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Full text of "Wiener klinische Wochenschrift"

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in  2019  with  funding  from 
University  of  Illinois  Urbana-Champaign 


https://archive.org/details/wienerklinischew13unse 


WIENER 


BEGRÜNDET  VON  WEIL.  HOFRATH  PROF.  H.  v.  BAMBERGER. 


HERAUSGEGEBEN  VON 

ERNST  FUCHS,  KARL  GUSSENBAUER,  ERNST  LUDWIG,  EDMUND  NEUSSER, 

LEOPOLD  R.  v.  SCHRÖTTER  und  ANTON  WEICHSELBAUM. 


REDIGIRT  von  Du  ALEXANDER  FRAENKEL. 


XIII.  JAHRGANG. 


WIEN  UND  LEIPZIG. 

WILHELM  BRAUMÜLLER,  K.  U.  K.  HOF-  UND  UNIVERSITÄTS-BUCHHÄNDLER 


1900. 


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Seite 


Zur  Jahrhundertwende.  Yon  A.  F .  1 

(Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  [Hofrath  Noth  nage  1]).  Beitrag  zur 
Lehre  von  der  Abstammung  der  Harncylinder.  Von  Dr.  Ernst 
v.  Czyhlarz,  Assistenten  der  I.  medicinischen  Klinik  .  .  2 

Zur  klinischen  Bedeutung  der  Nierendystopie.  Ein  Fall  von  operirter 

Beckenniere.  Von  Prof.  Dr.  J.  Hochenegg .  4 

Einige  seltenere  Concretionen  der  menschlichen  Harnwege.  Von 

Dr.  O.  Zuckerkandl . 9 

(Aus  Prof.  v.  Frise  h’s  Abtheilung  für  Krankheiten  der  Harn¬ 
wege.)  Ein  neues  Kystoskop  zum  Katheterismus  der  Ureteren. 

Von  Dr.  M.  Schliffka,  Assistenten  der  Abtheilung  ...  11 

Zum  Neubau  des  Wiener  k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses.  Schaffung 
einer  chirurgischen  Isolirabtheilung.  Von  Primararzt  Dr. 

F.  Schopf . 12 

Die  neue  Rigorosen-  und  Studienordnung  für  die  medicinischen  Facul- 

täten  Oesterreichs.  Von  A.  F . 13 

Zur  Lehre  vom  angeborenen  Pectoralis-Rippendefect  und  dem  Hoch¬ 
stande  der  Scapula.  Von  Docent  Dr.  Hermann  Schle¬ 
singer  in  Wien . 25 

(Aus  der  k.  k.  I,  psychiatrischen  Universitätsklinik  des  Herrn 


Prof.  v.  Wagner  in  Wien.)  Polioencephalitis  superior  acuta 
und  Delirium  alcoholicum  als  Einleitung  einer  Korsakow- 
sehen  Psychose  ohne  Polyneuritis.  .Von  Dr.  Emil  Raimann, 


Assistent  der  Klinik . 31 

Ein  Fall  von  traumatischer  periodischer  Lähmung.  Von  Uuiversitäts- 
docent  Dr.  Julius  Donath,  Ordinarius  für  Nervenkrank¬ 
heiten  am  St.  Rochus-Spitale  in  Budapest . 37 

Notiz  zur  Lehre  von  der  infantilen  Pseudobulbärparalyse  Von 

Prof.  Dr.  M.  Bernhardt  (Berlin) . 40 

(Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institute  Wien  [Vorstand 
Prof.  R.  Pal  tauf].)  Ueber  Hämolysine  und  Antihämolysine. 

Erste  Mittheilung.  Von  Dr.  Rudolf  Kraus,  Assistenten  am 

Institute,  und  Dr.  Paul  Clair  mont . 49 

(Aus  der  allgemeinen  medicinischen  Klinik  des  Prof.  B  o  z  z  o  1  o  und 


aus  dem  Institute  für  speeielle  medicinische  Pathologie  des 


Prof.  Silva  in  Turin.)  Beitrag  zur  Kenntniss  des  pseudo- 
chylösen  Ascitesformen.  Von  Dr.  F.  Micheli  und  Dr.  G. 

Mattirol  o,  Assistenten . 56 

(Aus  der  Heilanstalt  Alland.)  Einige  neue  Medicamente  in  der 
Phthiseotherapie.  Von  Dr.  Jul.  Pollak,  Hausarzt  der  Heil¬ 
anstalt  . 59 

Ueber  medicinische  Studien  und  Prüfungen.  Von  S.  Exner,  Professor 

der  Physiologie  in  Wien . 61 

Zur  Radicaloperation  der  Varikocele.  Von  Prof.  Dr.  Albert  Na  rath 

(Utrecht) . 73 

(Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  v.  Mosetig-Moor- 
h  o  f  im  Allgemeinen  Krankenhause.)  Ueber  multiple  Dünndarm¬ 
stenosen  tuberculösen  Ursprunges.  Von  Dr.  Sigmund  Erd¬ 
heim,  emeritirtem  Assistenten  der  Abtheilung . 79 

Zur  Technik  der  Gastrostomie.  Von  Dr.  Robert  Lucke  in 

Altenburg  . . . •  . . 83 

Bemerkungen  zur  neuen  Rigorosenordnung.  Vortrag  des  Prof.  Albert 

in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte . 84 

Ueber  die  Einschränkung  der  Laparotomie  zu  Gunsten  der  vaginalen 

Cöliotomie.  Von  Prof.  F.  Schauta . 101 


Ovariotomie  per  anum.  Von  Docent  Dr.  Hubert  Peters  .  .  .  110 

(Aus  der  Klinik  G.  Braun  in  Wien.)  Ueber  Luftembolie  bei  Pla¬ 
centa  praevia.  Von  Dr.  Hugo  H  ü  b  1,  Assistenten  der  Klinik  111 
(Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Escherich  in 
Graz.)  Ueber  die  nach  Gram  färbbaren  Bacillen  des  Säuglings¬ 
stuhles.  Vorläufige  Mittheilung.  Von  Dr.  Ernst  Moro,  klinischem 

Assistenten . 114 

(Aus  dem  Institute  für  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  der 
Universität  zu  Wien.)  Ueber  die  Wirkung  des  Schilddrüsen¬ 
saftes  auf  die  Circulation  und  Athmung  nebst  einem  Anhänge 
über  Beziehungen  zwischen  Jodothyrin  und  Jodnatrium,  bezie¬ 
hungsweise  Atropin.  Von  Dr.  Belav.  Fenyvessy  .  .  .  125 

(Aus  der  Ohrenabtheilung  im  k.  u.  k.  Garnisons-Spitale  Nr.  1  in 
Wien.)  Störungen  der  Vasomotorenthätigkeit  und  der  Seusi- 


Seite 

bilität  nach  peripherer  traumatischer  Facialislähmung.  Von 

Regimentsarzt  Dr.  Karl  Biehl . . 131 

Gutachten  der  medicinischen  Facultät  in  Wien.  Todschlag,  verübt 
von  einem  trunksüchtigen,  ethisch  depravirten  Individuum.  An¬ 
geblicher  pathologischer  Rauschzustand  und  Schlaftrunkenheit. 

Verurtheilung.  Referent  Prof.  v.  W  a  g  n  e  r . 134 

Philipp  Knoll  f . 139 

Ueber  Maltafieber.  Von  Dr.  Alfred  Brunner  (Triest)  ....  149 

(Aus  der  H.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Dr. 

E.  N  e  u  s  s  e  r  in  Wien.)  Beitrag  zur  Klinik  der  Landry- 
schen  Paralyse  mit  besonderer  Berücksichtigung  ihrer  Bacterio- 
logie  und  Histologie.  Von  Dr.  Julius  Kapper,  k.  und  k. 


Regimentsarzt . 153 

(Aus  dem  Ambulatorium  für  Nasen-  und  Halskrankheiten  des  Prof. 

Dr.  O.  C  h  i  a  r  i  au  der  Wiener  Allgemeinen  Poliklinik.  Ueber 
Speichelsteinbildung.  Von  Dr.  Friedrich  Hanszel, 

Assistenten . 161 

Zur  Krankenhausfrage.  Von  A.  F . 163 

(Aus  der  k.  k.  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des  Herrn  Prof, 
v.  Wagner  in  Wien.)  Ueber  alimentäre  Glykosurie.  Von 

Dr.  Emil  Raimann,  Assistenten  der  Klinik . 175 

(Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 


L.  Schrott  er  R.  v.  Kristelli.)  Mannsfaustgrosses  Aneu¬ 
rysma  der  Aorta  thoracica  descendens  zunächst  dem  Arcus,  in 
den  rechten  Thoraxraum  ausgebreitet.  Tod  durch  Perforation  in 
einen  Bronchialast  der  rechten  Lunge.  Röntgenographie.  Von 
Dr.  Maximilian  Weinberger  und  Dr.  Arthur 

Weiss,  Aspiranten  der  Klinik . 183 

(Aus  der  chirurgischen  Abfheilung  des  Primarius  Dr.  Schopf  im 
k.  k.  Kaiserin  Elisabeth-Spitale  in  Wien.  Traumatisches  Aneu¬ 
rysma  der  Arteria  brachialis  und  Durchtrennung  des  Nervus 
medianus.  Totalexstirpation  des  Aneurysmas.  Nervennaht.  Von 

Dr.  Karl  Sinnreich,  Abtheilungsassistenten . 187 

(Aus  Prof.  v.  Hacker’s  chirurgischer  Klinik  zu  Innsbruck.)  Zur 
Blasennaht  beim  hohen  Steinschnitt.  Von  Dr.  Georg  Loth¬ 
eiss  e  n,  Privatdocent  und  Assistent  der  Klinik . 203 

(Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Jakubowski  in 
Krakau.)  Zur  Biologie  der  Malariaparasiten.  Von  Dr.  Xaver 

.  Lewkowicz,  Assistenten  der  Klinik .  206,  233 

(Aus  der  HI.  medicinischen  Klinik  [Hofrath  v.  Schrotte  r]  in 
Wien.)  Therapeutische  Studien  über  das  Sanatogen.  Von  Dr. 
Eduard  Rybiczka,  Aspirant  an  obiger  Klinik  ....  209 

Prof.  Jaus  (1696  — 1761).  Ein  neuer  urkundlicher  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Medicin  in  Wien.  Von  Robert  R.  v.  Töply, 

Privatdocent . 212 

(Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Hofrathes  Prof.  Nothnagel  in 
Wien.)  Das  radiographische  Verhalten  der  normalen  Brustaorta. 

Von  Dr.  G.  Holzknecht,  Aspirant  der  Klinik  ....  225 

(Aus  dem  allgemeinen  öffentlichen  Krankenhause  in  Baden  bei  Wien.) 

Ein  Fall  von  angeborener  stenosirender  Pylorushypertrophie. 

V on  Dr.  Franz  Hansy . 232 

Ueber  die  sogenannte  pericarditische  Pseudolebercirrhose  (Fr.  Pick). 

Von  Dr.  Victor  Eisenmenger . 249 

Hämatokolpos  und  Hämatometra  in  Folge  von  Atresia  hymenalis 

congenita.  Von  Dr.  E.  T  o  f  f ,  Frauenarzt  in  Braila  (Rumänien)  254 
(Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Privatdocenten  Dr.  Alex. 
Fraenkel  au  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien.)  Zur 
Diagnostik  der  Oesophagusdivertikel.  Von  Cand.  med.  Victor 


B  1  u  m,  Hospitanten  der  Abtheilung  ....  256 

Ueber  Lebercirrhose.  Von  Privatdocent  Dr.  Richard  Kretz,  Pro- 

sector  am  k.  k.  Kaiser  Franz  Josef-Spitale  in  Wien  ....  271 

(Aus  der  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  in  Wien  [Professor 
Dr.  v.  W  a  g  n  e  r].)  Ueber  einige  Ergebnisse  von  Blutdruck¬ 
messungen  bei  Geisteskranken.  Von  Dr.  Al  exan d  er  P  i  1  c  z, 

klinischem  Assistenten . 276 

Ein  Fall  intraabdominaler  Netztorsion.  Von  Prof.  Dr.  J.  II  o  c  h  e  n 

egg . 291 

(Aus  der  n.  Wiener  medicinischen  Klinik  [Hofrath  Neusse  r]). 

Ueber  die  Hämamöben  L  ö  w  i  t’s  im  Blute  Leukämischer. 


IV 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT  1900 


Seite 


Vorläufige  Mittheilung.  Von  Dr.  Wilhelm  Tür  k,  klinischem 
Assistenten . 293 

(Aus  der  internen  Abtheilung  des  Stabsarztes  Universitätsdocenten 
Dr.  Alois  Pick  im  k.  u.  k.  Garnisonsspitale  Nr.  1  in  Wien.) 

Zur  Semiotik  des  zweiten  Pulmonaltones.  (Klinische  Studie  mit 
B  e  1 1  e  1  h  e  i  m- Gartner’s  Stethophonometer.)  Von  Dr.  Adolf 
Hecht  .  .  .  . . 294 

(Aus  der  Innsbrucker  Universitäts-Frauenklinik.)  Zu  Alexander’s 
inguinaler  Verkürzung  und  Befestigung  der  runden  Mutter¬ 
bänder  bei  Rückwärtslagerung  des  Uterus.  Von  E.  Ehren- 
d  o  r  f  e  r . 315 


(Aus  dem  baeteriologischen  Laboratorium  der  deutschen  Universitäts- 
Frauenklinik  [Vorstand  Prof.  Sänger  zu  Prag].)  Weitere 
Untersuchungen  über  den  Keimgehalt  der  weiblichen  Urethra. 
Von  Dr.  Ferdinand  Schenk  und  Dr.  Lothar  Auster¬ 


litz,  Assistenten  der  Klinik . 319 

Erwiderung  auf  Dr.  Eisenmenger’»  Aufsatz:  »Ueber  die 
sogenannte  Pseudolebercirrhose  (Fr.  Pick)«  in  Nr.  11 
dieser  Wochenschrift.  Von  Dr.  Fr  i  edel  Pick,  Privatdocent 

für  innere  Medicin  in  Prag . 324 

Ueber  die  Ilämamöben  im  Blute  Leukämischer.  Von  Prof.  Dr.  M. 

L  ö  w  i  t,  Innsbruck . 326 

Bemerkungen  zu  obiger  Erwiderung.  Von  Dr.  W.  Türk  .  .  .  .  227 

Jos.  Gruber,  Nekrolog  von  Pollak . 327 

(Aus  der  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  von  Prof.  v.  Wagner.) 

Ueber  Beziehungen  der  Korsakof  f’schen  Psychose  zur  Polio¬ 
encephalitis  acuta  haemorrhagica  superior.  Von  Dr.  A.  Elz¬ 
holz,  I.  Assistenten  der  Klinik . 337 

Ein  Beitrag  zur  sogenannten  retrograden  Incarceration.  Von  Dr. 
Dominik  Pupovac,  Assistent  an  der  II.  chirurgischen 

Klinik  in  Wien . 344 

Zum  Artikel  von  Schenk  und  Austerlitz:  »Weitere  Unter¬ 
suchungen  über  den  Keimgehalt  der  weiblichen  Urethra«,  diese 
Zeitschrift,  1900,  pag.  319  ff.  Von  Dr.  Rudolf  Savor, 

Assistenten  der  Klinik  C  h  r  o  b  a  k . 346 

Antwort  auf  Dr.  F.  P  i  c  k’s  Erwiderung  in  voriger  Nummer.  Von 

Dr.  Victor  Eisenmenger . 347 

Die  Ursache  des  Geburtseintrittes.  Von  Dr.  Josef  Thenen.  .  .  365 

Ueber  den  Einfluss  des  Alkohols  auf  die  Ausscheidung  der  reducirenden 
Substanzen  im  Harne.  Von  Cand.  -med.  Adalbert  Gregor 

in  Innsbruck . 370 

Ueber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditärsyphilitischen.  Von 

Prof.  E.  Finger .  383,  405,  428 

(Aus  dem  Kronprinz  Rudolf- Spitale.)  Der  Darmkrebs  im  Kiudesalter. 

Von  Dr.  Zuppinger . 389 

Meine  Operationserfolge  bei  Rectuincaiciuom.  Von  Prof.  Julius 

Hockenegg  (Wien) . 399 


(Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Universitätsklinik  Hofratli  Prof.  Nico¬ 
la  d  o  n  i  in  Graz.)  Zur  Technik  der  keilförmigen  Osteotomie 
der  Tibia  (Meyer-Schede).  Von  Dr.  L  u  d  w.  Luk  sch  404 
Ueber  endemischen  und  sporadischen  Cretinismus  und  dessen  Behand¬ 
lung.  Von  Prof.  Wagnerv.  Ja  uregg . 419 

(Aus  dem  Ospedale  Civico  in  Triest.  Ein  Fall  von  cerebraler 


Kinderlähmung  mit  wechselständiger  Ablucensparalyse.  Von  Dr. 

Eduard  Menz . 427 

Zur  Frage  des  Bacteriengehaltes  der  Harnröhre.  Replik  von  Dr. 

S  c  h  e  n  k  und  Dr.  Austerliz,  Assistenten  der  Klinik 

Sänger . 485 

Bemerkungen  zu  vorstehender  Replik.  Von  Dr.  R  u  d  o  1  f  S  a  v  o  r  .  .  435 

Creirung  von  Zahnärzten  durch  das  k.  k.  Ministerium  des  Innern. 

Von  Dr.  Rudolf  Weiser . 436 

Rudolf  R,  v.  Limbeck  j.  Von  Pauli . 439 

Ueber  eine  psychisch  bedingte  Störung  der  Defäcation.  Von  A.  Pick, 

(Prag) . 449 

Ueber  die  Wiederbelebung  in  Todesfällen  in  Folge  von  Erstickung, 
Chloroformvergiftung  und  elektrischem  Schlage.  Von  Prof. 

Dr.  J.  P  r  u  s,  Director  des  Institutes  für  allgemeine  und 
experimentelle  Pathologie  an  der  k.  k.  Universität  zu  Lem¬ 


berg  .  451,  482 

(Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Erzherzogin  Sopliien-Spitales 
in  .  Wien.)  Beitrag  zur  Technik  der  A  1  e  x  a  n  d  e  r’schen 
Operation.  Vom  Abtheilungsvorstande  Primaraizt  Dr.  Guido 

v.  Török . 458 

Der  gegenwärtige  Stand  der  Verwundungsfrage  im  Kriege  und  die 
Wechselbeziehungen  derselben  zum  Sanitätsdienste  im  Felde. 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  J.  H  a  b  a  r  t,  Privatdocent  für  Kriegs¬ 
chirurgie  an  der  Wiener  Universität . 473 

(Aus  dem  k.  und  k.  Garnisons-Spitale  Nr.  1  in  Wien  [Abtheilung 
für  Haut-  und  Syphiliskranke  des  Herrn  Stabsarztes  Dr.  A. 

T  burn  w  a  1  d] )  Ueber  die  sogenannte  Lues  hereditaria  tarda, 
beobachtet  an  der  bosnisch-hercegovinischen  Mannschaft  der 


Wiener  Garnison  aus  den  Jahren  1897,  1898  und  1899.  Von 
Dr.  F.  Schuster,  k.  und  k.  Oberarzt  und  Secundarius 
obiger  Abtheilung . 481 

Entgegnung  auf  O  s  t  w  a  1  d’s  Bemerkungen  zu  meinem  Vorträge: 
»Ueber  physikalisch-chemische  Methoden  und  Probleme  in  der 

Medicin  «  Von  Docent  Dr.  W.  Pauli . 487 

(Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  in  Wien  [Hofrath  Nothnagel].) 


Zur  Kenntnis»  der  agglutinirenden  Fähigkeiten  des  mensch- 


t  Seite 

liehen  Blutserums.  Von  Dr.  Julius  Donath,  Assistent 

an  der  I.  medicinischen  Klinik . 497 

(Aus  der  III.  chirurgischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien.)  Beitrag  zur  Casuistik  der  Chole- 
dochotomie  und  Cholecystenteroanastomose  Von  Dr.  Fritz 
P  e  n  d  1,  Assistent  und  zeitweiliger  Leiter  der  Abtheilung  .  .  498 

Notiz  über  die  Marienbader  Rudolfs-Quelle.  Von  Dr.  Al.  Grimm 

(Marienbad) . 501 

Zur  Erkenntniss  der  Embolie  in  der  Pulmonalarterie.  Von  Prof.  Dr. 
Dräsche,  Primararzt  des  Allgemeinen  Krankenhauses  in 

Wien . 521 

(Ans  der  chirurgischen  Abtheilung  des  bosnisch-hercegovinischen 
Landesspitales  zu  Sarajevo.)  Zur  operativen  Dislocation  des 
Kropfes  nach  W  ö  1  f  1  e  r.  Von  Dr.  Josef  Preindls- 

berger . 523 

(Aus  dem  Krankenhause  in  Villach.)  Ein  Fall  von  Extrauterin¬ 
gravidität  (geheilt  durch  Laparotomie).  Mitgetheilt  von  Dr. 

Hans  Hock . 524 

(Aus  der  k.  k.  II.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des  Herrn 
Hofrathes  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing  in  Wien.  Hedonal, 
ein  Hypnoticmn  der  Urethan-Giuppe.  Von  Dr.  Arthur 

Schüller,  Hospitanten  der  Klinik . 526 

(Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  des  Herrn  Prof.  Dr.  F  r  i  e  d  r. 
Schauta  in  Wien.)  Agglutinationsversuche  mit  mütterlichem 

und  kindlichem  Blute.  Von  Dr.  Josef  Halban . 545 

(Aus  der  Prosectur  der  k.  k.  Krankenanstalt  »Rudolf-Stiftung«  in 
Wien  [Prosector  Prof.  R.  Pal  tauf].)  Zur  Kenntniss  des 
Aktinomycespilzes.  Von  Dr.  Karl  Sternberg,  Prosecturs- 


adjunct . . . 549 

(Aus  der  Prosectur  der  k.  k.  Kraukenanstalt  »Rudolfstiftung«  in 
Wien  [Prosector  Prof.  R.  P  a  1 1  a  u  f].)  Ein  anaerober  Strepto¬ 
coccus.  Von  Dr.  Karl  Sternberg,  Prosectursadjunct  .  .  551 


Ueber  das  Baden  Neugeborener.  Von  H.  Kowarski . 552 

(Aus  der  IV.  medicinischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien.)  Ein  Beitrag  zur  Symptomatologie 
der  Alterssklerose.  Ein  bemerkenswerthes  Phänomen  bei  der 
Auscultation  der  Aorta  descendens.  Von  Dr.  Friedrich 

Fried  mann,  Secundararzt . 569 

(Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Professor 
Nothnagel  in  Wien.)  Zum  radiographischen  Verhalten 
pathologischer  Processe  der  Brustaorta.  Von  Dr.  G.  Hol  z- 

k  n  e  c  h  t,  Aspirant  der  Klinik . 573 

Notiz  über  den  Thorax  der  Metalldrucker.  Von  Privatdocent  Dr. 
Maximilian  Sternberg,  Chefarzt  des  Verbandes  der 

Genossenschaftskrankencassen  Wiens . 574 

(Aus  der  Heilanstalt  Alland.)  Einige  neue  Medicamente  in  der 
Phthiseotherapie.  Von  Dr.  Julius  Pollak,  Hausarzt  der 

Heilanstalt . 575 

Ueber  eine  erprobte  Trachealcanule.  Von  R.  Gersuny . 593 

Zur  blutigen  Behandlung  der  Luxatio  claviculae  acromialis  und 

der  Brüche  des  Nasenbeines.  Von  Dr.  Kon  r  a  d  B  ü  d  i  n  g  e  r  595 
(Aas  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  Hochenegg  an 
der  Allgemeinen  Poliklinik.)  Ein  Fall  von  Gallenstein¬ 
wanderung.  Von  Robert  Porges,  Assistent  des  Professors 

Hochenegg . 597 

Materialien  zu  einer  Geschichte  der  Pharaonenmedicin.  VI.  Aegyp- 

tisclie  Pneumalehre  im  Auslande.  Von  O  e  f  e  1  e . 599 

Ueber  die  Gasteiner  Thermen.  Von  Prof.  E.  L  u  d  w  i  g  und  Dr.  T  h. 

Panzer  . 617 

Basedow’sche  Krankheit  mit  Myxödemsymptomen.  Von  Docent  Dr. 

Josef  A.  Hirse  hl . 623 

Ueber  Kolikschmerzen.  Von  Dr.  med.  Robert  Lucke  in  Altenburg  624 
(Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  in  Wien  [Hofrath  Nothnagel].) 
Beitrag  zur  Aetiologie  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krankheit  und 
des  Thyreoidismus.  Von  Dr.  Robert  Breuer,  Assi¬ 


stenten  .  641,  671 

(Aus  der  III.  medicinischen  Universitätsklinik  in  Wien.)  Beitrag 
zur  Kenntniss  der  recurrireuden  Tetania  gravidarum.  Von  Dr. 

C.  II  ö  d  1  m  o  s  e  r,  klinischem  Assistenten . 644 


Ueber  den  Ischler  Salzbergschlamm.  Von  Dr.  E.  W  i  e  n  e  r  .  .  .  .  646 

Bemerkung  zum  Aufsatze  in  Nr.  25  dieser  Wochenschrift:  »G. 
Holzknecht,  Zum  radiographischen  Verhalten  pathologischer 
Processe  der  Biustaorta«.  Von  Dr.  Maximilian  Wein¬ 


berger,  Assistenten  an  der  111.  medicinischen  Klinik  .  .  .  648 

Gegenbemerkung  zu  Obigem.  Von  Dr.  G.  Holzknech  t,  Aspi¬ 
ranten  der  Klinik  Nothnagel . 648 

Wilhelm  Kühne  f.  Von  Alois  Kreidl . 648 


(Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  [Hofrath  Neusser]  in  Wien.) 

Ein  Fall  von  Abdominaltyphus  mit  posttyphöser  Schilddrüsen¬ 
vereiterung.  Bacteriologisch-hämatologische  Betrachtungen.  Von 
Dr.  Anton  Schudmak,  Aspiranten  der  II.  medicinischen 
Klinik,  und  Dr.  J.  Ach.  V  1  a  c.  h  o  s,  Hospitanten  der  n.  medi¬ 
cinischen  Klinik . 661 

(Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  und  dem  neurologischen  Institute 
au  der  Wiener  Universität.)  Zur  Kenntniss  der  mit  schweren 
Anämien  verbundenen  RückenmarksafiVctionen.  Von  Dr.  Otto 
M  a  r  b  u  r  g,  Assistenten  am  neurologischen  Institute  ....  667 

(Aus  dem  hygienischen  Institute  der  k.  k.  Universität  Innsbruck 
[Prof.  A.  L  o  d  e].)  Ueber  Glycerin  alsConstituens  für  Antiseptica. 

Von  Dr.  O  s  k  a  r  v.  W  unschhei  m,  Assistenten  am  Institute  681 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT  1900. 


V 


(Aus  der  geburtshilflich-gynäkologischen  Klinik  des  Prof.  Ehre  n- 
dorfer  in  Innsbruck.)  Bericht  über  22  Fälle  von  künstlicher 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft.  Von  Dr.  Josef  v.  Braiten- 

b  e  r  g,  Assistenten  der  Klinik . 

Ueber  Ferropyrin  als  Häinostaticum.  Von  Dr.  E.  Tof f,  Frauenarzt  in 

Braila  (Rumänien) . 

(Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof. 
C.  N  i  c  o  1  a  d  o  n  i  in  Graz.)  Beiträge  zur  Frage  der  »totalen 
Darmausschaltung«.  Von  Dr.  Erwin  Payr,  Docent  für 

Chirurgie  und  Assistent  der  Klinik .  707, 

Ein  Fall  von  Paraphenylendiaminvergiftung.  Von  Frauenarzt  Dr. 

EmilPollak . 

Ueber  Behandlung  der  nekrotisirenden  Akne  mit  Meersalzlösung. 

Von  Dr.  Friedrich  Luit  h  len  (Wien) . 

(Von  der  Abtheilung  für  interne  Krankheiten  des  Landesspitales  zum 
heiligen  Lazar  in  Krakau.)  Weitere  Fälle  von  Tetanus  trau- 
maticus,  welche  mit  subcutanen  Injectionen  von  Gehirnemulsion 
behandelt  wurden.  Von  Primararzt  Dr.  Anton  Krokiewicz 
Ueber  die  Therme  von  Monfalcone.  Von  Prof.  E.  Ludwig  und 

Dr.  Th.  Panzer . 

(Aus  dem  Spifale  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien.)  Zur  Lehre 
vom  pulsirenden  Exophthalmus.  Von  Dr.  Romuald  K  e  s  c  li¬ 
ma  n  n,  chirurgischem  Spitalsassistenten . 

(Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Athen  [Director  Prof. 
M  a  n  g  h  i  n  a  s].)  Zur  Casuistik  der  Echinococcusgeschwülste. 
Von  Docent  Dr,  D.  K  o  k  o  r  i  s,  Assistenten  der  Klinik  . 

(Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien  [Hofr.  Dr. 
A.  W  eichselbaumj.)  Ein  Fall  von  maligner  Endocarditis 
mit  zahlreichen  Metastasen.  Von  Dr.  S.  Gavala  (Athen). 
(Aus  der  Poliklinik  des  Dr.  Gold  fl  am  in  Warschau.)  Einiges 

über  Epilepsiebehandlung.  Von  Dr.  MaxBiro . 

Pathogenese  des  Ikterus.  Von  Prof.  Browicz  in  Krakau  .... 
(Aus  der  I.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Professor 
Albert.)  Erfahrungen  mit  Dr.  C.  L.  Schleie  h’s  Marmor¬ 
staubseife.  Von  Dr.  Ernst  Fuchsig,  Operationszögling  . 
Ueber  Stoffwechselstörungen  an  magen-darmkranken  Säuglingen.  Von 

Dr.  Meinhard  Pfaundler  (Graz) . 

(Aus  der  Abtheilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Frühwald  an  der  Wiener 
Allgemeinen  Poliklinik.)  Honthin,  ein  Darmadstringens,  und 
seine  therapeutische  Verwendung  in  der  Kinderheilkunde. 

Von  Dr.  JosefReichelt . 

Ueber  die  Bedeutung  des  akustischen  Sprachcentrums  als  Hemmungs¬ 
organ  des  Sprachmechanismus.  Von  Prof.  A.  Pick  (Prag) 

Der  gegenwärtige  Stand  der  Radiotherapie.  Von  Universitätsdocenten 

Dr.  E.  Schiff  und  Dr.  L.  Freund  in  Wien . 

Ueber  allgemeine  eoncentrische  Franklinisation  in  der  ärztlichen 

Praxis.  Von  Prof.  Dr.  Breitung  in  Coburg  . 

Die  Aetiologie  der  primären  acuten  Magen-Darmerkrankungen  der  Säug¬ 
linge  bacteriellen  Ursprunges.  Von  Theodor  Escherich  (Graz) 
(Aus  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Kehlkopf-  und  Nasenkrank¬ 
heiten  [Prof.  Chiari]  und  dem  pathologisch-anatomischen  Insti¬ 
tute.)  Untersuchungen  über  den  Tonsillotomiebelag  und  seine 
etwaigen  Beziehungen  zum  Diphtheriebacillus.  Von  Dr.  L. 

Harm  er,  Assistenteu  obiger  Klinik . 

Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Scharlachs  und  der  Masern.  Von  Dr. 

Jaroslav  Eigart  in  Brünn,  Secundararzt  am  St.  Annen-Spital 
(Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institute  in  Wien  [Vorstand 
Prof.  R.  Paltauf].)  Zur  »intravitalen«  Neutralrothfärbung 

der  Leukocyten.  Von  Dr.  Hugo  Marcus . 

(Aus  der  III.  medicinischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien.)  Ueber  »Acetopyrin«,  ein  neues  Auti- 
pyreticum.  Von  Dr.  Josef  Winterberg,  Assistenten  obiger 
Abtheilung,  und  Cand.  med.  Robert  Braun,  Hospitanten 

derselben  Abtheilung . . 

(Aus  der  Klinik  Chrobak  in  Wien.)  Ein  Fall  von  Elevatio  uteri  mit 
Lostrennung  des  Corpus  von  der  Portio  vaginalis  unter  De- 
hiscenz  der  Cervix.  Von  Privatdocent  Dr.  H.  Ludwig, 

Assistent . 

(Aus  dem  Civilspitale  von  Triest.)  Hyperglobulie  und  Splenomegalie. 

Hyperglpbulie  und  Splenektomie.  Von  Dr.  V.  Cominotti  .  . 

Erwiderung  zum  Aufsatze  in  Nr.  37  dieser  Wochenschrift:  E.  Schiff 
und  L.  Freund,  »Der  gegenwärtige  Stand  der  Radiotherapie«. 

Von  Privatdocenten  Dr.  Karl  Ul  1  mann . 

Antwort  auf  vorstehende  Erwiderung.  Von  Universitätsdocent  Dr. 

E.  Schiff  und  Dr.  L.  Freund . 

Eduard  Albert,  gestorben  am  25.  September  1900.  Nekrolog  von 

Adolf  Lorenz . 

(Aus  dem  Kaiser  Franz  Josef  -  Ambulatorium  in  Wien.)  Die  Be¬ 
wegungsphänomene  in  der  Mund-  und  Rachenhöhle  bei  Insuf- 
ficienz  der  Aortenklappen.  Von  Docent  Dr.  Hermann  Schle¬ 
singer  . 

(Von  der  Abtheilung  1B  [interne  Krankheiten]  des  St.  Lazar- 
Landesspitales  in  Krakau.)  Zur  Behandlung  der  Lungentuber- 
culose  mit  intravenösen  lletolinjectionen  nach  Länderer.  Von 

Primarius  Dr.  Anton  Krokiewicz  . . 

Zur  Lehre  vom  Trachom.  Von  C.  Ziem  in  Danzig .  925, 

Ueber  den  normalen  Grosszehenreflex  bei  Kindein.  Von  Fritz 
P  a  s  s  i  n  i,  Assistenten  der  Abtheilung  des  Herrn  Prof.  Früh¬ 
wald  an  der  Wiener  Allgemeinen  Poliklinik . 


Seite 

Formaldehyddesinfeclion.  Von  Dr.  Basil  Kluczenko,  k.  k.  Landes- 

Sanitätsreferent  in  der  Bukowina . 933 

Die  corticalen  Sehcentren.  Anatomische  und  experimentelle  Unter 

suchungen.  Von  Prof.  St.  Bernheimer  (Innsbruck)  .  .  .  955 

(Aus  der  k.  k.  neurologisch-psychiatrischen  Klinik  der  Universität  Graz 
[Prof.  Anton].)  Eine  eigenartige  postmortale  Cystenbildung  im 
Centralnervensystem.  Von  Dr.  Fritz  Hartmann,  klinischem 

Assistenten . 963 

Beitrag  zum  Studium  der  hereditären  Syphilis  in  der  zweiten  Gene¬ 
ration.  Von  Dr.  Edmond  Fournier,  Chef  der  Facultäts- 

klinik  für  Dermatologie  und  Syphilis  in  Paris . 985 

(Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Anton  Gl  uzinski  in 
Lemberg.)  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Entstehung  einer  acuten 
Nephritis  bei  Secundärsyphilis  (Nephritis  syphilitica  praecox). 

Von  Dr.  Abraham  Stepler,  k.  u.  k.  Regimentsarzt.  .  .  .  989 

(Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Güssen- 
bauer  in  Wien.)  Ueber  Echinococcus  der  Niere.  Von  Dr. 
Ludwig  Stein,  emeritirtem  Operateur  obiger  Klinik  .  .  .  993 

Dem  Andenken  E.  Alber  t’s.  Von  Prof.  Gussenbauer  .  .  .  995 

(Aus  der  III.  medicinischen  Universitätsklinik.)  Zur  Diagnose  des 
latenten  Oesopliaguscarcinoms.  Von  Dr.  C.  II  ö  d  1  m  o  s  e  r, 

klinischem  Assistenten . 1007 

(Aus  Hofrath  v.  Krafft-Ebing’s  Klinik  im  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhause  in  Wien.)  Ueber  einen  Fall  von  posthemiplegi- 
schem  Intentionstremor.  Von  Dr.  Moriz  Infeld,  klinischem 

Assistenten .  . 101 1 

(Aus  der  niederösterreichischen  Landes-Irrenanstalt  zu  Ybbs.  Zur 

Behandlung  der  Epilepsie  mit  Bromipin.  Von  Dr.  Wilhelm 

Lorenz,  Secundararzt . 1019 

(Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  [Hofrath  Professor  E.  Neusser].) 

Ueber  eine  bei  Pleuritis  und  Perihepatitis  fibrinosa  zu  beob¬ 
achtende  Reflexzuckung  im  Bereiche  der  Bauchmusculatur 
(»respiratorischer  Bauchdeckenreflex«).  Von  Dr.  Rudolf 


Schmidt,  Assistenten  an  der  II.  med.  Klinik  in  Wien  .  .  .  1033 

Beiträge  zur  Technik  der  Darmvereinigung.  Von  Dr.  Hermann 

Hinterstoisser,  Primararzt  in  Teschen . 1036 

(Aus  dem  k.  k.  St.  Roclius-Spital  in  Wien  [Primarius  Docent  Dr. 

K.  Büdinger])  Zur  Casuistik  der  subcutanen  Sehnenrupturen. 

Von  Dr.  L  Kirchmayr,  Aspirant . 1038 

(Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien.)  Ein  weiterer 
Beitrag  zur  Pathologie  und  Aetiologie  der  Gangrene  foudroy- 
ante.  Von  Dr.  Fritz  Hitschmann  und  Dr.  Otto  Th. 

Lindenthal . 1057 

Ueber  den  Verschluss  von  Defecten  am  Schädel  durch  Knochen¬ 
heteroplastik.  Von  Dr.  Konrad  Büdinger . 1067 

(Aus  dem  allgemeinen  Krankenbause  in  Linz  [Primarius  Dr.  Ale¬ 
xander  Brenner],)  Zur  Casuistik  der  Darmlipome.  Von  Dr. 

Ferd.  Gross,  Secundararzt . 1C69 

(Aus  Hofrath  Prof.  I.  Neumann’s  k.  k.  Universitätsklinik  in  Wien.) 

Zur  Frage  der  Identität  des  Pemphigus  neonatorum  und  der 
Impetigo  contagiosa.  Von  Dr.  Rudolf  Matzenauer,  I.  Assi¬ 
stenten  der  Klinik . 1077 

(Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Gussen¬ 
bauer  in  Wien.)  Ein  Fall  von  Endocarditis  gonorrhoica.  Von 
Dr.  Ludwig  Stein,  einer.  Operateur  obiger  Klinik  ....  1081 
Ueber  Jodoformwirkung  und  Jodoformersatz.  Von  Dr.  Alexander 

Fraenkel,  Privatdocent  für  Chirurgie  in  Wien . 1085 

Beitrag  zur  Frage  der  Radicaloperation  heim  Uteruskrebs.  Von  Prof. 

E.  Wert  heim  in  Wien . 1101 

(Aus  dem  staatlich-serotherapeutisclien  Institute  in  Wien  [Vorstand: 

Prof.  R.  Paltauf].)  Beiträge  zur  Fadenreaction.  Von  Dr. 
Philipp  Eisenberg,  Aspiranten  au  der  II.  med.  Klinik  .  ,  1105 

Ein  durch  Tizzoni’s  Tetanus-Antitoxin  geheilter  Fall  von  Tetanus 
beim  Menschen.  Von  Dr.  Edmund  Homa,  Secundararzt  der 

Landes-Krankenanstalt  in  Brünn . 1108 

Zur  Meisterkrankencassen-Frage.  Von  Dr.  Ferdinand  Steiner  .  .  1109 

Ueber  die  Behandlung  des  peptischen  Magengeschwüres.  Von  Prof.  Dr. 

Anton  Gl  uzinski  (Lemberg) . 1125 

Der  Blutdruck  und  seine  Beziehung  zur  Lymphcirculation.  Von 
Dr.  Friedrich  Friedmann,  Secundararzt  der  IV.  medi¬ 
cinischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses  in 

Wien .  .  1133 

Phlegmone  des  Processus  vermiformis  im  Gefolge  einer  Angina 
tonsillaris.  Von  Privatdocent  Dr.  R.  Kretz,  Prosector  am 

k.  k.  Kaiser  Franz  Josef-Spitale  in  Wien . 1137 

Eine  Bemerkung  zu:  »Ureterfisteln  und  Ureterverletzungen«  von 

Dr.  W.  Stöckel,  Leipzig  1900.  Von  K.  Büdinger  ....  1138 

L.  Ollier  f.  Von  A.  Fr . 1139 

(Aus  dem  Röntgen-Institut  im  Sanatorium  Fürth  in  Wien.)  Ueber 
die  Einwirkung  des  Röntgen  Lichtes  auf  die  Haut.  Von  Dr. 

Robert  Kienböck . 1 1 ; > 3 

(Aus  der  eisten  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien  [weiland 
Hofrath  Alber  t].)  Erfahrungen  über  die  Localanästhesie 
nach  Schleich.  Von  Dr.  Friedrich  v.  Friedländer, 

Assistenten  der  Klinik . 1160 

Ein  aseptisches  Bougie  zur  Einleitung  der  Frühgeburt.  Von  Docent  Dr. 
Ludwig  Knapp,  Assistenten  an  der  deutschen  geburts¬ 
hilflichen  Klinik  für  Aerzte  in  Prag1 . 1169 

Zur  Kenntniss  der  Unterschiede  zwischen  der  natürlichen  und 

künstlichen  Ernährung  des  Säuglings.  Von  Th,  Escherich  1183 


Seite 

685 

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932 


VI 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT  1900. 


Seite 

(Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Dr. 
v.  S  c  h  r  ö  1 1  e  r.)  Beobachtungen  an  Elektricitätsarbeitern.  Von 

Dr.  S.  J  e  1 1  i  n  e  k,  Aspiranten  der  K'inik . 1186 

(Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  Krankenanstalt  »Rudolf- 
stiftung«  in  Wien.)  Hyperchlorhydrie  im  Säuglingsalter.  Von 

Dr.  Wilhelm  Knoepfelmac  her . 1 188 

Die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  im  Unterricht  und  als 

Wissenschaft.  Von  Prof.  Rieh.  Paltauf . 1190 

(Aus  der  ersten  medicinischen  Abtheilung  des  Professors  E.  v.  S  t  o  f- 
f  e  1  a  an  der  allgemeinen  Poliklinik  in  Wien.)  Beiträge  zur 


Seite 

Thomsen’schen  Krankheit.  Von  Dr.  Julius  Mahler, 
Assistenten,  und  Dr.  Rudolf  Beck,  Aspiranten  obiger  Ab¬ 
theilung  . 1219 

Ein  Fall  von  Milzexstirpation  wegen  hypertrophischer  Wandermilz. 

Von  Dr.  Karl  Schwarz,  Primararzt  im  Spitale  der  Barm¬ 
herzigen  Brüder  in  Agram  . . 1224 

Modification  des  Breisky-Speculum  als  selbsthaltendes.  Von  Docent 

Dr.  Ludwig  Knapp  (Prag) . 1226 


Sachregister. 


O.  =  Originalien.  —  R.  =  Referate.  —  Z.  =  Aus  verschiedenen  Zeitschriften  —  Th.  -  Therapeutische  Notizen.  —  V.  =  Vereine. 


A. 

Aboitus,  Ueber  den.  Von  Piering.  (R.) 

Abscesse,  Multiple  Gehirn-  (V.) . 

Abstinenz  der  Geisteskranken,  Die.  (R  )  . 

Accessoriuslähmung,  Linksseitige.  (V.)  . 
Acclimatisationsfrage,  Zur.  (V.)  .  .  .  585, 
Acetonausscheidung,  Zur.  (V.)  .  .  .  544, 

Acetonnachweis  im  Harne.  (Z.) . 

Acetopyrin,  Ueber.  Von  Dr.  Winterberg  und 

R.  Braun.  (O.) . 

Actol.  (Th.) . 

Achylia  gastrica  mit  Gasterine,  Behandlung  der. 

(Z;)  . . 

Acusticus,  Facialis  und  der  Augenmuskelnerven, 
Gleichzeitige  Eikrankung  des.  (V.)  . 
Acustische  Centrum  als  Hemmungsotgan  des 
Sprachmechanismus,  Das.  Von  Prof.  Pick. 

(0.)  •  •  •  •  . . 

Addison’sehe  Krankheit,  Ueber.  (Z.)  793,  (V.) 
Adenocarcinome,  Ueber.  (V.)  ...... 

Aderlass  bei  Urämie.  (Z  ) . 

Administrative  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft 

der  Aerzte . 169, 

Aesthesiometer,  Ueber.  (Z  )  . 

Aethylcbloridnarkose,  Die  Gefahren  der.  (Z.)  . 
Agglutination  bei  Tuberculose.  (V.)  .... 
Agglutinationsversuche  mit  mütterlichem  und 
kindlichen  Blute.  Von  Dr.  Jos.  Halban. 

(O  ) . 

Agglutinationsfähigkeit  des  menschlichen 
Serum«.  Von  Dr.  Donath.  (O.)  .  .  .  . 

Agglutinine,  Vererbung  der.  (Z.) . 

Airolpaste  (Z.) . 

Akne  mit  Meersalzlösung,  Behandlung  der 
nekrotisirenden.  Von  Dr.  Luithlen.  (O.) 
Akne  und  ihre  Behandlung,  Die.  Von  Jessner. 

.  (R.) . 

Aktinomyceskolben,  Zur  Bedeutung  der.  (Z.) 
Aktinomycespilzes,  Zur  Kenntniss  des.  Von 

Dr.  Sternberg  (O.) . 

Aktinomykose  der  Brustdrüse.  (Z.)  .  . 

Aktinomykose  des  Blinddarmes.  (V.)  .  . 

—  des  Unterkiefers.  (V.) . 

Akromegalie,  Myxödem  und  Blutdrüsen¬ 
erkrankungen.  Von  Pineies.  (R)  .  .  . 

Albert,  Nekrolog.  Von  Lorenz . 

Albert,  Gedenkrede.  Von  Hofrath  Gussen- 

bauer  . 

Alexander’s  Operation.  Von  Prof.  Ehrendorfer. 

(O.)  . 

—  Operation.  Von  G.  v.  Török  (0.)  .  .  . 

Alkohol  als  Desinfectionsmittel.  (Z.)  .  .  755, 

Alkohols,  Die  eiweisssparende  Wirkung  des. 

(v.)  .  •  •  . :  •  •  • 

—  auf  die  reducirenden  Substanzen  im  Harne, 
Einfluss  des.  Von  Gregor.  (O.)  .  .  .  . 

Alkoholbehandlung  und  Tuberculose.  (V.) 

Alkoholverbände,  Ueber.  (Z.) . 

Alkoholvergiftung  und  Bewusstseinsstörung. 

(Z)  . 

Alopeciebehandlung,  Zur.  (V.) . 

Also!.  (Th.) . 


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1177 

283 


Seite 

Amoeba  coli.  (V.) . 840 

Amputationen  und  Exarticulationen.  Von  Bier. 

(R.)  241 

Anämiebehandlung,  Zur.  (Z.) . 916 

Anämie  in  Folge  versteckter  Hämorrhoidal¬ 
blutungen.  (Z.) . 18 

—  im  Kindesalter,  Perniciöse.  (V.)  .  .  .  636 

—  Die.  Von  Lazarus.  (R.) . 1140 

Anastomosen,  Intestinale.  (V.)  .  .  .891,  892 

Anastomosis  vesico-rectalis.  (V.) . 867 

Anatomie,  Topographische.  Von  Prof.  Zucker¬ 
kand!.  (R.) . 93 

Aneurysmabehandlung,  Zur.  (V.) . 864 

Aneurysma  der  Aorta  ascendens.  Von  Doctor 

Weinberger.  (O.) . 183 

—  der  Aorta  descendens.  (Z.) . 556 

—  der  Arteria  brach ialig.  Von  Dr.  Sinnreich. 

(O.) . 187 

—  der  Anonyma.  (V.) . 268 

—  der  Carotis  interna.  (V.)  ....  357,  913 

—  der  Carotis  communis.  (Z.) . 1144 

—  des  Herzens  im  Kindesalter,  (Z.)  .  .  .  462 

—  Traumatisches.  (V.) . 588 

—  und  Röntgen-Durchleuchtung.  (Z.)  .  .  .  816 

Angina  und  Endocarditis.  (Z.) . 558 

—  pectoris,  Ueber  (Z.) . 915 

Anginen  im  Kindesalter,  Reeidivirende.  (V.)  .  635 

Angiofibrom  der  Nase.  (V.) . 1216 

Angiomyolipom  der  Niere.  (V.) . 1232 

Ankylostomiasis  in  Centralamerika.  (Z.)  .  .  1205 

Annuli  tympanici,  Sequestrirung  beider.  (V.)  1235 

Antitussin,  Ueber.  (Th.) . 19,  980 

Aorta  abdominalis,  Ligatur  der.  (V.)  .  .  .  868 

Aortenerkrankungen.  Zur  Diagnostik  der.  (V.)  517 

Aphasie,  Eine  geheilte.  (Z.) . 793 

—  bei  erhaltenem  musikalischem  Gedächtniss. 

(Z.) . 816 

—  Plötzliche.  (V.) . 565 

—  Sensorische.  (Z.) . 628 

—  Transcorticale.  (Z.) . 579 

Aphatisches  Stottern.  (Z.) . 167 

Aphonie,  Hysterische.  (V.)  201,  (Z.)  .  .  .  776 

Apoplektischer  Insult  der  Brücke.  (Z.)  .  .  .  580 

Appendicitis,  Hypertrophische.  (V.)  ....  890 

Appendicitisbehandlung,  Zur.  (V.)  .  .  870,  890 

Appendicitis,  Eine  Complication  nach  der 

Operation  der.  (V.)  ....  287,  800,  947 

—  larvata.  (V.) . 946 

Appendicite,  L’.  Von  Proca.  (R.) . 241 

Appendix  im  Darmwege,  Abgang  eines.  (Z.)  .  1173 
Applicatorische  Uebung  im  Freien  für  Militär¬ 
ärzte.  Von  Wolff.  (R.) . 373 

Arbeiten  aus  dem  Institute  des  Prof.  Ober¬ 
steiner.  (R.) . 859 

Argentum  colloidale  bei  Scharlach.  (Th.)  .  .  739 

Argentamin.  (Th.) . 777 

Arhythmie,  Zur  Erklärung  der.  (V.)  .  .  .  .  445 

Arsen  im  thierischen  Haushalte.  (Z )  .  .  .  885 

Arsen-  und  Thyreoideapräparate.  (Z.)  ...  96 

Arsennachweis  auf  biologischem  Wege.  (Z.)  .  16 

Arsonvalisation,  Ueber.  (V.) . 946 

Ai thritis  deformans,  Knochenstructur  bei.  (V.)  981 


Seite 

Arthritis  deformans  bei  Kindern.  (Z.)  .  .  .  628 

Arthropathia  tabetica.  (V.) . 69 

Arzneimittel,  Neuere.  (V.) . 945 

Ascites,  Ein  milchweisser.  (Z.) . 464 

Ascitesformen,  Ueber  pseudochylöse.  Von 

Dr.  Micheli  und  Dr.  Mattirolo.  (O.)  .  .  56 

Asepsis  bei  Operationen.  (V.) . 1076 

Aspergillose,  Ueber.  (V.) . 839 

Aspirin.  (Th.) . 281 

Asthmabehandlung,  Zur.  (Z.)  ....  306,  1229 

Ataxie  beim  Menschen  und  Affen,  Centripetale. 

(V.) . 1075 

Athemleistung,  Ueber.  (V.) . 889 

Atlas  der  Gynäkologie.  Von  Schaefer.  (R.)  .  327 

—  Verletzungen  des.  (Z.) . 775 

Atresia  cervicis.  (V.) . ■  .  517 

Auge,  Durchschnitt  durch  das.  Von  Salzmann. 

(R.) . 281 

Auerenabtheilung:  in  Olmütz.  Jahresbericht  der. 

(Z.)  330 

Augeneiterung  der  Neugeborenen.  (V.)  .  .  362 

Augenkrankheiten,  Therapie  der.  Von  Gold¬ 
zieher.  (R.) . 998 

Augenerkrankungen,  Ekzematöse.  Von  Bach. 

(R.)  577 

—  Gichtische.  Von  Hirsch.  (R.) . 577 

Augenleiden,  Die  Vererbung  von.  VonVossius. 

(R.) . 577 

Augenmuskellähmung,  Dissociirte.  (V.)  .  .  359 

Auges,  Die  entzündlichen  Verletzungen  des. 

Von  Brandenburg.  (R.) . 577 

—  Die  Lepra  des.  Von  Börthen.  (R.)  .  .  .  576 

—  Die  Impferkrankungen  des.  Von  Schirmer. 

(R.) . 577 

Ausathmungsluft,  Giftigkeit  der.  (Z.)  .  .  .1144 

Autointoxicationen,  Die  Behandlung  der. 

(V.)  542,  864 

B. 

Bacillen,  Virulenz  der  Coli-,  (V.)  ....  382 

—  und  Farbstoffbildung.  (Z.) . 886 

Bacterien,  Einfluss  des  Sonnenlichtes  auf.  (Z  )  556 

Baden  Neugeborener,  Das.  Von  Kowarski. 

(O.) . 552 

Bäder  Siebenbürgens,  Die.  Von  Hanko.  (R.)  .  941 

Balkens  und  des  Gewölbes,  Die  Entwicklung 

des.  (V.) . 610 

Bandwurmmittel,  Ist  Chlorofotm  ein?  (Z.)  .  463 

Bardenheuer’sche  Extensionsmethode,  Die.  (Z.)  1205 

Barlow’sche  Krankheit.  (V.) . 638 

Basedowbebandlung,  Zur.  (Z.)  .  .  393,  885,  913 

Basedow’sche  Krankheit  mit  Myxödem¬ 
symptomen.  Von  Dr.  Hirschl.  (O.)  .  .  622 

Basedow’schenKrankheitunddesThyreoidismus, 

Zur  Aetiologie  der.  Von  Dr.  Breuer. 

(O.) .  641,  671 

Basedow  und  Myxödem.  (Z.) . 834 

Basedow,  Ein  Fall  von.  (Z.) . 1072 

Batteri  patogeni,  I.  Von  Ottolenghi.  (R.)  .  .  528 

Bauchdeckenreflex  bei  Pleuritis.  Von  Doctor 

R.  Schmidt.  (O.) . 1033 


VII 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Seite 

Bauchfelles,  Schwielige  Verdickung  des.  .  .  99 

Bauchfelltubei  culose,  Operativgeheilte.  (V)  269,  948 

—  Ueber.  (Z.) . 1095 

Beckenformen,  Die  pathologischen.  Von  Doctor 

Breus  und  Kolisko.  (R.) . 909 

Beckenniere,  Ein  Fall  operirter.  Von  Pro¬ 
fessor  Hochenegg.  (0.)  . .  4 

Belastungslagerung,  Zur.  (V.) . 660 

Bence-Jones’sche  Eiweisskörper,  Der.  (V.)  .  544 

Besserhören  im  Lärm,  Ueber.  Von  Breitung. 

(R.)  280 

Beulenpest  in  Bombay.  Von  Albrecht  und 

Ghon.  (R.) . .  .  .  1071 

Bewegungsphänomene  im  Munde  bei  Aorten- 

insufficienz.  Von  Dr.  H.  Schlesinger.  (O.)  901 

Bibliotheksbericht.  (V.) . 309 

Biliöses  Fieber.  (V.) . 894 

Biologie,  Vorfragen  der.  Von  Albrecht.  (R.)  .  606 

Blasendefecte  mit  Netz,  Deckung  der.  (Z  )  .  628 

Blasenektopie,  Ein  Fall  von.  (V.)  .  .  535,  867 

Blasennaht  beim  hohen  Steinschnitt.  Von 

Dr.  Lotheissen.  (O.) . 203 

Blasenspalte,  Angeborene.  (V.) . 700 

Blaublindheit  und  Schrumpfniere.  (Z.)  .  .  .  375 

Bleichsuchtbehandlung,  Zur.  (Z.)  .  ,  .  .  .  817 

Blindgeborenen,  Sehstrahlung  eines.  (Z.)  .  .  696 

Blitzschlages,  Zur  Wirkung  des.  (Z.)  .  .  .  861 

Blutbefunde,  Eigentümliche.  (V.)  ....  413 

Blutdruck  beim  Menschen,  Ueber  den.  (V.)  .  98 

—  bei  Geisteskranken.  Von  Dr.  Pilcz.  (O.)  .  276 

—  bei  Nervenkranken.  (V.) . 1147 

—  und  Lymphcirculation.  Von  Dr.  Friedmann. 

(O.) . .1133 

Blutgerinnung,  Ueber.  Von  Schwalbe.  (R.)  .  1093 

Blutkörperchendegeneration,  Die.  (Z.)  .  .  .  629 

Blutkörperchenzählung,  Die.  (V.) . 544 

Blutschwammes,  Zur  Behandlung  des.  (Z.)  .  775 

Blutstillung,  Gelatine  zrrr.  (Z.) . 531 

—  Eine  neue  Art  der.  (V.) . 780 

—  ohne  Ligatur.  (V.) . 541 

Bluttransfusionsmethode,  Eine  neue.  (V.)  .  .  946 

Blutuntersuchungen,  Klinische.  Von  Grawitz. 

(R.)  1139 

Blutveränderung  nach  Aderlässen.  Von  Wille¬ 
brand.  (R  ) . 1142 

Blutvergiftung,  Ueber  sogenannte.  Von  G. 

Meyer.  (R.) . 1228 

Blutzusammensetzung  bei  Anämien.  Von 

Strauss  und  Rohnstein.  (R.) . 1142 

Boerenkriege,  Aus  dem.  Von  Matthiolius.  (R.)  1093 

Bogenampullen,  Die  (V.) . 512 

Borsäure,  Die  angebliche  Giftigkeit  der.  (Z.)  1073 
Bottini’schen  Operation,  Zur  Technik  und 

Statistik  der.  (V.) . 537 

Bougie  zur  Einleitung  der  Frühgeburt,  Ein 

aseptisches.  Von  Dr.  L.  Knapp.  (O.)  .  1169 

Brandstiftungen  unter  dem  Einflüsse  des 

Alkohols.  (Z.) . 944 

Breisky-Speculum,  Modification  des.  Von  Dr. 

L.  Knapp.  (O.t  ....  • . 1226 

Breslauer  Hallenschwimmbad,  Das.  Von  Doctor 

Kabierske.  (R.)  678 

Brom  im  Thierkörper,  Das.  (Z.) . 242 

Bronchialasthma  und  seine  Behandlung.  Von 

Goluboff.  (R.) . 487 

Bruchanlage,  Die.  (V.) . 288 

Bruchpforten  durch  Silberdrahtnetze,  Ver- 

schliessung  der.  (V.) . 539 

Bruns’sche  Pasta.  (Z.) . 1094 

Bulbärer Kränkungen  bei  Tabes,  Zur  Anatomie 

der.  (Z.) . 167 

Bürsten,  Die  Sterilisirbarkeit  der.  (Z.)  .  .  .  628 

c. 

Calciumcarbid  in  der  Gynäkologie.  (Z.)  .  .  756 

Calot’sches  Redressement,  Heilung  einer 

Lähmung  durch.  (V.)  ...  ...  721 

Cancer  maladie  infectieuse,  Le.  Von  Biosc. 

(R.) . ß  28 

Capillardruckes,  Die  Messung  des.  (V.)  .  .  512 

Caput  obstipum.  Zur  Operation  des.  (V.)  413,  467 

Carcinom  des  Darmes,  Zur  Diagnose  des.  (Z.)  943 

Carcinom  des  Uterus,  Zur  Behandlung  des. 


Carcinoma  mammae,  Beobachtungen  über  das 

(Z.) . 559 

Carcinom  der  Leber,  Primäres.  (Z.)  ....  816 

—  der  Flexur.  (V.) . 197 

—  der  Nase.  (V.) . 173,  1215 


Seite 

Carcinom  des  Oberkiefers.  (V.) . 223 

—  der  Wange.  (V.)  801 

Carcinome,  Behandlung  inoperabler.  (V.)  .  .  396 

—  des  Cöcums,  Zur  Diagnose  des.  (Z.)  .  .  695 

—  Zur  Statistik  der.  (V.) . 542 

—  Zunahme  der.  (Z.) . 695 

Carcinoms,  Zur  Aetiologie  des.  (Z.)  1048,  (V.)  1231 
Cardiale  und  nervöse  Störungen  aus  gastro¬ 
intestinaler  Ursache.  (Z.) . 19 

Cardiaverengerungen,  Behandlung  der.  (V.)  .  870 

Cardioptose,  Ueber.  (V.) . 865 

Carnigen,  Ueber.  (Th.) . 1 1 1 6 

Cascarin.  (Th.) . 651 

Caseinflocken,  Zur  Kenntniss  der  (V.)  .  .  .  100 

—  Farbenreaction  der.  Von  Leiner.  (R.)  .  .  303 

Cephalhämatom,  Beiderseitiges.  (V.)  .  .  .  722 

Cntgutsterilisation,  Zur.  (Z.) . 818 

Centralnervensystems,  Bedeutung  derUebungen 

bei  Erkrankungen  des.  Boykinoff.  (R.)  .  44 

Centralorgane,  Bau  der  nervösen.  Von  Edinger. 

(R.) . 438 

Centrifuge,  Eine  neue.  (V.)  224 

Cerebrallähmungen,  Infantile.  (Z.)  ....  581 

Chemische  Zusammensetzungen  der  Neu¬ 
geborenen.  (V.)  71 

Chemie,  Grundriss  der  organischen.  Von 

Oppenheimer.  (R.)  409 

—  der  Eiweisskörper.  Von  Cohnheim.  (R.)  .  941 

—  Physiologische.  Von  Salkowski.  (R.)  .  .  941 

—  Physiologische.  Von  Bottazzi . 942 

Chemikers,  Zur  Praxis  des.  Von  Eisner.  (R  )  942 

Chirol.  (Th.) . 606 

Chirurgie,  Handbuch  der  praktischen.  Von 

Bergmann,  Bruns  und  Mikulicz.  (R.)  .  .  242 

—  und  Operationslehre.  Von  Krüche.  (R.)  .  693 

Chirurgische  Casuistik.  (Z.)  ......  755 

Cloroformnarkosen,  Erfahrungen  über.  (Z.)  .  818 

Chlorose  unter  dem  Bilde  eines  Hirntumors. 

(Z.)  1143 

Clorosebehandlung  mit  Eisenklystieren.  (Z.)  .  17 

Chlorotischen,  Der  Teint  der.  (V.)  ....  800 

Cholecystektomie  und  ihre  Resultate.  (V.)  .  800 

Choledochotomie  und  Cholecystenteroana- 

stomose.  Von  Dr.  Pendl.  (O.)  ....  498 

Cholelithiasis,  Complicationen  der.  (Z.)  .  .  .  583 

—  und  Magonerkrankungen.  (V.)  .  .  1004,  1031 


Cholin  in  der  Spinalflüssigkeit.  (V.)  ....  542 

Chondromatose  des  Kniegelenkes.  (V.)  .  .  .  443 

Chorea,  Ueber  den  pyogenen  Ursprung  der. 

(Z)  629 

—  Zur  Therapie  der.  (Z.) . 1114 

Chromsäurekauterisationen  bei  Stomatitis 

ulcerosa.  (Z.) . 1142 

Chylothorax,  Rechtsseitiger.  (Z.) . 95 

Citrophen.  (Th.) .  281,  980 

Clavierspielerkrankheit.  (V.) . 541 

Cocainisirung  des  Rückenmarkes.  (Z.)  194,  1228, 

(V.) . •  779 

Cocainvergiftnng,  Ein  Fall  von.  (Z.)  .  .  .  559 

Coitum,  Mors  praecox  post.  (Z.) . 306 

Coma,  Künstlich  hervorgerufenes.  (V.)  .  .  .  446 


Cöliotomie,  Einschränkung  der  Laparotomie 

zu  Gunsten  der.  Von  Prof.  Schauta.  (O.)  .  101 

—  Einschränkung  der  Laparotomie  zu  Gunsten 


der.  Von  Dührssen.  (R ) . 116 

Colitis  membranacea  und  mucosa.  (V.)  .  .  .  799 

Oompressorium  für  Tonsillenblntungen.  (V.)  .  5b9 

Concretionen  der  Uarnwege,  Seltenere.  Von 

Dr.  O.  Zuckerkandl.  (O.) .  8 

Conjugata  vera  und  Sternum,  Beziehung 

zwischen.  (Z ) . 816 

Conjunctivitis,  Eine  endemische.  (Z.)  .  .  .  464 

Conjunctivitis  pneumococcica.  (Z.)  ....  1143 

Conträrsexuelle  vor  Gericht.  (Z.) . 979 

Cor  mobile  und  Herzdilatation.  (Z.)  .  .  695,  912 

Cornu  cutaneum  (V.) . UM 

Corsetbehandlung,  Die.  (V.) . .  .  655 

Cortischen  Organes,  Zur  Anatomie  des.  (V.)  45 

Coxa  vara.  R.  von  Erdheim.  502,  (V.)  .  .  .  540 

Craniotomie,  Zur  Technik  der.  (V.)  ....  802 

Creaping  disease.  (V.) . 637 

Cretinismus  und  dessen  Behandlung.  Von 

Prof.  v.  Wagner.  (O  ) . 419 

Cricothyreoideus,  Ueber  den  M.  (V.)  .  .  .  283 

Crises  gastriques,  Die.  (V.) . 76o 

Cr urin.  (Th.)  411 

Cubitus  valgus  (Z.) . 580 

Curärzte,  Die  sociale  Stellung  der.  (V.)  .  .  510 

Curortehygiene,  Zur.  (V.) . 448 

Cyanose,  Ueber.  (V.) . 541 


Seite 

Cystenbildung  im  Centralnervensystem,  Post¬ 
mortale.  Von  Dr.  Hartmann.  (O )  ...  963 

Cystitis  durch  Fremdkörper.  (Z) . 1206 

Cystodiagnostik  bei  Meningitis.  (Z.)  .  .  .  .1115 

Cystoskop,  Ein  neues.  *(V.) .  202,  223 

Cystoskopie  beim  Weibe.  Von  Krönig.  (R.)  .  1043 

D. 

Darmausschaltung,  Zur  Frage  der  totalen. 

Von  Dr.  Payr.  (O.) .  707,  732 

Darmchirurgie,  Zur.  (V.) . 287 

Darmerkrankungen  im  Säuglingsalter,  Die 

Bacterien  als  Erreger  der.  Von  Dr.  Leiner. 

(R.) . 1200 

Darmes,  Die  Bewegungsfähigkeit  des.  (V.)  .  799 

Darmknopf,  Ein  resorbirbarer.  (V.)  ....  655 

Darmlipome,  Zur  Casuistik  der.  Von  Dr.  Gross. 

(O.) . 1059 

Darmresectionen,  Ausgedehnte.  (Z.)  ....  557 

Darmruptur,  Subcutane.  (V.) . 489 

Darmuntersuchungen,  Experimentelle.  (Z.)  .  1073 

Darmvereinigung,  Zur  Technik  der.  Von 

Dr.  Hinterstoisser.  (O.) . 1037 

Darmverschluss  an  der  Duodenalgrenze.  (Z.)  1143 
Defäcation,  Ueber  psychisch  bedingte  Störungen 

der.  Von  A.  Pick.  (O.) . 449 

Delstanche,  Charles.  (V.) . 312 

Demenz  und  Aphasie.  (Z.) . 1072 

Demonstrationen,  Anatomische.  (V.)  .  .  .  1052 

—  Chirurgische .  368,  37S(  539 

—  Dermatologische  21,  148,  246,  285,  395, 

314,  611,  741,  1233 

—  Gynäkologische.  (V.) . 659 

—  histologischer  Präparate . 702 

—  Pathologisch-anatomische  (V.) . 174 

—  Wissenschaftliche . 46 

—  Zahnärztliche . 378 

Dermatitis  exfoliativa.  (V.) . 637 

—  der  Haspl-rinnen.  (Z.) . 1094 

Dermatologische  Vorträge.  Von  Jessner.  (R.) 

1094,  1170 

Dermatosenbehandlnng  mit  Thermalquellen. 

(V.) . ' . 535 

Dermato-histologische  Technik.  Von  Joseph 

und  Loewenbaeh.  (R.) .  281,  773 

Dermoid  am  Boden  der  Mundhöhle.  (V.)  .  .  69 

—  des  weichen  Gaumens.  (V.)  ......  590 

Desinfection  der  Hände,  Zur.  (V.)  290,  609, 

653,  (Z.) . 836 

—  Ueber.  Von  Weyl.  (R.) . 1071 

Deviation,  Conjugirte.  (V.)  .......  725 

Diabetesbehandlung,  Zur.  (Th.) . 981 

Diabetes,  Beobachtungen  über.  (Z.)  ....  979 

—  bei  einem  Kinde.  (Z.) . 411 

—  melbtus,  Ueber  das  Wesen  des.  (Z.)  .  .  306 

—  mellitus  und  Glykämie.  (V.)  .....  741 

—  Milchcur  beim.  (Z.) . 375 

Diabetikerdiät,  Das  Eiweiss  in  der.  (V.)  .  .  567 

Diätetischen  Therapie,  Lehrbuch  der.  Von 


Kolisch.  (R.) . 165 

Dickdarmerweiterung  und  Hypertrophie.  (V.) 

635,  (Z  ) . 1229 

Dickdarmtumoren,  Behandlung  maligner.  (V.)  443 

Digitaliswirkung,  Zur  (V.)  566,  (Z.)  .  .  .  816 

Dionin.  (Th.)  20,  756,  (Z.) . 996 

Diphtherie,  Lähmungen  nach.  (Z.)  ....  307 

—  und  Scharlach.  (V.) . 947 

Diphtherieuntersuchungsstation  in  Chemuitz, 

Mittheilungen  der.  (Z.)  .......  1173 

Diurese,  Zur  Physiologie  und  Pharmakologie 

der.  (Z.) . 265 

Divertikel  des  Colon.  (V.) . 655 

Dormiol.  (Th.)  503,  794,  (Z.) . 978 

Druckstauung,  Ueber.  (V.) . 1031 

Ductus  choledochus,  Ein  ausserordentlich  er¬ 
weiterter.  (Z.) . 629 

Diinndarmatresien,  Physiologische.  (V)  .  .  121 

Dünndarmstenosen,  Multiple  tuberculöse.  Von 

Dr.  Erdheim.  (O.) . 79 

Dünndarms,  Die  Lage  des.  (V.) . 311 

Duotal.  Von  Dr.  Poliak.  (O.) . 59 

Dupuytren’ sehen  Contractor,  Zur  Operation  der 

(V  ) . 701 

Dyspepsie  bei  constitutionellen  Krankheiten. 

(Th.) . 19 

—  Ueber.  (V.) . 705 

E. 

Ebereschenextract  als  Laxans.  (Th.)  ....  777 

Echinococcus  der  Lunge.  (Z.) . 914 


Mil 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1500. 


Seile 

Echinococcus  der  Bauchhöhle.  (V.)  .  .  489,  706 

—  der  Milz  und  Leber.  (V.) . 587 

—  der  Niere.  Von  Dr.  Stein . 993 

—  Multipler.  (Z.)  .  .  .  * . 738 

Echinococcusgeschwülste,  Zur  Casuistik  der. 

Von  Dr.  Kokoris.  (O.) . 751 

Eier-  und  Nebeneierstöcke,  Die  Krankheiten 

der.  Von  Martin.  (R.) . 694 

Eies,  Zur  Entwicklung  des.  (V.) . 656 

Eigone.  (Z.) . 375 

Eingesendet.  Klein . 170 

—  (Gerichtliche  Sectionen) . 465 

—  Hoff . 1049 

—  Brabec . 1116 

—  Hitschmann  und  Lindenthal . 1116 

Eisensomatose,  Aufnahme  der.  (Z.)  ....  628 

Eisenpräparate,  Ueber  neuere.  (V.)  ....  964 

Eisens  bei  der  Blutbildung,  Die  Rolle  des. 

(Z.) . 1230 

Eiweissbestandes,  Zur  Hebung  des.  (V.)  .  .  542 

Eklampsiebehandlung,  Zur.  (Th.) . 607 

Eklampsie,  Zur  Pathogenese  der.  (Z.)  .  .  .  557 

Ekzema  hyperkeratosique.  (Z.)  307 

Ekzembehandlung  bei  Kindern.  (V.)  ...  23 

mit  dem  faradischen  Strome.  (Z.)  .  .  .  306 

Ekzeme.  Ueber.  (V.) . 921 

Elektricitätsarbeitern,  Beobachtur gen  an.  Von 

Dr.  S.  Jellinek.  (0.) . 1186 

Elektrischen  Ströme  auf  die  Haut,  Die  Wirkung 

der.  (V.) . 1210 

Elementarkörperchen  im  Gewebe,  Neue.  (Z.)  .  18 

Embolie  der  Pulmonalarterie.  Von  Professor 

Dräsche.  (O.) . 521 

Empfindlichkeitsschwankungen.  (V.)  ....  360 

Encephalopathia  saturnina.  (Z.) . 1205 

Endocarditis  gonorrhoica.  Von  Dr.  Stein.  (0.)  1084 

—  Die.  (V.) .  542,  864 

—  mit  zahlreichen  Metastasen.  Von  Doctor 

Gavala.  (0.)  767 

—  ulcerativa  (Z.) . 1028 

Endometritis  chronica.  (V.) . 705 

Entbindung  bei  einer  Todten.  (Z.)  ....  393 

Enteroptose,  Ueber.  (V.)  ....  170,  198,  219 

—  Chirurgische  Behandlung  der  (Z.)  .  .  .  1207 

—  Die  Lehre  von  der.  (Z.) . 16 

Entfettungseuren,  Wasserbeschränkung  bei. 

(Z.)  582 

—  Ueber.  Von  Noorden.  (R.) . 626 

—  Von  Kisch.  (R ) . 1227 

Entgiftung,  Ueber.  (V.) . 889 

Entwicklungshemmungen  im  Gehirn.  (Z.)  .  .  1046 

Enuresis  nocturna,  Zur  Behandlung  der.  (Th.)  776 

Eosinophilen  Zellen.  Bedeutung  der.  Von  Bett¬ 
mann.  (R.) . 1142 

Epicarin.  (Th.) .  306,  1096 

Epididymitis,  Varicose.  (V.) . 866 

—  mit  Salicyl,  Behandlung  der  gonorrhoischen 

(Z) . 274 

Epiglottis,  Morphologie  der.  Von  Henke.  (R.)  374 

Epilepsie  und  Dementia  paralytica.  (Z.)  .  .  628 

Epilepsiebehandlung,  Zur.  (Th.) . 756 

—  (Z.)  .  265,  914,  979 

—  Zur.  Von  Dr.  Biro.  (O.) . . 770 

—  mit  Bi omipin.  Von  Dr.  Lorenz.  (O.)  .  .  1019 

Epilepsie  und  Harsäureausscheidung.  (Z.)  695,  979 

-  der  Meerschweinchen.  (Z.)  836 

Epileptische  Wandertrieb,  Der.  (Z.)  ...  -  263 

Epitheliale  Gebilde  im  Myometrium.  Von 

Mayer.  (R.) . 116 

Erblichkeit,  Zur.  (Z.)  410 

Epiphysenlösung  beim  Femurkopf.  (Z.)  .  .  .  1073 

Erbrechen  kaffeesatzartiger  Massen  nach  Ope¬ 
rationen.  (Z.)  . . 243 

Erkältung  und  Abhärtung.  (Z.) . 410 

Erinnerungsfälschungen.  (Z.) . 410 

Erklärung  von  Sölder . 197 

—  von  II.  Schlesinger . 198 

Ernährung,  Eine  Versuchsanstalt  für.  (V.)  .  615 

—  Extrabuccale.  (V.) .  741,  742 

—  Künstliche  (V.)  952 

—  Mechanismus  der  specifischen.  Von  Neu¬ 
burger.  (R.) . 815 

Erregungszustände,  Zur  Behandlung  der.  (Z.)  411 

Erschöpfungspsychosen.  (Z ) . 582 

Erstickung  durch  einen  Schnuller.  (Z.)  .  .  917 

Erwerbsfähigkeit  nach  Verletzungen  des  Seh¬ 
organes.  Von  Ammann.  (R.) . 1045 

Erwiderung.  Ullmann  . 886 

—  Schiff  und  Freund . 887 

Erysipelbehandlung,  Zur.  (Th.) . 1144 


•  Seite 

Erysipels,  Die  Contagiosität  des.  (Z.)  .  .  .  833 

Erythrocyten  der  Katze,  Körperchen  in  den. 

(Z.)  * . 861 

Eselsmilch  als  Säuglingsnahrung  (Z.)  .  .  .  817 

Ethmoiditis,  Eiterige.  (V.)  .......  1032 

Eulaetol.  (Tb.) . 307 

Eupyriu.  (Th.) . 1173 

Europhen.  (Th.)  307 

Exophthalmus  intermittens.  (V.) . 69 

—  pulsans.  (Z.) . 307 

—  Zur  Lehre  vom  pulsirenden.  Von  Doctor 

Keschmann.  (O.) . 747 

Extractum  filicis  maris,  Zur  Giftwirkung  des. 

(Z.) . 330 

—  chinae  Nanning.  (Z.)  465 

Extrauteringravidität  mit  Intrauteringravidität. 

(Z.)  330 

—  bei  Uterus  unicornis.  (V.) . 518 

—  Ein  Fall  von.  Von  Dr.  Hock.  (O.)  .  .  .  524 

—  Ein  Fall  von.  (Z.) . 943 

Expectoration  durch  Hypurgie,  Beeinflussung 

der.  Von  Mendel sohn  (R.)  754 

Explorativoperationen,  Weitli  der.  (V.)  .  .  870 

F. 

Facialislähmung,  Doppelseitige.  (Z.)  .  .  .  558 

—  Vasomotorische  und  sensible  Störungen 

nach.  Von  Dr.  Biehl.  (O.)  ......  131 

Fäcesgährung  bei  Säuglingen.  Von  Callomon. 

(R.) . 303 

Fadenreaction,  Beitrag  zur.  Von  Dr.  Eisen¬ 
berg.  (0.) . 1105 

Favismo.  (Z.) . 217 

Favus,  Allgemeiner.  (Z.)  1229 

Faradisationselekti  öden,  Neue.  (V.)  ....  202 

Felddiensttabellen.  Von  Wolff.  (R.)  ....  1094 

Ferratogen.  (Th.) . 606 

Ferropyrin,  Ueber.  Von  Dr.  Toff.  (O.)  .  .  .  692 

Fersan.  Von  Dr.  Pollak.  (0.) . 575 

—  (Th.) .  777,  1173 

Fettembolie,  Zur.  (Z.) . 1172 

Fettleibigkeit,  Balneoiherapie  der.  (V.)  .  .  416 

—  Behandlung  der.  (V.) . 447 

Fettsucht,  Die.  Von  Noorden.  (R.)  ....  626 

Fett  und  Magenfunction.  (V.) . 765 

Fibrolipom  im  retroperitonealen  Beckenbinde¬ 
gewebe.  (Z.) . 1172 

Fibula,  Defect  der.  (V.) . 656 

Fieber,  Das  gelbe.  (Z.) . 1095 

—  Intermittirendes.  (V.)  838 

Fieberzustände  unklaren  Ursprunges.  (V.)  .  .  591 

Filaria  nocturna,  Infectionsmodus  bei.  (Z.)  .  1143 

Fingerlutschen  und  Onanie.  (Z.) . 558 

Finger,  Ueberzählige.  (V.) . 1209 

Finsen’sche  Lichtbehandlung  des  Lupus.  (V.)  562 

Firniss  für  die  Hand,,  Ein.  (Z.) . 833 

Fissura  sterni.  (V.) . 700 

Fistula  auris  congenita.  (V.) . 313 


Fleischreste  im  Stuhle,  Bedeutung  der.  (Z.)  .  530 

Fleisches  für  die  Krankeneruährung,  Die 
Unterscheidung  des  weissen  und  dunklen. 


(Z.) . 265 

Fleischsaft  Puro.  (Tb.) . 454 

Fleischvergiftung,  Ueber.  (V.) . 1181 

Fliegenlarven  als  menschliche  Parasiten.  Von 

Peiper.  (R.)  885,  (Z.) . 913 

Flexur  Ileumanastomose.  (Z.) . 1144 

Foie,  Chirurgie  der.  Von  Pantaloni.  (R.)  .  .  241 

Folliculitis  der  Kopfhaut.  (Th.) . 794 

Formaldebyddesinfection.  Von  Dr.  Kluczenko. 

(0.)  •... . .933 

Formaldehyd,  Desinfection  mit  (Z.)  ....  17 

Formalinalkohol  gegen  Naehtschweisse.  (Th.)  19 

Formalinanwendung,  Zur.  (Th.) . 1173 

Formalinwirkung,  Zur.  (Z.) . 531 

Fortoin.  (Th.) . 509 

Fracturbehandlung  und  Röntgenograpbie. 

(V.) . 841,  842 

Fractur  des  Ober-  und  Unterschenkels,  Be¬ 
handlung  der  gleichzeitigen.  (V.)  .  .  .  286 

—  des  Tuberculum  majus  humeri.  (V.)  .  .  541 

—  des  Unterschenkels,  Offene.  (V.)  ....  587 

—  der  Gesichtsknochen.  (V.) . 801 

Fracturenbefunde,  Iläthselhafte.  (Z.)  .  .  .  834 

Framboesia  syphylitica.  (V.) . 335 

Franklinsation,  Concentrische.  Von  Doctor 

Breitung.  (O.) . 829 

Frau  als  Mutter,  Die.  Von  H.  Meyer.  (R.)  .  1042 

Frauenkrankheiten,  Die.  Von  Fritsch.  (R.)  .  694 


Seite 

Frauenpraxis,  Hundert  Fälle  aus  der.  Von 

Auvard.  (R.) . 327 

Fremdkörper  in  den  Athmungswegen  (Z.)  .  1142 

—  constatirt  durch  das  Röntgen-Verfahren. 

(V.) . 441 

—  im  Dünndarm.  (Z.) . 1171 

—  im  Oesophagus.  Von  Bayer.  (R.)  .  .  .  554 

—  im  Rectum  (Z.) . 1072 

—  in  einem  Bronchus.  (Z.) . 559 

—  in  der  Luftröhre.  (Z.) . 630 

—  in  den  Verdauungswegen.  (Z.)  ....  912 

Fremdkörpers  in  der  Bauchhöhle,  Zurück- 

lassuug  eines.  Von  Neugebauer.  (R.)  .  .  1042 

Fruchtabtreibungen  durch  Gifte.  Von  Lesvin 

und  Brenning.  (R ) . 141 

Frühgeborener  Kinder,  Behandlung.  (V.)  .  .  638 

Fussdeformitäten,  Sehnenplastik  bei.  (V.)  .  .  983 

G. 

Galle  eines  Tetanikers,  Antitoxische  Eigen¬ 


schaften.  der  (Z.) . 330 

Keimgehalt  der  normalen.  (Z  )  ....  1173 

—  Lyssavirus  schädigende  Eigenschaften  V  Hat 

die.  (Z.) . 1172 

Gallenblase, krampferregende  Wirkung  der  (V.)  544 

—  Exstirpation  der.  (V.) . 1209 

Gallenfarbstoff  im  Harne  Herzkranker.  (Z.)  .  1113 

Gallenfieber,  Intermittirendes.  (V.)  ....  1148 

Gallensteinkrankheit  und  ihre  Behandlung. 

Von  J.  Müller.  (R.) . 1228 

Gallensteinoperationen,  Recidiven  nach.  (V.)  .  537 

Gallensteinwanderung,  Ein  Fall  von.  Von 

Dr.  Porges.  (O.) . 597 

Galle  auf  das  Herz,  Wirkung  der.  (Z.)  .  .  816 

—  Pathologische  Veränderungen  der.  (V.)  .  889 

Galvanischer  Ströme,  Langdauernde  Anwen¬ 
dung.  (Z.) . 18 

Ganglienzellen,  zur  Pathologie  der.  (Z  )  .  .  943 

Gangrän  der  Handhaut.  (V.) . 23 

—  der  unteren  Extremitäten.  (V.)  ....  540 

—  Ueber  symmetrische.  (Z  ) . 917 


Gangrene  foudroyante.  Von  Hitschmann  und 

Lindenthal.  (O.) . 1057 

—  foudroyante.  Von  Hitschmann  und  Linden¬ 
thal.  (R.)  528,  (Z.)  835,  (Erwiderung) .  .  1016 

Gasteiner  Thermen,  Die.  Von  Prof.  E.  Ludwig 

und  Dr.  Panzer.  (O.) . 617 

Gastritis,  Complicationen  der  chronischen.  (Z.)  835 

Gastroenterostomie,  Vereinfachung  der.  (V.)  .  536 

—  lndicationen  und  Resultate  der.  (V.)  .  .  766 


Gastroenterostomien,  Drei.  (Z.) . 463 

—  Darmverschlingung  nach.  (V.)  ....  536 

Gastroenterostomosis  externa.  (Z.)  .  .  .  .  718 

Gastrostomie,  La.  Von  Braquehaye.  (R.)  .  .  241 

—  Ueber.  (V.) . 46 

—  Zur  Technik  der.  Von  Dr.  Lucke.  (O  )  .  83 

—  Zur.  (V.) . 654 

Geburtseintrittes,  Die  Ursache  des.  Von  Dr. 

Thenen.  (O.) . 365 

Geburtshilfe,  Encyklopädie  der.  Von  Sänger 

und  Herff.  (R.) . 1042 

Geburtshilflichen  Diagnostik,  Atlas  der.  Von 

Schaeffer.  (R.) . 327 

Geburtshilfliche  Propädeutik.  Von  Knapp.  (R.)  115 

Gefässe,  Erkrankungen  der.  Von  L.  v.  Schrötter. 

(R) . 164 

Gefässerkrankung  bei  Neuritis,  Trophische. 

(Z.)  17 

GefässDaht,  Circuläre.  (V.)  124,  248,  270,  286,  540 

Gefässuntei  bindung,  Zur.  (V.) . 1576 

Gehirnabscesse,  Ueber.  (Z.) . 916 

Gehirnentwicklung,  Abnormale.  (Z.)  ....  166 

Gehirnerkrankungen  nach  Trauma.  (Z.)  .  .  1572 


Gehirn,  Localisation  der  psychischen  Thätig- 

keiten  im.  Von  Holländer.  (R.)  ....  438 

Gehörmessungen,  Bezeichnung  von.  (V.)  .  .  822 

Gehörorganes,  Zur  Anatomie  und  Physiologie 

des.  Von  Panse.  (R.) . 554 


Gehverbände,  Ueber.  (V.) . 260 

Geisteskranker  in  die  Irrenanstalt,  Ueber- 

weisung.  Von  Hoche.  (R.) . 1025 

—  Todesursachen.  (Z.) . 980 

Geisteskrankheiten  zu  werthen  ?  Wie  sind.  Von 

Arndt.  (R.) . 831 

Geistesstörungen  im  Gi eisenalter.  Von  Schloss. 

(R ) . 831 

Gelatinebehandlung  bei  Hämaturie.  (Th.)  .  .  656 

bei  Aneurysmen.  (Z.) . 774 

Gelatinebehandlung,  Nachtheile  der.  (Z.)  .  .  1171 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


IX 


Seite 

Gelbsucht,  Familien-.  (Z.) . 943 

Gelenksergüsse  mit  lieisser  Luft  behandelt.  (Z.)  775 

Gelenksmäuse.  Operirte.  (V.)  ......  587 

Gelenksoperationen,  Zur  Technik  der.  (V.)  .  413 

Gelenksrheumatismus,  Behandlung  des.  (V.)  725 

(Z.) . 817 

—  Chronischer.  (V.) . 706 

Geosol.  (Th.) . -  .  465 

Gerinnungshemmung,  Ueber.  (V.)  ....  1148 

Geruch  aus  dem  Munde,  Uebler.  (Z.)  .  .  .  629 

Geschlechtliche  Frühreife.  (Z  ) . 1230 

Geschlechtsorgane,  Krankheiten  der  weiblichen. 

Von  E.  Fraenkel.  (R.) . 1043 

Geschmacks-  und  Geruchsstörungen.  (Z.)  .  .  1207 

Geschwür  am  Boden  der  Nasenhöhle.  (Z  )  .  .  718 

Gesichtsschleier  als  Ursache  der  Nasenröthe. 

(Z.) . 166 

Gesundheitsverhältnisse  der  Aerzte  etc.  (Z.)  .  1116 
Gewicht  und  Längenwachsthum  der  Kinder. 

(V.) . 71 

Gichtische  Erkrankungen  des  Magens  und 

Darmes.  (V.) . 446 

Gicht  und  Myositis.  (Z.) . 836 

—  Zur  Behandlung  der.  (Z.) . 861 

—  Zur  Pathogenese  der.  (V.) . 839 

Gifte,  Wirkung  der  Organe  auf.  (Z.)  .  .  .  917 

Glasbläsermund,  Der.  (Z.)  • . 557 

Glaukomatöse  Sehnervenatrophie.  (V.)  .  .  .  469 

Gliazellen  in  der  Molecularschichte  des  Gross¬ 
hirns.  (V.) . 565 

Glycerin  als  Constituens  für  Antiseptica.  Von 

Dr.  v.  Wunschheim.  (O.) . 681 

Glykosurie  der  Vaganten.  (Z.) . 629 

—  Ueber  alimentäre.  Von  Dr.  Raimaun.  (O.)  175 

Golddraht  als  Nahtmaterial.  (Z.) . 776 

Gonococcen  im  Genitale  ohne  klinische  Er¬ 
scheinungen.  (Z.) . 167 

Gonorrhoetherapie,  Zur.  (Z.) . 739 

Gonorrhoische  Nervenerkrankungen.  (V.)  .  .  919 

Granulom  der  Trachea.  (V.) . 1217 

Greisenalter,  Veränderung  geistiger  Vorgänge 

im.  (Z.)  .  .  .  .  • . 979 

Grosszehenreflex  bei  Kindern.  Von  Passini. 

•  (0.)  932 

Gruber  Josef.  Nekrolog .  327,  1234 

Guajasanol.  (Th.) . 143 

Guberquellen,  Die.  (V.) . .  447 

Gutachten  der  medicinischen  Facultät  in  Wien. 

Todschlag.  Von  Prof.  v.  Wagner.  (0.)  .  134 

Gynäkologie,  Atlas  der.  Von  Schaeffer.  (R.)  .  327 

—  Handbuch  der.  Von  Veit.  (R )  ....  327 

Gynatresia  cervico-vaginalis.  (V.)  ....  612 


H. 


Haematogeuum  siccum.  (Th.) . 

Haematokele  retrouterina.  (V.) . 

Haematokolpos  und  Haematometra  in  Folge 
von  Atresia  hymenalis.  Von  Dr.  Toff.  (0.) 
Hallux  valgus,  Angeborener.  (V.)  .  . 

Halskiemenfistel,  Eine.  (Z.) . 

Halslymphome,  Zur  Aeliologie  der.  (Z.) 

Hämamöbenfrage,  Zur.  (V.) . 

Hämamöben  Löwit’s  im  Blute  Leukämischer 
Die.  Von  Dr.  Türk.  (0.) . 

—  Löwit’s  im  Blute  Leukämischer,  Die.  Von 

Prof.  Löwit.  (O.) . •  . 

—  Löwit’s,  Die.  Erwiderung.  Von  Dr.  Türk 

(O.)  . 

Hämatommole.  (V.) . 

Hämatom,  Veränderung  der  Gehirnrinde  durch 

ein.  (Z.) . .  .  .  . 

Hämatozoen,  Ueber.  (V.) . 

Hämolysine  und  Antihämolysine.  Von  Di 

Kraus.  (0.)  . . 

Hämoptoe,  Michklystiere  bei.  (Th.)  . 

Hämorrhoidenbehandlung,  Die.  (Z.)  . 
Hämorrhoiden  bei  einem  Säugling.  (Z.) 
Handbuch  der  praktischen  Medicin.  Von  Eb 

stein  und  Schwalbe.  (R  ) . 

Hände  und  Füsse,  Angeborener  Defect  der 

(V.)  . . . 

Hanseatische  Versicherungsgesellschaft,  Hand 
habung  des  Heilverfahrens  durch  die.  Von 

Predöhl.  (R.) . 

Harnabsonderung  und  Nervensystem.  (Z.) 
Harnblasenexstirpation,  Totale.  (Z.)  . 
Harnblasenpapillome,  Ein  Fall  von.  (V.)  . 
Harnblasenplastik,  Ueber.  (Z.)  .... 


311 

173 

254 

587 

1171 

463 

472 

293 

326 

327 
267 

1073 

819 

49 

793 

329 

559 

459 

656 


260 

738 

530 

283 

817 


Seite 

Harnblase.  Die  Erkrankungen  der.  Von  0. 

Zuckerkandl.  (R.) . 14 

Harncylinder,  Zur  Abstammung  der.  Von  Dr. 

v.  Czyhlarz.  (0.) .  2 

Harnorgane,  Krankheiten  der  männlichen.  Von 

M.  Friedländer.  (R.) . 1171 

Harnröhrenkrebs,  Geheilter.  (Z.) . 1000 

Harnsäure,  Das  Verhalten  der.  (V.)  ....  643 

Harnsäurebestimmung,  Zur  cpiantitativen.  (V.)  490 

Harnsteinen,  Einschlüsse  in.  (V.) . 615 

Harn-  und  Blutuntersuchung,  Zur.  (V.)  .  .  543 

Harnuntersuchungen.  Von  Beier.  (R.)  .  .  .  941 

Harnwege,  Geschwülste  der.  (V.)  ....  631 

Hautanästhesien  am  Kopfe,  Der  ßegrenzungs- 

typus  bei.  (Z.) . 264 

Haut,  Durchgängigkeit  der.  (Z.) . 696 

Hautkrankheiten,  Atlas  der.  Von  Kaposi.  (R.)  14 

—  Pathologie  und  Therapie  der.  Von  Kaposi. 

(R-)  •  •  . . ;  •  14 

Hautkrankheiten  und  Syphilis,  Compendium 

der.  Von  Jessner.  (R.) . 1170 

Hautnaht  mit  Wundagraffen.  (V.)  ....  780 

Hautsapropbyten,  Paraformcollodium  bei.  (Th.)  739 

Hedonal.  Von  Dr.  Schüller.  (0.)  256,  (Th.)  607, 

(V.) . .723 

Heidelbeerextract  bei  colitischen  Processen. 

(Th.) . 281 

Heilgehilfen  und  Masseure,  Lehrbuch  für.  Von 

Granier.  (R.) . 117 

Heilkunde,  Ein  Museum  für.  (V.)  ....  654 

Heilserums,  Grenzen  der  Wirksamkeit  des 

Diphtherie-.  Von  Dönitz.  (R.) . 528 

Heilstättenbehandlung,  Die  Erfolge  der.  Von 

Reiche.  (R.) . 260 

Heissluftbehaudlung  (Th.) .  282,  1027 

Hermaphroditismus  spurius  masculinus  inter¬ 
nus.  (V.) . 592 

Hernia,  Operations  on  459  cases  of.  Von 

Bloodgood.  (R.) . 93 

—  obturatoria,  E  ne.  (V.) . 539 

Hernienbehandlung.  (V.)  ....  867,  870,  1172 

Heroin.  (0.)  61,  (Th.) . 281 

—  und  Athmung.  (Z.) . 95 

Herpes  labialis,  Der  diagnostische  Werth  des. 

(Z.) . 861 

—  und  InfectionskrankheiteD.  (V.)  ....  838 

Herzarbythmie.  (V.)  865 

Herzbeutel,  Lage  d>r  Ergüsse  im.  (Z.)  .  .  .  978 

Herzens,  Stereoskopischer  Atlas  des.  Von 

Schmotl.  (R.) . 605 

—  Volumschwankungen  des.  (V.)  ....  219 

—  Zur  Beweglichkeit  des.  (Z.) . 651 

—  Zur  Freih  gung  des.  (Z  ) . 558 

Herzen,  Todtenstarie  am.  (Z.) . 559 

Herzfehler  und  Schwangerschaft.  (V  )  .  .  .  658 

Herzgrenzenbestimmung.  (V.) . 542 

Herzkrankheiten.  Von  Broadbent.  (R.)  '.  .  .  650 

—  functionelle.  (V.) . 946 

Herznaht,  Ueber.  (V.) . 870 

Herztöne,  Messung  der  Stäike  der.  (Z )  .  .  738 

Herzuntersuchung,  Ueber,  (V.) . 947 

Heteroplastische  Erfahrungen.  (V.)  ....  656 

Heilbehandlung,  Ueber.  (Th.) . 607 

—  der  Lungentuberculose.  Von  Krokiewicz. 

(0.) . 902 

Histologie,  Atlas  der  pathologischen.  Von 

Dürck.  (R.) . 215 

—  Lehrbuch  der.  Von  Szymonowicz.  (R.)  .  374 

—  Cursus  der  pathologischen.  Von  Aschoff 

und  Gaylord.  (R.) . 1111 

Hitzschlag,  Aderlass  bei.  (Z.) . 1171 

Hoden,  Ueberzähliger.  (Z.) . 1000 

Holocain.  (Th.) . 375 

Honthin,  ein  Darmadstringens.  Von  Dr. Reichelt. 

(O.) . 813 

Hornhaut,  Die  Durchblutung  der.  Von  Römer. 

(R.) . 577 

Hospitalbrandes,  Zur  Aetiologie  des.  (V.)  .  .  467 

Hüftverrenkung,  Beckenveränderung  nach.  (V.)  286 

Hüftgelenksverrenkung,  Behandlung  der.  (V.)  924 

Humerusfracturen.  Verletzungen  des  N.  radialis 

bei.  (Z.). . 18 

Hundswuth,  Die  Ganglien  hei.  (Z.)  ....  916 

Hydatiden  der  Leber.  (V.) . 800 

Hydronephrosenbehandlung,  Zur.  (V.)  .  .  .  537 

Hydrotherapie  für  Studirende,  Lehrbuch  der. 

Von  Matthes.  (R.) . 998 

—  Lehrbuch  der.  Von  Buxbaum.  (R.)  .  .  .  998 

Hygiama.  (Th.) . 143 

Hygiene,  Lehrbuch  der.  Von  Kühner.  (R.)  .  66 


Hygienische  Anordnungen  für  die  Landungs¬ 
truppen  in  China.  (Z.) 

Hyperchlorhydrie  im  Säuglingsalter.  Von  W 

Knoepfelmacher.  (0.)  . . 

Hyperemesis  gravidarum.  Von  Graefe.  (R.) 
Hyperglobulie  und  Splenomegalie.  Von  Dr 
Cominotti.  (O.) 


174, 


ac. 


der. 


Hypospadie,  Ein  operirter  Fall  von.  (V.) 
Hysterie,  Lähmungen  bei.  (V.) 

—  Selbstbeschädigung  bei.  (Z.) 

—  Zwei  Fälle  von.  (Z.) . 

Hysterische  Arthralgie.  (V.)  .... 

—  Taubheit.  (Z.) . 

Hysterischer  Schwindel  nach  Radicaloperation 

(V.) . 


Ichthalbin  in  der  Kinderheilkunde.  (Z.)  19, 

(Th.) . 

Ichthargan.  (Th.) . 

Ichthoform.  (Th.) . 

Ichthyol.  (Tb.) . 19, 

Igazol.  (Th.)  6C6,  (Z.) . 

Ikterus  und  Splenomegalie.  Chronischer.  (V.) 

—  Eine  besondere  Form  des  chronischen.  (Z.) 

—  ohne  Gallenpigmente.  (Z.) . 

—  Pathogenese  des.  Von  Prof,  ßrowicz.  (O.) 

Ileus.  (V.) . 700, 

Ilidze  bei  Erkrankung  der  weiblichen  Sexual¬ 
organe,  Die  Therme  von.  (V.) 

—  und  seine  Heilfactoren.  (V.) 

Imbeciller,  Zur  Beurtheilung.  (Z.) 
Immunserum  gegen  Epithel.  (Z.) 

Immunität,  Ueber.  (V.) . 

Immunisirung  bei  erblichen  Krankheiten.  Von 

Reibmayr.  (R.) . 

Impetigo  vulgaris  und  circinata.  (V.) 

—  contagiosa  circinata.  (V.) 

Impfschutzes  der  Pocken,  Dauer  des.  (Z.) 
Impotenz,  Zur  Therapie  der.  (Z.) 
Incarceration,  Retrograde.  Von  Dr.  Pupov 

(0.)  . 

Incontinentia  urinae,  Zur  Behandlung 

(Th.) . 

Inesti  ossei.  Von  Pascale.  (R.)  .  . 

Infectionen  bei  Kindern,  Secundäre.  (V.) 
Infection  der  adenoiden  Vegetationen.  (V.) 

—  Ueber.  (Z.) . 

—  Zur  Vorbeugung  einer.  (V.)  .  .  . 

Inficirter  Wunden,  Behandlung.  (V.) 

Influenza,  Blutungen  bei.  (Z.)  .... 

—  und  chronische  Herzkrankheiten.  (V.) 

—  Zur  Pathologie  der.  (Z.)  .... 

Infusionslösungen,  Neue.  (V.)  .... 
Initialsklerose  am  Augenlide.  (V.) 
Inguinalhernien,  Radicaloperation  der.  (V.) 
Insufficienz  des  Herzens.  Von  Jürgensen.  (R.) 
Intentionstremor,  Posthemiplegischer.  Von 

Dr.  Infeld.  (0.) . 

Intestinum  accessorium,  Ein.  (Z.)  .  .  .  . 
Intubation  in  der  Privatpraxis.  (V.)  .  .  634, 

Irrenbehandlung,  Ueber.  (V.)  ....  746, 

Irreseins,  Mischzustände  des.  Von  Weigandt. 

(R-)  •  •  •  . . 

Irrenpflege,  Familiäre.  (R.) . 

Irresein,  Periodisches.  (V.) . 

Irritable  bladder.  (V.) . 

Ischiasbehandlung  mit  Methylenblau.  (Z.)  . 
Ischiasbehandlung  mit  Sa'zsäure.  (Th.)  . 
Ischias,  Zur  Therapie  der.  (Z.)  .  .  .  .  . 

—  durch  den  Biss  einer  Viper,  Heilung  einer. 

(Z.) . .•  •  • 

—  Zur  Begutachtung  der  gewerbebeeinträch¬ 
tigenden  Folgen  der.  Von.  Ehret.  (R.) 

Ischler  Salzbergschlamm,  Der.  Von  Doctor 
Wiener.  (0.) . 

J. 

Jackson-Fälle,  Sensible.  (Z.) . 

Jahrhundertwende,  Zur.  Von  A.  F.  (O.) 

Jaus,  Professor.  Von  Dr.  v.  Töply.  (0  ) 

Jodalbacid.  (Th.) . 

Jodipin.  (Th.) . 19 

Jodoforms,  Zu  den  Wirkungen  des.  Von  Gros 

(ß.) . 

Jodreaction  und  bacteriologische  Diagnostik 

(V.)  . . 

Jodsaures  Natron.  (Th.) . 

Jodoformwii  kung  und  Jodofoi  inersatz.  Von 
Dr.  A.  Fraenkel.  (0.)  .... 


Seite 

755 

1188 

1043 

881 

1152 

543 

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651 

246 

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314 


1096 

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583 

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652 

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141 

1175 

652 

1085 


X 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Seite 


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K. 


Kali,  Vergiftung  mit  übermangansaurem.  (Z.)  265 

Kapselverengerung  bei  Gelenksaffectionen.  (V.)  977 

Kartoffeln,  Erkrankungen  nach  solaninhältigen. 

(Z.)  393 

Kataplasmen  bei  gonorrhoischer  Arthritis. 

(Th.) . 793 

Katatonie  nach  Kopfverletzungen.  (Z.)  .  .  .  978 

Katarakt,  Beiderseitige  sklerotisirende.  (V.)  .  45 

Kehlkopfkrankheiten,  Zur  Diagnose  der.  Von 

Kayser.  (R.)  1112 

Kehlkopfkrebses,  Zur  Diagnose  des.  (V.)  .  .  1032 

Kehlkopfschleimhaut,  Regeneration  der.  (V.)  .  631 

Kehlkopfstenose  und  Knorpelübertragung.  (V.)  443 

Keilbeintuberculose.  (V.)  590 

Keimfreie  Milch.  (Z.) . 307 

Keuchhustenkranker,  Verschicken.  (V.)  .  .  448 

Keuchhusfenbehandlung,  Zur.  (V.)  ....  518 

—  mit  Bromoform.  (Z.) . 581 

Keuchhustens,  Zur  Aetiologie  des.  (Z.)  .  .  .1172 

Kieferdeformitäten,  Behandlung  der.  (V.)  .  .  1099 

Kiefergelenk,  Eiterungen  am.  (V.)  ....  1076 

Kindbett,  Die  Sterblichkeit  im.  Von  Eblers. 

(R.) . 694 

Kinderheilkunde  in  Einzeldarstellungen.  Von 

Monti.  (R.) . 259 

—  Lehrbuch  der.  Von  Bendix.  (R.)  ....  259 

Kinderlähmung  mit  Abducensparalyse.  Von 

Dr.  Menz.  (O.)  427 

—  Cerebrale.  (V.) . -  .  .  945 

—  Spinale.  (V.) . 563 

Kindermilch . 639 

Kinderstillen,  Die  Unfähigkeit  der  Frauen 

zum.  Von  Bunge.  (R.) . 1141 

Kindeslagen,  Zur  Benennung  der.  (V.)  .  .  .  363 

Klcinhirnabscesses,  Zur  Diagnose  des.  Von 

Okada.  (R.) . 999 


Kleinhirnerkraukungen,  Symptomatologie  der. 


Von  Adler.  (R.) . 43 

Kleinhirntumoren,  Zwei  Fälle  von.  (Z.)  .  .  916 

Klima  des  österreichischen  Küstenlandes.  (V.)  519 

Klimakterischen  Wallungen,  Heisse  Bäder 

bei.  (Th.) . 607 

Klimakterium,  Blutungen  im.  (Z.)  ....  557 

Klumpfussbehandlung,  Zur.  (V.) . 1031 


—  Die  moderne.  Von  Iloffa.  (R.)  94,  (V.)  .  656 

Knabengeburten,  Der  Ueberschuss  an.  (Z.)  .  1048 

Kniescheibenoperationen,  Ueber.  (V.)  .  .  .  654 

Kniegelenksleiden,  Ein  eigenthümliches.  (V.)  219 


Knochen,  Stossfestigkeit  der.  (V.)  ....  268 

Knochenheteroplastik,  Ueber.  Von  Dr.  Bü- 

dinger.  (O.) . 1067 

Knochenbrüche,  Form  der.  (V.) . 541 

—  Zur  Behandlung  der.  (V.) . 1210 

Knochennaht,  Zur.  (V.) . 866 

Knochenstructur,  Ueber.  (V.) . 286 

Knochentransplanta*ion,  Zur.  (V.)  ....  948 

Knochenwachsthum  und  Phosphor.  (V.)  .  .  443 

Knoll  Philipp.  Nekrolog .  .  .  139 

Kohlenoxydgasvergiftung,  Gehirnerweichung 

bei.  (Z.) . i . 861 

Kohlenoxydgasvergiftung  und  Hautgangrän. 

(V.) . 395 

Koelliker’s  Handbuch  der  Gewebelehre.  Bd.  in. 

Von  Ebner.  (R.) . 192 

Kohlensäureausscheidung  in  kalten  Bädern. 

(V.) . 172 

Kohlensäurehältiger  Bäder,  Wirkung.  (Z.)  .  .  142 

Kolikschmerzen,  Ueber.  Von  Dr.  Lucke.  (O.)  624 

Kolobom  des  Oberlides.  (V.) . 173 

Kolpochiasmerhaphie,  Die.  (V.) . 364 

Kochsalzinfusionen,  Ueber.  (Z.) . 1144 

Korsakoff’sche  Psychose  und  Polioencephalitis. 

Von  Dr.  Elzholz.  (O.) . 337 

Korsakoff  bei  Hirntumor.  (Z.) . 216  j 

Kothtumor,  Ein  Fall  von.  (Z.) .  1206  I 

Krämpfe  im  Kindesalter.  (V.) . 398 

Krankenhauses,  Zum  Neubaue  des  Wiener. 

Von  Primai  ius  Schopf.  (O.) . 12 

Krankenhausfrage,  Zur.  (0.)  Von  A.  F.  .  .  163 

Krankenpflege,  Die  Geschichte  der.  Von 

Bloch.  (R) . 754 

—  Anleitung  zur.  Von  Aufrecht.  (R.)  .  .  .  117 

Krankenpflegerinnen,  Monatsbuch  für.  Von 

Zagory.  (R.) . 117 

Krankenversorgung.  Handbuch  der,  Von  Liebe. 

(R.)  212 

Krankheiten  der  warmen  Länder.  Von  Scheube. 

(R.) . 1093 

Krebsfrage,  Zur.  Von  Dr.  Pichler.  (R.)  .  .  89 


Krebs  des  Darmes  im  Kindesalter.  Von 

Dr.  Zuppinger.  (0.) . 389 

Krebsbehandlung,  Die  chirurgische.  (V.)  .  .  766 

—  mit  Serum.  (Z.) . 1228 

Krebserkrankungen,  Die  Zunahme  der.  (Z.)  979 

Krebses,  Zur  parasitischen  Natur  des.  (Z.)  .  1113 

Kropfcyste,  Eine.  (V.) . 1148 

Kropfes,  Zur  operativen  Dislocation  des.  Von 

Dr.  Preindlsberger.  (0.)  . 523 

Kropfoperationen  in  Heidelberg.  (Z.)  ...  16 

Kropftherapie,  Zur.  (V.) . 654 

Kryofin.  (Th.) .  282,  375 

Kühne  Wilhelm  -j*.  Von  A.  Kreidl.  (0.)  .  .  648 

Kurzsichtigkeit,  Die  operative  Behandlung  der. 

Von  Hübner.  (R.) . 577 

—  Die  Heilbarkeit  der.  Von  Jonas.  (R.)  .  .  1044 

Kystoskop,  Ein  neues.  Von  Dr.  Scliliffka.  (0.)  11 


Xi. 


Labyrinthes,  Nekrose  des.  (V.) . 1236 

Labferment  im  Magensaft,  Ueber  das.  (V).  .  765 

Labyrinth,  Hören  ohne  Labyrinth.  Von  Kamm. 

(R.)  .  . . 280 

Lähmung,  Ein  Fall  postdiphtheritischer.  Von 

Kraus.  (R.) . 303 

—  Traumatische,  periodische.  Von  Dr.  Donath. 

(O.) . 37 

Landkartenzunge  im  Kindesalter,  Die.  Von 

Böhm.  (R.) . 259 

Landry’schen  Paralyse,  Zur  Klinik  der.  Von 

Dr.  Kapper.  (0.) . 153 

—  Paralyse,  Zur  Klinik  der.  (V.)  ....  636 

Laryngotyphus,  Ueber.  (V.) . 839 

Larynxtuberculose,  Drei  Fälle  von.  (V.)  .  .  122 

Lateralsklerose,  Amyotrophische.  (V.)  ...  98 

Lebensversicherung  und  Kehlkopftuberculose. 

Von  Kafemann.  (R.) . 1111 

Leber,  Blutstillung  in  der.  (V.)  .....  801 

Leberabscesse,  Zur  Behandlung  der,  (V.)  .  .  800 

Leberearcinom,  Primäres.  (Z.) . 776 

Lebtrcirrhose,  Ueber.  Von  Dr.  Kretz.  (O.)  .  .  271 

Leistenbrüche,  Intraparietale.  (Z.)  ....  1000 

—  Zur  Operation  der.  (Z.) . 1027 

—  und  ihre  Heilung.  (Z.) . 1094 

Leitungsbahnen  des  Gehirns.  Von  Glaessner. 

(R  ) . .  .  737 

Leprabacillen  im  Körper,  Verbreitung  der.  (V.)  173 

Leprabehandlung,  Zur.  (Z.) . 1230 

Lepra  in  England,  Ein  Fall  von.  (Z.)  .  .  .  411 

—  des  Auges.  Von  Börthen.  (R.) . 576 

—  maculosa.  (V.) . 1051 

Leukocyten  auf  Guajak,  Reaction  der.  (Z.)  .  531 

—  bei  Infectionen,  Verhalten  der.  (V.)  .  .  840 

Leukoderma  nach  Psoriasis.  (V.) . 22 

Lichen  ruber  planus.  (V.) . 1150 

Lichtwärmestrahlen,  Zur  Wirkung  der.  .  .1141 

Lichtwii kungen  auf  die  Haut.  (V.)  ....  534 

Lidgangrän.  Von  Römer.  (R.) . 577 

Ligamentum  latum,  Die  gestielten  Anhänge 

des.  Von  Rossa.  (R.) . 116 

Lignosulfit  bei  Tuberculose.  (Th.) . 1173 

Limbeck.  Nekrolog.  Von  Pauli . 439 

Lipoma  arborescens.  (V.) . 587 

Liquor  cerebrospinalis,  Profuser  Ausfluss  von. 

(Z.)  . . 118 

Lithiase  renale.  (V.)  . . 616 

Lithiasis  und  Trinkwasser.  (V.) . 520 

Lithokelyphos,  Ein.  (V.) . 1231 

Localanästhesie  nach  Schleich.  Von  Dr.  Fried¬ 
länder.  (0.) . 1166 

Lösliche  Kindernahrung,  Theiuhardt’s.  (Th.)  ,  143 

Lues  hereditaria  tarda  bei  der  bosnisch-herce- 
govinischen  Mannschaft.  Von  Dr.  Schuster. 

(O.) . 480 

—  und  Epilepsie.  (Z.) . 1073 

Luft,  Wirkung  der  comprimirten.  (Z.)  .  .  .  1027 

Luftdruckschwankungen,  Der  krankmachende 

Einfluss  der  Von  Lahmann.  (R.)  .  .  .  605 

Luftembolie  bei  Placenta  praevia.  Von  Dr. 

Hübl.  (0.) . 111 

Lumbalpunction,  Die  Gefahren  der.  (Z )  .  .  833 

Lungenblutungeu  und  Luftdruck  Veränderungen. 

(Z.) . 1073 

Lungenentzündung,  Zur  Behandlung  der.  (V.) 

414,  444 

—  Zur  Entstehung  der.  (V.)  ....  566,  568 

Lungenödeme,  Acute.  (V.) . 8  57 

—  und  Urämie.  (V.) . 838 


Seite 

Lungentuberculose  und  Heilstättenbehandlung. 

Von  Fetzer.  (R.) . 815 

—  uud  Lebensversicherungsgesellschaften.  Von 

Croner.  (R.) . 260 

—  Zur  Bekämpfung  der.  Von  Büdinger.  (R.)  260 

—  Zur  Diagnose  der  geschlossenen.  Von 

Spengler.  (R.)  .  1026 

Lupusbehandlung,  Ueber.  (V.) . 245 

Lupus  erythematosus,  Zur  Kenntniss  des.  (Z.)  774 

—  Die  Finsen’sche  Methode  bei.  (V.)  .  .  562 

—  Ein  geheilter  Fall  von.  (V.) . 890 

—  vulgaris,  Zur  Behandlung  des.  (Z.)  .  .  .  118 

—  von  ungewöhnlicher  Ausdehnung.  (V.)  .  .  147 


Luxatio  claviculae  acromialis  und  der  Nasen¬ 
beinbrüche,  Zur  Behandlung  der.  Von  Dr. 


Büdinger.  (0.) . 594 

Luxation  der  Gesichtsknochen.  (Z )  .  .  .  .  1142 

—  des  Humerus,  Subacromiale.  (V.)  .  .  .  489 

Lykopodiumsainen  ähnlich  den  Tuberkelbacillen. 

(Z.) . 1172 

Lymphadenie,  Ueber.  (V.) . 838 

Lymphadtnitische  Gewebe  in  der  Tuba 

Eustachii,  Das.  (V.) . 1150 

Lymphämie  ohne  Lymphdrüsenschwellung  .  .  696 

Lymphangiome  des  Mesenteriums,  Cystische. 

(V.) . 518 

Lymphebacterium,  Ein.  (Z.) . 1171 

Lymphganglien,  Die  Bedeutung  der.  (Z.)  .  .  559 

Lymphomexstirpationen  am  Halse,  Zur  Technik 

der.  (Z.) .  17 

—  in  der  Leiste.  (Z.)  .  95 

Lysoform.  (Th.) . 794 

Lyssa  bei  Vögeln.  (Z.) . 1143 

Lyssa-Immunität,  Zur.  (Z.) . 119 


M. 

Maculae  caeruleae  e  pediculis  pubis.  (V.)  .  .  172 

Macula  lutea,  Das  Centrum  der.  (V.)  ...  46 


Magenblutung,  Parenchymatöse.  (Z.)  .  .  .  718 

Magenblutungen,  Tödtliche  parenchymatöse. 

(Z.) .  861,  886 

Magenchirurgie,  Zur.  (Z.) . 393 

Magen-Darmerkrankungen  der  Säuglinge,  Zur 

Aetiologie  der.  Von  Prof.  Escherich.  (O.)  843 

Magen-Darmkatarrhe  der  Säuglinge.  (V.) 

951,  952,  953 

Magen-Darmverletzungen,  Ueber.  (Z.)  ...  19 

Magenerweiterung,  mit  grossen  Oeldosen  be¬ 
handelt.  (Z.) . 695 

Magenfunction,  Zur.  (V.) . 566 

Magengeschwür,  Das  chronische.  (V.)  .  544,  702 

Magengeschwüre,  Operation  dtr.  (Z.)  .  .  .  629 

—  Ueber.  (V.) . 765 

Magengeschwüres,  Zur  Behandlung  des  pepti¬ 
schen.  Von  Gluzinski  (O.) . 1125 

Magengrenzbestimmung,  Zur.  (V.)  ....  542 

Magenneubildungen,  Krebsige.  (V.)  ....  145 

Magenpumpe  als  Peristalticum.  (Z.)  .  .  .  .1172 

Magens,  Totalexstii  pation  des.  (Z.)  ....  142 

Magensyphilis.  (Z.)  264 

Magentumor.  (V.) . 48 

Magen-  und  Duodenalge-chwüre,  Zur  Behand¬ 
lung  der.  (Z.) . 739 

Malaria,  Immunität  gegen.  (Z.) . 531 

—  und  Herzdilatation.  (V.) . 865 

—  und  Mosquitos.  (Z.) . 818 

Malaria-Expedition,  Bericht  der  II.  (Z.)  263  818 

Malariaparasiten,  Zur  Aetiologie  der.  Von  Dr. 

Lewkowicz.  (O.) .  206,  233 

Malaria,  Zur  Prophylaxe  der.  (Z.)  ....  1229 

Maltafieber,  Ueber.  Von  Dr.  Brunner.  (O.)  .  .  149 

Maltafiebers,  Zur  Klinik  des.  (V.) . 445 

Malum  perfoi ans,  Ein  Fall  von.  (Z.)  .  .  .  1205 

Mammacysten.  (Z.)  943 

Mammatumoren,  Resultate  nach  Operation  von. 

(Z.)  ..............  411 

Manual  of  surgery,  A.  Von  Stonham.  (K.)  .  241 

Manuelle  Behandlung  in  der  Gynäkologie.  (V.)  590 

Marienbader  Rudolfsquelle,  Die.  Von  Dr. 

Glimm.  (O.) . 501 

Masernbehandlung,  Das  rothe  Licht  bei.  (Z  )  1173 
Massage,  Zur  Technik  der.  Von  Hoffa.  (R.)  693 

Mastdarmexstirpation,  Zur.  (Z.) . 18 

Mastdarmkrebse,  Behandlung  der.  (V.)  .  397,  415 


Mastdarmoperationen,  Zur  Technik  der.  (V.)  .  415 

Mauerfeuchtigkeitsbestimmung,  Ueber.  (V.)  .  173 

Maul-  und  Klauenseuche  beim  Menschen.  (Z.)  1144 

Mediastinaltumor,  Ein.  (Z.) . 817 

Mediastinaltumors,  Röntgen  -  Demonstration 
eines.  (V.) . 


469 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


XI 


Seite 

Medicin,  Handbuch  der  praktischen.  Von  Eb¬ 
stein  und  Schwalbe.  (R.) . 1026 

—  Grundriss  der  inneren.  Von  Liebermeister. 

(R.) . 1227 

Medicinische  Studien  und  Prüfungen.  Von 

Prof.  Exner.  (0.) . 61 

Medullarnarkose  bei  Gebärenden.  (Z.)  ..  .  .  1171 

Meister-Krankencassenfrage,  Zur.  Von  Dr. 

Steiner.  (O.) . 1109 

Melaena  neonatorum,  Zur  Behandlung-  der. 

(Z.) . 17 

Melanom  des  Penis.  (Z.) . 581 

Menier’sche  Krankheit,  Ueber  die.  (V.)  .  .  1006 

Meningitiden,  Acute.  (V.) . 782 

Meningitis,  Ein  Fall  von.  (V.) . 722 

—  nach  Otitis,  Eiterige.  (V.) . 590 

—  supurativa,  bedingt  durch  Bact.  lactis.f(Z.)  979 

—  tuberculosa,  Geheilte.  (Z.)  ......  775 

—  und  Typhus.  (V.) . 800 

Menstruation  nach  der  Geburt,  Die  erste.  (V.)  658 

—  und  Magenthätigkeit.  (Z.) . 464 

Mercurialismus,  Schütteltremor  bei.  (V.)  .  .  533 

Mesenterialcyste,  Achsendrehung  des  Darmes 

durch.  (Z.) . 1027 

Metalldrucker,  der  Thorax  der.  Von  Dr.  M. 

Sternberg.  (O.) . 574 

Meteorismus,  Hochgradiger.  (V.) . 268 

Metritis  colli.  (Z.) . 1100 

Migräne  und  Epilepsie.  (Z  ) . 1047 

Mikrocephalie.  Zur  Lehre  von  der.  (Z.)  .  .  265 

Mikroheissluftkauter.  Ein.  (Z.) . 581 

Mikrophondemonstration.  (V.) . 534 

Mikroskopie  am  Krankenbette.  Von  Lenhartz. 

_  (R.) . 998 

Milchabkochung,  Anforderung  an  die.  (Z.)  .  1046 

Milchbacterien,  Ueber.  (Z.) . 1229 

Milcheiweiss  und  Fleischbildung.  (Z.)  .  .  .  306 

Milchgerinnung  im  menschlichen  Magen,  Die. 

Von  Schnürer.  (R.) . 303 

Milchthermophor,  Der.  (Z.) . 1095 

Milch,  Zur  Pasteurisirung  der.  (V.)  381,  951,  953 

Militärhygiene,  Leitfaden  der.  Von  Schöfer 

(R.) . 373 

Militärsanitätswesen  in  der  Schweiz.  (V.)  .  .  269 

—  Zum.  Von  Knaak.  (R.) . 753 

Milzbrandbacillen  und  Pyocyanase.  (Z.)  .  .  1143 

Milzbrandgefahr  bei  Bearbeitung  thierischer 

Haare.  (Z.) . 143 

Milzkrankheiten.  Von  Litten.  (R.)  ....  392 

Mimik  des  Menschen,  Die.  Von  Hughes.  (R.)  737 

Missbildungen  des  Gaumens,  Die.  Von  Dan- 

ziger.  (R.) . 717 

Mittelfussknochen,  Die  Brüche  der.  Von 

Muskat.  (R.) . 241 

Mittelohreiterung  und  inti  acranielle  Compli- 

cationen.  (Th.)  740,  (Z.)  793,  (V.)  .  .  .  1003 

—  nach  Pneumococcen.  (Z.) . 1206 

—  Zur  Behandlung  der.  (Z.)  119,  (V.)  335, 

(K.) . _ . 554 

Mittelohrentzündung  bei  alten  Leuten,  Gefähr¬ 
lichkeit  der.  (Z.) . 1207 

Mittelohrmodell,  Zerlegbares.  (V.) . 442 

Mittheilungen  über  Arbeiten  aus  dem  Labo¬ 
ratorium  der  Krankenhausapotheke  zu 

Leipzig.  (R.) . 141 

Monfalcone,  Die  Therme  von.  Von  Prof.  E. 

Ludwig  und  Dr.  Panzer.  (O.) . 729 

Monstre  xiphopage.  (Z.) . 1114 

Moral  insanity,  Ueber.  (Z.) . 1001 

Morbidität  der  Kinder.  (V.) . 614 

Morphinderivate  auf  die  Athmung,  Die  Wir¬ 
kung  einiger.  (Z.) .  243,  464 

Morphiumgewöhnung.  (Z.) . 1001 

Morphium  und  Secretion.  (Z.) . 942 

Mundhöhle,  Die  Krankheiten  der.  Von  Rosen¬ 
berg.  (R.) . 374 

Mundspeichels,  Die  Function  des.  (Z  )  .  17 

Muskelarbeit,  Wirkung  der.  (Z.) . 1027 

Muskelatrophien,  Die.  (V.) . 518 

Muskelerkrankungen  bei  Tripper.  (Z.)  ...  16 

Muskelplastik,  Ueber.  (V.) . 835 

Muskelverknöcherung,  Traumatische.  (Z.)  .  .  718 

Muskelton,  Ueber  den.  (V.) . 1178 

Mutase,  Ueber.  (Z.)  • . 17 

Myelitis  acuta.  Von  Mager.  (R ) . 831 

Myelocele  spinalis,  Ueber.  (V.) . 286 

Myeloplaxen,  Ueber.  (V.) . 1003 

Myoklonische  Krämpfe.  (V.) . 1181 

Myome  des  Uterus,  Zur  Behandlung  der.  (V.)  537 

Myom  und  Extrauterinschwangerschaft.  (V.)  .  704 


Seite 

Myxoedema  infantile.  (V.)  • . 1123 

Myxödematöses.  Irresein.  (V) . 1181 

Myxödem,  Fötales.  Von  Stölzner.  (R.)  .  .  .  303 

—  und  Hypophysis.  (Z.) . 560 

Myxomyceten  als  Geschwulsterreger.  (Z.)  .  .  531 

N. 

Nabelversorgung,  Ueber.  (V.) . 631 

Nabelschnur,  Resorption  der.  Von  Raudnitz. 

(R.) . 303 

Nabelsepsis,  Ueber.  Von  Basch.  (R.)  .  .  .  303 

Nabelstrangzerreissungen,  Folgen  der.  Von 

Bayer.  (R ) . 650 

Nadel  in  einem  Femurcondyl.  (V.)  ....  198 

Naegele’sches  Becken,  Ein.  (V.) . 705 

Naevus  pigmentosus.  (V.) . 611 

Nävus  der  Augapfelbindehaut,  Nichtpigmen- 

tirter.  (V.) . 172 

Naftalan.  (Th.) . 375 

Nägel,  Die  Krankheiten  der.  Von  Heller.  (R.)  174 

Nährpräparate  und  Darmfäulniss.  (Z.)  .  .  .1116 

Nahrungsmittel  der  Gesunden  und  Kranken. 

Von  Hirschfeld.  (R.) . 487 

—  Schädlichkeit  conservirter.  (V.)  ....  889 

1  Narbenretractibilität.  (V.) . 780 

Nase,  Erkrankungen  der  Nebenhöhlen  der.  Von 

Hajek.  (R.) . 240 

—  Luftströmung  in  der.  (V.)  ....  490,  631 

Nasenpolypen?  Warum  recidiviren.  (Z.)  .  .  .  1172 

Natrium  salicylicum  und  Fruchttod.  (Z.)  .  .  558 

Nebennierenextract  bei  Augenkrankheiten.  (V.)  46 

Nebennieren,  Ueber  die.  (V.) . 864 

Nephrektomie,  Partielle.  (Z.) . 696 

Nephritis  bei  Kindern  ohne  Eiweiss.  (Z.)  .  .  558 

—  Erblichkeit  der.  (Z.) .  560,  582 


—  bei  Secundärsyphilis,  Acute.  Von  Stepler. 

(O.)  . 989 

Nephrolithiasis  bei  Vorhandensein  einer 

Niere.  (Z.) . 119 

Nervenkranken,  Musteranstalt  zur  Unterbrin¬ 
gung  von.  Von  Grohmann.  (R.)  ....  42 

Nervenquetschung,  Ueber.  (Z.) . 978 

Nervenstümpfe,  Zur  Histologie  der.  (V.)  45, 

(Z.) . 581 

Nervensystems,  Atlas  des.  Von  Jacob.  (R.)  .  438 

—  Pathologie  und  Therapie  der  Erkrankungen 

des.  Von  Windscheid.  (R.) . 409 

Nervöse  Erbrechen,  Das.  (V.) . 765 

Netzgeschwülste,  Entzündliche.  (V.)  ....  537 

Netzhautablösung,  Zur  Therapie  der.  Von 

Staerkle.  (R.) . 978 

Netzhautveränderungen,  Septische.  Von  Isch- 

reyt.  (R.) . 1044 

Netztorsion,  Ein  Fall  von.  Von  Prof.  Hochen- 

egg-  (°-) . 291 

—  Ueber.  (V.) . 219 

Neugeborenen,  Die  chemische  Zusammensetzung 

der.  (V.) . 99 

—  Nahrungsaufnahme  der.  Von  Cramer.  (R.)  650 

Neurasthenie,  Die  Behandlung  der.  (Th.)  .  .  740 

Neuroma  and  Neurofibromatosis.  Von  Thom¬ 
son.  (R.) . 773 

Neurose,  Traumatische.  (V.) . 377 

Neutralrothfäibung  der  Leukocyten,  Zur  intra¬ 
vitalen.  Von  Dr.  Marcus.  (O.) . 871 

Nieren.  Körperform  und  Lage  der.  (V.)  .  .  .  566 

Nierencyste,  Solitäre.  Von  Brackei.  (R.)  .  .  93 

Nierendiagnostik,  Ueber  functioneile.  (Z.)  .  .  1073 

Nierendystopie,  Zur.  Von  Prof.  Hochenegg. 

(O.)  4 

Niereninsufficienz,  Ueber.  (V.) . 863 

Nierenpalpation  und  Harribefunde.  (Z.)  .  .  .  915 

Nierenpapillennekrose  bei  Hydronephrose.  (V.)  171 

Nierenrupturenbehandlung,  Zur.  (V.)  .  .  .  1076 

Nierenruptur,  Subcutane.  (V.) . 69 

Nierenspaltung,  Die  Therapie  der.  (Z.)  .  .  94,  559 


Nierentumors,  Demonstration  eines.  (V.)  .  .  535 

Nierenverhaltung,  Ueber.  (V.) . 762 

Nieren,  Feststellung  der  Functionsfähigkeit 

der.  (V.) . 496 

Nieren-  und  Uretersteine,  Operationen  bei. 

(V.) . .  471,  495 

Nirvanin.  (V.) . 779 

Nuclein  im  Stoffwecheel,  Das.  (V.)  ....  446 

O. 

Oberkieferresection,  Eine  neue  Methode  der. 

(V.) . 801 


Seite 

Obliteration  der  Hauptstämme  der  Vena  he- 

patica.  (V.) . 171 

Obstipation,  Behandlung  der  chronischen. 

(Z.) . 410,  834 


Occlusio  vaginae  bei  Carcinom  derselben.  (V.)  704 

Oesophaguscarcinom,  Das  latente.  Von  Dr. 

Hödlmoser.  (O.) . 1007 

Oesophagusdivertikel,  Zur  Diagnostik  der.  Von 

Dr.  Blum.  (O.) . 256 

Oesophaguserweiterungen,  Idiopathische.  (V.)  766 

Oesophagusruptur,  Ein  Fall  von.  (Z.) .  1001,  1171 

Ohrenheilkunde,  Encyklopädie  der.  Von  Blau. 

(R.) . 717 

—  Handbuch  der.  Von  Kirchner.  (R.)  .  .  .  281 

—  in  der  Medicin,  Die.  Von  Bloch.  (R.)  .  .  717 

—  Zur  Prophylaxe  in  der.  Von  Bing.  (R.)  .  1112 

Ohres,  Die  Gewerbekrankheiten  des.  Von 

Winkler.  (R.) . 554 

Ohrmuschelersatz,  Ueber.  (V.) . 1234 

Ohrverkleinerung,  Ueber.  (V.) . 840 

Olfactorius,  Marchi-Fäibung  beim.  (V.)  .  .  .  632 

Ollier  f.  Von  A.  Fr . 1139 

Ombrophor.  (V.) . 470 

Onychia  syphilitica.  (V.) . 173 

Operationslehre,  Atlas  der.  Von  Zuckerkandl. 

(R.) . 1072 

Ophthalmoskopie,  Atlas  der.  Von  Haab.  (R.)  .  977 

Opiums  auf  den  Darm,  Wirkung  des.  (V.)  .  1030 

Orexin  als  Appetitmittel.  (Z.) . 375 

Organtherapie,  Die.  (Z.) . 393 

|  Orthoform,  Zur  Anwendung  des.  (Z.)  .  .  .  118 

Osteom  des  Humerus,  Centrales.  (V.)  .  .  .  948 

Osteomalacie,  Ueber.  (V.) .  333,  511 

Osteomyelitis,  Die.  (Z.) . •  .  835 

—  Zur  Histologie  der.  (Z.) . 374 

Osteoplastik,  Ueber.  (V.) . 948 

Osteopsathyrosis.  (Z.) . 835 

Osteotomie  bei  Hüftgelenksdeformitäten.  Von 

Hoffa.  (R.) . 693 

—  Zur  Technik  der  keilförmigen.  Von  Dr. 

Luksch.  (O.)  . . 404 

Othämatom.  (V.) . 269 

Otitis  mycotica.  (V.) . 700 

—  media.  (V.) . 1236 

—  tuberculosa.  (V.) . 145 

Otochirurgie,  Die  Grenzen  der.  Von  Stetter. 

(R.) . 999 

O varialfibromes,  Ein  Fall  eines.  (V.)  .  .  .  703 

Ovariotomie  per  anum.  Von  Dr.  Peters.  (O.)  110 

Oxykampher,  Ueber.  (Tb.) .  509,  794 

Oxyuriasis  cutanea.  (Z.) . 1115 

Ozaenabehandlung,  Zur.  (Z.) . 914 

P. 

Pachydermik  laryngis.  (V.) . 491 

Paget’s  disease,  Ueber.  (Z ) . 166 

Panaritium  paratendinosum,  Das.  (V.)  .  .  .  947 

Pankreaschirurgie,  Zur.  (V.)  ....  780,  800 

Pankreascysten,  Zur  Behandlung  der.  (V.)  597,  800 

Pankreon,  Ueber.  (V.) . 946 

Papillom  der  Harnblase.  (V.) . 267 

Parabuccalen  Tumoren,  Die.  (V.) . 801 

Paralyse,  Casuistik  der.  (Z.) . 943 

—  Frühdiagnose  der  progressiven.  Von  Hoche. 

(R.) . 831 

—  Gehirnbefunde  bei.  (Z.) . 1 C 09,  1048 

—  Zur  Statistik  der  progressiven.  (Z.)  .  .  .  216 

Paraphenylendiaminvergiftung,  Ein  Fall  von. 

Von  Dr.  Poliak.  (O.)  .  712 

Parasiten  in  der  Mundhöhle,  Pflanzliche.  (Z.)  18 

Parotisgegend,  Ein  Speicheltumor  in  der.  (V.)  801 

Parotitis  nach  Jodkalium.  (Z.) . 463 

Patellarfracturen,  Zur  Behandlung  der.  (Z.)  .  776 

Pathologie  im  Unterrichte  und  als  Wissen¬ 
schaft,  Die  allgemeine  und  experimentelle. 

Von  Prof.  Paltauf.  (O.) . 1190 

Pathologisch-anatomischen  Diagnose,  Elemente 

der.  Von  Israel.  (R.) . 773 

Pectoralis-Rippendefect  und  Hochstand  der 
Scapula,  Zum  angeborenen.  Von  H.  Schle¬ 
singer.  (O.) . 25 

Pelade,  Ueber.  (V.) . 923 

Pellagra,  Ein  Fall  von  (V.) . .699 

Pellagrakrankheit,  Zur.  (Z.)  ....  886,  942 


—  der  Bindehaut.  Von  Franke.  (R.)  .  .  .  1045 

—  neonatorum  und  Impetigo  contagiosa.  Von 

Dr.  Matzenauer.  (O.) . 1077 

—  neonatorum.  (V.) . 1 2  1 


XII 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Seite 

Pemphigus,  Zur  Behandlung  des.  (Th.)  .  .  .  739 

Zur  Histologie  des.  (Z.) . 3'J7 

Penis,  eiiie  Strangulation  des.  (V.)  .  .  651,  587 

Tentosurie,  Zur.  (V.) . 1231 

Pepsinsecretion,  Zur.  (Z.) . 738 

Peiforation  eines  Kindes,  Glückliche.  (Z.)  .  1206 

Pericardio,  La  cbirurgia  del.  Von  Giordano. 

. 693 


(V.) 


Pro 


(R) 

Pericardotomie,  lieber.  (V.) . 

Perichondritis  auriculae,  geheilt  durch  Radical- 

operation.  (V.) . 

Perineuritische  Erkrankungen  des  Plexus  sa- 

cralis.  (V.) . 

Periostzellen,  Die  Vita  propria  der.  (Z.) 
Peritonitis,  Behandlung  der  tuberculösen.  (V.) 
Gonocoecen-.  (Z.) . 

—  tuberculosa.  (V.) . . 

Perityphlitisoperationen,  Ueberraschungen  bei. 

(V.).. . . 

Perityphlitis,  Radicaloperation  bei.  (Z.)  . 

Perseveration,  lieber.  (Z.) . 

Pes  equinus,  Zur  Operation,  des.  (V.) 
Pestcommission,  Bericht  der.  Von  Gaffky.  (R.) 

Pestepidemien,  Ueher.  (V.) . 

Peste  et  son  microbe,  La.  Von  Netter.  (R.) 
Pestfall  mit  Carbol  behandelt,  Ein.  (Z.) 

Pest  in  Bombay,  Die.  (V.) . 

—  in  Oporto.  (Z.) . 

—  Präventivimpfungen  gegen  die.  (Z.)  .  558 

—  und  Serumtherapie.  Von  Lustig.  (R.) 
Pestpneumonie,  Eine  neue  Form  der.  (Z.)  . 
Pestserums,  Die  Bereitung  des.  (Z.)  .... 
Petroleumöfen,  Luftverunreinigung  durch.  (Z.) 
Phagedänismus,  Der  tropische.  (V.)  .... 
Pharaonenmedicin,  Zur  Geschichte  der.  Von 

Oefele.  (0.) . 

Pharmakognostische  Karte.  Von  Schelenz.  (R  ) 
Phlegmone  der  Processus  vermiformis  nach 

Angina.  Von  Dr.  Kretz.  (0.) . 

Phloridzindiabetes.  (V.) . 

Phosphorleberthran,  Ueber.  (V.) . 

Phosphorvergiftung,  Zur.  (V.) . 

Phosphor  und  Pulegon  auf  Cephalopoden, 

Wirkung  des.  (Z.) . 

Phthiseotherapie,  Einige  neue  Medicamente  in 

der.  Von  Dr.  Pollak.  (0.) . 

Physikalisch  chemische  Methoden  in  der  Medi- 

cin.  Von  Pauli.  (R.)  66,  (0.) . 

Physikalische  Chemie.  Von  Koeppe.  (R.) 
Physik,  Grundriss  der.  Von  Borchardt.  (R.)  . 

Pikrinäther,  Ueber.  (Z.) . 

Plasmon,  Ueber.  (Z.) . 

Pleuritis,  Pulsirende.  (V.) . 

Pleuritischer  Exsudatflüssigkeiten,  Unter¬ 
suchung.  (V.) . 

Pneumatischer  Apparat  für  Thermokauter.  (Z.) 

Pneumatosis  cystoides.  (Z.) . 

Pneumoniebebandlung,  Ueber.  (V.)  .... 

Pneumothorax,  Spontan  ausgeheilter.  (V.)  . 
Polioencephalitis  superior  und  Delirium  alco- 
holicum  als  Einleitung  einer  Korsakow- 
schen  Psychose.  Von  Dr.  Raimann.  (0.) 

Polyklonie  mit  Epilepsie.  (Z.) . 

Polyposis  intestinalis.  Von  Vayda.  (R.) 
Porenceplialie,  Ein  Fall  von.  (V.)  .  .  . 

Portio  vaginalis,  Ein  Fall  von  Lostrennurg 
der.  (V.) 

Posticuslälimung  nach  Fremdkörper  im  Larynx 
(V.) 


Pott’schen  Krankheit,  Zur 


Behandlung 


der 


870 

335 

920 

1172 

840 

463 
890 

654 

629 

265 

868 

528 

893 

528 

464 
517 
914 

,  559  j 
528 
559 
1045 
330 
819 

599 

141[ 

1137 

567 

1212 

864 

1072 

59 

487 

815 

606 

1016 

330 

839 

840 
776 
194 
839 
511 


31 

1095 

303 

99 

612 

943 


Protargol.  (Th.) . 

Prothese,  Eine  subcutaue.  (Z  )  . 

Pseudarthrose  am  Oberschenkel. 
Pseudoaktinomykose,  Zur.  (Z.) 
Pseusobulbärparalyse,  Infantile.  (V.)  . 

Zur  Lehre  von  der  infantilen.  Von 

Bernhardt.  (0.) . 

Pseudoleberciirhose,  Ueber  pericarditische.  Von 
Dr.  Eisenmenger.  (O 
Ueber.  Erwiderung.  Von  Dr.  Fr.  Pick.  (0 
Ueber.  Erwiderung.  Von  Dr.  Eisenmenger 

Pseudologia  phantastica.  (Z.) . 

Psittakosisfrage,  Zur.  Von  Leichtenstern.  (R 

Psittakosiskrankheit,  Die.  (Z.) . 

Psoitis.  (V.) . 

Psychiatrie,  Grundriss  der.  Von  Kirchhoff.  (R.) 
Psychiatrischen  Aufgaben  des  Staates,  Die.  Von 
Kräpelin.  (R.) 


(R. 


Psychologie,  Physiologische.  Von  Ziehen. 
Psychosen  und  Katatonie,  Acute.  (Z.)  . 

Pubertätspsychosen.  (V.)  760,  761,  (Z.)  . 
Puerperalfiebers,  Zur  Entstehung  und  Behänd 

lung  des.  (V.) . 656 

Puerperalpsychosen,  Aetiolrgie  der.  (Z.) 
Pulmonaltones,  Zur  Semiotik  des  zweiten 

Von  Dr.  Hecht.  (0) . 

Punction  des  Sinus  sigmoideus.  (V.)  .  . 

Pupillenveränderung  bei  Pneumonie.  (Z.)  . 

Purpurabehandlung,  Zur.  (V.) . 

Purpura  haemorrhagica,  Ueber.  (V.) 

Pyämie,  Otitische.  (V.) . 

Pylorushypertrophie,  Ein  Fall  von  angeborenei 
stenosirender.  Von  Hansy.  (0.)  .  . 

—  Angeborene.  (Z.) . 

Pylorusstenose  in  Folge  Gallensteine.  (Z.) 

mit  Olivenöl,  Behandlung  der  spastischen 

(v.). . 

—  und  Sanduhrmagen.  (V.) . 

Pyramidon.  (O.) . 

Auftreten  eines  rothen  Farbstoffes  im  Harne 
nach.  (Z.)  . 


Q 

Quecksilberresorbin.  (Th.) 


Seite 

143 

1207 

701 

559 

564 

40 

249 

324 

347 

581 

260 

17 

868 

42 

438 

737 
628 
916 

,  657 
979 

294 

313 

1172 

520 

839 

1005 

232 

464 

557 

765 

1150 

60 

738 


411 


(Z.)  143,  (V.) . .  .  866 

Piocessus  styloideus,  Bruch  des.  (Z.)  .  .  .  1206 

Projections-  und  Associationscentren  des  Ge¬ 
hirnes.  (V.) .  744,  745,  746 

Prolapsoperationen,  Dauerheilungen  nach.  (V.)  364 

Ueber.  (V.)  380 

Prophylaxe  bei  Hals-  und  Najenkrankheiten. 

Von  Flatau.  (R.)  .  .  . . 1141, 

Handbuch  der.  (R.) . 1170 

in  der  Chirurgie.  Von  Hofl’a  und  Lilien¬ 
feld.  (R.) .  693  [ 

Prostata  bedingte  Hainstörungen,  Durch  Krank¬ 
heiten  der.  (V.) . 1219  | 

Prostatahypertrophie,  Zur.  (V.)  .  .  534,  589,  983 

—  und  Castration.  (Z.) . 816  i 

Prostitution,  Die.  Von  Ströhmberg.  (R.)  .  .  14 

in  Wien,  Die  Vorschüßen  über  die.  Von 
Dr.  Schrank.  (R.) . 14 

—  vom  Standpunkte  der  Socialhygiene.  Von 

M.  Gruber.  (R.)  .  .  .  .  * . 1169 


R. 

Racenimmunität,  Zur.  (Z.) .  531,  834 

Rachenhöhle,  Die  frischen  Entzündungen  der. 

Von  Bresgen.  (R )  . 717 

Rachitis,  Der  Kalk  in  der  Pathologie  der. 

Von  Stöltzner.  (R ) . 303 

Rachitisbehandlung  mit  Thymus.  Von  Stöltzner 

und  Lissauer.  (R.) . 303 

Rachitis  und  Gelenksrheumatismus.  (V.)  .  .  1209 

Radiographie,  Atlas  der.  Von  Redaid.  (R.)  .  830 

—  bei  Hautkrankheiten.  (V.) . 202 

—  Der  gegenwärtige  Stand  der.  Von  Doctor 

Schiff  und  Dr.  Freund.  (O.) . 827 

—  Erwiderung  von  Dr.  Ullmann.  (R.)  .  .  .  886 

Ragusa  als  Curort.  (V.) . 447 

Rattenbisskrankheit,  Die.  (Z.)  19 

Ratten,  Infection  der.  (V.) . 839 

Rectumcarcinom,  Mfine  Erfolge  beim.  Von 

Prof.  Iloclienegg.  (O.) . 399 

Rectum,  Resection  des.  (V  ) . 892 

Recueil  de  travaux  du  laboratoire  Boerhave. 

Von  Dr.  Siegenbeck.  (R.) . 528 

Recurrenslähmung,  Rechtsseitige.  (V.)  .  .  .  491 

Redressement  bei  Kniegelenkscontracturen. 

(V) . 1075 

Retrograde  Degeneration.  (Z.) . 581 

Retropharyngealabscesse,  Die  Behandlung  der. 

(Z.)  . . 695 

Rheumatismus,  Ueber  acuten.  (V.)  ....  839 

Rhinitis  pseudomembran aeea.  (V.)  ....  517 

Rhinitis,  Spasmodische.  (V.) . 954 

Rhinologie,  Laryngologie  und  Otologie.  Von 

Friedrich.  (R.) . 374 

Rhinoplastik,  Partielle.  (V.) . 699 

Riesenwuchs  und  Zirbeldrüse.  (Z.)  ....  18 

—  Partieller.  (V.) . 169 

—  Symetrischer.  (V.) . 145 

Rigorosen-  und  St  udienordnung,  Die  neue. 

Von  A.  F.  (O.) . 13 

—  und  Studienordnung,  Bemerkungen  zur 

neuen.  Von  Prof.  Albert.  (O.)  ....  84 

Rinderpest,  Immunisation  gegen.  Von  Nencki. 

(R.) . 6  05 


I 

Röntgen-Atlas.  Von  Immelmann.  (R.) 
Röntgen-Aufnahmen,  Moment-.  (Th.) 
Röntgen-Demonstrationen.  (V.)  .  444,  469, 

Röntgen- Lichtes  auf  die  Haut,  Einwirkung  des. 

Von  Kienböck.  (V.)  1004,  1029,  1053,  (O.) 
Röntgenologische  Verhalten  der  Brustaorta, 
Das.  Von  Dr.  Holzknecht.  (O.)  225,  573, 
Röntgen-Photographie  des  Magens.  (Z.) 
Röntgen-Photogramme.  Von  Eiseisberg  und 

Ludloff.  (R.) . 

Röntgen-Strahlen,  Technik  und  Verwerthung 

der.  Von  Büttner  und  Müller.  (R.)  . 

—  in  chirurgischer  Verwerthung.  (Z.)  .  .  . 

—  Die  beruhigende  Wirkung  der.  (Z.) 

—  Hautverbrennung  durch.  (Z.) . 

Röntgen-Ulcera,  Zur  Histologie  der.  (Z.)  . 
Röntgen-Verfahren,  Bestimmung  der  Gegen- 

standgrösse  beim.  (V.) . 

—  Bestimmung  der  Glosse  eines  Gegenstandes 

durch  das.  (Tb.) . 

Roseola  tardiva.  (V.) . 

Rotz,  Ein  Fall  von.  (Z.)  . 718, 

Rückenmarkes,  Zur  Pathologie  des.  (Z.) 
Rückenmai  ksabschnitte,  Die  Erkrankungen 

der  unteren.  (Z.) . 

Rückenmarksaffectionen,  Durch  Anämien  be¬ 
dingte.  Von  Marburg.  (O.) . 

Rückenmarkserkrankung,  Traumatische.  (V.) 
Rückenmarksnerven  und  ihre  Segmentbezüge. 

Von  Wichmann.  (R.)  . 

Ruhr  als  Volkskrankheit.  (V.)  . 

S. 

Saccharinwirkung,  Ueber.  (Z.)  . 

Saccharomyces  neoformans.  (V.) . 

Salacetol,  Ueber.  (Th.) . 

Salipyrin.  (Th.)  . 

Salolausscheidung  mit  den  Faces.  (Z.)  .  . 

Salol  als  Bandwurmmittel.  (Th.) . 

Salophen.  (Th.) . 

Salpingitis  nodosa  und  Adenomyoma  tubae. 

(V.) . . 

Samenstrangresection.  (V.)  . . 

Sanatogen,  Ueber.  Von  Dr.  Rybiczka.  (O.) 

Sanatoria,  Les.  Von  Knopf.  (R.) . 

Sängerknötchen,  Ueber.  (V.) . 

Sanitätspersonal  für  Militäranstalten.  Von 

Bass.  (R.) . 

Sauitätswesen  im  spanisch- amerikanischen 

Kriege,  Das.  Von  Steiner . 

Sapolan.  (V.)  . . 

Sarkom  des  Auges.  Von  Kerschbaumer.  (R.) 

—  des  Rückenmarkes.  (Z.) . 

Sauerstoffiherapie,  Zur.  (V.) . 

Saugen  und  Verdauen.  (V.) . 

Säuglingsernährung,  Ueber.  Von  Bendix. 

(R.)  650,  (V.) . 

—  Die  natürliche  und  künstliche.  Von 

Th,  Escherich.  (O.) . 

—  Neuere  Mittel  zur.  Von  Zappert.  (R.)  . 

Säuglingssterblichkeit,  Ueber.  (V.)  .... 

Säuglingsstuhles,  Nach  Gram  färbbare  Bacillen 

des.  Von  Dr.  Moro.  (O.) . 

Schädelbrüche,  Ueber.  (V.) . 46, 

Schädelverletzung  ohne  Fuuctionsstörung.  (Z.) 
Schalenhaut  des  Hühnereies  zur  Epithelbildung, 

Die  Verwendung  der.  (Z.) . 

Scharlach  und  Gehörorgan.  Von  Weil.  (R.) 
Scharlachnephritis,  Behandlung  der.  (V.)  . 
Scharlachs  und  der  Masern,  Zur  Kenntniss  des. 

Von  Dr.  Eigart.  (O.) . 

Scheidenirrigation,  Die  Gefahren  der.  (Z  ) 
Scheintodes  Neugeborener,  Die  Behandlung 

des  (Z.) . 

Schenkelsporn  des  Femurhalses.  (Z.) 
Schiffsdienst  lungenkranker  Aerzte.  (Z.)  .  . 

Schilddrüse  und  Heilung  von  Fracturen. 

(Z.)  .  . .  393, 

Schilddrüsengiftes,  Zur  Wirkung  des.  (Z.) 
Schilddrüsensaftes  auf  Circulation  und  Ath- 
mung,  Wirkung  des.  Von  Dr.  Bela 

v.  Fenyvessy.  (0.) . 

Schläfenbeineikrankungen,  Die  eiterigen.  Von 

Körner.  (R.) . 

Schleich’s  Marmorseife,  Erfahrungen  mit.  Von 

Dr.  Fuchsig.  (O.) . 

Schleifenendigung,  Ueber.  (Z.)  . 

Schlucken  in  verschiedenen  Körperlagen,  Das. 
Von  Mendelsohn  und  Gutzmann.  (R.)  . 


Seite 

830 

739 

588 

1153 

648 

266 

830 

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775 

942 

95 

446 

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1027 

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438 

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125 

554 

790 

885 

754 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


X 1 II 


Schularztfrage,  Zur.  (Z.) . 

Schulhygiene,  Zur.  (V.) . 

Schultergelenk,  D.e  Varilät  im.  (V.) 
Schultergelenkes,  Die  Mechanik  des.  (Z.)  . 
Schuss  in  die  Schläfe,  Verletzung  nach.  (V.) 
Schussverletzungen,  Ueber.  (V.)  .  .  .  289, 

Schütteltremor,  Hysterischer.  (V.) 
Schutzeinrichtungendes  Organismus,  Natürliche 


(Z 


bei 


Schwangerenuntersuchung,  Ueber.  Von  Pro 

fessor  Winternitz.  (R.) . 

Schwangerschaft,  Acutes  Lungenödem 
(Z.)  ........... 

Schwangerschaft,  Bericht  über  22  Fälle  von 
künstlicher  Unterbrechung  der.  Von  Doctor 
v.  Braitenberg.  (O.) . 

—  bei  exstirpirten  Ovarien.  (Z.) . 

Schwangerschaftszeichen.  (Z.) . 

Schwefelkoblenstoffvergiftung,  Chronische.  (Z  ) 
Scrophulose  und  Tuberculose.  (V.)  .  .  .  . 

—  Zur  Lehre  von  der.  Vou  Monti.  (R.)  . 

Secretion,  Ueber  innere. '(V.)  .  _ . 

Sectionstische,  Die  Technik  am.  Von  Graupner 

und  Zimmermann.  (R.) . 

Seebäder  auf  die  Körpertemperatur,  Einfluss 

kälter.  (V.) . 

Seelenstörungen  im  Kindesalter.  (Z.) 

—  der  Epileptiker.  (Z.) . 

Seereisen,  Therapeutische  Verwertliung  der. 

(Z-)  •  . 

Sehcentren,  Die  corticalen.  Von  Prof.  Bern- 

heimer.  (O.) . 

Sehnenreflexe,  Ueber.  (V.) . 

Sehnenrupturen,  Subcutane.  Von  Dr.  Kirch- 

mayr.  (O.) . 

Sehnenruptur,  Subcutane.  (V.) . 

Sehnen  Verpflanzungen.  (V.) .  650, 

Sehnenzerreissungen.  (Z.) . 

Sehnerveneintrittes,  Anatomie  des.  Von 

Elschnig.  (R.) . 

Sehprüfungen.  Von  Roth.  (R.) . 

Sensibilitässtörungen  bei  Morbus  Parkinsonii. 

(z.)  . 

Sepsis  bei  einem  Tobsüchtigen.  (Z.) 

Sepsis  im  Kindesalter.  (V.)  . 

Serodiagnostik  im  Kindesalter.  Von  Pfaundler. 

(ß;)  . . 

Seruminjection  bei  einem  Säuglinge.  (Z.)  . 
Serumtherapie  und  Schutzimpfung.  Von  Dieu- 
donne.  (R.) . 

—  Versuche  auf  dem  Gebiete  der.  (V.) 

—  bei  Alkoholikern.  (Z.) . 

Sexualempfindung,  Ueber.  (V.)  . 

Sexualfunction  und  Stoffwechsel.  (Z.) 
Sexualität,  Normale  und  pathologische.  (Z.)  . 

Sexuelle  Perversionen.  (V.) . 

Sidonal.  (Z  )  .  . 

Silberdrahtgitter  bei  Bruchpfortenverscbluss. 

(V.)  . . 

Silber,  Lösliches.  (Th.) . 

Simulation  und  Syringomyelie.  (V.)  . 
Singstimme,  Zur  Pathologie  der.  (V.)  . 

Situs  inversus,  Ein  Fall  von.  (Z.)  .  .  .  . 

Sklerodermie,  Ein  Fall  von.  (V.) . 

Sklerose,  Zur  Symptomatologie  des  Alters.  Von 
Dr.  Friedmann.  (O.) . 

—  Otitische.  (V.) . 

Skoliosenbehandlung,  Zur.  (V.) . 

Skoliosen,  Redression  schwerer.  (V.) 

—  Veränderungen  innerer  Organe  bei.  Von 

Bachmann.  (R.) . 

Solilagold.  (V.) . 

Somnambulismus.  Von  Löwenfeld.  (R.)  . 
Soolegebrauch  bei  tuberculösen  Alfectionen.  (V.) 

Soson,  ein  Nährpräparat.  (Z.) . 

Sozojodol.  (Th.)  143, 

Spasmus  glottidis  und  Tetanie  der  Kinder.  (V.) 
Spektroskopie  in  der  Anatomie.  (V.) 

Speichels,  Zur  Function  des.  (Z.) . 

Speichelsteinbildung,  Ueber.  Vou  Dr.  Hanszel. 

(O.)  . 

Speiseröhre,  Divertikel  der.  Von  Starck.  (R.) 
Speiseröhrenerweiterung,  Chirurgische  Be¬ 
handlung  der.  (V.) . 

Speiseröhrenverschluss  bei  Harninfection, 

Spastischer.  (Z.) . 

Sphagnol  bei  Hautkrankheiten.  (V.)  . 
Sphinkter  des  Anus,  Tonus  des.  (V.) 

Spina  bifida,  Zur  Operation  der.  (V.) 
Spinalparalyse,  Spastische.  (Z.) 


Se  te 

463 

1055 

286 

886 

1180 

511 

222 

194 

1043 

1205 


685 

696 

696 

580 

919 

792 

609 

605 

520 

1000 

216 

329 


955 

924 


1038 

169 

868 

628 

44 

577 

979 

1208 

568 

303 

630 


528 

566 

1027 

223 

143 

264 

759 

630 

587 

607 

269 

1181 

1115 

170 

569 

984 

655 

541 

605 

269 

831 

766 

95 

739 

417 

781 

558 

160 

1227 

1076 

651 

23 

723 

948 

1000 


143 


Spirometer,  Ein.  (V.) . 

Spitalschiffe.  (V.) . 

Splanchnoptose,  Ueber.  (V.) 

Splenektomie.  (V.)  . 

Splenomegalie  durch  Malaria.  (Z.) 

Spondylitis  typhosa.  (Z.) 

Sprachcentrums,  Die  Bedeutung  des.  (V.) 

—  Verletzung  des.  (V.) . 

Staares,  Spontane  Aufsaugung  eines.  (Z.)  . 
Stadtasyle  und  Irrenverpflegung.  (Z )  .  .  . 

Starrkrampfes,  Prophylaxe  des.  (V.)  .  . 

Stenose  der  Pulmonalis.  (Z.) . 

Stenose,  Postdiphtheritische.  (V.) . 

Sterilität  der  Geschlechter.  Die.  Von  Finger 

und  Sänger.  (R.) . 

Stirnlagen,  Ueber.  (V.) . 

Stimmband-  und  Sängerkuötchen.  (V.)  .  924, 
Stimmbänder,  Cadaverstellung  der.  (V.)  .  . 

Stoffwechsels,  Physik  des.  Von  Bois-Reymond. 

(R.)  . . . 

Stoffwechselstörungen  bei  magen-darmkranken 
Säuglingen.  Von  Dr.  Pfaundler.  (O.) 

Strafrecht  und  Heilkunde.  (Z.) . 

Strangdegenerationen  und  Höhlenbildungen. 


(Z. 


(Z.) 


Strausse,  Eine  infectiöse  Krankheit  der. 
Streptococcenfrage,  Zur.  (V.)  .... 

Streptococcus,  Ein  anaerober.  Von  Doctor 

Sternberg.  (O.) . 

Stridor  congenitalis.  (V.) . 

Stützcorsettes,  Der  Werth  des.  (V.)  .  .  .  . 

Stypticin.  (Th.) . 

Subphrenischer  Abscess.  (Z.) . 

Suggestion  und  ihre  sociale  Bedeutung,  Die. 

Von  Bechterew.  (R.) . 

Sumpffieber,  Ueber.  (V.)  . 

Symblepharon  anterius.  (V.) . 

Sympathicusresection.  (V.) . 

- —  Zur  Pathologie  des.  (Z.) . 

Syphilis  in  der  zweiten  Generation,  Hereditäre. 

Von  Fournier.  (O.) . 

Synthese  im  Thierkörper,  Eine.  (V.) 

Syphilis.  Von  Neumann.  (R ) . 

Syphilisbehandlung  durch  Inhalation.  (Z.) 
Syphilis  combinirte  Infectionen,  Mit.  (V.)  . 
Syphilis,  Congenitale.  (V.) . 

—  der  oberen  Luftwege.  Von  Lieven.  (R.) 

— -  der  zweiten  Generation,  Plereditäre.  (Z.) 

—  des  Cenlralnervensystemes.  (Z.)  .  .  . 

—  Die  physikalisch-diätetische  Therapie  der. 

Von  Ziegelroth.  (R.) . 

—  et  Mercur.  Von  Larrien.  (R.)  .  . 

—  Diarrhöen  bei  tertiärer.  (Z.) 

— •  des  Magens.  (V.) . 

—  hereditaria.  (V.) . 

—  in  Nicaragua.  (V.) . 

—  in  China  und  Japan.  Von  Okamura.  (R.) 

—  infantilis.  (V.) .  248, 

—  in  Finnland.  (Z.) . 

—  Infiltrationen.  Diffuse.  (V.) . 

—  Neugeborenen,  Erstickung  bei  einem.  |Z.) 
Syphilitischer  Piimäraffect  mit  abnormem  Sitz. 


(Z.) 


Syphilitische  Erkrankung  des  Centralnerven- 

systemes.  (Z.) . 

Syphilitischen,  Die  Nachkommenschaft  der 
Hereditär-.  Von  Prof.  Finger.  (O.)  383,  405, 
Syringocystom,  Zwei  Fälle  von.  (V.) 
Syringomyelie  mit  seltenen  Symptomen.  (V.) 

—  oder  Lateralsklerose.  (V.) . 

—  Ein  Fall  von.  (V.) . 591, 


Tabakrauch,  Das  Kohlenoxyd  im.  (Z.)  . 

Tabes  bei  Kindern.  (Z.) . 

—  Die  Therapie  der.  (V.) .  333, 

—  Frühdiagnose  der.  (Z.) . 

—  Sensorielle  Krisen  bei . 

Tachycardie,  Paroxysmale.  (V.)  541,  (R.)  . 
Talgdrüsen  in  der  Mundschleimhaut.  (Z.)  . 

Tannigen.  (V.) .  794, 

Tanninpräparate.  (Th.)  .... 

Tannoform.  (Th.)  . . 

Tannopin.  (Th.)  . 

Tarsalgie.  (V.) . 

Taubheit,  Plötzliche  beiderseitige.  (V.)  .  336, 
Taubstummen,  Hörvermögen  der.  Von  Bezold. 

(R-) . 

—  Untersuchungen  an.  Von  Schwendt.  (R.)  . 


Seite 

512 
819 
721 
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1144 
,  835 
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117 

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1056 

563 

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447 

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916 

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1170 

14 

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16 

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582 

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719 

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428 

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169 

359 

1152 


464 

916 

357 

1048 

556 

650 

463 

1095 

757 

980 

411 

868 

361 

1113 

44 


Taubstummenbildung,  Ueber.  Von  Gutzmann. 

(R.)  •  ; . 

Taubstummheit,  Zur  Entstehung  der.  Von 

Danziger.  (R.) . 

Temperatur  des  Rectums  und  der  Achsel¬ 
höhle,  Differenz  zwischen  der.  (Z.)  . 

— ■  Normale.  (Z.) . 

Temperaturverhalten  bei  weiblichen  Geistes¬ 
kranken.  (Z.) . 

Temperenzanstalten  und  Volksheilstätten.  Von 

Smith.  (R.) . 

Tendovaginitis  tuberculosa.  (V.) . 

Teratoide  Geschwülste,  Ueber.  (V.)  .... 

Teratom.  (Z.) . 

Terpentinölwirkung,  Ueber.  (Z  ) . 

Tetania  gravidarum.  Von  Dr.  Hödlmoser.  (O.) 

Tetanie,  Ueber.  (V.) . 418, 

Tetanus  mit  intracerebraler  Injection  behandelt. 


(Z. 


mit  subcutanen  Gehirnemulsionen  behandelt. 
Von  Dr.  Krokiewicz.  (O.) . 

—  Zur  Therapie  des.  (Z.) . 

Tetanusfall  durch  Antitoxin  geheilt,  Ein.  Von 

Dr.  Homa.  (O.) . 

Tetanustherapie,  Zur.  (Z.) . 

Thermophor  couveuse.  (V.) . 

Thompson’sche  Zweigläserprobe.  Von  Hof¬ 
meister.  (R.) . 

Thomsen,  Histologie  des  Muskels  beim.  (V.)  . 

—  Krankheit,  Beiträge  zur.  Von  Dr.  Mahler 

und  Dr.  Beck.  (O.) . 

Thomsen’sche  Krankheit,  Ein  Fall  von.  (V.)  . 

Thorakoplastik.  (V.) . 

Thorakoxyphopag,  Ein.  (Z.) . 

Thrombose  bei  Chlorose.  (Z.) . 

Thymusdämpfung,  Ueber.  (Z.)  ....  836, 

Thyreotomie,  Ueber .  949, 

Tollwuthvirus  gegen  Fäulniss,  Widerstands¬ 
fähigkeit  des.  (Z.) . 

Tonometer.  (V.) . 

Tonsillen  und  tuberculose  Infection.  (Z.) 
Tonsillotomiebelag,  Der.  Von  Dr.  Harmer.  (O. 
Tonvermögens,  Localisation  des.  (Z.) 

Torticollis  spasmodicus.  (V.) . 

Toxikologie,  Handbuch  der.  Von  Kunkel.  (R. 

Toxine  und  Antitoxine.  (V.) . 

Trachealeanule,  Eine  erprobte.  Von  Gersuny 

(O.) . 

Trachealdefecten,  Deckung  von.  (V.) 
Tracheotomie,  Complication  bei  der,  (Z.) 

—  Plastische  Deckung  von.  (Z.)  .... 

Trachombehandlung,  Zur.  (Th.)  .... 

Trachomepidemie,  Eine.  (Z.) . 

Trachom,  Ueber.  Von  Bock.  (R.)  .... 

—  Zur  Lehre  vom.  Von  Dr.  Ziem.  (O.)  92 

Traitement  chirurgical.  Von  Lardenois.  (R.) 
Transplantation  von  Eingeweiden.  (V.)  . 
Traumatische  Entstehung  innerer  Krankheiten 

Von  Stern.  (R.) . 

Trepanatiou,  Defectdeckung  bei.  (V.) 

—  der  Wirbelsäule.  (V.) . 

—  wegen  Schädelverletzung.  (V.) 
Tricepsklonus.  (V.) 

Trichterbrust,  Ueber.  (V.) 


Trigeminusresection,  Intercranielle.  (V). 
Trionalvergiftung,  Chronische.  (Z.) 
Tripperspritzen.  Die  Gefahr  ungeeigneter.  (Z. 
Tripper  und  Ehe.  Von  Jullien.  (R.)  . 

Truncus  innominatus,  Unterbindung  des.  (V.) 
Trunksucht,  Das  Thebault’sche  Mittel  gegen 


(Z.) 


Tubenimplantation  in  den  Uterus.  (V.)  . 
Tuberculide,  Ueber.  (V.)  .  .  .  783,  784,  797 

TuberculinseiLn,  Ueber.  (V.) . 

Tuberculosebehandlung.  (V.)  ....  865 

- — ■  mit  Formaldehyd.  (V.) . 

—  mit  Zimmtsäure.  (Tb.) . 

Tuberculosegesetz  in  Norwegen,  Das. 
Tuberculoseübertragung  durch  Milch.  (Z  )  . 
Tuberculösen  Bauchfellentzündung,  Zur  chirur¬ 
gischen  Behandlung  der.  (Z.)  .... 

Tuberculoses  Empyem  des  Oberkiefers.  (V. 
Tuberculose  als  Ursache  des  vorzeitigen  Todes, 
Die.  (Z  ) . 

—  der  Blase,  Werth  der  Chirurgie  bei  der.  (V.) 

—  der  Niere,  Werth  der  Chirurgie  bei  der.  (V.) 

—  des  Gehörganges.  Von  Barnick.  (R.) 

—  des  Hodens.  (V.)  ... . 

—  Die  Trüpfcheninfection  bei.  (Z.)  .... 

—  est  curable,  La.  Von  Ribard . 


Seite 

717 

1113 

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243 

1072 

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1108 

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659 

14 

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983 

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1115 

719 
606 
463 

1044 
,  970 
93 
891 

347 

289 

377 

802 

1097 

700 

802 

463 

559 

14 

802 

1142 
613 
,  837 
23 
,  983 
890 
20 
1142 
1115 

119 

1215 

556 

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764 

280 

866 

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260 


AiV 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Seita  j 


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Tuberculose  im  Kindesalter.  (V.)  .  .  .  634,  919 

Klinische  Beiträge  zur.  (Z.) . 558 

—  Leberthraninjectionen  bei.  (Tb.)  ....  606 

—  mit  Jod  behandelt.  (Z.)  775  ; 

—  Serumreaction  und  Frühdiagnose  der.  (Z.)  833  I 

—  Toxhämie  bei.  (Z.) .  1073  I 

—  Ueber  kindliche.  (V.) . 820,  949 

—  und  Blutkörperchen.  (V.) . 865 

—  und  Erblichkeit.  (Z  )  793,  (V.)  ....  865 

—  und  Raynaud’sche  Krankheit .  866  j 

—  und  Syphilis.  (V.) . 864 

—  Ursache  der  örtlichen.  (V.) .  865  j 

—  Wie  schütze  ich  mich  gegen.  Von  Sommer¬ 
feld.  (R.) .  1026  I 

—  Zur  Serumdiagnose  der.  (Z.) . 651 

Tuberkel  im  Pons.  (V.) . 97 

Tuberkelbacillen,  Widerstandsfähigkeit  der. 

(Z.) . 1207 

Tuberkelbacillen,  Zur  Säurefestigkeit  der.  (Z.)  978 

—  Zur  Verbreitung  der.  (Z.)  ....  558,  1146 

Zum  Wachsthum  der.  (Z.) . 816 

Tumoren  unbekannter  Natur.  (V  )  ....  197 

Tympanitis  bei  Kindern.  (V.) . 592 

Typhusähnlicbe  Bacillen.  (Z.) . 1172 

Typhusbacillen  inficirten  Badewässer,  Zur  Des- 

infection  der  mit  (Z.)  .  834 

Typhusbacillus,  Zur  Züchtung  des.  (V.)  .  .  542 

Typhus,  Empyem  bei.  (V.) . 800 

Hirndruckerscheinungen  beim.  (Z.)  .  .  .  531 

Impfungen  gegen.  (Z.)  .  .  .  306,  980,  1144 

—  mit  hämorrhagischer  Diathese.  (Z.)  .  .  .  775  j 

und  Schilddrüseneiterung.  Von  Dr.  Sclmd- 

mak  und  Dr.  Vlachos.  (O.) . 661 

—  Zur  Wasserbehandlung  des.  (V.)  ....  447 

U. 


Ulcus  cruris,  Transplantationen  bei.  (V.)  .  .  1180 

Ulnaris-  und  Medianuslähmungen,  Zur  Aetio- 

logie  der.  (Z.) . 119 

Unfällen,  Erkrankungen  des  Nervensystems 

nach.  Von  Dr.  Sachs  und  Dr.  Freund.  (R  )  347 

Unfall  und  Diabetes.  Von  Senator.  (R.)  .  .  348 

Unfallheilkunde,  Atlas  der.  Von  Golebiewski. 

(R.) . 347 

Unfallverletzung  des  Gehörorganes.  (V.)  .  .  1235  I 

Unfallversicherung,  Rentensätze  bei  obliga¬ 
torischer.  Von  Bähr.  (R ) . 348 

Unguentum  Crede.  (Th.) .  307  ^ 

Unsichtbaren  Strahlen  des  Inductionsfunkens, 

Wirkung  der.  (Z.) . 1205 

Unterkiefers,  Der  Bau  des.  Von  Loos.  (R.)  .  409  j 

Unterleibsbrüche  in  der  Unfallversicherung. 

Von  Kaufmann.  (K.) . 347 

Unterleibscontusionen,  Operation  bei.  (V.)  .  .  538 

Unterleibsoperationen, Nachbehandlungbei.  (V.)  654 

Unterricht  in  der  Geburtshilfe  und  Frauen¬ 
heilkunde,  Der.  Von  v.  Rosthorn.  (O.)  .  .  936  ; 

Unterschenkelamputation  und  tragfähige 

Stümpfe.  (V.) .  443  j 

Unterschenkelgeschwüre,  Zur  Behandlung  der. 

(Z.) .  330,  509,  652 

Urämie,  Aderlass  bei.  (Z.) . 557 


Ureiern,  Bildung  von.  (V.) . 659 

Ureterenchirurgie,  Zur.  (V.)  ....  380,  533 

Ureterfisteln  und  -Verletzungen.  Von  Büdinger. 

(O.) . 1139 

Urethra,  Keimgehalt  der  weiblichen.  Von  Dr. 

Schenk  und  Dr.  Austerlitz.  (O.)  .  .  319,  435 

—  Keimgehalt  der  weiblichen.  Erwiderung 

von  Dr.  Savor .  346,  435 

—  Resection  der.  (V.) . 699 

Urethralruptur,  Traumatische.  (V.)  ....  47 

Urin  der  Säuglinge,  Der.  (V.) . 382 

Urinreaction,  Eine  Krankheit  mit  neuer.  (Z.)  1207 

Urosinbehandlung,  Zur.  (V.) . 544 

Urotropins,  Der  Heilwerth  des.  (Th.)  .  .  .  651 

Uteri,  mit  Lostrennung  des  Corpus,  Elevatio. 

Von  Dr.  H.  Ludwig.  (O.) . 878 

Uterus,  Amputation  des  graviden.  (V.)  .  .  .  378 

septus,  Drei  Geburten  bei.  Von  Wagner. 

(R.) . 1043 

Uterusfibrome,  Zur  Exstirpation  der.  (Z.)  .  .  793 

Uterusfixation,  Dauerheilungen  nach.  (V.)  .  .  364 

Uterusgangrän.  (Z.) . 580 

Uteruskrebs,  Zur  Radicalopeiation  beim.  Von 

Prof.  Wertheim.  (O  )  1101,  (V.)  ....  1119 
Uterusruptur,  Complete.  (V.) . 613 

—  Eiu  Fall  von.  (V.) . 721 

Uterustuberculose.  (V.) . 612 

V. 

Vaginalsack  beim  Manne.  (Z.) . 118 

Validol.  (Th.) . 143 

Varicocele,  Zur  Radicaloperation  der.  Von 

Prof.  Narath.  (O.) . 73 

Variola,  Behandlung  des  Eiterungsstadiums 

der.  (Z.) . 581 

Venenpuls  und  Tricuspidalinsufficienz.  (V.)  .  864 

Ventilation  von  Eisenbahn  waggons.  Von  Hinter¬ 
berger.  (R.) . 373 

Ventilharnfänger  für  Säuglinge.  (V.)  .  .  .  637 

Verbandlehre.  Von  A.  Hoffa.  (R.)  ....  693 

Verdauungsstörungen  der  Kinder,  Behandlung 

der.  Von  Biedert.  (R.) . 259 

—  im  Säuglingsalter.  (V.) . 472 

Verhandlungen  der  Deutschen  pathologischen 

Gesellschaft.  Von  E.  Ponfick.  (R.)  .  .  .  884 

Verminderung  der  Widerstandsfähigkeit  des 

Körpers.  (V.) .  224,  248 

Verimpfbare  Tumoren  bei  Mäusen.  (V,).  .  .  1232 

Verruga  peruvienne.  Von  Odriozola.  (R.)  .  .  605 

Verwachsungen  im  Mittelohre,  Therapie  der. 

(V.) . 1237 

Versuchsanstalt  für  Ernährung.  Von  Biedert. 

(R.) . 650 

Verwirrtheit,  Zur  pathologischen  Anatomie  der 

acuten.  (Z.) . -  265 

Verwundetenpflege  auf  Schiffen.  (V.)  .  .  .  819 

Verwundungsfrage  im  Kriege,  Stand  der.  Von 

Dr.  Habart.  (O.) . 473 

Vesicorectalfistel,  Ein  Fall  von.  (V.)  ...  69 

Vierhügel,  Affengehirn  mit  zerstörtem.  (V.)  .  98 

Vision  im  Lichte  der  Culturgeschichte,  Die. 

Von  Knauer.  (R.) . 831 


Vogelgicht,  Ueber.  (Z.) . 

Volksheilstätten,  Zur  Frage  der.  Von  Weiker 

(R.)-  •  . . 

Volksnahrungsmittel,  Ueber.  Von  Frenzei.  (R.) 
Volvulus  coeci,  Angeborener.  (V.) 

coeci.  Von  Zoege  v.  Manteuffel.  (R.) 

—  und  Invagination,  Zur  Behandlung  von.  (V.) 

—  Darmausschaltung  beim.  (V.)  ... 

—  der  Flexur.  (V.) . 

Vorderhauptslagen.  (V.) . 


1028 

260 

1071 

1142 

243 

287 

536 

536 

363 


W. 


Wanderleber,  Ueber.  (Z.) . 833 

Wandermilz,  Exstirpation  einer.  Von  Doctor 

K.  Schwarz.  (O.) . 1224 

Wanderniere,  Zur  Fixation  der.  (V.)  ....  867 
Warzenfortsatzerkrankungen,  Ursachen  und 

Folgen  der.  Von  Hagedorn.  (R.) . 1113 

Wasserdampf  in  der  Chirurgie.  (Z.) . 833 

Wasserstoffsuperoxyd,  Wundbehandlung  mit. 

t  (Z.)  .....  817 

Widal’sche  Reaction  bei  Pneumonie.  (Z.)  .  .  1142 

Wiederbelebung  nach  Erstickung.  Von  Prus. 

(O.) .  451,  482 

Wirbelfracturen,  Zur  Statistik  der.  (V.)  .  .  .  802 
Wirbelkörper  bei  Rattenembryonen,  Ein  post- 

occipitaler.  (V.) .  .  .  610 

Wirbelsäule,  Verschmelzung  der.  (Z.)  ....  793 
Wundbehandlung,  Entzündung  erregende  Mittel 

bei.  (Z.) . 1027 

Wundheilung,  NeueMethoden  der.  VonSchleich. 

(R.) . 693 

Würzestoffe  auf  Arbeiter,  Einfluss  der.  (Z.)  1206 
Wurmfortsatzerkrankungen,  Zur  Pathologie 

der.  Von  Honigmann.  (R.) . 693 


Z. 


Zahnärzten  durch  das  k.  k.  Ministerium,  Cre- 

irung  von.  Von  Dr.  R.  Weiser.  (O.)  .  .  .  436 
Zahnheilkunde  von  Paireidt.  (R.)  718 

—  Cursus  der.  Von  Cohn . 718 

Zahn-  und  Mundpflege.  Von  Rose.  (R.)  .  .  .  627 

Zehenreflexe,  Ueber.  (Z.) . 1001 

Zickzacknaht,  Ueber  verborgene.  (V.)  ....  780 
Zonen  von  Head,  Die  hyperalgetischen,  Von 

Moll.  (R.) . 1114 

Zonula  ciliaris,  die.  (V.) . 512 

Zucker  als  Wehenmittel.  (Th.) . 980 

Zuckerausscheidung  und  Eiweissumsatz.  (V.)  920 

Zuckerkrankheit,  Wesen  und  Ursache  der.  Von 

Leo.  (R.) . 679 

—  in  Preussen,  Die.  (Z.)  1001 

Zungenbelag,  Ueber  den.  (Z.) . 913 

Zungenexstirpation,  Vollständige.  (Z.)  .  .  .  1207 

Zungen-,  Gaumen-,  Kehlkopflähmung.  (V.)  .  .  632 
Zungenoberfläche,  Exfoliation  der.  (V.)  .  •  .  285 

Zwerchfellhernie,  Zur  Diagnose  der.  (Z.)  .  .  .  1072 
Zwergwuchs  bei  Vitium  cordis.  (V.)  ....  700 

Zwillingen,  Irresein  bei.  (Z.) . 582 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Vereine. 
Berichte  über  Congresse  und  Naturforscherversammlungen. 


Seite 

Aachen,  72.  Versammlung  deutscher  Natur¬ 
forscher  und  Aerzte  889,  919,  945,  983, 

1004,  1030,  1075,  1099 

Balneologencongress  zu  Ragusa  und  Ilidze 

416,  447,  519,  534 

Berlin,  29.  Congress  der  deutschen  Gesellschaft 

für  Chirurgie  .  396,  415,  442,  471,  495,  535 

Greifswalder  medicinischer  Verein  46,  99,  173, 

268,  631,  1231 

Innsbruck, Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft 

46,  145,  172,  699,  1150 

München,  71.  Versammlung  deutscher  Natur¬ 
forscher  und  Aerzte.  22,  71,  99,  124,  174, 

202,  223,  248,  270,  286,  362,  380,  397, 

417,  567,  592,  615,  634,  653,  706. 


Seite 

Paris,  13.  Internationaler  medicinischer  Con¬ 
gress  741,  759,  779,  797,  819,  837,  863, 

889,  920,  949,  984,  1005,  1032,  1056, 

1182,  1099,  1217 

Prag,  Verein  deutscher  Aerzte  145,  171,  516, 

590,  609,  1123,  1148,  1180 
Steiermark,  Verein  der  Aerzte  in  311,  721,  1055. 
Strassburg,  Naturwissenschaftlieh-medicinischer 

Verein . 46,  515 

Wien,  Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  69,  97,  121,  169,  197, 

219,  245,  267,  283,  309,  333,  357,  418, 

441,  467,  489,  511,  533,  561,  587,  1003, 

1029,  1051,  1075,  1097,  1119,  1147,  1175,  1209 
Wien,  Dermatologische  Gesellschaft  21,  148, 

246,  285,  393,  514,  611,  741,  1232 


Seite 

Wien,  Geburtshilflich-gynäkologische  Gesell¬ 
schaft  6 13,  701 

—  Laryngologische  Gesellschaft  121,  200,  283, 

491,  589,  632,  1214 

Oesterreichisch-otologische  Gesellschaft  313, 

334,  361,  724,  1234 

—  Verein  der  k.  und  k.  Militärärzte  268,  377, 

724,  759 

—  Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  45, 

97,  222,  359,  563,  722,  1181 

—  Verein  österreichischer  Zahnärzte  223,  269,  378 

—  Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs 

45,  98,  512,  610,  631 

Wiesbaden,  18.  Congress  für  innere  Medicin 

414,  444,  472,  541,  566 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


XV 


Achard  863. 
Adamidi  800. 

Ageron  544. 

Albert  83,  93. 
Alberti  654. 
Alexander  442,  999. 
Alt  335,  1234. 
Amann  659. 

Ammon  362. 

Angerer  538. 
Anschütz  535. 

Anton  W.  1150. 
Arloing  890. 
Aufrecht  865. 
Austerlitz  319,  435. 


Bade  984. 

Baginsky  639,  951. 

Bähr  540. 

Bail  1181. 

Bardenheuer 
Barie  864. 

Barth  496,  535. 

Bartz  948. 

Basch  v.  512. 

Baumholtz  875. 

Baylac  840. 

Bazy  762. 

Beck  1114,  1219. 

Becker  983. 

Beclere  839. 

Baier  491. 

Bellota  866. 

Bendersky  765. 

Benedikt  333,  357. 

Benedikt  H.  469. 

Bergmann  v.  841. 

Bergmann  536. 

Bergmeister  309. 

Bernhardt  40. 

Bernheim  864. 

Bernheimer  98,  955. 

Bickel  544. 

Biedl  567. 

Biehl  131,  269,  281,  313, 
378. 

Biedert  615. 

Biondi  867. 

Birnbacher  1056. 

Biro  770. 

Bliesener  1076. 

Bloch  8H8,  800. 

Bloch  869. 

Blum  256. 

Blum  864. 

Boas  542,  799. 

Boeck  783. 

Boinet  838,  839. 

Bonomo  870. 

Bornstein  542. 

Botey  984. 

Bourget  766. 

Braitenberg  685. 
Braquehaye  779. 

Braun  537. 

Braun  873. 

Breitung  829. 

Breuer  378,  512,  641,  671. 
Brocq  922. 

Browicz  785. 

Brünings  659. 

Brunner  149. 

Buchner  742. 

Büdinger  94,  169,  242,  594, 
694,  1029,  1067,  1139. 

Bum  347,  489. 

Bunge  540. 

Burckhardt  657. 

Burot  820. 

Busse  46,  631. 


Autoren  -Y  erzeichniss. 

Die  fettgedruckten  Ziffern  bedeuten  Originalarbeiten. 


Calmette  894. 

Camerer  71,  99,  382. 
Campana  784,  797. 

Capart  952. 

Carlier  867. 

Ceccherelli  766. 
Champonniere  842. 

Chiari  171.  1180. 

Chiari  O.  241,  1056,  1216. 
Chibault  802. 

Clar  519. 

Codivilla  802. 

Cohnheim  765. 

Coltelli  535. 

Comby  616. 

Cominotti  881. 

Cramer  362. 

Csokor  1097. 

Crede  536. 

Cuneo  801. 

Czerny  396. 

Czyhlarz  2,  44,  861. 

Dantec  819. 

Darier  797. 

Delageniere  867. 

Destot  842. 

Dieulafoy  765. 

Dinkier  945. 

Döderlein  657,  1100. 
Dömeny  632. 

Dominicis  839. 

Dommer  202. 

Donath  37,  497. 

Dräsche  521. 

Drastich  269,  378. 

Dieser  889. 

Duller  447. 


Ebstein  589,  590,  1217. 
Ehrendorfer  46,  48,  315. 
Ehrlich  743. 

Ehrmann  247,  285,  1029. 
Einhorn  766. 

Eiseisberg  v.  287. 

Eisenberg  1105. 

Eisenmenger  249,  347. 
Eigart  852. 

Elschnig  44. 

Elzholz  42,  4ö,  337,  359, 
833. 

Emmerich  654. 

Engel  1123. 

Englich  534,  589,  1210. 
Erben  533,  1097. 

Erdheim  79,  502. 

Escherich  260,  614,  843, 

1184. 

Esguera  800. 

Epine  820. 

Eulenburg  919,  946. 

Ewald  742. 

Exner  61,  66,  534. 

Falb  632. 

Fauve  766. 

Favulla  765. 

Fede  952. 

Federn  98. 

Fein  491,  563. 

Fenger  762. 

Fenoglio  840. 

Fenyvessy  125. 

Finger  16,  383,  405,  428, 
1171. 

Finkeistein  568. 

I  Firket  894. 

I  Fischei  R.  518,  635. 

Fischei  W.  518. 

Flechsig  744. 


Fleischmann  703. 

Föderl  413. 

Fontan  819. 

Fornario  865. 

Fournier  985. 

Fraenkel  A.  I,  13,  163,  242, 
1072,  1085,  1139. 

Fraenkel  B.  1032. 

Frank  867,  948,  983. 
Frankl- Hochwart  723. 
Franque  657. 

Franz  660. 

Freudenberg  538. 

Freurrd  L.  16,  202,  588, 
1177,  774,  827. 
Friedländer  1166. 

Friedmann  569,  1133. 
Friedrich  537. 

Fritsch  694,  695. 

Fröhlich  723. 

Fuchs  A.  223. 

Fuchs  E.  998  . 

Fuchsig  790. 

Fürst  659. 

Fürster  865. 


Cralliard  800. 

Gärtner  470. 

Galatti  792. 

Gallois  766. 

Ganghofuer  417. 

Gelirke  1232. 

Gavala  767. 

Gendre  839. 

Gerard  867. 

Gersuny  593,  702. 

Gilbert  838. 

Giordano  800. 

Gleich  467. 

Glück  447. 

Gluzinski  1125. 

Gockel  946. 

Goepel  539. 

Gompeiz  1235,  1237. 

Grant  1005. 

Goris  954. 

Graser  288. 

Grassberger  66,  1072,  1175. 
Grawitz  99,  174,  268,  631, 
1232. 

Greeff  44. 

Gregor  370. 

Grimm  502. 

Gross  F.  1069. 

Grossmann  283. 

Grube  446. 

Gruber  313. 

Guerard  658,  659. 
Gumprecht  542. 
Gussenbauer  995. 

G  utten  b  erg  920. 


Haas  725. 

Habart  269,  473,  754. 
Hacker  v.  46,  145,  699, 
1152. 

Hagopoff  780. 

Hajek  491,  1032. 

Halban  545,  5i  4,  613,  705. 
Hallopeau  1217. 
Hammerschlag  46,  335,  336, 
361,  724,  1003. 

Hanke  281,  577. 

Hansy  232. 

Hanszel  160,  1141. 

Harmer  122,  846. 
Hartmann  963. 

Hecht  294. 

Hecker  637. 


Heindl  121. 

Heinr  566. 

Heitler  219. 

Helferich  654. 

Hemmater  799. 

Henning  1234. 

Henocque  781. 

Herff  v.  364,  706. 

Hering  1075. 

Hernandez  802. 

Herz  44,  164,  1178. 

Herzfeld  170,  267. 

Heubner  634,  950. 

Heymans  889. 

Hildebrand  446. 
Hinterstoisser  1036 
Hirsch  C.  172. 

Hirsch  443. 

Hirschl  J.  622. 
Hirschsprung  633. 

His  543,  945. 

Hitschmann  69,  579,  705, 
1045. 

Hitschmann  Fritz  1075. 
Hitzig  745. 

Hochenegg  4,  219,  291, 

319  415. 

Hochsinger  418,  1232. 
Hochstetter  700. 

Hock  524. 

Hockauf  142. 

Hödlmoser  644,  1007,  1228. 
Hoff  1041. 

Hoffmann  541,  1231. 

Hogge  763. 

Hofmeister  287. 

Hoisl  519. 

Holl  311. 

Holländer  541. 

Holländer  541. 

Holzknecht  225,  268,  573, 
648,  1177. 

Homa  1108. 

Horchhaus  945. 

Hübl  III,  705. 

Imhofer  1181. 

Infeld  1011. 

Isoo  409. 

Israel  471,  495. 

Jacobi  952. 

Jacobs  870. 

Jacobssohn  954. 

Jadasohn  921. 

Jellinek  1 186. 

Jendrassik  924. 

Jeney  377. 

Johanessen.  V.  951. 

Julies  490. 

Jonnesco  800,  801,  802, 
893. 

Joseph  H.  46. 

Joseph  J.  840. 

Juffinger  700. 

Jung  1231. 

Kaposi  247,  285,  395. 
Kapper  153,  725. 

Karamitas  838. 

Karplus  357. 

Kassowitz  1210. 

Katzenstein  1076. 

Keen  868. 

Kehr  537. 

Kelling  654,  655. 
Keschmann  747. 

Kienböck  166,  441,  1004, 
1053,  1153. 

Kirchmayr  1038. 


Kisch  416. 

Klein  S.  45,  121. 

Kluczenko  933. 

Knapp  1169,  1226. 
Knoepfelmacher  100,  306, 
651,  831  1188. 

Knorr  660. 

Köhler  447. 

Koch  J.  1231. 

Kohn  A.  609. 

Koenig  Fr.  443. 

Kokoris  751. 

Konzert  173. 

Koranyi  414. 

Kornfeld  358,  1147. 

Körte  442,  539. 

Koschier  374,  1214,  1215. 
Kötschau  364. 

Kowarski  552. 

Krafft-  Ebing  222,  759, 1181. 
Kraus  (Graz)  721. 

Kraus  380. 

Kraus  (Prag)  542. 

Krause  537,  802,  1182. 
Kraus  R.  49. 

Kreibich  21,  247,  285. 
Kreidl  650. 

Kretz  271,  530,  606,  1071, 

1137. 

Krokiewicz  727. 

Kronacher  656. 

Krönlein  397,  535. 

Kümmel  124,  248,  270,  286, 
496. 

Kum  359. 

Kuthy  447. 

Labadie  890. 

Landolt  46. 

Laudow  948. 

Lang  E.  21,  245,  247. 
Lange  398,  656. 

Laqueur  46. 

Lassar  923. 

Latzko  330,  511,  533. 
Lauenstein  287. 

Launois  864. 

Laveran  819. 

Le  Fort  801. 

Lejars  869. 

Leick  46. 

Leiner  1200. 

Lenne  567. 

Lennhoff  566. 

Lenoble  839. 

Lenzmann  946. 

Leo  592. 

Leube  741. 

Lewkowicz  206,  233- 
Lexer  540. 

Liebreich  889,  890. 
Lindenthal  1057. 

Lissau  1180. 

Litten  542. 

Löbel  520. 

Lode  172. 

Loeper  864. 

Longard  948. 

Longard  983. 

Loosdorfer  413. 

Lorenz  895,  924. 

Lorenz  W.  1019. 

Löwit  326,  472. 

Lotheissen  47,  203,  700, 
701. 

Lucke  83.  624. 

Ludwig  E.  617,  729- 
.  Ludwig  H.  117,  612,  695, 

878. 


WIENEU  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


XVI 


Luithlen  716. 

Luksch  404,  592. 

Lüthje  1231. 

Magnus-Levy  544. 

Mahler  1051,  1219. 

Mangold  443. 

Mannaberg  799, 

Marburg  667. 

Marcus  871. 

Marfant  953. 

Marini  840. 

Marro  760. 

Martin  380,  1076. 

Masius  837. 

Mathieu  799. 

Mattirolo  56. 

Matzenauer  22,  23,  174, 

202,  467,  534,4077, 1233. 
Mauclaire  866. 

Mayer  H.  1152. 

Maylard  870. 

Merklen  838. 

Mellin  382. 

Monz  427. 

Metnitz  718. 

Mettnier  765. 

Michaelis  566. 

Michaelis  566. 

Michailowski  801. 

Michanx  780,  800. 

Michel  780. 

Michele  56. 

Mignon  866. 

Mincroini  779.  • 

Minkowski  541. 

Moll  1006. 

Monakow  746. 

Monti  952. 

Morestin  867,  868,  801. 
Moriati  1031. 

Moritz  446, 

Moro  114. 

Moussous  949. 

Mracek  514. 

Müller  A.  363,  659. 

Müller  566. 

Müller  K.  590. 

Müller  W.  948. 

Münzer  591. 

Murphy  892. 

Mya  782. 

Nachod  517. 

Nanu  802,  870. 

Narath  73. 

Neisser  746. 

Netter  783,  800. 

Neumann  21,  22,  246,  285, 
105,  1147. 

Neurath  R.  563. 

Neusser  445. 

Neustadt!  516. 

Nicoletti  779. 

Niehus  983,  1031. 

Nitze  14. 

Nobl  21,  285. 

Noriega  867. 

Notthafft  224,  248. 


Obersteiner  439,  738,  1026. 
Oefele  599. 

Olshausen  537. 

Oppenheimer  381. 

Ortner  488,  627,  999. 

Pal  1030. 

Paltauf  197,  1190. 

Panzer  Th.  617,  729. 
Papilion  865. 

Passini  932. 

Pauli  66,  487.  607,  815. 
Payr  540,  707,  732. 

Peiper  46. 

Pel  444. 

Pendl  267,  498. 

Peraire  802. 

Peters  110. 

Petersen  536,  892,  1004, 
1031. 

Petfina  517. 

Pfaundler  M.  397,  803. 
Pichler  J.  89. 

Pick  744,  1236. 

Pick  A.  449,  823. 

Pick  E.  1148. 

Pick  Fr.  324,  517,  518, 
544,  838,  1148. 

Piering  590. 

Piffl  145. 

Pilcz  276,  361,  1181. 
Pincus  660. 

Poehl  542. 

Piskacek  116. 

Polak  E.  7i2. 

Politzer  312,  361,  1236. 
Poliak  J.  59,  327,  575, 
816,  1235. 

Ponfick  919. 

Porges  597. 

Posselt  700. 

Pousson  764. 

Prantner  281. 

Prausnitz  1055. 
Preindlsberger  520,  523- 
Prus  451,  482. 

Psaltoff  890. 

Pupovaö  344. 

Quadflieg  983. 

Quecrolo  542. 

Rabl  192. 

Racoviceanu  779. 

Raimann  31,  175,  723. 
Recklinghausen  v.  515. 
Redlich  E.  97,  117. 
lielin  415. 

Reichel  443. 

Reichelt  813. 

Reinbach  654. 

Reiner  286. 

Reisinger  537. 

Renon  839,  856. 

Rethi  490,  631. 

Reynes  8C0. 

Rieck  631. 

Riedinger  286,  287. 

Riehl  837. 


Rille  22,  23,  47,  147,  172, 
173,  637,  699,  1150. 
Risso  22. 

Ritter  1231. 

Ritter  v.  517. 

Rommel  638. 

Rosemann  46,  99. 

Rosenthal  268. 

Rosmanit  355. 

Rossi  1210. 

Rosthorn  722,  909,  936 
Roth  201. 

Rotlischuh  947. 

Roux  627,  891. 

Rubinstein  541. 

Rumno  865. 

Rumpf  920. 

Rybiczka  209. 


Salzmann  512. 

Santorph  763. 

Sarwey  290. 

Savor'  329,  346.  435f  704, 
1044. 

Schaffer  374. 

Schanz  541. 

Schatz  363,  658. 

Schauta  101,  704. 

Scheib  590,  1148. 

Scheidl  268. 

Schenk  517,  609. 

Schenk  F.  319,  435. 

Schiff  588,  829. 

Schiff  1029,  1210. 

Schiffka  II. 

Schiffers  822. 

Schlagenhaufer  885,  1093. 
Schlagintweit  202,  223. 
Schlesinger  H.  25,  98,  169, 
409,  511,  901. 

Schloffer  1150. 

Schlossmann  637. 

Sffimid  R.  393,  650,  1033. 
Schmidt  M.  1032. 

Schmidt  286. 

Schmiegelow  954. 

Schmit  613. 

Schmorl  638. 

Schnabel  469. 

Schnitzler  198,  489. 

Schopf  12. 

Schott  446. 

Schuchardt  416. 

Sclnicking  364,  657. 
Schudmak  661. 

Schuhmacher  S.  98. 

Schüller  526. 

Schultliess  655. 

Schnitze  1099. 

Schulz  656. 

Schulze  948. 

Schürmayer  i)46. 

Schuster  480. 

Schütz  E.  165. 

Schwartz  867,  890. 

Schwarz  E.  246,  1003. 
Schwatz  J.  447. 

Schwarz  K.  1224. 


Schwarz  L.  544,  591,  1180. 
Seegen  741. 

Segale  801. 

Seiffert  568. 

Sergent  864. 

Severano  780,  801. 

Seydel  289. 

Siebert  248. 

Simond  893. 

Singer  A.  281,  314,  335, 
556,  718,  1114. 

Sinnreich  187. 

Siredey  866. 

Smith  542,  947. 

Solger  99,  631. 

Soltmann  636. 

Sonnenberger  472,  639. 
Sorel  870. 

Soubbovitsch  800. 

Souligoux  891. 

Spee  656. 

Spiegelberg  568. 

Spiegler  E.  170,  562,  1094. 
Sprengel  536. 

Starke  5  44. 

Steinbüchel  706. 

Stein  L.  993,  1084. 

Steiner  F.  1109. 

Steiner  J.  269,  373,  1094. 
Steinthal  536,  654. 

Stern  1076,  1099. 

Sternberg  66,  118,  215,548, 
551,  706. 

Sternberg  M.  574. 

Stoerk  216,  774,  1112. 

Stolz  721. 

Stransky  360. 

Strasser  416. 

Strauss  566,  765. 

Strubell  542. 

Strübing  46. 

Stubenrauch  443. 

Tandler  121,  1052. 

Tausch  656. 

Ten  Cate  360. 

Theilhaber  380. 

Thenen  365. 

Theodor  636. 

Thiery  866,  890. 

Thimich  398. 

Tilmann  46. 

Tobeitz  1055. 

Toff  254,  692. 

Tonta  655. 

Töply  212. 

Török  v.  458. 

Triboulet  839. 

Triepel  268. 

Trnka  1148. 

Trumpp  634. 

Trunczek  779. 

Tuffier  779,  842. 

Türck  780. 

Türk  293,  327,  472. 

Uulenhut  173. 

Ul  1  mann  K.  887. 

Ullmann  534,  890. 


Unger  309. 

Unna  23,  923. 
Urbantschitsch  44 

Variot  953. 

Veit  363. 

Vercesco  893. 

Vierordt  541. 

Viertel  983. 

Vierthaler  223. 

Vidal  838. 

Villard  800,  839. 

Vincent  839. 

Vlaehos  661. 

Voisin  761. 

Vulpius  541,  055,  868, 

1031. 

Waelsch  1123. 

Wagner  v.  134,  419. 
Waldstein  701. 

Wassermann  566. 
Wendzilocwicz  447. 
Weinberger  183,  648. 
Weinlechner  69,  219,  283, 
489,  511,  561,  587, 1209. 
Weintraud  446,  946. 

Weiser  436. 

Weismayr  v.  263,  461,  462, 
1027. 

Weiss  A.  610. 

Weiss  S.  44,  1141. 

Weiss  H.  1209. 

Weiss  O.  v.  520. 
Wenckebach  445. 

Wertheim  381,  1191,  1 178. 
Wertheimber  592. 

Westphal  1231. 

Wesener  947. 

Wiek  535. 

Widal  840. 

Wiener  E.  646. 

Winterberg  873. 

Winternitz  470,  520. 
Winternitz  659. 
Wintersteiner  978. 

Wittek  721. 

Wohlgemuth  V.  541. 

Wülfler  93,  145. 

Wossidlo  224. 

Wunschheim  378,  681. 

Yersin  893. 

Zab<$  800. 

Zabludowski  V.  541. 
Zappert  565,  722,  1196. 
Zaufal  609. 

Zeisssl  v.  793. 

Zeynek  v.  942. 

Ziehen  760. 

Ziegenspeck  380. 

Ziem  925,  970. 

Ziembicki  868. 
Zimmermann  378. 
Zuckerkandl  E.  610. 
Zuckerkandl  O.  8. 
Znppinger  389. 


Alle  Rechte,  auch  das  der  Uebersetzung,  Vorbehalten. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  Ph.  Knoll,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing, 

I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  II.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  !)i*.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-- und  Universitäts-Buchhändler,  VIIL1,  Wickenburggasse  18 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  4.  Januar  1900.  JSr.  1. 


Abonnementspreis 
jährlich  2  i  K  —  *0  Mark. 
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tions-Aufträge  für  das  I11- 
nnd  Ausland  werden  von 
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nommen.  —  Abonnements, 
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neuert.  —  Inserate  werden 
mit  Gl)  h  =  5"  Pf.  pro 
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zeile  berechnet.  Grössere 
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Verlagsliaudlung  : 
Telephon  Nr.  601)4. 


Oie  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  je«o»  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
ist  art. 

Zuschriften  für  die  Redac- 
tion  sind  zu  richten  an 
Or.  Alexander  Fraenkel, 
IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


I  H>T  BZ  -A-  ZL  T: 


(AUe  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Zur  Jahrhundertwende.  Von  A.  F. 

2.  Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  N  0  t  h  nage  1).  Beitrag 
zur  Lehre  von  der  Abstammung  der  Harncylinder.  Von  Dr.  Ernst 
v.  Czyhlarz,  Assistenten  der  I.  medicinischen  Klinik. 

3.  Zur  klinischen  Bedeutung  der  Nierendystopie.  Ein  Fall  von  ope- 
rirter  Beckenniere.  Von  Prof.  Dr.  J.  Hochenegg. 

4.  Eiuige  seltenere  Concretionen  der  menschlichen  Harnwege.  Von 
Dr.  O.  Zuckerkandl. 

5.  Aus  Prof.  v.  Frisch’s  Abtheilung  für  Krankheiten  der  Harn¬ 
wege.  Ein  neues  Kystoskop  zum  Katheterismus  der  Ureteren.  Von 
Dr.  M.  Schlifka,  Assistenten  der  Abtheilung. 

11.  Feuilleton:  1.  Zum  Neubau  des  Wiener  k.  k.  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses.  Schaffung  einer  chirurgischen  Isolirabtheilung.  Von  Primar¬ 
arzt  Dr.  F.  Schopf. 

2.  Die  neue  Rigorosen-  und  Studienordnung  für  die  medicinischen 
Faceltäten  Oesterreichs.  Von  A.  F. 

III.  Referate:  Die  localen  Erkrankungen  der  Harnblase.  Von  Otto  Z  u  cker- 
kandl.  Ref.  Nitze.  —  I.  Tripper  und  Ehe.  Von  Dr.  med.  L.  Jullien. 


It.  Die  Th  0  m  p  so  u’sche  Zwei- Gläser- Harnprobe  und  ihre  diagnostische 
Verwertliung  Von  Dr.  Richard  Hofmeister  III.  Die  amt- 
liehen  Vorschriften  betreffend  die  Prostitution  in  Wien  in  ihrer 
administrativen,  sanitären  und  strafgerichtlichen  Anwendung.  Von 
Dr.  Josef  Schrank.  IV.  Die  Prostitution.  Von  Stroh  mb  erg. 
V.  Cure  prompte  et  radicale  de  la  Syphilis  —  Syphilis  et 
Mercure.  Par  le  Dr.  J.  F.  L  a  r  r  i  e  n.  VI.  Die  Akne  (Acne  vul¬ 
garis,  Acne  rosacea  etc.)  und  ihre  Behandlung.  Von  Dr.  Jessner. 
VII.  Pathologie  und  Therapie  der  Hautkrankheiten  in  Vorlesungen 
für  praktische  Aerzte  und  Studirende.  Von  Dr.  Moriz  Kaposi. 
\  III.  Handatlas  der  Hautkrankheiten  für  St  tdirende  und  Aerzte. 
Aon  Dr.  M.  Kaposi.  Ref.  Finger.  —  Zur  Geschichte  4  r 
Syphilis  in  China  und  Japan.  Von  Dr.  Tatsuhiko  Okamurn. 
Ref.  L.  Freund. 


IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Therapeutische  Notizen. 

IV.  Notizen. 

VII.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichto. 


Mit  4.  Januar  1900  begann  der  XIII.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

bonne  xrx  ent 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  directer  Zusendung  ganzjährig  K.  20, 
halbjährig  K.  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  lirauwüller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätshuchhändler 
Wien,  VIII/ 1 ,  Wickenburggasse  13. 


Zur  Jahrhundertwende. 

Eine  dankbare  Aufgabe  wird  Demjenigen  zufallen,  der 
berufen  sein  wird,  den  Antheil  der  medicinischen  Wissenschaft 
des  XIX.  Jahrhunderts  an  dem  allgemeinen  Culturfortschritt 
zu  schildern. 

Die  Aerzte,  zumal  jene,  deren  Wirken  in  die  zweite 
Hälfte  dieses  grossen  und  bewegten  Säculums  fällt,  können, 
an  der  Schwelle  des  XX.  Jahrhunderts  Rückschau  haltend,  dem 
Schicksal  danken,  das  ihnen  vergönnt  hat,  solche  Förderung 
des  Wissens  und  solchen  Zuwachs  des  Könnens  zu  erleben. 

7 


wie  ihn  die  wissenschaftliche  Thätigkeit  gerade  dieser  Zeit¬ 
läufte  zu  Tage  gefördert  hat. 

Alle  Culturarheit  läuft  auf  die  Beglückung  der  Mens  1  - 
heit  hinaus  und  der  Arzt  hat  den  Beruf,  hiezu  die  Grund¬ 
bedingungen  zu  schaffen. 

Die  Sociologen  und  mit  ihnen  die  Aerzte  als  Sociologen 
kämpfen  Schulter  an  Schulter  den  gemeinsamen  Kampf  gegen 
alles  unverschuldete  Elend,  das  die  Menschen  trifft. 

Die  Prophylaxe  dessen,  was  man  im  Allgemeinen 
als  Unglück  empfindet,  ist  trotz  aller  bis  tief  in  die 
Vorzeit  reichenden  Bestrebungen  über  ein  gährendes,  un¬ 
geklärtes  Werdestadium  noch  nicht  hinausgekommen.  Den 
allgemein  humanitären  Bemühungen  ist  das  grosse  Werk  noch 
bei  Weitem  nicht  gelungen,  weder  mit  noch  ohne  den  Rück¬ 
halt  der  Religionen.  Trotz  aller  Kämpfe  und  trotz  aller  socialen 
Revolutionen  ist  die  Formel  noch  nicht  gefunden,  durch  welche 
Hunger,  Noth  und  allerlei  moralisches  Elend  aus  der  Wel 
geschafft  werden  könnte. 

Die  Prophylaxe  aber  gegen  jenen  Theil  des  menschlichen 
Unglücks,  das  durch  Seuchen  über  Städte  und  Länder  ver¬ 
heerend  hereinbricht,  sie  ist  in  grossen  Zügen  gegeben,  und 
diese  Errungenschaft  bildet  als  eine  Frucht  rein  wissenschaft¬ 
licher  Arbeit  einen  der  grössten  Ruhmestitel,  der  aus  den 
culturellen  Ergebnissen  für  das  verflossene  Jahrhundei  t  in 
Anspruch  genommen  werden  kann. 

Thurmhoch  überragt  in  ihrer  menschenbeglückenden 
Wirkung  diese  Errungenschaft  alle  Fortschritte,  die  sonst  das 
Zeitalter  des  Dampfes  und  der  Elektricität  der  Menschheit  ge¬ 
bracht  hat. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


Der  durch  die  Impfung  gegebene  Blatternschutz,  die  heute 
wohl  über  jeden  Zweifel  stehende  Heilbarkeit  der  Diphtherie, 
die  durch  geläuterte  und  gefestigte  Erkenntnisse  gebotene 
Möglichkeit,  die  meisten  und  gerade  die  gefährlichsten  Infeetions- 
krankheiten  in  engen  Grenzen  zu  halten,  die  rasch  und  zu 
prächtiger  Entfaltung  gediehene  hygienische  Wissenschaft  mit 
ihren  der  Wohlfahrt  von  Stadt  und  Land  gewidmeten  technischen 
Einrichtungen,  die  Antiseptik  im  weitesten  Sinne  des  Wortes, 
welche  die  durch  die  Fährlichkeiten  des  täglichen  Lebens  beding¬ 
ten  Verwundungen,  wie  nicht  minder  jene  durch  Kriegswaffen 
erzeugten  —  woferne  sie  nicht  an  und  für  sich  töddich  sind  — 
in  der  weitaus  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  der  Heilung  zu¬ 
führen  lässt,  die  allgemeine  und  die  örtliche  Betäubung  gegen 
durch  nothwendige  operative  Eingriffe  hervorgerufenen  Schmerz, 
die  wunderbare,  zu  ungeahnter  technischer  Vollendung  ge¬ 
diehene  chirurgische  Kunst,  welche  bei  bis  vor  wenig  Jahr¬ 
zehnten  noch  völlig  unheilbaren  Leiden  noch  helfend,  lindernd 
und  oft  genug  auch  dauernd  heilend  eingreift  —  welche 
Summe  von  menschlichem  Elend  und  Unglück  ist  durch  all 
diesen  Zuwachs  an  ärztlichem  Können  von  vorneherein  ver¬ 
hindert,  völlig  gebannt  oder  zum  Mindesten  gemildert  worden! 

All  diese  Errungenschaften  blieben  erst  dem  XIX.  Jahr- 
hundert  Vorbehalten,  als  jener  Zeit,  in  der  die  Medicin  sich 
zur  Höhe  echt  naturwissenschaftlicher  Principien  der  For¬ 
schung  emporschwang  und  mit  Mysticismus,  althergebrachten 
aprioristischen  Ideen  und  Doctrinen,  mit  metaphysischen  Spe- 
culatiouen  in  gleicher  Weise  wie  mit  dem  rohen  Empirismus 
tabula  rasa  machte.  Beobachtung  und  Experiment 
wurden  die  unerschütterlichen  Säulen,  bestimmt,  den  mächtigen 
Bau  der  Medicin  des  XIX.  Jahrhunderts  sicher  zu  tragen. 

Die  culturelle  Höhe  der  Völker  und  Staaten  kann  nicht 
nur  an  den  Leistungen  einzelner  gottbegnadeter  Menschen 
gemessen  werden.  Das  eigentliche  Mass  für  die  Civilisation 
liegt  vielmehr  auch  darin,  inwieweit  die  wissenschaftlichen  Er¬ 
rungenschaften  sich  in  den  staatlichen  Einrichtungen  geltend 
machen  und  der  grossen  Masse  des  Volkes  zu  Gute  kommen. 

Und  da  dürfen  wir  uns  keiner  Täuschung  hingeben:  noch 
ist  die  Rückwirkung  all  unserer  grossen  Errungenschaften  für 
das  öffentliche  und  allgemeine  Wohl  und  für  die  allgemeine 
Beglückung  bei  Weitem  nicht  in  jenem  Masse  erfolgt,  wie  man 
es  erwarten  sollte.  Noch  ist  jenem  Stande,  der  mit  solchen 
Erfolgen  sich  ausw^eisen  kann,  auch  nicht  im  Entferntesten 
jener  Einfluss  im  öffentlichen  Leben  eingeräumt,  der  ihm  natur- 
gemäss  gebühren  würde.  Im  Leben  der  Staaten  und  Völker 
hat  die  Culturarbeit  der  medicinischen  Wissenschaft  noch 
keineswegs  jene  entscheidende  Bedeutung  gewonnen,  die  eine 
echte  und  erleuchtete  Humanität,  eine  auf  unanfechtbare  Basis 
gestellte  Sociologie  ihr  unbedingt  einräumen  müsste.  Die 
grossen  Massen  des  Volkes  stehen  den  Errungenschaften  der 
Medicin  noch  verständnislos  gegenüber  und  Diejenigen,  die 
an  der  Spitze  der  nach  den  verschiedensten  guten  und  ver¬ 
werflichen,  gesunden  und  ungesunden  Ideen  gruppirten  Volks¬ 
vereinigungen  stehen,  finden  kaum  je  ein  verständnisvolles, 
auf  klärendes  Wort,  durch  welches  sie  die  grossen  Massen  auf¬ 
klären  würden,  wie  viel  menschliches  Elend,  wie  viel  über¬ 
flüssiges  Unglück  noch  in  der  Welt  sich  lediglich  deswegen 
breit  macht,  weil  im  modernen  Staate  den  humanitären  Forde¬ 
rungen  der  ärztlichen  Wissenschaft  nicht  in  gebührendem 
Masse  Rechnung  getragen  wird. 

Und  die  Aerzte!  Gehen  sie  etwa  gehobenen  Hauptes  ins 
XX.  Jahrhundert,  mit  der  Genugthuung  in  der  Seele, 
einem  Berufe  anzugehören,  der  angesichts  solcher  Leistungen  ge¬ 
tragen  wird  von  der  Achtung  und  Dankbarkeit  Aller?  Wer  wüsste 
es  nicht,  dass  dem  nicht  so  ist!  Die  Wohlfahrt  der  Menschheit 
steht  zum  grossen  Theil  im  geraden  Verhältnisse  zu  jener  der 
Aerzte.  Je  allgemeiner  diese  unumstössliche  Wahrheit  in  das 
Bewusstsein  des  Volkes  dringen  wird,  je  mehr  Gewicht  im 
staatlichen  Areopag,  in  Verwaltung  und  Gesetzgebung  der 
Stimme  des  Arztes  beigemessen  werden  wird,  je  weiter  die 
Volksbildung  schreiten  wird  und  mit  ihr  die  Aufklärung  über  die 
einfachsten  Principien  der  Hygiene,  der  Prophylaxe,  je  mehr 
die  Führer  des  Volkes  sich  es  angelegen  sein  lassen  werden, 
das  Ansehen  der  Aerzte  zu  festigen  und  in  der  Durchführung 


der  ärztlichen  Forderungen  einen  der  wichtigsten  sociologischen 
Postulate  zu  sehen,  und  je  mehr  endlich  Staat  und  Gesellschaft 
sich  in  dem  Bestreben  vereinen  werden,  die  medicinische 
Wissenschaft  durch  generöse  materielle  und  weitestgehende 
moralische  Unterstützung  zu  fördern,  umso  mehr  wird  dazu 
beigetragen  werden,  die  Menschheit  zu  beglücken  und  jener 
Theil  der  socialen  Frage,  der  auf  der  Grundlage  der  all¬ 
gemeinen  körperlichen  Wohlfahrt  fusst,  wird  seiner  Lösung 
entgegensehen  können. 

Den  Aerzten  aber  bleibt  unter  allen  Umständen  das 
schöne  Bewusstsein,  im  XIX.  Jahrhundert  ein  bedeutendes 
Stück  unvergänglicher  Culturarbeit  geleistet  zu  haben.  Das 
Erreichte  wird  nur  der  Ansporn  und  der  Ausgangspunkt 
weiteren  Strebens  und  Schaffens  sein.  Die  Aerzte  gehen 
mit  der  Devise  eines  ihrer  Grössten,  Theodor  Billroth’s, 
auch  in’s  XX.  Jahrhundert,  die  da  lautet:  »Lernen  und 
helfen!«  A.  F. 


Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  Nothnagel). 

Beitrag  zur  Lehre  von  der  Abstammung  der 

Harncylinder. 

Von  Dr.  Ernst  v.  Czyhlarz,  Assistenten  der  I.  medicinischen  Klinik. 

Die  Entdeckung  der  Harn-,  beziehungsweise  Nieren- 
cylinder  wird  Henle  zugeschrieben,  obzwar  sie  unzweifelhaft 
schon  früher  gesehen  wurden,  jedoch  nicht  die  entsprechende 
Beachtung  gefunden  hatten.  Henle  hatte  jedoch  ihre  Bedeu¬ 
tung  richtig  erkannt  (1842). 

Er  befasste  sich  auch  bereits  mit  der  näheren  Unter¬ 
suchung  derselben.  Er  betrachtete  wohl  eigentlich  nur  die 
sogenannten  hyalinen  Cylinder.  Nur  diesen  brachten  auch 
die  späteren  Autoren  fast  ausschliesslich  Interesse  entgegen. 

Henle  fragte  sich  bereits,  woher  die  hyalinen  Cylinder 
stammen.  Auf  Grund  der  Quellbarkeit  in  Essigsäure  und  ihres 
vornehmlichen  Vorkommens  in  Fällen  von  entzündlicher 
Affection  der  Nieren  sprach  er  die  Ansicht  aus,  dass  sie  aus 
Faserstoff  bestünden  und  nannte  sie  Fibrincylinder  (später 
nannte  er  sie  allerdings  nur  faserstoff-  und  gallertartig). 

Trotzdem  C.  E.  L.  Mayer  schon  1853  die  Ansicht 
vertrat,  das  nur  ein  kleiner  Theil  dieser  Cylinder  die  damals 
gekannten  Fibrinreactionen  gebe,  blieb  doch  im  Allgemeinen 
die  ursprüngliche  Ansicht  H  e  n  1  e’s  in  Geltung. 

Alle  älteren  Autoren  acceptirten  sie  und  so  finden  wir 
sie  auch  in  allen  älteren  Lehr-  und  Handbüchern  vertreten, 
so  bei  K 1  e  b  s,  Rindfleisch,  Bartels,  C.  O.  Weber, 
E.  Wagner,  Cohn  heim,  Perls-Neelsen.  Rind¬ 
fleisch  z.  B.  spricht  direct  von  einer  croupösen  Nephritis 
mit  fibrinöser  Oberflächenabsonderung,  stellt  die  Nieren- 
cyliuder  in  eine  Parallele  mit  den  Abgüssen  enger  Bronchial¬ 
lumina,  den  sogenannten  »Fibringerinnseln«  bei  croupöser 
Pneumonie.  Nur  ganz  vereinzelt  begegnen  wir  weniger  kate¬ 
gorischen  Angaben,  wo  wenigstens  für  einen  Theil  der  hyalinen 
Cylinder  eine  andere  Aetiologie  als  möglich  betrachtet  wird 
(Perls-Neelse  n). 

Dieser  älteren  Ansicht  traten  zuerst  Oedmanson  und 
Axel  Key  entgegen  und  sprachen  die  Ansicht  aus,  dass  die 
hyalinen  Cylinder  zum  Theile  ein  Secretionsproduct  der  Nieren- 
epithelien  darstellen,  zum  Theile  aus  homogen  metamorpho- 
sirten  und  unter  einander  versintenden  Nierenepithelien  ent¬ 
stünden. 

Besonders  aber  Rovida  schloss  sich  energisch  der  An¬ 
nahme  an,  dass  die  Harncylinder  zum  grössten  Theile  nichts 
mit  Fibrin  zu  tliun  haben.  Echte  Fibrincylinder  will  er  nur 
dann  gefunden  haben,  wenn  Blutungen  stattfanden,  so  dass  im 
Urin  Blut  erscheint. 

Die  hyalinen  Cylinder  hätten  zwar  manche  Eigenschaften 
mit  Fibrin  gemeinsam  (Reaetionen  mit  Metallsalzen,  Alkohol, 
alkoholische  Jodlösungen,  Gerbsäure,  Essigsäure,  Millon's 
Reagens,  Löslichkeit  in  Harnstoff);  doch  spricht  ihr  verschie¬ 
denes  Verhalten  gegen  Wasser,  Chlornatrium,  Mineralsäuren 
durchaus  gegen  eine  solche  Identität. 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


3 


Mit  Entschiedenheit  machte  Bizzozero  die  Ansicht 
R  o  v  i  d  a’s  zu  der  seinen  und  meint  mit  diesem,  dass  die 
hyalinen  Cylinder  Secretionsproducte  der  Epithelien  seien, 
ebenso  wie  Mucin  von  Zellen  der  Schleimhäute  und  Drüsen 
producirt  würde. 

Diesen  schlossen  sich  auch  Oertel  und  Cornil  an. 

Diese  zuletzt  dargelegten  Anschauungen  wurden  aber 
wieder  vollständig  erschüttert  durch  die  Mittheilungen  von 
Weissgerber  und  Perls.  Diese  Autoren  gingen  die  Frage 
auf  experimentellem  Wege  an;  sie  engten  die  Nierenvene  ein 
und  fanden  nun  in  der  dazugehörigen  Niere  bei  mikroskopi¬ 
scher  Untersuchung  zahlreiche  hyaline  Cylinder.  Da  sie  an 
den  Epithelien  keine  Veränderungen  fanden,  kamen  sie  zu  dem 
Schlüsse,  dass  die  hyalinen  Cylinder  durch  Transsudation  aus 
dem  Blute  entstünden.  Den  Einwand,  dass  ja  Epithelien  in  Folge 
Stauung  ohne  besondere  morphotische  Veränderungen  eine 
stärkere  secretorische  Thätigkeit  entfalten  könnten,  machten  sie 
sich  nicht.  So  ward  die  alte  Ansicht,  die  ja,  wie  schon  erwähnt, 
von  der  grossen  Mehrzahl  der  Pathologen  nie  verlassen  wurde, 
wieder  zur  unbestritten  herrschenden,  besonders  da  noch 
mehrere  neue  Autoren  sie  immer  wieder  bestätigten  (R  i  b  b  e  r  t, 
Posner,  S  i  n  g  e  r,  V  e  r  h  o  o  g  e  n).  Besonders  wichtig  erscheint 
die  Angabe  Sehrwald’s,  dass  die  hyalinen  Cylinder  vorüber¬ 
gehend  im  Urin  verschwinden  können,  und  zwar  durch  Pepsin 
wieder  aufgelöst  werden,  welches  ja  als  Ferment  in  den  Urin 
übergehe.  Pepsin  löse  aber  andererseits  auch  Fibrin  auf. 

Nur  ganz  vereinzelt  steht  dem  gegenüber  die  Ansicht 
Schachowa’s,  der  auf  Grund  von  histologischen  Unter¬ 
suchungen  der  Nieren  von  mit  Kantharidenpulver  vergifteten 
Hunden  annimmt,  dass  die  hyalinen  Cylinder  durch  Degenera¬ 
tion  abgestossener  Nierenepithelien  entstehen.  Ebenso  schloss 
auch  Weigert  aus  den  Resultaten  der  unter  seiner  Leitung 
angestellten  Versuche  über  die  Wirkung  des  einfach  chrom- 
sauren  Kali  auf  Hunde,  dass  homogene  Cylinder  aus  abge¬ 
storbenem  Epithel  der  Harncanälchen  hervorgehen.  Nebenbei 
erwähnen  Laugh  ans  und  Rindfleisch,  dass  homogene 
Cylinder  auch  durch  Degeneration  der  rothen  und  weissen 
Blutkörperchenoylinder  entstehen  können. 

Knoll,  der  wieder  alle  diese  Fragen  aufnahm  und  mit 
grösserem  Material  untersuchte,  nimmt  eine  vermittelnde 
Stellung  ein.  indem  er  Sagt: 

»Ein  Rückblick  auf  die  geschilderten  Beobachtungen  an 
cylindrischen  Conglomeraten  des  Harnsedimentes  lehrt,  dass 
körnige  Harncylinder  (sogenannte  Detrituscylinder)  hervor¬ 
gehen  können  aus  körnigem  Zerfall  von  Nierenepithel,  von 
Leukocyten  und  farbigen  Blutkörperchen;  homogene  Harn¬ 
cylinder  aus  körnigem  Zerfall  von  Epithelien,  in  denen  homo¬ 
gene  Schollen  und  Kügelchen  sich  entwickelt  haben.  Das  Be¬ 
stehen  anderer  als  der  hier  angeführten  Bildungsarten  homo¬ 
gener  Harncylinder  erscheint  daher  durchaus  nicht  ausge¬ 
schlossen.  Die  Beobachtung,  dass  aus  den  Leukocyten  des 
Harnsedimentes  sehr  häufig  Plasmakugeln  hervorquellen,  die 
erfahrungsgemäss  oft  zu  grösseren,  leicht  formbaren  Körpern 
Zusammenflüssen,  macht  es  im  Gegentheil  wahrscheinlich,  dass 
auch  auf  dem  Wege  der  Zellsecretion  homogene  Harncylinder 
entstehen,  wie  auf  Grund  mikroskopischer  Untersuchung  der 
Nieren  behauptet  wurde.  Auch  kann  eine  unter  Einfluss  ab¬ 
sterbender  Zellen  erfolgende  Betheiligung  des  gerinnungsfähigen 
Nierensecretes  an  der  Bildung  homogener  Harncylinder  keines¬ 
wegs  geleugnet  werden.« 

Nach  der  Entdeckung  der  Fibrinfäi bung  AVeigert’s 
schien  ein  Mittel  gegeben,  die  Frage  der  Fibrincylinder  end- 
giltig  zu  lösen.  Weigert  selbst  streift  die  Frage  und  äussert 
sich  dahin,  dass  Harncylinder  bis  auf  gewisse  tropfenförmige 
bei  Anwendung  der  Fibrinfärbung  ungefärbt  blieben. 

Eingehend  beschäftigen  sich  damit  jetzt  O.  Israel  und 
Ernst.  Beide  kamen  zu  dem  Ergebniss,  dass  nach  den  mit 
der  Fibrinfärbung  erzielten  Resultaten  wenigstens  ein  grosser 
Theil  der  hyalinen  Cylinder  als  Fibrincylinder  angesehen 
werden  müsse. 

Lubarsch  wendet  sich  dagegen  und  sucht  zunächst 
zu  beweisen,  dass  die  Weigert’sche  Färbung  nicht  nur 
Fibrin  färbe,  andererseits  die  von  Israel  und  von  Ernst 


geschilderten  Cylinder  sich  auch  mit  der  Russel’sehen 
Fuchsinkörperfärbung  tingiren,  bei  Anwendung  welcher  die 
Fibrinfäden  bei  Pneumonie  ungefärbt  bleiben.  Umgekehrt  konnte 
er  eine  grosse  Reihe  von  Beobachtungen  constatiren,  welche 
das  Entstehen  aus  Zellprotoplasma  darthun. 

Inwieweit  nun  allerdings  bereits  bei  dem  Zerfall  der 
Zellen  eine  Umwandlung  des  Eiweisses  in  eine  fibrinähnliche 
Substanz  stattfindet,  das  will  Lubarsch  dahingestellt  sein 
lassen.  Jedenfalls  hätte  man  es  dann  eher  mit  secretorischem 
als  mit  exsudativem'  Fibrin  zu  thun. 

Demgegenüber  weist  wiederum  Ri  b  b  e  r  t  auf  Grund  der 
alten,  von  ihm  wiederholten  Versuche  mit  Abldemmung 
der  Nierenvene  darauf  hin,  dass  sich  Transsudatcylinder  nach 
temporärer  Abklemmung  leicht  erzeugen  lassen;  die  Gerinnung 
des  eiweisshältigen  Exsudates  erfolge  durch  Berührung  mit  der 
Harnflüssigkeit.  Dagegen  wendet  nun  Aufrecht  wohl  mit 
Recht  ein,  dass  sich  manchmal  hyaline  Cylinder  in  den  Nieren 
fänden,  ohne  Eiweiss  im  Urin,  ebenso  umgekehrt. 

Eine  ausführliche  Arbeit  B  ur  meist  er’ s  stützt  die  An¬ 
schauungen  von  Lubarsch. 

So  viel  über  die  hyalinen  Cylinder.  Von  den  anderen 
Harncylindern  ist,  wenn  man  davon  absieht,  was  — -  wie  aus 
dem  Vorhergehenden  ersichtlich  wird  - — -  so  nebenbei  erwähnt 
ist,  fast  nichts  angegeben.  In  Betreff  dieser  letzteren,  speciell 
der  granulirten  und  Epitheüalcylinder,  bin  ich  auf  Grund  histo¬ 
logischer  Untersuchungen  zu  folgenden  Ansichten  gekommen: 

AVas  die  granulirten  Cylinder  anlangt,  so  glaube  ich,  dass 
dieselben  hauptsächlich  aus  Detritusmassen  entstehen,  die  sich 
in  den  gewundenen  Harncanälchen  bei  parenchymatöser  und 
fettiger  Degeneration  reichlich  finden,  wobei  auch  ein  starker 
Zerfall  der  Epithelien  dieser  Canälchen  zu  bemerken  ist,  der 
sich  in  den  übrigen  Canälchen  viel  seltener  und  nur  bei  sehr 
hochgradiger  Degeneration  der  ganzen  Niere  findet.  Es  gilt 
diese  Entstehungsart  aber  sicher  nicht  für  alle  Fälle,  da  ja 
secundärer  Zerfall  abgestossener  Epithelzellen,  Leukocyten  etc. 
falls  vorher  cylinderartige  Anordnung  bestanden  hat,  auch  zur 
Bildung  granulirter  Cylinder  im  Harn  führen  kann,  wie  Knoll 
schon  hervorhebt. 

AVas  die  Bildung  von  Nierenepitheleylindern 
anlangt,  so  mögen  folgende  Beispiele  zur  Illustration  dienen. 

1.  Patient  M.  C.  Chronische  parenchymatöse  Nephritis. 

Im  Harnsediment  iinden  sich  neben  zahlreichen  hyalinen  und 
einigen  granulirten  Cylindern  zahlreiche  Nierenepitheleylinder,  daneben 
zahlreiche  isolirtc  Nierenepithelzellen. 

Die  Section  ergab  das  Vorhandensein  einer  chronischen  paren¬ 
chymatösen  Nephritis. 

Die  histologische  Untersuchung  ergab  neben  dem  typischen 
Befund  der  chronischen  vorwiegend  parenchymatösen  Nephritis,  dass 
die  Epitheldesquamation  ausschliesslich  die  Sammelröhrchen  betraf. 

2.  Patient  K.  F.  Acute  parenchymatöse  Nephritis  bei  Pneu¬ 
monie. 

Im  Sediment  zahlreiche  Epitheleylinder. 

Bei  der  histologischen  Untersuchung  fand  sich  Desquamation 
fast  ausnahmslos  in  den  Sannnelröhrchen. 

In  beiden  Fällen  fand  sich  also  die  Desquamation  der 
Epithelien  hauptsächlich  in  den  Sammelröhrchen. 

Solche  Fälle  hatte  ich  noch  mehrfach  Gelegenheit,  zu 
beobachten.  Ueberhaupt  konnte  ich  constatiren,  dass,  wenn  die 
Epitheldesquamation  nicht  ganz  allgemein  war,  immer  eine  vor¬ 
wiegende  Betheiligung  der  Sammelröhrchen  sich  beobachten 
liess.  Es  scheinen  eben  die  verschiedenen  Partien  der  Niere 
in  verschiedener  AVeise  zur  Desquamation  zu  neigen. 

Kann  man  doch  auch  sehen,  dass  bei  Katarrhen 
verschiedene  Schleimhäute,  die  einen  ähnlichen  Bau  aufweisen, 
sich  untereinander  verschieden  verhalten.  So  finden  wir  bei 
Bronchitis  vorwiegend  Leukocyten  im  Secrete,  bei  dem  Darm¬ 
katarrh  vorwiegend  Epithelzellen. 

Dass  die  im  Plarne  gefundenen  Nierenepithelzellen  aus 
den  oberen,  speciell  aus  den  gewundenen  Harncanälchen  kaum 
stammen  können,  dafür  spricht  schon  ein  Blick  auf  das  Vei- 
hältniss  der  Grösse  des  Lumens  der  Henle’schen  Schleifen 


4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Nr.  1 


und  der  Grösse  einer  Epitlielzelle  der  gewundenen  Canälchen, 
wonach  man  kaum  verstehen  kann,  dass  ein  Durchtritt 
der  letzteren  durch  die  ersteren  erfolgen  könne. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir,  meinem  hochverehrten 
Chef,  Hofrath  Nothnagel,  für  seine  Förderung  bestens  zu 
danken. 

Literatur. 

H  e  n  1  e,  Zeitschrift  für  rationelle  Medicin.  I. 

C.  E.  L.  M  a  y  e  r,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  V. 

liovida,  Untersuchungen  zur  Naturlehre  von  Moleschott. 
Band  X. 

Oedmanson  und  Key,  citirt  nach  R  o  v  i  d  a. 

Bizzozero,  Klinische  Mikroskopie. 

Weissgerber  und  Perl  s,  Archiv  für  experimentelle  Pathologie. 

Posner,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  LXXIX. 

Singer,  Zeitschrift  für  Heilkunde.  Bd.  VI. 

Verhoogen,  Journal  de  Bruxelles.  1889. 

S  e  h  r  w  a  1  d,  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1890. 

Ribbert,  Centralblatt  für  medicinische  Wissenschaften.  1881. 

Schach  owa,  Inaugural- Dissertation  1876,  citirt  nach  Knoll. 

W  e  i  g  e  r  t,  Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  1879. 

K  n  o  1  I,  Zeitschrift  für  Heilkunde.  1884. 

W  e  i  g  e  r  t,  Fortschritte.  Bd.  V. 

Israel  0  ,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXIII. 

Ernst  P.,  Ziegler’s  Beiträge.  Bd.  XII 

Ribbert,  Centralblatt  für  pathologische  Anatomie  und  experimen¬ 
telle  Pathologie.  1892. 

Derselbe,  Centralblatt  für  pathologische  Anatomie  und  experimentelle 
Pathologie.  1893. 

Lu  barsch,  Centralblatt  für  pathologische  Anatomie  und  experi¬ 
mentelle  Pathologie.  1893. 

Aufrecht,  Centralblatt  für  innere  Medicin.  1894. 

Burmeister,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXXVII. 


Zur  klinischen  Bedeutung  der  Nierendystopie. 

Ein  Fall  von  operirter  Beckenniere. *) 

Von  Prof.  Dr.  J.  Hoelienegg. 

Ein  ungemein  seltenes  Vorkommniss  veranlasste  mich  unlängst, 
eine  Frau  zu  operiren,  deren  Hauptklagen  in  hartnäckigster  Stuhl¬ 
trägheit  mit  allen  ihren  lästigen  Consequenzen  bestanden. 

Die  Patientin  konnte  trotz  Abführmittel  und  Irrigationen,  trotz 
Massage  und  allen  nur  erdenklichen  Behandlungsmethoden  nur  alle 
10  14  Tage  Stuhl  absetzen.  Nach  einer  Entleerung  fühlte  sie  sich 

dann  für  kurze  Zeit  wohler,  sehr  bald  aber  quälte  sie  von  Neuem 
der  aufgetriebene  Bauch  und  das  vorige  Stuhlbedürfniss. 

Mit  gesteigerter  Intensität  machten  sich  die  verschiedensten 
nervösen  Störungen  geltend,  die  ihr  selbst  und  ihrer  Umgebung  das 
Leben  verbitterten. 

Ich  erfuhr  weiters  von  der  schon  in  ihrem  äusseren  Gebahren 
den  Typus  einer  nervös  Verstimmten  zeigenden  52jährigen  Patientin, 
dass  sie  eigentlich  schon  als  Mädchen  an  Stuhlträgheit  gelitten  habe, 
nur  hatte  sie  damals  weniger  Beschwerden  davon  gehabt. 

Erst  in  ihrer  Ehe  verschlechterte  sich  ihr  Zustand,  namentlich 
unter  dem  Einüusse  der  Schwangerschaften  und  Geburten.  Patientin 
war  siebenmal  gravid;  viermal  trat  Abortus,  respective  Frühgeburt 
ein  (3 — 8  Monate)  und  nur  dreimal  wurde  die  Gravidität  vollendet. 
Auffallen  muss  es,  dass  alle  Geburten  ungemein  lange  dauerten  und 
jedes  Mal  in  Steisslage  erfolgten. 

Eine  Ursache  für  den  Eintritt  der  Frühgeburten,  respective 
des  Abortus  konnte  niemals  eruirt  werden. 

Nach  der  dritten  Entbindung  machte  Patientin  einen  schweren 
Puerperalprocess  durch,  von  dem  sie  sich  nur  sehr  allmälig  erholte. 
Die  letzte  Entbindung  war  vor  20  Jahren.  Seither  steigerte  sich 
ihre  Stuhlträgheit  in  qualvoller  Weise  und  es  stellten  sich  schwere 
nervöse  Störungen  ein,  die  für  hysterische  gehalten  wurden. 

Wie  es  bei  so  chronischen  Leiden  schon  zu  gehen  pflegt, 
Patient  und  Umgebung  gewöhnen  sich  an  dieselben,  und  wenn  nicht 
eine  neuerliche  Verschlimmerung  den  Anstoss  zur  Behandlung  ab¬ 
gibt,  lässt  man  den  Dingen  ihren  Lauf  und  frettet  sich,  so  gut  es 
eben  geht,  durchs  Leben.  So  ging  es  auch  bei  unserer  Patientin  durch 
eine  Reihe  von  Jahren.  Erst  im  Sommer  d.  J.  veranlasste  eine  be¬ 
deutende  Steigerung  der  nervösen  Symptome  (Patientin  war  von 
heftigem  Schwindel  geplagt,  sie  wurde  häufig  für  Stunden  sprachlos, 

’)  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
am  15.  December  1899. 


hatte  Verfolgungswahnideen  etc.),  dass  neuerdings  ärztlicher  Rath 
eingeholt  wurde. 

Bei  einer  vorgenommenen  gynäkologischen  Untersuchung  (Hof¬ 
rath  Ghrobak)  wurde  als  die  wahrscheinliche  Ursache  der  Stuhl- 
verhaltung  und  der  nervösen  Störungen  ein  ganseigrosser,  glatt- 
wandiger  Tumor  im  kleinen  Becken  constatirt.  Der  Tumor  imponirte 
als  ein  Myom  im  linken  Ligamentum  latum  und  es  war  bei  seiner 
Lage  vor-  und  seitwärts  vom  Rectum  verständlich,  dass  er  diesen 
Darmahschnitt  zu  comprimiren  und  so  das  causale  Moment  für  die 
Stuhlverhaltung  abzugeben  im  Stande  sei. 

Es  wurde  zur  Operation  gerathen.  Die  Patientin  konnte  sich 
aber  damals  nicht  zur  Operation  entschliessen,  weshalb  ihr  an- 
gerathen  wurde,  nochmals  während  des  Sommers  einen  Versuch 
mit  einer  Kaltwasserbehandlung  zu  machen.  Für  kurze  Zeit  trat 
nach  dieser  Cur  thatsächlich  Besserung  ein,  aber  schon  im  September 
wurde  wieder  über  die  alten  Beschwerden  geklagt.  Dazu  kam  noch, 
dass  Patientin  von  nun  an  keine  Abführmittel  mehr  vertrug,  sondern 
fast  regelmässig  nach  solchen  Uebelkeiten  und  Krämpfe  bekam, 
und  dass  bei  Irrigationen  Patientin  häufig  ohnmächtig  wurde  und 
dass  es  immer  schwerer  gelang,  ein  Rohr  bei  dem  Tumor  vorbei 
höher  in  den  Darm  hinaufzubringen,  um  so  zu  ermöglichen,  dass 
Flüssigkeit  einströme.  Eine  weitere  Veränderung  bestand  darin,  dass 
Patientin  jetzt  nur  mehr  in  horizontaler  Lage  Stuhl  abzusetzen 
im  Stande  war. 

Ueber  Anrathen  des  Hausarztes  wurde  ich  nun  beigezogen. 
Icli  constatirte  ebenfalls  den  Tumor  im  kleinen  Becken  und  schloss 
mich  der  Diagnose  »Myom«  an.  Da  icli  durch  den  Tumor  thatsächlich 
des  Rectum  nach  rechts  verdrängt  und  von  vorne  her  comprimirt 
fand,  rieth  auch  ich  zur  Operation,  leimte  aber  dieselbe  für  meine 
Person  ab,  da  ich  mir  die  Meinung  gebildet  hatte,  dass  der  Tumor 
vom  Genitale  ausgehe  und  leicht  per  vaginam  zu  exstirpiren  sein 
würde.  Ich  hielt  daher  den  Fall  für  einen  rein  gynäkologischen. 

Ich  erfuhr  nun  längere  Zeit  nichts  mehr  von  der  Patientin, 
bis  mich  Herr  Prof.  Schauta  wieder  zu  ihr  zum  Consilium 
berief.  Prof.  Schauta  hatte,  in  der  Annahme  dass  es  sich  um 
eine  im  Douglas  fixirte  Ovarialgeschwulst  handle,  Tags  zuvor  (24.  Sep¬ 
tember)  mittelst  hinterem  Vaginalschnitt  den  Douglas  eröffnet,  um 
auf  diesem  Wege  die  Exstirpation  der  Geschwulst  vorzunehmen. 
Dabei  fand  er  zu  seinem  Erstaunen  den  Douglas  leer,  die  Adnexe 
und  den  Uterus  vollkommen  normal  und  konnte  constatiren,  dass 
die  Geschwulst  ausser  Zusammenhang  mit  Uterus  oder  Ovarium 
retroperitoneal  der  vorderen  Fläche  des  Sacrum  auf  liege,  und  dass 
zwischen  ihr  und  dem  Sacrum  das  Rectum  eingezwängt  verlaufe. 
Da  die  Geschwulst  weder  vaginal  exstirpirbar  war,  und  gewiss  aucli 
für  den  abdominellen  Weg  grosse  Schwierigkeiten  zu  bieten  schien, 
schloss  Prof.  Schauta  die  Cöliotomiewunde  im  hinteren  Scheiden¬ 
gewölbe  und  überliess  mir  die  Patientin,  um  auf  sacralem  Wege 
die  Exstirpation  der  ganz  räthselhaften  Geschwulst  vorzunehmen. 

Am  26.  September  vollführte  ich  nun,  nach  nochmaliger 
Digitaluntersuchung  des  Rectums,  die  Exstirpation.  Auch  in  Narkose 
konnte  ich  constatiren,  dass  die  Geschwulst  sicher  nicht  vom  Rectum 
ausgehe,  sondern  diesem  nur  ungemein  innig  anliege  und  dasselbe 
in  schon  geschilderter  Weise  verdränge  und  comprimire. 

Da  die  Geschwulst  geradeso  wie  ein  massig  hoch  gelagertes 
Rectumcarcinom  in  der  Concavität  des  Kreuzbeines  lag,  und  der 
obere  Pol  des  gänseeigrossen  und  eiförmigen  Tumors  ungefähr  in 
der  Höhe  des  Promontoriums  abgrenzbar  war,  da  mir  ferner  der 
topographische  Befund  des  Herrn  Prof.  Schauta  besagte,  dass 
die  Geschwulst  retroperitoneal  liege,  fand  icli  es  auch  am  zweck- 
mässigsten,  die  Exstirpation  auf  sacralem  Wege  anzugehen. 

in  gewohnter  Weise  und  üblicher  linken  Seitenlage  der  Patientin 
vollführte  ich  die  Voroperalion  gerade  so,  wie  ich  dies  bei  meinen 
Rectumexstirpalionen  zu  thun  pflege,  d.  h.  mit  etwas  bogenförmigem 
Schnitt  legte  ich  die  untere  Partie  des  Kreuzsteissbeines  frei,  enucleirte 
zuerst  das  Steissbein  und  entfernte  mittelst  Knochenzange  die  zwei 
unteren  Kreuzbeinwirbei.  Darauf  isolirte  ich  nach  Spaltung  des  Zell¬ 
gewebes  das  Rectum  an  der  linken  Seite  leicht  von  dem  bereits 
deutlich  fühlbaren  Tumor  und  liess  jenes  durch  stumpfe  Haken 
während  der  übrigen  Operation  nach  rechts,  also  bei  linker  Seitenlage 
nach  oben  zu  halten. 

Nun  präsentirte  sich  der  untere  Pol  des  Tumors  in  lockeres 
Fettgewebe  eingebettet.  Dieses  wird  gespalten,  worauf  der  untere  Pol 
der  Geschwulst  auch  sichtbar  wird.  Jetzt  erkennen  wir  allerdings 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1600. 


5 


den  Charakter  der  Geschwulst  und  von  welchem  Organ  sie 
dargestellt  wird.  Um  mich  aber  doch  genauer  zu  orientiren,  isolire 
ich  vorerst  weiter,  wobei  eine  grössere,  von  oben  gegen  den 
Tumor  ziehende  Arterie  knapp  am  Tumor  einreisst.  Ich  konnte  die¬ 
selbe  zwar  sofort  fassen  und  ligiren,  muss  aber  doch  dieses  Um¬ 
standes  Erwähnung  thun,  weil  er  mithestimmend  war,  die  Exstirpation 
zu  Ende  zu  führen.  Zu  unserer  grossen  Ueberraschung  hatten  wir 
nämlich  erkannt,  dass  wir  eine  in  der  Kreuzbeinaushöhlung  gelagerte 
Niere  vor  uns  hatten.  Dieselbe  erwies  sich  bei  der  nun  möglichen 
genauen  Abtastung  als  nicht  vergrössert.  Dieser  Umstand,  sowie  die 
erwähnte  Durchtrennung  der  grösseren  Arterie  liess  es  doch  als 
zweckmässig  erscheinen,  die  Niere  zu  exstirpiren,  was  auch  nach 
Ligatur  und  Durchtrennung  der  an  der  vorderen  Fläche  gelegenen 
Hilusgefässe  ungemein  leicht  gelang. 

Nach  gemachter  Exstirpation  wird  das  Nierenbett  mit  Jodo¬ 
formgazestreifen  drainirt,  das  Rectum  in  seine  Position  gebracht  und 
die  äussere  Wunde  partiell  durch  Naht  vereinigt. 

Der  Verlauf  war  ein  fast  fieberfreier  (nur  einmal  am  zweiten 
Tage  wurde  eine  Abendtemperatur  von  38'2°  verzeichnet),  aber  dessen¬ 
ungeachtet  kein  ungetrübter. 

Schon  am  vierten  Tage  nach  der  Operation  setzten  schwere 
psychische  Erregungszustände  ein,  die  zeitweise  in  wahre  Tobsuchts¬ 
anfälle  ausarteten. 


Fig.  1.  Die  exstirpirte  Niere  in  natürlicher  Grösse. 


mehr  zu  sehen.  Auch  wollte  ich  nicht  die  kaum  von  ihren  ner¬ 
vösen  Aufregungszuständen  geheilte  Dame  der  Aufregung 
einer  Demonstration  aussetzen. 

Die  exstirpirte  Niere,  die  ich  Ihnen  herumzeige,  ist  auf 
den  ersten  Blick  als  eine  congenital  verlagerte  Niere  zu  er¬ 
kennen  (vide  Fig.  1). 

Ich  werde  noch  später  auszuführen  haben,  dass  sich  die 
congenital  verlagerten  Nieren  immer  durch  wesentliche  Ab¬ 
weichungen  in  ihrer  Form  auszeichnen.  Das  gewahrt  man  auch 
hier  an  dieser  Niere:  Sie  ist  plump,  kuchenförmig,  dabei  an 
der  oberen  Hälfte  embryonal  gelappt.  Die  Form  des  Organs 
ist  fast  dreieckig.  Die  Länge  beträgt  8  cm,  die  Breite  7  cm,  der 
Dickedurchmesser  3  cm. 


Ti g.  2. 


(Nach  einem  Präparate  aus  dem  anatomischen  Institute  des  Herrn 
Ilofrathes  Zuckerkand  1.) 


Da  die  Harnentleerung  in  Bezug  auf  Quantität  und  Qualität 
niemals  Abnormitäten  zeigte,  also  an  urämischen  Erscheinungen 
nicht  zu  denken  war  (wrir  hatten  nur  am  ersten  Tage  nach  der 
Operation  750  cm3,  sonst  immer  über  1560  cm3  Harn),  bezog  ich 
diese  psychischen  Störungen  zunächst  auf  Jodoformwirkung,  weshalb 
die  Jodoformgaze  vom  sechsten  Tage  an  vollkommen  weggelassen 
wurde.  Allein  dessenungeachtet  hielten  die  geschilderten  Symptome 
durch  14  Tage  an  und  hörten  erst  auf,  bis  die  Stuhlentleerung 
vollständig  geregelt  war. 

Es  entleerten  sich  anfangs  nur  auf  Irrigationen  und  unter 
manueller  Nachhilfe  ganz  kolossale  Mengen  zum  Theil  sehr  alter 
Kothmassen;  nachdem  aber  die  alten  Rückstände  einmal  entfernt 
waren,  konnte  Patientin  sehr  bald  spontan  Stuhl  entleeren. 

Die  Besserung  in  der  Stuhlentleerung  ist  anhaltend,  Patientin 
benützt  seither  nur  hie  und  da  etwa  Cascara,  hat  aber  meistens 
spontan  ausgiebige  Stuhlentleerungen.  Auch  die  nervösen  Erscheinungen 
sind  fast  vollkommen  zurückgegangen.  Patientin  ist  heiter  und  wieder 
lebensfroh,  so  dass  ein  eclatanter  Operationseffect  zu  verzeichnen 
ist,  mit  dem  sich  die  Patientin  und  ihre  Familie  vollkommen  zu¬ 
frieden  gibt. 

Sie  werden  verzeihen,  wenn  ich  Ihnen  die  geheilte 
Patientin  nicht  vorführe  und  mich  auf  die  Demonstration  des 
Präparates  beschränke. 

Es  ist  an  der  Patientin  ausser  einer  kleinen  granulireuden 
Wunde  in  der  Mitte  des  sacralen  Schnittes  nichts  Interessantes 


An  der  planen  vorderen  Fläche  lag  in  der  Mitte  der 
Hilus,  die  hintere  Fläche  ist  convex  und  fügte  sich  vollkommen 
der  Kreuzbeinaushöhlung  an,  der  mehr  gerade  Rand  sah  nach 
rechts  und  lag  dem  Rectum  au,  der  convexe  Rand  war  nach 
links  gegen  die  seitliche  Beckenwand  gerichtet. 

Im  Ganzen  ist  die  Niere  kleiner  als  eine  normale,  was 
ich  besonders  hervorheben  will,  da  ich  aus  diesem  Umstande 
auf  das  Vorhandensein  einer  zweiten  Niere  rechnen  durfte 
und  ich  mich  so  zur  Exstirpation  für  berechtigt  hielt. 

Meine  Herren!  Es  handelte  sich  also  bei  unserer  Patientin 
um  eine  in  der  Kreuzbeinhöhlung  gelagerte,  also  auffallend 
tief  situirte,  abnorm  geformte,  sonst  normale  Niere  (vide  Fig.  2), 
welche  das  Rectum  verdrängte  und  comprimirte  und  so  das 
ganze  Krankheitsbild,  vor  Allem  also  die  Stuhlbeschwerden 
veranlasste. 

Der  in  der  Anamnese  betonte  Umstand,  dass  Patientin 
von  Jugend  her  an  Stuhlträgheit  litt,  wird  uns  plausibel,  es 
wird  uns  weiter  verständlich,  wie  es  im  weiteren  Leben  zu  so 
bedeutender  Steigerung  der  Beschwerden  kommen  konnte: 
durch  Schwangerschaften  und  Geburten  wurden  die  Bauch¬ 
decken  erschlafft,  mit  der  Zeit  wurde  aber  auch  die  Actions¬ 
fähigkeit  der  Därme  schwächer,  der  Bauch  wurde  mit  Gasen 
erfüllt  und  die  Därme  gegen  das  kleine  Becken  gedrängt,  was 
für  die  Stuhlentleerung  ein  weiteres  schädigendes  Moment  ab¬ 
gegeben  haben  mag. 


6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  ISOO 


Nr.  1 


Wie  weit  der  Einfluss  ging,  den  die  Niere  auf  den 
bei  unserer  Patientin  regelmässig  beobachteten  abnormen  Ge- 
burtsverlauf  nahm,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  ich  kann 
mir  aber  ganz  gut  vorstellen,  dass  die  durch  die  Niere  gesetzte 
Raumbeengung  am  Beckeneingang  verhinderte,  dass  sich  der 
Schädel  der  Frucht  bei  der  Geburt  normal  einstellte. 

Auch  die  nervösen  Störungen,  die  bei  unserem  Falle  so 
qualvoll  waren,  Anden  unschwer  ihre  Erklärung.  Es  ist  ganz 
begreiflich,  wie  von  der  dystopen  Niere,  die  noch  obendrein  durch 
die  übervollen  Därme  in  die  Kreuzbeinhöhlung  eingepresst  wird, 
die  vielleicht  eben  wegen  dieses  Druckes  zeitweise  nicht  mehr 
normal  zu  functioniren  im  Stande  war,  vielleicht  sogar  auf  dem 
Wege  des  Reflexes  auch  die  Function  der  anderen  Niere  für  Zeiten 
alterirte,  gerade  so  gut,  wenn  nicht  leichter  nervöse,  schwerer 
Hysterie  gleichende  Symptome  ausgelöst  wurden,  wie  etwa 
von  einem  an  gleicher  Stelle  liegenden  gleich  grossen  Myom, 
dessen  Einfluss  auf  die  Auslösung  solcher  nervöser  Beschwerden 
ja  über  allen  Zweifel  erhaben  ist. 

Mein  Fall  gab  mir  Veranlassung,  mich  über  das  Thema  der 
congenitalen  Nierenverlagerung  näher  zu  orientiren  und  da  fand 
ich  nun  eine  Reihe  von  Fällen,  die  beweisen,  dass,  wenn  auch 
selten,  so  doch  manches  Mal  dieser  Abnormität  praktische  Be¬ 
deutung  zukommt;  ja  ich  konnte  in  der  Literatur  noch  acht 
weitere  Fälle  auffinden,  bei  denen  durch  Beschwerden  und 
Erkrankungen,  die  von  dem  verlagerten  Organ  ausgingen  oder 
doch  wenigstens  auf  dieses  bezogen  wurden,  Operationen  nöthig 
wurden.  Weiters  existirt  eine  Reihe  von  Mittheilungen  über  be¬ 
deutende  Störungen  bei  der  Geburt,  die  auf  solche  Ver¬ 
lagerungen  zu  beziehen  waren. 

Es  erscheint  mir  daher  nicht  überflüssig,  vorerst  in  kurzen 
Umrissen  auf  die  Anatomie  dieser  Abnormität  einzugehen  und 
dann  im  Anschlüsse  die  klinische  Seite  zu  besprechen. 2) 

Ich  glaube,  es  ist  zweckmässig,  vor  Allem  zu  betonen, 
dass  unsere  Fälle  natürlich  nichts  mit  der  sogenannten  Wander¬ 
niere  zu  thun  haben. 

Bei  unseren  Fällen  handelte  es  sich  um  eine  auf  Ent¬ 
wicklungshemmung  oder  Abweichung  beruhende,  also  con¬ 
genitale  abnorme  Lagerung  der  Niere. 

Bei  Wanderniere  hingegen  um  eine  Orts  Veränderung  der 
Niere,  welche  im  Extrauterinleben  sich  allmälig  entwickelt,  aus 
Ursachen,  deren  Aufzählung  mich  zu  weit  vom  Thema  abfiihren 
würde. 

Der  congenitale  auf  Entwicklungsstörung  beruhende 
Charakter  unserer  Fälle  ist  leicht  zu  erweisen;  die  Niere  ist 
immer  in  ihrer  Form  wesentlich  verändert,  sie  zeigt  meist  die 
embryonale  Lappung,  sie  ist  kuchenförmig  und  hat  ihren  Hilus 
gewöhnlich  direct  nach  vorne  gerichtet. 

Die  Gefässe  sind  meist  vermehrt,  man  zählte  zwei  bis 
fünf  Nierenarterien  und  diesen  entsprechende  Venen,  dabei 
entspringen  die  Arterien  entweder  aus  der  Sacralis  media,  aus 
der  lliaca  oder  Hypogastrica,  manches  Mal  sogar  aus  diesen 
Arterien  beider  Seiten  oder  aus  dem  untersten  Antheile  der 
Aorta.  Entsprechend  dem  kurzen  Wege,  den  der  Urether  von 
der  tiefgelagerten  Niere  bis  zur  Blase  zurückzulegen  hat,  ist 
er  constant  kürzer,  und  meist  weiter  als  normal.  Die  Ein¬ 
mündung  in  die  Blase  findet  an  normaler  Stelle  statt. 

Man  spricht  in  unseren  Fällen  von  einer  Nierendystopie 
eben  im  Gegensätze  zur  Wanderniere,  die  ich  als  hier  nicht 
in  Betracht  kommend  auch  nicht  weiter  berücksichtigen  werde. 

Zum  Verständniss  der  Entstehung  der  verschiedenen 
Arten  und  Grade  von  Nierendystopie  muss  daran  erinnert 

’)  lieber  congenitale  Nierenverlagerung  wurde  übrigens  in  unseren 
Sitzungen  schon  einmal  ein  erschöpfender  Vortrag  gehalten. 

ln  der  Sitzung  vom  15.  Januar  1886  demonstrate  Prof.  Kundrat 
an  der  Hand  von  Präparaten  und  Zeichnungen  die  verschiedenen  Arten  der 
Nierenverlageiung,  und  wer  sich  noch  genauer  über  dieses  Thema  orientiren 
will,  dem  ist  die  monographische  Darstellung  von  S  t  r  u  b  e  in  Virchow’s 
Archiv  empfohlen,  der  alle  bis  1894  erschienenen  Befunde  sammelte  und 
kritisch  beleuchtete. 

Dass  auch  ich  heute  mit  Präparaten  und  Originalzeiehnungen  das 
zu  Sagende  zu  illustriren  vermag,  verdanke  ich  der  Güte  der  Herren  Hof¬ 
rath  Zucker  kandl  und  Weichselbaum,  die  mir  die  Präparate 
ihrer  Sammlung  freundlichst  überliessen,  und  Herrn  Prof.  P  a  1 1  a  u  f,  der 
mir  die  von  Hofrath  Kundrat  hinterlassenen  Originalskizzen  zur  Ver¬ 
fügung  stellte. 


werden,  dass  in  früher  Fötalzeit  die  Anlage  der  Niere  knapp 
unter  der  Theilungsstelle  der  Aorta,  also  in  der  Nähe  des  Pro¬ 
montoriums  gelegen  ist,  und  dass  die  Niere  im  Verlaufe  ihrer 
normalen  Entwicklung  von  hier  unten  eine  Verschiebung  nach 
aufwärts  erleidet,  bis  sie,  oben  an  normaler  Stelle  angelangt, 
der  Nebenniere  innig  angelagert,  Halt  macht. 

Bleibt  die  Aufwärtswanderung  der  Niere  aus  oder  rindet 
sie  nicht  in  vollem  Masse  oder  in  falscher  Richtung  hin  statt, 
so  haben  wir  die  Bedingungen  für  das  Entstehen  der  Nieren¬ 
dystopie  in  ihren  verschiedenen  Graden  und  Arten  gegeben. 
Die  Fixation  dieser  abnorm  gelagerten  Niere  kommt  dann 
dadurch  zu  Stande,  dass  Gefässe  von  den  nächstliegcnden  Ar¬ 
terien  in  die  Niere  ein  wachsen  und  dadurch  die  Lagerung  zu 
einer  bleibenden  gestalten. 

Diese  Thatsachen  sich  immer  vor  Augen  haltend  ist  das 
Verständniss  dieser  Abnormitäten  ein  ungemein  einfaches  und 
es  werden  uns  so  auch  jene  complicirteren  Formen  der  Nieren¬ 
dystopie,  wie  sie  z.  B.  die  gekreuzte  Dystopie  darstellt,  voll¬ 
kommen  plausibel. 

Um  Ihnen  möglichst  rasch  die  verschiedenen  Formen  vor 
Augen  zu  führen,  bitte  ich  Sie,  einen  Blick  auf  dieses  Schema, 
das  ich  nach  der  schon  eitirten  Monographie  Strube’s  ent¬ 
warf,  zu  richten.  Es  sind  in  demselben  alle  durch  die  zahl¬ 
reichen  Befunde  der  Anatomen  erbrachten  Arten  von  Dystopien 
berücksichtigt. 


Formen  der  N  i  e  r  e  n  -  D  y  s  t  o  p  i  e. 


|  entsprechend  dem  unteren 
Lendenwirbel. 


nach  abwärts 


einseitige 

Verlagerung 


nach  der  anderen 
Seite  (gekreuzte 
Dystopie) 


entsprechend  der  Symphysis 
sacro  -  iliaca  im  kleinen 
Becken. 

mit  Verwachsung. 

ohne  Verwachsung. 


doppelseitige 

Verlagerung 


ohne  Verwach¬ 
sung 


mit  Verwachsung 


Hufeisennierc. 

Kuchenniere. 


Von  allen  diesen  Formen  möchte  ich  als  uns  heute  vor 
allem  interessirend  jene  hervorheben,  bei  welcher  die  Niere  am 
Becken  entweder  in  der  Nähe  der  Symphysis  sacro-iliaca  oder 
noch  tiefer  in  der  Kreuzheinhöhlung  angetroffen  wird,  welchen 
Zustand  man  kurz  als  Beckenniere  bezeichnen  kann.  Mein 
Fall  zählt  hieher  und  Fälle  dieser  Art  gaben  schon  zu  wieder¬ 
holten  Malen  dem  Praktiker,  Chirurgen  wie  Frauenarzt  zu 
schaffen. 

Die  Niere  liegt  also  bei  dieser  Form  retroperitoneal  ent¬ 
sprechend  dem  Winkel  zwischen  Kreuz-  und  Darmbein,  oder 
aber,  wie  schon  gesagt,  in  der  Kreuzbeinaushöhlung.  Betrifft 
die  Dystopie  die  rechte  Niere,  so  kommt  zunächst  keine  Ver¬ 
drängung  irgend  eines  Organes  zu  Stande,  hingegen  alterirt, 
wie  die  genauen  Befunde  namentlich  W.  Gruber’s  beweisen, 
linksseitige  Dystopsie  sehr  wesentlich  das  obere  Stück  des 
Rectums  und  der  Flexur. 

Wie  nun  die  statistischen  Aufzeichnungen  beweisen,  ist 
häufiger  die  linke  als  die  rechte  Niere  (80%  linksseitige  gegen 
20%  rechtsseitige  Dislocationen)  die  verlagerte.  Kundra  t’s 
Beobachtungen  stehen  allerdings  mit  diesem  von  den  meisten 
Anatomen  acceptirten  Erfahrungssatz  im  Widerspruche,  in¬ 
dem  er  häufiger  die  rechte  Niere  verlagert  fand.  Merk¬ 
würdiger  Weise  zeigen  die  mir  zur  Durchsicht  überlassenen 
Präparate  aus  den  Wiener  Instituten,  mit  Ausnahme  von 
einem,  thatsächlich  die  rechte  Niere  als  dystopirt  und  betreffen 
auch  die  Skizzen  Kundra  t’s  aus  dem  Grazer  Museum  viel 
mehr  rechte  als  linksseitige  Dystopien. 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


7 


Diese  Abnormität  findet  sieh  viel  häufiger  bei  Männern 
als  bei  Frauen,  hat  aber,  wie  wir  unten  sehen  werden,  bei 
Frauen  entschieden  grössere  praktische  Bedeutung.  In  nicht 
so  seltenen  Fällen  sind  andere  Missbildungen  mit  dieser  Ab¬ 
normität  combinirt;  so  fehlte  sehr  häufig  die  Tube  und  das 
Ovarium  derselben  Seite,  auch  wurden  Abnormitäten  an  den 
äusseren  Genitalien,  Kryptorchismus,  dann  Atresia  ani  als 
gleichzeitig  beobachtete  Missbildungen  aufgeführt. 

Bei  unserer  Patientin  waren  keinerlei  weitere  Miss¬ 
bildungen  vorhanden,  namentlich  ist  jede  Verbildung  des 
inneren  Genitales  auszuschliessen,  wie  ja  die  von  Professor 
Schauta  vorgenommene  genaue  Abtastung  dieser  Gebilde 
vom  hinteren  Vaginalschnitt  aus  lehrte.  Auch  konnte  ich  nicht 
eine  irgendwie  auffallende  seitliche  Verkrümmung  der  Wirbel 
säule  constatiren,  worauf  M  ü  1 1  e  r  h  e  i  m  als  Begleiterscheinung 
aufmerksam  machte. 

Die  Dystopie  der  Niere  macht  in  der  Regel  der  Fälle 
keine  klinischen  Erscheinungen.  Für  diese  Thatsache 
spricht  schon  der  Umstand,  dass  die  grösste  Mehrzahl  aller 
Beobachtungen  zufällige  Befunde  der  Anatomen  darstellen, 
und  dass  Sectionsbefunde  von  70 — 80jährigen  Greisen  vor¬ 
liegend  die  zeitlebens  keinerlei  Beschwerden  durch  ihre  Nieren¬ 
anomalie  gehabt  hatten. 

Ausnahmsweise  jedoch  gewinnt  auch  die  Niere  in  ihrer  abnor- 
men  Lage  klinische  Bedeutung,  sei  es,  dass  eine  dystopische  Niere 
erkrankt,  oder  dass  durch  ihre  abnorme  Lage  die  Nachbarorgane 
verdrängt  und  in  ihrer  Function  behindert  werden  oder  endlich 
dadurch,  dass  durch  dieselbe  ein  Geburtshinderniss  gegeben  ist. 
Für  alle  diese  Eventualitäten  bietet  die  Casuistik  heute  bereits 
Belege.  Es  ist  verständlich,  dass  sich  die  frühere  diesbezügliche 
Casuistik  sehr  wesentlich  von  der  jetzigen  unterscheidet. 
Während  die  älteren  Berichte  Schilderungen  von  Krankheiten 
dystoper  Nieren  bringen,  deren  Ablauf  man  vollkommen 
machtlos  gegenüberstand  und  deren  Klärung  eben  nur  die 
Section  brachte,  finden  wir  aus  den  letzteren  Jahren  schon 
eine  Reihe  von  Fällen,  ich  zählte  deren  acht,  bei  welchen 
wegen  der  durch  die  dystope  Niere  bedingten  Störungen 
operative  Eingriffe  ausgeführt  wurden  und  so  durch  die  Autopsie 
in  vivo  der  in  allen  Fällen  falsch  gedeutete  Befund  aufgeklärt 
wurde. 

Ueber  Erkrankungen  der  im  Becken  gelagerten 
Niere  liegen  schon  eine  grössere  Anzahl  von  Beobachtungen  in 
Form  von  Sectionsbefunden  vor.  Ich  muss  jedoch  Strube 
vollkommen  beistimmen,  wenn  er  auf  Grund  seiner  Zusammen¬ 
stellung  der  Befunde  sagt:  dass  an  der  tiefliegenden  Niere 
nicht  häufiger  und  nicht  seltener  als  an  der  normalen  patho¬ 
logische  Zustände  angetroffen  werden,  nur  werden  (und  das 
möchte  ich  dieser  Aeusserung  Strub  e’s  beifügen)  durch  Er¬ 
krankungen  der  Beckenniere,  die  mit  einer  Vergrösserung  des 
Organs,  einhergehen,  viel  leichter  schwere  Erscheinungen 
ausgelöst,  da  bei  dem  engbegrenzten  Raum  es  sehr  bald  und 
leicht  zur  Compression  der  Nachbarorgane  mit  ihren  Folgen 
kommen  muss.  So  wird  über  complete  Anurie  durch  Com¬ 
pression  des  anderen  Ureters  zu  wiederholten  Malen  berichtet. 
Ueber  die  verschiedenen  Formen  von  Nephritis  liegen  Be¬ 
funde.  von  W  e  i  s  b  a  c  h  vor,  Hydronephrosenbildung 
beobachtete  Gruber  und  Kruse,  SteinbildungDrouin 
und  Kaltschmied t. 

Endlich  bringen  Wölfl  er  und  Glaser  Berichte  über 
je  einen  Fall,  bei  dem  es  zur  Bildung  einer  Pyonepbrose  in 
der  dystopen  Niere  gekommen  war,  und  bei  welcher  der  Ver¬ 
such  einer  operativen  Behandlung  gemacht  wurde.  Beide 
Fälle  gingen  tödtlich  aus,  erst  die  Section  deckte  das  räthsel- 
hafte  Krankheitsbild  auf. 

Ferner  sind  hinlänglich  Beobachtungen  vorhanden,  die 
erweisen,  das  der  Geburtsact  durch  die  abnorm  gelagerte 
Niere  wesentlich  alterirt  werden  kann. 

Als  älteste  diesbezügliche  Beobachtung  wird  die  von 
Hohl  citirt.  Hohl  fand  bei  der  Section  einer  75jährigen 
Frau  die  linke  Niere  im  Becken  liegen  und  berichtet  dazu, 
dass  dieselbe  30  Jahre  früher  bei  einer  Geburt  als  Geschwulst 
im  Unterleibe  gefühlt  wurde  und  bei  jeder  Wehe  vorgetrieben 
ward.  Aehnliche  Verhältnisse  schildert  Fischer. 


Am  deutlichsten  beweist  wohl  der  von  Schönberg 
mitgetheilte  Fall  den  Einfluss  der  dystopen  Niere  auf  den 
Geburtsact,  indem  bei  denselben  eine  tödtliche  Uterusruptur 
hiedurch  beding-t  war. 

Crag  in  musste,  um  die  Geburt  vollenden  zu  können, 
von  der  Scheide  aus,  die  sich  als  Geburtshinderniss  einstellende 
für  eine  Geschwulst  gehaltene  Niere  exstirpiren. 

Auch  mein  Fall  lässt  sich  als  Beleg  hiefür  anführen, 
indem  der  abnorme  Verlauf  der  Geburten  in  Steisslage  auch 
mit  der  verlagerten  Niere  Zusammenhängen  dürfte. 

In  einer  dritten  Kategorie  von  Fällen  gehen  von  der 
dystopischen  sonst  normalen  Niere  diverse  vage  Erscheinungen, 
vor  Allem  Stuhlträgheit  aus,  oder  werden  wenigstens  auf 
diese  bezogen;  dieselben  führen  den  Patienten  zum  Arzt,  dieser 
untersucht  und  findet  im  kleinen  Becken  den  Tumor,  den 
er  dann,  da  er  keine  andere  Ursache  der  Störung  auflindet, 
als  Ursache  der  Beschwerden  ansieht. 

Bei  allen  in  diese  Kategorie  gehörigen  operirten  Fällen 
wurde  unter  falscher  Diagnose  die  Indication  zur  Operation 
gestellt  und  operirt. 

Als  Hauptbeschwerde  und  in  den  Krankengeschichten 
am  constantesten  wiederkehrende  Störung  wird  über  Defäcations- 
calamitäten  geklagt.  Mein  Fall,  der  Fall  von  Alsberg,  der 
zweite  Fall  in  St  rube’s  Monographie  waren  mit  hartnäckigen 
Verstopfungen  combinirt. 

Es  ist  natürlich  eine  sehr  naheliegende  Frage,  ob  that- 
sächlich  die  abnorme  Lage  der  Niere  als  Quelle  der  Stuhl¬ 
verhaltung  angesehen  werden  darf,  und  ob  nicht  der  Befund 
dieser  ein  rein  zufälliger  ist. 

Ich  darf  nicht  verschweigen,  dass  Strube  sich  über  das 
causale  Zusammentreffen  von  Nierendystopie  und  Verstopfung 
in  seinem  Falle  sehr  skeptisch  ausspricht.  Wenn  man  aber 
gerade  in  S  t  r  u  b  e’s  Arbeit  die  anatomischen  Verhältnisse  des 
Mastdarmes  und  der  Flexur  durchsieht,  und  wenn  man  dort 
findet,  dass  bei  linksseitiger  Dystopie  der  Mastdarm  stark  ver¬ 
drängt  ist,  dass  namentlich  am  Uebergang  der  Flexur  zum 
Rectum  durch  die  daselbst  gelagerte  Niere  ein  scharfer  Winkel 
entstehen  kann,  dass  ferner  in  einem  Falle  die  Flexur  voll¬ 
kommen  fehlte  und  das  Colon  im  scharfen  Bogen  ins  Rectum 
überging,  so  kann  man  sich  wohl  nicht  der  Ansicht  ver- 
schliessen,  dass  die  abnorme  Lage  der  Niere  ein  Passage- 
hinderniss  abgeben  und  Kothstauung  veranlassen  kann. 

Da  hierin  der  Schwerpunkt  meiner  Beobachtung  liegt, 
citire  ich  Strube  wörtlich: 

»Der  Darm  weist  bei  dystoper  Niere  am  häufigsten 
Lagenabweichungen  auf.  Besonders  die  Tief  läge  der  linken 
Niere  im  kleinen  Becken  oder  nahe  dem  Beckeneingang  ruft 
oft  Situsanomalien  des  Darmes  hervor.  In  den  33  Fällen,  die 
Gruber  zusammengestellt  hat,  fand  sich  das  Rectum  elfmal 
nach  rechts  verlagert,  in  den  später  veröffentlichten  Fällen 
finde  ich  das  gleiche  Verhalten  noch  dreimal  erwähnt.  Auch 
Fehlen  der  Flexura  sigmoidea,  Verdopplung  und  Verlagerung 
derselben  sind  beschrieben.  Alle  diese  Anomalien  charakterisiren 
sich  ohne  Weiteres  als  Folgen  der  Tieflage  der  Niere,  indem 
die  Niere  sich  an  der  Stelle  einlagert,  wo  normaler  Weise  das 
S  romanum  oder  das  Rectum  zur  Entwicklung  kommt,  veran¬ 
lasst  sie  die  abweichende  Lagerung  und  Bildung  des  Darmes.« 

Der  ausgezeichnete  Operationserfolg  gerade  in  diesem 
Punkte  bei  meiner  Patientin  schliesst  wohl  ein  zufälliges  Zu¬ 
sammentreffen  aus.  Bitte  sich  nur  die  beiden  Extreme  des  Zustandes 
vor  Augen  zu  halten.  Patientin  konnte  vor  der  Operation  nur 
alle  10 — 14  Tage  Stuhl  lassen  und  nur  auf  künstliche  Mittel, 
heute  nimmt  sie  hie  und  da  etwas  Caseara.  Vor  der  Operation 
stiess  man  mit  dem  Irrigationsrohr  gegen  einen  harten  Tumor, 
heute  unterscheidet  sich  Verlauf  und  Weite  des  Rectums  in 
nichts  mehr  von  einem  normalen. 

Die  Erklärung  der  nervösen  Symptome,  die  mein  Fall 
bot,  und  von  denen  auch  die  anderen  Fälle  Beispiele  erbringen, 
habe  ich  schon  durch  Hinweis  auf  die  ähnlichen  bei  anderen 
Tumoren  des  kleinen  Beckens  zu  erbringen  versucht. 

Ich  komme  nun  auf  die  Diagnose  zu  sprechen:  Alle 
Fälle,  die  bisher  unter  das  Messer  kamen,  wurden  unter  falscher 


8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


Diagnose  operirt.  Nur  Müllerheim  darf  sieh  rühmen,  eine 
dystope  Niere  in  vivo  diagnosticirt  zu  haben. 

Wie  kam  Mül  ler  heim  dazu,  als  Einziger  diese  Diagnose  zu 
stellen.  Ganz  einfach,  ihm  verschaffte  der  Zufall  Gelegenheit,  zuerst 
einen  Fall  in  cadavere  zu  untersuchen  und  im  ärztlichen  Verein 
zu  demonstriren,  sehr  bald  darauf  traf  er  einen  sonst  nicht 
anders  zu  deutenden  Tumor  im  kleinen  Becken  bei  einer 
seiner  Patientinnen  an.  Hierin  liegt  der  Schlüssel;  wer  durch 
eigene  Anschauung  einmal  mit  einem  dieser  so  seltenen  Fälle 
zu  thun  hatte,  wird  wohl  schwerlich  nochmals  eine  Fehldiagnose 
machen.  Beim  Mann  wird  man  noch  leichter  zur  richtigen  Ver- 
muthung  kommen  als  beim  Weibe,  da  hier  die  anderen  Aus¬ 
gangsstellen  solcher  Tumoren  wegfallen,  wenn  nicht,  wie  im  Falle 
Czerny’s,  der  Mann  gleichzeitig  Kryptorchist  ist,  es  also  viel 
näher  liegend  war,  an  ein  Sarkom  des  retinirten  Hodens  zu 
denken. 

Da,  wie  ich  Ihnen  schon  mittheilte,  die  dystope  Niere 
nicht  die  gewöhnliche  Form  bietet,  wäre  es  ganz  verfehlt, 
aus  der  Abtastung  der  Form  etwas  für  die  Diagnose  gewinnen 
zu  wollen;  im  Gegentheil,  man  könnte  eher  durch  die  ganz 
unregelmässige  Gestalt  auf  diagnostische  Abwege  kommen, 
wenn  man  nicht  den  Erfahrungssatz  beherzigt,  dass  eben  eine 
dystope  Niere  auch  eine  difforme  Niere  ist. 

Ein  Befund  könnte  bei  der  Untersuchung  schon  eher 
behilflich  sein,  das  ist,  wenn  man  constatii  t,  dass  an  der  Vorder¬ 
seite  des  Tumors  Pulsation  einer  oder  mehrerer  grösserer 
Arterien  fühlbar  ist.  Die  Hilusgefässe  treten  ja  vorne  ein  und 
sind  sicher  gross  genug,  dass  man  sie  vom  Rectum  oder  der 
Scheide  aus  pulsiren  fühlen  kann. 

Einen  ungemein  wichtigen  Behelf  würde  die  Ureteren- 
sondirung  abgeben.  Die  Kürze  des  einen,  zur  dystopen  Niere 
führenden,  gegenüber  der  normalen  Länge  des  anderen  müssen 
auf  die  richtige  Diagnose  führen  und  Ureteren-Katheterismus 
ist  daher  in  keinem  zweifelhaften  Falle  zu  verabsäumen. 

Ureterensondirung  empfiehlt  sich  in  unseren  Fällen  auch 
aus  einem  anderen  Grund.  Ich  habe,  glaube  ich,  schon  früher 
hervorgehoben,  dass  uns  die  Anatomen  belehren  und  dass 
uns  der  traurige  Ausgang  so  manches  bisher  publicirten  Falles 
warnend  ins  Gedächtniss  ruft,  dass  relativ  nicht  so  selten  die 
Dystopie  mit  Fehlen  der  anderen  Niere  eombinirt  ist. 

Strub  e’s  Fall  2  und  3.  die  Fälle  von  Weisbachund 
\Y  a  t  s  o  n,  der  B  i  1 1  r  o  t  h’sche  Fall  geben  uns  Beispiele  hiefür; 
von  neun  operirten  Fällen  gingen  drei  an  Anurie  in  Folge 
congenitalen  Mangels  der  anderen  Niere  zu  Grunde. 

W  ie  steht  es  nun  mit  der  Indicationsstellung  zur  Ope¬ 
ration?  Die  Beantwortung  der  Frage  ist  natürlich  sehr  ein¬ 
fach  und  eine  bejahende,  wenn  die  dystope  Niere  so  erkrankt 
ist,  dass  durch  die  Erkrankung  an  und  für  sich  noth  wendiger 
W  eise  eine  Operation  indicirt  ist.  Der  mit  Pyonephrose  der 
dystopen  Niere  auf  die  Klinik  Billroth  gekommene  Fall  zeigte 
vollkommene  Anurie,  bis  der  Eiter  per  rectum  durch  Punction 
und  Drainage  entleert  war,  im  Fall  Fossati  war  ein  grosser 
ffuctuirender  Tumor  da,  der  die  Punction  noting  machte;  ferner 
ist  die  Operation  nothwendig,  wenn  durch  die  dystope  Niere  ein 
unüberwindliches  Geburtshinderniss  gegeben  ist  (Fall  Crag  in). 

Ganz  anders  stehen  die  Verhältnisse,  wenn  es  sich  darum 
handeln  würde,  eine  nicht  erkrankte,  also  normale  dystope 
Niere  zu  entfernen.  Alsberg,  der  zwar  selbst  einen  solchen 
Fall  operirt  hatte,  negirt  die  Berechtigung  hiezu. 

Ich  glaube,  die  Verhältnisse  liegen  so:  sind  die  Be¬ 
schwerden  sehr  bedeutend,  ist  also  z.  B.  sehr  hartnäckige 
Stuhl verhaltung  unter  Schädigung  des  Allgemeinbefindens  vor¬ 
handen  und  kann  man  diese  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  auf 
die  Verdrängung  der  Organe  durch  die  dystope  Niere  beziehen, 
so  ist  man  berechtigt,  die  Exstirpation  zu  machen,  vorausgesetzt, 
dass  die  andere  Niere  vorhanden  und  normal  functionirend  be¬ 
funden  wird  (iso'irter  Ureterenkatheterismus).  Entfernt  man  doch 
auch  normale  Nieren  bei  Ureterenfistel,  ja  unter  Umständen 
selbst  bei  Wanderniere. 

Die  bisher  operirten  drei  Fälle  dieser  Kategorie,  meinen  mit 
eingerechnet,  sind  eigentlich  für  die  Indicationsstellung  nicht  direct 
zu  verwerthen,  da  unter  falscher  Diagnose  operirt  wurde,  sie  geben 
aber  doch  Beispiele  an,  wieso  der  Arzt  den  Bitten  des  Patienten 


nachgebend,  zur  Operation  gedrängt  werden  kann,  und  mein 
Fall  mag  auch  insoferne  die  Berechtigung  der  Operation 
illustriren,  als  durch  dieselbe  den  heftigen  Beschwerden  ein 
Ende  gemacht  wurde. 

Bei  acht  operirten  Fällen  wurde  siebenmal  die  Laparo¬ 
tomie  gemacht,  nur  einmal  per  vaginam  extra  partum  ex- 
stirpirt.  Wenn  Sie  die  anatomische  Lage  der  uns  hier  be¬ 
schäftigenden  Abnormität,  also  die  Gegend  der  Symphysis 
saero-iliaca,  oder  der  Excavation  des  Kreuzbeines  in  Erwägung 
ziehen,  wenn  Sic  ferner  beherzigen,  was  die  anatomischen  Prä¬ 
parate  sagen,  dass  nämlich  die  Gefässe  von  vorne  her  in  das 
verlagerte  Organ  einmünden  und  meist  die  Gefässversorgung 
sowohl  in  Bezug  auf  Arterien  als  auch  Venen  eine  ungemein 
reiche  ist,  wenn  Sie  beherzigen,  dass  die  dystope  Niere  voll¬ 
kommen  retroperitoneal  liegt,  so  werden  Sie  begreifen,  dass 
Entfernung  per  Laparotomie  wegen  der  tiefen  Lage  beschwerlich, 
wegen  der  Gefässe  gefährlich  und  wegen  der  Nothwendigkeit, 
das  Peritoneum  der  hinteren  Bauchwand  zu  spalten,  auch 
höchst  umständlich  ist. 

Wenn  sich  eine  Erkrankung  für  die  Operation  auf 
sacralem  Wege  eignet,  so  ist  es  die  dystope  Niere,  gleichviel,  ob 
normal  oder  pathologisch  verändert. 

Auf  diesem  Wege  vermied  ich  vollkommen  eine  Ver¬ 
letzung  des  Peritoneums,  ich  arbeitete  nahe  dem  zu  ex- 
stirpirenden  Organ,  ich  kam  nur  bei  Abbindung  am  Hilus 
mit  den  Gefässen  in  Contact  und  konnte  das  Nierenbett  aus¬ 
giebig  nach  unten  und  hinten  dramiren,  also  die  denkbar 
günstigsten  Verhältnisse  für  eine  Wundheilung  schaffen. 

Literatu  r. 

In  Bezug  auf  die  ältere  Literatur  verweise  ich  auf  die  Angaben  in 
Dr.  Georg  S  t  r  u  b  e,  Ueber  congenitale  Lage  und  Bildungsanomalien  der 
Niere.  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXXV1I,  pag.  227. 

Von  neueren  Arbeiten  sind  zu  erwähnen: 

Wölfl  er,  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  18  B. 

Glaser,  Archiv  für  klinische  Medicin.  Bd.  LV,  pag.  465. 

Alsberg,  Festschrift  zur  Feier  des  80jährigen  Stiftungsfestes  des 
ärztlichen  Vereines  zu  Hamburg.  1896. 

D  e  p  a  g  e,  Journ.  d.  inöd.  et  d.  Chirurg,  de  Bruxelles.  1893. 

Edwin  B.  Caaqui,  Med.  Rec.  New  York  1898. 

W  ehme  r,  Schmidt’s  Jahrbücher.  1897. 

M  ü  1 1  e  r  h  e  i  m,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1898. 

Einige  seltenere  Concretionen  der  menschlichen 

Harnwege. 

Von  Dr.  O.  Zuckerkandl. 

Demonstration,  gehalten  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

vom  24.  November  1899. 

Harnröhr  enstei  n  e. 

Steine  der  Harnröhre  werden  im  Vergleiche  mit  denen 
der  Blase  selten  beobachtet.  Zeissl  konnte  im  Jahre  1883 
im  Ganzen  154  Fälle  zusammenstellen;  seither  sind  etwa 
50  weitere  mitgetheilt  worden. 

Fasst  man  den  Begriff"  enger  und  zählt  man  den  Harn¬ 
röhrensteinen  nur  jene  zu,  die  thatsächlich  im  Harnrohre  sitzen 
und  sich  hier  vergrössert  haben,  scheidet  man  also  die  oft 
sehr  voluminösen  phosphatischen  Ablagerungen  in  para¬ 
urethralen  Höhlen,  Fisteln  etc.  aus,  so  ergibt  nach  L  i  e  b  1  e  i  n’s 
Zusammenstellung  als  Gesammtzahl  die  geringe  Ziffer  von 
beiläufig  54. 

Die  Harnröhrensteine  sind  entweder  in  der  Harnröhre 
selbst  entstanden  oder  aus  der  Blase  in  diese  eingewandert. 
In  allen  Fällen  werden  für  das  Vorkommen  von  Steinen  in 
der  Urethra  gewisse  Formveränderungen  des  Harnrohres  inso¬ 
ferne  von  Bedeutung  sein,  als  es  gerade  durch  diese  möglich 
wird,  dass  das  Concrement  in  seiner  ersten  Anlage  nicht  mit 
dem  Harnstrome  herausgeschwemmt,  in  situ  verbleiben  und 
weiterwachsen  könne.  In  diesem  Sinne  sind  als  Gelegenheits¬ 
ursachen  zu  nennen:  wahre  Divertikel  der  Harnröhre,  stärker  aus¬ 
geprägte  Exeavat.ionen  im  prostatischen,  im  häutigen  Theile  der 
Harnröhre,  ferner  umschriebene  Erweiterungen  hinter  Stricturen, 
wie  gewisse  nach  Entzündungen,  Hämorrhagien,  operativen 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


9 


Eingriffen  (Urethrotomie,  Steinschnitt)  entstandene  urethrale 
Form  Veränderungen . 

1.  3l/2jähriger  Knabe  aus  dem  Occupationsgebiete,  der  seit 
jeher  an  Harnbeschwerden  leidet.  Das  Kind  ist  normal  gebildet,  gut 
genährt.  Die  Harnentleerung  geht  mit  grosser  Mühe,  unter  starker 
Wirkung  der  Bauchpresse  vor  sich.  Dabei  zerrt  das  Kind  ununter¬ 
brochen  am  Gliede.  Nachträufeln.  Die  Harnentleerung  erfolgt  in 
normalen  Pausen.  Der  Harn  ist  sauer,  klar.  Mit  der  Steinsonde  stiess 
ich  im  häutigen  Theile  auf  ein  hartes  Concrement,  doch  gleitet  das 
Instrument  mit  Leichtigkeit  darüber  hinweg,  in  die  Blase.  Vom 
Mastdarm  aus  ist  in  der  Harnröhre  das  Concrement  als  harte,  um¬ 
schriebene  Geschwulst  von  Mandelgrösse  tastbar. 

Operation  in  Chloroformnarkose.  Längsschnitt  in  der  Rhaphe 
perinei  bis  nahe  an  den  After;  nachdem  die  Perinealmuskeln  bloss¬ 
liegen,  wird  die  Verbindung  zwischen  M.  bulbocavernosus  und  M. 
sphincter  ani  quer  durchtrennt  und  die  vordere  Mastdarmwand  auf 
kurze  Strecke  stumpf  von  der  Harnröhre  gelöst.  Es  liegt  die  Pars 
membranacea,  durch  den  Stein  stark  ausgeweitet  und  vorgewölbt, 
alsbald  zu  Tage.  Mit  einem  Längsschnitt  wird  diese  über  der 
grössten  Convexität  eröffnet  und  das  Sternchen  entfernt.  Verweil¬ 
katheter.  Die  Harnröhre  wurde  submucös  mit  Catgut  genäht,  da¬ 
rüber  die  Haut  complet  durch  Naht  vereinigt.  Die  Heilung  erfolgte 
anstandslos  in  wenigen  Tagen. 

Der  Stein  (Fig.  1)  ist  von  ovoider  Gestalt,  fast  kirschengross, 
schwarzbraun,  glänzend,  wie  lackirt,  und  trägt  an  seiner  Oberfläche 
verschieden  grosse,  warzige  Excrescenzen.  Die  Rinde  des  Steines  be¬ 
steht  (Dr.  Freund)  aus  Kalkphosphat;  der  Glanz  des  Steines 
scheint  unter  Einwirkung  von  Mucin  entstanden,  die  Färbung 
wahrscheinlich  durch  Hämin  bedingt. 


Fig.  1.  Fig.  2.  Fig.  3. 

Harnröhrenstein  Harnröhrenstein  Plarnröhrenstein 

(nat.  Gr.).  (nat.  Gr.).  (nat.  Gr.). 

Die  Annahme,  dass  der  Stein  seinen  ständigen  Sitz  in 
der  Harnröhre  hatte,  dort  entstanden,  jedenfalls  aber  dort  ge¬ 
wachsen  war,  ist  hier  berechtigt.  Der  Stein  war  zu  gross,  um 
als  solcher  die  Blasenmündung  passiren  zu  können;  er  füllte 
sein  Bett,  die  stark  ausgebauchte  Pars  membranacea,  complet 
aus,  dennoch  war  die  Harnröhre  wegsam  geblieben. 

2.  Ein  ööjähriger  Mann  aus  Mähren  hatte  fünf  Wochen  vor 
seiner  Aufnahme  einen  heftigen  Anfall  von  typischer  Harnleiterkolik 
durchgemacht;  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  diese  stellten  sich 
Harnbeschwerden  ein,  die  seither  an  Intensität  stetig  zunehmen. 

Vorwiegend  waren  vermehrter  Harndrang,  erschwertes  Harn¬ 
lassen  und  eine  Reduction  des  Harnstrahles  vorhanden.  Gleichzeitig 
war  eine  Trübung  des  Harnes  aufgetreten.  Der  Kranke  bot  das  Bild 
chronischer,  incompleter  Harnverhaltung;  die  Blase  reichte  bis  an  den 
Nabel  und  war  als  pralle  Geschwulst  palpabel.  Die  Prostata  zeigte  keine 
Veränderung.  Der  Harn  war  trübe,  neutral  und  enthielt  reichlich 
Eiter  und  Bacterien.  Bei  der  Untersuchung  der  Harnröhre  mit  einer 
weichen  geknöpften  Sonde  stiess  ich  in  der  hinteren  Harnröhre  auf 
ein  Hinderniss,  welches  sich  beim  Beklopfen  als  ein  harter  Körper 
erwies;  die  starre  Sonde  liess  denselben  mit  Sicherheit  als  Stein  an¬ 
sprechen.  Das  Concrement  .schien  beweglich  und  es  gelang  mir  mit 
Hilfe  eines  dickeren,  französischen  Seidenkatheters,  dasselbe  in  die 
Blase  zu  stossen.  Zunächst  wurde  die  chronische  Harnverhaltung  mit 
dem  regelmässigen  Katheterismus  behandelt  und  die  Zertrümmerung 
des  Steines  auf  einen  späteren  Zeitpunkt  verschoben. 

Dieselbe  wurde  überflüssig,  da  der  Kranke  eines  Tages  in 
kurzer  Frist  das  Concrement  spontan  entleerte.  Der  ausgestossene 
Harnröhrenstein  (Fig.  2)  ist  walzenförmig,  hat  eine  Länge  von  28mm 
und  misst  der  Breite  nach  12  mm.  Die  corticalen  Schichten  sind  phos¬ 
phorsaurer  Kalk. 

Während  im  Falle  1  der  Ursprung  des  Steines  sich  nicht 
eruiren  liess,  hat  in  diesem  Falle  ein  Steinchen,  das  aus  dem  Nieren¬ 
becken  in  die  Blase,  von  da  aus  in  die  Harnröhre  gelangt  war,  den 
Kern  für  die  Bildung  des  Harnröhrensteines  abgegeben. 


3.  IGjähriger  Bursche  aus  Wien,  leidet  seit  dem  zehnten  Jahre 
an  Schmerzen  beim  Harnlassen  und  zeitweilig  an  Hämaturie. 

Sechs  Wochen  vor  seiner  Aufnahme  exacerbirten  die  Be¬ 
schwerden  mit  einem  Male.  Die  Harnentleerung  war  nur  möglich, 
wenn  der  Kranke  in  vornübergebeugter  Stellung  mit  einem  Finger 
gegen  das  Mittelfleisch  einen  Druck  ausübte.  Der  Harn  sauer,  klar. 
Es  fand  sich  ein  im  häutigen  Theile  der  Harnröhre  festsitzende  Con¬ 
crement,  über  welches  hinweg  die  Sonde  in  die  Blase  glitt.  Operation 
und  Wund  Versorgung  wie  im  Falle  1.  Heilung.  Der  Stein  (Fig.  3)  ist 
bohnengross,  oberflächlich  drüsig,  dunkelbraun;  er  besteht  in  seinen 
corticalen  Schichten  aus  kohlensaurem  Kalk  (Dr.  Freund). 

Wenn  die  hier  beschriebenen  Fälle,  in  denen  die  Steine 
längere  Zeit  im  Harnrohre  verweilen  und  bei  ihrem  Wachs- 
thume  im  engumschricbenen  Raume  charakteristische  Gestalt 
annehmen,  relativ  selten  sind,  so  kommt  man  andererseits  sehr 
häufig  in  die  Lage,  urethrale  Steineinklemmungen  in  ihren 
ersten  Stadien  zu  beobachten.  Diese  Steine  sind  häufig  lose, 
sitzen  meist  in  der  hinteren  Harnröhre,  ohne  diese  aber  je¬ 
mals  complet  auszufüllen;  in  der  vorderen  Harnröhre  kann 
man  nicht  selten  Lageveränderungen  solcher  Steine  beobachten, 
indem  diese  jedes  Mal  während  der  Miction  bis  in  die  Fossa 
navicularis  geschwemmt,  hinter  der  äusseren  Mündung  fest¬ 
gehalten  werden,  um  von  da  abermals  in  der  Harnröhre 
blasenwärts  vorzurücken.  Während  bei  den  wahren 
Steinen  der  Harnröhre  die  Symptome  erst  mit  dem  Wachs¬ 
thum  des  Steines  sich  stärker  accentuiren,  treten  die  Krank¬ 
heitserscheinungen  bei  der  urethralen  plötzlichen  Einklemmung 
eines  Steines  von  erheblicherer  Grösse,  ganz  plötzlich  in  voller 
Intensität  auf.  Man  kann  da  den  heftigsten  Tenesmus,  schwere 
Dysurie,  acute  incomplete,  auch  acute  complete  Harnverhal¬ 
tung  eintreten  sehen,  so  dass  in  derartigen  Fällen  naturgemäss 
frühzeitig  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  genommen  wird.  Ueber 
die  richtige  Deutung  der  Erscheinungen  kann  hier  kein  Zweifel 
obwalten. 

Anders  in  den  Fällen  von  ganz  allmälig  in  der  Harn¬ 
röhre  wachsenden  Steinen.  Eine  Durchsicht  der  Literatur  zeigt, 
dass  die  Erkrankung  in  einer  grossen  Anzahl  der  Fälle 
verkannt  wurde,  was  umso  schwerer  ins  Gewicht  fällt,  als 
die  Harnröhrensteine  gerne  zu  Verschwärungen,  Perforationen 
der  Harnröhre  Veranlassung  geben.  So  sind  z.  B.  Urethral¬ 
steine  die  fast  ausschliessliche  Ursache  der  im  Kindesalter 
vorkommenden  spontanen  Formen  der  Urininfiltration. 

Am  sichersten  wird  man  die  Harnröhre  mit  der  ge¬ 
knöpften  weichen  Bougie  abtasten,  die  hier  an  Leistungsfähig¬ 
keit  die  starre  Sonde  weit  überragt. 

Sitzen  Steine  in  der  hinteren  Harnröhre,  gleichgiltig  ob 
fix  oder  beweglich,  so  sind  Versuche,  sie  mit  Instrumenten  zu 
zertrümmern  oder  herauszuziehen,  nicht  angebracht;  im  ersteren 
Falle  ist  die  blutige  Entfernung  durch  den  Harnröhrenschnitt, 
im  letzteren  das  Hineinstossen  des  Steines  in  die  Blase  und 
die  nachträgliche  Lithotripsie  das  bei  Weitem  schonendere 
Verfahren. 

Präputialstein. 

In  naher  Beziehung  zu  den  Steinen  der  Harnröhre 
stehen  die  im  Präputialsack  vorkommenden  Concretionen.  Der 
Vorhautsack  stellt,  wenn  seine  Mündung  eßger  ist  als  die  der 
Urethra,  gewissermassen  einen  Anhang  des  Harnrohres  dar. 

So  wird  es  begreiflich,  dass  Steinchen,  welche  die  Harn¬ 
röhre  passirt  haben,  im  phimotischen  Vorhautsack  dauernd 
zurückgehalten,  zu  Präputialsteinen  werden.  Neben  diesen 
Formen  finden  sich  auch  solche,  in  denen  die  Steinbildung  im 
Präputialsacke  selbst  erfolgt  ist.  Fremdkörper,  Schleim,  Bacterien, 
Gerinnsel  können  in  solchen  Fällen  den  Kern  abgeben,  ebenso 
wie  Zahn  nachgewiesen  hat,  die  bei  Kindern  in  phimotischen 
Säcken  vorkommenden  aus  zusammengebackenen  Epithelien 
und  Smegma  bestehenden  kugeligen  Bildungen. 

Im  Allgemeinen  sind  Präputialsteine  recht  selten;  nach 
Güter  bock  erreicht  die  Zahl  der  bekannten  Fälle  nicht  30. 

In  dem  zu  beschreibenden  Falle,  dessen  Kranken¬ 
geschichte  und  Präparat  ich  der  Freundlichkeit  des  Primarius 
Dr.  Vujic  aus  Mitrowitza  verdanke,  gab  eine  narbige  Ver- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


engerung  der  Piäputialmiindung  bei  bestehender  Entzündung 
der  Schleimhaut  die  Veranlassung  zur  Bildung  dreier  volumi¬ 
nöser  phosphatischer  Concretionen  im  A  orhautsacke. 

Ein  63jähriger  Bauer  aus  Slavonien  war  20  Jahre  vor  seiner 
Aufnahme  bei  der  Feldarbeit  in  ein  Wespennest  getreten;  die 
Wespen  verkrochen  sich  in  seine  weiten  Beinkleider  und  brachten 
ihm,  namentlich  am  Penis,  Stiche  bei.  Es  folgte  eine  phlegmonöse 
Entzündung  des  Gliedes,  nach  deren  Ablauf  eine  narbige  Enge  der 
Yorhautmündung  resultirte,  die  jedoch  erst  seit  etwa  einen  Jahre 
stärkere  Beschwerden  verursacht.  Seit  dieser  Zeit  bestehen  zu¬ 
nehmende  Schwierigkeiten  beim  Harnlassen. 

Bei  dem  sonst  kräftigen,  gesunden  Manne  war  das  Ende  des 
Gliedes  kleinapfelgross  geschwellt;  bei  Berührung  crepitirend.  Die 
Hautdecken  über  der  Geschwulst  normal.  Die  Vorhautmündung  für 
eine  Knopfsonde  passirbar.  Cystitis  besteht  nicht. 

Bei  der  Operation  finden  sich  im  eröffneten  Vorhautsacke  drei 
taubeneigrosse,  phosphatische  Concremente  (Fig.  4)  die  derart  postirt 
sind,  dass  die  beiden  ilach-ovoiden  Steine  (o,  b)  zwischen  sich  den 
dritten  (c)  aufnehmen,  der,  nach  unten  gelegen,  in  Form  zweier  Fa¬ 
cetten  und  einer  Leiste  den  Abdruck  der  Unterseite  der  Glans  penis 
trägt.  Die  Eichel  ist  auf  die  Hälfte  ihrer  Grösse  reducirt,  abgeplattet; 
die  Schleimhaut  chronisch  entzündlich  verändert. 


c 

Fig.  4.  Präputialsteine  (nat.  Gr.). 


Harnleiterblasenstein. 

Der  im  Nachfolgenden  zu  beschreibende  Fall  ist  inso- 
ferne  mit  den  wahren  Harnröhrensteinen  verwandt,  als  er 
ebenfalls  in  einem  engen,  röhrenförmigen  Abschnitte  des 
Harnsystems  gewachsen,  sich  in  seiner  Form  diesem  adaptirt 
und  zu  einer  ampullenförmigen  Erweiterung  des  Rohres  ge¬ 
führt  hat. 

Eine  55jährige  Frau  aus  Mähren  leidet  seit  V/2  Jahren  an 
llarnbeschwerden ;  vor  dieser  Zeit  «war  sie  stets  gesund  gewesen. 

Es  bestehen  am  Tage  häufigerer  Harndrang,  Druckgefühl  in 
der  Blase,  in  geringerem  Masse  wenn  diese  Harn  enthält,  am 


stärksten  bei  leerer  Blase.  Gehen  und  Fahren  wird  gut  vertragen, 
während  die  Beschwerden  beim  Sitzen  und  Stehen,  namentlich  wenn 
die  Blase  leer,  sich  accentuiren.  Einmal  war  nach  einem  anstrengenden 
Marsche  Hämaturie  aufgetreten.  Veritable  Harnleiterkoliken  fehlen, 
doch  leidet  die  Kranke  zeitweilig  an  Kreuzschmerzen,  die  linkerseits 
gegen  Brust  und  Hals  ausstrahlen.  Bisweilen  waren  die  Schmerzen 
von  Erbrechen  begleitet. 

Der  Harn  sauer,  enthält  im  Sedimente  reichliche  Krystalle 
von  Harnsäure. 

Die  Untersuchung  der  Blase  mit  dem  weichen  Explorateur  liess 
keinen  abnormen  Befund  erheben;  mit  der  Steinsonde  konnte  man 
im  Fundus  linkerseits  nahe  der  Mündung  ein  kleines,  beim  An¬ 
schläge  hell  klingendes  Concrement  tasten. 

Cystoskopisch  zeigt  sich  links  am  Ende  des  Interureteren- 
wulstes  die  Harnleiterpapille  stärker  als  in  der  Norm  erhoben.  Die 
Harnleitermündung  ist  unsichtbar,  denn  die  Papille  ist  von  einer 
pilzartig  aufsitzenden,  gelblich  -  weissen,  kugeligen  Masse  gekrönt, 
die  beim  Anschlägen  mit  dem  Schnabel  des  Cystoskopes  sich  als 
steinige  Bildung  bestimmen  lässt. 

Eine  radiographische  Aufnahme  (Dr.  H.  Benedikt)  gibt  ein 
deutliches  Bild  des  Concrementchens  (Fig.  5). 

Die  Operation  wurde  in  Chloroformnarkose  vorgenommen.  Zu¬ 
nächst  wurde  die  Harnröhre  an  zwei  Seiten  eingekerbt  und  mit 
Ilegar-Stiften  so  weit  dilatirt,  bis  sich  der  Zeigefinger  bequem  in  die 
Blase  einführen  liess.  Der  Versuch,  den  Stein  bimanuell  von  der  Blase 
und  von  der  Scheide  aus  aus  seiner  Nische  zu  heben,  gelang  nicht. 
Es  zeigte  sich  beim  Zufühlen,  dass  der  urethrale  Antheil  bei  Weitem 
grösser  war  als  der  in  die  Blase  ragende  Theil.  Die  Scheide  wurde 
durch  eingesetzte  Spatel  zugänglich  gemacht,  der  Uterus  hervor¬ 
gezogen  und  mit  dem  in  der  Blase  befindlichen  Zeigefinger  der 
linken  Hand  das  Concrement  gegen  die  vordere  Scheidenwand  ge¬ 
drängt,  von  wo  aus  dasselbe  durch  einen  kurzen  Schnitt  mit 
Leichtigkeit  blossgelegt  und  entwickelt  wurde.  Durch  einen  Dauer¬ 
katheter  wurde  die  Blase  drainirt;  die  Vaginalwunde  mit  einigen, 
bis  auf  die  Harnleiterschleimhaut  dringenden  Seidennähten  ge¬ 
schlossen.  Der  Verlauf  war  günstig;  am  achten  Tage  wurden 
die  Nähte,  wie  der  Verweilkatheter  entfernt.  Keinerlei  Incontinenz- 
erscheinungen  machten  sich  bemerkbar.  Eine  nach  der  Operation 
aufgetretene  Cystitis  mässigen  Grades  heilte  in  kurzer  Frist.  Seit¬ 
her  ist  die  Kranke  frei  von  Beschwerden. 

Der  durch  die  Operation  gewonnene  Stein  (Fig.  6)  besteht  aus- 
zwei  Antheilen,  die  durch  einen  schmalen  Hals  (der  Harnleiter¬ 
mündung  entsprechend)  Zusammenhängen. 

Der  kleinere  Antheil  ragte  in  die  Blase,  der  grössere  war  in 
dem  ampullenförmig  ausgedehntem  visceralen  Theile  des  Harnleiters 
eingeschlossen. 

Der  Harnleiter  dient  häufig  Steinen,  die  aus  dem  Nieren¬ 
becken  in  die  Blase  wandern,  zur  Passage.  In  der  Regel  ver¬ 
mag  die  kräftige  Museulatur  des  Harnleiters  den  Stein  durch 
die  Engen  des  Rohres  bis  in  die  Blase  zu  befördern. 


Fig.  5. 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  It  00. 


11 


Fig-.  6.  Harnleiterblasenstein  Fig.  7.  Harnleiterblasenstem 

(nat.  Gr.).  (nach  Reliquet). 

Verhältnissmässig  selten  kommt  es  vor,  dass  ein  Concre¬ 
ment  im  Ureter  stecken  bleibt.  Bei  entsprechender  Dauer  der 
Einklemmung  muss  dies  Ereigniss  von  schweren  Symptomen 
localer,  auch  allgemeiner  Art  gefolgt  sein. 

Seltener  scheinen  wahre  Harnleitersteine  zu  sein,  Steine 
die  im  Ureter  stabil  sitzen,  an  ihrem  Standorte  gewachsen, 
das  Rohr  an  umschriebener  Stelle  divertikelartig  ausstülpen,  ohne 
dass  trotz  der  Grösse  des  Steines  nennenswerthere  Erscheinun¬ 
gen  von  Harnleiterverschluss  sich  geltend  machten.  Wahr¬ 
scheinlich  ist,  dass  die  erste  Anlage  des  Steines  aus  den 
Nieren  stammt  und  vermöge  gewisser  Formveränderungen 
(klappenartige  Bildungen,  Stricturen)  im  Ureter  verbleiben 
kann,  ohne  durch  den  Harnstrom  in  die  Blase  geschwemmt 
zu  werden.  Im  untersten  Harnleiterabschnitte  bleiben  Con- 
cremente  mit  Vorliebe  stecken;  das  Harnleiterrohr  hat  hier 
eine  seiner  physiolologischen  Engen. 

In  dem  oben  beschriebenen  Falle  lässt  sich  aus  dem  Be¬ 
funde  zweifellos  die  Natur  des  Steines  als  wahrer  Ureterstein 
erschliessen.  Nur  bei  lange  währendem  stabilem  Aufenthalte 
im  unteren  Harnleiterende  konnte  sich  der  knopfförmige  in 
die  Blase  ragende  Antheil  des  Steines  gebildet  haben. 

Einen  ganz  analogen  Fall  finde  ich  in  der  Literatur. 
Reliquet  hat  in  der  Societe  de  medecine  in  Paris  (1875) 
ein  derartiges  Concrement  gezeigt.  Mit  dem  in  die  Blase 
eingeführten  Finger  konnte  er  bei  einer  Frau  den  aus  dem 
Harnleiter  ragenden,  mit  einem  Antheil  in  der  Lichtung  des¬ 
selben  festsitzenden  Stein  tasten.  Der  Stein,  den  er  operativ 
zu  beseitigen  sich  nicht  entschloss,  wurde  ein  halbes  Jahr 
später  unter  kolikartigen  Schmerzen  in  die  Blase  geboren  und 
mit  dem  Harne  nach  aussen  entleert.  Reliquet’s  Stein 
(Fig.  7)  entspricht  in  seiner  Form  und  Grösse  nahezu  voll¬ 
ständig  dem  von  mir  entfernten. 

Es  ergibt  sich  aus  diesen  übereinstimmenden  Befunden, 
dass  an  der  Harnleitermündung  ganz  analog  wie  am  Orificium 
der  Blase,  die  Bildung  von  hantelförmigen  sogenannten  Pfeifen¬ 
steinen  sich  vollziehen  kann. 

Die  in  Anwendung  gebrachte  combinirte  vesieale  und 
vaginale  Methode  ist  für  Steine  der  genannten  Form  zweck¬ 
mässig.  Schwieriger  dürfte  sich  die  Auslösung  des  Steines 
bei  typischer  Kolpocystotomie  durchführen  lassen.  Von  sonsti¬ 
gen  Methoden  zur  Entfernung  von  Steinen  aus  dem  untersten 
Abschnitte  des  Ureters  wurden  angewendet:  der  hohe  Blasen¬ 
schnitt  (Helfer  ich),  die  Blosslegung  und  Eröffnung  des 
Ureters  vom  Scheidengewölbe  aus  (Israel,  Doyen,  Fen¬ 
wick);  endlich  hat  Fenwick  beim  Manne  durch  Spaltung 


des  Septums  recto-vesicale  mit  Hilfe  eines  Prärectalschnittes 
den  Ureter  zu  dem  genannten  Zwecke  freigelegt  und  ein¬ 
geschnitten. 


Aus  Professor  v.  Frisch’s  Abtheilung  für  Krankheiten  der 

Harnwege. 

Ein  neues  Kystoskop  zum  Katheterismus  der 

Ureteren. 

Von  Dr.  M.  Sclllifka,  Assistenten  der  Abtheilung. 

Niemand,  der  sich  mit  den  Erkrankungen  der  Ilarnwege 
beschäftigt,  wird  ein  Instrument  vermissen  wollen,  das  ihn  be¬ 
fähigt,  den  Harn  der  einen  Niere  getrennt  von  dem  der  anderen 
aufzufangen.  Von  allen  den  zahlreichen  Methoden  und  Appa¬ 
raten,  die  zu  diesem  Ende  erfunden  wurden,  blieben  nur  die¬ 
jenigen  in  dauerndem  Gebrauch,  die  es  ermöglichen,  einen 
Katheter  unter  Führung  des  Auges  in  den  Ureter  einzu¬ 
schieben,  d.  h.  nur  die  kystoskopischen  Instrumente  kamen 
hiebei  in  Betracht. 

Bei  der  Construction  eines  diesem  Zwecke  dienenden 
Kystoskopes  waren  eine  Reihe  von  Forderungen  zu  erfüllen, 
wenn  der  Katheterismus  in  allen  Fälllen  gelingen  und  ein  zur 
chemischen  und  mikroskopischen  Untersuchung  genügendes 
Quantum  Harn  in  kurzer  Zeit  abfliessen  sollte. 

Es  musste  bei  beiden  Geschlechtern,  bei  Männern  auch 
bei  hypertrophirter  Prostata,  gebraucht  werden  können,  das 
Caliber  durfte  das  für  den  Durchschnitt  erlaubte  Mass  —  bei 
möglichst  dickem  Sondencanale  und  gutem  Gesichtsfelde  - — 
nicht  überschreiten,  und  es  musste  eine  Vorrichtung  daran 
existiren,  um  den  Abfluss  des  Harnes  durch  den  bereits  in 
den  Ureter  eingeführten  Katheter  zu  ermöglichen,  ohne  dass 
das  Instrument  selbst  in  der  Blase  zu  verbleiben  brauchte. 

Ich  hoffe,  alle  diese  Aufgaben  in  dem  jetzt  zu  schildernden 
Kystoskop  in  möglichst  vollkommener  Weise  gelöst  zu  haben 
und  kann  nicht  umhin,  an  dieser  Stelle  der  bei  meinem  Be¬ 
mühungen  um  die  technischen  Details  hochverdienten  Firma 
J.  Leiter  meinen  wärmsten  Dank  abzustatten. 

Das  Instrument  ist  nach  dem  Principe  des  C  a  s  p  e  r’schen 
Ureteren-Kystoskops  gebaut,  unterscheidet  sich  jedoch  in  den 
wesentlichen  Punkten  von  demselben.  Beibehalten  sind  die 
Führung  des  Canales  für  den  Katheter  an  der  oberen  Seite 
und  die  handliche  Abknickung  des  Fernrohres  durch  ein¬ 
geschaltete  Prismen.  (Siehe  Abbildung.) 

An  dem  vesicalen  Ende  der  Katheterrinne  befindet  sich 
das  A 1  b  a  r  r  a  n’sche  Züngelchen  c,  das  mittelst  einer  am  Ende 
befindlichen  Schraube/’ nach  Bedarf  erhoben  werden  kann.  Nur 
befindet  sich  bei  meinem  Instrumente  dieses  Züngelchen  im 
Rohre  verborgen,  nicht,  wie  bei  A 1  b  a  r  r  a  n,  dem  Rohre  auf¬ 
sitzend.  Eine  Verletzung  der  Harnröhre,  die  mir  bei  dem 
französischen  Kystoskop  fast  unvermeidlich  erscheint,  ist  hier 
absolut  ausgeschlossen.  Durch  die  Anbringung  dieser  zur  Aende- 
rung  der  Krümmung  des  austretenden  Katheters  cl  dienenden 
Vorrichtung  entfällt  das  lästige  Hin-  und  Herschieben  des  die 
Rinne  verschliessenden  Deckels,  der  bei  dem  C a spe r’schen 
Kystoskop  demselben  Zwecke  entsprechen  soll,  und  die  damit 
verbundenen  Erschütterungen  des  Apparates  und  Verschiebungen 
des  schon  festgehaltenen  Blasenbildes  werden  vermieden,  weil 


a  Lampe.  —  b  Prisma.  —  c  Züngelchen.  —  d  Katheter.  —  e  Deckel  für  die  Rinne.  —  f  Schraube,  die  das 

Züngelchen  hebt.  —  g  Elektrischer  Contact. 


12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


bei  meinem  Instrumente  die  kleinste,  unmerkbarste  Drehung 
der  Schraube  die  Hebung  der  Katheterspitze  besorgt. 

Durch  diese  Anordnung  nun  war  es  möglich  —  und 
darin  liegt  ein  Hauptvorzug  —  das  Prisma  und  das  Ende 
des  Sondencanales  auf  4  mm  zu  nähern,  so  dass  die  Spitze  des 
austretenden  Katheters  schon  im  Gesichtsfelde  erscheint,  wenn 
nur  6  mm  desselben  vorgeschoben  waren.  Nun  sind  die  Be¬ 
wegungen  der  Katheterspitze  und  damit  die  Schwierigkeit  der 
Einführung  derselben  in  den  Ureter  natürlich  desto  grösser, 
und  die  Treffsicherheit  desto  kleiner,  ein  je  grösseres  Stück 
in  die  Blase  geschoben  werden  muss,  weil  ja  die  Bewegung 
des  aufrichtenden  Züngelchens  die  Bewegung  der  Katheter¬ 
spitze  auf  einen  grösseren  Kreisbogen  überträgt. 

Die  Technik  des  Katheterismus  des  Ureters  spielt  sich  mit 
meinem  Instrumente  folgendermassen  ab:  die  Oeffnung  desUreters 
wird  derart  eingestellt,  dass  sie  sich  etwas  ausserhalb  des  Cen¬ 
trums  des  Gesichtsfeldes  auf  einer  horizontal  gedachten  Linie 
befindet.  Sodann  wird  der  Katheter,  dessen  Mandrin  circa  5  cm  her¬ 
ausgezogen  ist,  so  weit  vorgeschoben,  dass  seine  Spitze  die 
Ureteröffnung  zu  decken  scheint.  In  dieser  ffxirten  Stellung 
nun  wird  die  Schraube,  die  das  Züngelchen  regirt,  so  weit 
angezogen,  bis  die  Katheterspitze,  die  sich  im  Bilde  scheinbar 
senkt,  vor  die  Oeffnung  zu  liegen  kommt.  Nun  versucht  man, 
den  Katheter  einzuschieben.  Ist  dies  gelungen,  dann  wird  die 
Schraube  sofort  wieder  zurückgedreht,  um  dem  Katheter  freie 
Beweglichkeit  zu  lassen,  und  dieser  nach  Bedürfniss  hoch 
hinaufgeschoben.  Geht  die  Spitze  des  Katheters  beim  Versuche 
cinzudringen  aber  vorbei,  so  kann  man  entweder  durch 
weiteres  Anziehen  der  Schraube  eine  noch  stärkere  Krümmung 
des  Katheters  herbeiführen  oder  durch  eine  ganz  geringe  Seit¬ 
wärtswendung  des  Aussentheiles  des  Instrumentes  nach  der 
anderen  Seite  den  Fehler  in  der  Stellung  corrigiren  oder 
diese  beiden  Massnahmen  in  besonders  schwierigen  Fällen 
combiniren.  Ich  halte  sogar  diese  letztere  Manipulation  für 
vortheilhafter,  weil  ein  zu  starkes  Anziehen  der  Schraube 
den  Katheter  allzu  sehr  klemmt  und  seine  Beweglichkeit  beim 
Vorschieben  hindert. 

Der  weite  Sondencanal  gestattet  die  Einführung  ziemlich 
dicker  Katheter,  aus  denen  dann  der  Harn  in  der  bekannten 
rhythmischen  Art  rasch  abtropft.  Soll  der  Ureterenkatheter  liegen 
bleiben,  so  erfolgt  dessen  Herausheben  aus  der  Rinne  mittelst 
eines  diese  ausfüllenden  Stabes  ganz  so  wie  bei  dem  C  a  s  p  e Eschen 
Instrumente. 


FEUILLETON. 

Zum  Neubau  des  Wiener  k.  k.  Allgemeinen 

Krankenhauses. 

Schaffung  einer  chirurgischen  Isolirabtheilung. 

Von  Primararzt  Dr.  F.  Schopf. 

Mit  der  fortschreitenden  Erkenntniss  der  Aetiologie  der  Krank¬ 
heiten  hat  sieh  auch  das  Feld  der  Prophylaxis  erweitert,  dessen  Be¬ 
arbeitung  uns  dem  Ideal  der  ärztlichen  Thätigkeit,  die  Verhütung  der 
Krankheiten,  immer  näher  bringt. 

Einen  Theil  dieser  Prophylaxis  bildet  die  Verhütung  der  Aus¬ 
breitung  der  infectiösen  Erkrankungen  in  den  Spitälern.  Dieser  wurde 
in  Wien  in  den  letzten  Jahren  erfreulicher  Weise  grosse  Aufmerksam¬ 
keit  geschenkt  und  die  mit  ansteckenden  Krankheiten  Behafteten  nicht 
blos  in  den  Spitälern  selbst  isolirt,  sondern  sogar  in  ein  bestimmtes 
Spital,  das  Kaiser  Franz  Joseph- Spital,  welches  einen  vollständig  ge¬ 
trennten  Spitalstract  für  infectiös  Erkrankte  besitzt,  transferirt. 

Leider  ist  der  Belegraum  bei  Weitem  nicht  ausreichend,  um 
dem  Bedürfniss  zu  genügen.  Aber  der  Anfang  ist  gemacht,  und  so 
ist  zu  hoffen,  dass  durch  Erweiterung  des  bestehenden  und  Neu¬ 
schaffung  anderer  Spitäler  allmälig  dem  Platzmangel  gesteuert 
werde. 

Die  Kranken  der  medicinischen  und  dermatologischen  Kliniken 
und  Abtheilungen  sind  nun  nicht  mehr  der  Gefahr  ausgesetzt,  dass 
sie  Masern,  Scharlach,  Blattern,  Diphtheritis,  Rothlauf,  Flecktyphus 
im  Spital  durch  ihre  Nachbarn  aequiriren. 

Der  nächste  weitere  Schritt  wird  wohl  der  sein,  dass  die  Tuber- 
culüsen  von  den  übrigen  Kranken  getrennt  worden,  wenn  sie  auch 
unter  derselben  ärztlichen  Behandlung  bleiben,  da  bei  dieser  Krank¬ 


heit  nur  durch  langen,  innigen  Contact  eine  Gefahr  der  Uebertragung 
besteht. 

Wenn  wir  nun  fragen,  ob  in  ähnlicher  Weise  für  chirurgisch 
Kranke  gesorgt  wird,  so  müssen  wir  uns  gestehen,  dass  für  dieselben 
noch  gar  nichts  geschieht.  Denn  wenn  auch  ein  Kliniker  oder  Ab¬ 
theilungsvorstand  versucht,  die  Kranken  nach  der  Beschaffenheit  ihres 
Leidens  zu  sortiren  und  in  die  einzelnen  Zimmer  zu  vertheilen,  so  ist 
das  ganz  und  gar  unzulänglich,  weil  überall  mehr  oder  weniger  die 
geeigneten  Räumlichkeiten  und  das  specielle  Personal  fehlt. 

Die  Art  der  Uebertragung  der  Infectionskeime  ist  allerdings  eine 
andere  bei  chirurgisch  Kranken,  als  bei  Masern,  Scharlach  etc. 
Während  bei  diesen  ein  Kranker  den  anderen  unmittelbar  inficirt,  ge¬ 
schieht  die  Uebertragung  bei  jenen  durch  Aerzte,  Wärterinnen,  Instru¬ 
mente,  Verbandstoffe  etc. 

Daraus  wäre  nun  zu  folgern,  dass  bei  chirurgisch  Kranken  eine 
Uebertragung  leichter  zu  vermeiden  sei. 

Dies  ist  allerdings  richtig,  wird  aber  aufgewogen  durch  die 
häufige,  ja  fortdauernde  Gelegenheit  zur  Uebertragung,  die  ja  bei 
jedem  Verbandwechsel  vorhanden  ist,  und  durch  den  innigen  Contact, 
in  welchem  der  Arzt  fortwährend  mit  den  Wunden  kommt. 

Unter  den  jetzigen  Verhältnissen  sucht  man  sich  dadurch  zu 
helfen,  dass  der  Vorstand  und  die  Assistenten  Fälle  von  Anthrax, 
Gangrän,  Phlegmonen,  eiternden  Wunden,  Kothfisteln  etc.  überhaupt 
nicht  verbinden,  weil  sie  sich  für  aseptische  Operationen,  frische  Ver¬ 
letzungen  parat  halten  müssen.  Es  bleiben  also  diese  meist  schweren 
Fälle  dem  jungen,  weniger  geschulten  Arzte  zur  Behandlung,  was 
natürlich  nicht  zum  Vortheile  der  Patienten  ist.  Sind  nun  aber 
grössere  operative  Eingriffe  bei  solchen  infectiösen  Patienten  noth- 
wendig,  dann  können  sich  der  Abtheilungsvorstand  und  die  Assistenten 
nicht  fern  halten  und  müssen  danach,  wie  es  meist  der  böse  Zufall 
will,  oft  eine  eingeklemmte  Hernie  operiren,  einen  Schädelbruch  tre- 
paniren  oder  eine  complicate  Fractur  versorgen  etc. 

Dass  da  eine  Infection  bei  der  Unzuverlässlichkeit  unserer 
heutigen  Desinfectionsmethode  leicht  möglich  ist,  die  der  Kranke  mit 
seinem  Leben  oder  dem  Verlust  einer  Gliedmasse  zahlt,  ist  klar.  Ist 
die  Gefahr  der  Uebertragung  von  Infectionsstoffen  von  einem  Kranken 
zum  anderen  durch  die  Aerzte  auf  einer  chirurgischen  Station  immi¬ 
nent,  so  ist  sie  seitens  der  Wärterinnen  nicht  geringer;  denn  kommen 
sie  auch  unmittelbar  mit  den  Wunden  nicht  so  in  Contact  wie  der 
Arzt,  so  begehen  sie  leichter  Verstösse  aus  Mangel  an  Verständniss, 
Intelligenz,  Gewissenhaftigkeit. 

Am  leichtesten  läsat  sich  noch  die  Uebertragung  durch  Instru¬ 
mente,  Verbandstoffe  vermeiden,  erfordert  aber  immerhin  die  grösste 
Aufmerksamkeit  und  Genauigkeit  aller  Personen,  die  damit  hantiren. 
Diese  Uebelstände  hat  wohl  jeder  Vorstand  einer  chirurgischen 
Station,  der  sich  nicht  die  Fälle  für  dieselbe  auswählen  kann, 
empfunden. 

Auch  lassen  sie  sich  nicht  in  kleinen  Spitälern,  wo  nur  eine 
chirurgische  Abtheilung  besteht,  beseitigen. 

Wohl  aber  ist  dies  möglich  in  grossen  Spitälern,  wo  mehrere 
chirurgische  Abtheilungen  vorhanden  sind  oder  in  einer  Stadt,  wo 
mehrere  Spitäler  unter  gemeinsamer  Verwaltung  stehen. 

Beides  ist  nun  in  Wien  der  Fall.  Vor  Allem  wäre  dies  beim 
Neubau  des  Allgemeinen  Krankenhauses  zu  berücksichtigen. 

Es  soll  eine  chirurgische  Abtheilung  geschaffen  werden,  welcher 
bei  der  Aufnahme  alle  Fälle  von  Anthrax,  Gangrän,  Phlogmonen, 
Wundrothlauf,  Milzbrand  etc.  zugewiesen  werden,  und  jede  Abtheilung 
des  Spitales  soll  das  Recht  haben,  chirurgische  Fälle,  bei  denen  eine 
Gefahr  einer  Infection  besteht,  auf  diese  Abtheilung  zu  transferiren. 
Dieselbe  müsste  in  mehreren  kleinen  Pavillons  oder  in  einem  grossen 
Pavillon  untei'gebracht  werden,  der,  gleichwie  die  Pavillons  für  Infections- 
kranlce,  so  gebaut  ist,  dass  einzelne  Theile  vollständig  von  den  anderen 
getrennt  werden  können. 

Als  Primararzt  dieser  Abtheilung  müsste  ein  Chirurg  bestellt 
werden,  welchem  natürlich  die  Aussicht  auf  Transferirung  in  eine 
andere  chirurgische  Abtheilung  bei  eintretender  Vacanz  eröffnet  werden 
müsste,  denn  derselbe  wäre  von  der  Behandlung  anderer  chirurgischer 
Fälle  ausgeschlossen.  Uebrigens  wäre  sein  Los  noch  leichter  als  das 
des  Vorstandes  der  Infectionsabtheilung,  welcher  Scharlach,  Diphtheritis, 
Blattern  etc.  zu  behandeln  hätte,  denn  derselbe  wird  auch  von  ängst¬ 
lichen  Familien  gesellschaftlich  gemieden.  Das  hilfsärztliche  Personal 
wird  leichter  zu  bekommen  sein,  da  für  die  jungen  Aerzte  das  Kennen¬ 
lernen  gerade  solcher  Fälle  für  die  Praxis  von  Wichtigkeit  ist. 

Das  Wartpersonal  muss  natürlich  für  diese  Abtheilung  separat 
bestellt  weiden  und  darf  auf  keiner  anderen  chirurgischen  Abtheilung 
in  Verwendung  kommen.  Die  Durch  füll  rung  wäre  demnach  nicht 
schwierig,  nur  müsste  bei  einem  Neubau  des  Spitales  darauf  Rücksicht 
genommen  werden. 

Wäre  einmal  eine  solche  Abtheilung  geschaffen,  dann  könnte 
sie  vielleicht  auch  die  schwer  infectiösen  chirurgischen  Fälle  der  anderen 
Spitäler  aufnehmen  und  es  würde  dadurch  ein  wesentlicher  Fortschritt 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


13 


in  der  Verbesserung  der  sanitären  Verhältnisse  der  chirurgischen  Stationen 
gemacht  werden  und  ein  bisher  gewiss  an  allen  chirurgischen  Ab¬ 
theilungen  gefühlter,  aber  noch  nicht  öffentlich  verhandelter  Uebel- 
stand  aufgehoben  werden. 

Andererseits  würden  die  infectiös  Kranken  nicht  das  traurige 
Schicksal  haben,  sich  als  Zurückgesetzte  betrachten  zu  müssen,  die  von 
den  Aerzten  möglichst  gemieden  werden,  bei  denen  möglichst  wenig 
Hand  angelegt  wird,  die  immer  warten  müssen,  bis  alle  Uebrigcn  ver¬ 
bunden  sind  etc.,  die  dann  naturgemäss  eine  etwaige  Verschlimmerung 
diesen  Umständen  zuschrieben.  Da  bei  jedem  Kranken  der  Selbstver¬ 
haltungstrieb  mit  der  Schwere  seines  Leidens  wächst,  so  nimmt  er 
keine  Rücksicht  auf  die  anderen  Kranken  und  wird  erregt  oder  ge¬ 
kränkt,  wenn  er  sich  zurückgesetzt  glaubt. 

Es  muss  daher  die  Schaffung  von  chirurgischen  Isolirabtheilungen 
nicht  blos  aus  hygienischen  Gründen,  sondern  auch  aus  Humanitäts¬ 
rücksichten  gefordert  werden.*) 


Die  neue  Rigorosen-  und  Studäenordnung  für 
die  medicinischen  Fakultäten  Oesterreichs. 

Die  derzeit  an  den  österreichischen  Universitäten  zu  Recht  be¬ 
stehende  Rigorosenordnung  datirt  seit  dem  Jahre  1872.  Sie  ist  unter 
den  Auspicien  Rokitansky’s,  des  damaligen  Referenten  für  die 
medicinischen  Facultäten  im  Ministerium  für  Cultur  und  Unterricht 
entstanden  und  bedeutete  einen  erheblichen  Fortschritt  durch  weise 
Anpassung  an  die  wissenschaftlichen  und  praktischen  Bedürfnisse  der 
damaligen  Zeit.  Es  wird  kaum  bestritten  werden,  dass  sie,  im  Sinne 
ihres  Schöpfers  gehandhabt,  einen  ganz  vortrefflichen  Massstab  für  das 
Wissen  und  Können  des  angehenden  Arztes  abgeben  konnte,  ebenso 
wie  die  auf  Grundlage  dieser  Rigorosenordnung  aufgebaute  Studien¬ 
ordnung  ganz  danach  angethan  war,  dem  ernst  strebenden 
Mediciner  eine  allen  Anforderungen  entsprechende  Ausbildung  zu  ge¬ 
währleisten.  Das  Studium  der  Medicin  sollte  aber  gerade  in  dieser 
seither  abgelaufenen  Epoche  eine  ganz  besondere  Lockung  für  die 
Abiturienten  der  Gymnasien  bilden  und  die  damals  noch  durchaus 
günstige  Situation  des  Aerztestandes  bewirkte  einen  so  übergrosseu 
Zudrang  zum  ärztlichen  Berufe,  dass  selbst  an  den  kleineren  Universi- 


*)  Anmerkung  der  Redaction:  Wir  hielten  uns  verpflichtet 
die  von  so  geschätzter  Seite  kommenden  Anregungen  auch  dann  hier  auf¬ 
nehmen  zu  sollen,  wenn  sie  mit  unseren  persönlichen  Anschauungen  in  dieser 
Angelegenheit  nicht  übereinstimmen  und  wir  ihre  etwaige  Verwirklichung 
nicht  für  wünschenswerth  halten.  Vor  Allem  können  wir  es  durchaus  nicht 
als  eine  rühmenswerthe  und  bewährte  Einrichtung  ansehen,  wenn  für  die 
Bergung  der  Infectionskranken  in  Wien  —  von  den  Infectionsabtheilungen 
der  Kinderspitäler  abgesehen  —  nur  durch  eine  einzige  an  der  äussersten 
Peripherie  der  Stadt  gelegene  Abtheilung  vorgesehen  ist.  Wir  haben  schon 
einmal  Gelegenheit  gehabt  —  der  Anlass  ist  noch  in  recht  unliebsam 
lebendiger  Erinnerung  —  unseren  Standpunkt  in  dieser  Frage  dahin  zu 
präcisiren,  dass  wir  es  für  wünschenswerth,  ja  geradezu  für  geboten  er¬ 
achten,  nicht  nur  in  jedem  Krankenhause,  sondern  anch  auf  jeder 
Abtheilung  im  Krankenhause  bauliche  und  administrative  Vorkehrun¬ 
gen  zu  treffen,  die  es  ermöglichen,  ohne  Gefahr  für  die  anderen  Pa¬ 
tienten  Infectionskranke  unterzubringen.  Dass  dies  leicht  möglich  ist,  bedarf 
wohl  keiner  weiteren  Ausführung,  ebensowenig  als  es  bestritten  werden 
könnte,  dass  es  eine  inhumane  Massregel  ist,  Infectionskranke  auf  der  Höhe 
ihrer  Erkrankung  aus  dem  Krankenhause  ins  Infectionsspital  zu  transportiren. 
Die  Angelegenheit  hat  aber  auch  noch  eine  andere  Seite.  Es  ist  durch  diese 
Verhältnisse  bei  uns  in  Wien  den  Studirenden  und  jungen  Aerzten  fast 
zur  Unmöglichkeit  geworden  oder  zum  Mindesten  ausserordentlich  erschwert, 
sich  in  erwünschter  Weise  mit  dem  so  hochwichtigen  Studium  der  Klinik 
der  Infectionskrankheiten  zu  befassen.  Dass  dies  nicht  ohne  schädliche 
Rückwirkung  bleibt  für  den  Wirkungskreis  des  in  der  Praxis  thätigen, 
jungen  Arztes,  ist  wohl  von  vorneherein  klar. 

Wenn  nun  dafür  plaidirt  wird,  eigene,  selbstständige  Abtheilungen 
für  chirurgische  Infectionskrankheiten  zu  creiren,  so  würden  ausser  den 
schon  erwähnten  Unzukömmlichkeiten  noch  die  Schwierigkeiten  der  Ab¬ 
grenzung  und  Zuweisung  des  einschlägigen  Krankenmateriales  hinzukommen. 
Wenn  man  nach  modern  bacteriologischen  Eintheilungsgründen  Vorgehen 
wollte,  so  bliebe  dann  für  die  eigentlichen  chirurgischen  Kliniken  und  Ab¬ 
theilungen  nur  ein  recht  geringer  Rest  zur  Aufnahme  geeigneter  Patienten. 
DieEmpyeme,  eingeklemmten  Brüche,  die  so  häufigen  Wurmfortsatzoperationen, 
die  Laparotomien  wegen  der  verschiedenen  zu  Ileus  führenden  Krankheits- 
processe,  ein  grosser  Theil  des  urologischen  Materiales,  ja  jedwede  im 
weiteren  Verlaufe  nach  Operationen  und  Verwundung  entstehende  Eiterung 
wäre  consequenter  Weise  dieser  präsumptiven  chirurgischen  Iufections- 
abtheilung  zuzuführen. 

So  wünschenswerth  und  geboten  es  erscheint,  auf  jede  r  chirurgischen 
Abtheilung,  so  weit  dies  überhaupt  von  vorneherein  durchführbar  ist,  eine 
möglichst  consequent  durchgeführte  und  möglichst  vollständige  ärztliche 
und  administrative  Sonderung  des  septischen  und  aseptischen  Kranken¬ 
materiales  durchzuführen,  so  wenig  kann  —  aus  mehr  als  einem  Grunde  — 
es  befürwortet  werden,  diese  Sonderung  so  weit  zu  treiben,  dass  für  die 
inficirten  chirurgischen  Kranken  eigene  Abtheilungen  errichtet  würden. 


täten  die  Ilörsäle  und  Laboratorien  in  einer  Weise  überfüllt  waren, 
die  für  die  Mehrzahl  der  Studirenden  eine  auch  nur  halbwegs  indivi- 
dualisirende  Ausbildung  fast  zur  Unmöglichkeit  machte.  Unsere  aka¬ 
demischen  Lehrer  waren  durch  diese  Zustände  in  eine  Pflichtencollision 
gerathen,  der  auch  die  neue  Rigorosenordnung  nicht  steuern  konnte. 
Denn  dadurch,  dass  diese  in  eine  grössere  Anzahl  einzelner,  zeitlich 
von  einander  beliebig  auseinandergelegter  Prüfungsacte  zerfiel,  war  es 
den  Candidaten  ermöglicht,  jeweilig  nur  für  den  einzelnen  Prüfungsact 
sich  vorzubereiten  und  darüber  den  Ausweis,  inwieweit  sie  die  Ge- 
sammtheit  des  nothwendigen  Wissens  und  Könnens  zur  Verfügung 
haben,  schuldig  zu  bleiben. 

Dem  gewissenhaften  und  befähigten  Studenten,  der  für  seinen 
zukünftigen  Pflichtenkreis  den  wahren  inneren  Beruf  mitbrachte,  blieb  es 
freilich  ermöglicht,  durch  rasch  aneinandergereihte  Ablegung  der 
Prüfungen  gleichsam  aus  dem  Vollen  zu  schöpfen  und  den  Zusammen¬ 
hang  der  verschiedenen  Wissenszweige  und  Prüfungsgegenstände  als 
Resultat  einsichtsvollen  Studiums  sich  zu  wahren.  Nicht  nur  unter 
den  Studenten  der  Medicin  bildete  aber  diese  letztere  Kategorie  der 
Prüfungscandidaten  die  zweifellose  Minderzahl.  Der  ärztliche  Stand 
hatte  und  hat  darunter  mehr  als  genug  zu  leiden.  Man  sei  aufrichtig 
und  bekenne  es  offen,  dass  die  Ungunst  der  Verhältnisse,  über 
wrelche  die  Aerzteschaft  aller  Orten  zu  klagen  hat,  nicht  gerade  zum 
Mindesten  auch  dadurch  verschuldet  ist,  dass  unter  der  so  grossen  Zahl 
der  Medicin  Studirenden  nur  ein  verhältnissmässig  recht  geringer 
Theil  mit  jenem  Fond  von  allgemeiner  Bildung  und  familiärer  Er¬ 
ziehung  und  mit  jenen  Fähigkeiten  und  sittlichen  Anschauungen  aus¬ 
gestattet  an  die  Universität  kam,  die  als  unerlässliche  Vorbedingungen 
zur  wahren  Qualification  gerade  für  den  ärztlichen  Beruf  angesehen 
werden  müssen.  Das  Studium  der  Medicin  artete  vielfach  lediglich  in  ein 
Prüfungsstudium  aus  und  schliesslich  und  endlich  gelang  es  bei  der 
relativ  grossen  Anzahl  von  Einzelprüfungen  und  der  Möglichkeit,  die 
einzelnen  Prüfungsacte  in  beliebigen  Terminen  abzulegen,  auch  den 
mindest  Berufenen  durch  die  einzelnen  Etappen  der  Rigorosen  sich 
durchzuwinden  und  ans  Ziel  der  Wünsche,  der  Erlangung  des  zur 
Ausübung  der  Praxis  berechtigenden  Diploms  zu  gelangen. 

Wenn  je  der  Grundsatz  :  „Non  scholae  sed  vitae  discimus!“ 
Bedeuiung  hat,  so  hat  er  sie  vor  Allem  für  das  Studium  der  Medicin. 
Und  gerade  die  Erwägung  wie  leicht  dieser  Grundsatz  von  Den¬ 
jenigen  umgangen  werden  konnte,  die  von  den  Pflichten  ihres  künf¬ 
tigen  Berufes  nicht  gerade  die  strengsten  und  idealsten  Anschauungen 
hatten,  mag  dafür  massgebend  gewesen  sein,  an  die  Stelle  der  jetzt 
bestehenden  Rigorosenordnung,  die  nur  den  ernst  strebenden,  pflicht¬ 
bewussten  Medicinern  angepasst  war,  eine  neue  zu  setzen  mit 
grösserer  Gewähr  einer  richtigen  Beurtheilung  des  Wissensstandes  der 
Candidaten.  *) 

Wenn  auch  noch  nicht  amtlich  verlautbart,  ist  die  neue  Rigorosen¬ 
ordnung  doch  schon  in  ihren  grossen  Zügen  bekannt  geworden  und  es 
darf  wohl  jetzt  schon  gesagt  werden,  dass  sie  aller  Voraussicht  nach 
dem  Ziele  näher  scheint,  im  Prüfungsergebniss  auch  den  richtigen  Mass¬ 
stab  für  das  wissenschaftliche  Wissen  und  praktische  Können  des  an¬ 
gehenden  Arztes  zu  gewinnen. 

Die  neue  Rigorosenordnung  theilt  vor  Allem  in  ihrer  natürlichen 
Rückwirkung  auf  die  Studienordnung  bei  Beibehaltung  des  Quinquen- 
niums  das  ganze  Medicinstudium  in  zwei  grosse  Abschnitte,  von  denen 
der  eine  die  theoretischen  Grundlagen  des  ärztlichen  Wissens,  der 
zweite  die  praktischen  Disciplinen,  der  eine  die  Wissenschaft  vom  ge¬ 
sunden,  der  zweite  jene  vom  kranken  Menschen  umfasst.  Diese  beiden 
Studienabschnitte  sind  durch  eine  die  theoretisch-naturwissenschaft¬ 
lichen  Fächer  betreffende  Prüfung  begrenzt  oder  besser  gesagt  über¬ 
brückt,  indem  der  Uebergang  zu  den  Studien  der  verschiedenen  Dis¬ 
ciplinen  der  Pathologie  nur  nach  abgelegtem  ersten  Rigorosum  er¬ 
möglicht  ist.  Dieses  erste  Rigorosum  umfasst  aber  a)  Allgemeine  Bio¬ 
logie,  b)  Physik  für  Mediciner,  c)  Chemie  für  Mediciner,  d)  Anatomie, 
e)  Physiologie,  f)  Histologie.  Die  Prüfung  aus  Allgemeiner  Biologie 
und  Physik  wird  nur  theoretisch,  jene  aus  den  übrigen  Gegenständen 
theoretisch  und  praktisch  vorgenommen. 

Neu  ist  die  Prüfung  aus  Allgemeiner  Biologie,  die  als  Ersatz 
für  die  bisher  bestandenen  Prüfungen  aus  Zoologie,  Botanik  und 
Mineralogie  eingeführt  wurde  und  dem  Zwecke  dient,  den  Nachweis, 
der  für  den  Mediciner  unerlässlichen  Kenntnisse  aus  der  Pflanzen-  und 
Thierphysiologie,  den  Principien  des  organischen  und  anorganischen 
Lebens  etc.  zu  erbringen.  Dem  fleissigen  Mediciner  bleibt  es  nicht 
nur  unbenommen,  es  wird  ihm  vielmehr  in  der  bei  der  Immatriculation 
an  die  Hand  gegebenen  Studienordnung  direct  empfohlen,  auch  die 
Collegien  aus  Botanik,  Zoologie  und  Mineralogie  zu  hören.  Geprüft 
aber  wird  er  aus  diesen  Gegenständen  nicht. 

In  seinem  ersten  Studienabschnitte,  für  den  eine  untere  Grenze 
von  vier  Semestern  festgesetzt  ist,  hat  also  der  Studirende,  ohne  durch 


*)  Diese  Verlautbarung  ist  inzwischen  erfolgt.  Siehe  »Wiener 
Zeitung«  vom  31.  December  1899. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1SOO. 


Nr.  1 


zwischenliegende  Prüfungen  unterbrochen  zu  werden,  mit  den  zum 
Verstiindniss  der  krankhaften  Vorgänge  nöthigen  naturwissenschaft¬ 
lichen  Disciplinen  sich  zu  beschäftigen,  und  erst  wTenn  er  seine  Kennt¬ 
nisse  in  diesen  Fächern  erwiesen  hat,  wenn  er  gleichsam  hierüber  eine 
Maturitätsprüfung  in  Form  des  ersten  Rigorosums  abgelegt  hat,  dann 
erst  kann  er  in  grösserer  Ausdehnung  die  Gegenstände  der  späteren 
Semester  frequentiren. 

Die  Dauer  des  zweiten  Studienabschnittes  hat  eine  uutei  e  Grenze 
von  sechs  Semestern,  im  Uebrigen  bleibt  es  aber,  wie  bisher,  dem  Can- 
didaten  überlassen,  zu  beurtheilen,  wann  er  für  eine  Prüfung  vorbe¬ 
reitet  ist,  beziehungsweise  den  zweiten  und  dritten  Studienabschluss  in 
Form  der  in  rascher  Aufeinanderfolge  abzulegenden  Prüfungen  des 
zweiten  und  dritten  Rigorosums  abzuschliessen.  Durch  diese  rasche 
Aufeinanderfolge  der  Einzelprüfungen  wird  es  dem  Studenten  unmöglich 
gemacht,  lediglich  für  jeden  einzelnen  Prüfungsact  sich  besonders  vorzu¬ 
bereiten,  vielmehr  bezweckt,  bei  der  Gesammtprüfung  den  vollen  Ein¬ 
druck  des  Gesammtwissens  des  Candidaten  nach  Absolvirung  seiner 
einschlägigen,  durch  keine  anderweitigen  Prüfungsacte  gestörten 
Studien  zu  erlangen.  Es  ist  damit  auch  erreicht,  dass  Studium  und 
Prüfungsvorbereitung  sich  jeweilig  in  vollem  Umfange  decken. 

ln  der  neuen  Rigorosenordnung  werden  künftig  mehr  Gegen¬ 
stände  v  ie  bisher  praktisch  geprüft  und  andererseits  in  manchen  Gegen¬ 
ständen  die  praktischen  und  theoretischen  Doppelprüfungen  in  ein¬ 
heitlich  praktisch-theoretische  Prüfungen  umgewandelt. 

In  den  beiden  Fächern  „Interne  Medicin“  und  „Chirurgie“  ist 
die  Zweitheilung  der  Prüfung  beibehalten  und  die  praktische  Prüfung 
auf  je  zwei  Tage  vertheilt. 

Beim  zweiten  Rigorosum  sind  Prüfungsgegenstände: 

a)  Als  Uebersichtsprüfung  Anatomie  oder  Physiologie,  b)  patho¬ 
logische  Anatomie  und  Histologie  (gleichzeitig  praktisch  und  theo¬ 
retisch),  c)  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie,  d)  Pharmakologie 
und  Receptirkunde,  e )  Hygiene,  letztere  als  neuer  Prüfungsgegenstand. 

Beim  dritten  Rigorosum  sind  Prüfungsgegenstände: 

a )  Interne  Medicin,  b)  Chirurgie,  beide  getrennt  praktisch  und 
theoretisch,  c)  Geburtshilfe  und  Gynäkologie,  gleichzeitig  praktisch  und 
theoretisch,  d)  Augenheilkunde,  gleichzeitig  praktisch  und  theoretisch, 

e)  die  klinischen  Specialfächer  Psychiatrie,  Kinderheilkunde,  sowie 
Dermatologie  und  Syphilis,  gleichzeitig  praktisch  und  theoretisch, 

f)  Gerichtliche  Medicin,  nur  theoretisch. 

Von  den  Gegenständen  des  dritten  Rigorosums  wird  also  nur 
die  gerichtliche  Medicin  lediglich  theoretisch  geprüft,  was  bei  der 
eminent  praktischen  Tragweite  gerade  dieses  Gegenstandes  einiger- 
massen  Wunder  nimmt. 

Für  Laryngologie,  Otiatrie,  Zahnheilkunde  und  Impfkunde  ist 
der  Nachweis  der  Frequentation  eines  Curses  erforderlich. 

In  formaler  Beziehung  verdient  es  Erwähnung,  dass  der  Regie- 
rungscommissär  in  Hinkunft  nur  bei  dem  zweiten  und  dritten  Rigorosum 
interveniren  wird. 

Weiter  ist  es  von  Interesse,  dass  die  Absicht  besteht,  nament¬ 
lich  für  die  Facuitäten  mit  grosser  Hörerzahl  auch  jene  Extraordinarii 
und  Privatdoeenten,  welche  über  ein  reiches,  für  die  Studirenden  jetzt 
wenig  ausgeuütztes  Krankenmaterial  verfügen,  durch  Zuziehung  zu 
den  praktischen  Prüfungen  für  diese  Art  des  praktischen  Unterrichtes 
zu  interessiren,  und  dadurch  zu  veranlassen,  auch  entsprechende  Collegien 
zu  lesen. 

Begrüssen  wird  es  ferner  der  Medieiner,  dass  ihm  nach  dem 
neuen  Studionplan  die  Möglichkeit  geboten  ist,  sein  Militärhalbjahr 
während  der  Studien  abzudienen,  ohne  dass  diese  dadurch  eine  wesent¬ 
liche  Störung  erfahren,  indem  dafür  gesorgt  ist,  dass  er  seine  Collegien 
in  derselben  Reihenfolge  hört,  als  würde  er  die  Studien  nicht  unter¬ 
brochen  haben. 

Es  ist  hier  nur  in  grossen  Zügen  Dasjenige  skizzirt,  was  bisher 
über  die  neue  Studien-  und  Rigorosenordnung  bekannt  geworden  ist. 
Man  wird  es  mit  Genugthuung  anerkennen  müssen,  dass  hier  eine 
wichtige  legislatorische  Fiage  in  einer  Weise  gelöst  erscheint,  die,  so 
weit  sich  dies  überhaupt  jetzt  schon  beurtheilen  läst,  alle  Gewähr  dafür 
bietet,  dass  die  Universität  mit  grösserer  Zuversicht  als  bisher  den 
jungen  Aerzten  das  Diplom  wird  einhändigen  können. 

Die  wissenschaftliche  Ausbildung  und  die  praktische  Bethätigung  — 
für  Beides  ist  in  fürsorglicher  Weise  vorgesehen.  Die  zeitliche  Congruenz 
von  jeweiligemStudium  und  Prüfungsvorbereitung,  der  grosse  Wendepunkt 
beim  ersten  Rigorosum,  welcher  Manchen  noch  rechtzeitig  zum  Rückzug  in 
andereBerufo  veranlassen  wird,  dessenKräfte  hier  schon  erschöpft  scheinen, 
die  in  grössere  Gruppen  zusammengefassten  Prüfungen  und  die  inten¬ 
sivere  Methode  ihrer  llaudhabung  und  die  hiemit  erhöhte  Möglichkeit, 
bei  diesen  wichtigen  Etappen  im  Leben  des  Studirenden  nicht  blos 
Proben  rasch  zusammengetragener  Gedächtnissarbeit,  sondern  verständ- 
nissvoller  akademischer  Bildung  und  praktischer  Befähigung  zu  er¬ 
bringen  —  das  sind-  die  Vorzüge,  die  man  der  neuen  Rigorosenordnung 
jetzt  schon  wird  zuerkennen  können.  A.  F. 


REFERATE. 

Die  localen  Erkrankungen  der  Harnblase. 

Von  Otto  Zuckerkandl. 

Dieses  Buch  bildet  eine  wesentliche  Bereicherung  des  grossen 
N  o  t  h  n  a  g  e  Pschen  Sammelwerkes  der  speciellen  Pathologie  und 
Therapie.  Reiche  Literaturkenntniss  und  grosse  persönliche  Er¬ 
fahrungen  haben  es  dem  Autor  ermöglicht,  eines  der  brauchbarsten 
Lehrbücher  über  die  Erkrankungen  der  Harnblase  zu  schreiben; 
der  Praktiker  wie  der  Specialist  werden  es  mit  Interesse  lesen. 
Besonders  hervorzuhehen  sind  die  trefflichen  Capitel,  die  sich  mit 
der  Würdigung  der  einzelnen  Symptome  Blasenkranker,  der  Retentio 
urinae,  der  Enuresis,  der  Hämaturie,  der  Pyurie  etc.  beschäftigen. 
Für  den  praktischen  Arzt  ist  hier  eine  reiche  Fundgrube  trefflicher 
Winke  und  anregender  Bemerkungen  gegeben,  die  vielen  Kranken 
zu  Gute  kommen  werden. 

Ein  ausgewähltes  vorzügliches  Literaturverzeichniss  schliesst 
das  bemerkenswerthe  Buch,  das  sich  sicher  viele  Freunde  erwerben 
wird.  Nitze. 


I.  Tripper  und  Ehe. 

Von  Dr.  med.  L.  Jullien,  Paris,  ins  Deutsche  übertragen  und  herausgegeben 
von  Dr.  med.  E.  II  o  p  f ,  Dresden. 

Berlin  1899,  Gebrüder  Borntraeger. 

II.  Die  Thompson’sche  Zwei-Gläser-Harnprobe  und  ihre 

diagnostische  Verwerthung. 

Schematisch  dargestellt  von  Dr.  Richard  Hofmeister  in  Karlsbad. 
Wien  1899,  Josef  Safaf. 

III.  Die  amtlichen  Vorschriften,  betreffend  die  Prostitution 
in  Wien  in  ihrer  administrativen,  sanitären  und  straf¬ 
gerichtlichen  Anwendung. 

Von  Dr.  Josef  Schrank,  k.  k.  Polizeiarzt  in  Wien. 

Wien  1899,  F.  Safaf. 

IV.  Die  Prostitution. 

Ein  Beitrag  zur  öffentlichen  Sexualhygiene  und  zur  staatlichen 
Prophylaxe  der  Geschlechtskrankheiten. 

Eine  social-medieinische  Studie  von  Dr.  C.  Ströhmberg,  Stadt-  und 
Oberarzt  des  Stadtliospitales  in  Jerjew  (Dorpat). 

Stuttgart  1899,  F.  Enk  e. 

V.  Cure  prompte  et  radicale  de  la  Syphilis.  —  Syphilis 

et  Mercure. 

Par  Ie  Dr.  J.  F.  Larrien,  Medecin  de  l’hospital  de  Moutfort,  l’Amanry 
laureat  de  la  faculte  de  medecine  de  Paris. 

Troisieme  Edition. 

Paris  1899,  Societe  d’editions  scientifiques. 

VI.  Die  Akne  (Acne  vulgaris,  Acne  rosacea  etc.)  und  ihre 

Behandlung. 

Dr.  Jessner’s  dermatologische  Vorträge  für  Praktiker. 

Heft  2. 

Würzburg  1899,  A.  Stüber. 

VII.  Pathologie  und  Therapie  der  Hautkrankheiten  in 
Vorlesungen  für  praktische  Aerzte  und  Studirende. 

Von  Dr.  Moriz  Kaposi,  o.  ö.  Professor  für  Dermatologie  und  Syphilis  und 
Vorstand  der  Klinik  und  Abtheilung  an  der  Wiener  Universität,  k.  k. 

Hofrath. 

Eiinfte  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 

Wien  1899,  Urban  &  Schwarzenberg. 

VIII.  Handatlas  der  Hautkrankheiten  für  Studirende  und 

Aerzte. 

Von  Prof.  M.  Kaposi. 

II.  Abtheilung,  I — M  (Ichthyosis — Myoma  cutis),  enthaltend  126  Chromo- 

tafeln. 

Wien  und  Leipzig  1899,  Wilhelm  Braumüller. 

I.  In  der  bekannten  leichten  französischen  Manier,  in 
fliessendem  Styl,  der  allerdings  durch  seine  Breite  und  zahl¬ 
reiche  Wiederholungen  zuweilen  ermüdend  wirkt,  bespricht 
Jullien  das  Capitel  des  Trippers  und  der  Ehe  unter  Anlehnung 
an  Meister  Fournier’s  schönes  Buch  über  »Syphilis  und  Ehe«, 
das  sich  Jullien  augenscheinlich  zum  Vorbilde  nahm.  Auf  die 
neuesten  bacteriologischen  Errungenschaften  gestützt,  auf  dem  Boden 
der  Gonococcenlehre  fussend,  zeigt  uns  der  Verfasser  in  anschau¬ 
licher  Weise  die  Bedeutung  und  die  Consequenzen  der  Einschleppung 
der  Gonorrhoe,  des  Gonococcus  in  die  Ehe  und  bespricht  das  Ver¬ 
halten,  die  Aufgaben  des  Arztes  gegenüber  dem  acuten  und  chro¬ 
nischen  Tripper  bei  Mann  und  Weib,  wenn  zu  den  Aufgaben  der 
Heilung  noch  jene  socialen  Schwierigkeiten  sich  hinzugesellen,  die 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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dann  entstehen,  wenn  das  Leiden  kurz  vor  der  Verehelichung  oder 
in  der  Ehe  bei  einem  der  Ehegatten  zum  Ausbruch  kommt.  Der 
Ursprung  der  Affection,  die  Behandlung,  das  Verhalten  und  die 
Rathschläge  des  Arztes  gegenüber  den  socialen  Gomplicationen,  stets 
unter  Berücksichtigung  des  Cardinalpunktes  die  Infection  des  anderen 
Theiles  unbedingt  zu  verhüten,  werden  eingehend  besprochen.  Der 
Uebersetzer  hat  sich  durch  die  Verdeutschung  dieses  für  den  Prak¬ 
tiker  sowohl  als  Specialarzt  gleich  wichtigen  Werkes  entschiedenes 
Verdienst  erworben,  nur  hätte  er  vielleicht  besser  gethan,  statt  der 
Uebersetzung  eine  gekürzte  Bearbeitung  zu  bringen.  Die  vielen 
Wiederholungen,  üppigen  Stylblüthen,  eingestreuten  Bonmots,  die  in 
der  französischen  Ausgabe  den  Styl  würzen,  erscheinen  in  der 
deutschen  Ausgabe  als  schwerfällige,  oft  unwillkommene  Beigaben. 
Die  Ausstattung  ist  sehr  würdig. 

* 

II.  Verfasser  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  den  Werth 
und  die  diagnostische  Bedeutung  der  Zwei-Gläser-Harnprobe  darzu- 
thun  und  durch  schematische  Darstellung  zur  Popularisirung  dieser 
im  Ganzen,  insbesondere  von  den  praktischen  Aerzten  noch  wenig 
geübten  Untersuchungsmethode  beizutragen.  In  seinem  Schema  und 
in  der  demselben  vorausgehenden  Erläuterung  schildert  Verfasser 
in  klarer  und  anschaulicher  Weise,  wie  man  auf  Basis  der  Zwei- 
Gläserprobe  unter  Beachtung  des  wechselnden  Aussehens  des  Urins 
in  beiden  Proben  und  unter  Zuhilfenahme  einfacher  chemischer 
oder  mikroskopischer  Untersuchungsmethoden  dazu  kommen  kann, 
Erkrankungen  des  uropoetischen  Systemes  zu  diagnosticiren  und 
exact  zu  localisiren. 

Die  Darstellung  ist  knapp,  aber  klar  und  kann  dem  Büchel¬ 
chen  nur  weiteste  Verbreitung  in  ärztlichen  Kreisen  gewünscht 
werden. 

* 

III.  Die  vor  Kurzem  in  Brüssel  abgehaltene  internationale  Conferenz 
zur  Prophylaxis  der  Syphilis  und  der  venerischen  Knankheiten  hat, 
abgesehen  von  ihrem  directen  Ergebnisse,  auch  das  Verdienst,  an¬ 
regend  und  befruchtend  auf  das  Studium  dieser  Fragen  auch  ausser¬ 
halb  des  Rahmens  der  Conferenz  eingewirkt  zu  haben.  So  liegen 
uns  nun  zwei  Arbeiten  vor,  die  beide  direct  der  Brüsseler  Conferenz 
ihre  Entstehung  verdanken. 

Das  eine  von  Schrank  enthält  eine  zusammenfassende 
Zusammenstellung  aller  amtlichen  Vorschriften,  betreffend  die  Pro¬ 
stitution  in  Wien,  damit  eine  Schilderung,  in  welcher  Weise  der 
Prostitution  und  ihren  Schäden  zu  Leibe  gegangen  wird.  Nachdem 
die  meisten  dieser  Vorschriften  und  Erlässe  in  den  Archiven  der 
Behörden  ruhen  und  nur  Amtspersonen  zugänglich  sind,  hat 
Schrank  durch  deren  Publication  das  Verdienst,  dieselben  dem 
grossen  Publicum  zugänglich  gemacht  zu  haben,  ein  Verdienst,  das 
Jeder,  der  für  diese  Fragen  sich  interessirte  und  weiss,  wie  schwer 
diesbezügliche  Daten  zu  beschaffen  sind,  voll  zu  würdigen  weiss. 

IV.  Ebenso  verdankt  das  schöne  Werk  von  Stroh  mberg 
seine  Entstehung  direct  der  Brüsseler  Conferenz.  Dasselbe  ent¬ 
hält  eine  klare  und  übersichtliche  Darstellung  der  ganzen  Frage 
und  Alles  dessen,  was  mit  derselben  zusammenhängt.  Von  der  An¬ 
sicht  Tarnowsky’s  und  Lombroso’s  ausgehend,  dass  die 
Prostituirten  psychisch  pathologische,  degenerirte  Geschöpfe  seien, 
bespricht  er  zuerst  die  biologische  Bedeutung  der  Prostitution, 
deren  Beeinflussung  durch  die  jeweiligen  Sitten,  endlich  den  Typus 
der  Prostituirten,  indem  auch  er  den  Standpunkt  vertritt,  dass  man 
es  hier  mit  moralisch  degenerirten  Individuen  zu  thun  habe,  bei 
denen  Arbeitsscheu,  Sucht  nach  Ungebundenheit,  sexuelle  Insensi¬ 
bilität  zur  Prostitution  treiben.  Gegenüber  den  Abolitionisten,  die 
die  Prostituirle  als  »weisse  Sclavin«  ansehen  und  von  Zwang  und 
Sclaverei  befreien  wollen,  argumentirt  der  Verfasser,  dieselben  be¬ 
gingen  den  grossen  Fehler  und  eine  Herabsetzung  der  anständigen 
Frauen,  indem  sie  die  Prostituirten  moralisch  auf  dieselbe  Stufe 
stellten.  Zur  Frage  der  Degeneration  und  moralischen  Werthigkeit 
der  Prostituirten  bringt  Verfasser  aus  dem  Dorpater  Materiale 
interessante  Daten.  So  sind  von  den  dortigen  Prostituirten  60 — 70% 
wegen  Diebstahls  abgestraft.  Nachdem  Verfasser  noch  die  Unverbesser¬ 
lichkeit  der  Prostituirten  besprochen,  übergeht  er  zu  den  für  uns 
wichtigen  Fragen  der  staatlichen  Controle,  deren  Nothwendigkeit  er 
beweist,  deren  Nutzen  er  nachweist,  deren  Mängel  er  betont  und 
zu  deren  Assanirung  er  Vorschlüge  erstattet.  Von  letzteren  sei  nur 
betont,  dass  Verfasser  die  Nothwendigkeit  der  Umwandlung  ärzt¬ 


licher  Controle  hervorhebt,  insoferne,  als  dieselbe  mit  ambulatorischer 
Behandlung  zu  verbinden  sei,  die  Nothwendigkeit  ambulatorisch¬ 
stationärer  Behandlung,  also  Verquickung  von  ambulatorischer  und 
Hospitalsbehandlung  betont,  verlangt,  dass  die  Untersuchungsärzte 
auch  behandelnde  Aerzte  seien,  für  die  chronisch-intermittirende 
Behandlung  der  Syphilis,  sowie  für  die  Nothwendigkeit  mikro¬ 
skopischer  Gonococcenuntersuchung  auf  Grund  eigener  Erfahrung 
eintritt.  Zahlreiche  Statistiken  und  sonstige  Belege  erhöhen  den 
Werth  der  interessanten  Arbeit. 

* 

V.  Dass  in  einem  Lande  wie  Frankreich,  in  dem  in  der  mer- 
curiellen  Behandlung  der  Syphilis  des  Guten  vielleicht  ein  bischen 
zu  viel  geschieht,  sich  eine  Gegenströmung  entwickelt,  die  gegen 
den  Missbrauch  und  schliesslich  auch  den  Gebrauch  des  Mercur 
bei  Syphilisbehandlung  auftritt,  ist  eine  natürliche  Sache.  Wenn 
daher  Verfasser,  nachdem  er  in  einer  sehr  ausführlichen  Weise 
über  die  Resorption,  Elimination,  Wirkungsweise  des  Quecksilbers 
abhandelte,  zum  Schlüsse  kommt,  es  werde  bei  der  gegenwärtigen 
mercuriellen  Behandlung  der  Syphilis  der  Mercur  in  zu  grossen 
Dosen,  durch  zu  lange  Zeit,  in  zu  häufiger  Folge  angewendet,  so 
hat  er  damit  Fragen  aufgeworfen,  die  immerhin  discutirbar  sind. 
Wenn  aber  Verfasser  nun  zur  Angabe  einer  allein  seligmachenden 
eigenen  Methode  der  Syphilisbehandlung  schreitet,  die  darin  besteht, 
dem  Patienten  sofort  nach  Constatirung  der  Infection  drei  bis  fünf 
Tropfen  Jodtinctur  durch  mehrere  Monate  intermittirend  darzu¬ 
reichen,  und  von  dieser  Methode  behauptet,  sie  verhindere,  in  der 
primären  Periode  begonnen,  den  Ausbruch  secundärer  Symptome, 
in  der  secundären  Periode  begonnen,  heile  sie  die  Syphilis  prompt 
in  vier  bis  fünf  Monaten,  verhindere  tertiäre  und  hereditäre  Syphilis 
absolut  —  dies  Alles  behauptet  auf  Grund  eigener  zehnjähriger  Er¬ 
fahrung  - — ,  dann  muss  man  wohl  bedauern,  dass  die  Societe 
d’editions  scientifiques  in  Paris  sich  zum  Verlage  dieses  Buches 
hergegeben  hat. 

* 

VI.  In  knapper,  sachlicher,  anziehender  Form  gibt  uns  J  e  s  s- 
ner  eine  Schilderung  der  verschiedenen  als  Akne  zusammenge¬ 
fassten  Krankheitsbilder,  der  Acne  simplex,  rosacea,  varioliformis, 
necrotica,  cachecticorum,  bespricht  das  Krankheitsbild,  die  Aetio- 
logie,  um  dann  in  etwas  breiterer  Weise  auf  die  Therapie  einzu¬ 
gehen.  Ist  auch  der  Zusammenhang  der  Akne  mit  allgemeinen  und 
Ernährungsstörungen  noch  nicht  völlig  erwiesen  und  hat  J  e  s  s  n  e  r 
diese  Fragen  in  der  Aetiologie  mit  berechtigter  Skepsis  behandelt, 
so  erklärt  er  doch,  als  Therapeut  die  Pflicht  zu  haben,  dort,  wo 
man  für  eine  causale  Therapie  keinen  festen  Anhalt  hat,  allen 
noch  so  zweifelhaften  Hypothesen  und  empirischen  Ueberlieferungen 
Rechnung  tragen  zu  müssen.  Er  geht  also  in  therapeutischer  Be¬ 
ziehung  auf  diesen  Punkt  mehr  als  gewöhnlich  ein,  wobei  er  von 
internen  Medicamenten  besonders  den  Schwefelpräparaten  das  Wort 
redet,  neben  denen  er  auch  das  Ichthyol  intern  empfiehlt.  Auch 
die  locale  Therapie  wird  eingehend  besprochen,  wobei  Verfasser 
besonders  die  von  der  Wiener  Schule  empfohlenen  und  ausgegan¬ 
genen  Behandlungsmethoden  bevorzugt.  Demjenigen,  der  eine  kurze 
aber  verlässliche  Orientirung  über  diese  so  verbreiteten  Leiden 
wünscht,  ist  das  Büchelchen  bestens  zu  empfehlen. 

* 

VII.  Das  rühmlich  bekannte  Werk  des  Vorstandes  der  Wiener 
dermatologischen  Klinik  liegt  uns  in  fünfter  Auflage  vor.  Wir  haben 
Gelegenheit  gehabt,  die  vier  Vorgänger  desselben  in  diesen  Blättern 
schon  eingehend  zu  würdigen,  wir  können  uns  heute  also  damit 
begnügen,  das  Erscheinen  der  fünften  Auflage  anzuzeigen  und  zu 
betonen,  dass  dieselbe  alle  die  zahlreichen  Vorzüge  der  früheren 
Auflagen  aufweist,  dadurch,  dass  alle  thatsächlichen  Leistungen  auf 
dem  Gebiete  der  Dermatologie  bis  in  die  jüngste  Zeit  aufgenommen 
wurden,  zahlreiche  wesentliche  Ergänzungen  und  Erweiterungen  er¬ 
fahren  hat,  so  dass  es  durch  seine  sachliche  Vollständigkeit  ein 
dermatologisches  Handbuch  seiner  Zeit  darstellt.  Es  ist  zweifellos, 
der  Name  des  Verfassers  bürgt  dafür,  dass  auch  diese  Auflage,  wie 
die  früheren,  dem  Facharzte,  Praktiker,  Studenten  gleich  willkommen 
sein  wird  und  wir  in  nicht  zu  langer  Zeit  Gelegenheit  haben 
werden,  unseren  Lesern  das  Erscheinen  einer  weiteren  —  der 
sechsten  —  Auflage  anzuzeigen. 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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VIII.  Wir  haben  das  Erscheinen  dieses  schönen  Unternehmens  be¬ 
reits  in  diesen  Blättern  angezeigt  und  hei  Besprechung  der  I.  Abtheilung 
jene  Ziele  und  Absichten,  die  den  Verfasser  bei  Herausgabe  des 
Werkes  leiteten,  voll  gewürdigt.  Handelt  es  sich  ja  nicht  um  die 
Herausgabe  eines  Atlas  von  Schulfällen,  sondern  zugleich  um  einen 
»Atlas  seltener  dermatologischer  Krankheitsfälle«,  wie  ihn  zu  ver¬ 
öffentlichen  kein  Anderer  so  berechtigt  und  geeignet  war,  als  Ka¬ 
posi,  der  an  seiner  Klinik  das  reiche  Material  eigener  und  der  Er¬ 
fahrungen  lie  bra’s  in  zahlreichen  schönen  Abbildungen  und  Mou¬ 
lagen  zur  Verfügung  hat.  Gerade  aber  die  reiche  Sammlung  der 
vom  Typischen  abweichenden,  seltenen,  in  irgend  einer  Beziehung 
aussergewöhnlichen  Fälle  geben  nach  unserer  Ansicht  dem  Atlas 
seinen  hoben  Werth  und  zeichnen  ihn  vor  allen  anderen  analogen 
Ihilernehmungen,  die  nur  typische  Fälle  bringen,  aus.  Auch  die  damit 
zusammenhängende  Thatsache,  dass  von  jeder  einzelnen  Krankheits- 
form  zahlreiche  Abbildungen  vorliegen,  so  von  Ichthyosis  10  Tafeln, 
Impetigo  herpetiformis  7  Tafeln,  Lepra  IG  Tafeln,  Lichen  acuminatus 
15  Tafeln,  Lupus  erythematosus  12  Tafeln,  Lupus  vulgaris  18  Tafeln, 
machen  das  Unternehmen  werthvoll,  indem  sie  den  Atlas  zu  einem 
differentialdiagnostischen  Rathgeber  machen  für  alle  Aerzte,  die 
sich  mit  der  Behandlung  von  Hautkrankheiten  befassen  und  in  der 
Diagnose  eines  ihnen  vorliegenden  Falles  unsicher  sind.  Die  Aus¬ 
führung  der  Bilder  ist  durchaus  vorzüglich.  Finger. 

Zur  Geschichte  der  Syphilis  in  China  und  Japan. 

Von  Dr.  Tatsulliko  Okamura  aus  Tokio  (Japan). 
(Sonderabdruck  aus:  Monatshefte  für  praktische  Dermatologie  1899, 

Bd.  XXVIII. 

Der  bis  auf  unsere  Tage  fortgeführte  Streit  über  das  Alter 
und  den  Ursprung  der  Syphilis  hat,  was  Europa  und  Amerika  be¬ 
trifft,  ja  eine  gewiss  zum  grossen  Theile  befriedigende  Lösung  ge¬ 
funden.  Nur  bezüglich  Chinas  und  Japans  bestanden  bisher  noch 
Zweifel,  da  die  betreffenden  Aufzeichnungen  dieser  alten  Cultur- 
Völker  des  Ostens  begreiflicher  Weise  wegen  der  Schwierigkeit  der 
Beschaffung  und  nicht  minder  wegen  jener  der  Sprache  und  Schrift 
einem  kritischen  Studium  schwer  zugänglich  sind.  Mit  umso 
grösserem  Interesse  muss  daher  die  Arbeit  eines  philologisch  und 
dermatologisch  gleich  wohl  unterrichteten  Arztes  aufgenommen 
werden,  welcher  auf  Grund  seiner  eingehenden  Prüfung  der  alten 
chinesischen  und  japanesischen  Quellen  zu  dem  Schlüsse  gelangt, 
dass  das  Vorkommen  der  Syphilis  in  China  und  Japan  im  Alter- 
thume  keineswegs,  wie  bisher  gemeinhin  angenommen  wurde,  zu¬ 
verlässig  erwiesen  sei.  Allerdings  waren  daselbst  virulente  Behaftungen 
der  Geseblechtstheile  schon  seit  den  undenklichsten  Zeiten  bekannt; 
der  Umstand,  dass  die  dermatologische  Erkenntniss  in  diesen  Ländern 
schon  frühzeitig  gut  ausgebiidet  war,  dass  beispielsweise  aus 
dem  Jahre  G20  schon  genaue  Schilderungen  verschiedener  Ilaut- 
aflectionen  (Lepra,  Ekzem,  u.  s.  w.),  des  Trippers  und  der  Bubonen 
vorhanden  sind,  liesse  es  zum  Mindesten  auffällig  erscheinen,  dass 
die  aufmerksamen  Beobachter  jener  Zeiten  die  auffälligen  und 
charakteristischen  syphilitischen  Krankheitserscheinungen  übersehen 
oder  verwechselt  hätten.  Hingegen  sind  aus  dem  XV.  Jahrhunderte 
(zu  Ende  der  Dynastie  »Min«  in  China),  um  welche  Zeit  ein  euro¬ 
päisches  Handelsschiff  eine  bösartige,  ansteckende  und  exanthema- 
tische  Krankheit  in  die  südliche  Provinz  »Kwong-tung«  einschleppte, 
eine  grosso  Zahl  von  Beschreibungen  vorhanden,  welche  ganz  deut¬ 
lich  aut  Syphilis  hinweisen.  Von  China  wurde  die  Krankheit  um 
1521  durch  Handelsschiffe  und  chinesische  Piraten  nach  Japan 
iibertragen;  seit  dieser  Zeit  erschienen  auch  hier  zahlreiche  Publi- 
cationcn  über  die  verschiedenen  Manifestationen  und  Localisationen 
der  Syphilis.  Die  Echtheit  des  japanischen  Werkes  Dai-dö-rui-ju-hö, 
auf  Grund  dessen  Angaben  frühere  europäische  Autoren  den  Ur¬ 
sprung  der  Syphilis  schon  in  das  Allerthum  verlegten,  ist  nach 
Okamura  sehr  fraglich.  Aus  der  höchst  interessanten  Arbeit  des 
aus  der  V  iener  Schule  hervorgegangen  Verfassers  ist  unter  Anderem 
auch  zu  ersehen,  dass  die  Chinesen  schon  um  620  nach  Christi  Geburt 
die  Scabiesmilbe  kannten,  schon  frühzeitig  venerische  Affectionen 
nach  manchem  jetzt  ganz  modernen  Muster  behandelten,  so  vene¬ 
rische  Geschwüre  mit  überhitzten  Metallstäbchen,  die  Syphilis  mit 
Quecksilberdämpfen  oder  mittelst  Inunctionen,  die  sie,  so  wie 
neuestens  beispielsweise  Stur gi  s  in  New-York,  mit  dem  Handteller 
auf  die  Plantae  vornehmen  Hessen.  L.  Freund. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

1.  (Aus  der  Abtheilung  des  Prof.  v.  Noorden  am 
städtischen  Krankenhause  in  Frankfurt  a.  M.).  Ueber  Mutase. 
Von  Dr.  Koch.  Die  Mutase  ist  ein  neues  eiweissreiches  Präparat 
(58'27%),  ausschliesslich  aus  Gemüsen  und  Leguminosen  hergestellt. 
Der  bei  einem  dauernd  etwas  fiebernden  Phthisiker  angestellte  Aus¬ 
nützungsversuch  war  sehr  günstig  ausgefallen,  desgleichen  Hess  das 
Präparat  auch  bei  vielen  anderen  Kranken,  deren  Ernährung 
Schwierigkeiten  machte,  wie  bei  Magenkatarrh,  Magengeschwür, 
Magencarcinom  und  Darmkrankheiten  sich  mit  gutem  Erfolge  ver¬ 
wenden.  Bei  rectaler  Einführung  wurden  von  den  Stickstoffsubstanzen, 
die  in  log  Mutase  enthalten  sind,  80%  resorbirt.  —  (Centralblatt 
für  innere  Mediein.  1899,  Nr.  23.) 

* 

2.  Die  Lehre  von  der  Enteroptose  und  ner¬ 
vösen  Dyspepsie  auf  Grund  desCostalstigmas.  Von 
Prof.  S  t  i  1 1  e  r  (Budapest).  Der  Verfasser  bringt  neue  Beobachtungen 
für  seine  vor  zwei  Jahren  schon  ausgesprochene  Ansicht,  dass  die 
Enteroptose  nicht  mechanischen  Ursachen  (Mieder  etc.)  ihre  Ent¬ 
stehung  verdanke,  sondern  auf  einer  angebornen  Anlage  beruhe, 
ebenso  wie  eine  bewegliche  zehnte  Rippe,  die  geradezu  ein  dia¬ 
gnostisches  Symptom  —  Costalstigma  —  für  eine  bestehende 
Disposition  zur  Enteroptose  und  der  damit  häufig  in  Verbindung 
stehenden  Hypersecretio  acida  sei.  —  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  34  und  35.) 

* 

3.  Ueber  Muskelerkrankungen  bei  Harn¬ 
röhrentripper.  Von  Prof.  Eich  hör  st  (Zürich).  Bis  jetzt 
wurden  mit  Rücksicht  auf  die  Mitbetheiligung  von  Muskeln  bei 
Gonorrhoe  Auftreten  von  epileptoidem  Zittern  im  rechten  Bein, 
Muskelschwund,  Lähmung  der  Schulterblattmuskeln,  Posticuslähmung 
und  metastatische  Muskelentzündungen  beobachtet.  Eichhorst 
beobachtete  einen  Fall  von  »gonorrhoisch-sklerosirender  Muskel¬ 
entzündung  an  der  Aussenfläche  des  Oberschenkels  bei  einem 
Manne  während  eines  acuten  Tripperstadiums.  Die  Muskelverhärtung 
zeichnete  sich  ausser  durch  grossen  Schmerz  noch  durch  langsame 
Rückbildung  aus.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  42.) 

* 

4.  (Aus  der  dermatologischen  Klinik  zu  Breslau.)  Ueber, 
den  Nachweis  von  Arsen  auf  biologischem  Wege 
in  den  Hautschuppen,  Haaren,  Schweiss  und  Urin. 
Von  Dr.  Scholtz.  Dass  Arsen  sich  nach  grösseren  Dosen  in 
HaaVen,  Hautschuppen  von  Thieren  finde,  ist  bereits  bekannt.  Dass 
dasselbe  auch  nach  therapeutischen  Arsendosen  der  Fall  sei,  wurde 
vom  Verfasser  an  Hautschuppen,  Haaren,  Urin  und  Schweiss  von 
zwei  Psoriatikern  nachgewiesen,  welche  während  ihrer  Behandlungs¬ 
zeit  045,  beziehungsweise  OG  Acid,  arsen.  subcutan  erhalten 
hatten.  Der  Nachweis  gelang  zwar  nicht  mittelst  des  Mar  sc  la¬ 
schen  Apparates,  wohl  aber  auf  biologischem  Wege,  das  heisst  mit 
Benützung  der  Eigenthümlichkeit  eines  Schimmelpilzes  (Penicilium 
brevicaule),  welcher  beim  Wachsthum  auf  arsenhaltigen  Nährböden 
aus  festen  Arsenverbindungen  intensiv  knoblauchartig  riechende 
Gase  abspaltet  und  dadurch  das  Erkennen  selbst  kleinster  Spuren 
von  Arsen  ermöglicht.  So  gelang  es  noch  in  i/iog  der  Schuppen 
der  beiden  Patienten  Arsen  deutlich  nachzuweisen.  —  (Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  42.) 

* 

5.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Czerny  zu 
Heidelberg.)  Ueber  die  Kropfoperationen  an  der 
Heidelberger  Klinik  in  den  Jahren  1888 — -1898.  Von 
Dr.  S  c  h  i  1 1  e  r.  Von  869  beobachteten  Kropfkranken  wurden 
283  (gegenüber  G4  im  vorausgegangenen  Decennium)  einer  opera¬ 
tiven  Behandlung  unterworfen.  Aus  der  umfangreichen  Arbeit  sei 
nur  erwähnt,  dass  viermal  wegen  Basedow  operirt  wurde;  in  zweien 
dieser  Fälle  zwang  schon  die  Tracheastenose  zur  Strumektomie. 
Eine  Operirle,  bei  der  sich  nachher  eine  grosse  persistirende 
Thymus  fand,  starb  während  der  Operation;  in  einem  Falle  wurde 
völlige  Heilung,  im  dritten  eine  seit  5'/2 Jahren  anhaltende,  im 
letzten  Falle  aber  nur  eine  vorübergehende  Besserung  erzielt.  Von 
49  malignen  Strumen  konnten  noch  27  mit  einiger  Aussicht  auf 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  V.  00, 


17 


Erfolg  operirt  werden.  In  fünf  Fällen  (vier  Sarkome  und  ein  ma¬ 
lignes  Adenom)  beträgt  die  Heilungsdauer  bis  jetzt  3  ,/2' — 5 
14  Fälle  erlagen  —  bis  auf  einen,  der  sich  nachträglich  als  gut¬ 
artige  Thyreoideawucherung  herausstellte  —  innerhalb  6  Wochen 
bis  ß'/2  Jahren  einem  Recidive;  vier  waren  an  den  Folgen  der 
Operation  gestorben  und  über  die  anderen  Fälle  konnte  keine  Aus¬ 
kunft  erhalten  werden.  —  (Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.XXIV, 
lieft  3.) 

* 

6.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  B  r  u  n  s  in 
Tübingen.)  Zur  Technik  ausgedehnter  Lymphom¬ 
exstirpationen  am  Halse.  Von  ür.  lvüttner.  Um  einen 
breiten  Zugang  zu  schaffen,  wird  die  Bildung  eines  Haut-Muskel¬ 
lappens  mit  hinterer  unterer  Basis  empfohlen.  Der  Hautschnitt 
verläuft  am  vorderen  Rande  des  Sternocleidomastoideus  vom  Jugu- 
lum  bis  zur  Höhe  des  Kieferwinkels,  biegt  hier  in  einem  flachen 
Bogen  nach  rückwärts  und  verläuft  weiter,  horizontal  ein  bis  zwei 
Querfinger  unterhalb  des  unteren  Randes  des  Warzenfortsatzes  je 
nach  der  Grösse  des  Drüsenpaketes  bis  zwei  oder  drei  Querfinger 
hinter  den  Proc.  mast.  Der  Muskel  wird  in  der  Höhe  des  Haut¬ 
schnittes,  also  dicht  unterhalb  seiner  oberen  Insertion,  durchtrennt 
und  am  Schlüsse  der  Operation,  nach  vorausgegangener  Drainage 
durch  die  Basis  des  Lappens,  mit  einigen  Catgutnähten  wieder 

vereinigt.  —  (Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XXIV,  Heft  3.) 

* 

7.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Graz.)  Ueber  ein 
einfaches,  für  den  praktischen  Arzt  bestimmtes 
Verfahren  zur  Kleide  rdesinfection  m  ittelstForm  ai¬ 
de  hyd.  Von  Dr.  v.  Rositzky.  Den  Apparat  kann  jeder  Arzt 
sich  selbst  construiren  lassen.  Er  besteht  aus  einem  Kasten  mit 
rund  1  m'i  Rauminhalt,  in  welchem  sich  die  Kleider  in  irgend  einer 
Weise  auf  Bügeln  aus  spanischem  Rohr  aufhängen  lassen.  Auf  einer 
Seite  befindet  sich  eine  Thüre,  welche  beim  Gebrauche  dicht  ver¬ 
schlossen  wird.  In  einer  Wand  wird  ein  Loch  angebracht,  ein 
Glasröhrchen  durchgesteckt  und  darin  verkittet.  In  einem  Blechtopf 
von  2  l  Fassungsraum,  der  in  einen  gut  verschliessbaren  Hals  aus¬ 
geht,  wird  mittelst  eines  Spiritusbrenners,  der  100  cm3  Spiritus 
enthält,  l/2 1  Wasser  verdampft  und  der  Dampf  durch  einen 
Gummischlauch  zum  Glasröhrchen  und  von  da  mittelst  eines 
anderen  Gummischlauches  zur  Sprayvorrichtung  im  Schranke  ge¬ 
leitet,  Avelche  jener,  wie  sie  bei  den  gewöhnlichen  Inhalations¬ 
apparaten  gebräuchlich,  vollkommen  ähnlich  ist.  In  das  betreffende 
Gefäss  kommen  100  cm3  einer  40%igen  Formaldehydlösung.  Man  lässt 
den  Apparat  durch  eine  halbe  Stunde  functioniren  und  nach  neun 
Stunden  kann  man  die  Kleider  desinficirt  dem  Kasten  entnehmen 
und  eine  Stunde  des  Formaldehydgeruches  halber  lüften.  Bau¬ 
mann  in  Wien  (VIII.),  Haertel  in  Breslau  construiren  übrigens 
diese  Apparate.  Die  Versuche  ergaben,  dass  Testobjecte  in 
Kleidertaschen  beeinflusst  wurden;  in  praxi  handelt  es  sich  ja 
meist  um  blos  oberflächliche  Verunreinigungen  durch  Eiter, 
Sputum  u.  s.  w.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1809, 
Nr.  42.) 

* 

8.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  von  Prof.  Bäum  ler  in 
Freiburg.)  Studien  über  die  Functionen  des  mensc h- 
liehen-  Mundspeichel s.  Von  Dr.  S c h  ü  1  e.  Die  diastatische 
Kraft  des  gemischten  Mundsecretes  steigt  vom  Morgen  bis  zum 
Mittag  an,  um  nach  einem,  zwischen  11  und  3  Uhr  erreichten 
Maximum  langsam  abzunehmen.  Die  Absonderung  von  Salzsäure  und 
Pepsin  geht  im  Magen  des  normalen  Menschen  besser  vor  sich, 
wenn  die  Tngesta  in  gewöhnlicher  Weise  den  Mund  passirt  haben 
und  mit  Speichel  gemengt  sind,  als  wenn  sie  mittelst  der  Sonde 
eingeführt  werden.  —  (Archiv  für  Verdauungskrankheiten.  Bd.  V. 
Heft  2.) 

* 

9.  (Aus  der  Nervenklinik  von  Prof.  Ssikovsky  in  Kiew.) 
Zwei  weitere  Fälle  sogenannter  trophischer  Ge¬ 
fäss  e  r  k  r  a  n  k  u  n  g  im  Verlaufe  der  Neuritis.  Von 
Dr.  Lapin  sky.  Klinische,  anatomische  und  experimentelle  Beob¬ 
achtungen  liessen  feststellen,  dass  Erkrankungen  eines  Nerven  in 
Form  von  Neuralgie  oder  Neuritis  eine  pathologische  Veränderung 
der  im  Bereiche  des  geschädigten  Nerven  liegenden  Gebisse  nach 
sich  ziehen  können.  In  klinischer  Hinsicht  wurden  in  solchen 


Fällen  an  den  betroffenen  Theilen  Oedeme,  Röthung,  cyanotische 
Verfärbung,  Temperaturzu-  oder  Abnahme,  auffallende  Erweiterung 
und  Schlängelung  der  Gefässe,  spontane  Blutungen  und  Gangrän 
beobachtet.  In  den  wenigen  Fällen,  in  welchen  bisher  a  n  a  tomisc  h  e 
Untersuchungen  der  Gefässe  innerhalb  erkrankter  Nervenbezirke 
vorgenommen  worden  sind,  konnten  in  Arterien  und  Venen  circum- 
scripte  und  diffuse  Verdickungen  der  Intima,  beziehungsweise  der 
Media  mit  consecutiver  Verengerung  des  gewöhnlichen  oder  er¬ 
weiterten  Gefässlumens,  ja  sogar  vollständige  Obliteration  desselben 
beobachtet  werden.  Im  Thierexperimente  konnten  analoge 
Erscheinungen  festgestellt  werden.  L  e  w  a  s  c  h  e  f  f  sah  nach  Reizung 
des  Ischiadicus  Hyperämie  und  Oedem,  G  1  a  y  und  M  a  1 1  h  i  e  u 
merkwürdiger  Weise  auch  am  Controlbeine  auftreten.  Giovanni 
fand  nach  Durchschneidung  des  Sympathicus  ein  Atherom  des  Aorta¬ 
bogens,  Martin  nach  Durchschneidung  des  Vagus  und  Bervoel 
nach  jener  des  Ischiadicus  die  Intima  der  entsprechenden  Gefässe 
im  obigen  Sinne  verändert.  Fraenkel,  welcher  an  Hunden  und 
Kaninchen  den  Ischiadicus  durchtrennt  hatte,  fand  im  Gebiete  dieses 
Nerven  eine  bedeutende  Verdickung  der  Gefässwände  vor,  welche 
namentlich  die  Media  betraf,  das  Lumen  der  Arterien  und  Venen 
bis  um  das  Drei-  und  Vierfache  erweitert,  aber  in  Folge  inselartiger 
Intimawucherungen  ungleichförmig  gestaltet.  Lapinsky  hatte  Ge¬ 
legenheit,  zwei  hieher  gehörige  Fälle  von  ausgebreiteten  patho¬ 
logischen  Erscheinungen  an  den  Gelassen  klinisch  zu  beobachten, 
die  er  bei  dem  Fehlen  jeder  anderen  ätiologischen  Erklärung  von 
der  gleichzeitig  bestehenden  multiplen  Neuritis,  beziehungsweise  einer 
Neuritis  nervi  ischiadici  abhängig  macht.  Die  Betheiligung  der 
Gefässe  an  der  Erkrankung  führte  zu  folgenden  Erscheinungen :  Die 
gelähmten  Hände  und  Füsse  waren  cyanotisch,  angeschwollen,  ihre 
Temperatur  war  erhöht,  die  Gefässe  erwiesen  sich  für  das  blosse 
Auge  schon  erweitert  und  auch  geschlängelt,  d.  h.  sie  hatten  nicht 
nur  der  Breite,  sondern  auch  der  Länge  nach  zugenommen.  Die 
Gefässwände  waren  hart  und  starr  und  im  weiteren  Verlaufe  der 
Erkrankung  traten  spontane  Blutungen  auf.  Boi  der  mikroskopischen 
Untersuchung  eines  excidirten  Gewebsstückes  fanden  sich  die  ob¬ 
erwähnten  degenerativen  Processe  an  den  Gefässwänden,  und  zwar 
am  stärksten  dort,  wo  die  Nerven  am  meisten  erkrankt  waren. 

(Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXVI 11,  Heft  1,  2  und  3.) 

* 

10.  Zur  Behandlung  der  Melaena  neonatoru  m. 
Von  Dr.  G  u  t  m  a  n  n  (Emmendingen).  Dem  Kinde,  welches  aus  dem 
Mastdarm  ziemlich  viel  Blut  verloren  hatte,  wurde  eine  verdünnte 
Gelatinelösung  in  Form  eines  Klysmas  applicirt,  zum  Theile  auch 
per  os  gegeben,  worauf  die  Blutung  sofort  stand.  Dass  Leim  ein 
vorzügliches  blutstillendes  Mittel  sei,  ist  im  Volke  und  besonders 
in  Tischlerwerkstätten  genügend  bekannt.  —  (Therapeutische  Monats¬ 
hefte.  1899,  Nr.  10.) 1 

* 

11.  (Aus  dem  allgemeinen  Krankenhause  in  Hamburg). 
Ueber  Reh  a  n  d  1  u  n  g  der  Chlorose  m  i  t  F  e  -  K 1  y  s  t  i  e  r  e  n. 
Von  Dr.  Jollase.  Die  genannte  Applicationsform  des  Eisens  kommt 
natürlich  nur  dann  in  Betracht,  wenn  von  vorneherein  oder  in  Folge 
der  Eisenrnedication  per  os  Verdauungsstörungen  bestehen,  die  sonst 
zur  Unterbrechung  der  Eisentherapie  führen  würden.  In  diesen  Fällen 
soll  neben  der  wie  immer  durchzuführenden  Bettruhe  folgendes 
Eisenklystier  gute  Dienste  leisten.  Ferr.  citr.  04 — 0 'Gg  auf  f)0'0</ 
Amylum,  dreimal  täglich  ein  Klysma,  nachdem  ein  Reinigungs- 
klysma  vorausgegangen  ist.  Nebenerscheinungen,  ausser  manchmal 
Leibschmerzen,  wurden  dabei  keine  beobachtet.  Der  Hämoglobin¬ 
gehalt  hob  sich  bei  dieser  Behandlung  um  ß°/o  wöchentlich.  — 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  37.) 

* 

12.  Ueber  infectiöse  Lungenentzündungen  und 
den  heutigen  Stand  der  Psittakosisfrage.  Von  Pro¬ 
fessor  Leichtenstern  (Köln).  Es  steht  fest,  dass  hie  und  da, 
und  zwar  nicht  gar  zu  selten  plötzlich  eine  Hausepidemie  von 
Lungenentzündungen  auftritt,  in  welcher  die  Krankheitsfälle  oft  einen 
atypischen  Verlauf  nehmen,  von  besonders  bösartigem  Charakter 
sind,  eine  besondere  Gontagiosität  aufweisen,  während  über  die 
Aetiologie  solcher  Fälle,  trotz  aller  bacteriologischen  Befunde,  noch 
sehr  wenig  bekannt  ist.  Mit  dem  Bestreben,  eine  Erklärung  für  die 
Entstehung  solcher  localer  Epidemien  zu  finden,  ist  die  Psittakosis- 
frage  entstanden.  Man  versteht  unter  »Psittakosis  eine  meist  in 


18 


WIEN  Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  IfaüO. 


Nr.  1 


Ilausepidemien  auftreiende  schwere  Infectionskrankheit,  welche  — 
wie  angenommen  wird  —  von  einem  specifisch  erkrankten  Papagei 
auf  den  Menschen  übertragen  wird.  Diese  Erkrankung  war  in  allen 
bisher  beobachteten  Fällen  klinisch-anatomisch  immer  eine  atypische, 
häufig  mit  typhösen  Erscheinungen  einhergehende  Pneumonie  ge¬ 
wesen.  Eine  speci  fische  »Psittakosiskrankheit«  ist  bisher  nicht 
nachgewiesen  worden.  Die  bekannteste  dieser  Epidemien  ist  die  im 
Jahre  1892  in  Paris  aufgetretene  Psittakosis-Epidemie  geworden, 
welche  49  Erkrankungen  mit  16  Todesfällen  aufwies.  Die  Er¬ 
krankungen  traten  in  jenen  Häusern  auf,  in  denen  die  Personen 
mit  Papageien  in  Verkehr  standen,  die  im  Februar  des  genannten 
Jahres  aus  Südamerika  in  Paris  eingelangt  waren.  Der  Verfasser  hat 
die  bisherige  Psittakosis-Lileratur  einer  eingehenden  Prüfung  unter¬ 
zogen  und  hat  ferner  selbst  Gelegenheit  gehabt,  eigene  Beob¬ 
achtungen  über  (fine  sogenannte  »Psittakosis-Epidemie«  anzustellen, 
als  deren  Ergehniss  sich  Folgendes  heraussteilen  soll.  Der  sichere 
Beweis,  dass  in  den  bisher  bekannten  psittakosisverdächtigen 
Pneumonie-Hausepidemien  die  Ansteckung  t  h  atsächlich  von 
kranken  Papageien  ausgegangen  sei,  ist  bisher  nicht  erbracht  worden. 
Dass  bei  den  Papageien,  namentlich  den  frisch  imporlirten,  infectiöse 
Erkrankungen,  besonders  Enteritiden,  häufig  Vorkommen,  ist  er¬ 
wiesen.  Die  diesen  Erkrankungen  zu  Grunde  liegenden  Mikro¬ 
organismen  (Strepto-,  Staphylo-,  Pneumococcen,  Coli-  und  Proteus¬ 
arien  u.  A.)  können  selbstverständlich  auch  für  den  Menschen  ge- 
fährlich  werden.  Die  als  Psittakosis  bezeichnete  Krankheit  ist  eine 
atypische  Pneumonie,  welche  in  allen  Epidemien  den  völlig  gleichen 
Charakter  trug.  Solche  Epidemien  entstehen  nicht  seilen  auch  ohne 
Intervention  von  Papageien  und  man  könnte  den  Schluss  ziehen, 
dass  alle  bisherigen  Psittakosis-Epidemien  weiter  nichts  waren, 
als  autochthone  atypische  Pneumonien,  hei  welchen  den  zufällig 
vorhandenen  Papageien  eine  ätiologische  Rolle  zugetheilt  wurde.  Es 
lässt  sich  aber  nicht  leugnen,  dass  die  Auffassung,  bei  der  Pariser 
Epidemie  habe  eine  Uebertragung  der  Krankheit  von  den  kranken 
Papageien  auf  den  Menschen  stattgefunden,  als  überaus  wahr¬ 
scheinlich  bezeichnet  werden  muss.  —  (Centralblatt  für  allgemeine 

Gesundheitspflege.  Bd.  XVIII,  Heft  7  und  8.) 

* 

13.  Riesenwu.chs  und  Zirbeldrüsengeschwulst. 
Von  Dr.  Oestreich  und  Dr.  Slawyk  (Berlin).  Der  vierjährige, 
108  cm  lange  und  20  kg  schwere  Knabe  war  mit  dein  Symptomen 
eines  Gehirntumors  in  die  Charite  aufgenommen  worden.  Die  Ob- 
duction  ergab  einen  apfelgrossen  Tumor  (Psammosarkom)  der  Zirbel¬ 
drüse.  Anamnestisch  liess  sich  feststellen,  dass  die  Zeichen  des 
Riesenwuchses  erst  dann  aufgetreten  waren,  als  die  ersten  Zeichen  des 
Tumors  zum  Vorschein  kamen.  —  (Virchow’s  Archivq  Bd.  CLVH, 
Heft  3.) 

* 

14.  Anämiagravis  alsFolgeversteckterHämor- 
r  h  o  i  d  a  1  b  1  u  t  u  n  g  e  n.  Von  Ewald  (Berlin).  Manche  Personen 
zeigen  die  Erscheinungen  eines  schweren  anämischen  Zustandes, 
ohne  dass  fürs  Erste  eine  besondere  Quelle  der  Blutung  sich  finden 
lässt.  Für  diese  Fälle  ist  es  wichtig,  sich  zu  erinnern,  dass  auch 
höher  oben  im  Darme,  der  Untersuchung  weniger  leicht  zugänglich, 
Venenektasien  Vorkommen  können,  welche  die  Blutung  und  damit 
die  Anämie  bedingen.  Die  Entdeckung  einer  solchen  Ursache  für 
die  Anämie  ist  natürlich  für  den  Patienten  von  grösster  Bedeutung, 
da  sie  sich  durch  eine  einfache  Operation  verhältnissmässig  leicht 

beseitigen  lässt.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1899,  Nr.  11.) 

* 

15.  Ueber  die  Exstirpation  des  krebsigen 
Ma  stdarmes  und  der  Flexura  sigmoidea.  Von  Professor 
Schuchardt  (Stettin).  Verfasser  macht  einfach  einen  hinteren 
Längsschnitt  und  sägt  das  Steissbein  quer  ab.  Der  Darm  war  zuvor 
gründlich  entleert,  oder  wenn  das  auf  gewöhnlichem  Wege  nicht 
möglich  gewesen,  Golotomie  gemacht  worden.  Ohne  weitere  Knochen¬ 
oder  Bänderverletzung  wird  dann  der  Mastdarm  Schritt  für  Schritt 
von  seiner  Umgebung  zumeist  stumpf  abpräparirt.  Durch  dieses  Ver- 
fahren  soll  es  möglich  sein,  nicht  nur  das  inficirte  parasacrale  Ge¬ 
webe  im  Zusammenhänge  mit  dem  Mastdarm  zu  entfernen,  sondern 
diesen  auch  in  einer  relativ  bedeutenden  Länge  zur  Wunde  herab¬ 
zuziehen,  so  weit  nämlich,  als  es  die  Flexurschlinge  bei  durch- 
trenntem  Mesenterialan  satze  gestattet.  In  einem  Falle  konnte 
Sch  u  c  h  a  r  d  t  ein  40  cm  langes  Dannstück  auf  diese  Weise 


mobilisiren  und  30  cm  davon  exstirpiren.  —  (Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  34.) 

* 

16.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Trendelen¬ 
burg  in  Leipzig).  Ueber  Verletzungen  des  Nervus 
r a d i a  1  i s  bei  Humerusfracturen  und  ihre  operative 
B  e  h  a  n  d  1  u  n  g.  Von  Dr.  Rieth  u  s.  Nach  den  vorliegenden  Beob¬ 
achtungen  scheint  es  feslzustehen,  dass  die  Radialisverletzungen 
am  häufigsten  bei  Brüchen  des  Humerus  im  mittleren  Drittel  Vor¬ 
kommen,  dass  dagegen  die  Fractur  im  Bereiche  des  oberen  oder 
unteren  Drittels,  seltener  durch  eine  Läsion  des  Nerven  complicirt 
ist.  Letztere  ist  nicht  so  sehr  eine  Folge  des  anatomischen  Ver¬ 
laufes  des  Nerven,  als  vielmehr  durch  die  Art  und  Intensität  des 
stattgefundenen  Traumas  bedingt.  Für  die  Behandlung  haben  sich 
folgende  Gesichtspunkte  ergeben:  Primäre  Paresen  können,  so  lange 
keine  Steigerung  der  Lähmungserscheinungen  beobachtet  wird,  ex- 
spectaliv  behandelt  werden.  Da  es  aber  bei  primären  Paralysen 
nicht  sicher  zu  entscheiden  möglich  ist,  ob  eine  Continuitätstrennung 
des  Nerven  vorliege  oder  nicht,  so  muss  derselbe  freigelegt  werden, 
falls  die  Lähmung  nicht  in  wenigen  Tagen  zurückgeht.  Bei  fest¬ 
gestellter  Continuitätstrennung  des  Nerven  muss  womöglich  sofort 
nach  dem  Unfälle  die  Nervennaht  ausgeführt  werden.  Eine  Ver¬ 
kürzung  des  Humerus  durch  Resection  ist  dann  zu  empfehlen, 
wenn  die  Distanz  zwischen  den  Nervenenden  eine  so  grosse  ist, 
dass  die  angefrischten  Nervenenden  nicht  ohne  Spannung  vereinigt 
werden  können.  Die  Auffrischung  muss  eine  so  ausgiebige  sein, 
dass  der  Querschnitt  der  Nervenenden  eine  normale  Beschaffenheit 
zeigt.  Jede  secundär  aufgetretene  Radialislähmung  indicirt,  besonders 
bei  Steigerung  der  Lähmungserscheinungen,  den  sofortigen  operativen 
Eingriff.  Die  Resultate  sind  nach  den  bisher  gewonnenen  Erfahrungen 
als  absolut  günstige  zu  bezeichnen.  —  (Beiträge  zur  klinischen 
Chirurgie.  Bd.  XXIV,  lieft  3.) 

* 

17.  In  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und  Physiologie  zu 
München  sprach  Röse  über  die  pflanzlichen  Parasiten 
der  Mundhöhle  und  deren  Bekämpfun g,  in  welch’ 
letzterer  Hinsicht  besonders  dem  Alkohol  der  Rang  eines  guten 
Resinficiens  zukomme.  Derselbe  hat,  wie  Epstein  gefunden,  die 
stärkste  Desinfectionskraft  bei  50%iger  Verdünnung,  während  dem 
absoluten  Alkohol  keine  desinficirende  Kraft  zukommt.  In  hoch- 
procentigem  Alkohol  gelöste  Desinficienlien  verlieren  ihre  Wirkung; 
dagegen  wirken  Sublimat,  Carbol,  Lysol  und  Thymol  bei  gleicher 
Concentration  in  50%i&er  spirituöser  Lösung  besser  desinficirend 
als  in  wässeriger  Lösung.  Röse  fand  die  bactericide  Wirkung  des 
50%igen  Alkohols  (Franzbranntwein)  im  Munde  als  eine  sehr  be¬ 
trächtliche,  so  stark  wie  die  eines  10%igen  Sublimatbenzoesäure¬ 
gemisches.  Freilich  ist  es  sehr  lästig,  einen  so  hochprocentigen 
Alkohol  durch  eine  Minute  im  Munde  zu  behalten.  Derselbe  soll, 
abgesehen  von  seiner  bactericiden  Wirkung  noch  einen  specifisch 
heilenden  Einfluss  auf  das  erkrankte  Zahnfleisch  ausüben.  — 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  36.) 

* 

18.  (Aus  der  medicinischen  Abtheilung  des  Prof.  Senator 
an  der  Poliklinik  zu  Berlin).  Vorläufige  Mittheilung  über 
ein  neues  Verfahren  zur  langdauernden  Anwendung 
starker  galvanischer  Ströme.  Von  Dr.  Frank  en- 
h  ä  u  s  e  r.  Bei  der  therapeutischen  Anwendung  des  elektrischen 
Stromes  wird  die  Haut  in  Folge  der  Aetzwirkung  an  der  Stelle  der 
Elektroden  mehr  beeinflusst  als  das  Körperinnere.  Diese  Aetzwirkung 
beruht  auf  der  Bildung  von  Jonen,  welche  das  Gewebe  schädigen. 
Diese  Aetzwirkung  hört  auf,  wenn  man  die  Anode  mit  einer  Lösung 
von  Natriumsalz,  die  Kathode  mit  einer  solchen  von  Chlorsalz  um¬ 
gibt.  In  diesem  Falle  bildet  sich  an  der  Anode  CO:j,  am  anderen 
Pole  H,  wonach  also  eine  Aetzung  ausgeschlossen  und  die  Möglichkeit 
gegeben  ist,  dass  man  viel  stärkere  Ströme  und  diese  längere  Zei  t 
auf  den  Körper  einwirken  lassen  kann.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  34.) 

* 

19.  Eine  neue  Art  von  Elementarkörnchen 
(Granula)  in  Blut,  A  u  s  w  u  r  f  und  Geweben  des 
Menschen.  Von  Dr.  Grünwald  (München).  Die  weitaus  grössere 
Anzahl  der  Rundzellen  des  Auswurfes,  der  serös-eiterigen  Exsudate, 
des  Gewebseiters  und  entzündlicher  Neubildungen  enthalten  Granula, 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


19 


welche  sich  mit  Eosin  färben,  durch  Säuren,  grüsstentheils  auch 
Alkalien  wieder  entfärbt  werden  und  in  E  h  r  1  i  c  h’scher  Triacid- 
lösung  im  Gegensätze  zu  den  gewöhnlich  sich  orange  färbenden 
gröberen  eosinophilen  Körnchen  eine  fuchsinrothe  Färbung  annehmen. 
Es  sind  somit  eine  Reihe  von  Zellen,  deren  Protoplasma  sich  bisher 
als  homogen  zeigte,  mit  Körnchen  angefüllt.  Grün  wald  nennt  sie 
hvpeosinophile  Zellen.  Sie  wurden  auch  in  leucocytenreichem  Blute 
und  zwar  in  ein-  als  mehrkernigen  Rundzellen  gefunden.  Dass  diese 
Granula  bisher  der  Beobachtung  entgangen  sind,  hat  seinen  Grund 
darin,  dass  die  Präparate  schnell  durch  Anwendung  von  Hitze  fixirt 
wurden;  um  sic  zur  Ansicht  zu  bringen,  dürfen  die  Objecte  blos 
an  der  Luft  getrocknet  werden.  —  (Centralblatt  für  innere  Medicin. 
1899,  Nr.  30.) 

* 

20.  (Aus  der  Poliklinik  für  Kinderkrankheiten  von  Dr.  N  e  u- 
m  a  n  n  in  Berlin).  Ich  thalbin  in  der  Kinderheilkunde. 
Von  Dr.  Ho  m  burger.  Ichthalbin  ist  eine  von  der  Firma 
Knoll  hergestellte  Ichthyoleiweissverbindung.  Es  hat  sich  als  ein 
völlig  unschädliches  Präparat  erwiesen,  das  ohne  Beschwerden  inne  r- 
1  i  c  h  gegeben  werden  kann.  Bei  dieser  Medication  sollen  nässende 
Ekzeme  in  wenigen  Tagen  sich  in  trockene  verwandeln  und  die 
Heilung  der  trockenen  durch  internen  Ichthalbingebrauch  in  Ver¬ 
bindung  mit  den  gebräuchlichen  äusseren  Mitteln  beschleunigt 
werden;  ebenso  fördert  es  die  Rückbildung  der  häufig  in  Begleitung 
schwächender  Krankheiten  im  Kindesalter  auftretenden  multiplen 
Furunculose.  Bei  zehrenden  Krankheiten,  wie:  chronischen  Pneumo¬ 
nien,  Scrophulose,  chronischen  Darmkatarrhen  soll  Ichthalbin  den 
Appetit  anregend  wirken  und  dadurch  die  Körpergewichtszunahme 
bemerkenswert!!  beeinflussen.  Von  den  Darmkatarrhen  werden  be¬ 
sonders  die  chronischen,  weniger  die  subacuten  und  acuten  günstig 
beeinflusst.  Als  Dosis  hat  sich  bewährt  dreimal  täglich  und  zwar 
bis  zum  sechsten  Monat  0'05 — 01  g  Ichthalbin,  bis  zum  zwölften 
Monate  015 — 0  2g',  im  zweiten  Jahre  02 — 0'3 g,  welche  Dosis 
oft  auch  noch  für  zwölfjährige  Kinder  genügt;  sonst  kann  man  bis 
auf  0'5  g  bis  zum  fünften  Jahre  und  auf  l'Og  bis  zum  zehnten 
Jahre  steigen.  Ichthalbin  lässt  sich  auch  sehr  gut  als  Schachtel¬ 
pulver  verordnen,  z.  B.:  Ichthalb.,  Chocolado  aa.  5  0 — 10'0(/.  D.  S. 
Zweimal  täglich  eine  Messerspitze.  —  (Therapeutische  Monats¬ 
hefte.  1899,  Nr.  7.) 

* 

21.  Ueber  die  Rattenbisskrankheit.  Von  Doctor 
II.  Miyake  (Japan).  Unter  Rattenbisskrankheit  versteht  man  eine 
eigenthümliche,  meist  fieberhaft  verlaufende,  in  Japan  sehr  häufig 
vorkommende  Krankheit,  welche  durch  den  Biss  einer  (wahrschein¬ 
lich  kranken)  Ratte  hervorgerufen  wird;  dieselbe  verläuft  fast  regel¬ 
mässig  unter  charakteristischem  intermittirendem  Fieber,  blauröth- 
lichen  Exanthemen  und  eigenthümlichen  Nervensymptomen.  Es 
handelt  sich  wahrscheinlich  um  eine  Krankheit,  welche  der  Hydro¬ 
phobie,  vielleicht  auch  dem  Schlangenbiss  an  die  Seile  zu  stellen 
ist,  aber  jedenfalls  nicht  mit  Pyämie  identisch  ist,  Therapeutisch 
kommt  besonders  die  locale  Behandlung  der  Wunde  in  Betracht. 
—  (Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie. 
Bd.  V,  Heft  2.) 

* 

22.  Ein  Fall  von  perforirenden  Verletzungen 
des  Magens  und  des  Duodenum  nebst  Einrissen  in 
die  Leber.  Von  Dr.  Dorf  (Klein-Mohrau).  Die  Verletzungen  waren 
dadurch  zu  Stande  gekommen,  dass  ein  schweres  Rad  theilweise  auf 
Brust  und  Bauch  des  Arbeiters  gefallen  war.  Tod  nach  10  Stunden. 
Die  anatomische  Diagnose  lautete  auf  Zerreissung  des  Magens 
(guldenstückgrosses  Loch  über  dem  Pylorus),  des  Zwölffingerdarmes 
(haselnussgrosses  Loch);  im  Gefolge  davon  Verblutung  in  Magen 
und  Darm.  Bemerkenswerth  in  diesem  Falle  ist,  »dass  der  Kranke 
mehrmals  erbrochen  hat,  trotzdem  der  Magen  ein  Loch  hatte«,  durch 
welchen  Umstand  der  mechanische  Brechact,  wie  gewöhnlich  an¬ 
genommen  wird,  unmöglich  werden  soll.  —  (Monatsschrift  für  Unfall¬ 
heilkunde.  1899,  Nr.  9.) 

* 

23.  Ueber  cardiale  und  nervöse  Störungen  aus 
gastrointestinaler  Ursache.  Von  Dr.  Jessen  (Hamburg). 
Dass  vom  Magen-Darm  her  Schwindelerscheinungen  ausgelöst  werden 
können,  ist  seit  langer  Zeit  bekannt.  Die  nächste  Ursache  für  diese 
Art  der  Herz-  oder  nervösen  Störungen  ist  eine  mechanische  oder 


chemische.  Mechanisch:  Gasbildung  und  Aufblähung  des  Magens 
und  besonders  auch  des  Quercolons  mit  dadurch  bedingtem  Iloch- 
sland  des  Zwerchfelles,  Druck  auf  das  Herz,  Reizung  der  Horz- 
ganglien  u.  s.  w.  Bei  dieser  Aeliologio  ist  es  dann  nicht  zu  ver¬ 
wundern,  wenn  solche  Fälle  von  Herzschwäche  durch  Magenaus- 
spülung  oder  eine  Vichycur  geheilt  werden.  Chemisch:  Autointoxi¬ 
cation,  beziehungsweise  die  supponirte  Resorption  von  Giften, 
welche  im  Darm  gebildet  worden  sind.  Diese  Ursachen  können  zu 
Erscheinungen  führen,  welche  eine  mehr  oder  minder  schwere 
Neurasthenie  Vortäuschen.  Nicht  selten  gibt  der  Harn  solcher  Indi¬ 
viduen  zum  Zeichen  vermehrter  Darmfäulniss  die  Rosen  bac  fi¬ 
sche  Reaction,  welche  sammt  der  Summe  der  Beschwerden 
schwindet,  sobald  solche  »Neurastheniker«  z.  B.  mit  Darmspülungen 
behandelt  worden  sind.  — -  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  43.)  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

In  einer  Veröffentlichung :  Erfahrungen  über  die 
innerliche  Anwendung  des  Jodipins  —  einer  Jod- 
Sesamölverbindung  mit  einem  Gehalte  von  10"/0  Jod  —  berichtet 
Dr.  Ü.  Burkhart  in  Berlin  über  günstige  Erfolge  mit  dieser 
Medication  bei  Lues.  Das  Mittel  passirt  unverändert  den  Magen, 
kommt  im  Magen  fast  unverändert  zur  Resorption  und  wird  erst 
im  Blute  und  in  den  Geweben  allmälig  gespalten.  Die  Dosis  betrug 
zwei  bis  drei  Theelöffel  =  10  — 15  g  Jodipin  =  1  —  U5y  Jod  täglich. 
Störungen  des  Appetites  wurden  keine  beobachtet.  —  (Deutsche 
Medicinalzeitung.  1899). 

Radestock  in  Dresden  empfiehlt  gleichfalls  das  Jodipin 
wärmstens  in  allen  Fällen,  in  denen  man  sonst  Jodkali  anzuwenden 
pflegt,  und  zwar  auch  in  Form  einer  regulären  Schmiercur,  da  es 
sehr  rasch  absorbirt  wird.  —  (Ueber  Jodpräparate  und  deren  Dosirung 
in:  Therapeutische  Monatshefte.  October  1899.) 

* 

Formalinalkohol  gegen  die  Nachtschweisse 
der  Phthisiker.  Von  Dr.  Hirsch  fei  d.  Auf  der  Abtheilung 
des  Prof.  Goldscheid  wurde  in  letzterer  Zeit  folgendes  Ver¬ 
fahren  gegen  die  Nachtschweisse  der  Phthisiker  angewendet.  Mit 
einer  Mischung  von  Formalin  und  absolutem  Alkohol  aa.  wurden  die 
schwitzenden  Körpertheile  einen  Tag  um  den  anderen  bepinselt.  Zuerst 
Rücken  und  Arme,  am  nächsten  Tage  Brust  und  Bauch  und  am 
dritten  die  Füsse.  Die  Wirkung  hält  eine  bis  vier  Wochen  lang  an. 
—  (Fortschritte  der  Medicin.  1899,  Nr.  38.) 

* 

Auch  im  vergangenen  Jahre  hat  die  bereits  vielfach  gewürdigte 
therapeutische  Verwerthbarkeit  des  Ichthyols  zur  Empfehlung 
desselben  für  verschiedene  Krankheitsproeesse  geführt.  Conitzer 
in  Hamburg  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  3) 
empfiehlt  es  zur  localen  Behandlung  der  Afterschrunde,  Wert¬ 
hei  m  b  e  r  in  Nürnberg  bei  der  Therapie  der  Tuberculose  (Ibidem. 
Nr.  24);  es  soll  durch  die  innerliche  Darreichung  desselben  der 
Appetit  mächtig  angoregt  werden.  Von  einer  Mischung  des  Ichthyols 
mit  gleichen  Theilen  Wasser  wurden  dreimal  täglich  nach  der 
Mahlzeit  (nie  nüchtern!)  ein  bis  zwei  Tropfen  in  einem  Gläschen 
Wasser  genommen  ;  jeden  dritten  Tag  wird  um  einen  Tropfen 
gestiegen,  bis  dreimal  zehn  Tropfen  täglich  erreicht  werden. 
Schiele  (Petersburger  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  8) 
verwendet  es  hier  besonders,  wenn  Kreosot  nicht  gut  vertragen 
wird.  Mueller  und  Schütze  halten  die  Verwendung  des  reinen 
Ichthyols  oder  einer  50'Vjigen  wässerigen  Lösung  zu  Verbänden  bei 
schweren  Verbrennungen  zweiten  und  dritten  Grades  für  sehr  em- 
pfehlenswerth.  —  (Aerztliche  Rundschau.  1899.  Nr.  5  und  21.) 

* 

Ueber  die  Behandlung  des  Keuchhustens  mit 
Antitussin.  Von  Dr.  Heim  (Düsseldorf).  Das  Mittel  besteht 
aus  Difluordiphenil,  Vaselin  und  Wollfett,  hat  Salbenconsistenz  und 
wird  von  der  Haut  sehr  leicht  resorbirt.  Nachdem  Hals,  Brust  und 
die  Gegend  zwischen  den  Schulterblättern  mit  Seife  gereinigt  sind, 
wird  ein  nussgrosses  Stück  der  Salbe  auf  diesen  Stellen  verrieben. 
Der  Erfolg  soll  nach  Autor  ein  vorzüglicher  sein.  — •  (Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  50.) 

* 

Ueber  die  Beseitigung  der  Dyspepsie  bei  con¬ 
stitutioneilen,  chronischen  und  acuten  Krank¬ 
heiten.  Von  Dr.  Thomalla  (Berlin).  Bei  den  genannten  Zu¬ 
ständen  soll  sich  Ext  r  actum  chinae  Nanning  zu  15  —  20 


20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  11)00. 


Nr.  1 


Tropfen  täglich  in  Wasser  bewähren.  —  (Therapeutische  Monatshefte. 
1890,  Nr.  11.) 

* 

Wolff  borg  (Breslau)  empfiehlt  das  Dion  in  bei  Pannus 
tracbomatosus,  Geschwüren  der  Cornea,  zur  localen  Behandlung  nach 
Bulbusoperationen  (Staarextractionen).  Die  gutartige  Wirkung  soll 
auf  einer  Ueberschwemmung  des  Bindehauttractes  mit  Lymphe  be¬ 
ruhen,  wodurch  die  Vitalität  des  Gewebes  eine  erhöhte  wird.  Das 
Pulver  wird  in  Substanz  oder  in  Form  von  25%igcn  Cacao-Dionin- 
stäbchen  angewendet.  —  (Wochenschrift  für  Therapie  und  Hygiene 
des  Auges.  1899,  Nr.  4.) 

* 

Behandlung  der  Tuberculose  nach  der  Methode 
des  Professors  Länderer.  Von  Dr.  Samuel  Bernheim. 
Verfasser  hat  43  Kranke  mit  Zimmfsäure  behandelt  und  kommt 
in  Folge  seiner  hiebei  gemachten  Erfahrungen  unter  Anderem  zu 
folgenden  Schlüssen  :  Durch  Behandlung  mit  Zimmtsäure,  beziehungs¬ 
weise  deren  Verbindungen  resultirt  zunächst  eine  Hyperleukocytose, 
und  man  findet  besonders  im  Blutstrom  eine  grosse  Zahl  von 
polynuclearen  und  eosinophilen  Leukocyten.  Um  die  Tuberkelherde 
findet  ein  Entzündungsprocess  statt,  welcher  mit  der  Bildung  von 
Bindegewebe  und  neuen  Gefässen  endet.  Bei  diesen  Injectionen, 
welche  sowohl  intravenös  wie  intraglutäal  gemacht  werden,  wird 
mit  sehr  kleinen  Dosen,  etwa  mit  1  '»></  btgonnen  und  bis  50  mg 
gestiegen.  Kürzeste  Behandlungszeit  mindestens  drei  Monate.  Nach 
Länderer  soll  die  Zimmtsäure  mit  den  Toxinen  des  Tuberkel¬ 
bacillus  eine  unschädliche  Verbindung  bilden.  —  (La  Medecine  orien¬ 
tale.  1899,  Nr.  9.)  Pi. 


NOTIZEN. 

Gestorben:  Der  Hygieniker  R  i  c  h  a  r  d  Thorne  in 
London. 

* 

Anfangs  Januar  eröffnet  der  „Wiener  Aerzteclub“  sein 
Heim.  Dasselbe  befindet  sich:  I.,  Schottengasse  7  im  Mezzanin  und 
besteht  aus  einem  Sitzungssaale,  einem  Lesezimmer  und  zwei  Spiel¬ 
zimmern;  die  Localitäten  sind  mit  allem  Comfort  ausgestattet  und 
werden  voraussichtlich  in  kürzester  Zeit  zu  einem  geselligen  Central¬ 
punkt  der  Wiener  Aerzteschaft  werden.  Die  constituirende  Versamm¬ 
lung,  in  welcher  die  Wahl  des  Ausschusses  erfolgt,  wird  am  6.  Januar, 

1  /2  6  Uhr  Abends  im  Clublocale  stattfinden;  zu  derselben  sind 
hiemit  alle  Collegen  geladen,  welche  gesonnen  sind,  dem  Club  bei¬ 
zutreten. 

* 

Zweiter  österreichischer  Balneologen-Con- 
g  r  e  s  s.  Der  Centralverband  der  Baineologen  Oester¬ 
reichs  hat  beschlossen,  seine  zweite  öffentliche  wissenschaftliche  Ver¬ 
sammlung  im  Jahre  1900  —  einer  ehrenvollen  Einladung  der  hohen 
k.  und  k.  bosnischen  Landesregierung  und  der  löblichen  Curverwaltung 
liagusa  zufolge,  sowie  gemäss  §  2  der  Vereinssatzungen  —  in 
Ragusa  (am  31.  März  und  1.  April)  und  Ilidze  (am  5.  April) 
zu  veranstalten.  Als  Discussions-Thema  wurde  „die  physikalisch¬ 
diätetische  Therapie  der  Fettleibigkeit“  —  (Balneo  Hydro  Klimato-  und 
Mechanotherapie)  aufgestellt;  selbstständige  Vorträge  über  in  das 
Gebiet  der  Balneologie  einschlägige  Materien  sind  willkommen.  An¬ 
meldungen  zur  Betheiligung  und  Ankündigungen  von  selbstständigen 
Vorträgen,  mit  genauer  Bezeichnung  des  Themas,  nimmt  der  Schrift¬ 
führer  des  Verbandes:  Dr.  Wettendorfer,  Wien,  1.,  Essling- 
gasse  lli,  bis  zum  15.  Februar  1900  entgegen,  welcher 
auch  alle  auf  den  Congress  und  auf  die  Reise  bezüglichen  Auskünfte 
ertheilt. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  50.  Jahreswoche  (vom  10.  December  bis 
16.  December  1899).  Lebend  geboren:  ehelich  525,  unehelich  294,  zusammen 
819.  Todt  geboren:  ehelich  40,  unehelich  2G,  zusammen  66.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  586  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18  7  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  112,  Blattern  0,  Masern  11, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  11,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  15.  Angezeigte  Infeotionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
149  (-j-  33),  Masern  37  l  (-)-  67),  Scharlach  57  ( —  8),  Typhus  abdominalis 
6  (-(-  1),  Typbus  exantbemaficus  0  (=),  Erysipel  40  (-(-  12),  Croup  und 
Diphtherie  80  (-f-  26),  Pertussis  26  ( —  10),  Dysenterie  0  ( —  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-(-  2),  Trachom  2  (=),  Influenza  0  (=). 

* 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  16.  November  1899  (siehe 
Nr.  46,  1899  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

Nr.  5. 


Geschenke  : 

Specielle  Pathologie  und  Therapie,  herausgegeben  von  Hofrath  Professor 
II.  No  t  h  nage  1. 

Bd.  VIII  1,  Heft  2:  Ehrlich  und  Lazarus  A.,  Die  Anämie. 
Wien  1900.  8".  Von  Herrn  Hofrath  C  h  r  o  b  a  k. 

Verhandlungen  der  deutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie.  Bd.  VII 

und  VIII.  Leipzig  1897/98.  8".  2  Bände.  Von  Herrn  Hofrath 

Prof.  Chrobak. 

lahrbuch,  Statistisches,  der  Stadt  Wien  für  das  Jahr  1897.  Wien  1899. 

8Ü.  Von  dem  statistischen  Departement  des  Wiener  Magistrates. 
Kaposi  M.,  Handatlas  der  Hautkrankheiten.  II.  Abtbeilung.  Wien  und 
Leipzig  1899.  8".  Vom  Autor. 

Pauli  Wolfganp,  Ueber  physikalisch-chemische  Methoden  und  Probleme  in 
der  Medicin.  Wien  1900.  8°.  Vom  Autor. 

Allegri  Natalis,  De  Asiatico  Cholerae  morbo  animadversiones.  Annorum 
1837,  1854/55,  1866/67,  1887.  Torino  1899.  81  Von  Herrn  Dr.  Ga- 
lat  ti. 

Unger  Ludwig,  Die  Pflege  des  kleinen  Kindes  in  den  Findelanstalten 
Oesterreichs.  Wien  1899.  8°.  Vom  Autor. 

Unger  Ludwig,  Die  Pflege  des  vorschulpflichtigen  Kindes  in  Krippen, 
Kinderbewahi  anstalten  und  Kindergärten.  Wien  1899.  8".  Vom 
Autor. 

Serbanescu  Joan,  Memoriu  asupra  maladiilor  infectiose  in  Armata  si  in 
populatiunea  civila.  Bucuresti  1899.  8".  Vom  Autor. 

Svetlin  Wilhelm,  Festrede  bei  der  Gedenkfeier  des  500jährigen  Bestandes 
der  »Acta  facultatis  medicae  Universitatis  Vindobonensis«  am  10.  De¬ 
cember  1899.  Wien  1899.  8°.  Vom  Wiener  medicinischen  Doctoren- 
Collegium. 

Ein  halbes  Jahrtausend.  Festschrift,  anlässlich  des  500jährigen  Bestandes 
»Acta  facultatis  medicae  Vindobonensis«  h-rausgegeben  von  Wiener 
medicinischen  Doctoren-Collegium.  Redigirt  von  Dr.  II.  Adle  r. 
Wien  1999.  8".  Vom  Wiener  medicinischen  Doctoren-Collegium. 
Procedings  of  the  New  York  Pathological  S  ciety.  Years  1887,  1890,  1892, 
1897  98.  New- York  1888/99.  8’.  4  Vols.  Von  Herrn  Primär. 
Dr.  Kundrat. 

* 

Von  der  Itedaciion  der  Wiener  klin.  Wochenschrift : 

Schöfer  Johann,  Leitfaden  der  Militär-Hygiene.  Zweite  umgearbeitete  Auf¬ 
lage.  Wien  1900.  8°. 

Bass  Eduard,  Mittel  und  Wege  zur  Schaffung  und  Erhaltung  eines  ent¬ 
sprechenden  Sanitäts-Hilfspersonals  für  die  Militär-Sanitäts-Anstalten 
und  die  Truppen  im  Frieden.  Wien  1900.  8°. 

Verslag  der  algemeene  Zittingen  van  bet  Negende  Internationale  Oogheel- 
kundig  Congres  the  Utrecht,  14.  18.  Augustus  1899.  Utrecht  1899.  8". 
Archiv  für  Ohrenheilkunde.  Leipzig  1899.  Bd.  XLVI,  XLVII.  Complet. 
Transactions  of  the  Clinical  Society  of  London.  Vol.  XXXII.  London  1K99. 

* 

Angekauft: 

Hermann  L.,  Lehrbuch  der  Physiologie.  Zwölfte  umgearbeitete  und  ver¬ 
mehrte  Auflage.  Berlin  1900.  8°. 

Finsen  Niels  R  ,  lieber  die  Bedeutung  der  chemischen  Strahlen  des  Lichtes 
für  die  Medicin  und  Biologie.  Leipzig  1899.  8°. 

Wien,  im  Januar  1900.  Unger. 


EINBAND DECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressling  zum  XII.  Jahrgang  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
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haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


r 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


21 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften 


und  Congressberichte. 


INHALT: 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  6.  December  1899. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  6.  December  1899. 

Vorsitzender  :  Hofrath  Prof.  Neumann. 

Schriftführer:  Dr.  Matzenauer. 

Lang  demonstrirt: 

1.  Ein  Mädchen,  welches  an  Vorderarm  und  Händen  ausgedehnte 
Brandwunden  hatte,  die  keine  Tendenz  zur  Uebernarbung  boten  und 
deshalb  mit  langen  T  h  i  e  r  s  c  h’schen  Bändern  gedeckt  wurden;  voll¬ 
ständige  Heilung  nach  neun  Tagen. 

2.  Einen  Schlosser,  welcher  gleichfalls  ausgedehnte  Brandwunden 
an  Ober-  und  Vorderarm  hatte,  die  bis  aufs  Uuterliautzellgewebe  und 
die  Fascien  die  Haut  vernichtet  hatten.  Wollte  man  in  diesem  Falle 
einer  Narbenankylose  im  linken  Ellbogengelenke  Vorbeugen,  so  durfte 
man  nicht  an  eine  Thiersch  Transplantation  denken,  sondern  an  eine 
Lappenplastik.  Der  gestielte  Lappen,  welcher  20  cm  in  der  Länge  und 
14  cm  in  der  Breite  mass,  wurde  der  seitlichen  Bauchwand  entnommen 
und  heilte  vollständig  an,  so  dass  die  Bewegungsmöglichkoit  des  Ge¬ 
lenkes  unversehrt  blieb.  Anschliessend  zeigt  Lang  Photographien 
von  einer  Lappenplastik  an  Hand  und  Fingern  wegen  Lupus  vulgaris. 

3.  Ein  Mädchen,  dessen  Lupus  an  der  Wange  seit  13  Jahren 
erfolglos  behandelt  worden  war  und  jetzt  vor  16  Tagen  exstirpirt 
wurde.  Ein  gestielter  Lappen  wurde  der  seitlichen  Halsgegend  ent¬ 
nommen. 

Lang  demonstrirt  einen  Sequester  des  Stirnbeins,  den  er  heute 
bei  einem  in  der  letzten  Sitzung  demonstrirten  Kranken  entfernte.  Der 
Sequester  ist  10  cm  lang  und  ö1/*  cm  breit.  Dem  linken  Stirnbein  ent¬ 
sprechend  hatte  die  syphilitische  Nekrose  auch  die  Lamina  vitrea  in 
einer  Ausdehnung  von  6  cm3  erfasst,  an  dieser  Stelle  ist  Pulsation  des 
Gehirns  deutlich  wahrzunehmen.  Der  Kranke  ist  fieberfrei  und  befindet 
sich  wohl. 

Ehrmann  demonstrirt  einen  Kranken  mit  einem  Erythem 
über  dem  Metacarpus  des  Daumens,  dem  Gelenksrand  des  Radius 
und  an  der  Vorderfläche  des  Vorderarms,  scharf  begrenzt,  elevirt, 
leicht  schuppend,  wenig  schmerzhaft.  In  der  Bicipitalfurche  einige 
Lymphgefässstränge.  Vom  Antypirinexanthem  und  den  fixen  Ery¬ 
themen  unterscheidet  sich  der  Fall  durch  Farbe  und  Elevation.  Der 
Kranke  hat  sich  vor  einem  Jahre  beim  Füllen  von  Strohsäcken  mit 
einem  Strohhalm  am  Handrücken  geritzt  und  darauf  eine  Phlegmone 
bekommen.  Solche  elevirte  Erytheme  kommen  nach  Verletzungen,  die 
mit  thierischen  Substanzen  verunreinigt  sind,  oft  vor,  werden  im  Cen¬ 
trum  bald  livid  und  zeigen  iu  der  Peripherie  eineu  steilen  Rand,  wie 
Erysipel ;  sie  sind  vielleicht  mit  den  von  den  Engländern  beschriebenen 
persistirenden  Erythemen  identisch  und  gehen  auf  Sublimatumschläge 
zurück. 

Kaposi  hat  noch  viel  stärkere  derartige  Erytheme  nach  Ver¬ 
letzungen  gesehen.  Oft  schliessen  sich  in  centripetaler  Richtung  dicke 
lymphangiotische  und  perilymphatische  Infiltrate  an,  die  auf  Resorption 
zerfallender  Substanzen  zurückzuführen  sind.  Thei  apeutisch  geben 
Seifenpflaster  und  gewöhnliche  feuchte  Umschläge  dasselbe  Resultat, 
wie  Sublimatumschläge. 

Ehrmann  demonstrirt  einen  jungen  Mann,  bei  dem  sich  das 
Dorsallymphgefäss  des  Penis  als  ein  dicker  knotiger  Strang  in  die 
rechte  Leistendrüse  verfolgen  liess. 

Ehr  mann  zeigt  einen  Durchschnitt  durch  einen  injicirten 
Penis,  in  dem  die  Injection  der  Lymphgefässe  von  der  Arterie  aus  er¬ 
folgt  ist. 

Schiff  und  Freund  demoustriren  eine  Kranke  mit  L  u  p  u  s 
er  y  them.,  die  seit  einem  Jahre  in  Röntgen-Behandlung  steht.  Die 
ursprünglichen  Krankheitsherde  sind  abgeheilt.  An  der  linken  Schläfe 
entwickelte  sich  eine  seit  einem  Jahre  persistirende  Alopecie,  ohne 
dass  nach  dem  ersten  Beslrahlungscyklus  je  eine  weitere  Bestrahlung 
der  Stelle  stattgefunden  hätte.  Vor  einem  Jahre  benützten  Schiff 
und  Freund  noch  nicht  die  Schutzmasken,  so  dass  nicht  nur  die 
krankhaft  afficirte  Stelle,  sondern  auch  die  nächste  Umgebung  bestrahlt, 
wurde.  Der  ursprüngliche  Lupusherd  gelangte  sehr  rasch  zur  Heilung, 
in  der  Umgebung  des  geheilten  Herdes  traten  aber  nunmehr  neben 
der  dauernden  Alopecie  Erscheinungen  auf,  die  dem  Auftreten  und 
dem  Verlaufe  eines  Lupus  erythematosus  vollständig  entsprachen. 


Kaposi  warnt  vor  zu  weitgehenden  Schlüssen  in  der  Be- 
urtheilung  der  Heilerfolge  bei  Lupus  erythem.;  es  bilden  sich  oft  an 
und  für  sich  erkrankte  Stellen  zurück,  ohne  Narben  zu  hinterlassen. 
Andererseits  ist  die  Beeinflussung  des  Processes  im  Sinne  der  Erregung 
einer  acuten  Entzündung  nicht  der  Röntgen-Behandlung  specifisch, 
sondern  kommt  auch  unter  anderen  Verhältnissen,  besonders  bei  An¬ 
wendung  von  Aetzmitteln  vor.  Was  den  Haarverlust  anlangt,  ist  fest¬ 
zustellen,  dass  der  Process  selbst  zur  Atrophie  der  Haarwurzeln  führt. 

Schiff  wiederholt,  dass  es  sich  eben  um  eine  allgemeine  Prä¬ 
disposition  der  Haut  zur  Bildung  von  Lupus  erythem .  handle,  so  dass 
Reize,  wie  Röntgen-Behandlung  oder  Aetzmittel,  zur  Bildung  neuer 
Erkrankungsstellen  führen.  Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt, 
dass  die  Veränderungen  der  Haut  hei  der  Röntgen-Dermatitis  ähnlich 
sind  denen  bei  Lupus  erythem. 

Kr  ei  bi  eh  zieht  aus  dem  Neuauftreten  von  Lupusherden  den 
Schluss,  dass  bei  der  Röntgen-Behandlung  die  gesunden  Hautstellen 
geschützt  werden  sollten. 

Freund  erklärt,  dass  dies  ohnehin  jetzt  geschehe,  indem  das 
Gesicht  mit  einer  Bleimaske  bedeckt  und  den  kranken  Stellen  ent¬ 
sprechende  Fenster  ausgeschnitten  werden. 

Nobl  demonstrirt  aus  G  r  ü  n  f  e  1  d’s  Abtheilung  einen  Fall 
von  Framboesia  syphilitica  des  Capillitiums  und 
diffuser  papulöser  Infiltration  des  linken  äusseren 
Gehör  ganges. 

Die  Affection  betrifft  einen  vor  zwei  Monaten  luetisch  infieirten 
32jährigen  Mann,  bei  welchem  sich  die  gegenwärtig  vorhandenen 
Läsionsformen  unmittelbar  an  den  Initialaffect  angeschlossen  haben. 
Im  Bereiche  der  behaarten  Kopfhaut,  und  zwar  über  dem  linken 
Scheitel  und  dem  Hinterhaupte  sieht  man  bis  pfirsiebgrosse,  halbkugelig 
prominirende  Tumoren,  welche  mit  ihrer  papillär  unebenen,  vielfach 
durchfurchten,  eiterig  belegten  Oberfläche  aus  dem  Capillitium  stark 
hervortreten.  Die  mit  einem  schmutzig  grauweissen,  aus  abgestossenen 
Schuppenmassen,  Eiter  und  Blutkrusten  bestehenden  Detritusbelage 
überdeckten  Geschwülste  lassen  bei  Druck  aus  rundlichen  Lücken 
ihrer  Textur  Eitertropfen  hervortreten.  Die  framboesiforme  Structur 
dieser  immerhin  selteneren  Läsionsform  ist  ähnlich  wie  bei  anderen  im 
Bereiche  behaarter  Hautregionen  localisirten  Krankheitsprocessen 
(Ekzem,  Pemphigus,  Sycosis  parasitaria  etc.)  auf  eine  excessive  Wuche¬ 
rung  des  Papillarkörpers  zurückzuführen. 

Durch  die  Seltenheit  der  Localisation  ist  in  diesem  Falle  das 
Mitergriffensein  des  linken  Gehörganges  von  Interesse. 

Die  Mitte  der  Muschel,  die  Incisura  intertragica,  sowie  der  Ge¬ 
hörgang  in  seiner  ganzen  Circumferenz  sind  ausgekleidet  und  erfüllt, 
von  einer  confluirenden,  eiterig  belegten,  grauweissen  papulösen 
Wucherung.  Bei  dem  totalen  Verlegtsein  des  Meatus  ist  es  vorläufig 
nicht  bestimmbar,  ob  auch  das  Trommelfell  am  Krankheitsprocesse  be¬ 
theiligt  erscheint.  Die  hochgradige  Beeinträchtigung  der  Hörschärfe  ist 
wohl  hauptsächlich  auf  die  Verstopfung  des  Ganges  zu  beziehen. 

Kreibich  demonstrirt : 

1.  Eine  Frau  mit  Lues  papulosa  annularis  au  den  Nasolabial- 
falten  und  betont  das  wallartig  aufgeworfene  glänzende  Infiltrat  in 
diff'erentialdiagnostiseher  Beziehung. 

2.  Eine  Frau,  die  am  ganzen  Körper  mit  intensiv  schuppenden 
Efflorescenzen  bedeckt  ist;  die  Schuppen  sind  silberglänzend  und  leicht 
ablösbar,  ähnlich  Psoriasis  vulgaris;  doch  liegt  um  die  Efflorescenzen 
ein  braunrothes  derbes  Infiltrat;  Psoriasis  palmaris,  Papeln  am  Genitale 
und  im  Munde  zeigen,  dass  es  sich  um  ein  luetisches  Exanthem 
handle. 

Kaposi  weist  auf  die  Pustelbildung  bei  Syphilis  hin  und  be¬ 
merkt,  dass  es  in  besonders  intensiven  Fällen  zur  Entwicklung  der  als 
Variola  luetica  bekannten  Form  komme. 

3.  Eine  Frau  mit  Pemphigus  vulgaris,  die  frische  Nachschübe 
am  Genitale  und  am  Bauch  zeigt. 

Neumann  demonstrirt,  zwei  Fälle  von  Sy  rin  go  cy  st¬ 
ade  no  m.  Die  zwei  Patientinnen  zeigten  an  der  Haut  des  Thorax  vorn 
und  seitlich  unregelmässig  disseminirte,  sehr  zahlreiche,  bis  eibsen¬ 
grosse,  derbe,  glatte,  hellrosa  bis  matt, braune,  nicht  juckende  Knötchen, 
welche  seit  Kindheit  bestanden,  sich  während  des  Spitalsaufenthaltes 


22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


vermehrten.  Eine  klinische  Diagnose  war  unmöglich;  die  Affection  er¬ 
innert  an  Xanthom  oder  Dermatomzon. 

'  Mi  kroskopisch  zeigten  die  Knötchen  eine  Zusammensetzung  aus 
soliden  Aesteu  und  Strängen  epithelialer  Zellen,  aus  cystischen  Hohl¬ 
räumen  mit  homogenem  Inhalt,  von  Epithelien  ausgekleidet.  Diese 
Gebilde  lassen  eine  Entstehung  aus  wuchernden  Schweissdrüsengängen 
erkennen.  Neumann  bezeichnet  daher  diese  eigenthümliche  Haut- 
affection  als  Syringocystadenom  und  verlegt  ihren  Ausgangs¬ 
punkt  in  die  fertig  ausgebildeten  Schweissdrüsen,  und  nicht,  wie 
andere  Beobachter  behaupteten,  in  embryonal  abgeirrte,  „verunglückte“ 
Knäueldrüsenanlagen. 

Discussion:  Kaposi  ruft  die  klinische  Aehnlichkeit  des 
Syringocystadenoms  mit  dem  von  ihm  1868  beschriebenen  Lymph¬ 
angioma  tuberosum  multiplex  ins  Gedächtniss.  Doch  bestand  bei 
letzterem  die  Affection  seit  Geburt  und  zeigte  niemals  Nachschübe. 
Andererseits  zeigt  auch  der  histologische  Befund  bei  beiden  Affectionen 
derartige  Verschiedenheiten,  dass  die  Ansicht  B  e  s  n  i  e  r’s,  das 
Lymphangioma  tuberosum  sei  identisch  mit  dem  Syringocystadenom, 
hinfällig  erscheint. 

Neumann  demonstrirt  eine  21jährige  Magd  mit  Sklerose 
an  der  Unterlippe  von  3 '/ 2 wöchentlicher  Dauer;  Unter¬ 
kieferdrüsen  noch  nicht,  eine  Submentaldrüse  vergrössert; 

ferner  eine  28jährige  Magd  mit  Sklerose  an  der  Ober¬ 
lippe  und  Exanthema  maculo3um  am  Stamm  und  Extremitäten.  Unter¬ 
kieferdrüsen  walnuss-,  Zungenbeindrüsen  haselnussgross; 

ferner  eine  21jäbrige  Magd  mit  Sklerosen  nahe  an  der 
Tonsille  und  Roseola  annulata.  Am  rechten  Unterkieferwinkel  ein 
apfelgrosses  Drüsenpaket.  Cervicaldrüsen  rechts  multipel,  bohnen-  bis 
haselnussgross.  Patientin  ist  virgo  intacta; 

ferner  einen  24jälirigen  Kranken  mit  tuberösem  Syphilid 
am  rechten  Ellbogengelenk,  linken  Augenbrauenbogen,  Unterlippe, 
Wangen  und  Kopf.  Syphilis  seit  März  1899;  bisher  60  Einreibungen; 

ferner  einen  18jährigen  Kranken  mit  pustulöse  m  Sy¬ 
philid,  hauptsächlich  an  der  Stirnhaargrenze  localisirt; 

ferner  einen  25jährigen  Kranken  mit  lenticulären  Syphi- 
liseffloreseenzen  am  linken  Handgelenk,  über  der  linken 
Schulter  und  au  Nasenwurzel  und  -Spitze.  Die  letzteren  bieten  nach 
Localisation  und  Aussehen  grosse  Aehnlichkeit  mit  Lupus  e  r  y- 
thematosus  dar.  Syphilis  seit  4 '/2  Jahren; 

endlich  einen  27jährigen  Kranken  mit  ulcerösem  Syphi¬ 
lid,  in  der  Medianlinie  der  Oberlippe,  am  Kinn,  an  der  rechten  Unter¬ 
lippe;  Pigmentirungeu  nach  überstandenen  Syphiliden  am  behaarten 
Kopf  und  auf  der  Brust.  Syphilis  seit  April  1899,  bisher  un¬ 
behandelt. 

Matzenaue  r  demonstiirt  ein  Xeroderma  pigmentosum  bei 
einer  66jährigen  Frau.  Seit  Kaposis  ersten  Mittheilungen  vom 
Jahre  1870  wurde  Xeroderma  bei  einer  Gesammtzahl  von  circa  90  bis 
nun  beobachteten  Fällen  nur  ein  einziges  Mal  in  so  vorgeschrittenem 
Alter  beobachtet.  Da  die  Affection  zumeist  schon  im  frühesten  Kiudes- 
alter  sich  entwickelt  und  im  jugendlichen  Alter  bereits  in  ihrem 
typischen  Gepräge  erscheint,  so  dass  die  Veränderungen  als  eine  Seni¬ 
litas  cutis  praecox  bezeichnet  werden  können,  könnte  in  diesem  Falle 
die  Frage  aufgeworfen  werden,  ob  hier  die  Erscheinungen  nicht  als 
eine  physiologische  Senilitas  cutis  gelten  dürfen.  Dagegen  spricht  die 
für  Xeroderma  charakteristische  Prädilectionsstelle  an  Gesicht,  Armen 
und  Unterschenkeln,  wogegen  ein  physiologischer  Altersprocess  der 
Haut  schwerlich  auf  die  bezeichneten  Partien  localisirt  bliebe,  sowie 
insbesondere  der  Umstand,  dass  hier  nicht  blos  senil  atrophische, 
sondern  direct  schwielig  narbige  Hautveränderungen  prädominiren. 
Sommersprossenartige  Flecke  und  Pigmentirungen  hat  die  Kranke  zu¬ 
erst  im  reiferen  Lebensalter  bei  ihren  Feldarbeiten  auftreten  gesehen. 
Der  wiederholten  Insolation,  die  von  mehrfachen  Autoren  als  Gelegen¬ 
heitsursache  angeführt  wird,  indem  es  in  Folge  häufigen  Auftretens 
eines  Erythema  solare  zu  chronisch  entzündlichen  Erscheinungen,  zu 
Pigmentanhäufungen  und  zu  einer  abnormen  Verhornung  der  Epidermis 
kommt,  scheint  auch  im  vorgestellten  Falle  eine  bedeutsame  Rolle  zu¬ 
zusprechen  zu  sein,  zumal  die  Affection  gerade  nur  so  weit  reicht, 
als  Hals,  Arme  und  Ftisse  bei  der  Feldarbeit  entblösst  getragen 
wurden.  Der  Fall  scheint  demnach  dafür  zu  sprechen,  dass  Xeroderma 
nicht  immer  in  frühester  Kindheit  beginnen  müsse,  sondern  auch 
im  späteren  Alter,  etwa  zur  Pubertätszeit,  in  der  hiezu  disponirten 
Haut  zur  Entwicklung  kommen  könne. 

Kaposi  betont,  dass  er  bis  zu  seiner  ersten  Publication  nur 
Fälle  im  jugendlichen  Alter  gesehen  habe;  offenbar  könne  der  Process 
manchmal  einen  langsameren  Verlauf  nehmen,  der  Typus  aber  bleibe 
stets  der  gleiche.  Was  die  Annahme  anlangt,  den  Einfluss  der  Sonne 
in  Beziehung  zu  bringen,  so  gilt  hier  dasselbe,  was  von  Hebra  be¬ 
züglich  der  Epheliden  gesagt  wurde;  Insolationen  machen  diffuse  Ery¬ 
theme,  aber  nicht  umschriebene  Pigmentflecke.  Dass  unter  ihrem  Ein¬ 
flüsse  bestehende  Pigmentflecke  dunkler  werden,  ist  klar;  aber  Pig- 
mentationen  führen  noch  nicht  zu  Atrophien. 


Kr  ei  b  ich  erwähnt,  dass  die  Schwester  der  Patientin  vor 
einigen  Monaten  auf  der  Klinik  Kaposi  mit  einem  Carcinom  am 
Vorderarm  Aufnahme  fand,  dass  man  dabei  an  Xeroderma  dachte,  aber 
nicht  mit  Sicherheit  constatiren  konnte. 

Matzenaue  r  spricht  die  Vermutbung  aus,  ob  nicht  ein 
chronischer  Entziindungsprocess  der  Haut  in  Folge  wiederholter  In¬ 
solationen  auf  die  Wirkung  der  ultravioletten  Strahlen  des  Sonnen¬ 
lichtes  zurückzuführen  sei,  ähnlich  wie  die  Dermatitis  nach  Röntgen- 
Behandlung. 

Neumann  eröffnet  die  Discussion  zu  Schornhei  d’s  V  ortrag 
über  Lupus  erythematosus. 

Kaposi  wendet  ein,  dass  bei  fortgesetzten  Untersuchungen 
Scho  r  nhei  d  wohl  noch  Degenerationsvorgänge  in  den  Zellen  finden 
würde;  denn,  wenn  diese  nicht  bestünden,  Hesse  sich  die  spontane 
Atrophie  nicht  erklären.  Auch  der  negative  Bofund  von  Tuberkel¬ 
bacillen  werde  die  Verfechter  der  tuberculösen  Natur  des  Lupus  ery¬ 
thematosus  nicht  widerlegen.  Wenn  Schornheid  behauptete,  dass 
die  Schweissdrüsen  schwer  als  primär  erkrankt  bezeichnet  werden 
könnten,  müsse  er  dem  entgegentreten,  da  er  selbst  sowohl  klinisch 
wie  histologisch  das  Gegentheil  nachgewiesen  habe. 

Neumann  betont,  dass  Lupus  erythematosus  auch  an  der 
Palma  manus  vorkommt,  wo  keine  Talgdrüsen  sind.  Oft  sind  hier  die 
Efflorescenzen  vorhanden,  bevor  sie  noch  am  Handrücken  zu  bemerken 
sind.  Von  Ilebra  sei  betont  worden,  dass  die  Talgdrüsen  diejenigen 
seien,  von  denen  das  Infiltrat  ausgeht.  Der  histologische  Befund  hie- 
für  sei  von  Neumann  zuerst  gegeben  worden. 

Ehrmann  erklärt,  Scho  r  nhei  d  habe  nicht  gemeint,  dass 
d  e  Schweissdrüsen  nur  den  Ausgangspunkt  für  Lupus  erythematosus 
bilden,  sondern  dass  es  Fälle  gebe,  in  denen  die  Schweissdrüsen  nicht 
primär  erkranken.  Er  glaube  überhaupt,  es  handle  sich  gar  nicht  um 
die  Drüsen,  sondern  um  das  Gefässnetz.  Es  kann  Vorkommen,  dass 
zuerst  die  Gefässe  um  die  Schweissdrüsen  oder  zuerst  die  um  die  Talg¬ 
drüsen  erkranken.  Daher  resultire  die  Vielgestaltigkeit  des  Lupus 
erythematosus. 

Lang  verweist  auf  die  Beobachtung  von  Lupus  erythematosus 
an  Schleimhäuten. 

Kreibich  führt  aus,  dass  sieh  ein  solches  Convolut  an  elasti¬ 
schen  Fasern  auch  noch  bei  anderen  Erkrankungen  finde,  z.  B.  bei 
flachen  Epithelialcarcinomen. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 

Sitzung  den  19.  September. 

Vorsitzender:  Unna  (Hamburg). 

I.  Rille  (Innsbruck):  Ueber  Leukoderma  in  Folge 
von  Psoriasis  vulgaris. 

Caspai  i  (Königsberg)  hat  jüngst  auch  einen  Fall  von  Leuco- 
derma  psoriaticum  beobachtet.  Er  weist  auf  die  grossen  Differenzen 
hin,  welche  sich  bei  der  Auffassung  des  Leucoderma  syphiliticum 
zeigen.  Dasselbe  kann  entstehen  nach  vorgängigen  syphilitischen 
Efflorescenzen.  Es  kann  sich  um  eine  theilweise  Pigmentanhäufung 
handeln. 

Matzenaue r  (Wien)  zeigt  die  bildliche  Darstellung  eines 
Falles  von  Psoriasis  mit  ausgedehnten  vitiligoartigen  Flecken.  Ferner 
einen  Fall  von  Psoriasis  nigra,  beruhend  auf  einer  gleichzeitig  bestehen¬ 
den  Malaria-Melanose.  Des  Weiteren  weist  Redner  auf  die  von  den 
Franzosen  beschriebene  sogenannte  Pigmentsyphilis  hin,  bei  welcher  es 
sich  nicht  um  Leukoderma,  sondern  um  Melanoderma  handelt.  Redner 
glaubt,  dass  sich  das  Leucoderma  nur  an  den  Stellen  entwickle,  wo 
früher  syphilitische  Efflorescenzen  ihren  Sitz  hatten. 

Neuberger  (Nürnberg)  hat  auch  einen  Fall  von  Pigment¬ 
syphilis  gesehen  und  einen  Fall  von  Pigmentirung  nach  Lichen 
planus. 

Jessner  (Königsberg)  betont,  dass  es  interessant  sei,  festzu¬ 
stellen,  ob  das  Leucoderma  psoriaticum  nur  dann  auftritt,  wenn  Arsen 
gebraucht  war,  denn  es  sind  nach  Arsengebrauch  auch  einzelne  Fälle 
von  Leukopathien  beobachtet  worden. 

Loewenheim  (Breslau):  An  der  Breslauer  Klinik  sind  mehrere 
Fälle  von  Leukoderma  nach  Psoriasis  beobachtet  worden,  welche  nicht 
einer  Arsenbehandlung,  sondern  einer  Chrysarobinbehandlung  unter¬ 
worfen  worden  waren. 

Unna  (Hamburg):  Ich  habe  mir  die  Weisse  der  Flecken  auf 
Contrastwirkung  zurückgeführt,  aber  unterscheide  streng  eine  Pigment¬ 
syphilis,  die  vollkommen  unabhängig  ist  von  präexistirenden  entzünd- 


Nr.  1 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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lichen  Effloresceuzen  und  ihren  eigenen  Decursus  mit  intermediären 
netzförmigen  Pigmentbildungen  besitzt,  von  der  localisirten  Depigmen- 
tirung  syphilitischer  Effloresceuzen.  Nur  diese  letzte  Form  entspricht 
der  von  Rille  geschilderten  Dopigmentirung  nach  Psoriasisefflorescenz, 
welche  Unna  nach  eigenen  sporadischen  Fällen  seinerseits  vollinhaltlich, 
soweit  es  das  Klinische  betrifft,  bestätigt. 

Rille  (Wien) :  Den  von  Matzenaue  r  in  Abbildungen  ge¬ 
zeigten  Fall  glaube  ich  als  Vitiligo  neben  Psoriasis  und  nicht  durch 
Psoriasis  ansehen  zu  müssen,  doch  lässt  sich  ohne  Besichtigung  des 
Falles  selbst  dies  schwer  sagen.  Bezüglich  der  Genese  des  Leucoderma 
syphiliticum  möchte  ich  daran  festhalten,  dass  es  sich  im  Anschluss  an 
specifische  Efflorescenzen  entwickelt.  Die  differentialdiagnostische  Be¬ 
deutung  der  Depigmentirung  nach  Psoriasisefflorescenzen  ist  namentlich 
dann  wesentlich,  wenn  Combinationen  von  Syphilis  und  Psoriasis,  wie 
nicht  selten,  vorliegen. 

II.  Ri  sso  (Genua):  Ueber  Sphagnol  bei  einigen 
Hautkrankheiten. 

Sphagnol  ist  Corbaöl  und  besteht  aus  Benzol,  Anthracen,  Naphtha¬ 
phenol,  Kresilol,  Kreosol.  Es  besitzt  einen  penetranten  unangenehmen 
Geruch,  ist  dickflüssig  und  wird  bei  37°  dünnflüssig.  Von  den  Eng¬ 
ländern  ist  das  Sphagnol  gegen  Akne,  Herpes,  Acne  rosacea,  Ekzem 
und  Psoriasis  empfohlen  worden.  Redner  hat  dasselbe  ausserdem  bei 
Scabies,  Favus,  Herpes  tonsurans  versucht. 

Die  Erfolge  bei  Scabies  waren  glänzende,  ja  die  antiseptischen 
Eigenschaften  des  Präparates  bewirkten  auch  eine  schnelle  Abheilung 
postscabioser  Schorfe  etc.  Dieselben  günstigen  Resultate  erzielte  Redner 
bei  den  durch  Pilz  bewirkten  Hautaffectionen.  Auch  das  chronische 
Ekzem  wurde  in  der  günstigsten  Weise  beeinflusst.  Vor  Allem  scheint 
die  hohe  antiseptische  Eigenschaft  des  Präparates  eine  grosse  Bedeu¬ 
tung  zu  haben. 

III.  K  o  p  p  (München) :  Spontane  Gangrän  der  Hand¬ 
haut. 

Der  Fall  betrifft  ein  junges,  offenbar  sehr  hysterisches  Mädchen, 
welches  schon  seit  langer  Zeit  auf  dem  linken  Handrücken  eine  nicht 
zur  Heilung  zu  bringende  Wunde  von  5  cm  Durchmesser  hat,  auf 
welcher  sich  stets  wieder  von  Neuem  brandige  Schorfe  abstossen. 

Unna  (Hamburg)  hält  die  Affection  für  artificiell  und  empfiehlt 
suggestive  Behandlung. 

* 

Section  für  Gynäkologie  und  Section  für  Dermato¬ 
logie  und  Syphilis. 

Combinirte  Sitzung  am  19.  September  1899,  Nachmittags  3  Uhr. 

Vorsitzender:  Soltmann  (Leipzig). 

Rille  (Wien) :  Ueber  die  Behandlung  des  Ekzems 
im  Kindesalter. 

Redner  schildert  in  grossen  Zügen  die  Behandlung  des  Kinder¬ 
ekzems,  wie  sie  sich  im  Laufe  der  Zeit  ihm  selbst  als  die  beste  be¬ 
währt  hat.  Er  unterlässt  es,  auf  die  zahllosen  sonst  noch  angegebenen 
therapeutischen  Methoden  einzugehen.  Vor  Allem  stellt  er  die  Prognose 
als  eine  durchwegs  gute  hin  und  legt  insbesondere  das  grösste  Gewicht 
auf  Application  der  bezüglichen  Verbände  durch  den  Arzt  selbst. 
Bezüglich  der  Streupulver  gibt  er  bei  Kindern  entschieden  den  mine¬ 
ralischen  den  Vorzug.  Von  den  Salben  möchte  er  besonders  die 
Hebra’sche  Diachylonsalbe  hervorheben.  Des  Weiteren  empfiehlt  er 
Salicylsalben,  die  Lassa  r’sche  Zinkpaste  besonders  in  der  Modification 
von  Kaposi,  Leberthran.  Dem  Leberthran,  welcher  die  Schorfe  leicht 
und  gründlich  zur  Abstossung  bringt,  fügt  er  allmälig  Theer  zu  oder 
ein  ausgezeichnetes  Ersatzmittel  desselben,  den  Anthrarobinfirniss.  Ein¬ 
gehende  Erörterungen  erfahren  noch  die  verschiedenen  Localisationen 
des  Ekzems,  so  weit  dieselben  eine  besondere  Technik  bedingen. 

T  r  u  m  p  p  (München)  sieht  eine  Hauptursache  der  Schwerheil¬ 
barkeit  der  Kinderekzeme  in  dem  immer  wieder  neue  Reize  setzenden 
Kratzen  und  der  eigenthiimlichen  Milde  der  Eltern,  die  Kleinen  durch 
Fesselung  nicht  daran  zu  hindern.  Er  empfiehlt  daher  dievonEvers- 
1)  u  s  c  h  (Erlangen)  angegebenen  Schutzbandagen.  Dieselben  bestehen 
aus  verschnürbaren  Leinwandstücken,  welche  eingenäht  einige  Span¬ 
streifen  enthalten.  Dieselben  werden  um  den  Ellbogen  angelegt  und 
machen  ein  Kratzen  am  Gesicht  und  am  Rumpf  unmöglich. 

Hoch  singer  (Wien)  unterscheidet  das  Ekzem  nach  dem  Alter 
der  Kinder.  Bei  Säuglingen  ist  die  Prognose  eine  wesentlich  bessere, 
als  bei  älteren  Kindern.  Nässende  Intertrigo  behandelt  Hochsinger 
nicht  mit  Pulver,  sondern  mit  Ziuköl  und  Ichthyolphilmogen  nach 
Schiff.  Das  seborrhoische  Kopfekzem  heilt  unter  Oel  und  Guttapercha¬ 
papierbedeckung  glatt.  Jodoform  und  Carbol  müssen  vermieden  werden. 
Das  Ecthyma  gangraenosum  kann  in  Folge  einer  äusseren  und  inneren 
Infection  entstehen,  es  heilt  unter  Ichthyolwasserverband. 

Neu  berge  r  (Nürnberg)  hat  in  vielen  Fällen  sehr  günstige 
Resultate  von  der  Darreichung  von  Arsen  gesehen.  Er  glaubt  nicht, 


dass  man  alle  Ekzeme  ohne  innere  Medication  zu  heilen  in  der 
Lage  sei. 

v.  Ranke  (München)  hat  auf  der  pädiatrischen  Klinik  eine 
sehr  einfache  Behandlung  bisher  angewendet,  welche  stets  zum  Ziele 
durchschnittlich  in  dem  Zeitraum  von  zwölf  Tagen  führte.  Bleiwasser¬ 
umschläge  und  später  Lassa  r’sche  Zinkpaste. 

Baginski  (Berlin)  hält  auch  eine  ganz  einfache  Behandlung 
für  durchaus  ausreichend  und  erfolgreich.  Ihm  hat  sich  auch  Naph¬ 
thalan  gut  bewährt.  Er  würde  sich  nie  entschliessen  können,  wegen 
Ekzem  Arsen  zu  verabreichen. 

Sonnenburger  (Worms)  betont  die  grosse  Schwierigkeit, 
welche  darin  liegt,  dass  der  praktische  Arzt  gezwungen  ist,  ambulant 
zu  behandeln.  Die  Mütter  befolgen  eben  in  den  wenigsten  Fällen  die 
Vorschriften  des  Arztes.  Im  Krankenhaus  ist  die  Behandlung  natürlich 
viel  leichter. 

Unna  (Hamburg)  empfiehlt  den  Schwefel  als  Zinkschwefelpaste 
und  Zinkichthyolsalbenmull  in  festem  Zinkleimverband.  Zum  Fixiren 
der  Arme  bedient  man  sich  am  besten  einfacher  Manchetten,  welche 
um  den  Ellbogen  gelegt  werden. 

Soltmann  (Leipzig)  hält  die  Recidive  bei  Ekzemen  doch  für 
sehr  häufig.  Als  Princip  soll  gelten:  Trockene  Ekzeme  behandelt  man 
feucht,  feuchte  trocken.  Bei  Lidekzemen  ist  Unguent,  ophthalmic,  an¬ 
gezeigt.  Sehr  wichtig  ist  die  Anwendung  des  Karlsbader  Salzes  und 
der  Molken. 

# 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 

Sitzung  den  19.  September. 

Vorsitzender:  Rille  (Wien). 

I.  Unna  (Hamburg) :  Ueber  Tuberculinseifen. 

Vortragender  berichtet  über  Versuche,  die  sehr  günstig  ausge¬ 
fallen  sind,  die  subcutanen  Tuberculininjectionen  bei  den  äusseren 
Formen  der  Tuberculose  durch  Einreibung  mit  einer  Tuberculinseife 
zu  ersetzen,  deren  Grundlage  eine  überfettete  Kaliseife  ist.  Die  All¬ 
gemeinwirkung  fällt  fort,  die  günstige  Localwirkung  dagegen  entspricht 
genau  der  bekannten  schwachen  oder  starken  Reaction  nach  Tuber- 
culininjection.  Redner  empfiehlt  diese  einfache  und  sichere  locale  Be¬ 
handlung  überall  dort,  wo  die  sonstigen  Behandlungsweisen  unzureichend 
sind,  also  vor  Allem  gegen  den  stark  fibrösen  Lupus  mit  hässlichen 
und  entstellenden  Narben,  bei  sehr  sensiblen  Personen,  an  den  Schleim¬ 
häuten  und  Schleimhauteingängen,  Mundgegend,  Nase  und  äusserem 
Ohr.  Auch  bei  alten  sklerotischen,  tertiären  Syphilisproducten  äussert 
die  Tuberculinseifenbehandlung  eine  entschieden  günstige  Wirkung  in 
Combination  mit  der  sonstigen  specifischen  Behandlung,  in  Fällen,  wo 
diese  nicht  ausreicht.  Eine  schädliche  locale  oder  allgemeine  Wirkung 
trat  auch  bei  ausgedehnter,  monatelanger  Behandlung  mit  Tuberculin¬ 
seifen  niemals  hervor. 

S  c  h  u  hmache  r  (Aachen)  fragt  an,  ob  die  Methode  schmerz¬ 
haft  sei. 

Unna  (Hamburg):  Durchaus  nicht.  Er  betone  aber,  dass  die 
Anwendung  am  besten  allmälig  geschehe  in  steigernder  Dosis. 

II.  Unna  (Hamburg) :  Ueber  Impetigo  vulgaris  und 
Impetigo  circinata. 

Neben  der  unter  den  armen  Kindern  der  grossen  Städte  am 
häufigsten  vorkommenden  Impetigoform,  der  Impetigo  vulgaris,  kommt 
als  zweithäufigste  Form  in  Hamburg  eine  circinäre  vor,  welcher  der 
Vortragende  bereits  1894  den  Namen  Impetigo  circinata  gab  und  eine 
selbstständige  Stellung  einräumte.  Localisation,  acuten  Verlauf,  Narben- 
losigkeit  und  mangelnden  Uebergang  in  flächenhaft  sich  ausbreitendes 
Ekzem  haben  beide  Formen  gemeinsam.  Die  Impetigo  circinata  zeichnet 
sich  vor  der  Impetigo  vulgaris  hauptsächlich  aus  durch  die  Einheit¬ 
lichkeit,  oberflächliche  Lage  der  Blasen,  Armuth  an  serösem  Exsudat, 
schwache  Tendenz  des  letzteren  zur  Gerinnung,  schuppige  Natur  der 
secundären  Producte,  periphere  Ausbreitung  unter  centraler,  rascher 
Abheilung  bis  zu  Handtellergrösse,  mehr  sporadisches  Vorkommen, 
häufiges  Befallensein  von  Erwachsenen,  häufige  Localisation  am  Rumpf. 
Ihr  liegt  eine  andere  obwohl  ähnliche  Coccenart  zu  Grunde,  mit  welcher 
Unna  auf  sieh  selbst  die  Krankheit  erzeugen  konnte.  Die  histologi¬ 
schen  Differenzen  beider  Impetigoformen  wurden  an  mikroskopischen 
Präparaten  demonstrirt. 

III.  Matzen  auer  (Wien):  Ueber  Impetigo  conta¬ 
giosa  circinata. 

T.  Fox  wird  von  allen  späteren  Autoren  als  Derjenige  genannt, 
welcher  zuerst  die  Impetigo  contagiosa  als  ein  selbstständiges  klinisches 
Krankheitsbild  erkannte  und  schilderte,  so  dass  die  meisten  Autoren 
von  einer  Impetigo  contagiosa  T.  Fox  sprechon,  Fox  hat  allerdings 
der  Affection  den  noch  heute  üblichen  Namen  gegeben,  und  es  bleibt 
sein  ungeschmälertes  Verdienst,  die  selbstständige  Stellung  desselben 
richtig  gewürdigt  und  wiederholt  nachdrücklich  hervorgehoben  zu  haben. 
Doch  ist  Fox  weder  der  Erste,  welcher  sie  von  anderen  vesicopustu- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


lösen  Hautausschlägen  ausschied,  noch  der  Erste,  welcher  sie  beschrieb. 
Er  selbst  erwähnt,  dass  sie  als  Porrigo  contagiosa  oder  nach  Startin 
als  Porrigo  Startinii,  wohl  auch  als  Impetigo  scrophulosa  oder  conta¬ 
giosa  bekannt  sei.  Und  ein  späterer  Beschreiber,  Th.  Tuckey,  gibt 
an,  dass  „es  unter  der  Landbevölkerung  ein  weitverbreiteter  Glaube 
sei,  dass  die  sogenaunten  „dirty  poek“  durch  Impfung  übertragen 
werden  können.“ 

Ein  Jahr  vor  Fox  hat  R.  W.  Dünn  eine  Beschreibung  dieser 
Porrigo  gegeben,  und  fast  zehn  Jahre  früher  hat  Hutchinson 
( A  new  fungus  observed  in  the  crusts  of  Porrigo.  Tr.  of  path.  soc. 
London.  1855)  wegen  der  Contagiosität  der  in  den  Spitälern  wohlbe¬ 
kannten  Affection  sich  veranlasst  gesehen,  mikroskopische  Untersuchungen 
über  den  ursächlichen  Erreger  des  Contagiums  anzustellen. 

Eine  von  allen  späteren  Autoren  unbeachtete  und  zugleich  viel¬ 
leicht  die  älteste  Mittheilung,  die  umsomehr  Interesse  bietet,  als  sie 
in  classischer  Weise  das  epidemische  Auftreten  dieser  Krankheit 
schildert,  rührt  von  Friedrich  G  o  1 1  h  e  1  f  Friese  her,  dem 
Uebersetzer  des  W  i  1 1  a  n’schen  Lehrbuches  (1816),  der  eine  ausge¬ 
dehnte  Epidemie  in  Breslau  und  Paris  im  Jahre  1801  beschreibt. 

Fox,  der  sich  über  den  Missbrauch  des  Wortes  Porrigo  beklagt, 
womit  in  England  die  verschiedensten  Eruptionen,  namentlich  des 
Kopfes,  seien  sie  vesiculös,  pustulös  oder  squamös,  bezeichnet  wurden, 
während  für  die  parasitären  Erkrankungen  mehr  der  Name  Tinea  an¬ 
gewendet  wurde,  nahm  absichtlich  von  dem  alten  Namen  Porrigo  Ab¬ 
stand,  um  durch  die  neue  Bezeichnung  Impetigo  contagiosa  nachdrück¬ 
licher  die  Selbstständigkeit  dieses  Hautausschlages  zu  charakterisiren. 
Leider  ging  es  mit  dem  Worte  Impetigo  nicht  viel  besser,  wie  mit 
Porrigo.  Will  a  n  unterschied  bekanntlich  eine  Impetigo  sparsa  und 
Impetigo  figurata  (und  bezeiehnete  Fälle  mit  excessiver,  baumrinden¬ 
artiger  Krustenauflagerung  als  Impetigo  scabida). 

W  i  1 1  a  n  wollte  mit  dieser  Eintheilung  nicht  getrennte  Krank¬ 
heitsbilder  einander  gegenüber  stellen,  sondern  damit  nur  den  klinisch 
verschiedenen  Aspect  bezeichnen,  und  es  erscheint  wahrscheinlich,  dass 
dies  zum  grossen  Theil  unserer  heutigen  Impetigo  contagiosa  s.  vul¬ 
garis  und  Impetigo  circinata  entspricht. 

In  Frankreich  schleppte  sich  ein  ähnlicher  Sammelbegriff  fort : 
„  dartre“. 

J.  L.  A 1  i  b  e  r  t  beschreibt  unter  Dartre  crustacee  flavescente 
(Herpes  crustaeeus)  ein  Ekzem  und  gibt  in  seiner  „Description  des 
Maladies  de  la  peau“  (Bruxelles  1825)  hiezu  die  Abbildung  eines  Ge¬ 
sichtsekzems. 

Dayuac  (Baron  A  1  i  b  e  r  Fs  Y  orlesungen  über  die  Krankheiten 
der  Haut.  1837)  theil t  die  Dartre  crustacee  oder  Melitagre  ein  in  eine 
Melitagra  acuta  s.  flavescens  und  in  eine  Melitagra  chronica  s.  nigri¬ 
cans,  d.  h.  in  ein  acutes  und  chronisches  Ekzem. 

Gaze  nave  identificirt  die  Dartre  crustacee  oder  Melitagre 
d’Alibert  mit  Willan’s  Impetigo  figurata  und  sagt  gleich  als  Ein¬ 
leitung  hiezu  in  seinem  „Abrege  pratique  des  Maladies  de  la  peau“ 
(Paris  1838):  Biett  bezeichnet  mit  Willan  unter  dem  Namen  Im¬ 
petigo  eine  nicht  contagiöse  Erkrankung. 

Nach  Rave  r  (Traite  theorique  et  pratique  des  Maladies  de  la 
peau.  Paris  1826)  ist  gleichfalls  Willan’s  Impetigo  figurata  (Voc.: 
Cowrap,  Kouba,  Lepre  humide,  Running  telles)  gleichbedeutend  mit 
Dartre  crustacee  flavescente  Alibert  und  findet  sich  meist  im  Gesicht, 
viel  seltener  an  den  Extremitäten.  Es  gibt  jedoch  hievon  eine  Be 
Schreibung,  die  auf  unsere  Impetigo  circinata  bezogen  werden  kann  : 
„Die  Gruppen  von  psydracischen  Pusteln  und  die  darauf  folgenden 
Krusten  siud  gewöhnlich  circulär  an  Vorderarm  und  Händen  etc.“ 

Wenngleich  also  Fälle  unserer  Impetigo  circinata  von  Willan 
u.  A.  beobachtet  und  beschrieben  worden  sind,  so  wusste  man  dieselben 
doch  nicht  speciell  vom  Eczema  impetigiosum  scharf  zu  trennen,  zu 
welchem  sie  von  den  späteren  Autoren  immer  wieder  zugerechnet 
wurden.  Zweifellos  aber  hat  Ray  er  selbst  annuläre  Formen  unserer 
Impetigo  contagiosa  gesehen,  die  er  im  „Atlas  des  Maladies  de  la 
peau“  (Paris  1835)  illustrirt  und  als  „Impetigo  annulaire  (pustular 
ringworm)“  bezeichnet.  Ich  erlaube  mir,  Abbildungen  hievon  zu  demon- 
striren  ;  sie  geben  ein  anschauliches  Bild  circinärer  Impetigo  conta¬ 
giosa  im  Gesicht,  am  äusseren  Augenwinkel  und  an  der  Schläfe,  sowie 
am  behaarten  Theil  des  Kopfes. 

Zweifellos  hieher  zu  rechnen  sind  auch  Fälle,  welche  von  Bate¬ 
man,  Willan.  Ray  er,  Cazenave  u.  A.  als  „Herpes  circinatus“ 
Voc.,  Artikel:  Ringworm)  bezeichnet  wurden.  Ilebra  hat  bekanntlich 
den  Herpes  circinatus  der  verschiedenen  Autoren  als  eine  Erscheinungs¬ 
form  des  Erythema  multiforme  erklärt.  Der  Herpes  circinatus  der  ver¬ 
schiedenen  Autoren  war  jedoch  kein  einheitliches  Krankheitsbild.  Das 
manchmal  beigefügte  Synonymon  „Ringworm“  schon,  noch  mehr  aber 
die  einzelnen  Schilderungen  bezeugen  dies,  ebenso  wie  die  demonstrirten 
Abbildungen  von  R  a  y  e  r. 

Auch  auf  unserer  Klinik  (Hofrath  Prof.  Neumann  in  Wien) 
wurde  ein  Fall  von  fast  universell  ausgebreiteter  Impetigo  circinata 
als  Herpes  circinatus  im  Jahre  1891  bezeichnet. 


Ich  übergehe  hier  mit  Stillschweigen  die  gesammte  Literatur 
nach  T.  Fox  über  Impetigo  contagiosa;  ich  möchte  daraus  nur  her¬ 
vorheben,  dass  in  den  Beschreibungen  der  beobachteten  Impetigofälle 
von  den  verschiedenen  Autoren  wiederholt  die  eigenthümlicli  typische 
Art  der  einzelnen  Impetigoflecke,  sich  zu  vergrössern,  charakterisirt 
wurde.  Nach  Fox  „vergrössert  sich  jeder  Fleck  in  einer  völlig 
centrifugalen  Manier,  bis  er  in  etwa  einer  Woche  die  Grösse 
eines  Shillings  erreicht  hat;  jetzt  zeigt  er  sein  charakteristisches  Ge¬ 
präge  etc.“  Fox  spricht  von  einem  „vollständig  ringförmi¬ 
gen  Rand,  der  das  Aussehen  von  weissgesottenem  Leder  habe.“ 
Die  Krankheit  sei  „immer  charakterisirt  durch  die  Anwesenheit  von 
circularen  quasi  bullösen  Efflorescenzen,  die  sich 
centrifugal  ausbreiten  und  durch  gelbliche  flache  Krusten  bedeckt 
werden  etc.“  Kaposi  spricht  in  seiner  prägnanten  Difterentialdia- 
gnostik  des  Impetigo  contagiosa  gegenüber  Ekzem  von  „scharfer 
Begrenzung  in  Bogensegmenten,  wie  wenn  viele  kleine 
Münzen  sich  gegenseitig  theilweise  deckten.“  „In  einzelnen  Fällen 
kann  es  zu  rupiaähnlichen  Borken  von  Zweithalergrösse  kommen,  in¬ 
dem  um  ein  centrales  Börkchen  mehrere  Borkenringe 
concent  risch  sich  gelegt  hatten,  von  denen  die  periphersten  am 
meisten  recent  erscheinen.  Ja,  es  findet  sich  bisweilen  um  diese  noch 
als  äusserste  Begrenzung  ein  frischer  Blasen  ring.  Die  c  i  r  c  i- 
nären  Bildungen  erinnern  an  Herpes  circinatus  etc.“ 

Das  Weiterschreiten  einzelner  Impetigoflecke  in  Ringform,  in 
Kreissegmenten  oder  Bogenlinien  gehört  demnach  zum  charakteristischen 
typischen  Bild  der  Impetigo  contagiosa.  Es  scheint  mithin  nicht  ge¬ 
rechtfertigt,  hiefür  eine  eigene  selbstständige  Impetigo  circinata  (Unna) 
aufzustellen. 

Von  Fox,  Hutchinson,  S  t  e  1  w  a  g  e  n,  Bahr  u.  A.,  ferner 
in  den  Mittheilungen  über  die  „Ergebnisse  des  Impfgeschäftes  im 
Deutschen  Reich“,  sowie  in  den  „Veröffentlichungen  des  kaiserlichen 
Gesundheitsamtes“  wird  wiederholt  der  Uebergang  des  zumeist  nur  bei 
Kindern  epidemisch  auftretenden  Blasenausschlages  auf  Erwachsene 
mitgetheilt;  meist  nimmt  bei  diesen  dann  der  Blasenausschlag  circinäre 
Formen  an.  Hutchinson  erwähnt:  „Obwohl  bei  jungen  Kindern 
so  ausgesprochen  bullös,  um  die  Bezeichnung  Pemphigus  zu  sugge- 
riren,  war  es  nicht  so,  wenn  es  die  Mutter  befiel.  Bei  den  letzteren 
nahm  es  mehr  die  Gestalt  von  Porrigo  oder  eines  impetiginösen  Ek¬ 
zems  an.“ 

Es  kommen  also  circinäre  Formen  des  Impetigo  contagiosa 
häufiger  bei  grösseren  Kindern  und  Erwachsenen  zur  Beobachtung. 
Immer  finden  sich  gleichzeitig  auch  in  der  Umgebung  oder  sonst 
irgendwo  an  einer  entfernten  Hautpartie  isolirte  Blasen  oder  Pusteln, 
die  vollkommen  entsprechen  jenen  Varicopusteln,  wie  sie  bei  der 
Impetigo  contagiosa  der  Kinder  ohne  circinäre  Bildungen  auftreten. 
Diese  können  (müssen  aber  nicht,  durch  centrale  Eintrocknung  und 
peripheres  Weiterwachsen  zu  jenen  ring-  und  scheibenförmigen  Herden 
sich  entwickeln,  die  geradezu  ein  hauptsächliches  Characteristicum  der 
Impetigo  contagiosa  constituiren.  Immer  rupturiren  dann  die  zarten  Im¬ 
petigobläschen  oder  Pusteln  in  der  Mitte,  trocknen  ein,  der  Blasenrand 
ist  noch  erhalten.  Vergrössert  sich  dieser,  so  geschieht  dies  schon  in 
ringförmiger  Weise  um  die  centrale  Borke.  Unter  fortwährendem  con- 
centrischen  Anlagen  frischer  Krusten  und  peripherer  Ausdehnung  der 
Blase  fällt  endlich  die  mittlere,  älteste  Krustenlage  aus  :  Die  darunter 
liegende  Haut  ist  nicht  wie  beim  Ekzem  noch  längere  Zeit  roth  und 
absehuppend,  sondern  bereits  bleibend  überhäutet,  nicht  abschuppend, 
aber  livide  verfärbt,  ganz  so  wie  nach  abgeheilten  Pemphigusblasen. 
Die  Plaques  stehen  wie  beim  Ekzem  inmitten  einer  entzündlich  ge- 
rötheten  und  infiltrirten  Haut,  die  allmälig  mit  miliären  Bläschen  und 
Krüstchen  in  die  gesunde  Haut  ausklingt,  sondern  begrenzen  sich  ab¬ 
rupt  gegen  anscheinend  völlig  normale  umgebende  Haut.  Stossen  der¬ 
artige  kreisförmige  Plaques  aneinander  und  confluiren,  so  entstehen 
gyrirte  oder  landkartenartige  Figuren,  ganz  so  wie  beim  Eczema  mar¬ 
ginatum  oder  Pemphigus  circinatus.  In  extremen  Fällen  kann  die  ge¬ 
sammte  Körperoberfläche  mit  derartigen  Figuren  bedeckt  sein. 

Derartige  Fälle  sind  von  Elliot,  Schamberg  und  Crocker 
beschrieben  worden. 

Auf  unserer  Klinik  kamen  im  Verlauf  der  letzten  Jahre  wieder¬ 
holt  Fälle  von  Impetigo  contagiosa  in  circinärer  Form  zur  Beobachtung, 
die  sich  theils  durch  ihre  universelle  Ausbreitung  über  die  gesammte 
Körperoberfläche,  theils  durch  ihre  bestimmte  Localisation  auf  einzelne 
lvörpertheile,  theils  auch  durch  ihren  hartnäckigen  Bestand  während 
vieler  Monate  auszeichnen.  So  z.  B.  jener  bereits  citirte  Fall  von 
„Herpes  circinatus“  bei  einem  25jährigen  Mädchen,  und  ein  auf  Nates, 
innere  Sehenkelfläche  und  Gesicht  beschränkter  Fall  bei  einem  38jäh- 
rigen  Arbeiter. 

( Fortsetzung  folgt.) 


"Po/t n r •  i  Werner, 


Voi-lao-  vr>n  Wilhelm  Rratimöller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wipn 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  Ph.  Knoll,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing, 

I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Grissenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


@ . .  ^  -<®> 

Oio  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jc<ien  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
qnart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX,  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendnngen  an 
die  Verlagshandlung. 

@  - 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373. 


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Abonnem  entspreis 
jährlich  2J  K  =  20  Mark. 
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nommen.  —  Abonnements, 
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erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Grössere 
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i  kommen. 

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Verlagshandlung  : 

Telephon  Nr.  6094. 


XIXI.  Jahrgang. 


Wien,  11.  Januar  1900. 


Hr.  2. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Zur  Lehre  vom  angeborenen  Pectoralis-Rippen-  I 

defect  und  dem  Hochstande  der  Scapula.  Von  Docent  Dr.  Her-  [ 
mann  Schlesinger  in  Wien. 

1 .  Aus  der  k.  k.  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des  Herrn 
Prof.  v.  Wagner  in  Wien.  Polioencephalitis  superior  acuta  und 
Delirium  alkoholicum  als  Einleitung  einer  K  o  r  s  a  k  o  w’schen 
Psychose  ohne  Polyneuritis.  Von  Dr.  Emil  Raimann,  Assistent 
der  Klinik. 

3.  Ein  Fall  von  traumatischer  periodischer  Lähmung.  Von  Uni- 
versitätsdocent  Dr.  Julius  Donath,  Ordinarius  für  Nerven¬ 
krankheiten  am  St.  Rochus-Spitale  in  Budapest. 

4.  Notiz  zur  Lehre  von  der  infantilen  Pseudobulbärparalyse  Von 
Prof.  Dr.  M.  Bernhardt  (Berlin). 

II.  Referate:  I.  Suggestion  und  ihre  sociale  Bedeutung.  Von  Prof.  W. 

v.  Bechterew.  II.  Ueber  die  Mischzustände  des  manisch  de¬ 
pressiven  Irreseins.  Von  Dr.  Wilhelm  Weygand  t.  HI.  Die 
Abstinenz  der  Geisteskranken  und  ihre  Behandlung.  Von  Dr. 
Hermann  Pfister.  Ref.  Elzholz.  —  I.  Entwurf  zu  einer 
genossenschaftlichen  Musteranstalt  für  Unterbringung  und  Be-  | 


schäftigung  von  Nervenkranken.  Von  A.  G  o  h  m  a  n  n.  n.  Die 
Immunisirurig  der  Familien  bei  erblichen  Krankheiten  (Tuberculose, 
Lues,  Geistesstörungen).  Von  Dr.  Albert  Reibmayr. 

III.  Ueber  familiäre  Irrenpflege.  Von  Dr.  Konrad  Alt. 

IV.  Ueber  Temperenzanstalten  und  Volksheilstätten  für  Nerven¬ 
kranke,  die  für  dieselben  in  Betracht  kommenden  Erkrankungen 
und  deren  Behandlungsweise.  Von  Dr.  A.  Smith.  V.  Grundriss 
der  Psychiatrie  für  Studirende  und  Aerzte.  Von  Dr.  Theodor 
Kirchhof  f.  Referent  Schloss.  —  Die  Symptomatologie 
der  Kleinhirnerkrankungen.  Von  Dr.  Arthur  Adler,  Referent 
Dr.  v.  Czyhlarz.  —  Die  Bedeutung  der  Uebungen  hei  Er¬ 
krankungen  des  Centralnervensystems.  Von  Dr.  Dimitri  G. 
Boykinoff.  Ref.  Herz.  —  Normale  Anatomie  des  Sehnerven¬ 
eintrittes.  Von  A.  E  1  s  c  h  n  i  g.  Ref.  Prof.  Greeff  (Berlin).  — 
Untersuchungen  an  Taubstummen.  Von  Dr.  A.  Schwendt  und 
Dr.  F.  Wagner.  Ref.  Urbantschitsch. 

III.  Notizen. 

IV.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  and  Congressberichte 


Abon  neineii  ts-Elnl  a<l  u  ng. 

Mit  4.  Januar  1900  begann  der  XIII.  Jahrgang  der 

„AViener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

-A.,  bonne  m  ent 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der' Preis  im  Inland  beträgt  bei  directer  Zusendung  ganzjährig  K.  20, 
halbjährig  K.  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  ISrauiiiüller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler 
Wien,  VTII/1,  Wickenburggasse  13. 


Zur  Lehre  vom  angeborenen  Pectoralis-Rippen- 
defect  und  dem  Hochstande  der  Scapula. 

Von  Docent  Dr.  Hermann  Schlesinger  in  Wien. 

Der  angeborene  Defect  des  Pectoralis  dürfte  die  häufigste 
der  congenitalen  Muskelanomalien  darstellen  und  scheinen  die 
relativ  spärlichen  Mittheilungen  über  solche  Befunde  mit  dem 
Umstande  Zusammenhängen,  dass  diese  Fälle  oft  übersehen 
oder  nicht  veröffentlicht  werden.  Nichtsdestoweniger  sind  in 
der  Literatur  mehr  als  hundert  Einzelbeobachtungen  nieder¬ 


gelegt,  welche  die  klinische  Erscheinungen  und  besonders  die 
begleitenden  Körperanomalien  darthun.  Oft  ist  der  Defect  des 
Pectoralis  die  einzige  Bildungsanomalie  bei  sonst  wohl  gebauten 
Individuen.  Diese  Fälle  sekeinen  die  weitaus  häutigeren  zu 
sein.  Unter  acht  Fällen  meiner  Beobachtung,  welche  ich  genau 
untersucht  habe  und  über  welche  ich  zum  Theil  genaue  Auf¬ 
zeichnungen  besitze,  habe  ich  sechsmal  diese  reine,  uncompli- 
cirte  Form  gesehen. 

Sehr  häufig  ist  dann  das  Fehlen  des  Pectoralis  nicht 
vollständig,  sondern  kommt  nur  eine  Partie  des  Muskels  in 
Wegfall.  In  der  grossen  Mehrzahl  der  Beobachtungen  fehlt  die 
sterno  eostale  Portion  des  Pectoralis  major,  während  die  clavi- 
culare  wenigstens  zum  Theile  vorhanden  ist;  in  etwa  dem 
vierten  Theile  der  Fälle  fehlt  aber  auch  der  Pectoralis  minor. 
Dann  ist  das  Bild  ein  charakteristisches.  Auf  der  aflicirten 
Seite  —  es  ist  in  der  Regel  die  rechte  —  ist  eine  anschei¬ 
nende  Abflachung  des  Brustkorbes  vorhanden,  welche  aber 
zumeist  nicht  durch  Verschiedenheiten  des  Thoraxskeletes  be¬ 
gründet  ist,  sondern  durch  die  verschiedene  Dicke  des  den 
Thorax  umhüllenden  Weichtheilmantels  hervorgerufen  ist.  Die 
Haut  ist  bisweilen  auf  der  Seite  des  Defectes  lettärmer,  oft 
weniger  behaart;  manchmal  schneidet  die  Behaarung  der  ge¬ 
sunden  Seite  scharf  mit  der  Mittellinie  ab.  Auch  ist  die  Be¬ 
haarung  in  der  Axilla  der  afficirten  Seite  wesentlich  schwächer 
als  auf  der  gesunden  Seite.  Viel  seltener  ist  die  Behaarung 
auf  der  Seite  des  Defectes  abnorm  stark,  wie  in  einer  Be¬ 
obachtung  Ullmann’s.  Schon  bei  der  Betrachtung  von  vorne 
fällt  auf,  dass  der  Grenzcontour  der  Axilla  nach  vorne  zu  ein 
wesentlich  verschiedener  auf  beiden  Seiten  ist.  Der  in  norma 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


Nr.  2 


abgerundete  Contour  der  vorderen  Achselfalte  stellt  auf  der 
Seite  des  fehlenden  Muskels  eine  gerade  nach  oben  innen 
aufsteigende  Linie  dar,  welch  letztere  die  Begrenzung  für  eine 
häufig  nur  häutige  Faltenbildung  (Flughautbildung)  ist.  Die 
hintere  Achselfalte  ist  fast  regelmässig  gut  ausgebildet,  so  dass 
die  seichtere  Achselgrube  nach  rückwärts  zu  eine  erheblich 
deutlichere  Abgrenzung  besitzt,  als  nach  vorne  zu.  Die  Ma- 
milla  steht  fast  nie  beiderseits  in  gleicher  Höhe,  zumeist  auf 
der  Seite  des  Defectes  etwas  höher,  hie  und  da  auch  tiefer, 
ist  fast  stets  schlechter  entwickelt  und  auch  näher  an  das 
Sternum  herangerückt,  als  an  der  normalen  Seite.  An  der 
vom  Pectoralis  entblössten  Thoraxhälfte  sind  bei  gleichzeitigem 
Defecte  des  kleinen  Brustmuskels  die  Rippencontouren  und  die 
Intercostalräume  sehr  deutlich  sichtbar,  ja  bei  fettarmer  Haut 
kann  man  sogar  den  Verlauf  der  Intercostalmuskeln  durch 
das  Integument  hindurch  warnehmen.  Die  Möglichkeit,  die  sich 
während  der  einzelnen  Respirationsphasen  abspielende  Ver¬ 
änderungen  in  den  Intercostalräumen  und  eventuell  auch  an 
den  Intercostalmuskeln  beobachten  zu  können,  hat  verschiedene 
Autoren  veranlasst,  sich  bei  Beobachtung  solcher  Fälle,  mit 
der  Function  der  Intercostalmuskeln  zu  beschäftigen  (Z  i  e  m  s  s  e n, 
Bäu  ml  er,  Kaiser  an  Sehr  otter’s  Klinik  an  einem  auch 
von  mir  beobachteten  Falle). 

Bemerkenswerther  Weise  fehlt  fast  regelmässig  jedes 
Zeichen  eines  Functionsausfalles  im  Schultergelenke.  Der 
Arm  kann  auf  der  Seite  des  Defectes  zumeist  ge¬ 
rade  so  gut  bewegt  werden,  wie  der  mit  vorhandenem 
Pectoralis.  Dass  in  solch  einem  Falle  andere  Muskeln 
vicariirend  für  den  fehlenden  eintreten,  ist  nach  den  klinischen 
Erscheinungen  sicher  und  dürfte  vor  Allen  der  Deltoideus  zur 
Durchführung  gewisser,  sonst  dem  Pectoralis  zukommenden 
Bewegungen  herangezogen  werden.  Nicht  immer,  wohl  aber 
doch  relativ  häufig  ist  auch  der  Deltoideus  auf  der  Seite  des 
Defectes  stärker  entwickelt;  das  Gleiche  gilt  - — -  wenn  sie  vor¬ 
handen  ist  —  von  der  Pars  clavicularis  des  Pectoralis,  oft 
auch  vom  Cucullaris  und  den  obersten  Zacken  des  Serratus;  in 
einer  meiner  Beobachtungen,  war  der  M.  sterno-cleido-mastoideus 
hypertrophirt.  Kalischer  erwähnt  in  seiner  sehr  fleissigen 
und  sorgfältig  verfassten  Arbeit,  dass  oft  bei  einseitigem  Defecte 
die  Schulter  abnorm  stehe,  und  zwar  meist  auf  der  afficirten 
Seite  etwas  höher.  Wir  wollen  auf  dieses  interessante  Ver¬ 
halten  etwas  später  genauer  eingehen,  uns  aber  vorher  mit 
den  häufigsten  den  Pectoralisdefect  begleitenden  Veränderungen 
am  Körper  beschäftigen.  Auffallend  oft  fehlen  auch  andere 
Schultergürtelmuskeln,  besonders  der  Serratus  anticus  major  ganz 
oder  zum  Theile.  Veränderungen  der  Integumente  hat  Ka¬ 
lischer  in  18  (unter  etwa  60)  Beobachtungen  notirt  ge¬ 
funden  ;  Flughautbildungen  zwischen  Thorax  und  Oberarm 
oder  Schwimmhautbildungen  der  Finger,  oft  mit  anderen  Ver¬ 
unstaltungen  der  Finger  sind  nicht  übermässig  selten.  Zu 
wiederholten  Malen  wurde  auf  der  Seite  des  Pectoralisdefectes 
eine  mangelhafte  Entwicklung  des  ganzen  Armes  beobachtet, 
ja  noch  weit  extensivere  Störungen,  wie  Zurückbleiben  einer 
ganzen  Körperhälfte  (Berger). 

Eine  ziemlich  seltene  Combination  ist  die  mit  partiellem 
Rippendefect  und  hiedurch  hervorgerufener  Bildung  einer 
Lungenhernie  mit  gleichzeitiger  Verlagerung  des  Herzens,  ein 
Vorkommniss,  welches  K  a  1  i  s  c  h  e  r  in  vier  Fällen  der  Literatur 
verzeichnet  findet  (ich  finde  sechs,  es  sind  dies  die  Fälle  von 
Pulawski,  Seitz.  Frickhöffer,  Häckel,  Volkmann, 
Froriep)  während  nach  demselben  Autor  andere  Miss¬ 
bildungen  des  knöchernen  Thoraxskeletes  (Defecte  und  Anomalien 
am  Brustbeine,  Verschmälerung  der  Rippen  und  dürftige  Ent¬ 
wicklung  der  Intercostalmuskeln,  wie  in  einem  im  vergan¬ 
genen  Jahre  veröffentlichten  anatomischen  Falle  Fallot’s) 
häufiger  verzeichnet  sind.  Es  dürfte  also  rund  auf  10  Fälle 
von  Pectoralisdefect  einer  mit  erheblicheren  Anomalien  des 
Thoraxskeletes,  auf  15  bis  20  einer  mit  Lungenhernien  und 
Verlagerung  des  Herzens  entfallen. 

Eine  solche  recht  ungewöhnliche  Combination  konnte  ich 
vor  Kurzem  beobachten.  Der  Fall  bot  noch  weitere,  bisher 
nicht  eingehend  erörterte  Beziehungen  zum  angeborenen 


Hochstande  der  Scapula  (»S  p  r  e  n  g  e  l’sche  Difformität«)  dar, 
welche  seine  ausführlichere  Mittheilung  rechtfertigen  dürften.*) 

M.  W.,  22  Jahre  alt,  Bernsteindrechsler. 

Patient  hat  drei  Schwestern  und  einen  Bruder,  welche  alle  ge¬ 
sund  sind.  Die  Eltern  haben  ebenfalls  keinen  solchen  Defect  darge¬ 
boten,  wie  der  Kranke,  an  dem  die  Missbildung  schon  in  frühester 
Kindheit  bemerkt  wurde. 

Status  praesens:  Der  Kranke  ist  mittelgross,  der  Knochen¬ 
bau  ziemlich  gracil,  Musculatur  desgleichen,  der  Panniculus  adip. 
ziemlich  dürftig.  Die  Arteria  radialis  ist  weich  und  gerade,  sehr  enge. 
Der  Puls  in  beiden  Arterien  kaum  fühlbar,  die  Pulswelle  niedrig. 
Die  Arteria  brachialis  ist  auf  der  linken  Seite  nicht  fühlbar,  auf  der 
rechten  Seite  schlecht  gefüllt.  In  axilla  sind  beiderseits  die  Arteriae 
axillares  fühlbar,  beide  sind  gleich  schlecht  gefüllt,  auch  oberhalb  der 
Clavikeln  die  Arterien  palpabel.  Die  Schädelbildung  ist  eigenthümlich, 
der  Schädel  mächtig  aufgetrieben,  auch  das  Gesicht  auffallend  breit, 
leicht  asymmetrisch.  Die  ganze  Gesichtsbildung  erinnert  an  die  mon¬ 
golische.  Der  Abstand  des  Jochbogens  vom  Nasenbein  ist  auf  der 
rechten  Seite  ein  grösserer,  als  auf  der  linken,  die  Jochbogen  springen 
beiderseits  stark  vor,  die  Augenbrauenbogen  sind  nur  wenig  gewölbt, 
Die  Stirne  rechts  stärker  gewölbt  als  links,  die  Lidspalten  schlitz¬ 
förmig,  Nase  ziemlich  breit,  die  Mundwinkel  stehen  beiderseits  gleich 
hoch.  Die  Ohrmuscheln  von  normaler  Entwicklung,  die  Pupillen 
gleichweit,  reagiren  auf  Lichteinfall  prompt,  auch  auf  Accommodation 
und  Convergenz.  Die  Bulbusbewegungen  nach  allen  Richtungen  frei, 
kein  Nystagmus.  Mund-  und  Stirnfacialis  werden  beiderseits  gleich 
innervirt,  Gehör  gut.  Im  Bereich  des  Trigeminus  keine  Störung  der 
tactilen  Sensibilität  und  der  Schmerzempfindlichkeit.  Die  Portio 
minor  trigem.  functionirt  sehr  gut.  Der  harte  Gaumen  auf¬ 
fallend  wenig  gewölbt,  der  Abstand  der  Zähne  von  einander 
ist  ein  recht  erheblicher.  Die  Backenzähne  auffallend  schief  nach 
aussen  zu  gestellt.  Am  weichen  Gaumen  nichts  Besonderes, 
beim  Intoniren  wird  das  Gaumensegel  beiderseits  gleich  weit 
erhoben,  Sprache  gut,  kein  Verschlucken,  keine  Regurgitation 
von  Getränken  durch  die  Nase.  Die  Zunge  wird  gerade  vorgestreckt 
Zungenbewegungen  nach  allen  Richtungen  frei.  Laryngoskopischer 
Befund  normal. 

Der  Hals  massig  lang,  ziemlich  breit,  die  Schilddrüse  erscheint 
ein  wenig  vergrössert.  Die  Sternocleidomastoidei  beiderseits  kräftig 
entwickelt,  die  Bewegungen  des  Kopfes  nach  allen  Richtungen  voll¬ 
kommen  gleich.  Platysma  myoides  beiderseits  ziemlich  stark  entwickelt. 
Bei  der  Betrachtung  des  Thorax  fällt  auf,  dass  die  linke  Seite  einge¬ 
fallen  erscheint  im  Vergleiche  zur  rechten  (cfr.  Fig.  1),  die  Differenz  be¬ 
ginnt  schon  an  der  Clavicula.  Die  linke  Clavicula  verläuft  sehr  ge¬ 
rade  und  gestreckt  im  Vergleiche  zur  rechten,  welche  eine  normale 
Entwicklung  aufweist;  zudem  hat  sie  links  einen  schrägen,  nach 
aufwärts  gerichteten  Verlauf.  Das  Sternum  erscheint  in  seinen 
unteren  Abschnitten  ein  wenig  eingesunken,  kürzer  als  in  der  Norm. 
Proc.  xiphoid,  nicht  zu  tasten.  Auch  rückwärts  sind  grobe  Anomalien 
vorhanden,  die  Scapula  steht  auf  der  linken  Seite  etwas  höher  als 
auf  der  rechten.  Der  Contour  des  Halses,  der  durch  den  Cucullaris 
gebildet  wird,  präsentirt  sich  auf  der  linken  Seite  ebenfalls  schlechter, 
der  Cucullaris  scheint  in  seinen  oberen  Antheilen  links  dürftiger 
entwickelt  zu  sein  als  auf  der  rechten  Seite.  Die  Scapula  steht 
auf  der  linken  Seite  viel  näher  zur  Wirbelsäule  als  auf  der  rechten. 
Auch  verläuft  die  Wirbelsäule  nicht  ganz  gerade,  sondern  zeigt  im 
unteren  Abschnitte  der  Brustwirbelsäule  eine  nach  links  convexe, 
mässige  Skoliose.  Die  Fossa  infraspinata  erscheint  am  Ende  einge¬ 
sunken,  desgleichen  die  Fossa  supraspinata,  dagegen  der  Abstand  der 
linken  Scapula  vom  Thorax  erheblich  geringer  als  auf  der  rechten 
Seite.  Die  Behaarung  ist  auf  beiden  Seiden  different,  und  zwar  ist 
auf  der  linken  Brustseite  die  Behaarung  eine  dürftigere  als  auf  der 
rechten.  Auch  in  der  Axilla  ist  ein  solches  Verhalten  deutlich  nach¬ 
weisbar.  Die  Haut  ist  auf  beiden  Seiten  gleich  fettreich,  der  Muse, 
deltoid,  links  stärker  entwickelt;  der  Musculus  pectoralis  aber  fehlt 
in  seinen  costalen  Portionen  links  vollständig.  Man  sieht  bei  seitlicher 
Erhebung  der  Arme  nur  ein  Bündel  von  der  ersten  Rippe  aus  zum 
Oberarm  hinziehen,  die  Muskelfasern  sind  parallel  gerichtet.  Ver¬ 
änderungen  der  elektrischen  Erregbarkeit  der  Musculatur  fehlen 


*)  Der  Patient  wurde  von  mir  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in 
Wien  in  der  Sitzung  vom  3.  November  1899  demonstrirt. 


Nr.  2 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


27 


durchwegs.  Es  ist  in  Folge  des  Defectes  des  Pectoralis  die  Achsel¬ 
höhle  nach  vorne  zu  nicht  abgeschlossen  und  ist  auch  dann,  wenn 
der  Kranke  die  Arme  hängen  lässt,  eine  deutliche  Differenz  zwischen 
beiden  Seiten  in  Bezug  auf  die  Begrenzung  der  Achselhöhle  nach- 


Fig\  1. 


weisbar.  Der  Processus  coracoides  lässt  sich  deutlich  umgreifen,  folg¬ 
lich  fehlt  auch  der  Pectoralis  minor.  Die  Mamilla  steht  auf  der  linken 
Seite  erheblich  höher  als  auf  der  rechten.  Der  Abstand  vom  Sternal- 
rand  ist  auf  der  linken  Seite  erheblich  geringer,  als  dies  auf  der 
rechten  Seite  der  Fall  ist.  Palpirt  man,  so  fühlt  man  einen  Defect, 
entsprechend  den  ersten  vier  oder  fünf  Rippen,  und  zwar  —  genau 
lässt  sich  dies  nicht  feststellen  —  in  einer  Entfernung  von  etwa 
1  cm  vom  linken  Sternalrand,  das  obere  Ende  des  Defectes  und 
etwa  4  cm  vom  linken  Sternalrande  das  untere  Ende  desselben.  Der 


Knochendefect  ist  an  seiner  breitesten  Stelle  Sl/2cm,  an  seiner  schmälsten 
etwa  1  cm  breit  und  hat  eine  annähernd  dreieckige  Configuration. 
Die  Basis  des  Dreieckes  verläuft  annähernd  parallel  dem  linken 
Sternalrande,  die  Spitze  ist  demselben  zugekehrt.  Die  Basis  liegt 
noch  innerhalb  der  Mamillarlinie.  Nach  aussen  von  dem  Knochen- 
defecte  ist  bei  der  Palpation  eine  deutliche  Abgrenzung  der  Knochen 
von  einander  nicht  zu  tasten  und  ist  noch  ein  deutliches  Einge¬ 
sunkensein  derselben  zu  constatiren.  Beim  Husten  wölbt  sich  im  Be¬ 
reiche  des  ganzen  Defectes  die  Lunge  hernienartig  vor,  und  sieht 
man  auch  zwei  Nebenhernien  als  Wülste  entsprechend  dem  Verlaufe 
zweier  Intercostalräume  bis  gegen  die  vordere  Axillarlinie  zu  vor¬ 
springen.  Die  Herzdämpfung  lässt  sich  nicht  deutlich  abgrenzen,  man 
findet  eine  Dämpfung  neben  dem  Sternum  auf  der  rechten  Seite  bis 
etwa  zur  Mitte  zwischen  rechtem  Sternalrand  und  Mamillarlinie.  Nach 
links  hin  lässt  sich  die  Dämpfung  nicht  deutlich  abgrenzen,  ist  aber 
am  unteren  Sternalende  noch  deutlich  vorhanden.  Der  Lungenschall 
ist  auf  der  linken  Seite  etwas  voller  als  auf  der  rechten,  sonst  normal. 
Der  untere  Lungenrand  auf  der  linken  Seite  deutlich  verschieblich. 
Im  Schultergelenk  ist  eine  Bewegungsbeschränkung  nach  oben,  vorne 
und  der  Seite  nicht  zu  constatiren,  desgleichen  auch  nicht  nach 
rückwärts.  Die  Hebung  beider  Schultern  erfolgt  gleich  kräftig.  Keine 
Aenderung  in  der  Musculatur  des  Oberarmes,  des  Vorderarmes  und 
der  Hände.  Keine  Schwimmhautbildung  an  den  Händen.  Die  Herz¬ 
töne  rein.  Vereinzelte  Rasselgeräusche,  besonders  über  der  rechten 
Lunge;  nirgends  ausgesprochene  Dämpfung. 

Im  Röntgen-Bild,  angefertigt  von  Dr.  Kienböck  (cfr.  Fig.2),istder 
Defect  deutlich  zu  sehen.  Die  zweite  Rippe  ist  links  mit  der  ersten 
in  knöcherne  Verbindung  getreten,  die  dritte  fehlt  anscheinend  voll¬ 
ständig,  die  vierte  endet  frei  in  einiger  Entfernung  vom  Sternum 
und  erst  die  fünfte  tritt  wieder  mit  letzterem  in  Verbindung.  Die 
Intercostalräume  sind  aber  von  da  an  auf  der  linken  Seite  auffallend 
schmal  im  Vergleiche  zur  rechten,  während  sie  bis  zur  fünften 
Rippe  auffallend  breit  sind.  Bei  wiederholten  Untersuchungen  wurde 
constatirt,  dass  die  dritte  Rippe  denn  doch,  wenn  auch  nur  rudi¬ 
mentär  vorhanden  ist.  Sie  endet  frei  in  der  Axillarlinie. 

Der  Herzschatten  ist  stark  nach  rechts  verlagert,  jedoch  kann 
man  deutlich  erkennen,  dass  die  Herzspitze  gegen  das  Zwerchfell  zu 
und  nicht  nach  rechts  sieht.  Der  Herzschatten  von  annähernd  nor¬ 
maler  Grösse.  Auch  der  Schatten  der  grossen  Gefässe  liegt  weiter 
nach  rechts  als  in  der  Norm.  Auf  der  rechten  Seite  (auf  der  Photo¬ 
graphie)  stellenweise  dunklere  Stellen  (tuberculöse  Infiltrationen  der 
Lunge).  Der  Zwerchfellsstand  ist  auf  beiden  Seiten  etwas  different. 

Die  radiographische  Untersuchung  erklärt  uns  hier  einige 
Veränderungen,  deren  Deutung  sonst  ziemlich  schwer  geworden 
wäre.  So  vorerst  die  Lageanomalie  des  Herzens.  Wenn  auch 


Fig\  2. 

Schematische  Darstellung  der  Röntgen-Photographie.  Letztere  wurde  in  der  Sitzung 
der  Gesellschaft  der  Aerzte  am  3.  November  1899  demonstrirt. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  2 


die  Herzdämpfung  weit  naeli  rechts  reichte  und  im  ersten 
Momente  an  eine  echte  Dextrocardie  denken  Hess,  musste  den¬ 
noch  diese  Annahme  bald  aufgegeben  werden.  Wir  wissen  ja, 
dass  die  echte  Dextrocardie  ohne  Transposition  der  Bauchein¬ 
geweide  zu  den  grössten  Seltenheiten  gehört.  Es  ist  allerdings 
eine  grosse  Zahl  von  Fällen  beschrieben  worden,  in  welchen 
eine  Rechtslagerung  des  Herzens  bestand;  in  diesen  Fällen  war 
aber  fast  nie  das  in  der  rechten  Thoraxhälfte  gelegene  Herz 
das  Spiegelbild  des  normalen  Herzens,  d.  h.  war  die  Herz¬ 
spitze  fast  nie  nach  rechts,  sondern  beinahe  immer  nach  links 
gerichtet.  Schrotte  r,  welcher  auf  diese  Verhältnisse  mit  allem 
Nachdrucke  aufmerksam  machte,  fand  bei  kritischer  Durch¬ 
sicht  der  Literatur  nur  drei  Beobachtungen,  welche  dieser 
Forderung  entsprachen  und  discutirte  späterhin  (nachdem  er 
schon  früher  eine  Beobachtung  mitgetheilt  hatte),  einen  vierten 
Fall,  bei  welchem  auf  Grund  eingehender  klinischer  Erwä¬ 
gungen  die  Diagnose  auf  angeborene  Dextrocardie  gestellt 
werden  konnte. 

Graanboom,  welcher  sich  der  Anschauung  anschloss, 
dass  nur  echte  Umlagerung  des  Herzens  in  der  rechten  Thorax¬ 
hälfte  als  Dextrocardie  zu  betrachten  sei,  brachte  einen  weiteren 
Fall  von  Pope  (mit  Obductionsbefund). 

Allerdings  kann  auch  in  solchen  genau  untersuchten 
Fällen,  wie  v.  Schrott  er  bemerkt,  erst  die  Nekroskopie 
Gewissheit  von  dem  Vorhandensein  einer  echten  Dextrocardie 
verschaffen.  Dieser  Ausspruch  datirt  von  der  Zeit  vor  Ent¬ 
deckung  der  Radiographie  und  dieser  werthvolle  Untersuchungs¬ 
behelf  scheint  nun  auch  in  vita  die  sichere  Diagnose  zu  er¬ 
möglichen.  Vehs  em  ei  er  hat  einen  solchen  auf  radiographi¬ 
schem  Wege  sicher  diagnosticirten  Fall  mitgetheilt.  In  unserem 
Falle  nun  können  wir  nach  dem  Ergebnisse  der  radiographi¬ 
schen  Untersuchungen  mit  aller  Bestimmtheit  erklären,  dass 
trotz  anscheinender  Rechtslagerung  keine  eigentliche  Dextro 
cardie  besteht.  Die  Herzspitze  ist  gegen  das  Zwerchfell  zu  ge¬ 
richtet,  wir  werden  demzufolge  die  Lageveränderung  des 
Herzens  am  ehesten  als  Medianstellung  bezeichnen  können. 

Interessant  ist  das  enge  Caliber  der  Arterien  an 
den  oberen  Extremitäten.  Es  ist  diese  Arterienanomalie  den 
anderweitigen  bei  dem  Kranken  beobachteten  Entwicklungs¬ 
anomalien  anzureihen. 

Auch  in  Bezug  auf  den  Rippendefect  haben  wir  durch 
die  Radiographie  schätzenswerthe  Aufschlüsse  erhalten.  Der 
Defect  sieht  grösser  aus,  da  die  Rippen  in  der  Höhe  des  De- 
fectes  weiter  auseinandergewichen  sind;  dadurch  werden  sämmt- 
liche  tiefer  gelegene  Intercostalräume  verschmälert.  Die  erste 
und  zweite  Rippe  sind  knöchern  miteinander  verschmolzen  und 
besitzen  einen  gemeinschaftlichen  Ansatz  an  das  Sternum; 
durch  diese  Anomalie  reicht  der  Defect  weiter  nach  oben.  Die 
dritte  Rippe  fehlt  anscheinend  vollkommen  (ist  aber  doch  rudi¬ 
mentär  vorhanden),  die  vierte  endet  blind  in  einiger  Ent¬ 
fernung  vom  Sternalrande.  Durch  das  Auseinanderweichen  der 
Rippen  ist  es  zur  Bildung  von  Nebenlungenhernien  gekommen, 
welche  bei  Hustenstössen  als  flache,  der  Richtung  der  Rippen 
parallel  gestellte  Wülste  hervortreten.  Die  Zwerchfellskuppe 
ist  entgegen  den  normalen  Verhältnissen  auf  der  rechten 
Seite  mehr  abgeflacht,  als  auf  der  linken. 

Das  Athmungsgeräusch  ist  auch  an  der  Stelle  der  Lungen¬ 
hernien  normal. 

Bei  der  Beschreibung  des  Falles  wurde  erwähnt,  dass 
die  Scapula  auf  der  Seite  des  Defectes  höher  stehe,  als  auf 
der  anderen  Seite.  Dieser  Hochstand  ist  nicht  selten,  wie  er¬ 
wähnt,  auch  in  anderen  Fällen  von  Pectoralisdefect  beobachtet 
worden.  So  habe  ich  ihn  selbst  auch  in  einem  anderen  Falle 
von  congenitalem  Defect  des  Pectoralis  major  gesehen,  ist  er 
von  Kalischer  an  einem  seiner  Fälle  beobachtet  worden, 
von  Pulawski  in  seinem  Falle  beschrieben.  Kali  scher 
hebt  ausdrücklich  hervor,  dass  dies  Vorkommniss  kein  seltenes 
sei,  ohne  aber  weiter  auf  dasselbe  einzugehen.  Preu  gibt  an, 
dass  in  seinem  Falle  die  rechte  Schulter  etwa  um  1  */2  cm 
höher  stand,  als  die  linke. 

Sprengel  hat  nun  vor  nicht  allzulanger  Zeit  auf  eine 
eigenthümliche  angeborene  Stellungsanomalie  der  Scapula  auf¬ 
merksam  gemacht.  Die  Scapula  steht  auf  einer  Seite  wesent¬ 


lich  höher  als  auf  der  anderen,  und  mitunter  ein  wenig  gedreht, 
so  dass  Sprengel  von  einer  Schrägstellung  der  Scapula 
spricht.  Pitsch  stellte  vor  Kurzem  die  bis  dahin  bekannt 
gewordenen  Beobachtungen  zusammen  und  hebt  hervor,  dass 
bei  denselben  oft  Skoliose  der  Wirbelsäule  bestehe,  nicht  selten 
auch  ein  Näherrücken  der  höher  stehenden  Scapula  an  die 
Wirbelsäule  stattfindet  (P  i  s  c  h  i  n  g  e  r,  Perman,  Sprengel, 
Till  mann)  und  die  Clavikel  auf  die  Seite  der  Deformität 
schräg  nach  aufwärts  ziehe.  Die  Verschiebung  der  Scapula 
nach  oben  zu  erfolgt  häufiger  auf  der  linken  Seite  und  ist  oft 
von  einem  knochenharten  Tumor  in  der  Fossa  supraclavicularis 
begleitet,  welcher  von  K  ö  1 1  i  k  e  r  bei  einer  Operation  als  ver¬ 
längerter  oberer  Schulterblattrand  erkannt  wurde.  Pischinger 
machte  auf  gewisse  Muskelabnormitäten  aufmerksam,  welche 
schon  von  früheren  Beobachtern  notirt  worden  waren  (Ver¬ 
dickung  und  Verkürzung  der  Mm.  cucullares,  levatores  scapulae, 
rhomboidei,  schwächere  Entwicklung  des  M.  cucullaris  und  der 
ganzen  linken  oberen  Extremität  in  seinem  Falle). 

Wir  haben  nun  in  unserem  Falle  neben  einer  gering¬ 
fügigen  Hypoplasie  der  Scapula  noch  eine  deutlich  erkennbare 
Verschiebung  derselben  nach  oben  zu  nebst  geringen  Ver¬ 
änderungen  im  M.  cucullaris  derselben  Seite;  da  congenitale 
Rippendefecte  vorhanden  sind,  der  Pectoralisdefect  ebenfalls 
congenital  ist,  kann  kaum  bezweifelt  werden,  dass  auch  der 
Hochstand  der  Scapula  angeboren  ist  und  nicht  erst  im  extra¬ 
uterinen  Leben  erworben  wurde.  Wir  haben  an  früherer  Stelle 
erwähnt,  dass  der  Hochstand  der  Scapula  bei  Pectoralisdefect 
kein  besonders  seltenes  Vorkommniss  sei,  und  müssen  uns  nun 
fragen,  ob  diese  den  Pectoralisdefect  begleitende  Stellungsano¬ 
malie  der  Scapula  ohne  Weiteres  der  S  p  r  e  n  g  e  l’schen  Diffor- 
mität  zuzurechnen  sei.  In  der  Literatur  dieser  letzteren  Affection 
ist  bisher  von  Muskeldefecten  nicht  die  Rede  und  wäre  dies 
ein  wichtiges  Moment,  welches  die  vollständige  Identificirung 
der  verschiedenen  Formen  des  angeborenen  Hochstandes  der 
Scapula  verbieten  würde;  wohl  aber  sind  Muskelveränderungen 
gleicher  Art  (Verkürzung,  Hypertrophie,  Hypoplasie)  bei  beiden 
Anomalien  an  denselben  Muskelgruppen  zur  Beobachtung  gelangt. 
Es  ist  aber  auch  in  Fällen  mit  S  p  r  en  g  e  l’scher  Difformität 
noch  die  eine  oder  andere  Bildungsanomalie  am  Körper  beob¬ 
achtet  worden,  gerade  so  wie  in  den  Fällen  von  Scapulahoch¬ 
stand  mit  Pectoralisdefect  (z.  B.  Defecte  anderer  Knochen, 
rudimentäre  Entwicklung  eines  Fingers,  Anomalien  der 
Brustwarze,  des  Integuments  in  einem  von  mir  beobachteten 
Falle  etc.),  so  dass  doch  wieder  die  Form  der  Bildungs¬ 
anomalien  und  die  begleitenden  anderweitigen  Körperverände¬ 
rungen  darauf  hinweisen,  dass  eine  principielle  Trennung  der 
zwei  Formen  nicht  begründet  ist.  Was  nun  den  Hochstand  selbst 
an  belangt,  stimmt  er  im  Wesentlichen  mit  Ausnahme  des 
früher  erwähnten  Umstandes  mit  der  S  p  r  e  n  g  e  l’schen  Diffor¬ 
mität  überein  (einfache  Verschiebung  nach  oben  zu);  College 
Reiner  hat  mich  aber  noch  auf  ein  Verhalten  aufmerksam 
gemacht,  welches  wohl  in  anderen  Fällen  mit  Pectoralisdefect 
und  Scapulahochstand  nachzuprüfen  sein  wird.  In  unserem 
Falle  war  die  Annäherung  der  Scapula  an  die  Wirbelsäule 
ungemein  '  stark  im  Vergleiche  zur  Verschiebung  nach  oben 
zu,  besonders  wenn  man  das  gewöhnliche  Verhalten  der  Fälle 
mit  Spren  ge  l’scher  Difformität  in  Betracht  zieht.  Ob  dies 
von  Reiner  gefundene  Zeichen  ein  principielles  Unterschei¬ 
dungsmerkmal  zwischen  beiden  Formen  abgeben  dürfte,  ist 
vorläufig  noch  nicht  discutirbar. 

In  der  Fossa  supraclavicularis  ist  bei  der  Sprenge  1- 
schen  Difformität  häufig  (auch  in  einem  Falle  meiner  Beob¬ 
achtung),  jedoch  nicht  immer  constant,  ein  Knochenwulst 
gefunden  worden;  das  Fehlen  desselben  spricht  bei  der  Incon- 
stanz  des  Befundes  nicht  gegen  diese  Anomalie.  In  Bezug  auf 
die  erkrankte  Seite  wäre  endlich  zu  bemerken,  dass  die 
Sprengel’sche  Difformität  auffallend  oft  die  linke,  der  Pec¬ 
toralisdefect  besonders  oft  die  rechte  Seite  befällt. 

Wir  hätten  also  mit  Rücksicht  auf  die  vielen  übereinstimmen¬ 
den  Punkte  den  angeborenen  Hochstand  der  Scapula  bei  Pectoralis- 
und  Rippendefecten  den  anderen  Formen  der  angeborenen  Ver 
Schiebung  des  Schulterblattes  nach  oben  anzureihen  und  wenn 
man  nach  M  i  1  o  zwischen  der  musculären  Form  mit  primärer 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


29 


Verkürzung  und  Contractur  der  cervico-dorso-scapularen  Muskeln 
und  den  ohne  Functionsstörung  und  Muskelveränderung  ein- 
hergelienden  unterscheidet  (eine  Unterscheidung,  deren  Be¬ 
rechtigung  noch  nicht  erwiesen  ist),  noch  eine  weitere 
Form  hinzuzufügen,  bei  welcher  Defecte  in  der  Schulter- 
gürtelmusculatur  eine  prädominirende  Rolle  im  Krank¬ 
heitsbilde  spielen.  Ob,  wie  verschiedene  Autoren  (Kalischer, 
Preu)  meinten,  dieses  durch  das  ständige  Ueberwiegen  der 
das  Schulterblatt  hebenden  Muskeln,  respective  Fehlen  der 
Herabzieher  allein  bedingt  ist,  möchte  ich  dahingestellt  lassen, 
da  der  Hochstand  sich  sonst  wohl  in  jedem  Falle  von  Pecto- 
ralisdefect  vorfinden  müsste,  was  durchaus  nicht  der  Fall  ist. 

Die  eben  mitgetheilte  Beobachtung  betrifft  einen  Fall 
von  zweifellos  congenitalem  Pectoralisdefect.  Ich  habe 
eine  grössere  Zahl  von  solchen  Fällen  (aber  ohne  Missbildung 
des  Thoraxskeletes)  gesehen,  deren  ausführliche  Mittheilung 
wegen  der  grossen  Uebereinstimmung  der  Beobachtungen  unter¬ 
einander  und  mit  jener  der  Literatur  wohl  nicht  von  wesent¬ 
lichem  Interesse  wäre.  Einen  dieser  Fälle  habe  ich  vor  fünf 
Jahren  im  Wiener  medicinischen  Club  demonstrirt  (Sitzung  vom 
9.  Mai  1894)?  ein  anderer,  bereits  von  Kaiser  beschriebener 


Fi  g 


.  3. 


ist  auf  Abbildung  3  wiedergegeben.  (Die  Abbildung  war  aus 
Versehen  in  der  Arbeit  Kaiser’s  [Festschrift  für  Professor 
v.  Sehr ötter.  Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXII, 
Supplement]  ausgeblieben.) 

Einen  uncomplicirten,  nur  mit  eigenartigen  Hautver¬ 
änderungen  einhergehenden  Fall  will  ich  später  mittheilen. 

Was  die  absolute  Häufigkeit  der  Defecte  anbelangt,  so 
variiren  die  Zahlen  ausserordentlich.  Einige  Autoren  nehmen 
an,  dass  schon  auf  wenige  Tausend  von  Menschen  einer 
mit  Pectoralisdefect  komme,  andere  meinen,  dass  die  Affec¬ 
tion  viel  seltener  sei.  Ich  habe  an  der  III.  medicinischen 
Universitätsklinik  (Prof.  Sehr  ötter)  bei  einem  Kranken¬ 
materiale  von  rund  54.000  Patienten  fünf  Fälle  von  con¬ 
genitalem  Pectoralisdefect  gesehen,  also  circa  einen  auf 
11.000  Kranke.  Diese  Ziffern  dürften  nicht  als  Maximal¬ 
zahlen  gelten,  eher  der  congenitale  Pectoralisdefect  etwas 
häufiger  Vorkommen. 

Der  oben  erwähnte  Fall  war  folgender: 

Karl  A.,  48  Jahre  alt,  Maschinenmeister  aus  Wien. 

Ziemlich  kräftiges,  gut  entwickeltes  Individuum.  Der  Gross¬ 
vater  des  Patienten  war,  seine  älteste  Tochter  ist  linkshändig. 
Keine  abnormen  Bildungen  oder  Defecte  bei  Familienmitgliedern.  A. 
weiss  nichts  von  der  Existenz  der  Anomalien,  die  wir  sogleich  be¬ 


schreiben  wollen  und  wurde  erst  durch  meine  Fragen  auf  dieselbe 
aufmerksam  gemacht.  Es  besteht  eine  auffallende  Differenz  in  Bezug 
auf  die  Entwicklung  beider  Thoraxhälften,  ebenso  auch  hinsichtlich 
ihrer  Behaarung.  Auf  der  linken  Seite  ist  sowohl  in  axilla  als  auch 
um  die  Mamilla  herum  reichliche  Behaarung  bis  gegen  die  Mittellinie 
zu  vorhanden,  auf  der  rechten  aber  nur  dicht  neben  der  Mittellinie 
und  in  der  nächsten  Umgebung  der  Mamilla,  während  in  der  Achsel¬ 
grube  die  Behaarung  vollkommen  fehlt.  Die  Mamma  ist  nicht  so  pro¬ 
minent  als  auf  der  anderen  Seite,  erscheint  mehr  eingesunken  und 
steht  der  Mitte  des  Sternums  um  1  '/2cm  näher  als  auf  der  anderen 
Seite.  Die  ganze  linke  Thoraxhälfte  ist  wie  vorgetrieben,  die 
rechte  wie  abgeflacht.  Die  Haut  ist  auf  beiden  Seiten  gleich  fettreich, 
die  Achselhöhle  auf  der  rechten  Seite  seichter,  ihr  vorderer  Contour 
fehlt.  Von  der  ganzen  musculären  Bedeckung  der  vorderen  Thorax¬ 
wandung  ist  rechts  nur  ein  kleines  Muskelbündel  vorhanden,  welches 
von  der  Clavicula  zum  Oberarm  in  der  Richtung  von  innen  oben 
nach  aussen  unten  ausstrahlt.  Vom  rechten  Pectoralis  major  fehlt  die 
sternale  und  costale  Portion  vollkommen;  ebenso  der  ganze  Pectoralis 
minor.  Patient  ist  Rechtshänder.  Bei  Bewegungen  ist  eine  Differenz 
zwischen  beiden  Seiten  nicht  wahrzunehmen.  Auf  der  Streckseite 
des  rechten  Oberarmes  in  dessen  unteren  Hälfte  befindet  sich  ein 
isolirter  Bündel  langer  Haare.  Die  beiden  Mm.  slernocleidomastoidei 
sind  gut  entwickelt,  der  rechte  etwas  stärker  als  der  linke.  Die  Inter- 
costalmusculatur  ist  bei  der  Athmung  nicht  deutlich  sichtbar.  Die 
beiden  Thoraxhälften  werden  bei  der  Athmung  gleich  gehoben.  Das 
Zwerchfell  tritt  beim  Inspirium  beiderseits  deutlich  nach  abwärts. 
Es  besteht  Strabismus  convergens. 

An  beiden  unteren  Extremitäten  sind  Naevi  vasculosi  von  ganz 
enormer  Ausdehnung  vorhanden,  und  zwar  nehmen  dieselben  die 
Haut  des  ganzen  Unterschenkels  und  den  grössten  Theil  der  Haut 
des  Oberschenkels  ein. 

Die  interne  Untersuchung  ergab  normale  Verhältnisse,  ebenso 
die  elektrische.  - 

Eine  auffallende  Veränderung  des  Thoraxskeletes  konnte 
bei  radioskopischer  Untersuchung  nicht  gefunden  werden. 

Eingehende  klinische  und  anatomische  Untersuchung 
wurde  mir  in  einem  Falle  ermöglicht,  in  welchem  die  Frage 
discutirt  werden  musste,  ob  der  Defect  angeboren  sei.  Der 
Kranke  wurde  von  mir  seinerzeit  auf  der  Klinik  Prof.  v. 
Schrotte  Fs  untersucht  und  freundlichst  vom  Vorstande  zur 
Veröffentlichung  überlassen;  den  histologischen  Befund  konnte 
ich  in  dem  Laboratorium  Prof.  Ob  e  r  s  t  e  i  n  e  r’s  erheben. 

Die  Beobachtung  lautet  in  möglichster  Kürze: 

Stefan  R.,  64  Jahre  alt,  Taglöhner  aus  Leinbaum.  Anamnese 
vom  16.  Mai  1896.  Beide  Eltern  starben  an  dem  Patienten  unbekannten 
Krankheiten  im  hohen  Alter,  ein  Bruder  mit  67  Jahren.  Patient  weiss 
nicht  anzugeben,  ob  bei  einem  der  Familienmitglieder  Missbildungen 
bestanden  hätten. 

Bis  vor  16  Jahren  war  R.  vollkommen  gesund,  vor  acht  Jahren 
erkrankte  er  an  einer  linksseitigen  Lungenentzündung  von  kurzem 
Bestände,  vor  drei  Jahren  an  einer  linksseitigen  Rippenfellentzündung, 
war  erst  nach  16  Wochen  wieder  arbeitsfähig  und  fühlte  sich  noch 
lange  Zeit  hindurch  schwach  und  matt.  Um  diese  Zeit  bemerkte 
Patient  eine  Differenz  zwischen  beiden  Thoraxhälften,  aber  keine 
Aenderung  in  der  Gebrauchsfähigkeit  oder  Kraft  beider  oberer  Ex¬ 
tremitäten.  Patient  ist  Rechtshänder  von  jeher.  In  den  letzten  Monaten 
heftiger  Husten.  Potus  und  Lues  negirt. 

Aus  dem  Status  hebe  ich  nur  Nachfolgendes  hervor:  Grosser, 
kräftig  gebauter  Mann,  von  gutem  Ernährungszustände.  Erhebliche 
Arteriosklerose  ohne  nennenswerthen  Füllungsunterschied  der  Arteriae 
radiales  und  brachiales  beiderseits.  Erscheinungen,  welche  auf  eine 
Myodegeneratio  cordis  schliessen  Hessen,  Dämpfung  auf  der  linken 
Seite  entsprechend  den  hinteren  unteren  Lungenpartien,  daselbst  ab¬ 
geschwächtes  Athmen,  Bronchitis,  mässige  Stauungserscheinungen. 

DieHirnnerven  vollkommen  frei,  speciell  keineErscheinungen  von 
Seite  der  Augenmuskeln  oder  des  Fundus.  Das  Kopfskelet  zeigt  keine 
Anomalie.  Der  Hals  ist  ziemlich  lang.  Der  Thorax  massig  lang  und  breit, 
gut  gewölbt.  Auf  der  linken  Seite  bemerkt  man  besonders  entsprechend 
den  inneren  und  oberen  Thoraxpartien  eine  erhebliche  Abflachung. 
Die  Behaarung,  welche  auf  der  rechten  Brustseite  und  in  der  rechten 
Axilla  sehr  mächtig  ist,  schneidet  in  der  Mittellinie  plötzlich  ab  und 
fehlt  links  fast  vollkommen,  die  linke  Mamilla  steht  etwas  tiefer  und 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  2 


Fig.  4. 


näher  zum  Thorax  wie  die  rechte.  Die  Haut  ist  beiderseits  gleich 
dick.  Der  Bogen  der  die  Grenze  der  Achselhöhle  nach  unten  und 
vorne  zu  bildet  ist  rechts  normal,  links  begrenzt  sich  die  Achselhöhle 
nach  vorne  mit  einer  nach  innen  oben  aufsteigenden  Linie.  Bei  Ab¬ 
duction  der  Arme  contrahirt  sich  der  rechte  Pectoralis  recht  kräftig 
und  zwar  in  allen  drei  Portionen,  der  linke  aber  nur  in  seiner  cla- 
vicularen  Portion,  während  von  der  sternalen  und  costalen  nichts 
wahrzunehmen  ist.  Der  Processus  coracoides  ist  links  frei  zu  umgreifen. 
Während  rechts  die  Intercostalräume  nicht  sichtbar  sind,  kann  man 
sie  auf  der  linken  deutlich  erkennen,  allerdings  nicht  den  Faserver¬ 
lauf  der  Intercostalmuskeln  wahrnehmen.  Die  Scapula  steht  links  viel¬ 
leicht  ein  wenig  tiefer  als  rechts,  die  Fossa  supra-  und  infraspinata  er¬ 
scheint  ein  wenig  eingesunken.  Die  elektrische  Untersuchung  ergibt 
in  allen  Muskeln  normales  Verhalten;  sie  zeigt  ebenfalls,  dass  der 
grösste  Theil  des  Pectoralis  major  und  der  Pectoralis  minor  fehlt. 
Die  Athmung  ist  mit  beiden  Thoraxhälften  gleich  kräftig.  Ein  Funtions- 
ausfall  im  Bereiche  der  Schultermusculatur  besteht  nicht.  Keine  ander¬ 
weitigen  Muskelanomalien  oder  sonstige  Veränderungen. 

Unter  den  Erscheinungen  der  Ilerzinsufficienz  trat  am  1.  De¬ 
cember  1896  Exitus  ein.  Professor  Weichselbaum  nahm  die 
Autopsie  vor  und  überliess  mir  in  liebenswürdigster  Weise  die  Medulla 
spinalis  und  einzelne  Muskelstücke  zur  histologischen  Untersuchung. 
Ich  erlaube  mir,  hiefür  meinen  verbindlichsten  Dank  auszusprechen. 
Die  Obductionsdiagnose  lautet:  Abgesacktes,  obsolescirendes,  pleu- 
ritisches  Exsudat  linkerseits  mit  Compressionsatelektase  des  linken 
unteren  Lungenlappens,  excentrische  Hypertrophie  des  rechten  Herz¬ 
ventrikels,  parenchymatöse  Degeneration  des  Myocards,  hämorrhagi¬ 
sche  Infarcte  der  rechten  Lunge  mit  frischer  Pleuritis,  chronische 
Endarteriitis  der  Aorta,  Stauungsleber,  Stauungsmilz,  Stauungsniere, 
venöse  Hyperämie  des  Magens  und  Darmes,  Agenesie  des  linken 
Musculus  pectoralis  minor  und  der  Sternalportion  des  linken  Musculus 
pectoralis  major. 

Aus  dem  Obductionsprotokolle  heben  wir  Folgendes  hervor: 
» . Der  Thorax  an  den  oberen  Partien  enge,  gegen  die  Hypo¬ 

chondrien  zu  sich  allmälig  erweiternd,  die  Knorpel  der  dritten,  vierten 
und  fünften  Rippe  links  stark  vorspringend,  die  Fossa  infraclavicularis 
sinistra  auffallend  tlach.  Vom  linken  M.  pectoralis  major  fehlt  die 
ganze  Sternal-  und  Sternoclavicularportion,  so  dass  nur  die  Clavi- 
cularportion  vorhanden  ist,  welche  aber  nicht  mächtiger  ist,  als  die 
entsprechende  Portion  des  rechten  M.  pectoralis  major.  Ferner  fehlt 


der  linke  M.  pectoralis  minor  vollständig.  An  der  übrigen  (sorgfältig 
präparirten)  Thoraxmusculatur  keine  Abnormitäten  wahrnehmbar, 
nur  ist  am  M.  pectoralis  major  der  rechten  Seite  zwischen  seiner 
Sternal-  und  Sternoclavicularportion  ein  l’/2  Querfinger  breites 
Interstitium,  welches  nach  aussen  hin  sich  allmälig  verschmälert; 
dieses  Interstitium  entspricht  dem  Knorpel  der  zweiten  Rippe . « 

Die  Intercostalmusculatur  war  normal  entwickelt,  nirgends 
auffallend  stark  oder  auffallend  schwach  ausgebildet. 

Beifolgende  Abbildung  (Fig.  4),  welche  ich  der  Liebenswürdig¬ 
keit  des  Collegen  H.  Weiss  verdanke,  veranschaulicht  die  ana¬ 
tomischen  Verhältnisse. 

Während  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  die  Pa¬ 
tienten  von  ihrem  Defecte  überhaupt  nichts  wissen,  bevor  sie 
nicht  von  ärztlicher  Seite  darauf  aufmerksam  gemacht  werden, 
gab  Patient  an,  die  Abflachung  der  Brusthälfte  nach  einer 
Pleuritis  wahrgenommen  zu  haben.  Der  Kranke  brachte 
den  Defect  in  einen  ätiologischen  Zusammenhang  mit 
derselben ,  die  Obduction  zeigte  auch  wirklich ,  dass 
Schwielenbildung  an  der  Pleura  vorlag  und  zwar  auf  der 
Seite  des  Defectes,  während  die  Pleura  der  anderen  Seite  eine 
derartige  Veränderung  nicht  zeigte.  Sprach  der  anatomische 
Befund  auf  der  Seite  des  Defectes  für  die  Möglichkeit  eines 
causalen  Zusammenhanges  des  letzteren  mit  einer  äusserst 
schweren  Pleuritis  und  Entzündung  des  subpleuralen  Gewebes, 
so  fand  sich  aber  auf  der  anderen  Seite  auch  im  Pectoralis 
eine  bedeutungsvolle  Anomalie.  Die  drei  Portionen  waren  voll¬ 
kommen  durch  weite  Spatien  getrennt. 

In  Folge  der  Anamnese  und  des  vorliegenden  anatomi¬ 
schen  Befundes  ist  die  von  Erb,  D  am  sch,  Bernhardt, 
Fürstner,  Kann,  A.  Schmidt  und  Anderen  bei  ähnlichen 
Fällen  ventilirte  Frage  neuerlich  zu  discutiren,  ob  hier  eine 
Aplasie  des  Nervenmuskelapparates  oder  eine  in  einem  frühen 
Stadium  stehen  gebliebene  Dystrophie  vorliege. 

Die  von  mir  im  Laboratorium  Prof.  Obersteiner 
vorgenommene  histologische  Untersuchung  der  Mm.  pectorales 
ergab  einen  vollständig  normalen  Befund.  Um  sicher  zu  gehen, 
habe  ich  eine  grössere  Zahl  von  Controlpräparaten  durch¬ 
mustert  und  ^eim  Vergleiche  mit  den  von  dem  pathologischen 
Falle  stammenden  Präparate  keine  Abweichung  von  der  Norm 


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gefunden,  insbesondere  keine  erheblichen  Grössenunterschiede 
der  Muskelfasern  oder  abnorme  Dünnheit  derselben,  keine  wesent¬ 
liche  Kernvermehrung  oder  Zunahme  des  interstitiellen  Gewebes. 
Ein  derartiges  Verhalten  würde  nicht  für  eine  in  einem  frühen 
Stadium  stehen  gebliebene  Dystrophie  sprechen.  Aber  auch 
spinalen  Ursprunges  dürfte  der  Muskeldefect  nicht  sein.  Auf 
der  Seite  des  Defectes  fehlt  im  Halsmarke  durch  drei  Seg¬ 
mente  (fünftes,  sechstes  und  siebentes  Cervicalsegment)  die 
medial  gelegene  Ganglienzellengruppe,  wie  dies  Serienschnitte 
zeigten;  der  Befund  kann  jedoch  nur  mit  äusserster  Vorsicht 
verwerthet  werden,  da  diese  Ganglienzellengruppe  de  norma 
sehr  schwach  entwickelt  ist,  auch  auf  der  anderen  Seite  des 
Halsmarkes  in  unserem  Falle  sehr  dürftig  war  und  die  bis¬ 
herigen  Erfahrungen  nicht  gerade  zur  Anschauung  drängen, 
dass  diese  Ganglienzellen  direct  mit  der  Musculatur  in 
Verbindung  stünden.  Anderweitige  Ganglienzellen-  und  Vorder¬ 
hornveränderungen  (Veränderungen  der  Form  und  des  Faser¬ 
netzes)  überhaupt  fehlen  aber  in  unserem  Falle  vollkommen, 
so  dass  eine  spinale,  früh  stationär  gewordene  Muskelatrophie 
nicht  wahrscheinlich  ist. 

Vielleicht  ist  der  Befund  in  der  Weise  zu  deuten,  dass 
eine  angeborene  Schwäche  der  Pectorales  bestand,  welche  ihren 
klinischen  Ausdruck  in  der  Dreitheilung  des  rechten  Muse, 
pectoralis  major  fand.  Eine  schwere  Pleuritis  mit  Affection  des 
tiefer  liegenden  Gewebes  rief  entweder  durch  directes  Ueber- 
greifen  des  Entzündungsprocesses  oder  auf  reflectorischem 
Wege  completen  Schwund  der  sternalen  Portion  des  Pectoralis 
hervor.  Es  wäre  dies  ein  Vorgang,  welcher  —  soweit  ich  die 
Literatur  übersehen  kann  —  bei  Beurtheilung  eines  erworbenen 
Pectoralisdefectes  bisher  nicht  in  Betracht  gekommen  ist.  Die 
Möglichkeit  wäre  aber  nicht  auszuschliessen  (ja  sie  ist  plau¬ 
sibler),  dass  hier  nur  eine  zufällige  Coincidenz  einer  Pleuritis  mit 
einem  Muskeldefecte  auf  derselben  Seite  besteht,  da  ein 
Functionsausfall  nicht  vorhanden  war,  wie  man  dies  wohl  bei 
angeborenen,  aber  wohl  nur  selten  bei  spät  erworbenen  De- 
fecten  sieht. 

Zum  Schlüsse  noch  einige  Bemerkungen  über  die  An¬ 
nahmen,  welche  vorliegen,  um  die  Entstehung  der  eigentlichen 
Defectbildung  zu  erklären.  Die  oft  citirte  Hypothese,  dass  der 
Defect  intrauterin  durch  Andrücken  des  Armes  an  die  Brust 
oder  durch  Druck  eines  Uterusmyoms  auf  den  Thorax  ent¬ 
stehe,  ist  nicht  bewiesen,  auch  nicht  wahrscheinlich.  Wie 
leicht  aber  eine  solche  Hypothese  in  vollkommen  unbegrün¬ 
deter  Weise  proclamirt  wird,  geht  aus  der  Publication  von 
Seitz  hervor,  in  der  auf  diese  Möglichkeit  recurrirt  wird, 
ohne  dass  Verfasser  irgend  ein  Beweismoment  für  seine  An¬ 
nahme  ins  Feld  führt. 

Ansprechender  ist  schon  die  Hypothese  Ahlfeld’s, 
welcher  annimmt,  dass  Verwachsungen  des  Amnions  Defect- 
bildungen  hervorrufen;  aber  auch  für  diese  Erklärungsweise 
fehlt  ein  ausreichendes  Beweismaterial  und  werden  manche 
den  Pectoralisdefect  häufig  begleitende  Veränderungen  innerer 
Organe  nicht  genügend  erklärt. 

Ich  meine,  dass  es  nicht  nothwendig  ist,  auf  solche 
Möglichkeiten  zu  recurriren,  sondern  eine  viel  einfachere  Er¬ 
klärung  möglich  ist,  auf  welche  schon  mehrfach  hingewiesen 
wurde. 

Die  Ursache  der  Defectbildung  ist  wahrscheinlich  in 
einem  Stehenbleiben  der  Entwicklung  bestimmter  Theile  des 
Körpers  in  Folge  fehlender  Wachsthumsenergie  zu  suchen.  Ist 
die  normale  Ausbildung  eines  Körpertheiles  nicht  erfolgt,  so 
mag  die  Anlage  für  denselben  vollkommen  gefehlt  haben  oder 
ist  nur  angedeutet  gewesen,  ohne  weiter  zur  Entwicklung  zu 
gelangen,  weil  letztere  schon  in  frühen  Stadien  sistirte. 
Die  mangelhafte  Anlage,  respective  das  Ausbleiben  einer  Fort¬ 
entwicklung  kann  bald  primär  den  Muskel  (oder  Knochen) 
betreffen,  bald  primär  das  Nervensystem.  In  diesen  Fällen 
sind  degenerative  Vorgänge  weder  im  Muskel  noch  im  Nerven 
nachweisbar.  Ich  denke  also  bei  der  Entstehung  des  Pectoralis¬ 
defectes  an  intrauterine,  aber  nicht  ausserhalb  der  Frucht 
gelegenen  Einflüsse,  sondern  an  Störungen,  die  in  letzterer 
selbst  gelegen  sind  und  darin  bestehen,  dass  einzelne  Theile 
des  Nervenmuskelapparates  und  anderer  Organsysteme  eine 


mangelnde  Fähigkeit  aufweisen,  sich  weiterhin  ausbilden.  Es 
ist  also  nicht  Entwicklungshemmung,  sondern  Fehlen  des 
Wachsthumstriebes  das  Wahrscheinlichere.  Diese  Auffassung 
schliesst  sich  der  von  K  u  n  n  und  später  von  Schmidt 
vertretenen  an.  Da  degenerative  Vorgänge  anscheinend  sowohl 
im  Centralnervensystem,  als  auch  an  den  Muskeln  vollkommen 
fehlen,  einzelne  Muskelabschnitte  vollkommen  entwickelt  sind 
und  andere  in  innigster  Beziehung  zu  ihnen  stehende  nicht, 
die  peripheren  Nerven  normal  sind,  während  von  ihnen  zu 
versorgenden  Muskeln  vollkommen  fehlen,  dürfte  mangelhafte 
Wachsthumsenergie  in  gewissen  Abschnitten  des  Nerven¬ 
muskelapparates  als  Ursache  für  den  angeborenen  Mangel  des 
Pectoralis  angenommen  werden. 

Literatur. 

Ku  n  d,  Die  angeborenen  Beweglichkeitsdefecte  der  Augen.  Beiträge 
zur  Augenheilkunde.  1895,  Bd.  XIX. 

Schmidt,  Angeborene  multiple  Hirnnervenlähmung  mit  Brust- 
muskeldefect.  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  Bd.  X. 

Kalischer,  Ueber  angeborene  Muskeldefecte.  Neurologisches  Central¬ 
blatt.  1896,  Nr.  15  und  16. 

P  u  1  a  w  s  k  i,  Ueber  eine  Defectbildung  einiger  Rippen  und  Muskeln. 
Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXI. 

J.  Sklodowski,  Ueber  einen  Fall  von  angeborenem  rechts¬ 
seitigem  Mangel  derMusculi  pectorales.  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXT,  pag.  600. 

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Thorax.  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXIII,  pag.  474. 

Volkmann,  Zur  Theorie  der  Intercostalmuskeln.  Zeitschrift  für 
Anatomie.  Bd.  II,  pag.  192. 

F  o  r  i  e  p.  Neuere  Notizen  aus  dem  Gebiete  der  Natur-  und  Heil¬ 
kunde.  1839,  Nr.  199. 

Frickhoeffer,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  X,  pag.  474. 

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Bd.  XCVIII. 

Ebstein,  Archiv  für  klinische  Medicin.  Bd.  LXIX. 

v.  ZiemsseD,  Die  Elektricität  in  der  Medicin.  Zweite  Auflage, 
pag.  144. 

Kahler,  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1885,  Nr.  8. 

Berger,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  LXXII. 

M.  K  aise  r,  Ueber  angeborenen  Pectoralisdefect.  Zeitschrift  für 
klinische  Medicin.  Bd.  XXXH.  Supplement.  Festschrift  für  Professor 
Schrötter. 

K  o  b  1  e  r,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1888,  Nr.  35. 

Erb,  Neurologisches  Centralblatt.  1889,  Nr.  1  und  2. 

H  y  r  1 1,  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen. 

Preu,  Ueber  einen  Fall  von  angeborenem  Defect  der  rechts¬ 
seitigen  Brustmuskeln.  Inaugural-Dissertation.  Breslau  1897. 

Fallot,  Absence  congenital  des  Muscles  pectoraux.  Marseille  me- 
dicale.  Janvier  1898. 

Azam  et  Casteret,  Absence  congenitale  des  pectoraux.  Presse 
medicale.  1897,  3.  Fevrier. 

S  t  i  n  t  z  i  n  g,  Die  angeborenen  und  erworbenen  Defecte  der  Brust¬ 
muskeln.  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  Bd.  XLV. 

v.  Schrötter,  Ueber  Dextrocardie.  Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1887,  Nr.  25. 

v.  Schrötter,  Ueber  Dextrocardie.  Wiener  medinischer  Club. 
Wiener  medicinische  Presse.  1894,  Nr.  1  und  2. 

Graanboom,  Ein  Fall  von  Dextrocardie.  Zeitschrift  für  klinische 
Medicin.  Bd.  XVIII. 

Vehsemeier,  Ein  Fall  von  congenitaler  Dextrocardie.  Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  12. 

Sprengel,  Die  angeborene  Verschiebung  der  Scapula  nach  oben. 
Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XLH,  pag.  545. 

0.  Pischinger,  Drei  Fälle  von  angeborenem  Hochstande  der 
Scapula.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1897,  pag.  1471. 

B  e  e  1  y,  Scoliosis  capitis  etc.  Zeitschrift  für  orthopädische  Chirurgie. 
Bd.  II. 

Milo,  Ein  Fall  von  doppelseitiger  S  p  r  e  n  g  e  l’scher  Difformität. 
Zeitschrift  für  orthopädische  Chirurgie.  Bd.  VI. 

P  i  t  s  c  h,  Ein  Fall  von  angeborenem  Hocbstande  der  Scapula.  Zeit¬ 
schrift  für  orthopädische  Chirurgie.  Bd.  VI. 


Aus  der  k.  k.  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des 
Herrn  Prof.  v.  Wagner  in  Wien. 

Polioencephalitis  superior  acuta  und  Delirium 
alkoholicum  als  Einleitung  einer  Korsakow’schen 
Psychose  ohne  Polyneuritis. 

Von  Dr.  Emil  Raimann,  Assistent  der  Klinik. 

Demonstration  im  Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien,  am 

12.  December  1899. 

Im  Jahre  1887  hat  zum  ersten  Male  nachdrücklich 
S.  Korsakow1)  auf  besondere,  bei  Polyneuritis  sich  findende 


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Formen  des  Irreseins  aufmerksam  gemacht.  Eine  derselben, 
charakterisirt  durch  rasche  geistige  Ermüdbarkeit,  durch  Un¬ 
fähigkeit  zur  Auffassung  und  Verarbeitung  äusserer  Eindrücke, 
durch  schwere  Gedächtnisstörung,  sowie  Erinnerungsfälschungen 
trägt  seither  den  Namen  der  Korsako  w’schen  oder  poly- 
neuritischen  Psychose  und  bietet  wirklich  ein  ganz  eigen¬ 
artiges  Bild. 

Wir  haben  Kranke  vor  uns,  deren  Bewusstsein  an¬ 
scheinend  klar,  deren  Verhalten  correct  ist;  Patienten,  die  oft 
eine  ziemliche  Intelligenz  aufweisen,  auf  alle  Fragen  formell 
richtig  antworten,  die  ihrem  Bildungsgrade  entsprechend 
rechnen,  tadellose  Schriftstücke  verfassen  können:  dennoch 
besteht  bei  diesen  Kranken  eine  schwere  Störung  des  Ge¬ 
dächtnisses.  Dasselbe  versagt  bezüglich  der  letzten  Vergangen¬ 
heit,  Eindrücke  der  Gegenwart  bleiben  nicht  oder  nur  zum 
kleinsten  Theile  haften.  Hieraus  resultirt  zunächst  eine  örtliche 
und  hauptsächlich  eine  schwere  zeitliche  Orientirungsstürung. 
Der  sonst  ganz  besonnene  Patient  vergisst  immer  wieder,  wo 
er  sich  befindet;  er  weiss  nicht  mehr,  wie  lange  er  schon  an 
seinem  gegenwärtigen  Aufenthaltsorte  weih;  er  kennt  kein 
Datum,  ja  nicht  einmal  die  Tageszeit.  Es  kann  dem  Kranken 
gänzlich  entfallen  sein,  dass  er  soeben  erst  etwas  gethan,  z.  B. 
eine  Mahlzeit  zu  sich  genommen,  dass  er  etwas  gesehen  oder 
gehört  hat.  Insoferne  die  Wahrnehmungen  des  Patienten  nicht 
mehr  als  Erinnerungsbilder  deponirt  werden,  bilden  sich,  wenn 
man  so  sagen  darf,  Lücken  im  Bewusstseinsinhalt  und  diese 
werden  nun  in  den  meisten  Fällen  ausgefüllt  durch  eine  per¬ 
verse  Thätigkeit  der  Psyche:  es  treten  sogenannte  Pseudo- 
reminiscenzen  auf,  die  dem  Krankheitsbilde  erst  sein  beson¬ 
deres  Gepräge  verleihen.  Das,  was  dem  Patienten  an  geistigem 
Besitze,  an  latenten  Vorstellungen  zur  Verfügung  steht, 
stammt  von  den  Sinneseindrücken  früherer  gesunder  Tage. 
Der  Kranke  hat  Manches  persönlich  erlebt,  er  hat  vieles 
Andere  gelesen,  erfahren,  eventuell  im  Traume  combinirt.  Aus 
diesem  geistigen  Material  holt  nun  der  Patient  Bruchstücke 
hervor,  die  sich  aus  dem  Gefüge  ihrer  associativen  Ver¬ 
knüpfungen  lösen.  Wir  bekommen  dann  Dinge  zu  hören,  die  in 
Wirklichkeit  entweder  gar  nicht,  oder  ganz  anders  sich  zugetragen 
haben.  Bringt  der  Kranke  aus  dem  Schatze  seines  Gedächtnisses 
Abenteuer  vor,  die  nie  in  seinem  Leben  sich  ereigneten; 
scheint  uns  das,  was  der  Patient  producirt,  jedes  thatsächlichen 
Untergrundes  zu  entbehren,  wie  eine  freie  Erfindung,  dann 
sprechen  wir  von  Erinnerungstäuschungen  oder  Hallucinationen 
der  Erinnerung.  Berichtet  der  Kranke  aber  Geschehnisse,  die 
wirklich  stattgefunden  haben,  nur  in  anderer  Verknüpfung, 
färbt  und  verändert  er  die  Wiedergabe  realer  Vorkommnisse, 
so  sprechen  wir  von  Erinnerungsfälschungen,  von  Illusionen 
der  Erinnerung.  Sowie  zwischen  Hallucinationen  und  Illusionen 
der  Sinne  keine  scharfe  Grenze  möglich  ist,  so  gehen  auch 
die  damit  in  Parallele  gezogenen  Formen  von  Störungen  des 
Gedächtnisses  in  einander  über.  Gemeinsam  ist  den  Er¬ 
innerungtäuschungen,  wie  den  Erinnerungsfälschungen,  dass 
wieder  auftauchende  Gedächtnissbilder,  losgerissen  von  den 
wirklichen  Beziehungen  zu  ihren  Nachbarvorstellungen,  in  das 
leere  Bewusstseinsfeld  hinein  versetzt  werden.  Ist  die  Gedächtniss- 
störung  hochgradig,  so  verwickelt  sich  der  Kranke  in  die 
unlösbarsten  Widersprüche,  vielleicht  ohne  derselben  recht 
gewahr  zu  werden,  da  er  seine  Pseudo-Reproductionen,  die  ja 
Kinder  das  Augenblicks  darstellen,  die  sich  vielfach  durch 
Fragen  provociren  und  beeinflussen  lassen,  im  nächsten  Momente 
wieder  vergessen  hat.  Dieses  hier  kurz  skizzirte,  durchaus 
charakteristische  Symptomenbild  schwebt  meist  über  einem 
leicht  euphorischen  Stimmungshintergrunde;  die  Patienten 
scherzen  sich  über  das  Versagen  ihres  Gedächtnisses,  wenn 
sie  darauf  aufmerksam  werden,  ohne  Weiteres  hinweg;  sie 
leben  sorglos  in  den  Tag  hinein,  der  keine  Spuren  in  ihrem 
Bewusstsein  hinterlässt. 

Ueber  das  Wesen  dieses  Krankheitsprocesses  hat  sich  schon 
Korsako  w  seine  bestimmten  Vorstellungen  gebildet.  Er 
führte  denselben  auf  eine  toxische  Schädigung  des  Gehirns  zu¬ 
rück.  er  machte  sogar  ganz  detaillirte  Angaben  über  die  in 
Betracht  kommenden  Gifte  und  fasste  den  Erscheinungs- 
complex  unter  der  treffenden,  wenn  auch  ein  wenig  lang- 


athmigen  Bezeichnung  »Cerebropathia  psychica  toxaemica« 
zusammen;  Cerebropathia  deshalb,  weil  neben  der  psychischen 
Störung  fast  stets  auch  andere  Symptome  einer  Hirnaffection 
auftreten,  wie  Schwindel,  Erbrechen,  zuweilen  Nystagmus, 
Sprachstörung,  Pupillendifferenz  u.  dgl. 

Zwischen  dieser  Cerebropathia  psychica  toxaemica  und 
der  fast  immer  gleichzeitig  vorhandenen  Polyneuritis  sollte 
natürlich  ein  innerer,  organischer  Zusammenhang  bestehen  in 
dem  Sinne,  dass  dieselbe  Schädlichkeit,  welche  die  peripheren 
Nerven  zur  Erkrankung  bringt,  auch  im  Centralorgan  ihre 
Wirksamkeit  entfalte.  Da  ist  es  nun  bemerkenswert!],  wie  die 
beiden  Componenten  des  vollständigen  Krankheitsbildes,  unab¬ 
hängig  von  einander,  und  ohne  dass  wir  einen  bestimmten 
Grund  dafür  anzugeben  wüssten,  ganz  verschiedene  Intensitäts¬ 
grade  aufzuweisen  vermögen.  Sind  auch  in  den  typischen 
Fällen  von  K  o  r  s  a  k  ow’schem  Syndrom  Polyneuritis  und 
Psychose  gleich  deutlich  ausgesprochen,  so  kann  auf  der  einen 
Seite  die  Polyneuritis  für  sich  allein,  und  als  Gegensatz  dazu 
die  charakteristische  Geistesstörung  ganz  isolirt  in  Erscheinung 
treten;  zwischen  diesen  beiden  Extremen  finden  sich  dann  alle 
denkbaren  Uebergangsformen.  Während  nun  das  vollständige 
Bild  der  Korsako  w’schen  Krankheit  heute  nicht  gerade  zu  den 
Seltenheiten  zählt,  und  in  alljährlichen  Publicationen  immer  neue 
Fälle  berichtet  werden,  bestehen  bemerkenswerthe  Verhältnisse  be¬ 
züglich  der  Häufigkeit,  in  der  die  einzelnen  Componenten  isolirt 
auftreten.  Was  zunächst  die  Polyneuritis  ohne  Psychose  betrifft, 
so  müssen  wir  die  Fälle  je  nach  der  Aetiologie  scharf  ausein¬ 
anderhalten.  Recht  gewöhnlich  verläuft  die  überaus  häufige  Poly¬ 
neuritis  n  i  c  h  t-alkoholischen  Ursprunges  ohne  geistige  Störung; 
relativ  selten  aber  gibt  es  bei  Alkoholikern  eine  multiple 
Neuritis  ohne  psychotische  Erscheinungen.  Auf  der  anderen 
Seite  scheint  das  Korsakowsche  Syndrom  ohne  gleichzeitig 
bestehende  Polyneuritis  gar  nur  vereinzelt  zur  Beobachtung 
gekommen  zu  sein.  Wir  sehen  dabei  natürlich  von  jenen  Fällen 
ab,  wo  man  nur  äusserlich,  formell  ähnliche  psychische  Störungen 
bei  anderen  Krankheitszuständen,  so  nach  Schädeltraumen, 
bei  Hysterie,  progressiver  Paralyse,  seniler  Demenz  beschrieben 
hat.  Im  Folgenden  werde  ich  mir  erlauben,  über  einen  Casus 
von  isolirt  für  sich  bestehender,  echter  Korsako  w’scher 
Psychose  zu  berichten.  Hier  hat  eine  Schädlichkeit  eingewirkt 
—  Alkohol,  der  die  Geistesstörung  sowohl,  wie  auch  Poly¬ 
neuritis  verursachen  konnte,  wo  aber  nur  die  Psychose  klinisch 
nachweisbar  geworden  ist.  Unser  Patient  darf  ein  gewisses 
Interesse  für  sich  vielleicht  auch  insoferne  beanspruchen,  als 
das  Korsako  w’sche  Syndrom  aus  einem  typischen  Delirium 
alkoholicum  heraus  sich  entwickelte;  hauptsächlich  aber  mag 
die  Mittheilung  der  Krankengeschichte  dadurch  gerechtfertigt 
sein,  dass  im  Beginne  des  Leidens  schwere  somatische 
Störungen  Vorlagen,  die  zum  Theile  schon  von  Korsakow 
als  Complicationen  seines  Symptomenbildes  gestreift  wurden, 
die  aber  in  unserem  Falle,  für  sich  gefasst,  die  anatomische 
Diagnose  einer  Polioencephalitis  superior  acuta  nahelegten:  Es 
handelt  sich  also  um  eine  ganz  eigenartige  Combination  von 
krankhaften  Erscheinungen,  und  ich  konnte  in  der  ganzen  mir 
zugänglichen  Literatur  zwar  eine  oder  die  andere  ähnliche 
Beobachtung,  aber  keinen  einzigen  völlig  gleichen  Fall  aus¬ 
findig  machen. 

Unsere  Krankengeschichte  enthält  im  Wesentlichen  Fol¬ 
gendes: 

F.  R,  37  Jahre  alt,  verheiratet,  Etuimachermeister,  wird  am 
3.  Juli  1899  um  7  Uhr  Abends  an  die  Klinik  gebracht. 

Der  Vater  des  Patienten  war  Arthritiker;  sonst  liegt  keine 
erbliche  Belastung  vor.  Patient  selbst,  nie  criminell,  be¬ 
findet  sich  jetzt  zum  ersten  Male  in  irrenärztlicher  Behandlung. 
Ausser  einem  juckenden,  ohne  Behandlung  rasch  vorübergegangenen 
llautausschlage,  sowie  einer  Gonorrhoe  war  Patient  nie  krank;  spe- 
ciell  findet  sich  für  Lues  kein  Anhaltspunkt.  Vor  zwölf  und  vor 
acht  Jahren  hatte  je  ein  Schädeltrauma  stattgefunden,  doch  ohne 
Bewusstlosigkeit  und  ohne  sonstige  unmittelbare  Folgeerscheinungen. 
Im  Alter  von  20  Jahren  begann  Patient  geistige  Getränke  zu  sich 
zu  nehmen;  er  consumirte  durchschnittlich  pro  Tag  1 J/2  /  Wein; 

!  seit  vier  Jahren  trinkt  er  auch  Schnaps,  täglich  für  circa  30  h  Rum, 


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manch  mal  auch  mehr,  natürlich  nur  wegen  Unannehmlichkeiten  im 
Geschäfte.  Patient  ist  seit  elf  Jahren  verheiratet.  Zu  Beginn  der 
Ehe  abortirte  die  Frau  zweimal,  dann  brachte  sie  noch  zehn 
Kinder  zur  Welt,  von  denen  sechs  in  frühester  Kindheit  starben; 
von  den  lebenden  hatten  zwei  die  Fraisen,  zwei  Kinder  sind 
nervös«.  Seit  einem  Jahre  klagt  Patient  über  heftige  Kopfschmerzen, 
vorwiegend  im  Hinterkopfe  localisirt;  seit  zwei  Monaten  besteht 
Vomitus  matutinus,  sowie  stark  gestörter  Schlaf;  Schwindel  soll  nie 
aufgetreten  sein.  Im  Herbst  1897  bekam  Patient  einen  heftigen, 
angeblich  über  eine  Stunde  währenden,  als  epileptischen  beschriebenen 
Anfall,  der  von  Schielen,  von  linksseitiger  Lähmung  und  Sprachverlust 
gefolgt  war.  Diese  Erscheinungen  gingen  indessen  schnell  zurück. 
Je  ein  ähnlicher  Anfall  wiederholte  sich  vor  zwei  Monaten,  sowie 
am  Tage  seiner  Einbringung  in  die  Anstalt.  Irgendwelche  intellectuelle 
Abschwächung  wurde  an  dem  Patienten  nicht  bemerkt;  seinem 
Berufe  ging  er  bis  unmittelbar  vor  seiner  jetzigen  Erkrankung  nach. 
Dieselbe  setzte  acut  mit  dem  schon  erwähnten  epileptiformen  An¬ 
falle  ein;  der  Umgehung  fiel  das  Schielen  des  Patienten  auf;  und 
das  gleichzeitig  ausbrechende  Delirium  gab  die  Veranlassung  zu 
seiner  Internirung. 

3.  Juli,  Abends.  Patient  ist  örtlich  und  zeitlich  desorientirt, 
glaubt  sich  in  seiner  Werkstatt  und  will  arbeiten.  Nebstbei  zeigt 
er  grosse  Angst,  sucht  und  greift  herum,  behauptet  Katzen,  Hunde 
und  Spinnen  zu  sehen.  Patient  ist  wegen  hochgradiger  motorischer 
Unruhe  nicht  zu  untersuchen.  Puls  von  guter  Qualität;  Temperatur 
36'8;  Gewicht  54%. 

4.  Juli.  Patient  verbrachte  die  Nacht  vollkommen  schlaflos 
in  lebhaften  Beschäfligungsdelirien.  Tagsüber  dauert  die  motorische 
Unruhe  fort,  ebenso  das  Beschäftigungsdelir.  Patient  verkennt 
seine  Umgebung;  er  ist  örtlich,  sowie  zeitlich  nicht  orientirt. 
Der  rechte  Bulbus  scheint  in  Mittelstellung  fest- 
zustehe n,  wird  nicht  beweg  t,  so  weit  sich  dies  bei  dem 
deliranten  Zustande  des  Kranken  constatiren  lässt. 

5.  Juli.  Nachts  vollkommen  schlaflos;  Patient  arbeitet  im 
Schweisse  seines  Angesichtes  und  führt  die  Bewegungen  eines  Etui¬ 
machers  aus.  Heute  Früh  ist  auf  der  rechten  Seite  nur  mehr 
eine  A  h  d  u  c  e ns  1  ä  h  in  u  n  g  festzustellen;  dieselbe  besteht  auch 
linkerseits.  Mittags  wird  Patient  ruhig,  beginnt  zu  schlafen. 
Abends:  Patient  klar,  gibt  formell  correcle  Antworten,  ist  örtlich 
orientirt.  Er  weiss,  dass  er  in  der  Irrenanstalt  sich  befindet,  be¬ 
hauptet  aber,  dieselbe  auf  Anrathen  eines  Arztes  aufge- 
suchf  zu  haben.  Er  gibt  sein  Alter  fälschlich  mit  32  Jahren,  sein 
Geburtsjahr  aber  richtig  (1862)  an.  Auf  die  Frage,  welches  Jahr 
wir  jetzt  haben,  behauptet  er  1897,  auf  Vorhalt  räumt  er  die 
Möglichkeit  von  1898  ein;  er  leugnet  aber  entschieden,  dass  es 
1899  sein  könne.  Er  glaubt,  wir  hätten  jetzt  den  Monat  März; 
er  gibt  schliesslich  den  Juni  zu,  wehrt  sich  aber  dagegen, 
dass  es  Juli  sein  könne.  Schliesslich  präcisirt  er  das  heutige  Datum 
als  den  17.  Juni.  Der  Patient  erinnert  sich  gut  seiner  Kinderjahre, 
erzählt,  dass  er  fünf  Volksschul classen  besuchte,  ja  er  kann  die 
vier  Namen  seiner  damaligen  Lehrer  nennen.  Die  Abducenslähmung, 
das  Doppeltsehen  bestehe  erst  seit  einigen  Tagen.  Rechenproben: 
7X8  =  5(5;  18  -f-  22  =  60,  corrigirt  sofort  30;  12X1-2  =  64, 
84  endlich  96.  Keine  Sprachstörung. 

Status  somaticus:  Patient  ist  klein,  von  kräftigem 
Knochenbau,  sehr  schlecht  genährt,  von  blasser,  fahler  Hautfarbe. 
In  der  linken  Ellenbeuge  findet  sich  eine  kleine  Tätowirung:  F.  B. 

Patient  oxycephal,  zeigt  eine  Andeutung  von  Hinterhaupt¬ 
stufe.  Sein  Schädelumfang  beträgt  530 mm-,  der  Dm.  fronlo-occip. 
182 mm:  der  Dm.  bitemp.  147?«?».  Ueber  dem  rechten  Scheitel¬ 
bein  sitzt  eine  kleine,  nicht  druckempfindliche,  verschiebliche 
Hautnarbe. 

Beide  Hornhäute  stehen  nahe  dem  inneren  Augenwinkel; 
beide  Muse,  recti  ex  tern  i  sind  g  e  1  ä  h  m  t.  Bei  dem  Versuche 
einer  Seitwärtsbewegung  der  Bulbi  tritt  lebhafter  Nystagmus 
auf.  Die  übrigen  Augenbewegungen  scheinen  frei;  es  besteht  keine 
Ptosis.  Die  Pupillen  sind  wegen  Atropinisirung  nicht  zu  prüfen. 
Rechts  ist  die  Sehschärfe  etwas  herabgesetzt.  Der  ophthalmoskopi¬ 
sche  Befund  lautet:  Rechte  Papille  deutlich  blässer,  die  linke 
normal. 

Der  Gaumen  des  Patienten  ist  breit,  mit  Andeutung  von 
Torus;  die  Zähne  sind  defect;  die  Zunge  belegt,  stark  zitternd,  wird 
gerade  vorgestreckt. 


Der  Thorax  erscheint  flach,  lieber  beiden  Lungen  sind 
spärliche  Rhonchi  zu  hören.  Der  erste  Herzton  klingt  etwas  unrein. 
Der  Puls  des  Patienten  ist  langsam,  regelmässig  und  von  guter 
Qualität. 

Das  etwas  aufgetriebene  Abdomen  ist  nicht  druckschmerzhaft, 
lässt  nichts  Pathologisches  auffinden. 

Die  allgemeine  Sensibilität  erweist  sich  überall  als  intact,  eher 
eine  Spur  gesteigert.  Die  grobe  motorische  Kraft  entspricht  der 
Musculalur  des  Patienten.  Neben  starken  Tremores  und  Ungeschick¬ 
lichkeit  der  oberen  besteht  Ataxie  der  unteren  Extremitäten.  Pa¬ 
tient  kann  sich  kaum  auf  den  Füssen  halten,  er  taumelt  und 
schwankt  schon  mit  offenen  Augen,  droht  nach  hinten  zu  fallen, 
ist  völlig  ausser  Stande,  rückwärts  zu  gehen.  Die  Nerven- 
s  t  ä  m  m  e,  sowie  die  Muskeln  sind  n  i  r  g  e  n  d  s  d  r  u  c  k  e  m  p  f  i  n  d- 
lieh;  spontane  Schmerzen  werden  ebenfalls  nicht  angegeben;  es 
bestehen  keine  Parästhesien.  Haut-  und  Sehnenreflexe  sind  vor¬ 
handen;  die  Patellarsehnenreflexe  sogar  1  e b ha f t,  mit  An¬ 
deutung  von  Klon us,  sind  beiderseits  gleich. 

Temperatur  normal,  keine  Oedeme. 

Harn:  hochgestellt,  leicht  getrübt;  speeifisches  Gewicht  1025; 
von  saurer  Reaction;  enthält  Spuren  von  Eiweiss,  reichlich 

Aceton. 

6.  Juli,  Nachts.  Patient  delirirt  wiederum  lebhaft,  ver¬ 

fertigt  Etuis. 

Tagsüber  ist  der  Kranke  desorientirt;  er  glaubt  sich  in 
Mödling  bei  seinem  früheren  Herrn,  er  verkennt  die  Personen 

seiner  Umgebung,  lässt  sich  nicht  corrigiren.  Auf  die  Frage,  wo  er 
gestern  war,  antwortet  er:  »Nirgends«.  Spontan  klagt  er  über 

Schmerzen  im  Hinterkopfe,  auch  besteht  Klopfempfindlichkeit 
der  Schädelknochen. 

7.  Juli  Nachts  hat  Patient  geschlafen;  er  beginnt  sich  zu 
klären. 

8.  Juli.  Patient  ist  wohl  örtlich,  aber  nicht  zeitlich  orientirt. 
Im  Harne  sind  keine  pathologischen  Bestandtheile  mehr  nachzu¬ 
weisen. 

9.  Juli.  Auf  eine  Frage  erzählt  Patient  bei  der  Morgenvisite, 
dass  er  gestern  zu  Hause  gewesen  wäre  bei  seiner  Mutter;  ebenso 
heute  Vormittags  (!).  Er  habe  sie  nicht  angetroffen  und  sei  darum 
wieder  umgekehrt.  Der  Patient  erscheint  örtlich  orientirt,  zeitlich 
gar  nicht.  Er  meint,  es  sei  jetzt  Mai  1889  oder  1898. 

10.  Juli.  Patient  hat  vollkommen  vergessen,  was  er  dem 
Arzte  gestern  erzählte.  Erst  auf  wiederholten  Vorhalt  beginnt  er 
eine  ähnliche  Erzählung,  die  er  mit  neuen  Details  ausschmückt. 
Er  zeigt  die  Thüre,  durch  welche  er  die  Abtheilung  verlassen  zu 
haben  meint  und  behauptet,  er  sei  sofort  am  Gürtel  gewesen,  dann 
zu  Fuss  weiter  gegangen.  Um  das  Datum  befragt,  erwidert  er: 
Mai  1898.  —  Man  sieht  einen  leichten  Intentionstremor  der  Lippen 
beim  Sprechen.  Die  beiderseitige  Abducenslähmung  besteht  unver¬ 
ändert  fort.  Die  rechte  Pupille  ist  stecknadelkopf¬ 
gross,  enger  als  die  linke,  reagirt  weder  auf  Belichtung,  noch 
auf  Accommodation  und  Convergenz.  Das  R  o  m  her  g’sclie  Symptom 
ist  nur  mehr  angedeutet. 

11.  Juli.  Patient  producirt  massenhaft  confuse  Erinnerungs¬ 
fälschungen,  bei  denen  er  sich  in  zahlreiche  grobe  Widersprüche 
verwickelt,  ohne  derselben  gewahr  zu  werden.  Er  sei  auch 
gestern  ausserhalb  der  Anstalt  gewesen,  habe  draussen  geschlafen; 
seine  Frau  sei  hier  gewesen  (unwahr!).  Ueber  die  anwesenden 
Personen  scheint  Patient  ungefähr  im  Klaren,  wenn  er  auch  keinen 
einzigen  Namen  nennen  kann.  Zeitlich  ist  er  immer  noch  völlig 
desorientirt.  Er  erzählt  dann  weiter,  dass  er  heute  Vormittags  im 
Allgemeinen  Krankenhause  spazieren  war  und  dass  er  von  seiner 
Schwester  begleitet  wurde.  — -  Die  Patellarsehnenreflexe  sind  noch 
immer  gesteigert,  beiderseits  gleich.  Es  lassen  sich  keine  Sensibilitäts- 
störungen  auffinden;  weder  Nervenstämme  noch  Muskeln  sind  auf 
Druck  schmerzhaft. 

14.  Juli.  Die  Parese  der  Muse,  recti  externi  ist  in  allmäligem 
Rückgänge  begriffen.  Doppelbilder  sind  nur  bei  besonderer  Versuchs¬ 
anordnung  zu  erzielen.  Der  Patient  lebt  noch  immer  auf  Kriegslüss 
mit  der  Zeitrechnung;  er  ist  sehr  vergesslich,  weiss  nicht,  dass  und 
was  er  Mittags  gegessen  hat. 

18.  Juli.  Die  A  bducensläh  in  u  n  g  ist  f  a  st  voll¬ 
ständig  zu  rück  gegangen;  bei  Seitwärtswendung  des  Auges 
tritt  aber  lebhafter  Nystagmus  horizonfalis  auf.  Die  Ataxie 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  11:00 


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erscheint  wesentlich  gebessert,  nur  mehr  angedeutet.  Das  Hom- 
berg'sche  Symptom  ist  verschwunden.  Die  rechte  Pupille, 
immer  enger  als  die  linke,  reagirt  auf  Belichtung  kaum  wahr¬ 
nehmbar,  besser  auf  Accommodation  und  Convergenz. 

Patient  producirt  fortgesetzt  Erinnerungsfälschungen  trivialen 
Inhaltes,  die  in  ihren  Details  stark  wechseln  und  sich  vielfach 
widersprechen.  Er  ist  zeitlich  noch  immer  völlig  desorientirt. 

20.  Juli.  Patient  erholt  sich  körperlich  zusehends,  verlässt 
das  Bett. 

1.  August.  Gewicht  63  kg. 

5.  August.  Der  Patel larsehnenreflex  ist  andauernd  lebhaft; 
Nervenstämme  und  Muskeln  sind  gegen  Druck  nicht  empfindlich. 
Der  starke  Nystagmus  bei  Seitwärtsbewegung  des  Auges  besteht 
fori,  auch  die  Pupillenstörungen  sind  unverändert. 

9.  August.  Der  Patient  erscheint  seit  einigen  Tagen  psychisch 
gebessert;  er  versucht  sich  zeitlich  zu  orientiren;  er  kennt  einzelne 
Wärter  mit  Namen.  Der  Kranke  beginnt  auch  die  früheren  Erin- 
nerungsläuschungen  zu  corrigiren,  soweit  sie  seine  angeblichen  Be¬ 
suche  bei  Mutter  und  Schwester  betreffen.  Er  sagt:  »Ich  denke, 
dass  ich  das  geträumt  habe.«  Allerdings  ist  er  in  seinen  Angaben 
noch  schwankend.  Er  gibt  beiläufig  ein  richtiges  Datum  für  seine 
Internirung  an:  aber  er  ist  sich  noch  nicht  klar  über  die  Veran¬ 
lassung  zu  derselben.  An  den  Inhalt  der  Delirien,  mit  denen  seine 
Krankheit  einsetzte,  erinnert  er  sich  absolut  nicht.  -  Die  rechte 
Pupille  reagirt  auf  Belichtung  spurweise,  die  linke  ausgiebig. 

25.  August.  Die  früher  vom  Patienten  producirten  Erinnerungs- 
läuschungen  treten  vollkommen  zurück.  Er  erweist  sich  als  ört¬ 
lich  und  zeitlich  orientirt.  Er  corrigirt  ganz  bestimmt  seine  Angabe, 
dass  er  Angehörige  besucht  habe.  Hingegen  fällt  eine  Gedächtniss- 
schwäche  für  Namen  auf.  So  weiss  er  den  Namen  seines  jetzigen 
Tract  Wärters  nicht  anzugeben;  er  muss  sich  lange  besinnen  auf  den 
Namen  des  früheren,  den  er  doch  durch  sechs  Wochen  täglich 
hörte-;  auch  die  Namen  der  Aerzte  sind  ihm  nicht  geläufig.  Neu- 
ritische  Erscheinungen  lassen  sich  nicht  auffinden. 

1 .  September.  Patient  zeigt  Krankheitseinsicht  und  vermag  schon 
Angaben  über  seinDelirium  zu  machen.  Am  2.  Juli  will  er  »Viecher«  ge¬ 
sehen  haben,  und  zwar  Schildkröten,  Eidechsen,  Schlangen;  er  habe 
darum  Alles  alarmirt.  Angeblich  wisse  er  auch  von  seinem  Trans¬ 
port  in  die  Irrenanstalt;  doch  erinnert  er  sich  nicht,  dass  er  hier 
im  Gitterbette  lag:  auch  von  seinem  Beschäftigungsdelirium  hat  er 
keinerlei  Erinnerung  zurückbehalten.  Der  Patient  kommt  dann 
wieder  ins  Confabuliren  hinein,  indem  er  erzählt,  dass  er  in  einem 
offenen  Bette  gelegen  sei;  dass  er  nach  zwei  Tagen  schon  spaziren 
ging,  da  er  glaubt,  nur  zwei  Tage  krank  gewesen  zu  sein.  Ebenso 
ist  es  eine  Erinnerungsfälschung,  wenn  er  behauptet,  immer  Krank¬ 
beilsbewusstsein  gehabt  zu  haben.  Er  erklärt  viele  seiner  Angaben 
als  durch  Träume  veranlasst;  es  habe  ihm  des  Nachts  geträumt, 
dass  er  zu  seinen  Leuten  hina'usging. 

Gewicht  63'5ä*7. 

19.  September.  Patient  ist  leidlich  orientirt;  er  weiss,  dass  er 
am  3.  Juli  in  die  Anstalt  kam;  hingegen  hat  er  noch  keine  Er¬ 
innerung  an  seine  Thätigkeit  im  Delirium. 

1.  October.  Gewicht  63  7  h<j. 

(S.  October.  Bei  der  heutigen  ausführlichen  Untersuchung  er¬ 
scheint  Patient  zeitlich  und  örtlich  orientirt,  vollständig  klar.  Die 
Intelligenzprüfung  ergibt  keine  wesentlichen  Defecte;  er  multiplicirt 
im  kleinen  Einmaleins  vollständig  prompt,  auch  mit  grösseren 
Zahlen:  11  X  1*2  =  132:  dabei  unterlaufene  Fehler  corrigirt  er 
sofort:  schriftliche  Multiplicationen  führt  er  ohne  langes  Besinnen 
und  ohne  den  geringsten  Fehler  aus;  er  addirt  ebenso  prompt 
(27  -}-  28  =  f>5);  er  weiss  die  Nummern  der  Bezirke  Wiens  auch 
der  neueren  neun,  sofort  anzugeben;  er  registrirt  ganz  richtig 
die  empfangenen  Besuche  seitens  seiner  Schwester,  sowie  seiner 
Frau;  er  erinnert  sich  auch,  früher  falsche  Angaben  über  Besuche 
und  Ausgänge  aus  der  Anstalt  gemach I  zu  haben.  Patient  weiss 
hiel'ür  keine  Erklärung  und  nimmt  an,  dass  ihm  derlei  geträumt 
habe.  I  ober  seine  Umgebung  ist  er  vollständig  orientirt;  er  weiss 
die  Namen  der  Wartepersonen,  einzelner  Mitpatienten;  immerhin 
fällt  es  auf,  dass  er  sich  auf  manchen  Namen  erst  besinnen  muss; 
er  selbst  ist  sich  dessen  auch  bewusst.  Patient  hat  Krankheitseinsicht; 
er  hat  eine  auffällig  gute  Erinnerung  für  die  seinerzeitigen  Thier- 
hallucinationen,  wohl  in  Folge  der  wiederholten  Besprechungen.  An 
-eine  Beschäftigungsdelirien  erinnert  er  sich  gar  nicht,  doch  weiss 


er,  dass  der  Arzt  ihm  davon  Mittheilung  gemacht  hat.  Einsicht 
für  das  Krankhafte  seiner  Erinnerungsläuschungen  habe  er  vor  circa 
acht  Tagen  gewonnen,  um  welche  Zeit  er  sich  mit  seiner  Frau 
diesbezüglich  auseinandergesetzt  habe.  Patient  gibt  ferner  an,  dass 
er  schon  seit  frühester  Kindheit,  besonders  nach  Anstrengung  der 
Augen,  und  dann  immer  nur  für  kurze  Zeit  doppelt  gesehen  habe: 
erst  seit  er  mehr  zu  trinken  anfieng,  trat  auch  diese  Erscheinung 
stärker  hervor.  Patient  behauptet,  jedes  Mal  nach  starkem  Trinken 
ausgeprägt  doppelt  gesehen  zu  haben;  angeblich  schwand  dies 
immer,  wenn  er  den  Rausch  ausgeschlafen  hatte.  So  lange,  wie 
bei  seiner  diesmaligen  Erkrankung  habe  das  Doppeltsehen  nie 
angehalten. 

Eine  neuerliche  genaue  körperliche  Untersuchung  des  Patienten 
ergibt  im  Wesentlichen  Folgendes:  Es  besteht  noch  immer  ein 
starker  Nystagmus  horizontalis  bei  Seitwärtswendung  der  Augen, 
sowohl  rechts  als  links;  bei  extremer  Blickrichtung  der  Augen  nach 
rechts  treten  Doppelbilder  auf.  Das  rechte  Auge  bleibt  bei  der  Be¬ 
wegung  nach  rechts  etwas  zurück,  der  Hornhautrand  erreicht  den 
äusseren  Winkel  nicht.  Die  Pupillen  sind  ungleich  weit,  die  rechte 
kleiner  als  die  linke.  Rechts  ist  die  Lichtreaction  direct  nur  spurweise 
zu  erhalten,  etwas  deutlicher  ist  die  eonsensuelle  Reaction.  Die  linke 
Pupille  hingegen  reagirt  prompt,  sowohl  direct  wie  consensuell. 
Die  accommodative  Reaction  ist  beiderseits  prompt,  die  Sehmerz- 
reaction  links  ausgeprägter  wie  rechts,  wo  sie  zweifelhaft 
bleibt.  Die  Nervenstämme  sind  nirgends  druckempfindlich.  Die 
motorische  Kraft  sämmtlicher  Extremitäten  entspricht  der  Ent¬ 
wicklung  der  Musculatur;  nirgends  finden  sich  Irophisehe  oder 
vasomotorische  Störungen.  Die  oberflächlichen,  sowie  die  liefen 
Reflexe  sind  sämmtlich  etwas  gesteigert.  Ein  Sensibililätsdefect  ist 
auch  bei  genauer  Prüfung  nirgends  nachweisbar.  Die  Pulsfrequenz 
beträgt  gegenwärtig  90. 

1.  November.  Gewicht: .  64  hg. 

15.  November.  Patient  erscheint  vollkommen  geordnet;  er  be¬ 
schäftigt  sich  auf  der  Abtheilung;  drängt  nicht  hinaus. 

1.  December.  Gewicht  64‘5  leg. 

12.  December.  Die  Pupillen  sind  beiderseits  gleich, 
mittelweit,  reagiren  auf  Belichtung;  immerhin  reagirt  die  rechte 
Pupille  auf  Lichteinfall  träger  als  synergisch  mit  Accommodation  und 
Convergenz.  Auch  consensuell  reagirt  die  rechte  Pupille  weniger  aus¬ 
giebig  bei  Belichtung  und  Beschattung  des  linken  Auges  als  die 
linke  Pupille  reagirt.  Bei  maximal  intendirter  Seitwärtsbewegung 
der  Augen  erreicht  der  Gornealrand  des  rechten  Bulbus  den 
äusseren  Augenwinkel  nicht.  Die  dabei  auftretenden  nystagmischen 
Zuckungen  steigern  sich  bald  in  ihrer  Intensität.  Die  Nervenstämme 
sind  nirgends  druckschmerzhaft.  Die  Sehnenreflexe  erweisen  sich 
sämmtlich  als  lebhaft.  Im  psychischen  Verhalten  des  Patienten  ist 
keine  wesentliche  Aenderung  mehr  zu  verzeichnen.  Es  besieht  an¬ 
dauernd  ein  leichter  Gedächtnissdefect,  der  namentlich  dann  mani¬ 
fest  wird,  wenn  man  den  Kranken  um  Namen  fragt.  Er  ist  noch 
immer  ausser  Stande,  seine  Mitpatienten  aus  dem  Gedächtnisse  der 
Reihe  nach  aufzuzählen.  Heute  gelingt  es,  nach  längerer  Zeit  auch 
wieder  einmal  eine  Erinnerungsfälschung  nachzuweisen.  Abends  ge¬ 
fragt,  was  er  denn  zu  Mittag  gegessen  habe,  macht  Patient  eine 
unrichtige  Angabe. 

1.  Januar  1900.  Gewicht:  6  4 ’5%. 

Patient  der  sich  körperlich  ausserordentlich  erholt  hat,  ist 
auch  geistig  regsamer  geworden.  Sein  Zustand  ist  ein  derartiger, 
dass  er  über  Wunsch  der  Angehörigen  sofort  entlassen  werden 
könnte  und  gewiss  im  Stande  wäre,  den  Betrieb  seiner  Werkstatt 
wieder  aufzunehmen.  Wir  dürfen  von  einer  fast  völligen  Heilung 
sprechen. 

Wir  haben  also  einen  Mann  vor  uns,  der  nach  jahre¬ 
langem.  schwerem  Abusus  spirituosorum,  gleichzeitig  mit  dem 
Ausbruche  eines  Delirium  alkoholicüm,  von  localisirten  und 
allgemeinen  somatischen  Störungen  befallen  wird.  Es  tritt  ganz 
acut  am  rechten  Auge  dieses  Mannes  eine  Ophthalmoplegia 
externa  et  interna  ein,  deren  erstere  binnen  24  Stunden  bis 
auf  eine  Abducenslähmung  sich  rückbildet.  Letztere  bestellt 
von  Anfang  an  auch  am  linken  Auge,  und  diese  beiderseitige 
Abducensparalyse  dauert  durch  längere  Zeit  an;  sie  bessert 
sich  nur  sehr  allmälig  und  ist  in  ihren  Residuen  selbst  sechs 
Monate  später  an  dem  Kranken  noch  nachweisbar.  Dass  es 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  lfcOO. 


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sich  liier  um  einen  nuclearen  Sitz  der  Störung,  richtiger  aus¬ 
gedrückt,  um  die  Localisation  eines  Krankheitsherdes  in  der 
nächsten  Umgebung  der  Augenmuskelkerne  handelt,  ist  wohl 
unbezweifelbar  und  fast  schon  durch  die  Art  der  Ausfalls¬ 
erscheinungen  bewiesen:  Es  bestand  nämlich  durch  einige  Zeit 
Miosis  bei  Lähmung  des  Sphincter  iridis;  ebenso  konnten  wir 
anfangs  retiectorische  Pupillenstarre  nachweisen  und  später 
noch  constatiren,  dass  die  Pupillenverengerung  auf  Belichtung 
träger  und  unausgiebiger  erfolgte,  als  bei  Accommodations- 
anspannung  und  Cmivergenzstellung  der  Bulbusachsen.  —  Diese 
Affection  des  centralen  Höhlengraues  im  Niveau  der  Augen- 
muskelkernc  hat  nun  eingesetzt  unter  bedrohlichen  Allgemein¬ 
ei  scheinungen.  Wir  erfahren  von  einem  epileptiformen  Anfalle, 
von  heftigen  Hinterkopfschmerzen;  wir  sehen  eine  schwere 
Trübung  des  Bewusstseins,  die  allerdings  auch  auf  das  Delirium 
alkoholicum  bezogen  werden  kann.  Sowie  es  möglich  war,  den 
Patienten  körperlich  zu  untersuchen,  fanden  wir  Klopfempfind¬ 
lichkeit  der  Schädelknochen,  hochgradige  Gleichgewichtsstörung 
mit  der  Neigung,  nach  rückwärts  zu  fallen,  Steigerung  der 
Patellarsehnenrefh  xe.  ln  einem  gewissen  Gegensätze  zu  den 
schweren  Allgemeinerscheinungen,  die  der  Patient  anfangs 
darbot,  ist  sein  Puls  stets  langsam,  regelmässig  und  von  guter 
Qualität,  die  Körpertemperatur  nicht  erhöht;  der  Krankheits- 
proeess  endet  in  Genesung. 

Wie  können  wir  nun  die  eingangs  erwähnte  Diagnose 
auf  Polioencephalitis  superior  acuta  rechtfertigen,  da  doch  das 
eben  skizzirte  Symptomenbild  in  einigen,  anscheinend  wesent¬ 
lichen  Zügen  von  demjenigen  abweicht,  das  Wernicke'2) 
seinerzeit  aufgestellt  hat.  Nach  diesem  Autor  sollte  die  in  Rede 
stehende  Erkrankung  binnen  10  — 14  Tagen  zum  Tode  führen. 
Die  Herdsymptome  beständen  in  nssociirten  Augenmuskel¬ 
lähmungen,  die  rasch  entstehen,  fortschreiten  und  schliesslich 
zu  einer  fast  totalen  Lähmung  der  Augenmusculatur  führen 
sollten;  ausgenommen  von  dieser  Lähmung  blieben  der  Sphincter 
iridis,  der  Levator  palpebrarum.  Der  Gang  der  Kranken  werde 
taumelnd  und  zeige  eine  Combination  von  Steifheit  mit  Ataxie; 
das  Bewusstsein  sei  dabei  in  verschiedener  Weise  gestört. 
Ausserdem  fanden  sich  in  den  drei  Fällen  W  e  r  n  i  c  k  e’s  ent¬ 
zündliche  Veränderungen  der  Sehnervenpapilien.  Als  .ätio¬ 
logisches  Moment  komme  vor  All  m  Alkoholismus  chronicus, 
d.  h.  wohl  die  chronische  Intoxication  in  Folge  des  langjährigen 
übermässigen  Alkoholgenusses  in  Betracht. 

Dieses  von  Wernicke  aufgestellte  Krankheitsbild  er¬ 
füll  r  nun  durch  spätere  Beobachtungen  recht  zahlreiche  Modi- 
ficationen.  Ersteus  Ihezüglich  der  Prognose.  Die  Polioencepha¬ 
litis  superior  acuta  führt  durchaus  nicht  immer  zum  Tode;  es 
findet  sich  bereits  eine,  freilich  kleine  Anzahl  geheilter  re¬ 
spective  gebesserter  Fälle  in  der  Literatur  verzeichnet,  so  je  ein 
Patient  von  T  homse  n:i),  Salomonsoh  n4),  Boedecke  r5), 
S  u  c  k  1  i  n  gc),  W  i  e  n  e  r7),  Mura  wieff8),  T  o  m  a  s  i  n  i 9), 
Linsmeyer10).  Ich  möchte  mir  erlauben,  in  parenthesi  zu 
bemerken,  dass  diese  Liste  gewiss  nicht  vollständig  ist;  sie  um¬ 
fasst  nur  die  diagnosticirten,  ausgesprochenen  Fälle  von  acuter 
Polioencephalitis  superior.  Wie  wir  gelegentlich  der  noch  zu 
besprechenden  Differentialdiagnose  unseres  Krankheitsbildes 
zu  berühren  Gelegenheit  haben  werden,  können  die  Symptome 
der  Polioencephalitis  weniger  ausgesprochen  sein;  die  Krank¬ 
heit  kann  gewissermassen  ganz  rudimentär  auftreten,  so  dass 
sie  durch  eine  die  Scene  beherrschende  Polyneuritis  vollkommen 
verdeckt  wird.  Da;s  nun  gerade  solche  wenig  entwickelte, 
leichte,  nicht  diagnosticirbare  Fälle  von  Po  ioencephalitis  häutig 
zur  Heilung  kommen  mögen,  ist  a  priori  recht  wahrscheinlich. 
Doch  kehren  wir  zu  dem  Bilde  der  typischen  Polioencephalitis 
zurück. 

Alle  Autoren,  die  ich  eben  nannte,  sowie  andere,  welche 
über  letal  ausgehende  und  durch  Obduction  verificirte  Fälle 
berichten  (von  Aelteren  z.  B.  T  homsen1 '),  K  o  j  ewniko  w l2), 
.1  acobäus13)  u.  A.),  wissen  von  den  Variationen  im  Bilde  der  in 
Rede  stehenden  Krankheit  zu  erzählen.  Zur  Vereinfachung 
der  Sachlage  möchte  ich  mich,  in  Beschränkung  auf  meine 
casuistisehe  Miltheilung,  Boedecke  r  anschliessen,  der  unter 
allen  bis  dahin  bekannten  Fällen  von  acuter  Polioencephalitis 
superior  die  bei  Alkoholikern  auftretenden  heraushebt,  als 


völlig  gleichartig  erkennt  und  zusammenfasst.  In  den  Rahmen 
des  von  diesem  Autor  umschriebenen  Krankheitsbildes  passt 
nun  unser  Patient  vollkommen  hinein,  wie  die  folgende  Dar¬ 
legung  beweisen  soll. 

Wir  erfahren  zunächst,  dass  dem  Ausbruche  der  Polio¬ 
encephalitis  superior  acuta  in  der  Regel  längere  Zeit,  durch 
Wochen,  selbst  Jahre  Prodromalerscheinungen  vorausgehen, 
am  häufigsten  Kopfschmerzen  —  dieselben  finden  sich  auch 
in  der  Anamnese  unseres  Patienten  verzeichnet.  Gleichzeitig 
mit  der  Polioencephalitis  setzt  gewöhnlich  ein  Delirium  vom 
Charakter  des  alkoholischen  ein,  oder  steigert  sich  ein  schon 
bestehendes.  Es  kommt  dann  im  schlimmsten  Falle  zu  einer 
Fixirung  beider  Augäpfel,  sonst  nur  zu  Lähmung  einiger 
Augenmuskeln,  die  recht  verschieden  und  auf  beiden  Seiten 
ungleich  sein  kann.  Geradezu  selten  werden  die  associirten 
Augenbewegungen  aufgehoben;  in  den  meisten  Fällen  sind 
vorwiegend,  wie  auch  bei  unserem  Patienten,  die  beiden  Ab- 
ducentes  betroffen.  Ganz  besonders  charakteristisch  sind  ferner 
die  an  Nystagmus  erinnernden  Zuckungen  bei  dem  Versuche, 
den  Bulbus  in  einer  dem  gelähmten  Muskel  entsprechenden 
Richtung  zu  bewegen.  Ebenso  regelmässig  finden  sich  auch 
Pupillenstörungen  in  den  Fällen  der  Literatur  angeführt,  so 
Pupilh  ndifferenz,  retiectorische  Starre  der  Pupillen,  Miosis.  Die 
Patellarreflexe  sind  lebhaft  gesteigert.  Von  Allgemeiner¬ 
scheinungen  wird  die  hochgradige  Ernährungsstörung  hervor¬ 
gehoben.  weiters  das  Taumeln  bei  aufrechtemGange.  Während  des 
ganzen  Verlaufes  der  Erkrankung,  der  nicht  nur  acut,  sondern 
auch  subacut,  ja  chronisch  sein  kann,  erhebt  sich  die  Körper¬ 
temperatur  nicht  über  die  Norm;  auch  Puls  und  Respiration 
bleiben  in  der  Regel  von  normaler  Frequenz.  Das  Krankheits¬ 
bild  unseres  Patienten  deckt  sich  sohin  vollkommen  mit  dem 
Typus  der  bisher  bei  Alkoholikern  beobachteten  Fälle,  und  es 
wird  die  Diagnose  »Polioencephalitis  superior  acuta«  wohl 
zweifellos  berechtigt  erscheinen. 

Unser  Casus  schlicsst  sich  aber  noch  enger  an  die  eine 
Beobachtung  B  o  e  d  e  c  k  e  r’s  an:  auch  dieser  Autor  sah  bei 
seinem  Kranken  aus  dem  Delirium  eine  K  o  r  s  a  k  o  w’sclie  Psy¬ 
chose  sich  entwickeln.  Vielleicht  darf  ich  darum  die  Eigenart 
der  Symp'omengruppirung  in  unserem  Falle  betonen,  in¬ 
sofern  nämlich  unser  Patient  kein  einziges  Anzeichen 
dafür  darbot,  dass  auch  das  periphere  Nervensystem  an  dem 
Krankheitsprocesse  thcilgenommen  habe.  Es  ist  das  Fehlen 
von  Polyneuritis,  das  ich  dem  Patienten  Boedecke  r’s  gegen¬ 
über  hervorheben  will.  Während  der  Kranke  dieses  Autors, 
7.  B.  über  Kreuzschmerzen  klagte,  hochgradige  Schwäche  der 
Beine  aufwies,  auch  eine  auffallende  Pulsbeschleunigung  zeigte 
(Nervus  vagus?),  haben  wir  bei  unserem  Patienten  während 
der  sechsmonatlichen  Beobachtung,  trotz  eigens  darauf  ge¬ 
richteter  Aufmerksamkeit  keinerlei  Symptome  von  Polyneuritis 
klinisch  nachweisen  können,  wie  die  oben  mitgetheilte  Kranken¬ 
geschichte  wohl  zur  Genüge  belegt.  Ein  einziger  Ein  wand 
scheint  möglich.  Vielleicht  Hesse  sich  cm  Tlieil  der  Störun¬ 
gen  in  der  Bewegung  der  Augen  durch  eine  Affection  der 
bezüglichen  Nervenstämme  erklären;  vielleicht  hat  also  eine 
Neuritis  der  beiden  Nervi  abducentes  bestanden?  Es  wäre 
wohl  recht  gezwungen,  einen  ausschliesslich  auf  diese  zwei 
symmetrischen  Nerven  beschränkten  Entzündungsprocess  an¬ 
zunehmen,  während  sonst  im  ganzen  übrigen  peripheren 
Nervensystem  und  namentlich  in  den  sensiblen  Nerven  keine 
neuritischen  Symptome  sich  finden  sollten;  wissen  wir  doch, 
dass  gerade  die  Alkoholneuritis  die  semiblen  Nerven  durchaus 
nicht  verschont.  Es  spricht  aber  die  Grnppirung  der  Lähmungs¬ 
erscheinungen  ebenso  entschieden  gegen  tine  Affection  der 
peripheren  Nerven,  als  das  plötzliche  Einsetzen  der  Störung 
für  einen  centralen  Process,  z.  B.  eine  Hämorrhagie  geltend 
gemacht  werden  kann.  Schlietslich  möchte  ich  mich  auf 
Thomsen11)11)  berufen,  der  in  Fällen  von  typischer  Alkohol¬ 
neuritis  in  Uebereinstimmung  mit  anderen  Autoren  mehr 
weniger  ausgesprochene  Störungen  der  Augenmuskeln  be¬ 
obachtete,  selbst  ein-  und  doppelseitige  Abducensparese,  Ny¬ 
stagmus  in  verschiede  nen  oder  allen  Blickrichtungen:  der  aber 
selbst  in  diesen  Fällen  von  Polyneuritis  die  Störungen  als 
centrale  auffassen  musste,  da  die  Stämme  der  Augenmuskel- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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36 


nerven  und  ihre  Wurzelfasern  bei  der  mikroskopischen  Unter¬ 
suchung  sich  als  gesund  enviesen.  Das  sind  jene  Fälle,  aut 
die  ich  oben  anspielte,  die  in  allmäligen  Uebergängen  bis  zum 
voll  ausgesprochenen  Krankheitsbilde  der  Polioencephalitis 
führen.  Nehmen  wir  z.  B.  aus  der  letztcitirten  Arbeit  Thom- 
s  e  n’s14)  die  dritte  Beobachtung  her.  Wir  sehen  einen  Symptomen- 
complex,  der  vom  klinischen  Standpunkte  durch  die  Diagnose 
»Polyneuritis«  vollkommen  befriedigend  zu  erklären  gewesen, 
bei  dem  man  also  auch,  wenn  Heilung  eingetreten  wäre,  nur 
Polyneuritis  hätte  diagnosticiren  können,  bei  dem  aber  die 
anatomische  Untersuchung  neben  der  Erkrankung  der  peri¬ 
pheren  Nerven  das  Bestehen  einer  hämorrhagischen  Entzündung 
des  centralen  Höhlengraues  in  der  Region  der  Augenmuskel¬ 
kerne.  also  eine  Polioencephalitis  superior  acuta  ergab.  Nicht 
immer  indessen  liegt  diesen  Augenmuskelstörungen  ein  so 
klares  anatomisches  Bild  zu  Grunde;  auch  nach  dem  pathologisch¬ 
anatomischen  Befunde  verliert  sich  das  Bild  der  Polioencephalitis 
ohne  scharfe  Grenzen.  Von  Fällen,  wo  sich  blos  strotzend  ge¬ 
füllte  Capillaren  finden,  gelangen  wir  zu  anderen,  wo  gar 
kein  anatomisches  Substrat  für  die  intra  vitam  bestandene 
Lähmung  zu  sehen  ist,  wo  nicht  nur  die  Augenmuskelnerven, 
sondern  auch  die  Kernzellen  sich  als  intact  erwiesen.  Hier 
muss  man  wohl  eine  functioneile  Schädigung  der  Kernzellen 
durch  das  krankmachende  Agens  annehmen,  wobei  es  noch 
nicht  zur  Ausbildung  sichtbarer,  respective  durch  unsere  Färbe¬ 
methoden  nachweisbarer  Veränderungen  gekommen  ist.  Diese 
Annahme  einer  Toxin  Wirkung,  die  nicht  bis  zur  Ausbildung 
einer  hämorrhagischen  Entzündung  fortschreitet,  wird  sehr 
plausibel  durch  den  Umstand,  dass  man  bekanntlich  bei  den 
Fällen  von  Wurst-,  Fleisch-  und  Fischvergiftungen  häutig 
rasch  wieder  vorübergehende,  also  offenbar  nur  functioneile 
Störungen  der  Augenmuskelkerne  beobachtet  (Cohn,  Lebe  r, 
Guttmann,  Scheby-Buch  u.  A.15).  Um  nun  zu  unserem 
Falle  zurückzukehren,  so  könnten  wir  für  die  flüchtige,  inner¬ 
halb  24  Stunden  verschwundene  Lähmung  der  Muskeln  des 
rechten  Auges  (den  Musculus  rectus  externus  ausgenommen) 
wohl  auch  eine  derartige  Toxinschä  diguug  der  Kernzellen  verant¬ 
wortlich  machen,  wenn  wir  es  nicht  vorziehen  sollten,  an  die  Fern- 
wirkung  von  Hämorrhagien,  die  in  der  nächsten  Umgebung 
der  Zellen  stattgefunden,  zu  appelliren.  Jedenfalls  spricht  Alles, 
das  klinische  Bild  bei  unserem  Patienten,  sowie  die  Beobach¬ 
tungen,  die  wir  in  der  Literatur  niedergelegt  linden,  nur  dafür, 
den  Sitz  der  Störung  in  das  Centralorgan  zu  verlegen;  es 
spricht  Alles  gegen  die  Annahme  einer  peripheren  Neuritis. 

Bezüglich  des  Delirium  alkoholicum,  das  unser  Patient 
durchmachte,  ist  den  Worten  der  Krankengeschichte  nicht  viel 
beizufügen.  Wenn  wir  auch  erfahren,  dass  die  Polioencephalitis 
acuta  an  und  für  sich  mit  gewissen  psychischen  Symptomen 
einhergeht;  wenn  wir  andererseits  wissen,  dass  Alkoholiker  auf 
die  verschiedenartigsten  Störungen  mit  Delirien  reagiren;  so 
war  doch  das  Gesammtbild  unseres  Falles,  sowie  das  der 
meisten  ähnlichen  Fälle  aus  der  Literatur  geradezu  beherrscht 
durch  jenen  Symptomencomplex,  der  das  typische  Delirium 
alkoholicum  cliarakterisirt.  Das  fast  immer  gleichzeitige  Ein¬ 
setzen  von  Polioencephalitis  und  Delirium  alkoholicum  ist  nun 
natürlich  kein  zufälliges  Ereigniss.  Der  chronisch  vergiftete 
Organismus  wartet  nur  auf  eine  Gelegenheitsursache,  und  aus 
dem  gemeinsamen  Boden  brechen  die  ihrem  inneren  Wesen 
nach  verwandten  Processe  hervor.  Warum  natürlich  der  im 
centralen  Höhlengrau  localisirte  Entzündungsvorgang  so  selten 
zu  Stande  hommt,  die  dem  Delirium  hingegen  zu  Grunde  liegende 
dirt  use  Erkrankung  der  Hirnrinde  so  häufig  sich  findet,  darüber 
kann  es  nur  Hypothesen  geben.  Etwas  bestimmter  dürfen  wir 
uns  aber  wohl  über  die  unmittelbare  Krankheitsursache  äussern. 
Auch  bei  unserem  Patienten  ist  über  vorausgehende  Magen- 
und  Darmstörungen  berichtet,  die  Nahrungsaufnahme  war  über¬ 
aus  mangelhaft  geworden.  Auf  der  Grundlage  des  »Säufer¬ 
katarrhs«  ist  es  dann  zu  einer  allgemeinen  Stoff  Wechselstörung 
gekommen;  wir  fanden  einen  in  seiner  Ernährung  aufs  Aeusserste 
herabgekommenen  Mann  vor  uns,  von  fahlem  Colorit;  wir 
sahen  im  Harne  unseres  Patienten  unmittelbar  nach  seiner  Auf¬ 
nahme  als  Indicatoren  der  Auto  Intoxication  Eiweiss  und  Aceton. 
Dieselben  verschwunden  unter  entsprechendem  Regime  binnen 


wenig  Tagen,  der  Ernährungszustand  hob  sich  in  über¬ 
raschender  Weise,  das  Körpergewicht  stieg  um  105 k</.  Die 
vorhandenen  Störungen  waren  also  grösstentheils  noch  aus¬ 
gleichbar.  und  wir  hatten  die  Freude,  einen  überaus  günstigen 
Verlauf  des  Falles  beobachten  zu  können. 

Was  endlich  das  K  o  r  s  a  k  o  w’sche  Syndrom  betrifft, 
das  bei  dem  Patienten  die  Scene  beschloss,  so  entspricht  das¬ 
selbe  völlig  dem  Bilde,  das  ich  eingangs  mit  wenigen  kurzen 
Strichen  skizzirt  habe.  Wir  fanden  nicht  nur  die  Gedächtniss- 
störung,  sondern  auch  recht  zahlreich  Erinnerungstäuschungen. 
Dass  uns  der  Patient  die  Angabe  machte,  es  habe  ihm  jeweils 
geträumt,  was  er  uns  vorerzählte,  dürfte  wohl  nur  ein  verunglückter 
Erklärungsversuch  sein.  Es  ist  ja  kaum  glaublich,  dass  er  in  stereo¬ 
typer  Wiederholung  Nacht  für  Nacht  dieselben  trivialen  Dinge 
geträumt  hätte;  doch  selbst  das  zugegeben,  war  der  Ge- 
dächtnissdefect  unseres  Kranken  für  die  Sinneswahrnehmungen 
des  Wachzustandes  so  ausgesprochen,  dass  er  Träume,  die  ja 
der  Gesunde  kaum  sich  merkt,  schon  gar  nicht  behalten  hätte 
können.  Es  widerspricht  seinem  Erklärungsversuche  weiters 
die  Thatsache,  dass  der  Patient  die  fabulirten  Ereignisse  in 
bestimmte  Tagesstunden  hineinverlegte;  hauptsächlich  aber, 
dass  sich  diese  Erinnerungstäuschungen  provociren  und  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  suggeriren  Hessen.  Wenn  er  übrigens 
ganz  präcise  falsche  Angaben,  z.  B.  über  die  Art  der  Mittags 
genossenen  Speisen  schon  kurze  Zeit  hinterher  macht,  so  sieht 
man  ganz  klar  den  bestehenden  Gedächtnissdefect,  sowie  das 
Einspringen  einer  nicht  an  diese  Stelle  gehörigen  Vorstellung.  — 
Gerade  diese  am  wenigsten  auffallende,  leichte  geistige  Störung 
zieht  sich  am  längsten  hin;  jetzt  nach  sechs  Monaten  sind 
immer  noch  krankhafte  Erscheinungen  wenigstens  angedeutet; 
das  hypothetische  anatomische  Substrat  derselben,  Läsionen 
der  »Erinnerungszellen«  sowie  der  feinen  Associationsfasern, 
erscheint  kaum  reparabel.  Auch  die  Fälle  der  Literatur  zeigen 
einen  in  der  Regel  schleppenden  Verlauf.  Immerhin  können 
wir  den  Patienten  jetzt  schon  seinem  Berufe  zurückgeben;  er 
ist  als  ein  mit  leichtem  Defecte  Geheilter  zu  betrachten. 

Ueber  die  weitere  Prognose  müssen  wir  uns  aller¬ 
dings  sehr  reservirt  aussprechen.  Es  ist  kaum  anzu¬ 
nehmen,  dass  dieser  Mann  fortan  dem  Alkoholgenusse 
entsagen  wird  —  wenigstens  spricht  die  Erfahrung  gegen 
eine  solche  Annahme  —  und  dadurch  ist  seine  Wieder¬ 
erkrankung  recht  wahrscheinlich;  sehr  zweifelhaft  hleibt  hin¬ 
gegen.  ob  es  dann  noch  möglich  sein  wird,  nicht  nur  eine  so 
seltene  Trias  von  Cerebralerscheinungen  ohne  Mitaffection  des 
peripheren  Nervensystems,  sondern  auch  einen  ebenso  günstig 
verlaufenden  Fall  zu  beobachten. 

Literatur. 

')  S.  S.  Kors  a  k  o  w,  Die  ersten  zwei  Arbeiten  erschienen  in 
russischer  Sprache;  in  deutscher  folgten  nach  :  Leber  eine  besondere  Form 
psychischer  Störung,  combinirt  mit  multipler  Neuritis.  Archiv  für  Psychiatrie. 
Bel.  XXI.  Fine  psychische  Störung,  combinirt  mit  multipler  Neurititis 
(Psychosis  polyneuritica  sen  Cerebropathica  psychica  toxaemica).  Allgemeine 
Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  XLVI  etc. 

')  C.  Wernicke,  Lehrbuch  der  Gehirnkrankheiten.  Bd.  II, 
pag.  229  ft. 

3)  R.  Thomsen,  Zur  Pathologie  und  Anatomie  der  »acuten  alkoho¬ 
lischen  Augenmuskellähmung«  nebst  Bemerkungen  über  die  anatomische 
Deutung  einiger  Symptome  im  Krankheitsbilde  der  »alkoholischen  Neuritis«. 
Berliner  klinische  Wochenschrift.  1888. 

')  H.  S  a  1  o  m  o  n  s  o  h  n,  Ueber  Polioencephalitis  acuta  superior. 
Deutsche  medieinische  Wochenschrift.  1891. 

■')  J.  B  o  e  d  e  c  k  e  r,  Zur  Kenntniss  der  acuten  alkoholischen  Augen¬ 
muskellähmung.  Charite-Annalen.  Bd.  XVII. 

6)  Suckling,  British  medical  Journal.  1888. 

’)  0.  Wiener,  Ueber  einen  genesenen  Fall  von  Polioencephalitis 
haemorrbagica  superior.  Prager  medieinische  Wochenschrift..  1895. 

s)  W.  Murawieff,  Zwei  Fälle  von  Polioencephalitis  acuta  haemor¬ 
rbagica  superior  (Wernicke)  Neurologisches  Centralblatt.  1897. 

a)  S.  Tomasini,  Polioencephalite  superiore  acuta  con  esito  in 
guarigione.  Clinica  medica  ital.  1898. 

,0)  L  i  n  s  m  e  y  e  r.  Acut  verlaufender  Fall  von  Polioencephalitis 
superior  nach  Septhämie  mit  Ausgang  in  Heilung.  Verein  für  Psychiatrie 
und  Neurologie  in  Wien,  13.  Juni  1899. 

M)  R.  Thomsen,  Zur  Pathologie  und  pathologischen  Anatomie  der 
acuten  completen  (alkoholischen)  Augenmuskellähmung  (Polioencephalitis 
acuta  superior  Wernicke).  Archiv  für  Psychiatrie  Bd.  XIX. 

,2)  Kojewnikow,  Ophthalmoplegie  nucleaire.  Progr.  medic.  1887. 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ia)  H.  J  a  c  o  b  ä  u  s,  Ueber  einen  Fall  von  Polioencephalitis 
liviemorrhagica  superior  (Wernicke).  Deulsche  Zeitschrift  für  Nervenheil¬ 
kunde.  Rd.  V. 

1 1)  R.  Thomsen,  Zur  Klinik  und  pathologischen  Anatomie  der 
multiplen  Alkohol-Neuritis.  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXI. 

,5)  Citirt,  nach:  H.  Oppenheim,  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten, 
pag.  339. 


Ein  Fall  von  traumatischer  periodischer  Lähmung. 

Von  ITniversitätsdocent  Dr.  Julius  Donath,  Ordinarius  für  Nervenkrank¬ 
heiten  am  St.  Rochus-Spitale  in  Budapest. 

Diese  von  Hartwig1)  zuerst  beschriebene  Erkrankung, 
welche  C.  Westphal2 3)  bei  der  Schilderung  seines  Falles 
mit  aller  Schärfe  als  eine  selbstständige  Krankheitsform 
erklärt  bat,  ist  hinsichtlich  Aetiologie,  Wesen  und  Sitz  der 
Krankheit  in  tiefes  Dunkel  gehüllt.  Aus  diesem  Grunde 
scheint  mir  die  Mittheilung  einer  jeden  hiehcr  gehörigen  Be¬ 
obachtung.  welche  etwas  zur  Klärung  der  Sache  beitragen  könnte, 
gerechtfertigt;  die  ineinige  dürfte  wohl  auch  ätiologisches  In¬ 
teresse  für  sich  beanspruchen. 

Von  den  verschiedenen  Autoren  wurden  mannigfache 
Infectionskrankheiten  (Malaria,  Typhus,  Scharlach)  und  deren 
Gefolge  (Otitis  media,  Nephritis)  oder  äussere  Schädlichkeiten 
(häufiger  und  schneller  Temperaturwechsel,  Erkältung)  be¬ 
schuldigt.  Die  genannten  Infectionskrankheiten  jedoch  als 
alleinige  Ursache  dieser  Erkrankung  anzusprechen,  geht  schon 
wegen  der  überaus  grossen  Seltenheit  der  letzteren  nicht  an, 
dann  aber  liegt  auch  ein  sehr  verschieden  langer  Zeitraum 
zwischen  Infectionskrankheit  und  dem  ersten  Auftreten  der 
periodischen  Lähmung  vor,  der  zwischen  vier  Wochen  und 
fünf  Jahren  variirt.  Auch  ist  dieser  Anschauung  entgegen  zu 
halten,  dass  in  vielen  Fällen  wie  auch  in  den  meinigen,  die 
Lähmung  durch  körperliche  Ruhe  oder  aber  durch  Auf¬ 
regungen,  seelische  Depressionszustände  leicht  hervorgerufen 
werden  konnte.  Mit  Recht  lehnt  Gold  flam  :i)  die  Sarauel- 
s  on’ sehe  Vermuthung  ab,  dass  es  sich  um  Hysterie  handle. 
Es  genügt  ja,  das  merkwürdig  rasche  Schwinden  und  nach- 
heriges  Wiederkehren  der  neuromusculären  elektrischen  Erreg¬ 
barkeit,  der  Sehnenreflexe  u.  s.  w.  sich  vor  Augen  zu  halten. 
Als  nicht  hieher  gehörig  betrachte  ich  den  Fall  von  Catrin  4), 
wo  nach  Blitzstrahl  Lähmung  der  linken  Seite  erfolgte.  Nach 
ungefähr  vier  Jahren  erfolgte  vollkommene  Genesung.  Seither 
etwa  18  Anfälle  von  Lähmung  des  linken  Armes,  von 
zwei  Wochen  bis  drei  Monate  langer  Dauer,  dabei  t  heil- 
weise  Anästhesie,  Analgesie,  T emperaturlierah- 
setzung  um  circa  2°  gegenüber  der  rechten  ge¬ 
sunden  Seite  und  sehr  geringe  elektrische 
Erregbarkeit.  Ich  kann  in  diesem  Falle  blos  eine  trau¬ 
matische  Hysterie  erblicken,  und  was  das  letztgenannte  Symp¬ 
tom  anbelangt,  so  möchte  ich  daran  erinnern,  dass  von 
Nothnagel5)  bei  Blitzlähmungen  Herabsetzungder  faradischen 
Erregbarkeit  gefunden  wurde. 

Auf  die  richtige  Fährte,  dass  es  sich  nämlich  in  allen 
diesen  Fällen  wohl  um  eine  angeborene  Diposition  handelt, 
wiesen  die  Beobachtungen  von  familiären  Erkrankungen. 
Cousot6)  zählte  5  derartig  erkrankte  Mitglieder  einer 
Familie,  Gold  fl  am  12,  Schachnovitsch  —  vonGold- 


’)  H.  Ha  r  t  w  i  g,  Ueber  einen  Fall  von  intermittirender  Paralysis 
spinalis.  Inaugural-Dissertation.  Halle  1874;  ref. :  Centralblatt  für  die  medi- 
cinische  Wissenschaft.  1875,  Nr.  26. 

')  C.  Westphal,  Ueber  einen  merkwürdigen  Fall  von  peri¬ 
odischer  Lähmung  etc.  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1885,  Nr.  31 
und  32. 

3)  S.  Gold  fl  am,  Ueber  eine  eigenthümliche  Form  von  periodischer, 
familiärer,  wahrscheinlich  autointoxicatorischer  Paralyse.  Zeitschrift  für 
klinische  Medicin.  XIX.  Supplementheft. 

4)  Catrin,  Monoplegie  brachiale  intermittente,  sin  venue  con- 

secutivement  ä  un  aceidentdefnlguration.  Le  Mercredi  med.  20.  Fevrier  1895; 

ref.:  Virchow’s  Jahresbericht  für  1895.  Bd.  II.  pag.  120. 

°)  H.  Nothnagel,  Virchow’s  Archiv.  1880,  Bd.  LXXX,  pag.  327. 

G)  G.  Cousot,  Cas  de  paralysie  periodique.  Bullet,  de  l’Aeademie 

de  medicine  de  Belgique;  ref.:  Virchow-Hirsch,  Jahresbericht  für  1886. 

Bd.  II,  pag.  151. 


ilam  angeführt  — ,  K.  Hirsch7),  Bernhardt8 *)  je  zwei, 
Taylor'1)  11  so,  dass  unter  den  etwa  89  Fällen  von  periodi¬ 
scher  Lähmung,  welche  ich  bis  zu  dem  vorliegenden  in  der 
Literatur  verzeichnet  tinde,  nicht  weniger  als  34  familiären 
Ursprunges  sind.  Lues  und  Alkoholismus  spielen  hier  —  min¬ 
destens  als  von  den  Betroffenen  direct  erworbene  Zustände  — 
ganz  gewiss  keine  Rolle,  da  es  sich  ja  meist  um  Knaben  oder 
Mädchen  oder  um  Individuen  zu  Beginn  der  Altersreife 
handelt.  Neuropathische  Belastung  wird  hei  einigen  Kranken 
entschieden  in  Abrede  gestellt. 

Ich  will  den  G  r  e  i  d  e  n  b  e  r  g’schen  Fall  l0)  hervorheben, 
wo  bei  einem  neuropathisch  nicht  belasteten  Knaben  im 
zwölften  Lebensjahre  nach  einem  heftigen  Schreck  der 
erste  Anfall  auftrat,  mit  welchem  der  meinige  bezüglich  des 
ursächlichen  Momentes  verwandt  ist,  da  auch  hier  die  peri¬ 
odische  Lähmung  sich  unmittelbar  an  eine  Unfalls¬ 
verletzung  anschloss  und  der  Zusammenhang  zwischen 
Trauma,  beziehungsweise  psychischem  Shock  und  periodischer 
Lähmung  in  meinem  Falle  nicht  in  Abrede  gestellt 
werden  kann. 

J.  G.,  25  Jahre  alt,  lediL,  Gemüseverkäuferin. 

Anamnese:  Grossvater  mütterlicherseits  ist.  gesund,  die 
übrigen  Grosseltern  hat  sie  nicht  gekannt. 

Die  Eltern  starben  an  Lungenleiden;  zwei  Geschwister  sind 
gesund,  vier  starben  früh.  Patientin  hat  vom  fünften  bis  siebenten 
Lebensjahre  tägliches  Wochselfieber  durchgemäclft,  wobei  sie  in  den 
heftigen  Anfällen  mitunter  auch  das  Bewusstsein  verlor.  Im  13.  und 
im  18.  Lebensjahre  machte  sie  Lungenentzündung  durch,  im  19.  Le¬ 
bensjahre  Typhus.  Die  Regeln  traten  zu  13  Jahren  auf  und  sind 
seither  regelmässig.  Ihre  zwei  unehelichen  Kinder  starben  im  dritten 
beziehungsweise  sechsten  Lebensmonate  in  der  Ammenschaft.  Ge¬ 
schlechtskrankheiten  hatte  sie  nicht,  nur  während  der  Schwanger¬ 
schaft  will  sie  einen  leichten  Fluor  gehabt  haben.  Kein  Lotus. 

Am  2.  December  v.  J.  fuhr  sie  in  einem  Lastwagen,  der  mit 
der  elektrischen  Strassenbähn  zusammenstiess ;  sie  iiel  vom  Wagen 
und  gerieth  unter  den  elektrischen  Waggon.  Sie  wurde  von  der 
Rettungsgesellschaft  ins  Rochus-Spital  geschafft,  wo  ihr  wegen 
Distorsion  des  linken  Fusses  ein  Organ  ti  n  verban  <  l  angelegt 
wurde. 

Am  dritten  Tage  der  Verletzung,  als  sie  noch  im  Verbände 
lag,  wurde  sie  plötzlich  am  ganzen  Körper  gelähmt.  Dabei  war  sie 
bei  vollem  Bewusstsein,  konnte  sprechen,  traute  sich  aber  nicht  den 
Aerzten  zu  klagen,  da  sie  fürchtete  ausgelacht  zu  werden.  N  i  e 
w  a  r  früher  e  t  w  a  s'  ä  h  n  1  i  c  h  e  s  bei  ihr  vorgeko  m  m  e  n  • 
Während  ihres  fünftägigen  Krankenhausau'fenthaltes  zählte  sie  zehn 
solcher  Anfälle.  Sie  kehrte  dann  nach  Hause  zurück,  wo  sie  theils 
wegen  der  Verletzungen,  theils  wegen  der  häufigen  Lähmungen 
sechs  Wochen  das  Bett  hütete. 

Nach  Ablauf  dieser  Zeit  fuhr  sie  am  15.  Januar  d.  .1.  auf  der 
elektrischen  Strassenbähn  zur  Stadt.  Schon  zu  Beginn  der  Fahrt 
fühlte  sie  wieder  das  Auftreten  der  Lähmung,  welche,  als  sie  das  Ziel 
der  Fahrt  erreicht  hatte,  eine  so  vollständige  war,  dass  sie  aus  dem 
Wagen  herausgehoben  und  von  der  Reltungsgesellschaft  abermals 
ins  Krankenhaus  befördert  werden  musste.  Ihr  jetziger  Aufenthalt 
auf  der  inneren  Abtheilung  daselbst  dauerte  eine  Woche;  während 
dieser  Zeit  machte  sie  eine  ganze  Reihe  der  gleich  zu  beschreibenden 
Lähmungsanfälle  durch. 

Status  praesens:  Patientin  von  kleinem  Wuchs  (137m 
hoch),  schwächlich  entwickelt  und  genährt,  etwas  anämisch.  Ziemlich 
starke  Skoliose  der  Wirbelsäule,  deren  Convexität  im  Brusttheile 
nach  rechts  gerichtet  ist;  die  Schulterblätter  fTügelartig  abstehend, 
besonders  rechts.  Die  Wirbelsäule  ist  nirgends  druckschmerzhaft; 

7)  K.  Hirse  h,  Ueber  einen  Fall  von  periodischer,  familiärer  Para¬ 
lyse.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1894,  Nr.  32. 

8)  M.  Ber  n  h  a  r  d  t,  Notiz  über  die  familiäre  Form  der  Dystrophia 
musc.  progr.  und  deren  Combination  mit  periodisch  auftretender,  paroxys¬ 
maler  Lähmung.  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  189o,  Bd.  VIII, 
pag.  111. 

9)  E  d  w  a  r  d  W  y  1  1  y  s  T  a  y  1  o  r,  Family  periodic  paralysis. 
Journ.  of  nerv,  and  inent.  dis.  XXV,  9,  10,  Sept.-Oct.  1818,  ref.:  Schmidt's 
Jahrbücher.  Bd.  CCLX1I,  Nr.  4,  pag.  24. 

lf))  B.  Greidenbe  r  g,  Ein  Fall  periodischer  spinaler  Lähmung; 
ref,:  Neurologisches  Centralblatt.  1888,  pag.  54  und  55. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1Ü00. 


Nr.  2 


38 


nur  die  Gegend  der  Fossa  infraspinata  ist  druckempfindlich.  Gebiss 
schlecht  entwickelt  und  gereiht,  mangelhaft.  Bezüglich  der  Functi¬ 
onen  der  Sinnesorgane  vermerke  ich  eine  leichte  concentrische  Ein¬ 
engung  der  Gesichtsfelder  für  Weiss  und  die  Farben.  Die  Pupillen 
sind  unregelmässig,  rechts  etwas  grösser  als  links,  lichtreagirend.  Kopf¬ 
schmerzen,  wie  überhaupt  cerebrale  Erscheinungen,  sind  nicht  vor¬ 
handen. 

Das  Interessante  bei  dieser  Kranken  sind  die  rasch  sich  ent¬ 
wickelnden  Lähmungen  aller  Extremitäten,  wobei  sie  sich  nieder- 
setzen  und  sehr  bald  niederlegen  muss,  ohne  die  geringste  Störung 
des  Bewusstseins  zu  zeigen.  Sie  liegt  dann  regungslos  da.  und  ist 
oft  nicht  einmal  im  Stande,  den  Kopf  zu  bewegen,  während  die  Be¬ 
wegungen  der  Augen,  des  Gesichtes  und  der  Zunge  völlig  frei  sind. 
Am  Tage  der  Aufnahme  wurde  im  Laufe  des  Nachmittags  auf  der 
Abtheilung  zuerst  notirt.  dass  in  den  (lliedmassen  die  Bewegung 
wiederkehre  und  ein  starker  Schweissausbruch  sich  zeige. 

Auch  berichtet  sie.  dass  sie  bei  diesen  Lähmungsanfällen 
immer  schwitzt,  besonders  stark  gegen  das  Ende  derselben.  Der 
Schweissausbruch  erfolgt  ganz  besonders  auf  Gesicht.  Brust  und 
Kücken  und  stets  symmetrisch.  Am  nächsten  Morgen  war  die 
Bewegungsfähigkeit  gänzlich  zurückgekehrt,  so  dass  sie  herumging. 
Lm  10  Uhr  Vormittags  trat  wieder  plötzliche  Extremilätenlähmung 
ein.  Die  2’/>  Stunden  später  vorgenommene  Untersuchung  ergab 
vollständige  fiaccide  Lähmung  aller  Extremitäten;  Patientin  konnte 
ihren  Körper  nicht  von  der  Stelle  rühren,  dabei  Bewusstsein,  Augen- 
uml  Zungenbewegungen,  Gesichtsmimik,  Sprache,  sowie  alle  Quali¬ 
täten  des  Tastsinnes  vollständig  erhalten.  Sofort  war  mir  die  von 
meinem  unvergesslichen  Lehrer  ('.  Westphal  beseht icbcne  peri¬ 
odische  Lähmung  gegenwärtig,  und  in  der  That  zeigte  die  elektrische 
1  ’rüfung.  dass  mit  den  stärksten  faradi  sehen  und  galva¬ 
nischen  Strömen  meines  stabilen  Apparates 
w  e  d  e  r  a  n  d  e  n  Nervenst  ä  m  men,  noch  an  den  Muskeln 
d  itr  Extremi  täten  und  des  R  u  m  pfe  s,  eine  Reaction 
hervorgerufen  werden  konnte;  dabei  wurden  von  der 
Patientin  die  Ströme  äusserst  schmerzhaft  empfunden  und  konnten 
von  gesunden  Personen  selbst  erheblich  schwächere*  Ströme  nicht 
vertragen  werden.  Hingegen  war  die  elektrische  Erregbarkeit  der 
Gesichtsmusculatur  vollständig  intact,  ln  diesen  Anfällen  ist  wohl  — 
um  hier  das  Ergebniss  der  Beobachtungen  und  der  charakteristischen 
Schilderungen  der  Patientin  vorwegzunehmen  —  die  Alhmung 
ziemlich  frei,  doch  kann  sie  nicht  aushusten  und  wird  von  dem  in 
den  Luftwegen  angesammelten  Schleim  belästigt.  Die  Lähmung  be¬ 
ginnt  stets  in  den  Fingern,  steigt  dann  aufwärts  zu  den  Oberarmen, 
dann  ergreift  sie  die  Füsse  und  endlich  die  ganzen  Unterextremitäten 
In  derselben  Reihenfolge  schwindet  auch  die  Lähmung. 

17.  .lanuar.  Die  Besserung  erfolgte  schon  gestern  Nachmittags 
unter  Schweissausbruch,  aber  im  Laufe  der  Nacht  stellte  sich 
neuerdings  zweimal  die  Lähmung  ein.  Vormittags  kam  sie  selbst  zur 
Ambulanz.  Auf  mein  Geheiss  legte  sie  sich  auf  das  Ruhebett  nieder, 
jedoch  kurze  Zeit  darauf  konnte  sie  sich  von  demselben  nicht  er¬ 
heben.  Angeblich  bekommt  sie  beim  Liegen  leicht 
die  Lähmu  n  g,  wie  es  thatsächlich  auch  diesmal  der  Fall  war, 
und  auch  in  der  Nacht  die  Lähmungen  häufiger  auftreten.  Nachdem 
sie  aber  einige  Minuten  von  zwei  Personen  auf  und  abgeleitet 
wurde,  erlangte  sie  bald  wieder  die  vollständige  Bewegungsfähigkeit. 
Gegenwärtig  —  im  freien  Intervall  —  zeigt  sie  auf  mässige,  nicht 
schmerzhafte  faradische  und  galvanische  Ströme  normale  Nerven- 
und  Muskelerregbarkeit. 

Ich  mass  auch  den  galvanischen  Leitungswiderstand  der  Haut, 
um  etwa  eine  Erhöhung  desselben  während  des  Anfalles  ausschliessen 
zu  können,  was  ja  immerhin  diese  starke  Herabsetzung,  beziehungs¬ 
weise  das  Verlöschen  der  elektrischen  neuromusculären  Erregbarkeit 
erklären  könnte. 

Leider  konnte  dies  aber  nur  in  der  anfallsfreien  Zeit  geschehen. 
Der  Leitungswiderstand  betrug  auf  der  Brust  (bei  nahe  aneinander 
gestellten  Elektroden  von  4-5  cm  Durchmesser  und  PI  M.-A.  Strom¬ 
stärke)  1Ö40  Ohm,  beziehungsweise  1430  Ohm.  Ungefähr  dieselbe 
Grösse  (1470  Ohm)  ergab  die  Conlrole  an  einem  gesunden  jungen 
Manne. 

ln  der  anfallsfreien  Zeit  sind  die  Patellarretlexe  leicht  gesteigert, 
die  Sehnenreflexe  über  den  Handgelenken,  sowie  die  Tricepsrefiexe 
waren,  in  verschiedenen  freien  Intervallen  geprüft,  bald  schwach, 
bald  gesteigert.  Bauch-  und  Aohillessehnenreflexe  waren  nicht  auszu¬ 


lösen,  die  Sohlenrefiexe  lebhaft.  Mechanische  Muskelerregbarkeit 
(M.  pectoralis  majori  war  herabgesetzt.  Grobe  Kraft  der  Extremitäten 
wohl  erhalten. 

18.  Januar.  Gestern  Abends  beim  Niederlegen  bekam  sie  wieder 
einen  halbstündigen  Lähmungsanfall,  desgleichen  heute  Morgens,  als 
sie  noch  zu  Bette  lag.  Gestern  Nachmittags  befand  sie  sich  wohl; 
dasselbe  ist  jetzt  der  Fall,  wo  sie  frei  herumgeht. 

Ausser  beim  Liegen  bekommt  s  i  e  1  e  i  c  h  t  d  e  n  A  n  f  a  1 1, 
wenn  sie  sich  durch  kältet,  oder  wenn  sie  sich 
ii  r  g  e  r  t,  o  d  c  r  ged  r  ii  ckter  S  t  i  in  m  ung  ist. 

21.  Januar.  Seit  dem  19.  hatte  sie  keine  Anfälle.  Nach  ein¬ 
wöchentlichem  Aufenthalt  verlässt  sie  wieder  das  Krankenhaus. 

9.  Februar.  Auf  meine  Aufforderung  erscheint  heute  wieder 
die  Kranke.  Zustand  im  Wesentlichen  unverändert.  Die  Anfälle  kommen 
manches  Mal  bis  dreimal  des  Tages  und  viermal  des  Nachts  und 
bleiben  höchstens  48  Stunden  aus. 

Die  weiteren,  bis  zum  22.  März  geführten  Beobachtungen,  da 
sie  das  Obige  im  Wesentlichen  wiederholen,  will  ich  kurz  zusammen¬ 
fassen  und  nur  besonders  Interessantes  hervorheben. 

Als  sie  am  10.  Februar  an  das  Lager  ihres  schwer  erkrankten 
Grossvaters  in  der  Nähe  der  Hauptstadt  berufen  wurde,  bekam  sie 
dort  in  Folge  der  Aufregung  schon  im  Verlaufe  einiger  Stunden 
einen  schweren  Anfall,  der  24  Stunden  in  voller  Intensität  währte 
und  erst  nach  weiteren  zwölf  Stunden  allmälig  zum  Abschluss  kam. 
Die  Dauer  der  Anfälle  wechselt  bei  ihr  zwischen  einer  halben  Stunde, 
mehreren  Tagen  bis  zu  einer  ganzen  Woche.  Während  der  Anfälle 
schwitzt  sie  immer  stark,  sie  lässt  sich  dann  gut  zudecken,  weil  sie 
durch  starken  Schweissausbruch  den  Anfall  zu  verkürzen  glaubt. 

Als  ich  Patientin  einmal  versuchsweise  eine  Viertelstunde  auf 
dem  Ruhebette  liegen  liess,  fühlte  sie  die  Beine  schwer  werden  und 
ausnahmsweise  begann  diesmal  die  Schwäche  in  den  Beinen  früher 
als  in  den  Armen,  ln  diesem  Stadium  jedoch  zeigten  sich  die  Patellar- 
rellexe  und  die  elektrische  Erregbarkeit  noch  nicht  merklich  ver¬ 
ändert.  Nachdem  sie  20  Minuten  so  gelegen,  erhob  sie  sich  bereits 
mit  Mühe,  ging  watschelig  einher  —  worauf  sie  mich  schon  im  Voraus 
aufmerksam  machte  — ,  aber  durch  einiges  Auf-  und  Abgehen  erlangte 
sie  wieder  eine  bessere  Gelenkigkeit.  Auf  der  Tramway  nach  Hause 
fahrend,  bekam  sie,  im  "Wagen  sitzend,  wieder  den  Anfall,  schwitzte 
und  war  am  Ende  der  Fahrt  so  hilflos,  dass  man  ihr  vom  Wagen 
herunterhelfen  musste.  Sie  musste  sich  zu  Bette  legen;  jetzt  wurde 
der  Anfall  vollständig,  so  dass  sie  die  halbe  Nacht  hindurch  weder 
die  Gliedmassen,  noch  den  Kopf  rühren  konnte. 

Vom  darauffolgenden  Tage  ab  war  sie  durch  acht  Tage  — • 
abgerechnet  Intervalle  von  einigen  Minuten,  wo  sie  sich  etwas  besser 
fühlte  —  wieder  gelähmt.  Sie  kam  mit  ihrer  Schwester,  welche  sie 
geptlegt  hatte,  den  langen  Weg  zu  Fuss  zu  mir,  aus  Furcht,  sie 
könnte  während  des  Sitzens  im  Tramwaywagen  den  Anfall  wieder 
bekommen.  Denn  den  Anfall  kann  sie  im  Beginn  —  wie  schon  er¬ 
wähnt  —  durch  llerumgehen  zuweilen  bekämpfen,  aber  nicht  immer, 
weil  starke  Bewegungen  mitunter  den  Anfall  geradezu  befördern. 
Deshalb  will  sie  auch  zu  Fuss  nach  Hause  kehren. 

Die  Schwester  berichtete,  dass  die  Kranke  während  dieser  Zeit 
weder  die  Gliedmassen,  noch  den  Kopf  bewegen  konnte,  stark 
schwitzte,  einen  trockenen  Mund,  viel  Durst  hatte.  Auf  der  Höhe  des 
Anfalles  soll  sie  »fiebern«,  wobei  sie  Delirien  hat  (das  Bett  dreht 
sich,  sie  fällt  herunter,  die  Leute  kommen,  um  sie  wegzuführen 
u.  s.  w.).  Die  Kranke  muss  dann  gefüttert  und  getränkt  werden. 
Schlucken  kann  sie,  nicht  aber  aushusten.  Zur  Verrichtung  der  Noth- 
durft  müssen  zwei  Personen  sie  auf  den  Nachttopf  setzen.  Während 
des  Anfalles  hatte  sie  Kopfschmerzen,  auch  Schmerzen  in  den  Unter¬ 
schenkeln;  doch  pflegen  letztere  auch  sonst  vorzukommen. 

Parästhesien  werden  beim  Auftreten  und  Schwinden  Vier 
Lähmung  nicht  empfunden. 

Es  handelt  sich  also*  hier  um  ein  in  der  Entwicklung 
auffallend  zurückgebliebenes,  schwach  genährtes,  anämisches, 
skoliotisches  Mädchen,  welches  verschiedene  fieberhafte  Infec- 
tionskrankheiten  (darunter  auch  Malaria  vor  20  Jahren)  durch¬ 
gemacht  hat,  aber  früher  nie  nervenkrank  war,  und  bei  dem 
unmittelbar  nach  einem  Unfälle  und  psychischem  Shock  zum 
ersten  Male  die  periodische  Lähmung  in  voller  Intensität  auf¬ 
trat.  Die  Anfälle,  von  halbstündiger  bis  acht  Tage  langer 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  15*00. 


3J 


Dauer,  begannen,  wenn  sie  voll  ausgebildet  waren,  in  den 
Fingern,  breiteten  sich  auf  die  Oberarme  aus,  gingen  dann 
auf  die  Füsse  über,  um  bald  auch  die  ganzen  Unterextremi¬ 
täten  zu  ergreifen.  In  den  schwersten  Fällen  konnte  auch  der 
Kopf  nicht  bewegt,  der  Schleim  aus  den  Luftwegen  nicht  aus¬ 
gehustet  werden  (Lähmung  der  Halsmusculatur  und  Schwäche 
der  Respirationsmuskeln).  Dabei  Hitzegefühl,  Durst,  Schweiss¬ 
ausbruch  und  mitunter  auch  Delirien.  Die  flaccide.  Lähmung 
ging  mit  Erlöschen  der  directen  und  indirecten  faradischen 
und  galvanischen  Erregbarkeit  einher.  Während  des  Anfalles 
keine  Parästhesien,  nur  zuweilen  Schmerz  im  Kopf  und  in 
den  Unterschenkeln.  In  derselben  Reihenfolge,  in  welcher  die 
Lähmung  einsetzte,  erfolgte  auch  deren  Lösung.  In  Abortiv¬ 
fällen  kam  es  nur  zu  Schwere  der  Beine.  Aufregungen,  Ge- 
müthsdepressionen,  angeblich  auch  Erkältungen,  sowie  Sitzen 
und  Liegen  förderten  die  Anfälle;  durch  active  Bewegungen 
(Gehen)  wurde  deren  Ausbildung  verhindert  oder  doch  min¬ 
destens  verzögert.  In  der  Zwischenzeit  waren  elektrische  Nerven- 
und  Muskelerregbarkeit,  galvanischer  Haut  widerstand  normal, 
die  mechanische  Muskelerregbarkeit  herabgesetzt,  die  Haut- 
und  Sehnenreflexe  bald  schwach,  bald  gesteigert. 

Leichte  Anisokorie  und  Unregelmässigkeit  der  Pupillen 
bei  guter  Lichtreaction.  Hirnnerven,  elektrische  Erregarkeit 
der  Gesichtsmusculatur,  Schlingbewegungen,  zumeist  auch  das 
Bewusstsein.  Blasen-  und  Mastdarmf unction  sowie  die  Sensi¬ 
bilität  am  ganzen  Körper  bleiben  intact. 

Was  die  Reihenfolge  der  Lähmungen  anlangt, 
so  setzten  dieselben  in  den  in  der  Literatur  verzeichneten 
Fällen  bald  an  den  unteren,  bald  an  den  oberen  Extremitäten 
ein  und  schwanden  dieselben  bald  in  der  umgekehrten,  bald 
in  derselben  Reihenfolge.  Ausnahmsweise  begann  in  meinem 
Falle  die  Lähmung  einmal  in  den  Füssen,  während  sie  gewöhn¬ 
lich  in  den  Händen  ihren  Anfang  nahm.  Zweifelhaft  erscheint 
es  mir,  ob  der  F  i  s  c  h  l’sche  Fall  ")  hieher  gehört,  wo  es  sich 
bei  einem  achtjährigen  Mädchen  anfangs  um  Paraplegie  der 
Beine  mit  Aufhebung  der  elektrischen  Erregbarkeit  daselbst 
handelte,  in  den  späteren  sechs  Anfällen  dagegen  um  cerebrale 
Störungen  (Schlafsucht,  Zuckungen  der  Gesichtsmuskeln) 
ohne  Extremitätenlähmung. 

Von  der  Intensität  der  Lähmung,  ihrer  ungleichen  Ver- 
theilung  und  der  Verschiedenheit  der  einzelnen  Anfälle  hing 
es  wohl  ab.  dass  die  elektrische  Erregbarkeit,  sowie  die  Sehnen¬ 
reflexe  in  verschiedenem  Grade  herabgesetzt  waren.  In  dem 
W  e  s  t  p  h  a  l’schen  Falle,  der  nachträglich  von  Oppenheim  r2) 
noch  eingehender  studirt  wurde,  waren  beispielsweise  die 
Patellarreflexe  bald  erhalten,  bald  herabgesetzt  oder  auf¬ 
gehoben. 

Die  Hirnnerven  bleiben,  wie  auch  bei  meiner  Kranken, 
in  der  Regel  intact,  doch  war  bei  dem  Kranken  Hartwigs 
ausser  dem  Athmen  auch  das  Sprechen  und  Schlucken  etwas 
behindert,  ferner  war  Miosis  vorhanden.  Desgleichen  war  bei 
den  Kranken  von  C  o  u  s  o  t  das  Sprechen  und  Schlucken  sehr 
erschweit,  die  Zunge  schwer  beweglich. 

Bemerkenswerth  ist  es,  dass  manche  dieser  Kranken 
Difformitäten  zeigen.  Hartwig  verzeichnete  bei  seinem 
Kranken  Genu  valgum,  Pes  valgus  und  eine  geringere  Ent¬ 
wicklung  der  rechtsseitigen  Hals-  und  Brustmusculatur; 
Greidenberg  Asymmetrie  des  Gesichtes  und  Ohres; 
Oousot  einen  kleineren  Wuchs  bei  den  vier  erkrankten 
Geschwistern  im  Gegensatz  zu  den  vier  gesunden:  bei  Bern¬ 
hardt’s  zwei  Kranken  (Vater  und  Sohn)  handelte  es  sich  um 
Dystrophia  musculorum  progressiva,  die  sich  mit  periodischer 
Lähmung  in  den  oberen  Extremitäten  combinirte.  Meine  Pa¬ 
tientin  war  ein  hypoplastisches,  skoliotisches  Individuum. 

Wo  ist  nun  der  Sitz  dieser  räthselbaften  Krankheit  und 
was  das  Wesen  derselben  ? 


n)  J.  Fischt,  Ueber  einen  Fall  von  perio  tisch  auftretender  Lähmung 
der  unteren  Extremitäten.  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1885, 
Nr.  42;  ref.  :  Virchow-Hirsch’s  Jahresbericht  für  1885.  Bd.  II,  pag.  70. 

iaJ  H.  Oppenheim,  Neue  Mittheilungen  über  den  von  Professor 
Westphal  beschriebenen  Fall  periodischer  Lähmung  aller  vier  Extremi¬ 
täten.  Charite- Annalen.  1891. 


Die  von  Hartwig  angenommene  seröse  Durchtränkung 
des  Halsmarkes  wurde  schon  von  Westphal  abgelehnt,  der 
bei  dieser  Localisation  es  schwer  erklärlich  fand,  dass  die 
sensiblen  Bahnen  verschont  bleiben  sollen.  Doch  könnte  es 
sich  vielleicht  um  eine  Affection  der  Vorderhörner  des  Rücken¬ 
markes  handeln,  wie  dies  bei  der  Poliomyelitis  anterior  acuta 
in  beschränkter  und  in  manchen  Fällen  von  Landry’seher 
Paralyse  in  grosser  Ausdehnung  stattfindet?  Cousot  spricht 
von  einer  »Inhibition  der  spinalen  Centra«.  Doch  ist  damit 
das  elektrische  Verhalten  nicht  zu  erklären.  Dasselbe  gilt  für 
eine  Erkrankung  der  motorischen  Rückenmarkswurzcln. 
Hysterie  ist  in  meinem  Falle  ausgeschlossen,  mit  der  sie  aller¬ 
dings  das  psychische  auslösende  Moment,  sowie  die  Förderung 
der  Anfälle  durch  Gemüthsaffecte  gemein  hätte,  aber  das 
elektrische  Verhalten  bildet  auch  hier  die  Klippe,  an  der  eine 
solche  Annahme  scheitern  muss.  13) 

Für  die  Annahme  einer  angeborenen  Disposition  bei  der 
periodischen  Lähmung  scheint  auch  eine  anatomische  Grund¬ 
lage  vorhanden  zu  sein.  Doch  spricht  sich  Oppenheim  be¬ 
züglich  seines,  an  excidirten  Muskelstückchen  erhobenen  histo¬ 
logischen  Befundes  (Verlust  der  Querstreifung  an  vielen 
Fasern,  wachsartige  Degeneration  und  leichte  Kernvei  mehrung) 
sehr  vorsichtig  aus,  während  Go  Id  fl  am  Hypervolumen  der 
Muskelfasern,  Rarefaction  der  Primitivfibrillen  und  Vacuolen- 
bildung  fand,  die  er  bestimmt  für  pathologisch  erklärt.  Für 
das  Vorhandensein  einer  histologischen  Veränderung  der  Muskel¬ 
substanz  bei  der  periodischen  Lähmung  scheinen  auch  die  er¬ 
wähnten  B  e  r  n  h  a  r  d  t’schen  Fälle  von  Dystrophia  musculorum 
progressiva  zu  sprechen.  Goldflam  hält  die  periodische  Lähmung 
ebenso  für  eine  primäre  Myopathie,  wie  Bernhardt  die 
Thomsen’sche  Krankheit.  In  der  That  sind  beide  Krank¬ 
heiten  verwandt,  denn  gemeinsam  ist  ihnen  die  Bedeutsam¬ 
keit  der  Heredität,  das  zeitweise  Versagen  der  Function,  dort 
in  Form  einer  flacciden  Lähmung,  hier  in  Form  einer  Starre, 
die  Veränderung  der  elektrischen  und  mechanischen  Erreg¬ 
barkeit,  sowie  die  Sehnenreflexe,  welche  dort  herabgesetzt  und 
hier  gesteigert  sind,  die  Functionsstörung,  welche  dort 
durch  die  Ruhe,  hier  durch  die  Bewegung  befördert  wird  u.s.  w. 
Goldflam  ist  auch  geneigt,  diesen  Befund  bei  der  periodischen 
Lähmung  mit  dem  anatomisch  noch  unvollständig  entwickelten 
Nervenmuskelsystem  des  Neugeborenen  zu  parallelisiren,  wo 
gleichfalls  sozusagen  ein  paretischer  Zustand  und,  wie  A. 
Westphal  (Neurologisches  Centralblattt.  1894,  Nr.  2)  nach¬ 
gewiesen,  Schwäche  der  elektrischen  Erregbarkeit  besteht. 
Nach  Goldflam  handelt  es  sich  vielleicht  bei  diesem  Kranken 
um  eine,  auf  kindlicher  Stufe  verbliebene  Entwicklung  des 
Muskelsystems.  Doch  glaube  ich,  dass  weder  angeborene  Dis¬ 
position,  noch  histologisches  Verhalten,  welche  bei  demselben 
Individuum  constante  Grössen  sind,  die  Intermittenz  der  Er¬ 
scheinungen  erklären  könnten.  Man  muss  dann  doch  wieder 
zu  einer  Hilfahypothese  greifen,  dass  nämlich  gewisse  Stoft- 
wechselproducte  diese  Giftwirkung  auf  die  Musculatur  ausüben. 

Aber  auch  so  gibt  es  noch  Schwierigkeiten  genug  zu 
erklären.  So  die  regelmässige  und  für  jeden  Fall  typische 
Reihenfolge  im  Kommen  und  Gehen  der  Lähmungserscheinungen, 
wo  aber  beides  stets  in  den  distalen  Theilen  der  Extremitäten 
beginnt. 

Eine  besondere  Erwägung  verdient  die  von  Oppen¬ 
heim,  Bernhardt  und  Goldflam  ausgesprochene  Meinung, 
dass  in  den  Anfällen  von  periodischer  Lähmung  ein  Virus  im 
Spiele  sei.  Auch  fand  Goldflam,  dass  der  im  Lähmungs¬ 
anfall  gelassene  Harn,  Kaninchen  intravenös  eingespritzt,  eine 
erhöhte  Giftigkeit  zeigte ;  j  e  d  o  c  h  blieb  die  elektrische 
M  u  s  k  e  1  e  r  r  e  g  b  a  r  k  e  i  t  bei  diesen  T  h  i  e  r  e  n  intact. 
Goldflam  überzeugte  sich  ferner,  dass  diese  erhöhte  Giftig¬ 
keit  nicht  auf  Rechnung  der  mineralischen,  sondern  der  orga¬ 
nischen  Bestandtheile  des  Harnes  zu  setzen  sei;  seine  Be¬ 
mühungen  aber,  aus  dem  Harn  Ptomaine  zu  isoliren,  welche 
die  Erscheinungen  der  periodischen  Lähmung  hervorgerufen 
hätten,  waren  vergeblich. 

13)  Ich  bemerke  hier,  dass  die  Kranke  zu  jener  Zeit  an  Schadenersatz¬ 
ansprüche  gar  nicht  dachte. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  lVUü 


Nr.  2 


Ich  selbst  bin  geneigt,  in  diesem  Krankheitsbilde  eine 
Gift  Wirkung  zu  sehen  und  dies  veranlasse  mich  auch,  eine 
Reihe  von  Versuchen  an  Hunden  anzustellem,  um  die  elektrische 
neuromusculäre  Erregbarkeit  bei  Curarevergiftung  zu  studiren. 
Diese  Versuche  — *  worüber  ich  an  anderer  Stelle  aus¬ 
führlicher  berichten  will  -t-  führten  einstimmig  zu 
dem  Ergebnisse,  dass  bei  curaresi  rten  Hunden 
weder  per  cut  an,  noch  an  den  blossgelegten 
N  e  r  v  e  n  u  n  d  Muskeln  eine  qualitative  o  d  e  r 
quantitative  A  enderung  der  faradischen  oder 
galvanischen  Erregbarkeit  nach  zu -weisen  i  s  t. 
Um  Curare  handelt  es  sich  also  bei  der  periodi¬ 
schen  Lähmung  g  a  n  z  -  g  e  w  i  s  s  nie  h  t. 

Dass  aber  die  elektrische  Erregbarkeit  durch  Gifte  über¬ 
haupt  beunflusst  werden  kaum  lehrt  beispielsweise  die  Kohlen¬ 
dunstasphyxie,  bei  welcher  nach  E  m  m  i  n  g  h  a  u  s  u)  die  Er¬ 
regbarkeit  des  N.  phrenieqs  für  beide  Stromesarten  herab¬ 
gesetzt  oder  aufgehoben  sein  kann. 

Gleichsam  einen  Gegensatz  zur  periodischen  Lähmung 
scheinen  mir  Tetanie  und  Tetanus  zu  bildeu:  dort  Herab¬ 
setzung,  hier  Erhöhung  der  elektrischen,  idiomusculären,  mecha¬ 
nischen  und  Reflexerregbarkeit.  Vielleicht  handelt  es  sich  bei 
Tetanie  und  Tetanus  um  ein  von  Bacterien  erzeugtes  strych¬ 
ninähnliches,  bei  der  periodischen  Lähmung  dagegen  um  ein 
antagonistisch  wirkendes  Gift. 

Mit  einer  anderen  Lähmungsform,  der  periodischen 
Oculomotoriuslähmung,  hat  die  vorliegende  Krankheit 
nur  die  Pcriodicität  gemein.  Die  Ursachen  sind  dort  (Exsudat, 
Neubildung,  vielleicht  in  manchen  Fällen  vasomotorische 
Störungen)  ganz  verschiedener  Art. 


Notiz  zur  Lehre  von  der  infantilen  Pseudo¬ 
bulbärparalyse. 

Von  Prof;  Dr.  M.  Bernhardt  (Berlin), 

Einem  Aufsätze,  betitelt:  »Zur  Kenn  tn  iss  der  in¬ 
fantilen  Pseudo  b  u  1  b  ä  r  p  a  r  a  1  y  s  e«  (diese  W ochen, schrift, 
1899.  Nr.  40),  hat  H.  v.  Hal  ban  ein  Literaturverzeichniss 
beigegeben,  welches  ich  mir  in  Folgendem  noch  etwas  zu 
vervollständigen  gestatte. 

In  meiner  Arbeit:  »U  e  b  e  r  die  spas't  i  sch  e  C  e  r  e  b  ral- 
paralyse  im  Kin  desalter  (Hemiplegia  spastica 
infantilis)  nebst  einem  Excursc  über  Aphasie 
bei  Kindern«  (Virchow's  Archiv.  1885.  Bd.  CIL  pag.  26) 
habe  ich  bei  der  Besprechung  des  auch  von  v.  Hal  bau  er¬ 
wähnten  Falles  von  Wald  e  n  b u  rg  Folgendes  gesagt:»  W  a  1  d  e  n- 
burg  nimmt  eine  intrauterin  entstandene  Erkrankung  der 
linken  Grosshirnhälfte  an  und  betont,  dass  trotzdem  die  rechte 
Hirnhälfte  nicht  die  fehlende  Function  der  linken  übernommen 
habe.  Diese  Beobachtung,  interessant  an  sieb,  würde  natürlich 
an  Werth  gewinnen,  wenn  durch  e  ine  Obduetion  die  supponirte 
Lä'ion  der  linken  Hemisphäre  in  der  That  nachgewiesen 
wäre.  Dies  ist  einmal  nicht  der  Fall;  sodann  aber  geht  aus 
der  Beschreibung  der  klinischen  Symptome  hervor,  dass  von 
der  linksseitigen  (vielleicht  auch  rechtsseitigen)  motorischen 
Sprachbahn  doch  wohl  noch  andere  Territorien  als  nur  die 
centrale  Endstation  im  B  r  o  c  a'schen  Rindenantheil  der  dritten 
linken  Stirnwindung  afiicirt  war,  insofern  die  Lippen  nicht 
ganz  gesc  blossen  werden  konnten  und  die  Zunge  nicht 
aus  dem  Munde  hervorgestreckt  werden  konnte  und  die 
rechte  Gaumenhälfte  päretisch  war.  Ausserdem  bestanden 
noch  S  c  h  1  u  c  k  b  e'  s  c  h  w  e  r  d  e  n . 

Ich  erinnere  in  dieser  Hinsicht  an  eine  höchst  interessante 
Mittheilung  Bergers  (O.  Berger,  Neuropathologische 
Mittheilungen.  Schlesische  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur. 
Sitzung  1877,  Juni),  welcher  neben  der  progressiven  und 
acuten  Form  dev  Bulbärparalyse  noch  eine  bei  Kindern  im 
Alter  von  drei  bis  neun  Jahren  zu  beobachtende,  offenbar  an¬ 
geborene  Sprachstörung  bcschi  ieb.  Solche  Kinder  sprechen 

u)  Vergleiche  E.  Rem  a  k,  Elektrodiag.nostik  in  Eulenbur  g’s 
Keal-Encyklopädie.  3.  Auflage.  Bd.  VI,  pag.  463. 


trotz  normal  entwickelter  Intelligenz  und  bei  völlig  gesundem 
Gehör  höchst  mangelhaft.  Es  handelt  sich  nach  Berger  um 
eine  Entwicklungshemmung  des  bulbären  Lauteentrums,  um 
eine  Parese  der  für  Articulation  und  Deglutition  erforderlichen 
Bulbärnerven.  Oft  findet  sich  gleichzeitig  eine  Parese  einer 
Körperhälfte.  Die  Individuen  gehörten  in  einem  Falle  einer 
neuropathisch  belasteten  Familie  an,  in  einem  anderen  fanden 
sich  noch  andere  angeborene  Degenerationszeichen  (fehlende 
Phalangen,  Schwimmhautbildungen  an  den  Fingern,  Mangel 
rechtsseitiger  Brustmuskeln);  fortgesetzte  elektrische  Behandlung 
ist  von  gutem  Einfluss;  im  Laufe  der  Jahre  kann  es  auch  zu 
spontanen  Besserungen  kommen.« 

»PA  dürfte  von  Interesse  sein«,  so  fuhr  ich  an  der  oben 
citirten  Stelle  fort,  »wenn  ich  einen  vielleicht  hierhergehörigen., 
vielleicht  als.  in  frühester  Kindheit  e  n  t  s  t  a  n  d  e  n  e 
Pseudobulbärparalyse  aufzufassenden  Fall,  den  ich  bei 
einer  22jährigen  verheirateten  Frau  beobachtet  habe,  kurz 
mittheile: 

»Diese  Dame,  von  deren  zwölf  Geschwistern  noch  fünf 
leben  und  gesund  sind,  war  selbst  Iris  zu  ihrem  zweiten 
Lebensjahre  stets  wohlauf,  lief  damals  schon  und  sprach  auch. 
Sie  erkrankte  um  diese  Zeit  ziemlich  plötzlich  so,  dass  sie 
zuerst  sehr  viel  schwerer  sprach  als  sonst,  bewusstlos  und  gelähmt 
wurde  (Näheres  war  nicht  mehr  zu  eruiren)  und  Wochen  hindurch 
krank  darniederlag.  Nach  wieder  eingetrelener  Genesung  war  die 
Lähmung  ganz  verschwunden,  andererseits  aber  auch  die  Sprache 
monatelang  fort,  so  dass  sie  erst  wieder  aufs  Neue  wie  ein  junges 
Kind  sprechen  lernen  musste.  Dem  Unterrichte  in  der  Schule 
konnte  sie  später  ganz  gut  folgen,  stets  aber  blieb  die  Sprache 
schwerfällig  und  das  Schlucken  ers  e  h  w  e  r  t.  Seil  der  Ge¬ 
burt  ihres  Kindes  (etwa  seif  einem  Jahre)  haben  sich  die  bis  dahin 
leidlichen  Beschwerden  Verschlimmert  und  sind  andere  beunruhigende 
Erscheinungen  hinzugekommen.  Die  Kranke  wird  plötzlich  wie  starr, 
weiss  eine  kurze  Zeit  nicht,  wo  sie  sich  befindet,  was  um  sie 
herum  vorgeht  etc.  Alles  dies  tritt  plötzlich,  ohne  Vorboten  auf. 
Die  Zunge  liegt  jetzt,  ohne  fibrilläre  Zuckungen  zu  zeigen,  am 
Boden  der  Mundhöhle;  activ  kann  sie  nicht  über  die  Zähne 
nach  vorne  gebracht  werden;  die  Aussprache  der  Lippen- 
b  u  c h  s  tab  e n  b,  p,  m  ist  unmöglich.  Die  S p  r  a  eh  e  ist  sehr 
schwerfällig,  mühsam,  näselnd,  obgleich  das  Gaumensegel  sich 
activ  hebt.  Schlucken  sehr  erschwert;  die  Psyche,  die 
Sinne  sind  intact,  ebenso  die  Glieder  activ  beweglich,  nicht  ge¬ 
lähmt:  das  Allgemeinbefinden  ist  leidlich.  Die  elektrische  Unter¬ 
suchung  deckte  keine  Anomalien  auf:  das  Herz  erwies  sich  als 
gesund. « *) 

In  einem  Aufsatz:  »Ueber  die  spastischen  infan¬ 
til  e  n  P  a  r  a  1  y  s  e.n  und  d  i  e  m  i  t  ihnen  verwandten 
Erkrankungen«  erwähnt  L.  Haskovec  (nachdem  er 
schon  in  Nr.  88  der  genannten  Zeitschrift  diesen 
Punkt  berührt  hatte  [Wiener  medicinische  Blätter.  1899, 
Nr.  42])  Folgendes:  »Oppenheim  (Ueber  Mikrogyrie 
und  die  infantile  Form  der  cerebralen  Glossopbaryngo- 
labialparalyse.  Neurologisches  Centralblatt.  1895,  pag.  180) 
beobachtete  bulbäre  Symptome  bei  einem  21jährigen 
Patienten,  welcher  mit  cerebral  ;r  Diplegie  behaftet  war  und 
bei  dem  Porencephalie  und  Mikrogyrie  der  linken  Hemisphäre 
und  eine  Mikrogyrie  der  rechten  Hemisphäre  vorgefunden 
ward.  Die  Centralganglien,  die  Brücke  und  die  Med.  oblong, 
ohne  tiefere  Veränderungen.  »Oppenheim  wundert  sich  dar¬ 
über,  dass  auf  diese  Zusammengehörigkeit  noch  nicht  hinge¬ 
wiesen  wurde. 

’)  In  meiner  oben  citirten  Arbeit  berichtete  ich  auch  über  eine  von 
Archer  (Dubl.  Journ.  cf  Med.  Sc.  188ö,  April)  veröffentlichte  Beobachtung, 
einen  neunjährigen  Knaben  betreffend,  welcher  im  Alter  von  14.  Monaten, 
als  er  eben  zu  sprechen  begann,  von  einem  einstündigen,  alle  Muskeln  bt- 
theiligenden  Krampfanfall  ergiiffen  wurde,  nach  dem  aber  keine  ausge¬ 
sprochene  Lähmung,  sondern  nur  ein  allgemeiner  Schwächezustand  zurück¬ 
blieb.  Das  Aussehen  des  neunjährigen  Kindes  war  zwar  nicht  sehr  in¬ 
telligent,  keineswegs  aber  blödsinnig.  Es  sah  und  iiörte  gat  und  verstand 
Befehle  gut  auszuführen.  Von  Woiten  war  inm  nur  »good«  geblieben.  Er 
nä-kte  bejahend,  wenn  er  seine  Zustimmung  gab,  schüttelte  den  Kopf,  wenn 
er  verneint«'.  Er  war  ein  guter  Spielkamerad.  Die  Obduetion  des  im 
August  1884  verstoi  heuen  Knaben  wurde  leide:  nicht  ausgeführt. 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


41 


Dem  ist  aber  nicht  so.  Bernhardt  macht  in  dem  Ar¬ 
tikel:  »Ueber  die  spastische  Cerebralparalyse  im  Kindesalter 
(Hemiplegia  spastica  infantilis)  nebst  einem  Excurse  über 
Aphasie  bei  Kindern«  (Virchow’s  Archiv.  1885)  auf  diese 
Zusammengehörigkeit  aufmerksam. 


REFERATE. 

I.  Suggestion  und  ihre  sociale  Bedeutung. 

Von  Prof.  W.  v.  Bechterew. 

Deutsch  ron  Richard  Weinberg. 

Mit  Zusätzen  des  Verfassers  und  einem  Vorwort  von  P.  Flechsig. 

84  Seiten. 

Leipzig  1899,  Arthur  G  e  o  r  g  i. 

II.  Ueber  die  Mischzustände  des  manisch  depressiven 

Irreseins. 

Ein  Beitrag  zur  klinischen  Psychiatrie.  Mit  vier  Abbildungen  und  einer 
lithographirten  Tafel.  63  Seiten. 

Von  Dr.  Wilhelm  Weygandt. 

München  1899,  J.  F.  Lehmann. 

III.  Die  Abstinenz  der  Geisteskranken  und  ihre  Be¬ 

handlung. 

Für  Anstalt  und  Praxis  dargestellt  voa  Dr.  Hermann  Pfister. 

1899,  Ferdinand  Enke. 

I.  Der  Aufsatz,  der  eine  auf  der  Jahresversammlung  der 
kaiserlichen  medicinischen  Akademie  in  Petersburg  gehaltenen  Rede 
des  bedeutenden  russischen  Neurologen  wiedergibt,  beschäftigt  sich 
nur  flüchtig  mit  der  hypnotischen  und  beabsichtigten  Wachsuggestion 
zu  therapeutischen  Zwecken,  »mit  den  Bedingungen  des  Zustande¬ 
kommens  der  Ueberimpfung  seelischer  Zustände  mit  Umgehung  des 
Ichbewusstseins«,  um  des  Ausführlichen  auf  die  Erörterung  der 
willkürlichen  correlativen  Suggestion  und  ihrer  socialen  Bedeutung 
einzugehen.  Bei  der  beabsichtigten  Wachsuggestion  ist  oft  ein  unwill¬ 
kürlicher  Widerstand  zu  überwinden,  bei  der  unwillkürlichen,  wobei 
es  sich  um  einen  natürlichen  psychischen  Rapport  zwischen  zwei 
und  mehreren  Personen  handle,  entfällt  der  Widerstand,  was  als 
die  Suggestion  begünstigendes  Moment  wirkt.  Wegen  der  hiebei 
gegebenen  Möglichkeit  wechselseitiger  psychischer  Beeinflussung 
wird  der  Terminus  unwillkürliche  correlative  Suggestion  aufgesteht. 
Die  suggestive  Uebertragung  von  Ideen  erfolgt  am  häufigsten  auf 
dem  Wege  des  Gehörorgans,  häufig  auf  optischem  Wege,  es  fehlt 
nicht  an  Beispielen  suggestiver  Einwirkung  mittelst  des  Tast-  und 
Muskelsinnes;  an  Beispielen  wird  das  erwiesen. 

Durch  unwillkürliche  und  correlative  Suggestion  geht  im  all¬ 
täglichen  Leben  der  psychische  Austausch  vor  sich,  welcher  Ge¬ 
fühle,  Gedanken  und  Handlungen  und  selbst  die  physische  Sphäre 
zu  beeinflussen  im  Stande  ist. 

Der  Autor  erörtert  weiterhin  die  Macht  der  psychischen 
Impfung  an  Beispielen  aus  pathologischem  Gebiete,  so  an  sich  aus¬ 
breitenden  hysterischen  Anfällen,  Massenselbstmorden,  dem  indu- 
cirten  Wahnsinn.  Psychische  Infectionen  können  aber  auch  ohne 
die  in  letzgenannten  Fällen  zu  supponirende  Empfänglichkeit  für 
fremde  Beeinflussung  zu  Stande  kommen  bei  Vorherrschen  gleich¬ 
artiger  Ideen,  identischer  Affecte  und  Stimmungen  bei  vielen  Per¬ 
sonen.  Unter  solchen  Bedingungen  können  Gollectiv-  oder  Massen- 
hallucinationen  in  Erscheinung  treten;  interessante  Beispiele,  auch 
solche  aus  der  Geschichte,  werden  als  Belege  angeführt.  In  vielen 
Erscheinungen  des  Sectenwesens  erblickt  der  Autor  die  Wirkungen 
der  unwillkürlichen,  correlativen  und  der  Autosuggestion,  ebenso 
wie  in  den  psychopathischen  Epidemien.  Als  solche  werden  erörtert 
die  epidemische  Verbreitung  der  sogenannten  Besessenheit  im  XVII., 
des  Hexenwesens  im  XVI.  Jahrhundert,  die  mittelalterlichen  Epi¬ 
demien,  die  als  Chorea  Sancti  Viti,  Chorea  Sancti  Johanni,  als 
Tarantella  bekannt  sind,  der  Quietismus.  An  Citaten  aus  zeitge¬ 
nössischen  Schriftstellern  wird  die  Entstehung  der  Krampfepidemien 
aus  wechselseitigen  suggestiven  Einwirkungen  dargelegt.  Die  Zauberei¬ 
epidemien  des  XVI.  Jahrhunderts  mit  den  stereotypen  Visionen  der 
Zauberer  sind  durch  gegenseitige  und  Autosuggestion  zu  erklären. 

Einen  breiten  Raum  der  Abhandlung  füllt  die  Besprechung 
des  Maljowannysmus,  einer  im  Süden  Russlands  noch  in  den  letzten 
Jahren  zur  Verbreitung  gelangten  religiösen  Secte;  die  Entwicklung 
dieser  und  ähnlicher  Seelen  charakterisirt  der  Autor  als  eine  be¬ 
sondere  Art  religiös-psychopathischer  Epidemien.  Der  Stifter  der 
Secte,  Maljowanny,  litt  an  Paranoia  chronica;  er  proclamirte 
sich  als  der  eigentliche,  wahre  Heiland  und  gewann  einen  grossen 


Anhang. -B  e  c  h  t  e  r  e  w  will  auch  die  Hallucinationen  des  Maljo¬ 
wanny,  unter  deren  Einfluss  dieser  stand,  als  Effect  von  Auto¬ 
suggestion  bei  durch  Vorherrschen  religiöser  Ideen  vorbereitetem 
Boden  aufgefasst  wissen;  diese  durch  Autosuggestion  bewirkte  Er¬ 
scheinung,  die  Hallucination,  entfalte  weiterhin  suggestive  Wir¬ 
kungen,  trage  zum  Ausbau  der  Wahnideen  bei  und  entfessele  »Triebe 
und  Regungen,  gegen  die  der  Wille  ohnmächtig  ist,  wie  unter  dem 
Banne  einer  wahren  Suggestion«.  Nach  alldem  wäre  die  Paranoia 
oder  zum  Mindesten  gewisse  Formen  der  Paranoia  ein  bei  einer 
gewissen  Geistesrichtung  sich  ergebendes  Product  von  Autosuggestion 
und  von  durch  Sinnestäuschungen  und  Wahnideen  bedingten  Sug¬ 
gestionen,  eine  Auffassung,  der  sich  manche  Bedenken  entgegen¬ 
setzen  liessen. 

Dass  die  mit  psychopathischen  Zügen  ausgestattete  Gemeinde, 
die  Maljowanny  um  sich  geschaart,  unter  wirksamer  Suggestion 
seitens  des  typischen  Paranoiikers  Maljowanny  stand,  ist  aus 
der  schönen  und  genauen  Schilderung  ihres  Sectenwesens  unter 
Zugrundelegung  klinischer  Gesichtspunkte  zu  ersehen.  Als  den 
Maljowannyten  gleichwertige  Seelen,  als  gleiches  Product  psycho¬ 
pathischer  Epidemien,  werden  die  Chlysten,  Duchoborzen  und  Skopzen 
geschildert.  Unter  gleichen  Gesichtspunkten  wird  der  Spiritismus 
betrachtet. 

Den  psychopathischen,  auf  Suggestion  beruhenden  Epidemien 
werden  psychische  Epidemien  ohne  eigentliche  pathologische  Züge 
ge  genübergestellt. 

Als  eine  asthenische  Form  wird  die  Panik,  der  ganze  Volks¬ 
massen  ergreifende  Schreck  besprochen,  als  psychische  Epidemie 
mit  activen  Erscheinungen,  mit  seelischen  Erregungszuständen  der 
Fanatismus,  so  auf  religiösem  Gebiete,  betont. 

Als  günstige  Bedingungen  für  die  Verbreitung  psychischer  In¬ 
fectionen  werden  eine  gewisse  Prädisposition  des  psychischen 
Milieus  und  Volksanhäufungen  im  Namen  einer  gemeinschaftlichen 
Idee  hervorgehoben. 

Mit  weit  ausholenden  Ausblicken  auf  die  erziehliche  Macht, 
welche  die  von  den  berufenen  Führern  des  Volkes  geübte  Sug¬ 
gestion  haben  könne  und  mit  einer  kurzen  Erörterung  des  Problems, 
welche  historische  Bedeutung  dem  Individuum  mit  Rücksicht  auf 
die  von  Einzelnen  ausgehenden,  mächtigen  suggestiven  Einwirkungen 
auf  die  Mitwelt  zukomme,  schliesst  die  fesselnd  geschriebene,  die 
höchsten  socialen  Probleme  in  das  Gebiet  der  Suggestion  einbe¬ 
ziehende  und  die  viele  sociale  Erscheinungen  mit  klinischem  Blick 
erfassende  Abhandlung,  die  als  anregende  Lecture  einer  warmen 
Empfehlung  werth  erscheint. 

* 

II.  Beobachtungen  über  Substitution  einzelner  Hauptsymptome 
der  beiden  Phasen  des  circulären  Irreseins  durch  das  Positiv  oder 
Negativ  der  entgegengesetzten  Phase  bilden  den  Gegenstand  der 
Arbeit.  Wegen  der  Mischung  der  Symptome  aus  der  manischen 
und  der  depressiven  Phase,  die  entweder  nur  flüchtig  im  Anfalle 
oder  beim  Uebergang  aus  einer  in  die  andere  Phase  auftritt,  oder 

sich  selbst  auf  die  Dauer  einer  ganzen  Phase  des  manisch  de¬ 

pressiven  Irreseins  ausdehnt,  bezeichnet  der  Autor  diese  Zustände 
als  Mischzustände  des  manisch  depressiven  Irreseins.  Es  gibt 

Kranke,  deren  Anfälle  in  ihrer  Vollständigkeit  das  eine  Mal  eine 

Schulform,  das  andere  Mal  ausschliesslich  einen  Mischzustand 
zeigen,  .  allerdings  selten  auch  solche,  welche  in  ihrem  ganzen 
Leben  nur  an  Mischzuständen,  nie  an  reiner  Manie  oder  Depression 
erkranken.  Die  Beobachtung  zahlreicher  Fälle  zeigt,  dass  der 
Uebergang  von  typischen  Anfällen  circulären  Irreseins  zu  den  ex¬ 
tremen  Mischzuständen  ein  allmäliger  ist,  sich  durch  eine  Reihe 
von  Zwischenstufen  verfolgen  lässt,  so  dass  eine  Abgrenzung  der 
einen  von  den  anderen  Fällen  nicht  leicht  möglich  ist.  Schematische 
Zeichnungen  (Curven),  auf  beobachtete  Fälle  bezogen,  dienen  zur 
Illustrirung  dieser  Angaben. 

Es  ist  ferner  betont,  dass  z.  B.  die  psychomotorische  Veränderung 
nur  ein  Bewegungsgebiet  treffen,  ein  anderes  unberührt  lassen 
kann;  so  kann  Rededrang  bei  starker  Hemmung  oder  Mutacismus 
bei  Beschäftigungsdrang  vorhanden  sein.  Es  werden  darauf  be¬ 
zügliche  Krankengeschichten  mitgetheilt,  aus  denen  hervorgeht,  dass 
die  Fassung  des  manisch  depressiven,  wie  überhaupt  des  periodi¬ 
schen  Irreseins  durch  den  Autor  sich  die  K  r  a  e  p  e  1  i  n  sehen 
Lehren  zu  eigen  macht.  Da  Kraepelin  viele  der  von  Anderen 
als  recidivirende  Amentia  aufgefassten  Fälle  in  das  Gebiet  der 


42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  2 


periodischen  Psychosen  einreiht,  finden  sich  auch  hei  W  <?v  ga  n  d  t 
Fälle  mit  Hallucinationen  und  Verwirrtheit  unter  den  Mischzuständen 
erörtert. 

Dass  aber  die  Fälle,  die  bisher  als  Amentia,  acuter  Wahn¬ 
sinn,  acute  Paranoia  beschrieben  wurden,  die  verschiedensten 
Mischungen  von  Symptomen  aus  beiden  Phasen  des  circulären 
Irreseins  aufweisen  können,  ist  ja  bekannt. 

Unter  Rücksichtnahme  auf  die  drei  Symptomengegensätze  in 
beiden  Phasen  erwartet  der  Autor  sechs  verschiedene  Mischzustände 
nach  Ausschluss  der  classischen  Zustände  der  circulären  Depression 
und  der  Manie,  beschränkt  sich  aber  nur  auf  eine  ausführlichere 
Schilderung  der  drei  wichtigsten,  am  häufigsten  und  längsten  von 
ihm  beobachteten  Mischzustände,  die  er  mit  den  Terminis:  mani¬ 
scher  Stupor  (nach  Kraepelin)  agitirte  Depression  und  unpro¬ 
ductive  Manie  bezeichnet. 

Der  manische  Stupor  ist  eine  Mischung  von  manisch  geho¬ 
bener  Stimmung  mit  psychomotorischer  Hemmung  und  Denk¬ 
erschwerung.  Die  agitirte  Depression  als  Gegensatz  hiezu  eine 
Mischung  von  depressiver  Stimmung  mit  psychomotorischer  Er¬ 
regung  und  meist  auch  mit  Ideenflucht.  Die  unproductive  Manie 
(schon  von  Kraepelin  beschrieben)  ist  durch  Denkerschwerung 
bei  heiterer  Stimmung  und  sonstiger  psychomotorischer  Erregung 
charakterisirt. 

Unter  150  Fällen  von  circularem  Irresein  fand  Autor  20% 
solcher  Mischzustände. 

Betreffs  der  vom  Autor  entworfenen  klinischen  Bilder  dieser 
Mischzustände,  sowie  hinsichtlich  der  differentialdiagnostischen  Ge¬ 
sichtspunkte  gegenüber  katatonischen  Zuständen,  der  Paralyse,  ist 
auf  das  Original  zu  verweisen. 

* 

III.  In  erschöpfender,  allerdings  stellenweise  sehr  umständlicher 
Weise  wird  die  Frage  der  Abstinenz  der  Geisteskranken  in  einem 
87  Seiten  starken  Hefte  behandelt.  Die  minutiöse  Darstellung  recht¬ 
fertigt  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch  den  Zweck  der 
Schrift,  die  den  Anfängern  in  der  Psychiatrie  und  dem  praktischen 
Arzte,  der  in  die  Lage  kommt,  abstinirende  Geisteskranke  zu  be¬ 
handeln,  ein  Wegweiser  sein  soll. 

Die  Behandlung  des  Stoffes  gliedert  sich  in  drei  Abschnitte: 
Aetiologie,  Symptomatologie  und  Diagnose  und  Therapie  der  Abstinenz. 
Als  ätiologische  Gruppen  werden  rein  psychische,  rein  somatische 
und  gemischte  Ursachen  unterschieden.  Die  Erörterung  der  ätiolo¬ 
gischen  Momente  verliert  sich  manchmal  in  theoretische  Spitzfindig¬ 
keiten,  was  bei  einer  so  rein  praktischen  Frage,  wie  sie  den  Gegen¬ 
stand  der  Schrift  bildet,  besser  vermieden  hätte  werden  können. 

Die  ausführliche  Besprechung  der  Therapie  mit  ihrer  voraus¬ 
setzungslosen  Behandlung  jedes  Details  wird  dem  in  dieser  Sache 
Unkundigen  wohl  sehr  erwünscht  sein. 

Im  Capitol  »Symptomatologische  Therapie«  wird  die  Schlund¬ 
sondenernährung,  Ernährung  durch  Klystiere  und  subcutane  Er¬ 
nährung  unter  Angabe  der  zweckmässigsten  Nährflüssigkeiten  er¬ 
örtert.  Ein  auf  die  behandelte  Frage  bezügliches  ausführliches 
Literaturverzeichniss  bildet  den  Abschluss.  Es  ist  zu  erwarten,  dass 
der  Wunsch  des  Autors,  durch  seine  Schrift  zur  Verbreitung  der 
Kenntnisse  von  den  bei  nahrungsverweigernden  Geisteskranken 
üblichen  Behandlungsmethoden  beizutragen,  sich  erfüllen  wird. 

Elzholz. 


I.  Entwurf  zu  einer  genossenschaftlichen  Musteranstalt  für 
Unterbringung  und  Beschäftigung  von  Nervenkranken. 

Commentar  zur  Broschüre 

»U  eher  die  Behandlung  von  Nervenkranken  und 
die  Errichtung  von  Nervenheilstätten«  von 
Dr.  P.  J.  M  ö  b  i  u  s. 

Von  A.  Grolimann,  Zürich. 

Stuttgart  1899,  Ferdinand  Enk  e. 

II.  Die  Immunisirung  der  Familien  bei  erblichen  Krank¬ 

heiten  (Tuberculose,  Lues,  Geistesstörungen). 

Ein  Wort  zur  Beruhigung  für  Aerzte  und  Gebildete. 

Von  Dr.  Albert  Reibmayr. 

Leipzig  und  Wien  1899.  Franz  Deuticke. 

III.  Ueber  familiäre  Irrenpflege. 

Von  Dr.  Konrad  Alt,  Director  und  Chefarzt  der  Landes-Ileil-  und  Pflege¬ 
anstalt  Uchtspringe  (Altmark). 

Mit  zwei  Tafeln. 

Halle  a.  S.  1899,  Karl  M  a  r  h  o  1  d. 


IV.  Ueber  Temperenzanstalten  und  Volksheilstätten  für 
Nervenkranke,  die  für  dieselben  in  Betracht  kommenden 

Erkrankungen  und  deren  Behandlungsweise. 

Von  Dr.  A.  Smith,  dirigirender  Arzt  des  Temperenzsanatoriums  Schloss 

Marbach  am  Bodensee. 

Zweite  durchgesehene  Auflage. 

W  ii  r  z  b  u  r  g  1899,  A.  Stüber  (C.  Kabitzsch). 

V.  Grundriss  der  Psychiatrie  für  Studirende  und  Aerzte. 

Von  Dr.  Theodor  Kirchhoff,  Director  der  Provincial-Pflegeanstalt  bei  Neu¬ 
stadt  in  Holstein  und  Privatdocent  für  Psychiatrie  an  der  Universität  Kiel. 

Leipzig  und  Wien  1 899,  Franz  Deuticke. 

I.  Verfasser  hat  mit  der  vorliegenden  Arbeit  den  Versuch  ge¬ 
macht,  einer  von  M  ö  b  i  u  s  in  der  oben  genannten  Broschüre  ge¬ 
gebenen  Anregung  Folge  zu  leisten.  Sein  Project  geht  dahin,  dass 
eine  Genossenschaft  auf  dem  Lande,  und  zwar  in  schönster  Gegend, 
eine  Anstalt  baue,  in  der  Nervenkranke  in  einer  Weise  Zusammen¬ 
leben,  dass  der  Aufenthalt  billig  käme  und  durch  gewisse  Einrich¬ 
tungen  (Einzelzimmer  für  Jeden  etc.)  jedem  Patienten,  wofern  er 
sich  abzusondern  wünscht,  die  Isolirung  ermöglicht  würde.  Verfasser 
möchte  in  diese  Anstalt  den  Geist  des  Klosters  tragen.  Er  denkt 
sich  dieselbe  unter  Leitung  eines  psychiatrisch  gebildeten  Arztes, 
der,  ausgestattet  mit  »Keuschheit,  Armuth  und  Gehorsam«  (Col- 
legen  mit  der  Neigung,  diese  drei  Tugenden  zu  bethätigen, 
dürften  recht  schwer  zu  finden  sein.  Anmerkung  des  Refe¬ 
renten),  das  Haupt  der  Anstalt  repräsentiren  soll.  Diese  soll  von 
grösseren  Bevölkerungscentren  entfernt  sein.  Die  Ernährung  der 
Kranken  soll  eine  gute  und,  gleich  der  Kleidung,  den  Einrich¬ 
tungen  etc.,  einfache  sein. 

Mithilfe  in  Land-  und  Hauswirthschaft,  Lecture,  Musik  und 
andere  Künste  sollen  den  Kranken  Beschäftigung  und  Erholung 
bieten.  Als  ersten  Versuch  denkt  sich  Verfasser  eine  Anstalt  blos 
für  männliche  Patienten. 

Der  Entwurf  des  Verfassers  baut  sich  aus  den  Prämissen  auf, 
dass  für  die  meisten  Nervenkranken  die  Ausscheidung  aus  der 
eigenen  oder  der  elterlichen  Familie,  für  viele  Nervenkranke  die 
Ausscheidung  aus  dem  Stadtleben  angezeigt  ist.  Verfasser  berück¬ 
sichtigt  ferner  in  seinem  Entwürfe  ganz  richtig,  dass  viele  Nerven¬ 
kranke  im  Anfangsstadium  einer  Psychose  stehen  oder  bereits  psy¬ 
chisch  abnorm  sind,  dass  eine  grosse  Zahl  dieser  Kranken  zu  den 
kümmerlich  besoldeten  Angestellten  gehört  und  für  sie  eine  billige 
Unterbringung  erwünscht  ist,  dass  nur  eine  grosse  Anstalt  auf  dem 
Lande  die  Einkehr  in  primitive,  rusticale  und  patriarchalische  Ge¬ 
sellschafts-  und  Arbeitsverhältnisse  gestattet  und  dass  endlich  die 
Statuten  der  Genossenschaft,  die  nicht  auf  Erwerb  ausgeht,  garan- 
tiren  für  die  »moralisch  saubere  Sache«,  um  die  es  sich  handelt. 
Selbstverständlich  ist  die  Alkoholabstinenz  für  alle  Angestellten  und 
Pfleglinge  der  Anstalt  obligat  gedacht. 

In  der  im  Allgemeinen  sehr  lesenswerthen  Arbeit,  welche  viele 
werthvolle  Winke  und  bei  Errichtung  einer  Heilanstalt  für  Nerven¬ 
kranke  sehr  beachtenswerthe  Rathschläge  enthält,  sind  dennoch 
einige  Punkte  enthalten,  welchen  Referent  auf  Grund  seiner  Er¬ 
fahrungen  nicht  beistimmen  möchte.  So  spricht  Verfasser  zwar 
für  einen  Neubau,  stimmt  jedoch  auch  im  Falle  finanzieller  Schwierig¬ 
keiten  dem  Versuche  bei,  eine  ehemalige  Luftcuranstalt,  ein 
Schloss,  eine  Burg  oder  ein  Fabriksgebäude  anzukaufen  und  zu 
adaptiren.  Von  einem  solchen  Versuch  ist  nur  abzurathen,  denn 
Anstalten,  die  aus  einem  ehemals  zu  einem  anderen  Zweck  errich¬ 
teten  Gebäude  umgebaut  wurden,  entsprechen  ihrem  neuen  Zweck 
immer  nur  unvollkommen.  Ferner  findet  Referent  in  dem  Entwurf 
der  Statuten  für  die  projectirte  Anstalt  die  dem  Verwalter  einge¬ 
räumte  Ausnahmestellung  unter  den  Angestellten  eine  sehr  gefähr¬ 
liche  Sache.  Wer  Erfahrung  in  diesen  Dingen  hat,  wird  die  für  die 
Ordnung,  den  Frieden  und  die  Disciplin  in  einer  Anstalt  höchst 
verderbliche  Institution  des  Dualismus  in  der  Anstaltsleitung  ver- 
urtheilen.  In  einer  Krankenanstalt  muss  das  ärztliche  Element  das 
dominirende  sein  und  es  muss  durch  die  Statuten  von  vornherein 
verhindert  werden,  dass  die  administrative  Leitung  gegen  die  ärzt¬ 
liche  Stellung  nehmen  kann.  Wenn  Verfasser  die  Hauptschwierig¬ 
keit  für  seinen  Entwurf  darin  erkennen  zu  müssen  glaubt,  dass  ein 
grosser  Theil  der  für  die  Anstalt  geeigneten  Patienten  sich  von  dem 
rigorosen  Programm  der  Anstalt  abgeschreckt  fühlen  wird,  so  mag 
er  darin  wohl  Recht  haben. 

* 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  19ÜÜ 


43 


II.  Die  vorliegende  Brochure  hat  den  Zweck,  das  durch  ein¬ 
seitige  Beobachtung  und  Statistik  der  Aerzte  und  durch  die 
Uebertreibungen  gewisser  Schriftsteller  über  die  Frage  der  Ver¬ 
erbung  pathologischer  Zustände  zu  übertriebenen  Anschauungen 
hinneigende  Publicum  auf  den  richtigen  Weg  zu  führen.  Nicht 
nur  das  Pathologische  wird  vererbt,  sondern  auch  die  Widerstands¬ 
kraft,  die  zu  einer  fortschreitenden  Immunisirung  gegen  das  ver¬ 
erbte  Pathologische  führt.  Nicht  anpassungsfähige  Glieder  in  solchen 
Familien  gehen  in  den  ersten  Lebensjahren  zu  Grunde,  wer  aber 
in  diesen  Jahren  der  Erbkrankheit  entgeht,  hat  Aussicht,  dieselbe 
eventuell  leichter  zu  überstehen.  Der  Kampf  gegen  die  vererbbaren 
pathologischen  Zustände  wird  durch  eine  hygienische,  natürliche 
Lebensweise  unterstützt.  Je  zahlreicher  die  immunisirten  Familien 
werden,  desto  milder  werden  die  erblichen  Krankheiten  auftreten, 
desto  mehr  wird  die  Sterblichkeit  an  diesen  Krankheiten  abnehmen. 
Die  Aerzte  können  die  Natur  in  diesem  Kampfe  unterstützen  durch 
die  Hygiene  der  Prophylaxis,  ferner  durch  Propagirung  einer  natür¬ 
lichen,  mässigen  Lebensweise. 

* 

III.  Das  dem  Andenken  FerdinandWahrendorf  f  s,  des 
Vaters  der  deutschen  familiären  Irrenpflege,  gewidmete  Buch  be¬ 
handelt  die  familiäre  Pflege  der  Irren,  worunter  verstanden  sein 
soll  »die  Unterbringung  eines  Geisteskranken  gegen  angemessene  Ver¬ 
gütung  in  einer  fremden  Familie,  welche  im  Umgänge  mit  derartigen 
Kranken  besondere  Erfahrung  und  Geschicklichkeit  besitzt,  welche 
sich  gewissermassen  berufsmässig  in  den  Dienst  einer  Anstalt  und 
des  Irrenarztes  stellt«.  Grosse  Ausdehnung  hat  die  familiäre  Irren¬ 
pflege  in  Belgien  (Gheel,  Lierneux)  und  in  Schottland  gewonnen,  im 
Gegensatz  zu  England,  wo  sie  wenig  Verbreitung  fand,  und  zu 
Amerika,  wo  ein  langsamer  Rückgang  zu  verzeichnen  ist.  In  Spanien 
werden  von  altersher  zahlreiche  Geisteskranke  von  fremden  Fa¬ 
milien  berufsmässig  verpflegt.  In  Russland  ist  die  Familienpflege 
eingeführt,  in  Frankreich  existirt  sie  seit  dem  Jahre  1864  und 
geht  einer  weiteren  Entwicklung  entgegen,  sie  findet  sich  in  Holland 
und  in  Italien.  In  Niederösterreich  ist  die  systematische  Einführung 
der  Familienpflege  in  sichere  Aussicht  genommen.  In  Deutschland, 
wo  die  ersten  Spuren  der  Familienpflege  der  Irren  schon  im  Beginn 
des  XVI.  Jahrhunderts  zu  finden  sind,  hat  diese  Verpflegsform 
zwar  bereits  weite  Verbreitung  und  vielseitige  Anerkennung  gefunden, 
wenn  sie  aber  doch  nicht  recht  in  Gang  kommen  und  an  Aus¬ 
dehnung  gewinnen  will,  liegt  der  Grund  darin,  dass  in  den  modernen 
Irrenanstalten  Deutschlands  die  Geisteskranken  ein  solches  Mass 
von  Freiheit  gemessen,  dass  das  Bedürfniss  nach  Einführung  der 
Familienpflege  geringer  zu  Tage  tritt.  Verfasser  tritt  den  gegen  die 
Familienpflege  erhobenen  Bedenken  entgegen  und  schliesst  mit  den 
Worten  Gri  esinger’s:  »Was  die  prachtvollste  und  bestgeleitete 
Anstalt  der  Welt  niemals  gewähren  kann,  die  volle  Existenz  unter 
Gesunden,  die  Rückkehr  aus  einem  künstlichen  und  monotonen  in 
ein  natürliches  und  sociales  Medium,  die  Wohlthat  des  Familien¬ 
lebens,  das  gewährt  den  Geisteskranken  nur  die  Familienpflege.« 
Die  Bestimmungen  über  die  Familienpflege  in  Uchtspringe,  sowie 
ein  reiches  Verzeichniss  der  Literatur  über  Familienpflege  sind  dem 
Buche  angeschlossen,  dessen  Lecture  allen  Fachgenossen  wärmstens 
empfohlen  sein  soll. 

* 

IV.  Smith  fordert  für  die  Behandlung  gewisser  Krankheiten 
absolute  Enthaltung  vom  Alkohol,  welche  er  zum  Theil  als  einzige 
therapeutische  Forderung  aufstellt,  zum  Theil  zur  Unterstützung  für 
die  übrigen  therapeutischen  Massnahmen  empfiehlt.  Unter  diesen 
Krankheiten  werden  die  Herz-  und  Kreislauferkrankungen  angeführt, 
deren  Behandlung  mit  steigenden  Alkoholgaben  höchst  bedenkliche 
Folgen  nach  sich  ziehen  kann,  und  die  Nervenkrankheiten,  diese  mit 
Rücksicht  auf  die  Beeinträchtigung  des  Nervensystems  durch  den 
Alkohol  und  in  Erwägung  des  Umstandes,  dass  eine  Reihe  von 
Nervenkrankheiten  in  kurzer  Zeit  bei  Alkoholabstinenz  ohne  jede 
andere  Behandlung  heilt.  Völlig  proscribirt  wird  natürlich  der  Alko¬ 
holgenuss  bei  vorhandenem  Alkoholismus.  Bei  Morphiophagen  em¬ 
pfiehlt  Smith  die  allmälige  Entziehung  des  Morphins  und  Vor¬ 
enthaltung  des  Alkohols,  da  während  der  Entziehung  und  Vermin¬ 
derung  des  Morphins  dieselben  Affectionen  des  Herzens  aufzutreten 
pflegen,  die  der  Alkoholismus  hervorruft. 

Smith  tritt  für  die  Gründung  von  Temperenzanstalten  zur 
Aufnahme  Nervenkranker  ein. 


Für  Zahlungsunfähige  sollten  Volksheilstätten  durch  öffent¬ 
liche  Wohlthätigkeit  und  mit  Unterstützung  des  Staates  gegründet 
werden,  über  deren  Einrichtung  und  Betrieb  manche  Rathschläge 
ertheilt  werden,  und  in  welchen  alle  Jene  Pflege  finden  könnten, 
die  aus  irgend  welchen  Ursachen  ihr  nervöses  Gleichgewicht  ver¬ 
loren  haben.  Auszuscliliessen  von  der  Aufnahme  wären  moralisch 
unzurechnungsfähige  Degenerirte,  Querulanten,  Intriguanten  mit 

paranoischen  Zügen  und  ruhelose  Epileptiker. 

* 

V.  Kirchhoff  hat,  von  der  richtigen  Erwägung  ausgehend, 
dass  der  Inhalt  eines  Lehrbuches  von  dem  Studirenden  am  leichtesten 
bei  kurzer  und  einfacher  Bearbeitung  des  Stoffes  aufgenommen 
wird  und  ein  solches  Lehrbuch  auch  dem  Collegen  in  der  Praxis 
am  besten  zur  Orientirung  dient,  in  dem  vorliegenden  Grundriss 
der  Psychiatrie  in  übersichtlicher  und  einfacher  Fassung  den  Gegen¬ 
stand  seines  Buches  behandelt.  Dasselbe,  in  einen  allgemeinen  und 
einen  besonderen  Theil  zerfallend,  befasst  sich  in  dem  ersteren  in 
sechs  Capiteln  mit  den  anatomischen  Grundlagen  der  geistigen 
Störungen,  ihren  Ursachen,  Zeichen  und  Erscheinungen,  ihrem  Ver¬ 
lauf,  der  Untersuchung  zum  Erkennen  derselben  und  ihrer  Grenz¬ 
zustände,  endlich  mit  ihrer  Behandlung.  Der  zweite  Theil  ist  der 
Besprechung  der  einzelnen  Formen  der  geistigen  Störungen  ge¬ 
widmet.  Letztere  theilt  Kirchhoff  in  drei  Gruppen,  insoferne 
sie  sich  vorzugsweise  aus  Spannungszuständen  einzelner  Hirntheile 
entwickeln  oder  mit  nachweisbaren  anatomischen  Veränderungen 
des  Gehirns  verbunden  sind  oder  bei  einigen  allgemeinen  Erkran¬ 
kungen  des  Nervensystems  (Epilepsie,  Hysterie,  Neurasthenie)  und 
bei  Vergiftungen  auftreten. 

Die  Begrenzung  einzelner  psychischer  Krankheitsformen  ist 
heutzutage  noch  Gegenstand  der  Discussion.  Kirchhoff  hat  dem 
Streit  der  Meinungen  über  diese  Krankheitsformen  und  über  ihre 
Grenzen  in  dem  zweiten  Theile  seines  Buches  nicht  Rechnung  ge¬ 
tragen  und  wird  dadurch  erreichen,  dass  Jenen,  welche  ihren  psy¬ 
chiatrischen  Unterricht  nur  aus  diesem  Werke  schöpfen,  das  Un¬ 
sichere  in  der  Psychiatrie  verborgen  bleibt. 

Das  trotz  seiner  Kürze  inhaltsreiche,  seinem  Zweck  als  Lehr¬ 
buch  vollständig  entsprechende  Werk  kann  bestens  empfohlen  werden. 
Zu  bedauern  ist  nur,  dass  der  allzukleine  Druck  eine  längere 
Lectüre  erschwert  und  die  Uebersichtlichkeit  beeinträchtigt. 

Schloss. 


Die  Symptomatologie  der  Kleinhirnerkrankungen. 

Von  Dr.  Arthur  Adler,  Nervenarzt  in  Breslau. 

Wiesbaden,  1899,  Bergmann, 

In  dieser  höchst  verdienstvollen  Monographie  wird  auf  Basis 
eines  gossen  casuistischen  Materiales,  das  mit  Fleiss  aus  der 
Literatur  aller  Völker  zusammengesucht  ist,  und  unter  Berück¬ 
sichtigung  der  Ergebnisse  der  experimentellen  Forschung  die 
Symptomatologie  der  Erkrankungen  des  Kleinhirnes  und  seiner 
Schenkel  abgehandelt. 

Die  vorzüglichste  Aufgabe  des  Kleinhirnes  ist :  Das  Körper¬ 
gleichgewicht  aufrecht  zu  halten  und  die  Stärke  und  Präcision  der 
Bewegungen  zu  heben.  Da  jede  Kleinhirnhemisphäre  mit  der  gleich¬ 
seitigen  Körpermusculatur  in  Verbindung  steht,  ist  sie  im  Stande 
durch  verstärkte  Innervation  der  gleichseitigen  Neiger  und  Dreher 
des  Rumpfes,  Schwankungen  und  Drehneigung  des  Körpers  nach 
der  contralateralen  Seite  zu  compensiren,  während  der  Wurm  die 
Aufgabe  zu  haben  scheint,  mit  Hilfe  seines  Einflusses  auf  die  Rumpf¬ 
strecker  und  -Beuger,  Vor-  und  Rückwärtsschwankungen  des 
Körpers  auszugleichen.  Bei  einseitigen  Kleinhirnaffectionen  stellt 
daher  die  Neigung  zum  Fall  auf  die  gesunde  Seite  ein  Ausfalls-, 
diejenige  zum  Fall  auf  die  kranke  aber  ein  Reizsymptom  dar. 
Wenn  die  seitlichen  Körperschwankungen  bei  Kleinhirnkranken 
durch  abnorme  Innervations  Verhältnisse  an  den  Rumpfneigern  zu 
Stande  kommen,  so  verdanken  die  Manege-  und  Spiralbewegungen 
solchen  der  Rumpfdreher  ihre  Entstehung.  Sie  erscheinen  als  das 
Resultat  der  vorwärtsbewegenden  Kraft  des  Grosshirnes  und  der 
abnorm  stark  drehenden  einer  Kleinhirnhälfte  bei  Ausfall  der 
anderen.  Zwangsbewegungen  (respective  Zwangslagen)  nach  der  ge¬ 
sunden  Seite  hin  sind  daher  als  Ausfallserscheinung,  solche  nach 
der  kranken  aber  als  Reizerscheinung  seitens  der  erkrankten  Klein¬ 
hirnhälfte  zu  betrachten.  Analoge  Verhältnisse  wie  für  die  Rumpi- 
dreher  gellen  auch  für  die  Kopf-  und  Augendreher,  daher  conjugirlo 


44 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Ablenkung  der  Augen  und  des  Kopfes  nach  der  gesunden  Seite 
bei  einseitiger  Kleinhirnaffection. 

Wie  die  Versuche  II  e  r  i  n  g’s  und  Sherington’s  zeigen, 
gehen  bei  Reizung  des  Grosshirnes  die  Contractionen  der  Muskeln 
mit  einem  Nachlassen  des  Tonus  ihrer  Antagonisten  einher.  Um 
nun  einen  übermässigen  Ausschlag  zu  hindern,  tritt  nun  ein 
Reflextonus  der  Antagonisten  ein  und  für  diesen  dürfte  dem  Klein¬ 
hirn  eine  grosse  Bedeutung  zuzuschreiben  sein.  Die  bei  Kleinhirn- 
affectionen  beobachteten  Anomalien  der  willkürlichen  Bewegungen 
dürften  in  Störungen  dieser  Kleinhirnfunction  ihre  Ursache  haben. 

v.  C  z  y  h  1  a  r  z. 

Die  Bedeutung  der  Uebungen  bei  Erkrankungen  des 

Centralnervensystems. 

Inaugural-Dissertation  von  Dr.  Dimitri  G.  Boykin  off. 

Berlin  1899,  Gustav  Schade. 

Der  Verfasser  bat  sich  der  gewiss  danken swerthen  Aufgabe 
unterzogen,  in  knapper  Darstellung  gewissermassen  das  Programm 
der  Mechanotherapie  der  centralen  Nervenerkrankungen  zu  ent¬ 
werfen.  Er  steht  ganz  auf  dem  Standpunkte  der  Berliner  Schule, 
welche  durch  v.  Leyden,  G  o  1  d  s  c  h  e  i  d  e  r,  P.  Jacob  den 
wissenschaftlichen  Boden  für  diese  junge  Disciplin  erst  geschaffen 
hat.  Einen  modernen  Anstrich  erhielt  die  im  übrigen  nüchtern 
gehaltene  Arbeit  durch  die  zu  Grunde  gelegte  Neuronenlehre  und 
die  eingehende  Berücksichtigung  der  Exner’schen  Anschauungen 
von  der  Beeinflussung  der  Reflexvorgänge.  Daraus  ergibt  sich  von 
selbst  die  Einbeziehung  der  Lehre  von  den  Reizen  und  der  Auf¬ 
merksamkeit  in  die  Darstellung  und  die  Eintheilung  in  eine 
bahnende  und  compensatorische  Uebungstherapie.  Herz. 


Normale  Anatomie  des  Sehnerveneintrittes. 

Zusammenstellung  ophthalmoskopischer  und  anatomischer  Befunde. 

Von  A.  Elschnig. 

Mit  Mikrophotographien  von  0.  Z  o  t  h. 

Augenärztliche  Unterrichtstafeln  von  Magnus,  Heft  16. 

Breslau  1899,  J.  N.  Kern. 

Wenn  man  pathologische  Anatomie  und  pathologische  Befunde 
verstehen  will,  so  muss  man  zuerst  die  normale  Anatomie  der 
betreffenden  Organe  kennen.  Im  inneren  Auge  beginnen  die  meisten 
krankhaften  Zustände  an  der  Papille,  der  Stelle  des  Sehnervenein- 
triltes  in  das  Auge.  Es  ist  deshalb  die  Arbeit  von  Elschnig 
freudig  zu  begrüssen,  welche  uns  die  Stelle  des  Sehnerveneintrittes 
mit  allen  seinen  Varietäten  klar  legt.  Es  geschieht  dies  durch  treff¬ 
liche  Abbildungen  und  erläuternden  Text.  Die  Abbildungen  zeigen 
einmal  das  ophthalmoskopische  Aussehen  des  Augenhintergrundes, 
wie  es  Elschnig  bei  Lebzeiten  des  Patienten  erhoben  hatte, 
und  dann  nach  dem  Ableben  desselben  Patienten  den  anatomischen 
Durchschnitt  an  vortrefflichen  Mikrophotographien.  Ich  möchte  noch 
besonders  die  ausserordentliche  Schönheit  und  Klarheit  der  Photo¬ 
graphien  hervorheben,  die  den  routinirten  Fachmann  verrathen.  Die 
vielen  und  schlechten  Photographien  in  der  Medicin  können  häufig 
diese  Kunst  misscreditiren.  Viele  glauben  eben,  dass  Photographiren 
ein  Abklatschen  sei,  zu  dem  keine  Kenntniss  gehöre.  In  vorliegen¬ 
dem  Heft  sieht  man,  was  Kenntniss  und  vollendete  Technik  in 
diesem  Fache  leisten  können.  Der  Text  ist  klar  und  leicht  ver¬ 
ständlich.  Das  Heft  wird  nicht  nur  dem  Anatomen  und  Ophthal¬ 
mologen,  sondern  jedem  Arzt,  der  sich  für  den  Augenhintergrund 
intcressirt,  Belehrung  bringen.  Prof.  G  r  e  e  f  f  (Berlin). 


Untersuchungen  an  Taubstummen. 

Von  Dr.  A.  Schwendt,  Privatdocent  in  Basel,  und  Dr.  F.  Wagner. 

Basel  1899,  B.  Schwabe. 

Das  vorliegende,  ganz  vorzügliche  Werk  bietet  die  bisher 
eingehendste  Bearbeitung  der  Hörprüfungsmethoden  bei  Taubstummen 
dar,  wobei  den  hiezu  geeigneten  Schallquellen  eine  sorgfältige 
kritische  Besprechung  gewidmet  ist. 

Die  sich  daran  schliessenden  physiologischen  und  physikali¬ 
schen  Bemerkungen  verleihen  der  ganzen  Darstellung  ein  erhöhtes 
Interesse.  Die  von  den  beiden  Verfassern  an  59  Taubstummen  vor¬ 
genommenen  Hörprüfungen  sind  in  einer  geradezu  mustergiltigen 
Weise  durchgeführt  und  die  graphische  Darstellung  der  Unter¬ 
suchungsergebnisse  ist  als  besonders  gelungen  zu  bezeichnen.  In 
der  kritischen  Darstellung  der  verschiedenen  Anschauungen  über 


den  Werth  von  methodischen  Hörübungen  für  Taubstumme  tritt 
der  streng  objective  Standpunkt  der  beiden  Herren  Verfasser  deutlich 
hervor.  Erfreulicher  Weise  sprechen  sich  Schwendt  und 
Wagner  mit  Entschiedenheit  zu  Gunsten  der  Hörübungen  aus. 

Wer  der  so  wichtigen  Frage  über  das  Hörvermögen  der 
Taubstummen  und  der  Bedeutung  der  Hörübungen  näher  treten 
will,  wird  in  dem  Werke  von  Schwendt  und  Wagner  einen 
ausgezeichneten  Führer  finden.  Urbantschitsch. 


NOTIZEN. 

Habilitirt:  Dr.  Moriz  Sachs  als  Privatdocent  für  Augen¬ 
heilkunde  in  Wie  n  und  Dr.  Anton  H  ever  och  für  Psychiatrie 
und  Neurologie  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag.  —  Dr.  L. 
Neumayer  für  Anatomie  in  Münche  n. 

* 

Gestorben:  Der  Augenarzt  Medicinalrath  Dr.  Mooren  in 
Düsseldorf. 

* 

Am  30.  December  1899  starb  zu  London  Sir  James  Paget, 
Bart.,  im  Alter  von  85  Jahren,  ein  in  hohem  Ansehen  gestandener 
Chirurg,  dessen  Arbeiten  aus  den  verschiedensten  Gebieten  der  Patho¬ 
logie  über  seine  englische  Heimat  hinaus  gewürdigt  sind.  Unter  diesen 
wurden  am  bekanntesten  seine  Studien  über  Erkrankung  des  Warzen¬ 
hofes  als  Vorläufer  des  Brustdrüsenkrebses  (Paget’s  disease). 

* 

Die  „Deutsche  medicinische  Wochenschrift“  hat  mit  dem  Ein¬ 
tritt  ins  heurige  Jahr  das  Jubiläum  ihres  25jährigen  Bestehens  be¬ 
gangen.  Mit  stolzer  Genugthuung  können  Redaction  und  Verlag  von 
der  Höhe  der  gegenwärtigen  Bedeutung  des  Blattes  auf  die  Ent¬ 
wicklung  zurückblicken,  die  dieses  literarische  Unternehmen  im 
Dienste  der  Wissenschaft  und  der  ärztlichen  Standesinteressen  aufzu- 
wtisen  hat.  Die  erste  Nummer  des  XXVI.  Jahrganges  ist  der  von 
hervorragenden  Mitarbeitern  beigestellten  retrospectiven  Betrachtung 
der  Fortschritte  der  medicinisehen  Hauptfächer  innerhalb  der  letzten 
25  Jahre  gewidmet. 

* 

Von  Dr.  AVal  dheim’s  „Pharmaceutischem  Lexiko  n“, 
herausgegeben  im  Verlage  Hart  leben,  sind  die  Schlusslieferungen 
des  Werkes  (16  — 19)  erschienen. 

* 

Im  Verlage  von  Alt  in  Frankfurt  a.  M.  ist  ein  von  Dr.  Groh- 
mann  für  das  Jahr  1900  herausgegebenes  „Aerztliches  Jahr¬ 
buch“  erschienen,  welches  nebst  Kalendarium  unter  Anderem  eine 
Uebersicht  über  die  neueren  Heilmittel,  medicinische  Bäder  und,  was 
besonders  bemerkenswerth  ist,  einen  kurzen  Grundriss  der  Ernährungs¬ 
therapie  und  Diätetik  mit  Tabellen  über  Zusammensetzung  der  wich¬ 
tigsten  Nahrungsmittel  und  Nährpräparate  bringt. 

* 

Dr.  Wilhelm  Knoep  felmae  her  (emeritirter  I.  Se- 
cundararzt  des  Carolinen-Kinderspitales)  wohnt:  I.,  W  i  p  p  1  i  n  g  er¬ 
st  r  a  s  s  e  38. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  51.  Jahreswoche  (vom  17.  December  bis 
23.  December  1899).  Lebend  geboren:  ehelich  556,  unehelich  299,  zusammen 
855.  Todt  geboren:  ehelich  38,  unehelich  21,  zusammen  59.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  643  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
20  4  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  117,  Blattern  0,  Masern  17, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  13,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exantbematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  41.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
130  ( —  19),  Masern  330  ( —  47),  Scharlach  44  ( —  13),  Typhus  abdominalis 
5  ( —  1),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  29  ( —  11),  Croup  und 
Diphtherie  55  ( —  25),  Pertussis  23  ( — 3),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  5  1),  Trachom  6  (-[-  4),  Influenza  3  (-j-  3)- 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang;  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 


k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Verhandlungen 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
12.  December  1899, 

Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien.  Sitzung  vom 
28.  November  1899. 


Naturwissenschaftlich-medicinischer  Verein  in  Strassburg  i.  E.  Sitzung 
vom  24.  November  und  8.  December  1899. 

Greifswalder  raedicinischer  Verein.  Sitzung  vom  24.  October  1899. 
Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck.  Sitzung  vom 
28.  October  1899. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  12.  December  1899, 
abgehalten  im  Hofrath  Knol  1’schen  Hörsaal. 

Vorsitzender  :  Hofrath  v.  Krafft-Ebing. 

Schriftführer:  Dr.  Elzholz. 

1.  Dr.  Elz  holz:  Zur  Histologie  alter  Nerven- 
Stümpfe  in  amputirten  Gliedern. 

Vortragender  demonstrirt  mit  dem  elektrischen  Mikroskope  mit 
Osmium  gefärbte  Zupfpräparate,  mit  verschiedenen  Methoden  gefärbte 
Quer-  und  Längsschnitte  aus  verschiedenen  Höhen  von  durch  Ream- 
putation  in  zwei  Fällen  gewonnenen  Nervenstümpfen  der  unteren  Ex 
tremitäten,  nachdem  11  und  15  Jahre  nach  der  ersten  Amputation 
verflossen  waren. 

In  Zapfpräparaten  fanden  sich  bald  sprunghafte  Uebergänge 
dicker  in  continuirlieh  verlaufende  dünne,  markhaltige  Fasern,  bald 
dicken  Fasern  interponirte,  dünne  markhaltige  Schaltstücke,  intercaläre 
Segmente  nach  Gombault,  dann  marklose  Stücke,  dünnen  markhaltigen 
Fasern  interponirt.  Die  Zwischensubstanz,  in  welcher  die  Nervenfasern  ver¬ 
laufen, zerfällt  in  verschieden  breite  feinstreifigeBänder.  Für  einzelne  Bänder 
ist  der  Befund  mehr  oder  minder  zahlreicher,  in  spiralig  gewundenen 
Touren,  in  ihnen  verlaufender,  dünner,  varicöser,  markhaltiger  Nervenfasern 
hervorzuheben.  Aus  den  Querschnitten  ergibt  sich  das  Ueberwiegen  dünner, 
markhaltiger  Fasern  über  die  normal  dicken  auch  in  den  höchsten 
Querschnitten,  die  von  dem  durch  Reamputation  gewonnenen  Materiale 
erhältlich  waren;  gegen  das  Stumpfende  nimmt  die  Zahl  der  dicken 
Fasern  zu  Gunsten  der  dünnen  markhaltigen  ab,  aber  auch  diese 
lichten  sich  gegen  das  periphere  Ende  des  Stumpfes,  indem  sie  amye- 
linen,  nur  im  Carminpräparate  darstellbaren  und  nur  bei  starker  Ver- 
grösserung  sichtbaren,  sehr  dünnen  Fasern  Platz  machen.  Die  Zwischen¬ 
substanz,  im  Zupfpräparate  in  Bändern  entgegentretend,  präsentirt  sich 
in  den  Carmin-Querschnitten  in  Form  inselförmiger  Gebilde  von  sehr 
wechselndem  Umfange  bis  zum  Durchmesser  eines  rothen  Blutkörper¬ 
chens.  Diese  Inseln  sind  in  distalen  Querschnitten  der  Nervenstiimpfe 
fast  ausschliesslich  von  dünnen,  zumeist  amyelineu  Fasern  durchsetzt, 
deren  Zahl  je  nach  der  Grösse  der  Inseln  eine  sehr  schwankende  ist; 
in  den  kleinsten  Inseln  findet  sich  oft  nur  eine  Faser.  Die  Substanz 
der  Inseln  besteht  aus  kerntragenden,  blassen,  feinen  Fasern  (Fibrillen), 
die  sowohl  im  Zupfpräparate,  wie  auf  Längsschnitten  zur  Ansicht  ge¬ 
langen.  Bezüglich  der  aus  obigen  Befunden  sich  ergebenden  Gesichts¬ 
punkte  für  die  Beuvtheilung  der  in  den  Nervenstümpfen  abgelaufenen 
Processe  wird  auf  die  ausführliche  Publication  verwiesen.  (Erscheint 
ausführlich  in  den  Jahrbüchern  für  Psychiatrie.) 

2.  Dr.  E.  R  a  i  m  a  n  n  demonstrirt  einen  Fall  von  Korsakoff- 
scher  Psychose  ohne  Polyneuritis,  die  durch  eine  Polioencephalitis 
superior  acuta  und  ein  Delirium  alcoholicum  eingeleitet  worden  war. 
(Erscheint  unter  den  Originalmittheilungen  dieser  Nummer.) 

Der  Vorsitzende  dankt  Herrn  Hofrath  Knoll  für  die  Ueber- 
lassung  des  Hörsaals,  Dr.  v.  B  i  e  1  k  a  für  die  Mühewaltung  bei  der 
Projection  der  histologischen  Bilder  mittelst  elektrischen  Mikroskopes. 


Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien. 

Jahrgang  1899  — 1900. 

Sitzung  am  28.  November  1899. 

Vorsitzender  :  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer  :  Herr  Sigm.  Fuchs. 

1.  Herr  S.  Klein  (a.  G.)  stellt  einen  Fall  von  beiderseitiger 
sklerosirter  Katarakt  bei  einem  66jährigen  Manne  vor,  in  welchem  die 
Linsen  noch  so  weit  durchsichtig  sind,  um  das  Reflexbild  der  hinteren 
Linsenkapsel  entstehen  zu  lassen.  Während  jedoch  in  anderen  Fällen 
von  diffuser  Linsentrübung  das  hintere  Kapselbild  einfach  verschwommen 
ist,  sonst  aber  vom  Reflex  im  Auge  mit  ungetrübter  Linse  sich  nicht 


unterscheidet,  erscheint  der  erwähnte  Kapselreflex  im  demonstrirten 
Falle,  und  zwar  in  beiden  Augen,  blutrot h,  ähnlich  wie  die  an 
einem  nebeligen  Herbstmorgen  aufgehende  Sonne  blutroth  erscheint. 
Wie  hier  die  dicke  nebelige  Luftschichte,  ist  dort  die  kataraktöse  Linse 
das  trübe  Medium,  welches  eben  nur  die  rothen  Lichtstrahlen  passiren 
lässt,  so  dass  das  trübe  Medium  vor  dem  hellen  Grunde  roth  erscheint. 
Das  demonstrirte  Phänomen  ist  trotz  der  nicht  so  seltenen  diffusen 
Linsentrübung  ausserordentlich  selten,  denn  der  Vortragende  hat  es  in 
seiner  fast  30jährigen  ophthalmologischen  Laufbahn  nur  in  diesem  einen 
Falle  so  prägnant  und  überraschend,  wie  alle  Anwesenden  sich  über¬ 
zeugen  konnten,  gesehen.  Ausser  diesem  einen  Falle  sah  er  es  nur  noch 
zweimal,  aber  viel  schwächer,  fast  nur  angedeutet.  Mauthner  gibt 
an,  es  einige  Male  gesehen  zu  haben.  Dies  ist  aber  auch  Alles,  was 
man  darüber  aus  der  Literatur  erfahren  kann.  Es  findet  sich  sonst 
kein  Sterbenswörtchen  über  diesen  Gegenstand. 

Erörterungen  über  die  muthmassliche  Ursache  der  so  grossen 
Seltenheit  des  demonstrirten  Phänomens  will  sich  Vortragender  für  eine 
andere  Gelegenheit  Vorbehalten. 

2.  Herr  H.  Joseph  hält  den  angekündigten  Vortrag:  „Zur 
Anatomie  des  Co  rti’schen  Organe  s.“  (Mit  Demonstrationen.) 

Der  Vortragende  hat  vor  Allem  den  von  Schwalbe  zuerst 
beschriebenen,  von  einigen  früheren  Autoren  für  Kerne  gehaltenen  Ein¬ 
schlüssen  in  den  Köpfen  der  C  o  r  t  i’schen  Pfeiler  Aufmerksamkeit  ge¬ 
schenkt.  Auf  Radialschnitten  durch  die  Schnecke  des  Meerschweinchens, 
wie  auch  Schwalbe  einen  abbildet,  erscheint  nach  gewissen  Behand¬ 
lungsmethoden  im  Kopf  des  Aussenpfeilers  ein  scheinbar  ellipsoidischer, 
im  Kopfe  des  Innenpfeilers  ein  etwa  hackenförmiger  Körper,  welch 
letzterer  mit  seiner  Concavität  der  convexen  Oberfläche  des  äusseren 
Kopfeinschlusses  innig  anliegt. 

Betrachtet  man  jedoch  Schnitte,  welche  zwar  auch  der  Schnecken¬ 
achse  parallel,  jedoch  nicht  radial  gelegt  sind,  vielmehr  so,  dass  sie 
gerade  die  Reihe  der  Pfeilerköpfe  eine  Strecke  weit  tangential  treffen, 
so  ergibt  sich  ein  sehr  auffälliges  Verhalten.  Am  einfachsten  lässt  sich 
dasselbe  an  dem  Beispiele  der  äusseren  Pfeiler  klar  machen. 

Die  Pfeilerköpfe  erscheinen  auf  Schnitten  von  erwähnter  Qualität 
als  eine  continuirliche  Reihe  von  kleinen  Rechtecken,  die  mit  ihren 
längeren  Seiten  aneinander  stossen.  Die  äusseren  Pfeilerkopfein¬ 
schlüsse  liegen  nun  nicht  etwa  so,  dass  in  je  einem  der  Rechtecke  ein 
ellipsoidischer  Körper  zu  sehen  ist.  Abgesehen  davon,  dass  bei  der 
betreffenden  Schnittführung  die  Form  der  Einschlüsse  nicht  elliptisch, 
sondern  länglich-rechteckig  erscheint,  ist  festzustellen,  dass  die  Lage 
derselben  eine  solche  ist,  dass  sie  gerade  von  den  Grenzen  der  Pfeilei- 
köpfe  (=  lange  Seiten  der  Rechtecke)  halbirt  werden.  Mit  anderen 
Worten:  In  jedem  äusseren  Pfeilerkopfe  befindet  sich  nicht  etwa  ein 
einheitlicher  Körper  von  der  oben  geschilderten  Beschaffenheit,  viel¬ 
mehr  sieht  man  darin  je  zwei  halbe,  nicht  zu  einander  gehörige 
derartige  Körper,  deren  jeder  einer  der  seitlichen  Flächen  des  Kopfes 
anliegt  und  deren  Contour  erst  mit  dem  an  ihn  anstossenden  Halb¬ 
körper  des  benachbarten  Pfeilers  zu  einer  etwa  länglich-sechseckigen 
Figur  sich  vereinigt.  Ganz  analog  liegen  die  Verhältnisse  im  inneren 
Pfeilerkopfe. 

Möglicher  Weise  handelt  es  sich  hier  um  Dinge,  die  mit  der 
angenommenen  gelenkigen  Verbindung  der  Pfeilerköpfe  etwas  zu  thun 
haben.  Doch  lassen  sich  die  complicirten  Details  ohne  Abbildungen 
nur  schwer  oder  gar  nicht  verständlich  machen,  weshalb  auf  die  aus¬ 
führliche  Publication  verwiesen  werden  muss.  Dieselbe  wird  sich  noch 
auf  einige  andere  Thierspecies  erstrecken  und  nebst  dem  hier  behandelten 
noch  andere  Punkte  in  Berücksichtigung  ziehen  ;  sie  soll  in  den  „Ar¬ 
beiten  aus  den  zoologischen  Instituten  der  Universität  Wien  und  der 
zoologischen  Station  in  Triest“  erscheinen. 

3.  Herr  V.  Hammer  schlag  spricht  über  die  Entstehungs¬ 
weise  der  Co  rti’schen  Membran  und  das  Wachsthum  derselben  an 
der  Hand  einer  Reihe  mikroskopische!-  Präparate  von  Meerschweinchen¬ 
embryonen.  Aus  seinen  Ausführungen  geht  hervor,  dass  die  C  o  r  1 1- 
sche  Membran,  so  wie  es  schon  von  früheren  Autoren  mehrfach  be¬ 
schrieben  wurde,  sich  aus  einer  Summe  feinster  Fäserchen  zusammen- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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etzt.  Diese  Fäserchen  entspringen  aus  einem  Theile  des  Epithel¬ 
belages  des  embryonalen  Ductus  eochlearis,  und  zwar  aus  jenem  Theile, 
der  später  das  Epithel  des  Limbus  spiralis  bildet.  Die  Befestigungs¬ 
weise  der  C  o  r  t  i’schen  Membran  an  der  Membrana  reticularis,  die 
schon  K  e  t  z  i  u  s  u.  A.  beschrieben  haben,  sind  an  den  vorliegenden 
Präparaten  auch  zu  sehen  und  Vortragender  glaubt  auf  Grund  seiner, 
gemeinsam  mit  C  z  i  u  n  e  r  ausgeführten  Untersuchungen,  dass  die 
Verbindung  zwischen  der  C  o  r  t  i’schen  Membran  und  dem  Schluss- 
lahmen  der  Membrana  reticularis  vielleicht  eine  durch  das  ganze 
Leben  hindurch  bestehende  sei.  Diese  Art  der  Befestigung  würde  sich 
auch  mit  der  von  Hensen  formulirten  Hypothese  über  die  Function 
der  C  o  r  t  i’schen  Membran  gut  in  Einklang  bringen  lassen. 


Naturwissenscbaftlich-medicinischer  Verein  in  Strass¬ 
burg  i.  E. 

Medicinische  Section. 

II.  Sitzung  vom  24.  November  1899. 

W.  A.  Freund  spricht  über  selbsterlebte  Schwierigkeiten  und 
Irrthümer  in  gynäkologischen  Diagnosen  und  demonstrirt  dieselben  an 
Präparaten  und  Zeichnungen;  er  erörtert  am  Schlüsse  die  Ursachen 
der  Schwierigkeiten  und  die  Mittel,  dieselben  zu  umgehen. 

* 

III.  Sitzung  vom  8.  December  1899. 

1.  Landolt:  Ueber  die  therapeutische  Verwen¬ 
dung  des  Neben  nierenextractes  bei  Krankheiten 
des  Auges. 

Der  Nebennierenextract  in  der  Form  des  Präparates  von 
v.  F  ü  r  t  h  ist,  da  er  frei  ist  von  fremden  Beimengungen,  aseptisch 
hergestellt  wird  und  bequem  aufbewahrt  werden  und  daher  jederzeit  zur 
Hand  sein  kann,  ein  Mittel,  welches  in  der  Augenheilkunde,  wenn  es 
auch  auf  die  Erkrankungen  des  Auges  direct  heilend  nicht  einwirkt, 
für  den  Arzt  und  den  Kranken  von  grossem  Nutzen  sein  kann. 

Es  ist  als  anämisirendes  Mittel  anzuwenden  zur  Vornahme  von 
auch  bei  entzündeten  Augen  blutlosen  Operationen,  zur  Unterstützung 
der  Cocainanästhesie  und  der  Wirkung  des  Atropins,  Eserins  und 
ähnlicher  Mittel. 

Veröffentlichung  im  Centralblatte  für  praktische  Augenheilkunde. 
Novemberheft. 

2.  L  a  q  u  e  u  r  spricht  über  das  Centrum  der  Macula  lutea  im 
menschlichen  Gehirn ,  welches  auf  Grund  der  anatomischen,  von 
Dr.  M.  B.  Schmidt  ausgeführten  Untersuchung  eines  Falles  von 
doppelseitiger  Hemianopsie  mit  Erhaltung  eines  minimalen  centralen 
Gesichtsfeldes  in  dem  hintersten  Abschnitt  der  Rinde  der  Fissura 
calcarina  localisirt  werden  konnte. 

Der  Fall  wird  in  Virchow’s  Archiv  (Decemberheft  1899)  ver¬ 
öffentlicht  werden. 


Greifswalder  medicinischer  Verein. 

Sitzung  vom  24.  October  1899. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer :  Busse. 

1.  Rosemann  demonstrirt  den  Tonographen  nach 
Gärtner  und  den  Blutdruckmesser  nach  F  r  e  y. 

2.  Busse  bespricht  die  verschiedenen  Gruppen  der 
Doppelmissbildungen,  demonstrirt  Präparate  von  menschlichen 
und  thierischen  Doppelmissbildungen  und  erklärt  die  näheren  anatomi¬ 
schen  Einzelheiten. 

In  der  Discussion  macht  Martin  darauf  aufmerksam,  dass  die 
Geburt  der  Missbildungen  oft  leicht  und  spontan  vor  sich  gehe. 

Bonnet  führt  aus,  dass  die  Entstehung  der  Doppelmissbildungen 
in  der  allerersten  Zeit  der  Entwicklung  zu  suchen  ist. 

3.  S  trüb  in  g  stellt  einen  63jährigen  Patienten  mit  Aorten¬ 
aneurysma  und  dadurch  bedingter  linksseitiger 
Recurrenslähmung  vor.  Die  auf  Grund  des  physikalischen 
Untersuchungsbefundes  gestellte  Diagnose  wurde  im  vorliegenden  Falle 
durch  das  Röntgen- Bild  gesichert. 

4.  L  e  i  c k  demonstrirt  einen  an  juveniler  progressiver 
Muskelatrophie  (Erb)  leidenden  Patienten. 

5.  Tilmann:  Experimentelles  über  Schädel¬ 
brüche. 

Im  Anschluss  an  seinen  Vortrag  im  Februar  1898:  „Ueber 
Schädelschüsse“  berichtet  Tilmann,  dass  die  damals  festgestellte 
Theorie  noch  zu  Recht  bestehe.  K  r  ö  n  1  e  i  n  habe  auf  dem  Chirurgen- 
cougross  allerdings  zwei  Fälle  mitgetheilt,  die  dagegen  sprechen  sollten. 


Tilmann  führt  aus,  dass  der  erste  Fall,  bei  dem  das  Gehirn  in 
toto  aus  dem  Schädel  geschleudert  wurde,  unmöglich  durch  einen 
gewöhnlichen  Gewehrschuss  verursacht  sein  konnte.  Der  zweite  Fall, 
sei  nicht  genügend  klargestellt  und  widerspräche  ganz  den  herrschen¬ 
den  Ansichten.  Auch  bei  den  Schädelfracturen  trägt  das  Gehirn  zur 
Verschlimmerung  der  Knochenzertrümmerung  bei,  wie  Fall-  und  Schlag¬ 
versuche  mit  enthirnten  oder  vollen  Schädeln  zeigen.  Die  eigenthüm- 
liche  Wirkung  des  Contrecoups  erklärt  Tilmann  auf  Grund  von 
Versuchen  mit  Gelatineklössen  durch  directe  Fortleitung  des  Stosses 
im  Gehirn  selbst. 

6.  P  ei  per:  Fliegenlarven  als  Schädlinge  des 
Menschen.  Das  durch  Fliegenlarven  hervorgerufene  Krankheitsbild 
der  Myiasis  dermatosa  und  der  Myiasis  intestinalis  wird  besprochen 
und  drei  neue  Beobachtungen  der  letzteren  mitgetheilt. 


Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck. 

Sitzung  am  28.  October  1899. 

Vorsitzender:  Hofrath  Prof.  Dr.  R.  v.  Vintschgan. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  A.  Posselt. 

Prof.  Ehrendorfer:  Vor  Wiederbeginn  unserer  Sitzungen 
lassen  Sie  uns  auch  an  diesem  Orte  des  während  der  Sommerferien 
verstorbenen,  verdienten  Collegen  Klotz,  der  seinerzeit  Mitglied  unseres 
Vereines  war,  gedenken. 

Aus  dem  Ihnen  zumeist  bekannten  Lebenslaufe  sei  daran  erinnert, 
dass  Hermann  Klotz  nach  Erlangung  des  Doctordiploms  haupt¬ 
sächlich  am  Maria  Theresien-Hospital  zu  Wien  ein  bleibendes  Interesse 
für  die  Gynäkologie  gewonnen  und  seine  chirurgische  Tüchtigkeit 
als  mehrjähriger  Operationszögling  an  B  i  1 1  r  o  t  h’scher  Klinik 
erlangt  hat. 

Im  Jahre  1881  habilitirte  sich  Klotz  auf  Grund  seiner  Ar¬ 
beiten  als  Docent  für  die  Pathologie  der  weiblichen  Sexualorgane, 
sieben  Jahre  darauf  wurde  er  Professor  extraordinarius  für  Gynäkologie, 
im  Jahre  1890  wurde  seine  venia  legendi  auch  auf  Geburtshilfe  er¬ 
weitert.  Seine  wissenschaftliche  Bedeutung  und  Leistungen,  die  haupt¬ 
sächlich  in  den  Arbeiten  über  die  Erkrankungen  der  Portio  vaginalis, 
über  jene  der  weiblichen  Brustdrüse,  über  das  Adenom  der  Placenta, 
Deciduom  und  mehreren  anderen  niedergelegt  sind,  habe  ich  nebst 
anderen  Details  in  meinem  Nekrolog  in  der  Monatsschrift  für  Geburts¬ 
hilfe  und  Gynäkologie  veröffentlicht.  Es  mag  nicht  unerwähnt  bleiben, 
dass  in  seinem  Nachlasse  noch  eine  Reihe  von  unvollendeten  wissen¬ 
schaftlichen  Arbeiten  und  Fragmenten  über  verschiedene  fachliche 
Capitel  vorgefunden  worden  sind,  die  ein  weiteres  Zeugniss  seines 
steten  Fleisses  bilden.  Klotz  erfreute  sich  als  gewandter  Operateur 
und  humaner  Arzt  eines  wohlverdienten  Rufes  im  ganzen  Lande  und 
darüber  hinaus.  Die  praktischen  Aerzte  ehrten  ihn  seinerzeit  durch  die 
Wahl  zum  Obmanne  des  Vereines  der  Aerzte  Deutschtirols;  hier 
mögen  Sie  das  Andenken  an  den  ernst  strebenden  Collegen,  den  ein 
trauriges  Geschick  der  Wissenschaft  und  dem  ärztlichen  Berufe  zu 
früh  entrissen  hat,  durch  Erheben  von  den  Sitzen  ehren. 

Prof.  v.  Hacker  stellt  einen  51jährigen  Mann  vor,  bei  dem 
er  vor  1 9  Tagen  wegen  eines  Oesophaguscarcinoms  die  Gastrostomie 
nach  einer  combinirten  Methode  (v.  Hacker-Frank)  ausge¬ 
führt  hat. 

Das  37  cm  von  der  Zahnreihe  sitzende  exulcerirte  und  stark 
stenosirende  Carcinom  ist  ösophagoskopiscb,  sowie  durch  die  Unter¬ 
suchung  einer  kleinen  extrahirten  Partie  des  Geschwürsrandes  auch 
mikroskopisch  nachzuweisen.  Der  Kranke  konnte  sich  vom  Munde  her 
nicht  mehr  genügend  ernähren. 

Die  Operation  wurde  so  ausgeführt,  dass  durch  den  längs- 
getheilten  linken  Rectus  eingegangen  und  ein  vorgezogener  Magen¬ 
zipfel  an  seiner  Basis  rings  mit  Peritoneum  und  Fascie  umsäumt 
wurde,  sodann  wurde  derselbe  nach  Unterminirung  der  Haut  unter 
dieser  nach  aufwärts  an  eine  circa  3  cm  höher  am  Rippenbogen  gelegene 
Incisionswunde  der  Haut  genäht  und  ausserdem  eine  Acupuncturnadel, 
die  dann  auf  den  Bauchdecken  lag,  durch  sämmtliche  Schichten  des 
vorgelagerten  obersten  Zipfeltheiles  durchgesteckt. 

Nach  zwei  Tagen  erfolgte  die  Eröffnung  des  Magens  mit  dem 
Thermokauter  und  die  Einführung  eines  Diainrohres  in  denselben. 

Die  Wundheilung  ist  glatt  erfolgt. 

Der  Verschluss  der  Fistel  ist  jedoch  kein  so  vollkommener,  wie 
nach  der  Combination  der  Sphinkterbildung  mit  der  Canalbildung 
(v.  Hacker-Witze  1),  ein  Verfahren,  das  sich  dem  Vortragendem 
beim  Carcinom  bisher  am  besten  bewährt  hat,  während  er  bei  der 
gutartigen  Stenose  jugendlicher,  kräftiger  Individuen  die  einfache 
Sphinkterbildung  aus  dem  Rectus  jedem  anderen  Verfahren  vorzieht. 
Bei  Witzel’s  Canalbildung  und  der  einzeitigen  Mageneröffnung  be¬ 
steht  immerhin  die  Gefahr  der  leichter  möglichen  Infection  der  Wunde 
und  des  Peritoneums. 


Nr.  2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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v.  Hacker  handelte  es  sich  darum,  selbstständige  Erfahrungen 
über  die  Verwendbarkeit  des  F  r  a  n  k’schen  Verfahrens,  namentlich 
zum  Zwecke  der  Combination  desselben  mit  anderen  Methoden  der 
Gastrostomie  zu  machen.  Frank  selbst  hat  bei  seinem  Verfahren  den 
Finge  r’schen  Schnitt  parallel  dem  linken  Rippenbogen  gemacht, 
wobei  sich  vielleicht  eine  noch  stärkere  Abknickung  des  Magens  über 
den  Rippenbogen  erzielen  lässt.  Es  ist  jedoch  von  vorneherein  klar, 
dass  die  Zipfelbildung  und  Abknickung  dieses  Zipfels  durch  Hinauf¬ 
nähen  nur  dann  möglich  ist,  wenn  der  Magen  noch  entsprechend  ver¬ 
ziehbar  ist,  was  bei  den  hochgradigen  Schrumpfungs Verhältnissen  des¬ 
selben  nach  lange  dauernder  Inanition  nicht  oder  nur  mit  grosser 
Spannung  gelingt.  Einem  derartig  atrophischen,  nicht  gut  ernährten 
Magen  darf  man  in  dieser  Hinsicht  nicht  zu  viel  zumuthen. 

v.  Hacke  r  hat  in  zwei  früheren  Fällen  üble  Erfahrungen  ge¬ 
macht.  Da  er  dachte,  dass  in  den  durch  die  Fran  k’sche  Methode 
wie  eine  Art  Vormagen  extraperitoneal  gelagerten,  aber  doch  mit  dem 
übrigen  in  der  Bauchhöhle  gelagerten  communicirenden  Theil  des 
Magens  bei  Lageveränderungen  leicht  Mageninhalt  eindringen  könne, 
wie  dies  auch  in  dem  vorgestellten  Falle  leicht  eintrat,  suchte  er  eine 
stärkere  Abknickung  dadurch  zu  erzielen,  dass  er  den  nach  der  Längs- 
incision  durch  den  linken  Rectus  vorgezogenen  Magenzipfel  nicht  nur 
unter  der  Haut,  sondern  unter  der  abgelösten  Rectusscheide  auf  ein 
Stück  nach  aufwärts  zog  und  dann  höher  oben  durch  eine  Haut  und 
Rectusscheide  durchtrennende  Incisionsöffnung  an  die  Oberfläche  führte 
und  sodann,  soweit  es  ohne  Spannung  ging,  die  getrennten  Recti  und 
eventuell  auch  die  Rectusscheide  in  der  Mittellinie  wieder  vernähte.  In 
beiden  Fällen  ist  eine  partielle  Nekrose  an  dem  vorgelagerten  Magen¬ 
zipfel  aufgetreten,  die  zu  Eiterung  führte,  die  in  einem  der  Fälle 
auch  auf  das  Peritoneum  Übergriff. 

Der  Magenzipfel  darf  demnach  nicht  stark  geknickt  und  auch 
nicht  stark  gespannt  werden.  Da  hier  ein  verhältnissmässig  weiter 
Magentheil  durch  den  Rectus  hindurchgeführt  wird,  ist  der  Abschluss 
kein  idealer.  Kocher  hat  dasselbe  beobachtet  und  daher  ausser  der 
Sphinkterbildung  an  dem  nach  Frank  extraperitoneal  gelagertem 
Magenzipfel  noch  die  Witzel’sche  Canalbildung  ausgeführt,  um  eine 
exact  schliessende  Fistel  zu  erzielen. 

Docent  Dr.  Lot  heissen  demonstrirt  zuerst  einen  jungen 
Mann,  bei  dem  wegen  eines  Blasensteines,  der  sich  um  einen 
Fremdkörper  gebildet  hatte,  der  hohe  Blasenschnitt  mit  nach¬ 
folgender  vollständiger  Naht  der  Blasen  wunde  ausgeführt 
wurde.  (Erscheint  ausführlich.) 

Sodann  stellt  er  einen  Mann  vor,  welcher  wegen  einer  trau¬ 
matischen  Urethralruptur  und  fast  vollständigem 
Defects  der  Scrotal  haut  die  chirurgische  Klinik  aufsuchte, 
und  bei  dem  er  die  Urethrorhaphie  und  Neubildung  des 
Scrotums  durch  Brückenlappen  ausführte. 

Der  44jährige  Maurer  war  Ende  Juli  stockhoch  mit  dem  Peri¬ 
neum  auf  einen  Schotterhaufen  gefallen.  Erst  acht  Tage  später  traten 
Beschwerden  auf,  gegen  die  mehrere  Aerzte  ihm  nicht  helfen  zu 
können  erklärten.  Es  erfolgte  endlich  spontan  der  Durchbruch,  es  ent¬ 
leerte  sich  Eiter  und  Urin,  und  bald  stiess  sich  der  grösste  Theil  der 
Scrotalhaut  nekrotisch  ab.  Nun  lagen  die  granulirenden  Testikel  frei, 
der  Kranke  trug  sie  in  einem  Suspensorium;  fast  der  ganze  Urin  floss 
durch  die  Fistel  ab. 

Am  18.  September  wurde  die  Urethralfistel  angefrischt  und  ver¬ 
näht,  Dauerkatheter  eingelegt.  Dann  wurden  zwei  seitliche  Brücken¬ 
lappen  gebildet  und  diese  zur  Deckung  der  Testikel  so  gegen  die 
Mittellinie  verschoben,  dass  sie  sich  durch  Naht  vereinigen  Hessen. 

Der  Patient  ist  nunmehr  geheilt;  trotz  der  queren  Zerreissung 
der  Urethra  besteht  keine  Strietur,  die  dicksten  Katheter  lassen  sich 
leicht  einführen. 

Prof.  Rille  demonstrirt  zwei  Fälle  von  Pemphigus. 

Der  eine,  ein  28jähriger  Taglöhner,  befindet  sich  seit  26.  Juli 
an  der  Klinik. 

Acht  Tage  vorher  hatte  er  am  rechten  Mittelfinger  das 
Auftreten  von  mehreren  ziemlich  grossen  Blasen  bemerkt,  etwas 
später  ebensolche  an  beiden  Vorderarmen.  Zwei  Tage  darauf  be¬ 
stand  Fieber  und  entwickelte  sich  an  Brust  und  Bauch  ein  fleckiger 
Ausschlag,  am  Fussrücken  und  am  Nabel  dagegen  Blasen.  Bei  der 
Aufnahme  waren  Stamm  und  Extremitäten  von  einem  Exanthem  ein¬ 
genommen,  das  aus  linsen-  bis  über  kreuzergrossen  Einzelefflorescenzen 
bestand,  theils  gruppirt,  theils  regellos  disseminirt.  Dazwischen  oder 
auch  vom  Centrum  der  Erythemflecke  aus  erhoben  sich  hanfkorn-  und 
erbsengrosse,  prall  mit  klarer  Flüssigkeit  erfüllte,  thautropfenartig 
glänzende  Blasen;  noch  grössere  und  dichter  beisammenstehende  be¬ 
fanden  sich  um  das  Ellbogen-  und  Handgelenk,  gleichwie  in  der  Pa¬ 
tellar-  und  Malleolargegend.  Am  Zungenrande  bestanden  mohnkorn- 
bis  halberbsengrosse,  mit  hämorrhagischem  Inhalt  erfüllte  Bläschen, 
weitere  mehr  länglichovale  am  Rande  der  vorderen  Gaumenbögen  und 
der  Uvula,  zum  Theil  eingesunken  oder  geplatzt  und  blassgrau 
gefärbt. 


Während  des  Spitalsaufenthaltes  erfolgten,  nahezu  continuirlich 
von  Fieberbewegungen  und  lebhaftem  Jucken  begleitet,  an  den  meisten 
Körperpartien  weitere  Erythem-  und  Blasenausbrüche.  Besonders  bevor¬ 
zugt  von  den  letzteren,  die  hier  in  ansehnlicher  Zahl  und  Grösse  auf¬ 
traten,  erschien  das  Scrotum,  die  Unterbauchgegend  und  die  Haut  am 
Sprunggelenke,  aber  auch  am  Lidrande  und  der  Conjunctiva  schossen 
kleine  Bläschen  auf,  die  meist  wieder  platzten  und  zu  rascher  Ein¬ 
trocknung  gelangten. 

Gegenwärtig  finden  sich  an  der  Körperoberfläche  die  verschie¬ 
denartigsten  Läsionen,  sowohl  frische  Blasen  mit  und  ohne  erythema- 
tose  Umrandung,  daneben  zahlreiche  scheibenförmige,  theilweise  bis 
über  thalergrosse,  feuchtglänzende  oder  bereits  wieder  mit  zarter  Epi¬ 
dermis  überzogene  rosafarbige  Substanzverluste  nebst  Krusten  und 
Epidermisfetzen,  welche,  wie  die  gleichfalls  in  grosser  Zahl  vorhandenen 
braunen  Pigmentflecken  von  früheren  Blaseneruptionen  herrühren.  Der 
Kranke  ist  seither  auch  etwas  abgemagert,  klagt  über  Schlaflosigkeit 
und  Jucken,  welches  an  solchen  Stellen,  wo  nachmals  Flecke  und 
Blasen  sich  zeigen,  besonders  lebhaft  ist.  An  der  Hohlhand  war  bis 
nun  keine  Blasenbildung  nachzuweisen,  doch  verspürt  Patient  auch 
hier  intensives  Jucken  und  hat  das  Gefühl  des  Geschwollen-  und  Ein¬ 
geschlafenseins,  gleichwie  das  von  Spannung,  wenn  er  die  Hand  zur 
Faust  ballt.  An  Brust  und  Rücken  hat  eine  und  die  andere  Blase 
auch  zarte  Narben  hinterlassen,  bei  Pemphigus  ein  entschieden  seltenes 
Vorkommniss  und  am  ehesten  noch  bei  dem  Pemphigus  acutus  infan¬ 
tum  zu  beobachten,  der  bekanntlich  mit  dem  in  Rede  stehenden  Pem¬ 
phigus  vulgaris  nichts  zu  thun  hat. 

Bemerkenswerth  ist  etwa  noch  das  Vorhandensein  von  Erythem¬ 
flecken,  die  eigentlich  zahlreicher  sind,  wie  die  Blasen  und  vielleicht 
geeignet  sind,  die  Diagnose  in  Frage  zu  stellen  zu  Gunsten  der  An¬ 
nahme  eines  Erythema  multiforme  bullosum  oder  der  sogenannten  Der¬ 
matitis  herpelitformis  D  u  h  r  i  n  g.  Erytheme  finden  sich  aber  bei  den 
meisten  Pemphigusfällen,  zumal  denen  von  dem  hier  demonstrirten 
Typus  und  bei  diesen  wiederum  ganz  besonders  in  den  Remissions¬ 
perioden  oftmals  als  geradezu  flüchtige  Erytheme,  aus  welchen  keines¬ 
wegs  immer  die  Bildung  von  Blasen  hervorgeht,  oder  bei  welchem  es 
nur  zu  minimaler  und  ephemerer  seröser  Transsudation  kommt,  so  dass 
die  Oberfläche  des  Fleckes  nicht  eine  deutliche  blasige  Abhebung, 
sondern  nur  Runzelung  und  Fältelung  zeigt. 

Uebrigens  entsteht  fast  jede  Pemphigusblase  von  gerötheter  Haut 
aus  und  es  bliebe,  falls  man  nur  diejenigen  Fälle  als  Pemphigus 
gelten  lassen  wollte,  wo  die  Blasen  auf  normal  gefärbter  Haut  ent¬ 
stehen,  sehr  wenig  vom  Pemphigus  übrig  und  wäre  dann  diese  Diagnose 
nur  recht  selten  zu  machen.  Die  Diagnose  ergibt  sich  aber  nicht  blos 
aus  den  morphologischen  Details,  sondern  aus  dem  ganzen  Verlaufe, 
der  trotz  eventuellen  stürmischen  Einsetzens  der  Krankheit  dennoch 
ein  chronischer  ist;  die  Abgrenzung  vom  Erythema  multiforme  folgt 
namentlich  aus  der  atypischen  Localisation. 

Röthung  in  der  Umgebung  von  Pemphigusblasen  ist  übrigens 
keineswegs  immer  als  Zeichen  der  recenten  Erkrankung  und  Acuität 
aufzufassen;  es  kommt  derlei  auch  bei  schon  längere  Zeit  bestehenden 
Blasen  vor,  die  sich  auf  normaler  Haut  entwickelt  hatten,  wenn 
der  Blaseninhalt  vollkommen  eiterig  geworden  ist. 

Gegenüber  dieser  alten  klinischen  Erfahrung  einer  Blasenbildung 
auf  erythematöser  Haut  konnte  auch  der  in  neuester  Zeit  erhobene, 
doch  keineswegs  constante  Befund,  dass  die  Pemphigusblase  nicht  in 
einfacher  Abhebung  der  Hornschicht,  sondern  in  der  der  gesammten 
Epidermis,  auch  des  Rete,  bestehe  (Kromayer,  L  u  i  t  h  1  e  n),  gleich¬ 
wohl  nichts  Merkwürdiges  und  Befremdendes  haben,  ebensowenig  wie 
die  Thatsache,  dass  dasselbe  auch  bei  Erythema  bullosum  vorkommt. 

Die  Prognose  ist  in  dem  gegenwärtigen  Falle  jedenfalls  zweifel¬ 
haft,  wenngleich  auch  nicht  unbedingt  schlecht  zu  stellen  und  kann 
ein  derartiger  mittelschwerer  Fall  in  zwei  bis  drei  Monaten  von  jetzt 
ab  sehr  wohl  einen  temporären  Abschluss  finden.  Ungünstig  ist  die 
continuirliche  Blaseneruption  wie  auch  die  Fiebertemperatur,  ebenso 
sind  die  Schleimhauterscheinungen  kein  gutes  Zeichen,  doch  haben  sie 
an  Zahl  und  Intensität  gegenüber  der  anfänglichen  Erkrankung  be¬ 
deutend  nachgelassen.  Von  ominöser  Bedeutung  sind  dieselben  bei 
Pemphigus  namentlich  dann,  wenn  sie  den  Krankheitsprocess  förmlich 
einleiten  und  die  Eruptionen  an  anderen  Körperpartien  ihnen  erst 
später  nachfolgen.  Hinwiederum  sind  aber  dem  Vortragenden  auch 
Fälle  bekannt,  wo  jahrelang  in  continuirlichen  Schüben  Pemphigus 
des  Mundes  und  Rachens  auftrat,  ohne  dass  das  Allgemeinbefinden 
schwerer  alterirt  gewesen  wäre  (Pemphigus  localis).  Gewicht  zu  legen 
ist  bei  unserem  Kranken  auf  die  bis  nun  gute  Constitution,  das  voll¬ 
ständige  Fehlen  von  Verdauungsbeschwerden,  zumal  von  Diarrhöen 
gleichwie  nervösen  Erscheinungen. 

Momentan  besteht  wiederum  Schüttelfrost  und  eine  Erhöhung 
der  Eigenwärme  bis  auf  39°,  was  wohl  die  Vorboten  einer  umfäng¬ 
licheren  neuerlichen  Hauteruption  sein  dürften. 

Der  Kranke  wurde  bisher  mit  indifferenten  Salbenverbänden  und 
protrahirten  warmen  Bädern  behandelt,  denen  etwas  „Ichthyolidin“ 


48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  2 


beigegeben  wurde.  Letzteres  wurde  der  Klinik  des  Vortragenden  von 
der  Ichthyolfabrik  in  Seefeld  (Tirol)  zur  Verfügung  gestellt  und  ist 
ein  bisher  unbenützt  gebliebenes,  stark  aromatisch  riechendes  Neben- 
product  der  Ichthyolbereitung,  das  vielleicht  eine  therapeutische  Wirk¬ 
samkeit  bei  einigen  Hautkrankheiten  an  Stelle  des  Theers  und 
Schwefels  verspricht. 

Die  bekannte  Vielgestaltigkeit  im  Krankheitsbilde  des  Pemphigus 
illustrirt  gegenüber  dem  eben  erörterten  Falle  ein  weiterer  gleichzeitig 
vom  Vortragenden  demonstrirter  Kranker. 

Bei  diesem,  einem  21jährigen  Agenten,  ist  nahezu  die  gesammte 
Körperoberfläche  mit  dicht  gedrängt  stehenden,  meist  stecknadelkopf¬ 
grossen,  stellenweise  gruppirten  Bläschen  bedeckt,  aus  deren  Confluenz 
da  und  dort  auch  grössere,  erbsen-  und  halbhaselnussgrosse  Blasen 
resultiren.  In  geradezu  diffuser  Weise  befallen  sind  Brust  und  Bauch, 
die  Gegend  am  Mons  veneris  und  der  inneren  Schenkelfläche;  die 
Bläschen  erheben  sich  von  einer  gerötheten  Basis  aus  und  sind  von 
bereits  grau  getrübtem,  theilweise  auch  eiterig  umwandeltem  Inhalte 
erfüllt. 

Viele  derselben  sind  geplatzt  oder  eingerissen,  theilweise  auch 
zu  Krusten  vertrocknet.  Eine  besonders  grosse,  prall  mit  weingelbem 
Serum  erfüllte  Blase  befindet  sich  dicht  vor  dem  linken  inneren 
Malleolus  und  sind  auch  sonst  an  den  Unterextremitäten  grössere 
Blasenreste,  gleichwie  von  einem  fetzigen  Epidermissaum  begrenzte 
Substanzverluste  vorhanden. 

Auch  an  der  Penishaut  vielfache  winzig  kleine  Bläschen,  das 
Scrotum  frei,  die  Nates  diffus  befallen;  an  der  behaarten  Kopfhaut 
und  im  Gesichte,  dann  an  den  Ohrmuscheln  fast  durchwegs  zu  grünlich¬ 
gelben,  umschriebenen,  leicht  ablösbaren  Borken  vertrocknete  Bläschen¬ 
gruppen. 

Der  demonstrate  Fall  bat  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  Variola, 
während  die  Affection  der  Gesichts-  und  Kopfhaut  sich  wie  ein  im- 
petiginöses  Ekzem  präsentirt. 

Auch  Impetigo  herpetiformis  ist  auszuschliessen,  da  keine  septi¬ 
sche  Erkrankung  und  auch  kein  Fieber  besteht,  Efflorescenzen  eine 
durchaus  andere  Anordnung  zeigen,  seltener  und  überdies  nicht  von 
vorneherein  eiterig  sind.  Die  Impetigo  herpetiformis  ist  ferner  dem 
weiblichen  Geschlechte  eigentümlich  und  bisher  blos  drei  Fälle  bei 
jungendlichen  männlichen  Individuen  bekannt,  darunter  eine  vom 
Vortragenden,  nebst  Sectionsbefund,  mitgetheilte  Beobachtung.  (Archiv 
für  Dermatologie  und  Syphilis.  Bd.  XLV,  pag.  414.) 

Der  eben  demonstrirte  Kranke  stand  1893  und  1896  mit  dem¬ 
selben  Leiden  an  der  Klinik  in  Behandlung  und  hatte  Arsen,  Chinin, 
Salben  verbände  und  Theerbäder  erhalten. 

In  den  Zwischenzeiten  erfreute  er  sich  völliger  Gesundheit  und 
begann  die  jetzige  Recidiverkrankung  vor  zwei  bis  drei  Wochen. 

Prof.  Ehrendorfer  demonstrirt  einen  über  1  hg  schweren 
Mag  entumor,  welcher,  ins  kleine  Becken  herabreichend,  eine  von 
den  Unterleibsorganen  ausgehende  Geschwulst  vor- 
getäuscht  hat. 

Die  50  Jahre  alte  Patientin  hatte  neunmal  geboren,  verlor  die 
Regel  vor  fünf  Jahren  und  bemerkte  vor  drei  Jahren  ein  etwa  hühnerei¬ 
grosses  Gewächs  im  Leibe,  das  in  letzter  Zeit  an  Grösse  zugenommen 
haben  soll.  Sie  hatte  guten  Appetit,  erbrach  nie  und  klagte  über 
keinerlei  Stuhlbeschwerden;  undeutliche  Magenbeschwerden  nach  dem 
Essen,  als  Druckgefühl  und  Schwere,  wurden  nachträglich  zugegeben. 
Einige  Male  sollen  in  letzter  Zeit  geringe  Blutungen  aus  dem  Genitale 
eingetreten  sein. 

Bei  der  sehr  mageren  Kranken  fand  man  unterhalb  des 
Nabels  eine  halbkugelförmige  Vorwölbung  des  Unterleibes,  bedingt 
durch  einen  etwa  kindskopfgrossen,  glatten,  derbelastischen  Tumor, 
dessen  oberer  Antheil  einen  Querfinger  über  den  Nabel,  dessen  unterer 
bis  ins  Becken  herab  reichte  und  etwas  beweglich  war;  Bauchdeeken 
mehr  schlaff,  oberhalb  des  Nabels  stark  gespannt. 

Durch  die  schlaffe  Scheide  fühlte  man  den  retro-dextrovertirten 
Uterus,  dessen  Verlagerung  durch  den  unteren  Pol  der  von  aussen  ge¬ 
tasteten  Geschwulst  bedingt  war.  Der  Tumor  drängte  die  vordere 
Scheidenwand  beträchtlich  herab,  liess  sich  nicht  ganz  aus  dem  Becken 
heraus  heben,  zeigte  jedoch  mit  der  beweglichen  Gebärmutter  keinen 
deutlichen  Zusammenhang.  Die  Adnexe  waren  nicht  abzutasten.  Im 
hinteren  Douglas  war  ein  kleiner,  höckeriger  Tumorantheil  fühlbar. 

In  der  Annahme,  es  handle  sich  höchst  wahrscheinlich  um  eine 
Eierstocksgeschwulst,  wurde  vom  Vortragenden  am  23.  October  1899 
die  Laparotomie  ausgeführt.  Nach  medianer  Bauchdeckenspaltung  sah 
man  einen  dunkelblaurothen,  mit  zartem  Peritoneum  bedeckten  Tumor, 
über  dessen  Oberfläche  zahlreiche  bis  bleistiftdicke  Venen  verliefen. 

Um  den  Tumor  zu  entwickeln,  musste  die  Bauchwunde  weit 
über  den  Nabel  gespalten  und  noch  ausserdem  von  einem  Assistenten 
der  Tumor  von  der  Scheide  her  durch  kräftiges  Entgegendrücken 
herausgedrängt  werden.  Der  am  vorderen,  unteren  Pole  der  Geschwulst 
angewachsene  Rand  des  grossen  Netzes,  welches  hinter  der  Geschwulst  lag, 
wurde  abgebunden  und  durchtrennt.  Hierauf  wurde  am  oberen  Ge- 


schwulstantheil  eine  Reihe  von  Gefässen  abgebunden.  Jetzt  erst  konnte 
die  Ansatzstelle  des  Tumors  untersucht  werden  und  es  schien  anfangs, 
dass  man  es  mit  reichlichen  Darmverwachsungen  zu  thun  babe..  Nach 
weiteren  Abbindungen  sah  man  hinter  und  unterhalb  der  Geschwulst 
die  ins  grosse  Becken  herabreichende  grosse  Magencurvatur,  und 
konnte  man  deutlich  ersehen,  das  die  Geschwulst  von  der  vorderen, 
oberen  Wand  des  erweiterten  und  verzerrten  Magens  ausgehe.  Die 
oberflächliche  Muskelschichte  des  Magens  strahlte  in  handtellerbreiter, 
fächerförmiger,  dünner  Schichte  in  den  Peritonealüberzug  der  Ge¬ 
schwulst  aus.  Ringsum  wurde  mit  der  Scheere  der  Peritonealüberzug, 
dort  wo  die  glatten  Muskelbündel  aufhörten,  durchtrennt  und  es  ge¬ 
lang  bei  vorsichtigem,  stumpfem  Ablösen,  die  abgeflachte  Basis  der  Ge¬ 
schwulst  aus  ihrem  Bette  vollständig  auszuschälen.  Am  Grunde  der 
durch  längere  Zeit  hartnäckig  venös  blutenden  Wundfläche  sah  man 
starke  Gefässe;  die  Magenhöhle  war  nirgends  eröffnet.  Indessen  zog 
sich  der  stark  herabgezerrte  Magen  wieder  stark  empor  und  die 
Wundfläche  verkleinerte  sich  beträchtlich  durch  Contraction.  Blut¬ 
stillung,  fortlaufende  Seidennaht  der  äusseren  Magenwandschichten, 
Schluss  der  Bauchwunde  in  drei  Etagen.  Leider  haben  an  der  un- 
gemein  gespannten  Bauchwand  oberhalb  des  Nabels  die  Nähte  wieder¬ 
holt  das  brüchige  Peritoneum  und  die  Fascie  durchschnitten. 

Die  ersten  zwei  Tage  nach  der  Operation  befand  sich  die  Kranke 
subjectiv  ziemlich  wohl,  erbrach  nicht  und  war  fieberfrei.  Am  dritten 
Tage  Abends  massiges  Fieber  mit  hoher  Pulszahl,  erschwertes  Athmen, 
Erbrechen  kaffeesatzartiger  Massen;  Exitus  am  26.  October  1899. 

Bei  der  Section  fand  man  eine  rechtsseitige,  eiterige,  lobuläre 
Pneumonie,  Peritonitis  circumscripta,  Atrophie  von  Milz  und  Nieren, 
allgemeinen  Marasmus. 

Die  Magennaht  hat  vollständig  gehalten;  anderweitige  Tumor¬ 
knoten  fanden  sich  keine  mehr  vor.  Die  Geschwulst  (ob  Fibromyom 
oder  Fibrosarkom  ist  noch  nicht  sichergestellt)  sass  vorne  oben,  einige 
Querfinger  weit  vom  Pylorus  entfernt,  an  der  kleinen  Curvatur  des 
kolossal  erweiterten,  schlaffwandigen  Magens. 

Zum  Schlüsse  ersucht  Prof.  Ehrendorfer  den  Collegen 
Prof.  v.  Hacker  der  sich,  soviel  wie  ihm  bekannt,  mit  dem  Gegen¬ 
stände  näher  befasst,  Einiges  über  derlei  seltene  Magengeschwülste  der 
Gesellschaft  zur  Kenntniss  bringen  zu  wollen. 

Die  Discussion  über  diesen  Gegenstand  wird  bis  zur  nächsten 
Sitzung  vertagt. 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  12.  Januar  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Chrobak 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Regimentsavzt  Dr.  Bielil :  Demonstration  eines  Falles  von  Hyper- 
idrosis  und  vasomotorischen  Störungen  nach  peripheirr  traumatischer 
Facialislähmung. 

2.  Hofrath  Prof.  Sigmund  Exner:  Ueber  medicinische  Studien  und 
Prüfungen. 

* 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  Schauta,  Docent  Doctor 
Herzfeld,  Docent  Dr.  Max  Herz,  Docent  Dr.  Kretz,  Prof.  A.  Politzer, 
Prof.  Benedikt,  Prof.  Weinlechner,  Dr.  J.  Thenen,  Dr.  A.  Pilcz  und 
Dr.  R.  Offer. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  15.  Januar  1900,  7  Uhr  Abends. 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Uothenthurmstrasse  2t  23 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  R.  v.  Roder 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Primarius  Dr.  Hans  Adler:  Neuere  Behandlungsmethoden  des 
Trachoms. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  Ph.  Knoll,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  KrafFt-Ebing, 

I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wicken burggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  18.  Januar  1900.  Hr.  3. 


Verlagshandlung  : 
Telephon  Nr.  6094. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeäen  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthorgasse  1.  Bestellun¬ 
gen  nnd  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

<§>■ - —  ==© 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institute 

Wien  (Vorstand  Prof.  R.  Pal  tauf).  Ueber  Hämolysine  und  Anti¬ 
hämolysine.  Von  Dr.  Rudolf  Kraus,  Assistenten  am  Institute, 
und  Dr.  Paul  Clairmont. 

2.  Aus  der  allgemeinen  medicinischeu  Klinik  des  Prof.  B  o  z  z  o  1  o 
und  aus  dem  Institute  für  specielle  medicinische  Pathologie  des 
Prof.  Silva  in  Turin.  Beitrag  zur  Kenntnics  der  pseudochylösen 
Ascitesformen.  Von  Dr.  F.  Micheli  und  Dr.  G.  Mattirol  o, 
Assistenten. 

3.  Aus  der  Heilanstalt  Alland.  Einige  neue  Medicamente  in  der 
Phthiseotherapie  Von  Dr.  Jul.  P  o  1 1  a  k,  Hausarzt  der  Heilanstalt. 

II.  Feuilleton:  Ueber  medicinische  Studien  und  Prüfungen.  Von  S  i  g  m. 
Exner,  Professor  der  Physiologie  in  Wien. 


III.  Referate:  Lehrbuch  der  Hygiene.  Von  E  u  b  n  e  r.  Referent  Grass¬ 

berger.  —  Vorlesungen  über  die  Physik  des  organischen  Stoff¬ 
wechsels.  Von  Emil  du  Bois-Reymond.  Ref.  Pauli.  — 
Ueber  physikalisch-chemische  Methoden  und  Probleme  in  der 
Medicin.  Von  Dr.  Wolfgang  Pauli.  Ref.  Sigm,  Exner. 
—  Die  Beziehungen  der  Akromegalie  zum  Myxödem  und  zu  anderen 
Blutdrüsenerkrankungen.  Von  F.  P  i  n  e  1  e  s.  Referent  M.  Ster  n- 
b  erg  (Wien). 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Notizen. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


A  Don  ii  ein  en  ts-E  1 11 1  ad  11  n  £*. 

Mit  4.  Januar  1900  begann  der  XIII.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

-A_  bonne  xrx  enf 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  director  Zusendung  ganzjährig  K.  20, 
halbjährig  K.  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  Braninüller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Univeraitätabuchhändler 
Wien,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 


Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institute  in 
Wien  (Vorstand  Prof.  R.  Paltauf). 

Ueber  Hämolysine  und  Antihämolysine. 

Von  Dr.  Rudolf  Kraus,  Assistenten  am  Institute,  und  Dr.  Paul  Clairmont. 

Die  experimentelle  Toxikologie  hat  uns  eine  Reihe  Sub¬ 
stanzen  kennen  gelehrt,  welche  in  hervorragender  Weise  das 
Blut  schädigen,  theils  dass  sie  Gerinnung  erzeugen,  wie 
das  Ricin,  Abrin,  theils  dass  sie  Methämoglobin  bilden, 
wie  das  chlorsaure  Kali,  die  Pikrinsäure  und  ihre  Salze,  das 
Anilin  und  seine  Derivate,  das  Nitrobenzol  etc.  oder  endlich, 
dass  sie  eine  Auflösung  der  rothen  Blutkörperchen  bewirken. 
Diese  hämolytischen  Gifte  haben  in  letzter  Zeit  ein  ganz,  be¬ 


sonderes  Interesse  erfahren;  ausser  den  Gallensäuren  und  ihren 
Salzen,  Arsen  Wasserstoff,  Antimonwasserstoff,  deren  Wirkung 
schon  längere  Zeit  bekannt  ist,  hat  man  die  Giftwirkung 
mancher  Schwämme  (Agaricus  phalloides,  Hetvella  esculenta) 
und  Pflanzen  (Solanum  Dulcamara,  Cyclamen,  Paris)  und 
anderer  in  die  Blutkörperchen  auflösenden  Stoffen  erkannt. 
Robert  führt  bereits  von  29  derartigen  Substanzen  die 
Concentration  an,  bei  welcher  sie  noch  Auflösung  des  Rinder¬ 
blutes  bewirken. 

Durch  die  Arbeiten  von  Kos  sei,  Bordet,  Ehrlich 
und  Morgenrot h,  v.  Düngern  u.  A.  haben  wir  gewisse 
Blutsera  kennen  gelernt,  welche  entweder  als  normale  oder 
Immunsera  die  Eigenschaft  besitzen,  beziehungsweise  erlangen 
können,  rothe  Blutkörperchen  gewisser  Thierarten  zu  aggluti- 
niren  und  aufzulösen. 

Dass  auch  Bacterien  hämolytische  Gifte  produciren.  wurde 
zuerst  von  Ehrlich  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898) 
gezeigt.  Ehrlich  konnte  nämlich  nachweisen,  dass  das 
Tetanustoxin  rothe  Blutkörperchen  zur  Auflösung  bringt.  Diese 
Thatsache  machte  Madsen  (Zeitschrift  für  Hygiene.  1899) 
zum  Ausgangspunkt  seiner  Studien  über  hämolytisch  wirkendes 
Tetanustoxin.  Da  es  für  die  folgenden  Auseinandersetzungen 
wichtig  erscheint,  die  Arbeit  M  ad  s  e  n’s  in  ihren  Hauptpunkten 
kennen  zu  lernen,  wollen  wir  hier  die  wichtigsten  Ergebnisse 
derselben  wiedergeben. 

Aus  den  früheren  Beobachtungen  Ehrlich’s  und  den 
von  Madsen  gemachten  ergibt  sich,  dass  im  Tetanustoxin 
zwei  speciflsche  Gifte  vorhanden  sind,  das  Tetanospasmin  und 
das  Tetanolysin;  das  Verhältniss  beider  Gifte  zu  einander  ist 
ein  verschiedenes.  Das  hämolytische  Gift  ist  sehr  labil  und 
schwächt  sich  rasch  ab.  Auch  höhere  Temperaturen  (50"  durch 
20  Minuten)  schädigen  das  Tetanolysin.  Jedem  der  beiden 
Gifte  kommt  ein  besonderes  Antitoxin  zu,  das  Antitetanolysin 


fiO 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


und  das  Antitetanospasmin.  Diese  Gegengifte  sind  ebenso 
von  einander  verschieden,  wie  die  beiden  Gifte  des  Tetano¬ 
lysin  und  des  Tetanospasmin. 

Nachdem  über  andere  Bacteriengifte  keine  Erfahrungen 
Vorlagen,  versuchten  wir  es,  die  von  Ehrlich  und  Madsen 
nur  für  das  Tetanustoxin  nachgewiesene  hämolytische  Wirkung 
auch  bei  anderen  Mikroorganismen  zu  suchen. 

Zu  diesen  Versuchen  wurden  die  verschiedensten  Mikro¬ 
organismen  theils  als  Bouillonculturen,  theils  als  bacterienfreie 
Filtrate  (Toxine)  benützt.  Die  Versuchsanordnung  wurde  so 
gewählt,  wie  sie  von  Hamburger  für  die  Resistenz¬ 
bestimmung  der  rothen  Blutkörperchen  angegeben  und  wie  sie 
auch  von  Ehrlich  und  Madsen  bei  ihren  Giftbestimmungen 
angewendet  wurde.  Frisches  defibrinirtes  Blut  wurde  mit  einer 
0'85%igen  Kochsalzlösung  auf  eine  5%ige  Verdünnung  ge¬ 
bracht  und  mit  diesem  Gemisch  Reagensgläser  zu  15  cm3  ge¬ 
füllt.  Die  Blutproben  wurden  mit  verschiedenen  Mengen  des 
Giftes  versetzt,  geschüttelt,  um  eine  gleichmässige  Vertheilung 
des  Giftes  zu  erreichen,  dann  zwei  Stunden  bei  37°  im  Brut¬ 
kasten  und  schliesslich  24  Stunden  bei  Zimmertemperatur 
stehen  gelassen. 

Neben  den  verschiedensten  Bacteriengiften  wurden 
auch  verschiedene  Salze  einer  hämolytischen  Prüfung  unter¬ 
zogen. 


Bevor  wir  das  Thema  unserer  eigentlichen  Arbeit  in 
Angriff  nehmen,  schien  es  geboten,  die  von  Ehrlich  ent¬ 
deckten  hämolytischen  Wirkungen  des  Tetanustoxins  aus  eigener 
Erfahrung  kennen  zu  lernen.  Die  Wiederholung  der  Versuche 
von  Ehrlich  und  Madsen  war  auch  aus  dem  Grunde  wünschens- 
werth,  weil  Ehrlich  und  Madsen  blos  mit  festem  Tetanustoxin 
gearbeitet  hatten.  Dieses  Tetanustoxin  ist  durch  Sättigung  der 
Cultur  mit  Ammonsulfat  gewonnen  und  dürfte  demselben,  wenn 
nicht  Ammonsulfat  eigens  zu  diesem  Zwecke  entfernt  wurde, 
solches  anhaften.  Wir  haben  unsere  Versuche  nur  mit  Rohgiften 
angestellt,  um  unsichere  Resultate  zu  vermeiden.  Diese  Gifte 
wurden  durch  Filtriren  verschiedenalteriger  Zuckerbouillon- 
culturen  gewonnen.  (Tabelle  I.) 

Auf  Grund  dieser  Versuche  mit  Rohgiften  von  Tetanus- 
eulturen  gelangten  wir  zu  folgenden  Resultaten,  welche  mit 
den  von  Ehrlich  und  Madsen  mit  concentrirten  festen 
Giften  gewonnenen  übereinstimmen: 

1.  Das  Tetanustoxin  enthält  ein  hämolytisches  Gift. 

2.  Das  Hämolysin  (Tetanolysin  Ehrlich’s)  des  Tetanus¬ 
toxins  steht  mit  dem  krampferzeugenden  Gift  (Tetanospasmin 
Ehrlich’s)  in  keinem  Zusammenhänge.  Es  kann  eine  Tetanus- 
cultur  ein  hochwirksames  krampferzeugendes  Gift  enthalten, 
ohne  dass  es  hämolytisch  wirkt  und  umgekehrt.  So  wie  die 
Werthe  des  krampferzeugenden  Giftes  in  verschiedenen  Culturen 


Tabelle  I. 

Versuch  über  Hämolyse  mit  Tetanustoxin. 


Gift 

Menge  des 
Giftes 
in  Cubik- 
centimetern 

Blutart 

Toxin  36 

10 

Kaninchen 

mit  1 0°/0  Na  CI  versetzt 

2  0 

0  002  wirkt  tetanisch 

Toxin  1 

1  0 

Kaninchen 

circa  drei  Wochen  alte  Cultur 

2-0 

Toxin  2 

10 

Kaninchen 

circa  drei  Wochen  alte  Cultur 

20 

Toxin  3 

10 

Kaninchen 

vier  Tage  bei  37°,  dann  sieben 

2-0 

Tage  bei  Zimmertemperatur  ge¬ 
wachsen,  verunreinigt 

Toxin  38 

1  0 

Kaninchen 

sehr  schwaches  Toxin 

0-5 

Festes  Toxin 

1-0 

Kaninchen 

(0-000002  tetan.  Dose  für  Maus) 

2-0 

Toxin  38 

0-5  und  PO 

Meerschweinchen 

Rind 

Schwein 

Pferd 

Ziege 

Controlen: 

1  0 

Kaninchen 

Zuckerbouillon 

2-0 

10 1  0  Kochsalzlösung 

PO 

2-0 

Kaninchen 

Ammon  sulfat 

0  2 

05 

PO 

Kaninchen 

Resultat  nach  24  Stunden 


Starker  Bodensatz,  darüber  eine  1  cm  hohe  dunkelrothe  Flüssigkeits¬ 
schichte,  die  Flüssigkeit  darüber  klar,  farblos. 


Wie  beiin  Toxin  36 

Eine  dunkelrothe  Zone  über  dem  Bodensatz,  darüber  eine  lichtere 
rothe  Zone,  die  sonstige  Flüssigkeit  hellroth. 

Wie  bei  Toxin  36. 


Bis  circa  1  cm  unter  die  Oberfläche  der  Flüssigkeit  gleichmässig 

violettroth  gefärbt. 

Die  ganze  Flüssigkeit  gleichmässig  roth  gefärbt.  Die  Wiederholung 
des  Versuches  am  nächsten  Tag  ergibt  ein  gleiches  Resultat.  Bei 
2'0  cm3  Gift  treten  Farbenverschiedenheiten  in  den  einzelnen  Schichten 
auf,  eine  scharlachrothe  Schichte  unter  der  Oberfläche,  weiter  nach 
unten  ist  die  Flüssigkeit  violettroth. 

Totale  Auflösung. 

Geringere  Auflösung. 

Bodensatz,  darüber  eine  circa  1  evi  hohe  dunkelrothe  Schichte,  da¬ 
rüber  die  Flüssigkeit  klar,  farblos. 

Die  lackfarbene  Zoue  etwas  breiter. 

Wie  bei  Kaninchenblut. 

Wie  bei  Kaninchenblut. 

Keine  Auflösung. 

Wie  bei  Kaninchenblut. 

Keine  Auflösung. 

Keine  Auflösung. 


Keine  Auflösung. 

Ueber  dem  Bodensatz  eine  dunkelrothe  Zone,  die  Flüssigkeit  sonst 

farblos. 

Ueber  dem  Bodensatz  eine  1  cm  hohe  rothe  Schichte;  die  Flüssigkeit 

darüber  farblos. 

Bodensatz,  dann  eine  1  cm  hohe  dunkelrothe  Schichte,  darüber  eine 
bis  1  cm  unter  die  Oberfläche  reichende,  schwach  roth  gefärbte 
Partie,  darüber  die  Flüssigkeit  farblos. 

Wie  mit  0*5  cm3. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Tabelle  II. 

Versuche  über  Hämolyse  mit  verschiedenen  Bacterien. 


Menge  des 

Gift 

Giftes 
in  Cubik- 

Blutart 

Resultat  nach  24  Stunden 

centimetern 

Diphtherietoxin 

10 

Kaninchen 

Ueber  dem  Bodensatz  eine  circa  1  cm  hohe  lackfarbene  Zone,  da- 

2-0 

rüber  die  Flüssigkeit  farblos. 

Diphtheriecultur 

1-0 

Kaninchen 

Keine  Auflösung. 

Bact.  coli-Cultur  (Bouillon 

1-0 

Kaninchen 

Bodensatz,  darüber  die  Flüssigkeit  weingelb. 

einige  Tage  alt,  aerob 

20 

Bact.  coli-Cultur  (Zuckerbouillon 

1-0 

Kaninchen 

Ueber  dem  Bodensatz  eine  1  cm  hohe  dunkelrothe  Zone,  darüber  bis 

einige  Tage  alt,  aerob) 

1  cm  unter  der  Oberfläche  eine  lichtrothe  Zone. 

2-0 

Ebenso,  die  Flüssigkeit  licht  violettroth. 

Bact.  coli-Cultur  (Zuckerbouillon 

1-0 

— 

Wie  beim  Bact.  coli  in  Zuckerbouillon  aerob. 

anaerob) 

2-0 

Dieselbe  Cultur  nach  längerem 

1-0 

— 

Keine  Auflösung,  wie  das  Controlröhrchen. 

Stehen  bei  Zimmertemperatur 

B.  typhi  (Bouillon) 

10 

Kaninchen 

Keine  Auflösung. 

B.  pyocyaneus  (Bouillon) 

10 

Kaninchen 

Keine  Auflösung. 

Staphylococcus  1 

10 

Kaninchen 

Totale  Auflösung  ohne  Bodensatz,  im  unteren  Drittel 

(alte  Bouilloncultur) 

die  Flüssigkeit  violett. 

Staphylococcus  2 

1-0 

Kaninchen 

Bodensatz,  die  Flüssigkeit  im  unteren  Drittel  lichtviolett,  sonst 

farblos. 

Staphylococcus  3 

10 

Kaninchen 

Wie  bei  Staphylococcus  2. 

Staphylococcus  1,  2,  3 

10 

Mensch 

Keine  Auflösung. 

Cholera  Paris 

1-0 

Kaninchen 

Totale  Auflösung. 

(1  Tag  alte  Bouilloncultur  virulent) 

Cholera  Paris 

(4  Tage  alte  Bouilloncultur) 

TO 

Kaninchen 

Totale  Auflösung. 

0-5 

Totale  Auflösung. 

0  05 

Auflösung  mit  geringem  Bodensatz. 

001 

Geringere  Auflösung,  reichlicher  Bodensatz. 

Cholera  Laborat. 

TO 

Kaninchen 

Keine  Auflösung,  wie  das  Controlröhrchen. 

(1  Tag  alte  und  ältere  Bouillon- 

cultur  avirulent) 

Cholera  Paris 

1-0 

0-5 

0-1 

Mensch  1 

|  Intensive  Auflösung,  die  oberste,  circa  1/2  cm  breite  Zone  weingelb. 

Die  oberste  Zone  circa  2  cm  breit  farblos,  die  übrige  Flüssigkeit 

in  allen  Fällen  hellroth,  reichlicher  Bodensatz. 

Cholera  Paris 

1-0,  0-5,  0-1 

Mensch  2 

Wie  bei  Menschenblut  1. 

Cholera  Paris 

0-5 

Pferd 

Totale  Auflösung  ohne  Bodensatz. 

0-1 

Auflösung,  die  obere  Zone  circa  iL  cm  weingelb,  geringer  Boden- 

satz 

0-05 

Wie  mit  0T  cm3. 

001 

Keine  Auflösung,  wie  Controlröhrchen. 

Cholera  Paris 

0-5,  0-1,0-05 

Rind 

Totale  Auflösung  ohne  Bodensatz. 

001 

Geringere  Auflösung,  geringer  Bodensatz. 

Cholera  Paris 

0-5,  01,  0-05 

Ziege 

Wie  beim  Rinderblut. 

0-01 

Cholera  Paris 

0-5 

Schwein 

Totale  Auflösung. 

01 

Geringe  Auflösung  mit  Bodensatz. 

005 

Die  Flüssigkeit  im  unteren  Drittel  violettroth,  starker  Bodensatz. 

001 

Keine  Auflösung. 

Vibrio  Metschnikoff 

10 

Kaninchen 

Totale  Auflösung  ohne  Bodensatz. 

(1  Tag  alte  Bouilloncultur) 

(4  Tage  alte  Bouilloncultur)  | 

0-5 

o-i 

Geringe  Auflösung,  Bodensatz,  die  untere  Hälfte  eosinroth. 

Vibrio  Metschnikoff 

1 

T0 

0-5 

Mensch  1,  2 

Keine  Auflösung. 

Vibrio  Finkler  Prior 

T0 

Kaninchen 

Auflösung,  die  Flüssigkeit  violett. 

LIBRAN 

university 


OF  lUANOlS 


52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


Gift 

Menge  des 
Giftes 
in  Cubik- 
centimetern 

Blutart 

Resultat  nach  24  Stunden 

Vibrio  Finkler  Prior 

1-0 

Mensch  1,  2 

Die  untere  Hälfte  der  Flüssigkeit  violettroth,  Bodensatz. 

Vibrio  Danubicus 

1-0 

Kaninchen 

Totale  Auflösung. 

Vibrio  Danubicus 

10 

Mensch  1 

Die  oberste  Zone  farblos,  dann  eine  2  cm  breite  hellrothe  Zone, 

nach  unten  dunkelrotb,  geringer  Bodensatz. 

Mensch  2 

Totale  Auflösung. 

B.  lactis  aerog. 

1-0 

Kaninchen 

Keine  Auflösung. 

B.  pneum.  Friedl. 

Mensch  1,  2 

B.  anthracis 

Streptococc.  scarlatina  1 

Streptococc.  London 

Streptococc.  scarlatina  2 

10 

Kaninchen 

Die  oberste  Zone  weiugelb,  dann  hellrotb,  reichlicher  Bodensatz. 

Streptoc.  scarlatina  2 

1-0 

Mensch  1 

Starke  Auflösung,  geringer  Bodensatz. 

Streptoc.  septicaemiae 

Streptoc.  scarlatina  2 

1-0 

Mensch  2 

Die  oberste  Zone  circa  3  cvi  weingelb,  im  Uebrigen  roth,  Bodensatz. 

Proteus  1,  2,  3,  4 

1-0 

Kaninchen 

Die  oberste  circa  cm  breite  Zone  farblos,  die  übrige  Flüssigkeit 

dunkelroth,  geringer  Bodensatz. 

Proteus  1 — 4 

10 

Mensch  1 

Die  unteren  zwei  Drittel  rothgelb,  über  dem  Bodensatz  eine  circa 

1  cm  hohe  dunkelrothe  Zone,  Bodensatz. 

Proteus  1,  2,  4 

1-0 

Mensch  2 

Die  Flüssigkeit  farblos,  über  dem  Bodensatz  eine  vio'ettrothe  Zone. 

Proteus  3 

Wie  Mensch  1. 

Fäulnissbacterium  (nicht  näher  be- 

1-0 

Kaninchen 

Bodensatz,  darüber  !/2  cm  breite  dunkelrothe  Zone  und  1  cm  breite 

stimmt) 

lichtrothe  Zone. 

I  Tag  alte  Zuckerbouillon  anaerob 

20 

Die  Flüssigkeit  über  der  dunkelrothen  Zone  weingelb. 

A-Gifc 

1-0 

Kaninchen 

Auflösung  mit  geringem  Bodensatz. 

(Verunreinigung  in  einer  Tetanus- 

0  5 

Die  Flüssigkeit  oben  scharlachrot!],  nach  unten  violett. 

cultur) 

1  0 

Mensch  1,  2 

Geringe  Auflösung  mit  violetter  Verfärbung. 

0-5 

Keine  Auflösung. 

1-0 

Pferd 

Auflösung  ohne  Bodensatz. 

0-6 

Die  Auflösung  geringer,  Bodensatz. 

A-Gift 

L0 

Schwein 

Bodensatz  darüber  die  Flüssigkeit  violettroth,  nach  oben  Scharlach- 

0-5 

roth. 

10 

Rind 

Minimaler  Bodensatz,  starke  Auflösung. 

u  o 

P0 

Meerschweinchen 

Geringere  Auflösung  wie  Rinderblut. 

0-5 

Klare  Flüssigkeit  mit  rothem  Bodensatz. 


Bodensatz,  darüber  eine  1  cm  hohe  lichtrothe,  schleimige  Masse;  die 
Flüssigkeit  darüber  klar. 


Controlen: 


Kaninchen 
Mensch  1,  2 
Pferd 
Rind 

Meerschweinchen 

Schwein 

Ziege 


verschieden  sind,  so  sind  auch  die  hämolytischen  Werthe  ver¬ 
schieden. 

3.  Das  Hämolysin  des  Tetanustoxins  wirkt  in  gleich 
hohen  Concentrationen  hämolytisch  auf  Kaninchen,  Meer¬ 
schweinchen-,  Rinder-  und  Pferdeblut.  Schweine-  und  Ziegen¬ 
blut  wurde  bei  dieser  Concentration  des  Giftes  nicht  auf¬ 
gelöst.  — 

Es  galt  jetzt  festzustellen,  ob  die  hämolytischen  Wir 
kungen  eine  specitische  Eigenschaft  der  Tetanusbacillen  allein 
seien,  oder  ob  auch  anderen  Bacterien  das  Vermögen  zukomme, 
solche  Gifte  zu  produciren. 

Zu  diesen  \  ersuchen  wählten  wir  pathogene,  nicht  patho¬ 
gene,  virulente,  avirulente,  toxinbildende  und  atoxisehe  Bac¬ 
terien.  Es  war  denkbar,  dass  auf  diese  Weise  für  die  eventuell 
gefundenen  Hämolysine  gewisse  Anhaltspunkte  zu  gewinnen 
wären.  Die  Prüfung  der  Gifte  geschah  nicht  nur  auf  Kanin¬ 
chenblut,  sondern  auf  verschiedene  Blutarten  (Menschen-, 
Pferde-,  Rinder-,  Schweine-,  Ziegen-,  Meerschweinchenblut). 
(Tabelle  11.) 


Wenn  wir  an  der  Hand  der  vorangehenden  Tabelle  die 
Ergebnisse  unserer  Versuche  zusammenfassen,  so  würde  sich 
Folgendes  ergeben: 

1.  Die  hämolytische  Eigenschaft  ist  nicht  allein  dem 
Tetanustoxin  eigen,  auch  verschiedene  andere  Bacterienculturen 
besitzen  diese  Eigenschaft. 

2.  Die  Hämolysine  der  verschiedenen  Mikroorganismen 
sind  in  ihrer  Intensität  verschieden  (siehe  Cholera,  Tetanus). 

3.  Man  findet  bei  ein  und  derselben  Bacterienart  Stämme, 
welche  kein  Hämolysin  produciren,  und  solche,  welche  starke 
Gifte  bilden  (siehe  Cholera,  Staphylococcen).  Die  Art  des 
Nährbodens  scheint  für  die  Bildung  von  Hämolysinen  von  Be¬ 
deutung  zu  sein  (siehe  Coli). 

4.  Die  Blutkörperchen  verschiedener  Thierarten  sind 
gegenüber  den  verschiedenartigen  Hämolysinen  ungleich  resi¬ 
stent.  Auch  bei  ein  und  derselben  Thierart  können  individuelle 
Resistenzverschiedenheiten  gegenüber  einem  bestimmten  Gifte 
Vorkommen. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


53 


5.  Die  Resistenzverschiedenheit  der  Blutkörperchen  der 
verschiedenen  Thierarten  ist  eine  relative.  Ein  schwaches  Hä¬ 
molysin  (Tetanus)  vermochte  z.  B.  selbst  in  grösseren  Dosen 
Schweineblut  und  Ziegenblut  nicht  aufzulösen,  ein  stärkeres  Gift 
(das  A-Gift)  hat  in  denselben  Concentrationen  Schweineblut, 
nicht  aber  Ziegenblut  aufgelöst  und  das  sehr  wirksame 
Choleragift  löst  alle  untersuchten  Blutarten  auf.  Diese  Resi¬ 
stenzverschiedenheit  kommt  auch  bei  der  quantitativen  Aus- 
werthung  von  starken  Giften  (Cholera-  und  A-Gift)  zum  Aus¬ 
druck.  Mittelst  ein  und  desselben  stark  wirksamen  Giftes 
lässt  sich  demnach  eine  relative  Scala  der  Resistenz  der  rothen 
Blutkörperchen  bei  verschiedenen  Thierarten  auf  stellen. 

6.  Die  Hämolysine  sind  schon  in  eintägigen  Culturen 
vorhanden. 

7.  Die  Hämolysinwerte  schwanken  in  ein  und  derselben 
Cultur  und  können  sogar  verschwinden  (siehe  Coli). 

8.  Die  Hämolysine  bewirken  oft  ausser  einer  Auflösung 
der  rothen  Blutkörperchen,  auch  eine  Umwandlung  des  Hämo¬ 
globins  (analog  manchen  methämoglobin bildenden  Blutgiften). 

Die  mitgetheilten  Versuche  wurden  insgesammt  im  Reagens¬ 
glase  ausgeführt. 

Zur  Ergänzung  dieser  makroskopischen  Versuche  wurden 
dieselben  Versuche  auch  im  hohlen  Objecträger  angestellt.  Die 
mikroskopische  Beobachtung  ist  auch  als  Methode  zu  empfehlen, 
weil  der  Auflösungsprocess  sich  bei  der  geringen  Zahl  von  Blut¬ 
körperchen  sehr  rasch  vollzieht  und  genau  verfolgt  werden 
kann. 

Zur  Verwendung  gelangte  dasselbe  Blut  und  dieselben 
Gifte,  wie  bei  den  makroskopischen  Versuchen.  Die  hohlen 
Objectträger  wurden  bei  einer  Temperatur  von  37°  gehalten. 

Die  Versuche  mit  Tetanustoxin  38  ergeben  bei  einem 
Verhältniss  von  1:1  nach  einer  Stunde  bei  37°,  mikroskopisch 
im  Centrum  des  Tropfens  gut  erhaltene  rothe  Blutkörperchen, 
jedoch  bei  Weitem  spärlicher  als  im  Controlpräparat;  bei 
makroskopischer  Betrachtung  sieht  man  im  Centrum  des 
Tropfens  eine  punktförmige  rothe  und  durchsichtige  Stelle; 
die  Peripherie  ist  hellroth  gefärbt. 

Bei  Versuchen  mit  A-Gift  sieht  man  nach  eiuer  Stunde 
nur  wenige  Blutkörperchen,  nach  drei  Stunden  sind  auch 
diese  verschwunden.  Makroskopisch  sieht  der  Tropfen  gleich  - 
raässig  hellroth  gefärbt  aus. 

Die  Choleracultur  (Laboratoriumsstammm),  welche  in  den 
makroskopischen  Versuchen  gar  kein  Auflösungsvermögen 
zeigte,  erweist  sich  bei  Anwendung  dieser  Methode  im  Ver¬ 
hältniss  1 : 1  ebenso  hämolytisch,  wie  das  Tetanustoxin. 

Die  Choleracultur  Paris  bei  einer  Verdünnung  1 : 1  hat 
eine  vollständige  Auflösung  zur  Folge. 

Bei  einer  Verdünnung  des  Choleragiftes  (1 : 10)  findet 
man  in  derselben  Zeit  spärliche  rothe  Blutkörperchen. 


Bei  einer  Verdünnung  1 :20  sind  die  rothen  Blutkörperchen 
zahlreicher  als  bei  der  Verdünnung  1 : 10,  doch  nicht  so  zahl¬ 
reich,  wie  im  Controlpräparat. 

Diese  wenigen  mikroskopischen  Versuche  stimmen  in 
ihren  Resultaten  mit  den  makroskopisch  gewonnenen  ziemlich 
überein.  Die  Bestimmung  der  unteren  Grenze  eines  schwachen 
hämolytischen  Giftes  und  der  oberen  Grenze  eines  stark 
wirkenden  Giftes  lässt  sich  mit  Hilfe  dieser  Methode,  welche 
schon  von  Landois  für  die  Resistenzbestimmung  der  rothen 
Blutkörperchen  angegeben  ist,  viel  exacter  durchführen  als 
makroskopisch.  Näheres  über  den  Auflösungsprocess  selbst 
konnten  wir  mikroskopisch  nicht  ermitteln. 

II.  Ueber  Antihämolysine. 

Wie  bereits  angeführt  wurde,  ist  es  Ehrlich  und 
Madsen  gelungen,  die  hämolytische  Wirkung  des  Tetano¬ 
lysins  mittels  Tetanusantitoxin  zu  paralysiren.  Madsen  führt 
aus  den  Beobachtungen  Ehrlich’s  blos  an,  dass  jedem  der 
beiden  Gifte  im  Tetanustoxin,  nämlich  dem  Tetanolysin  und  dem 
Tetanospasmin  ein  besonderes  Antitoxin,  welches  im  Tetanus¬ 
antitoxin  vorhanden  sein  soll,  zukomme.  Wenn  man  ver¬ 
schiedene  Tetanussera,  die  durch  Immunisirung  von  Thieren 
mit  dem  beide  Gifte  enthaltenden  Rohgifte  erhalten  sind,  so 
findet  man.  dass  ihre  neutralisirende  Wirkung  dem  Tetanolysin 
und  dem  Tetanospasmin  gegenüber  nicht  parallel  geht.  Ein 
Serum,  das  stark  antispastisch  war,  fand  Ehrlich  ohne  anti¬ 
lytische  Wirkung.  In  der  an  den  Vortrag  Kossels  (Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1898,  pag.  273)  sich  anschliessenden 
Discussion  bemerkt  noch  Ehrlich,  dass  häufig  auch  nor¬ 
males  Pferdeserum  die  hämolytischen  Wirkungen  des  Tetanus¬ 
toxins  zu  paralysiren  im  Stande  sei.  Diese  Thatsache  wäre 
wegen  ihrer  Wichtigkeit  und  zugleich  als  Ergänzung  zur 
Arbeit  Madsen’s  anzuführen. 

Da  aus  der  Arbeit  M  a  d  s  e  n’s  eine  exacte  Beweisführung 
für  die  angenommene  Specificität  der  Antilysine  nicht  zu  er¬ 
sehen  war,  wollten  wir  zunächst  daran  gehen,  die  bezüglichen 
Versuche  zu  wiederholen.  Vor  Allem  war  es  wichtig,  zu  sehen, 
ob  nicht  dem  normalen  Blutserum  als  solchem  antihämolytische 
Eigenschaften  zukommen.  Erst  dann,  wenn  diese  Versuche  ein 
negatives  Resultat  ergeben  hatten,  konnten  positive  Versuche 
mit  Tetanusantitoxin  als  ein  Zeichen  seiner  Specifität  ge¬ 
nommen  werden. 

So  haben  wir  denn  zunächst  normales  Serum  von  ver¬ 
schiedenen  Thieren  auf  seine  antihämolytischen  Wirkungen  dem 
Tetanustoxin  gegenüber  geprüft.  Die  Versuche  wurden  so 
an  gestellt,  dass  frische  normale  Sera  in  verschiedenen  Ver¬ 
dünnungen  zu  verschiedenen  Mengen  des  hämolytischen  Tetanus¬ 
toxins  zugesetzt  wurden,  das  Gemisch  bis  zwei  Stunden  bei 
37°  stehen  gelassen  und  dann  den  Blutkörperchen  zugesetzt. 


Tabelle  III. 

Versuche  über  antihämolytische  Wirkung  von  normalem  Serum. 


Gift 

Serum 

Blutart 

Art 

Menge  in 
Cubik- 
centi- 
metern 

Art 

Menge  in 
Cubik- 
centi- 
metern 

Tetanustoxin 

TO 

normales  Pferdeserum 

1-0 

Kaninchen 

0-5 

Kaninchen 

0-2 

Kaninchen 

0  5 

T0 

Kaninchen 

05 

Kaninchen 

0-2 

Kaninchen 

Co n  tr ol  e : 

Tetanustoxin 

10 

Kaninchen 

Resultat  nach  24  Stunden 


Keine  Auflösung,  wie  Controlpräparat. 


Totale  Auflösung. 


Ein  weiterer  Versuch  mit  einem  anderen  hämolytisch  wirkenden  Tetanustoxin 
serum  (Pferd)  fiel  ganz  analog  aus. 


und  normalem  Pferüeserum,  Streptococcenserum,  lyphu 


54 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


Tabelle  IV. 

Versuche  über  antihämolytische  Wirkung  verschiedener  Sera  gegenüber  dem  A-Gift. 


Gift 


Art 


Serum 

Menge  in 
Cubik- 
centi- 
metern 

Art 

Menge  in 
Cubik- 
ceuti- 
metern 

Blutart 

Resultat  nach  24  Stunden 

10 

normales  Pferdeserum 
Streptococcenserum  (Pferd) 
Typhusserum  (Pferd) 
Tetanusserum 
(flüssiges  Serum) 

Höchst 

1-0 

1-0 

10 

1-0 

Kaninchen 

Kaninchen 

Kaninchen 

Kaninchen 

Keine  Auflösung. 

1-0 

Kaninchen 

Totale  Auflösung. 

A-Gift 


Controle: 

A-Gitt 


Nach  Zusatz  des  Serum-  und  Giftgemenges  wurden  abermals 
die  Reagensgläser  auf  37°  gestellt  und  hernach  24  Stunden 
bei  Zimmertemperatur  gelassen.  Das  Blut  wurde  ebenso  be¬ 
reitet,  wie  in  den  Versuchen  mit  den  Hämolysinen.  (Tabelle  III.) 

Anschliessend  an  die  makroskopischen  Versuche  wurden 
dieselben  Versuche  im  hängenden  Tropfen  angestellt.  Das 
Tetanustoxin  wurde  mit  dem  Serum  gemischt,  zwei  Stunden 
bei  37°  stehen  gelassen  und  dann  zum  Blut  im  Verhältniss 
1  : 1  zugesetzt  (Oesenmethode).  Nach  einer  Stunde  war 
keine  Auflösung  vorhanden,  das  Präparat  bot  das  Aussehen 
eines  Controlpräparates.  Die  nur  mit  Tetanustoxin  ver¬ 
setzten  Blutkörperchen  waren  zum  grossen  Theil  aufgelöst, 
nur  im  Centrum  des  Tropfens  sind  gut  erhaltene  rothe 
Blutkörperchen  zu  erkennen.  Bei  makroskopischer  Betrachtung 
desselben  Tropfens  sieht  man  im  Centrum  eine  punktförmige 
rothe  Stelle,  welche  den  erhaltenen  rothen  Blutkörperchen 
entspricht,  die  Peripherie  des  Tropfens  ist  hellroth. 

Ein  zweiter  Versuch  mit  einem  anderen  normalen  Pferde¬ 
serum  und  einem  hämolytischen  Tetanustoxin  fiel  ebenso  aus 
wie  der  eben  angeführte. 

Schon  diese  Versuche  sind  unserer  Auffassung  nach  an- 
gethan,  die  von  Ehrlich  und  Madsen  angenommene 
Specificitätdes  Antitetanolysins  zu  entkräften. 


Der  nächstfolgende  Versuch  soll  ebenso  nachzuweisen  trachten, 
dass  schon  im  normalen  Serum  antihämolytische  Substanzen 
vorhanden  sind;  ausserdem  beweist  er  noch,  dass  das  hämo¬ 
lytische  G  i  f  t  *(T  e  t  an  o  1  y  s  i  n),  ebenso  wie  das  an¬ 
genommene  specifische  Gegengift  nicht  spec  i- 
f  is  ch  sind.  (Tabelle  IV.) 

Aus  diesen  Versuchen  ergibt  sich,  -dass  die  Wirkungen  der 
Hämolysine  des  Tetanustoxins  und  die  eines  anderen  Giftes 
mit  normalem  Pferdeserum  aufgehoben  werden  können. 

Nachdem  wir  mit  verschiedenen  Mikrorganismen  hämo¬ 
lytische  Wirkungen  erzielen  konnten,  lag  es  nahe,  zu  unter¬ 
suchen,  ob  das  normale  Pferdeserum  auch  diesen  Giften 
gegenüber  antihämolytische  Eigenschaften  zu  entfalten  im 
Stande  sei,  ferner,  inwieweit  auch  anderen  Serumarten  ver¬ 
schiedener  Thiere  diese  antihämolytische  Kraft  zukomme.  Die 
Versuchsanordnung  blieb  dieselbe,  wie  bei  den  Versuchen  mit 
Tetanustoxin.  (Tabelle  V.) 

Diese  Versuche  zeigen,  dass  ein  beliebiges  hämo¬ 
lytisches  Gift,  welches  Kaninchenblut  auflöst, 
durch  normales  Pferdeserum  in  seiner  Wirkung 
paralysirt  werden  kann.  Es  genügen  häufig 
schon  geringe  Mengen  normalen  Pferdeserums 
(ein  Tropfen)  um  die  Wirkung  der  Hämolysine 


Tabelle  V. 

Versuche  mit  verschiedenen  Giften  und  verschiedenen  Serumarten. 


Gift 

Serum 

Blutart 

Art 

Menge  in 
Cubik- 
centi- 
metern 

Art 

Menge  in 
Cubik- 
centi- 
metern 

A-Gift 

1-0 

_ 

Kaninchen 

0-5 

— 

02 

_ 

10 

1  normales  Pferd  1 

10 

l 

0-5 

0-5 

|  Streptococcenserum  (Pferd)  [ 

0-2 

A-Gift 

10 

Typhusserum  (Pferd) 

10 

Kaninchen 

O'ö 

Kaninchen 

01 

Kaninchen 

1  Tropfen 

Kaninchen 

normales  Pferdeserum 

10 

Kaninchen 

1,  2,  3 

O'ö 

Kaninchen 

0'2 

Kaninchen 

Schweineserum 

10 

Kaninchen 

05 

Kaninchen 

02 

Kaninchen 

Cholera  Paris 

1-0,  0-5 

_ 

_ 

Kaninchen 

10 

Typhusserum  (Pferd) 

1-0 

0’5 

0-5 

A-Gift 

10 

Kaninchenserum 

10 

Kaninchen 

0-5 

1 

l 

02 

Resultat  nach  24  Stunden 


Sehr  starke  Auflösung-,  geringer  Bodensatz. 
Bodensatz  etwas  reichlicher,  die  Schichte  darüber 
hellroth,  die  unterste  violett. 

Geringe  Auflösung. 

Keine  Auflösung,  wie  Controle. 


Keine  Auflösung. 

Keine  Auflösung. 
Keine  Auflösung. 


Totale  Auflösung. 

Totale  Auflösung. 

Totale  Auflösung. 

Auflösung  wie  im  Controlröhrchen  mit  dem 
A-Gift. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


55 


Tabelle  VI. 


Versuche  über  antihämolytische  Wirkung  normaler  Sera  gegenüber  verschiedenen  Giften  bei  verschiedenen 

Blutarten. 


Gift 

Serum 

Menge 

Menge 

Blutart 

Resultat  nach  24  Stunden 

Art 

Cubik- 

Art 

Cubik- 

centimeter 

centimeter 

A-Gift 

1-0 

Pferd 

Totale  Auflösung  ohne  Bodensatz. 

1-0 

normales  Pferd  1,  2 

10 

Keine  Auflösung. 

— 

05 

— 

Kaninchen 

0-5 

Keine  Auflösung. 

— 

Schwein 

05 

Keine  Auflösung. 

Cholera  Paris 

0-5 

_ 

_ 

Pferd 

Totale  Auflösung. 

I 

0-5 

normales  Pferd  1,  2 

10 

— 

Kaninchen 

PO 

1  Totale  Auflösung. 

— 

Schwein 

PO 

1 

A-Gift 

1-0 

_ 

Kind 

Intensive  Auflösung,  obere  Zone  roth,  geringer 

Bodensatz. 

1  0 

normales  Pferd  1,  2 
Kaninchen 

1  SS 

1  Keine  Auflösung. 

— 

Schwein 

J 

Cholera 

0-5 

_ 

_ _ 

— 

Spärlicher  Bodensatz,  Auflösung. 

0-5 

Pferd  1,  2 
Kaninchen 

j  PO 

Auflösung  wie  im  Controlröhrchen. 

— 

Schwein 

1 

Geringe  Auflösung,  nur  über  dem  Bodensatz 

eine  circa  1  cm  roth  gefärbte  Zone. 

A-Gift 

PO 

_ 

Schwein 

Starker  Bodensatz,  die  untere  Hälfte  violett- 

roth,  die  obere  Zone  hellroth. 

10 

Pferd  1,  2 

0-5 

I 

— 

Kaninchen 

— 

\  Keine  Auflösung. 

— 

Schwein 

— 

1 

Cholera 

0-5 

— 

— 

Geringer  Bodensatz,  sehr  starke  Auflösung. 

Cholera  Paris 

0*5 

Pferd  1,  2 

) 

Schwein 

|  Die  Auflösung  geringer  als  im  Control- 

— 

Kaninchen 

PO 

J  präparat. 

— 

Schwein 

1 

Keine  Auflösung. 

A-  Gift 

PO 

— 

Ziege 

Keine  Auflösung. 

Cholera 

0-5 

_ 

— 

Totale  Auflösung. 

0-5 

Pferd  1,  2 
Kaninchen 

j  PO 

j  Totale  Auflösung. 

— 

Schwein 

1 

Viel  geringere  Auflösung. 

aufzuheben.  Für  sehr  wirksame,  Gifte  wie  z.  B.  das 
Choleragift,  genügen  die  Serumzusätze,  welche  dieselben 
Mengen  eines  anderen  schwächeren  Hämolysins  zu  para- 
lysiren  im  Stande  sind,  nicht. 

Das  eigene  Serum  (Kaninchenserum)  vermochte  manchmal 
die  Wirkung  der  Hämolysine  auf  eigenes  Blut  nicht  auf¬ 
zuheben. 

Die  nächstfolgenden  Versuche  sollten  nachweisen,  ob 
nicht  auch  die  antihämolytische  Wirkung  normaler  Thiersera 
bei  Anwendung  verschiedener  Gifte  auf  verschiedene  Blut¬ 
arten  bestehe  (Tabelle  VI). 

Diese  Versuche  ergeben  im  Allgemeinen,  dass  die  hämo¬ 
lytische  Wirkung  verschiedener  Bacteriengifte  auf  verschiedene 
Blutarten  durch  normale  Thiersera  paralysirt  werden  kann. 
Die  Giftneutralisirung  durch  normale  Sera  ist  jedoch  keine 
unbedingte.  Für  intensive  Gifte  (Cholera)  haben  manche  Sera 
(Pferd,  Kaninchen)  in  den  angewandten  Mengen  nicht  aus¬ 
gereicht,  wo  ein  anderes  normales  Serum  (Schwein)  para- 
lysirend  wirken  konnte.  Selbst  die  letztere  Wirkung  ist  keine 
allgemeine,  sondern  gilt  nur,  wie  aus  den  Versuchen  zu  er¬ 
sehen,  für  bestimmte  Blutarten.  Es  scheint  demnach,  dass  auch 
verschiedene  Sera  verschieden  intensive  antihämolytische 
Substanzen  enthalten  können. 

Neben  diesen  makroskopischen  Versuchen  wurden  noch 
mit  derselben  Versuchsanordnung  Versuche  im  hohlen  Object¬ 
träger  ausgeführt.  Es  wurden  die  verschiedenen  Gifte  mit  den 


verschiedenen  Serumarten  im  bestimmten  Verhältniss  ge¬ 
mischt,  eine  Stunde  bei  37°  belassen  und  davon  eine  Oese  mit 
einer  Oese  der  Blutmischung  versetzt  und  eine  Stunde  lang  bei 
37°  beobachtet. 

Es  ergibt  sich  hiebei,  dass  das  Typhusimmunserum 
(Pferd)  und  normales  Pferdeserum  die  Auflösung,  welche  das 
A-Gift  bedingt,  vollständig  hemmen,  dass  normales  Pferde¬ 
serum  in  ganz  geringem  Grade  die  hämolytische  Wirkung 
des  Choleragiftes  hemmt.  Die  Auflösung  ist  nicht  so  vollständig 
wie  im  Controlpräparat,  sondern  man  sieht  zwischen  amorphen 
Schollen  spärliche,  erhaltene  rothe  Blutkörperchen. 

Wenn  man  das  Choleragift  verdünnt  auf  1 : 10  und  1 :  20, 
so  dass  das  Auflösungsvermögen  kein  so  starkes  ist,  so  findet 
man  bei  Zusatz  von  einer  Oese  des  normalen  Pferdeserum- 
und  Giftgemenges  zu  einer  Oese  Blutmischung  bei  der  Ver¬ 
dünnung  1:10  sehr  viele  rothe  Blutkörperchen,  viel  zahl¬ 
reicher  als  im  Controlepräparat  bei  derselben  Giftverdünnung. 
Analoge  Verhältnisse  ergeben  sich  bei  einer  20fachen  Ver¬ 
dünnung  des  Giftes. 

III. 

In  der  Arbeit  »Ueber  Heil  versuche  im  Reagensglase« 
zeigt  Madsen,  dass  es  binnen  der  ersten  15  Minuten,  so 
lange  keine  Lösung  eingetreten  war,  möglich  ist,  durch  Anti¬ 
toxin  jede  toxische  Wirkung  zu  verhindern;  dies  geschah, 
trotzdem,  wie  die  Controlversuche  zeigten,  bedeutende  Mengen 


56 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


Tetanolysin  schon  an  die  rothen  Blutkörperchen  gebunden 
waren.  Aber  auch  30  Minuten  nachdem  die  Lösung  angefangen 
hatte  und  selbst  wenn  sie  ein  bis  zwei  Stunden  nach  dem 
Giftzusatz  weit  fortgeschritten  war,  war  man  durch  hinlänglich 
grosse  Antitoxinmengen  im  Stande,  der  weiteren  Lösung  Ein¬ 
halt  zu  thun,  so  dass  die  definitive,  24  Stunden  später  wahr¬ 
genommene  Farbennuance  nicht  stärker  als  die  im  Control¬ 
glase  gefundene  wurde. 

Wir  stellten  blos  Versuche  zu  dem  Zwecke  an,  um  zu 
erfahren,  ob  auch  mittelst  normalen  Serums  ähnliche  Wirkungen 
in  Bezug  auf  »Heilung«  zu  erzielen  seien. 

Der  präventive  Versuch  wurde  so  angestellt,  dass  Pferde¬ 
sera  (10 cm3)  zu  den  Blutkörperchen  (Kaninchen)  im  Reagens¬ 
glase  und  nach  2Y2  Stunden  die  wirksamen  hämolytischen 
Bacteriengifte  zugesetzt  wurden.  Die  Röhrchen  wurden 
eine  Stunde  im  Brutkasten  und  24  Stunden  bei  Zimmer¬ 
temperatur  belassen.  Darnach  war  entweder  gar  keine  oder 
nur  eine  minimale  Auflösung  zu  constatiren.  Wurde  1  cm3 
A-Gift  mit  normalem  Serum  gleichzeitig  dem  Blute  zugesetzt, 
trat  keine  Auflösung  auf.  Wurde  aber  vorher  Gift  zugesetzt 
und  schon  nach  einer  oder  2'/2  Stunden,  ja  selbst  nach  zehn 
Minuten,  wie  Versuche  im  hängenden  Tropfen  lehrten,  nor¬ 
males  Pferdeserum  hinzugefügt  (curativer  Versuch),  trat  Auf¬ 
lösung  wie  im  Controlpräparate  auf.  — 

Schliesslich  wurde  der  Einfluss  höherer  Temperaturen 
auf  die  Wirkung  der  Hämolysine  und  Antihämolysine  geprüft, 
wobei  sich  die  Thatsache  ergab,  dass  bei  60°  durch  15'  die 
hämolytischen  Eigenschaften  der  Gifte  zu  Grunde  gehen, 
die  Antihämolysine  aber  nicht  geschädigt  werden.  — 

Einstweilen  konnten  wir  uns  auf  die  Verfolgung  ver¬ 
schiedener  aus  diesen  Untersuchungen  sich  ergebender  Fragen, 
wie  einer  eventuellen  Steigerung  des  antihämolytischen  Factors 
im  eventuellen  Immunserum,  die  Umwandlung  des  Hämo¬ 
globins,  die  Eruirung  der  Verhältnisse  bezüglich  der  Variabilität 
der  hämolytischen  Eigenschaft  bei  ein  und  demselben 
Mikroben  u.  s.  w.  nicht  einlassen;  denselben  sollen  weitere 
Untersuchungen  gewidmet  sein. 

Wir  wollten  zunächst  nur  die  Thatsachen,  wie  wir  sie 
gefunden  haben,  mittheilen  und  als  wichtigstes  Ergebniss  fest¬ 
stellen,  dass  verschiedene  Mikroorganismen  hä¬ 
molytische  Gifte  den  Blutkörperchen  verschie¬ 
dener  Thierarten  gegenüber  entwickeln  und 
dass  normale  Blutsera  diese  hämolytischen  Wir¬ 
kungen  aufzuheben  im  Stande  sind.  Die  antihämo¬ 
lytische  Wirkung  des  normalen  Serums  ist  allem  Anscheine 
nach  eine  Fermentwirkung. 


Aus  der  allgemeinen  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Bozzolo 
und  aus  dem  Institute  für  specielle  medicinische  Pa¬ 
thologie  des  Prof.  Silva  in  Turin. 

Beitrag  zur  Kenntniss  der  pseudochylösen 

Ascitesformen. 

Von  Dr.  F.  Micheli  und  Dr.  Gr.  Mattirolo,  Assistenten. 

In  der  Pathologie  der  milchartigen  Ergüsse  in  den  grossen 
serösen  Körperhöhlen  herrschen  nicht  mehr  die  einstigen,  etwas 
absolutistischen  Anschauungen  und  die  Theorien,  die  Alles  einer 
einzigen  Grundursache  entnahmen,  vor,  sondern  mehr  weit¬ 
gehende  und  zusammenfassende  Vorstellungen,  die  zu  dem 
last  allgemein  angenommenen  Schlüsse  führten,  dass  nämlich 
die  Pathogenese  der  sogenannten  milchartigen  Ergüsse  ver¬ 
schieden  sein  muss  und  der  Entstehungsmechanismus  solcher 
Flüssigkeiten  auf  vielfältige  ätiologische  Momente  zurück¬ 
zuführen  ist.  Die  neueren  Autoren,  die  sich  mit  diesem  Krank¬ 
heitsbilde  befasst  haben,  sammelten  das  reiche  Material  von 
klinischen  Fällen,  die  in  der  Literatur  verzeichnet  sind  und 
trugen  so  vielfach  zur  Vervollständigung  der  classischen  Ein- 
theilung  Q  u  i  n  c  k  e’s  3)  bei.  V  e  r  d  e  1 1  i  2),  Botmann3)  und 
Ceconi4)  ergänzen,  von  der  bereits  im  Jahre  1892  von 
Maragliano5)  ausgesprochenen  Ansicht  ausgehend,  die 
Gruppe  der  verschiedenen  chylösen  und  chylusähnlichen  Ascites¬ 


formen  mit  einer  neuen  Varietät,  dem  sogenannten  gemischten 
Ascites.  Die  milchige  Trübung  ist  in  denselben  durch  den 
Beitritt  von  Chylus  und  durch  eine  fettige  Degeneration  von 
Zellen  zu  erklären.  Es  kommt  endlich  noch  eine  letzte  Form 
hinzu,  die  milchähnlichen  Ergüsse,  deren  Opalescenz  durch 
die  Fette,  welche  in  sehr  geringen  Mengen  darin  enthalten 
sind,  nicht  bedingt  ist.  Wir  werden  uns  vorläufig  mit  den 
letzteren  beschäftigen,  behalten  uns  aber  vor,  auch  die  anderen 
Formen  zu  besprechen,  gestützt  auf  Fälle,  die  wir  persönlich 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatten. 

Die  Ascitesformen,  die  in  die  letzte  Kategorie  einzureihen 
wären,  finden  sich  in  der  Literatur  nicht  besonders  zahlreich 
beschrieben,  dürften  aber  trotzdem  nicht  so  selten  Vorkommen, 
da  man  vorausselzen  kann,  dass  unsere  Aufmerksamkeit  erst 
in  der  jüngsten  Zeit  auf  diese  gelenkt  wurde,  früher  aber 
dieselben  in  Folge  der  mangelhaften  chemischen  und  mikro¬ 
skopischen  Untersuchungen  unter  die  chylösen  und  chylus- 
förmigen  Ergüsse  gezählt  wurden. 

In  der  That  lassen  sich  solche  Ergüsse,  bei  oberfläch¬ 
licher  Betrachtung,  gar  nicht  von  den  fetthaltigen  unter¬ 
scheiden.  Beide  Flüssigkeiten  haben  eine  weissliche  oder 
weissgelbliche  Farbe,  sind  opalescirend  und  gleichen  der  Milch ; 
sie  haben  eine  gleiche  Widerstandskraft  gegen  Fäulniss,  beide 
enthalten  mehr  weniger  Formelemente  und  lassen  sich  leicht 
sedimentiren.  Durch  Filtration  wird  ihre  Opalescenz  nicht 
beeinflusst,  ebensowenig  durch  Sedimentation,  wie  durch  die 
Centrifuge. 

V  e  r  d  e  1 1  i  war  der  Erste,  der  darauf  bestand,  dass  neben 
den  andern  milchähnlichen  Ascitesformen  der  oben  erwähnten 
Form  ein  gesonderter  Platz  gebühre,  es  darf  aber  auch  nicht 
unerwähnt  bleiben,  dass  Quincke6)  schon  im  Jahre  1882 
milchähnliche  Ergüsse  beschreibt,  deren  Opalescenz  nicht  von 
einer  fettigen  Substanz  stammt,  vielmehr  durch  die  Anwesen¬ 
heit  von  sehr  zahlreichen  albuminösen  Körnchen  bedingt  sei. 

Vor  Ver del li  war  noch  L  e  t  u  1 1  e7),  der  nicht  immer  das 
Fett  als  Ursache  der  charakteristischen  Opalescenz  in  solchen 
milchartigen  Ergüssen,  die  manchmal  das  Fett  kaum  in  Spuren 
enthalten,  ansah.  Ein  solcher  Fall  wurde  auch  von  Lion8) 
im  Jahre  1893  publicirt. 

Wir  geben  hier  ein  Verzeichniss  der  in  der  Literatur 
gesammelten  Fälle: 

1.  Quincke,  1882,  1.  c. 

2.  Liu  n,  1893,  Ovarial-  und  Peritonealkrebs,  1.  c. 

3.  V  e  r  d  e  1 1  i,  1894,  1.  c.  Mesenterial-Sarkom. 

4.  Achard,  1895,  Societe  medicate  des  höpitaux  de  Paris. 
15.  Nov.  1896. 

5.  Saineton,  1897,  Gaz.  hebdom.  de  med.  et  chir.  Nr.  6.  Pylorus- 
und  Duodenalcarcinom. 

6.  Apert,  1897,  Soc.  anat.  de  Paris.  Febr.  1897.  Saturnismus  und 
Mitralinsufficienz. 

7.  Ceconi,  1897,  Riforma  medica.  I,  pag.  604.  Einseitiger  Erguss 
in  der  Pleura  und  in  der  Bauchhöhle. 

8.  Brasch,  1897,  Gesellschaft  für  innere  Medicin  in  Berlin. 
17.  Mai  1897.  Tuberkel  der  Mesenterialganglien,  Darmtuberculose. 

9.  Verdelli,  1897,  »II  Morgagni«.  December  1897.  Lebercirrhose. 

Dieser  Kategorie  könnte  man  nach  Ceconi  einen 
der  drei  Fälle  von  milchartigem  Ascites  zuzählen,  dessen 
chemische  Analyse  Me  hu  in  seinem  Lehrbuche  der  prak¬ 
tischen  Chemie  darlegt.  Der  Fettgehalt  betrug  in  diesem  Falle 
nicht  mehr  als  0’48%0.  Eine  weitere  Mittheilung  liegt  uns 
von  Bianchi  (Sperimentale.  1886),  auf  Grund  einer  Beob¬ 
achtung  von  Taddei  (1845),  vor,  der  in  einer  Hydrokele 
eine  milchartige  Flüssigkeit  fand,  bei  der  die  chemische  Unter¬ 
suchung  keinen  Fettgehalt  ergab. 

Verdelli  beschreibt  in  seiner  letzten  Arbeit,  neben 
dem  schon  erwähnten  Falle  von  Lebercirrhose  mit  milchartigem 
Ascites  mit  Mangel  an  Fett,  weitere  drei  Fälle,  die  nur  mini¬ 
male  Fettmengen  (0T3 — 0'37°/00)  enthielten  und  daher  unter 
die  in  Rede  stehenden  Formen  zu  gehören  scheinen.  Die 
Zahl  der  bis  jetzt  bekannten  Fälle  ist  nicht  grösser  als  14. 
Was  die  diagnostische  Bedeutung  solcher  Ergüsse,  die  des 
Fettes  entbehren,  anbelangt,  so  kann  man  sie  in  dieser  Hin¬ 
sicht  gar  nicht  verwerthen,  da  unter  gleichen  Bedingungen, 
eben  so  gut  ein  Erguss  mit  wirklichem  Fettgehalte  entstehen 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  lüOO. 


57 


kann.  Bereits  alle  Autoren  erkennen  in  diesen  Formen  einen 
albuminösen  Ursprung.  Quincke  fand  in  einem  milchähn¬ 
lichen  Ergüsse  eine  grosse  Quantität  von  albuminösen  Körn¬ 
chen,  die  auf  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  eine  dicke,  rahmige 
Schichte  bildeten;  er  sieht  diese  Körnchen  als  Urheber  der 
milchigen  Trübung  an,  und  bezeichnet  den  Process  etwas 
ungenau  als  albuminöse  Emulsion. 

Lion  meint,  dass  in  seinem  Falle  das  charakteristische 
Aussehen  des  Ascites  durch  eine  albuminöse  Substanz  bedingt 
sei,  die  in  naher  Beziehung  zum  Casein  steht.  Bei  anhaltendem 
Sieden  und  mit  starken  Säuren  behandelt,  spaltet  sie  einen 
Körper  ab,  der  die  Fähigkeit  hat,  eine  mit  Kalilauge  erhitzte 
Lösung  von  Kupfersulfat  zu  reduciren,  eine  Eigenschaft,  die 
uns  wohl  erlauben  darf,  dieselbe  zu  den  Glykoproteiden  von 
Hamm  arsten  9)  zu  rechnen. 

Das  Wesen  der  Entstehung  dieses  Ascites  besteht  nach 
Lion  in  einer  eigentlnimlichen  Degeneration  von  Krebszellen 
unter  Bildung  einer  protoplasmatischen  Substanz,  die  in  der 
Flüssigkeit  enthalten  ist. 

Es  muss  aber  gleich  hervorgehoben  werden,  dass  mit 
dem  Nachweise  solcher  Elemente  im  Ascites  uns  Lion  noch 
nicht  gezeigt  hat,  dass  das  charakteristische  Aussehen  des 
letzteren  durch  die  von  ihm  angenommene  Substanz  hervor¬ 
gerufen  sei.  Dazu  kommt  noch  der  Umstand,  dass  Zanetti 
im  Laboratorium  des  Prof.  C  i  a  m  i  c  i  a  n  eine  Proteinsubstanz 
aus  der  Gruppe  der  Mucinoiden  oder  Glykoproteiden  (Sero- 
mucoiden)  gefunden  hat,  die  in  Bezug  auf  ihre  physikalischen  und 
chemischen  Eigenschaften  der  von  Lion  isolirten  Substanz  sein- 
nahe  steht,  was  uns  wohl  zu  dem  berechtigen  Schlüsse  führt, 
dass  diese  Proteinsubstanz  zu  den  Seromucoiden  gehört,  die  nor¬ 
maler  Weise  im  Blutserum  enthalten  sind,  ohne  dasselbe  zu 
trüben.  Die  französischen  Autoren  fanden  in  ihren  Fällen  Fett  in 
sehr  geringen  Mengen  vor.  Unter  dem  Mikroskope  betrachtet, 
ergab  die  Flüssigkeit  sehr  zahlreiche  feine  Körnchen,  die  sich 
sehr  rasch  bewegten,  sich  mit  Osmiumsäure  nicht  färbten  und 
in  Aether  unlöslich  waren.  Diese  Körnchen  aus  deren  Eigen¬ 
schaften  die  albuminöse  Natur  derselben  erhellt,  wurden  für 
die  Opalescenz  der  Flüssigkeit  verantwortlich  gemacht.  Nach 
V  e  r  d  e  1 1  i  beruht  die  Opalescenz  der  von  ihm  untersuchten 
Flüssigkeit  auf  einer  besonderen  moleculären  Aggregation  der 
Globuline;  die  übrigen  Autoren  beschränken  sich,  ohne  ein¬ 
gehende  Untersuchungen  vorgenommen  zu  haben,  auf  die 
Angabe  der  Fettquantität  in  den  von  ihnen  geprüften  Er¬ 
güssen  und  scheinen  insgesammt  die  albuminöse  Natur  der 
Opalescenz  anzunehmen. 

Es  steht  fest,  dass  der  Fettgehalt,  welcher  sich  in  diesen 
Ergüssen  vorflndet,  absolut  ungenügend  ist,  um  deren  milchiges 
Aussehen  zu  erklären.  Die  Fettmenge  schwankte  zwischen 
0T2 — 0‘48 — 0'67%0.  Nach  den  Angaben  von  Let u  Ile  sind 
mindestens  P5%0  Fett  in  Emulsion  erforderlich,  um  eine  milchige 
Trübung  der  Flüssigkeit  hervorzurufen,  andererseits  hat  Ver- 
delli  gezeigt,  dass  sich  noch  grössere  Quantitäten  Fettes  in  den 
gewöhnlichen  serösen  Ergüssen  (Exsudat,  Transudat)  vorfinden 
können.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass,  wie  C  e  c  o  n  i  hervorhebt,  die 
Ursache  dieser  Erscheinung  nicht  immer  die  gleiche  ist.  Es  kann 
somit  das  Bestehen  einer  besonderen  Gruppe  von  milchartigen 
fettarmen  Ergüssen,  deren  Opalescenz  dem  Vorhandensein  von 
albuminösen  Körnchen  zuzuschreiben  ist,  als  bewiesen  an¬ 
genommen  werden.  Zu  dieser  Gruppe  dürften  die  Fälle  von 
Quincke,  Ac  hard,  Sainton  und  Apert  gehören.  Dies 
wäre,  wie  A  chard  hervorgehoben  hat,  in  eine  gewisse  Ana¬ 
logie  mit  der  milchähnlichen  Beschaffenheit  des  Serums  zu 
bringen,  auf  welche  in  jüngster  Zeit  die  französischen  Autoren  l0) 
uns  aufmerksam  gemacht  haben,  wiewohl  dieses  Phänomen 
schon  den  älteren  Aerzten,  die  vielfach  vom  Aderlässe  Ge¬ 
brauch  machten,  bekannt  war.  Es  geht  aus  allen  diesen  Unter¬ 
suchungen  und  Nachforschungen  hervor,  dass  das  menschliche 
Blutserum  unter  besonderen  Verhältnissen,  speciell  bei  der 
Nephritis,  und  hier  sind  hauptsächlich  die  acuten  und  sub¬ 
acuten  Formen  gemeint  (Ca  staig  ne),  ferner  bei  gewissen 
physiologischen  Zuständen  (so  nach  einer  reichlichen  Mahlzeit), 
desgleichen  das  Thierblut  sei  es  physiologischer  Weise,  sei 
es  aus  dem  Versuchsthiere  stammend,  ein  milchartiges  Aus¬ 


sehen  ähnlich  den  oben  erwähnten  Ergüssen  annehmen  kann. 
In"einigen  solcher  Fälle  von  milchartigem  Serum  soll  sich  mikro¬ 
skopisch  eine  Menge  ungemein  kleiner  albuminöser  Körnchen 
vorgefunden  haben;  die  letzteren  wurden  in  diesem  milch¬ 
ähnlichen  Serum  bereits  von  F  r  e  r  i  c  h  s  beschrieben  und  von 
den  französichen  Autoren  als  Ursache  der  Opalescenz  an¬ 
gesehen. 

Die  Analogie  zwischen  diesen  milchartigen  Ergüssen 
mit  wenig  Fettgehalt  und  dem  milchigtrüben  Blutserum 
leuchtet  ein,  so  dass  man  nothdürftig  eine  Hypothese  in  dem 
Sinne  aufstellen  kann,  dass  in  beiden  Erscheinungen  sich  die 
gleichen  Veränderungen  abspielen,  ohne  aber  damit  gesagt  zu 
haben,  dass  zwischen  ihnen  ein  Verhältniss  in  Bezug  auf 
Ursache  und  Wirkung  bestünde.  Für  die  in  Rede  stehenden 
Fälle  wenigstens  sind  solche  Beziehungen  nicht  zu  ermitteln, 
denn  in  keinem  der  erwähnten  Fälle  war  Nephritis  nachzu¬ 
weisen,  und  auch  Sainton  konnte  von  seinem  Patienten 
ein  vollkommen  klares  Serum  gewinnen.  Wir  können  die 
Processe  als  identisch  bezeichnen,  wenn  wir  eine  Thatsache 
berücksichtigen,  auf  die  uns  Ceconi  mit  Recht  hinweist,  dass 
nämlich  die  bei  der  Entleerung  vollkommen  klare  Flüssigkeit, 
beim  Erkalten  milchigtrüb  wurde.  Dies  findet  nach  Büchner 
auch  beim  Thierexperimente  statt,  wo  das  Blutserum  durch 
das  Ausfallen  der  Ei  weisskörper,  in  Folge  der  Kälteeinwirkung 
eine  milchige  Trübung  annimmt,  sich  aber  nach  dem  Er¬ 
wärmen  auf  37°  sofort  wieder  klärt.  Wie  können  wir  uns 
aber  die  Trübung  in  den  von  Lion,  Verdelli,  Brasch 
und  Ceconi  beschriebenen  Fällen  erklären,  bei  denen  nicht 
eine  Spur  einer  solchen  albuminösen  Emulsion  vorhanden  war? 
Sind  hier  immer  die  albuminösen  Substanzen  im  Spiel,  sei  es 
in  Folge  ihrer  Quantität  oder  Qualität,  sei  es  in  Folge  ihrer 
eigentümlichen  moleculären  Aggregation? 

Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Anwesenheit  der  von 
Lion  isolirten  Substanz  das  milchige  Aussehen  des  Ascites 
erkläre,  wird  nach  dem  oben  Gesagten  immer  geringer;  des¬ 
gleichen  ist  die  etwas  unklare  Anschauung  Verdelli’s,  ver¬ 
möge  welcher  durch  eine  besondere  Zusammensetzung  (im 
physikalischen  Sinne)  der  Globuline  die  milchige  Trübung 
solcher  Ergüsse  bedingt  sei,  durch  kein  Beweismittel  ge- 
kräftigt. 

Wir  werden  versuchen,  diese  Fälle  zu  erläutern,  werden 
uns  aber  beschränken,  unsere  eigenen  Beobachtungen  zu  er¬ 
wähnen,  uns  der  Hoffnung  hingebend,  dieses  dunkle  Capitel 
dadurch  aufzuklären. 

Wir  verfügen  über  vier  Fälle  von  milchartigen  Er¬ 
güssen  mit  spärlichem  Fettgehalte;  wir  führen  die  ent¬ 
sprechenden  Beobachtungen  in  aller  Kürze  an,  indem  wir 
auf  die  Einzelheiten  der  Krankengeschichten  in  einer  anderen 
Arbeit  zurückkommen  wollen.  Die  chemische  Untersuchung 
der  Ergüsse  wurde  wiederholt  durchgeführt;  wir  hielten  uns 
an  die  Methode  von  Hoppe-Seyler  für  die  Analyse  des 
Blutes  und  der  serösen  Flüssigkeiten,  wie  sie  Serono11)  — 
dem  wir  auch  für  seine  Rathschläge  und  den  persönlichen 
Beistand  zum  Danke  verpflichtet  sind  —  in  seinem  Lehrbuche 
angibt. 

Wir  müssen  den  Umstand  hervorheben,  dass  wir,  um 
zu  entscheiden,  ob  die  milchige  Trübung  der  Ergüsse  dem 
Fettgehalte  derselben  zuzuschreiben  sei,  uns  mit  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  nicht  begnügten,  da  sich  fein  emul- 
girtes  Fett,  wenn  in  kleiner  Menge  vorhanden,  dem  mikro¬ 
skopischen  Nachweise  entzieht.  Wir  machten  unsere  Bestimmungen 
aus  grösseren  Flüssigkeitsmengen  nach  der  Vorschrift  von 
Hoppe-Seyler.  Nach  dieser  Methode  können  auch  kleine 
Mengen  nicht  entgehen,  während  dies  leicht  geschehen  kann, 
wenn  man  sich  bei  der  Fettextraction  der  Methode  von 
S  o  x  h  1  e  t  bedient. 

ErsteBeobachtung:  Adhäsive  Pericarditis,  Herzthrombose, 
milchartiger  Ascites.  Es  handelt  sich  um  einen  19jährigen  jungen 
Mann,  der  mit  schweren  Erscheinungen  von  Herzschwäche  die 
Klinik  aufsuchte  und  derselben  nach  wenigen  Tagen  erlag.  Das 
Abdomen  enthielt  eine  grosse  Menge  Flüssigkeit;  ;)  l  derselben 
wurden  entleert  und  zeigten  eine  milchige  Beschaffenheit,  ßei  der 


58 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


Autopsie  fand  man  eine  vollständige  Verwachsung  der  Pericardial- 
blätter,  zahlreiche  Polypen  in  dem  rechten  Ventrikel  und  im  rechten 
Herzohre;  der  Ductus  thoracicus  war  normal,  die  Leber  cyanotisch, 
das  Peritoneum  glatt.  Die  Untersuchung  der  Ascitesflüssigkeit  ergab: 
kanariengelbe  Farbe,  milchartig  mit  grünlicher  Fluorescenz;  das 
Aussehen  derselben  bleibt  lange  unverändert,  es  bildet  sich  ein 
zarter  Niederschlag,  hei  dem  die  mikroskopische  Untersuchung  nur 
äusserst  spärliche  Zellenelemente  aufweist  (einige  Endothelzellen, 
sowie  spärliche  Leukocyten),  Fett-  oder  anderweitige  Körnchen  nicht 
vorhanden. 


Reaction:  alkalisch.  Specifisches  Gewicht 

1014. 

11, 0 . 

9 

964'84°/0I) 

Fester  Rückstand 

.  .  .  • 

9 

35-16%0 

Unlösliche  Eiweisssub 

stanzen 

9 

22-20%0 

Lösliche  Eiweisssubstanzen 

9 

3-40°/00 

Extractivstoffe 

9 

1 -33700 

Asche . 

[  Fett 

9 

7*38  Voo 

Aetherischer  Auszug 

Cholesterin 

Lecithin 

9 

0*737oo 

Glykose  .... 

9 

o*oo%0 

Zweite  Beobachtung:  Pankreas-Carcinom,  Metastasen 
im  Peritoneum,  milchartiger  Ascites.  Der  Fall  bezieht  sich  auf  einen 
jungen  20jährigen  Mann  mit  reichlichem  Abdominalergusse,  der 
mehrmals  punctirt  wurde,  wobei  sich  stets  eine  reichliche  Menge 
einer  wie  Milch  beschaffenen  Flüssigkeit  entleerte.  Patient  starb 
50  Tage  nach  seiner  Aufnahme  auf  die  Klinik. 

Autopsie:  Krebstumor  des  Pankreas,  secundäre  Knoten  in 
der  Leber,  das  grosse  Netz  geschrumpft  und  mit  zahlreichen  Knoten 
besäet;  andere  Knoten  im  Peritoneum  viscerale  und  parietale.  Die 
untereinander  verwachsenen  Darmschlingen  bildeten  ein  compactes 
Convolut;  die  Mesenterialdrüsen  waren  infiltrirt,  die  P  e c  q  u  e  t’sche 
Cysterne  um-  und  durchwachsen  von  infarcirtem  und  indurirtem 
Gewebe.  Die  Untersuchung  der  Flüssigkeit  ergab:  Auf  einmal  ent¬ 
leerte  Menge:  10-5/  Liter,  Flüssigkeit  opak,  strohgelb,  bildet,  sich 
selbst  überlassen,  einen  spärlichen  Bodensatz  und  einige  kleine 
Fibrinflocken;  darüber  ist  die  Flüssigkeit  gelb,  undurchsichtig, 
milchartig. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Niederschlages  siebt 
man  einige  rothe,  mehrere  weisse,  besonders  grosse  polynucleäre 
Blutkörperchen,  einige  mehr  oder  weniger  degenerirte  Endothelzellen, 
äusserst  spärliche  Fetttröpfchen  (Osmiumsäurereaction). 

Reaction  alkalisch.  Specifisches  Gewicht  1012. 

Die  qualitative  Analyse  ergibt  die  Gegenwart  von  Serum¬ 
albumin,  von  Glykosen  und  Salzen;  quantitative  Bestimmung: 


11,0  .  . 

9 

906-51 700 

Fester  Rück 

stand 

•  •  .  • 

•  9 

33-497oo 

Asche  . 

•  9 

7-84%0 

Fett 

Aetherische 

Auszüge 

Cholesterin 

9 

© 

o""~ 

O 

© 

vH 

Lecithin 

Es  wurde  von  der  Bestimmung  der  Eiweisskörper  Abstand 
genommen,  da  dieselben  durch  die  Gegenwart  von  Pankreasferment 
und  Trypsin  in  Peptone  umgeführt  wurden. 

Die  durch  die  späteren  Paracentesen  entleerte  Flüssigkeit  hatte 
denselben  physikalischen,  chemischen  und  morphologischen  Charakter 
und  der  ätherische  Auszug  schwankte  zwischen  0'88 — l%o- 

Dritte  Beobachtung:  Secundäres  Sarkom  der  Milz,  milch¬ 
artiger  Ascites.  Dieser  Fall  betrifft  einen  27jährigen  Mann,  der  nur 
einige  Tage  in  klinischer  Beobachtung  blieb  und  auf  eigenes  Ver¬ 
langen  entlassen  wurde.  Die  Diagnose  eines  secundären  Sarkoms 
der  .Milz  nach  einem  Sarkom  der  Abdominaldrüsen  wurde  von 
Prof.  Bozzolo  in  einer  klinischen  Vorlesung  erörtert  und  durch 
viele  positive  Beweise  mit  scharfen,  zwingenden  Criterien  motivirt. 
I  >as  Abdomen  enthielt  eine  massige  Quantität  freier  Flüssigkeit, 
welche  bei  der  Entleerung  milchartig  erschien. 

I  nlersuchung  der  Ascitesflüssigkeit :  Dieopalescirende,  gelbliche 
milchartige  Flüssigkeit  bildet  von  selbst  ein  leichtes  weissliches 
Sediment,  das,  mikroskopisch  untersucht,  aus  Leukocyten  besteht 
last  ausschliesslich  mononucleären  Formen  —  und  aus  Zellen,  die 


zwei-  bis  dreimal  grösser  als  ein  weisses  Blutkörperchen  erscheinen 
mit  grossem,  central  gelegenen  Kerne  und  zartem  Protoplasma,  das 
theilweise  mit  lichtbrechenden  Körnchen  (Endothelzellen)  versehen 
ist,  ferner  einzelne  rothe  Blutkörperchen;  Fett-  oder  andere  Körnchen 
sind  weder  im  Sedimente,  noch  in  den  oberen  Schichten  sichtbar. 

Reaction  alkalisch.  Specifisches  Gewicht  101 4-. 


11,0 . 

•  •  9 

970-8 

% 

/oo 

Fester  Rückstand  .... 

•  •  9 

23-2 

0/ 

/oo 

Gesammt-Eiweiss  .  .  .  . 

•  •  9 

11-4 

0/ 

/oo 

Glykose  . 

•  •  9 

000 

0/ 

/oo 

Salze . 

■  ■  9 

8-0 

0/ 

/oo 

Aetherischer  Auszug  . 

•  •  9 

0-9 

0/ 

/oo 

Lecithine . 

•  •  9 

0-21 

>°/ 

/oo- 

Vierte  Beobachtung:  Lebercirrhose,  chronische  Peri¬ 
tonitis.  OOjähriger  Mann,  der  auf  die  Klinik  mit  Symptomen  von 
Lebercirrhose  aufgenommen  wurde.  Neben  dem  voluminösen,  nach 
der  Entleerung  leicht  recidi viren dem  Ascites  zeigte  er  Flüssigkeits¬ 
ansammlung  in  beiden  Pleurahöhlen.  Die  peritoneale  und  pleurale 
Flüssigkeit  erschien  bei  der  Entleerung  deutlich  milchig. 

Autopsie:  Lebercirrhose,  chronische  nicht  tuberculöse  — 
Peritonitis.  Untersuchung  der  Flüssigkeit:  gelb,  undurchsichtig,  mit 
einem  sehr  zarten  Sedimente,  in  welchem  spärliche  Leukocyten, 
Endothelien  und  hie  und  da  lichtbrechende  Granula,  die  sich  durch 
Osmium  schwarz  färbten,  enthalten  waren. 

Reaction  alkalisch.  Specifisches  Gewicht  1014. 

Peritonealer  Erguss: 


h2  0 . 

•  •  9 

82-19 

o/ 

/oo 

Fester  Rückstand 

■  ■  9 

17-81 

0/ 

/oo 

Eiweisskörper . 

•  •  9 

8-30 

0/ 

/oo 

Salze . 

•  •  9 

660 

0/ 

/oo 

Zucker . 

■  •  9 

0-90 

0/ 

/oo 

Aetherischer  Auszug  . 

•  •  9 

0-95 

0/ 

/oo 

Lecithine . 

■  •  9 

OT52%0. 

Pleuraler  Erguss : 

1 J2  O . 

•  •  9 

84-18 

%0 

Fester  Rückstand 

•  •  9 

15-82 

%0 

Eiweisskörper . 

•  •  9 

7-70 

0/ 

/oo 

Salze . 

■  ■  9 

5-60 

0/ 

/oo 

Zucker . 

•  •  9 

0-80 

0/ 

/oo 

Aetherischer  Auszug  . 

•  •  9 

0-70 

0/ 

/oo- 

Im  Allgemeinen  zeigten  die  von  uns  beobachteten  Er¬ 
güsse  bei  ihrer  Entleerung  einen  ausgesprochen  milchigen 
Charakter,  so  zwar,  dass  sie  ohne  die  chemische  Untersuchung 
ungezwungen  für  fetthaltig  angesehen  werden  mussten. 

Die  Filtration  änderte  nichts  an  ihrer  Opalescenz,  ebenso 
wurde  letztere  durch  die  Centrifuge  nicht  beeinträchtigt  und 
schliesslich  konnte  an  ihnen  auch  die  Behandlung  mit  Aether 
nach  Zusatz  von  Kalilauge  keine  wesentliche  Veränderung  er¬ 
kennen  lassen. 

Die  Fettquantität  oder  besser  gesagt  der  ätherische 
Auszug  »Fette,  Cholesterin,  Lecithin«  war  nie  grösser  als 
1  y"/0oi  hi  einzelnen  wurde  dieser  Procentsatz  gar  nicht 
erreicht.  In  allen  den  von  uns  untersuchten  Ergüssen 
wrar  die  Menge  des  ätherischen  Auszuges  etwas  grösser  als 
die  von  anderen  Autoren  in  ähnlichen  Fällen  gefundene 
Quantität,  reichte  aber  bei  Weitem  nicht  aus,  um  in  solchen 
die  Opalescenz  zu  erklären.  Wir  haben  schon  früher  erwähnt, 
dass  die  Menge  emulgirten  Fettes,  die  nothwendig  vorhanden 
sein  muss,  um  eine  Flüssigkeit  opalescirend  zu  machen,  1  5%0 
beträgt  (Let  u  Ile),  andererseits  wissen  wir  von  Verdelli 
her,  dass,  wenn  auch  die  gewöhnlich  in  den  serösen  Ergüssen 
enthaltene  Fettmenge  zwischen  0'10 — 012%0  schwankte, 
diese  Zahlen  um  ein  Grösseres  steigen  können,  ohne  dadurch 
der  Flüssigkeit  ein  milchiges  Aussehen  zu  verleihen.  So  hat 
Verdelli  in  einem  pleuritischen  Exsudate  0'1933%o  Fett 
gefunden.  Wir  hätten  somit  diese  Fälle  in  die  Reihe  der  pseudo- 
chylösen  oder  pseudo-chyliformen  Ergüsse  versetzen  sollen. 
Wir  stellten  uns  aber  damit  nicht  zufrieden,  sondern  fanden 
es  für  logisch,  uns  die  Frage  aufzu werfen,  welchen  Substanzen 
unsere  Exsudate  ihre  Opalescenz  zu  verdanken  haben. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


59 


Wir  werden  hier  nicht  dem  Leser  die  Beweggründe  und 
den  Pfad  angeben,  die  uns  auf  die  Spur  der  Lecithine  geführt 
haben.  Der  Umstand,  dass  wir  keine  genügende  Menge  Fett 
gefunden  haben  und  auch  nicht  eine  Spur  einer  albuminösen 
Emulsion  im  Sinne  Q  u  i  n  c  k  e’s,  veranlasste  uns,  im  ätherischen 
Auszuge  des  Ergusses  der  zwei  letztgenannten  Kranken  nach 
dem  Verhalten  der  Lecithine  zu  suchen.  Die  Lecithine  linden 
sich,  wie  bekannt,  oft  neben  dem  Fette  vor  und  sind  zusammen¬ 
gesetzte  Aether,  welche  aus  der  Verbindung  des  Cholin  mit 
der  Glycerinphosphorsäure,  die  durch  ein  Fettsäureradical  ersetzt 
ist  (Palmitin,  Olein,  Stearin)  hervorgehen. 

Die  Lecithine  sind  sehr  verbreitet  und  linden  sich  in 
allen  Zellen  und  in  vielen  Flüssigkeiten  des  Organismus  vor; 
so  im  Blute,  im  Sperma,  im  Chylus  u.  s.  w.  Im  menschlichen 
Chylus  linden  sich  nach  H  o  p  p  e  -  Se  y  1  e  r  12)  auf  tausend 
Theile  Flüssigkeit  7'23  Fette,  2  35  Seifen,  L32  Cholesterin, 
0-83  Lecithine. 

Die  Untersuchung  unserer  Fälle  ergab  Folgendes  bei  dem 
dritten  Falle:  ätherischer  Auszug  0'9%0,  Lecithine  0'25%0; 
bei  dem  vierten:  ätherischer  Auszug  0  95%0,  Lecithine 
O152°/0ö. 

Es  lag  uns  der  Gedanke  nahe,  dass  diese  Stoffe,  welche 
sich  neben  den  Fetten  vorfinden  und  die,  mit  Wasser  gemischt, 
eine  opalescirende  Emulsion  bilden,  wenigstens  theilweise  als 
Urheber  der  Opalescenz  gewisser  Ergüsse  anzuspreehen  wären. 
Dafür  fehlte  uns  aber  der  Beweis  ;  diesen  zu  erbringen,  ist 
uns  aber  auf  zweierlei  Weise  gelungen,  auf  directem  und  auf 
indirectem  Wege. 

Wir  erhielten  von  Serono  eine  alkoholische  Lösung 
von  Eierlecithin;  die  Lösung  war  rein  und  enthielt  gar  keine 
Spur  von  Fett,  es  war  nur  eine  kleine  Menge  Lutein  darin 
enthalten.  Eine  geringe  Quantität  dieser  Lösung  dem  Wasser 
zugesetzt,  ertheilte  demselben  eine  deutliche  und  anhaltende 
Opalescenz,  in  Allem  jener  der  chylösen  und  chyliformen 
Ergüsse  ähnlich.  Die  Erscheinung  Avar  noch  auffallender,  wenn 
man  ein  geAvölmliches,  seröses  Trans-  oder  Exsudat  zu  diesem 
Zwecke  benützte,  dann  genügte  schon  1  cm 3  der  alkoholischen 
Lecithinlösung,  um  100  cm3  der  Flüssigkeit  eine  charakteristische 
Opalescenz  zu  verleihen.  Da  die  Bestimmung  des  Lecithins  in 
der  alkoholischen  Lösung  ein  Gehalt  von  0-015y  Lecithin  in 
derselben  ergeben  hatte,  so  konnten  wir  als  festgestellt  be¬ 
trachten,  dass  0'lög  Lecithin  ausreichten  um  bei  1000cm3 
einer  serösen  Flüssigkeit  eine  sehr  deutlich  auftretende  Opa¬ 
lescenz  zu  bewirken. 

Dadurch  fand  unsere  Voraussetzung,  dass  bei  dem  Zu¬ 
standekommen  der  Opalescenz  der  Ergüsse  die  Lecithine  einen 
grossen  Antheil  haben,  einen  Beweis,  dem  sicher  ein  gewisser 
Werth  nicht  abzusprechen  ist,  denn  wir  hatten  in  allen  unseren 
Fällen  einen  Lecithingehalt  aufzuweisen,  der  einer  solchen 
Quantität  gleich  kam,  die  hinreichend  ist,  einer  gewöhnlich 
serösen  Flüssigkeit  die  Opalescenz  zu  ertheilen. 

Einen  directen  Beweis  lieferte  uns  ein  Verfahren,  das 
wir  Jedem  empfehlen  möchten,  der  festzustellen  hat,  ob  die 
Lecithine  in  einem  fettarmen  Ergüsse  dessen  Opalescenz  be¬ 
dingen.  .  Das  Verfahren  erfordert  bei  seiner  leichten  Durch¬ 
führung  keine  besondere  Fertigkeit  und  kann  die  Bestimmung 
der  Lecithine  ersetzen.  In  einem  Reagensglase  versetzten  wir 
wenige  Cubikcentimeter  des  milchartigen  Ergusses  mit  dem 
vier-  bis  fünffachen  Volum  rectificirten  Alkohols  um  dadurch 
die  Ausfällung  der  Eiweisskörper  zu  erzielen.  Durch  Erwärmen 
im  Wasserbade  (70 — 80°)  werden  die  Lecithine,  die  in  der 
Flüssigkeit  möglicher  Weise  enthalten  sind,  in  Lösung  erhalten, 
denn  die  Lecithine  sind  in  warmem  Alkohol  vollkommen  lös¬ 
lich;  thatsächlich  war  das  alkoholische  Filtrat  in  allen  unseren 
Fällen  vollkommen  durchsichtig.  Wird  nun  durch  Erwärmen 
im  Wasserbade  die  Flüssigkeit  auf  die  ursprüngliche  Menge 
reducirt,  d.  h.  wird  der  Alkohol  nahezu  vollständig  durch  Ab¬ 
dampfen  verdrängt,  so  erscheint  der  wässerige  Rückstand  des¬ 
selben  opalescirend  und  die  Opalescenz  nimmt  bei  Zusatz  von 
etwas  Wasser  noch  zu. 

Dieses  Verhalten  scheint  uns  ein  zweifelloser,  directer 
Beweis  zu  sein,  dass  die  Opalescenz  unserer  Ergüsse  grössten- 
theils  in  Folge  der  darin  einulgirten  Lecithine  bedingt  Avar, 


denn  keine  andere  in  Alkohol  lösliche  Substanz  konnte  ausser 
dem  Lecithin  eine  milchige  und  anhaltende  opalescirende 
Emulsion  bilden,  weder  die  Eiweissstoffe,  die  in  Alkohol  un¬ 
löslich  sind,  noch  die  Fette,  die  in  diesem  wässerigen  Rück¬ 
stände  keine  Emulsion  eingehen  können. 

Zum  Schlüsse  glauben  wir  zur  Genüge  bewiesen  zu 
haben,  dass  es  milchartige  Ergüsse  gibt,  deren  Opalescenz  nicht 
oder  Avenigstens  nicht  ausschliesslich  an  die  Gegenwart  von 
Fett  gebunden  ist,  wenn  dieses  in  zu  kleiner  Menge  darin 
enthalten  ist,  dass  vielmehr  die  Lecithine  an  dieser  Erscheinung 
den  Hauptantheil  haben.  Es  bleibt  noch  festzustellen,  Avelche 
Rolle  die  Lecithine  bei  dem  Zustandekommen  der  Opalescenz 
der  echten  fettigen  Ergüsse  (Ascites  chylosus  et  chyliformis) 
spielen;  dass  denen  eine  solche  zukommt,  dürfte  kaum  zu  be¬ 
zweifeln  sein,  da  sie  mehr  weniger  zahlreich  in  dieser  ver¬ 
treten  sind. 

Literaturverzeichnis  s. 

')  Quincke,  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  1875, 
Bd.  XVI,  Heft  2. 

-)  Verdelli,  II  Morgagni.  1894,  Nr.  2. 

3)  Botmann,  Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  1896,  Bd.  XXXI, 
Heft  5 — 6. 

4)  Ceconi,  Gazetta  degli  ospedali.  1898,  Nr.  112, 

Derselbe,  Münchener  medieinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  26. 

6)  Maragliano,  Lezione  di  cliiusa  anno  scolastico.  1891  —  1892. 

6)  Quincke,  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  1882, 
Heft  30. 

7)  L  e  t  u  1 1  e,  Traite  de  1’inflammation. 

8)  L  i  o  n,  Arch,  de  Med.  exp. 

9)  Hammarsten,  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie.  1891, 
Bd.  XV,  pag.  202. 

!0)  Widal,  S  i  c  a  r  d,  Chen  u,  C  a  s  t  a  i  g  n  e,  Widal  et  S i c ar  d, 
Soe.  Med.  des  Hopitaux  de  Paris.  6.  November  1896.  —  Chenu,  These 

de  Paris.  1897,  Nr.  215.  —  Castaign  e,  Arch.  gen,  de  Med.  1897. 

11)  Serono,  Trattato  di  analisi  chimica  clinica,  fisiologica,  patologica 
ed  igienica. 

12)  Hoppe-Seyler,  Handbuch  der  physiologischen  und  patho¬ 
logisch-chemischen  Analyse.  Berlin. 


Aus  der  Heilanstalt  Alland. 

Einige  neue  Medicamente  in  der  Phthiseo- 

therapie. 

Von  Dr.  Jul.  Poliak.  Hausarzt  der  Heilanstalt. 

I.  D  u  o  t  a  1. 

Eines  der  ältesten  Heilmittel  der  neueren  Phthiseo- 
therapie  ist  das  Kreosot.  Die  verschiedenen  Besclnverden,  be¬ 
sonders  die  gastrischen,  die  bei  einer  durch  längere  Zeit  ge¬ 
führten  Kreosottherapie  ziemlich  häufig  auftreten,  sind  Avoid 
iedem  praktischen  Arzt  zur  Genüge  bekannt.  Dasselbe  muss 
in  Folge  dessen,  trotz  seiner  unleugbar  desinficirenden  Eigen¬ 
schaften,  doch  in  vielen  Fällen  bald  ausgesetzt  werden.  Die 
Vortheile  des  Kreosots,  doch  ohne  dessen  Nachtheile,  finden 
wir  im  D  u  o  t  a  1. 

Duotal  (Guajacolum  carbonicum  purissimum)  ist  90-5% 
reines  Guajacol,  chemisch  gebunden  an  Kohlensäure.  Es  bildet 
ein  weisses,  krystallinisches,  geruch-  und  geschmackloses,  in 
kaltem  und  heissem  Wasser  unlösliches  Pulver,  das  ohne  jed¬ 
wede,  wie  immer  geartete  Beschwerde  vertragen  wird. 

Versuchshalber  wurde  Dnotal  in  der  Heilanstalt 
Alland  einer  Reihe  von  Kranken  verabreicht.  Es  wurden 
hauptsächlich  solche  Patienten  ausgewählt,  bei  denen  in  Folge 
von  Appetitlosigkeit  keine  GeAvicbtszunabmen  zu  erzielen 
waren. 

Die  Verabreichung  war  folgende:  In  den  ersten  vier  bis 
fünf  Tagen  wurde  täglich  nach  dem  Mittagessen  0'5g  in  einer 
Dosis  (in  Oblaten)  gegeben.  Nach  dieser  Zeit  wurde  die  Dosis 
verdoppelt,  nach  einigen  Tagen  P5  o,  in  drei  Dosen  getheilt. 
täglich  verabreicht,  schliesslich  bis  auf  4‘0 — 5’0y  langsam 
gestiegen  und  diese  Gabe  längere  Zeit  hindurch  täglich  ge¬ 
geben. 

Im  Ganzen  nahmen  32  Patienten  zAvei  Monate  hindurch 
das  Präparat,  darunter  zwei  ambulatorisch  behandelte  Kranke, 


60 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


ln  fünf  Fällen  wurde  die  Behandlung  mit  Duotal  nach 
drei  Wochen  aufgegeben,  da  der  Appetit  der  Patienten  sich 
verschlechterte,  während  in  den  übrigen  Fällen  eine  erhebliche 
Besserung  desselben  zu  verzeichnen  war.  In  den  zwei  ambu¬ 
latorisch  behandelten  Fällen  war  schon  nach  14  Tagen  eine 
Gewichtszunahme  von  16  kg,  respective  14  hg  zu  constatiren. 
Zweimal  sahen  wir  bei  hartnäckiger  Obstipation  sehr  guten 
Erfolg,  indem  schon  nach  vierwöchentlicher  Verabreichung  von 
Duotal  in  der  obigen  Dosirung  regelmässiger  Stuhlgang 
eintrat. 

Ein  Kranker  nahm  anfangs  täglich  eine  Dosis  von  TO  <7, 
nach  vier  Tagen  3‘0y  auf  einmal,  längere  Zeit  hindurch. 
Patient,  der  früher  an  auffallender  Appetitlosigkeit  gelitten,  ass 
nach  iy2  Wochen  mit  gutem  Appetit  und  nahm  in  vier 
Wochen  ‘6'Okg  zu.  Eine  Patientin  kam  mit  einem  Gewichte 
von  5T4/c<7  in  die  Anstalt,  ln  vier  Wochen  änderte  sich  das 
Gewicht  nicht;  es  wurde  Duotal  verordnet  und  schon  nach 
acht  Tagen  betrug  das  Gewicht  527  kg. 

Auf  Husten,  Auswurf,  Athemnoth  und  sonstige  Beschwer¬ 
den  der  Phthisiker  sahen  wir  durch  Verabreichung  des  Duo¬ 
tals  keinerlei  Wirkung.  Ebenso  übte  das  Präparat  keinen 
Einfluss  auf  den  objectiven  Befund  aus. 

D  u  0  t  a  1  ist  in  F  olge  seiner  appetiterregenden 
Eigenschaft  sowohl  für  die  Spitals-  wie  auch  die  Privatpraxis 
jedenfalls  zu  empfehlen,  aber  auch  in  den  geschlossenen  Heil¬ 
stätten  neben  der  diätetisch-hygienischen  Behandlung  als  ein 
nicht  zu  unterschätzendes  Hilfsmittel  zu  betrachten. 

II.  Pyramidon. 

In  den  Heilanstalten  für  Lungenkranke  soll  nach 
B  r e  h  m  e  r -  D  e  1 1  w e  i  1  e  r’schen  Principien  das  Fieber  nur 
durch  vollkommene  Bettruhe  bei  wesentlich 
redueirter  Kost  bekämpft  werden. 

Die  Erfahrung  lehrt  jedoch,  dass  man  auch  hier,  und 
zwar  ziemlich  häufig,  Ausnahmen  machen  muss,  da  man  in 
vielen  Fällen  bei  Anwendung  von  Antipyreticis  nebst  dieser 
obgenannten  Therapie  viel  rascher  zum  Ziele  kommt.  Ver¬ 
liert  der  Kranke  z.  B.  während  des  Fiebers  den  Appetit, 
so  kann  man  sich  oft  davon  überzeugen,  dass  er  in  der,  wenn 
auch  noch  so  kurz  dauernden,  tieberlosen  Tageszeit  mit 
Appetit  sein  Mahl  einnimmt.  In  solchen  und  ähnlichen  Fällen 
sollte  man  nie  auf  die  Antipyretica  verzichten. 

In  letzterer  Zeit  wurden  in  unserer  Anstalt  Versuche  mit 
Pyramidon  angestellt.  Es  ist  dies  ein  Dimethylamido- 
anti  pyrin,  ein  neues  Derivat  des  Antipyrins.  Beim 
gesunden  Menschen  beeinflusst  es  die  normale  Temperatur 
nicht  im  Geringsten;  es  tritt  nur  eine  leichte  Röthung  des 
Gesichtes  und  ganz  geringe  Schweissabsonderung  ein.  Als  Anti- 
pyreticum  bei  Phthisikern  hat  es  sich  in  den  meisten  Fällen 
ganz  gut  bewährt.  In  einigen  Fällen  setzte  Pyramidon  die 
hochfebrile  Temperatur  entschieden  herab,  ohne  jedoch 
das  Fieber  ganz  zu  bannen. 

Aus  den  zahlreichen  Krankengeschichten  will  ich  nur 
einige  Beispiele  anführen: 

Patient  11.  Der  objective  Befund  war  folgender:  Rechts  vorne 
Dämpfung  bis  zum  unteren  Rand  der  dritten  Rippe,  links  vorne 
geht  die  Dämpfung  in  die  Herzdämpfung  über,  rechts  hinten 
Dämpfung  bis  zur  Mitte  der  Scapula,  links  hinten  bis  zur  Spina 
scapulae.  Rechts  vorne  schwach  bronchiales  Athmen,  deutlich  er¬ 
höhter  Pectoralfremilus,  Bronchophonie.  Hinten  beiderseits  unbe¬ 
stimmtes  Athmen,  ohne  Rasseln.  Im  Sputum  zahlreiche  Bacillen. 
Die  Temperaturen  waren  trotz  Bettruhe  und  redueirter  Kost  längere 
Zeit  hindurch  mit  geringen  Abweichungen  folgende: 


Früh 

Mittags 

Abends 

37-5° 

38-4° 

38-6° 

37-7° 

38-5° 

38-8° 

37-9° 

389° 

396°. 

Es  wurde  nun  täglich  Pyramidon,  und  zwar  0'5  g  in  einem 
Glas  Wasser  gelöst,  von  6  l  h  r  F  r  ü  h  bis  2  U  h  r  N  a  c  h  m  i  t- 
t a g s  schluckweise  verabreicht.  Die  Temperaturen  der  nächsten 
vier  Tage  waren: 


Früh 

Mittags 

Abends 

36-8° 

38T)° 

393° 

37-4° 

392° 

39-3° 

38-2° 

39-4° 

39-0° 

37-8° 

38-8° 

39-3°. 

Da  die 

Temperatur  nicht  abfiel, 

ja  im  Gegentheil  höher 

wurde,  wurde 

die  Tageszeit 

der  Einnahme  gewechselt,  und  zwar 

dieselbe  Dosis 

von  1 0  Uhr 

Vormittags 

bis  3  Uhr  Nachmittags 

wieder  schluckweise  verabreicht.  Der  Fieberverlauf  war  folgender: 

Früh 

Mittags 

Abends 

377° 

38-2° 

38-7° 

37-5° 

38 -2° 

38-6° 

37-8° 

38-3° 

38-6° 

und  blieb  vier  Tage  hindurch  mit  geringen  Schwankungen  derselbe. 
Es  wurde  nun  einen  Tag  das  Pyramidon  ausgeselzt,  sofort  stieg 
die  Temperatur  wieder  auf: 

Früh  Mittags  Abends 

38T°  392°  39°. 

Wir  gaben  P  y  r  a  m  i  d  o  n,  und  dieselbe  fiel  auf 
Früh  Mittags  Abends 

37-8°  38-4°  38-2°. 


Niederere  Temperatur  war  auch  bei  achttägiger  Verabreichung 
nicht  zu  erzielen. 

Bei  einem  anderen  Patienten,  dessen  Temperatur  sich  zwischen 
37'2°  Morgens  und  38'5°  Abends  bewegte,  konnte  das  Fieber  mit 
Pyramidon  auf  37u  Morgen-  und  37'8°  Abendtemperatur  herab¬ 
gedrückt  werden.  Beide  Patienten  hielten  vollkommene  Bettruhe  ein 
und  wurden  auf  reducirte  Kost  gesetzt.  Bei  einem  Patienten  mit 
linksseitiger  Infiltratio  tuberculosa  cum  excavatione  und  Ulcus 
luberc.  laryngis,  der  tagsüber  acht  Stunden  Liegecur  (im  Freien 
auf  dem  Liegestuhle)  hielt,  die  übrige  Zeit  das  Zimmer  hütete, 
waren  die  Temperaturen  ohne  Pyramidon  folgende: 


Früh 

Mittags 

Nachmittags 

Abends 

36-7° 

38-9° 

392° 

369° 

36-7° 

38-4° 

38-7° 

38T° 

369° 

38-7° 

38-6° 

38-2°. 

ln  den  nächstfolgenden 

zwei  Tagen  wurde  05  g  Pyra- 

m  i  d  0  n  in  der  oben  geschilderten  Weise,  von 

10  Uhr  Früh  bis 

2  Uhr  Nachmittags 

verabreicht. 

Die  Temperatur  war  darauf: 

Früh 

Mittags 

Nachmittags 

Abends 

371° 

37-2° 

37-5° 

374° 

30‘9° 

363° 

364° 

36-9°. 

Den  folgenden 

Tag  zur  s 

selben  Zeit  025 g  Pyramidon: 

Früh 

Mittags 

Nachmittags 

Abends 

369° 

37-3" 

377° 

37-2°. 

Den  folgenden 

Tag  kein 

Medicament: 

Früh 

Mittags 

Nachmittags 

Abends 

36-9° 

38-2° 

38-0° 

37-2°. 

Wieder  0  5  g  Pyramidon 

von  10  Uhr  Vormittags  bis  2  Uhr 

Nachmittags.  Temperatur: 

Früh 

Mittags 

Nachmittags 

Abends 

36-5° 

36-9° 

371° 

37-3°. 

Mit  geringen 

Schwankungen  blieb  dieselbe 

Temperatur  vier 

Tage  hindurch  (mit  0*5  g  Pyramidon);  hierauf  wur 

de  zwei  Tage  nur 

0  25  g  gegeben  und 

die  Temperaturen  blieben  auf: 

Früh 

Mittags 

Nachmittags 

Abends 

30-9° 

37-4° 

370° 

37-2° 

36-8° 

37-5° 

373° 

37-2°. 

Patient  nimmt  nun  schon  wochenlang  täglich  0'25a  Pyra- 

midon  und  die  Temperatur  ist 

eine  normale,  bei 

eintägigem  Weg- 

lassen  tritt  aber  sofort  Fieber  auf. 

Bei  einem  anderen,  allerdings  weniger  schweren  Fall 
konnte  nach  dreiwöchentlicher  Verabreichung  auf  genannte 
Weise  das  Pyramidon  ganz  wegbleiben,  ohne  dass  seitdem  (zwei 
Monate)  je  Fieber  auftrat,  ln  einigen  Fällen  konnten  wir 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Nr.  3 


durch  das  Pyramidon  keine  Beeinflussung  der  Temperatur 
wahrnehmen. 

Viele  Patienten  blieben  so  lange  afebril,  als  Pyramidon 
verabreicht  wurde;  hatte  man  dasselbe  nur  einmal  weggelassen, 
trat  sofort  Fieber  auf.  In  solchen  Fällen  ist  das  Pyramidon 
ein  werthvolles  Hilfsmittel  der  Therapie,  denn  es  erspart  dem 
Kranken  das  Bettliegen  und  ermöglicht  es  uns,  den  Patienten 
die  Cur  gerade  so  wie  alle  anderen  afebrilen  Kranken  durch¬ 
machen  zu  lassen.  Nur  in  einer  geringen  Anzahl  von  Fällen 
versagt  es  die  Wirkung  ganz. 

Sein  Vorzug  vor  den  anderen  Antipyreticis  ist  der  Umstand 
dass  es  niemals  schädigend  auf  das  Herz  einwirkt,  ja  im  Ge- 
gentheil,  nach  Kobert  (Berliner  Congress  1899),  dieses  günstig 
beeinflussen  soll. 

Heroinum  hydrochloricu m. 

Wenn  wir  auch  bis  jetzt  bei  Behandlung  der  Tuber- 
culose  auf  jedwedes  specifische  Heilmittel  verzichten  müssen, 
und  bei  deren  Heiluug  nur  rein  diätetisch-hygienisch  vorgehen, 
können  wir  behufs  Linderung  einiger  Krankheitserscheinungen 
doch  die  Medicamente  nicht  ganz  und  gar  entbehren.  Eines 
der  neueren  Mittel  gegen  den  bei  Tuberculösen  so  häufig  auf¬ 
tretenden  heftigen,  cptälenden  Hustenreiz  ist  das  Heroin,  ein 
Diessigsäureester  des  Morphins.  Es  bildet  ein  weisses,  krystal- 
linisches  Pulver,  das  in  Wasser  ziemlich  schwer  löslich  ist. 
Wir  benützten  zu  unseren  Versuchen  das  H  e  r  o  i  n  u  m  h  y  d  r  o- 
chloricum.  Es  wurde  im  Ganzen  bei  circa  50  Patienten 
systematisch  verabreicht.  In  den  meisten  Fällen  genügte  Abends 
eine  Dosis  von  0'005  g.  um  den  Patienten  eine  ruhige  husten¬ 
freie  Nacht  zu  verschaffen.  Auch  bei  längerer  Verabreichung 
zeigte  sich  bei  dieser  Dosis  beim  grösseren  Theil  der  Patienten 
keinerlei  unangenehme  Nebenwirkung.  Obsti¬ 
pation  in  Folge  der  Verabreichung  wurde  nicht  beobachtet. 
Bei  drei  Patienten  musste  das  Präparat  jedoch  schon  am  dritten 
Tage  wegen  auftretender  Intoxicat  ionserschein  ungen 
(die  Pupillen  wurden  sehr  enge,  beschleunigter  kleiner  Puls, 
Kopfschmerz,  Uebelkeit  und  Erbrechen  stellten  sich  ein)  aus¬ 
gesetzt  werden. 

Werden,  was  kaum  je  nöthig  ist,  höhere  Dosen  als  O'Ol  g 
gegeben,  so  sind  diese  Vergiftungssymptome  häufiger.  Man 
soll  daher  die  Dosis  von  0  005  g  nicht  überschreiten. 

Bei  einem  Fall  von  einfacher  Bronchitis  capillai’is  acuta 
wirkte  Heroinum  hydrochloricum  ausgezeichnet;  es  wurden  an¬ 
fänglich  Inhalationen  mit  Ol.  tereb.  und  Ol.  juniperi  verordnet, 
jedoch  ohne  Erfolg,  da  der  heftige  Hustenreiz  trotzdem  con¬ 
stant  anhielt;  erst  bei  Anwendung  von  0'005 g  Heroinum  hydro- 
chlor.,  täglich  zweimal  in  Pulverform  verabreicht,  wurde  der 
stetige  Hustenreiz  vollkommen  unterdrückt.  Bei  einigen  Patienten 
hielt  die  Wirkung  nur  ein  bis  zwei  Stunden  nach  der  Verab¬ 
reichung  an,  dann  trat  neuerlicher  heftiger  Husten  auf.  Bei 
zwei  Fällen  von  Asthma  bronchiale  hatte  das  Medicament 
keinerlei  Wirkung. 

Es  wurde  sodann  zweimal  täglich  O'Ol  g  Heroin  verab¬ 
reicht,  musste  jedoch  ausgesetzt  werden,  da  nach  diesen  Dosen 
heftiger  Kopfschmerz  auftrat.  In  vier  Fällen,  in  welchen 
in  Folge  trockenen  Hustens  gewöhnlich  Morgens  und  Abends 
Erbrechen  eintrat,  wirkte  Heroin  prompt,  während  weder  durch 
Morphin,  noch  durch  Codein  eine  Wirkung  zu  erzielen  war. 
Wir  geben  jetzt  Heroinum  hydrochloricum  in  Dosen  von 
0  005  <7  den  Patienten  mit  trockenem  Husten,  allabendlich  vor 
dem  Schlafengehen,  einigen  in  derselben  Dosirung  zwei-  bis 
dreimal  täglich  und  ersetzen  mit  demselben  sowohl  Codein,  als 
auch  Morphin  vollständig. 

Die  Seltenheit  übler  Nebenerscheinungen  bei  diesen 
kleinen  Gaben,  sowie  das  Nichteintreten  von  Gewöhnung,  be¬ 
ziehungsweise  Abstinenzsymptomen,  rechtfertigt  diese  Bevor¬ 
zugung. 


FEUILLETON. 

lieber  medicinische  Studien  und  Prüfungen. 

Von  Sigm.  Exner,  Professor  der  Physiologie  in  Wien. 

Vortrag,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  am 

12  Januar  1900. 

Meine  Herren!  Wie  Sie  wissen,  haben  wir  in  Oesterreich  seit 
wenigen  Tagen  eine  neue  medicinische  Rigorosenordnung.  Das  Inter¬ 
esse,  das  jeder  Stand  an  seiner  Geschichte  und  an  seiner  Zukunft 
nimmt,  lässt  es  gerechtfertigt  erscheinen,  dieses  Thema  auch  im  Kreise 
der  Gesellschaft  der  Aerzte  zur  Sprache  zu  bringen  und  das  umso 
mehr,  als  dasselbe  heute  in  zahlreichen  Culturländern  ventilirt  wird. 
Frankreich  besitzt  seit  wenigen  Monaten  eine  neue  medicinische  Studien¬ 
ordnung,  und  in  Amerika  hat  die  ßostoner  Schule  dieses  Jahr  mit 
einer  abgeänderten  Studienordnung  begonnen;  Deutschland  strebt  seit 
Jahren  eine  Aenderung  der  vom  Reichskanzleramte  festgesetzten  Prü¬ 
fungsordnung  für  die  ärztlichen  Staatsexamina  an  und  in  manchen 
anderen  Ländern  regt  sich  ebenfalls  das  Bedürfniss  nach  einer  Um¬ 
gestaltung. 

Die  Ursache,  aus  welcher  gerade  jetzt  diese  Frage  in  Discussion 
steht,  liegt  nicht  ferne.  Haben  doch  in  der  zweiten  Hälfte  unseres 
Jahrhunderts  die  medicinischen  Wissenschaften  Umwandlungen  er¬ 
fahren,  wie  kaum  je  vorher;  diese  hängen  mit  dem  mächtigen  Auf¬ 
schwünge  zusammen,  welchen  die  biologischen  Wissenschaften  in  der 
Zeit  genommen  haben;  die  physikalische  Auffassung  der  Lebenser¬ 
scheinungen,  die  Neugestaltung  der  Chemie  fällt  in  diese  Decennien. 
Diebefruchtenden  Gedanken  Darwin’s,  die  Vervollkommnung  unserer 
mikroskopischen  Hilfsmittel,  welche  erst  ein  Studium  des  feineren 
Baues  thieriscber  und  pflanzlicher  Organismen  ermöglichten,  mussten 
nothwendiger  Weise  bei  den  angewandten  Naturwissenschaften,  also 
insbesondere  in  der  Medicin,  eingreifende  Umgestaltungen  hervorrufen. 
Die  physikalische  Krankenuntersuchung  stammt  aus  dem  Anfänge  der 
zweiten  Hälfte  des  scheidenden  Jahrhunderts  und  am  Ende  desselben 
bat  sie  in  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Durchstrahlung  noch  eine  der  schönsten 
Blüthen  getrieben.  Die  ganze  physiologische  und  medicinische  Chemie, 
die  Asepsis  und  Antisepsis,  die  Immunitätslehre  mit  ihrer  ausgedehnten 
Anwendung,  die  Ausbildung  zahlreicher  Specialzweige  der  klinischen 
Medicin,  sowie  der  Chirurgie,  alles  das  sind  Errungenschaften  der 
letzteren  Zeit.  Dementsprechend  mussten  sich  auch  die  Leistungen  des 
modernen  Arztes  in  Stoff  und  Form  wesentlich  umgestalten.  Sollen 
aber  die  Leistungen  andere  sein,  dann  liegt  es  auf  der  Hand,  dass 
auch  der  Weg,  auf  welchem  die  Leistungsfähigkeit  erreicht  wird,  von 
dem  früheren  in  mannigfacher  Weise  abweichen  muss.  Daher  das  Be¬ 
dürfniss  nach  neuen  Studieneinrichtungen. 

Es  galt  aber  nicht  nur  einen  neuen  Weg  zum  neuen  Ziele, 
sondern  den  kürzesten  Weg  zu  finden,  bei  dessen  Betretung  man  nicht 
fürchten  musste,  dass  er  in  Schluchten  oder  über  uuerklimmbare  Berge 
führe.  Als  Baron  v.  Gautsch,  damals  österreichischer  Unterrichts¬ 
minister,  das  Werk  in  Oesterreich  begann,  das  heute  in  Form  zweier 
unscheinbarer  Erlässe  des  Sections-Chefs  v.  H  a  r  t  e  1  als  Leiter  des 
Unterrichtsministeriums  vorliegt,  galt  es  zunächst,  die  Anschauungen 
jener  Corporationen  und  Behörden  kennen  zu  lernen,  deren  fachmänni¬ 
sches  Urtheil  als  massgebend  zu  betrachten  ist.  Es  wurden  von  sämmt- 
lichen  medicinischen  Facultäten  Oesterreichs,  vom  Obersten  Sanitäts- 
rathe,  von  allen  bei  den  medicinischen  Rigorosen  fungirenden  Regierungs¬ 
vertretern  Gutachten  eingeholt;  ferner  wurde  vom  Unterrichtsmiuister 
eine  Enquete  berufen,  in  welcher  mehrere  staatliche  Behörden,  die 
Facultäten,  die  Aerztekammern  vertreten  waren  und  welche  über  die 
Studienreform  eingehende  Berathungen  zu  pflegen  hatte.  Ausser  zahl¬ 
reichen  Separatvoten  liefen  noch  Aeusserungen  von  philosophischen 
Facultäten  über  einzelne  Punkte  der  geplanten  Reform  ein  u.  s.  w. 
Auf  diese  Weise  konnten  ausserordentlich  werthvolle  Rathschläge,  An¬ 
regungen  und  praktische  Winke  gesammelt  werden,  die  schon  deshalb 
allgemeine  Beachtung  fordern,  weil  sie  von  den  hervorragendsten 
Forschern  und  Lehrern  mit  bewunderungswürdigen  Opfern  an  Zeit 
und  Arbeit  ersonnen  und  durchdacht  worden  waren. 

Die  Bearbeitung  und  Sichtung  dieses  werthvollen  Materiales,  das 
die  Grundlage  für  die  medicinische  Rigorosenordnung  bildete  —  man 
kann  sagen,  jeder  Punkt  derselben  ist  den  genannten  Gutachten  ent¬ 
nommen  —  ergab  mancherlei  Schwierigkeiten.  So  waren  z.  B.  die 
Rahmen  für  die  vorgeschlagenen  Verbesserungen  recht  verschiedenartig; 
Manche  hielten  eine  gründliche  Sanirung  des  ärztlichen  Standes  nur 
bei  einer  Reorganisation  der  Gymnasien  für  möglich,  Andere  durch  Hin¬ 
zufügung  des  obligaten  Spitalsdienstes;  die  Einen  nahmen  auf  das  be¬ 
stehende  Wehrgesetz  Rücksicht,  die  Anderen  nicht;  die  Einen  fürch¬ 
teten  einen  Aerztemangel  bei  Verlängerung  der  Studien,  Andere  wieder 
scheuten  denselben  nicht  u.  s.  w. 

Schwieriger  als  diese  äusserlichen  und  klar  zu  Tage  liegenden 
Differenzen  waren  die  verschiedenen  Anschauungen  über  Art  und  Ziel 
des  Unterrichtes,  über  Art  und  Ziel  der  Prüfung  zu  vereinigen.  Jeder, 


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der  die  Literatur  über  den  medicinischen  Unterricht  aus  den  letzten 
Jahren  verfolgt  hat,  ist  in  zahlreichen  Aufsätzen  und  zum  Theile  sehr 
lebhaften  Polemiken  auf  diese  Differenzen  gestossen. 

Gestatten  Sie  da,  etwas  weiter  auszuholen  und  zunächst  vom 
Unterrichte  zu  sprechen.  Ein  Beispiel  möge  Ihnen  ein  Bild  davon 
geben,  wie  man  je  nach  den  verschiedenen  Anschauungen  den  Unter¬ 
richt  über  einen  und  denselben  Gegenstand  nach  zwei  verschiedenen 
Typen  einrichten  kann.  Es  soll  z.  B.  in  einer  Schule  fünf  Jahre  hin¬ 
durch  Geographie  gelehrt  werden. 

Man  könnte  nun  in  der  ersten  Classe  Europa,  in  der  zweiten 
Asien  u.  s.  w.  abhandeln,  so  dass  in  fünf  Jahren  der  Gegenstand 
erschöpft  wäre. 

Man  könnte  aber  auch  im  ersten  Jahre  von  allen  fünf  Welt- 
theilen  sprechen,  die  dabei  gewonnene  Kenntniss  im  zweiten  Jahre 
recapituliren  und  durch  Ilinzufügung  neuer  Details  vervollständigen, 
im  dritten,  vierten  und  fünften  Jahre  nach  demselben  Principe  Vorgehen. 

ich  will  nicht  behaupten,  dass  die  erste  Art  des  Unterrichtes  an 
irgend  einer  Schule  thatsächlich  im  Schwünge  sei,  obwohl  der  Unter¬ 
richt,  dew  z.  B.  ich  am  Gymnasium  in  der  Geschichte  genossen  habe, 
wenigstens  für  den  Stoff  der  einzelnen  Semester  sich  nicht  weit  von  ihr 
entfernte.  In  unseren  Volksschulen  wird  nach  der  zweiten  Methode  des 
Unterrichtes  gelehrt.  Man  pflegt  diese  zu  bezeichnen  als  die  „Methode 
des  Unterrichtes  in  concentrischen  Kreisen“  und  im  Gegensätze  zu 
dieser  können  wir  die  andere  Art  die  „geradlinige  Methode“  benennen. 
Täuschen  wir  uns  darüber  nicht,  dass  die  glänzenden  Erfolge  unserer 
Volksschulen  grösstentheils  der  Unterrichtsmethode  in  concentrischen 
Kreisen  zu  danken  sind.  Das  Wesentliche  bei  derselben  ist,  dass  der 
Schüler  immer  w'ieder  an  das  schon  Gelernte  erinnert  w'ird,  dass  er  an  das 
Bekannte  auknüpfend,  neue  Vorstellungen  seinem  Gedächtnisse  ein¬ 
prägt  und  seine  Kenntnisse  schliesslich,  wie  um  einen  Krystallisations- 
kern  angeschlossen,  ein  einheitliches  Ganzes  bilden. 

Bei  dem  „geradlinigen  Unterrichte“  pflegt  nur  zu  leicht  der 
organische  Zusammenhang  zwischen  den  Einzelkenntuissen  verloren  zu 
gehen,  die  Ideenassociationen,  die  sie  verbinden  sollten,  zu  reissen  und 
das  Gelernte  bald  wieder  vergessen  zu  werden. 

Auf  unsere  medicinischen  Studien  angewendet,  würde  im 
idealen  Falle  der  Unterricht  beispielsweise  bezüglich  der  Niere  dann 
ein  concentrischer  sein,  wenn,  wie  in  der  That  üblich,  der  Studirende 
im  ersten  Jahre  die  grobe  Anatomie  derselben,  im  zweiten  Jahre  deren 
mikroskopischen  Bau  und  Physiologie,  im  weiteren  Verlaufe  der  Studien 
ihre  pathologische  Anatomie,  dann  ihre  Krankheiten  und  deren  interne 
und  chirurgische  Behandlung  kennen  lernen  würde,  wobei  jedes  Mal 
alles  Vorherbehandelte  recapitulirt  wird,  so  dass  es  dem  Studirenden 
gegenwärtig  bleiben  muss.  Heisst  der  Zusammenhang  z.  B.  zwischen 
der  Physiologie  der  Niere  und  ihrer  Anatomie  ab,  dann  haben  wir  es 
mit  einem  geradlinigen  Unterrichte  zu  thun,  der  von  recht  geringem 
Werthe  ist.  Je  länger  man  eben  Vorstellungen  und  Kenntnisse  mit 
sich  herumträgt,  desto  fester  haften  sie,  desto  dauernder  ist  ihr  Besitz, 
das  ist  ein  psychologischer  Lehrsatz.  Wenn  auch  diese  Vorstellungen 
nicht  stets  dem  Bewusstsein  bereit  stehen,  wenn  sie  auch  zeitweilig 
durch  andere  Vorstellungsgebiete  in  den  Hintergrund  gedrängt  werden, 
so  sind  sie,  wieder  wachgerufen,  weit  werthvoller  als  wenn  sie  zum 
ersten  Male  erworben  wären.  Wer  Paradoxa  liebt,  kann  deshalb 
sagen:  Unsere  besten  Kenntnisse  sind  die,  welche  wir  ’wiederholt  ver¬ 
gessen  haben. 

Ich  fürchte  jedoch,  dass  manche  medicinische  Studienordnuug, 
die  in  der  letzten  Zeit  thatsächlich  eingeführt  worden  ist,  auf  diesen 
concentrischen  Lehrgang  und  seine  Wichtigkeit  zu  wenig  Rücksicht 
genommen  hat;  wenn  auch  z.  B.  das  Reglement  für  die  medicinischen 
Studien  in  Frankreich  zweckmässiger  Weise  vorschieibt,  dass  immer 
wiederholt  werde,  so  fragt  es  sich  doch,  ob  es  auch  die  Möglichkeit 
hiezu  schafft  und  den  Impuls  gibt,  dass  es  wirklich  geschehe. 

Das  in  dieser  Beziehung  merkwürdigste  Beispiel  liefert  uns  die 
Harvard  medical  School  in  Boston,  welche  in  diesem  Jahre  bereits 
nach  folgendem  Studienplane  unterrichtet:  Im  ersten  Halbjahre  wird 
eine  Hälfte  des  Tages  durch  den  Unterricht  in  der  Anatomie,  die 
andere  durch  jenen  in  Histologie,  in  anderen  Wochen  und  Monaten 
durch  den  Unterricht  in  der  Embryologie  oder  einen  Gurs  über  die 
specielle  Anatomie  des  Gehirnes  ausgefüllt.  Im  zweiten  Halbjahre 
wird  die  eine  Hälfte  jedes  Tages  mit  dem  Unterrichte  in  der  Physio¬ 
logie,  die  andere  Hälfte  mit  dem  Unterrichte  über  physiologische 
Chemie  ausgefüllt.  Im  dritten  Halbjahre  ist  der  eine  Halbtag 
für  den  Unterricht  in  der  Pathologie,  der  andere  für  den  über  Bac- 
teriologie  bestimmt  u.  s.  w.  Dieser  Studieuplan  ist  für  die  späteren 
Jahre  noch  nicht  ausgearbeitet;  es  ist  aber  beabsichtigt,  dieses  Princip 
für  jeden  Jahrgang  einzuhalten,  das  im  Wesentlichen  darin  besteht, 
den  Studirenden  jeweilig  nur  mit  einem  Stoffe  und  höchstens  dessen 
nächsten  Verwandten  concentrirt  zu  beschäftigen. 

Ich  sah  in  einer  amerikanischen  Zeitung  einen  Artikel,  in  welchem 
das  alte  System,  nach  welchem,  wie  das  ja  auch  bei  uns  der  Fall  ist 
B.  Anatomie  durch  zwei  Jahre  gelehrt  wirk  den  Namen  „Method 


v  of  sandwiching“  bekommt.  Es  hat  der  Gedanke  gewiss  etwas  Be¬ 
stechendes,  den  Studirenden  durch  die  Mannigfaltigkeit  der  Gegen¬ 
stände,  für  die  er  sich  zu  interessiren  hat,  nicht  zu  zerstreuen;  aber 
man  denke,  wenn  jeder  halbe  Tag  einer  ganzen  Studienzeit  in  dieser 
Weise  mit  gewissen  Stoffen  erfüllt  ist,  das  ganze  Denken  durch  den¬ 
selben  beherrscht  wird,  ob  wohl  der  junge  Mann  nach  dem  vierten,  ja 
nach  dem  zehnten  Halbjahre  noch  etwas  von  den  Kenntnissen  aus  der 
Anatomie  übrig  behalten  hat?  Ich  fürchte,  dass  dieses  Experiment  der 
Einführung  des  geradlinigen  Studien  ganges  keine  guten  Resultate  liefern 
wird.  Ich  fürchte  das  noch  mehr,  wenn  der  Schüler  über  diese 
Einzelgegeustände  im  Verlaufe  der  Studien  Prüfungen  abzulegen  hat. 
Da  wird  ihn  der  Stoff  des  nächstliegenden  Examens  mehr  erfüllen,  als 
der  Gedanke,  das  zu  wiederholen,  was  er  vor  Jahren  gelernt  hat! 

Hier  kommen  wir  zu  der  Frage  von  der  Unterbrechung  des  Stu¬ 
diums  durch  die  Prüfungen.  Blicken  wir  z.  B.  nach  Frankreich.  Die 
Semestraleintheilung  ist  hier  eine  andere  wie  bei  uns.  Ich  kann  Ihnen 
demnach  in  Kürze  nur  mittheilen,  dass  der  Student,  ehe  er  in  die 
eigentlichen  medicinischen  Studien  eintritt,  eine  Prüfung  über  das  so¬ 
genannte  Vorbereitungsjahr  abzulegen  hat.  Nach  Schluss  seines  ersten 
Jahres  macht  er  abermals  eine  Prüfung,  und  zwar  über  natur¬ 
wissenschaftliche  Gegenstände;  im  Verlaufe  des  dritten  Jahres  sind 
zwei  Prüfungen  zu  bestehen,  die  1.  aus  Anatomie,  die  2.  aus  Histo¬ 
logie  und  einschlägigen  Fächern.  Im  fünften  Jahre  hat  er  den  soge¬ 
nannten  ersten  Theil  der  3.  Prüfung  und  den  zweiten  Theil 
derselben  und  endlich  nach  Schluss  seines  Studiums  die  4.  und 
5.  Prüfung  abzulegen. 

In  Russland  ist  die  Studieneintheilung  nicht  an  allen  Univer¬ 
sitäten  conform.  Ich  wähle  also  die  Universität  in  Warschau.  Hier 
macht  der  Student  nach  dem  ersten  Jahre  Prüfungen  aus  sieben 
Fächern,  nach  dem  zweiten  aus  fünf,  nach  dem  dritten  Jahre  aus 
sechs,  nach  dem  vierten  Jahre  aus  fünf  und  am  Schluss  seiner  Studien 
aus  fünf  Gegenständen. 

Wie  anders  in  Deutschland,  wo  der  Studirende  nach  dem  zweiten 
Jahre  eine  Prüfung  macht  und  dann  erst  nach  den  gesammten 
Studien  die  Hauptprüfung. 

Da  nun  z.  B.  in  Warschau  die  Prüfung  aus  Anatomie  nur  im 
ersten  Jahre  vorkommt,  wird  man  da  wohl  von  einem  concentrischen 
Studiengang  sprechen  können?  Physiologie  wird  allerdings  auch  bei 
der  Schlussprüfung  examinirt  und  ebenso  wird  mancher  andere  Gegen¬ 
stand  wiederholt  geprüft,  so  dass  man  wohl  auf  einen  annähernd  concentri¬ 
schen  Studiengang  hoffen  kann.  Die  deutsche  Prüfungsordnung  ge¬ 
stattet  ein  ruhiges  Studium  und  eine  gesammelte  Vorbereitung  während 
der  ersten  beiden  Jahre,  und  dann,  ebenso  ohne  Störung  durch  den 
Popanz  einer  Prüfung  die  Vorbereitung  für  die  Hauptprüfung.  Ana¬ 
tomie  und  Physiologie  werden  sowohl  bei  dem  ersten,  wie  bei  dem 
zweiten  Examen  geprüft. 

Wenn  Sie,  meine  Herren,  schon  daraus  ersehen,  wie  verschieden 
das  Urtheil  über  geradlinigen  oder  concenti  ischen  Studiengang,  über 
die  Unterbrechung  oder  Nichtunterbrechung  desselben  durch  Prüfungen 
ist,  so  ist  eine  nicht  minder  grosse  Differenz  in  den  verschiedenen 
Ländern  über  die  Anzahl  der  Fächer  nachzuweisen,  welche  zu  lernen 
sind.  Der  berühmte  Huxley  war  schon  im  Jahre  1370  über  die  An¬ 
forderungen  entrüstet,  welche  an  den  Mediciner  gestellt  werden,  indem 
er  erkannnte,  dass  die  Grenze  des  Möglichen  erreicht  ist,  wenn  der 
Student  dem  damaligen  Studienplane  entsprechen  soll.  Er  fordert, 
dass  „kein  Jota  und  kein  Tittelchen“  über  das  Mass  des  absolut 
Nothwendigen  dem  Mediciner  aufgebiirdet  werde  und  M.  Foster  hat 
erst  kürzlich,  1898,  in  Bezug  auf  die  englischen  Verhältnisse  erklärt, 
es  sei  unmöglich,  entsprechend  dem  Wachsthume  der  medicinischen 
Wissenschaften  auch  den  Stoff  für  die  Studirenden  an  wachsen  zu 
lassen.  Auch  ich  habe  mich  schon  im  Jahre  1892  im  gleichen  Sinne  aus¬ 
gesprochen  und  damals  das  Resultat  meines  Gutachtens  in  die  Worte 
zusammengefasst :  „Zweifellos  hat  sich  der  Stoff  in  den  medicinischen 
Fächern  im  Laufe  der  letzten  Decennien  ausserordentlich  vergrössert, 
haben  sich  ebenso  die  theoretischen  Fächer  :  Chemie,  Physik,  die  Ana¬ 
tomie,  die  Physiologie  vergrössert,  es  hat  sich  die  wissenschaftliche 
Methodik,  es  haben  sich  die  ärztlichen  Anforderungen  vergrössert,  nur 
Eines  hat  sich  nicht  vergrössert,  das  ist  das  Gehirn  eines  Mediciners 
und  das  Fassungsvermögen  desselben  für  den  Zeitraum  von  fünf 
JahreD.“ 

Der  amerikanische  Physiologe  H.  P.  B  o  w  d  i  t  c  h  hat  in  einer 
werth vollen  Rede1)  die  Frage  ventilirt,  ob  man  nicht  angesichts  des 
riesigen  Wachthums  der  medicinischen  Wissenschaften  einerseits  all¬ 
gemein  medicinisch  gebildete  Aerzte  und  andererseits  specialistische 
Aerzte  ausbilden  solle,  eine  Frage,  die  im  bejahenden  Falle  für  uns 
Oesterreicher  bedeuten  würde,  dass  wir  auf  einen  Weg  zurückkehren 
sollen,  den  wir  besser  nie  verlassen  hätten. 

Sehen  wir  nach,  welche  medicinischen  Fächer  in  den  ver¬ 
schiedenen  Ländern  von  den  Studirenden  erlernt  werden  sollen  und 
halten  wir  uns  zu  diesem  Zwecke  an  die  Prüfungsfächer. 

B  Reform  in  medical  education.  Science.  Vol.  VIII.  31.  December  1898. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


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Oesterreich 

Deutschland 

Frankreich 

Warschau 

jetzt 

in  Zukunft 

Mineralogie 

Allgemeine  Biologie 

_ 

Mineralogie 

Zoologie 

— 

Zoologie 

Zoologie 

Zoologie 

Botanik 

— 

Botanik 

Botanik 

Botanik 

Physik 

Physik  für  Mediciner 

Physik 

Physik 

Physik 

Chemie 

Chemie  für  Mediciner 

Chemie 

Chemie 

Chemie 

Anatomie 

Anatomie 

Anatomie 

Anatomie 

Anatomio 

Physiologie 

Physiologie 

Physiologie 

Physiologie 

Physiologie  (zweimal) 

Histologie 

— 

Histologie 

— 

Interne  Medicin 

Interne  Medicin 

Interne  Medicin 

Interne  Medicin  (dreimal) 

Specielle  Pathologie  und 
Therapie  (zweimal) 

Chirurgie 

Chirurgie 

Chirurgie 

Chirurgie  (zweimal) 

Chirurgie 

Geburtshilfe  u.  Gynäkologie 

Geburtshilfe  u.  Gynäkologie 

Geburtshilfe  und  Gynäkolgie 

Geburtshilfe  (zweimal) 

Geburtshilfe  und  Gynäkologie 
(zweimal) 

Allgemeine  Pathologie  u. 
Therapie 

Experimentelle  Pathologie 

Allgemeine  Pathologie  und 
Sectionen 

Allgemeine  Pathologie 

Pharmakologie 

Pharmakologie  u.  Reccptir- 
kunde 

— 

Pharmakologie 

Pharmakologie  und 
Receptirkunde  (zweimal) 

Gerichtliche  Medicin 

Gerichtliche  Medicin 

— 

Gerichtliche  Medicin 

Gerichtliche  Medicin 

Pathologische  Anatomie 

Pathologische  Anatomie  und 
Histologie 

Pathologische  Anatomie  und 
allgemeine  Pathologie 

— 

Patholologische  Anatomie 

Augenheilkunde 

Augenheilkunde 

Augenheilkunde 

— 

Augenheilkunde  (zweimal) 

— 

Hygiene 

Hygiene 

Hygiene 

Hygiene  (zweimal) 

— 

Psychiatrie 

— 

— 

Psychiatrie 

— 

Kinderheilkunde 

— 

— 

Medicinische  Chemie  (zweimal) 

Dermatologie  und  Syphilis 

— 

Dermatologie  und  Syphilis 

— 

— 

Allgemeine  Therapie  (zweimal)  , 

— 

— 

— 

— 

Pharmakognosie  u.  Pharmacie 

— 

— 

— 

— 

Theoretische  Chirurgie 

— 

— 

— 

— 

Nervenheilkunde 

_ 

— 

— 

Medicinische  Polizei 

— 

— 

— 

— 

Russische  Sprache 

16 

18 

12 

14 

27 

Dio  Tabelle  zeigt,  wie  weit  die  Anschauungen  der  Unterrichts- 
verwaltungen,  welche  jene  Studienordnungen  geschaffen  haben,  in  Bezug 
auf  den  zu  lehrenden  Stoff  auseinandergehen.  Und  es  wird  Sie  nicht 
wundern,  zu  hören,  dass  die  vorliegenden,  zahlreichen  Gutachten  ein 
Spiegelbild  ähnlicher  Meinungsdifferenzen  sind. 

Im  Gegensätze  hiezu  steht  eine  erfreuliche,  ziemlich  weitgehende 
Uobereinstimmung  darüber,  dass  der  Unterricht,  so  weit  wie  möglich, 
praktisch  eingerichtet  werde. 

Seit  der  Zeit  des  Mittelalters  bricht  sich  immer  mehr  die  Ueber- 
zeugung  Bahn,  dass  in  den  naturwissenschaftlichen  und  medicinischen 
Disciplinen  kein  Buch  und  nicht  der  beste  Vortrag,  das  ersetzen  kann, 
was  die  Anschauung,  die  unmittelbare  Betastung,  das  Gehör  den 
Studirenden  bietet,  dass  eben  nur  das  Selbsterlebte  einen  werthvollen 
geistigen  Besitz  bietet.  Gewiss  werden  nicht  Alle  so  weit  gehen  wie 
Mi  not2)  der  über  der  Thür  jeder  Bibliothek  die  Aufschrift  wünscht: 
„There  is  no  knowledge  in  books“.  Aber  der  grosse  Werth  der 
persönlichen  Erfahrung  wird  allgemein  anerkannt. 

Dementsprechend  ist  auch  in  unserer  neuen  Kigorosenordnung 
auf  die  Uebung  und  die  Bethätigung  des  Studirenden  grosses  Gewicht 
gelegt. 

Nicht  uninteressant  ist  es,  zu  vergleichen,  wie  verschieden  in  den 
Studienplänen  der  europäischen  Länder  die  Anzahl  der  wöchentlichen 
Arbeitsstunden  ist,  die  für  ein  regelrechtes  Studium  vorausgesetzt 
wird.  So  ergeben  z.  B.  die  Studienpläne  von  Warschau  folgende 
Zahlen: 

1.  Jahr  24-5  wöchentliche  Stunden 

2.  „  36  „  „ 

3.  „  20 

4.  „  30  _ 

5.  „  37  5  „  „ 

In  Oesterreich  sind  jetzt  10,  nach  der  neuen  Studienordnung 
20  wöchentliche  Stunden  obligat,  wobei  natürlich  die  Laboratoriums¬ 
arbeiten  mitgerechnet  werden. 

Sie  ersehen  aus  der  Tabelle,  wie  sich  unsere  neue  Studien¬ 
ordnung  in  Bezug  auf  alle  erwähnten  Punkte  von  der  alten  unter¬ 
scheidet. 

Zunächst  sind  die  Vorprüfungen  aus  den  beschreibenden  Natur¬ 
wissenschaften  ersetzt,  durch  eine  Eigorosumspriifung  aus  „Allgemeiner 
Biologie“. 

Es  wird  Sie  in  Bezug  auf  diesen  Punkt  interessiren,  dass  ich 
beim  Durchmustern  der  alten  Ministerialacten  auf  den  Bericht  über 
einen  heftigen  Kampf  gestossen  bin,  welcher  sich  im  Jahre  1846  in 


der  damals  tagenden  Rigoroseneommission  abspielte.  Es  handelte  sich 
um  jene  Prüfungsordnung,  die  bis  zum  Jahre  1872  Geltung  hatte, 
und  der  Kampf  betraf  den  Antrag  H  yrt  l’s,  dass  Mineralogie,  Bo¬ 
tanik  und  Zoologie  aus  der  Reihe  der  Prüfungsgegenstände  gestrichen 
werden.  Für  diesen  Antrag  sprachea  ausser  H  y  r  1 1  noch  Skoda 
und  Rokitansky.  Gegen  denselben  trat  der  Botaniker  E  n  d- 
1  ich  er  auf  und  blieb,  wie  Sie  wissen,  Sieger. 

Wir  können  also  sagen,  dass  im  Sinne  dreier  erster  Grössen 
unserer  Universität  vorgegangen  wurde,  indem  nun,  nach  mehr  als 
fünfzig  Jahren,  diese  Gegenstände  fallen  gelassen  werden.  In  der 
That  bilden  sie  heute  nicht  mehr  die  Basis  unseres  ärztlichen  Denkens. 
Diese  Basis  ist  heute  Physik  und  Chemie,  sowie  die  entwicklungs¬ 
geschichtliche  Auffassung  der  organischen  Welt. 

Dementsprechend  ist  ein  Gegenstand,  die  „Allgemeine  Biologie“ 
eingeführt,  und  den  grundlegenden  Disciplinen  der  Physik  und  der 
Chemie  eine  grössere  Rolle  zugewiesen.  Erstere  soll  in  Verbindung 
mit  Uebungen  gelehrt,  letztere  im  Laboratorium  geprüft  werden. 

Indem  diese  Fächer  als  „Physik  für  Mediciner“  und  „Chemie 
für  Mediciner“  gelehrt  und  geprüft  werden  sollen,  wird  angedeutet, 
dass  hiebei  auf  diespeciellen  Bedürfnisse  des  Arztes  Rücksicht  zu  nehmen  ist. 
Der  Chemie  sind  im  beigegebenen  Entwurf  eines  Studienplanes  ausser 
dem  Jahrescollegium  auch  noch  Laboratoriumsübungen  durch  zwei 
Semester  zugewiesen,  so  dass  man  wohl  hoffen  kann,  dass  der  Stu- 
dirende  im  Rahmen  dieses  Unterrichtes  auch  die  wichtigsten  Kenntnisse 
aus  physiologischer  und  pathologischer  Chemie  erwerbe. 

Ferner  sind,  wie  Sie  aus  der  Tabelle  ersehen,  an  neuen  Piüfungs- 
gegenständen  die  Hygiene  und  die  klinischen  Specialfächer  zugewachsen, 
nämlich  Psychiatrie  mit  Einschluss  der  Neuropathologie,  Dermatologie 
und  Kinderheilkunde. 

Im  Ganzen  sind  also  die  Unterrichtsgegenstände  gegenüber  der 
heute  gütigen  Rigorosenordnung  nur  um  zwei  vermehrt.  Freilich 
kommen  hiezu  noch  die  obligaten  Curse  aus  Otiatiie,  Laryngologie, 
Zahnheilkunde  und  Impfkunde. 

Gehen  schon  die  Ansichten  über  den  Unterricht  weit  auseinander 
so  kann  man  das  in  noch  höherem  Masse  von  den  Ansichten  über  die 
Prüfungen  sagen.  In  einem  Punkte  freilich  ist  man  auch  in  dieser 
Richtung  einig:  nämlich  darin,  dass  die  Prüfung  ein  unvermeidliches 
Uebel  ist.  Aber  schon  darüber,  warum  dieses  Uebel  unvermeidlich  ist, 
lassen  die  vorliegenden  Entwürfe  für  die  österreichische  Prüfungsordnung 
sowie  die  tliatsächlich  eingeführten  Studienordnungen  anderer  Länder 
die  differentesten  Anschauungen  durchblicken. 

Indem  ich  mir  wieder  erlaube,  etwas  zu  schematisiren,  möchte 
ich  auch  die  Prüfungen  nach  zwei  Typen  eintheilen,  die  abermals 
Extreme  darstellen. 


")  Knowledge  and  practice.  Science.  Vol.  X.  7.  Jahrgang.  1899. 


64 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


Die  Prüfungen  dos  ersten  Typus  verfolgen  den  Zweck,  zu  con- 
troliren,  ob  der  Candidat  den  für  einen  gewissen  Zeitabschnitt  vorge¬ 
schriebenen  Wissensstoff  wirklich  bewältigt  hat,  und  sollen  ihn  ver¬ 
halten,  seine  Zeit  so  auszunützen,  wie  es  der  Studienplan  vorschreibt. 
Man  kann  diese  Art  von  Prüfungen  Controlprüfungen  nennen.  Die 
andere  Art  soll  zeigen,  ob  der  Candidat  jene  Menge  von  Kenntnissen, 

vor  Allem  aber  auch  jenes  Yerständniss  des  Stoffes  oder  jene  intel- 

lectuelle  Durchbildung  erworben  hat,  welche  ihn  befähigt,  einen  ge¬ 
wissen  Beruf  zu  ergreifen,  andere  Fächer  mit  Nutzen  zu  studiren  und 
dergleichen.  Dabei  kümmert  sich  die  Prüfung  nicht  um  die  Art 
und  um  die  Zeit,  wann  er  diese  Fähigkeit  erworben  hat.  Man 
kann  diesen  Typus  der  Prüfungen  mit  dem  Namen  der  Reifeprüfungen 
belegen. 

Jeder  von  uns  kennt  diese  beiden  Arten  von  Prüfungen 

aus  dem  Gymnasium;  die  Controlprüfungen  sind  hier  die  täglich 

vorkommenden  Examina,  welche  den  Zweck  haben,  zu  ermitteln,  ob 
der  Schüler  die  Lection  richtig  erlernt  hat.  Der  Examinator  wird  in 
diesem  Falle  berechtigt  sein,  eine  solche  Prüfung  als  ungenügend  zu 
taxiren,  wenn  sie  ergibt,  dass  der  Schüler  z.  B.  die  Vocabeln  der 
lateinischen  Aufgabe  wegen  mangelhafter  Vorbereitung  nicht  kennt, 
obwohl  er  im  Allgemeinen  bessere  lateinische  Kenntnisse  besitzt,  als 
sein  Mitschüler,  welcher  an  demselben  Tage  eine  gute  Classification 
erhält,  weil  er  genügend  vorbereitet  in  die  Schule  kommt.  Ein  ge¬ 
wissenhafter  Schüler  wird  während  des  Gymnasialstudiums  eine  grosse 
Masse  von  Kenntnissen  in  sein  Gedächtniss  aufgenommen  haben.  Was 
aber  von  diesen  dauernden  Werth  hat,  was  davon  durch  Yerständniss 
sich  mit  seinem  Denkvermögen  amalgamirt  bat,  wie  sein  Geist  dadurch 
geschult  worden  ist,  das  wird  für  den  Ausfall  der  Controlprüfung  zwar 
nicht  belanglos  aber  doch  nicht  von  massgebender  Bedeutung  sein. 

Im  Gegensätze  hinzu  steht  die  Maturitätsprüfung.  Hier  handelt 
es  sich  um  die  Durchbildung  des  Geistes  und  wohlgeordnete  Kennt¬ 
nisse,  wobei  es  ganz  gleicbgiltig  ist,  ob  der  Schüler  seine  Fähigkeiten 
in  diesem  oder  jenem  Jahre,  ob  er  seine  Kenntnisse  einem  Schulbuch 
oder  einem  Roman  von  Jules  Verne,  einem  Lustspiele  von  Shakespeare 
entnommen  hat. 

Ueberblicken  wir  die  geltenden  Studienordnungen,  so  können 
wir  nicht  zweifeln,  dass  sich  die  zahlreichen,  in  den  Lehrgang 
eingeschalteten  Prüfungen,  wenn  sie  auch  keiner  der  beiden  Prüfungs¬ 
typen  rein  angehören,  doch  mehr  der  Controlprüfung  als  der  Reife¬ 
prüfung  nähern.  Russland,  Frankreich  und  auch  Belgien  arbeiten  mit 
dem  System  der  Controlprüfungen;  in  gewissem  Sinne  und  für  gewisse 
Gegenstände  schliessen  sie  mit  Reifeprüfungen  ab,  in  Bezug  auf 
andere  verzichten  sie  auf  dieselben. 

Ich  muss  meine  persönliche  Ueberzeugung  dahin  aussprechen, 
dass  unsere  Gymnasien  tief  im  Werthe  sinken  würden,  wenn  den 
täglichen  Controlprüfungen  am  Schlüsse  nicht  eine  Maturitätsprüfung 
folgen  würde.  Ebenso  halte  ich  auch  die  Reifeprüfung  am  Schlüsse 
der  medicinisclien  Studien  für  unbedingt  nothwendig  und  zwar  die 
Reifeprüfung  aus  allen  Fächern,  die  er  als  wissenschaftlich  gebildeter 
Arzt  beherschen  soll.  Will  der  Staat  heute  einem  Candidaten  das 
Zeugniss  ausstellen,  dass  er  befähigt  sei  als  Arzt  zu  wirken,  so  muss 
er  sich  überzeugen,  dass  dieser  heute  das  nöthige  ärztliche  Wissen 
und  Können  besitze,  dass  er  vor  Allem  jene  wissenschaftliche  Durch¬ 
bildung  erfahren  habe,  die  ihn  befähigt,  neue  Kenntnisse,  neue  Me¬ 
thoden  in  sich  aufzunehmen,  er  darf  sich  nicht  damit  begnügen  ein 
Zeugniss  über  ein  Wissen  aus  früheren  Jahren  einzusehen.  Was  er  an 
Kenntnissen  einst  besessen  hat,  ist  jetzt  ganz  gleichgiltig;  hat  ihm 
dieser  Besitz  an  Wissen  Nutzen  gebracht,  so  kann  er  das  heute  zeigen, 
ohne  eine  Belastung  zu  empfinden.  Ein  Studienplan  ohne  ernste  Reife¬ 
prüfung  ist  ein  Rumpf  ohne  Kopf,  ein  Gebäude  ohne  Dach. 

Es  wird  vielfach  behauptet,  die  Reifeprüfungen  aus  den  grund¬ 
legenden  Fächern  seien  deshalb  überflüssig,  weil  eine  mit  Erfolg  ab¬ 
gelegte  Prüfung  aus  den  Disciplinen  späterer  Jahrgänge  undenkbar 
wäre,  ohne  dass  der  Candidat  auch  jene  der  früheren  Jahrgänge  be¬ 
herrsche.  Das  wäre  zum  Theile  richtig,  wenn  die  Disciplinen  immer  so 
geprüft  würden,  wie  es  der  Idee  des  concentrischen  Studienganges 
entspricht  und  es  nie  vorkäme,  dass  ein  Examinator  sich  oder  wohl 
auch  Anderen  sagt:  „Wenn  ich  den  Candidaten  aus  jenem  Gegenstände 
zu  prüfen  hätte,  nicht  aus  meinem,  müsste  ich  ihn  durchfallen  lassen.“ 
Aber  auch  dann  wäre  es  nur  theilweise  richtig;  denn  der  jeweilige 
Stand  der  klinischen  Disciplinen  nützt  nur  einen  kleinen  Theil  des 
Thatsachenmateriales  aus,  das  in  den  grundlegenden  Wissenschaften 
zusammengefasst  wird.  Nur  betreffs  dieses  kleinen  Theiles  kann  von 
einem  concentrischen  Studiengang  überhaupt  die  Rede  sein. 

Der  Werth  der  naturwissenschaftlichen  Vorbildung,  der  ganzen 
theoretischen  Grundlage  des  ärztlichen  Könnens  liegt  in  ihrer  Allge¬ 
meinheit;  durch  diese  wird  erzielt,  dass  sich  der  fertige  Arzt  jeder 
neuen  Aufgabe  gegenüber  selbst  zu  helfen  wreiss,  dass  er,  auf  eigene 
Füsse  gestellt,  das  Werk  seiner  Ausbildung  fortzuführen  befähigt  ist. 

In  der  Zeit,  als  viele  von  Ihnen,  meine  Herren,  und  ich,  Medicin 
studirten,  da  konnten  wir  alle  Kliniken  der  Facultät  durch  Jahre 


besuchen,  ohne  ein  Wort  über  deu  Bau  des  Gehirns  oder  Rücken¬ 
markes  zu  hören;  da  war  keine  Spur  eines  concentrischen  Studien¬ 
ganges  in  Bezug  auf  diesen  Theil  der  Anatomie  zu  bemerken.  Dann 
wuchs  aber  ein  neuer  Zweig  der  klinischen  Medicin,  die  Neuropatho¬ 
logie  hervor.  Wie  traurig  wäre  es  nun  um  Jene  bestellt  gewesen, 
welche  als  Aerzte  diesem  Zweige  in  seine  feinen  Verästelungen  folgen 
sollten  und  deren  Kenntniss  des  Centralnervensystems  auf  der  Recapi¬ 
tulation  der  Anatomie  im  Rahmen  der  klinischen  Fächer  ruhen  sollte. 
Sie  wären  vor  einem  anatomischen  Atlas  des  Gehirnes  gestanden,  wie 
Laien  :  ohne  jedes  Yerständniss. 

Hier  ist  es  Aufgabe  des  Unterrichtes,  zu  erreichen,  dass  der 
reife  Arzt  mit  dem  Lehrbuche  in  der  Hand  den  zahlreichen,  neu  auf¬ 
tauchenden  Anforderungen  gegenüber  nicht  rathlos  dastehe,  sondern 
an  Bekanntes  anknüpfend,  sich  stets  zu  orientiren  vermöge.  In  dieser 
Beziehung,  das  können  wir  mit  Stolz  hervorheben,  war  unser  Unter¬ 
richt  stets  ein  verhältnissmässig  guter.  Einen  äusseren  Beweis  dafür 
erblicke  ich  in  der  relativ  grossen  Zahl  von  medicinisclien  Zeitungen, 
die  seit  Jahren  in  Oesterreich  erscheinen,  und  deren  Abnehmer  fast 
ausschliesslich  die  praktischen  Aerzte,  besonders  auf  dem  Lande  sind. 
Diese  Zeitungen  würden  nicht  gehalten,  wenn  sie  nicht  verstanden 
würden  und  dass  die  Aerzte  Jahrzehnte,  nachdem  sie  die  Schule  ver¬ 
lassen  haben,  der  Wissenschaft  noch  zu  folgen  vermögen,  ist  nicht 
nur  ein  ehrendes  Zeugniss  für  sie,  sondern  auch  für  den  Unterricht, 
welchen  sie  genossen  haben.  Es  ist  nicht  überall  so.  Es  gibt  culturell 
hochstehende  Länder,  in  denen  die  Mehrzahl  der  Aerzte  ihre  Patienten 
heute  noch  gerade  so  behandeln,  wie  sie  das  vor  20  oder  30  Jahren 
in  der  Schule  gelernt  haben.  Das  ist  der  Unterschied  zwischen  wissen¬ 
schaftlicher  Ausbildung  und  fachmännischem  Drill. 

Jede  Reorganisation  läuft  Gefahr,  das  Gute,  das  im  dauernden 
Besitz  oft  zu  w’enig  beachtet  wird,  zu  vernachlässigen,  auf  Kosten  des 
oft  getadelten  Schlechten.  Möge  es  der  neuen  Studienordnung  gelingen, 
Schlechtes  zu  verbessern,  ohne  das  Gute  aufzugeben. 

Jene  zahlreichen  Prüfungen,  die  nach  der  russischen  und  der 
französischen  Prüfungsordnung  im  Laufe  der  Studien  abzulegen  sind, 
mögen  zwar  nicht  reine  Controlprüfungen  sein;  sie  stehen  diesen  aber 
näher  als  den  Reifeprüfungen.  Wäre  das  nicht  der  Fall,  so  könnten 
und  müssten  sie  sämmtlich  an  das  Ende  des  Studiums  verlegt  werden; 
sie  dienen  aber  dazu,  den  Candidaten  zu  zwingen,  mitzustudiren, 
sein  Fortschreiten  zu  eoutroliren,  sie  dienen  dem  Drill. 

Wollte  man  nun  die  gelegentlich  der  genannten  Controlprüfungen 
abgegebenen  Anworten  etwa  mit  jenen  beim  deutschen  ärztlichen 
Staatsexamen  vergleichen,  so  würde  Jeder  erklären,  dass  erstere  von 
letzteren  glänzend  abstechen.  Es  ist  eben  leicht,  über  ein  beschränktes 
Gebiet  eine  schöne  Prüfung  abzulegen,  wenn  man  Zeit  und  Gelegenheit 
hat,  sich  für  diese  Prüfung  speciell  vorzubereiten.  Wer  also  Freude 
an  schönen  Antworten  der  Candidaten  hat,  wird  die  Controlprüfung 
bevorzugen;  wer  aber  auf  geistige  Durchbildung  und  Schulung  das 
Gewicht  legt,  wer  der  Devise  folgt:  Lerne  nicht  für  die  Prüfung, 
sondern  für  den  Beruf,  der  wird  die  schöne  Prüfung  nicht  als  Selbst¬ 
zweck  betrachten,  der  wird  sich  nicht  darum  kümmern,  wde  viele 
Kenntnisse  der  Candidat  während  seiner  Studien  auf  Nimmerwieder¬ 
sehen  durch  sein  Gehirn  gejagt  hat,  sondern  wird  sich  mit  den 
mageren,  aber  werthvollen  Resultaten  der  Reifeprüfung  begnügen. 
Denn  darüber  dürfen  wir  uns  nicht  täuschen:  die  Reifeprüfung  kann 
nicht  durch  correct  und  geläufig  hergesagte  Systeme  und  Aufzählung 
von  Reihen,  durch  Vorführung  minutiöser  Details  glänzen,  sie  kann 
nur  den  bescheidenen  Anblick  eines  jungen,  zur  Weiterbildung  be¬ 
fähigten  Arztes  bieten. 

Es  mag  sein,  dass  manche  Nationen  nicht  der  geschilderten 
Controle  der  Studirenden  entbehren  können. 

Meine  Sympathien  aber,  meine  Herren,  stehen  auf  der  anderen 
Seite.  Ich  halte  es  für  kein  Unglück,  wenn  der  junge  Mann,  der  leicht¬ 
sinnig  genug  ist,  einen  oder  mehrere  Semester  zu  verbummeln,  oder 
sonst  seine  Studien  ungeschickt  einzutheilen,  an  sich  die  schlimmen 
Folgen  zu  fühlen  bekommt.  Ich  bin  für  den  praktischen  Unterricht  auch 
in  der  Ausbildung  des  Charakters.  Die  selbstgemachten  Erfahrungen 
können  nie  ersetzt  werden  durch  die  Erfahrungen,  die  Andere  gemacht 
haben,  so  wenig  wie  die  am  Krankenbette  gemachten  Erfahrungen 
durch  die  aus  einem  Lehrbuche  geschöpften,  und  sei  es  auch 
des  besten,  nicht  ersetzt  werden  können.  Die  Aufgabe  der  Er¬ 
ziehung  liegt  nicht  darin,  Gefahren  aus  dem  Weg  zu  räumen,  sondern 
in  der  Anleitung,  Gefahren  zu  bestehen.  Das  Missgeschick,  dem  der 
vom  Studienzwang  freie  Student  verfallen  kann,  ist  der  Verlust  eines 
oder  einiger  Semester.  Unter  Umständen  freilich  hart  für  ihn  und 
für  seine  Eltern,  ist  es  doch  nicht  zu  vergleichen  mit  dem  Unheil,  das 
der  im  Moment  der  Promotion  zum  ersten  Male  aller  Fesseln  befreite 
Arzt  anrichten  kann,  der  bis  dahin  einer  ernsten,  seinem  Willen 
und  seinem  Charakter  gestellten  Aufgabe  nicht  begegnet  war,  weder 
das  Gefühl  der  Befriedigung  kennt,  einen  Willenskampf  glücklich  be¬ 
standen  zu  haben,  noch  jenes  der  Reue,  einer  Gefahr  erlegen  zu  sein. 
Der  grosse  Weltweise  sagt  in  „Wilhelm  Meister’s  Lehrjahre“ 


N  r.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


65 


(siebentes  Buch):  „Nicht  vor  Irrthum  zu  bewahren  ist  die  Pflicht  des 
Menschenerziehers,  sondern  den  Irrenden  zu  leiten.“ 

Es  wird  Sie,  meine  Herren,  nicht  wundern,  zu  hören,  dass  alle 
diese  Mannigfaltigkeit  der  Anschauungen  über  die  Bedeutung  der 
Prüfungen  auch  in  den  unserer  Studienordnung  zu  Grunde  liegenden 
Gutachten  zum  Ausdrucke  gelangen. 

Eine  grössere  Uebereinstimmung  findet  man  betreffs  der  Art  der 
Prüfungen.  Minot  sagt  kurz:  „Examination  should  be  practical“.  Und 
dass  die  Prüfungen  auf  das  Bethätigen  gerichtet  sein  sollen,  wird 
allgemein  betont. 

Die  neue  Rigorosenordnung  hält  sich  von  den  geschilderten 
extremen  Gegensätzen  ferne;  sie  ist  nicht  radical,  wie  die  Studien¬ 
ordnung  der  Harvard  University.  In  Bezug  auf  die  Lernfreiheit  hat 
sie  fast  nichts  geändert,  mit  Ausnahme  der  strengen  Theilung  in  die 
zwei  Studienabschnitte  durch  das  erste  Rigorosum.  Diese  ist  zum  Theile 
als  Controlprüfung  gedacht,  denn  sie  will  den  Studenten  zwingen, 
die  grundlegenden  Fächer  zu  lernen,  ehe  er  in  das  Gebiet  der  patho¬ 
logischen  Disciplinen  eintritt.  In  anderer  Beziehung  ist  sie  Maturitäts¬ 
prüfung,  indem  sie  einerseits  die  Reife  des  Candidaten  für  die  ge¬ 
nannten  Disciplinen  erproben  will  und  andererseits  die  Gegenstände 
so  prüft,  wie  es  bei  einer  Reifeprüfung  geschehen  muss,  nämlich  in 
rascher  Aufeinanderfolge,  so  dass  der  Student  keine  Möglichkeit  hat, 
sich  für  die  einzelnen  Prüfungen  vorzubereiten  und  indem  die  meisten 
Gegenstände  gleichzeitig  praktisch  und  theoretisch  geprüft  werden. 

Das  zweite  und  dritte  Rigorosum  bildet  die  eigentliche  ärztliche 
Reifeprüfung.  Auch  hier  sind  die  Examina  aus  den  einzelnen  Gegen¬ 
ständen  nahe  aneinander  gerückt.  Manche  sind,  wie  ich  bemerkt  zu 
haben  glaube,  geneigt,  diese  Neuerung  als  Erschwerung  zu  betrachten. 
Meines  Erachtens  mit  Unrecht,  wenn  es  sich  um  Candidaten  handelt, 
welche  während  ihrer  Studienzeit  sich  wirklich  für  ihren  Beruf  vorbe¬ 
reitet  haben.  Eine  Erschwerung  mag  dies  allerdings  für  Jene  sein, 
welche  gewöhnt  sind,  „für  die  Prüfung“  aus  Büchern  oder  Scripten 
zu  lernen.  Erstere  werden  froh  darüber  sein,  weil  ihnen  bei  den  ver¬ 
einigten  praktisch-theoretischen  Prüfungen  Gelegenheit  geboten  ist,  in 
der  Untersuchung  eines  Patienten,  in  der  Ausführung  irgend  einer 
Messung,  einer  Analyse,  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  eines 
Secretes,  bei  der  Stellung  einer  Diagnose  ihre  Uebung  und  jede  Art 
ihres  ärztliches  Könnens  zu  erweisen.  Sie  werden  entsprechen,  auch 
wenn  sie  Schwierigkeiten  haben,  ihre  Gedanken,  Eindrücke  und  Folge¬ 
rungen  in  Worte  zu  kleiden,  sei  es,  dass  sie  der  Sprache  nicht  voll¬ 
kommen  mächtig  sind,  was  ja  bei  uns  nicht  selten  ist,  sei  es,  dass  sie 
in  der  üblichen  Prüfungsverlegenheit  und  sprachlich  wenig  gewandt, 
nur  mühsam  und  tastend  die  richtigen  Ausdrücke  zu  finden  vermögen. 
Letztere  werden  freilich  in  der  Regel  vergeblich  nach  jenen  Schlag¬ 
worten  und  Phrasen  suchen,  in  deren  Einprägung  sie  ihre  Aufgabe 
erblickt  haben.  Wenn  sie  dieselben  in  ihrem  Gedächtniss  nicht  finden, 
so  werden  sie  eben,  durch  die  Erfahrung  belehrt,  diese  Art  des  Studiums 
aufgeben  und  den  richtigen  Weg  einschlagen.  Der  Charakter  der 
Prüfungen  wird  sich  unter  diesen  Umständen  von  selbst  ändern,  wenn 
die  Bedingungen  andere  geworden  sind,  unter  welchen  sie  abgelegt 
werden,  gerade  so,  wie  der  Charakter  der  Maturitätsprüfung  ein  anderer 
ist,  als  jener  der  gymnasialen  Controlprüfungen,  auch  wenn  in  beiden 
dieselben  Candidaten  und  dieselben  Prüfer  fungiren. 

Die  Furcht  vor  einer  durch  das  Zusammendrängen  der  Prü¬ 
fungen  bedingten  Erschwerung  beruht  meines  Erachtens  auf  einem  be¬ 
sonders  in  Studentenkreisen  weit  verbreiteten  Irrthum.  Das  Mass  für 
die  Schwierigkeit  einer  Prüfung  kann  doch  immer  nur  der  Wahrschein¬ 
lichkeitsgrad  sein,  ein  schlechtes  Calcul  zu  erhalten.  So  kann  die 
Prüfung  bei  einem  Examinator  schwerer  sein  als  bei  einem  anderen, 
weil  er  einen  grösseren  Bruchtheil  der  Candidaten  reprobirt.  Aber,  meine 
Herren,  bei  einem  gegebenen  Studentenmaterial  und  einer  gegebenen 
Prüfungscommission  sind  die  Prüfungen,  ganz  unabhängig  von  ihrer 
Organisation,  immer  gleich  schwer.  Bei  uns  z.  B.  fallen  circa  10% 
der  Candidaten  durch  und  dieser  Procentsatz  wird  der  gleiche  bleiben, 
weil  der  Examinator  es  nicht  über  sich  bringt,  sich  wohl  auch  nicht 
berechtigt  fühlt,  einen  grösseren  Procentsatz  zu  reprobiren.  Wenn 
es  allen  Candidaten  unmöglich  gemacht  wird,  sich  für  die  Prüfung 
vorzubereiten,  wenn  sie  sich  alle  nur  für  den  Beruf  ausbilden 
können,  dann  werden  nicht  jene  10%  durchfalleD,  welche  sich  am 
ungenügendsten  für  die  Prüfung,  sondern  jene,  welche  sich  am 
schlechtesten  für  den  Beruf  vorbereitet  haben.  Die  Prüfung  wird 
nicht  schwerer  sein,  sondern  ihren  Charakter  geändert  haben,  und 
zwar  zu  ihrem  Vortheile. 

Auch  die  Prüfungen  des  ersten  Rigorosums  werden  sich  in 
ihrer  Physiognomie  ändern.  Hat  es  sich  doch  heute  eingebürgert,  dass 
bei  der  praktischen  und  theoretischen  Prüfung  eines  Faches  nicht  nur 
die  Art  der  Prüfung,  sondern  auch  der  Stoff  verschieden  ist.  Das  hat 
zur  Folge,  dass  ein  Student  den  Stoff  auch  eines  Faches  nicht  gleich¬ 
zeitig  beherrscht,  sondern  erst  über  einen  Theil  und  Monate  oder 
Jahre  später  über  den  zweiten  Theil  desselben  Prüfung  ablegt. 


Wie  Sie,  meine  Herren,  schon  gesehen  haben,  wird  sich  die  An¬ 
zahl  der  Prüfungsfächer  in  der  neuen  Rigorosenordnung  nicht  unbe¬ 
deutend  vermehren. 

Es  ist  das  umso  auffallender,  als  wir,  wie  Ihnen  dieselbe  Tabelle 
zeigt,  schon  heute  nennenswerth  mehr  Prüfungsgegenstände  haben,  als 
manches  andere  Land,  vor  Allem  Deutschland,  dessen  Studienorganisa¬ 
tion  der  unserigen  sonst  am  nächsten  steht.  Diese  Vermehrung  des 
Prüfungsstoffes  ist  meines  Erachtens  die  anfechtbarste  Seite  der  neuen 
Bestimmungen  und  wenn  ich  Ihnen  meine  persönliche  Ansicht  mit¬ 
theilen  soll,  so  geht  dieselbe  dahin,  dass  wir  eine  gediegenere  und 
tiefere  Ausbildung  des  Arztes  erzielen  würden,  wenn  der  Prüfungsstoff 
nicht  so  sehr  in  die  Breite  ginge. 

Hier  steht  die  neue  Verordnung  unter  dem  Drucke  zahlreich 
und  energisch  geäusserter  Anschauungen  von  praktischen  Aerzten  und 
von  den  Vertretern  engerer  Fächer.  Ganz  ähnlich  wie  das  bei  den 
Gymnasien  der  Fall  war,  wo  vom  Publicum  und  von  Lehrern  immer 
wieder  Neues  als  Unterrichtsstoff  verlangt  wurde,  so  war  es  auch  bei 
den  Gutachten,  welche  dieser  Prüfungsordnung  zu  Grunde  liegen.  Von 
der  Vorstellung  durchdrungen,  dass  der  Arzt  am  ersten  Tage  seiner 
Praxis  zu  einem  Falle  gerufen  -werden  kann,  bei  dem  er  specialistische 
Kenntnisse  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  aufweisen  soll,  wurde  die 
Anforderung  gestellt,  dass  der  Arzt  nicht  nur  allgemein  mediciniseh 
gebildet,  sondern  auch  in  specialistischen  Zweigen  orientirt  sein  müsse; 
auch  in  den  theoretischen  Fächern  ist  dieser  Drang  zum  Specialisiren 
auf  das  Lebhafteste  zum  Ausdrucke  gebracht  worden. 

Eine  Minderzahl  von  Fachleuten  steht  auf  dem  Standpunkte, 
dass  der  Mediciner  unmöglich  in  fünf  Jahren  die  Eignung  erwerben 
kann,  als  junger  Arzt,  in  einen  Marktflecken  versetzt,  sofort  jeden 
internen,  chirurgischen,  geburtshilflichen,  dermatologischen,  psychiatri¬ 
schen,  oculistischen,  gerichtsärztlichen  Fall  am  Kinde  und  am  Erwach¬ 
senen  sachverständig  zu  behandeln,  die  Technicismen  der  Laryngologie, 
Otiatrie,  Ophthalmologie,  der  Zalmheilkunde  der  mikroskopischen 
Untersuchung,  der  Pharmakognosie  u.  s.  w.  zu  beherrschen.  Diese 
Minderzahl,  zu  welcher  auch  ich  mich  rechne,  findet:  was  in  dem  Quin¬ 
quennium  erreicht  werden  könne  und  was  bei  dem  rapiden  Flusse,  in 
welchem  sich  die  medicinischen  Methoden  unserer  Zeit  befinden,  von 
grösster  Bedeutung  ist,  bestehe  in  einer  gründlichen  theoretischen  und 
einer  intensiven,  durch  die  medicinischen  Hauptfächer  vermittelten 
praktischen  Schulung  und  Durchbildung  des  jungen  Mannes,  auf  Grund 
deren  er  in  den  Stand  gesezt  wird,  nicht  nur  der  Entwicklung  der 
medicinischen  Wissenschaften  zu  folgen,  sondern  sich  auch  noch  nach 
Verlassen  der  Schule  in  gewisse  Specialzweige  einzuai beiten. 

Wie  die  Ministerialacten  ergeben,  hat  sich  bei  den  Berathungen 
des  Jahres  1872,  die  zur  heute  geltenden  Rigorosenordnung  führten, 
Rokitansky  entschieden  gegen  die  Einführung  von  Prüfungen  aus 
den  engeren  Fächern  ausgesprochen.  Nur  die  allerwichtigsten,  wie 
Dermatologie  und  Syphilis,  wollte  er  beim  Examen  vertreten  sehen,  im 
Uebrigen  fürchtete  auch  er  eine  Verflachung  der  Ausbildung  durch 
Zersplitterung  des  Unterrichtes. 

Die  neue  Rigorosenordnung  hält  sich  auch  in  diesen  Beziehungen 
ziemlich  in  der  Mitte  zwischen  den  beiden  Gegensätzen.  Sollte  sie  in 
der  Richtung  der  Specialisirung  zu  weit  gegangen  sein,  so  wird  sich  das 
bald  zeigen.  Dies  geschieht  immer  in  derselben  Form;  es  werden  gewisse 
Gegenstände  eben  nur  scheinbar,  d.  h.  nur  für  die  Prüfung  gelernt, 
ohne  jeden  nachhaltigen  Nutzen.  Der  Candidat  fühlt  das,  und  der 
Prüfungsgegenstand  wird  dann  als  nutzlose  Belästigung  empfunden. 

Wie  immer  die  Prüfungen  eingerichtet  sein  mögen,  Eines  darf 
nicht  übersehen  werden:  wichtiger  als  jede  Prüfungsordnung  ist  der 
Prüfer  selbst.  Ein  guter  Prüfer  wird  bei  der  schlechtesten  Prüfungs¬ 
ordnung  erfreuliche  Resultate  in  seinem  Fache  erzielen.  Die  Rigorosen¬ 
ordnung  kann  demnach  nur  den  Intentionen  des  guten  Prüfers  ent- 
gegenkommen  und  ihm  die  Möglichkeit  bieten,  so  zu  examiniren,  wie  er 
es  für  zweckmässig  erachtet. 

Schliesslich,  meine  Herren,  noch  ein  Wort  über  das  sowohl  bei 
uns  wie  in  Deutschland  so  oft  besprochene  Spitalsjahr.  In  der  Rigorosen¬ 
ordnung  wurde  von  demselben  abgesehen,  und  zwar,  so  weit  ich  das 
zu  beurtheilen  vermag,  aus  folgenden  Gründen:  die  Mehrzahl  der  jungen 
Aerzte  tritt  schon  heute  in  den  Spitalsdienst  ein.  Die  Vorschreibung 
des  Spitalsjahres  würde  also  eine  Wirkung  blos  auf  Jene  ausiiben, 
welche  den  Spitalsdienst  nicht  mitmachen  wollen. 

Es  war  nun  kein  Mittel  zu  finden,  welches  diese  zu  zwingen 
vermöchte,  das  Spitalsjahr  nicht  nur  formell  zu  frequentiren,  sondern 
aus  demselben  auch  den  für  ihre  weitere  Thätigkeit  erhofften  Nutzen 
zu  schöpfen. 

Wenn  der  junge  Arzt,  statt  sich  im  Krankenzimmer  zu  bethä¬ 
tigen,  spaziren  geht,  sich  widerspenstig,  absichtlich  ungeschickt  und  un¬ 
brauchbar  benimmt,  so  wäre  ihm  —  hat  man  gesagt  —  die  Frequenz  des 
Spitalsdienstes  nicht  zu  bestätigen.  Dabei  ist  aber  zu  bedenken,  dass 
die  jetzt  von  der  Universität  durch  ihren  Rector  auf  Grund  von  be¬ 
hördlichen,  unter  den  Augen  des  Regierungsvertreters  abgehaltenen 
Prüfungen  gewährte  Venia  practieandi  dann  von  dem  Urtheile  eines 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


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Primarius  irgend  eines  Spitales  gespendet  werden  würde.  Die  Befürch¬ 
tung  ist  wohl  nicht  unberechtigt,  dass  zwischen  dem  jungen,  frisch 
von  der  Universität  kommenden  und  von  dem  Werthe  des  daselbst 
Erworbenen  tief  durchdrungenen,  vielleicht  für  seinen  Beruf  zu  sein- 
begeisterten  Arzte  und  dem  betreffenden,  in  manchen  Punkten  etwa 
anders  denkenden  Abtheilungsvorstande  manche  Differenz  Vorkommen 
würde.  Bei  einer  solchen  nicht  harmonischen  Stimmung  müsste  dem 
Primarius  die  ihm  zugemessene  Machtvollkommenheit  zur  Pein  werden. 

Erwägt  man  weiter,  dass  es  der  Sanitätsverwaltung  unbenommen 
bleibt,  als  Bedingung  für  die  Verleihung  einer  Arztesstelle  im  öffent¬ 
lichen  Dienste  die  Spitalspraxis  zu  verlangen,  und  dass  jenseits  der 
österreichischen  Grenzpfähle,  in  Deutschland,  die  Praxis  vollkommen 
frei  ist,  so  wird  man  es  begreiflich  finden,  dass  man  die  durch  unser 
Doctorat  dem  Publicum  gewährte  Garantie  für  genügend  erachtet  hat, 
und  der  Universität  ihr  uraltes  Recht  der  Verleihung  der  Venia  prac- 
ticandi  nicht  entziehen  wollte. 

Eine  bessere  praktische  Schulung,  als  bisher  unsere  Mediciner 
erfahren  haben,  ist  allerdings  dringend  wünschenswert ;  die  neue 
Rigorosenordnung  hofft  dieselbe  mit  Unterstützung  der  Professoren- 
collegien  dadurch  zu  erreichen,  dass  sie  die  Möglichkeit  bietet, 
wenigstens  an  Universitäten  mit  grosser  Studentenzahl  die  Extraordi¬ 
narien  und  Privatdocenten  in  grösserem  Maasse  als  bisher  für  den 
praktischen  Unterricht  heranzuziehen  und  so  auch  das  diesen  zur  Ver¬ 
fügung  stehende  Ivrankenmaterial  für  den  Unterricht  zu  verwerthen. 

Das  Interesse  derselben  für  die  regelrechte  Unterweisung  der 
Studirenden  am  Krankenbette  kann  dadurch  geweckt  werden,  dass  sie 
als  ausserordentliche  Examinatoren  zu  den  praktischen  Prüfungen  aus 
interner  Medicin  und  Chirurgie  herangezogen  weiden.  Auch  in  diesem 
Punkte  würde  dann  ein  Postulat  unseres  Altmeisters  Rokitansky 
erfüllt,  der  sich  im  Jahre  1872  für  die  Zuziehung  der  Extraordinarien 
und  Privatdocenten  zur  Prüfung  eingesetzt  hat. 

Gelingt  es  in  dieser  Weise,  den  Studenten  in  innigere  fach¬ 
männische  Berührung  mit  den  Patienten  zu  bringen,  so  wird  die  Ver- 
theuerung  des  Studiums,  die  durch  ein  angehäugtes  Dienstjahr  bedingt 
wäre,  erspart,  und  doch  die  Rigorosenordnung  zu  einer  wesentlichen 
Verbesserung  der  ärztlichen  Schulung  führen. 


REFERATE. 

Lehrbuch  der  Hygiene. 

Von  Rubner. 

6.  Auflage. 

Leipzig  und  Wien  1 899,  Franz  De  u  ticke. 

Der  kurze  Zwischenraum,  welcher  das  Erscheinen  der  ein¬ 
zelnen  Auflagen  des  Rubner’schen  Werkes  trennt,  spricht  am 
unmittelbarsten  für  den  sicheren  Platz,  den  sich  dasselbe  in  der 
Reihe  der  hygienischen  Lehrbücher  errungen  hat. 

In  der  vorliegenden  sechsten  Auflage  ist  im  Wesentlichen  die 
bisherige  Anordnung  des  Stoffes  beibehalten,  einzelne  Capitel  haben, 
entsprechend  den  Fortschritten  der  letzten  Jahre,  eine  Umarbeitung 
und  Ergänzung  erfahren,  auch  wurde  dem  Werke  eine  Anzahl 
neuer  Abbildungen  eingefügt.  Wir  verweisen  insbesondere  auf  die 
Capitel:  Beleuchtung,  Vorkommen  und  Verbreitung  von  Volkskrank¬ 
heiten,  ebenso  auf  einzelne  Abschnitte  der  Ernährung. 

Bei  den  allgemein  bekannten  Vorzügen  der  Rubner’schen 
Hygiene,  welche  in  knapper  Form  einen  überaus  reichen  Inhalt 
bietet,  kann  auch  diese  neueste  Auflage  wärmstens  empfohlen 
werden.  Grassberger. 

Vorlesungen  über  die  Physik  des  organischen  Stoff¬ 
wechsels. 

Von  Emil  du  Bois-Reymond. 

Berlin,  1900,  A.  Hirschwald. 

208  Seiten. 

Es  sind  die  Sommervorlesungen,  welche  du  Bois-Rey¬ 
mond  regelmässig  seit  dem  Jahre  1856  bis  einschliesslich  1896 
an  der  Berliner  Universität  gehalten  hat,  die  nun  von  dessen  Sohne 
Rene  nach  kurz  gefassten  Aufzeichnungen  herausgegeben  wurden. 

DieAero-  und  Hydrodynamik  sowie  die  Diffussionserscheinungen 
der  Lösungen  bilden  den  wesentlichen  Kern  des  vorliegenden 
Werkes.  Es  ist  lebhaft  zu  beklagen,  dass  dasselbe  nicht  vor  etwa 
80  Jahren  erschienen  ist,  denn  dem  Stande  der  Lehre  in  jener 
Zeit  entspricht  sein  Inhalt.  Soweit  dies  ohne  völlige  Umarbeitung 
der  Materie  möglich  war,  versuchte  der  Herausgeber  durch  An¬ 
merkungen  auf  die  gegenwärtigen  Anschauungen  hinzuweisen.  Der 
bescheideneren  Aufgabe,  dem  Fachmanne  ein  Buch  von  persönlichem 


oder  historischen  Interesse  zu  bieten,  auf  welche  sich  R.  du 
Bois-Reymond  in  dor  Vorrede  selbst  beschränkt,  hat  er  in 
anerkennenswerlher  Weise  entsprochen,  vor  Allem  für  jenen  Kreis 
von  Männern,  welchen  des  grossen  Physiologen  Persönlichkeit  in 
unmittelbarer  Erinnerung  steht. 

Du  Bois-Reymond’s  Persönlichkeit  muss  auch  auf  Jene 
wirken,  die  deren  Spuren  nur  aus  seinen  Schriften  kennen.  Am 
sympathischesten  tritt  sie  hervor  in  seinem  bewundernswerthen 
Werke  über  thierisehe  Elektricität.  Der  junge  Forscher,  welcher 
fast  ein  Jahrzehnt  hindurch  Schritt  für  Schritt  die  grössten  metho¬ 
dischen  Schwierigkeiten  überwindet  und  auf  die  Gefahr  hin,  von 
anderer  Seite  um  die  Früchte  seiner  Thätigkeit  gebracht  zu  werden, 
ruhig  mit  der  Veröffentlichung  wartet,  um  Vollkommeneres  und 
Vollständigeres  zu  bringen,  wird  stets  ein  Vorbild  bleiben.  Interessant 
und  fesselnd  wusste  du  Bois  allgemeine  Fragen  zu  behandeln 
und  seine  bekannten  Betrachtungen  über  das  dynamische  Gleich¬ 
gewicht  in  der  belebten  Natur  leiten  auch  die  »Physik  des  orga¬ 
nischen  Stoffwechsels«  ein,  während  sie  in  eine  Umschreibung  des 
viel  citirten  »Ignorabimus»  ausklingt. 

Die  Verwirklichung  des  hundertjährigen  Traumes  der  Physiker 
und  Physiologen  von  der  völligen  Identificirung  der  elektrischen 
Erscheinungen  am  Nerven  mit  dessen  Lebensäusserungen  ist  ein 
Traum  geblieben  und  die  modernere  Biologie  musste,  um  freie 
Bahn  zu  gewinnen,  die  mechanistische  Auffassung  R  e  y  m  o  n  d’s 
aufgeben.  Wer  würde  darob  die  Fülle  von  Anregungen  vermissen, 
die  Reymond’s  Irrthümer  gebracht  haben? 

Möge  das  Werk  aus  seinem  Nachlasse  in  weiten  Kreisen 
persönlichen  Widerhall  finden.  Pauli. 


Ueber  physikalisch-chemische  Methoden  und  Probleme 

in  der  Medicin. 

Von  Dr.  Wolfgang  Pauli. 

Wien  1900,  Perles. 

In  den  letzten  Jahrzehnten  ist,  man  kann  sagen,  ein  neues 
Wissensgebiet  entstanden,  das,  zwischen  Chemie  und  Physik  liegend, 
sich  mit  dem  Problem  der  Abhängigkeit  physikalischer  Eigen¬ 
schaften  oder  Vorgänge  von  dem  chemischen  Bau  der  Körper  be¬ 
schäftigt.  Wenn  auch  Manches  noch  seiner  endgiltigen  Klärung 
harrt,  so  wurden  doch  Beziehungen  gefunden  zwischen  dem  mole- 
cularen  Bau  von  Substanzen  und  ihren  Farben,  ihrer  Fluorescenz, 
ihrem  Vermögen,  die  Polarisationsebene  zu  drehen,  oder  ihrem  so¬ 
genannten  osmotischen  Druck  u.  s.  w.  Wichtige  und  weittragende 
Gesetze,  besonders  was  letzteren  betrifft,  auch  für  das  Verständniss 
der  Vorgänge  im  lebenden  Körper  grundlegende  Lehrsätze  sind 
gefunden  und  allgemein  anerkannt.  Es  war  deshalb  ein  Verdienst 
W.  Pauli’s,  kürzlich  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Wien 
eine  zusammenfassende  Darstellung  der  Grundfragen  dieser  modernen 
physikalischen  Chemie  vorzutragen  und  dadurch  das  ärztliche  Pu¬ 
blicum,  das  naturgemäss  diesen  neuen  Forschungsrichtungen  grössten- 
theils  nicht  folgen  konnte,  wenigstens  aufmerksam  zu  machen  auf 
jene  Thatsachen  und  Probleme,  die  längst  bekannt,  aber  als  voll¬ 
kommen  von  einander  unabhängig  betrachtet,  nunmehr  durch  die 
neuen  Gesichtspunkte  in  causalem  Zusammenhänge  oder  in  voller 
Analogie  untereinander  (Gasgemische  und  Lösungen)  erscheinen. 
Dieser  Vortrag  Pauli's  ist  als  selbstständiges  Heftchen  von 
29  Seiten  erschienen,  und  kann  jedem  Arzte  zur  Orientirung  in 
der  genannten  Richtung  empfohlen  werden.  Sigm.  Exner. 


Die  Beziehungen  der  Akromegalie  zum  Myxödem  und 
zu  anderen  Blutdrüsenerkrankungen. 

Von  F.  Pineies. 

Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  Neue  Folge  Nr.  242. 

Leipzig  18J9,  Breitkopf  &  Härtel. 

Der  lesenswerthe  Aufsatz  geht  von  zwei  selbst  beobachteten 
Fällen  von  Akromegalie  aus,  welche  eine  Anzahl  von  Symptomen 
aufweisen,  die  nicht  dieser  Krankheit,  sondern  dem  Myxödem  zu¬ 
gehören,  insbesondere  Veränderungen  der  Haut  und  Stupor.  Daran 
reiht  der  Verfasser  eine  Zusammenstellung  ähnlicher  Fälle  aus  der 
Literatur  und  weist  auf  die  Beziehungen  hin,  welche  sich  zwischen 
zwei  sogenannten  Blutdrüsen,  der  Schilddrüse  und  der  Hypophysis, 
sowie  zwischen  der  Akromegalie  und  Erkrankungen  des  Genitales 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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und  des  Pankreas  einerseits,  dem  Morbus  Basedowii  und  Diabetes 
und  Erkrankungen  derselben  Organe  andererseits  bestehen.  Er  nimmt 
an,  dass  die  Akromegalie  dem  Myxödem  nabe  verwandt  und  eine 
Blutdrüsenerkrankung  sei,  sowie  dass  die  Hypophysiserkrankung  bei 
der  Akromegalie  zu  den  Krankheitsursachen  gehöre  und  nicht  den 
übrigen  Erscheinungen  des  Leidens  gleichwerthig  sei. 

M.  Sternberg  (Wien). 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

L.  Fürst  in  Berlin  berichtet  über  gute  Erfolge,  die  er 
mit  der  „B  a  c  k  h  a  u  s  -  M  i  1  c  h“  bei  der  Ernährung  der  Säuglinge 
erzielt  hat.  Sie  wird  bekanntlich  in  der  Weise  hergestellt,  dass  die 
centrifugirte  Milch  mit  Trypsin  versetzt  wird,  wodurch  das  Casein  der 
Kuhmilch  in  mehr  oder  minder  grösserem  Umfang  zur  Lösung  kommt. 
Für  die  einzelnen  Stadien  der  Säuglingsernährung  wird  dieselbe  in 
drei  Sorten  hergestellt,  welche  ihrer  Zusammensetzung  nach  einen 
Uebergang  von  der  Frauen-  zur  Kuhmilch  bilden.  —  (Therapeutische 
Monatshefte.  October  1899.) 

* 

Die  Chinasäure  als  Antiar  thriticum.  Yon  Doctor 
Weiss  (Basel).  Dieselbe  soll  das  Ausfallen  der  Harnsäure  verhindern. 
Weiss  empfiehlt  sie  in  der  Form  von  Urosintabletten  (chinasaures 
Lithion)  zu  05  Ac.  chinic.,  die  prophylaktisch  durch  vier  bis  fünf 
Wochen  zu  sechs  bis  acht  Stück  täglich  —  bei  Anfällen  zehn  Stück 
—  anzuwenden  wären.  Bei  rein  rheumatischen  Anfällen  ist  die  China¬ 
säure  ohne  Wirkung.  —  (Klinisch-therapeutische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  48.)  Pi. 


NOTIZEN. 

Ernannt:  Der  a.  o.  Professor  für  mikroskopische  Anatomie 
in  Berlin,  Dr.  Gustav  Fritsch,  zum  o.  Honorarprofessor.  — 
Privatdocent  Dr.  Gränouro  zum  Professor  der  Augenheilkunde 
in  Breslau.  —  Der  Professor  der  Hygiene  in  Heideiber  g, 
Hofrath  Ivu  au  fl,  zum  Geheimen  Hofrath.  —  In  Basel  die 
a.  o.  Professoren  Dr.  Courvoisier  (Chirurgie)  und  Dr.  K.  Mel¬ 
lin  g  e  r  (Augenheilkunde)  zu  o.  Professoren.  —  Der  Professor  der 
Hygiene  zu  Lyon,  Dr.  Bard,  zum  Professor  der  medicinischen  Klinik 
in  Genf.  —  Dr.  M  u  r  a  t  o  n,  a.  o.  Professor  der  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie  in  Dorpa  t,  zum  o.  Professor.  —  Dr.  E  o  o  s  i  n  g  zum 
Professor  der  Chirurgie  in  Kopenhagen. 

* 

Habilitirt:  Dr.  S  a  1  a  g  h  i  für  Orthopädie  in  Florenz, 
Dr.  Arnoldow  für  Hygiene  in  K  a  s  a  n,  Dr.  P  o  1  i  a  k  o  w  für 
Krankheiten  der  Respirationsorgane  in  M  oskau  und  Dr.  B  e  1 1  i  s  a  ri 
für  Neurologie  in  Neapel. 

* 

Gestorben:  Oberstabsarzt  i.  R.  Dr.  Eduard  Ram¬ 
bo  u  s  e  k  in  Prag. 

* 

Das  österreichische  Comite  macht,  betref¬ 
fend  die  Beschickung,  des  XIII.  internationalen 
Congresses  (Paris  2.  bis  9.  August  1900)  auf  folgende  Punkte 
aufmerksam 

Mitglieder  können  sein:  Doctoren  der  Medicin  oder  Gelehrte 
überhaupt,  die  von  dem  betreffenden  Landes-Comite  dem  Pariser 
Executiv- Comite  namhaft  gemacht  werden. 

Der  Mitgliederbeitrag  beträgt  12  fl.  —  20  Mk.  =  25  Frcs. 

Die  Anmeldung  geschieht  auf  besonderen  Unterzeichnungszetteln, 
die  mit  der  Visitkarte  und  dem  Beitrage  an  Herrn  Prof.  Politzer 
in  Wien,  L,  Gonzagagasse  19,  einzusenden  sind.  Die  Unterzeichnungs¬ 
zettel  sind  beim  Portier  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte,  im  Doctoren- 
Collegium,  bei  den  Präsidenten  der  ärztlichen  Vereine,  in  den  Provinzen 
bei  den  Aerztekammern  zu  haben. 

Bezüglich  der  Unterkunft  in  Paris  kann  man  sich  wenden  an 
die:  Societe  francaise  des  „Voyages  Duchenire“  (Bureau  20,  Rue  de 
Grammont),  an  die  Entreprise  des  Voyages  Pratique  (9,  Rue  de  Rome), 
an  die  Agenee  des  Voyages  Modernes  (1,  Rue  de  l’Echelle,  an  die 
Agence  Lubin  (36,  Boulevard  Haussmann)  an  die  Agenee  Desroches 
(21,  Rue  de  Faubourg  Montmartre)  in  Paris. 

Der  Generalsecretär  des  Pariser  medicinischen  Congresses, 
A.  C  häuf  ford,  macht  bekannt,  dass  sämmtliche  Linien  der  französi¬ 
schen  Eisenbahnen  den  Mitgliedern  des  Congresses  eine  Preisreduction 
von  50°/0  bewilligen.  Behufs  Effectuirung  der  Ermässigung  wird  jedes 
Mitglied  seitens  des  Generalsecretariates  in  Paris  einen  Schein  zuge¬ 
stellt  erhalten,  der  an  der  jeweiligen  französischen  Einbruchsstation 


vorgezeigt  und  abgestempelt  werden  muss.  Bei  der  Hinreise  wird  der 
volle  Betrag  der  Fahrkarte  erlegt.  Nach  der  Ankunft  in  Paris  weist 
dann  jedes  Mitglied  im  Bureau  des  Generalsecretariates  den  in  der 
Einbruchsstation  abgestempelten  Schein  vor,  lässt  ihn  daselbst  vidiren 
und  behält  ihn  als  Iiückfahrtsbillet,  ohne  für  die  Rückreise  bis  zur 
Grenze  wieder  zahlen  zu  müssen. 

Hinfahrt  voller  Betrag,  Rückfahrt  frei  —  macht  5On'0  Er¬ 
mässigung.  Selbstverständlich  muss  dabei  zur  Hin-  und  Rückreise  die 
gleiche  Route  benützt  weiden  —  Rundreisen  sind  ausgeschlossen. 

Das  Generalsecretariat  hat  auch  bei  ausserfranzösischen 
Bahnen  Anfragen  um  Preisermässigungen  zu  Gunsten  der  Congress- 
mitgiieder  gerichtet,  ohne  dass  bisher  eine  Einigung  zu  Stande  ge¬ 
kommen  wäre. 

Gleichzeitig  macht  Dr.  Chaufford  aufmerksam,  dass  be¬ 
züglich  der  Zahnärzte  und  Techniker  nur  solche  als  Congressmitglieder 
zugelassen  werden  können,  welche  Doctordiplome  besitzen. 

* 

Am  12.  Februar  1.  J.  n.  St.  wird  in  St.  Petersburg  die 
vom  dortigen  Frauen-Gesundheits  Schutzverein  veranstaltete,  unter  dem 
Protectorate  der  Prinzessin  von  Oldenburg  stehende  Erste  Aus¬ 
stellung  der  Frauen- Hygiene  auf  die  Dauer  von  ungefähr 
zwei  Wochen  eröffnet.  Die  Ausstellung  zerfällt  in  zwei  Abtheilungen, 
und  zwar  Privat-  und  allgemeine  Hygiene  der  Frau. 

* 

Sanitätsve  r  hält  nissebeider  Mann  sch  a  ftdesk.u.k.  Heeres 
im  Monat  October  1899.  Mit  Ende  September  1899  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  624,  in  Heilanstalten  4267  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  October  1899  22.657  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  65.  Im  Monat  October  1899  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  13.683  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopfstärke  39.  Im  Monat  October  1899  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  17.765  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  13.343  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  745,  durch  Tod  65  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  3' 66,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0-19.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1641,  in  Heilanstalten  8142  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  52.  Jahreswoche  (vom  24.  December  bis 
30.  December  1899).  Lebend  geboren:  ehelich  585,  unehelich  315,  zusammen 
900.  Todt  geboren:  ehelich  43,  unehelich  16,  zusammen  59.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  658  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
20  9  Todesfälle),  darunter  an  Tubereulose  115,  Blattern  0,  Masern  26, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  12,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematieus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  58.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
98  ( —  32),  Masern  334  (-[-  4),  Scharlach  28  ( —  16),  Typhus  abdominalis 
4  ( —  1),  Typbus  exanthematieus  0  (=),  Erysipel  16  ( —  13),  Croup  und 
Diphtherie  54  ( —  1),  Pertussis  21  ( —  2),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  ( —  3),  Trachom  3  ( —  3',  Influenza  0  ( —  3). 


Freie  Stellen. 

Districtsarztesstell  e  in  Fl  eyh-G  e  o  r  g  e  n  d  o  r  f,  im  Duxer 
Vertretungsbezirke,  Böhmen.  Der  rein  deutsche  Sanitätsdistrict  umfasst 
die  Ortschaften  Fleyh,  Langewiese,  Motzdorf,  Willersdorf  und  Georgendorf 
mit  dem  Jagdschlösse  Lichtenwald,  mit  zusammen  2169  Einwohnern.  Mit 
dieser  vorläufig  provisorisch  zu  besetzenden  Stelle  ist  ein  Dienstbezug  von 
1600  Kronen  an  Gehalt  und  220  Kronen  an  Reisepauschale  verbunden.  Die 
Haltung  einer  Hausapotheke  erwünscht.  Bewerber  um  diese  Stelle,  welche 
der  deutschen  Nationalität  angehören  müssen,  wollen  ihre  mit  den  Nach¬ 
weisen  ihrer  Befähigung  und  ihrer  bisherigen  Verwendung  belegten  Gesuche 
bei  dem  Bezirksausschüsse  in  Dnx  bis  Ende  des  Monates  Januar  1900 
einbringen.  Aerzte  mit  Doctorsdiploin  haben  vor  anderen  Bewerbern  den 
Vorzug.  Nach  entsprechender  Verwendung  des  Bestellten  erfolgt  spätestens 
nach  Jahresfrist  definitive  Anstellung. 

Districtsarztesstelle  in  Goldenstein,  Mähren.  Der  District 
besteht  aus  sechs  Gemeinden  und  4972  Einwohnern  deutscher  Nationalität. 
Gehalt  1000,  Fahrpauschale  600  Kronen.  Im  Districte  domicilirt  kein 
zweiter  Arzt.  Gesuche  sind  bis  1.  Februar  1900  an  den  Obmann  der 
Delegirtenversammlung,  Nicodemus  Kupka  in  Goldenstein,  zu  richten. 

Gemeindearztesstelle  in  Göstling  a.  d.  Ybbs,  Nieder¬ 
österreich.  Fixe  Bezüge:  Gemeindebeitrag  360  Kronen,  Landessubvention 
100  Kronen,  von  der  Bezirkskratikencasse  ungefähr  800  Kronen,  freie 
Wohnung  und  20  Raummeter  Brennholz.  Bewerber  wollen  ihre  Gesuche 
bis  31.  Januar  1.  J.  an  die  Gemeindevorstehung  in  Göstling  a.  d.  Ybbs 
einsenden. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Gemeinden  Kircblram  und 
Gschwandt,  politischer  Bezirk  Gmunden,  mit  dem  Sitze  in  Kirchham, 
Oberösterreich.  Gesammteinwohnerzahl  2700.  Fixe  Bezüge:  Jährliche 
Subvention  aus  dem  Landesfonde  400  Kronen,  seitens  der  beiden  Ge 
meinden  800  Kronen,  mithin  zusammen  1200  Kronen.  Gesuche  sind  au 
die  Gemeindevorstehung  in  Kirchham  zu  richten. 


68 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  4.  Januar  1900  (siehe 
Nr.  1,  1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

INT  r_  6. 

Geschenke  : 

a)  Von  Behörden,  Instituten,  Vereinen  und  Privaten. 

Annales  de  la  policlinique  de  Bordeaux.  1899  complet.  Vom  Comite  der 
Redaction. 

Annales  d’Hygiene  publique  et  de  Medecine  legale.  Paris  1899.  Tom.  XLI, 
XLII,  complet.  Von  der  Verlagshandlung  J.  B.  Bailiiere  tt  fils. 

Archivio  per  le  scien/.e  mediche.  Torino  1898.  Vol.  XXII  complet,  1899 
Vol.  XXIII  fase.  1 — 3.  Von  der  Verlagshandlung  C.  Clausen 
in  Turin. 

Blätter  für  klinische  Hydrotherapie.  Wien  1899,  complet.  Von  Herrn  Pro¬ 
fessor  Winternitz 

Central-Anzeiger,  Aerztlieher.  Wien  1899,  complet.  Vom  Herausgeber. 

Chemiker-Zeitung,  Oesterreichische.  Wien  1899,  complet.  Von  Herrn  Doc'or 
H.  Heger. 

Comptes  rendus  hebdom.  de  l’academie  des  sciences.  Paris  1899.  4°.  Se- 
mestre  I  et  II  complet.  Von  der  Academie  des  sciences. 

Gemeindeverwaltung  der  Stadt  Wien  in  den  Jahren  1894 — 1896.  Wien  1898. 
Vom  Bürgermeister  Dr.  C.  Lueger. 

Jahrbuch  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt  Wien.  1898  complet,  1899 
Heft  1—3. 

Jahrbuch  der  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten.  Jahrgang  1897.  Wien  1899. 
4°.  Von  der  k.  k.  n.-ö.  Statthalterei. 

Jahrbuch,  Statistisches,  der  Stadt  Wien  für  das  Jahr  1897.  Wien  1899. 
Von  dem  statistischen  Departement  des  Wiener  Magistrates. 

Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Wien  1898/99.  Bd.  XVII  complet,  Bl.  XVIII 
Heft  1-3. 

Jahresbericht  über  die  Fortschritte  in  der  Lehre  von  den  pathogenen 
Mikroorganismen.  .  .  Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  P.  v.  B  a  u  m- 
g  arten.  Tübingen  1898/99.  8".  Von  Herrn  Prof.  v.  Baum¬ 
garten. 

Journal,  The  British  Medical.  London  1899,  complet.  Von  der  British 
Medical  Association. 

Irrenfreund,  Der.  Psychiatrische  Monatsschrift  für  praktische  Aerzte. 
Heilbronn  1898/99.  Bl.  XL,  Heft  1  — 10.  Vom  Herausgeber  Doctor 
Friedr.  Betz  in  Heilbronn. 

Die  therapeutischen  Leistungen  des  Jahres  1898.  Wiesbaden  1899.  8U.  Von 
Herrn  Dr.  A.  Pollatsche  k  in  Karlsbad. 

Leopoldina.  Halle  a.  S.  1899,  Nr.  1  — 11.  Von  Herrn  Professor  Ed. 
Lang. 

Memorabilien.  Zeitschrift  für  rationelle  praktische  Aerzte.  Heilbronn  1898/99, 
Heft  1  —  7.  Von  Herrn  Dr.  F.  Betz  in  Heilbronn. 

Mittheilungen  aus  der  medicinischen  Facultät  der  kaiserlich  Japanischen 
Universität  in  Tokio.  Tokio  1899,  Bd.  IV,  Heft  1—4.  Von  der  medi¬ 
cinischen  Facultät  in  Tokio. 

Mittheilungen  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien.  Wien  1898, 
Bd.  XXVIII  complet,  Bd.  XXIX  Heft  1  —  5. 

Mittheilungen  des  statistischen  Departements  des  Wiener  Magistrates. 
Wien  1899.  4°.  Enthält:  Monatsberichte  und  Wochenberichte.  Vom 
statistischen  Departement. 

Mittheilungen  des  Wiener  medicinischen  Doctoren-Collegiums.  Wien  1899, 
complet. 

Monatsschrift  für  Gesundheitspflege.  Wien  1899,  complet.  Von  Herrn  Pro¬ 
fessor  Dr.  R.  Paltauf. 

Pressa  Medicala  Romana  Bucuresci.  1898/99  complet.  Von  Herrn  Professor 
Dr.  Petri  ni  de  Gal  atz. 

Pester  medicinisch-cliirurgische  Presse.  Pest  1899,  complet.  Von  Herrn 
Dr.  L.  Unge  r. 

Proceedings  of  the  Laryngological  Society  of  London.  London  1898/99, 
complet.  Von  der  Laryngological  Society  of  London. 

Le  Progres  Medical.  Paris  1899,  complet.  Vom  Bureaux  du  Progres 
Medical. 

Report  of  the  Medical  Officer.  1888.  London  1899.  8°.  Vom  Medical  Officer 
in  London. 

Report  annual  of  the  Alumni  Association  Philadelphia.  Philadelphia  1899, 
complet.  Von  der  Alumni-Association  in  Philadelphia. 

Revue  de  Chirurgie.  Paris  1899,  complet.  Von  der  Verlagshandlung  Felix 
Alcan  in  Paris. 

Revue  de  Medecine.  Paris  1899,  complet.  Von  der  Verlagshandlung  Felix 
Alcan  in  Paris. 

Statistik,  Norges  officiella  1896/97.  Stockholm  1898.  4°.  Vom  statistischen 
Centralbureau  in  Stockholm. 

Statistik,  Sveriges  officielle.  1896  97.  Christiania  1899.  8°.  Vom  Medicinal- 
director. 

Tijdschrift  for  Nederlandsch-Indie.  Batavia  1899,  Bd.  XXXIX,  Heft  1-4. 
Von  Sr.  Excellenz  Dr.  Ritter  v.  Scherz  er. 

Verhandlungen  der  kaiserlich-königlich  geologischen  Reichsanstalt.  Wien  1899. 
Von  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt. 

Verhandlungen  des  Congresses  für  innere  Medicin.  Wiesbaden  1899.  Im 
Aufträge  des  Congresses  von  der  Verlagshandlung. 

Vierteljahrsschrift  für  Zahnheilkunde,  Oesterreichisch-ungarische.  Wien  1899, 
complet.  Von  Herrn  Dr.  J.  Weiss. 


Zeitschrift  des  Allgemeinen  österreichischen  Apothekervereines.  Wien  1899. 

8°,  complet.  Vom  Allgemeinen  österreichischen  Apoihekerverein. 
Zeitschrift  für  Heilkunde  als  Fortsetzung  der  Prager  Vierteljahresschrift 
für  praktische  Heilkunde.  Berlin  1899.  Von  dem  Herausgeber. 
Annales  de  la  Societe  Beige  de  Chirurgie.  Bruxelles  1898  99,  complet. 
Albany  Medical  Annals.  Albany  189d,  complet. 

Archiv  für  Ohrenheilkunde.  Leipzig  1899.  Bd.  XLVI  complet,  Bd.  XLVII 
lieft  1—4. 

Archivio  Italiano  di  Otologia,  Rhinologia.  Torino  1898/99,  complet. 

Arkiv  Nordisk  Medieinskt.  Stockholm  1899,  Bd.  X,  Heft  1 — 5. 

Bristol  Medical  and  Surgical  Journal.  Bristol  1899,  Heft  l — 3. 

Bulletins  et  Memoires  da  la  Societe  de  Chirurgie  de  Bucarest.  Tom.  I, 
complet. 

Centralblatt  für  Nervenheilkunde  und  Psychiatrie.  Coblenz  und  Leipzig 
1899,  complet. 

Centralblatt,  Medicinisch-chirurgisches.  Herausgegeben  von  Dr.  Ed. 
Fischer.  Wien  1899,  complet. 

Correspondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie.  München 
1899,  Heft  1—9. 

Gazetta  degli  ospedali.  Milano  1899,  complet. 

Giornale  della  Accademia  medica  di  Torino.  Torino  1899,  complet. 
Handllnger  Finska  Läkaresallskapets.  Helsingfors  1899,  complet. 

Orvosi  Hetilap.  Budapest  1899,  complet. 

The  American  Journal  of  the  med.  sciences.  Philadelphia  1899,  Tom.  I 
und  II  complet. 

The  Internal.  Journal  of  Surgery  New  York  1899,  complet. 

Pediatrics.  New  York  and  London.  1898,  complet. 

Przeglad  Lekarski.  Krakow  1899,  complet. 

Revue  internationale  de  Rliinologie,  Otologie  et  de  Laryngologie.  La  Parol. 
Paris  1899,  complet. 

Riforma  Medica.  Napoli  1890,  Tom.  I,  II,  III,  IV  complet. 

Rivista  d’Igiene  e  di  medicina  pratica.  Napoli  1899,  complet. 
Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und  Physiologie  in 
München.  München  1899,  Heft  1  —  2. 

Tijdskrift  for  den  Norske  Laegeforening.  Christiania  1899,  complet. 
Transactions  of  the  Clinical  Society  of  London.  London  1899,  Vol.  XXX11. 
Weekblad,  Nederlandsch.  Amsterdam  1899,  complet. 

* 

b )  Von  der  Redaction  der  Wiener  klin.  Wochenschrift  : 

Wolf  Gustav,  Eine  applicatorische  Uebung  im  Freien  für  Militärärzte  und 
Sanitätsofficiere.  Wien  und  Leipzig  1899.  8°. 

Mankowsky  A.,  Un  moyen  simple  et  rapide  du  diagnostic  differentiel  des 
baciiles  de  la  fievre  typhoide  et  du  bacillus  coli  communis.  (Extr.) 
St.  Petersburg  1899.  8n. 

Mankowski  A.,  Un  nouveau  milieu  de  culture  pour  l’isolation  et  pour  le 
diagnostic  differentiel  des  baciiles  de  la  fievre  typhoide  et  du  bacillus 
coli  communis.  (Extr.)  St.  Petersburg  1899.  8n. 

Berlioz  Fernand,  Traitement  de  la  tnberculose  par  les  serums  medicamen- 
teux.  (Communication  au  Congres  de  la  Tnberculose.)  Gre¬ 
noble  1898.  8°. 

Rumrno  G  ,  La  Morfologia  del  Cuore  nella  stenosi  mitralica.  (Estratto.) 
Palermo  1899  8°. 

Schloss  Heinrich,  Ueber  Irrenkrankenpflege.  (Separatabdruck.)  Berlin 
1899.  8. 

Strohe  Leonhard,  lieber  Hodenektopie.  (Inaugural-Dissertation.)  Leipzig 

1899.  8". 

Boing  H.,  Die  Syphilis  und  ihre  Heilung  durch  kleine  Gaben  Quecksilbers. 
Berlin  1895.  8°. 

Wiener  Hugo,  Erklärung  der  Umkehr  des  Zuckungsgeselzes  bei  der  Ent- 
artungsreaction.  Leipzig  1898.  8n. 

Lahmann  H.,  Das  Luftbad  als  Heil-  und  Abhärtungsmittel.  Stuttgart  1898.  8°. 
Kronfeld  M.,  Die  Frauen  und  die  Medicin.  Professor  Albert  zur  Antwort. 

Zugleich  eine  Darstellung  der  ganzen  Frage.  Wien  1895.  8°. 
Rosenbach  0.,  Heilung  und  Heilserum.  Berlin  1894.  8°. 

Poniklo  Stanislaus,  Einige  Bemerkungen  zu  dem  neuen  Strafgesetzentwurfe 
III.  Theil  (5.  Hauptstück)  vom  Standpunkte  des  Hygienikers.  Wien 
1895.  8n. 

Hegewald  (Professeur),  Introduction  au  discours  sur  l’unite  de  l’espdce  hu- 
maine.  Meiningen  1894.  8°. 

Gibson  C.  L  ,  Mortality  and  Treatment  of  acute  Intussusception.  With 
Table  of  two  hundred  and  thirty-nine  Cases.  (Separatabdruck.)  New 
York  1897.  4". 

Wien,  im  Januar  1900.  Unger. 


EINBAN  D DEC KEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

.  Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 


k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


69 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


IISTHALT: 

Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Sitzung  vom  12.  Januar  1900.  Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  12.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Chrobak. 

Schriftführer :  Prof.  R.  Paltauf. 

Der  Vorsitzende  begrüsst  die  Anwesenheit  Sr.  Excellenz 
v.  Hartei,  Sectionschef  W  o  1  f,  der  Herren  Sectionsräthe  Dr.  Illing 
und  Dr.  Kelle,  Min.-Secr.  O.  Mesencky. 

Der  Vorsitzende  spricht  sein  Bedauern  aus,  dass  es  abermals  vor¬ 
gekommen  ist,  dass  über  Vorträge  und  Krankendemonstrationen  in 
politischen  Blättern  berichtet  worden  ist;  er  habe  bereits  einmal  Ge¬ 
legenheit  nehmen  müssen,  darüber  eine  Bemerkung  zu  machen,  und 
dabei  in  Aussicht  gestellt,  dass  er  vorkommenden  Falles  gezwungen 
sei,  Legitimationskarten  von  den  Besuchern  der  Sitzung  zu  verlangen; 
auf  das  letzte  Vorkommniss  hin  fühle  er  sich  auch  veranlasst,  die 
Legitimation  von  Seite  der  Besucher  zu  verfügen. 

Der  Vorsitzende  theilt  ferner  mit,  dass  vom  k.  k.  Justizmini¬ 
sterium  eine  Zuschrift  an  die  Gesellschaft  gelangt  ist,  enthaltend  das 
Expose  zur  Frage  der  Gestaltung  des  österreichischen,  internationalen 
Urheberrechtes  von  Werken  der  Literatur,  Kunst  und  Wissenschaft, 
mit  dem  Ersuchen,  die  am  Schlüsse  desselben  formulirten  Fragen  zum 
Gegenstände  einer  Berathung  zu  machen  und  ihre  gutächtliche  Aeus- 
serung  thunlichst  bald  dem  Justizministerium  zu  übersenden. 

Die  Fragen,  auf  deren  Beantwortung  das  Justizministerium  Werth 
legt,  sind  folgende: 

1.  Liegt  unser  Anschluss  an  die  Berner  Convention  und  die 
Pariser  Zusatzacte  im  Interesse  der  österreichischen  Urheber  von  Werken 
der  Literatur,  Kunst  und  Photographie,  und  welche  Gesichtspunkte 
sprechen  dafür  oder  dagegen? 

2.  Erscheint  unser  Eintritt  in  die  Union  vom  Standpunkte  des 
einheimischen  Verlages  aus  als  vortheilhaft  oder  nicht,  welche 
Gründe  kommen  in  der  einen  oder  in  der  anderen  Richtung  in 
Betracht? 

3.  Laufen  in  dieser  Frage  auch  die  Interessen  der  Urheber  und 
Verleger,  auch  die  des  Publicums  parallel  und  insbesondere,  ist  von 
dem  Anschlüsse  an  die  Union  eine  Förderung  oder  eine  Benachtheili- 
gung  cultureller  Bedürfnisse  der  Bevölkerung  zu  erwarten? 

4.  Für  den  Fall  endlich,  als  die  Interessen  der  Urheber,  der 
Verleger  und  des  Publicums  hinsichtlich  der  Frage  des  Anschlusses  an 
die  Union  sich  nicht  decken,  sind  die  für  den  Anschluss  an  die  Union 
sprechenden  Gesichtspunkte  die  überwiegenden,  oder  ist  es  vorzuziehen, 
unter  Aufrechterhaltung  der  Grundsätze  des  österreichischen  Urheber¬ 
rechtsgesetzes  auch  in  Zukunft  auf  den  Abschluss  besonderer  Urheber¬ 
rechtsverträge  mit  den  einzelnen  Staaten  hinzuwirken? 

Der  Verwaltungsrath  hat  beschlossen,  mit  der  Beantwortung 
dieser  Fragen  und  zur  gutächtlichen  Aeusserung  ein  Comite  aus  fol¬ 
genden  Herren  zu  betrauen:  Dr.  H.  Adler,  Dr.  Alex.  Fraenkel, 
Hofr.  Gussenbauer,  Prof.  P  a  1 1  a  u  f ,  Dr.  P  a  s  c  h  k  i  s,  Stb.-A. 
Dr.  Toeply,  Hofr.  Zuckerkand  1. 

Endlich  bringt  der  Präsident  noch  einige  Mittheilungen  des 
Generalsecretariates  des  Pariser  mediciuischen  Congresses  zur  Kenntniss; 
die  betreffenden  Mittheilurgen  —  Anmeldung  von  Vorträgen,  Ver¬ 
zeichniss  der  Sectionssecretäre,  50%  Preisermässigung  auf  den  franzö¬ 
sischen  Bahnen  —  liegen  im  Lesezimmer  der  k.  k.  Gesellschaft  auf. 

Prof.  Weinlechner  stellt  vier  Kranke  vor;  mit  Rücksicht  auf 
die  späteren  Programmpunkte  spricht  er  sich  über  dieselben  in  mög¬ 
lichster  Kürze  aus  und  verweist  auf  die  demnächst  folgende  ausführ¬ 
liche  Publication  in  diesem  Blatte. 

1.  64jähriger  Wirthschaftsbesitzer,  an  Arthropathia  tabetica 
leidend.  Im  24.  Lebensjahre  Lues  überstanden;  die  Beschwerden  am 
rechten  Fusse  begannen  vor  zehn  Jahren.  Vor  zwei  Jahren  glitt  er 
beim  Aussteigen  vom  Waggon  aus  und  fiel  auf  die  linke  Hüfte.  Seit¬ 
dem  Anschwellung  der  Beine,  vorwiegend  in  den  Kniegelenken.  Beide 
Kniegelenke  hydropisch,  mit  Vegetationen  und  Genu  vulgum-Stellung. 
Linkes  Bein  um  2l 2 3 4l2cm  kürzer  in  Folge  dos  Falles  vom  Waggon 
(Schenkelhalsfractur)  und  Knochenwucherungeu  excessiver  Art  am 
Schenkelhälse  und  an  der  Delle  des  linken  Darmbeines.  Je  zwei  In- 
jectionen  mit  Jod-  und  Jodoformemulsion  in  beide  Kniegelenke  hatten 


nur  den  Effect  geringerer  Schmerzen  in  den  Beinen,  die  seit  der  Ent¬ 
lassung  aus  dem  Spitale  wieder  den  früheren  Umfang  erreicht  haben. 
Schliesslich  macht  Weinlechner  auf  die  leichte  Fragilität  der 
Knochen  bei  Tabetikern  aufmerksam,  welche  neben  excessiven  Knochen 
Wucherungen  einhergehen. 

2.  Dermoid  am  Boden  der  Mundhöhle  bei  einem  30jährigen 
Bauer,  angeblich  seit  zwei  Jahren  bestehend,  mit  enormer  Zunahme  in 
der  letzten  Zeit,  mit  hochgradiger  Athemnoth  und  beinahe  zeitweiligen 
Erstickungsanfällen,  so  dass  die  Zunge  derart  nach  hinten  verschoben 
war,  dass  man  kaum  die  Spitze  beim  Vor  strecken  sah.  Operation: 
31.  December  Sagittalschnitt  unter  dem  Kinn  und  Entfernung  des 
Balges  sammt  dem  stark  fettig  degenerirten  breiigen  Detritus  im  Ge¬ 
wichte  vom  200  g.  Heilung  per  primam. 

3.  Subcutane  Nierenruptur  bei  einem  27jährigen  Gerüster.  Am 
10.  August  1899  5  m  hoher  Sturz  vom  Gerüste,  wobei  ihm  ein  Pfosten 
auf  den  Bauch  fiel.  Zeitweilige  Unbesinnlichkeit.  Man  fand  einen  etwas 
verschieblichen  Tumor,  welcher  die  rechte  Lendengegend  und  das 
rechte  Hypochondrium  einen  Querfinger  unter  dem  Nabel  und  zwei 
Querfinger  links  über  der  Linea  alba  einnahm.  Nur  in  den  ersten 
Stunden  etwas  Blut  im  Harn,  später  Urin  theils  klar,  theils  durch 
Harnsäure  getrübt.  Probepunction  ergab  betreffs  des  vermutheten  Urins 
kein  positives  Resultat.  Später  hochgradiges  Fieber.  Daher  Nieren¬ 
exstirpation  nach  21  Tagen  am  31.  August.  Die  Heilung  wurde  durch 
eine  nicht  eingeheilte  Seidenligatur  verzögert,  und  heilte  die  Fistel 
rasch  nach  der  Entfernung  der  Ligatur  am  29.  November.  Patient 
hat  sich  sehr  erholt  und  sieht  prächtig  aus.  Die  mit  der  12.  Rippe 
parallel  gesetzte  spaltförmige  Wunde  ist  bis  auf  %  cm  Tiefe  und  2  cm 
Länge  geheilt.  Die  demonstrirte  Niere  war  an  der  unteren  Hälfte 
dilacerirt,  am  oberen  Pole  intact. 

4.  Eine  Vesicorectalfistel  am  Vertex  durch  Sturz,  4  m  hoch,  bei 
einem  24jährigen  Bauer,  Mitte  September  entstanden  nebstbei  Sym¬ 
ptome  des  Wirbelbruches  am  untersten  Brust-  und  den  ersten  zwei 
Lendenwirbeln  (Kyphose).  Erst  acht  Tage  nach  der  Verletzung  zeigten 
sich  die  Symptome  der  Communicationsfistel,  indem  aller  Urin  durch 
den  After  abging.  Die  Mündung  der  Fistel  konnte  in  der  Höhe  von 
12%  cm  vom  Rectum  aus  wohl  mit  den  Fingern  getastet,  aber  mit 
dem  Spiegel  nicht  gesehen  werden.  Am  18.  November  hoher  Blasen¬ 
schnitt  und  Vernätiung  der  überlinsengrossen  Fistel  unter  grossen 
Schwierigkeiten.  Heilung  der  Fistel  sofort  per  primam.  Die  offen  be¬ 
handelte  Blasenwunde  am  20.  December  1899  geheilt.  Die  anfängliche 
Incontinentia  alvi  geschwunden.  Die  Schwäche  des  Detrusor  vesicae 
noch  vorhanden,  wesbalb  sich  Patient  zeitweilig  noch  katheteri- 
siren  muss. 


Dr.  Richard  Hitsclimann  demonstrirt  einen  Fall  von  Exoph¬ 
thalmus  inter  mitte  ns  und  ausgebreiteten  Phlebek¬ 
tasien  im  Bereiche  der  Venae  jugular  es. 

In  der  Sitzung  vom  4.  März  1898  hatte  ich  Gelegenheit,  hier 
einen  Kranken  zu  demonstriren,  bei  welchem  das  Vordringen  eines 
die  Schläfegegend  und  Schädeldach  einnehmenden  Aneurysma 
cirsoideum  in  die  Orbita  zu  einseitigem  Exophthalmus,  neuritischer 
Selmervenatrophie  und  Infraorbitalneuralgie  geführt  hatte.  Ich  bin  heute 
durch  die  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Hofrathes  Fuchs,  an  dessen 
Klinik  dieser  Patient  hier  zur  Beobachtung  kam,  in  der  Lage,  ge- 
wissermassen  ein  Gegenstück  zu  jenem  Falle  vorzustellen,  nämlich 
einen  Mann  mit  cirsoiden  Phlebektasien  im  Gebiete  der 
Venae  jugulares  beider  Seiten,  durch  deren  Auftreten  in  der  rechten 
Orbita  das  seltene  Bild  des  „intermittir  enden  Exophthal- 
m  u  s“  hervorgerufen  wird. 

Sie  sehen  hier  einen  23jährigen  Mann,  in  dessen  Verwandtschaft, 
seines  Wissens,  Niemand  an  einer  ähnlichen  Affection  leidet.  Er  selbst 
hatte  im  Alter  von  fünf  Monaten  bis  zu  zwei  Jahren  Fraisen,  war 
aber  später  immer  gesund.  Speciell  litt  und  leidet  er  nicht  an  Hämor¬ 
rhoiden,  Krampfadern  oder  Varikocele.  Die  Veränderungen  auf  der 
rechten  Hals-  und  Kopfseite  sollen  im  zweiten  Lebensjahre 
entstanden  oder  wenigstens  von  den  Eltern  bemerkt  worden  sein.  Eine 
besondere  Gelegenheitsursache  ist  ihnen  nicht  erinnerlich.  Die  \  enen- 
erweiterungen  in  der  rechten  Zungen-  und  Gaumenhälfte,  sowie  die 
auf  der  linken  Wange  sollen  erst  zwei  Jahre  bestehen.  An  ein  \  01 


70 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  3 


treten  des  rechten  Auges  beim  Bücken  und  bei  körperlicher 
Anstrengung  kann  sich  der  Patient  schon  seit  früher  Jugend 
erinnern,  es  hat  ihm  nie  sonderliche  Beschwerden  gemacht,  nur  hat 
er  aus  Rücksicht  darauf  seinen  Beruf  erwählt,  der  ihm  keine  schweren 
Arbeiten  auferlegt:  er  ist  Fächermacher.  Auch  suchte  er  nicht  für  das 
rechte  Auge  ärztliche  Hilfe,  sondern  für  das  linke,  in  welches  ihm  ein 
Fremdkörper  gefallen  war. 

Der  Patient  ist  mittelgross,  gracil  gebaut,  etwas  blass,  der 
Schädelbau  ein  wenig  rachitisch,  der  Hals  lang,  mit  einer  mässig  grossen, 
median  gelagerten  derben  Struma  ohne  Gefässgeräusche  behaftet,  die 
sich  percutorisch  bis  unter  das  Manubrium  sterni  verfolgen  lässt. 

In  der  rechten  Retromandibulargegend  sieht  man  vor  dem 
Kopfnicker  eine  überhühnereigrosse,  die  normal  verschiebliche  Haut 
vorwölbende,  flach  -  höckerige  Geschwulst  von  circa  7  era  Höhe  und 
4  cm  Breite.  Sie  ist  nicht  schmerzhaft,  weich,  leicht  compressibel  und 
wie  aus  vielen  gewundenen  Strängen  zusammengesetzt.  Ziemlich  central 
fühlt  man  eine  scharf  begrenzte,  harte,  kleinerbsengrosse  Stelle.  Die 
Schwellung  setzt  sich  aufwärts  über  die  Regio  parotideo-masseterica  mit 
gleichbleibenden  palpatorischen  Eigenschaften  fort,  um  sich  unmerklich 
gegen  die  Stirngegend  zu  verlieren,  wo  nur  vereinzelte  Venen  und 
deutlich  pulsirende  Arterien  sichtbar  sind.  Die  ganze  Geschwulst  wird 
vom  Carotidenpulse  rhythmisch  gehoben,  besitzt  aber  keine  eigene 
Pulsation  und  lässt  kein  abnormes  Geräusch  auscultiren.  Bei 
Compression  der  Vena  j  u  g  u  1  a  r  i  s  unterhalb  des  Gebildes 
schwillt  dieses  rasch  zu  ganz  bedeutenden  Dimen¬ 
sionen  an,  es  treten  bis  hinauf  zur  Haargrenze  dicke,  gewundene 
Venenstränge  auf,  um  nach  Aufhören  der  Compression  sehr  rasch  zu 
ihrem  früheren  Volumen  abzufallen.  Während  der  Compression  der 
Vena  jugularis  scheinen  auch  die  Arterien  auf  der  rechten  Stirnhälfte, 
sowie  eine  schräg  über  den  Nasenrücken  verlaufende  Arterie  kräftiger 
zu  pulsiren.  Ein  elastischer,  viel  weniger  prominenter  Geschwulstknoten 
von  circa  5  mm  Durchmesser  liegt  in  der  Haut  der  linken  Supra- 
maxillargrube;  er  schwillt  bei  Compression  der  gleichseitigen  Vena 
jugularis  bedeutend  an,  lässt  sich  durch  Druck  fast  bis  zum  Ver¬ 
schwinden  verkleinern  und  erlangt  nach  Aufhören  derselben  rasch  seine 
frühere  Grösse. 

Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass  beide  Tumoren,  als 
mit  der  Vena  jugularis  externa  communicirende  diffuse  Gefässgeschwiilste 
aufzufassen  sind :  der  rechtsseitige  als  V  a  r  i  x  racemosus  und 
die  in  ihm  befindliche  harte  Stelle  als  Phlebolith,  der  linksseitige 
als  Angioma  venosum  simplex.  Ferner  sitzt  je  ein  haselnuss¬ 
grosser,  blaurother,  augenscheinlich  aus  erweiterten  Venen  bestehender 
Tumor  dicht  unter  der  Schleimhaut  in  der  rechten  Hälfte  des  harten 
Gaumens,  wo  derselbe  in  das  Gaumensegel  übergeht,  und  in  der 
rechten  Hälfte  der  Zungenspitze.  Die  am  Zungengrunde 
befindlichen  Venen  erscheinen  bedeutend  erweitert. 

Ich  wende  mich  nun  dem  Befunde  an  den  Augen  zu: 

Der  knöcherne  Orbitaleingang  ist  beiderseits  normal.  Während 
aber  am  linken  Auge  die  Haut  des  Lides  eine  normale  Deckfalte  und 
einen  Sulcus  orbito-palpebralis  bildet,  ist  rechts  die  Haut  des 
Oberlides  zwischen  Orbitair  and  und  B  u  1  b  u  s  Ober¬ 
fläche  in  eine  tiefe  Höhlung  falten  los  nach  hinten 
gezogen  und  schlägt  sich  dann  erst  auf  den  Bulbus  um,  der  etwas 
tiefer  steht  als  der  linke.  Der  Lidrand  steht  ungefähr  in  der  gleichen 
Höhe  wie  der  linke,  lässt  aber  einen  breiteren  Theil  der  Iris  sehen, 
weil  eben  der  Augapfel  etwas  herabgesunken  ist.  Der 
rechte  Bulbus  ist  vor  get  rieben,  sein  Hornhautscheitel  stebt 
nach  mehreren  Messungen  mit  dem  Ophthalmometer  durchschnittlich 
circa  9  mm  vor  dem  linken,  doch  ist  diese  Differenz,  wie  wir  bald 
sehen  werden,  eine  sehr  variable  und  leicht  zu  beeinflussende.  Die 
Beweglichkeit  beider  Augen  ist  ungestört.  Beidei’seits  ist  die  Con¬ 
junctiva  palpebrae  inferioris  mässig  injicirt.  Die  Venen  der  unteren 
Ueber gangsfalte  und  der  Plica  semilunaris,  dann  die 
Conjuncti  valvenen  der  unteren  Bulbushälfte,  sowie 
die  Ciliar  venen  des  äusseren  und  unteren  Bulbusantheiles  beider 
Augen  sind  stark  gefüllt  und  geschlängelt. 

Die  Verästelungen  der  Ciliar  venen  verschlingen  sich  unter  ein¬ 
ander  zu  einem  venösen  Gefässkranze,  der  sich  circa  5  mm  vom 
Limbus  corneae  entfernt  hält.  Hornhaut,  Vorderkammer,  Iris,  Pupillen¬ 
weite  und  -Reaction,  Linse  und  Glaskörper  sind  no:  mal. 

Der  Fundus  beider  Augen  zeigt  gleiche  Abnormitäten: 

Die  Papille  ist  stark  geröthet,  ziemlich  scharf  begrenzt,  die  Ge- 
fässe  zeigen  schon  auf  der  Papille  stärkere  Windungen  als  sonst. 
Noch  bedeutender  sind  die  Windungen  in  den  Arterien  und  Venen 
der  Netzhaut  und  ebenso  die  Vergrösserung  des  Calibers.  Bei  den 
Arterien  fällt  mehr  die  Tortuosität,  bei  den  Venen  mehr  die  Verbrei¬ 
terung  ins  Auge.  Im  Uebrigen  ist  der  Augenhintergrund  normal.  Beide 
Augen  sind  hypermetropbch-astigmatisch,  das  linke  lässt  sich  zur 
vollen  Sehschärfe  corrigiren,  das  rechte  besitzt  eine  Sehschärfe  von 
5/24  und  ist  hochgradig  hypermetropiso.h  und  astigmatisch. 


Will  man  zum  Schlüsse  der  Untersuchung  noch  die  Tension  des 
Auges  prüfen  so  fühlt  man,  wie  der  Bulbus  den  auf  ihn 
drückenden  Fingern  nach  hinten  ausweicht.  Es  ist  dies 
in  besonders  ausgeprägter  Weise  rechterseits  der  Fall,  wo  sich  durch 
Druck  ein  beträchtlicher  Grad  von  E  n  o  p  h  t  h  a  1  m  u  s  erzeugen  lässt, 
ohne  dass  der  Patient  die  geringste  Unannehmlichkeit  empfindet;  sowie 
der  Druck  nachlässt,  nimmt  das  Auge  seine  frühere  Position  wieder 
ein.  Pulsation  ist  nirgends  wahrnehmbar,  wohl  aber  hört  man  über 
beiden  Augen,  und  zwar  deutlicher  über  dem  linken,  ein  leises,  wie 
aus  der  Ferne  kommendes  continuirliches  Sausen,  etwa  von  dem 
Charakter  des  sogenannten  Nonnengeräusches  (bruit  de  diable). 

Comprimirt  man  nun  dem  Patienten  die  rechte 
Vena  jugularis  oder  lässt  man  ihn  sonst  eine  Procedur  vornehmen, 
welche  dem  Abflüsse  des  Blutes  aus  dem  Kopfe  entgegenwirkt  (also 
sich  anhaltend  bücken,  pressen  etc.),  so  geht  eine  bedeutende  Ver¬ 
änderung  an  seinen  Augen  vor.  Das  rechte  obere  Lid  schwillt  ein 
wenig  an,  vorher  nicht  sichtbare  Veaennetze  werden  wahrnehmbar, 
der  rechte  Bulbus  tritt  langsam  und  continuirlich 
v  o  r;  dabei  wird  die  E'nsenkung  über  ihm  immer  seichter,  die  Con¬ 
junctival-  und  Ciliarvenen  füllen  sich  strotzend  bis  dicht  an  den  Limbus 
hin,  die  Varicositäten  in  der  Plica  semilunaris  werden  voller,  endlich 
schwillt  das  untere  Lid  an  und  erscheinen  auch  hier  breite  Haut¬ 
venen.  Nach  circa  15  Secunden  langer  Compression  der  rechten  Ju- 
gularveue  hat  der  Exophthalmus  meist  sein  Maximum 
erreicht,  dann  steht  der  Scheitel  der  rechten  Hornhaut  circa  15  mm 
vor  dem  der  linken  und  das  obere  Lid  pflegt  herabzusinken  und  den 
Bulbus  zu  verdecken,  doch  kann  der  Patient,  dazu  aufgefordert,  dies 
verhindern.  Eine  Abweichung  des  Bulbus  nach  der  Seite  findet  nicht  statt, 
doch  ist  seine  Beweglichkeit  nun  etwas  vermindert.  Während  bisher 
der  Kranke  kein  unangenehmes  Gefühl  hatte,  das  Vortreten  seines 
Auges  eben  nur  spürte,  treten  beim  Maximum  des  Exoph¬ 
thalmus  Schmerzen  auf  und  man  muss  mit  d  sr  Venencompression 
aufhören.  Eine  Verschlechterung  des  Sehvermögens  dieses  schon  vorher 
amblyopisehen  Auges  ist  nicht  zu  constatiren,  desgleichen  keine  Ver¬ 
änderung  im  Augeuhintergrunde,  höchstens  eine  geringe  Zunahme  der 
Röthung  der  Pupille.  Alle  diese  Erscheinungen  mit  Ausnahme  des  nur 
rechtsseitigen  Exophthalmus  betreffen  beide  Augen,  sie  entstehen  rascher, 
wenn  beiderseits  die  Venae  jugulares  comprimirt  werden.  Sowie  der 
Abfluss  des  Blutes  wieder  frei  wird,  schwinden  alle  Stauungserscheinungen 
schnell,  der  rechte  Bulbus  tritt  wieder  zurück,  der  frühere  Exoph¬ 
thalmus  lässt  sich  durch  Zukneifen  der  Lider  oder  Fingerdruck  sogar 
in  Enophthalmus  umwandeln.  Auch  in  Rückenlage  sinkt  der 
rechte  Bulbus  bis  zu  einem  gewissen  Grade  von 
Enophthalmus  in  die  Orbita  zurück.  Durch  Lagerung 
auf  die  rechte  Seite  tritt  beträchtlicher  Exophthalmus  ein,  auch  im 
Schlafe,  wobei  das  rechte  Auge  halb  geöffnet  sein  soll. 

Die  eigenthümliche  Anomalie,  welche  die  rechte  Orbita  dieses 
Mannes  aufweist,  wird  unter  dem  Namen  „intermittirender 
Exophthalmus,  Exophthalmie  ä  volonte,  Enophthal- 
mie  et  Exophthalmie  alternantes“  beschrieben.  Bisher  sind 
wenig  über  20  Fälle  bekannt  worden.  Alle  waren  nur  einseitig  und 
die  überwiegende  Mehrzahl  betraf  jugendliche  Individuen.  Man  be¬ 
zeichnet  mit  diesen  Namen  eine  abnorme  Beweglichkeit  des 
Bulbus  in  a  nter  o-posteriorer  Richtung  als  Folge  des 
wechselnden  Füllungszustandes  des  retrobulbären 
Orbitalinhaltes,  welcher  wiederum  von  flen  Circulationsverhält- 
nissen  in  den  Orbital  venen,  respective  den  Jugularvenen  abhängig  ist, 
die  ja  bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch  bestimmte  Bewegungen  des 
Individuums  willkürlich  beeinflusst  werden  können.  Die  Affection  kommt 
auch  angeboren  vor,  in  der  Regel  entwickelt  sie  sich  allmälig,  ohne 
nachweisbare  Gelegenheitsursache  bei  Leuten,  die  schwere  körperliche 
Arbeiten  zu  verrichten  haben.  Sie  wurde  z.  B.  viermal  bei  Angehörigen 
des  Militärs  beobachtet,  und  zwar  Chargen  vom  Oberlieutenant  ab¬ 
wärts,  also  durchwegs  jüngeren  Männern,  die  noch  anstrengenden 
Dienst  leisten  müssen.  Zusammenhang  mit  Trauma  ist  mehrmals  be¬ 
hauptet,  aber  nur  in  einem  Falle  von  Elschnigg  erklärt  worden 
derart,  dass  in  Folge  eines  Sturzes  chronische  Entzündung  de3  Zell¬ 
gewebes  in  der  Orbita  eingetreten  sei,  mit  consecutive:-  Atrophie  des¬ 
selben,  Erkrankung  und  sackförmiger  Dilatation  der  orbitalen  Venen  und 
leichter  Läsion  des  Opticus.  Auch  einige  andere  Fälle  sind  bekannt, 
in  denen  es  ohne  besonders  heftige  Complicationen  zu  Schädigung 
des  Sehnerven,  selbst  zur  Amaurose  kam.  In  der  Regel  fehlen  Seh¬ 
störungen  oder  treten  nur  vorübergehend  auf,  wenn  der  Exophthalmus 
seinen  Höhepunkt  erreicht.  Das  Gleiche  gilt  von  Schmerzen;  ge¬ 
ringere  Grade  von  Exophthalmus  gehen  nur  mit  Gefühl  von  Schwere 
oder  Ziehen  einher,  wie  es  auch  bei  Varikocele  beschrieben  wird. 

Je  nach  dem  Vorhandensein  äusserlich  sichtbarer  Varikositäten 
unterscheidet  Sergen  t  drei  Gruppen: 

1.  Aeusserlich  sichtbare  Varikositäten  ohne  intermittirenden 
Exophthalmus. 

2.  Sichtbare  Varikositäten  m  i  t  intermittirendem  Exophthalmus. 


Nr.  3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


71 


3.  Intermittirender  Exophthalmus  ohne  sichtbare  Varikositäten. 

Dieser  Fall  also  gehört  in  die  zweite  Gruppe. 

Wenn  auch  anatomische  Versuche  bisher  fehlen,  ist  man  doch, 
gestützt  auf  Fälle,  wie  der  hier  vorgestellte,  berechtigt,  die  Entstehung 
des  intermittirenden  Exophthalmus  auf  Dilatation  der  Orbital¬ 
venen  zurückzuführen,  wozu  noch  eine  Erschlaffung  der¬ 
jenigen  Fascien  kommen  muss,  welche  den  Augapfel 
an  die  Orbitalränder  befestigen,  respective  in  Sus¬ 
pension  erhalten.  Die  Dilatation  der  Venen  führt  langsam  zu 
Atrophie  des  orbitalen  Fettgewebes,  damit  zum  Zurück-  und  bisweilen 
Herabsinken  des  Augapfels.  Eine  Sonderstellung  bezüglich  der  Patho¬ 
genese  des  intermittirenden  Exophthalmus  nimmt  Van  Duyse  und 
mit  ihm  Terson  ein,  welche  die  Affection  als  eine  Trophoneurose 
auf  Grund  einer  Läsion  desKopfsympathicus  ansehen, 
sich  aber  dabei  auf  die  wenigen  Fälle  beschränken,  bei  denen  von 
vorneherein  Enophthalmus  bestand. 

Bezüglich  der  Aetiologie  stimmen  die  Phlebektasien  der  Orbita 
mit  den  anderwärts  vorkommenden  darin  überein,  dass  wir  ihren 
Grund  nicht  kennen.  Wir  sind  daher  genöthigt,  auf  eine  locale  und 
individuelle  Disposition  der  Venenwandung  zu  recurriren. 

Erstere  ist  jedenfalls  durch  die  Thatsache  gegeben,  dass  die 
Vena  ophthalmica  und  ihre  Aeste  klappenlos  und  die  .Vena  ophthal- 
mica  superior  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  vielfache  Verbreitungen  und 
Verengerungen  zeigt,  besonders  eine  Enge  vor  der  Einmündung  in  den 
Sinus  cavernosus. 

Bezüglich  der  individuellen  Disposition  erschien  es  mir  bei  dem 
hier  vorgestellten  Falle  mit  seinen  mächtigen  Phlebektasien  im  Be¬ 
reiche  der  Venae  jugulares  beider  Seiten  nicht  unmöglich,  dass  der 
in  den  Thorax  hinabreichende  Theil  der  Struma  durch  Druck  auf  die 
grossen  Venen  ein  Circulationshinderniss  setze.  Herr  Dr.  Kienböck 
hatte  auf  mein  Ersuchen  die  Freundlichkeit,  den  Thorax  des  Patienten 
zu  durchleuchten,  doch  liesen  sich  auch  auf  dem  Röntgen-Schirme  die 
Verhältnisse  nicht  mit  Sicherheit  erkennen.  Die  Aktinog ramme 
der  beiden  Orbitae  zeigten  keine  Verschiedenheit. 

Dis  cussion:  Zu  derselben  meldet  sich  Doe.  Dr.E  1  s  c  h  n  i  g  g ;  in 
Ansehung  der  noch  auf  der  Tagesordnung  stehenden  Vorträge  wurde 
die  Discussion  verschoben. 

Wegen  der  vorgeschrittenen  Zeit  verschiebt  auch  Dr.  Kraus 
eine  angemeldete  Demonstration  und  Dr.  Biehl  den  angekündigten 
Vortrag. 

Hierauf  hält  Hofrath  S.  Exner  seinen  Vortrag:  Siehe  Feuilleton. 

Nach  Schluss  desselben  erhebt  sich  Hofratli  E.  Albert  und 
dankt  dem  Vortragenden  für  die  eingehende  und  umfassende  Moti- 
virung  für  die  neue  Studien-  und  Prüfungsordnung  an  der  medicini- 
schen  Facultät.  Die  allseitige  und  anhaltende  Aufmerksamkeit  der  Ver¬ 
sammlung  beweist  das  Interesse  für  dieselbe  am  besten,  zeigt  auch, 
wie  tief  und  weit  die  hiebei  angeregten  Fragen  greifen. 

Es  fragt  sich  nur,  was  will  die  k.  k.  Gesellschaft  machen,  will 
sie  die  Motivirung  einfach  zur  Kcnntniss  nehmen,  oder  will  sie  darüber 
debattiren?  Es  ist  eine  interessante  Erscheinung  gewesen,  zu  sehen, 
mit  welcher  Aufmerksamkeit  die  ganze  Versammlung  zugehört  hat,  sie 
zeigt  von  der  Bedeutung,  welche  das  Untorrichtswesen  für  die  Allge¬ 
meinheit  gewonnen  hat,  von  der  Bedeutung,  welche  die  Massenpsycho¬ 
logie  der  Massenerziehung  entgegenbringt.  Es  war  neu,  eine  so  ein¬ 
gehende  Motivirung  der  neuen  Studienordnung  zu  hören;  die  grossen 
Gesichtspunkte,  die  dabei  zur  Sprache  kamen,  verdienen  aber  auch  eine 
Besprechung  von  der  anderen  Seite,  und  zwar  wären  es  folgende 
Punkte  : 

1.  Die  Bedeutung  der  Erzeugung  von  positivem  Wissen  in  der 
Erziehung  und  im.  Unterrichtswesen;  der  ganze  Unterricht  ist  zu  einer 
steigenden  Anhäufung  von  „Wissen“  geworden  und  so  könnten  wir 
es  erleben,  dass  der  Mensch  zu  einem  nur  contemplativen  Wesen 
herangezogen  werden  müsse. 

2.  Die  Beziehung  der  Theorie  zur  Praxis;  es  wird  viel  vom 
„Wissen“  und  vom  Unterricht  im  „Wissen“  gesprochen;  es  handelt 
sich  aber  nicht  allein  um  den  Gegensatz  zwischen  „Drill“  und 
„Wissen“,  sondern  auch  um  den  Gegensatz  zwischen  „Theorie“  und 
„Praxis“. 

3.  Die  neue  Unterrichtsordnung  und  das  neue  Prüfungswesen 
wird,  fürchte  ich,  Manche,  wenn  nicht  Viele,  zur  Neurasthenie  treiben; 
bereits  in  der  jetzigen  RigorosenorduuDg  führt  das  Jagen  durch  die 
Prüfungen  zur  Nervosität  —  das  Zusammenlegen  des  zweiten  und 
dritten  Rigorosums,  nur  mit  einer  Trennung  von  höchstens  sechs 
Wochen,  wird,  fürchte  ich,  eine  grosse  Anzahl  der  jungen  Leute 
unter  einen  unerträglichen  psychischen  Druck  bringen,  sie  in  eine 
psychisch  verzweifelte  Lage  versetzen  —  zur  Neurasthenie. 

Albert  möchte  zur  Discussion  stellen  (für  einen  der  nächsten 
Abende)  das  Thema:  „Allgemeine  Gesichtspunkte  im  Unterrichtswesen 
und  speciell  im  medicinischen  Unterricht“. 

Der  Vorsitzende  fragt  die  Versammlung  darüber,  welche  einhellig 
dem  Anträge  A  1  b  e  r  t’s  zustimmt. 


Der  Vorsitzende  dankt  Hofrath  Exner  für  die  Mühe,  der  er 
sich  mit  der  Entwicklung  der  umfassenden  Erörterungen  unterzogen, 
ferner  den  werthen  Gästen,  speciell  Sr.  Excellenz  Dr.  v.  H  artel,  für 
den  Besuch  und  das  an  den  Tag  gelegte  Interesse  an  den  Verhand¬ 
lungen  der  Gesellschaft. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  Bend  ix  (Berlin). 

I.  Sitzung:  Montag  den  18.  September  1899. 

I.  W.  Camerer  jun.  (Stuttgart):  Gewichts-  und  Längen- 
wachsthum  der  Kinder,  insbesondere  solcher  im 
ersten  Lebensjahre. 

Zur  Untersuchung  über  das  Wachsthum  der  Kinder  verfügt 
Camerer  gegenwärtig  über  beinahe  250,  zum  Tlieile  sehr  sorgfältig 
beobachtete  Fälle;  eine  eingehende  Bearbeitung  diests  reichhaltigen 
Materiales  soll  im  Jahrbuche  für  Kinderheilkunde  von  Camerer  sen. 
erscheinen.  Die  Resultate  der  Untersuchung  sind  im  Folgenden  kurz 
zusammengestellt : 

A.  Körpergewicht  im  ersten  Lebensjahre  in  Mittelzahlen. 

(Siehe  Tabelle  I  und  II.) 

Aus  den  Tabellen  I  und  II  geht  hervor,  dass  für  das  Gewicht 
am  Ende  des  ersten  Lebensjahres  nicht  sowohl  die  Art  der  Ernäli- 
r  u  n  g,  als  vielmehr  das  Geburtsgewicht  von  Einfluss  ist.  Dieser 
Einfluss  erstreckt  sich  noch  weit  ins  Kindesalter  hinein.  Der  schädliche 
Einfluss  der  künstlichen  Ernährung  im  ersten  Vierteljahr 
wird  durch  stärkere  Gewichtszunahme  im  zweiten  Vierteljahr  und  in 
den  folgenden  Wochen  ausgeglichen.  Unzweckmässige  künstliche  Er¬ 
nährung  mag  stärkere  und  länger  dauernde  Beschädigung  der  Gesund¬ 
heit  und  des  Wachsthumes  zur  Folge  haben,  als  bei  diesen  sorgfältig 
ernährten  und  beobachteten  Kindern  der  Fall  war. 

B.  Längen  und  Gewichte  von  der  Geburt  bis  zum  Ende 
der  eigentlichen  Wachsthumsperiode,  fortlaufend  an  einzelnen  Kindern 
beobachtet. 

Die  Beobachtungen  sind  augestellt  an  4  Brüdern  der  Familie  «, 
2  Brüdern  und  1  Schwester  der  Familie  l  und  1  Bruder  und  4  Schwe¬ 
stern  der  Familie  c. 

(Siehe  Tabelle  III  :  Längen  und  Gewichte.) 

Zunächst  lässt  sich  erkennen,  dass  die  Zunahme  von  Länge  und 
Gewicht  im  Ganzen  zusammen  geht,  was  ja  von  Anfang  an  zu  er¬ 
warten  war. 

Bei  Knaben  tritt  nach  dem  raschen  Längenwachsthum  der 
ersten  Jahre  vom  4. — 12.  Jahre  eine  Verlangsamung  ein.  Die  jährliche 
Zunahme  beträgt  in  dieser  Zeit  circa  5  cm.  Vom  12. — 16.  Jahre 
steigt  sie  wieder  auf  6-5 — 7  cm  im  Jahre.  Nach  dem  17.  Jahre 
ist  bei  Knaben  das  Längenwachsthum  im  Wesentlichen 
vollendet. 

Bei  Mädchen  beobachtet  man  das  kleinste  Längenwachsthum 
mit  4 — 5  cm  im  Jahre  vom  6. — 10.  Lebensjahre.  Vom  10.— 14.  Jahre 
nimmt  es  wieder  zu  und  beträgt  circa  6  cm  im  Jahre.  Nach  dem 
15.  Jahre  ist  bei  Mädchen  das  Längenwachsthum  im 
Wesentlichen  vollendet. 

Diese  Resultate  scheinen  anfangs  etwas  überraschend;  gewiss 
wird  eine  Anzahl  von  Knaben  nach  dem  17.  und  von  Mädchen  nach 
dem  15.  Lebensjahre  noch  erheblich  an  Längen  wachsthum  zunehmen; 
man  muss  aber  dieses  verspätete  Längenwachsthum  auf  Wachsthums¬ 
störungen  zurückführen,  welche  in  der  Zeit  des  physiologischen 
Wachsthums  eiugetreten  sind. 

Aus  fortlaufenden  Beobachtungen  des  Längenwachsthums,  die  in 
der  Münchener  Cadettenanstalt  ausgeführt  worden  sind,  geht  ebenfalls 
der  Schluss  hervor,  dass  nach  vollendetem  17.  Lebensjahre  keine  er¬ 
hebliche  Zunahme  des  Längenwachsthums  mehr  eintritt.  Ausserdem 
ergibt  die  grosse  Statistik  (V  i  e  r  o  r  d  t,  Daten  und  Tabellen),  dass 
deutsche  Recruten  (im  Alter  von  20  Jahren  im  Durchschnitt  169-0  cm, 
deutsche  Männer  im  31.  Lebensjahre  1G9-5c?h  lang  sind. 

Auch  die  Vermehrung  des  Gewichtes  ist,  so  weit  sie 
dem  eigentlichen  Wachsthum  zuzuschreiben  ist,  bei  Knaben  mit  dem 
18. — 19.  Jahre,  bei  Mädchen  mit  dem  15. — 16.  Jahre  vollendet;  von 
da  ab  steht  das  Gewicht,  wenigstens  in  den  nächsten  8 — 10  Jahren, 
unter  dem  Einfluss  zufälliger  Momente. 

II.  W.  Camerer  jun.  (Stuttgart)  :  Die  chemische  Zu¬ 
sammensetzung  des  Neugeborenen.  (Mit  analytischen  Bei¬ 
trägen  von  Dr.  Söldner.) 

Ueber  die  chemische  Zusammensetzung  des  menschlichen 
Körpers  sind  bisher  nur  wenige  und  unvollständige  Lntersuchungen 


72 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr. 


Tabelle  I.  Geburtsgewicht  der  Kinder  über  2'75  hg. 


Art  der 

Geschlecht 

Öl  .  * 

£  -  & 

Gewicht 

am  Ende  der 

Wochen 

Ernährung 

j=  ~ 

£  v; 

O  ^ 

br 

2. 

4- 

8. 

12. 

16. 

20. 

24. 

28. 

32. 

36. 

40. 

44. 

48. 

52. 

Frauenmilch 
(Mutter  oder  { 

Knaben  u.  Mädchen 
114  Fälle  .  .  . 

3-45 

357 

4-04 

4  83 

559 

625 

6-81 

7-32 

7'79 

8-21 

8-57 

8-88 

9-22 

952 

9  97 

Knaben  allein 

57  Fälle  .... 

3-48 

3*64 

4  17 

5-08 

587 

6-58 

7T4 

7-65 

8T4 

8-54 

8-90 

912 

9  65 

9-97 

10-21 

Amme)  j 

|  1 

Mädchen  allein 

52  Fälle  .... 

324 

344 

381 

456 

527 

5-90 

6-52 

692 

7-38 

7-80 

8  09 

8-40 

8-72 

8-97 

966 

Künstlich,  meist 
Kuhmilch 

Knaben  u.  Mädchen 
85  Fälle  .... 

339 

3-46 

3-73 

4  34 

4  95 

5-61 

6:27 

6-90 

7-30 

81 3 

8  27 

8-65 

8-91 

9-98  j 

Tabelle  II.  Geburtsgewicht  der  Kinder  unter  2-75  kg  und  unter  2'00  kg. 


Geburts¬ 
gewicht  in 
Kilogr. 

Gewicht 

am  Ende  der 

Wochen 

2. 

4.  8. 

12. 

16. 

20. 

.  24. 

28. 

32. 

36. 

40. 

44. 

48. 

52. 

Geburtsgewicht  zwischen  2  75  und 

2  00%  24  Fälle . 

2  42 

2-56 

2  90  3-65 

4-30 

479 

5-38 

5-91 

6  18 

6'54 

6-80 

693 

7-26 

7  71 

7-94 

Geburtsgewicht  unter  2‘00  kg  in 

14  Fällen . . 

L68 

L81 

212  2-76 

3  40 

3-99 

4-73 

5-17 

5-51 

5-38 

6T4 

624 

654 

6-43 

6-75 

Tabelle  III.  Längen. 


~  0) 

n  P 
<X>  CD  ~ 

Länge  am 

Ende 

des  Jahres 

-i  V  x 

J  -w  O 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

•14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

19. 

Mittel  der  lvuaben  der 
Familien  a  und  b  . 

52 

75 

86 

96 

103 

109 

116 

121 

127 

132 

137 

142 

147 

154 

161 

168 

173 

175 

176 

177 

Knabe  der  Familie  c  . 

— 

— 

. - 

— 

— 

— 

— 

— 

122 

127 

— 

135 

139 

145 

153 

163 

170 

176 

177 

177 

Mädchen  der  Familie  b 

53 

78 

89 

99 

107 

113 

120 

124 

130 

133 

138 

144 

149 

156 

163 

167 

168 

— 

169 

— 

Mittel  der  Mädchen  der 
Familie  c . 

— 

— 

— 

— 

100 

107 

111 

118 

124 

129 

134 

140 

147 

150 

152 

— 

153 

— 

— 

Gewichte. 


Geburts¬ 

gewicht 

Kilogr. 

Gewicht  am  Ende 

des  Jahres 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

19. 

Mittel  der  Knaben  der 

Familie  b . 

3  15 

9  5 

12-6 

14-8 

16-6 

17-9 

19-8 

2L6 

23-8 

25-9 

28-4 

31-6 

33  9 

37-5 

42-6 

50  0 

56  0 

61-4 

69-1 

739 

Knaben  der  Familie  c 

— 

— 

— 

— 

— 

17-5 

19'2 

20-7 

232 

244 

26-5 

30  0 

32-4 

35  3 

37-9 

48-1 

54-6 

60-4 

57-1 

6L2 

Mädchen  der  Familie  b 

3T 

101 

12-7 

15-3 

17-2 

18-8 

209 

23-3 

25-6 

27-9 

311 

34-3 

399 

49  0 

55-0 

59-4 

— 

626 

— 

Mittel  der  Mädchen  der 

Familie  c . 

3-4 

8-9 

10-6 

12  6 

14-2 

15-1 

17-2 

184 

20  6 

22-3 

24-8 

26  6 

309 

35-2 

39-7 

44  T 

443 

— 

480 

508 

ausgeführt  worden.  Es  stellen  sich  einer  solchen  Arbeit  zahlreiche 
Schwierigkeitn  in  den  Weg,  welche  schon  mit  der  Beschaffung  einer 
geeigneten  Leiche  beginnen.  Denn  es  darf  dieselbe  weder  durch  die 
Vorgänge,  welche  zum  Tode  geführt  haben,  noch  durch  Zersetzungs- 
processe  nach  dem  Tode  in  ihrer  Zusammensetzung  wesentlich  ver¬ 
ändert  werden;  Verluste  sind  bei  der  Bearbeitung  zu  vermeiden,  ebenso 
alle  stärkeren  Eingriffe,  durch  welche  Stoffe  zerstört  oder  verändert 
weiden  könnten.  (Fortsetzung  folgt.) 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  22.  Januar  1900,  7  Uhr  Abends. 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothentliurmstrasse  2123 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  Paul  Mittler 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Prof.  R.  V.  Basch;  CarJiale  Dyspnoe  und  Lungenödem. 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  19.  Januar  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Weinlechner 

stattfindendeD 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Discussion  über  den  Vortrag  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Sigmund 
Exner.  (Zur  Discussion  gemeldet  Hofratli  Albert.) 

Mit  Rücksicht  auf  die  angesetzte  Discussion  können  derselben  nur 
jene  Demonstrationen  vorausgehen,  welche  von  der  letzten  Sitzung  zurück¬ 
geblieben  sind. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  Schauta,  Docent  Doctor 
Herzfeld,  Docent  Dr.  Max  Herz,  Docent  Dr.  Kretz,  Prof.  A.  Politzer, 
Prof.  Benedikt,  Prof.  Weinlechner,  Dr.  J.  Thenen,  Dr.  A.  Pilcz, 
Dr.  R.  Offer,  Schnabel,  Stabsarzt  Dr.  Habart. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  findet 

Dienstag,  den  23.  Januar  1900,  7  Uhr  Abends, 

iin  Hörsaale  der  II.  geburtshilflich-gynäkologischen  Klinik  statt. 

Dr.  Schm  it,  d.  z.  Schriftführer. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  Ph.  Knoll,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing, 

I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  G-ussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  25.  Januar  1900.  Nr.  4. 


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Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  and  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
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erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Grössere 
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Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  6094. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthorgasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlnng. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


IISTHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Zur  Radicaloperation  der  Varikocele.  Von  Prof.  | 

Dr.  Albert  Narath  (Utrecht).  | 

2.  Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  v.  Mosetig-Moorhof 
im  Allgemeinen  Krankenhause.  Ueher  multiple  Dünndarmstenosen 
tuberculösen  Ursprunges.  Von  Dr.  Sigmund  Erdheim,  emerit.  I 
Assistent  der  Abtheilung. 

3.  Zur  Technik  der  Gastrostomie.  Von  Dr.  Robert  Lucke  in 
Altenburg. 

II.  Feuilleton:  Bemerkungen  zur  neuen  Rigorosen-Ordnung.  Von  Professor 
Albert,  vorgetragen  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in 
Wien  am  19.  Januar  1900. 


III.  Referate:  Zur  Krebsfrage.  Von  Dr.  J.  Pichler.  —  Atlas  der  topo- 

g-raphischen  Anatomie  des  Menschen.  Von  Prof.  Dr.  E.  Zucker¬ 
kandl.  Ref.  E.  Albert.  —  Traitement  chirurgical  du  Cancer  du 
gros  intestin.  Par  le  Docteur  Henri  Lardennois.  Ref.  Wölfler. 
—  I.  Operations  on  459  cases  of  Hernia.  By  Jos.  C.  Bloodgood. 
II.  Ein  Fall  von  solitärer  Nierencyste.  Von  A.  v.  Brackel.  III.  Die 
moderne  Behandlung  des  Klumpfusses.  Von  A.  Hof  fa  IV.  Inesti 
ossei.  Giovanni  Pascals.  Ref.  K.  Biidinger. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Notizen. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Abonneiueiits-]3Iiila<lim§». 

Mit,  4.  Januar  1900  begann  der  XIII.  Jahrgang  der 

„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

A  bonne  zxi  ent 

höfiiehst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  director  Zusendung  ganzjährig  K.  20, 
halbjährig  K.  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  Rraninüller 

k.  u.  k.  Hof-  und.  Universitätsbuchhändler 
Wien,  VIII/I,  Wickenburggasse  13. 


Zur  Radicaloperation  der  Varikocele. 

Von  Prof.  Dr.  Albert  Narath  (Utrecht). 

Von  den  zahlreichen  Operationsmethoden,  welche  im 
Laufe  der  Zeit  zur  Heilung  der  Varikocele  angegeben  wurden, 
dürfte  sich  die  Methode  der  Resection  des  Plexus  pampini- 
formis  gegenwärtig  unter  dem  Schutze  der  modernen  Wund¬ 
behandlung  der  weitesten  Verbreitung  erfreuen.  Es  haften 
jedoch  der  Operation,  wie  sie  gewöhnlich  ausgeführt  wird,  eine 
Reihe  von  Mängeln  an,  welche  schwerwiegend  genug  sind,  um 
das  Bestreben  der  Chirurgen,  zweckmässigere  Verfahren  zu 
ersinnen,  nicht  erlahmen  zu  lassen. 

Da  sich  die  Scrotalhaut  schwer  reinigen  lässt  und 
Operationswunden  in  ihr  auch  nachträglich  noch  einer  ge¬ 
wissen  Infectionsgefahr  ausgesetzt  sind,  verlegten  einzelne 
Cliirurgen  den  flautschnitt  mehr  nach  oben  gegen  die  Inguinal¬ 


region.  So  durchtrennt  Kocher1)  die  Haut  gerade  ent¬ 
sprechend  dem  Leistencanal;  Krone2)  legt  einen  Längsschnitt 
über  den  äusseren  Leistenring  an.  Ohne  Zweifel  sind  diese 
Leistenschnitte  dem  alten  Scrotalschnitte  vorzuziehen.  Ein 
weiterer  Nachtheil  der  gewöhnlichen  Resectionsmethode  ist  der, 
dass  man  meistens  die  Arteria  spermatica  interna  von  dem 
Venenplexus  nicht  isoliren  kann,  weil  man  sie  einfach  nicht 
sieht.  Verletzungen  der  genannten  Arterie  dürften  daher  schwer 
zu  vermeiden  sein.  Lrüher  meinte  man,  dass  sehr  leicht 
Atrophie  oder  Nekrose  des  Hodens  die  Folge  dieser  Verletzung 
sein  könne,  und  auch  neuere  Autoren  schliessen  sich  dieser 
Auffassung  an  (Duplay  3),  Wex4),  Es  m  arch  5 * 7)  und  Andere). 

Andere  wiederum  durchtrennen  den  Plexus  ohne  Rück¬ 
sicht  auf  die  Arterien,  z.  B.  B  e  n  n  e  t  -),  Robson  '),  Ti  Hau  x  8). 
Die  beiden  Letzteren  meinen  sogar,  dass  die  Arteria  deferentialis 
für  die  Ernährung  des  Hodens  genüge.  Auch  Kocher9)  ver¬ 
sichert,  dass  die  Arteria  spermatica  interna  ohne  Schaden  für 
die  Ernährung  des  Hodens  mit  unterbunden  werden  könne, 
sobald  ihre  Isolirung  Schwierigkeiten  bereitet.  Es  bestünden 
|  genügend  Anastomosen  zwischen  der  Arteria  spermatica  und 
;  deferentialis.  Spruchreif  scheint  also  die  Frage  noch  nicht  zu 

!)  Koche  r,  Chirurgische  Operationslehre. 

2)  Krone,  Suprapubic  Varieocele-ectomy.  Occidental  med.  times. 
Juni  1898.  Referirt  im:  Centralblatte  für  Chirurgie.  1898,  Nr.  51,  pag.  1275. 

3)  D  u  p  1  a  y,  Le  traitement  du  varicocele.  Gaz.  des  höpitaux.  1893, 
Nr.  91. 

j)  W e  x  Adolf,  Zur  Therapie  der  Varikocele.  Dissertation.  Halle  1898. 

5)  Esmarch  und  K  o  w  a  1  z  i  g,  Chirurgische  Technik. 

G)  W.  H.  Ben  net,  On  Varicocele.  London,  Longmans,  Green  &  Co. 
1891.  Referirt  im:  Centralblatte  für  Chirurgie.  1891.  pag.  979. 

7)  Rohson  nach  L  y  d  s  t  o  n,  Varicocele  and  its  treatment.  Chicago, 
W.  T.  Kenner.  1892.  Referirt  im:  Centralblatte  für  Chirurgie.  1894,  Nr.  13, 

pag.  304.  _ 

8)  T  i  1 1  a  u  x,  De  la  eure  radieale  du  varicocele  par  la  resection  du 
scrotum.  Tribune  med.  1889,  Nr.  7.  Referirt  im:  Centralblatte  für  Chirurgie. 
1889,  pag.  563. 

9)  Kocher,  Die  Krankheiten  der  männlichen  Geschlechtsorgane, 
Deutsche  Chirurgie.  Lieferung  50  b. 


74 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


sein,  und  man  wird  gut  thun,  bis  auf  Weiteres  noch  an  der 
Schonung  der  Arteria  spermatica  interna  festzuhalten,  und 
eben  da  lässt  die  gewöhnliche  Resectionsmethode  im  Stich. 

Bisweilen  macht  sich  auch  noch  der  Umstand  recht  un¬ 
angenehm  bemerkbar,  dass  in  Rückenlage  und  Narkose  die 
Füllung  der  Venen  ganz  erheblich  abnimmt,  so  dass  leicht  die 
Exstirpation  zu  wenig  ausgiebig  vorgenommen  wird  und  Reci- 
dive  eintreten.  Eine  mehr  sitzende  Position  des  Patienten  führt 
auch  meistens  keine  bessere  Blutfüllung  der  Venen  herbei 
und  ist  auch  aus  anderen  Gründen  nicht  sehr  zweckmässig. 
Audi  die  elastische  Umschnürung  des  Scrotums  und  Penis  10j 
hat  mancherlei  gegen  sich,  besonders  das,  dass  man  durch  die 
Einschränkung  des  Operationsfeldes  sich  mit  der  Excision  im 
Bereiche  des  distalen  Antheiles  des  Plexus  pampiniformis  be¬ 
gnügen  muss  und  Verletzung  der  Arteria  spermatica  interna 
schwerlich  vermeiden  kann. 

Gelegentliche  Beobachtungen  bei  genauer  Untersuchung 
schwerer  Fälle  von  Varikocele  brachten  mich  darauf,  einen 
anderen  Weg  bei  der  Operation  der  Varikocele  einzuschlagen. 
Ich  fand  nämlich  bei  Patienten  mit  starken  Graden  von  Varikocelen 
eine  nicht  unerhebliche  Erweiterung  deä  Leistencanales,  so 
dass  man  bequem  einen  bis  zwei  Finger  bei  eingestülpter 
Scrotalhaut  hindurchführen  konnte.  Einmal  auf  dieses  gleich¬ 
zeitige  Vorkommen  von  Varikocele  und  weitem  Leistencanal 
aufmerksam  geworden,  untersuchte  ich  alle  Fälle  von  Varikocele, 
die  an  die  Klinik  kamen,  auf  dieses  Verhalten.  Ich  konnte 
in  allen  schweren  Fällen  von  Varikocele  einen  mehr  oder 
weniger  erweiterten  Leistencanal  nachweisen.  Ob  das  in  meinen 
Fällen  ein  zufälliges  Zusammentreffen  war  oder  ob  diese  Er¬ 
scheinung  allgemein  gilt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Mein 
Material  ist  diesbezüglich  zu  klein ;  man  müsste  die  Unter¬ 
suchungen  an  einem  viel  grösseren  anstellen.  Ein  weiter 
Leistencanal  scheint  mir  das  Entstehen  einer  Varikocele  zu 
befördern  dadurch,  dass  das  Blut  im  Plexus  pampiniformis 
mehr  dem  erhöhten  intraabdominellen  Blutdrucke  bei  Husten, 
Pressen  u.  s.  w.  ausgesetzt  ist,  als  bei  engem  Leistencanale, 
weil  der  Seiten  druck,  den  die  Venen  im  Leistencanal  bei  Con¬ 
traction  der  Bauchmuskeln  erleiden,  herabgesetzt  oder  auf¬ 
gehoben  ist.  Ein  weiter  Leistencanal  würde  also  für  das  Ent¬ 
stehen  der  Varikocele  eine  ganz  ähnliche  Bedeutung  haben, 
als  für  das  Entstehen  einer  Leistenhernie.  1st  das  richtig,  so 
würde  man  erwarten,  dass  Varikocele  häufig  mit  einer  Hernie 
combinirt  vorkommt. 

Genauere,  auf  diesen  Punkt  gerichtete  Untersuchungen 
konnte  ich  in  der  mir  zur  Verfügung  stehenden  Literatur 
nicht  auffinden.  Lydston11)  beobachtete  mehrfach  das  Auf¬ 
treten  von  Hernien  bei  Varikocelen  und  führt  es  unter  die 
Momente  an,  welche  Ektasien  der  Venen  begünstigen. 

Ich  selbst  beobachtete  nicht  gar  so  selten  bei  Hernien¬ 
operationen  erweiterte  Venen.  Gewöhnlich  dürfte  man  bei  den 
Bruchoperationen  nicht  allzusehr  darauf  achten,  ob  die  Venen 
erweitert  sind  oder  nicht.  Unter  den  21  Patienten,  die  ich 
wegen  Varikocele  (bis  Ende  1898)  in  Utrecht  operirt  hatte, 
wiesen  fünf  gleichzeitig  eine  inguinale  Hernie  auf.  Bios  einmal 
war  diese  grösser  und  scrotal  (Fall  5),  in  den  übrigen  Fällen 
handelte  es  sich  um  kleine  Bruchsäcke.  Ganz  kleine  Bruch¬ 
säcke  lassen  sich  mitunter  nicht  diagnosticiren,  wie  es  mir  bei 
einem  Fall  von  Varikocele  erging,  den  ich  im  Jahre  1899 
operirte  und  bei  dem  ich  trotz  wiederholter  genauester  Unter¬ 
suchung  keine  Peritonealausstülpung  auffinden  konnte.  Bei  der 
Operation  der  Varikocele  deckte  ich  einen  interstitiellen  Bruch¬ 
sack  auf,  um  den  drei  schmale  lange  Lipome  gelagert  waren. 
Einer  von  meinen  Patienten  hatte  rechts  und  links  Varikocele 
und  Hernie  (Fall  18). 

Durch  die  bei  mehreren  Fällen  hochgradiger  Varikocele 
gefundene  Coincidenz  von  Venektasie  mit  weitem  Leisten¬ 
canal  kam  ich  auf  die  Idee,  die  Hauptstämme  oder  den  Haupt- 
stamm  der  Vena  spermatica  interna  im  Leistencanal  selbst  zu 
reseciren  und  dann  diesen  nach  dem  Typus  der  B  a  s  s  i  n  i’schen 
Radicaloperation  bei  Leistenhernie  zu  verschliessen.  Auf  diese 
Weise  hoffte  ich  radicale  Heilung  der  Varikocele  zu  erzielen, 

1U)  Siehe :  Esmarch  und  Kowalzig,  Chirurgische  Technik. 

")  Lydston,  1.  e. 


da  erstens  einmal  die  Blutsäule  in  der  langen  Vena  spermatica 
interna  unterbrochen  wird,  zweitens  das  Blut  der  Hodenvenen 
nicht  mehr  dem  directen  Drucke  der  Bauchpresse  unterliegt 
und  drittens  dem  Blute  der  Geschlechtsdrüse  andere  Abfluss- 
wrege  eröffnet  werden.  Ich  habe  in  einigen  Fällen  schwerer 
Varikocele  nicht  nur  den  Stamm  der  Vena  spermatica  interna 
unterbunden,  sondern  auch  die  stark  erweiterten  Venae 
spermaticae  externae. 

Die  Operation  wird  auf  folgende  Weise  durchgeführt: 
Hautschnitt  (circa  10  cm  lang)  in  der  Richtung  des  Leisten¬ 
canales  und  fingerbreit  oberhalb  des  Ligamentum  Poupartii. 
Der  Schnitt,  der  nicht  über  das  Tuberculum  pubicum  nach 
abwärts  reicht,  durchtrennt  Haut  und  Fascia  superficialis. 
Hierauf  wird  in  gleicher  Richtung  die  Aponeurose  des  Mus 
culus  obliquus  externus  gespalten  und  so  der  Leistencanal  in 
ganzer  Ausdehnung  eröffnet,  wie  bei  der  B  a  s  s  i  n  i’schen 
Radicaloperation  der  Leistenhernie.  Der  ganze  Funiculus  sper- 
maticus  mit  dem  Cremaster  und  der  Tunica  vaginalis  com¬ 
munis  wird  darauf  aus  dem  Leistencanal  herausgehoben,  was 
sehr  leicht  gelingt.  Wenn  man  nun  durch  einen  kleinen  Längs¬ 
schnitt  (oder  durch  stumpfe  Präparation)  Cremaster  und  Tunica 
vaginalis  communis  gespalten  hat,  übersieht  man  schön  die 
einzelnen  Gebilde  des  Samenstranges.  Die  erweiterten  Venen 
treten  sehr  deutlich  hervor,  auch  bei  ganz  geringer  Blut¬ 
füllung.  Man  hat  im  Leistencanale  entweder  den  Haupt¬ 
stamm  der  Vena  spermatica  interna  vor  sich  oder  seine  primäre 
Seitenverzweigung.  Die  Venen  werden  so  hoch  als  möglich 
proximal  freipräparirt,  hierauf  doppelt  unterbunden  und 
zwischen  den  Ligaturen  durchschnitten.  Die  proximalen  Stümpfe 
der  Venen  (oder  der  Hauptvene)  ziehen  sich  sofort  zurück  und 
verschwinden  in  der  Tiefe.  Sie  liegen  höher  als  der  Annulus 
internus  des  Leistencanales.  Sodann  werden  die  Venen  distal  ver¬ 
folgt  bis  zur  Gegend  des  Annulus  inguinalis  externu«,  und 
hier  auch  nach  doppelter  Unterbindung  zwischen  den  Liga¬ 
turen  durchtrennt.  Man  entfernt  auf  diese  Weise  ein  Stück 
von  vielen  Centimetern  aus  dem  Stamm  der  Vene  oder  aus 
diesem  und  den  ersten  Seitenästen,  oder  (bei  hoher  Ver¬ 
einigung)  aus  letzteren  allein.  Die  Venen  lassen  sich  sehr 
leicht  vollständig  von  den  übrigen  Gebilden  des  Samen¬ 
stranges  isoliren. 

Nach  erfolgter  Resection  wird  sehr  genau  nachgesehen, 
ob  nicht  eine  peritoneale  Ausstülpung  vorhanden  ist.  Ist  sie 
da,  dann  wird  sie  isolirt,  torquirt,  ligirt  und  amputirt.  Lipome 
werden  ebenfalls  exstirpirt.  Schliesslich  untersucht  man  noch 
die  Venae  spermaticae  exteinae.  Sind  diese  erheblich  erweitert, 
so  wird  aus  ihnen  auch  noch  ein  Stückchen  resecirt. 

Als  letzter  Act  der  Operation  erfolgt  der  Verschluss  des 
Leistencanales  nach  dem  Typus  von  Bass  in  i.  Der  Funiculus 
spermaticus  wird  hoch  hinauf  gezogen  und  unter  ihm  die 
Musculatur  des  Obliquus  internus  und  transversus  (ohne  Fascia 
transversa)  an  das  Ligamentum  Poupartii  angenäht.  Drei  bis 
vier  Nähte  genügen  in  der  Regel.  Ich  lasse  die  hintere  Wand 
des  Leistencanales  (Fascia  transversa)  ganz  intact,  unterminire 
die  Muskelränder  nicht,  und  präparire  überhaupt  nicht  an 
diesen.  Auf  die  tiefe  Naht  kommt  nun  der  Samenstrang  zu 
liegen  und  über  ihn  wird  der  Spalt  in  der  Aponeurose  des 
Musculus  obliquus  externus  sorgfältig  mit  feinsten  Knopf¬ 
nähten  vereinigt.  Zum  Schlüsse  wird  die  Wunde  durch  die 
Hautnaht  total  geschlossen.  Als  Naht-  und  Ligaturmaterial 
verwende  ich  durchgehends  feinste  Seide;  nur  für  die  Muskel¬ 
nähte  gebrauche  ich  etwas  dickere  Fäden.  Der  Verband  ist 
ein  aseptischer  Druckverband. 

Gewöhnlich  liegen  auch  die  distalen  Venenligaturen  ausser¬ 
halb  des  Leistencanales.  Im  letzten  Jahre  habe  ich  bisweilen 
die  distalen  Ligaturen  zwischen  oberflächliche  und  tiefe  Naht¬ 
schichte  möglichst  hoch  oben  an  die  Musculatur  angenäht  und 
so  den  Plexus  noch  gehoben.  Auch  wenn  man  den  Plexus 
nicht  hinaufnäht,  wird  durch  die  Verlagerung  des  Samen¬ 
stranges  allein  schon  der  Hoden  in  die  Höhe  gebracht. 

Die  Operation  ist  für  Denjenigen,  der  auf  die  Bassi  ni- 
sche  Radicaloperation  eingeübt  ist,  in  10  bis  15  Minuten  zu 
machen,  wenn  Alles  gut  klappt.  Am  achten  Tage  werden  die 
Nähte  entfernt  und  nach  dem  zehnten  Tage  können  die  Pa- 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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tienten  aufsteben.  Ich  lasse  für  gewöhnlich  die  erste  Zeit  noch 
ein  Suspensorium  tragen,  das  die  Hoden  gut  hinauthält. 

Die  Füllung  des  venösen  Plexus  verhält  sich  nach  der 
Operation  nicht  immer  gleich.  In  einem  Theile  der  Fälle  hört 
die  Stauung  in  den  Venen  sehr  bald  auf  und  die  Venen- 
convolute  werden  gleich  erheblich  kleiner.  In  anderen  Fällen, 
und  das  sind  die  schwereren  Grade  von  Varikocele,  spürt  man 
am  Tage  nach  der  Operation  die  venösen  Plexus  im  Scrotum 
noch  sehr  deutlich,  allmälig  jedoch  schrumpfen  auch  sie  zu¬ 
sammen,  wobei  die  einzelnen  Venenstränge  sich  immer  fester 
anfühlen.  Das  Blut  des  Hodens  und  Nebenhodens  fliesst  durch 
die  vorhandenen  und  sieh  eventuell  neu  bildenden  Collateral- 
bahnen  ab.  nach  den  Venen  der  Bauchdecken  oder  nach  den 
Venae  pudendae.  Ich  glaube  nicht,  dass  der  Theil  des  Blutes 
gross  sein  wird,  der  durch  die  Venae  deferentiales  abge¬ 
führt  wird. 

Die  Vortheile  der  beschriebenen  Operation  lassen  sich  in 
folgende  Punkte  zusammenfassen: 

1.  Der  Hautschnitt  liegt  an  einer  Stelle,  die  leichter  ge¬ 
reinigt  und  reiner  gehalten  werden  kann  als  das  Scrotum 
(also  geringere  Infection sgefahr). 

2.  Die  Circulation  wird  in  der  Vena  spermatica  interna 
total  unterbrochen  und  der  hohe  Flüssigkeitsdruck  im  Wurzel¬ 
gebiete  der  Vene  dauernd  aufgehoben. 

3.  Die  Verletzung  der  Arteria  spermatica  interna  kann 
leichter  vermieden  werden  als  nach  anderen  Methoden. 

4.  Sind  auch  die  Venae  spermaticae  externae  stark 
ektatisch,  so  können  auch  diese  leicht  resecirt  werden. 

5.  Es  kann  eine  gleichzeitig  bestehende  Inguinalhernie 
operirt  werden.  Bisweilen  werden  kleinere  Peritonealaus¬ 
stülpungen  erst  durch  die  Eröffnung  des  Leisteneanales  erkannt; 
ihre  Beseitigung  ist  leicht. 

6.  Es  können  gleichzeitig  vorkommende  Lipome  mit  ent¬ 
fernt  werden. 

7.  Der  Leistencanal  wird  exact  geschlossen. 

8.  Der  Samenstrang  wird  emporgehoben  und  in  einen 
engen  Canal  eingebettet. 

9.  Der  Hoden  kommt  höher  zu  liegen,  die  absolute  Höhe 
der  extraabdominalen  scrotalen  Blutsäule  wird  daher  niedriger. 

10.  Die  Wirkung  der  Bauchpresse  auf  die  Blutcirculation 
im  Hoden  wird  entweder  aufgehoben  (?)  oder  doch  ganz  er¬ 
heblich  eingeschränkt. 

11.  Die  bestehenden  collateralen  Blutbahnen  im  ganzen 
Bereiche  des  Scrotums  bleiben  erhalten,  da  im  Scrotum  selber 
nichts  operirt  wird. 

12.  Die  Operation  lässt  sich  recht  sauber  und  reinlich 
durchführen,  die  Venenplexus  bleiben  ganz  intact,  der  Blut¬ 
verlust  ist  sehr  gering. 

Ich  habe  die  Operation  an  der  Utrecliter  Klinik  öfters 
vorgenommen  und  will  im  Folgenden  über  die  Fälle  berichten, 
die  bis  zum  Ende  des  Jahres  1898  vorgekommen  sind,  21  an 
Zahl.  Zunächst  bringe  ich  der  Vollständigkeit  halber  Auszüge 
aus  den  betreffenden  Krankengeschichten. 

Fall  1.  Gerrit  de  .T.  aus  Utrecht,  19  Jahre  alt,  Arbeiter. 

P.-Nr.  124. 

Vor  einem  halben  Jahre  Schmerzen  in  der  Leistengegend, 
namentlich  beim  Arbeiten.  Zum  Militärdienst  für  untauglich  erklärt 
wegen  Krampfaderbruch. 

Status  praesens:  Links:  Leistencanal  für  den  Zeigefinger 
bequem  durchgängig,  linker  Hoden  hängt  viel  tiefer  als  der  rechte. 
Hoden  und  Nebenhoden  normal,  starke  Varikocele.  Rechts:  kein 
offener  Leistencanal;  Samenstrang,  Hoden  und  Nebenhoden  normal. 

Operation  am  17.  April  1896  in  Narkose.  Typischer  Schnitt, 
Isolirung  der  Vena  spermatica  interna  und  eines  Hauptseiten¬ 
astes,  Resection  beider  in  einer  Länge  von  5  cm.  Drei  tiefe  Muskel¬ 
nähte  unterhalb  des  Funiculus  spermaticus,  Knopfnaht  der  Aponeu¬ 
rosis  muse.  obl.  extern.,  fortlaufende  Hautnaht.  Keine  Drainage. 
Aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  Entfernung  der  Hautnähte 
am  28.  April,  entlassen  am  11.  Mai.  Dauer  der  Behandlung  23  läge. 
Patient  ist  nach  Deutschland  ausgewandert,  hat  nach  brieflicher 


Mittheilung  keinerlei  Beschwerden  bei  der  Arbeit,  keine  Vorwölbung 
in  der  Inguinalgegend  beim  Husten.  (März  1899.) 

Fall  2.  Leonardus  V.  aus  Utrecht,  19  Jahre  alt.  P.-Nr.  267. 

Patient  wollte  Berufssoldat  werden,  wurde  jedoch  wegen 
Varicocele  sinistra  als  untauglich  erklärt.  Keine  Beschwerden. 

Status  praesens:  Links:  Leistencanal  für  den  Zeige¬ 
finger  durchgängig,  starke  Varikocele,  Hoden  und  Nebenhoden 
normal  von  Grösse  und  Consistenz,  linke  Scrotalhälfte  reicht  viel 
tiefer  hinab  als  die  rechte.  Rechts:  normaler  Befund,  kein  offener 
Leistencanal. 

Operation  am  18.  Juni  1896  in  Narkose.  Typischer  Schnitt, 
Resection  von  circa  2  cm  aus  dem  Stamme  der  Vena  spermatica 
interna.  Fünf  tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und 
Haut,  keine  Drainage,  aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  secundam,  nach  Entfernung  der 
Nähte  am  25.  Juni  musste  wegen  Eiterung  die  Hautwunde  geöffnet 
werden.  Die  Heilung  zog  sich  in  die  Länge  wegen  einer  Thrombose 
in  der  Vena  femoralis.  Entlassen  am  15.  August.  Dauer  der  Behandlung 
57  Tage. 

Letzte  Nachricht  vom  6.  März  1899:  Patient  ist  für 
tauglich  erklärt  worden  und  ist  jetzt  Berufssoldat. 

Fall  3.  Adrian  van  V.  aus  Utrecht,  23  Jahre  alt,  Bäcker. 
P.-Nr.  225. 

Patient  wurde  bei  der  Stellung  zurückgewiesen  wegen  Krampf¬ 
aderbruch.  Er  wünscht  durch  eine  Operation  von  seinem  Leiden 
befreit  zu  werden. 

Status  praesens:  L  inks:  starke  Ektasie  der  Venen  des 
Plexus  pampiniformis,  Leistencanal  für  den  Zeigefinger  durchgängig. 
Hoden  klein.  Rechts:  keine  Varikocele,  Leistencanal  und  Hoden  so 
wie  links.  Scrotum  sehr  schlaff  und  lang. 

Operation  am  25.  Juni  1896  in  Narkose.  Dr.  v.  D.  Typischer 
Schnitt.  Resection  von  6  cm  aus  der  Vena  spermatica  interna.  Fünf 
tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut.  Keine 
Drainage,  aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  entlassen  am  21.  Juli, 
25  Tage  im  Spitale. 

Revision  am  7.  März  1899:  Kein  Recidiv,  keine  Vor¬ 
wölbung'  beim  Husten,  Hoden  beiderseits  gleich,  keine  Schmerzen 
bei  der  Arbeit. 

Fall  4.  Karel  K.  aus  Utrecht,  15  Jahre  alt.  P.-Nr.  399. 

Der  Knabe  wollte  die  militärische  Laufbahn  einschlagen,  wurde 
jedoch  von  den  Militärärzten  abgewiesen  wegen  Krampfaderbruch. 
Keine  Beschwerden.  Wünscht  die  Operation,  um  tauglich  zu  werden. 

Status  praesens:  Links:  Leistencanal  für  den  Zeige¬ 
finger  durchgängig,  ziemlich  starke  Varikocele,  keine  Hernie.  Hoden 
normal.  Rechts:  normaler  Befund. 

Operation  am  10.  December  1896  in  Narkose.  Typischer 
Schnitt.  Isolirung  der  verdickten  Vena  spermatica  interna,  die  sich 
gabelförmig  in  zwei  Ilauptstämnie  theilt.  Resection  der  drei  Venen 
in  einer  Gesammtlänge  von  6—7  cm.  Drei  tiefe  Muskelnähte,  fünf 
Aponeurosennähte,  Hautnaht,  keine  Drainage,  aseptischer  Com¬ 
pressionsverband. 

Decursus:  Per  primam  geheilt  entlassen  am  24.  December  1896, 
Dauer  der  Behandlung  13  Tage.  Letzter  Bericht  vom  24.  April  1899. 
Kein  Recidiv,  keine  Vorwölbung  beim  Husten,  keine  Beschwerden, 
Hoden  gut. 

Fall  5.  C.  G.  V.  aus  Utrecht,  20  Jahre  alt,  Eisenbahnarbeiter. 
P.-Nr.  355. 

Patient  verspürte  seit  einem  halben  Jahre  Schmerzen  in  der 
Leistengegend  beim  Arbeiten,  trug  seit  der  Zeit  ein  Bruchband  (linksi. 

Status  praesens:  Links:  Hernia  scrotalis  reponibilis, 
kleinfaustgross,  Leistencanal  für  den  Zeigefinger  durchgängig,  starke 
Varikocele,  linker  Hoden  kleiner  a  1  s  der  rechte.  Rechts: 
offener  Leistencanal,  für  den  Zeigefinger  durchgängig.  Anprall  beim 
Husten.  Hoden  von  normaler  Grösse. 

Operation  am  17,  November  1896  in  Narkose.  Links:  der 
dünne  Bruchsack  wird  torquirt,  ligirt  und  amputirt.  Resection  von 
7  cm  aus  dem  Stamme  der  Vena  spermatica  interna.  Vier  tiefe 
Muskelnähte,  Knopfnaht  von  Aponeurose  und  Haut.  Keine  Drainage, 
aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  secundam.  Hautwunde  wegen 
Eiterung  aufgemacht.  Am  16.  Januar  geheilt.  Dauer  der  Behandlung 
59  Tage. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


Revision  am  6.  März  1899:  Keinerlei  Beschwerden  beider 
Arbeit,  weder  rechts  noch  links  Schenkel-  oder  Leistenhernie,  keine 
Varikocele.  Linker  Testikel  stark  atrophisch,  rechter  normal. 

Fall  6.  Joh.  Jak.  van  M.  aus  Utrecht,  20  Jahre  alt,  Kleider¬ 
macher.  P.-Nr.  22. 

Patient  soll  in  seiner  Jugend  eine  doppelseitige  Leistenhernie 
gehabt  haben,  die  durch  Tragen  eines  Bruchbandes  geheilt  wurde  (?). 
Vor  einem  Jahre  ist  er  gefallen ;  seitdem  bestehen  Schmerzen  im  Iloden- 
sack  (links),  die  sich  durch  Tragen  eines  Suspensoriums  nicht  besserten. 

Status  praesens:  Links:  Hoden  viel  tiefer  hängend 
als  rechts,  normal  von  Grösse  und  Consistenz,  ziemlich  hoch¬ 
gradige  Varikocele,  Leistencanal  für  das  Endglied  des  Zeigefingers 
durchgängig.  Anprall  beim  Husten.  Rechts:  Hoden  und  Neben¬ 
hoden  von  derselben  Grösse  als  links,  jedoch  von  härterer  Consi¬ 
stenz.  Leistencanal  so  weit  als  links. 

Operation  am  25.  Januar  1897  in  Narkose.  Typischer 
Schnitt.  Isolirung  des  4  mm  dicken  Stammes  der  Vena  spermatica 
interna  und  ihrer  primären  Seitenäste.  Resection  von  10  cm  aus 
Stamm  und  Seitenzweigen.  Vier  tiefe  Nähte,  sechs  Aponeurosen- 
nähte,  llautnaht,  keine  Drainage,  aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  am  11.  Februar  geheilt 
entlassen,  Dauer  der  Behandlung  17  Tage. 

Revision  8.  October  1899:  Keine  Spur  einer  Varikocele. 
Keine  Vorwölbung  beim  Husten.  Es  besteht  eine  Hydrocele  von  etwa 
Eigrösse  (dünnwandig,  diaphan).  So  weit  man  Hoden  und  Nebenhoden 
untersuchen  kann,  keine  pathologische  Veränderung  zu  constatiren. 
Patient  ist  mit  dem  Operationsresultate  sehr  zufrieden,  kann  lange 
gehen  und  arbeiten,  klagt  über  keinerlei  Beschwerden.  Die  Hydrocele 
ist  allmälig  entstanden  (angeblich  durch  Trauma). 

Fall  7.  Daniel  van  L.  aus  Utrecht,  15  Jahre  alt,  Kleidermacher. 
P.-Nr.  85. 

Patient  wollte  zur  Kriegsmarine,  wurde  jedoch  abgewiesen 
wegen  Krampfaderbruch.  Er  wünschte  operirt  zu  werden.  Keine  Be¬ 
schwerden. 

Status  praesens:  Links:  Hoden  viel  tiefer  als  rechts, 
normal,  ebenso  wie  der  Nebenhoden,  sehr  deutliche  Varikocele, 
Leistencanal  für  den  Zeigefinger  durchgängig.  Anprall  beim  Husten. 
Rechts:  Hoden  und  Nebenhoden  normal,  Leistencanal  so  wie  links. 
Scrotum  sehr  schlaff. 

Operation  am  15.  März  1897  in  Narkose.  Typischer  Schnitt. 
Resection  von  5  cm  aus  der  Vena  spermatica  interna.  Tiefe  Muskel¬ 
naht,  Knopfnaht  von  Aponeurose  und  Haut,  keine  Drainage, 
aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  später  jedoch  kleine  Stich¬ 
canaleiterungen,  daher  erst  am  16.  April  entlassen  (31  Tage). 

Revision  am  25.  December  1899:  Nicht  die  geringsten  Be¬ 
schwerden,  auch  bei  langem  Stehen  und  Gehen.  Patient  hat  die 
Absicht,  zur  Marine  zu  gehen  aufgegeben  und  ist  Schmied  geworden. 
Patient  kann  die  schwere  Arbeit  sehr  gut  vertragen.  Scrotum  ist 
nicht  mehr  schlaff  und  lang,  sondern  kurz  und  hält  die  Hoden  gut 
hinauf.  Linker  Hoden  und  Nebenhoden  normal  und  etwas  höher 
stehend  als  der  rechte.  In  der  Leistengegend  keinerlei  Vorwölbung  bei 
Husten  oder  Pressen.  Varikocele  vollständig  verschwunden. 

Fall  8.  Marinus  de  G.  aus  Utrecht,  18  Jahre  alt,  Arbeiter. 
P.-Nr.  149. 

Zurückgewiesen  vom  Militärdienst  wegen  Krampfaderbruch, 
wünscht  die  Operation,  um  tauglich  zu  werden. 

Status  praesens:  Links:  offener  Leistencanal  für  den 
Zeigefinger  durchgängig.  Varikocele.  Hoden  tiefer  hängend  und 
kleiner  als  rechts.  Nebenhoden  normal.  Rechts:  Leistenrino-  etwas 
erweitert,  Hoden  und  Samenstrang  normal.  Scrotalhaut  schlaff. 

Operation  am  8.  April  1897  in  Narkose.  Typischer  Schnitt. 
Resection  von  5  cm  aus  dem  Stamme  der  Vena  spermatica  interna. 
Tiefe  Muskelnaht,  Knopfnaht  von  Aponeurose  und  Haut,  keine 
Drainage.  Aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  geheilt  entlassen  am 
29.  April  (Behandlungsdauer  20  Tage). 

Letzter  Bericht  vom  24.  April  1899.  Patient  wurde  als  tauglich 
befunden  und  dient  als  Soldat. 

Fall  9.  Gerardus  de  H.  aus  Utrecht,  20  Jahre  alt.  P.-Nr.  148. 

Patient  wurde  wegen  Krampfaderbruch  von  den  Militärärzten 
als  untauglich  erklärt,  er  wünscht  die  Operation. 


Status  praesens:  Links:  Leistencanal  für  den  Zeige¬ 
finger  durchgängig.  Varikocele  (dicke,  blau  durchschimmernde 
Stränge  bis  zum  Annulus  externus).  Hoden  viel  tiefer  als  rechts, 
Nebenhoden  und  Hoden  normal.  Rechts:  Leistencanal  für  den 
Zeigefinger  durchgängig.  Anstoss  bei  Husten.  Hoden,  Nebenhoden 
und  Funiculus  normal.  Scrotum  schlaff. 

Operation  am  8.  April  1897  in  Narkose.  Typischer  Schnitt. 
Resection  von  bem  aus  dem  Hauptstamme  der  Vena  spermatica 
interna  sowie  von  je  3  cm  zweier  Seitenäste.  Fünf  tiefe  Muskelnähte, 
Knopfnaht  von  Aponeurose  und  Haut,  keine  Drainage,  aseptischer 
Compressionsverband. 

Decursus:  Per  primam  mit  leichter  Reaction  geheilt,  am 
29.  April  entlassen  (20  Tage  in  Behandlung). 

Revision  am  22.  April  1899:  Hoden  und  Nebenhoden  beider¬ 
seits  normal,  keine  Andeutung  von  Hernia  cruralis  oder  inguinalis. 
Linker  Hoden  höher  hängend  als  der  rechte.  Rechts  offener  Leisten- 
canal,  Anstoss  beim  Husten.  Links  besteht  noch  ein  ganz  leichter 
Grad  von  Varikocele.  Patient  hat  ektatische  Venen  am  Scrotum, 
Penis,  Kopf,  an  den  oberen  und  besonders  den  unteren  Extremitäten. 
Gefühl  von  Ermüdung  im  rechten  Beine  bei  längerem  Gehen.  Patient 
wurde  von  den  Militärärzten  wieder  abgewiesen,  aber  nicht  wegen 
der  Varikocele,  sondern  wegen  der  Venenektasien  an  den  Beinen. 

Fall  10.  Willi.  Corn,  van  D.  aus  Utrecht,  18  Jahre  alt,  Heizer. 
P.-Nr.  161. 

Zurückgewiesen  vom  Militärdienste,  als  untauglich  erklärt 
wegen  Krampfaderbruch.  Früher  keine  Beschwerden,  vor  zehn  Tagen 
gefallen,  seit  der  Zeit  Schmerzen  in  der  linken  Leistengegend  und 
im  Scrotum.  Wünscht  operirt  zu  werden,  um  Soldat  werden  zu 
können. 

Status  praesens:  Links:  offener  Leistencanal,  Scrotum 
schlaff,  linker  Hoden  tiefer  als  der  rechte,  oberer  Pol  nach  vorne  gedreht. 
Varikocele,  besonders  ektatische  Venen  hinter  dem  Testikel.  Füllung 
der  Venen  nimmt  in  Rückenlage  stark  ab.  Rechts:  offener  Leisten¬ 
canal,  keine  Ektasie  der  Venen. 

Operation  am  21.  April  1897  in  Narkose.  Typischer  Schnitt, 
Resection  von  5  cm  aus  dem  Stamm  der  Vena  spermatica  interna. 
Tiefe  Muskelnaht,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut.  Keine 
Drainage,  aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  entlassen  am  7.  April 
(15  Tage  im  Spitale). 

Patient  wurde  als  tauglich  befunden  und  ist  seit  zwei  Jahren 
Soldat  in  der  indischen  Armee.  Er  befindet  sich  wohl. 

Fall  11.  Joh.  V.  aus  Utrecht,  23  Jahre.  P.-Nr.  472. 

Patient  wurde  vor  drei  Monaten  wegen  linksseitiger  Varikocele 
operirt,  um  für  den  Militärdienst  tauglich  zu  werden.  Die  Operation 
wurde  von  einem  meiner  Assistenten  nach  der  üblichen  alten 
Methode  vorgenommen  (Resection  von  ektatischen  Venen  ausserhalb 
des  Leistencanales).  Die  Heilung  erfolgte  per  primam,  Patient  wurde 
mit  Suspensorium  entlassen.  Er  Hess  sich  später  von  den  Militär¬ 
ärzten  untersuchen,  wurde  aber  wieder  wegen  Varikocele  ab¬ 
gewiesen.  Patient  wünscht  eine  zweite  Operation. 

Status  praesens:  Hodensack  sehr  schlaff,  lang,  linker 
Hoden  vier  Querfinger  tiefer  als  der  rechte;  beide  Hoden  gross, 
weich,  beide  Nebenhoden  normal.  Im  linken  Funiculus  spermaticus 
eine  Anzahl  von  stark  geschlängelten,  blau  durchschimmernden,  dick¬ 
wandig  erweiterten  Venen  zu  constatiren.  Die  Venen  lassen  sich 
durch  Druck  verkleinern,  schwellen  aber  wieder  sofort  an,  sobald 
der  Druck  aufhört.  Linker  Leistencanal  bequem  für  den  Finger 
durchgängig,  keine  Hernie.  An  der  Scrotalwurzel  links  eine  lineare 
Narbe. 

Operation  am  19.  November  1897  in  Chloroformnarkose. 
Typischer  Schnitt,  der  den  Leistencanal  eröffnet.  Freilegung  der 
Vena  spermatica  interna,  die  '6  mm  im  Durchmesser  hat  und  sich 
starrwandig  anfühlt.  Die  Vene  lässt  sich  verfolgen  nach  abwärts  bis 
zur  Ligatur,  die  vor  drei  Monaten  angelegt  wurde.  Oberhalb  dieser 
gehen  vom  Stamm  noch  zwei  grosse  Seitenäste  ab.  Diese  werden 
ligirt  und  vom  Hauptstamm  8  cm  resecirt.  Ausserdem  wird  noch  von 
den  erweiterten  Venae  sperm  at  icae  externae  ein  Stück  von 
bem  entfernt.  Vier  tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Fascie  und 
Haut,  keine  Drainage,  aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  entlassen  mit  Suspensorium 
am  2.  December  (Spitalsaufenthalt  zwölf  Tage).  Linker  Testikel 
etwas  grösser,  die  starrwandigen  Venen  noch  zu  palpi ren  oberhalb 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


desselben.  Der  gegenwärtige  Aufenthaltsort  des  Patienten  konnte  bis 
December  1899  nicht  mehr  ausgeforscht  werden. 

Fall  12.  Christian  M.  aus  Tilburg,  21  Jahre  alt,  Reisender. 

P.-Nr.  44. 

Patient  bemerkt  seit  acht  Monaten,  dass  beim  längeren  Stehen 
die  linke  Scrotalhälfte  anschwoll,  ohne  jedoch  besondere  Schmerzen 
zu  verursachen.  Tragen  eines  Suspensoriums  verbesserte  den  Zu¬ 
stand  nicht. 

Status  praesens:  Scrotum  schlaff,  Testikel  beide  normal, 
der  linke  tiefer.  Nebenhoden  und  Vasa  deierentia  normal.  Links 
Varikocele  mittleren  Grades.  Leistencanal  links  für  das  Endglied  des 
Zeigefingers  durchgängig,  keine  Hernie. 

Operation  am  21.  Januar  1898  in  Chloroformnarkose:  Typi¬ 
scher  Schnitt.  Vena  spermatica  theilt  sich  im  Verlaufe  des  Leisten- 
canales  in  drei  Aeste.  Resection  des  Stammes  und  der  primäien 
Seitenäste  in  einer  Länge  von  12 — 13  cm.  Drei  tiefe  Muskelnähte,  fort¬ 
laufende  Naht  der  Fascie  und  Haut.  Keine  Drainage,  aseptischer  Com- 
pressionsverband. 

Decursus:  Stichcanaleiterung,  am  14.  Februar  mit  einer 
kleinen  granulirenden  Wunde  entlassen,  23  'läge  in  Spitalsbehand¬ 
lung.  Im  Juni  1899  untersuchte  Dr.  Daamen  in  Tilburg  über  mein 
Ansuchen  den  Patienten  und  konnte  ein  sehr  befriedigendes  Resultat 
constatiren.  Testikel  und  Epidydimis  normal,  keine  V arikocele,  keine 
Vorwölbung  beim  Husten,  Narbe  linear,  keinerlei  Beschwerden. 

Fall  13.  Hermann  B.  aus  de  Bilt,  18  Jahre  alt,  Arbeiter. 
P.-Nr.  32. 

Patient  ist  zweimal  abgewiesen  vom  Militärdienst  und  untaug¬ 
lich  erklärt  wegen  Krampfaderbruch.  Wünscht  die  Operation,  um 
Militärtauglichkeit  zu  erlangen. 

Status  praesens:  Hodensack  schlaff,  linker  Hoden  tiefer 
als  der  rechte.  Beide  Hoden  und  Nebenhoden  normal.  Linker  Leisten¬ 
canal  für  das  Endglied  des  Zeigefingers  durchgängig,  rechter  Leisten¬ 
canal  etwas  enger.  Links  mässig  starke  Varikocele.  Keine  Hernie. 

Operation  am  21.  Januar  1898  in  Narkose:  Typischer 
Schnitt.  Vena  spermatica  hat  sich  bereits  in  zwei  dicke  Hauptstämme 
getheilt.  Von  beiden  wird  ungefähr  15  cm  resecirt,  ihre  Seitenzweige 
ligirt.  Die  centralen  Ligaturen  schlüpfen  in  die  Bauchhöhle,  die  peri 
pheren  liegen  nach  aussen  vom  Annulus  inguinalis  ext.  A  ier  tiefe 
Muskelnähte,  fortlaufende  Naht  der  Fascie  und  Haut,  keine  Drainage, 
Compressionsverband . 

Decursus:  Wegen  Stichcanaleiterung  wird  die  Hautwunde 


aufgemacht. 


Wunde 


gCll  - - ö 

Patient  wird  am  14.  Februar  mit  einer  granulirenden 
entlassen  (23  Tage  in  Behandlung),  und  hatte  dann 
noch  längere  Zeit  eine  Fistel.  Patient  wurde  für  den  Militär¬ 
dienst  angenommen  und  befindet  sich  jetzt  als  Soldat  in  der  indischen 
Armee. 

Fall  14.  W.  van  D.  aus  Utrecht,  33  Jahre  alt,  Gärtner. 
P.-Nr.  53. 

Patient  wurde  bei  der  Stellung  als  untauglich  erklärt  für  den 
Militärdienst  wegen  eines  Krampfaderbruches.  Obwohl  keine  Be¬ 
schwerden  vorhanden  sind,  wünscht  Patient  die  Operation,  um  taug¬ 
lich  zu  werden. 

Status  praesens:  Hodensack  sehr  schlaff,  lang,  linker 
Hoden  hängt  viel  tiefer  als  der  rechte,  ist  auch  etwas  kleiner  und 
weicher  als  derselbe.  Varikocele  starken  Grades  links.  Nebenhoden 
wegen  der  harten  stark  erweiterten  Venenplexusse  nicht  zu  palpiren. 
Leistencanal  rechts  und  links  bequem  lür  den  Zeigefinger  passirbar. 

Operation  am  25.  Januar  1898  in  Chloroformnarkose  : 
Typischer  Schnitt.  Vena  spermatica  dick,  theilt  sich  in  zwei  gleich 
starke  Seitenäste.  Resection  vom  Hauptstamm  und  den  Seitenästen 
in  einer  Länge  von  15  on.  Vier  tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der 
Aponeurose  und  Haut,  keine  Drainage,  aseptischer  Compressions- 
verband.  Die  Venenligaturen  liegen  ausserhalb  des  Leistencanales. 

Decursus:  Heilung  per  primam.  Entlassen  am  8.  Februar 
(Dauer  des  Spitalsaufenthaltes  14  Tage). 

Revision  am  1.  März  1899:  Keine  Varikocele,  keine  Be¬ 
schwerden  beim  Arbeiten,  Narbe  linear,  keine  Vorwölbung  beim 
Husten,  keinerlei  Hernie,  Hoden  und  Nebenhoden  normal.  Patient 
hat  die  Idee,  Soldat  zu  werden,  aufgegeben. 

Fall  15.  Cornells  H.  aus  Utrecht,  22  Jahre  alt.  P.-Nr.  180. 

Patient  hat  seit  zehn  Monaten  in  der  linken  Leistengegend  und 
im  linken  Hoden  Schmerzen  bei  der  Arbeit. 


Status  praesens:  Scrotum  nicht  sehr  lang,  aber  schlaff, 
links  zwei  Querfinger  tiefer  als  rechts,  Testikel  rechts  und  links  von 
gleicher  Grösse,  elastisch,  Nebenhoden  rechts  und  links  normal. 
Links  Varikocele  von  mittlerer  Stärke  (hinter  und  unter  dem  Hoden 
jedoch  ein  starkes  Convolut  von  Venen).  Beim  Husten  längliche  Vor¬ 
wölbung  entsprechend  dem  linken  Leistencanal  (nicht  über  das 
Tuberculum  pubicum  nach  abwärts  reichend).  Linker  Lcistencanal 
weit,  (Finger  kann  leicht  bis  in  die  Bauchhöhle  eindringen),  deutlicher 
Anprall  beim  Husten.  Rechts  ist  der  Leistencanal  enger,  er  lässt 
nur  das  Nagelglied  des  Fingers  eindringen.  (Anprall  beim  Husten.) 

Operation  am  26.  April  1898  in  Chloroformnarkose:  Typi¬ 
scher  Schnitt  zur  Freilegung  des  Leistencanales.  Es  werden  entfernt: 

1.  Zwei  dünne  5cm  lange  subseröse  Lipome; 

2.  ein  4  cm  langer  Bruchsack  (Hernia  indirecta),  Torsion,  Ligatur, 
Amputation ; 

3.  10 — 12  cm  von  der  '6  mm  dicken  Vena  spermatica  interna 
(Ligatur); 

4.  5  cm  von  den  auch  erweiterten  Venae  spermaticae  externae. 

Vier  tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut. 

Aseptischer  Compressionsverband  ohne  Drainage. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  entlassen  am  10.  März. 
Dauer  der  Spitalsbehandlung  13  Tage.  Bei  der  Entlassung  Hoden 
nicht  verändert.  Alle  weiteren  Nachforschungen  nach  dem  Verbleib 
des  Patienten  blieben  bis  December  1899  ohne  Erfolg. 

Fall  16.  A.  van  Y.  aus  Jerseke,  wohnhaft  gegenwärtig  in  We- 
meldinge,  24  Jahre  alt,  Schiffersknecht.  P.-Nr.  208. 

Patient  hat  eine  linksseitige  Hernie  seit  sechs  Jahren,  seit  fünf 
Jahren  Schmerzen  beim  Arbeiten,  trotzdem  ein  Bruchband  getragen 
wurde. 

Status  praesens:  Links:  Hernia  inguinalis  indirecta,  re- 
ponibilis,  Enterocele,  eigross,  Leistencanal  für  den  Zeigefinger  durch¬ 
gängig,  Varikocele  mittleren  Grades,  Hoden  und  Nebenhoden  normal. 
Rechts:  Leistenkanal  für  das  Endglied  des  Zeigefingers  durch¬ 
gängig,  Hoden  und  Nebenhoden  normal.  Scrotum  sehr  schlaff,  linker 
Testikel  tiefer  als  der  rechte. 

Operation  am  3.  Mai  1898  in  Narkose:  Typischer  Schnitt. 
Bruchsack  dünn,  Torsion,  Ligatur,  Amputation.  Vena  spermatica  in¬ 
terna  2 1/2  mm  dick,  Resection  von  10  cm  aus  dem  Stamm  und  zwrei 
Seitenästen.  Exstirpation  eines  kleinen  subserösen  Lipoms.  Vier  tiefe 
Muskelnähte,  Fascienknopfnähte.  Ilautnaht  ohne  Drainage.  Asepti¬ 
scher  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  entlassen  am  17.  Mai  (Be¬ 
handlung  13  Tage). 

Nach  einem  schriftlichen  Berichte  vom  21.  März  1899  kein 
Recidiv,  keine  Vorwölbung  beim  Husten, Tinker  Hoden  normal,  keinerlei 
Beschwerden. 

Fall  17.  Gysbertus  de  B.  aus  Nieuwersluis,  22  Jahre  alt,  Gärtner. 
P.-Nr.  197. 

Patient  bemerkte  vor  drei  Monaten  links  im  Scrotum  eine  \  er- 
dickung,  welche  bei  der  Arbeit  Schmerz  verursachte.  Wünscht  operirt 
zu  werden. 

Status  praesens:  Scrotum  schlaff,  linke  Hälfte  tiefer  als 
die  rechte.  Hoden  und  Nebenhoden  beiderseits  normal.  Linker  Hoden 


mit  dem  oberen  Pole  nach  vorne  gekehrt.  Links  \  arikocele,  am 
stärksten  hinter  dem  Testikel.  Beide  Leistencanäle  durchgängig  tüi 
das  Endglied  des  Zeigefingers,  Anprall  beim  Husten. 

Operation  am  5.  Mai  1898  in  Narkose:  Typischer  Schnitt. 
Vena  spermatica  interna  bereits  in  zwei  Hauptstämme  gespalten. 
Resection  beider  in  der  Ausdehnung  von  10  cm.  Vier  tiefe  Muskel¬ 
nähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut.  Aseptischer  Compressions¬ 
verband  ohne  Drainage. 

Decursus:  Heilung  per  primam,  entlassen  am  17.  Mai,  Dauer 

des  Aufenthaltes  auf  der  Klinik  13  Tage. 

Revision  vom  Arzte  in  Nieuwersluis  am  27.  April  1899: 
Kein  Recidiv,  Hoden  beiderseits  normal,  keine  Vorwölbung  beim 
Husten,  Wohlbefinden. 

Fall  18.  Wiebe  de  H.  aus  Zeist,  24  Jahre  alt,  Bäckersknecht. 
P.-Nr.  301. 

Patient  hat  seit  l‘/2  Jahren  einen  rechten  Leistenbruch  und 
trug  seit  der  Zeit  ein  Bruchband.  Er  kommt  auf  die  Klinik  mit  dem 
Wunsche,  operirt  zu  werden. 


78 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


Status  praesens:  Rechts:  Hernia  inguinalis  indirecta 
reponibilis,  walnussgross,  Varikocele,  Bruchpforte  für  den  Zeigelinger 
durchgängig. 

Links:  Hernia  inguinalis  indirecta  interstitialis  reponibilis, 
Leistencanal  für  den  Zeigelinger  durchgängig.  Varikocele,  jedoch 
schwächer  als  rechts. 

Operation  am  1.  August  1898  in  Narkose:  Typischer  Schnitt 
auf  der  rechten  Seite.  Ligatur  und  Amputation  des  Bruchsackes. 
Resection  von  10  cm  aus  der  Vena  spermatica  interna.  Sechs  tiefe 
Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut.  Keine  Drainage. 
Aseptischer  Compressionsverband.  Links  wurde  nicht  operirt. 

Decursus:  Heilung  per  primarn,  entlassen  am  IG.  August, 
15  Tage  in  Behandlung  gewesen. 

Nach  dem  letzten  Berichte  vom  13.  März  1899  besteht  kein 
Recidiv,  keine  Vorwölbung  beim  Husten.  Hoden  normal.  Links  Hernia 
indirecta  reponibilis. 

Fall  19.  Philipp  D.  aus  Utrecht,  17  Jahre  alt,  Kleidermacher. 
P.-Nr.  313. 

Patient  wollte  zur  Marine,  wurde  jedoch  abgewiesen  wegen 
Krampfaderbruch  und  wünschte  die  Operation,  um  militärtauglich 
zu  werden. 

Status  praesens:  Links:  Hernia  inguinalis  indirecta 
reponibilis,  Leistencanal  für  den  Zeigefinger  durchgängig,  starke 
Varikocele. 

Rechts:  keine  Hernie,  Fingerspitze  kann  nicht  in  den  Leisten¬ 
canal  eindringen.  Venen  sehr  wenig  erweitert. 

Operation  am  21.  August  1898  durch  Dr.  L.  in  Narkose: 
Typischer  Schnitt.  Der  sehr  kleine  Bruchsack  wird  torquirt,  ligirt, 
amputirt.  Resection  von  Gern  aus  der  Vena  spermatica  interna.  Vier 
tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut.  Keine  Drai¬ 
nage,  aseptischer  Compressionsverband. 

Decursus:  Heilung  per  primarn,  entlassen  am  5.  September, 
15  Tage  in  Behandlung  gewesen. 

Revision  am  6.  März  1899:  Als  tauglich  befunden  für  den 
Militärdienst. 

Fall  20.  Johannes  M.  aus  Middelharnis,  17  Jahre  alt,  P.-Nr.  374. 

Patient  wurde  von  der  Stellungscommission  zurückgewiesen 
als  untauglich  wegen  eines  Krampfaderbruches.  Operation  wird  ver¬ 
langt,  um  in  den  Militärdienst  eintreten  zu  können. 

Status  praesens:  Scrotum  schlaff,  linke  Hälfte  viel  tiefer 
als  die  rechte.  Beide  Hoden  und  Nebenhoden  normal.  Links  Varikocele; 
Leistencanal  auf  beiden  Seiten  für  das  Endglied  des  Zeigefingers 
durchgängig,  keine  Hernie. 

Operation  am  19.  October  1898  in  Narkose.  Typischer 
Schnitt.  Resection: 

1.  vom  Stamm  der  Vena  spermatica  interna  (2  mm  dick)  in  einer 
Ausdehnung  von  5  cm; 

2.  von  einem  Seitenaste  der  Vene  (1 4/2  mm  dick)  in  einer  Länge 
von  2  cm; 

3.  von  Stückchen  aus  den  Venae  spermaticae  externae 
(l'/jmm  dick).  Die  Venen  sind  alle  noch  dünnwandig. 

Drei  tiefe  Muskelnähte,  Knopfnaht  der  Aponeurose  und  Haut. 
Aseptischer  Compressionsverband.  Gleich  nach  der  Operation  deutliche 
venöse  Stauung. 

Decursus:  Heilung  per  primarn,  entlassen  am  31.  October, 
11  Tage  in  Behandlung. 

Nach  eingelangtem  Bericht  vom  22.  April  1899  ist  Patient  von 
den  Militärärzten  als  tauglich  befunden  worden.  Der  Mann  dient  jetzt 
als  Soldat. 

Fall  21.  Jobs.  B.  aus  Utrecht,  27  Jahre  alt,  Arbeiter.  P.-Nr.  431. 

Der  Krampfaderbruch  wurde  vor  l‘/2  Jahren  zuerst  bemerkt, 
Patient  wünscht  die  Operation,  um  in  den  Militärdienst  treten  zu 
können.  Keine  Schmerzen. 

Status  praesens:  Varicocele  sinistra,  Füllung  der  Venen 
des  Plexus  pampiniformis  beim  Stehen  stark,  beim  Liegen  gering. 
Hoden  weich,  kleiner  als  auf  der  anderen  Seite.  Nebenhoden  normal. 
Leistencanal  für  das  Ertdglied  des  Fingers  durchgängig.  Rechts: 
Hoden  und  Nebenhoden  normal,  Leistencanal  sowie  links.  Hautvenen 
des  Scrotums  rechts  und  links  erweitert. 

Operation  am  20.  November  1898  in  Narkose:  Typischer 
Schnitt  Resection  der  Vena  spermatica  interna,  die  sich  hoch  theilt 
in  zwei  Stämme  (10 cm  Länge).  Auch  von  den  erweiterten  Venae 
s  p  e  r  ma  ticae  e  x  t  e  r  n  a  e  wird  je  ein  Stückchen  reseeirt.  Vier  tiefe 


Muskelnähte.  Knopfnaht  der  Aponeurosis  und  Haut.  Aseptischer 
Compressionsverband  ohne  Drainage. 

Decursus:  Heilung  per  primarn,  entlassen  am  12.  December 
mit  Suspensorium.  Spitalsaufenthalt  21  Tage.  Bei  der  Entlassung 
Hodensack  noch  schlaff,  Venen  viel  weniger  deutlich  zu  fühlen,  kein 
Unterschied  in  der  Venenfüllung  beim  Stehen  oder  Liegen. 

Nach  eingekommenem  Bericht  vom  27.  April  1899:  Patient  ist 
für  tauglich  befunden  worden  und  dient  jetzt  als  Matrose  bei  der 
königlich  niederländischen  Marine. 

Die  21  Patienten,  die  zur  Operation  kamen,  standen  im 
Alter  zwischen  15  und  33  Jahren.  (Es  hatten  ein  Alter  von 
15  Jahren  2,  von  17  Jahren  2,  von  18  Jahren  3,  von  19  Jahren 
2,  von  20  Jahren  3,  von  21  Jahren  1,  von  22  Jahren  2,  von 
23  Jahren  2,  von  24  Jahren  2,  von  27  Jahren  1  und  von 
33  Jahren  1)  die  meisten  vertheilten  sich  also  auf  die  Zeit 
zwischen  dem  17.  und  24.  Lebensjahre.  Die  Mehrzahl  der 
Patienten  gehörte  der  arbeitenden  Classe  an,  einige  wenige 
waren  noch  ohne  bestimmten  Beruf. 

Besonders  hervorhebeu  möchte  ich,  dass  zwei  Drittel  von 
meinen  Patienten  (genau  14  von  21)  von  der  Assentirungs- 
commission  bei  der  Stellung  wegen  des  Krampfaderbruches 
als  dienstuntauglich  abgewiesen  wurden.  13  von  den  14  ver¬ 
langten  direct  die  Operation,  um  als  Soldaten  in  die  Armee 
oder  Marine  aufgenommen  werden  zu  können.  Erwerbung  der 
Kriegstauglichkeit  war  also  bei  ihnen  die  Hauptindication  zur 
Operation,  denn  nur  2  von  den  13  hatten  grössere  Beschwerden 
von  ihrer  Varikocele.  Die  übrigen  8  Patienten  wünschten  die 
Operation  wegen  der  Beschwerden,  die  die  Varikocele  ver¬ 
ursachte.  (Einer  von  den  8  war  auch  bei  der  Stellung  als  un¬ 
tauglich  erklärt  wmrden.) 

Die  Varikocele,  die  operirt  wurde,  sass  20mal  links  und 
nur  einmal  rechts  (Fall  Nr.  18),  wobei  jedoch  besonders  be¬ 
merkt  werden  soll,  dass  in  diesem  Falle  auch  links  eine,  wenn 
auch  geringere  Varicocele  bestand. 

Eine  Combination  von  Hernie  und  Varikocele  lag  fünf¬ 
mal  vor  und  zwar  bei  Fall  Nr.  5,  15,  16,  18  (hier  auch  das¬ 
selbe  auf  der  anderen  Seite)  und  19.  Die  Hernie  war  einmal 
fast  faustgross,  einmal  eigross,  einmal  nussgross,  in  den  übrigen 
Fällen  noch  kleiner. 

Lipome  des  Samenstranges  wurden  in  den  Fällen  15 
(zwei  Stück)  und  16  exstirpirt.  Unter  den  Fällen,  die  ich  im 
Jahre  1899  operirt  hatte,  befand  sich  noch  einer,  bei  dem 
ich  nicht  weniger  als  drei  Lipome  mit  entfernt  habe.  Diese 
Samenstrang-Lipome  zeichneten  sich  alle  aus  durch  ihre  dünne 
langgestreckte  Form. 

Bei  den  meisten  Varikocelen  konnte  ich  den  Stamm  der 
Vena  spermatica  interna  auffinden  und  entweder  aus  diesem 
allein  oder  ausserdem  noch  aus  seinen  Seitenästen  ein  Stück 
reseciren.  Seltener  war  der  Hauptstamm  bereits  in  mehrere 
Seitenzweige  aufgelöst,  so  dass  ich  jenen  gar  nicht  zu  Gesicht 
bekam.  Aus  den  Venen  wurden  verschieden  grosse,  meist  je¬ 
doch  lange  Stücke  reseeirt,  das  kleinste  Stück  war  2  cm,  das 
grösste  15  cm  (Fall  13)  lang. 

Die  Venae  spermaticae  externae  wuirden  ausserdem  noch 
reseeirt  in  vier  Fällen  (Nr.  11,  15,  20,  21). 

Besonderes  Interesse  beansprucht  Fall  1 1,  welcher  zuerst 
nach  der  gewöhnlichen  Methode  operirt  wurde,  jedoch  ein  Re¬ 
cidiv  bekam.  Bei  der  zweiten  Operation,  die  nach  der  oben 
beschriebenen  Methode  vorgenommen  wurde,  sah  man,  dass 
vom  Hauptstamme  noch  zwei  dicke  Venen  ins  Scrotum  ab- 
stiegen,  die  bei  der  ersten  Operation  nicht  unterbunden 
worden  waren.  Leider  konnte  ich  später  über  den  Patienten 
keine  näheren  Nachrichten  mehr  bekommen. 

Was  nun  den  Wundverlauf  anbelangt,  so  kann  ich  be¬ 
merken,  dass  lomal  eine  tadellose  Heilung  per  primarn,  einmal 
eine  Heilung  per  primarn  mit  leichter  Reaction  (ohne  Eiter¬ 
bildung!),  einmal  eine  leichte  Stichcanaleiterung  in  der  Haut 
und  viermal  Heilung  per  secundam  eintrat. 

Vom  grössten  Interesse  sind  die  vier  letzten  Fälle,  bei 
denen  der  Wundverlauf  kein  günstiger  war.  Zwei,  nämlich 
Fall  12  und  13,  waren  hinter  einander  an  einem  Tage  operirt 
worden,  bei  beiden  musste  wegen  Stichcanaleiterung,  die  sich 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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in  die  Tiefe  fortsetzte,  die  Hautwunde  geöffnet  werden.  Die 
Wunden  granulirten  jedoch  bald  schön  und  verkleinerten  sich 
rasch.  Nach  23  Tagen  konnten  beide  Patienten  mit  einer 
kleinen  granulirenden  Wunde  entlassen  werden.  Beide  Fälle 
gaben  noch  ein  sehr  gutes  Resultat.  Der  eine  Mann  dient  als 
Soldat  in  der  indischen  Armee.  Schwerere  Eiterungen  traten 
auf  bei  Fall  2  und  5.  In  beiden  Fällen  mussten  die  Haut¬ 
wunden  geöffnet  werden  und  zog  sich  die  Heilung  in  die 
LäD<Te.  Bei  Nr.  2  kam  es  noch  zu  einer  Thrombose  der  Vena 
femoralis,  weshalb  der  Patient  57  Tage  in  Spitalsbehandlung 
blieb.  Schliesslich  heilte  noch  Alles  aus  und  Patient  ist  derzeit 
Berufssoldat.  Auf  Fall  5,  der  zur  Heilung  59  Tage  brauchte, 
komme  ich  gleich  zu  sprechen.  Nicht  unerwähnt  möchte 
ich  lassen,  dass  diese  vier  Fälle  von  Eiterungen  in  drei  kleinen 
Perioden  vorkamen,  in  denen  die  A\  undheilung  an  der  Klinik 
überhaupt  zu  wünschen  übrig  liess.  Die  im  Jahre  1899 
operirten  Fälle  sind  sämmtlich  per  primam  geheilt.  Was  den 
späteren  Zustand  der  operirten  Patienten  anbelangt,  so  konnte 
ich  leider  von  zweien  überhaupt  nichts  mehr  erfahren  (Fall  11 
und  15).  Von  den  restirenden  19  sind  7  als  militärtauglich 
befunden  worden  und  dieselben  dienen  theils  in  der  Land¬ 
armee,  theils  bei  der  Marine  (Fall  2,  8,  10,  13,  19,  20,  21). 

Alle  sieben  Patienten  waren  das  erste  Mal  wegen  V  ari- 
kocele  zurückgewiesen  worden.  Die  übrigen  zwölf  Patienten 
sind  mit  ihrem  Zustande  zufrieden.  Bios  einmal  (Fall  9)  konnte 
ich  noch  einen  leichten  Grad  von  Phlebektasie  im  Bereiche 
des  Plexus  pampiniformis  constatiren.  Der  Patient  scheint 
jedoch  eine  allgemeine  Prädisposition  für  Venektasien  zu  haben, 
denn  er  bekam  einige  Zeit  nach  der  Operation  der  Varikocele 
auch  noch  Erweiterungen  der  Venen  des  Scrotums,  Penis,  des 
Kopfes,  der  oberen  und  der  unteren  Extremitäten.  Wären  diese 
allgemeinen  Ektasien  früher  aufgetreten,  so  hätte  man  natür¬ 
lich  von  einer  Operation  der  Varikocele  abgesehen.  Immeihin 
ist  auch  bei  diesem  Falle  eine  sehr  erhebliche  Besserung  nach 
der  Operation  eingetreten.  In  allen  übrigen  Fällen  ist  die 
Varikocele  durch  die  Operation  zur  Heilung  gekommen  und 
falls  Beschwerden  vorhanden  waren,  sind  diese  verschwunden. 
Leistenhernien  oder  Schenkelhernien  traten  nicht  auf.  Die 
Scrotalhaut  verlor  ihre  Schlaffheit  und  umschloss  gut  die  hoch 
stehenden  Testikeln.  Der  linke  Testikel  stand  mit  dem  rechten 
entweder  in  gleicher  Höhe,  oder  er  befand  sich  bisweilen  sogai 
höher  als  dieser.  Besondere  Sorgfalt  Avurde  auch  auf  die  Unter¬ 
suchung  der  Testikel  verwendet.  In  einem  einzigen  Falle  konnte 
eine  Atrophie  des  linken  Hodens  nachgewiesen  werden  (Fall  5). 
Es  ist  das  jener  Patient  (siehe  oben),  bei  dem  eine  faust¬ 
grosse  Scrotalhernie  bestand,  der  Hoden  schon  früher  kleiner 
als  der  rechte  war  und  bei  dem  eine  länger  dauernde  Wund¬ 
eiterung  aufgetreten  ist.  Was  in  diesem  Falle  die  Hodenatrophie 
bedingte,  ist  schwer  mit  Sicherheit  anzugeben.  Es  wäre  möglich, 
dass  in  Folge  der  Entzündung  Thrombose  in  den  "V  enen  auf¬ 
getreten  ist.  aber  es  ist  auch  denkbar,  dass  unglücklicher 
Weise  bei  der  Isolirung  des  Bruchsackes  eine  Verletzung 
eines  wichtigen  Gebildes  des  Samenstranges  (Vas  deferens, 
Nerven.  Arterie?)  erfolgte,  ohne  dass  es  bemerkt  worden  war. 
Uebrigens  befindet  sich  der  Patient  sehr  wohl,  er  hat  weder 
Hernie  noch  Varikocele  und  kann  seinem  schweren  Berufe  als 
Eisenbahnarbeiter  ungehindert  nachgehen.  Er  ist  froh,  kein 
Bruchband  mehr  tragen  zu  müssen,  keine  Schmerzan  beim 
Arbeiten  zu  haben  und  ist  keineswegs  unglücklich  über  seine 
Hodenatrophie.  Alle  übrigen  Hoden  die  Aron  mir  odei  den 
Hausärzten  auf  mein  Verlangen  hin  nachuntersucht  wurden, 
sind  nicht  atrophirt. 

Zu  berichten  habe  ich  noch,  dass  bei  einem  f  alle  (Nr.  6) 
eine  dünnwandige,  sehr  diaphane  Hydrocele  tunicae  vaginalis 
propriae  aufgetreten  ist,  die  der  Patient  auf  ein  Trauma  zurück¬ 
führt.  Die  Hydrocele  macht  keine  Beschwerden.  Lydston1-) 
erwähnt,  dass  er  mehrmals  Hydrocelenbildung  nach  Varikocelen- 
operationen  beobachtet  hat.  Auch  in  der  älteren  Liteiatui 

findet  man  diesbezügliche  Angaben. 

Ueberblicken  wir  schliesslich  alle  Resultate,  so  müssen 
wir  sagen,  dass  sie  in  den  I  ällen,  wo  eine  Heilung  pei 


primam  aufgetreten  ist,  als  sehr  gute  zu  bezeichnen  sind. 
Auch  von  den  vier  Fällen,  die  per  secundam  heilten,  be¬ 
kamen  wir  schliesslich  noch  bei  dreien  ein  sehr  schönes 
Resultat,  während  blos  ein  einziger  wegen  Atrophia  testis  zu 
wünschen  übrig  lässt.  Dieser  Fall  (Combination  von  Varikocele 
mit  Plernia  scrotalis)  bleibt  aus  den  oben  angeführten  Gründen 
zweifelhaft  und  kann  nicht  ohne  Weiteres  gegen  die  genannte 
Varikocelenoperation  angeführt  werden. 

Bei  Durchsicht  der  mir  zur  Verfügung  stehenden  Literatur 
fand  ich,  dass  v.  Z  o  e  g  e  -  M  a  n  t  e  u  f  f  e  1  1!)  zAvei  fälle  \ron 
Varikocele  nach  Bassin  i’schem  Typus  operirt  hat,  jedoch 
ohne  die  Venen  zu  reseciren  oder  zu  ligiren.  Der  Autor  be¬ 
gnügte  sich  einfach  mit  der  Verlagerung  des  unverletzten 
Samenstranges  im  Sinne  der  Bassinischen  Operation  iüt 
die  Leistenhernie.  Der  Funiculus  spermaticus  Avird  dadurch 
verkürzt  (gewissermassen  durch  Faltung  oder  Schlingenbi ldung) 
und  die  absolute  Höhe  der  extraabdominellen  Blutsäule 
niedriger.  Auch  die  Druckhöhe  der  ganzen  Blutsäule  muss 
nothwendiger  Weise  geringer  werden  und  überdies  kommt 
der  Samenstrang  eine  Strecke  lang  intramuscular  zu  liegen. 
Von  den  ZAvei  operirten  Patienten  bekam  einer  (ein  46  Jahre 
alter  Bauer)  eine  partielle  Thrombose  im  Plexus  pampiniformis. 
In  beiden  Fällen  verschwanden  die  sehr  erheblichen  Be¬ 
schwerden  nach  der  Operation.  Im  ersten  Falle  konnte  man 
jedoch  noch  eineinhalb  Jahre  nach  der  Operation  einige 
dilatirte  Venen  nachweisen,  bezüglich  des  zweiten  Falles 
Averden  jedoch  keine  näheren  Angaben  über  den  späteren  Zu¬ 
stand  des  Plexus  pampiniformis  mitgetheilt.  Von  Zoege- 
M  an  teuf  fei  kann  die  Operation  als  ungefährlich  mit  gutem 

Gewissen  empfehlen. 

Utrecht,  27.  December  1899. 


Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof  v.  Mosetig- 
Moorhof  im  Allgemeinen  Krankenhause. 

Ueber  multiple  Dünndarmstenosen  tuberculösen 

Ursprunges. 

Von  Dr.  Sigmund  El’dheim,  emerit.  Assistent  der  Abtheilung. 

Nachdem  Hofmeister1)  im  Anschluss  an  einen  von 
ihm  operirten  Fall  von  multipler  tuberculöser  Dünndarm- 
strictur  die  bis  zum  Jahre  1896  veröffentlichten  Fälle  ge¬ 
sammelt  und  im  Ganzen  20  Fälle  (12  operirte  und  8  nicht 
operirte  Fälle)  von  multipler  Darmstrictur  zusammengestellt 
hat  hat  sich  die  Zahl  der  in  der  letzten  Zeit  von  chirurgischer 
Seite  mitgetheilten  Fälle  beträchtlich  vermehrt.  So  berichten 
T  r  o  j  e  2),  L  e  n  a  n  d  e  r  3),  S  t  r  e  h  1  4)  K  r  o  g  i  u  s  ")>  I  r  ä 11  k  ®  j 
Deppe7),  Matas8)  und  Guinard9)  über  je  einen  f  all 
und  Schnitzler10)  stellte  in  der  Sitzung  der  Gesellschaft 
derAerzte  vom  30.  November  1899  einen  geheilten  Fall  vor; 
ausserdem  erwähnt  Nothnagel1’)  drei  einschlägige  fälle 
ohne  die  detaillirten  Krankengeschichten  mitzuth eilen. 

Obwohl  die  Krankheit  nach  dem  einmüthigen  Ausspruche 
der  bisherigen  Beobachter  sehr  selten  ist  (Eisenhardt1-) 
fand  unter  566  Fällen  von  Darmtuberculose  achtmal  eine 
einfache  und  einmal  eine  zweifache  Darmstrictur)  hatte  ich 
Gelegenheit,  im  Laufe  einer  kurzen  Zeit  fünf  hierher  gehörige 
Fälle  zu  beobachten  und  zum  Theile  selbst  zu  operiren.  in 
vier  Fällen  war  der  Sitz  der  Stricturen  ausschliesslich  im  Dünn 
darm,  der  fünfte  Fall  war  mit  einer  stricturirenden  luber 
culose  des  Colon  ascend,  combinirt.  Die  Combination  mit  steno- 
sirender  Dickdarmtuberculose,  speciell  der  des  Cöcunis,  ist  ein 
mehrmals  beobachtetes  Zusammenti eilen.  Es  waien  ties,  aau 
aus  den  mitgetheilten  Beobachtungen  von  Billroth  ),  Ks 
march14),  Frank15)  u.  A.  hervorgeht,  grosstentheils  falle, 
die  wegen  der  Cöcumaffection  operirt  wurden  und  wo  wahrend 
der  Operation  oder  Obduction  die  allenfalls  geringgradige 
Stenosirung  des  Dünndarms  gefunden  wurde;  ähnlich  verhielt 
-  -  Falle.  —  Die  übrigen  vier  tal.e  er¬ 


es  sich  auch  in  unserem 


13)  W.  v.  Zoege-Manteuffei,  Zur  operativen  Behandlung  der 
•ikocele.  Sr.  Petersburger  mediciniscbe  Woehenschritt.  1.  Jb,  -  '• 


12)  L  y  d  s  t  o  n,  1.  c. 


feO 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


wiesen  sich  als  reine  Dünndarmstenosen  und  dies  sind  Fälle, 
welche  eine  gewisse  Sonderstellung  gegenüber  der  zuerst  er¬ 
wähnten  beanspruchen.  Trotz  der  gleichartigen  Aetiologie  ver¬ 
halten  sich  die  Dünndarmstenosen  den  anderen  gegenüber  im 
Verlaufe  anders,  sie  verlaufen  latenter  und  machen  erst  spät 
Stenosenerscheinuogen.  Der  Grund  hieftir  liegt  darin,  dass  der 
im  Dünndarm  noch  flüssige  Speisebrei  eine  relativ  enge 
Strictur  mit  Hilfe  der  Darmwandhypertrophie  noch  leicht  pas- 
siren  kann,  was  bei  der  dickeren  Beschaffenheit  des  Kothes 
im  Dickdarm  nicht  möglich  ist.  So  erwähnt  Litten16)  einen 
Fall,  wo  trotz  sechs  hochgradiger  Dünndarmstenosen,  zwischen 
welchen  der  Darm  zu  magenähnlichen  Säcken  ausgebreitet 
war,  intra  vitam  keine  Stenosenerscheinungen  bestanden,  weil 
in  Folge  der  gleichzeitig  vorhandenen  recenten  tuberculösen 
Geschwüre  der  Darminhalt  sehr  flüssig  war. 

Die  Fälle  kommen  daher  ziemlich  spät  zur  Operation, 
wenn  man  aber  in  der  Krankengeschichte  nachforscht,  findet 
man,  dass  die  ersten  Erscheinungen  von  kolikartigen  Schmerzen, 
welche  oft  falsch  als  Symptome  eines  einfachen  Darmkatarrhs 
gedeutet  werden,  auf  Monate  und  sogar  Jahre  zurück  zu 
datiren  sind. 

Ein  weiterer  Grund  der  späten  Erkenntniss  liegt 
in  der  erschwerten  Palpation  des  Dünndarmes;  Obrasztoff  l7) 
hat  zwar  eine  Methode  zur  Palpation  des  pathologisch  ver¬ 
änderten  Dünndarmes  angegeben,  welche  sich  auf  die  Tliat- 
sache  stützt,  dass  das  untere  Ileum,  welches  grösstentheils  der 
Sitz  von  tuberculösen  Veränderungen  ist,  ein  kurzes  Mesen¬ 
terium  besitzt  und  daher  bei  einiger  Uebung  die  infiltrirte 
Darmwand  in  der  Richtung  gegen  das  kleine  Becken  durch¬ 
gefühlt  werden  kann,  die--e  Methode  scheint  aber  dem  Gross 
der  Aerzte  nicht  bekannt  zu  sein  und  mehr  Uebung  zu  er¬ 
fordern,  während  die  Palpation  einer  Cöcalgescli wulst  auch 
dem  weniger  Geübten  gelingt. 

Für  diese  Sonderstellung  der  Diinndarmstricturen  gegen¬ 
über  den  Dickdarmstenosen  auf  Grund  der  eigenen  Sympto¬ 
matologie,  trotz  gleicher  Aetiologie,  ist  in  der  letzten  Zeit 
S  k  1  o  d  o  w  s  k  i 18)  warm  eingetreten. 

1.  M.  M.,  30jährige  Taglöhnerin,  wurde  am  15.  März  1897  von 
der  Abtheilung  des  Ilofrathes  Dräsche  zum  Zwecke  eines  opera¬ 
tiven  Eingriffes  zutransferirt. 

Anamnese:  Keine  Heredität  nachweisbar;  in  der  Kindheit 
Überstand  Patientin  Masern  und  vor  drei  Jahren  eine  fieberhafte 
Krankheit  von  achttägiger  Dauer;  über  die  Art  des  Leidens  kann 
Patientin  keine  Angaben  machen.  Andere  Erkrankungen,  speciell 
solche,  welche  auf  eine  Affection  der  Lungen  oder  des  Darmes  hin- 
weisen,  stellt  Patientin  in  Abrede. 

Die  gegenwärtige  Erkrankung  begann  vor  circa  vier  Jahren 
mit  hartnäckiger  Obstipation,  welche  der  Patientin  ziemlich  starke, 
in  der  rechten  Unterbauchgegend  localisirte  Schmerzen  verursachte 
und  die  nur  durch  fortgesetzten  Gebrauch  von  Laxantien  und  Klys¬ 
men  beseitigt  werden  konnten. 

Nachdem  Patientin  schon  früher  zeitweise  ein  Aufgetrieben¬ 
sein  des  Bauches  und  ein  hörbares  Gurren  und  Kollern  und  manch¬ 
mal  an  der  Bauchwand  sich  abzeichnende  und  sich  vorwärts  bewe¬ 
gende  Knollen  bemerkt  hatte,  traten  vor  neun  Monaten  die  Kolik¬ 
anfälle  heftiger  auf,  anfangs  in  monatlichen  Zwischenräumen,  später 
öfters  und  zuletzt  täglich  mehrmals  namentlich  nach  der  Nahrungs¬ 
aufnahme.  Die  sehr  verständige  Patientin,  welche  sich  genau  beob¬ 
achtete,  gab  an,  dass  die  Anfälle  mit  Schmerzen  in  der  rechten 
Bauchseite  eingeleitet  werden,  dann  entstehe  eine  Geschwulst,  welche 
unter  fortwährender  Zunahme  der  Schmerzen  in  querer  Richtung 
von  rechts  nach  links  sich  verschiebt,  bis  dann  unter  lautem  Gurren 
die  Geschwulst  plötzlich  zusammenfällt,  um  dann  in  einigen  Minuten 
wieder  zu  erscheinen.  Die  Anfälle  werden  oft  von  saurem  Aufstossen 
und  Erbrechen  gelb-grünlicher,  bitter  schmeckender  Massen  begleitet; 
nach  dem  Erbrechen  tritt  eine  Erleichterung  der  Schmerzen  ein,  ein 
vollständiger  Nachlass  kommt  erst  nach  dem  Stuhlgang  zu  Stande. 
Stuhl  ist  während  der  ganzen  Zeit  retardirt,  Patientin  ist  in  letzter 
Zeit  ziemlich  stark  abgemagert. 

Status  praesens:  Mittelstarke  Person  mit  geringem  Pan- 
niculus  adiposus.  Temperatur  und  Puls  normal. 


Am  Herzen  nichts  Pathologisches.  Ueber  den  Lungenspitzen 
hört  man  bronchiales  Athmen,  hinten  unten  vereinzelt  Giemen  und 
Schnurren. 

Abdomen  aufgetrieben,  kein  Flankenmeteorismus.  Auf  den 
geringsten  Reiz,  z.  B.  Beklopfen  des  Abdomens,  tritt  lebhafte  Peri¬ 
staltik  auf,  welche  die  Mitte  des  Abdomens  einnimmt,  daselbst 
meistens  quer  von  links  nach  rechts  und  umgekehrt  verläuft. 

In  der  Unterbauchgegend  sieht  und  fühlt  man  während  des 
Anfalles  die  tetanisch  gesteiften  Dünndarmschlingen,  bei  der  Palpation 
fühlt  man  hier  starkes  Plätschern. 

In  der  Gegend  des  Dickdarmes  keine  Peristaltik.  Das  die  Peri¬ 
staltik  begleitende  Gurren  ist  so  laut,  dass  man  es  im  ganzen  Zimmer 
deutlich  hört. 

Rectalbefund  normal.  Untersuchung  per  vaginam  ergibt  eine 
Verkürzung  des  rechten  Parametrium,  im  linken  ist  eine  kleine  harte 
Geschwulst  zu  fühlen. 

Im  Harn  kein  Eiweiss,  kein  Zucker,  Indican  stark  vermehrt. 
Stuhl  geformt  in  kleineren  und  grösseren  Knollen. 

Die  Diagnose  lautete  :  Chronische  Dünndarmstenose. 

Nach  der  üblichen  Vorbereitung  wird  am  18.  März  zur  Lapa¬ 
rotomie  geschritten. 

Nach  Eröffnung  des  Peritoneums  treten  stark  geblähte,  in  ihrer 
Wand  sehr  stark  hypertrophische  Darmschlingen  hervor. 

Process,  vermif.  adhärent,  enthält  einen  kleinen  Kothstein  und 
wird  resecirt,  dann  wird  die  linke  Tube  resecirt,  welche  am  Darm  adhä¬ 
rent  ist.  Am  lleum  drei  circuläre  Stricturen  mehr  weniger  für  einen 
Finger  durchgängig  und  centralwärts  davon  ein  über  walnussgrosser 
Tumor,  welcher  das  Lumen  des  Darmes  bedeutend  verengt  und 
welcher  bei  näherem  Zusehen  als  tuberculös  sich  erweist.  Die  Darm¬ 
wand  daselbst  infiltrirt.  Das  Netz  an  einer  Stelle  dieses  Tumors  ad¬ 
härent:  dasselbe  wird  abgetragen.  Die  Mesenterialdrüsen  vergrössert 
und  hart.  Es  wird  nun  eine  Enteroanastomose  zwischen  beiden  die 
Stenosen  begrenzenden  Dünndarmschlingen  ausgeführt,  die  Laparo¬ 
tomiewunde  in  drei  Etagen  vernäht. 

19.  März.  Patientin  ist  fieberfrei,  fühlt  sich  sehr  wohl,  kein 
Erbrechen.  Peristaltik  und  Schmerzen  vollständig  aufgehört. 

26.  März.  Es  erfolgt  spontan  und  ohne  Schmerzen  ein  reich¬ 
licher  breiiger  Stuhl. 

28.  März.  Entfernung  der  Nähte.  Prima  intentio.  11.  April  geheilt 
entlassen.  Vollständig  frei  von  Beschwerden. 

Im  Monate  December  1899  hatte  ich  Gelegenheit,  die  Patientin 
wieder  zu  sehen.  Sie  gab  an,  dass  sie  jetzt  als  Arbeiterin  in  einer 
Fabrik  beschäftigt  sei,  dass  sie  bis  vor  vier  Monaten  vollständig 
beschwerdefrei  war,  seit  einiger  Zeit  habe  sie  nach  dem  Genuss  von 
Kraut  und  anderem  Gemüse  Gurren  im  Bauche,  jedoch  ohne  die 
geringsten  Schmerzen.  Patientin  fühlt  sich  ganz  wohl,  sieht  gut  aus 
und  hat  an  Gewicht  zugenommen.  Abdomen  nicht  aufgetrieben, 
überall  weich  und  eindrückbar,  stellenweise  Plätschern  zu  fühlen. 
Stuhl  regelmässig  jeden  Tag  ohne  Nachhilfe. 

2.  M.  P.,  47  Jahre  alt,  Private,  wurde  am  26.  März  1897  auf¬ 
genommen. 

Die  Patientin  gibt  an,  dass  sie  schon  seit  längerer  Zeit  an 
Störungen  von  Seite  des  Darmes,  namentlich  an  Koliken  und  unregel¬ 
mässigem  Stuhle  leide;  in  den  letzten  acht  Tagen  sollen  die  Beschwerden 
sich  bedeutend  gesteigert  haben,  seit  dieser  Zeit  hatte  Patientin 
weder  Stuhl,  noch  Winde.  Seit  circa  drei  Tagen  leidet  Patientin  an 
Erbrechen  gelb-grünlicher  galliger  Massen  und  häufigem  Aufstossen. 

Status  praesens:  Patientin  ziemlich  schwächlich,  sehr 
stark  collabirt,  Temperatur  niedrig,  Puls  sehr  beschleunigt.  Augen 
halonirt,  Zunge  belegt;  während  der  Untersuchung  häufig  Singultus. 

Abdomen  sehr  stark  aufgetrieben,  gibt  lauten  tympanitischen 
Schall;  an  den  Seitentheilen  Dämpfung,  welche  bei  Seitenlage  sich 
aufhellt. 

Bei  Betrachtung  des  Abdomens  bemerkt  man  lebhafte  Peri¬ 
staltik  im  Bereiche  des  stark  geblähten  Dünndarmes.  In  der  rechten 
Fossa  iliaca  eine  deutliche  Resistenz  zu  fühlen,  deren  Consistenz 
wegen  der  starken  Spannung  der  Bauchdecken  und  der  bedeutenden 
Schmerzhaftigkeit  des  Abdomens  nicht  zu  bestimmen  ist. 

Die  Diagnose  lautete  auf  acuten  Darmverschluss  (Tumor  coeci) 
und  nachdem  ein  Einlauf  von  lauwarmem  Wasser  weder  Stuhl  noch 
Winde  beförderte,  wird  bald  nach  Eintreffen  der  Patientin  im  Spital 
zur  Laparotomie  geschritten,  welche  in  Anbetracht  des  bedeutenden 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


81 


Kräfteverfalles  der  Patientin  unter  S  chle  i  ch’scher  Localanästhesie  I 
vorgenommen  wird. 

Bei  Eröffnung  der  Peritonealhöhle  tliesst  eine  kleine  Menge 
klarer,  seröser  Flüssigkeit  ab.  Die  in  die  Wunde  sich  hinein  drängenden 
stark  geblähten  Dünndärme  sind  stark  injicirt.  Im  Anfangstheile  des 
Colon,  asc.  findet  sich  ein  ziemlich  harter,  mit  der  Unterlage  fest  ver¬ 
wachsener  Tumor,  der  Dickdarm  sonst  contrahirt  und  leer;  der  Dünn¬ 
darm  gebläht,  im  Bereiche  des  unteren  Ileums  zwei  Narbenein¬ 
schnürungen  zu  finden,  welche  ein  bedeutendes  Hinderniss  für  die 
Kothpassage  bilden.  Da  unter  diesen  Verhältnissen  an  eine  Resection 
des  Tumors  und  der  Stricturen  nicht  zu  denken  war  wurde  eine 
Enteroanastomose  zwischen  Ileum  und  Colon  ascendens  angelegt.  In 
der  Nacht  hatte  Patientin  Winde  und  drei  ausgiebige  Stuhlentleerungen, 
collabirt  jedoch  und  stirbt  am  27.  März  um  ’/ 28  Früh. 

Bei  der  Obduction  (Dr.  H  i  t  s  c  h  m  a  n  n)  fand  man :  Acute  fibri¬ 
nöse  Peritonitis  mit  ganz  frischen  Verklebungen  der  Darmschlingen, 
Anastomose  zwischen  Colon  ascendens  und  unterem  Ileum. 

Das  ganze  Ileum  mit  dem  Coecum  sehr  stark  gebläht,  das 
Colon  contrahirt.  Unmittelbar  über  dem  Coecum  sieht  und  fühlt  man 
einen  den  Darm  einschnürenden  Ring,  einen  zweiten  im  unteren 
Ileum  7  cm  vor  dem  Coecum,  einen  dritten  beiläufig  12  cm  von  der 
Cöcalklappe  entfernt.  Bei  Eröffnung  des  Darmes  findet  man  eine 
weite,  für  zwei  Finger  passirbare  Communication  zwischen  Colon 
ascend,  und  Ileum  hergestellt.  Die  erste  stricturirende  Stelle  sehr 
enge,  eben  nur  für  eine  dickere  Sonde  durchgängig,  entstanden  durch 
narbige  Veränderungen  nach  alten  geschwürigen  Processen.  Es  be¬ 
steht  ein  circa  thalergrosser  Defect,  die  Schleimhaut  gewulstet,  theil- 
weise  unterminirt.  Die  zweite  und  dritte  Strictur  zeigen  an  der 
Innenfläche  theils  noch  bestehende  quergestellte  Geschwüre  mit  un¬ 
ebenem  Boden  und  zackigen  Rändern,  theils  Geschwüren  ent¬ 
sprechende  Narben.  An  einzelnen  Geschwüren  die  tuberculöse  Natur 
erkennbar. 

Es  handelte  sich  also  hier  um  eine  chronische  Stenose,  mit 
hauptsächlichem  Sitz  im  aufsteigenden  Colon,  welche  in  den  letzten 
Tagen  zu  einem  vollständigen  Verschluss  geführt  hat.  Ob  dieser 
Verschluss  durch  ein  gröberes  Stückchen  Koth  erzeugt  wurde, 
konnte  nicht  festgestellt  werden,  da  aber  bei  der  Obduction  vor  der 
Strictur  nichts  Derartiges  gefunden  wurde,  ist  es  wahrscheinlich 
dass  der  Rest  des  Lumens  der  ohnedies  sehr  engen  Strictur  durch 
Entzündung  der  Schleimhaut  und  Krampf  der  Musculatur  verschlossen 
und  auf  diese  Weise  aus  der  chronischen  Strictur  ein  acuter  Darm¬ 
verschluss  erzeugt  wurde.  Gelegenheit  zur  Entzündung  und  conse- 
cutivem  Krampf  war  ja  genug  in  Folge  des  geschwürigen  Zerfalles 
an  der  Schleimhaut  gegeben. 

3.  E.  S.  33jährige  Taglöhnersgattin,  aufgenommen  am  4.  Sep¬ 
tember  1897.  Patientin  gibt  an  seit  drei  Jahren  Schmerzen  in  der 
Magengegend  zu  haben,  die  jedes  Mal  nach  dem  Essen  auftreten.  In 
der  letzten  Zeit  bekam  Patientin  auch  häufig  Erbrechen.  Der  Bauch 
soll  oft  sehr  stark  aufgetrieben  sein  und  wenn  die  Schmerzen  lange 
andauern,  bemerkt  die  Patientin  eine  buckelige  Auftreibung  des 
Bauches  an  verschiedenen  Stellen.  Seit  einigen  Monaten  besteht 
grosse  Schwäche  und  Appetitlosigkeit,  sowie  Schmerzen  in  der  rechten 
Bauchseite,  Stuhl  angehalten.  Vor  sechs  Jahren  wurde  auf  der  Klinik 
Schauta  eine  Ventrofixatio  uteri  ausgeführt. 

Status  praesens:  Patientin  mittelkräftig  gebaut,  abge¬ 
magert.  Temperatur  und  Puls  normal. 

Linke  Spitze  gedämpft,  daselbst  hauchendes  Exspirium  und  zeit¬ 
weise  klingendes  Rasseln  zu  hören.  Rechts  hinten  unten  Dämpfung 
drei  Finger  breit,  an  dieser  Stelle  abgeschwächtes  Athmen. 

Abdomen  bei  der  ersten  Untersuchung  nicht  aufgetrieben. 
Unterhalb  des  Nabels  eine  medial  gelegene  eingezogene  Narbe,  von 
der  Ventrofixatio  uteri  herrührend.  Im  rechten  Hypochondrium  eine 
Resistenz  zu  tasten,  daselbst  besteht  Empfindlichkeit  bei  etwas 
stärkerem  Druck;  ebenso  schmerzhaft  ist  auch  das  Eindrücken  der 
Bauchdecken  im  Bereiche  der  Narbe. 

Bei  der  folgenden  Untersuchung,  welche  einige  Stunden  nach 
dem  Mittagsessen  vorgenommen  wurde,  findet  man  das  Abdomen 
stark  gebläht,  mässig  druckempfindlich  und  nach  längerem  Palpiren 
bemerkt  man  rechts  und  links  von  der  Narbe  eine  buckelige  Er¬ 
hebung  der  Därme,  welche  sich  langsam  verschiebt  und  ohne  Gurren 
zu  erzeugen  nach  kurzer  Zeit  verschwindet;  Patientin  empfindet  da¬ 
bei  keine  besonderen  Schmerzen.  Bei  der  Palpation  des  Bauches 
Plätschern  zu  fühlen.  Dieser  Befund  wiederholte  sich  regelmässig 


nach  jeder  reichlichen  Mahlzeit.  Stuhl  täglich  auf  Irrigation.  In  diesem 
Falle  wurde  die  Diagnose  auf  chronische  Stenose  im  Bereiche  des 
Dünndarmes  gestellt,  und  es  waren  differentialdiagnostisch  eine 
Stenose  durch  Verwachsung  des  Darmes  in  Folge  der  vorausge¬ 
gangen  Laparotomie  und  in  Anbetracht  der  vorhandenen  Spitzen- 
tuberculose  eine  tuberculöse  Dünndarmstrictur  auseinander  zu  halten. 

Bei  der  am  9.  September  vorgenommenen  Laparotomie  fand 
man  an  zwei  Stellen  des  Ileums  in  einer  Entfernung  von  etwa 
40  cm  von  einander,  zwei  walnussgrosse  unregelmässig  höckerige 
Tumoren,  in  deren  Umgebung  kleine  grauweisse  Knötchen  zu  sehen 
waren.  Die  Tumoren  sprangen  auch  nach  innen  gegen  das  Lumen 
des  Darmes  vor  und  verengten  dasselbe  so  weit,  dass  bei  Einstülpung 
des  Darmes  der  Zeigefinger  die  verengte  Stelle  nicht  passiren  konnte. 
Die  Mesenterialdrüsen  vergrössert.  Der  Darm  centralwärts  von  den 
Stenosen  stark  hypertrophirt. 

Es  handelt  sich  also  um  eine  chronisch-hypertrophische  Tuber- 
culose  mit  Verengerung  des  Lumens  und  da  die  gleichzeitig  vor¬ 
handene  Infection  der  mesenterialen  Lymphdrüsen  eine  radicale 

Operation  fraglich  machte,  wurde  von  der  Resection  der  beiden  ver¬ 
engten  Stellen  Abstand  genommen  und  nur,  um  dem  Koth  freien 
Abfluss  zu  verschaffen  eine  doppelte  Enteroanastomose  —  vor  jeder 
Stenose  eine  —  angelegt. 

Der  weitere  Verlauf  war  ein  normaler.  Am  zehnten  Tage 

wurden  die  Nähte  entfernt  und  die  Patientin  wurde,  nachdem  sie 

an  Körpergewicht  zugenommen  hat  und  die  Schmerzen  und  die 

Peristaltik  aufgehört  haben,  am  3.  October  1897  geheilt  entlassen. 

Die  Nachuntersuchung  im  December  1899  ergab,  dass  die 
Schmerzanfälle  sich  nicht  mehr  wiederholt  haben,  jedoch  verspüre 
die  Patientin  manchmal  Kollern  im  Leibe  ohne  jeden  Schmerz. 
—  Bauch  nicht  auf  getrieben,  kein  Plätschern  —  Status  der  Brust¬ 
organe  unverändert. 

4.  M.  S.,  36jähriger  Maurergehilfe,  wurde  von  der  Abtheilung 
des  Primarius  Scholz  am  27.  Juli  1898  behufs  Operation  zu- 
transferirt. 

Anamnese:  Patient  war  mit  Ausnahme  einer  Lungenent¬ 
zündung  stets  gesund,  war  nie  darmleidend.  Seine  jetzige  Krankheit 
begann  am  17.  Februar  mit  heftigen  Bauchschmerzen,  welche  sich 
nach  zweitägiger  Stuhlverstopfung  einstellten;  der  Bauch  wurde 
dabei  hart  und  gespannt;  Patient  hatte  Aufstossen,  kein  Erbrechen. 

Es  bestand  Gurren  im  Bauch,  jedoch  keine  sichtbare  Peristaltik. 

Nach  dem  Anfalle  gingen  viele  Winde  ab  und  auf  Abführmittel 
trat  flüssiger  Stuhl  ein.  Die  Anfälle  wiederholten  sich  seit  dieser 
Zeit  wöchentlich  ein-  bis  zweimal,  indem  sie  am  Nachmittag  sich 
bereits  ankündigten  und  am  Abend  heftig  wurden.  Bei  den  späteren 
Anfällen  trat  oft  Erbrechen  auf.  Der  Appetit  zwischen  den  Anfällen 
ist  gut,  Stuhl  geformt  und  unregelmässig.  In  der  letzten  Zeit  magerte 
Patient  ein  wenig  ab. 

Urin  soll  oft  und  zwar  unabhängig  vom  Anfall,  trüb  sein. 

Status  praesens:  Ziemlich  kräftig  gebautes  Individuum ; 
Pannicul.  adip.  gering.  Temperatur  und  Puls  normal. 

Percussion  der  Lungen  ergibt  keine  Dämpiung,  bei  der  Aus¬ 
cultation  der  Lunge  hört  man  hinten  unten  Schnurren  und  Giemen. 

Die  Untersuchung  des  Abdomens  in  der  anfallsfreien  Zeit  ergibt 
eine  leichte  meteoristische  Auftreibung  desselben,  keine  Druck¬ 
empfindlichkeit,  nirgends  ein  Tumor  zu  tasten.  Rectalbefund  negativ. 

Im  Urin  eine  geringe  Vermehrung  des  Indicangehaltes. 

28.  Juli.  Circa  zwei  Stunden  nach  dem  Mittagessen,  wobei 
Patient  Hülsenfrüchte  bekam,  verspürte  er  heitige  Bauchschmerzen. 
Er  liegt  im  Bett  zusammen  gekauert  und  hat  Brechreiz;  Abdomen  in 
der  mittleren  Partie  sehr  stark  trommelartig  aufgetrieben,  äusserst 
druckempfindlich,  zeitweise  ist  Dünndarmperistaltik  zu  sehen. 

Unter  zunehmenden  Schmerzen  trat  Erbrechen  wässeriger  und 
schleimiger  Massen  ein.  Der  Anfall  dauert  in  wechselnder  Intensität 
circa  drei  Stunden  und  klingt  allmälig  ab. 

Nach  gehöriger  Entleerung  des  Darmes  wird  am  2.  August  in 
Chloroformnarkose  die  Laparotomie  vorgenommen,  dabei  winde  im 
unteren  Ileum  eine  circulare  Verengerung  des  Darmes  durch  eine 
Narbe  gefunden,  die  den  Darm  an  dieser  Stelle  kaum  für  einen  Blei¬ 
stift  durchgängig  machte.  Die  angrenzende  Darmpartie  hyper- 
trophisch. 

Resection  eines  circa  8  c m  langen  Dannstückes,  welches  m< 

I  Strictur  enthält  und  seitliche  Apposition  der  Därme  nach  v.  t  rey. 
An  einer  mehr  centralwärts  gelegenen  Partie  des  Dünndarms  bemerkt 


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W1ENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


man  cine  infiltrirto  Stelle,  welche  jedoch  noch  keine  besondere  Stenose 
verursacht. 

Die  Untersuchung  des  Präparates  ergab:  Narbige  Schrumpfung 
des  Darmes,  dessen  Lumen  auf  einer  circa  1  cm  langen  Strecke  bis 
auf  2—4  mm  Durchmesser  verengt  war.  An  der  Schleimhaut  des 
Darmes  zwei  kleine  Geschwürchen,  welche  eine  Folge  der  Koth- 
stauung  über  der  Strictur  zu  sein  scheinen.  Am  Durchschnitt  besteht 
die  stricturirte  Partie  aus  derbem,  faserigem  Gewebe,  welches  den 
Verdacht  auf  einen  Scirrhus  erweckt,  erst  die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  (Docent  Dr.  Albrecht)  ergab  mit  Sicherheit  Tuberculose. 

Der  weitere  Verlauf  war  ein  ungünstiger;  am  Tage  nach  der 
Operation  Fieber,  Morgens  38  3",  Abends  SO’Z0.  Puls  120— 150.  Patient 
erbricht  und  klagt  über  Schmerzen  im  Bauch. 

Unter  peritonitischen  Erscheinungen  trat  am  4.  August  der 
Exitus  ein. 

Die  Obduction  (Docent  Dr.  Albrecht)  ergab  Peritonitis, 
welche  von  den  Bauch  wandnähten  ausging,  die  Darmnaht  sufficient. 
Im  obersten  Ileum  einige  tuberculose  Geschwüre  im  Stadium  der 
Schrumpfung. 

5.  S.  S.,  27jährige  Private,  wurde  am  24.  October  1898  von  der 
Abtheilung  Primarius  Pal  zutransferirt. 

Patientin  gab  an,  im  achten  Lebensjahre  durch  zwei  Monate 
hindurch  an  einer  Lungenentzündung  (?)  gelitten  zu  haben,  seither 
hustet  Patientin  meist  trocken.  Vor  zwei  Jahren  bekam  Patientin 
eine  leichte  Hämoptoe,  ebenso  auch  vor  fünf  Monaten.  Kein  Fieber, 
keine  Nacht  sch  weisse. 

Vor  zwei  Jahren  erkrankte  Patientin  an  Magenkatarrh  und 
heftigem  Durchfall  und  seit  dieser  Zeit  begann  Patientin  abzumagern, 
das  Abdomen  nahm  bedeutend  an  Grösse  zu  und  wurde  schmerz¬ 
haft.  Dabei  litt  Patientin  auch  an  Aufstossen  von  übelrichenden 
Gasen  und  an  Erbrechen  von  Speiseresten  und  grossen  Mengen 
schleimiger,  sauer  schmeckender  Massen,  welches  sich  fast  täglich 
ein  bis  zweimal  wiederholte. 

Patientin  musste  stets  auf  der  linken  Seite  liegen,  da  bei 
Rechtslagerung  Uebelkeiten  und  Erbrechen  auftraten.  Der  Stuhl 
erfolgt  täglich  oder  jeden  zweiten  Tag  ohne  Nachhilfe,  ist  fest;  an 
den  verschieden  grossen  Knollen  soll  nichts  Besonderes  zu  bemerken 
sein.  Seit  drei  Monaten  ist  die  Aufblähung  des  Bauches  eine  besonders 
starke  und  ausserdem  treten  anfallsweise  heftige  Koliken  mit  Gurren 
im  Abdomen  auf.  Im  Anfalle  oft  Erbrechen,  das  Patientin  häufig 
durch  Kitzeln  des  Rachens  provocirt,  um  sich  eine  Erleichterung  zu 
verschaffen. 

Menses  seit  zwei  Jahren  cessirt. 

Status  praesens:  Sehr  gracil  gebautes  Individuum  in 
schlechtem  Ernährungszustände  (Gewicht  48 '/2  fy?  gegen  60 kg  vor 
zwei  Jahren),  Temperatur  und  Puls  normal.  In  der  rechten  Supra- 
claviculargrube  Narben  nach  anscheinend  tuberculöser  Lymphadenitis. 
Die  Fossae  supra-  und  infraclaviculares  sind  beiderseits  eingezogen, 
daselbst  der  Percussionsschall  gedämpft;  bei  der  Auscultation  bron¬ 
chiales  Exspirium,  spärliche  trockene  Rasselgeräusche  (Apicites 
bilateral). 

Abdomen  stark  gebläht,  hauptsächlich  in  der  mittleren  Partie, 
in  diesem  Bereiche  lebhafte  Peristaltik  sichtbar,  welche  von  links 
nach  rechts  etwas  schwächer  in  ungekehrter  Richtung  abläuft. 

Dabei  ist  ziemlich  lautes  Gurren  und  Plätschern  an  verschie¬ 
denen  Stellen  des  Abdomens  abwechselnd  zu  hören;  in  den  Flanken 
weder  Meteorismus  noch  Peristaltik.  Bei  der  Palpation  kein  Tumor 
zu  fühlen,  Rectalbefund  negativ. 

In  Anbetracht  der  auf  Jahre  hinaus  sich  erstreckenden,  in  der 
letzten  Zeit  zunehmenden  Beschwerden  wurde  die  Diagnose  auf 
chronische  progrediente  Stenose  des  Dünndarmes  gestellt  und  in 
gleichzeitiger  Berücksichtigung  der  früher  bestandenen  Tuberculose 
der  Drüsen  und  der  noch  bestehenden  Spitzentuberculose  wurde  als 
Aetiologie  dieser  Strictur  ebenfalls  Tuberculose  angenommen,  wobei 
wir  die  bei  den  früheren  Operationen  und  aus  den  in  der  Literatur 
niedergelegten  Fällen  geschöpften  Erfahrungen  uns  zu  Nutze 
machend  die  Vermuthung  ausgesprochen  haben,  dass  es  sich  um 
eine  »multiple«  tuberculose  Strictur  des  Dündarms  handeln  dürfte. 

Bei  der  am  27.  October  1898  vorgenommenen  Laparotomie 
wurde  diese  Diagnose  vollauf  bestätigt. 

Im  unteren  Ileum  fanden  sich  zwei  aus  tuberculösen  Geschwüren 
hervorgegangene  ringförmige  Einschnürungen,  von  welchen  eine  un¬ 
gefähr  handbreit  vor  der  Bauhin’schen  Klappe,  die  andere  circa 


20  cm  centralwärts  sass.  Der  Dünndarm  oberhalb  der  Einschnürungen 
stark  gebläht.  Im  Colon  mehrere  Tumoren  (Polypen?)  fühlbar.  Der 
mit  der  Umgebung  verwachsene  Process,  vermif.  wird  resecirt, 
worauf  eine  weite  Enteroanastomose  zwischen  lleum  und  Colon 
ascendens  angelegt  wird.  Naht  der  Bauchwand  in  drei  Etagen. 

Der  weitere  Verlauf  war  trotz  der  normalen  Temperatur  und 
des  normalen  Wundverlaufes  durch  geringe  Schmerzen  gestört, 
welche  sich  nach  der  Operation  einige  Male  wiederholt  hatten;  ein¬ 
mal  (16  Tage  nach  der  Operation)  soll  von  der  Patientin  vorübergehend 
Peristaltik  beobachtet,  worden  sein.  Die  sehr  ängstliche  Patientin, 
welche  sich  vor  einem  Recidiv  fürchtete  und  in  Folge  dessen  wenig 
Nahrung  zu  sich  nahm,  erholte  sich  sehr  schwer  und  wurde,  nachdem 
die  Beschwerden  in  den  letzten  Wochen  nicht  wiedergekehrt  sind, 
am  6.  December  geheilt  entlassen. 

Laut  schriftlicher  Mittheilung  befand  sich  Patientin  wohl,  hatte 
keine  Schmerzen  und  nahm  an  Körpergewicht  zu,  Stuhl  regelmässig 
jeden  Tag.  Seit  kurzer  Zeit  erbricht  Patientin  sehr  oft  grössere 
Mengen  Flüssigkeit  und  leidet  oft  an  Aufstossen;  gleichzeitig  damit 
stellte  sich  wieder  die  Abmagerung  ein.  ( »b  es  sich  hier  diesmal  um 
eine  hochsitzende  Strictur  oder  ein  anderes  Leiden  handelt,  ist  aus 
dem  mangelhaften  Berichte  der  Patientin  schwer  zu  entnehmen. 

Im  Anschlüsse  an  die  fünf  Krankengeschichten  möchte 
ich  mir  einige  Bemerkungen  anzuknüpfen  erlauben. 

Was  zunächst  die  Aetiologie  anbelangt,  waren  alle  fünf 
Fälle  secundäre  Infectionen;  in  drei  Fällen  konnte  intra  vitam 
ein,  wenn  auch  leichter,  tuberculöser  Process  der  Lunge  nach¬ 
gewiesen  werden  und  in  den  zwei  obducirten  Fällen  fand  man 
ebenfalls  chronische  schrumpfende  Spitzentuberculose. 

Was  weiters  die  Ausbreitung  des  Processes  in  der  Lunge 
anlangt,  darf  man  aus  der  Beobachtung,  dass  die  Darmtuber- 
culose  im  Allgemeinen  häutiger  bei  vorgeschrittener  Lungentuber- 
culose  mit  Cavernenbildung  vorkommt,  keinen  ähnlichen  Schluss 
auf  die  stricturirende  Tuberculose  des  Darmes  ziehen.  Da  es 
als  bekannt  vorausgesetzt  werden  darf,  welch  ungünstigen 
Einfluss  eine  vorgeschrittene  Lungentuberculose  auf  eine  gleich¬ 
zeitig  vorhandene  Darmtubereulose  und  vice  versa  ausübt  und 
da  die  tuberculösen  Darmstenosen  (zumindestens  die  Stricturen) 
einen,  wenn  auch  nicht  vollständig  ausgeheilten,  doch  wenigstens 
in  Ausheilung  begriffenen  Process  darstellen,  wird  bei  einiger 
Ueberlegung  daraus  der  Schluss  gezogen  werden  müssen,  dass 
eine  vorgeschrittene  Lungentuberculose  sich  nicht  oft  in  Ge¬ 
sellschaft  einer  stenosirenden  Darmtubereulose  finden  wird. 
Und  in  der  That,  wenn  man  die  veröffentlichten  Kranken¬ 
geschichten  der  stenosirenden  Darmtuberculose  durchschaut, 
findet  man  in  den  meisten  Fällen  nur  »Spitzenkatarrh,  leichte 
Dämpfung  an  den  Spitzen,  spärliche  Geräusche«  und  nur  in 
den  wenigsten  Fällen  Cavernen Symptome  verzeichnet. 

Strelil  (1.  c.)  fand  zwar  in  seinem  Fall  bei  der  Ob¬ 
duction  ausgedehnte  tuberculose  Herde,  aber  er  selbst  fügt 
als  Erklärung  dieser  Erscheinung  hinzu,  dass  es  sich  hier  um 
einen  ungünstigen  Einfluss  des  zur  Narkose  verwendeten 
Chloroforms  handelt,  da  vor  der  Operation  die  Cavernen  sicher 
nicht  bestanden  haben. 

Orth19)  vertritt  auch  die  Ansicht,  dass  Heilungen  von 
Darmtuberculose  hauptsächlich  in  Fällen  vorkomme,  welche 
sehr  chronisch  verlaufen  und  bei  welcher  die  Zahl  der  Ge¬ 
schwüre  eine  beschränkte  ist.  Die  Fälle  mit  vorgeschrittener 
Lungentuberculose  erleben  —  wenn  ich  mich  so  ausdrücken 
darf  —  ihre  Stenose  nicht. 

Wenn  wir  den  anatomischen  Befund  an  der  Strictur  ins 
Auge  fassen,  so  sehen  wir,  dass  es  sich  dreimal  um  Stricturen, 
welche  aus  ganz  oder  partiell  geheilten  tuberculösen  Ge¬ 
schwüren  hervorgegangen  sind,  handelt. 

Im  Falle  4  war  der  tuberculose  Process  an  dem  rese- 
cirten  Stück  so  weit  ausgeheilt,  dass  die  Diagnose  erst  mikro¬ 
skopisch  gestellt  werden  konnte.  In  zwei  Fällen  (1  und  2) 
hat  es  sich  um  die  sogenannte  hypertrophische  Tuberculose 
(Tuberculose  chronique  a  type  tumeur)  gehandelt.  Die 
dritte  Form ,  die  sogenannte  entzündliche,  von  welcher 
Strehl  (1.  c.)  ein  schönes  Beispiel  gebracht  hat,  konnten  wir 
nicht  mit  Sicherheit  constatiren.  Vielleicht  ist  Fall  2  ein  Bei¬ 
spiel  dafür. 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Was  mir  sowohl  in  meinen  Fällen,  wie  bei  Durchsicht 
der  Literatur  aufgefallen  ist,  ist,  dass  die  Stenosen  des  Dündarms 
iu  der  überwiegenden  Anzahl  frei  sind. 

Wir  sahen  nur  im  Falle  1  von  hypertrophischer  Tuber- 
culose  eine  Verwachsung  mit  dem  grossen  Netz  und  nur 
Krogius  (1.  c.)  und  Strehl  (1.  e.)  erwähnen  die  Lösung  von 
Netzsträngen  bei  der  Operation.  Dies  muss  um  so  eher  aui- 
fallen,  als  doch  die  tuberculöse  Infiltration  der  Wand  bis  an 
das  Peritoneum  heranreicht  und  dasselbe  oft  mitbetheiligt  ist 
und  im  Gegensätze  dazu  die  Cöcaltuberculose  so  oft  Ver¬ 
wachsungen  mit  dem  Netz  aufweist.  Ob  die  grosse  Beweglich¬ 
keit  des  Dünndarmes  die  Bildung  der  Adhäsionen  verhindert 
oder  ob  es  noch  andere  Gründe  dafür  gibt,  vermag  ich  nicht 
zu  entscheiden. 

Was  die  secundären  Veränderungen  an  den  centralwärts 
von  der  Strictur  gelegenen  Sehlingen  anbetrifft,  so  haben  wir 
in  allen  Fällen,  wo  die  Stenose  eng  war,  eine  beträchtliche 
Hypertrophie  der  Darmwand  gefunden,  da  es  sich  um  lauter 
chronische  Fälle  handelt. 

In  dem  Fall  1  und  3  war  aber  dieses  Verhalten  ab¬ 
weichend.  Während  bei  einer  einfachen  Strictur  die  Hyper¬ 
trophie  des  Darmes  in  abnehmender  Intensität  sich  auf  weite 
Strecken  centripetal  verfolgen  lässt,  wird  hier  die  Hyper 
trophie  durch  die  nächste  centralwärts  gelegene  Strictur  unter¬ 
brochen,  sie  hört,  nachdem  sie  centralwärts  immer  geringer 
wird,  unweit  von  der  nächsten  Strictur  ganz  auf,  also 
schon  in  einer  Entfernung  von  20 — 40  cm  von  der  Strictur, 
während  wir  aus  Erfahrung  wissen,  dass  eine  alte  Strictur  von 
ähnlicher  Enge  eine  Plypertrophie  auf  viel  weitere  Darm¬ 
strecken  erzeugen  würde.  Bei  der  nächsten  Strictur  wieder¬ 
holt  sich  dieser  Vorgang  und  es  hat  den  Anschein,  als  ob  die 
Strictur  mit  dem  centralwärts  von  ihr  gelegenen  Darmstück 
(bis  zur  nächsten  Strictur)  ein  System  bilden  würde,  welches 
allein  ohne  die  Betheiligung  des  übrigen  Darmes  genügt,  um 
die  vor  der  Strictur  gelegenen  Ivothmassen  durch  dieselbe  hin¬ 
durchzupressen.  Natürlicher  Weise  spielt  bei  diesem  Verhalten 
die  relative  Weite  der  Strictur  und  die  Entfernung  der  Stricturen 
von  einander  eine  wichtige  Rolle. 

Die  Diagnose  der  Multiplicität  der  Stricturen  haben  wir 
Mangels  der  Anhaltspunkte  für  dieselbe  in  den  ersten  Fällen 
nicht  gemacht  und  wir  waren  in  unserem  ersten  F  alle^  nicht 
wenig  überrascht,  als  beim  Vorziehen  des  Darmes  eine  Stenose 
nach  der  anderen  zum  Vorschein  kam.  In  den  späteren  Fällen 
verhalf  uns  die  Erfahrung,  die  wir  aus  den  ersten  Operationen 
schöpften,  dazu,  die  Vermuthung  auszusprechen,  dass  es  sich 
um  multiple  Stenosen  handeln  dürfte.  Trotzdem  aber  haben 
wir  in  einem  Falle  (3)  bei  der  Resection  der  Stenose  im  unteren 
Ileum  zwei,  glücklicher  Weise  sehr  geringgradige  \  erengerungen 
im  oberen  Ileum  übersehen;  dieselben  wurden  erst  bei  der  Ob- 
duction  entdeckt.  —  Eine  sichere  Diagnose  der  Multiplicität 
konnte  Krogius  (1.  c.)  in  seinem  Falle  stellen,  weil  er  drei 
Tumoren  palpiren  konnte,  von  denen  einer  dem  Cöcum,  die 
beiden  anderen  dem  Dünndarm  angehörten.  Strehl  (1.  c.) 
macht  in  seiner  Arbeit  auf  einen  Punkt  aufmerksam,  welchen 
er  für  Verwerthung  bei  der  Diagnose  der  multiplen  Strictur 

vorschlägt,  nämlich  die  zunehmende  Dauer  der  einzelnen 

Kolikanfälle,  welche  nicht  nur  auf  eine  zunehmende  Enge  der 
Strictur,  sondern  auf  die  zunehmende  Länge  der  stenosirten 
Partie  zu  beziehen  wäre. 

Ich  möchte  mir  noch  erlauben,  auf  eine  Ansicht 

Sklodowski’s  (l.  c.)  aufmerksam  zu  machen,  welche,  falls 
sie  sich  als  richtig  herausstellen  sollte,  für  die  sichere  Diagnose 
ver werth et  werden  könnte. 

Sklodowski  bemerkte  nämlich,  dass  der  Darm  zwar 
auf  weite  Strecken  vor  der  Strictur  Peristaltik  zeigt,  die  teta- 
nische  Steifung  der  Därme  hingegen  nur  knapp  vor  der 
Strictur  sichtbar  sei.  Es  wäre  daher  bei  Verdacht 

auf  multiple  Stenose  darauf  zu  achten,  ob  diese  tetanische 
Steifung  nicht  an  mehreren  Stellen  eintritt;  was  dann  die  Ver- 
muthungsdiagnose  unterstützen  würde. 

Unser  chirurgisches  Eingreifen  bestand  in  drei  I  allen  im  An¬ 
legen  einer  weiten  Comminicationsöllnung  zwischen  dem  ober¬ 
und  unterhalb  der  sichtbaren  Stenosen  sich  befindlichen  Darm- 


theil,  im  Falle  3  wurde,  um  nicht  zu  grosse  Strecken  des 
Darmes  auszuschalten,  an  zwei  Stellen  die  Lnteroanastomose 
angelegt.  Im  Falle  4,  wo  keine1  Infiltration  der  Mesenterial 
drüsen  gefunden  wurde,  wurde  die  Resection  eines  'circa  8  cm 
langes  Dünndarmstückes,  welches  die  Strictur  enthielt,  vorge¬ 
nommen.  Von  diesen  Eingriffen  ist  die  Resection  der  stenosirten 
Partie  zusammen  mit  den  vergrösserten  Mesenterialdrüsen  das 
eigentlich  radicale  Verfahren,  welches  in  allen  Fällen,  wo  keine 
Contraindication  in  dem  Collapse  des  Patienten  oder  in  der 
grossen  Ausbreitung  des  Processes  gegeben  ist,  eingeschlagen 
werden  sollte,  in  den  anderen  Fällen  ist  die  Anlegung  einer 
weiten  Communication  zwischen  zu  und  abführendem  Schenkel 
zu  empfehlen  und  da  es  sich  hier  an  und  für  sich  um  Fälle 
handelt  wo  der  tuberculöse  Process  entweder  bereits  geheilt 
ist  oder  zur  Heilung  und  Schrumpfung  neigt,  ist  von  einer 
Ableitung  des  Darminhaltes  von  der  afficirten  Partie  eine  Be¬ 
günstigung  der  Heilung  zu  erhoffen,  während  durch  die  Ope¬ 
ration  &die  den  Patienten  belästigenden  Symptome:  die  Kolik¬ 
anfälle,  das  Aufstossen  und  Erbrechen  fast  mit  einem  Schlage 
behoben  werden. 

Prof.  v.  Mosetig  betont,  dass  es  nothwendig  sei,  um 
diesen  Erfolg  prompt  zu  erzielen,  die  Communicationsöffnung 
sehr  weit  zu  machen,  es  wird  daher  auf  unserer  Abtheilung 
stets  darauf  geachtet,  dass  die  Oeffnung  mindestens  für  zwei 
Querfinger  durchgängig  sei  und  ausserdem  wird,  um  einer 
eventuellen  späteren  Verengerung  dieser  Oeffnung  vorzubeugen, 
immer  eine  fortlaufende  Schleimhautnaht  angelegt.  Auf  diese 
Weise  ist  es  uns  in  allen  Fällen,  mit  Ausnahme  des  Falles  5, 
gelungen,  die  Schmerzanfälle  sofort  zu  beheben. 

Hingegen  ist  das  Plätschern  in  der  vor  der  Strictur  ge¬ 
legenen  Schlinge  noch  einige  Zeit  hindurch  nachzuweisen,  weil 
dasselbe  von  der  Ausdehnung  des  Darmes  abhängig  ist,  welche 
zwar,  ähnlich  wie  die  Hypertrophie,  sich  zurückbildet,  jedoch 
hiezu  einer  längeren  Zeit  bedarf. 


Literatur. 

1)  Hofmeister,  Ueber  multiple  Darmstenosen  tuberculösen  Ur¬ 
sprunges.  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XVII. 

2)  Tr  oje,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1897. 

3\  Lenander,  Ein  Fall  von  multiplen  tuberculösen  Stenosen  im 
Ileum  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  32. 

4)  Strahl,  Ein  Fall  von  löfacher,  zum  Theile  spastisch-entzünd¬ 
licher  Darmstenose  tuberculösen  Ursprunges.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie. 

L  5)  Krogius,  Ein  Fall  von  multiplen  stenosirenden  tuberculösen 
Darmtumoren.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LII. 

6)  Fraenkel,  ref. :  Schmidt’s  Jahrbücher.  1898,  Bd.  CCLV1I. 

7)  Deppe,  Multiple  tuberculöse  Stricturen.  Inaugural-Dissertation. 

Referiit:  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  39.  _ 

8)  M  a  tas,  Multiple  strictur  of  probatle  tubercular  orig.  Philadelphia, 
medic,  journal.  1898.  Referirt:  Centralblatt  für  Grenzgebiete  der  Medicin 

und  Chirurgie.  1899,  Nr.  20.  . 

9)  Guinard,  lietrecissements  tbc.  de  Tintestin.  Bull,  et  memoir. 

de  la  Societe  de  Chir.  de  Paris.  1899.  Nr.  12. 

10)  Schnitzler,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  49, 

pag.  1241. 

it)  Nothnagel,  Die  Erkrankungen  des  Darmes  und  des  Peritoneum. 

Specielle  Pathologie  und  Therapie.  Wien  1898. 

12)  Citirt  nach  Conrath,  Chronische  Tuberculöse  des  Cöcums.  Bei¬ 
träge  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XXI. 

m  Billroth,  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XLIIT. 

14)  Esmarch  (Mockenhaupt.)  Zwei  Fälle  von  Darmtuberculose  mit 
Stenose.  Inaugural-Dissertation.  Kiel  1894.  Citirt  nach  Com ath. 
io)  Frank,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1892. 

16)  Litten,  Zur  Diagnostik  der  Flüssigkeitsansammlungen  im 
Abdomen  nebst  Bemerkungen  über  ileusartige  Zustände  in  lolge  tuberculösei 
Darmstenosen.  Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  II,  pag.  ÖL. 

17)  o  b  r  a  s  z  t  o  f  f,  Zur  Diagnose  des  Blinddarmcarcinoms,  der 
Cöcumtuberculose  und  der  Ileumtuberculose.  Archiv  für  Verdauungskrank- 

Bd.  IV.  ,  , 

>8)  Sklodowski,  Ueber  chronische  Verengerung  des  Dünndarmes 
Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie.  Bd.  \  , 

Heft  3.  .  1lJ8n 

m  Orth.  Lehrbuch  der  speciellen  pathologischen  Anatomie,  trfw. 


Zur  Technik  der  Gastrostomie. 

Von  Dr.  Robert  Lucke  in  Altenburg. 

Unter  den  Methoden  der  Gastrostomie  haben  wohl  heut 
zutage  diejenigen,  welche  auf  dem  Princip  der  Lanaltistel 
bildung  am  Magen  beruhen,  als  die  bei  genügender  Leistungs- 


84 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


fähigkeit  einfachsten,  die  meisten  Anhänger  gefunden.  Ein¬ 
geführt  hat  das  Princip  Witzei  mit  seiner  Schrägcanalfistel1); 
später  erkannte  man,  dass  es  auf  den  Schräg  canal  weniger 
ankommt  und  jetzt  darf  von  den  auf  dem  erwähnten  Princip 
fassenden  Methoden  die  Kader’sche2)  als  die  beste  gelten. 
Ich  möchte  nun  im  Folgenden  eine  ebenfalls  auf  diesem 
Princip  beruhende  Methode  beschreiben,  welche  sich  durch 
Einfachheit  und  Schnelligkeit  in  der  Ausführung  empfiehlt, 
ohne  in  der  Function  hinter  den  anderen  Verfahren  zurück¬ 
zustehen. 

Ich  gehe  so  vor: 

4 — 8  cm  langer  Schnitt  im  linken  Musculus  rectus  ab¬ 
dominis  vom  Rippenbogen  abwärts. 

Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  —  das  Peritoneum  nebst 
der  hinteren  Rectusscheide  wird  in  möglichst  geringer  Aus¬ 
dehnung  eingeschnitten  —  wird  der  Magen  vorgezogen  und  eine 
kreisförmige  Partie  desselben  im  Magenkörper,  mehr  nach  dem 
pvlorischen  Theil  als  nach  dem  Fundus  zu,  mittelst  Tabaks¬ 
beutelnaht,  welche  nur  Serosa  und  Muscularis,  aber  breit  fasst, 
umgangen.  Die  Naht  wird  nicht  angezogen,  die  Enden  des 
Fadens  bleiben  lang.  Die  umnähte  Stelle  hat  etwa  einen 
Durchmesser  von  3  c?n,  die  Naht  nähert  sich  der  grossen 
Curvatur  auf  ungefähr  2 — 3  cm.  Jetzt  wird  in  der  Mitte  der 
Partie  ein  Troicart,  welcher  etwas  dünner  als  ein  Bleistift 
ist,  eingestossen;  dabei  muss  man  darauf  achten,  nicht  die 
hintere  Magenwand  zu  verletzen.  Um  den  Austritt  von 
Mageninhalt  zu  verhüten,  schliesst  man,  ehe  man  den  Troi¬ 
cart  wieder  auszieht,  durch  Assistentenfinger  oder  Klemmen 
den  übrigen  Magen  ab.  In  das  gesetzte  Loch  wird  ein  blei¬ 
stiftdickes  Gummirohr  auf  Fingerlange  in  den  Magen  ein- 
gcschoben.3)  Das  '/2  m  lange  Rohr  ist  an  seinem  äusseren  Ende 
zugebunden  oder  abgeklemmt. 

Wenn  das  Rohr  gut  liegt,  ist  von  der  Mucosa  nichts 
sichtbar,  eventuell  muss  man  kleine  Stücke  derselben  mitScheere 
und  Pincette  abtragen  oder  das  Loch  im  Magen  durch  Naht 
verkleinern,  jedenfalls  muss  das  Rohr  fest  in  dem  Magenloch 
liegen.4)  Es  ist  daher  rathsam,  von  vornherein  die  Oeffnung  nicht 
grösser  als  eben  nöthig  zu  machen.  Jetzt  wird  die  Tabaks¬ 
beutelnaht,  während  das  Drainrohr,  beziehungsweise  die  Gegend 
des  Magenloches  mit  stumpfer  Sonde  oder  Pincette  in  die 
Tiefe  gedrückt  wird,  langsam  und  gleichmässig  angezogen, 
bis  das  Drainrohr  fest  umschlossen  ist,  dann  wird  die  Naht 
geknüpft.  In  einer  Entfernung  von  72em  von  dieser  Naht 
wird  eine  gleiche,  das  Parietalperitoneum  und  die  Magen-Serosa 
und  Muscularis  fassende  angelegt  und  ebenfalls  nicht  eher  ge¬ 
knüpft,  als  bis  sie  das  Rohr  fest  umschliesst.  Nur  wenn  das 
Peritoneum  zu  straff  ist,  muss  man  es  durch  Knopfnähte 
rings  um  die  Canalfistel  herum  mit  dem  Magen  vernähen. 
Falls  das  Peritoneum  noch  nicht  völlig  verschlossen  ist,  ge¬ 
schieht  das,  dann  Schluss  der  übrigen  Wunde.  Nur  im  Fall, 
dass  Mageninhalt  während  der  Operation  ausgetreten  ist, 
werden  an  dem  Rohr  entlang  rings  um  dasselbe  herum  feine 
Mullstreifen  bis  zum  Peritoneum  geführt,  sonst  aber  auch  die 
Haut  so  um  das  Rohr  vernäht,  dass  keine  Lücke  bleibt.  Ueber 
das  Rohr  wird  eine  kreisförmig  zugeschnittene  Schicht  von 
steriler  oder  Airolgaze  gestreift,  welche  mit  Collodium  oder 
Heftpflaster  befestigt  wird.  Obgleich  das  Rohr  nicht  leicht  in 
den  ersten  Tagen  herausgeht,  thut  man  doch  gut,  es  durch 
Sicherheitsnadel  oder  ähnlich  zu  fixiren.  Nach  einer  Woche 
wird  das  Rohr  zum  ersten  Male  entfernt  und  weiterhin  wöchent¬ 
lich  einmal.  Ich  hoffe,  dass  sich  diese  kleine  Modification  des 
K  n  d  e  r’scken  Verfahrens  hier  und  da  Freunde  erwirbt. 

')  Centralblatt  für  Chirurgie.  1891,  Nr.  32. 

-)  Centralblatt  für  Chirurgie.  1896,  Nr.  28. 

3)  Die  Einführung  des  Schlauches  erleichtert  man  sich  dadurch,  dass 
die  Magenwunde  mit  zwei  feinen  stumpfen  Häkchen  auseinander  gehalten 
wird;  der  Schlauch  wird  zusammengefaltet  mit  der  Pincette  eingeschoben 
oder  über  eine  Sonde  ausgezogen  nach  v.  Hacker’s  Vorgang. 

4)  Der  Sicherheit  halber  kann  man  auch  das  Rohr  am  Rande  der 
Magenöft'nung  mit  zwei  Catgut  nähten  befestigen,  jedoch  dürfen  die 
Fäden  weder  in  das  Lumen  des  Magens,  noch  in  das  des  Rohres  ein- 
dringen  (vgl.:  Centralhlatt.  1896,  pag.  666). 


FEUILLETON. 

Bemerkungen  zur  neuen  Rigorosen-Ordnung. 

Von  Prof.  Albert,  vorgetragen  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 

am  19.  Januar  1900. 

Die  Unterrichtsverwaltung  hat  unserer  Gesellschaft  eine  sehr 
schätzenswerthe  Aufmerksamkeit  erwiesen,  indem  sie  die  Bedeutung  der 
soeben  eingeführten  neuen  Studien-  und  Prüfungsordnung  für  Mediciner 
vor  uns  darlegen  liess  uud  durch  hochansehnliche  Vertreter  der  Sitzung 
einen  hier  ungewohnten,  ich  möchte  sagen  festlichen  Charakter  ver¬ 
liehen  hat.  Der  Dank  hiefür  darf  nicht  nur  ein  formeller  sein;  er 
muss  auch  darin  seinen  Ausdruck  finden,  dass  wir  die  angeregte  Dis¬ 
cussion  innerhalb  rücksichtsvoller  Grenzen  führen.  Ich  habe  schon  bei 
der  Stellung  des  Antrages  auf  eine  Discussion  dies  bedacht  und  die 
Linien  angedeutet,  welche  den  Inhalt  der  Discussion  einschliessen 
sollen.  Die  einstimmige  Annahme  meines  Antrages  bedeutet  wohl  eine 
Zustimmung  auch  zu  dieser  Rücksichtnahme. 

Was  zunächst  den  Gesammteindruck  der  neuen  Studien-  und 
Prüfungsordnung  betrifft,  so  will  ich  im  Voraus  sagen,  dass  sie  sehr 
viel  Gutes  enthält,  einestheils  indem  sie  einzelne  crasse,  unheilvolle 
Einflüsse  der  Studienordnung  vom  Jahre  1872  behebt,  andererseits 
manche  Fortschritte,  welche  diese  enthielt,  in  entschiedener  Weise  noch 
weiter  entwickelt. 

Die  Studienordnung,  unter  welcher  wir  älteren  Mitglieder  stu- 
dirten  und  geprüft  wurden,  hatte  einen  Hauptübelstand,  der  sich  in 
einem  Satze  zusammenfassen  lässt.  Es  konnte  irgend  Jemand  Doctor 
der  Medicin  werden,  ohne  je  eine  Leiche  eröffnet,  ja  unter  Umständen 
auch  ohne  je  einen  Kranken  auf  der  Klinik  gesehen  zu  haben.  Es 
wurde  nur  am  grünen  Tische  geprüft. 

Die  Studienordnung  vom  Jahre  1872  schaffte  diese  Möglichkeit 
ab,  indem  sie  praktische  Prüfungen  einführte. 

Aber  sie  hatte  drei  grosse  Uebelstände  eingeführt.  Der  eine 
bestand  in  der  Einführung  der  Vorprüfungen  aus  den  drei  Fächern 
der  Naturgeschichte. 

Dieser  Uebelstand,  der  so  oft  besprochen  wurde,  dass  ich  auf 
ihn  nicht  näher  eingehen  will,  verdarb  den  Anfang  des  Studiums.  Statt 
sich  im  ersten  Studienjahre  mit  Anatomie  und  Chemie  zu  beschäftigen, 
suchten  die  besseren  Köpfe  die  Vorprüfungen  rasch  abzulegen  und 
vergassen  in  wenig  Wochen  das  rein  „eingebüffelte“  Lehrmateriale. 
Der  zweite  Uebelstand  lag  darin,  dass  man  das  erste  Rigorosum  in 
einer  beliebigen  Zeit  ablegen  durfte.  Wiederum  hatten  die  besten 
Studenten  einen  Nachtheil  davon  und  naturgemäss  auch  die  grosse 
Zahl  des  mittelguten  Studentenmateriales.  Statt  sich  mit  den  klinischen 
Fächern  näher  zu  beschäftigen,  legten  die  Studenten  das  Rigorosum 
ab;  Vormittags  besuchten  sie  die  Kliniken,  Nachmittags  und  Abends 
studirten  sie  aber  Anatomie,  Physiologie  und  Chemie  nebst  Physik. 

Der  dritte  Uebelstand  betraf  mehr  das  unter werthige  Studenten¬ 
material.  Da  nur  zehn  Stunden  wöchentlich  obligat  waren,  so  schrieben 
sich  viele  Studenten  oft  in  die  wichtigsten  Fächer  gar  nicht  ein.  Sie 
benützten  die  Lernfreiheit.  Schon  vor  Jahren  äusserte  man  sich  hier¬ 
über  in  damals  abveriangten  Gutachten  sehr  missfällig.  „Eine  Freiheit, 
deren  Benützung  man  Niemandem  anempfehlen  kann“,  sagte,  glaube 
ich,  Hofrath  Schnabel  damals,  „ist  gar  nichts  wTerth“.  Damals  konnte 
man  noch  die  Kritik  hören,  dass  die  Professoren  gegen  nur  zehn 
Stunden  blos  darum  seien,  um  höhere  Collegiengelder  herauszuschlagen. 
Aber  heute  muss  auch  diese  Kritik  verstummen,  da  ja  der  Bezug  des 
Collegiengeldes  durch  die  Professoren  principiell  abgeschafft  ist. 

Diese  Uebelstände  schafft  die  neue  Ordnung  ab  und  das  sind 
ganz  bedeutende  Errungenschaften.  Da  ich  nicht  nur  Referent  des 
medicinischen  Professorencollegiums  war,  sondern  auch  an  der  Enquete 
betheiligt  war,  so  kann  ich  auch  persönlich  meine  grösste  Befriedigung 
aussprechen,  dass  diese  unsere  Anträge  von  der  hohen  Regierung  an¬ 
genommen  wurden.  In  dem  Punkte  der  Vorprüfungen  war  die  Sache 
nicht  ganz  leicht. 

Auch  die  Erweiterung  der  Prüfungsgegenstände,  einerseits  näm¬ 
lich  die  Einführung  praktischer  Prüfungen  aus  einzelnen  theoretischen 
Fächern,  andererseits  die  Einführung  der  Prüfung  aus  gewissen  ganz 
neuen  Fächern  muss  als  entschiedener  Fortschritt  bezeichnet  werden, 
und  auch  hier  müssen  wir  Freude  empfinden,  dass  die  fachmännischen 
Anträge  angenommen  wurden. 

Es  kann  nun  nicht  Gegenstand  einer  Verhandlung  im  Schosse 
unserer  Gesellschaft  sein,  zu  bestimmen,  ob  dieser  oder  jener  Punkt 
der  neuen  Ordnung  diesem  oder  jenem  Standpunkte  zusage  oder  nicht. 

Wie  ich  schon  in  der  vorigen  Sitzung  andeutete,  wären  hier 
vor  Allem  drei  Punkte  ins  Auge  zu  fassen,  zu  deren  Erörterung  dei 
Vortrag  des  Herrn  Hofrathes  Einer  Anregung  gab,  deren  Beleuch¬ 
tung  hier  ein,  glaube  ich,  legitimes  Forum  vorfindet. 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


85 


I.  Die  Stellung  des  Arztes  zu  Unterrichtsfragen  im 

Allgemeinen. 

Meine  Herren!  Während  der  ärztliche  Stand  in  unseren  Tagen 
in  einen  Kampf  um  die  materielle  Existenz  hineingeräth  und  man  den 
angehenden  Medieiner  aufmerksam  machen  könnte,  er  fange  nicht  ein 
Brotstudium,  sondern  vielleicht  ein  Hungerstudium  an,  muss  es  uns 
einigermassen  trösten,  dass  auf  der  anderen  Seite  Fragen  auf  die  Tages¬ 
ordnung  gelangen,  welche  die  Wichtigkeit  des  ärztlichen  Standes  für 
das  allgemeine  Wohl  in  helles  Licht  setzen.  Es  ist,  als  ob  die  uralte 
Heilkunde,  die  gerade  in  unseren  Tagen  positive  und  wichtige,  unbe¬ 
strittene  Erfolge  aufzuweisen  hat,  zu  den  Einzelnpatienteu  sagen  würde  : 
„Mein  Lieber!  Wenn  Du  Dich  von  Naturheilkünstlern,  Handwerkern, 
Dienstboten  u.  dgl.  behandeln  lassen  willst,  so  ist  das  Deine  Sache; 
wir  stehen  nicht  darauf  an.  Aber  das  Allgemeinwohl  und  das  Wohl  des 
Anderen  darf  nicht  gefährdet  werden.  Und  dieser  Andere  wird 
sprechen.  Und  in  seinem  Namen  auch  der  Staat.“ 

Es  werden  neue  Agenden  des  ärztlichen  Standes  geschaffen 
werden.  Und  zu  diesen  Agenden  wird  auch  die  Agende  des  künftigen 
Schularztes  gehören. 

Bei  uns  erscheinen  ab  und  zu  schon  Artikel,  welche  sich  mit 
Entwürfen  über  die  Agenda  eines  künftigen  Schularztes  befassen.  In 
einem  solchen  Entwürfe  las  ich  den  Paragraphen:  „Der  Schularzt  sei 
zu  Beginn  des  Schuljahres  jener  Lehrerconferenz  beizuziehen,  in 
welcher  die  Stundeneintheilung  getroffen  wird,  um  geltend  zu  machen, 
ob  diese  in  einzelnen  Punkten  nicht  hygienische  Bedenken  hervorrufen“. 
Wenn  schon  bei  dem  jetzigen  Stande  des  Unterrichtes  derlei  Be 
denken  wachgerufen  werden  können,  um  wie  viel  mehr  wird  es  in  der 
Zukunft  möglich  sein,  wenn  in  dem  Elementarunterrichte  jene  grossen 
Reformen  eingeführt  werden,  auf  welche  das  Denken  der  Zeit  noth- 
wendig  führen  muss. 

Seit  Jahren  habe  ich  in  Gesprächen  mit  Lehrern  und  Beamten 
des  Unterrichtsressorts  folgendes  Beispiel  angeführt.  Man  gibt  den 
Schülern  die  Aufgabe:  Beschreibung  eines  Frühlingsmorgens.  Hat  man 
je  gesehen,  dass  ein  Lehrer  mit  seiner  Classe  an  einem  Morgen  hinaus¬ 
geht,  um  ihnen  die  Beobachtung  der  Natur  praktisch  zu  zeigen?  Es 
wurde  mir  geantwortet,  da«s  die  in  diesem  Beispiele  angedeutete  Ge¬ 
dankenrichtung  in  dem  Unterrichtssysteme  von  Haufe  weit  aus¬ 
greifender  und  eingehender  durchgeführt  erscheint;  aber  die  Sachen 
seien  nicht  reif.  Da  wurde  ich  in  der  letzten  Sitzung,  wo  ich  hinwies, 
dass  unser  ganzes  Unterrichtssystem  an  dem  Uebermasse  des  „Wortes“ 
leide,  aufmerksam  gemacht  auf  ein  soeben  erschienenes  Werk,  aus 
welchem  ich  nur  folgende  Sätze  citire: 

a )  Wo  wir  die  Kinder  Tugenden  lehren  wollen,  lassen  wir  sie 
nicht  handeln,  sondern  sprechen  zu  ihnen  Worte. 

l>)  Wir  wollen  sie  die  Arbeitsamkeit  lehren,  aber  wir  lassen 
sie  nicht  arbeiten,  sondern  sprechen  zu  ihnen  Worte. 

c)  Wir  wollen,  dass  sie  Ordnung  und  die  Gesetze  der  Aussen- 
welt  kennen  lernen,  aber  wir  erlauben  ihnen  nicht,  die  Aussenwelt  zu 
beobachten,  sondern  wir  sperren  sie  in  die  vier  Schulwände  ein  und 
dort  sprechen  wir  zu  ihnen  Worte. 

d)  Wir  wollen,  dass  das  Kind  mit  der  ganzen  Kraft  der  jugend¬ 
lichen  Seele  für  die  Schönheit  erglühe  und  darum  sperren  wir  sie 
zwischen  die  Schulwände  ein  und  sprechen  zu  ihnen  Worte.“ 

Ich  brauche  zu  diesen  Worten  nichts  hinzuzufügen.  Es  sind  die 
Worte  eines  Schullehrers.  Und  solche  Stimmen  aus  den  Lehrerkreisen 
selbst  werden  immer  häufiger  ertönen,  bis  wir  uns  aus  dem  heraus¬ 
gearbeitet  haben,  was  man  den  Schatten  der  Renaissancezeit  nennt, 
die  übergrosse  Macht  des  Wortes.  Und  mit  dem  Worte  ist  auch  das 
Schlagwort,  die  Phrase  gemeint.  Wenn  ich  nicht  irre,  wird  das  Ueber- 
handnehmen  des  Sportes  die  Uebermacht  des  Wortes  brechen,  und 
Faust  könnte  an  der  Entwicklung  des  Zeitgeistes  seine  Zweifel  prüfen, 
was  richtiger  sei,  ob  der  Satz:  „Im  Anfang  war  des  Wort“,  oder  der 
Satz:  „Im  Anfang  war  die  That“. 

Wenn,  wie  nicht  zu  zweifeln,  der  Thätigkeit  des  Kindes 
beim  Elementarunterrichte  der  Zukunft  ein  grösserer  Raum  wird  zu¬ 
gemessen  werden  müssen,  so  wird  auch  der  Schularzt  eine  Agenda  er¬ 
halten,  die  wichtiger  und  befriedigender  sein  wird,  als  die  Kämpfe,  die 
der  Arzt  jetzt  zu  führen  hat. 

Herr  Hofrath  Exner  hat  bei  seinen  Auseinandersetzungen  auf 
die  Grundsätze  des  Elementarunterriches  verwiesen  und  den  sogenannten 
geradlinigen  Unterricht  mit  jenem  in  concentrischen  Kreisen  ver¬ 
glichen.  Der  letztere  Unterrichtsgang  ist  alt,  uralt.  Am  lieblichsten 
zeigte  seine  Bedeutung  der  grosse  C  o  m  e  n  i  u  s,  von  dem  Professor 
D  i  1 1  h  e  y  in  Berlin  den  Auspruch  that,  dass  Comenius  päda¬ 
gogische  Fragen  aufwarf,  die  über  Jahrhunderte  zu  uns  und  in  die 
Zukunft  hinausreichen.  Comenius  that  dies  in  einem  Werkchen, 
welches  betitelt  ist:  „Informatorium  der  Mutterschule“,  und  führt  hier 
aus,  was  das  Kind  unter  erziehlicher  Leitung  der  Mutter  an  Geographie, 
Geschichte,  Mathematik,  Sprachlehre  u.  s.  w.,  im  ersten  Lebensjahre 
lernt,  dann  im  zweiten,  dritten  u.  s.  w.,  bis  es  von  der  Mutter  dei 


Schule  übergeben  wird.  Immer  erweitert  sich  der  Kreis  des  M  issens 
schon  in  der  Nähe  der  Mutter. 

Unser  Gymnasium  zeigt  den  concentrischen  Unterrichtsgang  sein 
deutlich.  Alterthum,  Mittelalter,  Neuzeit  im  Untergymnasium,  Alter¬ 
thum,  Mittelalter,  Neuzeit  im  Obergymnasium.  Ebenso  Zoologie,  Botanik, 
Mineralogie  im  Untergymnasium  —  Mineralogie,  Botanik,  Zoologie  im 
Obergymnasium  u.  s.  w. 

Im  Unterricht  auf  der  Universität  wird  der  Gegenstand  aber 
complicirter. 

Sollte  die  Analogie  stimmen,  so  müsste  der  Unterricht  so  sein, 
dass  man  auf  einer  unteren  Stufe  etwas  Physik,  etwas  Chemie,  etwas 
Anatomie,  etwas  Physiologie  u.  s.  w.  lehrt,  dann  auf  einer  höheien 
Stufe  etwas  mehr  Physik,  etwas  mehr  Chemie  u.  s.  w.  und  aut  einei 
dritten  Stufe  den  nothwendigen  Rest  von  Physik,  Chemie  u.  s.  w. 
lehren  würde. 

So  stimmt  die  Analogie  allerdings  nicht.  So  müsste  sie  abei 
stimmen,  wenn  man  den  Gegensatz  des  geradlinigen  Unterrichtes  dazu 
hinstellt,  wo  die  Geographie  der  fünf  Welttheile  so  hintereinander 
genommen  wird,  dass  man  zuerst  Europa  ganz  voi  nimmt,  dann 
Asien  u.  s.  w. 

Herr  Hofrath  Exner  ruft  eine  ganz  andere  Analogie  an.  Er 
meint,  bezüglich  der  Niere  würde  der  Unterricht  dann  ein  concentiischei 
sein,  wenn  der  Studirende  im  ersten  Jahre  die  grobe  Anatomie  dei- 
selben,  im  zweiten  Jahre  deren  mikroskopischen  Bau  und  1  hysiologie, 
im  weiteren  Verlaufe  der  Studien  ihre  pathologische  Anatomie,  dann 
ihre  Krankheiten  und  deren  interne  und  chirurgische  Behandlung 
kennen  lernen  würde,  wobei  jedes  Mal  alles  \  orkerbehandelte 
recapitulirt  wird.  Reisst  der  Zusammenhang  z.  B.  zwischen  der  Phy¬ 
siologie  der  Niere  und  ihrer  Anatomie  ab,  dann  haben  wir  es  mit  einem 
geradlinigen  Unterrichte  zu  thun,  der  von  recht  geringem  Werthe  ist. 

Dagegen  erlaube  ich  mir  Folgendes  zu  bemerken : 

Im  Vniversitätsleben  tritt  ein  neues  Moment  auf.  Das  ist  der 
Systemunterricht.  Gymnasien  sind  Lehranstalten,  welche  —  nebst  ge¬ 
wissen  Daten  —  eine  solche  formale  Ausbildung  des  Geistes  ei  zielen 
sollen,  dass  der  Abiturient  für  den  Unterricht  an  der  Hochschule  reit 
wird.  Es  soll  reif  sein,  um  den  Bau  einer  Wissenschaft  zu  erfassen. 
Er  soll  z.  B.  reif  sein,  das  System  des  römischen  Rechtes  zu  ver¬ 
stehen;  er  soll  den  inneren  Zusammenhang  und  das  Werden  aller  jener 
Begriffe  erfassen,  welche  zum  Aufbau  dieser  merkwürdigen  Geistes¬ 
leistung  geführt  haben.  Hört  er  dann  das  canonische  Recht,  das  posi¬ 
tive  österreichische  Recht,  so  hat  er  mehrere  Systeme  vor  sich;  aber 
man  könnte  nicht  sagen,  dass  er  einen  concentrischen  Unterricht  über 
Ehe,  Diebstahl,  Bürgschaft  u.  s.  w.  genossen  hat.  Er  hat  eben  den 
Inhalt  und  den  Geist  verschiedener  Systeme  studirt,  in  denen  selbst¬ 
verständlich  gewisse  Rechtsgegenstände  immer  wiedeikekien. 

An  der  medicinischen  Facultät  ist  die  Sache  so.  Zuerst  beti  achtet  dei 
Student  den  Menschen  von  seiner  morphologischen  Seite,  gewisser- 
massen  in  zwei  Stufen,  weil  zwei  in  ihrer  ganzen  Technik  verschiedene 
Methoden  bereit  sind:  die  anatomische  und  die  histologisehe.  Dann 
lernt  er  —  nachdem  die  allgemeine  Chemie,  die  am  Gymnasium  nicht 
gelehrt  wird,  vorausgeschickt  war  —  die  physiologische  Chemie  und  damit, 
ein  ganz  neues  Wissenssystem  und  sieht  im  Lichte  des  Systems  sein  Object 
von  einer  ganz  anderen  Seite,  die  von  der  morphologischen  toto  coelo 
verschieden  ist.  Ebenso  lernt  er  dasselbe  Object  mit  der  physikalischen, 
und  beim  physiologischen  Experimentiren  auch  mit  dei  physiologischen 
Methode  kennen.  Er  lernt  also  vor  AllemMethoden und  Wissenssysteme.  Und 
wenn  man  auf  diesem  Wege  selbstverständlich  von  den  verschiedensten 
Seiten  einmal  auf  die  Niere,  ein  zweites  Mal  auf  das  Herz  und  ein 
drittes  Mal  auf  die  Lunge  zu  sprechen  kommt,  so  kann  das  kein  con- 
centrischer  Unterricht  über  Niere,  Herz,  Lunge  genannt  werden.  Wenn 
man  ihn  trotzdem  so  nennen  wollte,  bei  uns  besteht  er  ja  nicht  nui 
vermöge  der  Folge  der  Fächer  aufeinander,  sondern  auch  darum,  weil 
jeder  Praktiker  bei  Besprechung  eines  Capitels  die  Anatomie,  Physio¬ 
logie  und  Pathologie  des  Gegenstandes  recapitulirt  und  die  Prüfer 
auch  wegen  Unkenntniss  aus  einem  voraussetzenden  Fache  werfen,  ln 
dieser  Beziehung  führt  also  die  neue  Ordnung  durchaus  nicht  ein 
Novum  ein.  Das  wäre  also  über  den  Gang  des  Unterrichtes  zu  sagen. 

Ich  würde  gar  nicht  darauf  eingegangen  sein,  wenn  nicht  noch 
weitere,  uns  näher  berührende  Momente  im  Spiele  wären.  Setzt  der 
Universitätsunterricht  den  Geist  eines  wissenschaftlichen,  systematischen 
Unterrichtes  voraus,  und  ist  er  bei  uns  —  Gott  sei  Dank  —  auch 
auf  der  Höhe,  dass  man  den  Schülern  in  jedem  Fache  den  Gang  der 
Forschung  bis  auf  ihren  tiefsten  Punkt  wenigstens  an  einzelnen  Capiteln 
—  in  der  Regel  die  Lieblingscapitel  der  betreffenden  Lehrer  —  vor 
die  Auo-en  legt;  so  hat  der  Facultätsunterricht  auch  eine  zweite  gerade¬ 
zu  fundamentale  Seite  aufzuweisen,  welche  beim  vorausgegangenen 
niederen  und  mittleren  Unterricht  gar  nicht  in  Betracht  kommen  kann. 
Es  ist  nämlich  die  Vorbereitung  zu  einem  gelehrten  Berufe.  Hie 
Facultät  ist  auch  eine  Erziehungsanstalt  für  bestimmte  Stande. 

Sie  muss  also  schon  in  ihrem  Programme  und  in  allen  ihren 
Einrichtungen  diesen  Zweck  vor  Augen  haben  und  cs  ist  emei 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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wichtigsten  Punkte,  zu  bestimmen,  wie  weit  der  Faeultätsunterricht 
zu  gehen  habe,  um  diesen  Zweck  zu  erfüllen. 

An  der  theologischen  Facultät  wird  dieser  Zweck  so  ziemlich 
voll  erreicht.  Der  absolvirte  Schüler  ist  im  Stande,  seine  Functionen 
sofort  anzutreten,  und  die  Pastoraltheologie  bildet  eine  Art  praktischen 
Seminars. 

An  der  philosophischen  Facultät  wird  der  Candidat  des  Mittel¬ 
schullehramtes  im  theoretischen  und  im  Seminarunterricht  eingehend 
ausgebildet;  man  hat  aber  doch  ein  sogenanntes  Probejahr  eingeführt, 
um  dem  Mann  zunächst  Gelegenheit  zu  geben,  sich  im  praktischen 
Unterricht  umzusehen. 

llei  den  juridischen  Facul täten  ist  die  Anforderung  oft  erhoben 
worden,  dass  bestimmte  Seminarübungen  eingeführt  werden,  in  welchen 
die  Studenten  casuistische  Typen  ihrer  zukünftigen  Praxis  zur  Behand¬ 
lung  erlangen  sollten.  Aber  hervorragende  Lehrer  des  Rechtes  haben 
dem  entgegen  betont,  dass  der  Absolvent  die  Praxis  i  n  der  Praxis 
erlernen  solle.  Bedenkt  man,  dass  der  Absolvent  entweder  zu  einer 
Behörde  oder  zu  einem  Advocaten  u.  dgl.  kommt,  wo  er  die  Vorgänge 
und  Formen  der  Praxis  erlernen  kann ;  bedenkt  man,  dass  selbst  gegen 
den  Ausspruch  des  erfahrensten  unteren  Richters  Berufung  eingelegt 
werden  kann,  so  kann  die  Frage  über  das  Ausmass  der  praktischen 
Einschulung  eines  Juristen  hin-  und  herschwanken,  ohne  dass  hiedurch 
die  Rechtspflege  ernstlich  gefährdet  werden  könnte. 

Nicht  so  beim  Mediciner.  Das  Doctorat  ist  auch  Staatsexamen. 
Und  mit  der  Erlangung  des  Doctordiploms  kann  der  damit  Ausge¬ 
stattete  noch  am  Tage  der  Promotion  über  Leben  und  Gesundheit  der 
Menschen  entscheiden.  Das  Ziel  des  Facultätsunterrichtes  kann  also 
kein  anderes  sein,  als  den  jungen  Doctor  so  weit  auszubilden,  dass  er 
die  casuistischen  Probleme,  die  ihm  die  Praxis  entgegenbringt,  richtig 
lösen  kann.  Nicht  selten  sind  promovirte  Doctoren  am  ersten  Tage  ihrer 
Praxis  von  sehr  schwierigen  Problemen,  so  z.  B.  von  einem  eomplicirten 
Geburtsfall,  auf  die  Probe  gestellt  worden,  und  die  ernstesten  Er¬ 
innerungen  dieser  Art  erklären  den  in  Kreisen  der  praktischen  Aerzte 
laut  erhobenen  Ruf  nach  dem  praktischen  Probejahre,  i.  e.  Spitalsjahr. 

Dies  führt  nun  zur  Besprechung  des  zweiten  Punktes. 

II.  Verhältniss  zwischen  Theorie  und  Praxis. 

Mit  diesem  Problem  haben  sich  manche  Philosophen,  insbesondere 
westländische  Denker  beschäftigt.  Auguste  Comte  und  Stuart 
Mill  sind  nvr  in  dieser  Beziehung  bekannter  geworden.  Namentlich 
Stuart  AI  ill  fesselte  mich  durch  die  Einfachheit  seiner  Auseinander¬ 
setzungen.  Man  muss,  sagte  der  englische  Denker,  zwischen  Wissen¬ 
schaft  und  Kunst  unterscheiden,  wobei  unter  Kunst  im  weitesten  Sinne 
des  Wortes  jede  Praxis  verstanden  werden  soll,  nicht  nur  die  schönen 
Künste,  sondern  auch  die  Kriegskunst,  Staatskunst  u.  dgl.  Die  Wissen¬ 
schaft  behauptet,  die  Kunst  schafft.  Die  Wissenschaft  dringt  zum  All¬ 
gemeinen  hinauf,  die  Kunst  zum  Einzelnen  hinunter.  Wenn  man  Mi  1  l’s 
Auseinandersetzungen  auf  die  Heilkunde  bezieht,  so  kann  man  in  ihr 
selbstverständlich  nur  eine  Kunst,  eine  Praxis  erblicken ;  ist  ja  doch  ihr 
Ziel  die  praktische  Auflösung  concreter  Probleme  zumeist  rein  casu- 
istischer  Natur. 

Jeder  Kunst  steht  eine  Wissenschaft,  jeder  Praxis  eine  Theorie 
gegenüber. 

Wäre  die  Wissenschaft  so  entwickelt,  dass  wir  eine  vollkommene 
Durchschau  des  Weltganges  besässen,  so  wäre  unsere  Praxis  aus  der 
Theorie  ableitbar,  sie  wäre  nur  die  Anwendung  der  Wissenschaft. 
Denkt  man  sich  dann  das  Verhältniss  der  Praxis  zur  Theorie,  so  würde 
das  in  der  Heilkunde  etwa  so  aussehen:  Die  Praxis  bemerkt,  dass  die 
Lösung  eines  concreten  Problems  wünschenswerth  wäre,  z.  B.  die  Be¬ 
seitigung  eines  mechanischen  Hindernisses  im  Darm,  welches  das  Leben 
gefährdet.  Die  Kunst  schickt  diesen  Fall  der  Wissenschaft,  diese  über¬ 
legt  die  Bedingungen  und  schickt  ihr  Verzeichniss  an  die  Kunst,  unter 
welchen  die  Sache  möglich  ist.  Die  Praxis  hat  dann  zu  wählen  und 
auszuführen.  Schon  in  dieser  Allgemeinheit  ist  der  Unterschied  zwischen 
Theorie  und  Praxis  zu  bemerken.  Die  Wahl  unter  den  Mitteln  je  nach 
Umständen  und  die  Durchführung  der  Mittel  ist  das  Gebiet  der  Praxis 
und  lässt  den  guten  Praktiker  von  dem  weniger  guten  unterscheiden. 

Aber  die  Wissenschaft  ist  nicht  vollkommen  ausgebildet;  die 
Naturwissenschaften  werden  es  niemals  sein.  Denkt  man  sich  den  Fort¬ 
schritt  noch  so  grossartig,  jedes  neue  Problem  ruft  andere  neue  her¬ 
vor  und  niemals  wird  eine  vollkommene  Durchschau  des  Weltganges 
erreicht  werden.  Die  Praxis  kann  nie  hoffen,  eine  vollkommene  Orien- 
tirung  zu  gewinnen. 

Im  Anfänge  der  Cultur  war  die  Theorie  und  die  Praxis  kaum 
von  einander  zu  trennen.  Ganz  beschränkte  Orientirungen  in  der  Natur 
waren  die  Keime  einer  Wissenschaft,  und  wenn  auch  die  Praxis  eines 
Wilden  ein  Jagdinstrument  schuf,  das,  nach  dem  Vogel  geworfen, 
wieder  zurückkehrt  —  gewiss  ein  imposantes  praktisches  Problem  — 
so  war  die  rI  heorie,  die  dem  gegenüberstand  nur  eine  sehr  eingeschränkte, 
wenn  auch  vielleicht  recht  vertiefte.  Der  Fuchs,  der  sich  den 
Fuss  selbst  abbeisst,  um  aus  der  Falle  zu  entkommen,  hat  den 


thierischen  Keim  zu  einer  solchen  Theorie,  die  der  Urmensch  weiter 
zu  entwickeln  begann. 

Auf  höheren  Stufen  der  Cultur  gehen  Theorie  und  Praxis  aus¬ 
einander,  indem  die  Theorie  sich  selbstständig  macht.  Der  Mensch  for- 
mulirt  Erfahrungen  und  endlich  auch  Lehrsätze.  Endlich  gelangen  beide 
in  ein  gewisses  Verhältniss  der  Eifersucht.  Der  theoretische  Mensch 
blickt  geringschätzig  auf  den  Praktiker  und  umgekehrt.  Und  doch  lehrt 
die  ruhige  Erwägung,  dass  beide  Formen  der  menschlichen  Bethätigung 
einander  ergänzen. 

Von  irgend  einem  Parallelismus  beider  kann  aber  geschichtlich 
auch  nicht  im  Entferntesten  die  Rede  sein.  Die  Lehre  von  der  Reibung 
war  formulirt,  die  Erfahrungen  über  die  Reibung  viele  Tausende  von 
Jahren  allgemein  bekaunt,  und  doch  fiel  es  erst  eiuem  Menschen  des 
neunzehnten  Jahrhunderts  ein,  dass  man  Räder  auf  Schienen  rollen 
lassen  könnte  und  die  erste  Pferdeeisenbahn  entstand.  So  insbesondere 
auch  in  der  Medicin.  Ganz  bedeutende  Leistungen  waren  in  der  Heil¬ 
kunde  vorhanden,  ohne  dass  ihr  theoretischer  Theil  dem  entsprach. 
Zur  Zeit,  wo  der  Kreislauf  des  Blutes  noch  ganz  merkwürdig  verkannt 
wurde,  operirten  die  griechischen  Chirurgen  der  Imperatorenzeit  An¬ 
eurysmen  mit  einer  geradezu  imponirenden  Unternehmungsfertigkeit.  Be¬ 
züglich  eines  Hindernisses  im  Darme  lehrte  Hippokrates  und  nach 
ihm  Jahrhunderte,  der  Grund  eines  Ileus  liege  in  der  Verletzung  der 
oberen  und  Verkühlung  der  unteren  Theile  des  Bauches,  und  mit  wahr¬ 
haft  Hippokratischer  Ruhe  berichtet  er:  sie  starben  am  siebenten 
Tage.  Als  die  wissenschaftliche  Medicin  hier  in  Wien  begründet  wurde, 
war  die  Verschliessung  des  Darmes  die  classische  Erstlingsarbeit  eines 
Rokitansky.  Und  hier  hat  der  Arzt  erst  erfahren,  welchen  Mechanis¬ 
mus  die  innere  Darmverschliessung  besitze  und  den  Rath  gehört,  dass 
bei  diesem  Zustande  der  Bauchschnitt  erforderlich  sei.  Wenn  das  Jemand 
zu  der  Zeit  gesagt  hätte,  in  welcher  die  Hippokratis  e  h  e  Lehre 
von  der  Verkühlung  galt,  würde  er  ausgelacht  worden  sein.  Ein  solcher 
Mann  existirte  aber  im  Alterthum  thatsächlich.  CoeliusAurelianus 
erzählt  uns  über  Praxagoras  von  Kos,  nicht  nur,  dass  er  ein¬ 
geklemmte  Hernien  reponirte  (manibus  premens  intestina  magna  quas- 
satione  vexavit),  sondern  auch  rieth,  den  Bauch  zu  öffnen,  den  Darm 
aufzuschneiden,  das  Hinderniss  zu  entfernen  und  den  Darm  zusammen¬ 
zunähen.  Der  Mann  wurde  auch  —  selbstverständlich  —  getadelt. 
Man  sieht,  wie  Theorie  und  Praxis  stark  auseinaudergehen  können. 
Die  Praxis  kann  der  Theorie  vorauseilen;  aber  oft  vollführt  sie  Missgriffe, 
die  bei  einer  richtigen  Kenntniss  der  Theorie  weniger  schlimm  hätten 
ausfallen  können. 

Bei  organisatorischen  Fragen,  wie  es  die  Fragen  der  Unterrichts¬ 
regelung  sind,  kann  naturgemäss  nur  die  Ueberlegung  dahin  lauten : 

1.  Wie  steht  dermalen  die  Praxis? 

2.  Wie  die  Tüeorie? 

3.  Welche  Beziehung  besteht  zwischen  beiden? 

Unsere  dermaligen  Zustände  bieten  einen  relativ  schon  hoch¬ 
gradig  entwickelten  Stand  der  Theorie  sowohl  wie  der  Praxis,  und 
eine  innige  Beziehung  beider  dar. 

Sowie  in  den  technischen  Fächern  grossartige  Leistungen  der 
Praxis  hochentwickelten  theoretischen  Ueberlegungen  gegenüberstehen, 
so  können  wir  uns  freuen,  dass  auch  die  Medicin  einen  blühenden  Zustand 
bietet.  Ihre  praktischen  Leistungen,  zumal  auf  dem  Gebiete  der  opera¬ 
tiven  Fächer,  sind  beachtenswerth.  Der  Zustand  der  Theorie  ist,  zumal 
auf  dem  Gebiete  der  ätiologischen  Forschung,  ein  epochaler. 

Welches  ist  die  Beziehung  zwischen  Theorie  und  Praxis?  Welche 
Wissenschaften  sind  es,  aus  denen  die  Praxis  die  Begründung  ihrer 
Regeln  ableiten  könnte? 

Hier  muss  vor  Allem  eine  klare  Auffassung  herrschen.  Weder 
die  Physik,  noch  die  Chemie,  weder  die  Anatomie,  noch  die  Physiologie 
stehen  der  Heilkunde  gegenüber;  sie  haben  mit  der  Heilkunde  direct 
gar  nichts  zu  tliun. 

Das  medicinische  Wissenschaftsgebiet  ist  die  Lehre 
von  den  Krankheiten,  die  Pathologie  im  weitesten  Sinne  des 
Wortes.  Diese  Wissenschaft  ist  hier  gegründet  worden.  Im  Arcaden- 
hofe  des  Universität  steht  es  unter  Rokitansky’s  Büste  geschrieben: 
„Novae  scientiae,  anatomiae  pathologicae  conditor.“  Die  Inschrift  sagt 
zu  wenig.  Diese  Nova  scientia  ist  mehr  als  ein  Fach  für  sich.  Sie  ist 
das  Fundament  der  wissenschaftlichen  Medicin  überhaupt,  und  als  ihr 
Begründer  das  Alles  überblickte,  was  er  gesehen  und  gefunden,  sprach 
er  die  berechtigten  Worte  aus,  die  pathologische  Anatomie  enthalte 
eigentlich  alles  positive  Wissen  der  Medicin.  Aber  schon  während 
seiner  Lebzeiten  entstand  auch  die  pathologische  Chemie  und  die 
Experimentalpathologie.  Die  in  derselben  Richtung,  aber  in  grössere 
Tiefen  geführte  Forschung  Virchow’s  schuf  die  Cellularpathologie. 
Die  erstaunlichen  Leistungen  K  o  c  h’s  und  seiner  ungeheueren  Schüler¬ 
zahl  schufen  die  ätiologische  Forschung  und  stellten  der  Medicin  die 
Hygiene  zur  Seite,  die  neben  der  Medicin  als  solcher,  als  eine  Schwester 
dastehen  wird.  Und  in  derselben  Zeit  entwickelten  sich  die  speciellen 
Pathologien:  Die  Pathologie  der  inneren,  der  chirurgischen  Krank¬ 
heiten,  der  Frauen-  und  Kinderkrankheiten,  der  Augen-  und  Ohren- 


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kränkelten,  der  Hautkrankheiten,  der  Nervenkrankheiten  u.  s.  w.  Es 
sind  das  heute  lauter  umfassende  Wissenschaften,  die  zu  den  Aufgaben 
der  Praxis  in  erster  Beziehung  stehen. 

Alle  diese  Wissenschaften,  die  eine  überwältigende  Literatur 
besitzen  und  auch  überall  gelehrt  werden,  bilden  zusammen  die  der 
mediciuischen  Praxis  gegenüberstehende  Wissenschaft.  Sie  haben  die 
Methoden  der  strengsten  Forschung  angenommen  und  stehen  den 
anderen  theoretischen  Wissensgebieten  in  keiner  Beziehung  nach. 

Während  also  früher  der  praktischen  Heilkunde  als  Kunst  die 
Chemie,  die  Physik,  die  Anatomie,  die  Physiologie  —  in  früherer  Zeit 
auch  die  Naturgeschichte  —  als  medieinisch- theoretische  Wissenschaften 
gegenübergestellt  werden  konnten,  hat  sich  seit  Rokitanskys  grund¬ 
legenden  Arbeiten  zwischen  die  Theorie  und  Praxis  der  früheren  Zeit 
ein  ungeheueres  Gebiet  hineingezwängt,  das  Gebiet  der  pathologischen 
Wissenschaften,  und  stoht  jetzt  der  Medicin  gegenüber,  während  die 
früheren  theoretischen  Wissenschaften  in  das  Gebiet  der  einfach  vor 
bereitenden  zurücktreten. 

Wenn  wir  also  über  die  Beziehung  zwischen  Theorie  und  Praxis 
in  der  Medicin  reden  wollen,  so  steht  den  klinischen  Fächern  als  den 
Richtungen  der  ausübenden  Kunst  die  Gruppe  der  pathologischen 
Wissenschaften  gegenüber.  Diese  haben  die  Methoden  ihrer  Unter 
suchung  von  den  Naturwissenschaften  vollkommen  übernommen.  Der 
pathologische  Anatom  und  Histolog  arbeitet  genau  nach  der  Methode 
der  Anatomie  und  Histologie,  der  pathologische  Chemiker  nach  der 
Methode  der  Chemiker  überhaupt,  der  Experimentalpathologe  .  genau 
nach  der  Methode  des  Experimentalphysiologen.  Nun  kennen  die  \  er- 
treter  der  pathologischen  Wissenschaften  auch  jenes  Object,  welches 
die  ärztliche  Kunst  behandelt,  nämlich  die  Krankheiten,  beziehungs¬ 
weise  ihre  Erscheinungen,  während  die  Vertreter  der  rein  theoretischen 
Fächer  mit  diesem  Objecte,  dem  kranken  Organismus,  in  keiner 
fachlichen  Beziehung  stehen. 

Es  gruppiren  sich  demnach  die  Fächer  so,  dass  die  eine  Gruppe 
(Anatomie,  Histologie,  Physik,  Chemie  und  Physiologie)  die  vorberei¬ 
tenden  Fächer  vorstellen.  Die  Vertreter  derselben  repväsentiren  die 
wissenschaftlichen  Methoden  (morphologische,  chemische,  physikalische 
und  biologisch-experimentelle  Methode).  Bei  diesen  Männern  müssen 
die  Candidaten  gelernt  haben,  bevor  sie  das  Studium  der  eigentlichen 
Heilkunde  beginnen. 

Dann  kommt  die  Gruppe  der  medieinisch  -  theoretischen  Fächer: 
Pathologische  Anatomie  und  pathologische  Histologie  als  Morphologie, 
pathologische  Chemie,  Experimentalpathologie ;  neben  ihnen  die  I  hai- 
makologie,  deren  streng  wissenschaftliche  Entwicklung  eine  trage  der 
nächsten  Zeit  und  für  deren  Ausbäu  wir  in  der  Facultät  schon  vor 
Jahren  Anträge  gestellt  haben,  und  die  Hygiene,  deren  Object  ein  so 
allgemeines  ist,  dass  sie  neben  dor  Pathologie  zu  stehen  kommt. 

Die  dritte  Gruppe  bilden  die  praktischen  Fächer ;  die  zwei 
letzten  Gruppen  zusammen  bilden  die  eigentliche  medicinische  F  ach- 
männergruppe. 

Ich  berühre  diesen  wichtigen  Punkt  aus  zwei  Gründen  Erstlich 
wird  gerade  in  unseren  Tagen  in  Deutschland  eine  sehr  tiefe  und 
bedeutungsvolle  Discussion  darüber  geführt,  wie  die  polytechnischen 
Schulen  den  Bedürfnissen  der  Zeit  entsprechend  einzurichten  wären. 
Wie  ich  aus  den  Fragmenten  der  Discussion  gesehen,  stehen  sich  da 
gegenüber:  Die  eine  Gruppe,  die  auf  die  rein  wissenschaftliche  Rich¬ 
tung  des  Unterrichtes  das  Hauptgewicht  legt,  die  andere,  die  die  in 
unserer  Zeit  so  bedeutsame  praktische  Schulung  sehr  betont.  Dem 
Fernstehenden  macht  es  den  Eindruck,  dass  die  rein  wissenschafiliche 
Richtung,  wenn  sie  zu  sehr  berücksichtigt  würde,  den  polytechnischen 
Hochschulen  das  Adjectiv  „polytechnisch u,  die  rein  praktische  Richtung 
ihnen  das  Substantiv  „Hochschule“  rauben  würde.  Es  wird  also  in  der 
richtigen  Abwägung  beider  Momente  die  glückliche  Entscheidung  zu 
suchen  sein. 

Die  neue  Studienordnung  hat  mich  nun  —  und  ich  muss 
sagen  sehr  angenehm  —  dadurch  überrascht,  dass  die  drei  Rigorosen 
jene  Gruppiruug  der  Fächer  enthalten,  die  früher  skizzirt  wurde. 

Zuerst  hat  der  Candidat  die  vorbereitenden  Fächer  zu  absol viren 
und  aus  ihnen  die  Prüfung  abzulegen  (erstes  Rigorosum). 

Dann  kommt  das  Studium  der  eigentlichen  Heilkunde.  Am 
Schlüsse  dieses  Studiums  hat  er  beim  zweiten  Rigorosum  die  theoreti¬ 
schen,  beim  dritten  die  praktischen  Fächer  zu  absol  viren. 

Kehren  wir  nun  zu  unserem  früheren  Gedankengange  zurück,  so 
ist  die  Discussion  über  das  Verhältniss  der  Theorie  zur  Praxis  eine 
Discussion  zwischen  der  zweiten  und  dritten  Gruppe.  Denn  nur  in 
diesen  Gruppen  ist  wirkliches  medicinisches  Verständniss.  Die  tragen 
der  heutigen  Medicin  sind  heute  so  wichtig,  so  complicirt  und  die  Me¬ 
thoden  ihrer  Erledigung  so  streng,  dass  zur  Discussion  eine  fachmän¬ 
nische  Orientirung  unerlässlich  ist.  Der  Vertreter  eines  theoretischen  t  aches 
kann,  wenn  er  selbst  zufällig  Arzt  war,  nur  einen  sehr  ungenauen 
Einblick  haben;  war  er  aber  überhaupt  kein  Arzt,  so  steht  er  tragen 
verständnislos  gegenüber.  Es  ist  durch  die  heutige  Arbeitsteilung 
eine  solche  Unmasse  medicinisch-wissenschaftlichen  und  praktischen 


Stoffes  aufgehäuft,  dass  der  Fachmann  mit  Mühe  auf  seinem  eigenen 
Gebiete  die  Ueberschau  behält. 

Ein  Beweis  dafür  ist  die  gewaltige  Entwicklung  der  fachlichen 
Literatur  und  die  Nothwendigkeit,  dass  eine  Reihe  von  referirenden 
Centralblättern  erscheint,  nur  um  die  Fachmänner  rasch  über  die  in  der 
Welt  erscheinenden  Publicationen  zu  orientiren. 

Jede  Discussion  über  medicinische  Unterrichtsfragen  ist  also  in 
erster  Linie  zwischen  der  medicinischen  Wissenschaft  (zweite  Gruppei 
und  der  ausübenden  Praxis  zu  führen. 

Welche  Abgrenzung  immer  aber  zwischen  diesen  zwei  —  sagen 
wir  —  competenten  Instanzen  getroffen  werden  möge,  immer  müssen 
wir  hervorheben,  dass  Theorie  und  Praxis  zwei  wesentlich  verschiedene 
Bethätigungsarten  der  menschlichen  Natur  sind.  Die  Theorie  wird 
immer  ein  Mass  von  Anregungen  haben,  welche  die  Praxis  mit  ent¬ 
sprechenden  Leistungen  nicht  beantworten  kann,  und  die  Praxis  wird 
vermöge  der  Eigenthümlichkeit  des  praktischen  Denkens  Leistungen 
vollführen,  zu  welcher  mehr  gehört,  als  theoretische  Ausbildung. 

Ich  will  über  dieses  Verhältniss  der  Theorie  zur  Praxis  Beispiele 
an führen. 

Das  militärische  Beispiel  ist  folgendes:  In  einer  Schlacht  im 
letzten  Balkankriege,  erzählt  Vereschtschagin,  war  er  in  der  Nähe  des 
General  Skobeljew,  welcher  auf  einmal  Soldaten  herbeirief,  dass  sie 
eine  kleine,  in  der  Nähe  stehende  Capelle  niederreissen  mögen,  was 
auch  sofort  geschah.  Auf  Veresclitschagin’s  Anfrage,  warum  das  ge¬ 
schehen  sei,  antwortete  Skobeljew,  er  habe  bemerkt,  dass  die  feind¬ 
lichen  Geschosse  angefangen  hätten,  reichlich  in  die  Nähe  der  Capelle 
einzuschlagen,  offenbar  weil  sie  durch  ihre  weisse  Färbung  das  Zielen 
erleichterte. 

Das  Erfassen  der  augenblicklichen  Lage  demonstrirt  den  Praktiker  ! 

Zu  einem  Chirurgen  kam  ein  alter  Herr  mit  Harnröhrenstrictur 
und  legte  sich  endlich  auf  das  Sopha  nieder,  um  sich  mit  der  Sonde 
untersuchen  zu  lassen.  In  dem  Augenblicke  wurde  er  blau  und  gerieth 
in  die  grösste  Erstickungsgefahr.  Mit  einem  Griffe  war  der  Chirurg  im 
Munde  des  Kranken  und  zog  ein  falsches  Gebiss  aus  dem  Schlunde. 
Die  blitzschnelle  Ueberlegung,  dass  bei  der  plötzlich  eingenommenen 
horizontalen  Lage  höchst  wahrscheinlich  ein  Fremdkörper  im  Spiele 
sei,  führte  den  Chirurgen  auf  die  richtige  Spur. 

Das  sind  Beispiele  für  das,  was  man  praktisches  Denken  nennt. 
Das  ist  kein  Drill  in  technischen  Verrichtungen,  sondern  eine  eigen- 
thümliche  Thätigkeit,  die  Umstände  des  Augenblickes  zu  einem  Wahr- 
scheiulichkeitscalcul  zusammenfassen.  Das  waren  nur  Beispiele,  denn 
es  muss  nicht  Schnelligkeit  sein,  was  diese  Raisonnements  charakteiisiit. 

Ein  praktischer  Unterricht  im  wahren  Sinne  des  Wortes  muss 
den  Schülern  stets  vor  Augen  halten,  was  bei  einem  gegebenen  Falle 
unter  anderen  Umständen  zu  thun  wäre,  und  hat  immer  zu  berück¬ 
sichtigen.  dass  der  Arzt  oft  unter  den  allerschwierigsten  Verhältnissen 
zu  thun  habe.  Die  Thätigkeit  von  heutzutage  ist  anders,  als  vor 
30  Jahren.  Ganz  abgesehen  von  den  Fortschritten  der  einzelnen  Fächer 
ist  seine  Stellung  eine  andere. 

In  meiner  Vaterstadt,  die  etwa  4000  Einwohner  zählt,  sind  drei 
Aerzte.  Der  eine  ist  k.  k.  Bezirksarzt,  die  anderen  zwei  sind  Districts- 
ärzte  im  öffentlichen  Dienste  des  Landes.  Genau  so  ist  es  in  den  be¬ 
nachbarten  Städten.  Eine  geradezu  überwiegende  Zahl  von  Aerzten  ist 
also  in  öffentlicher  Stellung  und  unter  amtlicher  Controle.  Fügt  man 
hinzu,  dass  auch  die  öffentliche  Controle  heute  eine  ganz  andere  ist, 
indem  die  kleinen  Blättchen  in  den  Provinzstädten  jeden  Augenblick 
über  die  Aerzte  herfallen;  dass  die  Agitation  der  Naturheilkünstler  die 
Stimmung  gegen  die  Aerzte  nährt:  so  muss  getrachtet  weiden,  dass 
den  Aerzten  ein  weit  grösseres  Ausmass  der  praktischen  Ausbildung 
und  Schulung  ertheilt  werde,  als  vordem.  Es  kommen  aber  auch  andere 
Momente  in  Betracht.  Das  Unfallsversicherungswesen  hat  einen  Umfang 
erlangt,  dass  die  Aerzte  als  Sachverständige  in  ganz  neuen  Arten  von 
Fällen  zu  fungiren  haben.  Es  ist  mir  erzählt  worden,  dass  es  form 
liehe  Privatschulen  gebe,  wo  die  Laien  sich  unterrichten,  ■welch' 
Symptome  sie  anzugeben  haben,  um  eine  traumatische  Neuiose  zu 
simuliren,  da  man  ja  weiss,  dass  bei  Unfällen  auf  Eisenbahnen  die 
Beschädigten  tüchtig  bezahlt  werden.  Ich  war  vor  einem  Jahre  Sach¬ 
verständiger  in  zwei  Processen,  wo  die  Parteien,  nachdem  der  Arzt  voi 
dem  Strafrichter  freigesprochen  worden  war,  sich  an  den  Civilrichtei 
wandten,  um  hohe  Ersatzansprüche  von  dem  Arzte  zu  fordern  ;  der 
eine  Ersatzanspruch  belief  sich  auf  20.000  fl.  Der  materielle  Kampf, 
der  heute  die  Menschheit  durchzieht,  legt  uns  die  Pflicht  aut,  den  Aizt 
vor  Allem  mit  neuer  Waffe  und  Wehre  auszurüsten  in  den  Krieg, 

den  er  zu  führen  hat.  Noch  so  abgerundete  Ideen  aus  der  Theorie  werden 

ihm  wenig  nützen,  da  der  Beruf,  bei  Gott,  kein  contemplativer  ist. 

III.  Einfluss  der  neuen  Prüfungsordnung  auf  die 
psychische  Oekonomie  des  Studierenden. 

Jene  Studien-  und  Rigorosenordnung,  welche  vor  dem  Jahre  \>  r2 
bestand  und  unter  welcher  wir  geprüft  wurden,  muss  beute  m  Er¬ 
innerung  gebracht  werden.  Damals  bestand  ein  Doctorat  der  Medicin, 


88 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  4 


ein  selbstständiges  Doctorat  der  Chirurgie  und  einzelne  Magisterien, 
unter  welchen  jenes  der  Geburtshilfe  von  sehr  Vielen  von  uns  gemacht 
wurde.  Diese  drei  Grade  entsprechen  beiläufig  demjenigen,  was  heute 
das  Doctorat  der  gesammten  Heilkunde  bedeutet.  Ja,  wenn  man  die 
Bestimmungen  der  soeben  publicirten  Rigorosenordnung  ins  Auge  fasst, 
würde  dem  künftigen  Doctorat  der  gesammten  Heilkunde  Alles  das 
entsprechen,  und  noch  dazu  müsste  das  Magisterium  der  Augenheil¬ 
kunde  und  der  Zahnheilkunde  hinzugerechnet  werden.  Von  den  natur¬ 
historischen  Vorprüfungen  war  damals  keine  Rede.  Dafür  bildeten 
aber  zwei  naturgeschichtliche  Fächer,  und  zwar  constant  die  Botanik, 
daneben  abwechselnd  die  Zoologie  oder  Mineralogie  einen  Gegenstand 
des  ersten  Rigorosums.  Das  ersto  Rigorosum  begriff  folgende  Fächer 
in  sich:  Naturgeschichte,  Anatomie,  Physiologie,  pathologische  Ana¬ 
tomie.  Beim  zweiten  Rigorosum  wurde  geprüft:  Pharmakologie  und 
Pharmakognosie,  Chemie,  interne  Medicin,  theoretische  Augenheilkunde 
und  gerichtliche  Medicin.  Die  Prüfungen  waren  sämmtlich  nur  theo¬ 
retisch.  Der  Studiengang  war  durch  keine  Prüfung  unterbrochen,  so 
dass  das  Rigorosum  in  der  That  ein  Schlussexamen,  eine  so  zu  sagen 
am  grünen  Tische  abgehaltene  Matura  aus  der  Heilkunde  vorstellte. 
Die  Erfahrung  zeigte  nun,  dass  Anatomie  und  Physiologie  fast  von 
allen  Studenten  auch  noch  im  fünften  Jahre,  also  das  zweite  Mal,  ge¬ 
hört  wurden,  und  dass  die  Kliniken  fleissig  besucht  wurden,  dass 
namentlich  das  Prakticiren  auf  der  Klinik  in  einem  erfreulichen  Masse 
vorhanden  war,  dass  die  Studenten  die  Nachmittagsvisiten  schaaren- 
weise  besuchten  und  hier  den  Auseinandersetzungen  der  Assistenten 
mit  grossem  Interesse  folgten.  Wer  sich  zum  zweiten  Rigorosum  meldete, 
musste  auch  zwei  rein  geschriebene  Krankengeschichten  beilegen,  und 
das  Führen  von  Krankengeschichten  war  sogar  behufs  Bestätigung  des 
Semesters  obligat.  In  den  klinischen  Fächern  war  eine  erfreuliche  Er¬ 
scheinung  zu  beobachten,  die  heutzutage  nicht  mehr  zu  sehen  ist, 
nämlich  der  fleissige  Contact  mit  dem  Krankenzimmer,  die  continuirliche 
Beobachtung  der  Krankheitsfälle  und  das  durch  kein  Nebenstudium 
unterbrochene  klinische  Lernen.  Das  fünfte  Jahr  war  zum  grossen 
Theil  schon  ein  Lernjahr,  daher  kam  es,  dass  sich  schon  im  Beginne 
des  Rigorosenjahres  eine  beachtenswerthe  Zahl  von  Candidaten  zum 
ersten  Rigorosum  meldete.  Das  zweite  Rigorosum  wurde  nun  auch 
relativ  bald  abgelegt.  Die  ausgezeichneten  und  fieissigen  Studenten 
meldeten  sich  mitunter  schon  nach  sechs  bis  acht  Wochen.  Die  mittel¬ 
guten  Schüler  legten  das  zweite  Rigorosum  erst  nach  mehreren 
Monaten  ab.  Hätte  man  damals  zwischen  das  erste  und  zweite  Rigo¬ 
rosum  eine  bestimmte  Frist  gesetzt,  etwa  sechs  Wochen,  so  hätte  das 
für  die  besten  Schüler  keine  nennenswerthe  Belastung  gebildet.  Auch 
eine  gewisse  Zahl  der  mittelguten  Schüler  wäre  der  Pression  gefolgt 
und  hätte  das  Rigorosum  auch  bestanden.  Wenn  man  aber  damals 
gesagt  hätte,  dass  nach  dem  ersten  Rigorosum  eine  Frist  von  sechs 
Wochen  zu  verstreichen  habe,  und  dass  dann  unmittelbar  darauf  nicht 
nur  das  zweite  Rigorosum,  sondern  auch  alle  andere  Grade  (Doctorat 
der  Chirurgie,  Magisterium  der  Geburtshilfe,  der  Augenheilkunde  und 
Zahnheilkunde)  abzulegen  sei,  so  wäre  von  allen  Seiten  die  einstimmige 
Antwort  erfolgt:  „Das  ist  unmöglich!“ 

Auch  an  der  Josefs-Akademie,  wo  die  Studenten  in  militärischer 
Zucht  waren,  zu  den  Vorlesungen  und  auf  die  Kliniken  gehen  mussten, 
war  keine  Rede  davon,  dass  das  ganze  Doctorat  der  gesammten  Heil¬ 
kunde  in  Form  einer  auf  einen  kurzen  Zeitraum  zusammengedrängten 
Maturitätsprüfung  abzulegen  sei.  Vergleicht  man  die  damaligen  An¬ 
forderungen  mit  den  jetzigen,  so  ergeben  sich  folgende  Unterschiede: 

In  Wien  wurde  die  Naturgeschichte  ausserordentlich  nachsichtig 
geprüft,  weil  die  Lehrer  derselben  Doctoren  der  Medicin  waren  und  von 
ihrer  medicinischen  Bildung  her  wussten,  dass  das  Studium  der  Natur¬ 
geschichte  für  den  Arzt  eine  besondere  Bedeutung  nicht  habe.  Wenn 
also  jetzt  an  die  Stelle  der  Naturgeschichte  die  allgemeine  Biologie 
tritt,  so  kann  man  annehmen,  dass  der  gegenwärtige  Zustand  keine 
besondere  Belästigung  bilde.  Die  Chemie  wurde  von  Redtenbacher 
ebenfalls  sehr  nachsichtig  geprüft.  Die  in  Aussicht  genommene  Art 
ihrer  Prüfung  wird  jedenfalls  ein  Plus  an  Erforderniss  bilden.  Die 
Prüfung  aus  der  Physik  bildet  ein  neues  Plus.  Aber  diese  neuen  An¬ 
forderungen  werden  nach  der  neuen  Rigorosenordnung  schon  beim 
ersten  Rigorosum  während  der  Studienzeit  erledigt  werden.  Anatomie 
und  Physiologie  wird  sowohl  theoretisch,  wie  praktisch  auch  beim 
ersten  Rigorosum  absolvirt.  Aber  der  eine  oder  der  andere  dieser 
Gegenstände  erscheint  abermals  am  Schlüsse  des  Studiums  als  Prüfungs¬ 
gegenstand.  Ueber  diesen  sonderbaren  Punkt  der  neuen  Rigorosen¬ 
ordnung  will  ich  hier  nicht  sprechen.  Ich  führe  nur  an,  welche  neue 
Prüfungsanforderungen  zu  den  alten  hinzukommen  werden.  Es  sind 
dies  die  Hygiene,  die  Haut-  und  syphilidologischen  Krankheiten,  die 
Kinderkrankheiten,  die  Psycho-  und  Neuropathologie.  Dafür  also,  dass 
die  Chemie  entfällt,  die  Anatomie  und  Physiologie  nur  in  geringem 
Masse  in  Betracht  kommt,  erhält  der  Candidat  zu  den  Anforderungen 
des  damaligen  Doctorates  der  Medicin,  der  Chirurgie,  des  Magisteriums 
der  Augenheilkunde  und  der  Geburtshilfe  noch  die  Prüfung  aus  den 
genannten  Fächern,  Hygiene  und  den  klinischen  Nebenfächern. 


Bedenkt  man  aber,  dass  der  Umfang  der  alten  grossen  Dis- 
ciplinen  sich  bedeutend  erweitert,  das  Wissen  ganz  merkwürdig  ver¬ 
tieft  hat,  so  muss  man  zugeben,  dass  nicht  nur  in  dem  Hinzutreten 
neuer  Fächer,  sondern  auch  in  der  Entwicklung  der  alten  ein  ganz 
gewaltiges  Plus  an  Prüfungsanforderungen  vorliegt.  Was  ist  aus  der 
pathologischen  Anatomie  mit  ihrem  histologischen  und  bacteriologischen 
Theile  geworden !  Wie  hat  sich  die  klinische  Medicin  durch  Ausbau 
ganz  neuer  Capitel  erweitert!  Welche  Bereicherung  hat  die  Geburts¬ 
hilfe  durch  den  Ausbau  der  Gynäkologie  erhalten!  Wer  alles  das  kennt, 
wer  das  aus  eigener  Erfahrung  kennt,  der  mag  sich  eine  mathematische 
Schätzung  entwerfen,  um  wie  viel  das  Quantum  des  Prüfungsstoffes 
seit  dreissig  Jahren  zugenommen  hat. 

Der  Umstand,  dass  jetzt  mehr  demonstrirt  und  praktisch  ein¬ 
geübt  werden  soll,  ändert  an  dem  Quantum  nichts.  Denn  dafür  ist  das 
Quantum  wieder  in  seiner  Art  complicirter  und  schwieriger.  Ja  vielleicht 
würde  diese  vergrösserte  Complicirtheit  des  Materiales,  wenn  man  sie 
quantitativ  bestimmen  könnte,  das  Prüfungsquantum  noch  grösser  er¬ 
scheinen  lassen. 

Man  kann  also  sagen,  dass  auch  nach  Ausscheidung  der  Chemie 
und  theilweiser  Ausscheidung  der  Anatomie  und  Physiologie  die 
Prüfungsanforderungen  der  in  Aussicht  genommenen  Matura  vielmals 
jene  Prüfungsanforderungen  übersteigen,  welche  vor  30  Jahren  dem 
Doctorat  der  Medicin,  der  Chirurgie  und  den  Magisterien  ent¬ 
sprachen. 

Und  wenn  es  damals  für  unmöglich  hätte  erachtet  werden 
müssen,  die  Prüfungen  gewissermassen  in  einem  Gesammtacte  abzulegen, 
so  erscheint  es  heute  umso  unmöglicher. 

Meines  Wissens  hat  keine  von  jenen  Stellen,  welche  seinerzeit 
um  ihre  gutachtliche  Aeusserung  angegangen  wurden,  einen  solchen 
Plan  gefasst,  und  es  ist  daher  nicht  ganz  richtig,  wenn  Herr  Ilofrath 
Exner  angeführt  hat,  dass  in  der  neuen  Rigorosenordnung  nichts 
enthalten  sei,  was  nicht  von  dieser  oder  jener  fachmännischen  Seite 
beantragt  worden  wäre.  Die  Idee  dieser  Matura  ist  weder  aus  den 
Collegien  noch  von  anderwärts  auch  nur  angeregt  worden. 

Man  überlege  nun,  was  die  Instruction  zur  Durchführung  der 
neuen  Rigorosenordnung  diesbezüglich  andeutet.  Der  Schüler  kann, 
heisst  es,  so  lange  er  will,  sich  vorbereiten.  Sei  er  aber  einmal  sich 
dessen  bewusst,  dass  er  auf  allen  Puncten  des  Prüfungsgebietes  zu 
Hause  sei,  so  habe  er  die  Prüfung  abzulegen.  Wiederholungsprüfung 
aus  Anatomie  oder  Physiologie,  Pathologie,  pathologischer  Anatomie, 
Pharmakologie,  Hygiene,  interner  Medicin,  Chirurgie,  Geburtshilfe, 
Augenheilkunde,  Syphilis  und  Hautkrankheiten,  Psychiatrie  und  Nerven- 
pathologie,  Kinderheilkunde  und  gerichtlicher  Medicin. 

Alle  diese  Gebiete  soll  er  so  inne  haben,  dass  er  die  Prüfung 
aus  ihnen  bestehen  kann.  Wie  viele  Semester  fieissigen  Studiums  muss 
ein  guter  und  ruhiger  Kopf  zurückgelegt  haben,  um  aus  diesen  Gegen¬ 
ständen  Prüfung  machen  zu  können? 

Interessant  wäre  es,  zu  hören,  auf  welchen  besonderen  Erwägungen 
die  Bestimmung  beruht,  warum  gerade  sechs  Wochen  zwischen  dem  zweiten 
und  dritten  Rigorosum  als  Pause  dienen  sollen,  warum  nicht  vier?  Ich 
suche  vergeblich  nach  einer  Antwort!  Ich  kann  sie  nicht  finden.  Wohl 
hat  man  die  Bestimmung  getroffen,  dass  der  Decan  diese  Frist  um  ein 
Kurzes  und  das  Ministerium  abermals  um  ein  Kurzes  verlängern  könne. 
Auch  hier  ist  es  mir  unbegreiflich,  warum  der  Decan  dem  Studenten 
nur  jene  kurze  Fristverlängerung  gewähren  kann.  Beruht  das  vielleicht 
auf  einer  ganz  genauen  Berechnung?  Auch  hier  frage  ich  mich  ver¬ 
gebens. 

Da  die  Zeiten  der  Ferien  nicht  zu  berechnen  sind,  wird  praktisch 
folgendes  Resultat  zu  Tage  treten:  Die  kühnsten  Candidaten  —  und 
ich  möchte  sie  geradezu  als  Wagehälse  bezeichnen  —  werden  sich  vor 
den  Osterferien  melden,  weil  sie  wissen,  dass  zu  den  vier  Wochen 
Osterferien  noch  die  sechs  Wochen  der  normalen  Frist  hinzutreten 
können,  und  werdeu  sehr  wahrscheinlich  noch  um  eine  Fristerstreckung 
bitten.  Es  ist  dann  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  eine  oder  andere 
bei  diesem  immensen  Wust  von  Prüfungen  wird  bestehen  können. 

Ein  ganzer  Haufe  von  Studenten  wird  aber  erst  im  Juli  kommen, 
um  die  Frist  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Rigorosum  durch  die  da- 
zwischenfallendenFerien  um  zehn  Wochenzuverlängern.  Durch  abermalige 
Fristerstreckung  von  Seite  des  Deeans  und  Ministeriums  kann  dann  bei 
dieser  Gruppe  der  Studenten  der  Zeitraum  zwischen  dem  zweiten  und 
dritten  Rigorosum  so  erweitert  werden,  dass  vielleicht  eine  grössere  Zahl 
von  Studenten  die  Prüfungen  bestehen  kann.  Darüber  wird  also  mehr 
als  ein  Jahr  vergehen. 

Eine  Zahl  von  Studenten  wird  überhaupt  in  dem  einen  Jahre 
nicht  Prüfung  machen,  da  sie  die  Masse  nicht  bewältigen  kann.  Sie 
wird  bis  zu  den  zweiten  Osterferien  oder  gar  bis  knapp  vor  den  zweiten 
Ferien  warten.  Wie  es  dabei  dem  armen  Studenten  gehen  wird,  der  auch 
noch  um  sein  Brot  kämpfen  muss,  wfie  viele  von  den  ärmsten  und 
fleissig8ten  Köpfen  durch  die  Ueberanstrengung  und  durch  den  psychischen 
Druck,  den  das  Riesenmaterial  auf  sie  ausübt,  krank  werden,  das  über- 
|  lasse  ich  der  Beurtheilung  der  Fachmänner. 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


80 


Ich  persönlich,  der  ich  mit  einer  grossen  Menge  von  Studenten 
in  stetem  Verkehre  bin,  muss  meiner  Meinung  Ausdruck  geben,  dass  so 
gerade  die  braven  und  ernsten  Studenten  der  Neurasthenie  zugeführt 
werden. 

Wie  aber  überall,  wird  auch  hier  eine  gewisse  Schlauheit  platz¬ 
greifen.  Eine  grosse  Zahl  von  jungen  Leuten  wird  sich  zum  zweiten 
Rigorosum  melden,  dann  nach  drei  Wochen  beim  dritten  erscheinen 
und  es  darauf  abgesehen  haben,  hier  durchzufallen,  damit  sie  durch  das 
Rejicirtwerden  eine  mehrmonatliche  Frist  erlangen. 

In  Erwägung  dessen,  dass  der  Prüfungsstoff  wesentlich  zu¬ 
genommen  hat,  hat  das  von  mir  entworfene  und  vom  Wiener  Pro¬ 
fessorencollegium  angenommene  Referat  den  Antrag  gestellt,  dass 
gewisse  kleine  Fächer,  wie  z.  B.  Ohrenheilkunde,  Laryngologie  und 
Zahnheilkunde  praktisch  erlernt  werden  müssen,  dass  aber  ein  Zeugniss 
über  den  gehörten  Curs  genügt. 

Diese  Erleichterung  nimmt  die  neue  Studienordnung  auch  in 
der  That  auf.  Bezüglich  der  sogenannten  klinischen  Nebenfächer 
schlugen  wir  einen  anderen  Ausweg  vor,  nämlich  den,  dass  der  Gan- 
diJat  über  diese  Fächer  während  der  Studienzeit  eine  theoretische  und 
praktische  Controlsprüfung  abzulegen  habe.  Wenn  man  erwägt,  wie 
wichtig  jedem  Specialisten  sein  Fach  erscheint,  so  kann  man  sich  nicht 
des  Eindruckes  erwehren,  dass  für  den  Studenten  die  Gefahr  vor¬ 
handen  ist,  aus  Specialfächern  über  das  Mass  des  unbedingt  Noth- 
wendigen  hinaus  geprüft  zu  werden.  Principiell  bat  auch  die  neue 
Studienordnung  dieser  geltend  gemachten  Befürchtung  eine  gewisse 
Rechnung  getragen.  Aber  sie  hat  leider  die  bedenkliche  Erleichterung 
eingeführt,  dass  der  Gesammtcalcul  nicht  alterirt  wird,  wenn  der  Student 
aus  einem  einzigen  dieser  Fächer  nicht  genügt.  Augenscheinlich  war 
der  Charakter  der  Controlsprüfung  nicht  genehm.  Dafür  aber  hat  man 
die  Möglichkeit  geschaffen,  dass  eine  Zahl  von  Studenten  das  eine, 
eine  andere  Zahl  das  zweite,  und  eine  dritte  Zahl  das  dritte  Neben¬ 
fach  vernachlässigen  wird. 

Die  Stellung  des  Arztes  im  Leben  ist  aber  nicht  derart,  dass 
man  bei  dem  Einen  ohne  Weiteres  übersehen  darf,  er  verstehe  von 
Geisteskrankheiten  nichts,  bei  dem  Anderen,  er  verstehe  von  Syphilis 
nichts.  Die  praktischen  Consequenzen  dieser  merkwürdigen  Einführung 
liegen  auf  der  Hand. 

Und  obwohl  wir  im  Wiener  Collegium  schon  die  Nebenfächer 
ausgeschieden  haben,  wagten  wir  es  dennoch  nicht,  zwischen  dem 
zweiten  und  dritten  Rigorosum  eine  so  kurze  Frist  vorzuschlagen.  Die 
neue  Rigorosenordnung  reiht  diese  Fächer  ein  und  bestimmt  die  kurze 
Frist.  Sie  involvirt  also  ein  Prüfungserforderniss,  das  zu  den  ernstesten 
Besorgnissen  zwingt. 

In  unseren  Tagen  ist  der  ärztliche  Stand  in  einem  so  harten 
materiellem  Kampfe  befangen,  dass  der  Zudrang  zu  demselben  schon 
nachzulassen  beginnt.  Tritt  jetzt  noch  eine  so  bedeutende  Erschwerung 
der  Prüfungen  hinzu,  so  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass  der  Andrang  zu 
dem  Stande  noch  mehr  abnebmen  könnte. 

Man  darf  nicht  vergessen,  dass  keine  Facultät,  keine  Abthei¬ 
lung  der  anderen  Hochschulen  eine  so  ganz  singuläre  und  noch  nie 
dagewesene  Erschwerung  der  Prüfungen  besitzt. 

Die  medicinische  Facultät  wird  dadurch  geradezu  stigmatisirt.  Es 
ist  also  zu  befürchten,  dass  durch  diesen  Umstand  die  Besorgung  dei 
Gesundheitspflege  der  Bevölkerung  gefährdet  werden  kann. 

Und  noch  einen  Gedanken  muss  ich  ausführen.  Angenommen, 
es  würden  die  Studenten  in  den  klinischen  Fächern  ordentlich  ge¬ 
schult;  daher  würde  das  Gedächtnissmaterial  geringer  ausfallen.  Wie 
aber  an  kleineren  Schulen,  wo  das  Lehrmateriale  au  und  füi  sich 
gering  ist?  Hier  muss  viel  aus  Büchern  und  anderen  Behelfen  einge¬ 
lernt  werden.  Selbst  an  grossen  Schulen  ist  das  Material  nie  so  be¬ 
schaffen,  dass  alle  Capitel  eines  jeden  Faches  eingeschult  werden 
können.  In  Wien  sieht  der  Student  z.  B.  von  Infectionskrankheiten 
nur  ein  geringes  Material.  Aber  auch  das  grösste  Material  voraus¬ 
gesetzt,  könnten  nur  wenige,  ganz  ausgezeichnete  Köpfe  die.  grosse 
Zahl  der  Prüfungen  bestehen,  die  sich  in  einem  so  kurzen  Zeiträume 
zusammendrängen  soll. 

Der  Vergleich  der  Schlussprüfungen  mit  der  Matura  am  Gym¬ 
nasium  darf  nur  ein  entfernter  sein.  Die  Matura  soll  die  Reite  des 
Mittelschulzöglings  nachweisen;  der  Modus  der  Prüfung  soll  danach 
eingerichtet  sein.  Man  kann  mit  dem  allgemeinen  Satze  sich  einver¬ 
standen  erklären,  dass  auch  die  Schlussprüfung  des  Mediciners  eine 
Reifeprüfung  für  das  Leben  sein  soll.  Jeder  Examinator  von  Erfahrung 
wird  das  auch  im  Auge  behalten  und  nicht  auf  Kenntnisse  Gewicht 
legen,  die  für  das  ^Virken  des  Arztes  belanglos  sind.  Aber  um  den 
Arzt  in  den  wichtigsten  Punkten  für  das  Leben  wirklich  auszurüsten, 
dazu  muss  man  ihn  sehr  umfänglich  schulen.  Und  wenn  man  sich 
überzeugen  will,  ob  er  die  nöthige  Ausrüstung  besitze,  dann  muss  man 
ihn  über  sehr  viele,  positive,  streng  formulirte  Punkte  der  Lehre 
prüfen.  Dann  muss  man  ihm  aber  Zeit  lassen,  sonst  ist  die  Getahi  da, 
dass  er  grossen  Schaden  leide. 

Zeit  lassen! 


REFERATE. 

Zur  Krebsfrage. 

Eine  Uebersicht  der  neuesten  einschlägigen  Arbeiten.  Von  Dr.  J.  Pichler 

in  Wien. 

Wie  aus  den  am  Schlüsse  angeführten  und  in  dieser  Arbeit 
besprochenen  Publicationen  ersichtlich  ist,  hat  die  Krebsfrage  in 
jüngster  Zeit,  namentlich  nach  ihrer  theoretischen  Seite  hin,  be¬ 
sonders  in  der  englischen  Literatur  einen  sehr  breiten  Raum  ein¬ 
genommen.  Vorzüglich  sind  es  die  Ausbreitung,  Zunahme  und 
Aetiologie  des  Carcinoms,  welche  Gegenstand  lebhafter  Erörterungen 
gewesen  sind  und  manche  neuartige,  interessante  Beleuchtung  ge¬ 
funden  haben. 

Nach  Park  sind  im  Staate  New-York  1887  2863,  im  Jahre  1898 
4456  Krebstodesfälle  vorgekommen.  Payne  stellt  mit  Hilfe  der 
in  London  veröffentlichten  officiellen  Tabellen  fest,  dass  in  England 
und  Wales  von  je  einer  Million  Einwohner  von  1851  — 1860  317, 
in  den  darauffolgenden  Decennien  387,  473  und  von  1881  bis 
1890  589  Personen  an  Krebs  gestorben  sind,  was  einer  Zunahme 
des  Krebses  um  86%  innerhalb  40  Jahre,  oder  wenn  man  nur 
die  Altersjahre  über  55  in  Betracht  zieht,  um  mehr  als  100% 
gleichkommt.  Diese  Zunahme  ist  besonders  durch  den  Krebs  der 
Verdauungsorgane,  weniger  durch  jenen  der  Genitalsphäre  bedingt. 

Nach  Newsholme  betrug  die  Zahl  der  Krebstodesfälle  in 
England  von  1891  — 1895  durchschnittlich  im  Jahre  712  pro  Million 
Lebender,  1896  aber  764.  Nach  diesen  Berechnungen  gehen  an 
Krebs  mehr  Menschen  zu  Grunde,  als  an  jeder  anderen  Krankheit 
mit  Ausnahme  von  Bronchitis,  Pneumonie  und  Tuberculose,  welche 
für  1896  mit  1539,  1149,  beziehungsweise  1307  Fällen  pro  Million 
der  Bevölkerung  verantwortlich  zu  machen  waren.  1896  war  durch¬ 
schnittlich  jeder  14.  Todesfall  bei  Männern,  jeder  9.  bei  Frauen 
durch  Krebs  bedingt  gewesen. 

Während  also  die  Mortalität  im  Hinblicke  auf  alle  übrigen 
Krankheiten,  seihst  auf  die  Tuberculose  herabgeht,  ist  es  nicht  zu 
verkennen,  dass  jene  an  Krebs  zusehends  ansteigt,  und  zwar  sind 
es  besonders  die  allerletzten  Jahre,  welche  im  Entgegenhalt  zur  Be¬ 
völkerungszunahme  ein  geradezu  unverhältnissmässiges  Ansteigen  der 
Krebstodesfälle  und,  wie  es  scheint,  in  allen  Ländern  erkennen 
lassen.  Prof.  Park,  welcher  von  den  New-Yorker  Verhältnissen 
spricht,  sagt  geradezu:  Ein  genaues  Studium  der  veröffentlichten 
Sterblichkeitstabellen  drängt  förmlich  zu  der  beunruhigenden  Prophe¬ 
zeiung:  »Wenn  das  relative  Mortalitätsprocent  in  den  nächsten 
zehn  Jahren  ebenso  ansteigt  wie  bisher,  dann  werden  wir  von  jetzt 
an  in  zehn  Jahren,  also  bis  1909,  im  Staate  New-York  mehr  Todes¬ 
fälle  in  Folge  von  Krebs  haben,  als  durch  Tuberculose,  Blattern 
und  Typhus  zusammengenommen«.  Wenn  diese  Ausicht  Park’s 
Vielen  auch  übertrieben  scheinen  wird,  so  ist  sie  doch  vorläufig 
beunruhigend  genug,  um  alle  berufenen  Factoren  zu  einer  Stellung¬ 
nahme  hinsichtlich  der  Krebsfrage,  namentlich  nach  jener  Richtung 
hin  zu  veranlassen,  welche  das  noch  bestehende  Dunkel  der  Aetiologie 
dieser  Krankheit  aufzuhellen  im  Stande  sein  könnte. 

Eine  numerische  Zunahme  des  Krebses  ist  sicher  vorhanden; 
die  Frage  ist  nur  die,  ob  diese  Zunahme  eine  wirkliche  oder  blos 
scheinbare  ist.  Payne  hält  sie  für  eine  wirkliche.  Es  liegt  nahe, 
anzunehmen,  dass  der  Krebs  jetzt  einfach  besser  und  häufiger 
diagnosticirt  und  als  solcher  in  die  öffentlichen  Sterblichkeitstabellen 
eingetragen  wird,  dass  früher  manches  unter  die  Rubrik  »Alters¬ 
schwäche«  eingereiht  worden  war,  was  jetzt  als  Krebs  erkannt  wird. 
Das  war  auch  die  Meinung  der  registrirenden  Behörde  in  England : 
aber  schon  1889  findet  sich  in  ihren  Veröffentlichungen  die  Be¬ 
merkung,  dass  diese  Ansicht  als  eine  optimistische  aufgegeben 
werden  müsse.  Es  ist  auch  kaum  anzunehmen,  dass  innerhalb  der 
letzten  zehn  Jahre  die  Diagnostik  sich  so  bedeutend  gebessert  hätte, 
als  dass  dadurch  die  auffallende  Zunahme  der  Krebsfälle  erklärt 
würde.  Hätte  sich  aber  die  Diagnostik  wirklich  so  wesentlich  ge¬ 
bessert,  so  könnte  man  wieder  sagen,  dass  früher  manches  b'n 
Krebs  erklärt  wurde,  was  gewiss  jetzt  unter  einem  anderen  Namen 
ausgewiesen  wird. 

Newsholme  nimmt  in  dieser  Frage  einen  gegensätzlichen 
Standpunkt  ein.  Das  Grösserwerden  der  Krebsziffern  ist  kein  Beweis 
für  eine  absolute  Zunahme  des  Carcinoms,  sondern  nur  eine  F olgc 
der  wachsenden  Genauigkeit  hinsichtlich  der  Feststellung  der  Fodes- 
ursachen.  Die  Eintragung  der  Todesfälle  beginnt  in  F.ngland  und 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


Wales  1839.  Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  in  früheren  Jahren  bei 
der  noch  mangelhaften  Diagnostik  viele  Krebsfälle  unter  anderen 
Rubriken  verzeichnet  worden  sein  müssen,  so  z.  B.  in  jener:  »Tod 
aus  unbekannter  Ursache«.  Letztere  Rubrik  musste  dann  im  Laufe 
der  Zeit  in  Folge  der  besseren  Kenntniss  der  Todesursachen  immer 
kleinere,  jene  von  Krebs  grössere  Werthe  aufweisen.  So  sehen  wir  in 
den  Registern  von*  England  und  Wales  I860 — 18G8  143.472  Todes¬ 
fälle  aus  unbekannter  Ursache  und  25-567  in  Folge  von  Krebs  ver¬ 
zeichnet;  1894 — 1896  dagegen  nur  mehr  68.650  Todesfälle  aus 
unbekannter  Ursache  und  67.888  in  Folge  Krebs.  Dass  die  neueren 
Berichte  des  »Registrar  General  eine  grössere  Genauigkeit  erlangt 
haben,  ist  auch  darauf  zurückzuführen,  dass  seit  1881  die  Hebung 
besteht,  in  jenen  Fällen,  in  welchen  die  Todesursache  von  einem 
Arzte  zu  unbestimmt  angegeben  wird,  z.  B.  Tumor,  Leber¬ 
erkrankung  etc.,  brieflich  eine  genauere  Angabe  der  Todesursache 
einzuholen.  Auf  diesem  Wege  wurden  1896  allein  von  111  Fällen, 
von  » Oesophagusstricturen «  bei  74  derselben  deren  maligne  Natur 
erwiesen.  1889  waren  3175  solcher  brieflicher  Anfragen  ergangen 
denen  zufolge  421  Todesfälle  noch  nachträglich  als  durch  Krebs 
bedingt  eingetragen^ wurden. 

Für  einc~nur*"scheinbaiVZunahme  der  Krebssterblichkeit  mag 
unter  Anderem*  noch  der  Umstand  sprechen,  dass  die  Zunahme  bei 
den  Männern  ungleich  grösser  als  bei  den  Frauen  sich  darstellt. 
8o  betrug  der  Zuwachs  an  Krebstodesfällen  in  England  von  1881  bis 
1891  bei  den  Männern  69%,  hei  den  weiblichen  Individuen  blos 
28%.  Diese  Ziffern  scheinen  nicht  der  Wirklichkeit  zu  entsprechen, 
sondern  nur  anzuzeigen,  dass  jetzt  auch  bei  den  Männern,  bei 
denen  der  Krebs  häufig  einen  versteckteren  Sitz  hat,  besser  erkannt 
wird.  Auch  die  Daten  der  Versicherungsgesellschaften  sollen  nicht 
für  eine  Krebszunahme  sprechen. 

Angenommen,  die  Krebssterblichkeit  habe  wirklich  zugenommen, 
dann  ist  die  Frage  nach  den  Ursachen  dieser  Zunahme 
eine  besonders  dringende.  Es  werden  deren  mehrere,  doch  keine 
ganz  befriedigenden,  angegeben.  Lässt  man  die  Vererbbarkeit  als 
Ursache  gelten,  so  wäre  allerdings  das  Anwachsen  der  Krebsfälle 
eine  arithmetische  Nothwendigkeit;  ferner  könnte  man  daran  denken, 
dass  die  Abnahme  der  Tuberculose,  der  Infectionskrankheiten,  die 
für  einen  Theil  der  Menschen  besser  gestalteten  wirthschaftlichen 
Verhältnisse  diese  ein  höheres  Alter  und  damit  auch  jene  Jahre 
erreichen  lassen,  in  denen  der  Krebs  sich  häufiger  einzustellen  pflegt; 
möglich,  dass  auch  der  zunehmende  Alkoholismus  eine  grössere 
Disposition  für  diese  Krankheit  schafft. 

ln  dieser  Hinsicht  ist  auch  der  Einfluss  der  Be¬ 
schäftigung  beach tenswerth,  bezüglich  dessen  die  englischen 
Tabellen  für  das  Jahr  1891  unter  Anderem  folgende  relative 
Zahlen  bringen.  Während  von  den  Schornsteinfegern  156,  von 
Kupferbergwerkarbeitern  86,  von  Brauern  und  Wirthen  70,  von 
Gasthausbediensteten  67,  Kutschern  58,  Fleischern  57,  Kohlen- 
trägern  56,  Hafenarbeitern  51  an  Krebs  zu  Grunde  gingen,  sind  von 
Aerzten  43,  Farmern  37,  von  Landarbeitern,  Gärtnern  und  Arbeitern 
in  Kohlenbergwerken  36,  von  Geistlichen  35  dieser  Krankheit  er¬ 
legen.  Abgesehen  von  den  Rauchfangkehrern,  welche  eine  förmlich 
exceptionelle  Disposition  für  den  Krebs  zu  erwerben  scheinen,  er¬ 
lauben  diese  Zahlen  die  Annahme,  dass  der  Alkohol  nicht  ohne 
Einfluss  auf  das  Auftreten  von  Krebs  sei.  Bergleute  scheinen  gegen¬ 
über  Krebs  sich  einer  grösseren  Immunität  zu  erfreuen,  als  gegen¬ 
über  der  Phthise.  Die  Aufhellung  des  Dunkels  der  Krebsätiologie 
wird  ja  auch  zeigen,  welche  Factoren  bei  einer  Beschäftigung  für 
das  Auftreten  von  Krebs  als  ursächliche  zu  gelten  haben. 

Nicht  ohne  Wichtigkeit  ist  es,  die  territoriale  Ausbreitung 
des  Krebses,  beziehungsweise  die  geologischen,  klimatischen,  mine¬ 
ralischen,  pflanzlichen,  thierischen  Verhältnisse  kennen  zu  lernen, 
unter  welchen  das  Carcinom  auftritt,  insofern  all  das  für  die 
Aeliologie  dos  Krebses  in  Betracht  kommen  kann.  Nach  den  An¬ 
gaben  von  Behl a  ist  der  Krebs  auf  einem  sehr  grossen  Theile 
der  Erde  häufig;  er  ist  selten  in  Griechenland,  der  Türkei,  noch 
seltener  in  China  und  Indien,  etwas  häufiger  in  Japan.  Sehr  gering 
soll  die  Zahl  der  Krebsfälle  in  Aegypten,  Abessinien,  Tunis  und 
Tripolis  sein;  noch  weniger  soll  er  im  nördlichsten  Europa  und 
Amerika,  in  Syrien,  Persien,  Arabien  und  Südcalifornien  Vorkommen; 
in  den  tropischen  und  subtropischen  Gegenden  von  Amerika,  in 
Westindien,  in  West-  und  Centralafrika  fehlt  er  fast  ganz.  Auf  den 


Faröerinseln  soll  bisher  nur  ein  Fall,  in  Grönland  und  im  nördlichen 
Sibirien  noch  gar  keiner  beobachtet  worden  sein. 

H  a  v  i  1  a  n  d  hat  seit '30  Jahren  die  Häufigkeit  des  Auftretens 
von  Krebs  in  verschiedenen  Theilen  von  England  verfolgt  und  will 
dabei  die  Erfahrung  gemacht  haben,  dass  im  Kalkgebiete  von 
England  und  Wales  immer  die  niederste,  in  den  Gegenden  mit 
Lehmboden  die  höchste  Krebssterblichkeit  vorhanden  sei. 

In  Anbetracht  der  zwischen  Krebs  und  manchen  Oertlich- 
keiten  bestehenden  Beziehungen  könnte  man  mit  Power  meinen, 
dass  der  Krebs  von  Organismen  hervorgerufen  werde,  welche  unter 
ähnlichen  Bedingungen  wie  die  Malariaparasiten  leben,  aber  eine 
viel  längere  Incubationszeit  besässen,  aus  dem  Blute  in  die  Organe 
träten,  aber  nur  die  mehr  oder  minder  schon  voraus  geschädigten 
Gewebe  beeinflussen  und  zur  Proliferation  reizen. 

Einen  E  i  n  fl  u  s  s  der  örtlichen  Verhältnisse  auf 
den  Krebs  hält  auch  Jackson  für  wahrscheinlich;  er  ist  der 
Meinung,  dass  das  Carcinom  häufiger  an  Orten  vorkomme,  die  an 
Flüssen  liegen,  welche  öfters  über  die^Ufer  treten;  vielleicht  sind 
da  weniger  Wasser  und  Feuchtigkeit  an  sich,  als  vielmehr  die  un¬ 
hygienischen  Verhältnisse  schuld,  welche  die  Widerstandskraft  des 
Körpers  und  seiner  Gewebe  herabsetzen  und  dadurch  dem  Krebs¬ 
agens  —  dieses  zugegeben  —  den  Boden  bereiten.  Es  ist  zweifel¬ 
los,  dass  Krankheiten,  welche  den  Körper  schwächen,  von  Einfluss 
auf  das  Wachsthum  einer  Neubildung  sind.  Jackson  weist  auf 
einen  Fall  hin,  in  welchem  nach  einer  Influenza  ein  früher  sehr 
langsam  wachsender  Tumor  ausserordentlich  rasch  fortschritt;  ferner 
auf  ein  vor  Jahren  exstirpirtes  Epitheliom  der  Zunge,  das  nach 
einem  Influenzaanfall  rasch  recidivirte  und  schnell  zum  Tode  führte. 
Ist  es  bei  diesem  Sachverhalte  nicht  denkbar,  dass  die  Influenza¬ 
epidemien,  die  vor  zehn  Jahren  aufzutreten  begannen  und  über  die 
ganze  Erde  zogen,  zum  Theile  wenigstens  für  die  augenscheinliche 
Zunahme  des  Krebses  seit  jener  Zeit  verantwortlich  gemacht  werden 
könnten? 

Auch  in  Bezug  auf  sein  Auftreten  an  einzelnen  Orten 
bietet  der  Krebs  manches  Auffällige,  besonders  dann,  wenn 
wir  dabei  bleiben,  für  seine  Entstehung  eine  örtliche  Ursache, 
ein  Trauma,  eine  Irritation  zu  verlangen,  nicht  aber  wenn  wir  unter 
Krebs  ebenso  eine  Infectionskrankheit  verstehen,  wie  unter  Tuber¬ 
culose,  Aktinomykose  u.  s.  w.  Bei  dieser  Auffassung  wird  man  ein 
gehäuftes,  endemisches  Auftreten  von  Krebsfällen,  wie  sie  Power 
berichtet,  besser  verstehen  als  durch  andere  Erklärungsversuche. 
Power  hat  in  der  Nähe  von  London  auf  einem  District  von  etwa 
60  englischen  Quadratmeilen  mit  einer  Ackerbau  treibenden,  unter 
annehmbaren  wirthschaftlichen  Verhältnissen  lebenden  Bevölkerung 
von  rund  12.000  Menschen  seine  Krebsstudien  gemacht  und  unter 
diesen  von  1872  — 1898  173  Carcinomfälle  (59  Männer,  113  Frauen) 
feststellen  können;  darunter  waren  49  Carcinome  des  Verdauungs- 
canales,  10  Lippen-,  37  Brust-  und  31  Uteruskrebse.  Die  nähere 
Betrachtung  einzelner  Fälle  ergibt  folgende  Besonderheiten.  Ein 
26jähriger  Mann,  dessen  Grosstante  an  Brustkrebs  gestorben,  war 
an  derselben  Krankheit,  dessen  Nachfolger  in  der  Wohnung  an  Mast¬ 
darmkrebs  und  der  Nachfolger  dieses  mit  36  Jahren  an  einem 
Sarcoma  testis  zu  Grunde  gegangen.  Eine  andere  Reihe  maligner 
Neubildungen  tritt  in  drei  unter  einem  Dache  vereinten  Wohnungen 
auf.  Eine  verheiratete  Tochter  war  1892  mit  22  Jahren  an  einem 
Beckensarkom,  deren  Mutter  1894,  52  Jahre  alt,  an  Gebärmutter¬ 
krebs,  1898  ein  74jähriger  Mann  gestorben,  der  einige  Jahre  vorher 
an  einem  Epitheliom  der  Lippen  operirt  worden  war. 

Bezüglich  des  familiären  Auftretens  sind  noch  folgende  Fälle 
interessant:  Zwei  Brüder  starben  an  Mastdarmkrebs,  zwei  Schwestern 
der  nächsten  Generation  an  Brust-,  beziehungsweise  Uteruskrebs; 
oder  die  Mutter  stirbt  an  Brustkrebs,  ebenso  ihre  zwei  Töchter, 
eine  dritte  an  Gebärmutterkrebs;  ferner:  Vater  an  Mastdarmkrebs, 
Mutter  und  Tochter  an  Brustkrebs. 

Ein  anderer  Fall  von  mehreren  herausgenommen,  die  Power 
veranlassen,  geradezu  von  Krebshäusern  zu  sprechen,  ist 
folgender:  Eine  45jährige  Frau  hatte  durch  13  Jahre  in  der  Um¬ 
gebung  von  London  gelebt  und  war  1884  an  Magenkrebs,  ihre 
Nachfolgerin  in  der  Wohnung,  welche  dasselbe  Schlafzimmer  benützt 
hatte,  im  folgenden  Jahre,  47  Jahre  alt,  an  Leberkrebs  gestorben; 
darauf  wird  derselbe  Schlafraum  von  einer  67jährigen  Dame  benützt, 
welche  1893  an  Brust-  und  Gebärmutterkrebs  stirbt.  Jede  dieser 
Frauen,  zwischen  denen  gar  keine  Blutsverwandtschaft  bestanden 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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hatte,  schien  sich  so  lange  der  besten  Gesundheit  zu  erfreuen,  bis 
sie  an  die  Stelle  ihrer  jeweiligen  Vorgängerin  in  der  Wohnung  ge¬ 
kommen  war.  Seit  das  Zimmer  desinficirt  und  das  Bett  verbrannt 
worden  war,  ist  kein  neuer  Krebsfall  in  der  Wohnung  mehr  vor¬ 
gekommen. 

Solche  Fälle  und  damit  auch  die  vielfach  herangezogene 
Vererbbarkeit  des  Krebses  lassen  sich  mit  Jackson 
sehr  gut  in  der  Weise  erklären,  dass  irgend  ein  beliebiges  Organ 
durch  Generationen  hindurch  eine  von  den  Vorfahren  ererbte  ver¬ 
minderte  Widerstandskraft  besitzt,  in  welchem  Organe  —  wenn  wir 
eine  parasitäre  Entstehung  des  Carcinoms  annehmen  —  dessen  Er¬ 
reger  sich  entwickeln  kann.  Jackson  erwähnt  selbst  einen  Fall, 
in  dem  drei  Schwestern  fast  zur  selben  Zeit  an  Uteruskrebs  starben 
und  weiters  fünf  oder  sechs  Descendenten  aus  einer  Familie,  die  dem 
Krebs  an  einer  und  derselben  Körperstelle  erlegen  sind.  In  solchen 
Fällen  ist  man  fast  gezwungen,  anzunehmen,  dass  die  betreffenden 
Organe  ihrer  geweblichen  Structur  nach  hereditär  minderwerthig 
und  einer  Infection  daher  zugänglich  waren. 

Solche  Thatsachen  lenken  von  selbst  die  Gedanken  auf  einen 
parasitären  Ursprung  desKrebses,  denn  wenn  der  Krebs 
nur  in  Folge  eines  Traumas,  einer  localen  Reizung  entstehen  würde, 
so  wäre  es  doch  sehr  sonderbar,  wenn  Generationen  hindurch  ein 
Trauma,  eine  Reizung  immer  dieselbe  Körperstelle  getroffen  hätte; 
halten  wir  den  Krebs  aber  für  eine  Krankheit  infectiöser  Art,  wie 
so  viele  andere,  dann  ist  es  leicht  begreiflich,  dass  bei  weiter  ver¬ 
erbter  abnormer  Structur  immer  dasselbe  Organ  einen  günstigen 
Angriffspunkt  für  den  Parasiten  bieten  muss.  Dass  das  Trauma  in 
irgend  einer  Beziehung  bei  der  Entstehung  des  Krebses  betheiligt 
sei,  kann  nicht  a  priori  von  der  Hand  gewiesen  werden.  Dafür  sind 
zu  viele  Fälle  aus  der  Literatur  bekannt,  in  welchem  der  Zusammen¬ 
hang  zwischen  diesem  und  einem  entstehenden  Carcinome  ein  in 
die  Augen  springender  ist.  In  neuester  Zeit  sind  aus  der  Eiseiber g- 
schen  Klinik  in  Königsberg  31  Fälle  (12  Carcinome,  19  Sarkome), 
berichtet  worden,  in  welchen  zwischen  Neubildung  und  Trauma 
mit  mehr  oder  minder  grosser  Wahrscheinlichkeit  eine  Beziehung 
nachgewiesen  werden  konnte.  Es  handelt  sich  in  allen  derartigen 
Fällen  nur  um  die  Deutung  des  Werthes,  welcher  dem  Trauma  bei 
der  Auslösung  einer  Neubildung  zukommt. 

Die  bisher  gangbaren  Theorien  über  die  Entstehung  des 
Krebses:  Irritation,  nervöser  Ursprung,  Heredität  (im  vulgären 
Sinne)  u.  s.  w.  genügen  augenblicklich  nicht  mehr.  Sicher  ist,  wenn 
man  so  sagen  darf,  dass  auf  die  Zellen  des  vom  Krebs  befallenen 
Organes  ein  Reiz  einwirkt,  welcher  die  Zellen  zur  Wucherung 
anregt;  welcher  Art  dieser  Reiz  ist,  ist  heute  noch  nicht  bekannt, 
doch  scheint  sich  Alles  auf  die  Frage  zuzuspitzen: 

Ist  der  Krebs  eine  durch  einen  pflanzlichen 
oder  thie rischen  Parasiten  bedingte  Inlections- 
krankheit  oder  nicht? 

Ist  der  Krebs  eine  Infectionskrankheit,  dann  gehört  er,  wie 
Park  bemerkt,  zu  jenen,  die  durch  ein  ausserordentlich  langsames 
Vorwärtsschreiten  ausgezeichnet  sind.  Es  ist  bekannt,  dass  die  In- 
fectionskrankheiten  innerhalb  sehr  weiter  Zeitgrenzen  zum  lode 
führen:  Gelbfieber  und  Cholera  innerhalb  Stunden,  Typhus  in 
Wochen,  Tuberculose  nach  Jahren.  Der  zeitliche  Verlauf  der  Krebs¬ 
krankheit  spricht  also  nicht  gegen  deren  infectiöse  Natur.  Direct 
spricht  vorläufig  dafür  die  erwiesene  Möglichkeit,  den  Krebs  von 
einem  Körpertheil  auf  einen  anderen  zu  übertragen,  sowie  die  in 
den  späteren  Stadien  der  Krankheit  auflretende  Kachexie. 

Wir  kennen  ferners  zweifellos  Geschwülste,  die  durch  Mikro¬ 
organismen  bedingt  sind,  ja  durch  verschiedene  Organismen  bedingt 
sind,  und  doch,  wie  Czerny  aufmerksam  macht,  einander  ganz 
ähnlich  sehen.  Syphilome  können  Sarkomen  zum  Verwechseln 
gleichschauen,  die  Aktinomycesgeschwülste  bei  Rindern  sind  längst 
als  Osteosarkome  beschrieben  worden  und  dass  Staphylococcen, 
Tuberkel-,  Lepra-,  Rhinosklerombacillen,  Bilharzia  u.  a.  zu  1  umor- 
bildung  führen  oder  führen  können,  ist  bekannt. 

Die  Anschauung,  dass  der  Krebs  eine  Infectionskrankheit  sei, 
datirt  nicht  erst  von  heute:  im  Glauben  des  Volkes  steht  sie  von 
jeher  fest  und  1773  ist  sie,  wie  Plimmer  in  einem  geschicht¬ 
lichen  Ueberblick  erwähnt,  schon  Gegenstand  der  Gontroverse  gewesen. 
Seitdem  ist  darüber  viel,  aber  bis  in  die  neuere  Zeit  nichts  aul 
reeller  Basis  geschrieben  worden.  Von  rein  historischem  Interesse 
ist  die  Blastematheorie  von  Broca  (1849)  und  Robin  (1865). 


Thiersch  (1865)  schrieb  die  Entstehung  des  Krebses  einem 
Antagonismus  zwischen  Epithel  und  benachbartem  Bindegewebe  zu; 
ist  das  letztere,  beispielsweise  durch  Alter,  minderwerthig  geworden, 
so  kann  dies  für  das  Epithel  eine  Veranlassung  werden,  in  die 
Tiefe  zu  wuchern.  Gegen  diese  Theorie  scheint  schon  die  Er¬ 
fahrung  zu  sprechen,  dass  gerade  bei  jüngeren  Personen  die 
Krebse  sehr  schnell  sich  ausbreiten.  Verneuil  (1884)  sprach 
von  einer  neoplastischen  Diathese.  Inzwischen  war  C  o  h  n  h  e  i  m 
(1875)  mit  seiner  glänzend  vertheidigten  Theorie  aufgetreten,  dass 
die  Neubildungen  aus  Gewebskeimen  ihren  Ursprung  nähmen,  die 
schon  zur  Embryonalzeit  verlagert  worden  waren,  womit  aber  eigent¬ 
lich  noch  gar  nicht  gesagt  ist,  warum  oder  wie  aus  diesen  ver¬ 
sprengten  Embryonalzellen  Krebse  entstehen.  Wie  Czerny  bemerkt, 
ist  diese  Theorie  für  die  Entstehung  der  Krebse,  wenigstens  der 
meisten,  nicht  mehr  haltbar,  wenn  man  die  last  gesetzmässige 
Localisation  des  Carcinoms  in  Betracht  zieht;  ebensowenig  jene  von 
R  i  b  b  e  r t,  welche  sich  von  der  C oh  n  h  e  i  m’schen  Theorie  im 
Allgemeinen  nur  dadurch  unterscheidet,  dass  behauptet  wird,  es  sei 
nicht  nothwendig,  anzunehmen,  dass  die  Krebse  aus  Zellen  oder 
Zellverbänden  entstünden,  welche  schon  zur  Zeit  des  Embryonal¬ 
lebens  verlagert  worden  wären,  da  diese  Verlagerung  auch  in  Folge 
von  Entzündungen  während  des  späteren  Lebens  vor  sich  gehen 
könne.  Abgesehen  davon,  dass  auch  gegen  diese  Theorie  die  gleichen 
Einwände,  wiegegen  die  C  o  h  n  h  e  i  m’sche  gelten,  sollte  eigentlich, 
wie  Czerny  bemerkt,  nach  derselben  jede  Thiersch  sehe 
Transplantation  die  Veranlassung  zu  einem  Krebse  werden  können. 

Nachdem  V  i  r  c  h  o  w  schon  1851  auf  Hohlräume  und  doppelte 
Contouren  in  den  Krebszellen  aufmerksam  gemacht  hatte,  haben  in 
neuerer  Zeit  Forscher  in  Folge  ihrer  Ueberzeugung  vom  parasitären 
Ursprünge  des  Krebses  nach  dem  Erreger  desselben  gesucht. 
Namentlich  ist  Güssen  bau  er  in  dieser  Richtung  vorangegangen; 
Thoma  hat  1889  die  sogenannten  Zelleinschlüsse  tür  Parasiten 
gehalten,  Malasse  z  im  selben  Jahre  Coccidien  in  einem  Zahn¬ 
fleischtumor  beschrieben,  Metschnikoff  1892  die  Zelleinschlüssc 
direct  als  Parasiten  erklärt. 

Es  folgt  nun  die  neueste  Epoche  mit  den  Forschungsergeb¬ 
nissen  der  italischen  Schule.  San  Felice  in  Cagliari  und  Ron- 
cali  in  Rom  haben  in  den  Krebszellen  Organismen  entdeckt, 
welche  von  ihnen  als  Blastomyceten,  beziehungsweise  als  eine 
Varietät  von  Saccharomyces  oder  Hefepilzen,  von  Metschnikoif 
als  Protozoen  erklärt  wurden. 

Diese  letztgefundenen  » Zelleinschlüsse«  stehen  augenblicklich 
im  Vordergründe  des  Interesses.  Manche  dieser  Einschlüsse  mögen, 
wie  behauptet  wird,  blosse  Degenerationsstadien  im  Inneren  der 
Zellen  sein;  sicher  ist  jedoch,  dass  nicht  Alles  davon  unter  die  bis  jetzl 
bekannten  Formen  der  Zelldegeneration  eingereiht  werden  kann. 
Plimmer,  welcher  sich  selbst  auf  das  eifrigste  mit  dem  Studium 
dieser  Frage  beschäftigt  hat  und  wichtige  Ergänzungen  zu  den 
Forschungsresultaten  Sanfelices  liefert,  beschreibt  diese  Zellein¬ 
schlüsse,  respective  Parasiten,  als  runde  Körperchen  von  0  004  bis 
0  04  mm  Durchmesser  mit  einem  differenzirten  centralen  Theile,  der 
•sich  mikrochemisch  ganz  anders  verhält,  als  ein  Zellkern,  aber 
auch  als  Kern  bezeichnet  wird.  Dieser  Kern  ist  von  einer  homo¬ 
genen  Protoplasmaschichte  umgeben,  welche  wiederum  von  einer 
Kapsel  umhüllt  ist.  Ausser  dieser  gewöhnlichen  Art  gibt  es  noch 
andere  Einschlüsse,  seltenere,  die  besonders  in  schnellwachsenden 
Krebsen  Vorkommen  und  sich  von  den  ersteren  durch  einige  Ab¬ 
weichungen  im  Verhalten  des  Kernes,  der  Kapsel  u.  s.  w.  unten - 
scheiden. 

Wie  Plimmer  ausführt,  gibt  es  bezüglich  dieser  sicher 
vorkommenden  Gebilde  zwei  Möglichkeiten:  entweder  sind  sie  de- 
generirte  Theile  der  Zellen,  oder  sie  sind  parasitäre  Einschlüsse. 
Dass  es  sich  nicht  um  einen  Degenerationszustand  handle,  geht  daiaus 
hervor,  dass  sie  keine  der  bisher  bekannten  Reactionen  irgend 
einer  Degenerationsform  geben,  dass  sie  nicht  in  den  degeneriiten, 
sondern  in  den  wachsenden  Theilen  der  Neubildung  gefunden 
werden,  und  dass  sie  bisher  in  keinem  anderen  Gewebe,  wedei  in 
einem  entzündeten,  noch  in  einem  degenerirten,  noch  in  einem 
neoplastischen  —  mit  Ausnahme  in  Sarkomen,  die  ja  eigentlich 
nichts  Anderes  sind,  als  Krebse  des  Bindegewebes  —  gesehen 
worden  sind;  sie  können  sich  ferner  auch  ausserhalb  des  Küipeis 
vermehren! 


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Nr.  4 


Es  wurde  schon  erwähnt,  dass  jetzt  dieser  eine  Parasit  als 
möglicher  Krebserreger  angesehen  wird,  wobei  es  vorläufig  ziemlich 
gleichgiltig  ist,  oh  dieser  Krebskeim  thierischer,  wie  Metschni- 
koff  behauptet,  oder  pflanzlicher  Herkunft,  wie  Sanfelice  an¬ 
nimmt,  sei. 

Flimmer  hat  in  den  letzten  Jahren  1278  Krebse  mikro¬ 
skopisch  untersucht  und  in  diesen  in  1180  Fällen  die  in  Rede 
stehenden  Parasiten,  und  zwar  in-  und  ausserhalb  der  Zellen  ge¬ 
funden;  von  den  übrigen  waren  30  fibröse  und  27  in  Degeneration 
befindliche  Krebse  gewesen.  Im  Allgemeinen  wurden  sie  in  langsam 
wachsenden  Tumoren  nur  spärlich,  bei  den  seltenen,  schnell¬ 
wachsenden,  gewissermassen  acuten  Formen  in  überaus  grosser  Zahl 
gefunden.  P  1  i  m  m  m  e  r  hat  nur  neun  solcher  Fälle  zu  untersuchen 
Gelegenheit  gehabt.  Klinischer  Verlauf  des  Krebses  und  Zahl  der 
Parasiten  scheinen  demnach  in  einem  gleichen  Verhältniss  zu  ein¬ 
ander  zu  stehen. 

Es  gelang  nun  Flimmer  weiters,  diese  Organismen  zu  iso- 
liren,  nach  einem  eigenen  Verfahren  aus  einem  schnellwachsenden 
Krebse  zu  cultiviren,  wobei  er  den  Eindruck  gewann,  dass  sie 
anaerob  wären  und  in  dieser  Richtung  behandelt,  nicht  nur  besser 
wachsen,  sondern  auch  ihre  Virulenz  beibehalten  würden. 

Nach  mehreren  missglückten  Versuchen  ist  es  PI  immer 
vorläufig  gelungen,  durch  intraperitoneale  Injection  seiner  Culturen 
bei  Meerschweinchen  in  den  Bauchorganen  Tumoren  endothe¬ 
lialer  Natur  zu  erzeugen,  von  diesen  Geschwülsten  abermals 
Culturen  zu  gewinnen  und  mit  denselben  aufs  Neue  die  gleiche 
Geschwulstbildung  hervorzurufen.  Die  injicirten  Thiere  sind  zwischen 
dem  18.  und  20.  Tage  eingegangen. 

Fasst  man  zusammen,  was  von  den  genannten  Autoren  hin¬ 
sichtlich  der  Feststellung  der  parasitären  Natur  des  Krebses  angeblich 
gefunden  worden  ist,  so  ergibt  sich  nach  Barling:  Pli  m  m  e  r,  be¬ 
hauptet  er,  habe  denselben  oder  mindestens  einen  ähnlichen  Parasiten 
wie  Sanfelice  aus  einem  menschlichen  Krebs  isolirt  und  cultivirt 
und  ferner  durch  Injection  seiner  Culturen  bei  Meerschweinchen 
Tumoren,  aber  nicht  von  zweifellos  krebsiger  Natur  erzeugt.  San¬ 
felice  hingegen  soll  es  gelungen  sein,  mit  seinen  Culturen  typische 
Krebsgeschwülste  zu  erzeugen,  jedoch  aus  diesen  nicht  wieder  den 
Erreger  zu  cultiviren.  Haben  alle  diese  Versuche  uns  bisher  noch 
keinen  absoluten  Beweis  für  den  parasitären  Ursprung  des  Krebses 
gebracht,  so  berechtigen  sie  uns  doch  zur  Hoffnung,  dass  sich  in 
absehbarer  Zeit  die  Aetiologie  des  Krebses  klarlegen  lassen  könnte. 

Man  darf  nicht  vergessen,  dass  zur  Beantwortung  dieser 
wichtigen  Frage  das  Thierexperiment  nothwendig  ist,  die  Thiere 
aber  allem  Anscheine  nach  gegen  Krebs  ziemlich  immun  sind. 
Dennoch  kommt  das  Carcinom  auch  bei  Thieren  vor.  Fadyean, 
Director  des  Thierarzneiinstitutes  in  London,  hat  daselbst  63  Thiere 
gesehen,  die  an  Krebs  operirt  worden  waren.  Alle  Hausthiere  waren 
darunter  vertreten,  nur  das  Schwein  nicht.  Bemerkenswerth  ist, 
dass  das  Euter  der  Kuh,  eine  Gegend  so  häufiger  Irritation  bei  der 
Lactation  und  von  Entzündungsvorgängen  gegen  Krebs  nahezu 
immun  ist,  wie  andererseits  kein  Pferd  den  Krebs  an  einer  Stelle 
hatte,  welche  vom  Sattel  gedrückt  worden  war.  Bei  25  mit  Krebs 
behafteten  Pferden  war  derselbe  15mal  am  Penis  localisirt;  an  eine 
locale  Reizung  des  Penis  ist  dabei  kaum  zu  denken,  da  sieben 
dieser  Pferde  Walachen  waren.  Guillebeau  berichtet  über  fünf 
Fälle  von  Uteruskrebs  bei  Kühen. 

Eine  andere  Frage  ist  die,  wie  die  Parasiten  in  den 
Körper  gelangen.  Durch  die  Respiration,  wie  Jackson  aus¬ 
führt,  kaum,  sonst  müsste  der  primäre  Krebs  der  Lunge  nicht  so  selten 
sein.  Möglicher  Weise  gelangt  er  mit  den  Nahrungsmitteln  in  den 
Magen,  in  welcher  Beziehung  man  schon  auf  die  Paradiesäpfel, 
sowie  Fischgräten  den  Verdacht  gelenkt  hat.  Vom  Verdauungstract 
geht  der  Organismus  wahrscheinlich  ins  Blut,  von  wo  er  in  jenes 
Organ  Übertritt,  welches  ihm  seine  Weiterentwicklung  erlaubt,  also, 
wie  früher  bemerkt,  in  ein  solches,  dessen  Widerstandskraft  herab¬ 
gesetzt  ist.  In  dieses  Capitel  gehört  vielleicht  auch  das  oft  beobach¬ 
tete  Auftreten  von  Recidiven  im  Bereiche  der  angelegten  Nähte, 
während  die  Stellen  zwischen  denselben  frei  bleiben.  Dort  wo  die 
Nähte  liegen,  sind  die  Gewebe  am  meisten  gespannt,  daher  blut¬ 
leerer  und  weniger  widerstandsfähig,  weshalb  die  Krebserreger 
gerade  hier  und  so  lange  die  Nähte  noch  an  Ort  und  Stelle  liegen, 
eine  günstige  Gelegenheit  zur  Ansiedlung  finden.  Ist  diese  Schluss¬ 
folgerung  richtig,  so  ginge  daraus  hervor,  wie  wichtig  es  sein 


würde,  hei  Vereinigung  der  Wundränder  nach  einer  Krebexstirpalion 
jede  Spannung  der  Haut  möglichst  zu  vermeiden. 

Hinsichtlich  des  Infectionsvorganges  ist  Czerny  der  Meinung, 
dass  die  Krebskrankheit  nicht  von  innen  heraus  entstehe,  kein 
malum  primae  formationis  sei,  sondern  durch  eine  äusserliche 
Schädlichkeit,  welche  den  allgemein  oder  local  disponirten  Körper 
trifft,  bedingt  wird.  Wenn  man  besonders  die  Localisation  der 
Krebse  ins  Auge  fasst,  so  fällt  es  auf,  dass  die  Carcinome  in  der 
Regel  von  solchen  Stellen  der  Haut  oder  Schleimhaut  ausgehen, 
welche  durch  chronische  Entzündung  oder  Narben  local  disponirt 
sind,  an  welchen  leicht  Schmutz  oder  Darminhalt  längere  Zeit 
haftet.  Aber  nicht  jeder  beliebige  Schmutz  macht  Krebs,  sondern 
ein  solcher,  in  welchem  die  specifischen  Krebserreger  vegetiren. 

Für  diese  Ansicht  kann  die  Localisation  des  Krebses  an  der 
Haut  herbeigezogen  werden;  man  findet  da  die  merkwürdige  That- 
sache,  dass  fast  ausschliesslich  die  unbedeckte  Haut  befallen  ist. 
Am  Rücken  hat  Czerny  nur  ein  einziges  Mal  Krebs  gesehen.  Im 
Gesicht  entstehen  die  Hautkrebse  häufig  bei  Leuten,  welche  Seife 
gern  vermeiden  und  das  Unterlippencarcinom  wird  allem  Anscheine 
nach  durch  schlecht  gehaltene  Zähne,  Zahnstein,  schmutzig  gehaltene 
Tabakspfeifen,  die  Krebse  der  Mamma,  des  Uterus,  des  Verdauungs- 
tractes  durch  die  vorhin  erwähnten  Umstände  begünstigt. 

Ist  der  Krebs  eine  Infectionskrankheit,  so  wird  man  sich 
auch  mit  der  Frage  seiner  Contagiosität  zu  befassen  haben. 
Dass  der  Krebs  vom  Thier  auf  den  Menschen,  von  einem  Körper- 
theil  eines  Menschen  auf  den  anderen  übertragen  werden  könne, 
bestätigt  Park  durch  mehrere  Beispiele,  ebenso  wie  mancher  Arzt 
seinen  Krebs  mit  Gewissheit  mit  einer  bestimmten  Carcinomoperation 
in  Zusammenhang  bringen  kann. 

Hinsichtlich  der  Behandlung  des  Carcinoms  ist  es  klar, 
dass  vorläufig  jedes  noch  operable  Carcinom  möglichst  frühzeitig 
und  radical  mit  dem  Messer  zu  entfernen  ist.  Da  aber  eine  sehr 
grosse  Zahl  der  Krebse  von  vorneherein  inoperabel  ist,  oder  nach 
Auftreten  der  Recidive  inoperabel  werden  kann,  lag  es  nahe,  für 
diese  verzweifelten  Fälle  verschiedene  therapeutische  Wege  einzu¬ 
schlagen.  Man  hat  die  mannigfachsten  Mittel  versucht  und  so  weit 
aus  der  Literatur  ersichtlich,  angeblich  bei  jedem  die  eine  oder 
andere  Heilung  gesehen.  Auf  diese  Weise  wurden  Thyreoideaextract, 
Electricität,  Kataphorese,  Injectionen  von  Schöllkrautextract  (Gheli- 
donium  majus),  von  Alkohol  angewendet.  1896  hat  Etheridge, 
Professor  der  Geburtshilfe  zu  Chicago,  Calciumcarbid  bei  Uterus¬ 
krebs  und  Snow,  Chirurg  am  Londoner  Krebsspital,  Lymphdrüsen- 
extract  empfohlen.  Da  man  bei  Complication  des  Krebses  mit 
Erysipel  Heilung  hat  eintreten  sehen,  hat  man  bei  inoperablen 
Fällen  die  Heilung  durch  künstliches  Hervorrufen  von  Erysipel  an¬ 
streben  wollen. 

Coley  erwähnt  noch  ausführlich  die  Therapie  der  inoperablen 
Sarkome  durch  Injectionen  von  einem  sterilisirten  Gemisch  der 
Toxine  der  Erysipelcoccen  und  des  Bacillus  prodigiosus.  Coley 
hat  damit  148  Fälle  behandelt  und  angeblich  in  15%  Heilung  er¬ 
reicht.  8  Fälle  waren  3  bis  6  Jahre  gesund  geblieben,  in  6  von 
24  Fällen  innerhalb  6  Monate  bis  3'/4  Jahre  Recidive  aufgetreten. 
Czerny  hat  unter  18  von  ihm  derartig  behandelten  Fällen 
3  Heilungen  beobachtet.  Coley  beschreibt  die  Wirkung  der  In¬ 
jectionen  dieses  Mischcultursterilisates  als  einen  ausserordentlich 
schnellen  Eintritt  von  Nekrobiose,  die  zur  fettigen  Degeneration 
der  Tumoren  führt.  Dieser  Effect  soll  ein  specifischer  sein,  da  er 
auch  eintritt,  wenn  entfernt  vom  Tumor  injicirt  wird.  Coley  hat 
im  Anschlüsse  an  diese  Therapie  nur  zwei  der  Behandlung  zur 
Last  zu  legende  Todesfälle  eintreten  gesehen. 

Literatur. 

The  statistics  of  cancer.  By  A.  Newsholme  (London).  The  practi¬ 
tioner,  April  1899.  —  A  Further  inquiry  into  the  frequency  and  nature 

of  cancer.  By  R.  Park  (Prof,  of  surgery,  New  York).  Ibidem.  —  The  me¬ 
dical  geography  of  cancer  in  England  and  Wales.  By  A.  H  a  v  i  1  a  n  d. 
Ibidem.  —  The  local  distribution  of  cancer  and  cancer  houses.  By  D’Arcy 
Power.  Ibidem.  —  On  the  aetiology  and  histology  of  cancer.  By 
H.  PI  immer  (London).  Ibidem.  —  The  occurence  of  cancer,  in  the 
lower  animals.  By  J.  Fadyean  (London).  Ibidem.  —  The  treatment 
of  inopprable  cancer  By  W.  Coley  (New  York).  Ibidem.  The  increase  of  cancer. 
By  J.  F.  Payne.  Lancet  16.  September  1899.  —  Aus  der  chirurgischen 
Klinik  des  Prof.  v.  Eiseisberg  zu  Königsberg:  Leugnick,  Ueber 
den  ätiologischen  Zusammenhang  zwischen  Trauma  und  der  Entwicklung 
von  Geschwülsten.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LII.  —  Warum 
dürfen  wir  die  parasitäre  Thec  rie  für  bösartige  Geschwülste  nicht  aufgeben? 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


93 


Von  Prof.  Czerny  (Heidelberg).  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie 
Bd.  XXV,  Heft  1.  —  Die  geographische  Verbreitung  des  Krebses  auf  der 

Erde.  Von  Dr.  B  e  h  1  a  (Luckau).  Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XVI, 
Nr.  20  und  21.  —  Fünf  Fälle  von  Uteruskrebs  bei  Kühen.  Von  A.  Guil- 
lebeau  (Bern).  Schweizer  Archiv  für  Thierheilkunde.  Bd.  XLI,  Heft  6.  — 
A  modern  view  of  cancer.  By  Prof.  Barling  (Birmingham).  Brit.  med. 
J.  25.  Nov.  1899.  —  The  incidence  of  cancer.  By  A.  Jackson.  Ibidem. 


Atlas  der  topographischen  Anatomie  des  Menschen. 

Von  Prof.  Dr.  E.  Zuckerkandl. 

I.  Heft:  Kopf  und  Hals. 

In  219  Figuren  mit  erläuterndem  Text. 

Wien  und  Leipzig,  1900.  Wilhelm  Braumüller. 

Einen  Wunsch,  den  wohl  viele  Chirurgen,  besonders  die 
klinischen  Lehrer,  mit  mir  gemeinsam  haben  dürften,  will  ich  der 
Besprechung  dieses  Werkes  vorausschicken.  Es  ist  der  Wunsch  nach 
einem  Atlas  der  pathologisch-topographischen  Anatomie.  Denken  wir 
uns  den  Fall  einer  Darmverschliessung  und  den  Moment  der  Er¬ 
öffnung  der  Bauchhöhle.  Die  reichste  Erfahrung  des  Einzelnen  wird 
hier  Situationen  vorfmden,  deren  Entwirrung  viel  leichter  wäre,  wenn 
die  Anschauung  an  zahlreichen  Bildern  von  Leichen  geübt  wäre, 
bei  denen  nach  ausgiebiger  Eröffnung  der  Bauchhöhle  der  Status  quo 
im  Bilde  aufgenommen  worden  wäre.  Im  Franz  Josef-Spitale  sah 
ich  bei  Kretz  schon  eine  kleine  Sammlung  von  photographischen 
Aufnahmen  dieser  Art  angelegt.  Ich  brauche  nicht  erst  andere 
Beispiele  anzuführen;  Jedermann  kennt  die  Fülle  des  Stoffes,  der 
abzubilden  wäre,  um  den  Situs  der  Theile  bei  so  vielen  dem 
chirurgischen  Messer  zugewiesenen  Geschwülsten  und  anderen  patho¬ 
logischen  Befunden  der  Körperhöhlen  zu  illustriren.  In  der  Literatur 
ist  dieses  Material  als  zerstreute  Bausteine  reichlich  vorhanden;  es 
gilt  nur,  das  Material  zusammenzufassen.  Vielleicht  vor  Allem 
capitelweise.  Nicht  nur  der  Chirurg,  auch  jeder  andere  medicinische 
Fachmann  würde  von  einer  solchen  Bildersammlung  viel  Nutzen 
haben.  Insbesondere  würde  der  Unterricht  gewinnen. 

Einen  solchen  Wunsch  erfüllt  das  vorliegende  Werk  nicht 
und  will  ihn  auch  nicht  erfüllen.  Es  handelt  sich  bei  demselben 
um  die  topographische  Anatomie  des  normalen  Menschen.  Und  doch 
fiel  der  Verfasser  aus  der  Rolle.  In  Fig.  173  stellt  er  die  Topo¬ 
graphie  der  hinteren  Rachenwand  bei  Gegenwart  eines  Retro- 
pharyngealabscesses  dar.  Kein  Wunder!  Wenn  Jemand  der  Ver¬ 
suchung  unterliegen  sollte,  so  war  es  Zuckerkandl,  der  be¬ 
kanntlich  alsRokitansk y’s  Assistent  auch  bei  der  pathologischen 
Anatomie  gedient  hat.  Dieser  kleine  Umstand,  scheint  mir,  wirft 
auf  die  ganze  Anlage  des  Werkes  einiges  Licht.  Und  es  ist  eine 
für  den  Chirurgen  sympathische  Beleuchtung.  Der  Verfasser  hat 
eine  gewisse  Freude,  uns  Dinge  abzubilden,  die  wir  in  der  Praxis 
auch  dann  fragend  anschauen,  wenn  wir  mit  der  praktischen  Chirurgie 
ein  gewisses  Mass  der  topographischen  Orientirung  schon  erlangt 
haben.  Das  fiel  mir  ein,  als  ich  das  Bild  »Topik  des  retrobulären 
Raumes«  ansah.  Nicht  selten  stehen  wir  im  Leben  vor  diesem 
Bild,  nachdem  mit  dem  Sarkom  auch  der  Bulbus  entfernt  worden 
war;  was  nun?  wie  weit  können  wir  noch  Vorgehen?  Mit  ähnlicher 
Vertraulichkeit  mag  den  Otochirurgen  die  Abbildung  des  Topik 
des  Sinus  sigmoideus  anblicken,  den  Laryngologen  die  verschiedenen 
Formen  der  Tonsillartasche,  während  dem  Internisten,  dem  Neuro- 
patholögen  so  manche  Abbildung  zwar  nicht  als  optisch  bekanntes 
Bild  Interesse  abgewinnen,  aber  seinem  geistigen  Auge  zu  Hilfe 
eilen  wird,  um  diagnostische  Ueberlegungen  leichter  zu  fundiren, 
so  z.  B.  die  Topographie  der  Gehirnwindungen,  auch  der  basal  ge¬ 
lagerten. 

Nicht  ohne  eine  gewisse  Gemüthsbewegung  sah  ich  das  Bild 
Nr.  208,  enthaltend  die  Topographie  des  Ductus  thoracicus.  Im 
Jahre  1871  war  ich  einige  Zeit  in  Leipzig,  um  Karl  Ludwig 
in  seinem  Laboratorium  wirken  zu  sehen.  Vor  einer  Vorlesung  ging 
ich  in  das  Zimmer,  wo  der  grosse  Vivisector,  einen  Hund  zur  Vor¬ 
lesung  präparirend,  ihm  den  Ductus  thoracicus  unterband.  Der  Diener 
winkte  mir  energisch  ab.  Ich  aber  war  schon  entschieden,  die  Gunst 
des  Augenblickes  auszunützen  und  trat  entschlossen  ein,  aber  ebenso 
demüthig  den  grossen  Meister  bittend,  mich  —  den  jungen  Chirurgen  - 
Zusehen  zu  lassen.  Ludwig  gewährte  dies  gütigst  und  bemerkte: 
»Ich  unterbinde  den  Ductus  thoracicus  —  da  können  wir  keine 
Blutung  brauchen;  grossen  Sie  Herrn  v.  Dum  reicher«.  Ich  war 
tief  ergriffen  von  der  Meisterschaft,  mit  welcher  Karl  Ludwig 


sein  Ziel  erreichte.  Heute  ist  die  Topographie  des  Ductus  thoracicus 
nicht  nur  ein  anatomisches,  sondern  auch  ein  klinisches  Interesse. 

Und  so  gewinnen  die  Bilder  der  Incisura  mandibularis,  der 
Fossa  retromandibularis  für  mich  heute,  der  ich  inzwischen  ein 
alter  Chirurg  geworden  bin,  ein  grosses  praktisches  Interesse.  Wir 
gehen  ja  darin  häufig  herum,  nicht  allein  die  Anatomen. 

Da  dies  Zuckerkandl  wohl  bekannt  ist,  so  fasst  er  ge¬ 
wisse  topographische  Regionen  nicht  als  blosse  Bilder  auf,  die  man 
vor  sich  sieht,  sondern  er  erblickt  in  ihnen  Gebilde,  die  man  i  n 
die  Hand  nimmt,  wegzieht,  wegschiebt,  auf  hebt,  durchtrennt, 
und  nähert  sich  so  intim,  wie  sonst  keiner  der  bisherigen  Be¬ 
arbeiter,  dem  Chirurgen.  Darin,  meine  ich,  liegt  ein  gewisser  indi¬ 
vidueller  Charakter  dieses  Werkes;  man  hat  den  Eindruck  eines 
ganz  bestimmten  Milieus,  in  dem  sich  Zuckerkandl  entwickelt 
hat.  Diesen  Eindruck  hatte  ich  besonders  bei  der  Abbildung  der 
Topik  der  Parotis  zu  den  Gefässen,  der  Rachenwand  nach  Ent¬ 
fernung  des  harten  Gaumens,  der  Halsfascie  mit  den  Kapseln  für 
die  Glandula  submaxillaris  und  der  Parotis,  besonders  der  Incisura 
mandibularis.  Aus  diesem  Milieu  heraus  erklärt  sich  die  Aufnahme 
zahlreicher  Abbildungen,  die  in  der  bisherigen  Literatur  nicht  Vor¬ 
kommen.  (So  20,  21  —  16,  17  —  31,  32  —  39,  40,  41  — 
83,  84  —  103  —  104  —  135  —  139  —  163  u.  A.) 

Besonderen  Vortheil  wird  das  Werk  Denjenigen  gewähren, 
welche  bei  der  Aufnahme  gerichtsärztlicher  Befunde  den  Verlauf 
tiefer  gehender  Stich-  und  Schussverletzungen  zu  beschreiben  haben. 
Hier  werden  die  Abbildungen  mit  dem  kurzen  knappen  Texte  eine 
äusserst  willkommene  Stütze  bieten. 

Die  Ausführung  der  Abbildungen  ist  sehr  gelungen;  da  auch 
hier  Geschmack  am  Platze  ist,  müssen  wir  im  Ganzen  die  dar¬ 
stellenden  Mittel  als  sehr  gut  gewählt  loben  und  betrachten  das 
Werk  als  eine  schöne  Leistung  heimischer  Wissenschaft  und  ihrer 
Darstellung,  der  das  individuelle  Gepräge  des  Autors  tüchtig  aul- 
gedrückt  ist.  E.  A 1  b  e  r  t. 


Traitement  chirurgical  du  Cancer  du  gros  intestin. 

Par  le  Docteur  Henri  Larclennois. 

Paris  18h9,  S  t  e  i  n  h  e  i  1. 

In  einem  200  Seiten  starken  Buche  behandelt  der  Autor 
alles  Wissenswerthe  über  die  chirurgische  Behandlung  des  Dick¬ 
darmkrebses.  Nach  einer  historischen  Einleitung  über  die  ersten 
Operationen  beim  Dickdarmkrebs,  sowie  über  das  Wachsthum  des¬ 
selben,  welches  besonders  durch  die  Verstopfung  des  Darmcanales 
sowie  durch  die  Infection  alterirt  wird,  begibt  sich  der  Autor  auf 
das  Gebiet  der  Diagnose  und  diagnostischen  Irrthümer,  die  am 
besten  durch  die  Explorativlaparotomie  verhütet  werden  können. 

Hierauf  werden  eingehend  die  Vorbereitungen  zur  Darm- 
resection  besprochen,  die  Technik  der  letzteren  selbst  und  die 
Methoden  der  Darmvereinigung.  Sodann  wird  des  Besonderen  die 
ileocöcale  Resection  und  die  der  Flexura  sigmoidea  erörtert. 

Bei  letzterer  empfiehlt  der  Autor  statt  der  Anlegung  eines 
Anus  praeternaturalis  die  entero-rectale  Anastomose. 

Ist  ein  radicaler  Eingriff  nicht  möglich,  so  wird  versucht,  eine 
Anastomose  der  gesunden  Darmpartien  herzustellen;  hiebei  wird  die 
Ausführung  der  entero-rectalen  Anastomose  besonders  ausführlich 
besprochen. 

Zum  Schluss  der  Technik  wird  noch  der  Darmausschaltung 
und  der  Colostomie  gedacht.  Hierauf  bespricht  der  Autor  die  un¬ 
mittelbaren  und  definitiven  Resultate,  welche  in  der  Neuzeit 
erreicht  wurden,  sowie  die  Lebensverlängerungen,  welche  durch  die 
palliative  Behandlung  erzielt  werden. 

38  Krankengeschichten  sowie  eine  ausführliche  labelle  über 
die  operativen  Eingriffe,  welche  beim  Dickdarmkrebs  vorgenommen 
wurden,  bescliliessen  diese  fieissige  Arbeit. 

W  ö  1  f  1  e  r  (Prag). 


I.  Operations  on  459  cases  of  Hernia. 

By  Jos.  C.  Bloodgood. 

The  John  Hopkins’  Hospital  reports.  1899,  Vol.  VII,  Nr.  5,  6,  i,  8,  J 

II.  Ein  Fall  von  solitärer  Nierencyste. 

Von  A.  v.  Brackei. 

Sammlung’  klinischer  Vorträge.  1899,  Nr.  250. 

Leipzig  1899,  Breit  köpf  &  Härtel. 


lJ4 


WIENER  KLINISCHE  W< XJH EN  SCH  Kl  FT.  1900. 


Nr.  4 


III  Die  moderne  Behandlung  des  Klumpfusses. 

Von  A.  Hoffa. 

Separat- Abdruck  aus:  Deutsche  Praxis.  1899,  Nr.  11,  12,  13. 

M  ü  n  c  h  e  n  1899,  Seitz  &  S  c  li  a  u  r  r. 

IV.  Inesti  ossei. 

Giovanni  Pascale. 

Napoli. 

I.  Ein  dicker  Band,  in  welchem  die  Krankengeschichten  über 
200  Seiten  einnehmen,  berichtet  über  die  am  John  Hopkins’ 
Hospital  gemachten  Erfahrungen  über  Hernien.  Bei  uns  zu  Lande 
kann  man  wohl  nur  mit  Neid  auf  Anstalten  sehen,  deren  Mittel 
eine  derartige  Breite  der  Berichterstattung  zulassen.  Man  muss  auch 
sagen,  dass  ein  so  grosser  Strom  von  Druckerschwärze  weniger 
fruchtlos  vergossen  ist,  als  viele  kleinere,  welche  Berichte  euro¬ 
päischen  Styles  füllen.  Hier  ist  wenigstens  eine  genaue  Be- 
urtheilung  der  einzelnen  Fälle  möglich,  wenn  sich  Jemand  für 
spceielle  Fragen  interessirt;  bei  uns  sind  ähnliche  Veröffentlichungen 
mangels  der  nöthigen  Geldmittel  oft  genug  weder  Fisch  noch  Fleisch 

nur  Druckerschwärze.  268  Fälle  von  Inguinalhernien  sind  nach 
der  Methode  von  H  a  1  s  t  e  d  operirt  worden,  welche  ungefähr  gleich¬ 
zeitig  mit  der  von  Bassini  und  unabhängig  von  derselben  ent¬ 
stand.  Sie  besteht  in  Kürze  aus  folgenden  Abschnitten:  1.  Ilaut- 
schnitt,  dessen  oberes  Ende  mehr  medial  liegt,  als  bei  unseren 
Methoden.  2.  Blosslegung  der  Aponeurose  des  Obi.  ext.,  des 
P  o  u  p  a  r  Eschen  Bandes  und  äusseren  Leistenringes.  3.  Trennung 
der  Aponeurose  (wie  bei  Bassini),  dann  aber  wird  dem  oberen 
Theil  dieses  Schnittes  entsprechend  der  M.  obliq.  int.  senkrecht 
auf  die  Richtung  seiner  Muskelfasern  3  4  cm  weit  durchtrennt. 

4.  Freilegung  und  Excision  des  Sackes;  Ligatur  und  Excision  der 
Venen  und  Verschluss  der  Bauchhöhle.  5.  Naht:  Die  tiefen  Nähte 
sollen  den  Samenstrang  in  den  getrennten  Obi.  intern,  transplan- 
tiren.  indem  eine  Naht  oberhalb,  vier  unterhalb  des  Stranges  an- 
gelegt  werden.  Die  erstere  fasst  die  Aponeurose  und  den  Obi.  int. 
über  der  Trennungslinie,  die  unteren  Nähte  fassen  einerseits 
die  Aponeurose  des  Obi.  ext.,  den  durchtrennten  Obi.  internus 
andererseits  wieder  den  Rand  des  Obi.  int.,  die  Aponeurose  und 
das  Poupart’sche  Band.  Der  durchschnittene  Obi.  int.  wird  mit 
den  Nähten  abwärts  gezogen  und  an  die  »gemeinsame  Sehne« 
fixirt.  Der  transplantirte  Samenstrang  liegt  zwischen  Aponeurose 
des  Obi.  ext.  und  subcutanem  Gewebe.  Zur  Naht  wird  neuerdings 
nach  vielfachen  Versuchen  ausschliesslich  Silberdraht  verwendet, 
ln  Fällen,  bei  denen  die  sehnigen  Theile  stark  atrophirt  sind, 
wendete  Bloodgood  eine  von  ihm  erdachte  Modification  an,  die 
I  ransplantation  des  M.  rectus.  Die  Scheide  des  Muskels  wird  am 
äusseren  Rande  gespalten,  der  Muskel  frei  gemacht,  lateral  ver¬ 
zogen  und  bei  den  tiefen  Nähten  mitgefasst,  so  dass  er  den 
Leistencanal  zuschliessen  hilft.  Die  erzielten  Resultate,  welche  seit 
Jahren  fortwährend  nachgeprüft  werden,  sind  sehr  günstige,  doch 
würde  ihre  Besprechung,  welche  in  dem  Werke  aufs  Ausführlichste 
durchgefiihrl  wird,  sowie  die  Wiedergabe  der  daselbst  beschriebenen 
Methoden  der  Operationen  bei  Hydrocele  und  Varikocele  den  Rahmen 
dieses  Referates  weit  übersteigen.  Es  sei  nur  erwähnt,  dass  eine 
löbliche  Offenheit  und  Selbstkritik  nicht  zu  verkennen  ist. 

* 

II.  Die  Mittheilung  betrifft  eine  von  Zöge  v.  M  an¬ 
teuf  fei  bei  einem  18jährigen  Mann  operirte  Nierencyste  mit 
2]/2I  Inhalt,  welche  nach  Compression  der  Nierengefässe 
durch  keilförmigen  Schnitt  aus  dem  gesunden  Nierengewebe  des 
unteren  Poles  excidirt  wurde.  Die  Nierenwunde  wurde  mit  drei 
tiefer  greifenden  und  vier  oberflächlichen  Seidensuturen  vernäht, 
die  Niere  am  Quadratus  lumborum  fixirt.  Brackei  hat  ausser 
dem  beschriebenen  nur  21  Fälle  von  solitärer  Nierencyste  (zum 
Unterschied  von  Cystenniere  oder  polycystischer  Entartung  der 
Niere)  finden  können  und  schliesst  sich  der  allgemeinen  Annahme 
an,  dass  es  sich  um  Retentionscysten  handle.  Einige  landläufige 
Bemerkungen  über  partielle  Nierenresectionen  und  die  Wege  dei¬ 
ch  irurgischen  Nierenbehandlung  schlossen  den  Aufsatz. 

* 

III.  Kurz,  klar  und  das  Wichtige  erschöpfend  führt  Hoffa 
die  Principien  der  modernen  Klumpfussbehandlung  dem  praktischen 
Arzte  vor,  wobei  eine  verhältnissmässig  grosse  Zahl  von  Abbildungen 
das  Verständniss  unterstützen.  Die  Abhandlung  enthält  keine  aus¬ 
führliche  Beschreibung  vieler  Methoden,  sondern  in  bündiger  Dar¬ 
stellung  ein  Resume  der  Hol  faschen  Behandlungsweise  bei  den 


verschiedenen  Formen  des  Klumpfusses.  Zunächst  wird  die  Massage 
und  der  redressirende  Verband  beim  Neugeborenen  beschrieben; 
als  erste  Schiene  bei  einige  Monate  alten  Kindern  soll  die  von 
B  e  e  I  y  construirte,  später  ein  vom  Autor  erfundener  und  bezüglich 
Anfertigung  und  Gebrauch  genau  beschriebener  Schienenhülsen¬ 
apparat  angewendet  werden.  Bei  jungen  Kindern  soll  das  Redresse¬ 
ment  nach  König  oder  besser  mit  dem  in  Deutschland  fast  un¬ 
bekannten  »Thomas  wrench«  gemacht  werden,  der  aus  zwei 
mit  Gummi  überzogenen  festen  Branchen  besteht,  welche  sich  an 
einen  Stiel  beliebig  nähen  lassen  und  von  Hoffa  wärmstens  em¬ 
pfohlen  wird.  Für  ältere  Klumpfüsse  verwendet  der  Autor  seine 
Modification  des  Lorenz’schen  Redresseur-Osteoklaslen,  und  lässt 
den  ersten  Gypsverband  nur  vier  Wochen  liegen,  um  ihn  dann 
durch  seinen  Apparat  zu  ersetzen  und  gleichzeitig  die  Haut  und 
Musculatur  entsprechend  zu  kräftigen.  Blutige  Operationen  hat 
Hoffa  seit  zehn  Jahren  keine  gemacht  und  hält  sie  selbst  bei 

den  schwersten  Klumpfüssen  Erwachsener  für  nnnöthig. 

* 

IV.  Die  auf  dem  römischen  Congress  mitgetheilten  Resultate 
dieser  Arbeit  divergiren  vielfach  von  den  Ansichten,  welche  in  dem 
hitzigen  Federkriege  der  deutschen  Autoren  so  lebhaft  discutirt 
worden  sind,  fheilweise  nehmen  sie  eine  vermittelnde  Stellung  ein. 

Nach  Pascale  können  nur  die  Knochenstücke,  welche  in 
vollkommener  Continuität  mit  den  darüberliegenden  Weichtheilen 
bleiben,  wachsen  und  die  Lebensfähigkeit  bewahren.  Auf  die 
Consolidation  des  Knochens  üben  dessen  Lebensfrische,  das  Aller 
des  Thieres  und  die  Grösse  des  eingepflanzten  Stückes  sehr  wichtige 
Einflüsse  aus,  während  das  Erhalten  von  Periost  am  Knochen  bei 
nicht  an  den  Weichtheilen  hängenden  Stücken  werthlos  ist,  weil 
dasselbe  stets  der  Nekrose  verfällt.  Die  Elemente  eines  solchen 
Knochenstückes  verfallen  auch  immer  der  Nekrose,  nur  bei  sehr 
jungen  Thieren  können  einzelne  Theile  am  Leben  leiben,  es  handelt 
sich  nicht  nur  um  einen  vorübergehenden  Stillstand  der  Vitalität. 
Die  nekrotische  Knochensubstanz  wird  langsam  von  neugebildeter 
ersetzt,  aber  diese  vermag  nicht  in  wenigen  Wochen  das  implan- 
tirte  Stück  zu  vernichten,  sondern  das  Regenerationsvermögen  ist 
begrenzt.  Wenn  sieh  einmal  der  Callus  gebildet  und  die  Neu¬ 
bildung  die  Hohlräume  und  Lacunen  des  Discus  ausgefüllt  hat, 
indem  sie  neue  Knochensubstanz  bildete,  bleibt  der  Process  stehen 
und  die  noch  übrige  nekrotische  Knochensubstanz,  welche  in 
manchen  Fällen  dem  grössten  Theil  des  Stückes  entspricht,  bleibt 
am  Orte.  Oft  aber  kann  das  Knochenstück  bei  langsamer  Atrophie 
und  ungenügender  Neubildung  fast  intact  bleiben  (auch  nach 
Jahren),  gleichsam  in  eine  knöcherne  oder  fibröse  Scheide  ein¬ 
gebettet;  das  fibröse  Gewebe  erfüllt  auch  die  Canäle  des  Knochen¬ 
stückes,  vermag  es  aber  nicht  zu  resorbiren.  Es  ist  nach  Pascale 
nicht  gleichgiltig,  ob  man  lebende,  todte  oder  decalcinirte  Substanz 
implantirt,  da  die  Osteoblasten  in  ersterem  ein  geeignetes  Material 
finden. 

Einige  gelungene  Tafeln  geben  die  mikroskopischen  Befunde 
der  sehr  fleissigen  Arbeit  wieder.  K.  Bü  ding  er. 

AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

24.  U  e  b  e  r  den  Einfluss  der  Nierenspaltung 
auf  acute  und  chronische  Kr ankheitsprocesse  des 
Nierenparenchyms.  Von  Prof.  Israel  (Berlin).  Der  Autor 
bespricht  den  heilenden  Einfluss  der  Nierenspaltung  auf  die  totale 
Suppressio  urinae  in  Folge  acuter  Nierenentzündung,  ferner  auf  die 
einseitigen  Koliken  und  Nierenblutungen,  überhaupt  jene  Krank¬ 
heiten,  die  man  bisher  als  Nephralgie,  Nephralgie  hematurique, 
essentielle  Nierenblutung,  angioncuritische  Nierenblutung  bezeichnet 
hatte.  Die  Veranlassung,  den  günstigen  Einfluss  der  Nierenspaltung  auf 
gewisse  Krankheitsformen  kennen  zu  lernen,  hatte  folgender  Fall  ge¬ 
geben:  Bei  einem  61jährigen  Patienten,  dem  bereits  die  rechte  tuber- 
culöse  Niere  exstirpirt  worden  war,  war  plötzlich  eine  vollständige, 
andauernde,  mit  linksseitiger  Kolik,  Uebelkeit  und  Erbrechen  ein¬ 
geleitete  Anurie  aufgetreten,  die  auf  eine  Steineinklemmung,  beziehungs¬ 
weise  Pyelonephritis  bezogen  wurde.  Die  auf  Grund  dieser  Diagnose 
ausgeführte  Spaltung  der  Niere  bis  zum  Becken  erwies  das  Vor¬ 
handensein  disseminirter  miliarer  Abscesse  im  Parenchym.  Der 
Effect  war  hinsichtlich  der  Behebung  der  Anurie  ein  vollkommener. 
Von  Interesse  ist  die  Erklärung  der  Entstehung  der  Anurie.  ln 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


95 


Folge  des  acut-entzündlichen  Processes  vwar  es  in  der  von  einer 
ziemlich  resistenten  Kapsel  umgebenen  Niere  zu  einer  Schwellung 
des  Parenchyms  gekommen,  die  wiederum  eine  Compression  der 
Venen  mit  Blutstauung  zur  Folge  hatte,  welche  ihrerseits  wieder 
das  Gewehsödem  und  damit  den  intrarenalen  Druck  steigerte, 
schliesslich  zu  einer  Compression  der  Capillaren  und  damit  zum 
Versiegen  der  Secretion  führte.  Die  plötzliche  Spannungszunahme 
in  der  Niere  ist  auch  der  Grund  für  die  aufgetretene  Nierenkolik. 
Bei  dem  Bestehen  dieser  hohen  Spannung  in  der  Niere  wird  auch 
der  therapeutische  Einfluss  einer  Nierenspaltung  ohne  Weiteres  ver¬ 
ständlich;  er  ist  mit  jenem  in  eine  Linie  zu  setzen,  welcher  durch 
die  Spaltung  eines  entzündeten  Gewebes  überhaupt  beabsichtigt 
wird.  Durch  die  Entleerung  von  Blut,  gestauten  Secreten  und  Ent- 
zündungsproducten  wird  der  aul  den  Capillaren  lastende  Druck 
so  weit  erniedrigt,  dass  die  Blutcirculation  und  mit  ihr  die  Secretion 
wieder  in  Gang  kommen  kann.  In  Folge  irrthümlicher,  auf  Stein 
oder  Neubildung  lautender  Diagnosen,  kam  es  noch  in  einer  Reihe 
von  Fällen  (14)  zur  Nierenspaltung,  wobei  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  der  günstige  Einfluss  dieses  Eingriffes  auf  die  vorher  be¬ 
standenen  Symptome,  einseitige  Nieren-Koliken,  Nierenblutungen, 
irradiirende  Schmerzen  beobachtet  wurde,  sowie  eine  ganze  Reihe 
sehr  wichtiger  Thatsachen  constatirt  werden  konnte.  Diese  sind 
nach  Israel:  Es  gibt  einseitige  Nierenentzündungen,  die 
Koliken  veranlassen  können,  welche  völlig  den  Nierensteinkoliken 
gleichen;  es  gibt  doppelseitige  Nephritiden,  welche  nur  einseitige 
Koliken  erzeugen;  ferners  schwere  Nephritiden  mit  eiweissfreiem 
Urin  und  Abwesenheit  von  Cylindern;  andererseits  kann  hei  reichlich 
vorhandenen  hyalinen,  gekörnten  und  epithelialen  Cylindern  der 
Urin  eiweissfrei  sein;  weiters  kommen  Nephritiden  mit  anfallsweise 
auftretenden  profusen  Blutungen  vor,  die  mit  oder  ohne  Kolik  ver¬ 
laufen.  Eine  grosse  Zahl  der  bisher  als  Nephralgie,  angioneurotische 
Nierenblutung  etc.  bezeichneten  Krankheitsbilder  sind  auf  nephri- 
tische  Proccsse  zu  beziehen,  die  durch  Incision  der  Niere  in  vielen 
Fällen  günstig  beeinflusst  werden.  Die  Nierenwunde  soll  nicht 
genäht,  sondern  der  Heilung  durch  Granulation  überlassen  werden. 
—  (Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie. 
Bd.  V,  Heft  3.) 

* 

25.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Upsala.)  lieber  Aus¬ 
räumung  der  Lymphdrüsen  in  derLeiste  und  längs 
der  Vasa  iliaca  und  der  Vasa  obturatoria  in  einer 
Operation.  Von  Prof.  Lennander.  Durch  die  vom  Verfasser 
selbst  zweimal  ausgeführte  Operation  soll  es  möglich  sein,  die 
Drüsen  bis  zur  Theilung  der  Aorta  hinauf  auszuräumen.  Der  Haut¬ 
schnitt  geht  von  der  Symphyse  längs  dem  Lig.  Poup.  bis  zur  Spina 
und  von  da  bis  zur  Mitte  der  Crista  ossis  ilei;  auf  diesen  Schnitt 
folgt  einer  längs  der  Art.  fern,  gegen  den  Oberschenkel  zu.  Dadurch 
wird  die  Leistengegend  zugänglich.  Das  Poupartsche  Band  wird 
vom  Tuberculum,  Pecten  ossis  pubis,  von  der  Fascia  lata  und 
iliaca  abgeschnitten,  die  Vasa  epig.  inf.  und  circumfl.  il.  int.  unter¬ 
bunden  und  durchtrennt.  Die  Bauchmuskeln  werden  dicht  an  der 
Crista  durchschnitten  und  das  Peritoneum  von  der  Fossa  iliaca 
abpräparirt.  Auf  diese  Weise  sollen  die  Drüsen  vollkommen  zu¬ 
gänglich  und  im  Zusammenhänge  exstirpirt  werden  können.  Von 
den  Vasa  iliaca  wird  ein  mit  Gaze  umwickeltes  Drainrohr  gegen 
den  äusseren  Wundwinkel  geführt,  während  ein  zweites  von  der 
V.  obturia  längs  der  Iliaca  unter  dem  Lig.  Poup.  nach  aussen  ge¬ 
leitet  wird.  Das  Lig.  Poup.  wird  an  seine  alte  Stelle  festgenäht, 
die  Bauchmuskeln  an  die  Crista  nur  so  weit,  dass  eine  genügende 
Oeffnung  für  das  Drain  bleibt.  Diese  Schnittführung  ist  bei  eitern¬ 
den  Lymphadenitiden  contraindicirt,  da  hier  nicht  auf  die  An- 
heilung  des  Poupart’schen  Bandes  per  primam  gerechnet  werden 

könnte.  —  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  37.) 

* 

26.  (Aus  dem  pharmakologischen  Laboratorium  zu  Stockholm.) 
Einige  Versuche  über  die  Athmungswirkung  des 
Heroins.  Von  Prof.  Santesson.  Dreser  hat  unter  Anderem 
gefunden,  dass  auf  Heroin  bei  Kaninchen  die  Athemfrequenz  herab¬ 
gesetzt  und  gleichzeitig  die  Athemzüge  vertieft  werden.  Ersteres 
kann  Santesson  bestätigen  nicht  aber  letzteres. 

(Aus  dem  Hospital  zum  heiligen  Geist  in  Frankfurt  a.  M.) 
Grosse  Heroindosen  ohne  Intoxicationserschei- 
nunsen  Von  Dr.  Klink.  Die  toxische  Dosis  des  Heroins  wird 

£3 


sehr  verschieden  angegeben.  Es  wurden  mit  zwei-  bis  dreimal 
täglich  0005  schon  Nebenwirkungen,  wie  Uebelkeit,  Schwindel, 
Kopfschmerz  beobachtet.  Klink  berichtet  über  zwei  Fälle  aus  dem 
Hospital,  in  denen  aus  Versehen  durch  fünf  Tage  dreimal  täglich 
0  05  Heroin  nicht  nur  ohne  alle  toxischen  Erscheinungen,  sondern 
überhaupt  ohne  jeden  besonderen  Effect  verabreicht  worden  waren. 
Selbstverständlich  geht  daraus  nicht  hervor,  dass  in  jedem  Falle 
diese  Dosis  ohne  üble  Folgen  gereicht  werden  könnte.  —  (Mün¬ 
chener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  42.) 

* 

27.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  Jadassohn  in  Bern.)  Zur 
Histologie  der  Röntgen-Ulcera.  Von  Dr.  Gassmann. 
Es  wird  über  zwei  Fälle  berichtet,  in  welchen  an  den  mit  Röntgen- 
Strahlen  behandelten  Stellen  der  unteren  Extremitäten  je  ein  Ulcus 
auftrat,  von  denen  das  eine  erst  jetzt  nach  einem  Jahre  eine 
Neigung  zur  Heilung  bekundet,  während  das  andere  nach  mehr  als 
1 '/Jährigen  Bestände  trotz  Transplantation  nach  Thiersch  noch 
nicht  geheilt  werden  konnte.  Von  beiden  Geschwüren  konnten 
Gewebsstücke  histologisch  untersucht  werden,  wobei  hochgradige 
Gefässveränderungen  constatirt  werden  konten,  die  vornehmlich  in 
einer  Wucherung  und  Degeneration  der  Intima,  Auffaserung  der 
Elastica  und  Schwund  der  Muscularis  bestanden.  Diese  Schädigungen 
der  Gefässe  sind  vielleicht  eine  Folge  der  Einwirkung  der  Röntgen- 
Strahlen  und  würden  auch  den  chronischen  Verlauf  des  Geschwürs- 
processes,  sowie  die  mangelnde  Heilungstendenz  erklären.  —  (Fort¬ 
schritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen.  Bd.  II,  Heft  6.) 

* 

28.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Würzburg.)  U  e  b  e  r 
Soson,  ein  aus  Fleisch  her  gestelltes  Eiweiss- 
präparat.  Von  Dr.  Neumann.  Soson  stellt  ein  graues,  pulveri- 
sirtes,  im  Wasser  unlösliches,  geschmack-  und  geruchloses  Prä¬ 
parat  dar,  welches  von  der  Eiweiss-  und  Fleischextract-Compagnie 
Altona-Hamburg  aus  Fleisch  dargestellt  wird.  Den  Analysen  zutolge 
besitzt  es  einen  Gehalt  von  92'5%  Eiweiss,  das  ist  eine  Menge, 
wie  sie  bisher  noch  in  keinem  anderen  Präparate  angetroffen  wurde. 
Der  Preis  pro  Kilo  beträgt  5  Mark.  Nach  den  angestellten  Ver¬ 
suchen  wird  es  etwas  weniger  als  das  Fleisch  im  Stoffwechsel  aus¬ 
genützt,  kommt  jedoch  in  der  Assimilirbarkeit  diesem  gleich;  das 
Soson  kann  auf  die  Dauer  ohne  Widerwillen  genommen  werden 
und  stört  auch  das  Allgemeinbefinden  nicht.  Neumann  glaubt, 
dass  es  das  Eiweiss  der  Nahrungsmittel  zu  ersefzen  im  Stande 
sei.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  40.) 

* 

29.  Ein  Fall  von  rechtsseitigem  Chylo  thorax 
und  Lymphangiektasie  am  linken  Beine.  Von  Doctor 
Simon  (Heidelberg).  Bei  dem  20jährigen,  früher  immer  gesund 
gewesenen  Patienten  wurde  ein  Chylothorax  und  eine  sehr  um¬ 
fängliche  Lymphangiektasie  im  Bereiche  der  Innenseite  der  ganzen 
linken  unteren  Extremität  festgestellt.  Während  der  bis  zu  seinem 
nach  zwei  Monaten  erfolgten  Tode  dauernden  Beobachtungszeit 
wurden  durch  elf  Pleurapunctionen  34 1 ,  durch  sieben  Punctionen 
am  linken  Oberschenkel  6 1  chylöser  Flüssigkeit  entfernt.  Bei  der 
Section  fanden  sich  grosse  cavernöse  Lymphangiektasien  am  Beine, 
die  sich  über  die  Cysterna  chyli  längs  der  Aorta  in  die  rechte 
Pleurahöhle  fortsetzten.  Die  eigentliche  Ursache  dieses  pathologischen 
Verhaltens  liess  sich  nicht  feststellen.  • —  (Mittheilungen  aus  den 

Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie.  Bd.  V,  Heft  2.) 

* 

30.  (Aus  der  Districtspoliklinik  des  Prof.  Hoff  m  a  n  n  zu 
Leipzig.)  Zur  Kenntniss  der  Alexander’schen  Behand¬ 
lungsmethode  der  Phthisis  durch  Injectionen  von 
Ol.  ca  mp  ho  rat  um  P  h.  G.  Von  Dr.  v.  Criegern.  Es  wurde 
durch  je  vier  Tage  U0  Ol.  camph.  injicirt.  und  dann  durch  zehn 
Tage  pausirt.  Eine  specifische  antituberculöse  Beeinflussung  konnte 
nicht  beobachtet  werden,  sondern  nur  die  excitirende  Wirksamkeit 
desselben.  Auf  Athemnoth,  Hustenreiz  hat  der  Kampher  keine 
lindernde  Wirkung,  dagegen  hat  sich  unter  seiner  Medication  die 
Menge  des  Auswurfes  oft  vermindert,  ein  Effect,  der  auch  hei  An¬ 
wendung  harziger  balsamischer  Mittel  sonst  ein  tritt.  Wie  diese  ist 
auch  der  Kampher  hei  bestehender  Nierenentzündung  und  Neigung 
zu  Blutungen  contraindicirt.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrill. 
1899,  Nr.  43.) 

* 


96 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4 


31.  Arsen-  und  Thyreoideapräparate  (Jodo- 
t  h  y  r  i  n).  Von  E  w  a  1  d  (Berlin).  Ueber  die  Erfolge  der  Schilddrüsen¬ 
präparate  bei  Strumen  jugendlicher  Individuen,  sowie  bei  Myxödem 
zu  reden,  ist  überflüssig.  Anders  steht  es  mit  den  Erfolgen  bei 
Fettleibigkeit  und  Psoriasis.  In  dieser  Hinsicht  ist  eine  Hypothese 
von  Hertoche  erwähnenswerth.  Nach  ihm  soll  die  Thyreoidea 
nur  dann  gegen  die  beiden  genannten  Krankheiten  wirken,  wenn 
sie  nicht  idiopathischer  Natur,  sondern  als  Folge  einer  geschwächten 
Function  der  Schilddrüse,  einer  Hypothyreoidie,  aufzufassen  sind. 
E  w  a  1  d  war  es  gelungen,  nach  Verbrauch  von  125  Tabletten  einen 
ausgedehnten  Fall  von  Psoriasis  zur  vollständigen  und  anscheinend 
dauernden  Heilung  zu  bringen.  Gar  keinen  Nutzen,  ja  manchmal 
sogar  Verschlimmerung  sah  Ewald  bei  Anwendung  der  Schild¬ 
drüse  gegen  Basedow.  Von  besonderem  Belang  ist  noch  eine  Mit¬ 
theilung  von  Dr.  Mabille  in  Reims,  nach  welchem  durch  gleich¬ 
zeitige  Arsendarreichung  die  Nebenwirkungen  bei  der  Schilddrüsen¬ 
therapie  zu  vermeiden  sein  sollen,  wovon  auch  Ewald  sich  hatte 
überzeugen  können.  In  einem  Falle  wurden  Tabletten  zu  025  Jodo- 
thyrin,  täglich  um  eine  steigend  bis  zu  acht  und  zehn  pro  die  und 
gleichzeitig  Sol.  arsen.  Fowleri  oder  Arsenpillen  (zu  1  mg  arseniger 
Säure)  verordnet  und  bis  G  und  8  mg  pro  Tag  gestiegen.  —  (Die 
Therapie  der  Gegenwart.  1899,  Nr.  9.)  Pi. 


NOTIZEN. 

Ernannt:  Prof.  J.  H.  Rille  zum  correspondirenden  Mit- 
gliede  der  Socielä,  Italiana  di  Dermatologia  e  Sifilogiafia  zu  Rom.  — 
Dr.  Wertheim  Salomon  son  zum  a.  o.  Professor  der  Neuro¬ 
logie,  Elektrotherapie  und  Radiographie  in  Amsterdam. 

* 

Dem  Salinenphysicus  in  H  a  1  1  e  i  n,  kaiserlichem  Rathe  Doctor 
Robert  Funk  e,  wurde  die  Allerhöchste  Anerkennung  bekannt 
gegeben. 

* 

Gestorben:  Oberstabsarzt  Dr.  Hermann  K  r  a  s  k  a  in 
Brünn.  —  Der  Stabsarzt  d.  R.  Dr.  Anton  Mayer  in  Wien.  — - 
Assistent  Dr.  Ko  stau  eck  i  in  Krakau.  —  Dr.  F.  0  r  s  i,  Pro¬ 
fessor  der  medicinischen  Klinik  zu  Pavia. 

* 

9 

In  der  am  13.  Januar  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des 
Obersten  Sanitätsrathes  berichtete  Sections-Chef  Dr.  V.  K  u  s  y 
nach  Mittheilung  der  eingelaufenen  Geschäftsstücke  durch  den  Vor¬ 
sitzenden  Obersanitätsrath  Hofrath  Dr.  R.  v.  Vogl  über  die  auf  die 
Verbreitung  der  Pest  im  Auslande  bezüglichen  Verhältnisse,  und  über 
die  vollzogene  Durchführung  der  den  Lloyd  Dampfer  „Berenice“  und 
dessen  Ladung  betreffenden  sanitären  Massnahmen  im  Seelazareth  San 
Bartolomeo  bei  Triest.  Hierauf  gelangten  nachstehende  Referate  zur 
Erledigung:  1.  Begutachtung  der  Qualification  der  Bewerber  um  eine 
Ober-Bezirksarztesstelle  in  Galizien.  (Referent  Sections-Chef  Dr.  Ritter 
v.  lvusy.)  2.  Gutachten  über  die  sanitäre  Zulässigkeit  der  Ableitung 
der  Abwässer  aus  einer  Bierbrauerei  in  das  offene  Gerinne  der  Moldau. 
(Referent  Obersanitätsrath  Prof.  Dr.  K  rat  schm  er.)  3.  Gutachten 
über  die  Zulässigkeit  der  Verwendung  eines  Weinconservirungsmittels. 
(Referent  Obersanitätsrath  Prof.  Dr.  Max  Gruber.) 

* 

1  n  der  Sitzung  des  nieder  österreichischen  Landes" 
Sanitätsrathes  vom  8.  Januar  d.  J.  begrüsste  der  Vorsitzende 
das  für  die  restliche  Functionsdauer  des  Landes-Sanitätsrathes  neu  er¬ 
nannte  ordentliche  Mitglied  Prof.  Dr.  Richard  Pal  tauf.  Der 
Sanitätsrath  nahm  Anlass,  wiederholt  auf  den  durch  die  aussergewühn- 
liehen  Witterungs  Verhältnisse  bedingten  sanitätswidrigen  Zustand 
der  Strassen  Wiens  hinzuweisen ;  für  die  Zukunft  wurde  eine 
rasche  Entfernung  der  Schneemassen  empfohlen  und  überhaupt  die 
endliche  Einführung  einer  rationellen  Strassenpflege  als  dringend  noth- 
wendig  bezeichnet.  Hierauf  wurde  der  Entwurf  einer  Instruction  für 
den  Moulagenpräparator  an  der  Wiener  medicinischen  Facultät  begut¬ 
achtet  und  schliesslich  ein  Comite  mit  der  Ausarbeitung  eines  Mobili- 
sirungsplanes  für  den  Transport  und  die  Unterbringung  Infections- 
kranker  beim  Auftreten  einer  schweren  Epidemie  in  Niederösterreich 
betraut. 

* 

Dio  Constituirung  des  Ae  rzteve  reines  des  X.  Bezirkes 
in  Wien  ist  am  5.  Januar  1900  erfolgt.  Der  neue  Verein,  der  sich 
zur  Aufgabe  gestellt  hat,  das  gemeinsame  Vorgehen  der  Wiener 
Aerzteschaft  in  jeder  Weise  zu  unterstützen  und  zu  fördern,  hat 


folgende  Collegen  in  die  Leitung  berufen:  Zum  Obmann  Dr.  C.  Koch, 
X.,  Himbergerstrasse  50;  Obmann  Stellvertreter  Dr.  H.  Steiner; 
I.  Schriftführer  Dr.  L.  Wein  hard,  II.  Schriftführer  Dr.  R.  Back; 
Cassevenvalter  Dr.  N.  II  a  n  a  1 ;  Ausschuss  Dr.  S.  Lichtenstein. 

* 

Der  18.  Congress  für  innere  Medicin  findet  vom 
18. — 21.  April  1900  in  Wiesbaden  statt.  Präsident  ist  Herr 
v.  Jak  sch  (Prag).  Folgende  Themata  sollen  zur  Verhandlung 
kommen:  Am  ersten  Sitzungstage,  Mittwoch,  den 

18.  April  1900.  Die  Behandlung  der  Pneumonie.  Re¬ 
ferenten:  Herr  v.  Koranyi  (Budapest)  und  Herr  P  e  1  (Amsterdam). 
Am  dritten  Sitzungstage,  Freitag  den  20.  April  1900. 
Die  Endocarditis  und  ihre  Beziehungen  zu  anderen 
Krankheiten.  Referent :  Herr  Litten  (Berlin).  Folgende  Vor¬ 
tragende  haben  sich  bereits  angemeldet:  Herr  Neuss  er  (Wien): 
Thema  Vorbehalten.  Herr  Wenkebach  (Utrecht):  Ueber  die 
physiologische  Erklärung  verse  bieder  Herz-Puls- 
Arhythmien.  Herr  K.  Grube  (Neuenahr- London) :  Ueber 
gichtische  Erkrankungen  des  Magens  und  Darmes. 
Herr  M.  Bresgen  (Wiesbaden) :  Die  Reizung  und  Ent¬ 
zündung  der  Nasenschleimhaut  in  ihrem  Einflüsse 
auf  die  Athmung  und  das  Herz.  Herr  Schott  (Nauheim): 
Influenza  und  chronische  Herzkrankheiten.  Herr 
Martin  Mendelsohn  (Berlin) :  Ueber  ein  Herztonicum. 
Herr  Weintraud  (Wiesbaden) :  Ueber  den  Abbau  des 
Nucleins  im  Stoffwechsel.  Herr  Herrn.  Hildebrandt 
(Berlin) :  Ueber  eine  Synthese  im  Thierkörper.  Theil- 
nehmer  für  einen  einzelnen  Congress  kann  jeder 
Arzt  werden.  Die  Theilnehmerkarte  kostet  15  Mark.  Die  Theil- 
nehmer  können  sich  an  Vorträgen,  Demonstrationen  und  Discussionen 
betheiligen  und  erhalten  ein  im  Buchhandel  circa  12  Mark  kostendes 
Exemplar  der  Verhandlungen  gratis.  Mit  dem  Congresse  ist  eine  A  u  s- 
Stellung  von  neueren  ärztlichen  Apparaten,  Instru¬ 
menten,  Präparaten  u.  s.  w.,  so  weit  sie  für  die  innere  Me¬ 
dicin  Interesse  haben,  verbunden.  Anmeldungen  für  dieselbe  sind  an 
Herrn  Sanitätsrath  Dr.  Emil  Pfeiffer,  Wiesbaden,  Parkstrasse  13, 
zu  richten. 

=t= 

Im  Zusammenhänge  mit  dem  vierten  internationalen 
dermatologischen  Congresse  (vereinigt  mit  dem  inter¬ 
nationalen  medicinischen  Congresse,  Paris  2.  —  9.  August  1900)  findet 
eine  Ausstellung  von  Moulagen,  anatomischen  und  histologischen  Bac- 
tevienculturen  statt.  Ausserdem  gelangen  Abbildungen,  Photographien 
und  sonstige  Reproductionen,  welche  in  dieser  Richtung  von  Interesse 
sind,  zur  Ausstellung  • —  unter  diesen  auch  Porträts  von  verstorbenen 
Dermatologen.  —  Herren,  welche  ihre  Objecte  für  die  Dauer  des  Con¬ 
gresses  zur  Verfügung  stellen  wollen,  werden  gebeten,  sich  hierüber 
mit  dem  Secretär  für  Oesterreich  des  vierten  internationalen  dermato¬ 
logischen  Congresses,  Docent  Dr.  Eduard  S  p  i  e  g  1  e  r,  Wien, 
I.,  Ebendorferstrasse  10,  ins  Einvernehmen  setzen  zu  wollen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  1 .  Jabreswoche  (vom  31. December  1899 
bis  6.  Januar  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  690,  unehelich  283,  zusammen 
973.  Todt  geboren:  ehelich  47,  unehelich  18,  zusammen  65.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  615  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19  5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  116,  Blattern  0,  Masern  14, 
Scharlach  8,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  2,  Typbus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  41.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
129  (-(-  31),  Masern  398  (-(-64),  Scharlach  42  (~j~  14),  Typhus  abdominalis 
1  ( —  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  47  (-(-  31),  Croup  und 
Diphtherie  61  (-(-  7),  Pertussis  43  (-(-22),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (-(-  1),  Trachom  0  ( —  3;,  Influenza  0  (=)• 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Univeraitätsbuchhändler. 


Nr.  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


97 


Verhandlungen 


ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


XIDTIK-A-ILT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  W  icn. 
Sitzung  vom  19.  Januar  1900. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
9.  Januar  1900. 


Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien.  Sitzung  vom 
12.  December  1899. 

Greifswalder  medicinischer  Verein.  Sitzung  vom  2.  December  1899. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  19.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof  v.  Reuss. 

Schriftführer :  Dr.  Alois  lvreidl. 

Der  Vorsitzende  begrüsste  als  Gäste  die  Herren  Dr.  Kehrer 
aus  Heidelberg,  Dr.  Kies  ling  er  aus  Karlsruhe  und  Dr.  Kaiser 
aus  München. 

Regimentsarzt  Dr.  C.  Riehl  demonstrirt  eine  trauma¬ 
tische,  periphere  Gesichts-Nervenlähmung,  in  deien 
Gefolge  Störungen  der  Sensibilität  und  V  a  somotoren- 

thätigkeit  zu  beobachten  sind.  (Erscheint  ausfühl  lieh  in 
dieser  Wochenschrift.) 

Dr .  R.  Kraus  berichtet  über  seine  Versuche  über 
Hämolysine  und  Antihämolysine.  (Bereits  ausführlich 
erschienen  in  dieser  Wochenschrift.  Nr.  3.) 

Discussion  über  die  neue  medicinische  Rigorose n- 
und  Studienordnung:  Hofrath  Prof.  Ed.  Albert  (siehe  Feuilleton 
dieser  Nummer). 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  9.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  v.  Krafft-Ebing. 

Schriftführer:  Dr.  y.  Sölder. 

1.  Privatdocent  Dr.  E.  Redlich  demonstrirt  einen  Fall,  bei 
dem  er  einen  Tuberkel  im  Pons  diagnosticirt. 

Der  45 jährige  Kranke,  früher  gesund,  litt  vor  zwei  Jahren  an 
einer  linksseitigen  Pleuritis,  wahrscheinlich  tubercuUEer  Natur;  später 
trat  eine  linksseitige  tuberculöse  Epididymitis  auf.  1  or  einem  Jahre 
entwickelte  sich  allmälig  eine  linksseitige  Hemiparese.  Vor  mehreren 
Wochen  stellten  sich  Doppelbilder,  Schwindel,  Zwangsstellung  des 

Kopfes  ein.  Lues,  Potus  wurde  negirt. 

Der  Kranke  suchte  zunächst  die  Abtheilung  des  Docenten 
Dr.  Kunn  im  Kaiser  Franz  Josef-Ambulatorium  auf,  woselbst  folgender 
Augenbefund  erhoben  wurde:  Die  Lidspalten  meist  sehr  erweiteit,  die 
Augen  nach  rechts  gewendet,  hier  fixirt.  Beim  Blick  nach  links  eiiolgt 
meist  blos  Drehung  des  Kopfes  nach  links;  bisweilen  gelingt  jedoch 
die  Linkswendung,  freilich  in  sehr  verschiedenem  Grade.  Convergenz 
prompt.  Für  gewöhnlich  keine  Schieistellung,  nur  beim  Blick  nach 
links  tritt  manchmal  eine  leichte  Incongruenz  der  Bewegungen  aut. 
Auf-  und  Abwärtssehen  geht  anstandslos  vor  sich. 

Sehschärfe  normal,  desgleichen  der  ophthalmoskopische  und  pen- 

metrische  Befund. 

Bei  der  Untersuchung  durch  den  Vortragenden  war  das  Bild  in 
manchen  Punkten  verändert,  wie  denn  überhaupt  die  Erscheinungen 
speciell  an  den  Augen  einen  beträchtlichen  Wechsel  zeigen.  Es  ergab 
sich  folgender  Status:  Percussion  des  Schädels  nicht  schmerzhaft,  zeit¬ 
weilig  Schwindel,  kein  Kopfschmerz.  Die  linke  Lidspalte  etwas  weiter 
wie  die  rechte.  Beim  Fixiren  öffnet  Patient  beide  Lidspalten  abnorm 
weit.  Die  Bulbi  für  gewöhnlich  in  extremer  Rechtsstellung  fixirt.  Um 
nach  links  zu  sehen,  muss  Patient  den  Kopf  nach  links  drehen.  Bis¬ 
weilen  gelingt  es  dem  Patienten,  die  Augen  in  die  Mittelstellung  zu 
bringen,  doch  tritt  dabei  am  linken  Auge  Strabismus  convergens  ein. 
Beim  Blick  nach  links  geht  das  rechte  Auge  etwas  nach  links,  das 
linke  bleibt  für  gewöhnlich  ganz  unbewegt.  Bei  Convergenz  werden 
beide  Augen  gut  gegen  die  Mittellinie  eingestellt.  (Bei  der  Vorstellung 
ist  die  Zwangsstellung  nach  rechts  weniger  ausgesprochen,  beim  Blick 
nach  rechts  wird  das  rechte  Auge  meist  unvollständig  in  die  Seiten¬ 
stellung  gebracht,  heim  Blick  nach  links  fehlt  jede  Bewegung  am 
linken  Auge,  am  rechten  ist  sie  mangelhaft.)  Auf-  und  Abwartsbe 
wegung  der  Augen  ohne  Störung.  Linke  Pupille  etwas  weitei  wie 
die  rechte,  beide  auf  Licht  und  Convergenz  prompt  reagirend. 


Leichte  Parese  im  linken  Facialis,  hauptsächlich  im  mittleren 
unteren  Zweige  kenntlich  und  auch  bei  mimischen  Bewegungen  deut¬ 
lich.  Die  Zunge  weicht  etwas  nach  rechts  ab.  Parese  des  rechten 
Gaumenbogens;  zeitweilig  leichtes  \  erschlucken. 

Die  Würgreflexe  links  weniger  prompt  wie  rechts.  Die  Sprache 
leicht  näselnd  und  verwaschen.  Andeutung  von  Zwangslachen,  I,  V,  IX 
intact.  Spastische  Parese  der  linken  oberen  und  unteren  Extremitäten 
mit  Patellar-  und  Fussklonus.  Die  oberflächliche  und  tiefe  Sensibilität 
links  ohne  Störung.  Leichte  Ataxie  bei  Bewegungen  der  linksseitigen 
Extremitäten.  Sehr  ausgesprochenes  Schwanken  beim  Stehen,  insbe¬ 
sondere  bei  geschlossenen  Fersen  und  Augen,  auch  beim  Gehen  deut¬ 
liche  Ataxie.  Beim  Athmen  bleibt  die  linke  Brusthälfte  zurück,  links 
Schwarte  und  Infiltration  der  Lunge.  Im  Harn  keine  abnormen  Be¬ 
standteile. 

Bezüglich  der  Diagnose  scliliesst  Redlich  eine  funetionelle 
Erkrankung  aus,  nimmt  vielmehr  eine  im  Pons  localisirte  Affection 
an.  Für  diese  Localisation  sprechen  insbesondere  die  associirten  Augen¬ 
muskellähmungen  (links)  und  Augenmuskelkrämpfe  (rechts),  die  mit 
einer  Affection  des  Pons,  speciell  des  Fasciculus  longitud.  post,  in  Be¬ 
ziehung  gebracht  werden.  Die  Affection  muss  nahe  der  Mittellinie 
liegen,  da  Erscheinungen  von  beiden  Seiten  vorliegen.  Mit  der  ange¬ 
nommenen  Localisation  lassen  sich  auch  die  anderen  Erscheinungen  in 
Zusammenhang  bringen.  Bezüglich  der  Natur  des  Processes  ist  ein 
kleiner  Tumor  (Tuberkel)  das  Wahrscheinlichste. 

2.  Dr.  Julius  Epstein  demonstrirt  einen  Fall  von  trau¬ 
matischer  Rückenmarkserkrankung. 

Ein  33jähriger,  bis  dahin  gesunder  Mann  fiel  von  einem  Gerüste 
mit  dem  Nacken  auf  ein  Querholz  auf,  blieb  mit  Lähmung  aller  vier 
Extremitäten  liegen. 

Nach  Extensionsbehandlung  auf  einer  chirurgischen  Abtheilung 
Besserung  der  Lähmungen,  so  dass  Patient  leichte  Arbeiten  verrichten 
konnte.  Drei  Monate  später  neuerliche  Verschlimmerung.  Beim  Eintritte 
in  die  Nervenklinik  Lähmung  im  Ulnarisgebiete,  sowie  leichtere  Parese 
im  Radialis-  und  Medianusgebiete  beider  Oberextremitäten.  Spastische 
Parese  beider  Beine.  Patellar-  und  Fussklonus.  Hypalgesie  und  Thermo- 
anästhesie  in  der  Ulnarseite  beider  Arme  und  von  der  Höhe  der  Ma¬ 
millen  und  Spinae  scapulae  nach  abwärts.  Keine  Blasenstöiung. 

Vortragender  stellt  die  Diagnose  auf  Hämatomyelie,  ohne  Com- 
plicationen  von  Seite  der  Knochen  auszuschliessen.  (Wird  ausführlich 
publicirt.) 

Discussion:  Privatdocent  Dr.  H.  Schlesinger  bemerkt, 
dass  Progredienz  der  Erscheinungen  bei  den  eigentlich  traumatischen 
Rückenmarkserkrankungen,  die  unmittelbar  nach  dem  Trauma  schwere 
nervöse  Symptome  darboten,  so  selten  seien,  dass  auch  in  dem  voi- 
geführten  Falle  eine  Complication,  wie  auch  Vortragender  gemeint  hat, 
das  Wahrscheinlichere  ist.  Vielleicht  liegt  der  Verschlimmerung  Druck 
des  Rückenmarks  bei  einem  erweichten  Callus  zu  Grunde. 

Bezüglich  der  Diagnose  hebt  Schlesinger  hervor,  dass  nach 
einer  gemeinschaftlich  mit  Dr.  Kienböck  vorgenommenen  genauen 
Durchsicht  der  Literatur  der  traumatischen  Rückenmarksaftectionen 
keine  stricte  anatomische  Diagnose  gemacht  werden  könne;  denn 
Hämatomyelie  und  traumatische  Nekrose  des  Rückenmarkes  (ob  mit 
oder  ohne  Blutungen)  verlaufen  unter  den  vollkommen  gleichen  Sym- 
ptomenbildern  und  können  klinisch  nicht  unterschieden  werden.  Es 
dürfte  sich  daher  auch  nach  dem  Vorschläge  von  Lax  und  Müller 
empfehlen,  von  traumatischen  Rückenmarksläsionen  schlechtweg  zu 
sprechen  und  die  noch  genauere  anatomische  Diagnose  zu  unterlassen. 

Dr.  Epstein:  Eine  traumatische  Knochenerweichung  konnte 
vorderhand  wegen  Fehlens  einer  deutlichen  Difformität  der  Wirbel¬ 
säule  im  Sinne  einer  angularen  oder  bogigen  Kyphose  nicht  angenommen 
werden .  Eine  von  Dr.  Weinberger  auf  der  Klinik  Schrotte  r 
gemachte  Radiographie  zeigte  auch  keine  Abnormitäten. 

Die  Diagnose  der  Hämatomyelie  wurde  nicht  in  dem  sinne 
gemacht,  als  ob  daneben  stehende  nekrotische  Veränderungen  des 
Rückenmarkes  ausgeschlossen  seien. 


98 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Nr.  4 


3.  Privatdocent  Dr.  Hermann  Schlesinger  berichtet  über 
einen  Fall  von  atypischer  amyotrophischer  Lateral¬ 
sklerose  mit  subacnten  bulbären  Beginn,  acht  Monate  währendem 
Trismus,  spastischer  Harnverhaltung  und  nicht  ausgesprochenen  Muskel- 
atrophien  bei  spastischen  Zuständen  und  fibrillären  Zuckungen  in  der 
ganzen  Körpermusculatur,  sowie  reflectorischer  Pupillenstarre. 

Die  Autopsie  ergab  symmetrische  Degeneration  beider  Pyramiden¬ 
bahnen  von  den  Grosshirnschenkeln  bis  in  das  Lendenmark  mit  dem 
Maximum  der  Degeneration  in  der  Medulla  oblongata,  diffuse  Degene¬ 
ration  der  Vorderseitenstränge  in  der  ganzen  Höhe  des  Rückenmarkes, 
hochgradige  Ganglienzellenveränderungen  in  den  Vorderhörnern  der 
oberen  Abschnitte  des  Halsmarkes,  Degeneration  des  Hypoglossuskernes 
beiderseits,  der  Facialiskerne  und  des  motorischen  Trigeminuskernes 
einer  Seite,  fettige  Degeneration  der  Zunge.  Hirnrinde  frei,  ebenso  die 
anderen  Faserzüge  intact. 

Vortragender  bespricht  eingehend  den  klinischen  und  anatomi¬ 
schen  Befund  und  die  Rückschlüsse,  welche  sich  aus  dieser  Beobach¬ 
tung  für  die  Pathologie  und  pathologische  Anatomie  der  amyotrophi- 
schcn  Lateralsklerose  ziehen  lassen. 

(Der  Vortrag  wird  in  extenso  in  den  „Mittheilungen  aus  dem 
Institute  des  Prof.  Obersteiner“,  Wien,  Heft  7,  publicirt.) 

Discussion:  Privatdocent  Dr.  H  i  r  s  c  h  1 :  Der  Fall  Schle¬ 
singer  bot  neben  anderen  Symptomen  auch  das  A  r  g  y  1  1  -  R  o  b  e  r  t- 
s  o  n’sche  Symptom.  Da  nach  Untersuchung  auf  Tabes  und  Paralyse 
sich  keinerlei  Anhaltspunkt  für  die  Annahme  einer  dieser  beiden  Krank¬ 
heiten  fand,  ist  Schlesinger  geneigt,  die  reflectorische  Starre  der 
Pupillen  als  ein  neues  Symptom  der  amyotrophischen  Lateralsklerose 
anzusehen.  Ich  glaube,  dass  dieser  Ansicht  entgegengetreten  werden 
muss,  so  lange  nicht  eine  relativ  grössere  Reihe  von  Fällen  von  amyo- 
trophischer  Lateralsklerose  bekannt  werden,  bei  denen  das  Argyll- 
R  o  b  e  r  t  s  o  n’sclia  Phänomen  zu  constatiren  ist.  Trotzdem  wir  bei 
Delirium  tremens  und  beispielsweise  auch  bei  Paranoia  reflectorische 
Pupillenstarre  in  einer  allerdings  bescheideneren  Zahl  von  Fällen  be¬ 
obachtet  haben,  ist  es  wohl  nicht  gerechtfertigt,  die  reflectorische 
Pupillenstarre  etwa  als  ein  Symptom  des  Delirium  tremens  oder  der 
Paranoia  zu  betrachten;  wir  sahen  in  ihr  eine  Complication,  eine  iso- 
lirte  Folge  luetischer  Infection,  obzwar  in  einigen  Fällen  diese  Infection 
sich  nicht  naehweisen  Hess.  Ich  glaube,  dass  es  sich  im  Falle  Schle¬ 
singer  um  etwas  Aehnliche3  gehandelt  hat. 

In  einem  Falle  von  amyotrophischer  Lateralsklerose,  der  in  der 
Klinik  zur  Obduction  kam,  konnte  in  der  hinteren  Central  Windung  an 
M  archi  -  Präparaten  Degeneration  der  Rindenfasern  nachgewiesen 
werden;  ich  stelle  an  den  Vortragenden  die  Anfrage,  ob  er  March i- 
Präparate  der  Rinde  angefertigt  habe  und  ob  sich  auch  in  seinem 
Falle  eine  Veränderung  an  diesen  Präparaten  naehweisen  Hess. 

Dr.  Schlesinger  betont  nochmals,  dass  bei  dem  Kranken 
bis  an  sein  Lebensende  psychische  Defecte  vollkommen  mangelten  und 
weder  aus  klinischen  Erscheinungen,  noch  aus  den  anatomischen  Be 
funden  eine  zweite  concurrirende  Affection  habe  erschlossen  werden 
können,  welche  die  reflectorische  Pupillenstarre  hätte  verursachen 
können,  andererseits  waren  die  anatomischen  Veränderungen  derart, 
dass  die  Möglichkeit  einer  anatomischen  Läsion  der  Augennmskelcentren 
nicht  von  der  Hand  gewiesen  werden  könne;  jedenfalls  aber  liege  eine 
äusserst  interessante  und  sehr  beaehtenswerthe  Complication  der  amyo¬ 
trophischen  Lateralsklerose  vor. 

Was  den  zweiten  Punkt  der  Anfrage  betrifft,  theilt  Vortragender 
mit,  dass  in  der  Medulla  oblongata  und  im  ganzen  Hirnstamme  bei 
der  Untersuchung  nach  March  i  von  Fasersystemen  nur  das  der 
Pyramidenbahnen  erkrankt  war,  was  umso  bemerkenswert  her  ist,  als 
bereits  mehrmals  mit  Hilfe  feinerer  Untersuchungsmethoden,  wie  dies 
Ho  che,  Pilcz  u.  A.  mittheilen,  auch  die  Degeneration  anderer 
Bahnen  gefunden  wurde. 

Im  Bereiche  der  inneren  Kapsel  und  der  Hirnrinde  fehlten  an 
sonst  wohlgelungenen  M  archi-  Präparaten  Faserndegenerationen  voll¬ 
kommen,  die  Ganglienzellen  der  Hirnrinde  (allerdings  nicht  nach 
Xissl  untersucht),  erschienen  vollkommen  normal. 

Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien. 

Jahrgang  1899  — 1900. 

Sitzung  am  12.  December  1899. 

Vorsitzender:  Herr  J.  Breuer. 

Schriftführer:  Herr  Sig'in.  Fuclm. 

1.  Herr  S.  Federn  (a.  G.)  hält  den  angekündigten  Vortrag: 
,.  B  e  o  b  a  c  htungen  übe  r  d  e  n  Blut  d  ruck  a  m  Mensch  e  n.w 

Ich  darf  wohl  annehmen,  dass  Ihnen  das  Sphygmomanometer  von 
Base  h’s  und  G  ä  r  t  n  e  r’s  Tonometer,  sowie  deren  Anwendung  bekannt 
sind  und  gehe  daher  gleich  auf  die  Beobachtungen  über,  zu  welchen 
sie  mir  Gelegenheit  gegeben. 


Als  Gärtner  die  Güte  hatte,  mir  sein  Tonometer  zujdemon- 
striren,  bestimmte  er  auch  meinen  Blutdruck,  und  da  fiel  mir  auf, 
dass  er  einen  höheren  Blutdruck  bekam,  als  ich  ihn  unzählige  Male 
durch  das  Sphygmomanometer  gefunden  hatte. 

Ich  habe  später  an  sehr  vielen  Individuen  den  Blutdruck  mit 
beiden  Instrumenten  bestimmt  und  es  ergab  sich  immer,  dass  das 
Tonometer  einen  höheren  Blutdruck  zeigte,  als  das  Sphygmomano¬ 
meter.  Ich  stand  liier  vor  einem  Räthsel.  Ich  überlegte,  dass  die  Ur¬ 
sache  entweder  in  dem  Messinstrumente  liegen  könne,  oder  dass  der 
Blutdruck  wirklich  höher  sei.  Mit  dem  Sphygmomanometer  war  ich  durch 
viele  Jahre  vertraut  und  wusste,  dass  es  den  Blutdruck  richtig  angab; 
das  Tonometer  andererseits  ist  so  einleuchtend  und  einfach,  dass  ich 
seinen  Angaben  nicht  misstrauen  konnte.  Ich  machte  daher  folgenden 
Versuch:  ich  bestimmte  den  Blutdruck  an  einem  Individuum  mit  dem 
Sphygmomanometer,  anämisirte  dann  den  Finger  nach  G  ä  r  t  n  e  r’s  Me¬ 
thode  mit  dem  elastischen  Ringe  und  mass  wiederum  den  Blutdruck, 
und  siehe  da,  bei  fast  allen  Individuen  mit  seltenen  Ausnahmen,  die 
nicht  ins  Gewicht  fallen,  war  der  Blutdruck  um  20  mm  Quecksilber 
und  mehr  gestiegen.  Wenn  ich  dann  noch  den  zweiten  und  dritten 
Finger  auf  dieselbe  Weise  anämisirte,  so  stieg  der  Blutdruck  wieder, 
wenn  auch  bedeutend  weniger. 

Es  wurde  mir  also  klar,  dass  die  Anwendung  des  anämisirenden 
Ringes  den  Blutdruck  steigen  macht. 

Es  ergab  sich  nun  die  Frage,  ob  durch  eine  Reizung  der 
vasomotorischen  Centren  eine  allgemeine  Steigerung  des  Blutdiuckes 
erfolgte,  oder  ob  die  Blutdrucksteigerung  nur  local  sei.  Ich  wieder¬ 
holte  also  denselben  Versuch,  bestimmte  aber  zugleich  den  Blutdruck 
an  der  Radialis  der  anderen  Seite,  wo  ich  die  Finger  nicht 
anämisirt  hatte;  hier  war  der  Blutdruck  nicht  gestiegen.  Es  ergab  sich 
also  aus  diesem  Versuche,  dass  die  Blutdrucksteigerung  eine 
locale  sei. 

Ich  stellte  mir  nun  weiter  die  Frage,  ob  die  Anämisirung  des 
Fingers  die  Blutdrncksteigernng  veranlasse  oder  vielleicht  der  Reiz 
der  Einschnürung  mit  dem  Ringe.  Ich  erweiterte  daher  den  Ring  und 
führte  denselben  sodann  an  dem  Finger  hinab  bis  zur  betreffenden 
Stelle,  wo  ich  den  Finger  einschnürte,  ohne  ihn  anämisirt  zu  haben, 
und  nun  blieb  der  Blutdruck  derselbe.  Es  konnte  also  nicht  die  Ein¬ 
schnürung  des  Fingers,  sondern  nur  die  Anämisirung  desselben  die 
Steigerung  des  Blutdruckes  bewirkt  haben. 

Ich  bemerke  noch,  dass  man  auch  durch  das  Tonometer  die 
blutdrucksteigernde  Wirkung  durch  die  Anämisirung  mehrerer 
Finger,  wenn  auch  nicht  so  deutlich,  naehweisen  kann. 

Gestatten  Sie  mir,  meine  Herren,  an  diese  Mittheilung  einen  Ge¬ 
danken  auzuschliössen,  der  mich  schon  früher  beschäftigte,  aber  durch 
diese  Beobachtungen  aufs  Neue  angeregt  wurde. 

Mir  scheint,  dass  unsere  physikalische  Anschauung  über  den 
Blutdruck  einer  Ergänzung  bedarf.  Wir  betrachten  unser  Gefässsystem 
als  ein  abgeschlossenes  Röhrensystem.  Die  Versuche,  die  z.  B.  A.  Fick 
im  XLVI.  Bande  von  Pf  lüge  r’s  Archiv  über  den  Blutdruck  in 
den  Capillaren  publicirt  hat,  gehen  auch  von  dieser  Anschauung  aus. 
Ich  glaube  aber,  dass  unser  Gefässsystem  nur  bis  zu  den  Capillaren 
gegen  das  umgebende  Gewebe  abgeschlossen  ist,  von  den  Capillaren 
bis  zu  den  Anfängen  dor  Venen  communicirt  es,  wenn  der  Ausdruck 
gestattet  ist,  gewissermassen  mit  den  Gewebsflüssigkeiten,  mit  den 
Zellen  ;  osmotische  Strömungen,  chemische  Affinitäten  wirken  auf 
den  Inhalt  der  Capillaren  und  beeinflussen  vielleicht  den  Druck 
in  denselben. 

Zu  dieser  Erwägung  führte  nachfolgende  Beobachtung: 

Wenn  ich  durch  den  einschnürenden  Ring  den  Finger  anämisirte, 
so  wird  der  anämisirte  Theil  des  Fingers  deutlich  schwächer  und  der 
untere  Theil  deutlich  stärker,  weil  mit  dem  Blute  auch  Gewebsflüssig¬ 
keit  verdrängt  wird,  es  wird  daher  die  Spannung  in  den  Geweben 
geändert  und  vielleicht  hat  diese  veränderte  Spannung  Einfluss  auf 
den  Blutdnrck. 

Ich  habe  Versuche  in  Vorbereitung,  welche  diese  Erwägungen 
auf  ihre  Richtigkeit  prüfen  sollen. 

2.  Herr  S.  v.  Schumacher  hält  den  angekündigten  Vor¬ 
trag  :  „Ueber  Phagocytose  und  die  A  b  f  u  h  r  w  e  g  e  der 
Leukocyten  in  den  Lymph  drüsen.“ 

Die  Untersuchungen  sind  im  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie, 
L1V,  3,  pag.  296,  in  extenso  publicirt. 

Herr  St.  Bernheimer  demonstrirt  Affengehirne  mit 
Zerstörung  der  vorderen  Vierhügel. 

Vortragender  hat,  um  die  Bahnen  der  synergischen  Augenbe¬ 
wegungen  und  die  Beziehungen  der  vorderen  Vierhügel  zu  denselben 
zu  erforschen,  eine  Reihe  von  Experimenten  am  Affen  ausgoführt. 
(Siehe  Sitzungsber.  d.  kais.  Akad.  d.  Wissensch.  Mathem.  naturw.  CI. 
CVIII,  Abth.  III,  pag.  299.) 

Ein  Theil  dieser  Versuche  betraf  beidei'seitige  und  einseitige 
Zerstörung  der  vorderen  Vierhügel  bis  zum  Aquaeductus  Sylvii. 


Nr.  4 


99 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Alle  diese  operirten  Thiere  konnten  trotz  Zerstörung  der  vorderen 
Vierhügel,  sowohl  spontan  als  nach  Reizung  des  Gyrus  angularis, 
tadellose  synergische  Augenbewegungen  ausführen. 

Zwei  Thiere  mit  einseitiger  Vierhügelzerstörung  konnten  drei 
Wochen  am  Leben  erhalten  werden  ;  auch  diese  führten  während  der 
dreiwöchentlichen  Beobachtungsdauer  tadellose  synergische  Augenbe¬ 
wegungen  aus. 

Demnach  sind  die  vorderen  Vierhügel,  entgegen  der  bis  jetzt 
gangbaren  Anschauung  Adamük’s,  für  die  Auslösung  von  synergi- 
schen  Augenbewegungen  vollkommen  belanglos. 

Die  Verbindungsneurone  zwischen  den  Augenmuskelkernen  und 
dem  entsprechenden  Rindencentrum  (Gyrus  angularis)  verlaufen  voll¬ 
ständig  gekreuzt.  Die  Kreuzung  findet  unter  dem  Aquaeductus  Sylvii 
mit  Ausschluss  der  vorderen  Vierhügel  statt. 

Ferner  demonstrirt  derselbe  Chiasm  aschnitte  von  einem 
Neugeborenen  mit  beiderseitigem  Mikrophthalmus. 

Die  Markscheidenbildung  im  Gehirn  und  in  den  Sehbahnen 
dieses  Neugeborenen  war  auf  einer  früheren  embryonalen  Entwicklungs¬ 
stufe  stehen  geblieben. 

In  zahlreichen  Schnitten  der  oberen  Chiasmahälfte  sind  nur  un¬ 
gekreuzte  Sehnervenfasern  mit  Markhüllen  versehen.  Durch  Weigert- 
Färbung  erscheinen  diese  Fasern  in  natürlicher  Isolirung,  es  gelingt 
daher,  an  diesen  20  Schnitten  Sehnervenbündel  und  Einzelfasern  in 
ein  und  demselben  Schnitte  ununterbrochen  vom  Sehnerv  bis  weit  in 
den  gleichseitigen  Tractus  zu  verfolgen.  —  Es  ist  dies  der  erste 
rein  anatomische  Nachweis  der  ungekreuzten  Seh¬ 
nervenfasern  beim  Menschen. 

(Siehe  Archiv  für  Augenheilkunde.  XL,  2,  pag.  155.) 


Greifswalder  medicinischer  Verein. 

Sitzung  am  2.  December  1899. 

Vorsitzender:  Laiidois. 

Schriftführer :  Busse. 

1.  Palleske-Loitz  demonstrirt  einen  T  h  orakopagus 
und  schildert  den  Geburtsverlauf. 

2.  Rosemann:  Ueber  die  angebliche  eiweisssparende  Wirkung 

des  Alkohols.  R  o  s  e  m  a  n  n  hat  als  Ergebniss  seiner  Stoffwechsel¬ 
versuche  über  den  Alkohol  gefunden,  dass  der  Alkohol  wohl  Fett 

aber  nicht  E  i  w  e  i  s  s  zu  sparen  vermöge,  deshalb  als  Nähr  u  n  g  s- 
mittel  nicht  geeignet  sei.  Diese  Ergebnisse  sind  neuerdings  von 
Neumann  (Archiv  für  Hygiene.  Bd.  XXXVI)  undOffer  (Wiener 
klinische  Wochenschrift.  Bd.  XII,  Nr.  41)  angegriffen  worden.  Rose¬ 
mann  weist  nun  die  Angriffe  zurück,  indem  er  einmal  die  Einwände 
widerlegt  und  zum  Anderen  die  Untersuchungsresultate  von  Neumann 
als  fehlerhaft,  die  von  Offer  als  völlig  unzutreffend  nachweist. 

Neumann  hatte  sich  zunächst  in  Stickstoffgleichgewicht  gesetzt, 

darauf  von  seiner  Nahrung  Fett  fortgenommen  und  dabei  l-63</  Stick¬ 
stoff  täglich  abgegeben;  nun  wird  dieser  Nahrung  Alkohol  zugegeben 
und  es  tritt  zunächst  ein  täglicher  Stickstoffverlust  von  3-05^  ein, 
dann  aber  stellt  sich  ungefähr  Stickstoffgleichgewicht  ein.  Jetzt  wird 
unter  Beibehaltung  des  Alkohols  die  erste  Menge  Fett  wieder  zur 
Nahrung  verwendet  und  ein  Stickstoffansatz  von  1’35  g  erzielt.  Neu- 
m  a  n  n  vergleicht  die  letzte  Periode  mit  der  ersten  und  führt  den 
Stickstoffansatz  von  P35#  auf  den  Alkohol  zurück,  während  Rose- 
m  a  n  n  dagegen  geltend  macht,  dass  so  weit  auseinanderliegende 
Perioden  nicht  verglichen  werden  dürfen,  sondern  vielmehr  die  un¬ 
mittelbar  aufeinanderfolgenden  verglichen  werden  müssen.  Diese 
unterscheiden  sich  nicht  durch  die  Menge  des  Alkohols,  sondern  durch 
die  Menge  des  Fettes  in  der  Nahrung;  mithin  ist  der  Stickstoffansatz 
alias  die  Ersparniss  an  Eiweiss  auf  das  Mehr  von  Fett  zurück¬ 
zuführen. 

Einer  eingehenden  Kritik  unterzieht  Rosemann  darauf  die 
Arbeit  von  Offer,  dessen  Methodik  und  Versuchsresultate  als  in 
vielen  Punkten  unzuverlässig  und  zweifelhaft  geschildert  werden ; 
als  Widerlegung  der  R  o  s  e  m  a  n  n’schen  Arbeiten  dürfte  diese  Arbeit 
wohl  kaum  ernstlich  in  Betracht  kommen. 

3.  Grawitz  demonstrirt  a)  Präparate  von  schwieliger  Ver¬ 
dickung  des  Bauchfelles,  welche  der  Leiche  einer  etwa 
50jährigen  Frau  entstammen.  Wegen  eines  36  Pfund  schweren  Ovarial¬ 
kystoms  hatte  Herr  Martin  die  Ovariotomie  gemacht  und  hiebei 
bereits  grosse  Stücke  einer  mächtigen  Schwiele  entfernt,  welche  nahezu 
die  ganze  Innenfläche  der  stark  ausgedehnten  Bauchdecken  wie  ein 
1  cm  dicker,  knorpelharter  Panzer  überzogen  hatte. 

Es  war  acute  Peritonitis  eingetreten  und  bei  der  Section  fanden 
sich  die  Darmschlingen  von  chronisch  verdickter,  grauweisser  Serosa 
überzogen,  mit  frischer,  eiteriger  Peritonitis,  während  die  Reste  der 
grossen  Bauchdeckenschwiele  ein  gerunzeltes,  sammtartig  rauhes  Aus¬ 
sehen  hatten,  welches  mikroskopisch  am  frischen  wie  am  gehärteten 


Präparate  viel  klarer  als  die  normale  Serosa  die  fibrinoide  Umwand¬ 
lung  des  Bindegewebes  erkennen  Hess.  Unter  Erwähnung  der  fibrösen 
Perisplenitis  und  der  Perihepatitis  (Zuckergussleber)  weist  Grawitz 
auf  die  grosse  Seltenheit  derartiger  peritonealer  Bauchdeckenschwielen 
hin,  und  erörtert  die  dadurch  die  bedingten  Hindernisse  in  der  Re¬ 
sorption  und  die  Gefahr  für  die  Ansiedlung  von  Eitererregern. 

b)  Demonstration  eines  Falles  von  Porenenphalie  bei 
einer  Frau,  welche  vor  Jahren  eine  schwere  Schädelverletzung  er¬ 
litten  hatte. 

Die  Spuren  dos  Traumas  waren  in  einem  Knochendefect  am 
rechten  Tuber  parietale  und  elfenbeinerner  Hyperostose  der  Tabula  int. 
an  der  Stelle  des  Stosses  und  des  Gegenstosses  deutlich  zu  erkennen. 
Das  Gehirn  zeigte  hier  einen  grossen,  von  der  Oberfläche  bis  in  den 
Seitenventrikel  führenden  Canal,  an  dessen  Grunde  man  das  Ammons 
horn  liegen  sah.  Die  Ausheilung  dieser  Gehirncontusion  war  so  voll¬ 
ständig,  dass  nur  mit  Hilfe  des  Mikroskrops  Reste  von  Pigment  in 
dem  zarten  Narbengewebe  nachgewiesen  werden  konnten. 

4.  So  1  g  er  demonstrirt  a )  die  durch  einen  Medianschnitt  halbirte 
Nasenhöhle  eines  etwa  48jährigen  weiblichen  Individuums,  deren 
Wandung  die  Muscheln  ganz  oder  grösstentheils  fehlen.  Gegenbaur 
führte  in  einem  ähnlichen  Falle  diese  Veränderung  auf  mangelhafte 
Ausbildung  zurück.  S  o  1  g  e  r  sieht  sie  als  Product  ,, tertiärer  Syphilis“ 
an,  woran  das  Individuum  nachweislich  gelitten  hatte. 

Er  demonstrirt  b)  Querschnitte  von  Rippen  junger  Kätzchen,  in 
denen  sich  nach  Fixirung  in  Zenke  r’scher  Lösung  und  Hämatoxylin- 
färbung  an  der  Grenze  zwischen  alten  und  neuem  Knochen  eine  Zone 
violett  gefärbter  Körnchen  zeigt. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinde  rheilkund  e. 

Referent  Dr.  B.  B  e  n  d  i  x  (Berlin). 

I.  Sitzung:  Montag  den  18.  September  1899. 

II.  W.  Ca  merer  jun.  (Stuttgart)  :  Die  chemische  Zu¬ 
sammensetzung  des  Neugeborenen.  (Mit  analytischen  Bei¬ 
trägen  von  Dr.  S  ö  1  d  n  e  r.)  (Fortsetzung.) 

Die  von  mir  bisher  untersuchten  drei  Leichen  stammen  von 
normalen,  ausgetragenen  Kindern,  welche  kurz  vor  Beendigung  de: 
Geburt  gestorben  waren,  oder  einige  Minuten  gelebt  hatten.  Dieselben 
wurden  sofort  nach  der  Geburt  gewogen.  Die  zunächst  nothwendige 
Zerkleinerung  geschah  an  der  gefrorenen  Leiche  mit  Messer, 
Scheere  und  Knochenzange  zu  etwa  erbsengrossen  Stücken.  Auf  d  ese 
Weise  wurde  jeder  Substanzverlust  vermieden.  Sodann  wurde  das 
Ganze  mit  Alkohol  und  Aether  extrahirt  und  die  so  wasser-  und 
fettarm  gemachte  Substanz  pulverisirt.  Aus  der  Summe  der  Irocken- 
substanzen  des  Alkoholextractes,  Aetherextractes  und  Pulvers  eigab 
sich  die  Gesammttrockensubstanz,  und  die  Differenz  von  dieser  letzteren 
und  dem  Gewichte  der  frische  Leiche  lieferte  den  Wassergehalt 
des  Kindes. 

Die  chemischen  Analysen  wurden  am  Alkoholextracte,  Aethei- 
extracte  und  Pulver  von  m  i  r  und  S  ö  1  d  n  e  r  ausgeführt.  Wirerhielten 
folgende  Zahlen: 


Nummer 

des 

Kindes 

Gewicht 

Wasser 

Trocken 

Substanz 

Fett 

Asche 

Eiweiss 

und 

Leim 

Extractiv 

Stoffe 

C 

H 

N 

I  .  .  . 

2616 

1874 

742 

358 

54 

27  8 

52 

434-2 

64-1 

46-8 

11  .  .  . 

2755 

1905 

850 

443 

74 

29-6 

37 

5069 

75-9 

50  5 

Ill  .  . 

2683 

1 955 

728 

270 

67 

350 

41 

— 

59'6 

Mitttel 

2685 

1912 

773 

357 

65 

308 

43 

— 

5P4 

Hieraus  folgen  die  Verhältnisszahlen.  100  cj  Leibessubstanz  ent 
halten  : 


Nummer  des 
Kindes 

Wasser 

Trocken¬ 

substanz 

- 1 

Fett 

Asche 

Eiweiss 

und 

Leim 

Extractiv- 

stofte 

N 

I . 

71-6 

28  4  1 

13-7 

2  06 

10-6 

20 

1-79 

II . 

62-2 

308 

16  1 

269 

10-8 

1-3 

1-83 

III . 

72-9 

271 

10-1 

2-50 

13T 

1-5 

2 22 

i  Mittel . 

7P2 

28-8 

133 

2-40 

115 

1-6 

1-92 

WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  4 


100 


Die  Gesammtmenge  des  im  Körper  enthaltenen  Lecithins 
wurde  zu  1  6 •  5 1  <7  bestimmt.  > 

Zum  Vergleiche  fügt  Camerer  die  von  B  i  s  c  h  0  f  f  und 
Volk  mann  für  den  Erwachsenen  gefundenen  Werthe  bei. 

100  Theile  Mensch  enthalten: 


Wasser  | 

Eiweiss 

und 

Leim 

Fett 

Asche 

! 

Nach  Volk  mann . 

Nach  B  i  s  c  h  0  f  f . 

66 

60 

16 

16 

13 

19 

5 

5 

Es  enthält  also  der  Körper  des  Neugeborenen  im  Vergleich  zum 
Erwachsenen  sehr  viel  W  a  s  s  e  r  und  F  e  1 1,  letzteres  beinahe  die  Hälfte 
der  Trockensubstanz,  während  der  Gehalt  an  Asche  und  stick¬ 
stoffhaltigen  Bestan  dt  heilen  geringer  ist.  Weitergehende 
Schlüsse  möchte  Cammerei'  aus  dem  bisher  vorliegenden  Material 
vorerst  noch  nicht  ziehen. 

Von  der  Asche  wurden  auch  quantitative  Analysen  ihrer  Einzel- 
bestandtheile  gemacht.  Es  hat  ja  die  Erforschung  dieser  Verhältnisse 
ein  besonderes  Interesse  gewonnen  durch  die  Theorie  Bung  e’s,  dass 
bei  den  Säugethieren  das  Verhältniss  der  anorganischere  Stoffe  im  Ge- 
sammtorganismus  des  Säuglings  und  in  der  betreffenden  Milch  fast 
identisch  sei.  Dies  trifft  für  die  menschlichen  Verhältnisse  nicht  zu, 
wie  die  folgende  Tabelle  zeigt. 

100  g  Asche  enthalten: 


K2  0 

Na3  0 

CaO 

Mg  0 

Fe203 

%o5 

CI 

Neugeborenes  Kind 

78 

9  1 

36  1 

09 

08 

38  9 

7-7 

Muttermilch  .  .  . 

31-4 

11  9 

16-4 

26 

0  16 

13  5 

20  0 

Eine  ausführliche  Beschreibung  dieser' Arbeit,  von  Camerer 
und  Söldner  gegeben,  wird  in  der  Zeitschrift  für  Biologie  demnächst 
erscheinen. 

Discussion  zu  den  beiden  Vorträgen  von  Camerer. 

1.  Baginsky  (Berlin)  macht  darauf  aufmerksam,  dass 
demnächst  aus  seinem  Institute  von  seinem  Assistenten,  Herrn 
Sommerfel  d,  Untersuchungen  über  das  gleiche  Thema  erfolgen 
werden. 

2.  B  e  n  d  i  x  (Berlin)  hat  gleichfallsTUntersuchungen  über  die 
chemische  Zusammensetzung  des  Säuglings  angestellt.  Allerdings 
handelt  es  sich  hiebei  um  atrophische  Säuglinge,  und  zwar  wurden 
vorerst  an  sieben  Säuglingen  Bestimmungen  des  Wassergehaltes 
und  des  Stickstoffes  ausgeführt.  Im  Mittel  betrugen  die  Werthe 
75%  Wasser  und  2%  N  im  frischen,  circa  10%  N  im  trockenen 
Muskel. 

3.  Camerer  sen.  (Urach)  stimmt  zu,  dass  auch  Fehling 
im  Jahre  1873  an  atrophischen  Säuglingen  weniger  Wasser  und 
Fett,  aber  mehr  Eiweiss  als  normal  angegeben  hat.  Analysen  ein¬ 
zelner  Organe  und  des  Gesammtkürpers  seien  indess  nicht  wohl  ver¬ 
gleichbar. 

III.  Wilhelm  Knöpfelmacher  ( Wien) :  Zur  Kenntniss 
der  Caseinflocken. 

Vortragender  hat  die  in  den  Fäces  dyspeptischer  Säuglinge  oft 
vorhandenen  weissen  Klümpchen,  die  man  mit  dem  Namen  „Casein- 
flocken'*  bezeichnet,  chemisch  untersucht.  Der  Stickstoffgehalt  eines  am 
Wasserbade  getrockneten  Präparates  betrug  3-5%,  der  Fettgehalt  40%, 
der  Aschengehalt  18%.  Ein  anderes  Präparat  hatte  2,98°/0  Stickstoff 
und  25%  Fett.  Die  Asche  enthielt  03%  Kalk  uni  9%  Phosphor 
(=  21%,  P2  05).  Berechnet  man  Asche,  Kalk,  Phosphor  auf  einen 
Theil  Stickstoff’,  so  zeigt  sich,  dass  in  den  Caseinflocken  auf  einen 
Theil  Stickstoff  dreimal  soviel  Asche  und  neunmal  soviel  Kalk  entfällt, 
als  in  Caseingerinnseln.  Schon  daraus  wird  die  Annahme,  dass 
die  Caseinflocken  nichts  Auderes  als  Caseingerinnsel  sind,  hinfällig. 
Das  wird  noch  deutlicher  durch  Untersuchung  des  Fettes  und  der 
stickstoffhaltigen  Körper  der  Caseinflocken.  Die  Fettsäuren  derselben 
hatten  bei  zwei  Präparaten  einen  Schmelzpunkt  von  49u,  respective 
40  —  47°  C.,  einen  Erstarrungspunkt  von  46°,  respective  42°  C.  Der  Oel- 
säuregehalt  dos  Fettes  betrug  einmal  9 1 7 % ,  in  einem  zweiten  Prä¬ 
parate  1 9 *5°/o-  Bei  dem  Vergleich  dieser  Zahlen  mit  den  Werthen 
für  den  Schmelz-  und  Erstarrungspunkt  der  Fettsäuren  des  Kuhmilch¬ 
fettes  und  dem  Oelsäuregehalt  desselben,  besteht  kein  Zweifel,  dass 
das  Fett  der  Caseinflockeu  kein  unverändertes  Milchfett  sein  kann.  Es 


ist  vielmehr  in  seiner  Zusammensetzung  dem  Kothfette  nach  Milch¬ 
nahrung  ähnlich. 

An  den  stickstoffhaltigen  Körpern  wurde  vorerst  das  Ver¬ 
hältniss  von  Stickstoff  zu  organisch  gebundenem  Eiweissphosphor 
bestimmt  und  N  :  P  —  36  :  1,  in  einem  zweiten  Versuche  N  :  P  =  31  :  1 
gefunden. 

Ferner  wurden  die  Caseinflocken  mit  Wasser,  Kochsalzlösung, 
Sodalösung  und  verdünnter  Natronlauge  extrahirt  und  die  einzelnen 
Extracte  mit  Hilfe  der  qualitativen  Eiweissreactionen  untersucht.  Die 
Lösungsverhältnisse  der  die  Biuretreaction  gebenden  Körper,  wie  auch 
ihr  Verhalten  gegen  die  Eiweissreactionen  Hessen  die  Anwesenheit  von 
Casein  oder  Paracasein  ausschliessen.  Durch  Sättigen  mit  Ammonsulfat 
in  der  Kälte  konnte  eine  bei  Erwärmen  zum  Theile  sich  lösende  Fällung 
erzielt  werden.  In  den  Extracten  eines  Präparates  konnte  auch  Am¬ 
moniak  nachgewiesen  werden.  So  wurde,  wie  an  den  Salzen  und  dem 
Fette,  auch  an  den  stickstoffhaltigen  Körpern  gezeigt,  dass  dieselben 
der  Einwirkung  von  Verdauungsprocessen  unterworfen  waren,  dass  daher 
von  unveränderten  Casein-  oder  Paracaseingerinnseln  nicht  die  Rede 
Sein  kälin.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  26.  Januar  1900,  6  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  V.  ReuSS 
stattfiudenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Prof.  Schauta:  Ueber  die  Einschränkung  der  Laparotomie  zu  Gunsten 
der  vaginalen  Cöliotomie. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Docent  Dr.  Herzfeld,  Docent 
Dr.  Max  Herz,  Docent  Dr.  Kretz,  Prof.  A.  Politzer,  Prof.  Benedikt, 
Prof.  Weinlechner,  Dr.  J.  Tlienen,  Dr.  A.  Pilcz,  Dr.  R.  Offer,  Hofrath 
Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart  und  Dr.  A.  Jolles. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  1.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  laryngologischeu  Klinik  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Chiari 

stattfinden  den  Hauptversammlung. 

A.  Administrative  Sitzung. 

1.  Jahresbericht,  erstattet  vom  Secretär  Dr.  Ronsblirger. 

2.  Rechnungslegung  des  Oekonomen  Docent  Dr.  Roth  für  1899. 

3.  Wahl  neuer  Mitglieder. 

4.  Wahl  der  Functionäre. 

• 

B.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

Demonstrationen.  (Angemeldet  Dr.  Hanszel  und  Prof.  Chiari.) 

* 

Gemäss  §  26  der  Statuten  ist  zur  Beschlussfähigkeit  die  Anwesenheit 
von  mindestens  zwei  Drittel  der  ordentlichen  Mitglieder  erforderlich.  Ist  diese 
Anzahl  in  einer  Hauptversammlung  nicht  vorhanden,  so  kann  eine  neue 
eine  Stunde  später  einberufen  werden,  welche  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl 
der  anwesenden  Mitglieder  über  das  Programm  der  ersten  Hauptversamm¬ 
lung  zu  beschlossen  berechtigt  ist. 


Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Moutag,  den  29.  Januar  1900,  7  Uhr  Abends 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothenthurmstrasse  21,23 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Obersteiner 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Docent  Dr.  Rieh.  Braun-Fernwahl:  Ueber  Perforation  des  Uterus  bei 
gynäkologischen  Eingriffen. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumiiller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  Ph.  Knoll,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing, 

I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Verlagshandlung  : 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel.  Telephon  Nr.  6004. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  1.  Februar  19ÖO.  Nr.  5. 


Oie  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
qnart. 

Zuschriften  für  die  Kedac- 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  nnd  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


Verlagshandlung  : 
Telephon  Nr.  60U4. 


INHALT: 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  die  Einschränkung1  der  Laparotomie  zu 

Gunsten  der  vaginalen  Cöliotomie.  Von  Prof.  F.  Schauta. 

2.  Ovariotomie  per  anum.  Von  Docent  Dr.  Hubert  Peters. 

3.  Aus  der  Klinik  G.  Braun  in  Wien.  Ueber  Luftembolie  bei  Pla¬ 
centa  praevia.  Von  Dr.  Hugo  H  ü  b  1,  Assistenten  der  Klinik. 

4.  Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Eseherich  in 
Graz.  Ueber  die  nach  Gram  färbbaren  Bacillen  des  Säuglings¬ 
stuhles.  Vorläufige  Mittheilung.  Von  Dr.  Ernst  Moro,  klinischem 
Assistenten. 

II.  Referate:  Geburtshilfliche  Propädeutik.  Von  Dr.  Ludwig  Knapp. 

Ref.  Piskacek.  —  I.  Ueber  epitheliale  Gebilde  im  Myometrium 
des  fötalen  und  kindlichen  Uterus,  einschliesslich  des  Gartner- 
schen  Ganges.  Von  Robert  Meyer.  II.  Die  gestielten  Anhänge 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

des  Ligamentum  latum.  Von  Docent  Dr.  Emil  R  o  s  s  a.  III.  Die 
Einschränkung  des  Bauchschnittes  durch  die  vaginale  Laparotomie 
Kolpokoeliotomia  anterior).  Von  Prof.  A.  Dührssen.  Referent 
H.  Ludwig.  —  Die  Pathologie  und  Therapie  der  Sterilität 
beider  Geschlechter.  Von  E.  Finger  und  M.  Sänger.  Referent 
Redlich.  —  I.  Lehrbuch  für  Heilgehilfen  und  Massöre.  Von 
Sanitätsrath  Dr.  Granier.  II.  Anleitung  zur  Krankenpflege.  Von 
Sanitätsrath  Dr.  E.  Aufrecht.  III.  Monatsbuch  für  Kranken¬ 
pflegerinnen.  Von  E.  H.  v.  Z  a  g  o  r  y.  Ref.  Julius  Sternberg. 

III.  Alis  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Notizen. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Ueber  die  Einschränkung  der  Laparotomie  zu 
Gunsten  der  vaginalen  Cöliotomie. 

Von  Prof.  F.  Schauta. 

Vortrag,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  am  26.  Januar  1900. 

Von  den  sämmtlicken  Fächern  der  praktischen  Medicin 
hat  wohl  keines  im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  so  einschnei¬ 
dende  Umwandlungen,  so  rapide  Fortschritte  aufzuweisen,  wie 
das  Fach  der  Gynäkologie.  Das  kommt  wohl  zum  Tlieile  daher, 
dass  man  vor  einem  Zeiträume  von  etwa  50  Jahren  kaum 
von  einer  Gynäkologie  als  einer  wissenschaftlich  betriebenen 
und  zielbewusst  therapeutisch  vorgehenden  Disciplin  sprechen 
konnte.  Selbst  in  dem  Lande,  von  dem  die  grossen  Neuerungen 
der  operativen  Gynäkologie,  Ovariotomie  und  Myomotomie, 
ausgegangen  waren,  war  Anfangs  der  Fünfziger- Jahre  die  Gynä¬ 
kologie  noch  in  den  ersten  Anfängen.  Charakteristisch  dafür 
ist  die  folgende  Geschichte:  Emmet  erzählt  in  seiner  Ge- 
dächtnissrede  auf  Marion  Sims,  dass  ein  hervorragender 
New  Yorker  Arzt  und  Chirurg  den  Vorschlag  Sims’  auf  Er¬ 
richtung  eines  Frauenhospitals  mit  den  Worten  ablehnte,  es 
sei  wohl  leicht  Eiehenrinde  gegen  Leukorrhoe  zu  verschreiben, 
eine  Erosion  der  Portio  mit  Silbernitrat  zu  ätzen  oder  einen 
Ring  bei  Prolaps  einzulegen,  aber  wozu  man  zu  alledem  ein 
Spital  brauche,  das  verstehe  er  nicht.  Es  würden  sich  für  ein 
solches  kaum  genug  Kranke  finden.  Das  war  im  Jahre  1853. 

Viele  von  Ihnen  erinnern  sich  noch  des  grossen  Auf¬ 
sehens,  welches  in  den  Sechziger-Jahren  das  Erscheinen  der  Ge¬ 
bärmutterchirurgie  Marion  Sims’  erregte.  Doch  wenn  Sie 
in  diesem  Werke  blättern,  so  finden  Sie  nebst  einer  umfäng¬ 
lichen  Abhandlung  über  die  Sterilität  des  Weibes,  über  künst¬ 
liche  Befruchtung  doch  nur  die  Schilderung  vaginaler  Ope¬ 
rationen  ohne  Eröffnung  des  Bauchfelles.  Auf  diesem  Stand¬ 


punkte  stand  eben  zu  jener  Zeit,  die  ja  gar  nicht  so  weit 
hinter  uns  liegt,  noch  die  operative  Gynäkologie. 

Allerdings  müssen  wir  zugeben,  dass  schon  lange  vorher 
Versuche  gemacht  worden  waren,  gynäkologische  Leiden  durch 
Cöliotomie,  d.  h.  durch  Operationen  mit  Eröffnung  des  Peri¬ 
toneums  auf  vaginalem  und  abdominalem  Wege  zu  heilen.  Ich 
brauche  ja  nur  zu  erinnern  an  die  Thatsache,  dass  schon  1809 
Mac  Dowell  in  Kentucky  die  erste  Ovariotomie  in  Amerika, 
1825  Lizars  in  Edinburgh  und  1844  Kiwi  sch  in  Prag 
dieselbe  Operation  ausgeführt  haben ;  dass  ferner  1822  Sauter 
in  Constanz  die  erste  vaginale  Totalexstirpation  und  1825 
Langenbeck  die  erste  abdominale  Totalexstirpation  des 
Uterus  vollfükrten.  Aber  alle  diese  Operationen  waren  nichts 
mehr  als  kühne  Versuche,  denen  der  Erfolg  zum  Theile  fehlte 
und  die  erst  durch  Einführung  der  Antisepsis  ihre  Wiedergeburt 
zu  feiern  bestimmt  waren.  Ein  hervorragender  Chirurg  jener  Zeit, 
Johann  Friedrich  Dieffenbach,  bezeichnete  die  Re¬ 
sultate  jener  Operationen  als  Beweis,  dass  dieselben  aus  dem 
Gebiete  der  Chirurgie  gänzlich  zu  verbannen  seien.  Die  unter¬ 
nommenen  Ausschneidungen  der  Gebärmutter  trügen  mehr 
den  Charakter  von  Mordgeschichten,  als  den  heilbringender 
chirurgischer  Operationen.  Eine  Operation  habe  sich  deshalb 
kaum  noch  Bürgerrecht  erworben,  weil  irgend  ein  Mensch 
dieselbe  einmal  überlebt  habe.  Wenn  der  englische  Kutscher, 
dem  die  Deichsel  quer  durch  die  Brust  fuhr,  oder  der  amerika¬ 
nische  Matrose,  dem  ein  Ankerhaken  durch  den  Leib  ging, 
geheilt  wurden,  so  sind  das  nur  Zufälle,  schwerer  zu  Stande 
zu  bringen  als  das  grosse  Los  zu  gewinnen.  So  schrieb 
Dieffenbach  im  Jahre  1848.  Es  ist  begreiflich,  dass  durch 
diese  und  ähnliche  Verdammungsurtheile  die  operativen  B  - 
Strebungen  der  Chirurgen  und  Gynäkologen  auf  dem  Gebiete 
der  peritonealen  Operationen  für  lange  Zeit  hinaus  unmöghe  i 
gemacht  wurden.  Erst  in  den  Siebziger- Jahren  feierten  diese 


102 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  5 


Operationen  unter  dem  Einflüsse  der  Antisepsis  ihre  Re¬ 
habilitation.  Der  erste,  der  die  Antisepsis  in  Deutschland  bei 
Laparotomien  in  Anwendung  zog,  war  Hegar.  Bei  uns  in 
Wien  wies  Billroth  den  Chirurgen  und  Gynäkologen  in 
dieser  Hinsicht  den  Weg.  Unter  dem  Einflüsse  der  Antisepsis 
feierten  alle  die  Operationen,  welche  schon  in  der  ersten  Hälfte 
unseres  Jahrhundertes  von  kühnen  Männern  versucht  worden 
waren,  ihre  Wiedergeburt.  So  führte  1878  W.  A.  Freund 
die  abdominale  Totalexstirpation  wieder  in  die  Gynäkologie 
ein,  1879  vollführte  Czerny  die  erste  vaginale  Totalexstir¬ 
pation  unter  dem  Einflüsse  der  Antisepsis.  Aus  dem  Jahre 
1872  stammen  die  ersten  Castrationen  durch  Battey  und 
Hegar  und  1879  führte  Lawson  Tait  die  Salpingotomie 
in  die  Reihe  der  gynäkologischen  Operationen  ein.  Aus  der¬ 
selben  Zeit  (1876)  stammt  auch  die  Einführung  der  Porro- 
Operation  in  die  Geburtshilfe  und  die  Untersuchungen  über 
die  Verbesserungen  des  conservativen  Kaiserschnittes  durch 
Sänger.  In  den  Achtziger-Jahren  entstanden  dann  dieOperationen 
der  abdominalen  und  vaginalen  Fixation  des  Uterus  durch 
01  shausen,  Dührssen,  Mackenrodt,  die,  obwohl  auch 
heute  noch  ein  viel  umstrittenes  Gebiet,  doch  den  grossen 
Werth  hatten,  dass  sie  die  Gynäkologen  die  vaginalen  Wege 
in  die  Bauchhöhle  kennen  lehrten  und  so  zu  bedeutenden 
Verbesserungrn  der  Technik  der  vaginalen  Cöliotomie  den 
Anstoss  gaben. 

Heute  stehen  fast  auf  allen  Gebieten  der  operativen 
Gynäkologie  vaginale  und  abdominale  Methoden  einander 
gegenüber.  Doch  bestehen  bezüglich  der  Abgrenzung  der 
Methoden  gegeneinander  noch  immer  wesentliche  Differenzen. 
Die  Mehrzahl  der  deutschen  Gynäkologen  zählt  zu  den  An¬ 
hängern  der  Laparotomie  und  die  Anhänger  der  vaginalen 
Cöliotomie  finden  wir  in  zwei  Lager  gespalten,  indem  die 
Einen  die  Versorgung  blutender  Gefässe  durch  Ligaturen,  die 
Anderen  mit  Klemmen  und  in  neuerer  Zeit  durch  die  so¬ 
genannte  Angiotripsie  systematisch  durchführen.  Die  Frage 
der  Blutstillung  bei  vaginalen  Radicaloperationen  scheint  mir 
aber  nicht  so  sehr  eine  Frage  über  die  Art  der  Blutversorgung 
als  eine  Frage  der  Technik  überhaupt  zu  sein,  worauf  ich 
übrigens  hier  nicht  näher  eingehen  will. 

Wenn  wir  hier  von  einer  Gegnerschaft  zwischen  den 
Anhängern  der  abdominalen  und  vaginalen  Methode  sprechen, 
so  ist  dieselbe  keine  absolute,  etwa  in  dem  Sinne,  dass  die 
Einen  nur  vaginal,  die  Anderen  nur  abdominal  operiren.  Es 
gibt  Fälle,  in  denen  zweifellos  nur  die  vaginale,  und  Fälle,  in 
denen  ebenso  nur  die  abdominale  Methode  in  Betracht 
kommen  kann. 

Ein  Myom,  das  den  Bauchraum  vollkommen  ausfüllt, 
wird  Niemand  anders  als  durch  Laparotomie  operiren,  ob  er 
nun  ein  Anhänger  oder  Gegner  der  vaginalen  Operation  in 
dem  oben  genannten  Sinne  ist,  und  wenn  es  sich  um  die  Ent¬ 
fernung  eines  prolabirten  Uterus  handelt,  so  wird  ebenso 
sicher  der  vaginale  Weg  sich  Jedermann  aufdrängen,  ob  er 
nun  jener  oder  dieser  Richtung  angehört. 

Aber  diejenigen  Operationen,  welche  die  Grenzgebiete 
einnehmen,  sind  es.  welche  noch  Streitobjecte  bilden  und  für 
welche  von  den  Einen  der  vaginale,  von  den  Anderen  der  ab¬ 
dominale  Weg  bevorzugt  wird.  Die  Frage  scheint  nicht  un¬ 
berechtigt  zu  sein,  ob  denn  dieser  Streit  nicht  überhaupt  ein 
müssiger  sei?  Jeder  Operateur  verfolgt  doch  ein  und  dasselbe 
Ziel,  das  ist:  die  Kranke  zu  heilen,  und  es  erscheint  wohl 
gleichgültig,  ob  man  dieses  Ziel  auf  dem  vaginalen  oder  ab¬ 
dominalen  Wege  zu  erreichen  sucht. 

Geht  man  aber  näher  in  die  Betrachtung  der  hier  mass¬ 
gebenden  Factoren  ein,  so  scheint  die  Frage  denn  doch  nicht 
so  gleichgiltig,  wie  sie  auf  den  ersten  Blick  erscheinen  könnte ; 
denn  für  die  vaginale  Operation  sprechen  gewisse  Gründe,  die 
tür  die  Patientin  von  schwerwiegender  Bedeutung  sind.  Zunächst 
hat  die  vaginale  Operation  den  Vortheil  des  Wegfalles  der 
Bauchnarbe.  Mit  der  Eröffnung  der  Bauchdecken  stehen  in 
\  erbindung  die  Gefahren  der  Stichcanaleiterung,  der  Infection 
von  den  Bauchdecken  aus,  die  Gefahr  der  späteren  Hernien¬ 
bildung,  die  Gefahr  der  Verwachsung  der  Bauchdeckennarbe 
mit  Netz  und  Darm.  Ferner  spricht  für  die  vaginalen  Opera¬ 


tionen  die  Möglichkeit  der  breiten  Drainage  in  der  natürlichen 
Richtung  gegen  die  Scheide  und  endlich  vor  Allem  ihre  ge¬ 
ringere  Mortalität.  Denn  wenn  wir  die  sämmtlichen  vaginalen 
Cöliotomien  gegen  die  abdominalen  Cöliotomien  vergleichen, 
so  ergibt  sich  immerhin  ein  Mortalitätsprocent,  das  bei  vaginaler 
Operation  etwa  halb  so  gross  ist  als  bei  abdominaler  Aus¬ 
führung  derselben  Operation.  Andererseits  sprechen  gegen  die 
vaginale  Ausführung  der  Cöliotomie  erstens  die  grösseren 
technischen  Schwierigkeiten,  zweitens  die  geringere  Ueber- 
sichtlichkeit  des  Operationsterrains,  die  schwierigere  Blut¬ 
stillung  und  endlich  die  engeren  Grenzen,  welche  der  Operation 
naturgemäss  gezogen  sind.  Deshalb  darf  die  Frage  der  Ein¬ 
schränkung  der  Laparotomie  zu  Gunsten  der  vaginalen  Cölio¬ 
tomie  niemals  in  dem  Sinne  beantwortet  werden,  als  ob  es 
sich  hier  jemals  um  einen  vollkommenen  Ersatz,  um  eine  voll¬ 
kommene  Verdrängung  der  Laparotomie  zu  Gunsten  der  va¬ 
ginalen  Operationen  handeln  könne.  Ein  solcher  Ersatz,  eine 
solche  Verdrängung  ist  absolut  nicht  denkbar,  selbst  wenn 
sich  unsere  technischen  Hilfsmittel  noch  bedeutend  verbessern 
würden. 

Es  handelt  sich  also  im  Einzelfalle  darum,  sorgfältig  die 
Gründe  für  und  wieder  jeden  der  beiden  in  Betracht  kom¬ 
menden  Wege  gegen  einander  abzuwägen  und  ich  will  sofort 
erwähnen,  dass  diese  Erwägungen  durchaus  keine  allgemeinen, 
für  alle  Fälle  gütigen  sein  können,  sondern  dass  sie  immer 
wieder  im  Einzelfalle  von  Neuem  angestellt  werden  müssen  und 
dass  nur  auf  diese  Weise  für  jeden  einzelnen  Fall  der  richtige 
Weg  ausfindig  gemacht  weiden  kann.  Bezüglich  der  Art  der 
Operation  entscheiden  im  einzelnen  Falle  die  anatomischen 
Verhältnisse,  der  Zustand  der  Patientin  und  auch  individuelle 
Verhältnisse,  die  mitunter  schwer  in  die  Wagschale  fallen. 
Der  Arzt  entschliesst  sich  vielleicht  im  einzelnen  Falle  leichter 
zur  Laparotomie;  sie  gewährt  ihm  die  bessere  Uebersicht  und 
ist  im  Allgemeinen  auch  technisch  leichter  auszuführen;  die 
Patientin  hingegen  entschliesst  sich  leichter  zu  dem  vaginalen 
Eingriffe. 

Ich  möchte  mir  nun  erlauben,  Ihnen  die  Grundsätze 
mitzutheilen,  nach  denen  ich  nun  nach  langjähriger  Erfahrung 
bei  der  Wahl  des  Operationsweges  vorzugehen  gewohnt  bin. 
Diese  Grundsätze  haben  sich  mir  allmälig  herangebildet  an 
einem  Materiale  von  mehr  als  2500  Cöliotomien,  die  bis  Ende 
1899  in  privater  und  klinischer  Thätigkeit  theils  von  mir 
selbst,  theils  unter  meiner  Leitung  von  meinen  Assistenten 
ausgeführt  wurden.  Ausser  der  Feststellung  des  Operations¬ 
erfolges  war  ich  jedoch  bestrebt,  in  jedem  Falle  auch 
über  das  spätere  Befinden  meiner  Operirten  Nachrichten  zu 
erhalten.  Der  vorliegenden  Betrachtung  über  die  Dauererfolge 
lege  ich  jedoch  nur  das  Material  zu  Grunde,  das  ich  bis 
Ende  1898  operirt  habe,  und  zwar  deshalb,  weil  ja  natur¬ 
gemäss  von  Dauererfolgen  erst  nach  einem  längeren  Zeiträume 
gesprochen  werden  kann  und  auch  die  Nachforschungen 
längere  Zeit  in  Anspruch  nahmen. 

In  der  Statistik  von  operativen  Eingriffen  spielten  bis 
vor  Kurzem  noch  die  unmittelbaren  Operationserfolge  eine 
grosse  Rolle;  das  gilt  besonders  von  den  hier  in  Frage 
stehenden  Operationen,  welche  bis  in  die  jüngste  Zeit  noch 
zu  den  gefährlichsten  Operationen  überhaupt  gehörten.  Es  war 
also  gewiss  ein  Verdienst,  bei  dieser  oder  jener  Operations¬ 
methode  die  Sterblichkeitsziffer  herabgedrückt  zu  haben.  Aber 
allmälig  wurde  das  Resultat  fast  aller  der  so  verschiedenen 
Operationsmethoden  so  günstig,  dass  wesentliche  Unterschiede 
—  wenn  man  absieht  von  den  zufälligen  Schwankungen,  wie 
sie  unter  Zugrundelegung  grösserer  oder  kleinerer  Zahlen  sich 
ergeben  —  sich  nicht  mehr  erkennen  Hessen.  Nunmehr  scheint 
es  an  der  Zeit  zu  sein,  für  den  Werth  oder  Unwerth  einer 
Operationsmethode  nicht  mehr  ausschliesslich  den  augen¬ 
blicklichen  Operationserfolg  ins  Auge  zu  fassen.  Heute 
erscheint  es  nicht  mehr  als  ein  so  grosses  Verdienst,  eine 
Frau,  welche  man  wegen  eines  an  sich  doch  nicht  immer 
unmittelbar  zum  Tode  führenden  Leidens  operirt  hat,  am 
Leben  erhalten  zu  haben,  wir  haben  vielmehr  die  Aufgabe, 
zu  untersuchen,  ob  es  uns  auch  gelungen  ist,  die  Beschwerden, 
wegen  welcher  wir  die  Frau  operirten  und  welche  ihr  Lebens- 


farbeujabriken  v»™.  frieDr.  Bayer  S  Co.. 

ELBEKFHLl). 


Abtheilung  für  pharmaeeutisehe  Produkte. 


allen  Krankheiten,  bei  denen  bisher  Salicylsäure  und 
salicyl saures  Natron  in  Anwendung  kamen,  also  ins¬ 


besondere  Gicht,  Gelenk-  und  Muskelrheumatismus,  Ischias,  Pleu¬ 
ritis  sicca,  etc.,  hat  sich  infolge  seiner  vielen  Vorzüge  das  ASPIRIN 
als  ein  vollwertiger  Ersatz  für  die  genannten  Salicylate 
erwiesen. 

Das  ASPIRIN  ist  Acetylsalicylsäure  und  bildet  weisse 
Krystallnädelchen  vom  Schmelzpunkte  135°,  welche  sich  in  Wasser 
von  37°  zu  l°/o  lösen. 

„Es  wird  durch  Säuren  nicht  zersetzt,  dagegen  löst  es  sich 
leicht  in  verdünnten  Alkalien  und  zerfällt  darin  nach  kurzer  Zeit 
in  seine  beiden  Componenten,  sodass  der  Schluss  gerechtfertigt 
erscheint,  dass  die  Substanz  erst  in  Berührung  mit  alkalischen 
Flüssigkeiten  in  ihre  Bestandteile  gespalten  wird.  Der  wichtigste 
Unterschied  des  ASPIRINS  gegenüber  der  gewöhnlichen  Salicyl¬ 
säure  wäre  also  der,  dass  es  den  Magen  nicht  angreift,  den¬ 
selben  unverändert  passirt  und  erst  im  alkalischen  Darm¬ 
saft,  im  Blut  und  in  den  Gewebslymphen  zur  Spaltung  gelangt.“ 
(Witthauer.) 

Künstliche  Verdauungsversuche,  welche  an  der  vonLeyden- 
sehen  Klinik  in  Berlin  von  Dr.  Wohlgemuth  (Therap. 
Monatsh.  5  9)  mehrfach  angestellt  wurden,  bestätigen  diese  schwere 


i>.  l. 


Löslichkeit  und  langsame  Zerlegung  des  ASPIRINS  bei  Gegen¬ 
wart  verdünnter  Säuren,  sodass  eine  nennenswerthe  Abspaltung 
von  Sali  cylsäure  im  Magen  als  vollkommen  ausgeschlossen 
gelten  kann.  Daher  erklärt  denn  auch  Wohlgemuth  das  ASP  IRI  N 
insofern  als  ein  „verbessertes  E  r  sa  tz  m  it  tel“  für  das  salicyl- 
saure  Natrium,  als  es,  bei  gleicher  Heilkraft,  die  unan¬ 
genehmen  Begleiterscheinungen,  wie  Magenbeschwerden , 
Appetitlosigkeit  n i ch  t  zur  Folge  hat.  Seine  Patienten,  die  teils 
an  akutem  Gelenkrheumatismus,  teils  an  rheumatoiden  Schmerzen 
in  den  Muskeln  und  Gelenken  im  Gefolge  anderer  Krankheiten 
(Scharlach,  Diphtherie,  Angina)  litten,  erhielten  sämtlich  bis  8  Tage 
hintereinander  dreimal  täglich  ASPIRIN  mit  gutem  Erfolge, 
ohne  jemals  über  irgend  welche  Nebenwirkungen 
zu  klagen. 

Dr.  Witthauer,  Oberarzt  am  Diakonissenhaus  zu 
Halle  a.  S.  (Heilkunde  7/98)  hat  das  ASPIRIN  an  über 
50  Patienten  erprobt,  von  denen  nicht  ein  einziger  sich  in 
irgend  einer  Beziehung  über  dasselbe  beschwert  hat.  Stets  nahmen 
es  die  Kranken  gern  und  ohne  Wiederstreben  und  solche,  die  schon 
vorher  andere  Salicylpräparate  bekommen  hatten,  r  ü  h  m  te  n  den 
bei  weitem  angenehmeren  Geschmack.  Es  wurde  bei 
allen  Krankheiten  versucht,  die  sonst  mit  salicykaurem  Natron 
behandelt  werden,  vorwiegend  bei  Gelenk-  und  Muskel¬ 
rheumatismus  und  Pleuritis  sicca  und  exsudativa. 
Die  Wirkung  war  mindestens  die  gleiche,  wie  die  des  Natrons, 
zuweilen  brachte  es  auch  d.a  Erfolg,  wo  dieses  beim 
Natron  ausgeblieben  war.  Bei  der  Gicht  schien  es  zweifel¬ 
los  besser  zu  helfen  als  dieses.  Das  Mittel  versagte  nie 
in  seiner  Beeinflussung  der  Schmerzen,  der  Schwellungen  und  des 
Fiebex-s  und  übte  nie  eine  ungünstige  Wirkung  auf 
Herz  und  Magen,  auch  bei  den  Schwerkranken,  aus.  Auch  war 
es  erstaunlich,  wie  gut  sich  der  Appetit  erhielt,  selbst  bei 
Patienten,  die  längere  Zeit  hindurch  ASPIRIN  nehmen  mussten. 

Dr.  Lengyel-Bu  dap  es  t  (Heilkunde  8/99)  bringt  in  aus¬ 
führlich  mitgeteilter  Casuistik  besonders  zwei  Fälle  in  Erwähnung^ 
in  denen  bei  Aspiringaben  rasch  eine  allgemeine  Besserung 
eintrat,  während  sich  die  gewöhnlichen  Salicylpräparate  als  un¬ 
wirksam  erwiesen. 


B 


Besonders  hebt  er  hervor,  dass  die  Herzarbeit  sine  geregeltere 
wurde.  Bei  dem  einen  Fall,  in  welchem  durch  Verabreichung 
von  Natrium  salicylicum  die  Herzleistung  so  schwach  und  regellos 
wurde,  dass  man  dasselbe  eine  zeitlang  aussetzen  musste,  blieb 
nach  Eingabe  von  ASPIRIN  die  Herzarbeit  gut, 
kräftigte  sich  sogar. 

Das  entspricht  den  Beobachtungen,  welche  Herr  Prof. 
H.  Dreser  (Archiv  f.  d.  ges.  Physiolog.  1899.  p.  76)  bei  seinen 
umfangreichen  pharmakologischen  Untersuchungen  über  das 
ASPIRIN  hinsichtlich  dessen  Verhalten  zum  Herzen  gemacht  hat. 
In  derselben  äquimolekularen  Concentration  drückte  Natriumsalicylat 
die  Arbeitsleistung  des  Herzens  herab,  während  ASPIRIN- 
N atrium  sie  steigert. 

Dr.  Wolff berg-lüv eslau  (Wochenschr.  f.  Therap.  und  Hyg. 
d.  Auges  47.  99)  bediente  sich  des  ASPIRINS  in  seiner  Augen¬ 
praxis  in  etwa  20  Fällen,  in  denen  es  ohne  jede  Beschwerde 
vertragen  wurde  und  niemals  wirkungslos  blieb.  Besonders  an¬ 
geführt  sind  Glaucoma  chronic,  und  haemorrhagic,  Iritis 
nach  Gonorrhoe,  wobei  der  günstige  Einfluss  des  ASPIRINS 
unverkennbar  war;  ferner  Episcleritis  im  Verein  mit  rheuma¬ 
tischen  Beschwerden,  Episcleritis  mit  schmerzhafter 
Ischias,  sowie  Gichtanfällen,  wo  die  Darreichung  von  salicyl- 
saurem  Natrium  stets  von  Erbrechen  gefolgt  war,  während 
ASPIRIN  tadellos  vertragen  wurde. 

Desgleichen  erwähnt  Dr.  Schmeichler- Brünn  (Wiener  med. 
Wochenschrift  88,  99)  einen  Fall  von  Iritis  rheumatica, 
sowie  einen  solchen  von  Glaskörpertrübung,  wo  salicylsaures  Natron 
in  jeder  Form  Magenbeschwerden  verursacht,  während  ASPIRIN 
mit  Vorteil  angewendet  werden  konnte.  Bei  einer  Frau,  die  an 
Migräne,  in  Form  von  Supraorbitalneuralgie  litt,  brachten 
2,0  gr.  ASPIRIN  in  halbstündigem  Intervalle  genommen,  den 
Anfall  zum  Schwinden. 

Aus  der  zweiten  med.  Universitätsklinik  zu  Buda¬ 
pest  berichtet  Dr.  Ketly  über  12  Fälle  von  akuter  Polyarthritis 
und  sechs  Fälle  von  rheumatischen  Schmerzen,  in  denen  er  die 
Vorzüge  des  ASPIRINS  vollauf  bestätigt  fand. 

Die  Kranken  verspürten  nie  Kopfschmerzen,  Ohrensausen 
oder  Brechgefühl,  die  Herzt hätigkeit  und  Temperatur 


4 


wurde  überhaupt  nicht  beeinflusst,  auch  bei  längerem 
Gebrauche  nicht.  In  einzelnen  Fällen  konnten  selbst  bei 
wochenlanger  Anwendung  keine  unangenehmen 
Nebenerscheinungen  beobachtet  werden.  Die  Wirkung  stellte 
sich  spätestens  nach  einer  halben  Stunde  in  Form  von  starkem 
Schwitzen  ein;  das  Schwitzen  übertraf  bei  weitem  die 
Wirkung  des  Natrium  salicylicum.  Es  wurde  die  Er¬ 
fahrung  gemacht,  dass  auch  das  Aspirin,  wie  Salophen  und  Natrium- 
salicylat,  am  energischesten  und  anhaltendsten  dann  wirkt,  wenn 
die  Einzeldosen  (in  Oblaten)  nicht  in  grossen  Zwischenräumen 
gegeben  werden,  sondern  möglichst  concentrirt  in  den  Abendstunden 
in  stündlichen  Intervallen ;  dann  übt  das  ASPIRIN  am  erfolg¬ 
reichsten  seine  schmerzstillende,  antipyretische  antiphlogistische 
und  spezifische  Wirkung  und  sichert  am  besten  die  Nachtruhe. 

Die  ausserordentlich  günstige  Beurteilung,  welche  das 
ASPIRIN  allgemein  gefunden  hat,  dürfte  seine  weitere  Verwendung 
an  Stelle  der  bisher  gebräuchlichen  Salicylate  in  allen  einschläg- 
liclien  Fällen  rechtfertigen,  umsomehr,  als  zu  seinen  sonstigen 
hervorragenden  pharmakologischen  Eigenschaften  als  ein  weiterer 
nicht  zu  unterschätzender  Vorzug,  der  angenehm  schwach  säuer¬ 
liche  Geschmack  des  ASPIRINS  gegenüber  dem  widerlich 
süss  schmeckenden  Natrium  salicylicum,  sich  hinzugesellt. 

Als  Einzeldosis  wird  vom  ASPIRIN  1,0  gr.  4  — 5  mal  täglich, 
am  zweckmässigsten  mit  der  3 — 4 fachen  Menge  Zucker  in  etwas 
Wasser  eingerührt,  in  Form  eines  limonadeartigen  Getränkes, 
verabreicht. 

Litteratur : 

Dr.  R.  Witthauer.  ASPIRIN,  ein  neues  Salicylpräparat.  Die  Heilkunde. 
Heft  7,  April  1899. 

Dr.  J.  Wohlgemuth.  Ueber  ASPIRIN  (Acetylsalicylsäure).  Therapeut.  Monats¬ 
hefte,  Heft  5,  Mai  1899. 

Prof.  H.  Dreser.  Pharmakologisches  über  ASPIRIN.  Archiv  für  d.  ges. 
Physiologie,  B.  79,  1899. 

Dr.  L.  Lengyel.  ASPIRIN,  ein  neues  Salicylpräparat.  Die  Heilkunde. 
Heit  18,  August  1899. 

Dr.  Wolffberg,  ASPIRIN.  Wochenschr.  f.  Therap.  u.  Hygiene  d.  Auges. 
No.  47,  August  1899. 

Dr.  Schmeichler.  ASPIRIN.  Wiener  med.  Wochenschrift,  No.  38,  Sept.  1899. 
Dr.  Ketly.  ASPIRIN.  Die  Heilkunde.  Heft  1,  Oktober  1899. 


Proben  stehen  den  Herren  Aerzten  gratis  zur  Verfügung. 


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einzigen  Act.  Complete  Befreiung  der  Haut  von  bac- 
terienhaltigen  Schuppen  und  Fett  par  tikeln.  Für  Aerzte, 
Hebammen,  Sanitätspersonal  und  im  Haushalt.  Ersetzt 
bei  nötiger  Uebung  des  Keinigungsmodus  vollkommen 
jede  chemische  Desinfection  für  Hände  und  Operations¬ 
gebiet.  Bestes  Reinigungsmittel  nach  ärztlicher  Ver¬ 
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Rectum,  Mundhöhle  vorzüglich. 

Wegen  des  hohen  Gehaltes  an  löslichem  Wachs 
ein  vorzügliches  kosmetisches  Mittel  zur  Erzielung 
zartester  Hände.  Der  Marmorstaub  wirkt,  in  Seife¬ 
körper,  Stearinpaste  und  Wachs  eingehüllt,  in  mildester, 
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etc.,  zur  Befreiung  von  Acne,  Comedonen  und  Furun¬ 
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2.  pasta  jjeptonata 

Reizlose  Klebpaste,  organischer  Hautleim,  auch 
über  die  Kopfhaare  verstreichbar  und  fixirbar,  circu- 
lär  umWunden  zu  streichen,  Fixation  des  Gazebausches 
über  der  Wunde  durch  Bedeckung  mit  einem  Gaze¬ 
schleier,  dessen  Peripherie  an  dem  circularen  Pasten¬ 
ring  fixirt  wird. 

Ulcus  cruris  therapii,  Ersparung  von  Rinden  an 
Kopf,  Extremitäten  etc. 

Mit  Jodoform,  Ichthyol,  Dermatol,  etc.  (10%)  auf 
Schleimhäuten,  Mund,  Nase,  Endometrium,  Scheide 
verstreichbar.  Verbände  mit  warmem  Wasser  auf¬ 
lösbar. 

50, 0  I , — ,  100, 0  1,75,  1  Ko.  15  Mk. 

3.  pasta  pcpton  c.  Jiydrargyr. 

Wasserlösliche  Quecksilber-Streichpaste  (Schleich- 
sche  Iuunctionscur)  mit  einem  Pinsel  bis  zur  vollendeten 
Auftrocknung  zu  5  bis  10  Gr.  über  Brust,  Rücken 
und  Bauch  aufzutragen.  Bei  ersten  Symptomen  von 
Salication  und  Gingioitis  ist  durch  ein  Bad  die  In¬ 
toxication  zu  beseitigen.  Daher  Ermöglichung  hoher 
Inunctions-Dosen  (20  -  25  Gr.)  bei  gefahrbringenden  Lues¬ 
symptomen  durch  Arzt  oder  Patienten  selbst  ausführ¬ 
bar.  Mit  Zinnober  färbbar  zur  Verheimlichung  der 
Schmiercur. 


50 


)C 


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1<X),0  2,—,  200,  j  3,50  Mk. 


4.  pasta  serosa. 

Aus  sterilem  Rinderblutserum  bereitete,  völlig- 
reizlose  Zinkpasta.  Ueberaus  wirksam  bei  Dermatitis, 
Intertrigo,  .Wunddesquamation-  und  Maceration,  bei 
Verbrennungen  (1.  und  2.  Stadium).  Zur  Austrock¬ 
nung  der  Unterschenkelexzeme  und  Coriumentblössungen 
nach  Scheidencatarrhen.  Bei  scrophulösen  Exzemen 

mit  Ungt.  hydrarg.  oxyd.  flav.  (10?/0)  aa  mischbar. 

10, 0  0.30,  10(),0  2,—,  1  Ko.  10,—  Mk. 

5.  Kosmetischer  Hautcreme. 

Ungt.  ceratum  via  frigid,  paratum  hydric  mit 
Zinc.  oxyd.  Mittel  zur  ständigen  Salbung  von  Arm 
und  Hand  des  Chirurgen,  bis  zur  völligen  Fettlosig- 
keit  einreibbar.  Creme  für  Kinderhaut,  Rhagaden, 
Frostbeulen,  eingesprungene  Haut  und  Lippen. 

20,o  0,50,  50, 0  1,-,  100, o  1,50,  200, 0  2,25  Mk. 

6.  pnWis  serös  sterilis. 

Streupulver  für  nässende  Flächen  und  zur  Reini¬ 
gung  beschlagener  Geschwüre. 

50,0  1,50.  1 00, o  2,50,  1  Ko.  20,—  Mk. 


7.  puWis  serös  c.  Glutol  („Schering“). 

Wundpulver  für  inficirte,  beschlagene,  Nekrosen- 
haltige  Wunden  und  Wundhöhlen.  Es  empfiehlt  sich 
für  nicht  aseptische  Wunden  unmittelbar  nach  der 
Operation  reines  Glutol,  für  die  folgenden  Verbände 
das  Glutol  mit  Serum  gemischt  zu  verwenden. 

10.0  0,80,  100, 0  7,50  Mk. 

8.  Pasta  ccrata. 

Wasserhaltiges  Waschpräparat,  in  jedem  Ver¬ 
hältnis  mischbar. 

50,o  0,30,  100, o  0,50,  1  Ko.  4,50  Mk. 

9.  Jtydrocerin  (Schutzmarke). 

Wasserhaltiges  Wachsvaselin,  (Ungt.  cerovaselis. 
hydric  via  frigida  parat.)  Beste  Salbengrundlage  zum 
Ex’satz  von  Lanolin  und  Adeps  lanae,  deren  wirksames 
Prinzip  der  Wachsgehalt  ist.  Vorzügliches  Massage¬ 
mittel  wegen  Erzeugung  eines  hohen  Wärmegrades 
über  den  massirten  Partien. 

50,(,  0,40,  100,  0,75,  1  Ko.  6,—  Mk. 

10.  Jtydwtcrin  (Schutzmarke). 

Wasserhaltiges  Stearin-Vaselin;  billigste  Salben¬ 
grundlage  und  brauchbarstes  Touchirfett. 

50,0  0,20,  100,o  o.30,  1  Ko.  2,—  Mk. 

11.  Jalia  auaesthetica. 

Zur  Infiltrations-Anestesie.  Die  stenlisirten  Salz¬ 
mischungen  in  Tablettenform  genau  dosirt. 

No.  I  für  starke  Lösung  10  Stück  3,50  Mk. 

„  II  „  normale  „  10  „  1,75 


III 


schwache 


10 


0,60 


12.  Pr.  Schleich';  ptarljosengemischc. 

Narkose  mit  eingestelltem  Verdunstungsoptimum 
Für  Narkosen 

Schleichs  Narkosengemische  I. 

(Verdunstungsoptimum  bei  38°) 

100, o  1,75,  200, o  3,-  Mk. 

Schleichs  Narkosengemische  11. 
(Verdunstungsoptimum  bei  4o°) 

100.0  1,75,  200, o  3,—  Mk. 

Schleichs  Narkosengemische  III. 
(Verdunstungsoptimum  bei  42°) 

100/0  1,75,  200, o  3,—  Mk. 

13.  Die  Dr.  Schleich’schen  Masken  aus  Pappestreifen 
und  einem  Handtuch  in  einfacher  und  sehr  zweck¬ 
dienlicher  Weise  hergerichtet,  sind  stets  vorräthig. 

14.  pasta  dentifricia  Schleich 

Zur  exakten  Sterilisation  und  Kosmetik  der 
Mundhöhle. 

In  Tuben  0,75,  10, e  0,15,  100, 0  1,00,  1  Klo.  <;50. 

15.  Vlachs-Vaselinbinden 

5  mtr.  lang,  8  cm  breit  1,50  M.,  1  m  0,50 
5  >,  ?!  °  »  »  1,2»  „  „  „  0,40 

Mit  Zusatz  von  Zink,  Borsäure,  Ichthyol,  in  jedem 
Verhältnis  zu  haben. 


Diese  Präparate  und  ihre  Anwendung  findet  man 
beschrieben  in  Dr.  Schleich  s  „Neue  Methoden  der 
Wundheilung“  bei  Julius  Springer,  Berlin  (neueste  Auf¬ 
lage),  in  den  Verhandlungen  des  Chirurgencongresses 
(1892—95).  ln  verschiedenen  Nummern  der  Therapeu¬ 
tischen  Monatshefte,  ferner  in  Liebreich’s  „Encyclo¬ 
paedic  der  Therapie“,  s.  Artikel  „Asepsis“,  „Antisepsis  1 
und  „Auaesthetica“. 


Die  hier  angeführten  Preise  sind  Verkaufspreise  für  das  Publikum. 

*H7ictoria~<JlpotReRQ9  ^erlitt  riefisfr.  19 

Inh.  Dr.  Iiaboscliin. 


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Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


103 


gcnuss  und  Arbeitsfähigkeit  schmälerten,  zu  beseitigen;  wir 
müssen  es  geradezu  fordern,  dass  die  Operationsstatistiken  uns 
nicht  nur  die  nackten  Zahlen  der  Mortalität  geben,  sondern 
uns  auch  über  die  Frage  der  Dauererfolge  unterrichten.  Erst 
wenn  wir  auch  diese  Zahlen  besitzen  und  mit  denen  der  Mor¬ 
talität  vergleichen,  wird  sich  uns  der  Schluss  für  diejenige 
Operationsmethode,  welche  wir  bei  sonst  gleichen  Bedingungen 
bevorzugen  sollen,  fast  von  selbst  ergeben. 

Eine  Kritik  des  vaginalen  und  des  abdominalen  Ope¬ 
ration  sweges  kann  nur  dann  erfolgreich  an  gestellt  werden, 
wenn  wir  gleichartige  Anomalien  vergleichen. 

Ich  möchte  nun,  bevor  ich  auf  mein  Thema  näher  ein¬ 
gehe,  die  Bemerkung  einschalten,  dass  ich  in  die  Besprechung 
der  palliativen  Incisionen  bei  Tubercnlose  des  Bauchfelles, 
Ascites,  maligner  Neubildung,  bei  Peritonitis  und  retroperito- 
nealen  Abscessen,  Darmstenose  u.  dgl.  m.  hier  nicht  eingehe, 
da  dieselben  keine  Vergleichsobjecte  zwischen  vaginaler  und 
abdominaler  Cöliotomie  bilden,  indem  bei  ihnen  wohl  ausschliess¬ 
lich  der  abdominale  Weg  in  Betracht  kommt.  Ebensowenig 
werde  ich  auf  die  Cöliotomie  auf  sacralem  und  perinealem 
Wege  hier  näher  eingehen,  zunächst  wegen  ihrer  Seltenheit 
und  dann  auch  deshalb,  weil  sich  diese  Wege  nicht  ohne 
Weiteres  mit  den  abdominalen  und  vaginalen  Wegen  ver¬ 
gleichen  lassen. 

Ich  beginne  mit  der  ältesten  gynäkologischen  Peritoneal¬ 
operation,  mit  der  Ovariotomie.  Die  Gfeschichte  der  abdo¬ 
minalen  Ovariotomie  kann  ich  als  bekannt  voraussetzen.  Erst 
der  neueren  Zeit  war  es  Vorbehalten,  die  Operation  \  on 
Ovarialcysten  in  gewissen  Fällen  auf  dem  vaginalen  Wege  aus¬ 
zuführen.  Allerdings  reicht  auch  hier  schon  die  Geschichte 
weiter  zurück,  denn  schon  aus  dem  Jahre  1857  stammt  dei 
erste  Fall  vaginaler  Ovariotomie,  ausgeführt  von  Atlee;  doch 
erst  in  den  Siebziger-Jahren  finden  wir  eine  methodische  Aus¬ 
führung  dieser  Operation  bei  Gaillard  Thomas,  Goo¬ 
de  11  1877  undBouilly  1886.  Wenn  bis  dahin  nur  einzelne 
Fälle  derartiger  Operationen  vorgekommen  waren,  so  konnte 
1889  Bvford  in  Chicago  über  zwölf  derartige  Operationen 
ohne  Todesfall  berichten.  Von  deutschen  Operateuren  stammen 
die  ersten  derartigen  Operationen  von  Leopold  aus  dem 
Jahre  1891  und  Bumm  (1896).  Dagegen  sprachen  sich  jedoch 
auch  aus  Fehling  (1896),  Steinthal  und  Hegar  (1897). 
Ich  selbst  konnte  im  Jahre  1897  23  Fälle  von  vaginaler 
Ovariotomie  mittheilen  und  stellte  schon  damals  die  Inoi- 
cationen  und  Contraindicationen  zur  Operation  fest,  nach 
denen  ich  auch  heute  noch  vorgehe.  Endlich  will  ich  er¬ 
wähnen,  dass  auch  Martin  vor  Kurzem  bereits  131  Fälle 
vaginaler  Ovariotomie  mit  zwei  Todesfällen  bekannt  machen 
konnte. 

Es  ist  nun  an  sich  klar,  dass  für  vaginale  Ovariotomie 
ganz  besondere  Bedingungen  nothwendig  sind.  V  ährend  füi 
die  abdominale  Ausführung  dieser  Operation  besondere  Ein¬ 
schränkungen  nicht  mehr  geltend  gemacht  werden,  muss  man 
für  die  vaginale  Ovariotomie  zunächst  gute  Beweglichkeit  und 
vollkommene  Abwesenheit  peritonealer  Adhäsionen  verlangen. 
Sind  schon  Verwachsungen  da.  dann  sollen  sie  entweder  nui 
sehr  zart  sein,  oder  sich  an  gut  zugänglichen  Stellen  be¬ 
finden. 

Die  Diagnose  der  freien  Beweglichkeit  der  Ovarientumoren 
ergibt  sich  bei  der  bimanuellen  Untersuchung,  ferner  aus  dei 
Thatsaehe,  dass  der  Uterus  nach  hinten  liegt,  indem  man 
hicraus*den  Schluss  ziehen  kann,  dass  der  von  H.. W.  Fr eun d 
als  für  Ovarialtumoren  typisch  angeführte  Wanderungsmecha¬ 
nismus  aus  dem  kleinen  in  das  grosse  Becken  stattgefunden 
hat.  Ein  weiteres  sehr  werthvolles  Zeichen  ist  die  respiratori¬ 
sche  Verschiebung  der  Bauchdecken  über  die  Kuppe  des 
Tumors  und  die  Verschiebbarkeit  des  Uterus  nach  unten.  In 
der  Kegel  wird  die  Diagnose  der  freien  Beweglichkeit  der 
Cyste  auf  dem  Operationstisch  in  tiefer  Narkose  mit  Sicherheit 
gestellt  werden  können. 

Als  Contraindicationen  ergeben  sich  erstens  ausgebreitete 
Verwachsungen,  zweitens  Stieldrehung  längeren  Bestandes, 
dickflüssiger  colloider  Inhalt  der  Cysten,  vielkämmerige  Cysten 


wegen  der  Nothwendigkeit  des  Morcellements,  maligne  Degene¬ 
ration  mit  Ausnahme  der  kleinen  Tumoren,  welche  unver- 
kleinert  entwickelt  werden  können  und  intraligamentäre 
Entwicklung  bei  Tumoren  über  Kindskopfgrösse;  endlich  die 
Dermoide. 

Sie  werden  nun  mit  Recht  die  Frage  aufwerfen,  ob  alle 
diese  diagnostischen  Details  jedes  Mal  vor  der  Operation  mit 
Sicherheit  feststellbar  sind?  Ich  muss  allerdings  zugeben,  dass 
dies  nicht  immer  der  Fall  ist.  Aber  bei  wiederholter  Unter¬ 
suchung,  besonders  in  der  Narkose,  ergeben  sich  doch  mit 
annäherungsweiser  Sicherheit  die  Symptome,  welche  für  oder 
gegen  die  vaginale  Operation  sprechen;  in  Fällen,  in  denen 
ein  Zweifel  darüber  besteht,  halte  ich  es  für  besser,  den  ab¬ 
dominalen  als  den  vaginalen  Weg  zu  wählen.  Uebrigens  ver¬ 
schlägt  es  gar  nichts,  wenn  man  den  vaginalen  Weg  begonnen 
hat,  denselben  zu  verlassen  und  die  Laparotomie  anzu- 
schliessen. 

Unter  meinem  Materiale  finde  ich  zehn  Fälle,  wo  ich 
zum  Verlassen  des  vaginalen  Weges  bei  Ovariotomie  gezwun¬ 
gen  war:  Dreimal  waren  ausgebreitete  Verwachsungen,  zweimal 
Stieldrehung,  zweimal  maligne  Degeneration,  einmal  ein  col¬ 
loider  Tumor,  einmal  intraligamentäre  Entwicklung  und  einmal 
besonders  grosser  Venenreichthum  der  hinteren  Blasenwand 
die  Ursache  für  das  Aufgeben  des  vaginalen  Weges.  In  keinem 
einzigen  dieser  Fälle  hat  der  Wechsel  des  Operationsweges  der 
Patientin  irgend  einen  Nachtheil  gebracht;  alle  Fälle  wurden 
geheilt. 

Bezüglich  der  Technik  der  Operation  stehen  sich  zwei 
Richtungen  gegenüber:  ein  T heil  der  Operateure  wählt  den 
vorderen  Scheidenschnitt  und  sucht  nach  Ablösung  der  Blase 
von  hier  aus  in  die  Bauchhöhle  zu  gelangen,  andere  wählen 
wieder  den  hinteren  Scheidenschnitt.  Für  typische  Fälle  eignet 
sich  meines  Erachtens  der  vordere  Scheidenschnitt  besser  füi 
die  vaginale  Ovariotomie.  Denn  wie  schon  früher  erwähnt, 
liegt  das  Cystom  bei  freier  Beweglichkeit  meist  vorne,  der 
Uterus  retrovertirt  und  die  untere  Kuppe  des  Tumors  ist 
vorne  hinter  der  Symphyse  leichter  zu  erreichen.  Nur  bei  ganz 
kleinen  Eierstockstumoren,  welche  die  Wanderung  aus  dem 
kleinen  Becken  in  die  Becken-Bauchhöhle  noch  nicht  vollzogen 
haben  und  hinter  dem  Uterus  im  Douglas  liegen,  kann  der 
hintere  Scheideu-Bauchschnitt  den  Vorzug  verdienen. 

Bis  Ende  des  Jahres  1899  habe  ich  nun  auf  diesem 
Wege  52  Fälle  von  Ovarialcystomen  operirt,  und  zwar  in 
51  Fällen  einseitige,  in  einem  Falle  beiderseitige  Tumoren. 
Alle  diese  Fälle  wurden  geheilt.  Bezüglich  der  weiteren  Schick¬ 
sale  dieser  Patientinnen  muss  ich  erwähnen,  dass  ich  unter 
41  Fällen,  die  bis  Ende  1898  operirt  worden  waren,  in  79% 
positive  Erfolge  in  Bezug  aut  die  Dauernachforschungen  erhielt. 
Unter  diesen  Fällen  waren  vollkommen  geheilt  und  erfreuten 
sich  eines  ungestörten  Befindens  80*5%;  in  drei!  allen  wuide 
eine  neuerliche  Gravidität  mit  spontanem  Geburtsverlaufe  be¬ 
obachtet.  ') 

An  diese  Fälle  von  reiner  Ovariotomie  auf  vaginalem 
Wege  schliesst  sich  aber  eine  Reihe  von  Fällen  an,  in  denen 
die  *Ovariotomie  aus  bestimmten  Gründen  mit  Exstirpatio  uteri 
combinirt  werden  musste,  und  zwar  entweder  bei  maligner 
Neubildung,  oder  bei  zu  festen  Verwachsungen,  oder  wenn  es 
sich  darum  handelte,  eine  ausgiebige  Drainage  durch  die 
Scheidenhöhle  zu  setzen,  besonders  aber  bei  Dermoiden  och.  i 
bei  vereiterten  Cysten.  Massgebend  für  das  radicale  Vorgehen 
war  ausserdem  in  einigen  Fällen  das  hohe  Alter  der  Kranken 
und  die  Doppelseitigkeit  der  Erkrankung.  In  dieser  Gruppe 
finden  sich  21  Fälle,  welche  also  demgemäss  als  sehr  schwere 
Fälle  anzusehen  waren  und  habe  ich  auch  in  dieser  Gruppe 
drei  Todesfälle  zu  beklagen,  von  denen  jedoch  nur  zwei  als 
in  directem  Zusammenhänge  mit  der  Operation  stehende  an¬ 
zusehen  sind.  .  , 

Vergleiche  ich  mit  diesen  Erfolgen  meine  Resultate  der 
abdominalen  Ovariotomie,  so  kann  ich  berichten  über  273  Talle 
einseitiger  abdominaler  Ovariotomie  mit  24  T  odesfällen,  wovon 

'  i)  O.  Bürger,  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1900, 

pag.  1. 


K)4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  o 


als  direct  der  Operation  zur  Last  fallend  6  angesehen  werden 
müssen,  ferner  beiderseitiger  abdominaler  Ovariotomie  68  Fälle 
mit  10  Todesfällen,  und  directer  Abhängigkeit  von  der  Ope¬ 
ration  5  Fälle;  endlich  abdominaler  Ovariotomie  combinirt  mit 
Exstirpatio  uteri  19  Fälle  mit  3  Todesfällen. 

Aus  den  Resultaten  der  weiteren  Nachforschungen  über 
das  Befinden  dieser  durch  Laparotomie  Operirten  möchte  ich 
nur  die  eine  Thatsache  hervorheben,  dass  in  23'5°/o  aller  Fälle 
Bauchhernien  beobachtet  wurden. 

Wir  kommen  nun  zu  einem  weiteren  Capitel,  das  im 
Laufe  der  letzten  Jahre  mannigfache  Wandlungen  erfahren 
hat  und  das,  wenigstens  an  meiner  Klinik,  fast  vollständig  aus 
dem  Capitel  der  abdominalen  Cöliotomie  in  das  der  vaginalen 
übergeführt  wurde.  Das  ist  nämlich  das  Capitel  der  ent¬ 
zündlichen  Erkrankungen  der  Adnexe.  Ueber  die 
operative  Behandlung  der  entzündlichen  Erkrankungen  der 
Adnexe,  über  deren  Indicationen,  Berechtigung,  Technik  und 
Erfolge  wurde  in  dieser  Gesellschaft  schon  vor  sechs  Jahren 
durch  Chrobak  berichtet.  Damals  und  noch  geraume  Zeit 
später  handelte  es  sich,  abgesehen  von  palliativen  von  der 
Vagina  ausgeführten  Incisionen,  fast  nur  um  die  auf  dem 
Wege  der  Laparotomie  ausgeführten  einseitigen  oder  beider¬ 
seitigen  Entfernungen  der  entzündeten  Adnexe  mit  Zurück¬ 
lassung  des  Uterus.  Ich  selbst  habe  in  den  Jahren  1893  und 
1895  Gelegenheit  gehabt,  meine  Anschauungen  und  Erfahrungen 
auf  den  gynäkologischen  Congressen  zu  Breslau  und  Wien 
vorzulegen.  Auch  ich  stand  damals  noch  unter  dem  Eindrücke, 
dass  derartige  Operationen  mit  seltenen  Ausnahmen  wohl  nur 
auf  dem  abdominalen  Wege  ausführbar  seien.  Auch  schien  es 
uns,  was  ja  zweifellos  wichtig,  dass  die  von  uns  Allen  an¬ 
gestrebte  Conservirung  der  Adnexe  einer  Seite  nur  auf  dem 
abdominalen  Wege  in  sicherer  Weise  ausführbar  sei.  Erst 
die  mit  einer  grösseren  Zahl 
gemachten  Erfahrungen  haben 
bei  entzündlichen  und  eiterigen 
Zunächst  ergab  sich,  dass  bei 
ration  nur  in  23'5%  der  Fälle 
in  den  anderen,  also  in  mehr 


von  abdominalen  Operationen 
gelehrt,  dass  das  Conserviren 
Adnexen  nicht  am  Platze  sei. 
abdominaler,  einseitiger  Ope- 
vollkommene  Genesung  eintrat, 
als  drei  Viertel  der  Fälle  be- 


Lageveränderungen  fort 
war  für  die  Patientinnen 


standen  Schmerzen,  Blutungen  und 
und  der  Erfolg  der  Operation 
gleich  Null. 

Aber  auch  bei  doppelseitigen  Adnexoperationen  waren 
die  Resultate  nicht  vollkommen  befriedigende;  ich  fand  in 
meinen  Fällen  59‘8%  vollkommener  Heilung.  Legte  man  die 
einfachen  und  doppelseitigen  Adnexoperationen  zusammen,  so 
ergab  sich  ein  befriedigendes  Dauerresultat  in  56%  der  Fälle, 
ein  Resultat,  das  sich  mit  dem  von  Chrobak  zur  selben 
Zeit  mitgetheilten  fast  völlig  deckte,  indem  Chrobak  in 
etwas  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  befriedigende  Erfolge 
erzielte. 


Es  warf  sich  nun  die 


Frage 


auf,  woher  denn  die  Be¬ 


schwerden  auch  bei  doppelseitiger  Entferung  der  Adnexe  her- 
rühren  könnten?  Die  Antwort  ergab,  dass  es  sich  um  Blutungen, 
um  Fluor  und  in  vielen  Fällen  um  Lageveränderungen  des 
Uterus,  sowie  auch  um  Stumpfexsudate  handelte,  Anomalien, 
welche  alle  auf  die  Anwesenheit  des  Uterus  zurückzuführen 
waren.  Die  logische  Consequenz  dieser  Erfahrungen  war  die, 
den  Uterus,  der  ja  ohne  Adnexe  keine  Function  mehr 
hatte,  ebenfalls  mitzuentfernen.  So  kamen  wir  zunächst  zur 
abdomina  len  Exstirpation  des  Uterus  und  der  Adnexe. 
Der  Erfolg  in  Bezug  auf  die  dauernde  Heilung  war  nunmehr 
ganz  entsprechend  unseren  Erwartungen:  in  81%  würdevoll- 
ständige  dauernde  Heilung  von  allen  früher  bestandenen  Be¬ 
schwerden  erreicht;  nur  die  Mortalität  war  nunmehr  ent¬ 
sprechend  der  längeren  Dauer  und  der  grösseren  Schwere  des 
Eingriffes  eine  bedeutendere,  sie  betrug  unter  meinen  Fällen 
10‘5%- 

Zu  jener  Zeit  hatte  man  bereits  in  Frankreich  und 
Deutschland  begonnen,  derartige  Fälle  vaginal  zu  operiren. 
Pean  hatte  die  vaginale  Uterusexstirpation,  die  sogenannte 
Castratio  uterina  mit  Zurücklassung  der  erkrankten  Adnexe 
ausgeführt.  Die  Resultate  dieser  Operation  waren  zunächst 
keine  sehr  befriedigenden.  Später  gingen  Leopold,  Doyen 


und  Leopold  Landau  einen  Schritt  weiter,  indem  sie  von 
der  Vagina  aus  nicht  nur  die  Exstirpation  des  Uterus,  sondern 
auch  die  der  Adnexe  ausführten. 

Der  Grund  warum  ich  selbst  und  viele  Andere  so  lange 
Zeit  mit  der  Ausführung  derartiger  Operationen  zögerten,  war 
der  Umstand,  dass  man  die  Ausführung  dieser  Operationen 
nur  mit  der  Anwendung  von  Dauerklemmen  als  möglich 
hinstellte.  Durch  die  Erfahrungen  mit  den  abdominalen  Adnex¬ 
operationen,  wie  ich  sie  oben  mitgetheilt  habe,  immer  mehr  zu 
einem  radiealen  Verfahren  gedrängt,  war  zunächst  der  Haupt¬ 
grund  gegen  die  vaginalen  Radicaloperationen  für  mich  er¬ 
ledigt  und  ich  begann  nun  den  Versuch,  ob  es  nicht  möglich 
sei,  in  allen  den  Fällen,  in  denen  die  oben  genannten  Ope¬ 
rateure  die  vaginale  Radicaloperation  nur  mit  Klemmen  für 
technisch  ausführbar  erklärt  hatten,  die  Blutstillung  auch  mit 
Hilfe  der  Ligatur  zu  bewältigen  und  dieser  Versuch  gelang. 
Und  so  habe  ich  denn  bis  Ende  des  Jahres  1899  264  Fälle 
von  vaginaler  Radicaloperation  ausgeführt  mit  sechs  Todesfällen, 
d.  i.  2'2%>  von  denen  nur  vier  in  directen  Zusammenhang 
mit  der  Operation  gebracht  werden  können,  d.  i.  1'5%.  Die 
Nachforschungen  in  Bezug  auf  die  Dauererfolge  ergaben  in 
86'8%  vollständige  Heilung. 2) 

Aus  allen  diesen  Erfahrungen  haben  sich  mir  nun  die¬ 
jenigen  Grundsätze  herausgebildet,  welche  ich  in  Bezug  auf 
die  Behandlung  der  Adnextumoren  entzündlichen  Ursprunges 
seit  längerer  Zeit  consequent  zur  Anwendung  bringe.  Ich 
behandle  Adnexerkrankungen  entzündlicher  Natur  so  lange 
conservativ  als  nur  möglich;  bei  Anwesenheit  von  Eitersäcken, 
bei  lange  dauernder  und  schwerer  Arbeitsstörung,  bei  Erwerbs¬ 
unfähigkeit,  also  bei  Zusammentreffen  schwerer  anatomischer 
Veränderungen  mit  andauernden  Beschwerden  und  bestehender 
Arbeitsunfähigkeit,  kurz  in  allen  denjenigen  Fällen,  in  denen 
die  Operation  dringend  indicirt  ist,  operire  ich  jedoch  radical, 
d.  h.  ich  entferne  den  Uterus  und  die  Adnexe  beiderseits  und 
zwar  am  besten  auf  dem  vaginalen  Wege.  Ich  muss  dabei  be¬ 
merken,  dass  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  die  Durch¬ 
führung  der  Operation  auf  vaginalem  Wege  fast  immer 
möglich  ist. 

Als  Ausnahmen  können  gelten  sehr  feste  Verwachsungen, 
besonders  solche  mit  dem  Darme;  solche  Verwachsungen  sind 
allerdings  von  unten  sehr  schwer  sicher  zu  lösen.  In  solchen 
Fällen  würde  dann  der  vaginale  Weg  aufgegeben  und  der 
abdominale  betreten  werden  müssen.  Dass  dieses  jedoch  nur 
selten  nothwendig  ist,  lehrt  die  Thatsache,  dass  in  der  Zeit, 
aus  welcher  jene  264  vaginalen  Radicaloperationen  stammen, 
nur  siebenmal  der  vaginale  Weg  aufgegeben  und  die  Laparo¬ 
tomie  angeschlossen  werden  musste,  und  dass  sich  aus  diesem 
Wechsel  des  Operationsweges  niemals  ein  Nachtheil  für  die 
Patientin  ergeben  hat.  Ich  stehe  demgemäss  heute  auf  dem 
Standpunkte,  dass  Adnexoperationen  vaginal  zu  beginnen  sind, 
und  dass  sie  auch  meist  vaginal  vollendbar  erscheinen,  und 
dass  nur  in  seltenen  Fällen  die  abdominale  Operation  anzu- 
schliessen  ist. 

Wir  kommen  nun  zu  einem  weiteren  Indicationsgebiete, 
bei  dem  ebenfalls  die  Frage  des  vaginalen  und  abdominalen 
Weges  zu  erörtern  sein  wird,  nämlich  zum  Capitel  der 
Hämatocele  und  der  Extrauteringravidität.  Ich 
glaube,  dass  es  ohne  Widerspruch  bleiben  wird,  wenn  ich 
sage,  dass  die  vorgeschrittenen  Fälle  von  Extrauterinschwanger¬ 
schaft  nur  durch  den  Bauchschnitt  zu  operiren  sind.  Eine 
Discussion  bezüglich  der  Wahl  des  Weges  kann  also  nur 
bei  Hämatocelen  und  Extrauterinschwangerschaften  der 
ersten  Wochen  oder  Monate  in  Betracht  kommen,  wenn 
der  gesammte  Tumor  Faustgrösse  bis  Kleinkindskopfgrösse 
nicht  überschreitet. 

Ich  will  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  bei  stationärer 
Hämatocele  in  vielen  Fällen  die  exspectative  Behand¬ 
lung  mit  Erfolg  angewendet  werden  kann.  Bei  Anwen¬ 
dung  von  Ruhe,  Eis,  Opiaten  resorbirt  sich  allmälig  der 
Bluterguss;  aber  das  Eine  ist  sicher,  dass  die  Resorption  oft 
lange  Zeit  in  Anspruch  nimmt.  Nach  V  o  i  s  i  n  vergehen 


•)  Schauta,  Archiv  fiir  Gynäkologie.  Bd.  LIX,  pag.  49, 


Nr.  O 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


105 


1 1/2 — 8  Monate  bis  zur  vollständigen  Resorption  und  nach  I 
Fehling  dauert  dieselbe  im  Durchschnitte  546  Tage.  End¬ 
lich  bliebe  zu  berücksichtigen,  dass  auch  im  Anschlüsse  an  die 
Resorption  der  Hämatocele  bei  Extrauteringravidität  patholo¬ 
gische  Processe  Zurückbleiben  und  vollkommene  Heilung  und 
Befreiung  von  den  Beschwerden  sehr  selten  erfolgt.  Deshalb 
werden  auch  in  der  Folge  noch  viele  Fälle  der  operativen 
Behandlung  zugeführt  werden  müssen.  Das  gilt  zunächst  von 
allen  Fällen,  in  denen  die  Blutung  andauert,  der  Tumor  eine 
stete  Zunahme  zeigt,  heftige  Beschwerden  besonders  seitens 
der  Blase  und  des  Mastdarmes  bestehen,  dann  bei  fehlender 
Neigung  zur  Resorption  trotz  längerem  Liegen  und  endlich  bei 
beginnender  Vereiterung  und  Infection.  Oftmals  wird  auch  die 
Operation  dictirt  durch  die  socialen  \ erhältnisse  der  Patientin, 
welche  ein  längeres  Krankenlager  nicht  gestatten. 

Der  einfachste  und  älteste  Eingriff  bei  Hämatocele,  den 
schon  Nelaton  1850  ausgeführt  hat,  besteht  in  der  Spaltung 
auf  dem  Wege  durch  das  hintere  Scheidengewölbe.  Auch  heute 
noch  wird  bei  vereiterten  Hämatocelen,  bei  bestehender  In¬ 
fection  dieses  Verfahren  als  das  zweckmässigste  bezeichnet 
werden  müssen.  Weniger  zu  empfehlen  dürfte  die  vaginale 
Incision  sein  bei  auf  Extrauteringravidität  beruhender  pro¬ 
gredienter  Hämatocele,  da  mit  der  einfachen  Spaltung  des 
Blutherdes  die  Quelle  der  Blutung  nicht  entfernt  wird  und  die 
Blutung  in  vielen  Fällen  audauert.  So  hat  Fehling  einen 
Fall  verloren  durch  Nachblutung  aus  der  eröffneten  Hämato¬ 
cele.  Aber  auch  bei  frischen  Blutergüssen  kann  die  vaginale 
Incision  eine  gewisse  Berechtigung  beanspruchen  als  Explorativ- 
incision  behufs  Stellung  der  Diagnose  in  zweifelhaften  Fällen, 
um  eventuell  die  Laparotomie  anschliessen  zu  können. 

Dührssen,  einer  der  lebhaftesten  \  ertheidiger  der 
vaginalen  Cöliotomie,  hat  im  Jahre  1895  die  Colpotomia  anterior 
in  Vorschlag  gebracht  für  Extrauterinschwangerschaft  der  ersten 
Wochen  mit  oder  ohne  Hämatocele.  Ich  würde  mich  diesem 
Vorschläge  nur  auschliessen  bei  ganz  kleinen  Tumoren,  bei 
Fehlen  von  Verwachsungen,  Bedingungen,  welchegeradebei  Extra¬ 
uteringravidität  sehr  selten  anzutreffen  sind.  In  allen  anderen 
Fällen  ist  die  Zugänglichkeit,  welche  der  vordere  Scheiden¬ 
schnitt  gewährt,  bei  Extrauterinschwangerschaft  eine  unge¬ 
nügende;  es  besteht  die  Gefahr  der  Zerreissung  der  morschen 
graviden  Tube,  die  Gefahr  der  inneren  Blutung.  Deshalb  halte 
ich  es  für  besser,  nach  Ausführung  der  Colpotomia  anterior 
nach  Erhebung  des  Befundes  bei  nicht  sehr  günstigen  Ver¬ 
hältnissen  lieber  den  vaginalen  W eg  aufzugeben  und  den 
Bauchschnitt  anzuschliessen,  falls  man  vorher  nach  der  bi- 
manuellen  Untersuchung  doch  etwa  den  Eindruck  gewonnen 
hätte,  der  Fall  wäre  auf  vaginalem  Wege  zu  Ende  zu  führen. 
Wie  selten  diese  Indication  eintritt,  zeigt  die  Thatsache,  dass 
ich  überhaupt  nur  sechs  Fälle  einseitiger  Tubarschwangerschaft 
vaginal  auf  dem  Wege  der  Colpotomia  anterior  operirt  habe. 
In  allen  diesen  Fällen  trat  Heilung  ein.  In  vier  Fällen  erhielt 
ich  weitere  Nachrichten  seitens  der  Operirten,  die  in  allen 
Fällen  vollkommen  befriedigend  lauteten.  In  zwei  weiteren 
Fällen  wurde  die  Operation  vaginal  begonnen  und  musste  die 
Laparotomie  angeschlossen  werden,  und  zwar  einmal  wegen 
zu  starker  Blutung  und  einmal  wegen  zu  fester  Verwach¬ 
sungen.  Auch  in  diesen  beiden  Fällen  waren  die  Erfolge 
günstige. 

Die  Ursache  der  Schwierigkeiten  und  der  Gefährlichkeit 
der  vaginalen  Cöliotomie  bei  Tubarruptur  und  Tubarabort 
liegt  in  der  geringen  Uebersichtlichkeit  des  Operationsfeldes, 
in  der  schwierigen  Blutstillung  und  in  der  mangelhaften  Be¬ 
leuchtung.  Denn  in  Folge  der  Blutung  ist  die  Beckenhöhle 
wie  mit  einem  Tapetum  nigrum  ausgekleidet,  reffectirt  das 
Licht  kaum  und  die  Unterscheidung  der  einzelnen  Gebilde 
ist  eine  sehr  schwierige.  Anders  liegt  die  Sache,  wenn  es 
möglich  ist,  sich  durch  vorherige  Exstirpation  des  Uterus 
breiten  Zugang  zur  Beckenhöhle  zu  verschaffen.  Für  gewöhn¬ 
liche  Fälle  von  Extrauterinschwangerschaft  kann  die  Exstir- 
pation  des  Uterus  jedoch  nicht  in  Betracht  kommen,  da  ja 
die  Anomalie  der  Tubargravidität  nur  eine  Tube  betrifft.  In 
Fällen  jedoch,  in  denen  auch  die  Tube  der  anderen  Seite  er¬ 
krankt  ist,  und  diese  Erkrankung,  wenn  sie  schon  vor  der 


Operation  oder  nach  einer  zum  Zwecke  der  Diagnose  aus¬ 
geführten  vaginalen  Probeincision  erkannt  worden  ist,  in 
einem  derartigen  Grade  besteht,  dass  auch  ohne  Tubargravi¬ 
dität  die  Entfernung  der  erkrankten  Tube  indicirt  wäre,  kann 
man  den  vaginalen  Weg  wählen,  der  dann  mit  der  Exstir¬ 
pation  des  Uterus  beginnt  und  mit  der  Entfernung  der  Adnexe 
endigt.  Derartige  Fälle  vaginaler  Totalexstirpation  bei  Tubar¬ 
gravidität,  complicirt  mit  entzündlichen  Erkrankungen  der 
Adnexe  der  anderen  Seite,  habe  ich  18  operirt  mit  einem 
Todesfall  an  Peritonitis.  Sämmtliche  13,  welche  bis  Ende  1898 
derart  operirt  worden  waren,  befinden  sich  nach  unseren 
Nachforschungen  vollkommen  wohl. 

Ziehe  ich  nun  auch  zum  Vergleiche  die  abdominale 
Operation  bei  Extrauterinschwangerschaft  heran,  so  verfüge 
ich  über  114  derartige  Operationen  mit  neun  Todesfällen,  d.  i. 
7'8%.  Diesen  stehen  die  eben  erwähnten  24  vaginalen  Opera¬ 
tionen  mit  einem  Todesfälle,  d.  i.  5%  gegenüber.  Von  53 
Patientinen,  welche  bis  Ende  1898  abdominal  operirt  wurden 
und  über  deren  weitere  Schicksale  etwas  zu  erfahren  war, 
zeigen  46  vollkommen  befriedigendes  Befinden  und  sieben  klagen 
über  Beschwerden,  und  zwar  über  Schmerzen  bei  schwerer 
Arbeit.3)  Dass  die  sämmlichen  vaginal  Operirten,  deren  weiteres 
Schicksal  in  Erfahrung  gebracht  werden  konnte,  sich  voll¬ 
kommen  wohl  und  frei  von  Beschwerden  befinden,  habe  ich 
bereits  früher  erwähnt. 

Wenn  sich  also  dem  Gesagten  zufolge  auch  für  das 
Thema  »Extrauteringravidität«  gewisse  Vortheile  für  die  vaginale 
Operation  ergeben,  so  muss  ich  doch  andererseits  sagen,  dass 
das  Indicationsgebiet  für  die  vaginale  Cöliotomie  gerade 
bei  Extrauterinschwangerschaft  ein  sehr  beschränktes  ist. 
Ich  halte  dieselbe  für  angezeigt  erstens  bei  grossen 
Hämatocelen,  bei  denen  die  Resorption  zögert  und  lebhafte 
Beschwerden  vorhanden  sind,  zweitens  bei  vereiterten  Hämato¬ 
celen,  gleicbgiltig  ob  dieselben  in  Folge  von  Extrauterin¬ 
schwangerschaft  oder  ohne  eine  solche  aufgetreten  sind.  In 
allen  diesen  Fällen  würde  die  Coeliotomia  posterior  in  Betracht 
kommen;  drittens  bei  kleinen,  nicht  adhärenten,  gut  beweg¬ 
lichen  Tuben;  in  diesen  Fällen  wäre  die  Exstirpation  der 
schwangeren  Tube  auf  dem  Wege  der  Colpotomia  anterior 
auszuführen ;  und  endlich  viertens  in  Fällen  schwerer  Er¬ 
krankung  auch  der  Adnexe  der  anderen  Seite.  Hier  käme  die 
vaginale  Totalexstirpation  in  Betracht. 

Ich  komme  nun  zu  dem  Capitel  »Myomoperationen«. 
Ich  gehe  hier  nicht  ein  auf  die  Abtragung  von  myomatösen 
Polypen,  auf  die  Enucleation  mit  oder  ohne  Zerstückelung  von 
submucösen  Myomen  von  der  Scheide  aus,  sondern  werde  nur 
diejenigen  vaginalen  Myomoperationen  in  Betracht  ziehen,  bei 
denen  es  zur  Eröffnung  der  Peritonealhöhle  kommen  muss, 
also  die  vaginale  Cöliotomie  behufs  Enucleation  oder  Abtra¬ 
gung  von  Myomen  mit  Erhaltung  des  Uterus  und  zweitens 
die  vaginale  Radicaloperation  bei  Uterusmyomen,  da  nur  diese 
Operationen  in  Vergleich  gezogen  werden  können  mit  den 
analogen  Operationen  auf  dem  abdominalen  Wege. 

Die  Enucleation  von  Myomen  durch  die  vaginale 
Cöliotomie  wurde  zuerst  1877  und  1879  von  Stansbury 
Sutton  und  Der  veer,  1881  von  Czerny  ausgeführt. 
Doch  bandelte  es  sich  in  diesen  Fällen  um  Myome,  welche, 
breit  im  Becken  liegend,  die  Scheidenwand  stark  vorwölbten 
und  so  direct  zur  vaginalen  Incision  aufforderten.  Lei  der¬ 
selben  wurde  der  Weg  durch  das  hintere  Scheidengewölbe 
genommen,  ja  in  manchen  dieser  Fälle  kam  es  bei  subperi¬ 
tonealem  oder  intraligamentärem  Sitze  nicht  einmal  zur  Eröff¬ 
nung  der  freien  Bauchhöhle. 

Einen  wesentlichen  Schritt  nach  vorwärts  hat  die  vaginale 
Cöliotomie  bei  Myomen  gemacht,  als  Dührssen  (1894)  die 
vaginale  Laparatomie  oder  vaginale  Laparo-Myektomie  durch 
das  vordere  Scheidengewölbe  in  Vorschlag  brachte.  Bei  diesei 
Operation  wird  ein  Querschnitt,  eventuell  auch  Längsschnitt 
durch  die  vordere  Scheidenwand  in  der  Höhe  des  Scheiden¬ 
gewölbes  ausgeführt,  die  Blase  abgelöst,  die  Plica  eröffnet,  c  ei 
Uterus  vorgezogen,  das  Myom  enucluirt,  das  V  undbett  soig- 

3)  O.  Lindenthal,  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäko¬ 
logie.  1900,  pag\  175. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  5 


fältig  vernäht  und  die  Nahtlinie  entweder  in  die  Scheidewunde 
eingenäht  oder  der  Uterus  mit  der  Naht  versenkt.  Diese  Operation 
ist  leicht  und  gefahrlos  auszuführen  bei  kleinen  Myomen;  doch 
gerade  hei  diesen  ergibt  sich  nur  sehr  selten  die  Indication 
zur  Operation.  Bei  grösseren  Myomen  bis  zu  Faustgrösse,  bis  zu 
welcher  Grösse  man  nach  Dührssen  die  Operation  von  der 
Scheide  aus  vornehmen  kann,  ist  die  Zugänglichkeit  durch 
den  vorderen  Schnitt  unzureichend,  die  Hervorziehung  des 
Uterus  schwer,  ja  oft  unmöglich  und  die  Blutstillung  unsicher. 
Die  Operationen  machen  einen  peinlichen  Eindruck.  Deshalb 
wird,  da  kleine  Myome,  bei  denen  die  Operation  exact  aus¬ 
führbar  wäre,  nur  selten  Beschwerden  machen,  die  zur  Opera¬ 
tion  zwingen  und  bei  grossen  die  Operation  vaginal  unsicher 
und  gefährlich  ist,  der  Eingriff  wohl  nur  auf  jene  seltenen 
Fälle  beschränkt  bleiben,  in  denen  kleine  bis  walnussgrosse 
Myome  bereits  heftige  Beschwerden  machen.  Daraus  ergibt 
sich  wohl  ohne  Weiters  die  Seltenheit  der  Indication  zur  Enu¬ 
cleation  von  Myomen  durch  die  vaginale  Cöliotomie.  Dafür 
spricht  auch  die  Thatsache,  dass  ich  unter  mehr  als  2500 
Cöliotomien  bis  Ende  1899  nur  siebenmal  in  die  Lage  kam, 
den  eben  geschilderten  operativen  Eingriff  auszuführen,  aller¬ 
dings  in  sämmtlichen  Fällen  mit  Erfolg.  In  der  überwiegenden 
Zahl  der  Fälle  von  Myomen  sind  dieselben,  wenn  sie  Be¬ 
schwerden  machen,  bereits  so  gross,  dass  von  einer  Enuclea¬ 
tion  auf  vaginalem  Wege  mit  Erhaltung  des  Uterus  nicht  mehr 
die  Rede  ist,  auch  sind  sie  ja  meist  multipel.  Bis  vor  kurzer 
Zeit  wurde  in  diesen  Fällen  die  Laparotomie  ausschliesslich 
ausgeführt.  Erst  durch  P  e  a  n  und  Doyen  hat  man  gelernt 
solche  Fälle  bis  zu  einer  gewissen  Grösse  der  Myome  auch 
von  der  Vagina  aus  zu  operiren,  allerdings  aber  nicht  mit 
Erhaltung  des  Uterus,  sondern  durch  die  vaginale  Radical- 
operation. 

Die  vaginale  Totalexstirpation  des  Uterus,  welche 
S  a  u  t  e  r  in  Constanz  (1822)  und  R  6  c  a  m  i  e  r  (1829)  zum  ersten 
Male  ausgeführt  haben,  war  fast  vergessen,  als  Ende  der  Siebziger- 
Jahre  Czerny,  Billroth  und  Schröder  sie  gewissermassen  als 
Concurrenzoperation  der  1878  von  F reund  ersonnenen  abdomi¬ 
nalen  Totalexstirpation  wieder  in  den  Vordergrund  des  ärzt¬ 
lichen  Interesses  stellten.  Mit  seltenen  Ausnahmen  bezogen  sich 
jedoch  alle  Operationen  nur  auf  den  Gebärmutterkrebs.  Erst 
als  Pean  und  Doyen  lehrten,  durch  das  von  ihnen  ange¬ 
gebene  Verfahren  der  Zerstückelung,  Verkleinerung  (Mor¬ 
cellement)  auch  grössere  Tumoren  mit  Erfolg  anzugreifen, 
erhielt  diese  Operation  auch  bei  Myomen  ihre  heutige  Be¬ 
deutung  und  Verbreitung. 

Doch  nicht  allerseits  ist  selbst  heute  noch  die  Berech¬ 
tigung  dieser  Operation  anerkannt.  Viele  Operateure  stehen 
auch  heute  noch  auf  dem  Standpunkte  der  abdominalen  Myo- 
motomie  und  verwerfen  die  vaginale  Operation  oder  wollen 
sie  zumindest  auf  die  einfachsten,  leicht  auszuführenden  Fälle 
beschränkt  wissen.  Dieser  Widerstreit  der  Anschauungen  trat 
noch  jüngst  auf  dem  zu  Pfingsten  in  Berlin  abgehaltenen 
Gynäkologen-Congresse  zu  Tage. 

Wenn  es  mir  nun  erlaubt  sein  soll,  meinen  eigenen 
Standpunkt  in  dieser  Frage  zu  charakterisiren,  so  müsste  ich 
Folgendes  sagen:  Die  vaginale  Totalexstirpation  ist  jene  Ope¬ 
ration,  welche  heute  die  besten  Erfolge  aufzuweisen  hat  von 
sämmtlichen  Myomoperationen,  bei  denen  das  Peritoneum  eröffnet 
werden  muss;  sie  müsste  demgemäss  ihre  Indication  finden  in 
allen  Fällen,  in  denen  überhaupt  radicale  Myomoperationen  an¬ 
gezeigt  wären.  Doch  findet  die  technische  Ausführbarkeit, 
wenigstens  bei  unseren  heutigen  Hilfsmitteln,  ihre  Grenzen. 
Dieselben  werden  von  verschiedenen  Operateuren  verschieden 
gezogen;  in  erster  Linie  nach  der  Grösse.  Während  Einige 
nur  kleine,  faustgrosse  bis  doppelfaustgrosse,  andere  bis  kinds- 
koptgrosse  Tumoren  von  der  Vagina  aus  entfernen  wollen,  ziehe 
ich  die  Grenze,  so  weit  es  die  Grösse  betrifft,  zwischen  vaginaler 
und  abdominaler  Myomotomie  bei  Tumoren,  die  an  die  Nabel¬ 
linie  reichen.  Doch  die  Grösse  bildet  nicht  das  einzige  Kriterium; 
auch  die  Beweglichkeit,  die  Eindrückbarkeit  des  Tumors  ins 
Becken,  der  Mangel  von  hochsitzenden  Verwachsungen  und 
das  Fehlen  von  intraligamentärer  Entwicklung  bilden  eben- 
soviele  Kriterien  für,  beziehungsweise  gegen  den  abdominalen 


Weg.  Nun  ist  die  Diagnose  aller  dieser  anatomischen  Verhältnisse 
mitunter  recht  schwierig.  Andererseits  wird  der  Patientin  kein 
Schaden  zugefügt,  wenn  man  die  Operation  vaginal  begonnen 
hat  und  sie  abdominal  vollendet.  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  hat  sogar  den  sehr 
beherzigenswerthen  Vorschlag  gemacht,  alle  radicalen  Myom¬ 
operationen  von  der  Vagina  aus  zu  beginnen,  da  hiedurch 
derjenige  Act  der  abdominalen  Totalexstirpation,  welcher  als 
der  schwierigste  angesehen  werden  muss,  nämlich  die  Aus¬ 
lösung  der  Cervix  aus  dem  Scheidengewölbe,  entfällt. 

So  habe  ich  denn  bis  zum  Ende  des  Jahres  1898  zwölf 
Fälle  radicaler  Myomoperationen  vaginal  begonnen  und  ab¬ 
dominal  vollendet  und  nur  in  einem  Falle  hochgradiger  Anämie, 
welche  schon  vor  der  Operation  bestanden  hatte,  erlebte  ich 
einen  Misserfolg.  In  dem  eben  vergangenen  Jahre  habe  ich 
eine  grosse  Reihe  von  Fällen  principiell  auch  dann,  wenn  ich 
von  der  vaginalen  Undurchführbarkeit  von  vorneherein  über¬ 
zeugt  war,  dem  Vorschläge  D  ö  d  e  r  1  e  i  n’s  entsprechend,  vaginal 
begonnen,  um  sie  dann  abdominal  zu  vollenden. 

Mit  der  Schilderung  der  Technik  der  vaginalen  Total¬ 
exstirpation  und  des  Morcellements  glaube  ich  Sie  verschonen 
zu  dürfen,  umsomehr  als  ja  über  dieses  Thema  von  berufener 
Seite  hier  wiederholt  bereits  gesprochen  wurde. 

Die  Erfolge,  welche  ich  mit  der  vaginalen  Radicalope- 
ration  erreicht  habe,  scheinen  mir  sehr  ermuthigende  zu  sein. 
Unter  191  Fällen  habe  ich  7  verloren,  d.  i.  3'6%;  davon 
kommen  jedoch  2  nicht  direct  auf  Kosten  der  Operation,  wo¬ 
nach  sich  das  eigentliche  Mortalitätsprocent  auf  1'5%  stellen 
würde.  Dabei  handelte  es  sich  in  den  meisten  Fällen  um 
Myome,  welche  Doppeltfaustgrösse,  ja  Kindskopfgrösse  erreicht 
hatten,  Myome  von  600  bis  800  g,  viele  auch  über  1000  bis 
zu  2000  g,  gewiss  also  nicht  nur  um  leichte  Fälle.  Die  bis 
Ende  1898  erlangten  Resultate  hatte  ich  die  Ehre,  in  diesem 
Jahre  bereits  den  Congressen  in  Berlin 4)  und  Amsterdam 5) 
vorzulegen.  Ich  bin  jedoch  in  der  Lage.  Ihnen  heute  noch 
eine  Ergänzung  der  eben  gemachten  Ausführungen  zu  geben, 
insoferne,  als  ich  auch  über  die  unterdessen  gesammelten 
Nachforschungen  über  die  Dauererfolge  meiner  Myomope¬ 
rationen  berichten  kann. 

In  83  Fällen  erhielt  ich  weitere  Nachrichten  über  das 
Befinden  meiner  vaginal  Myomoperirten.  Von  diesen  sind  vier 
im  weiteren  Verlaufe  an  intercurrenten  Erkrankungen  ge¬ 
storben,  von  den  verbleibenden  79  sind  77  vollkommen  ge¬ 
heilt  und  frei  von  Beschwerden,  zwei  Patientinnen  klagen  der¬ 
zeit  noch  über  Beschwerden,  die  eine  über  hochgradige  Nervo¬ 
sität,  die  andere  über  Schmerzen  im  Unterleibe  in  Folge  von 
Wanderniere. 

Diesen  Nachforschungen  zufolge  würde  sich  das  Heilungs¬ 
procent  in  Bezug  auf  die  Dauererfolge  auf  97%  stellen. 

Es  bleibt  uns  nur  noch  übrig,  den  Vergleich  zu  ziehen 
zwischen  den  vaginalen  Myomoperationen  und  den  abdominalen. 
Auch  hier  kommen  conservirende  und  radicale  Operationen 
in  Betracht.  Die  ersteren  werden  durch  die  Enucleation  von 
Myomen  per  laparotomiam  repräsentirt.  Die  Indication 
hiezu  ergibt  sich  wohl  ebenso  selten,  wie  die  für  die  vaginale 
Euncleation.  Tumoren  bis  Faustgrösse,  höchstens  bis  Kindskopf¬ 
grösse,  wenn  sie  isolirt  sind,  können  bei  besonderen  Indica- 
tionen,  zu  denen  besonders  das  jugendliche  Alter  der  Patientin 
gezählt  werden  muss,  zur  Enucleation  auffordern.  Als  Bedin¬ 
gungen  muss  man  aber  die  Möglichkeit  der  exacten  Blut¬ 
stillung  und  dann  die  Nichteröffnung  der  Uterushöhle  bei  der 
Enucleation  aufstellen.  Verhältnissmässig  einfach  stellen  sich 
die  Fälle  von  Abtragung  gestielter  Myome  durch  die  Laparo¬ 
tomie,  doch  auch  diese  Operation  kann  nur  sehr  selten  aus- 
geführt  werden. 

Darin  liegt  eben  der  wesentliche  Unterschied  zwischen 
der  Abtragung  von  Polypen  per  vaginam  und  gestielten  sub- 
peritonealen  Myomen.  Denn  es  gehört  kein  grosser  Entschluss 
dazu,  weder  für  den  Arzt  noch  für  die  Patientin,  in  Folge 
von  Nachwachsen  oder  Herabrücken  anderer  in  der  Uterus¬ 
wand  befindlichen  Myome  die  Operation  von  der  Vagina  aus 

4)  Verhandlungen  der  deutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie.  Berlin. 
1899,  pag.  182. 

•’)  Referat.  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1899,  pag.  1064. 


Nr.  5 


107 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


zu  wiederholen,  währenddem  weder  der  Operateur  noch  die 
Patientin  sich  leicht  zu  einer  Wiederholung  der  Laparotomie 
zu  demselben  Zwecke  entschliessen  werden. 

Ich  verfüge  über  29  Fälle  solcher  Myomenucleationen 
durch  Laparotomie  mit  fünf  Todesfällen,  wovon  allerdings  nur 
zwei  in  directem  Zusammenhänge  mit  der  Operation  stehen. 

ln  einem  dieser  Fälle  erfolgte  bei  Eröffnung  der  IJterus- 
höhle  Infection  von  dieser  her  und  in  einem  anderen  halle 


der  Gesammtliteratur  der  deutschen  Kliniken  finden  sich  bei 
Cervixcarcinom 

nach  1  Jahre  58'5%  geheilt  und  recidivfrei 
»  2  Jahren  44*7%  *  *  * 

»  3  »  37-5%  »  »  » 

»  4  »  29,5°/0  *  »  * 

»  5  »  17-6% 


Blutung  aus  dem  vernähten  Wundbette. 

Diese  Zahlen  sind  allerdings  klein  und  lassen  bestimmte 
Schlüsse  nicht  zu,  aber  auch  bei  grösseren  Zahlen  sind  die 
Resultate  nicht  wesentlich  andere.  So  berichtet  Olshausen 
in  Veit's  Handbuch  über  117  abdominale  Enucleationen  mit 

23  Todesfällen,  das  ist  13%. 

Vergleichen  wir  nun  die  abdominalen  Radicalopera- 
tionen  mit  den  vaginalen,  so  ergeben  sich  die  folgenden  Ge¬ 
sichtspunkte.  Ich  will  hier  nicht  eingehen  auf  die  Frage,  welche 
von  den  Methoden  der  abdominalen  Radicaloperationen  die 
beste  sei;  ich  habe  mich  über  diesen  Punkt  zu  wiederholten 
Malen,  so  auch  in  diesem  Jahre,  auf  den  Congressen  in 
Berlin  und  Amsterdam  geäussert.  Mein  Standpunkt  ist  nach 
wie  vor  der,  dass  ich  für  die  beste  Methode  der  abdominalen 
radicalen  Myomoperation  die  Totalexstirpation  halte.  Damit 
will  ich  nicht  sagen,  dass  nicht  in  gewissen  Fällen  die  supra¬ 
vaginale  Amputation  mit  ihren  verschiedenen  Arten  der  Stiel¬ 
behandlung  Berechtigung  hätte. 

Fasse  ich  nun  alle  diese  abdominalen  Myomoperationen 
zusammen,  so  habe  ich  unter  226  lällen  32  lodesfalle,  das 
ist  14T%,  aufzuweisen.  Rechne  ich  die  zufälligen,  nicht  mff 
der  Operation  direct  in  Zusammenhänge  stehenden  Verluste 
ab,  so  bleiben  20  Todesfälle,  i.  e.  9*3%. 

Auch  in  diesem  Capitel  ergibt  sich  also  die  weit 
geringere  Gefährlichkeit  der  vaginalen  gegenüber  der  abdomi¬ 
nalen  Radicaloperation. 

Auch  die  Frage  der  Carcinombehandlung  des 
Uterus  gibt  uns  Anlass,  den  vaginalen  und  abdominalen  Weg 
gegen  einander  abzuwägen. 

Nachdem  man  durch  unbefriedigende  Erfolge  der  pallia¬ 
tiven  und  partiellen  Operationen  bei  Uteruscarcinom  zui  Ein¬ 
sicht  gekommen  war,  dass  nur  ein  radicaler  Eingriff  Aussicht 
auf  Erfolg  habe,  war  Freund  der  Erste,  welcher  1878  den 
Uterus  per  laparotomiam  total  entfernte,  wenn  wir  von  den 
ersten  früher  erwähnten  Versuchen  der  vorantiseptischen  Zeit 
absehen. 

Die  hohe  Mortalität  der  abdominalen  Operation,  welche 
bei  verschiedenen  Operateuren  zwischen  71  und  74%  schwankte, 
gab  den  Anlass  zur  Einführung  der  vaginalen  Totalexstirpation 
durch  Czerny,  welche  sich  seitdem,  seltene  Ausnahmen  ab¬ 
gerechnet,  der  unbeschränkten  Herrschaft  auf  dem  Gebiete 
der  Radicaloperationen  des  Uteruscarcinoms  erfreut.  Auch  meine 
eigenen  Resultate  sprechen  zu  Gunsten  der  vaginalen  gegen¬ 
über  der  abdominalen  Radicaloperation. 

Von  259  Fällen  vaginaler  Radicaloperationen  bei  Uterus¬ 
carcinom  starben  25,  das  ist  9-6%,  davon  an  den  directen 
Folgen  der  Operationen  16,  das  ist  6’4%-  Von  15  abdomi¬ 
nalen  Totalexstirpationen  starben  neun,  das  ist  60%,  an  c*en 
directen  Folgen  der  Operation  sieben,  das  ist  53  8%-  Ausser¬ 
dem  verfüge  ich  über  16  sacrale  Totalexstirpationen  mit  fünf 
Todesfällen  und  zwei  erfolgreiche  perineale  Totalexstirpationen 
des  carcinomatösen  Uterus,  auf  welche  ich  aus  dem  schon 
früher  erwähnten  Grunde  hier  nicht  näher  eingehe. 

Es  ergibt  sich  aus  dem  Vergleiche  mit  den  Resultaten 
der  Uterusexstirpation  aus  anderen  Indicationen,  .  wie  Myom, 
Adnexe  u.  s.  w.,  dass  die  Radicaloperation  bei  Carcinom, 
sowohl  bei  vaginaler,  als  besonders  bei  abdominaler  Ausfühl ung 
weitaus  die  grössten  Gefahren  darbietet.  Die  Ursache  liegt  in 
der  Möglichkeit  der  Infection  von  dem  zerfallenen  Neu¬ 
gebilde  aus.  . 

Bei  einem  so  furchtbaren  Leiden,  wie  es  der  Gebär¬ 
mutterkrebs  darstellt,  wäre  jedoch  diese  grosse  Mortalität 
nicht  zu  theuer  erkauft,  wenn  die  Dauerresultate  bessere 
wären.  Aus  den  Zusammenstellungen  Kruken  berg’s  aus 


Da  nun  nach  vier,  beziehungsweise  fünf  Jahren  Reci- 
diven  zu  den  grössten  Seltenheiten  nach  Uterusexstirpation 
wegen  Carcinom  gehören,  so  können  wir  die  letzten  Zahlen 
von  29%,  beziehungsweise  17%  als  die  definitiven  be¬ 
trachten. 

Wenn  wir  aber  bedenken,  dass  von  den  sämmtlichen  an 
Uteruscarcinom  kranken  Frauen  kaum  ein  Viertel  sich  mehr 
zur  Operation  eignet,  von  diesen  etwa  10%  der  Operation 
unterliegen,  und  von  den  Ueberlebenden  nach  fünf  Jahren  nur 
mehr  17%  gesund  sind,  so  ist  dieses  Resultat  in  Bezug  auf 
die  Gesammtheit  der  von  dieser  entsetzlichen  Krankheit  be¬ 
fallenen  Frauen  ein  sehr  wenig  befriedigendes.  Auch  die  An¬ 
wendung  der  sacralen  und  perinealen  Methode,  auf  welche 
man  anfänglich  so  grosse  Hoffnungen  setzte,  hat  daian  wenig 

geändert.  . 

Was  nun  meine  eigenen  Resultate  in  Bezug  auf  die 
Dauererfolge  betrifft,  so  starben  von  274  Totalexstirpationen 
39  an  den  Folgen  der  Operation;  von  den  235  Ueberlebenden 
liess  sich  in  164  Fällen  das  weitere  Schicksal  der  Patientinnen 
verfolgen.  Von  dieser  Zahl  waren,  wenn  ich  das  Verhältniss 
in  Procenten  ausdrücke,  noch  am  Leben 


am  Ende  des  1.  Jahres  771% 

»  »  »2.  »  58  4% 

»  »  »3.  »  44*8% 

»  »  »4.  ■>  350% 

»  »  v>  5.  »  31*5% 

,  »  »  6.  »  23-3% 

»  »  »  7.  »  19  7% 

»  »  *  8.  »  13*9% 

»  »  »  9.  »  12  0% 

»  »  »  10.  *  o  3% 

»  »  »11.  »  3*2  % 

»  »  »  12.  »  2*2%. 

Ueber  einen  längeren  Zeitraum  als  zwölf  Jahre  habe 
ich  bis  jetzt  keine  Patientin  verfolgen  können. 

Da  nun  nicht  alle  Frauen  dieser  Tabelle  an  Carcinom- 
recidive,  sondern  manche  auch  an  anderen,  intercurrenten 
Erkrankungen  verstorben  sind,  so  ist  es  nothwendig,  zum  Ver¬ 
gleiche  auch  noch  die  Frage  aufzuwerfen,  wie  viele  Frauen 
nach  der  Operation  an  Carcinomrecidive  zu  Grunde  gingen. 
Hierbei  ergibt  sich  Folgendes:  Von  den  an  Carcinom  ope- 
rirten  Frauen,  über  deren  Schicksal  etwas  in  Erfahrung  ge¬ 
bracht  werden  konnte,  waren  an  Carcinomrecidive  gestorben 


1 

Jahr 

nach 

der 

Operation 

2U4% 

2 

Jahre 

» 

y> 

39*2% 

o 

o 

» 

» 

p 

53*1% 

4 

» 

» 

» 

62*7% 

5 

>> 

» 

» 

» 

66*4% 

6 

» 

» 

p 

75*0% 

Von  den  Frauen,  welche  bereits  das  sechste  Jahr  nach 
der  Operation  überschritten  hatten,  findet  sich  in  unserer 
Tabelle  keine  weiter,  welche  an  Carcinom  zu  Grunde  gegangen 
wäre.  Das  Absinken  des  Procentsatzes  der  Ueberlebenden  der 
früheren  Tabelle  bis  zum  zwölften  Jahre  post  Operationen^ 
kommt  also  nicht  mehr  auf  Carcinomrecidive,  sondern  aut 
Todesfälle  an  intercurrenten  Erkrankungen. 

Unsere  eigenen  Erfahrungen  sind  also  nur  um  ein  weniges 

günstiger,  als  die  in  der  grossen  Tabelle  Kr  u  ke  n  be  rg  s 
zum  Ausdrucke  kommenden.  Deshalb  verdienen  die  >es  u‘ 
bungen  von  Veit,  Mackenrodt,  K  u  m  p  t  x  1 ®  s?  v  ,u  t 
ner  Beachtung, 
aufnahmen  zum 


welche  die  Freund’sche  Operation  wieder 
Zwecke  einer  umfänglichen  Freilegung  des 


108 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  o 


Operationsfeldes,  um  nicht  nur  das  parametrane  Bindegewebe, 
sondern  auch  die  iliacalen  und  retroperitonealen  Lymphdrüsen 
zugänglich  zu  machen  und  dieselben  mitzuentfernen,  analog 
den  bereits  seit  längerer  Zeit  durchgeführten  Grundsätzen, 
welche  die  Chirurgen  bei  Operationen  des  Mammacarcinoms 
verfolgen.  Ich  persönlich  verfüge  in  Bezug  auf  diese  Ope¬ 
rationstechnik  noch  über  keinerlei  Erfahrungen. 

Ein  auch  schon  früher  allgemein  anerkanntes  Indications- 
gebiet  für  die  vaginale  Radicaloperation  ergeben  die  Fälle  von 
Sarkom  des  Uterus,  von  Adenom,  Infarct  und  P  r  o  1  a  p  s, 
bei  denen  die  schweren  Symptome  zur  Radicaloperation 
zwingen.  Die  Indication  tritt  aber  gerade  bei  dieser  Gruppe 
von  Erkrankungen  sehr  selten  auf,  fast  ausnahmslos  gestatten 
Grösse  und  Beweglichkeit  des  Uterus,  den  vaginalen  Weg  zu 
wählen. 

Aus  dieser  Indication  habe  ich  zusammengenommen 
77  vaginale  Totalexstirpationen  ausgeführt  mit  vier  Todes¬ 
fällen,  von  denen  einer  in  directem  Zusammenhänge  mit  der 
Operation  erfolgte,  und  nur  eine  Laparotomie  bei  Sarkom  und 
Complication  mit  Extrauterinschwangerschaft  und  Ausgang  in 
Genesung,  wobei  also  die  Laparotomie  weniger  wegen  Sarkom¬ 
bildung,  als  wegen  Complication  mit  Extrauterinschwangerschaft 
nothwendig  war. 

Auch  der  Kaiserschnitt,  die  älteste  geburtshilfliche 
Operation  sowohl,  als  auch  die  älteste  Indication  zur  Laparo¬ 
tomie,  ist  von  den  neuesten  Bestrebungen  und  Umwälzungen 
der  operativen  Gynäkologie  nicht  unberührt  geblieben.  Ab¬ 
gesehen  davon,  dass  schon  Ende  der  Siebziger-Jahre  P  o  r  r  o 
den  alten  Kaiserschnitt  durch  Hinzufügung  der  Amputatio 
supravaginalis  ergänzte  und  diese  Operation,  bei  der  nach  der 
ursprünglichen  Angabe  nach  Porro  der  Stiel  extraperitoneal 
befestigt  wurde,  später  wieder  entsprechend  den  veränderten 
Methoden  der  Stielbehandlung  bei  Myomen  durch  die  intra¬ 
peritoneale  Stielbehandlung  und  schliesslich  auch  durch  die 
abdominale  Totalexstirpation  modificirt  wurde,  fand  in  neuester 
Zeit  auch  die  Methode  der  vaginalen  Radicaloperation  sinn¬ 
gemässe  Anwendung  auf  den  Kaiserschnitt;  zunächst  in  der 
Weise,  dass  man,  um  die  Laparotomie  zu  umgehen,  in  Fällen, 
in  denen  nicht  Beckenenge  die  Indication  zum  Kaiserschnitte 
gab,  sondern  Neubildungen,  besonders  Cervixcarcinom,  nach 
Entfernung  des  carcinomatösen  Gewebes  per  vaginam  den 
Uterus  durch  Spaltung  seiner  vorderen  Wand  eröffnete,  die 
Frucht  nach  geburtshilflichen  Grundsätzen  auf  dem  natür¬ 
lichen  Wege  entwickelte  und  den  Uterus  auf  demselben  Wege 
entfernte. 

In  zwei  Fällen  habe  ich  selbst  bei  Carcinom  am  normalen 
Schwangerschaftsende  in  dieser  Weise  operirt. 

In  anderen  Fällen  war  nach  spontaner  oder  operativer 
Geburt  die  vaginale  Exstirpation  des  Uterus  angeschlossen 
worden  aus  verschiedenen  Ursachen:  so  habe  ich  einmal  wegen 
Uterusruptur,  einmal  wegen  Myom  und  einmal  wegen  Atonie 
den  Uterus  kurz  nach  Beendigung  der  Geburt  vaginal  ex- 
stirpirt,  mit  drei  Todesfällen,  letztere  in  Fällen  von  bereits 
vor  der  Operation  bestehender  Anämie  und  septischer 
Infection. 

In  neuester  Zeit  ist  man  bestrebt,  in  gewissen  Fällen 
puerperaler  Infection  des  Uterus  die  Frau  zu  retten  durch  die 
vaginale  Entfernung  des  Uterus,  als  des  Infectionsherdes. 
Theoretisch  ist  dieser  Gedanke  gewiss  ein  richtiger,  aber 
über  eigene  grössere  Erfahrungen  kann  ich  vorläufig  noch 
nicht  berichten.  In  zwei  Fällen,  die  ich  in  jüngster  Zeit  nach 
dieser  Indication  operirte,  hatte  der  Eingriff  nicht  den  gering¬ 
sten  Erfolg. 

Wenn  ich  nun  noch  eine  kurze  Zusammenstellung  meiner 
eigenen  Erfahrungen  bezüglich  des  Kaiserschnittes  bis  Ende 
1899  geben  darf,  so  zähle  ich  conservirende  Kaiserschnitte  82 
mit  0  Todesfällen,  wovon  nur  2  direct  der  Operation  zur 
Last  fallen,  13  Porrooperationen  mit  4  Todesfällen,  davon 
2  direct,  5  abdominale  Totalexstirpationen  des  graviden  Uterus 
mit  2  Todesfällen  und  endlich  die  schon  erwähnten  6  va¬ 
ginalen  Totalexstirpationen  des  puerperalen  Uterus  mit 
4  Todesfällen,  wovon  allerdings  nur  einer  in  directem  Zu¬ 
sammenhänge  mit  der  Operation  steht. 


Auch  an  der  Entwicklung  derjenigen  Operationen,  welche 
zur  Fixation  des  retrovertirten  und  retroflec- 
tirten  Uterus  angegeben  wurden,  können  wir  den  Werth 
der  vaginalen  und  abdominalen  Operationen  gegen  einander 
abwägen.  Die  systematische  Ausbildung  der  Fixation  des 
Uterus  bei  Lageveränderungen  beginnt  mit  der  Mittheilung 
Olshause n’s  auf  der  Naturforscherversammlung  in  Berlin 
(1886).  Es  handelte  sich  hierum  die  abdominale  Fixation.  Die 
Technik  kam  in  der  Folge  in  verschiedener  Weise  zur  Aus¬ 
führung.  Ols hau  sen  und  Sänger  fixirten  den  Uterus 
durch  Annähung  des  Ligamentum  rotundum  an  die  vordere 
Bauch  wand,  währenddem  Czerny  und  Leopold  den  Uterus 
direct  daselbst  fixirten.  Die  ersten,  wenn  auch  unvollkommenen 
Versuche,  diesen  Zweck  auch  auf  dem  vaginalen  Wege  zu 
erreichen,  rühren  von  Schuecking  her  (1888).  Durch 
Dührssen,  Mackenrodt  und  W  e  r  t  h  e  i  m  ist  diese  Ope¬ 
ration  weiter  ausgebildet  worden.  In  neuerer  Zeit  wird  die 
vaginale  Fixation  als  Theiloperatien  der  Prolapsoperation 
ausgeführt  und  hat  sich  diese  Indication  allgemeine  Anerkennung 
erworben. 

Wenn  wir  nun  daran  gehen  sollen,  die  abdominalen 
Methoden  gegenüber  den  vaginalen  behufs  Hysteropexie  gegen 
einander  abzuwägen,  so  dürften  für  die  abdominale  Methode 
sich  jene  Fälle  von  Retrodeviation  eignen,  welche  gelegentlich 
anderweitiger  abdominaler  Operationen  gefunden  werden  —  die 
sogenannte  occasionelle  Indication.  Als  intentionelle  Operation 
ohne  weitere  Complication  würde  die  Laparotomie  nur  bei 
denjenigen  Lageveränderungen  nothwendig  werden,  bei  denen 
sehr  schwer  trennbare,  feste  und  umfangreiche  Verwachsungen 
bestehen.  Für  die  vaginale  Methode  eignen  sich  Fälle  von 
leicht  trennbaren,  lockeren  Verwachsungen,  sowie  auch  frei 
bewegliche  Retrodeviationen,  natürlich  mit  der  Einschränkung, 
dass  nicht  alle  diese  Fälle  sich  zur  Operation  eignen,  dass  viel¬ 
mehr  unter  dem  grossen  Materiale  der  Uterusverlagerungen 
eine  strenge  Auswahl  getroffen  werden  muss,  indem  die  Mehr¬ 
zahl  für  die  Massage,  Pessartherapie  u.  dgl.  sich  eignet,  und 
nur  eine  geringe  Zahl  der  Operation  anheimfällt.  Das  ergibt 
die  Thatsache,  dass  unter  einem  Materiale  von  mehr  als 
4700  Lage  Veränderungen  an  meiner  Klinik  nur  178  vaginale 
und  18  abdominale  Hysteropexien  bei  Retroversionen  und 
Flexionen,  sowie  bei  Prolaps,  und  zwar  sämmtliche  ohne  Todes¬ 
fall  ausgeführt  wurden.6) 

Endlich  das  letzte  Indica  ionsgebiet  für  diese  Operationen 
betrifft  die  Castration.  Dieselbe  wurde  bei  Entwicklungs¬ 
anomalien  der  Genitalien,  bei  schweren  Menstruationsstörungen, 
Psychosen,  Osteomalacie  und  bei  Myomen  ausgeführt.  Durch 
die  Entwicklung  der  anderen  Operationsmethoden,  besonders 
bei  Myomen  und  die  nicht  immer  befriedigenden  Erfolge  bei 
Osteomalacie  und  Psychosen  wurde  das  Indicationsgebiet  dieser 
Operation  in  neuerer  Zeit  sehr  stark  eingeschränkt.  So  habe 
ich  in  der  ersten  Serie  meiner  1000  Operationen  57,  in  der 
zweiten  nur  11  und  in  der  dritten  nur  mehr  2  Castrationen 
per  laparotomiam  auszuführen  Gelegenheit  gehabt,  zusammen 
70  Fälle  mit  2  Todesfällen,  letztere  bei  Myom.  Die  vaginale 
Castration  wurde  in  6  Fällen  ohne  Verlust  ausgeführt,  jedoch 
jedes  Mal  mit  Exstirpatio  uteri  verbunden:  dreimal  bei  Osteo¬ 
malacie  und  dreimal  wegen  Entwicklungsfehler  und  schweren 
Menstruationsstörungen.  Ist  die  Operation  per  vaginam  möglich, 
so  ist  gewiss  der  vaginale  Weg  vorzuziehen  und  es  schadet 
nichts,  wenn  dann  auch  der  Uterus,  der  ja  nach  Wegfall  der 
beiden  Ovarien  keine  Function  mehr  hat,  aus  technischen 
Gründen  mit  in  Wegfall  kommt. 

* 

Ueberblicken  wir  die  im  Vorstehenden  angeführten 
Gruppen  von  gynäkologischen  Operationen  und  ihr  Verhältniss 
zur  vaginalen,  beziehungsweise  abdominalen  Cöliotomie,  so  er¬ 
gibt  sich,  dass  von  einem  vollständigen  Verdrängen  der  Laparo¬ 
tomie  durch  die  vaginale  Cöliotomie  auf  keinem  einzigen  Ope- 

6)  Bezüglich  der  Technik  und  der  Dauererfolge  siehe:  Hal  ban, 
Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1900,  ]>ag.  122,  und: 
Schnait,  Ibidem,  pag.  295. 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


109 


rationsgebiete  der  Gynäkologie  die  Rede  sein  kann.  Diejenigen 
Operationen,  welche  bisher  fast  ausschliesslich  der  vaginalen 
Methode  zufielen,  die  Radicaloperation  bei  Adenom,  Infarct, 
Sarkom  und  Prolaps  und  wohl  auch  bei  Carcinom,  dürften  auch 
in  nächster  Zeit  der  vaginalen  Methode  erhalten  bleiben. 
Die  Fixation  des  prolabirten  und  retrofieetirten  Uterus  dürfte 
ebenso,  seltene  Ausnahmen  abgerechnet,  der  vaginalen  Methode 
zufallen.  Dasselbe  möchte  ich  von  der  Operation  chronisch 
entzündeter  und  vereiterter  Adnexe  behaupten,  wenn  man  sich 
entschliesst,  den  Standpunkt  einzunehmen,  dass  bei  chronisch¬ 
entzündlichen  Adnexen,  bei  denen  man  überhaupt  zum  Messer 
greifen  muss,  die  Radicaloperation  allein  einen  befriedigenden 
Dauererfolg  verspricht.  Für  die  seltenen  Fälle,  in  denen  man 
sich  heute  noch  zu  einer  Castration  entschliesst,  wird  mit  Aus¬ 
nahme  der  Castration  bei  Myom,  welche  fast  aufgegeben  ist 
und  bei  der  wohl  nur  der  abdominale  Weg  denkbar  wäre, 
ebenfalls  der  vaginale  Weg  dem  abdominalen  vorzuziehen 
sein.  Damit  wäre  die  erste  Gruppe  von  Cöliotomien,  bei 
welchen  die  vaginale  Operation  als  Operation  der  Wahl  an¬ 
zusehen  ist,  abgeschlossen. 

In  eine  zweite  Gruppe  würde  ich  jene  Operationen  ein¬ 
reihen,  bei  denen,  je  nach  den  anatomischen  Verhältnissen, 
bald  der  abdominale,  bald  der  vaginale  Weg  betretbar  er¬ 
scheint.  Dazu  gehören  die  Ovariotomie  und  die  Uterusmyome. 
Freibewegliche  uniloculäre  oder  parviloculäre  Eierstockcystome 
gutartiger  Natur  fallen  ebenso  wie  die  gutbeweglichen,  die 
Nabellinie  nicht  überschreitenden  Myome  dem  vaginalen  Wege 
zu;  alle  anderen  sind  der  Laparotomie  vorzubehalten. 

In  die  dritte  Gruppe  möchte  ich  einreihen  jene  Opera¬ 
tionen,  bei  denen  in  erster  Linie  der  abdominale  Weg  ins 
Auge  gefasst  werden  muss  und  nur  ausnahmsweise  der  vagi¬ 
nale  Weg  in  Betracht  kommt.  Dazu  gehört  die  Extrauterin¬ 
gravidität,  und  zwar  sowohl  in  vorgeschrittenen  Stadien,  als 
auch  in  den  ersten  Wochen,  falls  Tubarabort  oder  Ruptur  die 
Indication  zur  Operation  abgibt  und  die  normale  Beschaffen¬ 
heit  der  Adnexe  der  anderen  Seite  deren  Erhaltung  fordert. 
Für  die  vaginale  Radicaloperation  kämen  jene  Fälle  von  Tubar- 
gravidität  der  ersten  Wochen  in  Betracht,  bei  denen  mit 
der  Erkrankung  der  Adnexe  auch  der  anderen  Seite  die  Noth- 


wendigkeit  der  Radicaloperation  vorhanden  ist.  Operationen, 
welche  also,  genau  genommen,  nicht  allein  in  das  Gebiet  der 
Extrauterinschwangerschaft,  sondern  ebenso  auch  in  das  der 
Operation  entzündlicher  Adnexe  fallen  und  demgemäss  auch 
in  die  erste  der  oben  genannten  Operationsgruppen  eingereiht 
werden  müssten.  Ebenso  wird  auch  wohl  der  Kaiserschnitt 
der  abdominalen  Methode  auch  fernerhin  verbleiben;  die  Fälle 
von  vaginalem  Kaiserschnitte  werden  immer  Ausnahmsfälle 
darstellen. 

Will  man  das  Gesagte  noch  allgemeiner  fassen,  so  kann 
man  sagen:  die  vaginale  Cöliotomie  eignet  sich  in  erster 
Linie  zu  radicalen  Eingriffen,  bei  denen  es  sich  um  die  Ent¬ 
fernung  des  gesammten  inneren  Genitales  handelt.  Als  Aus¬ 
nahme  von  dieser  Regel  sind  zu  betrachten  gewisse  Fälle  von 
Ovariencysten,  bei  denen  trotz  Betretens  des  vaginalen  Weges 
doch  conservativ  vorgegangen  wird  und  die  Fälle  von  vaginaler 
Fixation  des  Uterus,  also  ebenfalls  einer  conservirenden 
Operation. 

Dagegen  eignen  sich  im  Allgemeinen  Fälle,  in  denen 
conservativ  operirt  werden  muss,  besser  für  die  abdominalen 
Wege,  also  die  festen  Eierstockstumoren,  die  adhärenten  oder 
multiloculären  cystischen  Tumoren  und  endlich  alle  malignen 
Eierstockgeschwülste,  bei  denen  allerdings  nicht  der  Standpunkt 
des  Conservirens  in  erster  Linie  in  Betracht  kommt,  sondern 
bei  denen  die  durch  die  Enge  des  vaginalen  Weges  noth- 
wendige  Verkleinerung  verboten  ist.  Ferner  eignen  sich  vor¬ 
zugsweise  für  den  abdominalen  Weg  die  Fälle  von  Myom- 
enucleation  und  endlich  der  conservative  Kaiserschnitt. 

Die  im  Vorstehenden  dargelegten  Grundsätze  haben  sich 
mir  allmälig  im  Laufe  von  fast  zwei  Jahrzehnten  operativer 
Thätigkeit  herausgebildet.  Ich  weiss,  dass  ich  mit  diesen  meinen 
Anschauungen  noch  vielfach  auf  Widerspruch  bei  meinen  Fach¬ 
genossen  stossen  werde  und  bin  auch  überzeugt,  dass  an  den 
heute  gegebenen  Indicationen  die  Zeit  noch  manche  Aenderung 
und  Verschiebung  vollführen  wird,  aber  in  einer  Hinsicht  steht 
meine  Ueberzeugung  fest,  dass  die  vaginale  Technik  der 
Cöliotomie  als  eine  der  grössten  Errungenschaften  der  ope¬ 
rativen  Gynäkologie  der  jüngsten  Zeit  einen  bleibenden  Platz 
finden  wird  unter  den  gynäkologischen  Operationen.  Sie  stellt 


Uebersichtstabelle  über  die  im  Vorstehenden  besprochenen  Cöliotomien  zum  Vergleiche  der  abdominalen  und  der 

vaginalen  Methode. 


Vaginal 

A 

odominal 

Art  der  Operation 

gestorben 

gestorben 

Zahl 

überhaupt 

davon  an  den 
directen 
Folgen  der 
Operation 

Zahl 

überhaupt 

davon  an  den 
directen 
Folgen  der 
Operation 

Mit  Erhaltung-  des 
Uterus 

Einseitige  Ovariotomie . 

Beiderseitige  Ovariotomie . 

Einseitige  Entfernung  entzündlicher  Adnexe  .... 
Beiderseitige  Entfernung  entzündlicher  Adnexe  .  .  • 
Entfernung  des  Fruchtsackes  bei  Tubargravidität  .  . 

Enucleation  von  Myomen  . 

Castration . 

Kaiserschnitte  . 

Hysteropexie . 

51 

1 

26 

1 

6 

7 

178 

3 

(3) 

273 

68 

22 

286 

110 

29 

70 

82 

18 

24 

10 

1 

20 

8 

5 

2 

6 

(6) 

(5) 

(1) 

(17) 

(3) 

(2) 

(2) 

(2) 

| 

Mit  Entfernung  des 
Uterus 

Ovariotomie  mit  Exstirpatio  uteri . 

Radicaloperation  wegen  entzündlicher  Adnexe  .... 

Radicaloperation  bei  Tubargravidität . 

Radicaloperation  wegen  Myom . 

Radicaloperation  wegen  Carcinom . 

Radicaloperation  wegen  Sarkom,  Adenom  und  Prolaps 

Castration  mit  Exstirpatio  uteri . 

Sectio  caesarea  mit  Entfernung  des  Uterus . 

21 

264 

18 

191 

259 

77 

6 

6 

3 

6 

1 

7 

25 

4 

(2) 

(4) 

(1) 

(3) 

(16) 

(1) 

(1) 

19 

38 

4 

226 

15 

1 

18 

3 

4 

1 

32 

9 

6 

(4) 

(20) 

(?) 

(4) 

Gesammtsumme .  ... 

1112 

53 

(31) 

1279 

131 

(73) 

Gesammtmortalität  ohne  Abzug  (in  Procenten) . 

4-7 

10-2 

2  8 

5-9 

110 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  5 


freilich  an  die  diagnostische  Fertigkeit,  Ausdauer,  Geduld  und 
operative  Technik  in  der  Regel  weit  grössere  Anforderungen,  als 
die  abdominale  Methode.  Aber  ihre  um  etwa  die  Hälfte  geringere 
Mortalität,  der  schmerzlose,  uncomplicirte  Heilungsverlauf,  der 
Wegfall  der  Wunde  an  der  äusseren  Oberfläche  mit  ihren  Folge¬ 
zuständen,  der  Narbenbildung,  Eiterung  und  Hernienbildung, 
stellen  sie  weit  über  die  abdominale  Cöliotomie.  Der  Vorwurf  der 
geringen  Uebersichtlichkeit,  des  Operirens  im  Finsteren,  der 
schwierigen  Blutstillung,  den  man  den  vaginalen  Methoden 
gemacht  hat,  fällt  bei  sorgfältiger  Auswahl  der  Fälle  und  bei 
Anwendung  derjenigen  Technik,  die  ich  seit  Jahren  übe,  weg. 

Ich  lege  besonderes  Gewicht  darauf,  dass 
man  die  vaginale  Cöliotomie  vom  Anfänge  bis 
zum  Ende  ebenso  unter  Leitung  des  Auges  aus¬ 
führen  könne  und  müsse,  wie  jede  andere  chi¬ 
rurgische  Operation.  Ihre  weitere  Ausbildung 
und  allgemeine  Verbreitung  in  den  hier  vorge¬ 
zeichneten  Grenzen  liegt  im  Interesse  unserer 
Kranke  n. 


Ovariotomie  per  anum. 

Von  Doceut  Dr.  Hubert  Peters. 

Unter  den  mannigfachen  behufs  Exstirpation  von  den 
inneren  Genitalorganen  ausgehender  Tumoren  betretenen  Wegen 
dürfte  der  im  nachstehenden  Falle  gewählte  wohl  zu  den  aller¬ 
seltensten  gehören.  Er  kommt  eben  nur  dann  in  Betracht, 
wenn  diese  Tumoren  mit  einem  Rectumprolaps  combinirt  sind, 
der  die  Operation  dringend  erfordert  und  so  hochgradig  ist, 
dass  bei  der  Amputation  desselben  der  Douglas  breit  eröffnet 
werden  muss.  Die  dadurch  geschaffene  Eintrittspforte  in  das 
Peritonealcavum  kann,  wie  unser  Fall  lehrt,  leicht  zur  Exstir¬ 
pation  von  Ovarialtumoren,  die  gut  gestielt  und  nicht  durch 
schwierig  zu  lösende  Adhäsionen  complicirt  sind,  benützt  werden. 
Ob  auch  andere  Tumoren,  wie  z.  B.  subserös  sitzende  Cysten 
oder  günstig  gelegene  Myome  auf  diesem  Wege  entfernt  werden 
können,  müssen  erst  weitere  Erfahrungen  lehren,  voraus¬ 
gesetzt,  dass  der  Zufall  weitere  solche  seltene  Combinationen 
brächte. 

Wenn  auch  die  Literatur  drei  unten  citirte  Fälle  bietet, 
bei  denen  Ovarialcysten  durch  die  vordere  Mastdarmwand 
entfernt  wurden,  so  ist  doch  keiner  von  diesen  dem  unserigen 
gleich  und  besitzt  dieser  daher  bisher  kein  Analogon.  Dies 
rechtfertigt  wohl  die  Publication  desselben. 

Der  Fall  ist  kurz  folgender:  Es  handelt  sich  um  eine  37  Jahre 
alte  Patientin  K.  aus  Russland,  die,  seit  ihrer  frühesten  Jugend  an 
hartnäckiger  Obstipation  leidend,  von  ihrem  20.  Jahre  an  ein  Her¬ 
vortreten  der  Rectumschleimhaut  bei  der  Defäcation  bemerkte. 

Der  Prolaps  nahm  allmälig  an  Grösse  zu  und  vor  circa 
sieben  Jahren  hatte  er  beiläufig  die  Grösse  einer  Faust  erreicht. 
Seit  dieser  Zeit  blieb  er  constant. 

Patientin  hat  dreimal  geboren,  das  letzte  Mal  vor  neun  Jahren. 
Die  Geburten  und  Puerperien  sollen  normal  gewesen  sein.  Vor 
sieben  Jahren  soll  Patientin  sowohl  eine  Entzündung  im  Unterleib, 
als  auch  eine  heftige  Pleuritis  mit  Thorakopunction  durchgemacht 
haben,  die  Menses  waren  stets  regelmässig,  etwas  schwächer  als 
normal,  schmerzlos. 

Ausser  den  durch  den  Prolaps  und  durch  die  Darmparese 
bedingten  Beschwerden  bei  der  Defäcation  klagt  Patientin  über  con- 
slante  heftige  Kreuzschmerzen,  die  auch  fortbestanden,  wenn  sie 
den  Prolaps  reponirt  hatte.  Incontinentia  alvi  besteht  nicht. 

Die  Untersuchung  der  gracil  gebauten,  etwas  anämischen, 
fettarmen  Patientin  ergab  eine  solche  Erweiterung  des  Anus,  dass 
die  halbe  Hand  leicht  in  das  Rectum  eindringen  konnte.  Beim 
Pressen  prolabirte  das  letztere  vollständig  auf  eine  Länge  von  circa 
8 — 10  cm  überall  gleichmässig  in  seinen  Wandungen.  Eine  Hernia 
rectalis  war  nicht  vorhanden,  selbst  beim  heftigen  Pressen  trat 
nichts  von  Intestinis  in  die  tief  herabreichende  Plica  Douglasii 
herab.  Bei  der  Genilaluntersuchung  fand  sich  der  Uterus  normal 
gross,  in  mobiler  Retroflexion,  leicht  descendirt,  zwei  ziemlich 
tiefe  Lacerationen  am  Cervix  aufweisend.  Die  Vagina  weit,  äusseres 
Genitale  normal.  Die  Para-  und  Perimetrien  vollkommen  frei,  die 


rechten  Adnexe  normal.  Links  war  ein  cystischer  Tumor  von  Faust¬ 
grösse  zu  constatiren,  der  seiner  Lage  nach  dem  Ovarium  entsprach 
und  ziemlich  beweglich  war.  An  der  rechten  Lunge  konnten  die 
Ueberbleibsel  der  abgelaufenen  Pleuritis  nachgewiesen  werden. 

Tuberculose  nicht  constatirbar,  Herz  gesund.  Ernährungs¬ 
und  Kräftezustand  im  Allgemeinen  ein  wenig  befriedigender. 

Da  die  Beschwerden  der  Hauptsache  nach  auf  den  Rectum¬ 
prolaps  zurückzuführen  waren,  so  schien  dessen  operative  Entfer¬ 
nung  in  erster  Linie  geboten;  nachdem  aber  auch  nicht  ausge¬ 
schlossen  werden  konnte,  dass  ein  Theil  der  Klagen  aus  dem  Vor¬ 
handensein  der  Ovarialcyste  resultire,  andererseits  die  Patientin 
dringend  die  Entfernung  des  Tumors  wünschte,  so  musste  die 
gleichzeitige  Exstirpation  desselben  in  Betracht  gezogen  werden.  Der 
Tumor  schien  für  eine  vaginale  Cöliotomie  sehr  geeignet  und  wurde 
der  Patientin  vorgeschlagen,  sich  zuerst  den  Rectumprolaps  und  in 
einem  späteren  Zeitpunkte  den  Tumor  exstirpiren  zu  lassen,  wobei 
man  dann  auch  eine  Verkürzung  der  Ligamenta  rotunda  zur  Behebung 
ihrer  Retroflexion  und  die  Naht  der  Cervixrisse  hätte  verbinden  können. 

Die  Patientin  wollte  jedoch  von  zwei  Operationen  nichts  wissen 
und  drang  darauf,  mit  Rücksicht  auf  die  weite  Entfernung  ihrer  Heimat 
möglichst  schnell,  und  zwar  durch  eine  Operation,  von  ihrem 
Leiden  befreit  zu  werden.  Der  prekäre  Kräftezustand  der  Patientin 
liess  es  als  etwas  bedenklich  erscheinen,  der  Amputation  des  Pro¬ 
lapses  die  vaginale  Cöliotomie  vorauszuschicken  und  auf  diese 
Weise  die  Patientin  einer  langdauernden  Narkose  zu  unterwerfen, 
ganz  abgesehen  davon,  dass  dabei  das  Peritonealcavum  an  zwei 
Stellen  eröffnet  werden  musste,  nachdem  es  als  sicher  anzunehmen 
war,  dass  bei  der  Rectumamputation  der  Douglas  breit  eröffnet 
werden  würde.  Es  wurde  daher  beschlossen,  den  Prolaps  zu  ampu- 
tiren  und  wenn  es  sich  zeigen  sollte,  dass  durch  den  eröffneten 
Douglas  sich  die  Cyste  als  exstirpirbar  erwiese,  die  Ovariotomie 
auf  diesem  Wege  anzuschliessen,  wenn  nicht,  den  Tumor  unberührt 
zu  lassen. 

Die  damit  verbundene  Infectionsgefahr  und  der  Umstand, 
dass  eine  eventuelle  Drainage  von  vornherein  ausgeschlossen  war, 
Hessen  es  räthlich  erscheinen,  die  beiden  Operationen  unter  zwei 
Operateure  zu  theilen,  wobei  der  pro  consilio  beigezogene  Professor 
H  o  c  h  e  n  e  g  g  die  Rectumresection,  der  Autor  die  Ovariotomie  aus¬ 
zuführen  hatte. 

Das  Rectum  wurde  nach  seiner  maximalen  Ausstülpung 
typisch  am  Analring  Umschnitten,  vom  perirectalen  Gewebe  abprä- 
parirt,  vorne  der  Douglas  breit  eröffnet,  hierauf  das  Rectum  herab- 
und  nach  hinten  geschlagen  und  provisorisch  abgebunden.  Nach 
Desinfection  des  äusseren  Schauplatzes  exstirpirte  ich  leicht 
die  Cyste. 

Diese  wurde  durch  Expression  von  oben  mit  dem  unteren 
Pol  tief  in  den  Douglas  herabgedrängt,  mit  dem  Scalpell  punctirt 
und  dabei  klare,  seröse  Flüssigkeit  entleert;  einige  leichte  strang¬ 
förmige  peritoneale  Adhäsionsstränge  wurden  stumpf  gelöst,  der 
leicht  zugängliche  Stiel  in  drei  Partien  unterbunden  und  der  Cysten¬ 
sack  abgetragen.  Nach  exacter  Blutstillung  wurde  der  Stiel  reponirt 
und  nun  der  Douglas  so  geschlossen,  dass  das  vordere  Blatt  mit 
dem  Serosaüberzuge  der  oberen  Rectalpartie  vereinigt  wurde. 

Daraufhin  wurde  das  Rectum  resecirt  und  unter  Ver¬ 
kleinerung  des  ad  maximum  erweiterten  Analringes  die  Operation 
vollendet. 

Der  Decursus  war  bis  auf  geringfügige  Temperatursteigerungen 
in  den  ersten  Tagen  ein  vollkommen  glatter  und  die  Analwunde 
heilte  per  primam.  Im  weiteren  Verlaufe  stellte  sich  allerdings 
heraus,  dass  der  Sphincter  ani  durch  die  langdauernde  Dilatation 
in  seiner  Functionstüchtigkeit  wesentlich  gelitten  hatte  und  war  die 
Incontinentia  alvi  auch  nach  einer  mehrwöchenttichen  Massage  und 
Faradisirung  bei  der  Entlassung  der  Patientin  in  ihre  Heimat  noch 
ungebessert.  Wie  ich  höre,  soll  diese  auch  heute,  also  drei  Viertel¬ 
jahre  nach  der  Operation,  noch  theil  weise  bestehen. 

Die  Retroflexion  war,  trotzdem  der  Uterus  nach  der  Operation 
aufgerichtet  und  durch  Vaginaltampons  in  der  Normallage  erhalten 
worden  war,  nach  erfolgter  Heilung  nach  wie  vor  vorhanden  und 
der  Uterus  hielt  nur  im  Pessar.  Patientin  wurde  daher  mit  einem 
gut  sitzenden  Thomas-Pessar  entlassen. 

Die  Hoffnung,  dass  durch  die  Abtragung  des  ganzen 
Rectums  in  Folge  des  nach  der  Operation  sich  vielleicht  geltend 
machenden  Zuges  nach  oben  sich  die  Tiefe  des  Douglas  wesentlich 


r.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ill 


vermindern  und  dadurch  ein  günstiger  Einfluss  auf  die  Retroflexion 
durch  die  dadurch  zu  erhoffende  Nachhintenlagerung  der  Cervix 
ausgeübt  werden  würde,  hatte  sich  also  als  trügerisch  erwiesen 
und  wäre  es  bei  einem  zweiten  ähnlichen  Falle  empfehlenswerth, 
durch  möglichst  hoch  hinaufgelegte  Tabaksbeutelnähte  den  Douglas 
breit  zu  vernähen  und  dadurch  die  Cervix  hoch  nach  hinten  zu 
fixiren. 

Die  Ligamenta  sacro-uterina  sind  bei  solch  tiefer  Aussackung 
des  Douglas  bis  zur  Unkenntlichkeit  gedehnt  und  können  daher  in 
typischer  Weise  (Sänger,  Frommel-Freund)  nicht  verkürzt 
werden,  auch  würden  vereinzelte  Knopfnähte,  welche  die  Cervix 
an  die  hintere  Beckenwand  fixirten,  in  einem  solchen  Falle 
hochgradigster  Dehnung  des  Douglas  ebensowenig  einen  bleibenden 
Erfolg  erzielen,  wie  dieses  Verfahren  (W.  A.  Freund)  bei  Prolaps 
gute  Resultate  ergab.  Die  flächenhafte  Verödung  der  weiten  Peri¬ 
tonealtasche  dagegen  müsste,  da  die  Ueberdehnung  der  Lig.  sacro- 
uterina  ja  doch  das  ätiologische  Moment  der  sich  daran  an¬ 
schliessenden  Retroflexion  abgibt,  und  da  bei  dieser  Vernähung  des 
Douglas  sicher  die  Ligamente  ausgiebig  verkürzt  und  die  Cervix 
wieder  retroponirt  würden,  von  Erfolg  begleitet  sein. 

Mit  Rücksicht  auf  die  ungünstigen  Resultate  bei  Verkürzung 
der  Lig.  sacro-uterina  bei  Retroflexion  nach  Sänger  und  der 
geringen  Erfolge  nach  der  Methode  Frommel-1  reund  (eine 
Heilung  unter  sieben  Fällen)  ist  dieses  Verfahren  bei  den  Gynäko¬ 
logen  in  Misscredit  gekommen,  ja  bei  Verhandlung  dieses  Themas 
auf  dem  Gynäkologen-  Congresse  in  Wien  als  werthlos  verworfen 
worden  (Referat :  0  1  s  h  a  u  s  e  n). 

Nichtsdestoweniger  wäre  für  einen  ähnlichen  Fall  obiger 
Vorschlag  empfehlenswerth. 

Die  Untersuchung  des  anderen  Ovariums  hatte  ergeben,  dass 
dieses  gesund;  die  exstirpirte  Cyste  erwies  sich  als  ein  einkamme- 
riges,  seröses  Cystadenom. 

Der  Stiel,  der  nicht  übermässig  lang  war,  liess  sich,  wie 
erwähnt,  ziemlich  tief  herabziehen,  und  die  Anbringung  der  obersten 
Ligatur  um  das  Lig.  infundibulo-pelvicum  bereitete  keine  besonderen 
Schwierigkeiten.  Man  hatte  durch  die  Oeffnung  des  weiten  Anal¬ 
ringes  einen  guten  Einblick  in  den  hinteren  Beckenraum  und  ich 
hatte  den  Eindruck,  als  wäre  dieser  in  unserem  Falle  ein  besserer 
gewesen,  als  bei  so  mancher  vaginalen  Cöliotomie. 

Von  den  oben  angeführten,  in  der  Literatur  bekannt 
gewordenen  drei  ähnlichen  Fällen  ist  der  ball  Kluiskens 
von  Lach a  pelle1)  erwähnt,  der  tödtlich  endete;  der  zweite, 
auch  eine  Geburt  betreffend,  von  Aleksenko2)  beschrieben. 
In  beiden  Fällen  wurde  die  Geschwulst  nach  Durchtrennung 
der  Rectalschleimhaut  entfernt.  Letzterer  F  all  betraf  eine 
25jährige  Viertgebärende,  die  nach  vorzeitigem  Blasensprunge 
nach  26stündiger  Wehen thätigkeit  bei  nicht  vollkommen  ei- 
öffnetem  Orificium  und  Endometritis  sub  partu  mittelst  Forceps 
von  einem  4550 g  schweren,  nicht  wieder  belebbaren  Kinde 
entbunden  wurde.  Der  schon  in  der  Eröffnungsperiode  unter  (?) 
dem  Kopfe  fühlbare  apfelgrosse  elastische  Tumor  fiel  beim 
Forceps  aus  dem  After  vor.  Die  Geschwulst  war  von  der  von 
vielen  Extravasaten  durchsetzten  Rectalschleimhaut  bedeckt. 
Von  ihr  ging  ein  gänsefederkieldicker  Strang  nach  rechts 
oben.  Der  Stiel  wurde  abgebunden,  mit  Catgut  umnäht^  und 
reponirt  und  der  gerissene  Damm  genäht.  Daraufhin  Endo¬ 
metritis,  einmonatliches  Krankenlager,  im  Mastdarm  kleine, 
das  Lumen  nicht  verengernde  Narbe. 

Der  Tumor  war  ein  Dermoid  des  Ovariums. 

Der  dritte  Fall  ist  der  von  Stocks.3)  Dabei  handelte 
es  sich  um  eine  45jährige,  bereits  im  Klimax  befindliche  Frau, 
die  seit  ihrem  34.  Lebensjahre  einen  Tumor  von  Walnuss¬ 
grösse  am  Anus  bemerkte,  der  ihr  besonders  bei  der  Defäca- 
tion  arge  Beschwerden  verursachte. 

Als  die  Patientin  zur  Operation  kam,  war  der  Prolaps, 
der  für  einen  einfachen  Rectumprolaps  gehalten  wurde,  circa 


ldeincocosnussgross.  Erst  bei  der  Operation  erkannte  man,  dass 
sich  die  Analöffnung  nicht  an  der  unteren  Spitze,  sondern  an 
der  hinteren  Seite  des  Tumors  befinde  und  konnte  constatiren, 
dass  die  per  rectum  und  vaginam  eingeführten  Finger  einen 
den  untersten  Theil  der  vorderen  Wand  der  Rectumampulle  vor¬ 
drängenden  Tumor  umgreifen  konnten.  Die  Exstirpation  des¬ 
selben  wurde  durch  einen  Längsschnitt  in  den  Prolaps  so  aus¬ 
geführt,  dass  die  Stielligaturen  durch  die  mittelst  fortlaufender 
Naht  geschlossene  Wunde  herausgeleitet  wurden  (dabei  angeb¬ 
lich  eine  bedeutende  Blutung?)  und  der  P<  olaps  in  seiner 
Situation  belassen  wurde.  Letzterer  verkleinerte  sich  innerhalb 
drei  Wochen  so,  dass  er  dann  leicht  reponirbar  war,  jedoch 
als  walnussgrosser  Prolaps  fortbestand,  ohne  besondere  Be¬ 
schwerden  zu  verursachen.  Der  exstirpirte  Tumor  war  eine 
einkammerige  Ovariencyste. 

Von  diesen  drei  ähnlichen  Fällen  unterscheidet  sich  unser 
Fall  insbesondere  dadurch,  dass  in  allen  dreien  in  einer  Hernia 
rectalis  liegende  Ovarialcysten  exstirpirt  wurden,  während  in 
dem  beschriebenen  der  Tumor  von  seinem  normalen  Sitze  ent¬ 
fernt  wurde,  wodurch  gezeigt  wurde,  dass  ausser  auf  den  be¬ 
kannten  Wegen,  nämlich  durch  abdominelle,  vaginale  Cölio¬ 
tomie,  oder  durch  die  perineale  oder  sacrale  Methode  (Hohen- 
e  g  g)  in  solchen  Ausnahmsfällen  von  Combination  mit  Rectum¬ 
prolaps  auch  auf  analem  Wege  eine  Ovariotomie  ausführ¬ 
bar  ist. 


')  Mme.  Lachapell  e,  Pratique  des  accoutrements. 

2)  Aleksenko,  Ovariotomie  per  rectum.  Zeitschrift  für  Geburts¬ 
hilfe  und  Frauenheilkunde  (russisch).  Referirt  im:  Centralblatt  für  Gynäko¬ 
logie.  1890,  Bd.  XXI,  pag.  392. 

3)  W.  Stocks,  Prolaps  of  an  ovarian  cyst.  Brit.  med.  Journ.  1875, 
pag.  487. 


Aus  der  Klinik  G.  Braun  in  Wien. 

Ueber  Luftembolie  bei  Placenta  praevia. 

Von  Dr.  Hugo  Hiibl,  Assistenten  der  Klinik. 

Nach  einem  Vortrage,  gehalten  in  der  Sitzung  der  geburtshilflich-gynä¬ 
kologischen  Gesellschaft  in  Wien  am  12.  December  1899. 

Die  Frage  der  Luftembolie  im  Allgemeinen  ist 
heute  durch  mannigfache  klinische  MittheiluDgen  beleuchtet, 
und  viele  dunkle  Punkte  in  diesem  Thema  hat  vor  Allem 
das  Thierexperiment  geklärt. 

Ich  erwähne  besonders  die  überaus  fleissige  Arbeit  von 
Heller,  Mager,  v.  Schrötter  und  entnehme  namentlich 
dieser  die  folgenden  Vorstellungen: 

1.  Tritt  so  viel  Luft  in  die  Vene,  dass  das  rechte  Herz 
von  Luft  vollgefüllt  wird,  dann  wird  das  sich  contra- 
hirende  Herz  die  Luft,  weil  sie  ein  compressibles  Gas  ist, 
wohl  zusammendrücken,  aber  nicht  fortbewegen.  Die  Pro¬ 
pulsionskraft  des  Herzens  wird  umgesetzt  in  Compression, 
und  es  tritt  plötzlich  der  Tod  ein. 

2.  Kommt  aber  nur  weniger  Luft  in  die  Vene,  dann  be¬ 
findet  sich  im  rechten  Herzen  ein  L  u  f  t-B  1  u  t g  e  m  i s  c  b.  Die 
Propulsionskraft  des  Herzens  wird  nur  theilweise  in  Com¬ 
pression  umgesetzt,  und  es  ist  eine  Fortbewegung  im  Blutkreis¬ 
läufe  noch  möglich.  Diese  Fortbewegung  hängt  ab  von  der 
Kraft  des  Herzens,  und  es  kommt  nun  Luft  in  die  Lungen, 
oder  es  dringen  sogar  Luftblasen  bis  ins  linke  Herz  und  von 
dort  in  den  Körper.  Solche  Kranke  bieten  die  verschiedensten 
Erscheinungen,  und  es  kommen  oft  die  gleichen  Bildei  zu 
Stande,  wie  bei  den  Embolien  durch  Ihiomben.  Ls  gibt  sichei- 
gestellte  Fälle,  in  denen  man  Luft  in  den  Lungengefässen,  in 
Coronargefässen,  in  den  Gehirnarterien  und  selbst  im  Rücken¬ 
marke  gefunden  hat. 

Hierher  gehören  auch  die  Fälle  von  Heilungen,  weil 
die  Luft  auf  dem  oben  beschriebenen  Wege  auch  aus¬ 
geschieden  oder  resorbirt  werden  kann.  Doch  diese  Fälle 
will  ich  nicht  besprechen. 

Die  Todesfälle  bei  Luftembolie  aber  möchte  ich  trennen 
in  acute  und  in  protrahirte  Todesarten. 

Ueber  Luftembolie  bei  Pia  cente  praevia  hat 
fast  ausschliesslich  die  0  1  sha u  s  e n’sche  Klinik  publieirt. 
Schon  im  Jahre  1864  hat  Olshausen  in  seiner  umfassenden 
Arbeit  über  Lufteintritt  in  die  Uterusvenen  bezüglich  der 
plötzlichen  Todesfälle  bei  Placenta  praevia,  welche  sich  nicht 
durch  Anämie  erklären  Hessen,  Folgendes  geschrieben 


112 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


\i . 


5 


»Erwägt  man,  dass,  wie  die  Erfahrung  genugsam  ge¬ 
zeigt  hat,  vorzugsweise  das  bei  Placenta  praevia  ausgeführte 
Accouchement  force  solche  Todesfälle,  ohne  dass  neue  Blutung 
bei  der  Operation  eintrat,  veranlasst,  so  liegt  die  Erklärung 
um  so  viel  näher,  dass,  wenn  unter  solchen  anatomischen 
Verhältnissen  durch  die  Einführung  der  ganzen  Hand  in  die 
Genitalien  der  Luftzutritt  zu  dem  Muttermund  bewerkstelligt 
ist,  derselbe  auch  in  die  Gefässe  stattfinden  kann  und  Ursache 
des  plötzlichen  Todes  wird.  Mir  scheint  in  der  That  diese  Er¬ 
klärung  nicht  gesucht,  wenn  ich  auch  nicht  im  Stande  bin, 
ihre  Richtigkeit  durch  auch  nur  einen  einzigen  Sectionsbefund 
zu  erweisen.« 

Bis  dahin  hatte  man  für  diese  plötzlichen  Todesfälle  beim 
aufsitzenden  Mutterkuchen  entweder  gar  keine  Erklärung, 
oder  es  wurde  hiezu  eine  vom  Cervix  ausgehende  Lähmung 
des  gesammten  Nervensystemes  herangezogen. 

Erst  im  Jahre  1887  beschrieb  Kramer  aus  der  Berliner 
Klinik  den  ersten  Fall,  welcher  den  Beweis  für  die  Richtigkeit 
der  Annahme  Olshau  sen’s  lieferte,  und  dann  folgen  in  den 
Jahren  1892  und  1894  zwei  ganz  analoge  Fälle,  welche  die 
Assistenten  0 1  s  h  a  u  s  e  n’s,  K  ruckenberg  und  Heuck,  be¬ 
richten.  In  diesen  drei  Fällen  trat  der  Tod  plötzlich,  un¬ 
mittelbar  nach  der  Wendung  in  Narkose  ein,  und  bei  der 
Section  fand  sich  jedes  Mal  das  rechte  Herz  voll  von  Luft. 

Der  vierte  Fall  wurde  von  Boss  in  Breslau  mitgetheilt, 
welchen  ich  leider  nicht  im  Originale  nachlesen  konnte. 

Der  fünfte  Fall  stammt  wieder  aus  der  Klinik  Ols- 
h  au  sen’s;  er  wird  von  Lesse  beschrieben  und  ist  deshalb 
von  ganz  besonderem  Interesse,  weil  der  Tod  erst  fünf  Stunden 
nach  der  Operation  eintrat. 

Es  war  dies  die  erste  Publication,  durch  welche  eine 
protrahirter  Tod  als  die  Folge  einer  Luftembolie  bei 
Placenta  praevia  nachgewiesen  wurde. 

Einen  ganz  gleichen  Fall,  den  sechsten  in  der  Reihe  der 
Luftembolien  beim  aufsitzenden  Mutterkuchen,  berichtet  Zorn 
im  Jahre  1898. 

Auch  diese  beiden  Fälle  von  protrahirten  Tod  wurden 
secirt,  und  bei  der  Section  fand  sich  das  Herz  theilweise  mit 
Luft  gefüllt. 

Die  sicheren  Mittheilungen  über  den  Tod  an  Luftembolie 
bei  Placenta  praevia  sind  also  noch  sehr  gering,  und  deshalb 
erlaube  ich  mir,  die  folgenden  zwei  Krankengeschichten  aus 
der  Klinik  G.  Braun  zu  publiciren. 

Fall  I.  (Acuter  Tod).  Am  28.  November  1899  wurde  die 
40jährige,  schlecht  genährte  Rachitica  W.  A.  zum  fünften  Male 
schwanger,  sub  Prot.-Nr.  2657  ex  1899  wegen  Placenta  praevia 
an  die  Klinik  aufgenommen.  Tags  vorher  war  zum  ersten  Male  eine 
geringere  Blutung  aufgetreten.  Die  Frau  war  im  achten  Monate  der 
Schwangerschaft,  das  Becken  war  ein  allgemein  ungleichmässig  ver¬ 
engtes,  platt  rachitisches  geringen  Grades,  die  Frucht  befand  sich 
in  beweglicher  Lage,  es  bestand  vermehrte  Fruchtwasser- 
meng  e. 

Bei  der  inneren  Untersuchung  fand  ich  den  Halscanal  B  cm  lang, 
der  innere  Muttermund  war  für  einen  Finger  durchgängig,  überall  von 
Placentargewebe  bedeckt.  Es  wurde  die  Tamponade  der  Cervix  und 
der  Vagina  ausgeführt,  und  bei  der  Entfernung  derselben  nach 
48  Stunden  war  der  Muttermund  gerade  für  zwei  Finger  durch¬ 
gängig  und  der  Halscanal  fast  verstrichen.  Am  30.  November  um 
i  Uhr  Abens  führte  ich  bei  diesem  Befunde  die  Wendung  nach 
Braxton  Hicks  aus.  Ich  schätze  den  gesammten  Blutverlust  vor  der 
Operation  auf  circa  '/.,  /.  Die  Frau  wurde  mit  Billroth-Mischung 
narkotisirt;  die  zur  Narkose  verbrauchte  Menge  betrug  30  cvv\  Die 
Gebärende  war  in  horizontaler  Rückenlage,  die  Beine  wurden  von 
zwei  Hebammen  im  Hüft-  und  Kniegelenk  gebeugt  gehalten.  Die 
trau  war  vollständig  narkotisirt.  Die  Operation  gelang  sehr  rasch. 
Ich  ging  mit  den  zwei  Fingern  dem  Mutterkuchen  entlang  und  kam 
circa  3  cm  vom  Muttermund  entfernt  auf  die  Eihäute.  Die  Frucht- 
wassermenge  war  vermehrt,  ich  liess  das  Fruchtwasser  langsam 
neben  der  Hand  abfliessen.  Als  der  Fuss  vor  der  Scheide  lag, 
liess  ich  den  Narkosekorb  entfernen.  Bis  jetzt  hatte  sich  die  Frau 
vollständig  gut  befunden,  da  wurde  sie  plötzlich  cyanotisch,  und 
der  Puls  wurde  klein.  Die  Frau  machte  noch  einige,  etwas  raschere, 


leichte  Athemzüge,  und  dann  stockte  die  Athmung  mit  einem  Schlage. 
Es  wurde  sofort  künstliche  Athmung  gemacht,  lvampherinjectionen 
verabreicht,  heisse  Tücher  gegeben,  Herzmassage  ausgeführt.  Dann 
bekam  die  Frau  zwei  Ballons  Sauerstoff  zur  Inhalation  und  elektrische 
Reize  wurden  applicirt.  Der  Tod  war  sehr  rasch  eingetreten,  und 
als  ich  etwa  fünf  Minuten  nach  der  Wendung  das  Herz  auscultirte, 
war  über  demselben  nichts  zu  hören.  Ich  schrieb  die  Frau  als  »in 
der  Narkose  gestorben«  zur  gerichtlichen  Section.  Das  todte  Kind 
blieb  in  utero. 


Der  Sectionsbefund  von  Prof.  K  o  1  i  s  k  o  lautete :  ».  .  .  .  Im  Herz¬ 
beutel  zwei  Esslöffel  einer  gelblich-wässerigen  Flüssigkeit.  Das  Herz 
etwas  grösser,  die  linke  Kammer  zusammengezogen  und  starr,  seine 
rechte  Kammer  blasig  ausgedehnt,  beim  Anklopfen  Luftschall  gebend, 
auch  der  Conus  der  Lungenschlagader  ist  derartig  ausgedehnt.  Diese 
Ausdehnung  der  rechten  Herzkammer  ist  durch  Luft  bedingt,  neben 
welcher  in  dieser  Herzkammer  nur  wenige  Tropfen  dunklen  flüssigen 
Blutes  sich  finden.  Die  linke  Herzkammer  ist  leer.  In  beiden  Vor¬ 
höfen  befindet  sich  wenig  dunkles,  flüssiges  Blut.  Die  Auskleidung 
des  Herzens,  die  Klappen  und  die  Innenhaut  der  grossen  Gefässe 
sind  zart,  das  Herzfleisch  röthlichbraun  und  starr . 

In  der  Gebärmutterhöhle  befindet  sich  eine  wohlentwickelte, 
40  cm  lange  weibliche  Frucht,  dieselbe  ist  mit  den  Füssen  nach 
abwärts  gelagert,  ihr  linker  Fuss  ist  durch  den  Gebärmutterhals¬ 
canal  vorgetreten,  der  Kopf  ist  rechts  oben  .  .  .  Der  Mutterkuchen 
in  der  unteren  Gebärmutterhälfte  zum  grössten  Theile  an  der  hinteren 
Wand,  der  linken  Seite  und  vorne  auch  noch  über  die  Mittellinie 
nach  rechts  hinüberreichend,  derart  gelagert,  dass  sein  Gewebe  mit 
den  unteren  Randpartien  den  inneren  Muttermund  vollkommen 
bedeckt.  Die  Nabelschnur  ist  zwei  Finger  breit  ober  dem  inneren 
Muttermund  an  der  hinteren  Partie  des  Mutterkuchens  eingepflanzt. 
Der  Mutterkuchen  erscheint  vom  hinteren  Rand  des  inneren  Mutter¬ 
mundes  nach  links  hinten  hin  auf  eine  4  cm  breite  Strecke  von 
der  Gebärmutterwand  abgelöst.  Das  Gewebe  daselbst  ist  blutig  unter¬ 
laufen  und  in  der  oberen  Grenze  der  Ablösung,  genau  in  der  Mittel¬ 
linie,  befindet  sich  das  Lumen  einer  rabenfederkieldicken  Blutader, 
weit  klaffend.  .  .  .  Sonst  Alles  normal.« 

Dieser  Fall  ist  also  ein  sichergestellter  Fall  von  acutem 
Tod  als  Folge  von  Luftembolie  bei  Placenta  praevia,  ist  den 
vorher  publicirten  vollkommen  analog  und  reiht  sich  als  vierter 
an  die  Fälle  von  Kramer,  K  ruckenberg  und  Heuk. 

Fall  II.  (Protrahirter  Tod.)  Am  26.  December  1898  wurde 
die  36jährige,  gut  genährte  G.  B.,  zum  vierten  Male  schwanger, 
sub  Prot.-Nr.  3351  ex  1898  mit  der  Diagnose  »Placenta  praevia«  an 
die  Klinik  aufgenommen.  Vor  vierzehn,  vor  zwei  und  vor  einem  Tage 
hatten  Blutungen  geringeren  Grades  bestanden.  Die  Frau  war  am 
Ende  der  Schwangerschaft,  das  Becken  war  regelmässig,  der  Schädel 
der  Frucht  befand  sich  am  rechten  Darmbeinteller  und  die  Fruch  t- 
wasser menge  war  bedeutend  vermehrt.  Bei  der  inneren 
Untersuchung  fand  ich  den  Halscanal  fast  verstrichen  und  der  für 
zwei  Finger  durchgängige  Muttermund  war  überall  von  Placenta 
überdeckt.  Obwohl  noch  keine  Wehen  vorhanden  waren,  führte  ich 
bei  diesem  Befunde  sofort  die  Wendung  nach  Braxton  Hicks  aus. 
Die  Frau  war  vor  der  Operation  absolut  nicht  anämisch.  Sie  lag 
auf  dem  Tische  in  horizontaler  Rückenlage,  die  Beine  wurden  von 
zwei  Hebammen  im  Hüft-  und  Kniegelenke  gebeugt  gehalten.  Die 
Narkose  mit  Billroth-Mischung  verlief  anstandslos,  sie  wurde  von 
einem  verlässlichen  Arzte  gemacht,  die  verbrauchte  Menge  der 
Mischung  war  30  cm3.  Die  Operation  gelang  sehr  rasch.  Ich  ging 
mit  den  zwei  Fingern  mitten  durch  die  Placenta  durch  und  liess 
beim  Herunterleitcn  des  Fusses  das  Fruchtwasser  langsam  heraus. 
Die  Frau  erwachte  rasch  aus  der  Narkose  und  befand  sich  voll¬ 
ständig  wohl.  8  72  Stunden  nach  der  Wendung  kam  die  4200  g 
schwere,  todte  Frucht  spontan  zur  Well.  Der  Schädel  wurde  durch 
eine  kräftige  Wehe  rasch  geboren  und  demselben  stürzte  un¬ 
gefähr  '/2 1  blutiges  Fruchtwasser  nach.  Die  Nachgeburt  folgte 

gleich  und  nun  tastete  ich,  wie  wir  es  immer  nach  Operationen 
zu  thun  pflegen,  das  Genitale  aus.  Der  Uterus  war  voll¬ 
ständig  unverletzt.  Intrauterine  Rothkali-Irriga- 
t  i  o  n  mit  der  ii  b  1  i  c  h  e  n  V  o  r  s  i  c  h  t.  Die  Frau  lag  dabei 

auf  dem  Steckbecken,  so  dass  der  Steiss  etwas  erhöht  war. 

Die  Blutung  während  und  nach  der  Operation  war 
gleich  Null.  Die  Lippen  waren  roth,  der  Puls  war  gut, 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


113 


doch  schien  mir  die  Frau  nach  der  Irrigation  etwas  unruhig. 

Die  Temperatur  stieg  rasch  auf  39°  und  drei  Viertelstunden 
nach  der  Irrigation  kam  ein  schwerer  Schüttelfrost,  der  l3/4  Stunden 
dauerte.  Die  Temperatur  betrug  39'5°.  Der  Puls  wurde  kleiner,  die 
Frau  wurde  livid  verfärbt  und  sie  hatte  bedeutende  Athemnoth. 
Die  Pulszahl  stieg  bis  auf  170,  die  Cyanose  nimmt  zu,  die  Kranke 
seufzt  tief  auf  und  verfällt  immer  mehr.  Auf  die  üblichen  Analeptica 
erholt  sich  die  Frau,  kommt  zum  klaren  Bewusstsein,  bis  11  Stunden 
nach  der  Geburt  ein  zweiter  schwerer  Collaps  folgt.  In  den  Vorder¬ 
grund  der  Erscheinungen  stehen  wieder  tiefe  Cyanose  und  Athemnoth. 
Das  Bewusstsein  ist  auffallend  klar.  Die  Analeptica  bessern  den  Zustand 
vorübergehend,  und  schliesslich  stirbt  die  Frau  14  Stunden  nach 
dem  Austritt  der  Frucht  unter  den  Erscheinungen  absoluter  Herz- 
insufficienz.  Die  Temperatur  war  bis  zum  lode  auflallend  hoch. 

Obwohl  in  diesem  Falle  die  Section  auf  den  dringenden 
Wunsch  des  Gatten  unterblieb  —  die  Frau  war  eine  Jüdin  — 
so  halte  ich  doch  die  Diagnose  »Luftembolie«  für  feststehend 
und  möchte  mir  erlauben,  diesen  Fall  als  dritten  an  die  ganz 
analogen  Publicationen  Lesse’s  und  Z  o  r  n’s  von  p  r  o  t  r  a- 
hirtem  Tod  als  Folge  von  Luftembolie  bei  Placenta  praevia 
anzureihen. 

Dass  diese  Kranke  nach  der  intrauterinen  Irrigation 
plötzliche  Temperatursteigerungen  und  Schütteltröste  hatte, 
hat  uns  nicht  verwundert.  Diese  Beobachtung  haben  wir  nach 
Uterusspülungen  zu  wiederholten  Malen  gemacht.  Unser  Fall 
war  sicher  rein,  und  an  eine  acute  Sepsis  war  bestimmt  nicht 
zu  denken. 

Der  Vollständigkeit  halber  will  ich  noch  die  Möglich¬ 
keit  einer  Vergiftung  durch  die  Spülflüssigkeit  erwähnen.  Wir 
haben  eine  Unzahl  von  intrauterinen  Irrigationen  mit  Roth- 
kali  ausgefiihrt  und  niemals  eine  schädliche  Wirkung  vom 
hypermangansauren  Kali  erlebt. 

Die  Diagnose  »Luftembolie  bei  Placenta  praevia« 
dürfte  in  folgender  Weise  zu  stellen  sein: 

1.  Durch  das  Ausschliessen  der  übrigen 
möglichen  Diagnosen. 

Namentlich  Lesse  und  Zorn  haben  so  ihre  klinische 
Diagnose  begründet. 

Es  wäre  vor  Allem  der  Tod  durch  Anämie  auszu- 
schliessen.  In  meinen  beiden  Fällen  haben  die  Frauen  vor, 
während  und  nach  der  Operation  fast  kein  Blut  verloren  und 
boten  keine  Zeichen  von  Anämie. 

Es  ist  hier  ferner  an  die  Cervix-  und  Uterusrup¬ 
turen  zu  denken,  welche  nach  operativen  Entbindungen  bei 
Placenta  praevia  doch  häufiger  Vorkommen.  Rupturen  waren 
in  meinen  Fällen  sicher  nicht  vorhanden. 

Nun  kommt  der  Chloroform  tod  an  die  Reihe.  Auch 
diesen  glaubte  ich  in  unseren  Fällen  ausschliessen  zu  können. 
Namentlich  in  meinem  zweiten  Falle,  in  welchem  die  Be¬ 
stätigung  der  Diagnose  »Luftembolie«  durch  die  Section 
fehlt,  war  von  Chloroformtod  keine  Rede.  Die  Narkose  mit 
Billroth-Mischung  verlief  anstandslos,  sie  wurde  von  einem 
verlässlichen  Arzte  gemacht,  dauerte  kaum  einige  Minuten 
und  die  verbrauchte  Menge  der  Mischung  war  30  cm3.  Dann 
erwachte  die  Frau  rasch  aus  der  Narkose  und  befand 
si c h  noch  8l/2  Stunden  nach  dem  Erwachen  ganz 
normal.  Allerdings  wird  es  häufiger  schwierig  sein,  den  Chloro¬ 
formtod  vom  Tode  durch  Luftembolie  zu  differenziren.  Die 
Bilder  des  Chloroformtodes  und  die  verschiedenen  Bilder  des 
Todes  durch  Luftembolie  werden  sich  häufig  decken,  und 
wenn  man  keinen  anderen  Anhaltspunkt  für  die  Diagnose 
hätte,  als  den  Verlauf  des  Todes,  dann  wäre  meistens  die 
Differentialdiagnose  nicht  zu  machen. 

Ich  habe  schliesslich  schon  eingangs  erwähnt,  dass  klinisch 
auch  die  Bilder  von  Luft-  und  Throbusembolien  oft 
vollständig  gleich  sind.  Für  diese  Differentialdiagnose 
möchte  ich  hier  besonders  den  Umstand  hervorheben,  dass  die 
Luftembolien  unmittelbar  mit  der  Geburt  in  Zusammenhang 
stehen.  Die  Luftembolie  erfolgt  während  oder  bald  nach  der 
Geburt,  während  Thrombusembolien  erst  mehrere  Tage  und 
selbst  Wochen  nach  dem  Partus  einzutreten  pflegen.  In  meinem 
ersten  F alle  traten  die  Erscheinungen  der  Embolie  während 


der  Geburt,  und  in  meinem  zweiten  Falle  unmittelbar 
nach  derselben  auf. 

2.  Hört  man  bei  Luftembolie  über  dem 
Herzen  ein  glucksendes  Geräusch  und  erhält 
man  dort  einen  tym  panitischen  oder  gedämpft 
tympanitischen  Percussionsschall. 

Wenn  man  diese  Symptome  wahrnimmt,  dann  ist  die 
klinische  Diagnose  auf  Luftembolie  sicher  zu  stellen. 

Freilich  wird  man  häufig  versäumen,  diese  Erscheinungen 
zu  beachten. 

Man  ist  bei  diesen  Fällen  durch  die  Anwendung  der 
verschiedensten  Analeptica  so  in  Anspruch  genommen,  dass 
man  auf  das  rechtzeitige  Percutiren  und  Auscultiren  vergisst. 
Es  wurde  meistens  an  die  Luftembolie,  die  doch  nur  äusserst 
selten  vorkommt,  nicht  gleich  gedacht,  und  man  kann  höchstens 
durch  den  tympanitischen  Percussionsschall  über  dem  Herzen 
der  Todten  die  Diagnose  »Luftembolie«  im  nachhinein  be¬ 
kräftigen. 

Krücken  b  erg  fand  bei  dem  zweiten  Fall  von  Luft¬ 
embolie  bei  Placenta  praevia  an  der  Klinik  Ols  ha  use  n’s 
ein  »eigenthiimliches  Schwirren«  über  dem  Herzen,  während 
Heuck  über  den  dritten  Fall  dieser  Klinik  schreibt:  »Eine 
Auscultation  des  Herzens  im  Beginn  der  Asphyxie  ist  leider 
unterlassen  worden.« 

Auch  in  unseren  Fällen  wurden  diese  Symptome  nicht 
aufgenommen. 

3.  Wird  die  Diagnose  »Luftembolie«  dann 
gestellt  werden,  wenn  die  bedrohlichen  Er¬ 
scheinungen  nach  Ereignissen  auftreten,  bei 
welchen  ein  Einströmen  von  Luft  in  die  Uterus¬ 
venen  möglichist. 

Zum  Beispiel  in  dem  Lelirbuche  von  Schauta  ist  das 
Vorkommen  von  Luftembolien  durch  die  Uterus venen  gerade 
bei  Placenta  praevia  hervorgehoben. 

Alle  beobachteten  Fälle  beziehen  sich  auf  Placenta 
praevia  totalis,  nur  im  Falle  Lesse’s  sass  die  Placenta 
marginal. 

Auch  in  meinen  beiden  Fällen  war  der  ganze  Mutter¬ 
mund  von  Placentargewebe  überdeckt. 

Was  nun  die  Umstände  betrifft,  welche  den  Lufteintritt 
in  die  Venen  ermöglichen,  so  möchte  ich  dieselben  in  folgende 
zwei  Gruppen  theilen. 

a)  Der  Druck  in  den  Abdominal-,  respective 
Uterusgefässen  wird  plötzlich  vermindert,  und 
so  wird  Luft  in  die  offenen  Gefässe  gesaugt. 

Von  allen  Autoren  wird  in  dieser  Beziehung  die  R ücke li¬ 


la  ge  der  Frau  mit  erhöhtem  Steiss  und  mit  angezogenen 
Beinen  als  die  Luftembolie  begünstigend  bezeichnet. 

An  unserer  Klinik  wird  den  Hebammen  strengstens  em- 
gesebärft,  namentlich  bei  dem  Lagewechsel  der  Frisch¬ 
entbundenen  aus  der  Seiten-  in  die  Rückenlage 
für  den  guten  Contractionszustand  der  Gebärmutter  zu  sorgen, 
weil  wir  glauben,  dass  gerade  bei  diesem  Lagewechsel,  be¬ 
sonders  bei  schlecht  contrahirter  Gebärmutter,  Luft  in  deren 
Gefässe  eindringen  könne. 

Ferner  ist  zu  berücksichtigen,  dass  während  des 
Nachlassens  einer  Wehe  oder  während  einer  Inspi¬ 
ration  der  Druck  in  den  Bauchgefässen  sinkt. 

Lesse  betont  den  ersteren  Umstand,  während  es 
Kramer  für  wahrscheinlicher  hält,  dass  die  nach  dem  Auf¬ 
hören  der  Wehe  einsetzende  tiefe  Inspiration  eine  Luftembolie 
begünstigen  kann. 

Endlich  aber  muss  ich  au  dieser  Stelle  hauptsächlich  die 
rasche  Volumsverminderung  des  Uterus  bei  der 

1  ^1  u  a  m  »t  /->  I  l-,  /-V  ri  i  / 1  |-\  rr  r\ 


1  _  *  _ _ 1  .  /-\  v\  J\  l  v  1  I  i  a  o  C  A 11 


der  vermehrten  Fruchtwässer  ergibt. 

Mit  Recht  legt  Freudenberg  auf  das  Hydrammos 
für  das  Entstehen  von  Luftembolien  bei  Placenta  piaevia  ein 
ganz  besonderes  Gewicht,  und  ertheilt  den  Rath,  das  plötzliche 
Hervorstürzen  des  Fruchtwassers  zu  verhüten. 

Im  Falle  Heuck’s  spielte  dieser  Umstand  gewiss  eine 
Rolle.  In  meinen  beiden  Fällen  habe  ich  das  Fruchtwasser 
mit  grosser  Vorsicht  abgelassen. 


114 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  5 


Ich  komme  nun  zur  zweiten  Gruppe  der  die  Luft¬ 
embolie  bei  Placenta  praevia  begünstigenden  Vorkommnisse: 

b)  Der  Druck  imüterusinnern  wird  vermehrt, 
und  auf  diese  Weise  kann  dieindieGebär  mutter 
getretene  Luft  in  die  klaffenden  Gefässe  der¬ 
selben  gepresst  werden. 

Allgemein  ist  in  dieser  Beziehung  die  Gefahr  der  intra¬ 
uterinen  Irrigation  gekannt. 

Lesse  und  Kramer  glauben,  dass  die  durch  die 
Hand  in  die  Scheide  und  höher  hinauf  gebrachte  Luft  bei  der 
Wendung  mechanisch  in  die  offen  da  liegenden  Gefässlumina 
gepresst  werden  kann. 

Schliesslich  wird  unter  Umständen  eine  Wehe,  wie 
Heue k  meint,  oder  häufiger  das  Drücken  und  Kneten 
am  Uterus  durch  Vermehrung  des  Gebärmutterinnnendruckes 
zur  Luftembolie  führen. 

G.  Braun  hat  darüber  bei  der  Publication  eines  ein¬ 
schlägigen  Falles,  Folgendes  geschrieben:  »Die  Luft  drang  bei 
gewisser  Schlaffheit  der  Uteruswandungen  in  die  Uterushöhle 
ein,  und,  sei  es,  dass  die  Placenta  im  Cervicalcanal  einen  Ver¬ 
schluss  bildete,  sei  es,  dass  auf  eine  andere  Weise  die  Luft 
aus  der  Scheide  nicht  entweichen  konnte,  die  Luft  wurde  bei 
fortwährendem  Drucke  der  Hand  der  massirenden  Hebamme 
in  die  Uterusgefässe  hineingepresst.« 

Ich  habe  nun  der  Reihe  nach  die  die  Luftembolie  unter¬ 
stützenden  Momente  aufgezählt,  und  habe  die  Meinung,  dass 
in  den  meisten  Fällen  die  Luftembolie  durch  das  Zusammen¬ 
wirken  mehrerer  dieser  Umstände  zu  Stande 
kommen  wird. 

In  meinem  ersten  Falle  dürften  die  Manipulationen  bei 
der  Wendung  den  Lufteintritt  in  die  klaffende  Vene  be¬ 
werkstelligt  haben.  Die  Rückenlage  der  Frau  mit  hinaufge¬ 
schlagenen  Beinen  hat  den  Vorgang  begünstigt,  und  es  war 
ein  unglücklicher  Zufall,  dass  die  Luft  mit  dem  offenen  Ge¬ 
fässe  in  Berührung  kam. 

In  unserem  zweiten  Falle  aber  hängt  die  Luftembolie 
nicht  mit  der  Wendung  zusammen.  8l/2  Stunden  nach  der¬ 
selben  war  die  Frau  noch  vollkommen  wohl. 

Als  aber  dann  der  Schädel  rasch  austrat  und  dem 
Kopfe  noch  l/2  l  Fruchtwasser  nachstürzte,  dürfte  die  Luft 
in  die  Gebärmutter  gedrungen  sein.  Auch  diese  Frau  war 
in  Rückenlage  mit  angezogenen  Beinen,  und  dadurch  war 
der  Druck  in  den  Abdominalgefässen  herabgesetzt.  Bei  der 
kurz  nach  der  Geburt  vorgenommenen  intrauterinen  Irrigation 
wurde  sicher  keine  Luft  in  die  Gebärmutter  gebracht.  Durch 
eine  solche  Spülung  wird  aber  der  Gebärmutterinnendruck 
erhöht,  und  es  dürfte  die  in  der  Gebärmutter  befindliche  Luft 
in  die  Venen  gepresst  worden  sein. 

Ich  habe  nun  die  Sectionsbefunde,  also  pathologisch¬ 
anatomische  Diagnose  der  Luftembolie  zu  besprechen. 

lleuck  und  Lesse  sind  der  Meinung,  dass  bei  den 
Sectionen  häufiger  Luftembolien  übersehen  werden.  Es  ist 
allerdings  anzuempfehlen,  bei  solchen  Fällen,  welche  auf  Luft¬ 
embolie  schliessen  lassen,  die  Eröffnung  des  Herzens  und  der 
grossen  Gefässe  unter  Wasser  vorzunehmen. 

Die  Sectionsbefunde  der  bis  jetzt  bekannten  Fälle  decken 
sich  mit  unseren  Fällen  vollständig. 

In  den  Fällen  von  acutem  Tod  fand  man  immer  im 
rechten  Herzen  viel  Luft,  und  die  Gasblasen  waren  im  Kreis¬ 
läufe  nicht  weiter  vorgedrungen. 

Bei  den  beiden  Sectionen  der  Fälle  von  protrahirtem 
Tod  aber  enthielt  das  rechte  Herz  ein  L  u  f  t  -  B  1  u  t  g  e  m  i  s  c  h 
und  Luftblasen  gelangten  aus  dem  rechten  Herzen  noch  weiter 
in  den  Kreislauf. 

Lesse  fand  Luft  in  den  kleinen  Lungeugefässen. 

In  dem  Falle  Heuck’s  war  Luft  in  den  Spermatical- 
venen,  ein  Umstand,  welcher  beweist,  dass  die  Gasblasen  auch 
nach  und  nach  ins  Herz  gelangen  können. 

Diese  Möglichkeit  scheint  mir  wichtig! 

Es  könnte  sich  ja  gelegentlich  der  künstlichen  Athmung, 
die  doch  bei  von  Luftembolie  betroffenen  Frauen  in  An¬ 
wendung  kommt,  ereignen,  dass  gerade  durch  diese  neue 
Luft  in  die  Uterusvenen  und  ins  Herz  dringt.  Ich  möchte 
deshalb  künftighin  bei  solchen  Frauen  dieser  Eventualität  da- 


|  durch  vorzubeugen  trachten,  dass  ich  erst  nach  dem  raschen 
Anlegen  eines  Schutzverbandes  und  nach  dem  Zusammenbinden 
der  Beine  die  künstliche  Athmung  ausführe. 

Zum  Schlüsse  füge  ich  über  die  pathologisch-anatomische 
Differentialdiagnose  zwischen  Luftembolie  und  anderen  ähnlichen 
Sectionsbefunden  noch  Folgendes  hinzu: 

H  a  n  k  e  1  schreibt  in  seinem  Handbuche  über  Inhalations- 
anästhetica:  »Die  Lunge  ist  für  die  im  Leben  vorkommenden 
Druckwerthe  nicht  luftdicht,  sondern  es  kann  bei  übermässig 
starkem  Druck  Luft  in  die  Lungengefässe  oder  auch  in  den 
Pleuraraum  dringen.  In  der  Chloroformnarkose  kommen  solche 
maximale  Werthe  vor,  wenn  bei  gleichzeitigem  Glottisver¬ 
schluss  heftige  Athembewegungen  gemacht  werden.  Von  der 
alsdann  in  die  Gefässe  hineingepressten  Lungen¬ 
luft  geht  der  Sauerstoff  an  das  ihn  begierig  aufnehmende 
Erstickungsblut,  der  Stickstoff  bleibt  zurück.« 

Bei  unter  solchen  Umständen  vorkommenden  Chloroform- 
todten  finde  sich  dann  Luft  in  den  Gefässen. 

Der  Anatom  wird  bei  seiner  Diagnose  eventuell  auch 
an  eine  solche  Möglichkeit  denken  müssen.  Freilich  wird  für 
ihn  diesbezüglich  der  klinische  Bericht  über  den  Verlauf  der 
Narkose  von  Wichtigkeit  sein. 

Ebenso  wird  sich  bei  den  Sectionen  von  schon  gefaulten 
Leichen,  oder,  wie  namentlich  Hal  ban  in  letzterer  Zeit 
ausführlich  berichtet  hat,  bei  an  Gassepsis  gestorbenen 
Frauen  Luft  im  Blute  finden. 

Der  Anatom  hat  für  diese  Differentialdiagnosen  genug 
Anhaltspunkte. 

Die  Fäulniss  wird  auch  sonst  an  der  Leiche  zu  erkennen 
sein,  und  die  Gasblasen  finden  sich  im  ganzen  Körper.  Bei 
den  an  Gassepsis  gestorbenen  Frauen  wird  schon  meist  der 
Kliniker  die  Diagnose  gemacht  haben  und  für  den  Anatomen 
ist  der  bacteriologische  Befund  von  Bedeutung.  Auch  hier 
kommen  die  Gasblasen  in  allen  Organen  vor. 

Ich  wollte  durch  diese  Mittheilung,  namentlich  auf  die 
verschiedenen  klinischen  Bilder  und  auf  die  pathologisch¬ 
anatomischen  Befunde  des  acuten  und  des  protrahirten 
Todes  durch  Luftembolie  bei  Placenta  praevia  hinweisen,  und 
wieder  einmal  die  Aufmerksamkeit  auf  dieses  ebenso  seltene, 
als  auch  besonders  gerichtlich-mediciniseh  wichtige  Vorkommniss 
lenken. 

Literatur. 

Boss,  Inaugural-Dissertation.  Breslau  1894. 

Braun  G.,  Wiener  medieinisehe  Wochenschrift.  Bd.  XXXIII, 
Nr.  27  und  28. 

F  r  e  u  d  e  n  b  e  r  g,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1894,  Nr.  20. 

H  a  1  b  a  n,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1898,  Nr.  50.  (Sitzungs¬ 
bericht.) 

Hankei,  Handbuch  der  Inhalationsanästhetica.  Leipzig  1891. 

Heller,  Mager,  v.  Schrötter,  Zeitschrift  für  klinische  Me- 
dicin.  Bd.  XXXII.  Supplement-Heft. 

Heuck,  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1894, 
Bd.  XXVJII,  pag.  140. 

Kramer,  Zeithcbrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1887, 
Bd.  XIV,  pag.  497. 

Kruckenberg,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1892,  pag.  169. 
(Sitzungsbericht.) 

Lesse,  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  uud  Gynäkologie.  1896,  Bd.  XXXV, 
pag.  184. 

Olshauseu,  Monatsschrift  für  Geburtskunde.  Bd.  XXIV,  pag.  369. 

Schauta,  Lehrbuch  der  gesammten  Gynäkologie.  Deuticke  1896, 
pag.  758. 

Zorn,  Münchener  medieinisehe  Wochenschrift.  1898,  Nr.  18. 


Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Escherich 

in  Graz. 

Ueber  die  nach  Gram  färbbaren  Bacillen  des 

Säuglingsstuhles. 

Vorläufige  Mittheilung. 

Von  Dr.  Ernst  Moro,  klinischem  Assistenten. 

Die  in  der  Gesellschaft  für  Biologie  (Sitzung  vom  2.  De¬ 
cember  1899)  gemachte  Mittheilung  nach  M.  Henry  Tissier1) 

')  La  reaction  chromophile  d’Es  eher  ich  et  le  bacterium  coli.  Par 
M.  Henry  Tissier,  Compt.  Rend,  de  la  Societe  de  Biologie.  1899, 
Nr.  36,  pag.  943. 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


115 


aus  dem  Laboratorium  des  Prof.  Grancher  in  1  aris,  veran¬ 
lasst  uns,  über  einige  auf  das  gleiche  Thema  bezügliche  Unter¬ 
suchungen,  die  seit  längerer  Zeit  an  unserer  Klinik  im  Gange 
sind,  kurz  zu  berichten. 

Schon  im  Sommer  1898  ist  es  Prof.  Es  che  rieh  ge¬ 
lungen,  aus  diarrhoischen  Säuglingsstühlen  eine  wohlcharakte- 
risirte,  echte  Verzweigungen  aufweisende  Spaltpilzart  zu  iso- 
liren,  welche  im  Stuhle  in  Gestalt  gramisch  gefärbter  Stäbchen 
in  grosser  Zahl  vorhanden  war,  und  wahrscheinlich  mit  den 
damals  herrschenden  epidemischen  Darmkatarrhen  in  ätiologi¬ 
scher  Beziehung  stand.  Ganz  ähnliche  Bacillen  konnten  jüngst 
neben  Colistäbchen  im  Harne  eines  an  purulenter  Cystitis 
leidenden  Patienten  nachgewiesen  werden.  Die  einschlägigen 
Untersuchungen  bieten  besonders  betreffs  der  Stellung  diesei 
Bacterien  im  Systeme  besondere  Schwierigkeiten  und  sollen  in 
Bälde  veröffentlicht  werden. 

Auch  die  Frage  der  im  normalen  Brustkindstuhle  vor¬ 
handenen  gramisch  färbbaren  Bacillen,  welche  durch  die  in 
Nr.  45,  Jahrgang  1894  dieser  Wochenschrift  veröffentlichte 
Arbeit  von  Alexander  Schmidt^)  in  Fluss  gekommen 
war,  wurde  neuerdings  in  Angriff  genommen  und  es  ist  uns 
—  und  zwar  vor  der  Mittheilung  1  issiers  mit  Hilfe 
einer  neuen,  vom  T  i  s  s  i  e  Eschen  V  orgehen  verschiedenen 
Methode  geglückt,  in  jedem  Falle  zahlreiche  nach  Gram 
färbbare  Bacillen  zu  züchten  und  zu  isoliren,  welche  in  fäi- 
berischer  und  morphologischer  Hinsicht  mit  den  im  Brustkind¬ 
stuhle  vorhandenen  übereinstimmen. 

Das  eingeschlagene  Verfahren  war  folgendes:  Wird  von 
einer  aus  Brustmilchstuhl  hergestellten  Emulsion  auf  saure 
Bierwürzebouillon  reichlich  geimpft,  so  findet  man  nach  24stün- 
digem  Aufenthalte  der  Röhre  im  Brutschrank  ein  flockiges 
Sediment.  Färbt  man  dieses  nach  dem  von  Escherich  für  Stuhl¬ 
färbung  angegebenem  Verfahren,  so  sieht  man  vorwiegend 
oder  ausschliesslich  schlanke,  blaue  Stäbchen,  nicht  selten  in 
Reihen  angeordnet,  die  an  Grösse  und  Gestalt  mit  denen  des 
Brustmilchstuhles  übereinstimmend  ausserdem  geschwungene 
Fäden,  zumeist  auch  Soor. 

Legt  man  vom  Bodensatz  Plattenculturen  mit  Bierwtirze- 
agar  an,  so  entwickeln  sich  in  der  Tiefe  des  Nährbodens  zahl¬ 
reiche  kleine  Colonien  von  unregelmässiger  Gestalt  mit^  feinen, 
strahligen  oder  verästelten  Ausläufern.  Oberflächliche  Colonien 
werden  nur  auf  anaerobiontischen  Platten  gefunden  und  lassen 
ein  dichtes  Gewirr  längerer,  gewundener  Fäden  erkennen.  Das 
Klatschpräparat  zeigt  die  typischen,  intensiv  gramisch  gefärbten 
Bacillen  und  Fäden,  welche  in  den  Ausläufern  zu  zopfartigen 
Bündeln  angeordnet  sind.  Der  Bacillus  wächst  am  besten  bei 
Körpertemperatur,  aber  auch  bei  20 — i2°C.  Sauerstoffabschluss 
begünstigt  seine  Entwicklung,  jedoch  kann  man  auch  aut 
schräg  erstarrtem  Bierwürzeagar  deutliche  aerobe  Entwicklung 
in  Form  feinster  matter  Schüppchen  erhalten.  Auf  Bouillon 
bildet  er  flockigen  Bodensatz.  Milch  ist  ein  minder  guter 
Nährboden;  die  ursprünglich  schwach  saure  Reaction  der 
Milch  nimmt  an  Intensität  zu  und  am  Boden  des  Gefässes, 
wo  die  Bacillen  am  reichlichsten  sind,  tritt  undeutliche  Coagu¬ 
lation  ein.  Sporen  und  echte  Verzweigungen  wurden  noch 
nicht  beobachtet,  jedoch  scheint  der  Bacillus  sonst  den  ein¬ 
gangs  erwähnten,  von  Escherich  aus  pathologischen  Fällen 
isolirten  Bacterien  sehr  nahe  zu  stehen.  Nach  der  genannten 
Methode  wurde  der  gleiche  Bacillus  auch  aus  den  Stühlen 
von  Kuhmilchkindern  und  älteren  Kindern  isolirt. 

Der  Bacillus  weicht  von  dem  Bacillus  bifid  us 
communis,  so  nennt  Tissier  die  von  ihm  gezüchteten 
Stäbchen,  in  mehrfacher  Beziehung  ab.  Letztere  sollen  nach 
Tissier  schon  im  Stuhlpräparate  verzweigte  und  kolbig 
aufgetriebene  Formen,  in  den  Culturen  mehrfach  verzweigte, 
kolbige,  kerzenflammenähnliche  Formen  bilden.  Er  ist  obligatei 
Anaerobiont  und  schlecht  nach  Gram  färbbar  (il  prend  assez 
mal  leGram).  Dieser  letztere  Umstand  macht  es  schwer  ver¬ 
ständlich,  inwiefern  Tissier  gerade  diesen  _  Bacillus  mit 
den  durch  die  gramische  Färbung  charakterisirten  Stäbchen 

2)  A.  Schmid  t,  Zur  Kenntniss  der  Bacterien  der  Säuglingsfäces. 
1892,  Nr.  45. 


des  Brustkindstuhles  identifleirt.  Tissier  bedient  sich  zur 
Isolirung  der  anaerobiontischen  Oulturmethoden,  während  für 
unseren  Bacillus  die  stark  saure  Bierwürzebouillon,  auch  Molke 
oder  angesäuerte  Bouillon  den  electiven  Nährboden 
darstellt.  Diese  letztere  Eigenschaft  scheint  uns  so  bedeutungsvoll, 
dass  es  berechtigt  sein  dürfte,  den  Bacillus  nach  dieser  Eigen- 
thümlichkeit  zu  benennen.  Wir  bringen  daher  für  den  von 
uns  isolirten  Bacillus  den  Namen  Bacillus  acidophilus 
in  Vorschlag. 

Graz,  am  21.  Januar  1900. 


REFERATE. 

Geburtshilfliche  Propädeutik. 

Ein  Leitfaden  zur  Einführung  in  das  Studium  der 

Geburtshilfe. 

Von  Dr.  Ludwig  Knapp,  Docent  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie, 
Assistent  an  der  k.  k.  deutschen  geburtshilflichen  Klinik  für  Aerzte 

in  Prag. 

Mit  einem  Vorworte  von  Prof.  Dr.  Alfons  Edlen  v.  Rost  horn  und 

100  Abbildungen  im  Texte. 

Wien  und  Leipzig  1899,  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof- 

und  Universitätsbuchhändler. 

Der  Verfasser  hat  seine  Aufgabe,  den  Studenten  eine  An¬ 
leitung  zur  exacten,  klinischen  Beobachtung  aller  auf  die  Schwanger¬ 
schaft*  Geburt  und  das  Wochenbett  bezüglichen  Vorgänge  zu  bieten 
in  gründlicher  und  vollkommener  Weise  gelöst.  Alles,  was  geburts¬ 
hilflich-diagnostisch  wichtig  ist,  lindet  an  passender  Stelle  \olle 
Berücksichtigung. 

Das  Eintheilungsprincip  des  Lehrstoffes,  dass  im  Interesse  des 
natürlichen  Zusammenhanges  und  wegen  der  leichteren  Uebersicht 
die  pathologischen  Vorkommnisse  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an 
das  physiologische  Verhalten  abgehandelt  werden,  ist  für  einen 
propädeutischen  Curs  und  zum  Nachschlagen  für  den  praktischen 
Arzt  ganz  zweckmässig  gewählt.  Die  vorliegende  Propädeutik  soll 
ja  nach  der  Absicht  "des  Verfassers  den  klinischen  Vortrag  und 
das  Lehrbuch  der  Geburtshilfe  nicht  ersetzen,  sondern  in  den 
klinischen  Unterricht  einführen.  Dem  praktischen  Arzte  gewährt  sie 
eine  rasche  Orientirung. 

Im  Speciellen  sei  aus  dem  vortrefflichen  Werke  Nachstehendes 
hervorgehoben: 

Bei  der  Diagnose  der  Schwangerschaft  erwähnt  der  Verfasser, 
dass  in  einzelnen  Fällen  dem  Gebärmuttergrunde  entsprechend  eine 
mehr  oder  minder  ausgesprochene  Einbuchtung  zu  beobachten  ist. 
Diese  soll  beim  Vorhandensein  eines  Uterus  arcuatus  oder  bei  dei 
Anwesenheit  von  Zwillingen,  welche  in  Längslagen  eingestellt  sind, 
Vorkommen.  Für  die  Zwillingsschwangerschaft  mag  dies  bei  vor¬ 
geschrittener  Gravidität  gelten;  hingegen  deutet  die  Einbuchtung  im 
Anfangsstadium  der  Schwangerschaft  meist  eine  extramediane  Ein¬ 
nistung  des  Eies  und  Ausladung  einei  lubenecke  an. 

Die  Untersuchungsmethoden  werden  detallirt  beschrieben  und 
vor  zu  häufigen  inneren  Untersuchungen  gewarnt.  Zur  subjectiven 
Desinfection  wird  Alkohol  und  Sublimat  empfohlen,  und  nur  der 
Gebrauch  von  ausgekochten  Handbürsten  und  desinficirten  Wasch¬ 
schüsseln  gestattet.  In  der  Prophylaxe  muss  auch  auf  das  normale 
und  pathologische  Scheidensecret  Rücksicht  genommen  werden. 
Abbildungen  mikroskopischer  Präparate  erläutern  den  Unterschied. 

Die  Geburtsmechanismen  sind  gründlich  erörtert  und  aus  den 
sehr  anschaulichen  Abbildungen  ersichtlich  gemacht. 

Ausführlich  werden  die  Anatomie  der  Nachgeburt,  ihi  Austiitts- 
mechanismus,  sowie  die  pathologischen  Zustände  der  Fruchtanhänge 

geschildert.  . 

Die  Syphilis  kann  ererbt  werden,  die  Tuberculose  wird  in¬ 
trauterin  nicht  übertragen! 

Für  zweifelhafte  Fälle  eines  Abortus  entscheidet  der  mikro¬ 
skopische  Nachweis  von  Deciduazellen  oder  Chorionzotten.  Ihe 
ersteren  sind  durch  eine  Abbildung  veranschaulicht.  Auch  eint 
gute  mikroskopische  Abbildung  der  Ghorionzotfen  ist  der  mtu 

suchung  der  Nachgeburt  beigefügt.  .  , 

Die  Diagnose  der  ektopischen  Schwangerschaft  ist  durch  den 
Abgang  der  Decidua  vera  in  den  ersten  Monaten  sichergestellt;  nicht 
aber  die  Diagnose  des  Fruchttodes. 


116 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  5 


Für  das  platt-rachitische  und  allgemein  verengte  Becken  i 
werden  die  drei  Grade  der  Verengung  genau  präcisirt.  Durch  den 
Impressionsversuch«  soll  man  sich  darüber  orientiren,  ob  der 
Eintritt  des  vorangehenden  grossen  Fruchttheiles  in  das  kleine  Becken 
überhaupt  möglich  sein  wird. 

Das  Stillen  befördert  am  besten  eine  rasche  und  vollkommene 
Rückbildung  der  Gebärmutter.  Wann  dasselbe  seitens  der  Mutter 
oder  des  Kindes  gegenangezeigt  ist,  wird  ausführlich  geschildert. 

Eine  besondere  Sorgfalt  wurde  der  Besprechung  des  normalen 
und  pathologischen  Wochenbettes  gewidmet.  Die  Lehre  vom  Wochen¬ 
bettfieber  ist  vom  bacteriologischen  und  klinischen  Standpunkte 
klar  und  fasslich,  dabei  sehr  gründlich  und  streng  wissenschaftlich 
gehalten.  Sehr  instructive  Temperatur-  und  Pulscurven  erläutern  die 
einzelnen  Formen. 

In  Bezug  der  einzelnen  Details  der  mit  grossem  Fleiss  ver¬ 
fassten  »geburtshilflichen  Propädeutik«,  der  wir  im  Interesse  der 
Lernenden  eine  rasche  Verbreitung  wünschen,  müssen  wir  auf  das 
Original  verweisen. 

Der  illustrative  Theil  des  Buches  ist  reichhaltig,  das  Nach¬ 
schlagen  durch  ein  sorgsam  zusammengestelltes  Sachregister  sehr 
erleichtert,  die  Ausstattung  des  Buches,  was  beim  Entgegenkommen 
der  Verlagshandlung  Wilhelm  Braumüller  immer  der  Fall 
ist,  handsam  und  vornehm.  P  i  s  k  a  ö  e  k. 


I.  Ueber  epitheliale  Gebilde  im  Myometrium  des  fötalen 
und  kindlichen  Uterus,  einschliesslich  des  Gartner’schen 

Ganges. 

Von  Robert  Meyer. 

Berlin  1899,  Karger. 

II.  Die  gestielten  Anhänge  des  Ligamentum  latum. 

Von  Doeent  Dr.  Emil  Rossa,  Graz. 

Berlin  1899,  Karger. 

III.  Die  Einschränkung  des  Bauchschnittes  durch  die 
vaginale  Laparotomie  (Kolpokoeliotomia  anterior). 

Von  Piof.  Dr.  A.  Dührssen. 

Berlin  1899,  Karger. 

I.  Der  erste  Theil  der  umfangreichen  Arbeit  bringt  uns  nach 
einer  eingehenden,  besonders  auch  die  vorliegende  Literatur  kritisch 
berücksichtigenden  Darstellung  von  Befunden  geringerer  oder  be¬ 
deutenderer  Reste  des  Gartner’schen  Ganges  im  fötalen  oder 
kindlichem  Uterus,  genaue  Angaben  über  den  Verlauf  des 
Gartner’schen  Ganges  im  Uterus,  dem  unteren  Corpus  und  in 
der  Seitenwand  der  Cervix,  über  dessen  Ausstülpungen  und  Ver¬ 
zweigungen.  Die  Gartner’schen  Gänge  sind  Ueberreste  der 
Wolf  f’schen  Gänge,  welch  letztere  beim  weiblichen  Fötus  durch 
Inactivitätsatrophie  in  der  Regel  frühzeitig  verschwinden  und  nur 
ausnahmsweise  beim  Neugeborenen  in  der  Cervix  als  Canäle  oft 
mit  Ausbuchtungen,  Ausstülpungen  und  mit  verzweigten  Drüsen 
persistiren,  Die  Persistenz  des  einfachen  Canales  ist  nicht  als 
Zwitterbildung  zu  bezeichnen,  jene  seiner  ampullären  Verzweigungen 
als  Homologon  der  Pars  ampullaris  des  Vas  deferens,  jene  mit 
Drüsenbildung  als  Adenom  anzusehen. 

Der  zweite  Theil  behandelt  die  angeborenen  Epitheleinschlüsse 
des  Myometriums,  die  Keimverirrung  —  eine  primär  überschüssige 
Anlage  von  Geweben  oder  Organen  an  falscher  Stelle,  also  ein 
error  loci  vor  vollendeter  Gewebsdifferenzirung  —  die  Organ¬ 
verirrung  —  diesecundäre  Versprengung  fertiger  Gewebs- 
oder  Organtheile.  Von  den  denkbaren  Möglichkeiten  embryonaler 
Epithelverirrung  in  den  Uterus  kommen  auf  Grund  der  bisherigen 
Befunde  jene  aus  den  Epithelien  des  Urachus,  des  Rectums,  der 
Ureteren  kaum  in  Betracht,  dagegen  aber  Epithelverirrungen  aus 
benachbarten  Organen:  den  Müller’schen  Gängen  selbst,  dem 
Wolffschen  Gange,  der  Urniere,  dann  jene  des  Eierstockepithels, 
des  Kölomepithels. 

Eine  Epithelverirrung  vom  Müller’schen  Gange  im  Sinne 
einer  Keimverirrung,  eine  primär  accessorische  Anlage  desselben, 
schliesst  Meyer  vollständig  aus,  dagegen  kommen  Absprengungen 
vom  Epithel  der  Müller’schen  Gänge  vor  Ausbildung  der  Drüsen 
der  Schleimhaut,  speciell  bei  ihrer  Vereinigung  im  Fundus,  sowie 
Absprengungen  von  Drüsen  der  fertigen  Uterusschleimhaut  älterer 
Fötus  sicher  vor.  Verlagerung  von  Theilen  des  Wolf  f’schen 
Ganges  in  das  Corpus  uteri  kommen  entweder  so  zu  Stande,  dass 
Müller’scher  Gang  und  Wolff’scher  Gang  abnorm  fest  ver¬ 


kleben  und  so  Theilchen  des  letzteren  retinirt  werden  oder  es 
kommt  zur  Zurückhaltung  bedeutenderer  Reste  des  Wolf  f’schen 
Ganges  dadurch,  dass  Müller'scher  Gang  und  Wolff’scher  Gang 
im  Wachsthume  gleichen  Schritt  halten.  Ueber  Urnierenreste  im 
fötalen  Uterus  konnte  Verfasser  keine  beweisenden  Befunde  machen. 
Rühmend  muss  die  Reproductionsart  der  dieser  schönen  Arbeit 
beigegebenen  histologischen  Bilder  herv.orgehoben  werden. 

* 

II.  Die  gestielten  Anhänge  des  Lig.  latum  in  der  Nähe  des 
Parovariums  sind  entweder  fransenförmige,  trichterförmige  oder 
eystische,  sie  sind  immer  an  der  Vorderseite  des  Lig.  latum  zu 
finden,  sie  sind  sehr  häufig,  bei  Neugeborenen  sowohl  wie  bei  Er¬ 
wachsenen.  Die  früheren  Autoren  leiteten  ihre  Herkunft  ab  vom 
Parovarium,  aus  dem  W  o  1  f  f  sehen  Gange,  der  Urniere,  den  Neben¬ 
tuben.  Nach  Rossa  stammen  die  cystischen  Anhänge  grösstentheils 
aus  dem  Parovarium,  seltener  sind  sie  als  gestielte,  Epithel¬ 
einschlüsse  enthaltende  Fimbrien  anzusehen.  Die  Herkunft  der 
offenen  Anhänge  ist  nicht  sichergestellt;  möglicher  Weise  sind  sie 
Ueberbleibsel  der  segmentalen  Verbindungen  zwischen  Urniere  und 
Leibeshöhle,  oder  auf  pathologische  Kölomeinstülpungen  zurückzu¬ 
führen,  oder  durch  Berstung  cystischer  Anhänge  entstanden. 

* 

III.  Die  vorliegende  Arbeit  D  ü  h  r  s  s  e  n’s  ist  in  der  Tendenz 
geschrieben,  durch  einen  klinischen  Bericht  über  die  Heilerfolge  der 
Kolpokoeliotomia  anterior,  namentlich  aber  über  deren  Anwendung 
zur  Beseitigung  der  Retroflexio  uteri  in  Form  der  Vaginaefixatio, 
die  Vortheile  der  vaginalen  Methoden  gegenüber  der  Laparatomie 
ins  rechte  Licht  zu  setzen  und  das  gegen  die  Vaginaefixatio  an 
vielen  Stellen  bestehende  Misstrauen  zu  beseitigen.  Nach  einer 
historischen  Einleitung  über  die  Operation  und  einem  Capitel  über 
deren  technische  Ausführung  folgt  in  tabellarischer  Form  zunächst 
die  Darstellung  der  Retroflexionsoperationen,  an  Zahl  405  in  un¬ 
gefähr  fünf  Jahren. 

Ungefähr  die  Hälfte  dieser  Fälle  betraf  Retroflexionen,  die 
mit  Erkrankungen  der  Adnexa  uteri  oder  perimetritischen  Adhä¬ 
sionen  complicirt  waren,  die  andere  Hälfte  mobile  Retroflexionen 
oder  solche,  welche  nur  mit  Narbenbildungen  in  den  Parametrien 
oder  Schrumpfung  der  hinteren  Uterusserosa  complicirt  waren  und 
somit  die  Pessarbehandlung  erschwerten  oder  unmöglich  machten; 
81mal  wurden  die  Adnexe  mit  exstirpirt,  97mal  gleichzeitig  andere 
Operationen  an  den  Adnexen  ausgeführt.  Von  den  reinen  Retro¬ 
flexionsoperationen  starb  keine.  Die  Dauererfolge  der  Vaginaefixatio 
uteri,  auf  Grund  einer  zum  Theil  fünf-  bis  sechsjährigen  Beobach¬ 
tung  aufgestellt,  sind  gute:  unter  349  Fällen  341  Heilungen  und 
2’3%  Recidive.  Grosses  Gewicht  legt  Dührssen  auf  die  Technik. 
Das  beste  Nahtmaterial  ist  Silkworm,  die  beste  Fixationsstelle  am 
Uterus  liegt  in  der  Höhe  der  Tubeninsertion.  Die  Dauererfolge  der 
Vaginalfixation  der  Lig.  rotunda  waren  weniger  gut:  14%  Recidive. 
Noch  weniger  gut  sind  die  Dauerresultate  nach  Vesicifixatio  uteri. 
Der  Grund  hiefür  liegt  darin,  dass  der  fixirende  Faden  die  Vagina 
nicht  mitfasst  und  so  die  bindegewebige  Verwachsung  der  Scheide 
mit  dem  Blasenperitoneum  ausbleibt. 

Um  die  Geburtsstörungen  nach  der  vaginalen  Fixation  des 
Uterus  zu  vermeiden,  ist  auf  den  Umstand  zu  achten,  dass  die 
vordere  Uterusserosa  an  das  Blasenperitoneum,  nicht  aber  an  die 
Vagina  selbst  bei  der  Fixation  zu  liegen,  mithin  eine  seroso-seröse, 
nicht  aber  eine  seroso-fibröse  Verwachsung  zu  Stande  komme. 
Letztere  ist  nicht  dehnbar  bei  späteren  Geburten.  Es  wird  die 
seroso-seröse  Verwachsung  am  besten  durch  sorgfältige  Naht  der 
Wunde  in  der  Plica  vesicouterina  erzielt.  Thatsächlich  wrar  in 
20  Geburtsfällen  nach  Vaginofixation  mit  isolirter  Naht  der  Plica 
nur  zweimal  ärztliche  Hilfe  nöthig.  Recidive  der  Retroflexio  traten 
nach  der  Geburt  nicht  ein. 

Die  Darstellung  der  Indicationen  der  Kolpokoeliotomia  anterior 
ist  gröstentheils  recht  überzeugend  geschrieben,  doch  ist  beim 
Capitel  »Vaginaler  Kaiserschnitt«  ein  Fall  erwTähnt,  von  dem  nicht 
einzusehen  ist,  warum  hier  eine  so  eingreifende  Methode  gewählt 
wurde.  Es  handelt  sich  um  eine  Placentaretention  nach  Abortus. 
Der  Cervicalkanal  war  durch  Quellstifte  wegen  Narben  zwar  nicht 
so  wreit  zu  dilatiren,  dass  ein  Finger  passiren  konnte,  doch  war 
die  feste  Tamponade  der  Höhle  mit  Jodoformgaze  möglich.  Dennoch 
wurde  der  wralnussgrosse  Placentarest  durch  eine  4  cm  lange 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


117 


Schnittwunde  in  der  vorderen  Corpuswand  entfernt.  Auch  darüber, 
ob  die  in  diesem  Falle  gleichzeitig  angeführte  Tubenresection  streng 
indicirt  war,  lässt  sich  streiten.  H.  Ludwig. 

Die  Pathologie  und  Therapie  der  Sterilität  beider  Ge¬ 
schlechter. 

Von  E.  Finger  und  M.  Sänger. 

I.  T  heil.  Die  Pathologie  und  Therapie  der  Sterilität 

heim  Manne,  von  Prof.  Dr.  E.  Finger  in  Wien. 

Mit  8  Holzschnitten. 

Leipzig  1898,  Arthur  Georgi. 

Wie  allgemein  unterscheidet  auch  Finge  r  in  seiner  lesens- 
werthen  Schrift  die  Impotentia  genera n di,  die  Sterilität  im 
engeren  Sinne,  und  die  Impotentia  c  o  e  u  n  d  i,  respective  die 
Sterilitas  ex  impotentia  coeundi.  Bevor  er  an  die  Besprechung  dieser 
zwei  verschiedenen  Arten  von  männlicher  Sterilität  geht,  gibt  Finger 
in  einer  Einleitung  einen  Ueberblick  unserer  Kenntnisse  über  die 
Physiologie  des  Geschlechtsactes  beim  Manne.  Das  Erectionscentrum, 
das  in  das  untere  Sacralmark  verlegt  wird,  kann  einerseits  vom 
Gehirn  beeinflusst  werden,  und  zwar  sowohl  im  Sinne  einer  Er¬ 
regung  als  einer  Hemmung;  aber  auch  von  der  Peripherie  durch 
centripetal  leitende  Nerven  erfolgen  Erregungen  des  Erectionscentrums, 
sowohl  von  der  Bedeckung  des  Genitale,  als  insbesondere  vom 
Caput  gallinaginis. 

Für  den  Geschlechtsact  selbst  kommt  ausser  dem  Erections¬ 
centrum  noch  ein  räumlich  von  diesem  getrenntes  Ejaculations- 
centrum  in  Betracht.  In  der  Norm  ist  das  Erectionscentrum  leichter 
erregbar,  aber  erschöpf  barer  als  das  Ejaculationscentrum.  Der 
ejaculirte  Same  enthält  das  Secret  der  Hoden,  der  Samenblasen 
und  der  Prostata.  Letzteres  bedingt  die  makroskopischen  Eigen- 
thümlichkeiten  des  Samens,  seine  Anwesenheit  ermöglicht  auch  die 
Bewegungsfähigkeit  der  Spermatozoen. 

Finger  bespricht  dann  die  Impotentia  coeundi,  die  Unfähig¬ 
keit,  den  Gopulationsact  überhaupt  oder  wenigstens  normaler  Weise 
auszuführen.  Diese  Impotenz  kann  zunächst  bedingt  sein  durch 
pathologisch-anatomisch  nachweisbare  Veränderungen  der  beim 
Copulationsact  in  Betracht  kommenden  Organe,  z.  B.  durch  an¬ 
geborene  oder  erworbene  krankhafte  Zustände  des  Penis,  der  Hoden, 
Erkrankungen  des  Nervensystems.  Von  den  Erkrankungen  der  peri¬ 
pheren  Organe  dürften  jene  des  Caput  gallinaginis  eine  wichtige 
Rolle  spielen.  Letztere  selbst  können  durch  Onanie,  Excesse  in 
venere,  Coitus  interruptus,  vor  Allem  aber  durch  chronische 
Gonorrhoe  hervorgerufen  sein. 

Manche  der  eben  genannten  Schädlichkeiten  wirken  ireilich 
auch  noch  durch  allgemeine  Störungen  des  Nervensystems. 
Ausserdem  gibt  es  eine  Reihe  von  Krankheiten,  die  durch  rein 
functioneile  Momente  den  Mechanismus  der  Erection  schädigen, 
Diabetes,  chronischer  Alkoholismus;  endlich  ist  zu  erwähnen  die 
Impotenz  aus  psychischen  Ursachen,  sei  es,  dass  die  anregenden 
Einflüsse  für  die  Erection  fehlen  oder  psychisch  bedingte  Hemmungen 
in  Erscheinung  treten.  Finger  gibt  eine  recht  anschauliche 
Schilderung  dieser  psychischen  Impotenz. 

Die  Impotentia  coeundi  kann  sich  nun  äussern  ent¬ 
weder  durch  ungenügende  oder  fehlerhafte  Erection  oder  unter 
dem  Bilde  der  sogenannten  reizbaren  Schwäche,  d.  h.  meist 
vorzeitige  Ejaculation  bei  mangelhafter  Erection.  Die  reizbare  Schwäche 
kann  bedingt  sein  durch  Erkrankungen  des  Nervensystems  oder 
auch  durch  locale  Affectionen  der  Genitalien,  Reizzustände  derselben 
bei  Gonorrhoe,  Onanie  u.  s.  w.,  woran  weiterhin  das  Bild  der 
sexuellen  Neurasthenie  sich  anschliessen  kann. 

An  diesem  Orte  gibt  Finger  auch  eine  Uebersicht  seiner 
Befunde  an  der  Pars  prostatica  urethrae  bei  chronischer  Urethritis 
posterior.  Von  paralytischer  Impotenz  spricht  Finger,  wenn  so¬ 
wohl  Erection  wie  Ejaculation  fehlen,  respective  schwer  gestört  sind. 

Eine  recht  genaue  Schilderung  der  Therapie  der  Impotentia 
coeundi  schliesst  dieses  Capitel.  Die  Therapie  variirt  natürlich  in 
erster  Linie  je  nach  den  Ursachen  der  Impotenz,  danach  richtet 
sich  auch  die  Prognose.  Hervorzuheben  ist,  dass  Finger  mit  Recht 
eine  locale  Behandlung  nur  dann  ausübt,  wenn  stricte  Indicationen 
dafür  vorliegen.  Auf  die  Einzelheiten  hier  einzugehen,  erscheint 
nicht  möglich. 


Der  zweite  Abschnitt  des  Buches  behandelt  die  Impotentia 
generandi,  d.  h.  das  Unvermögen  eines  eopulationsfähigen  Mannes, 
ein  gesundes  Weib  zu  befruchten.  Dies  kann  bedingt  sein  durch 
pathologische  Veränderungen  des  Spermas;  entweder  fehlen  die 
Spermatozoen  gänzlich,  Azoospermie,  oder  sie  ermangeln  der 
Beweglichkeit,  Nekrospermie.  Ersteres  kann  eintreten,  wenn 
die  Samenproduction  fehlt,  oder  die  Samenleiter  verlegt  sind,  am 
häufigsten  bei  chronischer  Gonorrhoe.  Hier  weist  Finger  darauf 
hin,  dass  nach  seinen  Erfahrungen  die  Eisbehandlung  der  acuten 
Epididymitis  Gefahren  mit  sich  bringt,  dass  die  darnach  zurück¬ 
bleibenden  Exsudate  stets  auffällig  derb  sind  und  der  Resorption 
grosse  Schwierigkeiten  entgegensetzen. 

Nekrospermie  findet  sich  bei  Herabsetzung  der  Functions- 
thätigkeit  der  Hoden,  häufiger  dann,  wenn  die  dem  Hodensaft  bei¬ 
gemischten  anderen  Componenten,  jene  der  Samenblasen  und  der 
Prostata,  krankhaft  verändert  sind,  z.  B.  bei  Vesiculitis  seminalis 
oder  Prostatitis. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Ursachen  der  Impotentia  generandi 
bezeichnet  man  als  Aspermatismus,  worunter  Finger  alle 
jene  krankhaften  Zustände  zusammenfasst,  in  denen  ein  copulations- 
fähiger  Mann,  dessen  Sperma  auch  normal  ist,  doch  zeugungs¬ 
unfähig  bleibt,  weil  er  sub  coitu  nicht  im  Stande  ist,  sein  Sperma 
in  das  weibliche  Sexualorgan  zu  ergiessen.  Das  kann  bedingt  sein 
durch  mechanische  Hindernisse,  z.  B.  abnorme  Ausmündung  oder 
Verengerung  der  Harnröhre,  durch  Verlegungen  und  Obliteration 
der  Ductus  ej  aculatorii. 

Ausserdem  aber  gibt  es  einen  nervösen  oder  psychischen 
Aspermatismus,  wo  trotz  normaler  Erection  und  regelrechter 
Cohabitation  die  reflectorische  Auslösung  der  Ejaculation  ausbleibt. 
Diese  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  des  Ejaculationscentrums  kann 
angeboren  sein  oder  aus  verschiedenen  Gründen  erworben  sein. 
Finger  bespricht  im  Einzelnen  die  hier  vorkommenden  Verhältnisse, 
sowie  deren  Behandlung.  Als  relative  Sterilität  bezeichnet  h  i  n  g  e  r 
endlich  jenen  Zustand,  in  dem  ein  copulations-  und  zeugungsfähiger 
Mann  mit  einem  bestimmten,  zweifellos  zeugungsfähigen  Weibe,  meist 
seiner  Ehefrau,  einen  befruchtenden  Beischlaf  nicht  auszuüben  vermag. 

Redlich. 


I.  Lehrbuch  für  Heilgehilfen  und  Massöre. 

Im  amtlichen  Aufträge  des  königl.  Polizeipräsidiums  verfasst  von  Sanitäts- 
rath  Dr.  Gl'anier,  königl.  Bezirksphysicus. 

Berlin  1898,  S  c  h  o  e  t  z. 

H,  145  8. 

II.  Anleitung  zur  Krankenpflege. 

Von  Sanitätsrath  Dr.  E.  Aufrecht,  Magdeburg. 

Wien  und  Leipzig  1898,  A.  Holder. 

VIII,  169  S. 

III.  Monatsbuch  für  Krankenpflegerinnen. 

Von  E.  H.  v.  Zagory. 

Marburg  1898,  E  1  w  e  r  t. 

I.  Die  vorliegende  Schrift  entsprang  dem  Bedürfnisse,  den  — 
seit  1852  in  Preussen  einer  Prüfung  unterworfenen  — .Heilgehilfen 
(Heildienern)  nach  der  Erweiterung  dieser  Prüfung  auf  die  Massage 
(1898)  »ein  kurzgefasstes  Lehrbuch  zu  bieten,  in  welchem  sie  das 
finden,  was  sie  bei  der  Prüfung  wissen  sollen«. 

Demgemäss  zerfällt  das  Buch  in  füllt  grössere  Abschnitte. 
Der  erste  Theil  behandelt  den  Bau  und  die  Lebensthätigkeit  des 
menschlichen  Körpers. 

Im  zweiten  und  dritten  Theile  finden  wir  die  Belehrung  über 
die  zwölf  Prüfungsgegenstände:  Aderlass,  Schröpfen,  Blutegelsetzen, 
Klystiren,  Einspritzen  unter  die  Haut,  Temperaturmessen,  Zahn¬ 
ziehen,  Kathcterisiren,  Verbinden,  chirurgische  Assistenz,  Desinfieiren, 
Massiren. 

Die  beiden  letzten  Abschnitte  besprechen  die  erste  Hille  bei 
Unglücksfällen  und  die  gesetzlichen  und  polizeilichen  Bestimmungen 
(über  die  Zulassung  zur  Prüfung  u.  s.  w.,  die  Gebühren). 

Die  anatomisch-physiologische  Partie  ist  trotz  der  reichen 
Gliederung  (in  7B  Paragraphe)  und  der  14,  zum  grössten  J heile 
sehr  guten  Bilder  nicht  klar  und  einfach  genug.  Die  vielen  unnöthigen 
Details,  die  ganz  ungebräuchlichen  deutschen  Bezeichnungen 
scheinen  dem  Referenten  nicht  glücklich  gewählt  zu  sein. 

Bedeutend  besser  sind  die  folgenden  Abschnitte  über  die  ein¬ 
zelnen  Verrichtungen,  beziehungsweise  Prüfungsgegenstände.  Bei 
allen  diesen  wird  in  erster  Linie  auf  die  peinlichste  Sauberkeit  der 


118 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  5 


grösste  Werth  gelegt.  Die  Wichtigkeit  dieser  Verpflichtung  (l  itt  auf 
jeder  Seite  immer  wieder  hervor.  Bei  den  sUmmtlichen  Eingriffen 
werden  ferner  die  '/gesetzlichen  Bestimmungen  über  die  ärztliche 
Anordnung  als  Vorbedingung  zur  Ausführung  des  Eingriffes  ange¬ 
führt.  Nach  der  sorgfältigen  Beschreibung  der  Verrichtung  selbst 
folgt  regelmässig  eine  kurze  Besprechung  etwaiger  abnormer  Zufälle, 
durch  anatomische  oder  pathologische  Anomalien  herbeigeführt :  für 
diese  ist  aber  jeder  therapeutische  Wink  strenge  vermieden  und 
der  Auftrag,  dann  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen,  häufig 
wiederholt. 

Der  Massage,  den  Massören«,  ist  ein  besonders  grosser 
Theil  in  der  Darstellung  gewidmet.  Einige  gute  Bilder,  allerdings 
zum  Theil  in  recht  origineller  Pose,  sollen  jene  unterstützen. 

Eine  Beilage  enthält  ein  Placat:  »Die  Behandlung  Verun¬ 
glückter  bis  zur  Ankunft  dos  Arztes«  für  Nichtärzte  von  Doctor 
P  i  s  t  o  r,  das  schon  anderweitig  lange  bekannt  und  erprobt  ist. 

* 

II.  Der  Verfasser  hat  seine  Vorträge  über  Krankenpflege 
niedergeschrieben  und  —  offenbar  wenig  verändert  —  als  Anleitung 
herausgegeben.  Dadurch  ist  dem  Büchlein  der  frische  Eindruck  des 
Vortrages  geblieben,  das  subjective  Moment  tritt  in  zahlreichen 
Seitenblicken,  Beispielen  u.  s.  w.  stark  hervor,  ohne  dass  die  syste¬ 
matische  Anordnung  darunter  leiden  würde. 

Ausserdem  hat  Aufrecht  seinem  Werke  einen  ganz  anderen 
Aufbau  gegeben,  als  er  bisher  in  unseren  einschlägigen  Schriften 
als  unbestrittener  Typus  zu  finden  war.  Die  »Krankenbeobachtung« 
hatte  noch  nicht  den  ihr  gebührenden  Raum  in  diesen  Büchern 
gefunden.  Der  Verfasser  findet  in  ihr  den  wichtigsten  und  um¬ 
fassendsten  Theil  der  Thätigkeit  der  Pflegerin  (männliche  Wärter 
schliesst  er  ganz  aus)  und  widmet  der  Besprechung  dieses  Capitels 
den  grössten  Theil  seines  Buches  (63  Seiten).  Dieser  Abschnitt 
enthält  aber  nebst  den  wichtigeren  physiologischen  Abschnitten  — 
die  Anatomie  ist  nur  ganz  cursorisch  bei  einigen  Sinnesorganen 
und  dem  Kreislaufschema  gestreift  —  eine  Menge  pathologischer 
Details,  Erklärungen  von  Symptomen  (so  pag.  44,  46,  49,  50, 
62  ff.,  69  u.  s.  w.),  ja  sogar  differentialdiagnostische  Hinweise,  kurz 
viel  mehr,  als  wir  sonst  zu  besprechen  gewohnt  sind,  und  jeden¬ 
falls  mehr,  als  eine  »Anleitung«  zur  Krankenpflege  enthalten  sollte. 
Für  die  Anfängerin  erscheint  es  uns  entschieden  verwirrend,  wenn 
ihr  Lehrbuch,  welches  ihr  auf  die  elementaren  Fragen  eine  kurze 
und  genaue  Antwort  gehen  soll,  statt  dieser  auf  mögliche  und 
auch«  Fälle  hinweist.  Und  für  die  erfahrenere  Pflegerin  ist  ein 
solches  auch  als  Nachschlagebuch  nur  von  fraglichem  Nutzen,  weil 
es  ihr  wieder  zu  wenig  bieten  kann.  Dieser  hat  eine  eingehende  Er¬ 
klärung  von  Seiten  des  unterrichtenden  Arztes  mehr  gelehrt,  vor 
Allem  am  lebenden  Beispiele,  und  ist  so  nicht  eine  blosse  Auf¬ 
zählung  von  Krankheitsnamen  und  Symptomen  geblieben. 

Ganz  unverständlich  ist  uns  die  Anleitung  zur  Harnanalyse 
geblieben  (pag.  76  ff.).  Diese  geht  die  »anzuleitende«  Pflegerin  gar 
nichts  an. 

Die  übrigen  Capitel  behandeln  die  Pflegerin,  das  Zimmer,  die 
Krankenpflege,  die  Hilfeleistung  bei  Verletzungen  u.  s.  w.  Diese 
Abschnitte  sind  in  der  üblichen  Weise  ausgeführt,  vielleicht  etwas 
kürzer  gehalten. 

Zum  Schlüsse  sei  uns  die  Bemerkung  gestattet,  dass  wir  die 
Schrift  als  »Anleitung  für  Pflegerinnen  1  e  h  r  e  r«  sehr  schätzen  und 
zu  diesem  Zwecke  empfehlen. 

* 

III.  Der” Zweck  des  Büchleins  ist  nicht  recht  klar.  Voran 

zwölf  leere  Monatsblätter  mit  je  einem  Bibelvers,  sodann  in  wirrem 
Durcheinander^ allgemeine  Vorschriften  für  Pflegende,  Recepte  für 
Kinder-  und  Krankenkost,  Instrumentenbeschreibungen,  Albumen- 
nachweis  im  Harn  (!),  Aufzählung  von  Krankheitssymptomen,  un¬ 
verstandene  Asepsis  und  Desinficientia  —  kurz,  die  verehrte  Ver¬ 
fasserin  wird  der  Ansicht  wohl  beistimmen,  dass  ihr  Werk  un¬ 
geübten  Pflegerinnen  unverständlich  und  unschädlich,  geübten  über¬ 
flüssig  und  werthlos  ist.  Julius  Stern  borg. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

32.  Fünf  Wochen  anhaltender  profuser  Aus¬ 
fluss  von  Liquor  cerebrospinalis  ohne  11  i  r  n  er¬ 
sehe  in  n  ngen.  Von  Prof.  Lucae.  Bei  dem  17jährigen  Gym¬ 
nasiasten  wurde  zum  Zwecke  der  Ausführung  der  Radicaloperation 
nach  einer  chronischen  Mittelohrentzündung  nach  Freilegung  des 
Warzenfortsatzes  am  hinteren  oberen  Umfang  desselben  ein  Sequester 
entdeckt,  nach  dessen  Entfernung  ein  1  cm1  grosses  Loch  in  der 
Dura  und  Arachnoidea  zurückblieb.  Dabei  floss  fortwährend  so  viel 
Liquor  ab,  dass  von  der  Operation  abgestanden  wurde.  Dieser  Erguss 
dauerte  durch  fünf  Wochen  und  war  durch  14  Tage  so  stark,  dass 
der  Verband  täglich  dreimal  gewechselt  werden  musste.  Hervorzu¬ 
heben  ist,  dass  trotz  dieses  Zustandes  niemals  Hirnerscheinungen 
aufgetreten  waren,  kein  Fieber  vorhanden  war  und  auch  der  Puls 
keine  abnorme  Beschaffenheit  zeigte.  Lucae  nimmt  an,  dass  es 
sich  hier  um  eine  Ueberproduction  von  Liquor  gehandelt  haben 
müsse,  die  durch  den  Reiz,  welchen  der  Sequester  als  Fremdkörper 
bedingt  habe,  verursacht  worden  sein  soll.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  40.) 

* 

33.  Aus  der  Poliklinik  von  Dr.  M.  N  i  t  z  e  in  Berlin.  E  i  n 
gänseeigrosser  Stein  in  einem  Vaginalsacke  beim 
Manne.  Von  Dr.  Georg  Kapsammer.  Der  Fall  scheint  einzig 
in  der  Literatur  zu  sein.  Ein  gegenwärtig  31  Jahre  alter  Mann  ent¬ 
leerte  seit  Kindheit  stets  trüben  Harn.  Bei  seiner  ersten  Unter¬ 
suchung  (Mai  1895)  zeigte  sich,  dass  die  ersten  Harnportionen  klar 
und  sauer  reagirend  waren,  während  die  letzten  eine  alkalisch¬ 
jauchige  Beschaffenheit  darboten.  Es  war  damals  zwischen  beiden 
Prostatalappen  ein  fluctnirender  Sack  zu  constatiren.  Im  März  1898 
wurde  aus  demselben  ein  über  gänseeigrosser  gegenwärtig  162 g 
wiegender  Phosphatstein  entfernt.  Derselbe  hatte  sich  innerhalb 
von  2V2  Jahren  entwickelt  und  als  solcher  keinerlei  Symptome 
gemacht.  Die  histologische  Untersuchung  des  im  November  1899 
einer  Fistel  halber  exstirpirten  Sackes  ergab  vollkommen  die 
Charaktere  der  Vagina.  Es  mündete  also  in  die  Pars  prostatica  ein 
Vaginalsack,  indem  es  in  Folge  der  Harnretention  zur  Steinbildung 
gekommen  war.  Weiter  folgt  eine  Zusammenstellung  ähnlicher 
Missbildungen  bei  männlichen  Hermaphroditen  und  eine  Erörterung 
der  entwicklungsgeschichtlichen  Seite  der  Frage.  Steht  man  auf  dem 
Standpunkte,  dass  sowohl  Uterus  als  auch  Vagina  aus  den  ver¬ 
einigten  Müller'schen  Gängen  hervorgehen,  so  müsste  der  sich 
beim  Manne  als  Sinus  pocularis  präsentirende  Rest  derselben  der 
Vagina  oder  dem  Uterus  entsprechen,  je  nachdem  die  Involution 
des  Organes  zu  einer  Zeit  begonnen  hat,  wo  im  persistirenden 
unteren  Theile  die  Metaplasie  der  ursprünglichen  Cylinderepithel- 
auskleidung  schon  stattgefunden  hat  oder  nicht.  Demnach  wäre  die 
Bezeichnung  des  Sinus  pocularis  schlechtweg  als  »Utriculus«  mascu- 
linus  nicht  statthaft.  —  (Centralblatt  für  Krankheiten  der  Harn- 

und  Sexualorgane.  1900,  Heft  1.) 

* 

34.  Zur  Anwendung  von  Ortho  form.  Von  Doctor 
Wunderlich  (Neudorf  i.  S .).  Das  Mittel  wurde  als  gut  wirken¬ 
des,  unschädliches  Anästheticum  und  Antisepticum,  selbst  bei  An¬ 
wendung  auf  grossen  Wundflächen  erprobt.  Es  werden  aber  von 
Wunderlich  vier  Fälle  angeführt,  in  denen  die  Orthoform- 
belmndlung  einmal  ein  schmerzhaftes  Erythem,  zweimal  ein  ausge¬ 
dehntes  Ekzem  und  einmal  sogar  feuchte  Gangrän  zur  Folge  gehabt 
hatte.  Zu  bemerken  ist,  dass  in  diesen  Fällen  das  Mittel  nicht  wie 
früher  in  Pulver-,  sondern  in  Salbenform  angewendet  worden  war.  — 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  40.) 

* 

35.  Notiz  über  Radicalbehandlung  zweier 
Fälle  von  Lupus  vulgaris  disseminatus  mittelst 
Guajacolpinselungen.  Von  Dr.  Funk  (Warschau).  Die  ge¬ 
nannte  Ilautaffection  tritt  hauptsächlich  bei  Kindern  in  Form  zahl¬ 
reicher  miliarer  und  bis  Erbsengrösse  heranwaebsender  Knötchen 
und  zwar  meist  nach  Masern,  seltener  Scharlach  und  Windpocken 
auf.  Meist  sitzen  die  Knötchen  an  den  Extremitäten.  Die  vom  Ver¬ 
fasser  beobachteten  zwei  Fälle  waren  durch  Pinselungen  mit  reinem 
Guajacol  in  zwei,  beziehungsweise  drei  Monaten  unter  Zurück¬ 
lassung  einer  seichten  Narbe  vollständig  ausgeheilt.  —  (Monals- 

hefte  für  praktische  Dermatologie.  Bd.  NNIX,  Heft  5.) 

* 


Nr  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


119 


36.  (Aus  der  Poliklinik  des  Prof.  Oppenheim,  Berlin.) 
Zur  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  peripherer  U 1  n  a  r  i  s-  und  Medianus¬ 
lähmungen.  Von  Dr.  Weber.  Die  zwei  Fälle  von  Ulnaris¬ 
lähmung  sind  dadurch  bemerkenswert!],  dass  eine  schon  vor  vielen 
Jahren  erfolgte  Läsion  eine  Ulnarislähmung  zur  Folge  hatte.  Der 
eine  Fall  betraf  einen  Arbeiter,  welcher  eine  Luxation,  beziehungs¬ 
weise  Fractur  .im  Bereiche  des  Ellbogengelenkes  erlitten  batte,  die, 
unter  Difformität  geheilt,  nach  27  Jahren  zur  Ulnarislähmung  und 
schweren  Temperatursinnesstörungen  führte.  Der  andere  Fall  betraf 
eine  Frau,  welche  im  sechsten  Lebensjahre  Blattern  und  im  An¬ 
schlüsse  daran  eiterige  Gelenksentzündungen  in  beiden  Ellbogen¬ 
gelenken  durchgemacht  hatte.  Die  Affectionen  waren  unter  zurück¬ 
bleibender  Difformität  und  geringer  Behinderung  der  Beweglichkeit 
ausgeheilt.  Erst  in  einem  Alter  von  33  Jahren  stellten  sich  bei  der 
Frau  in  der  rechten  Hand  die  Zeichen  der  Ulnarisaffection:  Krallen¬ 
hand,  Abflachung  des  Kleinfingerballens,  Atrophie  der  Interossei  ein. 
Ganz  besonders  merkwürdig  in  ätiologischer  Beziehung  ist  folgender 
Fall  von  Medianuslähmung.  Ein  18jähriger  Gymnasiast  hatte 
mehrere  Stunden  getanzt  und  dabei  die  linke  Hand  in  stark  hyper- 
flectirter  Haltung  in  die  linke  Seite  gestemmt.  Darauf  Lähmung 
der  linken  Hand,  die  einen  Tag  andauert,  und  beträchtliches  Taub¬ 
heitsgefühl  an  der  volaren  Handseite.  Wahrscheinlich  war  es  in 
Folge  der  langandauernden  anormalen  Handstellung  zu  einer  Ueber- 
anstrengung  des  Medianus  gekommen  oder  —  welche  Erklärung 
auch  sehr  plausibel  klingt  —  der  Nerv  hatte  durch  das  Lig.  volare 
propr.  über  ihm  einen  starken  Druck  auszuhalten  gehabt. 

(Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  Bd.  XV,  Heft  3  und  4.) 

* 

37.  (Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  städtischen 
Krankenhauses  Am  Urban  in  Berlin.)  Zur  c h i r  u  rgischen 
Behandlung  der  tu  bereu  lösen  Bauchfellentzün¬ 
dung.  Von  Dr.  Herzfeld.  Tn  den  Jahren  1890—1898  wurde 
an  der  chirurgischen  Abtheilung  des  genannten  Spitales  bei 
29  Patienten  wegen  tuberculöser  Peritonitis  32mal  der  Bauch¬ 
schnitt  ausgeführt.  Die  Behandlung  beschränkte  sich  zumeist  auf 
das  Ablassen  des  Exsudates,  das  Austupfen  der  Bauchhöhle  und 
die  Verschliessung  der  Wunde.  Das  Alter  der  Patienten,  von 
welchen  18  in  Bezug  auf  den  peritonitischen  Process  geheilt  er¬ 
schienen,  betrug  2  —  57  Jahre,  13  gehörten  dem  Kindesalter  an. 
(Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie. 
Bd.  V,  Heft  2.) 

* 

38.  Z  u  r  conservativen  Specialbehandlung  der 
chronischen  Mittelohreiterung.  Von  Prof.  Stet  t  er. 
Die  conservative,  nicht  operative  Therapie  der  chronischen  eiterigen 
Mittelohrentzündung  mit  Perforation  des  Trommelfelles  soll  nach 
S tetter  in  Folgendem  bestehen:  Sorgfältige  Reinigung  des  Gehör¬ 
ganges  und  Mittelohres  mittelst  eines  in  Lysolwasser  getauchten 
Tampons  (nicht  mit  der  Spritze!)  nach  eventueller  Verflüssigung 
des  zähen  Eiters  durch  Einträufelung  von  Solut.  kali  jodati 
2-0:1000,  Lysoli  puri  gtt.  XX;  hierauf  Einlegung  eines  Tampons 
von  Chinolin-Naphtholgaze  bis  ins  Mittelohr;  derselbe  ist  anfangs 
täglich  zwei  bis  dreimal,  später  seltener  je  nach  der  Eitermenge 
zu  erneuern.  Eine  fötide  Secretion  ist.  durch  drei-  bis  viermalige 
Eingiessungen  einer  Lösung  von  Menthoxol  und  Aq.  dest.  aa.  zu 
beseitigen  und  darnach  die  genannte  Gaze  anzuwenden.  Granu¬ 
lationen  sind  bei  genügender  Grösse  mit  Schlinge  und  Galvano¬ 
kauter  zu  entfernen,  anderenfalls  mit  Acid,  trichloracet.  pur.  zu 
ätzen.  Ist  nur  eine  gleichmässige  polsterartige  Schleimhautschwellung 
vorhanden,  so  ist  die  Einlegung  eines  in  10&/0iger  Trichloressigsäure 
getränkten  Tampons  zu  empfehlen.  Eine  Periostitis  des  Proc.  mast, 
erfordert  nach  Verfasser  noch  nicht  unbedingt  die  Radicaloperation, 
sondern  es  ist  nach  zweitägiger  erfolgloser  Anwendung  Bur ow  schei 

Umschläge  die  W  i  1  d  e’sche  Incision  zu  machen;  lässt  dann  aber 
die  gewöhnlich  schnelle  Vernarbung  länger  als  höchstens  drei 
Wochen  auf  sich  warten,  dann  ist  die  Radicaloperation  nach 
Stacke  anzuschliessen.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift. 

1899,  Nr.  37,  38.) 

* 

39.  Im  ärztlichen  Central  vereine  in  Zürich  besprach  Pro- 
l'esser  Krönlein  einen  Fall  von  Nephrolithiasis  bei  blossem 
Vorhandensein  einer  einzigen  Niere.  Seit  neun  lagen  bestand  bei 
dem  Patienten  vollständige  Anurie,  Blase  war  leer.  Die  Untersuchung 


ergab  sehr  wenig  Positives.  Man  schloss  auf  eine  Nieren-  oder 
Ureterenaffection  und  machte  die  Probelaparotomie  in  der  Mittellinie, 
um  zu  entscheiden,  welche  der  Nieren  erkrankt  sei.  Hiebei  ergab 
sich,  dass  die  rechte  Niere  vollständig  fehlte.  Darauf  wurde  in 
Seitenlage  die  linke  Niere  zugänglich  gemacht,  wobei  sich  dieselbe 
fast  doppelt  so  gross  als  normal  erwies,  jedoch  der  supponirte 
Nierenbeckenstein  nicht  palpirt  werden  konnte.  Von  einem  weiteren 
Vorgehen  wurde  Abstand  genommen.  Bei  der  Section  zeigten  sich 
jedoch  zahlreiche  Nierensteine  in  den  Galices,  ein  grösserer  im 
Nierenbecken  und  schliesslich  ein  bohnengrosser  im  Ureter,  2  cm 
unterhalb  seines  Abganges  vom  Nierenbecken.  —  (Correspond  enz- 

blatt  für  Schweizer  Aerzte.  1899,  Nr.  17.) 

* 

40.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  in  Berlin). 
Beiträge  zur  Lyssa-Immunität.  Von  Dr.  Marx.  Durch 
eine  einmalige  intraperitoneale  Injection  einer  genügenden  Menge 
von  Virus  fixe  gelang  es,  die  so  empfindlichen  Kaninchen  gegen 
eine  subdurale  Infection  von  Virus  fixe  zu  immunisiren.  Die 
Immunität  scheint  sicher  14  Tage  nach  der  Impfung  einzutreten 
und  war  in  einem  Falle  noch  nach  elf  Monaten  vorhanden.  Dagegen 
wurde  niemals  eine  Immunität  erworben,  wenn  eine  Emulsion  von 
solchen  Kaninchen  gemacht  worden  war,  die  an  Strassenwuth  zu  Grunde 
gegangen  sind.  Eine  andere  Frage,  welche  das  Institut  im  Aul¬ 
trage  des  Cultusministeriums  zu  lösen  hatte,  war  die,  ob  der  in 
manchen  Gegenden  bestehende  Gebrauch,  nach  dem  Biss  toi  lei 
Thiere  die  Leber  eines  wuthkranken  Thieres  zu  essen,  wirklich 
gegenüber  der  Erkrankung  an  Tollwuth  einen  prophylaktischen  Werth 
besitze.  Diese  Frage  musste  nach  allen  im  Institute  ausgeführten 
Experimenten  mit  Sicherheit  verneint  werden.  —  (Deutsche  medi- 
cinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  41.)  Bi. 


NOTIZEN. 

Ernannt:  Privatdocent  Dr.  Stanislaus  Ciechanowski 
zum  a.  o.  Professor  für  pathologische  Anatomie  in  K  raka  u. 

Dr.  M.  v.  Lenhossek  in  Tübingen  zum  o.  Professor  der  Anatomie 
in  Budapest. 

* 

Verliehen:  Dr.  David  Hoffmann  in  Constantino- 
pel  der  königl.  preussische  Rothe  Adlerorden  IV.  CI.  Dem  Stadt¬ 
arzte  inCettinje,  Dr.  Georg  Marie,  der  fürstlich  montenegrini¬ 
sche  Danilo-Orden  IV.  CI.  und  der  fürstlich  bulgarische  Civilverdienst- 
orden  IV.  CI.  —  Dem  kaiserlichen  Rathe  Dr.  J  o  s  e  f  Zakrzewski 
in  Aleppo  der  kaiserlich  ottomanische  Medschidjeorden  IV.  CI.  und 
die  französische  Verdienstmedaille  I.  CI.  —  Dem  Vorsteher  des  Sana¬ 
toriums  in  Martinsbru  n  n  bei  Meran,  Dr.  Norbert  v.  K  a  a  n, 

der  Titel  eines  herzoglich  sächsischen  Sanitätsrathes. 

* 

Das  erste  diesjährige  Heft  der  Monatsschrift  für  Geburts¬ 
hilfe  und  Gynäkologie  ist  anlässlich  des  25jährigen  Doctor- 
jubiläums  Prof.  Schauta’s  als  Festschrift  erschienen  und  enthält 
ausschliesslich  Publicationen  von  dessen  Schülern.  Diese  sind:  Bürger, 
Die  Ovariotomie  an  der  Klinik  Schauta;  Frank,  Indicationen  zui 
Sectio  caesarea;  Hab  er  da,  Nachweis  der  Defloration;  H  a  1  b  a  n, 
Uterusemphysem  und  Gassepsis  —  Enderfolge  der  Behandlung  dei 
Retroversio;  Hitschmann,  Decidualer  Polyp;  Lindenthal,  Zur 
Therapie  der  Extrauteringravidität;  Mandl,  Zum  Tubarabort;  Mira¬ 
beau,  Fötale  Cystenniere;  Neumann  und  Ehrenfest,  Innei e 
Beckenmessung,  Bestimmung  der  Beckenneigung;  Pier  ring,  Tliuro- 
Brandt  —  Schauta;  S  c  h  m  i  t,  Carcinoma  psammosum  corporis  uteri; 
—  Bericht  über  Prolapsoperationen ;  Skorscheban,  44  Fälle 
künstlicher  Frühgeburt;  Stolper,  Tuberculose  der  weiblichen  Geni¬ 
talien;  Torggler,  Melanosarkom  der  Schamtheile;  Waldstein, 
Periphere  Tubensäcke;  Wertheim,  Die  Ureterenchirurgie. 

* 

Von  dem  „Jahresbericht  über  die  Fortschritte  i  n 

der  Lehre  von  den  pathogenen  Mikroorganismen“, 
herausgegeben  bei  Harald  Brulin  in  Braunschweig  von  Professor 
Baumgarten  (Tübingen)  und  Prof.  Tangl  (Budapest),  ist  die 
I.  Abtheilung  des  14.  Jahrganges  (1898)  erschienen.  Dieselbe  enthält 
nebst  den  Referaten  über  die  damals  erschienenen  einschlägigen  Lehr¬ 
bücher,  Compendien  etc.,  das  Verzeichniss  der  einschlägigen  Literatur 
über  die  Coccen  und  zum  Theile  auch  schon  über  die  Bacterien  samnu 
den  in  bekannter  Weise  angeschlossenen  kurzen  Referaten  der  ein¬ 
zelnen  Originalabhandlungen.  (Preis  M.  10.  .) 


120 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  o 


Nach  einem  Berichte  des  Brit.  med.  J.  waren  in  der  ersten 
Januarwoche  in  London  316  Personen  in  Folge  der  Influenza 
gestorben,  gegenüber  38,  69  und  193  in  den  drei  vorausgegangenen 
Wochen.  Mehr  als  die  Hälfte  der  Todesfälle  betraf  Leute  über 
60  Jahre. 

* 

Dr.  Oskar  Reichel,  omoritirter  Abtheilungsassistent  des 
k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses  in  Wien,  wohnt:  IX.,  Frank¬ 
gasse  Nr.  1. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  2.  Jahreswoche  (vom  7.  Januar  1899 
bis  13  Januar  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  490,  unehelich  275,  zusammen 
765.  Todt  geboren:  ehelich  54,  unehelich  35,  zusammen  89.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  634  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
20  1  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  109,  Blattern  0,  Masern  6, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  8,  Pertussis  1,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exantbematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  41.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
162  (-|-  33),  Maseru  363  ( —  35j,  Scharlach  43  (-j-  1),  Typhus  abdominalis 
9  (-|-  8),  Typhus  exanthematicus  0  (==),  Erysipel  42  ( —  5),  Croup  und 
Diphtherie  41  ( —  20 1.  Pertussis  40  ( — 3),  Dysenterie  0  (  =  ),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (=),  Trachom  5  (-(-  5),  Influenza  0  (— )• 

Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  18.  Januar  1900  (siehe 
Nr.  3,  1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

Nr.  <7. 

Geschenke  : 

a )  Von  Sr.  Excellenz  Dr.  Ritter  v.  Scherze  r. 

Hauthal  R.,  Roth  S.,  Lehmann-Nitsche  R,  El  Mamifero  Misterioso  de  la 
Patagonia  x  Grypotherium  Dumestieum«.  La  Plata.  1899.  8°. 
Lehmann-Nitsche  R.,  Antropologia  y  Craneologia.  La  Plata.  1898.  8n. 
Lehmann-Nitsche  R.,  Lepra  Precolombiana?  La  Plata.  1898.  8U. 

Lehmann  Nitscl.e  R.,  Trois  cränes,  un  tiepane,  un  lesionne,  un  perfore.  .  . 
La  Plata.  1899.  8°. 

Lehmann-Nitsche  R.,  Beiträge  zur  prähistorischen  Chirurgie  nach  Funden 
aus  deutscher  Vorzeit,  Buenos  Aires.  1898.  8°. 

Vucetich  Juan,  Instrucciones  generalis  para  el  Sistema  de  Filiacion  »Pro- 
vincia  de  Buenos  Aires«.  Secunda  Edieion.  La  Plata.  1896.  81'. 

* 

b)  Diverse. 

Jahresbericht  über  die  Verwaltung  des  Medicinalweseus,  die  Kranken¬ 
anstalten  und  die  öffentlichen  Gesundheitsverhältnisse  der  Stadt 
Frankfurt  a.  M.  Jahrgang  1898.  Frankfurt  a.  M.  1899.  8".  Vom 
ärztlichen  Verein. 

Hacker  Victor,  Ritter  V.,  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  Chirurgie. 

Inaugurationsrede.  Innsbruck  1899.  8°.  Vom  Autor. 

Sargnon  Antoine,  Tubage  et  Tracheotomie  en  dehors  du  croup  chez  l’enfant 
et  chez  l’adulte.  Lyon  I960.  8".  Vom  Autor. 

Ortner  Norbert,  Vorlesungen  über  die  Therapie  innerer  Krankheiten, 
Zweite  vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  Wien  1900.  8°.  Vom  Autor. 
Gordon  y  de  Acosta  Antonio  de.  Declaremos  en  Cuba,  gueria  a  la  tuber¬ 
culosis.  Habana  1899.  8°.  Vom  Autor. 

Meyer’s  Conversations- Lexikon.  1899,  Bd.  XIX.  Von  Herrn  Hofrath  Pro¬ 
fessor  C  h  r  o  b  a  k. 

Archives  Russes  de  Pathologie,  de  Medecine  clinique  et  de  Bacteriologie. 

St.  Petersbourg  1896 —  1899.  Tom  I  -  VI.  Complet.  Von  Herrn 
Dr.  Ed.  Kraus. 

Papapan agiotou  A.,  De  la  Morbidite  et  la  Mortalite  des  Enfants  äAthenes. 

Athenes  1899.  8".  Von  Herrn  Dr.  Dem.  G  a  1  a  1 1  i. 

Kunn  Karl,  Lieber  dissociirte  Augenmuskellähmungen.  Hamburg  und 
Leipzig  1899.  81*.  (Separatabdruck.)  Vom  Autor. 

Lang  Ed.,  Acquired  Syphilis.  New  York  1899.  8°.  (Separatabdruck.)  Vom 
Autor. 

Ahlfeld  F.,  Lehrbuch  der  Geburtshilfe.  Zweite  völlig  umgearbeitete  Auf¬ 
lage.  Leipzig  1898.  8°.  Von  der  Verlagshandlung  Fr.  W  i  1  h. 
Grunow. 

* 

c)  Von  der  Redaction  der  Wiener  klin.  Wochenschrift: 

Weekblad  van  het  Nederlandsch  Tijdschrift  vor  Geneeskunde.  1899.  Vol.  I,  II. 
Complet. 

Gazette  des  Höpitaux.  Paris  1899.  Complet. 

Ferrannini  Luigi,  La  Morfologia  del  Cuore  nella  stenosi  mitraliea.  (Estr.) 
Palermo  1899.  8°. 

Voigt  W.,  Die  Curmittel  des  Bades  Oeynhausen.  Zweite  Auflage  Oeynhausen 
1899.  8". 

Morgenstern  Emil,  Jodbad  und  Höhenluftcurort  Tölz- Kranken  heil  München 
1895.  8“. 

Lahs,  Professor,  I.  Zur  Kefoim  der  Kreisphysicate.  II.  Zur  Heilserumfrage. 
Marburg  1896.  8". 

Francke  Karl,  Hauptsätze  eines  Naturforschers  und  Arztes  München 
1895.  8°. 


Delageniere  H.  (Le  Mans),  Statistique  des  Operations  pratiquees  au  Maus 
du  1  Janvier  au  31  Decembre  1896  et  1897.  Paris  1897/98. 
8".  2  Vol. 

* 

An  gekauft: 

Kühne  Fritz,  Beiträge  zur  Anatomie  der  Tubenschwangeischatt.  Marburg 
1899.  8°. 

Encyklopädie  der  Ohrenheilkunde.  Herausgegeben  von  Dr.  Louis  Blau. 
Leipzig  1900.  4°.  Bd.  I. 

Aerztliche  Sachverständigen  Zeitung.  Herausgegeben  von  Dr.  L.  Becker 
und  Dr.  A.  Leppnnnn.  Berlin  1900  fl-. 

Rosen bach  0.,  Die  Krankheiten  des  Herzens.  Wien  und  Leipzig  1897.  8°. 
Zweiter  Theil. 

Sachs  H  .  und  Freund  C.  S-,  Die  Erkrankungen  des  Nervensystems  nach 
Unfällen.  Berlin  1899.  8°. 

Edinger  Ludwig,  Vorlesungen  über  den  Bau  der  nervösen  Centralorgane 
des  Menschen  und  der  Thiere.  Sechste  umgearbeitete  und  ver¬ 
mehrte  Auflage.  Leipzig  1900.  8°. 

W  i  e  n,  im  Januar  1900.  U  u  g  e  r. 


Freie  Stellen. 

Sanitätsassistentenstelle  bei  der  k.  k.  kärntnerisohen  Landes¬ 
regierung  in  Klagenfurt,  mit  dem  Adjutum  jährlicher  1000  Kronen. 
Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  gehörig  doeumentirten,  mit  den 
Nachweisen  über  Alter,  Zuständigkeit,  zurückgelegte  Studien,  sowie  über 
die  mit  günstigem  Erfolge  abgelegte  ärztliche  Prüfung  zur  Erlangung  einer 
bleibenden  Anstellung  im  öffentlichen  Sanitätsdienste  bei  den  politischen 
Behörden  belegten  Gesuche  bis  längstens  10.  Februar  1900  entweder 
unmittelbar  oder,  soterne  sie  bereits  im  Dienste  stehen,  im  Wege  ihrer  Vor¬ 
gesetzten  Behörde  bei  dem  k.  k.  Landes-Präsidium  in  Klagenfurt  einzu- 
bringen.  Unter  Umständen  können  auch  Bewerber  ohne  Physicatspriifung 
Bei  ücksichtigung  Anden,  soferne  sie  den  Nachweis  über  eine  nach  Erlangung 
des  Doctor-Diploms  in  einem  öffentlichen  Krankenhause  vollstreckte  zwei¬ 
jährige  Dienstleistung  oder  über  eine  dreijährige  ärztliche  Privatpraxis  zu 
ei  bringen  vermögen. 

Städtische  Arztesstelle  2.  Classe  der  VII,  städtischen  Rangs- 
classe  im  Status  des  Stadtphysicates  der  Stadt  Wien  mit  dem  Jahresgehalte 
von  2000  Kronen,  dem  Quartiergelde  von  800  Kronen  und  zwei  Triennien 
von  je  200  Kronen.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  deu  Nachweis  des  an 
einer  inländischen  Universität  erlangten  akademischen  Grades  eines  Doctors 
der  gesammteu  Heilkunde  oder  eines  Doctors  der  Medicin,  Chirurgie  und 
Magisters  der  Geburtshilfe,  ferner  einer  mindestens  zweijährigen  spitalsärztli¬ 
chen  Dienstleistung  nach  der  Promotion  und  einer  gründlichen,  in  allen 
Zweigen  der  medicinischen  Wissenschaften  erworbenen  Ausbildung,  eventuell 
der  Verwendung  im  staatlichen  Sanitätsdienste  zu  liefern,  endlich  den  Tauf¬ 
oder  Geburtsschein  beizubringen.  Nicht  in  Wien  wohnende  Bewerber  haben 
ausserdem  ihrem  Gesuche  ein  amtsärtliches  Zeugniss  über  die  physische 
Eignung  zur  Verseilung  des  städtischen  Dienstes  sowie  ein  Leumunds- 
zeugniss  beizuschliessen.  Auf  diese  Anstellung  finden  weiters  die  §§  1 — 3 
der  Dienstpragmatik  für  die  Gemeindebeamten  Anwendung.  Bemerkt  wird, 
dass  diese  Stelle  für  das  ganze  Gemeindegebiet  von  Wien  ausgeschrieben 
ist,  daher  die  Competenz  unter  Einschränkung  auf  einen  bestimmten  Bezirk 
oder  Bezirkstlieil  unstatthaft  ist.  Die  Ernennung  erfolgt  provisorisch  und 
gegen  Widerruf  auf  ein  Jahr  mit  dem  Beisatze,  dass  dieselbe  nach  zu¬ 
friedenstellender  einjähriger  Verwendung  vom  Wiener  Stadtrathe  in  eine 
definitive  umgewandelt  werden  kann.  Die  Gesuche  um  diese  Stelle  sind 
vorschrlftsmässig  gestempelt  bis  längstens  28.  Februar  1900,  12  Uhr  mittags, 
im  Einreichungsprotokolle  des  Wiener  Magistrates  zu  überreichen.  Auf 
später  einlangeude  oder  nicht  gehörig  belegte  Gesuche  wird  keine  Rück¬ 
sicht  genommen. 

Gemein  de  arztessteile  für  die  Gemeinden  Maria-Lanzendorf, 
Ober-  und  Unter-Lanzendorf,  Rannersdorf  und  Zwölfaxing,  mit  dem  Wohn¬ 
sitze  in  Unter -Lanzendorf,  im  politischen  Bezirke  Bruck  a.  d.  Leitha. 
Nieder  Österreich.  Fixe  Bezüge:  Gemeindebeiträge  800  Kronen, 
Laudessubvention  900  Kronen.  Haltung  einer  Hausapotheke  erforderlich.  Mit 
dem  Tauf-(Geburts-)seheine,  Heimatscheine,  Sittenzeugnisse,  amtsärztlichen 
Gesundheitszeugnisse,  sowie  mit  dem  Diplome  belegte  Gesuche  sind  bis 
längstens  10.  Februar  1900  an  die  Gemeindevorstehung  in  Unter- 
Lauzendotf,  Post  Maria-Lanzendorf,  zu  richten. 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLEK 


k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


Nr.  5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


121 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


INHALT:  - 

Officielles  Protokoll  (1er  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerztc  in  Wien.  71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Acrzte  in  München. 

Sitzung  vom  26.  Januar  1900.  |  Vom  17. — 22.  September  1899.  (I  oitsetzung.) 

Wiener  laryngologisclie  Gesellschaft.  Sitzuug  vom  4.  Januar  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  26.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof  V.  ReilSS. 

Schriftführer :  Dr.  Alois  Kreidl. 

Der  Vorsitzende  begrüsst  als  Gäste  die  Herren  kaiserlicher  Rath 
Dr.  S  chid  er  aus  Gastein  und  Dr.  Löwy  aus  Marienbad. 

Docent  Dr.  S.  Klein  demonstrirt  einen  Fall  von  Symble¬ 
pharon  anterius  bei  einem  neunjährigen  Mädchen,  bei  welchem 
er  durch  ein  eigenes  Operationsverfahren,  bestehend  in  der  Ablösung  der  die 
Verwachsung  des  Unterlides  mit  dem  Bulbus  vermittelnden  und  den 
grössten  Theil  der  Cornea  verdeckenden  Narbenmembrau  an  die  Innen- 
.  fläche  des  Unterlides  einen  beachtenswerthen  Erfolg  erzielte,  welcher 
sich  in  verbesserter  Kosmetik,  in  bedeutender  Verbesserung  des  Seh¬ 
vermögens  durch  Freilegen  der  Cornea,  so  wie  in  Wiederherstellung  der 
Beweglichkeit  des  Augapfels  und  des  Unterlides  und  in  Verhinderung 
der  Wiederverwachsung  des  grössten  Theiles  der  Lidbreite  mit  dem 
Bulbus  manifestirt. 

Docent  Dr.  S.  Klein  stellt  weiters  einen  Fall  von  beiderseitigem 
Trachom  bei  einem  circa  26jährigen  Manne  vor,  bei  welchem  der 
Pannus  so  dicht  war,  dass  der  Patient  durch  denselben  ganz  erblindete. 
Fünf  bis  sechs  Jahre  lang  wurde  Patient  an  der  Poliklinik  durch  die 
gebräuchlichen  friedlichen  Mittel,  später  selbst  operativ  durch  Peridek- 
tomie  behandelt  und  da  Alles  erfolglos  blieb,  wurde  eine  Jequirity-Gur 
durcligeführt.  Diese  brachte  überraschenden  Erfolg.  Patient,  der  früher 
nicht  allein  gehen  konnte,  sondern  geführt  werden  musste,  ist  jetzt 
erwerbs-  und  arbeitsfähig,  liest  Schrift  Jäger  Nr.  2  fliessend  in  21/g  Zoll 
Entfernung,  da  er  hochgradig  kurzsichtig  ist,  welcher  Refractionszu- 
stand  auch  ophthalmoskopisch  in  Folge  der  beispiellos  seltenen  Auf¬ 
haltung  der  Cornea  festgestellt  werden  konnte. 

Prof.  v.  Reu  ss  macht  die  Bemerkung,  dass  das  vom  Vor¬ 
tragenden  angewendete  Verfahren  gegen  Symblepharon  von  A  r  1  t  an¬ 
gegeben  und  geübt  wurde. 

Docent  Dr.  J.  Tandler  demonstrirt  eine  Reihe  von  Bildern  eines 
sich  im  Embryonalleben  abspielenden  -eigenthümlichen  Processes,  Hil¬ 
den  er  den  Namen  Atresia  duodeni  physiologiea  vorschlägt.  Tandler 
betont  den  höchst  wahrscheinlichen  ätiologischen  Zusammenhang 
zwischen  diesem  Process  und  der  als  Atresia  duodeni  congenita  be¬ 
kannten  Missbildung.  (Erscheint  ausführlich.) 

Discussion:  Dr.  Alex.  F  ränkel  bemerkt,  dass  die  Be¬ 
funde  Tändle  r’s  als  eine  sehr  plausible  Erklärung  für  manche  ein¬ 
schlägige  Fälle  von  angeborener  Unwegsamkeit  des  Darmes  an¬ 
gesehen  werden  können.  In  der  chirurgischen  Pädiatrie  müsse  man 
bei  der  Beurtheilung  des  Symptomenbildes  der  mit  auf  die  Welt  ge 
brachten  Impermeabilität  des  Darmcanales  mit  dem  anatomischen  Zu¬ 
stande  der  congenitalen  Ati  esie  des  Dünndarmes  rechnen.  I  r  ä  n  k  e  1 
hat  zwei  einschlägige  Fälle  operirt,  in  beiden  handelte  es  sich  um 
multiple  Atresien  des  Jejuno-Ileums.  Es  war  au  einen  wirksamen 
Eingriff  wegen  der  Multiplicität  der  atretischen  Stellen  nicht  zu  denken. 
Herr  Prof.  Kolisko  machte  bei  der  Obduction  die  Bemerkung,  dass 
ihm  solche  Fälle  schon  mehrfach  untergekommen  seien.  Es  war  sein- 
interessant,  heute  zu  erfahren,  dass  solche  Befunde  die  Persistenz  eines 
in  einer  bestimmten  Zeit  des  embryonalen  Lebens  physiologischen  Zu¬ 
standes  darstellen. 

Prof.  Dr.  F.  Schauta  hält  den  angekündigten  Vortrag:  Ueber 
die  Einschränkung  der  Laparotomie  zu  Gunsten  der 
vaginalen  G  ö  1  i  o  t  o  m  i  e.  (Siehe  Original-Mittheilungen  dieser 
Nummer.) 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  4.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  O.  Cliiari. 

Schriftführer:  Dr.  Harnier. 

Der  Vorsitzende  berichtet  über  die  von  ihm  seit  der  letzten 
Sitzung  unternommenen  Schritte  behufs  Unterbringung  der  Bibliothek. 
Nach  längerer  Discussion  beschliesst  die  Versammlung,  den  Vorsitzenden 
zu  ermächtigen,  in  dieser  Angelegenheit  weitere  Unterhandlungen  zu 
pflegen  und  dieselben  eventuell  zum  Abschlüsse  zu  bringen. 

1.  Dr.  H  e  i  n  d  1  stellt  einen  Fall  linksseitiger  Accessoriuslähmung 
(  Atrophie  der  Mm.  cucullaris  und  sternocleidomastoideus)  combinirt  mit 
linksseitiger  Recurrenslähmung  vor.  Ebenso  ist  der  linke  Antheil  des 
Velum  gelähmt  und  besteht  Anästhesie  der  linken  Laiynx-  und  Pha¬ 
rynxhälfte,  sowie  Atrophie  der  linken  Zungenhälfte.  Der  ganze  Sym- 
ptomeneomplex  ist  etappenweise  seit  1897  aufgetreten,  hat  mit  der 
Lähmung  des  Accessorius,  welche  wohl  auch  dann  vorübergehend  einen 
Theil  des  Plexus  brachialis  (als  E  r  b’sche  Lähmung)  betroffen,  be¬ 
gonnen,  und  zwar  angeblich  in  Folge  Tragens  schwerer  Lasten  aut 
der  linken  Schulter.  Ein  Jahr  darauf  folgte  Heiserkeit  und  einige  Monate 
darnach  die  Lähmung  derSchlundmusculatur.  Gegenwärtig  scheint  sich  der 
Process,  insoweit  er  den  Plexus  brachialis  betroffen,  gebessert  zu  haben, 
da  der  M.  deltoides,  biceps  und  supinator  longus  sich  erholten.  Eine 
ebenfalls  bestehende  linksseitige  Taubheit  konnte  bisher  nicht  als  im 
Zusammenhänge  stehend  betrachtet  werden,  da  Narben  am  Trommelfell 
nach  abgelaufener  Otitis  media  constatirt  wurden.  Da  dtr  Fall  erst 
einige  Tage  in  Beobachtung  steht,  spricht  der  Vortragende  die  Ver- 
muthung  aus,  dass  es  sich  hier  um  eine  aufsteigende  Degeneration 
handelt,  welche  vom  Accessorius  auf  den  Vagus  (vielleicht  auch 
Glossopliaryngeus)  übergegriffen  hat.  Der  Fall  wird  beobachtet  und 
später  wieder  besprochen  werden. 

Discussion:  Docent  Dr.  Grossmann:  Der  Herr  Vortragende  hat 
die  laryngealen  Erscheinungen  des  von  ihm  demonstrirten  interessanten 
Palles  in  der  Weise  geschildert,  dass  das  gelähmte,  stark  excavirte, 
im  Bogen  verlaufende  atrophische  linke  Stimmband  in  der  Medianlinie 
steht.  Gegen  diese  Schilderung  ist  nichts  einzuwenden.  Der  Processus 
vocalis  des  gelähmten  Stimm bandes  steht  thatsichlich  in  maximalei 
Adductionsstellung. 

Ich  habe  nicht  die  Absicht,  eine  Discussion  über  die  frage  der 
Recurrenslähmung  bei  dieser  Gelegenheit  anzuregen.  Nur  ganz  flüchtig 
möchte  ich  mit  Rücksicht  auf  die  noch  vor  Kurzem  allgemein  accep 
tirte  These  von  der  primären  Posticusläbmung  die  Bemerkung  machen: 
Wenn  es  sich  in  diesem  Falle  um  eine  totale  Recur- 
rensläbmung  handelt,  warum  steht  das  Stimmband 
in  der  Median-  und  nicht  wie  gelehrt  wurde,  in  d  e  i 
Cadaver  Stellung?  Ist  aber  das  angeblich  constante 
Initialstadium  einer  i  s  o  1  i  r  t  e  n  Posticusläbmung 
noch  immer  nicht  vorüber,  wie  ist  dann  die  Atrophie 
des  Stimmbandes  zu  erklären? 

Die  Auffassung  des  Collegen  Heindl  bezüglich  der  ander¬ 
weitigen  Erscheinungen,  welche  der  demonstrirte  Fall  darbietet,  er¬ 
scheint  mir  gleichfalls  richtig  zu  sein.  Ich  möchte  bei  dieser  Gelegen¬ 
heit  auf  eine  hierher  gehörige,  bei  der  Analyse  der  vorliegenden  Sym¬ 
ptome  vielleicht  nicht  ganz  unwichtige  anatomisch  physiologische 
Eigenthümlichkeit  des  N.  accessorius  Willisii  aufmerksam  machen,  die 
ich  gelegentlich  meiner  Versuche  schon  vor  vielen  Jahren  kennen  ge¬ 
lernt,  aber  bisher  noch  nicht  publicirt  habe. 

Wenn  man  nach  Durchschneiduug  der  Membrana  obturatoria 
zwischen  Hinterhaupt  und  Atlas  die  Med.  oblong,  blosslegt,  kann  man 
mit  Hilfe  eines  Irishäkchens  den  seitlich  verlaufenden  N.  accessorius 
Willisi  fast  der  ganzen  Länge  hervorholen.  Wird  nun  dieser  Nerven¬ 
stamm  auf  eine  Elektrode  gelegt  und  peripher  gereizt,  bekommt  man 
stets  Contractionen  in  dem  M.  cucullaris  und  sternocleidomastoi  eus. 
Mau  kann  aber  auch  die  stärksten  Ströme  anwenden,  ohne  dass  da¬ 
durch  die  Musculatur  des  Kehlkopfes  auch  nur  die  aller  genngs  en 


12 2 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  5 


motorischen  Impulse  empfangen  würde.  Dieser  Nerv  hat  also  mit  der 
motorischen  Innervation  des  Larynx  sicherlich  nichts  zu  schaffen,  wie 
dies  von  so  vielen  Seiten  noch  immer  angenommen  wird,  und  auch  in 
dem  demonstrirten  Falle  können  wir  dementsprechend  nur  die  Lähmung 
des  M.  cucullaris  und  des  M.  sternocleidomastoideus  nicht  aber  jene 
der  Kehlkopfmuskeln  auf  die  linksseitige  Paralyse  des  N.  accessorius 
Willisii  beziehen. 

Eine  weitere  Eigenthümlichkeit  dieses  Nerven  liegt  darin,  dass» 
während  die  elektrische  oder  mechanische  Reizung  seines  im  Centrum 
verlaufenden •  Stammes  nicht  die  allergeringsten  Schmerzen  verursacht, 
und  auch  den  Blutdruck  nicht  im  mindesten  erhöht,  es  sich  zeigt, 
dass  er  in  seinem  peripheren  Verlaufe  durchaus  nicht  rein  motorische, 
sondern  auch  sensible  F asern  in  ziemlicher  Menge  führt.  So  z.  B.  ist 
die  Unterbindung  und  Durchschneidung  des  M.  cucullaris  mit  grossen 
Schmerzen  verbunden.  Der  Versuch  lehrt  aber  auch,  dass  die 
sensiblen  Fasern,  welche  im  peripheren  Stamme  des 
N .  accessorius  verlaufen  aus  der  vorderen  Wurzel 
des  ersten,  hie  und  da  auch  des  zweiten  Cervical- 
n  erven  entspringen.  Wenn  wir  die  sensiblen  Wurzelfasern  des 
ersten  und  zweiten  Cervicalnerverven  durchtrennen,  so  wird  trotz  in- 
tactem  Accessorius  Willisii  die  Durchschneidung  des  M.  cucullaris  und 
Sternocleidomastoideus  keinen  Schmerz  mehr  verursachen  und  auch  die 
centrale  Reizung  des  peripheren  Accessoriusstammes  nicht  mehr,  wie 
früher  den  Blutdruck  erhöhen.  Während  wir  nun  diesem  Nerven  eine 
Betheiligung  der  motorischen  Innervation  des  Kehlkopfes  entschieden 
absprechen  müssen,  halte  ich  es  für  ausgeschlossen,  dass  er  einen  Theil 
des  Kehlkopfes  und  der  Trachea,  welche  ihre  sensible  Innervation  vom 
N.  laryngeus  sup.  und  vom  N.  communicans  laryngis  (Rethi)  empfangen, 
mit  Hilfe  der  ihm  von  den  Cervical  nerven  beigegebenen  Fasern  auch 
mit  Empfindungsnerven  versieht. 

Die  Lähmung  des  M.  cucullaris  und  Sternocleidomastoideus  und 
vielleicht  auch  ein  Theil  der  Sepsibilitätsstörung  des  Larynx  und  der 
Trachea  ist  auch  sicherlich  auf  eine  Paralyse  des  N.  accessorius 
Willisii  zurückzuführen.  Die  Lähmung  der  anderen  Muskeln  insbesondere 
der  Schulter-  und  der  tieferen  Nackenmuskeln  spricht  dafür,  dass  auch 
einzelne  Cervicalnerven  in  den  Krankheitsprocess  einbezogen  sind.  Die 
linksseitige  Paralyse  des  Kehlkopfes  zeigt,  dass  der  pathologische 
Process  auch  jene  oberhalb  der  Accessorius  Wurzelfasern  gelegenen 
Vagusfasern,  insbesondere  jene,  welche  den  Ursprung  des  N.  recurreus 
und  N.  laryngeus  sup.  bilden,  ergriffen  hat.  Die  Veränderungen  an 
der  linken  Zungenhälfte,  sowie  die  Schlingbeschwerden  deuten  auf 
eine  Miterkrankung  des  N.  glossopliaiyngeus.  Und  so  sehen  wir  eine 
von  unten  nach  oben  fortschreitende  Bulbärerkrankung,  bei  welcher 
der  Facialiskern  vorläufig  noch  ziemlich  verschont  blieb. 

2.  Dr.  Harm  er:  Drei  etwas  seltenere  Fälle  von 
Larynx  tuberculose. 

Die  Verwechslung  der  Tuberculose  des  Larynx  mit  anderen 
Krankheiten  ist  eine  so  häufig  vorkommende  und  oft  beschriebene 
Thatsaclie,  dass  ich  sie  nicht  besonders  hervorzuheben  brauche.  Mit 
Syphilis,  Sklerom,  Gareinom  geschieht  es  fast  täglich,  auch  die  soge¬ 
nannten  tuberculösen  Kehlkopftumoren  gehören  hieher,  welche  häufig 
zu  diagnostischen  Irrthümern  Anlass  geben.  So  wichtig  es  vom  Stand- 
punkte  der  Prognose  und  Therapie  erschiene,  die  Tuberculose  des 
Larynx  immer  als  solche  zu  erkennen,  so  lässt  sich  doch  nicht  leugnen, 
dass  in  einer  nicht  unbedeutenden  Anzahl  von  Fällen  die  Spiegel¬ 
untersuchung  allein  hiefür  nicht  ausreicht,  während  die  Untersuchung 
der  Lungen  oft  ein  unsicheres  oder  negatives  Resultat  ergiebt;  in 
einer  geringen  Zahl  von  Fällen  lässt  sogar  die  histologische  Unter¬ 
suchung  im  Stich. 

Es  ist  daher,  wie  ich  glaube,  immer  wieder  berechtigt,  interes¬ 
santere,  atypische  Fälle  einer  grösseren  Beachtung  zu  würdigen  ;  ich 
habe  nun  auf  Anregung  des  Herrn  Prof.  C  h  i  a  r  i  drei  etwas  unge¬ 
wöhnlichere  Fälle  aus  unserer  Klinik  zusammengestellt,  deren  kurze 
Krankengeschichte  ich  mittheilen  will. 

I.  Der  erste  Fall  betrifft  einen  53jährigen  Taglölmer,  welcher 
hereditär  nicht  belastet  ist  und  angibt,  vor  vier  Jahren  Rippenfell¬ 
entzündung  und  Bronchialkatarrh  iiborstanden  zu  haben. 

Im  Mai  dieses  Jahres  begann  er  zu  husten,  im  Juli  merkte  er 
zeitweilig  Heiserkeit,  welche  seit  August  stärker  und  bleibend  ge¬ 
worden  ist.  Keine  besonderen  Schmerzen,  keine  Nachtschweisse, 
niemals  Hämoptoe.  Geringe  Abmagerung  seit  Beginn  des  Leidens. 

Als  Patient  am  13.  October  die  Klinik  aufsuchte,  bot  er  fol¬ 
genden  Befund  : 

Ueber  der  linken  Lungenspitze  der  Schall  weniger  voll  und  das 
Athrnen  nicht  so  rein  vesicular  wie  auf  der  anderen  Seite.  Im  Larynx 
war  ein  dem  rechten  Taschenbande  aufsitzender,  in  die  Glottis  hinein- 
ragender  Tumor  von  halbkugeliger  Form  und  höckeriger,  theils  dunkel- 
rother,  theils  grauweisser,  exulcerirter  Oberfläche  zu  sehen;  in  der 
Umgebung  desselben  war  das  Taschenband  etwas  infiltrirt,  sonst  der 
übrige  Larynx  normal. 


Der  Tumor  verdeckte  den  grössten  Theil  des  rechten  Stimm¬ 
bandes  und  es  war  nicht  zu  entscheiden,  ob  er  mit  demselben  in  Zu¬ 
sammenhang  stehe  oder  nicht.  Halsdrüsen  keine. 

In  diesem  Falle  wurde  ohne  histologische  Untersuchung  dio 
Diagnose  „Careinom“  gestellt,  u.  zw.  wegen  der  umschriebenen,  grob¬ 
höckerigen,  theilweise  exulcerirten  Geschwulst,  welche  auf  mässig  in- 
filtrirter  Basis  in  dem  sonst  normalen  Larynx  sass.  Mit  Rücksicht  auf 
die  beschränkte  Ausbreitung  der  Geschwulst  hätte  Patient  einer  ope¬ 
rativen  Therapie  zugeführt  werden  sollen.  Die  Sache  verzögerte  sich 
aber  zufällig  durch  einige  Zeit,  und  eines  Tages  wurde  bemerkt,  dass 
der  rechte  Aryknorpel,  der  bisher  frei  beweglich  war,  geringe  An¬ 
schwellung  und  eine  Beschränkung  seiner  Beweglichkeit  zeigte. 

Nun  wurde  von  dem  Tumor  eine  Probeexcision  gemacht  und  es 
ergab  sich  deutliche  Tuberculose. 

Bald  darauf  setzte  sich  die  Schwellung  auf  die  rechte  ary-epiglotti- 
sche  Falte  fort,  und  man  konnte  an  derselben  einzelne  hirsekorngrosse 
graugelbliche  Knötchen  constatiren.  Seither  hat  die  Infiltration  eine 
grosse  Ausbreitung  genommen  und  den  grössten  Theil  des  Larynx  er¬ 
griffen. 

II.  Im  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  33jährigen  Pa¬ 
tienten,  welcher  im  heurigen  Frühjahre  an  Influenza  erkrankte.  Seit 
damals  besteht  Heiserkeit  ;  im  August  suchte  er  einmal  die  Klinik  auf, 
blieb  aber  wieder  aus.  Die  Heiserkeit  steigerte  sich  im  October.  Pa¬ 
tient  wurde  gegen  Staub  und  Rauch  sehr  empfindlich  und  kam  am 
12.  December  neuerlich  an  die  Klinik. 

Damals  wurde  eine  an  der  Interarytaenoidalfalte  breit  aufsitzende, 
blassrotbe,  nicht  exulcerirte,  papillomartige  Wucherung  constatirt, 
welche  den  Glottisschluss  in  hohem  Grade  behinderte.  Ausserdem  war 
noch  eine  ganz  kleine,  granuläre  Wucherung  an  der  Oberfläche  des 
rechten  Stimmbandes  zu  sehen;  die  Stimmbänder  zeigten  beide  die 
Zeichen  chronischen  Katarrhs,  somit  war  im  Larynx  nichts  Auffälliges 
zu  bemerken.  Ueber  der  linken  Lungenspitze  konnte  man  geringe  In¬ 
filtrationserscheinungen  nach  weisen. 

Hier  wurde  mit  einiger  Reserve  Tuberculose  diagnosticirt,  u.  zw. 
mit  Rücksicht  auf  das  isolirte  Auftreten  einer  solchen  papillomatösen 
Wucherung  gerade  an  der  Interarytaenoidalfalte,  während  der  übrige 
Larynx  davon  frei  war. 

Die  histologische  Untersuchung  der  von  Herrn  Prof.  Chiari 
exstirpirten  Wucherung  bestätigte  auch  diese  Diagnose.  Ich  will  jedoch 
gleich  hervorheben,  dass  die  Wucherung  das  Ausseheu  der  sonst  so 
häufig  an  der  hinteren  Wand  vorkommenden  kegel-  oder  zapfen¬ 
förmigen,  tuberculösen  Infiltrate  durchaus  nicht  besass,  dass  vielmehr 
die  Aehnlichkeit  mit  einem  gewöhnlichen  Papillom  sehr  gross  war. 

Nach  der  Operation  trat  eine  Bessserung  der  Stimme  und  des 
subjectiven  Befindens  ein.  An  Stelle  der  Wucherung  sah  man  längere 
Zeit  eine  mit  graugelbem  Secrete  belegte  Gescbwürsfläche,  sonst  aber 
keine  Reaction.  Patient  verliess  am  20.  December  die  Klinik  und 
kam  zur  Beobachtung  mehrmals  hereiu. 

In  der  letzten  Zeit  erst  bildeten  sich  an  der  Operationsstelle 
neuerliche  Wucherungen  und  das  rechte  Stimmband  wurde  infiltrirt; 
im  vorderen  Antheile  des  Stimmbandes  bildete  sich  ein  Geschwür. 

III.  Der  dritte  Fall  endlkh  betrifft  einen  Mann,  welcher  angeblich 
seit  mehreren  Monaten  heiser  ist. 

Im  Larynx  fanden  sich  multiple,  theilweise  exulcerirte  Infiltrate 
an  den  Taschenbändern,  am  rechten  Stimmbande  und  rechten  Ary¬ 
knorpel. 

Am  meisten  in  die  Augen  springend  war  jedoch  eine  blassrotbe, 
feinhöckerige  Wucherung,  welche  in  der  Grösse  ungefähr  eines  Kirsch¬ 
kernes  an  der  Vorderfläche  des  linken  Aryknorpels  sass  und  einen 
ziemlich  beträchtlichen  Theil  der  Glottis  und  des  linken  Stimmbandes 
verdeckte.  Dieselbe  wurde  von  Hern  Prof.  Chiari  exstirpirt  und  am 
nächsten  Tage  war  der  Larynx  in  toto  zu  erblicken;  es  zeigte  sich 
nun,  dass  die  Glottis  verengt,  die  Beweglichkeit  der  Aryknorpel  einge¬ 
schränkt  und  auch  die  subglottische  Schleimhaut  infiltrirt  war.  Patient 
ist  bald  darauf  ausgeblieben,  und  die  histologische  Untersuchung 
des  exstirpirten  Stückes  ergab  leider  kein  positives  Resultat;  es  fand 
sich  blos  Verdickung  des  Epithels,  Infiltration  und  Gefässveränderungen 
in  der  subepithelialen  Schichte. 

Auch  hier  wurde,  allerdings  nur  vermuthungsweise,  klinisch 
Tuberculose  diagnosticirt. 

Ich  möchte  nur  noch  das  Bemerkenswerthe  dieser  Fälle  kurz 
hervorheben. 

Bei  dem  ersten  Patienten  war,  wegen  des  einseitigen,  um¬ 
schriebenen  Auftretens  einer  höckerigen,  theilweise  exulcerirten  Ge¬ 
schwulst,  in  einem  sonst  normalen  Larynx  die  Diagnose  „Carcinom“ 
gewiss  nicht  unberechtigt. 

Aus  der  Anamnese  war  nichts  zu  erfahren,  was  mit  Sichei  heit 
auf  Tuberculose  hingewiesen  hätte,  und  die  Untersuchung  der  Lungen¬ 
spitzen  ergab  ein  sehr  zweifelhaftes  Resultat.  Das  Fehlen  von  Lymph- 
drüsenmetastasen  konnte  ebenfalls  nicht  gegen  Careinom  angeführt 
werden. 


Nr.  5 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Man  hat  an  Tuberculose  gedacht,  aber  trotzdem  Carcinom  dia- 
gnosticirt. 

Im  zweiten  Falle  hat  die  Geschwulst  an  der  Interarytaenoidal- 
falte  das  Aussehen  eines  Papilloms  vorgetäuscht. 

Bei  multipler  Papillombildung  im  Larynx  sehen  wir  ja  nicht  so 
selten  die  Interarytaenoidalfalte  mitbetheiligt. 

Eine  grosse  Seltenheit  allerdings  wäre  das  solitäre  Auf¬ 
treten  von  Papillom  an  dieser  Stelle.  Dieser  Umstand,  sowie  die 
geringfügige  Veränderung  am  rechten  Stimmbande  und  an  der  linken 
Lungenspitze  wurden  zur  Diagnose  auf  Tuberculose  verwerthet.  Dieser 
Fall  und  noch  mehr  der  erste,  zeigen,  wie  wichtig  und  wiinschens- 
werth  bei  zweifelhafter  Diagnose  die  histologische  Untersuchung  ist ; 
dass  aber  selbst  diese  nicht  immer  volle  Sicherheit  bringt,  lehrt  der 
dritte  Fall.  Hier  wurde  ein  ziemlich  grosses  Stück  exstirpirt,  aber 
nirgends  fand  sich  eine  Stelle,  welche  für  den  einen  oder  anderen  der 
in  Betracht  kommenden  Krankheitsprocesse  gesprochen  hätte. 

Es  konnte  daher  blos  vermuthungsweise  Tuberculose  diagnosticirt 
werden,  u.  zw.  mit  Rücksicht  darauf,  dass  kein  anderer  Krankheits- 
process  mit  dem  klinischen  Bilde  in  Einklang  zu  bringen  war,  während 
die  Tuberculose  dasselbe  am  ehesten  erklärte,  und  überdies  unter  den 
möglicher  Weise  in  Betracht  kommenden  Processen  am  häufigsten 
vorkommt. 

Discussion:  Docent  Dr.  R e  t  h  i  bemerkt,  dass  in  dem  zweit- 
vorgestellten  Falle  ein  Papillom  nicht  gut  in  Frage  kommen  konnte, 
da  gutartige  Neubildungen  an  der  vorderen  Fläche  der  Interarytaenoid- 
schleimhaut  zu  den  allergrössten  Seltenheiten  gehören.  Von  dieser 
Stelle  ausgehend  sind  im  Ganzen  fünf  Fälle  bekannt  geworden  :  eine 
gestielte  Cyste  (von  Schrötter  beobachtet),  zwei  Papillome 
( J  a  u  v  e  1  und  Betz),  eine  gutartige  Neubildung,  nicht  näher  be¬ 
zeichnet  (Jurasz)  und  ein  Fibrom  von  aussergewöhnlichen  Dimen¬ 
sionen  (Rät  hi);  ebenfalls  nur  fünf  Fälle  wurden  in  der  Gegend 
der  hinteren  Kehlkopfpartien  beobachtet,  zum  Theile  von  der  Spitze 
oder  Basis  eines  Arytaenoidknorpels  und  von  der  hinteren  Fläche  des 
Ringknorpels  ausgehend:  zwei  Lipome  (Bruns  und  A  p  1  a  v  i  n)  und 
drei  Fibrome  (Störk,  Jurasz  und  Ziemssen). 

Es  konnte  demnach,  wie  der  Vortragende  richtig  bemerkt,  in 
diesem  Falle  ein  Papillom  kaum  in  Betracht  kommen  und  der 
Verdacht,  beziehungsweise  die  Diagnose  der  Tuberculose  war  auch 
schon  von  vorneherein  vollkommen  berechtigt. 

Docent  Dr.  Grossmann:  Die  Mittheilungen  des  Collegen 
Harm  er  illustriren  uns  neuerdings  die  Wichtigkeit  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung.  Es  wird  aber  vielleicht  nicht  ganz  über¬ 
flüssig  sein,  wenn  wir  einmal  auch  jene  fatale  Situation  zur  Sprache 
bringen,  in  die  wir  hie  und  da  durch  unser  rückhaltloses  Vertrauen 
in  diese,  sonst  so  verlässliche  und  in  ihren  Ergebnissen  so  bestimmte 
Untersuchungsmethode  gelangen. 

Ich  habe  es  schon  wiederholt  erlebt,  dass  bei  Nasenkrankheiten, 
die  ich  nach  den  klinischen  Erscheinungen  für  Carcinom  halten  musste, 
die  mikroskopische  Untersuchung  der  exstirpirten  Stücke  Tuberculose 
diagnosticirte,  während  der  weitere  Verlauf  Syphilis  ergab.  Es  sind 
Fälle  von  Larynxerkrankungen  bekannt,  bei  denen  das  Mikroskop  ein 
gutartiges  Neugebilde  angenommen,  während  es  sich  um  Carcinom  ge¬ 
handelt  hat,  und  umgekehrt  haben  wir  Fälle  erlebt,  bei  denen  die 
histologische  Untersuchung  mit  aller  Bestimmtheit  das  Vorhandensein 
eines  Carcinom3  constatirte,  die  nachträglich  spontan  ausgeheilt  sind. 

Unvergesslich  bleibt  mir  ein  Fall,  den  ich  vor  vielen  Jahren  be¬ 
handelt  habe.  Ein  robuster  Mann  im  Alter  von  etwa  über  50  Jahren, 
der  schon  früher  mit  einer  schweren  Syphilis  in  meiner  Behandlung 
stand,  kam  eines  Tages  mit  Heiserkeit  zu  mir  und  ich  sah 
ein  stark  geröthetes  linkes  Stimmband.  Eine  antisyphilitische  und  eine 
locale  Kehlkopfbehandlung  blieb  ohne  Erfolg.  Das  kranke  Stimmband 
wurde  nach  und  nach  plumper,  uneben,  endlich  auch  paralytisch.  Es 
stieg  nun  in  mir  der  Verdacht  auf  das  Vorhandensein  eines  Carciuoms 
auf.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  wiederholt  exstirpirten  Ge- 
websstücke  ergab  jedesmal,  dass  es  sich  um  ein  nach  der  Tiefe  vor¬ 
dringendes  Carcinom  handelte.  Es  kam  zur  Resection  der  kranken 
Kehlkopfhälfte  durch  Billroth  und  als  er  das  Präparat  in  Händen 
hatte  und  nachdem  er  durch^dasselbeTQuerschnitte  geführt,  erklärte 
er,  dass  es  sich  nach  seinem  Dafürhalten  nicht  um  Carcinom  handeln 
dürfte.  Meine  Berufung  auf  die  Ergebnisse  der  von  competentester 
Seite  vorgenommenen  mikroskopischenMUntersuchung  der  von  mir 
wiederholt  exstirpirten  Stücke  machten  auf  Billroth  keinen  Ein¬ 
druck.  Aus  seiner  langen,  mich  damals  verblüffenden  Auseinandersetzung 
ging  hervor,  dass  seiner  Ansicht  nach  bei  der  mikroskopischen  Unter¬ 
suchung  eine  gewisse  Vorsicht  schon  deshalb  geboten  erscheint,  weil 
man  bei  den  verschiedensteniProcessenj^so^unter  Anderem  bei  Tuber¬ 
culose  der  Gelenke  Elementen  begegnet,  welche  jenen  bei  Carcinom 
zum  Verwechseln  ähnlich  sind. 

Der  Kranke  starb  am  dritten  Tage  unter  den  bekannten  Er¬ 
scheinungen  des  „Herztodes“  nach  Larynxexstirpation.  Die  neuerliche, 
von  mehreren  Seiten  vorgenommene  mikroskopische  Untersuchung  der 


exstirpirten  Kehlkopf  hälfte  zeigte,  dass  es  sich  zweifellos  um  Carcinom 
gehandelt  hat. 

Niemand  war  mehr  berufen  und  berechtigt,  übei  die  Verlässlich¬ 
keit  mikroskopischer  Untersuchungen  ein  Urtheil  abzugeben  als  B  i  1  1- 
r  o  t  h.  Eine  Mahnung  aus  seinem  Munde,  dass  durch  das  Zusammen¬ 
treffen  eigenartiger  Verhältnisse  Täuschungen  auch  aut  diesem  Gebiete 
nicht  ausgeschlossen  sind,  legt  uns  die  Pflicht  der  weitestgehenden 
Vorsicht  auf.  Die  erwähnte  Episode  führte  mich  aber  auch  noch  zu 
folgender  Betrachtung:  Wenn  ein  Billroth  mit  seiner,  geiade  aut 
pathologisch- anatomischem  Gebiete  reichen  und  viel  bewunderten  Er¬ 
fahrung  selbst  dann  noch,  als  er  das  Präparat  bereits  in  der  Hand 
hielt,  dasselbe  abtastete,  und  durch  Querschnitte  geprüft  hat,  sich 
noch  irren  konnte,  muss  man  es  auch  den  Laiyngologen,  die  fiii  ilne 
Diagnostik  weit  ungünstigere  Vorbedingungen  vorfinden,  nicht  übel 
nehmen,  wenn  sie  nicht  immer  mit  der  wünschenswerthen  Sicherheit 
auftreten. 

Docent  Dr.  Ko  schier  hält  die  Vertheidigung  der  Wichtigkeit 
der  histologischen  Untersuchung  von  exstirpirten  Gewebsstiicken  be¬ 
hufs  Sicherstellung  der  klinischen  Diagnose  im  Allgemeinen  für  über¬ 
flüssig;  es  ist  aber  doch  noth  wendig,  in  Erwiderung  auf  die  Aus¬ 
führungen  des  Herrn  Docenten  Grossmann  die  ausserordentliche 
Bedeutung  und  die  Verlässlichkeit  des  Ergebnisses  von  histologischen 
Untersuchungen  zu  betonen,  vorausgesetzt,  dass  gewisse  Bedingungen 
eingehalten  werden. 

Die  histologische  Untersuchung  kann  ähnlich  wie  die  Sputum¬ 
untersuchung  auf  Tuberkelbacillen  nur  Aufklärung  über  das  zur  Unter¬ 
suchung  gelangte  Object  geben.  Genau  so  wie  der  negative  Befund  einer 
Sputumuntersuchung  eine  tuberculose  Lungenaffection  bei  dem  be¬ 
treffenden  Individuum  nicht  ausschliesst,  ebenso  wenig  kann  die  histo¬ 
logische  Diagnose  eines  Gewebsstiickes,  welche  auf  entzündliches  In¬ 
filtrat  oder  einfache  Epithelwucherung  lautet,  das  Vorhandensein  eines 
Carcinoms  ausschliessen ;  und  wenn  in  einem  solchen  Falle  der  weitere 
Verlauf  der  Krankheit  oder  eine  wiederholte  histologische  Untersuchung 
die  Diagnose  auf  Carcinom  feststellen  sollte,  Schuld  an  der  Resultat¬ 
losigkeit  der  histologischen  Untersuchung  trägt  ausschliesslich  und 
allein  der  Kliniker,  welcher  die  Probeexcision  offenbar  entweder 
überhaupt  nicht  an  der  richtigen  Stelle,  oder  nicht  genug  tief  ins  Ge¬ 
webe  hinein  vorgenommen  hat.  Ferner  ist  bekanntlich  eine  histologische 
Diagnose  eine  der  schwersten  Sachen  in  der  Medicin  und  sehr  viele 
Fehler  wären  in  dieser  Beziehung  vermieden  worden,  wenn  die  histo¬ 
logischen  Untersuchungen  immer  von  wirklich  erfahrenen  Histologen 
ausgeführt  worden  wären.  Denn  die  Verwechslung  von  Carcinom  mit 
Tuberculose,  zum  Beispiel,  ist  durch  die  in  der  Nähe  von  tuberculösen 
Geschwüren  sehr  üppig  auftretenden  Epithelwucherungen  verhältniss- 
mässig  leicht  möglich,  und  der  Umstand,  dass  manchmal  vielleicht, 
selbst  ein  erfahrener  Histologe  sich  geirrt  hat,  beweist  eben  noch  einmal 
die  ausserordentlichen  Schwierigkeiten,  mit  welchen  die  histologische 
Untersuchung  zu  kämpfen  hat.  Ein  solcher  war  auch  der  zweite  von 
Herrn  Docenten  Grossmann  augeführte  Fall,  der  mir  ebenfalls  be¬ 
kannt  ist.  Man  muss  aber  hinzufügen,  dass  derselbe  sieh  zu  einer  Zeit 
ereignet  hat,  wo  die  Erfahrungen  über  den  histologischen  Bau  des 

Larynxkrebses  noch  recht  mangelhaft  waren.  .  . 

Zum  Schluss  darf  man  nicht  vergessen,  dass  es  histologisch 
zweifellose  Carcinome  gibt,  welche  klinisch  nicht  als  solche  verlaufen. 

Docent  Dr.  G  r  o  s  s  m  a  n  n  :  Ueber  den  hohen  diagnostischen 
Werth  der  mikroskopischen  Untersuchungen,  ist  im  Kreise  moderner 
Aerzte  eine  weitere  Beweisführung  wohl  nicht  mehr  nothwendig. 

Aber  gerade  mit  Rücksicht  auf  das  grosse  Ansehen,  welche 
diese  Untersuchungsart  mit  Bezug  auf  ihre  Verlässlichkeit  im  Allge¬ 
meinen  geniesst,  schien  es  mir  angezeigt,  glegentlich  daran  zu  erinnern, 
dass  auch  diese  Methode  mit  Zufälligkeiten  zu  rechnen  hat,  welche 
das  Erkennen  der  Wahrheit  hie  und  da  erschweren  können.  Es  ist 
also  auch  hier  eine  gewisse  Vorsicht  am]  Platze,  damit  in  einem  ge¬ 
gebenen  Falle  kein  Unheil  angestittet  weide. 

Dr.  Sch  eff  erwähnt,  anknüpfend  an  die  Mittheilungen  des 
Vorredners,  dass  auf  der  Naturforscherversammlung  in  Frankfurt  a  M 
einer  ähnlichen  Anschauung  Ausdruck  verliehen  wurde  und  berichtet 
aus  seiner  Erinnerung  über  einen  von  B.|  F  r  ä  n  k  e  lr  daselbst  be¬ 
sprochenen  Fall.  ,  ,  .  ,  ,,, 

Dr.  Läufe'r  bemerkt  zu  dem  ersten  der  drei  vorgestellten 

Fälle,  dass  Stoerk  schon  '  vor|  langer  Zeit  solche  circumscripte 
Taschenbandtumoren  beschrieben  und  als  Tuberculose  erkannt  habe, 
welche  mit  dem  erst  beschriebenen  Falle' grosse  Aehnlichkeit^zeigten. 

Dr.  R  e  t  h  i :  Bei  histologischen  Untersuchungen  können  ver¬ 
schiedenartige  Fehlerquellen  unterlaufen  und  dadurch  zu  Fehldiagnosen, 
beziehungsweise  unrichtigen  therapeutischen  Massnahmen  Anlass  geben 
Irrthümer  sind  auch  dadurch  entstanden,  dass  Drusengebi.de  mi 
Epithelialzapfen  und  -Nestern  verwechselt  werden  und  schliesslich  kann 
auch  auf  die  Weise,  durch  Mangel  an  nöth.ger  Vorsicht,  e.n  talsc 
histologischer  Befund  resultiren,  dass  die  Schnitte  nicht  8enkrec^af 
die  Oberfläche  geführt  werden;  es  kommen  dann  leicht  isohrte  Epithel 


12  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  5 


anhäufungen  im  Bindegewebe  zum  Vorschein,  welche  nichts  Anderes 
sind,  als  die  Räume  unten  zwischen  den  Papillen,  welche  schief  ge- 
troffen  wurden. 

Dass  aber  durch  diese  zum  grössten  Theil  selbst  herbeigeführten 
Fehler  die  grosse  Bedeutung  und  der  Werth  der  histologischen  Unter¬ 
suchung  nicht  im  Mindesten  tangirt  wird,  ist  selbstverständlich. 

3.  Prof.  Chiari:  Ende  September  1899  wurde  mir  von  einem 
Collegen  ein  öSjähriger  kräftig  gebauter  und  gut  genährter  Herr 
zugesendet,  welcher  seit  einem  Jahre  hie  und  da  heiser  war;  seit 
drei  Monaten  hatte  die  Stimmstörung  dauernd  zugenommen,  so  dass 
der  Patient  zur  Zeit  der  Untersuchung  stark  heiser  war.  Schmerzen 
beim  Schlingen  hatten  durch  fünf  Wochen  bestanden,  waren  aber  in 
der  letzen  Zeit  bedeutend  zurückgegangen;  nur  bestand  starke  Salivation. 

Die  Anamnese  ergab,  dass  der  Patient  vor  zwei  Jahren  eine 
sehr  heftige  Mandelentzündung  mit  starker  Drüsenschwellung,  aber 
ohne  Eiterung  überstanden  hatte.  Irgend  eine  syphilitische  Erkrankung 
hat  der  Patient  nie  an  sich  bemerkt. 

Die  Diagnose  des  behandelnden  Arztes  lautete  auf  Epithelioma 
laryngis.  Die  Untersuchung  schien  auch  dafür  zu  sprechen;  vor  Allem 
fiel  der  jauchige  Geruch  aus  dem  Munde  auf.  Ferner  konnte  man  mit 
dem  Spiegel  die  rechte  Hälfte  der  Epiglottis  zu  einem  rundlichen, 
haselnussgrossen,  ulcerirten  Tumor  umgewandelt  sehen.  Dem  Rande 
und  Grunde  des  Geschwüres  sassen  bis  erbsengrosse  papilläre,  höckerige 
Wucherungen  auf.  Das  Geschwür  setzte  sich  auf  die  rechte  pharyngo- 
epiglottische  und  aryepiglottische  Falte  fort.  Soweit  stimmte  Alles  für 
die  Diagnose  auf  Carcinom.  Dagegen  sprach  auch  nicht  der  Umstand, 
dass  die  linke  Epiglottishälfte  aufs  Doppelte  verdickt  und  stark  ge. 
rötliet  war.  Aber  bei  Besichtigung  der  anderen  Larynxtheile  fiel  mir 
auf,  dass  beide  Aryknorpel  stark  in filtrirt.  geröthet  und  dennoch  ganz 
gut  beweglich  waren.  Ferner  zeigten  das  linke  Stimm-  und  Taschen¬ 
band  höckerige  Infiltrate  und  Ulcera.  Ich  calculirte  nun,  dass  nach 
unseren  Erfahrungen  Infiltrate  und  Ulcera  krebsiger  Natur  vor  dieser 
Ausbildung  die  beiden  Gelenke  zwischen  Aryknorpel  und  Ringknorpel 
hätten  immobilisiren  müssen;  ausserdem  beginnt  der  Krebs  gewöhnlich 
nicht  zu  gleicher  Zeit  an  verschiedenen  Stellen  des  Kehlkopfes,  sondern 
breitet  sich  per  continuitatem  langsam  von  einem  Punkte  aus  und 
bleibt,  wie  bekannt,  sehr  lange  Zeit  einseitig.  Drüsen,  Exanthem  oder 
Narben  waren  nirgends  nachweisbar.  Ich  erklärte  daher  die  Diagnose 
auf  Krebs  als  sehr  zweifelhaft.  Es  blieb  nun  nichts  übrig,  als  an  exstir- 
pirten  Stücken  die  histologische  Untersuchung  vorzunehmen.  Bemerken 
will  ich  noch,  dass  beide  Lungen  sich  als  gesund  erwiesen  und  schon 
früher  oftmalig  vorgenommene  Sputumuntersuchungen  keine  Tuberkel¬ 
bacillen  nachgewiesen  hatten. 

Am  29.  September  entfernte  ich  mit  Krause’s  schneidender 
Doppelcurette  mehrere  grosse  Stücke  der  Wucherungen  an  der  rechten 
Seite  der  Epiglottis.  Die  Blutung  war  massig,  die  Reaction  in  den 
nächsten  Tagen  gering.  Am  4.  October  theilte  mir  mein  Assistent  mit, 
dass  er  in  den  Schnitten  Epithelialcarcinom  zu  finden  glaube.  Ich  be¬ 
sichtigte  sie,  fand  aber  nur  ein  stark  mit  Rundzellen  infiltrirtes  Ge¬ 
webe,  bekleidet  von  einem  sehr  verdickten  Pflasterepithel,  welches 
dicke,  lange  Zapfen  in  die  Tiefe  sendete.  Nirgends  fand  sich  atypische 
Epithelwucherung.  Docent  Dr.  Albrecht,  welcher  die  Güte  hatte,  die 
Präparate  mit  mir  durchzusehen,  erklärte  auch,  dass  sich  aus  diesen 
Schnitten  Carcinom  nicht  diagnosticiren  lasse.  Daher  verschrieb  ich  am 
5.  October  2  g  Jodkali  pro  die  und  hatte  die  Freude,  schon  am 
10.  October  das  Geschwür  der  rechten  aryepiglottischen  Falte  geheilt 
zu  fiuden.  Der  ganze  Kehldeckel  war  dünner  geworden,  der  Tumor 
rechts  viel  kleiner,  das  Geschwür  daselbst  reiner  und  der  üble  Geruch, 
die  Schlingbeschwerden,  sowie  die  starke  Speichel-  und  Schleim¬ 
absonderung  hatten  fast  ganz  aufgehört.  Die  Heilung  schritt  nun  schnell 
vorwärts.  Als  ich  am  15.  December  den  Patienten  zuletzt  sah,  war  die 
Epiglottis  dünner  als  normal  und  namentlich  rechts  narbig  verschrumpft, 
beide  Aryknorpel  von  normaler  Grösse  und  gut  beweglich;  nur  beide 
Taschenbänder  zeigten  noch  massige  Verdickung.  Die  Stimme  war 
leicht  belegt. 

Nach  diesem  Erfolge  der  Jodkalitherapie  konnte  über  die  syphi¬ 
litische  Natur  des  Kehlkopf leidens  kein  Zweifel  mehr  bestehen.  Wahr¬ 
scheinlich  war  die  angebliche  Tonsillitis  vor  zwei  Jahren  der  Primär- 
aftect  gewesen. 

Jedenfalls  ergibt  sich  aus  dieser  Mittheilung  die  Nothwendigkeit, 
sehr  vorsichtig  bei  der  Diagnose  des  Kehlkopfkrebses  zu  sein  und  alle 
Momente  zu  berücksichtigen.  Namentlich  soll  man  bei  der  Deutung 
histologischer  Befunde  sehr  skeptisch  vorgehen. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

.  (Fortsetzung.) 

Section  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Berlin). 

II.  Sitzungstag,  Dienstag  den  19.  September,  Vormittags. 

Vorsitzender  :  Se.  königl.  Hoheit  Prinz  Dr.  Ludwig  Ferdinand  von 
Bayern. 

IX.  K  ü  m  me  1 1  (Hamburg):  Ueber  circulare  Naht  der 
Gefäss.e. 

Erst  in  den  letzten  17  Jahren  hat  sich  mehr  und  mehr  die  Vor¬ 
stellung  Bahn  gebrochen,  dass  auch  an  den  grossen  Blutgefässen  des 
menschlichen  Körpers  conservative  Methoden  ihre  Berechtigung  haben 
und  auch  von  Erfolg  begleitet  sein  können.  Diese  Gedanken  und  Er¬ 
wägungen  sind  jedoch  jetzt  nicht  ganz  neu,  wie  es  scheinen  will,  denn 
schon  im  Jahre  17G2  führte  Lambert,  der  Chirurg  von  Newcastle, 
eine  seitliche  Arteriennaht  bei  einem  Verletzten  aus,  welche  von  Erfolg 
begleitet  war.  Im  folgendem  Jahre,  1763,  stellte  Ass  mann  zw-ei 
Versuche  an  Thieren  über  die  Naht  an  Gefässen  an  und  fand,  dass 
dieselben  vollständig  obliterirten.  Damit  war  das  Schicksal  der  Gefäss- 
Daht  für  längere  Zeit  besiegelt,  und  Broca  sagt  in  seiner  Arbeit 
(1856):  „Des  anevrysmes  et  de  leur  traitement“,  indem  er  die  gelungene 
Gefässnaht.  von  Lambert  und  die  Widerlegung  von  Assmann  er¬ 
wähnt  und  die  Obliteration  der  Arterien  bei  der  Naht  für  feststehend 
ansieht:  „On  revient  done  k  la  ligature  et  il  en  etait  temps. “  120  Jahre 
vergingen,  bis  die  Gefässnaht  von  Neuem  zur  erfolgreichen  Ausführung 
gelangte.  Am  23.  November  1881  schloss  Czerny  die  Vena  jugularis 
communis  durch  eine  seitliche  Naht;  die  Patientin  ging  jedoch  an 
Pvämie  zu  Grunde,  während  Schede  die  Vena  femoralis  communis 
mit  Erfolg  nähen  konnte.  Auf  dem  Congress  der  „Deutschen  Gesell¬ 
schaft  für  Chirurgie“  im  Jahre  1882  sprechen  Braun  und  Schede 
über  den  seitlichen  Verschluss  von  Venenwunden  und  Gluck  berichtete 
über  zahlreiche  Experimente  über  die  Naht  der  Blutgefässe.  Derselbe 
hat  das  Verdienst,  durch  vielseitige  Thierversuche  auf  die  Möglichkeit 
der  seitlichen  und  circularen  Naht  von  Arterien,  ohne  dass  es  zur 
Bildung  von  Thromben  kam,  öfter  hingewiesen  zu  haben. 

Seit  dem  Jahre  1882,  seit  den  Mittheilungen  Czerny’s, 
Schede’s,  wurde  die  seitliche  Venennaht  öfters  ausgeführt,  indem 
sie  sich  meistens  an  Verletzungen  dieser  Gefässe  bei  Operationen 
ansehloss.  Ich  selbst  habe  Gelegenheit  gehabt,  die  seitliche  Naht 
der  Vena  jugularis  communis  und  der  Femoralis  ohne  Störungen  aus¬ 
zuführen. 

Erst  später  wendet  man  seine  Aufmerksamkeit  der  Naht  der 
Arterien  zu.  Jossinowski  (Odessa)  kommt  1891  auf  Grund  seiner 
experimentellen  Studien  zu  dem  Resultate,  dass  in  keinem  der  vielen 
Fälle  bis  zum  100.  Tage  ein  Aneurysma  sich  bildete.  Die  Gefässnarbe 
war  an  älteren  Geweben  sehr  fest  und  unnachgiebig,  die  Adventitia 
zeigte  an  der  Nahtstelle  eine  starke  Verdünnung,  die  Media  Vermehrung 
ihrer  zelligen  Elemente,  die  Membrana  elastica  weist  an  der  Nahtstelle 
eine  geringfügige  Lücke  auf,  das  Gefässendothel  scheint  nach  Jossi- 
nowski’s  und  Haidenhein’s  Thierversuchen  den  narbigen  Ver¬ 
schluss  der  Arterien  herbeizuführen. 

Abbey  (New-York)  1894  führte  mit  Hilfe  von  Glastuben 
Arterien-  und  Venennähte  im  Thierexperiment  mit  Erfolg  aus. 

Murphy  (Resection  of  arteries)  1897  und  1898  stellte  weiter 
vielfache  experimentelle  und  klinische  Untersuchungen  über  Gefässnaht 
an.  Er  führte  die  circulare  Gefässnaht,  wenn  mehr  als  die  Hälfte  des 
Umfanges  durchtrennt  ist.  nach  Resection  der  verletzten  Partie  und 
Invagination  des  oberen  Theiles  in  den  unteren  beim  Thiere  erfolg¬ 
reich  aus.  Die  Naht  wird  mit  Schonung  der  Intima  zur  Vermeidung 
von  Thrombeubildung  ausgeführt.  (Fortsetzung  folgt.)- 


Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  5.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends. 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Rothenthurmstrasse  21  23 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  Teleky 
stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Hofrath  Prof.  E.  Albert:  Architektur  des  Knochens.  (Mit  Demon¬ 
strationen.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fnclis,  Karl  Griissenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redio-irt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

o 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  V 1 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


Dio  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX,  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
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Telephon  Nr.  3373. 


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Telephon  Nr.  60Ü4. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  8.  Februar  1900. 


Kr.  6. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  dem  Institute  für  allgemeine  und  experimen¬ 
telle  Pathologie  der  Universität  zu  Wien.  Ueber  die  Wirkung  des 
Schilddrüsensaftes  auf  die  Circulation  und  Atlimung  nebst  einem 
Anbange  über  Beziehungen  zwischen  Jodothyrin  und  Jodnatrium, 
beziehungsweise  Atropin.  Von  Dr.  Bel  a  v.  Fenyvessy. 

2.  Aus  der  Ohrenabtheilung  im  k.  u.  k.  Garnisons-Spitale  Nr.  1  in 
Wien.  Störungen  der  Vasomotorenthätigkeit  und  der  Sensibilität 
nach  peripherer  traumatischer  Facialislähmung.  Von  Regimentsarzt 
Dr.  Carl  Biehl. 

3.  Gutachten  der  medicinischen  Facultät  in  Wien.  Todschlag,  verübt 
von  einem  trunksüchtigen,  ethisch  depravirten  Individuum.  An¬ 
geblicher  pathologischer  Rauschzustand  und  Schlaftrunkenheit. 
Verurtlieilung.  Referent  Prof.  v.  Wagner. 

4.  Philipp  Knoll  f. 


II.  Referate:  I.  Die  Fruchtabtreibung  durch  Gifte  und  andere  Mittel. 

Von  Prof.  Dr.  L.  Lewiu  und  Dr.  M.  B  r  e  n  n  i  n  g.  II.  Hand¬ 
buch  der  Toxikologie.  Von  Prof.  A.  J.  Kunkel.  III.  Mittheilun¬ 
gen  über  einige  während  des  Jahres  1898  im  analytischen  Labora¬ 
torium  der  Krankenhausapotheke  zu  Leipzig  ausgetührte  A i beiten. 
IV.  Pharmakognostische  Karte  für  die  Arzneibücher  Europas  und 
der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Von  Herman  n 
Schelenz.  V.  Beiträge  zu  den  Wirkungen  des  Jodoforms.  Von 
Dr.  med.  Jean  Gros.  Ref.  H  o  c  k  a  u  f. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Notizen. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  dem  Institute  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  der  Universität  zu  Wien. 

Ueber  die  Wirkung  des  Schilddrüsensaftes  auf 
die  Circulation  und  Athmung  nebst  einem  An¬ 
hänge  über  Beziehungen  zwischen  Jodothyrin 
und  Jodnatrium,  beziehungsweise  Atropin. 

Von  Dr.  Bela  V.  Fenyvessy,  Assistenten  am  pharmakologischen  Institute 

der  Universität  zu  Budapest. 

Seit  den  grundlegenden  Untersuchungen  von  Brown- 
Sequard  über  die  »innere  Secretion«  hat  die  Verabreichung 
thierischer  Organbestandtheile,  theils  als  Heilverfahren,  theils 
aber  auch  als  Versuchsmethode  zum  Studium  der  physiologi¬ 
schen  Function  gewisser  Drüsen  vielfach  Anwendung  ge¬ 
funden.  Namentlich  suchte  man  für  die  auf  klinischen  und  ex¬ 
perimentellen  Erfahrungen  fussende  Annahme,  dass  die  so¬ 
genannten  »Blutdrüsen«  (»Drüsen  ohne  Ausführungsgänge«: 
Schilddrüse,  Hypophysis,  Nebennieren)  in  enger  Beziehung 
zum  Kreislauf  stehen,  dadurch  weitere  Stützen  zu  liefern,  dass 
mau  ihre  unmittelbare  Wirkung  auf  die  Circulation  durch 
directe  Injection  von  Bestandtheilen  derselben  in  die  Blut¬ 
bahn  fremder  Thiere  prüfte. 

Ueber  die  Wirkung  intravenöser  Injectionen  des  Schild¬ 
drüsensaftes  findet  man  folgende  Angaben  in  der  Literatur: 

Hein  atz1)  beobachtete  unmittelbar  nach  der  Injection 
von  filtrirtem,  aseptischen  Schilddrüsensafte  eine  lang  dauernde 
Blutdrucksteigerung,  welcher  eine  bedeutende  Beschleunigung 
der  Herzcontractionen  vorausging;  letztere  trat  auch  nach 
Durchschneidung  beider  N.  vagi  ein.  Nach  Schaefer  und 

’)  Altes  und  Neues  über  die  Schilddrüse.  Dissertation  (russisch). 
1894.  Citirt  nach  Georgiewsky. 


Oliver'2)  erzeugt  der  Schilddrüsensaft  eine  geringfügige  und 
kurzdauernde  Blutdrucksenkung.  Etwas  ausführlicher  als  in 
dieser  vorläufigen  Mittheilung,  erörtert  Schaefer3)  die 
Frage  in  seinem  Vortrage  »Ueber  die  innere  Secretion«.  Er 
betont  daselbst,  dass  die  Blutdrucksenkung  bei  normaler 
Frequenz  und  Grösse  der  Herzcontractionen  vor  sich  geht 
und  daher  nur  durch  die  Erweiterung  der  Arterien  bedingt 
sein  kann.  Als  Beweis  hiefür  führt  er  an,  dass  Oliver  an 
Menschen  nach  Verabreichung  von  Schilddrüsenpräparaten  eine 
Erweiterung  der  A.  radialis  beobachtete,  ferner  dass  nach 
Lorrain  Snidth  die  Versucliäthiere  nach  Exstirpation  der 
Schilddrüsen  auffallend  empfindlich  gegen  Schwankungen  der 
äusseren  Temperatur  waren,  ein  Umstand,  der  nach 
Schaefer  ebenfalls  durch  eine  Störung  der  Gefässinnervation 
bedingt  sein  dürfte. 

Georgiewsky1)  schildert  die  Schilddrüsenwirkung 
folgendermassen :  unmittelbar  nach  der  Einspritzung  tritt  eine 
kurzdauernde,  unbedeutende  Verminderung  der  Herzcon¬ 
tractionen  und  ein  geringes  Sinken  des  Blutdruckes  ein;  das 
letzte  kommt  auch  nach  Durchschneidung  des  Rückenmarkes 
unterhalb  der  Medulla  oblongata  vor,  ist  daher  nicht  centralen 
Ursprunges. 

Haskovec5)  experimentirte  mit  10 — 20%igen  wässe¬ 
rigen  Extracten,  die  er  theils  aus  frischen  Hunde-Schilddrüsen, 
theils  aus  dem  Merk’schen  Thyreoidin  bereitete.  Die  intra- 

2)  Effects  of  glandular  extracts.  Journal  of  Physiol.  1895,  pag.  277 
(vorläufige  Mittheilung). 

3)  Schaefer,  An  internal  secretion.  British  med.  Journal.  1895, 
Bd.  II,  pag.  321. 

4)  Die  Wirkung  der  Schilddrüsenpräparate.  Zeitschrift  tür  klinische 
Medicin.  Bd.  XXXIII,  pag.  153. 

»)  Ueber  die  Einwirkung  des  Schilddrüsensaftes  auf  den  Kreislaut. 
Wiener  medicinische  Blätter.  1896,  Hett  8  fi. 


126 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


venöse  Injection  derselben  erzeugte  Illutdrucksenkung  und 
bedeutende  Pulsbeschleunigung.  Diese  letztere  ist  nach  Has- 
kovec  unabhängig  vom  Vagus  und  beruht  auf  der  Erregung 
des  Acceleranscentrums.  Die  Depression  äusserte  sieh  auch  bei 
Reizung  des  Gefäss-Nervencentruras  durch  Asphyxie.  Ferner 
beobachtete  Haskovec,  dass  der  Druckabfall  auch  nach 
Durchtrennung  der  Medulla  oblongata  eintritt,  nicht  aber  wenn 
die  Thiere  curarisirt  waren.  Die  letztere  Beobachtung  erklärt 
er  mit  der  Angabe  Strieker’s6),  laut  der  Curare  auf  die 
spinalen  Gefässcentren  lähmend  einwirkt  (?). 

Die  Schlussfolgerungen  von  Haskovec  bezüglich  der 
Ursache  der  Blutdrucksenkung  lauten:  Dieselbe  ist  nicht 
ausschliesslich  bulbär,  sie  kann  auch  spinal  oder  peripher  sein. 

Livon7)  rechnet  die  Schilddrüsen  zu  den  gefässver- 
engernden  Organen. 

Guinard  und  Martin 8)  bereiteten  Extracte  aus 
frischen  menschlichen  Organen.  Der  so  gewonnene  Schilddrüsen¬ 
saft  erzeugte  eine  bedeutende  Blutdrucksenkung. 

Sämratliche  erwähnten  Autoren  experimentirten  an  Hunden. 

Aus  dem  Mitgetheilten  ersieht  man,  dass  die  meisten 
Forscher  übereinstimmend  die  Blutdrucksenkung  als  Wirkung 
des  Schilddriisensaftcs  angeben. 

Jedoch  fehlt  es  nicht  an  widersprechenden  Versuchs¬ 
ergebnisser,  wie  diejenigen  von  Heinatz  und  Zivon.  Aber 
selbst  diejenigen  Autoren,  die  über  die  Veränderung  der 
Druckhöhe  übereinstimmend  berichten,  weichen  in  der  Be¬ 
schreibung  der  Schlagfolge  des  Herzens  von  einander  ab. 
Schäfer  betont  ausdrücklich  die  unveränderte  Herzthätig- 
keit,  Georgiewsky  beobachtete  Verlangsamung,  Hasko¬ 
vec  Beschleunigung,  Guinard  und  Martin  beide  Er¬ 
scheinungen. 

Diese  Widersprüche  veranlassten  mich  zur  Aufnahme 
meiner  nachstehenden  Untersuchungen  über  die  Wirkungs¬ 
weise  der  Schilddrüsenpräparate.  Es  schien  mir  geboten,  bei 
der  Prüfung  der  Kreislaufverhältnisse  auch  die  Erscheinungen 
seitens  der  Athmung  umsomehr  zu  berücksichtigen,  als  be¬ 
züglich  der  letzteren  bisher  keine  Angaben  vorliegen.  Zur  Er¬ 
klärung  der  von  einander  abweichenden  Resultate  der  früheren 
Untersuchungen  betrachtete  ich  es  als  naheliegend,  an  die 
Verschiedenheit  der  benützten  Präparate  zu  denken.  Die 
durch  die  Herkunft,  Bereitungsweise  und  eventuelle  Zersetzung 
bedingte  labile  Zusammensetzung  der  Organextracte  berechtigt 
wohl  zu  der  Annahme,  dass  bei  der  intravenösen  Injection 
derselben  neben  den  allen  gemeinsamen  Substanzen  noch  eine 
Reihe  von  wechselnden,  zufälligen  Bestandtheilen  sich  geltend 
machen  und  die  wesentliche  Wirkung  modificiren  könnte. 

Die  accidentellen  Erscheinungen  suchte  ich  von  den 
wesentlichen  dadurch  zu  trennen,  dass  ich  eine  Reihe  von 
Schilddrüsenpräparaten  verschiedener  Herkunft  untersuchte;  es 
war  schon  von  vorneherein  wahrscheinlich,  dass  diejenigen  Er¬ 
scheinungen,  welche  ausnahmslos  durch  alle  diese  Präparate 
erzeugt  würden,  als  regelmässige  Schilddrüsenwirkung  bezeichnet 
werden  durften. 

Meine  Versuchsthiere  waren  Kaninchen,  welche  bald  in 
curarisirtem  Zustande,  bald  —  wo  es  auf  die  Beobachtung  der 
Athembewegungen  ankam  —  uncurarisirt  zu  den  Experimenten 
benützt  wurden.  Die  Registrirung  des  Blutdruckes  erfolgte  in 
der  üblichen  Weise  mit  Hilfe  eines  Quecksilber-Manometers, 
die  \  erzeichnung  der  Respiration  mit  Benützung  einer  von 
Knoll9)  angegebenen  Vorrichtung,  bei  welcher  das  Versuchs- 
thier  in  einen  geschlossenen  Luftraum,  der  mit  einer  Mar  ey- 
schen  Schreibtrommel  verbunden  war,  exspirirte.  Die  Injection 
erfolgte  immer  in  die  Vena  jugularis. 

")  Untersuchungen  über  die  Ausbreitung  der  tonischen  Gefässcentren 
im  Rückenmarke.  Sitzungsbericht  der  kaiserlichen  Akademie  in  Wien.  1877, 
pag.  136. 

’)  Citirt  nach  8). 

s)  Comptes  rendus  de  la  Soc.  d.  Biologie  1898,  auch  in  den  Schluss¬ 
sätzen  der  Mittheilung:  Contribution  ä  l’etude  des  eflets  du  sue  surrenal. 
Journal  de  Physiol,  et  Pathol,  generale.  1899,  Nr.  4,  pag.  784. 

9)  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Athmungsinnervation.  I.  Mittheilung. 
Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.  1882, 
Bd.  LXXXV,  pag.  283. 


Dass  ich,  abweichend  von  den  früher  erwähnten  Au¬ 
toren  —  die,  wie  schon  erwähnt,  an  Hunden  experimentirten 
—  Kaninchen  wählte,  dazu  veranlasste  mich  einerseits  der 
Umstand,  dass  die  meisten  experimentellen  Eingriffe  bequemer, 
einige,  meinen  Zwecken  besonders  entsprechende,  ausschliess¬ 
lich  an  diesen  Thieren  auszuführen  sind;  andererseits  über¬ 
zeugte  ich  mich  durch  einige  an  Hunden  vorgenommene  Ver¬ 
suche,  dass  die  wichtigsten  Zeichen  der  Schilddrüsenwirkung 
an  beiden  Thierarten  im  gleichen  Sinne,  jedoch  an  Kaninchen 
leichter  und  prägnanter  erzeugt  werden  können. 

Die  von  mir  benützten  Schilddrüsenpräparate  waren  fol¬ 
gende:  1.  Frische  Hunde  Schilddrüsen ;  2.  getrocknete  Rinder- 
Schilddrüsen  (dieses  Präparat  wurde  mir  von  Dr.  E.  F  r  e  u  n  d, 
Vorstand  des  pathologisch-chemischen  Laboratoriums  der 
k.  k.  Krankenanstalt  »Rudolfstiftung«  in  Wien,  freundlichst 
zur  Verfügung  gestellt);  3.  M  e  r  k’sches  Thyreoidin;  4.  Mer  lö¬ 
sche  Schilddrüsen-Tabletten ;  5.  Tabletten  von  Burrough- 
W  e  1  c  o  m  e. 

Um  eine  zur  intravenösen  Injection  geeignete  Flüssig¬ 
keit  zu  erhalten,  wurden  aus  allen  diesen  Präparaten  10%ige  Aus¬ 
züge  bereitet,  indem  abgewogene  Mengen  der  festen  Substanz 
mit  der  zehnfachen  Menge  physiologischer  Kochsalzlösung 
gründlich  verrieben  und  12 — 24  Stunden  lang  digerirt 
wurden. 

Das  klare,  farblose  oder  gelbliche  (bei  Anwendung  von 
frischen  Organen  rötldiche),  neutral  oder  schwach  alkalisch 
reagirende  Filtrat  wurde  dann  sofort  zur  Injection  ver¬ 
wendet. 

Das  Ergebniss  meiner  Untersuchungen  war  vor  Allem, 
dass  alle  erwähnten  Präparate  vollständig  analog  wirkten.  Die 
nachstehende  Schilddrüsenwirkung  gilt  daher  für  jedes  ein¬ 
zelne  Präparat.  Bei  dieser  qualitativen  Uebereinstiinmung 
zeigten  die  einzelnen  Auszüge  erhebliche  Differenzen  an  Wirk¬ 
samkeit;  solche  kamen  aber  auch  bei  Anwendung  desselben 
Ausgangspräparates  vor;  somit  bin  ich  nicht  berechtigt,  das 
eine  oder  andere  Grundpräparat  als  mehr  oder  minder  wirk¬ 
sam  zu  bezeichnen,  da  die  Ursache  der  quantitativen  Differenzen 
augenscheinlich  in  der  Ungenauigkeit  des  Extractionsver¬ 
fahrens  lag. 

Ich  will  nun  der  ausführlichen  Besprechung  der  Kreis- 
laufverhältnisse  eine  kurze  Schilderung  meiner  Erfahrungen 
bezüglich  der  Wirkung  des  Schilddrüsensaftes  auf  die  Athem¬ 
bewegungen  vorausschicken. 

ln  einer  Anzahl  von  Fällen  blieb  die  Athmung  selbst  nach 
Injection  von  grossen  Dosen,  die  den  Kreislauf  stark  beeinflussten, 
unverändert. 

In  einer  anderen  Reihe  von  Versuchen  trat  unmittelbar 
nach  der  Einspritzung  des  Schilddrüsensaftes  eine  kurz¬ 
dauernde  Periode  der  Beschleunigung  und  Abflachung  der 
Athembewegungen  ein  (primäre  Wirkung),  welcher  daun 
meistens,  insbesondere  bei  Verwendung  von  Extractum  thyreoid, 
eine  länger  dauernde  Periode  geringfügiger  Vertiefung  und 
Beschleunigung  der  Athmung  folgte  (secundäre  Wirkung). 

Achnliche  Erscheinungen  wie  bei  der  primären  Wirkung 
(Beschleunigung  und  Abflachung  der  Athmung  in  Inspirations¬ 
stellung  des  Zwerchfelles)  beobachtete  Knoll  sowohl  bei  Zu¬ 
fuhr  einiger  flüchtiger  Substanzen  (Aether,  Chloroform,  Benzin, 
Senföl)  zu  den  unterhalb  des  Kehlkopfes  gelegenen  Luft¬ 
wegen  l0),  als  auch  nach  intravenöser  Injection  von  Chloral- 
hydrat.  1 ')  Wie  er  mittelst  Durchschneidung  der  Vagi,  respec¬ 
tive  durch  Verschluss  der  Pulmonalarterie  während  der  In¬ 
jection  feststellte,  handelte  es  sich  um  einen  durch  die  Rami  trache¬ 
ales  und  pulmonales  der  Brustvagi  vermittelten  Reflex  auf 
die  Athmung.  Da  die  von  mir  beobachtete  primäre  Aenderung 
der  Athmung  ebenfalls  entfiel,  wenn  die  Vagi  vorher  durch¬ 
schnitten  wurden,  so  durfte  sie  als  eine  mit  der  von  Knoll 
beschriebenen  analoge  Reflexerscheinung  aufgefasst  werden. 
Ob  die  secundäre  Wirkung  durch  eine  directe  Wirkung  auf 

10)  Ueber  die  Reflexe  der  Athmung  etc.  Sitzungsberichte  der  kaiser¬ 
lichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.  1873,  Bd.  LXVI1I, 
pag.  245. 

n)  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Athmungsinnervation.  IV.  Mittheilung. 
Ibidem.  1883,  Bd.  LXXXV1II,  pag.  479. 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  19ÜO 


127 


das  Athmungscentrum  bedingt  ist, .  muss  ich  dahingestellt  sein 
lassen,  da  die  Ineonstanz  der  Erscheinung  eine  genauere  Unter¬ 
suchung  ihrer  Bedingungen  nicht  ermöglichte. 

Eine  tiefgreifende  Wirkung  des  Schilddrüsensaftes  auf 
die  Athmung  konnte  ich  nur  in  einem  Falle  beobachten.  Nach¬ 
dem  einem  kleinen  Kaninchen  (900  </)  2  cm*  (eine  verhältniss- 
miissig  grosse  Dosis)  Schilddrüsensaft  (Merck’sches  Thyre- 
oidin)  eingespritzt  worden  war,  trat  eine  zunehmende  Ab¬ 
dachung  der  Athmung  und  bald  darauf  Stillstand  derselben 
ein.  Um  das  Thier  zu  retten,  wurde  künstliche  Ventilation 
eingeleitet;  nach  Aussetzung  derselben  folgte  eine  Reihe  spon¬ 
taner  Athmungen,  worauf  sich  ein  zweiter,  diesmal  tödtlicher 
Respirationsstillstand  einstellte.  Während  der  ganzen  Zeit 
wurde  der  Kreislauf  nur  durch  die  vorübergehende  Wirkung 
des  Extractes,  später  durch  die  gewöhnlichen  Folgen  der 
Asphyxie  (Pulsverlangsamung  und  Blutdrucksteigerung)  gestört. 
Eine  Erklärung  für  diese  Erscheinung,  die  sich  nicht  mehr 
wiederholte,  kann  ich  vorläufig  nicht  geben. 

Immerhin  wird  man  auf  Grund  der  zahlreichen  positiven 
Beobachtungen  dem  Schilddrüsensafte  neben  der  ersten  oder 
primären  reflectorischen  Beeinflussung  der  Athmung  noch  eine 
zweite  oder  secundäre  Wirkung  auf  die  Respiration  zuschreiben 
müssen,  die  zu  einer  bis  zu  einer  halben  Minute  dauernden 
wenn  auch  geringen  Vermehrung  der  einzelnen  Athemzüge 
führte.  Doch  lässt  sich  mit  Rücksicht  auf  eine  Anzahl  nega¬ 
tiver  Fälle  nicht  mit  voller  Sicherheit  entscheiden,  ob  diese 
Wirkung  eine  diesem  Organe  als  solchem  zukommende  ist. 

Ich  schreite  nun  zur  Besprechung  der  Wirkung  des 
Schilddrüsensaftes  auf  den  Kreislauf,  muss  aber  zunächst  be¬ 
merken,  dass  die  erwähnte  Ungleichheit  der  Wirksamkeit  in 
quantitativer  Beziehung  eine  genaue  vergleichbare  Dosirung 
der  Extracte  nicht  ermöglichte. 

Die  wirksame  Dosis  musste  daher  für  jedes  Präparat 
beim  Beginn  des  Versuches  festgestellt  werden.  Auf  lOÜOy 
Körpergewicht  berechnet,  genügte  durchschnittlich  1  cm3,  um 
die  nachstehend  geschilderten  Erscheinungen  deutlich,  2  cm3, 
um  sie  in  hohem  Grade  hervorzurufen. 

Der  Kreislauf  wies  dann  folgende  Aenderungen  auf: 
Gleich  nach  Beginn  der  Einspritzung  nahm  die  Pulszahl  und 
Höhe  des  Blutdruckes  plötzlich  ab;  diese  Erscheinung  dauerte 
bis  zum  Ende  der  Injection,  um  dann  gewöhnlich  ebenso 
rasch,  wie  sie  sich  eingestellt  hatte,  zu  schwinden.  Der  Druck 
stieg  nun  in  den  meisten  Fällen  bis  zur  normalen  Höhe  an, 
blieb  jedoch  manchmal  unterhalb  des  ursprünglichen  Niveaus; 
öfters  stieg  er  um  Geringes,  selten  bedeutend  über  dasselbe 
hinaus;  die  Pulszahl  erreichte  gewöhnlich  auf  der  Höhe  des 
Anstieges  die  normale  Frequenz,  die  sie  dann  niemals  über¬ 
schritt.  Auf  dieser  Höhe  verweilte  der  Druck  blos  einige  Se- 
cunden,  um  dann,  anfangs  etwas  rascher,  sonst  in  der  Regel 
aber  gleichmässig  und  ganz  allmälig  unter  die  normale  Höhe 
zu  sinken;  der  Anstieg  ging  wieder  bis  zur  Norm  langsam 
vor  sich. 

Während  dieser  zweiten  Senkung  war  die  Pulsfrequenz 
in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  gleich  der  vor  der 
Injection  beobachteten.  Manchmal,  besonders  bei  sehr  tiefen 
Senkungen,  konnte  ich  eine  geringfügige  Verlangsamung  wahr¬ 
nehmen;  in  keinem  einzigen  meiner  zahlreichen  (circa  50)  Ver¬ 
suche  an  Kaninchen  war  eine  Beschleunigung  der  Herzschläge 
vorhanden. 

Die  Grösse  und  Form  der  systolischen  Erhebungen  war 
während  der  secundären  ,2)  Senkung  unverändert.  Die  Dauer 
der  secundären  Senkung  betrug  10 — 13  Secunden,  die  Tiele 
der  Senkung  10 — 80  mm  Hg. 

Aus  diesen  drei  Phasen:  primäre  Senkung  und  Pulsver¬ 
langsamung,  Anstieg  des  Druckes  mit  Zunahme  der  Pulszahl 
und  secundäre  Senkung  bei  normaler  (oder  etwas  verlang¬ 
samter)  Herzthätigkeit  bestand  das  typische  Bild  der  vom 
Schilddrüsensaft  erzeugten  Kreislaufänderung.  Die  Eigenthüm- 
lichkeiten  der  einzelnen  Beobachtungen  wurden  nur  durch 

'-)  Um  Missverständnissen  vorzubeugen,  betone  ich,  dass  ich  mit 
den  Worten  »primäre«  und  »secundäre«  Senkung  die  Reihenfolge  und  nicht 
etwa  ursächliche  Momente  bezeichne. 


das  mehr  oder  minder  starke  Vortreten  der  einzelnen  Phasen 
bestimmt. 

Die  Dauer  der  primären  Senkung  war  von  der  Dauer 
der  Einspritzung  bedingt;  der  Grad  der  Verlangsamung  und 
die  Tiefe  der  Senkung  erschien-  von  der  Menge  des  in  der 
Zeiteinheit  eingespritzten  Flüssigkeitsmenge  abhängig;  so  war 
diese  erste  Phase  bei  sehr  allmäliger  Einführung  von  1  cm 3 
des  Extractes  kaum  merkbar,  während  die  rasche  Injection 
derselben  Menge  eine  kurzdauernde  aber  hochgradige  Druck¬ 
senkung  und  Pulsverlangsamung  erzeugte,  welcher  oft  eine 
geringfügige  Blutdrucksteigerung  vorausging.  Bei  den  von  mir 
gewöhnlich  verwendeten  Mengen  (2 — 3  c??i3)  war  jedoch  dieses 
erste  Stadium  fast  immer  deutlich  ausgeprägt.  Manchmal  war 
es  dem  Bilde  der  Vaguserregung,  manchmal  dem  einer  De¬ 
pressorreizung  ähnlich. 

Da  nun  in  meiner  Schilderung  zwei  Senkungen  aufein¬ 
ander  folgen,  so  ist  schon  bei  der  Besprechung  der  ersten  zu 
entscheiden,  wie  weit  diese  mit  der  Schilddrüsenwirkung  zu- 
sammer, hängt;  dies  ist  besonders  wichtig  mit  Rücksicht  auf 
diejenigen  Fälle,  wto  ich  nach  Injectionen  kleiner  Dosen  aus¬ 
geprägte  primäre,  jedoch  sehr  unbedeutende  oder  keine  secun¬ 
däre  Wirkung  beobachtete. 

Es  erhebt  sich  die  Frage,  ob  es  sich  hier  überhaupt  um 
eine  Schilddrüsen  Wirkung  handelt.  Die  Antwort  auf  dieselbe 
ergibt  sich  aus  der  Analyse  der  primären  Drucksenkung  und 
Puls  Verlangsamung. 

Schon  ihre  engen  Beziehungen  zur  Art  der  Injection 
geben  der  Vermuthung  Raum,  dass  ihre  Entstehung  im  Wesent¬ 
lichen  von  der  eingeführten  Flüssigkeitsmenge  und  nicht  von 
den  specifischen  Bestandteilen  derselben  abhängt.  Zur  Be¬ 
stätigung  dieser  Annahme  wurden  Injectionen  von  physiologi¬ 
scher  Kochsalzlösung  vorgenommen.  Es  liess  sich  nun  auf  diese 
Weise  eine,  der  beschriebenen  »primären  Wirkung«  analoge 
Blutdrucksenkung  und  Pulsverlangsamung,  der  aber  niemals 
eine  secundäre  Senkung  folgte,  erzeugen.  Damit  wäre  schon 
die  Frage  über  die  Bedeutung  der  »primären  Wirkung«  er¬ 
ledigt  gewesen. 

Doch  wollte  ich,  mit  Rücksicht  auf  die  Aehnlichkeit  der¬ 
selben  mit  einer  Vagus-,  respective  Depressorenerregung  eine 
speciflsche  Beeinflussung  der  genannten  Nerven  seitens  des 
Schilddrüsensaftes  a  priori  nicht  von  der  Hand  weisen.  Ich 
nahm  daher  Injectionen  nach  Ausschaltung  der  Vagi  und 
Depressores  (Durchschneidung  der  Nerven  und  Atropinver¬ 
giftung)  vor  und  wies  auf  diese  Weise  nach,  dass  die  »primäre 
Wirkung«  des  Schilddrüsensaftes  mit  einer  von  ihr  abhängigen 
Reizung  der  Herznerven  nichts  zu  thun  hat.  Somit  ist  die 
Analogie  mit  der  Wirkung  der  physiologischen  Kochsalzlösung 
vollständig,  da  es  sich  in  beiden  Fällen  wohl  nur  um  eine 
durch  die  jäh  eingeführte  Flüssigkeit  auf  das  Herz  selbst  aus- 
geübte  rein  mechanische  Wirkung  (Druck,  Dehnung)  handelt, 
wobei  die  specifischen  Bestandteile  der  Schilddrüsen  keine 
Rolle  spielen. 

Die  zweite  Phase  bedarf  in  denjenigen  Fällen,  wo  der 
ansteigende  Druck  die  normale  Höhe  gar  nicht  oder  nur  un¬ 
wesentlich  übersteigt,  oder  endlich  dieselbe  gar  nicht  erreicht, 
keiner  speciellen  Erklärung.  Es  handelt  sich  um  die  Wieder¬ 
kehr  der  normalen  Verhältnisse,  die  aber  in  dem  Falle,  wo 
die  secundäre  Senkung  rasch  eintritt,  in  ihrer  vollständigen 
Herstellung  verhindert  wird.  Für  die  in  dieser  Phase  auf¬ 
tretenden  höheren  Druckwerthe  konnte  in  einigen  Fällen  die 
Erklärung  in  der  gleichzeitigen  Unruhe  des  Thieres  gefunden 
werden.  Wo  die  Blutdrucksteigerung  einer  sehr  erheblichen 
primären  Senkung  folgte,  dürfte  wieder  die  durch  die  Schwan¬ 
kung  der  Blutzufuhr  bedingte  Erregung  der  Gefässcentren  als 
ursächliches  Moment  angenommen  werden.  1:})  Es  bleiben  aber 
noch  immer  zwei  Fälle  übrig  u),  in  denen  die  Blutdrucksteige¬ 
rung  an  curarisirten  Thieren  im  Anschluss  an  eine  gering- 

13)  Siehe:  Knoll,  Ueber  die  Wirkung  von  Chloroform  und  Aether  elc. 
Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  \\  ien. 
1878,  Bd.  LXXVIIT,  pag.  235. 

tq  In  dem  einen  Falle  wurde  das  Extract  aus  den  labletten  ion 
B  ur  r  ou  gh  -  W  e  lco  in  e,  in  dem  anderen  aus  frischem  Hundeschilddi üsen 
bereitet. 


128 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  6 


fügige  primäre  Senkung  auffallend  hohe  Werthe  erreichte.  Für 
diese  beiden  Beobachtungen  müssen  wir  nun  doch  die  An¬ 
wesenheit  einer  blutdrucksteigernden  Substanz  annehmen.  Dass 
diese  aber  nicht  zu  den  wesentlichen  Bestandtheilen  der 
Schilddrüse,  also  eine  Blutdrucksteigerung  nicht  zum  typischen 
Bilde  der  Schdddrüsenwirkung  gehört,  dafür  spricht  die  Selten¬ 
heit  ihres  Auftretens  im  Gegensatz  zur  Constanz  der  secun- 
dären  Senkung,  welche  sich  auch  in  den  zuletzt  erwähnten 
Fällen  einstellte. 

Von  den  beschriebenen  drei  Phasen  der  Kreislaufverän- 
deruug  dürfte  demnach  nur  die  »secundäre  Blutdrucksenkung« 
als  Ausdruck  der  dem  Schildriisensafte  regelmässig  zukommen¬ 
den  Wirkung  gelten. 

Das  relativ  späte  Auftreten  dieser  Blutdrucksenkung 
nach  der  Erholung  des  Herzens  von  der  unmittelbaren  Wir¬ 
kung  der  Einspritzung  (siehe  »primäre  Senkung«),  sowie  die 
in  der  Regel  unveränderte  Schlagfolge  des  Herzens  l5)  während 
derselben,  lassen  diese  Erscheinung  —  wie  schon  Sch  äff  er 
bemerkt  hat  (1.  c.)  —  nicht  anders,  als  durch  eine  Erweiterung 
der  Gefässe  erklären.  Somit  dürfte  die  manchmal  während  der 
secundären  Blutdrucksenkung  beobachtete  Pulsverlangsamung 
nicht  die  Ursache,  sondern  eine  parallele  oder  Folgeerscheinung 
der  Gefässerweiterung  sein.  Die  Betheiligung  der  N.  vagi  und 
Depressores  an  der  Pulsverlangsamung  konnte  in  der  üblichen 
Weise  (Durchschneidung  der  Nerven  und  Atropineinspritzung) 
ausgeschlossen  werden.  Die  Ursache  derselben  lag  also  wohl 
im  ganglio-musculären  Apparate  des  Herzens  selbst.  Ob  nun 
die  Verlangsamung  der  Herzthätigkeit  durch  eine  Giftwirkung 
des  Schilddrüsensaftes,  oder  aber  allein  durch  die  veränderte 
Blutzufuhr  zum  Herzen  (Erweiterung  der  Coronargefässe)  be¬ 
dingt  war,  kann  ich  zwar  nicht  mit  aller  Bestimmtheit  beant¬ 
worten,  jedoch  scheint  mir  die  Annahme  einer  directen  Schä¬ 
digung  des  Herzens  durch  den  Schilddrüsensaft  durch  die  re¬ 
lativ  selten  vorkommende  und  immerhin  geringfügige  Puls¬ 
verlangsamung  kaum  genügend  begründet  zu  sein.  Einige  an 
isolirten  Katzenherzen  (nach  der  Langen  do  rf  f’schen  Methode) 
ausgeführte  Versuche  sprechen,  wenn  man  auch  die  Ergeb¬ 
nisse  derselben  nicht  direct  auf  das  Kaniuchenherz  übertragen 
will,  ebenfalls  gegen  eine  solche  Annahme,  da  ich  durch  Ein¬ 
führung  des  Schilddrüsensaftes  in  das  Herz  keine  deutliche 
Aenderung  seiner  Thätigkeit  beobachten  konnte.  Ich  neige 
daher  zur  zweiten  der  angegebenen  Alternativen. 

Zur  Entscheidung  der  Frage,  ob  die  durch  die  intra¬ 
venöse  Injection  des  Schilddrüsensaftes  erzeugte  Gefäss¬ 
erweiterung,  welche  die  secundäre  Senkung  bedingt,  einen 
centralen  oder  peripheren  Ursprung  hat,  wurde  die  Aus¬ 
schaltung  des  Centralnervensystems  (Gehirnes  und  der  Oblon¬ 
gata)  durch  Verschluss  sämmtlicher  Hirnarterien  bewirkt. 
Diese,  zuerst  von  Kussmaul  und  Tenner  angegebene,  von 
S.  Mayer10)  eiugehend  studirte  und  zu  pharmakologischen 
Versuchszwecken  vorgeschlagene  Methode  wurde  nach  den 
Angaben  der  erwähnten  Autoren  ausgeführt.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  die  Kaninchen  curarisirt.  Nach  Freilegung  der  Hirn- 
gefässe,  wurde  die  A.  subclavia  sin.  ligirt,  die  Carotis  sin.  mit 
dem  Manometer  verbunden;  die  noch  freien  Gefässe  (A.  subcl. 
und  Carotis  dextra)  wurden  von  Zeit  zu  Zeit  mit  Hilfe  zweier 
feiner  Klemmpincetten  verschlossen. 

Bald  darauf  begann  die  Blutdrucksteigerung  in  Folge 
der  anämischen  Erregung  der  Gefässc.entren.  ln  wenigen  Se- 
cunden  erreichte  der  Druck  seinen  Höhepunkt,  auf  dem  er 
durch  einige  Zeit  verweilte,  um  dann  allmälig  und  gleich- 

,r’)  Au  dieser  Stelle  möchte  ich  darauf  hin  weisen,  dass  meine  Beob¬ 
achtung  bezüglich  der  unveränderten  Pulsfrequenz  bei  der  secundären  Senkung 
den  Angaben  von  Haskovec  widerspricht.  Nach  II  a  s  k  o  v  e  c  ist  näm¬ 
lich  die  Pulsbeschleunigung  bei  Hunden  eine  constante  Begleiterscheinung 
der  Blutdrucksenkung.  Einige  (drei)  an  Hunden  ausgeführte  Versuche 
überzeugten  mich  von  der  Richtigkeit  dieser  Angabe  für  dieses  Thier.  Die 
Ursache  dieses  Widerspruches  liegt  also  an  der  Verschiedenheit  der  Ver- 
suchsthiere;  es  ist  naheliegend,  die  Erklärung  für  das  abweichende  Ver¬ 
halten  der  beiden  erwähnten  Thierarteu  (Hunde  uud  Kaninchen)  in  der 
Verschiedenheit  des  Tonus  der  Ilerzhemmungsapparate  bei  beiden  Thieren 
zu  suchen. 

,6)  Ueber  die  Veränderungen  des  arteriellen  Blutdruckes  nach  Ver¬ 
schluss  sämmtlicher  Hirnarterien.  Sitzungsbericht  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Wien.  Bd.  LXXIII,  pag.  85. 


mässig  zu  sinken.  Die  Scklagfolge  des  Herzens  war  in  einer 
Reihe  von  Beobachtungen  unverändert,  oft  aber  wurden  Un¬ 
regelmässigkeiten  der  Herzaction  constatirt.  Für  meine  Zwecke 
eigneten  sich  am  besten  die  Fälle  mit  unveränderter  Herz¬ 
thätigkeit.  Bei  längerer  Dauer  des  Verschlusses  der  Hirn- 
gefässe  stirbt  schliesslich  das  Gefässcentrum  ab;  demzufolge 
sinkt  der  Blutdruck  bis  auf  wenige  Millimeter  über  die  Abscisse; 
das  Aussetzen  der  künstlichen  Ventilation  bedingt  in  diesem 
Zustande  keine  Blutdrucksteigerung  mehr.  Ich  habe  aber  dieses 
späte  Stadium  nicht  abgewartet,  sondern  nahm  die  Einspritzung 
des  Schilddrüsensaftes  schon  während  der  Blutdrucksteigerung 
vor;  nach  Ablauf  der  Wirkung  wurden  die  Klemmen  geöffnet, 
worauf  sich  die  normalen  Kreislaufverhältnisse  bald  wieder 
einstellten.  Der  Versuch  konnte  so  an  demselben  Thiere  öfters 
wiederholt  werden. 

Auf  diese  M  eise  wurden  an  vier  Kaninchen  im  Ganzen 
zehn  Injectionen  ausgeführt.  Die  Resultate  waren  überein¬ 
stimmend.  Alle  drei  Phasen  der  Schilddrüsenwirkung,  nament¬ 
lich  auch  die  secundäre  Senkung,  traten  bei  Verschluss  der 
Hirngefässe,  wenn  auch  nicht  gleich  deutlich,  so  doch  im  selben 
Sinne  ein,  wie  ich  sie  an  normalen  Thieren  beobachtete.  Die 
secundäre  Senkung  ging  auch  diesmal  entweder  bei  unver¬ 
änderter  oder  etwas  verlangsamter  Schlagfolge  des  Herzens  vor 
sich.  Natürlich  erreichte  der  Druck  nachträglich  nicht  immer 
die  Anfangshöhe,  sondern  nur  diejenige,  welche  von  dem  all¬ 
mälig  abnehmenden  Erregungszustände  der  Medulla  oblongata 
bedingt  war.  Eine  Verwechslung  mit  dem  der  Abklemmung 
der  Hirngefässe  an  sich  entsprechendem  Sinken  des  Blut¬ 
druckes  konnte  jedoch  auf  Grund  des  bogenförmigen  Ver¬ 
laufes  der  durch  den  Schilddrüssensaft  bedingten  Senkung 
immer  mit  Bestimmtheit  ausgeschlossen  werden. 

Da  nun  in  diesen  Fällen  das  bulbäre  Gefässcentrum  aus 
der  Blutbahn  ausgeschaltet  war,  so  konnte  es  unmöglich  den 
Angriffspunkt  für  den  Schilddrüsensaft  bilden.  Um  aber  den 
centralen  Ursprung  der  Blutdrucksenkung  vollständig  aus- 
schliessen  zu  können,  musste  ich  noch  die  Möglichkeit  einer 
Beeinflussung  der  spinalen  Centren  berücksichtigen. 

Die  untergeordnete  Rolle  dieser  Centren  beim  Kaninchen 
erhellt  aus  der  citirten  Mittheilung  von  S.  Mayer  »Ueber 
die  Veränderungen  des  arteriellen  Blutdruckes  nach  Verschluss 
sämmtlicher  Hirnarterien«.  Man  muss  darum,  diesem  Umstande 
Rechnung  tragend,  annehmen,  dass  die  Ursache  der  durch 
den  Schilddrüsensaft  erzeugten  Gefässerweiterung  peripherer 
Natur  ist. 

Die  Ergebnisse  meiner  Versuche  an  Kaninchen  sind 
folgende : 

Auf  die  Athmung  hat  der  Schilddrüsensaft  keine  regel¬ 
mässig  eintretende  Wirkung;  sehr  oft  erzeugte  die  intravenöse 
Injection  keine  Aenderungen;  nicht  selten  aber,  namentlich 
bei  Verwendung  von  Extr.  thyreoid,  wurde  nach  der  Injection 
eine  durch  die  Lungenvagusäste  vermittelte  Reflexerscheinung 
auf  die  Athmung,  bestehend  in  einer  Beschleunigung  und  Ab¬ 
flachung  der  Athemzüge  in  Inspirationsstellung  beobachtet 
(primäre  Wirkung),  welcher  dann  eine  länger  anhaltende  ge¬ 
ringere  Beschleunigung  der  Athmung  mit  leichter  Verflachung 
folgte  (secundäre  Wirkung). 

Die  charakteristische  Wirkung  des  Schilddrüsensaftes  auf 
den  Kreislauf  beim  Kaninchen  besteht  in  einer  Blutdruck¬ 
senkung,  welche  einige  Secunden  nach  beendeter  Injection  be¬ 
ginnt  und  in  der  Regel  bei  unveränderter  Herzthätigkeit  vor 
sich  geht.  Sie  wird  durch  die  Erweiterung  der  Gefässe  bedingt, 
wobei  die  Gefässcentren  unbetheiligt  sein  können.  Der  Um¬ 
stand,  dass  sich  sowohl  im  Hypophysenextract  als  im  Neben- 
nierenextract  Substanzen  finden,  welche  eine  analoge  Wirkung 
auf  den  Blutdruck  ausüben,  dass  ferner  ein  Gleiches  auch  von  den 
Peptonen  gilt,  verbietet  es  jedoch,  irgendwelche  weittragende 
Schlüsse  über  einen  regulären  Einfluss  der  Schilddrüse  auf  den 
Tonus  der  Gefässe  an  diese  Erscheinung  zu  knüpfen. 

* 

Die  obigen  Daten  beziehen  sich  auf  Präparate,  die 
sämmtliche  wasserlösliche  Bestandteile  der  Schilddrüsen  ent¬ 
hielten.  Im  Anschlüsse  an  chemische  Untersuchungen  über  die 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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wirksamen  Bestandteile  der  Schilddrüsen  wurden  hie  und  da 
auch  Blutdruckversuche  mit  den  isolirten  Substanzen  vorge¬ 
nommen.  So  gibt  S.  Frankel17)  an,  dass  sein  Thyreo- 
antitoxin,  Hunden  intravenös  injicirt,  eine  Pulsbeschleunigung, 
aber  keine  Blutdrucksenkung  erzeugt.  Hutchinson  lS)  fand 
die  colloiden  Bestandtheile  der  Schilddrüsen  auf  den  Kreislauf 
unwirksam,  dagegen  erzeugten  die  extractiven  Stoffe  eine  Blut¬ 
drucksenkung.  Eine  Reihe  von  Angaben  liegen  über  die 
Wirkung  des  Jodothyrins  (oder  Thyroj  odins),  dieser  von  Bau¬ 
mann  entdeckten  jodhaltigen  Substanz  der  Schilddrüsen,  vor. 
Robert19)  sah  das  Jodothyrin,  wie  dies  Schuster  in  aller 
Kürze  mittheilte,  selbst  bei  intravenöser  Injection,  von  sehr 
grossen  Dosen  auf  den  Kreislauf  und  die  Athmung  unwirksam 
bleiben. 

Diese  Angaben  konnten  v.  Vamossy  und  Vas20)  auf 
Grund  zahlreicher,  an  Fröschen,  Kaninchen  und  Hunden  aus¬ 
geführter  Versuche  bestätigen. 

Dagegen  beobachtete  v.  Cyon  -1)  während  der  Injection 
der  Jodothyrinlösung  Blutdrucksenkung  und Pulsverlangsamung. 
Beide  Erscheinungen  hörten  gleichzeitig  mit  der  Ein¬ 
spritzung  auf. 

Er  vergleicht  diese  Wirkung  mit  dem  Bilde  der  Er¬ 
regung  der  N.  depressores,  ohne  jedoch  experimentelle  Be¬ 
weise  für  die  Mitbetheiligung  dieser  Nerven  anzuführen.  Die 
Angaben  von  Cyon  beziehen  sich  grösstentheils  auf  Versuche 
an  Kaninchen. 

Als  Injectionsflüssigkeit  diente  ihm  die  alkalische  Jodo¬ 
thyrinlösung  der  Farbenfabriken  Friedrich  Bayer 
(Elberfeld);  dasselbe  Präparat  benützten  v.  V  a  m  o  s  s  y 
und  Vas. 

Ich  hatte  nun  selbst  Gelegenheit,  die  Wirkung  der  al¬ 
kalischen  Jodothyrinlösung  in  einer  Reihe  von  Versuchen  zu 
prüfen.  Das  von  den  Elberfelder  Fabriken  mir  bereitwilligst 
zur  Verfügung  gestellte  Präparat  enthielt,  wie  das  von  Cyon 
benützte,  pro  Cubikcentimeter  0'9wyJod  und  21 ‘6  mg  kohlen¬ 
saures  Natron. 

Wenn  von  dieser  Lösung  1  —  2  on3  ganz  langsam  in  die 
Vena  jugularis  eines  Kaninchens  injicirt  wurden,  so  blieb  der 
Blutdruck  und  die  Pulsfrequenz  unverändert. 

Dagegen  konnte  ich  während  der  Injection  grösserer 
Mengen  eine  Pulsverlangsamung  und  Blutdrucksenkung,  ähnlich 
wie  sie  Cyon  angibt,  beobachten.  Dieselben  Erscheinungen 
traten  auch  bei  rascher  Injection  kleinerer  Dosen  auf,  dies¬ 
mal  ging  aber  der  Senkung  gewöhnlich  eine  geringfügige 
Blutdrucksteigerung  voran.  —  Die  Verlangsamung  der  Herz- 
thätigkeit  und  die  Blutdrucksenkung  konnte  auf  die  angegebene 
Weise  auch  nach  Durchschneidung  der  Vagi  und  Depressores, 
sowie  nach  Einspritzung  von  Atropin  erzeugt  werden.  Schliesslich 
konnte  durch  Controlversuche,  in  denen  statt  der  alkalischen 
Jodothyrinlösung  eine  2'16%ige  Natriumcarbonatlösung  ein¬ 
gespritzt  und  dadurch  dieselbe  Erscheinung  erzeugt  wurde, 
nachgewiesen  werden,  dass  die  beschriebene  Pulsverlangsamung 
und  Blutdrucksenkung  nicht  von  einer  specifischen  Wirkung 
des  Jodothyrins  abhängt.  Falls  nun  —  wie  ich  es  vermuthe 
—  die -von  Cyon  angegebene  » Jodothyrinwirkung«  mit  der 
obigen  thatsächlich  analog  ist,  so  dürfte  sie  auf  dieselbe  Weise 
gedeutet  werden. 

Auf  Grund  meiner  Erfahrungen  kann  ich  also  die  An¬ 
gaben  von  K  o  b  e  r  t,  respective  v.  Vamossy  und  Vas 
bestätigen  und  dem  Jodothyrin  als  solchem  eine  directe  Wir¬ 
kung  absprechen. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  mir  noch  einige  Bemerkungen 
bezüglich  der  Angaben  Cyon’s  über  die  Wirkung  des  Jodo¬ 
thyrins  auf  die  Erregbarkeit  der  Herz-  und  Gefässnerven  er¬ 


lauben.  Dabei  will  ich  mich  nur  auf  die  Berührung  einiger 
der  wichtigsten  Punkte  seiner  umfangreichen  Mittheilungen22) 
beschränken.  Solche  sind: 

1.  Das  Jodothyrin  erhöht  die  normale  Erregbarkeit  der 
Vagi  und  Depressores;  falls  diese  krankhaft  vermindert  oder 
erloschen  war,  wird  sie  durch  das  Jodothyrin  wieder  her¬ 
gestellt. 

2.  Eine  Lähmung  der  Vagi  und  Depressores  kann  nach 
Cyon  das  Jod  als  normales  Stoffwechsel  product  bedingen; 
dem  Jodothyrin  kommt  die  physiologische  Rolle  zu,  diese 
endogene  Vergiftung  durch  antagonistische  Wirkung  zu  be¬ 
seitigen.  —  Die  lähmende  Wirkung  des  Jods  will  B  ar  b  e  r a23) 
durch  intravenöse  Injection  von  hochprocentigen  Jodnatrium¬ 
lösungen  (20 — 40%)  bewiesen  haben;  derselbe  Autor  gibt  an, 
dass  die  auf  diese  Weise  erzeugte  Lähmung  der  Vagi  und 
Depressores  mit  Hilfe  von  phosphorsaurem  Natron  beseitigt 
werden  könne.  Cyon  wies  dann  den  Antagonismus  zwischen 
Jodnatrium  und  Jodothyrin  nach. 

3.  Das  Jodothyrin  vermag  die  Wirkung  aller  Gifte,  die 
den  Vagus  und  Depressor  lähmend  beeinflussen,  aufzuheben. 
(Einschlägige  Versuche  mit  Atropin  und  Nicotin.) 

Die  meisten  Versuche,  die  diesen  Ergebnissen  zu  Grunde 
liegen,  wurden  an  Kaninchen  (einige  an  Hunden  oder  Katzen) 
ausgeführt.  Die  Erregbarkeit  der  Nerven  wurde  mittelst  elek¬ 
trischer  Reizung  (Inductionsstrom)  am  peripheren  (Vagus), 
respective  centralen  (Depressor)  Stumpfe  der  betreffenden 
durchschnittenen  Nerven  geprüft.  Der  Blutdruck  wurde  mit 
Hilfe  des  Quecksilbermanometers  verzeichnet.  Die  Injectionen 
erfolgten  in  die  Vena  jugularis. 

Die  wichtigsten  Einwände,  die  bei  der  theoretischen 
Erwägung  der  oben  nur  flüchtig  angedeuteten  Versuche  und 
Folgerungen  auftauchen  können,  wurden  schon  von  Harnack24) 
angeführt.  So  machte  er  darauf  aufmerksam,  dass  bei  den 
concentrirten  Jodnatriumlösungen  nicht  nur  das  Jod,  sondern 
auch  das  Natron  und  die  Wirkung  der  Alkalineutralsalze  in 
Betracht  kommt. 

Durch  diese  wird  aber  das  Herz  stark  gereizt,  und  am 
abnorm  gereizten  Herzen  ist  die  Vagusreizung  unwirksam, 
selbst  wenn  der  Nerv  und  seine  Endigungen  intact  sind.  Be¬ 
züglich  der  Atropin- Jodothyrin-Versuche  weist  er  auf  die 
Flüchtigkeit  der  Atropinwirkung  am  Kaninchen,  und  auf  die 
geringe  Menge  der  von  C  y  o  n  benützten  Atropindosen  (05  mg) 
hin.  —  Die  Gefahr,  durch  die  Flüchtigkeit  der  Wirkung 
selbst  grosser  Atropindosen  und  durch  das  Vorkommen  einer 
ungleichen  Wirksamkeit  beider  Vagi  zu  irrigen  Schlüssen  ver¬ 
leitet  zu  werden,  betont  Knoll25)  in  seiner  Abhandlung 
»Ueber  die  Veränderungen  des  Herzschlages  bei  reflectorischer 
Erregung  des  vasomotorischen  Nervensystems«.  Um  voll¬ 
ständige  und  dauernde  Lähmung  zu  erzeugen,  waren  nach 
seiner  Angabe  5—6  mg  Atropin  nothwendig.  —  Dagegen  gibt 
Cyon  an,  dass  bei  strumösen  Kaninchen  —  und  mit  solchen 
hatte  er  meistens  zu  experimentiren  —  die  von  ihm  benützten 
kleinen  Dosen  genügen,  um  eine  dauernde  Lähmung  der  \  agi 
herbeizuführen. 

Ich  habe  die  Frage  des  von  Cyon  beschriebenen  Anta¬ 
gonismus  einer  Nachprüfung  unterzogen.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  25  Versuche  (15  bezüglich  des  Antagonismus  zwischen 
Jodnatrium,  phosphorsaurem  Natron,  respective  Jodnatrium- 
Jodothyrin,  10  bezüglich  Atropin-Jodothyrin)  an  Kaninchen 
vorgenommen.  Bei  der  Anordnung  meiner  Versuche  hielt  ich 
mich  möglichst  streng  an  die  Angaben  Cyon’s,  um  vergleich¬ 
bare  Resultate  zu  erhalten.  Nur  um  der  Vollständigkeit  willen 
erwähne  ich,  dass  ich  statt  der  Morphinnarkose  an  nicht  nat- 
kotisirten  oder,  falls  Unruhe,  Krämpfe  oder  Athmungsstörungen 


17)  Beitrag  zur  physiologischen  Chemie  der  Thyreoidea.  Wiener 
medicinische  Blätter.  1896,  Heft  15. 

18)  Chemistry  of  thyreoid,  gland.  Journal  of  Physiol.  1896,  Bd.  XX, 
pag.  474. 

19)  Verhandlungen  des  Congresses  für  innere  Medicin.  1896, 
Bd.  XIV. 

20)  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Wirkung  des  Jodothyrins. 
Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  25. 

21)  Beitrag  zur  Physiologie  der  Schilddrüse  und  des  Herzens.  Archiv 
für  Physiologie.  Bd.  LXX,  pag.  165. 


a2)  Beiträge  zur  Physiologie  der  Schilddrüse  und  des  Herzens.  Archiv 
für  Physiologie.  °Bd.  LXX,  pag.  126.  Die  physiologischen  Herzgifte  I.  Jodo¬ 
thyrin.  Archiv  für  Physiologie.  Bd.  LXXIII,  pag.  42. 

23)  Ueber  die  Erregbarkeit  der  Herz-  und  Getässnerven  uach  In¬ 
jection  von  Jod  und  phosphorsaurem  Natron.  Archiv  tür  Physiologie. 

Bd.  LXVm,  pag.  434.  .  _  .  .  ■  • 

24)  Ueber  Cyon’s  antagonistische  Versuche  mit  Jodothyrin,  Atropin, 
Jodnatrium,  Muscarin.  Centralblatt  für  Physiologie.  1898,  pag.  291 

25)  Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  n 

Wien.  Bd.  LXV.  pag.  222. 


WIEN  KR  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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zu  befürchten  waren,  an  curarisirten  Thieren  experimentirte. 
Bei  der  Reizung  der  Nerven  wird  die  Stromstärke  in  den 
nachstehenden  Versuchsprotokollen  nicht  in  Zahlen  angegeben, 
da  ich  mich  bei  jedem  Versuche  nur  zweier  Ströme  bediente, 
eines  schwachen,  dessen  Stärke  durch  den  Rollenabstand  an¬ 
gegeben  wird  und  hie  und  da  eines  maximalen,  welcher  durch 
vollständiges  Annähern  der  secundären  Rolle  erzeugt  wurde 
und  der  in  den  Protokollen  als  »starker  Strom«  besonders  be¬ 
zeichnet  wird. 

Sonst  wurden  meine  Versuche  in  jeder  Beziehung  (Me¬ 
thodik,  Beschaffenheit  der  injicirten  Substanzen)  in  der  von 
Cy  on  angegebenen  Weise  ausgeführt. 

Ich  will  von  einer  eingehenden  Besprechung  meiner  Ver¬ 
suche  abstehen.  Die  nachstehend  mitgetheilten  vier  Protokolle 
geben  ein  klares  Bild  meiner  durchwegs  eindeutigen  Re¬ 
sultate. 

I.  17.  Mai  1899.  Kaninchen  1500/7,  Curare.  Rollenab¬ 
stand  6  cm.  Depressores  und  Vagi  beiderseits  durchschnitten 
Beginn  des  Versuches  9  Uhr  40  Minuten.  Blutdruck  122  mm  Hg. 
Pulszahl  in  6  Secunden  =  25. 

Reizung  des  rechtsseitigen  Depressors:  Dr.  74,  P.  24. 
Nachher:  Dr. -6)  120,  P.  24.  Depressor  links  gereizt:  Dr.  60. 
P.  24.  Vagus  rechts  gereizt:  Dr.  140 — 48,  P.  24 — 8. 

9  Uhr  55  Minuten.  Injection  von  5  cm :i  einer  40°/0  i  g  e  n 
Jod  n  atriumlös  ung:  Dr.  120  — 100  — 122.  Nachher  Reizung 
des  rechten  Depressors  :  Dr.  122—84,  P.  24  —  24.  Vagus  rechts 
gereizt:  Dr.  120 — 66,  P.  24 — 6. 

Im  Laufe  der  darauffolgenden  halben  Stunde  werden 
noch  15  ci/«3  (im  Ganzen  20  cm3)  der  40%igen  Jodnatriumlösung 
eingespritzt. 

10  Uhr  50  Minuten  :  Dr.  122,  P.  28.  Depressor  rechts 
gereizt:  Dr.  122 — 98,  P.  22.  Vagus  rechts  gereizt:  Dr.  120  —  96, 
P.  22 — 8.  Die  Erregbarkeit  der  beiden  anderseitigen  Nerven 
ebenfalls  erhalten. 

11  Uhr:  Dr.  122,  P.  24.  Injection  von  5  cm3  einer 
20%igen  phosphorsauren  Natronlösung  (selbst  nach 
Barbera:  hohe  Dosis):  Dr.  122  — 110 — 120.  Depressor  rechts 
gereizt:  Dr.  120 — 100,  P.  28.  Vagus  rechts  gereizt:  Dr.  122 
—  98,  P.  28 — 8.  Die  Erregbarkeit  der  linksseitigen  Nerven 
ebenfalls  unverändert. 

II.  20.  Mai  1899.  Kaninchen  1800«/,  Curare.  Rollenab¬ 
stand  6  cm.  Depressores  beiderseits.  Vagus  rechts  durch¬ 
schnitten. 

Beginn  10  Uhr  5  Minuten:  Dr.  106,  P.  24.  Reizung  des 
rechten  Vagus:  Dr.  106 — 48,  P.  24 — 8.  Depressor  rechts: 
Dr.  108—58,  P.  24—16. 

10  Uhr  15  Minuten.  Injection  von  5  cm3  einer  40%igen 
Jodnatriumlösung:  Dr.  110 — 90.  Nachträglich  steigt  der  Druck 
an;  constante  Höhe. 

10  Uhr  20  Minuten:  Dr.  188,  P.  24.  Nerven  erregbar. 
Weitere  5cm3  Jodnatriumlösung  (40%):  Senkung  und  Wieder¬ 
anstieg.  Constanz. 

10  Uhr  25  Minuten:  Dr.  186,  P.  24,  Depressor  rechts 
gereizt:  Dr.  186 — 90,  P.  24;  Depressor  links:  Dr.  130 — 108, 
P.  24.  Vagus  rechts  gereizt:  Dr.  136—136,  P.  24  —  24. 

Zwei  Minuten  später.  Vagus  (mit  derselben  Stromstärke): 
Dr.  136—102,  P.  24—10  etc. 

Ergebnisse:  In  dem  ersten  Versuche  gelang  es  mir 
selbst  durch  Injection  von  20  cm3  Jodnatriumlösung  (40%  = 
8  «7  Jodnatrium!)  nicht,  eine  Lähmung  der  Vagi  oder  Depres¬ 
sores  zu  erzielen.  Nach  der  Injection  von  5  c/?«3  phosphor¬ 
saurem  Natron  konnte  ich  keine  Erhöhung  der  Erregbarkeit 
beobachten. 

Im  zweiten  Versuche  traten  nach  der  Injection  von 
10  cm3  einer  40%igen  Jodnatriumlösung  die  von  Barbera 
und  Cy  on  beschriebenen  Erscheinungen  ein:  die  Reizung  des 
Vagus  war  wirkungslos,  während  ich  nun  für  die  Injection 
von  Jodothyrin  vorbereitete,  kehrte  die  Erregbarkeit  des 
Nerven  (respective  die  Wirksamkeit  der  Reizung)  zurück. 

-6)  Abkürzungen:  Dr.  =  Blutdruck  in  mmHg,  P.  =  Pulszahl  in  Se¬ 
cunden,  Dr.  120 — 48  etc.  =  Verhältnisse  vor  und  nach  dem  entsprechenden 
Eingrifte. 


Aehnliche  vorübergehende  »Lähmungen«  konnte 
ich  öfters  beobachten. 

Es  liegt  auf  der  Hand  dass,  falls  ich  die  Injection  von 
Jodothyrin  sofort  nach  der  wirkungslosen  Reizung  des  N.  vagus 
ohne  wiederholte  Prüfung  der  Erregbarkeit  vorgenommen  hätte, 
mir  das  spontane  Schwinden  der  »Lähmung«  eine  antagonisti¬ 
sche  Wirkung  des  Jodothyrins  hätte  Vortäuschen  können.  Da 
ich  weder  eine  dauernde  Lähmung  durch  Jodnatrium  (selbst 
bei  Anwendung  sehr  grosser  Dosen 27),  noch  eine  Erhöhung 
der  Erregbarkeit  der  genannten  Nerven  mittelst  phosphor¬ 
saurem  Natrium,  respective  Jodothyrin,  erzeugen  konnte,  so 
möchte  ich  zur  Erklärung  der  positiven  Resultate  der  citirtcn 
Autoren  auf  meinen  zweiten  Versuch  hinweisen. 

Bezüglich  des  Antagonismus  des  Atropins  und  Jodo¬ 
thyrins  führe  ieh  folgende  Versuche  als  Beispiele  an: 

III.  28.  April  1899.  Kaninchen  1200/7,  Curare.  Depres¬ 
sores  beiderseits,  Vagus  der  rechten  Seite  durchschnitten. 
Rollenabstand  6  cm. 

Beginn  12  Uhr  24  Minuten:  Dr.  126,  P.  20.  Depressor 
rechts  gereizt:  Dr.  90,  P.  10.  Depressor  links:  Dr.  128  — 102, 
P.  20 — 16.  Vagus  rechts  gereizt:  Dr.  126  —  78,  P.  21 — 8. 

12  Uhr  28  Minuten.  Intravenöse  Injection  von  5  mg 
Atropin  sulf.,  nach  fünf  Minuten:  Dr.  96,  P.  20.  Reizung  des 
rechten  Vagus:  Dr.  96  —  96,  P.  20—20.  Reizung  des  rechten 
Vagus  mit  starkem  Strom:  Dr.  96—96,  P.  20 — 20.  Injection 
von  5  cm3  alkalischer  Jodothvrinlösung  (Bayer):  Dr.  96 — 90 
-98,  P.  20-12  -20. 

Nachher  Reizung  des  rechten  Vagus  mit  starkem  Strom: 
Dr.  98—98,  P.  20—20. 

Im  Laufe  von  15  Minuten  weitere  15  c?/«3  (im  Ganzen 
50c//«3)  Jodothyrin.  Gleich  nach  der  Reizung  des  rechten  Vagus: 
Dr.  96—96,  P.  20—20. 

Nach  einer  halben  Stunde  unveränderte  Verhältnisse  (bei 
wiederholter  Prüfung).  Die  Wirkung  der  Depressorenreizung 
war  im  Laufe  dieses  Versuches  unverändert;  jedoch  habe  ich 
auch  Fälle  mit  verminderter  Erregbarkeit  beobachtet.  (NI i t  der 
Erörterung  dieser  Erschinung  will  ich  mich  diesmal  nicht  be¬ 
schäftigen.) 

IV.  3.  Mai  1899.  Kaninchen  2000/7,  keine  Narkose. 
Rollenabstand  6  cm.  Vagus  rechts  durchschnitten 

Beginn  10  Uhr  5  Minuten:  Dr.  146,  P.  29.  Vagus  rechts 
gereizt:  Dr.  146 — 58,  P.  29 — O(Stillstand) — 3. 

10  Uhr  10  Minuten.  Injection  von  2'5  mg  Atropin. 
Nachher:  Dr.  142,  P.  25.  Reizung  des  rechten  Vagus  mit 
starkem  Strom:  Dr.  142 — 142,  P.  25  -  25.  Injection  von  5  cm  '' 
Jodothyrin  (Blutdrucksenkung,  Pulsverlangsamung).  Nachher 
Reizung  des  rechten  Vagus  mit  starkem  Strom:  Dr.  138 — 138, 
P.  24—24. 

Nach  10  Minuten  Reizung  des  rechten  Vagus  (6  cm 
Rollenabstand):  Dr.  128 — 118,  P.  25 — 18. 

11  Uhr  10  Minuten,  Reizung  des  rechten  Vagus  (starker 
Strom):  Dr.  124—124,  P.  23—23. 

Nach  12  Minuten  (inzwischen  wurde  der  linke  Vagus 
durchschnitten,  worauf  der  Blutdruck  anstieg  und  dauernd 
erhöht  blieb)  Reizung  des  rechten  Vagus:  Dr.  156 — 142, 
P.  27—10. 

Im  dritten  Versuche  wurden  die  Endapparate  der  Vagi 
mittelst  5??«/7  Atropin  vollständig  gelähmt;  die  Erregbarkeit 
derselben  kehrte  selbst  nach  Einspritzung  von  20  cm3  Jodo¬ 
thyrin  nicht  mehr  zurück. 

Im  vierten  Versuche  wurden  geringere  Atropindosen  ver¬ 
wendet.  Die  Lähmung  der  Vagi  trat  bei  der  wiederholten 
Vergiftung  prompt  ein  und  ging  jedes  Mal  nach  ungefähr 
12  — 15  Minuten  vorüber.  Bei  der  ersten  Gelegenheit  wurde 
nach  dem  Eintritt  der  Lähmung  Jodothyrin  injicirt,  bei  der 
zweiten  aber  nicht;  dadurch,  dass  die  Lähmung  im  letzteren 
Falle  spontan  vorüberging,  ist  bewiesen,  dass  die  Herstellung 
der  Erregbarkeit  auch  im  ersten  Falle  nicht  auf  die  Jodo- 
thyrininjection  bezogen  werden  darf. 

Durch  die  einmalige  Injection  grosser  Dosen  (sowohl  von  Jod- 
natrium,  wie  auch  von  phosphorsaurem  Natrium,  ja  auch  von  Na  CI  20"  ,,) 
wurde  in  einigen  Fällen  ein  tödtlicher  Druckabfall  erzeugt. 


Nr.  (i 


WIENER  KLINISCHE  WOCI I  EN  SCHULET.  1900. 


131 


Auf  Grund  meiner  Beobachtungen  kann  ich  also  die 
Angaben  bezüglich  der  antagonistischen  Wirkung  des  Jodo- 
thyrins  gegen  das  Jodnatrium,  respective  Atropin  in  keiner 
Weise  bestätigen.  Ich  möchte  schliesslich  die  Vermuthung, 
dass  den  diesbezüglichen  scheinbar  positiven  Resultaten  eine 
durch  die  Flüchtigkeit  der  Jodnatrium-,  respective  Atropin¬ 
wirkung  bedingte  Täuschung  zu  Grunde  liegt,  nachdrücklich 
wiederholen. 


Aus  der  Ohrenabtheilung  im  k.  u.  k.  Garnisons-Spitale 

Nr.  1  in  Wien. 

Störungen  der  Yasomotorenthätigkeit  und  der 
Sensibilität  nach  peripherer  traumatischer  Fa- 

cialislähmung. 

Von  Regimentsarzt  Dr.  Carl  Bielil. 

V oi trag,  gehalten  am  19.  Januar  1900  in  der  k  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sowohl  durch  Thierversuche  als  auch  durch  klinische 
Beobachtungen  erschien  die  Annahme  berechtigt,  dass  der 
Gesichtsnerv  sensible  Fasern  —  aus  seinen  mannig¬ 
fachen  Verbindungen  mit  dem  Trigeminus  und  Vagus  stam¬ 
mend  —  führe.  Auch  dessen  Betheiligung  an  der  Schweiss- 
secretion  wurde  ebenfalls  sowohl  durch  Versuche  am  Thiere 
(Adamkiewicz  '),  als  auch  durch  Beobachtungen  an  Kranken 
nachgewiesen  (S  trauss,  Bloc  h,  W  i  n  d  s  c  h  e  i  d  -)  u.  A.  in.). 

Samuel'1 * 3)  konnte  weiters  nach  Durchschneidung  des 
Facialis  beim  Kaninchen,  und  zwar  nur  wenn  derselbe  tief 
an  seiner  Wurzel  durchtrennt  wurde,  Unregelmässigkeiten  in 
den  bekannten  rhythmischen  Contractionen  und  Dilatationen 
der  arteriellen  Gefässe  des  Ohres  beobachten.  »Die  Arterie 
bleibt  etwa  vom  dritten  bis  vierten  Tage  nach  der  Operation 
ab  in  Systole  unbeweglich  stehen,  die  regelmässigen  Er¬ 
weiterungen  des  Gefässnetzes  hören  völlig  auf,  das  Ohr  wird 
anämisch  und  kalt.«  »Trotz  gleicher  Nebenumstände  bleibt  das 
geschilderte  Resultat  aus  bei  Durchscheidung  des  Facialis  nach 
Abgabe  seiner  Rami  auriculares. «  »Da  bekanntlich  nach 
Lähmung  der  Gefässnerven  der  entgegengesezte  Effect,  nämlich 
Stillstand  der  Gefässe  in  Diastole  eintritt,  so  kann  der  Facialis 
wohl  im  Allgemeine/!  als  Antagonist  des  Sympathicus  be¬ 
zeichnet  werden.« 

v.  F  r  an  k  1  -  H  o  c  h  w  art 4)  sprach  auf  Grund  klinischer 
Beobachtungen  im  Jahre  1891  gelegentlich  eines  Vortrages  in 
der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  die  Vermuthung  aus: 
»dass  der  F  acialis  beim  Menschen  (wenigstens  bei  einer  An¬ 
zahl  von  Individuen)  sensible  und  vasomotorische 
Fasern  führt«.  »Ganz  auffallend  waren  —  so  sagt  er  bei 
dieser  Gelegenheit  - —  in  einzelnen  Fällen  von  rheumatischer 
Eacialislähmung  die  Erscheinungen  von  Seite  der  Gefässnerven. 
Die  ganze  Gesichtshälfte  schien  gedunsen,  namentlich  war  die 
Schwellung  am  unteren  Augenlid  deutlich  zu  bemerken,  die 
Farbe  war  eine  ganz  andere  als  auf  der  normalen  Seite, 
namentlich  fiel  ein  porzellau artiger  Glanz  auf,  die  Gefässe  waren 
erweitert,  die  Temperatur  für  das  Gesicht  bisweilen  erhöht.« 

Hübschmann5 *)  konnte  über  ähnliche  Veränderungen  bei 
zwei  Kranken  berichten;  in  der  betreffenden  Arbeit  sagt  er 
auch,  dass  bereits  andere  Beobachter  derartige  Schwellungen 
in  der  gelähmten  Gesiehtshälfte  erwähnen,  so  Märt,  Fritze, 
Härtel,  Haase.  Adler  °)  beobachtete  ebenfalls  Sensibilitäts- 

')  Die  Secretion  des  Sehweisses,  eine  bilaterale  symmetrische  Nerven- 
function.  Berlin  1878. 

~)  lieber  den  Zusammenhang'  der  Hypeiliidrosis  unilateralis  faciei  mit 
pathologischen  Zuständen  des  Facialis.  Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1890,  pag.  882. 

3)  Studien  über  Blutkreislauf  und  Ernährung.  M  o  1  e  s  c  li  o  1 1,  Unte  - 
snehungen  IX, 

4)  Ueber  sensible  und  vasomotorische  Störungen  hei  der  rheumatischen 
Eacialislähmung.  Neurologische  Centralblatt.  1891,  Nr.  10. 

•’)  lieber  Recidive  und  Diplegie  hei  der  sogenannten  rheumatischen 
Eacialislähmung.  Neurologisches  Centralblatt.  1894.  pag.  815  und  844. 

Daselbst  Literatur. 

c)  Ueber  Sensibilitätsstörung  hei  rheumatischer  Facialislälimung. 

Allgemeine  medicinische  Centralzeitung.  1898,  Nr.  2. 


Störungen  bei  rheumatischer  Eacialislähmung;  bezüglich  der 
gleichzeitig  vorkommenden  Schwellung  des  Gesichtes  sagt  er 
in  seinem  Aufsatze:  Es  ist  aber  auch  denkbar,  dass  die  be¬ 
treffende  Gesiehtshälfte  niemals  geschwollen  war,  vielmehr  ein 
pathologisches  Spannungsgelültl  nur  eine  Schwellung  vorge¬ 
täuscht  hat.  Diese  Annahme  ist  vielleicht  für  eine  Reihe  von 
Angaben  der  Kranken  über  ihre  Schwellung  berechtigt. 

Kaposi7)  erwähnt  ferner  das  Vorkommen  von  Herpes¬ 
eruptionen  bei  Affectionen  des  N.  facialis.  »Da  der  Zoster 
facialis  auf  einer  Erkrankung  des  Trigeminus  oder  Trigeminus- 
äste  beruht,  die  Muskellähmung  aber  eine  Affection  des  N. 
facialis  voraussetzt,  so  ist  die  Erklärung  für  diese  Beziehung 
nicht  leicht. 

Auch  Bernhardt8)  bespricht  in  seinem  Buche  das 
Vorkommen  vasomotorischer  Störungen  nach  rheumatischer 
Fascialislähmung  und  betont  die  Seltenheit  der  genannten 
Erscheinungen;  eigene  Beobachtungen  führt  er  keine  an. 

Wir  müssen  uns  also  zugestehen,  dass,  wenngleich  auch 
die  Lehre  von  der  peripherischen  Facialislälimung  auf  Grund 
von  Thierversuchen  und  zahlreichen  Beobachtungen  von 
Kranken  sehr  eingehend  bereits  und  auch  mit  entschiedenem 
Erfolge  bearbeitet  wurde,  doch  unser  Wissen  diesbezüglich 
noch  in  mehr  als  einem  Punkte  lückenhaft  ist.  Da  die  ana¬ 
tomische  Auslese  sehr  spärlich  ist  und  auch  aller  Voraussicht 
nach  bleiben  wird,  so  ist  es  umso  nothwendiger,  jedwede 
klinische  Beobachtung,  welche  geeignet  ist  zur  Ueberwindung 
der  genannten  Schwierigkeiten  beizutragen,  daraufhin  ein¬ 
gebend  zu  studiren.  Von  diesem  Gesichtspunkte  ausgehend 
wird  die  Mittheilung  einer  nach  einer  Verletzung  au f- 
tretenden  linksseitigen  Gesichtsnervenlähmung 
gerechtfertigt  sein,  zumal  im  Gefolge  derselben  Störungen 
sowohl  der  Sensibilität  als  auch  der  S  c  h  we  i  s  s  s  e  c  r  e  t  i  o  n 
und  der  vasomotorischen  Thätigkeit  innerhalb  des 
erkrankten  Gebietes  wahrzunehmen  sind.  Herr  Professor 
v.  Fr  an  kl -Hoch  wart  hatte  die  Güte  sich  ebenfalls  den 
Kranken  anzusehen  und  konnte  sich  durch  genaue  Unter¬ 
suchung  desselben,  wofür  ich  ihm  meinen  besten  Dank  aus¬ 
spreche,  von  den  gleich  zu  erwähnenden  Veränderungen 
überzeugen. 

Justiz  Wachmann  Carl  R.,  22  Jahre  alt,  stammt  von  ge¬ 
sunden  Eltern  und  kann  sich  nicht  erinnern,  irgend  eine 
schwere  Erkrankung,  die  ihn  durch  längere  Zeit  ans  Bett 
fesselte,  überstanden  zu  haben.  Im  Juli  1898  erhielt  er  bei 
einem  nächtlichen  Raufliandel  einen  Messerstich  gegen  das 
linke  Ohr.  Die  Wunde  heilte  ohne  Naht,  unter  dem  ersten 
Verbände  und  schien  zunächst  keine  Folgen  zu  hinterlassen. 
Im  December  desselben  Jahres  —  fünf  Monate  nach  erlittener 
Verletzung  —  wurde  er  von  seiner  Umgebung  darauf  auf¬ 
merksam  gemacht,  dass  rechterseits  seine  Stirne  sich  falte,  die 
linke  Seite  derselben  jedoch  vollständig  glatt  und  faltenlos 
bleibe.  Störungen  beim  Lidschlusse  oder  beim  Kauen  hatte  er 
nicht  zu  klagen.  Seit  ungefähr  October  v.  J.  verspürte  er  mit¬ 
unter,  namentlich  hei  schlechter  Witterung,  stechende  Schmerzen 
im  linken  Ohre,  und  zwar  in  der  Tiefe  desselben  und  im 
Knochen  hinter  der  Ohrmuschel,  ebenso  auch  eine  zunehmende 
Herabsetzung  seiner  Hörschärfe.  Die  Furcht,  dass  er  wegen 
seines  schlechten  Gehöres  Anstände  im  Wachdienste  haben 
könnte,  sowie  die  sich  steigernden  Schmerzen  im  Ohre,  ver- 
anlassten  ihn  das  Spital  aufzusuchen.  Ausfluss  aus  diesem 
Ohre  habe  nie  bestanden,  ebenso  auch  nie  Schwindelgefühl, 
Ohrensausen  oder  Kopfschmerzen. 

Untersucht  bietet  er  nun  folgenden  Befund:  Mittelgrosser, 
für  seine  Jahre  massig  kräftig  gebauter,  aber  gut  genährter 
Mann;  die  Haut  und  sichtbaren  Schleimhäute  sind  blass,  die 
Körpertemperatur  normal.  Ebenso  ergeben  auch  die  Organe 
der  Brust-  und  Bauchhöhle  normalen  Befund.  An  der  linken 
Ohrmuschel  sieht  man  eine,  sagittal  über  den  äusseren  Gehör¬ 
gang  verlaufende,  zarte  Narbe.  Dieselbe  beginnt  beiläufig  1  cm 
oberhalb  der  äusseren  Ohröffnung  in  der  Haut  der  Ohrmuschel 
und  lässt  sich  in  der  unteren  Wand  des  Gehörganges  genau 
bis  zu  seinem  knöchernen  Anfang  verfolgen.  Aussen  sieht  man 

7)  Pathologie  und  Therapie  der  Hautkrankheiten.  1899.^ 

8)  Die  Erkrankungen  der  peripheren  Nerven.  Nothnagels  Handbuch. 


132 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  6 


noch  die  Narbe  in  der  Incisura  intertragica  und  an  der  Vorder¬ 
seite  des  Ohrläppchenansatzes.  Der  Gehörgang  selbst  ist  ge¬ 
hörig  weit;  das  Trommelfell  atrophisch,  durchscheinend,  leicht 
eingezogen.  (Die  gleichen  Veränderungen  zeigt  auch  das  Trom¬ 
melfell  rechterseits).  Das  Einführen  des  Trichters  wird  äusserst 
schmerzhaft  empfunden,  ebenso  das  Anfassen  der  Ohrmuschel, 
sowie  auch  leiser  Druck  auf  den  Warzenfortsatz  namentlich 
in  der  Gegend  des  Attic  und  an  der  Spitze.  Die  Hörprüfung 
ergibt: 

W 

R  ^  L  9) 

05  u  OT 

+00+ 

1  \ uw /  ' 

6  x  Ä  6 

4"  cp  4" 

-f-  7  R  -j-  7 
-\-  Galton  -f- 

Nach  Katheter  ist  eine  Besserung  der  Hörsehärfe  für  die  Uhr 
am  linken  Ohr  auf  0'3  m  zu  beobachten.  9)  (W  =  Weber; 

nach  beiden  Seiten  gleich;  u  =  Uhr  in  der  Luftleitung, 
us,  uw  ==  Uhr,  am  Warzenfortsatz  (w)  oder  an  der  Schläfe 
(s)  aufgesetzt;  fl  =  Flüsterstimme ;  cp  =  c  am  Warzenfort¬ 
satze;  R  =  Rinne.) 

Die  Pupillen  sind  gleich  weit,  prompt  reagirend,  der 
Bulbus  frei  beweglich,  kein  Nystagmus  zu  beobachten,  auch 
keine  Störung  in  der  Thränenabsonderung.  Der  Augenhinter¬ 
grund  beiderseits  normal,  ebenso  auch  keine  Ein¬ 
schränkung  des  Gesichtfeldes  und  zwar  für  W eiss, 
Blau  und  Roth  zu  bemerken.  (Herr  Stabsarzt  Dr.  Haas, 
Vorstand  der  Augenabtheilung  im  Spitale,  hatte  die  Güte  die 
Untersuchung  selbst  vorzunehmen.) 

Die  ganze  linke  Gesichtshälfte  ist  leicht  gedunsen.  Beim 
Zähnezeigen  bleibt  der  linke  Mundwinkel  um  ein  geringes 
zurück;  am  rechten  Mundwinkel  bildet  sich  in  der  Ruhe  eine 
Falte,  linkerseits  nicht;  dagegen  sieht  man  hier  blitzartige 
Zuckungen.  Während  die  rechte  Stirnhälfte  stark  gerunzelt 
wird,  ist  dies  links  kaum  zu  merken. 

Die  Prüfung  der  Motilität  der  Gesichtsmuskeln  gab  keinen 
nennenswerthen  Unterschied  auf  irgend  einer  Seite.  Die 
Zuckungen  waren  überall  prompt.  Die  oberen  Extremitäten 
sind  frei  beweglich,  der  Händedruck  sehr  kräftig,  links 
schwächer,  kein  Tremor  auch  nicht  bei  Intention. 

Bei  der  Prüfung  der  Sensibilität  der  erkrankten  linken  Ge- 
siehtshälfte  10)  sind  drei  verschiedene  Gebiete  zu  beobachten.  Die¬ 
selben  sind  durch  folgende  Linie  begrenzt:  Vom  linken  Stirnhöcker 
nach  abwärts  zieht  dieselbe  zum  äusseren  Augenwinkel,  von 
hier  abwärts  längs  der  Lateralgrenze  des  zweiten  Trigeminus¬ 
astes  zum  linken  Mundwinkel,  sodann  etwas  unterhalb  des 
Unterkieferrandes,  um  etwa  drei  Querfinger  breit  hinter  dem 
Ohrmuschelansatze  in  der  behaarten  Haut  zu  verschwinden 
(Fig.  1).  Sensibilitätsgebiet  I  umfasst  den  zweiten  Trigeminus¬ 
ast,  sowie  den  Ramus  ethmoidalis  des  ersten  Trigeminusastes; 
hier  ist  die  tactile  Sensibilität  (J/32 mm1  Mauleselhaar9),  ferner 
die  Schmerzempfindlichkeit  (Schwelle:  20 mm2  Schweinsborste), 
sowie  die  Empfindlichkeit  für  Warm  (heisses  Wasser)  und 
Kalt  (Eis)  von  der  normalen  Seite  nicht  verschieden.  Sensibilitäts¬ 
gebiet  II  umfasst  den  ersten  Trigeminusast  von  oberhalb  der 
Nasenwurzel  bis  nach  rückwärts  zur  Grenzlinie  III.  Hier  ist 
die  tactile  Sensibilität  ('/8??i?n2  Schweinsborste)  gegen  die  der 
Gegenseite  herabgesetzt,  aber  nicht  so  stark  wie  im  Sensibilitäts¬ 
gebiete  III.  Schmerz-  und  Temperaturempfindlichkeit  ent¬ 
sprechen  aber  ganz  den  Verhältnissen  der  normalen  Seite. 
Sensibilitätsgebiet  III  umfasst  alles  Gebiet  lateral  und  hinten 
von  der  erwähnten  grossen  Grenzlinie.  Nach  oben  verliert  sich 
dieses  Gebiet  allenthalben  in  die  behaarte  Kopfhaut,  wo  keine 
genaue  Bestimmung  mehr  möglich  ist.  Die  tactile  Sensibilität 

9)  Verwendet  wurde  das  Aesthesiometer  von  F  r  e  y.  (Abhandlungen 
der  königlich  sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Leipzig.  1896.) 

Hie  genaue  Aufnahme  des  Sensibilitäts-Status  verdanke  ich  Herrn 
Hollegen  S  t  r  a  n  s  k  y,  einem  Schüler  von  Herrn  Prof.  v.  Frankl- 
Hochwart. 


ist  hier  sehr  stark  herabgesetzt  (bei  Schweinsborste  3  mm 2 
noch  keine  sichere  Empfindung);  auch  die  Sehmerzempfindung 
sehr  herabgesetzt;  die  Empfindung  für  Kalt  (Eis)  fehlend,  bei 
Warm  (heisses  Wasser)  wird  nicht  Wärme,  sondern  nament¬ 
lich  in  der  Nähe  des  Ohres  sehr  intensiver  Schmerz  em¬ 
pfunden. 

Kauen  prompt,  der  Geruch  links  etwas  herabgesetzt.  Der 
Geschmack  an  der  vorderen  Hälfte  der  Zunge  fehlend  für 
»Süss«,  hinten  beiderseits  gleich;  für  »Bitter«  desgleichen. 
Die  Uvula  weicht  etwas  nach  rechts  ab,  das  Heben  geschieht 
symmetrisch;  die  Temperatur  beider  Gesichtshälften  anscheinend 
gleich;  die  Kopfbewegungen  sind  frei;  kein  Brechreiz,  guter 
Appetit. 

Interessant  ist  nun  folgende  Beobachtung,  auf  welche 
der  Kranke  selbst  aufmerksam  machte.  Es  wurde  nämlich  von 
seinen  Kameraden  bemerkt,  dass  er  selbst  dann,  wenn  er  das 
Fleisch  seiner  Menage  oder  ein  Stück  Brot  in  einem  kalten 
Locale  esse,  auf  der  linken  Wange  schwitze.  Dass  dieses 
Schwitzen  beim  Kauen  auch  schon  früher  vorgekommen,  weiss 
der  sonst  intelligente  Mann  nicht  anzugeben.  Gibt  man  ihm 
nun  etwas  zum  Kauen,  so  röthet  sich  an  streng  umschriebener 
Stelle  die  linke  Wange.  Diese  Röthung  ist  begrenzt  nach 
oben  zu  durch  eine  Linie  knapp  oberhalb  des  Jochbogens, 
reicht  nach  vorne  bis  zur  Nasenlippenfalte,  nach  unten  etwas 
über  den  Unterkieferrand;  das  Ohr  ist  frei  (siehe  Fig.  2).  Je 
angestrengter  das  Kauen,  gleichviel  ob  dasselbe  auf  der  rechten 
oder  linken  Seite  erfolgt,  desto  rascher  tritt  diese  Verfärbung 
der  Haut  auf.  Beim  Trinken,  selbst  warmer  Flüssigkeiten  oder 
Essen  weicher  Sachen,  wenn  also  nicht  energischere  Muskel¬ 
arbeit  beim  Kauen  geleistet  wird,  ist  dieselbe  nicht  zu  beob¬ 
achten.  Dabei  ist  die  Haut  dieser  Seite  wärmer  anzufühlen 
und  treten  auch  nach  zwei  bis  drei  weiteren  Kaubewegungen 
kleine  Schweissperlen  innerhalb  der  beschriebenen  Grenze  auf. 

Auf  andere  Weise,  so  durch  Riechen  von  Amylnitrit,  In¬ 
jection  von  Pilocarpin  war  es  nicht  möglich,  diese  Erschei¬ 
nungen  auszulösen.  Während  des  Kauens  häufen  sich  die 
blitzartigen  Zuckungen  in  der  linken  Mundwinkelgegend.  Die 
Pupillen  bleiben  gleich  weit. 

Die  Motilitätsstörungen  in  der  linken  Gesichtshälfte  be¬ 
rechtigen  zur  Annahme  einer  Schädigung  des  Nervus  facialis, 
und  zwar  in  seinem  peripheren  Verlaufe.  Als  Ursache  dieser 
Läsion  ist  die  nachzuweisende  Stichverletzung  am  linken  Ohre 
anzusprechen.  Wie  bereits  beschrieben  ist  die  Narbe  an  der 
unteren  Gehörgangswand  von  den  Incisura  intertragica  bis 
zum  Ansätze  des  knorpeligen  an  den  knöchernen  Gehörgang 
zu  verfolgen,  ebenso  nur  an  der  Vorderseite  des  Ohrläppchen¬ 
ansatzes.  Die  Messerspitze  prallte  sicherlich  am  knöchernen 
Gehörgange  ab  und  verletzte  hiebei  den  Gesichtsnerv,  welcher 
hier,  von  Foramen  stylomastoideum  herauskommend,  fast  in  einem 
spitzen  Winkel  nach  vorne  oben  umbiegt.  Auch  war  die  Durch¬ 
trennung  des  Nervens  keine  vollständige,  da  nur  der  Stirn¬ 
ast  vollständig  gelähmt  ist,  die  Muskeln  in  den  von  den  beiden 
anderen  Aesten  versorgten  Partien  jedoch,  wenn  auch  etwas 
träger,  functioniren.  Auch  traten  alle  diese  Erscheinungen  nicht 
sofort  nach  erlittener  Verletzung  sondern,  wie  die  Kranken¬ 
geschichte  zeigt,  erst  einige  Zeit  nach  der  Vernarbung  auf. 
Was  die  weiter  beobachteten  Störungen  in  der  erkrankten 
Gesichtshälfte  anbelangt,  wie  die  Röthung  der  Haut,  Schweiss- 
absonderung  und  abnorme  Empfindlichkeit,  so  ist  hierüber 
schon  so  viel  geschrieben  und  gesprochen  worden,  dass  ich  mich 
—  überdies  auch  als  Ohrenarzt  hierin  kein  Fachmann  — 
jeder  weiteren  Auseinandersetzung  enthalte.  Nach  meinem 
Dafürhalten  erbringt  diese  hier  mitget heilte 
Beobachtung  den  Beweis  für  die  von  v.  Frankl- 
Hoch  wart  ausgesprochene  Annahme,  dass 
der  Nervus  facialis  auch  beim  Menschen 
sensible  und  vasomotorische  Fasern  führe. 
Hysterie  ist  im  vorliegenden  Falle  vollständig  auszu- 
schliessen,  da  gar  keine  Anhaltspunkte  für  eine  solche  zu 
finden  sind;  keine  Stigmata,  keine  Gesichtsfeldeinschränkung. 
Die  Annahme,  dass  die  Verletzung  gleichzeitig  ausser  den 
Facialis  auch  den  Trigeminus,  Vagus  oder  Acusticus  getroffen 
habe  —  eine  Annahme,  die  bei  Schädigung  bacillärer  Natur 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


133 


Fig.  1. 


wohl  zuzugeben  ist  und  sind  solche  Beobachtungen  z.  B. 
von  Kaufmann  1  *)  und  Hammerschlag  12)  aus  der  Klinik 
Politzer  berichtet  worden  —  muss  hier  von  der  Hand  gewiesen 
werden.  Die  Art  und  Weise  der  Verletzung  und  die  topo¬ 
graphisch-anatomische  Lage  der  Organe  sprechen  gegen  eine 
solche.  Ausserdem  hatte  ich  mich  auf  operativem  Wege  davon 
überzeugt,  dass  keine  anderweitige  makroskopische  Störung,  wie 
Geschwulst,  Fremdkörper  oder  Eiterherd,  den  Facialis  in 
seinem  Laufe  störe. 

Dass  der  Facialis  in  der  That  sensible  Fasern 
mit  sich  führt,  hat  erst  Mitchell13)  unlängst  in  einer 

'*)  Ueber  einen  Fall  von  gleichseitiger,  acut  aufgetretener  Erkran¬ 
kung  des  Acusticus,  Facialis  und  Trigeminus.  Zeitschrift  für  Ohrenheil¬ 
kunde.  Bd.  XXVIII. 

12)  Beitrag  zur  Casuistik  der  multiplen  Hirnnervenerkrankungen. 
Archiv  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  VL. 

lj)  Case  of  trigeminal  spasm.  Resection.  Probable  presence  of  sensory 
fibres  in  the  seventh  nerve.  Journal  of  nervous  and  mental  disease.  1898, 
pag.  392.  Referirt  im  neurologischen  Centralblatt.  1899,  Nr.  19. 


Arbeit  nacbgewiesen.  Er  berichtet  in  derselben  über  zwei 
eigene  Beobachtungen  und  einen  in  der  Literatur  be¬ 
schriebenen  Fall  von  Tic  douloureux,  bei  denen,  entsprechend 
dem  Gebiete  des  Schmerzes,  eine  Resection  des  rechten  N. 
supraorbitalis  und  supratrochlearis,  beziehungsweise  eine  solche 
des  rechten  N.  supra-  und  infraorbitalis,  beziehungsweise  eine 
Entfernung  des  Ganglion  Gasseri  vorgenommen  wurde.  Bei  allen 
drei  Patienten  bestand  nach  dem  operativem  Eingriffe  nur 
eine  ganz  unbedeutende  Sensibilitätsstörung  in  den  betreffenden 
Gesichtstheilen.  Auch  die  längst  bekannte  Thatsache,  dass 
nach  Resection  des  N.  trigeminus  oder  Exstirpation  des  Ganglion 
Gasseri  im  Laufe  der  Zeit  das  Gebiet  der  Anästhesie  auf  der 
operirten  Seite  kleiner  wird,  Hesse  sich  damit  erklären,  dass 
eben  der  Facialis  mit  seinen  sensiblen  Aesten  die  Stelle  des 
zerstörten  Trigeminus  nach  Möglichkeit  übernehme.  Bruns14) 


14)  Die  Durchschueidung  des  Gesichtsnerven  beim  Gesichtsschmerz. 
Tübingen.  1859. 


Occip.  maj. 


Occip.  min. 
Auric,  magn. 


Cervic.  super. 


► 


134 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  0 


fasste  diese  Wiederkehr  des  Empfindungsvermögens,  wenn 
dasselbe  schon  nach  einigen  Tagen  eintrat,  als  »Regenerations¬ 
vorgang«  auf.  Kehrte  es  erst  nach  Verlauf  einiger  Wochen 
wieder,  so  erklärte  er  die  Erscheinung  auf  folgende  Weise: 
Ausser  den  gröberen  Nerven,  welche  sich  zu  einem  1  heile 
hinbegeben,  schlügen  noch  sehr  feine  Fädchen  denselben  Weg 
ein,  und  diese  vermittelten  nach  Durchschneidung  der  einen 
Bahn  die  supplirende  Sensibilität.  Damit  ist  wohl  eine  Brücke 
hergestellt  für  die  Behauptung,  dass  der  Facialis  die  Fähigkeit 
dieser  supplirenden  Sensibilität  besitzt.  Dass  die  rasche  Wieder¬ 
kehr  der  Sensibilität  nach  Zerstörung  des  Trigeminus  auf  eine 
Regeneration  zurückzuführen  sei,  oder  aber  wie  Krause15) 
der  Ansicht  ist,  dass  die  zunächst  anästhetischen  Gebiete  in 
einzelnen  Fällen  offenbar  durch  Hineinwachsen  von  Nerven¬ 
fasern  vom  Trigeminus  der  anderen  Seite  oder  von  Nerven  des 
Cervicalgeflechtes,  namentlich  N.  auricularis  magnus  her  mit 
Empfindung  ausgestattet  worden  sei,  dagegen  spricht  wohl  einer¬ 
seits  die  Wiederkehr  der  Sensibilität  nach  kurzer  Zeit  und  in  so 
grosser  Ausdehnung,  andererseits  dass  sich  die  Grenzen 
der  nach  Exstirpation  des  Ganglion  Gasse  ri 
vorhandenen  Sensibilität  ziemlich  genau 
decken  mit  jenen,  innerhalb  welcher  in  dem 
hier  in  i  t  g  e  t  heilten  Falle  dieselbe  eben  fehlt. 
(Ein  Blick  auf  die  Abbildungen  hier  und  bei  Krause  wird 
diese  Worte  erhärten.) 

Die  hochgradigen,  sowohl  spontan  als  auch  auf  Druck 
auftretenden  Schmerzen  am  Warzenfortsatze  brachten  mich 
auf  die  Vermuthung,  dass  vielleicht  doch  in  der  Tiefe  desselben 
ein  kleiner  Eiterherd,  bedingt  durch  die  am  Knochen  etwa 
abgebrochene  Messerspitze  oder  einen  sonstigen  bei  der  Ver¬ 
letzung  eingedrungenen  Fremdkörper,  zu  finden  wäre.  Das 
aufgenommene  Röntgenogramm  erwies  sich  allerdings  als  ne¬ 
gativ.  Nichtsdestoweniger  hielt  ich  einen  Eingriff,  um  darauf¬ 
hin  nachzusehen,  für  berechtigt;  auch  der  Kranke  war 
einverstanden,  da  er  hoffte,  von  seinen  Schmerzen  be¬ 
freit  zu  werden.  Da  Küster16)  so  warm  für  die  von 
ihm  in  letzter  Zeit  vorgeschlagene  »osteoplastische  Auf- 
meisselung  des  Warzenfortsatzes«  eintrat,  so  beschloss  ich, 
nach  seiner  Angabe  vorzugehen,  obwohl  seine  mitgetheilten 
Krankengeschichten  nicht  sehr  dazu  ermuntern;  blieb  doch  in 
einem  Drittel  seiner  Fälle  die  erhoffte  Heilung  aus.  Da  es  sich 
jedoch  bei  meinem  Kranken  um  eine  probeweise  Eröffnung 
des  Warzenfortsatzes  handelte  und  ich  eine  tadellose  Narbe 
erzielen  wollte,  worauf  gerade  Küster  und  zwar  nicht  ge¬ 
ringen  Werth  in  seinem  Vorschläge  machte,  so  ging  ich  nach 
dessen  Angabe  vor. 

Ein  sichelförmiger  Schnitt  um  die  Warzenfortsatzspitze 
durchtrennt  in  Einem  Haut  und  Periost;  letzteres  wird  an 
einer  Stelle  etwas  aufgehoben,  um  nun  mit  dem  Meissei  eine 
oberflächliche  Knochenplatte  innerhalb  des  geführten  Schnittes 
herauszumeisseln.  Die  äusserst  heftige  Blutung,  die  durch  die 
Unterbindung  der  Gefässe  bedingte  Verzögerung,  sowie,  und 
zwar  hauptsächlich,  ein  Gefühl  der  Unsicherheit,  förmlich  im 
Dunkeln  in  der  Nähe  des  Sinus  und  Facialis  sich  in  die  Tiefe 
zu  arbeiten,  veranlassten  mich,  schon  nach  den  ersten  Meissei¬ 
schlägen  dieses  Verfahren  aufzugeben  und  nach  der  alten, 
landläufigen  Methode  weiterzuarbeiten.  Sowohl  die  Spitze  als 
auch  das  Antrum  waren  frei;  ebenso  waren  auch  makro¬ 
skopisch  keine  Veränderungen  am  Facialis  zu  bemerken. 

'  )  Die  Physiologie  des  Trigeminus  nach  Untersuchungen  am  Menschen, 
bei  denen  das  Ganglion  Gasseri  entfernt  worden  ist.  Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1895,  pag.  577;  die  Neuralgie  des  Trigeminus,  nebst  der 
Anatomie  und  Physiologie  der  Nerven.  Leipzig.  1896.  In  diesem  Buche,  und 
zwar  pag  79,  80,  sind  ähnliche  Erscheinungen,  wie  die  hier  beschriebenen, 
von  einer  Kranken  mitgetheilt.  Entfernt  wurde  das  Ganglion  Gasseri  und 
bei  der  Operation  die  oberen  Aeste  des  Facialis  durchtrennt.  »Frau  Wage¬ 
mann,  48  Jahre  alt,  die  im  Uebrigen  gegenüber  den  anderen  Kranken  keine 
Besonderheiten  dargeboten  hat  und  daher  nicht  weiter  erwähnt  wird,  zeigte 
die  sonst  nicht  beobachtete  Eigentkümlichkeit,  dass  jedesmal  beim 
Essen  die  operirte  Gesichtsseite  sich  stark  röthete 
und  dem  entsprechend  heiss  anfühlte.  Dagegen  erschien  bei 
Frau  W — n.  anfangs  die  Wangenbaut  der  operirten  Seite  der  aufgelegten 
Hand  ein  wenig  kühler  als  die  der  gesunden  Seite.  Fünf  Monate  später 
ist  das  nicht  mehr  der  Fall. 

1G)  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  43. 


Die  Wunde  heilte  per  primam  und  trotzdem  die  oberfläch¬ 
liche  Knochenschichte  mit  abgetragen  wurde,  ohne  merkbare 
Einziehung  der  Narbe;  nur  war  dieselbe  sichelförmig. 

Nun  war  es  mir  auch  klar,  warum  Küster,  ein  Chirurg 
von  Namen,  unter  neun  Aufmeisseiungen  des  Warzenfortsatzes 
nach  seiner  Angabe  in  zwei  Fällen,  »vielleicht  in  drei  Fällen«, 
den  Sinus  transversus,  in  einem  Falle  den  Facialis  verletzte. 
Unzweifelhaft  gebührt  Küster  das  Verdienst,  durch  seine 
Arbeit:  »Grundsätze  der  Behandlung  von  Eiterungen  in  starr- 
wandigen  Höhlen,  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Empyems 
der  Pleura«  l7),  den  Weg  gewiesen  zu  haben,  auf  welchem 
man  chronische,  mit  Caries  der  tieferliegenden  Theile  einher¬ 
gehende  Mittelohreiterungen  zur  endgiltigen  Ausheilung  bringen 
kann.  Durch  fortgesetztes  Arbeiten  in  dieser  Richtung  ist  ja 
auch  heute  die  Otochirurgie  so  weit,  dass  sie  das  ideale  Ziel 
einer  Operation  fast  ganz  erreicht,  indem  es  ihr  nicht  nur 
gelingt,  alles  Krankhafte  endgiltig  zu  entfernen,  sondern  auch 
die  Spuren  des  vorgenommenen  Eingriffes  möglichst  zu  ver¬ 
wischen;  oft  deutet  nur  eine  zarte,  lineare  Narbe  die  Stelle 
desselben  an.  Dass  nun  Küster  neuerdings  mit  einem  Vor¬ 
schläge  hervortritt,  darüber  sagt  Pas  sow18)  in  einem  Vor¬ 
trage,  und  zwar  nicht  mit  Unrecht:  »Man  wird  glauben,  dass 
die  Erfolge  der  Operationen  am  Warzenfortsatze  bisher  geringer 
waren  als  die  von  Küster  erzielten  und  zu  dem  Schlüsse 
kommen,  dass  unsere  Resultate  recht  viel  zu  wünschen  übrig 
Hessen«.  Wenn  nun  Küster’s  mitgetheilte  Fälle  selbst  nicht 
zu  Gunsten  seines  Vorschlages  sprechen,  Passow  denselben 
zur  Nachahmung  nicht  empfiehlt,  so  ermuntert  auch  die  Er¬ 
fahrung  in  dem  hier  mitgetheilten  Falle  keineswegs  zu  einer 
Wiederholung.  Panse19)  geht  einen  erheblichen  Schritt  weiter 
und  sagt:  Küster’s  Vorschlag  bedeute  einen  so  erheblichen 
Rückschritt,  dass  nicht  schnell  genug  vor  ihm  gewarnt 
werden  kann. 


Gutachten  der  medicinischen  Facultät  in  Wien. 

Todschlag,  verübt  von  einem  trunksüchtigen,  ethisch 
depravirten  Individuum.  Angeblicher  pathologischer 
Rauschzustand  und  Schlaftrunkenheit.  Verurtheilung. 

Referent  Prof.  V.  Wagner. 

1.  Geschichtserzählung  und  Ergebnisse  aus  den 

Acten. 

Am  16.  Mai  1898,  nach  7  Ohr  Abends,  brachte  der  40jährige 
Grundbesitzer  C.  einem  gewissen  K.  in  einer  Kneipe  in  S.  zwei 
Stichwunden  bei,  die  unmittelbar  den  Tod  des  K.  zur  Folge 
hatten. 

Der  Fall  hatte  sich  folgendermassen  zugetragen:  C.,  ein  no¬ 
torischer,  wiederholt  bestrafter  Säufer  und  Raufbold,  hatte  den  Tag 
über  in  mehreren  Wirthshäusern  in  Gesellschaft  verschiedener  Ge¬ 
nossen  gezecht  und  eine  nicht  unbeträchtliche  Menge  von  Schnaps 
und  Wein  consumirt.  Im  Laufe  des  Nachmittags  hatte  sich  ihm 
der  mit  ihm  schon  von  früher  her  bekannte  K.  zugesellt  und  mit 
ihm  gezecht. 

Nach  7  Uhr  Abends  endlich  suchten  die  Beiden  in  Gesell¬ 
schaft  eines  Dritten,  eines  Spaniolen,  die  Kneipe  des  P.  auf  und 
begaben  sich  in  die  zweite  Stube  der  Schenke,  in  der  sich  ausser 
ihnen  niemand  befand. 

K.  war  bereits  betrunken;  an  C.  war  nach  übereinstimmender 
Angabe  aller  Zeugen  kein  Zeichen  von  Trunkenheit  zu  bemerken. 
In  der  Schenke  des  P.  bestellte  C.  nichts,  sondern  ass  zunächst 
einen  mitgebrachten  Käse;  K.  wollte  Schnaps  bestellen,  der  aber 
vom  Wirth  mit  Hinweis  auf  K.’s  offenbare  Trunkenheit  verweigert 
wurde. 

K.  gerieth  darüber  in  Zorn  und  fing  zu  randaliren  an.  Der 
Wirth  ging  aus  diesem  Grunde  fort,  um  einen  Wachmann  zu  holen. 
Mittlerweile  hatte  der  Spaniole  auf  einer  Mandoline  gespielt.  Nach 

17)  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1889.  Nr.  10  ff. 

,8)  »Küste  r’s  osteoplastische  Aufmeissehu  g  des  Wai  zenfortsatzes.« 
Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  49,  pag.  1636. 

19)  Zu  Prof.  Küster’s  osteoplastischer  Aufmeisselung  des  Warzen¬ 
fortsatzes.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  50. 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  19U0. 


135 


kurzer  Zeit  verlangte  aber  C.  etwas  zu  schlafen  und  schickte  den 
Spaniolen  fort.  Es  blieb  jetzt  in  der  zweiten  Stube  der  Schenke 
nur  C.  und  der  trunkene  K.  zurück. 

K.  spielte  zuerst  einige  Zeit,  jedenfalls  nur  ganz  wenige 
Minuten,  auf  der  Mandoline;  C.  ermahnte  den  K.,  offenbar  weil  er 
schlafen  wollte,  zur  Ruhe.  Auf  einmal  entstand  zwischen  den  Beiden 
ein  Streit,  über  dessen  Ursache,  da  ausser  den  Beiden  Niemand 
im  Gemache  anwesend  war,  nur  die  Aussage  des  G.  vorliegt.  Er 
sagt,  Jemand  habe  ihn  auf  einmal  bei  der  Brust  gepackt  und  ge¬ 
würgt,  worauf  er  selbst  aufsprang  und  mit  dem  Messer,  das  auf 
dem  Tische  lag,  nach  demselben  (es  war  K.)  stiess.  Die  Beiden 
kamen  im  Raufen  in  das  vordere  Gemach  der  Schenke,  wo  K.  zur 
Thüre  hinaustaumelte,  während  C.  in  das  zweite  Gemach  zurück¬ 
ging  und  sich  niederlegte.  K.  stürzte  vor  der  Schenke  zusammen 
und  man  hielt  ihn  anfangs  nur  für  einen  Betrunkenen,  bis  man 
Blut  sah  und  sich  überzeugte,  dass  ihm  ein  Messer  in  der  Brust 
stecke  und  er  bereits  im  sterbenden  Zustande  sei. 

Der  herbeigerufene  Wachmann  wollte  C.  verhaften,  dieser 
rief  ihm  aber  in  drohendem  Tone  zu:  »Gehe  mir  nicht  in  die 
Nähe.« 

Auf  die  nochmalige  Aufforderung  des  Wachmannes,  mitzu¬ 
gehen,  ergriff  C.  den  auf  dem  Tische  liegenden  Zündstein  wie  zum 
Wurfe  und  bedrohte  damit  den  Wachmann. 

Erst  als  Succurs  kam,  folgte  er  ohne  Widerstand  den  Wach¬ 
leuten. 

Um  9  Uhr  Abends  sah  der  Wachtmeister  G.  den  C.,  der 
sich,  wie  der  Wachtmeister  behauptet,  total  betrunken  stellte,  ein 
Eindruck,  den  auch  der  anwesende  Polizeiofficial  und  der  Schrift¬ 
führer  hatten.  Nichtsdestoweniger  gab  C.  über  Befragen  an,  dass 
er  in  einem  Gasthause  gewesen  und  dort  eingeschlafen  sei;  es  habe 
ihn  Jemand  an  der  Brust  gepackt,  worauf  er  auf  den  Betreffenden 
hingeschlagen  habe;  mit  welchem  Gegenstände,  wisse  er  nicht.  Er 
gibt  auch  an,  wer  mit  ihm  in  Gesellschaft  war  und  dass  er  un¬ 
mittelbar  vor  der  That  einen  Käse  gegessen  habe,  den  er  mit  einem 
Messer  zerschnitt. 

Am  nächsten  Tage  einvernommen,  machte  C.  ziemlich  detail- 
lirte  Angaben  über  das,  was  er  am  Tage  vorher  gemacht  hatte, 
welche  Schenken  er  besucht  und  in  welcher  Gesellschaft  er  gezecht 
hatte,  wobei  er  die  genossenen  Quantitäten  etwas  zu  übertreiben 
suchte. 

Von  Wichtigkeit  ist,  dass  auch  seine  Erinnerung  an  Details, 
die  sich  auf  die  Zeit  unmittelbar  vor  und  nach  der  That  beziehen, 
eine  gute  ist.  So  weiss  er,  dass  er  in  einem  separirten  Zimmer 
war  und  mit  wem;  dass  er  unmittelbar  vor  der  That  einen  Käse 
gegessen;  dass  man  ihm  einen  Polster  anbot,  als  er  sich  nieder¬ 
legte;  ebenso  erinnert  er  sich  an  die  Worte,  die  er  nach  der  That 
bei  der  Arretirung  gesprochen. 

Ueber  die  That  selbst  gibt  er  an,  dass  er,  vom  Getränk  über¬ 
mannt,  eingeschlafcn  sei,  worauf  ihm  Jemand  bei  der  Brust  gepackt 
habe;  dass  er  dann  aufsprang  und  mit  dem  Messer,  das  auf  dem 
Tische  lag,  loshieb,  worauf  er  sich  wieder  niederlegte.  Ebenso  er¬ 
innerte  er  sich,  dass  er  unmittelbar  nach  der  That  dem  Wachmann 
gesagt  habe,  er  habe  den  K.  gestochen,  weil  derselbe  ihn  würgte. 
Er  verantwortete  sich  aber  dahin,  dass  er  ganz  betrunken  gewesen 
sei  und'  nicht  wusste  was  er  thue. 

Bei  der  am  19.  August  1898  durchgeführten  Verhandlung 
machte  der  Vertheidiger  geltend,  dass  das  Motiv  der  That  unklar 
sei;  er  verwies  auf  den  angeblich  trunkenen  Zustand  des  Inculpaton 
und  spricht  die  Vermuthung  aus,  dass  ein  Fall  sogenannter  Schlaf¬ 
trunkenheit  vorliegen  könnte. 

Er  verlangte  darum  die  Untersuchung  des  Geisteszustandes 
des  Inculpaten,  welchem  Verlangen  der  Gerichtshof  willfahrte.  Die 
Gerichtsärzte  gaben  nach  ungefähr  einmonatlichcr  Beobachtung  des 
Inculpaten  ein  Gutachten  ab,  auf  das  noch  später  eingegangen 
werden  wird. 

Wegen  Wichtigkeit  und  Schwierigkeit  des  Falles  wurde  aber 
vom  Gerichtshöfe  ausserdem  beschlossen,  die  medicinische  Facultät 
in  Wien  zu  ersuchen,  dass  sie  »auf  Grund  der  Strafacten,  inso¬ 
fern  dies  ohne  persönliche  Exploration  des  Beschuldigten  möglich 
ist«,  ein  Gutachten  abgebe: 

1.  Ob  der  Thäter  des  Gebrauches  der  Vernunft  ganz  beraubt 
ist,  oder 


2.  ob  er  die  That  bei  abwechselnder  Sinnesverwirrung  zu 
der  Zeit,  als  die  Verrückung  dauerte,  begangen  habe. 

Aus  dem,  was  in  den  Acten  und  im  dem  Beobachtungs- 
journal  der  Gerichtsärzte  vorliegt,  ergibt  sich  über  G.  noch  Fol¬ 
gendes: 

Der  Vater  soll  ein  Trinker  gewesen  sein;  er  war  Beamter  in 
türkischen  Diensten,  viel  vom  Hause  abwesend  und  kümmerte  sich 
wenig  um  die  Erziehung  der  Kinder.  Der  ältere  Bruder  des  Incul¬ 
paten  war  ein  Säufer  und  Raufbold,  stand  zweimal  im  Vakuf- 
Spital  in  S.  in  Beobachtung,  darunter  einmal  im  Aufträge  des 
Gerichtes;  er  starb  einige  40  Jahre  alt  in  einer  Irrenanstalt. 
Eine  Schwester  litt  an  periodischer  Manie  und  war  auch  einmal 
im  Vakuf-Spital  in  Beobachtung. 

G.  war  bis  auf  einen  Typhus,  den  er  im  20.  Lebensjahre 
überstand,  immer  gesund.  Von  frühester  Jugend  auf  zeigte  G.  schon 
schlimme  Anlagen.  Die  Schule  besuchte  er  nur  drei  Jahre  und  sehr 
unregelmässig,  da  er  lieber  sich  mit  Altersgenossen  herumtrieb.  Er 
fing  schon  in  seinem  zehnten  Lebensjahre  an  stark  zu  onaniren 
und  frequentirte  schon  von  seinem  15.  Lebensjahre  an  die  Zigeuner¬ 
mädchen.  Schnapstrinker  ist  er  seit  seinem  13.  Lebensjahre;  und 
alle  Ermahnungen  und  Strafen  seiner  Eltern  waren  gegen  seine 
schlimmen  Neigungen  fruchtlos.  Auch  war  er  schon  von  früher 
Kindheit  an  sehr  jähzornig  und  gewaltthätig.  Schon  in  der  Schul¬ 
zeit  verletzte  er  einen  anderen  Knaben  derart,  dass  er  polizeilich 
bestraft  wurde. 

Dagegen  waren  seine  intellectuellen  Anlagen  keine  schlechten, 
da  er  trotz  mangelnder  Schulbildung  sich  beim  Militär  die  Kunst 
des  Lesens  und  Schreibens  aneignete,  und  zwar  türkisch  und 
kroatisch  in  einem  solchen  Grade,  dass  er  bei  der  Gendarmerie 
und  bei  der  Finanzwache  dienen  konnte. 

Beim  Militär  diente  er  zwei  Jahre  und  zwar  zuerst  bei  einem 
Infanterie-Regiment,  dann  ein  Jahr  bei  der  Gendarmerie.  Beim 
Militär  erlitt  er  im  Ganzen  neun  Abstrafungen,  wegen  Trunkenheit, 
Unordnung  und  Excess.  Auch  bei  der  Finanzwache,  bei  der  C. 
später  durch  ein  Jahr  diente,  zog  er  sich  fünf  Abstrafungen  zu. 

Eigenthümlich  sind  die  ehelichen  Verhältnisse  des  Inculpaten. 
Er  hat  schon  vier  Frauen  gehabt;  jeder  wurde  er,  bald  nachdem  er 
geheiratet  hatte,  überdrüssig  und  misshandelte  sie  ohne  die  min¬ 
desten  Scrupel  so  lange,  bis  sie  weggingen,  wenn  er  sie  nicht 
selbst  fortschickte. 

Nichtsdestoweniger  hätte  er  nach  eigener  Angabe  nicht  übel 
Lust,  wieder  einmal  zu  heiraten,  indem  er  sich  verspricht,  dass  er 
jetzt  beständiger  sein  würde. 

Ueberhaupt  sind  seine  Empfindungen  für  seine  Verwandten 
sehr  stumpf.  Als  sein  Vater  starb,  war  er  nach  eigenem  Geständ- 
niss  geradezu  froh,  weil  der  Vater  ihn  zum  Lernen  anhalten  wollte 
und  er  sich  nun  befreit  fühlte.  Der  Tod  seiner  Mutter,  die  während 
seiner  Strafhaft  gestorben  war,  liess  ihn  zum  Mindesten  kalt.  Um 
seine  einzige  Tochter,  ein  14jähriges  Mädchen,  kümmerte  er  sich 
nie.  ja  er  will  sie  gar  nicht  sehen. 

In  religiöser  Richtung  ist  C.  vollständig  indifferent;  er  macht 
die  religiösen  Uebungen  gar  nicht  mit,  da  er  daran  zweifelt,  dass 
das  Alles  wahr  sei,  was  im  Koran  steht. 

Irgend  eine  Thätigkeit  scheint  C.  ausser  der  kurzen  Zeit, 
welche  er  beim  Militär  und  bei  der  Finanzwache  zubrachte,  me 
gehabt  zu  haben.  Er  hat  auch  nicht  die  mindeste  Lust  zur  Arbeit. 
Von  einem  nicht  unbeträchtlichen  Erbe,  das  ihm  seine  Ellern  hinter¬ 
lassen  haben,  hat  er  schon  einen  guten  Theil  verprasst, 
und  er  hatte  auch  nicht  die  Absicht,  in  Hinkunft  etwas  zu 
arbeiten,  sondern  er  plante,  gerade  als  sich  die  Affaire  mit  K.  zu¬ 
trug,  die  Hälfte  seines  restlichen  Erbes  noch  zu  vergeuden  und 
dann  nach  Konstantinopel  zu  gehen,  wo  er  eine  reiche  Tante  hat, 
bei  der  er  aufgenommen  zu  werden  holfte. 

Die  hervorragendste  Leidenschaft  des  Inculpaten  ist  die 
Trunksucht.  Er  trinkt  seit  seinem  13.  Lebensjahre,  anfangs  nur 
Raki;  seitdem  er  beim  Militär  war,  trinkt  er  Alles  durcheinander. 
Seine  Lebensweise  bestand  darin,  dass  er  einen  grossen  Theil  des 
Tages  verschlief,  und  dann  bis  tief  in  die  Nacht  hinein  schlemmte. 
Er  suchte  sich  um  jeden  Preis  Geld  zum  Trunk  zu  verschaflcn. 
Nicht  selten  verkaufte  er  zu  diesem  Zweck  seine  Kleider,  nicht 
etwa  wenn  er  trunken  war,  sondern  noch  in  nüchternem  Zustande, 
um  trinken  zu  können.  Er  hat  auch,  wie  er  selbst  aussprich I,  gai 
nicht  die  Absicht,  sich  in  dieser  Richtung  zu  bessern.  Ja  er  ist 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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mit  seiner  Trunksucht  so  zufrieden,  dass  er  einmal,  als  ihn  seine 
Mutter  ein  heiliges  Wasser  trinken  lassen  wollte,  welches  angeblich 
gegen  die  Trunksucht  wirksam  ist,  sich  weigerte,  dies  zu  thun. 
C.  hat  es  in  Folge  dessen  auch  zu  einer  ziemlichen  Leistungs¬ 
fähigkeit  im  Trinken  gebracht.  Nach  seiner  eigenen  Angabe  soll 
man  ihm,  wenn  er  einen  ganzen  Liter  Schnaps  getrunken  hat, 
noch  nichts  anmerken. 

Dass  diese  Behauptung  keine  leere  Prahlerei  ist,  lässt  sich 
aus  den  Acten  einigermassen  nachweisen.  Denn  für  den  Tag,  an 
dessen  Abend  er  K.  erschlug,  kann  man  an  der  Hand  der  Zeugen¬ 
aussagen  annähernd  festslellen,  wie  viel  er  getrunken;  es  war 
dies  ungefähr  1 1  Schnaps  und  1 1  Wein.  Trotzdem  geben  alle 
Zeugen  an,  dass  er  höchstens  etwas  angeheitert,  aber  keineswegs 
berauscht  war;  dass  er  ganz  gerade  und  sicher  ging  und  deutlich 
und  zusammenhängend  sprach. 

Die  zweite  hervorragende  Charaktereigenschaft  des  Inculpaten 
ist  seine  Reizbarkeit  und  Gewaltthätigkeit,  die  jeweils  unter  dem 
Einfluss  des  Alkohols  noch  gesteigert  wurde  und  ungehemmter  zu 
Tage  trat. 

Die  Acten  enthalten  zum  Belege  dessen  überreiches  Material. 
So  berichtet  eine  Polizeinote,  dass  C.  von  1880 — 1888  wegen 
Trunkenheit  und  excessiven  Benehmens  achtmal  polizeilich  abge¬ 
straft  worden  war. 

Aber  auch  von  1888 — 1893  enthalten  die  Acten  Mittheilungen 
über  eine  grössere,  aus  den  Acten  nicht  einmal  bestimmbare  An¬ 
zahl  von  polizeilichen  Strafen  wegen  Trunkenheit,  Raufexcess  und 
körperlicher  Verletzung.  Ausserdem  wurde  C.  aus  ähnlichen  Anlässen 
auch  einige  Male  bezirksgerichtlich  und  kreisgerichtlich  abgestraft. 

Ende  1892  und  Anfangs  1893  befand  sich  C.  zu  gleicher 
Zeit  wegen  dreier  Fälle  von  Körperverletzung  in  strafgerichtlicher 
Untersuchung. 

Während  der  Untersuchung,  bei  der  C.  auf  freiem  Fuss  be¬ 
lassen  worden  war,  ereignete  sich  noch  ein  ärgerer  Fall.  C.  kam 
in  einem  Wirthshause  mit  einem  gewissen  0.  in  Streit  und  verletzte 
ihn  durch  Messerstiche  derart,  dass  derselbe  den  Folgen  der  Ver¬ 
letzungen  auf  der  Stelle  erlag. 

Von  Interesse  ist  es  wegen  des  gegenwärtig  das  Gericht  be¬ 
schäftigenden  Falles,  dass  es  in  mehreren  Fällen  und  so  auch  im 
Falle  des  0.,  gerade  die  Zechgenossen  des  C.  waren,  mit  denen  er 
kurz  vorher  noch  freundschaftlich  am  Wirthshaustisch  gesessen  war, 
die  er  dann  wegen  irgend  eines  geringfügigen  Aergernisses  oder 
einer  Beleidigung  thätlich  angriff  und  verletzte. 

Es  wird  darum  nothwendig  sein,  einige  von  den  früheren 
Gewaltthaten  des  G.  näher  kennen  zu  lernen. 

Am  12.  November  1890  fuhr  C.  mit  einem  Zechgenossen  in 
einem  Fiaker  in  die  Umgebung  von  S.  Am  Wege  begegneten  sie 
zwei  Passanten,  von  denen  sie  einen,  einen  Bekannten,  zum  Mit¬ 
fahren  einluden.  Als  der  Andere,  ein  gewisser  S.,  offenbar  etwas 
betrunken,  auch  einsteigen  wollte  und  man  ihm  das  verwehrte, 
kam  es  zu  einer  kleinen  Rauferei.  G.  zog  sofort  sein  Messer  und 
stach  den  S.  in  die  Schulter. 

Bei  der  Vernehmung  durch  die  Polizei  gibt  G.  an,  dass  er 
dem  S.  habe  den  Hals  durchschneiden  wollen  und  nur  durch  einen 
seiner  Genossen  daran  verhindert  worden  sei,  der  selber  bei  dem 
Bestreben,  dem  C.  das  Messer  zu  entwinden,  eine  Schnittwunde 
am  Daumen  erlitt.  Es  ist  nicht  ersichtlich,  dass  dieser  Fall  Gegen¬ 
stand  einer  gerichtlichen  Untersuchung  geworden  wäre;  er  ist  daher 
nicht  vollkommen  actenmässig  klargestellt. 

Gegenstände  gerichtlicher  Untersuchung  bildeten  dagegen  fol¬ 
gende  Fälle: 

1.  Am  27.  October  1892  sassen  C.  und  A.  in  einer  Schenke 
und  zechten.  A.,  der  etwas  angetrunken  war,  wollte  durchaus  von 
einem  Kuchen  essen,  den  C.  gekauft  und  in  ein  Tuch  zum  Nach¬ 
hausetragen  eingewickelt  hatte.  Daraufhin  gerieth  C.  in  Zorn  und 
stach  mit  einem  Regenschirm  dreimal  gegen  das  Auge  des  A.,  so 
dass  er  ihm  eine  schwere  körperliche  Verletzung  beibrachte  und 
leicht  ihn  auch  um  ein  Auge  hätte  bringen  können. 

2.  Am  14.  Januar  1893  sass  C.  mit  H.  und  mehreren  an¬ 
deren  Genossen  in  einer  Schenke.  G.  gerieth  mit  H.  in  einen  Wort¬ 
wechsel,  weil  ihm  dieser  einige  Tage  vorher  ein  Messer  entrissen 
hatte.  Er  ergrilt  sein  Messer  und  stach  den  TL,  ohne  dass  derselbe 
ihn  angegriffen  hätte,  zweimal  in  den  Arm,  und  wohl  nur  dem 


Umstande,  dass  ein  Zeuge  dem  G.  das  Messer  entriss,  ist  es  zu 
danken,  dass  weitere  Verletzungen  des  H.  hintangehalten  wurden. 

3.  Am  1.  Februar  1893  endlich  war  C.  in  einer  Schenke 
und  zechte  mit  einem  gewissen  0.  und  einem  dritten  Genossen. 
Nachdem  sie  einige  Zeit  friedlich  mit  einander  verkehrt  hatten, 
entstand  über  Provocation  des  C.  zwischen  ihm  und  0.  ein  kurzer 
Wortwechsel,  der  bald  in  Thätlichkeiten  überging.  C.  zog  sein 
Messer  und  versetzte  dem  0.,  der  aus  dem  Locale  zu  (liehen  im 
Begriffe  stand,  während  derselbe  bereits  in  der  Thür  war,  zwei 
Stiche  von  hinten,  in  Folge  deren  0.  sofort  seinen  Geist  aufgab. 

Wegen  der  letzten  drei  Gewaltthaten  und  noch  eines  vierten 
ähnlichen  Factums  hatte  sich  G.  vor  dem  Kreisgerichte  in  S.  zu 
verantworten  und  wurde  mit  Urtheil  vom  29.  März  1893  zu 
schwerem  Kerker  in  der  Dauer  von  fünf  Jahren  verurtheilt. 

C.  verbüsste  diese  Strafe  in  der  Strafanstalt  zu  Z.  Nach  dem 
Berichte  der  Strafanstalts-Direetion  hatte  C.  daselbst  nur  eine  Dis- 
ciplinarstrafe.  Er  war  körperlich  ohne  nennenswerlhe  Krankheiten; 
zeigte  keinerlei  Intelligenzstörung,  war  aber  reizbar,  aufbrausend, 
impulsiv. 

Am  31.  März  1898  verliess  G.  die  Strafanstalt  Z.  Nach 
seiner  Entlassung  ging  er  in  die  nächste  Schenke,  betrank  sich 
ordentlich,  so  dass  er  gar  nicht  wusste,  wie  er  nach  S.  gekommen 
war,  und  zechte  fort  bis  in  den  nächsten  Tag  hinein,  so  dass  er 
binnen  24  Stunden  von  26  fl.,  die  er  aus  der  Strafanstalt  mit¬ 
gebracht  hatte,  nur  mehr  zwei  bis  drei  Gulden  übrig  halle.  Er 
setzte  dann  seine  gewohnte  Lebensweise  fort,  bis  er  sechs  Wochen 
später  den  Todschlag  an  K.  beging. 

Es  ist  nun  auf  das  Gutachten  einzugehen,  welches  die 
Gerichtsärzte  über  G.  abgaben;  das  Wichtigste  aus  demselben  sei 
in  Folgendem  hervorgehoben. 

Die  Gerichtsärzte  bezeichnen  C.  als  »ein  erblich  schwer  be¬ 
lastetes,  durch  Trunksucht  hochgradig  sittlich  verkommenes  Indi¬ 
viduum  von  krankhaft  gesteigerter  Zornmüthigkeit«. 

Als  krankhaft  bezeichnen  sie  die  Zornmüthigkeit  wegen  ihres 
Auftretens  in  früher  Jugend,  wegen  der  ungenügenden  Motivirung 
ihrer  Ausbrüche  und  wegen  der  Unverbesserlichkeit. 

Zur  Kennzeichnung  der  sittlichen  Verkommenheit,  die  sie  mit 
der  Trunksucht  in  ursächlichen  Zusammenhang  bringen,  führen  sie 
an  die  Arbeitsscheu,  die  Gemüthsstumpfheit,  wie  sie  sich  in  seinen 
Beziehungen  zu  Eltern,  Frauen  und  Kind  kundgibt,  ferner  die  Verschwen¬ 
dungssucht  und  den  Leichtsinn. 

Sie  fahren  dann  fort:  »Aus  alldem  erhellt,  dass  der  Ange¬ 
klagte  als  eines  jener  ethisch  mindenverthigen  Individuen  zu  be¬ 
zeichnen  ist,  welche,  zu  jeder  nützlichen  Thätigkeit  ungeeignet, 
ihre  Selbstständigkeit  missbrauchend,  wegen  ihrer  Unverbesserl  ieh- 
keit  eine  stete  Gefahr  für  die  bürgerliche  Gesellschaft  bilden.« 

In  Bezug  auf  die  incriminirte  Handlung  machen  sie  geltend 
den  reichlichen  Alkoholgenuss,  wobei  sie  jedoch  einen  Zustand  von 
Volltrunkenheit  nicht  als  bewiesen  ansehen;  ferner  die  ungenügende 
Motivirung  der  gegen  einen  Freund  ausgeübten  Gewaltthat. 

Die  Angabe  des  Inculpaten,  überhaupt  »von  den  Einzelheiten 
der  That  keine  Vorstellung  zu  haben,  und  für  den  kritischen 
Abend  nur  ein  ganz  summarisches  Erinnerungsvermögen  zu  be¬ 
sitzen«,  glauben  sie  nicht  hinreichend  widerlegen  zu  können. 

Sie  führen  weiter  aus,  dass  C.  durch  den  langdauernden 
Alkoholmissbrauch  eine  derartige  Entartung  seines  Gesammtnerven- 
systemes  herbeigeführt  habe,  dass  derselbe  geradezu  als  mit  einer 
Gehirnerkrankung  behaftet  zu  betrachten  ist. 

Die  Sachverständigen  resumiren  endlich  ihr  Gutachten  im 
folgenden  Schlusssätze: 

»Der  Angeklagte  ist  ein  schwer  erblich  belastetes,  durch 
chronischen  Alkohol ismus  körperlich  und  geistig  geschwächtes  In¬ 
dividuum  von  einer  krankhaft  gesteigerten  Zornmüthigkeit  und 
Reizbarkeit.  Derselbe  hat  sich  zur  Zeit  der  incriminirten  Handlung 
im  Zustande  hochgradiger  Sinnesverwirrung  befunden.« 

Ueber  Antrag  des  Staatsanwaltes  wurden  die  Gerichtsärzle 
aufgefordert,  ihr  Gutachten  dahin  genauer  zu  präcisiren: 

1.  Ob  die  von  den  Sachverständigen  behauptete  hochgradige 
Sinnesverwirrung  als  Folge  einer  vollen  Berauschung  zu  betrachten 
ist  oder  nicht; 

2.  ob  diese  Sinnesverwirrung  eine  derartige  war,  dass  der 
Inculpal  während  derselben  sich  seiner  Handlungen  nicht  be¬ 
wusst  war; 


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3.  ob  etwa  C.  nur  im  berauschten  Zustande  die  im  im- 
pucirten  krankhaften  Erscheinungen  des  Seelenlebens  darbiete  oder 
auch  im  nüchternen. 

Die  Sachverständigen  beantworteten  in  einer  Ergänzung  ihres 
Gutachtens  diese  Fragen,  wie  folgt: 

Ad  1.  Die  Sinnesverwirrung  des  C.  war  nicht  die  unmittelbare 
Folge  einer  Berauschung,  sondern  die  letztere  bildete  nur  das  aus¬ 
lösende  Moment  der  Sinnesverwirrung,  zu  welcher  die  prädispo- 
nirenden  Bedingungen  in  der  fehlerhaften  Organisation  des  Gehirns 
des  Beschädigten  gelegen  waren. 

Ad  2.  Die  Sinnesverwirrunng  bildet  einen  Seelenzustand,  in 
welchem  das  klare  Bewusstsein  gänzlich  aufgehoben  ist. 

Ad  3.  C.  kann  auch  im  nüchternen  Zustande  nicht  als  normaler 
Mensch  gelten.  »Aber  unter  dem  toxischen  Einflüsse  des  Alkohols, 
im  Zustande  der  Schlaftrunkenheit  oder  unter  dem  Einflüsse  eines 
Gemüthsaffectes  verliert  sein  invalides  Gehirn  sehr  leicht  das 
psychische  Gleichgewicht  und  er  begeht  dann  Handlungen,  die  ihn 
mit  dem  Gesetze  in  Collision  bringen  und  von  denen,  wie  auch 
von  deren  Tragweite  er  ...  .  kein  oder  aber  nur  ein  summarisches 
Bewusstsein  besitzt.« 

2.  Gutachten. 

Die  Beantwortung  der  beiden  vom  Kreisgerichte  in  S. 
gestellten  Fragen:  »1.  ob  der  Thäter  des  Gebrauches  der  Ver¬ 
nunft  ganz  beraubt  ist?  oder  2.  ob  er  die  That  bei  abwechselnder 
Sinnesverrückung  zu  der  Zeit,  als  die  Verrückung  dauerte, 
begangen  hat?«  macht  es  erforderlich,  dass  wir  uns  aussprechen, 

1.  über  den  andauernden  Geisteszustand  des  Inculpaten,  und 

2.  über  seinen  Bewusstseinszustand  zur  Zeit  der  That. 

Wenn  wir  in  Verfolgung  der  ersten  Aufgabe  den  Incul¬ 
paten  aualysiren,  finden  wir  bei  ihm,  sowohl  gegenwärtig  wie 
auch  in  seiner  Vergangenheit,  keine  Züge  von  eigentlichem 
Irresein;  wir  linden  keine  Stimmungsanomalien,  keine  Hallu- 
cinationen,  keine  Wahnideen,  kein  Irrereden,  keine  Verworren¬ 
heit;  wir  können  auch  bei  ihm  keinerlei  nennenswerthen 
Intelligenzdefect  naclnveisen. 

Dagegen  finden  wir  bei  ihm  auffallende  Charakterano¬ 
malien  von  einer  Art,  dass  sie  allerdings  die  zahlreichen  von 
ihm  begangenen  Gesetzesübertretungen,  wie  auch  die  gegen¬ 
wärtig  dem  Gerichte  zur  Beurtheilung  vorliegende  That  er¬ 
klärlich  erscheinen  lassen. 

Hervorragende  Charakterzüge  des  Inculpaten  sind  näm¬ 
lich,  wie  sich  aus  dem  vorliegenden  Untersuchungsmateriale 
ergibt:  zornmüthige  Reizbarkeit  hohen  Grades,  Gemüthsstumpf- 
heit,  Trunksucht,  Arbeitsscheu,  Leichtsinn. 

Es  wäre  jedoch  verfehlt,  den  Inculpaten  wegen  der  bei 
ihm  eonstatirten  Charakteranomalien  ohne  Weiteres  als  ein  im 
Sinne  des  Strafgesetzes  geisteskrankes  Individuum  hinzustellen. 
Es  muss  vor  Beantwortung  dieser  Frage  untersucht  werden: 
1.  ob  die  Vorgefundenen  Charakteranomalien  überhaupt  auf 
pathologischen  Grundlagen  beruhen,  und  2.  ob  diese  Charakter- 
anomalien,  ihre  pathologische  Begründung  vorausgesetzt,  einen 
solchen  Grad  einer  geistigen  Störung  darstellen,  dass  die  Hand¬ 
lung  dem  Thäter  im  Sinne  des  Strafgesetzes  nicht  zugerechnet 
werden  kann. 

Wenn  wir  uns  also  zunächst  bestreben,  die  Frage  zu 
entscheiden,  ob  die  Charakteranomalien  des  Inculpaten  durch 
pathologische  Momente  bedingt  sind  oder  nicht,  werden  wir 
einerseits  nach  solchen  pathologischen  Momenten  zu  forschen 
haben,  andererseits  werden  wir  zu  untersuchen  haben,  ob  nicht 
andere  Einflüsse  nicht  pathologischer  Natur  vorhanden  waren, 
die  ungünstig  auf  die  Charakterbildung  einwirken  konnten. 

Es  sei  hier  zunächst  eine  Bemerkung  allgemeiner  Natur 
gestattet:  Charakteranomalien  wie  die  beim  Inculpaten  beobach¬ 
teten  sind  constante  Befunde  bei  einer  zahlreichen  Classe  von 
Menschen,  nämlich  bei  einer  Kategorie  von  Verbrechern,  das 
Wort  Verbrecher  hier  nicht  im  juristischen  Sinne  gebraucht 
zur  Bezeichnung  von  Individuen,  die  zufällig  ein  Verbrechen 
begangen  haben,  sondern  im  naturwissenschaftlichen,  im  anthro¬ 
pologischen  Sinne  zur  Bezeichnung  von  Verbrechernaturen, 
von  Individuen,  die  vermöge  ihrer  geistigen  Beschaffenheit  in 
unverbesserlicher  Weise  immer  wieder  von  Neuem  verbreche¬ 


rische  Handlungen  begehen.  Und  zwar  ist  es  die  Kategorie 
der  Gewaltthätigkeitsverbrecher,  bei  denen  wir  Charakterano¬ 
malien  wie  zornmüthige  Reizbarkeit,  Gemüthsstumpfheit,  Trunk¬ 
sucht  kaum  je  vermissen,  auch  Arbeitsscheu  und  Leichtsinn 
in  der  Regel  vorfinden. 

Der  gegenwärtig  in  der  psychiatrischen  Literatur  tobende 
Streit  über  diese  Verbrechernaturen  spitzt  sich  auf  die  Ent¬ 
scheidung  der  Frage  zu,  inwieweit  Einflüsse  der  Organisation 
de3  Individuums  und  inwieweit  sociale  Einflüsse  die  Crimi- 
nalität  der  Verbrecher  bedingen.  Nur  die  ersteren  gehören  ins 
Gebiet  der  psychiatrischen  Pathologie;  die  letzteren  können 
einen  Platz  in  der  Pathologie  der  Gesellschaft  beanspruchen, 
aber  nicht  in  der  des  Individuums. 

Was  nun  das  Individuum  anbelangt,  das  wir  vor  uns 
haben,  ist  es  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  dass  sehr  un¬ 
günstige  sociale  Momente  die  Entwicklung  seines  Charakters 
beeinflussten. 

Wir  hören,  dass  die  Erziehung  des  Inculpaten  eine  sehr 
vernachlässigte  war.  Der  Vater,  der  selbst  ein  Trunkenbold  ge¬ 
wesen  sein  soll,  kümmerte  sich  um  die  Erziehung  sehr  wenig 
und  war  auch  viel  vom  Hause  abwesend.  Die  Schule  besuchte 
C.  nur  kurze  Zeit  und  auch  da  sehr  unregelmässig,  da  seiner 
Abneigung  gegen  den  Schulbesuch  wenig  entgegengewirkt 
worden  zu  sein  scheint.  Zu  einer  ernsten  Arbeit  wurde  er  nie 
angehalten.  Dazu  kam  das  schlimme  Beispiel  des  älteren 
Bruders,  der  ein  arger  Trunkenbold  und  Excedent  war.  Wohl 
dürfte  auch  noch  in  Betracht  kommen  der  sittenverderbende 
Einfluss  eines  anarchischen  Zustandes,  wie  er  in  Bosnien  zur 
Zeit  des  Aufstandes,  des  Türken krieges  und  der  Occupation 
durch  viele  Jahre  bestand,  und  dessen  Greuel  der  Inculpat  in 
früher  Jugend,  von  seinem  17.  Lebensjahre  ungefähr  bis  zu 
seinem  20  miterlebte. 

Endlich  ist  noch  in  Betracht  zu  ziehen  der  unthätige 
Lebenswandel  in  schlechter  Gesellschaft,  sowie  die  zahlreichen 
Abstrafungen  und  die  dadurch  bedingte  häufige  Berührung  mit 
anderen  criminellen  Individuen. 

Sehen  wir  dem  gegenüber,  was  für  pathologische  Mo¬ 
mente  von  ungünstigem  Einfluss  auf  die  geistige  Entwicklung 
des  Inculpaten  gewesen  sein  können,  so  führen  die  Gerichts¬ 
ärzte  zwei  an:  die  Heredität  und  den  Alkoholmissbrauch,  und 
es  dürfte  in  der  That  nicht  leicht  sein,  andere  Einflüsse  im 
Falle  des  Inculpaten  ausfindig  zu  machen. 

Die  Annahme  der  Heredität  gründet  sich  darauf,  dass 
ein  Bruder  des  Inculpaten,  der  ihm  übrigens  charakterologisch 
ganz  ähnlich  geartet  war,  zweimal  in  psychiatrischer  Beobachtung 
stand,  darunter  einmal  im  Aufträge  des  Gerichtes,  und  in  einer 
Irrenanstalt  starb;  dass  ferner  seine  Schwester  angeblich  an 
periodischer  Manie  litt  und  einmal  in  psychiatrischer  Beob¬ 
achtung  stand. 

Die  Bedeutung  der  Heredität  als  möglicher  Factor 
von  pathologischer  Wirksamkeit  wird  aber  dadurch  be¬ 
einträchtigt,  dass  beim  Inculpaten  ausser  der  Charakter¬ 
anomalie,  die  ja  auch  aus  anderen  als  pathologischen  Ursachen 
erklärlich  wäre,  keinerlei  Störungen  der  psychischen  Func¬ 
tionen  weder  gegenwärtig  nachweisbar  sind  noch  je  früher  vor¬ 
handen  waren. 

Die  Trunksucht  endlich  hat  in  dem  Gutachten  der  Ge¬ 
richtsärzte,  wie  dies  übrigens  sehr  häufig  geschieht,  nicht  den 
richtigen  Platz  gefunden.  Die  Gerichtsärzte  führen  die  sittliche 
Verkommenheit  des  Inculpaten  auf  die  Trunksucht  als  ursprüng¬ 
liches  Moment  zurück,  eine  häufig  an  zutreffende  Verwechslung 
von  Ursache  und  Wirkung.  Erfahrungsgemäss  ist  in  nicht 
seltenen  Fällen  neben  der  Trunksucht  ein  oft  ziemlich  hoher 
Grad  von  sittlichem  Empfinden  vorhanden,  und  andererseits  lässt 
sich  in  Fällen,  wo  Trunksucht  mit  hochgradiger  Verkommen¬ 
heit  verbunden  ist,  in  der  Regel  nachweisen,  dass  die  sittliche 
Verkommenheit  von  der  Trunksucht  unabhängig  ist;  dass  sie 
schon  vor  der  Trunksucht  oder  wenigstens  gleichzeitig  mit 
ihr  sich  kundgab,  zu  Zeiten  wo  von  chronischer  Alkoholver¬ 
giftung  noch  keine  Rede  sein  konnte,  und  dass  sie  auch  un¬ 
verändert  bestehen  bleibt,  wenn  die  Trunksucht  durch  äussere 
Beschränkungsmassregeln  selbst  jahrelang  unwirksam  ge¬ 
macht  wird. 


138 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  l‘)00. 


Nr.  6 


Damit  soll  nicht  gesagt  werden,  dass  die  Trunksucht 
nicht  depravirend  auf  den  Charakter  einwirke;  im  Gegentheile, 
sie  bewirkt,  dass  der  noch  sittlich  Empfindende  doch  unsittlich 
handelt,  und  sie  steigert  beim  Menschen  mit  mangelhaftem 
sittlichem  Empfinden  die  Wirksamkeit  dieses  Defectes,  sie 
macht  vor  Allem  die  Ausbrüche  der  Reizbarkeit  heftiger.  Aber 
die  Trunksucht  selbst  Et  häufig  nur  die  Folge,  die  Aeusserung 
einer  Charakteranomalie,  eiues  sittlichen  Defectes,  und  es 
treten  in  solchen  Fällen  die  ersten  Aeusserungen  der  Trunk¬ 
sucht,  die  noch  lange  zu  keiner  chronischen  Alkoholvergiftung 
geführt  haben,  zu  einer  Zeit  auf,  in  der  sich  alle  anderen 
sittlichen  Defecte  ebenfalls  schon  deutlich  kundgegeben  haben. 

So  geht  es  auch  nicht  an,  die  sittliche  Verkommenheit 
des  Inculpaten  als  Wirkung  der  Trunksucht  hinzustellen,  denn, 
wenn  er  auch  schon  in  früher  Jugend  seine  ersten  Trunk- 
Excesse  beging,  waren  doch  alle  seine  übrigen  Defecte  auch 
zu  dieser  Zeit  schon  deutlich  nachweisbar. 

Dass  in  specie  die  Reizbarkeit  des  C.  nicht  ausschliess¬ 
lich  Wirkung  des  Alkohols  war,  sondern  auch  unabhängig 
davon  besteht,  geht  aus  der  Äusserung  des  Strafanstaltsdirectors 
hervor,  der  den  C.  während  einer  fünfjährigen  unfreiwilligen 
Abstinenz  beobachtete  und  ihn  als  reizbar,  aufbrausend  und 
impulsiv  schildert.  Uebereinstimmend  äussern  sich  übrigens 
auch  seine  dermaligen  Haftgenossen.  (Im  Gutachten  der  Ge¬ 
richtsärzte  angeführt.) 

Dass  der  Alkoholmissbrauch  die  sittlichen  Defecte  bei 
C.  noch  gesteigert  habe,  soll  damit  nicht  in  Abrede  gestellt 
werden;  dabei  aber  von  einem  höheren  Grade  chronischer 
Alkoholvergiftung  zu  reden,  ist  aus  mehrfachen  Gründen  nicht 
zu  lässig.  Erstens  hatte  der  dermalige  Alkoholmissbrauch  nicht 
länger  als  sechs  Wochen  gedauert,  da  C.  vorher  in  Folge 
seiner  Haft  eine  fünfjährige  Alkoholabstinenz  durchgemacht  hatte, 
die  die  Folgen  früheren  Alkoholgenusses  wohl  zum  Schwinden 
gebracht  haben  musste.  Zweitens  können  auch  kaum  deutliche 
körperliche  Zeichen  eines  chronischen  Alkoholismus  vorhanden 
gewesen  sein,  weil  die  ärztlichen  Aussprüche  hierüber  wider¬ 
sprechend  lauten.  Die  Gerichtsärzte  constatiren  wenigstens  ein 
leichtes  Zittern  der  Zunge  und  Hände,  das  sie  aber  nicht  aus¬ 
drücklich  auf  chronischen  Alkoholismus  beziehen.  Der  Gefäng- 
nissarzt,  der  den  Inculpaten  gleich  bei  seiner  Einlieferung 
untersuchte,  constatirte  dagegen  ausdrücklich  das  Fehlen  von 
Zeichen  des  chronischen  Alkoholismus. 

Mag  man  also  noch  so  sehr  geneigt  sein,  bei  der  Genese 
der  Verbrechernaturen  die  Wichtigkeit  der  pathologischen 
Momente  über  die  der  socialen  zu  stellen,  man  wird  nach  den 
obigen  Ausführungen  den  Nachweis  nicht  als  gelungen  be¬ 
trachten  können,  dass  die  im  Falle  C.  vorhandenen  Charakter- 
Anomalien  ausschliesslich  oder  vorwiegend  pathologischen  Mo¬ 
menten  ihre  Entstehung  verdanken,  indem  beim  Inculpaten 
auch  wirksame  sociale  Einflüsse  sich  geltend  machten,  die  im 
Stande  waren,  seine  Charakterbildung  in  ungünstiger  Weise 
zu  beeinflussen. 

Sehen  wir  aber  vorläufig  die  pathologische  Natur  der 
Charakteranomalien  des  Inculpaten  als  erwiesen  an  und  gehen 
wir  an  die  Beantwortung  der  zweiten  Frage,  ob  dieselben 
einen  hinreichenden  Grad  einer  geistigen  Störung  darstellen, 
um  den  Inculpaten  als  unzurechnungsfähig  im  Sinne  des  Ge¬ 
setzes  erscheinen  zu  lassen. 

Denn  wenn  wir  auch  annehmen,  dass  Alles,  was  beim  Incul¬ 
paten  abnorm  ist,  gleichzeitig  pathologisch  ist,  d.  h.  dass  er  vermöge 
der  Organisation  seines  Gehirnes  und  Nervensystemes  auch 
bei  der  besten  Erziehung  nicht  anders  hätte  werden  können,  so 
ist  damit  nicht  implicite  gesagt,  dass  er  im  Sinne  des  Strafgesetzes 
als  unzurechnungsfähig  zu  betrachten  ist.  Denn  das  Straf¬ 
gesetz  sagt  ausdrücklich  in  Alinea  a  des  §  2:  »wenn  der 
Thäter  des  Gebrauches  der  Vernunft  ganz  beraubt  ist«.  Das 
Gesetz  verlangt  also  auch  den  Nachweis  eines  gewissen  Grades 
geistiger  Störung. 

Wenn  es  auch  im  Einzelfalle  manchmal  Schwierigkeiten 
haben  kann,  den  Grad  einer  geistigen  Störung  zu  bestimmen, 
so  handelt  es  sich  in  Fällen  wie  der  vorliegende  zunächst  um 
die  Entscheidung  über  principielle  Auffassungen. 


C.  bietet  Charakteranomalien  dar,  die  sich,  wie  schon 
früher  bemerkt  wurde,  bei  einer  ganzen  Kategorie  von  Ver¬ 
brechern,  bei  den  Gewaltthätigkeitsverbrechern,  wiederfinden, 
und  deren  pathologische  Begründung  in  vielen  derartigen 
Fällen  in  viel  zuverlässigerer  Weise  sich  nach  weisen  lässt  als 
gerade  in  dem  vorliegenden. 

Es  würde  aber  dem  Geiste  des  Strafgesetzes  und  der 
Strafrechtspflege  widersprechen,  wollte  man  eine  ganze  Kate¬ 
gorie  von  Verbrechern  einzig  und  allein  auf,  wenn  auch 
pathologisch  begründete  Charakteranomalien  hin,  die  eben  das 
Wesen  ihrer  criminellen  Anlage  ausmachen,  exculpiren  und 
ihnen  gegenüber  den  durch  die  Strafrechtspflege  gewähr¬ 
leisteten  Schutz  der  Gesellschaft  vollständig  illusorisch  machen. 
Das  Strafgesetz  würde  in  einer  solchen  Auffassung,  sich  selbst 
aufheben,  zum  Mindesten  auf  jenem  Gebiete,  wo  seine  Wirk¬ 
samkeit  gerade  am  nothwendigsten  ist,  gegenüber  den  Ver- 
brecheraaturen.  Es  würde  eine  Auslegung  des  Strafgesetzes, 
welche  den  Ausdruck:  »des  Gebrauches  der  Vernunft  ganz 
beraubt«  auch  auf  Fälle  wie  der  vorliegende  und  analoge 
Fälle  zutreffend  erachten  wollte,  den  Intentionen  des  Gesetzes 
umsomehr  widersprechen,  als  das  Gesetz  aus  einer  Zeit  stammt, 
wo  man  sich  bei  Fällen  wie  der  vorliegende  die  Frage  der 
Geistesstörung  überhaupt  gar  nicht  stellte. 

Es  muss  daher  die  erste  Frage  des  Kreisgerichtes  S., 
da  bei  C.,  abgesehen  von  den  ethischen  Defecten,  keine  Zeichen 
geistiger  Störung  bestehen,  in  verneinendem  Sinne  beant¬ 
wortet  werden. 

Zur  Beantwortung  der  zweiten  vom  Kreisgerichte  in  S. 
gestellten  Frage  ist  es  noth  wendig,  den  Bewusstseinszustand  des 
Inculpaten  zur  Zeit  der  That  zu  untersuchen,  um  zu  eruiren, 
ob  irgend  eine  transitorische  Bewusstseinsstörung,  eine  Sinnes¬ 
verrückung,  wie  sich  das  Strafgesetz  ausdrückt,  vorhanden  ge¬ 
wesen  sein  könnte. 

Ein  Merkmal,  das  den  meisten  transitorischen  Bewusst¬ 
seinsstörungen  zukommt,  ist  der  Erinnerungsdefect,  die  ganz 
fehlende  oder  mangelhafte,  nur  summarische  Erinnerung  für 
einen  gewissen  Zeitabschnitt,  während  dessen  eben  die  Be¬ 
wusstseinsstörung  stattfand. 

Ein  solcher  Erinnerungsdefect  wird  von  C.  behauptet 
und,  wie  es  scheint,  auch  von  den  Gerichtsärzten  angenommen. 
Wenn  man  die  Sachlage  aber  genauer  untersucht,  stellt  sich 
heraus,  dass  der  Erinnerungsdefect  einer  Kritik  nicht  Stand  hält. 

C.  sagte  bei  seiner  Vernehmung  am  Tage  nach  der  That 
aus:  »Auf  einmal  packte  mich  Jemand  an  der  Brust,  worauf 
ich  aufsprang  und  das  Messer  packte,  welches  auf  dem  Tische 
lag  und  mit  welchem  ich  den  Käse  aufgeschnitten  hatte,  und 
haute  darauf  los.  Ich  weiss  nicht,  wie  oft  und  auf  wen  ich 
losgehauen  habe,  darauf  legte  ich  mich  wieder  nieder.«  C.  er¬ 
innert  sich  also  wohl  an  die  That;  man  könnte  nach  dieser 
Aussage  höchstens  glauben,  dass  er  sich  nicht  erinnert,  an 
wem  er  die  That  verübt  habe. 

Im  weiteren  Verlaufe  der  Vernehmung  aber  sagte  er 
aus:  »Weiter  habe  ich  dem  Wachmann  gesagt,  dass  ich  den 
K.  gestochen  habe,  weil  er  mich  angefangen  hat  zu  würgen.« 
Ferner  gibt  er  in  derselben  Vernehmung  an,  wer  mit  ihm  in 
demselben  Raume  war:  K.  und  der  Spaniole. 

Es  verliert  also  durch  diese  Aussagen  die  Annahme 
eines  Erinnerungsdefectes  jede  Berechtigung.  Dazu  kommt 
noch,  dass  sich  C.  an  unbedeutende  Details  erinnert,  die  mit 
der  That  selbst  in  keinem  directen  Zusammenhänge  stehen 
aber  sich  auf  die  Zeit  unmittelbar  vor  und  nach  den  That  be¬ 
ziehen.  So  weiss  er,  dass  der  Spaniole,  als  er  sich  niederlegte, 
zu  spielen  aufhörte.  Er  weiss,  dass  das  Messer,  mit  dem  er 
den  Käse  geschnitten  hatte,  auf  dem  Tische  lag.  Er  weiss, 
dass  ihm  der  Wirth  einen  Polster  zum  Schlafen  hinlegte.  Er 
erinnert  sich  ebenso  an  die  Worte,  die  er  bei  der  Arretirung 
an  die  Wachleute  gerichtet  hat. 

Verdächtig  ist  auch  der  Umstand,  dass  das  Messer,  mit 
dem  C.  die  That  ausführte,  verschwunden  ist,  was  jedenfalls 
auf  ein  Bewustsein  der  That  hinweist. 

Es  verliert  demnach  die  Annahme  eines  Erinnerungs¬ 
defectes  für  den  Zeitpunkt  der  That  jeden  Boden. 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


139 


Es  wurde  ferner  von  den  Gerichtsärzten  für  die  An¬ 
nahme  einer  Sinnes  Verwirrung  auch  der  Mangel  eines  zu¬ 
reichenden  Motives  für  die  That  ins  Feld  geführt.  Ob  aber 
für  eine  That  ein  zureichendes  Motiv  vorhanden  ist  oder  nicht, 
kann  nicht  vom  Standpunkte  des  Beurtheilers,  sondern  nur 
vom  Standpunkte  des  Thäters  aus  beurtheilt  werden.  Nun  müssen 
wir  erstens  die  masslose  Reizbarkeit  des  C.  in  Betracht  ziehen. 
C.  will  sich  kurz  vor  der  That  schlafen  legen,  verbietet  des¬ 
halb  dem  Spaniolen,  zu  spielen,  und  offenbar  in  energischem 
Tone,  denn  der  Spaniole,  der  ihn  wohl  gekannt  haben  dürfte, 
ffndet  es  für  gerathen,  sogleich  fortzugehen.  Der  trunkene  K. 
aber  gibt  keine  Ruhe;  er  lärmt,  weil  er  keinen  Schnaps  be¬ 
kommt,  er  spielt  dann  ungeschickt  auf  der  Mandoline.  C. 
mahnt  ihn  zur  Ruhe.  Er  aber  beruhigt  sich  nicht  und  packt 
endlich  den  C.,  in  welcher  Absicht  ist  nicht  klar,  an  der 
Brust.  Kein  Wunder,  wenn  der  explosive  C.  auffährt. 

Und  nun  kommt  ein  zweites  Motiv  in  Betracht,  die  Ge- 
müthslosigkeit,  die  Gefühlsrohheit,  mit  der  er  sogar  gegen  die 
ihm  am  nächsten  Stehenden  rücksichtslos  und  brutal  wird.  Er, 
der  eine  Frau  nach  der  andern  misshandelt,  bis  sie  ihm  davon 
geht-,  der  bei  jeder  Gelegenheit  gegen  seine  Zechgenossen  ge- 
waltthätig  wird,  und  zwar  gleich  mit  dem  Messer;  der  den  0. 
unter  ganz  ähnlichen  Umständen  getödtet  hat,  wie  den  K.;  er 
besinnt  sich  auch  nicht  lange,  gegen  den  ihm  lästigen  K.  mit 
dem  Messer  los  zu  fahren.  Damit  ist  keineswegs  gesagt,  dass 
er  die  Absicht  gehabt  habe,  den  K.  zu  töten.  Aber  wenn 
einmal  das  Messer  im  Spiele  ist,  lässt  sich  eben  der  Effect 
einer  Rauferei  nicht  mehr  abzirkeln. 

Es  ergibt  sich  also,  dass  die  Motive  der  That  aus  dem 
Wesen  des  Thäters  heraus  keineswegs  so  unverständlich  sind, 
als  es  auf  den  ersten  Anblick  scheinen  könnte. 

Dass  wir  die  Gemiithslosigkeit  des  C.  hiebei  nicht  zu 
hoch  anschlagen,  geht  übrigens  auch  aus  seinem  Verhalten 
nach  der  That  hervor.  Ebenso  wie  nach  dem  Tode  des  0., 
der  auch  einer  seiner  Zechgenossen  war,  zeigte  er  nach  dem 
Tode  des  K.  nicht  die  mindeste  Reue,  sondern  ist  nur  darauf 
bedacht,  die  Folgen  seiner  That  von  sich  fern  zu  halten. 

Es  wären  endlich  zur  vollen  Beurtheilung  des  Geistes¬ 
zustandes  des  Inculpaten  zur  Zeit  der  That  noch  zwei  Mög¬ 
lichkeiten  zu  erwägen:  1.  die  Berauschung,  und  2.  die  Schlaf¬ 
trunkenheit. 

C.  hätte  hatte  an  dem  betreffenden  Tage  nachweislich 
viel  getrunken  und  stand  jedenfalls  im  Augenblicke  der  That 
unter  dem  Einflüsse  des  genossenen  Alkohols.  Die  Quantitäten 
waren  aber  für  ihn  keine  ungewohnten,  und  dass  er  sich  im 
Zustande  voller  Berauschung  befunden  habe,  wird  man  an¬ 
gesichts  der  übereinstimmenden  Zeugenaussagen,  die  das  Gegen- 
theil  behaupten,  nicht  sagen  können. 

Gegen  einen  sogenannten  pathologischen  Rauschzustand 
sprechen  aber  schon  die  weitgehende  Erinnerung  an  die  That 
und  an  das,  was  vor  und  nach  ihr  sich  abspielte. 

Endlich  wurde  vom  Vertheidiger  auf  die  Möglichkeit 
hingewiesen,  dass  bei  C.  zur  Zeit  der  That  ein  Zustand  von 
Schlaftrunkenheit  bestanden  haben  könnte;  und  die  Gerichts¬ 
ärzte  führen,  allerdings  nur  im  Nachtrage  ihres  Gutachtens, 
unter  den  Zuständen  von  Sinnesverrückung  auch  die  Schlaf¬ 
trunkenheit  an,  ohne  sich  darüber  auszusprechen,  ob  sie  das 
Vorhandensein  eines  solchen  Zustandes  bei  C.  annehmen 
oder  nicht. 

Zur  Beurtheilung  dieser  Frage  ist  von  Wichtigkeit,  dass 
ein  Beweis,  dass  C.  überhaupt  eingeschlafen  sei,  nicht  vorliegt; 
es  wird  das  von  keinem  Zeugen  ausgesagt,  sondern  nur,  dass 
er  schlafen  wollte.  Wenn  wir  aber  auch  annehmen,  dass  C. 
wirklich  geschlafen  habe,  so  ist  ferner  von  Wichtigkeit  für 
die  Beurtheilung  der  möglichen  Tiefe  des  Schlafes  die  Zeit, 
welche  seit  dem  Einschlafen  bereits  vergangen  war.  Dafür 
liegt  glücklicher  Weise  eine  Zeugenaussage  vor.  Der  Zeuge  M. 
gibt  an,  dass  von  dem  Momente,  wo  der  Spaniole  über  C.’s 
Aufforderung  das  Local  verliess,  bis  zum  Tode  des  K.  höchstens 
fünf  Minuten  vergangen  waren.  Es  ist  nicht  anzunehmen, 
dass  C.  in  dieser  Zeit  besonders  fest  eingeschlafen  sei,  umso 
mehr  als  K.  die  ganze  Zeit  gelärmt  hatte.  Es  ist  auch  dem 
Gefertigten  kein  Fall  bekannt,  wo  beim  Erwecken  nach  so 


kurzer  Schlafdauer  ein  Zustand  von  Schlaftrunkenheit  sich 
gezeigt  hätte. 

Endlich  müsste  man  unter  der  Voraussetzung,  dass  C. 
in  schlaftrunkenem  Zustande,  d.  h.  unter  dem  Einflüsse  irgend 
welcher  aus  dem  Schlafe  in  den  erwachenden  Zustand  herein¬ 
reichender  Traumbilder  gehandelt  habe,  erwarten,  dass  C.  eine 
wenn  auch  summarische  Erinnerung  an  die  sein  Handeln  be¬ 
dingende  Traumvorstellung  haben  müsste.  Unterdessen  gibt  C. 
nur  an,  dass  ihn  K.  bei  der  Brust  gepackt  habe,  was  als 
wirkliches  Geschehniss  durchaus  plausibel  ist. 

Es  verliert  also  die  Annahme  der  Schlaftrunkenheit  jeden 
Boden,  umsomehr,  als  das  ein  seltener  Zustand  ist,  den  als 
vorhanden  anzunehmen  wohl  zwingende  Gründe  gefordert 
werden  müssten. 

Die  vom  k.  k.  Kreisgerichte  in  S.  gestellten  Fragen,  ob 
1.  der  Thäter  des  Gebrauches  seiner  Vernunft  ganz  beraubt 
ist,  und  2.  ob  er  die  That  bei  abwechselnder  Sinnesverrückung 
zu  der  Zeit  als  die  Verrückung  dauerte,  begangen  hat,  müssen 
daher  im  verneinenden  Sinne  beantwortet  werden. 

Doch  muss  zugegeben  werden,  dass  C.  an  ethischen 
Defecten  leidet,  an  deren  Zustandekommen  neben  socialen 
Einflüssen  hereditäre  Anlage  und  Alkoholismus  einen  gewissen 
Antheil  haben  können  und  dass  er  zur  Zeit  der  That  unter 
dem  Einflüsse  reichlich  genossenen  Alkohols  stand. 

C.  wurde  vom  Gerichte  des  Verbrechens  des  Todt- 
schlages  schuldig  erkannt  und  zu  acht  Jahren  schweren 
Kerkers  verurtheilt. 


im  nui— iiiiiiiMim  iwniiii 

Philipp  Knoll  +. 


Nach  längerer  Krankheit  aber  nur  kurzem  Krankenlager  ist  am 
31.  Januar  a.  c.  der  Professor  der  allgemeinen  und  experimentellen 
Pathologie  an  der  Wiener  Universität,  Hofrath  Prof.  Dr.  Philipp 
Knoll  gestorben.  Die  auf  letztwilligen  Wunsch  ausgeführte  Obduction 
bestätigte  die  Diagnose,  die  er  sich  selbst  gestellt.  Aneurysma  aortae 
mit  Trachealstenose  und  beiderseitiger  Pneumonie.  Nur  kurze  Zeit 
—  seit  dem  Tode  S.  Stricke  r’s,  dessen  Nachfolger  er  war  —  ge¬ 
hörte  Knoll  unserer  Facultät  an,  kaum  lange  genug,  um  sich  in  die 
hiesigen  Verhältnisse  und  seinen  neuen  Wirkungskreis  einigermassen 
einzuleben.  So  ehrenvoll  er  hiebei  bestehen  würde,  wird  man  seinem 
Andenken  nicht  gerecht,  wenn  man  Knoll  lediglich  als  Forscher  und 
Lehrer  beurtheilt.  Die  Prager  deutsche  Hochschule,  der  Knoll  so 
lange  angehörte,  ist  nicht  der  Boden,  wo  sich  ein  Gelehrtendasein  in 
den  Grenzen  der  rein  akademischen  Pflichten  ausleben  könnte.  Der  auf¬ 
gedrungene  nationale  Kampf,  in  dem  die  dortigen  Lehrer  mitten  drinnen 
und  als  berufene  Führer  der  Nation  in  erster  Reihe  stehen,  ruft  alle  Kräfte 
des  Verstandes  und  des  Charakters  wach  und  die  rege  persönliche 
Theilnahme  an  den  wechselvollen  Phasen  des  Kampfes  wird  dort  zur 
unausweichlichen  Mannespflicht.  Diesen  Kämpfen  hat  Knoll  eine  viel¬ 
seitige  Begabung  und  eine  von  den  edelsten  Intentionen  getragene, 
begeisterte,  werkthätige  Theilnahme  gewidmet.  Seine  Stammesgenossen 
in  Böhmen  danken  ihm  dies  übers  Grab  hinaus.  Er  hatte  ein  reiches 
Leben  hinter  sich  als  Lehrer  und  Forscher  und  als  Führer  im  natio¬ 
nalen  Kampfe. 

* 

Prof.  L  ö  w  i  t  in  Innsbruck  widmete  seinem  verstorbenen  Lehrer  in 
der  Vorlesung  am  31.  Januar  folgenden  Nachruf: 

Meine  Herren!  Gestatten  Sie  mir,  die  heutige  Stunde  der  Weihe 
eines  Mannes  zu  widmen,  dessen  Wirken  eine  bleibende  Bedeutung  für 
unser  Fach  besitzt.  Hofrath  Prof.  Knoll  in  V  ien,  der  Nachtolgei 
Strieker’s  auf  der  Wiener  Lehrkanzel  für  allgemeine  und  experi¬ 
mentelle  Pathologie,  ist  heute  Früh  einer  schmerzhaften  Krankheit  ei- 
legen,  nachdem  er  erst  mit  Allerhöchster  Entschliessung  vom  bl.  Oc¬ 
tober  1898  für  die  vacante  Wiener  Lehrkanzel  ernannt  worden  war. 
Es  ist  ein  wahrhaft  tragisches  Geschick,  dass  Knoll  am  Ziele  seinei 
Wunsche  als  akademischer  Lehrer  an  der  ersten  Universität  de» 
Reiches,  in  einflussreicher  Stellung,  die  dem  von  ihm  vertretenen  1  ache 
und  dem  gesammten  Universitätsleben  in  Oesterreich  hätte  zu  Gate 
kommen  können,  jäh  durch  den  Tod  gefällt  und  mitten  aus  intensnei 
Arbeit  herausgerissen  wurde.  Zu  diesem  allgemein  menschlichen  Schmeizt 
kommt  für  mich  noch  ein  persönlicher  hinzu,  da  ich  in  Knoll  meinen 


140 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  6 


akademischen  Lehrer  und  Führer  verliere,  dessen  erster  Assistent  an 
dem  neu  gegründeten  Prager  Institut  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  ich  in  den  Jahren  1879 — 1887  zu  sein  das  Glück  hatte. 
Soll  ich  Ihnen  den  Eindruck  über  Knoll  in  wenigen  Worten  zu¬ 
sammenfassen,  so  brauche  ich  nur  zu  sagen,  er  war  ein  echter,  ganzer 
Mann  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle,  er  war  ein  echter  deutscher  Mann, 
ein  treuer  Sohn  seines  Volkes,  der  seine  Liebe  zum  Volke  mannhaft 
und  werkthiitig  auch  in  politischer  Beziehung  bethätigt  hat.  Knoll 
wurde  am  4.  Juli  1841  in  Karlsbad  als  Sohn  einer  angesehenen 
Familie  geboren.  Seine  Gymnasialstudien  absolvirte  er  in  Prag  und 
Eger  und  begann  1858  seine  medicinischen  Studien  in  Prag,  wo  er 
im  Februar  1864  den  Doctorgrad  erlangte.  Er  wurde  hierauf  bald  an 
der  damaligen  I.  medicinischen  Klinik  von  Prof.  v.  Jak  sch  ansrestellt, 
wo  er  zunächst  als  zweiter,  später  als  erster  Assistent  bis  zum 
Jahre  1868  verblieb.  Schon  während  dieser  Zeit  trat  Knoll  in 
engere  Beziehung  zu  dem  Giessener  Physiologen  Eckhard,  der  ihn 
1868  als  Assistent  an  sein  Institut  berief.  Für  die  theoretische  und 
experimentelle  Richtung  von  Knoll’s  weiterem  Werdegang  war  damit 
wohl  die  Grundlage  gegeben.  1869  habilitirte  sich  Knoll  als  Privat- 
docent  für  Physiologie  in  Giessen,  kehrte  jedoch  im  Herbste  1870  nach 
Prag  zurück,  wo  er  sich  neuerdings  für  innere  Medicin  habilitirte; 
1872  wurde  er  zum  Professor  extraordinarius  ernannt,  1879  erhielt  er 
das  Ordinariat  für  die  damals  neu  geschaffene  Lehrkanzel  der  allge¬ 
meinen  und  experimentellen  Pathologie  in  Prag,  die  er  1898  mit  der 
Wiener  Lehrkanzel  vertauschte.  Welche  fruchtbare  Fülle  geistiger 
Thätigkeit  entfaltete  nun  K  n  o  1 1  iu  den  Jahren  1866  bis  1898;  ganz 
summarisch  will  ich  nur  hervorheben '),  dass  von  Knoll  selbst  in 
dieser  Zeit  62  wissenschaftliche  Arbeiten  publicirt  wurden,  aus  ver¬ 
schiedenen  Gebieten  der  Physiologie,  Pathologie  und  klinischen  Medicin, 
wozu  noch  eine  Reihe  schöngeistiger  Vorträge  aus  anderen  Wissens¬ 
gebieten  hinzukommen.  Erwägen  Sie  weiterhin,  dass  von  Knoll’s 
Assistenten  und  sonstigen  Schülern  unter  seiner^  Führung  in  der 
gleichen  Zeit  52  wissenschaftliche  Arbeiten,  und  aus  der  unter  seiner 
Leitung  stehenden  propädeutischen  Klinik  in  Prag  19  Einzelabhand¬ 
lungen  erschienen  sind,  so  werden  Sie  begreifen,  dass  Knol  l’s  wissen¬ 
schaftliche  Arbeitsfähigkeit  eine  ganz  hervorragende  war. 

Dabei  fand  nun  Knoll  immmer  noch  Zeit  eine  intensive 
Thätigkeit  als  Musikfreund,  sowie  in  schöngeistiger  und  politischer 
Beziehung  zu  entfalten.  Schon  im  Jahre  1860  (am  9.  November)  trat 
Knoll  anlässlich  einer  Schillerfeier  der  Prager  Lese-  und  Redehalle 
deutscher  Studenten  als  Redner  auf.  Von  da  ab  finden  wir  ihn  wählend 
seiner  Studienzeit  häufig  als  Redner  in  den  Berichten  über  studentische 
Veranstaltungen  verzeichnet.  Nach  seinem  Eintritte  in  den  deutschen 
Turnverein  in  Prag  wurde  Knoll  sehr  bald  in  den  Vorstand  ge¬ 
wählt,  1865 — 1868  war  er  Sprech  wartstell  Vertreter  und  1872 — 1879 
Sprechwart  dieses  Vereines.  Schon  1871  nahm  er  in  der  für  Prag 
damals  bereits  brennenden  Universitätsfrage  Stellung  und  1872  ver¬ 
fasste  er  eine  von  den  deutsch-böhmischen  Reichsrathsabgeordneten 
dem  Unterrichtsministerium  überreichte  Denkschrift,  in  welcher  die 
Errichtung  einer  selbstständigen  tschechischen  Universität  zum  Schutze 
der  alten  deutschen  Carolo-Ferdinandea  empfohlen  wurde.  Für  die 
Trennung  der  Universität  arbeitete  Knoll  seither  in  Gemeinschaft 
mit  dem  bekannten  Physiologen  Hering  ununterbrochen,  der  damals 
eine  führende  Rolle  an  der  Prager  Alma  mater  einnahm.  Im  Jahre  1883 
wurde  Knoll  für  den  städtischen  Wahlbezirk  Karlsbad-Joachimsthal 
zum  Landtagsabgeordneten  gewählt,  in  welcher  Stellung  er  wiederholt 
Gelegenheit  hatte,  sich  an  den  wichtigsten  Fragen  des  deutsch- 
böhmischen  Volkes  zu  betheiligen.  Noch  in  den  letzten  Jahren  seiner 
Prager  Thätigkeit  schuf  Knoll  ein  für  den  deutschen  Volksstamm 
in  Böhmen  äusserst  wichtiges  Werk,  indem  er  die  Gesellschaft  zur 
Förderung  deutscher  Kunst,  Wissenschaft  und  Literatur  in  Böhmen 
ins  Leben  rief,  welche  ein  Centralpunkt  für  die  hervorragende  geistige 
Arbeit  des  deutschen  Volkes  in  Böhmen  geworden  ist.  Hier  entstammte 
alles  vom  Gedanken  bis  zur  That  Knoll’s  ureigenster  Initiative,  und 
es  kann  unumwunden  gesagt  werden,  dass  ohne  Knoll  dieses  wich¬ 
tige  und  zuverlässige  Institut  für  die  geistige  Arbeit  des  deutschen 
Volkes  in  Böhmen  niemals  oder  wenigstens  so  bald  nicht  ins  Leben 
getreten  wäre. 

ln  wissenschaftlicher  Beziehung  nehmen  Knoll’s  Arbeiten  durchwegs 
eine  bedeutende  Stellung  ein;  einzelne  unter  denselben  werden  bleibenden 
Werth  behalten.  Ilieher  gehören  seine  Untersuchungen  über  die  Herz- 
compression,  über  die  Herzveränderungen  nach  doppelseitiger  Vagus¬ 
durchschneidung,  über  protoplasmaarme  und  protoplasmareiche  Mus- 
culatur.  An  erster  Stelle  müssen  aber  seine  Arbeiten  aus  dem  Gebiete 
der  Physiologie  und  Pathologie  des  Kreislaufes  gesetzt  werden.  Keiner 
der  Epigonen,  der  sich  mit  diesem  Gebiete  experimentell  beschäftigen 
wird,  kann  an  diesen  Arbeiten  achtlos  vorübergehen.  Für  Denjenigen, 
der,  wie  ich,  das  Glück  hatte,  einen  grossen  Theil  dieser  Arbeiten  ent- 

‘)  Nach  einer  Zusammenstellung  in  der  Prager  medicinischen  Wochen¬ 
schrift.  1898. 


stehen  zu  sehen,  musste  die  hervorragende  Begabung  Knol  l’s  gerade 
für  dieses  Gebiet  bewunderungswürdig  sein. 

Es  war  geradezu  erstaunlich,  mit  welcher  Leichtigkeit  und 
technischen  Sicherheit  Knoll  scheinbar  ganz  abseits  liegende  Gebiete 
für  die  Darstellung  durch  die  graphischen  Methoden,  die  er  gerade  durch 
seine  Kreislaufstudien  beherrschen  gelernt  hatte,  zu  verwerthen  ge¬ 
wusst  hatte.  Ich  hebe  in  dieser  Beziehung  die  graphischen  Verzeich¬ 
nungen  der  Augenbewegungen,  der  verschiedenen  Abtheilungen  der 
Herzkammer,  sowie  der  Bewegungen  der  Cerobrospinalflüssigkeit  be¬ 
sonders  hervor.  Seine  Untersuchungen  zur  Physiologie  und  Pathologie 
des  Lungenkreislaufes,  sowie  jene  über  die  Blutbewegung  in  den 
Venen  müssen  geradezu  als  bahnbrechend  bezeichnet  werden.  Gerade 
die  letzteren  sind  unvollendet  geblieben ;  die  Fähigkeiten,  ein  so 
eminent  schwieriges  Capitel  der  Kreislauflehre  in  so  gründlicher  Weise 
bearbeiten  zu  können,  werden  wohl  kaum  so  bald  wieder  sich  in  so 
harmonischer  Weise  in  einem  Manne  vereint  finden,  wie  das  bei 
Knoll  der  Fall  war.  Seine  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Athmungsinnervation  stellten  werthvolle  Erweiterungen  der  bis  dahin 
vorliegenden  Kenntnisse  über  diesen  Gegenstand  dar. 

Knoll’s  Stärke  war  überhaupt  die  gründliche  Arbeit;  un¬ 
beeinflusst  durch  die  grossen  Tagesfragen,  welche  die  Medicin  im 
letzten  Jahrzehnt  beherrschten,  hat  Knoll  das  einmal  als  wichtig 
erkannte  Arbeitsgebiet  festgehalten  und  mit  einer  Gründlichkeit 
durchgeforscht,  die  ihresgleichen  sucht.  Dabei  war  er  aber  durchaus 
nicht  der  Typus  eines  einseitigen  Gelehrten,  im  Gegentheile,  die  Viel¬ 
seitigkeit  seiner  wissenschaftlichen,  literarischen  und  politischen  Be- 
thätigung  schritt  weit  über  die  Leistungsfähigkeit  eines  Einzelnen 
hinaus.  Oft  hatte  ich  Gelegenheit,  darüber  zu  staunen,  mit  welcher 
Leichtigkeit  und  Versatilität  des  Geistes  K  u  o  1 1,  nachdem  er  im 
Laboratorium  seine  anstrengende  wissenschaftliche  Thätigkeit  beendet 
oder  unterbrochen  hatte,  schon  in  der  nächsten  Stunde  ein  fernab 
liegendes  politisches  oder  literarisches  Thema  mit  der  Sicherheit  eines 
geborenen  Redners  oder  Volksmannes  behandeln  konnte.  Er  verdient 
es  mit  vollem  Rechte  der  reifen  akademischen  Jugend  als  ein  Mann 
so  lauter  wie  Gold,  als  ein  Mann,  der  seinen  hohen  Idealen  in  allen 
Lebenslagen  treu  geblieben  ist  und  als  ein  Akademiker  in  des  Wortes 
vollster  Bedeutung  als  leuchtendes  Beispiel  vorangestellt  zu  werden. 
Unsere  Universitäten,  unser  ganzes  akademisches  Leben  würden  un¬ 
endlich  gewinnen,  wenn  sein  Beispiel  Nachahmung  fände. 

Und  nun  zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  über  Knoll’s  Stellung  zu 
unserem  Fache.  Die  Lücke,  welche  gerade  in  dieser  Beziehung  durch 
seinen  Tod  gerissen  wurde,  darf  wohl  als  der  schwerste  Schlag  be¬ 
zeichnet  werden,  der  dasselbe  gerade  im  gegenwärtigen  Augenblicke 
treffen  konnte.  Diese  Stellung  ist  ja  durchaus  keine  unbestrittene,  und 
bei  der  relativen  Jugend  des  Gegenstandes  wird  wohl  noch  manches 
Hinderniss  beseitigt  werden  müssen,  damit  diese  eine  gesicherte  wird. 
Gerade  in  dieser  Beziehung  durfte  von  Knoll  in  seiner  letzten 
hervorragenden  Stellung  in  Wien  Entscheidendes  erwartet  werden. 
Seiner  Auffassung  der  allgemeinen  und  experimentellen  Pathologie  als 
pathologische  Physiologie,  die  gegenwärtig  wohl  als  die  einzig  richtige 
und  für  den  Unterricht  nutzbringende  bezeichnet  werden  muss,  hat  er 
in  seiner  Wiener  Antrittsrede  ein  bleibendes  Denkmal  gesetzt,  und 
dieser  Auffassung  zum  Durchbruche  zu  verhelfen,  war  sein  ganzes 
Streben  und  Trachten  für  die  Zukunft  gewidmet,  was  er  mir  noch  in 
unserer  letzten  Unterredung  im  April  1899  auseinandersetzte. 

Die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  kann,  wie  in 
Knol  l’s  Wiener  Antrittsvorlesung  ausgeführt  ist,  nur  als  pathologische 
Physiologie  ihre  selbstständige  Stellung  im  Studiengange  des  Mediciners 
und  als  eigenes  Forschungsgebiet  behaupten,  eine  Auffassung,  die  all- 
mälig  auch  in  Deutschland,  das  die  Abtrennung  der  allgemeinen 
Pathologie  von  verwandten  Fächern  noch  nicht  vollzogen  hat,  immer 
mehr  an  Boden  gewinnt.  Die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie 
muss  daher  immer  mehr  zu  einer  Physiologie  des  kranken  Körpers 
werden,  und  sie  muss  von  der  Physiologie  ausgehend  und  mit  ihren 
Methoden  und  Hilfsmitteln  arbeitend,  zu  einer  naturwissenschaftlichen 
Erklärung  der  Functionsstörungen  im  kranken  Organismus  führen.  In 
dieser  Grundlage  und  Auffassung  sah  Knoll  und  sehen  mit  ihm  Alle, 
die  an  der  selbstständigen  Fortentwicklung  der  pathologischen  Physio¬ 
logie  betheiligt  sind,  die  Zukunft  unseres  Faches. 

Die  kalte  Hand  des  Todes  hat  hier  weitausblickende  Pläne 
zerrissen,  deren  Verwirklichung  gerade  mit  dem  Eintritte  der  neuen 
medicinischen  Studien-  und  Rigorosenordnung  von  grösster  Bedeutung 
geworden  wäre.  In  wissenschaftlicher  Beziehung  hat  Knoll  gewiss 
nicht  umsonst  gelebt,  und  so  lassen  Sie  uns  sein  Andenken  auch  in 
der  Hoffnung  ehren,  dass  sein  Ruf  für  die  Anerkennung  der  Be¬ 
deutung  der  pathologischen  Physiologie  nicht  ungehört  verhallen 
w^erde. 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


141 


REFERATE. 

I.  Die  Fruchtabtreibung  durch  Gifte  und  andere 

Mittel. 

Ein  Handbuch  für  A  e  r  z  t  e  und  Juristen. 

Von  Prof.  Dr.  L.  Lewiu  und  Dr.  31.  Jirenning. 

Berlin  1899,  August  Hirschwald. 

II.  Handbuch  der  Toxikologie. 

Von  Prof.  A.  J.  Kunkel  in  Würzburg. 

Erste  Hälfte. 

J  e  n  a  1899,  Gustav  Fischer. 

III.  Mittheilungen  über  einige  während  des  Jahres  1898 
im  analytischen  Laboratorium  der  Krankenhausapotheke 

zu  Leipzig  ausgeführte  Arbeiten. 

Leipzig,  Hesse  &  Becker. 

IV.  Pharmakognostische  Karte  für  die  Arzneibücher 
Europas  und  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika. 

Bearbeitet  von  Hermann  Sclielenz. 

Zweite  Auflage. 

Massstab  am  A  equator  1  :  45,000.000. 

Wien  und  Leipzig  1899,  G.  F  r  e  y  t  a  g  &  Bernd  t, 

V.  Beiträge  zu  den  Wirkungen  des  Jodoforms. 

Von  Dr.  med.  Jean  Gl’OS  aus  Jassy  (Rumänien). 

Zürich-Oberstrass  1899,  E.  Speidel. 

I.  Der  rühmlichst  bekannte  Verfasser,  der  erst  vor  kurzer 
Zeit  »die  Nebenwirkungen  der  Arzneimittel«  in  dritter,  neu  bear¬ 
beiteter  Auflage  erscheinen  liess,  überrascht  uns  schon  wieder  mit 
einem  Werke,  welches  in  umfassender  Weise  ein  iiusserst  wichtiges 
Capitel,  das  sowohl  für  den  Mediciner  und  Juristen,  wie  auch 
Sociologen  von  besonderer  Bedeutung  ist,  nämlich  »die  Fruchtab¬ 
treibung  durch  Gifte  und  andere  Mittel«  behandelt.  Er  versucht  in 
diesem  Werke  die  »reactive  Disposition  eines  einzelnen,  für  die 
Menschheit  wichtigsten  Organes,  der  Gebärmutter,  darzustellen.« 
Gerade  die  Fruchtabtreibung  hat  vom  Alterthume  bis  zum  heutigen 
Tage  die  gleiche  Bedeutung  beibehalten;  sie  greift  weit  über  ihre 
rein  medicinische  Bedeutung  hinaus  in  die  socialen  Verhältnisse 
ein,  und  wie  vor  Jahrhunderten  oder  Jahrtausenden  wohl  einer 
der  Hauptgründe  für  die  Vornahme  der  Fruchtabtreibung  in  un¬ 
gesunden  socialen  Verhältnissen  gelegen  ist,  so  auch  in  unserem 
und  gewiss  auch  im  kommenden  Jahrhundert.  Die  sich  immer 
schwieriger  gestaltende  Lebenserhaltung  führt  nothgedrungen  in  viel 
grösserem  Umfange  dazu,  an  die  Beseitigung  des  keimenden  Lebens 
zu  denken,  und  thatsächlich  lässt  sich  eine  rapide  Zunahme  der 
Fruchtabtreibung  in  allen  Ländern  nachweisen. 

Im  historischen  Theile  des  Werkes  zeigt  der  Verfasser,  dass 
es  Frauen  gegeben  hat  und  gibt,  die  wohl  empfangen,  aber  nicht 
gebären  wollen,  die  nicht  gewillt  sind,  die  Schwangerschaft  mit 
ihren  Beschwerden  und  die  Einbusse,  die  sie  durch  dieselben  an 
geselligen  Vergnügungen  und  vielleicht  auch  an  Jugendfrische  und 
Schönheit  erleiden,  zu  ertragen,  ebenso  zeigt  er,  dass  die  Frucht¬ 
abtreibung  zu  allen  Zeiten  in  allen  Welttheilen  unter  Cultur-  wie 
unter  Naturvölkern  verbreitet  war  und  ist. 

Die  verschiedenen  Abschnitte,  wie  die  »Gesetzgebung  über 
die  rechtswidrige  Fruchtabtreibung«,  »Die  Dynamik  der  Abtreibungs¬ 
mittel«,  »Die  speciellen  Ursachen  des  Fruchttodes  und  der  Ab¬ 
treibung«,  »Diagnostisches  zum  criminellen  Abort«,  »Die  Abtreibungs¬ 
mittel  historisch  und  ethnographisch  betrachtet«,  »Casuistik  der  Ab¬ 
treibung  durch  Gifte«,  »Mechanisch-chemische  und  mechanische 
Mittel  zur  Einleitung  des  Aborts«  bieten  nach  jeder  Richtung  hin 
Vollkommenes.  Sie  behandeln  die  Materie  erschöpfend  sowohl  für 
den  Juristen  wie  für  den  Mediciner. 

Von  Interesse  ist  auch,  in  welcher  Weise  der  Autor  glaubt, 
dass  der  stetigen  Zunahme  der  verbrecherischen  Fruchtabtreibung 
Einhalt  geboten  werden  kann.  »Das  Einzige,  wovon  ein,  wenn  auch 
kleiner  Erfolg  zu  erwarten  ist,  scheint  die  Errichtung  von  genügend 
zahlreichen  Gebärasylen  zu  sein.  In  solchen  Gebärasylen,  in  denen 
jede  Frau  Unterkommen  zu  finden  berechtigt  sein  sollte,  müsste 
die  Sicherheit  der  Anonymität  der  Asylistinnen  in  jeder  Beziehung 
gewährleistet  sein,  und  eine  solche  Anstalt  müsste  auch  mit  den 
Mitteln  versehen  sein,  um,  falls  die  Abgabe  der  Kinder  in  ein 
Kinderasyl  nicht  gewünscht  wird,  der  Mutter  für  die  Erhaltung 
ihres  Kindes  beizuspringen.  Sache  des  Staates  oder  der  Gemeinden 
und  nicht  privater  Initiative  ist  es,  helfend  vorzugehen.«  Und  wir 
pflichten  ihm  aus  vollem  Herzen  bei,  wenn  er  sagt:  »Es  wäre  kein 
geringer  Ruhmestitel  des  anbrechenden  Jahrhunderts,  hier  Muster- 


giltiges  geschaffen  zu  haben,  was  vergangene  Jahrhunderte  nicht 
oder  nur  vereinzelt  in  unzulänglicher  Form  zu  leisten  ver¬ 

mochten.« 

* 

II.  Orfila  theilte  die  Gifte  in  vier  Classen  ein:  in  die 

scharfen,  narkotischen,  scharfnarkotischen  und  septischen  Gifte, 
Caspar  wieder  in  Aetzgifte,  hyperämisirende  oder  narkotische 
Gifte,  neuroparalysirende,  tabificirende  und  septische  Gifte,  während 
T  a  r  d  i  e  u  corrosive,  hyposthenisirende,  Stupor  erzeugende,  narkoti¬ 
sche  und  neurasthenisirende  Gifte  unterschied.  Bei  diesen  Ein- 

theilungen,  wo  also  die  Wirkungsweise  der  Gifte  als  Eintheilungs- 
princip  zu  Grunde  liegt,  lässt  es  sich  wohl  nicht  vermeiden,  dass 
oft  ein  und  derselbe  Giftstoff,  wie  z.  B.  Acidum  arsenicosum,  einmal 
unter  den  ätzenden,  das  andere  Mal  unter  den  narkotischen  abzu- 
lmndeln  ist.  Deswegen  hat  der  Verfasser  für  sein  Handbuch  den 
Lehrstoff  nach  dem  chemischen  Eintheilungsprincipe  geordnet,  weil 
dieses  Princip  sicher  als  das  zweckmässigste  anzusehen  ist. 

Da  er  sein  Handbuch  in  erster  Linie  für  Aerzte  bestimmt 
hat,  bringt  er  möglichst  sorgfältige  Beschreibungen  der  Sympto¬ 
matologie  der  verschiedenen  Vergiftungen  und  behandelt  die  am 
häufigsten  vorkommenden  Intoxicationen  sehr  eingehend;  dadurch 
ist  es  dem  Praktiker  ermöglicht,  derart  sorgfältig  zusammengestellte 
Beschreibungen  im  gegebenen  Falle  verwerthen  zu  können. 

Ueber  den  Nachweis  und  die  Isolirung  von  Giften  verweist 
der  Autor  auf  die  Bücher  von  D  ragend  or  ff  und  Otto,  nur 
bei  den  Giften,  bei  denen  besondere  physiologische  Methoden  zur 
Anwendung  kommen,  bespricht  er  dieselben. 

In  der  vorliegenden  ersten  Hälfte  behandelt  er  die  anorgani¬ 
schen  Stoffe  und  die  Kohlenstoffverbindungen  der  fetten  und  der 
aromatischen  Reihe.  Diesem  speciellen  Theil  hat  er  eine  Reihe  all¬ 
gemeiner  Betrachtungen  vorangestellt,  welche  wohl  die  Meisten 
dankbar  begrüssen  werden,  wenn  sie  auch  sehr  Vieles  enthalten, 
was  bereits  als  bekannt  vorausgesetzt  werden  kann.  Im  Uebrigen 
bespricht  der  Autor  die  einzelnen  Capitel  im  speciellen  Theile  in 
sehr  ausführlicher  und  gründlicher  Weise  unter  Berücksichtigung 
der  vorhandenen  Literatur,  so  weit  es  natürlich  bei  dem  bedeuten¬ 
den  Umfange  derselben  möglich  ist.  Wir  wünschen,  dass  der  Ver¬ 
fasser  die  zweite  Hälfte  des  Handbuches  als  werthvolle  Ergänzung 
der  ersten  bald  folgen  lassen  möge. 

* 

III.  Die  Mittheilungen,  gewidmet  zur  Säcularfeier  der  könig¬ 
lichen  medicinisehen  Klinik  der  Universität  Leipzig  von  dem  der¬ 
zeitigen  Leiter  der  Krankenhausapotheke  Dr.  Konrad  Stich,  ent¬ 
halten  folgende  Arbeiten:  1.  Die  Aufgaben  der  Krankenhausapo¬ 
theken.  Mit  acht  Abbildungen.  2.  lieber  die  Bildung  gasförmiger 
Phosphorverbindungen  bei  der  Fäulniss.  3.  Verdunstungsgeschwin¬ 
digkeit  einiger  Inhalationskörper.  Mit  einer  Zeichnung.  4.  Zusammen¬ 
setzung  der  im  städtischen  Krankenhause  zu  St.  Jakob  verabfolgten 
alkoholischen  Genussmittel.  Mit  einer  Tafel.  5.  Einfluss  der  Präpa¬ 
ration  auf  die  Zugfestigkeit  von  chirurgischem  Nähmaterial.  Mit 
einer  Zeichnung. 

ln  der  ersten  Arbeit,  die  besonderes  Interesse  beansprucht, 
gibt  er  einen  kurzen  Ueberblick  über  die  Thätigkeit,  welche  den 
Krankenhausapotheken  zufällt.  Er  entwickelt  die  leitenden  Motive 
derselben,  die  selbstverständlich  abweichen  von  denen  öffentlicher 
Apotheken,  bei  welchen  gewerbliche  Fragen  in  den  Vordergrund 
gestellt  sind.  Im  Krankenhausbetriebe  sind  die  zahlreichen  Geheim¬ 
mittel  und  Specialitäten,  die  leider  in  öffentlichen  Apotheken  noch 
eine  hervorragende  Rolle  spielen,  ausgeschaltet.  »Die  Medication  der 
Krankenanstalten  ist  dictirt  von  massgebender  medicinischer  Er- 
kenntniss  und  von  einer  exacten  Prüfung  der  Arzneikörper,  die 
unabhängig  dasteht  gegenüber  der  bezahlten  Reclamekritik. «  In 
den  Laboratorien  der  Apotheken  der  grossen  Krankenanstalten 
werden  nicht  allein  die  pharmaceu tischen  Präparate  für  die  Patienten 
hergestellt,  ihnen  fällt  auch  zu,  neue  Arzneiformen,  entsprechend 
den  weitergreifenden  Ideen  des  Arztes,  zu  schaffen,  die  organo- 
therapeutischen  Präparate  selbst  zu  bereiten,  eventuell  auch  seltene 
Arzneikörper,  die  in  den  medicinisehen  Instituten  auf  ihre  Wirkung 
geprüft  werden  sollen,  rein  darzustellen.  Selbstverständlich  gehören 
in  das  Bereich  derartiger  Laboratorien  chemische  und  mikroskopi¬ 
sche  Prüfungen  von  Arzneikörpern,  Rohmaterialien  und  Verband¬ 
stoffen,  während  toxikologische  Analysen,  Nahrungs-  und  Genuss¬ 
mittelprüfungen,  Beurtheilungen  von  Gebrauchsgegenständen,  patho- 


142 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  fi 


logisch-chemische  Untersuch ungen  besser  den  hiefiir  spcciell  ein- 
gericliteten  Instituten  zu  ül)erlassen  sind. 

Der  Autor  bespricht  dann  noch  die  Entwicklung  der  Kranken- 
luiusapolheke  von  Leipzig  und  bringt  Daten  über  eine  Reihe  der¬ 
artiger  Anstalten  in  anderen  Städten  Deutschlands. 

Die  übrigen  Abhandlungen  behandeln  rein  specielle  Fragen, 
sie  bringen  selbstständige  Unlersuchungsergebnisse,  auf  die  hiemit 
verwiesen  werden  muss. 

* 

I V.  Auf  dieser  Weltkarte  im  Massslabe  von  1  :  45,000.000 
sind  die  verschiedenen  Arzneistoffe  und  Droguen  in  rother  Karbe 
aufgedruckt:  durch  rothe  Zeichen  vor  oder  nach  dem  Namen  wird 
ersichtlich  gemacht,  ob  dieselben  nur  in  Cultur  oder  auch  in  Cultur 
Vorkommen.  Sie  orient irt  uns  auch  über  die  Wege,  welche  die 
Droguen  bis  zum  Stapelplatz  nehmen,  bringt  die  überseeischen 
Verbindungen  mit  Angabe  der  Fahrtdauer,  zudem  ein  alphabetisches 
Verzeichniss  der  europäischen  und  aussereuropäischen  Droguen,  eine 
Darstellung  der  vertiealen  Verbreitungszonen  von  einigen  Droguen, 
obendrein  zwei  Nebenkarten,  Europa  und  Südost-Asien,  im  Mass- 
stabe  von  1  :  25,000.000;  mit  einem  Worte  auf  einer  so  kleinen 
Papierfläche  wird  eine  Fülle  des  Wissenswerthen  geboten. 

Es  muss  dem  Verfasser  gewiss  als  ein  besonderes  Verdienst 
angerechnet  werden,  dass  er  eine  Karte,  welche  den  Ursprung  und 
die  Kultur  der  wichtigsten  Arzneistoffe  angibt,  zusammengestellt 
hat;  denn  sicher  gehören  in  das  Bereich  der  pharmaceutischen 
Waarenkunde  auch  die  wichtigeren  und  interessanteren  Handelsbe¬ 
ziehungen  unter  den  einzelnen  Ländern,  wie  auch  die  verschiedenen 
1  landelswege,  auf  welchen  die  einzelnen  Droguen  in  den  Verkehr 
kommen.  Zum  Zwecke  eines  gedeihlichen  Unterrichtes  ist  sie  wohl 
wenig  geeignet,  da  sie  zu  viel  auf  einer  kleinen  Fläche  und  auch 

nicht  in  übersichtlicher  Form  bringt. 

* 

V.  Verfasser  hat  eigene  Versuche  bezüglich  des  physikalisch¬ 
chemischen  Verhaltens  von  .Iodoform,  dann  Versuche  an  lebenden 
Fröschen,  welche  den  Unterschied  massiger  Jodoformemulsion  gegen 
Lösung  in  Gelen  und  Fetten  darthun  sollen,  angestellt,  drittens  hat 
er  die  Einwirkung  des  Jodoforms  auf  die  Leukocyten  am  lebenden 
Menschen  sludirt. 

Er  kommt  zu  nachstehenden  Schlussfolgerungen: 

1.  Das  Jodoform  wirkt  einzig  und  allein  durch  seine  Zer¬ 
setzung  durch  Abspaltung  von  Jod,  beziehungsweise  von  Jod¬ 
wasserstoff. 

2.  Diese  Jodausscheidung  kann  durch  Sonnenlicht,  erregten 
Sauerstoff,  Wärme  bei  Anwesenheit  von  lebendem  Protoplasma  er¬ 
folgen:  aber  auch  durch  Reductionsmittel,  wie  durch  nascirenden 
Wasserstoff. 

3.  Die  meisten  normalen  Gewebe  und  thierischen  Flüssig¬ 
keiten  lassen  das  Jodoform  intact. 

4.  Gewisse  Fäulniss-  und  Gährungsstoffe,  gewisse  Toxine  und 
Mil  uoorganismen  und  gewisse  pathologische  Gewebe,  Neubildungen, 
zersetzen  es,  häufiger  durch  Reduction  als  durch  Oxydations¬ 
vorgänge. 

5.  Abgespallcnes  Jod  wirkt  in  statu  nascendi  verschieden 
auf  lebende  zellige  Elemente.  Am  meisten  und  am  frühesten 

a)  auf  Leukocyten  und  Rundzellen, 

b)  auf  locker  gebettete  kernhaltige  Zellen,  wie  die  cubischen 
Zellen,  z.  B.  in  drüsigen  Organen,  Schilddrüsen  etc., 

c)  auf  sogenannte  Riesenzellen,  auf  sogenannte  epi theloide 
Zellen  und  Riesenzellen  mit  ihrem  Inhalt  und  ihren  Meta¬ 
morphosen,  wie  sie  bei  Scrophulose  und  Syphilis  so  oft  Vor¬ 
kommen, 

d)  auf  die  Zerfallsproducle  der  genannten  neugebildeten  Zellen, 
wie  sie  in  periostalen  Exsudaten  und  namentlich  den  Gummata 
Vorkommen. 

(i.  Das  Jodoform,  welches  in  die  Circulation  gelangt,  schädigt 
edle,  lebenswichtige  Organe,  die  Leberzellen,  die  Musculatur  des 
Herzens  und  gewisse  Regionen  des  Centralnervensystems. 

Wesentlich  neue  Resultate  hat  der  Autor  nicht  gefunden. 

H  o  c  k  a  u  f . 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

41.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  Bern.)  Tot  a  lex  ci- 
s  i  o  n  d  e  s  M  agens,  m  i  l  D  a  rmresection  c  o  m  b  i  n  i  r  1.  Von 
Th.  Kocher.  Bei  der  44jährigen  Patientin  war  wegen  diffuser 
carcinomatöser  Erkrankung  des  Magens  und  Verwachsung  desselben 
mit  dem  Colon  transversum,  sowohl  der  ganze  Magen,  als  auch 
12  cm  des  Quercolons  resecirt  worden.  Das  Allgemeinbefinden  der 
Patientin,  welches  nach  der  Operation,  die  drei  Stunden  gewährt 
halte,  zunächst  ein  gutes  gewesen,  verschlechterte  sich  bei  gleich¬ 
zeitig  auftretenden  Durchfällen  und  am  vierten  Tage  trat  der  Tod 
ein.  Die  Section  ergab,  dass  Duodenum  und  Oesophagus  schon 
tadellos  verklebt  waren  und  ebenso  war  auch  an  der  Vereinigungs¬ 
stelle  des  Colon  keine  Perforation  zu  sehen.  Dagegen  zeigte  sich 
in  einer  Länge  von  2  m  aufwärts  von  der  Ileocöcalklappe  die 
Dannschleimhaut  nekrotisch,  und  dasselbe  Darmstück  wies  auch 
einen  fibrinösen  Belag  auf.  Da  keine  Thrombose  im  entsprechenden 
Gefässbezirke  nachgewiesen  werden  konnte,  war  der  Obducent, 
Prof.  Langhans,  der  Ansicht,  dass  die  bei  der  Operation  statt¬ 
gefundene  Zerrung  der  Arteria  mes.  sup.  die  Circulation  in  einer 
solchen  Weise  gestört  hätte,  dass  es  zur  Nekrose  der  Schleimhaut 
im  unteren  Ileum  und  durch  diese  wieder  zur  circumscriplen 
Peritonitis  gekommen  sei.  Dieser  Befund  legt  den  Gedanken  nahe, 
ob  nicht  die  nach  Magenresection  öfter  auftretenden  Durchfälle 
überhaupt  auf  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Schleimhautnekrosen 
zurückzuführen  sein  dürften.  Es  dürfte  demnach,  zumal  bei 
heruntergekommenen  Patienten  und  bei  lange  dauernden  Operationen 
geboten  sein,  der  Gefahr  einer  auch  nur  vorübergehenden  Circulations- 
störung  im  Gebiete  der  Darmgefässe  Rechnung  zu  tragen  und  durch 
Vermeidung  zu  starker  Zerrung  an  Magen  und  Därmen  der  Bildung 
anämischer  Nekrosen  auf  der  Schleimhaut  des  Darm  trades  vorzu¬ 
beugen.  Besonders  zwei  Momente  dürften  in  besonderer  Weise  an¬ 
geschuldigt  werden  können:  Die  Anlegung  zu  kleiner  Bauch¬ 
schnitte,  so  dass  die  hervorgezogenen  Organe  eingeschnürt  werden, 
und  andererseits  die  zu  starke  Tamponade  der  Abdominalhöhle 
zum  Zwecke  des  Abschlusses  des  Operationsfeldes.  —  (Deutsche 

medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  37.) 

* 

42.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Curse  li¬ 
man  n  in  Leipzig.)  lieber  die  Wirkung  kohlensäure¬ 
haltiger  Bäder  auf  die  Circulation.  Von  Dr.  Hensen. 
Der  gute  Erfolg  vom  Gebrauche  kohlensäurehaltiger  Bäder  bei  der 
Behandlung  Herzkranker  ist  schon  vielfach  bestätigt  worden,  be¬ 
sonders  seit  die  Technik  ihrer  Anwendung,  namentlich  von  N  a  u- 
heim  her  mehr  ausgebildet  worden  war.  Auf  welche  Weise  diese 
Wirkung  zu  Stande  kommt,  darüber  sind  die  Ansichten  noch  recht 
verschieden.  Schott  fand  eine  Erhöhung  des  Blutdruckes,  Ab¬ 
nahme  der  Pulsfrequenz  und  auch  das  Verschwinden  der  Irre¬ 
gularität.  H  e  n  s  e  n  hat  die  Wirkung  der  Bäder,  welche  genau  nach 
den  von  Schott  gegebenen  Regeln  hergestellt  worden  waren, 
studirl.  Zur  Kohlensäureentwicklung  wurden  1  / , 0  —  1  kg  Natron 
bicarbonicum  im  Badewasser  aufgelöst  und  dann  die  gleiche  Menge 
30%ige  Salzsäure  zugesetzt.  Dies  geschieht  am  besten,  wenn  man 
die  Flasche  unter  Wasser  umkehrt  und  die  specifisch  schwere  Salz¬ 
säure  langsam  über  den  Boden  fliessen  lässt.  Die  Temperatur  dos 
Bades  betrug  je  nach  der  Leistungsfähigkeit  des  Herzens  28  bis 
24°  R.  Diese  kohlensäurehaltigen  Bäder  bewirken  eine  Blutdruck¬ 
steigerung  von  einigen  Millimetern  bis  zu  20  und  30  selbst  36; 
die  Pulsfrequenz  verhielt  sich  sehr  wechselnd.  In  einigen  Fällen 
Hess  sich  als  Zeichen,  dass  das  Herz  sich  nun  besser  entleert,  eine 
Verkleinerung  der  Herzdämpfung  um  1  —  1  '/.2  cm  feststellen.  In  einer 
Anzahl  von  Fällen  wurde  keine  ausgesprochene  Reaction  auf  das 
Bad  hin  beobachtet.  Hiebei  ist  Mehreres  zu  erwägen.  Ein  Bad  kann 
einen  zu  starken  Kohlensäuregehalt  haben,  mehr  als  es  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  des  Herzens  entspricht,  worauf  dann  eine  Zunahme  der 
Dilatation  und  Dyspnoe  eintritt;  andererseits  kann  ein  Bad  zu 
schwach  sein,  so  dass  der  für  die  Circulation  erwartete  Effect  aus¬ 
bleibt.  Ebenso  kann  in  der  zu  hohen  Temperatur  des  Bades  der 
Fehler  liegen,  da  ein  zu  warmes  Bad  die  Wirkung  der  Kohlen¬ 
säure,  die  Blutdrucksteigerung  direct  beeinträchtigt.  Man  darf  da 
nicht  übersehen,  dass  die  Entwicklung  der  Kohlensäure  allein  schon 
die  Temperatur  eines  Bades  um  1°  erhöhen  kann.  Aus  den  Ver¬ 
suchen  scheint  jedenfalls  hervorzugehen,  dass  die  Nauheimer 
Bäder  eine  Vermehrung  der  Herzarbeit  zur  Folge  haben.  Damit 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


143 


ergibt  sich  ohne  Weiteres,  dass  diese  Bäder  dann  contraindicirt 
sind,  wenn  die  Herzkraft  zur  Bewältigung  erhöhter  Ansprüche  nicht 
mehr  ausreicht;  ebenso  wird  eine  Blutdrucksteigerung  bei  Neigung 
zu  Apoplexien,  bei  bestehenden  Aneurysmen  bedenklich  erscheinen. 
Doch  kann  man  berücksichtigen,  dass  ein  kräftiger  Hustenstoss  den 
Druck  in  brüsker  Weise  um  30  —  40  mm  steigert,  also  gefährlicher 
ist,  als  die  allmülige  und  meistens  nicht  so  bedeutende  Steigerung  im 
Bade.  Ist  der  Puls  inäqual,  so  werden  die  Gefahren  zu  hohen 
Blutdrucke  im  Bade  eher  gemindert  als  erhöht,  da  die  extrem  ge¬ 
spannten  Pulse  fortfallen.  —  (Deutsche  medicinischo  Wochenschrift. 

1899,  Nr.  35.)  Pi. 

* 

43.  Behandlung  der  Pot  t’schen  K  r  a  n  k  h  e  i  t  durc  h 
subcutane  Sublimatinjectionen.  Von  Dr.  B.  l>ignat  ti- 
Morano  (Modena).  Ein  19 jähriges  Mädchen  litt  seit  mehreren 
Jahren  an  Schmerzen  in  der  Höhe  des  achten,  neunten  und  zehnten 
Brustwirbels  und  zeigte  daselbst  eine  deutliche  Kyphose.  Die  Haut 
war  in  der  letzten  Zeit  daselbst  geröthet  und  die  Schmerzen  un¬ 
erträglich  geworden.  Nach  acht  Sublimatinjectionen  wurden  die 
Schmerzen  geringer  und  nach  40  Injectionen  waren  die  Schmerzen 
spontan  und  auf  Druck  vollständig  verschwunden.  —  (Gaz.  degli 

Ospedali.  1899,  Nr.  145.)  L. 

* 

44.  Sexualfunction  und  Stoffwechsel.  Von 
Dr.  Eoewy  und  Dr.  Richter  (Berlin).  Es  handelte  sich  darum, 
festzuslellen,  welchen  Einfluss  das  Aufhören  der  Sexual  function  in 
Folge  natürlicher  und  künstlich  herbeigeführter  Klimax  auf  den 
Stoffwechsel  ausübe,  wobei  vorläufig  festgestellt  werden  konnte,  dass 
der  Gaswechsel  etwa  um  12%  dauernd  reducirt  und  damit  auch 
die  Oxydationsenergie  im  Organismus  entsprechend  herabgesetzt 
werde.  Die  Darreichung  von  Ovarialsubstanz  vermag,  wenn  sie 
21/ 2 — 3  Monate  nach  der  Castration  erfolgt,  diese  Verminderung 
nicht  nur  aufzuheben,  sondern  sogar  die  Gaswechselwerthe  noch 
zu  steigern,  welche  Steigerung  sogar  noch  eine  Zeit  bis  über  das 
Aussetzen  des  Oophorin  anhält.  Auf  den  Gaswechsel  des  normalen 
nicht  castrirten  Thieres  zeigte  das  Präparat  keinen  Einfluss.  Die 
Darreichung  von  Organpräparaten  aus  männlichen  Geschlechtsdrüsen 
zeigte  sich  beim  weiblichen  castrirten  Thiere  ohne  jedweden  Ein¬ 
fluss  auf  den  Gaswechsel,  während  das  Oophorin  auch  beim 
männlichen  Thiere  in  dieser  Richtung  von  intensiver  Wirkung  ist. 

—  (Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie.  1899.  Supplement-Band.) 

* 

45.  E  i  n  F  a  1 1  von  Spondylitis  t  y  p  h  o  s  a.  Von  Dr. 
Könitz  er  (Stettin).  Der  Fall  betraf  einen  Schmied,  welcher  nach 
Ablauf  eines  Typhus  jene  Symptome  zeigte,  welche  Quincke  in 
zwei  Fällen  beobachtet  hatte.  Unter  Fiebererscheinungen  treten 
plötzlich  heftige  Schmerzen  in  der  Lenden-  und  Kreuzbeingegend, 
sowie  eine  Anschwellung  dieser  Theile  auf,  welche  letztere  aber 
im  Falle  Könitz  er’s  nicht  beobachtet  wurde;  der  Fall  kam 
übrigens  erst  am  sechsten  Krankheitstage  in  spitalsärztliche  Be¬ 
handlung.  Sodann  treten  spinale  Symptome  auf,  welche  theils  in 
Parästhesien  und  Störungen  der  Reflexe  (gesteigerter,  sodann  er¬ 
loschener  Patellarreflex)  der  unteren  Extremität,  theils  auch  in 
Störungen  der  Blasen-  und  Mastdarmfunctionen  sich  äussern  können. 
Die  spinale  Symptome  bilden  sich  sehr  rasch  zurück  und  in  einigen 
Wochen  erfolgt  vollständige  Heilung.  Der  Patient  hatte  seine 
schwere  Arbeit  bald  nach  Ablauf  des  Typhus  wieder  aufgenommen; 
vielleicht  hat  dadurch  eine  Zerrung  des  Periostes  der  Wirbel, 
sowie  die  eine  od£r  andere  kleine  Blutung  stattgefunden,  wodurch 
die  regelmässig  im  Knochenmarke  Typhuskranker  vorkommenden 
Typhusbacillen  aufs  Neue  zur  Wirksamkeit  gelangen  konnten. 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  35.) 

* 

46.  Die  Milzbrandgefahr  bei  Bearbeitung 
thierischer  Haare  und  Borsten  und  die  zumSchutz 
dagegen  geeigneten  Massnahmen.  Von  Dr.  K ü hier.  In 
den  Jahren  1890 — 1894  wurden  unter  den  mit  thierischen  Haaren 
und  Borsten  sich  beschäftigenden  Arbeitern  und  deren  Angehörigen 
82  Milzbranderkrankungen  mit  25  Todesfällen,  1895  und  1896 
9  Erkrankungen  mit  4  Todesfällen  und  aus  den  10  — 15  Jahren 
vor  1890  mehr  als  50  Erkrankungen  mit  mehr  als  15  Todesfällen 
constatirt.  Die  Gesammtzahl  der  Milzbrandfälle  ist  selbstverständlich 
höher  zu  stellen.  Die  Zahl  der  Arbeiter,  welche  im  Deutschen 


Reiche  in  Rosshaarspinnereien,  Bürstenfabriken  etc.  beschäftigt  Mud, 
dürfte  sich  auf  12.000  belaufen.  Die  Vertheilung  der  Milzbrandfälle 
war  keine  gleiehmässige;  für  einzelne  Orte  ist  diese  Krankheit  zu 
einer  ernsten  Heimsuchung  geworden.  So  sind  in  drei  Rosshaar- 
Spinnereien  in  einem  Orte  des  Kasseler  Bezirkes  von  1884  — 1888 
16  Erkrankungen  an  Milzbrand  mit  6  Todesfällen  vorgekommen, 
an  einem  anderen  Orte  bei  einem  Arbeiterstand  von  150  Personen 
von  1890 — 1894  19  erkrankt  und  6  gestorben,  Unter  rund 
1700  Arbeitern  der  Pinselfabriken  in  Nürnberg  sind  1890  — 1894 
19  Personen  an  Milzbrand  erkrankt  und  3  gestorben.  Der  Milzbrand 
ist  demnach  für  die  hiehergehörigen  Betriebe  eine  ernste  Berufs¬ 
gefahr  für  die  Arbeiter.  Für  die  Infection  kommen  bei  der  Strenge 
der  Handhabung  des  Gesetzes  in  Bezug  auf  die  Vertilgung  milz¬ 
brandkranker  Thiere  in  Deutschland,  die  aus  dem  Auslande,  be¬ 
sonders  Russland,  Amerika,  Ungarn  und  Galizien  bezogenen  Haare 
in  Betracht.  Als  bestes  Desinfectionsmittel  hat  sich  der  strömende 
Wasserdampf  erwiesen,  welches  freilich  für  einen  Theil  des  Roh¬ 
materiales  durch  andere  Methoden  ersetzt  werden  muss.  —  (Arbeiten 
aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte.  Bd.  XV,  lieft  3.  S  p  r  i  n  g  e  r. 
Berlin  1899.)  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

A  h  1  s  t  r  ö  m  in  Stockholm  hat  in  100  Fällen  die  Urethritis 
gonorrhoica  anterior  mit  Protargol  abortiv  zu  behandeln  ver¬ 
sucht  und  dabei  in  87  Fällen  einen  vollen  Erfolg  gehabt.  Die  Behand¬ 
lung  war  bei  ein  bis  acht  Tage  bestehender  Krankheit  angewendet 
worden  und  hatte  in  täglich  zweimal  vorgenommenen  und  durch  vier 
bis  fünf  Tage  ausgeführten  Injectionen  einer  2 — 4"/0igen  Protargol- 
lösung  bestanden;  in  den  nächsten  drei  bis  fünf  Tagen  wurde  eine 
1 — 2%ige  Lösung  benützt  und  dieselbe  immer,  auch  anfangs,  10  bis 
15  Minuten  in  der  Urethra  belassen.  Nach  circa  zwei  bis  drei 
Wochen  waren  im  Morgonharne  keine  Gonococcen  mehr  zu  entdecken. 

—  (Dermatologisches  Centralblatt.  3.  Jahrgang,  Nr.  2.) 

* 

Nach  den  Berichten  von  Richy  (New  York)  haften  dem 
Salop  hen  nicht  die  üblen  Nebenwirkungen  wie  dem  salicylsauren 
Natron  an  und  soll  deshalb  diesem  vorzuziehen  sein.  Dosis:  zwei-  bis 
dreistündlich  0  8 — 1  g  in  Oblaten.  Dieselben  guten  Eigenschaften  werden 
auch  dem  Aspirin  nachgerühmt,  das  zu  DO  <7  pro  dosi  und  DO  bis 
5  0  <7  pro  die  beim  acuten  Gelenkrheumatismus  verabreicht  wird.  — 

(Die  Heilkunde.  1899,  October-Novemberheft.) 

* 

Griwzow  (Sebastopol)  hat  unter  allen  Mitteln  bei  der  Behand¬ 
lung  des  weichen  Schankers  das  Natrium  sozojodolicum  für 
das  bewährteste  gefunden.  Heilung  soll  durchschnittlich  in  IG  Tagen 
eintreten.  —  (Marineannalen.) 

* 

U  e  b  e  r  ein  neues  Guajaeolpräpa  r  a  t.  Von  Professor 
Einhorn  (München).  Das  salzsaure  Diäthylglycocoll  Guajacol  — -  von 
den  Höchster  Farbwerken  als  „Guajasanol“  in  den  Handel  gebracht  — 
soll  eine  vollständig  ungiftige,  nicht  ätzende,  antiseptisch  und  des- 
odorisirende  Verbindung  sein,  die,  innerlich  bis  zu  dreimal  4  g  täglich 
verabreicht,  Tuberculose  sehr  günstig  beeinflussen  und  die  hiebei  auf¬ 
tretenden  Diarrhöen  sofort  stillen  soll.  Der  antiseptische  V  ertli  ist 
ungefähr  jenem  der  Borsäure  gleich.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  1.) 

* 

Von  Dr.  Thein  har  dt  sind  zwei  Nährpräparate  im  Handel: 
„Lösliche  Kinder  nah  r  ung“  und  „Hygia  ma“.  Ersteres  ist  aus  Milch, 
Weizenmehl,  Malz  und  Zucker  hergestellt  und  wird  bei  gesunden 
Säuglingen  als  Zusatz  zur  Milch,  ferner  bei  Unterernährung,  sowio 
Verdauungsstörungen  der  Kinder,  nach  den  vorliegenden  Urtheilen  zu 
schliessen,  mit  sehr  günstigem  Erfolge  verwendet.  „Hygiama11,  aus 
Milch,  Mehl,  Zucker  und  Cacao  bereitet,  steht  besonders  bei  den  mit 
Verdauungsstörungen  verbundenen  chronischen  Erkrankungen  Erwach¬ 
sener  wegen  seiner  leichten  Verdaulichkeit,  sowie  seines  grossen  Eiweiss¬ 
gehaltes  halber  (21%)  in  Gebrauch.  —  (Deutsche  Aerztezeitung.  1899, 
Nr.  15.) 

*  • 

Nach  Cipriani  soll  das  V  a  1  i  d  0  1  (baldriansaures  Menthol) 
zu  5  — 15  Tropfen  zweistündlich  nach  dem  Essen  bei  den  verschie¬ 
denen  Dyspepsien,  als  Expectorans,  sowie  als  .)  15"  o'g0  Vaselinsalbe 

bei  Ekzemen,  Psoriasis,  Urticaria  und  besonders  bei  Prurigo  sich  gut 
bewähren.  —  (Allgemeine  medicinische  Centralzeitung.  1899,  Nr.  97.) 


144 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  6 


NOTIZEN. 

Ernannt:  Zu  correspoudirenden  Mitgliedern  der  Academie  de 
Medicine  de  Paris  die  Herren:  Kaposi  (Wien),  Erb  (Heidelberg), 
Hansen  (Bergen).  —  Geheimrath  v.  Pettenkofer  in  Berlin 
zum  stimmberechtigten  Ritter  des  Ordens  pour  le  merite  für  Wissen¬ 
schaften  und  Künste. 

Verliehen:  Dem  Professor  der  Geburtshilfe  an  der  Heb¬ 
ammenschule  in  L  i  n  z,  Dr.  Ludwig  P  i  s  k  a  c  e  k,  das  Ritterkreuz 
des  Franz  Josef-Ordens.  —  Dem  Ober-Bezirksarzte  Dr.  Friedrich 
Presl  in  Jiöin  der  Titel  eines  kaiserlichen  Rathes. 

* 

Ha  bi  1  i  ti  rt :  Der  Privatdocent  für  Laryngologie,  Dr.  Michael 
Grossmann  in  W  i  e  n,  für  Rhinologie. 

* 

Gestorben:  Dr.  S.  Plohn,  Curarzt  des  Südbahnhotels 
Semmering.  —  Dr.  Brunetti,  ehemaliger  Professor  der  patho¬ 
logischen  Anatomie  zu  Padua.  —  Der  Professor  der  allgemeinen 
Pathologie  zu  Rom,  Dr.  Valenti.  —  Dr.  Mason,  Professor  der 
Geburtshilfe  und  Gynäkologie  zu  Dublin. 

# 

Am  1 .  Februar  d.  J.  fand  in  Prag  die  Eröffnungsfeier 
der  neugebauten  Klinik  für  innere  M  e  d  i  c  i  n  (Professor 
v.  J  a  k  sc  h),  Augenheilkunde  (Prof.  Gzerraak)  und  G  y- 
näkologie  (Pi  of.  Sänge  r)  statt.  An  diese  Veranstaltungen  schloss 
sich  die  feierliche  Enthüllung  des  Denkmals  für  weiland  Professor 
B  r  e  i  s  k  y.  Die  Festrede  hielt  Prof.  Sänger. 

* 

Museum  für  Krankenpflege.  Die  im  vorigen  Jahre  in 
Berlin  abgehaltene  Ausstellung  für  Krankenpflege  hat  den  für  eine 
wissenschaftliche  und  jeder  Vergnügungsanziehung  baare  Ausstellung 
seltenen  Erfolg  gehabt,  dass  nicht  nur  der  gezeichnete  Garantiefond 
in  keiner  Weise  in  Anspruch  genommen  wurde,  sondern  vielmehr  nach 
vollständig  erfolgter  Abrechnung  ein  beträchtlicher  Ueberschuss  sich 
ergeben  hat.  Schon  bei  der  Eröffnung  der  Ausstellung  hatte  der  Herr 
Cultusminister  die  Absicht  ausgesprochen,  aus  ihr  eine  ständige  Ein¬ 
richtung,  ein  Museum  für  Krankenpflege,  hervorgehen  zu 
lassen;  jetzt  ist  dem  Comite  der  Ausstellung  das  nachstehende  Hand¬ 
schreiben  Ihrer  Majestät  der  Kaiserin  zugegangen :  „Ich 
habe  mit  lebhafter  Anerkennung  den  Bericht  des  Comites  der  Aus¬ 
stellung  für  Krankenpflege  zu  Berlin  1899  über  den  erfolgreichen 
Verlauf  der  Ausstellung  entgegengenommen  und  entspreche  gern  dem 
Anträge,  den  erzielten  Ueberschuss  in  der  Höhe  von  14.000  Mark  als 
erstes  Capital  für  die  Begründung  eines  Museums  für  Krankenpflege 
zu  bestimmen.  Indem  Ich  Mir  Vorbehalte,  hierüber  mit  dem  Cultus¬ 
minister  Mich  in  Verbindung  zu  setzen,  spreche  Ich  dem  Comite  für 
seine  segensreichen  Bemühungen  Meinen  aufrichtigen  Dank  aus.  Berlin, 
den  17.  Januar  1900.  Auguste  Victoria,  I.  R.“  Wie  sehr  nun¬ 
mehr  die  Anerkennung  der  Krankenpflege  gerade  in  ärztlichen  Kreisen 
vorschreitet,  ist  auch  daraus  zu  ersehen,  dass  in  allernächster  Zeit 
bereits  zwei  weitere  Ausstellungen  für  Krankenpflege  nach  dem  Muster 
der  Berliner  Veranstaltung,  die  eine  Anfangs  März  in  Frankfurt  a.  M. 
von  der  Balneologischen  Gesellschaft,  die  andere  Ende  April  in  Neapel 
von  dem  italienischen  Congresse  zur  Bekämpfung  der  Tuberculose 
unternommen  werden. 

* 

Aus  Anlass  einer  zu  erstattenden  Aeusserung  über  die  Verwen¬ 
dung  von  Benzoesäure,  sowie  eines  aus  Borax  und  Formal- 
dehyd  zusammengesetzten  Conservirungsmittels  hat  der  Oberste 
Sanität&rath  über  die  Zulässigkeit  von  Chemikalien  zur 
L  ehe  nsmittelconservi  rung  im  Allgemeinen  ein  Gutachten 
(Referent  Obersanitätsrath  Prof.  Dr.  M.  Gruber)  erstattet,  demzufolge 
derselbe  in  der  Erwägung,  dass  selbst  solche  Conservirungsmittel,  welche 
an  sich  unschädlich  sind,  dadurch  schädlich  wirken  können,  dass  sie 
reinliche  und  sorgfältige  Behandlung  der  Lebensmittel  überflüssig 
machen,  ferner  dadurch,  dass  sie  in  Zersetzung  begriffene  oder  inficirte 
Lebensmittel  in  genussfähigem  Zustande  erhalten,  sich  dafür  aus¬ 
sprach,  dass  auch  das  Verbot  der  Verwendung  von  Benzoesäure  und 
deren  Salzen  zur  Conservirung  von  Nahrungs-  und  Genussmitteln,  des 
gewerbsmässigen  Verkaufes  und  Feilhaltens  von  Lebensmitteln,  welche 
mit  Benzoesäure  oder  deren  Salzen  versetzt  worden  sind,  und  der  Ein¬ 
fuhr  derart  versetzter  Nahrung?-  und  Genussmitfel  erlassen  werde,  ob¬ 
wohl  die  Benzoesäure  und  ihre  Salze  sehr  schwach  giftig  sind  und 
anscheinend  durch  längere  Zeit  in  Dosen  bis  zu  30  y  pro  die  ohne 
merklichen  Schaden  autgenommen  werden  können.  Für  das  Verbot  der 
Verwendung  der  Salicylsäure,  der  Borsäure,  der  schwefeligen  Säure, 
der  Flusssäure  und  der  Salze  dieser  Säuren  hat  sich  der  Oberste 
Sanitätsrath  schon  früher  ausgesprochen.  Bezüglich  des  Formaldehyds 
wird  in  Ergänzung  des  im  Jahre  1894  erstatteten  Gutachtens  angeführt, 
dass  seitdem  sichergestellt  worden  ist,  dass  es  zur  Conservirung  von 


Lebensmitteln  ungeeignet  ist;  so  wird  Fleisch  unter  seinem  Einflüsse 
gehärtet,  Eier  sowohl  im  Dotter  als  im  Eiweiss  verändert,  Kartoffeln 
schrumpfen  und  werden  hart,  Milch  bekommt  einen  fremdartigen 
Geschmack  und  Geruch,  ihre  Eiweissköiper  werden  derart  verändert, 
dass  sie  sich  in  Säuren  nicht  mehr  vollständig  lösen  (z.  B.  bei  der 
Ausführung  der  Milchfettbestimmung  nach  Gerber).  Die  künstliche 
Verdauung  wird  durch  Formaldehyd  gehemmt.  Nach  Allem  erscheint 
es  geboten,  ein  allgemeines  Verbot  der  Verwendung  von  Formaldehyd 
zur  Conservirung  von  Lebensmitteln  und  des  Verkaufes  von  mit 
Formaldehyd  versetzten  Lebensmitteln  auszusprechen.  Als  zweckmässig 
wird  ferner  empfohlen,  ganz  allgemein  zu  verbieten,  dass  Präparate, 
welche  Salicylsäure  oder  deren  Salze,  Borsäure  oder  deren  Salze, 
schwefelige  Säure  oder  deren  Salze,  Benzoesäure  oder  deren  Salze,  Fluss¬ 
säure  oder  deren  Salze  oder  Formaldehyd  enthalten,  unter  der  Be¬ 
zeichnung  als  Conservirungsmittel  für  Lebensmittel  im  Allgemeinen 
oder  für  bestimmte  Lebensmittel,  wie  Fleisch,  Milch,  Butter  u.  s.  w. 
eingeführt  oder  in  Verkehr  gebracht  werden  dürfen.  —  (Oesterreichi- 
sches  Sanitätswesen.  1900,  Nr.  5.) 

* 

Internationaler  Congress  über  medicinische 
Elektrologie  und  Radiologie.  Auf  Veranlassung  der  franzö¬ 
sischen  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  Elektrotherapie  und  Radio¬ 
logie  ist  der  von  ihr  gestiftete  internationale  Congress  über  medicinische 
Elektrologie  und  Radiologie  mit  dem  internationalen  Congress  von  1900 
in  Verbindung  gebracht  worden.  Ein  Comite,  bestehend  aus  den 
Herren:  Weis  s,  Präsident;  A  p  o  s  t  o  1  i  und  O  u  d  i  n,  Vicepräsidenten ; 
Doumer,  Generalsecretär;  Moutier,  Seeretär;  Boisseau  du 
Roche  r,  Tresorier,  und  aus  den  Herren :  B  e  r  g  o  n  i  e,  Boucha- 
court,  Br  an  ly,  Lara  t,  R  a  d  i  g  u  e  t,  V  i  1 1  e  m  i  n,  ist  damit  be¬ 
auftragt  worden,  denselben  in  Ausführung  zu  bringen.  Dieser  Congress 
wird  in  Paris  vom  27.  Juli  bis  1.  August  1900  gehalten  werden.  Man 
bittet,  um  weitere  Erkundigungen  sich  an  Herrn  Prof.  E.  Doumer, 
Generalsecretär,  57,  Rue  Nicolas  Leblanc,  Lille,  zu  wenden.  Beitritts¬ 
erklärungen  sollen  an  Herrn  Dr.  Moutier,  11,  Rue  Miromesnil, 
Paris,  adressirt  werden.  Der  Generalsecretär:  Prof.  E.  Doumer. 

* 

Nach  dem  Ausweise  über  die  im  Hospitale  der  Barm¬ 
herzigen  Brüder  in  Wien  (Leopoldstadt)  zur  Behandlung  ge¬ 
langten  Kranken  hatten  daselbst  im  Jahre  1899  5072  Personen  spitals¬ 
ärztliche  Pflege  gefunden,  in  sämmtlichen  15  Hospitälern  des  Ordens 
19958  Personen,  während  3924  Patienten  das  medicinische  Ambula¬ 
torium  in  Wien  frequentirt  hatten.  An  der  chirurgischen  Abtheilung 
war  83mal  unter  Narkose,  84mal  bei  Anwendung  der  Localanästhesie 
operirt  worden. 

* 

Von  dem  „K  a  1  e  n  d  e  r  f  ü  r  F  r  a  u  e  n-  undKinderärzt  e“> 
herausgegeben  im  Verlage  von  F.  Har  rach  in  Bad  Kreuznach  von 
Dr.  Eichholz  und  Dr.  Sonnenberger  ist  der  IV.  Jahrgang 
(1900)  erschienen. 

* 

Dr.  Julius  Mahler,  Assistent  an  der  Allgemeinen  Poliklinik, 
wohnt  seit  Februar  1900  IX.,  Alse  r  strasse  Nr.  16. 

*  -V, 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  3.  Jahreswoehe  (vom  14.  Januar 
bis  20.  Januar  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  590,  unehelich  289,  zusammen 
879.  Todt  geboren :  ehelich  39,  unehelich  20,  zusammen  59.  Gesammtzabl 
der  Todesfälle  607  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19‘2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  124,  Blattern  0,  Masern  18, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  9,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematieus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  4,  Neu¬ 
bildungen  35.  Angezeigte  lnfectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
127  (—  35),  Maseru  151  — 88 Scharlach  42  ( —  1),  Typhus  abdominalis 
4  ( —  5),  Typbus  exanthematieus  0  (=),  Erysipel  31  ( —  11),  Croup  und 
Diphtherie  49  (-{-  8),  Pertussis  35  ( —  5),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-}-  1),  Trachom  2  ( —  3),  Influenza  0  (—)• 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang;  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


Nr.  e 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


146 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


INHALT: 

Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung-  vom  20.  und  27.  October  und  Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
3.  November  1899.  vom  Januar  1900. 

Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck.  Sitzung  vom 
18.  November  1899. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  20.  October  1899. 

Vorsitzender  :  Prof.  Dr.  Anton  Wölfler. 

Prof.  Wölfler  stellt  eine  Kranke  vor,  welche  an  einem 
schweren  Torticollis  spasmodieus  litt  uud  durch  mehrere 
operative  Eingriffe  geheilt  wurde.  Die  Patientin  litt  an  continuirlichen 
Drehungen  des  Kopfes  nach  links  und  rückwärts.  Die  Resection  des 
rechten  Nervus  accessorius  hatte  ein  nur  unvollkommenes  Resultat  zur 
Folge.  Es  wurde  deshalb  nach  Noble  Smith  der  linksseitige 
Nervus  cervicalis  II  und  III  resecirt,  während  anstatt  der  Resection 
des  tief  gelegenen  ersten  Cervicalnerven  die  quere  Dui  chtrennung  des 
mächtigen  M.  obliquus  inferior  ausgeführt  wurde.  Der  Erfolg  war  ein 
vollkommener  und  bleibender;  die  Heilung  besteht  seit  drei  Jahren. 

Wölfler  bespricht  hierauf  an  der  Hand  von  Abbildungen 
die  Technik  dieser  Operation  und  ihre  Resultate,  die  er  mit  der  Re 
section  des  N.  accessorius  und  der  queren  Durchschneidung  der 
krampfenden  Nackenmuskeln  auf  Grund  der  statistischen  Erfahrungen 
vergleicht. 

* 

Zweite  Sitzung  vom  27.  October  1899. 

Prof.  v.  Jaksch  demonstrirt  seine  neueröffnete  Klinik  im 
Kaiser  Franz  Josefs-Pavillon  des  Allgemeinen  Krankenhauses. 

* 

Dritte  Sitzung  vom  3.  November  1899. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  A.  Wölfler. 

Dr.  Schwarz  demonstrirt  zwei  Fälle  aus  der  I.  medicinischen 
Klinik,  die  beide  durch  hochgradige  Veränderungen  an  den  Gelenken 
ausgezeichnet  sind. 

Im  ersten  Falle  handelt  es  sich  um  eine  Combination  von  an¬ 
geborenem,  partiellem,  symmetrischem  Riesenwuchs e, 
der  die  beiden  Zeigefinger  betrifft,  mit  Arthritis  urica  bei  einer 
60jährigen  Patientin.  Die  erste  Gelenksschwellung  soll  vor  ungefähr 
20  Jahren  an  einem  der  hypertrophischen  und  seit  jeher  ankylotischen 
Zeigefinger  aufgetreten  sein.  Gegenwärtig  bestehen  an  mehreren  Fingern 
und  Zehen  typische  Tophi,  sowie  mehrfache  Uratablagerungen  in 
Sehnenscheiden  und  Schleimbeuteln.  Die  G  a  r  r  o  d’sche  Blutfadenprobe 
ist  positiv.  Die  Demonstration  wird  durch  Röntgen-Bilder  der  beiden 
Hände  unterstützt,  deren  Einzelheiten  der  Vortragende  näher 
erläutert. 

Der  zweite  Fall  betrifft  einen  62jährigen  Tabiker  mit  be¬ 
trächtlichen  Arthropathien  beider  Kniegelenke,  einer  Pseudarthrose  nach 
traumatischer  Fractur  des  linken  Oberschenkels,  Atrophie  der  Mus- 
culatur  beider  Unterschenkel  mit  Fehlen  der  elektrischen  Erregbarkeit 
ohne  Entartungsreaction,  beideiseitigemPes  equinovarus  und  Subluxation 
des  linken  Schultergelenkes. 

In  der  anschliessenden  Discussion  hebt  Prof.  Chiari  die  Be¬ 
deutung  der  intraartieulären  Sensibilitätsstörungen  für  die  Genese  der 
Arthropathien  hervor.  Der  Vortragende  glaubt,  für  den  vorliegenden 
Fall  auch  trophische  Störungen  zur  Erklärung  heranziehen  zu 
müssen . 

In  der  Pseudarthrose  wenigstens  ist  die  Sensibilität  nicht  er¬ 
loschen,  daselbst  bestehen  Schmerzen  bei  Bewegungen.  In  den  athro- 
pathisch  deformirten  Kniegelenken  sind  auch  passive  Bewegungen  in 
Folge  von  Ankylosen  so  gut  wie  unausführbar,  so  dass  man 
über  die  intraarticuläre  Sensibilität  der  Kniegelenke  kein  Urtheil  ge¬ 
winnen  kann. 

Dr.  P  i  f  f  1  demonstrirt  die  Präparate  eines  Falles  von  Otitis 
tuberculosa  mit  tumor  artiger  Protuberanz  in  die 
Schädelhöhle.  Bei  der  Section  eines  in  der  Irrenanstalt  ge¬ 
storbenen  55jährigen  Mannes  (psychiatrische  Diagnose  :  Paralys.  progr.), 
fand  sich  als  Nebenbefund  eine  Erkrankung  des  linken  Schläfenbeines, 
die  zu  ausgebreiteter  Zerstörung  des  Knochens  im  äusseren  Gehörgang, 
in  der  Paukenhöhle,  an  der  Pyramide,  am  Warzenfortsatze  und  am 
angrenzenden  Hinterhauptbeine  geführt  hatte.  Die  Dura  mater 
war  an  der  Innenseite  der  erkrankten  Partien,  be¬ 
sonders  auf  der  oberen  und  hinteren  Pyramiden¬ 
fläche  kolossal  verdickt. 

Diese  Verdickung  war  scharf  umschrieben,  höckerig,  derb  und 
sah  aus  wie  ein  echtes  Neoplasma,  erwies  sich  aber  histologisch 
als  Tuberculose.  Die  mikroskopische  Untersuchung  des 
Labyrinths  ergab  pathologische  Eröffnung  desselben  an  vier 


Stellen.  Vorhof,  Ampullen,  Bogengänge  und  die  unteren  Schnecken¬ 
windungen  waren  erfüllt  von  tuberculösem  Granulationsgewebe,  das 
häutige  Labyrinth  vollständig  zerstört.  Nur  in  der  oberen  Schnecken¬ 
windung  war  das  Cortische  Organ  noch  stellenweise  erhalten. 

Acusticus  und  Facialis  waren  bis  vor  ihren  Eintritt  in 
den  inneren  Gehörgang  tuberculös  erkrankt.  Die  inneren  Meningen 
waren  nirgends  inficirt  worden,  der  Tod  war  augenscheinlich  durch 
die  ausgebreitete  Lungen  tuberculose  eingetreteu. 


Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck. 

Sitzung  vom  18.  November  1899. 

Vorsitzender  :  Hofrath  Prof.  v.  Villtscllgail. 

Schriftführer  :  Dr.  Lotheissen. 

An  der  auf  die  heutige  Sitzung  verschobenen  Discussion 
über  den  von  Prof.  Ehrendorfer  in  der  letzten 
Sitzung  demonstrirten  Magentumor  betheiligen  sich  Pro¬ 
fessor  v.  Hacker  und  Prof.  Pommer. 

Prof.  v.  Hacker  spricht,  Prof.  Ehrendorfe  r’s  Aufforderung 
folgend,  über  die  nicht  krebsigen  Magenneubildungen 
und  die  darüber  vorliegenden  chirurgischen  Erfahrungen. 
Er  erinnert  daran,  dass  er  in  der  Sitzung  vom  28.  Januar  1898  ein 
24jähriges  Mädchen  vorgestellt  hat,  bei  dem  er  drei  Wochen  früher 
die  Magenresection  wegen  einer  mit  der  vorderen  Magenwand  an  der 
kleinen  Curvatur  innig  zusammenhängenden,  fast  mannskopfgrossen 
ähnlichen  Geschwulst  ausgefühlt  hat.  Es  war  im  Anfänge  zweifelhaft 
gewesen,  ob  der  Tumor  bereits  als  ein  Myoma  sarcomatosum  oder 
noch  als  ein  Fibromyom  zu  bezeichnen  sei.  v.  Hacker  neigte  der 
Ansicht  zu,  dass  es  sich  doch  um  eine  rein  hyperplastische  Neubildung 
handle,  wofür  auch  der  Verlauf  spricht,  indem  bis  jetzt  (22  Monate 
nach  der  Operation)  keine  Spur  einer  Recidive  nachzuweisen  sei.  Die 
Operirte  befindet  sieh  vollkommen  wohl,  hat  sich  vor  drei  Wochen 
verheiratet  und  wird  während  der  Sitzung  neuerdings  vorgestellt. 

In  beiden  Fällen  handelt  es  sich  um  nichtcai  cinomatöse  Magen¬ 
neubildungen.  Diese  von  den  Bindesubstanzen  oder  der  glatten  Mus- 
culatur  der  Magenwand  ausgehenden  Geschwülste  bilden  in  klinischer 
Beziehung  meist  einen  ganz  anderen  Typus,  als  die  carcinomatösen 
Tumoren.  Es  handelt  sich  bei  denselben,  wenn  sie  zur  Operation 
kommen,  in  der  Regel  um  bedeutend  grössere  Geschwulstbildungen 
im  Abdomen,  deren  Ausgangspunkt  bei  der  klinischen  Untersuchung 
in  der  Regel  zweifelhaft  erscheint  und  häufig  irrthümlich  als  im  Netz, 
Mesenterium,  der  Leber,  der  Niere,  der  Milz  u.  dgl.  gelegen  ange¬ 
nommen  wurde. 

In  diesen  Fällen  sind  nämlich  entweder  gar  keine  Magenbe¬ 
schwerden  vorhanden,  oder  nur  solche,  die  ebensogut  durch  eine  auf 
den  Magen  drückende,  als  von  ihm  ausgehende  Geschwulst  erklärt 
werden  können. 

Diese  Geschwülste,  welche  aus  verschiedenen  Wandpartien  des 
Magens  sich  entwickeln  können,  lassen,  da  die  Ostien  zu  ihrer  Ent¬ 
stehung  in  keiner  ätiologischen  Beziehung  stehen,  wie  dies  beim  Carci- 
nom  der  Fall  ist,  diese  häufiger  frei.  Verbreitet  sich  ein  solcher  Tumor 
jedoch  von  einem  der  Pylorusgegend  nahen  Wandtheil  aus,  so  kann 
es  auch  da  zu  einer  Pylorusstenose  und  zu  typischem  Erbrechen  etc. 
kommen.  Ilerhold  hat  über  ein  so  gelagertes,  mit  Erfolg  operirtes 
Magenmyom  berichtet,  ferner  wurde  bei  für  Carcinom  gehaltenen 
Tumoren  die  Pylorusreseetion  (Hahn)  oder  die  Gastroenterostomie 
(Bardeleben,  Czerny)  gemacht,  wo  sich  nachträglich  heraus¬ 
stellte,  dass  es  sich  um  Sarkome  gehandelt  habe. 

Bei  primären  Sarkomen,  welche  die  Neigung  haben,  mehr  die 
Wände  zu  infiltriren,  kommt  es  also  öfters  zu  carcinomähnlichen 
Tumoren. 

Wenn  die  von  den  Bindesubstanzen  oder  der  glatten  Musculatur 
ausgehenden  Geschwülste  sich  also  bisweilen  klinisch  wie  die  Carcinome 
verhalten  können,  so  ist  es  aber  viel  häufiger,  dass  diese  rl  umoren 
nicht  von  der  Pylorusgegend  ausgehen,  sondern  meist  von  der  Gegend 
der  kleinen  oder  der  grossen  Curvatur  des  Magens,  namentlich  von 
der  vorderen  Wand  desselben  und  als  mehr  weniger  gestielte  1  umoren, 
wenn  man  so  sagen  darf,  in  die  freie  Bauchhöhle  wachsen.  Diese 
Geschwülste  zeigen  durch  eine  ödematöse  Erweichung  oder  durch  in 
Folge-  von  Blutungen  oder  Erweichungen  entstandene  Cystenbildungen 
öfters  eine  scheinbare  oder  wirkliche  Fluctuation,  weshalb  sie  üftois 
für  Echinococcen  gehalten  wurden. 


HÖ 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ni.  0 


Mitunter  ziehen  diese  Tumoren,  wie  dies  bei  Prof.  Ehren- 
dorfer’s  Patientin  der  Fall  war,  den  Magen  bis  ins  kleine  Becken 
hinab.  Diese  Geschwülste  sind  nun  entweder  rein  byperplastische,  also 
gutartige  Neubildungen,  Fibrome  oder  Myome,  oder  sie  sind  ursprüng¬ 
lich  solche  gewesen  und  haben  sieh  dann  in  Sarkome  umgewandelt. 

Interessant  für  uns  ist,  dass  einzelne  sehr  grosse  solche  Magen- 
gesohwiilste  als  reine  Leiomyome  beschrieben  wurden  (Peels, 
Nee  Isen,  Erlach).  Erlach  hat  beispielsweise  November  1894 
erfolgreich  durch  Abtragung  ohne  E>  Öffnung  des  Magens  ein  in  einer 
Länge  von  30  m  mit  der  vorderen  Magenwand  an  der  kleinen  Curvatur 
in  Verbindung  stehendes,  fast  51/2  leg  wiegendes  Leiomyom  operirt.  Die 
Frau  befand  sich,  als  der  Vortiagende  sich  zufällig  März  1899  nach 
ihr  erkundigte,  vollkommen  wohl,  nachdem  sie  1897  zum  17.  oder 
18.  Male  entbunden  halte. 

Es  können  demnach  gutartige  Myome  sehr  giosse  Tumoren 
bilden.  Ausser  dem  früher  erwähnten  Fall  v.  Hacker’s  und  dem 
H  e  r  h  o  1  d’schen  Fall  operirte  noch  v.  Eiseisberg  ein  Fibromyom 
des  Magens  mit  Erfolg;  ein  von  Nicoladoni  operirter  und  ein 
von  Rupprecht  operirter  Fall  endeten  letal. 

Jedenfalls  sind  alle  diese  Tumoren  gegenüber  den  Carcinomen 
sehr  selten.  So  finden  sich  unter  den  von  Haberkant  zusammen¬ 
gestellten  207  Resectionen  wegen  Neubildungen  am  Magen  aus  den 
Jahren  1879  — 1894  nur  drei  Fälle  von  Sarkomen  (Billroth, 
v.  Hacker,  E.  Hahn)  und  unter  298  Gastroenterostomien  der 
Jahre  1881  — 1894  nur  die  zwei  bereits  erwähnten  wegen  Sarkom  ver¬ 
zeichnet.  Für  uns  Kliniker  ist  es  selbstverständli  h  von  der  grössten 
Wichtigkeit,  dass  die  pathologisch  anatomische  Untersuchung  solcher 
Geschwülste  die  Frage  löst,  wie  sich  aus  der  Genese  und  Zusammen 
setzung  derselben  die  Benignität  oder  die  Malignität  derselben  erkennen 
lässt.  Ja  bei  den  frei  in  die  Bauchhöhle  vorwachsenden  Tumoren  dieser 
Art  hängt  von  der  bei  der  Operation  gestellten  Diagnose,  ob  reine 
Hyperplasie  oder  Sarkom  vorliege,  die  Behandlung  ab.  Im  ersteren 
Falle  ist  eine  Ausschälung  gestattet,  im  zweiten  Fall  muss  die  Magen¬ 
partie  mit  entfernt,  also  meist  die  Magenresection  ausgeführt  werden. 
Nach  ausgeführter  Operation  entscheidet  die  gestellte  mikroskopische 
Diagnose  die  Prognose. 

Prof.  Pommer  theilt  mit,  dass  er  an  Präparaten,  die  ihm 
seinerzeit  seitens  der  Aerzte  der  chirurgischen  Klinik  vorgelegt  wurden, 
und  an  einem  zur  Untersuchung  überlassenen  Stück  der  von  Professor 
v.  Hacker  exstirpirten  Geschwulst  die  Diagnose  auf  Myxom  ge¬ 
stellt  habe. 

Es  sei  begreiflicher  Weise  nicht  ausgeschlossen,  dass  in  anderen 
Gebieten  des  grossen  Tumors  derselbe  vielleicht  ein  anderes  histo¬ 
logisches  Bild  darbiete,  ja  vielleicht  als  eine  Mischgeschwulst  sich 
erweise. 

Hinsichtlich  der  angeregten  Frage  der  Bösartigkeit  oder  Gut¬ 
artigkeit  der  Geschwulst  kommt  ganz  besonders  viel  darauf  an,  welche 
Stellen  zur  Untersuchung  gewählt  werden,  und  es  ist  in  dieser  Be¬ 
ziehung  immer  daraufhin  zu  untersuchen,  ob  der  Nachweis  eines  peri¬ 
pherischen,  discontinuir.lichen  Wachsthums  erbracht  werden  könne 
oder  nicht. 

Unter  Berücksichtigung  dieses  Grundsatzes  wählte  Pommer 
von  der  ihm  durch  Prof.  Ehrendorfer  zur  Untersuchung  über¬ 
lassenen  Geschwulst  vor  Allem  jene  Gebiete  zur  Untersuchung,  die 
höckerige  und  knollige  Vorwölbungen  bilden  und  in  die  das  Netz  ein¬ 
gesenkt  erscheint. 

Die  von  diesen  Stellen  gewonnenen  Bilder  ergaben,  dass  es  sich 
bei  dieser  Geschwulst  um  ein  Sarkom,  und  zwar  um  ein  F  i  b  r  o- 
sarkom  handelt,  dessen  Zellen  theils  zu  spindeliger,  theils  zu  drei¬ 
ästiger  Gestaltung  neigen  und  welches  dabei  in  den  tieferen  Gebieten 
theils  eine  sehr  reichliche  Entwicklung  dichten  zellenarmen  Binde¬ 
gewebes,  theils  ausgedehnte  hämorrhagische  Veränderungen  zeigt. 

Prof.  v.  Hacker  stellt  hierauf  noch  zwei  Kranke  seiner  Klinik 
vor,  welche  wegen  Magencareinom  erfolgreich  operirt  worden  waren. 

1.  Eine  51jährige  Frau,  bei  welcher  die  Gastroenteros- 
t  o  m  i  a  retrocolica  posterior  mit  dem  Murphy-Knopf 
ausgeführt  wurde. 

Es  handelte  sich  um  einen  apfelgrossen,  derbhöckerigen  Tumor 
der  Pylorusgegend  mit  typischen  Stenosenerscheinungen ;  der  Tumor 
zeigte  Verwachsungen  nach  hinten  mit  dem  Pankreas,  auch  waren 
zahlreiche  Drüsenmetastasen  vorhanden. 

Es  wurde  deshalb  keine  Resection  mehr  ausgeführt,  sondern  die 
Gastroenterostomie,  wozu  v.  Hacker  hier,  wie  immer,  die  aller¬ 
oberste  Partie  der  meist  schon  selbst  dem  Magen  anliegenden  Anfangs¬ 
schlinge  des  Jejunums  verwendete.  Der  Knopf  ging  am  19.  Tage  mit 
dem  Stuhle  ab.  In  einer  exstirpirten  Drüse  wurde  scirrhöses  Carcinom 
nachgewiesen.  Die  Kranke  hat  seit  der  am  6.  October  ausgeführten 
Operation  ihre  Beschwerden  verloren,  fühlt  sich  gesund  und  verträgt 
gewöhnliche,  nicht  zu  schwere  Nahrung. 

2.  Eine  32jährige  Frau,  bei  welcher  die  Magenresection 
n  a  c  h  der  z  w  eiten  Billrot  h’s  che»  Methode  (Resection 
combinirt  mit  Gastroenterostomie)  am  12.  October  ausgeführt  wurde. 


Schmerzen,  eonstantes  Erbrechen  nach  der  Mahlzeit,  starke  Ab 
magerung  bewogen  die  Patientin,  an  die  Klinik  zu  kommen.  Es  wurde 
starke  Gastrektasie,  sowie  eine  undeutliche  walzenförmige  Resistenz 
oberhalb  des  Nabels  nachgewiesen,  ein  Tumor  war  nicht  deutlich 
fühlbar  gewesen.  Die  Pylorusgegend  zeigte  sich  bei  der  Operation 
durch  einen  harten  höckerigen  Tumor  eingenommen,  die  Infiltration 
an  der  vorderen  Wand  bis  an  die  Serosa  reichend,  hier  zu  einer  nabel¬ 
förmigen  Einziehung  führend.  Der  Tumor  sehr  beweglich,  dagegen 
Drüsen  längs  der  kleinen  Curvatur  bis  zur  Cardia,  mehrere  auch 
im  Ligamentum  gastro-eolicum  und  an  der  grossen  Curvatur  dicht 
am  Tumor. 

Dennoch  wurde  die  technisch  verlockende  Resection  noch  aus¬ 
geführt,  da  es  ja,  selbst  wenn  die  Kranke  nicht  radical  geheilt  werden 
sollte,  für  ihr  weiteres  Wohlbefinden  von  Vortheil  erschien,  das  viel¬ 
leicht  schon  exulcerirte  oder  bald  exulcerii  ende  Carcinom  aus  dem 
Magen  zu  entfernen.  Es  wurde  zuerst  die  Gastroenterostomie  mit  dem 
Murphy- Knopf  an  einer  dem  Fundus  möglichst  nahen  Partie  der 
hinteren  Magenwand  ausgeführt,  dann  die  Resection  und  alle  genannten 
Drüsen  entfernt,  wobei  an  der  kleinen  Curvatur  bis  an  die  Cardia 
weit  über  die  Grenzen  des  Carcinoms  vorgedrungen  wurde.  Duodenum 
und  Magen  wurden  an  den  Abtrennungsstellen  umstülpt  und  für  sich 
vernäht.  Die  T  h  u  m  i  m’sche  Hebelklemme,  die  sich  kürzlich  bei 
einer  Darmresection  zur  Abquetschung  gut  bewährt  hatte,  zeigte  sich, 
am  Magen  angewendet,  nicht  so  praktisch,  indem,  trotzdem  der  Magen 
in  der  Druckfurche  mit  starker  Seide  abgebunden  und  1  cm  davon 
entfernt  abgeschnitten  worden  war,  die  Wände  auseinandergingen,  so 
dass  vor  der  Einstülpung  eine  Koche  r’sche  Naht,  alle  Schichten 
durchdringend,  angelegt  werden  musste. 

v.  Hacker  führt  in  solchen  Fällen  immer  zuerst  die  Gastro¬ 
enterostomie  aus,  da  bei  dem  auftretenden  Collaps  die  Operation  damit 
nöthigenfalls  abgeschlossen  werden  könnte.  Ferner  hält  er  es  auch 
nicht  für  zweckmässig,  nach  Mikulicz  das  Jejunum  gleich  in  den 
untersten  Winkel  der  Magenabtrennungswunde  einzunähen,  wegen  der 
Möglichkeit  der  Undichtigkeit  der  Nähte  am  Zusammenstoss  der  Occlu¬ 
sions-  und  Ringnähte. 

Die  Heilung  erfolgte  reactionslos.  Der  Tumor  erwies  sich  als 
scirrhöses  Carcinom.  Interessant  ist,  dass  in  der  grössten  Drüse  von 
der  kleinen  Curvatur  keine  carcinomatöse  Infiltration  nachgewiesen 
wurde.  Jetzt  nach  28  Tagen  befindet  sich  die  Kranke  auch  bei  ge¬ 
mischter  Nahrung  ohne  jegliche  Beschwerden,  der  Knopf  ist  jedoch 
noch  nicht  abgegangen  und  am  Röntgen-Bilde  deutlich  zu  sehen.  Es 
werden  noch  Durchleuchtungen  in  verschiedenen  Stellungen  vorge- 
nommen  werden,  um  zu  entscheiden,  ob  der  Knopf  noch  an  Ort  und 
Stelle,  oder  ob  er  in  den  Magen  gefallen  sei. 

v.  Hacker  hat  bisher  achtmal  bei  der  einfachen  Gastro¬ 
enterostomie  und  zweimal  bei  der  Combination  derselben  mit  der  Re¬ 
section  den  Murphy- Knopf  ohne  Schaden  angewandt.  In  einem  der 
Fälle,  der  vorgestellt  worden  war,  musste  der  Knopf  allerdings  nach¬ 
träglich  durch  die  Gastrotomie  entfernt  werden,  da  der  Knopf  ent¬ 
weder  nicht  fest  genug  zusammengepresst  worden  war,  oder  nach- 
gegeben  hatte. 

v.  Hacker  berichtet  hierauf  noch  kurz  über  die  G  e  s  a  m  m  t- 
resultate  der  wegen  Magenerkrankungen  an  der 
Innsbrucker  Klinik,  seit  er  dieselbe  leitet,  ausgefiih  r  t  e  n 
Magenoperationen,  abgesehen  von  den  Gastrosto¬ 
mien.  Es  sind  24  Fälle  mit  7  Todesfällen  =  25°/0.  Drei  typische 
Resectionen  (2  bei  Carcinom,  1  bei  Fibromyom)  alle  geheilt. 

Auch  fünf  von  ihm  früher  in  Wien  ausgeführte  Resectionen 
kamen  zur  Heilung. 

Dreimal  wurde  wegen  Carcinom  die  Resection  mit  der  Gastro¬ 
enterostomie  combinirt,  darunter  ein  Todesfall  =  3  3 1  a°/o-  Gastro¬ 
enterostomien  (9  wegen  Carcinom,  davon  3  gestorben  =  33V3  %, 
8  wegen  Ulcusnarben,  davon  2  gestorben  =  25"/0)  i m  Ganzen  17  mit 
5  Todesfällen  =  29-4 

In  Wien  hatte  v.  Hacker  vorher  G  Gastroenterostomien  bei 
Ulcusnarben  mit  einem  Todesfall  ausgeführt  =  1 6*6°/i> ;  die  Gesammt- 
morfalität  dabei  (14  mit  3  Exitus)  beträgt  also  2P4%. 

Ferner  ist  noch  eine  Gastrotomie  und  eine  Gastroanastomose 
bei  Sanduhrmagen  mit  operativem  Erfolge  zu  nennen. 

Dr.  Plattner  stellt  eine  52jährige  Person  vor,  welche 
wegen  eines  Bauch  tumors  an  die  chirurgische  Klinik 
kam  und  bei  näherer  Untersuchung  hermaphroditische  Ge¬ 
schlechtsverhältnisse  zeigte. 

Nach  ihren  Angaben  war  sie  in  ihrer  Jugend  als  Mädchen  er¬ 
zogen  worden  und  stand  dann  bis  zum  26.  Lebensjahre  bei  ver¬ 
schiedenen  Dienstgebern  als  Taglöhnerin  in  Arbeit.  Mit  2G  Jahren 
zog  sie  zu  ihrer  verheirateten  Schwester  und  verrichtete  dort  als  Magd 
alle  schweren  Hausarbeiten. 

Seit  einem  Jahre  leidet  sie  an  einer  Nierenentzündung  mit 
Oedemen  der  Beine. 

Bezüglich  ihres  Geschlechtslebens  gibt  die  Person  an,  sie  habe 
mehr  Neigung  zu  den  Mädchen,  habe  aber  in  der  Erkenntniss  ihrer 


Nr.  6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  1900, 


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abnormen  Geschlechtsverhältnisse  niemals  sexuelle  Annäherung  gesucht  | 
oder  intimeren  Umgang  gepflegt.  In  Gesellschaft  von  Mädchen  sei  ihr 
zuweilen  das  „Glied  steif  geworden“  und  eine  weissliche,  zähe, 
schleimige  Flüssigkeit  aus  den  Geschlechtstheilen  ausgetreten.  Men¬ 
struation  oder  substituirende  periodisch  wiederkehrende  Beschwerden 
habe  sie  niemals  gehabt. 

Die  somatische  Untersuchung  ergibt:  Hochgewachsene  Person 
mit  männlichem  Habitus;  Gesicht  mit  scharfgeschnittenen  Zügen  eines 
Mannes,  Kinn  und  Backen  behaart.  Haupthaar  nach  rückwärts  in 
einen  schmächtigen,  25  cm  langen  Zopf  geflochten,  Scheitel  schütter 
behaart.  Kehlkopf  prominent,  Stimme  männlich  tief.  Thorax  kräftig 
gebaut,  von  den  Schlüsselbeinen  bis  zu  den  Rippenbogen  behaart; 
Brüste  klein,  ohne  fühlbare  Drüsensubstanz.  Beckenmasse  männlich, 
Schamhaare  bis  zum  Nabel. 

ln  den  äusseren  Geschlechtstheilen  zeigt  sich  ein  0  cm  langer 
hypospadischer  Penis  mit  wohlgebildeter  Glans  und  entsprechendem 
Präputium.  Die  beiden  labienartigen,  dunkel  pigmentirten  Geschlechts¬ 
falten  legen  sich  nach  Aid  eines  Scrotums  zusammen  und  gehen  an 
ihrer  Medialseite  mit  einer  glatten  Fläche  in  die  7  cm  lange  Urethral- 
rinne  über.  Diese  reicht  von  der  Spitze  der  Glans  bis  zum  Orificium 
urethrae,  unter  welchen  ein  circa  10  mm  weiter  Introitus' vaginae  mit 
kreisförmigem  Hymen  sich  befindet.  Durch  Sondirung  lässt  sich  eine 
(5  cm  lange,  anscheinend  circa  2  cm  breite  Vagina  feststellen.  In  den 
Geschlechtsfalten  ist  kein  hodenartiges  Organ  zu  tasten. 

Die  Extremitäten  männlich  knorrig,  die  unteren  beträchtlich 
ödematös.  Durch  Percussion  und  Palpation  Hess  sich  ein  in  der  rechten 
Fossa  iliaca  aufsitzender,  kopfgrosser,  wenig  beweglicher  Tumor  nach- 
weisen,  der  im  Allgemeinen  solid  erschien,  au  seiner  oberen  Kuppe 
aber  den  Eindruck  theilweher  Fluctuation  machte.  Per  rectum  ist  auf 
Fingerlänge  nach  vorne  oben  ein  rundliches,  etwa  1  ’/2  cm  dickes, 
derberes  Gebilde  zu  tasten,  das  der  Portio  uteri  entsprechen  dürfte; 
ein  prostataartiges  Organ  konnte  nicht  gefunden  werden. 

Verbreiterung  der  Herzdämpfung,  abnorm  gespannter  Radial¬ 
puls;  Harn  enthält  3 */2°/oo  Albumin. 

Die  Diagnose  lautete  daher  auf  chronische  Nephritis,  malignen 
Bauchtumor,  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  ausgehend  von  der  rechts¬ 
seitigen  Geschlechtsdrüse. 

Bei  der  am  24.  August  von  Dr.  Stur  m  ausgeführten  Lapa¬ 
rotomie  war  die  Narkose  wiederholt  durch  bedenkliche  Herzschwäche 
unterbrochen.  Eröffnung  der  Bauchdecken  vom  Nabel  bis  gegen  die 
Symphyse.  Nach  Lösung  einiger  vorderer  peritonealer  Adhäsionen 
wurde  der  Tumor  mühsam  aus  dem  kleinen  Becken  herausgehebelt. 
Unterbindung  und  Durchtrennung  des  nunmehr  zugänglichen,  G  cm 
langen,  dünnen  Stieles.  Nach  Entfernung  des  Tumors  sah  man  im 
Becken  einen  wohlgebildeten  Uterus,  von  dem  nach  beiden  Seiten  ein 
breites  Mutterband,  nach  links  auch  eine  Tube  mit  normal  entwickeltem 
abdominalem  Ende  ausging.  Unter  diesem  lag  ein  ovales,  flaches,  2  cm 
langes,  ovarienähnliches  Organ,  das  au  seiner  Oberfläche  mehrfache 
leichte  Unebenheiten  zeigte.  Weder  rechts  noch  links  konnte  ein  hoden¬ 
artiges  Gebilde  gefunden  werden. 

Leider  musste,  als  man  eben  daranging,  die  bei  dem  vorgerückten 
Alter  der  Person  ohne  Nachtheile  entbehrliche,  für  die  Geschlechts¬ 
diagnose  aber  entscheidende  linke  Keimdrüse  zu  exstirpiren,  dies  Vor¬ 
haben  wegen  bedenklichen  Herzcollapses  aufgegeben  und  durch  eiligen 
Verschluss  des  Abdomens  und  weitere  Massnahmen  einem  letalen  Aus¬ 
gange  der  Operation  vorgebaut  werden. 

Der  exstirpirte  Tumor  erweist  sich  mikroskopisch  als  Rund¬ 
zellensarkom.  An  seiner  Hinterfläche,  fest  mit  dor  Kapsel  verwachsen, 
liegt  die  rechte  Tube  mit  ihrem  abdominalen  Ende  nach  oben  ge¬ 
schlagen,  hart  daran  ein  bohnenförmiges  Gebilde,  das  nach  einer  flüch¬ 
tigen  mikroskopischen  Untersuchung  vielleicht  als  Parovarium  anzu¬ 
sprechen  wäre,  und  auf  weiblichen  Geschlechtscharakter  des  Individuums 
hindeuten  würde. 

Selbstverständlich  wird  es  weiterhin  nöthig  sein,  den  Tumor  aufs 
Genaueste  in  seinen  verschiedenen  Theilen  mikroskopisch  zu  unter¬ 
suchen;  denn  nur  so  wird  es,  wenn  überhaupt,  möglich  sein,  Anhalts¬ 
punkte  zu  linden,  ob  die  in  den  Tumor  vielleicht  vollständig  aufge¬ 
gangene  Geschlechtsdrüse  weiblich  oder  männlich  gewesen  ist. 

Die  Person  ist  nunmehr  von  ihrer  Bauchgeschwulst  und  dem 
operativen  Eingriffe  geheilt  und  drängt,  nach  Hause  entlassen  zu 
werden.  Jedenfalls  ist  es  geboten,  den  Fall  auch  weiterhin  im  Auge 
zu  behalten  und  wird  eine  officielle  Veröffentlichung  erst  dann 
erfolgen,  wenn  die  Untersuchung  zu  endgiltigen  Ergebnissen  geführt  hat. 

Discussion:  Prof.  Ehrendorfer:  Es  ist  Ihnen  bekannt, 
dass  ein  einwandsfrei  erwiesener  Fall  von  wirklichem  Hermaphrcditismus 
beim  Menschen  nicht  existirt.  Auch  beim  sogenannten  Pseudoherma¬ 
phroditismus  konnte  bisher  meist  nur  das  einfache  Geschlecht  und  in 
der  weitaus  grössten  Zahl  der  Fälle  das  männliche  Geschlecht  fest¬ 
gestellt  werden.  Interessant  ist  es  beim  biehergehörigen,  eben  vor¬ 
gestellten  Falle,  den  ich  zum  ersten  Male  sehe,  dass  durch  die 
Laparotomie,  die  wegen  einer  Bauchgeschwulst  unternommen  wurde, 
der  Nachweis  eines  gut  gebildeten  Uterus  und  von  Tuben  geliefert 


weiden  konnte,  und  dass  eine  Geschwulst  entfernt  wurde,  welche  einer 
der  kranken  Keimdrüsen  entsprach.  Schade,  dass  die  Wegnahme  der 
zweiten,  anscheinend  gesunden  Keimdrüse,  wie  wir  von  Dr.  Plat  tu  er 
hörten,  unterbleiben  musste,  da  an  dieser  wohl  mit  Entschiedenheit 
hätte  erkannt  werden  können,  ob  es  ein  Hode  oder  ein  Eierstock  ist, 
somit  ob  die  vorgestellte  Person  als  Mann  oder  als  Weib  zu  betrachten 
sei.  Die  Vermuthung  des  Vortragenden,  dass  es  sich  um  einen  weib¬ 
lichen  Scheinzwitter  in  diesem  Falle  handle,  kann  ich  nicht  theilen. 
Abgesehen  davon,  dass  der  ganze  Habitus  des  Individuums,  als  Bart¬ 
wuchs,  Mangel  der  Brüste,  Behaarung  des  Thorax  und  der  Schenkel, 
sowie  auch  die  Stimme,  den  Gesammteindruck  einer  eher  männlichen 
Person  macht,  findet  man,  dass  das  äussere  Genitale  die  gewöhnlichen 
Merkmale  eines  männlichen  Hypospadiacus  an  sich  tiägt.  Der  penis¬ 
artig  aussehende  lange  Geschlechtshöcker  mit  so  deutlich  ausgebildeter 
Glans,  die  deutliche  Corona  glandis,  das  weit  zurückstreifbare,  gut 
entwickelte  Präputium  —  neben  der  Angabe  des  Vortragenden,  dass 
das  Individuum  niemals  menstruirt  worden  sei,  wohl  aber  dass  laut 
Anamnese  bei  sexueller  Erregung  eine  trübliehe  Flüssigkeit  aus  dem 
Genitale  sich  abgesondert  haben  soll  —  sprechen  eher  für  das  männliche 
Geschlecht.  Daran  ändert  nichts  das  Voihandensein  gut  entwickelter 
M  ü  1 1  e  r’scher  Gänge,  also  einer  Scheide,  des  Uterus  und  der  Tuben. 

Die  entfernte  Geschwulst  sieht  eher  einem  vergrösserten  Hoden 
mit  dem  in  einen  Tumor  verwandelten  Nebenhoden,  als  einer  Ovarial- 
Geschwulst,  ähnlich,  was  eine  genaue  Untersuchung  des  Tumors  viel¬ 
leicht  klarlegen  dürfte.  Das  zweite,  in  der  Bauchhöhle  zurück  gelassene 
Gebilde  konnte  ebenso  ein  Hoden,  wie  der  Eierstock  gewesen  sein.  Es 
ist  nichts  darüber  gesagt  worden,  ob  etwas  von  einer  Prostata  per 
rectum  gefühlt  worden  wäre,  ob  ein  Blindsack  an  der  hinteren  Wand 
der  Harnröhre  gefunden  worden,  der  nach  neueren  Autoren  einen 
weiteren  Annahmegrund  für  das  männliche  Geschlecht  gebildet  hätte. 

Wenn  auch  derartige  Fälle  an  der  lebenden  Person  mit  ent¬ 
sprechender  Vorsicht  endgiltig  zu  beurtheilen  sind  und  weder  der  Vor¬ 
tragende  noch  auch  ich  einen  untrüglichen  Beweis  für  das  Geschlecht 
des  vorgestellten  Individuums  vorläufig  erbringen  können,  so  hat  es 
doch  auf  der  Basis  des  Gesammtbefundes  und  unserer  Erfahrungen 
eine  wesentliche  praktische  Bedeutung,  sich  im  speciellen  Falle  hin¬ 
sichtlich  des  Geschlechtes  zu  entscheiden.  Hier  scheinen  mir  die  vor¬ 
handenen  Zeichen  zu  genügen,  um  auf  Grund  derselben  und  der 
sonstigen  Ergebnisse  der  darüber  angestellten  Untersuchungen  anzu¬ 
nehmen,  dass  in  diesem  Falle  Alles  eher  für  ein  männliches  als  für 
ein  weibliches  Individuum  spricht. 

Prof.  Rille  erkundigt  sich  nach  dem  Vorhandensein  von 
B  a  r  t  h  o  1  i  n’schen  Drüsen,  beziehungsweise  deren  Mündungen. 

Bei  der  gleich  darauf  untersuchten  Person  finden  sich  keine 
Spuren  von  Nymphen,  ebenso  auch  keine  Andeutung  von  B  a  r  t  h  o  1  i  ri¬ 
schen  Drüsen  vor,  dagegen  konnte  bei  der  Betastung  der  schamlippen¬ 
artigen,  äusseren  Hautwülste  eine  deutliche,  durch  Muskelcontraction 
bedingte  Schrägfaltung  an  ihrer  Oberfläche,  die  eine  Aehnlichkeit  mit 
gleichen  Erscheinungen  an  einer  Tunica  dartos  unverkennbar  trug, 
constatirt  werden. 

Prof.  Rille  demonstrirt  einen  27jährigen  Kranken  mit 
Lupus  vulgaris  in  nicht  gewöhnlicher  Ausdehnung. 
Die  Krankheit  soll  bereits  im  ersten  Lebensjahre  am  rechten  Unter¬ 
schenkel,  linken  Ober-  und  rechten  Vorderarme  begonnen  haben,  im 
Alter  von  acht  Jahren  trat  die  Affection  der  Ohrmuschel  und  die.  der 
anderen  Körperstellen  hinzu.  Er  machte  auch  antiluetische  Curen  durch 
und  befand  sich  1S85  an  der  hiesigen  dermatologischen  Klinik,  ans 
welcher  Zeit  zwei  vom  Vortragenden  vorgewiesene  photographische 
Aufnahmen  stammen,  die  mehr  als  ein  Drittel  des  linken  Oberarmes 
und  rechten  Unterschenkels  von  einem  typischen,  diffus  verbreiteten 
Lupusinfiltrat  (Lupus  exfoliativus)  eingenommen  zeigen.  Im  Jahre  1891 
stand  er  in  Wörishofen  in  Behandlung  und  soll  angeblich  fast 
völlig  genesen  sein.  Gegenwärtig  sind  das  Gesicht  sowie  beide 
Ober-  und  Unterextremitäten  in  ausgedehntem  Masse  befallen.  Die 
rechte  Gesichtshälfte,  zumal  die  Parotisgegend  gleichwie  die  Ohr¬ 
muschel,  sind  in  weitem  Umkreise  Sitz  eines  einzigen  Herdes  von 
braunrolher  Farbe,  der  am  Kieferwinkel  auch  auf  den  Hals  übergreift;  die 
Randpartien  sind  aufgeworfen  und  mit  einem  breiten,  höckerigen 
Krustensaume  versehen,  unter  welchem  das  Gewebe  geschwiirig  zer¬ 
fallen  ist.  Die  centralen  Tlieile  dieses  Plaque  sind  diffus  narbig,  glatt 
und  enthalten  vielfache  Lupusknötchen  eingesprengt.  Die  Ohrmuschel 
ist  in  toto  bis  in  den  äusseren  Gehörgang  hinein  befallen,  die  Ilaut- 
bedeckung  derselben  in  eine  gespannte,  glänzende,  stark  verdünnte 
Narbe  verwandelt,  welche  allenthalben  den  beträchtlich  rareficirten Knorpel 
durchschimmern  lässt  und  von  lupösen  Infiltraten  durchsetzt  ist.  Ein 
zweiter  grosser  Herd  zieht  vom  linken  Sternoclaviculargelenk  über  die 
Schulter  und  den  Oberarm,  bis  unterhalb  des  Ellbogens;  drei  Viertel 
desselben  bestehen  aus  eine)1  diffusen,  hellweissen,  gerunzelten  Narbe, 
welche  von  Knötchen  und  Knoten  in  grösserer  Zahl  durchzogen  ist,  an 
der  Peripherie  ein  fingerbreites  Infiltrat,  das  serpiginüs  weiterschreitet. 
Die  gleiche  Serpiginosität  zeigt  gemäss  dem  Charakter  des  Ex¬ 
tremitätenlupus  ein  weiterer  Krankheitsherd,  welcher  den  rechten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Vorderarm  gut  zur  Hälfte  einnimmt  und  ein  vierter  besonders  grosser, 
der  vom  unteren  Drittel  des  rechten  Oberschenkels  bis  auf  den  Fuss- 
riicken  reicht  und  die  ganze  Circumferenz  der  Extremität  betrifft ; 
namentlich  dieser  letztere  ist  durch  ganz  excessive  Krustenbildung 
ausgezeichnet.  In  der  Gegend  des  Sprunggelenkes  beginnende  elephan- 
tiastische  Verdickung,  ferner  zeigen  die  nächststehenden  Lupusherde 
papilläre  Wucherungen  und  drüsig- warzige  Excrescenzeu  (Lupus 
verrucosus  s.  papillaris  hypertrophicus). 

Die  operative  Behandlung  mittelst  totaler  Exstirpation  und 
nachfolgender  T  h  i  e  r  s  c  h’scher  Transplantation  stösst  jedenfalls  auf 
Schwierigkeiten  wegen  der  besonderen  Ausdehnung  der  Krankheits¬ 
erscheinungen;  im  Gesichte,  wo  sie  am  ehesten  auszuführen  wäre,  ist 
sie  erschwert  durch  den  Befund  am  Ohre. 

Dr.  v.  Wunsch  he  im  demonstrirt  eine  kleine  Sammlung 
von  Schutzbrillen,  welche  längere  Zeit  in  den  Eisen-  und  Stahl¬ 
werken  von  Böhler  (Wien)  in  Verwendung  standen.  Die  mit  bei 
der  Arbeit  abgeschleuderten  Eisensplitterchen  übersäeten  Brillengläser 
beweisen  mehr  als  theoretische  Auseinandersetzungen  den  hohen  Werth, 
welchen  das  Tragen  von  Schutzbrillen  bei  diesem  Arbeitsbetriebe  besitzt. 

Prof.  Lode  beginnt  seinen  Vortrag  „Ueber  die  Ausschei¬ 
dung  der  Kohlensäure  bei  wiederholten  kalten 
Bädern“,  unterbricht  ihn  aber  wegen  vorgerückter  Stunde. 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft« 

Sitzung  vom  Januar  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer:  Kreibich. 

Ehr  mann  demonstrirt  einen  Fall  von  Leukoderma  bei  einem 
Lastträger  und  verweist  auf  die  Beziehungen  des  Sonnenlichtes  auf  Pig- 
mentationen  des  Körpers  und  auf  Entstehung  des  Leukoderma.  Neumann 
hat  Aelmliches  gesehen  bei  Frauen,  die  gefelderte  Spitzenkleider  tragen. 

Kaposi  gesteht  den  Einfluss  der  Sonnenstrahlen  auf  die  Pigment¬ 
bildung  im  Allgemeinen,  negirt  jedoch  dieselbe  für  das  Zustandekommen 
der  Leukodermatlecke  und  bringt  als  Beweis  dafür  das  häufige  Auf¬ 
treten  der  Vitiligo  bei  dunkel  pigmentirten  Personen  und  den  Pigment¬ 
verlust  in  der  Umgebung  von  Naevis. 

Ehr  mann  meint  jedoch,  dass  trotzdem  die  Belichtung  bei  der 
Pigmentvertheilung  eine  Rolle  spiele,  darauf  hinweisend,  dass  der  Stand 
der  Pigmentgrenze  am  Halse  ein  verschiedener  ist  bei  Männern  und 
bei  Frauen.  Neumann  hebt  nochmals  den  Einfluss  äusserer  Reize, 
sowie  anderer  Umstände  (maculöses  oder  papulöses  Syphilid)  hervor. 

Spiegier  stellt  vor  eine  24jährige  Patientin  aus  dem  Franz 
Josefs-Ambulatorium  mit  Elephantiasis  teleangiectodes  (Virchow), 
sich  präsentirend  als  kindsfaustgrosser,  teigig  infiltrirter,  von  Teleangie- 
ektasien  durchzogener  Herd.  Kaposi  ist  der  Ansicht,  dass  es  sich  hier 
wegen  Mangel  von  grossen  Gefässen,  die  Virchow  als  charakteristisch 
hervorgehoben  hat,  um  eine  Elephantiasis  congenita  molusciformis  handelt. 

Nobel  demonstrirt  einen  Fall  von  Gummabildung  am  harten 
Gaumen  mit  eariöser  Zerstörung  des  rechten  Alveolarfortsatzes  bei  einem 
24jährigen  Patienten,  der  vor  etwa  fünf  Jahren  mit  Ueberstreichungen 
behandelt,  späterhin  keine  Erscheinungen  zeigte,  bis  vor  drei  Monaten 
genannte  Ulceration  aus  einem  kleinen  Knötchen  sich  entwickelte. 

Neumann  demonstrirt:  1.  Einen  Fall  von  gruppirten  Gummata 
cutanea  bei  einem  33jährigen  Schlosser,  dessen  Infection  seit  1888 
datirt.  Localisation  am  Unterschenkel,  Oberschenkel,  Vorderarm,  sowie 
Crena  ani.  2.  Einen  37jährigen  Kranken  mit  Syphilis  maligna  praecox, 
der  im  vorigen  Jahre  Syphilis  aquirirte,  40  Einreibungen  machte  und 
gegenwärtig  luetische  Geschwüre  in  der  Scapulargegend,  am  Rücken 
und  an  den  Vorderarmen  von  verschiedener  Grösse  aufweist.  3.  Einen 
47jährigen  Kranken  mit  einem  serpiginösen  Syphilid  am  Scrotum,  das 
auf  20  Jahre  zurück  datirt.  Nebstdem  zeigt  derselbe  Psoriasis  mucosae 
oris.  4.  Einen  22jährigen  Kranken  mit  einer  frischen  Eruption  von 
Psoriasis  vulgaris.  5.  Ein  maculösesCopaivexanthem  bei  einem 
mit  acuter  Urethritis  behafteten  32jährigen  Individuum.  0.  Liehen 
ruber  planus  universalis,  der  nach  74  lujectionen  von  Natrium  caco- 
dylicum  rückgebildet  erscheint.  7.  Ein  27jähriges  Mädchen  mit  extra¬ 
genitaler  Sklerose  am  Zahnfleisch  und  einem  maculo-papulösen 
Syphilid.  Schwellung  der  Submentaldrüsen.  8.  Ein  ulceröses  Früh¬ 
syphilid  im  Gesichte  bei  einem  22jährigen  Kranken,  der  vor  drei 
Monaten  sich  inficirt  hatte.  9.  Ein  papulöses  Syphilid  bei  einer 
20jährigen  Näherin.  Universelle  Ausbreitung.  10.  Ein  lOjähriges  Kind 
mit  einem  Lupus  vulgaris.  11.  Lupus  erythematodes  an  der 
Nasenspitze  eines  1  ljährigen  Mädchens.  12.  Ein  25jähriges  Dienstmädchen 
mit  Lupus  vulgaris  des  Gesichtes,  des  harten  und  weichen  Gaumens, 
des  Zahnfleisches,  sowie  scrophulösen  Narben  am  Unterkiefer.  13.  Ein 
serpiginöses  Syphilid  am  rechten  grossen  Labium,  das  bis  zur 
Clitoris  ausgebreitet  erscheint  und  bis  jetzt  unbehandelt  blieb. 

Matzen  au  er  demonstrirt  aus  der  Klinik  Neumann: 

1.  Einen  öljährigen  Mann  mit  einem  gangränösen  Geschwür 
an  der  Glans  penis,  das  den  Penisschwellkörper  und  das  Vorhaut¬ 
blatt  zum  Theile  ergriffen  hat.  Matzeuauer  verweist  auf  den  Unter¬ 


schied  dieser  durch  die  centrale  Nekrose  steil  abfallenden  Ränder, 
sowie  das  Vorhandensein  entzündlicher  Erscheinungen  in  der  Umgebung 
charakterisirter  primärer,  gangränöser  Geschwüre  von  cyklisch  ver¬ 
laufendem  Ulcus  venereum,  zu  dem  ebenso  wie  zur  Sklerose  secundäre 
Gangrän  sich  hinzugesellen  kann.  Matzeuauer  weist  hin  auf  das 
rapide  Fortschreiten  dieser  Geschwürsart,  ihre  Aebnlichkeit  mit  der 
Gangraena  nosocomialis,  ihr  rasches  Abheilen  unter  antiseptischen  Cau- 
telen.  Auch  hat  Matzeuauer  in  neun  von  ihm  auf  der  Klinik  Neu¬ 
mann  beobachteten  Fällen  sowohl  im  Secrete,  als  auch  im  noch  ent¬ 
zündeten  Gewebe  eine  ganz  bestimmte  Bacillenart  vorwiegend  vor¬ 
gefunden.  Matzeuauer  demonstrirt  dieselben.  Ehrmann  bestätigt 
Matzenauer’s  Befunde  und  will  pustulöse  Exantheme  nach  gan¬ 
gränösen  Geschwüren  gesehen  haben.  Finger  erinnert  an  ähnliche 
Befunde,  die  in  der  Literatur  niedergelegt  sind. 

2.  Fall  von  P  a  g  e  t’s  disease  in  Form  eines  flachhandgrossen 
nässenden  Geschwüres  um  die  rechte  Mamilla,  welch  letztere  selbst 
knotig-erhaben  in  die  Wundfläche  aufgegangen  erscheint.  Im  Mamma¬ 
gewebe  selbst  ein  nussgrosser  Knollen  tastbar.  Axilla  frei. 

Matzeuauer  erinnert  an  das  Krankheitsbild  und  weist  auf 
die  Differentialdiagnose  zwischen  demselben  einerseits  und  Ekzem, 
Gumma  und  Ulcus  rodens  andererseits. 

Kaposi  meint,  dass  ein  als  irrthümlich  erkannter  Krankeits- 
begritf  nicht  weiter  fortzuführen  sei  und  obige  Krankheit  als  ein  ein¬ 
faches  chronisches  Ekzem  aufzufassen  sei,  bei  dem  ebenfalls  die  Mamilla 
knotig  erhaben  sein  kann. 

Neumann  theilt  ebenfalls  Kaposi’s  Ansicht. 

3.  Einen  17jährigeu  Kranken  mit  Röntgen -Dermatitis 
nach  Behandlung  eines  Gesichtslupus. 

Loewenbach  demonstrirt  einen  Fall  von  Sycosis  para¬ 
sitaria  (Granulome),  bei  dem  es  ihm  leicht  gelungen,  Trochopbyton- 
pilze  zu  züchten.  (Demonstration  derselben.) 

Kaposi  stellt  vor:  1.  Lues  ulcerosa  bei  einer  49jährigen 
Frau  in  Form  eines  handbreit  über  dem  Kniegelenke  localisirten,  thaler- 
grossen  Geschwüres,  das  eine  Tiefe  von  10  cm  aufweist  und  eine  1/%  cm 
breite  Inflltrationszone  erkennen  lässt.  2.  Pemphigus  vulgaris 
serpiginosus  bei  einer  47jährigen  Frau,  die  drei  Monate  bereits 
leidet,  vor  drei  Wochen  in  gebessertem  Zustande  die  Anstalt  verlassen 
hat  und  gegenwärtig  hauptsächlich  an  beiden  Vorderarmen,  Vorder-  und 
Unterschenkel  kleine,  in  serpiginösen  Kreisen  angeordnete,  theils  von 
hellen,  theils  eiterigem  Inhalte  gefüllte  Bläschen  zeigt.  Die  Centren  der 
Kreise  und  Halbkreise  weisen  fleckenartige  Pigmentationen  auf.  3.  Ein 
Fall  von  Varicellen  bei  einem  26jährigen  Bäcker  von  universeller 
Ausbreitung.  Da  die  einzelnen  Efflorescenzen  deutlich  centrale  Nekrose 
zeigen  ohne  besondere  entzündliche  Erscheinungen,  so  sehen  viele  der 
Efflorescenzen  der  Acne  necroticans  ähnlich.  4.  Pemphigus  f  o  1  i  a- 
ceus  bei  einer  50jährigen  Patientin  von  sechswöchentlicher  Dauer  und 
wesentlicher  Localisation  im  Gesichte,  Halse,  Thorax.  Wirkliche  Blasen 
sind  nur  sehr  spärlich  im  Gesichte  und  am  Thorax  vorhanden.  5.  Sklero¬ 
dermie  bei  einer  53jährigen  Patientin  —  von  einjähriger  Dauer.  Der 
ganze  Oberkörper  der  Patientin,  und  zwar  sowohl  Thorax  als  Rücken 
von  diffusen,  unregelmässig  begrenzten,  theils  pigmentirten,  theils  aber 
hell  glänzenden,  deutliche  Arrophie  zeigenden  Herden  eingenommen, 
zwischen  diesen  solche  mit  verdickter  turgescirender  Haut.  Analoge 
Herde  in  Form  von  breiten  Streifen  an  der  rechten  Tibia  sichtbar.  Die 
Haut  der  letzteren  fest  dem  Knochen  anliegend.  Die  Haut  der  Vorder¬ 
arme  mehr  das  Bild  einer  Atrophia  cutis  idiop.  zeigend. 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  9.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Ilofrathes  Chrobak 

stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1 .  Administrative  Sitzung. 

1.  Rechenschaftsbericht  des  Vermögensverwalters  pro  1899. 

2.  Genehmigung  des  Präliminares  pro  1900. 

2.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

1.  Docent  Dr.  K.  Herzfeld:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Enteroptose. 

2.  Docent  Dr.  Max  Herz:  Die  heilgymnastische  Behandlung  von 
Erkrankungen  des  Centralnervensystems. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Docent  Dr.  Kretz,  Professor 
A.  Politzer,  Prof.  Benedikt,  Prof.  Weinlechner,  Dr.  J.  Thenen, 
Dr.  A.  Pilcz,  Dr.  R.  Oller,  Hofrath  Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent 
Dr.  Habart  und  Dr.  A.  Julies.  Bergmeister.  Pal  tauf. 

Wiener  medicinisehes  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  12.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends. 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothenthurmstrasse  2123 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  v.  Redet* 

statt  findenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Docent  Dr.  Otto  Zuckerkaildl :  Verdauungsstörungen  bei  chronischer 
Harnverhaltung. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumiiller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Sehauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  G-ussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Nensser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Äerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof»  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 


®  ■  © 

Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


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Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
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nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
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i  zeile  berechnet.  Grössere 
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Telephon  Nr.  6094. 


XIII.  Jahrgang.  Wien,  15.  Februar  1900. 


Hr.  7. 


X  1ST  HEU  -A.  I_i  T  : 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  Maltafieber.  Von  Dr.  Alfred  Brunner, 
Triest. 

2.  Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Dr. 
E.  Ne  u  s  B  e  r  in  Wien.  Beitrag-  zur  Kliuik  der  Land  r  y ’sehen 
Paralyse  mit  besonderer  Berücksichtigung-  ihrer  Bacteriologie  und 
Histologie.  Von  Dr.  Julius  Kapper,  k.  und  k.  Regimentsarzt. 

3.  Aus  dem  Ambulatorium  für  Nasen-  und  Halskrankheiten  des  Prof. 
Dr.  O.  Chi  a  r  i  an  der  Wiener  Allgemeinen  Poliklinik.  Ueber 
Speichelsteinbildung.  Von  Dr.  Friedrich  Hanszel,  Assistent. 

4.  Zur  Krankenhausfrage.  Von  A.  F. 


II.  Referate:  I.  Insufficienz  (Schwäche)  des  Herzens.  Von  Prof.  Dr.  Th. 
v.  J  ü  r  g  e  n  s  e  n,  II.  Erkrankungen  der  Gefässe.  Von  Prof.  L. 
v.  Schrötter.  Referent  II  e  r  z.  —  Lehrbuch  der  diätetischen 
Therapie  chronischer  Krankheiten  für  Aerzte  und  Studirende.  Von 
Docent  Dr.  R.  K  o  1  i  s  c  h.  Referent  E.  Schütz.  —  Technik  und 
Verwerthung  der  R  ö  n  t  g  e  n’schen  Strahlen  im  Dienste  der  ärzt¬ 
lichen  Praxis  und  V\  issenschaft.  Von  Dr.  O.  Büttner  und 
Dr.  K.  Mülle  r.  Referent  Kienböck. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Notizen. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


lieber  Maltafieber. 

Von  Dr.  Alfred  Brunner,  Triest.  *) 

Im  September  des  Jahres  1897  machte  mich  Professor 
A.  E.  Wright  gelegentlich  eines  Besuches  seines  pathologi¬ 
schen  Laboratoriums  und.  des  Marinespitales  in  Netley,  auf 
die  Möglichkeit  aufmerksam,  in  unseren  Gegenden  Fälle  von 
Maltafieber  anzutreffen.  Seit  jener  Zeit  suchte  ich  nun  ver¬ 
gebens  in  Triest  nach  dieser  Krankheit ;  trotz  des  so  grossen 
Materials  unseres  Civilspitals  (wir  hatten  im  Jahre  1899  z.  B. 
eine  Aufnahme  von  13.850  Kranken)  und  obwohl  viele  Pa¬ 
tienten  aus  Istrien,  Dalmatien,  Albanien  und  anderen  Küsten¬ 
ländern  des  Adriatischen  und  Mittelländischen  Meeres  zugereist 
kamen,  war  es  mir  nicht  möglich,  einen  einzigen  Fall  aufzu¬ 
finden.  Wohl  hatte,  als  Erster  in  Oesterreich,  Privatdocent 
Dr.  Kretz* 2),  Prosector  am  Franz  Josef-Spitale  in  Wien,  im 
December  des  Jahres  1897  einen  Fall  von  Maltafieber  nach¬ 
träglich  -durch  die  Agglutination  des  Micrococcus  melitensis 
diagnosticirt;  jedoch  hatte  der  Patient,  ein  junger  Wiener  Arzt, 
die  Krankheit  aus  Ajaccio  mitgebracht.  Ferner  machte  mir 
Primararzt  Dr.  v.  Manussi,  Präsident  des  Triester  Kranken¬ 
hauses,  freundlichst  von  einem  Fall  von  Maltafieber  Mittheilung, 
welcher  aus  Athen  zugereist  kam  und  bei  welchem  die  Diagnose 
von  Hofrath  Prof.  N  e  u  s  s  e  r  gestellt  und  von  Docent  Doctor 
Ghon  durch  die  Serumreaction  bestätigt  worden  war.  Der 
betreffende  Patient  kam  im  Juli  des  Jahres  1898  in  Triest  an 
und  hatte  continuirliches  Fieber  mit  Abendtemperaturen 
zwischen  38  und  39°  und  zwei-  bis  dreitägigen  fieberfreien 
Intervallen.  Im  Monat  August  fuhr  Patient  nach  Reichenau 
und  blieb  dort  eine  Woche  lang  fieberfrei,  worauf  er  einige 
Tage  hindurch  neuerdings  höhere  Abendtemperaturen  hatte. 
Ausser  einer  mässig  vergrösserten  Milz  war  kein  objectiver 

9  Nach  einem  in  der  Triester  ärztlichen  Gesellschaft  gehaltenen 
Vor  trage. 

2)  R.  Kretz,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  49. 


Befund  nachweisbar.  Während  des  September  blieb  der  Kranke 
fast  stets  fieberfrei,  dagegen  hatte  er  im  October  öfters  Fieber- 
anfälle  und  erkrankte  Ende  jenes  Monates  auch  an  Epididy¬ 
mitis,  welche  zwei  Wochen  lang  andauerte.  Hierauf  fuhr 
Patient  nach  Athen  zurück;  er  war  fieberfrei,  wurde  jedoch 
während  der  Fahrt  von  massigem  Fieber  befallen.  In  Athen 
blieb  er  zwei  bis  drei  Wochen  lang  apyretisch,  im  December 
jedoch  fieberte  er  wieder  und  hatte  bis  zum  Februar  1899  in 
grösseren  oder  geringeren  Zwischenräumen  stets  wieder  Fieber. 
Seit  jener  Zeit  blieb  er  aber  vollkommen  vom  Fieber  verschont 
und  war  auch  im  Sommer  1899  wieder  in  Triest,  wobei  er 
angab,  sich  ganz  wohl  zu  fühlen.  Von  seiner  langen  Krankheit 
waren  ihm  nur  Muskelschmerzen,  massige  Anämie  und  Mattig¬ 
keit  zurückgeblieben. 

Der  erste  Fall  von  Maltafieber,  welcher  die  Krankheit 
in  Oesterreich  acquirirt  hat,  ist  jedoch  der  dritte,  dessen 
Krankengeschichte  folgende  ist: 

P.  M.  27  Jahre  alt,  Maurer  aus  Udine,  wurde  am  4.  December 
1899  im  Spitale  aufgenommen  ;  Patient  war  per  Dampfer  aus  Dal¬ 
matien  angelangt. 

Aus  der  Anamnese  war  zu  entnehmen,  dass  die  Eltern  des 
Patienten  leben  und  gesund  sind.  Ein  Bruder  starb  wahrscheinlich 
an  Phthise. 

Patient  hat  keine  Kinderkrankheiten  durchgemacht.  Im  Alter 
von  zwölf  Jahren  überstand  er  Muskelrheumatismus,  mit  19  Jahren 
erkrankte  er  in  Hermannstadt  an  Typhus.  Zwei  Jahre  später  war  er 
in  Bukarest,  wo  er  von  Fieber  befallen  wurde,  welches  drei  Tage 
andauerte;  er  nahm,  ohne  einen  Arzt  zu  befragen,  5 g  Chinin  und 
genas.  Im  Jahre  1898  war  Patient  beim  Bau  einer  Eisenbahn  in 
Kärnten  beschäftigt  und  bekam  während  eines  Streites  einen  Messer¬ 
stich  in  die  linke  Rückenseite  unterhalb  der  zehnten  Rippe;  er  wurde 
nach  Wolfsberg  in  das  Spital  gebracht  und  blieb  dort  zwölf  Tage. 
Zuletzt  arbeitete  er  in  Süddalmatien  beim  Baue  einer  Eisenbahn  von 
Gabela  nach  Trebinje.  Dort  schlief  er  zusammen  mit  90  anderen  Ar- 


150 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


beitern  in  einer  Holzbarake  auf  der  blossen  Erde.  Am  1.  October  1899 
wurde  er  von  heftigem  Fieber  mit  massigem  Kopfweh  befallen, 
welches  durch  neun  Tage  anhielt;  ausser  dem  Fieber  hatte  er  auch 
conlinuiiliche  Schweisse,  grosses  Unlustgefühl  und  hartnäckige  Stuhl- 
träirheit.  Durch  zwölf  Tage  hierauf  blieb  er  fieberfrei  und  arbeitete 
wieder,  obwohl  er  sehr  schwach  war;  er  wurde  jedoch  dann  wieder 
vom  Fieber  befallen,  welches  bis  zum  Tage  seiner  Spilalsaufnahme 
dauert.  Wie  der  Kranke  angibt,  dauert  das  Fieber  continuirlich  ohne 
Unterbrechung,  nimmt  jedoch  Morgens  ab  und  Abends  zu.  Patient 
klagt  ferner  über  rheumatoide  Muskelschmerzen  im  Nacken  und  in 
den  Armen  und  über  reichliche  Schweisse,  welche  ihn  sehr  belästigen. 
Potus  und  Lues  werden  verneint. 

Status  praesens:  Mittelgrosser  Mann  von  kräftigem 
Körperbau,  ziemlich  stark  abgemagert.  Gebräunte  Gesichtsfarbe,  Haut 
pigmentirt.  feucht.  Patient  schwitzt.  Skleren  leicht  subikterisch,  sicht¬ 
bare  Schleimhäute  gut  gefärbt.  Zunge  mässig  trocken,  leicht  belegt, 
zittert  ein  wenig  beim  IJerausstrecken.  Im  Munde,  Rachen  und  in 
der  Nase  nichts  von  Belang.  Keine  Lymphdrüsen  am  Halse  und 
Nacken.  Bewegungen  der  Bulbi  frei:  Pupillen  reagiren  prompt. 

Die  Percussion  des  Thorax  ergibt  überall  hellen  Schall.  Bei 
der  Auscultation  hinten  unten  beiderseits  spärliche  feuchte  Rassel¬ 
geräusche.  Vorne  Percussion  und  Auscultation  der  Lungen  normal. 
Lebergrenze  normal.  Spitzenstoss  unterhalb  des  vierten  Intercostal- 
raumes  fühlbar,  innerhalb  der  Mamillarlinie,  hebend. 

Puls  regelmässig,  gut  gespannt,  96  Schläge  in  der  Minute. 
Respiration  regelmässig,  vorwiegend  abdominal,  21  in  der  Minute. 

Herztöne  über  allen  Ostien  rein. 

Abdomen  normal,  nicht  meteoristisch.  Keine  Leistendrüsen. 

Die  Leber  nicht  vergrössert,  nicht  palpabel. 

Milz  vergrössert,  deutlich  fühlbar.  Bei  der  Percussion  derselben 
lindet  man  Dämpfung  oberhalb  der  achten  Rippe,  ferner  nach  vorne 
bis  über  den  Rippenbogen.  Die  Höhe  der  Milzdämpfung  ist 
gegen  10e»i. 

Im  Magen  und  Darm  nichts  von  Belang. 

Patellarretlexe  nicht  gesteigert,  Ilautsensibilität  normal. 

Die  Harnuntersuchung  ergibt  folgendes  Resultat: 

Farbe  dunkelgelb,  Reaction  sauer,  specifisches  Gewicht  1024, 
Serumalbumin  Spuren,  Nucleoalbumin  — ,  Zucker  — ,  Indican  — , 
Urobilin  Spuren,  Diazoreaction  — ,  Aceton  — ,  Pepton  — ,  Albu- 
mosen  — ,  Gallenfarbstoff  — ,  Blutfarbstoff  — .  Chloride  vermehrt, 
Alkaliphosphate  leicht  vermehrt,  Erdphosphate  normal. 

Im  Sediment  harnsaure  Salze.  Nichts  Pathologisches. 

Die  Blutuntersuchung  gibt  nachstehenden  Befund: 

Hämoglobin  (Fleischl)  75%,  Zahl  der  Erythrocyten  5,142.000, 
Zahl  der  Leukocyten  12.700.  Coagulationszeit  nach  W  r  i  ght  5  Minuten 
40  Secunden.  Im  nativen  Präparat  gute  Geldrollenbildung  der  rothen 
Blutkörper,  Fibrinnetz  stark  ausgebildet,  weisse  Blutkörperchen  ver¬ 
mehrt,  eosinophile  vorhanden.  Keine  Malariahämatozoen,  keine 
Spirillen.  Im  gefärbten  Trockenpräparate  die  Erythrocyten  gut  und 
gleichmässig  tingirt,  kein  Formenunterschied  derselben,  die  weissen 
ziemlich  vermehrt,  76%  derselben  polynucleär,  21%  Lymphocyten, 
3%  eosinophile. 

Am  6.  December  Abends  hat  der  Kranke  etwas  zähen, 
schleimigen  Auswurf.  Die  mikroskopische  Untersuchung  desselben 
weist  die  Abwesenheit  von  Koch’schen  und  P  f  e  i  f  f  e  r’schen 
Bacillen  nach. 

7.  December.  Morgen  temperatu  r  38-6°,  Puls  120,  Respiration  28. 
Patient  hat  leichtes  Kopfweh.  Seit  drei  Tagen  kein  Stuhl.  (H30  Kalomel. 
Nachts  starke  Schweisse. 

8.  December.  Morgentemperatur  39-7°,  Puls  112,  Respiration  26. 
Vornahme  einer  bacteriologischen  Untersuchung  des  Blutes.  In  Aus¬ 
strichpräparaten  sind  keinerlei  Mikroorganismen  nachweisbar,  ebenso 
bleiben  verschiedene  Strich-,  Stich-  und  Plattenculturen  selbst  nach 
zwei  Wochen  steril.  Agglutinationsversuche  mit  Micrococcus  melitensis 
positiv. 

9.  December.  Morgentemperatur  38'7°,  Zustand  unverändert. 
Patient  klagt  über  grosse  Trockenheit  im  Rachen,  grosse  Mattigkeit 
und  geringe  ziehende  Schmerzen  im  Nacken;  zu  diagnostischen 
Zwecken  wird  mit  grosser  Vorsicht  eine  Milzpunction  vorgenommen 
und  mit  dem  aspirirten  Spritzeninhalt  werden  verschiedene  Cultur- 
böden  beschickt.  Nach  sechs  Tagen  entwickelte  sich  in  einer  Eprou¬ 
vette,  welche  Glycerin-Agar  mit  Zusatz  von  Ascitesflüssigkeit  enthielt, 
eine  kleine  opalescirende  Colonie  des  Micrococcus  melitensis  von 


Bruce.  Ueber  den  bacteriologischen  Befund,  sowie  über  die  Agglu- 
tinationswerthe  werde  ich  später  berichten. 

Vom  10.  bis  15.  December  hat  der  Kranke  stets  Fieber  von 
deutlich  remittirendem  Typus,  die  Temperaturen  schwanken  zwischen 
38  ’  und  38-5°  Morgens  und  39— 40°  Abends.  Verschiedene  Antipyretica 
bleiben  ohne  Erfolg.  Nur  Antipyrin  hinderte  die  hie  und  da  auf¬ 
tretenden  Kopfschmerzen  und  kalte  Einwicklungen  des  Rumpfes 
wurden  vom  Patienten  ebenfalls  als  wohlthuend  empfunden. 

Am  16.  December  stieg  die  Temperatur  nicht  über  38'6°  und 
seit  jener  Zeit  sank  das  Fieber  stetig. 

Bis  zum  24.  December  hatte  Patient  Abends  noch  immer  über 
38u,  am  25.  nur  mehr  37-5°  und  von  da  an  blieb  er  stets  vollkommen 
fieberfrei.  Er  hatte  aber  nie  spontane  Stühlen tleerungen,  so  dass  er 
häufig  Irrigationen  und  Purgantia  erhalten  musste. 

Bis  zum  10.  Januar  1900,  an  welchem  Tage  der  Kranke  aus 
dem  Spitale  entlassen  wurde,  blieb  er  vollständig  vom  Fieber  ver¬ 
schont.  Er  hatte  jedoch  noch  stets  starke  Schweisse,  welche  auch 
jetzt  noch  andauern,  Abends  gegen  7  Uhr  einsetzen  und  in  den 
ersten  Morgenstunden  aufhören;  ausserdem  fühlt  sich  der  Kranke 
sehr  matt  und  erholte  sich  nur  langsam.  Zuletzt  bekam  er  arsensaures 
Chinin  in  der  Dosis  von  0'03  pro  die. 

Eine  am  5.  Januar  1900  vorgenommene  Blutuntersuchung 

ergab : 

Hämoglobingehalt  (Fleischl)  68%.  Anzahl  der  rothen  Blut¬ 
körperchen  4,325.000,  Anzahl  der  weissen  8650.  Im  Harn  nichts 
Pathologisches. 

In  diesem  Falle  war  es  mir  möglich  gewesen,  die  Dia¬ 
gnose  »MaUafieber«  schon  frühzeitig  zu  stellen,  und  zwar 
aus  folgenden  Gründen: 

Der  Kranke,  ein  für  seinen  Stand  ziemlich  intelligenter 
Mann,  konnte  mit  grosser  Genauigkeit  den  Beginn  seiner  Er¬ 
krankung  mittheilen.  Er  fieberte  also  seit  1.  October  und  kam 
aus  dem  südlichen  Dalmatien.  Nie  hatte  er  Durchfälle  odei 
starkes  Kopfweh  gehabt,  im  Gegentheil,  er  klagte  über  hart 
nackige  Stuhlverstopfung,  ferner  schwitzte  er  sehr  stark. 
Typhus  konnte  man  daher  ausschliessen,  umsomehr,  als  im 
Harn  die  Diazoreaction  fehlte  und  diese  bei  Typhus  stets  vor¬ 
handen  ist.  Ausserdem  hatte  Patient  schon  im  Jahre  1891  ein 
typhöses  Fieber  überstanden  und  zweimalige  Erkrankungen 
an  Typhus  kommen  doch  recht  selten  vor.  Recurrens  und 
Malaria  konnte  man  nach  den  Ergebnissen  der  Blutunter¬ 
suchung  ausschliessen,  ebenso  fehlten  für  Tuberculose,  In¬ 
fluenza,  Endocarditis,  innere  Eiterungen  oder  Leberabscess  alle 
Anhaltspunkte,  und  aus  der  Untersuchung  der  inneren  Organe, 
des  Sputums  und  des  Harns  konnte  man  auch  genannte  Krank¬ 
heiten  nicht  annehmen. 

Es  blieb  daher  nur  die  Diagnose  »Maltafieber«  übrig  und 
diese  kann  nach  den  Angaben  Wright’s3)  und  späterer 
Autoren  mit  Sicherheit  mittelst  der  Serumreaction  sichergestellt 
werden.  Ich  habe  mich  daher  an  Prosector  Dr.  Kretz  in 
Wien  gewendet,  welcher  so  liebenswürdig  war,  mir  sofort  eine 
Stichcultur  des  Micrococcus  melitensis  zu  übersenden,  mit 
welcher  ich  die  Serumreaction  vornahm.  Ich  fand  folgendes 
Ergebniss: 

Am  8.  December  1899: 


complete  Agglutination  nach 

20 

Minuten 

mit 

V-20 

Serum 

»  »  » 

56 

» 

VöO 

» 

beginnende  »  » 

2 

Stunden 

» 

VlOO 

7> 

Am  3.  Januar  1900: 
complete  Agglutination  nach 

16 

Minuten 

mit 

720 

Serum 

»  »  » 

35 

» 

7o0 

» 

72 

» 

7> 

VlOO 

» 

»  »  » 

2  Stunden 

7200 

3> 

undeutliche  »  » 

2 

T> 

» 

1/ 

'  300 

Um  meine  Resultate  einer  Controle  zu  unterziehen,  sandte 
ich  Blutserum  meines  Kranken  in  zugeschmolzenen  Glasphiolen 
an  das  pathologische  Institut  des  Franz  Josef-Spitales  in  Wien 
und  an  das  pathologische  Laboratorium  der  englischen  militär¬ 
ärztlichen  Akademie  in  Netley. 

3)  Wright  und  Semple,  British  Med.  Journal.  1892,  16.  Januar. 
—  Lancet.  1897,  6.  Mür*. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


151 


Herr  Dr.  Kretz  schrieb  mir  aus  Wien,  12.  December 
1899:  »Kam  erst  heute  dazu,  Ihr  Serum  zu  prüfen.  Reaction 
i/15  auf  Melitensis  positiv,  aber  langsam  eintretend;  ist  es  ein 
frischer  Fall,  wie  ich  Ihrer  Mittheilung  entnehmen  zu  können 
glaube,  so  empfehle  Ihnen,  die  Prüfung  zu  wiederholen;  steigt 
der  Agglutinationswerth,  so  ist  die  Diagnose  sicher«. 

Herr  Dr.  W.  B.  Lei  sh  man,  assistirender  Professor  in 
Netley,  schrieb  mir  unterm  20-  December  1899: 

»The  serum  which  you  sent  for  examination  gives  a 
strong  reaction  with  the  Micrococcus  melitensis;  agglutination 
being  nearly  complete  in  a  dilution  of  the  serum  of  1 — 100«. 

Wie  ich  schon  früher  erwähnt,  gelang  es  mir,  aus  der 
Milz  des  Patienten  durch  die  Punction  eine  typische  Colonie 
des  Micrococcus  melitensis  zu  züchten  und  ich  glaube,  dass 
dies  erst  der  dritte  Fall  ist,  bei  welchem  es  gelungen  ist, 
wenigstens  finde  ich  in  der  mir  zu  Gebote  stehenden  Literatur 
nur  bei  Davidson  zwei  Fälle  citirt. 

Das  Ergebniss  der  bacteriologischen  Untersuchung  war 
folgendes: 


in  Verdünnungen  von  Y20  schon  nach  acht  Minuten  agglutinirt 
und  selbst  in  Verdünnungen  von  l/500  war  die  Agglutination 
nach  72  Minuten  complet  eingetreten,  während  in  Verdün¬ 
nungen  von  V 1000  kcine  deutliche  Reaction  eintrat. 

Klinisch  und  bacteriologisch  war  daher  dieser  Fall  mit  aller 
Sicherheit  als  Maltafieber  diagnosticirt,  und  zwar  war  es  der 
Dauer  nach  ein  leichter  Fall,  was  auch  aus  der  langsam  ein¬ 
tretenden  Agglutination  und  aus  dem  Umstande  zu  entnehmen 
war,  dass  dieselbe  bei  grossen  Verdünnungen  nicht  mehr  ein¬ 
trat.  Diese  Beobachtungen  stimmen  auch  mit  denen  von  Birt 
und  Lamb4)  überein. 

Und  nun  gestatten  Sie  mir  einige  Worte  über  diese 
höchst  interessante  Krankheit,  welche  erst  in  der  allerletzten 
Zeit  als  Morbus  sui  generis  anerkannt  wird. 

Schon  seit  Jahrhunderten  war  den  Aerzten  der  Küsten¬ 
länder  des  Mittelländischen  Meeres  ein  eigenartiges  Fieber  von 
lange  dauerndem  Verlaufe  bekannt,  welches  mit  grösserer  oder 
geringerer  Intensität  auf  Malta  und  Cypern,  auf  den  Balearen 
und  im  griechischen  Archipel,  auf  Gibraltar  und  Sicilien 


December  1899. 


Temp 


e  r  a  t  u  r. 


Januar  1900. 

I 


Nach  Nach  Nach 

48  Stunden  vier  Tagen  sechs  Tagen 

Eprouvette  A  (Agar-Agar)  .  . 

»  B  (Pepton- Agar)  .  —  — 

»  O  (2 */3  Agar  und 

'/3  Serum  ...  —  — 

»  .  D  (Glycerin-Agar)  .  — 

»  E  (2/3  Pepton-Agar 

V3  Serum)  .  .  —  — 

»  F  (2/3  Glycer.-Agar 

'/..  Ascitesflüssigk.  —  —  e>ue  Colonie. 

Mehrere  Petr  i’sche  Schalen  mit  verschiedenen  Nährböden 
blieben  sämtlich  steril. 

Von  Eprouvette  F  wurden  mikroskopische  Deckglas¬ 
präparate  angefertigt,  welche  einen  sehr  kleinen  Coccus  von 
ovoider  Form  zeigten,  der  sich  nicht  nach  Gram,  jedoch  sehr 
leicht  mit  Anilinfarben  färben  Hess  und  dem  Mikrococcus  von 
Bruce  vollkommen  ähnlich  sah. 

Ueberimpft,  wuchs  der  Coccus  sehr  langsam,  am  besten 
auf  ganz  schwach  alkalischem  Agar  mit  Zusatz  von  Ascites 
flüssigkeit;  Milch  wurde  durch  den  Coccus  nicht  coagulirt  und 
in  Zucker  wurde  weder  Gas-,  noch  Fermentbildung  beobachtet; 
in  Bouillon  Avuchs  er  auch  in  längeren  bacillenähnlichen  Stäb¬ 
chen.  Durch  das  Blutserum  des  Kranken  wurde  dieser  Coccus 


auftrat.  Der  Erste  jedoch,  welcher  diese  Krankheit  genau  be¬ 
schrieb,  war  der  englische  Militärarzt  Marstonü)?  welcher 
im  Jahresberichte  des  Jahres  1863  für  das  englische  Heer  eine 
erschöpfende  Beschreibung  der  auf  der  Insel  Malta  vor¬ 
gekommenen  Fieberfälle  gab  und  zugleich  angab,  dass  man 
bei  den  Autopsien  nie  irgendwelche  Läsion  der  Pey  er  sehen 
Plaques  vorfand.  In  Italien  beschrieb  Borrelli  im  Jahre  1870 
eine  eigenthümliche,  in  Neapel  vorkommende  Fieberart,  welche 
dann  auch  den  Namen  neapolitanisches  oder  Sehweissfieber 
erhielt,  und  im  darauffolgenden  Jahre  veröffentlichte  G.  Guilia 
eine  Publication:  »Ueber  die  endemischen  Fieber  auf  Malta«. 
1876  schrieb  N.  Dominicis  in  Neapel  eine  Monographie 
über  das  Senkgrubenfieber  (La  febbre  da  fogna),  welches  mit 
dem  Maltafieber  identisch  ist.  Seit  jener  Zeit  wuchs  die  Literatur 
über  dieses  Fieber,  welches  von  den  Engländern  nach  dem 
Typus  der  Curve  remittirendes  oder  Maltafieber,  Cyprusfieber, 
Levantefieber  oder  Mittelländisches  Fieber  nach  der  geographi¬ 
schen  Verbreitung,  von  den  Italienern  Pseudotyphus,  continu- 
irliches  epidemisches  Fieber,  infectiöses  atypisches  1  ieber, 
Neapelfieber,  gastrobiliäres  Fieber  oder  Adenotyphus,  von  den 
Franzosen  Sch  weissfieber  oder  Sch  weisstyphus  genannt  wurde, 

4)  Birt  und  Lamb,  Mediterranean  or  Malta  Fever.  Lancet.  1800, 

2.  November.  „ 

5)  Citirt  nach  Hughes,  Mediterranean,  Malta  or  Undulant  b  e\ et . 

London  1897,  woselbst  ein  erschöpfendes  Literaturverzeichniss  naebge  esen 
werden  kann. 


152 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


riesig  an.  Ich  will  noch  die  Arbeiten  von  Franco6),  von 
Fazio7),  Typhai  dos8)  und  C  a  r  a  gi  o  r  g  i  a  d  i  s  9)  citiren. 
Aber  erst  Bruce  brachte  im  Jahre  1887  durch  die  Veröffent¬ 
lichung  seines  Aufsatzes:  »Notiz  über  die  Entdeckung  eines 
Mikroorganismus  des  Maltafiebers«  im  Septemberhefte  des 
»Practitioner«  Licht  in  das  Wesen  dieser  Krankheit.  Seit  jener 
Publication  kennen  wir  die  Aetiologie  des  Maltafiebers  und 
können  aus  der  Obd action  und  der  bacteriologischen  Unter¬ 
suchung  sichere  Schlüsse  ziehen. 

In  Nr.  11  des  »Practitioner«  vom  Jahre  1888  publicirte 
Bruce  dann  einen  zweiten  Artikel:  »Ueber  den  Mikrococcus 
des  Maltafiebers«,  und  seit  jener  Publication  ist  die  Literatur 
über  das  Maltafieber  so  sehr  angewachsen,  dass  es  nicht  meine 
Aufgabe  ist,  mit  der  Aufzählung  derselben  Sie  ermüden  zu 
wollen. 

Ich  will  nur  noch  die  bekannteren  Autoren  C  a  n  ta  n  i 10), 
Baccelli11),  Chantemesse12),  Maragliano  13),  Stern¬ 
berg14),  Jaccoud15)  und  Grocco16)  nennen;  ferner 
finden  sich  Angaben  über  das  Maltafieber  in  folgenden  Werken: 
Davidson,  Hygiene  and  Diseases  of  warm  Climates.  Edin¬ 
burgh  1893;  Guiffie  und  Silva  im:  Trattato  di  Medicina 
di  Charcot-Brissaud.  Mailand  1893;  Stevenson  und 
Murphy,  Hygiene  and  Public  Health.  London  1893; 
Kelsch  und  Kien  er,  Traite  des  maladies  des  pays  chauds. 
Paris  1889;  Scheube,  Die  Krankheiten  der  warmen  Länder; 
Lehmann  und  Neumann,  Bacteriologie.  München  1900. 

Es  ist  jedoch  unstreitig  das  Verdienst  Prof.  A.  E. 
Wright's,  welcher  in  der  Nummer  der  »Lancet«  vom 
6.  März  1897  zum  ersten  Male  die  Serumreaction  beim  Malta¬ 
fieber  beschrieb,  wenn  "wir  heute  durch  den  Agglutinations¬ 
versuch  im  Stande  sind,  mit  aller  Sicherheit  Maltafieber  zu 
diagnosticiren ;  wie  schon  wiederholte  Versuche  lehrten,  wird 
der  Maltacoccus  durch  Serum,  welches  auf  mehr  als  Y10  ver¬ 
dünnt  ist,  und  welches  von  Gesunden  oder  anderweitig  Er¬ 
krankten  herstammt,  nicht  agglutinirt  (H u g h  e s  *7),  Birt  und 
Lamb18).  Ich  habe  an  dieser  Stelle  19)  schon  einmal  über  die 
Serumdiagnose  des  Maltafiebers  und  die  Anwendung  der  Serum¬ 
sedimentation  in  Glasröhrchen  nach  Wright20)  gesprochen, 
und  ich  beschränke  mich  daher,  diese  neue  Methode  anzu- 
fiihren  und  eine  gelungene  Probe  vorzuzeigen. 

Das  Maltafieber,  dies  der  officielle  Name  der  Krankheit, 
mit  welcher  wir  uns  beschäftigen,  wird  auch  Mittelländisches 
Fieber  genannt,  und  über  dessen  Verbreitung  habe  ich  schon 
gesprochen.  Unser  Patient  hat  sich  die  Krankheit  im  südlichen 
Dalmatien  geholt,  woselbst  er  nach  seinen  Angaben  mit  anderen 
90  Arbeitern  in  einer  Holzbarake  auf  der  blossen  Erde 
schlief.  Der  Patient  erzählte  ferner,  dass  viele  von  den  Arbeitern 
von  demselben  Fieber  befallen  waren;  es  gelang  mir  jedoch 
nicht,  obwohl  ich  verschiedene  Collegen  in  Dalmatien  um  Mit¬ 
theilungen  ersuchte,  zu  erfahren,  ob  ähnliche  Fälle  in  der 
Gegend  von  Ragusa  vecchia  vorgekommen  seien. 

Im  Allgemeinen  wird  jeder  Fall  von  Maltafieber  zuerst 
als  atypischer  Typhus  oder  Malaria  angesehen,  da  im  Anfangs¬ 
stadium  die  Krankheit  häufig  von  Schüttelfrösten,  hohem  Fieber, 
auch  Kopfweh,  trockener  belegter  Zunge  und  Druckempfind¬ 
lichkeit  des  Abdomens  begleitet  sein  kann,  so  dass  man  an 
typhöses  Fieber  glaubt.  Andererseits  kann  ein  heftiger  Fieber¬ 
anfall  von  Erbrechen  und  heftigem  Schweissausbruch  gefolgt 
sein,  so  dass  das  klinische  Bild  der  Malaria  vorgetäuscht  wird. 

ü)  F  r  a  n  c  o,  Giornale  internazionale.  Napoli  1880. 

■)  F  a  z  i  o,  Movimento  medico  chirurgico.  Napoli  1880. 

8)  T  y  p  h  a  1  d  o  s,  Galenos,  Nr.  48-51.  Athen  1882. 

°)  Caragiorgiades,  Aletheia,  Nr.  58.  Limassol  1880. 

10)  Cantani,  Kiforma  Medica,  Nr.  127.  Neapel. 

n)  Bacelli,  La  subcontinua  tifoide.  Scuola  ital.  di  clin.  medica. 
Mailand  1894. 

'■)  Chantemesse,  Traite  de  medecine  v.  Charcot  etc. 
Paris  1891. 

":)  Maragliano,  Riforma  medica.  Neapel  1891,  II. 

u)  S  t  e  r  n  b  e  r  g,  Bacteriologie.  New  York  1896. 

1 ')  J  a  c  c  o  n  d,  Semaine  medicale,  N«.  6.  Paris  1892. 

,f')  Grocco,  Lo  Sperimentale,  2  und  3.  Florenz  1897. 

17)  1.  e. 

,8)  1.  c. 

n')  Sitzung  der  Triesfer  ärztlichen  Gesellschaft  vom  9.  November  1897. 

2U)  British  Medical  Journal.  1898,  Nr.  1936. 


Vor  Allem  charakteristisch  ist  nach  Hughes  die  lange 
Dauer  des  Fiebers.  An  372  beobachteten  Fällen  bemerkte  er 


1- 

21 

—  20t 

-  30 

ägiges 

Fieber 

» 

(tödliche 

» 

Fälle) 

in 

5 

70 

75  Fällen 

31 

—  40 

> 

» 

» 

i 

65 

41- 

—  50 

» 

» 

> 

50 

154  » 

51- 

—  60 

» 

» 

J> 

» 

» 

39 

61- 

—  70 

y> 

» 

» 

> 

36 

71 

-  80 

» 

7> 

34 

88 

81 

-  90 

> 

18 

91- 

-100 

y> 

> 

7> 

20 

101- 

-110 

» 

» 

» 

y> 

8 

39 

111- 

-120 

» 

11 

121- 

-160 

» 

y> 

> 

16 

fällen. 

Aus 

dieser 

Tabelle 

ist  ersichtlich. 

dass  in 

der  grossen 

Mehrzahl  der  Fälle  das  Fieber  gegen  40 — 70  Tage  andauert, 
obwohl  Bruce  auch  einen  Fall  mit  18monatlicher  und 
Hughes  sogar  zwei  Fälle  mit  über  zweijähriger  Fieberdauer 
citirt.  Derselbe  Autor  theilt  das  Maltafieber  in  vier  Haupttypen 
ein.  Der  maligne  Typus  ist  die  erste  Unterart.  Diese  Fälle 
sind  ziemlich  selten,  da  das  Maltafieber  im  Ganzen  nur  eine 
Mortalität  von  2%  hat  und  sind  schon  im  Beginn  der  Er¬ 
krankung  durch  die  ausserordentliche  Hyperpyrexie  kenntlich, 
welche  immer  41°  übersteigt  und  in  wenigen  Tagen  zum  Exitus 
letalis  führt.  Von  den  bisher  beobachteten  Fällen  mit  tödt- 
lichem  Verlaufe  starben  60%  im  ersten  Monat  der  Krankheit. 
Der  zweite  Typus  ist  der  wellenförmige  (undulant),  welcher 
am  häufigsten  vorkommt  und  gewöhnlich  zwischen  60 — 80 
Tagen  andauert  und  welchem  auch  der  eingangs  beschriebene 
Fall  angehört,  bei  dem  das  Fieber  mit  einer  Unterbrechung 
von  zwölf  Tagen  durch  87  Tage  anhielt.  Wenn  man  die  Fieber- 
curve  solcher  Kranken  ansieht,  bemerkt  man  auf  derselben, 
dass  die  Temperatursteigerungen  deutliche,  von  einander  ziemlich 
scharf  abgegrenzte  Wellen  bilden,  von  denen  z.  B.  auf  bei¬ 
stehend  abgebildeter  Curve  drei  durch  römische  Ziffern  bezeich- 
nete  zu  sehen  sind.  Diese  Form  ist  sehr  oft  von  Anämie,  wie 
in  unserem  Falle,  oder  von  Neuralgien,  Epididymitis  und  per- 
sistirenden  Schweissen  gefolgt.  Der  dritte  Typus  wird  als  inter- 
mittirende  Form  beschrieben.  Diese  Fälle,  gewöhnlich  leichterer 
Art,  haben  einen  einzigen  Fieberanfall  Abends  und  fühlen  sich 
mit  Ausnahme  von  grosser  Mattigkeit  und  der  hartnäckigen 
Obstipation,  die  alle  Fälle  begleitet,  ziemlich  wohl.  Viele  Aerzte 
glauben,  wenn  sie  vor  einem  solchen  Fall  stehen,  eine  leichte 
Malaria  oder  Tuberculose  mit  hektischem  Fieber  vor  sich  zu 
haben,  die  Blutuntersuchung  oder  das  vollkommene  Fehlen  von 
physikalischen  Symptomen  seitens  des  Respirationsapparates 
und  der  endliche  Ausgang  in  vollkommene  Heilung  führen  aber 
bald  zu  einer  anderen  Diagnose.  Zur  vierten  Abart  gehören 
endlich  alle  jene  irregulären  Fälle,  in  welchen  sich  einige  Zeit 
hindurch  die  eben  genannten  Typen  zeigen  und  mehr  oder 
minder  rasch  wechseln  können. 

Aus  dem  eben  Erwähnten  kann  man  auch  folgern,  dass 
dio  Prognose  des  Maltafiebers  quoad  vitam  eine  günstige  ist. 

Birt  und  Lamb21)  behaupten,  dass  man  aus  der  Stärke 
der  Agglutinationsreaction  auch  die  Prognose  beim  Maltafieber 
stellen  könne,  indem  Fälle  mit  schweren  Allgemeinerscheinungen 
und  niederem  Agglutinationwerthe  eine  schlechte  Prognose 
geben,  ebenso  Fälle,  bei  welchen  der  Agglutinationswerth  des 
Serums  im  Verlaufe  der  Krankheit  erheblich  sinkt  und  be¬ 
stätigen  damit  die  von  Courmont  beim  Typhus  gemachten 
Beobachtungen.  Nur  beim  Stellen  der  Prognose  hinsichtlich 
der  Dauer  derKrankeit  und  der  Schwere  der  Folgeerscheinungen 
wird  man  vorsichtig  sein  müssen. 

Ueber  die  Diagnose  des  Maltafiebers  habe  ich  schon  bei 
der  Beschreibung  unseres  Patienten  gesprochen.  Ich  möchte 
nur  wiederholen,  dass  man  bei  recenten  Fällen  speciell  dem 
Mangel  an  Durchfällen,  dem  freien  Sensorium,  dem  Fehlen 
von  Roseolen  und  Epistaxis,  dem  massigen  Milztumor  und  dem 
fehlenden  oder  ganz  geringen  Kopfweh  seine  Beachtung 
schenken  müsse  ;  diese  fehlenden  Symptome  werden  es  er¬ 
möglichen,  das  Maltafieber  vom  Typhus  zu  unterscheiden; 


21)  1.  c. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


153 


während  es  manchmal  schwieriger  sein  wird,  Influenza  oder 
Miliartuberculose  auszuschliessen.  Für  diese  letztere,  wie  auch 
für  Typhus  wäre  auch  die  fehlende  Diazoreaction  in  Betracht 
zu  ziehen.  Vor  Allem  wichtig,  ja  nach  den  heutigen  Anschau¬ 
ungen  für  eine  richtige  Diagnose  unerlässlich  wird  jedoch  die 
Serumdiagnose  sein,  welche  nach  den  bisher  publicirten  Fällen 
nur  bei  Maltafieber,  nie  bei  Gesunden  oder  anderweitig  Er¬ 
krankten  vorkommt. 

Ueber  die  pathologische  Anatomie  des  Maltafiebers  ist 
nur  recht  wenig  zu  berichten.  Hughes  berichtet  über  62  Ob- 
ductionen  und  hebt  hervor,  dass  im  Allgemeinen  eine  beträcht¬ 
liche  Congestion  aller  innerer  Organe  zu  beobachten  sei, 
seltener  finde  man  hypostatische  Pneumonien  oder  Entzün¬ 
dungen  der  Pleura.  Die  Leber  sei  gewöhnlich  durch  Stauung 
vergrössert,  die  Milz  stets  vergrössert,  stark  mit  Blut  gefüllt 
und  dunkelroth,  öfters  sei  das  Milzgewebe  sehr  leicht  zerreiss- 
lich  und  manchmal  sei  die  ganze  Milz  so  weich  und  fast  zer- 
fliesslich,  dass  das  Organ  wie  ein  geronnener  Blutklumpen 
aussehe.  In  mikroskopischen  Schnitten  seien  stets  die  typischen 
Mikrococcen  in  der  Milz  zu  finden.  Nie  fände  man  jedoch  die 
Pey ersehen  Follikel  entzündet  oder  vereitert  und  nur  selten 
wären  die  Mesenterialdrüsen  leicht  vergrössert. 

Die  Therapie  des  Maltafiebers  ist  sehr  dürftig.  Alle  unsere 
Antipyretica  sind  nicht  im  Stande,  das  lieber  zu  mildem.  Man 
wird  daher  eine  symptomatische  Behandlung,  mit  vorsichtiger 
Anwendung  der  Hydrotherapie  einleiten  und  speciell  die  Obsti¬ 
pation  regeln  müssen.  Auch  gegen  die  Schweisse  half  bis  jetzt 
kein  Mittel.  Neuerlich  bereitet  Prof.  Wright  in  Netley  ein 
Maltafieberantitoxin  aus  dem  Blutserum  immunisirter  Affen; 
über  dessen  Wirksamkeit  beim  Menschen  tehlen  mh  vorläufig 
alle  Angaben. 

Es  wäre  mir  sehr  angenehm,  wenn  diese  meine  kurzen 
Ausführungen  vielleicht  auch  den  einen  oder  anderen  Collegen 
in  den  südlichsten  Theilen  der  Monarchie  zu  Untersuchungen 
über  das  Maltafieber  anregen  würden,  da  diese  Krankheit 
nicht  nur  wegen  der  Schwierigkeit  der  Diagnose,  sondern  auch 
durch  den  Verlauf  selbst  in  hohem  Grade  das  Interesse  des 

Arztes  erweckt.  .  , 

Zum  Schlüsse  gestatte  ich  mir,  Herrn  Primararzt  Dr.  L  i  e  b 
man  für  die  gütige  Ueberlassung  dieses  I  alles,  Herrn  Primat 
arzt  Dr.  v.  M  a  n  u  s  s  i  in  Triest,  Herrn  Prosector  Dr.  Kretz 
in  Wien  und  Herrn  Prof.  Le  is  hm  an  in  Netley  für  ihre 
freundliche  Unterstützung  meinen  besten  Dank  an  dieser  Stelle 
auszusprechen. 


Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof. 

Dr.  E.  Neusser  in  Wien. 

Beitrag  zur  Klinik  der  Landry’schen  Paralyse 
mit  besonderer  Berücksichtigung  ihrer  Bacterio- 

logie  und  Histologie. 


Von  Dr.  Julius  Kapper,  k.  und  k.  Regimentsarzt. 

Der  Umstand,  dass  der  Begriff  der  Landry’schen  Pa¬ 
ralyse  seit  seiner  im  Jahre  1859  erfolgten  strengen  Formu- 
lirung  durch  Landry  vielfachen  Schwankungen  unterworfen 
war,  dass  die  Angaben  der  Obductionsbefunde  auch  heute  noch 
sehr  differiren,  und  endlich  die  Thatsache,  dass  selbst  Kliniker 
und  Neurologen,  die  über  ein  grosses  Krankenmaterial  ver¬ 
fügen,  über  keine  allzu  reichen  Erfahrungen  bezüglich  dieser 
relativ  seltenen  Krankheitsform  berichten  können,  wird  die 
Mittheilung  des  nachstehenden  Falles  gerechtfertigt  erscheinen 

1 RSS6I1. 

Zur  Klarstellung  des  Krankbeitsbildes  der  Landry- 
schen  Paralyse  dürfte  es  sich  aber  zunächst  empfehlen,  auf 
das  Schwankende  in  der  Auffassung  dieser  Erkrankung  eimger- 
massen  hinzuweisen,  um  dann  jene  Folgerungen  daran  zu 
knüpfen,  die  sich  aus  der  Einzelbeobachtung  ergeben. 

Landry  beschrieb  im  Jahre  1859  unter  dem  Namen 
Paralysie  ascendente  ou  centripete  aigue  eine  Leihe  von  Läh¬ 
mungen,  die  sich  durch  ihren  progredienten  Charakter  aus¬ 
zeichnen:  die  Functionsstörung  setzt  meistens  in  den  unteren 


Extremitäten  ein  und  ergreift  dann  in  stürmischem,  etappen¬ 
weisem  Fortschreiten  nach  oben  die  Muskeln  des  Rumpfes, 
die  oberen  Extremitäten,  dieMedulla  oblongata,  setzt  dabei  Schluck- 
und  Sprachstörungen,  und  führt  nicht  selten  zum  Tode  durch 
Lähmung  der  Respiration. 

Manchmal  kommt  es  zum  Stillstand  des  Processes,  dem 
dann  baldige  Genesung  folgt.  Die  elektrische  Erregbarkeit  der 
Muskeln  ist  ungestört,  dagegen  kommen  leicht  Sensibilitäts¬ 
störungen  vor.  In  den  letal  verlaufenden  Fällen  gelingt  es 
nicht,  eine  anatomische  Läsion  des  Nervensystems  nachzu¬ 
weisen. 

Obwohl  auch  Kussmaul  im  gleichen  Jahre  (1859) 
einige  ähnliche  Beobachtungen  veröffentlichte,  fand  Landry’s 
Arbeit  doch  kaum  Beachtung. 

Erst  Bernhardt  (1871)  und  Westphal  (1876) 
lieferten  neues  Material  und  sprachen  als  ursächliches 
Moment  der  Affection  eine  Intoxication  an ;  der  Letztere 
wies  ausdrücklich  auf  den  einer  Vergiftung  ähnlichen 
Charakter  und  Verlauf  der  L  a  n  d  ry’schen  Paralyse  hin  und 
glaubte  in  ihr  mehr  die  Wirkung  einer  allgemeinen  Infection 
oder  Intoxication  als  einer  Localerkrankung  des  Nervensystems 
zu  erblicken  und  präcisirte  die  L  a  n  d  r  y’sche  Lähmung  dahin, 
dass  sie  ausgezeichnet  sei: 

1.  Durch  den  progressiv  aufsteigenden,  schliesslich  tödt- 
liclien  V erlauf. 

2.  Durch  das  Intact  bleiben  der  elektrischen  Erregbarkeit 
in  den  gelähmten  Muskeln. 

3.  Durch  den  negativen  Befund  der  Autopsie. 

Diese  von  Westphal  eng  gezogenen  Grenzen  sind 

besonders  durch  die  Forderung  eines  negativen  Obductions- 
befundes  für  die  Geschichte  dieser  Krankheit  von  Wichtigkeit. 

1876  hatte  Eichhorst  auf  die  Analogie  einer  rasch 
tödtlich  verlaufenden,  progressiven  Lähmung  zahlreicher  peri¬ 
pherer  Nerven,  welche  neuritischen  Befund  bot,  mit  Landry- 
scher  Paralyse  hingewiesen,  und  alsbald  mehrten  sich  die  An¬ 
gaben  über  ähnliche  Fälle,  welche  trotz  ihrer  Verwandtschaft 
mit  L  a  n  d  r  y’scher  Lähmung  sich  doch  mit  grosser  Wahr¬ 
scheinlichkeit  oder  geradezu  anatomischer  Sicherheit  als  Poly¬ 
neuritis  acutissima  erwiesen. 

Im  Anschlüsse  an  die  Wahrnehmung,  dass  eine  wirk¬ 
liche  Poly  neuritis  auch  einen  ascendirenden  Charakter  an¬ 
nehmen  kann,  sprach  auch  v.  Strümpell  die  Ansicht  aus, 
dass  viele  der  als  L  a  n  d  r  y’sche  Paralyse  in  der  Literatur 
niedergelegten  Fälle  zur  Polyneuritis  zu  zählen  seien  und 
suchte  seine  Behauptung  durch  Autopsieen  von  klinisch  als 
Landr  y’sche  Paralyse  verlaufenen  Fällen  zu  stützen,  die 
wohl  negativen  Befund  im  Centralnervensystem,  aber  ausge¬ 
dehnte  neuritische  Processe  in  der  Peripherie  boten. 

Unter  dem  Einflüsse  der  grossen  Influenza-Epidemie 
1889/90  wuchs  die  Zahl  der  Beobachtungen  von  acut  auf¬ 
steigenden  Lähmungen  ganz  erheblich,  und  damit  mehrte  sich 
die &Zahl  jener  Autoren,  welche  in  der  Landry’schen  Para¬ 
lyse  nichts  weiter  als  eine  klinische  Modification  der  Poly¬ 
neuritis  erblicken  zu  müssen  glaubten. 

Acceptirte  man  diese  Auffassung,  so  erscheinen  auch  ge¬ 
wisse  Abweichungen  vom  Schulbilde  der  Landry’schen  Läh¬ 
mung,  wie  sie  sich  gelegentlich  im  Auftreten  erheblicherer 
Störungen  der  Sensibilität,  von  Affectionen  der  Sphinkteren, 
von  Atrophieen  und  Veränderungen  der  elektrischen  Erregbar¬ 
keit  äussern,  plausibel. 

Diese  mannigfaltigen  Bemühungen,  den  Zusammenhang 
zwischen  Landr  y’scher  Paralyse  und  Polyneuritis  herzu¬ 
stellen,  erfuhren  eine  mächtige  Förderung  und  gelangten 
auch  zu  einem  vorläufig  zumeist  acceptirten  Abschluss 
durch  die  Arbeit  v.  L  e  y  d  e  n’s,  der  in  der  acuten  auf-(oder 
absteigenden  Paralyse  anatomisch  keinen  einheitlichen  Pro¬ 
cess  gelten  lässt,  vielmehr  zwei  Formen: 

1.  eine  bulbäre  oder  medulläre, 

2.  eine  neuritische  Form 

unterscheidet.  Freilich  verdient  hier  schon  hervorgehoben  zu 
werden,  dass  das  früher  festgehaltene  einheitliche  Krankheits¬ 
bild  durch  diese  Verschiebung  seiner  Grenzen  eine  bedeutende 
Erweiterung  erfährt,  indem  ihm  Fälle  mit  nicht  normalem 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


elektrischem  Verhalten,  dann  solche,  wo  der  Verlauf  ein  ab¬ 
steigender  ist,  und  schliesslich  auch  solche  mit  nachweisbaren 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen  im  Nervensystem, 
subsumirt  werden. 

Wenn  ich  daran  gehe,  die  in  der  mir  zugänglichen  Li¬ 
teratur  niedergelegten  pathologisch-anatomischen  Befunde  bei 
Fällen,  die  sich  klinisch  als  Landry’sche  Paralyse  repräsen- 
tirten,  zu  ordnen,  so  können  wir  im  Ganzen  und  Grossen  vier 
Gruppen  aufstellen: 

1.  Jene  Fälle,  bei  denen  die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  des  Centralnervensystems  negativ  ausfällt;  dahin  ge¬ 
hören  die  Beobachtungen  von  Landry,  Kussrna u  1,  W  e  s  t- 
p  h a  1,  Pellegrino  Levi,  Curschmann,  Kahler  und 
Pick,  Petit  fils,  Cor  nil,  Thom  ay  er,  Pal,  Albu, 
Steven,  Ormerod,  Prince  und  Anderen. 

2.  Jene  Fälle,  wo  disseminirte  Entzündungen  oder 
Exsudate  und  capilläre  Blutungen  in  der  Medulla  oblongata, 
oder  acute,  exsudative  Entzündung  im  Rückenmark,  zuweilen 
auch  Meningitis  oder  Meningomyelitis  oder  leichteste  Polio¬ 
myelitis,  Quellung  der  Aehsencylinder  in  der  weissen  Substanz 
der  Vorderseitenstränge,  Degeneration  der  vorderen  Wurzeln 
nachgewiesen  wurden,  in  den  Beobachtungen  von  Baum¬ 
garten,  Hoffmann,  Curschmann,  Immer  m  a  n  n, 
Duchenne,  Eisenlohr,  O  e  1 1  i  n  g  e  r  und  G.  M  a  r  i  n  e  s  c  o, 
Bailey  und  Ewing,  Schultz  e,  K  6 1 1  i,  H  1  a  v  a,  P  i  c  c  i- 
n  i  n  o  und  Anderen. 

3.  Jene  Fälle,  wo  neuritische  Processe  als  Substrat 
der  Erkrankung  hingestellt  wurden,  in  den  Arbeiten  von 
E  i  c  h  h  o  r  s  t,  D  e  j  e  rine  und  G  ö  t  z,  Nauwerck  und 
Barth,  v.  Leyden,  v.  Strümpell,  Oppenheim,  Go¬ 
wers,  Miles,  Phedran,  R  o  s  s,  P  u  t  n  a  m,  K  1  u  m  p  k  e  und 
Anderen. 

4.  Jene  Fälle,  wo  Combinationen  von  Neuritis  mit 
myelitischen  Processen  gefunden  wurden;  Kr  e  wer  und 
Andere. 

Bei  den  Forschungen  nach  Mikroorganismen,  die  man  als 
die  Erreger  der  L  a  n  d  r  y’schen  Lähmung  ansprechen  könnte, 
kam  es  bisher  zu  keinem  beweiskräftigen,  einheitlichen  Ergeb¬ 
nis,  da  unter  Anderem 

von  Baumgarten  Milzbrandbacillen  in  Blut  und 
Rückenmark; 

von  Curschmann  Typhusbacillen  im  Rückenmark; 

von  C  e  n  t  a  n  n  i  Bacillen  im  endoneuralen  Lymphraum 
bei  interstitieller  Neuritis; 

von  E  i  s  e  n  1  o  h  r  Mischinfection,  verschiedene  Stäbchen¬ 
arten  und  Staphylococcen  ; 

von  Rem  m  linger  Streptococcus  longus; 

von  Marinesco  Diplococcus; 

von  Marinesco  und  Marie  ein  Bacillus,  ähnlich  dem 
Milzbrandbacillus ; 

von  J.  Seitz  das  F  r  ä  n  k  e  1  -  W  e  i  c  h  s  e  1  b  a  u  m’sche 
Bacterium; 

von  P  i  c  c  i  n  i  n  o  wahrscheinlich  Diplococcus  intracellu- 
laris  Weichselbaum 
gefunden  wurden. 

Mehrfache  Beobachtungen  (H  a  y  e  m,  B  e  r  n  hard  t, 
Westphal)  erwähnen,  dass  bei  der  Autopsie  ähnlich  wie  bei 
acuten  fieberhaften  Erkrankungen  eine  grosse,  weiche  Milz 
und  Leber,  Schwellungszustände  der  Nieren,  Mesenterialdrüsen 
und  Follikel,  hämorrhagische  Herde  in  Lunge  und  Darm  nach¬ 
weisbar  waren.  Nach  dieser  allgemeinen  Skizze  der  Landry- 
schen  Paralyse  und  der  bei  dieser  Krankheit  bisher  er¬ 
hobenen  histologischen  und  bacteriologischen  Befunde  wollen 
wir  zu  unserem  Falle  übergehen. 

E.  S.,  33jähriger  verheirateter  Hilfsarbeiter  einer  Wäscherei, 
wurde  am  13.  Mai  1899  auf  die  Klinik  aufgenommen. 

Der  Vater  des  Patienten  starb  im  Alter  von  64  Jahren  an 
einem  chronischen  Lungenleiden,  die  Mutter,  62  Jahre  alt,  angeb¬ 
lich  an  Altersschwäche;  auch  sie  habe  lange  gehustet.  Von  neun 
Geschwistern  sind  sechs  an  ihm  unbekannten  Krankheiten,  im  Alter 
von  10  bis  20  Jahren  gestorben;  drei  leben  und  sind  gesund. 


In  seiner  Kindheit  erlitt  Patient  einen  Sturz  ins  Wasser, 
worauf  er  durch  einige  Stunden  bewusstlos  blieb  und  nur  mühsam 
wieder  ins  Leben  gerufen  werden  konnte;  im  Anschlüsse  an  den 
erlittenen  Schrecken  habe  sich  die  ihm  eigenthümliche,  schwierige 
Art  des  Sprechens,  ein  Anstossen  mit  der  Zunge,  entwickelt. 

Zu  gleicher  Zeit,  im  Alter  von  fünf  Jahren,  trat  auch  ein 
äusseres  Augenleiden  auf,  worüber  Patient  jedoch  nur  anzugeben 
weiss,  er  habe  damals  durch  Wochen  die  Augen  verbunden  tragen 
müssen. 

Seit  dem  15.  Lebensjahre  datirt  die  allmälige  Entwicklung 
einer  massigen,  colloiden  Struma  des  mittleren  Antheils  der  Schild¬ 
drüse,  welche  auch  den  Grund  abgab,  dass  Patient  nicht  zum 
Militärdienste  herangezogen  wurde. 

Vor  zwei  Jahren  soll  Patient  durch  einige  Tage  an  rheuma¬ 
tischen  Schmerzen  der  Rückenmusculatur  gelitten  haben. 

Anfangs  Mai  d.  J.  empfand  Patient,  der  mit  den  Händen  beim 
Ausringen  der  Wäsche  schwer  zu  arbeiten  hatte,  zum  ersten  Male 
das  Gefühl  von  Pamstigsein,  Kriebeln  in  den  Endgliedern  der 
Finger  an  beiden  Händen;  am  8.  Mai  wachte  Patient  mit  reissenden 
Kopfschmerzen  in  beiden  Schläfen  auf,  die  in  das  Genick  aus¬ 
strahlten;  er  erklärte  sich  dieselben  durch  den  Umstand,  dass  er 
am  Vortage  besonders  stark,  nämlich  die  doppelte  Anzahl  Pfeifen 
wie  gewöhnlich  (8),  geraucht  hatte.  Er  fühlte  sich  überdies  schwindlig, 
und  empfand  mässige  Schmerzen  in  der  Gegend  beider  Kniegelenke 
und  in  den  Waden,  welche  sich  auf  Druck  steigerten;  ausserdem 
glaubte  er,  die  Füsse  müssten  jeden  Augenblick  unter  ihm  ein- 
schnappen;  jetzt  erst  trat  auch  in  den  Füssen  das  Gefühl  des 
Pamstigseins  auf,  so  dass  er  den  Boden  nicht  recht  spürte,  als 
hätte  er  eine  besonders  dicke  Sohle  an. 

Mühsam  nur  hielt  sich  Patient  am  8.  tagsüber  noch  auf  den 
Beinen;  Abends  musste  er  zu  Bette  gehen.  Im  Laufe  der  nächsten 
Tage,  die  der  Kranke  in  häuslicher  Pflege  und  Bettruhe  verbrachte, 
stellten  sich  mässige  bronchitische  Erscheinungen  ein,  gegen  welche 
er  sich  mit  Dunstumschlägen  behandelte.  Die  Zunahme  der  Schmerzen 
in  den  Beinen  veranlassten  den  Patienten  am  13.  Mai  sich  in  die 
Klinik  aufnehmen  zu  lassen. 

Patient  ist  geneigt,  seine  Beschäftigung  in  einer  Dampf¬ 
wäscherei  mit  dem  häufigen  Wechsel  von  extrem  hohen  mit  nie¬ 
deren  Temperaturen  und  heftigem  Luftzug  für  den  Beginn  seines 
Leidens  verantwortlich  zu  machen. 

Für  die  Annahme  eines  nennenswerthen  Potus  oder  für  Lues 
bestehen  keine  Anhaltspunkte. 

Status  praesens;  Patient  ist  mitlelgross,  kräftig  gebaut, 
gut  genährt,  mässig  congestionirt,  leicht  subikterisch  gefärbt.  Er 
nimmt  active  Rückenlage  ein.  Sensorium  frei.  Er  klagt  über  starken 
Stirn-  und  Schläfekopfschmerz,  besonders  rechterseits.  Das  Schädel¬ 
dach  in  toto  auf  Beklopfen  empfindlich. 

Die  Musculatur  erweist  sich  als  schlaff,  aber  ohne  Atrophieen. 
Oedeme  oder  Narben  bestehen  keine.  Die  Haut  fühlt  sich  feucht 
an,  ist  allenthalben  gleichmässig  temperirt.  Am  rechten  Vorderarm 
und  linken  Oberschenkel  sind  einige  kleine,  haselnussgrosse  Lipome 
sichtbar. 

Pulsfrequenz  80,  Arterie  verläuft  gerade,  nicht  verdickt, 
Spannung  etwas  unter  der  Norm,  Puls  rhythmisch,  hoch,  schnellend. 

Respirationsfrequenz  18,  Typus:  costodiaphragmal. 

Die  Zunge  ist  feucht,  mässig  grauweiss  belegt,  Rachenschleim¬ 
haut  stark  geröthet,  hintere  Rachenwand  stellenweise  mit  zähem 
Schleim  bedeckt.  Die  Schilddrüse  mässig  vergrössert,  derb,  im 
Mittellappen  colloid.  In  jugulo  tastbare  Pulsation. 

Der  Thorax  ist  gut  gewölbt,  breit,  von  mittlerer  Länge;  die 
beiderseitigen  Intercostalräume  erfahren  im  Inspirium  eine  mässige 
Einziehung. 

Links  vorne  heller,  voller  Percussionsschall  bis  zur  vierten, 
rechts  bis  zur  sechsten  Rippe  bei  gut  erhaltener  respiratorischer 
Verschieblichkeit;  das  Athmungsgeräusch  beiderseits  vorne  vesiculär, 
rechts  etwas  abgeschwächt.  Hinten  ergibt  die  Percussion  auf  beiden 
Seiten  hellen,  vollen  Schall  bis  etwa  handbreit  unter  den  Angulus 
scapulae;  die  Lungengrenzen  respiratorisch  deutlich  verschieblich, 
links  Vesiculärathmen,  rechts  zahlreiche,  kleinblasige,  feuchte 
Rasselgeräusche.  Stimmfremitus  bietet  nicht  Abnormes. 

Der  Herzspiizenstoss  als  schwache  pulsatorische  Erschütterung 
im  fünften  linken  Intercostalräume  innerhalb  der  Mamilla  tastbar, 
die  Grenzen  der  Herzdämpfung  bildet  nach  oben  die  vierte,  linke 


Sr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Rippe,  nach  links  die  Gegend  des  Spitzenstosses,  nach  rechts  der 
linke  Sternalrand.  lieber  dem  Herzen  und  den  grossen  Gefässen 
reine  Töne;  der  zweite  Aortenton  etwas  lauter. 

Das  Abdomen  erscheint  etwas  unter  das  Niveau  des  Thorax 
eingesunken,  die  Leber  kaum  merklich  vergrössert,  die  Milz  nicht 
palpabel. 

Die  Untersuchung  des  Nervensystems  ergab  Folgendes: 

Sensorium  frei,  Intelligenz  ungestört,  Stimmung  ängstlich, 
Sprache  heiser. 

Der  Fundus  beider  Augen  ist  vollkommen  normal;  dabei  be¬ 
steht  starke  concentrische  Einschränkung  des  Gesichtsfeldes  für 
Weiss,  ebensowohl  wie  für  Farben;  die  für  Blau  ist  stärker  wie 
jene  für  Roth.  Die  Beweglichkeit  der  Bulbi  ist  ganz  frei,  keine 
Spur  von  Nystagmus.  Die  Pupillen  mittelweit,  reagiren  auf  Licht 
träge,  besonders  die  linke;  auf  Accommodation  erfolgt  die  Reaction 
besser,  und  zwar  beiderseits  gleich;  Cornealreflexe  fehlen. 

Der  Trigeminus  zeigt  sowohl  in  seinem  sensiblen,  als  auch 
in  seinem  motorischen  Theile  keine  Abnormitäten. 

Im  Bereiche  des  Stirnfacialis  erfolgt  die  Faltenbildung  beider¬ 
seits  gleich,  die  Innervation  des  Mundfacialis  ebenso;  das  Pleifen 
erscheint  zwar  unmöglich,  aber  blos  aus  dem  Grunde,  weil  die  Luft 
durch  die  Nase  entweicht. 

Der  Gaumen  ist  beiderseits  vollständig  paretisch;  Gaumen- 
retlexe  fehlen. 

Uvula  weicht  etwas  nach  links  ab. 

Bei  Affectbewegungen  und  Mitbewegungen  erweisen  sich  die 
Leistung  der  Facialisäste  auf  der  rechten  Seite  sicher  normal, 
während  links  eine  leichte  Schwäche  nachweisbar  ist. 

Die  Zunge  zeigt  keine  Deviation,  ist  prompt  beweglich,  und 
wird  gerade  vorgestreckt.  Die  mechanische  Erregbarkeit  des  Facialis 
ist  nicht  erhöht. 

Das  Hörvermögen  erweist  sich  intact,  und  zwar  lautete  der 
Befund:  links  Cerumen,  rechts  leicht  getrübtes  Trommelfell. 
Rinne  beiderseits  positiv,  Kopfknochenleitung  auf  beiden  Seiten 
intact. 

Der  Geschmack  für  Bitter  und  Süss,  mit  Chinin-  und  Zucker¬ 
lösung  geprüft,  ist  erhalten,  der  Schluckact  erfolgt  aber  nicht  immer 
ganz  glatt,  indem  Neigung  besteht,  sich  zu  verschlucken. 

Die  Stimme  ist  heiser,  aphonisch,  das  Husten  erfolgt 
klangvoll. 

Der  laryngoskopische  Befund  (Herr  Assistent  Dr.  II  a  r  m  e  r) 

lautet : 

»Die  Function  des  Internus  und  Transversus fällt  nahe  zu  gänzlich 
aus,  so  dass  die  Annäherung  der  Stimmbänder  fast  ausschliesslich 
durch  den  Cricoarytaenoideus  lateralis  erfolgt;  dieselbe  geschieht 
derart,  dass  die  stark  hervortretenden  Spitzen  der  beiden  Processus 
vocales  sich  gegen  einander  bewegen,  was  in  sehr  wechselnder 
Intensität  geschieht,  doch  niemals  zur  Berührung  der  Processus 
vocales  führt.  Der  Cricoarytaenoideus  posticus  functionirt  voll¬ 
ständig  normal.  Die  Glottis  kann  maximal  erweitert  werden. 

Auffällig  ist  eine  kleine  Differenz  in  der  Beweglichkeit  der 
Stimmbänder,  von  denen  das  linke  grössere  Excursionen  macht. 
Diagnose:  Internus-  und  Transversuslähmung. « 

An  den  unteren  Extremitäten  äussert  sich  beim  Heben  eine 
deutliche,  schlaffe  Parese,  und  zwar  mehr  an  den  periphersten  An- 
theilen  derselben;  hei  den  Bewegungen  derselben  zeigt  sich  eine 
gewisse  Unsicherheit,  von  der  schwer  zu  entscheiden  ist,  ob  sie 
Folge  der  Ataxie  oder  der  mangelhaften  Innervation  ist.  Gehen  und 
Stehen  nur  schwer  möglich,  im  Liegen  werden  die  einzelnen  Be¬ 
wegungen  noch  gut,  aber  mit  geringer  motorischer  Kraft  aus¬ 
geführt. 

Die  Reflexe  an  beiden  unteren  Extremitäten,  auch  die  Plantar¬ 
reflexe,  fehlen  vollständig. 

Die  Sensibilität  ist  in  allen  ihren  Qualitäten  ungestört;  selbst 
feine  Berührungen  werden  richtig  angegeben,  die  Loealisirung  der 
Schmerzempfindung,  die  Unterscheidung  von  Kälte  und  Wärme  er¬ 
folgt  prompt  und  correct,  die  tiefe  Sensibilität  ist  ebenso  ungestört 
wie  der  Raumsinn.  Die  Musculatur,  die  Nervenstämme  sind  seihst 
auf  starken  Druck  nicht  empfindlich.  Fibrilläre  Zuckungen  sind  an 
den  unteren  Extremitäten  nicht  zu  beobachten. 

Der  Cremasterreflex  ist  rechts  etwas  schwächer  als  links, 
Bauchdeckenreflex  fehlt  zur  Gänze.  Es  besteht  keinerlei  Blasen¬ 


oder  Mastdarmstörung.  Auffallend  leicht  sind  Taches  cerebrales 
hervorzurufen. 

An  den  oberen  Extremitäten  zeigen  sich  die  proximalen  Enden 
der  zweiten  Phalangen  sämmtlicher  Finger  miissig  verdickt,  sonst 
bestehen  keine  grob  wahrnehmbaren  Veränderungen.  Die  motorische 
Kraft  der  Arme  ist  aber  stark  eingeschränkt,  das  Heben  geschieht 
nur  mühsam,  besonders  die  rechte  Hand  erscheint  stark  paretisch. 

Die  Bewegungen  erfolgen  etwas  langsam,  unsicher,  aber  nicht 
ataktisch. 

Reflexe  sind  seitens  der  oberen  Extremitäten  nicht  aus¬ 
zulösen,  es  besteht  auch  keine  Druckempfindlichkeit  der  Nerven¬ 
stämme,  keine  vasomotorischen  oder  Sensibilitätsstörungen  im  Be¬ 
reiche  der  oberen  Extremitäten,  abgerechnet  eine  beiderseitige 
leichte  Störung  der  liefen  Sensibilität,  indem  Patient  den  Zeige¬ 
finger  nicht  finden  kann. 

Bei  der  (am  17.  Mai  vorgenommenen)  Prüfung  des  elektrischen 
Verhaltens  auf  faradischen  Strom  vom  Nerven  aus  ergab  sich  mit  einem 
Du  Bois-Reymon  d’schen  Schlittenapparate  mittlerer  Grösse 
Zuckung:  Am  Stirnast  des  Facialis  links  bei  einem  Rollenabstande 
von  8  cm,  am  Stirnast  des  Facialis  rechts  hei  einem  Rollenabstande 
von  8  cm,  am  Unterkieferast  des  Facialis  links  bei  einem  Rollen¬ 
abstande  von  10  cm,  am  Unterkieferast  des  Facialis  rechts  bei 
einem  Rollenabstande  von  9  cm,  am  N.  ulnaris  links  bei  einem 
Rollenabstande  von  8'/2c?u,  am  N.  ulnaris  rechts  bei  einem  Rollen¬ 
ahstande  von  8  '/2cm,  am  N.  radialis  links  bei  einem  Rollenabstande 
von  8 Y2cm,  am  N.  radialis  rechts  bei  einem  Rollenabstande  von 
8  cm,  am  N.  peroneus  links  bei  einem  Rollenabstande  von  8  cm , 
am  N.  peroneus  rechts  bei  einem  Rollenabstande  von  8 l/2cm; 
bei  directer  Muskelreizung  am  M.  biceps  links  hei  einem  Rollen¬ 
abstande  von  10  y2  cm,  am  M.  biceps  rechts  bei  einem  Rollenab- 
stande  von  10  '/2  cm,  am  M.  sternocleidomastoideus  links  bei  einem 
Rollenabstande  von  9  '/2  cm,  am  M.  sternocleidomastoideus  rechts 
hei  einem  Rollenahstande  von  9  '/2  cm. 

Die  am  14.  Mai  vorgenommene  Harnuntersuchung  ergab 
nachstehenden  Befund:  Tagesmenge  1100  cm3;  specilisches  Ge¬ 
wicht  1034;  Farbe:  röthlichgelb ;  Reaction:  sauer;  Nucleoalbumin: 
negativ;  Serumalbumin:  negativ;  Zucker:  negativ;  Indican:  positiv; 
Bilirubin:  negativ;  Urobilin:  in  Spuren;  Skatol:  positiv;  Aceton: 
negativ;  Acetessigsäure:  negativ;  Chloride:  deutlich  vermindert; 
Phosphate:  in  normalem  Verhältniss;  Sanguis:  negativ;  Diazoreaction : 
negativ. 

Decursus  morbi:  14.  Mai.  Patient,  der  schon  seit  einigen 
Tagen  obstipirt  ist,  erhält  drei  Kapseln  Ol.  ricini  ä  50.  Ohne  Effect. 

Am  Nachmittag  erbricht  Patient  das  zu  Mittag  genossene 
Compot;  im  Anschlüsse  daran  tritt  eine  hochgradige  Dyspnoe  auf 
mit  sehr  frequenter,  angstvoller  und  zeitweise  aussetzender  Athmung, 
gleichzeitig  auch  Schlingkrämpfe,  so  dass  Flüssigkeiten  nicht  passiren. 
Dabei  ist  die  Gesichtsfarbe  blass,  Lippen  und  Ohren  cyanotisch, 
Nasenlöcher  weit  geöffnet,  choreatische  Zuckungen  in  sämmtlichen 
Extremitäten. 

G  Uhr  Abends.  Die  Anfälle  von  Atheinnoth  wiederholen  sich 
in  rascher  Aufeinanderfolge,  sie  dauern  jedes  Mal  einige  Minuten; 
Sensorium  hiebei  erhalten,  Puls  fadenförmig,  starke  Cyanose,  keine 
Pupillendifferenz.  Die  rechte  Thoraxhälfte  bleibt  während  dieser 
Anfälle  bei  den  Athembewegungen  fast  vollständig  zurück,  während 
die  linke  forcirt  inspirirt.  Bei  der  Auscultation  fehlt  rechts  ein 
eigentliches  Athemgeräusch,  dagegen  trockene,  regellose  Rassel¬ 
geräusche  hörbar,  links  scharfes  Vesiculärathmen.  Kein  Husten, 
kein  Auswurf.  Nach  einer  erfolgreichen  hohen  Irrigation  besserte 
sich  der  Zustand  ganz  auffällig,  indem  der  vorher  in  folge  der 
Dyspnoe  sehr  geängstigte  Patient  sich  durch  das  Auf  hören  diesei 
Anfälle  subjectiv  wesentlich  freier  fühlt,  dabei  erscheint  die  Cyanose 
geringer,  die  motorischen  Reizerscheinungen  in  Form  ehoreatischei 
Zuckungen  erfolgen  jetzt  seltener,  der  Puls  wird  kralliger,  vollei. 
80  in  der  Minute. 

15.  Mai.  Patient  klagt  über  heftige  Kopfschmerzen,  besonders 
in  der  rechten  Stirnhälfte.  Zeitweilig  stellt  sich  auch  wieder  die 
Dyspnoe  wie  am  Vortage  ein.  Dabei  lallt  aul,  dass  die  unteien 
Thoraxpartien  beiderseits  an  der  Athmung  kaum  betheihgt  sind, 
indem  nur  die  Heber  des  Thorax  einen  von  der  Norm  ganz  ab¬ 
weichenden  Athmungstypus,  nämlich  eine  krampfartige  Einziehung 
des  Epigastriums  im  Inspirium,  eine  starke,  stossweise  \  orwölbung 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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während  des  verlängerten  Exspiriums  zu  bewirken  scheinen.  Der 
auscultatorische  Befund  im  Gleichen. 

Wasser  wird  vom  Patienten  wohl  geschluckt,  aber  er  ver¬ 
schluckt  sich  leicht.  Profuse  Schweise.  Injectionen  von  01.  camphor. 

16.  Mai.  Die  in  der  Anamnese  erwähnten  Schmerzen  in  den 
Kniegelenken  und  Waden  sind  auch  jetzt,  selbst  beiheftigemDrucke,  nicht 
weiter  auszulösen.  Die  allgemeine  Schwäche  hat  allenthalben  deut- 
lichst  zugenommen.  Patient,  der  am  13.  noch,  allerdings  mühsam 
herumgehen  und  sich  auf  den  Füssen  behaupten  konnte,  vermag 
dies  nicht  mehr,  ja  er  kann  sich  nicht  einmal  mehr  im  Bette 
sitzend  erhalten.  Hände  sind  schwach  und  unsicher,  Händedruck 
kraftlos.  Wirbelsäule  nicht  schmerzhaft,  Dornfortsätze  bei  Druck 
nicht  empfindlich. 

Die  eigenthümliche  Form  der  Athmung  ist  noch  stärker  pronon- 
cirt,  die  Schädigung  des  Zwerchfells  und  Ausschaltung  der  unteren 
Athmungsmuskeln  deutlicher  geworden. 

Im  Uebrigen  keine  Veränderung. 

1 7.  Mai.  Stärkere  Cyanose,  das  Gesicht  congestionirt.  Patient 
ist  auffällig  versatil,  wirft  mit  den  Händen  nach  den  verschieden¬ 
sten  Richtungen  und  scheint  den  Kopf  ins  Kissen  zu  bohren,  keine 
Nackenstarre.  Er  verschluckt  sich  öfters  als  bisher,  urinirt  spontan 
ohne  Beschwerden. 

Sensorium  vollkommen  frei. 

6  Uhr  Abends.  Patient  klagt  über  Schwäche  und  grosses 
Hungergefühl,  ln  der  Absicht,  ein  Nährklysma  nachzuschicken, 
applicirt  man  ihm  zunächst  ein  Reinigungsklysma.  Da  dasselbe 
jedoch  sofort  abfliesst,  werden  weitere  künstliche  Ernährungsver¬ 
suche  aufgegeben. 

1 1  Uhr  Abends.  Die  Anfälle  von  Athemnoth  häufen  sich, 
starke  Cyanose  mit  kleinstem  fliegendem  Puls,  Lufthunger,  Schweiss¬ 
ausbruch.  Die  Zwerchfellslähmung  in  eminenter  Weise  ausge¬ 
sprochen. 

Nach  Injectionen  von  01.  camphor,  fühlt  sich  Patient  subjectiv 
wohler  und  wird  ruhiger. 

Um  4  Uhr  Morgens  erfolgt  der  Exitus  letalis. 

Nachstehend  noch  die  Uebersicht  über  Temperatur,  Puls  etc. 
während  des  ganzen  an  der  Klinik  beobachteten  Verlaufes: 


Datum 

Tageszeit 

und 

Stunde 

Temperatur 

Puls 

- 

Respiration 

Harnmenge 

Specifisches 

Gewicht 

2 

CZJ 

Anmerkung 

13.  Mai 

10  Uhr  Vorm. 

36 

78 

18 

700 

1035 

4  Uhr  Nachm. 

36-8 

80 

18 

700 

1035 

— 

14.  Mai 

7  Uhr  Vorm. 

36 

80 

18 

1100 

1034 

_ 

_ 

4  Uhr  Nachm. 

36-8 

96 

24 

— 

— 

— 

Irrigation 

6  Uhr  Nachm. 

mit  nachfol- 

gender  reich- 

lieber  Ent- 

leerung 

15.  Mai 

7  Uhr  Vorm. 

36-5 

72 

25 

2100 

1036 

1 

4  Uhr  Nachm. 

37-8 

102 

36 

6  Uhr  Nachm. 

37-6 

— 

8  Uhr  Nachm. 

36-9 

— 

— 

10  Uhr  Nachm. 

37-2 

96 

30 

16.  Mai 

7  Uhr  Vorm. 

36-8 

78 

28 

500 

1036 

0 

9  Uhr  Vorm. 

37T 

— 

— 

11  Uhr  Vorm. 

37-4 

90 

28 

1  Uhr  Nachm. 

37-5 

— 

3  Uhr  Nachm. 

37-7 

102 

32 

5  Uhr  Nachm. 

377 

— 

— 

7  Uhr  Nachm. 

37'5 

108 

34 

9  Uhr  Nachm. 

37  5 

— 

— 

17.  Mai 

7  Uhr  Vorm. 

37 

82 

28 

600 

1037 

0 

10  Uhr  Vorm. 

37 

— 

12  Uhr  Vorm. 

37-1 

— 

2  Uhr  Nachm. 

37-4 

— 

4  Uhr  Nachm. 

37-5 

102 

32 

6  Uhr  Nachm. 

37-8 

108 

36 

Klysma 

8  Uhr  Nachm. 

38 

— 

_ 

lOUhrNachm. 

38T 

120 

40 

— 

Die  Autopsie,  4y2  Stunden  post  mortem  vom  Herrn  Assi¬ 
stenten  Dr.  Landsteiner  vorgenommen,  ergab: 

»Hochgradige  Hyperämie  des  Gehirns.  Schädeldecken  massig 
blutreich,  Schädel  mesocephal,  Knochen  3 — 4  mm  dick,  Nähte  er¬ 
halten.  In  den  Blutleitern  flüssiges  Blut.  Gefässe  an  der  Basis  zart. 
Die  Meningen  stark  hyperämisch,  ebenso  das  Marklager  und  die 
Rinde.  Ventrikel  massig  erweitert,  das  Marklager  stark  durchfeuchtet; 
die  Consistenz  des  Gehirnes  gering.  Zwerchfellstand  an  der  fünften 
Rippe  beiderseits.  Die  vorderen  Ränder  der  linken  Lunge  ge¬ 
bläht,  im  Unterlappen  blutreich,  stark  durchfeuchtet.  Rechte 
Lunge  hyperämisch,  stark  durchfeuchtet,  Unterlappen  etwas 
comprimiit.  Aus  den  Bronchien  entleert  sich  beim  Durchschnitt 
etwas  zäher  Schleim.  Linke  Tonsille  geschwellt,  in  derselben  einige 
Eiterpfropfe.  Die  Follikel  am  Zungengrund  stark  ausgebildet.  Herz- 
lleisch  von  brauner  Farbe,  Klappen  zart.  Leber  von  braunrother 
Farbe,  die  acinöse  Zeichnung  gut  ausgesprochen,  von  mittlerer 
Consistenz.  Milz  von  normaler  Grösse,  Schnittfläche  glatt,  sich  nicht 
vorwölbend,  durch  Hervortreten  der  Follikel  und  Vorhandensein 
einer  dunkelrothen  Pulpa  weissroth  marmorirt.  Die  Nieren  von 
normaler  Consistenz,  graurother  Färbung,  die  Rindensubstanz  leicht 
getrübt.  Im  Magen  spärlicher,  durch  etwas  veränderten  Blutfarbstoff 
braunroth  gefärbter  Inhalt;  die  Schleimhaut  zum  Theil  verdaut.  Im 
unteren  Ileum  die  Follikel  geschwellt,  stellenweise  von  Hämorrha- 
gieen  umgeben.  Auch  sonst  an  der  Dünndarmschleimhaut  Hämor- 
rhagieen;  ebenso  in  der  Schleimhaut  des  Colon;  die  Schleimhaut 
selbst  im  Uebrigen  dünn. 

Pathologisch-anatomische  Diagnose:  Hyperämie  des  Gehirns, 
der  Lungen;  Hämorrhagieen  in  der  Schleimhaut  des  Dünn-  und 
Dickdarmes,  Bronchitis  (Landry’sche  Lähmung).« 

Resumiren  wir  nun  das  beschriebene  Krankheitsbild  in 
aller  Kürze,  so  finden  wir,  es  handle  sich  um  einen  33jährigen, 
kräftigen,  dem  Trünke  nicht  ergebenen  Wäscher,  bei  dessen 
Berufsarbeit  besonders  die  oberen  Extremitäten  in  Anspruch 
genommen  waren.  Ausser  einer  geringfügigen  Sprachstörung, 
die  nach  einem  Sturz  in  frühem  Kindesalter  aufgetreten  war, 
und  einer  mässigen  Struma,  soll  er  angeblich  nie  krank  ge¬ 
wesen  sein.  Anfangs  Mai  treten  in  den  Fingern  beiderseits 
Parästhesien  auf.  Am  7.  Mai  raucht  Patient  doppelt  so  viel 
wie  gewöhnlich;  am  8.  Mai  besteht  heftiger  Schläfenkopf¬ 
schmerz,  Schwindel,  Wadenschmerzen,  Parästhesien  und  Paresen 
der  unteren  Extremitäten.  Seit  9.  Mai  ist  Patient  unter 
bronchitischen  Erscheinungen  bettlägerig,  seit  dem  13.  in  klini¬ 
scher  Behandlung  mit  folgendem  Status  :  Sensorium  frei,  con- 
centrische  Gesichtsfeldeinschränkung  für  Weiss  und  Farben. 
Pupillen  reagiren  träge  auf  Licht,  besser  auf  Accommodation. 
Corneal-,  Gaumen-,  Plantar-,  Patellar-  und  Bauchdecken-Reflexe 
sind  nicht  auszulösen.  Internus-  und  Transversuslähmung.  Sen¬ 
sibilität  ist  in  allen  ihren  Qualitäten  ungestört.  Es  besteht 
keine  Druckempfindlichkeit  der  Musculatur  und  der  Nerven- 
stämme.  Blase  und  Mastdarm  intact.  Hochgradige  schlaffe 
Paraparese,  keine  Ataxie,  keine  Entartungsreaction.  Im  Harn 
kein  Eiweiss,  kein  Zucker,  hingegen  Indican  und  Skatol 
positiv.  Am  14.  Mai  treten  Dyspnoe,  Schlingkrämpfe,  Cyanose 
auf.  15.  Mai.  Parese  der  Intercostalmuskeln,  profuse  Schweisse. 

16.  Mai.  Phrenicuslähmung  deutlicher,  Schwäche  fortschreitend. 

17.  Mai.  Sensorium  frei,  Collaps,  4  Uhr  Nachts  Exitus  letalis. 
Der  Verlauf  war  bis  kurz  vor  dem  Tode  afebril. 

Für  die  Diagnosenstellung  kamen  in  Frage:  Polyneuritis, 
paroxysmale  familiäre  Lähmung,  Myelitis  acuta,  Hämatomyelie, 
Poliomyelitis  acuta,  acute  Bulbärparalyse,  Lues  spinalis  und 
Hysterie  neben  L  a  n  d  r  y’scher  Paralyse. 

Unstreitig  besass  das  Krankheitsbild  einige  Aehnliclikeit 
mit  einer  peripheren  Neuritis.  Es  sprach  dafür  der  Beginn 
mit  lebhaften  Parästhesieen,  der  Schläfenkopfschmerz,  wie  er 
sich  bei  acuten  infectiösen  Processen  findet,  das  allgemeine 
Gefühl  von  Schwäche  und  Schmerz  in  der  Musculatur  und  in 
der  Umgebung  der  Gelenke,  daran  anschliessend  das  Auftreten 
von  Paresen,  die  Areflexie,  das  Intactbleiben  von  Blase  und 
Mastdarm,  die  Progredienz  der  Erscheinungen  auf  Zwerchfell 
und  Schlundmusculatur. 

Dagegen  fehlten  in  unserem  Falle  die  fieberhaften  All¬ 
gemeinerscheinungen,  der  bei  Polyneuritis  oft  vorkommende 


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initiale,  einmalige  Schüttelfrost  oder  wiederholte  Fröste,  die 
trophischen  Störungen,  stärkere  motorische  Reizerscheinungen, 
Veränderungen  der  elektrischen  Erregbarkeit.  Ueberdies  ver¬ 
liefen  die  Lähmungen  nicht  sprunghaft,  entsprechend  dem  Ver¬ 
laufe  isolirter  Nervenbahnen,  sondern  ihre  Ausbreitung  war 
eine  diffuse,  allmälig  und  doch  unaufhaltsam  ansteigende  mit 
beängstigender  Tendenz  zum  Uebergreifen  auf  die  lebens¬ 
wichtigen  Centren  der  Medulla  oblongata.  Es  war  auch 
nicht  möglich,  etwaige  Nervenverdickungen  zu  palpiren,  es 
fehlten  weiters  locale  Röthe,  Schweissbildung  und  Oedeme, 
die,  wenn  auch  nicht  immer,  bei  Polyneuritis  doch  häufig 
Vorkommen.  Alle  diese  Gründe  sprachen  gegen  Polyneuritis. 

Weiters  musste  man  an  die  von  Gold  flam  seit  1890 
in  einigen  Fällen  beschriebene  paroxysmale,  familiäre  Lähmung 
denken,  die  sich  in  plötzlicher,  meist  des  Nachts  auftretender 
Lähmung  der  Extremitäten,  des  Rumpfes  und  des  Halses 
äussert,  nachdem  gewöhnlich  Abgeschlagenheit,  Mattigkeit  und 
Gliederreissen  vorausgegangen  sind.  Die  Lähmung  ist  eine 
schlaffe,  die  elektrische  Erregbarkeit  herabgesetzt.  Nicht  beein¬ 
trächtigt  werden  hiebei  die  Sprache,  das  Schlucken,  die 
Sphinkteren,  das  Bewusstsein  und  die  Sensibilität. 

Die  Dauer  beträgt  einige  Stunden  bis  zu  drei  Tagen,  um 
gewöhnlich  in  plötzliche  Genesung  überzugehen. 

Betont  zu  werden  verdient,  dass  die  Auslösung  der  An¬ 
fälle  in  mehreren  Beobachtungen  von  G  o  1  d  f  1  a  m’scher  Läh¬ 
mung  mit  copiöser  Nahrungsaufnahme  in  zeitlichem  Zusammen¬ 
hang  zu  stehen  schien,  so  dass  die  Annahme  einer  toxischen 
Ursache  nahe  liegt. 

Dieselbe  wird  noch  unterstützt  durch  den  Befund  von 
Eiweiss,  rothen  Blutkörperchen  und  verfetteten  Nierenepithelien 
in  dem  zu  Ende  des  Anfalls  ausgeschiedenen  Harn,  und  Leuko- 
cytose  während  der  Attaque.  Sprach  schon  der  Mangel  jedei 
familiären  Disposition  gegen  diese  Diagnose,  so  musste  nach 
Ablauf  des  dritten  Krankheitstages,  dem  Maximum  der  Dauei 
dieser  Affection,  sicherlich  von  der  Annahme  einer  G  o  1  d- 
f  1  a  m’schen  Lähmung  abgegangen  werden. 

Mit  der  Myelitis  acuta,  insbesondere  der  ascendirenden 
Form,  hatte  unser  Krankheitsfall  gemeinsam  die  Prodromal¬ 
erscheinungen,  bestehend  in  dumpfem  Gliederschmerz,  Kriebeln 
und  Mattigkeit  der  Extremitäten,  das  rasche  Ermüdungs¬ 
gefühl  bei  Gehversuchen,  die  Motilitätsstörungen,  die  anfäng¬ 
liche  Schlaffheit  der  Musculatur  mit  herabgesetzten  Sehnen¬ 
reflexen,  die  Parästhesieen,  das  Fehlen  der  Entartungsreaction, 
der  Druckempfindlichkeit  der  Wirbelsäule;  auch  das  hehlen 
des  Fiebers  konnte  nicht  gegen  diese  Diagnose  verwerthet 
werden. 

Gegen  Myelitis  aber  liess  sich  geltend  machen  :  Das 
Fehlen  stärkerer  motorischer  Reizerscheinungen,  klonischer 
Krämpfe  oder  Contracturen,  uer  Abgang  höhergradigei  Sen- 
sibilitäts-  oder  trophischer  Störungen,  weiters  der  Mangel  von 
oculo-pupillären  Symptomen,  Blasen-  und  Mastdarmstörungen, 
Decubitus,  rapid  auftretenden  Atrophieen;  weiters  waren  keine 
entzündlichen  Symptome,  wie  erhöhte  Temperatur,  Oedeme, 
Röthung  der  gelähmten  Glieder  nachweisbar,  wie  sie  bei 
Myelitis  vorzukommen  pflegen.  Der  Ausgang  unter  Er¬ 
scheinungen  der  Athemlähmung  und  nicht  unter  cerebialen 
Allgemeinsymptomen  in  Folge  Septikämie  oder  Urämie,  wie 
gewöhnlich  bei  Myelitis,  sprach  noch  weiters  gegen  die  An¬ 
nahme  dieses  Processes. 

An  Hämatomyelie  war  darum  nicht  zu  denken,  weil 
kein  Trauma  vorausgegangen,  und  der  Verlauf  ein  progre¬ 
dienter  war. 

Poliomyelitis  anterior  acuta,  eventuell  hämorrhagica, 
welche  gleichfalls  differentialdiagnostisch  in  Erwägung  kam, 
verläuft  allerdings,  wie  aus  den  Beobachtungen  von  Hlava, 
Im  merman  n  u.  A.  hervorgeht,  mitunter  unter  dem  Bilde  einer 
L  a  n  d  r  y’schen  Paralyse;  insbesondere  finden  wir  den  lein 
motorischen  Charakter  der  Lähmung,  das  b  reibleiben  dei 
Sphinkteren,  den  Verlust  der  Sehnenreflexe  auch  als  heivoi 
stechendste  Symptome  der  Landry’schen  Lähmung. 

Hiebei  ist  jedoch  zu  bedenken,  dass  in  dem  Altei  des 
Patienten  poliomyelitische  Erkrankungen  nur  selten  beobachtet 
sind,  dass  sich  weiters  bei  Poliomyelitis  im  Verlaufe  des  nicht  | 


progredienten,  meist  nur  eine  Extremität  betreffenden  1  ’ro- 
ces°es,  der  vielmehr  zu  Beginn  unter  Fieber  seine  grösste 
Ausdehnung  erreicht,  und  nie  die  Medulla  oblongata  in  Mitleiden¬ 
schaft  zieht,  bald  Atrophieen  und  Störungen  in  der  elektrischen 
Erregbarkeit  einstellen,  während  diese  Veränderungen  bei  der 
Landry’schen  Paralyse  ohne  Betheiligung  der  peripheren 
Nerven  fehlen,  wobei  allerdings  die  Kürze  der  Beobachtungs¬ 
dauer  mit  erwogen  zu  werden  verdient. 

Bei  der  acuten  Bulbärparalyse  beobachten  wi-  auch,  wie 
bei  unserem  Falle,  Extremitätenlähmung,  welcher  Prodrome, 
bestehend  in  Hinterhauptsschmerz  und  Parästhesieen,  voraus¬ 
gehen  können;  und  zwar  betrifft  die  Extremitätenlähmung 
auch  vorwiegend  die  Motilität;  weiters  Schluck-,  Sprach-  und 
Kehlkopflähmung,  dann  Respirationsstörungen. 

Dagegen  grenzte  sich  unser  Krankheitsbild  von  der 
acuten  Bulbärparalyse  ab:  durch  das  Fehlen  von  Circulations- 
störungen,  den  Mangel  stürmischer,  initialer  Symptome  mit 
Schwindel  und  Erbrechen,  das  Fehlen  von  charakteristischen 
Zungen-  und  Augenmuskel-Lähmungen,  ebenso  zwangsmässigen 
Aff  ectbewegungen ,  von  auffällig  vermehrtem  Speichelflüsse, 
die  durch  das  Offenstehen  des  Mundes  und  das  Unvermögen, 
den  Speichel  zu  schlucken,  bedingt  ist.  Die  Sehnenreflexe 
können  bei  der  acuten  Bulbärparalyse  herabgesetzt  sein,  aber 
im  weiteren  Verlauf  eine  Steigerung  erfahren,  sind  mithin 
differentialdiagnostisch  nicht  zu  verwerthen. 

Mit  der  spinalen  Lues  hatte  das  Krankheitsbild  unseres 
Patienten  die  Motilitätsstörungen  in  Form  der  Paraparese,  die 
sich  bald  allmälig,  bald  rascher  entwickeln  kann,  die  schub¬ 
weise  Verstärkung  des  Processes,  das  bei  der  Lues  oft  vor¬ 
kommende  Intactsein  der  vegetativen  Sphäre  gemeinsam. 

Dagegen  fehlten  zum  Bilde  der  Rückenmarkssyphilis  die 
starke  Rigidität  der  Musculatur,  der  spastisch-paretische  Gang, 
die  objectiv  nachweisbaren  Sensibilitätsstörungen,  die  oft  leb¬ 
hafte  Reflexsteigerung.  . 

Da  rein  spinale  Lues  sehr  selten  ist,  und  die  begleiten¬ 
den  cerebralen  Erscheinungen  in  h  orm  von  Hemiplegie, 
Aphasie,  Facialis-  und  Augenmuskellähmungen  etc.  hier  nicht 
nachweisbar  waren,  ebenso  der  eigenthümlich  schwankende 
Verlauf  und  Wechsel  in  den  einzelnen  symptomatischen  Er¬ 
scheinungen  und  ganz  besonders  auch  der  anamnestische  und 
objective  Nachweis  einer  überstandenen  Lues  fehlte,  liess  sich 
dieser  Process  mit  Sicherheit  negiren. 

Wenn  wir  nun  finden,  dass  sich  für  all  die  genannten 
Affectionen  keine  jeden  Zweifel  ausschliessenden  Anhaltspunkte 
ergaben,  musste  sich,  durch  einzelne  hervorstechende  Symptome 
beeinflusst,  der  Gedanke  an  Hysterie  von  selbst  aufdrängen. 

Die  Annahme,  in  dem  vorliegenden  Krankheitsbilde  einen 
Fall  von  Hysterie  zu  erblicken,  liess  sich  rechtfertigen  durch 
den  Hinweis  auf  das  fast  unvermittelte  Auftreten  von  Läh¬ 
mungen  nach  initialem  Kopfschmerz,  auf  die  bestehenden 
Schluck-  und  Schlingbeschwerden  mit  Lähmung  von  Kehlkopf¬ 
muskeln,  das  Auftreten  von  Aphonie  und  Respirationsstörungen, 
die  fehlenden  Reflexe  des  Gaumens,  Rachens  und  der  Cornea, 
den  Mangel  von  Atrophieen  und  Veränderungen  der  elektri¬ 
schen  Erregbarkeit,  sowie  den  negativen  Ausfall  der  ophthalmo¬ 
skopischen  Untersuchung  bei  concentrischer  Einschränkung 
des  Gesichtsfeldes. 

Die  Autopsie  bestätigte  die  Annahme,  es  handle  sich 
um  eine  functioneile  Erkrankung,  denn  es  liess  sich  makro¬ 
skopisch  am  Central-Nervensystem  und  auch  an  den  peripheren 
Nerven  keinerlei  Veränderung  nachweisen.  Ueberdies  wurden 
vom  Rückenmark  in  verschiedenen  Höhen  einige  Segmente 
behufs  histologischer  Untersuchung  entnommen  (entsprechend 
dem  ersten  und  siebenten  Dorsal-  und  dem  ersten  Lenden¬ 
wirbel),  in  Formalin  gehärtet,  dann  in  absolutem  Alkohol 
nachgehärtet  und  nach  Nissl  gefärbt;  der  Befund  war  voll¬ 
kommen  negativ,  indem  die  Zellen  sowohl  betreffs  des  Kernes, 
wie  auch  des  Tigroids  ganz  normale  Verhältnisse  boten.  Von 
peripheren  Nerven  wurden  mehrere  Theile  der  Untersuchung 
zugeführt  (N.  radialis,  ulnaris,  tibialis  ant.,  peroneus,  phreni- 
cus),  unter  Zusatz  von  1%  Osmiumsäure  zerzupft,  und  er¬ 
gaben  ebenfalls  ganz  negativen  Befund,  indem  keine  Mark¬ 
ballen  in  der  Markscheide  nachweisbar  waren. 


tf>8 


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Dieser  Mangel  greifbarer,  mit  unseren  gegenwär¬ 
tigen  Hilfsmitteln  nachweisbarer  pathologisch-anatomischer 
Veränderungen,  die  uns  den  klinischen  Verlauf  erklä¬ 
ren  würden,  wäre  auch  für  die  Annahme  einer  hysteri¬ 
schen  Affection  zu  verwerthen  gewesen,  wobei  wir  uns  des 
Hinweises  Obersteine  r’s  erinnern  wollen,  dass  vielen 
Nervenkrankheiten  auch  ein  psychischer  Factor  zukommt,  fin¬ 
den  wohl  eine  physiologische,  nicht  aber  eine  anatomische  Er¬ 
klärung  gesucht  werden  muss. 

Wenn  aber,  wie  es  manchmal  vorkommt,  gewisse  schein¬ 
bar  positive  Hinweise  für  Hysterie  auch  nur  vereinzelt  auf- 
treten  oder  gar  durch  einige  Zeit  das  Krankheitsbild  völlig 
beherrschen,  dann  ist  man  gerne  geneigt,  auch  andere,  nicht 
specifische  Symptome  allgemeiner  Natur  als  hysterische  zu 
deuten.  Wir  halten  uns  dabei  das  Bestreben  Hysterischer,  zu 
übertreiben,  und  ihre  Anstrengung,  angeblich  verkannte  Krank¬ 
heitserscheinungen  recht  lebendig  und  deutlich  zur  Schau  zu 
stellen,  vor  Augen. 

Auf  diese  Weise  erklären  sich  die  Schwierigkeiten  für 
die  Differenzirung  von  Hysterie  und  ähnlichen  Processen,  zu¬ 
mal  wir  auch  an  die  Möglichkeit  einer  hysterischen  Componente 
bei  Combination  mit  anderen  Nervenkrankheiten  denken 
müssen. 

Mit  voller  Berechtigung  wurde  darum  von  Jolly 
(Ziemssen’s  Handbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie) 
betont,  wie  schwierig  es  sei,  manche  der  günstig  verlaufenden 
Fälle  von  Land  ry’scher  Paralyse  von  hysterischen  Lähmungen 
zu  unterscheiden,  und  es  gilt  dies  mutatis  mutandis  für  jede 
Landry’sche  Lähmung  in  ihrem  Beginne,  bevor  nicht  schwerere, 
zumal  bulbäre  Symptome  auftreten,  die  in  das  Krankheitsbild 
volle  Klarheit  bringen. 

Für  Hysterie  liesse  sich  in  zweifelhaften  Fällen  besonders 
der  Umstand  geltend  machen,  dass,  wenn  auch  Lähmungs¬ 
erscheinungen  zurückgehen,  andere  Symptome,  seien  es  Com- 
binationen  von  Hyper-  und  Anästhesie,  seien  es  andere  Er¬ 
scheinungen  auf  motorischem  oder  sensiblem  Gebiete,  sich  in 
bunter  Reihe  ablösen,  plötzlich  verschwinden  können,  um  nach 
geringfügigen  Anlässen  in  erhöhter  Intensität  und  eventuell 
auch  in  anderer  Gestalt  neuerdings  aufzutreten;  es  ist  mit 
einem  Worte  die  Transformationsmöglichkeit  der  Einzelsymp¬ 
tome,  welche  für  Hysterie  den  Ausschlag  geben  müsste. 

Insbesondere  der  Kehlkopf-  und  Augenbefund  sprachen 
in  unserem  Falle  im  Zusammenhänge  mit  der  oben  bereits 
genannten  Symptomenreihe  für  Hysterie,  wenigstens  in  der 
ersten  Zeit  der  Beobachtung. 

Unter  den  functionellen  Nervenerkrankungen  hat  die 
Hysterie  am  häufigsten  Störungen  im  Kehlkopf,  sowohl  in  der 
motorischen,  als  auch  in  der  sensiblen  Sphäre  zur  Folge.  Da 
nach  den  Erfahrungen  P.  Ileymann's  bei  allen  organischen 
progressiven  Lähmungen  die  Erweiterer  zuerst,  bei  den  functio¬ 
nellen  Lähmungen  hingegen  die  Verengerer  des  Kehlkopfes 
allein  erkranken,  war  bei  der  hier  vorliegenden  Internus- 
und  Transversuslähmung  der  Gedanke  an  eine  functioneile, 
und  zwar  die  häufigste  functionelle  Erkrankung,  die  Hysterie, 
nahe  liegend. 

Wir  mussten  uns  dem  gegenüber  jedoch  gegenwärtig 
halten,  dass  hysterische  Lähmungen  des  Gaumensegels  und  der 
Schlingmusculatur  ungemein  selten  sind,  und  dass  sie  nur  dann 
als  hysterisch  bezeichnet  werden  dürfen,  wenn  für  die  Annahme 
von  Hysterie  Gründe  zwingender  Natur  vorliegen,  und  jede 
Complication  ausgeschlossen  werden  kann. 

Die  Aphonia  hysterica  ist  wohl  eine  der  häufigsten  Er¬ 
scheinungsformen  im  hysterischen  Krankheitsbilde,  da  die 
Stimme  in  innigster  und  lebhaftester  Wechselbeziehung  zu 
unserem  Affectleben  steht  (Versagen  der  Stimme,  hysterischer 
Mutismus).  Zu  den  grössten  Seltenheiten  bei  der  Hysterie 
gehört  im  Gegensätze  hiezu  die  bulbäre  Sprachstörung,  so 
dass  die  Diagnose  auf  Hysterie  beim  Vorhandensein  dieses 
Symptoms  nur  mit  grosser  Reserve  gestellt  werden  könnte. 

Den  Augenbefund,  in  specie  die  concentrische  Gesichts¬ 
feldeinschränkung,  welche  für  Blau  grösser  ist  als  für  Roth, 
für  die  Diagnose  »Hysterie«  zu  verwerthen.  hatte  wohl  viel  Ver¬ 
lockendes  für  sich;  aber  wir  wissen,  dass  Sch  loess  er  bei 


allen  Erkrankungen,  je  nach  der  Schwere  des  Falles  diffe- 
rirend,  eine  concentrische  Gesichtsfeldeinengung,  die  später 
wieder  zum  normalen  Gesichtsfeld  zurückführte,  gefunden  hat. 
Er  ging  so  weit,  dass  er  in  der  Gesichtsfeld bestimmung  eine 
Art  Barometer  für  das  Allgemeinbefinden  des  Individuums  er¬ 
kennen  will.  Bei  Malariafällen  mit  Temperaturen  von  40°  be¬ 
standen  an  Fiebertagen  Gesichtsfeldeinengung  von  20 — 30°, 
während  in  der  Zwischenzeit  eine  Erweiterung  des  Gesichts¬ 
feldes  auf  fast  40°  zu  Stande  kommt. 

Wahrscheinlich  bildet  in  diesen  Fällen  die  Einschränkung 
des  Gesichtsfeldes  einen  Indicator  für  die  Schwere  der  Läsion 
des  Gesammtorganismus,  und,  auf  unseren  Fall  angewandt, 
hatten  wir  in  dieser  Einschränkung  kein  specifisch  hysterisches 
Symptom,  sondern  nur  den  Ausdruck  der  Allgemeinerkrankung, 
als  Product  einer  Autointoxication  zu  erblicken. 

Gegenüber  den  jetzt  aufgezählten,  für  Hysterie  sprechenden 
Momenten  gab  es  aber  eine  grosse,  und  zwar  den  Ausschlga 
gebende  Reihe  entgegengesetzter  Natur: 

Das  Auftreten  der  hysterischen  Lähmungen  erfolgt 
plötzlich,  im  Anschlüsse  an  Gemüthserschütterungen.  Schmerzen, 
Krämpfe,  Verletzungen;  sie  haben  weiters  das  Eigen thümliche, 
dass  sie  -ganze  Gliedmassen  zu  betreffen  pflegen,  welche  nach 
der  Vorstellung  des  Kranken  ein  als  solches  zusammen¬ 
hängendes  Ganzes  bilden,  oder  einen  Complex  von  Bewegun¬ 
gen,  die  eine  gewisse  Function  (Stimme,  Sprache)  ver¬ 
mitteln. 

Weiters  lässt  die  Hvsterie  gewisse  Reflexe,  das  Knie- 
phänomen,  den  Cremaster-  und  Bauchreflex  unbeeinflusst, 
während  motorische  Reizsymptome  in  der  Regel  deutlich  aus¬ 
gesprochen  sind,  im  Gegensatz  zur  vorliegenden  Beobachtung. 
Dazu  kam  noch,  dass  jenes  gewisse  Schwanken  des  Krankheits¬ 
bildes,  das  Vorkommen  von  Remissionen  mit  ungestörtem  Be¬ 
finden,  die  Abhängigkeit  der  Erkrankung  von  psychischen 
Factoren  und  affectiven  Emotionen  und  die  Reaction  der 
einzelnen  Krankheitssymptome  auf  diese  seelischen  Einflüsse, 
während  das  Individuum  unfähig  ist,  hemmend  einzugreifen, 
eventuelle  hysterogene  Zonen,  typische  Stigmen,  Transfert, 
Suggestibilität,  mit  einem  Worte  also  die  massgebendsten 
Kriterien  für  Hysterie,  bei  unserem  Kranken  vollständig 
fehlen. 

Es  liess  uns  vielmehr  das  ganze  Ensemble  des  schweren 
Krankheitsbildes,  die  rasche,  etappenweise  Progredienz  des 
Processes,  der  sichtlich  und  unaufhaltsam  zum  Exitus  drängte, 
die  Diagnose  »Hysterie«  mit  aller  Bestimmtheit  verwerfen. 

Nachdem  man  auf  diese  Weise  zur  Ausschliessuno-  der 
verschiedenen,  soeben  erörterten  ähnlichen  Krankheitsbilder 
gelangt  war,  blieb  mit  zwingender  Nothwendigkeit  nur  mehr 
die  Diagnose  »Landry’sche  Paralyse«  übrig,  welche  sich  im 
Hauptsächlichen  stützte  auf  die  Raschheit  und  das  typische, 
schubweise  Fortschreiten  der  Erscheinungen  motorischer  Läh¬ 
mung  bei  fehlenden  cerebralen  Symptomen  und  bei  Auf¬ 
hebung  der  Sehnenreflexe  ohne  Veränderung  der  elektrischen 
Erregbarkeit;  weiters  auf  den  ascendirenden  Charakter  des 
Processes,  der  in  seinem  weiteren  Verlauf  zu  Kau-  und  Schluck¬ 
lähmungen  und  in  wenigen  Tagen  bei  vollkommen  erhaltenem 
Sensorium  unter  Athemlähmung  zum  Tode  führte;  endlich 
auf  den  vollkommen  negativen  Ausfall  der  histologischen 
Untersuchung  von  Rückenmark  und  peripheren  Nerven  im 
Sinne  Landry’s,  während  der  Sectionsbefund  auf  einen  in- 
fectiösen  oder  toxischen  Process  hiuzuweisen  schien. 

Der  Vollständigkeit  wegen  wollen  wir  mit  Rücksicht 
auf  die  geschilderten  Schling-  und  Athmungsstörungen  auch 
noch  auf  die  entfernte  Aehnlichkeit  des  Processes  mit  dem 
Excitations-,  respective  paralytischen  Stadium  nach  Bissver¬ 
letzung  der  unteren  Extremitäten  bei  Lyssa,  wo  es  zu  einem 
aufsteigenden  Verlauf  der  Lähmung  kommt,  hinweisen;  wenn 
wir  jedoch  berücksichtigen,  dass  die  Anamnese  keinerlei  An¬ 
haltspunkte  für  die  Annahme  eines  solchen  ätiologischen 
Momentes  ergab,  dass  es  ferner  bei  Lyssa  schon  durch  das 
einfache  Anblasen  des  Kranken  gelingt,  die  heftigsten  Schling- 
und  Athmungskrämpfe  als  Folgeerscheinung  der  stark  erhöhten 
allgemeinen  Reflexerregbarkeit  auszulösen,  während  wir  es 
hier  vorwiegend  mit  Areflexie  zu  thun  hatten,  konnte  bei . 


Nr.  7 


1 51) 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Würdigung  des  übrigen  klinischen  Bildes  eine  Verwechslung 
mit  Lyssa  nicht  platzgreifen. 

In  dem  klinischen  Bilde,  unter  welchem  unser  Fall  ver¬ 
lief,  scheinen  mir  drei  Momente  noch  einer  besonderen  Er¬ 
wähnung  werth,  weil  sie,  obwohl  dem  Symptomencomplex 
nervöser  Erkrankungen  im  Allgemeinen  nicht  fremd,  doch 
hier  zum  ersten  Male  vielleicht,  so  weit  mir  die  bezügliche 
Literatur  zu  Gebote  stand,  mit  der  Landry’schen  Paralyse 
in  nähere  Beziehung  gebracht  erscheinen. 

Ich  meine  hiemit  zunächst  den  Beginn  der  Parästhesieen 
an  den  Fingern  bei  einem  Individuum,  dessen  Hände  durch 
seine  Berufstätigkeit  ganz  besonders  in  Anspruch  genommen 
waren,  dann  die  Kehlkopflähmung  und  Gesichtsfeldein¬ 
schränkung. 

E  dinger  hat  in  eingehender  Weise  die  Bedeutung  der 
localen  Ueberanstrengung  für  die  Degeneration  von  Nerven¬ 
bahnen  und  Centren  betont  und  daraus  zu  erklären  ver¬ 
sucht,  warum  bei  vorhandener  Krankheitsdisposition,  be¬ 
ziehungsweise  Krankheit,  diese  in  bestimmten  Gebieten  des 
Nervensystems,  als  den  individuell  besonders  functioned  an¬ 
gestrengten,  sich  zu  äussern  pflegt.  Es  gehören  in  diese 
Krankheitsgruppe  die  vielen  Beschäftigungsneurosen,  welche 
sich  fast  einzig  und  allein  auf  die  oberen  Extremitäten  be¬ 
schränkt  vorfinden  und  an  den  unteren  Extremitäten  nur 
als  Rarität  in  Folge  localer  Ueberanstrengung  aufzutreten 
pflegen. 

Gleichwie  v.  Kr  afft- Ebing  »locale3  Surmenage« 
als  Ursache  von  Paralysis  agitans  hinstellt,  dürfen  wir  ana¬ 
loger  Weise  auch  den  Beginn  der  Landry’schen  Paralyse 
unter  dem  Bdde  von  Parästhesieen  der  Finger  im  vorliegenden 
Falle  als  Consequenz  der  localen  Ueberarbeitung  bei  einem 
Wäscher  auffassen,  in  voller  Uebereinstimmung  mit  E  d  i  n  ge  r, 
welcher  durch  ungenügenden  Ersatz  gegenüber  der  erhöhten 
Function  der  betreffenden  Nervenfaser  diese  Art  von  Nerven¬ 
erkrankungen  zu  erklären  sucht,  was  er  auch  experimentell 
mit  H  e  1  b  i  n  g  nachgewiesen  hat. 

Die  Beziehungen  der  Kehlkopflähmung  zur  Landry- 
s  dien  Paralyse  scheinen  deshalb  wichtig,  weil  einerseits 
unter  den  functionellen  Nervenerkrankungen  die  Hysterie  es 
vornehmlich  ist,  welche  so  gerne  Kehlkopfstörungen  setzt,  und 
wir  vorkommenden  Falles  aufs  Schwerste  enttäuscht  werden 
können,  wenn  wir  die  betreffende  Lähmung  als  hysterisch 
hinstellen  würden. 

Andererseits  vermag  auch  eine  Kehlkopflähmung  allen 
anderen  objectiv  auffallenden  Symptomen  der  Tabes  lange 
Zeit,  selbst  ein  bis  zwei  Jahre  vorherzugehen,  so  dass  es  als  Regel 
gelten  muss,  in  allen  auch  nur  halbwegs  uuklaren  Fällen  von 
Kehlkopflähmung  organischer  Natur  der  Prüfung  der  Reflexe 
besonderer  Aufmerksamkeit  zu  schenken,  wenn  auch  in  un¬ 
serem  Falle  die  Annahme  einer  Tabes  schon  mit  Rücksicht 
auf  den  Verlauf  gar  nicht  weiter  in  Frage  kam. 

Die  Beziehungen  der  concentrischen  Gesichtsfeldeinschrän¬ 
kung  zur  Landry’schen  Paralyse  endlich  möchten  wir  aus 
dem  Grunde  betonen,  weil  wir  immer  geneigt  waren,  in  dieser 
Erscheinung  ein  hysterisches  Symptom  zu  erblicken,  und  zwar 
mit  Unrecht,  seitdem  wir  wissen,  wie  eigentlich  ein  jedes 
Kranksein  die  Grösse  unseres  Gesichtsfeldes  zu  beeinflussen 
vermag. 

Da,  so  weit  meine  diesbezüglichen  Nachforschungen  in 
der  Literatur  ergeben  haben,  diese  Beziehungen  zwischen 
Landry’scher  Lähmung  und  Kehlkopflähmungen  einer-  und 
Gesichtsfeldeinschränkung  andererseits  bisher  nicht  gewürdigt 
erscheinen,  möchte  ich  auf  deren  Vorkommen  ganz  besonders 
aufmerksam  gemacht  haben. 

Versuchen  wir  es  nun,  dem  ätiologischen  Moment  des 
Krankheitsprocesses  näher  zu  treten,  so  müssen  wir  in  erster 
Linie  an  die  Bacteriologie  denken,  welche  uns  in  den  letzten 
Jahren  so  schätzenswerthe  Entdeckungen  über  Krankheits¬ 
erreger  vermittelt  hat. 

Zumal  die  Landr y’sche  Paralyse  mit  dem  Allgemein¬ 
bilde  einer  Infection skrankheit  in  ihrem  Verlaufe  Aehnlichkeit 
hat,  versuchte  man  sowohl  in  vivo  als  auch  in  der  Leiche 
Bacterien  nachzuweisen. 


In  der  That  gelang  dies  mehreren  Autoren,  und  zwar 
sind  es  zumeist  die  aus  neuerer  Zeit  stammenden  I  ublicationen, 
welche  über  einen  positiven  bacteriologischen  Befund  zu  be¬ 
richten  wissen,  so  dass  von  sehr  massgebender  Seite  dem  Ge¬ 
danken  Raum  gegeben  wurde,  es  gebe  keine  wirkliche  Landry- 
sche  Paralyse,  bei  der  sich  nicht  bei  Verwendung  geeigneter 
bacteriologiscber  Untersuchungsmethoden  Bacterien  nachweisen 

liessen.  _ 

Um  so  wichtiger  erscheint  darum  der  in  unserem  Falle 
erhobene  negative  Befund;  trotzdem  wir  unter  den  entsprechen¬ 
den  Cautelen  den  Harn  und  das  Blut  in  vivo  bacteriologisch 
untersuchten,  gingen  aus  beiden  Flüssigkeiten  keinerlei  Lac- 
terien  auf. 

Damit  ist  zum  Mindesten  der  Beweis  erbracht,  dass  man 
von  dem  negativen  Resultat  solcher  Proben  das  I  alienlassen 
der  Diagnose  »Landr y’sche  Paralyse«  nicht  abhängig  machen 

kann.  . 

Der  Bacteriologie,  welche  uns  im  vorliegenden  I  alle  keine 
näheren  Aufschlüsse  über  die  etwaigen  Krankheitserreger  \ei- 
mittelt  hatte,  wird  seit  einiger  Zeit  durch  die  Lehre  von  den 
Krankheitsgiften,  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Aetiologie  und 
Pathogenese  ernstliche  Concurrenz  gemacht,  und  die  Iheoiie 
von  den  Autointoxicationen,  welche  von  Bouchard  be¬ 
gründet,  von  C  h  a  r  r  i  n  und  A  1  bu  ausgestaltet  wurde,  belehrt 
uns  über  die  Möglichkeit  von  einzelnen  Krankheitserscheinungen 
und  ganzen  Krankheitscomplexen,  für  welche  wir  vergebens 
nach,  wenigstens  mit  unseren  gegenwärtigen  Hilfsmitteln,  nach¬ 
weisbaren  anatomischen  Ursachen  suchen. 

Der  M.  Basedowii,  M.  Addisonii,  die  Neurasthenie, 
Tetanie  (Bouveret  und  Devic),  gewisse  Psychosen  etc. 
sind  schon  als  Autointoxicationen  gedeutet  worden,  und  als 
nahezu  gewiss  ist  dies  für  eine  Reihe  nervöser  Krankheits¬ 
erscheinungen,  epileptiformer  Zustände  erwiesen,  die  sich  im 
Anschlüsse  an  chronische  Magenerweiterung,  Atonie  des  Daim- 
tractes  und  hartnäckige  Obstipation  entwickeln  können. 
Wenn  wir  Kriterien  für  die  Steigerung  der  Darmfäulniss  aus 
der  vorhandenen  Vermehrung  irgend  eines  der  Producte  ab¬ 
normer  Darmthätigkeit:  Indican,  Aceton,  Phenole,  gepaarte 
Schwefelsäuren,  zu  erbringen  vermögen,  so  können  wir  dann 
den  Hinweis  auf  eine  möglicher  Weise  vorliegende  Autointoxi¬ 
cation  des  Gesammtorganismus  erblicken. 

Mit  vollem  Rechte  glaube  ich,  die  in  der  Kranken¬ 
geschichte  erwähnte  hartnäckige  Stuhlverstopfung,  den  positiven 
Ausfall  der  Indican-  und  Skatolprobe,  wie  insbesondere  die  auf¬ 
fällige  Besserung  der  Erscheinungen  nach  einer  erfolgreichen 
hohen  Irrigation,  für  die  Annahme  einer  Autointoxication  duich 
im  Körper  selbst  erzeugte  giftige  Stoffwechselproducte  ver- 

werthen  zu  können.  ... 

Wir  sind  vielfach,  wenn  wir  einer  Autointoxication 
gegenüber  zu  stehen  glauben,  nicht  in  der  Lage,  die  Enegei 
der  Krankheit,  die  Endotoxine,  nachzuweisen,  und  müssen 
darum  oft  ex  juvantibus,  hier  z.  B.  aus  dem  Effect  dei 
Therapie,  für  das,  was  bis  dahin  nur  Vermuthungsdiagnose 


war,  eine  Stütze  suchen. 


Der  Satz  Bouchard’s:  »L’homme  sain  est  un  receptacle 
et  un  laboratoire  de  poisons«  bietet  uns  den  Schlüssel  ftii  die 
Annahme,  dass  gewisse  toxische  Producte  beim  Menschen  schon 
normaler  Weise  Vorkommen  und  ausgeschieden  werden,  jedoch, 
sei  es  durch  ungenügende  Oxydation  oder  durch  übermässige 
Production  oder  auch  in  Folge  ihrer  unzureichenden  A.us- 
scheidung,  durch  ihr  Verweilen  im  Körperkreislauf  gefährlich 
werden  und  deletäre  Einflüsse  auf  das  ganze  Nervensystem 

äussern  können.  ,  ,  , 

Wenn  wir  die  ätiologische  Auffassung  der  Landry  sehen 

Lähmung  als  Autointoxication  acceptiren  dürfen,  dann  eröffnet 
sich  auch  eine  ganze  Reihe  von  Gesichtspunkten  für  unser 
therapeutisches  Handeln,  welches  darin  gipfelt  den  Gittstoü 
in  loco,  das  heisst  an  seiner  Bildungsstätte  aufzusuchen,  i  m 
zu  entfernen,  und  die  bereits  eingetretene  Giftwirkung  durch 
seine  Verdünnung  und  durch  die  Beschleunigung  seiner  Elimi¬ 
nation  abzuschwächen.  .  .  , 

Wir  würden  zu  diesem  Zwecke  für  eine  reichliche  ötuhl- 

entleerung,  Magenausspülung,  ausgiebige  Diurese  und  Diaphorese 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  7 


160 


Sorge  tragen  müssen,  und  auch  eventuell  vor  einem  Aderlässe 
nicht  zurückschrecken,  indem  wir  annehmen,  dass  das  Blut 
auf  diesem  Wege  von  einem  T heil  seiner  abnormen  Bestand- 
theile  entlastet  und  die  Regeneration  beschleunigt  werden 
könnte. 

Injectionen  von  physiologischer  Kochsalzlösung  könnten 
mit  Rücksicht  auf  die  behinderte  Flüssigkeitszufuhr  in  Er¬ 
wägung  des  durch  sie  gesteigerten  Blutdruckes  und  der  even¬ 
tuellen  Verdünnung  der  im  Blute  kreisenden  freien  Toxine, 
sowie  durch  die  Steigerung  der  Diurese  und  die  consecutive 
Ausscheidung  der  supponirten  Krankheitserreger  nur  nützlich 
sein.  Mau  könnte  sich  auch  denken,  dass  eine  solche  Injection 
einen  functioneilen  Reiz  für  jene  anatomischen  Elemente  und 
Zellgruppen  setzt,  durch  welche  die  chemotaktischen  Eigen¬ 
schaften,  die  Phagocytose  und  antitoxische  Gesammtreaction 
des  Körpers  bedingt  sind. 

Die  innerliche  Darreichung  von  Hefe,  welche  von 
Q  u  i  n  c  k  e  als  Darmantisepticum  besonders  gerühmt  wird, 
eventuell  Kalomel,  Menthol,  Thymol,  Salicylpräparate,  endlich 
auch  sämmtliche  Versuche  zur  Hebung  der  Magen-  und  Darm- 
atonie  und  zur  Förderung  des  allgemeinen  Stoffwechsels  dürften 
ohne  Bedenken  zur  Anwendung  kommen. 

Versuchen  wir  am  Schlüsse  unserer  Ausführungen  kurz 
zu  resumiren,  so  ergibt  sich: 

1.  Es  lag  hier  ein  Fall  von  Landry’scher  Paralyse 
vor,  bei  welchem  sowohl  die  bacteriologische  Untersuchung 
von  Harn  und  Blut  in  vivo,  als  auch  die  vier  Stunden  post 
mortem  vorgenommene  Autopsie  und  die  pathologisch  histo¬ 
logische  Untersuchung  von  centralem  Nervensystem  und  peri¬ 
pheren  Nerven  ein  vollkommen  negatives  Resultat  zu  Tage 
förderten. 

2.  Bei  der  L  a  n  d  r  y'schen  Lähmung  können  Kehlkopf¬ 
lähmungen  auftreten  im  Sinne  von  Internus-  und  Transversus- 
lälimung,  wie  man  sie  vornehmlich  bei  Hysterie  anzutreffen 
pflegt. 

3.  Als  ätiologisches  Moment  für  die  L  a  n  d  r  y’sche  Läh¬ 
mung  wäre  eine  Autointoxication  ins  Auge  zu  fassen;  wahr¬ 
scheinlich  eine  vom  Darm  ausgehende,  die  auf  vermehrte 
Fäulnissprocesse  zurückzuführen  wäre. 

4.  Damit  wäre  es  zu  erklären,  wenn  einerseits  trotz  fou- 
droyanter  klinischer  Symptome  der  Obductionsbefund  negativ 
ausfällt,  oder  andererseits  pathologisch-histologisch  eine  als 
toxisch  aufgefasste  Polyneuritis  oder  Myelitis  erhoben  wird. 
Für  das  Vorhandensein  einer  Autointoxication  sprach  in 
unserem  Falle  das  Vorhandensein  von  Darmfäulnissproducten 
im  Harn  und  die  allerdings  vorübergehende  Besserung  nach 
reichlicher  Stuhlentleerung. 

5.  Mit  Rücksicht  auf  diese  Annahme  wären  antifermen¬ 
tative  Massnahmen  indicirt. 

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Pathologie.  Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge,  Nr.  141. 


Aus  dem  Ambulatorium  für  Nasen-  und  Halskrankheiten 
des  Prof.  Dr.  0.  Chiari  an  der  Wiener  Allgemeinen 

Poliklinik. 

Ueber  Speichelsteinbildung. 

Von  Dr.  Friedrich  Hanszel,  Assistent. 

In  rascher  Aufeinanderfolge  kamen  im  eben  abgelaufenen 
Jahre  drei  Fälle  von  Sialolithiasis  an  obiger  Abtheilung  zur 
Beobachtung  und  möchte  ich  deren  Mittheilung  damit  be¬ 
gründen,  dass  erstens  Speichelsteinbildung  ein  seltenes  Vor- 
kommniss  darstellt  und  zweitens,  dass  bezüglich  der  Aetiologie 
wohl  mehrere  Hypothesen  vorliegen,  welche  jedoch  alle  nur 
vereinzelte  Annahmen  sind,  die  weiterer  Proben  auf  ihre 
Richtigkeit  bedürfen. 

Die  relative  Seltenheit  der  Concrementbildung  in  den 
Speicheldrüsen  und  deren  Ausführungsgängen  beweisen  die 
immerhin  spärlichen  Literaturangaben,  sowie  eine  diesbezüg¬ 
liche  Durchsicht  der  Statistiken  der  meisten  chirurgischen 
Kliniken  und  grösseren  Abtheilungen,  der  laryngologischen 
Universitätsklinik,  der  Protokolle  obiger  Abtheilung  —  insge- 
sammt  jedenfalls  ein  ganz  bedeutendes  Krankenmaterial  um¬ 
fassend. 

Namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Frage  der  Aetiologie 
sei  es  mir  nach  Mittheilung  meiner  drei  Fälle  erlaubt,  etwas 
ausführlicher  zu  berichten. 

Fall  1.  Leontine  15.,  37  Jahre  alt,  Prot -Nr.  990,  ex  1899. 

Anamnese:  Vater  der  Patientin  angeblich  an  Carcinoma 
ventriculi  gestorben,  die  Mutter  und  beide  Geschwister  sind  gesund. 
Von  einer  Steinerkrankung  irgend  eines  Verwandten  weiss  Patientin 
nach  genauester  Erkundigung  nichts  anzugeben.  Sie  selbst  war  nie 
ernstlich  krank,  litt  nur  vorübergehend  an  Kopfschmerzen,  war  jedoch 
nach  ihrer  Angabe  immer  »auffallend  blass«.  Als  Kind  hatte  sie 
häufig  länger  dauernden  Zahnschmerz,  wobei  auch  jedesmal  die 
gleichseitige,  linke  Unterkioferdrüse  stark  geschwollen  war,  welche 
Schwellung  auch  nach  der  Extraction  des  cariösen  Unlerkiefer- 
molaris  nur  wenig  abnahm.  Dagegen  wurden  ohne  Erfolg  durch 
längere  Zeit  Einreibungen  mit  Jodsalbe  vorgenommen. 

Ueber  das  Auftreten  der  <  leschwulst  unter  der  Zunge  gibt  die 
recht  intelligente  Patientin  an,  dass  dasselbe  genau  mit  dem  Ein¬ 
setzen  der  ersten  Menstruation  zusammenfällt.  Patientin,  deren  All¬ 
gemeinbefinden  damals  bedeutend  gestört  war,  bemerkte  zunächst 
ein  Spannungsgefühl,  hernach  eine  rasch  zunehmende  Schwellung 
und  Schmerzhaftigkeit  der  linken  Unterkieferdrüse.  Zwei  Tage  darauf 
trat  auch  eine  Geschwulst  links  unter  der  Zunge  auf,  wogegen  Pa¬ 
tientin  auf  ärztliche  Anordnung  Spülungen  mit  sehr  kaltem  Wasser 
anwandte  —  was  eine  Steigerung  der  Beschwerden  zur  Folge  hatte 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


161 


-  hingegen  verschwanden  Geschwulst  und  Beschwerden,  nachdem 
Patientin  local  Wärme  applicirt  hatte.  Die  Unterkieferdrüse  jedoch 
blieb  nach  wie  vor  deutlich  vergrössert  zu  fühlen. 

Von  dieser  Zeit  ab  trat  durch  22  Jahre  kein  Recidiv  der  Unter¬ 
zungengeschwulst  auf,  während  die  Schwellung  der  Submaxillar- 
drüse  vorübergehend  ab-  und  zunahm,  jedoch  nie  ganz  wi¬ 
schwand. 

Circa  vier  Wochen  nun,  bevor  Patientin  unser  Ambulatorium 
aufsuchte,  erkrankte  sie  angeblich  mit  Fieber  und  Verdauungs¬ 
störungen,  weswegen  die  Nahrungsaufnahme  eine  sehr  geringe  war 
und  traten  nach  einiger  Zeit  genau  dieselben  Beschwerden  — 
Schwellung  und  Schmerzhaftigkeit  der  linken  Unterkieferdrüse 
und  sodann  Geschwulstbildung  unter  der  Zunge  —  wie  vor 
22  Jahren  dazu. 

Da  eine  locale  Wärmcapplication  diesmal  nicht  den  ge¬ 
wünschten  Erfolg  brachte  und  insbesondere  die  sublinguale  Geschwulst 
rasch  sich  vergrösserte,  kam  Patientin  am  sechsten  Tage  dieser  ihrer 
Erkrankung  zu  uns. 

Status  praesens:  Patientin,  gracil  gebaut,  von  hochgradig 
anämischem  Aussehen.  Die  Schleimhaut  der  Nase  und  des  Rachens 
bietet  das  Bild  eines  trockenen  Katarrhes,  die  des  Larynx  ist  blass, 
anämisch.  26  Zähne  gesund,  keine  Zahnsteinbildung;  die  übrigen 
Zähne  waren  wegen  Caries  extrahirt.  Unter  der  linken  Zungenseite  eine 
den  Sulcus  alveolo-lingualis  ganz  au  st  alle  n  d  e, 
längliche  Geschwulst  von  intensiv  rother  Farbe.  Mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  grosse  Schmerzhaftigkeit  musste  von  einer  genaueren 
Palpation  Umgang  genommen  werden.  In  der  Gegend  des 
linken  Unterkiefer  winkeis  findet  sich  ein  wal¬ 
nussgrosser,  praller,  auf  Berührung  sehr  schmerz¬ 
hafter  Tumor,  von  normaler  Haut  bedeckt.  Nähere  Consistenz- 
verhältnisse  und  Verschieblichkeit  konnten  auch  hier,  der  grossen 
Schmerzhaftigkeit  wegen,  nicht  ermittelt  werden.  Die  weitere  Unter¬ 
suchung  des  Körpers  ergab  ausser  Ren  mobile  keinen  nennenswerten 
abnormalen  Befund. 

Die  Diagnose  lautete  auf  Stenosis  ducti  Whartoniam, 
wahrscheinlich  durch  ein  Concrement  bedingt.  Da  die  orale  Mün¬ 
dung  des  Ductus  nicht  zu  finden  war,  scheiterte  der  Versuch,  durch 
Sondirung  und  Erweiterung  des  Ductus  das  Hinderniss  zu  beseitigen 
und  i  n  ci  d  i  r  te  ich  auf  der  Höhe  des  Tumors  mit  einem  circa  1  cm 


langen  Schnitt,  wobei  ich  mit  dem  Messer  am  distalen  Ende  dos 
Schnittes  einen  harten  Körper  berührte.  Die  Blutung  war  verbal t- 
nissmässig  stark,  doch  entleerte  sich  keine  andere  Hüssigkeit.  Untei 
lebhaften  Schmerzesäusserungen  der  Patientin  extrahirte  ich  leicht 

einen  kirschkerngrossen,  harten  Körper. 

Auf  die  Wunde  wurde  Xeroformpulver  gestaubt  und  eine 
Lösung  von  Kali  hypermanganicum  als  Spülwasser  angeordnet. 

Nach  acht  Tagen  war  die  Incisionsöffnung  geschlossen  und 
alle  Beschwerden  geschwunden.  Die  Submaxillardrüse  war  nach 
14  Tagen  nur  mehr  bohnengross  und  ist  es  bis  zum  heutigen  läge 
geblieben. 

Das  Concrement  ist  grau  gelblich,  von  glatter 
Oberfläche,  von  der  Grösse  und  Gestalt  eines 
Kirschkernes.  Der  äusserst  harte  Stein  erweist  sich  nach  Zer¬ 
kleinerung  als  durchaus  solid,  zeigt  im  Centrum  keinen  Canal  und 
weisen  die  Bruchflächen  im  Farbenton  keinen  Unterschied  mit  der 
Oberfläche,  noch  auch  eine  Schichtung  auf.  Die  Härteprüfung  nach 
Gene  r  sich1)  ergab,  dass  das  Concrement  Steinsalz  ritzte. 

Die  chemische  Analyse  eines  Theiles  des  Concrementes 
constatirte  sowohl  in  diese  m,  als  auch  i  n  den  beiden 
nächsten  Fällen,  dass  die  Steine  aus  phosphorsaure  m 
neben  wenig  kohlensaurem  Kalk  bestehen  und  ge¬ 
ringe  Mengen  organischer  Substanz  au  I  \v  eisen . 

Der  che  mischeBe  fund  des  Mundspeich  eis  lautete : 
Flüssigkeit  farblos,  am  Boden  ziemlich  reichliches  Sediment,  Reaction 
schwach  sauer. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  das  Vorhanden¬ 
sein  sehr  zahlreicher  Lymphoidzellen  und  grosser  Plattenepithehen, 
sowie  einzelner  rother  Blutkörperchen. 

Diastatisches  Ferment  in  reichlicher  Menge  vorhanden,  ebenso 

Rhodan. 

Die  bacteriol  ogische  Untersuchung  der  anderen  1  heile 
des  Concrementes  —  wobei  auch  das  Centrum  des  Steines  —  sowie 
der  sanguinolenten  Flüssigkeit  aus  der  Incisionsöffnung  ci_ob 


keinerlei  Anhaltspunkt  für  eine  b  a  c  t  e  r  i  e  1 1  e  Ur¬ 
sache  zur  Concrementbildung. 

Die  Blutuntersuchung  bestätigte  die  Diagnose  »Anämie«. 

Im  Harne  fand  sieh  Indican  in  grösserer  Menge. 

Fall  2.  Maria  K.,  27  Jahre  alt,  P.-Nr.  3913,  ex  1898. 

An  amnestisch  ist  hervorzuheben,  dass  Patientin  als  Kind 
angeblich  immer  kränkelte,  jedoch  niemals  ernstlich  krank  war. 

Die  Eltern  und  zwei  Geschwister  leben  und  sind  gesund,  eine 
Steinerkrankung  soll  in  der  Familie  nicht  vorgekommen  sein.  In 
ihrem  15.  Lebensjahre  trat  die  erste  Menstruation  aut  und  lag  i  a- 
tientin  damals  mehrere  Tage  zu  Bette.  Zu  dieser  Zeit  traten  ziehende 
und  stechende  Schmerzen  links  unter  der  Zunge  aut,  die  sich  be¬ 
sonders  bei  der  Nahrungsaufnahme  störend  bemerkbar  machten. 
Nach  wenigen  Tagen  war  eine  Geschwulst  unter  der  Zunge  schon 
auf  Bohnengrösse  angewachsen  und  stellte  sich  allmälig  auch  eine 
schmerzhafte  Anschwellung  der  linken  Unterkieferdrüse  ein.  Durch 
häufiges  Andrücken  mit  den  Fingern  auf  die  Unterzungengeschwulst 
konnte  Patientin  plötzlich  in  einem  Strahle  eine  angeblich  salzig 
schmeckende,  wässerige  Flüssigkeit  aus  der  Geschwulst  entleeren. 
Daraufhin  fielen  beide  Tumoren  ab  und  alle  Beschwerden  waren 

behoben. 

Nach  ungefähr  vier  Jahren,  während  welcher  Zeit 
dieses  Leiden  gänzlich  fernblieb,  trat  mit  den  eben  geschilderten 
Beschwerden  an  derselben  Stelle  ein  diesmal  perlenschnurartigei 
Tumor  auf,  den  Patientin  wieder  durch  häufiges  Andrücken  mit  der 
Zungenspitze  und  den  Fingern  entfernen  konnte,  wobei  sich  jedes  Mal 
eine  schleimige,  abermals  salzig  schmeckende  Flüssigkeit  entleerte. 

Nach  fünfjährigerPause  abermaliges  Re  cid  i  v. 
Patientin  konnte  aus  der  länglichen  Geschwulst  nach  einigen  lagen 
ihres  Bestehens  eine  dickliche,  schleimige  Masse  ausdrücken,  wobei 
sich  auch  ein  kleines,  längliches  Gebilde  von  der  Farbe  und  Con- 
sistenz  eines  weichen  Käses  befand.  -  Die  Unterkieferdrüse  war  dies¬ 
mal  nicht  alterirt.  Da  die  Geschwulst  iedoch  nicht  ganz  zum  Ver¬ 
schwinden  gebracht  werden  konnte,  besuchte  Patientin  obiges 
Ambulatorium,  woselbst  ich  die  Sondirung  des  Ductus  \\  hartomanus 
mit  einer  dünnen  elastischen  Sonde  vornahm,  worauf  sich  eine 
schleimige,  trübe  Flüssigkeit  entleerte.  Der  Tumor  und  die  Be¬ 
schwerden  verschwanden. 

Drei  Jahre  Pause,  nunmehr  abermaliges  Recidiv,  wes¬ 
wegen  Patientin  wieder  unsere  Hilfe  aufsucht.  Ihre  Angabe  besagt, 
dass  vor  vier  Tagen  innerhalb  weniger  Stunden  ohne  bekannte  Ur¬ 
sache  eine  sehr  schmerzhafte  Anschwellung  unter  der  linken  Zungen¬ 
hälfte  auftrat,  wozu  sich  jetzt  auch  wieder  eine  allerdings  geringe, 
aber  schmerzhafte  Submaxillardrüsenschwellung  gesellte. 

Status  praesens:  Patientin  mittelgross,  gracil  gebaut, 
von  anämischen  Aussehen.  Die  Untersuchung  der  Nase  ergibt  das 


\  UH  cuicunioviivii  -  .  ,  i 

Bild  der  beginnenden  Atrophie  der  Schleimhaut,  im  1  harynx  und 
Larynx  keine  nennenswerthen  Veränderungen.  Zähne  gesund,  keine 
Zahnsteinbildung.  Lungenbefund  normal,  über  dem  Herzen  acces- 
sorische,  anämische  Geräusche. 

Unter  dem  linken  Unterkieferwinkel  findet  sich  eine  kastamen- 
f rosse  Geschwulst,  von  normaler  Haut  bedeckt  und  unter  dieser 
verschieblich,  die  sowohl  auf  Berührung,  als  auch  spontan  massig 
schmerzhaft  ist  und  bei  genauerer  Palpation  eine  gleichmassig  i  ei  jo 

Consistenz  aufweist.  .  .  ,  • 

Im  linken  Sulcus  alveolo-lingualis  zeigt  sich  eine  taube  e  - 

„rosse  Geschwulst,  die  den  schlankeren  Antheil  gegen  das  Frenulum 
fino’uae  gekehrt  hat  und  deren  geröthete  Schleimhaut,  stellenweise 
verdünnt,  daselbst  einen  gelblichen  Farbenton  aufweist  In  der 
Mitte  des  Tumors,  entsprechend  einer  verdünnten  Schleimhaut- 
partie,  konnte  man  deutlich  mit  der  Sonde  einen  harten  Körper 

tasten  ^  ^  .  a  n  0  s  e  lautete  auf  Concrement  im  Ductus  W har- 
tonianus  und  glaube  ich  nach  dem  bisher  Gesagten  dieselbe  wohl 

nicht  erst  begründen  zu  müssen. 

Da  die  Sondirung  des  Ductus  nur  auf  wenige  Millimeter  gelang 
und  keinen  Erfolg  hatte,  incidirte  ich  auf  den  harten  Körper, 
wobei  es  wenig  blutete,  dagegen  eine  reichliche  Menge  tn.be. 
schleimiger  Flüssigkeit  sich  entleerte.  In  der  Incisionsöffnung  /ei. 
sich  ein  länglicher  Körper, der,  frei  beweglich,  sich  leicht  extrahiren  liess- 
Das  spindelförmige,  sehr  harte  Unc  eine 
war  von  g  e  1  b  1  i  c  h  w  e  i  s  s  e  r  Farbe  genau  cm  im 
Läng  endure  hm  es  serundvon  feinhöckenge 


162 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


N ...  7 


fläche.  Auf  den  Schnittflächen  erwies  es  sich  als  durchaus 
homogen  und  konnte  kein  Fremdkörper  in  demselben 
ermittelt  werden.  Bezüglich  der  Härteprüfung  und  der  c  h  c  m  i- 
sehen  Analyse  verhielt  sich  dieses  Concrement  wie  jenes  in 
Fall  1. 

Die  Schnittwunde  war  in  einigen  Tagen  völlig  reactionslos 
geheilt  und  auch  der  Drüsentumor  war  nach  acht  Tagen  geschwunden 
Nunmehr  gelang  die  Sondirung  des  Ductus  auf  2'/.,  cm. 

Bei  Patientin,  die  sich  auf  meine  Aufforderung  erst  kürzlich 
wieder  vorstellte,  zeigt  sich  bisher  nicht  die  geringste  Veränderung 
und  konnte  ich  den  Ductus  auf  3  cm  sondiren. 

Die  bacteriologische  Untersuchung  des  Secretes  aus 
der  Incisionsöffnung  ergab  das  Vorhandensein  von  Streptococcen 
und  Di  p  1  o  c  o  c  c  u  s  pneumoniae  und  ebenso  konnten  i  n  d  e  m 
Concrement  Streptococcen  nachgewiesen  werden. 

Die  Blutuntersuchung  ergab  die  Diagnose  »Chlorose  und 
Anämie«.  Der  Harnbefund  war  normal. 

Wesentlich  weniger  habe  ich  über  den  dritten  Fall  zu  be¬ 
richten. 

Fall  3.  Hermann  R,  17  Jahre  alt,  P.-Nr.  4107  ex  1898. 

Die  Anamnese  besagt,  dass  Patient  bisher  stets  gesund 
war,  bis  er  vor  kurzer  Zeit  eine  Gonorrhoe  acquirirte. 

Auch  in  der  Familie  dieses  Patienten  ist  eine  Stein- 
erkrankung  angeblich  nicht  vorgekommen. 

Seit  einigen  Monaten  verspürte  er  öfter  vorübergehend  ziehende 
Schmerzen  links  unter  der  Zunge,  die  vor  sechs  Tagen  besonders 
heftig,  namentlich  beim  Essen  auftraten.  Alsbald  bemerkte  Patient 
dasselbst  eine  Geschwulst  von  der  Grösse  und  Form  einer  grossen 
Kirsche,  wogegen  er  kalte  Ausspülungen  des  Mundes  vornahm.  Da 
sich  jedoch  die  Beschwerden  steigerten  und  die  Geschwulst  zunahm, 
suchte  Patient  unser  Ambulatorium  auf. 

Patient  ist  seit  einem  Jahre  starker  Pfeifenraucher  und  gibt 
ohne  Befragen  an,  dass  das  Mundstück  seiner  schweren  Pfeife  gerade 
an  der  nunmehr  erkrankten  Stelle  zu  liegen  pflegt,  was  er  als  Ur¬ 
sache  dieser  Erkrankung  annimmt  Abnormale  Speichelsecretion 
wurde  nicht  beobachtet. 

Status  praesens:  Der  kräftig  gebaute,  mittelgrosse  Patient 
zeigt  ein  ausgesprochen  anämisches  Aussehen.  Die  sichtbaren  Schleim¬ 
häute  sind  auffallend  blass.  Zähne  gesund,  keine  Zahnsteinbildung. 
Es  besteht  eine  schleimig-eiterige  Secretion  aus  der  Harnröhre. 

Unter  der  linken  Zungenhälfte  sieht  man  einen  spindelförmigen 
I  umor,  dessen  Oberfläche  ungefähr  in  der  Mitte  der  Geschwulst  eine 
gelbliche,  verdünnte  Schleimhaut  aufweist,  an  welcher  Stelle  man 
mit  der  Sonde  einen  harten  Körper  constatiren  kann.  Die  gleich¬ 
seitige  Submaxillar drüse  ist  nicht  zu  tasten,  auch  ist  keine  andere 
1  trüsenschwellung  nachweisbar. 

Die  Diagnose  lautete  auf  Concrementbildung  im  Ductus 
V  hartonianus  und  wurde,  da  die  Sondirung  wegen  Unauffindbarkeit 
der  oralen  Mündung  des  Ductus  nicht  gelang,  auf  den  harten  Körper 
i  n  c  i  d  i  r  t,  worauf  bei  minimaler  Blutung  das  freiliegende  Con¬ 
crement  leicht  extrahirt  wurde. 

Von  der  Incisionsöffnung  konnte  ich  nun  nach  Cocainisirung 
den  Ductus  sowohl  gegen  die  orale  Mündung  als  auch  gegen  die 
Drüse  leicht  sondiren,  wobei  sich  keine  Flüssigkeit  entleerte. 

Die  Wunde  war  nach  einigen  Tagen  vollständig  geheilt. 

Das  Concrement  war  nahezu  k  u  g  e  1  i  g,  von 
ca.  1 0 mm  im  Durchmesser,  glatter  Oberfläche  und 
g  e  1  b  1  i  c  h  w  e  i  s  s  e  r  Farbe.  Dieses  Concrement  ritzte  weniger 
leicht  Steinsalz  als  die  früheren. 

Es  ci  w  ies  sich  als  durchaus  von  gleicher  S  t  r  u  c  t  u  r, 
zeigte  keine  Hohlräume,  keinen  centralen  Canal  und  ergab,  chemisch 
anal}  sir  t,  denselben  Belund  wie  die  beiden  eben  beschriebenen 
Concremente.  Auch  hier  fehlten  Rhodanverbindungen. 

Eine  bacteriologische  Untersuchung  musste  diesmal 
entfallen,  da  das  ganze  Concrement  bei  der  chemischen  Untersuchung 
aufgebraucht  wurde. 

Die  Blutuntersuchung  bestätigte  auch  in  diesem  Falle 
die  Diagnose  Anämie.  Im  Harne  fand  sich  Eiweiss  in  Spuren. 

Was  die  Aetiologie  der  Concrementbildungen  in  den 
Speicheldrüsen  und  deren  Ausführungsgängen  anlangt,  möchte 
ich  vor  Allem  auf  die  Arbeit  von  F.  Kraus2)  hinweisen,  der 
daiin  die  Mehrzahl  der  diesbezüglichen  Theorien  citirt;  immer¬ 


hin  bedürfen  dieselben  der  Vollständigkeit  wegen  noch  einer 
Ergänzung. 

Die  von  Hippok  rates3)  herrührende  Ansicht,  dass 
Speichelsteine  gichtische  Ablagerungen  seien,  findet 
in  der  Literatur  gar  keine  Stütze  und  hat  deren  Unhaltbar- 
keit  namentlich  Immisch1)  bewiesen.  Letzterer  vertritt 
die  Annahme  einer  chronischen  Entzündung  des 
Speichelganges  und  hält  nicht  für  ausgeschlossen,  dass 
Speichelsteine  auch  durch  entzündliche  Rauhigkeit 
der  Wandung  des  Ductus  entstehen  können,  indem  da¬ 
selbst  sich  Speichelsalze  ablagern.  Damit  will  Immisch  auch 
den  Canal,  der  sich  angeblich  oft  im  Centrum  der  Concre¬ 
mente  vorfinde,  erklären,  welcher  Ansicht  jedoch  Czygan5) 
entgegentritt. 

M  arreau  r>)  hingegen  beschuldigt  eine  entzündliche 
Strict  ur  als  Anlass  zur  Steinbildung.  Als  diesbezügliche 
äussere  Ursachen  werden  genannt :  Erkältung  (?),  Hg- 
Curen,  Traumen  und  durchgemachte  acute  Entzündungen  der 
Glandula  submaxillaris. 

Auch  wird  eine  chemische  Blutalteration  als 
Ursache  der  Speichelsteinbildung  angegeben,  desgleichen  eine 
pathologische  Neigung  zu  Sialolithiasis,  wrelche  An¬ 
nahmen  Czygan  nicht  von  der  Hand  weisen  möchte,  indem 
er  eines  Falles  erwähnt,  bei  welchem  zuerst  in  der  linken  und 
nach  einigen  Jahren  in  der  rechten  Submaxillardrüse  sich 
Concrementbildung  zeigte. 

Ferner  wird  hingewiesen  auf  eine  mechanische  Zu¬ 
rückhaltung  des  Speichels  und  weiters  findet  sich  in 
Ziegler’s  pathologisch-anatomischem  Lehrbuche,  I.  Theil,  die 
Angabe,  dass  Speichelsteine  durch  Imprägnation  einer 
von  den  Drüsengängen,  namentlich  von  den  E  p  i- 
thelien  gelieferten  Substanz  entstehen. 

Eine  andere  Hypothese  vertreten  Wertheimer  ’), 
Berger8),  Genzmer9)  und  Czygan,  indem  sie  in  die 
Drüse  oder  deren  Ausführungsgang  eingedrungene  Fremd¬ 
körper  —  wie  Johannisbeere,  Grashachel,  Fischgräte,  Holz¬ 
stückchen,  Haferkern,  Flaumfeder  —  als  Ursache  der  Stein¬ 
bildung  angeben,  worüber  auch  Scheller10)  und  Senator11) 
mit  je  einem  Falle  berichten. 

Auch  eingedrungene  Zahnsteinstückchen  werden 
als  Fremdkörper  diesbezüglich  beschuldigt. 

Der  Vollständigkeit  halber  —  aber  auch  nur  deswegen 
—  möchte  ich  die  Annahme  St  an  ski’s12)  erwähnen,  der  aus 
einem  Falle,  in  welchem  er  in  der  Submaxillardrüse  zwei 
rudimentäre  Zähne  gefunden  haben  will,  den  jedenfalls  ge¬ 
wagten  Schluss  zieht,  dass  es  sich  in  allen  Fällen  von  Sialo¬ 
lithiasis  nicht  um  Speichelsteine,  sondern  um  Producte  einer 
von  ihm  angenommenen  dritten  Dentition  handle. 

Aus  demselben  Grunde  will  ich  Wyatt  Pratt’s13) 
Ansicht  mittheilen,  der  hiebei  an  kalkige  Concremente  der 
Phthisiker  denkt. 

Die  Theorie,  welcher  in  neuerer  Zeit  die  meisten  Autoren 
beipflichten,  ist  die  bacteriologische. 

So  fand  Klebs11)  die  Concremente  von  Leptothrix- 
fäden  durchsetzt  und  führt  dieser  die  Steinbildung  auf  eine 
biologische  Leistung  der  Mikroorganismen  zurück,  deren  Lebens¬ 
fähigkeit  in  den  Concrementen  von  Galippe15)  angegeben 
wird.  Dieselbe  Theorie  stützen  ferner  die  Angaben  von  Maas10) 
und  Rosenberg17),  welch  Letzterer  namentlich  auf  den 
Leptothrix  b  u  c  c  a  1  i  s  als  den  ursächlichen  Erreger 
hinweist. 

* 

Bezugnehmend  aut  meinen  e  r  s  t  e  n  Fa  1 1  möchte  ich  der 
Krankengeschichte  kurz  entnehmen,  dass  mehrere  Jahre  vor 
den  Stenosesymptomen  die  entsprechende  Submaxillardrüse 
immer  mehr  oder  weniger  vergrössert  und  hie  und  da  auch 
spontan  schmerzhaft  war.  Ferner  auf  den  Umstand  hinweisend, 
dass  das  Concrement  in  dem  der  Drüse  nächstgelegenen  Ductus- 
antheile  sich  vorfand,  und  endlich  die  Form  des  Conerementes 
betrachtend,  musste  man  zu  der  Annahme  kommen,  dass  in 
diesem  Falle  eine  chronische  Entzündung  der 
Drüsensubstanz  selbst  mitconsecutiverSecret- 
stauung  undEindickung  des  Secretes  den  ersten 


163 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


A  li  lass  zur  Steinbildung  abgab  und  dass  erst 
in  späterer  Zeit  dieses  Concrement  durch  den 
Speichel  ström  in  den  Ductus  gelangte. 

Anders  verhält  es  sich  im  zweiten  Falle.  Hier  traten 
die  Erscheinungnn  von  Seite  der  sublingualen  Geschwulst 
nicht  nur  früher  als  die  von  Seite  der  Drüse  auf,  sondern  be¬ 
herrschten  auch  späterhin  das  Krankheitsbild. 

Ausserdem  deuten  nebst  der  Spindelform  des  Conere- 
mentes  der  Umstand,  dass  ich  schon  bei  den  ersten  Attaken 
durch  Sondirung  des  oralen  Theiles  des  Ausführungsganges 
im  Stande  war,  alle  Beschwerden  zu  beseitigen,  was  bei  einer 
Concrementbildung  in  der  Drüse  wohl  gar  keinen  Erfolg 
gehabt  hätte,  daraufhin,  dass  es  sich  in  diesem  Falle  um  eine 
im  Ductus  W hartonianus  selbst  stattgetundene 
Steinbildung  handelte. 

Nach  den  in  der  Krankengeschichte  des  Falles  mitge- 
theilten  Untersuchungen  sind  diesmal  offenbar  Mikroorg a- 
n  ismen  als  die  ursächlichen  Erreger  der  Steinbildung  zu 
betrachten. 

Beim  dritten  Falle  kommt  ätiologisch  wohl  nur  eiu 
Moment  in  Betracht. 

Wie  aus  der  Krankengeschichte  zu  entnehmen,  deuten 
auch  in  diesem  Falle  alle  Erscheinungen,  mit  Ausnahme  der 
rundlichen  Form  des  Concrementes  auf  eine  Steinbild  ung 
im  Ductus  W  hartonianus  selbst  hin. 

Es  handelt  sich  diesfalls  um  einen  lange  Zeit  an¬ 
dauernden  Insult  der  linken  S  u  b  lingual  g  eg  en  d 
durch  das  Mundstück  eine)’  Tabakspfeife. 

Ob  hiebei  nur  die  mechanische  Wirkung  also  ein 
Trauma  —  in  Frage  kommt,  oder  ob  die  intensive  locale 
Wärmebildurg  oder  endlich  das  Nicotin  ausschlaggebend  war, 
diese  Frage  muss  ich  wohl  offen  lassen. 

Es  verhielten  sich  somit  die  drei  Fälle  ätiologisch  ganz 
verschieden  und  glaube  ich  nicht,  dass  auch  nur  eine  \on 
allen  angeführten  Theorien  der  Aetiologie  der  Sialolithiasis  fiii 
alle  Fälle  zur  Erklärung  ihrer  Entstehung  dienen  wird. 

Erwähnen  möchte  ich  zum  Schlüsse  noch,  dass  nicht  nur 
in  den  eben  beschriebenen,  sondern  auch  in  den  meisten 
in  der  Literatur  citirten  Fällen  der  linksseitige  Ductus 
und  die  entsprechende  Drüse  erkrankt  war,  dass  es  sich  ferner 
in  allen  drei  Fällen  um  mehr  minder  hochgradig  anämische 
Patienten  handelte,  und  dass  in  zwei  Fällen  die  ersten  Be¬ 
schwerden  von  Seite  der  Ductusstenose  zur  Zeit  der  ersten 
Menstruation  sich  einstellten,  was  sich  leicht  mit  den  zu  ge¬ 
nannter  Zeit  auftretenden  Störungen  im  Gfesammtorganismus 
erklären  lässt. 

Die  Angabe  M  o  r  e  1 1  i’s  l8),  dass  vorzugsweise  Männer  von 
dieser  Erkrankung  befallen  werden,  kann  ich  nach  Obigem, 
sowie  nach  Durchsicht  der  Literatur  nicht  bestätigen,  ebenso¬ 
wenig  die  Angabe  Michel’s19),  welcher  behauptet,  dass  alle 
Steine,  die  keine  »Inflammation«  und  keine  bedeutende  Ver¬ 
größerung  der  Drüse  bewirken,  nur  in  einem  der  Ductus  luvi- 
niani  liegen  können,  womit  ich  auf  meinen  dritten  Fall 
verweise. 

Meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Prof.  Dr.  0.  Ghiari, 
sowie  Herrn  Regierungsrath  Prof.  Dr.  Mautner  sage  ich 
für  die  Unterstützung  bei  dieser  Publication  meinen  besten 
Dank. 

Literatur. 

')  Gene  r  sich,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXXI,  Heft  2. 

~)  F.  Kraus,  Die  Erkrankungen  der  Mundhöhle  in:  Nothnagels 
Pathologie  und  Therapie.  XVI,  1.  Theil,  1.  Hälfte. 

3)  Citirt  bei  5). 

')  Immisch,  Monographie  in  der  deutschen  Klinik.  1860. 

5)  Czygan,  Disseitation.  Königsberg  i.  P.  1890. 

6)  Citirt  bei  5). 

7)  Sehe  cli,  Die  Krankheiten  des  Mundes,  Halses,  Rachens  und  der 
Nase.  Deuticke,  Wien  1896. 

■ )  Citirt  bei  2). 

°)  Citirt  bei  2). 

10)  Citirt  bei  5). 

")  Citirt  bei  5). 

12)  Citirt  bei  '). 

,3)  Citirt  bei  5). 

'■')  Citirt  bei  2). 


15)  Citirt  bei  2). 

16)  Citirt  bei  7). 

17)  Rosen  berg,  Die  Krankheiten  des  Rachens  und  des  Kehlkopfes. 
Berlin  1899. 

18)  Semon,  Internationales  Centralblatt  für  Laringologie  etc.  1897. 

19)  Citirt  bei  5). 


Zur  Krankenhausfrage. 

ln  diesen  Tagen  ist  unter  Vorsitz  des  Unterrichtsministers  die 
Commission  zur  Berathung  über  die  Neugestaltung  des  Wiener  Allge¬ 
meinen  Krankenhauses  zusammengetreten.  Ein  schwieriges  Problem, 
das  im  Hinblick  auf  jahrzehntelang  gerügte  Uebelstände  gebiete¬ 
risch  Lösung  erheischt,  wird  nun  endlich  —  wie  es  scheint  —  mit 
dem  ganzen  Ernste,  den  die  unhaltbaren  Verhältnisse  erfordern,  aufge- 
griffen  und  hoffentlich  auch  gelöst  werden.  Es  ist  zu  wünschen  und 
zu  erwarten,  dass  die  grosse  Oeffontlichkeit  über  alle  wichtigen  Phasen 
dieser  ein  so  eminentes  Interesse  der  Gesammtheit  betreffenden  Ver¬ 
handlungen  im  Laufenden  erhalten  bleibe.  Die  Errichtung  eines  neuen 
Wiener  Allgemeinen  Krankenhauses,  das  deu  Zwecken  einer  rationellen 
Krankenbehandlung  wie  jenen  des  Unterrichtes  vollkommen  entspricht 
und  nach  beiden  Richtungen  berufen  wäre,  wieder  ein  europäisches 
Centrum  zu  werden,  wie  dereinst  das  alte  Krankenhaus  Jahrzehnte 
hindurch  ein  solches  zum  Ruhme  Oesterreichs  bildete,  das  ist  eine 
culturell-humanitäre  Aufgabe,  zu  der  die  berufenen  Organe  des  Staates, 
des  Landes  und  der  Stadt  sich  vereinen  müssen  mit  dem  ernstesten 
Bestreben,  sich  thatkräftigst  entgegenzukommen  und  gegenseitig  in 
weitestgehender  Weise  zu  unterstützen.  Mau  hat  bis  jetzt  zu  wenig 
von  dem  bisherigen  Gang  der  Verhandlungen  erfahren,  um  von  voiuc- 
herein  es  irgend  in  Frage  steilen  zu  dürfen,  dass  alle  betheiligten 
Factoren  von  dem  besten  Willen  durchdrungen  wären,  die  Angelegen¬ 
heit  von  grossen  Gesichtspunkten  aus  zu  behandeln. 

Es  steht  zu  hoffen,  dass  den  Zweiflern  an  eine  bessere  Zukunft 
das  Recht  benommen  werde,  auch  der  gegenwärtig  tagenden  Commission 
von  vorneherein  einen  in  absehbarer  Zeit  evidenten  Erfolg  abzu¬ 
sprechen.  Wir  hoffen  in  Bälde  zu  erfahren,  dass  sich  hier  Vertreter 
verschiedener  competenter  Behörden  zusammen  gefunden  haben  mit 
der  ausgesprochenen  Absicht,  selbst  mit  eventuellen  Opfern  von  Seiten 
einzelner  von  ihnen  vertretener  Interessengruppen  unbedingt  zum 
so  lange  ersehnten  Ziele  zu  gelangen.  Wir  hoffen  bald  von  Ergeb¬ 
nissen  der  Verhandlungen  zu  hören,  welche  die  Befürchtung  zu  bannen 
geeignet  sind,  dass  die  Commission,  statt  ein  System  eongruenter,  aut 
den  einen  grossen  Zweck  hinarbeitender  Kräfte,  die  "Vertretung  di\ ei¬ 
gnender  Interessensphären  darstellen  könnte,  die  vor  Allem  die  YV  ahrung 
des  Vortheiles  innerhalb  der  letzteren  im  Auge  hätte. 

Fasst  man  die  Angelegenheit  von  dem  Standpunkte  eines  grossen 
eulturell-humanitären  Unternehmens  auf  und  nicht  als  eine  liansaction 
bei  der  die  einzelnen  hier  in  Frage  kommenden  Behörden  und  die 
verschiedenen  Ressorts  der  Verwaltung  darauf  bedacht  sein  müssen,  sich 
vor  Allem  schadlos  zu  halten,  dann  schwinden  mit,  der  allseitigen  Be¬ 
reitwilligkeit,  die  administrativen  Schranken  niederzureissen  und  sich 
gegenseitig  in  die  Hände  zu  arbeiten,  auch  alle  Schwierigkeiten,  die 
sich  durch  die  Betonung  der  mannigfachen  hier  in  Betracht  kommenden 
Sonderinteressen  ergeben.  Man  kann  es  nicht  oft  und  nachdrücklich 
genug  betonen :  Die  erfolgreiche  Lösung  dieses  Problems  ist  für  Staat, 
Land  und  Stadt  von  gleich  grosser  Bedeutung. 

Das  geplante  Reformwerk  kann  und  wird  erst  dann  von  er¬ 
wünschtem  Erfolge  gekrönt  sein,  wenn  in  gleich  eingehender  Weise 
die  Bedürfnisse  der  Kranken,  wie  die  Aufgaben  und  Ziele  des  Unter¬ 
richtes  Berücksichtigung  gefunden  haben  werden. 

Die  möglichste' Concentration  dergesammten  in  Betracht  kommenden 
Baulichkeiten  auf  ein  den  Bedürfnissen  entsprechend  grosses,  möglichst 
central  gelegenes,  von  allen  Punkten  der  Stadt  möglichst  leicht  zu 
erreichendes  Territorium  und  die  eonsequente  Durchführung  des  leitenden 
Gedankens,  dass  die  Gesammtheit  der  theoretischen  und  klinischen  In¬ 
stitute  eine  auch  durch  räumliche  Nachbarschaft  zu  wahrende  Eni  ieit 
darzustellen  hat,  im  innigsten  Connexe  mit  der  Mutteranstalt  - 
versität  —  darin  scheint  wohl  der  springende  Punkt  des  zu  losenden 

Problems  zu  liegen. 

Hält  man  sich  diese  Gesichtspunkte  vor  Augen  und  würdigt 
mau  sie  in  ihrer  grossen  Bedeutung  für  die  Bedürfnisse  der  Kranken 
und  des  Unterrichtes,  so  kann  es  wohl  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  mit 
jenem  Projecte,  welches  das  neue  Allgemeine  Krankenhaus  aut  den 
Territorium  des  gegenwärtigen  mit  Heranziehung  der  benachbarten 
Alserkaserne,  eventuell  des  Garnisonsspitales  und  der  Irrenhausgrunde, 
allen  Anforderungen  am  besten  entsprochen  wird.  \\  ie  sehr  diese 
Situation  des  Krankenhauses  den  hilfesuchenden  Kranken  günstig  ist, 
das  beweist  wohl  der  Umstand,  dass  trotz  neuer,  in  den  einzelnen 
Bezirken  und  der  Peripherie  der  Stadt  entstandener  Spitaler  ja  trotz 
der  in  unmittelbarster  Nähe  hinzugekommeppn  Allgemeinen  I  oliklmik, 


16  t 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  15)00. 


Nr.  7 


welche  weit  über  50.000  ambulante  Kranke  jährlich  aufzuweisen  hat, 
der  Zuzug  der  im  Allgemeinen  Krankenhause  Hilfe  Suchenden  sich 
nicht  vermindert  hat.  Mit  jedem  neuen  Spitale,  das  in  Wien  errichtet 
wurde,  hat  es  sich  immer  wieder  gezeigt,  dass  selbst  bei  vorzüglichstem 
Rufe  der  angestellten  Aerzte  das  Krankencontingent  doch  ein  be¬ 
schränkt  regionäres  ist  und  zumeist  von  Verletzten  und  acut  Kranken 
der  Umgebung  oder  von  solchen  chronisch  Kranken  aufgesucht  wird, 
die  im  Allgemeinen  Krankenhause  nicht  Aufnahme  finden.  Das  Spital 
der  Wahl  des  armen  Kranken  ist  und  bleibt  das  altberühmte  All¬ 
gemeine  Krankenhaus,  und,  wie  wir  meinen,  wird  es  dies  auch  so  lange 
und  nur  so  lange  bleiben,  als  es  vermöge  seiner  günstigen  Lage  für 
die  Patienten  und  deren  Angehörigen  so  leicht  zu  erreichen  sein  wird. 

Man  kann  nicht  genug  darüber  staunen,  dass  dem  so  nahe¬ 
liegenden  Gedanken,  die  Krankenhausfrage  in  diesem  conservativen 
Sinne  an  bewährte  Erfahrungen  anknüpfend,  zu  lösen,  der  Kosten¬ 
punkt  entgegengehalten  wird,  der  durch  die  nothwendige  Erwerbung 
der  benachbarten  Gründe  sich  zu  fast  unerschwinglicher  Höhe  erheben 
sollte.  Man  möchte  da  meinen,  dass  es  sich  bei  den  gegenwärtigen 
Inhabern  der  in  Frage  kommenden  Gründe  um  Speculanten  handle, 
die  sich  eine  gegebene  Chance  in  fast  wucherischer  Weise  zu  Nutze 
machen.  Wenn  man  aber  anderseits  erfährt,  dass  die  anzukaufenden 
Territorien  Eigenthum  des  Militärärars  und  des  Landes  Niederösterreich 
sind,  so  könnte  keinen  Augenblick  daran  geglaubt  werden,  dass  durch 
das  Festhalten  an  übertriebenen  Forderungen  von  dieser  Seite  das 
Project  thatsächlich  in  Frage  gestellt  werden  könnte. 

Man  kann  ebensowenig  daran  glauben,  dass  die  Stadt  Wien 
sich  nicht  herbeiliesse,  zu  Gunsten  der  Ermöglichung  der  gedeihlichen 
Lösung  dieser  Frage,  an  der  sie  doch  in  erster  Linie  wohl  auch  ein 
grosses  moralisches  Interesse  hat,  auf  die  Durchführung  von  Strassen- 
zügen  zu  verzichten,  die  mitten  durch  das  in  Frage  kommende  Terri¬ 
torium  geplant  sind. 

Wenn  nun  auch  Alles  dafür  spricht,  die  Krankenhausfrage  in 
diesem  Sinne  zu  lösen,  so  können  wir  uns  andererseits  durchaus  nicht 
auf  den  Standpunkt  Jener  stellen,  die  eine  andere  Lösung  einfach  für 
undiscutabel  erklären.  Der  andere  Ausw7eg  wird  bekanntlich  darin 
gesucht,  das  neue  Allgemeine  Krankenhaus  an  die  Peripherie  der  Stadt 
zu  verlegen.  Wir  haben  bisher  nur  in  der  jüngst  publicirten  Resolution 
des  Ingenieur-  und  Architekten-Vereines  eine  Kundgebung  verzeichnen 
können,  aus  der  die  Meinung  unverhohlen  hervorging,  dass  diese  andere 
Lösung  der  Frage  auch  die  bessere  sei.  Eine  knapp  gehaltene  Reso¬ 
lution  kann  nur  ausnahmsweise  eine  erschöpfende  Motivirung  einer 
Meinung  beibringen  und  so  ist  auch  der  erwähnte  Beschluss  des 
Ingenieur-  und  Architekten-Vereines  die  wünschenswerte  Begründung 
ihres  energisch  ausgesprochenen  und  namentlich  in  Anbetracht  des 
Momentes,  in  dem  es  veröffentlicht  wurde,  auf  wirksame  Beeinflussung, 
um  nicht  zu  sagen  Einschüchterung  der  Commission  abzielenden 
Votums  schuldig  geblieben.  Es  kann  nichts  erwünschter  sein,  als  wenn 
an  der  Discussion  einer  so  breite  Schichten  der  Bevölkerung  inter- 
essirenden  Frage  wie  der  vorliegenden,  sich  möglichst  grosse  Kreise 
betheiligen.  Es  ist  auch  über  jedem  Zweifel,  dass  die  Mitwirkung 
gerade  des  Architekten  an  der  Lösung  des  Problems  besonders  er¬ 
wünscht  erscheint.  Aber  li3Tgienische  Bedenken  ins  Feld  zu  führen 
gegen  den  Plan,  das  neue  Krankenhaus  auf  der  Area  des  alten  neu 
zu  errichten,  scheint  uns  erstens  eine  Ueberschreitung  der  so  klar 
gegebenen  Competenz  dieser  Seite  und  zweitens  ist  gerade  ein  Einwurf 
solcher  Art  in  keiner  Weise  gerechtfertigt.  An  welche  Erfahrungen 
da  etwa  angeknüpft  wird,  ist  vollkommen  unverständlich;  konnte 
irgend  je  ein  für  die  Hygienie  der  Umgebung  nachtheiliger  Einfluss 
der  vom  gegenwärtigen  Allgemeinen  Krankenhause  ausgegangen  wäre, 
verzeichnet  werden?  Und  wenn  in  derselben  Resolution,  in  der  hygie¬ 
nische  Bedenken  gegen  die  Errichtung  des  Allgemeinen  Krankenhauses 
erhoben  werden,  der  Verein  für  die  Errichtung  eines  kleinen  Kranken¬ 
hauses  an  derselben  Stelle  eintritt,  so  muss  man  wohl  constatiren, 
dass  eine  solche  Forderung  logische  Consequenz  vermissen  lässt. 

Wie  gesagt,  die  Frage  der  Verlegung  des  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  an  die  Peripherie  der  Stadt  ist  discutabel,  sie  ist  es  aber  nur 
insolange,  als  die  gesammte  medieinische  F  a  c  u  1 1  ä  t  mit 
allen  zu  ihr  gehörigen  Instituten  mit  hinauswandert  und  wenn 
Verkehrsverhältnisse  geschaffen  werden,  welche  die  üblen  Folgen  der 
excentrischen  Lage  der  Krankenanstalten  für  die  kranke  Bevölkerung 
vollkommen  paralysiren,  welche  es  aber  auch  den  Studenten  (selbst¬ 
verständlich  unentgeltlich)  ermöglichen,  so  oft  es  ihr  Lernbedürfniss 
erfordert,  mit  dem  denkbar  geringsten  Zeitverluste  die  Universität 
aufzusuchen.  Es  muss  selbstverständlich  den  Technikern  überlassen 
bleiben,  zu  beurtheilon,  ob  dies  bei  uns  in  dieser  Weise  durchführbar 
ist.  Die  Erfahrungen,  die  wir  mit  der  Stadtbahn  bisher  gemacht 
haben,  sprechen  ganz  entschieden  dagegen.  Auch  der  Kostenpunkt 
soll  hiebei  —  so  schwer  er  auch  bei  der  Beurtheilung  der  ganzen 
Sachlage  mit  in  die  Wagschale  fällt  —  ganz  unbesprochen  bleiben. 

Aber  selbst  für  den  Fall,  dass  alle  diese  Bedenken  nicht  stich¬ 
hältig  und  allen  Erfordernissen  des  Verkehres  in  vollkommen  er¬ 


wünschter  Weise  Rechnung  getragen  würde,  bliebe  immer  diese  Art 
der  Lösung  der  Krankenhausfrage  nur  ein  Nothbehelf.  Man  kann  die 
Befürchtung  nicht  unterdrücken,  dass  dieses  so  weit  draussen  gelegene 
Krankenhaus  kaum  je  auch  nur  annähernd  einen  solchen  Zuzug  von 
Kranken  aufweisen  würde,  wie  das  im  Herzen  der  Stadt  gelegene.  Die 
Kranken  würden  sich  scheuen,  die  weite  Reise  zu  unternehmen  und 
kämen  dadurch  um  ihr  gutes  Recht,  sich  bei  den  hervorragendsten 
ärztlichen  Autoritäten  Rath  zu  erholen,  das  excentrisch  gelegene  Kranken¬ 
haus  würde  bald  den  Charakter  der  grossen  klinischen  Anstalt  mit  der 
zum  Lehren  und  Lernen  unbedingt  nothwendigen  Mannigfaltigkeit  und 
grossen  Zahl  der  Krankheitsbilder  verlieren  und  würde  den  Charakter 
eines  auf  eine  relativ  wenig  volkreiche  Umgebung  angewiesenen  regio¬ 
nalen  Krankenhauses  tragen.  Das  bedeutet  aber  eine  schwere  Schädi¬ 
gung  des  Unterrichtes  und  hiemit  nach  mehr  als  einer  Richtung  auch 
der  Bevölkerung.  Wir  stehen  aber  auch  nicht  an,  in  diesem  Projecte 
eine  Schädigung  der  Studenten  und  der  künftigen  Aerztegeneration  zu 
erblicken,  denen  durch  solche  Verhältnisse  der  nie  zu  lockernde  Zu¬ 
sammenhang  ihrer  Berufsstudien  mit  der  sonstigen  an  der  Universität 
ihnen  ermöglichten  anderweitigen  Bildungsmöglichkeit  sehr  erschwert 
würde.  Es  ist  gerade  beim  Arzte  von  höchster  Bedeutung,  aus  den 
anderweitigen  Bildungsquellen,  die  ihm  die  Universität  darbietet,  mög¬ 
lichst  schöpfen  zu  können,  um  der  Gefahr  der  Einseitigkeit  des  aus¬ 
schliesslichen  Fachstudiums  zu  entgehen.  Warum  soll  es  gerade  dem 
Mediciner  so  erschwert  sein,  gelegentlich  ein  philosophisches,  ein  lite¬ 
rarisches  Colleg  zu  besuchen,  Sprachstudien  zu  treiben,  die  Behelfe  der 
Universitätsbibliothek  zu  benützen  u.  s.  w.? 

Aus  guten  Gründen  wird  auch  die  Berliner  Charite  auf  dem 
alten  Territorium  wieder  errichtet. 

Man  mag  die  Frage  in  voller  Objectivität  von  welchem  Stand¬ 
punkte  immer  betrachten,  der  Kranke  und  der  Student  —  und  das 
sind  ja  die  in  erster  Linie  hiebei  Interessirten  —  haben  von  einer  Ver¬ 
legung  des  Krankenhauses  an  die  Peripherie  nur  Nachtheile.  Wer 
davon  dann  noch  einen  Vortheil  hätte,  ist  schwer  zu  sagen. 

Wir  haben  die  ehrliche  Ueberzeugung,  dass  auch  die  die  Minorität 
bildenden  Anhänger  des  Verlegungsprojectes  im  Aerztestande  nicht  des¬ 
wegen  dafür  eintreten,  weil  sie  das  „conservative“  Project  für  das 
weniger  gute  halten,  sondern  weil  sie  die  Schwierigkeiten,  namentlich 
finanzieller  Natur,  die  sich  dem  Neu-  und  Ausbau  des  Allgemeinen 
Krankenhauses  auf  dem  um  Alserkaserne,  Garnisonsspital  und  Irren¬ 
anstalt  erweiterten  Territorium  entgegenstellen,  für  unüberwindlich  er¬ 
achten.  Bei  gutem  Willen  aller  betheiligten  Factoren  kann  aber  unserer 
Meinung  nach  jedwede  Schwierigkeit  überwunden  werden.  A.  F. 


REFERATE. 

I.  Insufficienz  (Schwäche)  des  Herzens. 

Von  Prof.  Dr.  Theodor  v.  Jürgensen. 

Noth  nage  l’s  Handbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie. 

Wien  1899,  Alfred  Holder. 

II.  Erkrankungen  der  Gefässe. 

Von  Prof.  L.  v.  Schrötter  in  Wien. 

I.  Hälfte:  Erkrankungen  der  Arterien. 

(Noth  nag  el’s  Handbuch,  Bd.  XV,  III.  Theil,  I.  Hälfte.) 

Wien  1899,  Alfred  Holder. 

I.  Wie  der  jüngste  Congress  für  innere  Medicin  gezeigt  hat, 
entspricht  es  ganz  der  modernen  Herzpathologie,  wenn  man  die 
Insufficienz  des  Herzens  als  ein  gut  charakterisirtes  Krankheitsbild 
für  sich  bestehen  lässt.  Da  Jürgensen  die  Herzschwäche  richtig 
aus  dem  Missverhältnis  zwischen  dem  Pumpmechanismus  und 
dessen  Motor  einerseits  und  der  zu  leistenden  Arbeit  andererseits 
auffasst,  theilt  er  die  Ursachen  der  Herzinsufficienz  zweckmässig  in 
zwei  grosse  Gruppen,  nämlich  in  die  Störungen  der  Arbeitsmaschine 
selbst  und  die  Störungen,  welche  das  Herz  des  für  seine  Arbeit 
nöthigen  Blutquantums  berauben.  Von  den  drei  Formen  der  Herz¬ 
schwäche  - —  der  acuten,  subacuten  und  chronischen  —  wird  die 
letzte  als  die  wichtigste  ausführlich  in  ihren  verschiedenen  klinischen 
Gestalten  geschildert. 

Bei  der  Schilderung  der  Therapie  vermeidet  es  Verfasser  mit 
Recht,  allgemein  gütige  Detailvorschriften  zu  geben,  wie  dies 
wiederholt  geschehen  ist.  Die  Winke,  die  er  dem  Praktiker  in 
Bezug  auf  Diät,  Heilgymnastik  und  Medicamente  gibt  und  aus 
welchen  immer  das  Bestreben  hervorleuchtet,  dem  Kranken  in 
allererster  Linie  nicht  zu  schaden,  sind  sehr  beherzigenswerth. 

* 

II.  Der  vorliegende  erste  Theil  des  bedeutsamen  Werkes  be¬ 
handelt  die  Erkrankungen  der  Arterien,  und  zwar  die  Abnormitäten, 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


165 


die  Hypertrophie,  die  Entzündung  der  Arterien  in  ihren  verschie¬ 
denen  Formen,  die  Arteriosklerose,  die  Tuberculo.se  und  Syphilis  der 
Gefässe.  die  Erweiterung  der  Arterien  und  das  Aneurysma. 

Die  genaue  Bekanntschaft  mit  dem  riesigen  Stoffe,  eine 
überaus  reiche  Erfahrung,  welche  nach  den  Grundsätzen  der 
grossen  Vergangenheit  der  Wiener  Schule  gesammelt  und  geordnet 
ist,  haben  es  dem  Verfasser  ermöglicht,  ein  Werk  zu  schaffen,  das 
sowohl  der  Kliniker  wie  der  Praktiker  gerne  studiren  wird.  Er  ist 
in  der  Lage,  bei  der  Wiedergabe  der  vorhandenen  Literatur  eine 
autoritative  Sichtung  vorzunehmen  und  massgebende  Kritik  zu  üben, 
welche  immer  sachlich  bleibt,  sowie  die  Darstellung  durch  einge¬ 
streute  Schilderungen  eigener  Fälle  zu  beleben. 

Durch  die  daraus  resultirende  Originalität  der  Auffassung  des 
Stoffes  gewinnt  das  Buch  an  Interesse  und  Werth. 

Besonders  hingewiesen  sei  hier  auf  die  Capitol,  welche  von 
der  Pathogenese,  Aetiologie,  Symptomatologie,  Prognose  und  Therapie 
des  Aneurysmas  handeln.  Bei  diesen  Themen  kommt  nämlich  die 
Individualität  des  Verfassers  besonders  zum  Ausdrucke,  indem  ihm 
Gelegenheit  geboten  ist,  Erfahrungen  mitzutheilen  und  auf  diagnostische 
Feinheiten  hinzuweisen,  welche  zu  sammeln,  beziehungsweise  zu 
entdecken  nur  einem  Kliniker  möglich  war,  der  sich  einen 
Schüler  S  k  o  d  a’s  und  zugleich  einen  Meister  der  Laryngologie 
nennen  darf. 

Das  Werk  ist  vorzüglich  illustrirt  und  bringt  auch  bereits 
den  modernsten  Bedürfnissen  entsprechend  sehr  gelungene  und  in¬ 
structive  Böntgen-Bilder.  II  e  r  z. 


Lehrbuch  der  diätetischen  Therapie  chronischer  Krank 
heiten  für  Aerzte  und  Studirende. 

Von  Docent  Dr.  R.  Kolisch. 

I.  Allgemeiner  Tlieil. 

Leipzig  und  Wien  1899,  Franz  Deu  ticke. 

Wiewohl  die  hohe  Bedeutung  der  Ernährungstherapie  niemals 
bestritten  worden  ist,  konnte  sich  diese  doch  erst  in  der  Neuzeit, 
insbesondere  nachdem  durch  die  fortschreitende  Erkenntniss  der 
Stoffwechselvorgänge  eine  exacte  Grundlage  für  dieselbe  geschaffen 
worden  ist,  zu  einer  selbstständigen  wissenschaftlichen  Methode  er¬ 
heben.  Zahlreiche  Publication  und  namentlich  das  Erscheinen  einer 
Reihe  von  grösseren  Werken  über  diätetische  Behandlung,  worunter 
in  erster  Reihe  das  treffliche  umfangreiche  Handbuch  L  e  y  d  e  n’s, 
haben  überdies  dazu  beigetragen,  dem  genannten  Zweige  der 
Therapie  die  verdiente  allgemeine  Beachtung  zu  verschaffen. 

Aehnlich  wie  das  jüngst  erschienene  Werk  von  Moritz 


Technik  und  Verwerthung  der  Röntgen’schen  Strahlen 
im  Dienste  der  ärztlichen  Praxis  und  Wissenschaft. 

Von  Dr.  O.  Büttner.  Specialarzt  für  Nervenkrankheiten  und  Elektro¬ 
therapie,  und  Dr.  K.  Müller,  Specialarzt  für  Chirurgie  und  Orthopädie  zu 

Erfurt. 

Zweite  Auflage. 

Halle  a.  d.  S.  1900,  Wilhelm  Knapp. 

Dieses  Buch  stellt  das  28.  Heft  der  bekannten,  nun  schon 
aus  36  Heften  bestehenden  Encyklopädie  der  P  h  o  L  o  g  r  a  p  h  i  e 
dar.  Ein  Zeichen  seiner  Brauchbarkeit  ist  der  I  instand,  dass  auf 
die  erste  1897  gedruckte  Auflage  trotz  der  vielen  seither  er¬ 
schienenen  Lehrbücher  nun  schon  eine  zweite  gefolgt  ist.  Das 
Werk  soll  nach  der  Intention  der  Autoren  zunächst  den  ärztlichen 
Praktikern  ein  Führer  bei  ihren  ersten  Versuchen  auf  dem  er¬ 
wähnten  Gebiete  sein,  ferner  die  Vertreter  von  Behörden  und 
Genossenschaften,  endlich  Mechaniker,  Photographen  und  gebildete 
Laien  über  das  Röntge  n’sche  Verfahren  orientiren. 

Die  Verfasser  haben  seinerzeit  das  Verfahren  als  »Pyknoskopio« 
und  »P y  kn  ograp hie«  bezeichnet,  entsprechend  der  Eigenschaft 
der  Röntgen’schen  Strahlen,  die  Körper  nach  Massgabe  ihrer 
Dichte  zu  durchdringen,  vom  griechischen  »pyknös«  =  dicht. 
Diese  Nomenclatur  hat  sich  jedoch  durchaus  nicht  eingebürgert 
und  die  Autoren  haben  gut  daran  gethan,  dieselbe  in  dem  Titel 

des  Werkes  nicht  zu  verwenden. 

Besonders  gelungen  ist  die  E  i  n  1  e  i  t  u  n  g,  in  welcher  unter 
Anderem  die  bedauernswerthe  Thatsache  hervorgehoben  wird,  dass 
die  meisten  Aerzte  noch  immer  auf  die  consultative  Inanspruch¬ 
nahme  des  Röntge n-Verfahrens  verzichten.  Die  Verfasser  beklagen 
aber  auch  mit  Recht  die  heute  verbreitete  Anschauung  des  Publi- 
cums,  »dass  die  Leistungen  des  Arztes  zum  1  heile  geringer  be- 
werthet  werden  müssen,  als  die  des  Barbiers,  und  seine  technischen 
Hilfsmittel  geringer,  als  die  des  Handwerkers«. 

Durch  die  beiden  mit  Recht  gerügten  Momente  erklärt  sich 
denn  auch  die  bisher  noch  ungenügende  Würdigung  und  Benützung 
der  neuen  Methode,  deren  Wichtigkeit  sich  aber  trotz  alledem 
selbst  beim  Laienpublicum  bereits  Geltung  verschafft  hat. 

So  bemerken  die  Verfasser,  dass  das  Gericht  in  einem 
Entschädig ungsprocesse  wegen  unterlassener  Aul¬ 
klärung  eines  Falles  durch  Röntge  n’s  che  S  t  r  a  h  l  e  n 
gegen  den  Arzt  entschieden  habe.  Der  Arzt  nahm  sich  dann  dieses 
Urtheil  so  zu  Herzen,  dass  er  zum  Selbstmord  getrieben  wurde. 

Das  Buch  ist  sehr  compendiös,  es  umfasst  nur  250  gross 
gedruckte  Octavseiten,  von  denen  183  auf  den  »technischen 
Th  eil«  fallen.  Dieser  erste  Theil  behandelt  mit  grosser  Sorg¬ 
falt  die  nothwendigen  physikalischen  und  elektrotechnischen  Themen. 
Sehr  wichtig  und  auch  gut  gearbeitet  ist  das  Capitel  über  die 


über  »Grundzüge  der  Krankenernährung«  soll  auch  das  vor-  Röntgen’schen  Röhren,  so  dass  wir  aus  demselben  Einiges 


- ‘O  - 

liegende  in  erster  Linie  Unterrichtszwecken  dienen.  Es  soll,  wie 
Verfasser  in  die  Vorrede  erwähnt,  die  Gesichtspunkte  charakteri- 
siren,  welche  bei  der  Ernährung  chronisch  Kranker  zu  be¬ 
folgen  sind. 

Im  ersten  Capitel  des  vorliegenden,  den  allgemeinen 
Theil  umfassenden  Bandes  werden  diese  Gesichtspunkte  nach  zwei 
Principien,  in  zwei  grosse  Gruppen,  welche  den  Hauptin dicationen 
—  der  quantitativen  und  qualitativen  —  entsprechen,  eingetheilt. 
Im  zweiten  Capitel  erörtert  Verfasser  die  Bedeutung  der  Nährstoffe 
für  die  Ernährung,  und  stellt  die  Gesichtspunkte  fest,  nach  welchen 
in  der  diätetischen  Therapie  bei  der  Wahl  derselben  vorzugehen 
sei;  in  dem  nächstfolgenden  Capitel  werden  die  wichtigsten  Nahrungs¬ 
mittel  ihrer  Zusammensetzung  nach  betrachtet,  und  die  Folgerungen 
hervorgehoben,  welche  sich  aus  dieser  Kenntniss  für  die  Ernährung 
ergeben.  Die  zwei  letzten  Capitel  enthalten  die  Technik  der  quan¬ 
titativen  Ernährung  und  die  Alkoholfrage. 

Verfasser  ist  in  der  vorliegenden  Schritt  seiner  Absicht,  sich 
möglichst  auf  das  rationell  zu  Begründende  zu  beschränken,  con¬ 
sequent  nachgekommen;  es  ist  anzunehmen,  dass  er  von  diesem 
Vorsatze,  auch  in  dem  später  erscheinenden  zweiten  Theile  seines 
Werkes  nicht  abweichen  werde,  und  dass  auch  dieser  die  Klarheit 
und  Uebersichtlichkeit  der  Darstellung,  welche  den  von  grosser 
Sachkenntniss  zeugenden  ersten  Theil  auszeichnet,  nicht  vermissen 
lassen  werde.  Deshalb  darf  man  dem  Werke  schon  jetzt  ein 


sehr  günstiges  Prognostikon  stellen. 


E.  Sch  ii  t  z. 


citiren  wollen.  Die  Vacuumröhren  sind,  wie  die  Verfasser  mit  Hecht 
ausführen,  nur  brauchbar,  wenn  sie  »kritische  Strahlen« 
aussenden,  das  sind  Strahlen,  welche  durch  dichtere  Substanzen 
weit  mehr  absorbirt  werden,  als  durch  weniger  dichte,  und  daher 
auf  Schirm  und  Platte  ein  contrast-  und  detailreiches  Bild  der 
einzelnen  Organe  und  Knochen  geben.  Die  Röhren  durchlaufen 
nämlich  bekanntlich  im  Laufe  der  Zeit  bei  starker  Benützung 
mehrere  Stadien.  Eine  »junge«  Röhre  hat  ein  niederes  Vacuum, 
sendet  schon  bei  geringer  Spannung  desSecundärstromes  Röntgen  sehe 
Strahlen  aus,  die  aber  ein  geringes  Penetrationsvermögen  haben  - 
erstes  Stadium  bei  einer  Nebenschluss-Funkenlänge  von 
5 — 6 cm.  Das  zweite  Stadium  ist  das  der  »Reife«,  i.  e.  der 
richtigen  Evacuation  (Nebenschlussfunkenlänge  von  8 —-15  cm)  und 
daher  der  grössten  Leistungsfähigkeit,  in  welcher  die  Röhre  die 
erwähnten  » kritischen  Strahlen «  aussendet.  Nach  längerem  Gebrauch 
wird  die  Röhre  »härter«,  d.  h.  sie  sendet  erst  bei  einer  Neben¬ 
schlussfunkenlage  von  15— 20m  Röntgen-Strahlen  aus,  und 
dies  ist  das  dritte  Stadium.  Ihre  Strahlen  wirken  nun  merk¬ 
würdiger  Weise  nur  schwach  auf  die  photographische  Platte,  durch¬ 
dringen  aber  Knochen  fast  ebenso  leicht  wie  Weichtheile,  so  das- 
von  der  durchleuchteten  Partie  des  Körpers  ein  schwaches,  »flaues 
Bild  entsteht.  Hingegen  lassen  sich  mit  einer  solchen  ȟberreden 
Röhre«  selbst  Metalle  gut  durchleuchten  und  kann  beispielsweise 
sogar  das  Innere  eines  Gewehrlaufes  photographirt  werden  sammi 
den  eingesteckten  Patronen. 

Hervorzuheben  sind  ferner  die  Ausführungen  der  Ver  asser 
über  Photometrie  der  Röntgen’schen  Strahlen  und  Pyknostereo- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


16B 


skopie,  auf  deren  Besprechung  wir  hier  aus  Raummangel  leider 
verzichten  müssen. 

Der  zweite  —  klinische  —  Theil  des  Werkes  um¬ 
fasst  nur  56  Seilen  und  enthält  dementsprechend  nur  eine  cur- 
sorische  Besprechung  der  medicinischen  Anwendung  des  Verfahrens. 
Zudem  sind  in  diesen  Abschnitten  die  neuen  Fortschritte  nicht 
genügend  berücksichtigt.  So  vermissen  wir  z.  B.  eine  Darlegung 
der  genauen  Bestimmung  des  Sitzes  von  Fremdkörpern  auf  photo¬ 
graphischem  Wege.  Der  Abschnitt  über  die  Verwerthung  des  Ver¬ 
fahrens  in  der  inneren  Me  di  ein  und  Therapie  der 
Hautkrankheiten  muss  sogar  als  dürftig  und  antiquirt  be¬ 
zeichnet  werden.  Ferner  ist  das  Literatur  verzeichn  iss  seit 
der  ersten  Auflage  1897  nicht  ergänzt  worden,  nicht  einmal  mit 
den  wichtigsten  unter  den  vielen  seither  erschienenen  werthvollen 
Arbeiten.  Auch  die  von  R  ö  n  t  ge  n  -  Aufnahmen  hergestellten  Au  to- 
tvpien,  die  sich  am  Schlüsse  des  Buches  finden,  lassen  sowohl 
bezüglich  der  Auswahl  als  der  Ausführung  der  Bilder  Vieles  zu 
wünschen  übrig. 

Trotz  dieser  soeben  bemerkten  Mängel,  die  dem  zweiten  Theil 
der  neuen  Auflage  anhaften  und  sich  bei  seiner  neuen  Bearbeitung 
wohl  leicht  beseitigen  Hessen,  können  wir  das  kleine  Werk  im 
Ganzen  als  ein  gediegenes  und  werthvolles  wärmstens  empfehlen 
und  anerkennen  wir  insbesondere,  dass  die  Autoren  in  sehr  ge¬ 
lungener  Weise  die  grosse  Wichtigkeit  hervorheben,  welche  das 
neue  Verfahren  für  die  allgemeine  ärztliche  Wissenschaft  und 
Praxis  hat,  speciell  auch  in  Bezug  auf  die  Rechtsprechung  in 
Dnfallsachen,  auf  Krankencassen-  und  Unfallgesetzgebung. 

K  i  e  n  b  ö  c  k. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

47.  Beitrag  zur  Kenntniss  der  combinirten 

Slrangdegenerationen,  sowie  derHöhlenbildungen 
i  m  R  ü  cken  m  a  r  k.  Von  Dr.  Henneber  g,  Assistent  der.  Klinik 
Jolly  in  Berlin.  R.  Henneberg  theilt  zwei  Fälle  chronischer 
Rückenmarkserkrankung  mit,  die,  in  herd-  und  strangförmigen 
Degenerationen  bestehend,  in  mancher  Beziehung  an  ähnliche  Be¬ 
funde  bei  pernieiöser  Anämie  und  kachektischen  Zuständen  ver¬ 
schiedenster  Herkunft  erinnern.  Im  ersten  Falle  ist  die  Rücken¬ 
markserkrankung  sicher  auf  die  bestehende  Arteriosklerose  zurück¬ 
zuführen,  im  zweiten  Falle  ist  der  vasculäre  Ursprung  der  Rücken¬ 
markserkrankung  nicht  mit  der  gleichen  Bestimmtheit  anzunehmen. 
In  diesem  letzteren  Falle  war  eine  chronische  interstitielle  Nephritis 
vorhanden,  im  ersten  Falle  dürfte  gleichfalls  ein  chronisches  Nieren¬ 
leiden  Vorgelegen  haben;  der  Urin  der  im  verblödeten  und  mara- 
stischen  Zustand  aufgenommenen  Kranken  war  stark  eiweisshaltig 
gewesen.  Henneberg  macht  auf  das  übrigens  auch  schon  von 
anderen  Autoren  constatirte  häufige  Zusammenfallen  von  Nieren- 
und  Rückenmarkserkrankung  aufmerksam  und  glaubt  aus  seinen 
Fällen  den  Schluss  ziehen  zu  dürfen,  dass  das  Bindeglied  zwischen 
Nieren-  und  Rückenmarkserkrankung  in  den  Gefässveränderungen 
zu  suchen  sei.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  1899,  Bd.  XXXII, 
Heft  2.)  J. 

# 

48.  Der  Gesichtsschleier  als  Ursache  derNasen- 
r  ö  t  h  e.  Von  0.  Rosenbach  (Berlin).  Verfasser  macht  für 
viele  Fälle  fleckiger  Röthung  der  Nase  und  Wangen  den  Schleier 
verantwortlich.  Derselbe  ist  im  Stande,  schon  durch  seinen  be¬ 
ständigen  Druck  eine  empfindliche  Haut  an  den  genannten  Stellen 
zu  reizen,  die  Nasenspitze  blutleer  zu  machen,  wozu  noch  kommt, 
dass  der  die  Nase  verlassende  Wasserdampf  im  Winter  das  Gewebe 
des  Schleiers  so  vollkommen  durchtränkt,  dass  sich  daselbst  eine 
Art  von  const anter,  feuchtkalter  Atmosphäre  bildet  und  der  Schleier 
ein  feuchtkaltes  Kataplasma,  einen  schlecht  applicirten  Pr  i e  s sn i  tz- 
schen  Umschlag  darstellt,  wobei  der  Haut  beständig  Wärme  ent¬ 
zogen  wird.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  41.) 

Pi. 

* 

49.  U  e  h  e  r  eine  n  F  all  von  anomaler  Gehirnen  t- 
w  ic  k  1  u  n  g.  Von  Dr.  Rudolf  B  a  I  i  n  t  in  Budapest.  B  a  1  i  n  t 
schildert  einen  Fall  von  Cebocephalie,  den  er  bei  einem  fünf  Tage 
alten  Säugling  männlichen  Geschlechtes  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatte.  Das  beständigste,  also  charakteristische  Merkmal  der  Cebo¬ 


cephalie  ist  —  wie  ein  Ueberblick  der  einschlägigen  Fälle  er¬ 
gibt  —  der  Mangel  des  äusseren  und  inneren  Geruchsorganes. 
Da  die  Entwicklung  der  äusseren  und  centralen  Geruehstheile  zwar 
unabhängig  von  einander  in  Gang  geräth,  später  jedoch  beide  in 
Verbindung  treten,  hält  Bai  int  es  für  wahrscheinlich,  dass  dann, 
wenn  eines  der  beiden  sich  mangelhaft  oder  überhaupt  nicht  ent¬ 
wickelt,  dies  auch  den  anderen  beeinflussen  muss,  und  dass  von 
der  Zeit  an,  wo  die  Verbindung  der  beiden  Geruehstheile  zu  Stande 
kommen  muss,  das  Fehlen  des  centralen  Organes  auch  die  Ent¬ 
wicklung  des  peripheren  hemmt.  Im  Falle  Balint’s  ergab  der 
Obductionsbefund,  dass  die  Schädelknochen  an  den  Stellen  der 
Nähte  verdickt  waren,  die  Fontanellen  fehlten;  der  grösste  Theil 
der  Schädelhöhle  von  einer  Flüssigkeit  erfüllt  war,  Erscheinungen, 
die  sich  zum  Theil  aus  dem  vorhanden  gewesenen  Entzündungs- 
process  der  Dura  mater  erklären,  welcher  —  da  die  Dura  das 
knochenbildende  Gewebe  der  Innenfläche  der  Schädelwölbung  dar¬ 
stellt  — -  die  Verdickung  der  Schuppentheile  der  Knochen,  die  früh¬ 
zeitige  Verknöcherung  des  Schädels  und  auch  den  Hydrocephalus 
erklärt,  die  zusammen  das  Zurückbleiben  der  Gehirnentwicklung 
aufklären.  Bezüglich  der  interessanten  Verhältnisse,  welche  sich 
aus  der  näheren  Untersuchung  des  Gehirnes  ergaben,  muss  auf  das 
Original  verwiesen  werden.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  1899, 

Bd.  XXXII,  Heft  2.)  J. 

* 

50.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  v.  Eiseis¬ 

berg  zu  Königsberg.)  lieber  Paget’s  disease.  Von  Doctor 
Ehrhardt.  Bei  der  60jährigen  Patientin  hatte  sich  vor  5  Jahren 
in  der  Haut  der  rechten  Mamilla  ein  Zustand  entwickelt,  der  für 
ein  Ekzem  gehalten  wurde  und  als  solches  behandelt  worden  war. 
Die  Erkrankung  breitete  sich  schliesslich  immer  weiter  bis  zur 
Handtellergrösse  auch  auf  die  Haut  der  Mamma  aus  und  immer 
war  klinisch  die  Aehnlichkeit  mit  einem  Ekzem  der  Brustwarze 
eine  absolute.  Vor  zwei  Jahren  hatte  die  Patientin  das  Auftreten 
eines  Knotens  im  oberen  äusseren  Quadranten  der  Drüse  bemerkt, 
der  im  Hinblicke  auf  das  bestehende  »Ekzem«  von  den  behandelnden 
Aerzten  für  einen  infiltrirten  Lymphknoten  angesehen  wurde.  An 
der  Klinik  wurde  derselbe  als  Krebs  erkannt  und  daher  die  Ampu¬ 
tation  der  Mamma  vorgenommen.  Die  Hautaffection  wurde  einer 
umfänglichen  und  sehr  genauen  mikroskopischen  Untersuchungen 
unterzogen,  welche  solche  Bilder  ergab,  dass  der  Autor  sich  für 
berechtigt  hält,  den  Satz  auszusprechen:  » Paget’s  disease  —  als 
solche  wurde  nämlich  die  ekzemartige  Erkrankung  an  der  Klinik 
erkannt  —  ist  ein  primäres  Hautcarcinom«.  —  (Deutsche  Zeit¬ 
schrift  für  Chirurgie.  Bd.  LIV,  Heft  1  und  2.)  Pi. 

* 

51.  lieber  e  i  n  e  n  F  a  1 1  syphilitischer  Erkrankung 
des  Centralnervensystem  s.  Von  Dr.  B  u  c  h  h  o  1  z.  II.  Arzt 
der  Irrenheilanstalt  zu  Marburg  und  Privatdocent.  (Archiv  für  Psy¬ 
chiatrie.  Bd.  XXXII,  Heft  1  und  2.)  Buchhol z’  Arbeit  handelt 
über  folgenden  Fall:  Patient  --  bis  zum  15-  Lebensjahre  ganz 
vollkommen  gesund  —  zeigte  damals  zuerst  ein  leichtes  Zittern 
bei  Bewegungen.  Gleichzeitig  angeblich  heftiger  Magenkatarrh,  Aengst- 
1  ichkeit.  Das  Zittern  nahm  später  an  Stärke  zu.  Im  Alter  von 
22  Jahren  —  Frühling  1895  erhebliche  Reizbarkeit,  Beein¬ 
trächtigungsideen,  Schwinden  der  Arbeitsfähigkeit.  Herbst  1895 
Anfall  von  Bewusstlosigkeit  ohne  Krämpfe.  Weihnachten  1895  eine 
schwere,  ihren  Symptomen  nach  nicht  näher  bekannte  Krankheit, 
worauf  Zunahme  der  psychischen  Alteration  und  Aufnahme  in 
die  Anstalt.  Schon  vor  der  Aufnahme  starkes  Zittern  und  Steigerung 
der  Sehenenreflexe.  Desgleichen  Sehstörungen,  ln  der  Anstalt:  Leb¬ 
hafter  Intensionstremor,  erhebliche  Steigerung  aller  Reflexe,  moto¬ 
rische  Schwäche  der  Extremitäten,  spastische  Erscheinungen  an  den 
unteren  Extremitäten,  Sprachstörungen,  jedoch  nicht  ausgesprochen 
skandirender  Art,  Störungen  der  Pupillenreaction,  kein  deutlicher 
Nystagmus,  Sehnervenatrophie,  körperliche  Hinfälligkeit,  ängstliche 
Erregung  und  Verwirrtheit.  Fortbestehen  und  Zunahme  der 
Symptome  bis  zum  Tod.  Die  Vermuthung,  dass  es  sich  um  eine 
luetische  Infection,  und  zwar  eine  hereditäre  Lues  handle,  fand 
sich  durch  die  Obduction  insoferne  bestätigt,  als  unzweifelhaft 
sypilitische  Veränderungen  in  den  Hoden  und  ein  Gumma  im 
rechten  Schläfelappen  gefunden  wurden.  Ausserdem  fanden  sich 
in  diesem,  klinisch  der  multiplen  Sklerose  nahestehenden  Falle, 
diffuse  und  herdförmige  Veränderungen  im  Centralnervensystem, 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


167 


die  in  der  Arbeit  genaue  Beschreibung  finden.  Buchholz  glaubt, 
dass  auch  diesen  Veränderungen  Lues  zu  Grunde  liegt  und  hält 
dafür,  dass  in  seinem  Falle  eine  syphilitische  Erkrankung  des 
Nervensystems  vorliegt,  in  der  durch  die  mehr  zufällige  Zahl  und 
Lagerung  der  herdartigen  Veränderungen  das  Bild  der  multiplen 
Sklerose  vorgetäuscht  wurde. 


J. 


52.  Radiotherapie  eines  Naevus  flam  m  e  u  s.  Von 
P.  Jut  assy  (Budapest).  Die  Teleangiektasie  betrat  die  ganze  rechte 
Gesichtshälfte,  welche  in  11  Sitzungen,  insgesammt  durch  14  Stunden, 
dem  Einflüsse  der  Röntgen-Strahlen  unterworfen  wurde.  Hiedurch 
entstand  eine  sehr  heftige  Dermatitis  mit  allen  ihren  Beschwerden 
und  Folgen,  die  nach  ungefähr  zwei  Monaten  unter  Zurücklassung 
einer  weichen,  glatten  Narbe  zur  Ausheilung  gelangte.  Die  Angiome 
waren  mit  Ausnahme  von  jenen  Stellen,  die  geschützt  werden 
mussten  (Augengegend,  Oberlippe  und  behaarte  Kopfhaut)  vollständig 
geschwunden.  —  (Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen. 

Bd.  II,  Heft  G.)  Pl 

* 

53.  Beitrag  zur  pathologischen  Anatomie  der 
Bulhärerkran kungen  bei  Tabes.  Von  Dr.  Friedrich 
v.  Reusz  (Budapest),  Volontär- Assistent  der  Klinik  Gerhardt. 
Reusz  hatte  Gelegenheit,  das  Nervensystem  eines  auf  der  Klink 
Gerhardt  in  Beobachtung  gestandenen  Kranken  einer  genauen  mikro¬ 
skopisch-anatomischen  Untersuchung  zu  unterziehen.  In  dem  be¬ 
treffenden  Falle  war  7 1 /2  Jahre  nach  einer  syphilitischen  Infection 
zuerst  Unsicherheit  des  Ganges  aufgetreten.  Bald  hatten  sich  Sym¬ 
ptome  von  bulbärer  Erkrankung  hinzugesellt,  und  zwar  Gaumen¬ 
lähmung.,  Zeichen  einer  laryngealen  Störung  (Heiserwerden  der 
Stimme),  später  Sehnervenatrophie.  Bezüglich  der  interessanten 
Einzelheiten  des  Falles  muss  auf  das  Original  verwiesen  werden. 
Hervorgehoben  sei  nur,  dass  in  diesem  Falle  eine  Zeit  lang  totale 
beiderseitige  Recurrenslähmung  bestand.  Reusz  bespricht  den 
anatomischen  Befund  in  seinem  Falle  und  streift  schliesslich  einige 
Fragen  der  normalen  Anatomie,  indem  er  anschliessend  an  andere 
Autoren  für  die  Unabhängigkeit  der  motorischen  Kehlkopfinner¬ 
vation  vom  Accessorius  eintritt,  hingegen  widerlegt,  dass  die 
E  dinger -  Westpha  l’schen  und  D  a  r  kschewitsc  h’schen  Kerne 
zum  Oculomotorius  gehören.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd-  XXXII, 

Heft  2.)  "  J‘ 

* 

54.  (Aus  der  Klinik  für  Frauenkrankheiten  von  Dr.  Broese  in 
Berlin.)  K  o m men  auf  d e n  S  c h  1  e  i  m häuten  de r  G enital- 

organederFrauGonococcen  vor,  ohnedassklinische 

Erscheinungen  von  Gonorrhoe  vorhanden  sind? 
Von  Dr.  Schiller  (Breslau).  Neisser  hat  diese  Frage  bejaht; 
Schiller  hat  300  Frauen  ohne  Auswahl  diesbezüglich  untersucht 
und  verneint  auf  Grund  dieser  Untersuchungen  obige  Frage. 
(Berliner  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  4L)  1  '• 

* 

55.  Ueber  das  sogenannte  aphatischeStottein 
als  Symptom  verschiedenörtlich  localisiitei  c e i  t- 
braler  Herdaffectionen.  Von  Prof.  Dr.  A.  Pick  in  Prag. 
Archiv  für  Psychiatrie.  1899,  Bd.  XXXII,  Heft  2.  Der  Ausdruck 
»aphatisches  Stottern«  wurde  zuerst  von  Kussmaul  aul  einen 
von  Cor  nil  mitgetheilten  Fall  angewendet,  dessen  Symptome  bei¬ 
den  im  obigen  Ausdruck  vereinigten  Störungen  nahestehen.  Pick 
erklärt  sich  auf  Grund  einiger  Beobachtungen  im  Stande  nachzu¬ 
weisen,  dass  durch  verschiedenorts  localisirte  grobe  Herdsymptome 
eine  Sprache  zu  Stande  kommen  kann,  die  ähnlich  dem  echten 
Stottern  ist  und  auch  den  aphatischen  Sprachstörungen  nahesteht. 
Diese  eigenen  Beobachtungen  Pick’s  beziehen  sich  aul  zwei  Fälle, 
die  er  ausführlich  mittheilt.  Im  ersten  handelt  es  sich  um  einen 
bulbären  Herd,  im  zweiten  —  die  Härtung  des  Gehirnes  misslang 
war  aus  den  klinischen  Symptomen  die  Annahme  einer  im  Gioss- 
hirn  zu  suchenden  Localisation  des  Herdes  gerechtfertigt.  Pi<  k 
hält  seine  Fälle  mit  dem  von  Kussmaul  als  choreatische  Para¬ 
phasie  bezeichneten  Fällen  verwandt  und  schreibt  allen  diesen  eine 
gemeinsame  Genesis  zu.  Ihnen  Allen  kommt  ein  Symptom  ge 
meinsam  zu,  nämlich  die  sogenannte  Perseveration,  und  zwar  die 
syllabäre  Form  derselben.  Aus  dem  in  einem  der  Fälle  von  Pick 
vorhandenen  Schreibstottern  deducirt  er  mit  Rücksicht  auf  die  Ab¬ 
hängigkeit  der  Schrift  von  der  Sprache  das  Recht,  die  bei  seinen 


beiden  Kranken  identische  Sprachstörung  als  eine  Art  von  Stottern 
zu  bezeichnen.  Pick  tritt  trotz  des  bulbären  Herdes  im  ersten 
Falle  dafür  ein,  die  Sprachstörung  als  aphatisches  Stottern  zu  be¬ 
zeichnen  und  erklärt  es  als  Nothwendigkeit,  ein  Uebergangsgebiet 
zwischen  Aphasie  und  Anarthrie  gelten  zu  lassen.  Im  zweiten 
Falle  tritt  die  aphatische  Störung  so  in  den  Vordergrund,  dass  an 
dem  Zusammenhang  des  damit  in  Verbindung  aufgetretenen  1  seudo- 
stotterns  mit  der  Grosshirnaffection  nicht  gezweifelt  werden  kann.  J. 


NOTIZEN. 

Ernannt:  Privatdocent  Dr.  Hans  Malfatti  zum  a.  o.  Pro¬ 
fessor  für  angewandte  medicinisclie  Chemie  in  Innsbruck. 

* 

Verliehen:  Dem  Oberbezirksarzte  Cäsar  Radoicovich 

in  Capodistria  der  Titel  eines  kaiserlichen  Käthes. 

* 

Wiener  Aerztekamme  r. 

Z.  650/E.  R. 

Zwei  kammerangehürige  Aerzte  hatten  gegen  die  Durchfühiung 
von  Beschlüssen  des  Vorstandes  der  am  3.  October  1898  constituhten 
Wiener  Aerztekammer  Beschwerde  bei  der  k.  k.  niederösterreichischen 
Statthalterei  erhoben  mit  der  Motivirung,  dass  die  Beschlüsse  dieses 
Kammervorstandes  mit  Rücksicht  auf  die  in  Folge  der  Entscheidung 
des  k.  k.  Verwaltungsgerichtshofes  vom  15.  Juni  1899  von  dei  Statt 
halterei  erklärte  Ungiltigkeit  der  Wahl  und  Constituirung  dieser 
Kammer  rechtsungiltig  seien. 

Die  k.  k.  Statthalterei  hat  nun  mit  Erlass  vom  lü.  Januar  1900, 

Z  112.476,  diese  Beschwerden  mit  nachstehender  Begründung  zurück¬ 
gewiesen: 

,,Zu  einer  Behebung  der  angefochtenen  Entscheidungen  von 
amtswegen  liegt  kein  Anlass  vor,  da  dieselbe  unter  Beobachtung  der 
formalen  Vorschriften  gefällt  wurden  und  der  Umstand,  dass  an  der 
Wahl  der  Aerztekammer  auch  einige  nicht  wahlberechtigte  Personen 
theilgenommeu  haben,  den  rechtlichen  Bestand  der  Aerztekammer  und 
die  Ausübung  des  gesetzlichen  und  geschäftsordnungsimusigen 
Wirkungskreises  durch  dieselbe  in  keiner  Weise  tangiren 

Die  von  den  Beschwerdeführern  aufgestellte  Behauptung,  dass 
der  betreffende  Beschluss  der  Aerztekammer  ungiltig  sei,  weil  diese 
auf  Grund  von  Wählerlisten  gewählt  wurde,  welche  Personen  als 
wahlberechtigt  auswiesen,  die,  wie  mit  der  Verwaltungsgerichtshof- 
Entscheidung  vom  15.  Juni  1899,  Z.  4681,  nachträglich  ausgesprochen 
wurde,  nicht  wahlberechtigt  waren,  entbehrt  der  gesetzlichen  Be¬ 
gründung.  . 

Die  eitirte  Verwaltungsgerichtshof-Entscheidung  erkennt  lediglich 
den  Anspruch  des  Beschwerdeführers  auf  Löschung  jener  ungesetz¬ 
lich  in  die  Wählerlisten  aufgenommenen  Personen  als  zu  Recht  be¬ 
stehend  an,  und  hebt  die  diesen  Ausspruch  verletzenden  Erkenntnisse 
der  Administrativbehörden  auf. 

Die  praktische  Wirkung  dieser  Entscheidung  des  Verwaltungs 
gerichtshofes  ist  lediglich  die,  dass  die  Behörden  in  künftigen  gleichen 
Fällen  die  Aufnahme  ausländischer  Aerzte  in  die  Wählerliste  zu  unter¬ 
lassen,  beziehungsweise  die  Löschung  zu  veranlassen  haben. 

Der  zur  einstweiligen  Besorgung  der  Geschäfte  der  Wiener  Aerzte 
kammmer  bestellte  k.  k.  Bezirksarzt: 

Wien,  am  9.  Februar  1900.  Dr-  Kese1, 

* 

Die  „Oesterreische  Gesellschaft  für  Gesundheits¬ 
pflege“,  welche  schon  seit  Jahren  beabsichtigt,  die  Kenntnisse  tibei 
den  Werth  der  Gesundheitspflege,  die  Grundsätze  derselben  und  deren 
praktische  Bethätigung  in  die  breiten  Bevölkerungsschichten  zu  tragen, 
hat  schon  seit  1896  durch  Abfassung  und  Vertheilung  popular  ge¬ 
haltener  Schriften  in  dieser  Richtung  zu  wirken  gesucht,  eine  Lei  m 
sehr  wichtiger  Fragen  auf  gesundheitlichem  Gebiete  m  populärer 
Form  dargestellt  und  dieselben  einerseits  dem  Publicum  durci  cm 
Festsetzung  des  niedrigen  Bezugspreises  von  20  Hellern  leicht  zu¬ 
gänglich  gemacht,  andererseits  im  Wege  des  Magistrates  der  Stadt 
Wien  und  mehreren  Landesausschüsse  an  Volksbildungs- und  Arbeitei 
bildungsvereine  oder  durch  diese  direct  unter  den  Mitgliei  ei  n  1 
selben,  beziehungsweise  in  Arbeiterkreisen  zur  Vertheilung  hnngen 
lassen.  Mit  Nächstem  wird  die  oben  genannte  Gesellschaft  ihre  l  hatig- 
keit  durch  Abhaltung  von  volkstümlichen  V  or  t  r  a  gen 
erweitern,  welche  vorläufig  nur  in  Wien  stattfinden  werden.  Von 
diesen  Vorträgen,  welche  sich  in  ihrer  Organisation  an  die  volks¬ 
tümlichen  Universitätscurse  anschliessen,  werden  gleich  diesen  jt 
sechs  zu  einem  Curse  vereinigt  und  unter  den  für  die  Universitatscuise 
geltenden  Bestimmungen  allgemein  zugänglich  sein.  n  ® 

beginnt  am  Sonntag  den  18.  Februar  1.  J.,  v.'ird  in  1  '-11  1U 


168 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


Nr.  7 


folgenden  fünf  Sonntagen  fortgesetzt  werden  und  hat  die  „Hygiene 
des  Frauenlebens“  zum  Thema.  Mit  Rücksicht  hierauf  ist  der¬ 
selbe  ausschliesslich  für  Frauen  und  Mädchen  bestimmt.  Der  Curs 
wird  mit  einem  Vortrage  des  Herrn  k.  k.  Obersauitätsrathes  Ilofrathes 
Prof.  Dr.  Chrobak  eingeleitet  und  vom  Herrn  Universitätsdocenten 
Dr.  Lihotzky  fortgesetzt  werden.  Die  Vorträge  beginnen  stets  um 
1  Uhr  Nachmittags  und  werden  im  grossen  Saale  des  chemischen 
Universitäts-Laboratoriums,  IX.,  Währingerstrasse  10  stattfinden.  Die 
Eintrittskarten  können  je  eine  halbe  Stunde  vor  Beginn  des  ersten 
und  zweiten  Vortrages  im  Vortragssaale  selbst  bei  dem  dort  anwesenden 
Functionär  der  volkstümlichen  Universitätscurse  gegen  Erlag  von 
1  Krone  für  den  ganzen  Cyklus  von  sechs  Vorträgen  gelöst  werden. 

* 

Die  bis  jetzt  bei  Kornfeld  in  Berlin  erschienene  „Zeit¬ 
schrift  für  Heilkunde“  wird  von  diesem  Jahre  an  in  ihrem 
Umfange  beträchtlich  erweitert  im  Verlage  von  W.  Braumüller 
in  Wien  erscheinen.  Die  Redaction  der  Zeitschrift,  als  deren 
Herausgeber  Prof.  II.  C  h  i  a  ri,  Docent  A.  Fraenke  1,  die  Professoren 
E.  Fuchs,  Gussenbauer,  v.  H  a  c  k  e  r,  v  J  a  k  s  c  h,  E.  Lud  wi  g, 
Neusser,  v.  R  o  s  t  h  o  r  n,  v.  Schrötter  und  Weichselbaum 
genannt  sind,  leitet  den  nun  im  Erscheinen  begriffenen  XXI.  Band, 
beziehungsweise  der  neuen  Folge  I.  Band  mit  folgendem  Vorworte 
ein  :  Mit  diesem  Hefte  tritt  die  Zeitschrift  für  Heilkunde  nach  zwanzig¬ 
jährigem  Bestände  in  eine  neue,  erweiterte  Form.  Im  Jahre  1880  von 
Mitgliedern  der  Prager  medicinischen  Facultät  als  Fortsetzung  der 
seit  dem  Jahre  1844  von  der  medicinischen  Facultät  in  Prag  heraus¬ 
gegebenen  Vierteljahrschrift  für  praktische  Heilkunde  ins  Leben  ge¬ 
rufen,  hatte  sie  es  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  ein  Organ  zu  sein,  in 
welchem  die  wissenschaftlichen  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  klini¬ 
schen  und  theoretischen  Pathologie,  hervorgegangen  aus  den  Prager 
Kliniken  und  Instituten,  zur  Publication  gelangen,  selbstverständlich 
aber  auch  einschlägige  Arbeiten  anderer  Provenienz  Aufnahme  finden 
sollten.  Sie  sollte  Zeugniss  geben  von  dem  ernsten  Stieben  der  medi¬ 
cinischen  Kreise  in  Piag  und  namentlich  auch  jüngere  Kräfte  zur 
wissenschaftlichen  Arbeit  anspornen.  Als  nun  im  Laufe  der  Zeit  immer 
mehr  das  Bedürfniss  nach  einer  Concentrirung  der  deutschöster¬ 
reichischen  Forscherarbeit  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  hervortrat, 
entwickelte  sich  die  Idee,  die  von  dem  Redactionscomite  der  Wiener 
klinischen  Wochenschrift  herausgegebenen  Beiträge  zur  klinischen 
Medicin  und  Chirurgie  mit  der  Zeitschrift  für  Heilkunde  zu 
verschmelzen,  weiter  auch  Collegen  der  Schwesteruniversitäten  in  Graz 
und  Innsbruck  heranzuziehen  und  so  die  Zeitschrift  für  Heilkunde  zu 
einem  grösseren  Journale  auszugestalten,  welches  im  Stande  wäre,  den 
Haupttheil  der  deutschösterreichischen  Forscherarbeit  auf  dem  Gebiete 
der  Pathologie  rasch  und  in  entsprechender  Weise  zur  Veröffentlichung 
zu  bringen.  Dank  einer  Subvention  seitens  der  Regierung  gelang  es 
auch,  diese  Idee  zu  realisiren,  und  wird  die  Zeitschrift  für  Heilkunde 
mit  diesem  XXL  Jahrgange  (dem  I.  ihrer  neuen  Folge)  in  dem  be¬ 
währten  Verlage  von  Wilhelm  Braumüller  zunächst  im 
doppelten  Umfange  von  fiüher  erscheinen.  In  beiläufig  einmonatlichen 
Intervallen  wird  je  ein  Heft  mit  circa  fünf  Bogen  ausgegeben  werden. 
Der  leichteren  Uebersicht  halber  und  um  den  verschiedenen  Fach¬ 
kreisen  eine  bessere  Orientirung  zu  ermöglichen,  wild  jeder  Jahrgang 
in  drei  annähernd  gleich  grosse  Abtheilungen  zerfallen,  nämlich  in 
eine  Abtheilung  für  interne  Medicin  und  verwandte  DisciplineD,  in 
eine  Abtheilung  für  Chirurgie  und  verwandte  Disciplinen  und  in  eine 
Abtheilung  für  pathologische  Anatomie  und  verwandte  Disciplinen, 
respective  für  theoretische  Pathologie.  Die  einzelnen  Arbeiten  werden 
theils  Arbeiten  aus  den  Universitätskliniken  und  Instituten  sein, 
andererseits  die  wissenschaftliche  Thätigkeit  der  Abtheilungen  in  den 
verschiedensten  Krankenanstalten  Wiens  und  anderer  Städte  Oester¬ 
reichs  zum  Ausdrucke  bringen  und  in  letzterer  Hinsicht  den  bis¬ 
herigen  wissenschaftlichen  Theil  der  Jahresberichte  solcher  Kranken¬ 
anstalten  ersetzen.  Es  soll  damit  angebahnt  werden,  dass  das  grosse 
Material  der  Krankenanstalten  in  ausgiebigem  Masse  wissenschaftlich 
verwerthet  werde  und  die  betreffenden  Arbeiten  der  Allgemeinheit 
leichter  zugänglich  seien.  Die  in  dieser  Zeitschrift  zur  Publication  ge¬ 
langenden  Arbeiten  werden  also  ein  sehr  weites  Feld  umfassen  und 
alle  Richtungen  der  Forschung  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  be- 
t reffen.  Ls  sollen  hier  Arbeiten  aus  allen  Fächern  der  inneren  und 
äusseren  Medicin,  sowie  der  theoretischen  Pathologie  geb)  acht  werden, 
es  soll  die  klinische,  die  anatomische,  die  physiologische,  die  chemische 
und  die  experimentelle  Forschung  auf  pathologischem  Gebiete  zum  Worte 
kommen,  und  so  die  Zeitschrift  ein  Bild  der  Thätigkeit  in  allen  diesen 
Richtungen  geben.  Die  Intention  bei  den  Arbeiten  für  diese  Zeitschrift  soll 
sein  die  Förderung  des  Wissens  in  Bezug  auf  die  Aetiologie,  die  Genese  und 
das  klinische  Verhalten  der  pathologischen  Zustände  des  Menschen, 
um  so  eine  bessere  Erkenntniss  über  das  Wesen  der  Krankheiten,  ihre 
Verhütung  und  Heilung  zu  gewinnen.  Es  sollen  stets  nach  Möglichkeit 
allgemeinere  Gesichtspunkte  berücksichtigt  werden,  und  die  that- 
sächlichen  Substrate  wirkliche  wissenschaftliche  Verarbeitung  finden. 


Dann  steht  zu  hoffen,  dass  bei  dem  reichen  Materiale  unserer 
Universitäten  und  Krankenanstalten  und  der  grossen  Zahl  der  als  Mit¬ 
arbeiter  gewonnenen  bewährten  Kräfte  diese  Zeitschrift  ihren  Zweck 
erfüllen  und  zur  Förderung  der  Heilkunde  beitragen  werde,  im 
Interesse  der  Wissenschaft  und  zur  Ehre  Oesterreichs. 

Die  Redaction. 

* 

Im  Verlage  von  Seitz  &  Schauer  in  München  ist  in 
Kalenderform  ein  „T  aschenbuch  der  U  n  t  e  r  s  u  e  h  Unga¬ 
rn  e  t  h  o  d  e  n  und  Therapie  für  Dermatologen  und  Uro¬ 
logen“,  herausgegeben  von  A.  v.  Notthafft  (München),  er¬ 
schienen.  Das  Werkehen  beabsichtigt,  dem  bei  Erkrankungen  der  Haut 
und  Krankheiten  der  Uro-Genitalsphäre  mit  gewissen  diagnostischen 
und  therapeutischen  Anhaltspunkten  an  die  Hand  zu  gehen,  aus 
welch  letzterem  Grunde  unter  Anderem  auch  besonders  die  in  der 
Dermato-  und  Urologie  zur  Verwendung  gelangenden  Arzneimittel  eine 
ausführliche  Besprechung  gefunden  haben. 

* 

SanitätsverhältnissebeiderMannschaftdesk.u.k.Heeres 
im  Monat  No  vemb  er  1899.  Mit  Ende  October  1899  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1641,  in  Heilanstalten  8142  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  November  1899  21.013  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  60.  Im  Monat  November  1899  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  10.284  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Koptstärke  29.  Im  Monat  November  1899  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  20.284  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  17.679  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  871,  durch  Tod  59  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  2 •  9 1 ,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0-17.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
2185,  in  Heilanstalten  8327  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  4.  Jahreswoche  (vom  21.  Januar 
bis  27.  Januar  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  577,  unehelich  284,  zusammen 
861.  Todt  geboren:  ehelich  49,  unehelich  25,  zusammen  74.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  631  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
20  1  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  122,  Blattern  0,  Masern  7, 
Scharlach  0,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  0,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  44.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (==),  Varicellen 
131  (-j-  4),  Masern  373  ( —  78;,  Scharlach  36  ( —  6),  Typhus  abdominalis 
2  ( —  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  32  (-j-  1),  Croup  und 
Diphtherie  51  (-(-  2),  Pertussis  38  (-j-  3),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  6  (-f-  2),  Trachom  4  (-{-  2),  Influenza  1  (-[-  1). 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Koenig.  Lehrbuch  der  speciellen  Chirurgie.  7.  Auflage,  Bd.  III.  Hirsch¬ 
wald,  Berlin  1900. 

Heller,  Die  Krankheiten  der  Nägel.  Ibidem.  295  S. 

Granier,  Lehrbuch  für  Heilgehilfen  und  Massöre.  2.  Auflage,  Schütz, 
Berlin  1909.  Preis  M.  4,  —  . 

Broca.  L’appendicite.  Bailiiere,  Paris  1900.  Preis  Frcs.  1.50. 

Elsner,  Die  Praxis  des  Chemikers.  7.  Auflage.  Voss,  Leipzig.  Preis 
M.  14.—. 

Bergmann,  Das  Berliner  Rettungswesen.  Hirschwald,  Berlin  1900. 

Leser.  Operationsvademecum.  Karger,  Berlin  1900.  Preis  M.  5. — . 

Lehfeklt,  Medicinisehes  Taschenwörtei  buch.  2.  Auflige.  Ibidem.  Preis 
M.  6.—. 

Broatbent.  Heart  disease.  Baillie.re,  London  1900. 

Stonliam.  A  manual  of  surgery.  Macmillan,  London  1900. 

Stern.  Ueber  traumatische  Entstehung  innerer  Krankheiten.  2  Heft.  Fischer, 
Jena  1900.  Preis  M.  7. — . 

Ilirtli,  Entropie  der  Keimsysteme  und  erbliche  Belastung.  Hirth, 
München  1900. 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang;  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  his  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchliändler. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


169 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 

INHALT: 

orriciellcs  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  Greifs, valder  mediciniseher  Verein  Sitzung  von,  (i.  Januar  IOT>. 
Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung  vom  10.  und  17.  November  1899.  I  7t.  Versamn»htng  { ^^ForTsetlungT11 


V  PiCill  UüUWCUVi  - - O'  .  t  l  1  n1 

Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck,  bitzung  vom 
2.  und  13.  December  1899 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  9.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  S.  Exner. 


Schriftführer:  R.  Paltanf. 

Als  Gäste  haben  sieb  gemeldet:  Herr  Dr.  Credner,  Sanitäts¬ 
rath  aus  Nauheim,  und  Herr  Dr.  Fei  Ich  enfold  aus  Berlin 

Hofrath  S.  Exner  erinnert  die  Gesellschaft  an  den  Tod  Hot¬ 
rath  Knoll’s  und  theilt  den  Tod  Dr.  S.  Plohn’s  mit;  die  Mit¬ 
glieder  erheben  sich  zum  Zeichen  der  Trauer  von  ihren  Sitzen. 

A.  Administrative  Sitzung. 

Herr  Dr.  Loew  gibt  den  Rechenschaftsbericht  über  die  Ver¬ 
mögensverwaltung  im  Jahre  1899;  derselbe  wird  von  der  Versammlung 
o-enehmigt  und  das  Absolutorium  ertlieilt.  Der  Vicepräsident  dankt 
Herrn  Dr.  Loew  für  seine  Mühewaltung  im  Namen  der  Gesellschatt. 

Hierauf  trägt  Herr  Dr.  Loew  das  Präliminare  pro  1900  vor, 
welches  ebenfalls  genehmigt  wird. 

B.  Wissenschaftliche  Sitzung.  —  Demonstrationen. 

Docent  Dr.  Büdinger  stellt  einen  Patienten  mit  subcut an  er 
Ruptur  dreier  Strecksehnen  am  Fusse  vor  und  demon- 
strirt  ein  Präparat  von  Ausreissung  einer  Endphalange  mit  der  ganzen 
Beugesehne,  wobei  der  Mechanismus  der  subcutanen  Sehnenzerreissungen 
besprochen  wird. 

Die  ausführliche  Beschreibung  der  Fälle  wird  Dr.  Kirchmayr 
geben  und  in  diesem  Blatte  erscheinen  lassen. 

Docent  Dr.  Hermann  Schlesinger  demonstrirt  zwei  Fälle  von 
Syringomyelie  mit  selteneren  Symptomen  aus  dem 

Kaiser  Franz  Josef- Ambulatorium.  . 

Meine  Herre  n  !  Der  erste  Kranke,  ein  40jähriger  Schneider, 

leidet  seit  längerer  Zeit  an  heftigen  Schmelzen  in  der  rechten  oberen 
Extremität,  welche  ihn  zeitweilig  arbeitsunfähig  machen.  Sonst  keine 
Beschwerden.  Die  Untersuchung  des  wohl  gebauten  Mannes  ergab  ausser 
choreaartigen  Spontanbewegungen  der  Finger  und  der  rechten  Hand 
überraschend  grosse  Sensihilitätsdefecte.  Dieselben  betreffen  die  Schmerz- 
und  Temperaturempfindung  an  der  ganzen  rechten  oberen  Extremität, 
an  der  rechten  oberen  Rumpfhälfte  bis  zum  Rippenbogen,  an  dei 
rechten  Seite  des  Halses  und  Nackens,  des  behaarten  Kopfes  und  an 
umfangreichen  Abschnitten  der  rechten  Gesichtshälfte.  Die  Begrenzung 
der  Sensihilitätsdefecte  im  Gesichte  erfolgt  durch  eine  eigentümlich 
gekrümmte  Linie,  welche  in  der  Mittellinie  des  Kinns  beginnt,  entlang 
dem  Lippensaum  zum  rechten  Mundwinkel  zieht,  sodann  in  einem 
sanft  geschwungenen,  mit  der  Convexität  gegen  das  Oln  gelichteten 
Bogen  den  äusseren  Augenwinkel  erreicht,  entlang  dem  Lande  des 
oberen  Augenlides  bis  etwa  zu  der  Mittedesselben  verläuft,  sich  dann 
nach  aufwärts  wendet  und  wieder  in  einer  bogenförmigen  Lime  in  die 
Mittellinie  der  Stirne  etwa  2—3  cm  ober  der  Nasenwurzel  einstrahlt. 
Weiterhin  fand  sich  eine  Erkrankung  des  rechten  Schultergelenkes 
sehr  starkes,  auf  Distanz  hörbares  Knarren,  die  Möglichkeit  den  Ober¬ 
armkopf  jederzeit  schmerzlos  in  Subluxationsstellung  zu  bringen  un 
hei  gewissen  Stellungen  ein  derartiges  Abstehen  der  Scapula  vom 
Thorax,  dass  eine  Affection  periseapulärer  Muskeln  angenommen  werden 
muss.  Die  Patellarsehnenreflexe  sind  erheblich  gesteigert,  sonstige 
Anomalien  des  motorischen  Apparates  fehlen  vollkommen. 

Es  ist  in  diesem  Falle  das  sehr  seltene  Vorkommmss  einer 
Syringomyelie  mit  überwiegend  sensiblen  Erscheinungen  vorhanden.  Die 
eigenartigen  Spontanbewegungen  an  der  Hand  und  den  Fingern  sind 
bereits  einige  Male  beschrieben,  auch  schon  des  öfteren  von  mir  bei 
Syringomyelie  gesehen  worden. 

Der  Sensibilitätsdefect  im  Gesichte  ist  offenbar  gleich  dem  am 
Rumpfe  centraler  Natur  und  ist  bedingt  durch  eine  Läsion  der  spinalen 
Trigeminuswurzel.  Der  Fall  bildet  eine  Illustration  zu  dem  von  mir 
vor  Jahresfrist  an  dieser  Stelle  gehaltenem  Vortrage,  in  welchem  ich 
über  die  segmentalen  Sensibilitätsstörungen  im  Trigeminusgebiete  sprach. 
Auch  die  hier  nachweisbare  Sensibilitätsstörung  dürfte  segmen  taler 
Natur  und  dadurch  bedingt  sein,  dass  die  am  meisten  distal  (spinal- 
wärts)  gelegenen  Theile  der  Trigeminuswurzel  von  der  Syringomyelie 
afficirt  sind.  Auch  in  diesem  Falle  ist  der  Stirnast  des  Trigeminus  nur 
zum  Theile  geschädigt,  während  in  einem  Theile  der  Stirnliaut  und  im 


Bereiche  des  Zweiges,  der  den  Nasenrücken  versorgt,  keine  Störungen 
zu  constatiren  sind.  Ich  erblicke  hierin  eine  Bestätigung  meiner  im 
vergangenen  Jahre  gemachten  Schlussfolgerung,  welche  später  auf 
Grund  kleinerer  Beobachtungen  auch  Dr.  v.  S  ölder  zu  der  seinen  ge¬ 
macht  hat:  _  ... 

Die  Anordnung  des  Trigeminus  im  Kerngebiete  ist  eine  der¬ 
artige,  dass  der  Stirnast  des  Trigeminus  seine  Fasern  von  den  am 
weitesten  entfernten  Abschnitten  des  Kerngebietes,  den  am  meisten 
distal  und  proximal  gelegenen  Theilen  bezieht,  während  der  zweite 
und  dritte  Ast  des  Trigeminus  von  dem  mehr  in  der  Mitte  gelegenen 
Theile  des  Kerngebietes  versorgt  wird. 

Der  zweite  Kranke,  ein  59jähriger  Möbelpacker,  gewährt  ein 
ganz  anderes  klinisches  Bild  und  hat  eine  wesentlich  andere  Anamnese. 
Die  Krankheit  besteht  wenigstens  seit  elf  Jahren.  Nie  bestanden 
sensible  Reizerscheinungen.  Muskelatrophien,  besonders  an  den  Händen 
und  Vorderarmen,  sowie  Schwäche  an  den  oberen  und  unteren  Ex¬ 
tremitäten  entwickelten  sich  allmälig  bis  zu  dem  erheblichen  Grade, 
der  jetzt  besteht.  Am  ganzen  Körper  fibrilläre  Zuckungen  der  Mus- 
culatur.  Stellenweise  Entartungsreaction.  Die  Sehnenreflexe  an  den 
unteren  Extremitäten  gesteigert.  Leichte  Blasenstörungen.  Es  bestehen 
erhebliche  Sensibilitätsanomalien  namentlich  Thermo- Hypästhesien  in 
ausgedehnten  Hautgebieten,  am  deutlichsten  an  den  Vorderarmen. 

Interessant  sind  nun  ganz  besonders  folgende  Störungen:  Bei 
dem  Kranken  treten  transitorisch  Erscheinungen  von  Bulbärlähmung 
(Schling-  und  Gaumenmuskellähmung)  seit  mehr  als  zwei  Jahren  auf. 
Der  Kranke  hat  eben  wieder  so  eine  Attaque  durch  gemacht  und  be¬ 
finden  sich  die  Lähmungserscheinungen  derzeit  im  Rückgänge.  Solche 
transitorische,  acut  einsetzende  Bulbärlähmungen  sind  bereits  einige 
Male  bei  Syringomyelie  gesehen  worden,  ich  habe  sie  selbst  schon  mehr¬ 
mals  bei  dieser  Affection  beobachten  können. 

Auffällig  sind  weiters  die  tiefen  grubigen  Einsenkungen  an  den 
Schläfen,  bedingt  durch  die  äusserst  seltene  Atrophie  der  Mm.  tem¬ 
porales.  . 

Endlich  ist  noch  eine  sehr  seltene,  offenbar  mit  der  Erkrankung 
in  Zusammenhang  stehende  Complication  vorhanden,  nämlich  eine 
wohl  ausgebildete  Dupuytre  n’sclien  Sehnencontractur  an  der  linken 
Hand,  welche  sich  erst  im  Verlaufe  des  Leidens  entwickelt  hat.  Die¬ 
selbe  ’  ist  bisher  ausserordentlich  selten  bei  Syringomyelie  zur  Beob¬ 
achtung  gelangt.  _  . 

Dr.  Rud.  Neurath  demonstrirt  ein  sieben  Monate  altes  Kind  mit 

angeborenem  partiellem  Riesenwuchs  (Makrosumie). 

Schon  bei  der  Geburt  erregte  die  Missbildung  das  Entsetzen  der 
Eltern.  Seither  nahm  sie  an  Grösse  im  Verhältnis  zur  Entwicklung  dei 
übrigen  Glieder  etwas  zu.  Es  besteht  Makrodaktylie,  combinirt  mit  Syndak- 
tylle.  Die  zweite  und  dritte  Zehe  des  rechten  Fusses  sind  an  den  correspon- 
direnden  Flächen  mit  einander  verwachsen  und  zu  einem  von  normaler 
Haut  bedeckten,  beide  Zehen  in  ihrer  Form  noch  deutlich  erkennen 
lassenden  Tumor  umgewandelt,  wodurch  der  ganze  vordere  Antheil 
des  Fusses  bedeutend  entstellt  erscheint.  Die  Kuppen  beider  Zehen 
sind  durch  eine  tiefe  Furche  von  einander  getrennt,  während  die  der 
Grundphalange  entsprechenden  Antheile  miteinander  verwachsen  sind. 
Der  Ballen  des  Fusses  setzt  sich  scharf  von  der  hinteren  Partie  der 
Planta  ab  und  zeigt,  wie  die  hypertrophischen  Zehen  selbst,  deutlich 
eine  starke  Vermehrung  des  subcutanen  Fettes.  Die  Nägel  der  beiden 
Zehen  sind  kurz,  jedoch  verbreitert  und  spröde.  Die  hypertrophischen 
Zehen  geben  in  ihren  Längen-  und  Dickenmassen  folgende  Grössen: 
Beide  zusammen  im  Umfange  10  cm  gegen  41/ 2  cm  der  gesunden  Seite. 
Kuppe  der  zweiten  Zehe  zur  Ferse  rechts  15  cm,  links  lÜ'/2cm..  Die 
hypertrophischen  Zehen  sind  stark  dorsalflectirt  und  in  gleichzeitiger 
Abductionsstellung.  Palpatorisch  lassen  sich  die  verlängerten,  in  ihren 
Gelenken  frei  beweglichen  Phalangen  deutlich  abgrenzen.  Von  den  be¬ 
nachbarten  Zehen  sind  die  krankhaft  veränderten  streng  geschieden. 
Active  Bewegungen  sind  in  beschränktem  Ausmasse  möglich,  doch 
werden  zweite  und  dritte  Zehe  fast  gar  nicht  flectirt.  Auch  die  grosse 
Zehe  zeigt  eine  wenn  auch  unbedeutende  Veränderung  in  Form  und 
Grösse.  Sie  ist  plump  und  durch  einen  kleinen  A  ulst  an  ilirei  late¬ 
ralen  Seite  leicht  verbildet. 

Die  Sensibilität  der  Zehen  erscheint  intact  (Nadelstiche).  Der 
rechte  Fuss  fühlt  sieh  gewöhnlich  kühler  an  als  der  linke,  und  ist 
etwas  blässer. 


170 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


Das  Kind  ist  das  jüngste  von  sieben  lebenden,  gesunden 
Kindern.  Weder  in  der  Familie,  noch  in  der  Ascendenz  lässt  sich  eine 
ähnliche  Missbildung  eruiren.  Die  Mutter  glaubt,  sich  vielleicht  in 
einen  Mann  mit  verkrüppelten  Füssen  verschaut  zu  haben. 

Unser  Fall  gehört  in  die  Gruppe  partieller  Hypertrophien 
(Husch),  in  denen  die  Knochen  nach  allen  Dimensionen  vergrössert 
erscheinen  und  die  Weichtheile  ebenfalls  massenhafter,  aber  durchaus 
proportional  der  Grössen  Vermehrung  der  Knochen  sind.  Die  Beobach¬ 
tung  widerspricht  der  Annahme  Wittelshofe  r’s,  dass  in  jedem 
Falle  bedeutender  Makrodaktylie  diese  blos  der  prägnanteste  Ausdruck 
allgemeinen  Riesenwuchses  der  ganzen  Extremität  sei ;  denn  eine 
genaue  Messung  liess  eine  solche  Grössenzunahme  der  übrigen  Extremi¬ 
tätenpartien  vermissen. 

Nach  Habs  (1893)  sind  bisher  14  Fälle  von  Makrodaktylie 
combinirt  mit  Syndaktylie  bekannt,  drei  der  oberen  und  elf  der  unteren 
Extremitäten. 

Pathogenetisch  kommen  wahrscheinlich  Cireulationsstöi  ungen  im 
Fötal  leben  in  Betracht.  Die  operative  Beseitigung  der  Missbildung  er¬ 
scheint  nicht  nur  aus  kosmetischen  und  functioneilen  Gründen  indi- 
cirt,  sondern  es  lassen  auch  vereinzelte  Beobachtungen  vom  Fort¬ 
schreiten  des  (angeborenen)  Riesenwuchses  auf  anfangs  normale  Extre¬ 
mitätenpartien  die  Amputation  oder  Exarticulation  geeignet  erscheinen. 
(Demonstration  des  Aktinogrammes.) 

Docent  Dr.  E.  Spiegler  stellt  aus  seiner  Abtheilung  des  Kaiser 
Franz  Josef-Ambulatoriums  einen  Fall  von  Sklerodermie  vor, 
der  die  linke  Mamma  einer  sonst  gesunden,  30jährigen  Frau  betrifft. 
Es  handelt  sich  um  einen  kindshandgrossen,  jetzt  bräunlich  pig- 
meutirten,  sklerotisch  anzufühlenden,  isolirten  Krankheitsherd,  der  sich 
für  das  Auge  von  der  gesunden  Umgebung  durch  sonst  nichts  weiter 
unterscheidet. 

Als  Spiegler  die  Patientin  vor  sechs  Wochen  zum  ersten 
Mal  sah,  war  die  Ilautstelle  im  selben  Umfange  in  scharf  circurn- 
scripter  Weise  geröthet  und  geschwellt,  so  dass  sie  sich  für  das  Auge 
vom  Erysipel  durch  nichts  unterschied  und  erst  die  Palpation  die 
Diagnose  ermöglichte. 

Krankheitsdauer  ein  Jahr.  Dieser  Fall  erscheint  deswegen  inter¬ 
essant,  weil  die  Affection  hier  im  Gegensätze  zu  sonstigen  Fällen  mit 
Jucken  verbunden  ist. 

Die  Aetiologie  betreffend,  deckt  die  „trophoneurotisclie“  blos 
unsere  Unkenntniss  in  dieser  Beziehung,  indem  in  den  meisten  ein¬ 
schlägigen  Fällen  Störungen  seitens  des  Nervensystems  in  keiner  Weise 
nachgewiesen  werden  können. 

Hingegen  scheint  für  einen  Theil  der  Fälle  wenigstens  die  An¬ 
nahme  gerechtfertigt,  dass  es  sich  um  locale  Oedeme  handelt,  die  sich 
nachträglich  in  sklerotisches  Gewebe  verwandelten. 

Docent  Dr.  Karl  A.  HerzfeUl  hält  hierauf  den  angekündigten 
Vortrag :  Ueber  Enteroptose. 

Unter  Enteroptosis  verstehen  wir  eine  Verlagerung  der  Bauch¬ 
eingeweide,  die  hauptsächlich  das  weibliche  Geschlecht  betrifft,  ausser¬ 
ordentlich  häufig  ist  (in  der  Privatpraxis  des  Vortragenden  in  über 
10%  aller  Fälle),  grosse  Beschwerden  verursacht  und  doch  merk¬ 
würdiger  Weise  bisher  nur  in  geringem  Masse  von  ärztlicher  Seite  ge¬ 
würdigt  wurde.  Das  Symptomenbild  der  Enteroptose  besteht  vornehm¬ 
lich  in  Verdauungsstörungen,  die  sowohl  den  Magen  (Appetitlosigkeit, 
aber  auch  lästiges  Hungergefühl,  verbunden  mit  Schmerzen  nach  jeder 
Nahrungsaufnahme,  Aufstossen,  Drücken  etc.),  als  den  Darm  (Obstipa¬ 
tion,  plötzliche  Diarrhöen,  Gasbildung,  Anwachsen  des  Abdomens,  Ge¬ 
fühl  des  Vollseins)  betreffen  und  mit  heftigen  Schmerzen,  Ai'beits-  und 
Bewegungsunlust,  Athembeschwerden,  Herzpalpitationen,  bei  längerer 
Dauer  mit  Störungen  in  der  Blutcirculation,  Schwindel,  Kopfschmerzen, 
zahlreichen  nervösen  Symptomen  verbunden  sind  und  rapide  Abmage¬ 
rung  herbeiführen  können. 

Gleuard,  dem  der  Ruhm  der  ersten  eingehenden  Würdigung 
der  Enteroptose  gebührt,  nahm  an,  dass  eine  Lockerung  der  Fixation 
an  der  Flexura  coli  hepatica)  erst  das  Herabsinken  des  Colon  ascen- 
dens  und  transversum  und  im  weiteren  Verlaufe  durch  Zug  auch  die 
Lageveränderung  der  anderen  —  seiner  Ansicht  nach  durch  ihre  Liga¬ 
mente  bisher  in  den  normalen  Lageverhältnissen  gesicherte  —  Organe 
herbeifuhre.  Dem  ist  nicht  so,  denn  der  Hauptgrund  für  die  Erhaltung 
der  Organe  der  Bauchhöhle  in  ihren  gegenseitigen  Lageverhältnissen 
ist  der  vorhandene  intraabdominale  Druck  (Thorax,  Schwere  der  Leber) 
und  dessen  Paralysirung  durch  den  nach  aufwärts  gerichteten  Gegen¬ 
druck  von  Seite  des  Darmes,  der  wieder  abhängig  ist  von  Füllungs¬ 
zustand  und  Gasgehalt,  sowie  von  den  durch  die  begrenzte  Entfaltungs¬ 
länge  der  Mesenterien  und  den  Widerstand  der  Bauchhöhlenwandungen 
dargestellten  Factoren.  Eine  Vermehrung  des  Druckes  von  oben  (Corsett, 
Mieder)  oder  eine  Verminderung  des  aufwärts  gerichteten  Gegendruckes, 
ein  Nachlassen  der  Spannung  der  Bauchdecken  oder  des  musculösen 
Beckenbodens  können  die  Disposition  zu  Lageveränderungen  schaffen. 
Insbesondere  geschieht  dies  durch  die  Schwangerschaft  und  das  Wochen¬ 
bett,  wenn  die  im  Puerperium  vor  sich  gehende  Involution  der  durch 


sie  verursachten  Veränderungen  (Erweiterung  des  Bauchhöhlenraumes, 
Verrückung  seiner  Grenzen,  Lageveränderungen  der  Bauchhöhlenorgane) 
durch  übermässige  Inanspruchnahme  der  noch  zu  weiten  und  zu 
schlaffen  Bauchdecken  oder  unzweckmässige  Vermehrung  des  Gegen¬ 
druckes  von  oben  etc.  gestört  wird.  Aber  auch  alle  anderen  Ursachen, 
die  einer  starken  Anfüllung  des  Abdomens  und  Ausdehnung  der 
Bauchdecken  eine  rasche  Entleerung  der  Bauchhöhle  erfolgen  lassen, 
ebenso  wie  alle  jene  näher  besprochenen  Krankheitsprocesse,  welche 
den  Tonus  der  Bauchdecken  und  der  Beckenmusculatur  verringern,  können 
die  Enteroptose  veranlassen.  Die  normale  Resistenz  des  Beckenbodens 
wieder,  die  ja  Blase  und  Uterus  in  ihrer  normalen  Lage  erhält  und 
daher  von  bedeutendem  Einflüsse  auf  den  Intraabdominaldruck  ist, 
wird  ebenfalls  vornehmlich  durch  Schwangerschaft,  Geburt  und  Wochen¬ 
bett  verringert  (Zerreissungen  am  Damme,  Störung  der  Involution  des 
Perineums  durch  übermässige  Anstrengung  und  Belastung,  Druck  des 
kindlichen  Schädels). 

Jedoch  können  natürlich  auch  andere  Ursachen  die  Erschlaffung 
des  Beckenbodens  veranlassen.  Dieselbe  bewirkt  nun  ein  Absiuken  des 
iutraabdominellen  Druckes  eine  Vergrösserung  des  Raumes  der  Bauch¬ 
höhle,  ein  Herabsinken  der  Organe  des  Hypochondriums,  die  wieder 
ihre  Nachbarorgane  nach  sich  ziehen,  endlich  in  Folge  der  Ausdehnung 
der  Därme  eine  Atonie  und  trägere  Peristaltik  derselben  mit  den 
naturgemässen  Folgeerscheinungen.  Häufig  tritt  nun  auch  die  von  G  1  e- 
nard  für  die  primäre  Veranlassung  der  Enteroptose  gehaltene  Locke¬ 
rung  der  Fixation  an  der  Flexura  coli  hepatica  ein.  Freilich  mögen 
auch  etwa  vorhandene  abnormale,  dem  embryonalen  Verhalten  ähnliche 
Peritonealverhältnisse  in  manchen  Fällen  hiebei  eine  bestimmte  Rolle 
spielen  (unvollständige  Anhefiung  des  Colon  ascendens,  Abhebung  des 
Colons  von  seiner  Unterlage).  Hiedurch  erklären  sich  auch  Erschei¬ 
nungen,  wie  Abwä'  tszerrungen  des  Magens,  Knickungen  am  Pylorus  etc. 
Auch  die  Nieren  können  tiefer  treten,  was  bei  der  rechten  bedeutend 
häufiger  als  bei  der  linken  der  Fall  ist.  Die  berührten  anatomischen 
Verhältnisse  erklären  ungezwungen  die  mannigfachen  Beschwerden  der 
Enteroptose. 

Hervorheben  möchte  Vortragender  noch  die  bisher  ganz  un¬ 
berücksichtigt  gebliebene  Erweiterung  des  Blutgefässsystemes  im  Be¬ 
reiche  der  Bauchhöhlenorgane  und  die  damit  verbundene  Hyperämie 
und  Störung  der  Blutcirculation  (scheinbare  Zunahme  der  Anämie, 
stärkere  Menstrualblutungen  etc.). 

Die  Therapie  soll  den  normalen  Bauchhöhlendruck  wieder  her- 
stellen.  Dazu  dienen  Stützapparate,  die  aber  nur  den  mangelnden 
Tonus  der  Bauchwandung  ersetzen  und  nicht  etwa  die  forcirte  Lage¬ 
änderung  einzelner  Organe  bezwecken  sollen.  Vortragender  lässt  zu 
diesem  Zwecke  Bauchbinden  anfertigen,  die  behufs  besserer  Fixation 
rechts  und  links  mit  kleinen  Hosen  versehen  und  stets  in  horizontaler 
Lage  anzulegen  sind.  Die  Binden  müssen  genau  passend  angefertigt 
werden.  Bei  bestehender  Erschlaffung  des  Beckenbodens  ist  bei  Defecten 
die  Perineoplastik,  bei  einfacher  Erschlaffung  eine  Stützung  durch 
Pessare  und  Kräftigung  durch  Gymnastik  (Widerstandsbewegungen, 
Brandt’sche  Lüftung  des  Uterus)  am  Platze.  Zur  Wiederherstellung 
des  normalen  Tonus  ist  aber  ausserdem  eine  genaue  diätetische  Therapie 
(M  i  t  c  h  e  1  l’sche  Mastcuren)  nothwendig.  Von  Nutzen  sind  auch  Bäder, 
sowie  die  Anwendung  der  Elektricität.  Viel  wichtiger  aber  ist  die 
Prophylaxe,  speciell  in  der  Schwangerschaft,  Geburt  und  im  Wochen¬ 
bett  (gut  adaptirte  Bauchbinden  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwanger¬ 
schaft,  sowie  durch  vier  Monate  nach  dem  Verlassen  des  Bettes  mög¬ 
lichste  Schonung),  sowie  eine  rationelle  Ernährung.  (Autoreferat.) 

* 

Herr  Docent  Dr.  Klein  hat  zum  Protokoll  der  Sitzung  vom 
26.  Januar  folgende  Bemerkung  eingesendet: 

Die  Erwähnung  des  Herrn  Professors  v.  R  e  u  s  s,  dass  die  von 
mir  vorgeführte  Symblepharonoperation  schon  von  A  r  1  t  angegeben 
und  geübt  wurde,  ist,  wie  ich  mich  durch  nachträgliche  nochmalige 
Durchsicht  der  Literatur  überzeugte,  vollkommen  richtig.  Ich  halte  os 
für  meine  Pflicht,  dies  zu  erklären;  jedoch  mag  es  als  Rechtfertigung 
dienen,  die  bezügliche  Stelle  bei  A  r  1  t  meinerseits  übersehen  zu 
haben,  dass  selbe  als  klein  gedruckte,  wenig  bemerkbare  Notiz  gleich¬ 
sam  im  verborgenen  Winkel  angebracht  ist.  Wenngleich  ich  nun  nicht 
mehr  der  Literatur  gegenüber  als  erster  Autor  des  demonstrirten  Ver¬ 
fahrens  gelten  kann,  so  ist  selbes  für  mich  doch  neu,  indem  ich  es 
mir  ersonnen  habe,  und  ich  habe  die  Genugthuung,  mit  Arlt  den 
gleichen  Gedanken  gefasst  zu  haben.  Freilich,  hätte  ich  früher  Kennt- 
niss  gehabt  von  meiner  berühmten  Vorgängerschafr,  so  hätte  ich  den 
Fall  nicht  als  nach  einer  von  mir  erdachten  originalen  Methode, 
sondern  als  nach  einem  von  Arlt  angegebenen  Verfahren  operirten 
vorstellen  müssen. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


171 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  10.  November  1899. 

Vorsitzender:  Prof.  Wölfler. 

Prof.  Chiari  spricht  über  einen  Fall  von  Obliteration  der 
Hauptstämme  der  Venae  hepaticae  bei  einem  20jährigen 
Manne,  welcher  Fall  am  2.  November  1899  von  der  ersten  medici- 
nischen  Klinik  (Vorstand  Prof.  Pribram)  zur  Section  gelangte. 

Das  Individuum  hatte  seit  der  Kindheit  oft  au  Bauchschmerzen 
und  Durchfällen  gelitten.  Von  einer  syphilitischen  Erkrankung  war 
nichts  bekannt  geworden.  Mitte  September  1899  waren  angeblich  nach 
dem  Genüsse  von  verdorbenem  Obst  wieder  Bauchschmerzen  und  Durch¬ 
fälle  aufgetreten.  Die  Bauchschmerzen  steigerten  sich,  es  stellte  sich 
stärkere  Ausdehung  des  Unterleibes  ein,  und  suchte  deshalb  der  Patient 
Mitte  October  die  Spitalshilfe  auf.  Unter  Zunahme  der  Ausdehnung  des 
Unterleibfs  kam  es  schliesslich  durch  Hochstand  des  Zwerchfelles  zu 
Lungenödem,  welches  den  Exitus  letalis  bedingte. 

Bei  der  Section  fanden  sich  leichter  Ikterus,  Ausdehnung  des 
Unterleibes  (Nabelhöhenumfang  95  cm),  Oedem  der  unteren  Extremi¬ 
täten  und  der  Rückseite  des  Rumpfes,  mässiger  bilateraler  Hydro- 
thorax,  stärkerer  Hydrops  ascites,  Hochstand  des  Zwerchfelles,  Oedem 
der  Lungen  und  vielfache  Blutaustritte.  Die  Leber  war  gewöhnlich 
gross;  ihr  Peritoneum  erschien  zart.  Mit  Ausnahme  des  Lobus  Spiegeln 
und  einer  mannsfaustgrossen  Partie  der  Leber  in  der  Nähe  des  Hilus, 
welche  Theile  hellgelb  erschienen  und  deutliche  Läppchen  Zeichnung  auf- 
wiesen,  war  das  Leberparenchym  tief  dunkelroth  gefärbt  und  ohne 
Läppchenzeichnung.  In  diesen  rothen  Abschnitten  der  Leber  waien  die 
Venae  hepaticae  thrombosirt  und  in  ihrer  Wand  stellenweise  verdickt. 
Die  Ostien  der  grossen  Hauptstämme  der  Venae  hepaticae  in  dem 
obersten  Antheile  des  intrahepatischen  Stückes  der  Vena  cava  inferior 
waren  vollständig  zugewachsen,  während  sich  nach  unten  noch  einige 
offene  Lumina  von  kleineren  Venae  hepaticae  fanden. 

Chiari  fasst  den  Fall  dahin  auf,  dass  schon  in  der  ersten  Kind¬ 
heit  des  Patienten  die  Obliteration  der  Hauptstämme  der  Venae  hepaticae 
durch  eine  selbstständige  Endophlebitis  obliterans  stattgehabt  hatte,  und 
dass  erst  durch  eine  im  September  1899  einsetzende  Thrombose  der 
Wurzeln  der  Venae  hepaticae  die  Circulationsstörung  in  der  Leber  so 
hochgradig  geworden  war,  dass  es  in  Folge  dessen  endlich  zum  Exitus 
letalis  kam.  Bezüglich  des  ätiologischen  Momentes  kann  hier  eventuell 
an  Syphilis  hereditaria  gedacht  werden.  Dieser  Fall^  ist  ganz  gleich¬ 
artig  mit  den  Fällen,  welche  Chiari  in  dem  XXVI.  Bande  dei 
Ziegler’schen  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  und  allgemeinen 
Pathologie  publicirt  hat. 

Hofrath  Prof.  Pribram:  Bei  der  Seltenheit  des  Vorkommens 
isolirter  Lebervenenthrombose  erscheint  es  mir  nothwendig,  in  dem 
vorliegenden  Falle  mit  einigen  Worten  auf  das  Bild  einzugehen,  welches 
der  Kranke  dem  Arzte  in  den  letzten  Lebenstagen  dargeboten  hat. 
Denn  die  meisten  bisher  beschriebenen  Fälle  von  Lebervenenverschluss 
haben  zumeist  dabei  schwere  anderweitige  Störungen,  Synechien  des 
Herzbeutels,  der  Pleura,  Carcinom  oder  Narben  in  der  Leber,  chroni¬ 
sche  Peritonitiden  (gleichzeitig  Pfortaderthrombosen)  gehabt  und  darum 
ein  sehr  complicirtes  Krankheitsbild  gezeigt,  aus  welchem  man  nicht 
so  ohne  Weiteres  die  für  die  Leberveuenthrombose  speciell  charakteri¬ 
stischen  und  von  ihr  allein  abhängigen  Symptome  erblicken  kann. 

Quincke  hat  in  seiner  letzten  Arbeit  über  die  Lebervenen- 
verstopfung  hervorgehoben,  dass  für  sie  das  Vorhandensein  eines  liepato- 
genen  Ascites  mit  gleichzeitiger  gleichmässiger  Vergrösserung  der  Leber, 
Vergrösserung  der  Milz  und  Fehlen  des  Ikterus  charakteristisch  sei. 
In  einem  Falle  gleichzeitiger  schwerer  Herzerkrankung  (Myocarditis, 
Pericarditis)  schloss  er  im  Leben  auf  die  Anwesenheit  des  Lebervenen¬ 
verschlusses  aus  dem  Missverhältniss  zwischen  den  schweren  Stauungen 
an  der  Leber  und  den  relativ  geringen  Stauungssymptomen  seitens  der 

oberen  Körperhälfte.  . 

Unser  Fall  zeigt,  dass  bei  Lebervenenverschluss  die  Milz  nicht 

gross  zu  sein  braucht  und  Ikterus  vorhanden  sein  kann.  Im  Allgemeinen 
wird,  wenn  bei  Erscheinungen  hochgradiger  Stauung  ini  Pfoitacti 
kreislauf  die  Leber  verkleinert  ist,  an  Cirrhose,  wenn  sie  nicht  wesent¬ 
lich  verändert  ist,  an  ein  Kreislaufshinderniss  in  der  Pfortader  selbst, 
wenn  sie  aber  erheblich  vergrössert  ist,  an  einen  Verschluss  der  Leber¬ 
venen  zu  denken  sein.  Eine  stricte  Diagnose  lässt  sich  begreiflicher 
Weise  auf  diese  Momente  nicht  bauen,  da  so  häufig  gleichzeitig  Leber- 
vergrösserungen  aus  anderer  Ursache  (Syphilis,  Amyloid,  Carcinom) 
neben  den  Erscheinungen  des  hepatogenen  Ascites  Vorkommen.  Dazu 
kommt,  dass  bei  allmälig  entwickelten  Stauungen  die  collateraleu 
Bahnen  von  der  Pfortader  zur  Hohlvene  sich  in  verschiedener  Art  und 
Geschwindigkeit  entwickeln,  so  dass,  wie  in  unseiem  Falle,  eine  i  ata 
tion  der  Bauchdeckenvenen  vollkommen  fehlen  und  eine  nachweisbare 
Dilatation  der  inneren  Mastdarmvenen  in  hohem  Grade  vorhanden  sein 
kann,  wie  sie  hier  schon  während  des  Lebens  erkannt  worden  ist. 
Kommt  es  vollends  gar  zu  starken  Blutungen  aus  dem  Darm,  Magen, 


Oesophagus,  so  kann  auch  die  Milzschwellung  vorübergehend  zurück¬ 
gehen  und  im  Krankheitsbild  vermisst  werden,  wie  sie  denn  auch  bei 
unserem  Kranken  nicht  vorhanden  war. 

Viel  wichtiger  für  die  Diagnose  scheint  uns  noch  die  Anamneso 
zu  sein.  Sie  war  in  unserem  Falle  sehr  verlockend  für  die  Vermuthung 
einer  Tuberculose  des  Bauchfells  und  des  Darmes,  denn  der  Kranke 
hatte  schon  seit  Jahren  an  Bauchschmerzen  und  Diarrhöen  gelitten, 
sein  Vater  war  an  Tuberculose  gestorben,  er  selbst  hatte  Husten  und 
Heiserkeit  und  ausserdem  Darmblutungen  ohne  die  sonstigen  Zeichen 
einer  hämorrhagischen  Diathese,  auch  starke  renale  Hämaturie.  Es 
wurden  deshalb  auch  Harn,  Stuhl  und  Sputum  sorgfältig  auf  Tuberkel¬ 
bacillen  untersucht,  jedoch  durchwegs  mit  negativem  Erfolg.  Ei  wähnt 
sei,  dass  in  der  Literatur  sogar  ein  Fall  niedergelegt  ist,  wo  wegen 
Verdacht  auf  Bauchfelltuberculose  sogar  die  Laparotomie  stattgefunden 
hat;  bemerkenswertli  ist,  dass  der  Ascites  in  unserem  Falle  doch  er¬ 
heblich  geringer  war  als  in  anderen  ähnlichen  I  allen,  dass  dagegen 
in  solchen  Fällen,  wo  wegen  des  Ascites  punctirt  werden  musste,  die 
Flüssigkeit  sich  wieder  rasch  ansammelte  und  sich  als  sehr  eiweiss- 
reich  (372— 5°/0)  erwies,  und  milchig  getrübt  beschrieben  wird. 

Man  hat  unter  Anderem  behauptet,  dass  in  lallen  schwerer 
Cirrhose  der  Leber  der  Harn  harnstoffärmer  sei  und  dieses  mit  dei 
Störung  der  harnstoffbildenden  Functionen  der  Leber  in  Beziehung 
gebracht.  Ohne  auf  diese  Frage  hier  näher  eingehen  zu  können,  halte 
ich  es  doch  nicht  für  überflüssig,  die  auffallende  Beobachtung  mitzu- 
theilen,  dass  in  unseren  Falle,  als  der  Harn  um  der  Ei  weissprobe 
halber  auf  Salpetersäure  aufgeschichtet  wurde,  sich  aus  demselben  ein 
dicker  Brei  von  Krystallen  salpetersauren  Harnstoffes  entwickelte,  ein 
Umstand,  auf  dessen  Vorkommen  ich  bei  anderen  Krankheiten  beim 
letzten  internen  Congresse  aufmerksam  zu  machen  Gelegenheit  hatte. 
Da  der  Kranke  fast  keine  Nahrung  genoss  und  die  Harnmenge,  wenn 
auch  verringert,  doch  bis  zu  des  Tages  betrug  (sp.  G.  102*  1 029), 

so  erscheint  ein  solches  Verhalten  immerhin  auffallend.  Ich  dait  nicht 
verschweigen,  dass  der  Kranke  einige  Zeit  zuvor  Harnstoff  als  d Lue¬ 
tisches  Mittel  bekommen  hat,  dass  dieser  aber  bis  dahin  schon  aus¬ 
geschieden  sein  konnte  und  Controlversuche  bei  anderen  mit  gleichen 
Gaben  von  Harnstoff  behandelten  Kranken  ein  gleiches  \  erhalten 
nicht  erkennen  Hessen. 

Als  das  charakteristischeste  Moment  möchten  wii  nach  einem 
Studium  der  in  der  Literatur  niedergelegten  Fälle  in  Vergleichung 
mit  unserem  Falle  den  Umstand  bezeichnen,  dass  nach  Voraus¬ 
gegangensein  früherer  ähnlicher  Erscheinungen  nach  längerem  Intervall 
eine  schubweise  plötzliche  schmerzhafte  Volumszunahme  mit  dei 
Erscheinung  des  hepatischen  Ascites  eintritt,  während  bei  Cirrhose  die 
Entwicklung  des  Zustandes  eine  allmälige,  lentescirende  ist  und  bei 
Pfordaderthrombose,  die  ähnlich  rasch  sich  entwickeln  kann,  die  Leber- 
vergrösserung,  wenn  sie  nicht  durch  andere  Giünde  bedingt 
wird,  fehlt. 

Auffallend  ist,  dass  die  Mehrzahl  der  berichteten  Fälle  brauen 
betroffen  hat,  die  eine  Zeit  zuvor  normale  Entbindungen  durchgemacht 
hatten. 

An  der  Hand  der  bisher  erwähnten  Anhaltspunkte  werden  wir 
zwar  die  isolirte  Leber venenthrombose  vorläufig  noch  nicht  mit  Be¬ 
stimmtheit  diagnosticiren,  wohl  aber  schon  im  Leben  mit  ihiei  Mdg 
lichkeit  zu  rechnen  haben  und  so  das  erforderliche  klinische  Material 
zum  genaueren  Studium  jenes  Krankheitszustandes  sammeln  können, 
mit  dessen  isolirten  Auftreten  uns  Herr  Hofrath  Chiari  m  so 
dankenswerther  Weise  bekannt  gemacht  hat. 

Prof.  Chiari  hält  hierauf  seinen  angekündigten  Vortrag  über 
Nierenpapillennekrose  bei  Hydro  nephrose. 

Bereits  im  Jahre  1877  hat  Friedreich  auf  das  Vorkommen 
von  Nekrose  der  Nierenpapillen  bei  Hydronephrose  hingewiesen  und 
die  Meinung  ausgesprochen,  dass  diese  als  mechanische  Efiect  anzu¬ 
sprechende  Nekrose  häufiger  Vorkommen  dürfte,  dieselbe  aber  des¬ 
wegen  selten  zu  sehen  sei,  weil  die  nekrotisch  gewordenen  Papillen 
sich  leicht  ablösen.  Chiari  hat  im  Jahre  1882  über  dieselbe  Ne¬ 
krosenform  an  den  Nierenpapillen  berichtet  und  die  gleichen  An 
sehauungen  wie  Fried  reich  geäussert.  _ 

Nun  berichtet  derselbe  über  eine  einschlägige  Arbeit,  welche 
in  seinem  Institute  von  Herrn  Dr.  Stoudensky  aus  St.  Petersburg 
ausgeführt  wurde.  Es  wurden  von  dem  genannten  Herrn  einerseits  eine 
Reihe  neuer  solcher  Fälle  von  Menschen  untersucht  und  dabei  die 
Sequestration  der  nekrotischen  Papillen  studirt,  andererseits  Ihiei- 
experimente  an  Kaninchen  ausgeführt.  Bei  den  Experimenten,  die  so 
angestellt  wurden,  dass  der  eine  Ureter  per  laparotomiam  ligirt  wurde 
und  die  Thiere  nach  1  bis  1  */a  Monaten  getcdtet  wurden,  zeigte  sich, 
dass  bereits  in  dieser  Zeit  in  der  deutlich  hydronephrotischen  Niere 
die  Nekrose  der  Papille  eingetreten  war,  ja  auch  bereits  Sequestration 
stattgefunden  hatte.  Es  Hess  sich  aber  dabei  auch  erweisen,  dass  nur 
das  mechanische  Moment  der  Harnstauung  die  Papillennekrose  bedingte, 
indem  die  bacteriologische  Untersuchung  des  in  dem  Nierenbecken  ge¬ 
stauten  Harns  ein  vollkommen  negatives  Resultat  ergab. 


172 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


C  h  i  a  r  i  weist  schliesslich  noch  darauf  hin,  dass  diese  Nieren¬ 
papillennekrose  bei  Hydronephrose  klinisch  nicht  ohne  Bedeutung  sei, 
insoferne  es  denkbar  wäre,  dass  sequestrate  Nierenpapillen  im  Harne 
gefunden  werden  könnten. 

* 

Sitzung  vom  17.  November  1899. 

Vorsitzender :  Prof.  Wölfler. 

Dr.  Wilhelm  Fischei  bespricht  unter  Vorlegung  der  bei 
der  Operation  gewonnenen  Präparate  einen  Fall  von  Tubargravidität, 
die  mit  Sactosalpinx  purulenta  der  anderen  Seite  complicirt  war. 

Bemerkenswerth  war  in  der  Krankengeschichte,  dass  bei  der 
ersten  Untersuchung  der  im  Collapse  nach  Ruptur  der  schwangeren 
Tube  befindlichen  Patientin  etwas  Fieber  und  ein  linksseitiger  daumen¬ 
dicker  Tumor,  sowie  eine  Vergrösserung  des  Uterus  vorgefunden 
wurde,  die  derjenigen  einer  gleichalterigen  intrauterinen  Schwanger¬ 
schaft  entsprach. 

Nach  kritischer  Besprechung  dieser  drei  ungewöhnlichen  Befunde 
kommt  Vortragender  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Sactosalpinx  purulenta 
und  die  Metritis  ganz  frische  Processe  gewesen,  die  wahrscheinlich  auf 
Infection  des  Uterus  bei  intrauterinen  Manipulationen  zum  Zwecke  der 
Fruchtabtreibung  zuziickzuführen  sind.  Der  Fall  endete  nach  fünf 
Wochen,  nachdem  noch  eine  Eröffnung  des  Douglas  hatte  gemacht 
werden  müssen  und  nachdem  noch  eine  EiterentleeruDg  durch  die 
Cöliotomienarbe  stattgefunden,  in  vollständiger  Genesung.  Der  Vor¬ 
tragende  bospricht  weiters  die  Schwierigkeit  der  Differentialdiagnose 
zwischen  solchen  Fällen  und  etwaigen  Fällen  von  acut  septischer 
Perforationsperitonitis,  z.  B.  bei  Appendicitis,  wofür  er  ebenfalls  ein 
Beispiel  aus  seiner  Erfahrung  beibringt. 

Dr.  Camill  Hirsch:  Ueber  den  nicht  pigmentirten 
Naevus  der  Augapfelbindehaut.  (Mit  Demonstration  mikro¬ 
skopischer  Präparate.) 

Hirsch  exstirpirte  ein  5 — 6  mm  breites,  2 — 21/<imm  dickes, 
sulzig  durchscheinendes,  röthlichgraues  Geschwülstchen  vom  Limbus 
conjunctivae  corneae  des  Auges  einer  17jährigen  Patientin,  das  seit  acht 
Jahren  sicher  bestand  (möglicher  Weise  seit  Geburt)  und  sehr  all- 
mälig  wuchs.  Klinisch  imponirte  es  als  Sarkom,  erwies  sich  aber  mikro¬ 
skopisch  (die  Schnitte  werden  demonstrirt)  in  seinem  Aufbaue  und  in 
den  Elementen  —  epitheloide  Zellen  mit  grossen  Kernen,  dich  t  an¬ 
einander  gereiht,  in  kugeligen  Zellballen  angeordnet  —  vollkommen 
übereinstimmend  mit  dem  bekannten  Bilde  des  weichen  Naevus  der 
Haut,  u.  zw.  auch  mit  der  von  Wintersteiner  gegebenen  Be¬ 
schreibung  des  pigmentirten  Naevus  der  Bindehaut,  bis  auf  das  Pigment, 
das  hier  vollständig  fehlt.  Hirsch  schliesst:  „Der  Naevus  ist  ein 
sehr  wohl  cliarakterisirtes  Gebilde  sui  generis,  das,  wo  immer  es  sich 
am  Körper  vorfindet,  als  solches  unter  dem  Mikroskope  immer  erkannt 
werden  und  dessen  epithelogener  Ursprung  mit  ziemlicher  Sicherheit 
erschlossen  werden  kann  aus 

1.  der  Beschaffenheit  der  Geschwulstgewebselemente, 

2.  aus  ihrer  Anordnung, 

3.  aus  dem  Standorte  des  Gebildes,  d.  h.  jene,  die  Geschwulst 
ausmachenden,  charakteristischen  kugeligen  Zellhaufen  liegen  stets  auf, 
respective  in  demjenigem  Bindegewebe,  dem  das  Ober¬ 
flächenepithel  unmittelbar  aufsitzt.  Noch  nie  ist  ein 
Naevus  beschrieben  worden  (ob  der  Haut  oder  einer  anderen  Stelle), 
der  im  tieferen,  oder  anderem  als  dem  subepithelialen  Bindegewebe 
seinen  Sitz  hätte“.  Die  Specificität,  welche  dem  Wachsthumstypus  des 
Naevus  als  solchem  innewohnt,  erhellt  übrigens  auch  schon  daraus, 
dass  die  aus  ihm  hervorgegangenen  bösartigen  Geschwülste  auch 
wieder,  wie  Unna  und  Wälsch  gezeigt  haben,  alle  diese 
für  den  Naevus  geltenden  Charaktere  des  histologischen  Aufbaues 
zeigen. 


Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck. 

Sitzung  vom  2.  December  1899. 

Vorsitzender:  Hofrath  Prof.  v.  Vintschgau. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Posselt. 

Prof.  Lode  (Fortsetzung  aus  der  letzten  Sitzung)  berichtet 
über  eine  gemeinsam  mit  Dr.  D  u  r  i  g  im  hygienischen  Institute  aus¬ 
geführte  Untersuchung,  betreffend  die  Köhlens  ätireaussche  i- 
dung  von  Hunden  bei  wiederholten  kalten  Bädern, 
als  oinem  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Mechanismus  der  Abhärtung. 
(Erscheint  ausführlich  an  anderem  Orte.) 

Prof.  Löwit  bemerkt  in  der  Discussion,  dass,  insolange 
nur  Bestimmungen  der  ausgeschiedenen  C  02  vorliegen,  ein  sicherer 
Rückschluss  auf  den  respiratorischen  Gasaustausch  nicht  gezogen 
werden  könue,  wie  der  Vortragende  selbst  bemerkt  hat;  gleichzeitig 
fragt  er  an,  ob  Beobachtungen  über  Aenderungen  der  Athemmechanik 


und  Athemfrequenz  an  den  gebadeten  Thieren  gemacht  wurden.  Be¬ 
züglich  der  Einwirkung  der  kalten  Bäder  auf  die  Körpergefässe  weist 
Redner  auf  die  Analogie  mit  den  bekannten  H  ei  d  e  n  h  a  i  n'schen 
Versuchen  über  die  Veränderungen  der  Körpertemperatur  durch  sen¬ 
sible  Reize  hin. 

Man  müsste  darauf  achteu,  ob  nicht  der  Kältereiz  nach  Analogie 
sensibler  Erregungen  eine  Gefässcontraction  im  Körperinnern  und  eine 
Gefässerweiterung  an  der  Körperperipherie  zur  Folge  habe.  Die  Ge¬ 
wöhnung  an  die  kalten  Bäder  wäre  dann  darauf  zurückzuführen,  dass 
die  sensiblen  Hautnerven  minder  empfindlich  oder  unempfindlich  für 
den  Kältereiz  werden,  und  den  erwähnten  Gefässreflex  nicht  mehr 
auslösen.  Diese  Auffassung  ist  einer  experimentellen  Prüfung  zu¬ 
gänglich. 

Prof.  Lode  erwidert  hierauf,  dass  bezüglich  der  Kältereize 
allgemein  angenommen  werde,  dass  zuerst  wenigstens  eine  Contraction 
der  Gefässe  der  Peripherie  erfolge.  Im  Sinne  Rosenthal’s  müsste 
man  bei  der  Abhärtung  annehmen,  dass  die  von  der  „ungeübten“ 
Haut  ausgelösten  reflectorischen  Gefässcontractionen  langsam,  von  der 
des  abgehärteten  Thieres  rascher  und  vielleicht  auch  intensiver  aus¬ 
gelöst  würden. 

Prof.  Rille  demonstrirt  zwei  klinische  Patienten  mit  weit  ver¬ 
breiteten  Maculae  coeruleae  (Taches  bleues)  epediculis 
pubis  und  erörtert  dieses  praktisch  nicht  unwichtige  Exanthem  in 
pathologisch-klinischer  wie  historischer  Beziehung. 

Zunächst  haben  diese  Fleckbildungen  differentialdiagnostische 
Bedeutung. 

Nachdem  sie  gemäss  der  vom  Genitale  zu  den  Achselhaaren 
stattfindenden  Wanderung  der  Morpionen  ab  und  zu  seitlich  am 
Thorax  localisirt  sind,  ferner  statt  graublau  auch  grauröthlich 
sein  können,  ist  bei  ihrem  nicht  seltenen  Coincidiren  mit 
diversen  Genitalaffectionen  für  den  Mindergeübten  eine  Ver¬ 
wechslung  mit  maculösem  Syphilid  nicht  ganz  ausgeschlossen, 
da  Form  und  Grösse  der  Efflorescenzen  bei  beiden  gleich  ist. 
Weiters  ist  bemerkenswerth,  dass  manche  dieser  Flecke  nicht  so 
sehr  im  Hautniveau  als  unterhalb  desselben  liegen,  das  heisst  eine 
centrale  Impression  zeigen,  bei  Fingerdruck  nicht  abblassen  und  im 
Gegensätze  zu  sonstigen  fleckigen  Exanthemen  auch  an  der  Leiche 
persistiren.  Sie  sind  um  so  deutlicher  sichtbar,  je  weisser  und  zarter 
die  Harrt  ist.  Meist  sind  sie  auf  die  innere  Schenkelfläche  und  die 
Nates  beschränkt  und  findet  man  sie  fast  ebenso  häufig  wie  überhaupt 
Pediculi;  gerade  dann,  wenn  die  Flecke  fehlen,  soll  das  Jucken 
ein  besonders  prononcirtes  sein.  Uebrigens  verursachen,  entgegen  den 
Darstellungen  der  Lehrbücher,  die  Filzläuse  ihren  Trägern  gar  kein 
oder  nur  geringes  Jucken  und  kommt  Ekzem  nur  ausnahms¬ 
weise  vor. 

Die  Kenntniss  der  wahren  Natur  dieses  Ausschlages,  wde  überhaupt 
die  von  der  Existenz  desselben  ist  von  Frankreich  her  vermittelt  worden  und 
wurde  erst  in  den  Achtziger-Jahren  namentlich  auf  die  Mittheilung 
0.  Simon’s  hin  in  unsere  dermatologischen  Lehrbücher  aufgenommen. 
In  Frankreich  interessirte  man  sich  für  dieses  merkwürdige  Exanthem 
bereits  seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  auf  das  Lebhafteste. 
Es  wurde  lange  Zeit  für  eine  Varietät  der  Roseola  typhosa  gehalten, 
später  (Davasse,  V  a  1 1  e  i  x,  T  a  r  d  i  e  u,  Dieulafoy)  als  patho- 
gnostisches  Kennzeichen  des  gastrischen  und  „synochalen“  Fiebers 
aufgeführt.  L  i  1 1  r  e,  Ros  tan  und  noch  1873  Bouchut  zählten 
diese  Flecke  zu  den  Petechien  und  erblickten  daher  in  ihnen  ein 
übles  Vorzeichen,  während  Trousseau  und  Gubler  sie  für  einen 
milden  Verlauf  des  Typhus  in  Anspruch  nahmen,  ebenso  Murch  is  on, 
der  in  seinem  berühmten  Werke  über  die  typhösen  Fieber  Englands 
hievon  eine  vom  Vortragenden  vorgewdesene  Abbildung  gibt. 

C  a  s  t  a  n  hielt  sie  für  Roseolen,  die  ihre  Farbe  verändert  haben. 
Selbst  Griesinger  und  Lieber  meiste  r  thun  ihrer  in  ihren 
Monographien  über  Abdominaltyphus  Erwähnung.  Erst  als  man  sie 
nicht  blos  neben  Pneumonie,  Angina  tonsillaris  (Delioux  de  Savignac, 
Grisolle)  und  Malaria  (J  a  c  c  o  u  d),  sondern  auch  bei  Gesunden  an¬ 
getroffen  hatte,  gelangte  man  dahin,  ihnen  jede  Specialität  abzusprechen. 
Anfangs  der  Siebziger-Jahre  haben  französische  Marineärzte,  die  Schüler 
von  F  a  1  o  t  in  Toulon  und  G  e  s  t  i  n  in  Brest  mit  M  o  u  r  s  o  u  an 
der  Spitze  den  Zusammenhang  mit  den  dabei  regelmässig  anwesenden 
Pediculis  erkannt.  Den  experimentellen  Nachweis  hat  1880  Duguet 
erbracht,  welcher  zum  Theile  in  Gemeinschaft  mit  Mailet  mittelst 
einer  Verreibung  von  Pediculis  Impfungen  anstellte  und  innerhalb 
24  Stunden  die  in  Rede  stehenden  stahlgrauen  Flecke  erzeugen  konnte. 
Das  Resultat  war  eben  sowohl  bei  Individuen  ohne  Phthirii,  wie  bei 
solchen  die  schon  früher  mit  Taches  bleues  behaftet  waren  ein  positives, 
dagegen  negativ  bei  jenen,  die  bis  dahin  zwar  Filzläuse  aber  keine 
Taches  bleues  zeigten;  es  gibt  daher  auch  eine  Immunität  gegen  diese 
Flecke. 

Inoculationen  mit  Pediculus  capitis,  P.  vestimentorum,  Pulex, 
Cimex,  Culex  pipiens  konnten  dies  Exanthem  nicht  hervorbringen. 


Nr.  7 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


173 


Bei  vielfachen  Versuchen  mit  gesonderter  Verimpfung  diverser 
Leibessegmente  der  Parasiten  gelangte  Duguet  auch  zui  Uebei- 
zeugung,  dass  die  Fähigkeit,  das  Exanthem  zu  erzeugen,  den  Speichel¬ 
drüsen  zukomme,  welche  sich  zu  zwei  Paaren,  bohnen-  und  hufeisen¬ 
förmig  im  oberen  Brusttheile  beim  zweiten  Fusspaare  befinden. 
Die  experimentelle  Erzeugung  der  Flecke  gelang  auch  an  der 
Stirnhaut,  nachdem  es  nicht  bekannt  ist,  ob  sie  auch  spon¬ 
tan  an  der  Gesichtshaut  Vorkommen,  was  bei  Phthiriasis  palpe¬ 
brarum  immerhin  möglich  wäre.  In  Deutschland  ist  das  Exanthem 
zuerst  von  Lewin  und  Lommer  (Le  win,  Behandlung  der 
Syphilis  mit  subcutaner  Sublimatinjection.  Berlin  1869,  pag.  142)  als 
Exanthema  coeruleum  beschrieben  worden,  doch  ohne  Kenntniss  der 
Aetiologie.  Lewin  faud  es  zunächst  bei  Syphilitischen  und  meint, 
dass  es  durch  eine  tief  in  der  Haut  liegende  venöse  Stauung  bewirkt 
sei  und  der  darüber  liegende  Panniculus  die  mattglänzende  Nuance 
der  blauen  Farbe  bedinge. 

Wodurch  die  eigenartig  blaue  Farbe  dieser  Flecke  entstehe,  ob 
ein  Farbstoff  in  die  Haut  abgelagert  werde,  ist  bis  heute  unbekannt 
und  auch  histologische  Untersuchungen,  die  ausser  von  Moursou 
und  Duguet  bereits  früher  von  Monneret  in  Angriff  genommen 
wurden,  hatten  keinerlei  Resultat.  Rille  hat  bisher  in  drei  Fällen 
erfolglos  mikroskopisch  untersucht  und  hofft  mittelst  1  ixation  in 
K  a  i  s  e  r  1  i  n  g'scher  Flüssigkeit  ein  Resultat  zu  erzielen. 

Prof.  Dimmer  demonstrirt  ein  Kind  mit  angeborenem 
Kolobom  des  linken  Oberlides. 

Dr.  Donati  demonstrirt  zwei  an  der  Frauenklinik  von 
Prof.  Ehrendorfer  durch  Operation  gewonnene  Präparate. 

Ein  aus  dem  oberen  Antheile  der  Cervicalsehleimhaut 
ausgegangenes  Car  ein  om  mit  Ueber  greifen  auf  das 
ganze 


K»u*o  Corpus  und  Collum  uteri;  die  Portio  war  intact, 
das  Orific.  extern,  geschlossen.  Der  Fall  bot  in  difierentialdiagnostischer 
Beziehung  ein  Interesse,  da  er  fast  ohne  klinische  Symptome  verlief. 
Es  wurde  die  abdominale  Totalexstirpation  ausgeführt;  der  Verlauf 
nach  der  Operation  war  ganz  glatt. 

Weiters  ein  Präparat  von  Haematocele  retro-uterina 
in  Folge  eines  Tuben-Abortus.  Die  linken  Adnexe  sammt  dem  orange¬ 
grossen  mit  der  hinteren  Uterus- Wand  fest  verwachsenen  Tumor 
wurden’  per  laparotomiam  entfernt  (Salpingo-oophorectomia  sinistra). 
Das  Ostium  abdominale  der  über  fingerdicken  Tube  ist  für  den  Zeige¬ 
finger  durchgängig.  (Der  Fall  erscheint  später  ausfühl  lieh.) 

Patientin  wurde  geheilt  entlassen. 

An  der  Discussion  betheiligt  sich  Prof.  P  o  m  m  e  r. 

Assistent  Dr.  Konzert  demonstrirt  von  Prof.  Rille’s  Klinik 
einen  72jährigen  Bauernknecht  mit  einem  fungösen  Carcinom 
an  der  Nase.  Nach  Angabe  des  Kranken  ist  der  Tumor  seit  einem 
halben  Jahre  gewachsen,  und  seit  14  Tagen  ulcerirt.  Die  Nasenspitze 
erscheint  von  einer  in  sie  eingelagerten,  plump  verdickenden,  rund¬ 
lichen  über  nussgrossen  Geschwulst  eingenommen,  die  im  Allgemeinen 
überall  deutlich  umgreifbar  ist,  und  mehr  nach  rechts  hin  eine  kronen¬ 
stückgrosse,  etwas  unebene,  braunroth  glänzende  Geschwursflache  be¬ 
sitzt,  deren  Ränder  flach,  wie  abgeschnitten  und  nur  stellenweise 
unterminirt  erscheinen.  Die  Geschwürsbasis  zeigt  keinerlei  Belag, 
secernirt  blutig-seröse  Flüssigkeit,  auch  fehlen  die  bekannten  comedo- 
ähnlichen  epitheloiden  Pfropfe.  Die  Tumormasse  fühlt  sich  im  All¬ 
gemeinen  ebenso  wie  ihr  Rand  elastisch,  mässig  derb  an  Die  Haut 
des  Nasenrückens  zeigt  überdies  einen  geringen  Grad  von  Acne  rosacea, 
vielfach  erweiterte  und  geschlängelte  Venen,  die  bis  an  den  Geschwurs- 
rand  heran  ziehen.  In  diagnostischer  Beziehung  konnte  man  von  vorne- 
herein  blos  an  eine  echte  Neubildung,  Sarkom  oder  Carcinom  denken 
dagegen  Gumma  wegen  der  derben  Geschwulstmasse  und  des  voll¬ 
ständig  reinen  Geschwürsgrundes  ohne  Weiteres  auszusehhessen  is  . 
Eher,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  das  Fehlen  von  Gancroidzapten 
wäre  an  Sarkom  oder  Sarkommetastase  zu  denken  gewesen ;  doch 
fehlen  hiefür  weitere  Anhaltspunkte,  und  gehören  isolirte  Sarkom¬ 
knoten  gewiss  nicht  zu  den  häufigen  Befunden.  Es  wurde  ein  kleiner  Keil 
aus  dem  Rande  der  Ulceration  excidirt  und  nach  kurzer  Hartung  in 
Formalin  mittelst  Gefriermikrotoms  geschnitten.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  liess  aber  wegen  der  Undeutlichkeit  der  Bilder  —  be¬ 
sonders  starke  Schrumpfung  des  zellreichen  Gewebes  durch  Formalin- 
wirkung  —  keine  sichere  Diagnose  stellen,  und  war  mit  grosstei 
Wahrscheinlichkeit  ein  jedenfalls  aus  der  Tiefe  der  Drüsen  ausgehendes 
Carcinom  (Adenocarcinom)  anzunehmen,  doch  sprechen  einzelne 
Bilder  entschieden  auch  für  die  D  i  a g  n  o  s  e  eines  pe  nvascu- 
lären  Sarkoms  (P  e  r  i  t  h  e  1  i  o  m).  Erst  an  der  Hand  vorsichtig 
fixirter  eingebetteter  Geschwulsttheile  wird  das  V  esen  des  Neoplasmas 
sich  vollständig  klar  stellen  lassen.  Von  grösster  Wichtigkeit  ist  aber 
das  Vorhandensein  von  zahlreichen  Verrucae  seniles  an  dei  L 
sichtsliant  des 
denen  eine  am  r 


derb  und  glänzend  ist.  Von  letzterer  wurde  ein  Stück  excidirt  und 
ero-ab  die  mikroskopische  Untersuchung  carcinomatöse  Umwandlung 
undeutlichster  Weise.  Nicht  selten  beginnt  das  Carcinom  von  solchen 
seborrhoischen  Warzen  aus,  doch  ist  dies  mehr  bei  dem  flachen 
Epithelialkrebs  der  Fall. 


Sitzung  vom  13.  December  1899. 

Vorsitzender:  Hofrath  V.  Vilitschgau. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Posselt. 

Regimentsarzt  Dr.  Ball  n  er  legt  die  Ergebnisse  einer  im  hy¬ 
gienischen  Institut  ausgeführten  Arbeit  über  eine  rasch  und  ohne  com- 
plicirte  Hilfsmittel  auszuführende  Methode  der  Mauerfeuch¬ 
tigkeitsbestimmung  vor.  Die  Ermittlung  des  Feuchtigkeits¬ 
gehaltes  gründet  sich  auf  die  Wägung  einer  bestimmten  Menge  Mörtel 
vor  und  nach  der  Entwässerung  im  Exsiccator  mit  Hilfe  von  Phosphor- 
pentoxyd.  (Erscheint  ausführlich  an  anderem  Orte.) 

In  der  Discussion  macht  Prof.  Lode  darauf  aufmeiksam,.  vie 
wichtig  es  ist,  gerade  bei  der  Feststellung  der  Mauerfeuchtigkeit 
die  subjectiven  Bestimmungen  durch  eine  objective,  leicht  anzufühi ende 
Methode  zu  ersetzen,  nur  müsse  in  den  Bauordnungen  ein  bestimmter 
Wassergehalt  des  Mörtels  als  Maximum  vorgeschrieben  werden.  Der 
Tiroler  Landes-Sanitätsrath  habe  für  die  ländliche  Bauordnung  in  liio 
2%  vorgeschlagen. 

Bezirksarzt  Dr.  Ganner  betont,  dass  die  bisherigen  Methoden 
zu  complicirt  waren,  um  in  der  Praxis  geübt  zu  werden;  er  erscheine 
ihm  daher  diese  neue  Methode  praktisch  von  grossem  Werth,  freilich 
nur,  wenn  einmal  der  erlaubte  Maximalwassergehalt  gesetzlich  fest¬ 
gestellt  wäre.  .  .  ..  D 

Prof.  Rille  demonstrirt  einen  29jähngen  Kranken  mit  1  ar- 

onychia  und  Onychia  syphilitica. 

Derselbe,  von  Beruf  Gastwirth,  ist  von  ungewöhnlich  grosser 
Statur  und  kräftiger  Constitution,  war  im  October  d.  J.  mit  der  Narbe 
eines  angeblich  im  Juli  aufgetretenen  Primäraffectes  und  den  pigmen- 
tirten  Resten  eines  kleinpapulösen  Syphilides  an  der  Klinik  in  Behand¬ 
lung  und  verlangte,  nachdem  er  erst  acht  Einreibungen  erhalten,  die 

Entlassung.  .  ,  _  x.  ,  ,.  , 

Sein  jetziges  schmerzhaftes  Leiden,  die  Nagelaffection,  datirt  ei 

seit  Mitte  November.  Am  Daumen  der  rechten  Hand  sind  Nagelfalz 
und  Nagelwall  in  weitem  Umkreise  stark  geschwellt,  livid  gerothet, 
abgehoben  und  zum  Theile  geschwürig  zerstört,  der  sehr  feste  und 
grosse  Nagel  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  von  der  Unterlage  los- 
'  gelöst,  theils  glänzend  schwarz,  theils  braungelb  verfärbt,  das  Nagel¬ 
bett  in  eine  drüsig  unebene,  mit  fötidem  Eiter  belegte  Geschwürsflache 
umgewandelt;  ähnliche  Veränderungen,  doch  in  etwas  geringerer  Inten¬ 
sität,  am  Mittelfinger  dieser  Seite  gleichwie  am  linken  Zeigefinger. 

Die  Cubitaldrüsen  sind  geschwellt  und  druckempfindlich.  An  den 

Zehennägeln  keine  Veränderung.  _  . 

Am  Stamme  und  den  Extremitäten  fiuden  sich  noch  pigmentirte 
Reste  des  seinerzeitigen  ersten  Exanthems,  frische  Eruptionen  einzelnei 
Rupiaefflorescenzen  an  der  Stirnhaargrenze,  der  Lumbalgegend  und  an 
der  Aussenfläche  des  rechten  Oberschenkels,  .  Alles  in  Allem  die  An¬ 
zeichen  eines  schwereren  Verlaufes  der  Syphilis,  für  welchen,  da  ein 
sonstiges  dyskrasisches  Leiden  nicht  vorliegt,  ausser  der  ungenügenden 
specifischen  Behandlung  während  der  recenten  Krankheitsperiode  wohl 

Alkoholismus  verantwortlich  zu  machen  ist.  . 

Die  Veränderung  der  Nagelsubstanz  ist  eine  Folge  des  entzünd¬ 
lichen  Processes  am  Nagelbette  analog  der  bei  anderen  Infiltrations¬ 
zuständen  an  dieser  Stelle,  wie  z.  B.  bei  Lupus  vulgaris,  der  bis  dicht 
an  den  Nagelwall  reicht,  Onychogryphosis  oder  bei  contiuuirlich  aut- 
schiessenden  Pemphigusblasen,  zumal  der  vegetirenden  und  exfohativen 
Formen,  Schmutzigfärbung  und  Deformitäten  der  Nägel  sich  aus¬ 
bilden.  .  ,  c  ,  ... 

Die  isolirte  Erkrankung  der  Nagelsubstanz  in  Folge  von  Syphilis, 

also  die  primäre  Onychie,  wird  von  Einzelnen  mit  Unrecht  geleugnet, 
wenngleich  der  Vortragende  ihre  Seltenheit  zugibt. 


Kranken,  vornehmlich  an  den  Augenlidern,  von 
echten  inneren  Augenwinkel  besonders  stark  erhaben, 


Greifswalder  medicinischer  Verein. 

Sitzung  am  G.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer :  Busse. 

1.  Herr  Uhlenhut:  Ueber  die  Verbreitung  der 
Leprabacillen  im  menschlichen  Körper  (Mit  Demon¬ 
strationen.)  Uhlenhut  hat  einen  im  Institut  für  Infeetiopskiank- 
heiten  behandelten  und  obducirten  Fall  von  Lepra  m.xta  klinisch  und 
anatomisch  genau  studirt.  Fast  in  allen  Organen  fanden  sich  Lepia- 
bacillen,  besonders  reichlich,  ja  fast  in  unglaublichen  Mengen  fand 


174 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  7 


er  sie  in  der  Ilaut,  den  Schleimhäuten  der  oberen  Luftwege,  zumal 
der  linken  obern  Muschel,  der  Zunge,  Tonsille,  Schleimhaut  des 
Mundes  und  des  Rachens,  in  der  Epiglottis  und  den  Stimmbändern. 
Unterhalb  des  zweiten  Trachealringes  war  die  Schleimhaut  frei  von 
Leprabacillen.  Sehr  zahlreich  lagen  sie  ferner  in  der  Milz,  im  Knochen¬ 
marke,  den  subcutanen  Lymphdrüsen,  im  Hoden,  der  Leber,  vereinzelt 
in  der  Lunge,  den  Bronchialdrüsen  und  der  Musculatur  des  Herzens 
und  Körpeis. 

Der  Darmtractus  enthielt  keine  Leprabacillen,  ebenso  die  Wan¬ 
dung  der  Harnblase,  die  Speichel-,  Talg-,  Schleim-  und  Schweissdrüsen 
und  das  Epithel  der  Haut.  Die  Bacillen  liegen  meistens  in  Zellen 
eingeschlossen,  gewöhnlich  zu  grossen  Massen  als  sogenannte  Lepra¬ 
schollen  in  den  von  Virchow  als  Leprazellen  bezeichneten  eigen¬ 
artigen,  durch  Vacuolenbildung  ausgezeichneten  Zellen.  Dort,  wo  die 
Bacillen  in  geringer  Menge  liegen,  machen  sie  gar  keine  Gewebs¬ 
veränderungen,  bei  massenhafter  Anhäufung  entsteht  eine  entzündliche 
Wucherung,  besonders  in  der  Umgebung  der  Gefässe.  In  den  peripheren 
Nerven  (N.  peroneus,  N.  ulnaris,  N.  saphenus)  zeigten  sich  weit¬ 
gehende  Degenerationen  und  Schwund  der  Nervenfasern,  in  dem  da¬ 
zwischen  liegenden  verdickten  interstitiellen  Gewebe  massenhafte 
Leprabacillen.  Der  N.  vagus  zeigt  bei  völligem  Mangel  von  Bacillen 
völligen  Schwund  der  nervösen  Tbeile,  ähnlich,  nur  nicht  so  stark, 
waren  die  Veränderungen  im  N.  sympathicus.  In  den  Spinal¬ 
ganglien  lagen  die  Bacillen  innerhalb  der  Ganglienzellen,  ebenso 
in  dem  Vorderhorn  des  Rückenmarkes.  Das  Gehirn  war  frei  von 
Leprabacillen,  ausgenommen  die  P  u  r  k  i  n  j  e’schen  Zellen  des  Klein¬ 
hirns.  Die  Se-  und  Excrete  waren  mit  Ausnahme  des  Nasensecretes 
und  Auswuchses  frei  von  Leprabacillen.  Hier  aber  waren  sie  in  un¬ 
geheuerer  Menge  vorhanden,  was  für  die  von  Koch  und  Sticker 
vertretene  Ansicht  spricht,  dass  die  Lepra  durch  das  Nasensecret 
übertragen  würde  und  die  Nasenschleimhaut  zuerst  befiele.  Die  Ver¬ 
breitung  erfolgt  nach  Uhlenhut  nicht  nur  durch  die  Lymphbalmen, 
sondern  auch  durch  die  Blutgefässe. 

(Demonstration  zahlreicher  mikroskopischer  Präparate  und  Zeich¬ 
nungen.) 

2.  Herr  Grawitz  demonstrirt  eine  Anzahl  von  mikroskopischen 
Schnitten  aus  den  Organen  Pestkranker,  die  Herr  Dr.  Henkel 
(Eppendorf)  übersandt  hat.  In  den  Bubonen,  Lungen,  in  der  Milz 
und  dem  Herzen  finden  sich  die  Bacillen  in  wirklich  enormer  Menge. 
G  r  a  w  i  t  z  erläutert  die  Präparate  durch  Mittheilung  der  pathologisch¬ 
anatomischen  Veränderungen,  die  sich  bei  Pestkranken  finden. 

3.  Herr  Martin  demonstrirt:  a )  einen  weiblichen  Epignathus, 
der  von  Herrn  Dr.  Borchert  (Stolp)  übersandt  worden  ist.  Die 
Frucht  wurde  mit  der  Zange  entwickelt.  Aus  dem  weitgeöffneten  Munde 
ragt  ein  grosser  Tumor  heraus,  an  dem  unten  ein  rudimentärer  Steiss, 
im  Inneren  grössere  Knochen  zu  constatiren  sind.  Das  Kind  hat  noch 
eine  Viertelstunde  geathmet.  Nach  dieser  Missbildung  wurde  noch  ein 
gut  ausgebildeter  Knabe  geboren. 

b)  Eine  Sactosalpinx  purulenta  tuberculosa,  deren  Entfernung 
ausserordentlich  schwierig  gewesen  ist.  Nach  M  a  r  t  i  n’s  Angabe  liegt 
hier  ein  Fall  von  primärer  Tuberculose  der  Tube  vor.  Der  Eiter  erwies 
sich  steril.  In  der  Wandung  der  Eitersäcke  fanden  sich  verkäste 
Stollen,  Riesenzellen  und  Tuberkelbacillen. 

c)  Ein  27  Pfund  schweres  Ovarialkystom,  welches  zusammen 
mit  den  stark  myomatös  erkrankten  Uterus  bei  einer  53jälnigen 
Patientin  entfernt  worden  ist.  Einige  derbe  Knoten  an  dem  grossen 
Tumor  erwiesen  sich  als  gutartige  Cystadenome  im  Gegensatz  zu 
einem  zum  Vergleich  vorgelegten  cystischen  Ovarialtumor  bei  einem 
16jährigen  Mädchen,  an  dem  krebsartige  Entartung  nachzuweisen  war. 

4.  Herr  Jung  demonstrirt  ein  makroskopisches  Präparat  und 
mikroskopische  Schnitte  von  Kraurosis  vulvae.  An  dem  vorliegenden  Falle 
findet  sich  eine  Complication  mit  Cancroid.  Alle  mikroskopischen  Prä 
parate  zeigen  das  Stadium  der  Atrophie;  man  sieht  darin  Sklerosirung 
des  Coriums,  Verstreichen  der  Papillen,  Verschmälerung  der  Horn-  und 
Epitheldecke,  sowie  völligen  Schwund  der  elastischen  Fasern.  Aetiologie 
dieses  Falles  wie  der  Kraurosis  überhaupt  dunkel.  Therapie  so  weit 
vorgeschrittener  Fälle  kann  nur  in  völliger  Exstirpation  der  gesammten 
erkrankten  Hautpartie  bestehen. 

5.  Herr  Le  ick  berichtet  über  einen  auf  der  inneren  Klinik 
zur  Beobachtung  gekommenen  Fall  von  primärer  Diphtherie  der  Vulva, 
verursacht  durch  Löffler’sche  Diphtheriebacillen. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 

Sitzung  -.’den  19.  September. 

Vorsitzender:  Rille  (Wien). 

III.  Matzen  au  er  (Wien):  Ueber  Impetigo  conta* 
giosa  circinata.  (Fortsetzung.) 

Besonderes  Interesse  bot  ein  Fall  von  Mutter  und  Kind,  wovon 
ich  naturgetreue  Gemälde  Ihnen  zu  demonstriren  mich  beehre. 

Bei  einer  36jährigen  Bäuerin  bestand  die  Affection  angeblich 
seit  über  einem  Monat,  ohne  ihr  irgendwelche  Beschwerden  zu  verur¬ 
sachen.  Auf  der  gesammten  Hautoberfläche  finden  sich  theils  zerstreut 
isolirte,  verschieden  grosse  Blasen,  theils  zu  landkartenartigen  Zeich¬ 
nungen  confluirte,  ring-  und  bogenförmig  angeordnete  bandförmige 
Krustenauflagerungen  von  strohgelber  Farbe,  die  an  ihrer  convexen 
Seite  entweder  von  einer  ununterbrochenen  Kette  confluirender  hanf- 
korn-,  linsen-  bis  kleinhaselnussgrosser  Blasen,  theils  von  einem  in 
grösserer  Ausdehnung  zusammenhängenden  Blasenwall  umsäumt  sind. 
Häufig  sind  die  randständigen  Blasen  geplatzt,  so  dass  denselben  ent¬ 
sprechende,  mosaikartig  aneinander  gereihte  nässende  Felder  den  Rand 
bilden.  Thaler-  und  flachhandgrosse,  guirlandenförmig  sich  begrenzende 
Plaques  in  der  Leistenbeuge  und  in  der  Axillarregion  und  von  letzterer 
auf  die  Beugeseite  der  Oberarme  übergreifend.  Dazwischen  eingestreut 
meist  etwa  erbsengrosse  Blasen ;  aber  auch  an  Gesicht  und  Händen 
finden  sich  Vesicopusteln,  wovon  die  kleinsten  etwa  grobstecknadel¬ 
kopfgrossen  schon  eine  weisslicbe,  sehr  zarte  Blasendecke  zeigen.  Wo 
in  der  Mitte  der  Kreisfiguren  die  Krusten  bereits  abgefallen  sind,  ist 
die  Haut  livid  verfärbt,  glatt.  Zuweilen  finden  sich  auch  auf  dieser 
frisch  emporgeschossene  Bläschen. 

Die  Frau,  welche  im  letzten  Monat  der  Gravidität  war,  wurde 
eines  kräftigen  Knaben  entbunden.  Bei  demselben  trat  vier  Tage  nach 
der  Geburt  ein  Blasenausschlag  auf,  der  anfangs  allgemein  für  Pem¬ 
phigus  neonatorum  gehalten  wurde,  der  aber  im  Verlauf  der  folgenden 
Woche  die  gleichen  cireinären  Formen  annahm,  wie  bei  der  Mutter. 
Die  Abbildung  von  dem  Kinde  wurde  15  Tage  nach  dessen  Geburt 
angefertigt. 

Unna  trennt  bekanntlich  die  „ungemein  viel  häufigere  Impetigo 
vulgaris  von  der  selteneren  Impetigo  circinata“.  Er  beschreibt  auch 
„eine  bestimmte  Art  von  Coccen,  die  sich  durch  ihre  rein  runde  Form 
von  den  Coccen  der  Impetigo  vulgaris  unterscheiden.“ 

Die  geringen  Form-  und  Grössenunterschiede  dieser  Coccen,  sowie 
die  kleinen  histologischen  Verschiedenheiten,  welche  Unna  in  Anbe¬ 
tracht  der  Seltenheit  der  Impetigo  circinata  nur  in  wenig  Fällen  ge¬ 
funden  zu  haben  glaubt,  können  wohl  gegenüber  dem  erdrückenden 
klinischen  Beweismaterial  nicht  ausreichend  sein,  der  cireinären  Impe¬ 
tigo  eine  Sonderstellung  einzuräumen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  16.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends, 

nnter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Regierungsrathes  Prof.  Mautimer 

stattfindendeD 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Primarius  Dr.  Hansy  :  Demonstration. 

2.  Prof.  Paltauf:  Demonstration. 

3.  Dr.  Robert  Offer:  Vorläufige  Mittheilung. 

4.  Discussion  über  den  Vortrag  des  Herrn  Docenten  Dr.  Herzfeld 
(Zur  Discussion  gemeldet  die  Herren  Doctoren  Tandler,  Sternberg, 
Knöpfelmacher,  Pauli  und  Singer.) 

5.  Docent  Dr.  Max  Herz:  Die  heilgymnastische  Behandlung  von 
Erkrankungen  des  Centralnervensystems. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Docent  Dr.  Kretz,  Professor 
A.  Politzer,  Prof.  Benedikt,  Prof.  Weinlecliner,  Dr.  J.  Thenen, 
Dr.  A.  Pilcz,  Hofrath  Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart 
und  Dr  A.  Jolles. 

Bergmeister.  Paltauf. 

Wiener  medicinisches  Doetoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  IS.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Uotbenthurmstrasse  21  23 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  P.  Mittler 
stattflndenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Dr.  Ferdin.  Kornfeld:  Zur  Pflege  der  Prostatakranker. 


Voran t wörtlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verla«-  von  Wilhelm  Brautnüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  7. 


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Münch.  Medic.  Woch.  1899,  Nr.  1.  Hofrath  Prof. 
Dr.  Fleiner:  »Ueber  Chloralbacid  und  seine 
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Münch.  Med.  Woch.  1899.  Nr. 12  :  Dr.  Heddaeus, 
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Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Güssen  Dauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redaction:  Vorlagsliandlung : 

Telephon  Nr.  3373.  Redigil't  VOX1  Dl'.  Ll OXclllllCr  Fl'tlCllkCl.  Telephon  Nr.  601/4. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang*.  Wien,  22.  Februar  1900.  Nr.  8. 


I1THALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  k.  k.  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik 
des  Herrn  Prof.  v.  Wagner  in  Wien.  Ueber  alimentäre  Glyko- 
surie.  Von  Dr.  Emil  Rai  mann,  Assistent  der  Klinik. 

2.  Aus  der  III.  medicinisehen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 
L.  Schrötter  R.  v.  Kr  ist  eil  i.  Eine  seltene  Form  von  Aneu¬ 
rysma  der  Aorta  thoracica  descendens.  Von  Dr.  M  a  x  i  m  i  1  i  a  n 
Weinberger  und  Dr.  Arthur  Weis  s,  Aspiranten  der 
Klinik. 

3.  Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Primarius  Dr.  Schopf  im 
k.  k.  Kaiserin  Elisabeth-Spitale  in  Wien.  Traumatisches  Aneurysma 


der  Arteria  braehialis  und  Durchtrennung  des  Nervus  medianus. 
Totalexstirpation  des  Aneurysmas.  Nervennaht.  Von  Dr.  Karl 
Sinnreic  h,  Abtheilungsassistenten. 

II.  Referate:  A.  K  o  e  1  li  k  e  r’s  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen. 

Von  Victor  v.  Ebner.  Ref.  H.  Rah  1. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Notizen. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressborichte. 


Aus  der  k.  k.  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des 
Herrn  Prof.  v.  Wagner  in  Wien. 

Ueber  alimentäre  Glykosurie. 

Von  Dr.  Emil  Raimailli,  Assistent  der  Klinik. 

I.  M  i  1 1  h  e  i  1  u.n  g. 

Von  alimentärer  Glykosurie  sprechen  wir  bekanntlich, 
wenn  nach  Einfuhr  nicht  allzu  grosser  Mengen  Traubenzuckers 
in  den  Organismus,  ein  Theil  des  Zuckers  unverändert  mit 
dem  Harne  wieder  ausgeschieden  wird.  Dieses  Symptom  führt 
nicht,  wie  man  vielleicht  glauben  könnte,  auf  eine  locale 
Störung,  etwa  der  Nierenthätigkeit  zurück,  sondern  gestattet 
uns  anzunehmen,  dass  die  Assimilationsfähigkeit  des  Körpers 
für  Dextrose  herabgesetzt  ist.  Der  normale  Organismus  hat 
nämlich  nach  übereinstimmenden  Zeugnissen  bis  zu  einem 
ausserordentlich  hohen  Grade  die  Fähigkeit,  eingeführten  und 
resorbirten  Zucker  sowohl,  als  auch  den  im  Körper  selbst  gebildeten 
anzugreifen,  umzuwandeln,  zu  verbrennen,  respective  zu  Fett 
zu  verdichten,  so  dass  also  Dextrose  nur  in  minimalen  Mengen 
(0  08% — 0‘09%)  im  Blute  kreist.  Die  Niere  ist  für  gewöhnlich 
nur  im  Stande,  diese  kleinen  Quantitäten  von  Zucker,  der 
nicht  umgewandelt  wurde,  annähernd  zurückzuhalten,  und  wir 
dürfen  aus  dem  Auftreten  von  Glykosurie  auf  eine  Hyper¬ 
glykämie  zu  Folge  unvollständiger  Verarbeitung  des  Zuckers 
im  Organismus  schliessen. 

Diese  Erscheinung  beschränkt  sieh  indessen  nicht  aut 
die  Dextrose  allein ;  die  Assimilationsfähigkeit  hat  auch  für 
die  sämmtlich  anderen  Kohlehydrate  ihre  Grenzen.  Wie  es 
eine  alimentäre  Glykosurie  gibt,  so  werden  auch  die  chemischen 
Verwandten  des  Traubenzuckers,  wenn  man  sie  in  entsprechend 
grosser  Dosis  dem  Organismus  einverleiht,  zum  Theile  wieder 
durch  die  Nieren  eliminirt.  Seit  der  Beobachtung  eines  hieher- 
gehörigen  Phänomens  durch  Sau  vage  im  Jahre  1763  hat 


sich  eine  grosse  Anzahl  von  Forschern  um  die  Lösung  der 
mannigfachen  hier  in  Betracht  kommenden  f  ragen  bemüht, 
und  namentlich  die  letzten  zehn  Jahre  haben  eine  wahre 
Hochfluth  von  Arbeiten  über  die  Störungen  im  Stoffwechsel 
der  Kohlehydrate  gebracht.  Man  bat  die  verschiedensten  natür¬ 
lichen,  sowie  künstlich  dargestellten  Zuckerarten  aut  ihr  A  er¬ 
halten  im  Organismus  geprüft;  man  hat  erfahren,  dass  alle 
einfachen  Zucker  bei  genügend  grosser  Einfuhr,  im  Harne  als 
solche  wieder  erscheinen,  dass  es  demnach  neben  der  alt¬ 
bekannten  Glykosurie  eine  Lävulosurie  (nach  Darreichung  von 
Lävulose),  eine  Galaktosurie  (nach  Einfuhr  von  Galaktose), 
dass  es  eine  Pentosurie  (Ausscheidung  von  Pentosen,  das 
sind  Zuckerarten  mit  nur  fünf  Kohlenstoffatomen  im  Moleciil) 
gibt.  Man  konnte  endlich  nachweisen,  dass  Disaccharide  (zu¬ 
sammengesetzte  Zuckerarten)  wie  der  Rohrzucker,  die  Maltose, 
der  Milchzucker  im  Organismus  zum  grössten  Theile  gespalten 
und  nach  Darreichung  entsprechend  grosser  Dosen  in  ihren 
Componenten  ausgeschieden  werden,  wenn  man  auch  das  A  oi- 
kommen  einer  Saccharosurie,  einer  Maltosurie,  einer  Lactosurio 
behauptet  hat.  Polysaccharide,  wie  z.  B.  Stärke,  bedürfen 
keiner  gesonderten  Besprechung,  da  sie  ja  innerhalb  des  Körpers 
in  einfache  Zuckerarten  umgewandelt  werden.  Von  allen  diesen 
Störungen  in  der  Verarbeitung  der  Kohlehydrate  ist  wohl  nur 
die  Glykosurie  von  hervorragend  praktischer  W  ichtigkeit,  da 
Traubenzucker  durch  Umsetzung  von  gewöhnlichen  Nahrungs¬ 
mitteln  entsteht  und  schon  im  normalen  Stoffwechsel  eine  Rolle 
spielt;  die  Glykosurie  ist  auch  wegen  der  nahen  Beziehungen 
zum  Diabetes  theoretisch  am  interessantesten,  überdies  am 
genauesten  studirt.  Ohne  mich  darauf  einzulassen,  dass  weit¬ 
gehende  Analogien  zwischen  der  heute  zu  erörternden  Störung 
und  ihren  Verwandten  aufznffnden  sind,  will  ich  mich  im 
Folgenden  nur  auf  die  Glykosurie  beschränken. 

.Auch  hier  liegt  indessen  eine  Vielheit  von  Formen  voi, 
die  wohl  nur  graduell  von  einander  unterschieden,  am  besten 
in  folgender  Reihe  zusammengestellt  werden  können. 


176 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  8 


Wir  wissen  noch  nicht  zu  lange,  dass  schon  der  normale 
Mensch  ausnahmslos  in  jeder  Harnportion  Traubenzucker  aus¬ 
scheidet,  wenn  auch  in  minimaler  Menge,  dass  es  also  eine 
physiologische  Glykosurie  gibt.  Diese  Dextroseaus¬ 
scheidung  kann  immer  noch  im  Rahmen  des  Physiologischen 
zu  Werthen  gesteigert  werden,  die  man  nicht  mehr  vernach¬ 
lässigen  darf,  da  sie  bereits  mit  den  empfindlicheren  Zucker¬ 
proben  nachweisbar  sind.  Nachdem  diese  physiologische  Gly¬ 
kosurie  lange  geleugnet  worden,  kamen  allmälig  an  Zahl 
zunehmende  Belege  für  dieselbe,  und  heute  ist  die  Thatsache 
ihres  Bestehens  durch  vollkommen  exacte  Untersuchungen 
sichergestellt.  Näheres  darüber  später.  Ganz  langsam  und 
unmerklich  findet  nun  ein  Uebergang  zum  Pathologischen  statt, 
indem  die  Fähigkeit  des  Organismus,  Dextrose  zu  assimiliren, 
abnimmt.  Während  der  normale  Mensch  nach  ziemlich  über¬ 
einstimmenden  Beobachtungen  200 g  und  mehr  mit  der  Nahrung 
eingeführten  Traubenzucker  zu  verarbeiten  vermag,  gelangt 
unter  Verhältnissen,  die  wir  später  noch  kennen  lernen  werden, 
oft  schon  nach  Aufnahme  wesentlich  kleinerer  Zuckermengen 
ein  Theil  unverbrannt  mit  dem  Harne  zur  Ausscheidung:  das 
ist  die  alimentäre  Glykosurie.  Denken  wir  uns  die 
Fähigkeit  des  Organismus,  Zucker  zu  assimiliren,  noch  weiter 
herabgesetzt,  so  dass  selbst  jener  Zucker  nicht  mehr  auf¬ 
gearbeitet  werden  kann,  der  bei  reichlicher  Stärkezufuhr  von 
aussen  im  Verdauungscanale  entsteht,  so  haben  wir  die  G  1  y  k  o- 
s  ur  i  e  ex  a  m  y  1  a  c  e  i  s,  mit  deren  Studium  man  sich  erst 
in  der  allerletzten  Zeit  eingehend  beschäftigt,  nachdem  sie 
früher  nur  als  diabetische  StofFwechselstörung  gekannt  war. 
Sie  tritt  aber  auch  unter  anderen  Verhältnissen  auf  und  kann 
überhaupt  nur  graduell  von  der  alimentären  Glykosurie  e 
saccharo  unterschieden  werden.  In  weiterer  Verfolgung 
der  begonnenen  Reihe  kämen  jetzt  Fälle,  wo  schon  die  ge¬ 
wöhnliche  Ernährung  mit  gemischter  Kost  genügt,  um  Zucker¬ 
ausscheidung  durch  die  Nieren  hervorzurufen:  spontane 
oder  Glykosurie  e  nutrimentis.  Dieselbe  kann  nur  zeitweise 
auftreten,  flüchtig  vorübergehen  als  transitorische  Glyko¬ 
surie  ;  sie  kann  intermittirend,  selbst  dauernd  sein. 
Schliesslich  vermag  auch  die  völlige  Entziehung  der  Kohle¬ 
hydrate  nicht  mehr  die  Zuckerausscheidung  hintanzuhalten: 
das  ist  die  Glykosurie  bei  den  schweren  Formen  des 
Diabetes.  Ohne  mich  auf  die  strittige  Frage  hier  ein¬ 
zulassen,  in  welch’  nahen  oder  ferneren  Beziehungen  die 
Glykosurie  zum  Diabetes  steht  —  die  Glykosurie  ist  wohl 
nur  ein  Symptom  des  Diabetes  —  glaube  ich  wiederholen  zu 
müssen,  dass  in  den  eben  aufgezählten  Formen  von  Störung 
der  Zuckerökonomie  des  Körpers  eine  continuirlich  geschlossene 
Reihe  vorliegt.  Wir  finden  das  Ende  dieser  Reihe  nur  beim 
Diabetes;  es  vermag  auch  Niemand  anzugeben,  wo  die  Grenze 
zwischen  diabetischer  und  nicht-diabetischer  Glykosurie  liegt; 
bezüglich  der  Auffassung  des  Diabetes  als  eines  klinischen 
Begriffes,  einer  Stoffwechselerkrankung  mit  bestimmtem  Ver¬ 
lauf  soll  jedoch  durch  unsere  Heranziehung  der  diabetischen 
Glykosurie  nichts  präjudicirt  werden.  Ich  musste  auf  diesen 
Punkt  eingehen,  da  viele  Arbeiten,  welche  sich  mit  den 
Störungen  des  Kohlehydratstoffwechsels  bei  Krankheiten  be¬ 
schäftigen,  manchmal  nur  eine  einzige,  bald  aber  mehrere 
dieser  Formen  von  Glykosurie  durcheinander  berücksichtigen, 
ohne  sich  immer  gerade  bestimmt  über  die  gegenseitige 
Stellung  der  verschiedenen  Glykosurien  zu  äussern.  Da  es 
darauf  ankommt,  ein  möglichst  grosses  Erfahrungsmaterial  zu 
sammeln,  bevor  man  allgemeine  Schlüsse  ziehen  darf  über  die 
Beziehungen,  welche  zwischen  Glykosurie  und  der  Disposition 
dazu  einerseits,  gewissen  Krankheiten  und  Krankheits¬ 
dispositionen  andererseits  bestehen,  so  ist  es  unumgänglich 
nothwendig,  über  das  Verhältniss  der  alimentären  zu  den  übrigen 
Formen  von  Glykosurie  ins  Reine  zu  kommen,  um  für  die 
Statistik  jede  Art  von  Zuckerausscheidung  heranziehen  zu 
können,  nicht  nur  die  ausschliesslich  dem  Experimente  zu¬ 
gängliche  alimentäre  Glykosurie,  die  aus  äusseren  Gründen 
immer  nur  an  einer  relativ  beschränkten  Anzahl  von  Fällen 
studirt  werden  wird. 

Eine  freilich  ganz  eigene  Form,  als  »nervöse  Glykosurie« 
(Kraus  und  H.  Lud  w  i  g  *)  bezeichnet,  würde  sich  dem 


obigen  Rahmen  nicht  recht  einfügen.  Es  soll  sich  hier  um 
Patienten  handeln,  die  spontan  Zucker  in  deutlich  nachweis¬ 
barer  Menge  ausscheiden,  ohne  dass  die  Ausscheidungsgrösse 
durch  Zufuhr  von  Dextrose  per  os  gesteigert  werden  könnte. 
Ich  finde  in  der  citirten  Arbeit  eine  kurze  Mittheilung  über 
drei  Fälle,  die  zeitweise,  durchaus  nicht  immer,  mit  empfind¬ 
lichen  Reactionen  (N  y  1  a  n  d  e  r’sche,  Phenylglykosazonprobe) 
Zucker  im  Harn  erkennen  Hessen,  wo  aber  nach  Einfuhr  von 
100  g  Dextrose  keine  Steigerung  dieser  Zuckerausscheidung  auf¬ 
trat.  Da  der  Organismus  dieser  drei  Patienten  den  eingenommenen 
Kohlehydraten  gegenüber  sich  verhielt,  wie  ein  gesunder,  so 
müsste  man  diese  nervöse  Glykosurie  unter  die  physiologische 
einreihen  und  annehmen,  dass  es  Individuen  gibt,  deren  phy¬ 
siologische  Zuckerausscheidung  trotz  normaler  Assimilations¬ 
fähigkeit  sich  zu  etwas  höheren  Werthen  erhebt,  vielleicht  in 
Folge  grösserer  Durchlässigkeit  der  Nieren  für  den  Blut¬ 
zucker.  Da  keine  quantitativen  Bestimmungen  vorzuliegen 
scheinen,  ist  übrigens  diese  Annahme  nicht  einmal  nöthig.  Ich 
erlaube  mir,  auf  die  an  späterer  Stelle  erfolgenden  Aus¬ 
führungen  über  physiologische  Glykosurie  zu  verweisen. 

Indem  wir  also  die  verschiedenen  Glykosurien  nur  gra¬ 
duell  unterschieden,  als  den  Ausdruck  eines  und  desselben 
Processes  auffassen,  wollen  wir  nun  ein  Glied  aus  der  Kette 
berausheben  und  an  die  nähere  Untersuchung  der  einen  spe- 
ciellen  Form,  der  alimentären  Glykosurie  gehen,  wobei  sich, 
der  Natur  der  Sache  nach,  Berührungen  mit  den  verwandten 
Störungen  nicht  vermeiden  lassen  werden.  Es  sei  mir  gestattet, 
zunächst  die  Lehre  von  der  alimentären  Glykosurie  aus  einem 
theoretisch-kritischen  Standpunkte  zu  betrachten,  und  zwar 
deshalb,  weil  die  Grundlagen,  auf  denen  diese  Lehre  ruht,  im 
Laufe  der  letzten  Jahre  eine  Verschiebung  erfahren  haben, 
ohne  dass  meines  Wissens  bisher  die  Consequenzen  gezogen 
worden  wären.  Wir  glauben,  dass  es  auch  möglich  sein  wird, 
der  alimentären  Glykosurie  einen  Gesichtspunkt  abzugewinnen, 
der  in  allen  vorliegenden  Arbeiten  entweder  gänzlich  unbe¬ 
rücksichtigt  bleibt,  oder  doch  nur  nebenher  Erwähnung  findet: 
ein  Gesichtspunkt,  der  vielleicht  zu  einer  gedeihlicheren  Vei;- 
werthung  der  bisher  nicht  sonderlich  befriedigenden  Resultate 
führen  mag,  und  den  wir  darum  als  Grundlage  für  weitere 
Forschungen  der  allgemeinen  Berücksichtigung  empfehlen 
möchten. 

Die  für  unser  Thema  grundlegenden  Arbeiten  von 
W  o  r  m  -M  ü  1 1  e  r  2)  und  Hofmeister3)  erschienen  zu  einer 
Zeit,  wo  über  das  Vorkommen  von  Kohlehydraten  im  Harn 
controverse  Vorstellungen  herrschten,  da  man  unsere  heutigen 
exacten  Methoden  zum  Nachweise  dieser  Körper  noch  nicht 
kannte.  Damals  hat  Hofmeister  ein  Gesetz  aufgestellt,  das 
ziemlich  allgemein  Anerkennung  fand;  er  führte  einen  Begriff 
ein,  den  wir  vorhin  eigentlich  schon  antecipirt  haben  und  mit 
dem  wir  uns  nun  eingehend  beschäftigen  wollen.  Hofmeister 
behauptete  nämlich  auf  Grund  seiner  Experimente,  dass  die 
Grösse,  bis  zu  welcher  die  Zufuhr  von  Zucker  gesteigert 
werden  müsse,  damit  Uebertritt  desselben  in  den  Harn  erfolge, 
für  ein  Individuum  und  eine  Zuckerart  immer  annähernd 
dieselbe  sei.  Diese  Grösse  nannte  er  die  Assimilationsgrenze. 
Geben  wir  also  einem  beliebigen  kranken  oder  gesunden 
Menschen  in  entsprechenden  Intervallen  langsam  steigende 
Dosen  irgend  einer  Zuckerart,  so  sollte  der  Harn  dieses  Indi¬ 
viduums  völlig  zuckerfrei  bleiben,  bis  die  Assimilationsgrenze 
erreicht  ist.  Lassen  wir  noch  grössere  Zuckerdosen  nehmen, 
so  werden  steigende  Mengen  dieses  Zuckers  unverbrannt  aus¬ 
geschieden.  Indessen  stellt  das  jeweils  der  Verarbeitung  ent¬ 
gehende  Zuckerquantum  immer  nur  einen  kleinen  Bruchtheil 
der  über  die  Assimilationsgrenze  hinaus  eingeführten  Menge  dar. 

Ich  will  nicht  verschweigen,  dass  zwei  französische  Au¬ 
toren  (Linossier  et  Rocque4)  dem  eben  entwickelten  Be¬ 
griffe  der  Assimilationsgrenze  seine  Bedeutung  absprechen  und 
behaupten,  dass  von  der  eingeführten  Zuckermenge,  mag  sie 
klein  oder  gross  sein,  stets  ein  bestimmter  Bruchtheil  derselben 
Zuckerart  bei  demselben  Individuum  zur  Ausscheidung  ge¬ 
langt.  Sie  stellen  demzufolge  einen  anderen  Begriff,  den  des 
Ausnützungs-Coefficienten  (coefficient  d’utilisation)  auf.  Auch  in 
den  sonstigen  Schlussfolgerungen  besteht  ein  anscheinend  un- 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


177 


versöhnlicher  Gegensatz  zwischen  Linos  si  er  und  Rocque 
einerseits,  den  deutschen  Autoren  andererseits.  Wir  werden 
im  Folgenden  Thatsachen  kennen  lernen,  die  diesen  Gegensatz 
etwas  zu  vermindern  geeignet  erscheinen.  Nichtsdestoweniger 
ist  nach  allen  vorliegenden  fremden,  sowie  einer  Anzahl  eigener 
Erfahrungen  mit  dem  Linossier-Rocqu e’schen  Coeffici- 
enten  in  der  Klinik  wenig  anzufangen,  während  die  Assimi¬ 
lationsgrenze  Hofmeister’s  von  hervorragend  praktischer 
Bedeutung  sein  kann,  wie  ich  das  später  darlegen  werde.  Wir 
wollen  darum  auch  das  H  o  f  m  e  i  s  t  e  r’sche  Gesetz,  das  sonst 
von  allen  Autoren  anerkannt  wird,  unseren  weiteren  Betrach¬ 
tungen  zu  Grunde  legen  und  uns  bemühen,  die  Definition  der 
Assimilationsgrenze  den  jetzt  geänderten  Verhältnissen  anzu¬ 
passen.  Wir  müssen  zugestehen,  dass  dieser  Begriff  einen  ab¬ 
soluten  Werth  nur  hätte  unter  zwei  Voraussetzungen:  Erstens, 
wenn  der  normale  Harn  völlig  zuckerfrei  wäre,  und  zweitens, 
wenn  wir  eine  scharfe  Reaction  kennen  würden,  die  schon  die 
kleinsten  Spuren  von  Dextrose  unzweifelhaft  anzeigt.  Und 
schon  die  erste  Grundbedingung  ist,  wie  aus  den  neueren 
Untersuchungen  erhellt,  nicht  ganz  zutreffend. 

F.  Moritz5)  liefert  als  Erster  den  unanfechtbaren  Be¬ 
weis  für  die  Anwesenheit  von  Traubenzucker  im  normalen 
Harn,  indem  dieser  Autor  aus  Urinen,  welche  mit  der  empfind¬ 
lichen  N  y  1  a  n  d  e  Eschen  Probe  ein  negatives  Resultat  gaben, 
das  der  Dextrose  entsprechende  Phenylglykosazon  darstellte 
und  identificirte.  Noch  überzeugender  sind  die  Untersuchungen 
von  Baisch6),  der  durch  Benzoylirung  und  nachherige  Ver¬ 
seifung  des  Esters  mit  Natriumäthylat  in  jedem  einzelnen 
Harne  das  Vorhandensein  von  Traubenzucker  mit  allen  seinen 
Reactionen  nachwies.  Während  man  nun  aber  diesen  Dextrose¬ 
gehalt  des  normalen  Urins  vernachlässigen  wollte  und  noch 
vielfach  meint,  dass  die  im  normalen  Harn  vorkommenden 
Spuren  von  Zucker  so  gering  seien,  dass  sie  keines  der  ge¬ 
bräuchlichen  Reagentien  auch  nur  entfernt  anzeige,  so  darf 
dieser  Ueberzeugung  nach  den  neuesten  Erfahrungen  schon 
widersprochen  werden.  Es  gibt  unzweifelhaft  normale  Harne, 
in  denen  die  N  y  1  a  n  d  e  r’sche,  sehr  viele,  in  denen  die  Phenyl- 
glykosazonprobe  positiv  ausfällt. 

Wirklich  bedeutungslos  wäre  dieser  Zuckergehalt  des 
normalen  Harns  für  die  Praxis,  wie  für  unser  specielles 
Problem  dann,  wenn  er  wenigstens  für  das  Individuum  einen 
völlig  constanten  Werth  hätte.  Es  fände  gewissermassen  nur 
eine  kleine  Verschiebung  des  Nullpunktes  statt:  Glykosurie 
würde  dann  beginnen,  wenn  jene  Constante  eben  überschritten 
wird,  und  das  Problem  stünde  sehr  einfach.  Leider  ist  auch 
das  nun  nicht  der  Fall.  In  einer  erst  kürzlich  erschienenen 
Arbeit  hat  L.  Breul7)  mit  Hilfe  des  neuen  Verfahrens  von 
Laves  quantitative  Bestimmungen  dieser  physiologischen 
Glykosurie  angestellt  und  dabei  gefunden,  dass  die  Grösse  der 
24 ständigen  Zuckerausscheidung  zwischen  0'3 6g  und  1*95 ^ 
schwanken  kann ;  dass  der  Höchstgehalt  des  Harns  an  Dex¬ 
trose  einmal  0-203%  betrug,  der  Mindestgehalt  0-02%.  Die 
Zuckerausscheidung  stieg  bei  den  Versuchen  Breul’s  nach 
den  Mahlzeiten,  auch  wenn  dieselben  keine  Kohlehydrate  ent¬ 
hielten,  bis  zu  Werthen,  die  mit  den  weniger  emfindlichen 
Reactionen  nachweisbar  waren.  Die  grössten  Dextrosemengen 
erschienen,  wenn  nach  längerer  Carenz  eine  an  Amylaceen 
sehr  reiche  Mahlzeit  eingenommen  wurde.  Das  wäre  somit 
eine  physiologische  Glykosurie  e  nutrimentis,  respective  ex 
amylaceis.  Dass  es  sich  bei  den  Versuchen  dieses  Autors  um 
keinen  latenten  Diabetes  handeln  konnte,  erscheint  insofern 
bewiesen,  als  auch  nach  Einfuhr  von  200  g  Dextrose  keine 
Glykosurie  auftrat,  die  über  die  engsten  Grenzen  hinaus¬ 
gegangen  wäre.  Weiters  haben  die  Untersuchungen  von 
Breul  das  bemerkenswerthe  Resultat  ergeben,  dass  die  Ver¬ 
brennung  des  in  so  grosser  Menge  eingeführten  Traubenzuckers 
bis  auf  den  kleinsten  Rest  (0'02%  Zucker  im  ausgeschiedenen 
Harn)  dann  stattfand,  wenn  Muskelarbeit  geleistet  wurde; 
dass  hingegen  an  einem  Versuchstage,  wo  man  Bettruhe  ein¬ 
hielt,  der  Zuckergehalt  des  Harnes  bis  auf  0‘48%  stieg. 
Sollte  dieses  eine  Experiment  noch  anderweitig  bestätigt 
werden  —  es  sprechen  ja  schon  manche  Erfahrungen  sehr  für 
die  Richtigkeit  —  dann  hätte  das  nicht  nur  eine  Bedeutung 


für  alle  unsere  Versuche  und  Beobachtungen  über  alimentäre 
Glykosurie,  sondern  eine  noch  viel  grössere  für  die  thera¬ 
peutische  Praxis.  Sicher  bleibt,  dass  bei  Gesunden  die  Ein¬ 
fuhr  von  Dextrose  kaum  eine  Steigerung  der  kleinen,  an  der 
Grenze  der  Nachweisbarkeit  stehenden  Harnzuckermenge  im 
Gefolge  hat,  so  lange  nicht  ausserordentlich  grosse  Quantitäten 
Traubenzucker  zur  Anwendung  kommen.  Immerhin  muss  sich 
das  Hof  meiste  r’sche  Gesetz  die  Einschränkung  gefallen 
lassen,  dass  die  alimentäre  Glykosurie  nicht  von  Null,  sondern 
von  einer  jeweils  verschiedenen  kleinen  Grösse  beginnt. 

Als  zweite  Bedingung  für  die  absolute  Werthung  des 
Hofmeiste  r’schen  Gesetzes  in  der  klinischen  Forschung 
haben  wir  oben  das  Vorhandensein  empfindlicher  Proben  aut 
Zucker  verlangt.  Mit  solchen  Reactionen  sind  wir  nun  ver¬ 
sehen.  Im  Hinblick  auf  die  eben  erwähnte  physiologische 
Glykosurie  erscheint  diese  Forderung  indess  überflüssig;  ja 
man  wäre  versucht  zu  bedauern,  dass  einzelne  der  Proben 
gar  zu  empfindlich  sind,  weil  sie  manchmal  schon  in  normalen 
Harnen  positiv  ausfallen  und  uns  die  Grenzbestimmung  der 
physiologischen  Glykosurie  gegen  eine  pathologische  erschweren. 
Wenn  es  auch  hier  eine  wirkliche  Grenze  nicht  gibt,  wenn 
die  Glykosurie  alle  Werthe  von  0'02%  bis  zu  den  höchsten 
bei  einem  schweren  Diabetes  je  beobachteten  Zahlen  (über 
10%)  durchlaufen  kann,  so  ist  es  doch  ein  Gebot  der  Praxis, 
hier  eine  Grenze  zu  ziehen.  Wollen  wir  überhaupt  eine 
pathologische  Glykosurie  constatiren,  wollen  wir  diese  sogar 
messen,  so  müssen  wir  uns  nothwendig  über  den  Nullpunkt 
verständigen,  von  dem  die  Zählung  oder  Messung  ausgehen 
soll,  weiterhin  dann  über  die  Masseinheit.  Da  unser  Ausgangs¬ 
punkt  mit  dem  wirklichen  Nullpunkte  nicht  zusammentrifft, 
jener  also  verlegt  werden  muss,  so  steht  es  uns  frei,  denselben 
so  weit  zu  verschieben  als  praktische  Beweggründe  es  fordern. 
Wir  nehmen  also  die  einfachste,  in  der  Klinik  gebräuchliche, 
nicht  zu  empfindliche  Reaction  und  sprechen  dann  von  Gly¬ 
kosurie,  wenn  unsere  Reaction  unzweifelhaft  positiv  ausfällt. 
Der  Einwand,  dass  dies  willkürlich  angenommen  und  darum 
unstatthaft  sei,  ist  nicht  stichhältig ;  denn  im  Grunde  ist  jede 
Art  der  Messung  ausschliesslich  Sache  der  Uebereinkunft,  und 
es  gibt  z.  B.  nichts  Willkürlicheres,  als  die  Art  unserer  Tem¬ 
peraturmessung,  mit  der  sich  weitgehende  Analogien  entwickeln 
Hessen.  Aus  rein  praktischen  Beweggründen  hat  sich  eine 
Mehrzahl  geeinigt,  den  Gefrierpunkt  des  Wassers  zum  Null¬ 
punkt  zu  machen ;  völlig  willkürlich  ist  aber  die  Statuirung 
der  Masseinheit,  des  Grades.  Womöglich  noch  willkürlicher 
wurde  die  Grösse  unseres  Meters  festgelegt,  auf  dem  doch  das 
ganze  Mass-  und  Gewichtssystem  ruht.  Ist  es  schon  eine  freie 
Annahme,  gerade  den  zehnmillionten  Theil  des  Meridian¬ 
quadranten  der  Pariser  Sternwarte  als  Masseinheit  zu  wählen, 
so  ist  es  nun  eine  exact  nachgewiesene  Thatsache,  dass  unser 
Meter  dieser  Grösse  nicht  einmal  entspricht,  ja,  dass  man  ihn 
gar  nicht  anders  definiren  kann,  als  die  Länge  eines  in  Paris 
auf  bewahrten  »Normalmeters«.  Es  handelt  sich  immer  und 
überall  nur  darum,  dass  man  sich  über  die  Art  der  Messung 
einigt,  sowie  über  den  Ausgangspunkt  derselben,  und  hiezu  ist  es 
nothwendig,  dass  die  Art  der  Messung  praktische  Vortheile  bietet. 

Wenn  wir  nun  vorschlagen,  den  Nullpunkt  dort  fest¬ 
zusetzen,  wo  die  Zuckerausscheidung  gross  genug  ist,  um  be¬ 
reits  eine  unzweifelhafte  Reaction  zu  geben,  so  hat  das  erstens 
den  Vortheil,  dass  die  Prüfung  auf  spontane  Glykosurie  eine 
feste  Basis  erhält.  Davon  ganz  abgesehen,  dass  hin  und  wieder 
eine  unserer  Zuckerproben  positiv  ausfällt,  ohne  dass  wirklich 
Dextrose  vorhanden  ist,  so  wird  ein  Untersucher  umso  eher 
Glykosurie  finden,  je  empfindlicher  die  Zuckerprobe  ist,  mit 
der  er  prüft;  je  eher  er  die  Reaction  als  vorhanden  ansieht. 
In  diesem  Sinne  könnte  man  beinahe  den  paradox  klingenden 
Ausspruch  wagen  :  Je  exacter  im  chemischen  Sinne  ein  Autoi 
gearbeitet  hat,  je  feinere  Zuckerproben  er  zur  Anwendung 
zog,  umso  ungenauer,  unmassgeblicher  werden  die  an  Zahl 
zunehmenden  positiven  Befunde,  da  ja  auch  normale^  Harne 
oft  einen  nachweisbaren,  daher  diagnostisch  werthlosen  Zuckei- 
gehalt  zeigen  können.  Zweitens  ist  diese  h  estsetzung  des 
Nullpunktes  nothwendig  für  die  Prüfung  aut  alimentäie 
Glykosurie.  Es  beginnt  auch  diese  nothwendige  Forderung 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


wenigstens  praktisch  sieh  schon  Anerkennung  zu  ver¬ 
schaffen.  Wir  finden  bei  vielen  Autoren  den  Vermerk : 
Positive  Befunde  wurden  nur  erhoben,  wenn  diese  oder 
jene  Probe  »deutlich«  oder  »unzweifelhaft«  positiv  ausfiel; 
zu  einer  Einigung  über  die  Probe  oder  über  diesen  gewissen 
Moment  ist  man  allerdings  noch  nicht  vorgeschritten. 
Je  mehr  man  Zuckerreaetionen  anstellt,  die  doch  zumeist 
Reductionsproben  sind,  umso  ffiessendere  Uebergänge  findet 
man  von  der  ersten,  kaum  wahrnehmbaren,  leisesten  Verän¬ 
derung  —  und  es  gibt  keinen  Harn,  der  nicht  wenigstens 
spurweise  reducircn  würde  —  bis  zur  vollausgeprägten  Reduc¬ 
tion.  Während  es  unmöglich  wäre,  auch  bei  durchaus  gleich- 
mässigem,  beinahe  quantitativem  Vorgehen  eine  bestimmte 
Nuance  herauszugreifen,  ist  die  typische  ganz  ausgesprochene 
Zuckerreaction  sicher  festzuhalten.  Ich  werde  am  Schlüsse 
dieser  Mittheilung  bei  Gelegenheit  der  Beschreibung  unseres 
Vorgehens  diesen  Moment  genau  darstellen.  Die  überein¬ 
stimmenden  Mittheilungen  der  Literatur,  sowie  eigene  Befunde 
gestatten  eine  Festlegung  dieses  Nullpunktes;  er  ent¬ 
spricht  ungefähr  einem  Zuckergehalte  des  Harns  von  0'2°/0. 
Das  hat  den  weiteren  wesentlichen  Vortheil,  dass  von  dieser 
Grösse  an  die  Dextrose  sich  bereits  ganz  unzweifelhaft  durch 
die  Gährungsprobe,  sowie  polarimetrisch  bestimmen  lässt,  dass 
man  von  dieser  Grösse  an,  mit  einfachen  in  der  Klinik  an¬ 
wendbaren  Methoden  genau  messen  kann.  Endlich  übersteigt 
die  physiologische  Glykosurie  nach  den  bisher  vorliegenden, 
allerdings  spärlichen  quantitativen  Analysen  diesen  Werth 
niemals.  Wir  schaffen  also  der  Prüfung  auf  Glykosurie  über¬ 
haupt  und  speciell  der  H  o  f  m  e  i  s  t  e  Eschen  Assimilationsgrenze 
die  unumgänglich  nothwendige  Grundlage,  indem  wir  eine 
Glykosurie  erst  dann  als  vorhanden  annehmen,  wenn  der 
Zuckergehalt  des  Harns  0‘2°/o  erreicht. 

Nun  kommt  aber  eine  andere  Schwierigkeit.  Wir  haben 
bis  nun  immer  nur  die  Assimilationsfähigkeit  des  Organismus 
für  Dextrose  im  Auge  gehabt.  Wenn  wir  aber  auf  alimentäre 
Glykosurie  prüfen  und  Traubenzucker  per  os  einführen,  so 
muss  dieser  Zucker  erst  resorbirt  w'erden,  bevor  er  assimilirt 
und  ausgeschieden  werden  kann;  es  dürften  daher  auch  die 
Verhältnisse  der  Resorption  im  Verdauungscanale  Einfluss  auf 
unser  Resultat  gewinnen.  Es  ist  denkbar,  wenn  rasch  grössere 
Mengen  von  Dextrose  in  den  Säftestrom  gelangen,  dass  die 
Glykogenlager  quasi  überschwemmt  werden,  und  eher  ein 
IJebersclmss  des  Zuckers  durch  die  Nieren  zur  Ausscheidung 
kommt,  als  bei  träger  Resorption.  Die  Autoren  behaupten 
auch,  dass  es  nicht  einerlei  ist  für  den  Ausfall  der  Prüfung, 
ob  man  den  Traubenzucker  auf  leeren  Magen  oder  nach  einer 
grösseren  Mahlzeit,  ob  man  ihn  auf  einmal  oder  in  mehreren 
Portionen,  ob  man  ihn  in  concentrirter  oder  verdünnter 
Lösung  verabfolgt.  Ja  es  wird  wohl  nöthig  sein,  manifeste 
Verdauungsstörungen  von  diesen  Versuchen  auszuschliessen. 
Indessen  scheinen  alle  diese  Umstände  nicht  von  so  grosser 
Bedeutung  zu  sein,  denn  man  hat  bei  rectaler  Zuckerzufuhr 
(per  Klysma,  H.  Strauss8),  ja  sogar  bei  vollständiger  Um¬ 
gehung  des  Verdauungstractes  und  seiner  Adnexe  durch  sub- 
cutane  Injection  von  Zuckerlösungen  (F.  Voit‘J)  gefunden, 
dass  grosse  Zuckerquantitäten  zur  Verbrennung  gelangten.  Es 
erscheint  namentlich  durch  das  letztere  Verfahren  ein  weiterer 
Beweis  dafür  geliefert,  dass  Zucker  auch  im  grossen  Kreis¬ 
läufe  umgesetzt  wird.  Weiters  wurde  behauptet,  dass  nicht 
kurze  Zeit  vorher  ähnliche  Versuche  mit  grossen  Dosen  statt¬ 
gefunden  haben  dürfen,  da  diese  die  Toleranz  des  Organismus 
für  Traubenzucker  vorübergehend  etwas  herabsetzen.  Hier 
kann  es  sich  wohl  nur  um  eine  Beeinflussung  des  Assimi¬ 
lationsvermögens  handeln :  man  hat  in  der  That  eine  Parallele 
zwischen  dieser  Fähigkeit  des  Organismus  und  der  Thätigkeit 
des  Herzmuskels  gezogen.  Beide  werden  nie  voll  ausgenützt, 
es  sei  immer  eine  Art  von  Reservekraft  vorhanden ;  bei  stei¬ 
gender  Inanspruchnahme  des  Assimilationsvermögens  durch 
rasch  wachsende  Traubenzuckerdosen  wird  zwar  immer  mehr 
des  eingeführten  Zuckers  verarbeitet  —  und  dies  ist  eine  auch 
durch  unsere  Zahlen  neuerlich  bestätigte  Thatsache  —  dennoch 
trete  eine  Art  Ermüdung  dieser  Fähigkeit  ein,  die  Assimi¬ 
lationsgrenze  rücke  tiefer,  eine  rasch  folgende  kleinere  Trauben¬ 


zuckerdosis  werde  schon  zu  Glykosurie  führen.  Alle  diese 
Complicationen  lassen  sich  aber  eliminiren,  und  zwar  einfach 
dadurch,  dass  man  seine  Versuche  unter  völlig  gleichen 
äusseren  Verhältnissen  anstellt  und  auf  alle  die  angeführten 
Momente  Rücksicht  nimmt.  Diese  Erkenntniss  hat  sich  denn 
auch  langsam  Bahn  gebrochen;  es  beginnt  sich  neuestens  doch 
eine  gewisse  Einheitlichkeit  der  Arbeitsmethode  einzustellen, 
indem  man  anfängt,  nach  den  von  früheren  Autoren  befolgten 
und  als  praktisch  erprobten  Verfahren  vorzugehen. 

Leider  sind  die  bisher  erhaltenen  Resultate  der  Prüfung 
auf  alimentäre  Glykosurie  noch  immer  nicht  vergleichbar,  und 
trotzdem  die  Statistiken  der  Autoren  rasch  zunehmen, 
nicht  sonderlich  befriedigend:  ja  es  lassen  sich  Stimmen  ver¬ 
nehmen,  welche  dieser  Prüfung  mit  Rücksicht  auf  die  vielen 
controversen  Befunde  jeden  praktischen  Werth  absprechen. 
Dass  das  wohl  übertrieben  ist,  werden  wir  noch  sehen  ;  es 
scheint  uns  übrigens  gar  nicht  die  Sache  selbst  zu  treffen,  sondern 
nur  die  bisher  allgemein  angewendete  schematische  Prüfungs¬ 
methode  mit  ihren  schwankenden  Grundlagen.  Mögen  die  ein¬ 
zelnen  Untersucher  auch  unter  gleichen  Bedingungen  gearbeitet, 
von  gleichartigen  Präparaten  (ebenfalls  ein  wichtiges  Moment), 
gleiche  Dosen  verabreicht  haben,  so  ergeben  sich  schon  Diffe¬ 
renzen  daraus,  von  welchem  Punkte  an  die  Autoren  Zucker 
im  Harn  als  vorhanden  ansehen.  Das  war  bis  nun  völlig  sub- 
jectiv.  Das  schwerstwiegende  Moment  aber,  das  meines  Wissens 
bisher  noch  nirgends  berücksichtigt  erscheint,  das  aber  jede 
kleine  Differenz  der  Resultate  ins  Ungemessene  steigern  kann, 
ist  folgendes. 

Die  Assimilationsgrenze  für  Traubenzucker  durchläuft 
von  den  kleinsten  Werthen  —  beim  Diabetiker  können  wir 
sie  als  negativ  denken  —  alle  Zahlen  bis  über  350  (eigene 
Beobachtung)  in  ununterbrochener  Reihe.  Wenn  wir  nun  ir¬ 
gend  eine  Grösse,  z.  B.  100.  herausgreifen  und  alle  Werthe, 
die  unterhalb  dieser  Zahl  liegen,  ohne  nähere  quantitative 
Bestimmung  als  »positiv«  (-[-)  zusammenfassen;  alles,  was  ober¬ 
halb  ist,  ebenso  kurz  als  »negativ«  ( — )  bezeichnen,  so  geben 
wir  nicht  nur  ein  ungenaues,  sondern  auch  ein  falsches  Bild 
der  thatsächlichen  Verhältnisse.  Wir  schaffen  einen  Gegensatz, 
wo  doch  nur  ein  gradueller  Unterschied  besteht.  Gestatten  Sie 
mir,  das  Gesagte  an  zwei,  vielleicht  etwas  schematischen  Bei¬ 
spielen  klarer  zu  machen.  Nehmen  wir  den  möglichen  Fall, 
dass  bei  einem  Patienten  die  Zufuhr  von  90//  Traubenzucker 
genügt,  um  Glykosurie  zu  bewirken,  dass  bei.  einem 
anderen  1 10  r/  zu  dem  gleichen  Resultate  erforderlich  sind. 
Diese  zwei  Patienten  werden  sich  in  ihrer  Assimilations¬ 
fähigkeit  für  Kohlehydrate  gewiss  so  nahe  stehen,  dass  sie  fast 
innerhalb  der  Fehlergrenzen  unserer  Methoden  fallen.  Wie 
aber  jetzt  von  den  meisten  Autoren  auf  alimentäre  Glykosurie 
geprüft  wird  —  Verabreichung  von  100  g  Dextrose  —  so 
würden  diese  beiden  Kranken,  die  exacteste  Ausführung  vor¬ 
ausgesetzt,  in  die  zwei  diametral  entgegengesetzten  Rubriken 
und  —  fallen.  Denken  wir  uns  andererseits  einen  Patienten, 
der  nur  20//  Traubenzucker  zu  verarbeiten  vermag,  und  einen 
anderen,  dessen  Assimilations  vermögen  viermal  so  gross  ist 
(=  80  g  Dextrose),  so  werden  doch  beide  in  derselben  Rubrik 
rangiren.  Man  darf  nicht  einwenden,  dass  in  manchen  Fällen 
ja  noch  quantitative  Zuckerbestimmungen  gemacht  worden 
sind,  und  dass  dann  grössere  Zuckermengen  ausgewiesen  er¬ 
scheinen,  wenn  bei  der  verabreichten  Dosis  Dextrose  die 
Assimilationsgrenze  weit  überschritten  wurde.  Denn  erstens 
gestattet  die  eventuelle  Mehrausscheidung  an  Zucker  gar 
keinen  Schluss  auf  die  Differenz,  die  zwischen  der  verabreichten 
Dosis  und  der  im  speciellen  Falle  vorhandenen  Assimilations¬ 
grenze  liegt;  auch  bei  übergrosser  Zuckerzufuhr  scheint  manch¬ 
mal  der  ausgeschiedene  Bruchtheil  nicht  mehr  zu  steigen; 
während  wir  jetzt  Fälle  gefunden  haben,  wo  unmittelbar  nach 
Ueberschreitung  der  Assimilationsgrenze  die  Glykosurie  gleich 
mit  einem  relativ  hohen  Werthe  einsetzte.  Das  scheint  eine  in¬ 
dividuelle  Eigenthümlichkeit  zu  sein,  über  deren  Bedeutung 
erst  die  weitere  Untersuchung  Aufklärung  bringen  kann. 

Einzig  in  einer  Inaugural-Dissertation  von  Lievin10) 
findet  sich  ein  schüchterner  Versuch,  an  einem  und  demselben 
Individuum  mehrere  Versuche  mit  verschiedenen  Dosen  Trauben- 


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zucker  vorzunehmen  und  dadurch  die  Assimilationsgrenze 
zwischen  zwei  Werthen  einzuschliessen.  Thatsächlich  aber  hat 
dieser  Autor  unter  seinen  100  Experimenten  nur  bei  drei 
Personen  eine  Zahl,  die  man  vielleicht  dem  von  uns  vorhin 
präcisirten  Begriffe  der  Assimilationsgrenze  an  die  Seite  setzen 
könnte.  Leider  bemerkt  L  i  e  v  i  n  gleich  eingangs,  dass  seine 
Versuche  keinen  Anspruch  auf  besondere  Genauigkeit  erheben; 
er  motivirt  in  keiner  Weise,  warum  er  eigentlich  darauf  aus¬ 
geht,  die  Assimilationsgrenze  annähernd  zu  bestimmen;  er 
scheint  sich  gar  keine  Gedanken  darüber  zu  machen,  welche 
Bedeutung  und  Verwerthung  diese  Grösse  möglicherweise  haben 
hönnte  und  er  stellt  schliesslich  die  Statistik  nach  der  bis¬ 
herigen  Gepflogenheit  zusammen,  indem  er  bei  bestimmten 
Dosen  nach  und  —  Ausfall  der  Reaction  eintheilt  und 
Procente  berechnet.  Neuestens  erwähnt  J.  Strauss11),  dass 
er  gelegentlich  umfangreicher  Untersuchungen  über  die  Be¬ 
ziehungen  der  verschiedenen  Glykosurien  zu  einander  in  einem 
Theil  der  Fälle  die  Assimilationsgrenze  für  Traubenzucker  zu 
bestimmen  versuchte.  Mangels  näherer  Angaben  kann  ich 
sein  Vorgehen  mit  dem  unserigen  nicht  vergleichen,  von  einer 
Verwerthung  seiner  Zahlen  in  unserem  Sinne  ist  in  der  gross 
angelegten  Arbeit  übrigens  nichts  angedeutet. 

Ich  bitte  um  Verzeihung,  wenn  ich  nochmals  die  Parallele 
mit  der  Temperaturmessung  heranziehe.  Die  Unterscheidung 
in  -j-  und  — ,  in  »Wärme-«  und  »Kältegrade«  ruft  beim 
naiven  Bewusstsein  immer  Vorstellung  eines  Gegensatzes  her¬ 
vor,  wo  doch  nur  ein  quantitativer  Unterschied  besteht.  In¬ 
sofern  wir  nun  aber  nach  beiden  Seiten  hin  messen  und  die 
Temperatur  in  Gradeinheiten  ausdrücken,  so  erhalten  wir  doch 
Zahlen,  die  uns  ein  vollkommen  richtiges  Bild  geben,  die  sich 
rechnerisch  beliebig  verwerthen,  auf  jede  andere  Art  der 
Messung,  z.  B.  vom  absoluten  Nullpunkt  an  (=  —  273°  C.) 
umwandeln  lassen.  Wir  hätten  also  auch  bei  der  Prüfung  aut 
alimentäre  Glykosurie  statt  des  bisher  üblichen  summarischen 
V orgehens,  i  n  j  e  d  e  m  einzelnen  Falle  die  Assimila- 
t  ionsgrenze  als  Zahl  zu  bestimmen. 

Aus  diesem  Grunde  haben  wir  uns  vorhin  so  eingehend 
mit  jenem  Begriffe  beschäftigt  und  versucht,  ihm  eine  den 
geänderten  Verhältnissen  entsprechende  Basis  zu  geben.  Wir 
hätten  also  zu  suchen,  wie  viel  Dextrose  unter  sonst  gleichen 
äusseren  Verhältnissen  den  einzelnen  Individuen  zugeführt 
werden  muss,  damit  der  in  den  nächsten  Stunden  entleerte 
Harn  deutliche  Zuckerprobe  gebe,  d.  h.  einen  Zuckergehalt 
von  mindestens  0'2%  habe.  Auf  das  Technische  des  Vorganges 
werde  ich  gelegentlich  der  Beschreibung  unserer  Versuchs¬ 
anordnung  zu  sprechen  kommen.  Wir  erhalten  so  für  jedes 
Individuum  eine  seiner  Individualität  entsprechende  Grösse,  und 
es  ist  weiters  möglich,  diese  Zahlen  auf  eine  höhere  Einheit 
zu  beziehen,  untereinander  noch  vergleichbarer  zu  machen, 
mögen  auch  die  Individuen  so  verschieden  sein,  wie  Kinder, 
Frauen  oder  Männer.  Hier  bietet  sich  von  selbst  die  Einheit 
des  Körpergewichtes,  auf  die  man  ja  auch  viele  andere 
Coüfficienten  bezogen  hat.  Nehmen  wir  also  einerseits  das  in¬ 
dividuelle,  Avie  üblich  in  Kilogramm  ausgedrückte  Körper¬ 
gewicht,  andererseits  die  Menge  Traubenzucker  in  Gramm, 
die  dem  Organismus  zugeführt  werden  muss,  damit  im  Harn 
sicher  nachweisbar  Dextrose  auftritt ;  setzen  wir  letztere  Zahl 
als  Zähler,  erstere  als  Nenner  eines  Bruches,  so  erhalten  wir 
die  Assimilationsfähigkeit  auf  1  kg  Körpergewicht  bezogen. 
Z.  B.:  Ein  normaler,  sagen  wir  10  kg  schwerer  Mann  würde 
eben  auf  200  g  Traubenzucker  mit  Glykosurie  reagiren,  so  hätten 
wir  als  Einheit  der  Assimilationsgrenze  für  diesen  Fall 
200/70  =  2 '9.  Es  würde  uns  freistehen,  den  ursprünglichen 
Bruch  beizubehalten,  wie  Avir  etwa  aus  praktischen  Gründen 
die  Sehschärfe  eines  Menschen  in  Form  eines  Bruches  aus¬ 
drücken.  Denn  es  ist  zu  bedenken,  dass  dem  Zähler  des 
Bruches  eine  ungleich  grössere  Bedeutung  zukommt,  als  dem 
Nenner,  da  z.  B.  ein  reichlicher  Fettpolster  des  Individuums 
zwar  das  Körpergewicht,  nicht  aber  das  Assimilationsvermögen 
für  Kohlehydrate  steigern  dürfte. 

Aus  den  bisher  vorliegenden  Daten  ist  schon  zu  ent¬ 
nehmen,  dass  die  Assimilationsgrenze  im  Verlaufe  einer  Er¬ 
krankung;  keine  unveränderliche  Grösse  bleiben  wird.  Machen 


wir  nun  wiederholte  Bestimmungen  in  gewissen  Zeitabschnitten, 
zeichnen  wir  die  Werthe  in  ein  Coordinationsystem,  indem 
wir  die  Intervalle  auf  der  Abscisse,  die  jeweiligen  Assimilations¬ 
grenzen  als  Ordinaten  auftragen,  verbinden  wir  die  gefundenen 
Punkte  durch  eine  Linie,  so  kann  man  in  einer  graphischen 
Darstellung  die  Variationen  dieser  Function  verfolgen.  Dieselbe 
Avird  sich  beim  Gesunden  wohl  als  eine  gerade,  horizontale 
Linie  darstellen,  bei  den  intermittirenden  Formen  als  Wellen¬ 
linie,  vielleicht  wird  man  Curven  verschiedener  Form  dabei 
erhalten.  Es  ist  mir  nicht  bekannt,  dass  dergleichen  je  einmal 
versucht  worden  wäre.  — 

Bevor  wir  nun  daran  giengen,  die  immerhin  etwas  müh¬ 
same  Bestimmung  der  Assimilationsgrenze  an  dem  Materiale 
unserer  Klinik  im  grossen  Massstabe  aufzunehmen,  mussten 
wir  uns  wohl  die  Fragen  vorlegen:  Bieten  die  mit  der  bisher 
allein  üblichen  Methode  erzielten  Resultate  Aussichten  auf 
eine  erfolgreiche  Anwendung  unserer  Formel  in  der  Klinik? 
Was  hat  man  untersucht?  Was  hat  man  bis  nun  gefunden? 
Welche  Bedeutung  dürfen  wir  einer  Herabsetzung  der  Assi¬ 
milationsgrenze  zusprechen  ? 

Gerade  bei  dem  Studium  der  klinischen  Befunde  drängt 
sich  neuerlich  die  Erkenntniss  auf,  dass  zwischen  den  einzelnen 
Formen  von  Glykosurie  keine  Trennungslinien  gezogen  Averden 
können,  dass  alle  Uebergänge  von  der  ganz  flüchtigen  ephemeren 
Glykosurie  nach  Traubenzuckerzufuhr  bestehen  bis  zu  der 
Glykosurie  des  schweren  Diabetikers.  Ich  muss  auch  im 
Folgenden  in  Anlehnung  an  viele  Autoren  die  verschiedenen 
Formen  von  Glykosurie  durcheinander  berücksichtigen.  Natür¬ 
lich  ist  der  Geltungswerth  der  vorliegenden  Befunde  dadurch 
eingeschränkt,  dass  die  Beobachter  von  einer  jeweils  ver¬ 
schiedenen  Untersuchungsbasis  ausgehen,  wie  ich  das  oben 
schon  näher  ausgeführt  habe. 

Auf  theoretischen  Erwägungen  fussend,  suchte  man  nach 
Glykosurie  zunächst  bei  Leber-  und  Muskelerkrankungen;  auf 
Experimente  gestützt,  bei  Affectionen  des  Pankreas.  Man  fand 
eigentlich  nur  Beweise  für  einen  Zusammenhang  von  Glyko¬ 
surie  mit  Störungen  der  Pankreasfunction.  Ausserdem  sah  man 
Zucker  im  Harne  in  einem  wechselnden  Procentsatze  von 
Gehirn-  und  Nervenleiden,  bei  Allgemeinstöruugen  und  einer 
grossen  Anzahl  von  Vergiftungen.  —  Schon  lange  bekannt  ist 
eine  transitorische  Glykosurie,  also  hochgradige  Herabsetzung 
der  Assimilationsgrenze  nach  Apoplexia  cerebri.  Immerhin  ist 
die  Zahl  der  in  unseren  Statistiken  mit  -f-  bezeichneten  Fälle 
keine  sehr  grosse;  es  stehen  ihnen  in  überwiegender  Majorität 
— Fälle  gegenüber.  Gelegentlich  kann  bei  den  verschiedensten 
diffusen  oder  umschriebenen  Hirnkrankheiten,  bei  Tumoren 
des  verschiedensten  Sitzes,  bei  Syphilis  des  Centralnerven¬ 
systems  spontane  oder  alimentäre  Glykosurie  auftreten,  auch 
bei  reinen  Spinalprocessen  wurde  sie  gefunden;  man  sah  sie 
sehr  selten  bei  Neuralgien  des  Nervus  ischiadicus  und  trigeminus, 
ja  auch  bei  Erkrankungen  des  Vagus  und  Sympathicus.  Ali¬ 
mentäre  Glykosurie  erschien  bei  einer  Anzahl  von  Neurosen, 
besonders  solchen  traumatischen  Ursprunges  in  einem  relativ 
hohen  Procentsatze  (32'6%)  gegenüber  solchen  nicht  traumati¬ 
schen  Ursprunges  (14’4%>  aus  der  gesammten  bisherigen 
Literatur  zusammengefasst,  Arndt1’-).  Vielfach  controvers 
lauten  die  Angaben  bei  Geisteskrankheiten.  Die  einzelnen 
Antoren  polemisiren  gegen  einander  und  versuchen  die  oft 
weit  abliegenden  Resultate  zu  erklären,  wenn  sie  nicht  aut 
zufällige  Momente  recurriren.  Bemerkenswerth  erscheinen 
Fälle  von  Laude nheimer  13)  u.  A.,  Psychosen  mit  Diabetes 
beziehungsweise  Glykosurie,  avo  beide  Erscheinungsgruppen 
parallel  verlaufen,  mit  dem  Verschwinden  des  Zuckers  aus  dem 
Urin  auch  die  Symptome  der  geistigen  Erkrankung  zum 
ScliAvinden  gebracht  wurden.  Siegmund  u)  hatte  behauptet. 
dass  transitorische  Glykosurie  möglicher  AVeise  zu  den  ständigen 
Symptomen  der  progressiven  Paralyse  gehöre,  da  er  in  23 'G;>% 
der  Fälle  Zucker  im  Harne  fand.  Arndt  sah  alimentäre 
Glykosurie  bei  10%  seiner  Paralytiker.  In  wechselnden  Procent¬ 
zahlen  geht  es  dann  durch  die  ganze  Psychiatrie.  Strauss  1 1 ) 
sah  bei  Imbecillen  auf  dem  Boden  von  Aufregungszuständen 
eine  zu  anderen  Zeiten  nicht  bestehende  Disposition  zu  ali¬ 
mentärer  Glykosurie  auftreten;  auffallend  oft  wird  dieselbe 


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Erscheinung  bei  den  senilen  Geistesstörungen  und  überein¬ 
stimmend  von  allen  Autoren  beim  Alkoholrausch,  sowie  un¬ 
mittelbar  nach  Ablauf  des  Delirium  alkoholicum  angegeben; 
übereinstimmend  wird  sie  bei  der  Epilepsie  vermisst.  —  Was 
Allgemeinzustände  betrifft,  so  fand  man  alimentäre  Glykosurie 
im  Fieber,  bei  fieberhaften  Infectionskrankheiten,  in  der 
Gravidität  [H.  Ludwig15)  auch  spontane  Glykosurie  in  22% 
der  Fälle]  und  im  Puerperium,  bei  Diabetes  insipidus  und 
natürlich  bei  Diabetescandidaten;  bei  Morb.  Basedow  in  einem 
relativ  hohen  Procentsatze  [G9'2%,  C  h  v  o  s  t  e  k  1C)].  Seither 
ist  freilich  eine  Anzahl  negativer  Fälle  bekannt  worden. 
Interessant  sind  auch  die  Beziehungen  der  Glykosurie  zur 
Akromegalie,  zur  Fettsucht,  zu  rheumatisch-gichtischen  Zu¬ 
ständen  (»arthritisme«  der  Franzosen);  der  »Hungerdiabetes« 
des  Hundes,  sowie  die  Glykosurie  bei  Asphyxie  hat  bisher 
wohl  wenig  Analogien  am  Menschen  gefunden.  —  Von  Ver¬ 
giftungen  kommt  zunächst  wohl  in  Betracht  die  Alkohol- 
intoxication.  Da  die  Glykosurie  nur  vorhanden  ist,  so  lange 
die  Patienten  unter  der  directen  Einwirkung  des  Potatoriums 
stehen,  da  sie  sich  nach  länger  dauernder  Abstinenz  verliert, 
um  durch  grosse  Dosen  Alkohol  wieder  zum  Vorschein  ge¬ 
bracht  werden  zu  können,  so  erscheint  sie  wohl  als  eine  directe 
Giftwirkung,  wenn  auch  v.  S  t  r  ti  m  p  e  1 1  l7)  u.  A.  speciell  beim 
habituellen  Biergenusse  die  chronische  Ueberschwemmung  des 
Organismus  durch  gelöste  Kohlehydrate  mit  der  Herabsetzung 
der  Assimilationsgrenze  in  Causalzusammenhang  bringen.  Mehr 
oder  minder  häufig  fand  man,  gelegentlich  beim  Menschen, 
öfters  im  Thierexperiment  Glykosurie  noch  bei  Vergiftungen 
mit  nachfolgenden  Substanzen:  Schwefelsäure,  Salzsäure,  Phos¬ 
phor  und  Phosphorsäure;  Blei,  Sublimat,  Uransalze;  Kohlen¬ 
oxyd;  Chlorkohlenstoff;  Blausäure,  Cyankalium;  Milchsäure; 
Chloral,  Chloralhydrat,  Chloralamid,  Chloroform,  Aether,  Arnyl- 
nitrit;  Nitrobenzol,  Orthonitrophenylpropiolsäure,  Anilinfarben; 
Opium,  Morphium,  Strychnin,  Curare,  Methyldelphinin,  Coffein, 
Theobromin,  Diuretin,  Phlorhizin*);  Thyreoidea. 

Ueberblicken  wir  nun  alle  diese  verschiedenen  Ursachen, 
die  in  einem  gewissen  Procentsatz  der  Fälle  Herabsetzung  der 
Assimilationsgrenze  für  Traubenzucker  erkennen  Hessen,  so 
scheint  es  kaum  möglich,  ein  einigendes  Band  zu  finden.  Dass 
es  gewisse  Allgemeinzustände  des  Körpers,  wie  Marasmus, 
schwere  Anämie  oder  Kachexie  (Carcinose),  Arteriosklerose, 
Tachycardie  nicht  sind,  die  solchen  positiven  Befunden  der 
Autoren  zu  Grunde  liegen,  ist  von  mehreren  Seiten  überein¬ 
stimmend  bestätigt  worden.  Hingegen  findet  sich  doch  bei  sehr 
vielen  der  aufgeführten  Formen  von  Glykosurie  ein  und  die¬ 
selbe  Art  der  Noxe,  nämlich  Giftwirkung,  und  zwar  nicht  nur 
bei  allen  Intoxicationen.  Auch  bei  Alkoholikern,  bei  den  acuten 
Infectionskrankheiten,  bei  Morbus  Basedowii,  sowie  in  der 
Gravidität  könnte  man  daran  denken,  dass  endogene  Gifte 
das  Assimilationsvermögen  für  Kohlehydrate  schädigen.  Immer 
aber  erübrigt  noch  eine  grosse  Anzahl  organischer  und  functio- 
neller  Leiden,  deren  Zusammenhang  mit  Diabetes,  beziehungs¬ 
weise  Glykosurie  dunkel  bleibt.  Ich  glaube  nicht,  dass  es 
nothwendig  ist,  hier  um  jeden  Preis  einheitlich  erklären  zu 
müssen;  es  ist  sogar  wahrscheinlich,  dass  die  Störungen  in  der 
Zuckerökonomie  des  Körpers  eine  mehrfache  Aetiologie  haben, 
und  dass  die  Beziehungen  zu  den  Symptomenbildern,  welche 
sich  mit  Glykosurie  combiniren,  recht  verschiedenartig  sein 
können.  Nicht  so  selten  führt  ein  ausgesprochener  Diabetes 
zu  einem  Nervenleiden  oder  auch  einer  psychischen  Störung, 
und  zwar  wiederum  auf  dem  Wege  einer  Intoxication.  Von 
der  Schwäche  des  Zuckerstoffwechsels,  die  sich  in  dem  Auf¬ 
treten  einer  alimentären  Glykosurie  documentirt,  kann  man 
das  allerdings  nicht  behaupten.  Zweitens  mag  aber  umgekehrt 
die  Glykosurie  nur  Symptom  oder  Folgeerscheinung  der 
anderen  Erkrankung  sein.  Um  bei  dem  Specialgebiet  der 
Neuro-Psychosen  zu  bleiben,  so  wäre  die  Glykosurie  bei 

*)  Her  sogenannte  Phlorhizin-Diabetes  steht  in  Gegensatz  zu  allen 
anderen  I1  ormen  von  Glykosurie  und  bildet  die  einzige  sichere  Ausnahme  von 
unserer  eingangs  angegebenen  Reihe,  indem  bei  dieser  Vergiftung  der  Zucker¬ 
gehalt  des  Blutes  eher  etwas  herabgesetzt  ist  und  abnorme  Vorgänge  in 
den  Nieren  zu  der  abnormen  Zuckerausscheiduug  im  Harne  führen  (v.  Mering 
und  Minkowski). 


Affecten,  namentlich  solchen  depressiven  Charakters,  hier  an¬ 
zuführen.  Eine  recht  einleuchtende  Hypothese  stellt  sie  mit 
den  übrigen  Theilerscheinungen  des  Affectes,  die  ja  auch  von 
der  Medulla  oblongata  ausgelöst  werden,  in  eine  Reihe ;  wie 
die  Störung  der  Pulsfrequenz,  der  Athemthätigkeit,  sei  auch 
die  Glykosurie  ein  Herdsymptom  der  Angst;  die  psychische 
Störung,  respective  der  derselben  zu  Grunde  liegende  Process 
bedinge  die  Glykosurie  durch  Mitbetheiligung  des  »Diabetes¬ 
centrums«  in  der  Medulla  oblongata.  Endlich,  und  das  ist 
wohl  der  häufigste  Fall,  bestehen  die  Erscheinungsgruppen 
nebeneinander,  so  dass  sie  vielleicht  bei  dem  einen  Casus  rein 
zufällig  Zusammentreffen,  sonst  aber  aus  einer  gemeinsamen 
oder  verwandten  Grundlage  —  Disposition  —  herauswachsen. 

Was  soll  man  sich  nun  unter  dieser  Disposition  denken? 
Wie  wir  wissen,  ist  alimentäre  Glykosurie  bei  Leberkrank¬ 
heiten  geradezu  eine  Seltenheit,  und  die  Plypothesen,  welche 
zwischen  den  weit  abliegenden  Gebieten,  dem  Diabetescentrum 
in  der  Rautengrube  und  der  Leber  eine  Brücke  schlagen 
wollten,  ruhen  auf  recht  schwachen  Füssen.  Es  ist  auch  nicht 
die  Leber  allein,  die  Glykogen  —  das  für  die  Zuckerökonomie 
des  Körpers  anscheinend  so  wichtige  Kohlehydrat  —  enthält; 
dasselbe  findet  sich  noch  reichlich  in  den  Muskeln,  den 
weissen  Blutkörperchen,  ja  in  allen  entwicklungsfähigen  Zellen 
und  Geweben.  Die  experimentell  und  klinisch  am  besten  be¬ 
gründete  Glykosurie  in  Folge  von  Eliminirung  der  Pankreas- 
function  kann  nach  der  jetzt  herrschenden  Auffassung  auch 
nur  durch  den  Ausfall  einer  Fermentwirkung,  also  auf  dem 
Umwege  einer  allgemeinen  Störung  zu  Stande  kommen.  —  Die 
alten  Theorien  des  Diabetes  sind  gefallen.  Weder  ist  die  Bil¬ 
dung  von  Kohlehydrat  im  Körper  vermehrt,  noch  ist  es  ein¬ 
fach  eine  Herabsetzung  der  Oxydationskraft  des  Blutes,  die 
das  Auftreten  von  übernormalen  Mengen  Zuckers  im  Kreis¬ 
läufe  und  damit  auch  im  Harne  bewirkt.  Aber  ob  wir  jetzt 
eine  Unfähigkeit  annehmen,  aus  dem  Zucker  Glykogen  zu 
bilden  und  dieses  festzuhalten  —  eine  Dyszooamylie  — ;  ob 
wir  auf  eine  Bindung  des  Dextrosemol ecüls  recurriren,  wo¬ 
durch  der  Zucker  dem  normalen  Verbrennungsprocesse  ent¬ 
zogen  wird:  sicherlich  können  wir  die  Störung  jener  Function, 
das  Zuckermolecül  anzugreifen  und  umzuwandeln,  nicht  in 
einem  einzigen  Organe  localisirt  denken,  sondern  wir  sind 
durch  klinische  Beobachtung  und  Experiment  gezwungen, 
diese  Fähigkeit  mehreren  Organen  und  Geweben  zuzuweisen. 
Von  welcher  Seite  immer  wir  auch  die  Glykosurie  betrachten, 
wir  müssen  sie  als  Ausdruck  einer  Allgemeinstörung  auf¬ 
fassen.  Die  Disposition  zu  dieser  Allgemeinstörung  nun  verhält  sich 
wie  andere  Dispositionen  auch :  sie  kann  sich  vererben,  latent 
bleiben,  plötzlich  hervorbrechen,  ohne  dass  scheinbar  ein 
äusserer  Anlass  dazutritt ;  wir  haben  dann  Grund  zu  glauben, 
dass  eine  angeborene  Schwäche  in  der  Anlage  aller  jener 
Zellcomplexe  vorliegt,  die  der  Zuckerverarbeitung  dienen. 
Diese  vererbte  Disposition  tritt  in  Beziehungen  zu  weiteren 
Krankheitsdispositionen  :  sie  vereinigt  sich  gerne  mit  den  einen, 
sie  schliesst  andere  beinahe  aus,  wie  sich  schon  durch  die  bis¬ 
herigen  Erfahrungen  belegen  lässt.  Wir  erinnern  nur  an  die 
nahen  Beziehungen  der  diabetischen  zur  arthritischen  oder  gar 
zur  neuropathischen  Disposition  oder  Anlage.  Wir  kennen 
Stammbäume,  wo  in  buntem  Wechsel  Diabetes  und  bestimmte 
Psychosen  alterniren  oder  sich  gar  combiniren.  Dieselbe  Störung 
im  Stoffwechsel  der  Kohlehydrate  kann  nun  aber  auch  im 
Laufe  des  Lebens  erworben  sein  durch  Noxen  verschiedener 
Art,  grösstentheils  chemische  Gifte,  für  die  wir  oben  einige 
Beispiele  gesehen  haben.  Sie  ist  dann  wohl  auch  vorüber¬ 
gehend,  d.  h.  sie  macht  wieder  normalen  Verhältnissen  Platz, 
mit  dem  Aufhören  der  schädigenden  Ursache.  Endlich  mag 
wohl  die  angeborene  Schwäche  und  eine  äussere  Schädlichkeit, 
die  in  gleichem  Sinne  wirkt,  sich  combiniren.  In  der  That 
Hesse  sich  das  Wechselvolle,  um  nicht  zu  sagen  Launische,  so 
mancher  Befunde  von  Glykosurie  dadurch  erklären,  dass  eine 
bestimmte  exogene  Schädlichkeit  eben  nur  bei  Disponirten  zur 
Glykosurie  führt. 

Was  für  Aufschlüsse  über  diese  Disposition  und  ihre 
Beziehungen  zu  analogen  Störungen  erwarten  wir  nun  aber 
auf  dem  von  uns  betretenen  Wege  ?  Es  sei  mir  gestattet, 


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das  vorliegende  Problem  von  seiner  allgemeinsten  Seite  anzu¬ 
packen. 

Die  nach  aussen  in  Erscheinung  tretenden  functionellen 
Störungen  des  Organismus,  die  wir  Krankheiten  nennen,  haben 
ihren  letzten  Grund  in  anatomischen  und  chemischen  Ver¬ 
änderungen,  die  ja  wohl  immer  parallel  verlaufen.  Sowie  das 
anatomische  Bild  eines  kranken  Gewebes  oder  Gewebe- 
complexes,  die  feinsten  Untersuchungsmethoden  vorausgesetzt, 
als  verändert  sich  erweisen  muss;  so  wird  auch  der  Chemis¬ 
mus,  der  Stoffwechsel  abnorm  functionirender  Organe  bei 
entsprechender  Prüfung  Störungen,  Abweichungen  von  der 
Norm  erkennen  lassen.  Eine  unübersteiglicke  Schranke 
dieser  unserer  Erkenntniss  ist  dadurch  gegeben,  dass  wir 
im  Innern  der  lebenden  Zellen  ebensowenig  anatomische 
Untersuchungen,  wie  chemische  Reactionen  anstellen  können, 
und  wenn  man  auch  in  der  letzteren  Zeit  diesbezügliche 
Versuche  gemacht  hat  (Ueberleben  von  Organen,  Injection  von 
Farblösungen  in  den  lebenden  Organismus),  so  sind  wir  doch 
in  der  Regel  auf  todtes  Material,  respective  auf  die  Stoff- 
wechselendproducte  angewiesen.  —  Sehen  wir  einmal  von  jenen 
flüchtigen  Störungen  ab,  die  durch  bestimmte,  ja  bekannte 
äussere  Schädlichkeiten  provocirt,  mit  dem  Aufhören  dieser 
rasch  wiederum  sich  ausgleichen  und  im  Leben  des  Indivi¬ 
duums  mehr  zufällige  Ereignisse  darstellen;  beschäftigen  wir 
uns  heute  vielmehr  mit  den  chronisch  constitutioneilen  Ano¬ 
malien,  wie  sie  ja  den  zu  einer  frühen  Zeit  der  Entwickluug 
erworbenenen  Dispositionen  zu  Grunde  liegen;  wie  sie  auch 
das  Eintreten  jener,  unmittelbar  vorher  erwähnten  zufälligen 
Complicationen  bedingen,  erleichtern  oder  erschweren.  Neben 
den  anatomischen,  ja  oft  viel  offenkundiger  als  diese,  bestehen 
Abweichungen  im  Chemismus,  und  zwar  hat  die  Erfahrung 
gelehrt,  dass  dies  weniger  qualitative  als  vielmehr  quantitative 
Störungen  sind,  indem  Körper,  die  auch  normaler  Weise  im 
Stoffwechsel  der  Zellen  eine  Rolle  spielen,  in  abnormen  Mengen 
zur  Ausscheidung  kommen.  Wir  kennen  leider  erst  eine  kleine 
Reihe  solcher  allgemeiner,  vielfach  angeborener  Krankheits- 
grundlagen  oder  Diathesen,  deren  genaueres  Studium  wohl 
manchen  Einblick  in  das  Wesen  von  Symptomenbildern  und 
manches  Verständniss  für  die  wahren,  die  inneren  Krankheits¬ 
ursachen  erschlossen  wird;  die  jetzt  schon  als  Unterstützung 
bei  Diagnose  und  Prognose  in  der  Klinik  zu  Rathe  gezogen 
werden.  Um  nur  bei  den  chemischen  Zeichen  dieser  abnormen 
Zustände  zu  bleiben,  so  gibt  es  Fälle,  wo  Harnsäure  in  tiber- 
grosser  Menge  auftritt,  die  sogenannte  uratische  Diathese; 
andere,  wo  sich  dauernd  eine  vermehrte  Ausscheidung  von 
Oxalsäure  zeigt,  die  nicht  etwa  aus  der  Nahrung  stammt,  wie 
Abeies18)  überzeugend  nachwies.  Es  gibt  solche  Störungen 
im  Stoffwechsel  der  Phosphate,  des  Fettes,  der  Kohlehydrate. 
Alle  diese  Körper  treten  auch  im  normalen  Organismus  auf,  sie 
werden  frei  bei  normaler  Lebensthätigkeit  der  Zellen;  für  das 
Pathologische  entscheiden  nur  die  quantitativen  Verhältnisse. 
Die  uns  jetzt  speciell  interessirende  Störung  in  der  Verwerthung 
der  Kohlehydrate  kann  nun  ganz  latent  bestehen;  und  ich 
glaube,  es  ist  besonders  werthvoll,  dass  diese  Erscheinung 
nicht  nur  einer  experimentellen  Prüfung,  sondern  auch  einer 
genauen  Messung  zugänglich  ist.  Man  hat  gelegentlich  einmal 
von  einer  diabetischen  Degeneration  gesprochen;  die  Glykos- 
urie  nun  ist  ein  Zeichen  dieser  Degeneration,  und  es  lässt 
sich  die  Parallele  mit  den  Degenerationszeichen  im  anatomi¬ 
schen  Sinne  unschwer  ausführen.  Da  überall  in  der  organischen 
Natur  Form  und  Function  in  innigem  Connex  stehen,  so  zeigt 
ein  durch  Anlage  abnorm  functionirender  Organismus  meist 
schon  äusserlich  Störungen  in  seiner  Formenbildung,  ana¬ 
tomische  Degenerationszeichen,  deren  Studium  und  genaue 
Kenntniss  gewiss  von  höchster  Wichtigkeit  ist,  um  mit  ihrer 
Hilfe  von  dem  Sinnfälligen,  Aeusseren  Schlüsse  ziehen  zu  können 
auf  die  verborgenen  Innenvorgänge.  Ein  solcher  abnormer 
Organismus  zeigt  aber  auch  Störungen  im  Chemismus.  In  der 
alimentären  Glykosurie  haben  wir  direct  ein  solches  Reagens 
auf  eine  allgemeine  Function:  die  dauernde,  constitu- 
tionelle  Herabsetzung  der  Assimilationsgrenze 
istalsein  Degenerationszeichen  im  chemischen 
Sinne  aufzufassen;  vielleicht  kann  eine  abnorm  hohe 


Assimilationsgrenze,  eine  ungewöhnliche  Energie  in  der  Auf¬ 
arbeitung  eingeführten  Zuckers,  also  eine  Abweichung  nach 
der  anderen  Richtung  gleichfalls  von  pathognostischer  Bedeu¬ 
tung  werden.  Darüber  ist  noch  kaum  etwas  bekannt. 

Die  Vieldeutigkeit  des  Wortes  »Degeneration«  veranlasst 
mich,  zur  Vermeidung  von  Missverständnissen  noch  ausdrücklich 
zu  erklären,  dass  die  hier  näher  definirte  specifische  »dia¬ 
betische  Degeneration«  in  keiner  näheren  Beziehung,  viel¬ 
leicht  sogar  in  einem  Gegensatz  steht  zu  jener  erblich  minder- 
werthigen  Anlage  bei  den  Individuen,  die  wir  kurzweg  als 
»Degenerirte«  bezeichnen.  Es  wird  sich  überhaupt  empfehlen, 
den  Gebrauch  der  Worte  »Degeneration«  und  »Degenerations¬ 
zeichen«  möglichst  einzuschränken  und  dafür  lieber  die  ganz 
treffenden  Ausdrücke  »Veranlagung«  und  » Veranlaguugs- 
zeichen«  zu  wählen.  Man  präjudicirt  in  keiner  Weise,  wenn 
man  von  diabetischer  Veranlagung  spricht,  und  die  dauernde, 
constitutionelle  Herabsetzung  der  Assimilationsgrenze  für  Kohle¬ 
hydrate  als  Veranlagungszeichen  im  chemischen  Sinne  aufstellt. 

Da  man  nun  durch  einfache  Versuche  jeden  Menschen 
auf  das  Vorhandensein  von  alimentärer  Glykosurie  prüfen 
kann,  nachdem  diese  Bestimmung  exact  und, 
worauf  wir  jetzt  ein  Hauptgewicht  legen  müssen,  quantitativ, 
in  Zahlen  ausdrück  bar  ist,  so  wird  es  möglich  sein, 
an  einem  grossen  Materiale  die  Gesetzmässigkeiten  dieser  speci- 
flschen  Veranlagung  festzustellen,  über  ihre  Beziehungen  zu 
anderen,  auch  anatomisch  messbaren  Krankheitsanlagen  durch 
grosse  Zahlenreihen,  auf  statistischem  Wege  ins  Reine  zu 
kommen.  Wo  man,  wie  bisher,  nur  von  -j-  und  —  sprechen 
kann,  wo  obendrein  die  Zuweisung  in  das  eine  oder  andere 
Fach  von  dem  subjectiven  Ermessen  des  Untersuchenden  ab¬ 
hängt,  da  ist  dem  Zufall  und  der  Willkür  ein  weiter  Spiel¬ 
raum  gelassen,  der  Werth  des  Symptoms  aber  auch  fast  nur  ein 
subjectiver  und  problematischer.  — 

Von  den  eben  entwickelten  Gesichtspunkten  ausgehend, 
haben  wir  nun  mit  unseren  Versuchen  begonnen.  Es  leitete 
uns  dabei  einerseits  der  Wunsch,  die  vorhandenen  Beobachtungs¬ 
reihen  zu  vergrössern ;  es  wird  auch  in  den  neuesten  Arbeiten 
noch  von  den  Autoren  zugestanden,  dass  die  Statistiken  zu 
klein  sind,  um  bindende  Schlüsse  ziehen,  die  hier  so  störenden 
individuellen  Schwankungen  und  Zufälligkeiten  eliminiren  zu 
können.  Hauptsächlich  jedoch  wollten  wir  die  Widersprüche, 
die  sich  zu  Folge  der  bisher  allgemein  eingehaltenen  Arbeits¬ 
methode  ergeben  haben,  überbrücken  und  wir  erwarten,  dass 
der  von  uns  hervorgehobene,  einheitlich  in  Zahlen  grossen  fest¬ 
gelegte  Begriff  der  Assimilationsgrenze  viel  eher  zu  positiven 
Resultaten  führen  wird,  weil  er  sich  den  thatsächlich  bestehenden 
Verhältnissen  vollkommen  anpasst.  Da  wir  über  das  Stadium 
der  Vorarbeiten  bereits  hinaus  sind,  ja  schon  einige  60  Ver¬ 
suche  durchgeführt  haben,  so  möchte  ich  mir  erlauben,  die 
nunmehr  feststehende,  von  uns  befolgte  Versuchsanordnung 
im  Einzelnen  zu  schildern. 

Wir  wollen  also  die  Menge  Traubenzucker  bestimmen, 
die  eingeführt  werden  muss,  um  bei  dem  betreffenden  In¬ 
dividuum  eine  Zuckerauscheidung  (=  oder  >  O'20/o)  zu  be¬ 
wirken.  Da  völlig  gleiche  äussere  Bedingungen  eingehalten 
werden  müssen,  andererseits  auf  das  Krankenmaterial  einer 
psychiatrischen  Klinik  Rücksicht  zu  nehmen  ist,  so  haben  wir 
ein  möglichst  einfaches  Regime  gewählt,  das  weder  an  die 
Kranken  noch  an  das  Wartepersonal  besondere  Anforderungen 
stellt,  das  sich  ohne  Störung  der  Tageseintheilung  einfügt. 
Mit  Benützung  aller  vorliegenden  Erfahrungen  und  mög¬ 
lichster  Anlehnung  an  die  von  den  Autoren  eingehaltene 
Versuchsanordnung  gehen  wir  folgendermassen  vor:  Der 
Patient  bleibt  zu  Bette.  Man  schränkt  dadurch  die  Muskel- 
thätigkeit  gleichmässig  auf  das  Aeusserste  ein;  es  lässt  sich 
auch  die  Urinentleerung  des  Kranken  leichter  überwachen. 
Ist  ein  Patient  so  aufgeregt,  dass  er  im  Bette  nicht  ge¬ 
halten  werden  kann,  so  wäre  ohnehin  mangels  jeder  Controle 
das  Experiment  nicht  durchzuführen.  Hochgradige  manische 
Erregung  bietet  ein  absolutes  Hinderniss  für  diese  wie  iür 
jede  andere  Untersuchung;  das  liegt  in  der  Natur  der  Sache. 
Um  7  Uhr  Früh  erhält  der  Patient  sein  gewöhnliches  Früh¬ 
stück,  wie  alle  Tage;  um  9  Uhr  wird  er  aufgefordert,  die 


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Blase  zu  entleeren  und  erhält  die  genau  abgewogene  Quantität 
Traubenzucker*)  in  einer  bestimmten  Menge  Milch  (es  ge¬ 
nügen  100  cm3  Milch  =  l/io  l  für  je  25 g  Dextrose),  mit 
einem  Geschmackscorrigens  versetzt  (mir  hat  sich  bis  nun 
starker  schwarzer  Kaffee  ganz  gut  bewährt,  so  dass  die 
Mischung  von  den  Patienten  gerne  entgegengenommen  wird). 
All  dies  geschieht  unter  meiner  persönlichen  Controle. 
Wir  legen  grosses  Gewicht  auf  den  Umstand,  dass  der 
Untersucher  selbst  den  Traubenzucker  wiegt  und  löst,  dass 
man  sich  persönlich  davon  überzeugt,  ob  die  Lösung  bis  auf 
den  letzten  liest  von  dem  Patienten  getrunken  und  behalten 
wird.  Man  kann  nur  so  die  Beruhigung  haben,  dass  cs  keine 
unglücklichen  äusseren  Zufälle  gibt,  die  sonst  gerade  unter 
den  Verhältnissen  einer  Klinik  für  Geisteskranke  trotz  Intelli¬ 
genz  und  guten  Willens  des  Personals  kaum  ganz  zu  ver¬ 
meiden  sein  dürften.  Während  der  Patient  nun  zu  Bette  liegt, 
wird  der  Harn  der  nächsten  vier  Stunden  unter  fortdauernder 
Controle  gesammelt,  und  dieses  Harnquantum,  sowie  der  Morgen¬ 
harn  auf  Zucker  untersucht.  Ich  stelle  zunächst  die  Fehling- 
sche  Probe  an**),  dann  die  Böttger-Alme  n’sche,  allgemein 
als  N  y  1  a  n  d  e  r’sche  ***)  bezeichnet.  Nur  wenn  diese  beiden 
Proben  unzweifelhaft  negativ  ausgefallen  sind,  kann  man  die 
polarimetrische  Untersuchung  unterlassen,  da  die  Erfahrung 
gezeigt  hat,  dass  dann  ohnehin  kein  Resultat  zu  erheben  ist. 
Zur  persönlichen  Sicherung  kann  man  natürlich  in  jedem  Falle 
die  Gährungs-  und  die  Phenylglykosazonprobe  anstellen ;  in¬ 
dessen  hatten  wir  bei  Verwendung  von  chemisch  reinem 
Traubenzucker  bis  nun  nie  einen  Grund,  an  dem  überein¬ 
stimmenden  Ergebniss  der  ersterwähnten  drei  Proben  zu 
zweifeln.  Bei  Darreichung  der  stark  dextrinhaltigen  Handels¬ 
präparate  scheinen  allerdings  wechselnde  Mengen  von  Dextrin 
in  den  Harn  überzugehen.  Da  dasselbe  nicht  reducirt,  so  sind 
die  erstgenannten  zwei  Proben  wenig  gestört;  da  es  aber 
stark  rechts  dreht,  so  ist  die  polarimetrische  Bestimmung  des 
Zuckers  nur  so  durchzuführen,  dass  man  die  Rechtsdrehung 
des  Harns  vor  und  nach  seiner  Vergährung  mit  Hefe  fest¬ 
stellt  und  nur  die  Differenz  der  beiden  Werthe  auf  die  ver- 
gährbare  Dextrose  bezieht.  Weiters  sind  in  der  Literatur 
Fälle  verzeichnet,  wo  nach  Traubenzuckerzufuhr  reducirende 
Substanzen  im  Harne  erschienen,  die  aber  doch  nicht  Dextrose 
sein  konnten,  da  dieselben  entweder  optisch  als  inactiv  sich 
erwiesen  oder  nach  links  drehten,  da  sie  nicht  gährungs- 
iäliig  waren.  Dass  es  sich  hiebei  um  Abköm mlio ge  von  Ei- 
weiss  oder  Medicamenten  gehandelt,  konnte  ausgeschlossen 
werden ;  vielleicht  lagen  Pentosen  vor,  die  aus  der  ein¬ 
geführten  Hexose,  dem  Traubenzucker,  entstanden  waren. 
Wir  haben  bisher  bei  der  Anwendung  des  chemisch  reinen 
Präparates  dergleichen  nie  beobachtet  und  wollen  nur  noch¬ 
mals  versichern,  dass  uns  bis  nun  nie  ein  Zweifel  darüber 
kam,  ob  der  Harnbefund  bei  der  obigen  Ausführung  der 

*)  Wir  nahmen  anfangs  ausschliesslich  chemisch  reinen  Trauben¬ 
zucker  (purissimum  Merck),  dessen  Verwendung  allerdings  durch  den  hohen 
Preis  ( 1  /.•</  Mark  6.50,  hierzulande  12 — 13  Kronen)  etwas  erschwert  ist.  In 
letzter  Zeit  arbeiten  wir  theilweise  mit  dein  gewöhnlichen  billigen 
Traubenzucker  des  Handels,  der  nach  stattgef’undener  quantitativer  Analyse 
zu  den  Vorversuchen,  sowie  in  Mischung  mit  dem  reinen  Präparate  bis  nun 
einige  Male  zur  Verwendung  kam,  ohne  dass  wir  vollkommen  zufrieden 
gewesen  wären.  Ich  komme  darauf  noch  zu  sprechen. 

**)  Man  mischt  jeweils  gleiche  Volumina  einer  Kupfersulfatlösung  (35,(7 
CuS04  pro  1  l  Wasser)  und  alkalischer  Seignettsalzlösung  (175y  Seignett- 
salz,  400  c m 3  Wasser,  600  cm"  Natronlauge,  specifisehes  Gewicht  1*12).  Diese 
Mischung  verdünne  ich  mit  destillirtem  Wasser  so  weit,  dass  die  Farbe 
eben  noch  rein  blau  ist.  Man  erhitzt  dann  eine  kleine  Menge  in  einer 
Eprouvette  zum  Sieden,  setzt  eine  halb  so  grosse  Menge  des  zu  prüfenden 
Harns  hinzu,  erhitzt  nochmals  und  erhält  einige  Augenblicke  im  Kochen. 
Es  muss  ein  rothgelber  Niederschlag  von  C’u.,0  herausfallen,  der  sich  rasch 
zu  Roden  setzt.  Entsteht  ein  Niederschlag  erst  nach  dem  Erkalten  der  Probe, 
so  ist  die  Reaction  als  negativ  anzusehen.  Dann  enthält  der  Harn  gewiss 
weniger  als  02° /„  an  Zucker. 

***)  Das  Reagens  erhält  man  durch  Auflösen  von  4  g  Seignettsalz  in 
100  Theilen  10"  0  Natronlauge  und  Digeriren  mit  2  g  Bismuth,  subnitricum 
aut  dem  Wasserbade.  Diese  Probe  ist  empfindlicher,  als  die  vorige;  es  em¬ 
pfiehlt  sich  ein  Volum  Harn,  A  Volum  des  Reagens  zu  mischen  und  nun 
durch  einige  Zeit  zum  Sieden  zu  erhitzen.  Nur  das  Auftreten  eines 
massenhaften  schwarzen  Niederschlages  ist  für  unsere  Zwecke  beweisend, 
nicht  aber  eine  Dunkelfärbung  des  spärlichen  flockigen  Phosphatsedimentes, 
das  jeder  Harn  beim  Kochen  absetzt. 


F  e  h  1  i  n  g’schen  und  Almen’schen  Probe  positiv  sei  oder 
nicht.  Man  muss  sich  daran  halten,  dass  nur  die  vollaus¬ 
geprägte  Reaction  gilt.  In  vereinzelten  Fällen,  wo  ausser¬ 
ordentliche  Quantitäten  von  Harn  secernirt  werden  (bis  2 1, 
wie  wir  dies  bei  einem  Patienten  sahen),  könnte  man  vielleicht 
glauben,  dass  eine  in  diesem  grossen  Harnquantum  eventuell 
enthaltene  Zuckermenge  trotz  des  entsprechenden  absoluten 
Werthes  zufolge  der  starken  Verdünnung  dem  Nachweise 
entgehe.  Uns  ist  bisher  ein  solcher  Fall  noch  nicht  vorge¬ 
kommen.  Wenn  einmal  in  Folge  Ueberschreitung  der  Assimi¬ 
lationsgrenze  Hyperglykämie  eingetreten  ist,  und  Zucker  durch 
die  Nieren  hindurchfiltrirt,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  der¬ 
selbe  dann  parallel  mit  dem  Harn wasser  zur  Ausscheidung 
kommt,  also  in  absolut  grösseren  Mengen  bei  gesteigerter 
Diurese.  Wir  haben,  um  diese  Vermuthung  zu  stützen,  in 
solchen  Fällen,  wo  das  specitische  Gewicht  niedrig,  oft  unter 
1  004  war,  den  diluirten  Harn  auf  dem  Wasser  bade  einge¬ 
dampft,  bis  zu  einem  specitischen  Gewicht  von  1*017 — P020, 
und  trotzdem  bis  nun  immer  eine  ebenso  negative  Reaction 
erhalten  als  mit  dem  nativen  Harn,  während  andererseits  ein 
ganz  blasser  Urin  von  geringer  Dichte  schon  intensive  Zucker- 
reaction  gab. 

Doch  wir  wollen  ja  die  Assimilationsgrenze  bestimmen. 
Hiezu  bedarf  es  wiederholter  Versuche  bei  einem  und  dem¬ 
selben  Individuum,  was  immerhin  eine  gewisse  Erschwerung 
der  Sache  bedeutet,  indessen  nicht  so  complicirt  ist,  als  es  sich 
auf  den  ersten  Blick  vielleicht  darstellt.  Anfangs  der  Unter¬ 
suchungen,  als  wir  noch  über  keine  eigenen  Zahlen  verfügten, 
und  die  Grundlage  für  die  weiteren  Arbeiten  schaffen  mussten, 
wurde  in  jedem  Falle  mit  25 g  Dextrose  begonnen  und  in 
zwei-,  respective  dreitägigen  Intervallen,  um  jede  denkbare 
Verdauungsstörung,  respective  Beeinflussung  der  Assimilations¬ 
grenze  zu  vermeiden,  um  je  2b  g  gestiegen,  bis  die  Reaction 
eintrat.  Jetzt,  wo  wir  bereits  einige  Zahlen  haben,  lässt  sich 
dieUntersuchung  wesentlich  rascher  erledigen,  indem  wir  meistens 
gleich  mit  100,  auch  150//  beginnen.  Sollte  man  schon 
das  erste  Mal  eine  deutlich  positive  Reaction  erhalten,  so  bleibt 
es  ja  noch  möglich,  mit  einer  kleineren  Dosis  den  Versuch  zu 
wiederholen  und  so  die  in  diesem  Falle  bestehende  Assimi¬ 
lationsgrenze  zwischen  einen  grösseren  und  einen  kleineren 
Werth  einzuschliessen.  Bleibt  mit  der  nächst  kleineren  Trauben¬ 
zuckerdosis  die  Reaction  aus,  so  haben  wir  selbstverständlich 
die  erstangewendete  Grösse  als  Resultat  anzusetzen.  Ich  will 
noch  hinzufügen,  dass  bis  nun  die  Erreichung  der  Assimi¬ 
lationsgrenze  sich  immer  sehr  scharf  markirte,  indem  die  voll¬ 
ausgeprägte  Zuckerprobe  oft  einen  auffallenden  Gegensatz 
bildete  zu  dem  Ausbleiben  der  Reaction  bei  Darreichung  der 
nächst  kleineren  Zuckerdosis.  —  Da  sich  eine  solche  Untersuchung 
immer  über  eine  Reihe  von  Tagen  erstreckt,  so  ist  es  gewiss, 
dass  diese  Prüfung  wohl  nur  bei  Störungen  von  einiger  Dauer 
mit  Aussicht  auf  Erfolg  in  Anwendung  gebracht  werden  kann. 
Die  Nerven-  und  Geisteskrankheiten,  bei  denen  ja  auch  am 
ehesten  Resultate  zu  erwarten  sind,  entsprechen  nun  dieser 
Bedingung  in  der  vollkommensten  Weise;  der  Verlauf  der 
meisten  Fälle  ist  ein  so  schleichender,  dass  man  sogar  wieder¬ 
holte  Bestimmungen  der  Assimilationsgrenze  machen  kann,  um 
die  eventuelle  Aenderung  dieser  Grösse  zu  studiren.  Natürlich 
wird  man  bei  später  wiederholten  Versuchen  sehr  schnell  zum 
Ziele  kommen,  da  man  von  den  zuletzt  gefundenen  Werthen 
ausgehen  kann. 

Unsere  Beobachtungsreihe  ist  vorläufig  noch  zu  klein,  um 
daraus  allgemeine  Folgerungen  ableiten  zu  dürfen.  Die  hier 
vorliegenden  Fragen  sind  ja  nur  zu  lösen,  wenn  man  seiner 
Untersuchung  die  grösstmögliche  Ausdehnung  gibt.  Da  hier¬ 
über  noch  längere  Zeit  verstreichen  dürfte,  fühlte  ich  mich 
gedrängt,  schon  heute  unseren  etwas  abweichenden  Standpunkt 
darzulegen.  Es  erscheint  uns  dies  umso  nöthiger,  als  in  der 
letzten  Zeit  Arbeit  auf  Arbeit  erscheint,  die  als  weiterer  Bei¬ 
trag  zum  Ausbau  der  Lehre  von  der  alimentären  Glykosurie 
gedacht  ist;  wo  neue  Zahlen  mitgetheilt  werden,  die  allen 
früheren  angereiht  werden  sollen.  Wir  haben  bereits  die  Ge¬ 
wissheit,  dass  das  eben  geschilderte  Vorgehen  zu  allgemein 
verwendbaren  Resultaten  führt ;  es  ist  sicher,  dass  die  von  uns 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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aufgestellten  Zahlen  sich  auf  die  jedes  einzelnen  Autors  um¬ 
rechnen  lassen,  während  das  Umgekehrte  natürlich  unmöglich 
ist.  Ja  man  könnte  sich  sogar  von  dem  H  o  f  m  e  i  s  t  e  r’schen 
Gesetze  emancipiren  und  aus  unseren  Protokollen  den  L  i- 
n  o  s  s  i  e  r  -  R  o  c  q  u  e’schen  Coefficienten  berechnen,  wenn  wir 
nicht  bereits  wüssten,  dass  derselbe  eine  recht  schwankende 
Grösse  darstellt. 

Wir  erlauben  uns  daher,  den  Begriff  der  »Assimilations¬ 
grenze«  in  einer  präcisen  Fassung  der  allgemeinen  Berück¬ 
sichtigung  zu  empfehlen  ;  wir  haben  motivirt,  warum  wir  mit 
dem  bisherigen  schematischen  Vorgehen  gebrochen  und  eine 
abweichende  Versuchsanordnung  vorgeschlagen  haben,  wir 
werden  uns  seinerzeit  erlauben,  über  die  Resultate  auf  dem 
Gebiete  der  Geisteskrankheiten  in  einer  weiteren  ausführlichen 
Arbeit  zu  berichten. 


Literatur.*) 

’)  Kraus  und  H.  Ludwig,  Klinische  Beiträge  zur  alimentären 
Glykosurie.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1891,  46,  48,  pag.  855  ff. 

2)  Worm-Müller,  Die  Ausscheidung  des  Zuckers  im  Harn  des 
gesunden  Menschen  nach  Genuss  von  Kohlehydraten.  Pfliiger’s  Archiv.  1884, 
Bd.  XXXIV,  pag.  576. 

3)  F.  Hofmeister,  Ueber  die  Assimilationsgrenze  der  Zucker¬ 
arten.  Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie.  1889, 
Bd.  XXV,  pag.  240. 

4)  Linossier  et  R  o  c  q  u  e,  Contributions  ä  l’etude  de  la  glyco- 
surie  alimentaire.  Arch,  de  med.  exp.  1895,  T.  VII;  ref.  in  Rud.  Virchow’s 
Jahresbericht  u.  a.  0. 

r')  F.  Moritz,  Ueber  die  Kupferoxyd  reducirenden  Substanzen  des 
Harns  unter  physiologischen  und  pathologischen  Verhältnissen  etc.  Deutsches 
Archiv  für  klinische  Medicin.  1890,  Bd.  XLVI,  pag.  217. 

6)  K.  B  a  i  s  c  h,  Ueber  die  Natur  der  Kohlehydrate  des  normalen 
Harns.  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie  1894,  Bd.  XIX,  pag.  339. 

7)  L.  Breu  1,  Kann  der  Zuckergehalt  des  normalen  Harns  durch 
einseitige  Ernährungsweise  und  andere  noch  in  den  Bereich  des  Physiolo¬ 
gischen  fallende  Bedingungen  zu  höheren  Graden  gesteigert  werden?  Archiv 
für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie.  1898,  Bd.  XL,  pag.  1. 

8)  H.  St  r  a  u  s  s,  Untersuchungen  über  die  Resorption  und  Aus¬ 
scheidung  von  Zucker  bei  rectaler  Zuckerzufuhr  nebst  Bemerkungen  über 
Rectalernährung.  Charite-Annalen.  1897,  Bd.  XXII. 

9)  F.  V  o  i  t,  Untersuchungen  über  das  Verhalten  verschiedener 
Zuckerarten  im  menschlichen  Organismus  nach  subcutaner  Injection. 
Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  1897,  Bd.  LV1I1,  pag.  523. 

,0)  W.  L  i  e  v  i  n,  Ueber  alimentäre  Glykosurie.  100  Versuche  an 
Gesunden  und  Kranken.  Inaugural-Dissertation.  Erlangen  1896. 

1!)  J.  Strauss,  Zur  Lehre  der  alimentären  und  diabetischen  Gly¬ 
kosurie.  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1899,  13,  pag.  276. 

12)  M.  Arndt,  Ueber  alimentäre  und  transitorische  Glykosurie  he* 

Gehirnkrankheiten.  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  1897,  Bd.  X» 
pag.  419.  —  Ueber  alimentäre  Glykosurie  bei  einigen  Neuropsychosen. 

Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898,  49,  pag.  1085. 

13)  Laudenheimei’,  Diabetes  und  Geistesstörung.  Berliner  klini¬ 
sche  Wochenschrift.  1898,  21  —  23,  pag.  463  ff. 

,4)  S  i  e  g  m  u  n  d,  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Urinveränderungen  hei 
Geisteskrankheiten,  insbesondere  bei  der  progressiven  Paralyse  der  Irren. 
Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  1895,  Bd.  LI,  pag.  602. 

15)  II.  Ludwig,  Ueber  Glykosurie  und  alimentäre  Glykosurie  in 
der  Schwangerschaft.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  12,  pag.  305. 

16)  F.  C  h  v  o  s  t  e  k,  Ueber  alimentäre  Glykosurie  bei  Morbus  Base- 
dowii.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1892,  17,  18,  22,  pag.  251  ff. 

17)  v.  Strümpell,  Zur  Aetiologie  der  alimentären  Glykosurie  und 
des  Diabetes  mellitus.  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1896,  46,  pag.  101 7  fl’. 

18)  M.  A  h  e  1  e  s,  Ueber  alimentäre  Oxalurie.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1892,  19,  20,  pag.  277  ff. 


*)  Es  hiesse  den  Rahmen  dieser  als  erste  vorläufige  Mittheilung  ge¬ 
dachten  Arbeit  weit  überschreiten,  wenn  ich  hier  die  gesammte  über  100 
Nummern  betragende,  behufs  Studiums  der  Frage  durch  gearbeitete  Literatur 
aufzählen  wollte.  Ein  alphabetisch  geordnetes,  möglichst  vollständiges  Lite- 
raturverzeichniss  wird  der  in  Aussicht  gestellten  ausführlichen  Publication 
beigegeben,  für  heute  beschränke  ich  mich  auf  jene  Arbeiten,  die  im  Texte 
unumgänglich  citirt  werden  mussten. 


Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 

L.  v.  Schrötter. 

Eine  seltene  Form  von  Aneurysma  der  Aorta 
thoracica  descendens. 

Von  Dr.  Maximilian  AVeinberger  und  Dr.  Arthur  Weiss,  Aspiranten 

der  Klinik. 

Die  Aneurysmen  im  Verlaufe  der  Aorta  thoracica  des¬ 
cendens  gehören  zu  den  seltener  vorkommenden;*)  sie  sind 
nach  der  Angabe  der  meisten  Autoren  in  der  Regel  klein  und 
erreichen,  wenigstens  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  bei  weitem 
nicht  die  Grösse  von  Aneurysmen  der  übrigen  Aortenabschnitte. 
Sie  breiten  sich  am  liebsten  nach  links  aus  und  daher  erfolgt 
auch  eine  Perforation  derselben  meist  in  die  linke  Pleurahöhle 
oder  linke  Lunge  und  demnächst  in  den  Oesophagus. 

Der  zu  beschreibende  Fall  von  Aneurysma  der  Aorta 
descendens  weicht  in  allen  diesen  Beziehungen  von  dem  ge¬ 
wöhnlichen  Verhalten  ab  und  erscheint  deshalb  der  Mittheilung 
würdig;  ferner  war  es  hier  möglich,  das  bioskopische  Resultat 
der  Röntgenographie  mit  dem  nekroskopischen  Resultate  der 
Obduction  bei  einem  sehr  selten  gelagerten  Aneurysma  zu 
vergleichen.  Belege  von  Röntgenogrammen  durch  Obductionen, 
die  gerade  für  den  wissenschaftlichen  Ausbau  der  röntgeno¬ 
graphischen  Diagnostik  von  Wichtigkeit  sind,  sind  im  Allge¬ 
meinen  noch  selten,  ganz  besonders  bei  Aneurysmen. 

Am  20.  December  1899  suchte  der  54jährige,  verheiratete  F.  S., 
Kesselschmied,  das  Ambulatorium  der  III.  medicinischen  Klinik  mit 
der  Angabe  auf,  dass  er  vor  vier  Monaten  bei  der  Arbeit  Stechen 
in  der  rechten  Brustseite  verspürt  habe,  seither  bettlägerig  gewesen 
sei  und  seit  zwei  Tagen  Blut  aushuste.  Bei  dem  Patienten,  welcher 
auf  die  Klinik  aufgenommen  wurde,  ergab  die  Erhebung  der  Ana¬ 
mnese  Folgendes: 

Anamnese  v  o  m  20.  Decembe  r  1899.  Bis  zum  15. Lebens¬ 
jahre  war  Patient  seiner  Angabe  nach  stets  gesund.  In  diesem  Alter 
erkrankte  er  an  Schwellungen  der  Halsdrüsen,  welche  aufbrachen 
und  vernarbten.  Im  Alter  von  18  Jahren  erkrankte  Patient  an  einer 
Anschwellung  des  rechten  Ellbogengelenks,  welche  zu  einer  Eite¬ 
rung  und  Beweglichkeitseinschränkung  des  Gelenkes  führte. 

Mit  20  Jahren  litt  Patient  an  einem  fieberhaften  Ausschlage,  über 
den  er  nur  anzugeben  weiss,  dass  derselbe  mit  einer  weissen  Salbe 
behandelt  wurde  und  nach  wenigen  Tagen  schwand.  Seither  will 
Patient  bis  zu  seiner  gegenwärtigen  Erkrankung  stets  gesund  ge¬ 
wesen  sein.  Er  stand  im  Dienste  einer  hiesigen  Bahn  und  konnte 
seiner  schweren  Arbeit  stets  ohne  Beschwerde  nachgehen.  Nur  im 
Jahre  1895  erlitt  Patient  eine  schmerzhafte  Zerrung  im  Kreuze,  die 
ihn  durch  drei  Wochen  an  das  Bett  fesselte. 

Am  24.  August  1899  verspürte  er,  als  er  sich  bemühte,  eine 
Nietschraube  in  einen  Kessel  einzudrehen,  heftige  Schmerzen  in  der 
rechten  Schultergegend,  welche  ihn  zur  Bettruhe  nöthigten.  Die¬ 
selben  nahmen  immer  mehr  zu,  so  dass  Patient  nur  mehr  für 
kurze  Zeit  das  Bett  verlassen  konnte.  Er  schildert  sie  als  brennend 
und  stechend,  später  wurden  sie  »klopfend  und  tobend«. 

Am  18.  December  1899  verspürte  Patient  ohne  Anlass  plötzlich  ein 
»Rieseln«  in  der  Tiefe  des  Thorax.  Unmittelbar  hierauf  warf  er 
circa  '/4 1  dunkelrothes,  flüssiges  nicht  schaumiges  Blut  aus,  welches, 
wie  Patient  ang'ibt,  ohne  jeden  Hustenreiz  und 
ohne  Anstrengung,  blos  unter  leichtem  Räuspern 
heraufgebracht  wurde.  1  ’atient  hatte  bei  diesem  Vorgänge 
ein  Gefühl  des  Würgens  im  Schlunde. 

Am  nächsten  Tage  erfolgte  wieder  eine  heftige  Blutung 
(gegen  */4 1).  Nunmehr  wurde  der  Patient  über  Anrathen  seines  Arztes 
ins  Krankenhaus  befördert.  Potus  und  Lues  in  Abrede  gestellt. 

Status  praesens  vom  20.  December  1899.  Patient  ist 
von  kräftigem  Knochenbau,  gut  entwickelter  Musculatur  und  ziem¬ 
lich  reichlichem  Unterhautzellgewebe.  Hautcolorit  blassbräunlich,  Seir 
sorium  frei;  von  Seiten  des  Gehirns,  der  Hirnnerven  und  des  son¬ 
stigen  Nervensystems  keine  Störungen  nachweisbar. 

Gesicht  gut  gefärbt,  nicht  cyanotisch,  Pupillen  mittelweit, 
beiderseits  gleich  weit,  reagiren  prompt  auf  Licht,  Accommodation 
und  Convergenz,  Rachen  geröthet,  Pharyngitis  granulosa,  Laryn- 

*)  Vergleiche  hiezu  L.  v.  Schrötter:  Erkrankungen  der  Gefässe. 
I.  Theil.  Wien,  Holder.  1900. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


gitis  chronica,  Trachea  von  normalem  Caliber,  etwas  geröthet, 
nirgends  eine  Stenosirung  sichtbar,  kein  Stridor. 

Ilals,  kurz,  dick,  Ilalsvenen  nicht  ausgedehnt;  an  der  rechten 
Halsseite  gestrickte  Narben  sichtbar,  Lymphdrüsen  nicht  tastbar. 

Thorax  entsprechend  lang,  breit,  tief,  gut  gewölbt,  keine 
Venenektasien  an  der  Haut  des  Thorax  sichtbar.  An  der  Vorder¬ 
seite  des  letzteren  sieht  und  fühlt  man  beiderseits  eine  leichte  Er¬ 
schütterung  in  der  Gegend  des  ersten  Intercostalraumes. 

Respiration  28,  costoabdominal,  symmetrisch,  etwas  an¬ 
gestrengt.  Ueber  den  Fossae  supracl  a  viculares  normaler 
Lungenschall.  Im  rechten  ersten  Intercostalraum  eine 
gedämpfte  Z  o  n  e,  von  rechts  drei  Querfinger  jenseits  des  rechten 
Sternalrandes  bis  über  das  Manubrium  sterni  hinweg  nach 
links,  einen  Querfinger  vom  linken  Sternalrand,  sonst  vorne 
beiderseits  normale  Schallverhältnisse.  Rechter  Lungenrand  an  der 
oberen  Grenze  der  sechsten,  linker  Lungenrand  am  oberen  Rande 
der  vierten  Rippe  in  der  Mamillarlinie,  beide  Ränder  respiratorisch 
verschieblich. 

DieAuscultation  über  der  Vorderfläche  des  Thorax 
ergibt  Vesiculärathmen  mit  etwas  verlängertem  Exspirium  und 
spärlichen  trockenen  Rasselgeräuschen. 

Bei  Besichtigung  des  Rückens,  an  welchem  eine  ganz  leichte 
skoliotische  Verkrümmung  der  Wirbelsäule  in  ihrem  dorsalen  Ab¬ 
schnitte  nachweisbar  ist,  fällt  vor  Allem  eine  Vor  wölbung  der 
rechten  S  c  h  u  1 1  e  r  b  1  a  1 1  g  e  g  e  n  d  auf,  welche  in  einer  Aus¬ 
dehnung  von  Handteller  grosse  das  Niveau  des  Thorax  um 
gut  Querfingerdicke  überragt.  Diese  Vorwölbung  reicht  von  der 
Wirbelsäule  bis  zum  medialen  Rande  der  abducirten  Scapula  und 
begrenzt  sich  nach  oben  etwa  zwei  Querfinger  breit  oberhalb  der 
Spina  scapulae  und  nach  unten  etwa  in  der  halben  Schulterblatthöhe. 
Die  Vorwölbung  zeigt  bei  der  Inspection  exquisite  Hebung. 
Die  aufgelegte  Hand  hat  deutlich  die  Empfindung  einer  dilata  to¬ 
rischen  Pulsation.  Das  Punctum  maximum  der  letzteren  ist 
zwei  Querfinger  unterhalb  der  Spina  scapulae  gelegen.  Die  Per¬ 
cussion  des  Rückens  ergibt:  Ueber  der  rechten  Lungenspitze  (im 
Vergleiche  zur  linken  Seite)  leerer  Schall,  von  da  ab,  der  beschrie¬ 
benen  Vorwölbung  entsprechend,  bis  drei  Querfinger  oberhalb  des 
Angulus  scapulae  absolut  gedämpfter  Schall,  welcher  sich  medial  mit 
der  Wirbelsäule  und  lateral  etwa  handbreit  von  letzterer  gegen  die 
normal  schallende  übrige  Thoraxpartie  abgrenzt,  sonst  auf  dieser 
Seite  normaler  Lungenschall. 

Links  normaler  Lungenschall  mit  Ausnahme  einer  schmalen, 
zwei  Querfinger  breiten,  neben  der  Wirbelsäule  liegenden  Zone,  die 
sich  von  der  Spina  scapulae  handbreit  nach  abwärts  erstreckt. 

Auscultation:  Ueber  den  normal  schallenden  Percussions¬ 
stellen  vesiculäres  Athmen  mit  verlängertem  Exspirium  und  spärlichen 
trockenen  Rasselgeräuschen,  über  den  Dämpfungszonen  abgeschwäch¬ 
tes  Athmen,  besonders  prägnant  über  dem  pulsirenden  Centrum  an 
der  rechten  hinteren  Thoraxwand. 

Herzstoss  im  fünften  Intercostalraum,  zwei  Querfinger 
innerhalb  der  linken  Mamillarlinie  gelegen,  nicht  sicht-  und  kaum 
fühlbar.  Die  Herzdämpfung  überschreitet  nach  rechts  den  linken 
Sternalrand  nicht.  Ueber  der  Herzspitze  und  der  Mitralis  leise  reine 
Töne,  über  der  Auscultationsstelle  der  Aorta,  sowie  über 
der  gedämpfen  Zone  im  rechten  ersten  Intercostalraum  und  über 
dem  Manubrium  sterni  an  Stelle  des  ersten  Aortentones  ein  lang¬ 
gezogenes,  blasendes,  ziemlich  weiches  Geräusch, 
der  zweite  Ton  meist  rein,  zuweilen  von  einem  kurzen  Geräusch 
eingeleitet.  Zweiter  Pulmonalton  nicht  accentuirt.  Ueber  der  pulsiren¬ 
den  Stelle  an  der  rechten  hinteren  Thoraxseite  ist  ein 
sehr  lauter,  klingender  Ton  hörbar. 

Arterien:  aae.  radial,  wenig  gefüllt,  massig  gespannt, 
Arterienrohr  etwas  rigid,  leicht  geschlängelt,  Pulswelle  rasch  an¬ 
steigend,  äqual,  rhythmisch,  Frequenz  76. 

Die  linke  a.  carotis  auffallend  weniger  stark  p  u  1- 
sirend  als  die  rechte.  An  den  übrigen  Arterien  keine  qua¬ 
litativen  oder  zeitlichen  Differenzen  nachweisbar. 

Abdomen  etwas  über  dem  Nineau  des  Thorax.  Bauchorgane 
normal. 

Harn  blassgelb,  klar,  enthält  keine  abnormen  Bestandteile. 

S  p  u  t  u  m  schleimig,  mit  gleichmässiger  Beimengung  von 
ilüssigem  Blute. 


Fassen  wir  die  wichtigsten  Momente  des  vorstehenden 
Befundes  zusammen: 

Es  findet  sich  über  und  zunächst  dem  Manubrium  sterni 
Pulsation,  ebenda  eine  Dämpfung,  entsprechend  der  Lage  der 
Aorta,  über  ihr  ein  blasendes,  systolisches  Geräusch.  Die  rechte 
Rückenwand  ist  in  ihrer  oberen  Hälfte  vorgevvölbt,  die  Vor¬ 
wölbung  dehnt  sich  bei  jeder  Systole  allseitig  pulsatorisch  aus, 
derselben  entspricht  eine  Dämpfung,  in  deren  ganzer  Ausdeh¬ 
nung  ein  lauter  Ton  hörbar  ist:  damit  war  die  Diagnose  Aneu¬ 
rysma  der  Aorta  in  sich  geschlossen. 

Es  handelte  sich  nun  darum,  die  Diagnose  zu  präcisiren 
und  näher  auf  den  Sitz  des  Aneurysma  einzugehen.  In  dieser 
Hinsicht  erschien  der  Befund  sofort  schwierig  und  wider¬ 
spruchsvoll.  Zunächst  konnte  mit  Rücksicht  auf  die  circum- 
scripte  Vorwölbung  in  der  rechten  oberen  Rückengegend  und 
die  scharf  begrenzte,  sehr  ausgedehnte  diktatorische  Pulsation 
daselbst  ein  Sack  angenommen  werden,  welcher  in  dem  der 
Dämpfung  entsprechenden  Bezirke  der  Thoraxwand  anliegend, 
dieselbe  theilweise  zum  Schwunde  gebracht,  somit  bereits  eine 
beträchtliche  Grösse  erreicht  haben  musste.  Da  auf  der  Vorder¬ 
wand  des  Thorax  die  Pulsation  und  Dämpfung  nur  angedeutet, 
jedenfalls  viel  weniger  ausgebildet  waren,  als  auf  der  Rücken¬ 
wand;  ferner  auf  der  rechten  Seite  in  grosser  Ausdehnung  zu 
constatiren,  links  kaum  angedeutet  waren,  so  musste  man  sich 
vorstellen,  dass  der  grosse  aneurysmatische  Sack  sich  vorwiegend 
rechts  und  rückwärts  im  Thoraxraum  lagere. 

Die  radiographische  Untersuchung,  welche  wir  in  solchen 
Krankheitsfällen  immer  mit  Vortheil  anwenden,  musste  zur 
Schonung  des  Patienten  auf  die  Durchstrahlung  beschränkt 
werden,  wobei  auf  die  photographische  Exposition  verzichtet 
wurde. 

Dorso  ventrales  Schattenbild.  Der  mediane  Schatten 
ist  über  doppelt  so  breit,  als  normal;  seine  Grenzcontouren  weichen 
vom  normalen  Verhalten  wesentlich  ab  und  zwar  geht  der  linke 
von  einem  an  der  ersten  Rippe  gelegenen  Winkel  in  einem  beinahe 
halbkreisförmig  gekrümmten  Bogen  nach  unten  und  abwärts  bis  an 
die  dritte  Rippe.  Er  ist  gegen  die  umgebende  Lungenhelligkeit  scharf 
abgesetzt  und  pulsirt  rhythmisch.  Viel  weniger  scharf  abgesetzt  ist 
die  rechte  Seitencontour,  da  die  rechte  obere  Hälfte  des  Thoraxbildes 
diffus  beschattet  ist. 

Ventro  dorsales  Bild  Fig.  1*).  Der  mediane  Schatten  ist  auch 
hier  pathologisch  um  mehr  als  das  Doppelte  verbreitert.  Beide  Seiten- 
contouren  sind  scharf  gegen  die  umgebende  Lungenhelligkeit  abzu¬ 
grenzen.  Während  das  die  linke  Contour  begrenzende  Lungenbild 
normal  hell  ist,  ist  das  an  die  rechte  grenzende  gleichmässig  sehr 
wenig  dicht  verdunkelt.  Die  rechte  Seitencontour  beginnt  an  der 
zweiten  Rippe  und  bildet  einen  bis  zur  fünften  Rippe  sich  erstrecken¬ 
den  halbellipsenförmigen  Bogen,  der  an  der  vierten  Rippe  den 
äussersten  Punkt  erreicht,  wodurch  hier  die  grösste  Breite  des  rechten 
Schattenantheiles  gegeben  ist.  Die  linke  Contour  ist  halbkreisförmig 
und  gleich  der  am  dorsoventralen  Bilde.  Beide  Seitencontouren  pul- 
siren  rhythmisch. 

Es  ist  also  auf  beiden  Bildern  eine  ziemlich  hochgradige 
Verbreiterung  des  mediastinalen  Schattens  nach  rechts  und 
nach  links  zu  finden,  woraus  auf  ein  pathologisch  vergrössertes 
Mediastinum  geschlossen  wrnrden  kann.  Der  mediane  Schatten 
begrenzt  sich  mit  einheitlich  pulsirenden  Bogencontouren,  das 
typische  Schattenbild,  das  wir  bei  klinisch  diagnosticirten  (durch 
Obduction  bestätigten)  Aneurysmen  gesehen  haben;  wir  finden 
also  die  Diagnose  Aneurysma  bestätigt. 

Aus  dem  Vergleiche  zwischen  dem  dorsoventralen  und 
ventrodorsalen  Bilde  ist  ferner  für  die  Lagerung  und  das 
nähere  Verhalten  des  Aneurysma  zu  erschliessen,  dass  der 
rechte  Antheil  des  Schattens  einem  aneurysmatischen  Sacke 
entspricht,  der  sich  einseitig  nach  rechts  und  rückwärts  aus¬ 
dehnt,  in  der  Höhe  zwischen  zweiter  und  fünfter  Rippe  ge¬ 
legen,  zwischen  vierter  und  fünfter  Rippe  seine  grösste  Dimen¬ 
sion  hat;  der  iinke  Antheil  einem  Aneurysmasack  oder  einer 

*)  Dieses  wurde,  als  für  die  Diagnose  vor  Allem  wichtig,  auf  trans¬ 
parentem  Papier  copirt.  Schirmcopie  anbei.  (Vide  pag.  185.) 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Erweiterung,  wahrscheinlich  einer  solchen  entspricht,  welche 
links  in  der  Körpermitte  vorwiegend  im  ersten  Intercostalraum, 
aber  auch  abwärts  davon  gelegen  ist. 

In  solcher  Weise  sind  nun  die  Kenntnisse  über  den  vor¬ 
liegenden  Fall  für  das  wissenschaftliche  und  praktische  Inter¬ 
esse  ergänzt;  wenn  man  local  therapeutisch  vorgehen  wollte, 
so  wissen  wir:  es  handelt  sich  um  einen  circumscripten  Sack 
rechts  rückwärts,  in  den  man  z.  B.  coagulirend  wirkende 
Körper  einführen  könnte. 

Es  erübrigt  nur  noch,  eine  anatomische  Diagnose  zu 
machen:  zu  diagnosticiren,  welchem  Gefässabschnitte  das  Aneu¬ 
rysma  an  gehört. 

Zu  diesem  Behufe  muss  man  die  pathologisch-anatomi¬ 
sche  Erfahrung  zu  Hilfe  ziehen,  denn  man  kann  auch  mit  dem 
Röntgen-Verfahren  nicht  die  Gefässe  differenziren  und  keine 
Contouren  sondern. 

Eine  Gefässerweiterung  im  ersten  Intercostalraum  links 
in  der  Körpermitte  entspricht  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  dem 
Arcus  aortae.  Ein  Aneurysmasack,  mit  der  grössten  Dimen¬ 
sion  zwischen  vierter  und  fünfter  Rippe,  nach  rechts  rückwärts 


Fig.  1. 


ausgedehnt,  kann  ein  Aneurysm  ade  r  Aortaascendens 
sein,  das  sich  rückwärts  gelagert,  oder  ein  Aneurysma  der 
Aorta  descendens,  welches  sich  hochgradig  und  blos 
nach  rechts  erstreckt  hat;  beides  seltene  Localisationen,  die 
letztere  besonders. 

Demnach  lautet  die  Diagnose:  eine  gleichmässige  Er¬ 
weiterung  des  Arcus;  Aneurysma  aortae;  die  Ent¬ 
scheidung  über  die  Ursprungsstelle  desselben  bleibt  offen,  wobei 
eher  an  ein  Aneurysma  der  Aorta  ascendens  zu 
denken  ist;  ferner  Verdichtung,  wahrscheinlich  Com¬ 
pression  der  rechten  Lunge  im  Ober  lap  pen. 

Die  Angabe  vorausgegangener  und  die  noch  bestehenden 
Blutungen  Hessen  eine  Perforation  des  Aneurysma 
annehmen,  und  zwar  konnte  man  in  der  rechten  Lunge,  be¬ 
ziehungsweise  einem  Bronchialast  derselben  die  Perforations- 
Öffnung  vermuthen,  da  das  Aneurysma  sich  nach  der  rechten 
Lunge  ausdehnte  und  in  dieselbe  vorbauchte.  Da  aber  der 
Patient  angab,  dass  er  das  Blut  mühelos  unter  Würgen  herauf¬ 
befördert  habe,  von  Seite  des  Respirationstractes  nur  geringe 
Reizerscheinungen  vorhanden  waren,  in  der  Trachea  kein  Blut 
zu  sehen  war,  konnte  man  auch  an  eine  Perforation  in  den 
Oesophagus  denken.  Eine  Verwachsung  des  Sackes  mit  dem 
Nachbarorgan  mochte  bei  allmäliger  Dehnung  und  Verdünnung 
mit  kleinen  Substanzverlusten  eingerissen  sein,  was  zur  Hä- 
morrhagie  führen  konnte;  die  Vorlagerung  einer  Fibrinschichte 


oder  eines  frischen  Coagulums  an  der  gesetzten  Perforations¬ 
stelle  konnte  die  Unterbrechung  der  Blutung  bewirkt  haben. 

Decursus:  In  den  ersten  zwei  Tagen  seines  Spitalsaufent- 
haltes  fühlte  sich  Patient  vollkommen  wohl. 

Therapie:  Plumb,  acet.,  Morphium,  flüssige  Diät. 

Am  22.  December  entleerte  Patient  unter  leichtem  Räu¬ 
spern  in  einem  Gusse  etwa  einen  halben  Liter  dunkel- 
rothen  flüssigen,  nicht  schaumigen  Blutes.  Morphium  und  Ergotin 
subcutan. 

Patient  collabirte  zusehends,  das  Gesicht  wurde  cyanotisch, 
die  Respiration  stockte,  der  Puls  setzte  aus,  Trachealrasseln.  Nach 
wenigen  Secunden  entleerte  der  Patient  noch  eine  geringe  Quantität 
Blutes  durch  Mund  und  Nase,  worauf  plötzlich  Puls  und  Respiration 
wieder  einsetzten.  Neuerlich  Morphium  und  Ergotin,  subcutan  Injection 
von  je  150  cm3  einer  3°/0igen  Gelatine  -  Glycerinlösung  in  beide  Ober¬ 
schenkel.  Nahezu  völlige  Nahrungsentziehung  ('/2  Flasche  Milch 
pro  die)  Plumbum  acet.  Morphium.  Am  N  a  c  hm  i  1 1  a  g  desselben 
Tages  warf  Patient  leicht  blutig  tingirten  Schleim  aus. 


Die  Nacht  auf  den  23.  December  verbrachte  Patient  ruhig, 
Puls  78,  kräftig,  Respiration  etwas  angestrengt  28,  kein  Fieber.  Am 
23.  December  Mittags  Injection  von  150cm3  einer  3°/0igen  Gelatine- 
Glycerinlösung  in  den  rechten  Oberschenkel  und  darnach  0-02  Mor¬ 
phium  subcutan. 

Am  24.  December  Status  idem.  In  der  Nacht  vom  24.  auf 
den  25.  December  entleerte  Patient  abermals  beim  Stuhlabsetzen 
i/4  i  flüssigen,  etwas  schaumigen  dunkelrothen  Blutes  im  Gusse 
ohne  Huste  ns  to  ss  per  os.  Trotz  Injection  grosser  Dosen  Mor¬ 
phium  und  Ergotin  konnte  die  Blutung  nicht  zum  Stillstände  ge¬ 
bracht  werden.  Der  Puls  wurde  immer  schwächer,  die  Respiration 
immer  flacher  und  Patient  hochgradig  cyanotisch.  Nach  etwa  20  Mi¬ 
nuten  Exitus  letalis. 

Die  Art  der  vor  unsern  Augen  stattgehabten  Blutungen 
bestärkte  unseren  Verdacht  einer  Perforation  des  Aneurysmas 
in  den  Oesophagus,  auf  welche  wir  schon  durch  die  Anamnese 
hingewiesen  worden  waren. 

Die  Obduction  (Obducent:  Prof.  W  eichseibau  m)  ergab. 

Befund:  Die  linke  Lunge  an  einzelnen  Stellen  angewachsen, 
allenthalben  lufthaltig,  die  hinteren  Partien  sehr  blutreich.  Das  Ilerz 
ist  mit  dem  Herzbeutel  allenthalben  durch  leicht  zerreissliches  Lind'  - 
gewebe  verwachsen.  Entsprechend  dem  rechten  Herzventrikel  ist 
das  subendocardiale  Fettgewebe  stark  entwickelt,  bis  '/2cm  dick, 
Höhle  des  linken  Ventrikels  etwas  erweitert,  die  Musculatur  leicht 
hypertrophisch,  morsch,  hellbraun,  die  Klappen  schlussfähig,  die  Aorta 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


ascendens,  der  Arcus  und  die  Aorta  descendens  stark  atheromatös 
die  Aorta  ascendens  glcichmässig,  aber  ziemlich  bedeutend  erweitert; 
unterhalb  des  Bogens  der  Aorta  ist  letztere  in  einen  mehr  als  manns¬ 
faustgrossen  Sack  umgewandelt,  dessen  grösserer  Antheil  in  der 
rechten  Pleurahöhle  liegt  und  mit  dem  Oberlappen  der  rechten  Lunge 
innig  verwachsen  ist;  jener  kleinere  Antheil  des  Sackes,  welcher 
der  vorderen  Fläche  der  Brustwirbelkörper  entspricht,  ist  frei  von 
Coagulis,  jedoch  zeigt  die  vordere  Fläche  der  Brustwirbelkörper 
seichtere  und  tiefere  Usuren.  Der  in  der  rechten  Pleurahöhle  liegende 
Antheil  der  Geschwulst  ist  dagegen  nahezu  vollständig  von  Blut- 
coagulis  erfüllt,  und  zwar  sind  die  peripheren  Partien  der  Coagula 
grössentheils  etwas  derber  und  hellbraun,  während  die  übrigen 
weicher  und  schwarzroth  oder  rothbraun  sind.  An  jenen  Stellen,  an 
welchen  der  Sack  mit  der  Lunge  verwachsen  ist,  wird  ein  Theil  der 
Wandung  des  Sackes  direct  vom  verdichteten  Lungengewebe  ge¬ 
bildet.  Eine  in  einen  mittelgrossen  Bronchialast  des  rechten  Ober- 
lappens  eingeführte  Sonde  gelangt  in  den  Sack,  und  zwar  in  jenen 
Theil,  welcher  von  weichen,  schwarzrothen  Gerinnungen  erfüllt  ist. 

An  der  hinteren  Wand  des  Sackes  liegt  die  vierte  und 
fünfte  Rippe  in  einer  Ausdehnung  von  2-5  cm  bloss,  und  überdies 
ist  das  hinterste  Ende  der  genannten  Rippen  nicht  nur  stark  usurirt, 
sondern  stellenweise  vollständig  zerstört.  Im  Bereiche  des  dritten 
und  vierten  Intercostalraumes  zeigt  der  Sack  je  eine  in  die  tiefe 
Rückenmusculatur  reichende  Ausstülpung,  deren  Wand  dünn,  glatt 
und  mit  der  Musculatur  innig  verwachsen  ist.  Jener  kleinere  Theil 
des  Sackes,  welcher  der  vorderen  Fläche  der  Wirbelkörper  entspricht, 
grenzt  sich  von  dem  grösseren,  in  der  rechten  Pleurahöhle  gelegenen 
Antheil  dadurch  ziemlich  scharf  ab,  dass  letzterer  bedeutend  dünner 
ist.  Der  rechte  Bronchus  enthält  theils  Blutcoagula,  theils  blutig  ge¬ 
färbten  Schleim.  Im  Mittollappen  der  rechten  Lunge  ist  das  Lungen¬ 
gewebe  stellenweise  von  dunkelrothem  Blute  infiltrirt. 

Diagnose:  Sackförmiges  Aneurysma  der  Aorta 
descendens  mit  Usurder  oberen  Brustwirbelkörper 
und  der  vierten  und  fünften  Rippe.  Verwachsung 
des  Aneurysmasackes  mit  dem  rechten  oberen 
Lungenlappen  und  Durchbruch  in  einen  Bronchial¬ 
ast  des  letzteren.  Aspiration  von  Blut  in  den  rechten 
Mittellappen.  Chronische  Endarteriitis  der  Aorta 
ascendens  und  descendens  mit  Ektasie  der  ersteren, 
e  x  c  e  n  t  r  i  s  che  H  y  p  e  r  t  r  o  p  h  i  e  des  li  n  k  e  n  Herzventrikels 
und  fettige  Degeneration  des  Myocards.  Cor  adipo- 
s  u  m,  Fettinfiltration  der  Leber. 

Kurz  resumirend:  Es  handelt  sich  um  ein  grosses,  sackför¬ 
miges  Aneurysma  (vide  pag.  185,  Fig.  2  die  Zeichnung  des  vom 
Herrn  Obducenten  Prof.  Weichselba u m  gütigst überlassenen 
Präparates)  sous  l'aspect  de  poche  ä  collet  (C  r  u  v  e  i  1  h  i  e  r), 
dessen  deutlich  ausgesprochener  Hals  knapp  unterhalb  des 
Arcus  in  der  Aorta  descendens  an  deren  medialer  und  hinterer 
Wand  zu  finden  ist,  eine  ovale,  von  einem  leistenähnlichen, 
mehr  minder  stark  vorspringenden  Rande  begrenzte  Lücke 
darstellend  ;  dessen  Sack  in  der  Grösse  einer  Mannsfaust  sich 
nach  rechts  und  rückwärts  erstreckt,  wobei  ein  kleinerer  Theil 
des  Sackes  der  Vorderfläche  der  Wirbelkörper  anliegt,  ein 
grösserer  Theil  in  die  rechte  Pleurahöhle  und  in  den  Ober¬ 
lappen  der  rechten  Lunge  eingebettet  ist ;  mit  secundären 
Ausbuchtungen  in  die  tiefe  Rückenmusculatur  ;  dessen  Wand 
als  Bindegewebslage  zum  Theil  entsprechend  der  Vorderfläche 
der  Wirbelkörper  erhalten,  an  dieser  festgeheftet,  zum  Theil 
mit  dem  Parenchym  der  rechten  Lunge  verwachsen  oder 
sogar  durch  dasselbe  ersetzt  ist.  In  letzterem  Theile  der 
Höhle  Anden  sich  Gerinnungen,  welche  denselben  beinahe  ganz 
ausfüllen.  Der  benachbarte  Knochen  war  zum  Theile  usurirt, 
die  benachbarte  Lunge  comprimirt  und  verdichtet,  das 
Aneurysma  ist  in  einen  Bronchialast  der  rechten  Lunge 
perforirt. 

Die  Obduction  bestätigte  somit  die  Diagnose  eines  grossen 
Aneurysmas  der  Aorta  und  bot  wichtige  Aufklärungen  ilber 
den  Sitz  desselben  und  seine  Perforationsstelle. 

Die  Aneurysmen  der  Aorta  descendens  bieten  in  der 
Regel  der  Diagnose  die  grössten  Schwierigkeiten.  Schon 


Laennec1)  zählt  diese  Aneurysmen  zu  den  am  schwierigsten 
zu  diagnosticirenden  Brustkrankheiten  und  sieht  die  Ursache 
davon  in  der  tiefen  Lage  der  Brustaorta  und  in  der  Lagerung 
des  Herzens  und  der  Lunge  vor  ihr,  wie  auch  in  dem  selteneren 
Auftreten  von  exquisiten  Formen  dieser  Aneurysmenart,  und 
damit  stimmen  alle  Autoren  bis  v.  Schroetter  überein,  nach 
dessen  Angabe  sie  vermöge  der  ihnen  oft  nur  dunkel  zukom¬ 
menden  Symptome  ein  Hauptcontingent  der  in  der  Brusthöhle 
verborgenen  Aneurysmen  bilden.  Dagegen  handelt  es  sich 
unserem  Falle  um  eines  von  jenen  Aneurysmen,  »die  man  mit 
aller  Sicherheit  erkennen  kann«,  von  denen  wir  aber  »zugeben 
müssen,  dass  wir  häufig  das  Aneurysma  mit  aller  Bestimmt¬ 
heit  nach  weisen,  aber  nicht«  (in  unserem  Falle  nicht  voll¬ 
kommen  sicher)  »nach weisen  können,  von  welchem  Arterien¬ 
abschnitt  es  ausgeht«;  denn  es  bestand  in  unserem  Falle  eine 
höchst  seltene  Lagerung  eines  Aneurysmas  der  Aorta  descen¬ 
dens,  wie  sie  mit  den  gewöhnlichen  klinischen  Erfahrungen 
nicht  übereinstimmt. 

Schon  Rokitansky2)  führt  an,  dass  die  Aneurysmen 
der  Aorta  descendens  gewöhnlich  vorerst  die  Wirbelsäule  in 
Anspruch  nehmen  und  sich  von  da  nebstbei  über  die  hintere 
Wand  des  linken  Thorax  ausbreiten,  wobei  Vorkommen  kann, 
dass  sie  an  ihrem  hinteren  Umfange,  wegen  der  widerstehenden 
Wirbelsäule,  eine  bilobäre  Gestalt  annehmen,  indem  sie  sich 
zu  zwei  zur  Seite  der  Wirbelsäule  sich  ausbreitenden  Säcken 
entwickeln;  ebenso  beobachteten  sie  spätere  Autoren  meist  nach 
links  ausgebreitet,  wobei  sie  mit  Vorliebe  mit  dem  Oesophagus 
in  Beziehung  treten  und  sich  in  die  linke  Lunge  lagern.  Da¬ 
gegen  war  in  dem  beschriebenen  Falle  das  Aneurysma,  das 
eine  sehr  bedeutende  (Mannsfaust-)  Grösse  erreicht  hatte,  nur 
rechts  gelagert  und  erstreckte  sich  mit  keinem  Theile  in  die 
linke  Thoraxhälfte.  Nur  ein  sehr  kleiner  Theil  des  Sackes  lag 
der  Vorderfläche  der  Wirbelsäule  rechterseits  an. 

Trotzdem  das  Aneurysma  unseres  Patienten  schon  sehr 
lange  bestanden  haben  musste  —  denn  ein  Aneurysma  braucht 
gewiss  sehr  lange  Zeit,  um  eine  solche  Grösse  zu  erreichen 
und  so  schwerwiegende  Veränderungen  seiner  Umgebung 
herbeizuführen  —  hatte  es  erst  seit  kurzer  Zeit  erheblichere 
Beschwerden  gemacht.  Diese  traten  im  Anschluss  an  ein 
heftiges  Trauma,  das  Patient  bei  seiner  seit  Jahren  ausgeübten 
schweren  Arbeit  erlitt,  auf.  Von  da  ab  fühlte  er  heftigere 
Schmerzen,  konnte  aber  trotzdem  seine  Arbeit  bald  wieder 
aufnehmen  und  fortsetzen. 

Das  Aneurysma  ging  also  bei  unserem  Patienten  mit 
sehr  geringen  subjectiven  Beschwerden  einher,  während  gerade 
für  diese  Aneurysmen  das  frühzeitige  Auftreten  von  Schmerzen 
und  die  meist  bedeutenden  Beschwerden  der  Kranken  allge¬ 
mein  als  charakteristisch  betont  werden.  Vielleicht  steht  damit 
in  Einklang,  dass  die  Ernährung  des  Patienten  so  wenig  ge¬ 
litten  hatte  und  von  einer  sonst  beschriebenen  Kachexie  nichts 
vorhanden  war.  Beschwerden  von  Seite  der  benachbarten 
Organe  des  Mediastinums  traten  nicht  auf,  da  das  Aneurysma 
in  seiner  Ausdehnung  dieselben  nicht  tangirte. 

Die  Perforation  war  in  einen  Bronchialast  der  rechten 
Lunge  erfolgt;  auffällig  blieb  die  Reactionslosigkeit,  mit  welcher 
die  Bronchialschleimhaut  die  wiederholten  Blutungen  ertragen 
hatte.  Der  Situs  in  mortuo  entsprach  dem  Röntgen-Bilde  voll¬ 
kommen. 

Für  die  Anregung  zur  Publication  und  Ueberlassung 
des  Materials  sagen  wir  unserem  sehr  verehrten  Lehrer,  Herrn 
Hofrath  v.  Schroetter,  geziemenden  Dank. 

*)  Laennec,  Abhandlungen  über  Traite  de  l’auscult.  mediate 
Paris.  1819. 

2)  Rokitansky,  Ueber  einige  der  wichtigsten  Krankheiten  der 
Arterien.  Wien  1852.  (Bd.  IV  der  Denkschrift  der  mathematisch-natur¬ 
wissenschaftlichen  Classe  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften.) 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


187 


Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Primarius  Doctor 
Schopf  im  k.  k.  Kaiserin  Elisabeth-Spitale  in  Wien. 

Traumatisches  Aneurysma  der  Arteria  brachialis 
und  Durchtrennung  des  Nervus  medianus.  Total¬ 
exstirpation  des  Aneurysmas.  Nervennaht. 

Von  Dr.  Karl  Sinnreich,  Abtheilungsassistenten. 

i  Die  vervollkommnet^  Technik  der  Chirurgie,  die  Ein¬ 
führung  der  Es  m  ar  c  h  schen  Blutleere  und  der  Asepsis 
brachten  es  mit  sich,  dass  in  der  Behandlung  der  Aneurysmen 
sich  allmälig  eine  totale  Umwälzung  vollzogen  hat.  Die  mo¬ 
dernen  Anschauungen  auf  dem  Gebiete  der  Aneurysmatherapie 
wurden  bereits  von  vielen  Autoren  klargelegt,  denen  ilire^  per¬ 
sönliche  Erfahrung  hiezu  volle  Berechtigung  gegeben.  Trotz¬ 
dem  mir  dies  bekannt  ist,  entschliesse  ich  mich  zu  einer  diesen 
Gegenstand  betreffenden  Publication.  Meine  Arbeit  beabsichtigt 
in  erster  Linie  einen  Beitrag  zur  Casuistik  zu  erbiingen.  In 
zweiter  Linie,  will  sie  einer  Forderung  meines  verehrten  Chefs 
nachkommen,  die  er  gelegentlich  einer  Publication  über  das 
Aneurysma  der  Arteria  ilio- femoralis  erhoben  hat  (Wicnei 
klinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  55).  Er  bezeichnet  es  als 
wünschenswerth,  die  Aneurysmen  der  einzelnen  Gefässabschnittc 
für  sich  einer  Bearbeitung  zu  unterziehen,  um  dadurch  lest- 
zustellen,  bei  welcher  Methode  am  leichtesten  der  Collateral- 
kreislauf  sich  ausbildet  und  am  schnellsten  und  sichersten 
Heilung  auftritt.  Meine  Arbeit  versucht,  dieser  Forderung  mit 
Rücksicht  auf  die  Brachialarterie  gerecht  zu  werden.  Die  An¬ 
regung  hiezu  bietet  ein  Fall  von  traumatischem  Aneurysma 
des  rechten  Oberarmes,  welches  am  23.  Mai  1899  aut  der 
chirurgischen  Abtheilung  des  Kaiserin  Elisabeth  fepitales  opei  ii  t 
wurde. 

J.  K.,  51  Jahre  alt,  Bauer,  wurde  am  8.  Mai  durch  einen  gegen 
den  rechten  Oberarm  geführten  Messerstich  verletzt.  Aus  der  kleinen 
Wunde  soll  das  Blut  im  Strahle  herausgespritzt  sein  und  Patient 
sofort  die  Besinnung  verloren  haben.  Nach  starkem  Blutverluste 
stand  die  Blutung  von  selbst.  Der  drei  Stunden  später  erschienene 
Arzt  legte  einen  Compressionsverband  an.  Schon  am  J  age  nach  der 
Verletzung  bemerkte  der  Kranke,  dass  die  drei  ersten  tingei  dei 
rechten  Hand  steif  und  empfindungslos  seien.  Am  15.  Mai  entstand 
am  unteren  Ende  des  rechten  Oberarmes  eine  Geschwulst,  die  in  den 
folgenden  zwei  Tagen  ein  rasches  Wachsthum  zeigte  und  heftige 
Schmerzen  veranlasste.  Am  18.  Mai  brach  die  Stichwunde  neuerdings 
auf,  es  kam  zu  schwerer  Blutung,  die  zur  Ohnmacht  führte  und 
schliesslich  spontan  stand.  Zwei  Tage  später  wiederholte  sich  die 
Blutung  zum  dritten  Male,  doch  nur  in  massigem  Grade.  Da  die 
Wunde  trotz  f'leissigen  Touchirens  mit  dem  Lapisstifte  nicht  heilte 
und  die  Geschwulst  trotz  der  vom  Arzte  angeordneten  feuchten 
Verbände  nicht  schwand,  suchte  Patient  am  22.  Mai  unser  Spital  auf. 

Es  wurde  folgender  Status  erhoben:  Kräftige  Constitution, 
guter  Ernährungszustand.  Hochgradige  Blässe.  Innerer  Organbefund 
normal. 

Die  Beugefläche  des  rechten  Oberarmes  mit  Ausnahme  i  « s 
obersten  Viertels  ist  von  einer  elastischen,  unregelmässig-höckerigen, 
quer-  aber  nicht  längsverschieblichen,  mehr  als  handgrossen  Ge¬ 
schwulst  eingenommen,  welche  deutliches,  mit  der  Herzsystole  iso¬ 
chrones  Pulsiren  und  lautes  Schwirren  aufweist.  Das  Schwirren  und 
Pulsiren  ist  am  ausgesprochensten  über  dem  unteren  Ende  dei 
Geschwulst  und  schwindet  bei  Compression  des  Arteria  axillmis. 
3  cm  oberhalb  des  unteren  Poles  der  Geschwulst  befindet  sich  im 
Bereiche  der  inneren  Hälfte  derselben  eine  1  cm  lange,  ‘/2  cm  breite 
querverlaufende,  granulirende  Wunde.  Der  rechte  Radialpuls  fehlt. 

Der  Arm  wird  in  Beugestellung  gehalten.  Die  Flexion  im 
Ellbogengelenk  ist  nicht  beschränkt,  die  Streckung  lässt  sich  nur 
bis  zu  einem  Winkel  von  130°  ausführen. 

Am  Vorderarme  und  an  der  Hand  sind  die  Erscheinungen 
einer  vollkommenen  Medianuslähmung  leicht  zu  constatiren.  Pro¬ 
nation  und  Radialflexion  sind  fast  aufgehoben  (Lähmung  des  Pro¬ 
nator  teres,  quadratus  und  des  Flexor  carpi  radialis).  Der  Daumen 
wird  gut  adducirt,  kann  aber  nicht  opponirt  werden  (Lähmung  der 
Ballenmusculatur,  des  Opponens,  Abductor  brevis  und  Flexor  brevis). 
Die  Beugebewegung  desselben  hat  die  gleiche  Einbusse  erlitten  wie 


am  zweiten  und  dritten  Finger.  Die  Endphalangen  können  nicht 
gebeugt  werden,  während  die  Flexion  der  Grundphalangen  in  noi- 
maler  Weise  vor  sich  geht  (Lähmung  des  Flexor  digitorum  sublimis 
und  der  radialen  Hälfte  des  Profundus).  Am  vierten  und  fünften 
Finger  ist  eine  Störung  der  motorischen  Function  nur  insofern' 
angedeutet,  als  die  Beugung  der  Endphalangen  an  der  kranken  Hand 
mit  geringerer  Kraft  erfolgt  als  an  der  gesunden  (Lähmung  des 
Flexor  digitorum  sublimis). 

Das  Empfindungsvermögen  fehlt  an  der  Beugeseite  des  Daumens 
im  Bereiche  des  Endgliedes,  an  der  Beugcscite  des  zweiten  und 
dritten  Fingers  an  sämmtlichen  Gliedern.  An  der  Streckseite  ist  die 
Anästhesie  auf  die  beiden  Endglieder  des  zweiten  und  dritten  Fingers 
beschränkt.  Am  vierten  Finger  lässt  nur  die  Radialseite  des  Milü'l- 
und  Endgliedes  das  Empfindungsvermögen  vermissen.  Die  Sensi¬ 
bilitätsstörung  betrifft  überall  alle  Empfindungsqualitäten  in  gleicher 
Weise. 

Die  sich  oft  und  in  kurzen  Intervallen  wiederholenden  Blutungen, 

drängten 


durch  die  der  Patient  bereits  sehr  anämisch  geworden  war, 
zu  raschem  Handeln.  Es  wurde  daher  am  23.  Mai  die  Totalexstirpation 

vorgenommen.  ..... 

Oberhalb  der  Geschwulst  wird  im  Sulcus  bicipitalis  internus 

ein  6  cot  langer  Schnitt  geführt.  Nach  Spaltung  der  Haut  und  der 
entzündlich  veränderten,  meliere  Millimeter  dicken  Fascie  tritt  die 
an  ihrer  medialen  Seite  von  der  Vene,  an  ihrer  lateralen  Seite  vom 
Nervus  medianus  begleitete  Arteria  brachialis  zu  Tage.  Unterhalb 
eines  ziemlich  starken,  durch  die  Musculatur  in  die  Tiefe  tretenden 
Astes  (Arteria  collaterals  radialis)  wird  um  die  Brachialis  eine 
Schlimm  geführt,  deren  Knoten  vorläufig  nicht  geschnürt  wird.  Hier¬ 
auf  legt  ein  6  cm  langer,  dem  Innenrande  der  Bicepssehne  parallel 
verlaufender  Schnitt  in  der  Ellenbeuge  die  von  zwei  Venen  begleitete 
Arteria  cubitalis  und  den  medial  von  den  Gefässen  verlaufenden 
Nervus  medianus  bloss.  Um  die  Arterie  wird  ein  loser  Faden  geführt. 
Der  zuerst  beschriebene  Schnitt  wird  nun  nach  unten  bis  zur  Mitte 
der  Geschwulst  verlängert.  Hier  theilt  er  sich  gabelig,  umschneidet 
ein  die  Stichöffnung  enthaltendes  ovales  Hautstück  und  geht  am 
unteren  Pole  des  Aneurysmas  in  die  in  der  Ellenbeuge  verlaufende 
Incision  über.  Die  obere,  innere  und  die  mediale  Hälfte  der  unteren 
Wand  des  Sackes  wird  freipräparirt,  wobei  zwei  grössere  Arterienäste 
(Arteria  collaterals  ulnaris  superior  und  inferior)  unterbunden  werden 
müssen.  Bei  dem  Versuche,  die  buchtige  Aussenwand  der  Geschwulst 
aus  dem  Biceps  auszuschälen,  kommt  es  zur  Ruptur  des  Sackes  und 
zu  heftiger  Blutung,  die  durch  Anziehen  der  um  die  Arteria  brachialis 
gelegten"  Fadenschlingen  rasch  gestillt  werden  kann.  Die  Gelasse 
werden  nun  am  oberen  und  unteren  Pole  des  Aneurysmas  zwischen 
doppelten  Ligaturen  durchtrennt.  Der  bereits  freigelegte  Theil  des 
Sackes  wird  als  Ganzes  excidirt,  die  Reste  der  unteren  und  äusseren 
Wand  werden  stückweise  entfernt.  Hiebei  kommen  Arteria  und  \  ena 
brachialis  dem  Operateur  nicht  mehr  zu  Gesicht,  wohl  aber  der  Ner¬ 
vus  medianus.  Es  zeigt  sich,  dass  derselbe  durch  den  Messerstich  in 
seiner  ganzen  Dicke  durchtrennt  wurde.  Die  kolbig  aufgetriebenen 
Enden  des  Nerven  werden  angefrischt  und  durch  paraneurotische 
Naht  vereinigt.  Hautnaht.  Durch  den  unteren  Wundwinkel  wird  ein 
bleistiftdickes  Drain  geleitet.  Antiseptischer  Verband  in  Beugestellung 
des  Ellenbogengelenkes. 

Das  durch  die  Operation  gewonnene  Präparat  stellt  einen  mein 
als  mannsfaustgrossen  Sack  dar,  der  einen  guldengrossen  Defect 
seiner  Wandung  aufweist.  Letztere  hat  eine  Dicke  von  2-4  mm.  An 
l  der  Hinterseite  ist  das  Aneurysma  seiner  ganzen  Lange 


nach  mit 
der  Arterie 


den  Gefässstämmen  verlöthet.  Eine  feine  Oeffnung  in 
stellt  eine  Communication  mit  dem  Lumen  des  Sackes  her,  die  \  ene 
theilt  sich  im  Bereiche  der  unteren  Hälfte  des  Aneurysmas  gabelig. 
Der  Wundverlauf  war  fieberfrei.  Beim  ersten  Verband¬ 
sich  die  Hautwunde  reactionslos,  die 


Wechsel,  am  30.  Mai, 


zeigte 


Secretion  durchs  Drain  war  gerini 
Oedem, 


am  Handrücken  bestand  massiges 


J  UULLUO  ” - 

der  Puls  fehlte.  Die  Medianuslähmung  war  noch  im  vollem 
Umfange  vorhanden.  Am  4.  Juni  bestand  nui  mein  um  kur/  1  i 
im  unteren  Wundwinkel.  Die  Sensibilitätsprüfung  ergab  bezugin-  i 
des  Tast-  und  Temperatursinnes  keine  Veränderung  des  ursprüng¬ 
lichen  Status.  Schmerzempfindungen  wurden  bei  Einwirkung  langer 
dauernder  Reize  -  anhaltende  Nadelstiche  -  im  Med. anusgebiet 
bereits  percipirt,  am  sichersten  in  den  Randzonen  desselben.  Im 
Gebiet  der  motorischen  Sphäre  war  noch  vollständige  Lähmung W 
handen.  Am  13.  Juni  war  die  Wunde  bereits  vollkommen  geheilt, 


188 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


Am  19.  Juni,  dem  Tage  des  Austrittes,  wurde  folgender  Stutus  er¬ 
hoben  :  An  der  Beugeseite  des  rechten  Oberarmes  eine  15  cm  lange, 
grösstentheils  lineare  Narbe.  Der  Radialpuls  fehlt.  Die  Beweglichkeit 
des  Ellbogengelenkes  hat  nur  in  Bezug  auf  die  Streckung  geringe 
Finbusse  erlitten,  im  Handgelenk  keine  Störung.  Die  Radialflexion  und 
die  Pronation  findet  in  vollem  Umfange  statt.  Die  Flexion  erfolgt  an 
den  beiden  letzten  Fingern  an  allen  Gelenken  kräftig,  am  dritten 
Finger  mühsam.  Der  zweite  Finger  zeigt  noch  ausgesprochen  die 
Symtome  der  motorischen  Medianuslähmung.  Dasselbe  gilt  bezüglich 
des  Daumens;  doch  ist  die  Opposition  desselben  bereits  möglich. 
Die  Sensibilität  weist  nur  mehr  am  zweiten  und  dritten  Finger 
Störungen  auf,  nämlich:  das  Englied  des  zweiten  Fingers,  die  Beuge¬ 
seite  seines  Mittelgliedes  und  die  Beugeseite  am  Endgliede  des  dritten 
Fingers  sind  für  alle  Empfindungsqualitäten  hypästhetisch,  am  aus¬ 
gesprochensten  bezüglich  des  Wärmesinnes,  am  wenigsten  bezüglich 
der  Schmerzempfindung. 

In  dem  soeben  beschriebenen  Falle  handelt  es  sich  um 
ein  traumatisches  Aneurysma  der  Arteria  brachialis.  Obwohl 
alle  Merkmale  eines  solchen  vorhanden  waren,  wurde  die  Ge¬ 
schwulst  verkannt,  und  uns  der  Patient  mit  der  Diagnose: 
»Inficirte Stichwunde«  zugewiesen.  Die  Veranlassung  zur  Fehl¬ 
diagnose  bot  wohl  die  diffuse,  schmerzhafte  Schwellung  des 
Oberarmes  und  die  durch  Reaction  der  kleinen  Wunde  zu 
Stande  gekommene  Röthung  der  Haut.  Die  gleichzeitig  be¬ 
stehende  Lähmung  de3  Nervus  medianus  liess  sich  nicht  ver¬ 
kennen.  Dieselbe  konnte  nur  in  Folge  Durchtrennung  des¬ 
selben,  nicht  durch  Compression  zu  Stande  gekommen  sein, 
da  die  Ausfallserscheinungen  unmittelbar  im  Anschlüsse  an  die 
Stichverletzung  auftraten,  bevor  es  überhaupt  zur  Bildung  des 
Aneurysmas  gekommen  war. 

Die  Wahl  der  Behandlungsmethode  bot  keine  Schwierig¬ 
keit.  Es  musste  ein  Verfahren  in  Anwendung  gebracht  werden, 
welches  einerseits  die  sicherste  Gewähr  für  die  Hintanhaltung 
von  Nachblutungen  bot,  andererseits  die  Ausführung  der 
Nervennaht  ermöglichte.  Dieser  Forderung  entsprach  nur  die 
Exstirpation  nach  Philagrius-Purmann.  Eine  Contra¬ 
indication  gegen  diese  Methode  schien  nur  in  dem  Umstande 
zu  liegen,  dass  seit  dem  Entstehen  des  Aneurysmas  erst  zwei 
Wochen  verstrichen  waren  und  man  befürchten  musste,  die 
Ausbildung  eines  Sackes  sei  noch  nicht  erfolgt.  Trotzdem 
wurde  mit  Rücksicht  auf  neuere  Erfahrungen  —  Trendelen¬ 
burg1)  fand  schon  am  sechsten  Tage  nach  der  Entstehung 
eines  Aneurysmas  einen  vollkommen  ausgebildeten  Sack  — 
die  Operation  ausgeführt.  Auf  ein  den  Collateralkreislauf  vor¬ 
bereitendes  Compressionsverfahren  wurde  verzichtet,  weil  sich 
dadurch  die  Gefahr  einer  neuerlichen  Blutung  aus  der  Stich¬ 
wunde  ergeben  hätte. 

Die  Operation  wurde  ohne  Esmarch'sche  Blutleere 
ausgeführt.  Dadurch  wurde  die  Präparation  des  Sackes 
wesentlich  erleichtert,  indem  die  Pulsation  die  Grenzen  der 
Geschwulst  deutlich  hervortreten  liess.  Die  um  die  Gefässe  ge¬ 
führten  Fadensehlingen  ermöglichten  nach  eingetretener  Ruptur 
sofortige  Blutstillung.  Der  Sack  war  dünnwandig  und  mit  der 
Umgebung  aufs  Innigste  verwachsen.  Diese  Umstände  brachten 
es  mit  sich,  dass  eine  Partie  der  Wandung  stückweise  excidirt 
werden  musste  und  die  Vena  brachialis  nicht  geschont  werden 
konnte.  Von  den  Aesten  der  Arteria  brachialis  wurde  die 
Oollateralis  radialis  erhalten.  Eine  Versenkung  des  Nervus 
medianus  in  die  Tiefe  zum  Schutze  desselben  gegen  die 
Schädigung  durchs  Drainrohr  und  den  Druck  der  Narbe 
konnte  bei  der  durch  die  Anfrischung  eingetretenen  Verkürznng 
nicht  ohne  Zerrung  der  Naht  vorgenommen  werden.  Es  wurde 
daher  darauf  verzichtet. 

Das  Resultat  der  Operation  war  ein  sehr  günstiges.  Die 
Narbe  behinderte  die  Function  des  Armes  in  keiner  Weise. 
Cireulationsstörungen  geringen  Grades  waren  nur  kurze  Zeit 
nach  der  Operation  zu  bemerken  und  sind  durch  die  Venen- 
resection  zu  erklären.  Ueber  den  Effect  der  Nervennaht 
konnten  wir  kein  endgiltiges  Urtheil  gewinnen,  da  der  Patient 
bereits  vier  Wochen  nach  der  Operation  das  Spital  verliess 

b  K  übler,  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  1892.  Bd.  IX. 

Heft  1. 


und  unsere  ambulatorische  Behandlung  nur  für  kurze  Zeit  in 
Anspruch  nahm.  Beim  Abgänge  aus  dem  Spitale  (am 
19.  Juni  1899)  bot  die  Hand  fast  normales  Verhalten  der 
Sensibilität  dar.  Diese  Thatsache  beziehen  wir  nur  zum  Theile 
auf  die  Restitution  der  Nervenleitung,  zum  Theile  auf  das 
vicariirende  Eintreten  des  Nervus  ulnaris,  radialis  und  musculo- 
cutaneus.  Für  letztere  Annahme  spricht  der  Umstand,  dass 
eine  Wiederkehr  der  Sensibilität  sich  schon  zehn  Tage  nach 
der  Operation  bemerkbar  machte,  zu  einer  Zeit  also,  in  welcher 
eine  Restitution  der  Nervenleitung  noch  nicht  leicht  ein¬ 
getreten  sein  konnte,  und  dass  andererseits  die  Besserung  im 
Empfindungsvermögen  sich  zuerst  in  der  Randzone  der  sen¬ 
siblen  Sphäre  des  Nervus  medianus,  mithin  im  Nachbargebiete 
der  vorgenannten  Nerven  sich  zeigte.  Das  Wiedererwachen 
der  motorischen  Function,  das  vier  Wochen  nach  der  Ope¬ 
ration  sich  bereits  constatiren  liess,  ist  hingegen  als  sicheres 
Zeichen  der  Nervenregeneration  aufzufassen. 

* 

Ueber  die  Behandlungsmethoden  der  Aneurysmen  liegen 
zahlreiche  Arbeiten  vor,  aus  denen  ich  die  Fälle  von  Aneurysma 
der  Arteria  brachialis  entnommen  und  in  einer  Tabelle  zu¬ 
sammengestellt  habe. 

Von  den  34  in  dieser  Tabelle  enthaltenen  Aneurysmen 
sind  6  unbekannter  Aetiologie,  25  durch  Trauma  und  3  spontan 
entstanden.  Ausser  diesen  3  Fällen  fand  ich  nur  noch  ein 
einziges  Aneurysma  spontaneum  der  Brachialarterie  in  der 
Literatur  verzeichnet  —  von  Scarpa  2)  1809  publicirt  —  das 
durch  Blutung  zum  Tode  geführt  hatte,  bevor  es  zur  Ope¬ 
ration  gekommen  war.  Von  den  traumatischen  Aneurysmen 
sind  9  durch  Aderlass  zu  Stande  gekommen.  Hieraus  erklärt 
sich  die  grosse  Anzahl  der  Aneurysmen  in  der  Ellenbeuge  — 
9  unserer  Tabelle  —  und  das  relativ  häufige  Vorkommen  des 
Aneurysma  arterio- venosum  —  4  Fälle.  An  dieser  Stelle  sei 
ein  von  Prof.  Weinleehner3)  publicirtes,  von  Schuh 
operirtes  Aderlassaneurysma  erwähnt.  Dasselbe  gehörte,  wie 
die  Operation  (Ligatur  nach  PI  u  n  t  e  r)  zeigte,  einer  am  Ober¬ 
arme  entspringenden  Arteria  radialis  an.  Da  die  abnorm  hoch 
abgehenden  V orderarm arterien  bereits  am  Oberarme  die  Fascic 
durchbrechen  und  in  der  Ellenbeuge  subcutan  verlaufen,  so  ist 
gerade  in  einem  solchen  Falle,  wie  Weinleehner  betont, 
die  Entstehung  eines  Aneurysmas  im  Gefolge  des  Aderlasses 
sehr  erklärlich.  Derartige  Aneurysmen  werden  wegen  ihrer 
Lage  wohl  meist  für  Brachialaneurysmen  angesehen. 

In  der  Behandlung  des  Aneurysmas  der  Arteria  brachialis 
finden  sowohl  die  blutigen,  wie  die  unblutigen  Methoden  Ver¬ 
wendung.  6  Fälle  unserer  Zusammenstellung  wurden  durch 
Compression  geheilt.  In  zwei  von  diesen  war  eine  ausser¬ 
ordentlich  kurze  Behandlung  von  Erfolg:  im  Falle  Nr.  4  ge¬ 
nügte  eine  dreistündige,  im  Falle  Nr.  7  eine  sechsstündige 
Compression.  In  8  Fällen  blieb  die  Methode  wirkungslos.  In 
einem  Falle  (Nr.  21)  kam  es  im  Gefolge  der  Compression  zur 
Ruptur  des  Sackes. 

15mal  wurde  central  ligirt.  11  Fälle  wurden  dadurch 
geheilt,  in  zwei  Fällen  (Nr.  24  und  26)  trat  kein  Erfolg  auf, 
in  einem  Falle  (Nr.  20)  kam  es  zu  zweimaliger  Nachblutung, 
in  einem  Falle  (Nr.  10)  stellte  sich  Vereiterung  des  Sackes  und 
im  Gefolge  derselben  Sepsis  ein. 

Die  viermal  ausgeführte  Operation  nach  Antyllus 
führte  jedes  Mal  ohne  besondere  Complication  zur  Heilung. 

Die  Exstirpation  nach  Philagrius-Purmann  war 
neunmal  vorgenommen  worden,  jedes  Mal  mit  Erfolg.  Die 
Heilungsdauer  wrar  meist  eine  kurze;  in  drei  Fällen  (Nr.  27,  29,  30) 
trat  prima  intentio  ein. 

Sowrohl  nach  der  Compressionsbehandlung,  wfie  auch  nach 
den  blutigen  Verfahren  tritt  bisweilen  Gangrän  der  Extremität 
ein,  wenn  sich  der  Collateralkreislauf  nicht  genügend  rasch 
einstellt.  Am  günstigsten  gestaltet  sich  wTohl  die  Entwicklung 
desselben  bei  der  Compressionsbehandlung,  da  hiedurch  nur 
eine  allmälige  und  intermittirende  Unterbrechung  der  Circu- 

')  Scarpa,  Sur  l’Anevrysme.  Paris  1809. 

3)  Weinlechne  r,  Heilung-  eines  Aneurysma  spurium  in  der 
Ellenbeuge.  Oesterreichische  Zeitschrift  für  praktische  Heilkunde.  1870. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


189 


lation  in  der  Hauptarterie  hervorgerufen  wird.  Von  den  blutigen 
Methoden  dürfte  die  Exstirpation  die  besten  Chancen  in 
dieser  Hinsicht  bieten,  da  man  annebmen  kann,  dass  nach  der 
Entfernung  des  Sackes  ein  auf  den  Gefässen  lastender  Druck 
beseitigt  wird  und  sich  nun  die  Füllung  der  kleinen  Arterien 
in  der  Umgebung  des  Aneurysmas  leichter  vollzieht.  In  uuserer 
Statistik  der  Oberarmaneurysmen  finden  wir  überhaupt  nur 
einen  einzigen  Fall  (Nr.  34)  von  Gangrän  verzeichnet,  der 
nach  Ruptur  des  Sackes  ohne  vorangehende  Operation  zu 
Stande  gekommen  war.  Die  Seltenheit  dieses  üblen  Zufalles 
in  der  Behandlung  der  Brachialaneurysmen  erklärt  sich  aus 
den  günstigen  Verhältnissen  für  die  Entwicklung  des  Kreis¬ 
laufes  am  Oberarme. 

Bei  der  Compressionsbehandlung  kommt  es  in  seltenen 
Fällen,  wenn  dieselbe  direct  auf  das  Aneurysma  wirkt,  zur 
Ruptur  des  Sackes.  Diese  Gefahr  ist  besonders  bei  stark  ver¬ 
änderter  und  verdünnter  Wandung  desselben  zu  fürchten.  Bei 
noch  nicht  vollkommen  verheilter  Verletzung  kann  die  directe 
Compression  Blutung  aus  einem  Aneurysma  traumaticum  zur 
Folge  haben. 

Die  speciellen  Gefahren  der  blutigen  Operationen  sind: 
Wundinfection  und  Nachblutung.  Die  Statistik  der  Brachial 
aneurysmen  enthält  nur  einen  einzigen  Fall  schwerer  Wund¬ 
infection,  der  der  vorantiseptischen  Zeit  angehört  (Nr.  10)  und 
drei  Fälle  von  Nachblutung  nach  Ligatur  (Nr.  11,  15,  20). 
Aus  diesem  dürftigen  Materiale  lassen  sich  keine  Anhalts¬ 
punkte  dafür  gewinnen,  in  welchem  Grade  die  einzelnen 
Methoden  die  vorgenannten  Gefahren  mit  sich  bringen.  Aus 
den  Ergebnissen  umfangreicher  statistischer  Arbeiten,  die  das 
Aneurysma  anderer  Gefässgebiete  betreffen  —  ich  verweise 
auf  die  Publicationen  von  D  eibet4),  K  übler5 6),  Scriba0), 
Schopf7)  —  wird  hingegen  klar  ersichtlich,  dass  Wundin¬ 
fection  nunmehr  in  fast  allen  Fällen  vermieden  werden  kann, 
und  dass  Nachblutungen  am  häufigsten  nach  der  Spaltung  auf- 
treten,  während  sie  im  Gefolge  der  Ligatur  und  der  Exstir¬ 
pation  kaum  zu  befürchten  sind.  Bei  der  Methode  nach  A  n- 
tyllus  ist  eine  primäre  Vereinigung  der  Wunde  unmöglich, 
es  kommt  zur  Ausstossung  von  Sackresten,  meist  unter  be¬ 
trächtlicher  Eiterung,  die  unter  Umständen  die  Thromben 
kleiner,  in  den  Sack  eintretender,  nicht  unterbundener  Arterien 
löst.  Die  rasche  Verklebung  der  nach  der  Exstirpation  zurück¬ 
bleibenden  reinen  Wunde,  die  sich  bei  unserer  fortgeschrittenen 
Operations-  und  Verbandtechnik  in  fast  allen  Fällen  erzielen 
lässt,  ebenso  wie  die  nach  der  Ligatur  wohl  ausnahmslos  ein¬ 
tretende  Prima  intentio  verhindert  hingegen  bei  diesen  beiden 
Operation  sverfabren  secundäre  Hämorrhagien.  Das  häufige 
Auftreten  derselben  nach  Hunte  r’scher  Ligatur  beim  Brachial¬ 
aneurysma,  welches  unsere  Statistik  verzeichnet,  findet  wohl 
in  dem  Umstande,  dass  die  drei  in  Betracht  kommenden  Fälle 
der  vorantiseptischen  Zeit  angehören,  genügende  Erklärung. 

Der  Heilerfolg  gestaltet  sich  bei  den  einzelnen  Methoden 
sehr  verschieden.  Die  Compression  versagt,  wie  unsere  Statistik 
zeigt,  in  vielen  Fällen,  und  auch  nach  der  Ligatur  treten 
häufig  Recidiven  auf  (Fall  24,  26).  Die  Methode  nach  A  n- 
tyllus  und  die  Exstirpation  nach  Philag rius  bieten  hin¬ 
gegen  absolute  Sicherheit  für  die  Heilung. 

Das  endgiltige  Resultat  ist  aber  auch  für  den  Fall,  dass 
ein  Erfolg  erzielt  wird,  bei  den  einzelnen  Methoden  wesentlich 
verschieden.  Nach  der  Ligatur  und  der  Compression  bleibt  der 
thrombosirte  Sack  zurück  und  ruft  durch  Druck  auf  die  Ge- 
fässe  Circulationsstörungen,  durch  Druck  auf  die  Nerven 
Neuralgien  und  trophische  Veränderungen  hervor.  Bei  der 
Spaltung  nach  Antyllus  sind  diese  Nachtheile,  zwar  nicht 
zu  befürchten,  da  der  in  der  Wunde  zurückbleibende  Sack 
kaum  drückt.  Aber  die  Ausheilung  erfordert  lange  Zeit  und 
führt  zu  beträchtlicher  Narbenbildung,  die  den  Gebrauch  der 
Extremität  bisweilen  erheblich  behindert  und  grosse  Be¬ 

4)  Del  bet,  Du  traitement  des  aneurysm,  extern.  Paris  1889. 

5)  KUbler,  Ueber  die  Exstirpation  von  Aneurysmen.  Beiträge  zur 
klinischen  Chirurgie.  1892,  IX,  1. 

6)  Scriba,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  1885,  Bd.  XXII. 

7)  Schopf,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  55. 


sch  werden  veranlasst.  Die  Exstirpation  nach  Phila  grins 
gibt  hingegen  ein  tadelloses  functionelles  Resultat. 

Es  erscheint  demnach  begreiflich,  dass  letzteres  Verfahren 
auch  in  der  Therapie  des  Brachialaneurysmas  an  erste  Stelle 
getreten  ist.  Unleugbar  ist  dasselbe  allerdings  technisch 
schwieriger,  als  alle  anderen  operativen  Methoden.  Doch  sind 
diese  Schwierigkeiten,  besonders  was  das  Aneurysma  der 
Brackialis  anbelangt,  bei  unseren  heutigen  Hilfsmitteln  nicht 
so  gross,  dass  man  dieserhalb  eine  weniger  sichere  und  lang¬ 
samer  zur  Heilung  führende  Methode  in  Anwendung  bringen 
würde. 

Die  grösste  Mühe  bei  der  Freilegung  des  Aneurysmas 
bereitet  in  der  Regel  die  Präparation  der  Vena  brachialis.  Die 
Läsion  derselben  ist  womöglich  zu  vermeiden,  da  vorüber¬ 
gehende  Circulationsstörungen,  wie  in  unserem  Falle  Oedem 
der  Hand,  darnach  auftreten.  Ernstere  Folgen  sind  hingegen 
nicht  zu  befürchten. 

Es  ergibt  sich  dies,  von  der  Statistik  abgesehen,  aus  der 
Berücksichtigung  der  anatomischen  Verhältnisse.  Am  Arme 
gibt  es  ein  zweifaches  System  für  die  Leitung  des  venösen 
Blutes,  ein  oberflächliches,  repräsentirt  durch  die  Vena  basilica 
und  cephalica  mit  ihren  Aesten,  und  ein  tiefes,  submusculär 
gelegenes,  dessen  Hauptstamm  die  einfache  oder  doppelte  Vena 
brachialis  darstellt.  Zwischen  beiden  bestehen  zahlreiche  weite 
Verbindungsbahnen,  die  den  Uebertritt  des  Blutes  vermitteln 
und  zwar  in  der  Regel  aus  dem  tiefen  in  das  subcutane  Venennetz. 
Fei  einer  Unterbrechung  des  Kreislaufes  in  der  Vena  brachialis 
treten  daher  sofort  die  Hautvenen  vieariirend  ein.  Da  die  Vena 
cephalica  direct  in  die  Subclavia  mündet,  so  wird  selbst  die 
Läsion  des  obersten  Abschnittes  der  Brachialis  oder  der  Axil¬ 
laris  ziemlich  bedeutungslos  sein.  Angesichts  dieser  Thatsache 
wird  man  ohne  Bedenken  zur  Resection  der  Vene  schreiten, 
namentlich  wenn  Gründe  vorliegen,  die  zu  rascher  Beendigung 
der  Operation  drängen. 

Für  die  Entwicklung  des  Kreislaufes  ist  die  Erhaltung 
der  grossen  Aeste  der  Arteria  radialis  am  Oberarme  von  Wich¬ 
tigkeit.  Die  Collateralgefässe  (Collaterals  radialis,  Collaterals 
ulnaris  superior  und  Collaterals  ulnaris  inferior)  gehen  im  Rete 
cubiti  so  zahlreiche  Anastomosen  mit  den  Vorderarmarterien 
ein,  dass  schon  die  Schonung  eines  einzigen  genügt,  bei  Unter¬ 
bindung  des  Hauptstammes  Störungen  im  Blutkreisläufe  hintan¬ 
zuhalten.  Ernstere  Folgen  sind  auch  nach  der  Ligatur  sämmt- 
licher  Collateralarterien  nicht  zu  fürchten.  Selbst  die  gleich¬ 
zeitige  Unterbindung  der  Arteria  axillaris  —  beim  Aneurysma 
des  obersten  Drittels  des  Oberarmes  —  führt  wohl  nicht  leicht 
zum  Brande  der  Extremität,  da  die  Arteriae  circumflexae  hu¬ 
meri  in  diesem  Falle  die  Entwicklung  collateraler  Bahnen 
vermitteln. 

Einige  Sorgfalt  wird  man  auch  darauf  verwenden  müssen, 
die  Verletzung  der  wichtigen  Nervenstämme  zu  vermeiden. 
Werden  dieselben  blossgelegt,  so  scheint  es  zweckmässig  zu 
sein,  die  von  Trelat^)  vorgeschlagene  Versenkung  derselben 
zwischen  das  Bindegewebe  in  die  Tiefe  vorzunehmen.  Dadurch 
werden  nervöse  Störungen,  die  angeblich  in  Folge  der  Reizung 
durch  das  Drainrohr  zu  Stande  kommen,  hintangehalten  und 
der  Nerv  vor  dem  neuralgienauslösenden  Druck  der  Narbe 
bewahrt. 

Schliesslich  sollen  noch  die  Indicationen  und  Oontra- 
indicationcn  für  die  Anwendung  der  einzelnen  Operations¬ 
methoden  besprochen  werden,  insoferne  besondere  Verhältnisse 
bezüglich  des  Brachialaneurysmas  vorliegen.  Wenn  möglich 
soll  in  jedem  Falle  von  Aneurysma  dieser  Arterie  die  Com¬ 
pression  versucht  werden.  Dieselbe  erzielt  entweder  Heilung 
oder  erhöht  doch  wenigstens  die  Chancen  eines  blutigen  Ein¬ 
griffes  dadurch,  dass  sie  die  Entwicklung  des  Collateralkreis- 
laufes  fördert,  indem  sie  durch  allmälige  Unterbrechung  der 
Blutcirculation  in  der  Hauptarterie  die  Erweiterung  anastomo- 
sirender  Seitenzweige  veranlasst.  In  letzterer  Hinsicht  als 
vorbereitendes  Verfahren  für  die  blutigen  Methoden  hat 
die  Compression  auf  dem  Gebiete  des  Oberarmaneurysmas 
allerdings  nur  untergeordnete  Bedeutung,  da  die  '\  erhältnisse 

8)  Kübler,  Ueber  die  Exstirpation  von  Aneurysmen.  Beiträge  zur 
klinischen  Chirurgie.  1892,  Bd.  IX,  lieft  1. 


190 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


Nr. 

Autor  und  Quelle*)  Diagnose  und  Entstehung 

Behandlung 

Ausgang 

C  o  m  p  r  e  s 

s  i  o  n 

1 

P  i  r  k  e  1 1  1862. 

Guy’s  Hosp.  Reports 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  unbekannt 

Compression  und  Flexion 

Heilung. 

2 

S  p  a  n  t  o  n  I860. 
London  Medic.  Times  and 
Gazette 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  unbekannt 

Compression  mittelst  Aderpresse 

Ungeheilt. 

3 

0  1  i  e  r  1866. 
Cannstatt’s  Jahresbericht 

Aneurysma  arterio-venosum  arteriae  bra¬ 
chialis;  Aderlasss 

Directe  und  indirect©  Compression 

Heilung. 

4 

V  i  e  n  n  o  i  s  1866. 
Gazette  Medicale  de  Lyon 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  Aderlass 

Digitalcompression 

Heilung  in  drei 
Stunden 

5 

Mormonier  1868. 
Cannstatt’s  Jahresbericht 

Aneurysma  vaiicosum  arteriae  b  achialis; 
Schuss 

Instrumentelle  Compression 

Heilung. 

6 

Ambr.  Gheriui  1873. 
Annali  univ.  di  Medic. 

Aneurysma  arterio-venosum  arteriae  cubi¬ 
talis;  Aderlass 

Digitalcompression,  comprimirende 
Einwicklungeu 

Heilung. 

Heilung  in  sechs 

7 

L.  E.  Holt  1882. 
Amercian  Journal  of  the 
Medical  Sciences 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Krücken¬ 
druck 

Insimmentelle  Compression 

Stunden. 

Centrale  L 

i  g  a  t  u  r 

8 

M.  Denuce  1860. 

L.  E.  Holt. 

American  Journal  of  the  , 
i  Medical  Sciences.  1862 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  unbekannt 

Iristrumenteile  Compression,  Ligatur  der 
Brachialis 

Heilung. 

9 

Till  au  x  1866. 
Cannstatt’s  Jahresbericht 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Aderlass 

Ligatur  der  Brachialis 

Heilung. 

10 

Weinlechner  1867. 
Oesterreiclii8che  Zeitschrift 
für  Heilkunde 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  spontan 

Ligatur  der  Brachialis 

Sepsis  in  Folge  Sack¬ 
eiterung. 

11 

W  attermann  1867. 

L.  E.  Holt. 

American  Journal  of  the 
Medical  Sciences.  1882 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  unbekannt 

Ligatur  der  Brachialis,  Ligatur  der 
Axillaris  wegen  Nachblutung 

Heilung. 

12 

C  h  a  b  e  r  t  1 869. 
Cannstatt’s  J ahresbericht 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Aderlass 

lndirecte  und  directe  Digitalcompression, 
maximale  Flexion,  Ligatur  der  Bachialis 

Heilung. 

13 

C  habert  1869. 
Cannstatt’s  Jahresbericht 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Aderlass 

Behandlung  wie  im  Falle  12 

Heilung. 

14 

Raoul  Deslongchamps 
1869. 

Cannstatt’s  Jahresbericht 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Säbelhieb 

Directe  und  indirecte  Digitalcompression, 
instrumentelle  Compression.  Ligatur  der 
Brachialis 

Heilung. 

15 

K  i  b  I  e  r  1870. 

Buffalo  Medical  Journal 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  spontan 

Ligatur  der  Axillaris.  Wegen  Nachblutung 
am  achten  Tage  neuerliche  Ligatur 

Heilung. 

16 

Jones  1872. 

Brit.  Med.  Journal 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  Verrenkung 

Compression  mittelst  Aderpresse  und 
Flexion.  Ligatur  der  Brachialis 

Heilung. 

17 

A  g  n  e  w  1878. 

L.  E.  Holt. 

American  Journal  of  the 
Medical  Sciences.  1882 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  unbekannt 

Ligatur  der  Brachialis 

Heilung. 

18 

Liston  1878. 

L.  E.  Holt. 
American  Journal  of  the 
Medical  Sciences.  1882 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  Verrenkung 

Ligatur  der  Brachialis 

Heilung. 

19 

Cameron  1878. 

S  c  r  i  b  a. 

Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Bd.  XXII.  1885 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Trauma 

Ligatur  der  Brachialis 

Heilung. 

20 

Buchanan  1885. 
Lancet,  Jan. 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  spontan 

Unterbindung  der  Brachialis.  Wegen 

Nachblutung  neuerdings  Unterbindung. 
Eine  zweite  Nachblutung  nöthigt  zur  Ex- 
articulation. 

Exitus  letalis. 

zur 

*)  Sind  zwei  Jahreszahlen 
Verfügung  stand. 

angeführt,  so  bezieht  sich  die  erste  auf  das 

Erscheinen  der  Originalpublicatipn,  die  zweite 

auf  die  Quelle,  die 

Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


191 


Nr. 

Autor  und  Quelle*) 

Diagnose  und  Entstehung 

Behandlung 

Ausgang 

S  p  a  1  t  u 

ng  und  Unterbind 

ung  nach  Antyllus 

21 

Kade  1866. 

St.  Petersburger  medieinisclie 
Zeitschrift 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Trauma 

Digitalcompresion  führt  am  sechsten  Tage 
zur  Sackruptur.  Spaltung  und  Unter¬ 
bindung 

Heilung. 

22 

Boecke  1  1877. 

S  c  r  i  b  a. 

Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Bd.  XXII,  1885 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Trauma 

Spaltung  und  Unterbindung 

Heilung. 

23 

W  a  t  s  o  li  1878. 

S  c  r  i  b  a. 

Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Bd.  XXH.  1885 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Trauma 

Spaltung  und  Unterbindung 

Heilung. 

24 

Matas  1888. 

Americ.  News.  27.  October 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Schrot¬ 
schuss 

Elastische  Einwicklung  nach  R  e  i  d.  Com¬ 
pressionsbehandlung.  Ligatur.  Spaltung 
des  Sackes.  Die  Gefässe  werden  im  Be¬ 
reiche  des  Sackes  zugenäht 

Heilung. 

E  x  s  t  i 

rpation  nach  Philagrius-Purmann 

25 

P  u  r  m  a  n  n  1680. 
Chirurgicae  curiosae 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  Aderlass 

Exstirpation 

Heilung. 

26 

Chapel  1854. 

Gazette  des  Höspitaux 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  Aderlass 

Vor  sieben  Jahren  Ligatur  der  Brachialis. 
Exstirpation 

Heilung. 

27 

S  c  r  i  b  a  1885. 
Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Nr.  22. 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Nadelstich 

Exstirpation 

Heilung  per  primam 
intentionem. 

28 

Gehle  1887. 

Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Schrot¬ 
schuss. 

Exstirpation 

Heilung.  In  den  drei 
ersten  Tagen  nach 
Operation  bestand 
ischämische 
Lähmung. 

29 

Cellien  1889. 

Revue  de  Chirurgie.  Nr.  7. 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Stich¬ 
verletzung 

In  Folge  elektrolytischer  Behandlung 
Hautgangrän.  Exstirpation 

Heilung  per  secundam 
intentionem  unter 
starker  Narben¬ 
entwicklung. 

30 

Helferich  1889. 
Jahresbericht  über  die  chi¬ 
rurgische  Klinik  Greifswald 

Aneurysma  arteriae  brachialis;  Aderlass 

Exstirpation 

Heilung  in  acht 
Tagen. 

31 

K  ü  b  1  e  r  1892. 
Beiträge  zur  klinischen  Chi¬ 
rurgie.  Bd.  IX,  Heft  l. 

Aneurysma  arteriae  brachialis ;  Messer¬ 
stich 

Exstirpation.  Versenkung  des  Medianus 
nach  T  r  e  1  a  t 

Heilung  unter  mässi- 
ger  Secretion  in 

11  Tagen. 

32 

K  ü  b  1  e  r  1892. 
Beiträge  zur  klinischen  Chi¬ 
rurgie.  Bd.  IX,  Heft  1 

Aneurysma  arteriae  cubitalis;  Messer¬ 
stich 

Exstirpation 

Heilung  per  primam 
intentionem. 

33 

Modlinsky  1894. 
Medic.  Obosrenje.  Nr.  16 

1 

Aneurysma  arteriae  brachialis ;  Trauma 

Exstirpation 

Heilung. 

A  m  p  u  t  a  t 

i  o  n 

34 

G  r  i  p  a  1  1883. 
Bulletin  de  la  Societe  de 
Chirurgie.  Bd.  VIII 

Aneurysma  arterio-venosum  arteriae 
brachialis;  Messerstich 

In  Folge  Ruptur  des  Aneurysmas  kommt 
es  zur  Gangrän  des  Armes.  Amputation 

Heilung. 

zur 

*)  Sind  zwei  Jahreszahlen 
Verfügung  stand. 

angeführt,  so  bezieht  sich  die  erste  auf  das 

Erscheinen  der  Originalpublication,  die  zweite  auf  die  Quelle,  die 

für  die  Entwicklung  des  Collateralkreislaufes  hier  an  sich  so 
günstig  sind,  dass  jedes  unterstützende  Moment  leicht  entbehrt 
werden  kann.  Contraindicirt  ist  die  Compressionsbehandlung 
bei  dem  Aneurysma  traumaticum,  wenn  noch  eine  relativ 
frische  Verletzung  vorliegt,  weil  dann,  wenigstens  durch  den 
directen  Druck,  leicht  eine  Nachblutung  hervorgerufen  werden 
kann,  und  bei  drohender  Sackruptur,  weil  dieselbe  durch  den 


Druck  auf  die  Geschwulst  sehr  begünstigt  wird,  wie  dies 
Fall  21  unserer  Statistik  zeigt. 

Muss  ein  blutiges  Verfahren  eingeschlagen  werden,  so 
kommt  mit  Rücksicht  auf  die  vorerwähnten  vielfachen  Vorzüge 
und  die  geringen  Schwierigkeiten,  die  die  Methode  gerade  be¬ 
züglich  des  Oberarmaneurysmas  darbietet,  von  wenigen  Aus- 


192 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


nahmen  abgesehen,  nur  die  Exstirpation  in  Betracht.  Absolut 
indicirt  erscheint  dieselbe  in  folgenden  Fällen: 

1.  Bei  ausgedehnter  Gangrän  der  Haut  über  dem  Aneu¬ 
rysma  (Nr.  29). 

2.  Beim  traumatischen  Aneurysma,  wenn  gleichzeitig 
eine  Verletzung  des  Nervus  medianus  vorliegt  (oben  be¬ 
schriebener  Fall). 

3.  Bei  Compression  wichtiger  Nervenstämme,  wenn  im 
Gefolge  derselben  nervöse  oder  trophische  Störungen  aufge¬ 
treten  sind.  Hieher  zählt  der  Fall  Nr.  34,  bei  welchem  aller¬ 
dings  die  Exstirpation  nicht  vorgenommen  wurde.  Es  war, 
ohne  dass  die  Blutadergeschwulst  ein  nennenswerthes  Wachs¬ 
thum  aufwies,  zur  Gangrän  des  dritten,  vierten  und  fünften 
Fingers  gekommen.  Drei  Jahre  nachher  führte  Ruptur  des 
Sackes  zur  Gangrän  des  Armes.  Des  besonderen  Interesses 
halber  seien  hier  auch  noch  die  anderen  Fälle  dieser  Art,  die 
zur  Publication  gekommen  sind,  erwähnt,  wenngleich  sie  auch 
nicht  dem  Gefässgebiete  der  Arteria  brachialis  angehören. 

Primarius  Schopf9)  exstirpirte  ein  bereits  thrombosirtes 
Aneurysma  der  Arteria  subclavia  und  brachte  hiedurch  ein 
am  kleinen  Finger  bestehendes  torpides  Geschwür  rasch  zur 
Heilung.  Wahl10)  entfernte  ein  Aneurysma  der  Arteria  fe¬ 
moralis  und  beseitigte  dadurch  Oedem  und  umfangreiche  Ulcera 
am  Unterschenkel.  Ileinze11)  berichtet  über  einen  Fall  von 
progredienter  Gangrän  der  Zehen,  die  alsbald  nach  Exstirpation 
eines  Aneurysma  popliteum  zum  Stillstände  kam. 

Contraindicirt  ist  die  Operation  nach  P  h  i  1  a  g  r  i  u  s  in 
folgenden  Fällen: 

1.  Bei  frisch  entstandenem  traumatischem  Aneurysma, 
beim  »Haematoma  arteriale«,  da  bei  diesem  eine  Sackwandung 
sich  noch  nicht  gebildet  hat. 

2.  Bei  schwerer  Infection  der  Wunde,  welche  zur  Aneu- 

i 

rysmabildung  Veranlassung  gegeben  hat,  da  die  Gefahr  der 
Ausbreitung  der  Wundkrankheit  durch  jeden  complicirten  Ein¬ 
griff  erhöht  wird. 

3.  Bei  subcutaner  Ruptur  des  Sackes.  Es  liegen  dann  die 
Verhältnisse  des  zuerst  erwähnten  Falles  vor.  Ein  Aneurysma 
dieser  Art  wurde  von  Kade  operirt  (Nr.  21). 

Für  die  beiden  erstgenannten  Fälle  findet  sich  kein 
Beleg  in  der  Literatur.  In  allen  drei  Fällen  tritt  wohl  Spaltung 
und  Unterbindung  nach  Antyllus  an  die  Stelle  der  Ex¬ 
stirpation. 


REFERATE. 

A.  Koelliker’s  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen. 

Sechste  umgearbeitete  Auflage.  Dritter  Band.  Erste  Hälfte.  Bogen  1 — 26. 
Mit  den  zum  Theil  farbigen  Figuren  846—1134  in  Holzschnitt  und  Zinko¬ 
graphie. 

Von  Victor  V.  Ebner,  Professor  der  Histologie  in  Wien. 
Leipzig  1899,  W.  Engelmann. 

Wenn  nach  SOjähriger  Pause  ein  Buch  in  neuer  Auflage  er- 
scheint,  das  sich  zur  Aufgabe  gesetzt  hat,  unser  Gesammtwissen 
innerhalb  einer  naturwissenschaftlichen  Disciplin  in  eingehender 
Weise  darzustellen,  so  bedeutet  das  ein  wissenschaftliches  Ereigniss, 
dem  sich  das  Interesse  sowohl  der  engeren  Fachgenossen,  als  auch 
weiterer  Kreise  zuwenden  dürfte.  Umsomehr  mag  dies  erwartet 
werden,  wenn  es  sich  um  ein  Buch  handelt,  das,  wie  das  vor¬ 
liegende,  das  einzige  dieser  Art  in  deutscher  Sprache  ist. 

Dass  die  »Gewebelehre  des  Menschen«  von  v.  Koel  liker 
schon  in  ihrer  ursprünglichen  Fassung  eine  wesentliche  Lücke  in 
der  histologischen  Literatur  ausfüllte,  geht  daraus  hervor,  dass  sie 
in  dem  kurzen  Zeitraum  von  1852 — 18C7  fünf  Auflagen  erfuhr, 
welche,  in  stets  neuer,  umgearbeiteter  Form  erscheinend,  nicht  nur 
die  von  anderen  Forschern  zu  Tage  geförderten  Entdeckungen, 
sondern  auch  die  werthvollen  Resultate  eigener  Arbeit  enthielten. 
Im  Jahre  1889  schritt  der  unermüdliche  Würzburger  Gelehrte  zur 
Herausgabe  einer  sechsten  Auflage,  von  der  zunächst  »die  allgemeine 
Gewebelehre  und  die  Systeme  der  Haut,  Knochen  und  Muskeln« 

9)  Schopf,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1891,  Nr.  45. 

lü)  Kühler,  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  1892,  Bd.  IX 

Heft  1. 

1!)  Ileinze,  Berliner  medicinisehe  Wochenschrift.  1892,  Nr.  44. 


als  erster  Band  erschienen.  In  der  Vorrede  zu  demselben  äusserto 
der  Verfasser  die  Absicht,  den  zweiten,  umfangreicheren  Band  des 
Werkes  im  Jahre  1890  zur  Ausgabe  gelangen  zu  lassen.  Doch  ver¬ 
zögerte  sich  dieselbe  bis  zum  Jahre  1896,  eine  natürliche  Folge 
der  ausserordentlichen  Gründlichkeit,  mit  welcher  dieser  Theil  der 
Gewebelehre,  den  der  Verfasser  selbst  als  den  ersten  Versuch  einer 
ausführlichen  Bearbeitung  des  feinsten  Baues  des  centralen  Nerven¬ 
systems  des  Menschen  und  der  Säugelhiere  bezeichnete,  behandelt 
wurde. 

Die  Vollendung  des  Werkes  übertrug  Koelliker  seinem 
Freunde,  Hofrath  Victor  v.  Ebner  in  Wien,  der  im  Herbste  1896 
die  Bearbeitung  des  dritten  Bandes  in  Angriff  nahm  und  die  erste 
Hälfte  desselben  im  Sommer  dieses  Jahres  fertigstellte.  Sie  umfasst 
die  Verdauungsorgane,  Respirationsorgane,  Harnorgane  und  Neben¬ 
nieren.  Im  Abschnitt  über  die  Verdauungsorgane  haben  auch  gemäss 
der  Eintheilung  der  fünften  Auflage  die  Geschmacksorgane  und 
die  Milz,  in  dem  über  die  Respirationsorgane  noch  Schilddrüse, 
Beischilddrüsen,  Thymus  und  Carotidenknötchen  Platz  gefunden. 

Wenn  man  die  Seitenzahl,  welche  die  Darstellung  der  ge¬ 
nannten  Organe  in  der  fünften  Auflage  in  Anspruch  nimmt,  mit 
der  vorliegenden  sechsten  vergleicht,  so  gewinnt  man  sofort  eine 
Vorstellung  über  den  Grad  der  Erweiterung  der  letzteren.  Besitzt 
doch  der  vorliegende  Band  402  Seiten,  während  derselbe  Stoff 
früher  auf  nur  182  Seiten  abgehandelt  worden  war.  Dieser  Umfang 
musste  nothwendiger  Weise  erreicht  werden,  da  keine  in  der  voran¬ 
gegangenen  Periode  gemachte  Beobachtung  von  irgend  welcher  Be¬ 
deutung  unberücksichtigt  bleiben  sollte.  Diese  Berücksichtigung  be¬ 
schränkte  sich  jedoch  nicht  blos  auf  eine  beiläufige  Erwähnung, 
sondern  führte  zu  kritischer  Nachuntersuchung,  so  dass  aus  jedem 
Satz  das  selbstständige  Urtheil  des  erfahrenen  Autors  spricht. 

Dem  Fortschritte  der  Wissenschaft  entsprechend  mussten 
18  Capitel  neu  aufgenommen  werden.  Sie  betreffen  die  Zungen¬ 
wärzchen  und  Geschmacksknospen,  welche  letztere  im  Jahre  1867 
noch  nicht  einmal  bekannt  waren,  während  sie  jetzt  sogar  bis  auf 
die  Vertheilung  der  Nerven  durchforscht  sind,  weiters  die  Speichel¬ 
drüsen,  deren  Eigenschaften  in  sieben  neuen  Capiteln  aufs  Aus¬ 
führlichste  beschrieben  sind,  ferner  das  Oberflächenepithel  und  die 
Gefässe  des  Magens,  des  Zottenepithel,  die  Becherzellen  und  die 
Brunne  r’schen  Drüsen  des  Duodenum,  endlich  dieLangerhan  s- 
schen  Zellhaufen  der  Bauchspeicheldrüse  und  das  interlobuläre 
Gewebe  und  Pigment  der  Lunge.  Die  selbstständigen  Abschnitte  über 
die  Beischilddrüsen  (Glandulae  parathyreoideae)  und  das  Carotiden¬ 
knötchen  sind  gleichfalls  neu  hinzugekommen.  Am  Schlüsse  jedes 
Capitels  folgt  ein  Literaturnachweis,  der  zwar  nicht  Vollständigkeit 
beansprucht,  aber  immerhin  die  wichtigsten  Arbeiten  enthält. 

Sämmtliche  Paragraphe  sind  durch  zahlreiche  Zeichnungen 
aufs  trefflichste  illustrirt.  86  Abbildungen  wurden  der  fünften  Auf¬ 
lage,  zwei  der  mikroskopischen  Anatomie  K  oe  1  lik  er’s  (1852)  ent¬ 
nommen,  200  kamen  neu  hinzu.  Von  diesen  wurde  weitaus  der 
grösste  Theil  im  histologischen  Institut  von  Herrn  W enzl  aus¬ 
geführt;  manche  unter  ihnen,  Uebersichtsbilder,  bei  Loupenver- 
grösserung  gezeichnet,  enthalten  so  viele  Details,  dass  sie,  wie 
v.  Ebner  in  der  Vorrede  bemerkt,  erst  bei  Betrachtung  mit  einer 
schwachen  Gonvexlinse  zur  vollen  Geltung  kommen.  Ich  citire  als 
Beispiele :  die  Lippe,  die  umwallte  Papille,  den  weichen  Gaumen  mit 
dem  Zäpfchen,  die  Hinterwand  des  Schlundkopfes,  den  Pylorus  u.  a.  m. 

Ich  muss  es  mir  versagen,  angesichts  der  Fülle  neuer  Beob¬ 
achtungen,  die  in  diesem  Handbuche  niedergelegt  sind,  denselben 
als  Referent  auch  nur  annähernd  gerecht  zu  werden.  Dagegen  dürfte 
es  für  die  Leser  dieser  Zeitschrift  von  Interesse  sein,  in  einigen 
noch  strittigen  Fragen  die  Meinung  des  Verfassers  zu  hören,  der 
durch  eigene  Arbeiten  auf  vielen  Punkten  der  Histologie  bahn¬ 
brechend  und  aufklärend  gewirkt  hat  Da  sei  zunächst  der  Form 
und  des  feineren  Baues  der  Drüsen  in  der  Mund-  und  Rachen¬ 
höhle  gedacht. 

Die  secernirenden  Endstücke  beschreibt  v.  Ebner  in  Ueber- 
einstimmung  mit  Flemming  als  »verzweigte  Schläuche  mit  vielen 
abgerundeten  Ausbuchtungen«,  und  bezeichnet  deshalb  sämmt¬ 
liche  Drüsen  als  tubuloacinös.  Die  Randzellencomplexe  oder 
Halbmonde,  welche  in  Schleimdrüsen  Vorkommen,  theilt  v.  Ebner 
in  zwei  Gruppen:  in  die  typischen  Halbmonde  von  Gianuzzi 
und  die  S  t  ö  h  r’schen  Halbmonde.  Die  ersteren  werden  von  serösen 
Drüsenzellen  gebildet  und  besitzen  ein  eigenes  Secrelcapillarsystem. 


Nr.  8 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT;  1900. 


Man  trifft  sie  an  den  Schleimalveolen  der  Submaxillaris,  Sublingualis 
und  einiger  kleiner  Drüsen  der  Mundhöhle  (Lippendrüsen,  Backen¬ 
drüsen,  Drüsen  der  Zungenspitze).  Die  S  t  ö  h  r’schen  Halbmonde 
hingegen  bestehen  aus  erschöpften  Schleimzellen  und  kommen  neben 
den  echten  Halbmonden  bei  der  Sublingualis  und  den  oben  er¬ 
wähnten  Speicheldrüsen  der  Mundhöhle  vor,  fehlen  jedoch  in  der 
Submaxillaris.  Schleimdrüsen  ohne  Halbmonde  sind  die  Gaumen¬ 
drüsen  und  Drüsen  der  Zungenwurzel.  Ebenfalls  einen  gemischten 
Bau,  wie  die  Lippen-  und  Backendrüsen,  besitzen  die  tubulo-acinösen 
Drüsen  in  dem  Schlunde  und  dem  gesummten  Respiration stract. 

Die  zahlreichen  genauen  Angaben  über  den  feineren  Bau  der 
verschiedenen  Gewebe  der  Z  ä  h  n  e,  sowie  über  deren  Entwicklung 


dürften  den  Zahnärzten  theilweise  bereits  aus  dem  Handbuch  von 
S  c  h  e  f  f,  worin  v.  Ebner  die  Histologie  der  Zähne  bearbeitet  hat, 
bekannt  sein.  Gegenüber  den  neuesten  Angaben  von  Morgen¬ 
stern  und  Römer  über  das  Vorkommen  von  Nerven  im  Zahn¬ 
bein  verhält  sich  der  Verfasser  ablehnend.  Die  Fibrillen  der  Pulpa 
hält  er  in  Gegensatz  zu  Böse  für  leimgebend.  Bei  Besprechung 
der  Entwicklung  des  Zahnbeines  bemerkt  v.  Ebner,  dass  die 
Odontoblasten  »an  ihrer  Oberfläche  zunächst  eine  nicht  fibrilläre 
Substanz  bilden,  die  zu  einer  gemeinsamen  Masse  zusammenfliesst 
und  die  dann  ohne  Beziehung  der  einzelnen  Fibrillen  zu  den  ein¬ 
zelnen  Bildungszellen  fibrillär  wird. «  Die  Orientirung  der  F  ibrillen 
hängt  —  wie  v.  Ebner  a.  a.  0.  genauer  dargelegt  hat  von 
dem  während  der  Ausscheidung  der  Bildungssubstanz  herrschenden 
Drucke  oder  Zuge  ab. 

Ebenso  wie  hier  eine  höchst  wichtige  Beobachtung,  die  dem 
Gebiete  der  allgemeinen  Histologie  angehört,  gelegentliche  Ver- 
werthung  gefunden  hat,  so  sind  auch  in  anderen  Capiteln  Be¬ 
merkungen  über  den  feineren  Bau  gewisser  Zellarten  eingestreut. 
Ich  verweise  nur  auf  den  Paragraph  über  die  Muskelhaut  des 
Magens,  welcher  die  neuesten  Beobachtungen  S  c  h  a  f  fe  r’s  über  die 
glatten  Muskelzellen  enthält. 

Die  von  verschiedenen  Forschern  beschriebenen  Intercellular¬ 
brücken  im  Oberflächenepithel  von  Magen  und  Darm 
hält  v.  Ebner  für  Kunstproducte,  durch  Schrumpfung  der  Zellen 
entstanden. 

In  Uebereinstimmung  mit  Schiefferdecker  betrachtet  er 
die  Duodenaldrüsen  als  directe  Fortsetzungen  der  Pylorus- 
drüsen.  Der  Guticularsaum  des  Zottenepithels  wird, 
anschliessend  an  R.  Heidenhain,  als  eine  Membran  gedeutet, 
in  welche  fadenförmige  gestreckte  Fortsätze  des  Zellleibes  hinein¬ 
reichen.  Die  Paneth’schen  Körnerzellen  werden  als  speciflsche 
Drüsenzellen  betrachtet. 

Die  Nebenkerne  des  Pankreas  dürften  in  der  grössten  Zahl 
der  Fälle  Kunstproducte  sein,  »klumpige  Zusammenballungen  der 
fädigen  und  körnigen  Bestandtheile  der  Aussenzone  der  Drüsen¬ 
zellen,  unter  gleichzeitiger  Quellung  des  Restes«,  hervorgerufen 
durch  die  Fixirungsflüssigkeit.  Die  Langerhan  s’schen  Zellhaufen 
werden  gewissen  Blutgefässdrüsen,  wie  der  Nebenniere  an  die 
Seite  gestellt,  da  in  ihnen  keine  Secretwege  nachzuweisen  sind. 

In  der  noch  immer  controversen  Frage  nach  dem  Verhalten 
der  Blutgefässe  in  der  Milz  und  den  sogenannten  »lacunären 
Räumen«  gehört  v.  Ebner  zu  jenen  Autoren,  welche  aul  Grund 
der  positiven  Ergebnisse  sorgfältig  ausgeführter  Injectionen  eine  ge¬ 
schlossene  Bluthahn  vertreten.  In  den  capillaren  Venen  der  Pulpa 
entdeckte  er  nach  aussen  von  den  längsgestreiften,  möglicher  V  eise 
contractilen  Endothelzellen  eine  sehr  zarte  Haut,  in  der  ein  Netz 
elastischer  Fasern  gelegen  ist.  Das  Balkenwerk  der  Milz  enthält 
neben  äusserst  zahlreichen  elastischen  Fasern  auch  vereinzelte  glatte 
Muskelzellen. 

Im  Hinblick  auf  die  Frage  nach  der  Existenz  von  glatten  Muskelfasern 
in  den  Alveolarwänden  des  Lungenparenchyms  gehört  v.  Ebner  jenen 
Forschern  an,  denen  es  nicht  gelingen  wollte,  solche  daselbst  wahl¬ 
zunehmen.  Ebensowenig  konnte  er  sich  von  der  Existenz  jenei 
Porencanälchen  überzeugen,  die  von  Hansemann  in  der  Wand 
der  Lungenalveolen  beschrieben  waren.  Die  das  Kohlenpigment 
führenden  »Staubzellen«  der  Lunge,  die  an  Zupfpräparaten  häufig 
mit  schwarzen  Körnchen  ganz  vollgepfropft  erscheinen,  ist  Verlasset 
geneigt,  für  Wanderzellen  zu  halten. 

"  Aus  der  Histologie  der  Schilddrüse  interessirt  vor  Allem 
die  Frage,  in  welcher  Weise  die  Abfuhr  des  Secretes  aus^  den 
schlossenen  Drüsenblasen  vor  sich  geht 


ge- 


Auch  hierin  verhält  sich 


v.  Ebner  sehr  zurückhaltend.  Der  directe  Ucbertritt  geformter 
Elemente  in  die  Lymphbahn  erscheint  ihm  wenig  wahrscheinlich, 
so  dass  er  die  Möglichkeit  in  Betracht  zieht,  dass  vielleicht  die 
oberflächlichen  Blutcapillaren  die  zur  Resorption  bestimmten  Stotte 
direct  aufnehmen. 

Bezüglich  der  Entwicklung  der  Thymus  sei  bemerkt,  dass 
die  Marksubstanz  zum  grössten  Theile  von  der  epithelialen  Anlage 
abstammt,  während  die  Rindensubstanz  eine  secundäre  Auf¬ 
lagerung  darstellt.  Unter  den  im  Reticulum  frei  beweglichen  Zell¬ 
formen  verdienen  vor  Allem  die  von  Schaffer  entdeckten  kern¬ 
haltigen  rothen  Blutkörperchen  Beachtung,  welche  die  Thymus  als 
blutbildendes  Organ  neben  Knochenmark  und  Milz  zu  stellen  ge¬ 
statten. 

Aus  dem  umfangreichen  Capitel  über  die  Ilarnorgane  sei 
insbesonders  auf  die  eingehende  Darstellung  der  complicirten  Epithel¬ 
verhältnisse  der  M  alp  i  ghi’schen  Körperchen  hingewiesen;  auch 
die  Physiologie  der  Harnsecretion  und  die  Entwicklung  der  Nieren- 
canälchen  wurden  gestreift. 

In  der  Marksubstanz  der  Nebenniere  entdeckte  der  \  er- 
fasser  ein  ausserordentlich  reiches  Netzwerk  feinster  elastischer 
Fasern.  Der  erst  kürzlich  von  Kohn  aufgestellten  Behauptung, 
dass  die  Markzellen  keine  für  die  Nebennieren  speciflsche  Zell¬ 
art  seien,  sondern  als  »chromatfine  Zellen«  einen  allgemein  ver¬ 
breiteten  Bestandtheil  des  sympathischen  Nervensystems  darstellten, 
konnte  er  nicht  beipflichten.  Mit  der  eingehenden  Darstellung  der 
Gefässe  und  Nerven  der  Nebennieren  schliesst  der  vorliegende 
Band  ab. 

Wenn  wir  nach  dieser  kurzen  Uebersicht  nochmals  einen 
Blick  in  die  fünfte  Auflage  werfen,  und  das  relativ  spärliche  That- 
sachenmaterial  jener  Zeit,  die  Ungeklärtheit  in  vielen,  principiellen 
Fragen,  die  heute  längst  gelöst  sind,  mit  den  Verhältnissen  der 
Gegenwart  vergleichen,  so  springt  uns  der  enorme  Forschritt  in 
die  Augen,  den  die  Histologie  in  den  letzten  bO  Jahren  ge¬ 
macht  hat. 

Zu  dem  kraftvollen  Vorwärts  dringen  der  Naturwissenschaften, 
welches  dieses  Jahrhundert  charakterisirt,  hat  auch  unsere  Wissen¬ 
schaft  ihren  verdienstvollen  Antheil  geliefert.  Ursprünglich  ein  Theil 
der  Anatomie  und  Physiologie  hat  sie  durch  unablässige  \ei- 
besserungen  ihrer  Technik  allmälig  eine  Summe  eigener  Erkenntnisse 
zu  Tage  gefördert,  welche  ihr  eine  selbstständige  Stellung  unter 
den  theoretischen  Disciplinen  der  Medicin  erworben  haben.  Die 
Zeiten,  in  denen  es  hervorragenden  Geistern  vergönnt  war,  neben 
Anatomie  und  Histologie  auch  die  Gesammtgebiete  der  Zoologie 
und  Physiologie  zu  beherrschen  und  durch  eigene  Arbeit  zu  fördern, 
sind  vorbei.  Der  Stoff  hat  sich  in  jedem  einzelnen  Fache  zu  sehr 
gehäuft,  so  dass  man  sich  zufrieden  geben  muss,  nicht  die  Fäden 
zu  verlieren,  die  zu  den  Schwesterwissenschaften  hinüberleiten.  Und 
ein  ganzer  Complex  solcher  Fäden,  welche  die  Histologie  sowohl 
mit  den  übrigen  theoretischen  als  auch  den  praktischen  Fächern 
der  Medicin  verbinden,  ist  in  dem  vorliegenden  Werke  vereinigt. 
Darum  wird  es  nicht  nur  im  engsten  Kreise  der  Fachgenossen, 
sondern  auch  darüber  hinaus  willkommen  sein;  Aerzte  und  Stu- 
dirende  werden  es  mit  Erfolg  benützen,  und  so  schliesse  ich  mit 
dem  Wunsche,  dass  dasselbe  Interesse,  welches  dem  Werke  m 
seiner  früheren  Form  entgegengebracht  wurde,  ihm  auch  in  seinem 
neuen  Gewände  treu  bleiben  möge.  H.  Rabl. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

56.  ZurTherapie  der  Ischias.  Von  A.  Eulenbu  r  g 
(Berlin).  Die  Behandlung  der  nach  dem  italienischen  Arzte  Dome¬ 
nico  Contugno  auch  als  »Ischias  p  o  s  t  i  c  a  C  o  t  u  n  i  i « 
bezeichneten  Krankheit  unterscheidet  sich  insoferne  zu  ihrem  \  or¬ 
theile  von  den  meisten  anderen  Neuralgien,  als  sie  auch  der  cau- 
salen  Therapie  Spielraum  gewährt,  in  Folge  dessen  auch  nicht  alle 
Ischiasfälle  nach  einer  Schablone  zu  behandeln  sind.  Geschwülste, 
welche  die  Wurzel  des  Sacralplexus  drücken,  indiciren  deien  Ent¬ 
fernung,  Stauungen  in  den  Beckenvenen  zur  Anwendung  \  on  Blut¬ 
egeln  oder  Schröpfköpfen  in  der  Gegend  der  Tncisura  isehiadica 
major.  Venäsectionen  sind  nicht  zu  empfehlen.  Aussei  öitliciui 
Blutentziehungen  kommen  in  diesen  Fällen  noch  mehr  oder  minun 
starke  Abführmittel,  Fleiner’sche  Oelklystiere  u.  s.  w.  m  Le- 


194 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


tracht.  Ischias  im  Gefolge  von  Gonorrhoe,  Syphilis,  Gicht,  Diabetes, 
beziehungsweise  nach  alkoholischen,  saturninen,  mercuriellen  In- 
toxicationen  ist  nach  dem  Grundleiden  zu  behandeln.  Die  Ischias 
als  solche  fordert  Ruhe.  Wärmeapplication,  in  welch  letzterer  Hin¬ 
sicht  die  Thermophore  sich  als  sehr  brauchbar  erweisen,  subcutane 
Injectionen  von  2^/yiger  Carbolsäure  (eventuell  mit  Zusatz  von  etwas 
[V*'°/oJ  Morphium)  möglichst  tief  in  die  unmittelbare  Umgebung  des 
Nerven  an  den  schmerzhaften  Stellen.  Die  Injectionsdosis,  die  ein¬ 
mal,  nöthigenfalls  auch  mehrmals  täglich  wiederholt  wird,  beträgt 
gewöhnlich  1  (j.  Aehnlich,  mit  einer  gewissen  Vorsicht,  sind  auch 
die  Osmiumsäureinjectionen  (0'3 — 0'5  einer  l%igen  Lösung)  in 
zwei-  bis  dreitägigen  Intervallen  vorzunehmen.  In  besonders 
schlimmen  Fällen  können  auch  Cocaininjectionen  (05  bis  Ol  einer 
2-  bis  4%igen  Lösung)  an  den  schmerzempfindlichsten  Stellen  und 
zur  allgemeinen  Beruhigung  Morphium  (Heroin,  Dionin)  gebraucht 
werden.  Weiters  kommt  noch  die  Elektrotherapie  als  Franklini- 
sation  in  Form  der  Pinselung,  noch  besser  als  constanter  Strom 
(5  bis  7  M.-A.)  in  Betracht.  Massage  ist  erst  dann  geboten,  wenn 
die  anfängliche  Schmerzhaftigkeit  bereits  abgenommen  hat;  sie  soll 
nicht  zu  energisch  sein.  Sehr  empfehlenswerth  ist  die  »unblutige 
Nervendehnung«.  Der  gestreckt  gehaltene  Fuss  des  am  Rücken 
oder  auf  der  gesunden  Seite  liegenden  Patienten  wird  im  Hüft¬ 
gelenke  möglichst  stark  gebeugt,  gegen  den  Rumpf  hinauf  gezogen 
und  in  dieser  Stellung  durch  1  bis  3  Minuten  erhalten.  Von 
der  grössten  Bedeutung  sind  bekannter  Weise  die  Bäder  in  Form 
der  Thermen,  Moor-,  Sand-,  Schlammbäder  und  die  Fangocuren. 
Ferner  ist  auch  die  schottische  Douche  beliebt,  bei  der  zuerst 
warmes  Wasser  in  allmälig  steigender  Temperatur  bis  zum  Nach¬ 
lassen  des  Schmerzes,  dann  plötzlich  ein  kalter  Strahl  local  appli- 
cirt  wird.  Die  Legion  anderweitiger  bei  Ischias  angewendeter  Mittel 

ist  zu  entbehren.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1899,  Nr.  10) 

* 

57.  (Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Frauenhospitale s 
in  Petersburg.)  lleberCocainisirung  des  Rückenmarkes 
n  ach  B  i  e  r.  Von  Dr.  S  e  1  d  o  w  i  t  s  c  h.  Es  wird  über  vier  Fälle 
genauer  berichtet,  in  welchen  der  Vorschlag  Bier’s,  mittelst  In¬ 
jection  von  Cocain  in  den  Rückenmarkscanal  Anästhesie  zu  erzeugen, 
praktisch  bei  Operationen  in  Ausführung  gebracht  wurde.  Erster 
Fall:  Amputation  nach  Pirogoff.  Aul  Injection  von  O'Ol  Cocain 
zwischen  dem  dritten  und  vierten  Lendenwirbel  trat  nach  acht 
Minuten  eine  von  den  Zehen  bis  zur  Spina  anterior  reichende 
Schmerzlosigkeit  ein.  Dauer  der  Operation,  welche  vollkommen 
schmerzlos  verlief,  4U  Minuten.  Nach  56  Minuten  kehrte  die 
Schmerzempfindung  wieder  zurück.  Zweiter  Fall:  Unterschenkel¬ 
amputation  und  Exstirpation  der  Leistendrüsen.  Nach  Injection  von 
0006  Cocain  trat  neun  Minuten  später  Schmerzlosigkeit  ein. 
Selbst  die  Durchsägung  des  Knochens  verfiel  schmerzlos,  nur  wurde 
die  Anlegung  der  Nähte  in  inguine  etwas  empfunden.  Dritter  Fall: 
Exstirpation  eines  Hautcarcinoms  am  rechten  Knie,  Deckung  des 
Defectes  nach  Thiersch.  Das  Schneiden  der  Hautlappen  am 
Oberschenkel  war  etwas  schmerzhaft.  Dauer  der  Anästhesie  35  Mi¬ 
nuten.  Vierter  Fall:  Kniegelenksresection.  Injection  von  0  009  Cocain. 
Die  ganze  Operation,  welche  50  Minuten  gedauert  halte,  verlief 
schmerzlos.  Der  zweite  Fall,  welcher  seiner  Krankheit  erlag,  gab 
Gelegenheit,  den  Rückenmarkscanal  zu  besichtigen,  wo  nichts  Ab¬ 
normes  constatirt  werden  konnte.  Hervorzuheben  ist  ein  Umstand, 
der  von  Bier  nicht  erwähnt,  von  Sei  do  witsch  aber  in  jedem 
Falle  der  Cocainisirung  beobachtet  wurde,  nämlich  ein  nach  der 
Operation  immer  auftretender  Frostanfall  mit  vorübergehender 
Temperatursleigerung  bis  zu  40°.  -  (Centralblatt  für  Chirurgie. 
1899,  Nr.  41.) 

* 

58.  (Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  städtischen  Kranken¬ 
hauses  im  Friedrichshain  zu  Berlin.)  lieber  Pneumatosis 
cystoides  intestinoru  m  h  o  m  i  n  i  s  und  einen  durc  h 
Laparotomie  behandelten  Fall.  Von  Prof.  Hahn.  Die 
obige  Bezeichnung  stammt  von  Prof.  Mayer  in  Bonn,  welcher 
1825  den  ersten  einschlägigen  Fall  beschrieben  hat.  Die  Krankheit 
kommt  häutiger  beim  Schweine  vor  und  hat  dort  den  Namen 
Emphysema  bullosum  mesenteriale  et  intestinale.  Der  von  Hahn 
operirte  Fall,  welcher  unter  den  Symptomen  einer  Dilatatio  ventri- 
culi  und  eines  stenosirenden  Darmtumors  in  Behandlung  gelangt 
war,  ist  der  erste,  bei  dem  die  Erkrankung  am  Menschen  intra 


vitam  beobachtet  worden  ist  und  betraf  einen  35jährigen  Mann, 
der  schon  seit  zwei  Jahren  über  Beschwerden  von  Seite  des 
Magen-Darmcanales,  besonders  über  lang  anhaltende  Diarrhöe,  die 
in  Obstipation  überging,  zu  klagen  hatte.  Nach  der  ausgeführten 
Eröffnung  der  Bauchhöhle  fand  man  den  grössten  Theil  des  Dünn¬ 
darmes  mit  gasgefüllten,  der  Serosa  theils  gestielt,  theils  flach  auf¬ 
sitzenden,  erbsen-  bis  haselnussgrossen  Cysten  bedeckt,  die  ent¬ 
weder  zerdrückt  oder  exstirpirt  wurden.  Der  Kranke  konnte  hin¬ 
sichtlich  seiner  Beschwerden  gebessert  entlassen  werden.  Allem  An¬ 
scheine  nach  handelt  es  sich  bei  dieser  Erkrankung  um  eine 
Cystenbildung  zwischen  den  Darmmuskelschichten  in  Folge  Ein¬ 
dringens  von  gasbildenden  Bacterien,  wodurch  es  zu  einer  Atrophie 
der  Darmmusculalur  und  dadurch  zur  mangelnden  Peristaltik  des 
Darmes  und  ihrer  Folgen  kommt.  Eine  Uebertragung  vom  Schweine 
auf  den  Menschen  wäre  nicht  undenkbar.  In  diagnostischer  Hinsicht 
ist  zu  bemerken,  dass  die  Palpation  prall-elastische  Tumoren  er¬ 
kennen  lässt,  welche  sich  von  Echinococcusblasen  durch  das  Fehlen 
jeder  Dämpfung  unterscheiden.  —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  40.) 

* 

59.  Natürliche  Schutzeinrichtungen  des  Or¬ 
ganismus  und  deren  Beeinflussung  zum  Zwecke 
der  Abwehr  von  Infection  sprocessen.  Von  II.  Buchner. 
Es  wird  ganz  besonders  auf  ein  Mittel  aufmerksam  gemacht,  das 
durch  directe  chemische  Reizung  der  Gefässe  wirkt,  welche  die 
Erweiterung  derselben  veranlasst  und  hiedurch  eine  vermehrte 
Blutzufuhr  nach  den  behandelten  Theilen  bewirkt.  Es  sind  dies 
die  Alkoholverbände,  welche  zuerst  von  S  a  1  z  w  e  d  e  1  zur 
Behandlung  von  Phlegmonen,  Lymphangitis,  Panaritien,  Furunkeln, 
Mastitis  u.  s.  w.  empfohlen  und  mit  trefflichem  Erfolge  angewendet 
worden  sind.  Wichtig  ist,  dass  der  in  96%igem  Alkohol  getränkte 
Verband  recht  ausgiebig  über  die  erkrankten  Stellen  hinaus  an- 
gelegt  wird.  Aber  auch  bei  eiterigen,  offenen  Wunden  wirkt  der 
Alkoholumschlag  günstig.  Die  Wirkung  beruht,  wie  bemerkt,  auf 
der  gefässerweiternden  Wirkung  des  Alkohols  und  Buchner  er¬ 
klärt  die  Alkohole  auf  Grund  seiner  Experimente  als  die  weitaus 
kräftigsten  Mittel  hiefiir.  Verfasser  behauptet  ferner,  dass  durch 
gründliche  und  consequente  Anwendung  des  Alkohols  die  aller¬ 
meisten  Fälle  von  Zahncaries  zum  Stillstände,  beziehungsweise 
zur  Heilung  gebracht  werden  können.  Man  verwendet  dazu  einen 
45%igen,  bei  empfindlichen  Personen  einen  noch  schwächeren  Al¬ 
kohol,  netzt  mit  ihm  ordentlich  die  Zahnbürste  ein,  mit  welcher 
die  Zähne  zweimal  täglich  bearbeitet  werden.  Bei  dieser  Behandlung 
wird  das  schon  erweichte  Zahnbein  wieder  hart  und  unempfindlich, 
ja  manchmal  bildet  sich  sogar  neues  Zahnbein  an  Stelle  des  alten, 
brüchig  gewordenen.  Die  Caries  heilt,  wie  Buchner  sich  aus¬ 
drückt,  unter  der  Einwirkung  des  Alkohols  ebenso  wie  eine  Phleg¬ 
mone  oder  ein  Abscess  ausheilt.  Bemerkenswerth  ist  ferner  die  auf 
Anregung  des  Verfassers  versuchte  Behandlung  der  localen,  nament¬ 
lich  der  Gelenkstuberculose  unter  Alkoholverbänden.  Unter  zehn 
bisher  auf  diese  Weise  behandelten  Fällen  waren  zwei  »glänzende 
Heilungen«,  während  die  übrigen  sehr  günstig  verliefen.  Es  gäbe 
nach  Buchner  vielleicht  noch  eine  Reihe  anderer  Infections- 
processe,  in  denen  die  Alkoholbehandlung  versucht  werden  könnte; 
so  Alkoholverbände  am  Halse  bei  Kehlkopftuberculose;  es  steht  ja 
fest,  dass  die  gefässerweiternde  Wirkung  des  Alkohols  sich  bis  auf 
eine  gewisse  Tiefe  ins  Gewebe  hinein  erstreckt.  Buchner  würde 
in  einem  auftretenden  Fall  von  Bubonenpest  sofort  beide  Achsel¬ 
und  Leistengegenden  mit  möglichst  ausgiebigen  Alkoholverbänden 
in  prophylaktisch  curativer  Absicht  einhüllen  und  die  Verbände 
fleissig  erneuern.  Da  in  diesen  Lymphdriisenregionen  offenbar  für 
gewöhnlich  sich  die  Hauptvermehrungsstätte  des  Pestbacillus  be¬ 
findet,  so  sollte  er  hier  an  erster  Stelle  bekämpft  werden.  Dass 
der  Pestbacillus  überhaupt  mit  den  im  menschlichen  Körper  vor¬ 
handenen  Hilfsmitteln  überwunden  werden  kann,  beweisen  ja  die 
in  Heilung  übergehenden  sogenannten  »leichten«  Pestfälle,  die  nur 
deshalb  günstig  verlaufen,  weil  in  diesen  Fällen  die  Abwehr¬ 
einrichtungen  desOrganismus  glücklicherweise  genügend  functioniren. 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  4U.)  Pi. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


195 


NOTIZEN. 

Ernannt:  Dr.  Borelius  zum  Professor  der  Chirurgie  in 
Lund.  —  Dr.  Truzzi  zum  o.  Professor  der  Geburtshilfe  in 
Padua,  —  Dr.  M  o  n  d  i  n  o  zum  o.  Professor  der  Psychiatrie  in 
Pavia. 

* 

Verliehen:  Dem  Sanitätsratlie  Dr.  Breitung  in  Coburg 
vom  Fürsten  von  Schwarzburg  Rudolstadt  das  Ehrenkreuz  II.  CI. 

* 

H  a  b  i  1  i  t  i  r  t :  Dr.  Julius  Neumann  als  Privatdocent  für 
Geburtshilfe  und  Gynäkologie  in  Wien. 

* 

Gestorben:  Der  emer.  Bez.-Arzt  von  Baden,  Dr.  Wilhelm 
Bar  th  in  Wien.  —  Sir  Thomas  Grainger  Stewar  t,  Pro¬ 
fessor  der  klinischen  Medicin  zu  Edinburg. 

* 

Der  ärztliche  Verein  der  westlichen  Bezirke  Wiens  hat  in  seiner 
letzten  Plenarversammlung  einstimmig  beschlossen,  dem  Centralver- 
bande  beizutreten  und  als  Delegirte  die  Herren  Dr.  S  ch  u  m  (als 
Obmann),  Dr.  Stricker  und  Dr.  Rimböck  bestimmt.  Bei  der  in 
derselben  Sitzung  vorgenommenen  Wahl  der  Vorstandsmitglieder 
wurden  die  bisherigen  Herren  Dr.  Schum  (Obmann),  Dr.  Lauter¬ 
stein  (Obmann-Stellvertreter),  Dr.  Friedmann  und  Dr.  Rim¬ 
böck  (Schriftführer),  Dr.  Josef  lvohn  (Oekonom)  wieder  gewählt. 

* 

Prof.  E.  v.  Bergmann  versendet  folgende  Mittheilung  :  Der 
XXIX.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
Chirurgie  findet  vom  18.  bis  21.  April  in  Berlin  statt. 
Die  Begrüssung  der  zum  Congress  sich  versammelnden  Mitglieder  ge¬ 
schieht  °am  Dienstag,  den  17.  April,  Abends  von  8  Uhr  ab  im  Hotel 
de  Rome  (Charlottenstrasse  Nr.  44/45).  Die  Mitglieder  des  Ausschusses 
werden  zu  einer  am  17.  April,  Vormittags  10  Uhr  abzuhaltenden 
Sitzung  noch  besonders  eingeladen  werden.  Ich  bitte  sie  schon  jetzt, 
vollzählig  zu  erscheinen.  Die  Eröffnung  des  Congresses  findet  Mittwoch, 
den  18.  April,  Vormittags  10  Uhr  im  Laugenbeck-Hause  statt.  Während 
der  Dauer  des  Congresses  wrerden  daselbst  Morgensitzungen  von  10  1 

und  Nachmittagssitzungen  von  2 — 4  Uhr  gehalten.  Die  Vormittags- 
sitzung  am  Mittwoch,  den  18.  April  und  die  Nachmittagssitzung  am 
Freitag,  den  20.  April  sind  zugleich  Sitzungen  der  Generalversammlung. 
In  der  zweiten  Sitzung  der  Generalversamlung  am  Freitag  Nach¬ 
mittags  wird  der  Vorsitzende  für  das  Jahr  1901  gewählt.  Am  eisten 
Sitzungstage  (Mittwoch,  den  18.  April)  findet  um  10  Uhr  Abends  eine 
einstündige  Demonstration  von  Projectionsbildern  aus  Diapositiven 
statt.  Meldungen  dazu  sind  an  Herrn  Joachimsthal,  Beilin  W., 
Markgrafenstrasse  81,  und  Immelmanu,  Berlin  W.,  Lützowstiasse  72, 
zu  richten.  Von  auswärts  kommende  Kranke  können  im  königlichen 
Klinikum  (Berlin  N.,  Ziegelstrasse  5—9)  Aufnahme  finden.  Präparate, 
Bandagen,  Instrumente  etc.  sind  an  Herrn  Anders  ins  Langen- 
beck-Haus  (Ziegelstrasse  10/11)  mit  Angabe  ihrer  Bestimmung  zu 
senden.  Eine  Ausstellung  von  R  ö  n  t  g  e  n  -  Photographien  findet  nicht 
statt.  Ankündigungen  von  Vorträgen  und  Demonstrationen  bitte  ich 
zeitig  und  wenn  irgend  möglich  spätestens  bis  zum  17.  März  an  meine 
Adresse  (v.  Bergmann,  Berlin  NW.,  Alexanderufer  1)  gelangen  zu 
lassen.  Das  gemeinsame  Mittagsmahl  ist  auf  Donnerstag,  den  19.  Apiil, 

5  Uhr  Abends  im  Hotel  de  Rome  angesetzt.  Für  die  Theilnelimer 
wird  ein  Bogen  zur  Einzeichnung  ihrer  Namen  am  17.  Apiil  im  Hotel 
de  Rome  und  am  18.  April  während  der  Sitzung  im  Langenbeck-Hause 
ausliegen.  Herr  Anders  ist  beauftragt  und  ermächtigt,  Beitläge  zum 
Besten  des  Langenbeck-Hauses,  Zuwendungen  für  die  Bibliothek,  sowie 
die  regelmässigen  Zahlungen  der  Mitglieder  entgegen  zu  nehmen.  Eine 
Ausstellung  von  chirurgischen  Instrumenten  und  Apparaten  ist  in 
Aussicht  genommen.  —  Die  Sitzungen  werden  mit  nachstehenden  Voi- 
trägen  eröffnet  werden :  Mittwoch,  den  18.  April.  C  z  e  l  n  y 
(Heidelberg):  Die  Behandlung  inoperabler  Krebse.  K  r  ö  n  1  e  i  n  (Zürich): 
Darm-  und  Mastdarmcarcinom  und  die  Resultate  ihrer  operativen  Be¬ 
handlung.  Rehn  (Frankfurt  a.  M.) :  Die  Verbesserungen  in  der 
Technik  der  Mastdarm-Amputation  und  -Resection.  —  Donnerstag, 
den  19.  April.  Israel  (Berlin):  Ueber  Operationen  bei  Nieren- 
und  Uretersteinen.  —  Freitag,  den  20.  April,  v.  Angerei 
(München):  Ueber  Operationen  wegen  Unterleibs-Contusionen.  v.  Berg¬ 
mann  (Riga):  Ueber  Darm-Ausschaltungen  beim  Volvulus  und  dessen 
Diagnose.  Credc  (Dresden):  Die  Vereinfachung  der  Gastro-  und 
Enterostomie.  —  Samstag,  den  21.  April.  Lexer  (Beilin). 
Ueber  teratoide  Geschwülste  in  der  Bauchhöhle  und  deren  Operation. 

* 

Zahnärztlicher  internationaler  Congress  in 
Paris.  Vom  8.  bis  14.  August  d.  J.  findet  in  Paris  der  III.  inter¬ 


nationale  Congress  für  Zahnheilkunde  statt.  Im  Sinne  der  (  ongress- 
statuten  hat  sich  das  nationale  Comite  für  Cisleithanien  constituirt.  Jene 
Herrn  Collegen,  welche  an  diesem  Congresse  theilzunehmen  gedenken, 
eventuell  dort  Vorträge  oder  Demonstrationen  abhalten  wollen,  werden 
ersucht  sich  gefälligst  an  Herrn  Dr.  Joli.  Pichler,  \\  ien, 
I.,  Stephansplatz  6,  oder  Dr.  J  o  h.  Frank,  Wien,  I.,  legetthoil- 
strasse  1,  zu  wenden. 

* 

Wie  die  „Münchener  medicinische  Wochenschrift“  in  Nr.  7  mit¬ 
theilt,  hat  sich  in  Breslau  auf  die  Anregung  von  Geheim-Rath 
Neisser  hin  eine  Dermatologische  Vereinigung  ge¬ 
bildet,  welche  bereits  zwei  Sitzungen  abgehalten  hat. 

* 

Nach  dem  Muster  der  in  Deutschland  bestehenden  Sanatorien  für 
Stoffwechselkrankheiten  und  deren  diätetische  Behandlung  hat  Doctor 
Th.  Robert  Offer,  emeritirter  Assistent  an  der  Wiener  Univer¬ 
sität,  der  durch  längere  Zeit  bei  Prof.  v.  Noorden  in  Frank¬ 
furt  a.  M.  wissenschaftlich  thätig  gewesen  ist,  eine  gleiche,  mit  allem 
Comfort  ausgestattete  Anstalt  eröffnet. 

* 

Die  Verwaltungs-Direction  der  Wiener  städtischen  Gaswerke  hat 
über  Vorstellung  der  Wiener  Aerztekammer  die  Kundmachung  vom 
27.  December  1899,  Z.  5170,  betreffend  die  Bestellung  eines  Werk¬ 
arztes  für  das  städtische  Gaswerk  anuulirt  und  eine  neue  Kund¬ 
machung  verfasst  (siehe:  Freie  Stellen). 

* 

Der  „Bericht  über  denCongress  zur  Bekämpfung 
der  Tuberculose  als  Volk  skrankheit“  ist  erschienen.  Das 
Werk  ist  zu  beziehen  von:  Paul  Haack,  Berlin  S.  W.,  Hafeu- 
platz  10. 

* 

Druckfehler  be  ri  chtigung:  Auf  pag-  1 G9,  Spalte  2, 
Zeile  4  sollte  statt  des  Wortes  „kleinerer“  das  Wort  „klinischer¬ 
stehen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  5.  Jahreswoche  (vom  28.  Januar 
bis  3.  Februar  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  032,  unehelich  344,  zusammen 
976.  Todt  geboren:  ehelich  38,  unehelich  37,  zusammen  75.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  620  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19‘7  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  122,  Blattern  0,  Masern  7, 
Scharlach  1,  Diphtherie  und  Croup  8,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  O, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber^  3,  Neu¬ 
bildungen  38.  Angezeigte  Iufectionskraukheiten .  Blattern  0  (=),  Varicellen 

120  ( —  ll)i  Masern  293  ( —  80j,  Scharlach  53  (-{-  17),  Typhus  abdominalis 
ß  (J_  5),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  31  (—  1),  Croup  und 
Diphtherie  52  (-+-  1),  Pertussis  51  (-f-  13>,  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (—  3),  Trachom  1  (—  3),  Influenza  2  (+  !)• 


Freie  Stellen. 

Kundmachung. 

Die  liierortige  Kundmachung  vom  27.  December  1899,  Z.  51(0  wird 
hiemit  annullirt  und  die  Stelle  eines  Werkarztes  neuerlich,  wie  folgt,  ausge¬ 
schrieben.  .  ,  ,  .  ,  „. 

Im  städtischen  Gaswerke  im  XI.  Wiener  Gemeindebezirke  Simmei  mg 
gelangt  die  Stelle  eines  Werkarztes  zur  Besetzung.  Mit  dieser  Stelle,  welche 
nur  provisorisch  gegen  eine  beiden  Theilen  zustehende  halbjährige  Kündi- 
gung  besetzt  wird,  ist  insbesondere  die  Verpflichtung  verbunden,  sämrnt- 
liclie  neu  eintretenden  Arbeiter  des  städtischen  Gaswerkes  vor  ihrer  Aul 
nähme  in  den  Dienst  ärztlich  zu  untersuchen,  ferner  die  erkrankten  Ai- 
beiter  im  Gaswerke  ambulatorisch  zu  behandeln,  endlich  ^  innerhalb  des 
durch  die  Schlachthausgasse,  Simmeringer  Hauptstrasse,  Kopalgasse  und 
den  Donaucanal  begrenzten  Rayons  die  Krankenbesuche  bei  den  erkrankten 
Arbeitern  vorzunehmen.  Derzeit  sind  im  städtischen  Gaswerke  1200— 1ÖUU 

Arbeiter  beschäftigt.  , 

Der  Weikarzt  erhält  eine  aus  zwei  Zimmern  bestehende  JNaturai- 

wolinung  im  städtischen  Gaswerke. 

Der  Gehalt  für  den  Werkarzt  ist  mit  2400  Kronen  pro  Jahr  fest- 

b  Dem  städtischen  Gaswerkarzte  wird  nach  einjähriger  zufrieden¬ 

stellender  Dienstleistung  bei  einer  eventuellen  Bewerbung  um  eine  mi 
städtisch-ärztlichen  Dienste  systemisirte  Stelle,  falls  er  den  bezüglic  ien 
Bedingungen  entspricht,  der  Vorzug  vor  anderen  Bewerbern  zugesichert. 

Bewerber  wollen  ihre  mit  dem  curriculum  vitae  belegten  Gesuch! 
unter  Bekanntgabe  der  Zeit  des  frühesten  Eintrittes  bis  spätestens 
14.  März  1900,  Mittags  12  Uhr,  versiegelt  und  mit  einem  entsprechenden 
Vo.rmerke  versehen,  bei  der  Verwaltungs-Direction  der  »Gemeinde  Wien, 
städtische  Gaswerke«,  I.,  Doblhoffgasse  Nr.  6,  1.  Stock  einreichen. 

Den  in  Folge  der  ersten  Kundmachung  aufgetretenen  Bewerbei 
steht  es  frei,  ihre  Gesuche  entweder  zurückzuziehen  und  eventuell  nenei 


196 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


lieh  zu  überreichen  oder  aber  dieselben  auch  für  diese  neuerliche  Aus¬ 
schreibung  erliegen  zu  lassen. 

Her  Verwaltungs-Director  der  Gemeinde  Wien — städtische  Gaswerke: 
Wien,  am  12.  Februar  1900. 


Hausarztesstelle  in  der  k.  k.  Weiber  Stafanstalt  Wiener- 
Neudorf  mit  der  Bestallung  jährlicher  1800  Kronen  und  mit  der  Ver¬ 
pflichtung,  auch  die  in  der  niederüsterreicliischen  Zwangsarbeits-  und  Bes¬ 
serungsanstalt  in  Wiener-Neudorf  angehaltenen  Zwänglinge  ärztlich  zu  be¬ 
handeln.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  mit  den  Zeugnissen  über  den 
erlangten  medicinischen  Doctorgrad  und  die  bisherige  ärztliche  Verwendung, 
dann  mit  dem  Geburts-  und  Heimatscheine  belegten  Gesuche  bis  25.  Fe¬ 
bruar  1900  bei  der  Oberstaatsanwaltschaft  in  Wien  einzubringen. 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  1.  Februar  1900  (siehe 
Nr.  5,  1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

KTr.  8. 

Geschenke  : 

Specielle  Pathologie  und  Therapie.  Herausgegeben  von  Hofrath  Noth¬ 
nagel: 

Bd.  V,  4.  Theil:  Müller  H.  F.  und  R.  Pöch,  Die  Pest.  Wien 
1900.  8°. 

Bd.  XXIV,  Heft  1:  J  arisch  A.,  Hautkrankheiten.  Wien  1900.  8°. 
Von  Herrn  Hofrath  Prof.  R.  C  h  r  o  b  a  k. 

Proksch  J.  K.,  Die  Literatur  über  die  venerischen  Krankheiten.  Supplement¬ 
band  I.  Bonn  1900.  8°.  Vom  Autor. 

Veröffentlichungen  des  Centralverbandes  der  Baineologen  Oesterreichs. 

Bericht  über  den  ersten  Congress.  Wien  1900.  8°.  Vom  Centralver¬ 
band  der  Baineologen  Oesterreichs. 

Celli  Angelo,  Die  Malaria  nach  den  neuesten  Forschungen.  Uebersetzt  von 
Dr.  F  r  i  t  z  Kerschbaume  r.  Berlin  und  Wien  1900.  8°.  (Separat¬ 
abdruck.)  Von  Herrn  Dr.  F.  Kerschbaume  r. 

Glax  Julius,  Lehrbuch  der  Balneotherapie.  Stuttgart  1897 — 1900  8°.  2  Bde. 
Vom  Autor. 

Norges  officielle  Statistik.  Tredie  Raekke  Nr.  327.  (Rapport  sur  l’etat 
sanitaire  et  medical  pour  l’annee  1897.)  Kristiania  1900.  8°.  Von  der 
Direction  für  Medicinalwesen. 

Ziemann  Hans,  Ueber  Malaria-  und  andere  Blutparasiten.  Jena  1898.  8°. 

Von  Herrn  Docenten  Dr.  J.  Mannaberg. 

Sbornik  Klinicky  casopis  pro  pestoväni  veidy  lekafske.  (Archives  Bohemes 
de  Medecine  Clinique.)  V  Praze  1899.  Tom  1/1-4. 

Transactions  of  the  American  Pediatric  Society.  Tenth  Session.  New 
Yoik  1898.  8°.  Von  Herrn  Dr.  L.  Unger. 

* 

Von  der  Iteriaction  der  Wiener  Klin.  Wochenschrift : 

Annales  de  la  Societe  Royale  des  Sciences  medicales  et  naturelles  de  Bru¬ 
xelles.  Bruxelles  1899.  8Ü.  Tom.  VIII.  Complet. 

Archivio  di  Ortopedia.  Milano  1899,  Nr.  1 — 3. 

Bulletins  et  Memoires  da  la  Societe  anatomique.  Paris  1899.  8°.  (Jan¬ 
vier — Juillet  ) 

La  France  Medical.  Paris  1899.  Complet. 

Journal  medical  de  Bruxelles.  Bruxelles  1899. 

Revue  General  de  Clinique  et  de  Therapeutique.  Journal  des  Praticiens. 
Paris  1899. 

The  American  Practitioner  and  News.  Louisville  1899,  II.  Complet. 
Przeglad  Chirurgiczny.  Warszawa  1899.  Tom.  IV  1,  2. 

Zeitschrift  für  Elektrotherapie  und  ärztliche  Elektrotechnik.  Koblenz  und 
Leipzig  1899,  Heft  1—4. 

Schweizer  Archiv  für  Thierheilkunde.  Zürich  1899.  Complet. 

Rivista  mensile  di  Psichiatria  Forense,  Antropologia  Criminale.  Napoli  1899. 
Complet. 

Le  Scalpel.  Journal  hebdomadaire.  Liege  1898/99.  Complet. 

* 

Neue  Tauschexemplare: 

Reichs-Medicinal-Anzeiger.  Leipzig  1900  ff. 

Der  Kinderarzt.  Leipzig  1900  ff. 

Der  Frauenarzt.  Leipzig  1900  ff. 

The  Medical  Chronicle.  A  monthly  Record  of  the  Progress  of  Medical 
Science.  Manchester  1900  ff. 

Gazzetta  Internazionale  di  medicina  pratica.  Napoli  1900  ff. 

Deutsche  Praxis.  (Zeitschrift  für  deutsche  Aerzte,  speciell  im  Auslande.) 
München  1900  ff. 

Annals  of  Ophthalmology.  A  quarterly  journal  and  Review  of  ophthalmic 
science.  St.  Louis  Mo.  1900  ff. 

* 

An  gekauft: 

Congres  de  Chirurgie.  Treizifeme  S.  Paris  1899  ff. 

Lehrbuch  der  allgemeinen  Therapie  und  der  therapeutischen  Methodik. 

Herausgegeben  von  Prof,  Dr.  A.  Eulenburg  und  Prof.  Dr.  Sa¬ 
muel.  Berlin  und  Wien  U97 — 1899.  8°.  3  Bde. 


Bendix  Bernhard,  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde.  Zweite  Auflage  von  weil. 
Uffelman  n’s  kurz  gefasstem  Handbuch  der  Kinderheilkunde. 
Berlin  und  Wien  1899.  8°. 

Dragendorff  Georg,  Die  Heilpflanzen  der  verschiedenen  Völker  und  Zeiten. 
Stuttgart  1898.  8°. 

Loeb  Jacques,  Einleitung  in  die  vergleichende  Gehirnphysiologie  und  ver¬ 
gleichende  Psychologie.  Leipzig  1899.  8°. 

Sammlung  klinischer  Abhandlungen  über  Pathologie  und  Therapie  der 
Stoffwechsel-  und  Ernährungsstörungen.  Herausgegeben  von  Prof. 
Dr.  Karl  v.  Noordei.  Berlin  1900.  8°. 

Mittheilungen  und  Verhandlungen  der  internationalen  wissenschaftlichen 
Lepra  Conferenz  zu  Berlin  im  October  1897.  Berlin  1897.  8°.  Drei 
Theile. 

Wien,  im  Februar  1900.  Unger. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Biedert,  Die  Versuchsanstalt  für  Ernährung,  eine  wissenschaftliche,  staat¬ 
liche  und  humanitäre  Nothwendigkeit.  Seitz  &  Schauer,  München 
1899.  16  S. 

Nohiling,  Ueber  die  Entwicklung  einzelner  Verknöclierungskerue  in  un¬ 
reifen  und  reifen  Früchten.  Ibidem.  9  S% 

Schaeffer,  Die  Prophylaxe  bei  Frauenkrankheiten.  Ibidem.  45  S.  Preis 
M  1.50. 

Hacker  V.,  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  Chirurgie.  Wagner,  Inns¬ 
bruck  1899.  (Inaugurationsrede.) 

Rothschild,  Die  Sternalwinkel  in  anatomischer,  physiologischer  und  patho¬ 
logischer  Hinsicht.  Alt,  Frankfurt  a.  M.  1900.  Preis  M.  2.60. 

Grossmann,  Ueber  Gangrän  bei  Diabetes  mellitus.  Hirschwald,  Berlin  1900. 
134  S. 

Blau.  Encyklopädie  der  Ohrenheilkunde.  Vogel,  Leipzig.  Preis  M.  20. 

Baumgarten  und  Tangl.  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  in  der  Lehre 
von  den  pathogenen  Mikroorganismen.  14.  Jahrgang  (1898),  1.  Ab¬ 
theilung.  Bruhn,  Braunschweig  1899.  Preis  M.  10.  — . 

Müller  und  Pöch,  Die  Pest.  (Specielle  Pathologie  und  Therapie,  heraus¬ 
gegeben  von  Hofrath  Nothnagel.)  Holder,  Wien  1900.  Preis 
M.  8.40. 

Jarisch.  Hautkrankheiten  (1.  Hälfte).  Ibidem.  Preis  M.  10. — . 

Windscheid.  Pathologie  und  Therapie  der  Erkrankungen  des  peripherischen 
Nervensystems.  Naumann,  Leipzig.  Preis  M.  2.50. 

Beier,  Die  Untersuchung  des  Harns.  Ibidem.  Preis  M.  2. — . 

Schelenz.  Frauen  im  Raiche  Aesculaps.  Günther,  Leipzig. 

Hoffa,  Die  Osteotomie  bei  der  Behandlung  der  Hüftgelenksdeformitäten. 
Stüber,  Würzburg  1899.  Preis  M.  2. — . 

Koelliker.  Neue  Beobachtungen  zur  Anatomie  des  Chiasma  opticum.  Ibidem. 
Preis  M.  l.?0. 

Sendziak.  Ueber  rheumatische  Affectionen  des  Pharynx,  des  Larynx  und 
der  Nase.  Fischer,  Jena.  Preis  M.  0  60. 

Kraepelin,  Die  psychiatrischen  Aufgaben  des  Staates.  Fischer,  Jena.  Preis 
M.  . 

Bloch.  Die  Ohrenheilkunde  im  Kreise  der  medicinischen  Wissenschaften. 
Ibidem.  16  S. 

Gump  recht,  Die  Technik  der  speciellen  Therapie.  Ibidem.  2.  Auflage. 
Preis  M.  7. — . 

Schleich,  Neue  Methoden  der  Wundheilung.  2.  Auflage.  Springer,  Berlin. 
Preis  M.  7. — . 

Schmidt,  Die  strafrechtliche  Verantwortlichkeit  des  Arztes  für  verletzende 
Eingriffe.  Fischer,  Jena.  60  S. 

Hoffa,  Die  Orthopädie  im  Dienste  der  Nervenheilkunde.  Fischer,  Jena. 
Preis  M.  4.  — . 

Noorden  v.,  Ueber  die  ludicationer.  der  Entfettungscuren.  Hirschwald, 
Berlin.  27  S. 

Ktilme,  Die  deutsche  Medicin  in  Theorie  und  Praxis.  Appelhaus,  Braun¬ 
schweig.  103  S. 

Hensclien,  Mittheilungen  aus  der  medicinischen  Klinik  zu  Upsala.  Fischer, 
Jena.  312  S. 

Kaufmann,  Die  Entschädigung  der  Unterleibsbrüche  in  der  staatlichen 
Unfallvei Sicherung.  Deuticke,  Wien.  47  S. 

Brandenburg,  Ueber  Lidgangrän.  Marhold,  Halle  1899.  Preis  M.  1.  — . 

Vossius,  Ueber  die  Vererbung  von  Augenleiden.  Ibidem.  1900.  Preis 
M.  1.  —  . 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XII.  Jahrgang  (1899) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  von  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1898)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


197 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung'  vom  16.  Februar  1900. 

Wiener  laryngologisclie  Gesellschaft.  Sitzung  vom  1.  Februar  1900. 


71  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  16.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Julius  Mautlmer. 

Schriftführer:  Dr.  H.  Ludwig. 

Der  Schriftführer  verliest  folgende  an  das  Secretariat  eingelangte 
Erklärung : 

Hochgeehrter  Herr  Professor! 

Da  ich  verhindert  war,  der  letzten  Sitzung  der  Gesellschaft  der 
Aerzte  beizuwohnen  und  mir  auch  die  Theilnahme  an  der  nächsten 
Sitzung  nicht  möglich  ist,  so  ersuche  ich  feie  höflichst,  zui  Aufkläiung 
von  Missverständnissen  folgende  Bemerkungen  zum  Protokoll  in  dei 
nächsten  Sitzung  zur  Verlesung  bringen  zu  wollen.. 

Herr  Privatdocent  Dr.  Hermann  Schlesinger  bat  in  der 
letzten  Sitzung  der  Gesellschaft  der  Aerzte  am  9.  d.  M.  an  seine 
Demonstration  eines  Falles  von  Syringomyelie  einige  Bemerkungen 
über  die  eigenartige  Ausbreitung  der  Sensibilitätsstörung  im  Gesichte 
und  ihr  Verhältniss  zur  Verbreitung  der  peripherischen  sensiblen  Trige¬ 
minusäste  geknüpft  und  sich  hiebei  auf  seine  eigene,  am  27.  Januar  1899 
in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  erstattete  Mittheilung,  sowie  auf  meine 
im  Herbst  1899  in  den  „Jahrbüchern  für  Psychiatrie  und  Neurologie“ 
(Bd.  XVIII,  pag.  458)  erschienene  Publication  bezogen. 

Herr  Dr.  Schlesinger  hat  in  dieser  Bemerkung  seine  Priori¬ 
tät  an  einer  „Schlussfolgerung“  hervorgehoben,  die  in  einigen  wenigen 
Zeilen  meiner  citirten  Publication  enthalten  ist  (1.  c.  pag.  468,  zweiter 
Absätz^* 

Es  handelt  sich  hiebei  in  meiner  Publication  um  eine  so  nahe¬ 
liegende  und  selbstverständliche  Conclusion,  dass  sie  wohl  Jeder,  dei 
die  von  mir  mitgetheilten  Befunde  erfährt,  selbst  gemacht  haben  würde. 
Ich  mache  die  von  Herrn  Dr.  Schlesinger  betonte  Priorität  in 
der  Mittheilung  dieser  „Schlussfolgerung“  keinesAvegs  streitig.  . 

Da  aber  die  Art  der  Erwähnung  meiner  Arbeit  bei  Nichteinge¬ 
weihten  die  Meinung  erwecken  konnte  und  thatsächlich  auch  erweckt 
hat  als  ob  meine  Untersuchungen,  aus  denen  sich  jene  Schlussfolgerung 
von  selbst  ergibt,  aus  derZeit  nach  der  erwähnten  Mittheilung  Herrn 
Dr.  Schlesinger’s  stammen  würden,  so  sehe  ich  mich  genöthigt, 
zur  Aufklärung  der  chronologischen  Verhältnisse  darauf  hinzuweisen, 
dass  ich  alles  Wesentliche  meiner  Publication  bereits  am  15.  Juni  1897, 
also  I1/,  Jahre  vor  Herrn  Dr.  Schlesinger’s  e  r  s  t  e  r  Mit- 
tlieilung  über  diese  Frage,  in  einer  Demonstration  im  Ver¬ 
eine  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien  mitgetheilt  habe. 

Da  Herr  Dr.  Schlesinger  für  das  „Neurologische  Central¬ 
blatt“  ein  Referat  über  meine  Demonstration  geliefert  hat,  konnte  ihm 
diese  Thatsache  nicht  unbekannt  sein. 

Wien,  am  11.  Februar  1900.  „  ,  . 

Dr.  Friedrich  v  Sölder. 


Primarius  Dr.  F.  Hansy  (Baden)  :  Pylorusstenose  bei 
einem  elfjährigen  Knaben.  (Erscheint  demnächst  aus¬ 
führlich.)  ,  . 

Prof.  Dr.  R-  Paltauf  stellt  einen  Kranken  aus  der  Abtheilung 

des  Herrn  Primarius  E.  Bamberger  (k.  k.  Krankenanstalt  B^udolf' 
Stiftung“)  vor,  der  auch  von  Prof.  Bergmeister  beobac  e 
worden  ist.  Der  22jährige  Mann  hat  zahlreiche  erbsen-  bis  lurschkein- 
und  bohnengrosse  Tumoren  in  der  Haut  und  namentlich  in  der  us- 
culatur  (Arme,  Beine),  hat  auch  eine  eigenthümliche  Iritis  mit  Knotchen- 
bildung  überstanden.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  ein  aus 
Knötchen  aufgebautes  Granulationsgewebe;  die  Knötchen  bestehen  aus 
epitheloiden  Zellen,  haben  insoferne  viel  Aehnlichkeit  mit  Tuberkel- 
Knötchen,  unterscheiden  sich  jedoch  durch  das  Fehlen  retrograde! 
Metamorphosen  und  durch  reichliche  Vascularisation  von  solchen,  en  - 
sprechen  somit  sehr  den  Fremdkörpertuberkeln;  auch  ergab  weder  die 
Untersuchung  noch  die  Verimpfung  des  Gewebes  an  Thieren  Tuber 
bacillen.  Weder  die  mikroskopische  Untersuchung  noch  die  verse  ie- 
densten  Culturversuche  konnten  den  mit  Nothwendigkeit  anzunehmenden 
organisirten  Krankheitserreger  erweisen,  was  bei  dem  fast  D/ajahngen 
Bestände  des  Leidens  auch  durch  ein,  eventuell  spärliches  Vorkommen, 
stellenweise  vielleicht  auch  Abgestorbensein  desselben  erklärt  werden 


könnte.  Der  Kranke  hat  auch  Veränderungen  an  den  inneren  Organen, 
Hüsteln,  rechtsseitige  Spitzendämpfung  (keine  Tuberkelbacillen  im  Aus¬ 
wurfe)  vergrösserte,  tastbare  Milz,  Albuminurie,  leichte  Temperatur¬ 
steigerungen.  (Erscheint  ausführlich  in  dieser  Zeitschrift.) 

Docent  Dr.  König  st  ein:  Ich  habe  den  Fall  ein  ganzes  Jahr 
lang  beobachtet,  und  kann  nur  bestätigen,  was  schon  Pal  tauf 
gesagt  hat,  dass  der  Fall  ganz  unklar  geblieben  ist.  Nach  Aus¬ 
schliessung  von  Lues  hielt  ich  den  Fall  für  Tuberculose,  schickte  ihn 
in  die  Klinik  Nothnagel,  wo  man  keine  Spur  von  Tuberculose 
fand.  Von  mir  wurde  der  Patient  in  erholtem  Zustande  bei  normaler 
Sehschärfe  entlassen;  damals  waren  noch  keine  Knötchen  in  der  Iris. 

Prof.  Dr.  R.  Pal  tauf  bemerkt  auf  einige  private  Anfragen, 
dass  der  Blutbefund  normal  sei,  grössere  Parasiten  absolut  auszu- 
schliessen,  auch  solche  aus  der  Gruppe  der  Sporozoen  höchst  unwahr¬ 
scheinlich  seien,  eher  könnte  an  Sprosspilze  gedacht  werden. 

Hofrath  E.  Fuchs  erwähnt  eines  von  Mo  e  1 1  e  r  histologisch 
untersuchten  Falles  seiner  Klinik.  Es  handelt  sich  um  einen  Augen¬ 
lidtumor,  welcher  exstirpirt  wurde,  nicht  recidivirte.  Der  histologische 
Befund  ist  ganz  ähnlich  dem  vorliegenden,  der  klinische  Verlauf  aller¬ 
dings  ganz  abweichend. 

Prof.  Dr.  R.  P  a  1 1  a  u  f  :  Bezüglich  des  von  Hofratli  4  u  c  h  s 
angeführten  Tumors  sei  zu  erinnern,  dass  an  einer  von  Aussen  zu¬ 
gänglichen  Stelle  bei  derartigen  Geschwülsten  immer  an  Fremdkörper 
zu  denken  sei;  solche  Geschwülste  kommen  ausser  an  der  Conjunctiva 
auch  am  Ohrläppchen  (Ohrgehänge)  vor  und  können  hier  wie  eine 
ihm  bekannte  von  Prof.  Riehl  gemachte  Beobachtung  lehren,  viele 

Jahre,  ja  Decennien  bestehen.  .  . 

Prof.  Dr.  R-  Paltauf  demonstrirt  ferner  ein  Carcinom  a  e  r 
Flexura  sigmoidea  von  einem  zwölfjährigen  M  ä  ei¬ 
chen,  das  bis  auf  den  Tag  vor  seinem  Tode  sich  eigentlich  wohl 
befunden  und  rasch  unter  den  Erscheinungen  der  inneren  Einklemmung 
im  Kronprinz  Rudolf-Spitale,  wo  es  wegen  Fissura  ani  in  Beobachtung 
stand,  verstorben  war;  das  stenosirende  Carcinom  hatte  bereits  zu 
Metastasen  in  der  Leber  und  im  Peritoneum  gefühlt. 

Unter  Berücksichtigung  der  grossen  Statistiken  von  Gur  it 
Gasser,  Winiwarter,  der  Sammelstatistik  Gusserows  und 
Anderen  über  Uteruscarcinom  kommen  auf  circa  10.000  Carcinom  falle 
19  unter  das  Alter  von  20  Jahren;  die  Mehrzahl  dieser  fällt  auch 


näher  an  das  20.  Jahr.  _  .. 

Wie  überhaupt  bei  den  jugendlichen  Carcinomen  die  des  Magen- 

Darmcanales  die  häufigsten  sind,  so  ordnet  sich  auch  dieser  im 
Kindesalter  aufgetretene  Fall  dem  ein;  es  bestand  keine  Polypose.  Die 
histologische  Untersuchung  ergab  einen  Cylinderzellenkrebs. 

Prof.  Dr.  R.  Paltauf  demonstrirt  ferner  eine  Geschwulst, 
welche  ebenfalls  im  Kronprinz  Rudolf-Kinderspital  zur  Beobachtung 
bekommen,  von  Primarius  Dr.  v.  Török  operirt  worden  war.  Bei 
einem  472jährigen  Mädchen  bestand  links  von  der  Wirbelsäule  unter 
dem  Schulterblattwinkel  eine  fluctuirende  Geschwulst;  auf  der  Kuppe 
sah  man  noch  die  Narbe  einer  vor  l‘/2  Jahren  stattgefundenen  Er¬ 
öffnung,  bei  der  eine  Rippencaries  soll  constatirt  worden  sein.  '  s 
wurde  daher  ein  kalter  Abscess  angenommen;  bei  der  Eröffnung  ent¬ 
leerten  sich  viel  krümelige  Massen  und  zur  Ueberraschung  der  Aerz  e 

auch  —  Haare.  ...  ^ 

Die  Untersuchung  ergab  nun  eine  grosse  Hohle,  aus  deie 

Grund  nach  Resection  von  vier  Rippen  diese  Geschwulst  entfernt 
wurde;  gleichzeitig  fand  sich  ein  Darmstück,  und  zwar  Dickdarm,  so 
ähnlich  normalem,  dass  man  einen  Moment  fürchtete,  es  handle  sich 
um  den  Darm  des  Kindes;  leider  ist  dieses  Stück  in  Verlust  geratlien, 
ebenso  wie  Stücke  der  Sackwandung,  die  zu  entfernen  nicht  ge  ang. 
Die  aus  der  Höhle  entfernte  Geschwulst  ist  mannsfaustgross,  keulen¬ 
förmig,  von  12  cm  grösster  Länge,  bei  8  cm  grösster  Breite  am  ko - 
bigen,  2V 2  cm  am  verjüngten  Ende  und  hat  einen  huhnere.gioss 
eystischen  Antheil,  welcher  Operationswundfläche  zeigt,  wählend  1 
übrige  keulenförmige  Theil  von  einer  kindlichen,  mit  reichlichem 
Schmeer  überzogenen  Haut  bedeckt  ist.  Auf  der  Kuppe  des  kolb.gen 
Endes  findet  sich  ferner  ein  Büschel  20  cm  langer  . ölender  : da¬ 
neben  auf  der  einen  Seite  zwei,  mit  klarer  Flüssigkeit  ge füllte  miss 
grosse  Cysten,  auf  der  anderen  Seite  ein  lippen-  und  kie^>*  f  S 
Gebilde  von  8  cm  Peripherie,  welche  halbkreisförmig  aus 


198 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


Zahnfleisch  überkleideten  knollig-höckerigen  Knochenmasse  und  einem 
schmalen  Lippensaume  besteht.  Die  kieferartige  Bildung  zeigt  vier 
Protuberanzen,  auf  welchen  sich  Zähne  mit  abgebrochener  Krone  linden, 
nur  an  der  einen  seitlichen  ist  ein  gut  entwickelter  Schneidezahn  zu 
erkennen.  Im  Inneren  zeigt  die  Geschwulst  bei  2  cm  mächtiges  sub- 
cutanes  Fettgewebe  und  als  Achse,  so  zu  sagen,  Knochen  mit  dazwischen 
liegenden  knorpeligen  Antheilen.  Die  eigrosse  Cyste  hat,  wie  die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  ergab,  eine  aus  Muskelschichten  bestehende 
W  and  mit  einer  dünnen,  von  Cylinderepithel  überkleideten  Schleimhaut. 

Die  eine  der  Cysten  am  kolbigen  Ende  wurde  eröffnet,  enthielt 
eine  hühnereiweissähnliche  Flüssigkeit  und  zeigte  in  der  Wand  gliöses 
Gewebe  und  eine^aus  theilweise  Flimmern  tragendem  Cylinderepithel 
bestehende  Auskleidung,  die  auch  nach  ihrem  sonstigen  Verhalten  dem 
Ependym  des  Centralcanals  zu  analogisiren  wäre. 

Demnach  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  wir  es  nicht 
mit  einem  einfachen  Dermoid  zu  thun  haben,  wie  College  Doctor 
Kretz  einmal  eines,  im  Mediastinum  gelegen,  demonstrirt  hat  (Deutsche 
Zeitschrift.  1893,  pag.  8G1),  sondern  mit  einem  Teratom,  hervorge¬ 
gangen  aus  einer  zweiten  Keimanlage,  die,  zurückgeblieben,  von  der 
anderen  zur  Entwicklung  gekommene  Frucht  aufgenommen  und  ein¬ 
geschlossen  worden  ist,  einem  foetus  in  foetu.  K  o  1  i  s  k  o  hat  ge; 
legentlich  der  Demonstration  einer  solchen  Geschwulst  aus  der  Nieren¬ 
gegend  (Deutsche  Zeitschrift.  1890,  pag.  388),  welche  noch  mehr 
Gesichtbildungen  zeigte  und  einer  teratoiden  sacralen  Cystengeschwulst 
(Deutsche  Zeitschrift.  1894,  pag.  391),  die  Entstehung  dieser  Bil¬ 
dungen  hier  besprechen,  so  dass  hiemit  nur  darauf  verwiesen  sei. 

Im  demonstrirten  Falle  ist  es  nach  den  Angaben  des  Operateurs 
nicht  mit  Sicherheit  festzustellen,  ob  die  Geschwulst  ober  oder  unter 
dem  Zwerchfell,  das  ja  durch  dieselben  hoch  hinauf  gedrängt  sein 
könnte,  gelegen  war;  ein  wirklich  intrathoracisch  oberhalb  dem 
Zwerchfell  gelegenes  Teratom  wäre  eine  sehr  grosse  Seltenheit,  die 
abdominalen  und  sacralen  sind  viel  häufiger. 

Primararzt  Dr.  Schnitzler  demonstrirt  einen  zehnjährigen  Knaben 
mit  nachfolgender  Krankheitsgescbichte. 

Vor  circa  2V2  Jahren  stürzte  der  Knabe  in  einem  mit  Teppich 
bespannten  Zimmer  auf  das  linke  Knie,  das  bald  darauf  anschwoll  und 
schmerzhaft  wurde.  Im  Verlaufe  weniger  Wochen  nahmen  Schmerzen 
und  Schwellung  beträchtlich  ab,  doch  blieb  eine  Gelenkschwellung 
irerimren  Grades  zurück  und  die  im  Wohnorte  des  Patienten  consul- 

0  o  % 

tir  ten  Aerzte  diagnosticirten  beginnenden  Fungus  des  Knie¬ 
gelenkes.  Der  Knabe  wurde  hierauf  nach  Wien  gebracht  und  hier 
wurde  von  consultirten  Kinderärzten  und  Chirurgen  ebenfalls  Knie- 
gelonkstuberculose  diagnosticirt.  Schnitzler  sah  den 
Knaben  damals  —  Ende  1897  —  auch,  erklärte  jedoch  die  damals 
von  ihm  constatirte,  durch  Flüssigkeitsansammlung  im  Kniegelenk 
bodingte  Schwellung  als  nicht  auf  Tuberculose  beruhend,  sondern  als 
Residuum  des  Effectes  jenes  vor  einer  Reihe  von  Wochen  stattgefun¬ 
denen  Traumas.  Dann  sah  Schnitzler  den  Knaben  bis  in  die 
letzten  Tage  nicht  mehr,  hörte  jedoch  von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder, 
dass  eine  ganze  Reihe  consultirter  Chirurgen  Kniegelenkstuberculose 
diagnosticirt  hatten  und  dass  eine  Behandlung  mit  fixirenden  Verbänden 
durchgeführt  wurde.  Schliesslich  wurde  der  Knabe  nach  dem  Süden 
gesendet.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  einer  der  namhaftesten  italieni¬ 
schen  Chirurgen  consultirt,  der  ebenfalls  die  Diagnose  auf  K  n  i  e- 
gelenksfungus  stellte  und  neuerlich  eine  Behandlung  mit  fixiren¬ 
den  Verbänden  durchführte.  Endlich  wurde  in  den  letzten  Monaten  im 
lleimatsorte  des  Kranken  die  Behandlung  in  gleicher  Weise  durch¬ 
geführt.  Die  Mutter  des  Patienten  gibt  an,  dass  der  Knabe  mit  dem 
starren  Verbände  ziemlich  gut  herumgehen  konnte,  dass  aber  nach 
Entfernung  des  Verbandes  stets  nur  kurze  Zeit  Wohlbefinden,  respec¬ 
tive  Functionsfähigkeit  des  linken  Beines  bestand,  dass  aber  nach 
kurzer  Zeit  immer  wieder  rasch  einsetzende  Schwellung  und  starke 
Schmerzhaftigkeit  des  Kniegelenkes  auftrat,  so  dass  neuerlich  Bett¬ 
ruhe,  respective  Fixation  durch  einen  Verband  angewendet  werden 
mussten.  Schnitzler  sah  nun  vor  drei  Tagen  —  circa  2';2  Jahre, 
nachdem  er  ihn  zu  untersuchen  Gelegenheit  gehabt  hatte  —  den 
Knaben  wieder.  Er  konnte  eine  nenuenswerthe  Atrophie  des  linken 
Beines,  eine  mässige  Einschränkung  der  Beweglichkeit  und  einen  ganz 
geringen  Erguss  im  linken  Kniegelenk  eonstatiren,  sonst  war  absolut 
nichts  Abnormes  nachweisbar. 

Auf  Grund  des  Befundes  wie  des  geschilderten  Krankheitsver¬ 
laufes  schloss  Schnitzler  Fungus  wieder  aus  und  nahm  an,  dass 
in  einem  der  knöchernen  Gelenkstheile,  und  zwar  dem  Gelenke  dicht 
benachbart,  ein  Entzündungsherd  sitzen  müsse,  der  mitunter  latent 
werde,  mitunter  aber  entzündliche  Reizung  des  angrenzenden  Gelenkes 
provocire.  Es  wäre  dies  den  Fällen  von  recidivirendem  Gelenkshydrops 
in  Folge  kleiner  osteomyelitischer  Abscesse  analog  zu  setzen,  wie  sie 
Garre  u.  A.  beschrieben  haben.  Schnitzler  veranlasste  nun  eine 
Untersuchung  mittelst  R  öntgen-Stralil  e  n,  die  von  Dr.  K  i  e  il¬ 
ia  ö  c  k  im  F  ii  r  t  h’s  chen  S  a  n  a  t  0  r  i  u  m  durchgeführt  wurde  und 
das  Resultat  ergab,  dass  im  Knorpelüberzug  des  äusseren 


linken  Femur  condyls  eine  circa  2  cm  lange  Nadel 
steckt. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  diese  Nadel  gelegent¬ 
lich  des  erwähnten,  die  ganze  Krankheit  einleitenden  Falles  auf  das 
Knie  in  dieses  eingedrungen  ist.  Dass  sie  dortselbst  geblieben  und 
nicht  gewandert  ist,  mag  vielleicht  durch  die  zahllosen  seither  ange¬ 
legten  fixirenden  Verbände  begünstigt  worden  sein. 

Die  durch  die  Nadel  provocirten  Anfälle  von  Gelenksschwellung 
gehören  in  die  Rubrik  der  von  Riedel  sogenannten  „Perialienitis“, 
respective  „Perixenitis“,  d.  h.  der  Entzündungen  um  Fremdkörper,  die 
eben  häufig  auch  ohne  Entfernung  des  Fremdkörpers  abklingen,  um 
nach  längerer  oder  kürzerer  Pause  wieder  zu  recidiviren.  Selbstver¬ 
ständlich  ist  hier  die  Entfernung  der  Nadel  behufs  definitiver  Heilung 
der  Erkrankung  indicirt. 

Der  Vorsitzende  verliest  folgende  Erklärung  des  Docenten 
Dr.  Hermann  Schlesinger: 

Hochgeehrte  Versammlung! 

Mit  Rücksicht  auf  die  heutige  Erklärung  Dr.  v.  Sölde  r’s  hebe 
ich  nachdrücklich  Folgendes  hervor:  Die  seiuerzeitige  Demonstration 
Dr.  v.  Solder’s  im  Vereine  für  Psychiatrie  war  mir  nur  aus  dem 
officiellen  Protokolle  dieses  Vereines  bekannt.  In  derselben  ist  die 
von  mir  reclamirte  Schlussfolgerung  nicht  enthalten  und  habe  ich 
sie  bei  meinem  im  Januar  1899  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  ge¬ 
haltenen  Vortrage  hervorgehoben,  weil  sie  bis  dahin  nicht  ausge¬ 
sprochen,  respective  publicirt  worden  war.  Mieh  freut  es,  dass  Doctor 
v.  Solder  meine  Conclusion  als  selbstverständlich  bezeichnet,  zumal 
auch  andere  Deutungen  der  von  v.  S  ö  1  d  e  r  und  mir  erhobenen  Be¬ 
funde  möglich  erschienen.  Ich  stelle  fest,  dass  ich  in  meinem  vor¬ 
jährigen  Vortrage  ausdrücklich  auf  die  Demonstration  v.  Solder’s 
verwiesen  habe,  deren  wissenschaftlichen  Werth  ich  auch  ohne  Kennt- 
niss  der  Ende  1899  erfolgten  ausführlichen  Publication  hoch  anschlug, 
was  mein  ausführliches  Referat  im  Neurologischen  Centralblatte 
beweist. 

Dr.  Offer  theilt  einen  Stoffwechselversuch  mit. 

Um  die  Relation  zwischen  Nuclein  der  Nahrung  und  den  im 
Harne  zur  Ausscheidung  gelangenden  Alloxurkörpern  (Harnsäure  und 
Xanthinbasen)  festzustellen,  wurde  zuerst  in  einer  nucleinfreien  Vor¬ 
periode  die  Ausscheidungsgrösse  jener  Alloxurkörper  bestimmt,  wrelche 
den  Nucleinen  des  Organismus  entstammen.  In  der  darauffolgenden 
Periode  wurde  zu  derselben  Nahrung  nuoleinsaures  Natrium  (5  g)  hin¬ 
zugefügt.  In  der  nucleinfreien  Periode  sank  die  Alloxurkörperaus- 
scheidung  bedeutend  herab;  die  bei  gemischter  Kost  im  Harne  befind¬ 
lichen  Xanthinbasen  verschwanden  aus  demselben. 

Das  Verhältniss  des  Alloxurkörperstickstoffes  zu  Gesammtstick- 
stofif  betrug  1  :  142  — 143,  während  es  bei  gemischter  Kost  1  :  47‘5  war. 

In  der  Periode,  in  welcher  nucleinsaures  Natrium  (5  cj )  der 
Nahrung  der  früheren  Periode  hinzugefügt  wurde,  stieg  die  Menge 
der  Alloxurkörper ;  es  traten  wieder  Xanthinbasen  neben  Harnsäure 
auf.  Das  Verhältniss  des  Alloxurkö’perstückstofts  zum  Gesammtstick- 
stoff  betrug  1  :  88. 

Von  dem  eingeführten  Nucleinstickstoff  gelangt  nur  ein  geringer 
Theil  als  Alloxurkörperstickstoff  im  Harne  wieder  zur  Ausscheidung. 
Die  Relation  zwischen  eingeführtem  Nucleinstickstoff  und  ausge¬ 
schiedenem  Alloxurkörperstickstotf  ist  021  (gleich  den  Befunden 
W  eintrau  d’s). 

Discussion  zum  Vortrage  Herzfeld's: 

Docent  Dr.  J.  Tandler:  Meine  Herren!  Seit  einer  Reihe  von 
Jahren  mit  dem  Studium  der  Bauchhöhlentopographie,  vor  Allem  der 
Mesenterialverhältnisse  beschäftigt,  habe  ich  mit  einem  besonderen 
Interesse  auch  die  sogenannten  pathologischen  Darmdislocationen,  vor 
Allem  die  Publicationen  über  die  Enteroptose  studirt  und  hiebei  selbst¬ 
verständlich  nur  den  in  den  verschiedenen  Arbeiten  enthaltenen  ana¬ 
tomischen  Auseinandersetzungen  meine  specielle  Aufmerksamkeit  ge¬ 
schenkt.  Der  Vortrag  des  Herrn  Docenten  Dr.  Herz  fei  d  gibt  mir 
daher  willkommene  Gelegenheit,  Sie  in  Kurzem  mit  den  mir  hiebei 
aufstossenden  Bedenken  vertraut  zu  machen.  Es  soll  sich  meine  Aus¬ 
führung  demnach  einerseits  mit  dem  Vortrage  Herzfeld’s,  anderer¬ 
seits,  so  weit  dies  hier  möglich,  mit  den  anatomischen  Ansichten  der 
übrigen,  meist  bestbekannten  Autoren  beschäftigen. 

Herzfeld  äusserte  sich  in  dem  citirten  Vortrage,  wenn  mich 
meine  Erinnerung  nicht  trügt,  beiläufig  folgendermassen  über  die 
Fixation  der  Leber:  Die  Leber  wird  in  ihrer  normalen  Lage  haupt¬ 
sächlich  dadurch  erhalten,  dass  sie  dem  darunter  gelegenen  Darm- 
convolut  aufliegt,  da  die  bekannten  Fixationsapparate  für  das  Fest¬ 
balten  der  Leber  nicht  genügen.  Nun  das  ist,  meine  Herren,  nicht 
richtig.  Wir  kennen  zwei  Fixationsapparate  für  das  F'esthalten  der 
Leber.  1.  Ihre  Verwachsung  mit  dem  Zwechfell,  2.  ihre  Verwachsung 
mit  der  Vena  cava  inferior.  Während  die  erste  Befestigungsform  all¬ 
gemein  bekannt  ist,  wird  der  zweite  Fixationsmodus  vielfach  vernach¬ 
lässigt.  Wenn  man  an  einer  Leiche  die  Bauchhöhle  öffnet,  so  rückt 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


199 


meistens  die  Leber  mit  ihrem  scharfen  Rande  sofort  nach  der  Eröffnung 
um  ein  weniges  caudalwärts.  Ich  glaube,  dass  dies  damit  zusammen¬ 
hängt,  dass  zwischen  vordere  Leberfläche  und  Zwerchfell  Luft  eintritt, 
denn  es  dürfte  auch  die  Adhärenz  dieser  beiden  glatten  feuchten 
Flächen  ein  Geringes  zur  Fixation  der  Leber  beitragen.  Löst  mau  nun 
die  Verwachsung  der  Leber  mit  dem  Zwerchfell,  was  natürlich  bei 
vollkommen  intacter  Brusthöhle  geschehen  muss,  so  bleibt  die  Leber 
in  situ,  sie  wird  eben  durch  die  im  Foramen  quadrilaterum  wohl  be¬ 
festigte  Vena  cava  gehalten.  Schneidet  man  nun  auch  die  Hohlvene 
durch,  so  fällt  die  Leber  herunter.  Man  kann  natürlich  den  Versuch 
auch  umkehren.  Ich  habe  den  Versuch  einige  Male  durchgeführt,  die 
Topik  der  Leber  ändert  sich  nicht  merklich,  auch  bei  aufgerichteter 
Leiche. 

Herzfeld  scheint  ferner,  wenn  ich  seine  Ausführungen  richtig 
verstanden  habe,  von  der  Meinung  auszugehen,  dass  die  einzelnen 
Darmwände,  wenn  sich  der  Abdominalraum  bei  Hängebauch  ver- 
grössert,  von  einander  rücken,  so  dass  zwischen  den  Darmabschnitten 
ein  freier  Raum  bleibt.  Nun  das  ist  natürlich  eine  irrige  Vorstellung. 
Die  Ausführungen  H  e  r  z  f  e  1  d’s  über  Symptomatologie  und  Therapie 
der  Enteroptose  entziehen  sich  selbstredend  meiner  Beurtheilung. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  übrigen  Autoren.  Die  Literatur 
über  die  Enteroptose  ist  ins  Ungeheure  angewachsen.  So  zähle  ich 
z.  B.  in  der  im  Jahre  1899  erschienenen  Arbeit  von  W  o  1  k  o  w  und 
D  e  1  i  t  z  i  n  über  die  Wanderniere  —  und  diese  wird  ja  von  den 
meisten  Autoren  als  ein  Theil  der  Enteroptose  angesehen  nicht 
weuiger  als  3 IG  Autoren  mit  3G4  Arbeiten.  Ich  glaube,  dass  schon 
die  Grösse  der  Literatur  ein  schlagender  Beweis  ist  für  die  Ungenauigkeit 
der  Ansichten  über  die  Enteroptose  und  für  die  Divergenz  der 
Meinungen. 

Auch  die  Statistik  über  das  Vorkommen  der  Enteroptose  zeigt 
manche  Eigenthümlichkeit.  Vor  Allem  die  Häufigkeit  der  Enteroptose. 
Bedenken  Sie  doch,  dass  z.  B.  Stiller  in  Pest  nach  seiner  eigenen 
Angabe  jährlich  unter  1000  Darmleidenden  700 — 800  Enteroptotiker 
sieht.  Auch  andere  Kliniker  behaupten,  dass  die  Enteroptose  zu  den 
gewöhnlichen  Krankheiten  gehört.  Ich  muss  sagen,  ein  mit  den 
sonstigen  Verhältnissen  nicht  Vertrauter  könnte  die  Enteroptose  fast 
für  eine  acute  Infectionskrankheit  halten. 

Ich  glaube  nun,  dass  sehr  viele  Autoren  nicht  oder  zu  wenig 
bewandert  sind  in  der  Erkenntniss  der  individuellen  Varianten  der 
Mesenterien.  Ich  bitte,  nicht  darauf  zu  vergessen,  dass  man  ja  fast  nie 
zwei  einander  gleichende  Bauchhöhlen  findet,  dass  ja,  fast  so  wie  das 
Gesicht  eines  jeden  Menschen  sein  individuelles  Gepräge  trägt,  dies 
auch  bei  der  Topik  der  Baucheingeweide  der  Fall  ist. 

Sagt  ja  schon  Virchow,  dass  viel  mehr  Menschen  von  Dis- 
locationen  ihrer  Baucheingeweide  beti offen  werden,  als  normale  Lage 
der  Eingeweide  besitzen.  Es  ist  klar,  dass  das  nicht  nur  pathologische 
Dislocationen,  sondern  einfache  Mesenterialvarietäten  sind,  wie  wir  sie 
im  Secirsaal  täglich  zu  sehen  gewöhnt  sind. 

Untersucht  man  die  statistischen  Zahlen  bezüglich  der  \  ei- 
theilung  der  Enteroptose  nach  dem  Geschlecht,  findet  man  ebenfalls 
eine  bedeutende  Divergenz  der  Ansichten.  Während  die  meisten 
Autoren  von  einer  ganz  bedeutenden  Ueberzahl  von  enteroptotischen 
Frauen  sprechen  —  nach  manchen  Autoren  95%  Frauen,  5%  Männer 
—  behaupten  andere,  dass  das  weibliche  Geschlecht  diesbezüglich  nicht 
so  besonders  bevorzugt  erscheint.  Stiller  schätzt  die  Differenz  sehr 
gering.  Aehnliche  Differenzen  liessen  sich  auch  bezüglich  des  Alters, 
oder  bezüglich  der  von  den  Frauen  durchgemachten  Entbindungen 
constatiren,  kurz,  was  auf  Grundlage  der  Statistik  von  der  einen  Seite 
behauptet  wird,  wird  von  der  anderen  Seite  durch  dieselbe  Wissen¬ 
schaft  widerlegt. 

Noch  viel  trauriger  sieht  es  mit  der  Aetiologie  der  Enteroptose 
aus.  Hier  wird  vielfach  Prädisposition  und  Veranlassung  nicht  scharf 
genug  geschieden.  Der  Curiosität  halber  habe  ich  alle  mir  im  Laute 
des  Literaturstudiums  unterkommenden  ätiologischen  Momente,  ohne 
Unterschied  zwischen  causa  morbi  oder  Prädisposition  gesammelt  und 
führe  diese  36  Punkte,  ohne  sie  irgendwie  geordnet  zu  haben,  nach¬ 
folgend  hier  an  : 

1.  Hängebauch.  2.  Hereditär-enteroptotische  Belastung.  3.  Corset. 
4.  Chlorose.  5.  Nervöse  Dyspepsie.  6.  Hohe  Schuhabsätze.  7.  Peri- 
tonitische  Verwachsungen.  8.  Kummer.  9.  Entbehrung.  10.  Ueber- 
arbeitung.  11.  Ausschweifung.  12.  Erworbene  Anämie.  13.  Neur- 
asthenische  Dyspepsie.  14.  Abmagerung.  15.  Erschlaffungszustände  der 
Bauch  wand.  IG.  Durch  Arbeit  erhöhter  intrathorakaler  Druck. 
17.  Laparotomie.  18.  Exstirpation  von  Tumoren.  19.  Zug  der  Flexuia 
coli  dextra.  20.  Menstruation.  21.  Klimakterium.  22.  Genitalerki  an» 
klingen.  23,  Prolapsus  uteri.  24.  Prolapsus  vaginae.  25.  Zug  aut  den 
Ureter.  26.  Parametrane  Abscesse.  27.  Carcinoma  uteri.  28.  Ante- 
flexio  uteri.  29.  C  r  e  d  e’scher  Handgriff  (schlecht  ausgeführt).  30.  Peri¬ 
typhlitis.  31.  Masturbation.  32.  Vermehrung  des  Gewichtes  der  Nicie. 
33.  Tumoren  benachbarter  Organe.  34.  Traumen.  35.  Knochon- 
deformitäten.  3G.  Congenital-Enteroptose. 


Ein  Autor  geht  sogar  so  weit,  die  Enteroptose  als  eine  er¬ 
worbene  weibliche  Geschlechtseigenthümliehkeit  anzusehen.  Ich  mims 
sagen,  dass  dies  in  der  Interpretation  der  Descendens-Theorie  doch 
ein  wenig  zu  weit  gegangen  ist. 

Sie  sehen,  meine  Herren,  wie  polymorph  die  Aetiologie  der 
Enteroptose  ist. 

Manche  dieser  Punkte  werden  hiebei  mit  bedeutender  Hart¬ 
näckigkeit  angegriffen,  respective  vertheidigt.  Während  z.  B.  Glenard 
und  seine  Schule  die  Enteroptose  für  einen  absolut  erworbenen  Process 
ansehen,  legen  Stiller  und  seine  Anhänger  das  Hauptgewicht  auf 
die  congenitale  Veranlagung. 

Wodurch  ist  nun  die  fast  selten  gewordene  normale  Lage 
unseres  Darmes  bedingt?  Man  sagt  im  Allgemeinen:  durch  die  Mesen¬ 
terien  und  durch  den  sogenannten  intraabdominellen  Druck.  Auf 
letzteren  werden  wir  noch  später  zurückkommen.  Was  die  Fixation 
durch  die  Mesenterien  anbelangt,  ist  Folgendes  zu  sagen  :  Nur  dort, 
wo  die  Mesenterien  den  Process  der  sogenannten  secundären  Ver- 
löthung  im  Embryonalleben  durchmachen,  kann  von  einer  Fixation 
durch  diese  die  Rede  sein;  z.  B.  am  Duodenum,  an  der  Milz,  am 
Colon  ascendens  oder  descendens.  Doch  wissen  wir,  dass  dieser  secun- 
däre  Verlöthungsprocess  graduell  bei  den  einzelnen  Individuen  sehr 
variirt,  ja  manchmal  theilweise  oder  ganz  ausbleibt. 

Ich  habe  diese  sich  dadurch  ergebenden  Mesenterialvarietäten 
seinerzeit  hier  ausführlich  zu  besprechen  die  Ehre  gehabt.  Wenn 
z.  B.  bei  einem  Individuum  die  Verlötliung  seines  axialen  Meso- 
gastriums  ausbleibt,  so  hat  es  natürlich  eine  Wandermilz,  das  aber 
ist  doch  gewiss  kein  pathologisches  Vorkommniss. 

Für  die  Fixation  der  Darmschlingen  mit  sogenanntem  freiem 
Gekröse  kommt  das  Mesenterium  selbst  fast  gar  nicht  in  Betracht. 
Wenn  man  bei  eröft'neter  Bauchhöhle  eine  solche  Schlinge  aufhebt, 
mit  ihrem  Gekröse  als  Radius  einen  Halbkreis  beschreibt,  so  sieht 
man,  dass  der  Contour  dieses  Bogens  fast  immer  über  die  vordere 
Bauchlinie  hinausreicht,  es  ist  also  meistens  das  Mesenterium  länger 
als  der  dem  dazugehörigen  Darme  gestattete  freie  Spielraum  der 
Bauchhöhle. 

Bezüglich  des  sogenannten  „intraabdominellen  Druckes“  gehen 
die  Meinungen  der  Autoren  ebenfalls  sehr  auseinander.  Nach  den  einen 
ist  er  positiv,  nach  den  anderen  negativ,  manche  leugnen  ihn  ganz. 
Man  hat  ihn  auch  vielfach  in  eine  Reihe  von  Componenten  zerlegt 
und  ihn  gemessen.  Ich  kann  diese  mehr  physikalische  Frage  nur  vom 
anatomischen  Standpunkte  beurtheilen  und  mich  im  grossen  Ganzen 
den  Ansichten  des  Anatomen  Braune  anschliessen.  Braune  leugnet 
einen  unter  normalen  Umständen  vorkommenden  positiven  Druck  auf 
Grundlage  seiner  Untersuchungen  über  die  Oberschenkelvene  des  Men¬ 
schen.  Er  folgert  aus  dem  negativen  Druck  in  derselben  auch  auf 
dasselbe  Verliältniss  in  der  Bauchhöhle,  da  sonst  die  untere  Hohlvene 
comprimirt  würde.  Ihm  schloss  sich  auch  Weisker,  jüngst  W  olkow 
Delitzin  und  Bü  ding  er  an,  die  Alle  den  Ausdruck  „intra¬ 
abdomineller  Druck“  vollkommen  fallen  gelassen  wissen  wollen.  Nur 
während  der  Action  der  Bauchpresse  existirt  ein  intraabdomi¬ 
neller  Druck. 

Man  hat  den  Druck  auch  gemessen,  und  zwar  entweder  ira 
Rectum  oder  im  Magen.  Doch  scheinen  mir  diese  Resultate  nicht  ein¬ 
wandfrei,  da  ja  schon  auf  den  Reiz  des  eingeführten  Instrumentes  hin 
eine  Contraction  der  betreffenden  Darmmusculatur  und  damit  ein  höherer 
Ausschlag  des  Manometers  erfolgen  dürfte. 

Ich  glaube  nun  ebenfalls,  dass  unter  normalen  Umständen  von 
einem  intraabdominellen  Drucke  nicht  die  Rede  sein  könne  und  stelle 
mir  die  Fixation  der  Baucheingeweide,  wie  folgt,  vor.  Secundäre  Ver- 
löthung,  Elasticität,  sowie  Tonus  der  Bauchwandmusculatur  im  Vereine 
mit  der  Adhäsion  der  einzelnen  Contenta  untereinander  lassen  den 
Darm  innerhalb  des  abgeschlossenen  luftleeren  Bauchhöhlenraumes 
schwerlos  suspendirt  erscheinen,  so  dass  wir  einer  factisch  positiven 
Arbeitsleistung  beim  Tragen  unserer  Peritonealcontenta  nicht  bediiifen, 
so  ähnlich,  wie  für  uns  z.  B.  auch  unsere  untere  Extremität  schwer¬ 
los  pendelt. 

Innerhalb  des  so  abgeschlossenen  Bauchraumes  können  aber  die 
einzelnen  Darmabschnitte  noch  immer  der  Schwere  folgen,  wie  wir 
das  am  S  romanum  oder  am  freien  Coecum  regelmässig  sehen. 

Auch  die  Breite  der  Mesenterien  ist  individuell  sehr  verschieden; 
auch  von  diesem  Factor  wird  die  Freiheit  des  zugehörigen  Darmstückes 
abhängen. 

Vergleicht  man  nun  mit  den  Zahlen,  die  am  Lebenden  gewonnen 
sind,  die  Leichenbefunde,  so  ist  die  Seltenheit  der  in  cadavere  ge¬ 
fundenen  Enteroptosen  höchst  auffällig.  Bei  dem  doch  immerhin  be¬ 
deutenden  Leichenmateriale,  das  mir  zur  Verfügung  stebt,  gehört  die 
Enteroptose  zu  den  seltenen  Erscheinungen,  während  isolirte,  also  tur 
sich  allein  vorkommende  Wanderniere  viel  häufiger  ist.  Auch  m<  in 
Clief,  Herr  Ilofrath  Zucker  kan  dl,  hält  bei  seiner  gewiss  kolos¬ 
salen  Erfahrung  die  Enteroptose  in  cadavere  für  eine  sehr  seltene 
Erscheinung. 


200 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  8 


Wir  bekommen  allerdings  nur  die  Leichen  der  Armen,  aber  ich 
habe  in  keiner  Statistik  gelesen,  dass  diese  von  der  Enteroptose  theil- 
weise  oder  gar  ganz  verschont  blieben. 

Eine  Thatsache  finde  ich  auch  merkwürdig  in  der  ganzen  Lite¬ 
ratur  über  Enteroptose,  und  das  ist  der  fast  vollständige  Mangel  ge¬ 
nauer  Sectionsprotokolle.  Das  Verhalten  der  secundären  Fixationen, 
die  genauen  Masse  der  Mesenterien,  die  Lage  und  Fixationsweise  des 
Duodenums,  das  Verhalten  der  Recessusse  wäre  doch  erwähnenswerth 
gewesen.  Ebenso  ist  nirgends,  meines  Wissens,  das  Verhältniss  der 
Cardia  zum  Hiatus  oesophagus  des  Diaphragmas  studirt  worden; 
ist  bei  der  Enteroptose  das  Verhältniss  zwischen  Diaphragma  und 
Oesophagus  geändert  oder  nicht?  Keiner  von  den  Autoren  ist  eigent¬ 
lich  dieser  Sache  irgendwie  nachgegangen. 

Ich  kann  mich  in  der  kurzen  Spanne  Zeit,  die  mir  hier  zur 
Verfügung  steht,  nicht  auf  Einzelheiten  einlassen,  möchte  aber  doch 
einige  Punkte  kurz  hervorheben. 

G  1  e  n  a  r  d  zum  Beispiel  geht  von  der  Ansicht  aus,  dass  die 
abwärtsrückende  Flexura  coli  die  rechte  dahinter  gelegene  Niere  mit¬ 
ziehe.  Dem  gegenüber  ist  zu  erwähnen:  In  einer  grossen  Anzahl  von 
Fällen  liegt  die  Flexur,  die  überhaupt  einen  sehr  Varianten  Punkt  der 
Eingeweidetopik  vorstellt,  viel  tiefer,  als  landläufig  angegeben  wird. 
Zieht  man  aber  an  der  normal  gelegenen  Flexura  coli,  so  sieht  man, 
dass  die  Niere  von  diesem  Zuge  überhaupt  nicht  betroffen  wird. 

Ein  anderer  Punkt  wäre  die  sogenannte  Wanderleber.  Ich  muss 
gestehen,  dass  ich  an  diese  Erscheinung  überhaupt  nicht  recht  glauben 
kann.  Man  könnte  ja  von  einer  Wanderleber  nur  dann  reden,  wenn 
das  Zwerchfell  an  normaler  Stelle  bliebe,  während  die  Leber  abwärts 
steigt.  Denn  ginge  das  Zwerchfell  mit,  dann  haben  wir  nur  einen 
Tiefstand  des  Diaphragmas  und  keine  Wanderleber  vor  uns.  Es  müsste 
also  bei  einer  echten  Wanderleber  die  Verbindung  der  Leber  mit  dem 
Zwerchfell  gelockert,  respective  verlängert  werden.  Hiebei  käme  es 
sofort  zur  Zerrung,  ja  sogar  zur  partiellen  Abknickung  der  in  der 
Leber  gelegenen  Vena  cava  inferior,  eine  Thatsache,  die  symptomatisch 
für  das  betroffene  Individuum  von  Bedeutung  wäre. 

Obwohl  ich  mich  nur  vom  anatomischen  Standpunkte  mit  der 
Enteroptose  beschäftigt  habe,  kann  ich  nicht  umhin,  hier  einen  Punkt 
aus  der  Symptomatologie  dieser  Erkrankung  anzuführen,  ich  meine  das 
von  Stiller  so  benannte  Stigma  der  Enteroptose,  die  Costa  fluc- 
tuans  decima. 

Des  besseren  Verständnisses  halber  seien  hier  die  wichtigsten 
Stellen  seiner  einschlägigen  Arbeiten  citirt: 

Stiller  B.,  Ueber  Enteroptose  im  Lichte  eines 
n  euen  Stigma  neurasthenicum.  (Archiv  für  V  erdauungskrank- 
heiten.  2.) : 

„Nun  aber  bin  ich  in  der  Lage,  einen  Schritt  weiter  zu  gehen. 
Ich  verfolge  nämlich  seit  etwa  fünf  Jahren  ein  Symptom,  welches 
gerade  in  den  markantesten  Fällen  von  enteroptotischer  Neurasthenie 
vorhanden  ist,  welches  uns  daher  als  unumstösslicher  Beweis  dient, 
dass  der  ganze  Complex  der  Krankheit  auf  angeborener  Grundlage 
beruhen  muss. 

.  .  .  Diese  pathologische  Costa  fluctuans  decima  erschien 
mir  nach  längerer  reichlicherer  Beobachtung  als  ein  wahres  Stigma 
neurasthenicum  oder  enteroptoticum. 

Ein  Griff  an  die  Spitze  der  zehnten  Rippe,  und  wenn  sie  mobil 
ist,  so  bin  ich  dessen  fast  gewiss,  dass  auch  bewegliche  Niere  und 
ein  atonisch  dilatirter  Magen  vorhanden  sein  müssen.  Freilich  nicht 
umgekehrt,  nicht  bei  jeder  Enteroptose  fand  ich  auch  die  bewegliche 
Rippe,  aber  bei  prononcirten  Fällen  fast  immer.  Ich  glaube  sogar 
behaupten  zu  können,  dass  der  Grad  d.er  Beweglichkeit  der 
Rippe  auf  den  Grad  der  Enteroptose  und  noch 
sicherer  auf  den  der  Neurasthenie  schliessen 
lässt.  .  .  . 

Ich  habe  bei  Kindern  Wanderniere  mit  oder  ohne  Costa  fluctuans 
gefunden,  habe  aber  häufiger  die  bewegliche  Rippe  mit  dem  dazu 
gehörigen  gracilen  Habitus,  aber  ohne  Wanderniere  und  Magen¬ 
erweiterung  beobachtet.  Es  ist  für  mich  keine  Frage,  dass  die  letzteren 
dadurch  als  künftige  Neurastheniker  und  Enteroptotiker  stig- 
matisirt  sind,  und  dass  sie  nur  auf  die  Schädlichkeiten  des  Lebens  zu 
warten  haben,  um  factisch  es  zu  werden.“ 

In  einer  im  vorigen  Jahre  erschienenen  Arbeit  von  demselben 
Autor  bleibt  der  Tenor  seiner  Ausführungen  derselbe. 

Meine  Herren!  Die  zehnte  Rippe  ist  bei  einer  kolossalen  Zahl 
von  Menschen  mehr  oder  minder  frei.  Dass  die  freie  zehnte  Rippe 
fast  thatsächlich  das  Normale  vorstelle,  können  Sie  schon  daraus  er¬ 
sehen,  dass  z.  B.  in  dem  Atlas  des  Herrn  Ilofrath  Toi  dt  drei  Thoraxe 
abgebildet  sind,  wobei  alle  eine  Costa  decima  fluctuans  besitzen. 

Es  ist  eine  bekannte  anatomische  Thatsache,  dass  sich  unsere 
Rippen  in  eaudocranialer  Richtung  in  Rückbildung  befinden.  Zum 
Processe  der  Rückbildung  aber  gehört  das  Freiwerden  vom  Rippen¬ 
bogen.  Bei  sehr  vielen  Individuen  ist  nun  dieser  Process  bereits  voll¬ 


zogen.  Die  zehnte  freie  Rippe  ist  also  gewiss  keine  „pathologi¬ 
sche  Costa  fluctuans  decima.“ 

Die  freie  zehnte  Rippe  ist  aber  auch  kein  Degenerationszeichen, 
kein  Atavismus,  sondern  im  Gegentheil,  die  freie  zehnte  Rippe  ist  ein 
anthropomorphes  Stigma,  sie  ist  ein  Zeichen  der  Fortentwicklung.  Der 
Kreis  der  Menschen  mit  freier  zehnter  Rippe  ist  sehr  gross,  der  der 
Enteroptotiker  nach  Stiller  ebenfalls,  wen  wird  es  wundern,  dass 
ein  grosser  Abschnitt  der  beiden  Kreise  sich  deckt. 

Wie  aber  eine  anthropomorphe  Einrichtung  unseres  Skeletes 
ein  „Symptom“  oder  ein  „Stigma“  eines  pathologischen  Processes  der 
Baucheingeweide  abgeben  soll,  ist  mir  unverständlich. 

Näher  auf  all  das,  was  ich  hier  vorgebracht  habe,  einzugehen, 
verbietet  mir  die  Kürze  der  Zeit. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Hauptversammlung  vom  1.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  O.  Chiari. 

Schriftführer:  Dr.  Ronsburger. 

Administrative  Sitzung. 

Der  Vorsitzende  constatirt  die  Anwesenheit  der  zur  Beschluss¬ 
fassung  erforderlichen  Anzahl  vod  Mitgliedern  und  verliest  eine  an  die 
Gesellschaft  gelangte  Einladung  zur  Betheiligung  an  dem  XIII.  inter¬ 
nationalen  medicinischen  Congress  zu  Paris  im  Jahre  1900. 

Der  Secretär  Dr.  Ronsburger  erstattet  den  Jahresbericht. 
Die  Gesellschaft  hat  ihre  erste  Sitzung  zu  Beginn  dieses  Winter¬ 
semesters  dem  Andenken  ihres  am  13.  September  1899  aus  dem  Leben 
geschiedenen  Präsidenten  gewidmet. 

Diese  Trauerkundgebung  wrurde  durch  einen  warmen  Nachruf 
des  Vice-Präsidenten  Prof.  Chiari  eingeleitet,  dem  eine  vom  Secretär 
Dr.  Ronsburger  gehaltene  Gedenkrede  auf  Prof.  Stork,  welche 
den  Lebensgang  und  das  Wirken  des  Dahingeschiedenen  schilderte,  folgte. 

An  den  sieben  wissenschaftlichen  Sitzungsabenden  des  eben  ab¬ 
gelaufenen  fünften  Vereinsjahres  wurden  ein  Vortrag,  und  zwar  von 
Störk,  ferner  18  Demonstrationen  und  Referate,  und  zwar  von  Eb¬ 
stein  fünf,  von  W  e  i  1  vier,  von  Chiari  drei,  von  Harm  er  zwei, 
von  Heindl,  Rischawy,  Roth  und  Scheff  je  eine  abgehalten. 
Eine  vorläufige  Mittheilung  wurde  von  Rischawy  erstattet.  An  die 
Demonstrationen  und  Referate  schlossen  sich  zumeist  Discussionen  unter 
reger  Betheiligung  zahlreicher  Mitglieder. 

Die  Zahl  der  ordentlichen  Mitglieder  am  Schlüsse  des  Vorjahres 
betrug  28.  Dieser  Stand  erhöhte  sich  durch  Neuwahl  von  zwei  ordent¬ 
lichen  Mitgliedern  auf  30. 

Hievon  wurde  der  Gesellschaft  im  Laufe  des  Vereinsjahres  ein 
ordentliches  Mitglied  durch  den  Tod  entrissen  und  ein  ordentliches 
Mitglied  schied  aus  dem  Verbände  der  Gesellschaft. 

So  zählt  die  Gesellschaft  am  Beginne  des  neuen  Vereinsjahres 
28  ordentliche  Mitglieder. 

Das  Comite,  welches  behufs  der  in  der  letzten  Hauptversamm¬ 
lung  angeregten  Gründung  einer  Bibliothek  Vorberathungen  pflog, 
und  diesbezügliche  Vorschläge  erstattete,  hat  seine  Thätigkeit  noch 
nicht  beendigt,  da  sich  wegen  Beschaffung  eines  Locales  mehrfach 
Schwierigkeiten  ergaben.  Doch  dürfte  diese  Angelegenheit  in  kurzer 
Frist  einen  erwünschten  Abschluss  finden. 

Der  Oekonom,  Docent  Dr.  Roth,  legt  den  Cassabericht  und 
den  Rechnungsabschluss  für  das  Jahr  1899  vor,  und  wird  demselben 
von  der  Versammlung  das  Absolutorium  ertbeilt. 

Es  wird  nunmehr  zu  den  Wahlen  geschritten,  und  werden  zu 
Scrutatoren  Docent  Dr.  Grossmann  und  Dr.  Scheff  nominirt. 

Dieselben  verkündigen  sodann  das  folgende  Wahlergebniss: 

Zu  ordentlichen  Mitgliedern  wurden  den  V orschlägen  gemäss  gewählt : 
Docent  Dr.  S.  Hajek,  Dr.  D.  Hecht,  Dr.  Eugen  Pollak, 
Dr.  Konrad  Stein  und  Dr.  R.  Steiner. 

Die  Wahl  der  Functionäre  ergab  folgendes  Resultat:  Es  er¬ 
scheinen  gewählt:  Als  Präsident  Prof.  O.  Chiari,  Vice-Prä9ident 
Docent  Dr.  W.  Roth,  Secretär  Dr.  E.  Ronsburger,  Oekonom 
Dr.  G.  Scheff,  Bibliothekar  Dr.  L.  Ebstein,  Schriftführer 
R.  A.  Dr.  C.  B  i  e  h  1 ,  Dr.  F.  II  a  n  s  z  e  1  und  Dr.  K.  Mülle  r. 

Zum  Revisor  des  Rechnungsabschlusses  wurde  Docent  Dr.  Gross¬ 
mann  designirt. 

Der  Präsident,  Vice-Präsident  und  Secretär  sprechen  der  Ver¬ 
sammlung  für  ihre  Wahl,  beziehungsweise  Wiederwahl  den  Dank  aus. 

* 


Nr.  8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


201 


Wissenschaftliche  Sitzung. 

Docent  Dr.  Roth  demonstrirt  einen  Fall  von  hysterischer 
Aphonie  mit  Verschluss  der  wahren  und  falschen 
Stimmritze  im  Momente  des  Phonationsversuches. 

Meine  Herren !  Ich  erlaube  mir,  einen  Fall  vorzustellen,  welcher 
das  Gegenstück  zu  jenem  Falle  bildet,  welchen  Sie  in  einer  der  vorigen 
Sitzungen  zu  sehen  Gelegenheit  hatten.  Auch  hier  handelt  es  sich  um 
eine  auf  hysterischer  Basis  fussende  functioneile  Störung  der  motori¬ 
schen  Kehlkopfnerven,  allein,  während  es  sich  dort  um  eine  perverse 
Bewegung  der  Stimmlippen  während  der  Inspiration  handelte,  indem 
die  Stimmbänder  im  Momente  der  Inspiration  sich  einander  in  den 
vorderen  zwei  Dritteln  bis  zur  vollständigen  Berührung  näherten  und 
auf  diese  Weise  ein  Hinderniss  für  die  Einathmung  bildeten,  sehen 
wir  hier  die  Functionsstörung  bei  der  Phonation  eintreten  —  die  Patientin 
ist  vollkommen  aphoniscb,  während  die  Athmung  ungestört  vor  sich 
geht.  Im  laryngoskopischen  Bilde  sieht  man  während  der  Phonation 
die  Taschenbänder  bis  zur  vollständigen  Berührung  aneinandergerückt, 
nur  ganz  hinten  bleibt  eine  rundliche  Lücke  offen,  durch  welche  man 
die  hinteren  Enden  der  sich  übrigens  auch  berührenden  wahren  Stimm¬ 
bänder  sieht,  aber  auch  diese  letzteren  lassen  hinten  eine  etwas  kleinere, 
als  die  obere  Lücke  offen.  Während  der  Inspiration  weichen  sowohl 
die  Taschen-,  als  auch  die  wahren  Stimmbänder  nach  den  Seiten  aus 
so  dass  die  Glottis  normal  erscheint,  und  da  gar  keine  organischen 
Veränderungen  sichtbar  sind,  erscheint  der  Larynx  während  des  In- 
spiriums  auch  im  Uebrigen  vollkommen  normal. 

Ich  kenne  die  Patientin  bereits  seit  etwa  zehn  Jahren,  während 
welcher  Zeit  ich  wiederholt  Gelegenheit  hatte,  das  Eintreten  der 
Aphonie  mit  dem  soeben  geschilderten  laryngoskopischen  Bilde  zu  be¬ 
obachten  —  Aerger,  Verdruss,  überhaupt  Gemüths-  und  psychische  Er¬ 
regungen  gaben  stets  die  Veranlassung  dazu,  der  Zustand  blieb  dann 
immer  stabil,  wenn  keine  Behandlung  eingeleitet,  wurde,  konnte  aber 
jedes  Mal  durch  Application  eines  starken  Hautreizes  auf  die  vordere 
Halsfläche,  z .  B.  durch  Anwendung  des  Farada y’schen  Stromes, 
sofort  zum  Schwinden  gebracht  werden,  die  Patientin  sclnie  auf  und 
hatte  von  da  ab  wieder  ihre  alte  Stimme.  Die  sofort  darnach  ein¬ 
geleitete  laryngoskopische  Untersuchung  ergab  durchaus  normale  A  ei- 
hältnisse.  Auch  durch  hypnotische  Suggestion  war  ich  im  Stande,  den 
Zustand  zu  lösen,  da  diese  aber  in  Betreff  der  Dauer  der  Heilung  dei 
Stimmstörung  keine  besseren  Resultate  lieferte,  wiederholte  ich  diesen 
Versuch  nicht  wieder,  sondern  applicirte  jedes  Mal  nur  den  elektiischen 
Strom.  Ich  werde  dies  auch  jetzt  vor  Ihnen  ausführen,  und  Sie  können 
sich  dann  von  dem  prompt  eintretenden  Verschwinden  der  Aphonie 
und  des  ihr  zu  Grunde  liegenden  Kehlkopfbildes  überzeugen. 

Es  handelt  sich  somit  in  diesem  Falle  um  eine  „Aphonia  hyste¬ 
rica“,  welche  nach  der  üblichen  Eintheilung  weder  als  Aphonia 
spastica,  noch  als  Aphonia  paralytica  angesprochen  werden  kann,  \iel 
mehr  sehen  wir  im  Momente  der  Phonation  die  Taschenbändei  bis  zui 
vollständigen  Berührung  aneinandertreten  und  die  Glottis  spuiia 
schliessen.  Die  Deutung  dieser  Erscheinung  kann  nun  die. sein,  dass 
der  Musculus  thyreo  arytaenoideus  superior  übermässig  thätig  ist  und, 
indem  er  die  Taschenbänder  einander  bis  zur  Berührung  nähert,  liegen 
diese  letzteren  auf  den  wahren  Stimmbändern  auf,  hindern  die  freie 
Vibration  derselben  und  bedingen  auf  diese  Weise  die  Aphonie..  Eine 
andere  Erklärung  ginge  dahin,  dass  es  sich  da  um  eine  verringerte 
Spannung  sowohl  der  wahren,  als  auch  der  Taschenbänder  handelt, 
dass  erstere  die  Aphonie,  letztere  dagegen  die  bis  auf  eine  kleine 
nach  hinten  zu  offene  Lücke  eintretende  Annäherung  der  Taschen 
bänder  bedingt.  Welche  dieser  beiden  Erklärungen  die  richtige  ist, 
lässt  sich  wohl  in  diesem  Falle  nicht  mit  Sicherheit  erkennen,  denn 
da  man  von  den  wahren  Stimmbändern  nur  die  hinteren  Enden  sieht, 
so  kann  man  über  den  Zustand  ihrer  Spannung  auch  nichts  Bestimmtes 
aussagen.  Ich  für  meinen  Theil  neige  mich  der  ersteren  Erklärung  zu 

Discussion:  Docent  Dr.  Grossmann:  Der  demonstrirte 
Fall  zeigt  uns  jene  Form  von  Larynx-Hysterie,  welche  ich  in  der  vor 
letzten  Sitzung  als  die  zur  zweiten  Gruppe  gehörende  seltenere  Form 
bezeichnet  habe.  Ich  kann  die  Anschauung  des  Collegen  Roth  nicht 
theilen,  dass  es  sich  hier  um  einen  hyperkinetischen  Zustand  des  dem 
Taschenbande  angehörenden  Antheils  des  Stimmbandmuskels  handle, 
und  dass  die  hochgradige  Stimmbandstörung  einzig  und  allein  dadurch 
bedingt  sei,  dass  die  wahren  Stimmbänder  von  den  falschen  gedeckt 
und  in  ihrer  Vibration  gestört  werden.  Ich  beziehe  die  Ausfalls¬ 
erscheinungen  aus  Gründen,  die  ich  in  der  vorerwähnten  Sitzung  aus¬ 
führlich  erörtert  habe  und  bei  dieser  Gelegenheit  demzufolge  nicht 
abermals  wiederholen  will,  ausschliesslich  auf  eine  func¬ 
tion  eile  Störung  des  M.  cricothyreoideus.  Ich  bin 
übrigens,  wenn  es  die  Herren  wünschen,  gerne  bereit,  die  experi¬ 
mentellen  Beweise,  auf  die  ich  meine  Annahme  stütze,  in  einei  dei 
nächsten  Sitzungen  am  lebendeu  Tliiere  zu  demonstriren. 

Docent  Dr.  Rethi:  Der  vorgestellte  Fall  kann  nur  so  auf¬ 
gefasst  werden,  dass  sich  die  Taschenbänder  beim  Phonationsveisuch 


auf  die  wahren  Stimmbänder  legen,  durch  die  Berührung  die  Vibration 
der  letzteren  verhindern  und  die  Phonation  unmöglich  machen.  Beim 
Phonationsversuch  kommt  es  in  den  im  Taschenband  vorhandenen 
Muskelfasern  zu  einer  krampfähnlichen  Contraction;  die  raschenbändei 
werden  dicker  und  springen  einerseits  gegen  die  Mittellinie  bis  zur 
gegenseitigen  Berührung  vor  und  andererseits  gegen  die  obere  Fläche 
der  Stimmbänder  bis  zum  unmittelbaren  Aufliegen  auf  denselben.  Diese 
Berührung  ist  in  diesem  Falle  umso  eher  möglich,  als  die  Spalte,  die 
in  den  Sinus  Morgagni  führt,  wie  man  bei  der  Respiration  sehen 
kann,  sehr  eng  und  die  verticale  Distanz  zwischen  wahrem  und 
falschem  Stimmband  sehr  gering  ist. 

Diese  übermässige  Contraction  im  M.  thyreo  arytaenoideus  sup. 
ist  funetioneller  Natur,  auf  hysterischer  Basis  beruhend  und  stellt  sich 
bei  jedem  Phonationsversuch  ein. 

Durch  den  therapeutischen  Eingriff  wurde  der  Innervationsreiz 
auf  das  richtige  Mass  zurückgeführt  und  die  Stimmbänder  bleiben  nun 
bei  der  Phonation  in  ihrer  ganzen  Breite  und  Länge  sichtbar.  Keines¬ 
falls  ist  aber  der  Fall  geeignet,  die  Frage  discutiren  zu  lassen  oder 
zu  entscheiden,  ob  eine  Erschlaffung  der  Stimmbänder  vorliegt,  weil 
er  nicht  rein  ist,  weil  eine  Berührung  der  falschen  und  wahren 
Stimmbänder  thatsächlich  vorhanden  ist  und  letztere  so  gut 
wie  gar  nicht  sichtbar  sind. 

Docent  Dr.  Iioschie  r  erinnert  daran,  dass  hysterische 
Lähmungen  mit  organischen  nicht  zu  vergleichen  sind,  sondern  func- 
tionell  sind.  Bei  dem  vorgestellten  Fall  sieht  man,  dass  die  Stimmbänder 
beweglich  sind;  dieselben  können  zweifellos  auch  gespannt  werden, 
sonst  könnte  Patient  nicht  tönend  husten.  Die  hysterische.Aphonie  ist 
durch  die  Störung  der  associativen  Vorgänge  der  Phonation  bedingt. 
Man  denke  an  den  Mutismus  hystericus,  welcher  etwas  analoges  ist, 
und  bei  welchem  die  Stimmbänder,  die  Zunge,  die  Rippen  etc.  einzeln 
gut  beweglich  sind.  Im  Gegensatz  zu  Herrn  Docenten  Di.  G  i  o  s  s- 
m  ann  glaubt  Dr.  Koschier,  dass  man  hysterische  Motilitäts¬ 
störungen  mit  solchen,  welche  durch  eine  künstliche  periphere  Lähmung 
erzeugt  sind,  nicht  vergleichen  kann,  weil  das  Wesen  beider  Processe 
ganz  verschieden  ist. 

Docent  Dr.  Gross  mann:  Ich  habe  bereits  hervorgehoben, 
dass  für  die  Erscheinungen,  wie  sie  der  demonstrirte  Fall  darbietet, 
eine  Aufklärung  existirt,  welche,  abgesehen  von  ihrer  Einfachheit, 
noch  den  Vorzug  hat,  experimentell  geprüft  zu  werden.  Die  Auffassung 
des  Collegen  Rethi  unterscheidet  sich  von  jener  des  Collegen  Roth 
nur  quantitativ.  Er  nimmt  an,  dass  es  sich  in  diesen  Fällen  geradezu 
um  einen  Krampf  im  oberen  Abschnitte  des  Stimmbandmuskels  handelt, 
und  dass  die  Störung  der  Stimmbildung  dadurch  bedingt  sei,  dass, 
wie  schon  Roth  angegeben  hat,  die  Schwellung  der  Taschenbänder 
die  Vibration  der  wahren  Stimmbänder  behindert. 

Wir  haben  gesehen,  dass  nicht  allein  die  wahren,  sondern  auch 
die  falschen  Stimmbänder  in  hohem  Grade  beweglich  sind.  Die  An¬ 
nahme  also,  dass  hier  ein  Spasmus  in  einem  Muskeltheile 
besteht,  der  mit  jeder  In-  und  Exspiration  abwechselnd  auftaucht  und 
wieder  verschwindet,  erscheint  mir  von  vorneherein  kaum  zulässig. 

Mit  Bezug  auf  die  Bemerkungen  des  Collegen  Koschier, 
dass  die  Stimmbänder  in  den  in  Rede  stehenden  Fällen  eigentlich 
gespannt  und  nicht  relaxirt  sind,  da  solche  Patienten  unter  gewissen 
Umständen  auch  Töne  anzuschlagen  vermögen,  habe  ich  nur  kurz  zu 
erwidern:  das  Anschlägen  einzelner  Töne  sind  selbst  solche  Kranke 
zuweilen  im  Stande,  bei  denen  eine  Larynxexstirpation  vorgenommen 
wurde.  Das  ist  also  noch  kein  Beweis  für  das  \  orhandensein  exten- 
dirter  Stimmbänder,  ja,  wie  ich  soeben  hervorgehoben,  nicht  einmal 
für  die  factische  Existenz  von  Stimmlippen.  Ob  ein  Stimmband  gespannt 
ist  oder  nicht,  lässt  sich  durch  den  einfachen  Augenschein  ebenso¬ 
wenig  entscheiden,  wie  durch  den  blossen  Blick  die  frage:  ob  eine 
Saite  auf  der  Violine  hinreichend  gespannt  ist.  Beim  Stimmband  wird 
uns,  von  der  Functionsstörung  abgesehen,  namentlich  die  winkelige 
Stellung  desselben  die  erwünschten  Anhaltspunkte  geben. 

Was  weiters  die  Erklärung  des  Collegen  Koschier  anbelangt, 
dass  man  in  solchen  Fällen  blos  von  einer  functioneilen  Stöiung  dei 
Phonation  zu  sprechen  habe,  erlaube  ich  mir  zu  bemerken,  dass  diese 
Selbstbeschränkung  unser  Verständnis  der  klinischen  Erscheinungen 
nicht  im  Mindesten  fördern  würde.  Uns  ist  es  ja  darum  zu  tliun,  die 
Ausfallserscheinungen  zu  analysiren  und  festzustellen,  welchen  Muskel 
oder  welche  Muskelgruppe  die  Functionsstörung  getroflen  hat. 

Dass  es  sich  hier  nicht  um  eine  organische  Erkrankung,  nicht 
um  eine  Paralyse,  sondern  entsprechend  dem  Wesen  der  Hysterie 
einzig  und  allein  um  functionelle  Störungen  handelt,  darüber  hei  i  se  it 
wohl  keine  Meinungsverschiedenheit.  Es  könnten  ja  sonst  die  Ei¬ 
scheinungen  nicht  im  Handumdrehen  verschwinden  und  wieder  auftreten, 
wie  wir  dies  auch  bei  dem  heute  demonstrirten  Fall  deutlich  genug 

gesehen  haben.  ..  . 

Docent  Dr.  Rethi:  Es  ist  natürlich  nur  eine  übermassige 

Action  der  Muskelfasern  im  Taschenband  gemeint,  die  sich  bei  jedem 
Phonationsversuch  einstellt  und  ist  in  Analogie  zu  setzen  mit  t  ei 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  8 


21,2 


starken  Contraction  in  den  Stimmbandmuskeln,  mit  der  jede  Pkonations- 
intention  bei  der  Aphonia  spastica  beantwortet  wird. 

Dr.  Roth:  Der  Herr  Collega  Rethi  steht  nach  seinen  Aus¬ 
führungen  eigentlich  auf  dem  Standpunkte,  den  ich  eingenommen 
habe,  dass  nämlich  die  Ursache  der  Aphonie  die  durch  das  Aufliegen 
der  Taschenbänder  behinderte  freie  Vibration  der  wahren  Stimmbänder 
sei.  Die  Erklärung,  welche  uns  Herr  Collega  Grossmann  gibt,  hat 
etwas  Bestrickendes  an  sich,  und  wäre  ich  ihm  sehr  dankbar,  wenn 
er  uns  dieselbe  durch  das  versprochene  Experiment  illustriren  würde. 
Dass  aber  auch  die  so  starke  Annäherung  der  Taschenbänder  das 
Ilervorbringen  reiner  Töne  mechanisch  zu  hindern  vermag,  möchte  ich 
nach  den  Erfahrungen,  die  man  bei  entzündlichen,  oder  durch  Neu¬ 
bildungen  hervorgerufenen  Schwellungen  der  Taschenbänder  zu  machen 
Gelegenheit  hat,  doch  nicht  so  ganz  von  der  Hand  weisen. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 

Sitzung  den  19.  September. 

Vorsitzender:  Rille  (Wien). 

III.  Matzenaue  r  (Wien):  Ueber  Impetigo  conta¬ 
giosa  circinata.  (Schluss.) 

Aber  auch  ein  Vergleich  der  histologischen  und  bacteriologischen 
Resultate,  welche  ich  selbst  bei  der  wiederholt  sorgfältigsten  Unter¬ 
suchung  der  Impetigo  contagiosa  s.  vulgaris  und  der  Impetigo  circi¬ 
nata  erhalten  habe,  lässt  eine  Scheidung  dieser  klinisch  sicherlich  zu¬ 
sammengehörenden  uud  ein  und  derselben  einheitlichen  Erkrankung 
ungehörigen  Krankheitsbildes  nicht  zu. 

Ich  erlaube  mir,  auf  meine  diesbezüglichen  unter  Mikroskop 
eingestellten  Präparate  zu  verweisen.  (Autoreferat.) 

U'n  n  a  (Hamburg)  kann  trotz  der  Ausführungen  des  Vorredners 
nicht  an  seiner  Untersuchung  schwankend  werden.  Die  Unterschiede 
im  histologischen  Bau  beider  Formen  sind  so  prägnante,  dass  von 
einer  Identität  nicht  wohl  die  Rede  sein  kann. 

IV.  Freund  (Wien)  :  Die  Radiotherapie  der  Haut¬ 
krankheiten. 

Redner  berichtet  über  seine  und  Schiffs  jüngste  Arbeiten 
und  Resultate  auf  dem  Gebiete  der  Radiotherapie.  Zunächst  wird  auf 
die  Analogie  der  physiologischen  Effecte  bei  den  Behandlungen  mit 
den  D’A  rsonva  l’scheu  Hochfrequenzströmen,  statischer  Elektricität 
und  Röntgen- Strahlen  hingewiesen,  die  nach  der  Meinung  Freund’s 
in  der  Gleichartigkeit  der  wirksamen  elektrischen  Kräfte  begründet  ist. 
Als  solche  fasst  Freund  die  bei  den  Funkenentladungen  aufcretenden 
elektrischen  Wellen  auf  und  gibt  von  diesem  Standpunkt  aus  die  Er¬ 
klärung  für  die  Dosirung  des  Mittels,  die  nach  seinen  und  Schiffs 
dreijährigen  Experimenten  und  Erfahrungen  durchaus  wahrscheinlich 
ist.  Von  Dermatosen  behandelte  Schiff  und  Freund  Hypertrichosis, 
Sykosis,  Favus,  Akne,  Furunculose,  Lupus  vulgaris  und  Lupus  ery¬ 
thematodes  mit  günstigem  Erfolge.  In  keinem  der  beobachteten  Fälle 
versagte  diese  Therapie;  desgleichen  wurde  während  der  ganzen  Zeit 
keine  accidentelle  Dermatitis  beobachtet.  Mit  intermittireuder  Nachbehand¬ 
lung  konnte  bei  einer  grossen  Zahl  von  Hyper trichosisfällen  ein  Nach¬ 
wachsen  der  Haare  bis  auf  l3  4  Jahre  verhütet  werden.  Bei  acht 
Patienten  von  den  zehn  Sykosisfällen  wurden  jetzt  nach  zwei  bis  drei 
Monaten  keine  Recidive  beobachtet;  bei  zweien  trat  eine  solche  nach 
zwei  Monaten  auf,  wurde  jedoch  in  wenigen  Sitzungen  zum  Schwinden 
gebracht.  Favus  blieb  bis  jetzt,  das  ist  durch  sechs  Monate,  ohne 
Recidive.  Freund  betont  die  Wichtigkeit  eines  Verständnisses  der 
physikalischen  Principien  bei  einer  Therapie,  die,  abgesehen  von  einigen 
noch  auszufüllenden  Lücken,  berufen  erscheint,  einen  würdigen  Platz 
unter  den  dem  Dermatologen  zur  Verfügung  stehenden  Hilfsmitteln 
einzunehmen. 

* 

Sitzung  am  20.  September  1899  Morgens. 

Vorsitzender:  Kollmann  (Leipzig). 

I.  Dom  m  er  ( Dresden) :  Urethrale  Faradisations- 
elekt  roden. 

Redner  betont  zunächst  die  hohe  Bedeutung  der  Faradisation 
der  Urethra,  den  Vortheil,  den  der  faradische  Strom  insofern  bietet, 
als  er  niemals  wieder  constante  Sehorfbildung  beobachtet.  Redner 
hat  zwei  Elektroden  construirt,  welche  viele  Vortheile  bieten.  Das  eine 
ist  eine  D  i  1 1  e  l’sche  Sonde,  welche  an  ihrem  vorderen  Ende  aus 


Metall  besteht,  welches  im  geraden  Theil  durch  Hartgummi  von  der 
Urethra  isolirt  ist.  Der  zweite  Pol  der  Batterie  kommt  in  das  Rectum 
zu  liegen.  Diese  Elektrode  hat  die  bekannte  Form  der  Prostatakühler 
und  ist  aus  Isolirmasse  gearbeitet,  an  der  eoncaven  Seite  ist  eine 
Metallplatte  eingelegt,  welche  gegen  die  Prostata  zu  liegen  kommt.  Die 
Krümmung  des  Griffes  ist  so  bemessen,  dass  der  Patient  bei  Anwen¬ 
dung  bequem  sitzen  kann.  Die  Anwendung  geschieht  ja  nach  Bedürf- 
niss  mit  mehr  oder  weniger  starken  Strömen  in  Sitzungen  von  fünf 
bis  acht  Minuten.  Die  Sitzungen  werden  gut  vertragen.  Die  Awendung 
empfiehlt  sich  bei  Impotentia  coeundi,  bei  Enuresis,  bei  sexueller  Neur¬ 
asthenie  (Masturbation). 

Kollmann  (Leipzig)  hält  die  vom  Redner  angegebenen  Elek¬ 
troden  für  äusserst  praktisch.  Er  warnt  vor  der  Galvanisation  mit 
Metallsonden,  wegen  der  kolossalen  Brandschorfe.  Soll  der  galvanische 
Strom  in  Anwendung  kommen,  so  geht  das  nur  mittelst  indifferenter 
Elektroden  und  physiologischer  Kochsalzlösung. 

II.  Schlagintweit  (Brückenau) :  Ein  neues  Cystoskop 
und  einige  technische  Neuerungen. 

Der  Redner  demonstrirt  zunächst  eine  Gummiballonpumpe,  an 
welcher  er  ein  Pneumatikventil  hat  anbringen  lassen  und  welches  ge¬ 
stattet,  aus  einem  Gefäss  direct  Wasser  zu  Spülungen  etc.  hochzupumpen. 
Des  Weiteren  zeigt  er  eine  neue  Gleitmasse  in  Tuben,  um  urologische 
Instrumente  schlüpfrig  zu  machen.  Dieses  Gleitmittel,  von  Kraus  an¬ 
gegeben,  hat  Redner  in  Tuben  füllen  lassen  und  diese  mit  einem 
Tripperspritzenkopfstück  versehen  lassen.  Die  Anwendung  soll  nun 
derart  geschehen,  dass  das  Gleitmittel  direct  in  die  Fossa  navicularis 
eingebracht  wird.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  23.  Februar  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Weinleclllicr 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Discussion  Uber  den  Vortrag  des  Herrn  Docenten  Dr.  Herzfeld. 
(Zum  Worte  gemeldet  die  Herren  Doctoren  Sternberg,  Knöpfelmacher, 
Pauli,  Singer  und  Bum.) 

2.  Docent  Dr.  Max  Herz:  Die  heilgymnastische  Behandlung  von 
Eikrankungen  des  Centralnervensystems. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Docent  Dr.  Kretz,  Professor 
A.  Politzer,  Prof.  Benedikt,  Prof.  Weinlecliner,  Dr.  J.  Thenen, 
Dr.  A.  Pilcz,  llofrath  Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart 
und  Dr.  A.  Julies. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  1.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Physiologischen  Institute  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Chiari 

stattfindenden  Versammlung. 

Docent  Dr.  31.  Grossmann:  Die  Functionen  des  M.  ericothyreoideus 
demonstrirt  am  lebenden  Thiere. 

Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 
Programm 

für  die 

Montag,  den  26.  Februar  1900,  6  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Ohreukranke  des  Herrn 

Prof.  Politzer 

stattfindende 

Wissenschaftliche  Sitzung  : 

1 .  Vortrag  des  Herrn  Dr.  Heinrich  Joseph  :  Zum  feineren  Bau  des 
C  o  r  t  i’schen  Organes. 

2.  Demonstrationen.  (Angemeldet  die  Herren  :  Professoren  Gruber, 
Politzer,  Urbantschitsch,  Doctoren  Gomperz.  Alt,  llammerschlag. 
Singer.) 

Prof.  Dr.  A .  Politzer,  Dr.  JosefPollak,  Dr.  Hugo  Frey, 

Vorsitzender  Seeretär.  Schriftführer. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  3Vien, 


Wiener  klinische  Wochenschrift 

unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gassenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  1.  März  1900.  Hr.  9. 


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Die  „Wiener  klinische 
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erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


ITS TTK 

I.  Originalartikel :  1.  Aus  Prof.  v.  Hacker’s  chirurgischer  Klinik  zu 
Innsbruck.  Zur  Blasennaht  beim  hohen  Steinschnitt.  Von  Dr. 
Georg  Lot  heissen,  Privatdocent  und  Assistent  der  Klinik. 

2.  Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Jakubowski  in 
Krakau.  Zur  Biologie  der  Malariaparasiten.  Von  Dr.  Xaver 
Lewkowicz,  Assistenten  der  Klinik. 

3.  Aus  der  UI.  medicinbchen  Klinik  (Hofrath  v.  Schrötter)  in 
Wien.  Therapeutische  Studien  über  das  Sanatogen.  Von  Dr. 
Eduard  R  y  b  i  c  z  k  a,  Aspirant  an  obiger  Klinik. 


Aus  Prof.  v.  Hacker’s  chirurgischer  Klinik  zu  Innsbruck. 

Zur  Blasennaht  beim  hohen  Steinschnitt. 

Von  Dr.  Georg  Lotheissen,  Privatdocent  und  Assistent  der  Klinik. 

Immer  mehr  drängt  die  Sectio  alta  die  anderen  Methoden 
des  Steinschnittes  zurück  und  bessern  sich  die  Erfolge  dieses 
Operationsverfahrens  mit  der  Vervollkommnung  der  Technik, 
speciell  seit  Einführung  der  Aseptik.  Die  Gefahren,  welche  bei 
der  Sectio  alta  drohen,  sind  einerseits  die  Eröffnung  der  Peri¬ 
tonealhöhle,  andererseits  Harninfiltration  des  prävesicalen  Ge¬ 
webes  von  der  Blasenwunde  aus. 

Die  Eröffnung  der  Peritonealhöhle  wird  sich 
zumeist  vermeiden  lassen,  indem  man  in  Beckenhochlagerung 
operirt  und  die  Blase  gut  füllt.  Sehr  günstig  erwies  sich  mir 
da  die  Füllung  mit  Luft  nach  Helfer  ich,  weil  man  so  bei 
der  Incision  der  Blase  vermeidet,  dass  Flüssigkeit  das  Ope¬ 
rationsfeld  überfluthet  und  man  daher  viel  reinlicher  arbeiten 
kann.  Hie  und  da  wird  selbst  bei  Anwendung  dieser  Vorsichts- 
massregeln  die  Peritonealfalte,  die  ja  bisweilen  sehr  tief  herab¬ 
reicht,  nicht  genügend  hinaufgeschoben,  und  dann  kann  es 
doch  zu  einer  Eröffnung  der  Bauchhöhle  kommen.  Bei  asepti¬ 
schem  Vorgehen  bietet  auch  dies  keine  grosse  Gefahr,  da  man 
die  Oeffnung  alsbald  durch  Naht  verschliessen  und  diese  Stelle 
mit  einem  Jodoformgazetampon  bedecken  kann,  um  Infection 
von  Seiten  des  Harns  zu  verhüten.  Dass  dies  gelingt, 
konnte  ich  in  einem  Fall  unserer  Klinik  beobachten,  wo  die 
Sectio  alta  wegen  hochgradiger  Blasentuberculose  ausgeführt 
wurde. 

Auch  die  Gefahr  der  Urininfiltration  des  prävesi¬ 
calen  Raumes  ist  heute  nicht  mehr  so  gross,  seit  man  gelernt 
hat,  die  Blase  zu  drainiren.  Ob  man  das  nun  nach  v.  Dittel’s, 
Guyon’s  u.  A.  Vorschrift  in  Rückenlage,  oder  nach  Tren¬ 
delenburg  in  Bauch-  oder  Seitenlage  ausführt,  immer 
braucht  es  geraume  Zeit,  ehe  man  das  Drainagerohr  (Knie¬ 
rohr,  T-Rohr)  entfernen  kann,  und  noch  länger  dauert  es 


^  II  T :  (AUe  Rechte  Vorbehalten.) 

II.  Feuilleton:  Prof.  Jaus  (1696 — 1761).  Ein  neuer  urkundlicher  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Medicin  in  Wien.  Von  Robert  R.  v.  Töply, 
Privatdocent. 

III.  Referate:  Handbuch  der  Krankenversorgung  und  Krankenpflege. 

Von  Dr.  Georg  Liebe,  Dr.  Paul  Jacobsohn  und  Dr. 
George  Meyer.  Ref.  Dr.  Julius  Sternberg.  —  Atlas 
und  Grundriss  der  speciellen  pathologischen  Histologie.  Von 
Dr.  H.  Dürc  k.  Ref.  Dr.  Oskar  Stoerk. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


darnach,  bis  auch  die  Hautwunde  per  granulationem  sich  ge¬ 
schlossen  hat.  Dass  aber  die  Blasendrainage  nicht  immer  tadel¬ 
los  functionirt,  beweisen  die  neuen  Verfahren  zu  ihrer  Ver¬ 
besserung  (Kaczkowski1 II. III. IV. V. VI. *),  B  1  o  o  d  g  o  o  d  2),  Dasara3) 
und  Andere).  Der  Urin  dringt  nun  neben  dem  draini- 
renden  Rohr  heraus;  nicht  selten  wird  nicht  blos  die  Wunde, 
sondern  das  ganze  Bett  überschwemmt  und  wenn  auch  sehr 
häufig  der  Verband  gewechselt  wird,  so  bekommen  doch  die 
Patienten  ein  quälendes  Ekzem.  Dabei  ist  es  gleichgiltig,  ob 
die  Kranken  die  Rücken-,  Seiten-  oder  Bauchlage  einnehmen. 
Letztere  ist  an  sich  schon  auf  die  Dauer  sehr  unbequem.  Dass 
eine  solche  Ueberfluthung  mit  Urin  nicht  zur  Harninfiltration, 
respective  nicht  zum  Tod  durch  Harninfiltration  führen  muss, 
ist  eine  Bemerkung  O.  Z  u  c  k  e  r  k  a  n  d  l’s  4),  die  mir  ganz 
richtig  erscheint.  Diese  Gefahr  scheint  überschätzt  zu  werden. 
Der  Exitus  letalis  nach  Sectio  alta  dürfte  in  früherer,  voranti¬ 
septischer  Zeit  wohl  eher  durch  Wundinfection  überhaupt  zu 
Stande  gekommen  sein. 

Frühzeitig  hat  man  daher  schon  daran  gedacht,  die 
Blasenwunde  sofort  zu  vernähen  und  die  Blase  nur  auf  natür¬ 
lichem  Wege  durch  die  Urethra  zu  drainiren.  Schon  1858  hat 
V.  v.  Bruns  als  Erster  eine  Blasennaht  ausgeführt  und 
mit  gutem  Erfolg.  Andere  folgten  seinem  Beispiele,  so  trat 
Albert  5)  1876  warm  für  die  Sectio  alta  und  Blasennaht  ein, 
v.  Bergmann  sprach  für  sie  1884  auf  der  Naturforscher- 
Versammlung. 

Auch  Prof.  v.  Hacker  führte  bereits  im  Jahre  1883 
noch  als  Assistent  Billroth’s  mit  Erfolg  die  Naht  der  Blase 
in  dem  später  mitzutheilenden,  bisher  noch  nicht  veröffent¬ 
lichten  Falle  aus,  und  zwar  ohne  die  Schleimhaut  mitzufassen. 


6  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  11  und  21. 

2)  John  Hopkins  Hospital  Bulletins.  1896,  Nr.  61. 

3)  Policlinico.  1896,  Nov.  1. 

4)  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  16. 

5)  Wiener  medicinische  Presse.  1876. 


204 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Nr.  9 


Dadurch,  dass  Dämlich  damals  meist  die  Mucosa  mitgefasst 
wurde,  drainirte  man  durch  die  Nähte  den  Harn  in  die  Wunde. 
Dadurch  wird  es,  wenigstens  zum  Theil,  erklärlich,  dass 
Schmitz0)  1880  bei  einer  Zusammenstellung  in  40%  Miss¬ 
erfolge  der  ßlasennaht  nachweisen  konnte. 

Da  der  Dauerkatheter  sich  zuweilen  verstopfte,  die  Blase 
sich  dann  doch  füllte  und  die  Naht  gefährdet  war,  legte 
Tiling  über  die  erste  Nahtreihe  noch  eine  zweite.  Diese 
Etagennaht,  die  jetzt  sogar  meist  in  drei  Reihen  angelegt  und 
die  nach  Analogie  der  L  e  mb  e  r  t’schen  Darmnaht  ausgeführt 
wird,  ist  wohl  eine  der  sichersten  Methoden. 

Die  Innsbrucker  chirurgische  Klinik  verfügt,  trotzdem 
sie  jährlich  über  1200  stationäre  und  6000  ambulante  Patienten 
hat,  über  kein  sehr  reiches  Material  an  Blasensteinen.  Diese 
scheinen  hier  zu  Lande  selten  zu  sein. 

Es  war  daher  bisher  wenig  Gelegenheit,  die  Blaseunaht 
auszuführen.  In  der  Regel  handelte  es  sich  um  ältere  Personen 
mit  schwerer  Cystitis  oder  mit  Nierenveränderungen,  und  des¬ 
halb  wurde  Drainage  angewandt.  Prof.  v.  H  a  c  k  e  r  hält,  bevor 
ausgedehnte  vergleichende  Erfahrungen  über  die  mit  der  Naht 
zu  erzielenden  Erfolge  vorliegen,  an  dem  Principe  fest,  zu  in- 
dividualisiren  und  vorläufig  die  Naht  nur  in  Fällen,  wo  der 
Harn  klar  ist  oder  nur  geringer  Katarrh  vorhanden  ist,  aus¬ 
zuführen,  namentlich  bei  jugendlichen  Individuen,  während  er 
überall  dort,  wo  schwere  Veränderungen  der  Blasenwand  mit 
alkalischem  und  zersetztem  Harn  vorhanden  und  secundäre 
Nierenerkrankungen  zu  fürchten  sind,  von  der  Drainage  der 
Blase  eher  Erfolg  erwartet.  Diesen  Grundsätzen  ent¬ 
sprechend  hat  v.  Hacker  bereits  1883  operirt.  Gleichzeitig 
wurden,  um  Urininfiltration  zu  verhüten,  nachdem  die  Blase 
durch  elf  die  Mucosa  nicht  mitfassende  Nähte  exact  ver¬ 
schlossen  war,  die  Bauchdecken  nur  in  den  Winkeln  vereinigt. 
Im  fiebrigen  wurde  der  Raum  vor  der  Blase  mit  Jodoform- 
gazestreifen  drainirt,  damit  im  Falle  der  Undichtheit  der  Nähte 
der  etwa  durchsickernde  Urin  freien  Abfluss  habe. 

Als  ich  im  vergangenen  Jahre  Prof.  v.  Hacke  r  während 
seiner  Erkrankung  und  in  den  Herbst, ferien  zu  vertreten  hatte, 
bot  sich  mir  zweimal  Gelegenheit,  wegen  Blasensteins  die 
Sectio  alta  auszuführen.  Im  ersten  Fall  wurde  wegen  schwerer 
Cystitis  nur  partielle  Naht  der  Blase  ausgeführt,  im  zweiten 
Fall  die  Blase  vollkommen  vernäht. 

1.  Auguste  K.,  18  Jahre  alt,  Spediteurstochter.  Eintritt  in 
die  Klinik  Billroth  10.  August  1883. 

Die  aus  gesunder  Familie  stammende  Patientin  war  nie  er¬ 
heblich  krank,  bis  vor  zwei  Jahren,  angeblich  ohne  jede  bekannte 
Ursache,  Schmerzen  im  Unterleib,  besonders  in  der  Blasengegend, 
auftraten.  Später  gesteht  sie  zu,  dass  ihr  fünf  bis  sechs  Jahre 
zuvor  von  der  K  ö  c  h  i  n,  mit  der  sie  in  einem  Bette  lag,  eine 
zusamrnengebogene  Haarnadel  in  die  Vagina,  beziehungsweise 
in  die  Urethra  g  e  s-t  e  c  k  t  worden  und  dann  verschwunden 
wäre.  Erst  vier  Jahre  darnach  traten  Beschwerden  ein.  Sie  verheim¬ 
lichte  ihr  Leiden  gegenüber  den  Angehörigen  bis  vor  Kurzem.  Die 
Schmerzen  waren  nicht  constant,  sie  blieben  oft  wochenlang  aus. 
Es  trat  bald  Schleimfluss  aus  der  Vagina  auf,  der  seitdem  fort¬ 
besieht.  Im  Sommer  1883  wurden  die  Beschwerden  stärker.  Die 
Schmerzen  sind  nun  heftig,  fast  andauernd  und  steigern  sich  sehr 
bedeutend  beim  Uriniren.  Der  Harnstrahl  ist  oft  unterbrochen,  um 
erst  nach  längerer  Zeit  wieder  einzutreten.  Von  Zeit  zu  Zeit  besteht 
tagelang  Incontinenz,  wobei  der  Harn  tropfenweise  abfliesst.  Der 
(Usch  gelassene  Harn  ist  trüb,  von  stechendem  Geruch  und  stark 
sedimentirend;  er  enthält  oft  Sand. 

Bei  der  Untersuchung  der  gracil  gebauten,  sonst  gesunden 
Patientin  zeigte  sich  die  Schleimhaut  der  Harnröhrenmündung  und 
der  Scheide  mit  zähem,  weissem  Schleim  bedeckt,  bei  der  leisesten 
Berührung  sehr  schmerzhaft,  etwas  geschwellt,  sammtartig  aufge- 
lockert.  Bei  der  Digitaluntersuchung  fühlt  man,  dass  die  Blase 
v  o  n  e  i  n  e  m  rundliche  n,  oberflächlich  rauhen,  harte  n 
K  ö  rper  von  etwa  1  lühnereigrösse  fast  ganz  erfüllt  ist. 
Berührung  der  vorderen  Scheidenwand  sehr  schmerzhaft.  Der  in 
die  Blase  eingeführte  Katheter  stösst  auf  einen  rundlichen  harten 
Körper,  der  oberflächlich  rauh  ist  und  um  den  die  Blase  derart 

D  Archiv  für  klinische  Chirurgie,  lid.  XXXIII. 


contrahirt  ist,  dass  der  Katheter  nur  mit  grösster  Mühe  zwischen 
Stein  und  Blasenwand  vorgeschoben  werden  kann.  Der  Harn  tröpfelt 
continuirlich  ab,  ist  frisch  gelassen  stark  alkalisch,  von  stechendem 
Geruch,  enthält  trübe  Flocken,  manchmal  auch  sehr  kleine  braune 
Körner,  Eiweissgehalt  sehr  gross. 

Zunächst  wurde  die  Blase  mit  2%0  Salzsäurelösung  aus¬ 
gespült  und  gleichzeitig  die  Urethra  langsam  von  Charriere  Nr.  5 
bis  zu  Nr.  11  erweitert.  Innerlich  wurde  Acid,  benzoic.  4:200 
Wasser  gegeben.  So  gelang  es  zwar,  den  Harn  sauer  zu  machen, 
den  stechenden  Geruch  zu  vertreiben;  die  Dilatation  der 
Urethra  bereitete  der  Kranken  aber  starke  Schmerzen,  schliess¬ 
lich  sogar  Fieber,  so  dass  man  diese  Methode  aufgeben 
musste. 

Am  25.  August  1883  führte  Dr.  v.  Hacker  die  Sectio 
alta  aus.  Zuerst  wurde  wohl  noch  in  Narkose  ein  Versuch  ge¬ 
macht,  mit  der  Kornzange  den  im  Collum  vesicae  liegenden  Zapfen 
abzubrechen,  er  misslang  aber,  ebenso  ein  Versuch,  den  Stein  mit 
dem  Lithotriptor  zu  fassen.  Er  liess  sich,  selbst  nicht  nach  Injection 
von  Flüssigkeit,  von  der  Blasenwand  abheben  und  daher  nicht 
fassen.  Es  blieb  somit  nichts  übrig,  als  den  Stein  durch  Stein¬ 
schnitt  zu  entfernen.  Es  wird  daher  ein  Medianschnitt  über  der 
Symphyse  gemacht,  nach  schichtweisem  Vorgehen  die  BTase  er¬ 
öffnet,  deren  Wand  über  1  cm  dick  ist.  Die  Schleimhaut  ist  sehr 
gewulstet,  dunkelroth.  Nun  wird  zuerst  ein  Stück,  etwa  drei  Viertel 
einer  Haarnadel,  hervorgezogen.  Der  Rest  der  Haarnadel  steckte  im 
Stein.  Da  dieser  zu  gross  war,  um  in  toto  extrahirt  zu  werden, 
wurde  er  mit  dem  Lithotriptor  zertrümmert,  endlich  in  Trümmern 
mühsam  extrahirt. 

Nachdem  die  Blase  mit  l%iger  Carbollösung  ausgespült 
worden  war,  wurde  die  Bl  äsen  wand  durch  elf,  nicht  die 
Schleimhaut  fassende  Knopf  nähte  vereinigt,  bis  beim  Ein¬ 
spritzen  von  Flüssigkeit  in  die  Blase  nichts  mehr  in  die  Wund¬ 
höhle  drang.  Auf  die  Naht  wurde  ein  Jodoformgazestreifen  gelegt 
und  herausgeleitet,  die  beiden  Wundwinkel  vernäht.  Dauerkatheter 
wurde  eingelegt;  er  musste  in  den  folgenden  Tagen  oft  gereinigt, 
schliesslich  täglich  gewechselt  werden. 

Die  Wunde  verheilte  reactionslos.  Die  drainirenden  Jodoform¬ 
gazestreifen  konnten  bald  entfernt  werden,  die  Blasenwunde  heilte 
per  primam. 

Nach  14  Tagen  war  die  Kranke  eigentlich  geheilt;  da  jedoch 
der  Harn  noch  etwas  eiterhältig  war,  blieb  sie  noch  bis  29.  Sep¬ 
tember  auf  der  Klinik,  wurde  dann  aber  völlig  geheilt  entlassen. 

2.  Johann  Georg  St.,  53  Jahre  alt,  Fabriksarbeiter,  wurde 
am  27.  Februar  1899  wegen  linksseitiger  incarcerirter  Inguinal¬ 
hernie  auf  die  chirurgische  Klinik  gebracht.  Da  die  Einklemmung 
schon  mehrere  Stunden  bestand  und  selbst  im  Bade  die  Hernie 
sich  nicht  reponiren  liess,  wurde  sogleich  die  Herniotomie  ausge¬ 
führt  und  nach  Lösung  der  Incarceration  die  Bassin  i’sche  Radical- 
operation  angeschlossen. 

Erst  nachher  zeigte  sich,  dass  der  Kranke  auch  Harnbe¬ 
schwerden  hatte,  die  nach  der  Anamnese  nur  auf  einen  Stein  zu 
beziehen  waren.  Schon  als  Kind  hatte  der  Patient  beim  Uriniren 
bisweilen  Schmerzen,  hie  und  da  soll  auch  der  Harn  blutig  ge¬ 
wesen  sein.  Als  der  Kranke  23  Jahre  alt  war,  wurden  die  Be¬ 
schwerden  besonders  heftig.  Er  wurde  damals  und  auch  später 
mehrmals  von  Aerzten  untersucht,  doch  konnte  keiner  von  ihnen 
einen  Stein  nachweisen.  Seit  1%  Jahren  war  der  Urin  trüb,  öfters 
stinkend. 

Bei  der  Untersuchung  des  kräftig  gebauten,  sonst  anscheinend 
gesunden,  nur  etwas  blassen  Mannes,  findet  man  eine  Striclur  der 
Urethra.  Nur  ein  dünner  englischer  Katheter  von  2  mm  Durchmesser 
lässt  sich  einführen  und  stösst  auf  einen  harten  Körper,  der  auch 
vom  Rectum  aus  als  fast  apfelgrosser  Stein  zu  palpiren  ist. 

Am  3.  März  Operation.  Narkose  mit  B  i  1 1  r o t h-Mischung, 
Beckenhochlagerung.  Medianschnitt  in  der  Linea  alba.  Die  Umschlag¬ 
stelle  des  Peritoneum  leicht  zu  finden,  die  Blase  mit  zwei  Nähten 
angeschlungen,  dazwischen  wird  incidirt.  Die  Incision  muss  sehr 
gross  gemacht  werden,  da  sich  zeigt,  dass  der  Stein  einen  voll¬ 
kommenen  Abguss  der  Blase  darstellt.  Er  hat,  wie  die  weitere 
Untersuchung  ergab,  ein  Gewicht  von  303  g  und  ist  8  cm  breit, 
ebenso  lang  und  4 '/2  cm  dick.  Der  Kern  besteht  aus  oxalsauren 
Salzen,  darum  ist  ein  Mantel  von  Phosphaten  geschichtet. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


205 


Da  starke  Cystitis  bestand,  wurde  nach  Ausspülung  der  Blase 
nur  eine  partielle  Naht,  nämlich  des  unteren  Antheiles,  ausgeführt, 
und  zwar  in  drei  Etagen,  ohne  die  Mucosa  mitzufassen.  Die  zwei 
tieferen  Etagen  wurden  mit  Catgut,  die  oberste  mit  Seide  genäht. 
Im  oberen  Wundwinkel  wurde  ein  Knierohr  nach  v.  Dittel  ein¬ 
gelegt.  Die  übrige  Wunde  mit  Jodoformgazeschleier  nach  Mikulicz 
tampon  irt. 

Der  Verlauf  war  nach  der  Operation  anfangs  gut.  Die 
Bl  a  sen  naht  hielt  vollkommen,  doch  kam  nehen  dem 
Knierohr  stets  etwas  Urin  heraus,  so  dass  der  Verband  täglich 
mehrmals  gewechselt  werden  musste.  Die  Wunde  war  rein  granu- 
lirend.  Schon  am  neunten  Tage  konnte  der  Patient  gebadet  werden 
und  da  er  etwas  kachektisch  war,  liess  ich  ihn  schon  bald  dar¬ 
nach  ausser  Bett  sitzen,  ohne  dass  dadurch  der  Urinabfluss  gestört 
worden  wäre. 

Anfangs  April  trat  ein  Stillstand  in  der  Heilung  ein,  die 
Granulationen  der  schon  stark  verkleinerten  Wunde  wurden  schlaff, 
unrein,  der  Patient  wurde  schwächer,  appetitlos,  jedoch  ohne  Tem¬ 
peratursteigerung  zu  zeigen.  Der  Versuch  die  Wunde  zu  tamponiren 
und  durch  einen  Dauerkatheter  die  Blase  zu  entleeren  misslang,  da 
der  Kranke  eine  enge  Strictur  der  Urethra  hatte  und  den  Druck 
des  Katheters  nicht  vertrug.  Gleichzeitig  machten  sich  Schmerzen 
in  der  Nierengegend  beiderseits  bemerkbar.  Der  Marasmus  nahm 
langsam  zu  trotz  Milchdiät  und  am  27.  April  erfolgte  der  Exitus 
letalis. 

Wie  die  Obduction  ergab,  bestanden  schwere  Veränderungen 
in  den  Nieren.  Rechts  mehrere  Nierenabscesse,  nur  wenig  Paren¬ 
chym  mehr  erhalten;  links  mehrere  kleine  Steine  im  Becken, 
es  bestand  Pyelitis,  auch  hier  das  Parenchym  der  Niere  ver¬ 
mindert. 

3.  Johann  B.,  20  Jahre  alt,  Bauernsohn,  steckte  sich  vor 
fünf  Jahren  eine  Bohne  in  die  Harnröhre,  wie  er  sagte:  »weil  es 
ihm  angenehm  war«.  Dann  streifte  er  sie  zurück  bis  in  die  hintere 
Partie  der  Harnröhre.  Als  er  sie  wieder  herausstreifen  wollte,  gelang 
das  nicht.  Er  ging  zu  keinem  Arzt,  hatte  auch  keine  Beschwerden 
bis  zu  Beginn  des  Jahres  1899.  Damals  traten  leichte  Schmerzen 
auf,  der  Harn  wurde  trüb,  hie  und  da  wurde  der  Harnstrahl 
plötzlich  unterbrochen,  doch  kam  es  nie  zu  Blutungen. 

Der  gesund  aussehende,  kräftige  Bursche  wurde  am  17.  Sep¬ 
tember  zur  Operation  geschickt.  Reichlich  Eiweiss  im  Harne,  keine 
Nierenelemente.  Bei  der  Untersuchung  vom  Rectum  aus  fühlte  man 
einen  etwa  walnussgrossen,  harten  Körper  im  Blasenhals  und  der 
Pars  prostatica  ziemlich  fest  sitzend;  hei  der  Sondenuntersuchung 
wich  er  zurück. 

Am  20.  September  wurde  in  Narkose  (Billroth-  Mischung) 
zuerst  die  Cystoskopie  ausgeführt.  Man  konnte  deutlich  einen 
Fremdkörper  (Stein)  von  Nussgrösse  auf  dem  Blasengrunde  links 
liegend  erkennen.  Im  Anschlüsse  daran  wurde  sofort  die  Sectio 
a  1 1  a  ausgeführt.  Die  Blase  wurde  mit  Luft  gefüllt,  um  zu  ver¬ 
meiden,  dass  bei  der  Incision  das  Operationsfeld  überfluthet  werde, 
danach  in  Beckenhochlagerung  Schnitt  in  der  Linea  alha.  Fassen 
der  Blase  mit  zwei  Nähten,  zwischen  denen  incidirt  wird.  Der  Stein 
zerbrach  heim  Fassen  mit  der  Steinzange.  Im  Centrum  sass,  deutlich 
erkennbar  eine  Bohne.  Nach  der  Extraction  wurde  ein  Dauerkatheter 
eingelegt,  die  Blase  vorsichtig  mit  Bor-Salicyllösung  ausgespült,  um 
die  letzten  Steinreste  zu  entfernen. 

Nun  wurde  die  Blasenwunde  total  vernäht  in  drei  Etagen  mit 
Seidenknopfnähten;  jedoch  so,  dass  die  Mucosa  nicht  mitgefasst 
wurde.  Das  Cavum  praevesicale  wurde  mit  einem  Jodoformgaze¬ 
schleier  locker  tamponirt.  Am  vierten  Tag  nachher  war  Nachts  der 
Katheter  herausgefallen;  der  Kranke  meldete  es  aber  nicht,  so  dass 
fünf  Stunden  oder  mehr  kein  Harn  entleert,  sondern  in  der  Blase 
zurückgehalten  wurde.  Trotzdem  ging  die  Naht  nicht  auf;  erst  am 
nächsten  Tag  war  der  Tampon  ein  wenig  feucht,  es  war  jedoch 
keine  Lücke  in  der  Naht  zu  sehen.  Da  das  Katheterfenster  sich 
stets  verstopfte,  musste  der  Nelaton  fast  täglich  gewechselt  werden. 
Die  weitere  Heilung  erfolgte  anstandslos.  Nach  18  Tagen  konnte 
der  Kranke,  der  inzwischen  schon  ausser  Bett  war,  spontan 
alle  zwei  Stunden  den  Harn  entleeren.  Drei  Tage  später  liess  ich 
ihn  nur  alle  drei,  noch  zwei  Tage  später  nur  alle  vier  Stunden 
uriniren.  25  Tage  nach  der  Operation  war  auch  die  Hautwunde 
verschlossen. 


Im  ersten  und  im  dritten  Fall  handelte  es  sich  um  Pa¬ 
tienten,  bei  denen  sich  der  Stein  um  einen  Fremdkörper  ge¬ 
bildet  hatte.  In  der  weiblichen  Blase  linden  sich  solche  Fremd¬ 
körper  häufiger7)  als  in  der  männlichen,  doch  dürften  sie  auch 
hier  nicht  so  überaus  selten  sein,  wie  J.  P.  zum  Busch8) 
annimmt.  Er  selbst  berichtet  über  zwei,  Trzebicky9)  über 
sechs  Fälle,  Sonnenberg  hat  schon  1872  in  seiner  Inaugural- 
Dissertation  eine  Reihe  solcher  Fälle  aus  der  Jenenser  Klinik 
zusammengestellt  uud  auch  in  dem  Museum  unserer  Klinik 
findet  sich  eine  Reihe  hiehergehörigeF  Präparate. 

Eine  Heilung  per  primam  muss  man  heute  wohl  als  das 
Ideal,  dem  man  nachstrebt,  ansehen.  Auch  beim  hohen  Blasen¬ 
schnitt  sollte  man  es  also  zu  erreichen"  suchen,  leider  ist  das 
aber  nicht  immer  möglich.  Da  drängt  sich  die  Frage  von 
selbst  auf,  welche  Umstände  einen  glatten  Verlauf  verhindern 
können,  welche  zu  berücksichtigen  sind,  um  diese  prima  intentio 
zu  erzielen. 

Da  könnte  in  erster  Linie  die  Nahtmethode  selbst  schuld 
sein.  In  der  That  sind  so  viele  Methoden  vorgeschlagen  worden, 
dass  man  unwillkürlich  auf  den  Gedanken  kommt,  sie  alle 
wären  unzulänglich.  Manche  waren  auch  mit  der  Etagennaht 
nicht  zufrieden  und  suchten  sie  zu  verbessern.  So  hat 
Brenner10)  1887  eine  Schniirnaht  in  zwei  Etagen  über¬ 
einander  empfohlen.  Sie  hat  ihm  bei  Thieren  und  an  der  Leiche 
gute  Erfolge  ergeben.  Ueber  ihre  Anwendung  beim  Menschen 
konnte  ich  keinen  Bericht  finden.  Antal’s  Methode  der  trichter¬ 
förmigen  Anfrischung  der  Blasenmusculatur  erscheint  mir 
überflüssig.  Sie  lässt  sich  nur  ausführen,  wenn  die  Blasenwand 
sehr  dick,  hypertrophisch  ist,  und  in  solchen  Fällen  dürfte 
eine  gewöhnliche  Etagennaht  auch  Erfolg  haben  (vgl.  Fall  1). 
Romm11)  meint  wieder,  man  solle  die  Blase  transversal  er¬ 
öffnen,  man  erhalte  so  breitere  Wundflächen,  da  ja  die  obere 
Muskelschicht  in  Längsbündeln,  die  tiefere  in  circulären 
Bündeln  geordnet  ist.  Meiner  Ansicht  nach  sollte  man  deshalb 
aber  erst  recht  longitudinal  eröffnen,  damit  man  die  Längs¬ 
bündel  senkrecht  auf  ihren  Verlauf  in  die  Naht  fassen  kann. 
Man  hat  ferner  die  Misserfolge  der  Blasennaht  zum  Theil 
damit  erklärt,  dass  die  Wunde  nicht  die  nöthige  Ruhe  habe, 
da  die  Blase  ein  Hohlorgan  von  wechselnder  Füllung  darstelle, 
und  darum  die  Cystopexie  empfohlen.  Die  Ventrofixation  der 
Blase  wurde  zuerst  von  Preigh  Smith  1886  zur  Ver¬ 
hütung  der  Urininfiltration  vorgeschlagen,  da  der  Urin  so  nur 
nach  aussen,  nicht  aber  ins  Cavum  Retzii  gelangen  könne. 
Rasumowsky  hat  sie  dann  zur  Ruhigstellung  der  Nahtlinie 
empfohlen,  da  die  Harnentleerung  dadurch  keinen  Schaden 
leide.  Dass  dies  thatsächlieh  der  Fall  ist,  wissen  wir  auch 
durch  die  Erfahrungen  bei  Uretero- cysto-anastomosis  nach 
Witzei,  wo  ebenfalls  die  Fixation  der  Blase  stattfindet. 
Rasumowsky’s  Methode  ist  eine  Art  »doppelter  Matratzen¬ 
naht«  mit  Silberdraht,  die  acht  bis  zehn  Tage  liegen  bleibt12). 

Für  die  Frage  der  Blasennaht  scheint  mir  die  Veranlas¬ 
sung,  die  zur  Vornahme  der  Sectio  alta  führte,  von  grösster  Wichtig¬ 
keit  zu  sein.  Geschah  es  wegen  Tumoren,  die  ja  mit  Vorliebe 
an  der  hinteren  Wand  sitzen,  so  ist  es,  falls  man  sie  mit  dem 
Thermokauter  abgetragen  hat,  meist  sicherer  und  angenehmer, 
die  Blase  offen  zu  halten,  ja  zu  tamponiren,  wie  ich  es  an 
Gussenbaauer’s  Klinik  einige  Male  mit  gutem  Erfolg  ge¬ 
sehen  habe.  Bei  hohem  Blasenschnitt  wegen  Tuberculose  und 
diphtheritischer  Cystitis  ist  gerade  das  Offenhalten  therapeutisch 
nothwendig.  Auch  bei  Blasenruptur  wird  man  sich,  wenn  es 
sich  um  die  intraperitoneale  Form  handelt,  mit  Vernähung 
der  Rupturstelle  begnügen  und  die  Wunde  der  Sectio  alta, 
die  man  ja  in  diesem  Fall  meist  ausführt,  offen  lassen.  Handelt 
es  sich  um  Verletzungen  der  Blase,  wie  sie  z.  B.  bei  Blasen¬ 
brüchen  nicht  selten  beobachtet  werden,  so  kann  man  in  der 
Regel  wohl  die  Naht  ausführen.  Doch  haben  wir  es  hier  meist 
mit  Blasenwunden  zu  thun,  die  zum  Theil  intraperitoneal 

")  Ygl:  Wendel,  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XXIII,  H.  2. 

•  8)  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  14. 

9)  Ebenda.  Nr.  19. 

,0)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XXXV. 

]1)  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  1897,  Bd.  XLIV 

12)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XLVIII. 


20  ß 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


liegen.  Hier  ist  es  daher  besser.  fiach  der  Blasennaht  die  äusseren 
Theile  offen  zu  lassen  und  erst  etwa  nach  acht  Tagen  die 
Secundärnaht  anzuschliessen,  wie  ich  an  anderem  Orte  aus- 
geführt  habe13). 

Die  Naht  verbleibt  somit  hauptsächlich  für  die  Fälle  von 
Fremdkörper  und  Steinen.  Und  auch  da  sind  die  Meinungen 
noch  sehr  gelheilt.  Dsirne14)  sagt  noch  1898,  die  meisten 
Chirurgen  der  Gegenwart  operirten  ohne  Naht.  Als  Contra¬ 
indication  wird  vor  Allem  Cystitis  angegeben  die  freilich  bei 
Fremdkörpern  und  Steinen  selten  fehlen  dürfte.  Während  die 
Meisten  bei  schweren  Katarrhen,  zumal  bei  stark  ammonia- 
kalischer  Beschaffenheit  des  Harns  abrathen  zu  nähen,  meinen 
Einzelne 15),  man  solle  selbst  da,  wo  doch  die  Aussicht  auf 
prima  intentio  gering  ist,  exacte  Naht  machen  und  Verweil¬ 
katheter  einlegen,  weil  die  Naht  wenigsten  so  lange  halten 
werde,  dass  die  Wunde  erst  nach  fünf  oder  mehr  Tagen,  wo 
die  Infection  schwerer  möglich  ist,  vom  Urin  bespült  werde. 
In  einzelnen  Fällen  sind  thatsächlich  auch  so  Erfolge  zu  ver¬ 
zeichnen.  So  hat  Kasumowsky,  der  sich  sonst  gegen  die 
Naht  bei  alkalischer  Harngährung  ausspricht,  in  einem  solchen 
Fall  doch  genäht  und  Heilung  per  primam  erzielt.  Die  Er¬ 
fahrungen  sind  aber  gegenwärtig  noch  nicht  zahlreich  genug, 
um  sich  für  diese  allgemeine  Anwendung  der  Blasennaht  aus¬ 
zusprechen. 

Hypertrophie  der  Blasenwand,  die  von  den  Einen  als 
Indication  angesehen  wird,  halten  Andere  für  Contraindication, 
da  geringe  Tendenz  zur  Verwachsung  bestehe;  v.  Hacker’s 
Fall,  in  welchem  die  Blasenwand  über  1  cm  dick  war,  beweist, 
dass  auch  die  hyperplastische  Blase,  wenigstens  bei  jugendlichen 
Individuen,  zum  Verschluss  durch  die  Naht  geeignet  ist,  denn 
es  erfolgte  Heilung  per  primam  ohne  Durchsickern  von  Harn. 

Als  Contraindication  werden  ferner  Nieren  affe  ctiomn  an¬ 
gesehen.  Kann  man  sie  vor  der  Operation  mit  Sicherheit  fest¬ 
stellen,  so  wäre  es  rathsnm,  die  Sectio  alta  mit  Localanästhesie 
(Schleie  h’scher  Infiltration)  auszuführen,  da  in  solchen  Fällen 
die  Narkose  wohl  die  Hauptgefahr  darstellt.  In  meinem  ersten 
Fall  war  gewiss  die  in  so  kurzer  Zeit  wiederholte  Narkose 
für  die  schon  in  der  Function  stark  beeinträchtigte  Niere 
nicht  gleichgiltig.  Obwohl  hier  offen  behandelt  wurde,  starb 
der  Kranke  nach  zwei  Monaten. 

Manche  geben  nach  Ausführung  der  Naht  keinen  Dauer¬ 
katheter,  sondern  lassen  den  Patienten  selbst  uriniren.  Ist  die 
Naht  sehr  exact,  die  Krankenpflege  verlässlich,  so  dass  der 
Kranke  wirklich  alle  zwei  bis  drei  Stunden  angehalten  wird, 
seinen  Harn  zu  entleeren,  so  mag  die  Naht  dadurch  nicht 
*  gefährdet  werden.  Manchmal  kann  aber  der  Kranke  spontan 
nicht  uriniren.  So  war  mein  zweiter  Patient,  als  ihm  am 
vierten  Tag  der  Katheter  herausgefallen  war,  nicht  im 
Stande,  selbst  den  Urinzu  entleeren.  Wenn  freilich 
der  Kranke,  wie  im  ersten  Fall,  noch  dazu  eine  Strictura 
urethrae  besitzt,  so  ist  weder  der  Dauerkatheter  anwendbar, 
noch  ein  regelmässiger  Katheterismus  durchführbar;  wenigstens 
konnte  dieser  Kranke  beides  nicht  ertragen.  Das  mag  dazu 
beigetragen  haben,  dass  sich  die  Blasenfistel  nicht  schloss. 

Man  hat  einige  Male  beobachtet,  dass  Seidenfäden  aus 
der  Nahtlinie  in  die  Blase  wunderten  und  hier  neuerlich  zu 
Concrementbildung  führten.  Darum  wurde  empfohlen,  Catgut 
zu  nehmen.  Kasumowsky  nahm  deshalb  Silberdraht;  er 
knüpft  ihn  auf  der  Haut  über  einem  Bäuschchen,  so  dass  er 
später  extrahirt  werden  kann.  Solche  Fadenwanderung  ist 
aber  doch  relativ  recht  selten,  und  wenn  man  die  Mucosa 
nicht  mitgefasst  hat,  dürfte  sie  vielleicht  ganz  ausbleiben. 

Die  Heilungsdauer  wird  durch  die  Naht  der  Blase 
bedeutend  abgekürzt.  B  i  e  r  s  t  e  i  n  16)  fand  bei  offener  Be¬ 
handlung  31  Tage,  bei  Naht  11  bis  13  Tage  Heiluugsdauer. 
Im  ersten  Fall  (Beobachtung  v.  Hacker’s)  dauerte  es  14  Tage 
bis  zur  völligen  Heilung,  in  meinem  zweiten  Fall  18  Tage. 


l:>“)  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XX. 

,4)  Wratsch.  1899,  Nr.  48.  Referat:  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899. 

15)  Burckhardt,  Chirurgische  Klinik  der  BJasenkrankheiten. 
Klinisches  Handbuch  der  Harn-  und  Sexualorgane.  1894,  Bd  III. 

16)  Wratsch.  1899,  Nr.  11  und  12.  Referat:  Centralblatt  für  Chir¬ 
urgie.  1899. 


Die  Gefahren  scheinen  nicht  grösser  als  bei  der 
Sectio  alta  überhaupt  zu  sein.  Angerer  macht  stets  die 
Naht  und  hat  keinen  Patienten  direct  durch  die  Operation 
verloren,  speciell  keinen  an  Urininfiltration. 

In  der  Literatur  der  letzten  Jahre  findet  sich  eine  sehr 
grosse  Zahl  von  Blasennähten  veröffentlicht.  Erst  kürzlich 
stellte  G  o  1  i  s  c  h  e  w  s  k  y  17)  43  Fälle  Rasumowsky’s  mit 
vollständiger  Naht  zusammen,  darunter  40  Heilungen  per 
primam,  i.  e.  93% .  Selbst  wenn  die  Resultate  nicht  immer  so 
gute  wäreu  (ich  fand  bei  137  Fällen  der  neueren  Literatur 
in  96  Heilung  per  primam  ohne  Fistelbildung,  d.  i.  nur  70%), 
empfiehlt  es  sich  doch  öfter,  als  es  bisher  geschah,  wenigstens 
also  bei  jugendlichen  Individuen  und  bei  normalem  Harn, 
zu  nähen. 


Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Jakubowski 

in  Krakau. 

Zur  Biologie  der  fVlalariaparasiten. 

Von  Dr.  Xaver  Lewkowicz,  Assistenten  der  Klinik. 

Seit  vier  Jahren  befasse  ich  mich  mit  Studien  über 
Malaria parasiten  und  habe  bereits  Ende  1896  eine  vorläufige 
Mittheilung •)  über  sie  veröffentlicht.  Unter  dem  Einflüsse 
neuer  Beobachtungen  mussten  dann  mehrmals  meine  An¬ 
schauungen  Modificationen  erfahren  und  damit  auch  die  Pu¬ 
blication  der  ausführlichen  Arbeit  verschoben  werden.  Jetzt 
trete  ich  an  diese  Veröffentlichung  umso  williger,  als  die  Frage 
der  Malariainfection  in  letzten  Jahren,  vorzugsweise  durch  die 
Wiederaufnahme  der  Mosquito-Malariatheorie,  eine  brennende 
geworden  ist,  und  ich  hoffen  kann,  dass  auch  meine  Unter¬ 
suchungen  zur  Klärung  gewisser  dunkler  Seiten  der  Biologie 
der  Malariaparasiten  etwas  beitragen  werden. 

Das  rege  Interesse,  welches  die  Malaria  auch  in  weiteren 
Kreisen  der  Aerzte  hervorruft,  gibt  sich  durch  den  mächtigen 
Aufschwung  der  Malarialiteratur  kund.  Im  Folgenden  schien 
es  mir  unmöglich,  jeder  zu  besprechenden  Frage  eine  genaue 
Literaturübersicht  vorangehen  zu  lassen.  Um  an  Raum  zu  ge¬ 
winnen,  musste  ich  mich  auf  das  Noth  wendigste  beschränken, 
und  empfehle  Jedem,  der  sich  über  den  bisherigen  Zustand 
der  gegebenen  Fragen  genauer  orientiren  wollte,  das  Referat 
von  B  a  r  b  a  c  c  i 2),  welcher  aus  einer  sechsjährigen  Zeitperiode 
(1892  — 1897)  361  Publicationen  über  Malariaparasiten  ge¬ 
sammelt  und  ihren  Inhalt  zusammengestellt  hat. 

Das  Material  meiner  Beobachtungen  stammt  aus  der 
pädiatrischen  Klinik  in  Krakau  und  aus  ihrem  Ambulatorium. 
Es  ist  nicht  nur  ziemlich  reichlich,  sondern  auch,  was  viel 
wichtiger,  sehr  vielseitig.  Ich  habe  im  Ganzen  vom  April  1896 
bis  Ende  1899  446  Malariafälle  beobachtet,  nämlich  406  Fälle 
der  gewöhnlichen  Tertiana  und  Quartana,  40  Fälle  der  langin- 
tervallären  und  malignen  Fieber.  Es  fallen  davon  auf  die 
klinischen  Beobachtungen  109  Fälle,  d.  i.  83  Fälle  der  Ter¬ 
tiana  und  Quartana  benigna,  26  Fälle  der  ästivoautumnalen 
Fieber,  der  Rest  auf  die  ambulatorischen  Beobachtungen. 

Meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Prof.  J  a  k  u  b  o  w  s  ki, 
für  das  gütige  Ueberlassen  des  klinischen  Materials,  sowie 
Herrn  Prof.  Bujwid,  der  mir  alle  Untersuchungsmittel  seiner 
Anstalt  mit  grosser  Bereitwilligkeit  zur  Verfügung  stellte, 
spreche  ich  an  dieser  Stelle  meinen  aufrichtigsten  Dank  aus. 

Die  Abarten  der  Malariaparasiten. 

Entgegen  den  Anschauungen  Laveran’s  und  seiner 
Schule  muss  es  jetzt  als  bewiesen  betrachtet  werden,  dass  die 
Malariaparasiten  in  mehrere  Varietäten  zerfallen,  die  durch 
ihre  morphologischen  Eigenschaften,  ihren  Entwicklungsgang, 
sowie  durch  die  klinischen  Symptome  der  durch  sie  hervor¬ 
gerufenen  Krankheit  hinlänglich  charakterisirt  sind.  Damit  ist 

l7)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LX. 

')  Lewkowicz.  Ueber  den  Entwicklungsgang  und  die  Eintheilung 
der  Malariaparasiten.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XXI,  Heft  4. 

2)  Barbacci,  Neuere  Arbeiten  über  Malaria.  Centralblatt  für  allge¬ 
meine  Pathologie  und  pathologische  Auatomie.  1899,  Bd.  X,  Nr.  2  und  3. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


207 


aber  die  Frage  der  Stabilität  dieser  Abarten,  der  Unität  oder 
Pluralität  der  Malariaparasiten  noch  nicht  entschieden. 

Es  sind  uns  folgende  Abarten  bekannt: 

1.  Die  grossen  Tertianaparasiten.  Sie  führen  ihren  Ent- 
wicklungscyklus  in  48  Stunden  zu  Ende,  und  da  der  h  ieber- 
anfall  bei  Malaria  immer  durch  den  Zerfall  der  Parasiten 
(Segmentation  oder  Zerfall  der  sterilen  Parasiten)  hervor¬ 
gerufen  wird,  so  wiederholt  sich  hier  der  Anfall,  bei  An¬ 
wesenheit  einer  Parasitengeneration,  jeden  dritten  Tag. 

2.  Die  grossen  Quartanaparasiten.  Sie  bilden  die  Grund¬ 
lage  des  Quartanafiebers.  Ihr  Entwicklungscyklus  dauert 
72  Stunden. 

Beide  dieser  Abarten  sind  von  Golgi  differenzirt  und 
beschrieben  worden,3) 

3.  Die  kleinen  Tertianaparasiten  bilden  die  Grundlage 
der  malignen  oder  tropischen  Tertiana  und  dieser  fallen  die 
meisten  Fälle  der  von  italienischen  Autoren  sogenannten  ästivo- 
autumnalen,  sowie  der  tropischen  Fieber  zu.  Die  Entwicklung 
der  Parasiten  dauert  48  Stunden.  Sie  wurden  von  Marchia- 
fava  und  Bignami  differenzirt.4) 

Die  Existenz  des  von  Marchiafava  und  Celli  be¬ 
schriebenen  Parasiten  der  malignen  Quotidiana  muss  als  fiag- 
lich  betrachtet  werden,  da  es  sich  in  entsprechenden  Fällen 
um  Tertiana  maligna  duplex  handeln  kann.  Fraglich  ist  auch 
das  Vorhandensein  der  malignen  Quartana  (Lave  ran,  Zie- 
mann5).  Möglicher  Weise  bilden  aber  die  Parasiten  der  ma¬ 
lignen  und  tropischen  Fieber,  wie  Ziemann  annimmt,  nui 
eine  Abart,  welcher  je  nach  der  Malignität  der  Parasiten  und 
der  Widerstandsfähigkeit  des  befallenen  Organismus  verschieden 
lange  Entwicklungsdauer  zukommen  kann  (24  48  72 

Stunden). 

Während  die  Existenz  der  drei  obgenannten  Abarten 
über  alle  Zweifel  erhaben  zu  sein  scheint,  kann  man  dasselbe 
von  der  nächstfolgenden  nicht  behaupten. 

4.  Körper  der  Halbmondreihe,  als  die  muthniassliche 
Grundlage  der  langinterva Hären  Fieber. 

Da  die  diesbezüglichen  Meinungen  der  Autoren  weit 
auseinandergehen  und  der  Versuch,  die  Bedeutung  der  Halb¬ 
monde  für  die  Entstehung  der  langintervallären  Fieber  zu  be¬ 
weisen,  den  hauptsächlichsten  Inhalt  dieser  Abhandlung  bildet, 
so  muss  ich  mich  in  die  Literatur  des  Gegenstandes  etwas 
mehr  einlassen. 

Laveran6)  sieht  die  Halbmonde  als  Cysten  an,  in 
denen  die  zu  Fortpflanzungszwecken  dienenden  Flagellen  zur 
Entwicklung  gelangen.  Das  Eindringen  in  das  Innere  dei 
Blutkörperchen  und  Encystirung  des  Parasiten  zu  Halbmonden 
kann  nach  Laveran  nur  in  einem  durch  längere  Krankheit 
kachektisch  gewordenen  und  nicht  widerstandsfähigen  Oiga- 
nismus  geschehen. 

Diese  Meinung  muss  als  irrig  betrachtet  werden,  wenig¬ 
stens  was  die  Entwicklung  im  menschlichen  Körper  anbe¬ 
langt,  denn  die  sphärischen  und  geisseltragenden  Körper  ent¬ 
stehen,  '  wie  das  schon  von  mehreren  Seiten  (Grassi  und 
Feletti,  Lab  be,  Mannaberg,  Sacharow)  angegeben 
wurde  und,  was  ich  vollends  bestätigen  kann,  nur  aussei  halb 
der  Blutbahn,  und  zwar  wahrscheinlich  unter  der  Einwirkung 
der  niederen  Temperatur.  Man  begegnet  in  den  gebubten 
Blutpräparaten,  die  das  Bild  des  kreisenden  Blutes  am  ge¬ 
treuesten  wiedergeben,  den  sphärischen  und  geisseltragenden 
Formen  niemals,  und  ich  habe  mehrmals  die  Gelegenheit  ge¬ 
habt,  zu  beobachten,  dass  die  gefärbten  Präparate  ausser  den 
kleinen  Parasiten  nur  Halbmonde,  während  die  gleichzeitig 
entnommenen  frischen  Blutpräparate  nach  gewisser  Zeit  nur 
sphärische  Körper  enthielten.  Der  gleichzeitige  Uebertritt  aller 
Halbmonde  in  sphärische  Körper  konnte  nur  in  der  Aenderung 
äusserer  Bedingungen  seinen  Grund  haben. 

3)  C.  Golgi,  Süll’  infezione  malarica.  Archiv,  p.  1.  scienze  med. 

Vol.  X.  1886.  —  Ancora  sull’  infezione  malarica.  Gazetta  degli  Ospedali. 

1886,  N.  53. 

4)  Marchiafava  e  Bignami,  La  quotidiana  e  la  terzana  estivo- 

autunnale.  Riforma  med.  1891.  1000 

5)  Ziemann,  Ueber  Malaria-  und  andere  Blutparasiteu.  Jena  18J8. 

c)  A.  Laveran,  Traite  du  paludisme.  Paris  1898. 


Canalis7)  nimmt  bei  den  Halbmonden  den  Segmen- 
tirungsprocess  an.  Das,  was  er  aber  in  seiner  Abhandlung  als 
Sporulationskörper  der  Halbmonde  abbildet,  sind  gewiss  nur 
sphärische  Körper  mit  Vacuo’en,  die  mit  Sporen  verwechselt 
worden  sind.  Solche  Vacuolisation  der  sphärischen  Körper,  die 
zur  Bildung  von  Pseudosporulationskörpern  führt,  habe  ich 
mehrmals  beobachtet. 

Die  Entwicklung  der  Halbmonde  sollte  nach  Canalis 
längere  aber  nicht  genau  bestimmte  Zeit  dauern  (5 — 6 — 8  — 10 
_ 12 — 15  Tage).  Dabei  soll  ein  Generationswechsel  statt¬ 
finden.  Die  Parasiten  entwickeln  sich  anfangs  mehrmals  in 
Cyklen  der  Quotidiana  oder  Tertiana  maligna  (klinisch:  Quoti¬ 
diana-  oder  Tertianafieber),  dann  bahnt  sich  die  letzte  junge 
Generation  den  Weg  in  den  länger  dauernden  Entwicklungs¬ 
cyklus  der  Halbmonde  und  deshalb  erfolgt  in  dem  klinischen 
Bilde  ein  grösserer  fieberfreier  Intervall,  bis  die  Halbmonde 
zur  Segmentirung  gelangen.  Es  folgen  dann  wieder  Quotidiana- 
oder  Tertianacyklen.  Auf  diese  Weise  würden  die  Halbmonde 
die  Grundlage  der  langintervallären  Fieber  bilden. 

Die  nicht  näher  bestimmte  Zahl  der  kurz  dauernden 
Cyklen  und  die  nicht  näher  bestimmbare  Entwicklungsdauer 
der  Halbmonde  macht  es  schwer  begreiflich,  wie  überhaupt  im 
Krankheitsbilde  eine  Regelmässigkeit  im  Auftreten  der  Sym¬ 
ptome  (siehe  meine  Fälle)  zu  Stande  kommen  kann. 

Grassi  und  Feletti8)  sehen  die  Halbmonde  als  er¬ 
wachsene  und  sporulationsfähige  Körper  einer  besonderen 
Gattung  (genus)  an,  die  sie  Laverania  malar iae  nennen. 
Die  übrigen  Malariaparasiten  würden  zum  Genus  H  a  e  m  a- 
raoeba  gehören  und  in  vier  Arten  (species):  H.  vivax  (Tertia- 
nae),  H.  malariae  (Quartanae),  H.  immaculata  und  H.  praecox 
zerfallen.  Letztere  beide  Arten  sollen  die  Grundlage  der  ma¬ 
lignen  oder  Sommerherbstfieber  bilden. 

Wenn  sie  oft  in  Gesellschaft  der  Halbmonde  Vorkommen, 
so  würde  das  nur  Ausdruck  einer  Mischinfection  sein.  Halb¬ 
monde  als  solche  rufen  nur  benigne  Fieber  hervor. 

Die  Regelmässigkeit  der  obgenannten  Combination  spricht 
jedenfalls  gegen  die  Zulässigkeit  dieser  Anschauung. 

Die  Meinung  S  a  c  h  a  r  0  ff’s  9)  steht  der  obigen  Auf¬ 
fassung  am  nächsten.  Sacharoff  betrachtet  jedoch  die  vei- 
schiedenen  Varietäten  der  Parasiten  der  Sommerherbstfieber 
und  die  Halbmonde  als  zu  einer  Art  gehörend.  Diese  würde 
sich  dadurch  charakterisiren,  dass  sie  nur  Hämatoblasten,  d.h. 
junge  oder  kernhaltige  Blutkörperchen  befällt.  Die  Ver¬ 
schiedenheit  in  der  Entwicklungsdauer  würde  dadurch  zu  er¬ 
klären  sein,  dass  die  Parasiten  Hämatoblasten  in  verschiedenen 
Entwicklungsstadien  befallen.  Je  mehr  sie  in  ihnen  Paranuclein 
vorfinden,  desto  länger  dauert  ihre  Entwicklung  und  desto 
grösser  wird  der  Kern  des  erwachsenen  Parasiten.  Die  grössten 

Kerne  haben  die  Halbmonde. 

Die  Anschauung  ist  ganz  aus  der  Luft  gegriffen.  Man 
sieht  nämlich  unsere  Parasiten  immer  auf  gut  entwickelten 

und  kernlosen  Blutkörperchen. 

Im  Gegensätze  zu  obigen  Autoren,  welche  die  Sporulations- 
fähigkeit  der  Halbmonde  annehmen,  betrachten  March  iafava, 
Celli  und  Bignami  die  Halbmonde  für  Bildungen,  welche 
aus  den  jungen  Parasiten  der  Sommerherbstfieber  durch  De¬ 
generation  entstehen  und  denen  deshalb  keine  besondere  Be¬ 
deutung  zukommen  kann.  Dieser  Meinung  hat  sich  auch 
Ziemann  angeschlossen. 

ln  letzterer  Zeit  hat  sich  aber  in  dieser  Auffassung  eine 
Wendung  geltend  gemacht,  nämlich  unter  dem  Einflüsse  der 
Mosquito-Malariatheorie.  Man  behauptet  (Bastianeil i,  Big¬ 
nami  und  Grassi10),  dass  die  Halbmonde  zwar  nicht  im 
Menschenkörper,  aber  doch  ausserhalb  desselben  zu  einei 


malarica.  Giorn.  med.  del  r. 


7)  T.  Canalis,  Studi  sull’  infezione 

esercito  e  d.  r.  marine.  1889.  N.  12.  . 

8)  Grassi  e  Feletti,  Heber  die  Parasiten  der  Malaria.  Centralblatt 

für  Baeteriologie.  1890,  Bd.  VII.  —  Weiteres  zur  Malariafrage.  Centralblatt 
für  Baeteriologie.  189L  Bd.  X. 

9)  n.  Sacharoff,  Ueber  den  Entwicklungsmodus  .  der  ver¬ 

schiedenen  Varietäten  der  Malariaparasiten  der  unregelmässigen  oder 
ästivoautumnalen  Fieber.  Centralblatt  für  Bactenologie.  •  b  ’ 1  •  *  ' 

10)  Citirt  nach  Nut  tall,  Die  Mosquito-Malariatheorie.  Centralblatt 

für  Baeteriologie.  1899,  Bd.  XXV,  Hett  5  10. 


208 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  9 


\v  /iteren  Entwicklung  fähig  sind,  und  ein  wichtiges  Zwichen- 
glied  bei  der  Infection  der  Mosquitos  und  dem  Zustande¬ 
kommen  späterer,  frischer  Infectionen  des  Menschen  abgeben 
können. 

Ich  will  nur  kurz  andeuten,  dass  Mannaberg  n)  die 
Halbmonde  für  Syzygien,  d.  h.  durch  Schmelzung  zwei  bis 
vier  junger  Individuen  entstandene  Körper  betrachtet,  die  sich 
durch  quere  Theilung  vermehren. 

Meine  klinischen  Beobachtungen  würden  dafür  sprechen, 
dass  die  Halbmonde  auch  für  den  inficirten  Organismus  nicht 
bedeutungslos  sind,  und  dass  sie  nach  längerer  Zeit  —  ihre 
ganze  Entwicklungsdauer  würde  22  Tage  betragen  —  zur 
Bildung  einer  neuen  Generation,  wahrscheinlich  auf  dem  Wege 
der  Segmentation  führen.  Sie  wären  auf  diese  Weise  die 
Grundlage  der  langintervallären  Fieber. 

Die  Entwicklung  der  Halbmonde  schliesst  sich  oft  der 
Entwicklung  des  Parasiten  des  malignen  Fiebers  an,  oder  com- 
binirt  sich  mit  ihr.  Das  Erscheinen  der  Halbmonde  soll,  wie 
das  aus  meinen  Fällen  hervorgeht,  ganz  im  Gegensätze  zur 
Ansicht  Laver  ans,  als  ein  Zeichen  betrachtet  werden,  dass 
im  inticirten  Organismus  bereits  zur  Ausbildung  einer  ge¬ 
wissen,  eventuell  im  weiteren  Verlaufe  zur  completen  Heilung 
führenden  Resistenz  gegen  die  Infection  gekommen  ist. 

Die  langsam  vor  sich  gehende  Entwicklung,  scheinbar 
selbst  zeitweilige  Einstellung  der  Lebensfunctionen  der  Halb¬ 
monde  würde  aber  andererseits  für  den  Parasiten  mit  dem  Vor¬ 
theil  verbunden  sein,  dass  dieser  die  ungünstigen  äusseren  Be¬ 
dingungen,  welche  in  der  relativen  Immunität  des  inticirten 
Organismus  und  in  etwaigen  therapeutischen  Eingriffen  ge¬ 
geben  sind,  leichter  überdauern  kann. 


Bau  der  Parasiten. 

Erst  durch  Entdeckung  des  Färbeverfahrens  von  Ro¬ 
man  owsky1'-)  ist  es  uns  gelungen,  in  den  feineren  Bau  des 
Parasitenleibes,  sowie  in  die  Vorgänge,  die  der  Segmentation 
vorangehen,  tiefer  einzudringen. 

Die  Vorschrift  von  Ro  manowsky  lautet  folgender- 
massen.  Nach  Fixirung  der  trockenen  Präparate  durch  Er¬ 
wärmung  bis  105  — 110°  C.  lässt  man  sie  (die  Präparatenseite 
nach  unten)  auf  folgender  Mischung  schwimmen: 

Gesättigte  wässerige  Methylenblaulösung  ...  1 

lu/0ige  wässerige  Eosinlösung . 2 

Die  Methylenblaulösung  soll  möglichst  alt  sein  und  vor 
dem  Gebrauche  filtrirt  werden.  Obwohl  nach  der  Mischung 
ein  Niederschlag  entsteht,  filtrirt  man  nicht.  Man  hält  die 
Präparate  zwei  bis  drei  Stunden,  wäscht  im  starken  Wasser¬ 
strahle,  um  den  etwa  anhaftenden  Niederschlag  möglichst  weg¬ 
zuwischen,  trocknet  und  legt  in  Canadabalsam  ein. 

Rothe  Blutkörperchen  werden  rosaroth,  die  Parasiten,  wie 
das  Plasma  der  Lymphocyten  blau,  das  Kernchromatin  der 
Parasiten,  wie  die  Kerne  der  Lymphocyten  und  anderen 
Leukocyten  tief  violett  gefärbt.  Tritt  diese  leuchtende  violette 
Färbung  der  Lymphocytenkerne  nicht  ein,  so  ist  die  Färbung 
nicht  gelungen. 

\\  ie  das  auch  Anderen  zugestossen  ist,  so  habe  auch  ich 
lange  kein  befriedigendes  Resultat  bekommen  können.  Die 
Vorschrift  ist  nämlich  nicht  genau,  denn  die  Methylenblau¬ 
lösung  muss  gewisse  Eigenschaften  besitzen.  Manche  Methylen- 
blausorten  taugen  überhaupt  nichts.  Erst  als  ich  mein  Me¬ 
thylenbau  aus  der  Fabrik  Poulenc  fr  eres,  122  Boulev. 
Saint-Germain,  Paris,  zu  beziehen  anfing  und  gesättigte 
’8 — 10"/oige)  wässerige,  aber,  was  besonders  wichtig,  einige 
Monate  alte  und  bereits  von  einem  Schimmelüberzuge  be¬ 
deckte  Lösungen  in  Anwendung  brachte,  waren  die  Resultate 
ausgezeichnet.  Auch  mein  Eosin  (ä  l’eau)  stammte  aus  der¬ 
selben  Fabrik.  Zur  Fixirung  gebrauche  ich  übrigens  nur  ab¬ 
soluten  Alkohol  (fünf  bis  zehn  Minuten). 


n)  Mannaberg,  Die  Malariaparasiten.  Wien  1893. 

I!)  Ro  manowsky,  Zur  Frage  der  Parasitologie  und  Therapie  der 
Malaria.  St.  Petersburger  medicinische  Wochenschrift.  1891,  Nr.  34 — 35. 


Sacharoff13)  und  Ziemann14)  haben  Modificationen 
des  Verfahrens  vorgeschlagen.  Vielleicht  wird  sich  Ziemann’s 
Modification  —  Ziemann  nennt  sie  seine  eigene  Methode  — 
praktisch  erweisen. 

In  die  Details  des  Baues  der  Malariaparasiten  will  ich 
mich  nicht  sehr  einlassen  und  muss  den  Leser  auf  die  Dar¬ 
stellung  Ziemann's  verweisen.  Ich  muss  nur  hervorheben, 
dass  die  typische  Form  eines  jungen  Parasiten  aller  Abarten 
eine  Ringelform  ist. 

Der  grösste  Theil  dieses  Ringes  wird  vom  Plasma,  der 
kleinere  vom  Kerne,  der  wiederum  in  Chromatin  und  achro¬ 
matische  Zone  zerfällt,  gebildet.  Der  Kern  umschliesst  einen 
Raum,  welcher  von  Mannaberg  irrthümlicher  Weise  für 
einen  Kern  betrachtet  wurde.  Dieser  Raum  ist  bei  den  Para¬ 
siten  der  gewöhnlichen  Tertiana  und  Quartana,  da  diese 
endoglobulär  sind  (siehe  unten)  durch  Hämoglobinlösung  aus¬ 
gefüllt  und  färbt  sich  rosaroth,  wie  der  übrige  Rest  des  Blut¬ 
körperchens.  In  den  extraglobulären  Parasiten  der  malignen 
Fieber  enthält  er  häufig  nur  Blutplasma  und  ist  farblos.  Der 
Parasit  kann  hier  aber  einen  Buckel  des  Blutkörperchens 
umsehliessen,  dann  ist  auch  hier  dieser  Raum  rosaroth 
gefärbt. 

Bei  den  amöboiden  Bewegungen  kann  sich  der  Ring  auf- 
lösen  und  wieder  schliessen.  Die  Ringelform  dauert  bei  den 
gewöhnlichen  Tertiana-  und  Quartanaparasiten  so  lange,  als 
der  Parasit  wächst.  Man  sieht  sie  niemals  an  den  Parasiten, 
deren  Kern  bereits  Theilungsvorgänge  aufweist.  Vielleicht  ist  es 
nicht  dasselbe  bei  den  Parasiten  der  malignen  Fieber. 

Wenigstens  findet  man  hier  oft,  aber  nicht  immer,  auch 
in  ganz  erwachsenen  Exemplaren  (deren  Kern  noch  ungetheilt, 
bereits  in  Theilung  begriffen,  oder  in  denen  die  Segmentation 
schon  zu  Ende  geführt  ist)  gewöhnlich  neben  dem  centralen 
Pigmentklümpchen  eine,  ausnahmsweise  zwei  dichtanliegende 
Vacuolen,  die  höchst  wahrscheinlich  mit  jenem  durch  den 
ursprünglichen  Ring  umschlossenen  Raume  identisch  sind.  Der 
Raum  enthält,  wie  schon  früher  erwähnt  wurde,  Blutplasma 
und  ist  deshalb  farblos. 

In  der  Monographie  Ziemann’s  findet  man  merkwürdiger 
Weise  über  diese  Vacuolen  keine  Erwähnung.  Auch  in  den 
Abbildungen  wurde  sie  nicht  angedeutet. 

Das  Kernchromatin  färbt  sich  in  den  jungen  Parasiten 
intensiv  und  man  findet  hier  oft  keine  achromatische  Zone. 
Je  mehr  der  Parasit  wächst,  desto  deutlicher  wird  diese 
letztere  und  das  Chromatin  wird  immer  schlechter  färbbar. 
Vielleicht  erhält  der  Kern  eine  undurchlässige  Membran.  Das 
Chromatin  wird  wiederum  gut  färbbar,  als  ihre  Theilungs¬ 
vorgänge  beginnen.  Die  Theilung  führt  zur  Bildung  secundärer 
Kerne,  um  welche  sich  das  Plasma  gruppirt  und  auf  diese 
Weise  die  »nackten  Sporen  (Gymnosporen)«  bildet. 

In  vielen  sowrohl  jungen,  wie  erwachsenen  Parasiten 
kann  man  keinen  Kern  aufweisen.  Es  stimmt  dasselbe  auch 
auf  die  Mehrzahl  der  Halbmonde.  Diese  Exemplare  sind  wirk¬ 
lich  degenerirt.  Man  findet  aber  doch  genug  Halbmonde,  in 
denen  der  Kern  so  gut  gefärbt  ist,  wie  in  den  erwachsenen 
Exemplaren  der  Tertiana-  und  Quartanaparasiten.  Man  kann 
also  der  Meinung  Ziemann’s,  der  auf  Grund  seiner  Färbe¬ 
resultate  das  Zugrundegeben  des  Chromatins  in  allen  Halb¬ 
monden  annimmt,  nicht  beipflichten. 

Sacharoff15)  hat  im  Gegentheil  mit  der  R  o  m  a- 
n  o  xv  s  ky’schen  Methode  nicht  nur  Chromatin  der  Halbmonde, 
sondern  auch  Theilungsvorgänge  des  Chromatins  erwiesen. 
Die  Thatsache  würde  sehr  wichtig  sein,  denn  sie  würde  be¬ 
weisen,  dass  die  Halbmonde  wirklich  zur  Segmentation  ge¬ 
langen  können.  Leider  muss  ich  gestehen,  dass  ich  solche 
Halbmonde  nicht  gesehen  habe. 

13)  Sacharoff,  Ueber  die  selbstständige  Bewegung  der  Chromosomen 
bei  Malariaparasiten.  Centralbatt  für  Bacteriologie.  1895,  Bd.  XVIII,  Nr.  12 
und  13. 

“)  1.  c. 

15)  Sacharoff,  Ueber  den  Einfluss  der  Kälte  aut  die  Lebens 
fähigkeit  der  Malariaparasiten.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1894,  Bd.  XV. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


209 


Beziehung  der  Parasiten  zum  r o t h e n  Blut¬ 
körperchen. 


Wie  in  vielen  anderen  Punkten,  so  gehen  auch  hier  die 
Anschauungen  der  Autoren  weit  auseinander.  Lave  ran  be¬ 
hauptet  bis  jetzt,  dass  die  Parasiten  an  das  rothe  Blut¬ 
körperchen  nur  angeklebt  sind  (die  Halbmonde  bilden  eine 
Ausnahme),  die  sogenannte  italienische  Schule  mit  March  ia- 
fava  und  Celli  an  der  Spitze  will  nur  an  die  en 'loglobuläre 
Entwicklung  der  Parasiten  glauben. 

Aus  einem  einfachen  und  leicht  anzustellendem  Ver¬ 
suche,  den  ich  übrigens  schon  in  meiner  vorläufigen  Mittheilung 
beschrieben  habe,  geht  hervor,  dass  man  sich  das  Blutköipei- 
clien  als  ein  Bläschen  vorstellen  soll,  welches  aus  einer  äusserst 
dünnen,  elastischen  Hülle  und  der  diese  Hülle  lose  ausfüllenden 
Hämoglobinlösung  zusammengesetzt  ist. 

Die  Parasiten  der  gewöhnlichen  Tertiana  und  Quartana 
leben  innerhalb  dieser  Hülle.  Uebt  man  nämlich  aut  so  ein 
inficirtes  Blutkörperchen,  das  womöglich  einen  halberwachsenen 
Parasiten  enthalten  soll,  mittelst  des  Deckgläschens  einen  Druck 
aus,  so  kann  man  leicht  das  Blutkörperchen  zum  Bersten 
bringen.  Man  beobachtet  dann,  wie  der  Parasit  durch  den 
Riss  nach  Aussen  durchgezwängt  wird,  wie  er  oft  eine  Sand¬ 
uhrform  annimmt  mit  der  Verengung,  die  offenbar  dem  lasse 
in  der  Hülle  entspricht,  und  wie  das  Blutkörperchen  fast 
augenblicklich  blass  wird,  da  es  plötzlich  seinen  Hämoglobin¬ 
inhalt  verloren  hat. 

Die  entsprechenden  Versuche  mit  den  Parasiten  der 
malignen  Tertiana  fallen  nicht  ganz  so  eindeutig  aus.  Man 
kann  aber  aus  ihnen  doch  den  Schluss  ziehen,  dass  die  Para¬ 
siten  sich  hier  extraglobulär  befinden.  Manchmal  kann  man 
überhaupt  nicht  dazu  gelangen,  den  Parasiten  aus  derVeitie- 
fung  in  dem  Blutkörperchen  auszupressen.  Bei  den  Versuchen 
berstet  manchmal  das  Blutkörperchen  und  wird  plötzlich  blass, 
ohne  dass  der  Parasit  es  verlässt.  Einmal  ist  es  mir  gelungen, 
einen  Theil  des  Parasiten  auszupressen  und  doch  wurde  das 
Blutkörperchen  nicht  blässer,  wenigstens  nicht  augenblicklich, 
was  als  ein  Beweis,  dass  seine  Hülle  intact  geblieben  ist, 
angesehen  werden  muss. 

Für  die  extraglobuläre  Entwicklung  der  Parasiten  des 
Sommerherbstriebers  kann  man  aber  auch  andere  mehi  stich¬ 
hältige  Gründe  anführen  : 

1.  Die  ganz  jungen  Parasiten  sieht  man  oft  in  gefärbten 
Blutpräparaten  den  Rand  des  Blutkörperchens  überragen. 

2.  Liegen  sie  auf  der  Oberfläche,  so  ist  ott  genug  dei 
durch  den  Ring  des  Parasiten  umfasste  Raum  nicht  gefärbt, 
enthält  also  Blutplasma  und  nicht  Hämoglobiniösung  (siehe 
oben).  Aber  nicht  nur  ganz  junge,  sondern  auch  erwachsene 
Parasiten  enthalten  oft,  wie  schon  angedeutet,  wahrscheinlich 
denselben  ungefärbten  Raum  in  Gestalt  einer  Vacuole. 

3.  Die  Halbmonde  ragen  manchmal  (in  gefärbten  Prä¬ 
paraten)  mit  ihren  Spitzen  über  den  Blutkörperchenrand 
hinaus. 

4.  Manchmal  beobachtet  man  auf  der  einen  Seite  eines 
Halbmondes  die  beiden  Hälften  des  Blutkörperchenrandes, 
was  besonders  augenscheinlich  ist,  wenn  dieser  Rand  sägeartig 
gekerbt  ist.  Die  Halbmonde  sind  nämlich  durch  das  1  >lut- 
körperchen  ganz  umkleidet,  befinden  sich  aber  nicht  im  Innein 
der  Hülle.  Wie  ich  annehme,  entwickelt  sich  der  Parasit 
zwischen  dem  Blutkörperchen  und  der  inneren  h  lache  des 
Blutgefässes,  an  dessen  Wand  er  angeheftet  ist.  Dabei  erhält 
das  Blutkörperchen  eine  Schüsselform.  Durch  Zusammenlegen 
dieses  schüsselförmiger  Blutkörperchen,  so,  dass  die  eine  Rand¬ 
hälfte  über  die  andere  überrage,  entsteht,  wie  man  sich  leicht 
am  Abschnitte  eines  Gummiballons  überzeugen  kann,  ein  spindel¬ 
förmigen  Raum,  welcher  für  die  weitere  Entwicklung  des 
Parasiten  bestimmt  ist.  Spindelförmige  Parasiten  trifft  man  in 
manchen  Fällen  (siehe  mein  Fall  Nr.  10)  gar  nicht  selten^  in 
anderen  aber  nur  ausnahmsweise  an.  Indem  der  Parasit  weitei 
in  die  Länge  wächst,  seine  beiden  Spitzen  aber  am  Aus¬ 
einanderweichen  durch  die  an  einer  Seite  ausgespannten  hand- 
hälften  des  Blutkörperchens  verhindert  sind,  erhält  er  eine 
Krümmung  und  wird  so  zum  Halbmonde.  Die  Bildung  dei 


Halbmondgestalt  soll  man  sich  aber  gewiss  nicht  ganz  mecha¬ 
nisch  vorstellen;  vielmehr  muss  sie  als  Ausdruck  einer  An¬ 
passung  des  Parasiten  an  die  äusseren  Lebensbedingungen 
aufgefasst  werden. 

Durch  die  extraglobuläre  Entwicklung  werden  folgende 
Besonderheiten  erklärlich : 

1.  Die  Parasiten  der  malignen  und  langintervallären 
Fieber  machen  nur  einen  kurzen  Theil  ihres  Lebens  im  ki  eisen¬ 
den  Blute  durch.  Sehr  bald  verschwinden  sie  aus  diesem.  Es 
bleibt  ihnen  nämlich  ein  Theil  ihrer  Oberfläche  frei  und  sie 
können  sich  damit  an  die  innere  Wand  der  Gefässe  dei 
inneren  Organe  anhaften.  Sie  geben  hier  eventuell  zu  Ln- 
culationsstörungen,  und  insofern  es  sich  um  wichtige  Or¬ 
gane,  z.  B.  um  Gehirn  handelt,  zu  entsprechenden  klinischen 
Symptomen  Veranlassung  (Febris  intermittens  maligna,  eoma- 
tosa).  Man  findet  auf  diese  Weise  im  peripheren  Blute  bei 
den  reinen  malignen  Fiebern  fast  ausschliesslich  junge  Paia- 
siten  (Ringelchen).  Weitere  Entwicklungsstadien  dieser  Para¬ 
siten  erscheinen  hier  nur  bei  sehr  starker  Infection,  lln  Ei¬ 
scheinen  in  namhafterer  Zahl  muss  als  übles  Zeichen,  nämlic  1 
als  Zeichen  der  Ueberfüllung  der  Gefässe  innerer  Organe, 
angesehen  werden. 

Bei  den  langintervallären  Fiebern  trifft  man  fast  aus¬ 
schliesslich  die  jungen  Parasiten  (Ringelchen)  und  Halbmonde 
an.  Uebergangsstadien  zwischen  beiden  werden  nur  ausnahms¬ 
weise  gesehen,  weitere  muthmassliehe  Entwicklungsstadien 
der  Halbmonde  ausser  den  nierenförmigen  Körpern  habe  ich 
in  meinen  Fällen  nicht  angetroffen.  Vielleicht  werden  die 
Halbmonde  dadurch  circulationsunfähig,  dass  sie  bei  ihrer 
weiteren  Entwicklung  kugelige  Gestalt  annehmen. 

2.  Die  erwachsenen  Parasiten  können  hier  kleiner  sein 
und  ein  Drittel  bis  die  Hälfte  des  Blutkörperchens  nicht  über¬ 
steigen,  denn  die  durch  Segmentation  gebildeten  jungen  Para¬ 
siten  gelangen  gleich  ins  Blutplasma.  Nicht  so  wm  bm  der 
gewöhnlichen  Tertiana  und  Quartana,  wo  die  Hülle  des  Blut¬ 
körperchens  durch  den  erwachsenen  Parasiten  zersprengt  werden 
muss,  um  die  Sporen  nach  aussen  gelangen  zu  lassen 

Man  könnte  also  die  Malariaparasiten,  wie  ich  es  in 


meiner  vorläufigen  Mittheilung,  so  vie)  ich  weiss,  zuerst  gethan 
habe,  in  zwei  Varietätengruppen  theilen,  in  die^  Parasiten  mit 
endo-  und  extraglobulärer  Entwicklung.  Auch  Ziem  aim  ist 
geneigt,  denselben  Unterschied  zwischen  den  verschiedenen 
Abarten  der  Malariaparasiten  anzuerkennen. 

Unität  oder  Pluralität  der  Malariaparasiten. 

Laver  an  steht  bis  jetzt  an  der  Spitze  der  Umcisten. 
Nach  ihm  sind  die  verschiedenen  Nuancen  im  Aussehen  des 
Parasiten  durch  Polymorphismus  desselben  bedingt.  La  reran 
lässt  nicht  einmal  die  Existenz  specieller  Varietäten  als  Grund¬ 
lage  verschiedener  Malariafieber  zu.  Im  Gegensätze  hiezu  sind 
die  italienischen  Autoren,  von  den  grundlegenden  Aroeiten 
Golgi’s  angefangen,  Pluralisten.  , 

Vormals  auch  Pluralist,  sah  ich  mich  immer  mehr  durch 
klinische  Beobachtungen  gezwungen,  mich  den  Unicismus  zu¬ 
zuwenden.  Die  Existenz  mehrerer  Varietäten  der  Malaria¬ 
parasiten  kann,  wie  ich  das  schon  hervorgehoben  habe,  nicht 
iu  Frage  gestellt  werden.  Diese  Varietäten  sind  aber,  jeder 
Wahrscheinlichkeit  nach,  nicht  stabil  und  können  ineinander 

,  (Schluss  folgt.) 

übergehen. 


Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  v.  Schröttei) 

in  Wien. 

Therapeutische  Studien  über  das  Sanatogen. 

Von  Dr.  Eduard  Rybiczka,  Aspirant  an  obiger  Klinik. 

Im  Herbste  des  vorigen  Jahres  wurde  uns  von  der 
Firma  Bauer  &  Cie.  in  Berlin  ein  jüngst  in  den  Handel  ge¬ 
brachtes  Eiweisspräparat,  das  Sanatogen,  zu  Versuchszwecken 
übergeben.  Ich  habe  mich  umso  lieber  der  Aufgabe  untei 
zogen,  den  Werth  dieses  neuen  Präparates  an  dem  ^lm  wehen 
Materiale  der  III.  medicinischen  Klinik  zu  erpro  ben,  a 


210 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


Zahl  derjenigen  Nährpräparate,  die  eine  wirkliche  Bereicherung 
unseres  Heilschatzes  darstellen,  trotz  der  grossen  Menge  der 
fort  und  fort  in  den  Handel  gebrachten  derartigen  Mittel  eine 
recht  geringe  ist.  Bei  manchen  derjenigen  Präparate,  die  ihrer 
chemischen  Zusammensetzung  nach  —  weil  sie  hoch  zu¬ 
sammengesetzte  Eiweisskörper  in  grosser  Concentration  ent¬ 
halten  —  Erfolge  erwarten  -Hessen,  scheiterte  die  praktische 
Anwendung  daran,  dass  die  Kranken  entweder  von  vorneherein 
einen  gewissen  Widerwillen  dagegen  äusserten,  oder  dass  sich 
ein  solcher  nach  relativ  kurzer  Zeit  einstellte.  Es  war  daher 
bei  der  Beurtkeilung  des  neuen  Präparates  auf  die  letzteren 
beiden  Umstände,  die  mögliche  Dauer  der  Darreichung  und 
die  Beeinflussung  des  Appetites  in  erster  Linie  Gewicht  zu 
legen;  denn  diejenigen  Krankheiten,  bei  denen  wir  das  Be- 
dürfniss  empfinden,  die  gewöhnliche  Nahrung  durch  eine 
künstliche  zu  ersetzen,  welche  leichte  Assimilirbarkeit  mit 
grossem  Nährwerth  in  geringer  Quantität  verbindet,  haben  ja 
fast  alle  das  Gemeinsame,  dass  sie  mit  chronischen  Schwäche¬ 
zuständen  oder  chronischen  Verdauungsstörungen  einhergehen. 

Die  günstigen  Berichte  zahlreicher  Aerzte  über  das 
Sanatogen  Hessen  erwarten,  dass  die  mit  demselben  angestellten 
Versuche  ein  zufriedenstellendes  Resultat  ergeben  würden, 
während  die  geringe  Zahl  der  bisher  aus  Kliniken  vorliegenden 
Beobachtungen  eine  Nachprüfung  von  dieser  Seite  wünschens- 
werth  erscheinen  Hessen. 

Da  Stoffwechseluntersuchungen  bereits  von  Vis  und 
T  reupel  ausgeführt  wurden  mit  dem  Resultate,  dass  die  im 
Kothe  ausgeführte  Stickstoffmenge  bei  Sanatogendarreichung 
und  bei  Fleischnahrung  nahezu  dieselben  bleiben,  glaubte  ich 
von  der  Wiederholung-  dieser  Versuche  Abstand  nehmen  und 
mich  auf  rein  klinische  Beobachtungen  beschränken  zu  dürfen. 
Haben  wir  ja  doch  in  dem  subjectiven  Befinden  der  Patienten, 
der  Beeinflussung  ihres  Appetites^  der  Reaction  ihres  Magen- 
und  Darmtractes,  dem  Körpergewichte  und  dem  Hämoglobin¬ 
gehalt  des  Blutes  ziemlich  zuverlässige  Werthmesser,  um  die 
Brauchbarkeit  und  den  Erfolg  eines  Nährpräparates  beurtheilen 
zu  können. 

Es  wird  wohl  keiner  weiteren  Begründung  bedürfen,  dass 
ich  aus  den  meinen  Mittheilungen  zu  Grunde  Hegenden 
Krankengeschichten  nur  das  Allernothwendigste  hervorhebe. 

Das  Sanatogen  stellt  ein  grauweisses,  trockenes  Pulver 
von  unmerklichem  Gerüche  dar.  Auf  seinen  Geschmack  komme 
ich  später  noch  zu  sprechen. 

Das  Pulver  quillt  in  kaltem  Wasser  leicht  auf  und  löst 
sich  beim  Erwärmen  desselben  zu  einer  milchigen  Flüssigkeit. 

Seiner  chemischen  Zusammensetzung  nach  stellt  das 
Sanatogen  eine  Verbindung  von  95%  Casein  mit  5°/0  glycerin¬ 
phosphorsaurem  Natron  dar.  Dieses  Mittel  enthält  also  einen 
leicht  verdaulichen  Eiweiskörper  in  Verbindung  mit  einem 
zur  Gruppe  der  nervinen  Tonica  gehörenden  Salze,  so  dass 
es  einerseits  als  ernährendes,  anderererseits  als  anregendes 
Agens  wirken  sollte. 

Bezüglich  der  Verwerthung  des  Sanatogens  im  Organismus 
verweise  ich  auf  den  erwähnten  Bericht  von  V  i  s  und 
Treupel  in  Freiburg:  i.  B,  welche  auf  Grund  ihrer  Stoff¬ 
wechsel  versuche  das  Sanatogen  als  dem  Fleische  in  dieser 
Hinsicht  vollkommen  ebenbürtig  hinstellen.  Demnach  wäre  es 
möglich,  dieses  Mittel  als  Ersatz  für  Fleisch  in  solchen  Fällen 
anzuwenden,  wo  Fleischnahrung  nicht  verabreicht  werden  kann 
oder  wo  Widerwillen  gegen  dieselbe  vorhanden  ist,  und 
namentlich  dann,  wenn  nebstbei  auch  ausgesprochener  Ekel 
gegenüber  ausschliesslicher  Milchdiät  besteht. 

Da  das  glycerinphosphorsaure  Natron  nach  den  Er- 
fah  rungen  vieler,  namentlich  französischer  Aerzte  —  ich 
nenne  hier  Robin,  Del  age  und  Starr  —  speciell  zur 
Erhöhung  des  Appetites  beiträgt,  so  legten  wir  bei  der  Er¬ 
probung  dieses  Mittels  auch  Gewicht  auf  diesen  Umstand  und 
fanden  uns,  wie  ich  gleich  jetzt  sagen  will,  diesbezüglich  sehr 
befriedigt. 

Wir  brachten  das  Sanatogen  in  Anwendung  bei  Blutkrank¬ 
heiten,  bei  nervösen  Depressionszuständen,  bei  Erkrankungen  des 
Magen-  und  Darmtractes  und  verschiedenen  Inanilionszuständen. 


Ausserdem  Hess  ich  auch  in  einem  Falle  von  Chorea,  ab¬ 
gesehen  von  der  Verordnung  von  kalten  Bädern  und  der  Ver¬ 
abreichung  von  Bromnatrium,  täglich  drei  Kaffeelöffel  Sanatogen  in 
Milch  nehmen  und  erzielte  damit  innerhalb  zwölf  Tagen  den  Erfolg, 
dass  die  zwölfjährige  Patientin  während  dieser  Zeit  um  1%  kg  an 
Körpergewicht  zunahm. 

Die  choreatischen  Zuckungen  hörten  nach  derselben  Zeit, 
wohl  in  Folge  der  Bäderhehandlung,  nahezu  gänzlich  auf. 

Wie  mir  die  Mutter  des  Mädchens  späterhin  berichtete, 
wurde  der  früher  immer  schlechte  Appetit  des  Kindes  unter  der 
Verabreichung  von  Sanatogen  ein  dauernd  guter,  und  es  verschwanden 
auch  nach  Verlauf  von  circa  drei  Wochen  alle  nervösen  Be¬ 
schwerden. 

Die  Menge  des  unseren  Kranken  verabreichten  Sanatogens 
schwankte  zwischen  drei  bis  fünf  Kaffeelöffeln  täglich.  Dasselbe 
wurde  meislentheils  in  der  Milch  oder  Suppe,  in  einem  Falle  auch 
in  Thee  und  Wein  gegeben.  Dabei  will  ich  gleich  darauf  auf¬ 
merksam  machen,  dass  es  absolut  nothwendig  ist,  bei  der  Ver¬ 
mengung  der  genannten  Flüssigkeiten  mit  Sanatogen  streng  nach 
der  gegebenen  Vorschrift  zu  verfahren,  d.  h.  das  Pulver  zuerst 
sorgfältigst  in  der  kalten  Flüssigkeit  zu  verrühren  und  dann  durch 
Erwärmen  zur  Lösung  zu  bringen.  Geschieht  dies  nicht,  so  bilden 
sich  kleisterähnliche  Bröckelchen,  die  unangenehm  schmecken  und 
den  Kranken  Ekel  erregen. 

Auf  diesen  Umstand  wird  wohl  in  solchen  Fällen  gut  zu 
achten  sein,  wo  die  Kranken  darüber  klagen,  dass  dieses  Präparat 
in  der  ihnen  verabreichten  Form  schlecht  schmecke. 

Alle  Kranken,  die  dieses  Nährpräparat  verabfolgt  erhielten, 
nahmen  dasselbe  gerne  zu  sich.  Weiber  nahmen  es  lieber  als 
Männer.  Die  letzteren  verspürten,  namentlich  hei  der  Darreichung 
des  Sanatogens  in  der  Suppe,  im  Anfänge  einen  unangenehmen 
Beigeschmack  und  gewöhnten  sich  erst  nach  und  nach  daran.  In 
Milch  wurde  dasselbe  jedoch,  selbst  in  relativ  grosser  Menge  bei¬ 
gegeben,  kaum  durch  eine  Veränderung  des  Geschmackes  erkannt. 

Abgesehen  von  einem  ganz  verzweifelten  Falle  von  schwerer 
Leukämie  unterstützte  das  Sanatogen  unsere  Therapie  auf  das  Wirk¬ 
samste  und  trug  wesentlich  zur  Besserung  des  Krankheitszustandes 
bei.  Rasche  Zunahme  des  Gewichtes  wurde  nur  nach  Verabreichung 
grösserer  Mengen  von  Sanatogen  (vier  bis  fünf  Kaffeelöffel  täglich) 
bemerkt;  kleinere  Dosen  (zwei  bis  drei  Kaffelöffel  täglich)  führten 
wohl  immer  zu  einer  Besserung  des  Appetites  und  Allgemein¬ 
befindens,  hatten  aber  nur  nach  verhältnissmässig  langer  Darreichung 
eine  Gewichtszunahme  im  Gefolge. 

Bei  einer  Anzahl  Patienten  wurde  der  Hämoglobingehalt  des 
Blutes  vor  und  nach  der  Behandlung  mit  Sanatogen  geprüft  und 
in  einigen  Fällen  eine  wenn  auch  geringe,  doch  deutliche  Ver¬ 
mehrung  desselben  constatirt. 

Eine  17jährige  Modistin,  die  an  ausgesprochener  Chlorose 
litt,  nahm  innerhalb  14  Tagen,  während  welcher  sie  täglich  vier 
Kaffeelöffel  Sanatogen  in  Milch  verabreicht  erhielt,  um  2l/2&y  zu. 
Der  vorher  schlechte  Appetit  besserte  sich  und  blieb  sehr  rege, 
und  der  Hämoglobingohalt  des  Blutes  stieg  von  30%  auf  45%. 
Vor  der  Verabreichung  von  Sanatogen  waren  Blau  d’sche  Pillen 
und  Tinctura  arsenicalis  Fowl  er  i  ohne  merklichen  Erfolg  ange¬ 
wendet  worden. 

Bei  einer  19jährigen  Näherin,  die  gleichfalls  an  hochgradiger 
Chlorose  litt  —  es  bestanden  auffallende  Blässe  der  Haut,  Nonnen¬ 
sausen,  anämische  Herzgeräusche,  Herzklopfen,  Magenbeschwerden, 
Mattigkeit  und  Schwindelgefühl,  verbunden  mit  dem  Gefühle  all¬ 
gemeiner  Hinfälligkeit  —  erzielten  wir  einen  ähnlichen  Erfolg. 

Vorher  waren  gleichfalls  ohne  ersichtliche  Wirkung  ver¬ 
schiedene  Eisenpräparate  und  Arsen  angewendet  worden. 

Die  innerhalb  von  14  Tagen  erfolgte  Gewichtszunahme  be¬ 
trug  zwar  nur  1  kg,  aber  der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  stieg 
von  15%  auf  25%.  Die  Mattigkeit  und  das  bestehende  Schwindel¬ 
gefühl  verliessen  die  Kranke,  Appetit  und  Wohlbefinden  nahmen 
wesentlich  zu  und  das  früher  während  des  Schlafes  bestandene 
Erschrecken  und  Auffahren  hörte  auf. 

Nun  hörten  wir  mit  der  Darreichung  von  Sanatogen  auf  und 
gaben  wieder  Eisenpräparate.  Der  Appetit  blieb  auch  in  den  fol¬ 
genden  Tagen  ein  guter  und  die  Kranke  verliess  eine  Woche 
später  geistig  und  körperlich  weit  frischer  das  Spital.  Während 
dieser  letzten  Zeit  schienen  auch  die  Eisenpräparate  besser  assimilirt 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


211 


worden  zu  sein,  denn  die  vorgenommene  Untersuchung  hatte  eine 
weitere  Zunahme  des  Hämoglobingehaltes  auf  30%  ergeben,  und 
es  ist  die  Annahme  nicht  ganz  ungerechtfertigt,  dass  durch  Hebung 
des  allgemeinen  Ernährungszustandes  auch  der  Verdauungstract 
für  die"  Aufnahme  des  Eisens  fähiger  gemacht  worden  sei,  da  ja 
vor  der  Verabreichung  desselben  kein  Erfolg  mit  den  Eisen¬ 
präparaten  erzielt  worden  war. 

Weniger  in  die  Augen  fallenden  Erfolg  hatte  die  Darreichung 
von  Sanatogen  bei  zwei  an  Carcinoma  v  e  n  t  r  i  c  u  1  i  leidenden 
Patientinnen,  ln  beiden  Fällen  war  hochgradige  Kachexie  vorhanden, 
es  bestand  starker  Brechreiz  und  vollständige  Appetitlosigkeit.  So¬ 
wohl  bei  der  einen  wie  bei  der  anderen  Patientin  war  in  der 
Magengegend  ein  Tumor  durch  die  Bauchdecken  hindurch  zu  fühlen 
und  als  dem  Pylorustheile  des  Magens  angehörig  nachzuweisen. 

Die  erste  Kranke,  eiue  46jährige  Fabriksarbeiterin,  vertrug 
absolut  keine  feste  Nahrung  mehr  und  nährte  sich  nur  von  etwas 
Milch  und  Suppe,  die  sie  in  geringen  Quantitäten  zu  sich  nahm. 
Das  Körpergewicht  war  von  2.  October  bis  2.  December  1899  von 
36 '/•>  hg  auf  34 gesunken.  Nebstbei  litt  die  Patientin  auch  an 
Schlaflosigkeit.  Man  versuchte  es  nun  mit  Sanatogen  (vier  Kaffee¬ 
löffel  täglich).  Der  Appetit  stieg  wieder,  es  wurde  sogar  nach  fester 
Nahrung  verlangt,  und  in  Folge  der  gebesserten  Ernährungsver¬ 
hältnisse  wurde  wenigstens  der  Gewichtsabnahme  ein  Einhalt  gethan, 
und  das  Gewicht  der  Kranken  betrug  nach  fast  vierwöchentlicher 
Anwendung  von  Sanatogen  immer  noch  34 V2  %,  war  a^s0  von 
dieser  Zeit  an  constant  geblieben.  Auch  der  Schlaf  hatte  sich  wieder 
eingestellt. 

Die  andere  Patientin,  eine  53jährige  Köchin,  vertrug  nicht 
einmal  mehr  Milch  aus  Ekelgefühl  gegen  dieselbe.  Etwas  Käse, 
sowie  ein  wenig  Thee  und  Wein,  denen  man  täglich  fünf  Kaffee¬ 
löffel  Sanatogen  beimengte,  bildeten  die  einzige  Nahrung,  welche 
die  Kranke  nicht  anwiderte,  die  unter  solchen  Umständen  natürlich 
nicht  an  Gewicht  zunehmen  konnte.  Doch  erreichten  wir  zum 
Mindesten  das,  dass  wir  sie  im  Körpergleichgewichte  erhielten,  was 
immerhin  bemerkenswerth  ist,  wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass 
das  Körpergewicht  der  Leidenden  vor  der  Sanatogendarreichung 
innerhalb  zehn  Tagen  von  411/2^5r  au*  40 hg  gesunken  war, 
während  unter  derselben  das  Gewicht  volle  14  1  age  hindurch 
so  lange  dauerte  in  diesem  Falle  die  Beobachtung  —  im  Gleichen 
(407«/)  geblieben  war. 

Eine  recht  günstige  Wirkung  entfaltete  das  Sanatogen  in 
einem  Falle  von  Ulcus  ventriculi,  eine  36jährige  Kleider¬ 
macherin  betreffend,  die  an  starken  Gastralgien,  Druckschmerz  in  der 
Magengegend,  Bluterbrechen,  Blutabgang  mit  dem  Stuhle,  Anämie 
und  Appetitlosigkeit  litt.  Die  ersten  acht  Tage  versuchten  wir  es 
bei  ihr  mit  reiner  Milchdiät,  ohne  aber  besonderen  Erfolg  damit 
zu  erzielen.  Die  geringe  von  der  Kranken  gut  vertragene  Milch¬ 
quantität  reichte  nicht  aus,  eine  Gewichtserhöhung  bei  derselben 
zu  erzielen  (das  Gewicht  betrug  nach  Ablauf  einer  Woche  nach 
wie  vor  38  leg),  und  die  Druckempfindlichkeit  in  der  Magen¬ 
gegend,  sowie  der  Brechreiz  dauerten  an.  Die  Patientin  erhielt  nun 
täglich  fünf  Kaffeelöffel  Sanatogen,  der  Milch  zugesetzt.  Innerhalb 
der  folgenden  acht  Tage  verschwanden  die  erwähnten  Beschwerden 
der  Kranken  fast  gänzlich,  es  bestand  nun  lebhaftes  Nahrungs- 
bedürfniss,  und  die  früher  bestandene  Apathie  machte  einer  leb¬ 
hafteren  Gemüthsstimmung  Platz.  Das  Gewicht  der  Leidenden  war 
nach  Verlauf  dieser  Zeit  von  38  kg  auf  39  hg  gestiegen. 

Wie  weit  das  Sanatogen  in  diesem  Falle  auf  den  rascheren 
Verlauf  des  Heilungsprocesses,  der  mit  der  Verabreichung  dieses 
Mittels  einzutreten  schien,  Einfluss  nahm,  entzieht  sich  der  Be- 
urtheilung.  Jedenfalls  scheint  es  auch  bei  Magengeschwüren  gut 
vertragen  zu  werden  und  gestaltet  uns,  einerseits  die  Milchmenge, 
welche  bei  reiner  Milchdiät  nöthig  wäre,  um  den  Patienten  im 
Körpergleichgewichte  zu  erhalten,  bedeutend  zu  vermindern  und 
ermöglicht  es  dadurch  andererseits,  die  Patienten  durch  viel  längere 
Zeit  ohne  Widerwillen  gegen  die  Milch  bei  Milchdiät  zu  halten,  da 
wir  das  Präparat  ausser  in  Milch  auch  in  schwachem  Ihee  oder 
in  Suppe  reichen  können. 

Einer  an  weit  vorgeschrittener  Phthise  (Infiltration  beider 
Lungenspitzen,  Caverne  linkerseits)  erkrankten  32jährigen  l(  rau, 
bei  der  nebstbei  hochgradige  Gastroenteroptose  vorhanden 
war,  brachten  wir  das  Sanatogen  per  Klysma  bei,  da  per  os  in 
Folge  bald  darauf  eintretenden  Erbrechens  jegliche  Speisenautnahme 


unmöglich  gemacht  worden  war.  Wir  setzten  dem  Nährklysma 
jedes  Mal  circa  50  g  Sanatogen  zu. 

Nach  acht  Tagen  verlangte  die  Kranke  selbst  wieder,  in  der 
üblichen  Weise  Nahrung  aufzunehmen,  was  wohl  nicht  so  sehr 
dem  eingeführten  Nährpräparate  als  der  vollständigen  Ruhig¬ 
stellung  des  Magens  zuzuschreiben  sein  dürfte. 

Der  Versuch,  Milch  mit  Sanatogen  zu  gemessen,  gelang  zur 
Zufriedenheit,  und  nach  14  Tagen  war  die  Patientin,  die  jetzt 
regen  Appetit  zu  zeigen  begann,  bereits  so  weit,  dass  sie  jegliche 
Nahrung  zu  sich  nehmen  konnte.  Trotz  Fortschreitens  des  tuber- 
culösen  Processes  und  des  andauernden  Fiebers  (Tagestemperatur 
durchschnittlich  über  38°  C.)  blieb  der  Appetit  ein  dauernd  guter, 
und  die  Kranke  zeigte  keinerlei  Gewichtsabnahme,  während  sie  vor 
der  Verabreichung  jenes  Mittels  innerhalb  drei  Wochen  um 
mehr  als  2  kg  abgenommen  hatte  (41  leg  80  dg  :  39  hg  50  dg). 

Der  Hämoglobingehalt  ihres  Blutes  war  während  der  ganzen 
Dauer  der  Sanatogendarreichung  (täglich  drei  Kaffeelöffel  circa  acht 
Wochen)  von  60%  auf  52%  gesunken,  zeigte  also  trotz  Zunahme 
des  Zerstörungsprocesses  in  den  Lungen  keine  wesentliche  Ab¬ 
nahme. 

Einem  21  jährigen  Dienstmädchen,  das  an  beiderseitiger 
Lungenspitzen  infiltration,  Bluthusten  und  T  ubercu- 
lose  der  Nieren  litt  (U5%  Eiweiss  im  Harne),  liessen  wir 
Sanatogen  in  der  täglichen  Menge  von  drei  Kaffelöffeln  verabreichen. 

Das  Gewicht  zeigte  allerdings  innerhalb  der  14  Tage, 
während  welcher  die  Kranke  dieses  Mittel  erhielt,  keinerlei  Zu¬ 
nahme.  Aber  der  schlechte  Appetit  derselben  besserte  sich  zu¬ 
sehends. 

Ob  das  Sanatogen  hei  Nephritiden  als  Ersatz  von  Fleischkost 
gegeben  werden  darf,  und  welchen  Einfluss  das  Präparat  auf  die 
Eiweissausscheidung  übt,  ist  aus  obigem  Falle  wohl  nicht  zu  er- 
schliessen,  da  es  sich  einerseits  um  eine  Tuberculose  der  Nieren 
handelte,  andererseits  auch  auf  Fleischkost  keine  Zunahme  der 
Eiweissausscheidung  eintrat.  Fälle  von  acuter  oder  chronischer 
parenchymatöser  Nephritis  standen  mir  leider  nicht  zur  Verfügung. 
Bei  einem  Patienten  mit  arterio-sklerotischerSchrumpf- 
n  i  e  r  e  sank  unter  einer  aus  Milch,  Milchspeisen  und  Sanatogen 
bestehenden  Nahrung  der  Eiweissgehalt  des  Harnes  von  2y2  auf 


17 


00’ 


um 


dann  stationär  zu  bleiben. 


Rasche  Gewichtszunahme  und  Vermehrung  des  Hämoglobin¬ 
gehaltes  des  Blutes  konnten  wir  bei  einem  17jährigen  Kinder¬ 
mädchen  beobachten,  das  an  Bauchfelltuberculose  litt.  Es 
war  Infiltration  der  Lungenspitzen  vorhanden;  die  Kranke  hatte 
heftige  Bauchschmerzen  und  Diarrhöen;  durch  die  Bauchdecke 
hindurch  konnte  man  dicke  Stränge  tasten.  Wir  reichten  ihr 
Sanatogen  in  der  täglichen  Quantität  von  vier  Kaffelöffeln.  Es 
wurde  ohne  Beschwerde  vertragen  und  gerne  genommen.  Appetit 
und  körperliches  Wohlbefinden  nahmen  wesentlich  zu  und  nach 
Verlauf  von  14  Tagen  war  das  Körpergewicht  des  Mädchens  von 
33  hg  20  dg  auf  35  hg  angewachsen,  der  Hämoglobingehalt  des 
Blutes  von  45%  aut  65%  gestiegen. 

Ein  Typhusreconvalescent,  ein  26jähriger  Metall¬ 
dreher,  hatte  durch  vier  Wochen  Sanatogen  im  Ausmasse  von 
vier  Kaffeelöffeln  erhalten  und  nach  Verlauf  dieser  Zeit  um  8  hg 
zugenommen. 

Nun  muss  man  bei  Beurtheilung  dieser  Thatsache  den  Um¬ 
stand  wohl  ins  Auge  fassen,  dass  mit  dem  Eintritt?  der  Re- 
convalescenz  bei  Typhus  eine  Steigerung  des  Appetites  und  rasche 
Gewichtszunahme  wohl  auch  ohne  die  Anwendung  eines  Nähr¬ 
präparates  zu  erwarten  waren. 

Ich  will  daher  auch  letzterem  diesbezüglich  keine  allzu 
grosse  Rolle  zuschreiben.  Von  Werth  ist  aber  immerhin  der 
Umstand,  dass  das  Sanatogen  von  dem  Darmtraete  des  Kranken 
gut  vertragen  und  von  diesem  gerne  genommen  wurde.  Namentlich 
im  Beginne  der  Reeonvalescenz  bei  Typhus,  wo  wir  in  der  Qualität 
und  Quantität  der  verabreichten  Nahrung  noch  grosse  Yorsichl 
üben  müssen,  bildet  ein  leicht  assimilirbares  und  reizloses  Eiweiss- 
präparat  einen  willkommenen  Behelf. 

Eine  45jährige  Frau  mit  narbiger  Stenose  des  Oeso¬ 
phagus  war  in  Folge  der  lange  Zeit  sehr  erschwerten  Nahrungsauf¬ 
nahme  und  durch  den  Pneumothorax  in  ihrem  Ernährungszuslande  sein 
herabgekommen.  Die  Stenose  war  eiue  so  hochgradige,  dass  di« 


Leidende  anfänglich  nur 


Nahrung  zu  sich  nehmen  konnte. 


212 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ni.  9 


Sie  bekam  ursprünglich  drei  Kaffeelöffel  Sanatogen  per  Tag,  wobei 
sieb  nach  Verlauf  von  vier  Wochen  nur  eine  Gewichtszunahme 
von  \\.,kg  herausstellte,  was  wohl  mit  Rücksicht  auf  das  damals 
bestehende  hohe  Fieber  (durchschnittlich  38'3°  C.)  ein  günstiges 
Resultat  zu  nennen  ist.  Man  gab  ihr  dann  weitere  vier  Wochen 
täglich  fünf  Kaffeelöffel  von  diesem  Präparate.  Nach  dieser  Zeit 
war  ihr  Pneumothorax  fast  vollständig  geheilt  und  die  narbige 
Stenose  der  Speiseröhre  durch  Dilatation  gebessert  worden.  Ihr 
Körpergewicht  hatte  um  weitere  5  kq  zugenommen.  Der  Appetit 
war  bald  nach  Verabreichung  des  Sanatogens  ein  sehr  guter  ge¬ 
worden,  und  das  subjective  Wohlbefinden  der  Patientin  war  ein 
recht  zufriedenstellendes. 

In  dem  oben  erwähnten  Falle  von  schwerer  Leukämie 
versagte  allerdings  das  Präparat,  dagegen  sah  ich  in  einer  Anzahl 
selbst  weit  vorgeschrittener  Phthisen  durchwegs  den  einen 
günstigen  Erfolg  eintreten,  dass  dieses  Mittel  den  verloren  ge¬ 
gangenen  Appetit  wieder  belebte. 

Zum  Schlüsse  will  ich  noch  von  einem  19jährigen,  ambula¬ 
torisch  behandelten  Studenten  berichten,  der  an  Neurasthenie 
litt,  und  dem  ich  zur  Hebung  seines  geschwächten  Verdauungs¬ 
systems  den  Gebrauch  von  Sanatogen  verordnete.  Derselbe  litt  an 
nervösem  Erbrechen,  an  fortdauernder  Schlaflosigkeit  und  hoch¬ 
gradiger  gemüthlicher  Depression. 

Abgesehen  von  kalten  Waschungen  und  den  entsprechenden 
hygienisch-diätetischen  Verhallungsmassregeln  rieth  ich  ihm  an, 
täglich  vier  bis  fünf  Kaffeelöffel  von  Sanatogen  in  leichtem  Thee 
diesen  vertrug  er  am  besten  —  zu  nehmen  und  dann  den 
Versuch  mit  allerlei  Milchspeisen,  denen  dieses  Mittel  in  entspre¬ 
chender  Menge  zugesetzt  werden  sollte,  zu  machen.  Nach  14  Tagen 
erschien  der  junge  Mann  wieder,  um  mir  zu  berichten,  dass  er 
seit  einigen  Tagen  sich  wieder  eines  ununterbrochenen  Schlafes 
und  eines  ausgezeichneten  Appetites  erfreue,  und  dass  ihn  das 
lästige  Aufstössen  nach  dem  Essen  nicht  mehr  plage.  Jedenfalls 
haben  hier  mehrere  Umstände  zugleich  den  geschilderten 
Effect  erzielt  und  hat  wohl  die  leichte  Assimilirbarkeit  des  Sana- 
logens,  sein  hoher  Nährwerth,  und  der  Umstand,  dass  es  in  keiner 
Weise  reizend  wirkt,  dazu  beigetragen,  das  geschwächte  Verdauungs¬ 
system  des  Patienten  und  in  weiterer  Folge  sein  Nervensystem 
wieder  in  Ordnung  zu  bringen. 

Sicherlich  zeigt  sich  uns  im  Sanatogen  ein  Mittel,  das  in 
solchen  Fällen,  wo  die  Hebung  der  Verdauungskraft  auch  eine  be¬ 
stimmte  Rückwirkung  auf  das  irritirte  Nervensystem  zu  äussern 
vermag,  von  unzweifelhaftem  Werthe  ist. 

Unseren  nervösen,  magenleidenden  Erwachsenen,  unseren 
schwächlichen,  blutleeren  und  appetitlosen  Kindern  kann  eine 
Zu  that  von  einigen  Kaffeelöffeln  Sanatogen  zur  täglichen  Speise 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  nur  nützen. 

Die  Sanatogen-Cakes,  welche  nur  20%  des  Präparates  ent¬ 
halten,  habe  ich  nie  allein,  immer  nur  als  unterstützende  Beigabe 
zu  dem  Pulver  verordnet. 

Wenn  ich  nach  den  gemachten  Erfahrungen  urtheilen 
soll,  so  kann  ich  mich  gleich  zahlreichen  Fachgenossen  nur 
anerkennend  über  die  Wirkungsweise  des  Sanatogens  äussern. 

Als  Vorzüge  seien  noch  einmal  zusammenfassend  hervor¬ 
gehoben  der  hohe  Nährwerth  des  Präparates,  die  leichte  Ver¬ 
daulichkeit  und  Reizlosigkeit,  der  in  keiner  Weise  prononcirte 
Geschmack,  der  auch  bei  einer  längeren  Darreichung  nach 
meinen  Beobachtungen  nie  widerlich  empfunden  wird ;  die 
günstige  Beeinflussung  des  Appetites  bei  den  verschiedensten 
Krankheitszuständen,  der  nervösen  Beschwerden,  namentlich 
auch  der  Schlaflosigkeit  bei  Neurasthenikern,  des  Körper¬ 
gewichtes  und  in  einigen  Fällen  auch  des  Hämoglobingehaltes 
des  Blutes,  und  die  aus  alledem  resultirende  Steigerung  des 
subjectiven  Wohlbefindens  der  Kranken. 

Zum  Schlüsse  erfülle  ich  eine  angenehme  Pflicht,  indem 
ich  meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Hofrath  v.  Sehr  öfter, 
für  die  Ueberlassung  des  Krankenmateriales  meinen  tief¬ 
gefühlten  Dank  ausspreche. 


FEUILLETON. 

Professor  Jaus  (1696 — 176!). 

Ein  neuer  urkundlicher  Beitrag  zur  Geschichte  der 

Medicin  in  Wien. 

Von  Robert  R.  v.  Töply,  Privatdocent. 

Franz  Josef  Jaus  zählte  zu  den  hervorragenderen  Pro¬ 
fessoren  der  Wiener  medicinischen  Facultät  während  der  ersten  Hälfte 
der  theresianischen  Zeit.  Gelegentlich  der  seit  Jahren  betriebenen  Suche 
behufs  Vervollständigung  meiner  Sammlung  von  Belegen  für  die  Ent¬ 
wicklung  der  Medicin  ’)  bin  ich  unter  Anderem  in  den  Besitz  von 
Schriftstücken  gelangt,  wTelche  geeignet  sind,  ein  neues  Licht  über 
die  näheren  Lebensumstände  dieses  Mannes  zu  verbreiten.  Es  sind  dies 
1.  ein  Diplom  aus  dem  Jahre  1723,  2.  eine  Niederschrift  seiner  ana¬ 
tomischen  Vorlesungen  aus  dem  Jahre  1751,  3.  ein  Diplom  aus  dem 
Jahre  1755.  Dazu  gesellt  sich  4.  eine  Eintragung  ins  Stammbuch  dor 
Witwensocietät  der  Wiener  medicinischen  Facultät,  dessen  ersten  Band 
ich  erst  unlängst  veröffentlich  habe.2)  Die  in  diesen  Quellen  enthaltenen 
Auskünfte  sind  umso  willkommener,  als  weder  das  biographische 
Lexikon  von  Gurlt-Hirsch,  noch  das  von  W  urzbach  über 
Jaus  berichtet.  Auch  bei  H  y  r  1 1 3),  Puschmann4),  Kirche  n- 
b  erg  er5)  finden  sich  nur  einige  spärliche  Nachrichten  über  ihn. 

Nach  Hyrtl  war  der  kaiserliche  Leibchirurg  Jos.  Jaus  der 
Erste,  welcher  in  Wien  das  neu  errichtete  Amt  eines  Prosectors  unent¬ 
geltlich  verwaltete  (1730).  Doch  bald  fand  er  es  für  räthlich,  sich  um 
einen  Substituten  (den  Chirurgen  M  i  t  s  c  h  k  o)  umzusehen.  Ueber  seine 
kurze  Thätigkeit  als  Professor  der  Anatomie  während  der  Jahre  1754 
bis  1757  berichtet  derselbe  Gewährsmann,  dass  Jaus  die  Anatomie 
nur  im  Wintersemester  vorzutragen  hatte.  Während  des  Sommer¬ 
semesters  unterrichtete  er  in  der  theoretischen  und  praktischen  Chirurgie 
sammt  Instrumenten-  und  Bandagenlehre.  „Jaus  war  seines  Zeichens 
mehr  praktischer  Chirurg  als  Anatom.  Weder  von  ihm,  noch  von 
seinem  Vorfahrer  (Schellenberger)  weiss  die  Geschichte  der 
anatomischen  Entdeckungen  irgend  etwas  zu  sagen.  Er  iiberliess  des¬ 
halb  die  Sorge  um  die  anatomische  Lehrkanzel  einem  jungen  Docenten 
(Laur.  Gasser).“ 

Nach  Puschmann  war  der  kaiserliche  Leibwundarzt  Jaus, 
welcher  in  Paris  unter  Winslow0)  studirt  hatte  und  in  Wien 
mehrere  Jahre  als  Prosector  thätig  gewesen  war,  seit  dem  Jahre  1749 
(oder  1750)  bis  17G1  Professor  der  Chirurgie.  Er  hielt  als  solcher  die 
chirurgischen  Vorträge  und  Demonstrationen  für  angehende  Chirurgen 
und  versah  auch  in  den  Jahren  1754  — 1775  gleichzeitig  die  Professur 
der  Anatomie. 

Jaus  hat  auch  in  der  Entwicklung  des  österreichischen  Militär- 
Sanitätswesens  eine  Rolle  gespielt.  Laut  Kirchenberger  erhielt 
im  Jahre  1750  der  Hofkriegsi’ath  die  Weisung,  nur  solche  Medici 
und  Chirurgen  bei  der  Armee  anzustellen,  wTolche  an  der  Wiener 
medicinischen  Facultät  geprüft  und  für  geeignet  befunden  wurden.  Zwei 
Nachtragsverordnungen  vom  Jahre  1751  bestimmten,  dass  die  Regi¬ 
menter  keine  anderen  Unterfeldscherer  annehmen  dürfen,  als  solche, 
welche  in  der  Schule  des  Leibchirurgen  Jaus  ihre  Profession  erlernt 
hätten  und  vom  Stabs-Oberchirurgen  Kaiser  approbirt  wären.  Gegen 
diese  Lehrlinge  des  Jaus  erhoben  jedoch  die  Officierskreise  bald 
heftige  Klagen,  gegen  welche  wieder  van  S  wieten  in  einer  aus¬ 
führlichen  Note  vom  27.  Februar  1759  als  Vertlieidiger  auftrat,  bei 
welcher  Gelegenheit  er  sich  des  angegriffenen  Jaus  wännstens 
annahm. 7) 

Diese  wrenigen  in  bekannteren  Werken  hinterlegten  gelegent¬ 
lichen  Bemerkungen  über  J  aus  werden  durch  die  erwähnten  Urkunden 
wesentlich  vervollständigt.  Vor  Allem  erfährt  man  daraus,  dass  Franz 
Josef  Jaus  als  Sohn  des  kaiserlichen  und  königlichen  Leib-  und 
Hofchirurgen  Ursus  Victor  Jaus  den  13.  April  1696  in  Wien 
geboren  wurde.  Seine  Gattin  Anna  Theresia  (Hueberin),  geboren 
den  3.  August  1718,  war  um  22  Jahre  jünger  als  ihr  Gatte.  Ich  habe 
ähnliche  offenbare  Missverhältnisse  beim  Studium  der  Wiener  Aerzte- 
familien  der  theresianischen  Zeit  nicht  allzu  selten  gefunden,  Aus  dem 
ersterwähnten  Diplom  geht  waiters  hervor,  dass  der  Sohn  bei  seinem 
Vater  die  Chirurgie  Üblichermassen  erlernt  und  sich-  dann  in  England 
und  Frankreich  unter  den  vornehmsten  Chirurgen  weiter  vervoll¬ 
kommnet  hat.  Nach  seiner  Rückkehr  bewarb  er  sich  um  die  durch  den 
Tod  des  Vaters  erledigte  Stelle  als  kaiserlicher  und  königlicher  Ilof- 
chirurg,  welche  ihm  auch  zugesprochen  wurde.  Doch  musste  er  sich 
vorher  an  der  medicinischen  Facultät  der  gesetzlichen  Prüfung  behufs 
Erlangung  des  Magistergrades  unterziehen.  Er  wurde  zu  diesem  Zwecke 
durch  die  beiden  Vorsteher  der  hofbefreiten  (privilegirten)  Chirurgen 
der  Facultät  vorgestellt,  den  8.  April  1723  um  3  Uhr  Nachmittags 
in  der  Wohnung  des  Exdecans  nach  den  damals  gütigen  Vorschriften 
im  Beisein  der  beiden  erw’ähnten  Chirurgen  durch  vier  von  der  Facultät 
entsendete  Fachmänner  geprüft  und  den  10.  April  1723  als  Magister 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


219 


der  Chirurgie  bestätigt.  Der  seiner  Entstehungszeit  angepasste  naive 
Wortlaut  des  im  Anhang  vollinhaltlich  wiedergegebenen  deutschen 
Bestallungsdiplomes  schildert  recht  anschaulich  das  Prüfungsverfahren. 

Sieben  Jahre  später  übernahm  er,  wie  bereits  erwähnt,  die  Pro- 
sectur  (1730).  Dem  zweiten  Diplom  zufolge  wurde  er  mit  der  Zeit  zum 
Chirurgen  der  Kaiserin  und  Königin  M  aria  T  h  e  r  e  s  i  a  befördert 
und  (1749/50)  zum  Professor  der  Chirurgie  ernannt.  Als  solcher  hatte 
er  den  angehenden  Chirurgen  auch  Vorträge  über  Anatomie  zu  halten. 
Nähere  Auskunft  über  deren  Inhalt  gibt  die  eingangs  erwähnte  Hand¬ 
schrift.  Sie  stellt  sich  dar  als  ein  in  Pergament  gebundenes  Buch  von 
473  beschriebenen  Quartseiten  mit  dem  litel: 

„Compendium  Anatomicum.  In  Se  C  on  t  mens 
Anatomiam  Vniversam,  Quodque  est  ex  script  is 
praeclarissimi  domini  Professor  is  N  o  s  t  r  i  Jaus,  anno 

d  o  m  i  n  i  1751.“  .  .....  , 

Die  Durchsicht  des  Buches  lohnt  nur  wenig  die  Muhe  des 
Lesens  der  vergilbten  Schrift.  Der  Stoff  ist  in  die  fünf  Hauptabschmte 
Mvologie  (1  —  96),  Osteologie  (97—272),  Angiologie  (2(3  ol<), 

Neurologie  (318— 360),  Splanchnologie  (361  —  4(3)  eingetheilt.  Der 
Inhalt  ist  eines  höheren  Schwunges  bar.  Fremde  Autoren  oder  deren 
Werke  werden  nicht  erwähnt.  Stellenweise  unterlaufen  förmliche 
Plattheiten.  So  sagt  Jaus  von  der  Osteologie,  sie  sei  „wohl  zu  wissen 
wenig  oder  gar  nicht  noth  wendig  denen  meisten,  dannenuero  (sie) 
auch^gleichsam  völlig  in  Vergessenheit  kommet.“  Die  Entwicklungs¬ 
geschichte  der  Knochen  fertigt  er  kurz  ab:  „Weilen  sich  allbier  Ein 
formirtes  Sceleton  praesentirt,  scheint  mir  unnöthig  zu  seyn,  untei- 
seliidliche  zweiffelhaffte  Meinungen  vihler  Authoren  auf  die  Bahn  zu 
bringen,  umb  zu  wissen,  auf  was  arth  das  Bein  sich  formiert,  wachst 
es  Krumb,  grad,  oder  Breit,  und  dergleichen,  wordurch  wir  ohne 
Einzigen  nutzen  zu  ziehen  die  Zeit  verlielierten  und  keine  gewissheit 

davon  erhalten  würden.“ 

Das  ganze  Buch  macht  den  Eindruck  trockener  Schulgelehr- 

samkoit,  wie  sie  eben  jener  Periode  entspricht,  in  der  sich  Jaus  ent¬ 
wickelt  hatte,  sowie  des  Zwanges,  unter  dem  der  Lehrer  stand,  indem 
er  einen  bestimmten  Stoff  in  streng  begrenzter  Zeit  den  Schülern  bei- 
bringen  musste. 

Jaus  scheint  in  der  Gunst  der  Kaiserin  sowie  ihres  Berathers 
van  S  wie  ten  rasch  gestiegen  zu  sein.  Wie  aus  dem  zweiten  Diplom 
erhellt,  wurde  er  zur  Würdigung  seiner  Leistungen  auf  Anordnung 
der  Kaiserin  den  5.  November  1755  von  der  Universität  zum  Doctor 
der  Chirurgie  erhoben.  Als  Pathe  stand  bei  diesem  Act  sein  Beschützer 
van  S  wie  ten.  Es  ist  recht  bezeichnend  für  das  seit  dem  Reform- 
edict  vom  7.  Februar  1749  neu  geschaffene  Verhältniss  der  Facultät 
zur  obersten  Leitung  des  Unterrichtswesens,  dass  auch  die  Ertheilung 
akademischer  Grade,  wie  hier  des  Doctorats  der  Chirurgie,  auf  kaiser¬ 
lichen  Befehl  erfolgte.  Der  Wortlaut  der  diesbezüglichen  (lateinischen) 
Urkunde  erscheint  mir  genug  wichtig,  sie  hier  in  Uebersetzung  wiedei- 
zugeben. 

„Wir,  der  Rector,  und  die  uralte  sowie  hochberühmte  Wiener 

Universität,  entbieten  den  Lesern  unseren  Gruss. 

Es  ist  eine  löbliche  Satzung,  insbesondere  unserer  Vorfahren, 
literarische  Ehrungen  nur  auf  Grund  hinreichender  Verdienste  zu  er- 
theilen.  Da  nun  der  hochausgezeichnete  und  hochgelehrte  Mann  F  r  a  n  z 
Josef  Jaus,  ein  Oesterreicher  aus  Wien,  Professor  der  Chi¬ 
rurgie,  sowie  Chirurg  unserer  erhabensten  Kaiserin  und  Königin 
Maria  Theresia,  durch  mehrere  Jahve  die  Chirurgie  öffentlich  in 
höchst  lobenswerther  Art  gelehrt  hat,  wurde  durch  .  eine  Verordnung 
der  Erhabensten  bestimmt,  er  sei  hochverdienter  Weise  zum  Doctoi 
d  e  r  C  h  i  r  u  r  g  i  e  zu  erheben.  Eine  Prüfung  war  nicht  nothwendig, 
da  er  so  sichere  und  deutliche  Nachweise  seiner  Gelehrtheit  und  Fertig¬ 
keit  durch  so  viele  Jahve  gegeben  hatte;  daher  wir  ihn  auf  Grund 
unserer  uns  zustehenden  Machtvollkommenheit  im  Jahre,  Monat  und 
Tag,  welche  zum  Schluss  gegenwärtigen  Diploms  ausgedrückt  sind, 
zum  Doctor  der  Chirurgie  erheben,  als  solchen  verkünden  und  er¬ 
klären,  indem  wir  ihm  alle  Freiheiten  ertheileu,  welche  einem  wiik- 
lichen  Doctor  der  Chirurgie  von  rechtswegen  oder  gepflogenheits- 
gemäss  hier,  sowie  überall  auf  Erden  zustehen.  Urkund  dessen  haben 
wir  befohlen,  dass  das  grössere  Universitätssiegel  diesem  Freibriete 
angeheftet  und  er  mit  der  handschriftlichen  Bestätigung  des  Notars 
dor  hochansehnlichen  medicinischen  Facultat  versehen  werde.  Gegeben 
zu  Wien  in  Oesterreich  im  Jahre  des  Herrn  1755,  den  5.  November. 
—  Bernhard  Nikolas  M  u  n  e  r  e  t  i  von  Rottenfeld,  Ritter  des  Heiligen 
Römischen  Reichs,  Doctor  der  Theologie,  Canoniker  der  Metropolitan¬ 
kirche  zum  Heiligen  Stephan,  derzeit  Universitätsrector.  Gerhaid  L.  B. 
van  S  wie  ten,  Vorsitzender  der  hochansehnlichen  medicinischen 
Facultät.  Lorenz  Edler  von  Hentschel,  derzeit  Decan.  Anton 
Do  H  a  e  n  ,  Professor  der  Medicin,  Primarius,  Promotor.  Franz  Anton 
S  t  o  i  n  d  1  von  Plesseneck,  Notar  der  hochansehnlichen  medicinischen 
Facultät.“ 

Indess  Jaus  erfreute  sich  nicht  mehr  lange  der  ihm  durch 
Vermittlung  von  v  a  n  S  w  i  e  t  e  n  zu  Theil  gewordenen  Ehren.  Ei  staib 


laut  Zusatz  im  Stammbuch  der  Witwensocietät  bereits  den  13.  August 
1761.  So  weit  sich  aus  dem  vorliegenden  urkundlichen  Stoff  schlossen 
lässt,  gehörte  er  nicht  zu  den  bahnbrechenden  Geistern.  Man  wild  (lies 
begreiflich  finden,  wenn  man  bedenkt,  dass  seine  Studienzeit  in  jenes 
drückende  Jahrzehnt  fiel  (1713-1723),  binnen  welchem  sich  Wien 
und  dessen  geistiges  Leben  von  der  im  Jahre  1713  herrschenden  1  est- 
seuche  nicht  zu  erholen  vermochte.  Von  des  Schicksals  Gunst  ge¬ 
tragen,  durch  Abstammung,  persönliches  Vertrauen  und  hohe  Gönner¬ 
schaft  in  seiner  Laufbahn  kräftigst  gefördert,  brachte  er  es  zu_  manchen 
Ehren.  Nichtsdestoweniger  muss  es  auffallen,  dass  er  erst  mit  53  Jahien 
zu  jenem  Universitätslehramt  gelangt  ist,  welches  er  bis  zu  seinem 
65.  Lebensjahre  bekleidet  hat.  Die  späte  Anstellung  an  einen  so 
wichtigen  Platz  mag  es  erklären,  dass  er,  so  massgebend  auch  die 
ihm  übertragene  amtliche  Thätigkeit  gewesen,  die  von  ihm  vertretenen 
Fächer  nicht  mehr  zu  fördern  vermocht  hat.  Das  von  Hyrtl  divina- 
torisch  über  ihn  abgegebene  Urtheil  erfährt  durch  diese  Urkunden 
seine  Bestätigung.  Durch  deren  weiteren  Inhalt  gelangt  man  zu  einem 
etwas  genaueren  Einblick  in  die  Verhältnisse  des  medicinischen  Wien 
im  XVIII.  Jahrhundert.  Man  kann,  um  endlich  einmal  eine  bisher 
noch  fehlende  ausführliche  Geschichte  der  Medicin  in  Wien  zu  er¬ 
möglichen,  gar  nicht  genug  derartigen  Stoffes  beibringen,  denn  neue 
Urkunden  schaffen  neue  Gesichtspunkte. 

Anmerkungen: 

1)  Diese  Sammlung,  die  ich  mir  zu  Unterrichtszwecken  angelegt 
habe,  umfasst  eine  ziemlich  reichhaltige  Bibliothek  mit  \\  erken  zur 
Geschichte  der  Medicin,  seltene  Ausgaben  älterer  Aerzte  (Incunabelu, 
Orientalia,  Holzschnitt- und  Kupferstichwerke),  Handschriften,  Urkunden, 
Porträts,  Medaillen,  antike,  mittelalterliche  und  neuere  chirurgische 
Instrumente,  Pläne,  Zeichnungen,  Modelle  u.  dgl.  für  die  grundsätzlich 
von  Demonstrationen  begleiteten  Vorlesungen.  Theile  dieser  Sammlung 
hatte  ich  bei  den  letzten  Naturforscher -Versammlungen  in  \\  len  18J4 

und  Düsseldorf  1898  ausgestellt. 

2)  Liber  societatis  viduarum  inch  facultatis  med.,  tom.  i.  Fest¬ 
schrift  anlässlich  des  500jährigen  Bestandes  der  Acta  facultatis  med. 

Vindob.  Wien  1899.  Pag.  97-118.  _ 

s)  Th  Puschmann,  Die  Medicin  m  Wien  wahrend  dei 

letzten  100  Jahre.  Wien  1884.  8°.  327  S. 

4)  Jos.  Hyrtl,  Vergangenheit  und  Gegenwart  des  Museums 

für  menschliche  Anatomie  an  der  Wiener  Universität.  A\  ien  18S9. 
8°.  264  S. 

5)  L.  Kirchenberger,  Geschichte  des  k.  u.  k.  österreichisch- 
ungarischen  Militär-Sanitätswesens.  Wien  1895.  8°.  259  S. 

o)  Jak.  Benignus  Winslow  (1669  —  1760),  der  berühmte 

Pariser  Anatom.  ,  ,  _  .  .  , 

7)  Diese  ursprünglich  französische  Note  hat  hirchenbergei 

a.  a.  O.  vollinhaltlich  übersetzt. 


Anhang: 

I.  Diplom  für  P.  J.  Jaus.  Wien,  10.  April  1(23. 

Wir  Decanus  und  Collegium  Medicorum  der  Uralten  und  welt¬ 
berühmten  Kayserlieh-Königlich  und  Ertzherzoglichen  Universitet  zu 
Wienn  in  Österreich  sagen  Jedermänniglich  nach  Standes  gebühr  dienst- 
freundlichen  Grusz ;  demnach  die  Menschliche  Societet  jene  lobwuidige 
und  von  anbegin  übliche  gewohnheit  eingeführt,  dasz  wegen  erlelirnter 
Kunst  und  Wissenschafften  die  taugliche  Subjecta  mittels  eines  Examims, 

gleich  auf  einen  Probierstein  versuchet  .werden  sollen,  damit  a  so  denen 

freyen  Künsten  ihre  Ehre,  und  der  Embsigkeit  ihre  Vergeltung  ver¬ 
bleibe,  auch  mit  offenbarer  Lobs  Verkündung  diejenige  beehret  werden, 
welche  vor  Andern  in  denen  Wissenschafften  sich  empor  geschwungen. 
Ausz  deren  zahl  sich  besonders  hervor  thuet  der  Ehrengeacht  und 
Kunsterfahrne  Herr  Frantz  Joseph  Jaus,  Weyl:  Herrn  ürsi 
Victoria  Jaus  der  Röm.  Kay.  und  König.  Gatholischen  May .  Le 
und  Hoff  Chyrurgi  Seel,  hinterlassener  Sohn,  welcher,  nachdem  Ei  <■} 
obwohlgedachten  seinen  H.  Vattern  seek  die  Chyrurgie  üblicher  massen 
erlehrnet,  sodann  auch,  umb  sich  mehrere  zu  perfect, omrn  sowo  in 
Engelland  als  Frankreich  unter  Direction  deren  Vornembsten  (  h}  i 
gorum  seine  exercitia  verrichtet,  nunmehro  als  allermildest  von  uo 
lay.  und  König.  Gatholischen  May.  resolvirter  Hoff  Chyrurgus  seines 
H.  Vatters  seek  Stell  zubekleiden  vor  hat;  Wan  nun  aber  zu  " 
deren  Kayser:  König:  und  Ertzherzoglichen  Unserer  Facultet  verliehene 
Privilegien  Keiner  in  beiden  Ertzherzogtlmmben  Österreich  ob:  un 
unter  der  Ennsz  in  Chyrurgia  befördert  werden  solle,  er  habe  dan  nac  , 
beschehener  praesentation  vor  Unserer  Facultet  mittels  seines  Examen 
darzu  fähig  gemacht,  als  haben  obgedachten  Herrn  F  rant. ‘  J  °  "  P  “ 
Jaus  die  vor  Unsz  erschiene,  und  von  der  Medic  ni sehen  Facultet 
examinirt  und  approbirte  Vorsteher  deren  Hoff  befreyten  Ghyimgoru 

als  Herr  Gorg  Thomas  Fischer  H.  Andrea  Stock  ,  beeae 

Hoff  befreyte  Chyrurgi  praesentirt,  und  demütig  gebetten,  ‘ 


211 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


in  des  Supplicanten  bitt  mittels  des  Examinis  einwilligen  möchten, 
wessentwegen  dan  nach  genauer  Untersuchung  und  gefundener  ricbtig- 
keit  der  Uns  schrifftlich  vorgehrachten  Urkunden  einer  ehrlichen  ge- 
burtli  und  beschehener  erlehrnung  Wir  das  gebettene  Examen  auf  den 
8.  Aprilis  des  zu  End  stehenden  Jahrs  nach  Mittag  umb  3.  Uhr  in 
Unsers  dermahligen  Ex  Decani  habenden  Behausung,  ausz  Unserm 
Collegio  durch  gewisse  hierzu  benennte  Herrn  Commissarios-  als  die 
Wohl  Edl  gebohrne  und  Hochgelehrte  Herrn  Andre  Jacob  v.  Fock, 
Philosophiae  et  Medicinae  Doctorem,  des  König.  Ordens  in  Portugal 
Rittern,  der  Röm.  Kay.  und  König.  Catholischen  May.  Rath  und  Proto- 
Medicum,  Herrn  Pium  Nicolaum  v.  Garelli  Philosophiae  et 
Medicinae  Doctorem,  öffentlichen  ad  Cathedram  eminentem  beruffenen 
Professoren!  in  Bononien,  des  König.  Ordens  in  Portugal  Rittern,  der 
Röm.  Kay.  und  König.  Catholischen  May.  Rath  und  Leib  Medicum, 
Herrn  Adam  Fridrich  Kremer  Philosophiae  et  Medicinae  Docto¬ 
rem,  eiusdemque  in  theoricis  Professorem  Publicum  Primarium,  der 
Röm.  Kay.  und  König.  Catholischen  May.  wie  auch  der  Verwittibten 
Kayserin  Hoff  Medicum,  Herrn  Johann  Jacob  Freund  Von 
Weyen  her  g,  Philosophiae  et  Medicinae  Doctorem,  der  Röm.  Kay. 
und  König.  Catholischen  May.  Hoff-Medicum,  in  beyseyn  der  ob¬ 
gedachten  Herrn  Chyrurgorum  vornehmen  und  verrichten  und  in  selben 
widerholten  H.  Frantz  Joseph  Jaus  auf  das  schärffest  in 
der  Chirurgie  alles  Fleisses  erforschen  lassen,  auch  selben  pro  ma- 
gisterio  das  Emplastrum  defensivum  Rubrum,  und  Balsamus  Arcaei 
aufgegeben  worden,  in  welchen  allen  Er  H.  Frantz  Joseph  Jaus 
mit  besondern  Ruhm  sich  also  erfahren  und  fertig  erwisen,  dasz  alle 
anwesende  Herrn  Examinatores  ein  sattsambes  Vergnügen,  und  ab¬ 
sonderliches  Wohlgefallen  darob  gehabt,  danuenhero  besagten  H.  Frantz 
Joseph  Jaus  mit  Einwilligung  des  gantzen  Collegij  Medicorum  et 
Chyrurgorum  von  einen  tauglich  und  wohl  erfahrnen  Maister  in  der 
Chyrurgie  geschätzet  und  erkennet,  also,  dasz  Er  seine  Kunst  zu  Trost 
der  Krancken  und  Preszhafften  gebührender  weisz  sicher,  ruhig  und 
von  Männiglich  ungehindert  üben,  und  treiben  möge,  jedoch  hat  sich 
derselbe  dem  bey  Unserer  Facultet  abgelegten  Jurament  gemäsz  zu 
verhalten;  Zu  dessen  wahrer  Urkund  haben  Wir  dis  Examen  Unserem 
Prothocollo  einverleibt,  und  Ihme  Herrn  Frantz  Joseph  Jaus 
dises  Testimonium  mit  Unsers  Collegij  grossem  anhangenden  Sigil, 
und  Unsers  Herrn  Ex  Decani  Spectabilis  aigener  Hand  unterschrifft 
auszfertigen  lassen.  Geschehen  in  Wienn  den  lUten  April  nach  der 
gnaden  reichen  geburth  JESU  CHRISTI  in  dem  Siben  Zehen  Hundert 
Drey  und  Zweintzigsten  Jahrs. 

Philippus  Ritter  Chirurgiae  et  Medicinae 

Doctor  Inclytae  Facultatis  Ex  Decanus. 

Manu  propria. 

(S.  Collegii  Facultatis  Medicae  Academiae  Viennensis.)“ 

II.  Diplom  für  F.  J.  Jaus.  Wien,  5.  November  1755. 

„Nos  Rector,  Et  Antiquissima  Ac  Celeberrima  Universitas  Vindo- 
bonensis,  Lectoribus  Salutem. 

Laudabile  imprimis  majorum  nostrorum  institutum  est,  ut  litteraiij 
honores,  non  nisi  suffragantibus  meritis,  conferri  soleant.  Proinde,  post- 
quum  ornatissimus,  et  Doctissimus  Vir  Franciscus  Josephus  Jaus  Austria- 
cus  Viennensis  Chirurgiae  Professor,  nec  non  Augustissimae  Imperatricis, 
et  Reginae  nostrae  Mariae  Theresiae  Chirurgus  per  plures  annos 
Chirurgiam  publice  Summa  cum  laude  docuerit,  statutum  fuit  Augus¬ 
tissimae  decretö,  ut  optime  meritus  in  doctorem  Chirurgiae  promoveretur. 
Nec  opus  fuit  ullo  examine  cum  tarn  certa  et  luculenta  doctrinae  et 
dexteritatis  suae  specimina  per  tot  annos  dedisset;  hinc  Nos  authoritate 
qua  pollemus,  eundem  anno  mense  et  die  iu  fine  praesentis  diplomatis 
expresso  Chirurgiae  Doctorem  ereamus,  pronunciamus,  et  declaramus, 
tribuentes  illi  privilegia  omnia,  quae  vero  Chirurgiae  doctori  de  jure 
vel  consuetudine  hic,  et  ubique  terrarum  competunt.  In  quorum  fidem 
his  patentibus  literis  majus  Universitatis  Sigillum  appendi,  et  eas  manu 
Notarii  Inclytae  Facultatis  Medicae  muniri  jussimus,  dabamus  Viennae 
Austriae  anno  domini  millesimo  Septingentesimo  quinquagesimo  quinto. 
Mense  Novembri,  die  vero  quinta. 

Bernardus  Nicolaus  Munereti  de  Rettenfeld,  mpropria,  S.  R.  J. 
Eques.  S:  S:  Thlgiae  Doctor  Ecclesiae  Metrop.  ad  S:  Stephanum 
Canouicus,  p.  t.  Universitatis  Rector. 

Gerardus  L.  B:  van  Swieten  Incl:  facult:  Med’.  Praeses. 

Laurentius  nobilis  ab  Hentschel  p  t  Decanus. 

Antonius  de  Ilaen,  Med:  Professor  primarius,  Promotor. 

Franc:  Anton:  Steindl  de  Plessenek  inpropria  Incl:  Facult: 

medicae  Notarius.“ 


REFERATE. 

Handbuch  der  Krankenversorgung  und  Krankenpflege. 

Herausgegeben  von  Dr.  Georg  Liebe,  Dr.  Paul  Jacobsohn  und  Dr.  George 

Meyer. 

Bd.  1  und  II,  2.  Abtheilung. 

Berlin  1898/99,  A.  Hirsch  wal  d. 

Die  enorme  Thätigkeit  auf  dem  grossen  Gebiete  der  Kranken¬ 
fürsorge  im  weitesten  Sinne  —  eine  Thätigkeit,  an  welcher  nicht 
nur  die  Aerzte  und  ärztlichen  Hygieniker,  sondern  auch  die  Tech¬ 
niker  fast  aller  Betriebe,  Pädagogen,  politische  und  militärische 
Behörden,  wie  nicht  minder  die  Legislativen  theilnehmen  —  ist 
schon  jetzt  so  specialisirt,  dass  auch  eine  allgemeine  und  ganz 
oberflächliche  Orientirung  über  ihre  Leistungen  dem  Einzelnen  sehr 
schwierig  wird. 

Diese  Schwierigkeiten  wachsen  natürlich,  wenn  es  sich  darum 
handelt,  in  irgend  einer  Detailfrage  eine  Entscheidung  zu  treffen, 
welche  auf  der  Höhe  des  Wissens  und  Könnens  stehen  soll.  Selbst 
der  erfahrene  Krankenhausleiter,  der  Praktiker  auf  dem  Gebiete  der 
Krankenversorgung,  bedarf  einer  zusammenfassenden  Uebersicht  über 
diese  vielen  und  vielgestaltigen  Materien. 

Wer  es  also  unternimmt,  den  genannten  Personen  und  Körper¬ 
schaften  in  dieser  Hinsicht  entgegenzukommen,  befriedigt  wirklich 
ein  »dringendes  Bedürfniss«  und  kann  von  vorneherein  auf  grossen 
Dank  rechnen. 

ln  weiten  Kreisen  ist  darum  das  »Handbuch  der 
Krankenversorgung  und  Krankenpflege«,  von  L i e b e, 
Jacobsohn  und  M  e  y  e  r  mit  Unterstützung  der  namhaftesten 
Fachgenossen  herausgegeben,  lebhaft  begrüsst  worden.  Zum  grössten 
Theile  fertiggestellt,  liegt  es  nun  vor.  Die  einzelnen  Abschnitte 
sind  in  sorgfältigster  Auswahl  und  mit  weiser  Beschränkung  zu¬ 
sammengestellt,  Capitel,  welche  in  geringerem  Masse  der  Kranken¬ 
fürsorge  als  anderen  Disciplinen  der  Hygiene  oder  Spitalstechnik 
angehören,  weggelassen,  administrative  Details  aber,  die  sonst  wenig 
zugänglich  sind,  eingehender  berücksichtigt.  Auch  der  Geschichte 
der  Krankenpflege  und  ihrer  Vertreter  ist  der  gebührende  Platz 
eingeräumt. 

Die  Grösse  der  Aufgabe,  welche  sich  die  Herausgeber  gestellt 
und  auch  glänzend  gelöst  haben,  wird  ersichtlich  werden,  wenn 
wir  auch  nur  eine  flüchtige  Uebersicht  der  Abschnitte  geben,  aus 
welchen  das  Handbuch  zusammengesetzt  ist. 

Eine  Abhandlung  über  die  »Geschichtliche  Entwick¬ 
lung  der  Krankenpflege«  von  Dietrich  (Merseburg) 
ist  vorausgeschickt.  Sie  führt  uns  in  anregender  Darstellung  durch 
die  Anfänge  der  Krankenfürsorge  im  Alterthum,  schildert  ihre  Aus¬ 
breitung  und  Durchbildung  in  den  Krankenpflegegenossenschaften 
und  deren  Hospizen  im  Mittelalter,  aber  auch  ihren  Niedergang  in 
politischen  und  socialen  Wirrnissen  der  Zeit.  Eingehend  ist  die  aus¬ 
gebreitete  humanitäre  Bewegung  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts 
in  den  katholischen  Orden  besprochen,  die  sich  im  XVIII.  Jahr¬ 
hundert  bedeutend  abschwächte,  um  nach  den  Freiheitskriegen  (in 
Deutschland)  in  der  Bevölkerung  aller  (Konfessionen  neu  zu  er¬ 
wachen  und  ungeahnte  Dimensionen  zu  erreichen.  Eine  eingehende 
Statistik  der  deutschen  Genossenschaften  für  Krankenpflege  be- 
schliossl  das  Heft.  Die  Entwicklung  im  Auslande  in  unserer  Zeit 
und  die  grossen  ausserdeutschen  Vereinigungen  sind  kaum  berück¬ 
sichtigt  —  ein  Mangel,  der  (wie  wir  pag.  602  erfahren)  »im  Plane 
dieses  Handbuches«  gelegen  sein  soll. 

Der  erste  Haupttheil  des  Handbuches  behandelt  die  g e sch  1  o  s- 
sene  Krankenpflege:  die  Krankenanstalten.  Die  äusserst 
umfangreiche  Materie  füllt  den  ersten  Band  (700  Seiten).  Sie 
gliedert  sich  in  die  Schilderung  der  Specialkrankenhäuser,  der 
Reconvalescenten-  und  Siechenanstalten  und  der  allgemeinen 
Krankenhäuser. 

Die  Specialkrankenhäuser  sind  bearbeitet:  Von  Levy 
und  Wolf  (Strassburg)  für  ansteckende  Kranke;  Liebe  (Breslau) 
für  Lungenkranke;  Blaschko  (Berlin)  für  Syphilitische  und 
Lepröse;  L  e  w  a  1  d  (Koranowko)  für  Geisteskranke;  W  i  1  d  e  r  m  u  t  h 
(Stuttgart)  für  Nervenkranke,  Epileptische  und  Idioten;  Fl  ade 
(Dresden)  für  Trinker;  Brenn  ecke  (Magdeburg)  für  Frauen; 
Schmid-Monnard  (Halle)  für  Kinder;  Silex  (Berlin)  für 
Blinde  und  Augenkranke;  Gutzmann  (Berlin)  für  Taubstumme 
und  Sprachgebrechliche,  und  von  Rosenfeld  (Nürnberg)  für 
Krüppel. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


215 


In  dem  ersten  Capitel  wäre  besonders  auf  die  Besprechung 
der  Isolirspitäler  und  die  ausführliche  Darstellung  der  internationalen 
Quarantänegesetzgebung  zu  verweisen.  Mit  grosser  Wärme  sind  die 
Lungenheilstätten  geschildert;  der  Verfasser,  der  mehrere 
Volksheilstätten,  zuletzt  Loslau  i.  Schl.,  leitete,  arbeitet  mit  reichem 
statistischem  und  klinischem  Material  und  umfassender  Literatur- 
kenntniss. 

B  lasch  ko  vertritt  auch  hier  seine  aus  den  Congressen  und 
Discussionen  des  letzten  Jahrzehntes  bekannten  und  durchaus  be¬ 
rechtigten  Forderungen  über  die  Untersuchung  und  Behandlung 
venerisch  erkrankter  Prostituirter.  Der  kurze  Abschnitt  über 
Lepröse  bringt  unter  Anderem  den  Entwurf  eines  »Lepragesetzes« 
für  Deutschland. 

Lewald  bespricht  ausführlich  die  allgemeine  Behandlung 
der  Geisteskranken  nach  modernen  Principien.  schildert  als  Typus 
einer  combinirten  modernen  Anstalt  Dziekanka  in  Preussen  und 
behandelt  die  in  Discussion  stehenden  Fragen  des  Pflegepersonales, 
der  Krankenbeschäftigung,  Familienpflege  etc. 


Krankenpflegepersonals  (circa  5000  Männer  und  27.000  Frauen, 
exclusive  Kriegskrankonpfleger)  vorüberziehen  gesehen,  so  erfahren 
wir  jetzt  unter  Anderem,  dass  im  Deutschen  Reiche  im  Jahre  1804 
an  3700  grössere  Heilanstalten  (über  zehn  Botten)  mit  240.000 
Plätzen  vorhanden  waren:  dabei  für  je  100.000  Einwohner  276  Plätze 
in  den  allgemeinen  Krankenhäusern. 

Im  letzten  Abschnitte  dieses  Bandes  werden  die  bewährtesten 
Grundsätze  der  Verwaltung  und  Dienstesorganisation,  Be¬ 
köstigung  u.  s.  w.  in  allgemeinen  Spitälern  besprochen. 

Der  zweite  Band  des  Handbuches  enthält  die  ollcne 
Krankenpflege  und  die  »specielle  Kranken  Ver¬ 
sorgung«. 

Sie  gliedert  sich  in  die 


Derzeit  liegt 


Einrichtungen 


Schüler  und 


nur  die  letztere  vor. 

Ür  Arbeiter,  Gefangene, 

Waisen,  Arme  und  für  Soldaten. 

In  das  erste  Capitel  gehören  die  verschiedenen  Versicherungen 
und  Rentenbezüge,  die  Deutschland  im  letzten  Decennium  gesetzlich 
eingeführt  hat  und  die  von  den  meisten  anderen  Staaten  nachsrebildet 


Sehr  ausführlich,  vielleicht  allzu  detaillir 


wie  die  geburts- 
aber  auch  die 


über  Nervenkranke,  Epileptische  und  Idioten  von 
Wildermut h.  Es  nehmen  Symptome,  Pathogenese  und  Therapie 
mehr  Raum  ein,  als  sie  in  einer  Beschreibung  der  Specialkranken¬ 
häuser  beanspruchen  dürften. 

Fl  ade  steht  nicht  auf  dem  Standpunkte  vollständiger  Al¬ 
koholabstinenz,  fordert  diesen  aber  mit  Recht  für  die  Ansfalls¬ 
behandlung.  Wir  lernen  durch  ihn  die  besten  der  deutschen 
Trinkerheilstätten  kennen. 

Brenneck  e’s  Abhandlung  enthält,  wie  er  selbst  vorausschickt, 
weniger  »ein  Augenblicksbild  des  Bestehenden«  als  eine  Analyse 
des  Werdens  und  Wachsens  der  Fürsorge  für  Frauen,  speciell 
Wöchnerinnen. 

Sie  umfasst  demnach  verschiedene  Themen 
hilflichen  Lehranslalten,  Entbindungsanstalten, 

Hebammenreform,  Wöchnerinnenasyle,  Familienpflege,  Vorschläge 
zur  staatlichen  und  communalen,  sowie  genossenschal  fliehen  Or¬ 
ganisation  etc. 

Auch  der  Abschnitt  Schmid-Monnards  ist  auf  breitere 
Basis  gestellt.  Er  behandelt  unter  Anderem  die  Pflege  unehelicher 
Säuglinge,  Findelhäuser,  Krippen,  Säuglingsspitäler,  Feriencolonien, 
Hospize,  Kinderspitäler. 

Silex  gibt  in  knappen  Umrissen  ein  Bild  der  Blinden¬ 
fürsorge  der  Jetztzeit,  der  Organisation  der  Blindenanstalten,  der 
Augenheilanstalten,  der  Trachomfrage. 

Ebenso  behandelt  Gutzmann  in  erster  Linie  die  Fürsorge 
und  Therapie  für  Taubstumme  und  Kinder  mit  Sprachgebrechen. 

Die  Fürsorge  für  Krüppel  liegt,  wie  Rosen  feld  aus¬ 
führlicher  darlegt,  mit  geringen  Ausnahmen  noch  ganz  in  privaten 
Händen.  Besonders  für  Kinder  muss  daher  staatliche  Organisation 
solcher  Anstalten  gefordert  werden,  da  für  erworbene  Krüppel 
haftigkeit  allmälig  die  Unfall-  und  Invaliditätscassen  die  Fürsorge 
und  Anstaltsversorgung  übernommen  haben. 

Flade  (Dresden)  berichtet  über  die  Vorkehrungen  für 
Genesende.  Auch  auf  diesem  Gebiete  sind  nur  vereinzelt  An¬ 
stalten  zu  finden,  welche  als  mustergültig  angesehen  werden  können. 
Sie  entstanden  zum  Theile  durch  die  Thätigkeit  von  Gemeinden, 
zum  allergrössten  Theile  aber  durch  die  Anstrengung  von  Vereinen, 
besonders  Invaliditäts-  und  Krankencassen,  denen  ja  aus  budgetären 
Gründen  daran  gelegen  sein  muss,  ihre  Mitglieder  vollständig 
arbeits-  und  beitragsfähig  zu  machen. 

Eschbacher  (Freiburg)  fügt  in  einem  kurzen  Abschnitte 
seine  langjährigen  Erfahrungen  über  zweckmässige  Siechen¬ 
pfleg  e  h  ä  u  s  e  r  an.  Hier  sind  die  Gemeindeverbände  und  Bezirke 
berufen, #  gründend  und  erhaltend  einzugreifen. 

Das  wichtige  Capitel  der  Allgemeinen  Kranken¬ 
häuser  ist  an  R  up  pel,  Hamburg  (Bautechnik),  Rahts,  Berlin 
(Statistik)  und  C  urschmann  und  Egge  brecht,  Leipzig  (Ver¬ 
waltung)  vertheilt.  Ruppel,  der  Erbauer  der  mustergültigen  neuen 
Hamburgischen  Staatskrankenanstalten,  legt  in  einer  glänzenden 
Studie  die  Grundlagen  des  modernen  Spitalbaues  dar. 
gebotenen  Kürze  dürfte  sie  wohl  Alles  enthalten  und 
unbeantwortet  lassen. 

Mit  imposanten  Zahlen  arbeitet  Rahts.  Haben  wir  schon  in 
der  geschichtlichen  Einleitung  die  grosse  Armee  des  deutschen 


t,  ist  der  Abschnitt  |  wurden:  Die  Krankenversicherung  (besprochen  von  Mugdan,  Berlin), 

Cottbus),  die  Invaliditäts-  und 


die  Unfallgesetzgebung 


B  (Thiem,  uuu^uo/, 

Alterscassen  (Pie  licke,  Gütergetz).  M  e  n  d  e  (Gottesberg)  schliesst 
daran  (allerdings  allzu  detaillirt!)  die  Bergarbeitereinrichtungen,  die 
manche  Besonderheiten  aufweisen,  Mugdan  die  Fürsorge  für 
Dienstboten. 

Aus  der  Feder  Pflege r’s  in  Berlin  stammt  ein  Artikel  über 
Krankenversorgung  in  Strafhäusern.  Feilchenfeld  (Gharlotten- 
burg)  erörtert  die  Fragen  der  Schülerhygiene  sowie  der  Einrich¬ 
tungen  in  Internaten  und  Waisenhäusern.  Ueberaus  lesenswerth  isl 
in  diesem  Bande  Abschnitt  IV:  »Specielle  Krankenversorgung  für 
Unbemittelte«  von  Roth  in  Potsdam. 

Mit  umfassender  Sachkenntniss  werden  die  vielen  Unter¬ 
nehmungen  auf  diesem  Gebiete  geschildert,  die  mannigfachen  Um¬ 
wälzungen,  welche  die  Einrichtungen  ununterbrochen  erfahren,  kriti- 
sirt  und  beherzigenswerthe  Vorschläge  gemacht. 

Den  Abschluss  bildet  die  Darstellung  der  Einrichtungen  bei 
der  Armee  in  Frieden  und  Krieg  von  Hel  big  (Sarkowitz)  und 
Neumann  (Bromberg).  Ihr  soll  im  Schlussheft  der  Sanitätsdienst 
bei  der  Marine  folgen. 

Die  offene  Krankenpflege  und  eine  umfassende 
Bibliographie  der  Krankenpflege  sind  uns  noch  zugesagt.  Beide 
Themen  können  bei  ihrer  etwas  freieren  Stellung  im  Handbuche 
auch  hier  leicht  eine  gesonderte  Besprechung  finden. 

Die  Darstellung  dieses  umfassenden  Stoffes  ist  durchwegs 
eine  vorzügliche,  zumeist  —  die  Ausnahmen  sind  schon  oben  an¬ 
geführt  —  knapp  und  die  Rücksicht  auf  den  Zweck  gewahrt,  ln 
manchen  Capiteln  allerdings  mussten  sich  die  Verfasser  begnügen, 
ihre  Wünsche  und  Vorschläge  zu  skizziren.  Bei  dem  Eifer  aber, 
der  in  der  Bevölkerung  —  in  Deutschland  —  in  dieser  Hin¬ 
sicht  herrscht,  wird  eine  neue  Auflage  in  wenigen  Jahren  sicher 
schon  über  Thatsachen  zu  berichten  haben,  wo  heute  erst  Pläne 
gefasst  werden.  Hoffentlich  finden  sich  bis  dahin  auch  Bericht¬ 
erstatter  über  die  Verhältnisse  in  den  anderen  Culturstaaten,  welche 
im  Handbuche  leider  zumeist  nur  flüchtig  gestreift  wurden  und 
doch  sehr  viel  Wissens-  und  Nachahmenswerthes  enthalten.  Dann 
wird  man  dem  »Handbuche«  auch  den  Ehrentitel  eines  Standard 
Work  nicht  vorenthalten  können.  Dr.  Julius  Sternberg. 


Trotz  der 
keine  Frage 


Atlas  und  Grundriss  der  speciellen  pathologischen  Histo¬ 
logie. 

Von  Privatdocent  Dr.  II.  Diirck,  Assistent  am  pathologischen  Institute  in 

München. 

Lehmann’s  medicinische  Handatlanten.  Bd.  XX. 

München  1900,  Lehm  a  n  n. 

Mit  Vorliegendem  bringt  Verfasser  etwas  in  seiner  Art  ganz 
Neues,  ein  mit  ausschliesslich  farbigen  lafeln  (125  Abbildungen 
reich  ausgestattetes  Compendium  zur  Einführung  in  die  paliio- 
logische  Histologie.  Der  Versuch  ist  als  ein  recht  gelungene!  zu 
bezeichnen. 

Der  Text  zeichnet  sich  durch  wohlberechnete  Kürze,  die  Ab¬ 
bildungen  meist  durch  instructive  Auswahl  und  leicht  lässliche 
Einfachheit  der  Wiedergabe  charakteristischer  Bilder  aus.  Diese  Ein¬ 
fachheit  erscheint  allerdings  manchmal,  insbesondere  bei  Abbildungen 


21fi 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


mit  schwacher  Vergrösserung,  ein  wenig  auf  die  Spitze  getrieben, 
was  im  Allgemeinen  bei  einem  »Schulbuch«  —  als  solches  ist 
dieser  Alias  und  Grundriss«  doch  wohl  beabsichtigt  —  nicht  als 
Mangel  anzusehen  wäre,  hier  aber  hie  und  da  bis  zur  Schwerver- 
ständlichkeit  gesteigert  ist  (siehe  z.  B.  die  Tuberculose  des  Kehl¬ 
kopfes,  Tabula  28,  Big.  I,  das  tuberculose  Darmgeschwür,  Tabula  59, 
Fig.  II,  die  fibrinöse  Pericarditis  in  Organisation,  Tabula  7,  Fig.  11 
etc.).  Auffallend  erscheint  auch  die  stiefmütterliche  Kürze,  mit 
welcher  Verfasser  einzelne  Abschnitte  bedacht  hat,  die  gewiss  auch 
für  den  Anfänger  einer  eingehenderen  Behandlung  bedürfen.  So 
füllen  z.  B.  die  Neubildungen  des  Magens  nur  eine  Seite  Text  und 
eine  Tafel  (mit  zwei  Abbildungen,  von  denen  die  zweite  für  den 
Anfänger  weder  inslructiv,  noch  leicht  verständlich  ist),  während 
beispielsweise  den  Erkrankungen  der  Arterienwand  elf  Seiten  Text 
und  sechs  Tafeln  (mit  zwölf  Abbildungen)  gewidmet  sind.  Die  Neu¬ 
bildungen  der  Zunge,  des  Oesophagus,  des  Larynx,  der  Pleura  und 
des  Peritoneums  finden  überhaupt  keine  Erwähnung.  Allerdings  ist 
die  Schwierigkeit  der  Vertheilung  des  Lehrstoffes,  des  Ausmasses 
iu  der  Vertiefung  der  einzelnen  Abschnitte  nicht  zu  unterschätzen, 
und  gewiss  muss  dem  subjectiven  Ermessen  des  Lehrenden  ein 
grosser  Spielraum  eingeräumt  werden.  Vielleicht  bringt  auch  noch 
die  in  der  Vorrede  angekündigte  »allgemeine  pathologische  Histo¬ 
logie  eine  Ausfüllung  der  im  Vorliegenden  sich  bemerkbar  machen¬ 
den  Lücken.  Jedenfalls  werden  diese  zum  grossen  Theil  durch  das 
übrige  textlich  und  illustrativ  Gebotene  aufgewogen. 

Insbesondere  sind  viele  der  Bilder  mit  starker  Vergrösserung 
als  höchst  gelungene  zu  bezeichnen  und  machen  dem  Zeichner 
ebenso  wie  ihre  Reproduction  der  lithographischen  Kunstanstalt 
alle  Ehre. 

Praktisch  erscheinen  die  den  einzelnen  Capiteln  in  wenigen 
Worten  vorausgeschickten  Recapilulationen  der  wichtigsten  Details 
aus  der  normalen  Histologie  des  betreffenden  Organes. 

Die  Qualität  des  bisher  erschienenen  ersten  die  Erkrankungen 
der  Circulations-,  Respirations-  und  Digestionsorgane  behandelnden 
Bandes  lässt  auch  für  die  folgenden  (Schlussband  der  » specie' len« 
und  dritter  Band:  »Allgemeine  pathologische  Histologie«)  Gutes  er¬ 
warten  und  glaubt  Referent  diesem  Unternehmen  günstigen  Erfolg 
Voraussagen  zu  dürfen.  Dr.  Oskar  Stoerk. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

60.  Beitrag  zurKenntniss  der  Seelenstörunge  n 
d  e  r  E  p  i  1  e  p  t  i  k  e  r.  Von  Dr.  D  e  i  t  e  r  s,  Assistenzarzt  an  der  Pro- 
vincial-Irrenanstalt  in  Andernach.  Deiters  berichtet  zunächst 
über  einen  Fall,  in  welchem  bei  einem  epileptischen  und  mässig 
schwachsinnigen  Individuum  eine  chronische  Paranoia  vorhanden 
ist.  Deiters  erklärt  (im  Gegensätze  zu  Magnan)  den  krank¬ 
haften  Vorgang  so,  dass  ein  zur  Wahnbildung  disponirtes  Individuum 
an  Epilepsie  erkrankt.  Diese  ruft  allmälig  psychische  Veränderungen 
hervor,  welche  in  Folge  der  Disposition  die  paranoische  Form  ge¬ 
winnen.  In  einem  zweiten  von  Deiters  mitgethcilten  Fall  traten 
bei  einer  31jährigen  Frau  epileptische  Anfälle  auf.  Ein  Jahr  später 
entwickelte  sich  bei  dieser  Frau  zwei  Monate  nach  einer  Entbindung 
eine  Lactalionspsychose,  die  als  acute  Verwirrtheit  zu  bezeichnen 
war  und  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  den  auch  bei. nichtepileptischen 
Individuen  entstehenden  analogen  Psychosen  entsprach.  Die  Störung 
verlief  von  den  Krampfanfällen  völlig  unabhängig;  letztere  verursachten 
eine  stundenlange  Benommenheit,  nach  deren  Vorübergehen  die 
Psychose  wieder  unverändert  auftrat.  Deiters  glaubt,  dass  hier 
durch  die  Epilepsie  eine  Prädisposition  gegeben  wurde  und  auf 
dem  so  vorbereiteten  Boden  durch  das  Hinzukommen  einer  be¬ 
sonderen  Ursache  (der  Lactation)  eine  Geistesstörung  zum  Ausbruch 
kam.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVI,  Heft  5.) 

J. 

* 

01.  Spec  ifisches  Immunserum  gegen  Epithel. 
\  ou  Dr.  v.  Düngern  (Freiburg).  Die  Untersuchungen  erstreckten 
sieh  auf  Flimmerepithelzellen,  welche  aus  der  Trachea  von  Rindern 
sofort  nach  deren  Tödtung  abgeschabt  und  in  physiologischer  Koch¬ 
salzlösung  suspendirt,  Meerschweinchen  in  die  Bauchhöhle  injicirt 
worden  waren,  wo  sie  nach  sechs,  selbst  zehn  Tagen  lebend  an¬ 
getroffen  werden  konnten.  Wiederholt  man  die  ganze  Procedur 
abermals  nach  etwa  zwölf  Tagen,  so  gehen  die  Epithelzellen  dies¬ 


mal  sehr  schnell,  etwa  innerhalb  18  Stunden  zu  Grunde.  Nach 
Verfasser  hat  sich  ein  Antikörper  gebildet,  welcher  die  Epithel¬ 
zellen  angreift,  und  welcher  sich  auch  nach  obiger  Vorbehandlung 
im  Blute  nachweisen  lässt.  Düngern  meint  nun,  dass  es  bei  der 
durch  ihn  nachgewiesenen  Möglichkeit,  ein  Immunserum  mit  einem 
Antikörper  gegen  Epithelzellen  darzustellen,  nicht  ausgeschlossen 
sei,  dass  es  auch  gelingen  könnte,  ein  Serum  herzuslellen,  welches 
auf  Carcinomzellen  schädigend  einwirken  könne.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  38.)  Pi. 

* 

G2.  Symptomatischer  Korsakoff  und  Rückenmarks¬ 
erkrankung  bei  Hirntumor.  Von  Dr.  0.  Mönkemöller  und 
Dr.  L.  Kaplan,  Herzberge  bei  Berlin.  Der  in  dieser  Arbeit  be¬ 
schriebene  Fall  bezieht  sich  auf  eine  47jährige  Frau,  welche  die 
psychischen  Symptome  der  Korsakof f sehen  Psychose  bot.  Die 
schon  in  vivo  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  gestellte  Diagnose  auf 
Hirntumor  wurde  durch  die  Obduction  bestätigt,  indem  sich  im 
rechten  Schläfelappen  ein  Tumor  fand,  dessen  mikroskopische 
Untersuchung  ihn  als  Myxosarkom  ansprechen  liess.  Die  im  Rücken¬ 
mark  gefundenen  anatomischen  Veränderungen  bezogen  sich  fast 
ausschliesslich  auf  die  Hinterstränge  und  hinteren  Wurzeln,  die 
vorderen  Wurzeln  waren  frei  geblieben.  Die  Verfasser  verweisen 
darauf,  dass  K  o  r  s  a  k  o  f  f sehe  Symptome  und  Hirntumor  in  engster 
pathologischer  Verknüpfung  bestehen  können  und  finden  für  der¬ 
artige  Fälle  die  Bezeichnung  »symptomatischer  Korsakoff«  gerecht¬ 
fertigt.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVI,  Heft  5.) 

J. 

* 

63.  F  a  v  i  s  m  o.  Von  Dr.  Montano  (Savello).  Ueber  den 
Favismus  wurde  schon  am  11.  internationalen  Congresso  zu  Rom 
berichtet  und  man  versteht  darunter  eine  in  den  letzteren  Jahren 
in  Italien  nicht  selten  beobachtete  Krankheit,  von  welcher  Per¬ 
sonen,  bei  denen  offenbar  hiezu  eine  Prädisposition  vorhanden  ist, 
ergriffen  werden  und  die  ätiologisch  nicht  nur  auf  den  Genuss  der 
rohen  oder  gekochten  Früchte  der  gemeinen  Bohne,  sondern  sogar 
auf  den  Duft  ihrer  Bliithen  zurückgeführt  wird.  Sie  besteht  der 
Hauptsache  nach  in  einer  mehr  oder  minder  umfänglichen  Auf¬ 
lösung,  beziehungsweise  Zerstörung  der  rothen  Blutkörperchen  mit 
ihren  Folgen,  wie  Hämoglobinurie,  Milzschwellung  u.  s.  w.  Verfasser 
berichtet  über  vier  neue  von  ihm  beobachtete  derartige  Fälle,  von 
denen  zwei  tödtlich  endigten  und  von  welchen  einer  einen  Säug¬ 
ling  betraf,  der  erkrankte,  nachdem  die  Mutter  ein  Gericht  Bohnen 

verzehrt  hatte.  —  (Verlag:  Grieco,  Melfi.  1899.)  Pi. 

* 

64.  Beitrag  zur  Statistik,  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  und  Sym¬ 
ptomatologie  der  allgemeinen  progressiven  Para¬ 
lyse  der  Irren  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Syphilis.  Von  Hans  Sprengeler,  Wehnen.  Die  Unter¬ 
suchungen  Sprengele r’s  beziehen  sich  auf  337  auf  der  psychi¬ 
atrischen  Klinik  zu  Göttingen  in  den  Jahren  1866  bis  1898  be¬ 
handelte  Fälle  von  progressiver  Paralyse.  Unter  diesen  Fällen  war 
das  Zahlenverhältniss  zwischen  Männern  und  Frauen  7 : 1.  Die 
meisten  waren  im  Aller  zwischen  36  und  40  Jahren  erkrankt. 
Die  Durchschnittsdauer  der  Krankheit  betrug  bei  Männern  2  Jahre 
4  Monate,  bei  Frauen  3  Jahre  5%  Monate.  Unter  den  Kranken 
befanden  sich  13'2%  Angehörige  der  ersten  Gesellschaflsclassen, 
Landleute  nur  2‘34°/0.  Verhällnissmässig  oft  erscheinen  die  in  be¬ 
sonders  verantwortungsvoller  Stellung  befindlichen  niederen  Beamten 
(zumal  die  vom  Eisenbahndienstpersonal)  von  der  progressiven  Para¬ 
lyse  befallen.  Die  Literatur,  welche  sich  auf  den  Zusammenhang 
zwischen  Syphilis  und  progressiver  Paralyse  bezieht,  findet  ein¬ 
gehende  Besprechung,  ebenso  die  auf  die  übrigen  für  die  Entstehung 
dieser  Krankheit  angeschuldiglen  Factoren  bezügliche  Literatur. 
Sprengeler  fand  bei  seinen  Paralytikern  sicher  vorausgegangene 
Lues  bei  46’2%  der  männlichen,  35'9%  der  weiblichen  Fälle, 
wahrscheinlich  vorausgegangener  Lues  bei  8’3%  der  männlichen, 
18%  der  weiblichen  Fälle.  Nach  Sprengeler  ist  Lues  die 
häufigste,  doch  durchaus  nicht  die  einzige  Ursache  der  progressiven 
Paralyse.  Einige  Angaben  über  die  Häufigkeit  des  Vorkommens  der 
einzelnen  somatischen  Symptome  der  progressiven  Paralyse,  endlich 
ein  reiches  Literaturverzeichniss  schliessen  die  fleissige  Arbeit.  — 
(Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVI.  Heft  5.)  J. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


217 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Verliehen:  Dem  Chefarzte  Dr.  Sigmund  Altmann  in 
Karlsbad,  dem  Consulararzte  Dr.  Karl  M.  Ehrenfreund  in 
S  a  1  o  n  i  c  h,  dem  praktischen  Arzte  Dr.  Josef  Hoffmann  in 
Wien  der  kaiserlich  ottomanische  Medschidje  Orden  III.  CI.,  dem 
praktischen  Arzte  Dr.  Ephraim  Herdai  in  Kairo  derselbe 
Orden  IV.  CI. 

* 

Gestorben:  Der  Geh.  San. -Rath  Prof.  Dr.  Leich tenstern  in 
Köln.  —  Dr.  A.  II  o  a  d  1  e  y,  Professor  der  orthopädischen  Chirurgie 
in  Chicago. 

* 

In  dem  erst  vor  kurzer  Zeit  gegründeten  „W  iener  Aerzte- 
Club“,  der  sein  geräumiges  und  behagliches  Heim  im  I.  Bezirke, 
Schottengasse  7  (Telephon  Nr.  15.725),  seinen  Mitgliedern  von  10  Uln 
Vormittags  bis  Mitternacht  zur  Verfügung  stellt,  hat  sich  bereits  ein 
reges  Clubleben  entwickelt.  Täglich  besuchen  eine  grössere  Anzahl 
von  Mitgliedern,  deren  der  Club  derzeit  schon  über  150  zählt,  die 
Localitäten,  um  hier  Ansprache,  Lecture  zu  finden  oder  im  Spiele 
(Karten,  Schach,  Billard)  Ablenkung  und  Erholung  von  den  Sorgen 
und  Mühen  der  Praxis  zu  suchen.  Jeden  Montag  hält  im  giossen 
Sitzungssaale  der  Verein  der  Aerzte  des  I.  Bezirkes  seine  Plenar¬ 
versammlung  oder  geselligen  Abend,  jeden  Monat  tagt  hier  der  Gential- 
verband  der  österreichischen  Balneologen,  jeden  Sonntag  Abends  ist 
gesellige  Vereinigung  der  Clubmitglieder  und  ihrer  Familien  und  dem¬ 
nächst  soll  der  erste  Club-Herrenabend  mit  musikalischen  und  humori¬ 
stischen  Vorträgen  stattfinden.  Diesen  Darbietungen  gegenüber  ist  der 
Jahresbeitrag  von  12  Gulden  (ganz-  oder  halbjährig  zu  leisten)  und 
die  Eintrittstaxe  von  15  Gulden  (die  eventuell  in  drei  Jahiesiaten 
entrichtet  werden  kann)  gewiss  nicht  hoch  gegriffen.  Es  ist  daher  eine 
stete  Vermehrung  der  Anzahl  der  Clubmitglieder  wohl  mit  Sicherheit 
zu  erwarten. 

* 

Die  constituirende  Versammlung  des  „Verbandes  der 
Aerzte  Wiens“  fand  Samstag,  den  17.  v.  M.  im  Saale  des 
Wiener  medicinischen  Doctorencollegiums  statt.  Nachdem  der  V  oisitzende, 
Primarius  Dr.  Heim,  im  Namen  des  Dreiercomites  die  grosse  Be¬ 
deutung  der  Organisation  der  Aerzte  Wiens,  die  hiemit  zur  Ihatsache 
geworden  ist,  eingehend  erläutert  hatte,  wurde  zur  Wahl  des  \  eibands- 
vorstandes  geschritten.  Gewählt  wurden  :  Zum  Präsidenten  Dr.  J  o  s  e  f 
Heim;  zu  Vicepräsidenten:  Dr.  Adolf  Gruss,  Dr.  Ludwig 
Stricker;  In  den  Vorstand :  Dr.  Hans  Schum,  Dr.  Josef 
Scholz,  Dr.  Josef  Kornfeld,  Dr.  Heinrich  Jellinek, 
Dr.  II  a  n  s  R.  v.  W  o  e  r  z,  Dr.  Ferdinand  Steiner,  Dr.  A  d  o  1  f 
Klein,  Dr.  Rudolf  Weiser.  Es  wurde  beschlossen:  Ausschüsse 
für  Pressangelegenheiten,  Krankenversicherungs-,  Stellungsvermittlungs¬ 
und  Standesangelegenheiten  einzusetzen.  Ferner  wurde  der  Antrag 
auf  die  Erlassung  eines  Aufrufes  an  sämmliche  Aerzte  V  iens  an¬ 
genommen. 

* 

Dr.  Eduard  Schiffs  Institut  für  Radiographie  und 

Radiotherapie. 

Nach  Ueberwindung  mannigfacher  Schwierigkeiten  haben  Docent 
Dr.  E.  Schiff  und  Dr.  L.  Freund,  deren  Verdienste  um  die  Ein¬ 
führung  der  Radiotherapie  in  die  Dermatologie  wohl  allgemein  ge¬ 
würdigt  sind,  eine  mustergiltige  Anstalt  eröffnet,  deren  Besuch  in 
mehrfacher  Hinsicht  interessant  und  belehrend  ist. 

Das  Institut  ist  im  Hause  Nr.  10  am  Bauernmarkt  untergebracht 
und  besteht  aus  einem  grossen,  mit  Glas  gedeckten  Hauptraume,  in  dem  die 
Apparate  aufgestellt  sind,  und  mehreren  Nebenräumlichkeiten,  die  als 
Dunkelkammer,  Mikroskopirzimmer,  Warteraum  etc.  verwendet  werden. 
Der  Apparatensaal  —  ursprünglich  ein  photographisches  Atelier  liegt 
gegen  Südost  und  hat  fast  den  ganzen  Tag  über  directes  Sonnenlicht. 
Ein  kräftiger  elektrischer  Ventilator  soll  den  Aufenthalt  in  dem  Raume 
auch  in  der  heissen  Jahreszeit  erträglich  und  angenehm  gestalten.  Der 
Betrieb  sämmtlicher  Apparate  erfolgt  durch  Gleichstrom,  der  durch 
Anschluss  an  die  Strassenleitung  bezogen  wird. 

Entsprechend  den  Ergebnissen  ihrer  dreijährigen  Untersuchungen 
über  die  biologischen  Wirkungen  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen  wandten 
Schiff  und  Freund  der  Anlage  der  Apparate  zur  Röntgen- Behand¬ 
lung  besondere  Aufmerksamkeit  zu.  Der  Strassenstrom  direct  wird 
hier  zum  Betriebe  des  therapeutischen  Apparates  nie  verwendet.  Der¬ 
selbe  hat  nur  die  Aufgabe,  von  einer  Centralstation  aus  die  sechs- 
zeilige  Accumulatorenbatterie  zu  laden,  welche  erst  den  Strom  von 
12  Volt  bei  höchstens  2  Ampere  für  die  primäre  Spule  des  Ruh  m- 
k  o  r  f  f’schen  Apparates  liefert.  Letzterer  ist  ein  Funkeninductor  mit 
rotirendem  Motor-Quecksilberunterbrecher  mit  einer  Schlagweite  von 
30  cm,  doch  gibt  die  eingeschaltete  Funkenstrecke  bei  Verwendung  des 
bezeichneten  Stromes  nie  mehr  als  12  cm  Schlagweite.  Mit  grösstem 


Nachdrucke  wiesen  Schiff  und  F  r  eund  bei  der  Demonstration  der 
Einrichtungen  ihres  Institutes  darauf  hin,  dass  sie  es  waren,  welche 
die  Dosirbarkeit  des  Mittels  zuerst  betonten,  dass  sie  seit  Jahren  in 
Wort  und  Schrift  vor  zu  intensiven  und  zu  hoch  gespannten  Strömen 
bei  der  R  ö  n  t  g  en  -  Behandlung  warnen,  dass  diese  Mahnungen  aber 
trotzdem  immer  und  immer  wieder  unbeachtet  bleiben,  dass  noch  immer 
der  Glaube  herrsche,  ein  zum  Photographiren  geeigneter  Apparat  gebe 
auch  günstige  therapeutische  Resultate  und  dass  die  Behandlung  mit 
derartigen  sehr  intensiven  und  hochgespannten  Strömen  nachweisbar 
jene  fatalen  Folgen  habe,  die  dem  ärztlichen  Publicum  in  letzter  Zeit 
an  verschiedenen  Orten  demonstrirt  wurden.  Im  Institute  wurde,  wie 
bemerkt,  jene  seit  drei  Jahren  bewährte  Einrichtung  belassen,  der 
directe  Strassenstrom  von  110  Volt  Spannung  aber  nur  zu  Durch¬ 
leuchtungszwecken  für  einen  grösseren  Röntgen-  Apparat  benützt, 
bei  dem  ein  sogenannter  Quecksilberturbinenunterbrecher  den  primären 
Strom  in  ausserordentlich  rascher  Aufeinanderfolge  unterbricht  und 
dadurch  ein  schönes,  gleichmässiges,  nicht  flackerndes  Licht  erzeugt. 
Der  ruhige  Gang,  das  Ausbleiben  des  Warmwerdens  der  kleinen  Ma¬ 
schine  war  bestimmend,  derselben  vorläufig  gegenüber  dem  Wehnelt¬ 
sehen  elektrolytischen  Unterbrecher  den  Vorzug  zu  geben.  Bei  diesem 
Apparate  Hessen  Dr.  Schiff  und  Dr.  Freund  eine  kleine,  recht 
zweckmässige,  von  den  übrigen  Röntgen-  Installationen  abweichende 
Einrichtung  anbringen.  Gewöhnlich  befindet  sich  der  Röntgen- 
Apparat  in  dem  Raume,  wo  die  Aufnahme  gemacht  wird;  das  Sausen 
der  Motore,  das  Knattern  der  Funken  hat  namentlich  bei  Kindern, 
nervösen  und  ängstlichen  Personen  oft  manche  Unannehmlichkeiten  im 
Gefolge,  indem  dieselben  oft  erschrecken,  Bewegungen  machen,  und  so 
die  Aufnahme  stören.  Um  diese  Uebelstände  zu  vermeiden,  wurde  die 
Wand  hinter  dem  R  ö  n  t  g  e  n  -  Apparate  durchbrochen,  die  Leitungen 
von  den  Polen  der  secundären  Spirale  mittels  dichter  Isolirungen,  die 
ebenfalls  erst  durch  mancherlei  Experimente  gefunden  wurden,  in  die 
benachbarte  Dunkelkammer  geführt,  wo  die  Aufnahme  vorgenommen 
wird;  gleichzeitig  wurde  vom  Stromkreise  der  primären  Spule  eine  Ab¬ 
zweigung  in  die  Dunkelkammer  geleitet  und  dort  mit  einem  Ein-  und 
Ausschalter  versehen,  so  dass  der  Arzt  in  der  Dunkelkammer  ganz 
unabhängig  vom  Apparate  den  Gang  der  Aufnahme  jederzeit  unter¬ 
brechen  kann.  Die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Röhre  verhält  sich  in  der  Dunkel¬ 
kammer  nicht  anders  als  eine  gewöhnliche  Lampe,  die  unauffällig  von 
einem  Orte  zum  andern  transportirt  werden  kann  ;  von  einer  maschi¬ 
nellen  Vorrichtung  sieht  und  hört  der  Patient  nichts. 

Als  Lagerungstisch  dient  ein  mit  Segeltuch  überzogenes  verstell¬ 
bares  Ruhebett,  auf  welchem  dem  Patienten  jede  mögliche  Stellung, 
auch  die  Trendelenbur  g’sche  Beckenhochlagerung ,  gegeben 
werden  kann,  die  sich  bei  Beckenaufnahmen  wiederholt  bewährte. 
F  r  e  u  n  d  machte  bei  dieser  Gelegenheit  Mittheilung  von  den  Ergeb¬ 
nissen  seiner  Untersuchungen,  dass  Schwefelwasserstoffgas  und  Schwefel¬ 
wasserstoffwasser  für  X-Strahlen  schwer  durchgängig  seien. 

Mittelst  entsprechender  Drahtleitungen  wird  im  grossen  Saale 
von  der  secundären  Spule  des  R  u  hmkorffs  noch  der  Condensatoi 
eines  d’A  rsonva  fischen  Apparates  beschickt.  Derselbe  dient  zur 
Erzeugung  der  Hochfrequenz- (Tesla-) Ströme,  die  nach  den  zahlreichen 
Publicationen  französischer  Autoren  (siehe  die  letzte  Nummer  der 
Leyde  n’schen  Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische  Therapie) 
sich  bei  verschiedenen  Haut-  und  Stoffwechselerkrankungen  ausser¬ 
ordentlich  bewähren.  Als  Beweis  der  Inductionswirkung  dieser  Ströme 
wurde  ein  Versuch  demonstrirt,  bei  dem  eine  Glühlampe,  die  in  der 
Mitte  einer  mannshohen  Drahtspule  frei  schwebend  ohne  irgend  einen 
Contact  mit  der  Leitung  aufgehängt  wurde,  in  lebhaftes  Glühen  ge- 
räth,  sobald  die  Drahtwindungen  von  den  hochgespannten,  sehr  fre¬ 
quenten  Strömen  durchflossen  werden.  Zur  weiteren  Vermehrung  der 
Schwingungen  und  Erhöhung  der  Spannung  derselben  dient  der  Re- 
sonateur  nach  0  u  d  i  n,  eine  Vorrichtung,  die  aut  einem  ähnlichen 
Princip  wie  das  Mitschwingen  gleichgestimmter  Stimmgabeln  beruht. 
Der  hier  erzeugte  Regen  leuchtender  und  geschlängelter  Funken  wird 
nach  den  Angaben  Oudin’s  bei  Behandlung  der  Prurigo,  des  Pruritus 
und  Schleimhautkatarrhe  mit  Vortheil  verwendet. 

Zur  Behandlung  mit  chemischen  Lichtstrahlen  nach  Finsen 
befindet  sich  im  Institute  erstens  ein  Sammelapparat  für  Sonnenlicht  : 
eine  hohle,  planconvexe  Linse,  die,  mit  ammoniakalisclier  Kupfersultat¬ 
lösung  gefüllt,  die  blauen  und  violetten  Strahlen  des  Sonnenspectrums 
im  Focus  vereinigt,  dann  ein  Apparat  für  elektrisches  Bogenlicht.  Do 
selbe  besteht  zunächst  aus  einem  im  Souterrain  des  Hauses  unt>  i 
gebrachten  1  Opferdekräftigen  Motor,  der,  vom  Strassenstrom  betrieben, 
seinerseits  einen  Dynamo  in  Gang  setzt,  welcher  die  nöthw  endign 
Stromintensität  von  80  Amperes  liefert.  Dieser  Strom  speist  eim 
mächtige  Bogenlampe,  auf  deren  Lichtbogen  ein  fernrohrahnhcln'r 
Linsen-Sammelapparat  eingestellt  ist.  Um  die  starke  Ilitzeentwic  >.  ung 
abzuhalten,  ist  dieser  Sammelapparat  von  einem  stets  circuhrenden 
Wasserstrom  durchflossen,  den  ein  Röhren-  und  Schlauchsystem  von 
der  Wasserleitung  an  den  Apparat  heranbringt.  Eine  Abzweigung  von 
letzterem  versorgt  mit  kaltem  Wasser  das  Compressorium,  das  nach 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


218 


Angabe  F  i  n  s  e  n’s  auf  die  kranke  Hautstelle  gedrückt  wird,  um  das, 
das  Eindringen  der  Strahlen  hindernde  Blut  zu  verdrängen.  Eine 
eingeschaltete  Schichte  von  Methylenblaulösung  fil tri rt  die  hier  un¬ 
zweckmässigen  leuchtenden  rothen,  gelben  und  grünen  Strahlen  des 
vvoissen  Lichtes  ab. 

Die  Aerzte  des  Instituts  demonstrirten  noch  die  bei  der 
11  ö  n  t  g  e  n  -  Behandlung  als  Schutzvorrichtung  in  Gebrauch  stehenden 
Bleimasken,  dann  eine  grosse  Anzahl  von  colorirten  Abbildungen  und 
Photographien,  welche  die  Resultate  der  verschiedenen  Behandlungs 
methoden  bei  Hypertrichosis,  Favus,  Sykosis,  Herpes  tonsurans,  Lupus 
vulgaris,  Lupus  erythematodes  etc.  darstellen.  Schiff  gab  hier  dem 
Gedanken  Ausdruck,  dass  nach  seinen  Erfahrungen  die  Röntgen- 
Behandlung  des  Lupus  vulgaris  gegenüber  jener  nach  Finsen  inso¬ 
fern  der  Vorzug  zu  geben  sei,  als  bei  letzterer  die  Behandlung  sehr 
langwierig  und  ausserordentlich  theuer  sei  und  überdies  ein  geschultes 
Personal  erfordere  —  Umstände,  die  bei  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Therapie 
weniger  ins  Gewicht  fallen. 

Das  Institut  soll  selbstverständllich  nicht  blos  praktischen,  son¬ 
dern  auch  wissenschaftlichen  Zwecken  dienen  und  erklärt  sich 
Dr.  Schiff  nicht  nur  bereit,  jenen  G'ollegen  dasselbe  zur  Verfügung 
zu  stellen,  welche  in  dieses  Gebiet  fallende  wissenschaftliche  Arbeiten 
unternehmen  wollen,  sondern  er  und  Dr.  Freund  werden  sich  in 
jeder  Weise  bemühen,  dieselben  nach  Können  und  Wissen  bestens  zu 
unterstützen. 

Schliesslich  verdient  es  besonders  hervorgehoben  zu  werden, 
dass  unbemittelten  Patienten,  die  von  Collegen  für  die  Radiotherapie 
geeignet  erklärt  und  empfohlen  werden,  hier  unentgeltliche  Behandlung 
zu  Theil  wird. 

Aus  Anlass  des  im  Jahre  1898  fertiggestellten  Neubaues  des 
Kaiser  Franz  Josef-Pavillons  im  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhause  in  Prag  haben  der  Bauleiter  und  die  Vorstände  der 
darin  untergebrachten  oculistischen,  internen  und  Frauenklinik,  die 
Professoren  C  z  e  r  m  a  k,  v.  J  a  k  s  c  h  und  Saenger,  es  unternommen, 
ein  Bild  des  Baues  an  sich,  sowie  der  inneren  Einrichtung  des  Pavil¬ 
lons  zu  geben.  Bei  Vermeidung  jeder  luxuriösen  Ausstattung  war  das 
Hauptaugenmerk  darauf  gerichtet,  die  Einrichtung  des  Hauses  so  zu 
gestalten,  wie  sie  nach  den  heutigen  Grundsätzen  der  Krankenpflege 
und  Hygiene  verlangt  werden.  Die  detaillirte,  mit  zahlreichen  Plänen 
und  Lichtdruckbildern  versehene  Beschreibung  der  einzelnen  Räumlich¬ 
keiten  des  Pavillons,  sowie  des  Inventars  gibt  einen  deutlichen  Ein¬ 
blick  in  die  durchaus  gelungene  Eintheilung  der  mit  allen  für  For¬ 
schung  und  Krankenbehandlung  nothwendigeu  Räumlichkeiten  und  Ein¬ 
richtungen  ausgestatteten  Kliniken. 

* 

Dr.  Julius  Neumann,  Privatdocent  für  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie,  wohnt:  I.,  Hpiegelgasse  18  und  ordinirt  von  3- — 4  Uhr. 

* 

Aus  dem  Sanität  s  berichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  6.  Jahreswoche  (vom  4.  Februar 
bis  10.  Februar  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  561,  unehelich  334,  zusammen 
895.  Todt  geboren:  ehelich  40,  unehelich  19,  zusammen  59.  Gesammtzah] 
der  Todesfälle  6H3  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
20  1  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  124,  Blattern  0,  Masern  10, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  5,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  4,  Neu¬ 
bildungen  41.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
(-j-  25),  Masern  378  (-}-85),  Scharlach  52  ( —  1),  Typhus  abdominalio 
;)  ( —  1),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  33  (-(-  2),  Croup  und 
Diphtherie  5G  (— j—  4),  Pertussis  71  (-j-  20',  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  11  (-f-  8),  Trachom  2  (-(-  1),  Influenza  4  (-(-  2). 


Freie  Stelle». 

Districtarztesstelle  im  Sanitätsdistricte  Ogfolderhaid, 
B  ölime  n.  Zu  diesem  Distriete  gehören  21  Oitschaften  mit  einem  Flächen¬ 
raume  von  5031  ha  und  circa  9000  Seelen.  Die  Bezüge  bestehen  in  jährlich 
800  A  Gehalt  und  200  A  Reisepauschale;  ausserdem  gewährt  der  Landes- 
ausschuss  des  Königreiches  Böhmen  eine  Subvention  von  400  K.  Betreffs 
der  Behandlung  der  im  Distriete  wohnenden  Bergwerks-  und  llolzarbeifer- 
familien  ist  ein  Uebereinkommen  mit  der  fürstlich  Schwarzenberg’schen 
Herrscliaftsadministration  Krumau  zu  treffen.  Die  vorschriftsmässig  inatruir- 
ten  Gesuche  sind  bis  längstens  15.  März  1900  bei  dem  Bezirks¬ 
ausschüsse  in  Oberplan  einzubringen.  Die  Besetzung  erfolgt  auf  ein  Jahr 
provisorisch,  nach  dessen  Ablauf  die  Bezirksvertretung  über  die  definitive 
Besetzung  entscheidet. 

Drei  Primararztesstellen  II.  Classe  im  Status  der  Ab- 
theilungsvoratände  der  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten,  und  zwar 
zwei  für  mediciuische  Abtheilungen  und  eine  Stelle  zugleich  für  eine 
chirurgische  Abtheilung  mit  dem  Range  der  VIII.  und  den  Bezügen  der 
IX.  Rangsclasse,  d.  i.  dem  Gehalte  von  2800  K,  mit  zwei  Quadriennal- 
Zu lagen  zu  je  200  A’und  der  Activitätszulage  jährlicher  1000  A"  zu  besetzen. 
Bewerber  um  diese  Stellen  haben  ihre  vorschriftsmässig  gestempelten,  mit 
dem  Tauf- oder  Geburtsscheine,  dem  Heimatscheine,  den  Nachweisen  über  die 
Erwerbung  des  Doctorgrades  der  gesammten  Heilkunde  an  einer  öster¬ 


reichischen  Universität,  sowie  mit  den  sonstigen  Dienstesdocumenten, 
beziehungsweise  Nachweisen  über  ihre  theoretische  und  praktische  Vor¬ 
bildung  versehenen  Gesuche,  und  zwar  wenn  die  Bewerber  bereits  im 
öffentlichen  Dienste  stehen,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Dienstbehörde, 
sonst  unter  Anschluss  eines  amtsärztlichen  Gesundheits-  und  legalen 
Sittenzeugnisses  unmittelbar  im  Einreichungsprotokolle  der  k.  k.  nieder- 
österreichischen  Statthalterei  bis  spätestens  15.  März  1900  einzubringen. 

G  e  m  e  i  n  d  e  a  r  z  t  e  s  s  t  e  1  1  e  in  Mariapfarr  im  Lungau, 
politischer  Bezirk  Tamsweg,  Salzbu  r  g,  vom  1.  April  1.  J.  zu  besetzen. 
Einwohnerzahl  des  Sanitätssprengels  2600.  Haltung  einer  Hausapotheke  er¬ 
forderlich.  Bezüge:  400  K  von  den  Gemeinden,  600  70  aus  dem  Landesfonde. 
Für  jede  Todteubeschau  2  K.  Gesuche  sind  an  die  Gemeindevorstehung  in 
Mariapfarr  zu  richten. 

Gemeindearztesstelle  in  Aldein,  Bezirk  Bozen,  Tirol  und 
Vorarlberg.  Wartgeld  1200  K  nebst  freier  Wohnung  und  unentgeltlichem 
Holzbezuge.  Visitengebühr  1  K  bei  Tag,  2  K  bei  Nacht  ohne  Unterschied 
der  Entfernung.  Ordinationsgebühr  50  //,  für  Todtenbeschau  2  K.  Der  Ge¬ 
meindearzt  hat  eine  Hausapotheke  zu  halten  und  den  Sanitätsdienst  im 
Sinne  der  Dienstesinstruction  für  Gemeindeärzte  zu  versehen.  Die  gehörig 
belegten  Gesuche  sind  bis  20.  März  d.  J.  an  die  Gemeindevorstehung 
in  Aldein  einzusenden.  Taufschein  erforderlich. 

Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Hübner,  Die  operative  Behandlung  der  hochgradigen  Kurzsichtigkeit. 
Ibidem.  1899.  Preis  M.  1. — . 

Moerieke.  Zur  Aetiologie  der  Tubengravidität.  Ibidem.  1900.  Preis 
M.  3.40. 

Schirmer,  Die  Impferkraukungen  des  Auges.  Ibidem.  Preis  M.  1. — . 
Wiliekler,  Ueber  Gasbäder  und  Gasinhalationen  aus  Schwefel  wässern. 
Ibidem.  Preis  M.  1.  — . 

Koeppe,  Die  physikalisch-chemische  Analyse  des  Liebensteiner  Stahlwassers. 
Ibidem.  Preis  M.  — .80. 

Snchaimek,  Die  Reizungszustände  und  Dauerentzündungen  des  Kehlkopfes. 
Ibidem.  Preis  M.  F20. 

Hagedorn.  Ursachen  und  Folgen  der  Erkrankungen  des  Warzentheiles  und 
ihre  Behandlung.  Ibidem.  Preis  M.  2.  — . 

Arndt,  Wie  sind  Geisteskrankheiten  zu  werthen?  Ibidem.  Preis  M.  2. — . 
Zander,  Die  Leibesübungen  und  ihre  Bedeutung  für  die  Gesundheit.  Teubner, 
Leipzig.  Preis  M.  1.15. 

Willebrand,  Zur  Kenntniss  der  Blutveränderungen  nach  Aderlässen.  Weilin 
&  Göös,  Helsingfors  1899.  92  S. 

Ebstein.  Leben  und  Streben  in  der  inneren  Medicin.  Enke,  Stuttgart  1900. 
Preis  M.  1.—. 

Fetzer,  Lungentuberculose  und  Heilstättenbehandlung.  Ibidem.  Preis 
M.  2.40. 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  22.  Februar  1900  (siehe 
Nr.  8,  1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

INTr.  e. 

Geschenke  : 

Atti  della  societä  italiana  di  Dermatologia  e  Sifilografia.  Riunione 

annuale  1895,  1897,  1898.  Roma  1896 — 1899.  8°.  Von  Herrn 

Prof.  L  a  n  g. 

Association  Francaise  d'urologie.  Session  1896,  1898,  1899.  Paris  1896 
bis  1900.  8°.  3  Vols.  Von  Herrn  Prof.  Lang. 

Laehr  Heinrich,  Die  Literatur  der  Psychiatrie,  Neurologie  und  Psychologie 
von  1459 — 1799.  Mit  Unterstützung  der  königlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Berlin.  Berlin  1900.  8n.  4  Vols.  Vom  Autor. 
»Galenits«,  Griechisches  medicinisehes  Wochenblatt.  Athen.  Jahrgang  1879, 
1883,  1889.  Von  Herrn  Dr.  G  a  1  a  1 1  i. 

* 

Neue  Tausch exemplare: 

Zeitschrift  für  Tuberculose  und  Heilstättenwesen.  Leipzig  1900  ff. 

Quarterly  Medical  Journal.  Sheffield  1900  ff. 

* 

An  gekauft: 

Beiträge  zur  experimentellen  Therapie.  Ilerausgegehen  von  Geheimen 
Medicinal-Rath  Prof.  E.  Behring,  Berlin  und  Wien  1899  ff. 

The  Journal  of  Pathology  and  Bacteriology.  Edit,  by  G.S.  Woodhead. 
Edinburgh  and  London  1899  ff. 

Annales  d’hygiene  publique  et  de  Medecine  legale.  Par  M.  M.  Adelou, 

A  n  d  r  a  1  etc.  Paris  1900  ff. 

Archives  Provinciate  de  Medecine.  Paraissant  tons  les  Mois.  Redact. 
M.  B  a  u  d  o  u  i  n.  Paris  1899  ft-. 

Archives  Provinciale  de  Chirurgie.  Paraissant  tous  le  Mois.  Redact. 
M.  B  a  u  d  o  u  i  u.  Paris  1899  ff. 

Bibliographia  Medica.  (Index  Medicus.)  Directeur-Fondateur :  Dr.  M.  Bau- 
d  o  u  i  n.  Paris  1900  ff. 

W  i  e  n,  im  Februar  1900.  Unger. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


219 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressherichte. 


Il^TIiALT : 


Officielles  Protokoll  (1er  k.  k.  Gesellschaft  (1er  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung-  vom  23.  Februar  1900. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
13.  Februar  1900. 


1  Berichte  aus  dem  Verein  österreichischer  Zahnärzte.  Monatsversamm¬ 
lung  vom  6.  December  1899. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  23.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Weinlcchner. 

Schriftführer :  Dr.  Funke. 

Prof.  Weinlechner  stellt  eine  26jährige  Köchin  wegen  eines 
eigenthümlichenKniegelenksleidens  vor.  Dieselbe  über¬ 
stand  im  December  1899  bis  Mitte  Januar  auf  der  Abtheilung  des 
Hofrathes  Prof.  Dräsche  einen  Gelenksrheumatismus,  wobei  nebst 
anderen  Gelenksanschwellungen  auch  eine  solche  im  rechten  Knie¬ 
gelenke  auftrat.  Nach  Abschwellen  dieses  Knies,  d.  i.  seit  Mitte 
Januar,  bemerkte  Patientin  ein  anfangs  leises  Krachen  im  Gelenke, 
das  immer  stärker  auftrat.  Gleichzeitig  bestanden  Schmerzen,  die  sie 
nöthigten,  beim  Gehen  das  rechte  Kniegelenk  gebeugt  zu  halten. 

Zu  Ende  der  Streckung  und  bei  Beginn  der  Beugung  hört  und 
fühlt  man  am  Knie  ein  knackendes  Geiäusch,  und  zwar  am  deut¬ 
lichsten  in  der  Kniekehle,  theils  mehr  aussen,  theils  mehr  in  der 
Medianlinie.  Am  lautesten  ist  das  erstere.  Beide  scheinen  etwas  nach 
aussen  und  hinten  im  Kniegelenke  zu  entstehen.  Die  ganze  Kniekehle 
ist  etwas  druckempfindlich,  am  meisten  die  Partie  medianwärts  von 
der  Bicepssehne.  Am  grössten  ist  der  Schmerz  am  Ende  der  Streckung, 
wie  auch  die  vollständig  gestreckte  Lage  am  schlechtesten  vertragen 
wird.  Patientin  hinkt  stark  bei  mässiger  Beugung  im  rechten  Knie¬ 
gelenke.  Dabei  wird  das  rechte  Bein  abducirt  und  der  Fuss  tritt  mit 
dem  inneren  Rande  auf. 

Weinlechner  ist  der  Ansicht,  dass  die  Ursachen  des  Leidens 
am  hinteren  Ende  des  rechten  Meniscus  seinen  Sitz  habe;  welcher  Art 
dasselbe  sei,  lässt  sich  mit  Bestimmtheit  nicht  sagen.  Jedenfalls  muss 
der  Knorpel  seine  Glätte  eingebüsst  haben,  und  es  müssen  an  ihm 
Dickendifferenzen  vorhanden  sein,  wodurch  bei  Beugung  und  Streckung 
das  Holpern  erzeugt  wird.  Insoferne  haben  diese  Geräusche  bei  jeder 
Streckung  und  Beugung  Aehnlichkeit  mit  dem  federnden  Finger.  Es 
wäre  immerhin  möglich,  dass  eine  Lockerung  der  hinteren  Verbindung 
und  eine  dadurch  bedingte  Subluxation  des  äusseren  Meniscus  die  Ur¬ 
sache  dieser  Erscheinungen  sei.  Indess  lässt  sich  ein  Vorspringen  nach 
hinten  zu,  wie  es  sonst  bei  Luxationen  des  Meniscus  beobachtet  wird, 
in  dem  Falle  nicht  nach  weisen. 

Weinlechner  hat  der  Kranken  die  Wegnahme  des  hinteren, 
äusseren  Meniscusantheiles  angerathen;  da  die  Kranke  vorläufig  auf 
diesen  Vorschlag  nicht  eingeht,  so  wird  die  Patientin  einen  fixirten 
Verband  in  gestreckter  Stellung  bekommen. 

In  dem  jetzigen  Zustande  ist  die  Kranke  wegen  der  heftigen 
Schmerzen  bei  jedem  Auftreten  vollkommen  dienstunfähig. 

Prof.  Hochenegg  berichtet  über  einen  Fall  von  intra¬ 
abdominaler  Torsion  des  Netzes.  (Erscheint  ausführlich  in 
dieser  Wochenschrift.) 

Prof.  M.  Heitler  berichtet  über  im  Laboratorium  des  Profesors 
v.  Basch  aufgeführte  Versuche  über  Volumschwankungen 
des  Herzens. 

Angeregt  durch  gelegentliche  Beobachtungen  am  Thiere,  ins¬ 
besondere  aber  durch  seine  klinischen  Erfahrungen  über  die  Volum- 
schwankungen  des  Herzens  hat  Heitler  die  Frage  einer  systemati¬ 
schen  experimentellen  Prüfung  unterzogen.  Die  Versuche  wurden  an 
Hunden  gemacht,  die  Volumveränderungen  zuerst  am  freigelegten 
Herzen  durch  Inspection,  dann  plethysmographisch  studirt. 

Die  Versuche  haben  Hei  tier’s  klinische  Beobachtungen  über 
die  Volumschwankungen  des  kranken  Herzens  vollauf  bestätigt.  Das 
Volum  des  Herzens  ist  nicht  constant,  das  Volum  des  Herzens  hängt 
mit  seiner  Function  zusammen  und  die  Volum  Veränderungen  sind  den 
Functionsvei änderungen  vollkommen  congruent.  Das  dilatirte  Herz 
zeigt  in  längeren  oder  kürzeren  Intervallen  auftretende,  erst  regel¬ 
mässige,  dann  unregelmässig  erfolgende  Volumschwankungen,  ein 
succesives  An-  und  Abschwellen;  bei  Zunahme  des  Volums  ist  der 
Puls  verlangsamt,  bei  Abnahme  derselben  ist  der  Puls  beschleunigt; 
die  Pulscurve  zeigt  nebst  Aenderung  der  Frequenz  auch  wesentliche 
Aenderung  der  Druckverhältnisse.  Die  periodischen  Volumschwankungen 
sind  der  Ausdruck  einer  Störung  des  Herzens,  welche  man  als 
Elasticitätsvermindcrung,  als  Dehnung  bezeichnen  kann  ;  da,  wie  die 
plethysmographische  Curve  zeigt,  minime  Volumschwankungen  auch 


vor  dem  Eingriffe  vorhanden  sind,  so  handelt  es  sich  offenbar  um 
Steigerung  von  vor  dem  Eingriffe  vorhandenen  Verhältnissen. 

Heitler  hat  die  Volumveränderungen  bei  folgenden  Versuchen 
geprüft:  bei  Compression  der  Aorta  und  Vena  cava,  bei  Reizung  des 
Vagus  und  Accelerans,  bei  gestörter  Athmung,  bei  mechanischer 
Reizung  des  Pericardiums  und  bei  Transfusion.  Ausserdem  hat  Heitler 
beobachtet,  dass  das  Herz,  wenn  das  Thier  von  Krämpfen  befallen 
wird,  allsogleich  anschwillt  und  dass  es  beim  Aufhören  der  Krämpfe 
allsogleich  abschwillt.  Bei  mechanischer  Reizung  des  Pericardiums  und 
bei  Transfusion  zeigten  sich  die  periodischen  Volumschwankungen  in 
prägnanter  Weise,  und  zwar  waren  die  Erscheinungen  bei  beiden  Ein¬ 
griffen  vollkommen  gleich,  nur  waren  sie  bei  der  Transfusion  inten¬ 
siver  als  bei  der  Pericardialreizung.  Bei  der  Transfusion  grösserer 
Mengen  von  physiologischer  Kochsalzlösung  wurde  das  Herz  stark 
dilatirtund  starbunter  fortwährenden,  unregelmässigerfolgenden  Volum¬ 
schwankungen  ab,  nur  bei  einem  Thiere  erholte  sich  das  Herz  vollständig. 

Discussion  über  den  Vortrag  des  Docenten  Herzfeld: 

Privatdocent  Dr.  Maximilian  Sternberg:  Obwohl  die  Discussion 
über  die  Enteroptose  durch  die  wiederholte  Unterbrechung  erheblich 
an  Interesse  eingebüsst  haben  dürfte,  will  ich  es  doch  nicht  unter¬ 
lassen,  einige  Bemerkungen  über  den  Gegenstand  vorzubringen,  da  er 
von  grosser  praktischer  Bedeutung  ist. 

Dass  eine  Gruppe  von  Störungen  im  Gebiete  der  Verdauungs- 
organe  häufig  mit  einer  Gruppe  von  nervösen  Störungen  verbunden 
ist,  ist  seit  Alters  wohl  bekannt. 

Man  hat  oft  versucht,  den  ganzen  Complex  von  Erscheinungen 
als  eine  causale  Kette  zu  deuten  und  je  nach  der  herrschenden  An¬ 
schauungsweise  das  Anfangsglied  an  einer  anderen  Stelle  gesucht.  So 
war  die  älteste  Auffassung  die,  dass  die  Darmstörungen  das  Primäre, 
Magenerscheinungen  und  nervöse  Symptome  das  Secundäre  seien.  Als 
der  Begriff  der  Neurasthenie  populär  wurde,  hat  man  umgekehrt  den 
nervösen  Depressionszustand  für  primär  erklärt  und  daraus  die  nervöse 
Atonie,  die  nervöse  Dyspepsie,  die  neurasthenisehe  spastische  Stuhl¬ 
verstopfung  abgeleitet.  Es  war  da  nun  entschieden  ein  Fortschritt,  als 
der  Badearzt  Glenard  erkannte,  dass  ausser  deu  zahlreichen  subjec- 
tiven  Symptomen,  welche  solche  Patienten  darbieten,  auch  eine  ob¬ 
jective  Störung  im  Bereiche  der  Bauchorgane  vorhanden  sei. 

Nun  hatten  allerdings  schon  früher  Andere,  so  schon  Peter 
Frank  in  Wien,  auf  Verdauungsstörungen  bei  Lageveränderungen 
der  Baucheingeweide,  beim  Hängebauche,  bei  grossen  Ventralhernien 
u.  s.  w.  aufmerksam  gemacht.  Aber  die  Publicationen  Glenards 
haben  zweifellos  das  Verdienst,  dass  eine  Gruppe  von  Kranken  heraus¬ 
gegriffen  wurde,  die  ein  ziemlich  gleichartiges  Bild  darbieten.  Dass  die 
Häufigkeit  dieses  Zustandes  so  verschieden  beurtheilt,  von  \ielen  ent¬ 
schieden  überschätzt  wird,  liegt  wohl  daran,  dass  er  nicht  genügend 
scharf  von  anderen  Fällen  gesondert  wird,  insbesondere  von  den  fällen, 
in  welchen  die  Atonie  des  Darmtractus  das  wesentliche  Leiden  bildet, 
ferner  daran,  dass  er  mit  der  beweglichen  Niere  identificirt  wird,  wie 
dies  auch  Herr  College  Tandler  zu  thun  scheint.  Nimmt  man  die 
bewegliche  Niere  als  Indicator  für  die  Enteroptose,  dann  wird  freilich 
dieser  krankhafte  Zustand  ungeheuer  häufig. 

Zur  Erläuterung  der  hiehergehörigen  Fragen  muss  ich  mit  einigen 
Worten  die  Pathogenese  der  Enteroptose  und  speciell  die  Lehre  vom 
intraabdominalen  Druck  besprechen. 

Man  kann  sieh  die  Anschauungen  über  die  praktisch  bedeutungs¬ 
volle  Frage  etwa  folgendermassen  entwickeln: 

Denken  wir  uns  den  Menschen  in  aufrechter  Stellung,  die  Bauch¬ 
wandungen  zunächst  starr,  die  Eingeweide  einfach  aufeinandei  gt 
schichtet.  Dann  lägen  auf  dem  Beckenboden  die  Organe  des  Beckens, 
darauf  die  mit  Luft  und  Flüssigkeit  gefüllten  Därme,  ganz  oben  die 
etwa  2  hg  schwere  Leber,  wie  auf  einem  Luftkissen,  die  Däime  com- 
primirend  und  spannend.  Der  Beckenboden  und  das  untere  Viertel  dei 
vorderen  Bauchwand  bilden  den  Boden  des  Gefässes  und  hätten  dtn 
grössten  Druck  zu  tragen,  der  nach  oben  erst  langsam,  dann  im  1"- 
reiche  der  Leber  rasch  abnimmt.  Die  Autoren,  welche  dem  intraabdo¬ 
minalen  Drucke  eine  wesentliche  Rolle  für  die  Fixirung  der  Lingew  eido 
zuschreiben,  machen  nur  folgende  Ueberlegung:  Alan  denkt  sich  an 
Stelle  der  starren  vorderen  Bauchwand  eine  elastische  Membran.  -  mm 
hat  diese  nicht,  wie  die  starre  Wand,  unten  an  der  Symphyse  den 
stärksten  Druck  zu  tragen,  oben  aber  einen  geringeren,  da  er  mit  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


Höhe  der  lastenden  Säule  abnimmt,  sondern  es  wird  die  Membran  ver¬ 
möge  ihrer  Elasticität  gleichmässig  ausgedehnt,  der  von  ihr  auf  die 
Eingeweide  ausgeübte  Druck  pflanzt  sich  daher  auch  in  ihnen  gleich¬ 
mässig  fort,  drängt  die  Leber  nach  oben  und  hält  sie  in  dieser  L^ge, 
fixirt  die  Niere  an  der  hinteren  Bauchwand  und  die  Organe  des  Beckens 
in  diesem. 

Dieser  Gedankengang,  der  auf  den  ersten  Blick  sehr  plausibel 
erscheint,  macht  nun  stillschweigend  zwei  Voraussetzungen.  Erstens, 
dass  sich  der  Druck  im  Bauchraume  gleichmässig  nach  allen  Richtungen 
fortpflanze  —  manche  Autoren  weisen  darauf  hin,  dass  ja  der  Inhalt 
der  Bauchhöhle  aus  Luft  und  Flüssigkeit  bestehe  — ,  zweitens,  dass 
die  vordere  Bauchwand  einer  gleichmässig  elastischen  Membran,  etwa 
einem  lvautschukballon,  vergleichbar  sei.  Beide  Voraussetzungen  treffen 
nun  in  Wirklichkeit  nicht  zu.  Der  Druck  pflanzt  sich  im  Bauchraum 
nicht  nach  allen  Richtungen  gleichmässig  fort.  Es  gilt  ja  für  den 
Darm  nicht  das  Gesetz  der  communieirenden  Gefässe,  das  mit  dem 
von  der  gleichmässigen  Fortpflanzung  des  Druckes  in  Flüssigkeiten  im 
Grunde  identisch  ist. 

Man  sieht  auch  alle  Tage,  dass  ein  Theil  des  Bauchraumes 
gespannt,  ein  anderer  Theil  weich  und  leicht  ausdrückbar  ist.  So  kann 
z.  B.  bei  gefüllter  Blase  das  Hypocbondrium  beiderseits  ganz  weich 
und  bis  in  die  Tiefe  dem  Getaste  zugänglich  sein,  während  der  untere 
Theil  des  Abdomens  gespannt  ist. 

Mit  der  Entleerung  der  Blase  wird  dieser  Theil  auch  weich,  die 
Verhältnisse  in  den  Hypochondrien  ändern  sich  nicht  wesentlich. 

Noch  deutlicher  wird  das  unter  pathologischen  Verhältnissen,  bei 
Tumoren,  partiellen  Entzündungen  und  Anderem.  Ferner  ist  die  Bauch¬ 
wand  nicht  einer  Kautschukmembran  zu  vergleichen.  Die  Muskeln  sind 
ausserordentlich  leicht  dehnbar  und  es  kann  sich  die  Dehnung  auf 
einzelne  Abschnitte  der  Bauchwand  beschränken,  ohne  dass  der  elasti¬ 
sche  Zug  auf  die  ganze  Bauchwand  gleichmässig  vertheilt  wird.  Auch 
das  sieht  man  alle  Tage  am  Krankenbette.  Es  ist  also  der  ganze  Ge¬ 
dankengang  vom  intraabdominalen  Druck  und  der  Fixation  der  Ein¬ 
geweide  durch  ihn  nicht  haltbar.  Wir  können  dem  intraabdominalen 
Drucke  und  seinen  Veränderungen  nur  eine  ganz  geringe  Rolle  beim 
Zustandekommen  der  Enteroptose  zuschreiben. 

Diese  Ueberlegungen,  die  ich  Ihnen  da  vorbringe,  sind  übrigens 
nicht  blos  für  die  Frage  der  Enteroptose  wichtig,  sondern  haben  noch 
in  mancher  anderen  Beziehung  praktische  Bedeutung.  Ich  will  nur  auf 
einen  Irrthum  hinweisen,  der  sich  in  fast  allen  Lehrbüchern  fortpflanzt. 
Es  heisst,  man  solle  hohe  Irrigationen  bei  Ileus  und  Anderem  in  der 
Knieellenbogenlage  machen,  weil  dann  der  intraabdominale  Druck 
negativ  werde.  Es  ist  von  vornherein  klar,  dass  der  Druck  im 
Bauchraum  nicht  durch  irgend  eine  Lage  Veränderung  dauernd  negativ 
werden  kann,  weil  keine  Saugkraft  vorhanden  ist,  die  den  Druck  unter 
dem  Luftdrucke  halten  könnte  und  der  Bauchraum  nachgiebige  Hüllen 
besitzt.  Diese  irrige  Anschauung  beruht  auf  der  Beobachtung,  dass  in 
dieser  Lage  die  Scheide  klafft,  und  auf  Druckmessungen  im  Rectum, 
die  ein  berühmter  Gynäkologe  ausgeführt  hat.  Nun,  es  ist  klar,  dass 
das  Rectum  und  die  Vagina  erweitert  werden,  wenn  ihre  vordere  Wand 
mit  den  Baucheingeweiden  nach  vorne  fällt.  Wenn  man  ihre  Höhle 
durch  Quecksilber  absperrt,  wird  natürlich  das  Quecksilber  augesaugt, 
das  Manometer  stellt  sich  auf  einen  niedrigeren  Stand  ein.  Das  beweist 
aber  keinen  negativen  intraabdominalen  Druck.  Es  ist  also  eine  ganz 
überflüssige  Quälerei  der  Kranken,  sie  bei  einer  hohen  Irrigation  in 
Knieellenbogenlage  zu  halten.  In  der  That  gelingt  es  in  Seitenlage, 
ebenso  grosse  Flüssigkeitsmengen  in  den  Darm  einzuführen.  Wenn 
man  gerade  auf  die  paar  Centimeter  Wasserhöhe,  durch  welche  der 
Druck  im  Rectum  in  der  Knieellenbogenlage  abnähme,  Gewicht 
legt,  so  kann  man  sie  durch  entsprechendes  Erheben  des  Irrigators 
erreichen. 

Kehren  wir  nun  zur  Lage  der  Baucheingeweide  zurück.  Herr 
Dr.  Tändle  r  hat  schon  an  die  F'ixation  der  Leber  durch  die  Hohl¬ 
vene  erinnert.  Es  ist  aber  trotzdem  die  Leber  an  dieser  Stelle  nicht 
absolut  befestigt,  da  sie  kein  starres  System,  sondern  eine  plastische 
Masse  von  halbflüssiger  Consistenz  ist.  Die  Leber  verändert  ja  ihre 
Form  beispielsweise  sehr  wesentlich,  wenn  sie  aus  dem  Körper  heraus¬ 
genommen  und  auf  den  Sectionstisch  gelegt  wird.  Der  vordere  Antheil 
der  Leber  kann  daher,  wenn  durch  Ausdehnung  des  unteren  Theiles 
der  Bauchwand  beim  Hängebauche,  durch  Diastase  der  Recti  u.  s.  f., 
ihm  die  Stütze  au  den  Gedärmen  genommen  wird,  entlang  dem  Zwerch¬ 
fell  und  der  vorderen  Bruchwand  gleichsam  herabfliessen.  So  kommen 
Formveränderungen  und  Drehungen  der  Leber  zu  Stande  und  um 
diese  handelt  es  sich  bei  der  Enteroptose,  nicht  um  „Wanderleber“ 
im  eigentlichen  Sinne. 

Von  der  beweglichen  Niere  habe  ich  schon  eingangs  gesprochen. 
Die  Niere  ist  ja  wahrscheinlich  überhaupt  in  den  meisten  Fällen  etwas 
beweglich,  in  sehr  vielen  mit  der  Respiration  verschiebbar.  Eine  tast¬ 
bare  bewegliche  Niere  ist  bei  schlankem  Rumpfe  ungeheuer  häufig. 
Sie  dart  daher  nicht  ohne  Weiteres  als  Theilerscheiuung  der  Enteroptose 
gedeutet  werden,  wiewohl  sie  auch  die  Folge  dieses  Zustandes  sein 


kann.  Die  bewegliche  Niere  ist  aber  an  sich  nichts  Pathologisches- 
Sie  verursacht  nicht  die  gleichzeitigen  nervösen  Störungen.  Wohl  aber 
hängt  sie  mit  ihnen  durch  die  Constitution  des  Patienten  zusammen. 
Wenn  man  Gelegenheit  hat,  ganze  Familien  zu  behandeln,  so  kann 
man  oft  sehen,  dass  bewegliche  Niere  und  Neurasthenie  oder  Hysterie 
bei  gewissen  Mitgliedern  derselben  häufig  sind.  Es  haben  eben  die 
Mitglieder  einer  Familie  dieselbe  Körperform  und  gleichzeitig  dieselbe 
nervöse  Anlage.  Ich  muss  auch  betonen,  dass  man  die  bewegliche 
Niere,  entgegen  einer  jüngst  publicirteu  Angabe,  auch  bei  Kindern 
findet.  Freilich  ist  sie  weit  seltener  als  beim  Erwachsenen,  es  sind 
aber  die  topographischen  Verhältnisse  des  kindlichen  Bauchraumes 
bekanntlich  anders.  Deshalb  soll  man  nicht  unnöthiger  Weise  den 
Patienten  auf  seine  bewegliche  Niere  aufmerksam  machen,  wenn  man 
nicht  die  Absicht  hat,  dieses  Organ  direct  zum  Angriffspunkte  thera¬ 
peutischer  Massregeln  zu  machen.  Ich  habe  wiederholt  gesehen,  dass 
die  Kranken  seit  einer  solchen  ärztlichen  Consultation  voll  hypochon¬ 
drischer  Ideen  in  Bezug  auf  ihre  Niere  waren,  und  sich  für  unheilbar 
„nierenkrank“  hielten.  Es  ist  in  solchem  Falle  jedenfalls  besser,  die 
Diagnose  „Enteroptose“  zu  sagen,  wenngleich  sie  eigentlich  un¬ 
richtig  ist. 

Sondert  man  so  die  Fälle  von  Wanderniere  und  von  Darm¬ 
störungen,  die  Fälle  von  gewöhnlichem  Hängebauch,  von  Nabelhernien, 
von  Ventralhernien  u.  s.  w.,  so  schrumpft  die  Zahl  der  „Enteroptose“- 
Fälle  beträchtlich  zusammen.  Immerhin  kann  man  die  Diagnose  klinisch 
aus  dem  Verhalten  des  Abdomens  in  aufrechter  und  liegender  Stellung, 
aus  dem  Zurücktreten  des  vorderen  Leberrandes  nach  dem  Glenar  fi¬ 
schen  Griffe  auf  das  Hypogastrium,  aus  der  Insufficienz  der  Recti 
beim  Versuche,  sich  aus  der  Horizontallage  ohne  Zuhilfenahme  der 
Arme  zu  erheben,  aus  dem  Complexe  von  Verdauungsstörungen,  der 
fahlen  Gesichtsfarbe  und  dem  missmuthigen  Gesichtsausdrucke  doch 
nicht  allzuselten  stellen  und  durch  das  Resultat  entsprechender  Be¬ 
handlung  a  posteriori  verificiren. 

In  therapeutischer  Hinsicht  sei  nur  darauf  hingewiesen,  dass 
die  irrige  Vorstellung  vom  abdominalen  Drucke  dazu  geführt  hat, 
blähende  Speisen  und  Hefe  zu  verordnen,  um  dadurch  den 
intraabdominalen  Druck  bei  Enteroptose  auf  die  normale  Höhe  zu 
bringen.  Das  ist  natürlich  theoretisch  nicht  berechtigt  und  nicht  zweck¬ 
mässig.  Trotzdem  aber  kann  man  die  Beobachtung  machen,  dass  viele 
Kranke  sich  bei  gelegentlicher  Verabreichung  blähender  Speise 
wohler  fühlen  als  bei  der  „leichtverdaulichen“  Kost,  die  noch  immer 
von  vielen  Aerzten  verordnet  wird.  Gerade  solche  Kranke  mit  Flatulenz 
befinden  sich  bei  der  beliebten  Verordnung  von  „gebratenem  Fleisch“ 
schlecht,  weil  die  zähe  Kost  und  die  daraus  entstehende  Stuhl¬ 
verstopfung  die  Bildung  und  Anhäufung  von  Darmgasen  begünstigen. 
Ich  habe  bei  einem  Patienten  eine  bedeutende  Besserung  der  Be¬ 
schwerden  gesehen,  der  auf  Verordnung  eines  alten  Weibes  schwarzen 
Rettig  regelmässig  genoss.  Ich  verordne  deswegen  zur  Erhöhung  der 
Darmperistaltik  in  geeigneten  Fällen  mit  gutem  Erfolge  ein  altes, 
heute  fast  obsoletes  Mittel  —  das  Sie  hoffentlich  nicht  als  Signatur 
dieser  Discussion  ansehen  werden  —  nämlich  Schwefel  in  kleinen 
Dosen. 

Dr.  Wilhelm  Knoepfelmacher:  Meine  Herren!  Die 
hauptsächlichsten  Ausführungen  des  Herrn  Dr.  Herzfeld  haben  sich 
auf  die  noeh  dunkle  Aetiologie  der  Enteroptose  bezogen.  Seine  dies¬ 
bezüglichen  Anschauungen  gipfeln  darin,  dass  vor  Allem  ein  Moment 
zur  Enteroptose  führt,  die  Schlaffheit  jener  Gewebe,  welche  die  Wan¬ 
dungen  der  Bauchhöhle  bilden.  Und  es  stellt  nur  eine  Abart  dieser 
Entstehungsweise  einer  Enteroptose  dar,  wenn  Dr.  Herz  fei  d  zum 
Resultate  kommt,  dass  nicht  nur  die  Schlaffheit  der  Bauchmuskeln, 
sondern  auch  die  des  Beckenbodens  zur  Enteroptose  führen  kann. 

Ich  möchte  mir  nun  erlauben,  hier  von  einigen  Beobachtungen 
Mittheilung  zu  machen,  welche  geeignet  sind,  einen  Beitrag  zur  Aetio¬ 
logie  der  Enteroptose  zu  liefern.  Die  beiden  Fälle,  die  ich  gesehen 
habe,  sind  schon  durch  das  Alter  der  Patienten  von  Interesse:  es 
handelt  sich  nämlich  um  Säuglinge.  So  häufig  nun  auch  Enteroptose 
im  späteren  Alter  ist,  im  Kindesalter  ist  sie  bekanntlich  selten,  im 
Säuglingsalter  aber  überhaupt  noch  sehr  wenig  gesehen  worden.  Das 
beobachtete  Krankheitsbild  konnte  sich  natürlich  nur  im  objectiven 
Befund  mit  dem  klinischen  Bilde  der  Enteroptose  decken  und  auch 
hier  war  es  etwas  abweichend;  von  subjectiven  Beschwerden  wäre  ja 
mit  Rücksicht  auf  das  Säuglingsalter  schwer  etwas  zu  berichten.  Be¬ 
kanntlich  wird  ja  das  Schreien  der  Kinder,  wenn  man  sich  nicht  hand¬ 
greiflich  vom  Gegentheil  überzeugen  kann,  immer  auf  Kolikschmerzen 
bezogen  und  überdies  haben  meine  beiden  Patienten  nicht  mehr  ge- 
schrien  als  andere  Kinder  ihres  Alters.  Das  eine  Kind,  ein  Bube,  war 
9  Monate,  das  zweite  Kind,  ein  Mädel,  4  Monate  alt.  Die  Kinder 
fanden  wegen  Darmkatarrh  und  Pneumonie  Aufnahme  im  Spital  und 
dabei  fand  ich  des  Bild  der  Enteroptose:  Schlaffen  Bauch,  abnorme 
Beweglichkeit  der  Nieren,  die  übrigens  in  einem  der  beiden  Fälle  nur 
auf  die  linke  Niere  beschränkt  war,  abnorme  Beweglichkeit  der  Milz 
und  der  Leber.  Objectiv  also  zweifellos  Enteroptose.  Dabei  war  es  von 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Interesse,  zu  constatiren,  dass  der  Magen  nicht  mit  herabgesunken, 
auch  nicht  dilatirt  war.  Füllung  des  Magens  mit  Wasser  und  auch  Auf¬ 
blähung  des  Magens  haben  gelehrt,  dass  seine  grosse  Curvatur  in 
Nabelhöhe  stand. 

Was  an  den  beiden  Säuglingen  von  vornherein  auffällig  war, 
das  war  eine  ganz  besondere  Schlaffheit  der  Haut  und  der  Muskeln. 
Das  Abdomen  war  weich,  so  dass  die  palpirende  Hand  ohne  Weiteres 
bequem  alle  Organe  abtasten  konnte.  Die  Muskeln  waren  so  schlaff, 
dass  ich  die  stark  beweglichen  Nieren  rückwärts  neben  der  Wirbelsäule 
so  sehr  herausdrücken  konnte,  dass  die  Contouren  der  Nieren  zwischen 
letzter  Rippe  und  Darmbeinkamm  sichtbar  waren. 

Es  ist  da  gewiss  naheliegend,  anzunehmen,  dass  es  die  abnorme 
Schlaffheit  der  Gewebe  ist,  welche  in  diesen  Fällen  zur  Enteroptose 
geführt  hat,  aber  es  dürfte  sein,  dass  neben  der  Schlaffheit  der  Bauch¬ 
wand  auch  die  Relaxation  des  Peritoneums  an  der  Entstehung  der 
Enteroptose  betheiligt  ist,  wie  das  von  manchen  Autoren  angegeben  wird. 
Denn  wenn  Schlaffheit  der  Bauchmuskeln  zu  Enteroptose  führen  thäte, 
so  wäre  es  geradezu  merkwürdig,  dass  wir  so  selten  Gelegenheit  haben, 
Wanderniere  im  Säuglingsalter  zu  sehen.  Denn  hier  treffen  wir  gar 
oft,  namentlich  bei  künstlich  ernährten  darmkranken  Säuglingen, 
Schlaffheit  der  Bauchmuskeln,  welche  nicht  allzu  selten  einen  ziemlich 
hohen  Grad  erreicht.  Ich  denke  mir  darum,  dass  Schlaffheit  der  Bauch¬ 
muskeln  allein  nicht  genügt,  um  Enteroptose  herbeizuführen,  oder  dass 
ein  solcher  Zustand  erst  nach  längerem  Bestehen  dazu  führt. 

Gestatten  Sie  mir,  noch  auf  einen  Punkt  in  der  Beobachtung  der 
beiden  Säuglinge  zurückzukommen.  Ich  habe  in  diesen  beiden  Fällen 
die  Erfahrung  gemacht,  dass  man  die  etwas  herabgesunkenen  Nieren 
beim  Säugling  vom  Rectum  aus  palpiren  kann.  Das  ist  bei  hochgradigen 
Fällen  von  Wanderniere  auch  beim  Erwachsenen  manchmal  gelungen. 
Ich  habe  aber  dann  auch  beim  normalen  Säuglinge  der  ersten  Lebens¬ 
monate  die  Tastbarkeit  der  Nieren  vom  Rectum  aus  nachweisen  können. 
Bei  solchen  Untersuchungen  zeigt  sich  zumeist  ein  sehr  geringer  Grad 
von  Beweglichkeit  der  Nieren,  auch  bei  gesunden  Kindern.  Und  das 
gilt  nicht  nur  von  Säuglingen,  sondern  auch  von  älteren  Kindern;  auch 
hier  ist  meist  die  Niere  ein  wenig  beweglich.  Solche  Untersuchungen 
an  älteren  Kindern  lassen  sich  nicht  mehr  per  rectum  ausführen.  Man 
muss  daher  die  gewöhnliche  Palpation  von  Bauch  und  Lende  aus  an¬ 
wenden.  Hiezu  sind  nun  Kinder  mit  Meningitis  tuberculosa  besonders 
geeignet.  Denn  hier  sind  die  Darme  leer  und  contrahirt;  da  kann  die 
auf  den  Bauchdecken  ruhende  Hand  leicht  die  Nieren  abtasten. 

Untersuchungen  am  Kinde  sind,  glaube  ich,  deshalb  geeignet, 
die  Aetiologie  der  Wanderniere  aufzuklären,  weil  hier  die  Verhältnisse 
viel  einfacher  liegen  und  die  Schädigungen,  welche  die  Lagerung  der 
Bauchorgane  getroffen  hat,  in  der  Regel  leichter  zu  eruiren  sind. 

Docent  Dr.  Pauli:  Meine  Herren!  Die  Häufigkeit  der  Entero¬ 
ptose,  als  Erkrankung  sui  generis  abhängig  von  Dislocationen  der 
Bauchorgane,  wird  zweifellos  übertrieben. 

Die  Diagnose  knüpft  sich  an  den  Nachweis  des  Tiefstandes  der 
kleinen  Magencurvatur  und  die  abnorme  Verschieblichkeit  der  paren¬ 
chymatösen  Unterleibsorgane.  Diesen  Befund  kann  man  wohl  sehr 
häufig  erheben,  hingegen  zeigt  1.  nur  ein  kleiner  Bruehtheil  der 
Fälle  wirklich  Beschwerden  —  es  deckt  sich  der  Befund  von  Enteroptose 
also  durchaus  nicht  mit  den  Krankheitserscheinungen,  2.  wenn  man 
nur  die  Fälle  mit  Krankheitserscheinungen  berücksichtigt,  besteht  kein 
Parallelismus  zwischen  denselben  und  dem  Grade  der  Dislocation  — 
es  sind  oft  die  Befunde  geringer  Dislocation  mit  bedeutenden  Be¬ 
schwerden  verknüpft  und  umgekehrt,  3.  Aehnliches  gilt  für  die  Hart¬ 
näckigkeit  gegen  die  Therapie.  Weiter  muss  man  die  Erkrankungen, 
bei  denen  eine  rein  mechanische  Therapie  (z.  B.  Binde)  wirklich  zum 
Ziele  führt,  entschieden  als  selten  bezeichnen.  Die  Anschauung,  dass 
die  Dislocation  der  visceralen  Organe  meist  einen  Nebenbefund  dar¬ 
stellt  oder  eine  secundäre  Rolle  spielt,  und  nur  selten  als  eigentliche 
Krankheitsursache  in  Frage  kommt,  steht  auch  in  guter  Uebereinstim- 
mung  mit  sonstigen  klinischen  Erfahrungen.  So  kann  man  sich  bei 
Fällen  von  hochgradiger  Kyphoskoliose  oder  mächtiger  Lebor-  und  Milz¬ 
tumoren  leicht  von  den  bedeutenden  Dislocationen  der  Eingeweide 
überzeugen,  die  oft  auffallend  contrastiren  mit  den  dadurch  hervor¬ 
gerufenen  geringfügigen  Besch  wer  dsn. 

Es  Hessen  sich  noch  manche  Momente  zu  Gunsten  der  vorge¬ 
brachten  Auffassungen  anführen  und  die  anatomischen  Erfahrungen 
des  Herrn  Collegen  Tandler  sprechen  entschieden  gleichfalls  dafür, 
dass  Dignität  und  Häufigkeit  einer  pathologischen  Dislocation 
der  Unterleibsorgane  überschätzt  worden  sind. 

Ein  weiterer  Punkt,  den  der  Herr  Vortragende  angeführt  hat, 
betrifft  die  venöse  Hyperämie  der  Bauchorgane,  die  sich  in  stärkeren 
Menorrhagien  kenntlich  macht  und  auf  einer  Abnahme  des  intraabdomi¬ 
nellen  Druckes  bei  Enteroptose  beruhen  soll. 

Bezüglich  dieser  Erklärung  will  ich  mich  jedes  Urtheiles  ent¬ 
halten,  an  der  Thatsache  selbst  dürfte  kaum  zu  zweifeln  sein,  da  die 
Verstärkung  der  Menstrualblutungen  in  solchen  Fällen  bereits  von 
anderen  Autoren  constatirt  worden  ist.  Dieselben  werden  in  der  Regel 


mit  durch  eine  gleichzeitige  Ilepatoptose  bedingten  Circulationsstörungen 
im  Unterleibe  in  Verbindung  gebracht.  Dass  solche  möglich  sind,  dafür 
scheint  mir  eine  interessante  Beobachtung  zu  sprechen,  welche  wir  im 
Rudolfspitale  machen  konnten. 

Es  handelte  sich  um  eine  hochbetagte  Pfründnerin,  die  mit  allen 
Zeichen  einer  schweren  Herzmuskelerkrankung  eingebracht  wurde.  In 
hohem  Grade  auffallend  war  nur  das  Bestehen  eines  mächtigen  Ascites 
neben  geringfügigem  Knöchelödem.  In  Folge  vitaler  Indication  musste 
die  Punctio  abdominis  ausgeführt  werden,  und  nun  konnte  man  durch 
die  schlaffen  Bauchdecken  eine  hochgradige  Verschieblichkeit  der  ganzen 
Leber  constatiren,  welche  ausser  einer  Schnürlappenbildung  keinerlei 
erhebliche  Veränderung  aufwies.  Die  Frau  ging  bald  an  zunehmender 
Herzschwäche  zu  Grunde  und  wir  stellten  die  Diagnose  auf  Myo- 
degeneratio  cordis,  sowie  Compression,  beziehungsweise  Circulations- 
behinderung  in  der  Vena  portae.  Der  Befund  machte  unsere  Annahme 
in  hohem  Masse  wahrscheinlich.  Es  fand  sich  ausser  der  Herzmuskel- 
entartung  hochgradige  Verschieblichkeit  der  Leber,  welche  eine 
charakteristische  Deformation  aufwies.  Die  untere  Leberfläche  war 
nämlich  convex  vorgewölbt  und  über  diese  Vorwölbung  verlief  die 
Pfortader  bis  an  ihrer  Eintrittsstelle  gleich  einem  Bande,  welches  iibei 
eine  Walze  gespannt  wird.  Fälle  dieser  Art  bilden  wohl  Seitenstücke 
zu  jenen  Beobachtungen,  welche  F.  Pick  über  Pseudocirrhose  aus 

anderen  Ursachen  mitgetheilt  hat. 

Dr.  F.  H.  Kumpf:  Zu  den  Ausführungen  des  Hern  Docenten 
H  e  r  z  f  e  1  d  erlaube  ich  mir,  Folgendes  zu  bemerken.  Seit  dem  geradezu 
classisch  zu  nennenden  Vortrage  E  w  a  1  d’s  in  der  Berliner  medieinischen 
Gesellschaft  im  Jahr  1891  über  die  Enteroptose,  an  welchen  sich  eine 
ungemein  lehrreiche  und  fast  alle  Seiten  der  I  rage  beleuchtende  Dis¬ 
cussion  anschloss,  sind  zahlreiche  Publicationen  über  diesen  Gegenstand 
erschienen. 

Unter  diesen  auch  mehrere  in  der  Wiener  klinischen  Wochen¬ 
schrift,  1893,  von  Huf  schmidt  und  auch  von  mir,  1897  noch  von 

Prof.  Obrastzow.  Herr  Dr.  Tandler  hat  die  Zahl  der  bis¬ 
herigen  Publicationen  mit  300  angegeben.  Es  lässt  sich  also  wohl 

kaum  —  wie  dies  Dr.  Herz  fei  d  gethan  —  mit  Recht  sagen, 
dass  dieser  Krankheitszustand  von  ärztlicher  beite  bisher  nui  in  ge¬ 
ringem  Masse  gewürdigt  wurde.  Einzelne  von  Glenard  in  dem 
Complexe  der  Splanchnoptose  —  mit  Enteroptose  im  engeren  Sinne  be¬ 
zeichnet  Glenard  ja  nur  als  Verlagerungen  des  Dickdarms  —  ein¬ 
bezogene  pathologische  Zustände,  wie  die  Nephroptose,  die  Ilepatoptose, 
die  Gastroptose  und  der  Hängebauch  waren  auch  den  deutschen 

Aerzten  vor  Glenard  sehr  wohl  bekannt  und  beschrieben. 

Glenard  gebührt  allerdings  das  Verdienst,  alle  diese  Zustände 
und  die  bis  dahin  unbeachtet  gebliebenen  Verlagerungen  der^  Därme 
ätiologisch  anatomisch  und  klinisch  unter  einem  einheitlichen  Gesichts¬ 
punkte  zusammengefasst  und  beschrieben  zu  haben.  Ueber  sehi  viele 
wichtige  Punkte  der  Lehre  Glenard’s  besteht  aber  auch  heute 
noch  durchaus  keine  vollständige  Klarheit  und  Uebereinstimmung  und 
auch  der  Vortrag  des  Herrn  Dr.  Herzfeld,  obwohl  er  sich  mit 
einer  gewissen  Bestimmtheit  ausspricht,  scheint  mir  dieselben  nicht 
gebracht  zu  haben. 

Von  Einzelnen  wird  ja  die  Enteroptose  als  eine  genuine  Er¬ 
krankung  überhaupt  nicht  anerkannt.  Als  pathologische  Lageveränderung 
der  Bauchhöhlenorgane  besteht  die  Splanchnoptose  gewiss,  wenn 
auch  in  der  Gesammtheit  der  sie  nach  Glenard  bildenden  Zu¬ 
stände  lauge  nicht  so  häufig  als  dieser  und  auch  Ilerzfeld  es  an- 
nehmen  ;  das  hat  mir  die  daraufhin  vorgenommeue  Untersuchung  von 
mehr  als  200  Leichen  männlicher  und  weiblicher  Erwachsener  und 
Kinder  gezeigt.  Speciell  die  Hepatoptose,  welche  den  Complex  voll¬ 
ständig  machen  soll,  ist  relativ  selten. 

Viel  häufiger  aber  als  Glenard  und  Viele  nach  ihm  ange¬ 
nommen,  sind  die  Lageveränderungen  des  Dickdarms  —  wie  dies  schon 
Virchow  in  der  Discussion  zu  dem  Vortrage  E  w  a  1  d’s  betonte 
und  zwar  am  häufigsten  eine  Verlagerung  des  Quercolons  nach  unten, 
was  ich  auch  bei  Kindern,  selbst  Neugeborenen,  fand. 

Lageveränderungen  des  Dickdarms  überhaupt  fanden  sich  in 
über  50%  der  von  mir  untersuchten  Leichen,  und  zwar  beim  weiblichen 
Geschlechte  etwas  häufiger. 

Die  Nephroptose  Glenard’s,  unsere  bewegliche  Niere,  fand 
ich  an  der  Leiche  bei  Frauen  in  circa  40%  —  meine  genauen  dies¬ 

bezüglichen  Aufzeichnungen  sind  mir  leider  nicht  zur  Hand 
Männern  in  circa  20%  der  Untersuchten,  die  Gastroptose  auch 
ziemlich  häufig. 

Jener  Zusammenhang  der  einzelnen  Ptosen  und  jenes  sich 
gegenseitige  Bedingen,  wie  dies  Glenard  annimmt,  bestehen 
aber  nicht. 

Was  das  klinische  Symptomenbild  der  Enteroptose  betrifft,  wie  es 
von  Glenard  und  auch  von  Herzfeld  geschildert  wurde,  so  ist 
dasselbe  durchaus  nicht  streng  charakteristisch  für  die  Enteroptose. 
Ich  habe  schon  in  meiner  Publication  vom  Jahre  1893  bezüglich  der 
Angaben  Glenard’s  gesagt  und  ich  wiederhole  dies  heute  nach 


222 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  9 


meinen  bedeutend  reicheren  Erfahrungen  auch  den  Angaben  Herz- 
feld’s  gegenüber:  „Was  die  Angaben  Glenard’e  bezüglich  der 
typ.  subject.  Symptome  der  Enteroptose  und  den  diesbezüglichen  drei 
Perioden  anbetrifft,  so  kann  ich  dieselben  nur  zum  Theile  und  mit 
grossen  Einschränkungen  als  richtig  anerkennen. 

In  dem  von  G  1  e  n  a  r  d  geschilderten  Umfange  und  Typus  waren 
sie  nur  in  wenigen  Fällen  der  im  anatomischen  Sinne  sichergestellten 
Enteroptose  vorhanden.  In  vielen  Fällen  erschien  es  mir  auch  viel 
wahrscheinlicher,  dass  die  Beschwerden  der  Kranken  durch  die,  ihrerseits 
wieder  durch  andere  ursächliche  Momente  als  die  Enteroptose  bedingte 
chronische  Obstipation  oder  die  Atonie  dos  Magens  hervorgerufen 
wurden. 

Zu  einer  nicht  unbeträchtlichen  Anzahl  fehlten  überhaupt  alle 
subjeetiven  Symptome;  auch  muss  ich  betonen,  dass  alle  jene  Be¬ 
schwerden,  welche  Glen  a  r  d  als  charakteristisch  für  die  Enteroptose 
anführt,  nicht  selten  bei  genitalkranken  Frauen  sich  finden,  ohne  jede 
nachweisbare  Veränderung  der  Verdauungsorgane,  und  dass  dieselben 
mit  der  Behebung  der  Genitalerkrankung  vollständig  verschwinden. 
Immerhin  blieb  eine  Minderzahl  von  Fällen,  in  denen  die  in  geringerem 
oder  höherem  Grade  vorhandenen  subjeetiven  Krankheitssymptome 
beim  Fohlen  jeder  anderen  nachweisbaren  objectiven  Basis  als  von 
der  Enteroptose  abhängig  anzusehen  waren,  Fälle,  welche  man  bisher 
zur  nervösen  Dyspepsie  gezählt  hatte.  Ich  möchte  demnach  die  Entero¬ 
ptose  als  eine  entite  morbide  anerkennen,  wenn  derselben  auch  ein 
Symptomencomplex  von  charakteristischem  Gepräge  nicht  zugesprochen 
werden  kann.“ 

Ich  möchte  dem  noch  hinzufügen,  dass  die  geschilderten  Be¬ 
schwerden  auch  rein  neurastlienischer  oder  hysterischer  Natur  sein 
können. 

Bezüglich  der  Aetiologie  der  Enteroptose  ist  für  die  Feststellung 
derselben  die  Vorfrage:  „Wodurch  werden  die  Organe  der  Bauchhöhle 
in  ihrer  normalen  Lage  erhalten?“  von  grösster  Bedeutung.  Herr 
H  e  r  z  f  e  1  d  sieht  nun,  abweichend  von  G  1  e  n  a  r  d  und  vielen  Anderen, 
welche  die  anatomischen  Befestigungen  der  Baucheingeweide  vornehm¬ 
lich  für  Sicherungsmittel  ihrer  Lage  halten,  als  Hauptgrund 
hiefür  den  vorhandenen  intraabdominellen  Druck  an. 
Es  erscheint  mir  denn  doch  nicht  richtig,  die  einmal  zweifellos  vor¬ 
handenen  anatomischen  Befestigungen  der  Organe  so  ausser  Acht  zu 
lassen,  und  sodann  einen  höchst  vagen,  ungemein  wechselnden  Zustand, 
über  den  die  Meinungen  überhaupt  noch  sehr  weit  auseinandergehen, 
den  H  e  r  z  f  e  1  d  selbst  nur  als  Gesammtwirkung  verschiedener 
anatomischer  und  physiologischer  Factoren  erklärt,  als  Haupt¬ 
grund  zu  bezeichnen.  Herr  Herzfeld  spricht  auch  im  Weiteren 
von  der  Wiederherstellung  des  normalen  Bauchhöhlendruckes.  Wäre 
ein  solcher  aber  genügend  sichergestellt,  so  muss  er  auch  ziffernmässig 
ausgedrückt  werden  können  als  entsprechend  einer  Quecksilbersäule 
von  —  mm,  oder  einer  Belastung  von  —  g  auf  1  cm 2.  So  weit  sind 
wir  aber  meines  Wissens  noch  lange  nicht. 

Es  erscheint  mir  daher  viel  richtiger  und  einfacher,  diesen  höchst 
unbestimmten  intraabdominellen  Druck  aus  dem  Spiele  zu  lassen  und 
zu  sagen:  „Die  normale  Lage  der  Baucheingeweide  ist  abhängig  von 
der  normalen  anatomischen  Beschaffenheit  und  physiologischen  Function 
ihrer  elastischen  und  musculösen  Befestigungen;  dann  von  dem  dies¬ 
bezüglichen  Verhalten  des  Bauchfells,  des  Zwerchfells,  der  Bauchdecken, 
des  Beckenbodens  und  des  Knochengerüstes  und  endlich  von  ihrem 
eigenen  Verhalten.“  Alle  Momente,  weiche  eine  abnorme  Beschaffenheit 
oder  Function  dieses  herbeiführen,  sind  unter  Umständen  geeignet,  die 
normale  Lage  der  Baucheingeweide  zu  stören,  beziehungsweise  eine 
Enteroptose  im  engeren  oder  weiteren  Sinne  hervorzurufen.  Es  würde 
mich  viel  zu  weit  führen,  hierauf  näher  einzueehen.  Ich  erwähne  nur, 
dass  ich  z.  B.  die  chronische  Obstipation  viel  häufiger  für  eine  Ursache 
denn  als  eine  Folge  der  Enteroptose  halte,  und  dass  nach  meinen 
Leichenuntersuchungen  das  von  Vielen  als  häufig  bezeichnete  ätiologische 
Moment  der  Lageveräuderung  der  weiblichen  Genitalorgane  relativ 
selten  zutraf. 

Bezüglich  der  Diagnose  verweise  ich  darauf,  dass  ich  als  Erster 
angegeben,  dass  und  wie  es  in  den  meisten  Fällen  möglich  ist,  den 
Dickdarm  in  seinem  ganzen  Verlaufe  zu  palpiren,  und  auf  den  von  mir 
gefundenen  constanten  Schmerzpunkt  bei  der  beweglichen 
Niere,  dessen  Constatirung  es  sofort  ohne  weitere  Untersuchung  ge¬ 
stattet,  auf  das  Vorhandensein  der  letzteren  zu  schliessen. 

W  as  die  Therapie  betrifft,  wiederhole  ich  nur,  was  ich  bereits 
1893  gesagt:  Ich  sehe  in  einer  systemstisch  und  kunstgerecht  durch¬ 
geführten  Gymnastik  und  Massage  jene  Therapie,  welehe  den  Indi- 
cationen  am  besten  entspricht,  und  habe  ich  durch  dieselbe  in  Ver¬ 
bindung  mit  einer  entsprechenden  Diät  und  Lebensweise  überhaupt  sehr 
gute  Resultate  erzielt. 

Meine  seitherigen  Erfahrungen  gaben  mir  keine  Veranlassung, 
hievon  abzugehen. 

Docent  Dr.  K.  A.  Herzfeld:  Ich  kann  in  meiner  Antwort 
ganz  kurz  sein,  da  d:e  Discussion  sich  nur  in  einigen  Punkten  auf 


meinen  Vortrag  bezog.  Zunächst  muss  ich  einige  Missverständnisse 
klarstellen.  Die  grosse  Anzahl  der  mehr  oder  weniger  werthvollen 
Publicationen  über  die  Enteroptose  war  mir  wohlbekannt,  meine  Be¬ 
merkung  bezüglich  der  geringen  Anzahl  wissenschaftlicher  Publicationen 
bezog  sich  blos  —  wie  aus  dem  Zusammenhänge  hervorgeht  —  auf 
die  gynäkologische  Fachliteratur.  Herr  College  Tandler  hat  hervor¬ 
gehoben,  er  halte  es  für  einen  Lapsus  linguae,  wenn  ich  behaupte, 
„die  Leber  sei  nicht  durch  anatomische  Gebilde  fixirt,  sondern 
schwömme  auf  den  Eingeweiden“.  In  der  Fassung  habe  ich  das  auch 
nicht  behauptet.  Ich  sagte  vielmehr,  dass  die  anatomischen  Fixationen 
der  Leber  unter  normalen  Verhältnissen  nicht  völlig  in  Anspruch  ge¬ 
nommen  werden.  Da  die  Leber  dem  Diaphragma  unmittelbar  unter 
Vermeidung  eines  Hohlraumes  anliegt,  seien  vielmehr  einige  normale 
Fixationsbänder  nicht  constant  gespannt,  und  die  von  unten  her  in  die 
Höhe  steigenden  Entera  leisten  einen  Gegendruck  für  die  gemäss  ihrem 
Gewichte  nach  abwärts  strebende  Leber.  Fällt  dieser  Gegendruck  weg, 
dann  allerdings  werden  die  Ligamente  gespannt  und  gezerrt  und  dann 
fühlt  die  Kranke  das  Gewicht  ihrer  Leber. 

Ich  kann  nach  dem  in  der  Discussion  Gehörten  im  Grossen  und 
Ganzen  nur  eine  Bestätigung  dessen  finden,  was  den  Succus  meines 
Vortrages  bildete,  dass  das  Nachlassen  des  Tonus  der  Bauchwandungen 
wohl  das  wichtigste  ätiologische  Moment  für  das  Entstehen  der 
Enteroptose  abgebe. 

Herrn  Collegen  Sternberg  gegenüber  betone  ich  nochmals 
—  was  ich  ja  schon  in  meinen  Vortrage  ausgeführt  —  dass  nicht 
jede  tiefstehende  Niere  als  bewegliche  Niere  angesehen  werden  könne, 
und  dass  man  dystopische  Nieren  wohl  zu  unterscheiden  habe  von  be¬ 
weglichen  dislocirten  Nieren,  und  dass  diesbezüglich  gewiss  oft 
Irrthümer  unterlaufen. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  13.  Februar  1900. 

Vorsitzender  :  Prof.  Obersteiner  dann  Hofrath  v.  Krafft-Ebing. 

Schriftführer:  Dr.  Elzholz. 

1.  llofrath  v.  Krafft-Ebing  demonstrirt  einen  Fall  von 
hysterischem  Schütteltremor  des  rechten  Vorderarmes  und  der  rechten 
Hand  bei  einem  15jährigen  Mädchen. 

Patientin  ist  asphyktisch  mit  Zange  zur  Welt  gekommen,  war  von 
jeher  schwach  auf  linker  unterer  und  oberer  Extremität,  sonst  wohl.  Im 
zwölften  Lebensjahre  entwickelte  sich  ein  damals  nur  auf  die  Finger 
der  rechten  oberen  Extremität  beschränkter  Tremor,  der  indessen  das 
Mädchen  nur  am  Schreiben  behinderte;  Nähen  und  sonstige  Hantirungen 
waren  noch  möglich.  Bis  October  v.  J.  konnte  die  Kranke  noch  eine 
Nähschule  frequentiren ;  von  da  an  artete  der  leichte  Tremor  zum 
Schütteltremor,  wie  er  nun  zu  sehen  ist,  aus.  Dieser  Schütteltremor 
besteht  nun  continuirlich  seit  Wochen,  nimmt  bei  intendirten  Be¬ 
wegungen  zu  und  schwindet  während  des  Schlafes.  Er  betheiligt 
Vorderarm  und  Hand,  ist  langsam,  zwei  Bewegungen  in  der  Secunde 
aufweisend;  im  Uebrigen  besteht  eine'  motorische  Schwäche  des  rechten 
Beines,  lebhafte  Pa^llar-Sehnenreflexe  beiderseits,  rechts  Achilles- 
Sebnenreflex  lebhafter  als  links,  die  tiefen  Reflexe  an  der  rechten  oberen 
Extremität  nicht  auslösbar,  links  schwach. 

Der  leichte  Tremor  im  Reginne  des  Leidens  hätte  den  Gedanken 
an  einen  posthemiplegischen  Tremor,  analog  der  posthemiplegisclien 
Athetose  oder  Chorea  nahelegen  können.  Der  Tremor  im  vorgestellten 
Falle  ist  aber  erst  im  zwölften  Lebensjahre  entstanden,  während  die 
posthemiplegischen  motorischen  Reizerscheinungen  des  kindlichen  Alters 
nach  frühzeitigen  Schädeltraumen  oder  irgend  welchen  sonstigen 
Gehirnläsionen  höchstens  bis  zum  zweiten  Lebensjahre  sich  schon  ent¬ 
wickelt  vorfinden.  Ueberdies  konnte  anamnestisch  als  auslösendes 
Moment  des  Tremors  ein  psychischer  Shock,  eine  heftige  Gemüths- 
bewegung  nach  dem  Tode  der  Mutter  erhoben  werden.  Mit  Einsetzen 
der  Pubertät  erfolgte  die  Steigerung  zum  Schütteltremor.  Diese  ging 
vor  sich  während  der  Fahrt  mit  der  Tramway,  wobei  höchstens  die 
Abneigung  der  Patientin  gegen  das  Fahren  überhaupt  mit  in  Rechnung 
käme.  Als  Ursache  des  Leidens  sind  psychische  und  biologische  (Pubertät) 
Momente  anzusprechen. 

Die  Affection  stellt  eine  Neurose  dar,  für  deren  Localisation 
man  sich  vorzustellen  hat,  dass  die  in  Betracht  kommende  Region  der 
linken  Gehirnhälfte  einen  Locus  minoris  resistent'ae  abgab,  der  durch 
die  einwirkende  Schädlichkeit  afficirt  wurde  und  so  für  den  Ort  der 
Störung  bestimmend  war;  hysterische  Stigmata  fehlen.  Es  stimmt 
dieses  Verhalten  mit  den  sonstigen  Beobachtungen  überein,  wonach  bei 
motorischen  Reizerscheinungen  sicher  hysterischer  Individuen  hysterische 
Stigmata  vermisst  werden  können. 

Die  Prognose  des  Falles  ist  ungünstig;  solche  Fälle  verhalten 
sich  gegen  alle  Therapie  refraetär;  jede  bisher  versuchte  Therapie  blieb 
bei  dem  vorgestellten  Falle  erfolglos. 


Nr.  9 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


223 


2.  Dr.  A.  Fuchs:  Erfahrungen  in  dor  Behandlung  der  con-  i 
trären  Sexualempfindung  (Autoreferat). 

Der  Vortragende  befasst  sich  zunächst  mit  der  Auseinander¬ 
setzung  der  Ursachen,  warum  die  conträre  Sexualempfiudung  zur  Zeit 
noch  Gegenstand  gesetzlicher  Ahndung  sei,  und  bespricht  sodann  der 
Reihe  nach  die  psychologische,  klinische  und  therapeutische  Seite  der 
einschlägigen  Frage.  Das  gesammte  Material  ist  vom  Gesichtspunkte 
der  Theorielv  rafft-Ebing’s  betrachtet,  die  bekanntlich  eine  bisexuelle 
psychische  Veranlagung  annimmt.  Aus  dieser  Theorie  ergeben  sich  die 
Wege  und  Mittel  für  die  Therapie.  Dieselbe  hat  danach  zu  streben, 
das  floriie,  conträrsexuale  Centrum  zu  unterdrücken  und  das  latente, 
heterosexuale  zu  erwecken.  Sie  ist  in  ihrem  Wesen  eine  psychische,  wo  es  an¬ 
geht  suggestive,  wo  nicht  auf  Wachsuggestion  beschränkte,  und  wurzelt  in 
einem  pädagogischen  Vorgehen.  Die  Behandlungsweise  hat  der  persönlichen 
Eigenart  der  einschlägigen  Fälle  weitgehendst  Rechnung  zu  tragen 
und  sich  den  individuellen  Bedürfnissen  streng  anzupassen,  insbesondere 
in  den  fetischistischen  Motiven  sich  Angriffspunkte  für  die  Behandlung 
zu  suchen.  Bei  angeborenen  Fällen  muss  man  sich  oft  mit  dem  Er¬ 
reichen  sexueller  Indifferenz  begnügen;  bei  der  erworbenen  Form  kann 
man  bei  hinreichend  langer  Dauer  der  Behandlung  Genesung  erreichen. 
Gegen  die  Ehe  geheilter  Conträrsexualer  ist  nichts  einzuwenden,  die 
conträrsexuale  Empfindung  als  solche  nicht  vererblich. 

Die  Anzahl  der  beobachteten  und  behandelten  Fälle  beträgt  42, 
die  Anzahl  der  hievon  geheilten  14,  welche  sämmtlich  nach  längerer 
Beobachtung  auch  geheilt  geblieben  sind.  Zur  sexuellen  Indifferenz 

_  Neutralität  —  gelangten  8.  Nicht  inbegriffen  sind  dabei  Fälle  von 

psychisch  sexueller  Hermaphrodisie,  bei  welcher  das  Ergebniss  der  Be¬ 
handlung  ein  günstigeres  ist. 

Discussion:  Hofrath  v.  Krafft-Ebing: 

Ich  will  einige  Worte  den  hier  vorgebrachten  Ausführungen 
hinzufügen,  mit  denen  ich  mich  im  ganzen  Grossen  einverstanden 
erkläre. 

Ich  hatte  Gelegenheit,  einen  Theil  der  Patienten  des  Vortragenden 
zu  sehen  und  die  Erfolge  zu  verificiren;  in  einem  Punkte  könnte  ich 
ihm  nicht  zustimmen,  nämlich,  wenn  er  der  Ansicht  ist,  dass  die  Kranken 
genesen  sind,  selbst  da  nicht,  wo  eine  minutiöse,  sehr  sorgfältigeBeliandlung 
stattgefunden  bat.  Hier  kann  man  aber  weder  von  Krankheit  noch  von 
Genesung  sprechen.  Es  handelt  sich  vielmehr  um  in  der  Anlage  begründete 
Abnormitäten,  um  gewisse  Eigenthümlichkeiten.  Normaler  Weise  geht 
das  sexuelle  Fühlen  parallel  mit  den  sexuellen  Drüsen  des  Individuums. 
Der  Mann  als  Träger  der  Testikel  fühlt  sich  zum  Weibe  und  um¬ 
gekehrt  das  Weib  zum  Manne  hingezogen.  Beim  Conträrsexualen  ist 
ein  erprobtes  Naturgesetz  verletzt.  Der  Boden,  auf  dem  die  conträre 
Sexualempfindung  gedeiht,  ist  die  hereditäre  Degeneration.  Die  con¬ 
träre  Sexualempfindung  reiht  sich  eben  den  sonstigen  Abweichungen 
ein,  die  man  bei  Degenerirten  findet;  man  kann  demnach  hier  nur 
von  einer  Anomalie,  nicht  von  Krankheit  sprechen.  Das  Wesentliche 
derselben  ist  die  Verquickung  männlicher  Drüsen  mit  weiblichem  Em¬ 
pfinden  und  weiblicher  Drüsen  mit  männlicher  Fühlweise.  Daraus 
ergibt  sich,  dass  die  conträrsexualen  Männer  sich  wie  Weiber  gehaben 
und  als  Weib  sich  zum  Manne  hingezogen  fühlen;  das  conträr 
sexuale  Weib  fühlt  sich  als  Mann  und  strebt  dem  eigenen  Ge- 
schlechte  jaach. 

Ich  muss  ernstlich  bezweifeln,  dass  durch  das  vom  Vortragenden 
auseinandergesetzte  Verfahren  Genesung  erfolgt;  es  handelt  sich  hiebei 
nur  um  Entfernung  von  Schädlichkeiten,  die  den  heterosexualen  Be¬ 
ziehungen  im  Wege  sind,  nur  um  eine  Dressur  des  hetrosexualen 
Centrums.  Ferner  vermag  ich  keinen  principiellen  Unterschied  zwischen 
der  angeborenen  und  der  erworbenen  conträren  Sexualempfindung  zu 
erblicken.  Es  ergibt  sich  dies  aus  einer  näheren  Würdigung  der  er¬ 
worbenen  conträren  Sexualempfindung;  auch  hier  ist  auf  die  Ver¬ 
anlagung  zu  recurriren.  Man  hätte  nur  eine  originäre  und  eine  tardive 
Form,  eine  Form  mit  längerer  Latenz  des  Leidens  zu  unterscheiden, 
ebenso  wie  man  eine  originäre  und  eine  später  zur  Entwicklung  kom¬ 
mende  Paranoia  auseinanderhält.  Wenn  man  sieht,  dass  oft  ein  gering¬ 
fügiges  Erlebniss  den  Anstoss  zum  Ausbruche  des  Leidens  gibt,  so 
wird  man  auch  für  die  tardiven  Fälle  eine  degenerative  Basis  anzu¬ 
nehmen  haben. 

Was  die  forensische  Seite  der  Frage  betrifft,  so  ist  zu  erwarten, 
dass  die  heute  noch  durch  das  Gesetz  geforderte  Ahndung  der  per¬ 
versen  Sexualempfindung  in  100  Jahren  ebenso  belächelt  werden  wird, 
wie  gegenwärtig  die  Hexenprocesse.  Das  Gesetz  straft  Denjenigen, 
der  widernatürliche  Unzucht  begeht.  In  den  Augen  der  Conträrsexualen 
ist  aber  der  homosexuale  Verkehr  das  Natürliche,  das  Andere  das 
Widernatürliche.  So  gelingt  es  hier,  das  Gesetz  ad  absurdum  zu  führen. 


Berichte  aus  dem  Verein  österreichischer  Zahnärzte. 

Officieller  Bericht. 

Sitzung  vom  6.  December  1899. 

Vorsitzender:  Dr.  Johann  Pichler. 

Schriftführer:  Dr.  y.  Wnnsclilieim. 

Nach  Erledigung  des  Einlaufes  und  der  geschäftlichen  Angelegen¬ 
heiten  ertheilt  der  Präsident  Herrn  Dr.  R.  Vier  thaler  das  Wort. 

Dr.  R.  Vierthaler  demonstrirt  einen  Patienten,  welchem 
wegen  eines  Carcinoms  der  linke  Oberkiefer  resecirt  worden  war,  und 
dem  Vortragender  eine  Prothese  (Obturator)  angefertigt  hatte.  Die 
Schwierigkeit  des  Abdrucknehmens  überwand  der  Vortiagende  durch 
Anfertigung  eines  eigens  dem  Defecte  angepassten  Abdrucklöffels, 
mittelst  welchem  zuerst  mit  Abdruckmasse  und  hierauf  mit  Gypsbrei 
ein  genaues  Modell  angefertigt  wuide.  Dor  Defect  reichte  vom  linken, 
mittleren  Schneidezahn  bis  zum  linkeu  Weisheitszahn,  welch’  letzterer 
gleich  dem  Siebener  der  rechten  Seite  mit  einer  Vollkrone  versehen 
wurde.  Da  die  Achsen  der  zur  Befestigung  dienenden  Zähne  mit  der 
Achse  des  Substanzverlustes  einen  Winkel  bildeten,  welcher  die  An¬ 
fertigung  der  Prothese  in  einem  Stück  contraindicirte,  construirte  der 
Vortragende  dieselbe  aus  zwei  Stücken,  dem  eigentlichen  Obturator, 
welcher  die  Gestalt  eines  Hütchens  aus  schwarzem  Kautschuk  erhielt, 
in  dessen  Vertiefung  die  Platte  der  Prothese  sehr  exact  hineinpasste 
und  so  einen  sehr  ruhigen  und  festen  Sitz,  sowie  auch  ein  leichtes 
Herausnahmen  und  Einsetzen  ermöglichte.  Der  Patient,  ein  Oberjäger, 
war  nach  Anfertigung  der  Prothese  wieder  im  Stande,  seinen  Dienst 
zu  versehen. 

Discussion:  Dr.  Kraus  zeigt  einen  alten  Obturator,  der 
nach  K  i  n  g  s  1  e  y  angefertigt  worden  war  und  dessen  oberer  Theil  aus 
mit  Luft  gefülltem  Weichgummi  bestand;  dadurch,  sowie  in  Folge 
dessen,  dass  auch  die  aus  hartem  Kautschuk  bestehenden  dickeren 
Theile  der  Prothese  hohl  gearbeitet  waren,  erhielt  dieselbe  eine  grosse 
Leichtigkeit. 

Es  folgt  nunmehr  die  Discussion  zu  Dr.  Weise  r’s  Vortrag  vom 
Mai  und  October  d.  J.:  ,,  Allerlei  aus  der  zahnärztlichen 
und  zahntechnischen  Praxis“: 

Dr.  v.  Wunschheim  z<dgt  ein  unteres,  zum  Theile  aus  Gold, 
zum  Theile  aus  Vulcanit  angefertigtes  Stück,  bei  welchem  er  die  von 
Weiser  empfohlene  Galerie  oder  Charnierklammer  zur  Anwendung 
gebracht  hatte.  Diese  vom  Erfinder  für  solche  Fälle,  in  welchen  die 
unteren  Vorderzähne  vorhanden  sind,  die  Backen-  und  Mahlzähne  aber 
fehlen,  empfohlene  Befestigungsalt  bewährte  sich  auch  dem  Redner 
vortrefflich,  indem  dadurch  ein  ausserordentlich  fester  und  ruhiger  Sitz 
der  Prothese  erreicht  wurde. 

Dr.  R  o  b  i  c  s  e  k  erwähnt,  dass  er  solche  Prothesen  bisher  nicht 
angefertigt  habe,  wohl  aber  einen  der  Galerie  ähnlichen  Apparat  zur 
Befestigung  lockerer  Zähne  bei  Alveolarpyorrhoe.  Jedoch  sei  regel¬ 
mässig  Empfindlichkeit  der  Zahnhälse  eingetreten,  was  er  nur  durch 
Aufcemeutiren  der  Galerie  vermeiden  konnte.  Redner  befürchtet,  dass 
auch  bei  Prothesen  mit  Galerie  Hypersensibilität  der  Zahnhälse  anf- 
treten  könne. 

Dr.  Weiser  tfit  dieser  Befürchtung  im  Hinblicke  auf  seine 
mehrjährigen  Erfahrungen,  die  ihn  niemals  eine  solche  Complication 
beobachten  Hessen,  entgegen.  Ebenso  sprechen  sich  auch  Dr.  v.  Wu  n  s  c  h- 
heim  und  Dr.  Pichler  gegen  die  Möglichkeit  einer  solchen  Rei¬ 
zung  im  Hinblicke  darauf,  dass  es  sich  in  solchen  Fällen  um  gesunde, 
feste  Zähne  handle,  aus. 

Dr.  Pichler  regt  die  Verwendung  der  Galerie  zur  Befestigung 
von  partiellen  Prothesen  an,  während  Dr.  W e  i  s  e  r  noch  Mittheilung 
von  einem  Falle  macht,  in  welchem  unten  die  zwei  Eckzähne  allein 
übrig  geblieben  waren.  Redner  brachte  die  Kunstzähne  an  der  nach 
vorne  aufklappbaren  Galerie  an  und  vermied  dadurch  die  unangenehmen 
Folgen  des  dreieckigen  Raumes  zwischen  Stützzähnen  und  Prothese. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 


Sitzung  am  20.  September  1899  Morgens. 

Vorsitzender:  Kollniann  (Leipzig). 

II.  Sehlagintweit  (Brückenau) :  Ein  neues  Gystoskop 
nd  einige  technische  Neuerungen.  (I  ortsetzung.  )^ 

■  Das  vom  Redner  demonstrirte  Gystoskop  soll  folgende  \  ortheile 
eten  :  erstens  soll  vermieden  werden,  dass  dem  Patienten  mehrmals 
istrumente  in  einer  Sitzung  in  die  Harnröhre  eingilül.it  "(l|l'n 
üsseu.  Zweitens  soll  das  Instrument  gestatten,  als  einfacher  Spul- 


224 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  9 


katheter  vei wendet  zu  werden.  Die  Construction  ist  folgende:  Ein 
einfacher  Katheter  trägt  die  Lampe  am  Eude  seines  Schnabels  und 
hat  an  der  concaven  Seite  ein  Fenster.  In  diesen  Katheter  kann  man 
die  Optik  einschieben,  deren  Prisma  aus  dem  Fenster  hervorsieht.  So¬ 
wie  man  die  Op t i k  entfernt,  kann  man  sofort  die  Blase  bespülen.  Bei 
Blaseninhaltstrübungen  hat  man  also  den  Vortheil,  ohne  Zeitverlust 
aus  einem  weiten  Kohr  sofort  die  Blase  spülen  zu  können.  Die  Optik 
kann  nun  so  gearbeitet  sein,  dass  sie  in  verschiedene  Katheter  mit 
Lampen  passt. 

Frank  (Berlin):  Dem  Instrument  haften  zwei  Mängel  an :  erstens 
fliesst  in  dem  Augenblick  des  Herausziehens  der  Optik  Flüssigkeit  ab, 
zweitens  wird  der  Patient  beim  Einschnappen  der  Optik  in  den  Katheter 
einen  unangenehmen  Schmerz  empfinden. 

Man  kiewicz  (Berlin)  glaubt,  dass  die  Optik  des  vorgeführten 
Instrumentes  nur  ein  beschränktes  Gesichtsfeld  gewähren  kann. 

Goldberg  (Köln)  erblickt  bei  dem  gezeigten  Instrument  einen 
Hauptvortheil  darin,  da:s  man  auch  langscbnabelige  Katheter  verwenden 
kanu.  Es  gibt  Prostatahypertrophien,  welche  mit  kurzschnabeligen  In¬ 
strumenten  nicht  passirbar  sind. 

III.  W  o  s  s  i  d  1  o  (Berlin)  :  Eine  neue  Centrifuge. 

Diese  Centrifuge  ist  nach  dem  Princip  der  Kreiselcentrifugen 
gebaut,  nur  mit  dem  Unterschied,  dass  dieselbe  nicht  an  einen  Tisch 
angeschraubt  zu  werden  braucht.  Sie  stebt  fest  genug  durch  ihre 
eigene  Schwere.  Die  Schleuderscheibe  dreht  sich  horizontal.  Der  An¬ 
trieb  geschieht  mittelst  Schnurabzug.  Dieselbe  Centrifuge  bat  Wos- 
s  i  d  1  o  auch  mit  einem  kleinen  Elektromotor  in  Verbindung  bringen 
lassen,  welcher  eine  ungemein  bequeme  Handhabung  ermöglicht.  Die 
Tourenzahl  bei  der  ersten  Form  mit  Handbetrieb  beträgt  etwa  1500 
pro  Minute,  lässt  sich  natürlich  bei  der  elektrischen  beliebig  steigern. 
Ein  grosser  Vortheil  ist  die  Geräuschlosigkeit  des  Betriebes. 

Kollmann  (Leipzig)  berichtet  über  seine  weiteren  Erfahrungen 
mit  dem  von  ihm  angegebenen  und  von  Ileynemann  in  Leijazig 
angefertigten  Instrumenten  für  Intraurethrotomie  bei  weiten  Stricturen 
der  Harnröhre. 

Er  hat  im  Ganzen  jetzt  18  Fälle  damit  behandelt  und  ist  mit 
den  Resultaten  durchaus  zufrieden.  Einige  Punkte  wurden  von  Koll¬ 
mann  eingehend  besprochen.  Vor  Allem  empfiehlt  er  nochmals  nach¬ 
drücklich  die  Benützung  von  gewöhnlichen  endoskopischen  Tuben  be¬ 
hufs  Aufsuchens  des  vorderen  Strictureinganges;  diese  sind  nach  seiner 
Meinung  hier  noch  nützlicher  als  das  bougie  k  boule  mit  olivenförmigem 
Ende.  Die  Ko  1 1  m  a  n  n’schen  Instrumente,  welche  mit  auswechselbaren 
Knöpfen  versehen  sind,  lassen  sich  für  Stricturen,  die  ein  engeres 
Caliber  haben  als  18  Charriere,  nicht  verwenden,  weil  es  nicht  gut 
möglich  ist,  den  Umfang  der  Instrumente  noch  mehr  zu  reducireu ; 
nach  oben  zu  ist  aber  das  Gebiet  ihrer  Anwendung  viel  weniger  be¬ 
schränkt.  Ursprünglich  waren  dem  Instrumentarium  nur  beigegeben  die 
Kopfnummern  bis  32  Charriere.  Kollma  n  n  würde  aber  nicht 
zögern,  in  geeigneten  Fällen  auch  noch  weit  höher  hinaufzugehen.  Ob 
das  Orifieium  ursprünglich  so  weit  ist,  dass  es  die  Passage  dieser 
hohen  Nummern  ermöglicht,  oder  erst  artificiell  auf  die  nöthige 
Weite  gebracht  wird,  ist  für  das  Gelingen  des  Eingriffes  ziemlich 
gleichgiltig. 

Die  Kollman  n’schen  Instrumente  lassen  eine  verschiedene 
Anwendungsweise  zu.  Man  kann  dabei  verfahren,  wie  bei  dem  inneren 
Schnitte  von  engen  Stricturen,  wo  man  zumeist  auf  einmal  die  ge¬ 
plante  Weite  herstellt.  Dies  ist  aber  nach  K  o  1 1  m  a  n  n’s  Erfahrungen 
bei  weiten  Stricturen  nicht  besonders  empfehlenswert!],  da  dann  stets 
klinische  Behandlung  erforderlich  ist.  Kollmann  hat  in  den  bisher 
besprochenen  Fällen  stets  ambulante  Behandlung  durchführen  können. 
Kollmann  verfährt  ganz  ähnlich  wie  bei  der  Oberlände  r’schen 
Dilatation,  welche  man  ja  auch  im  Laufe  längerer  Zeit  bis  zu  dem  ge¬ 
wünschten  Ziele  treibt.  Asepsis  und  Antisepsis  sind  selbstverständlich. 
Vor  und  nach  dem  Eingriffe  spült  Kollmann  mit  warmer  Borlösung. 
Kollmann  zeigt  ferner  einen  mit  zwei  verschiebbaren  Knöpfen  ver¬ 
sehenen  zweitheiligen  Dehner  nach  Oberl  ander -Otis,  welcher 
auch  ein  Messer  enthält.  Diese  Instrumente  hat  Kollmann  auch 
zu  rein  diagnostischen  Zwecken  benützt.  Mit  diesem  Instrumente 
ist  es  ihm  leicht  gelungen,  die  Ausdehnung  einer  Strictur  genau 
zu  messen,  er  fand  dieselben  oft  länger  als  man  gewöhnlich  an¬ 
nimmt. 

W  o  s  8  i  d  1  o  (Berlin)  hat  sehr  gute  Erfahrungen  mit  den  K  o  1  1- 
m  an  n’schen  Instrumenten  gesehen.  Er  hat  nie  heftige  Blutungen  noch 
Infectionen  erlebt. 

Frank  (Berlin)  kann  dasselbe  an  der  Hand  von  zehn  Fällen 
bestätigen;  die  von  ihm  angegebene  Modification,  um  unter  Beleuchtung 
arbeiten  zu  können,  hat  mehr  Werth  für  den  Unterricht. 

Goldberg  (Köln)  hält  die  Urethrotomia  interna  für  ganz  un¬ 
gefährlich  und  gibt  bei  entstehenden  traumatischen  Stricturen  nur  einer 
unterlassenen  curativen  Dilatation  die  Schuld. 


Kollmann  (Leipzig):  Die  gezeigten  Instrumente  sind  nur  für 
die  vordere  Harnröhre  bestimmt.  Eine  Nachbehandlung  ist  natürlich 
wie  bei  allen  anderen  Methoden  nötliig. 

IV.  v.  Notthafft  (München) :  Ueber  die  Verminde¬ 
rung  der  Widerstandsfähigkeit  des  Körpers  gegen¬ 
über  Infectionen  durch  Erkrankungen  der  Haut  und 
der  Harnwege. 

Nach  einem  Ueberblick  über  die  bisher  beobacheten  Thatsachen 
einer  Förderung  der  Entstehung  von  Infectionskrankheiten  des  übrigen 
Körpers  durch  viele  Erkrankungen  der  Haut  und  der  Haruwege, 
und  über  die  wenigen  bisher  vorliegenden  Versuche  einer  experimen¬ 
tellen  Herbeiführung  verminderter  Widerstandsfähigkeit  berichtet 
Referent  über  eigene  Versuche,  welche  er  zu  gleichem  Zwecke  an¬ 
gestellt. 

Er  verwendete  eine  abgeschwächte  Pneumoeoecencultur  und  in- 
ficirte  Versuchsthiere  (Kaninchen)  und  Coutrolthiere  mit  derjenigen 
Menge,  welche  gerade  nicht  mehr  im  Stande  war,  beim  gesunden  Thiere 
Sepsis  zu  erzeugen.  War  das  Versuchsthier  zu  narkotisiren  oder  ihm 
die  Bauchhöhle  zu  eröffnen,  so  wurde  in  gleicher  Weise  mit  dem  Con¬ 
trolthier  verfahren. 

Es  wurden  folgende  Versuche  ausgeführt:  Erzeugung  schwerer 
diphtheritischer  Cystitis  durch  eingelegte  Kantharidentragacanthkugeln, 
von  Nephritis  durch  tägliche  subcutane  Injectionen  von  Tinct.  canth., 
von  Urämie  durch  Nieren-  oder  Ureterenunterbindung,  von  acuten 
Dermatitiden  durch  Senf,  Krotonöl  und  Kanthariden  und  von  schweren 
Verbrennungen  dritten  Grades.  Ausserdem  wurden  zwei  schwer  se¬ 
borrhoische  Thiere  inficirt.  Das  Ergebniss  der  Impfung  war,  dass  die 
Cystitisthiere,  ferner  die  Thiere  mit  Krotonöl-  oder  Senfdermatitis  und 
die  seborrhöen  nicht  einer  Sepsis  erlagen,  während  die  urämischen, 
die  nephritischen,  die  verbrannten  und  die  mit  Kantharidendermatitis 
behafteten  rasch  septisch  endeten.  Den  Grund  für  den  verschiedenen 
Ausfall  der  Dermatitisversuche  sieht  Redner  in  der  bei  den  Kantha- 
ridendermatitiden  gleichzeitig  auch  immer  noch  gegeben  Nierenentzün¬ 
dungen,  welche  deletär  gewirkt  haben. 

Die  letzte  Ursache  der  Dispositionserhöhung  sucht  Redner  in 
Blutveränderungen.  Er  hat  denn  auch  gefunden,  dass  einerseits  acute 
und  schleichende  Vergiftungen  mit  den  Blutgiften  Pyrogallol  und 
Toluylendiamin,  die  künstliche  Alkalescenzverminderung  des  Blutes 
durch  Säuredarreichung  und  der  wiederholte  Aderlass  die  Disposition 
des  Kaninchens  für  Pneumococcen-Sepsis  steigerten;  er  hat  ferner  bei 
seinen  urämischen  Thieren  Alkalescenzverminderung  des  Blutes,  bei  den 
leichten  Kanthariden  Vergiftungen  dagegen  keine  constanten  Blut¬ 
veränderungen  gefunden,  wärend  man  bei  der  Nephritis  des  Menschen 
Eiweissverarmung,  grösseren  Wasserreichthum  und  Zunahme  der 
eosinophilen  Zellen  beobachtet  hat  und  eine  Retention  giftiger,  harn¬ 
fähiger  Stoffe  im  Blute  auf  jeden  Fall  anzunehmen  ist.  Die  Blutunter¬ 
suchungen  bei  Cystitis,  Krotonöl-  und  Senfdermatitis  haben  nur  bei 
Cystitis  und  Krotonöldermatitis  eine  leichte  Vermehrung  der  Leuko- 
cyten  ergeben.  Bei  den  verbrannten  Thieren  wurden  die  bekannten 
Veränderungen  der  rothen  Blutkörpereben  gesehen,  andere  nennen 
als  Blutveränderung  bei  Verbrennungen  Wasserverlust  und  Ptomain¬ 
bildung.  (Fortsetzung  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  2.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Clirobak 

atattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

I.  Administrative  Vorversammlung. 

1.  Verlesung  der  Wahl  Vorschläge  und  der  Wahlliste. 

2.  Wahl  zweier  Scrutatoren. 

3.  Mittheilungen. 

II.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

2.  Docent  Dr.  Max  Herz:  Die  heilgymnastische  Behandlung  von 
Erkrankungen  des  Centralnervensystem?. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Docent  Dr.  Kretz,  Professor 
A.  Politzer,  Prof.  Benedikt,  Prof.  Weinlechner,  Dr.  J.  Tlienen, 
Dr.  A.  Pilcz,  Hofrath  Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart, 
Dr.  A.  .Tolles  und  Docent  Dr.  Ratin'. 

Bergmeister,  Pal  tauf. 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  5.  März  1900,  7  Uhr  Abends 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothenthurmstrasse  21  23 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Obersteiner 
stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Dr.  Offer,  emeritirter  Assistent:  Ueber  diätetische  Behandlung  von 
Stoffwechselkrankheiten. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  9. 


Bester  und  billiger  Ersatz  für  Jodoform. 


Im  Gebrauch  geruchlos,  ungiftig  selbst  bei  innerlicher 
Darreichung  grosser  Dosen  als  Darmantisepticum.  Ausge¬ 
sprochen  schmerz-  und  blutstillend,  nicht  reizend,  kein  Ekzem 
erzeugend.  Desodorisirt  selbst  jauchige  Secrete,  wii  kt  eminent 
austrocknend  und  reducirt  die  Eiterproduction  auflallend 
schnell.  Wirkt  in  manchen  Fällen  zwar  weniger  stark  gra- 
nulirend  als  Jodoform,  übertrifft  aber  Jodoform  und  alle  an¬ 
deren  Mittel  eminent  in  epithelbildender  Wirkung.  Von 
specifischer  Wirkung  bei  ulcera  mollia,  ulcus  cruris,  allen 
nässenden  Ekzemen  u.  s.  w.  Frische  Wunden  heilen  pei 
primam  und  alle  Autoren  haben  abgekürzte  Heilungsdauci 
constatirt.  Infolge  der  Ungiftigkeit  und  schmerzstillenden 
Wirkung  von  grossem  Vortheil  in  der  Gynäkologie  und  bei 
Brandwunden.  Bei  chronischen  nässenden  Ekzemen  (Intertiigo 
etc.)  genügt  einfaches  öfteres  Einreiben  mit  Xeroform-Watte¬ 
bausch.  Bäder  und  Verbandstoffe  werden  dabei  vollständig 
erspart. 

Proben  und  Literatursammlung  kostenfrei  durch  Che¬ 
mische  Fabrik  von  Heyden,  Radebeul-Dresden.  (319/c) 


Cascarine  Ijeprince. 

c12  h10  o5. 

Wirksamer  Bestandteil  der  Cascara  Sagrada.  Cholagogum  &  Copragogum. 

Atonie  der 
Peristaltik.  I 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 
Lactation. 


Chole¬ 

lithiasis. 


Das  »Casearine«  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera- 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  LafFont,  Bulletin  de  l’Academie  de  l  ede- 
eine  14.  Jnni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul ;  Dujardm- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  1  iirgatif.s, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  3ü5  ;  Tison,  Hop-tal 
St.-joseph  und  Congres  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963,  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

Seine  Wirkung  ist  regelmässig,  leicht  zu  erzielen,  ohne  Angewöhnung,  aus¬ 
gezeichnet  bei  habitueller  Verstopfung  und  gegen  bacterielle  Proliferation  des  Rheuma¬ 
tismus  (Dr.  Roux)  bei  Typhus  abdominalis  etc. 

Dosirung:  2  Pillen  Abends  oder  bei  den  Mahlzeiten, 
f Je  nach  der  Wirkung  die  Dosis  verringern  oder  steigern.) 

Verkauf  in  allen  Apotheken.  (( 

Um  Nachahmungen  zu  vermeiden,  verordne  man  gefl.  stets:  „Casearine  Leprince  . 

Jede  Pille  trägt  obige  Aufschrift. 

General-Vertretung:  St.  Leonhards- Apotheke,  Basel. 

Probesendungen  an  die  Herren  Aerzte  gratis. 

Zur  gefl.  Beachtung  !  Zur  Vermeidung  der  zahlreichen,  unter  ähnlichen  Namen  und 
Verpackungen  vorkommenden  Nachahmungen,  bitten  wir  die  Herren  Aerzte  ge 
„Casearine  Leprince“  verschreiben  zu  wollen.  _ \'A) 


Habituelle 

Verstopfung. 


Leber¬ 

beschwerde 


Antisepsis 
des 

Verdauungs- 
tractus.  tS 


Pillen  und  Elixir. 


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löffel,  gelöst  in  Suppe,  Milch  oder  Wasser,  drei¬ 
mal  täglich. 

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p.  393 ,  1896.  —  Berl.  luin.  Wochenschr .  No.  6  u.  7,  1897 ,  Nr.  11  u.  13,  1898 ,  No.  50, 18!  9. 

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Verlag  von  WILHELM  BRAUMÜLLER,  Wien  und  Leipzig. 


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111  Bändchen.  8°.  Mit  Illustrationen,  Karten  und  Plänen. 


Nr.  37.  Abbazia  von  Prof.  Dr.  Glax  und  Dr.  Igo  Schwarz. 

1  fl.  50  kr.  —  2  M.  50  Pf. 

,,  28.  Achensee  in  Tirol.  50  kr.  —  1  M. 

„  52.  Admont  von  Th.  Weymayr.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

,,  1.  A reo  von  Dr.  O.  Gerke.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

„  92.  Arco  von  Dr.  J.  Schreiber.  1  fl.  —  2  M. 

„  22.  Arco  von  Dr.  G.  v.  Kottowitz.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  25.  Atter  see,  Mondsee  und  Wolfgangsee  von  E.  Keiter. 

„  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  31.  Aussee  von  V.  Konschegg.  2.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 
„  90.  A  us  see,  Karte  von.  3.  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  6.  Baden  bei  Wien  von  Dr.  J.  Hoffmann.  1  fl.  —  2  M. 

„  24.  Baden  von  Dr.  J.  Schwarz.  2.  Aufl.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 
„  107.  Baden  bei  Wien  von  Dr.  A.  Wettendorfer.  2.  Aufl.  90  kr. 

—  1  M.  50  Pf. 

„  102.  Baden  pres  de  Vienne  par  le  Dr.  Wettendorfer.  1  fl.  — 

2  M. 

„  38.  Baden-Baden  und  seine  Thermen  von  Dr.  W.  H.  Gilbert. 

2.  Aufl.  1  fl.  50  kr.  —  2  M.  50  Pf. 

„  108.  Bart  fei  d  von  Dr.  H.  Hintz.  80  kr.  —  1  M.  40  Pf.  — 

„  93.  Böhmens  Heilquellen  von  Dr.  H.  Kisch.  2  fl.  50  kr.  —  5  M. 

„  84.  Cannstatt  von  Dr.  A.  Loh.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  94.  Carlsbad  von  Dr.  Hertzka.  2.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

„  77.  Carlsbad  (in  rumänischer  Sprache)  von  Dr.  Popper.  80  kr. 

—  1  M.  40  Pf. 

„  58.  Catania  von  Dr.  Joris.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  82.  Cilli  von  Dr.  J.  Hoisel.  50  kr.  —  1  M. 

„  85.  Dobelbad  von  Dr.  Ign.  v.  Waldhäusl.  1  fl.  20  kr.  — 

2  M.  40  Pf. 

„  80.  Ernsdorf  von  Dr.  M.  Kaufmann.  30  kr.  —  60  Pf. 

„  47.  Franzensbad  par  le  Dr.  Fellner.  1  fl.  —  2  M. 

„  60.  Franzensbad  von  Dr.  C.  Klein.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  36.  Franzensbad  von  Dr.  G.  Loimann.  2.  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  19.  Füred  von  Dr.  H.  Mangold.  5.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

„  110.  Fusch.  —  St.  Wolfgang-Fusch  von  Dr.  Fuchshofer. 
1  fl.  80  kr.  —  3  M. 

„  45.  Gallenegg  von  P.  v.  Radies.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  4.  Gastein,  Die  warmen  Quellen  von  Dr.  L.  Wiek.  2.  Aufl. 

80  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  5.  Gastein  von  Dr.  G.  Pröll.  5.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

„  44.  Gasteiu  von  Dr.  E.  Bunzel.  7.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 
„  111.  Gasteiu  von  Dr.  A.  Wassing.  2.  Aufl.  90  kr. —  1  M.  50  Pf. 
„  13.  Giesshübl-Sauerbrunn  von  Dr.  Löschner  und  Dr.  Willi. 

Gastl.  13.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  34.  Gleichenberg  von  Dr.  C.  Höffinger.  6.  Aufl.  2  fl.  40  kr. 

—  4  M. 

„  98.  Gleichenberg  von  Dr.  A.  Iv&ndi.  1  fl.  —  2  M. 

„  8.  Gleichenberg  von  Dr.  C.  Clar.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  1.  Gmunden  von  Dr.  H.  Wolfsgruber.  2.  Aufl.  60  kr.  — 

1  M.  20  Pf. 

„  87.  Goisern.  2.  Aufl.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  42.  Görz  von  Dr.  Schatzmeyer.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  53.  Gräfenberg  von  Dr.  Kutschera.  1  fl.  —  2  M. 

„  79.  Gräfenberg  von  Dr.  C.  Anjel.  2.  Aufl.  60  kr.  —  1  M. 

20  Pf. 

„  43.  Gries  von  Dr.  Navrätil.  2  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  14.  Hall  von  Dr.  Schuber.  3.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

„  89.  Hall-les-bains  par  le  Dr.  J.  Rabl.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  17.  Herkulesbad  von  Dr.  A.  Popoviciu.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  99.  Johannisbad  von  Dr.  Fr.  Knaur.  80  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  11.  Ischl  von  Dr.  II.  Kaan.  3.  Aufl.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  95.  Ischl  et  ses  environs  par  le  Dr.  H.  Kaan.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  106.  Italiens  Thermen  von  Dr.  W.  H.  Gilbert.  60  kr.  —  1  M. 
„  59.  Kalsdorfer  Sauerbrunn  von  J.  Karner.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  30.  Kaltenl eutgeben  von  Dr.  W.  Winternitz.  2.  Aufl. 

„  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  67.  Karlsbrunn  von  Dr.  J.  Steinschneider.  40  kr.  —  80  Pf. 
„  12.  Kärnten  von  P.  v.  Radies.  1  fl.  40  kr.  —  2  M.  80  Pf. 

„  51.  Königswart  von  Dr.  A.  Kohn.  1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40 
„  75.  Korytnica  von  Dr.  G.  Vogel.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  73.  Krapina-Töplitz  von  Dr.  J.  Weingerl.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 


Nr.  65.  Kreuzen  von  Dr.  0.  Fl  eis  ch  an  der  1.  1  fl.  —  2  M. 

„  23.  Krynica.von  Dr.  M.  Zieleniewsky.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  18.  Leukerbad  von  Dr.  Jos.  v.  Werra.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  57.  Levico  von  J.  Pacher.  50  kr.  —  1  M. 

„  55.  Lipik  von  Dr-  H.  Kern.  2.  Aufl.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  41.  Loeche-les-bains  von  Dr.  Jos.  de  Werra.  50  kr.  —  1  M. 
„  70.  Luhatschowitz  von  Dr.  F.  Küchler.  2.  Aufl.  70  kr.  — 

1  M.  40  Pf. 

„  109.  Luhatschowitz  von  Dr.  Spielmann.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 
„  10.  Lussin  von  E.  Gelcich  und  Dr.  Ghersa.  50  kr.  —  1  M. 

„  35.  Marien  bad  von  Dr.  Jul.  Sterk.  2.  Aufl.  80  kr. —  1  M.  60  Pf. 

„  97.  Mattigbad  von  Dr.  C.  Staininger.  50  kr.  —  1  M. 

„  2.  Meran  von  Dr.  J.  Pircher.  4.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  50.  Meran  von  Dr.  F.  Kuhn.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  91.  Millstatt  von  Dr.  F.  Pichler.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  81.  Monsummano  von  Dr.  F.  Daubrawa.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  20.  Montecatini  und  Monsummano  von  Dr.  W.  H.  Gilbert. 

70  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  64.  Nervi  von  Dr.  M.  Thilenius.  50  kr.  —  1  M. 

„  39.  Neuhaus  von  Dr.  C.  Paltauf.  3.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  21.  Ost-  und  Nordseebäder  von  0.  v.  Balten.  1  fl.  50  kr.  — 

2  M.  50  Pf. 

„  76.  Pfäfers-Ragaz  von  Dr.  F.  Daffner.  50  kr.  —  1  M. 

„  49.  Pisa  von  Dr.  C.  Schandein.  1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40  Pf. 
„  63.  Pistyan  von  Dr.  v.  Fodor.  3.  Aufl.  50  kr.  —  90  Pf. 

„  71.  Pistjän  von  Dr.  S.  Weinberger.  2.  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  105.  Plattensee-Bäder  (in  englischer  Sprache)  von  Dr.  C. 
Preysz.  30  kr.  —  50  Pf. 

„  66.  Pöstjeui  iszafürdö  irta  Dr.  Fodor.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  9.  Pyrawarth  von  Dr.  M.  Bree.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  101.  Radein  von  Dr.  J.  Höhn  und  Prof.  Reibenschuh. 
80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  83.  Reichen  hall  von  Dr.  Gold  Schmidt.  1  fl.  20  kr.  —  2  M: 
„  68.  Rohitsch-Sauerbrunn  von  Dr.  J.  Hoisel.  4.  Aufl.  80  kr. 

—  1  M.  40  Pf. 

„  62.  Römerbad  von  Dr.  H.  Mayrhofer.  3.  Aufl.  70kr. —  1M.40PL 

„  32.  Roncegno  von  Dr.  C.  Goldwurm.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  104.  Ronneburg  von  Dr.  W.  H.  Gilbert.  70  kr.  —  1  M.  20  Pf. 
„  69.  Roznau  von  Dr.  F.  Koblovsky.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  16.  Roznauer  Führer  vou  Dr.  F.  Polansky.  3.  Aufl.  50  kr. —  1  M. 

„  86.  Sangerberg  von  Dr.  II.  Penn.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  15.  Schweizer  Curorte  von  Dr.  A.  Feierabend.  2.  Aufl.  2  fl. 

—  4  M. 

„  29.  Siebenbürgen  von  Dr.  C.  Sigmund.  2.  Aufl.  1  fl.  80  kr.  — 

3  M.  60  Pf. 

„  103.  Siöfok  am  Plattensee  von  Dr.  Cornel  Preysz.  40  kr.  —  70  Pf. 
„  54.  Steiermärkische  Bäder  von  Dr.  A.  Schlossar.  1  fl.  50  kr. 

—  3  M. 

„  33.  Tatzmannsdorf  von  Dr.  L.  Thomas.  50  kr.  —  1  M. 

„  7.  Teplitz-Schönau  von  Dr.  Samuely.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  48.  Thüringens  Badeorte  von  Dr.  L.  Pfeiffer.  2.  Aufl. 
1  fl.  50  kr.  —  3  M. 

„  88.  Töplitz  in  Unterkrain  von  P.  v.  Radies.  1  fl.  —  2  M. 

„  56.  T r enchin-Teplitz  von  Dr.  S.  Ventura.  7.  Aufl. 
1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40  Pf. 

„  72.  Ungarn.  Les  eaux  minerales  par  Dr.  J.  Hirschfeld. 

1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40  Pf. 

„  46.  Veldes  von  Dr.  L.  Germonik.  2.  Aufl.  1  fl.  —  2  M. 

„  96.  Vihnye  von  Dr.  S.  v.  Boleman.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  27.  Vöslau  von  Dr.  S.  Friedmann.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  3.  Wörthersee  von  E.  Tullinger.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 


Nr.  26.  „Quellenstudien“  von  P.  v.  Radies.  1  fl.  40  kr.  —  2  M.  80  Pf. 
„  40.  Anleitung  zur  Wahl  der  Curorte  von  Dr.  J.  Meyr. 

2.  Aufl.  2  fl.  —  4  M. 

„  74.  Klimatische  Curen  bei  Lungenkranken.  Von  Dr.  J. 

Schreiber.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  78.  Wintercuren  an  Schwefelthermen  von  Dr.  A.  Reumont. 

40  kr.  —  80  Pf. 

„  100.  Heilquellen  u.  Curorte  Mitteleuropas.  80  kr.  —  1  M.  60 Pf. 
Höffinger,  Dr.  Karl,  kaiserl.  Rath,  Curarzt  in  Gleichenberg  und  Gries  bei  Bozen.  Gries-Bozen  als  klimatischer,  Terrain -Curort 
und  Touristenstation.  Ein  Begleiter  für  Curgäste,  Reisende  und  Touristen.  Zweite,  ergänzte  Auflage.  Mit  Illustrationen  und 
Karten.  (Bade-Bibliothek.)  8°.  1895.  Cart.  2  fl.  —  3  M.  60  Pf. 

Lang,  Melchior.  Ajaccio  als  klimatischer  Curortund  die  Insel  Corsica.  Mit  einem  Lichtdruck  und  einer  Karte.  8°.  1895.  1  fl.  20  kr.  —  2M 
Schwetter,  Anton,  städt.  Lehrer  in  Wien.  Der  klimatische  Höhencurort  Neumarkt  in  Steiermark.  Führer  für  Curgäste  und  Touristen. 

Zweite,  gänzlich  umgearbeitete  und  verbesserte  Auflage.  Mit  einer  Abhandlung:  Ueber  den  Einfluss  des  Höhenklimas  auf  die  Tuber- 
culose  von  Dr.  Friedrich  Gauster.  Mit  20  Illustrationen,  Situationsplänen  und  2  Karten.  8°.  1893.  1  fl.  —  2  M. 


©■ 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfango  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Iieuae- 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
1X3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Güssen  Dauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Rediffirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  V 1 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  8.  März  1900. 


Nr.  10. 


IdNTHALT: 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hufrat hes 

Prof.  Nothnagel  in  Wien.  Das  radiographische  Verhalten  der 
normalen  Brustaorta.  Von  Dr.  G.  Holzknecht,  Aspirant  der 
Klinik. 

2.  Aus  dem  allgemeinen  öffentlichen  Krankenhause  in  Baden  bei  Wien. 
Ein  Fall  von  angeborener  stenosirender  PylorushypertropLie.  Von 
Dr.  Franz  H  a  n  s  y. 

3.  Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Jakubowski  in 
Krakau.  Zur  Biologie  der  Malariaparasiten.  Von  Dr.  Xaver  j 
Lewkowicz,  Assistenten  der  Klinik.  (Schluss.) 

II.  Referate:  Pathologie  und  Therapie  der  entzündlichen  Erkrankungen 

der  Nebenhöhlen  der  Nase.  Von  Dr.  M.  Hajek.  Ref.  O.  Ciliar i. 

—  I,  Volvulus  coeci.  Von  W.  Zoege  v.  Man  teuffei.  II.  Die  | 
irrt*  < i *•  '  tf  «>  *  .  « 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

Brüche  der  Mittelfussknochen  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Lei  re 
von  der  Statik  des  Fusses.  Von  Gustav  Muskat.  III.  La 
gastrostomie.  Par  J.  Braquehaye.  IV.  L’appendicite.  ParAng. 
Proca,  V.  Chirurgie  du  foie  et  des  voies  biliaires.  Par  J.  Pan- 
taloni.  VI.  A  Manual  of  Surgery.  By  Charles  Sto  n  h  a  m. 
VII.  Uober  Amputationen  und  Exarticulationen.  Von  August 
Bier.  lief.  K.  B  ü  d  i  n  g  e  r.  —  Handbuch  der  praktischen  Chi¬ 
rurgie.  Von  E.  v.  Bergmann,  P.  v.  Bruns  und  J.  v.  Miku¬ 
licz  Ref.  Alex.  Fraenkel. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nml  Congressberichte. 


Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof. 

Nothnagel  in  Wien. 

Das  radiographische  Verhalten  der  normalen 

Brustaorta. 

Von  Dr.  G.  Holzknecht.  Aspirant  der  Klinik. 

Diejenige  innere  Erkrankung,  auf  die  die  Rön  tgen’sche 
Entdeckung  zu  allererst  diagnostische  Anwendung  fand,  war 
das  Aneurysma  der  Brustaorta.  Damals  hörte  man  in  einer 
deutschen  ärztlichen  Gesellschaft  die  sanguinischen  Worte: 
»Das  Aneurysma,  besonders  das  verborgen  beginnende,  hat 
am  längsten  mit  der  ärztlichen  Kunst  Verstecken  gespielt, 
Röntgen  hat  es  entlarvt«.  Dieses  zuversichtliche  Wort  hat  sich 
bisher  nur  für  zwei  Grade  des  Aneurysmas  erfüllt,  füi  dasjenige, 
bei  welchem  sich  bereits  diagnostisch  ausreichende  klinische 
Symptome,  vor  Allem  abnorme  Pulsationen  ausgebildet  haben, 
und  dann  für  jene,  die  zwar  klinisch  nicht  mit  Sicherheit 
diagnostieirbar,  doch  schon  zu  bedeutender  Grösse  heran¬ 
gewachsen  waren.  Bei  den  beginnenden  liess  es  dagegen  sehr 
oft  im  Stich. 

Das  kam  so:  Vorgeschrittene  Aneurysmen  zeigten,  im 
Gegensatz  zu  den  in  Fig.  1  schematisch  angedeuteten  normalen 
Durchleuchtungsbildern,  oberhalb  des  Herzens,  einer-  oder 
beiderseits  vom  Mittelschatten  des  Thorax,  annähernd  halb¬ 
kugelige,  synchron  oder  fast  synchron  mit  dem  Herzen  pul- 
sirende  Vorsprünge  (Fig.  2).  Da  war  nun  nichts  leichter,  aber 
auch  nichts  falscher,  als  das  Urtheil  einfach  umzukehren  und 
zu  sagen:  Solche  pulsirende  Vorsprünge  sind  Aneurysmen. 
Und  da  sich  deren  eine  grosse  Menge  fand,  wurde  eine  grosse 
Anzahl  von  Diagnosen  auf  Aneurysma  incipiens  aortae  gestellt. 
Die  besprochene  Regel  hatte  ziemlich  lange  Geltung,  gerade 
so  lange,  bis  die  ersten  so  beurtheilten  Fälle,  die  unter  cardialen, 


cerebralen  und  anderen  Symptomen  starben,  zur  Autopsie 
kamen.  Da  war  es  mit  der  Regel  natürlich  vorbei.  Die  anato¬ 
mischen  Diagnosen  dieser  Fälle  lauteten:  Insufficientia  valvu- 
larum  aortae*,  Myodegeneratio  cordis  *  Arteriosklerose;  Nephri- 


Fig.  1  Schematische  Darstellung  des  normalen  röntgenoskopischen  Herz- 
und  Mittelschattens  des  Thorax.  —  Fig.  2.  Schematische  Darstellung  des 
Mittelschattens  des  Thorax,  aus  dem  ein  den  grossen  Gefä-sen  angehöngei 

pulsirender  Vorsprung  austrit.t. 


Haemorrhagia  cerebri  und  Anderes  mehr,  und  rasch  tei  tig  wai 
s  Wort:  »Das  Verfahren  ist  nichts  werth«.  Fs  war  ja  auch  zu 
jerlich,  blos  auf  das  mit  Jugendkraft  gesprochene  Wort  des 
ntgenographen  hin  von  seiner  gesicherten  Diagnose  anzuge  u-n. 
i  dann  bei  der  Autopsie  desavouirt  zu  werden.  Solche  abfällige 

theile,  die  wohl  an  eine  falsche  Adresse  gerichtet  sind,  hört  man 

“h  immer  häufig  und  erst  kürzlich  wurden  sie  gewi^ei  müssen 


► 


226 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


autorisirt  dadurch,  dass  ein  hervorragender  Chirurge1)  ge¬ 
legentlich  der  letzten  Naturforscherversammlung  sich  mit  ihnen 
identilicirte.  Derartige  zahlreiche  Irrthümer,  wieder  besprochene, 
und  gewisse  industriöse  Uebertreibungen  und  Voreiligkeiten 
praktischer  Aerzte,  die  übrigens,  wie  mir  scheint,  anderwärts 
mehr  in  Schwang  sind,  als  bei  uns,  mögen  ihn  bewogen  haben, 
ein  so  radicales  und  summarisches  Urtheilüber  den  internistisch¬ 
diagnostischen  und  den  therapeutischen  Werth  dieses  Ver¬ 
fahrens  zu  fällen. 

Ich  komme  zurück  zur  rüntgenoskopischen  Diagnose  des 
Aneurysmas.  Zur  Erklärung  der  Widersprüche  in  den  Befunden 
der  pulsirenden  Ausladungen  bei  der  Ilöntgenoskopie  einerseits 
und  der  fehlenden  Aneurysmen  bei  der  Autopsie  andererseits 
wurde  nun  von  den  Einen  (wie  von  Levy- Dorn  in  Berlin) 
angenommen,  die  Frequenz  des  Aortenaneurysmas  sei  eine  viel 
grössere,  als  man  bisher  angenommen  hatte,  der  Process  sei  aber 
unter  günstigen  Umständen  eines  baldigen  Abschlusses,  ja  eines 
Rückganges  fähig.  Diese  Ansicht  basirte  wohl  darauf,  dass 
sich  solche  pulsirende  Vorwölbungen  thatsächlich  zurückbilden 
können,  wovon  ich  mich  selbst  mehrfach  überzeugt  habe. 


rechts  links 


Fi g.  3. 

Normaler  Thorax,  sagittaler,  postero-anteriorer  Strahlengang;  die  Wirbelsäule 
hebt  sich  als  gleiehbreites  dunkelstes  Band  vom  Mittelschatten  ab,  die 
Mitte  desselben  wird  oben  durch  den  negativen  Schatten  der  Trachea  aus¬ 
gespart.  Vom  Fluoreseenzschirm  abpausirt. 


Andere  meinten,  es  handle  sich  um  eine  circumscripte,  die 
Elasticitätsgrenze  nicht  überschreitende  und  daher  die  Wand 
nicht  im  physikalischen  Sinne  dehnende  Dilatation  der  Aorta, 
die  in  geringen  Dimensionen,  autoptisch  unnachweisbar,  unter 
der  Wirkung  des  Blutdruckes  am  Lebenden  in  Erscheinung 
tritt.  Locale  circumscripte  Angioparalysen,  auf  deren  Rechnung 
dann  auch  die  cardialen  Beschwerden  des  Falles  zu  setzen 
wären,  sollten  das  ätiologische  Moment  dazu  abgeben. 

Ich  glaube,  dass  das  ganze  Raisonnement  auf  schwankenden 
Füssen  steht,  weil  die  Behauptung,  von  der  es  ausgieng,  das 
normale  Bild  der  Brustorgane  sehe  so  aus,  wie  Fig.  1  zeigt, 
unzureichend  und  die  Annahme,  dass  jede  nicht  mit  einem 
Aneurysma  behaftete  Brustaorta  sich  im  Mittelschatten  des 
Thorax  verbirgt,  falsch  ist.  Pathologie  zu  treiben  ohne  aus¬ 
reichende  anatomische  Grundlage  hat  auch  hier  wie  überallzu 
Irrthümern  geführt.  Unsere  nächste  Aufgabe  war  die:  1.  das 
normale  röntgenoskopische  Bild  der  Aorta  und  2.  die  ein¬ 
schlägigen  Verhältnisse  bei  denjenigen  Erkrankungen  zu  stu- 
diren,  die  von  solchen  pulsirenden  Verwölbungen  begleitet  sind, 
ohne  dass  ein  Aneurysma  besteht.  Auf  dieser  Basis  konnte 


dann  an  das  Studium  des  röntgenologischen  Verhaltens  der 
Aneurysmen  geschritten  werden.  Die  Resultate  der  Unter¬ 
suchungen  bezüglich  des  normalen  Verhaltens  der  Aorta  sind 
im  Folgenden  auseinandergesetzt. 

Betrachtet  man  das  Durchleuchtungsbild2)  des  Thorax 
eines  jugendlichen,  gesunden  Individuums  bei  postero-anteriorem 
Strahlen  gang,  also  die  Röhre  im  Rücken,  den  Schirm  an  der 
Brust  (Fig.  3),  so  sieht  man  über  dem  Herzen  zwischen  den 
hellen  Lungenfeldern  einen  von  parallelen  Rändern  begrenzten, 
also  überall  gleich  breiten  Schattenstreif  den  Thorax  in  zwei 
symmetrische  Antheile  zerlegen.  Derselbe  ist  der  Ausdruck 
der  in  diesem  Bereich  statttindenden  Absorption  der  Rönt- 
gen’schen  Strahlen  durch  die  Wirbelsäule,  die  grossen  Ge- 
fässe  und  das  Sternum.  Die  Intensität  des  Schattens  ist  un¬ 
gleich,  die  Randpartien  sind  heller,  setzen  sich  aber  noch  immer 
scharf  scharf  genug  von  den  hellen  Lungenfeldern  ab,  der 
mediane  Antheil  ist  dunkler,  lässt  sich  bei  hoher  Strahlen¬ 
intensität  nach  unten  meist  durch  den  Herzschatten  hindurch 
verfolgen  und  erreicht  an  Saturation  beinahe  die  schwerst- 
durchleuchtbaren  Theile,  Abdomen  und  Becken.  Dies  gilt 
jedoch  nur  für  die  untere  Hälfte  des  Schattenstreifes,  in 


M'  VXliUltcU, 


Schematische  Darstellung  der  löntgenoskopischen  Untersuchung  des  rechten 
Herzschattenrandes  mit  und  ohne  Bleiblende.  Die  diffusen  Stiahlen  a  und  b, 
welche  vom  linken  Humerus  und  vom  Röhrenstativ  ausgesandt  und  in  ihrem 
Verlauf  durch  den  Körper  punktirt  gezeichnet  sind,  bedingen  auf  dem 
Schirm  S  S1  einen  Zerstreuungskreis.  Durch  die  Bleiblende  B  B‘  werden  sie 
abgeblendet,  so  dass  nur  der  focale  Strahl  d  den  Schirm  triffr. 


der  oberen  sehen  wir  gerade  die  Mitte  desselben  eingenommen 
von  einem  helleren,  sich  gegen  die  dunklen  Randpartien  scharf 
abgrenzenden  Bande,  das  sich  vom  vierten  Brustwirbelkörper 
nach  aufwärts  erstreckt  und  in  den  hellen  Pharynxraum  über¬ 
geht.  Es  ist  durch  die  luftgefüllte  und  daher  wenig  absorbirende 
Trachea  bedingt.  Die  Breite  des  ganzen  Schattenstreifes  übertrifft 
gewöhnlich  um  etwas  die  des  Sternums  ■  sie  schwankt  in  nicht 
unerheblichen  Dimensionen  und  diese  Differenzen  hängen  von 
Entwicklung  der  Musculatur  und  des  Fettpolsters  ab.  Bei 
dieser  Variabilität  der  Breite  des  Mittelschattens  kann  es  sich 
mit  Rücksicht  auf  die  geringe  musculäre  Ausstattung  der 
vorderen  Thoraxwand  wohl  nur  um  die  hinter  und  neben  der 
Wirbelsäule  liegenden  Muskelschichten  handeln,  die  sich  sammt 
den  zwischenliegenden  Fettschichten  in  grösserer  oder  gerin¬ 
gerer  Ausdehnung  und  Mächtigkeit  von  der  Wirbelsäule  late- 
ralwärts  erstrecken.  Bei  sehr  schlechtem  Ernährungszustände 

o 

ist  das  mediane  Schattenband  am  schmälsten  und  dann  auch 
oft  nicht  parallelrandig,  sondern  sanduhrförmig,  wobei  die 
schmälste  Stelle  ungefähr  auf  den  fünften  Brustwirbelkörper 
fällt.  Sie  wird  wahrscheinlich  durch  Schattenaussparung  in 
Folge  der  hier  auseinander  tretenden  Hauptbronchen  und  viel¬ 
leicht  auch  durch  die  hier  geringe  Breite  des  Brustbeines  an 
der  Verbindungsstelle  des  Manubrium  mit  dem  Corpus  sterni 
hervorgebracht.  An  diesen  Schattenstreif  sind  seitlich  die 


’)  Bergmann.  Naturfoi Seherversammlung  in  München.  1899. 


-’)  Die  zugehörige  Fig.  3  ist  eine  vom  Schirmbilde  gemachte  Pause. 


Nr.  10 


WIEN  Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


227 


Schatten  der  Schlüsselbeine  und  vorderen  Rippenantheile  an-  , 
gesetzt. 

Bei  anteroposteriorem  Strahlengange,  also  Röhre  vor  der 
Brust,  Schirm  am  Rücken,  erhalten  wir  ein  im  Wesentlichen 
ähnliches  Bild.  Nur  der  mittlere  dunkelste  Schattenstreif  zeigt 
sich  noch  schärfer  begrenzt,  was  dafür  spricht,  dass  er  durch 
die  jetzt  knapp  hinter  dem  Schirm  liegenden  Körper  und 
Bogen  der  Wirbelsäule  bedingt  ist.  Ausser  der  respiratorischen 
Bewegung  des  Zwerchfelles,  der  Rippen  und  den  Pulsationen 
der  linken  Herzcontour  sind  in  beiden  sagittalen  Durchleuch¬ 
tungsrichtungen  keinerlei  anderweitige,  besonders  keine  Be¬ 
wegungserscheinungen  an  dem  medianen,  die  Aorta  enthalten¬ 
den  Schattenstreif  zu  sehen. 

Hier  muss  ich  bemerken,  dass  viele  von  den  bisher  bespro¬ 
chenen  und  fast  alle  noch  zu  besprechenden’Details  nur  bei  Gebrauch 
einer  Bleiblende  gut  erkennbar  sind.  Dieselbe  wird  noch  viel  zu  wenig 
in  Verwendung  gezogen  und  sie  sei  daher  nachdrücklichst  empfohlen. 
Die  Bleiblende  ist  in  ihrer  einfachsten  Form  eine  2—4  mm  dicke  Blei- 
platte  von  beliebiger  runder  oder  vierseitiger  Form  von  25  cm  Seite, 


Retro-  Herz  Retro-  Wirbel- 

sternalraum  cardialraum  säule 

Fig.  5. 

Normaler  Thorax,  frontaler  Strahlengang  von  rechts  nach  links. 

Schirmpause. 

respective  Durchmesser,  versehen  mit  einem  kreisrunden  Ausschnitt 
in  der  Mitte,  dessen  Durchmesser  3— 5  cm  beträgt  und  am  besten  re- 
o-ulirbar  ist.  Wird  er  zwischen  Röhre  und  durchleuchteten  Körper 
gehalten,  so  engt  er  zunächst  das  sichtbare  Fluorescenzfeld  ein. 
Dieses  erscheint  dunkler,  die  Contraste  aber  und  damit  die  Schärfe 
des  Bildes-  nehmen  erheblich  zu.  Bei  ihrem  Gebrauche  hat  man  den. 
selben  Eindruck,  wie  beim  Gebrauch  der  Blende  am  Mikroskop,  nach 
deren  Muster  sie  am  besten  zu  construiren  ist.  Ihre  Wirkung  beruht 
offenbar  auch  auf  ähnlichen  Vorgängen.  Bekanntlich  wird  jeder  von 
Röntgen-Strahlen  getroffene  Körper  zum  Ausgangspunkte  neuer, 
sich  nach  allen  Richtungen  des  «Raumes  fortpflanzender  gleicher 
Strahlen. 

Es  ist  daher  begreiflich,  dass  solche  im  umgebenden  Raume 
und  im  durchleuchteten  Körper  entstehende  und  aus  allen  erdenk¬ 
lichen  Richtungen  auf  den  Schirm  fallenden  Strahlen  das  Schatten¬ 
bild  unscharf  und  verschwommen  (in  Zerstreuungskreisen)  zeichnen. 
Dasselbe  wird  nur  dann  scharf,  wenn  alle  Strahlen  aus  einem  punkt¬ 
förmigen  Focus  hervorgehen  (Schlagschatten).  Indem  nun  die  Blende 
einerseits  die  aus  dem  umgebenden  Raum  kommenden  diffusen 
Strahlen  auffängt  (Fig.  4,  a ),  andererseits  nicht  gestattet,  dass  andere, 
als  die  gerade  zu  untersuchenden  Partien  des  Körpers  von  focalen 
Strahlen  getroffen  (Fig.  4,  b )  und  so  zu  weiteren  Quellen  von 
Röntge  n’schen  Strahlen  gemacht  werden,  lässt  sie  zwar  weniger 
Strahlen  zum  Schirm  gelangen  (das  Bild  wird  dunkler),  dieser  Rest 
(Fig.  4,  d )  kommt  aber  nur  aus  dem  Focus  der  Röhre  (das  Bild  wird 
schärfer). 


Röntgenogramme  des  Thorax  von  vorne  und 
von  hinten  aufgenommen  enthüllen')'  nicht  wesentlich  mehr 
als  die  röntgenoskopische  Untersuchung  mit  Bleiblende. 
Nur  der  mediane  dichteste  Schattenstreif  löst  sich  auch  bei 
minder  gelungenen  Bildern  in  rechteckige,  aufeinander  ge- 
thürmte  Felder,  die  einzelnen  Wirbel  auf,  und  lässt  bei  guten 
Aufuahmsbedingungen  weitere  Details  der  Wirbel  erkennen. 
Er  beweist  so  seine  vermuthete  Abstammung.  Im  Uebrigen  ist 
hier  wie  überall  in  der  internen  Medicin  die  Röntgenographie 
von  secundärer  ^ Bedeutung  gegenüber  der  Röntgenoskopie. 

Das  Ergebniss  der  beiden  sagittalen  Durchstrahlungen 
(von  vorne  nach  hinten  und  umgekehrt)  ist  abo,  dass  kein 


Fig.  6. 

Sagittal  medianer  Gefriersclmitt  eines  normalen  Thorax  nach  Tafel  I  A  des 
»Topographisch-anatomischen  Atlas«  von  Braune.  Die  Aorta  ascendens 
bildet  die  hintere  Begrenzung  des  Retrosternalraumes,  der  unterste  I  heil 
der  Aorta  descendens  die  hintere  Begrenzung  des  Retrocardialraumes. 

Theil  der  Brustaorta  als  distincter  Schatten  im  Bilde  sichtbar 
wird,  sondern  die  ganze  normale  Brustaorta  durch  den  Mittel¬ 
schatten  gedeckt  ist. 

Die  Durchleuchtung  in  frontaler  Richtung 
kann  von  rechts  nach  links  und  umgekehrt  vorgenommen  werden. 
Immer  werden  sich  diejenigen  Theile  auf  Schirm  und  Platte  am 
besten  abbilden,  die  diesen  am  nächsten  liegen.  Diesem  allge¬ 
meinen  Grundsatz  entsprechend,  werden  wir  zur  Durchleuchtung 
der  Aorta,  deren  aufsteigender  Schenkel  fast  median,  deren 
absteigender  Theil  in  der  linken  Thoraxhälfte  liegt,  den  Strahlen¬ 
gang  von  rechts  nach  links  dirigiren  und  daher  den  Schirm 
an  die  linke  Seite  unter  dem  Arm  anlegen,  welch  letzterer 
dabei  am  zweckmässigsten  gestreckt  und  nach  oben  gehoben 
wird.  Das  so  zu  Stande  kommende  röntgenoskopische  Bild  ist 
folgendes  (Fig.  5,  Schirmpause):  Der  Thoraxinnenraum  stellt 
sich  als  ein  unregelmässiges  Viereck  von  ungleicher  Heiligkeit 


•228 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1(J00. 


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dar.  In  die  vordere  untere  Ecke  desselben  ist  das  Herz  ein¬ 
gelagert,  dessen  vordere  Fläche  nach  obenhin  allmälig  sich 
von  dem  im  Sagittalschnitt  erscheinenden  Sternum  abhebt  und 
dort  mit  letzterem  einen  hellen  Raum  von  sphärisch  dreieckiger 
Form  begrenzt,  den  Retrosternalraum,  dessen  hintere 
obere  Grenze  durch  einen  von  hinten  einspringenden  und  sich 
mit  der  Herzsilhouette  verbindenden  diffusen  Schatten  gebildet 
wird.  Die  hintere  Herzschattengrenze  steigt  nach  mehr  minder 
scharfer  Krümmung  vertical  vom  Zwerchfell  auf  und  begrenzt 
mit  dem  Schatten  der  hinteren  Thoraxwand  einen  zweiten, 
viereckigen,  nach  oben  unscharf  contourirten,  minder  hellen, 
den  Retroca’rdialraum,  dessen  Helligkeit  inspiratorisch 
erheblich  wächst.  Davon  und  von  der  respiratorischen  Zwerch¬ 
fellbewegung  abgesehen  sind  keine  Bewegungsphänomene,  be¬ 
sonders  keine  Pulsationen  im  Bilde  wahrzunehmen.  Die  Grösse 
beider  hellen  Felder,  des  retrocardialen  und  des  retrosternalen 
Raumes,  hängt  vom  Bau  des  Thorax,  von  seiner  grösseren 
oder  geringeren  Tiefe,  vom  Stande  des  Zwerchfelles,  von  par¬ 
tiellen  Dehnungszuständen  und  'Absorptionsverhältnissen  der 


rechtes  Wirbel-  TTerz  und  Aorta  linkes 

Lungenfeld  säule  Lungenfeld 


Fig.  7. 

Normaler  Thorax,  schräg  von  links  hinten  nach  rechts  vorn  gerichteter 
.Strahlengang,  Schirmpause.  Der  helle  Spalt  zwischen  Wirbelsäule  einerseits 
und  Herz  und  Aorta  andererseits  ist  zum  Theil  durch  die  in  den  Oeso¬ 
phagus  eingefahrte  bleischrotgefüllte  Sonde  eingenommenen;  links  vom 
Herzen  ein  auf  der  Mitte  des  Sternum  befestigter  Bleistab. 

Lunge  und  den  Grössenverhältnissen  des  Herzens,  und,  wenn 
alle  diese  in  Rechnung  gezogen  sind,  schliesslich  von  der  Aorta 
ab.  Vergleichen  wir  das  Bild  mit  einem  anatomischen  Median¬ 
schnitte  des  Thorax  (Fig.  6):i),  so  sehen  wir,  dass  die  Basis  des 
lang  gestreckten  Dreieckes  des  Retrosternalraumes  durch  das 
Sternum,  der  untere  Schenkel  durch  die  Auricula  dextra  und 
weiters  durch  die  Aorta  ascendens  gebildet  wird,  während  der 
obere  Schenkel  im  Röntgenogramme  von  dem  besprochenen 
Schatten  beigestellt  wird,  der  von  der  Sehultermusculatur,  be¬ 
sonders  vom  M.  latissimus  dorsi  herrührt.  (Man  erinnere  sich 
daran,  das  bei  dieser  Durchleuchtung  der  linke  Arm  nach  oben 
und  vorne  gehoben  ist.)  Als  hintere  Begrenzung  des  retro- 
cardialen  Raumes  ergibt  sich  die  Wirbelsäule,  der  in  der 
ganzen  liier  in  Betracht  kommenden  Ausdehnung  der  Ösophagus 
vorgelagert  ist,  während  die  Aorta  thoracica  erst  vom  siebenten 
Brustwirbelkörper  an  auf  die  Vorderseite  der  Wirbelsäule 
tritt  und  so  die  hintere  untere  Begrenzung  des  hellen  Raumes 
bildet.  Fig.  5  ist  nach  einer  Sehirmpause  verfertigt,  da  ein 
Röntgenogramm  nur  selten  gelingt  und  auch  dann  für  das  an¬ 
gewendete  Reproductionsverfahren  nicht  contrastreich  genug 
ist.  Aus  Allem  ergibt  sieh  für  die  Beurtheilung  des  Zustandes 

3)  Nach  Braüne’s  Topographisch-anatomischem  Atlas.  Tafel  1. 


der  Aorta,  dass  bei  frontaler  (querer)  Durchstrahlung  die  Aorta 
ascendens  den  unteren  hinteren  Schenkel  und  die  hintere 
Ecke  des  dreiekigen  Retrosternalraumes  bildet,  dass  der  Bogen 
im  Scliultersclmtten,  die  erste  Hälfte  der  Descendens  im 
Schatten  der  Wirbelkörper,  neben  denen  sie  liegt,  gedeckt 
bleibt,  dass  die  untere  Hälfte  derselben  aber  im  Verein  mit 
dem  Oesophagus  die  hintere  Begrenzung  des  retrocardialen 
Raumes  bildet.  Sollen  die  Aorta  ascendens  und  die  untere 
Hälfte  der  descendens  thoracica  als  normal  bezeichnet  werden,  so 
müsste  also  das  Retrosternal-  und  Retrocardialfeld  in  ganzer 
Ausdehnung  hell  gefunden  werden.  Der  Satz  erlaubt  natürlich 
nicht  ohne  Weiteres  eine  Umkehrung.  Dass  diese  Begrenzungen 
nicht  pulsirend  wahrgenommen  werden,  spricht  nicht  etwa 
gegen  obige  Auffassung,  erklärt  sich  vielmehr  leicht  aus  der 
Lichtschwäche  und  Unschärfe  der  Bilder  der  seitlichen  Durch¬ 
leuchtung,  die  sich  wieder  aus  der  Grösse  des  Querdurchmessers 
des  Thorax  ergeben. 

Am  werthvollsten  für  die  Beurtheilung  des  Zustandes  der 
Aorta  erscheint  nächst  der  anfangs  besprochenen  sagittalen  die 


Fig.  8. 

Horizontaler  Gefrierschnitt  eines  normalen  Thorax  in  der  Höhe  des  sechsten 
Brustwirbels  und  des  sternalen  Endes  des  dritten  Intercostalraumes  nach 
Tafel  XI  des  »Topographisch-anatomischen  Atlas«  von  Braune. 
B  =  Röhre,  S=  Schirm.  11  S  =  Schräge  Durchleuchtungsrichtung  von  links 

hinten  nach  rechts  vorn. 

erste  der  folgenden  Durchleuchtungsriclitungen.  Es  sind  das 
schief  durch  den  Thorax  gehende  Projection  s- 
richtungen,  und  zwar  vier: 

1.  Von  links  hinten  nach  rechts  vorn; 

2.  von  rechts  vorn  nach  links  hinten; 

ff.  von  links  vorn  nach  rechts  hinten; 

4.  von  rechts  hinten  nach  links  vorn.  Die  Erontalebene 
des  Patienten  wird  zur  Strahlenrichtung  jedes  Mal  in  einen 
Winkel  von  45°  gebracht.  Nochmals  sei  hier  erwähnt,  dass 
zum  Erkennen  der  im  Folgenden  besprochenen  Schirmbilder 
die  Bleiblende  unerlässlich  ist. 

Wir  beginnen  mit  der  ersten  schrägen  Durch¬ 
leuchtung,  dervon  hinten  links  nach  vorn  rechts. 
Den  vor  der  Röhre  stehenden  mit  der  Brust  uns  zugekehrten 
Patienten  drehen  wir  so  nach  links,  dass  seine  rechte  Thoraxseite 
uns  zugewendet  ist,  während  die  Röhre  hinter  seine  linke 
Schulter  zu  stehen  kommt.  Bei  einem  bestimmten  Drehungs¬ 
winkel,  es  sind  meist  genau  45°,  sehen  wir  nun  folgendes 
Bild  (Fig.  7,  Schirmpause,  und  Fig.  11,  Röntgeno¬ 
gramm):  An  Stelle  zweier  heller  Lungenfelder  sind  drei 
getreten,  die  statt,  wie  früher  durch  einen,  jetzt  durch 
zwei  verticale  Schatten  getlieilt  werden.  Der  rechte  zieht 
parallelrandig,  links  schärfer  linear,  rechts  weniger  scharf  be¬ 
grenzt  in  sanftem  Bogen  nach  unten  und  rechts.  Er  ist  die 
Silhouette  der  V  irbelsäule.  Bei  der  Drehung  des  Körpers  um 
seine  Achse  sind  die  vorderen  Antheile  des  Thorax  nach  links, 
die  hinten  liegende  Wirbelsäule  nach  rechts  gewandert.  Ihre 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


nach  links  vorn  gewendeten  Wirbelkörper  verleihen  ihr  die 
schärfere  linke,  ihre  nach  rechts  gewendeten  Dorn-  und  rechten 
Querfortsätze,  sowie  die  rechtsseitige  ihr  an  gehörige  Musculatur 
verursachen  die  unscharfe,  zackige  rechte  Contour.  Die  Krüm¬ 
mung  des  Schattenbandes  mit  der  Convexität  nach  rechts 
rührt  von  der  normalen  Dorsalkyphose  der  Wirbelsäule  her 
und  beträgt  in  Folge  der  blos  45°  betragenden  Drehung  des 
Thorax  natürlich  nur  die  Hälfte  der  wirklichen  Dorsalkrüm¬ 
mung.  Im  zweiten  Schattencomplex  erkennen  wir  das  Herz, 
das  fn  dieser  Stellung  die  Form  eines  gleichseitigen  Dreieckes 
angenommen  hat,  das  nur  nach  links  unten  etwas  stärker  aus¬ 
gezogen  ist,  andererseits  aber  hier  die  scharfwinkelige  Spitze 
verloren  hat  und  eine  mehr  abgerundete  Ecke  zeigt. 

An  die  obere  Ecke  des  dreieckigen  Herzschattens  scldiesst 
sich  continuirlich  ein  schmales  aufsteigendes  Schattenband,  das 
offenbar  der  Aorta  ascendens  und  dem  Arcus  aortae  an  gehört4). 
Da  Röhre,  Aorta  ascendens  und  Bogen  bei  dieser  Anordnung 
in  einer  Ebene  liegen,  werden  die  Aorta  ascendens  und  des- 
cendens,  sowie  die  vordere  und  hintere  Hälfte  des  Bogens 
aufeinander  projicirt  und  erscheinen  als  Band  mit  freiem 
oberen  Ende.  Dass  es  sich  hier  um  die  Projection  der  Aorta 
handelt,  geht  aus  den  Eigenschaften  des  Schattenbandes  hervor  : 
Ein  vom  Herzschatten  abgehendes  (1)  in  Halb¬ 
linksstellung  (45°  zwischen  Sagittalebene  und  Strahlen¬ 
richtung)  sichtbares,  (2)  von  derWirbelsäule  durch 
einen  hellen  Streif  getrenntes,  (3)  überall  gleich 
breites,  (4)  nach  beiden  Seiten,  und  zwar  (5) 
mit  dem  Herzen  alternirend  pulsirendes  (6)  i  n- 


a  und  c  Schattenconfiguration  des  Aortenbogens  bei  schräger  Durchleuchtung. 

b  Erklärung  von  a. 


tensiv  dunkles  Schattenband,  (7)  dessen  oberes 
Ende  abgerundet  ist  und  (8)  a  1 1  s  e  i  t  i  g,  auch  nach 
oben,  pulsirt,  (9)  noch  dunkler  als  das  übrige 
Band  ist  und  (10)  in  der  Höhe  der  Artic.sterno- 
clavicu  laris  und  des  dritten  Brust  dorn  es  liegt', 
dieses  so  beschaffene  Schattenband  dessen 
Bild  (11)  bei  Gesunden  constant  ist,  kann  nur 
die  Projection  der  Aorta  ascendens  und  des 
Bogens  sein. 

Gehen  wir  die  einzelnen  Punkte  nochmals  durch. 

Ad  1.  Die  Betrachtung  eines  anatomischen  Querschnittes  des 
Thorax  in  der  Höhe  des  vierten  Brustwirbelkörpers  (Fig.  8) 5)  zeigt  in 
der  Medianebene  den  Anfangstheil  der  Aorta,  flankirt  von  der  Arteria 
pulmonalis,  die  ihren  höchsten  Punkt  erreicht  hat  und  sich  theilend 
rechts  und  links  in  den  Lungen  verschwindet,  und  andererseits  von 
der  Vena  cava  superior  vor  ihrem  Eintritt  in  den  rechten  Vorhof. 
Man  begreift,  dass  die  Aorta  bei  sagittalem  Strahlengange  nicht  ge¬ 
sehen  wird.  Ihr  Schatten  fällt  in  den  der  Wirbelsäule.  Drehen  wir 
aber  den  Körper  so,  dass  die  neue  Strahlenrichtung  mit  der  Sagil tal¬ 
ebene  einen  Winkel  von  45°  einschliesst,  dann  gehen  die  Strahlen 
unter  Vermeidung  der  Wirbelsäule  blos  durch  das  durchlässige 
Lungenparenchym  und  treffen  auf  ihrem  Wege  (US,  Fig.  8)  die 
Aorta,  deren  Schatten  sie  auf  den  Schirm  werfen.  Die  Construction 
am  Bilde  des  Querschnittes  ergibt  also  die  gleiche  \\  inkelstellung 
(45°),  die  der  Durchleuchtungsversuch  erheischt. 

’)  v.  Crieger n  hat  dieses  Scliattenband  gelegentlich  seiner  Untei- 
suebungen  über  Herzmessung  ebenfalls  gesehen  und  hält  es  für  die  Aorta, 
wie  aus  einer  Bemerkung  (1".  Congress  für  internationale  Medicin,  pag. 
302)  hervorgeht. 

5)  Fig.  8  ist  nach  Tafel  11  des  »Topographisch-anatomischen  Atlas« 
von  Braune  angefertigt. 


Ad  2.  Der  mittlere  helle  Streif  zeigt  im  Ganzen  spindelige  Ge¬ 
stalt.  Das  untere  Ende  ist,  falls  er,  wie  gewöhnlich  bis  zur  Zwerch¬ 
fellkuppe  reicht,  durch  letztere  abgestumpft,  das  obere  ist  meist  ölten 
und  um  das  obere  Ende  des  Schattenbandes  herum  mit  dem  linken 
Lungenfelde  in  Communication.  Die  Breite  des  spindelförmigen  Feldes 
schwankt  nicht  unerheblich  mit  der  Tiefe  des  Thorax,  der  Haltung 
der  Brustwirbelsäule,  respective  ihrer  Krümmung.  Die  das  spindel¬ 
förmige  Mittelfeld  erhellenden  Strahlen  passiren  auf  ihrem  Wege 
(11  S,  Fig.  8),  wie  ein  Blick  auf  obigen  Querschnitt  lehrt,  den  linken 
Unterlappen  in  seinem  hinteren  Antheile  und  die  vorderen 
Antheile  des  rechten  Ober-  und  Mittellappens.  Diese  Lungentheile 
müssen,  wenn  der  Raum  hell  sein  und  das  Schattenbild  der  Aorta 
erscheinen  soll,  frei  von  erheblichen  Verdichtungen  sein. 

Ad  3.  Das  Schattenband  der  Aorta  ist  normaler  Weise  überall 
gleich  breit,  also  parallelrandig,  und  steigt  mit  wechselnder  schwacher 
Krümmung  und  Neigung  vom  Herzen  auf.  Das  gewöhnlichste  Ver¬ 
halten  scheint  das  zu  sein,  dass  das  Band  leicht  nach  rechts  geneiet 
und  leicht  mit  der  Concavität  nach  rechts  gekrümmt  ist,  wenigstens 
trifft  das  bei  solchen  Personen  zu,  deren  normales  Herz  und  normaler 
Zwerchfellstand  ausser  Zweifel  ist.  Die  Breite  des  Schatten¬ 
bandes  schwankt  je  nach  Alter,  Geschlecht  und  Körperbau  zwischen 
2  und  3 'l2cm  bei  50  cm  Röhrenschirmdistanz.  Vom  Parallelismus  der 
Ränder  weicht  nur  das  obere  Ende  des  Schattenbandes  bisweilen  ab, 


Fig.  10. 

Schematische  Darstellung  der  Projection  der  einzelnen  Abschnitte  der  Aorta 
bei  verschiedener  Höhenstellung  der  Röhre  (o  o'  o")  auf  den  Fluorescenz- 

schirm  S  S' . 


indem  es  ein  wenig  kolbig  angeschwollen  erscheint.  Da  der  Aorten- 
querschnitt  auf  der  Bogenhöhe  durch  Gefässabgabe  ab-,  sicher  nirlu 
zugenommen  hat,  so  lässt  sich  die  Anschwellung  nur  daduich  er¬ 
klären,  dass  ein  Theil  des  Bogens,  sei  es  die  vordere,  sei  es  die 
hintere  Hälfte,  aus  der  präsumirten  Ebene  desselben  etwas  heraus¬ 
tritt  und  so  die  beiden  Theile  sich  in  der  Projection  nicht  vollständig 
decken.  Fig.  9,  a  und  b  gibt  das  Bild  und  die  Erklärung’.  F ür  die 
Richtigkeit  derselben  spricht  auch  die  Thatsache,  dass  die  Grösse  der 
Anschwellung  zu  oder  abnimmt,  ja  dass  sie  ganz  verschwinden  kann, 
wenn  man  mit  dem  Patienten  kleine  Drehungsbewegungen  um  die 
gewählte  Halblinksstellung  als  Mittelstellung  macht,  und  zwar  \ei- 
schwindet  die  Anschwellung  dann,  wenn  man  die  Drehung  nach 
links  über  45"  hinaus  vermehrt.  Statt  dessen  tritt  dann  ein  blässerei 
und  schmälerer  Schatten  auf,  der  vom  oberen  Ende  des  Bandes,  also 

vom  Bogen  schief  nach  abwärts  und  einwärts  zur  Wirbelsäule  hinzieht 

(Fig.  9,  cf  Es  liegt  nahe,  ihn  für  das  Anfangsstück  der  Aorta  descendens  zu 

halten, diebei  dieser  stärkeren  Drehunghinten  aus  der  besproohenenEbene 

nach  rechts  herausgetreten  ist.  Dafür  spricht:  1.  die  Lage  hinter  dei 
Aorta  ascendens;  diese  ergibt  sich  daraus,  dass  der  Schatten  dann 
erscheint,  wenn  man  den  Patienten  über  die  Ausgangsstellung  um 
etwas  nach  links  hinaus  dreht;  2.  die  Verlaufsrichtung  und  der  schiefe 
Ansatz  an  den  Bogen  einerseits  und  die  Wirbelsäule  andererseits, 
3.  die  Blässe  des  Schattens  jedes  Mal  gegenüber  dem  der  Aorta  as¬ 
cendens,  die  grössere  Entfernung  vom  Schirm  zur  Ursache  hat; 
4  die  geringere  Breite  des  kurzen  Streifes  gegenüber  der  übrigen 
Aorta.  Letztere  hat  nach  Abgabe  der  Arteria  anonyma  und  der  Caro- 
tiden,  sowie  der  Arteria  subclavia  sinistra  erheblich  an  Labber  ver¬ 
loren.  Dass  sie  weiter  hinten,  also  dem  focus  dei  Stiahlen  naiiei 
liegt  und  daher  in  der  Schattenprojection  mehr  vergrössert  wird  als 


280 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  10 


rechtes  Lungenfeld  Wirbelsäule 


Herz  und  Aorta 


linkes  Lungenfeld 


Fi  g.  11. 

Normalei  1  borax,  schräg  von  links  hinten  nach  rechts  vorn  gerichteter  Strahlengang;  Röntgenogramm,  das  wegen  der  respiratorischen,  pulsatorischen 
w‘C  i'Y  ••  *'r^ien  1  urulie  bei  der  beträchtlichen  Expositionszeit  (sechs  Minuten)  den  Schirmpausen  an  Schärfe  nachsteht.  Der  helle  Spalt  zwischen  der 
irbelsäule  einerseits  umQ  dem  Herzen  und  der  Aorta  andererseits  wird  zum  Theil  durch  den  Schatten  der  in  den  Oesophagus  eingefixlnten  Bleisonde 

eingenommen.  Vom  Sternum  nichts  zu  sehen  (vgl.  Fig.  7  und  Text). 


letztere,  fällt  offenbar  bei  der  geringen  Distanz  der  beiden  gegenüber 
der  grossen  Röhrenschirmdistanz  nicht  ins  Gewicht. 

Ad  4.  Die  Pulsation  nach  beiden  Seiten  hin  ist  mitunter  nicht 
erkennbar6),  was  dann  meist  in  technischen  Ursachen  (Ruhe  und  In¬ 
tensität  des  Lichtes,  welch  letztere  meist  zu  gross,  nur  selten  zu 
klein  ist),  seine  Begründung  findet  und  sich  oft  beheben  lässt.  Immer¬ 
hin  bleiben  eine  Anzahl  Fälle  übrig,  die  die  Pulsation  gar  nicht  er¬ 
kennen  lassen.  Das  ist  dann  natürlich  kein  Grund,  das  typisch  ge¬ 
formte  Gebilde^  nicht  für  die  Aorta  zu  halten.  Bei  starker  Obesitas 
und  in  anderen  Fällen  war  das  Lungenfeld  so  wenig  durch¬ 
sichtig,  dass  sich  das  Schattenbild  der  Aorta  nur  in  ganz 
undeutlichen  Con touren  repräsentirte.  Die  Pulsation  des  Schatten- 

°)  Ohne  Anwendung  der  Bleiblende  sieht  man  sie  nie. 


bandes  hat  den  Charakter  des  Arterienpulses,  die  Diastole  ist  ener¬ 
gisch,  erreicht  rasch  die  Höhe  der  Welle,  um  dann  langsamer  abzu- 
schwellen,  das  Bild  lässt  nicht  im  Entferntesten  an  die  Cava  descen- 
dens  denken,  die  ja  hier  ansonsten  immerhin  in  Betracht  käme.  Es 
ist  nämlich  auffallend,  und  ein  Blick  auf  den  anatomischen  Querschnitt 
(Fig.  8)  wird  dieses  Bedenken  verstärken,  dass  die  zur  Rechten  der 
Aorta  ascendens  absteigende  Vena  cava  superior  nicht  ebenfalls  im 
Schattenbilde  erscheint  oder  wenigstens  die  Klarheit  und  Schärfe 
des  Aortenschattens  trübt.  Eine  hier  in  die  Wagschale  fallende  Diffe¬ 
renz  im  Caliber  der  beiden  oder  im  specifischen  Gewicht  des  venösen 
und  arteriellen  Blutes  ist  nicht  vorhanden.  Ich  muss  die  Frage  nach 
dem  Verbleib  des  Cavaschattens  hier  offen  lassen.  Dass  der  besprochene 
pulsirende  Schatten  nicht  der  Vena  cava,  sondern  der  Aorta  ange¬ 
hört,  das  erhellt  aus  dem  oben  erwähnten  arteriellen  Charakter  der 


Nr.  10 


231 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Pulsation,  sowie  daraus  (ad  5),  dass  sie  alternirend  mit  der  Herzaction 
erfolgt.  Synchron  mit  jeder  sichtbaren  Contraction  des  linken  Ven¬ 
trikels  und  jedem  Carotidenpulse  tritt  eine  Diastole  des  Schatten¬ 
bandes  auf  und  mit  der  Diastole  der  Ventrikel  fällt  eine  Systole  des 
Schattens  zusammen,  während  die  Vena  cava  die  entgegengesetzten 
Phasen  zeigen  müsste. 

Ad  6.  Die  Tiefe  und  Saturation  des  Schattens  gleicht  der  bei 
Aneurysmen  gewöhnlichen  nahezu. 

Ad  7  und  8.  Das  obere  abgerundete  Ende  pulsirt  überall 
senkrecht  auf  seine  halbkreisförmige  Peripherie. 

Ad  9.  Es  erscheint  noch  dunkler  als  der  übrige  Theil  des 
Bandes.  Das  rührt  wohl  daher,  dass  man  gleichsam  durch  das  den 
Bogen  bildende  Rohr  in  seiner  Längsrichtung  hindurchsieht,  also  die 
Strahlen  eine  etwa  doppelt  so  dicke  Schichte  des  stark  absorbiren- 
den  Blutes  als  tiefer  unten  durchdringen  müssen  (Fig.lO).Uebrigens  wird 
das  ganze  Band  und  vor  Allem  das  obere  Ende  durchaus  nicht  immer 
von  denselben  Antheilen  der  Aorta  gebildet,  es  hängt  vielmehr  von 
der  Stellung  der  Röhre  zum  Patienten  ab,  welche  Theile  dasselbe 
constifuiren. 

Das  ergibt  sich  aus  der  Erwägung  der  einschlägigen  anatomi¬ 
schen  Verhältnisse  und  aus  der  Betrachtung  der  Figur  10.  Diese 
zeigt  die  Projection  der  Aorta  von  drei  Röhrenstellungen  aus: 
o,  o'  und  o“.  Die  entsprechenden  Silhouetten  der  Aorta,  die  die 
Röhren  auf  den  Schirm  S  S1  werfen,  A  a,  A1  a'  und  A  a  ,  untei- 
scheiden  sich  nicht  durch  Aussehen  und  Breite,  sondern  durch  ihren 
verschieden  hohen  Stand,  projicirt  auf  die  vordere  Brustwand  und  ihre 
verschiedene  Länge,  sowie  dadurch,  dass  sie  von  verschiedenen  An¬ 
theilen  der  Aorta  herrühren.  Bei  mittlerer  Röhrenstellung  (o)  bildet 
der  im  Querschnitt  gesehene  Bogen  (5 — 5)  das  obere  Ende  (a),  die 
Ascendens  (1  —  3)  das  übrige  Band  (a  A).  Bei  hoher  Röhrenstellung  (o')  | 
wird  die  ganze  Aorta  ascendens  (1 — 3)  zum  Band  (o'  A‘ )  aber  nur  die 
vordere  Bogenhälfte  (3—4)  im  Querschnitt  gesehen  zum  oberen 
Ende  a‘ .  Bei  tiefer  Stellung  (o")  wird  das  Band  (a"  A“)  durch  die 
Aorta  ascendens  mit  Ausnahme  des  Anfangstheiles,  der  im  Schatten 
des  linken  Vorhofes  und  der  rechten  Aorta  pulmonalis  untertaucht 
und  unsichtbar  bleibt  und  durch  die  vordere  Hälfte  des  Bogens  ge- 
bihlet  (2—4),  während  sein  oberes  Ende  («")  von  der  im  Querschnitt 
gesehenen  hinteren  Bogenhälfte  und  dem  angrenzenden  Stück  der 
Aorta  descendens  (4—5)  gebildet  wird.  In  den  Zwischenstellungen 
treten  natürlich  Combinationen  ein,  welche  zwischen  den  be¬ 
schriebenen  liegen.  Als  Röhrenstellungen  werden  bei  gleichbleiben¬ 
der  Röhrenschirmdistanz  von  50  cm  für  o  die  Höhe  des  dritten  und 
vierten  Brustdornes,  für  o‘  die  Höhe  des  Halses,  für  o  die  der  letzten 
Brustwirbel  gewählt.  Kurz  wiederholt,  man  sieht  die  Aorta  ascendens 
in  jeder  Röhrenstellung,  nur  den  Anfangstheil  bei  tiefer  Stellung 
nicht;  vom  Bogen  die  vordere  Hälfte  im  Querschnitt  bei  hoher,  in 
Bandform  bei  tiefer  Stellung,  den  ganzen  im  Querschnitt  bei  mitt¬ 
lerer  Stellung  der  Röhre.  Die  Schattenbilder  selbst  erscheinen,  wie 
angedeutet,  in  allen  Stellungen,  abgesehen  von  den  höheren  oder 
niederen  Stande  und  geringen  Längendifferenzen,  ziemlich  gleich 
und  man  wird  durch  nichts  darauf  geführt,  dass  man  nicht  immer 
dieselben  Antheile  der  Aorta  vor  sich  hat,  wenn  man  sich  nicht 
theoretisch  über  dieses  geometrische  Verhalten  klar  geworden  ist. 

Ad  10.  Bestimmt  man  mit  einer  geeigneten  Vorrichtung  die 
horizontalen  Projectionspunkte  des  oberen  Endes  des  Schattenbandes 
auf  die  vordere  und  hintere  Fläche  des  Thorax,  so  ergeben  sich  mit 
kleinen  Abweichungen  die  Articulatio  sternoclavicularis  und  der 
dritte  Brustdorn,  übereinstimmend  mit  den  diesbezüglichen  Befunden 
an  anatomischen  Gefrierdurchschnitten.  Hier  ist  Gelegenheit,  aut  die 
auffallende  Erscheinung  hinzuweisen,  dass  das  Sternum  in  dieser 
Stellung  sowohl  röntgenoskopisch  als  auch  röntgenographisch  kaum 
einen  Schatten  wirft  (vgl.  Querschnitt  Fig.  8,  Röntgenpause  Fig.  7  und 
Röntgenogramm  Fig.  11),  Rippen  und  Schlüsselbeine  sind  deutlich  sicht¬ 
bar;  um  aber  auch  nur  eine  Andeutung  der  Silhouette  des  Sternums,  das 
doch  der  Platte  oder  dem  Fluorescenzschirm  ebenso  nahe  liegt  wie  die 
Rippen,  zu  sehen,  muss  man,  mit  den  Fingern  daran  tastend,  die  Stelle  im 
Bilde  aufsuchen,  wo  der  Schatten  erscheinen  sollte.  Die  Ursache  liegt 
wohl  darin,  dass  dieser  Knochen  aus  einer  weitmaschigen,  grosse  Mark¬ 
räume  und  wenig  Strahlen  absorbirende  Knochensubstanz  enthaltenden 
Spongiosa  und  aus  einer  sehr  dünnen  Corticalis  besteht.  Dass  das 
aufsteigende  Schattenband  nicht  etwa  von  dem  schief  gestellten  und 
daher  im  Schattenriss  schmäler  erscheinenden  Sternum  herrührt,  geht 


aus  den  fast  immer  sichtbaren  Pulsationen  des  Bandes,  dem  (wech¬ 
selnden)  Abstande  dos  oberen  Endes  desselben  von  den  sternalen 
Enden  der  Schlüsselbeine  hervor  und  wird  zum  Ueberflusse  durch 
die  Schirmpause  (Fig.  7)  erwiesen,  vor  deren  Aufnahme  die  Mitte  des 
Sternums  durch  einen  mit  Heftpflaster  befestigten  Metallstab  mar- 
kirt  wurde.  Die  Schatten  der  Aorta  und  des  Metallstabes  erscheinen 
gesondert,  dieser  der  Anordnung  entsprechend  links  von  jenem. 
Die  Technik  dieser  Schirmpausen  wurde  an  anderer  Stelle  be¬ 
sprochen.7) 

Ad  11.  Was  die  Constanz  des  besprochenen  Bildes  betrifft,  ver¬ 
weise  ich  auf  das  ad  4  Gesagte. 

Interessant  ist  es  noch,  die  Entwicklung  dieses  Bildes 
durch  Drehung  des  Thorax  aus  der  en  face- Stellung  nach 
links  zu  verfolgen,  also  den  Uebergang  von  big.  1  zu  big-  < • 
Man  sieht  die  beiden  Schatten  sich  isoliren,  sieht,  wie  der  der 
Wirbelsäule  angehörige  nach  rechts,  der  des  Herzens  und  der 
Aorta  nach  links  ausweicht,  bis  der  besprochene  spindelförmige 
helle  Spalt  zwischen  beiden  seine  volle  Ausdehnung  erreicht; 
dabei  wird  dem  Beschauer  auch  die  vordere  und  hintere 
Localisation  der  respectiven  Theile  klar,  indem  sich  die  vor  der 
Drehungsachse  liegenden  Theile,  Herz-  und  grosse  Gfefässe 
im  gleichen  Sinne,  der  Schatten  der  hinter  der  Drehungsachse 
liegenden  Wirbelsäule  in  dem  der  Drehung  entgegengesetzten  Sinne 
bewegen. 

Die  Betrachtung  der  anatomischen  Gefrierschnitte  des 
Thorax  (Fig.  6  und  8)  lehrt,  dass  die  den  spindelförmigen 
hellen  Raum  schräg  durchsetzenden  Strahlen  den  Oesophagus  in 
seinem  ganzen,  im  Thorax  liegenden  Verlaufe  treffen  müssen. 
Dass  trotzdem  kein  erkennbares  Schattenbild  desselben  sicht¬ 
bar  wird,  erklärt  sich  durch  die  geringe  Absorption  von 
Röntge n’schen  Strahlen  seitens  des  zu  einem  flachen,  häu¬ 
tigen  Bande  collabirten  Rohres.  Bringt  man  dagegen  eine  mit 
Quecksilber  oder  Bleischrot  gefüllte  Sonde  in  den  Oesophagus 
ein,  so  sieht  man,  wie  Fig.  1 1  und  7  zeigen,  die  Silhouette  der  Sonde 
als  intensiv  dunkles  Band  den  hellen  Raum  schräg  von  oben 
innen  nach  unten  links  durchziehen,  derart,  dass  sie  an  der 
oberen  Spitze  desselben  der  Wirbelsäule  anliegt,  sich  ab¬ 
steigend  allmälig  von  ihr  entfernt  und  unten  entweder  in  den 
Herzschatten  eintritt,  oder,  falls  der  Spaltraum,  wie  meist,  in 
Folge  geringer  Tiefendimension  des  Herzens  bis  zum  Zwerch¬ 
fell0  reicht  und  von  diesem  am  unteren  Ende  abgestumpft 
wird  in  der  linken  vorderen  Ecke  hart  am  Herzen  und  in 
grösster  Entfernung  von  der  Wirbelsäule  durch  das  Zwerch- 
feR  tritt.  Von  da  lässt  sie  sich  in  den  Magen  verfolgen  (Fig.  11). 

Es  bleiben  uns  noch  drei  schräge  Durchstrahlungs¬ 
richtungen  des  Thorax:  1.  von  vorne  rechts  nach  hinten  links, 
die  entgegengesetzte  zur  vorigen,  2.  von  hinten  rechts  nach 
vorne  links  und  3.  von  vorne  links  nach  hinten  rechts. 
Während  aber  die  Untersuchungen  in  den  bisherigen  Richtun¬ 
gen  deutliche  und  verwerthbare  Bilder  geben,  die  sich  bei 
Gesunden  constant  finden  und  durch  ungünstige  Verhältnisse 
(bedeutenden  Umfang  des  Thorax,  starke  Entwicklung  des 
Fettpolsters)  zwar  beeinflusst,  aber  nur  sehr  selten  zerstört 
werden,  sind  die  Bilder  in  obigen  Durchleuchtungsrichtungen 
undeutlich,  verschwommen  und  nur  unter  besonders  günstigen 
Umständen  halbwegs  verwerthbar.  Ich  übergehe  dieselben. 

Auf  dieser  anatomischen  Basis  haben  sich  Studien  über 
das  röntgenologische  Verhalten  der  kranken  Aorta  mit  Erfolg 
betreiben  lassen.  Zwei  als  Fortsetzung  dieses  in  Kiiize  er 
scheinende  Artikel  werden  die  Resultate  derselben  o.j  bezüg¬ 
lich  des  Aneurysma  aortae,  b)  der  übrigen  pathologischen  Zu¬ 
stände  der  Aorta  behandeln. 

Meinem  hochverehrten  Lehrer,  Herrn  Hofrath  Noth¬ 
nagel,  -schulde  ich  für  Ueberlassung  des  klinischen  und 
technischen  Materiales  und  Anregung  ergebenen  Dank. 


7)  Verfasser,  Methodisches.  Wiener  klinische  Rundschau.  1899. 
Nr.  45. 


232 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


Aus  dem  allgemeinen  öffentlichen  Krankenhause  in  Baden 

bei  Wien. 

Ein  Fall  von  angeborener  stenosirender  Pylorus- 

hypertrophie. 

Von  Dr.  Franz  Hansy. 

Vorgestellt  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  vom 

16.  Februar  1900. 

Die  relative  Seltenheit,  mit  der  bisher  die  angeborene 
stenosirende  Pylorushypertrophie  beobachtet  und  besonders  zum 
Gegenstand  einer  operativen  Behandlung  gemacht  wurde,  mag 
die  Mittheilung  nachfolgenden  Falles  rechtfertigen.  Selbst  grössere 
chirurgische  Lehrbücher  und  Sammelwerke  tliun  von  dem 
Krankheitszustande  gar  keine  Erwähnung. 

Neurath  ')  hat  in  einem  Referate  eine  grössere  Anzahl  von 
Fällen  congenitaler  stenosirender  Pylorushypertrophie  bei  Kindern 
im  ersten  Lebensjahre  zusammengestellt.  Noch  seltener  scheint 
der  Zustand  bei  älteren  Individuen  mit  Sicherheit  constatirt 
worden  zu  sein  (s.  Neurath,  1.  c.),  wohl  deshalb,  weil  die 
meisten  schon  früher  an  dem  schweren  Leiden  zu  Grunde 
gegangen  waren. 

Soweit  mir  die  Literatur  zugänglich  ist,  konnte  ich  nur 
vier  Fälle  finden,  bei  welchen  bisher  wegen  des  in  Rede 
stehenden  Leidens  ein  operativer  Eingriff  zur  Ausführung  ge¬ 
langte.  Der  erste  Fall  stammt  von  Meitzer  (s.  Neurath), 
der  zweite  von  Stern2),  der  dritte  von  Rosen  heim3),  der 
vierte  von  Abel1). 

In  drei  Fällen  handelte  es  sich  um  Kinder  im  ersten 
Lebensjahre  (Stern  61/.,  Wochen,  Abel  8  Wochen). 

Rosenheim  betont  in  dem  von  ihm  veröffentlichten 
Falle  von  stenosirender  Pylorushypertrophie,  einem  sechs¬ 
jährigen  Knaben,  der  durch  die  Gastroenterostomie  geheilt 
wurde,  dass  zur  Zeit  seiner  Veröffentlichung  kein  zweiter 
analoger  Fall  bekannt  sei.  —  In  allen  vier  Fällen  wurde  die 
Gastroenterostomie  gemacht,  in  den  zwei  ersten  mit  tödtlichem 
Ausgang,  in  beiden  letzteren  mit  günstigem  Erfolge. 

Der  hier  milzutheilende  Fall  betrifft  einen  elfjährigen  Knaben, 
welcher  im  October  vergangenen  Jahres  anscheinend  wegen  Ver¬ 
dacht  auf  Bauchfelltuberculo.se  dem  Krankenhause  überwiesen 
wurde. 

Aus  der  leider  mangelhaften  Anamnese  —  da  Patient  keinerlei 
Angehörige  hat  —  ergibt  sich,  dass  derselbe  seit  jeher  einen  auf¬ 
fallend  grossen  Bauch  gehabt  und  besonders  in  den  letzteren  Jahren 
wiederholt  an  Erbrechen  gelitten.  Aus  diesem  Grunde,  sowie  wegen 
einer  überstandenen  schweren  Augenentzündung  hat  Patient  auch 
nie  die  Schule  besuchen  kommen.  Schmerzen  hatte  er,  ausser 
soweit  ihm  solche  direct  durch  den  Brechact  bewirkt  wurden,  nie. 

An  dem  gracil  gebauten,  damals  sehr  mageren  Knaben  fiel 
neben  einer  deutlichen  Cyanose  der  Lippen  eine  Auftreibung 
des  A  b  d  o  m  ens  besonders  auf.  Dieselbe  betraf  den  ganzen  Bauch 
in  ziemlich  gleichmässiger  Weise,  zeitweilig  trat  jedoch  eine  tumor¬ 
artige  Vor  Wölbung  nach  links  und  nach  unten  v  o  m 
N  a  b  e  1  besonders  deutlich  zu  Tage. 

Der  übrige  Befund  am  Abdomen  war  lange  Zeit  ein  sehr 
unklarer.  Ascites  konnte  nicht  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werden. 
Die  Lage  der  Leber  Hess  sich  nicht  bestimmt  nachweisen, 
indem  sich  nur  in  der  .Magengrube  eine  schmale  Zone  gedämpften 
Schalles  vorfand. 

Der  Knabe  hatte  meist  guten  Appetit,  hie  und  da  stellte  sich 
jedoch  Erbrechen  unverdauter  Massen  in  grosser  Menge  ein.  Dieses 
Erbrechen  trat  in  letzter  Zeit  immer  häufiger  auf. 

')  Die  angeborene  hypertrophische  Pylorusstenose.  Centralblatt  für 
die  Grenzgebiete  der  Medicin  und  Chirurgie.  1899.  Nr.  17—19. 

~)  Heber  Pylorusstenose  beim  Säugling  nebst  Pemerkungen  über  deren 
chirurgische  Behandlung.  Deutsche  Medicinische  Wochenschrift.  1898.  Nr.  83. 

j  Heber  stenosirende  Pylorushypertrophie  bei  einem  Kinde.  Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1899.  Nr.  32. 

9  V.  A  bei,  Der  erste  Fall  von  erfolgreicher  Gastroenterostomie 
wegen  angeborener  stenosirender  Pylorushypertrophie  bei  einem  achtwöchent¬ 
lichen  Säugling.  Münchener  Medicinische  Wochenschrift.  1899.  Nr.  48. 


Die  Thoraxorgane  zeigten  normales  Verhalten  ausser  einem 
massigen  Hoehstand  des  Zwerchfelles,  ebenso  der  Urin.  Stuhl  trat 
nur  selten  ein  und  meist  erst  nach  Irrigation.  Niemals"  Fieber. 

Nach  wiederholten  Untersuchungen  durch  Aufblähen  mit 
Kohlensäure,  Nachweis  von  Plätschern  etc.  konnte  constatirt  werden, 
dass  der  grösste  Theil  der  Auftreibung  des  Abdomens  durch  den 
dilatirten  Magen  bewirkt  war.  Ein  Tumor  in  der  Pylorus- 
gegend  war  —  wohl  in  Folge  der  starken  Auftreibung  des  Bauches 
—  nicht  zu  fühlen.  Es  fehlte  daher  über  die  Ursache  dieser 
Magendilatation  jeder  Anhaltspunkt. 

Eine  Magenspülung  vor  der  Operation  konnte  leider  nicht 
vorgenommen  werden,  da  sich  der  Patient  entschieden  dagegen 
wehrte  und  zu  besorgen  war,  dass  er  sich  deshalb,  wie  schon 
einmal  vorher,  einer  weiteren  Behandlung  entziehe. 

Da  der  Knabe  in  seinem  Ernährungszustände  sichtlich  herab¬ 
kam,  wurde  am  5.  December  1899  zur  Laparotomie  ge¬ 
schritten. 

Nach  Eröffnung  des  Abdomens  durch  einen  vom  Processus 
xiphoideus  bis  zum  Nabel  reichenden  Schnitt  fiel  vor  Allem  auf, 
dass  die  Leber  nicht  ihre  normale  Lage,  sondern  eine  Median¬ 
stellung  inne  hatte.  Nach  rechts  reichte  dieselbe  bis  wenig  über 
die  rechte  Mamillarlinie,  während  sie  nach  links  fast  die  linke 
Axillarlinie  erreichte.  Das  Ligamentum  Suspensorium  hepatis  fiel  in  Folge 
dessen  nicht  wie  gewöhnlich,  nach  rechts  vom  medianen  Hautschnitt, 
sondern  nach  links  und  musste,  um  die  Pylorusgegend  zur  Ansicht 
zu  bringen,  weit  nach  rechts  verdrängt  werden. 

Nachdem  dies  geschehen,  erwies  sich  nun,  dass  die  ganze 
linke  Bauchseite  von  dem  kolossal  dilatirten  Magen  aus¬ 
gefüllt  war.  Derselbe  reichte  nach  unten  mit  seiner  grossen  Cur- 
vatur  bis  fast  zur  Symphyse,  nach  rechts  bis  über  die  rechte 
Mamillarlinie  hinaus. 

Ausserdem  war  auch  das  Colon  ascendens  und  trans- 
v  e  r  s  u  m  stark  gebläht.  Es  dürfte  dies  aber  nur  ein  Artefact  gewesen 
sein,  als  Folge  der  der  Operation  vorausgegangenen  Auftreibungs¬ 
versuche  mit  Kohlensäure  vom  Rectum  aus. 

Der  Pylorus  fand  sich  in  annähernd  normaler  Lage,  er¬ 
wies  sich  jedoch  als  ein  walzenförmiger,  quer  gela¬ 
gerter,  im  U  e  b r  i  g  e  n  ganz  frei  beweglicher,  mit 
glatter  Oberfläche  versehener  Tumor  von  circa  7  cm 
Länge  und  2  V2  cm  Dicke.  Derselbe  erschien  zu  Stande  gekommen 
durch  gleichmässige,  circulare  Hypertrophie  seiner  Wandungen. 

Da  es  sich  also  sichtlich  um  eine  durch  diese  Hypertrophie 
bewirkte  Stenose  des  Pylorus  als  Ursache  des  ganzen  Krankheits- 
processes  handelte,  wurde  an  die  Umgehung  der  Stenose  durch 
Gastroenterostomie  geschritten.  Dieselbe  wurde  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  starke  Blähung  des  Colon  hinter  demselben  angelegt 
und  zwar  nach  dem  Vorgänge  von  Alex.  Brenner5)  nach 
Durchziehung  der  dem  Duodenum  benachbarten  Jleumschlinge 
durch  eine  Lücke  des  Mesocolon  transversum.  Die  Darmschlinge 
wurde  mittelst  Murphy -Knopf  an  die  hintere  Magenwand  fixirt. 
Bei  der  Eröffnung  des  Magens  fiel  die  abnorme  Dicke  der  Muscu- 
laris  besonders  auf,  indem  dieselbe  fast  1  cm  betrug.  Die  Operation 
war  durch  die  starke  Blähung  der  Därme,  sowie  durch  die  Dicke 
und  Starrheit  der  Magenwand  sehr  erschwert. 

Eine  Besichtigung  der  Innenfläche  der  Pars  pylorica,  sowie 
eine  Sondirung  der  Stenose  war  leider  nicht  möglich  wegen  der 
Schwierigkeit,  die  die  richtige  Ausführung  der  Operation  im  Ueb- 
rigen  bot. 

Nach  Vollendung  der  Gastroenterostomie  wurde  die  Bauchwunde 
mit  Etagennähten  geschlossen. 

Patient  erbrach  die  ersten  Tage  nach  der  Operation  sehr 
viel,  so  dass  am  vierten  Tage  eine  Magenspülung  vorgenommen 
werden  musste,  wobei  grosse  Mengen  dünner,  gallig  gefärbter  Flüs¬ 
sigkeit  entleert  wurden. 

Der  weitere  Verlauf  der  Wundheilung  war  ein  sehr  günstiger, 
so  dass  Patient  bereits  am  zwölften  Tage  nach  der  Operation  das 
Bett  verlassen  konnte. 

Seither  hat  er  nicht  mehr  erbrocheiWund  verträgt  bei  stets 
gutem  Appetit  selbst  schwere  Speisen  sehr  gut.  Patient  hat  jetzt 
spontan  1 — 2mal  täglich  reichliche  Stuhlenlleerung.  Die  Cyanose 


5)  Centralblatt  für  Chirurgie.  1892,  Nr.  43. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


233 


der  Lippen  ist  geschwunden  und  das  Körpergewicht  hat  seit  der 
Operation  um  mehr  als  7  kg  zugenommen. 

Das  Abdomen  hat  gegenwärtig  bereits  eine  annähernd  nor¬ 
male  Configuration.  Ueher  der  Magengegend  lässt  sich  jedoch  noch 
meist  Plätschern  constatiren.  Es  bedarf  jedenfalls  noch  längerer 
Zeit,  bis  sich  das  kolossal  dilatirte  Organ  zu  seinem  normalen  Vo¬ 
lumen  zurückgebildet  hat. 

Die  seit  der  Operation  mehrmals  einige  Stunden  nach  der 
Mahlzeit  ausgeführten  Magenausspülungen  ergaben  stets  nur  spär¬ 
lichen  Mageninhalt  ohne  Zeichen  einer  Stauung  desselben. 

Die  Leberdämpfung  ist  jetzt  wieder  an  normaler  Stelle 
und  in  normaler  Ausdehnung  nachweisbar. 

Der  Murphy- Knopf  ist  leider  bis  jetzt  noch  nicht  im 
Stuhle  gefunden  worden;  ich  glaube,  ihn  bei  stossweiser  Palpation 
ganz  gut  fühlen  zu  können  und  annehmen  zu  müssen,  dass  er  sich 
noch  in  seiner  ursprünglichen  Lage,  durch  die  abnorm  dicke 
Magenwand  festgehalten,  befindet.  Ein  an  der  Klinik  Gussen- 
bauer  durch  Herrn  Dr.  H.  Salzer  gütigst  angefertigtes  R  ö n t g e n- 
Bild  bestätigt  auch  diese  Annahme. 

Aus  der  Anamnese,  dem  Befunde  bei  der  Operation  und 
allen  weiteren  diagnostischen  Erwägungen  ergibt  sich  wohl 
mit  Sicherheit,  dass  es  sich  in  diesem  b  alle  um  eine  a  n- 
geborene  Pylorushypertrophie  gehandelt  hat,  die 
in  Folge  relativer  Stenose  des  Magenpförtners  allmälig  zu 
dieser  bedeutenden  Dilatation  des  Magens  geführt  hat. 

Ein  anderes  Leiden  —  es  käme  wohl  nur  Neoplasma 
malign  um  oder  Ulcus  ventriculi  in  Betracht  hätte  wohl  un¬ 
möglich  so  lange  bestehen  können,  ohne  Schmerzen  und  besondcis 
ein  Uebergreifen  aut  die  Nachbarschaft,  resp.  entzündliche  V  ei  - 
wachsungen  mit  der  Umgebung  nach  sich  zu  ziehen.  Hier  fand 
sich  eben  ein  vollkommen  frei  beweglicher,  cylindrischer,  durch 
gleichmässige.  circulare  Verdickung  aller  Partien  der  Pyloius- 

wandung  enstandener  Tumor. 

In  unserem  Falle  hat  es  sich  gewiss  auch  nicht  um  eine 
blos  vorübergehende,  spastische  Stenose  des  Pylorus  im  Sinne 
P  f  a  n  d  1  e  r’s 6)  gehandelt,  wie  er  sie  au  den  Leichen  von 
Kindern  mit  gesunden  Verdauungsorganen  als  sogenannte 
»systole  Mägen«  wiederholt  gefunden  bat.  Denn  es  fand  sich 
der  Pylorus  bei  der  Betastung  nicht  einfach  wie  contrahirt, 
sondern  als  ein  förmlicher  Tumor  scharf  abgegrenzt  von  dei 
übrigen  Magenwand.  Zudem  hätte  eine  blos  spastische  Contractur 
des  Pylorus  unmöglich  Jahre  lang  bestehen  und  zu  einer  so 
enormen  Dilatation  und  Hypertrophie  des  Magens  führen 

können.  ,  .. ,, 

Erschwert  wurde  weiters  die  Diagnose  vor  der  Eröffnung 
der  Bauchhöhle  hauptsächlich  durch  die  abnorme  Verlagei  ung 
der  Leber  nach  links,  so  dass  im  ganzen  rechten  Hypochon 
drium  nur  Darmschall  zu  finden  war  und  an  Situs  visceium 
inversus  oder  eine  andere  Abnormität  gedacht  wurde.  Die  Li- 
klärung  für  diese  auffallende  Verschiebung  der  Leber  düitte 
wohl  darin  zu  suchen  sein,  dass  durch  den  schon  von  den 
ersten  Lebenstagen  an  abnorm  dilatirten  Magen  der  ganze 
linke  und  untere  Bauchraumausgefüllt  und  die  Gedärme  nach 
rechts  und  oben  verdrängt  wurden.  Die  Leber  fand  in  der 
Magengrube  und  dem  linken  Hypochondrium  am  leichtesten 
Platz,  da  der  Magen  in  Folge  seiner  Schwere  die  Tendenz 

hatte,  nach  abwärts  zu  sinken. 

Ueber  die  Art  der  Behandlung  der  angeborenen 
Pylorusstenose  dürfte  wohl,  besonders  bei  dem  heutigen  Stande 
der  Chirurgie,  kein  Zweifel  erhoben  werden  hönnen.  Gewiss 
wird  vorerst  der  Versuch  gemacht  werden  müssen,  die  be¬ 
stehenden  Beschwerden  durch  diätetische  Massnahmen,  vor 
Allem  aber  durch  systematische  Magenspülungen  zu  beseitigen 
und  in  manchen  Fällen  von  nur  geringgradiger  oder  wirklich 
nur  spastischer  Stenose  von  Erfolg  begleitet  sein.  Ist  dies  aber 
nicht  der  Fall,  so  darf  nicht  so  lange  mit  dem  operativen 
Eingriffe  gezögert  werden,  bis  der  Patient  fast  verhungeit  und 
für  die  Operation  zu  schwach  ist. 

Es  ist  übrigens  sehr  die  Frage,  ob  eine  Laparotomie, 
selbst  wenn  sie  mit  Gastroenterostomie  verbunden  ist,  ein  gar 

6)  Zur  Frage  der  sogenannten  congenitalen  Pylorusstenose  und  iluei 
Behandlung.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1898,  pag.  102A 


so  unverhältnissmässig  schwererer  Eingriff  ist  als  eine  ganze 
Serie  von  Magenspülungen.  Wir  hatten  erst  unlängst  mehrmals 
Gelegenheit,  zu  beobachten,  wie  eine  wegen  Carcinoma  ventri¬ 
culi  herabgekommene  Frau  bei  jeder  Magenspülung  ohnmächtig 
und  pulslos  wurde,  während  sie  die  in  vorsichtiger  Aethernar- 
kose  ausgeführte  Gastroenterostomie  gut  und  ohne  Alteration 
ihres  Kräftezustandes  überstand. 

Von  den  verschiedenen  möglichen  operativen  Eingriffen 
wird  wohl  fast  stets  die  Gastroenterostomie  am  Platze 
sein,  vor  oder  hinter  dem  Colon,  mit  Murphy- Knopf  oder 
Naht,  je  nach  der  Natur  des  Falles.  Eine  Resection  des 
hypertrophischen  Pylorus  wird  als  ein  viel  schwererer  Eingriff 
wolil  selten  gerechtfertigt  sein,  obwohl  durch  diese  Operation 
für  die  Beurtheilung  der  Natur  des  Leidens  höchst  werthvolle 
Substrate  gewonnen  würden.  Neben  diesen  beiden  Operationen 
treten  die  übrigen  noch  möglichen  Eingriffe  gewiss  vollkommen 
in  den  Hintergrund,  so  L  o  t  e  t  a’s  Divulsion  und  die  Pyloro- 
plastik  nach  Heineke-M  i k u  1  i c z.  4 hatsächlich  hat  aut h 
letztere  Operation  in  dem  Falle  Rosenheim’s  zu  einem 
Misserfolge  geführt,  so  dass  in  einer  zweiten  Operation^  die 
Gastroenterostomie  gemacht  werden  musste.  In  unserem  Falle 
wäre  die  Pyloroplastik  ganz  unmöglich  gewesen  wegen  der 
ausgedehnten  Hypertrophie  und  bedeutenden  Starrheit  der 
Wandungen  des  Pylorus. 


Aus  der  k.  k.  pädiatrischen  Klinik  des  Prof.  Jakubowski 

in  Krakau. 

Zur  Biologie  der  Malariaparasiten. 

Von  Dl-,  Xaver  Lewkowicz,  Assistenten  der  Klinik. 

(Schluss.) 

Die  klinischen  Beobachtungen. 

Ich  gehe  jetzt  zur  Schilderung  der  wichtigeren  meiner 
klinischen  Fälle  über,  und  werde  sie  fast  durchgehends  in  der 
Reihenfolge  anführen,  in  welcher  sie  zur  Beobachtung  gelangt 
sind.  Diebeiden  ersten  Fälle  werde  ich  nur  der  Vollständigkeit 
wegen  beschreiben.  Der  erste  ist  überhaupt  zu  verwischt,  dass 
man  sichere  Schlüsse  aus  ihm  ziehen  könnte,  der  zweite  war 
zu  kurz  und  unmittelbar  nach  der  Chininbehandlung,  welche 
immer  Verwirrung  im  Krankheitsbilde  hervorruft,  beobachtet. 
Auf  diese  Weise  würde  vielleicht  erklärlich  sein,  dass  die  in 
diesen  Fällen  bestimmte  Entwicklungsdauer  der  Halbmonde 
sich  mit  der  aus  folgenden  Fällen  ermittelten  nicht  deckt. . 

Fall  1.  J.  K.,  11  Jahre  alt,  wurde  am  24.  Juli  1896  in 
die  Klinik  aufgenommen.  Die  Untersuchung  wies  Fieber¬ 
zustand,  einen  kleinen  Milztumor  und  erdfarbenes,  bleiches 
Hautcolorit  aus.  Bei  der  am  30.  Juli  ausgeführten  Blutunter¬ 
suchung  wurden  die  ersten  Halbmonde,  einige  Zeit  darnach 
auch  die  kleinen  ringförmigen,  amöboid  beweglichen  Para¬ 
siten  der  ästivo-autumnalen  Fieber  erwiesen.  Wie  sich  später 
zeigte,  warden  die  Halbmonde  bereits  vor  mir  in  Krakau  be¬ 
obachtet  und  beschrieben  worden,  nämlich  von  P  a  r  e  n  s  k  i  und 
53 1  ci  1 1  ©  i  s  ^ 

Es  wurden  anfangs  Beobachtungen  der  Halbmonde  unter 
dem  Mikroskope  im  Thermostaten  bei  370°  angestellt.  Kege 
Hoffnungen,  die  mit  diesen  Beobachtungen  verbunden  waren, 
sind  nicht  in  Erfüllung  gegangen.  Die  meisten  Halbmonde 
unterlagen  überhaupt  keinen  Veränderungen,  oder  die  Ver¬ 
änderungen  waren  lauter  regressiver  Natur.  Ich  muss  aber 
einige  Observationen  anführen,  die  im  Stande  waren,  mii  c  en 
Glauben  an  die  Sporulationsfähigkeit  der  Halbmonde  einziitiössen. 

Zweimal  habe  ich  beobachtet,  dass  ein  Halbmond  kürzer, 
dicker  und  zugleich  doppelt  contourirt  wurde.  Ich  sah  den 
Vorgang  als  einen  Process  der  Encystirung  an,  Oie  der 
Segmentation  vorangeht,  und  das  umsomehr,  als  man  solche 
kurze  Halbmonde,  oder  eigentlich  nierenförmige  Körper  auch 
im  kreisenden  Blute  antreffen  kann  Diese  Anschauung  schien 
durch  folgende  Beobachtung  eine  Bekräftigung  zu  erfahren. 

iß)  Parenski  und  B 1  a  1 1  e  i  s,  O  pasorzycie  zimnicy.  Frzegl. 
lekarbki.  1892,  Nr.  10—20. 


234 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


Zwei  in  einem  Gesichtsfelde  befindliche  nierenförmige 
Körper  haben  im  Laufe  von  1 '/2  Tagen  kugelige  Form  an¬ 
genommen.  Das  anfangs  lebhaft  schwärmende  Melanin  ballte 
sich  in  ihnen  in  einen  centralen  Klumpen  zusammen,  um 
welchen  sich  mehrere  den  Sporen  entsprechende  Abschnitte 
zeichneten.  Der  ganze  Process  schien  den  Vorgängen  bei  der 
Segmentation  der  Tertiana-  und  Quartanaparasiten  ganz  ähnlich 
zu  verlaufen.  Ich  konnte  nicht  umhin,  hier  Segmentation  an¬ 
zunehmen.  zumal  ich  in  dem  frisch  untersuchten  Milzblute  aus 
demselben  Falle  zwei  Körper  ausfindig  machen  konnte,  die 
den  Sporulationskörpern  der  Tertiana-  und  Quartanaparasiten 
anscheinend  ganz  ähnlich  waren,  aber  durch  ihre  Grösse  und 
durch  die  grosse  Zahl  der  muthmasslichen  Sporen  auffielen. 
Da  ich  aber  in  dem  gleichzeitig  entnommenen  und  gefärbten 
Blute  keine  entsprechenden  Körper  vorfand,  da  ich  später  (von 
den  ersten  Monaten  1898  angefangen)  mit  der  Romanowsky- 
schen  Methode  keine  Theilungsvorgänge  der  Kerne  in  den 
Halbmonden  erweisen  konnte,  so  wurde  ich  gegen  meine 
früheren  Resultate  misstrauisch  und  muss  zugeben,  dass  es 
sich  vielleicht  doch  um  etwas  Anderes,  z.  B.  von  ihrem  Kerne 
abgelöste  Theile  der  eosinophilen  Körperchen,  die  Melanin¬ 
körner  aufgenommen  haben,  handeln  konnte. 

Die  Betrachtung  der  Fiebercurve  (siehe  Tafel  Nr.  I) 
lässt  den  Verlauf  der  Krankheit  in  Fieber-  und  fieberlose 
Perioden  eintheilen.  Je  eine  Fieberperiode  mit  der  nächst¬ 
folgenden  apyretischen  würde,  wenn  wir  den  Anfang  der 
Perioden  am  7.  August,  22.  August  und*  6.  September  an 
nehmen,  15  Tage  betragen.  Wenn  wir  nur  die  Möglichkeit 
der  langintervallären  Entwicklung  der  Halbmonde  annehmen, 
so  drängt  sich  uns  unwillkürlich  der  Vergleich  mit  dem  Fieber¬ 
verlaufe  bei  Quartana  duplex  auf.  Die  Anfälle  in  den  genannten 
ersten  Tagen  der  Fieberperioden  müssten  dann  durch  eine 
Generation  der  Parasiten,  die  der  folgenden  durch  mehrere 
Generationen,  welche  in  24stündigen  Intervallen  nacheinander 
zur  Segmentation  gelangen  und  zu  ihrer  Entwicklung  15  Tage 
bedürfen,  hervorgerufen  werden. 

Der  folgende  Fall  war  geeignet,  mich  in  dieser  An¬ 
schauung  zu  bekräftigen. 

Fall  2.  L.  M.,  11  Jahre  alt,  aufgenommen  am  5.  No¬ 
vember  1890. 

Der  Anamnese  nach  litt  er  bereits  vor  drei  Wochen  an 
Fieberanfällen,  nahm  durch  drei  Tage  Chinin  ein,  worauf  das 
Fieber  für  einige  Tage  beseitigt  wurde,  am  31.  October, 
2.  und  4.  November  aber  (also  in  Tertianaabständen)  wiederum 
zu  Anfällen  anstieg.  Der  weitere  Verlauf  des  Fiebers  ist  in 
der  Tafel  Nr.  II  notirt. 

Die  obere  Linie  gibt  in  den  Tafeln  den  Fieberverlauf 
an.  Die  Kreuzchen  an  ihr  bedeuten  Schüttelfrost.  Die  Tafeln 
enthalten  noch  die  Zusammenstellung  der  Blutuntersuchungen, 
welche  in  der  Regel  zweimal  täglich  wiederholt  wurden.  Die 
durch  eine  Linie  verbundenen  Kreischen  beziehen  sich  auf 
die  Zahl  der  jungen  Parasiten  (»die  Ringelchen«).  Es  wurde 
jedes  Mal  ihre  Zahl  in  50  Gesichtsfeldern  (1  Gesichtsfeld  = 
200  rothe  Blutkörperchen)  notirt.  Die  Kreuzchen  bedeuten  die 
Zahl  der  Halbmonde  (Zahl  in  500  Gesichtsfeldern).  Die 
schattirte  Partie  bedeutet  die  Zahl  der  Halbmonde,  die  im 


frischen  Blutpräparate  bei  Zimmertemperatur  zu  sphärischen 
oder  geisseltragenden  Körpern  geworden  sind.  Alles  nach  den 
seitwärts  in  den  Tafeln  angebrachten  Scalen. 

Wenn  man  die  durch  die  Anamnese  sichergestellten 
Anfälle,  dazu  noch  den  Anfall  vom  6.  November  einerseits, 
andererseits  die  Anfälle  vom  15.,  17.,  19.  und  21.  November 
in  Betracht  zieht,  so  muss  man  auch  hier  einen  lötägigen 
Fieberintervall  annehmen  und  an  ebenso  lang  dauernde  Ent¬ 
wicklung  der  Parasiten  denken. 

Mit  dem  Anfalle  erscheinen  die  jungen  Parasiten  im 
peripheren  Blute  und  sind  noch  am  Vormittag  des  nächst¬ 
folgenden  Tages  zahlreich  vorhanden,  enthalten  auch  damals 
meistens  schon  Melaninkörnchen.  Nach  einigen  Tagen  er¬ 
scheinen  die  Halbmonde,  um  wiederum  etwa  drei  Tage  vor 
dem  entsprechenden  nächstfolgenden  Anfall  aus  dem  peripheren 
Blute  zu  verschwinden. 

Die  Zahl  der  nach  der  Chinindarreichung  erschienenen 
Halbmonde  war  geringer  als  ihre  Zahl  vor  der  Fieberperiode. 
Das,  dass  sie  überhaupt  nach  der  Chinindarreichung  aus  dem 
Blute  nicht  verschwinden,  kann  nicht  als  Beweis  ihrer 
Resistenz  gegen  das  Chinin  angebracht  werden.  Ihre  Ent¬ 
wicklung  war  ja  schon  mit  dem  Momente  des  Erscheinens 
der  jungen  Parasiten  während  der  Anfälle  angebahnt,  das 
Chinin  konnte  nicht  das  Aussehen  der  fast  fertigen  Halbmonde 
aus  den  inneren  Organen  verhindern,  vielleicht  auch  nicht 
einmal  gänzlich  ihre  Entwicklung  auf  halten,  so  wie  das 
Chinin  z.  B.  auch  die  Theilung  des  Kernes  bei  den  erwach¬ 
senen  Tertiana-  und  Quartanaparasiten  nicht  aufzuhalten  ver¬ 
mag.  Die  Halbmonde  werden  aber  doch  in  ihrer  Lebens¬ 
fähigkeit  beeinträchtigt,  denn  die  neue  Reihe  der  Anfälle 
erschien  nicht.  Es  wurde  nur  ein  Anfall  beobachtet,  aber  ohne 
Erscheinen  der  jungen  Generation  im  Blute,  also  gewiss  nur 
als  Ausdruck  des  Zerfalles  eines  Theiles  der  steril  gewordenen 
Halbmonde. 

Fall  3.,  W.  G.,  8  Jahre  alt,  aufgenommen  am  29.  No¬ 
vember  1896. 

Die  zwei  ersten  Fieberperioden,  welche  am  4.  December 
und  am  26.  December  beginnen,  sind  von  einander  durch 
einen  22tägigen  Intervall  geschieden.  Dieselbe  Zeitdauer 
würden  auch  die  Parasiten  zu  ihrer  Entwicklung  benöthigen, 
man  müsste  folglich  das  Fieber  als  eine  Vigesimotertiana 
bezeichnen. 

In  der  ersten  Fieberperiode  (4.  bis  10.  December)  hat 
das  Fieber  quotidianen  Charakter.  Nichtsdestoweniger  hat  die 
Curve  der  Zahl  der  jungen  Parasiten,  die  im  Blute  gefunden 
wurden,  eine  ausgeprägte  tertiane  Zeichnung.  Es  kommt  das 
in  der  zweiten  Fieberperiode  zum  Ausdrucke  (26.  December 
1896  bis  1.  Januar  1897).  Hier  hat  das  Fieber  den  Cha¬ 
rakter  einer  Tertiana  maligna,  wie  sie  von  Marchiafava 
und  Bignami  beschrieben  wurde.  Wir  sehen  fast  continuir- 
liches  Fieber  mit  kurzen,  in  tertianen  Abständen  angebrachten 
Intermissionen. 

Charakteristisch  und  für  unsere  Betrachtungen  sehr 
wichtig  ist  die  Wirkling  des  am  28.  und  29.  December  dar¬ 
gereichten  Chinins. 


Tabelle  I.  Fiebercurve. 


Nr.  10 


WIEN  KR  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


235 


Die  Darreichung  geschah  deswegen,  da  ich  am  27.  De¬ 
cember  das  Erscheinen  eines  halberwachsenen  »grossen«  Ter- 
tianaparasiten  constatirt  habe.  Ich  sah  damals  den  Vorfall  als 
Ausdruck  einer  Mischinfection  an.  Die  Meinung,  dass  die  Halb- 


Tabelle  H. 

Obere  Linie  =  Fiebercurve.  X  =  Schüttelfrost.  O  =  Zahl  der  jungen 
Parasiten  (»Ringelchen«),  -j-  =  Zahl  der  Halbmonde. 

n  =  Zahl  der  zu  sphärischen  Körpern  gewordenen  Halbmonde. 

-r 

monde  bei  ihrer  Segmentation  einem  lertianaparasiten  Leben  ge¬ 
ben  könnten,  lag  mir  gänzlich  fern  (siehe  unten).  In  der  Furcht, 

dass  die  Tertianaparasiten  durch  ihre  rasche  Vermehrung  die 
Halbmonde,  die  ich  für  Vigesimo-Jertianaparasiten  beti  achtete, 
nicht  überwucherten,  gab  ich  Chinin  in  einer  kleinen  Gabe, 
um  die  Halbmonde  womöglich  nicht  stärker  anzugi  eiten,  det 


weiteren  Entwicklung  aber  der  durch  Chinin  leicht  angreif¬ 
baren  Tertianaparasiten  vorzubeugen. 

Nach  der  Darreichung  des  Chinins  fällt  die  Zahl  der  jungen 
Parasiten  schnell  zum  Nullpunkte,  aber  das  Fieber  daueit 
fort  und  zeigt  tertianen  Typus.  Auch  jetzt,  wo  ich  die  Giünde, 
die  gegen  die  Sporulationsfähigkeit  der  Halbmonde  sprechen, 
gut  kenne,  muss  ich  behaupten,  dass  dieses  Fieber  durch  die 
Annahme  einer  kurzintervallären  Entwicklung  der  jungen 
Parasiten  nicht  erklärt  werden  kann.  Das  lieber  musste  viel¬ 
mehr  von  der  Sporulation  der  Halbmonde  abhängen,  welche 
während  der  ersten  Fieberperiode  als  junge  Parasiten  im 
peripheren  Blute  erscheinen,  daselbst  dann  als  erwachsene 
Parasiten,  Halbmonde,  in  der  fieberfreien  Zeit  am  zahlreichsten 
zu  finden  waren  und  welche  das  Chinin  wahrscheinlich  wählend 
der  Kerntheilung  getroffen  hat.  Das  Chinin  hat  auf  den  Ver¬ 
lauf  der  Kerntheilung,  wie  wir  das  auch  bei  den  gewöhnlichen 
Tertiana-  und  Quartanaparasiten  sehen,  scheinbar  keinen  Ein¬ 
fluss.  Der  erwartete  Anfall  kommt  zu  Stande  (bei  Quaitana 
etwas  verspätet),  die  neugebildeten  Parasiten  sind  abei  lebens¬ 
unfähig  und  befallen  neue  Blutkörperchen  gar  nicht.  So  sehen 
wir  auch  hier,  dass  die  Anfälle  zur  rechten  Zeit  erschienen, 
aber  fast  ganz  steril  waren. 

Die  obige  Deutung  scheint  nur  die  einzig  annehmbare 
zu  sein.  Sie  gab  aber  zu  einem  Irrthume  Veranlassung,  denn 
damals,  wo  ich  die  Sporulationsfähigkeit  der  Halbmonde  einei- 
seits,  die  Unveränderlichkeit  der  Parasitenarten  andereiseits 
über  alle  Zweifel  erhaben  glaubte,  liess  ich  mich  verleiten,  in 
meiner  vorläufigen  Mittheilung  die  Existenz  des  laiasiten  dei 

Tertiana  maligna  zu  negiren. 

Auf  den  Fieberverlauf  haben  unsere  Chiningaben  erst 
in  der  folgenden  Fieberperiode  ihren  Einfluss  ausgeübt.  Die 
Periode  sollte  am  17.  Januar  beginnen.  Wir  haben  hier  abei 
nur  einen  subfebrilen  Zustand  und  sehen  im  Blute  nur  späi- 
liche  junge  Parasiten  erscheinen.  Am  folgenden  Jage  ist  dei 
Zustand  fieberlos,  die  Parasiten  noch  spärlicher,  und  da  die 
Tage  19.  und  20.  Januar  1897  der  Darreichung  des  Chinins 
entsprechen,  so  muss  man  sagen,  Chinin  übe  auf  die  eben 
geborenen,  und  ganz  jungen,  eben  an  die  Blutköi peichen  an¬ 
gehefteten  Parasiten  den  grössten  Einfluss  aus.  Zum  Uebei- 
o-ewicht  gelangen  die  nächstfolgenden  Generationen  (21.  Januar 
bis  28.  Januar),  die  dann  auch  zu  einer  mächtigen  Production 
der  Halbmonde  führen.  Vom  8.  Februar  erscheint  wiedeium 


Tabelle  HI.  Signatur  wie  Tabelle  H. 


236 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


hohes  Fieber.  Da  aber  auch  vor  der  Chinindarreichung  kein 
entsprechendes  Erscheinen  der  jungen  Parasiten  constatirt 
wurde,  und  da  später  ganz  ausgeprägte  Symptome  von  Lungen¬ 
entzündung  im  rechten,  unteren  Lungenlappen  auftraten,  so 
war  das  Fieber  vom  Anfang  an  wahrscheinlich  nicht  mala¬ 
rischer  Natur.  Nichtsdestoweniger  sah  ich  mich  gezwungen 
es  mit  Chininbehandlung  zu  bekämpfen,  und  so  die  weitere 
Beobachtung  des  Falles  abzubrechen. 

Fall  4.  Am  27.  Januar  1897  wurde  1  cm3  Blut  aus 
vorigem  Falle  intravenös  einem  zweijährigen  Kinde,  das  mit 
der  Diagnose  des  Idiotismus  und  eines  Milztumors  in  die 
Klinik  aufgenommen  wurde,  injicirt:  Das  injicirte  Blut  enthält 
fast  nur  junge  Parasiten  und  eine  geringe  Anzahl  Halbmonde. 
Man  konnte  hoffen,  dass  sich  das  Bild  einer  reinen  Vigesimo- 
tertiana  ausbilden  wird.  Die  Sporulation  würde  dann  am 
18.  Februar  und  12.  März  (22  und  44  Tage  nach  der  In¬ 
fection)  stattfinden. 

Der  Temperaturverlauf  war  folgender  (ich  notire  nur 
die  Fieberbewegungen  über  37’0°): 

17.  Februar  376°. 

18.  Februar  38'3°. 

19.  Februar  38-2°. 

20.  Februar  38'5°. 

24.  Februar  37  7°. 

11.  März  37'4°. 

Sonst  bis  17.  März,  wo  das  Kind  nach  Hause  genommen 
wurde,  war  der  Zustand  fieberlos.  In  der  Zeit,  auf  welche  also  die 
eine  Sporulation  fallen  sollte,  sehen  wir  leichtes  intermittirendes 
Fieber  mit  angedeutetem  tertianem  Typus.  Es  muss  dies  als 
Zeichen  angesehen  werden,  dass  die  Halbmonde  theilweise  in 
maligne  Tertianaparasiten  übergegangen  sind,  aber  die  Ent¬ 
wicklung  der  letzteren  Infection  durch  die  Kräfte  des  inficirten 
Organismus  schnell  überwunden  wurde.  Die  Temperatur¬ 
steigerung  37‘7°  am  24.  Februar  könnte  vielleicht  den  injicirten 
Halbmonden  entsprechen.  Um  die  Zeit  der  zweiten  Sporula¬ 
tion  finden  wir  nur  am  11.  März  eine  Temperatursteigerung 
bis  37‘4°.  Auch  die  Entwicklung  der  Halbmonde  stiess  also 
auf  Hindernisse.  Die  kann  nur  dadurch  erklärt  werden,  dass 
der  Organismus  gegen  die  Infection  bereits  resistent  war. 
Diese  Resistenz  war  gewiss  durch  Ueberstehen  einer  früheren 
Malariainfection  entstanden,  wie  dies  die  Anwesenheit  eines 
Milztumors  bezeugte. 

Durch  die  ganze  Zeit  waren  keine  Parasiten  constatirt 
worden.  Gewiss  nur  deshalb,  weil  ihre  Zahl  zu  gering  war, 
um  sie  im  peripheren  Blute  erscheinen  zu  lassen. 

Fall  5.  M.  K.,  8  Jahre  alt,  in  die  Klinik  aufgenommen 
am  18.  October  1897. 


Am  18.,  19.  und  20.  October  sind  Fieberanfälle  con¬ 
statirt  worden,  im  Blute  waren  grosse  Tertianaparasiten  vor¬ 
handen,  es  handelte  sich  also  um  Tertiana  benigna  duplex. 
Es  wurden  Chinopyrininjectionen  angewandt,  wobei  am 
21.  October  0‘45,  am  23.  und  25.  October  jedes  Mal  Vor¬ 
mittags  je  0'60  Chininum  hydrochloricum  mit  entsprechender 
Antipyrindose  in  Anwendung  gelangte.  Man  constatirte  darnach 
nur  am  21.  October  eine  unbedeutende  Temperatursteigerung, 
sonst  aber  war  der  Zustand  afebril.  Die  Blutuntersuchung  war 
vom  23.  October  an  negativ. 

Zwischen  25.  October  und  2.  November  unregelmässiges, 
leichtes  Fieber,  Blutuntersuchung  negativ,  Tonsillen  geschwollen, 
geröthet,  Schluckbeschwerden.  Das  Fieber  lässt  nach  ohne 
Chininbehandlung  und  die  Kranke  wird  am  28.  November  als 
geheilt  entlassen. 

Sie  kehrt  am  5.  December  zurück  und  gibt  an,  dass  sie 
wieder  einen  Fieberanfall,  nämlich  am  3.  December,  bekommen 
hat.  Der  weitere  Krankheitsverlauf  ist  aus  der  Tafel  er¬ 
sichtlich  (Fig.  IV). 

Die  Anfälle  vom  3.  und  5.  December  und  die  vom 
25.  und  27.  December  stehen  in  einem  Abstande  von  22  Tagen 
von  einander.  Wir  haben  also  eine  Vigesimotertiana  duplex. 
Die  nächstfolgenden  Anfälle  sollten  auf  IG.  und  18.  Januar  1898 
fallen.  Sie  sind  auch  vorhanden,  aber  wenig  ausgebildet,  zum 
Beweise,  dass  die  Infection  nachlässt.  Im  Blute  werden  Körper 
der  Halbmondreihe  und  kleine,  ringförmige  Parasiten  gefunden. 
Grosse  Tertianaparasiten  sind  nicht  zu  entdecken.  Die  Blut¬ 
untersuchung  weist  nach,  dass  ausser  den  zwei  zahlreichsten 
Generationen,  die  die  oben  erwähnten  Anfälle  hervorgerufen 
hatten,  noch  andere,  weniger  zahlreiche,  in  tertianen  Abständen 
sporulirende  vorhanden  waren. 

Nach  den  Anfällen  vom  25.  und  27.  December  wird 
die  Zahl  der  Parasiten  allmälig  immer  kleiner,  die  Anfälle 
weniger  ausgebildet,  indem  die  zwei  stärksten  Generationen 
den  anderen  gleich  werden. 

Es  muss  dies  Alles  als  Ausdruck  einer  Neigung  zur 
Selbstheilung  angesehen  werden.  Gleichzeitig  wird  eine  mächtige 
Vermehrung  der  Zahl  der  eosinophilen  Blutkörperchen  notirt, 
die  gewiss  in  der  Ausbildung  der  zur  Selbstheilung  eventuell 
führenden  Resistenz  des  Organismus  gegen  die  Infection  eine 
wichtige  Rolle  spielen. 

War  die  während  des  zweiten  Aufenthaltes  in  der  Klinik 
festgestellte  Infection  mit  den  Parasiten  des  ästivoautumnalen 
Fiebers  von  der  während  des  ersten  Aufenthaltes  constatirten 
benignen  Tertianainfection  unabhängig?  Verlegt  man  die  Zeit 
der  zwei  stärksten  Anfälle  vom  3.  und  5.  December  um 
22  Tage  und  wiederum  um  22  Tage  nach  rückwärts,  so  er- 


Tabelle  IV.  Signatur  wie  Tabelle  ü. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


237 


hält  man  die  Daten  20.  und  22.  October,  und  es  ist  auffallend, 
dass  die  erste  Chinopyrininjection  gerade  zwischen  diese  Daten 
fällt.  Will  man  sich  nicht  begnügen,  dies  durch  einen  blossen 
Zufall  zu  erklären,  so  muss  man  annehmen,  dass  die  erste 
Chinopyrininjection  (21.  October)  einen  Theil  der  benignen 
Tertianaparasiten,  die  am  20.  October  geboren  waren,  auf  den 
Weg  der  22tägigen  Entwicklung  geleitet  hat.  Ein  anderer 
Thed  ging  steril  zu  Grunde,  vielleicht  zu  den  unregelmässigen 
Fieberbewegungen  zwischen  25.  November  und  2.  November 
beitragend. 

Der  Rest  führte  seine  Tertianaentwicklung  weiter  und 
gelangte  am  22.  October  zur  Sporulation,  denn  nur  dadurch 
wird  es  begreiflich,  dass  die  zweite  Chinopyrininjection  die 
zweite  Generation  der  Parasiten  der  Vigesimotertiana  ab- 
zweigen  konnte.  Indem  die  dritte  Injection  auf  die  Zeit  der 
Sporulation  der  noch  vorhandenen  Generation  der  Tertiana¬ 
parasiten  fällt,  macht  sie  ihrer  weiteren  Entwicklung  ein  Ende, 
wie  es  die  erste  Injection  der  anderen  Generation  dieser  Para¬ 
siten  schon  am  21.  October  gethan  hat. 

Nach  der  Sporulation  der  Halbmonde  wird  aber  wiederum 
ein  Theil  der  Parasiten  zu  Tertianaparasiten,  nämlich  zu  den 
Parasiten  der  Tertiana  maligna.  Es  muss  überhaupt  angenommen 
werden,  dass  die  Vigesimotertiana-Entwicklung  der  Parasiten 
sich  mit  der  Entwicklung  nach  Art  der  Parasiten  der  Tertiana 
maligna  fast  immer  combinirt.  Das  klinische  Bild  hängt  nur 
vom  Uebergewicht  ab,  welches  die  eine  über  die  andere  er¬ 
langt.  In  unserem  Falle  war  der  inficirte  Organismus  genug 
widerstandsfähig  und  erlaubte  die  stärkere  Entwicklung  der 
malignen  Tertianaparasiten  nicht.  Es  konnte  sich  nur  das  Bild 
der  Vigesimotertiana  ausbilden,  aber  auch  dieses  Fieber  ging 
später  der  spontanen  Heilung  entgegen.  Dass  aber  dieselben 
Parasiten  im  nicht  immunisirten  Organismus  das  typische  Bild 
einer  Tertiana  maligna  erzeugen  können,  lehrt  uns  der  fol¬ 
gende  Fall. 

Fall  6.  Am  27.  December  1897  wurde  lern3  des  dem 
vorigen  Falle  entnommenen  Blutes  einem  fünfjährigen,  an  Hydro¬ 
cephalus  chronicus  leidenden  Kinde  intravenös  injicirt.  Wie  die 
beigegebene  Tabelle  (Fig.  V)  lehrt  (Temperatur  wurde  hier  in 
recto  gemessen),  entwickelt  sich  darnach  vom  2.  Januar  1898 
an  das  typische  Bild  einer  Tertiana  maligna,  Die  Zahl  der  Para¬ 
siten  wird  schnell  enorm,  so  dass  man  energisch  mit  der  Eu- 
chininbehandlung  einschreiten  musste.  Halbmonde  wurden 
während  des  ganzen  Verlaufes  der  Infection  nicht  gesehen. 

Auf  einen  Umstand  wollte  ich  besonderes  Gewicht  legen. 
Nach  der  Einleitung  der  Euchininbehandlung  fällt  mit  dem 
Verschwinden  der  jungen  Parasiten  im  peripheren  Blute  auch 
die  Temperatur  zur  Norm.  Also  ganz  anders,  wie  in  dem  oben 
beschriebenen  Falle  3.  Es  kann  dies  als  Beweis  bezeichnet 
werden,  dass  dort  das  Fieber  von  der  langintervallären  Ent¬ 
wicklung  der  Halbmonde,  hier  von  der  kurzintervallären  der 
malignen  Tertianaparasiten  abhängig  war. 

Die  Betrachtung  unseres  Falles  5  musste  den  Verdacht 
erwecken,  dass  man  durch  Chinindarreichung  willkürlich  die 
benigne  Tertiana  in  langintervalläres  Fieber  überführen  kann. 
Ich  habe  auch  mehrere  entsprechende  Versuche  angestellt,  kann 
aber  nur  einen  Fall  anführen,  wo  das  Resultat,  aber  auch  hier 
nicht  gänzlich  positiv  ausgefallen  ist. 

Fall  7.  J.  D.,  10  Jahre  alt,  aufgenommen  am 

22.  April  1898. 

Am  22.  und  24.  April  wurden  Fieberanfälle  bis  40°,  im 
Blute  die  grossen  Tertianaparasiten  constatirt. 

Am  25.  April  Morgens  und  am  30.  April  Morgens  wurde 
je  0  30  Euchinin  dargereicht.  Die  Parasiten  waren  am  26.  April 
im  peripheren  Blute  nicht  mehr  zu  finden.  Am  25.,  26.  und 
27.  April  werden  noch  Temperatursteigerungen  bis  38'5" 
notirt,  dann  aber  folgt  fieberloser  Zustand  bis  9.  Juni. 

Am  9.  Juni  Fieberanfall  bis  39‘2°,  am  11.  Juni,  also  im 
Tertianaintervall,  wiederum  ein  Anfall  bis  38'6°,  dann  afebriler 
Zustand,  bis  endlich  am  3.  Juli  eine  Temperaturerhöhung  von 
38'6°  notirt  wird.  Durch  die  ganze  Zeit  werden  im  Blute  keine 
Parasiten,  aber  eine  grosse  Vermehrung  der  Zahl  der  eosino¬ 
philen  Zellen  (bis  50  auf  50  Gesichtsfelder)  constatirt. 


Verlegen  wir  die  Daten  der  zwei  Anfälle  um  44  Tage 
nach  rückwärts,  so  bekommen  wir  die  Daten  von  26.  April 
und  28.  April.  Damals  musste  also  die  Abzweigung  der  zwei 
langintervallären  Generationen  stattgefunden  haben.  Daraus 
müsste  man  folglich  annehmen,  dass  das  Chinin  die  Entwick¬ 
lung  der  Tertianaparasiten  auch  dahin  abzuändern  vermag, 
dass  die  jungen,  bei  den  nächsten  Spekulationen  geborenen 
Parasiten  die  langintervalläre  Entwicklung  einschlagen.  Die 
nächsten  Anfälle  waren  auf  den  1.  Juli  und  3.  Juli  berechnet, 
es  kommt  aber  nur  der  zweite  (38  6°)  zur  Ausbildung. 

Der  zweitägige  Abstand  der  ersten  Anfälle  lässt  keine 
Zweifel  darüber  erwachen,  dass  es  sich  hier  um  Malariafieber 
handelte.  Das  Fieber  war  nicht  von  den  grossen  lertiana- 
parasiten  abhängig,  welche  leicht  aufgefunden  werden  konnten; 
es  war  also  durch  die  ästivoautumnalen  Parasiten,  respective 
Halbmonde  hervorgerufen,  die  aber  in  zu  geringer  Anzahl 
vorhanden  waren,  um  im  peripheren  Blute  zu  erscheinen 
(vergleiche  Fall  4). 


Tabelle  V.  Signatur  wie  Tabelle  II. 

Die  Fieberbewegungen  sind  bei  Malaria  im  Allgemeinen 
gijj  Anzeichen  des  Zerfalles  der  Malariaparasiten,  und  es  ist 
gleichgiltig,  ob  die  Parasiten  steril  sind,  oder  der  Zerfall  durch 
Segmentation  bedingt  ist.  Wenn  man  4  6  Stunden  voi  dem 

erwarteten  Tertianaanfall  eine  hinreichende  Chinindose  dar¬ 
reicht,  so  geht  die  ganze  entsprechende  Generation  der  Para¬ 
siten  zu  Grunde.  Der  Anfall  kommt  aber  dennoch  zui  Aus 
bildung.  Da  die  jungen  Parasiten  an  den  Blutkörperchen  nicht 
erscheinen,  so  kann  der  Anfall  dem  Befallenwerden  der  Blut¬ 
körperchen  durch  die  Parasiten  nicht  zugesprochen  werden, 
und  muss  nur  dem  Zerfalle  der  alten  Parasiten  seinen  Ui 
sprung  verdanken.  Mit  dem  Zerfalle  der  Parasiten  wird  näm¬ 
lich  wahrscheinlich  eine  pyrogenetische  Substanz  frei,  die  zum 
Anfalle  führt.  Die  Anwesenheit  des  Chinins  im  Blute  kann 
dem  Anfalle  nicht  Vorbeugen,  die  Wirkung  des  Chinins  als 
Antipyreticum  kann  also  gänzlich  vernachlässigt  werden. 

Lässt  man  bei  einer  Tertiana  benigna  simplex  den 
Kranken  eine  Chiningabe  in  dem  fieberfreien  Tage,  etwa 
24  Stunden  nach  dem  letzten  Anfalle,  einnehmen,  so  erscheint 
der  nächste  Anfall  nicht,  aber  auch  an  dem  Tage  der  Dar¬ 
reichung  des  Chinins  erscheint  kein  Fieber,  obwohl  die  grösste 
Zahl  der  Parasiten  innerhalb  weniger  Stunden  aus  dem  peri¬ 
pheren  Blute  verschwindet.  Dieses  Verschwinden  kann  also 
nicht  als  Zeichen  des  Zerfalles  der  Parasiten  unter  der  Chinin- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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einwirkung  angesehen  werden,  da  keine  entsprechende  Tem¬ 
peraturerhöhung  constatirt  werden  kann.  Man  muss  vielmehr 
annehmen,  dass  die  Parasiten  mit  ihren  Blutkörperchen  nach 
der  Chinindarreichung  in  inneren  Organen  deponirt  werden. 
Wir  haben  schon  gesehen,  zu  was  diese  Parasiten  werden 
können.  Sie  können  aber  auch  zu  einer  einfachen  Recidive 
führen.  Es  unterliegt  aber  auch  keinem  Zweifel,  dass  eine 
grosse  Anzahl  dieser  Parasiten  später,  gewissermassen  secundär, 
doch  steril  zu  Grunde  geht  und  die  kleinen  Temperatursteige¬ 
rungen,  die  ich  in  manchen  meiner  Versuche  einige  Tage 
nach  Darreichung  zweier  oder  dreier  Chiningaben  (diese 
wurden  immer  zu  unseren  Zwecken  in  drei-  und  zweitägigen 
Intervallen  gegeben)  beobachtet  habe,  scheinen  davon  abzu¬ 
hängen.  Ich  bin  sehr  geneigt  zu  glauben,  dass  dieses  Absterben 
der  sterilen  Parasiten  sehr  dazu  beiträgt,  die  Resistenz  des 
Organismus  gegen  die  Infection  und  selbst  seine  complete  Im¬ 
munität  herbeizuführen.  Es  folgt  eine  Vermehrung  der  Zahl 
der  eosinophilen  Zellen,  die  in  der  Hervorbringung  dieser  Im¬ 
munität  eine  wichtige  Rolle  zu  spielen  scheinen. 

Es  ist  durch  diese  Betrachtungen  der  Weg  angedeutet, 
auf  welchem  die  künstliche  Immunität  gegen  Malaria  erlangt 
werden  kann.  In  unseren  Versuchen  stand  aber  die  Ausbildung 
einer  solchen  Resistenz  oder  Immunität  der  Entwicklung  des 
beabsichtigten,  langintervallären  Fiebers  und  der  namhafteren 
Vermehrung  ihrer  Parasiten  im  Wege.  Damit  würden  manche 
Misserfolge  zu  erklären  sein.  Auch  die  grosse  Beobachtungs¬ 


dauer  war  hinderlich,  da  sich  manche  Fälle  frühzeitig  der  Ob¬ 
servation  entzogen.  Es  muss  endlich  auf  einen  Umstand  hin¬ 
gewiesen  werden.  So  wie  wir  bei  unserem  dritten  Falle  die 
Geburt  eines  Parasiten  der  Tertiana  benigna  in  Folge  der 
Sporulation  der  Halbmonde  als  wahrscheinlich  angenommen 
haben,  so  müssen  wir  auch  die  Möglichkeit  zugeben,  dass  die 
Tertianaparasiten  durch  die  Chinineinwirkung  in  langinter- 
valläre  Entwicklung  übergeführt,  nach  der  nächsten  Sporulation 
wieder  in  die  frühere  Entwicklung  überschlagen.  Der  folgende 
Fall  möge  als  Beispiel  gelten. 

Fall  8.  A.  H.,  12  Jahre  alt,  aufgenommen  am  8.  April  1899. 
An  demselben  Tage  fängt  der  Anfall  an  (37  6°)  und  dauert 
über  die  Nacht  bis  zum  nächsten  Vormittag  (40'60).  Im  Blute 
sind  grosse  Tertianaparasiten  in  grosser  Zahl  gefunden  worden. 
Am  10.  April  wird  Morgens  0‘60  Euchinin  gegeben,  von 
weiterer  Behandlung  aber  Abstand  genommen,  da  bereits  in 
derselben  Zeit  in  dem  Blute  keine  Parasiten  mehr  ausfindig 
gemacht  werden  konnten.  Es  folgt  ein  afebriler  Zustand  bis 
30.  April,  wo  ein  Fieberanfall  bis  39'0°  notirt  wird,  es  ist 
dies  eben  22  Tage  nach  dem  ersten  Anfalle  vom  8.  April. 
Dann  folgt  wiederum  fieberfreie  Pause,  respective  kleinere  sub¬ 
febrile  Steigerungen,  bis  am  12.  Mai  39-4°  und  am  14.  Mai 
38  2"  notirt  werden.  Wieder  einige  Tage  subfebrile  Temperatur, 
dann  vom  22.  Mai  ab  complete  Apyrexie. 

Nach  dem  Anfalle  vom  30.  April  findet  man  keine  Pa¬ 
rasiten,  der  Anfall  war  also  grösstentheils  steril.  Die  Parasiten, 
welche  damals  geboren  sind,  waren  grosse  Tertianaparasiten, 
denn  diese  kommen  dann  am  3.  Mai  zum  Vorschein  (6:500 
Gesichtsfelder  Ihre  Anzahl  ist  anfänglich  zu  geling,  um  An¬ 


fälle  hervorzurufen.  Diese  Zahl  geht  noch  etwas  herab :  7.  Mai 
2  Parasiten  auf  500  Gesichtsfelder,  um  dann  wieder  am 
11.  Mai  bis  12  auf  500  Gesichtsfelder  zu  steigen.  Die  Folge 
dessen  sind  die  Anfälle  von  12.  und  14.  Mai.  Dann  steigt  die 
Zahl  der  Parasiten  wiederum  herunter,  um  am  18.  und  19.  Mai 
den  Nullpunkt  zu  erreichen.  Es  ist  also  Selbstheilung  ein¬ 
getreten. 

Wichtig  war  die  Beobachtung  der  Zahl  der  eosinophilen 
Zellen.  Am  8.  April  werden  5 :  500  Gesichtsfelder,  am  3.  Mai 
bereits  26,  am  7.  Mai  26,  am  9.  Mai  60:500  Gesichtsfelder 
beobachtet.  Dann  bemerkt  man  mit  dem  Ueberwinden  der  In¬ 
fection  das  Herabfallen  dieser  Zahl:  am  19.  Mai  20,  am  7.  Juli 
2:500  Gesichtsfelder.  Der  Abfall  zur  Norm,  den  die  Zahl  der 
eosinophilen  Blutkörperchen  erfahren  hat,  muss  als  Zeichen 
des  Aufhörens  der  Infection  und  completen  Heilung  angesehen 
werden.  Da  das  Chinin  ausser  der  ersten  Dose  nicht  gegeben 
wurde,  handelte  es  sich  um  spontane  Heilung. 

Die  vorhergehenden  Fälle  illustriren  die  Beziehungen, 
welche  wahrscheinlich  unter  der  Tertiana  benigna,  maligna 
und  meisten  Fällen  der  langintervallären  Fieber  bestehen. 
Der  folgende  Fall  berührt  die  entsprechende  Frage  in  Bezug 
auf  Quartana. 

Fall  9.  F.  N.,  aufgenommen  am  19.  December  1898. 
Es  handelte  sich  um  Quartana  triplex.  Die  tagtäglichen 
Anfälle  gelangen  hier  Nachts  zur  Ausbildung;  im  Blute  waren 
nur  Quartenaparasiten  zu  finden  (Fig.  VI).  Am  25.  December, 
Abends,  30.  December  Früh  und  3.  Januar  1899  früh  Morgens  gibt 
man  je  eine  Gabe  salzsauren  Chinins  a  0'75.  Man  beobachtet 
darnach  eine  Verspätung  der  Anfälle  und  ihre  Verschmelzung 
untereinander,  darnach  aber  afebrilen  Zustand.  Die  Zahl  der 
Parasiten,  wie  überhaupt  nach  Chininbehandlung  bei  Quar¬ 
tana,  verminderte  sich  rasch,  sie  verschwanden  aber  gänzlich 
erst  nach  fünf  Tagen  nach  der  ersten  Chiningabe.  Am 
10.  Januar  wird  aber  wiederum  ein  melanischer  Leukocyt, 
am  12.  Januar  ein  ein  Drittel  des  Blutkörperchens  ausfüllender 
Quartanaparasit  gesehen.  Zwischen  9.  und  13.  Januar  wird 
eine  Angina  diphtheritica  (virulente  Löffler’sche  Bacillen  er¬ 
wiesen)  constatirt  und  mit  Serum  behandelt.  Den  Fieberanfall 
vom  14.  Januar  (40'0°)  muss  man  aber  wahrscheinlich  schon 
als  von  Malaria  abhängig  betrachten.  Er  fällt  22  Tage  nach 
dem  23.  December.  Man  könnte  also  auch  hier  behaupten, 
dass  die  jungen  Quartanaparasiten  vom  23.  December  Abends 
und  24.  Morgens  durch  die  erste  Chiningabe  in  Vigesimo- 
tertianaparasiten  übergeführt  worden  sind  und  am  14.  Januar 
Abends  und  am  folgenden  Tage  zum  Zerfalle,  respective  zur 
Sporulation  gelaugt  sind.  Der  Anfall  vom  14.  Januar  war 
hauptsächlich  vom  Zerfall  abhängig;  am  15.  Januar  wurden 
aber  gewiss  junge  Parasiten,  und  zwar  grosse  Tertianapara¬ 
siten,  geboren,  denn  wir  finden  die  halberwachsenen  am 
16.  Januar  ziemlich  reichlich  im  Blute.  Sie  vermehren  sich 
daun  schnell  und  geben  den  Tertianaanfällen  am  17.  und 
19.  Januar  Veranlassung.  Da  der  letzte  Anfall  bis  40'5° 
reichte,  musste  zum  Chinin  gegriffen  werden.  Die  Tertiana¬ 
parasiten  verschwinden  dann  aus  dem  peripheren  Blute. 
Gleichzeitig  werden  Quartanaparasiten,  aber  in  sehr  spärlicher 
Zahl,  constatirt. 

Der  Fall  ist  jedenfalls  geeignet,  den  Gedanken  zu  er¬ 
wecken,  dass  auch  Quartana  in  langintervalläres  Fieber  über¬ 
geführt  werden  und  dieser  Uebertritt  jenen  ins  gewöhnliche 
Tertiana  anbahnen  kann.  Ich  muss  noch  einen  Grund  an¬ 
führen,  der  diesen  Schluss  bekräftigt.  Bei  meinen  Anemnesen- 
entnahmen  habe  ich  besonders  in  den  Fällen  von  Quartana, 
wo  das  Fieber  schon  einige  Monate  dauerte,  mehrmals  die 
Angabe  erhalten,  dass  das  Fieber  wiederholt  nach  der 
Chininbehandlung  den  Typus  geändert  habe,  von  der  aus¬ 
geprägten  Tertiana  zur  Quartana  wurde  und  umgekehrt. 

Fall  10.  Eines  Falles  muss  ich  noch  gedenken,  der  aus 
meinen  frühesten  Beobachtungen  herrührt  (Jahr  1896),  wo 
auch  die  Observation  nur  vier  Tage  gedauert  hat,  so  dass  von 
einer  Bestimmung  der  Entwicklungsdauer  der  Parasiten  keine 
Rede  sein  konnte.  Das  klinische  Bild  entsprach  vollkommen 
dem  Bilde  eines  schweren  malignen  Malariafiebers.  Das  Blut 
war  durch  »ästivo-autumnale«  Parasiten  förmlich  überfüllt,  so 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


239 


dass  man  in  jedem  Gesichtsfelde  bis  zehn  junge  Parasiten 
auffinden  konnte.  Ausser  diesen  fand  man  reichlich  (nach 
meinen  späteren  Färbungen  nach  Romanowsky  im  Jahre 
1898)  auch  ältere  und  erwachsene  Parasiten  mit  centralem 
Melaninklümpchen.  Endlich  wurden  zahlreiche  Halbmonde, 
sowie  ihre  Abarten,  die  cigarren-  und  wetzsteinförmigen  Körper, 
beobachtet. 

Die  Parasiten  schienen  von  den  Parasiten  der  Tertiana 
maligna  und  Vigesimotertiana  durch  folgende  Merkmale  ab¬ 
zustechen:  Das  Pigment  war  in  den  älteren  Parasiten,  auch 
in  den  Halbmonden,  in  gröberen  Körnern  zusammengeballt, 
war  auch  viel  schwärzer.  In  den  erwachsenen  und  zur  Seg¬ 
mentation  gelangten  Parasiten  wurde  die  oben  beschriebene 
Vaeuole  wenigstens  in  der  Hälfte  der  Fälle  angetroffen.  Es 
fanden  sich  die  spindelförmigen  und  wetzsteinförmigen  Körper 
verhältnissmässig  zu  den  Halbmonden  zahlreicher  vor,  als  in 
meinen  anderen  Fällen.  Das  Pigment  war  in  ihnen  häufig 
über  den  ganzen  Parasitenkörper  unregelmässig  zerstreut. 
Zweimal  sah  ich  solche  Körper  ihre  lange  Achse  verkürzen 
und  verlängern.  Einmal  sah  ich  in  einem  wetzsteinförmigen 
Körper  das  grobe,  durch  den  ganzen  Parasitenleib  zerstreute 
Pigment  sehr  lebhaft  beweglich.  Seine  Gruppirung  änderte 
sich  so  rasch,  dass  ich  mich  sehr  beeilen  musste,  die  Ver¬ 
änderungen,  die  jede  zwei  bis  drei  Minuten  sehr  evident 
waren,  skizziren  zu  können. 

Diese  Lebhaftigkeit  der  Bewegungen  schien  mir  von 
einer  kurzen  Entwicklungsdauer  der  Halbmonde  zu  sprechen. 

Der  Fall  von  Rene ki.  Rencki17)  hat  mit  mir 
meinen  ersten  Fall  beobachtet,  später  aber  selbstständige  Be¬ 
obachtungen  in  der  Klinik  der  inneren  Krankheiten  in  Krakau 
angestellt. 

Ein  löjähriger  Knabe  wurde  in  der  Klinik  vom  8.  De¬ 
cember  1896  bis  24.  Januar  1897  in  Observation  gehalten. 
Im  Blute  wurden  die  kleinen  Parasiten  und  Halbmonde  con- 
statirt.  Ausser  den  fast  quotidianen  Temperatursteigerungen 
bis  38'0° — 40'0°  traten  stärkere  Anfälle  (bis  40'4 — 40-8°),  die 
mit  Erbrechen  und  dem  Erscheinen  eines  Urticariaausschlages 
verbunden  waren,  nach  der  Anamnese,  zu  Hause  am  5.  und 
7.  December  1896,  in  der  Klinik  am  27.  und  29.  December 
1896,  und  wiederum  am  18.  und  20.  Januar  1897  ein.  Jedes 
Anfallspaar  steht  von  dem  anderen  in  einem  Abstande  von 
22  Tagen.  Also  wir  haben  wiederum  eine  Vigesimotertiana 
duplex  in  Combination  mit  Tertiana  maligna  duplex,  wie  in 
unserem  Falle  5. 

* 

Damit  würde  die  Besprechung  der  wichtigeren  und  länger 
dauernden  von  meinen  Beobachtungen  zu  Ende  geführt,  es 
soll  mir  jetzt  erlaubt  werden,  die  Schlüsse,  die  aus  ihnen  ge¬ 
zogen  werden  können,  hier  zusammenfassend  durchzugehen. 

Febris  vigesimotertiana.  Die  klinische  Be¬ 
gründung  dieses  langintervallären,  von  der  supponirten  22tä- 
gigen  Entwicklung  der  Halbmonde  abhängigen  Fiebers  ist  in 
den  Fällen  3,  4,  5,  7  und  dem  Falle  von  Rencki 
gegeben.  Die  Fälle  8  und  9  könnten  vielleicht  auch 
dahin  verwerthet  werden.  Einen  Fall,  wo  ich  anfangs  zehntägige 
Entwicklung  angenommen  habe,  könnte  man  den  letzteren 
Fällen  einreihen. 

Also,  die  Fälle  1  und  2  angenommen,  würden  sonst  alle 
acht  Fälle,  in  welchen  die  Bestimmung  der  Entwicklungsdauer 
versucht  werden  konnte,  für  die  22tägige  Entwicklung  sprechen. 
Das  scheint  mir  jedenfalls  genug  zu  sein,  die  Möglichkeit  eines 
Zufalls  unwahrscheinlich  zu  machen. 

Man  könnte  dagegen  einwenden,  dass  die  Entwicklung 
der  Parasiten  der  Tertiana  maligna  zur  Erklärung  der  lang¬ 
intervallären  Fieber  ausreichen  kann,  es  kann  sich  nämlich 
um  periodisch  wiederkehrende,  spontane  Heilungen  und  Reci- 
diven  handeln.  Auch  wenn  wir  den  immer  sich  wiederholenden 
Typus  des  22tägigen  Intervalls  übergehen  wollten,  so  müssen 
wir  dem  Obigen  gegenüber  bemerken,  dass  die  Fälle  der 
Tertiana  benigna,  Quartana  benigna  und  auch  der  reinen  (ohne 

n)  Rencki,  O  przyrodzie  i  rozwoju  postaci  polksieäycowatych 
pasorzyta  zimnicy  ztosliwej.  Pami^tnik  Tow.  lek.  warszaw.  T.  XCVI1I,  Z,  2. 


Halbmonde  im  Blute,  wie  unser  Fall  6)  Tertiana  maligna 
niemals  einen  langintervallären  Charakter  ausweisen.  Diesen 
findet  man  nur  in  den  Fällen  von  ästivoautumnalen  Fieber, 
wo  Halbmonde  vorhanden  sind.  Obwohl  daher  die  ganze  Ent¬ 
wicklung  der  Halbmonde  mikroskopisch  nicht  verfolgt  werden 
konnte,  so  scheint  mir  doch  gänzlich  begründet  zu  sein,  diesen 
Körpern  den  langintervallären  Verlauf  des  Fiebers  zuzuschreiben 
und  nach  der  Analogie  mit  der  Tertiana  und  Quartana  den 
Fieberintervall  als  identisch  mit  der  Entwicklungsdauer  der 
Parasiten  anzunehmen. 

Einzahl  oder  Mehrzahl  der  Parasitenarten. 
Wir  sind  durch  die  Betrachtung  unserer  Fälle  zum  Schlüsse 
gelangt,  dass  die  benigne  Tertiana,  Vigesimotertiana  und  Ter¬ 
tiana  maligna  einen  und  demselben  polymorphen  Parasiten  ihre 
Entstehung  verdanken.  Und  es  muss  nicht  unwahrscheinlich 
erscheinen,  dass  derselbe  Parasit  gewisse  somatische  Verschieden¬ 
heiten  aufweist  und  auch  verschiedene  klinische  Symptome 
hervorruft,  abhängig  davon,  ob  er  sich  im  Inneren  des  Blut¬ 
körperchens,  oder  nur  an  ihm  festsetzt.  Die  Entwicklungsdauer 
bliebe  aber  in  beiden  Fällen  die  gleiche.  Derselbe  Parasit 
könnte  auch  in  den  für  ihn  ungünstigen  Verhältnissen  (Resi¬ 
stenz  des  Organismus,  Chinineinwirkung)  die  langintervalläre 
Entwicklung  einschlagen  und  dann  wiederum  gewisse  Eigen¬ 
tümlichkeiten  aufweisen. 

Durch  Analogie  könnte  man  dann  an  einen  zweiten  poly¬ 
morphen  Malariaparasiten  denken.  Von  diesem  würde  Quartana 
benigna,  Quartana  maligna  (L  a  vera  n  und  Zieman  n)  und 
ein  unbekanntes  langintervalläres  Fieber  abhängig  sein.  Viel¬ 
leicht  Hesse  sich  mein  Fall  9  als  durch  Combination  der 
Infection  mit  Parasiten  der  Quartana  maligna  und  ent¬ 
sprechenden  Körpern  der  Halbmondreihe  entstanden  auffassen. 

Mein  Fall  9  wäre  geeignet,  mich  zu  veranlassen,  die 
Verteidigung  des  Pluralismus  ganz  aufzugeben.  Erst  weitere 
und  zahlreichere  Beobachtungen  werden  aber  über  diese  Frage 
volle  Aufklärung  bringen  können,  vorläufig  muss  man  sich  des 
endgiltigen  Ausspruches  enthalten. 

Das  Zustandekommen  der  Infection.  Anfangs 
1897  von  den  positiven  Erfolgen  der  Blutüberimpfung  aus¬ 
gehend,  kam  ich  auf  den  Gedanken,  dass  die  Mosquitos  in  der 
Natur  die  Rolle  der  Spritze  beim  Experimente  vertreten 
können.  Der  Gedanke  war  nicht  neu  ,s)  und  wenn  ich  ihn 
erwähne,  so  geschieht  dies  nur  deshalb,  um  zu  erklären,  dass 
mein  Ideengang  mich  im  Gegensätze  zu  anderen  Autoren  an 
directe  Ueberimpfung  denken  Hess,  d.  h.  derselbe  Mosquito, 
der  den  Malariakranken  gestochen  hat,  müsste  danach  die 
Krankheit,  aber  vielleicht  erst  nach  einigen  Tagen,  auf  einen 
Gesunden  übertragen. 

Vom  September  1897  führe  ich  ein  genaues  Register 
der  auf  Malaria  im  Ambulatorium  und  der  Klinik  untersuchten 
Fälle.  Ausser  den  Generalien,  dem  Zustande  der  Ernährung, 
der  Hautfarbe  und  des  Milztumors,  dem  Fiebertypus  der 
eventuell  gefundenen  Parasitenart,  wird  immer  die  Erkrankung, 
respective  der  Umstand,  ob  es  sich  um  eine  frische  Erkrankung 
oder  Recidiv  handelt,  notirt.  Ich  werde  vielleicht  noch  später 
Gelegenheit  finden,  diese  Beobachtungen  zusammenzustellen 
und  zu  veröffentlichen.  Jetzt  aber  muss  ich  schon  andeuten, 
dass  ich  Koch  t9)  nicht  bestimmen  kann,  dass  die  frischen 
Malariafälle  sich  nur  in  den  wärmsten  Jahresmonaten  Juli, 
August  und  September  ereignen. 

Schon  im  frühesten  Frühling,  einige  Wochen  nach  Ein¬ 
tritt  der  ersten  wärmeren  Tage  (also  wie  im  Jahre  1898  Ende 
Februar  und  im  März)  werden  die  ersten  frischen  Malaria¬ 
fälle  notirt.  Es  sind  dies  durchgehends  Fälle  der  benignen 
Tertiana. 

Frische  Infectionen  mit  Tertiana  werden  dann  auch  im 
Sommer  und  Herbst  notirt,  sie  sind  hier  aber  jedenfalls  nicht 
zahlreicher,  im  Gegentheil  scheint  ihre  Zahl  etwas  herab¬ 
zugehen. 

Es  würde  dies  ein  Beweis  sein,  dass  das  Blut  der  Tertiana 
kranken  nicht  als  Material  dient,  weitere  Tertianainn  ctionen 

18)  Vgl.  M  a  u  s  g  n  (1.  c.).  , 

19)  Koch,  Erster  Bericht  über  die  Thätigkeit  der  Malariaexpedition. 

Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  37. 


240 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Nr.  10 


auf  dem  Wege  der  Ueberimpfung  durch  die  Mosquitos  hervor¬ 
zurufen. 

Als  Material  können  also  nur  die  chronischen  Infectionen 
(mit  Halbmonden)  dienen,  und  das  umsomehr,  da  sie  leicht 
überwintern.  Der  Kranke  leidet  nämlich  (vgl.  unseren  Fall  5) 
an  keinen  grösseren  Fieberanfällen,  befindet  sich  verhältniss- 
mässig  wohl  und  findet  so  keine  Veranlassung,  sich  behandeln 
zu  lassen.  Diese  Verhältnisse  kann  man  sich  auch  deshalb 
schwer  anders  denken,  da  die  Fälle  der  Tertiana  benigna  bei 
der  grossen  Beeinflussbarkeit  der  entsprechenden  Parasitenart 
durch  Chinin  fast  niemals  als  solche  überwintern. 

Man  muss  annehmen,  dass  nur  das  Blut,  welches  über¬ 
wiegend,  oder  ausschliesslich  die  Körper  der  Halbmondreihe 
ausweist,  bei  der  Ueberimpfung,  aber  vielleicht  erst  (nach  den 
Untersuchungen  von  Ross20)  zu  urtheilen)  nachdem  die  Halb¬ 
monde  gewisse  Entwicklungsphasen  im  Körper  der  Mosquitos 
durchgegangen  haben,  die  benigne  Tertiana  hervorruft.  Die 
Ueberimpfung  der  kleinen,  ringelförmigen  Parasiten  müsste 
dagegen,  wenn  man  die  Resultate  der  Ueberimpfungsversucke 
mit  der  Spritze  auf  die  Ueberimpfungen  durch  die  Mosquitos 
übertragen  darf,  ohne  dass  die  Parasiten  irgendwelche  Ver¬ 
änderungen  zu  erfahren  brauchen,  Tertiana  maligna  hervorrufen. 

An  unserem  fünften  Falle  haben  wir  gesehen,  dass  in 
länger  dauernden  Fällen  mit  Neigung  zur  Selbstheilung  am 
Ende  nur  Halbmonde  im  peripheren  Blute  zu  finden  sind. 
Die  Ueberimpfung  aus  solchen  Fällen  durch  die  Mosquitos 
würde  nur  der  Tertiana  benigna  Anfang  geben  können  und 
solche  Verhältnisse  herrschen  in  unserem  Klima  im  Frühling. 
Im  Sommer  und  Herbst  endet  ein  Theil  der  chronischen  In¬ 
fectionen,  welche  überwintert  haben,  in  den  besseren  äusseren 
Bedingungen,  in  welchen  sich  grösstentheil  der  inficirte  Orga¬ 
nismus  jetzt  befindet,  durch  Selbstheilung.  Dadurch  würde  das 
Herabgehen  der  Zahl  der  frischen  Fälle  der  Tertiana  benigna 
im  Sommer  und  Herbst  seine  Erklärung  finden. 

Aus  den  frischen  Tertianafällen  können  aber,  wie  wir 
sahen,  Vigesimotertianafieber  sich  ausbilden.  Sie  entstehen  aber 
gewiss  auch  direct  durch  Ueberimpfung  aus  den  überwinterten 
chronischen  Fällen,  denn  ich  konnte  niemals  bei  ihnen  durch 
Anamnesenentnahme  frühere  acute  Malariaerkrankung  aus- 
weisen.  Nehmen  wir  den  ersten  oder  zweiten  Fall  an  (lange 
Entwicklungsdauer  der  Parasiten),  so  muss  immer  der  Aus¬ 
bruch  der  Krankheit  auf  ziemlich  späte  Zeit,  Ende  Sommer 
oder  Herbst  fallen,  also  auf  die  Periode,  wo  in  unseren  klima¬ 
tischen  Verhältnissen  die  Thätigkeit  der  Mosquitos  bereits 
nachlässt,  oder  aufhört.  Da  diese  Fälle,  in  denen  die  jungen, 
ringelförmigen  Parasiten  im  peripheren  Blute  manchmal  in 
enormer  Zahl  vorhanden  sind,  als  Ueberimpfungsmaterial  für 
die  Entstehung  der  frischen  Fälle  der  Tertiana  maligna  ange¬ 
sehen  werden  müssen,  so  ist  es  begreiflich,  dass  Tertiana 
maligna  in  unserem  Klima  zu  den  Seltenheiten,  in  den  tropi¬ 
schen  Gegenden  dagegen,  wo  die  Thätigkeit  der  Mücken  das 
ganze  Jahr  dauert,  zur  Regel  gehören  wird. 

Man  kann  nicht  genug  die  Bedeutung  des  Umstandes 
hervorheben,  der  aber  jedenfalls  weitere  Nachforschungen  er¬ 
heischt,  dass  die  Malariaparasiten  nur  im  menschlichen  Körper 
zu  überwintern  scheinen.  Ihre  Existenz  in  dem  Körper  des 
Mosquitos  währt,  nach  den  Untersuchungen  von  Ross  zu 
urtheilen,  nicht  lange.  Andere  Thiere  ausser  den  Menschen  und 
Mosquito  befallen  sie  nicht.  Und  zwar  nicht  deshalb,  wie 
Koch21)  annimmt,  dass  man  ganz  identische  Parasiten  in 
keinem  Thiere  gefunden  hat  —  man  hat  ja  mit  einem  viel¬ 
gestaltigen  Organismus  zu  thun,  welcher  in  verschiedenen 
äusseren  Bedingungen  verschiedene  Formen  annehmen  kann  — 
sondern  deshalb,  weil  Ueberimpfungen  vom  Menschen  auf 
Thiere  niemals  gelungen  sind,  obwohl  die  Parasiten  vom 
Menschen  zu  Menschen  sich  leicht  überimpfen  lassen. 

Demnach  würde  die  Verkettung  der  malarischen  Epi¬ 
demien  des  einen  Jahres  mit  denen  des  folgenden  nur  durch 
IJeberwintern  der  chronischen  Fälle  bedingt  sein.  Die  Durch¬ 
brechung  dieses  Verbindungsgliedes  würde  der  Ausbildung  der 
nächsten  Malariaepidemie  Vorbeugen.  Diese  Durchbrechung  ist 

20)  Citirt  nach  M  a  n  s  o  n  (1.  e.). 

*')  1.  c. 


aber  möglich,  da  man  jeden  chronischen  Fall  durch  Blut¬ 
untersuchung  entdecken  kann,  und  andererseits  im  Chinin  ein 
Mittel  besitzt,  das,  wenigstens  meinen  Untersuchungen  zufolge, 
jede  Malariainfection  sicher  heilt.  Die  Blutuntersuchungen 
könnten  entfallen,  wenn  sich  die  ganze  Bevölkerung  in  Malaria¬ 
gegenden  im  Winter  während  ein  bis  zwei  Wochen  der 
Chininbehandlung  unterziehen  wollte. 

Den  Gedanken,  dass  man  möglicher  Weise  durch 
Heilung  der  chronischen  Fälle  während  des  Winters  der 
nächsten  Malariaepidemie  Vorbeugen  können  wird,  habe  ich,  so 
viel  ich  weiss,  als  Erster  ausgesprochen.22)  Letzthin  hat  ihn 
Koch  aufgenommen23),  ohne  mich  aber  zu  citiren.  Das  ist 
umsomehr  befremdend,  da  ich  Koch  meinen  Aufsatz  mit 
einer  kurzen  Angabe  seines  Inhaltes  in  deutscher  Sprache, 
bereits  im  December  1898  übersandt  habe.24) 


REFERATE. 

Pathologie  und  Therapie  der  entzündlichen  Erkrankungen 
der  Nebenhöhlen  der  Nase. 

Von  L)r.  M.  Hajek,  Docent  an  der  Universität  Wien. 

Mit  89  grösstentheils  Originalabbildungen. 

Leipzig  und  Wien  1899,  Franz  D  e  u  t  i  c  k  e. 

Das  uns  vorliegende  Buch  ist  ein  tüchtiges  Lehrbuch,  dem 
man  es  überall  ansieht,  dass  der  Verfasser  das  ganze  Thema  sowohl 
in  anatomischer  und  pathologischer,  als  auch  in  diagnostischer  und 
therapeutischer  Hinsicht  praktisch  durchgearbeitet  und  in  vielen 
Demonstrationscursen  durchgesprochen  hat.  Es  bringt  nichts  wesent¬ 
lich  Neues,  wird  aber  als  Lehrbuch  immer  Werth  haben,  da  über¬ 
all  auf  das  Bedürfniss  des  Schülers  Rücksicht  genommen  ist  und 
alle  die  häufigen,  besonders  im  Siebbeinlabyrinthe  vorkommenden 
Anomalien  durch  zahlreiche  sehr  gelungene  Abbildungen  klar  dar¬ 
gestellt  sind. 

Es  zerfällt  in  zwei  Theile:  Im  allgemeinen  Theile  werden  die 
Aetiologie,  Symptome,  Anatomie  und  Diagnose  der  Nebenhöhlen¬ 
entzündungen  überhaupt  und  im  speciellen  dieselben  Punkte  und 
die  Therapie  jeder  einzelnen  Nebenhöhle  abgehandelt. 

Schliesslich  stellt  Haj  ek  in  zwei  Capiteln  die  Complicationen 
in  den  Augen  und  im  Gehirne  dar,  und  zwar,  wie  er  selbst  sagt, 
»mangels  eigener  Erfahrungen «  nach  den  Werken  von  Kuhn  t  und 
Dreyfus  s. 

Mit  Ausnahme  dieser  zv7ei  Gapitel  spricht  er  sonst  überall  aus 
eigener  Erfahrung.  Dieser  Umstand  macht  das  Buch  auch  für  den 
Fachmann  werthvoll. 

Wohlthuend  berührt  es,  dass  Hajek  nirgends  die  Häufigkeit 
und  Wichtigkeit  der  Nebenhöhlenerkrankungen  übertreibt,  wie 
Grünwald  u.  A. 

Er  geht  z.  B.  nicht  so  weit,  zu  behaupten,  dass  Nasenpolypen 
pathognomonisch  für  Nebenhöhlenerkrankung  seien;  dass  dagegen 
das  Bild  der  Ozäna  durch  herdweise  und  nicht  durch  allgemeine 
Secretion  der  Schleimhaut  der  Nase  oder  des  Rachens  bedingt  ist, 
scheint  ihm  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  erwiesen;  er  steht  auch 
nicht  an,  zu  erklären,  dass  er  diesbezüglich  seine  im  Jahre  1895 
ausgesprochene  Ansicht  geändert  habe. 

Der  schon  von  Zuckerkandl  ad  absurdum  geführten 
Lehre  Woakes’  von  der  »necrosing  ethmoiditis  als  Ursache  der 
Polypen«  hat  er  durch  histologische  Untersuchungen  jeden  Boden 
entzogen. 

Recht  zweckmässig  ist  die  Eintheilung  der  Nebenhöhlen  in 
zwei  Serien:  in  die  der  ersten  Serie,  Kiefer-,  Stirn-  und  vorderen 
Siebbeinzellen,  welche  in  den  mittleren  Nasengang  einmünden,  und 
die  der  zweiten  Serie,  hinteren  Siebbein-  und  Keilbeinhöhlen,  welche 
sich  in  den  oberen  Nasengang  eröffnen. 

Therapeutisch  ist  Hajek,  wie  alle  erfahrenen  Rhinologen, 
für  ein  langsames,  vorsichtiges  Vorgehen  bei  der  Sondirung  und 

“)  Lewkowicz,  O  szerzeuiu  sie  zimnicy  i  mozliwosci  skutecznego 
zapobiegania  jej  endemiom.  Przeglad  lekarski.  1898,  Nr.  33. 

-q  l.  c. 

24)  Nach  N  u  1 1  a  1  1  (Neuere  Forschungen  über  die  Rolle  der  Mos¬ 
quitos  bei  der  Verbreitung  der  Malaria.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1900, 
Bd.  XXVII,  Nr.  5)  ist-  dieselbe  Ansicht  auch  von  Grassi  (31.  August  1899), 
einige  Tage  vor  der  Publication  K  o  c  h’s,  ausgesprochen  worden.  Jedenfalls 
würde  die  Priorität  mir  zufallen.  (Anmerkung  bei  der  Correctur.) 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


241 


Eröffnung  der  erkrankten  Nebenhöhlen  und  speciell  bei  ihrer  even¬ 
tuell  nöthigen  Auskratzung. 

Warum  er  aber  der  Jodoformgazetamponade  der  Highmors¬ 
höhle  vom  Proe.  alveolaris  aus  gar  nicht  erwähnt,  ist  bei  der  Be¬ 
quemlichkeit  und  Wirksamkeit  dieser  Methode  gar  nicht  ein- 
zusehenTZur  Behandlung  der  Highmorshöhleneiterung  zieht  er  die 
Anbohrung  von  der  Fossa  canina  der  durch  den  Processus  alveo¬ 
laris  vor. 

Die  Eröffnung  der  Siebbeinzellen  bewerkstelligt  er  mit  kleinen 
Häkchen  und  scharfen  Löffeln,  welche  den  G  r  ü  n  w  a  1  d’schen 
Instrumenten  ähnlich,  nur  viel  zarter  sind. 

Es  ist  nicht  zu  wundern,  dass  der  Autor  unter  den  von 
vielen  Seiten  empfohlenen  Methoden  die  auswählt,  die  er  mit  Vor¬ 
liebe  ausführt,  und  diese  besonders  empfiehlt.  Doch  werden  auch 
die  anderen  besprochen,  so  dass  das  Buch  trotz  seiner  stark 
individuellen  Färbung  einen  Ueberblick  über  den  Stand  des 
Themas  gibt. 

Druck  und  Ausstattung  sind,  dem  Rufe  der  Verlagsbuchhand¬ 
lung  entsprechend,  vorzüglich;  fleissig  gearbeitete  Verzeichnisse  der 
Abbildungen,  Literaturangaben  und  Themata  ermöglichen  schnelles 
Orientiren  und  Nachschlagen.  0.  G  h  i  a  r  i. 

I.  Volvulus  coeci. 

Von  AV.  Zoege  v.  Manteuffel. 

Volkmann’sche  Sammlung'.  1899,  Nr.  260. 

Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel. 

II.  Die  Brüche  der  Mittelfussknochen  in  ihrer  Bedeutung 
für  die  Lehre  von  der  Statik  des  Fusses. 

Von  Gustav  Aluskat. 

Volkmann’sche  Sammlung.  1899,  Nr.  258. 

Ibidem. 

III.  La  gastrostomie. 

Par  J.  Braquehaye. 

Les  actualites  medicales. 

Paris  1900,  B  a  i  1 1  i  e  r  e. 

IV.  L’appendicite. 

Par  Ang.  Proca. 

Lesactualites  medicales.  Ibidem. 

V.  Chirurgie  du  foie  et  des  voies  biliaires. 

Par  J.  Pantaloni. 

Paris  1900,  Inst,  de  Bibliogr.  seien  t. 

VI.  A  Manual  of  Surgery. 

By  Charles  Stonham. 

London  1899,  Macmillan. 

Drei  Bände. 

VII  Ueber  Amputationen  und  Exarticulationen. 

Von  August  Bier. 

Volkraann’sche  Sammlung.  1900.  Nr.  264. 

Leipzig,  Breitkopf  und  Härtel. 

I.  Zoege  v.  Manteuffel  hat  zuerst  im  Jahre  1898  auf 
die  Darmstenosen  hingewiesen,  welche  durch  Achsendrehungen  des 
Cöcums  zu  Stande  kommen  und  bespricht  nun  an  der  Hand  von 
acht  eigenen  und  fünf  fremden  Beobachtungen  dieser  Art  das 
Krankheitsbild  des  Volvulus  coeci.  Die  durch  schematische  Zeich¬ 
nungen  illustrirte  Arbeit  bedeutet  eine  wesentliche  Bereicherung 
unserer  Kenntnisse  in  dem  so  schwierigen  Gebiete  und  ist  nicht 
nur  für’  den  Fachmann,  sondern  auch  für  den  praktischen  Arzt 
von  grösster  Wichtigkeit,  da,  wie  Zoege  v.  Manteuffel  an 
seinen  eigenen  Fällen  zeigt,  die  Diagnose  bei  genügender  Unter¬ 
suchung  in  der  Regel  nicht  nur  bezüglich  des  Sitzes  der 
Krankheit,  sondern  auch  bezüglich  der  Unterscheidung,  ob 
es  sich  um  Strangulation  oder  Obturation  handelt,  zu  stellen  ist; 
es  braucht  nicht  besonders  betont  zu  werden,  dass  eine  rechtzeitige 
Diagnose  das  Leben  des  Patienten  retten  kann.  Auf  die  örtliche 
Diagnose  leitet  uns  der  locale  Meteorismus,  auf  die  causale  der 
Verlauf.  Bei  der  Strangulation  ist  der  Beginn  stets  ein  plötzlicher, 
oft  im  Anschlüsse  an  bestimmte  heftige  Bewegungen,  meist  stellt 
sich  gleich  anfangs  Erbrechen,  erhöhte,  auch  febrile  Temperatur  bei 
heftigen  Schmerzen  ein.  Der  Puls  ist  zu  Beginn  nicht  frequenl, 
eine  Pulszahl  von  190  und  mehr  macht  es  schon  wahrscheinlich, 
dass  Peritonitis  entstanden  ist,  welche  bekanntlich  fast  immer  auch 
Trockenheit  der  Zunge  mit  sich  bringt.  Bei  der  Obturation  sind 
fast  immer  schon  früher  leichtere  Anfälle  vorausgegangen,  auch 
beginnt  der  Symptomencomplex  nicht  so  plötzlich,  einmal  z.  B. 
bildete  er  sich  innerhalb  14  Tagen  heraus,  die  Erscheinungen  fordern 
oft  weniger  kategorisch  zur  Operation  auf.  Gerade  aus  diesem 


Grunde  hält  der  Autor  die  Obturation  für  besonders  gefährlich, 
da  leicht  der  richtige  Zeitpunkt  zum  Operiren  versäumt 
werden  kann. 

* 

II.  Brüche  der  Mittelfussknochen  kommen  beim  Civil  sehr 
selten,  beim  Militär  sehr  häufig  vor,  wurden  aber  vor  der  An¬ 
wendung  der  Röntgen-Untersuchungen  lange  verkannt.  Sie  betreffen 
in  54'5%  der  Fälle  den  zweiten,  in  36‘8%  den  dritten  Mittelfuss¬ 
knochen.  Daraus  deducirt  der  Autor,  dass  diese  beiden  Knochen 
gemeinsam  den  vorderen  Stützpunkt  des  normalen  Fusses  darstellen. 
Danach  wäre  hiemit  die  Ansicht  H.  v.  M  e  y  e  r's  widerlegt,  welcher 
nur  den  dritten  Metatarsalkochen  als  Stützpunkt  anspricht  und  die 
Auffassung  Beel  y’s  findet  eine  neue  Bestätigung,  jedoch  mit  der 
Ausnahme,  dass  nicht  beide  Knochen  zusammen,  sondern  jeder  für 
sich  in  Betracht  kommen.  Dagegen  widerspricht  Muskat  der  An¬ 
schauung  Beely’s,  dass  auch  die  Tuberositas  metatarsi  quinti  bei 
Belastung  des  einzelnen  Beines  mit  als  Stütze  diene,  weil  die 
Fracturen  des  fünften  Mittelfussknochens  nur  0  6%  der  Fälle  aus¬ 
machen.  Als  Ursache  für  die  Fracturen  gerade  beim  Militär  be¬ 
zeichnet  Muskat  die  Belastung  des  Fusses  -j-  dem  Factor  des 
Schwunges,  welche  besonders  beim  »Marschiren  im  Tritt«  und 

»Parademarsch«  zur  Geltung  kommen. 

* 

III.  B  r  a  q  u  e  h  a’y  e  gibt  eine  ausführliche  Uebersicht  der 
Gastrostomie  in  historischer  Beziehung,  in  Hinsicht  auf  die  Indications- 
stellung  und  eine  ziemlich  erschöpfende  Aufzählung  der  Operations¬ 
methoden,  theilweise  mit  kritischer  Beleuchtung.  Neue  Thatsachen 
und  Gesichtspunkte  finden  sich  in  dem  Werkchen  nicht,  doch  dar! 
dasselbe  immerhin  als  eine  bibliographisch  recht  brauchbares  Aus¬ 
kunftsmittel  dienen.  Braquehaye  zieht  allen  anderen  die  Me¬ 
thode  von  F  o  n  t  a  n  (1896)  vor,  welche  stets  vorzügliche  Resultate 
gab.  Sie  besteht  in  Folgendem:  Durch  den  Fenger’schen  Schnitt 
zieht  man  mittelst  einer  Pince  den  oberen  Theil  des  Magens  nahe 
der  kleinen  Curvatur  vor,  so  dass  eine  conische  Magenhernie 
gebildet  wird,  an  deren  Basis  das  Perit.  parietale  angenäht  wird. 
Dann  stülpt  man  mit  Hilfe  der  Pince  die  Magenhernie  handschuh- 
fingerförmig  ein  und  bildet  aus  dem  invaginirenden  Theile  durch 
Sero-Serosanälite  Falten  in  Kreuzform,  so  dass  nach  Entfernung 
der  Pince  ein  »bischofsmützenartiger«  Canal  bleibt,  dessen  Spitze 
durchbohrt  wird.  Zum  Schlüsse  wird  ein  Katheter  eingeführt  und 
einige  Tage  in  situ_T>elassen. 

* 

IV.  Unter  der  Unzahl  von  Aufsätzen  über  die  Appendicitis, 
welche  für  das  Bedürfniss  des  Nichtchirurgen  geschrieben  sind, 
nimmt  dies  Büchlein  durch  frische  und  klare  Darstellung,  ent¬ 
sprechende  Würdigung  der  einzelnen  Capitel  und  wohlthätige 
Reserve  einen  ehrenvollen  Platz  ein.  Der  Verfasser  gehört  nicht  zu 
den  »Radicalen«,  welche  stets  im  Beginne  der  Erkrankung  zum 
Messer  greifen  wollen,  sondern  zu  den  »Opportunisten«,  welche 
verlangen,  dass  jede  Appendicitis  von  dem  Chirurgen  behandelt  und 
mit  dem  Messer  in  der  Hand  bewacht  werde,  um  im  richtigen 
Momente  der  Operation  zu  verfallen. 

Bekanntlich  ist  dieser  Standpunkt  auch  bei  uns  fast  allgemein 
acceptirt. 

In  ätiologischer  Beziehung  hält  Broca  die  Influenza  für  sehr 
wichtig  und  erklärt  daraus  die  bedeutende  Zunahme  der  Krankheits¬ 
fälle,  welche  er  in  den  letzten  Jahren  und  besonders  seit  der 
grossen  Influenza-Epidemie  von  1890  sah. 

Bei  Abscessen  verzichtet  er  auf  die  Exstirpation  des  Processus, 
bei  der  Resection  ä  froid  unterbindet  er  denselben  in  toto  an  der 
Wurzel  und  exstirpirt  darauf  die  Mucosa  des  Stumpfes  mit  der 
Scheere,  worauf  die  übliche  Einstülpungsnaht  des  Cöcums  ausge¬ 
führt  wird. 

* 

V.  Das  gross^angelegte  Werk  von  über  600  Seiten  enthält 
eine  erschöpfende  Akiurgie  der  Leber  und  Gallenwege  auf  Grund¬ 
lage  der  internationalen  Literatur,  welche  mit  grossem  Fleisse  be¬ 
arbeitet  ist.  Es  besteht  aus  vier  Theilen:  1.  Die  Operationen  an 
der  Leber  selbst,  als  Ganzes,  die  eigentliche  Leberchirurgie;  2.  die 
Operationen  an  den  Adnexen  der  Leber  (Ligamente,  Drüsen,  grosse 
Gefässe);  3.  und  4.  die  Operationen  an  den  Gallenwegen,  und  zwar 
getrennt  die  Eingriffe,  welche  das  gesammte  System  betreften  und 
jene,  welche  einzelne  Theile  angehen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


2  42 


Bei  wissenschaftlichen  Arbeiten  wird  das  Buch  vorzügliche 
Dienste  thun,  indem  es  die  Auffindung  versteckter  Angaben  er-  ' 
leichtert  und  etwa  eine  schnelle  Orientirung  ermöglicht,  wenn 
man  sich  nach  gemachter  Operation  über  Aehnliches  Raths  er¬ 
holen  will. 

Zum  Studium  erscheint  dem  Referenten  die  Anordnung  speciell 
für  die  Gallenblasenchirurgie  ungeeignet;  t, Nicht  ein  Auseinander¬ 
zerren,  sondern  im  Gegentheil  eine  möglichst  concentrirte  Ueber- 
sichtlichkeit  thut  bei  einem  so  complicirten  Gebiete  Noth,  bei  dem 
man  nach  Belieben  neue  Namen  für  verschiedene  operative  Mass¬ 
nahmen  einführen  könnte. 

Hier  sollte  man  eine  Bibliothek  nicht  nach  dem  Format, 
sondern  nur  nach  dem  Inhalt  ordnen. 

Sehr  zweckmässig  ist,  dass  von  den  vielen  Abbildungen  ein 
grosser  Theil  den  Originalabhandlungen  entnommen  ist,  was  der 
Uebersichtlichkeit  gute  Dienste  leistet;  dagegen  wäre  es  weniger 
notlnvondig  gewesen,  Scalpelle,  Laminariastifte  etc.  unter  die  Ab¬ 
bildungen  aufzunehmen,  da  man  doch  glauben  sollte,  dass  ein 
Operateur,  der  sich  an  Leberchirurgie  macht,  solche  Dinge  kennt. 

Zum  Schlüsse  möchte  sich  Referent  noch  eine  Bemerkung 
erlauben:  Auf  pag.  45  findet  sich  gelegentlich  der  Leberzerreissung 
folgende,  auch  bei  anderen  Autoren  oft  angewendete  Phrase:  »Mieux 
vaut  cent  laparatomies  inutiles,  forcement  benignes,  qu’une  seule 
mort  par  intervention  retardee  on  non  executee.«  Richtig!  Aber  es 
gibt  nicht  100  absolut  ungefährliche  Laparotomien!  Die  Asepsis 
allein  macht  es  nicht,  unter  100  Laparotomien  wird  vielleicht 
doch  sogar  mehr  als  eine  durch  die  Narkose,  durch  Herzschwäche 
oder  Pneumonie  u.  dgl.  grosse  Lebensgefahr  bringen.  Referent  würde 

sich  100  unnöthige  Laparotomien  nicht  gestatten. 

* 

VI.  Das  Compendium  der  Chirurgie  beruht  nach  S  t  o  n  h  a  m's 
eigener  Angabe  auf  einer  16jährigen  Erfahrung  als  Spitalsarzt  und 
Lehrer.  Die  Anordnung  ist  eine  übersichtliche,  die  Ausführlichkeit 
im  Verhältniss  zum  Umfang  des  Werkes  bemerkenswerth. 

Der  erste  Band  enthält  die  allgemeine  Chirurgie  inclusive 
—  was  bei  uns  bekanntlich  nicht  üblich  ist  —  eines  57  Seiten  ausfüllenden 
Abrisses  über  Pathologie  und  Therapie  der  Gonorrhoe  und  Syphilis. 
Der  zweite  Theil  enthält  unter  dem  Titel  »Injuries«  zunächst  die 
Principien  der  Wundheilung  und  die  Pathologie  der  Wunden,  der 
Blutstillung  und  einen  grossen  Theil  der  Operationslehre,  das  Ganze 
mehr  weniger  um  den  Gegenstand  »Verletzung«  gruppirt.  Hier  sei 
das  Capitel  über  Naht  und  Nahtmaterial  erwähnt,  in  welchem  der 
Autor  in  mancher  Hinsicht  von  den  unseren  abweichende  An¬ 
schauungen  vorbringt.  Als  Nahtmaterial  empfiehlt  er  vorzugsweise 
Rosshaar,  für  Entspannungsnähte  Silberdraht.  Die  Knopfnaht  wird 
der  fortlaufenden  stets  vorgezogen,  weil  eine  Schlinge  von  der 
anderen  unabhängig  sei.  Für  versenkte  Nähte  werden  Schwefel¬ 
chromgut  oder  -Seide,  für  die  tiefen  Nähte  bei  Hernienoperation 
Känguruh-Sehnen  empfohlen.  Bei  der  Bauchnaht  schreibt  S  t  on  h a  m 
vor,  zuerst  Silkwormgutnähte  durch  die  ganze  Dicke  der  Bauch¬ 
wand  zu  legen,  dann  jede  Schichte  einzeln  mit  Chromgut  zu  ver¬ 
nähen  und  darüber  die  tiefen  Nähte  zu  knüpfen.  Beim  Vorhanden¬ 
sein  grösserer  Wundhöhlen  (z.  B.  nach  Mammaamputation)  wird  für 
drei  Tage  oder  länger  ein  Drain  eingelegt. 

Der  dritte  und  umfangreichste  Theil  enthält  die  specielle 
Chirurgie,  welche  verhältnissmässig  kurz  gefasst  ist.  Sehr  hübsch 
sind  hier  besonders  die  typischen  Operationen  und  unter  diesen 

vor  Allem  die  Unterbindungen  abgehandelt. 

* 

VII.  Die  Abhandlung  dürfte  einen  wichtigen  Umschwung  in 
der  Technik  der  Abtragungen  an  den  unteren  Extremitäten  zur 
Folge  haben.  Bekantlich  hat  sich  Bier  schon  seit  längerer  Zeit 
mit  dieser  Frage  beschäftigt  und  auch  sehr  zweckmässige  Ope¬ 
rationsmethoden  angegeben.  Die  vorliegende  Arbeit  begründet  seine 
Ansichten  über  die  Tragfähigkeit  der  Stümpfe  in  logischer  und 
scharfsinniger  Weise,  so  dass  es  über  kurz  oder  lang  keinen  den¬ 
kenden  Arzt  mehr  geben  wird,  der  sich  ihnen  nicht  anschliesst. 
Es  wird  bewiesen,  dass  es  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  nur 
einen  Grund  gibt,  welcher  die  Tragfähigkeit  verhindert,  d.  i.  die 
Empfindlichkeit  der  ungeschützten  Knochennarbe. 

Von  den  alten  Postulaten  ist  nur  noch  eines  zu  Recht  be¬ 
stehend.  Die  Hautnarbe  soll  nicht  an  einer  belasteten  Stelle  liegen, 
jedoch  kann  auch  in  solchen  Fällen  noch  ein  gutes  Resultat  erzielt 


werden.  Tragfähige  Stümpfe  liefern  also  alle  Exarticulationen: 
S  y  m  e  (ohne  Amputation),  M  a  1  g  a  i  g  n  e,  Knie  und  Oberschenkel- 
enucleation,  ferner  osteoplastische  Amputationen:  Pirogoff  und 
seine  Modificationen,  Gritti  (dieser  wegen  der  Beschaffenheit  der 
Patella  nicht  zu  empfehlen),  Sabanjeff  etc.  Die  Bier’sche  Me¬ 
thode  der  osteoplastischen  Methode  ist  leicht  ausführbar,  da  hiebei 
jetzt  stets  zuerst  der  Weichtheillappen  abgelöst  und  hierauf 
mittelst  der  vom  Autor  modificirten  Hel  ferich’schen  Säge  der 
Periost-Knochenlappen  gebildet  wird.  Die  erzielten  Resultate  über¬ 
ragen  zweifellos  alles’  bisher  Erreichte. 

K.  B  ü  d  i  n  g  e  r. 

Handbuch  der  praktischen  Chirurgie. 

Herausgegeben  von  E.  v.  Bergmann,  I*.  v.  Bruns  und  J.  v.  Mikulicz. 

Stuttgart  1900,  F.  Enke. 

Das  Werk  ist  bis  zur  10.  Lieferung  gediehen.  Wir  hatten 
bereits  Gelegenheit,  die  ersten  Hefte  anzuzeigen  und  auf  die  vor¬ 
treffliche  Bearbeitung,  die  namentlich  einzelne  Capitel  auszeichnete, 
hinzuweisen.  Viele  der  bedeutenderen  Abschnitte  des  Werkes  sind 
ja  von  denselben  Autoren,  die  auch  bei  dem  vorliegenden  Hand¬ 
buche  mitwirken,  in  der  »Deutschen  Chirurgie«  bearbeitet  worden, 
nur  finden  sie,  dem  Programm  der  »praktischen  Chirurgie«  ent¬ 
sprechend,  hier  eine  knappere,  mehr  dem  praktischen  Bedürfnissen 
angepasste  Wiedergabe.  Als  besonders  werthvolle  zusammenfassende 
Bearbeitungen,  die  auch  wirklich  neue  Erscheinungen  der  chirur¬ 
gischen  Literatur  sind,  begrüssen  wir  die  monographische  Darstellung 
der  Krankheiten  und  Verletzungen  der  Schilddrüse  von  v.  Eiseis¬ 
berg  und  der  Krankheiten  und  Verletzungen  der  Speiseröhre  von 
v.  Hacke  r. 

Man  hätte  nicht  leicht  berufeneren  Autoren  die  Bearbeitung 
gerade  dieser  Capitel  anvertrauen  können.  Es  ist  allgemein  ge¬ 
würdigt,  welcher  Antheil  v.  Eiseisberg  an  der  Ausgestal¬ 
tung  der  Lehre  namentlich  der  physiologischen  Bedeutung  der 
Schilddrüsenfunction  für  den  Organismus  zukommt.  Wie  seine  dies¬ 
bezüglichen  Arbeiten  zum  grössten  Theile  noch  in  seine  Assistenten¬ 
jahre  an  der  B  i  1 1  r  o  th’schen  Klinik  zurückdatiren,  so  bezieht  er 
sich  auch  in  diesem  Werke  noch  vielfach  auf  die  reichen  Er¬ 
fahrungen,  die  er  in  diesem  Wirkungskreise  zu  sammeln  Gelegenheit 
hatte.  In  anatomischer  Hinsicht  fusst  er  hauptsächlich  auf 
Wölfler’s  einschlägigen  grundlegenden  Arbeiten.  Es  ist  erfreulich, 
ein  so  wichtiges  Capitel  der  modernen  Chirurgie  trotz  aller  Knapp¬ 
heit  der  Diction,  die  ein  umständliches  Abschweifen  auf  Unwesent¬ 
liches  ausschliesst,  so  klar  und  abgerundet  dargestellt  zu  sehen: 
eine  concentrirte  Wiedergabe  alles  Wissenswerten,  ausgehend  von 
einer  auf  viele  Jahre  ausgedehnten,  eindringenden  eigenen  Forscher¬ 
arbeit  bei  voller  Berücksichtigung  aller  beachtenswerten  Erfahrungen 
und  Arbeitsergebnisse  Anderer. 

v.  Hacker’s  Verdienste  um  die  Durchbildung  der  Technik 
der  Oesophagoskopie,  seine  auf  breiter  anatomischer  Basis  durch¬ 
geführten  Studien  über  die  Stricturen  des  Oesophagus,  die  erfolg¬ 
reiche  Einführung  wichtiger  chirurgischer  Methoden  (Sondirung 
ohne  Ende,  Technik  der  Gastrostomie)  prädestinirten  ihn  gleichsam 
für  die  monographische  Bearbeitung  der  Speiseröhrenkrankheilen. 
Seit  König  in  seinem  vortrefflichen  Buche  dasselbe  Thema  be¬ 
handelte,  ist  gerade  auf  diesem  Gebiete  so  viel  Neues  hinzu¬ 
gekommen.  dass  es  sehr  an  der  Zeit  war,  wieder  einmal  eine  Ueber- 
sicht  des  gegenwärtigen  Wissensstandes  zu  geben.  Es  hätte  diese 
Aufgabe  kaum  in  vollkommener  Weise  gelöst  werden  können,  als 
dies  durch  v.  Hacker  geschehen  ist,  und  seine  Arbeit  wird  für 
die  nächste  Zukunft  für  die  Lehre  von  den  Krankheiten  und  Ver¬ 
letzungen  der  Speiseröhre  ebenso  massgebend  bleiben  als  es  bisher 
das  Buch  von  König  war.  Alex.  Fraenkel. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

65.  (Aus  dem  pharmakologischen  Institute  in  Würzburg.) 
Ueber  das  Verhalten  des  Brom  im  Thierkörper.  Von 
Dr.  Fessel.  Die  toxischen  Wirkungen  des  Brom  sind  zunächst 
damit  zu  begründen,  dass  das  Brom,  statt  gleich  dem  Jod  zum 
grössten  Theile  wieder  ausgeschieden  zu  werden,  im  Körper  unter 
theilweiser  Verdrängung  des  Chlor  in  grosser  Menge  zurückgehalten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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wird.  So  wurde  hei  längerem  Bromgebrauch  im  Magensaft  statt 
Salzsäure  Bromwasserstoffsäure  gefunden.  Laudenheimer  fand 
bei  einem  sonst  gesunden  Epileptiker,  welcher  täglich  10  <7  Brom¬ 
natrium  bekam,  nach  Verlauf  von  acht  Tagen  nur  30  «7  Bromsalz 
ausgeschieden.  Es  wird  täglich  immer  mehr  Brom  ausgeschieden, 
bis  endlich  die  Ausfuhr  gleich  der  Zufuhr  wird,  was  bei  einem 
diesbezüglich  beobachteten  Patienten  am  17.  Tage  eingetreten 
war.  Ein  ähnliches  Verhalten  zeigten  auch  Versuchshunde,  denen 
Bromsalz  verfüttert  worden  war.  Gleichzeitig  wurde  bei  den  Hunden 
beobachtet,  dass  die  Ausscheidung  des  Brom  wesentlich  durch 
Darreichung  grösserer  Kochsalzgaben  beschleunigt  werden  konnte. 
Bei  einem  Thiere,  das  im  Ganzen  20  g  Bromnatrium  erhalten  hatte, 
konnte  noch  nach  zehn  Wochen  Brom  im  Harn  nachgewiesen 
werden,  während  der  Hund,  welcher  nachträglich  Kochsalz  be¬ 
kommen  hatte,  schon  in  der  Hälfte  der  Zeit  mit  der  Bromaus¬ 
scheidung  zu  Ende  war.  Was  die  Vertheilung  des  Brom  im  Orga¬ 
nismus  betrifft,  so  wurde  die  Hauptmengo  beim  Hunde  im  Blut, 
ferner  im  Gehirn  gefunden.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  89.) 

* 

6ß.  (Aus  der  medicinischen  Poliklinik  des  Prof.  v.  Mering 
in  Halle.)  U  e  b  e  r  die  Wirkung  einiger  Morphinderi¬ 
vate  auf  die  A  t h m u n g  des  Menschen.  Von  Dr.  W  i n  t  e r- 
n  i  t  z.  Ueber  die  Wirkung  des  Morphin  hinsichtlich  der  Abnahme 
der  Erregbarkeit  des  Athemcentrums  besteht  kein  Zweifel;  anders 
verhält  es  sich  mit  dessen  Derivaten,  deren  diesbezügliche  Wirk¬ 
samkeit  er  durch  Versuche  an  gesunden  Menschen  festzustellen 
bemüht  war.  Nach  denselben  soll,  entgegen  manchen  anderen  An¬ 
gaben,  C  o  de  i  n  (Methylmorphin)  und  D  i  0  n  i  n  (salzsaures  Aethyl- 
morphin)  die  Erregbarkeit  des  Athemcentrums  nicht  beeinträchtigen, 
das  Heroin  (Diacetylmorphin)  dagegen  dieselbe  beträchtlich  herab¬ 
setzen.  Die  betreffs  des  Codein  und  Dionin  erhaltenen  Ergebnisse 
sind  hinsichtlich  ihrer  therapeutischen  Verwendung,  namentlich  bei 
der  Phthise,  insoferne  nicht  ohne  Bedeutung,  als  aus  ihnen  hervor¬ 
geht,  dass  sie  die  Lungengymnastik  nicht  beeinträchtigen,  wobei 
auch  noch  in  Betracht  kommt,  dass  sie  die  Expectoration  nicht 

behindern,  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1899,  Nr.  9.) 

* 

67.  Ueber  Erbrechen  kaffeesatzartiger  Massen 
nach  gynäkologisch-geburtshilflichen  Narkosen. 
Von  Dr.  Beuttner  (Genf).  Es  werden  sieben  Fälle  beschrieben, 
in  denen  während  oder  kürzere  oder  längere  Zeit  nach  der  Ope¬ 
ration  kaffeesatzartige  Massen  erbrochen  wurden,  was  zum  Theil 
schwerste  Anämie  zur  Folge  hatte.  Magen-  und  Herzkrankheiten 
hatten  nicht  bestanden,  Chloroform,  Aether  und  Technik  waren 
ätiologisch  nicht  direct  zu  beschuldigen,  ln  einem  zur  Section 
gelangten  Falle  (Myomoperation  von  5'/2  Stunden  Dauer)  wurden 
im  Magen  zahlreiche  hämorrhagische  Erosionen  gefunden.  Die  ge¬ 
nannte  Erscheinung  ist  ätiologisch  nicht  recht  aufgeklärt.  Möglicher 
Weise  spielen  zwei  Ursachen  hier  eine  Rolle:  die  venöse  Stauung 
in  Folge  der  Narkose  und  eine  reichliche  Salzsäuremenge  im  Magen. 

—  (Corrcspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1899,  Nr.  18.) 

* 

68.  Prof.  W  y  s  s  demonstrirte  im  ärztlichen  Centralverein  zu 
Zürich  einen  von  einem  achtjährigen  Mädchen  entfernten,  manns¬ 
kopfgrossen  Ovarialtumor,  welcher  sich  als  ein  sehr  ausgesprochenes 
Teratom  erwies.  Dasselbe  enthielt  drei  wirbelkörperähnliche 
Knochen,  Knorpel,  Gehirnsubstanz,  Haarbälge,  Schweiss-  und  Talg¬ 
drüsen  in  den  Cystenwandungen,  sowie  Bildungen,  welche  man  als 
Chorioidea,  beziehungsweise  Retina  auffassen  zu  können  glaubte. 

—  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1899,  Nr.  18.) 

Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Der  Verband  der  Aerzte  Wiens  versendet  nachstehenden 
Aufruf : 

Collegen  !  Die  Organisation  der  Aerzte  Wiens  ist  vollzogen  ! 

Müde  der  langen,  unfruchtbaren  Gegnerschaft,  geeinigt  in  der 
Erkenntniss,  dass  die  den  ärztlichen  Stand  von  allen  Seiten  bedrohen¬ 
den  Gefahren  nur  durch  einmüthiges  Vorgehen  abgewehrt  werden 
können,  gedrängt  durch  die  erschreckend  um  sich  greifende  Nothlage 
eines  grossen  Theiles  tüchtiger  und  braver  Collegen,  haben  die 


Aerztevereine  Wiens  mit  seltener  Einmüthigkeit  in  dem  „Ver¬ 
bände  der  Aerzte  Wiens“  eine  festgeschlossene  Organisation 
geschaffen. 

Dieser  Verband  hat  sich  am  17.  Februar  1900  auf  Grund  der 
von  der  k.  k.  Statthalterei  genehmigten  Statuten  constituirt  und 
einen  Centralausschuss  gewählt,  in  welchem  alle  Vereine  durch  ihre 
Obmänner  und  Delegirten  vertreten  sind.  Gross  und  wichtig  sind  die 
Aufgaben,  welche  dieser  Verband  zu  lösen  hat. 

Nicht  nur  das  gesunkene  Ansehen  des  ärztlichen  Standes,  die 
Einbusse,  die  derselbe  in  seiner  socialen  Stellung  erlitten  hat,  sondern 
ganz  besonders  die  wirtschaftlichen  Schäden,  die  dem  Aerztestande 
durch  planmässige  Missachtung  seiner  gerechten  Forderungen  zugefügt 
werden,  erheischen  ein  geschlossenes,  zielbewusstes  Vorgehen.  Seit 
einem  Decennium  leiden  wir  an  den  drückenden  Consequenzen  eines 
Krankenversicherungsgesetzes,  welches  ohne  Mitwirkung  der  Aerzte 
geradezu  gegen  deren  vitalste  Interessen  geschaffen  wurde,  eines  Ge¬ 
setzes,  dessen  Ausdehnung  auf  immer  weitere  Kreise  des  Mittelstandes 
unseren  vollständigen  materiellen  Ruin  herbeizuführen  droht. 

Die  Angriffe,  welche  die  Aerzte  von  den  verschiedensten  Seiten, 
insbesondere  den  Anhängern  der  sogenannten  Naturheilmethode  er¬ 
leiden  müssen,  haben  Dimensionen  angenommen,  die  nach  jeder 
Richtung  hin  den  ärztlichen  Stand  zu  untergraben  geeignet  sind.  Die 
in  letzterer  Zeit  sich  häufenden  Fälle  von  Ertheilung  der  Praxis¬ 
berechtigung  an  kenntnisslose  und  gesetzlich  unberechtigte  Laien¬ 
personen  fügen  dem  ärztlichen  Stande  in  jeder  Beziehung  einen  er¬ 
heblichen  Schaden  zu.  Die  Ausnützung  der  nur  für  Arme  bestimmten 
Kranken-  und  Humanitätsanstalten  durch  Wohlhabende  hat  die  Aerzte 
schon  längst  zu  einem  bisher  leider  erfolglosen  Einschreiten  gegen 
diesen  Missbrauch  veranlasst. 

Gegen  alle  diese  Schäden  und  die  vielen  anderen  den  ärzt¬ 
lichen  Stand  schwer  bedrückenden  Uebelstände  vorzugehen,  ist  eine 
so  dringende  und  wichtige  Aufgabe,  dass  sie  trotz  ihrer  Schwierig¬ 
keit  nicht  rasch  und  energisch  genug  in  Angriff  genommen 
werden  kann. 

Gelingt  es  uns,  auch  nur  in  einigen  dieser  Punkte  Erfolge  zu 
erzielen,  dann  haben  wir  den  Boden  geschaffen,  auf  dem  unsere 
legale  Vertretung,  die  A  e  r  z  t  e  k  a  m  m  e  r,  eine  wirklich  erspriessliche 
Thätigkeit  entfalten  kann.  Dann  werden  wir  mit  Recht  die  Aerzte- 
kammer  als  den  Schlussstein  unserer  Organisation  betrachten  können 
und  werden  ihr  —  wenn  wir  geschlossen  und  geeinigt 
hinter  ihr  stehen  —  Macht  und  Einfluss  verleihen. 

Das  Schwergewicht  unserer  Organisation  liegt 
in  den  Vereinen.  Nur  sie  sind  im  Stande,  den  Bau,  den  wir 
mühsam  und  hoffnungsfreudig  aufgeführt  haben,  zu  stützen  und  zu 
erhalten.  Sie  sollen  durch  ihre  agitatorische  Thätigkeit  die  Theilnahme 
der  Collegen  anregen,  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  in  ihnen 
erwecken  und  die  widerstrebenden  Elemente  heranzuziehen  suchen. 

Von  den  Collegen  erwarten  wir,  dass  sie  es  als  eine  Pflicht 
ansehen,  selbstthätig  in  die  Organisation  des  Standes  einzugreifen  und 
sich  durch  sofortigen  Eintritt  in  einen  der  bestehenden  ärztlichen 
Vereine  dem  Verbände,  der  ja  alle  Berufsgenossen  umfassen  soll,  an- 
zuschliessen. 

Collegen  !  Wir  haben  keine  Opfer  gescheut,  um  das  schwierige 
und  doch  von  Allen  so  sehr  ersehnte  Werk  der  Einigung  zu  Stande 
zu  bringen.  Wir  haben  dies  gethan  in  dem  festen  Vertrauen  auf 
Euere  Uebereinstimmung  mit  uns,  auf  Euere  Unterstützung  und  Mit¬ 
wirkung.  Bringt  auch  Ihr  uns  dasselbe  Vertrauen  entgegen.  Seid  Un¬ 
entschlossen,  an  dem  Bunde,  den  wir  gegründet,  festzuhalten,  dann 
muss  unsere  gerechte  Sache  den  Sieg  erringen. 


Dr. 


Das  Präsidium: 
Dr.  Josef  Heim 


Präsident. 


Ludwig  Stricker 
Vicepräsident. 

D  e  r 


Vorstand 


Dr.  Adolf  Gruss 
Vicepräsident. 


Dr.  Ferdinand  Steiner 
erster  Schriftführer. 

Dr.  Adolf  Klein 
Säckelwart. 

Dr.  Josef  Kornfeld. 
Dr.  Josef  Scholz. 


Dr.  Heinrich  J  e  1  1  i  n  e  k 
zweiter  Schriftführer. 

Dr.  II  a  ns  v.  Woerz 

Säckelwart-Stell  Vertreter. 

Dr.  Hans  Sc  h  u  m. 

Dr.  Rudolf  Weiser.  * 


Verliehen:  Den  Primarärzten  und  Abthoilungsvorständen 

des  allgemeinen  Krankenhauses  in  Wien  Dr.  Franz  Scholz 
und  Prof.  Dr.  Johann  Ilofmokl  der  Titel  eines  Hofrathes. 
Dem  Zahnarzte  Dr.  Karl  J  arisch  in  Wien  der  1  itel  eines 
Regierungsrathes.  —  Dem  Primarärzte  und  Leiter  des  Leopoldstäd  er 
Kinderspitales  in  Wie  n,  Dr.  Balthasar  Unterhölzer,  das 
Ritterkreuz  des  Franz  Josef  Ordens  und  dem  Director  des  Kaiser 
Franz  Josef  Ambulatoriums  in  W  i  e  n,  Dr.  Leopold  Dörnen  v,  dei 


244 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


Titel  eines  kaiserlichen  Rathes.  —  Dem  Besitzer  der  Wasserheil¬ 
anstalt  in  Vöslau-Gainfarn,  Dr.  Theodor  Fried  mann, 
der  Titel  eines  kaiserlichen  Rathes. 

* 

Gestorben:  Der  Professor  der  Neurologie  in  Brooklyn, 
Dr.  Sha  w.  —  Der  Privatdocent  für  Neurologie,  Dr.  P  a  c  e  1 1  i 
in  Rom. 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrathes  am 
24.  Februar  d.  J.,  welcher  mit  Rücksicht  auf  die  zur  Verhandlung 
gelangenden  pharmaceutischen  Angelegenheiten  auch  die  Vertreter  des 
Apothekerstandes  zugezogen  worden  sind,  gelangten  nach  Mittheilung 
über  verschiedene  Geschäftsangelegenheiten  durch  den  Vorsitzenden 
Ilofrath  v.  Vogel  nachstehende  Referate  zur  Erledigung:  1.  Beur- 
theilung  verschiedener  von  einem  Materialwarenhändler  erzeugten  und 
in  Verkehr  gebrachten  Arzneizubereitungen  in  Bezug  auf  ihre  Zu¬ 
lässigkeit  (Referent:  Sections  Chef  v.  Kusy).  2.  Gutachten  über  die 
von  der  belgischen  Academie  royale  de  medecine  angeregte  Verfassung 
einer  internationalen  Pharmakopoe  für  heroische  Mittel  (Referent :  Hof¬ 
rath  v.  Vogl  namens  des  pharmaceutischen  Comites).  3.  Gutachtliche 
Aeusserung  über  die  Qualification  der  Bewerber  um  eine  erledigte 
Oberbezirksarztesstelle  in  Dalmatien  (Referent :  ausserordentliches 
Mitglied  des  Obersten  Sanitätsrathes,  Ministerialrath  Dr.  J.  D  a  i  m  e  r). 

4.  Begutachtung  eines  Gesetzentwurfes,  betreffend  die  Neuregelung  der 
Dienstverhältnisse  der  staatlichen  Veterinärorgane  (Referent :  Professor 
P  o  1  a  n  s  k  y).  5.  Gutachten  über  ein  für  den  Unterricht  an  BilduDgs- 
cursen  für  Kindergärtnerinnen  und  an  höheren  Mädchenschulen  be¬ 
stimmtes  Lehrbuch  der  praktischen  Kindererziehung  (Referent :  Hof¬ 
rath  C  h  r  o  b  a  k).  Schliesslich  gelangte  ein  Initiativantrag  des  Pro¬ 
fessors  P  o  1  a  n  s  k  y,  betreffend  die  Einsetzung  eines  ständigen  Fach- 
comitcs  des  Obersten  Sanitätsrathes  für  veterinäre  Angelegenheiten  zur 
Berathung  und  Beschlussfassung. 

* 

Congress  zur  Bekämpfung  der  Tuberculose. 
Auf  Veranlassung  des  neapolitanischen  Comites  der  „Lega  contro  la 
Tuberculosi“  wird  vom  25.  —  28.  April  1900  dieser  Congress  zu 
Neapel  stattfinden,  von  welchem  Ihre  Majestät  die  Königin  von  Italien 
geruht  hat,  das  Patronat  anzunehmen,  und  von  welchem  Se.  Ex- 
eellenz  der  Minister  B  a  c  c  e  1 1  i  der  Präsident  sein  wird.  Das  Geueral- 
comite,  dessen  Präsident  der  Senator  Prof.  De  R  e  n  z  i  und  dessen 
Secretär  der  Prof.  A.  Rubino  ist,  sorgt  für  die  Ordnung  des  Con¬ 
gresses,  dessen  Arbeiten  das  gleiche  Ziel  verfolgen,  wrelches  auf  dem 
Berliner  Congress  zuerst  angestrebt  ist.  Das  Ganze  ist  in  folgende 
Sectionen,  von  welchen  jede  ein  besonderes  Ordnungscomite  hat,  ein- 
getheilt :  1.  Aetiologie  und  Prophylaxis;  2.  Klinische 
Pathologie;  3.  Therapie;  4.  Sanatorien.  An  diesem  Con¬ 
gress  sind  berechtigt  Theil  zu  nehmen :  Aerzte,  Naturforscher,  Inge¬ 
nieure,  sowie  die  Vertreter  der  socialen  und  philanthropischen  Wissen¬ 
schaften.  Die  Einschreibungsgebühr  beträgt  für  jeden  20  Lire  (italienisch) 
und  berechtigt  zum  Empfange  der  Beglaubigungskarte  und  dem 
Congressabzeichen,  sowie  zu  den  auf  der  Eisenbahn  und  den  Dampf¬ 
schiffen  gewährten  Fahrpreisermässigungen,  zum  Empfange  der  Congress- 
acten,  sowie  aller  zu  dieser  Gelegenheit  gemachten  Veröffentlichungen, 
zum  freien  Eintritt  in  die  Museen,  zum  Besuche  von  Pompeji,  Herculanum 
u.  s.  w.  Die  Damen  der  Congressisten  können  nach  Erlegung  der  gleichen 
Summe  von  20  Liren  an  dem  Congresse  theilnehmen.  Bei  Gelegenheit 
des  Congresses  werden  zahlreiche  Festlichkeiten  stattfinden  :  Empfang 
seitens  des  Municipiums  von  Neapel,  Galavorstellung  im  Theater 

5.  Carlo,  Ausflüge  mit  Lunch  nach  Pompeji,  Sorrento  und 
Capri,“  nach  Palermo  und  Besuch  des  Sanatoriums  „Hygiea“  (ge¬ 
gründet  vom  Commendatore  Florio).  Das  genaue  Programm  dieser 
Festlichkeiten  wird  den  Congressisten  möglichst  bald  mitgetheilt 
werden.  Die  Anmeldungen  sowfie  die  Einschreibungsgebühren  sind  zu 
richten  an  das  Secretariat  des  Generalcomites:  la  Clinica  Medica  della 
R.  Universifä  di  Napoli  (O  s  p  e  d  a  1  e  C  1  i  n  i  c  o). 

* 

Am  18.  Februar  hat  sich  in  Berlin  im  Sitzungssaale  des  Cultus- 
miuisteriums  des  Comite  für  Krebsforschung  constituirt,  zu 
dessen  vorläufigen  Vorsitzenden  v.  Leyden  und  Kirchner  ge¬ 
wählt  wurden.  Wie  die  Münchener  medicinische  Wochenschrift  Nr.  9 
mittheilt,  wurde  der  Plan  des  weiteren  Vorgehens  erörtert  und  die 
Betheiligung  aller  Aerzte,  aller  wissenschaftlichen  und  ärztlichen  Ver¬ 
einigungen,  Versicherungs-  und  Heilanstalten  an  der  Sammelforschung 
in  Aussicht  genommen.  Für  die  Ausarbeitung  von  Fragekarten  und 
Fragebogen  wurde  eine  besondere  Commission  ernannt. 

* 

Der  Bericht  über  den  zu  Berlin  von  24.  bis  27.  Mai  1899 
abgehaltenen  Congress  zur  Bekämpfung  der  Tuber 
c  u  1  o  s  e  als  Volkskrankheit,  redigirt  von  Dr.  P  a  n  n  w  i  t  z 


und  herausgegeben  von  der  Congressloitung,  ist  nun  in  Buchform, 
855  Seiten  stark,  erschienen. 

* 

Nach  einem  vorliegenden  ersten  Hefte  der  „B  i  b  1  i  o  g  r  a  p  h  i  a 
medica“  wird  nun  in  Frankreich  der  Versuch  gemacht  den  „Index 
medicus“  wieder  neu  aufleben  zu  lassen.  Verleger  für  dieses  Unter¬ 
nehmen,  welches  von  Bau  do  ui  n  redigirt  wird,  ist  das  Institut  de 
Bibliographie  zu  Paris. 

* 

Im  Verlage  von  Ambrosius  Barth  in  Leipzig  sind_fol- 
gende  Compendien  neu  aufgelegt  erschienen  :  P  a  r  e  i  d  t,  Zabnheilkundo 
(dritte  Auflage)  ;  K  r  ü  c  h  e,  Allgemeine  Chirurgie  (siebente  Auflage) 
und  das  diagnostisch-therapeutische  Vademeeum,  zusammengestellt  von 
Schmidt,  Friedheim,  Lamhofer  und  Donat.  (4.  Auflage.) 

* 

Das  „Taschenbuch  der  medicinisch-klinischen  Diagnostik“,  heraus¬ 
gegeben  von  Seifert  und  M  filier  ist  bei  Bergmann  in  Wies¬ 
baden  in  10.  Auflage  erschienen. 

* 

Sanitätsve  r  hält  n  isse  bei  der  Mannschaft  des  k.u.k.  Heer  es 
im  Monat  Decemb er  1899.  Mit  Ende  November  1899  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  2185,  in  Heilanstalten  8327  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  December  1899  16.724  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  61.  Im  Monat  December  1899  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  7733  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopfstärke  28.  Im  Monat  December  1899  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  18.296  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  16.102  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  880,  durch  Tod  64  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  3  50,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0  23.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1623,  in  Heilanstalten  7317  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  7.  Jahreswoche  (vom  11.  Februar 
bis  17.  Februar  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  684,  unehelich  350,  zusammen 
1034.  Todt  geboren:  ehelich  32,  unehelich  30,  zusammen  62.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  607  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19  2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  122,  Blattern  0,  Masern  8, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  49.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
109  ( —  36),  Masern  291  ( —  87),  Scharlach  27  ( —  25),  Typhus  abdominalis 
5  (=),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  32  ( —  1),  Croup  und 
Diphtherie  55  ( —  1),  Pertussis  59  ( —  12),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  ( —  8),  Trachom  0  ( —  2),  Influenza  3  ( —  1). 


Freie  Stellen. 

Der  »Oesterreichisch-ungarische  Consular-Correspondenz«  ist  folgende 
Zuschrift  des  k.  u.  k.  Consulates  in  Port  Said  zugegangen: 

Ausschreibung  von  Arztesstellen  in  Suez. 

Der  internationale  Sanitäts-Conseil  in  Alexandrien 
schreibt  einen  Concurs  aus  zur  Besetzung  einer  Arztesstelle  in  Suez  mit 
einem  monatlichen  Gehalte  von  22 — 28  L.  E.  (circa  270 — 350  fl.  ö.  W.) 
und  eine  gleiche  Stelle  für  eine  Aerztin  mit  demselben  Gehalte.  Diesbezüg¬ 
liche  Eingaben  können  direct  an  den  Sanitäts-Conseil  in  Alexandrien  ge¬ 
richtet  werden,  wo  auch  die  näheren  Bedingungen  zu  erfahren  sind. 

Bei  der  k.  k.  Tabakfabiik  in  Bautsch  (Mähren)  gelangt  die 
Stelle  eines  Fabriksarztes  in  der  II.  Kategorie  (Jahreshonorar 
2200  Kronen),  beziehungsweise  provisorisch  in  der  III.  Kategorie  (Jahres¬ 
honorar  1600  Kronen),  in  jedem  Falle  verbunden  mit  einem  Fuhrenpauschale 
von  600  Kronen,  zur  Besetzung.  Concurstermin  15.  März  1900.  Die  voll¬ 
ständigen  Kundmachungen  können  in  den  Sanitäts-Departements  der  Statt- 
haltereien  in  Brünn  und  Prag,  sowie  bei  der  Tabakfabrik  in  Bautsch  und 
der  General-Direction  der  k.  k.  Tabakregie  in  Wien  eingesehen  werden. 
Wien,  am  17.  Februar  1900. 

Neu  systemisirte  Stelle  eines  Landes-Sanitätsinspectors  für 
Tirol  und  Vorarlberg  mit  den  Bezügen  der  VII.  Rangsclasse  der  Staats¬ 
beamten  und  dem  Reisepauschale  jährlicher  1600  Kronen.  Bewerber  um 
diese  Stelle,  von  welchen  die  Kenntniss  der  beiden  Landessprachen  gefordert 
wird,  haben  ihre  mit  dem  Geburts-  und  einem  Gesundheitszeugnisse,  ferner 
mit  dem  Nachweise  des  erlangten  medicinischen  Doctorgrades,  der  ab¬ 
gelegten  Physicatsprüfung,  der  bisherigen  Dienstleistungen  und  allfälliger 
fachwissenschaftlicher  Arbeiten,  sowie  der  eventuellen  Absolvirung  specieller 
Curse  über  Hygiene  und  deren  Zweige  documentirten  Gesuche,  —  inso¬ 
weit  sie  dem  Stande  der  Staatsbeamten  angehören,  im  vorgeschriebenen 
Dienstwege  —  bis  längstens  15.  März  1.  J.  beim  k.  k.  Statthalterei- 
Präsidium  in  Innsbruck  einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  in  der  aus  den  Gemeinden  Pischelsdorf 
und  St.  Georgen  bestehenden,  1725  Einwohner  zählenden  Sanitätsgemeinde 
Pischelsdorf,  Oberösterreich.  Mit  dieser  Stelle  ist  eine  Bestallung  von 
480  Kronen  verbunden. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


245 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte, 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  (1er  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  2.  März  1900. 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  24.  Januar  und  7.  Februar  1900. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  2.  März  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Chrobak. 

Schriftführer:  Prof.  R.  Paltauf. 

A.  Administrative  Sitzung. 

Der  Schriftführer  theilt  mit,  dass  37  Wahl  Vorschläge,  und  zwar 
zwei  für  correspondirende,  35  für  ordentliche  Mitglieder  eingelangt 
sind;  von  letztem  waren  zwei  verspätet  eingelangt  und  konnten  ebenso 
wie  vier  weitere,  welche  nicht  den  statutarischen  Vorschriften  ent¬ 
sprachen,  vom  Verwaltungsrathe  nicht  in  die  Wahlliste  aufgenommen 
werden.  Letztere  enthält  somit  zwei  correspondirende  und  29  ordent¬ 
liche  Mitglieder;  die  Namen  werden  verlesen. 

Der  Verwaltungsrath  hat  zu  Scr  utatoren  die  Henen 
Regierungsrath  v.  Frisch,  Dr.  Khautz  und  Dr.  Pas  chkis  ge¬ 
wählt;  als  Delegirte  des  Plenums  empfiehlt  der  Vorsitzende  Dr.  1  e- 
leky  und  Dr.  Eisenschitz.  Die  Versammlung  ist  einverstanden. 

Der  Verwaltungsrath  empfiehlt  ferner  zur  Annahme  das  Refeiat 
über  die  Frage  der  Gestaltung  des  österreichischen  internationalen  Ur¬ 
heberrechtes  (Beitritt  von  Oesterreich  zur  Berner  Convention),  welches 
von  Dr.  Adler  verfasst,  vom  Comite  einstimmig  angenommen 
worden  war.  Dasselbe  gipfelt  in  folgender  Ueberlegung  und  dem 
Anträge: 

„Der  Standpunkt,  welchen  die  Gesellschaft  der  Aerzte  bei  ..Be¬ 
antwortung  dieser  Frage  einzunehraen  hat,  ist  durch  die  Rücksicht¬ 
nahme  auf  die  medicinische  Literatur  gegeben.  Es  kommen  demgemäss 
zwei  Gruppen  von  Interessenten  in  Betracht:  Die  Autoren  medicinischei 
Werke  auf  der  einen,  die  Aerzte  und  die  Studenten  der  Medicin  auf 
der  anderen  Seite.  Das  Verlangen  der  Autoren  medicinischer  Werke 
nach  einem  intensiveren  Schutze  ihrer  Urheberrechte  als  derjenige  ist, 
welchen  sie  gegenwärtig  geniessen,  ist  schon  deshalb  ein  berechtigtei , 
weil  —  mit  wenigen  Ausnahmen  —  der  materielle  Lohn,  welcher  aus 
der  Publication  medicinischer  Werke  flieset,  ein  verhältnissmässig 
geringer  ist  und  in  der  Regel  mit  der  aufgewandten  Mühe  und  Albeit 
in  gar  keinem  Verhältnisse  steht.  Ursache  hievon  sind  die  gewöhnlich 
hohen  Herstellungskosten  medicinischer  Werke  und  die  geringe  Höhe 
der  Auflage,  bedingt  durch  den  relativ  kleinen  Kreis  von  Gonsumenten. 
Der  österreichische  Autor  ist  überhaupt  nur  in  Frankreich,  Gross¬ 
britannien,  Italien  und  Deutschland  geschützt,  in  allen  anderen  Landein 
können  seine  Schriften  ungestraft  nachgedruckt  oder  übersetzt 
werden. 

Die  zweite  Interessentengruppe  ist  die  der  Aerzte  und  Studenten. 
Diese  Gruppe  ist  aber  viel  zu  klein,  als  dass  eine  , erschwerte  Er¬ 
reichung  des  idealen  Endzweckes  alles  literarischen  Schattens,  die  Ver¬ 
hinderung  des  Eindringens  in  die  breitesten  Schichten  der  Bevölkerung 
sich  auf  Sie  beziehen  könnte. 

Es  würde  für  diese  Interessentengruppe  keinen  erheblichen 
Schaden  mit  sich  bringen,  wenn  den  fremdländischen  Autoren  bei  uns 
ein  weiterreichender  Schutz  zu  Theil  würde,  weil  1.  Oesterreich  mit 
den  vier  bedeutendsten  der  der  Berner  Convention  beigetretenen  Staaten 
ohnehin  sich  im  Reciprocitätsverhältnisse  befindet,  und  weil  2.  ein  hoch- 
entwickeltes  Zeitungswesen  für  die  Propagirung  der  Fortschritte  des 
Auslandes  auf  medicinischem  Gebiete  genügend  Sorge  trägt. 

Während  also  das  berechtigte  Interesse  der  Autoren  für  den 
Anschluss  an  die  Berner  Convention  spricht  und  ein  erhebliches  In¬ 
teresse  anderer  Kreise  gegen  diesen  Anschluss  nicht  ins  Feld  gefüllt t 
werden  kann,  erscheint  schon  im  Interesse  des  Ansehens  unseiei 
Monarchie  der  Anschluss  an  die  Convention,  welcher  die  meisten  Cultur- 
staaten  angehören,  dringend  geboten. 

Die  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  spricht  sich  daher  mit  aller 
Entschiedenheit  für  den  Anschluss  an  die  Berner  Convention  aus. 

Das  Referat  wird  einstimmig  angenommen. 

Der  Präsident  theilt  mit,  dass  die  Gesellschaft  der  Autoien, 
Componisten  und  Musikverleger  in  Wien  ihr  ausführliches  Referat  über 
dasselbe  Expose  des  k.  k.  Justizministeriums  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  übermittelt  hat.  Es  liegt  im  Lesezimmer  auf.  Dasselbe 
spricht  sich  in  sehr  eingehender  Weise  für  den  Anschluss  Oesterreichs 
an  die  Berner  Convention  aus. 


Der  Vorsitzende  bringt  eine  Zuschrift  des  Herrn  Docenten 
Dr.  E.  Schiff  zur  Kenntniss,  in  welcher  derselbe  die  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  zur  Besichtigung  seines  Institutes  für  Radiographie 
und  Radiotherapie  für  Montag  den  12.  März,  6  Uhr  Abends,  einladet. 
Das  Institut  befindet  sich  :  L,  Bauernmarkt  10. 

Der  Präsident  theilt  mit,  dass  hinsichtlich  einer  im  Beginne  dieses 
Jahres  anonym  im  Beschwerdebuch  Ausdruck  gegebenen  Beschwerde  über 
das  Eindringen  der  Küchengerüche  aus  dem  Souterrain  in  die  Parterre* 
localitäten  durch  Anbringen  eines  Luftabzugcanales  Abhilfe  geschaffen 
worden  ist;  er  ersucht  jedoch,  solche  Wünsche  nicht  unter  dem  Mantel 
der  Anonymität  vorzubringen,  sondern  zu  unterzeichnen. 

B.  Wissenschaftliche  Sitzung. 

Prof.  Lang:  Um  ein  sicheres  Urtheil  über  irgend  eiue  Lupus¬ 
behandlung,  sei  es  welche  immer,  zu  erlangen,  muss  man  die  be¬ 
treffenden  Kranken  in  fortwährender  Evidenz  halten.  Der  Vortragende 
ist  diesem  Principe  bis  zum  heutigen  Tage  treu  geblieben.  In  einer 
demnächst  erscheinenden  Arbeit  seines  früheren  Assistenten,  Herrn 
Dr.  Reiner,  wird  über  74  operirte  Lupusfälle  berichtet.  Mehrere 
derselben  konnten  nicht  mehr  eruirt  werden;  bei  einigen  trat  Recidive 
auf,  und  etwelche  sind  darum  nicht  zu  zählen,  weil  seit  der  Operation 
noch  keine  sechs  Monate  verstrichen  sind.  Nach  der  so  gewonnenen 
Tabelle  blieben  bis  zur  letzten  Untersuchung  frei  von  Recidiven:  3  Fälle 
durch  '/,  Jahr,  2  Fälle  durch  3/4  Jahr,  5  Fälle  durch  1  Jahr,  2  Fälle 
durch  l'U  Jahr,  4  Fälle  durch  l>/2  Jahre,  4  Fälle  durch  13,4  Jahre, 

1  Fall  durch  2  Jahre,  3  Fälle  durch  2 '/4  Jahre,  3  Fälle  durch 
2 1/2  Jahre,  1  Fall  durch  3  Jahre,  1  Fall  durch  33/4  Jahre,  1  Fall 
durch  4  Jahre,  3  Fälle  durch  5  Jahre,  1  Fall  durch  5’/4  Jahre, 

2  Fälle  durch  ö1/*  Jahre  und  1  Fall  durch  63/4  Jahre. 

Es  blieben  somit  recidivfrei  21  Fälle  bis  zu  zwei  Jahren  und 
16  Fälle  während  eines  Zeitraumes  von  über  zwei  bis  über  sechs 
Jahren.  Aus  diesen  Zahlen  ist  der  unschätzbare  Werth  der  operativen 
Behandlung  des  Lupus  zu  entnehmen;  sie  ermuntern  aber  auch  zur 
eifrigen  Pflege  der  plastischen  Deckung  der  gesetzten  Defecte.  Dei 
Vortragende  stellt  hierauf  einige  Plastiken  vor: 

1.  Ein  20jähriges  Mädchen,  bei  dem  ein  Lupus  der  linken 
Nasenhälfte  Ende  November  1899  exstirpirt  und  der  fast  4  cm  im 
Durchmesser  haltende  Defect  durch  einen  stiellosen  Lappen,  dem  linken 
Oberschenkel  entnommen,  gedeckt  wurde.  Die  Einheilung  erfolgte 
geradezu  in  idealer  Weise,  wie  man  aus  der  Geschmeidigkeit,  Ver¬ 
schieblichkeit  und  Faltbarkeit  entnimmt. 

2.  Bei  dem  26  Jahre  alten  Herrn  wurde  ein  Lupus  der  rechten 

Hand  exstirpirt,  der  vom  Metacarpus  bis  über  das  erste  Iuterphalangeal- 
gelenk  reichte  und  beide  Seiten  der  ersten  Phalanx  occupirte.  Dei 

zurückgebliebene  Defect  betrug  10  cm  in  der  Länge,  6  cm  in  der 
Breite,  und  wurde  durch  einen  stiellosen  Lappen,  .  gleichfalls  dem 

Schenkel  entnommen,  gedeckt.  In  diesem  Falle  stiessen  sich  zwar 
einzelne  kleine  Partikelchen  des  Lappens  ab,  doch  ist  die  Haut  zum 
allergrössten  Theile  gut  erhalten,  die  Follikel  sind  kenntlich,  die  Be¬ 
weglichkeit  des  Fingers  ungehindert. 

3.  Bei  einem  28jährigen  Manne  musste  wegen  Lupus  der  Ohr¬ 

muschel,  der  bis  an  den  Gehörgang  reichte  und  auch  die  Haut  hinter 
dem  Ohre  und  unter  dem  Läppchen  an  der  Wange  occupirte,  ein 
Defect  gesetzt  werden,  der  die  halbe  Ohrmuschel  betraf.  Dieselbe 

wurde  durch  einen  hinter  dem  Ohre  und  seitlich  vom  Halse  ent¬ 

nommenen  Lappen  nach  entsprechender  Zurichtung  ersetzt  und,  wie 
man  sich  überzeugen  kann,  muss  der  plastische  Ersatz  als  gelungen 

angesehen  werden.  ....  .  • 

4.  Bei  dem  42  Jahre  alten  Manne  fand  im  August  vorigen 

Jahres  durch  Umstürzen  einer  Petroleumlampe  eine  ausgedehnte  Ver¬ 
brennung  des  linken  Armes  statt.  Sie  betraf  die  untere  Hälfte  des 
Oberarmes  und  den  ganzen  Vorderarm  bis  über  den  Handrücken. 
Patient  befand  sich  im  Wiedener  Spitale,  woselbst  bis  zum  November 
an  der  Streckseite  Alles  zur  Ausheilung  gelangte;  an  der  Beugesei  c 
jedoch,  wo  die  Zerstörung  die  ganze  Dicke  der  Haut  und  die  untei- 
liegende  Fascie  betroffen  hatte,  lag  eine  granuliren de  Fläche  vor,  die 
nur  sehr  langsam  vernarben  wollte.  Hätte  man  hier  die  Uebernarbung 
abgewartet,  so  wäre  die  Folge  ein  Heranziehen  der  Vorderarmes  geg  n 
den  Oberarm  gewesen  und  eine  spitzwinkelige  Stellung  im  Ellbogen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Kr.  10 


246 


gelenke  durch  ankylosirenden  Narbenzug.  Um  dem  vorzubeugen,  wurde 
die  ganze  granulirende  Rasis  sammt  dem  schwieligen  Narbenrande  bis 
auf  die  Musculatnr  abpräparirt  und  in  die  Beugeseite  hinein  ein  dem 
Stamme  entnommener  Lappen  eingeheilt.  Derselbe  misst  280  cm~,  der 
Rest  der  granulirenden  Fläche  am  Vorderarme  wurde  gethierscht. 
Beugung  und  Streckung  ist  im  freiesten  Ausmasse  möglich  und  der 
Manu  nunmehr  im  Stande,  seinem  Schlosserhandwerk  nachzugehen. 

5.  Endlich  demonstrirt  Prof.  Lang  einen  bedauernswerthen, 
30  Jahre  alten,  im  Wachsthum  sehr  zurückgebliebenen  Kranken  mit 
ausgedehntem  serpiginösem  Lupus  am  Kopfe,  Stamme  und  den  rechten 
Extremitäten.  Die  serpiginöse  Form  kann  grössere  Ausbreitungen  als 
irgend  eine  andere  erlangen,  weil  der  Lupus  gleichsam  nomadisirend 
sehr  grosse  Hautflächen  verödet.  So  paradox  es  im  Anblick  dieses 
Falles  klingt,  bemerkt  der  Vortragende,  so  ist  es  doch  wahr,  dass 
nach  seiuen  Erfahrungen  gerade  diese  Form,  nämlich  die  serpiginöse, 
die  günstigsten  Chancen  für  die  operative  Behandlung  bietet;  freilich 
darf  man  nicht  zuwar.ten,  bis  die  Krankheit  diese  Ausdehnung  er¬ 
langt  hat. 

Emil  Schwarz  demonstrirt  einen  Fall  von  hysterischer 
Arthralgie,  welche  durch  eigentümliche  Crepitationsgeräusche  ein 
organisches  Gelenksleiden  vortäuscht.  Bei  der  22jährigen  Patientin  be¬ 
stehen  seit  sechs  Jahren  hysterische  Anfälle.  Vor  vier  Monaten  ver¬ 
spürte  sie  plötzlich  im  rechten  Kniegelenk  einen  stechenden  Schmerz, 
und  fortan  war  das  Gehen  unmöglich  geworden.  Als  sie  in  die  Behand¬ 
lung  des  Vortragenden  an  dessen  Abtheilung  im  Kaiser  Franz  Josef- 
Ambulatorium  kam,  war  der  Befund  folgender:  Vollkommene  Fixiruug 
des  rechten  Kniegelenkes  in  Streckcontraction,  ebenso  auch  im  Sprung¬ 
gelenke.  Complete  Auästhesie  der  rechten  Unterextremität  iu  Strumpf¬ 
form,  von  den  Fussspitzen  bis  zum  Kniegelenk,  woselbst  sich  die 
anästhetische  Zone  scharf  kreisförmig  unterhalb  der  Tuberositas  libiae 
abgrenzte.  Das  Kniegelenk  weder  activ  noch  passiv  beweglich,  schmerz¬ 
hafte  Druckpunkte  daselbst  über  dem  Condylus  internus  und  dem 
Capitulum  fibulae,  welche  jedoch  die  Haut  und  nicht  die  tiefen  Theile 
betreffen.  Hypästhesie  der  gesammten  rechten  Körperhälfte,  Fehlen 
des  Schlund-  und  Cornealreflexes.  Nach  hypnotischer  Suggestion  wird 
das  Kniegelenk  beweglich,  so  dass  PatienLn  aufstehen  und,  wenngleich 
mühsam,  ohne  Stütze  gehen  kann.  Doch  wird  sowohl  bei  activer  als 
passiver  Bewegung,  sowohl  bei  der  Beugung,  mehr  jedoch  bei  der 
Streckung  im  Kuiegelenk  ein  lautes  Krachen  hörbar.  Hiedurch  wurde 
die  Frage  nahe  gelegt,  ob  nicht  doch  ein  organisches  Leiden  im  Gelenke 
vorliege.  Die  radiographische  Untersuchung  (Dr.  Kienböck)  ergab 
völlig  normalen  Befund.  Wenn  man  ferner  die  passiven  Bewegungen 
im  Kniegelenke  sehr  rasch  nacheinander,  namentlich  bei  Fixation  des 
Oberschenkels,  ausführte,  blieb  das  Knacken  im  Gelenke  aus.  Die 
nähere  Untersuchung  zeigte,  dass  die  Patientin  das  Geräusch  spontan 
durch  Einschnappen  des  Gelenkes  erzeugt,  indem  sie  bei  jeder  Bewe¬ 
gung  die  Antagonisten  energisch  anspannt  und  im  gegebenen  Momente 
ganz  plötzlich  erschlafft.  Bei  langsameren  Bewegungen  fühlt  man  den 
Widerstand  der  Antagonisten  sehr  deutlich,  das  Gelenk  ist  sehr  schwei- 
passiv  zu  beugen  oder  zu  strecken.  Boi  sehr  rascher  Wiederholung 
schwindet  derselbe  und  auch  das  Krachen  mit  ihm.  Die  Patientin  ist 
eben  in  diesem  Falle  nicht  in  der  Lage,  den  Bewegungen  mit  ihrem 
Willenspulse  genügend  rasch  zu  folgen,  um  die  Muskeln  iu  den  ent¬ 
gegengesetzten  Sinne  anzuspannen.  Das  Gelenk  erschlafft  völlig  und 
die  lauten,  auch  auf  Distanz  hörbaren  Geräusche  sind  verschwunden. 
Die  genauere  Anamnese  ergibt,  dass  dieses  Krachen  schon  lange, 
D/a  Jahre  vor  dem  Auftreten  des  Schmerzes,  bestanden  habe.  Es  ist 
daher  anzunehmen,  dass  bei  der  exquisit  hysterischen  Psyche  der  Pa¬ 
tientin  eine  vielleicht  auf  „Diathese  de  contracture“  beruhende  Eigen- 
thümlichkeit  oder  schlechte  Gewohnheit  gleichsam  im  Wege  des 
psychischen  Reflexes  den  Zustand  der  hysterischen  Arthralgie  hervor¬ 
gerufen  hat. 

Docent  Dr.  Max  Herz  hält  seinen  angekündigten  Vortrag: 
Die  heilgymnastische  Behandlung  von  Erkrankun¬ 
gen  des  Centralnervensystems.  (Erscheint  demnächst  aus¬ 
führlich.) 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  24.  Januar  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer:  Kreibich, 

Neuman  n  stellt  vor : 

1.  Einen  33jährigen  Mann  aus  Croatien  mit  Perforation  des 
harten  Gaumens  und  narbigen  A  eränderungen  des  Pharvnx  in  Folge 
von  tertiärer  Lues.  Der  Mann  stammt  aus  einem  Orte  Tabar,  gelegen 
an  der  Militärgrenze  im  süd-westlichen  Theile  Croatiens,  woselbst  unter 
dem  Namen  „skrljevo“  endemisch  sich  eine  Krankheit  findet,  charak- 
terisirt  durch  schwere  ulceröse  Veränderungen  iu  der  Nase  und  Mund¬ 


höhle.  Nach  den  Untersuchungen  von  v.  Pernhofer,  A  u  s  p  i  t  z  und 
Zechmeister  handelt  es  sich  hier  meist  um  uubehandelte  Formen 
schwerer  Syphilis,  die  Neumann  genauer  zu  studiren  Gelegenheit 
hatte,  und  gegen  welche  er  sanitäre  Massnahmen  zu  treffen  in  der 
Lage  war. 

2.  Einen  26jährigen  Mann  mit  Herpes  iris  an  den  Vorder¬ 
armen. 

3.  Einen  25jährigen  Kranken  mit  crustösem  Syphilid  am  Kopfe. 
Infection  erst  erfolgt  im  Sommer  1899. 

4.  Einen  25jährigen  Mann  mit  Naevus  vasculosus  der  rechten 
Gesichtshälfte  von  den  Augenlidern  bis  zum  Unterkiefer  reichend.  Im 
Bereiche  des  Naevus  die  Haut  wulstförmig  verdickt  und  das  Krankheits¬ 
bild  in  Bezug  auf  Diagnose  erschwert  durch  einen  seeuudären  folli- 
culären  Entzlindungsprocess. 

Kaposi  bemerkt  hiezu,  dass  hier  ein  Naevus  mollusciformis 
vorliegt. 

Lang  bemerkt,  dass  bei  Mitbetheiliguug  der  Nerven  an  der 
Geschwulstbildung  die  Nerven  selbst  intact  bleiben. 

Neumann  stellt  vor: 

5.  Einen  54jährigen  Mann  mit  einem  Carcinoma  faciei  in  lupo 
der  rechten  Wange,  Oberlippe  und  Nasenhälfte.  Die  Geschwulst  ist 
faustgross,  jauchig  zerfallen  und  von  1—2  cm  hohen  grobhöckerigen 
Rändern  von  harter  Consistenz  umgeben.  Das  Carcinom  sitzt  in  einer 
noch  von  Lupus  eingenommenen  Haut,  in  weiterer  Entfernung  findet 
sich  Narbe  nach  Lupus.  Der  Lupus  besteht  seit  frühester  Kind¬ 
heit,  der  Carcinom  hat  sich  innerhalb  kurzer  Zeit  rapid  ent¬ 
wickelt. 

Kaposi  verweist  auf  die  rapide  Entwicklung  des  Lupuscar- 
cinoms,  seine  Malignität  und  rasche  Metastasirung. 

Neumann  stellt  vor: 

6.  Eine  Frau  mit  Lupus  des  rechten  Nasenflügels.. 

7.  Eine  32jährige  Frau  mit  Gumma  nasi,  das  Gumma  über¬ 
greifend  auf  die  Oberlippe.  Perforation  des  knöchernen  Nasen¬ 
septums,  Nasenrücken  sattelförmig  eingesunken.  Nasenbein  gelockert. 

8.  Eine  Frau  mit  concentrischen  Kreisen  an  den  Vorderarmen, 
die  in  ihrer  Peripherie  aus  miliaren  Knötchen  gebildet  sind.  Es  stellt 
ein  circinäres  Syphilid  dar  mit  grosser  Aehnlichkeit  mit  einem  Herpes 
tonsurans. 

Kaposi  bemerkt  dazu,  dass  es  sich  bei  diesen  Ringformen  nicht 
um  Roseola,  sondern  um  circinär  angeordnete,  flach  papulöse  Efflo- 
rescenzen  handle,  deren  Infiltrat  sehr  wenig  sichtbar  ist.  Roseolaflecke 
können  sich  nicht  vergrössern. 

Neumann  führt  aus,  dass  das  orbiculäre  Syphilid  sich  be¬ 
sonders  an  Stellen  findet,  wo  Talgdrüsen  in  grösserer  Menge  vor¬ 
handen  sind. 

Lang  meint,  dass  die  Roseola  annularis  nicht  blos  hervorgeht 
aus  Gruppirung  von  Papeln,  sondern,  dass  es  eine  wirkliche  Roseola 
annularis  als  eine  Spätform  der  Lues  gebe. 

Finger  spricht  sich  ebenfalls  für  das  Vorhandensein  kreis¬ 
förmiger  Roseolaflecke  aus.  Die  Roseola  könne  sich  auch  vergrössern. 
Nach  Fournier  finden  sich  dieselben  als  Spätrecidiven. 

Neumann  unterscheidet  mehrere  Formen  von  Roseola  annu- 
lata:  die  erste  Form  kann  sich  entwickeln  aus  einem  nicht  behandelten 
maculösen  Syphilid,  die  zweite  Form  stellt  eine  Spätrecidive  im>  Sinne 
F  o  u  r  n  i  e  r’s  dar.  > 

Lang  verweist  gleichfalls  auf  die  Richtigkeit  der  Fournier- 
schen  Beobachtung. 

Ehr  mann  erinnert  an  die  von  Unna  beschriebenen  Neuro- 
syphilide. 

U 1 1  m  a  n  n  verweist  ebenfalls  auf  den  Zusammenhang  der 
Roseola  annularis  mit  einer  von  Talgdrüsen  reich  durchsetzten  Haut. 
Im  Gegensätze  dazu  betonte 

Neuman  n,  dass  die  Erkrankung  dieser  Partien  als  eine 
Localisation  der  Syphilis  an  weniger  widerstandsfähigen  Stellen  auf¬ 
zufassen  ist. 

Kaposi  stellt  vor  einen  Naevus  hemilateralis,  Gruppen  von 
rüthlich-braunen  Knötchen  zwischen  kleinen  atrophischen  Narben  an 
der  rechten  Stirnhälfte,  der  rechten  Halsseite,  ferner  in  einer  im 
Zickzack  verlaufenden,  vielfach  unterbrochenen  Linie  an  der  rechten 
Rückenfläche,  Steissbein,  Aussenfläche  der  Waden  und  einen  Naevus 
striatus  verrucosus  in  der  Mittellinie  der  Planta  pedis  von  der  Mitte 
zur  vierten  Zehe  reichend. 

Matzenaue  r  stellt  den  bereits  einmal  vorgestellten  Fall  von 
Pemphigus  vegetans  vor. 

N  o  b  1  zeigt  einen  Fall  von  Lues  gummosa  ulcerosa  der 
Handhöhle. 

Kaposi  einen  Fall  von  lues  circinnata.  Auf  der  Stirne  drei 
bis  vier  kreisrunde,  mit  Krusten  bedeckte  Herde,  ein  Herd  zeigt  einen 
doppelten  Kreis. 

Reiner  (Abtheilung  Lang)  stellt  vor: 

1.  Einen  Herpes  zoster. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


247 


2.  Einen  Fall  von  Psoriasis  wegen  der  Aehnlichkeit  mit  einem 
papulös-squamösen  Syphilid. 

3.  Einen  Fall  von  Lues  orbicularis  -  des  Penis. 

4.  Einen  Fall  von  Lupus  erythematodes  im  Gesichte  und  am 
Handrücken  und  an  beiden  Fussrücken  wegen  Aehnlichkeit  mit 
Erythema  multiforme  nodosum.  Krankheit  besteht  acht  Jahre.  \ 

5.  Ein  Fall  von  Onychie  und 

6.  Ein  Fall  von  Psoriasis  universalis,  behandelt  mit  5%iger 
Eurobinsalbe  mit  conseeutivem,  toxischem  Erythem. 

Kaposi  stellt  vor  ein  Epithelioma  frontis  in  der  Ausdehnung 
von  der  Mittellinie  bis  zum  Ohre. 

Kaposi  stellt  vor  einen  Fall  von  Herpes  iris. 

Lang  stellt  vor  ein  Mädchen  mit  inoperablem  Lupus  beider 
Wangen,  der  Oberlippe  und  Nase.  Derselbe  fordert,  dass  Patientin 
nach  Röntgen*  Behandlung  in  Bezug  auf  Dauerresultate  in  Evidenz 
gehalten  werden  soll  und  hebt  gegenüber  der  R  ö  nt  g  e  n  -  Behandlung 
die  Vortheile  der  F  i  n  s  e  n’schen  Methode  hervor,  indem  zur  Strahlen¬ 
wirkung  auch  noch  die  Wirkung  des  mechanischen  Druckes  sich  hinzu¬ 
gesellt,  denn  Finsen  empfiehlt,  mit  Linsendruck  die  behandelte 
Stelle  zu  anämisiren.  Lang  hat  beim  vorgestellten  Mädchen  Linsen¬ 
druck  allein  ohne  Bestrahlung  wirken  lassen  und  eine  bedeutende 
Besserung  bemerkt.  Lang  tritt  sehr  für  die  Fi  n  s  e  n  -  Methode  ein 
und  empfiehlt,  an  grösserer  Zahl  von  Fällen  namentlich  die  Wiikung 
des  Druckes  zu  erproben.  Die  Druckwirkung  ist  allerdings  zu  ver¬ 
gleichen  mit  der  Druckwirkung  unter  der  Pflastertherapie. 

Freund  bemerkt,  dass  die  Sonnenlichtbehandlung  in  Wien 
keine  grosse  Aussichten  habe,  weil  die  wirksamen  ultiavioletten 
Strahlen  durch  die  Rauchschichte  absorbirt  werden.  Man  müsste  an 
Stelle  der  Glaslinse  Quarzlinsen  verwenden,  besser  seien  die  Aus¬ 
sichten  bei  Bogenlichtbehandlung. 

Uli  mann  bemerkt,  dass  die  F  i  n  s  e  n’sche  Fabrik  thatsächlich 

Bergkrystall linsen  liefert. 

Schiff  glaubt,  dass  die  von  Lang  empfohlene  Anämisirung 
durch  Druck  in  der  Richtung  besonders  einwirke,  dass  die  Lessening 
durch  Veränderung  der  Blutcirculation  bewiikt  wird. 

Kaposi  bemerkt,  dass  die  günstige  Wirkung  der  Druck¬ 
behandlung  auf  Lupus  seit  lange  bekannt  sei,  doch  schwinden  nur  die 
Infiltrate,  während  die  Lupusknötchen  bestehen  bleiben. 

Schiff  hebt  hervor,  dass  die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Behandlung  besser 
für  ausgebreitete,  die  Finsen  Behandlung  für  locale  Herde  ge¬ 
eignet  sei. 

* 

Sitzung  am  7.  Februar  1900. 

Vorsitzender :  Kaposi. 

Schriftführer :  Kreibich. 

Ehr  mann  demonstrirt  einen  Fall  von  Lupus  erythema¬ 
todes,  der  nach  viermoiiatlicher  Behandlung  in  seinem  Centrum  eine 
hellergrosse,  seichte  Exuleeration  zeigt,  wie  sie  sonst  nie  bei  Lupus 
erytb.  vor  kommt,  so  dass  man  an  eine  Misch  form,  die  sich  zum  Theil 
dem  Lupus  vulg.  nähert,  denken  muss. 

Kaposi  betont,  dass  es  keinen  Uebergaug  von  Lupus  erythem. 
zu  Lupus  vulgaris  gebe  und  dass  ein  solcher  Substanzverlust  nur  durch 
mechanische  Reizung  zu  Stande  kommen  könne. 

Lang  hat  in  seltenen  Fällen  das  Nebeneinanderbestehen  beider 
Lupusformen  gesehen,  hält  es  aber  blos  für  ein  zufälliges. 

Neumann  sah  bei  Lupus  eryth.  der  Kopfhaut  durch  strafte 
Spannung  der  entstehenden  Narben  seichte  Substanzverluste  entstehen. 
Ein  gleichzeitiges  Bestehen  von  Lupus  vulgaris  und  eryth.  hat  er  noch 
nie  beobachtet.  Auch 

Kaposi  sah  trotz  der  grossen  Zahl  von  Beobachtungen  noch 
nie  ein  gleichzeitiges  Vorkommen  der  zwei  Erkrankungen. 

Kreibich  stellt  vor  eine  vor  vier  Jahren  a  u  s  ge¬ 
führte  Plastik  nach  Exstirpation  von  Lupus  vulgaris  an  der 
rechten  Wange  mittelst  eines  stiellosen  Lappens  vom  Oberschenkel. 
Der  Lappen  ist  trotz  an  zwei  Stellen  eingetretener  Nekrose  ideal 
eingeheilt. 

Lang  weist  bezüglich  der  schwierigen  Einpflanzung  und  des 
Erfolges  stielloser  Lappen  auf  seine  zahlreichen  Demonstrationen  in 
der  Gesellschaft  hin. 

Spiegle  r  demonstrirt  einen  in  der  Literatur  bisher  noch 
nicht  mitgetheilten  Sitz  des  syphilitischen  Primär  affects 
am  hinteren  linken  Gaumenbogen  bei  einem  25jährigen 
Mädchen  vor.  Bezüglich  des  Infectionsmodus  ist  nichts  bekannt.  Die 
localen  Lymphdrüsen  in  der  Unterkiefergrube  sind  nicht  auffallend 
vergrössert. 

Lang  zeigt  im  Anschlüsse  an  K  r  e  i  b  i  c  h’s  Fall  einen  Pa¬ 
tienten,  bei  dem  ein  lupöser  Herd  am  Dorsum  und  den  Seiten¬ 
flächen  des  rechten  Mittelfingers  im  Ausmasse  von  1 1  cm  Länge  und 
6  cm  Breite  exstirpirt  und  durch  einen  stiellosen  Lappen  vom  linken 


Oberschenkel  ersetzt  wurde.  Ideale  Heilung  und  vollständige  Gebrauchs- 
fähigkeit  des  Fingers. 

Spitzer  stellt  aus  der  .Abtheilung  Lang  vor: 

1.  Einen  Mann  mit  ulcer irtem  Gumma  des  Stirn¬ 
beins',  das  in  seiner  ganzen  Dicke  der  Nekrose  anheimfiel.  Nach 
Extraction  des  auch  einen  Theil  der  Lamina  interna  enthaltenden 
Sequesters  lag  die  pulsirende  Dura  mater  blos;  die  Pulsation  ist  auch 
in  der  jetzt  granulirenden  Wundfläche  noch  zu  sehen.  Die  bis  nun 
drei  Monate  sistirenden,  anfänglichen  epileptiformen  Anfälle  sind  in 
den  letzten  Tagen  wieder  aufgetreten  und  weisen  auf  einen  noch  nicht 
genau  localisirten  Gehirnprocess  hin. 

.2.  Eine  ungewöhnliche  Form  von  P  a  1  m  a  r  s  y  p  h  i  1  i  d,  das  in 
seinem  Aussehen  ganz  an  Erythema  multiforme  erinnert,  mit  dem 
beim  Mangel  anderer  syphilitischer  Symptome  eine  Verwechslung 
möglich  ist. 

3.  Einen  32jährigen  Candidaten  der  Mediciu,  der  am  ganzen 
Körper  neben  serpiginös  angeordneten  Papeln  und  alten  Pigmen- 
tirungen  vorzugsweise  an  beiden  Oberschenkeln  zum  Theil  sehr  tief¬ 
greifende  Narben  zeigt,  die  von  den  zahlreichen  Morphiuminjectionen 
herrühren,  die  sich  der  Patient  als  Morphinist  selbst  machte. 

Neumann  stellt  vor : 

1.  Einen  Lupus  exfoliativus  von  Flachhandgrösse, 
scharfer  Begrenzung  an  der  hinteren  Halsfläche  bei  t  einem  robusten 
Manne. 

2.  Gumma  t  a  linguae  et  laryngis  bei  einem  58jährigen 
Beamten,  der  vor  40  Jahren  Syphilis  acquirirt  hatte  und  seither  frei 
von  Erscheinungen  war.  Im  rückwärtigen  Dritttheil  der  Zunge  findet 
sich  ein  nussgrosser  Tumor,  dessen  Centrum  kraterförmig  zerfallen  und 
am  Rand  derb  infiltrirt  ist.  Die  Zungenaffection  besteht  angeblich  sechs 
Wochen. 

3.  Eine  25jährige  Kranke  mit  Roseola  annularis.  Seit 
der  vor  sechs  Jahren  erfolgten  Infection  war  dieselbe  fast  alljährlich 
mit  dieser  immer  recidivirenden  Form  in  Behandlung.  Auch  jetzt  in  der 
Nacken-  und  Lumbalgegend,  an  den  Oberschenkeln  und  Kniebeugen 
über  thaler-  bis  flachhandgrosse,  kreisrunde,  bandförmige  Roseolen  mit 
normalem  Hautcentrum. 

Kaposi  bemerkt  auch  heute  hiezu,  dass  dies  keine  Roseolen, 
sondern  ein  deutliches  Infiltrat  seien,  das  aus  Papeln  hervorgehe. 

Matzenauer  demonstrirt  bei  einem  48jährigen  Manne  ein 
sehr  derbes  Carcinoma  der  Glans  penis  innerhalb  eines  pbimotisclien 
Präputialsackes  und  weist  dabei  auf  die  differentialdiagnostische 
Schwierigkeit  dieses  Falles  und  die  schlechte  Prognose  des  leniscai- 
cinoms  überhaupt  hin. 

Lang  erwähnt  hiezu  zwei  von  ihm  beobachtete  Fälle,  darunter 
ein  Carcinom  auf  dem  Boden  einer  Sklerose. 

Kaposi  zeigt  zu  diesem  Fall  einen  84jährigen,  Mann,  bei  .dem 
die  ganze- Glans  und  vordere  Penis  hälfte  durch  ein  üppig 
wucherndes,  über  faustgrosses  Carcinom  substituirt  ist.  Auch  die  In¬ 
guinaldrüsen  sind  beiderseits  ergriffen.  , 

Nobl  demonstrirt  ein  gruppirtes,  squamöses  Syphi¬ 
lid  des  Naseneinganges. 

Kaposi  stellt  einen  in  seiner  Art  ganz  allein  stehenden  Fall 
von  Lupus  disseminatus  vor.  Das  elfjährige  MädeKen,  flii  •  sein 
Alter  mittelgross  und  kräftig,  leidet  seit  fünf  Jahren  an  einem  lungus 
genus  dextri,  der  mit  winkeliger  Ankylose  nach  Subluxation  der  Tibia 
ausheilte.  Vor  zwei  Wochen  wurde  Streckung  und  Fixirung  des  Ge¬ 
lenkes  vorgenommen.  Ungefähr  vier  bis  fünf  Jahre  soll  auch  die 
jetzige  Hauterkrankung  bestehen;  doch  wurde  sie  im  Ganzen  wenig 
beachtet.  Wo  sie  begann,  ist  nicht  genau  zu  ermitteln;  doch  sollen 
einzelne  Knötchen  auch  spontan  sich  rückgebildet  haben. 

Es  finden  sich  jetzt  am  ganzen  Körper  zerstreut,  dichter  am 
Halse  und  den  Extremitäten,  zahlreiche,  im  Ganzen  145  linsen-  bis 
hellergrosse,  runde  Knötchen,  welche  scharf  umschrieben  tumoiaitig 
protuberiren,  braunroth  sind  und  schlaffe  Consistenz  zeigen;  die  Haut 
darüber  nirgends  exulcerirt.  In  der  rechten  Ellenbeuge  ein  thaleigiossei , 
in  der  Mitte  eingesunkener  Lupusherd.  An  der  oberen  Grenze  des 
Kniegelenkes  drei  eingezogene,  mit  dem  Knochen  verwachsene  Naiben, 
rückwärts  eine  ähnliche  grössere,  alle  mit  eingesprengten  brauniothen 
Knötchen. 

Ist  der  Fall  schon  durch  die  Anzahl  und  Ausbreitung  des  1  re¬ 
cesses  merkwürdig,  so  kommt  noch  mehr  der  milde,  langsame  "\  erlauf 
in  Betracht,  der  auf  die  zahlreichen  einzelnen  kleineren  Herde  be¬ 
schränkt  bleibt  und  an  ihnen  nicht  den  gewöhnlichen  Fortschritt  zu 
Ulceration,  Narbenbildung  und  Vergrösserung  der  Krankheitsherde 
nimmt. 

Lang  möchte  diesen  Fall  als  hämatogene  Infection  ansehen. 

Neumann  weist  auf  den  Mangel  von  Involutionserscheinungen 
an  den  Lupusefflorescenzen  trotz  ihres  langen  Bestehens  und  die  seltene 
unicale  Art  des  Falles  hin. 

Kreibich  bespricht  die  Aehnlichkeit  der  fungösen  Granu¬ 
lationen  und  des  Lupusgewebes  in  ihrer  pathologisch-anatomischen 


248 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  10 


Eigenart  und  dem  seltenen  Befunde  von  Tuberkelbacillen  in  denselben 
und  lässt  die  Frage  offen,  warum  hier  eben  dem  fungösen  Gelenks- 
processe  entsprechend  sich  ein  Lupus  disseminatus  und  nicht  eine 
Miliartuberculose  entwickelt  hat. 

Schiff  und  Freund  demonstriren  einen  Fall  von  vier  Jahre 
behandelter,  hartnäckiger  und  besonders  intensiver  Sykosis,  die  von 
Herrn  Assistenten  Kreibich  Ende  November  1899  ihrer  Röntgen- 
Behandlung  zugeführt  wurde.  Nach  20  Sitzungen  erscheint  die  Gesichts¬ 
haut  normal  bis  auf  eine  ziemliche  Röthe,  welche  die  Akne  der  Re¬ 
action  darstellt,  bei  der  die  Bestrahlung  unterbrochen  wird. 

Kaposi  stellt  vor: 

1.  Einen  Herpes  zoster  frontalis  bei  einer  26jährigen 
Frau,  deren  rechte  Stirnhälfte  von  einer  zum  Theil  schwärzlich  ver¬ 
färbten  Bläscheneruption  eingenommen  ist.  Augenlider  und  Conjunctiva 
geschwollen  und  ödematös.  Cornea  und  Iris  normal. 

2.  Ein  Gumma  der  Stirnhaut  bei  einer  62jährigen  Frau. 

3.  Herpes  zoster  sacro-cruralis,  dessen  häufiges  Auf¬ 
tauchen  in  der  letzten  Zeit  die  alte  Ansicht  von  dem  zeitweisen  epi¬ 
demischen  Auftreten  des  Herpes  zoster  deutlich  bestätigt. 

4.  Vitiligo  nach  Psoriasis.  Bei  einem  14jährigen  Knaben 
traten  an  Stelle  der  einzelnen  Psoriasisefflorescenzen  bei  Fernhalten 
von  Chrysarobin  und  nur  indifferenter  Behandlung  helle,  scharf  begrenzte, 
pigmentlose  Flecke. 

5.  Ichthyosis  universalis  bei  einem  20jährigen  kräftigen 
Mann,  dessen  Eltern  und  elf  Geschwister  angeblich  eine  ganz  normale 
glatte  Haut  haben. 

6.  Einen  Fall  von  Erysipelas  perstans  und  Elephan¬ 
tiasis  a  r  ab  um.  Das  14jährige  Mädchen  erkrankte  vor  vier  Jahren 
zum  ersten  Male  an  einer  Schwellung  der  rechten  Gesichtshälfte,  die 
seither  einige  Male  wiederkehrte  und  seit  August  1899  nicht  mehr 
zurückging. 

Der  vom  Augenwinkel  und  dem  Unterkieferrand  bis  zur  hinteren 
Medianlinie  reichende  Erkrankungsherd  ist  am  Rande  leicht  elevirt, 
nach  innen  zu  bläulich-cyanotiscb,  bei  Berührung  bretthart,  an  die 
Unterlage  fixirt,  unbeweglich.  Der  Fingerdruck  lässt  eine  deutliche, 
langsam  verschwindende  Delle  zurück.  Durch  die  derbe  Schwellung 
aller  Antheile  der  Ohrmuschel  ist  der  Meatus  aud.  ext.  vollständig 
verlegt. 

Die  Eintrittspforte  der  Infection  dürfte  in  einer  Erkrankung  des 
äusseren  Gehörganges,  vielleicht  auch  in  einer  perforativen  Mittel¬ 
ohrentzündung  liegen,  was  derzeit  noch  nicht  entschieden  werden  kann. 

Ehrmann  demonstrirt  das  histologische  Präparat  einer  sj'phi- 
litischen  Lymphdrüse  (Färbung  mit  Methylenblau)  und  weist  nach  einer 
Beschreibung  der  Histologie  der  Lymphdrüse  überhaupt  auf  die  An¬ 
häufung  von  Lymphzellen  in  den  Lymphsinus  der  Drüse  hin.  Dabei 
zeigen  zahlreiche  der  Lymphkörper  deutliche  Kerndegeneration,  so  dass 
sich  auch  einzelne  isolirte  Trümmer  der  Kernzerfallsproducte  in  Form 
der  seinerzeit  schlecht  gedeuteten,  stärker  tingiblen  Körperchen 
finden. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 

Sitzung  am  20.  September  1899  Morgens. 

Vorsitzender:  Kollmann  (Leipzig). 

IV.  v.  Notthafft  (München) :  Ueber  die  Verminde¬ 
rung  der  Widerstandsfähigkeit  des  Körpers  gegen¬ 
über  Infectionen  durch  Erkrankungen  der  Haut  und 
der  Harnwege.  (Schluss.) 

Es  haben  also  gerade  diejenigen  Experimente,  welche  Verände¬ 
rungen  des  Blutes  zeigen,  die  Widerstandsfähigkeit  des  Kaninchens 
gegen  Pneumococceninfection  herabgesetzt.  Andererseits  konnten  die 
Pneumococcen  bei  denjenigen  Krankheiten,  welche  ohne  Blutverände¬ 
rungen  einhergehen,  keine  Sepsis  erzeugen.  Redner  ist  nicht  im  Stande, 
einem  bestimmten  Bluttheile  einen  schützenden  Einfluss  zuzuschreiben. 
Er  betont  ausdrücklich,  dass  mau  die  gewonnenen  Ergebnisse  nicht 
verallgemeinern  dürfe,  da  Thier  und  Mensch  sich  ja  verschieden  ver¬ 
halten,  hält  sie  aber  für  gut  übereinstimmend  mit  den  zuerst  skizzirten 
Erfahrungen  der  Dermatologen  und  Urologen  und  meint,  es  läge  nahe, 
daran  zu  denken,  dass  die  Herabsetzung  der  Widerstandsfähigkeit  des 
Körpers  gegenüber  Infectionen  bei  gewissen  Haut-  und  Harnwegen  Er¬ 
krankungen  vielleicht  ebenfalls  in  einer  Alterirung  des  Blutes  ihren 
Grund  hat. 


V.  S  i  e  b  e  r  t  (München) :  Ueber  Syphilis  infantilis. 

Auf  Grund  der  negativen  Ergebnisse,  die  alle  Versuche  über 
das  Resorptionsvermögen  der  gesunden  Haut  ergab,  und  auf  Grund 
anderweitiger  Erwägungen  wurde  Prof.  Welander  in  Stockholm 
zu  der  Annahme  geführt,  dass  die  Schmiercur  mit  Quecksilbersalbe 
im  Wesentlichen  eine  Einathmungscur  sei,  dass  das  Quecksilber  nicht 
durch  die  Haut,  sondern  durch  die  Lungen  in  den  Körper  geräth. 
Auf  diesem  Gedanken  fussend,  hat  Welander  versucht,  die 
mancherlei  Schwierigkeiten  und  Unannehmlichkeiten  der  Schmiercur 
dadurch  zu  umgehen,  dass  er  das  Quecksilber  auf  andere  Weise  zur 
Einathmung  bringt. 

Er  macht  das  in  der  Weise,  dass  er  die  Patienten  mehrere 
Stunden  des  Tages  und  während  der  Nacht  in  der  Bettwärme  Säcke 
tragen  liess,  deren  Innenseite  er  mit  grauer  Salbe  bestrichen  hatte. 

Die  W  e  l  a  n  d  e  r’sche  Methode  hat  sich  rasch  bei  den  Syphili- 
dologen  Anhänger  verschafft  und  so  hielt  ich  mich  für  berechtigt,  dieselbe 
in  ihrer  Wirksamkeit  bei  der  hereditären  Lues  zu  erproben,  zumal 
mehrere  Gründe  sie  von  vornherein  bei  Kindern  besonders  wirksam  und 
angebracht  erscheinen  Hessen. 

1.  Stellt  diese  Methode  an  die  Anstelligkeit  der  Warteperson  gar 
keine  Anforderung. 

Ist  man  bei  Patienten  aus  bemittelten  Ständen  nie  recht  klar, 
ob  und  wie  eine  Schmiercur  durchgeführt  wird,  so  noch  vielmehr  bei 
unbemittelten  Leuten,  die  die  Poliklinik  aufsuchen. 

2.  Ist  man  nicht  gezwungen,  stark  wirkende  Mittel  den  Müttern 
in  die  Hand  zu  geben,  wie  es  bei  Sublimatbädern  oder  innerlichen 
Medicationen  der  Fall  ist. 

3.  Sind  die  Patienten  fortwährend  in  der  Bettwärme,  die  auf 
die  Verdunstung  des  Quecksilbers  befördernd  wirkt. 

4.  Ist  es  beim  Kinde  eine  verhältnissmässig  grössere  Oberfläche 
als  beim  Erwachsenen,  die  die  Verdunstung  besorgen  kapn. 

* 

Section  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Berlin). 

11.  Sitzungstag,  Dienstag  den  19.  September,  Vormittags. 

Vorsitzender  :  Se.  königl.  Hoheit  Prinz  Dr.  Ludwig'  Ferdinand  von 
Bayern. 

IX.  K  ii  m  mell  (Hamburg) :  Ueber  circulare  Naht  der 
G  e  f  ä  s  s  e. 

Was  die  an  Menschen  ausgeführte  Arterienlängsnaht  anbetrifft,  so 
hat  Israel  die  verletzte  Arteria  iliaca  communis  erfolgreich  genäht 
und  Lindner  die  Arteria  femoralis  communis  durch  die  Längsnaht 
erfolgreich  geschlossen.  II  a  i  d  e  n  h  a  i  n  nähte  eine  Arteria  axillaris,  M  a  n- 
teuffel  eine  Längswnnde  der  Arteria  femoralis,  der  Münchener  College 
Ziegler  eine  Stichverletzung  der  Carotis  mit  Erfolg,  auch  Murphy 
berichtet  über  gelungene  Gefässnähte. 

Die  Möglichkeit  der  cireulären  Naht  ist  wenigstens  für  die  Arte¬ 
rien  durch  Thierexperimente  bewiesen. 

Bei  den  Menschen  scheint  dieselbe,  soweit  er  aus  der  Literatur 
ersieht,  nicht  ausgeführt  worden  zu  sein.  Vortragender  hatte  im  Laufe 
dieses  Jahres  Gelegenheit,  bei  einer  Patientin  ein  circa  5  cm  langes 
Stück  der  careinomatös  entarteten  Arteria  femoralis  zu  reseciren  und  die 
Enden  durch  die  Naht  zu  vereinigen.  In  einem  zweiten  Falle  resecirte 
er  ein  circa  1  cm  langes  Stück  der  careinomatös  entarteten  Vena  femo¬ 
ralis  und  verschloss  die  Wunde  durch  circuläre  Naht.  Beide  Patienten 
genasen.  (Fortsetzung  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag;,  den  9.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  v.  ReilSS 
stattflndenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Dr.  Holzkneclit:  Eine  Demonstration. 

Docent  Dr.  Kretz:  Ueber  Lebercirrhose. 

Vorträge  haben  angeineldet  die  Herren:  Prof.  A.  Politzer,  Professor 
Benedikt,  Prof.  Weinlecliner,  Dr.  J.  Thenen,  Dr.  A.  Pilcz,  Ilofrath 
Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart,  Dr.  A.  Julies  und 
Docent  Dr.  Röthi. 

Bergmeister.  Pal  tauf. 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  12.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Sitzungssaal  des  Collegiums:  I.,  Rothenthurmstrasse  21  23 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  P.  Mittler 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Docent  Dr.  Adolf  Jolles:  Neue  Mittheilungen  aus  dein  Gebiete  der 
Methodik  der  Harnuntersuchung. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  Jos.  Gruber, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vog'1, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichseilbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373.  Redigjft  VOI1  I)l‘.  .416X1111(101'  FFtieilK6l. 


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Die  „Wiener  klinische 
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erscheint  jeden  Donnerstag 
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tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  15.  März  1900. 


Hr.  11. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  III.  medieinischen  Universitätsklinik  (Hofrath 
Schrötter)  in  Wien.  Ueber  die  sogenannte  pericarditische 
Pseudolebercirrhose  (Fr.  Pick).  Von  Dr.  Victor  Eisenmenger. 

2.  Hämatokolpos  und  Hämatometra  in  Folge  von  Atresia  hymenalis 
congenita.  Von  Dr.  E.  T  o  f  f,  Frauenarzt  in  Braila  (Rumänien). 

3.  Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Privatdocenten  Dr.  Alex. 
Fraenkel  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien.  Zur  Dia¬ 
gnostik  der  Oesophagusdivertikel.  Von  Cand  med.  Victor  Blum, 
Hospitant  der  Abtheilung. 

II.  Referate:  I.  Ueber  diätetische  Behandlung  der  Verdauungsstörungen 
der  Kinder.  Von  Prof.  Dr.  Biedert.  II.  Ueber  die  sogenannte 
Landkartenzunge  im  Kindesalter.  Von  Henry  Böhm.  III.  Kinder¬ 
heilkunde  in  Einzeldarstellungen.  Von  Prof.  Dr.  Alois  Monti. 
IV.  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde  für  Aerzte  und  Studirende.  Von 
Dr.  Bernhard  B  e  n  d  i  x.  Ref.  Escherich.  —  I.  Beiträge 
zur  Frage  der  Volksheilstätten  (IV).  Von  Dr.  med.  Hans 
W  e  i  c  k  e  r.  II.  Ueber  »infectiöse«  Lungenentzündungen  und  den 
heutigen  Stand  der  Psittakosis  Frage.  Von  Prof.  Dr.  Leichten- 
stern.  HI.  Die  Bedeutung  der  Lungenschwindsucht  für  die  Lebens- 


versicheruDgsgesellschaften.  Von  Paul  C  r  o  n  e  r,  IV.  Zur  Be¬ 
kämpfung  der  Lungenschwindsucht.  Von  Dr.  med.  Theodor 
Büdingen.  V.  Die  Handhabung  des  Heilverfahrens  bei  Ver¬ 
sicherten  durch  die  Hanseatische  Versicherungsanstalt  für  Invali¬ 
dities-  und  Altersversicherung  im  Jahre  1898  und  Ergebnisse  des 
Heilverfahrens  bei  lungenkranken  Versicherten  bis  Ende  1898. 
VI.  Leitende  Gesichtspunkte  bei  der  Auswahl  und  Nachbesichti- 
gung  der  in  Heilstätten  behandelten  Lungenkranken  im  Bezirke 
der  Hanseatischen  Versicherungsanstalt  und  Bemerkungen  über 
Sommer-  und  Wintercuren.  Von  Dr.  A  u  g.  Predöhl.  VII.  Die 
Erfolge  der  Heilstättenbehandlung  Lungenschwindsüchtiger,  und 
klinische  Bemerkungen  zur  Tuberculosis  pulmonum.  Von  Dr.  F. 
Reiche,  vni.  La  Tuberculose  est  curable.  Moyen  de  la  recon- 
naitre  et  de  la  guerir.  Instructions  pratiques  k  l’usage  des  families. 
Par  Dr.  Elisee  Ribard.  Ref.  v.  W  e  i  s  m  a  y  r. 

III.  Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

|  V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Aus  der  III.  medieinischen  Universitätsklinik  (Hofrath  j 

Schrötter)  in  Wien. 

Ueber  die  sogenannte  pericarditische  Pseudo¬ 
lebercirrhose  (Fr.  Pick). 

Von  Dr.  Victor  Eisenmenger. 

Im  Jahre  1896  hat  Friedei  Pick1)  den  Versuch  ge¬ 
macht,  ein  neues  Krankheitsbild  unter  dem  Namen  der  peri- 
carditischen  Pseudolebercirrhose  aufzustellen.  Dasselbe  charak- 
terisirt  sich  im  Wesentlichen  dadurch,  dass  klinisch  ein  Sym- 
ptomencomplex  besteht,  der  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
dem  der  Cirrhose  besitzt,  nämlich  hochgradiger  Ascites  bei 
mangelnden  oder  geringen  Beinödemen,  während  pathologisch¬ 
anatomisch  als  Grundlage  der  Erkrankung,  eine  chronische, 
schwielige  oder  adhäsive  Pericarditis  gefunden  wird. 

Pick’s  Anregung  hat  Erfolg  gehabt.  In  dem  kurzen 
seither  verstrichenen  Zeitraum  ist  eine  ganze  Reihe  von  Pu- 
blicationen  erschienen,  welche  einschlägige  Beobachtungen 
bringen  und  der  Mehrzahl  nach  den  Vorschlag  Pick’s  voll¬ 
inhaltlich  acceptiren,  ja,  es  ist  der  Name  sogar  in  einzelne 
Lehrbücher  aufgenommen  worden. 

Angesichts  dieses  Erfolges  erscheint  es  berechtigt  und 
nothwendig,  die  Arbeit  Pick’s  einer  eingehenden  Kritik  zu 
unterziehen. 


')  F  r  i  e  d  e  1  Pick,  Ueber  chronische,  unter  dem  Bilde  der  Leber- 
cirrhose  verlaufende  Pericarditis  (pericarditische  Pseudolebercirrhose).  Zeit- 
sclnift  für  klinische  Mediein.  1896,  Bd.  XXIX. 


Schon  auf  den  ersten  Blick  drängt  sieh  ein  gewichtiger 
Einwand,  allerdings  mehr  formaler  Natur  auf. 

Eines  der  wesentlichen  Merkmale  des  Begriffes  der  »peri- 
carditischen  Pseudolebercirrhose«,  das  sich  schon  im  Namen 
ausdrückt,  ist  ein,  mehr  oder  weniger  verzeihlicher,  diagnostischer 
Schnitzer.  Die  Ausdehnung  der  betreffenden  Krankheitsgruppe 
hängt  demnach  von  der  diagnostischen  Begabung  des  betref¬ 
fenden  Klinikers  einerseits,  andererseits  von  dem  momentanen 
Stande  unserer  Hilfsmittel  zur  Diagnose  der  Pericarditis  ab. 

Die  Krankheitsgruppe  ist  also  nicht  bestimmt  abgegrenzt, 
und  wenn  der  Fortschritt  der  Diagnostik  uns  einmal  die  Er¬ 
kennung  aller  Fälle  von  Pericarditis  ermöglicht,  muss  sie  ver¬ 
schwinden. 

Ferner:  Wer  soll  denn  die  Diagnose:  »pericarditische 
Pseudolebercirrhose«  machen  ? 

Der  Kliniker  kann  sie  nicht  machen,  denn  er  weiss 
nichts  von  der  Pericarditis. 

Der  pathologische  Anatom  andererseits  wird  gar  nicht  in 
Versuchung  kommen,  an  eine  Lebercirrhose  zu  denken.  Man 
könnte  den  Ausdruck  höchstens  als  Correctur  für  den  Kopf 
einer  Krankengeschichte  verwenden.  Für  das  Geständniss,  einen 
Fehler  in  der  Diagnose  begangen  zu  haben,  brauchen  wir 
aber  keinen  besonderen  Namen. 

Abgesehen  von  diesen  formellen  Einwänden  bähen  wir 
aber  noch  andere,  viel  wesentlichere  Gründe,  der  Aufstellung 
eines  neuen  Symptomencomplexes  im  Sinne  von  Pick  die 
Berechtigung  abzusprechen. 

Es  lässt  sich  nämlich  der  Naöhweis  führen,  dass  trotz 
der  gegentheiligen  Behauptung  Pick’s  eine  ein  lie  it  lie  ie 


250 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


pathologisch -  anatomise  he  Grundlage  für  diese 
Zustände  nicht  existirt. 

Pick  sieht  den  Grund  für  das  Vorwiegen  des  Ascites 
über  die  übrigen  Oedeme  bei  der  »periearditischen  Pseudo- 
lebercirrhose«  darin,  dass  in  Folge  der  chronischen  Blutstauung 
in  der  Leber  Bindegewebswucherungen  und  Schrumpfungen 
entstehen,  wodurch  ein  Theil  des  Capillarsystems  verloren 
geht,  analog  wie  bei  der  Säufercirrhose.  Es  entsteht  also  se- 
cundär  eine  Stauung  im  Pfortaderkreislauf,  welche  von  der 
primären,  durch  die  Pericarditis  erzeugten  unabhängig  ist, 
d.  h.  sie  würde  nach  Beseitigung  der  letzteren  selbstständig 
weiter  bestehen. 

Diese  Meinung,  dass  durch  chronische  Stauung  in  der 
Leber  Veränderungen  entstehen  können,  die  in  ihren  Folgen 
für  den  Pfortaderkreislauf  den  Veränderungen  bei  der  Leber- 
cirrkose  gleichwertig  sind,  ist  nun  durchaus  nicht  so  allge¬ 
mein  anerkannt,  wie  Pick  annimmt. 

Ich  habe  mich  eingehender  mit  der  Frage  beschäftigt, 
habe  aber  meine  Arbeit  noch  nicht  zum  Abschluss  gebracht 
und  muss  mich  daher  auf  die  folgenden  Ausführungen  be¬ 
schränken. 

Die  älteren  Autoren,  mit  Rokitansky  an  der  Spitze, 
nehmen  an,  dass  durch  chronische  Stauung  Lebercirrhose  ent¬ 
stehen  könne. 

Die  Fortschritte  der  mikroskopischen  Technik  führten 
aber  bald  zur  Erkenntniss,  dass  Stauungsleber  und  Leber¬ 
cirrhose  vollständig  von  einander  verschiedene  Processe  seien. 
Besonders  durch  Virchow  wurden  die  histologischen  Vor¬ 
gänge  in  der  Stauungsleber  klargestellt,  doch  glaubt  auch  er 
noch,  dass  durch  Steigerung  der  Störung  zu  entzündlicher 
Höhe  die  Stauungsleber  in  die  gewöhnliche  Cirrhose  sich  um¬ 
bilden  kann. 

Erst  Bamberger  stellte  mit  vollständiger  Präcision 
die  Thatsache  fest,  dass  Herzkrankheiten  nie¬ 
mals  zu  eigentlicher  Cirrhose,  sondern  nur  zu 
atrophischer  Muscatnussleber  führen,  ein  trotz 
der  äusseren  Aehnlichkeit  doch  dem  Wesen 
nach  gänzlich  verschiedener  Process. 

In  Frankreich  wird  heute  noch  die  Stauungsleber  als 
Cirrhose  cardiaque  unter  die  übrigen  Cirrhosen  eingereiht.  Aber 
auch  dieFranzosen  unterscheiden  die  Cirrhose  cardiaque  sehr  wohl 
von  der  Säufercirrhose.  Nach  der  Auffassung  einer  Anzahl  von 
Autoren  besteht  der  Unterschied  im  Wesentlichen  darin,  dass  bei 
der  ersteren  die  Wucherung  des  Bindegewebes  in  der  Umgebung 
der  am  meisten  dilatirten  Gefässe,  also  der  Leber venen,  statt- 
tindet,  und  demgemäss  ihren  Sitz  im  Centrum  der  Acini  hat, 
bei  der  letzteren  dagegen  vorwiegend  in  der  Peripherie. 
Uebrigens  wird  eine  solche  Bindegewebswucherung  im  Centrum 
der  Acini  auch  von  Rokitansky  beschrieben. 

L  i  e  b  e  r  m  e  i  s  t  e  r  2),  auf  den  sich  Pick  hauptsächlich 
stützt,  nimmt  einen  ganz  gesonderten  Standpunkt  ein.  Er  er¬ 
kennt  wohl  die  Verschiedenheit  der  beiden  Processe  an,  be¬ 
hauptet  aber  auf  Grund  einer  Anzahl  von  Fällen,  die  er  zu 
untersuchen  Gelegenheit  hatte,  dass  sowohl  bei  der  Lebercirr¬ 
hose,  als  auch  bei  der  Stauungsleber  Bindegewebswucherung 
in  der  Peripherie  der  Leberläppchen  stattfindet.  Der  Unter¬ 
schied  besteht  darin,  dass  in  dem  letzteren  Falle  die  Binde¬ 
gewebswucherung  sich  auf  die  Bahnen  beschränkt,  in  welchen 
bereits  unter  normalen  Verhältnissen  das  interlobuläre  Gewebe 
verläuft,  nämlich  auf  den  Verlauf  der  interlobulären  Gefässe, 
während  bei  der  Säufercirrhose  die  Bindegewebswucherung 
sich  flächenhaft  ausbreitet  und  die  Leberläppchen  ganz  ein¬ 
scheidet.  Doch  gibt  es  auch  Fälle  von  atrophischer  Muscat¬ 
nussleber,  bei  denen  eine  Bindegewebswucherung  ebenfalls 
flächenhaft  die  Leberläppchen  umgibt,  die  mithin  alle  der  Cir¬ 
rhose  zukommenden  histologischen  Eigenschaften  besitzen. 

Bezüglich  der  klinischen  Folgen  der  Erkrankung  sucht 
Lieber  meiste  r  den  Beweis  zu  führen,  dass  die  höheren 
Grade  der  in  Folge  von  Stauungshyperämie  auftretenden  Binde- 
gewebswuclierung  in  der  Leber  an  und  für  sich,  ebenso  wie 

2)  C.  Liebermeister,  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie 
und  Klinik  der  Lsberkrankheiten.  Tübingen  1864. 


die  Cirrhose,  eine  besondere  Ursache  der  Stauung  im  Pfort¬ 
adersystem  darstellen  und  zu  Ascites  führen. 

Dem  gegenüber  will  ich  in  Kurzem  eine  Darstellung 
der  Genese  der  Muscatnussleber  geben,  wie  sie  heute  ge¬ 
lehrt  wird. 

In  Folge  der  Stauung  erweitert  sich  zunächst  das  Gefäss- 
system  der  Leber;  naturgemäss  ist  diese  Erweiterung  am  in¬ 
tensivsten  gegen  das  Centrum  zu,  also  im  Gebiete  der  Leber¬ 
venen,  und  nimmt  nach  der  Peripherie,  den  Pfortaderästen 
hin,  ab. 

Die  nächste  Folge  davon  ist,  dass  das  den  ausgedehnten 
Gefässen  anliegende  Leberparenchym  atrophirt.  Diese  Atrophie 
ist,  dem  Grade  der  Erweiterung  der  Lebergefässe  entsprechend, 
am  stärksten  ausgesprochen  in  der  Umgebung  der  Lebervenen, 
im  Centrum  der  Leberläppchen  und  nimmt  von  da  gegen  die 
Peripherie  ab. 

Es  kann  auf  diese  Weise  ein  mehr  oder  minder  grosser 
Antheil  des  Parenchyms,  ja  sogar  der  ganze  Acinus,  zu  Grunde 
gehen.  Liegt  ein  solcher  Acinus,  dessen  Parenchym  geschwunden 
ist,  der  Oberfläche  an,  so  entsteht  eine  Vertiefung,  die  Ober¬ 
fläche  der  Leber  wird  höckerig.  Der  Verlust  an  Parenchym 
hat  zur  Folge,  dass  sich  das  Gesammtvolum  der  Leber  ver¬ 
ringert. 

Auf  diese  Weise  erklärt  schon  Virchow  die  Verklei¬ 
nerung  des  Organs  bei  der  atrophischen  Muscatnussleber. 
Liebermeister  hält  dem  entgegen,  dass  der  Raum,  der 
durch  den  Schwund  des  Parenchyms  frei  wird,  durch  die  aus¬ 
gedehnten  Gefässe  eingenommen  wird,  denn  der  Druck  eines 
ausgedehnten  Gefässes  kann  nur  so  viel  vom  'Parenchym  zur 
Atrophie  bringen,  als  das  Gefäss  selbst  an  Volumen  zuge¬ 
nommen  hat. 

Die  thatsächlich  stattfindende  Verkleinerung  des  Organes 
könne  daher  auf  diesem  Wege  nicht  erklärt  werden  und  man 
müsse  schon  deshalb  eine  Schrumpfung  des  neugebildeten 
Bindegewebes  annehmen. 

So  einleuchtend  das  auf  den  ersten  Blick  zu  sein  scheint, 
ist  der  Schluss  doch  nicht  ganz  richtig.  Wir  dürfen  zur  Er¬ 
klärung  des  Schwindens  des  Parenchyms  nicht  ausschliesslich 
die  Druckatrophie  geltend  machen,  sondern  es  spielen  dabei 
auch  Ernährungsstörungen  in  Folge  der  verlang¬ 
samten  Blutcirculation  eine  wichtige  Rolle. 
Wir  finden  in  solchen  Fällen  immer  eine  mehr  oder 
minder  ausgesprochene  fettige  Degeneration 
des  noch  erhaltenen  Leberparenchyms.  Der 
Schwund  des  Parenchyms  findet  daher  rascher  statt,  als  es 
der  Erweiterung  der  Gefässe  entspricht  und  so  können  wir 
uns  die  Verkleinerung  des  ganzen  Organes  ganz  gut  erklären. 

Endlich  entsteht  in  der  Wandung  sämmt- 
lic  her  Gefässe,  offenbar  als  eine  Folge  des  er¬ 
höhten  Wanddruckes,  eine  Zunahme  des  Binde¬ 
gewebes.  Dieses  Bindegewebe  hat  aber  nicht 
den  Charakter  einer  entzündlichen  Bindege¬ 
webswucherung,  sondern  ist  ein  normales,  wel¬ 
liges  Bindegewebe.  Die  Wandung  der  grösseren  Gefässe 
erscheint  gegen  die  Norm  etwas  verdickt;  bei  den  Capil¬ 
lar  e  n  äussert  sich  die  Verdickung  ihrer  Wan¬ 
dungen  dadurch,  dass  sie  deutlicher  sichtbar 
sind,  als  in  der  Norm. 

Ziegler  sagt:  Das  periportale  Bindegewebe  ist  meist 
unverändert,  doch  kommt  es  vor,  dass  dasselbe  hypertrophisch 
und  zellig  infiltrirt  ist,  so  dass  eine  besondere  Form  der  Cir¬ 
rhose  entsteht.  Das  sieht  so  aus,  wie  eine  Bestätigung  der  Be¬ 
funde  Lieber  meiste  r’s.  Die  Abbildung  bei  Ziegler3)  zeigt 
aber,  dass  auch  in  diesen  Fällen  eine  Wucherung  in  Schrum¬ 
pfung  des  Bindegewebes,  in  der  Weise,  dass  man  eine  Compression 
und  Verödung  der  Capillaren  erwarten  konnte,  nicht  vorliegt.  Das 
Bindegewebe  in  der  Umgebung  der  Gefässe  ist  wohl  etwas 
vermehrt  und  auch  kernreicher,  aber  das  Bild  ist  nicht  im 
Entferntesten  mit  dem  der  Cirrhose  zu  vergleichen. 

Ein  anderes  Bild  als  das  einer  einfachen 
Verdickung  der  Gefässwand  habe  ich  in  zahl- 

Ziegler,  Handbuch  der  pathologischen  Anatomie.  1898. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


251 


reichen  Präparaten,  die  ich  durch  die  Güte 
des  Herrn  Professors  Paltauf  zu  sehen  Ge¬ 
legenheit  hatte,  niemals  zu  Gesicht  bekommen 
können. 

Prof.  Paltauft  heilte  mir  auch  mit,  dass  er 
bei  Stauung  kein  ähnliches  Bild  gesehen  habe, 
wie  es  von  Liebermeister  beschrieben  wurde, 
dass  er  überhaupt  niemals  eine  Wucherung  des 
Bindegewebes  und  Schrumpfung  desselben  ge¬ 
sehen  habe,  die  zur  Obliteration  eines  grösse¬ 
ren  Antheiles  des  Lebergefässssy  stems  hatte 
führen  können. 

Ich  sah  dagegen  bei  Pal  tauf  Präparate,  welche  er¬ 
klären,  auf  welchem  Wege  Täuschungen  in  dieser  Richtung 
entstehen  können. 

Bei  einer  Leber,  bei  welcher  makroskopisch  eine  von 
dem  gewöhnlichen  Typus  abweichende  Cirrhose  diagnosticirt 
worden  war,  zeigte  die  genauere  Untersuchung,  dass  ein  Ver¬ 
schluss  der  Lebervenen  an  ihrer  Eintrittsstelle  in  die  Hohl¬ 
venen  vorlag.  Die  Lebervenen  waren  thrombosirt,  die  Thromben 
organisirt  und  so  entstand  ein  Bild,  welches  grosse  Aebnlich- 
keit  hatte  mit  Bindegewebswucherungen  im  Centrum  der 
Acini. 

Aehnliche  anatomische  und  klinische  Bilder  sind  von 
Budd,  Frerichs,  Hainski,  Rosenblatt  als  Folge  von 
secundärer,  von  Chiari  als  Folge  primärer  (syphilitischer) 
Phlebitis  der  Lebervenen  beschrieben  worden. 

Um  nun  zusammenzufassen,  haben  wir  gesehen,  dass 
die  atrophische  Muscatnussleber  Charakter i- 
sirt  ist  durch  Verkleinerung  des  ganzen  Or¬ 
ganes,  durch  die  höckerige  Oberfläche  des¬ 
selben,  durch  eine  auf  Bindegewebszunahme  be¬ 
ruhende  grössere  Derbheit:  Merkmale,  die  auch 
der  Säufercirrhose  zu  kommen. 

Dieser  äusseren  Aehnlichkeit  steht  aber 
der  fundamentale  Unterschied  entgegen,  dass 
bei  der  Cirrhose  die  Gefässe  t  heilweise  ver¬ 
engert,  com  primirt,  verödet  sind,  bei  der  Stau- 
ungsleber  dagegen  sind  sie  durchgeh  ends  er¬ 
weitert. 

Wenn  überhaupt  Fälle  Vorkommen,  bei  denen  wirklich 
eine  Bindegewebswucherung  und  Schrumpfung  im  Sinne  der 
älteren  Autoren  vorliegt,  so  dürfen  wir  doch  nach  unseren 
heutigen  Erfahrungen  sagen,  dass  es  sich  da  mindestens  um 
grosse  Seltenheiten  handelt. 

Der  Symptomencomplex  Pick’s  ist  nun  ein  gar  nicht 
so  seltener,  wie  schon  die  relativ  grosse  Anzahl  der  seit  1896 
veröffentlichten  Fälle  beweist.  Ich  glaube,  dass  jeder  Kliniker 
von  einiger  Erfahrung  über  solche  Fälle  aus  seiner  eigenen 
Beobachtung  verfügt. 

Strümpell4)  macht  schon  1883  die  Bemerkung,  dass 
ihm  gerade  bei  Pericarditis  wiederholt  stärkere  Transsudat¬ 
ansammlungen  in  den  Körperhöhlen  ohne  gleichzeitiges  Haut¬ 
ödem  aufgefallen  sind. 

Wenn  wir  überdies,  nach  dem  Vorgänge  von  Pick 
selbst,  alle  jene  Fälle  auf  Wucherungs-  und  Schrumpfungs 
processe  in  der  Leber  beziehen,  bei  welchen  sich  im  Gefolge 
einer  langdauernden,  durch  Erkrankung  des  Herzens  oder  der 
Lungen  bedingten  Circulationsstörung  hochgradiger  Ascites  bei 
fehlendem  oder  geringem  Beinödem  entwickelt,  so  müssen  wir 
solche  Zustände  geradezu  als  häufige  bezeichnen. 

Es  ist  nun  augenscheinlich  nicht  zulässig,  ein 
häufiges  Krankheitsbild  auf  eine  seltene  Ur¬ 
sache  zurückzuführen. 

Man  wird  einwerfen,  dass  diese  Einwendungen  mehr 
theoretisch  und  nicht  beweiskräftig  genug  sind  gegenüber  den 
vorliegenden  Thatsachen.  Pick  hat  ja  drei  solche  Fälle  pub- 
licirt  und  den  Sectionsbefund  mitgetheilt  und  ausser  ihm 
haben  das  auch  noch  eine  Anzahl  von  anderen  Autoren 
gethan. 


4)  A.  S  t  r  ü  m  p  e  1 1,  Lehrbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie. 
Leipzig  1883. 


Wenn  man  aber,  in  der  Erwartung,  einen  Beweis  für 
die  Supposition  Pick’s  zu  finden,  seine  Fälle  studirt,  so  wird 
man  enttäuscht.  Nicht  in  einem  einzigen  Falle  ist  durch 
mikroskopische  Examination  der  Nachweis  von  gewuchertem 
und  geschrumpftem  Bindegewebe  in  der  Leber  als  Folge  der 
Stauung  geführt.  Ja  noch  mehr,  wir  finden  sogar  nicht  un¬ 
wesentliche  Anhaltspunkte  dafür,  dass  die  Deutung,  die  Pick 
den  vorliegenden  Thatsachen  gibt,  unrichtig  ist. 

In  seinem  ersten  Falle  finden  wir  bei  der  Leber  die  bekannten 
Merkmale  der  Stauungsleber  angegeben,  das  Organ  ist  aber 
vergrössert,  es  handelt  sich  also  nicht  um  das  Endstadium  der 
Stauungsleber  und  es  ist  demgemäss  sehr  unwahrscheinlich, 
dass  sich  im  Bindegewebe  schon  Wucherungs-  und  Schrum¬ 
pfungsvorgänge  entwickelt  haben  sollen. 

Bei  den  beiden  anderen  Fällen  ist  in  der 
Obduc  tionsdiagnose  der  Zustand  der  Leber 
geradezu  als  »Cirrhosis  hepatis«  verzeichnet. 

Pick  meint  allerdings,  dass  man  sich  dadurch  nicht 
irreführen  lassen  dürfe,  es  sei  damit  höchstwahrscheinlich  die 
Cirrhose  cardiaque  der  Franzosen  gemeint  und  fügt  hinzu, 
dass  auch  Prof.  Chiari  die  Ansicht  ausgesprochen  habe,  »dass 
es  sich  offenbar  um  solche  Fälle  von  »Cirrhose  cardiaque« 
secundär  in  Bezug  auf  die  Herzbeutelaffection  gehandelt  habe«. 
Es  ist  aber  vollständig  ausgeschlossen,  dass  ein  deutscher 
Anatom  in  einem  Sectionsprotokoll  eine  »Cirrhose  cardiaque« 
als  eine  Cirrhosis  hepatis  absichtlich  bezeichnet. 

Die  Ansicht  P  i  c  k’s  involvirt  also,  dass  ein  diagnostischer 
Irrthum  des  Obducenten  Vorgelegen  sei.  Es  wäre  die  Aufgabe 
Pick’s  gewesen,  diesen  Irrthum  exact  nachzuweisen,  wenn  er 
darauf  so  weit  gehende  Schlussfolgerungen  basiren  will,  wie  er 
es  gethan  hat. 

Ich  glaube,  dass  wir  gar  keine  Berechtigung  haben,  an 
den  stricten  Angaben  des  Sectionsprotokolles  zu  deuteln,  und 
dass  wir  daher  annehmen  müssen,  in  den  beiden  letzten  Fällen 
Pick’s  sei  wirklich  Säufercirrhose  Vorgelegen. 

In  dem  einem  Falle  heisst  es  bei  der  Beschreibung:  »Die 
Leber  vergrössert,  ihre  Oberfläche  stark  uneben,  indem  dieselbe 
zahlreiche  grössere  und  kleinere  Körner  und  Höcker  zeigt. 
Das  Parenchym  derselben  sehr  derb,  deutlich  gefeldert,  indem 
die  interlobulären  Spatien  eingesunken  sind  und  die  von  den¬ 
selben  eingerahmten  Lobuli  in  grösseren  und  kleineren  Be¬ 
zirken  über  die  Schnittfläche  hervorragen.  Stellenweise  auch 
das  Parenchym  deutlich  in  Folge  fettiger  Infiltration  gelblich 
gefärbt. 

Das  soll  eine  atrophische  Muscatnussleber  sein? 

Im  anderen  Falle  wird  von  der  Leber  gesagt: 

Sie  ist  gewöhnlich  gross,  grobhöckerig  und  auf  dem 
Durchschnitte  sowohl  von  grösseren  Bindegewebszügen  durch¬ 
zogen,  als  auch,  namentlich  in  einzelnen  grösseren  Herden  um 
alle  Läppchen  herum  mit  gewuchertem  und  narbig  geschrumpftem 
Bindegewebe  versehen.  Das  Parenchym  am  Durchschnitte 
t Beils  kleinhöckerig,  theils  granulirt  und  sehr  derb.  Das  ist  die 
Beschreibung  einer  Lebercirrhose  und  nicht  die  einer 
Stauungsleber. 

Ich  bin  überzeugt,  dass  Chiari,  wenn  er  das  Sections¬ 
protokoll  genau  gesehen  hätte,  sich  nicht  so  bestimmt  ausge¬ 
drückt  hätte. 

Und  warum  soll  denn  keine  Lebercirrhose  Vorgelegen 
sein?  Die  chronischen,  schwieligen  und  adhäsiven  Pericarditiden 
sind  sehr  häufig  tuberculöser  Natur  und  das  häufige  Vor¬ 
kommen  der  Cirrhose  bei  Tuberculösen  ist  bekannt. 

Zudem  heisst  es  in  der  Anamnese  in  einem  Fall:  »Pa¬ 
tient  ist  kein  gewohnheitsmässiger  Trinker,  doch  gibt  er  an, 
an  Sonntagen  2 — 3^  Bier  und  Vc^^cin  getrunken  zu  haben, 
an  Wochentagen  gewöhnlich  i/2 1.« 

Im  anderen  Fall  heisst  es:  »Patient  trank  täglich  circa 
zwei  Glas  Bier,  bei  besonderen  Gelegenheiten  höchstens  sechs 
Glas.«  Das  ist  doch  wohl  mehr  als  der  blosse  ^  erdacht  auf 

Potatorium.  . 

Wenn  wir  nach  dem  Bisherigen  die  von  Fried.  1  ick 
gegebene  Erklärung  des  überwiegenden  Ascites  bei  gewissen 
cardialen  Circulationsstörungen  nicht  acceptiren  können,  so  tritt 
an  uns  die  Aufgabe  heran,  zu  untersuchen,  welche  andere 


252 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


ätiologische  Momente  wir  dafür  verantwortlich  machen  können. 
Diese  Aufgabe  ist  eine  doppelte:  Wir  müssen  erstens  unter¬ 
suchen,  warum  in  manchen  Fällen  von  cardialen  Circulations  - 
Störungen  im  Allgemeinen  Ascites  frühzeitiger  und  intensiver 
auftritt,  als  die  übrigen  Oedeme,  und  wir  müssen  zweitens 
untersuchen,  warum  gerade  bei  Circulationsstörungen,  die  durch 
schwielige  oder  adhäsive  Pericarditis  verursacht  werden,  der 
Ascites  noch  häufiger  in  den  Vordergrund  tritt,  als  bei  den 
übrigen. 

Eigentlich  wäre  die  erste  Frage  umgekehrt  zu  stellen: 
Warum  tritt  bei  cardialen  Circulationsstörungen  nicht  immer 
zuerst  Ascites  und  dann  erst  Oedem  auf?  Der  Pfortaderkreis¬ 
lauf  hat  ja  bei  dem  Umstand,  als  er  sein  Blut,  bevor  er  es 
in  die  untere  Hohlvene  entleeren  kann,  erst  noch  durch  das 
Capillargebiet  der  Leber  senden  muss,  gewiss  grössere  Wider¬ 
stände  zu  überwinden,  als  der  grosse  Kreislauf.  Theilweise 
wird  das  dadurch  compensirt,  dass  der  Weg,  den  das  Blut  des 
Capillarsystems  des  grossen  Kreislaufes  bis  zum  Herzen  zu 
durchlaufen  hat,  ein  längerer  ist,  als  der  des  Pfortadergebietes, 
und  dass  demgemäss  der  Reibungswiderstand  dort  ein  grösserer 
ist  als  hier.  Auch  ist  der  Stromwiderstand  des  Lebercapillar- 
systems  nicht  allzu  hoch  anzuschlagen,  weil  die  Capillaren  sehr 
weit  und  die  Strömung  demgemäss  eine  sehr  langsame  ist. 
Theoretische  Erwägungen  geben  uns  keine  weiteren  Auf¬ 
schlüsse  und  wir  müssen  daher  an  die  klinische  Beobachtung 
appelliren. 

Die  klinische  Beobachtung  lehrt  uns,  dass  zuerst  die 
Oedeme  der  unteren  Extremitäten  aufzutreten  pflegen,  dann 
der  Ascites,  dann  erst  Oedeme  an  den  oberen  Extremitäten. 
Die  Kreislaufverhältnisse  im  Pfortadergebiete  sind  also  nur 
gegenüber  dem  Kreislauf  der  unteren  Körperhälfte  besser  ge¬ 
stellt,  nicht  aber  gegenüber  der  oberen.  Daraus  geht  hervor, 
dass  es  im  grossen  Kreisläufe  im  Allgemeinen  schwerer  zu 
Oedemen  kommt,  als  im  Pfortadergebiet,  und  dass  für  die 
de  facto  bestehende  Prävalenz  der  Oedeme  der  unteren  Ex¬ 
tremitäten  specielle  Ursachen  gesucht  werden  müssen.  Diese 
liegen  nun  augenscheinlich  in  den  hydrostatischen  Verhältnissen 
der  verschiedenen  Venensysteme. 

Die  Circulation  in  den  unteren  Extremitäten  hat  ceteris 
paribus  einen  Mehrdruck  zu  überwinden,  der  dem  Druck  einer 
Blutsäule  von  der  Niveaudifferenz  zwischen  ihrem  Capillar¬ 
gebiet  und  der  Einmündungsstelle  der  Vena  cava  in  den 
rechten  Vorhof  entspricht.  Diese  Differenz  ist  am  grössten  bei 
aufrechter  Stellung  und  verschwindet  oder  wird  beträchtlich 
kleiner  bei  horizontaler  Lage. 

Für  das  Pfortadersystem  ist  diese  Niveaudifferenz  unter 
allen  Umständen  sehr  gering,  für  das  obere  Hohlvenensystem 
ist  sie  gleich  Null  oder  negativ,  so  dass  eine  den  Blutdruck 
entlastende  Heberwirkung  zu  Stande  kommt. 

Wir  sehen  daher  oft  genug,  wenn  ein  Kranker  mit 
Ascites  und  Beinödem  ins  Bett  kommt  und  dadurch  der 
hydrostatische  Druck  in  den  unteren  Extremitäten  verringert 
wird,  dass  dann  die  Oedeme  der  unteren  Extremitäten  rascher 
und  frühzeitiger  zurückgehen  als  der  Ascites,  und  bei  Kranken, 
welche  schon  vor  dem  Auftreten  des  Hydrops  bettlägerig  sind, 
kann  der  Ascites  von  vorneherein  zuerst  auftreten. 

Ist  somit  unter  sonst  normalen  Verhältnissen  die  Tendenz 
zum  Auftreten  von  Transsudationsprocessen  in  den  verschie¬ 
denen  Venensystemen  annähernd  die  gleiche,  so  können, 
ausser  der  mechanischen  Wirkung  der  Schwerkraft  auch  noch 
die  verschiedenartigsten  pathologischen  Processe  ihren  Einfluss 
zu  Ungunsten  des  einen  oder  des  anderen  Systems  geltend 
machen. 

Schon  individuelle  Verschiedenheiten  verdienen  Berück¬ 
sichtigung.  Es  unterliegt  gar  keinem  Zweifel,  dass  solche  in 
Bezug  auf  die  Circulation  in  der  Leber  sehr  ausgesprochen 
sind,  und  dass  es  aus  diesem  Grunde  bei  dem  einen  Individuum 
leichter  zu  Ascites  kommt  als  bei  dem  anderen.  Dasselbe  gilt 
von  der  Disposition  des  Bindegewebes  transsudativen  Processen 
gegenüber. 

Von  pathologischen  Zuständen,  welche  das  Auftreten  des 
Ascites  begünstigen,  will  ich  hier  nur  zwei  hervorheben. 


Erstens  entzündliche  Veränderungen. 

N.  Weiss  vermuthet  in  einem  einschlägigen  Fall,  dass 
eine  vorausgegangene  chronische  Peritonitis  durch  die  von  ihr  er¬ 
zeugten  Gefässveränderungen  die  Transsudation  begünstige. 

Zweitens  können  Leberveränderungen  verschiedener  Art, 
auch  wenn  sie  noch  so  gering  sind,  dass  sie  sich  dem  anato¬ 
mischen  und  vollends  dem  klinischen  Nachweis  entziehen,  doch 
schon  einen  schädigenden  Einfluss  auf  die  Pfordadercirculation 
haben.  Namentlich  mag  auf  die  Folgen  des  Potatoriums  hin¬ 
gewiesen  werden. 

Es  kann  auch  eine  ausgesprochene  Lebercirrhose  zufällig 
concomitiren.  Eine  Anzahl  von  Fällen,  in  denen  wirkliche  B  nde- 
gewebswucherung  bei  Stauungsleber  gefunden  wurden,  sind 
vielleicht  auf  diese  Weise  zu  erklären. 

Von  pathologischen  Zuständen,  welche  das  Auftreten 
eines  Hydrops  der  unteren  Extremitäten  begünstigen,  seien 
hervorgehoben:  Angioneurosen,  syphilitische  und  andere  Gefäss- 
erkrankungen,  indirect  die  so  häufigen  Phlebektasien  der  unteren 
Extremitäten. 

Von  entscheidender  Bedeutung  für  die  Beantwortung 
unserer  Frage  scheinen  mir  die  senilen  Veränderungen  der  Ge- 
fässe  und  Gewebe  zu  sein. 

Pick  macht  selbst  darauf  aufmerksam,  dass  der  von  ihm 
beschriebene  Symptomencomplex  häufiger  bei  jugendlichen 
Individuen  beobachtet  wird  als  bei  älteren.  Auch  von  Rosen¬ 
bach  wird  das  ausdrücklich  betont.  Ebenso  ist  auch  bei  den 
übrigen  Herzkrankheiten  ein  Prävaliren  des  Ascites  über  die 
übrigen  Symptome  bei  jugendlichen  Individuen  häufiger  als  bei 
älteren. 

Eine  Erklärung  wird  weder  von  Pick  noch  von 
Rosenbach  versucht.  Mir  scheint  sie  sehr  einfach  zu  sein. 

Die  peripheren  Gefässe  des  grossen  Kreislaufes  sind  die¬ 
jenigen  Organe  des  menschlichen  Körpers,  welche  am  raschesten 
altern,  während  gerade  das  Peritoneum  am  wenigsten  der 
Altersinvolution  unterliegt. 

Die  senilen  Veränderungen  der  Gefässe,  der  Verlust  der 
Elasticität  ihrer  Wandungen,  die  grössere  Durchlässigkeit  der¬ 
selben,  betheiligen  sich  aber  sehr  wesentlich  an  der  Genese 
der  hydropischen  Erscheinungen.  Auch  die  Verminderung  der 
Elasticität  des  Bindegewebes,  eine  constante  Folge  des 
Alters,  bedeutet  eine  weitere  Disposition  zur  Entstehung  von 
Oedem. 

Die  senilen  Veränderungen  beginnen  aber  bekanntlich 
nicht  erst  im  eigentlichen  Greisenalter,  sondern  schon  sehr  viel 
früher  und  steigern  sich  allmälig. 

Je  älter  das  betroffene  Individuum  also  ist,  je  mehr  die 
senilen  Involutionen  vorgeschritten  sind,  desto  mehr  überwiegt 
die  Disposition  des  subcutanen  Bindegewebes  zu  transsudativen 
Vorgängen  über  die  des  viel  langsamer  alternden  Peritoneums. 

Die  Fälle,  in  denen  das  Ueberwiegen  des  Ascites  gegen¬ 
über  dem  Oedem  ein  nicht  sehr  stark  ausgesprochenes  ist, 
lassen  sich  aus  physiologischen  oder  nahezu  physiologischen 
Verhältnissen  erklären.  Ist  der  Ascites  aber  sehr  ausgesprochen, 
höchstgradig  und  fehlen  die  Beinödeme  ganz,  so  besteht  ein 
Missverhältnis,  das  sich  nur  durch  anderweitige  pathologische 
Complicationen  der  ursprünglichen  Kreislaufstörung  erklären 
lässt.  Dieser  letztere  Zustand  ist  demgemäss  seltener. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  zweiten  Frage,  warum  gerade 
bei  schwieliger  und  adhäsiver  Pericarditis  die  Circulations¬ 
störungen  sich  hauptsächlich  im  Pfortadergebiet  manifestiren, 
so  finden  wir,  dass  auch  hier  nicht  eine  einheitliche,  sondern 
eine  ganze  Anzahl  von  verschiedenen  Ursachen  dafür  verant¬ 
wortlich  gemacht  werden  müssen. 

Schon  in  den  bisherigen  Publicationen  entsteht  eine  Di¬ 
vergenz  bezüglich  der  Pathogenese,  indem  einzelne  Autoren 
(Heidemann,  Schupfe  r,  W  e  r  h  a  t  u  s)  nicht  die  Peri¬ 
carditis,  sondern  die  bei  Sectionen  solcher  Fälle  häufig  gefun¬ 
dene  Peritonitis  als  die  primäre  Ursache  des  Ascites  ansehen. 

Gegen  die  ätiologische  Bedeutung  der  chronischen  Peri¬ 
tonitis  für  den  Ascites  in  diesen  Fällen  wendet  Pick  Folgen¬ 
des  ein:  1.  In  einer  ganzen  Anzahl  von  Fällen  fehlten  stärkere 
Peritonealveränderungen  bei  der  Section;  2.  auch  in  den 
Fällen,  in  welchen  starke  Peritonitis  und  insbesondere  Peri- 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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hepatitis  gefunden  wurde,  liess  sich  im  Beginne  hochgradige 
Lebervergrösserung  constatiren  •  3.  ein  lang  anhaltendes  Ueber- 
wiegen  des  Ascites  gegenüber  den  Beinödemen  kommt  auch 
bei  anderen  Herzkrankheiten  vor. 

Diese  Einwände  beweisen  aber  nicht,  wie  Pick  glaubt, 
dass  die  Peritonitis  nicht  die  Ursache  des  Ascites  sei,  sondern 
sie  beweisen  nur,  dass  sie  nicht  immer  die  Ursache  sei.  Das¬ 
selbe  gilt  von  einem  in  jüngster  Zeit  von  Nachod  ver¬ 
öffentlichten  Fall. 

Die  vorhandenen  Symptome  legten  die  Diagnose  einer 
tuberculösen  Peritonitis  nahe,  die  vorgenommene  Laparotomie 
aber  deckte  keine  anderen  Veränderungen,  als  hochgradigen 
Ascites  und  Stauungsleber  auf.  Bei  der  längere  Zeit  später 
vorgenommenen  Section  fanden  sich  dagegen,  neben  einer 
schwieligen  Pericarditis,  ziemlich  ausgebreitete  peritonitische 
Veränderungen.  Es  ist  richtig,  dass  in  diesem  Falle  der  Be¬ 
fund  bei  der  Section  ohne  vorausgegangene  Laparotomie  zu 
den  Schluss  geführt  hätte,  dass  die  Peritonitis  die  directe  Ur¬ 
sache  des  Ascites  gewesen  sei.  Aber  abgesehen  davon,  dass 
die  Inspection  der  Bauchhöhle  bei  der  Laparotomie  doch  wahr¬ 
scheinlich  nicht  gründlich  genug  war,  um  nicht  circum scripte 
peritonitische  Veränderungen  etwa  an  der  Porta  hepatis  zu 
übersehen,  lässt  sich  die  Verwerthung  des  Befundes  doch  nicht 
in  dem  Sinne  verallgemeinern,  dass  auch  in  den  anderen  ähn¬ 
lichen  Fällen  die  Peritonitis  secundär  entstand,  und  dass  die 
Häufigkeit  dieses  Vorkommens  dadurch  erklärt  wird,  dass 
durch  den  vorher  bestandenen  Ascites  die  Propagation  des 
Krankheitsprocesses  vom  Herzbeutel  her  begünstigt  wird. 

Von  grösserer  Bedeutung  erscheint  mir  ein  anderer  Ein¬ 
wand  zu  sein,  den  man  solchen  Fällen  gegenüber  machen 
könnte.  In  Fällen,  bei  denen  durch  lange  Zeit  hochgradiger 
Ascites  besteht,  kommt  es  zu  Trübungen  und  Verdickungen 
des  Peritoneums  durch  Organisation  von  Niederschlägen  aus 
der  Ascitesflüssigkeit,  die  leicht  zu  der  irrigen  Annahme  einer 
entzündlichen  Veränderung  des  Peritoneums  führen  können 
und  es  wäre  daher  zu  erwägen,  ob  nicht  in  einem  fl  heil  der 
publicirten  Fälle  ein  solcher  Irrthum  Vorgelegen  sei. 

Die  Thatsache  aber  steht  fest,  dass  eine  chronische  Peri¬ 
tonitis,  namentlich  dann,  wenn  sie  sich  an  der  Porta  hepatis 
localisirt,  längs  der  Gefässe  in  die  Leber  hineinwandern  kann, 
und  dann  dort  endophlebitische  und  periphlebitische  Processe 
erzeugen  kann,  die  dann  ihrerseits  Stauung  im  Pfortader¬ 
gebiete  zur  Folge  haben  kann. 

Die  Combination  einer  chronischen  Pericarditis  mit  einer 
chronischen  Peritonitis  ist  nun  etwas  so  Häufiges,  dass  sich 
daraus  das  häufigere  Vorkommen  eines  auf  diese  Weise  ent¬ 
standenen  Ascites  ganz  gut  erklärt. 

Ausser  der  chronischen  Peritonitis  kennen  wir  aber  noch 
eine  Anzahl  von  anderen  Complicationen  und  Folgezuständen 
der  Pericarditis,  welche  zu  Ascites  führen  können. 

Wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  stellt  die  chronische 
Pericarditis  in  vielen  Fällen  nur  eine  Theilerseheinung  der 
chronischen  Allgemeintuberculose  dar  und  wir  haben  demnach 
relativ  häufig  eine  Complication  mit  Lebercirrhose  zu  erwarten. 
Eine  solche  Complication  liegt  wahrscheinlich  in  zwei  von 
den  drei  Fällen  Pick’s  vor.  Ferner  kann  der  Entzündungs- 
process  vom  Pericard  längs  der  Hohlvene  in  die  Leber  wandern 
und  dort  in  den  Lebervenen  endophlebitische  und  peri¬ 
phlebitische  Processe  mit  consecutiver  Stauung  im  Pfortader¬ 
gebiet  erzeugen. 

Für  eine  weitere  Anzahl  von  Fällen  mag  auch  die  von 
Weinberg5)  gegebene  Erklärung  zutreffen.  Er  nimmt  an, 
dass  durch  einen  gleichzeitig  bestehenden  rechtsseitigen  pleu¬ 
ralen  Erguss  im  Sinne  der  bekannten  Experimente  Rosen- 
bach’s6)  eine  Knickung  der  Cava  inferior  erzeugt  wird,  die 
zur  Stauung  im  Pfortaderkreislauf  führt. 

Endlich  möchte  ich  noch  auf  einen  Umstand  hinweisen, 
der  manchmal  die  Ursache  der  Entstehung  eines  Ascites  bei 
chronischer  Pericarditis  sein  mag. 

5)  W.  Weinberg,  Zwei  Fälle  von  Pericarditis  tuberculosa  mit 
Herzbeutelverwachsung  und  Ascites.  Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1884. 

°)  Rosenbach,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CV. 


Bei  schwieligen,  pericarditischen  Processen,  die  ja  fast 
immer  sich  auf  das  extrapericardiale  Gewebe  erstrecken,  läuft 
die  Vena  cava  eine  verhältnissmässig  lange  Strecke  in  schrum¬ 
pfendem,  schwieligem  Bindegewebe.  Es  kommt  dabei  natur- 
gemäss  zu  Compressionen,  zu  Verzerrung  der  Vene  und  ihrer 
Einmündungsstelle  in  den  rechten  Vorhot,  vielleicht  auch  zu 
Verzerrungen  an  den  Einmündungsstellen  der  Lebervenen. 

Dadurch  wird  ein  Circulationshinderniss  in  der  unteren 
Hohlvene  erzeugt.  Wäre  dieses  Circulationshinderniss  ein  ab¬ 
solutes,  so  müssten  sich  die  Folgen  der  Verstopfung  der  unteren 
Hohlvene  in  toto  einstellen,  Oedem  der  ganzen  unteren  Körper¬ 
hälfte,  Ascites,  Ausbildung  eines  Collateralkreislaufes  etc. 

Da  aber  das  Circulationshinderniss  nur  ein  theil weises 
ist,  so  müssen  sich  seine  Folgen  vorwiegend  im  Pfortaderkreis¬ 
lauf  einstellen,  weil  die  Entlastung  derselben  durch  Collateralen 
nach  dem  Venensystem  der  oberen  Körperhälfte  viel  unvoll¬ 
kommener  und  schwieriger  vor  sich  geht,  als  bei  dem  übrigen 
Stromgebiet  der  unteren  Hohlvene. 

Diesem  letzteren  stehen  mächtige  Venenstämme  zur  Ver¬ 
fügung.  Das  ganze  System  der  vorderen  und  hinteren  Rumpf¬ 
venen  bildet  eine  Anastomosenkette,  welche  die  paarigen 
Venen  der  unteren  Körperhälfte  mit  der  oberen  Hohlvene 
verbindet.  Darunter  sind  die  mächtigen  Venenstämme  der 
Azygos  und  Hemiazygos,  deren  Bauchstücke,  die  Venae  lum¬ 
bales  ascendentes,  nichts  weiter  sind  als  eine  Anastomosenkette, 
bestehend  aus  verticalen  Röhren  stücken,  welche  je  zwei  von 
den  quer  zur  Cava  gehenden  Lendenvenen  mit  einander  und 
die  letzte  mit  der  Vena  ilio-lumbalis  verbinden  (Langer). 

Im  Verhältniss  dazu  sind  die  Anastomosen.  welche  das 
Pfortadergebiet  mit  dem  Gebiete  der  oberen  Hohlvene  ver¬ 
binden,  bekanntlich  sehr  spärlich.  Es  ist  daher  begreiflich, 
dass  sich  die  Folgen  eines  partiellen  Circulationshindernisses 
in  der  unteren  Hohlvene  mit  aller  Schwere  im  Pfortader¬ 
system  äussern  müssen,  während  sich  das  übrige  Strom¬ 
gebiet  desselben  verhältnissmässig  leicht  durch  die  Collateralen 

entlastet.  „ 

Ich  glaube  nicht,  dass  damit  die  Möglichkeiten  erschöpft 
sind,  durch  welche  wir  uns  das  häufige  Vorkommen  eines 
isolirten  Ascites  bei  Pericarditis  gegenüber  der  Seltenheit  des¬ 
selben  bei  den  übrigen  Herzkrankheiten  erklären  können.  Es 
genügen  aber  die  angeführten,  um  die  flfliatsache  unserem  \  er- 
ständniss  näher  zu  bringen. 

Aus  diesen  Thatsachen  und  Erwägungen  lassen  sich 
folgende  Schlüsse  ziehen: 

E  s  i  s  t  richtig,  dass  im  Gefolge  einer  adhä¬ 
siven  oder  schwieligen  Pericarditis  verhält¬ 
nissmässig  häufig  hochgradiger  Ascites  bei 
Fehlen  von  Beinödem  entsteht. 

Ist  die  Pericarditis  latent,  so  hat  der  Sy  m- 
ptomencomplex  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
dem  der  Lebercirrhose. 

Dieser  Symptom encomplex  wird  aber  nicht, 
wie  Pick  behauptet,  dadurch  hervorgerufen, 
dass  die  Circulationsstörungen  in  der  Leber 
zu  Bindegewebswucherungen  führen,  welche 
durch  Stauung  im  Pfortaderkreislauf  den  As¬ 
cites  zur  Folge  haben,  sondern  ist  in  den  's  ei- 
schiedenen  Fällen  Folge  verschiedener  Li¬ 
sa  c  h  e  n. 

Hervorzuheben  sind:  Verzerrungen,  Co m- 
pression,  Knickungen  der  unteren  Hohlvene 
durch  ein  gleichzeitig  bestehendes  Exsudat 
oder  der  pericardio-mediastinalen  Schwielen, 
gleichzeitig  bestehende  Peritonitis  an  der 
L  e  b  e  r  p  f  o  r  t  e,  endlich  bei  dem  Umstand,,  dass 
der  Symptom  encomplex  vorwiegend  bei  jün¬ 
geren  Individuen  vorkommt,  die  normal  e,  j  u  gen  d  - 
liehe  Beschaffenheit  der  Capillaren  und  klei 
neren  Gefässe  des  grossen  Kreislaufes,  daher 
es  weniger  leicht  zur  ödematösen  t  ranssudation 

kommt.  ,  • 

Nachdem  dem  von  Friedel  Pick  beschrie¬ 
benen  Symptom  encomplex  somit  eine  ein  m  it 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


liehe  anatomische  Ursache  nicht  zu  Grunde 
liegt,  so  darf  derselbe  auch  klinisch  nicht  als 
ein  einheitliches  Krankheitsbild  betrachtet 
werden,  undnachdemdein  von  Pick  vor  geschlagenen 
Namen  »pericarditische  Pseudolebercirrhose« 
ein  Begriff  zu  Grunde  liegt,  der  als  ein  wesent¬ 
liches  Merkmal  einen,  allerdings  in  vielen 
Fällen  schwer  zu  vermeidenden  diagnostischen 
Fehler  enthält,  so  kann  auch  dieser  Name  nicht 
acceptirt  werden. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir  noch,  Herrn  Professor 
Paltauf  für  seine  überaus  freundliche  Unterstützung  aufs 
Beste  zu  danken. 


Hämatokolpos  und  Hämatometra  in  Folge  von 
Atresia  hymenalis  congenita. 

Von  Dr.  E.  Toff,  Frauenarzt  in  Braila  (Rumänien). 

Obwohl  die  Casuistik  der  teratologischen  Formen  weib 
lieber  Genitalien  relativ  eine  recht  stattliche  ist,  halte  ich  doch 
den  folgenden  selbst  beobachteten  Fall  für  erwähnenswerth, 
da  er  gewisse  interessante  Eigenthümlichkeiten  bot. 

Nachstehend  in  Kürze  die  betreffende  Krankengeschichte: 

2.  September  1899.  Rosalia  S.,  13  Jahre  alt,  Näherin,  noch 
nicht  menstruirt,  war,  mit  Ausnahme  unbedeutender  Kinderkrank¬ 
heiten,  bis  nun  immer  gesund.  In  den  letzten  Monaten  verspürte 
sie  bei  längerem  Gehen  eine  gewisse  Schwere  im  Unterleibe,  sonst 
aber  keine  Schmerzen  und  keine  irgendwie  gearteten  Beschwerden. 
Vor  drei  Tagen  wurde  das  Uriniren  sehr  erschwert,  es  stellten  sich 
heftige,  kolikarlige  Schmerzen  im  Bauche  und  Ziehen  im  Kreuze 
ein,  zugleich  bestand  auch  hartnäckige  Verstopfung.  Am  Morgen 
des  gestrigen  Tages  trat  gänzliche  Harnverhaltung  auf  und  wurde 
Patientin  seither  von  verschiedenen  Aerzten  mehrmals  katheterisirt, 
worauf  die  sonst  unerträglichen  Beschwerden  immer  für  einige 
Stunden  sistirten. 

Status  praesens:  Ein  gracil  gebautes  blasses  Mädchen 
mit  kaum  entwickelten  Brüsten  und  spärlichen  Schamhaaren.  Die 
Kranke  windet  sich  im  Bette  hin  und  her  und  klagt  über  äusserst 
heftige  Leib-  und  Kreuzschmerzen.  Temperatur  37T°,  Puls  100. 
Der  Unterleib  leicht  vorgewölbt,  namentlich  unterhalb  des  Nabels, 
wo  durch  vorsichtige  Percussion  absolute  Dämpfung  bis  drei  Quer¬ 
finger  über  der  Symphyse  nachzuweisen  ist.  Die  Palpation  ergibt 
einen  rundlichen  Tumor,  der  am  meisten  einer  schwangeren  Gebär¬ 
mutter  im  fünften  Monate  der  Gravidität  ähnelt. 

Die  Untersuchung  des  Genitales  ergab  Folgendes:  Die  grossen 
Schamlippen  etwas  auseinanderstehend;  zwischen  ihnen  wölbt  sich 
ein  etwa  hühnereigrosser,  dunkelblaurother,  glatter,  fluctuirender 
Tumor  hervor.  Derselbe  reicht  nach  oben  bis  an  die  Mündung  der 
Harnröhre  und  verliert  sich  nach  unten  und  hinten  in  das  Mittel¬ 
fleisch.  Rechts  und  links  sind  zwei  tiefe  Furchen  zwischen  Tumor 
und  grossen  Schamlippen  und  beim  Auseinanderziehen  derselben 
kann  man  den  Uebergang  der  Vorhofschleimhaut  auf  die  Ge¬ 
schwulst  ohne  Unterbrechung  verfolgen.  Die  Nymphen  sind  un¬ 
sichtbar. 

Beim  Touchiren  durch  das  Rectum  erwies  sich  das  ganz 
kleine  Becken  durch  eine  prall-elastische,  fluctuirende,  fast  kinds¬ 
kopfgrosse  Masse  erfüllt,  welche  sich  gegen  das  äussere  Genitale 
hin  fortsetzte  und  mit  der  oben  beschriebenen  Geschwulst  als  com- 
municirend  nachgewiesen  werden  konnte.  Die  obere  Begrenzung  der- 
selben  konnte  nicht  touclnrt  werden,  ebensowenig  war  vom  Uterus 
und  den  Adnexen  etwas  zu  fühlen;  bimanuelle  Palpation  wurde 
wegen  eventuell  bestehender  Hämatosalpinx  unterlassen.  Die  Diagnose, 
welche  sich  unter  diesen  Umständen  aufdrängte,  war  H  ä  m  a  t  o- 
k  o  1  p  o  s  und  möglicher  Weise  auch  Hämatometra  in  Folge 
von  Imperforatio  hymenis. 

Nach  Entleerung  der  Harnblase  durch  einen  elastischen 
Katheter,  welcher  nur  mit  vieler  Mühe  eingeführt  werden  konnte, 
machte  ich  unter  Cocainanästhesie  und  den  üblichen  anti septischen 
Cautelen,  auf  der  Höhe  der  Geschwulst,  praeparando  vorgehend, 
einen  2  cm  langen  Schnitt,  worauf  sich  über  1 1  einer  dunkelbraun¬ 


rothen,  dicklichen,  sich  ziehenden,  geruchlosen  Flüssigkeit  entleerte; 
gleichzeitig  sistirten  auch  alle  Schmerzen.  Der  Schnitt  wurde  nach 
oben  bis  nahe  an  die  Harnröhrenmündung  und  nach  unten  bis  nahe 
an  das  Perineum  verlängert.  Die  durchtrennte  Membran  war  bei 
Qmm  dick,  fibrös  und  bestand  deutlich  aus  zwei  supraponirten, 
mit  einander  verwachsenen  Schichten. 

Man  konnte  hierauf  das  innere  Genitale  bequem  mit  dem 
Finger  exploriren.  Die  Scheide  war  in  einen  weiten,  schlaffen  Sack 
verwandelt,  der  Uterus  gross,  in  leichter  Anteversion,  der  äussere 
Muttermund  weich,  für  den  Finger  durchgängig,  der  innere  nur 
leicht  erweitert,  fast  geschlossen.  Die  Adnexe,  auf  Druck  nicht 
schmerzhaft,  boten  normalen  Befund. 

Die  Höhle  wurde  dann  mit  schwacher  Sublimatlösung 
(1  :  5000)  ausgespült,  durch  sechs  Knopfnähte  das  innere  und 
äussere  Schleimhautblatt  an  den  Schnitträndern  vereinigt  und  Jodo¬ 
formgaze  eingelegt.  Die  Nachbehandlung  bestand  in  täglicher  antisepti¬ 
scher  Ausspülung  der  Vagina  und  nachfolgender  Einlage  eines 
Streifens  Jodoformgaze.  Am  sechsten  Tage  war  die  Wunde  geheilt 
und  die  Nähte  wurde  entfernt.  Während  der  ganzen  Zeit  war  das 
Befinden  der  Patientin  ein  vorzügliches;  die  Temperatur  variirte 
zwischen  366°  und  371°.  Heute  ist  das  Hymenallumen  für  den 
kleinen  Finger  leicht  durchgängig,  die  Menstruation  ist  seither  vier¬ 
mal  wiedergekehrt,  dauert  drei  Tage,  ist  sonst  normal  und  gänzlich 
schmerzlos.  Die  kleinen  Schamlippen,  deren  Falten  in  die  Geschwulst 
einbezogen  waren,  sind  deutlich  prominirend  und  haben  normale 
Entwicklung.  Um  einer  zu  starken  Zusammenziehung  der  Oeffnung 
vorzubeugen,  werden  zeitweise  leichte  Dilatationen  vorgenommen. 

Wie  ich  nachträglich  erfuhr,  hat  eine  Tante  mütterlicherseits 
an  derselben  Anomalie  gelitten.  Dieselbe  wurde  in  ihrem  18.  Lebens¬ 
jahre  operirt,  wobei  sich  viel  Blut  aus  ihren  Geschlechtstheilen 
entleert  haben  soll,  hat  seither  geheiratet  und  drei  Kinder  normal 
geboren. 

Im  Anschlüsse  daran  möchte  ich  einige  allgemeine  Be¬ 
merkungen  über  den  beobachteten  Fall  und  anderen  ähnlichen, 
in  der  Literatur  befindlichen,  machen. 

Die  Atresia  hymenalis  congenita  wird  theo 
retisch  als  auf  einer  Störung  in  der  Entwicklung  der  Müll  er¬ 
sehen  Canälchen  w'ährend  des  embryonalen  Lebens  beruhend, 
erklärt.  Bekanntlich  verschmelzen  dieselben  in  ihrem  unteren 
Antheile  zu  einem  unpaarigen  Röhrchen,  aus  welchem  zu  Ende 
des  dritten  Monates  Vagina  und  Uterus  sich  entwickeln,  und 
welches  im  weiteren  Verlaufe  in  den  Sinus  urogenitalis  mündet. 
Wenn  diese  Verbindung  nicht  stattfindet,  so  fehlt  die  Hymenal- 
öffnung  und  es  bildet  sich  eine  Atresie.  Die  näheren  Bedin¬ 
gungen  des  Zustandekommens  sind  nicht  bekannt,  dies  umso 
weniger,  als  auch  überhaupt  die  embryonale  Entwicklung 
des  Hymens  nicht  vollkommen  klargestellt  ist,  denn  während 
einige  Forscher,  wie  Bland  in,  Henle  undBudin,  dasselbe 
als  einen  einfachen  Vorsprung  des  unteren  Vaginalendes  be¬ 
trachten,  ist  Pozzi  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  dahin 
gelangt,  die  Hymenalmembran  als  Theil  der  äusseren  Ge¬ 
schlechtsorgane  anzusehen.  ')  Jedenfalls  können  wir  aber  an¬ 
nehmen,  dass  es  sich  in  den  Fällen  von  Atresie  nicht  um  zu¬ 
fällige  Störungen,  sondern  um  tiefer  begründete  Eigenthüm¬ 
lichkeiten  in  der  Organisation  der  betreffenden  Individuen 
handelt.  Anders  wären  die  Fälle  von  Heredität  und  von 
häufigem  Vorkommen  der  in  Rede  stehenden  Anomalie  in 
derselben  Familie  nicht  zu  erklären.  So  litten  z.  B.  in  dem 
Falle  von  Yates2)  eine  Schwester  und  zwei  Basen  an  Im¬ 
perforation  des  Hymens,  in  dem  Falle  von  Amann3 4)  eben¬ 
falls  eine  Schwester  und  in  dem  obigen  eine  Tante. 

Auffallend  ist  in  fast  sämmtlichen  Fällen  die  besondere 
Dicke  der  obturirenden  Membran  uud  man  kann  in  Anbetracht 
dessen  wohl  der  Meinung  Pozzi’s1)  beistimmen,  dass  es  sich 
da  nicht  nur  um  Hymenal-,  sondern  fast  immer  auch  um 
Atresie  des  Endstückes  der  Vagina  handelt.  Wenn  die  Mem- 

*)  D  e  b  i  e  r  r  e,  Les  vices  de  conformation  des  Organes  genitaux- 
nrinaires  de  la  femme.  Paris  1892,  pag.  70. 

2)  The  Lancet.  14.  Juni  1870,  citirt  nach  Quere  tin,  These.  Paris 
1873,  pag.  16. 

3)  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1888,  Nr.  52,  pag.  909. 

4)  Pozzi,  Gynäkologie.  Uebersetzt  von  R  i  n  g  i  e  r.  Basel  1892, 
pag.  1107. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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bran  in  hyperextendirtem  Zustande  5,  8,  selbst  10  mm  Dicke 
hat,  so  dürfte  sie  im  Ruhezustände  noch  viel  dicker  gewesen 
sein,  und  es  würde  schwer  fallen,  dies  Alles  aut  Rech¬ 
nung  des  Hymens  zu  setzen.  Vielleicht  würde  die  in  meinem 
Falle  beobachtete  Zweischichtung  dahin  zu  erklären  sein,  dass 
die  äussere  Schichte  das  eigentliche  Hymen,  während  die  innere 
den  atretischen  Theil  der  Vagina  repräsentirt. 

Der  Verschluss  der  Scheide  durch  ein  imperforirtes 
Hymen  bildet  nicht  nur  ein  fast  absolutes  Conceptionshinder- 
niss,  sondern  kann  auch  zu  sehr  ernsten,  selbst  lebensgefähr¬ 
lichen  Gesundheitsstörungen  führen,  indem  die  Secrete  des 
weiblichen  Geschlechtsapparates  und  das  Menstrualblut  im  Ab¬ 
flüsse  gehemmt  sind  und  sich  oberhalb  des  Hindernisses  stauen. 
Zwar  o-ibt  es  auch  Fälle,  wo  trotz  Vorhandensein  eines  Hymen 
occl^um  et  im  perforatum  die  Menstruation  normal 
war  und  selbst  Conception  eintrat.  So  in  den  Beobachtungen 
von  C.  Braun5),  wo  die  Vagina  in  die  Harnröhre  mündete, 
und  Zinsstag6),  wo  es  sich  möglicher  Weise  um  eine  ähn¬ 
liche  Anomalie  gehandelt  hat.  Derartige,  aber  nicht  erkannte 
Fälle  scheinen  auch  die  drei  von  Pucch7 8)  citirten  gewesen 
zu  sein,  wo  man  eine  Transsudation  des  Menstrualblutes  durch 
das  imperforirte  Hymen  an  nahm.  Endlich  kann  die  Vagina  in 
das  Rectum  münden  und  der  Abfluss  der  Menstrua,  ja  selbst 
eine  eventuelle  Geburt  erfolgt  auf  diesem  \\  ego*  ) 

Krankhafte  Erscheinungen  in  Folge  einer  angeborenen 
Atresia  hymenalis  treten  gewöhnlich  erst  zurZeit  derPubeitat 
auf.  Sie  können  gänzlich  fehlen,  falls  zugleich  rudimentäre 
Entwicklung  oder  Mangel  des  Uterus  dieselbe  complicirt,  denn 
es  besteht  dabei  gewöhnlich  Amenorrhoe.  Sonst  aber  sammelt 
sich  das  menstruale  Blut  in  dem  blind  endenden  Vaginahaume 
an,  den  es  ad  maximum  erweitert  (H  ämatoko  1  p  o  s),  dabei 
den  Uterus  nach  oben  drängend;  dann,  wenn  auch  viel  später, 
wird  das  Uteruscavum  ausgedehnt  (Hämatometra),  ja  es 
können  selbst  die  Tuben  ergriffen  und  durch  das  gestaute  Blut 
in  prall  gefüllte  Säcke  verwandelt  werden  (H  ä  mo  s  a  1  p  i  n  x). 
Früher  wurde  letztere  Complication  als  ein  Rückstauungsphä¬ 
nomen  gedeutet,  da  aber  heute  die  Tubenmenstruation9)  als 
eine  erwiesene  Thatsache  angenommen  werden  muss,  so  dürfte 
es  sich  in  erster  Reihe  um  Behinderung  im  Abfliessen  des  von 
den  Tuben  secernirten  Blutes  handeln. 

Mitunter  sind  Blutretentionen  durch  ein  sogenanntes 
supplementäres  Hymen  bedingt,  oder  durch  andei- 
weitige  angeborene  Stenosen  der  Scheide.  In  seltenen  Fällen 
ist  die  ganze  Vagina  atretisch  und  das  Blut  sammelt  sich  nui 
im  Uterus  an. 10) 

Sind  die  Störungen  in  der  Entwicklung  der  Mü  Der¬ 
schen  Gänge  tiefgreifendere,  so  findet  keine  V  erschmelzung 
derselben  statt  und  es  besteht  ein  doppelter,  mehr  oder  weniger 
gut  entwickelter  Geschlechtsapparat.  Einer  derselben  kann 
nach  aussen  normal  communiciren,  der  andere  durch  eine 
Atresie  verschlossen  sein.  Es  kann  dann  zur  Entwicklung 
eines  Hämatokolpos  oder  eventuell  auch  eines  Pyokolpos 
lateralis  kommen,  indem  die  Retention  nur  in  der  obturirten 
Vagina  stattfindet.  Auf  diese  Anomalien  wollen  wir  hier  nicht 
weiter  eingehen. 

Nicht  immer  veranlasst  die  Imperforatio  hymenis  eine 
Blutretention.  Es  kann  in  der  Kindheit,  noch  vor  Auftreten 
der  Menstruation  durch  Schleimverhaltung  ein  H  y  d  r  o  k  o  1  p  o  s 
gebildet  werden.  Derartiges  ist  von  Godefroy11 *)  bei  einem 


5)  C.  Braun,  Lehrbuch  der  Gynäkologie.  Wien  1881,  pag.  52. 

6)  W.  Z  i  n  s  s  t  a  g,  Ein  Fall  von  Conception  bei  Hymen  occlusum. 
Centralblatt  für  Gynäkologie.  1888,  Nr.  14,  pag.  221. 

7)  Puech,  De  Tatresie  des  voies  genitales  de  la  femme.  Paris  1864, 

pag.  43. 

8)  Payne,  Cas  d’absence  congenitale  d  ostium  vaginae  et  accouche¬ 
ment  par  l’anus.  Archives  de  Tocologie.  1886,  pag.  854. 

9)  M.  Landsberg,  Heber  »Hämatosalpinx«  und  »Tubenmenstrua¬ 
tion.«  Inaugural-Dissertation.  Breslau  1896.  —  H.  Thomson,  Zui  biage 
der  Tubenmenstruation.  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1898,  Ni.  o, 
p&g.  1227. 

10)  P  o  1  a  i  1 1  o  n,  Memoires  de  la  Societe  de  Chirurgie.  23.  Mars  1887. 

Citirt  nach  Rivalta,  These.  Paris  1898,  pag.  36. 

”)  Gaz.  des  hopitaux.  1856,  Nr.  42.  Citirt  nach  Serriere,  These. 

Paris  1866. 


zwei  Monate  alten  und  von  Legendre1-)  bei  einem  dt  ei¬ 
jährigen  Mädchen  beobachtet  worden.  Rivalta13)  erwähnt 
einen  Fall  von  Hydrosalpinx  bei  vollständigem  Mangel 

der  Vagina.  . 

Nach  einer  entleerenden  Punction  kann  ein  rlamato- 

kolpossack  in  Eiterung  übergehen  und,  falls  eine  neue  Retention 
stattfindet,  zur  Bildung  eines  Pyokolpos  und  einer  Pyo- 
metra  Veranlassung  geben.  Es  war  dies  in  vorantiseptischen 
Zeiten  ein  häufiges  Vorkommniss.  Primärer  Pyokolpos  ist 
selten;  ein  interessanter  Fall  ist  von  R  h  e i n  s  t  a  e d  t  e  r  1 1)  be¬ 
schrieben  worden. 

Die  Symptome,  welche  die  in  Rede  stehenden  Retentionen 
her  vorrufen,  sind  höchst  mannigfacher  Natur.  Symptomenloser 
Verlauf  wie  in  dem  von  mir  beobachteten  Falle,  wo  in  An¬ 
betracht  der  grossen  angesammelten  Blutmenge  die  Menstrua¬ 
tion  gewiss  seit  vielen  Monaten  aufgetreten  sein  muss,  ist  selten. 
Gewöhnlich  sind  periodisch  auftretende  Harnbeschwerden 
und  immer  wiederkehrende  Molimina  menstrualia  bei  absoluter 
Amenorrhoe  in  fast  allen  beschriebenen  Fällen  zu  finden.  Oft 
sind  diese  beiden  Hauptsymptome  vereinigt,  oder  es  werden 
nur  Compressionserscheinungen  von  Seiten  der  Blase  beobachtet 
(fortwährender  Harndrang,  Dysurie,  Harnretention),  oder  nur 

Menstrualkoliken.  ,  . 

Die  objectiven  Symptome  sind  derartig  unzweideutige, 
dass  eine  einigermassen  genaue  Untersuchung  die  Diagnose 
unbedingt  sichern  muss.  Trotzdem  ist  wohl  kein  pathologischer 
Zustand  so  oft  verkannt  worden,  als  eben  der  uns  hier  be¬ 
schäftigende. 

Ein  Theil  der  Fehldiagnosen  ist  darauf  zurückzutuhren, 
dass  keine  Localuntersuchung  vorgenommen  und  so  Cystitis, 
Schwangerschaft,  Ascites,  Tumoren  des  Uterus,  Cysten  der 
Ovarien  und  Anderes  diagnosticirt  wurde.  Aber  selbst  nach 
Inspection  des  sich  vorwölbenden  Hymens  wurde  dasselbe 
öfters  mit  Blasenhernie,  Fruchtblase,  Gebärmuttervorfall,  selbst 

Uteruspolyp15)  verwechselt.  . 

Sich  selbst  überlassen,  führen  diese  Retentionen  ott  zu 
den  schwersten  Complicationen.  Die  Berstung  und  Entleerung 
des  Sackes  durch  die  Vulva  nach  aussen  ist  relativ  noch  der 
günstigste,  aber  auch  seltenste  Ausgang.  Es  können  aber 
Perforationen  in  die  Blase  und  den  Mastdarm  Vorkommen, 
Rupturen  der  Tubensäcke  mit  nachfolgender  tödlicher  Peri¬ 
tonitis,  oder  Bildung  von  Blutcysten.  Diese  können  vereitern 
und  in  benachbarte  Organe  durchbrechen,  mit  einem  \\  oi  tc 
die  Prognose  der  nicht  behandelten  Imperforation  ist  eine 

höchst  ungünstige.  , 

Die  Therapie  besteht  in  Eröffnung  der  Atresie  und 

Sicherung  des  freien  Abflusses  der  gestauten  Secrete.  Trotzdem 
dies  heute  als  selbstverständlich  erscheint,  sprachen  sich  doch 
viele  ältere  Chirurgen  (Dupuytren,  Cazeaux)  gegen 
jedwede  operative  Intervention  aus.  In  vorantiseptischen 
Zeiten  bildeten  derartige  Blutsäcke  ein  noli  me  tangere,  denn 
der  Eröffnung  folgten  oft  schwere  Infectionen,  langwierige 
Metroperitonitiden  und  selbst  plötzliche  Todesfälle.  Man  suchte 
den  Grund  im  Eintritte  von  Luft  in  die  Hohlräume  oder  in 
1  Zerreissungen  von  bestehenden  Adhärenzen  (Gosselin)  und 
Entleerung  des  Blutes  in  die  freie  Bauchhöhle.  Um  ersterem 
vorzubeugen,  wurde  von  Magen  die  und  Marjolin  c  ie 
Punction"  vom  Rectum  aus  vorgeschlagen  und  auch  von 
Dubois,  Scanzoni,  Baker -Br  own  und  Routh  aus- 
geführt.  Diese  Methode  verdient  gewiss  wegen  der  lntections- 
gefahr  keine  Nachahmung.  Auch  die  von  Simon  ")  tur  ge¬ 
wisse  Fälle  angegebene  Eröffnung  von  der  Blase  aus,  nach 
vorhergehender  Erweiterung  der  Urethra,  dürfte  heute  wohl 
wenig  Anhänger  finden,  dies  um  so  weniger,  als  die  Eröffnung 

5.  Citirt  nach  Gueretin,  Tnese. 


1J)  Gaz.  des  hopitaux.  1866,  Nr.  C 

Pai',S  ^Rivalta,  Contribution  ä  l’etude  des  malformations  congenitales 

de  Thymen  et  du  \agin.  Thfese  de  Paris  1889,  pag.  o2. 

»)  Rhein  „fa.dter,  Primärer  Pyokelpor  «ml  Pyo™,,a  bei 
einem  13jährigen  Mädchen,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  18JU,  Nr. 

Pag;  14i?j  Bar  net  che,  Considerations  cliniques  et  therapeutiques  sur 
l’imperforation  de  l’hymen.  These  de  Paris.  18*9,  Pfg-  • 
itf)  Berliner  klinische  Wochenschritt.  Ni.  ^o. 


256 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


von  der  Vulva  oder  von  der  Vagina  aus  (bei  Haematocolpos 
lateralis)  unter  streng  antiseptischen  Cautelen  die  er¬ 
wähnten  Gefahren  gänzlich  beseitigt  hat.  Es  wird  empfohlen 
den  Schnitt  anfangs  nur  klein  zu  machen  und  die  Flüssigkeit 
langsam  ausHiessen  zu  lassen,  oder  die  Entleerung  durch 
Troicart  vorzunehmen,  um  Zerreissungen  in  den  tieferen  Or¬ 
ganen  (Hämatosalpinx)  vorzubeugen.  Die  gemachte  Oeffnung 
wird  dann  erweitert;  die  Art  der  Schnittführung  ist  voll¬ 
kommen  gleichgiltig,  sei  es,  dass  man  einen  einfachen  Längs¬ 
oder  Querschnitt,  einen  Kreuz-  oder  H-förmigen  Schnitt  macht. 
Von  Manchen  wurde  das  Hymen  gänzlich  excidirt. 17) 

Von  Wichtigkeit  ist  es,  nach  ausgeführter  Operation  der 
sehr  rasch  eintretenden  Narbenconstriction  vorzubeugen;  es 
wurde  daher  empfohlen18),  die  Schleimhaut  der  atretischen 
Höhle  gleich  mit  der  äusseren  zu  vernähen.  Für  alle  Fälle  ist 
auch  für  späterhin  eine  periodische  Dilatation  der  künstlich 
gemachten  Oeffnung  angezeigt.  19) 

Je  ausgedehnter  aber  die  Atresie  ist,  um  so  schwieriger 
wird  die  Operation.  Ist  ein  grosser  Theil  der  Vagina  ver¬ 
wachsen,  so  ist  das  Eingehen  zwischen  Urethra  und  Mast¬ 
darm  eine  recht  heikle  Arbeit  und  die  Gefahr  der  Eröffnung 
dieser  Organe  oder  auch  des  Peritoneums  ist  jedenfalls  eine 
sehr  grosse.  Ist  endlich  auf  diese  Weise  ein  künstlicher  Vaginal¬ 
canal  hergestellt,  so  kann  derselbe  nur  durch  Transplantationen 
von  Schleimhaut-  oder  Hautstücken  dauernd  offen  erhalten 
werden.  Derartige  Operationen  wurden  mehrfach  mit  Erfolg 
ausgeführt,  so  von  P  i  c  q  u  e211),  Mackenrodt 21),  ferner  von 
Villa  r,  Segond  und  Schwartz  22). 

Bezüglich  der  complicirenden  Hämatosalpinx  wird  all¬ 
gemein  die  Entfernung  derselben  durch  Laparotomie  empfohlen. 
Thatsächlich  bilden  derartige  Blutsäcke  eine  immerwährende 
Lebensgefahr  für  die  Trägerin  und  können  sowohl  von  selbst, 
als  auch  in  Folge  von  Trauma  23)  bersten.  Spontane  Entleerung 
der  Tube  nach  Eröffnung  des  Hämatokolpos,  wie  sie  von 
A  mann  24)  beobachtet  wurde,  ist  jedenfalls  ein  sehr  seltener 
Ausgang. 


Aus  der  chirurgischen  Abtheihmg  des  Privatdocenten 
Dr.  Alex.  Fraenkel  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien. 

Zur  Diagnostik  der  Oesophagusdivertikel. 

Von  Cand.  med.  Victor  Blum,  Hospitant  der  Abtheilung. 

Wohl  jeder  einzelne  Fall  von  typischem  Oesophagus¬ 
divertikel  beansprucht  schon  wegen  der  relativen  Seltenheit 
dieser  Krankheit  und  der  noch  vielfach  dunklen  Aetiologie 
eine  eingehende  Würdigung;  die  nachfolgenden  Auseinander¬ 
setzungen  sollen  aber  auch  deshalb  mitgetheilt  werden,  weil 
die  Diagnose  dieser  Erkrankung  nicht  immer  eine  leichte  ist  und 
wir  oft  in  einem  gegebenen  Falle  erst  nach  Anwendung  aller 
zu  Gebote  stehenden  Hilfsmittel  die  Diagnose  mit  Sicherheit 
werden  stellen  können. 

Es  ist  wohl  kein  Zweifel,  dass  man  ein  Oesophagusdiver¬ 
tikel  leicht  diagnosticiren  kann,  wenn  bei  vorgeschrittener 
Krankheit  deutliche  Symptome,  wie  das  Auftreten  einer  Ge¬ 
schwulst  am  Halse  nach  der  Nahrungsaufnahme,  Verschwinden 
der  Anschwellung  beim  Regurgitiren  der  genossenen  Speisen 
etc.  ausgebildet  sind.  Es  kann  aber  dann,  wie  aus  der  Lite¬ 
ratur  ersichtlich,  wenn  die  Erkrankung  schon  solche  Fort¬ 
schritte  gemacht  hat,  für  eine  eingreifende  Therapie  wegen 
des  bedeutenden  Marasmus  des  Kranken  schon  zu  spät  sein. 

1 ')  T  i  1  1  a  u  x,  publicirt  von  Gillette,  Union  medicale.  1874,  Nr.  4. 

1S)  Martin  A.,  Pathologie  und  Theranie  der  Frauenkrankheiten. 
1887,  pag.  64. 

1 ')  B  r  e  i  s  k  y,  Deutsche  Chirurgie,  llerausgegeben  von  Billroth  und 
Lücke.  Krankheiten  der  Vagina.  1886,  pag.  49. 

-ü)  Annales  de  gyn.  et  d’obstetrique.  1890.  Citirt  nach  R  i  v  a  1 1  a,  1.  c. 
pag.  34. 

'  )  Mackenrodt  A.,  Ueber  den  künstlichen  Ersatz  der  Scheide. 
Centralblatt  für  Gynäkologie.  23.  Mai  1896. 

~~)  Societe  de  Chirurgie  de  Paris.  Seance  du  30  Octobre  1895. 

i3)  Bine  solche  Ruptur  in  Folge  von  Fall  ist  von  R.  Asch  in 
Breslau  mitgetheilt  worden,  Barnetche,  1,  c,  nag.  40. 

J4)  1.  c.  pag.  910. 


Andererseits  sind  die  Mittel,  welche  uns  die  Frühdiagnose 
dieser  Krankheit  erlauben,  so  spärlich  und  häutig  so  unsicher, 
dass  man  als  diagnostischen  Behelf  das  Röntgen-Verfahren, 
welches  in  unserem  Falle  die  Diagnose  ermöglicht  hatte,  in 
allen  ähnlichen  Fällen  wird  anwenden  können,  und  man  dürfte 
auf  diese  Art  die  Erkrankung  richtig  erkennen  zu  einer  Zeit, 
wo  man  die  Radicaloperation,  die  souveräne  Therapie  der  Di¬ 
vertikel,  noch  mit  grosser  Aussicht  auf  Erfolg  beginnen  kann. 

In  früherer  Zeit  wurde  die  in  Rede  stehende  Krankheit 
überhaupt  nur  selten  diagnosticirt.  In  der  Arbeit  von  Zencker 
und  Ziemssen  (1877) 4)  sind  im  Ganzen  27  Fälle  aus  der 
Literatur  zusammengestellt.  Die  Diagnose  stützte  sich  in  diesen 
Fällen  —  so  weit  sie  intra  vitam  überhaupt  gestellt  wurde  — 
nur  auf  die  subjectiven  Beschwerden  der  Kranken,  die  —  wie 
erwähnt  —  allerdings  in  vorgeschrittenen  Fällen  sehr  charak¬ 
teristisch  sind. 

Als  Hauptsymptome  gelten  das  Steckenbleiben  der  Speisen 
an  einer  bestimmten  Stelle  mit  nachfolgender  Regurgitation 
des  Genossenen,  während  zeitweilig  keine  Dysphagie  besteht; 
der  Nachweis  der  Geschwulst  am  Halse,  welche  sich  durch 
einen  Druck  mit  quatschendem  Geräusche  entleeren  lässt,  die 
Symptome  von  Seite  der  durch  das  Divertikel  comprimirten 
Nachbarorgane  (Trachea,  Gefasse,  Nerven)  galten  als  ausschlag¬ 
gebend  für  die  Diagnose:  Divertikel  der  Speiseröhre,  v.  Berg¬ 
mann* 2)  legte  noch  auf  einen  anderen  Umstand  grosses  Ge¬ 
wicht,  indem  er  betonte,  dass  das  Symptom  des  Steckenbleibens 
einer  Sonde  das  eine  Mal,  und  das  anstandslose  Hinabgleiten 
das  andere  Mal  für  die  Diagnose  des  Divertikels  entscheidend  sei. 

Ein  weiteres  Hilfsmittel  bei  der  Diagnose  bietet  die 
Oesophagoskopie. 

Ueber  die  Verwendbarkeit  dieser  Untersuchungsmethode 
lauten  die  Urtheile  der  einzelnen  Beobachter  sehr  wider¬ 
sprechend. 

In  neuester  Zeit  theilte  Killian3 4)  zwei  Fälle  mit,  bei 
denen  er  mit  Leichtigkeit  mit  Hilfe  des  Oesophagoskopes  die 
Diagnose  stellen  konnte;  er  berichtet  jedoch  über  einen  dritten 
Fall,  bei  dem  es  ihm  nur  gelungen  war,  mit  dem  Oesophagoskop 
bis  in  den  Sack  vorzudringen,  so  dass  er  immer  nur  dessen 
glatte,  gespannte  Wand  zu  sehen  bekam. 

Einen  vollständig  ähnlichen  ösophagoskopischen  Befund 
constatirte  Rosenheim4),  der  ebenfalls  in  einem  derartigen 
Falle  keine  Diagnose  stellen  konnte,  so  dass  erst  bei  der 
Section  das  Divertikel  erkannt  wurde,  während  intra  vitam 
eine  carcinomatöse  Strictur  der  Speiseröhre  diagnosticirt  wurde. 

v.  Hacker5)  hatte  nur  einmal  Gelegenheit,  ein  echtes 
Divertikel  ösophagoskopisch  zu  untersuchen.  »Das  Divertikel 
erschien  als  faltiger  Schleimhautsack,  an  dessen  Wänden  viel 
schleimiges  Secret  haftete.  Vom  Eingang  in  den  Oesophagus 
war  wegen  Unruhe  des  Kranken  kein  deutliches  Bild  zu  ge¬ 
winnen.« 

Und  auch  in  unserem  Falle  konnte  man  die  Ergebnisse 
der  ösophagoskopischen  Untersuchung  nur  wenig  verwerthen, 
wie  die  nun  folgende  Krankengeschichte  zeigt. 

Johann  Z.,  06  Jahre  alt.,  Eisenbahnbeamter  in  Pension. 

Patient  kommt  mit  der  Klage,  dass  er  im  Halse  eine  Lähmung 
haben  müsse,  da  er  ganz  eigen thümliche  Schlingbeschwerden  habe, 
die  er  in  charakteristischer  Weise  folgendermassen  schildert: 

Es  kommt  ihm  häufig  vor,  als  ob  die  Speisen  nicht  direct 
in  den  Magen  gelangten,  sie  blieben  ihm  in  der  Höhe  des  Kehl¬ 
kopfes  stecken. 

Diese  Beschwerden  stellen  sich  aber  nicht  nach  jeder  Art 
von  Nahrung  ein,  gewöhnlich  gleiten  flüssige  und  breiige  Speisen 
leicht  hinab,  während  feste,  namentlich  in  grösseren  Bissen  ver¬ 
schluckte  Nahrung  stecken  bleibt  und  jede  weitere  Zufuhr  von 
Speisen  verhindert.  Er  pflegt  dann  mit  dem  rechten  Daumen  in  der 

')  Krankheiten  des  Oesophagus.  Ziemssen’s  Handbuch.  Bd.  VII. 

2)  Ueber  das  Oesophagusdivertikel.  Archiv  für  klinische  Chirurgie. 
Bd.  XLII. 

s)  Die  ösophagoskopische  Diagnose  des  Pulsionsdivertikels  der  Speise¬ 
röhre.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  4. 

4)  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  pag.  53. 

D  Die  angeborenen  Missbildungen,  Verletzungen  und  Erkrankungen 
der  Speiseröhre.  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie.  1900. 


Nr.  1L 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


2ö7 


Gegend  der  rechten  Hälfte  des  Ringknorpels  einen  Druck  nach 
hinten  innen  und  oben  auszuführen,  worauf  sich  gewöhnlich  unter 
einem  laut  hörbaren  gurrenden,  quatschenden  Geräusche  die  Speisen 
mit  unverändertem  Geschmacke  gegen  die  Mundhöhle  entleeren. 
Dieselben  werden  dann  abermals  gekaut  und  in  verkleinertem  Zu¬ 
stande  geschluckt  passiren  sie  dann  unbehindert  in  den  Magen. 
Dabei  hat  der  Kranke  bemerkt,  dass  bei  diesem  Regurgitiren  der 
Speisen  häufig  bei  früheren  Mahlzeiten  Genossenes  abermals  in  den 
Mund  kommt,  sogar  Speisen,  die  er  vor  24  Stunden  und  darüber 
zu  sich  genommen  hatte. 

Er  bemüht  sich  deshalb,  seine  Nahrung  so  langsam  und  vor¬ 
sichtig  als  möglich  einzunehmen,  und  trotzdem  klagt  er  über 
häufiges  Verschlucken.  Dabei  kommt  es  mitunter  zu  Würgen  und 
später  zu  Erbrechen,  und  er  kann  genau  unterscheiden,  dass  beim 
Erbrechen  zuerst  unverändert  schmeckende  Speisen  ausgeworlen 
werden  —  Divertikelinhalt  —  und  dann  saurer  und  bitterer 
Mageninhalt. 

Ueber  den  Verlauf  und  die  Ursache  seiner  Erkrankung  be¬ 
fragt,  macht  Patient  folgende  Angabe: 

Die  ersten  Reschwerden  fühlte  er  vor  vier  Jahren  (1896) 
und  er  will  sein  Leiden  auf  eine  im  Jahre  1884  oder  1885  er¬ 
littene  Verletzung  zurückführen. 

Er  schluckte  eines  Tages  beim  Speisen  einen  Knochen  eines 
Huhnes,  der  ihm  im  Schlunde  tief  unten  stecken  blieb.  Die  hierauf 
auftretenden  heftigen  Schmerzen  und  die  Unfähigkeit,  zu  schlucken, 
veranlassten  ihn,  ein  Krankenhaus  aufzusuchen,  wo  vergebliche  Ex¬ 
tractionsversuche  unternommen  wurden  und  hierauf  die  Bougirung 
des  Kranken  begonnen  wurde. 

Durch  ein  bis  zwei  Wochen  konnte  er  darauf  nur  unter 
heftigen  Schmerzen  seine  Nahrung  schlucken,  da  der  Schlund,  wie 
man  ihm  im  Spitale  sagte,  angeblich  »ganz  verschwollen  war«. 

Nach  ungefähr  drei  Wochen  war  er  von  diesen  Beschwerden 
befreit,  und  er  fühlte  in  der  folgenden  Zeit  nicht  die  geringste  Ab¬ 
normität  des  Schlingactes,  bis  sich  im  Jahre  1896  die  ersten  Zeichen 
seiner  jetzigen  Erkrankung  einstellten. 

Er  litt  an  häufigem  Verschlucken  mit  Husten-  und  Erstickungs¬ 
anfällen.  Er  musste,  um  diese  zu  vermeiden,  sehr  vorsichtig  essen. 
Damals  fand  er  zuerst,  dass  ein  Druck  in  der  Höhe  des  Pomum 
Adami  die  Speisen  in  den  Mund  zurückbefördere,  wenn  sie  nicht 
von  selbst  nach  mehrstündigem  Verweilen  im  Halse  in  den  Mund 
oder  in  den  Magen  glitten. 

Seine  Beschwerden  nahmen  seit  dieser  Zeit  immer  zu;  er 
bekam  seine  »Anfälle  von  Schlinglähmungen«  sehr  häufig,  nament¬ 
lich  nach  Genuss  kalter  Getränke  und  saurer  Speisen. 

Seit  ungefähr  einem  Jahre  bleiben  ihm  die  Speisen  an  einer 
tiefer  gelegenen  Stelle  im  Halse  stecken  als  vordem,  und  es  nützt 
der  Druck  in  der  Höhe  des  Schildknorpels  nichts  mehr,  er  muss 
ungefähr  drei  Finger  breit  tiefer  unterhalb  dieser  Stelle  nach  auf¬ 
wärts  und  innen  drücken,  um  die  Speisen  in  den  Mund  zu 
bringen. 

Soweit  die  Angaben  des  Kranken,  dessen  Anamnese  noch 
ergibt,  dass  er  ausser  einem  »gastrischen  Fieber«  im  Jahre  1862 
niemals  ernstlich  krank  gewesen  sei  und  nie  an  einer  geschlecht¬ 
lichen  Krankheit  gelitten  habe. 

Der  Status  praesens  ergibt:  Grosser,  im  Vergleich  zu 
seinem  Alter  rüstiger  und  kräftiger  Mann.  Gesunde,  bräunliche  Ge¬ 
sichtsfarbe,  Musculatur  und  Knochenbau  kräftig  entwickelt.  Keine 
deutlichen  Zeichen  von  Unterernährung,  Körpergewicht  72  hg.  (Er 
soll  in  den  letzten  Jahren  einige  Kilogramm  seines  Gewichtes  ver¬ 
loren  haben.)  Patient  fühlt  sich  gesund  und  kräftig  und  hat  mit 
Ausnahme  seines  »Halsleidens«  keine  Beschwerden. 

Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  ergibt  normale  Ver¬ 
hältnisse. 

Der  Hals  ist  ziemlich  lang,  fettarm.  Die  Musculi  sternocleido- 
mastoidei  springen  deutlich  vor.  Die  Schilddrüse  ist  nicht  ver- 
grössert,  an  normaler  Stelle  undeutlich  zu  tasten.  Auch  nach 
Nahrungsaufnahme  kein  Tumor  am  Halse  zu  sehen 
oder  zu  fühlen. 

Die  Raehenschleimhaut  blass;  die  Gaumenreflexe  sind  fast 
gar  nicht  auslösbar.  Kein  Foetor  ex  ore.  Die  bis  zur  Entfernung 
von  13'/2  cm  von  der  Zahnreihe  eingeführte  Hand  tastet  nichts 
Abnormes. 


Die  Untersuchung  mittelst  der  Oesophagussonden  ergibt 
Folgendes: 

Gewöhnlich  stösst  man  bei  Anwendung  dicker  Sonden 
auf  einen  unüberwindlichen  Widerstand  —  23  cm  von  der 
Zahnreihe  entfernt;  es  zeigt  sich  dabei,  dass  die  Sonde  nicht 
ganz  in  der  Mittellinie  hinabgleitet,  sondern  gewöhnlich  nach 
der  linken  Seite  abweicht. 

Mitunter  gelingt  es  jedoch,  namentlich  bei  stark  abge¬ 
bogener  Sondenspitze,  dieselbe  bis  in  den  Magen  ungehindert 
einzuführen. 

Einige  Male  konnten  wir  eine  Sonde  bis  in  den  Magen 
leiten  und  gleichzeitig  eine  zweite  Sonde  einführen,  die  in  der 
Entfernung  von  23  cm  stecken  blieb,  sich  jedoch  hier  in  ge¬ 
ringen  Excursionen  nach  rechts  und  links  bewegen  liess. 

Der  ösophagoskopische  Befund,  den  ich  der  Güte  des 
Herrn  Dr.  Hanszel  verdanke,  lautet: 

Gleich  beim  Einfuhren  der  ösophagoskopischen  Röhre 
(3  Vo  cm  im  Umfange  und  27  cm  lang)  gleitet  die  Röhre  in  einer 
Richtung,  die  etwas  nach  links  und  vor  Allem  nach  rückwärts 
(gegen  die  Wirbelsäule  zu)  von  der  gewöhnlichen  Richtung 
abweicht.  19  cm  von  den  Schneidezähnen  des  Oberkiefers  ent¬ 
fernt  findet  sich  ein  elastisches  aber  absolutes  Hinderniss  für 
das  Weiterschieben  der  Röhre.  Nach  Anstecken  des  Panelcktro- 


Vig.  1. 

Seitliche  Durchleuchtung  des  Halses.  In  der  Speiseröhre  der  mit  Queck¬ 
silber  gefüllte  Schlauch.  Hinter  diesem  das  Divertikel  vor  der  Wirbelsäule. 

('/t8  der  natürlichen  Grösse.) 

skopes  sieht  man  deutlich  eine  auffallend  blasse,  sonst  not  male 
Schleimhaut  und  ist  kein  Lumen  auffindbar.  Während  wiederholter 
Untersuchungen  gelang  es  auch  einmal,  Speisereste  (Kaffee) 
fünf  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme  in  diesem  Blind¬ 
sacke  nachzuweisen.  Dagegen  gelang  es  niemals,  eine  ösopha¬ 
goskopische  Röhre  am  Hindern  iss  vorbeizusohieben. 

Eine  Communicationsöff nung  des  angenommenen 
Sackes  mit  dem  Oesophagus  wurde  niemals  gesehen, 
da  daselbst  die  überaus  starke  Schleimbildung  —  selbst  wenn 
Patient  nichts  zu  sich  genommen  hatte,  nicht  cocainisitt  war 
und  fleissig  ausgetupft  wurde  —  sich  störend  bemerkbar  machte. 

Da  uns  nun  in  diesem  Falle  die  Oesophagoskopie  weitere 
Aufschlüsse  nicht  geben  konnte,  versuchten  wir,  die  Diagnose 
durch  Untersuchung  mit  Röntgen-Strahlen  sicherzustellen. 

Es  wurden  vorerst  Durchleuchtungen  vorgenommen. 
Nach  Verabreichung  von  50  cm3  einer  5%igen  Bismuthum 
subnitrium-Mixtur  konnte  man  bei  seitlicher  Durchleuchtung 
an  einer  früher  ganz  hellen  Stelle  vor  der  Wirbelsäule  einen 

ovalen  Schatten  auftreten  sehen. 

Es  wurde  versucht,  einen  dicken,  am  unteren  Ende 
geschlossenen  Kautschukschlauch  in  den  Magen  einzuführen, 
was  nach  einiger  Mühe  gelang;  derselbe  wurde  nun  mit  me¬ 
tallischem  Quecksilber  gefüllt. 

FD.  1  wurde  von  einer  derartigen  Durchleuchtung 

gewonnen.  Der  mit  Hg  gefüllte  Schlauch  liegt  im  Oesophagus 


258 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


und  hinter  demselben  zeigt  sich  ein  ovaler,  ringförmiger 
Schatten,  dessen  unterer  Pol  von  der  Zahnreihe  etwas  über 
23  cm  entfernt  ist. 

Dass  dieses  Oval  thatsächlich  einem  Divertikel  entspricht, 
konnten  wir  dadurch  nachweisen,  dass  wir  einen  Schlauch  in 
den  Schlund  einführten,  und  nun  bei  fortgesetzter  Controle 
durch  die  Röntgen-Strahlen  eine  Wismuthmixtur  durch  den 
Schlauch  eingossen.  E3  entstand  sofort  entsprechend  dem  ge¬ 
nannten  Oval  ein  Schatten. 

Um  über  die  Grosse  des  Sackes  eine  Vorstellung  zu  ge¬ 
winnen,  wählte  ich  folgendes  Verfahren:  Ein  dünnwandiger 
Gummiballon,  der  in  einen  Kautschukschlauch  auslief,  wurde 
luftleer  (nach  Art  eines  Kolpeurynters  zusammengelegt)  unter 
Leitung  eines  Mandrins  eingeführt,  und  nun  liess  ich  in  den 
Schlauch  eine  concentrirte  Bromkaliumlösung  —  die  sich  als 
sehr  undurchlässig  für  die  X-Strahlen  erwies  (Sehrwald)  — 
einfliessen,  und  konnte  auf  diese  Art  den  ganzen  Sack  durch 
den  in  ihm  befindlichen  Ballon  ausfüllen. 

Fig.  2  zeigt  diese  Verhältnisse  bei  seitlicher  Durch¬ 
leuchtung. 

Durch  Einführung  einer  mit  einem  Bleikern  versehenen 
Sonde  bei  gleichzeitiger  Bougirung  des  Oesophagus  mit  einer 


Fig.  2. 

Seitliche  Durchleuchtung-  des  Halses.l  Das  Divertikel'  ist  ausgefüllt  durch 
den  eingeführten  Gummiballon.  Im  Oesophagus  der  Kautschukschlauch. 
Das  Divertikel  geht  links  hinter  die  Wirbelsäule.  (718  der  natürlichen  Grösse.) 

ebenso  beschaffenen  Bougie  konnte  man  constatiren,  dass  die 
beiden  Sonden  nach  abwärts  zu  divergirten,  und  zwar  ging 
die  ins  Divertikel  eingeschobene  Sonde  mehr  nach  links  von 
der  Mittellinie. 

Es  liess  sich  somit  durch  die  radiographische  Unter¬ 
suchung  constatiren: 

1.  Dass  ein  Divertikel  der  hinteren  Oesophaguswand  that¬ 
sächlich  bestehe. 

2.  Der  Sitz  des  Divertikels  —  sein  oberer  Pol  in  der 
Höhe  des  vierten,  der  untere  zwischen  sechstem  und  siebentem 
Halswirbel. 

3.  Die  Gestalt  des  Divertikels ;  dasselbe  ist  länglich-oval, 
liegt  vor  der  Wirbelsäule  und  weicht  nach  links  von  der  Mittel¬ 
linie  ab,  sein  oberer  Pol  überragt  die  Communicationsöffnung 
mit  dem  Oesophagus  (ein  Verhalten,  wie  es  auch  der  von 
Schwarzenbach* 6)  aus  der  Klinik  Billroth’s  mitgetheilte  Fall 
aufwies). 

4.  Die  Ausdehnung  des  Divertikels;  dasselbe  wurde  durch 
den  mit  circa  70  cm 9  Flüssigkeit  ausgedehnten  Ballon  voll¬ 
ständig  ausgefüllt. 

Die  Radiographie  setzt  uns  also  in  derartigen  Fällen  in 
den  Stand,  die  Diagnose  auch  in  nicht  vorgeschrittenen  Fällen 
mit  grosser  Sicherheit  zu  stellen,  und  sie  dürfte  namentlich 
dann  als  werthvoller  diagnostischer  Behelf  gelten,  wenn  die 

)  Zur  opeiativen  Behandlung  und  Aetiologie  des  Oesophagusdiver- 
tikels.  1\  iener  klinische  Wochenschrift.  1893,  Nr.  24. 


ösophagoskopische  Untersuchung  keine  sicheren  Resultate 
ergibt. 

Ausserdem  werden  sich  aus  diesen  Untersuchungen  für 
die  Ausführung  der  Operationsmethode  wichtige  Anhaltspunkte 
ergeben,  da  man  auf  diese  Weise  eine  genaue  Lage-  und 
Grössenbestimmung  erzielen  kann. 

In  der  mir  zugänglichen  Literatur  über  diesen  Gegen¬ 
stand  findet  sich  kein  Fall  von  echtem  Oesophagus- 
divertikel,  bei  dem  radiographische  Untersuchungen  ange¬ 
stellt  wurden. 

Nur  eine  kurze  einschlägige  Mittheilung  brachte  Rosen- 
feld7).  Er  konnte  eine  in  der  Höhe  des  Herzschattens  befind¬ 
liche  Speiseröhrenerweiterung  —  also  kein  typisches  Oesophagus- 
divertikel  —  dadurch  zur  Anschauung  bringen,  dass  er  das¬ 
selbe  durch  eine  in  den  Sack  eingeführte  Condomgummiblase 
mit  Luft  aufblies.  Radiogramme  sind  dieser  Mittheilung  nicht 
beigefügt. 

Rumpel8)  hat  auf  die  Bedeutung  der  radioskopischen 
Untersuchung  aufmerksam  gemacht  in  einem  Falle  von  einer 
diffusen  spindelförmigen  Erweiterung  der  Speiseröhre  an  deren 
unterem  Ende.  Er  diagnosticirte  dieselbe  dadurch,  dass  er 
nach  Darreichung  einer  Wismuthgummi-Emulsion  den  Kranken 
durchleuchtete  und  in  der  Gegend  der  Cardia  einen  breiten 
Schatten  auftreten  sah. 

Auch  Rosenheim9)  empfiehlt  zur  Diagnose  das 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Verfahren,  ohne  über  eigene  Beobachtungen  zu 
berichten. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  der 
oben  beschriebene  Fall  auch  in  ätiologischer  Beziehung  ein 
gewisses  Interesse  bietet,  indem  aus  der  Anamnese  des  Falles 
hervorgeht,  dass  der  Kranke,  wenn  auch  vor  mehr  als  zehn 
Jahren,  ein  schweres  Trauma  erlitten  hat.  Er  könnte  somit, 
die  von  vielen  Autoren  (König,  v.  Bergmann,  Schwarzen¬ 
bach,  Hofmann  und  Anderen)  geleugnete  Theorie  von 
der  traumatischen  Entstehung  der  Oesophagusdivertikel  stützen, 
und  es  schliesst  sich  unser  Fall  den  von  Klose  und  Paul, 
Hoffmann,  Ludlow  und  Kühne  publicirten  Kranken¬ 
geschichten  an.  In  dem  Falle  Ktihne’s  handelte  es  sich,  wie 
in  dem  unseren,  um  das  Steckenbleiben  eines  Geflügel¬ 
knochens. 

Es  wäre  also  unser  Fall  folgendermassen  aufzufassen. 
Es  fand  vor  circa  zehn  Jahren  eine  Verletzung  der  Pharynx¬ 
schleimhaut  statt,  an  welche  sich  eine  heftige  Entzündung  an¬ 
schloss.  Dass  solche  periösophageale  Entzündungen  zur  Bildung 
von  Divertikeln  führen  können,  beweist  auch  der  Fall  Hoff¬ 
mann’s10),  wo  eine  Verletzung  und  Entzündung  des 
Oesophagus  nach  Verschlucken  eines  Porzellanscherbens  als 
Ursache  für  die  Entstehung  des  Divertikels  angegeben  wird. 

Um  eine  solche  periösophageale  Entzündung  hat  es  sich 
wahrscheinlich  auch  bei  unserem  Kranken  gehandelt. 

Es  dürfte  zu  einer  ausgehnten  Narbenbildung  gekommen 
sein,  wobei  sich  Narbenstränge  bis  an  die  Wirbelsäule  ge¬ 
zogen  haben.  Die  langsame  aber  continuirliche  Schrumpfung 
dieses  Narbengewebes,  welches  ausser  dieser  Traction  noch 
einen  inneren  Druck  von  Seite  der  geschluckten  Ingesta  zu 
erleiden  hatte,  dürfte  den  ersten  Anstoss  für  die  sackartige 
Vorstülpung  der  hinteren  Oesophaguswand  gegeben  haben. 
Auf  andere  Weise  könnte  man  sich  die  starke  Vor  Wölbung 
der  oberen  Wand  des  Divertikels  nicht  vorstellen,  und  so 
sprechen  sowohl  dieser  Umstand  als  auch  die  präcisen  ätio¬ 
logischen  Angaben  des  Kranken  für  unsere  Annahme,  dass 
es  sich  vielleicht  um  eine  Combination  von  Trac¬ 
tions-  und  Pulsionskräften  handelte,  die  in  unseren 
Falle  zur  Ausbildung  des  typischen  Pharynxdivertikels  geführt 
hat.  Dabei  bleibt  es  unerörtert,  ob  nicht  doch  zu  alledem  eine 
congenitale  Anlage  in  jedem  Falle  als  letzte  Ursache  ange¬ 
nommen  werden  muss. 


')  Casuistische  Beiträge  zu  den  Erkrankungen  des  Tractus  intestinalis. 

Centralblatt  für  innere  Medicin.  1898,  Nr.  29. 

s)  Klinische  Diagnose  der  spindelförmigen  Speiseröhrenerweiterung 

Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  15. 

9)  Eulenburg’s  Realencyklopädie.  1898,  Bd.  XVII. 

,0)  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1889,  Nr.  19. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


259 


In  therapeutischer  Beziehung  ist  in  diesem  Falle  als 
einzig  wirksame  Massregel  wohl  nur  die  Exstirpation  des 
Sackes  indicirt.  Der  äusserst  geduldige  Patient  hat  sich  aber 
zunächst  mit  seinen  Beschwerden  so  weit  abgefunden  und 
den  Entschluss,  sich  operiren  zu  lassen,  für  die  wohl  kaum 
ausbleibende  Eventualität  noch  in  höherem  Masse  gesteigerter 
Schwierigkeit  der  Ernährung  sich  Vorbehalten. 

Wären  die  Dimensionen  des  Divertikels  beträchtlich 
kleiner  als  wir  sie  durch  die  radiographische  Untersuchung 
thatsächlich  erkannt  haben,  dann  wäre  der  Versuch  noch  einer 
anderen  therapeutischen  Methode  gerechtfertigt  gewesen.  Man 
hätte  bei  längere  Zeit  fortgesetzter  methodischer  Bougirung 
und  ausschliesslich  künstlicher  Ernährung  durch  den  Magen¬ 
schlauch  —  also  bei  einem  Verfahren,  welches  jedweden 
Eintritt  von  Ingestis  in  den  Sack  von  vorneherein  sicher  aus- 
schliesst  —  mit  der  Möglichkeit  einer  allmäligen  Schrumpfung 
und  Verödung  des  Sackes  rechnen  können.  Aber,  wie  gesagt, 
die  Grösse  des  in  unserem  Falle  vorliegenden  Divertikels  liess 
eine  solche  Cur  von  vorneherein  aussichtslos  erscheinen. 


REFERATE. 

I.  Ueber  diätetische  Behandlung  der  Verdauungsstörungen 

der  Kinder. 

Von  Prof.  Dr.  Biedert. 

Stuttgart  1899,  E  n  k  e. 

II.  Ueber  die  sogenannte  Landkartenzunge  im  Kindes¬ 

alter. 

Von  Henry  Böhm. 

Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  Neue  Folge,  Nr.  249. 

Leipzig  1899,  Breit  köpf  und  Härtel. 

III.  Kinderheilkunde  in  Einzeldarstellungen. 

Vorträge,  gehalten  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  von  Prof.  Dr.  Alois  Monti. 

8.  Heft:  Syphilis — Scroplrulose  ;  9.  Heft:  Tuberculose. 

Wien  1899,  Urban  und  Schwarzenberg. 

IV.  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde  für  Aerzte  und 

Studirende. 

Von  Dr.  Bernhard  Bendix. 

Zweite  Auflage  von  weiland  Uffelmann’s  kurzgefasstem  Handbuch  der 

Kinderheilkunde. 

Wien  1899,  Urban  und  Schwarzenberg. 

I.  Die  einfache  und  in  ihren  Mischungsverhältnissen  variable 
Zusammensetzung  der  Kuhmilch,  des  einzigen  oder  doch  vorwiegenden 
Nahrungsmittels  der  künstlich  ernährten  Säuglinge,  der  offenkundige 
Einfluss  ihrer  Zusammensetzung,  respective  ihrer  Veränderungen  auf 
den  Ablauf  der  Verdauung,  endlich  die  Empfindlichkeit  der  kind¬ 
lichen  Darmschleimhaut  gegen  Medicamente  haben  von  jeher  auf 
die  rein  diätetische  Behandlung  der  Verdauungsstörungen  der  Säug¬ 
linge  hingewiesen.  Biedert  hat  das  Verdienst,  schon  im  Jahre  1883 
gewisse  leitende  Grundsätze  derselben  aufgestellt  zu  haben.-  Allzu¬ 
massige  Stühle  müssen  durch  Verminderung  der  Nahrungsmenge, 
bröckelige,  stinkende  Ausleerungen  durch  Verminderung  des  Caseins, 
Fettdiarrhöe  durch  fettarme  Nahrung  bekämpft  werden.  Durch  genaues 
Vorschreiben  der  Menge  und  Zusammensetzung  der  Nahrung,  be¬ 
rechnet  auf  das  Körpergewicht,  und  sorgfältige  Control e  der  in  den 
Stühlen  etwa  erscheinenden  Nahrungsreste  »ist  es  möglich,  den 
Zustand  der  Verdauung  des  Kindes  einerseits,  das  Schicksal  der  an¬ 
gewendeten  Nahrungsmischung  andererseits,  mit  einer  an  die  Schärfe 
des  physiologischen  Experimentes  heran  streifenden  Genauigkeit  zu 
verfolgen«  und  die  durch  fehlerhafte  Nahrung  hervorgerufenen 
Krankheitszustände  in  wirksamster  Weise  zu  beeinflussen. 

Seit  dieser  Zeit  sind  freilich  unsere  Vorstellungen  über  diese 
Vorgänge  umso  complicirter  geworden,  je  eingehender  man  sich  mit 
der  Chemie  und  Bacteriologie  des  Darminhaltes  beschäftigte  und  man 
kann  sagen,  dass  die  Aufstellung  der  Regeln  für  eine  rationelle 
diätische  Therapie  heute  sehr  viel  schwieriger  ist  als  sie  damals 
erschien.  Biedert,  der,  wie  kein  Anderer,  das  Gebiet  der  Säuglings¬ 
diätetik  beherrscht,  hat  sich  in  dankenswerther  Weise  dieser  Aufgabe 
unterzogen.  Er  erörtert  einleitend  die  Verdauungsvorgänge  und  die 
Semiotik  des  Stuhles,  wobei  er  der  Reaction  besondere  Auf¬ 
merksamkeit  widmet;  sodann  die  Entstehung  der  Verdauungs¬ 
störungen,  die  im  Wesentlichen  auf  die  Wucherung  abnormer 
Bacterien  in  der  Nahrung  oder  dem  schädlichen  Nahrungsreste  zurück¬ 
zuführen  sind;  endlich  die  verschiedenen  Milchpräparate  und  die 


Verwendung  derselben  bei  den  einzelnen  Formen  der  Magendarm- 
erkrankungen. 

Es  ist  nicht  möglich,  auf  Einzelheiten  einzugeben.  Es  sei  nur 
erwähnt,  dass  Biedert  hier  wieder  der  Vermehrung  des  Fettes, 
wie  sie  in  seinem  Rahmgemenge  erreicht  wird,  sowohl  für  normale, 
als  pathologische  Verhältnisse  waren,  das  Wort  redet.  Er  schreibt 
demselben,  respective  der  im  Darme  vor  sich  gehenden  Fettspaltung 
die  Erzeugung  der  sauren  Reaction  des  Darminhaltes  und  eine  die 
Eiweissfäulniss  hindernde  Rolle  zu.  Referent  weicht  in  dieser  Hinsicht 
von  der  Anschauung  des  hochgeschätzten  Verfassers  insoferne  ab, 
als  er  die  Meinung  vertritt,  dass  vielmehr  die  Kohlehydrate,  speciell 
der  Milchzucker,  respective  die  auf  Kosten  desselben  ablaufenden 
Gährungsprocesse  das  Eiweiss  schützen  und  auch  therapeutisch  zu 
diesem  Zwecke  verwendet  werden  können.  Die  geringe  Berück¬ 
sichtigung,  Avelche  Biedert  der  diätetischen  Verwendung  der  Kohle¬ 
hydrate  zu  Theil  werden  lässt,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  er 
unter  den  Nährpräparaten  der  Liebig’schen  Suppe  und  der  treu¬ 
lichen  Dienste,  die  sie  bei  Enteritis  follicularis  leistet,  keine  Er¬ 
wähnung  thut.  Dieser  Streitpunkt  hindert  den  Reterenten  aber  nicht 
anzuerkennen,  dass  der  hier  von  Biedert  vertretene  Grundsatz 
der  diätetischen  Behandlung  der  Verdauungsstörungen  der  Säuglinge 
die  allgemeinste  Anerkennung  verdient  und  das  Handeln  des  Praktikers 
beherrschen  muss.  Wer  sich  ein  Bild  von  der  gegenwärtigen  Aus¬ 
gestaltung  der  Ernährungsmethode  B  i  e  d  e  r  t’s  und  von  der  Art 
seines  praktischen  Vorgehens  machen  will,  der  kann  dieses  Büchleins 

nicht  entrathen  und  wird  es  nicht  unbefriedigt  aus  der  Hand  legen. 

* 

II.  Der  Autor  gibt  eine  Zusammenstellung  der  Literatur  über 
die  erst  seit  Mitte  dieses  Jahrhunderts  beachtete  und  unter  ver¬ 
schiedenen  Namen:  Pityriasis  linguae,  Etat  lichenoide,  Glossite 
exfoliatrice,  Wandering  rash  etc.  beschriebene  Erkrankung.  Sie  beginnt 
mit  einer  circum scripten  Proliferation  der  Epithelzellen  des  Zungen¬ 
rückens,  die  zur  Entstehung  eines  weissen  Fleckes  führt.  Durch  Ab- 
stossung  der  gewucherten  Partien  im  Centrum  bildet  sich  eine  rothe, 
nur  von  dünnen  Epithelien  überkleidete  Stelle,  die  durch  eine  bogen¬ 
förmig  verlaufende,  scharf  doppelt  contourirte  Randzone  von  der 
normalen  Zungenoberfläche  getrennt  ist.  Meist  finden  sich  mehrere 
solcher  Kreise,  die,  sich  kreuzend  und  verschmelzend,  allmälig  über 
den  ganzen  Zungenrücken  fortkriechen.  In  den  abgeschabten  Ab¬ 
lagerungen  findet  man  Epithelzellen,  Bacterien  und  Lymphkörperchen, 
wie  sie  auch  im  gewöhnlichen  Zungenbeläge  zu  sehen  sind.  Das 
Leiden  kommt  vorwiegend  bei  Kindern  der  ersten  Lebensjahre  vor. 
Sein  Verlauf  ist  ein  eminent  chronischer,  subjective  Beschwerden 
fehlen  gänzlich.  Das  Wesen  dieser  Erkrankung  ist  dunkel.  Das  Interesse, 
das  man  derselben  entgegenbringt,  knüpft  sich  an  die  Frage,  inwieweit 
ein  Zusammenhang  mit  dyskrasischen  Zuständen  besteht.  Hervorragende 
Autoren  haben  die  Landkartenzunge  —  wohl  mit  Unrecht  —  als 
ein  Symptom  der  Lues  betrachtet.  Andere  sehen  darin  einen  Aus¬ 
druck  gestörter  Verdauung  oder  der  Anämie.  Böhm  hat  die 
Liste  dieser  Zustände  noch  um  einen  weiteren  bereichert.  Bei 
zwei  Dritteln  der  von  ihm  beobachteten  103  Fälle  fanden  sich  auf 
Scrophulose,  beziehungsweise  Tuberculose  hinweisende  oder  ver¬ 
dächtige  Symptome,  theils  mit,  theils  ohne  hereditäre  Belastung. 
Das  familiäre  Auftreten  der  Affection,  der  chronische  Verlaui  und 
das  allmälige  Verschwinden  derselben  im  späteren  Kindesalter, 
erscheint  ihm  anolog  den  lange  dauernden,  häufig  recidivirenden 
Katarrhen,  wie  sie  auf  anderen  Schleimhäuten  bei  der  Scrophulo- 
tuberculose  beobachtet  werden.  Befremdlich  erscheint  nur,  dass 
dieses  neue  Syndrom  der  Scrophulose  nach  den  eigenen  Angaben 
des  Autors  in  der  Hälfte  der  Fälle  schon  unmittelbar  nach  dei 
Geburt,  somit  zu  einer  Zeit  erscheint,  in  welcher  andere  scrophulose 

Erscheinungen  fehlen,  oder  doch  äusserst  selten  sind. 

* 

III.  Von  den  in  rascher  Folge  erschienenen  Lieferungen  enthält 
das  achte  Heft  eine  sehr  sorgfältige  Bearbeitung  der  Syphilis,  bei 
der  wir  die  Berücksichtigung  der  neuesten  Literatur,  speciell  dei 
Arbeiten  von  Hecker  undAntonelli  hervorheben  müssen.  Die 
Therapie  bringt  eine  fast  vollständige  Aufzählung  und  auf  eigene 
Erfahrung  gegründete  Beurtheilung  fast  aller  gegen  Lues  angewendeten 
Mittel  und  Methoden.  Nur  bei  der  Behandlung  der  Syphilis  tarda 
hätte  Referent  eine  stärkere  Betonung  der  specifischen  Wirkung  der 
Jodpräparate  gewünscht,  die  ja  geradezu  als  diagnostisches  IlilU- 
mittel  Verwendung  finden  kann.  Auch  in  dem  Capitel  übei  Suop  ui 


260 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


lose  fesselt  der  therapeutische  Theil  in  erster  Linie  unser  Interesse 
insbesondere  durch  die  Gegenüberstellung  der  in  den  See-  und  den 
Alpenhospizen  erzielten  Erfolge,  wofür  Monti  als  Begründer  der  in 
San  Pelagio  und  in  Ischl  bestehenden  Heilstätten  ein  unerreichtes 
Vergleichsmaterial  besitzt.  Beide  ergeben  —  die  Dauerbehandlung 
in  wohlorganisirten  Anstalten  vorausgesetzt  —  gegenüber  den 
scrophulösen  Haut-  und  Schleimhautaffectionen  die  gleichen  günstigen 
Wirkungen,  während  bezüglich  der  einfach  hypertrophischen 
Schwellung  der  Drüsen  und  der  Entzündung  des  Periostes  die 
Seeluft  und  die  Seebäder  viel  günstiger  wirken  als  Alpenluft  und 
Soolbäder. 

Weniger  glücklich  erscheint  das  Capitel  über  Patho¬ 
genese  und  Symptomatologie  der  Erkrankung.  Das  Wesen 
derselben  bezeichnet  Monti  als  eine  durch  anomale  Func¬ 
tion  des  trophischen  Nervensystems  zu  Stande  gekommene 
»Herabsetzung  des  Stoffwechsels,  die  sich  nicht  allein  in  einer 
vermehrten  (?)  Aufnahme  und  Abgabe  von  Stoffen  charakterisirt, 
sondern  vorwiegend  in  einem  mangelhaften  Verbrauch  und  einem 
verminderten  Umsatz  der  Nährstoffe  in  den  Geweben  selbst«.  Auch 
die  Eintheilung  der  Scrophulose  in  drei  Stadien,  wovon  das  erste 
durch  die  geringere  Widerstandsfähigkeit,  das  zweite  durch  die  Ent¬ 
wicklung  örtlicher  entzündlicher  und  hyperplastischer  Processe,  das 
dritte  durch  den  Uebergang  der  letzteren  in  die  bekannten  Er¬ 
scheinungen  der  Localtuberculose  gekennzeichnet  ist,  entspricht  nicht 
ganz  den  heutigen  Anschauungen,  denen  zufolge  die  tuberculöse 
Infection  schon  erheblich  früher,  im  zweiten,  ja  sogar  im  ersten 
Stadium  erfolgen  kann. 

Das  folgende  neunte  Heft  bringt  eine  eingehende  Schilderung 
der  Miliartuberculose,  der  Tuberculöse  der  Lungen,  der  Lymph- 
drüsen  und  der  Verdauungsorgane.  Der  Autor  hat  dabei  die  patho¬ 
logisch-anatomischen  Veränderungen  mit  besonderer  Aufmerksamkeit 
behandelt  und  sich  bemüht,  die  klinische  Eintheilung  und  Sympto¬ 
matologie  auf  Grund  derselben  zu  entwickeln.  In  der  erschöpfenden 
Darstellung  der  durch  Bronchialdrüsentuberculose  hervorgerufenen 
Erscheinungen  thut  Verfasser  auch  des  Smith’sclien  Geräusches 
als  eines  zu  wenig  gewürdigten  diagnostischen  Hilfsmittels  Erwähnung. 
Referent  kann  dies  aus  eigener  Erfahrung  bestätigen.  Er  hat  jedoch  das 
Phänomen  nicht  nur  bei  Bronchialdrüsenphthise,  sondern  auch  in 
Fällen  beobachtet,  wo  keinerlei  Vergrösserungen  der  Bronchialdrüsen, 
wohl  aber  eine  Struma  vorhanden  war.  Man  wird  also  in  der  Ver- 
werlhung  desselben  vorsichtig  sein  müssen. 

ln  der  Therapie  nehmen  die  diätetischen  und  klimatischen 
Behandlungsmethoden  die  erste  Stelle  ein  und  speciell  den  öster¬ 
reichischen  Collegen  wird  es  von  Werth  sein,  das  auf  so  reiche 
Erfahrung  gestützte  Urtheil  Monti’s  über  unsere  Luftcurorte  nach¬ 
zulesen.  Der  längere  Aufenthalt  tuberculöser  Kinder  während  der 
Wintermonate  in  Meran,  Gries,  Arco,  ja  selbst  Gossensass  ist  oft 
von  ausgezeichnetem  Erfolge,  während  südlichere  Gegenden  geringeren 
Werth  haben.  In  den  Sommermonaten  empfiehlt  sich  der  Aufenthalt 
im  Mittelgebirge,  in  windgeschützten  Gegenden,  wie  Gleichenberg, 
Ischl,  Aussee,  Reichenhall,  Semmering  etc.  Den  Schluss  bildet  eine 
sorgfältige  Zusammenstellung  der  intern  verwendeten  Heilmittel  und 
deren  Erfolge,  unter  denen  auch  die  Organotherapie  und  die  Serum¬ 
behandlung  nicht  vergessen  sind. 

* 

IV.  Zu  der  grossen  Zahl  der  schon  vorhandenen  Lehrbücher 
ist  ein  neues  hinzugekommen,  glücklicher  Weise  ein  solches,  das 
genug  Vorzüge  besitzt,  um  neben  und  vor  manchem  älteren  seine 
Existenz  zu  rechtfertigen.  Diese  Vorzüge  sind :  die  lebendige  fliessende 
Darstellung  bei  knapper,  alles  Ueberflüssige  vermeidender  Diction, 
welche  es  ermöglicht,  den  reichen  Inhalt  auf  546  Seiten  zusammen¬ 
zudrängen,  die  Beherrschung  des  Stoffes,  die  sich  nicht  nur  in  der 
Bekanntschaft  mit  den  neuesten  Forschungsresultaten,  sondern  auch 
in  der  von  dem  Schema  abweichenden  Behandlung  bekannter  Krank¬ 
heitstypen  äussert,  die  Bestimmtheit  und  Entschiedenheit  des 
Urtheils,  insbesondere  auch  in  therapeutischen  Dingen,  die  bei  dem 
Leser  das  Gefühl  der  Unsicherheit  und  die  Qual  einer  Wahl  zwischen 
verschiedenen  Anschauungen  und  Mitteln  nicht  aufkommen  lässt. 
Das  letztere  verdankt  der  Autor  wohl  in  erster  Linie  dem  Um¬ 
stande,  dass  er  als  langjähriger  Assistent  der  Berliner  Universitäts- 
Kinderklinik  in  seinem  Buche  die  Lehrmeinungen  und  Grundsätze 
der  H  e  u  b  n  e  r’schen  Schule  in  systematischer  Weise  zum  Ausdruck 
gebracht  hat.  Diese  Eigenschaft  verleiht  dem  B  e  n  d  i  x’schen  Werke 


ein  hervorragendes  Interesse  für  die  wissenschaftlichen  Kreise,  während 
die  oben  genannten  Vorzüge  es  zugleich  als  Handbuch  für  die 
Studirenden  empfehlen. 

Das  Lehrbuch  ist  als  die  zweite  Auflage  des  Handbuches  der 
Kinderheilkunde  von  Uff el mann,  des  verstorbenen  Professors 
der  Hygiene  in  Rostock,  erschienen  und  die  etwas  unbefriedigende 
Eintheilung  des  Stoffes  rührt  noch  von  diesem  her.  Die  dem  Werke 
Uffelmann’s  eigentümliche  starke  Betonung  der  Hygiene  und 
Prophylaxe  ist  dem  allgemeinen  Tlieile  zu  Gute  gekommen,  der  den 
besten  und  eigenartigsten  Theil  des  Buches  darstellt.  Nur  in  dem 
Capitel  über  Ernährung  hätte  Referent  eine  wärmere  Em¬ 
pfehlung  der  gemischten  Ernährung  und  eine  weniger  ein¬ 
seitige  Darstellung  der  künstlichen  Ernährung  mit  Kuhmilch  ge¬ 
wünscht.  In  der  zweiten  Tabelle  der  Nahrungsmengen  auf  pag.  25  ist 
übrigens  das  Princip  der  volumetrischen  Methode  in  ganz  folge¬ 
richtiger  Weise  zur  Durchführung  gelangt,  wenn  auch  diese  Be¬ 
zeichnung  vermieden  wurde.  Ein  weiterer  Vorzug  dieses  Abschnittes 
ist  die  scharfe  Unterscheidung  und  Trennung  der  Altersperioden, 
die  den  Verfasser  zu  einer  anschaulichen  Darstellung  der  wech¬ 
selnden  Morbidität  des  Kindesalters  geführt  hat.  Warum  nicht 
auch  der  Mortalität? 

Auch  der  klinische  Theil,  speciell  die  so  schwierige  Darstellung 
der  Verdauungsstörungen  ist  durchwegs  gelungen.  Ein  Beweis  für  das 
selbstständige  Urtheil  ist  das  Capitel  über  den  Dentitio  difficilis. 
Wir  lesen  darin  nicht  nur  von  örtlichen  Beschwerden,  sondern  auch 
von  Fiebern,  eklamptischen  Anfällen  etc.,  die  durch  den  Zahnprocess 
hervorgerufen  werden  können  und  erwarten  nunmehr,  dass  der  Autor 
auch  den  wissenschaftlichen  Beweis  dafür  erbringen  wird.  Nur 
Weniges  haben  wir  vermisst;  so  die  Erwähnung  der  Bernheim¬ 
sehen  Schiffchen  bei  der  Stomatitis  ulcerosa,  die  wir  wiederholt  zu 
bestätigen  Gelegenheit  hatten,  der  endemischen  Grippe  Filatow’s, 
gewisser  Formen  von  Herzmuskelerkrankungen  etc.  Ein  Lapsus  calami 
auf  pag.  305  sei  richtig  gestellt,  wo  das  Trou  de  Botal  mit  Ductus 
arteriosus  statt  mit  Foramen  ovale  übersetzt  ist. 

Escherich. 


I.  Beiträge  zur  Frage  der  Volksheilstätten  (IV). 

Von  Dr.  med.  Hans  Weicher. 

Breslau  1899,  Grass  und  Barth. 

II.  Ueber  »infectiöse«  Lungenentzündungen  und  den 

heutigen  Stand  der  Psittakosis-Frage. 

Von  Prof.  Dr.  Leichtenstcrn  (Köln). 

Separat- Abdruck  aus  dem  Centralblatt  für  allgemeine  Gesundheitspflege. 
XVIII.  Jahrgang.  Bonn  1899,  Strauss. 

III.  Die  Bedeutung  der  Lungenschwindsucht  für  die 

Lebensversicherungsgesellschaften. 

Von  Paul  Croner,  praktischer  Arzt  aus  Berlin. 
Inaugural-Dissertation.  Berlin  1899,  Schede. 

IV.  Zur  Bekämpfung  der  Lungenschwindsucht. 

Streifzüge  eines  Arztes  in  das  Gebiet  der  Strafrechtspflege. 

Von  Dr.  med.  Theodor  Büdingen  in  Mainz. 
Separat-Abdruck  aus  der  Deutschen  Vierteijahrsschrift  für  öffentliche 
Gesundheitspflege.  Bd.  XXXI,  Heft  3.  Braunschweig  1899,  Vieweg. 

V.  Die  Handhabung  des  Heilverfahrens  bei  Versicherten 
durch  die  Hanseatische  Versicherungsanstalt  für  In- 
validitäts-  und  Altersversicherung  im  Jahre  1898  und 
Ergebnisse  des  Heilverfahrens  bei  lungenkranken  Ver¬ 
sicherten  bis  Ende  1898. 

VI.  Leitende  Gesichtspunkte  bei  der  Auswahl  und  Nach¬ 
besichtigung  der  in  Heilstätten  behandelten  Lungen¬ 
kranken  im  Bezirke  der  Hanseatischen  Versicherungs¬ 
anstalt  und  Bemerkungen  über  Sommer-  und  Winter- 

curen. 

Sonderabdruck  aus  dem  Berichte  über  den  Congress  zur  Bekämpfung  der 

Tuberculöse  als  Volkskrankheit. 

Von  Dr.  Aug.  Predöhl  in  Hamburg. 

VII.  Die  Erfolge  der  Heilstättenbehandlung  Lungen¬ 
schwindsüchtiger,  und  klinische  Bemerkungen  zur  Tuber¬ 
culosis  pulmonum. 

Von  Dr.  F.  Reiche. 

Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  31,  32,  31. 

VIII.  La  Tuberculöse  est  curable.  Moyen  de  la  reconnaitre 
et  de  la  guerir.  Instructions  pratiques  ä  Tusage  des 

families. 

Par  Dr.  Elisöe  Ribard. 

Paris  19C0,  Carre  et  C.  N  a  u  1. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


261 


J.  Der  unermüdliche  Leiter  des  »Krankenheim«  in 
Görbersdorf  hat  uns  wieder  eine  statistische  Arbeit  geliefert,  die 
Jedem  einen  Einblick  in  den  Betrieb  dieser  Heilanstalt  gestattet. 
Wir  erfahren  nicht  nur  die  Heilerfolge,  die  Dauer  derselben,  um  deren 
Mittheilung  es  dem  Verfasser  in  der  vorliegenden  Arbeit  ganz  besonders 
zu  thun  war,  sondern  hören  auch  die  verschiedensten  auf  die 
Heredität,  die  Lebens-  und  Erwerbsverhältnisse  etc.  bezugnehmenden 
Zahlen.  Darauf  auch  nur  andeutungsweise  einzugehen,  verbietet 
sich  von  selbst,  es  kann  daher  nur  wahllos  da  und  dort  ein  Stück 
herausgenommen  werden,  um  kurz  darüber  zu  referiren. 

Weicker  berichtet  zuerst  über  die  Heilerfolge  der  im 
Jahre  1898  entlassenen  Kranken,  von  denen  66  =  10%  dem 
ersten,  287  =  44'4%  dem  zweiten  und  293  =  45'4%  dem  dritten 
Stadium  angehören;  dabei  rechnet  er  unter  die  erste  Gruppe  die 
Fälle  von  Bronchitis,  Peribronchitis,  disseminirten  Herden  in  einer 
Spitze;  zur  zweiten  Infiltration  geringeren  Grades  in  beiden  Supra¬ 
clavicular-,  respective  Supraspinalgruben  oder  Infiltration  eines 
Lappens,  zur  dritten  Gruppe  alle  über  zwei  hinausgehenden  Er¬ 
krankungen.  Erfreulicher  Weise  bessert  sich  die  Auswahl  der 
zur  Aufnahme  empfohlenen  Kranken  fortwährend,  was  er  mit  Recht 
auf  zunehm  endesinter  esse  von  Seite  der  Aerzte  zurückführt. 

Von  diesen  angeführten,  im  Jahre  1898  entlassenen  Patienten 
waren : 

1.  Gebessert .  600  =  92-8% 

2.  Ungebessert  ....  33=  5'1% 

3.  Verschlechtert  .  .  .  8=  1‘2% 

4.  Verstorben  ....  5=  0*9% 

Ferner  mit  Rücksicht  auf  die  Erwerbsfähigkeit: 

Arbeitsfähig .  406  =  62‘9% 

Theilweise  arbeitsfähig  .  95  =  14*6% 

Nicht  arbeitsfähig  .  .  .  140  =  2U6% 

Verstorben .  5  =  0'9% 

Jene  statistischen  Angaben,  die  sich  auf  die  Dauer  der 
Anstaltserfolge  beziehen  und  durch  Umfragen  gesammelt 

wurden,  ergaben  nach  W  e  i  c  k  e  r’s  eigenen  Worten  die  folgenden 
Resultate: 

»Nach  vorstehender  Statistik  haben  von  dem 
derHeilstätte  zugeführten  Kranken  material  selbst 
noch  nach  drei  und  vier  Jahren  ein  Drittel  aller 
Patienten  ohne  jede  Ausscheidung  (der  ungeeigneten 
Fälle  etc.  Anmerkung  des  Referenten)  einen  Dauererfolg, 
indem  sie  nach  eigener  schriftlicher  Mittheilung 
befähigt  sind,  ihrer  Arbeit  voll  und  ganz  nach¬ 
zugehen. 

Düster,  fast  entmuthigend  dagegen  sehen  die  Zahlen  in  der 
Rubrik  »Verstorben«  aus.  Nach  bereits  zwei  Jahren  sind 
von  sämmtlichen  früheren  Insassen  derHeilstätte 
nahezu  einDrittel,  nach  drei  und  vier  Jahren  schon 
die  Hälfte  verstorben;  jedoch  ist  hier  nicht  zu  übersehen,  dass 
in  dem  Zahlenmaterial  viele  fortgeschrittene  Fälle  enthalten  sind.« 

Die  Schlüsse,  die  man  aus  diesen  Thatsachen  ziehen  kann, 
sind  ja  gewiss  sehr  interessant;  immer  und  immer  wieder  kommt 
die  Forderung  heraus:  Gute  Auswahl  bei  der  Aufnahme! 
Den  Geeigneten  kann  für  lange  Zeit,  ja  für  immer  geholfen  werden, 
der  bei  Ungeeigneten  erzielte  Erfolg  ist,  wenn  überhaupt  vorhanden, 
ephemer.  Aus  jeder  Specialstatistik  der  ausgezeichneten  Arbeit 
W  e  i  c  k  e  r’s  geht  die  Berechtigung  dieser  Ansicht  hervor.  Er  führt 
aber  auch  eine  Statistik  an,  die  gerade  diesen  Punkt  illustrirt: 
Während  von  den  in  den  Jahren  1896,  1897,  1898  arbeitsfähig 
entlassenen  geeigneten  Fällen  100,  97,  respective  95% 

arbeitsfähig  geblieben  sind,  sind  von  den  nicht  arbeits¬ 
fähig  entlassenen  ungeeigneten  Kranken  (drittes  Stadium) 
944,  80'0,  respective  564%  gestorben. 

Ganz  richtig  sagt  daher  Weicker:  »Es  ist  eine  falsche 
Humanität,  ungeeignete  Phthisiker  einer  Volksheilstätte  zu  über¬ 
weisen.  .  .  .  Ich  erkenne  durchaus  die  Bediirfnissfrage  an,  dass 
Krankenhäuser  geschaffen  werden,  welche  den  vorgeschrittenen 
Fällen  geeignete  Unterkunft  bieten.  Soll  aber  eine  Heilstätte 
eine  Stätte  der  Heilung  sein,  so  gilt  es  vor  Allem,  das 
Krankenmaterial  sorgfältig  zu  prüfen,  ehe  es  der  Heilstätte  über¬ 
wiesen  wird.« 

Diesen  Worten  kann  gar  nichts  hinzugefügt  werden,  als  der 
lebhafteste  Wunsch  nach  baldiger  Realisirung  dieser  Idee.  Arbeiten 


wie  die  vorliegende,  die  ebenso  durch  ihre  klare  Ausdruckweise 
wie  durch  die  grosse  Aufrichtigkeit  jeden  Leser  für  sich  einnimmt, 

müssen  endlich  den  gewünschten  Erfolg  haben! 

* 

II.  Die  Leichtenster n’sche  Arbeit  beschäftigt  sich  mit 
jener  interessanten  Krankheit,  die  unter  dem  Namen  der  Psitta- 
kosis  allgemein  bekannt,  aber  doch  noch  immer  recht  dunkel 
ist.  Vor  Allem  constatirt  der  Verfasser,  dass  es  sich  um  keine 
bacteriologische  Einheit  handelt.  Ebenso  ist  es  bisher  noch  nicht 
gelungen,  den  Nachweis  zu  liefern,  dass  diese  Erkrankung,  die 
stets  unter  dem  Bilde  einer  atypischen,  oft  mit  typhösen  Er¬ 
scheinungen  einhergehenden  Pneumonie  auftritt,  in  der  That  vom 
Papagei  direct  auf  den  Menschen  übertragen  wird.  Andererseits 
aber  ist  es  aus  den  angeführten  Beispielen  zu  sehen,  wie  der  Weg, 
den  eine  Papageiensendung  von  einem  Ort  zum  anderen  nimmt, 
durch  das  Auftreten  besonders  bösartiger  Pneumonien  gezeichnet 
ist,  so  dass  nicht  viel  Phantasie  dazu  gehört,  einen  Causalnexus 
zwischen  den  Papageien  und  dieser  Krankheit  herzustellen.  Sehr 
lehrreich  ist  die  von  Leich  ten  stern  angeführte  Pariser 
Epidemie  vom  Jahre  1892 : 

Zwei  Händler  beziehen  aus  Südamerika  500  Papageien,  die, 
in  Paris  angekommen,  in  verschiedene  Häuser  verkauft  werden.  Im 
Hause  des  einen  Händlers  war  der  erste  Krankheitsherd, 
dessen  Ausbreitung  sich  nun  genau  verfolgen  lässt,  da  überall, 
wo  Papageien  verkauft  werden,  dieselbe  Krankheit  auftritt.  Im 
Ganzen  umfasst  dieser  Herd  26  Personen,  von  denen  8  sterben. 
Der  zweite  Besitzer  der  Papageien,  der  anderswo  wohnt,  erkrankt 
nicht  nur  selbst,  sondern  mit  ihm  noch  10  Mitbewohner  desselben 
Hauses,  von  denen  5  starben.  Von  dort  aus  wurden  Vögel  ver¬ 
kauft  an: 

Herrn  V.,  der  erkrankt; 

Herrn  B.,  der  sammt  Frau  und  Tochter  erkrankt;  er  stirbt; 

Herrn  V.,  der  erkrankt; 

Fräulein  G.,  die  erkrankt  und  stirbt; 

Herrn  M.,  der  erkrankt  und  stirbt; 

Herrn  C.,  der  sammt  seiner  Frau  erkrankt  und  stirbt; 

zwei  Personen,  die  erkranken. 

Diese  Papageien-Sendung  hat  also  im  Ganzen  49  Erkrankungs¬ 
fälle  (mit  16  Todesfällen)  zur  Folge  gehabt. 

Analog  dieser  Epidemie,  die  ja  für  den  Vorurtheilslosen  an 
sich  schon  fast  beweisend  ist,  werden  noch  die  verschiedenen  an 
anderen  Orten  beobachteten  Fälle  erzählt,  bei  denen  immer  wieder 
das  Zusammentreffen  der  Krankheit  mit  dem  Ankäufe  eines  Papageis 
auffällt,  so  dass  auch  in  diesen  Fällen  von  Pneumonie-Epidemien 
an  das  thatsächliche  Vorliegen  von  Psittakosis  gedacht 
werden  muss. 

Die  Schlüsse,  die  Leichtenstern  selbst  aus  den  ange¬ 
führten  Thatsachen  zieht,  sind  ungefähr  folgende: 

Der  sichere  Beweis,  dass  die  Ansteckung  in  den  bis¬ 
herigen  Fällen  that  sächlich  von  Papageien  ausging,  ist  zwar 
nicht  erbracht;  dagegen  ist  das  Vorkommen  schwerer  Infections- 
krankheiten  bei  diesen  Vögeln  bewiesen.  Ohne  Zweitel  können  die 
diesen  Erkrankungen  zu  Grunde  liegenden  Mikroorganismen  (Strepto-, 
Staphylo-,  Pneumococcen,  Proteus-  und  Goli-Arten)  auf  den  Menschen 
übertragen  werden.  Die  sogenannte  P  s  i  1 1  a  k  os  i  s  ist  eine  in  allen 
Epidemien  gleiche,  atypische  Pneumonie,  oft  mit  typhösen  Sym¬ 
ptomen.  Die  g  1  e  i  c  h  e  n  Hausepidemien  können  auch  ohne  Inte  r- 
vention  von  Papageien  Vorkommen.  Trotzdem  darf  man 
aber  die  Möglichkeit  der  Entstehung  gewiss  nicht  einfach  leugnen, 
da  einige  Epidemien,  besonders  die  früher  erzählte  vom  Jahre  1892 
(Paris),  doch  mit  der  grössten  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Ent¬ 
stehung  der  Krankheit  durch  Papageien  hinweisen.  Auch  in  Bezug 
auf  die  Prophylaxe  empfiehlt  der  Verfasser  grösste  Vorsicht  beim 
Ankauf  von  Papageien  (keine  kranken  Vögel!)  und  bchutzmass- 
regeln  von  Seite  der  Sanitätsbehörden. 

Die  Arbeit  ist  nicht  nur  für  den  Epidemiologen  von  Interesse, 
sondern  jedem  Praktiker  zu  empfehlen,  weil  wir  es  in  der  frag¬ 
lichen  Erkrankung  mit  einem  zwar  ziemlich  seltenen,  aber  desto 

ernsteren  Zustand  zu  thun  haben. 

* 

III.  Von  welcher  enormen  Bedeutung  die  Tuberculose  für 
die  Lebensversicherungs-Gesellschaften  ist,  davon  kann  man  sich 
wohl  nur  in  Deutschland  die  richtige  Vorstellung  machen,  weil  dort 


262 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


durch  das  Gesetz  das  Versicherungswesen  auf  einer  ganz  anderen 
Stufe  steht  als  bei  uns.  Cr  on  er  hat  sich  der  Mühe  unterzogen, 
durch  genaues  Studium  einer  grossen  Zahl  von  Krankengeschichten 
diesen  Einfluss  kennen  zu  lernen  und  hat  gleichzeitig  die  Mittel 
angegeben,  die  Verhältnisse  in  einer  Weise  zu  ändern,  die  beiden 
Theilen  nützt. 

Der  eine  Weg,  nämlich  jenen  Unglücklichen,  von  denen  an- 
zunehmen  ist,  dass  sie  bald  der  Schwindsucht  zum  Opfer  fallen 
werden,  die  Aufnahmsbedingungen  zu  erschweren,  widerspricht,  wie 
Cr  on  er  ganz  richtig  hervorhebt,  dem  idealen  Zweck  der  »Ver¬ 
sicherung«  ganz  und  gar,  denn  gerade  diese  Leute  wollen  die 
tröstliche  Gewissheit  haben,  »die  Angehörigen  nach  ihrem  Tode 
nicht  in  Noth  zurückzulassen,  und  ihnen  wenigstens  die  erste 
Hilfe  zu  gewähren,  wenn  ihnen  der  Ernährer  genommen  ist.« 

Der  einzig  richtige  Weg  ist  die  Gründung  von 
Lungenheilanstalten.  » Sie  (die  Versicherungsgesellschaften) 
müssen  sich  vereinigen  und  Heilstätten  begründen,  in  welchen  sie 
ihre  Versicherten  zu  ermässigten  Preisen  aufnehmen  könnten,  so¬ 
bald  hei  diesen  die  ersten  Zeichen  der  Tuberculose  festgestellt 
wären.«  Sehr  zweckmässig  erscheint  des  Verfassers  Vorschlag,  die 
Versicherten  zu  verhalten,  alljährlich  ein  ärztliches  Zeugniss  über 
ihren  Gesundheitszustand  der  Gesellschaft  vorzulegen,  um  so  den 
richtigen  Zeitpunkt  nicht  zu  versäumen.  Dann  aber  müssten  that- 
sächlich  in  einer  solchen  Anstalt  nur  »geeignete«  Fälle  aufgenommen 
werden,  die  Heilerfolge  daher  glänzende  sein.  »Im  Interesse 
der  Humanität,  welches  wir  Aerzte  ja  allein  zu  vertreten  haben, 
wäre  es  erfreulich,  wenn  die  Gesellschaften  diesen  Punkten  näher 
treten  würden.«  Diesen  Schlussworten  des  Autors  kann  nur  lebhaft 
zugestimmt  werden.  Wäre  es  doch  nur  in  Oesterreich 
auch  schon  so  weit! 

* 

IV.  B  ü  di  n gen’s  Arbeit  betrachtet  die  Tuberculose  von 
einem  bis  nun  kaum  gewürdigten  Standpunkte:  Bekämpfung 
gewisser  Seuchenherde  ist  seine  Devise.  Solche  sind  vor 
Allem  in  den  Strafanstalten  zu  finden.  Aus  den  mit  grosser 
Genauigkeit  zusammengestellten  Zahlen,  die  aber  nach  Bü  dingen’s 
Angabe  stets  entschieden  hinter  der  Wirklichkeit  Zurückbleiben, 
ergibt  sich  nicht  nur  die  enorme  Häufigkeit  der  Tuberculose  in 
Strafanstalten,  sondern  auch  die  sehr  zu  beherzigende  Thatsache,  dass 
Viele  tuberculös  entlassen  werden,  dass  also  durch  die 
Strafanstalten  die  Ausbreitung  der  Tuberculose 
wesentlich  erleichtert  wird. 

»Man  muss  sich  nur  ein  Bild  zu  machen  suchen«,  sagt  der 
Verfasser (pag.  15),  »zu  wie  vielerlei  Infectionsmöglichkeit  ein  schwind¬ 
süchtig  entlassener  Sträfling  auf  der  Wanderschaft,  der  Land¬ 
streicherei  oder  in  wiedererlangter  Stellung,  in  der  Werkstätte  und 
in  seiner  eigenen  Behausung  Veranlassung  geben  kann! 

Darin  liegt  die  grosse,  die  gefahrvolle  Be¬ 
deutung  der  Strafanstalten  auch  für  die  freie  Be¬ 
völkerung.  In  der  Geschichte  der  Ausbreitung  der 
Tuberculose  spielen  sie  eine  grosse,  jedenfalls 
eine  über  ihre  bisherige  Würdigung  herausgehende 
Rolle  in  allen  Ländern.« 

Der  Verfasser  geht  dann  auf  die  Auseinandersetzung  jener 
Umstände  ein,  die  für  die  Häufigkeit  der  Schwindsucht  in  Straf¬ 
anstalten  verantwortlich  gemacht  werden  müssen.  Die  gegen  den 
Krankheitserreger  gerichteten  prophylaktischen  Massregeln  sind  an 
der  Grenze  ihrer  Leistungsfähigkeit  angelangt,  die  allgemeine  Pro¬ 
phylaxe  zwar  noch  erweiterungsfähig,  aber  nicht  vielversprechend. 
Es  müssen  daher  andere  Massregeln  zur  Anwendung  kommen,  die 
besonders  auf  folgende  Punkte  hinauslaufen: 

1.  Beschränkung  des  Zuganges  nach  den 
Seuchenherden. 

2.  Verhütung  der  Entlassung  Kranker. 

3.  Schutz  der  Gesunden  in  den  Anstalten  durch 
Isolirung  der  Kranken. 

Der  ersten  Forderung  kann  durch  Anwendung  der  »be¬ 
dingten  Begnadigung«,  d.  h.  eines  Strafaufschubes  bei 
jugendlichen,  erstmalig  zu  leichten  Strafen  verurtheilten  Leuten, 
die  unter  Umständen  in  die  Begnadigung  übergehen  kann,  Genüge 
gethan  werden;  dies  umsomehr,  als  die  juridischen  Autoritäten 
dieser  Massregel  freundlich  gegenüberstehen.  Da  es  ein  »vitales 
Interesse  der  Gesellschaft  ist,  dem  tuberculösen  Verbrecher  eine 


besondere  Behandlung  angedeihen  zu  lassen«,  verlangt  B ii d  i  n ge n 
die  Zwangsbehandlung  bedingt  begnadigter,  in  den 
Frühstadien  der  Lungentuberculose  stehender 
Kranker,  wenigstens  jener,  die  erblich  belastet  und  bei  denen 
eine  Spontanheilung  nicht  mehr  zu  erwarten  ist.  Was  die  Finanzirung 
des  Projectes  betrifft,  so  schlägt  der  Verfasser  vor,  sich  an  die 
Versicherungsanstalten  zu  halten,  da  es  ja  in  ihrem  eigenen  Inter¬ 
esse  liegt,  die  Invalidität  hinauszuschieben.  Für  schwer  kranke  Ver- 
urtheilte  will  er  keine  Begnadigung,  sondern  Isolirung  in 
der  Strafanstalt.  Ebenso  sollte  auf  solche  Sträflinge  das  Recht  der 
bedingten  Entlassung  nicht  an  ge  wendet  werden. 
»Was  soll  ein  derartig  bedauernswerther  Mensch  —  doppelt  be- 
dauernswerth:  als  Kranker  wie  als  entlassener  Gefängniss-  oder 
Zuchthausinsasse  —  in  und  mit  der  Freiheit  beginnen?...  Mit 
dem  Augenblicke  seiner  Freilassung  beginnt  die  Grausamkeit  der 
Gesellschaft  gegen  ihn  und  seine  Rache  an  der  Gesellschaft.« 

Um  nicht,  wie  es  so  oft  geschieht,  dadurch  überrascht  zu 
werden,  dass  ein  gesund  eingelieferter  Häftling  plötzlich  schwer 
tuberculös  ist,  verlangt  der  Verfasser  ein  Gesetz,  nach  dem  alle 
Insassen  der  Anstalt  in  bestimmten  Intervallen  ärztlich  untersucht 
werden  müssen.  Jene,  die  vor  ihrer  Entlassung  krank  werden, 
sollten  nach  dem  Princip  des  »Progressivsystems«  in  geeigneten, 
gut  gelegenen  ad  hoc  errichteten  Stationen  untergebracht  werden ^ 
Die  Entscheidung  der  dritten  der  früher  angegebenen  Forderungen 
gehört  in  die'  Gompetenz  der  Hausärzte  der  Strafanstalten. 

Den  Schluss  der  Arbeit  bildet  eine  Art  von  Selbstkritik,  die 
Besprechung  verschiedener  eventueller  Einwände  gegen  des  Ver¬ 
fassers  Forderungen. 

Die  kleine  Brochure  behandelt  einen  Gegenstand,  der  ohne 
Zweifel  von  der  allergrössten  Bedeutung  für  die  Tuberculose  als 
Volkskrankheit  ist.  Wenn  auch  die  Vorschläge  des  Verfassers 
vielleicht  in  einzelnen  Details  auf  Schwierigkeiten  in  der  all¬ 
gemeinen  Durchführung  stossen,  so  bleibt  es  immerhin  ein  an- 
erkennenswerthes  Unternehmen,  auf  diesen  Gegenstand,  der  in  der 
Tuberculosenfrage  bisher  weniger  beachtet  worden  ist,  als  er  ver¬ 
dient,  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  Es  wäre  daher  lebhaft  zu 
wünschen,  dass  nicht  nur  Aerzte,  sondern  ganz  besonders  Rechts¬ 
kundige  dem  Verfasser  auf  seinen  »Streifzügen«  folgen,  damit  das 
grosse  Uebel,  das  er  klar  und  ohne  Rücksicht  aufgedeckt  hat,  mit 
der  Wurzel  ausgerottet  werde. 

* 

V.  Eine  statistische  Arbeit,  die  auszugsweise  nicht  wieder¬ 
gegeben  werden  kann.  Sie  beginnt  mit  einem  Vorworte  aus  der 
Feder  des  rührigen  Directors  der  Hanseatischen  Versicherungs¬ 
anstalt  in  Lübeck,  Gebhard,  der  sich  die  Bekämpfung  der 
Tuberculose  mehr  zur  Lebensaufgabe  gemacht  hat,  als  so  mancher 
Arzt.  Welchen  Antheil  die  Invaliditäts-Versicherungsanstalten  in 
Deutschland  an  der  Heilstättenbewegung  nehmen,  ja  dass  die  ver¬ 
schiedenen  Anstalten  ihre  eigenen  Heilstätten  bauen,  darf  wohl  als 
bekannt  vorausgesetzt  werden. 

Eine  Folge  dieser  erspriesslichen  Thätigkeit  ist  der  vorliegende 
Bericht,  der  sich  zum  Theile  auf  die  Ergebnisse  des  Jahres  1898, 
zum  Theile  auf  die  Gesammtzeit  (1893 — 1898)  bezieht.  Aus  der 
grossen  Reihe  der  Tabellen  über  die  verschiedensten  Verhältnisse 
der  Behandelten  seien  nur  wenige  Daten  herausgegriffen. 

Auf  Kosten  der  Hanseatischen  Anstalt  wurden  im  Jahre  1898 
zur  Behandlung  übernommen:  G38  Kranke,  dazu  83  vom  Vorjahre 
Verbliebene,  zusammen  also  721.  Am  Schlüsse  des  Jahres  1898 
blieben  102  von  diesen  noch  in  Behandlung.  Diese  erfolgte  zum 
grössten  Theile  in  der  eigenen  Heilanstalt  in  0  d  e  r  b  e  rg  (Männer), 
respective  in  St.  Andreasberg  und  Salzuflen  (Weiber), 
theils  in  anderen  Heilanstalten  (Rehburg,  Altenbrak,  Görbersdorf) 
oder  Curorten  (Büsum). 

Der  Grad  des  bei  2169  Lungenkranken  erreichten  Erfolges 
(bei  einer  durchschnittlichen  Behandlungsdauer  von  10 — 15  Wochen) 
war  folgender: 

1.  Voll  erwerbsfähig . 441  =  10’7°/o 

2.  Voll  erwerbsfähig,  aber  die  Dauer  der  Erwerbsfähigkeit 

nicht  sicher . .  1185  =  55‘5% 

3.  Erwerbsfähigkeit  wesentlich  gebessert  .  243  =  11'4% 

4.  Erwerbsunfähig .  259  =  12‘1°  0 

5.  Verstorben  .  4  =  0-2% 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


263 


(Hier  sind  sämmt  liehe  Kranke  von  1898 — 1898  gezählt, 
ausser  jenen,  die  weniger  als  vier  Wochen  in  Behandlung 
waren.) 

In  187  Fällen  wurde  eine  Wiederholung  des  Heilverfahrens 
gewährt. 

Ausserordentlich  wichtig  sind  die  von  der  Anstalt  angestellten 
Nachuntersuchungen;  die  Resultate  dieser  sind  denn  auch  ganz 
genau  angeführt.  Daraus  sei  nur  erwähnt,  dass  von  den  bis 
Ende  1897  Entlassenenen  Ende  1898  noch  7T8%  erwerbs¬ 
tätig  waren,  ein  gewiss  recht  günstiger  Erfolg. 

Wer  sich  für  die  Heilstättenbehandlung  der  Tubereulose 
interessirt,  findet  in  dem  Berichte,  der  auf  den  ersten  Blick  aller¬ 
dings  einer  Logarithmentafel  nicht  unähnlich  ist,  einen  sehr 

wichtigen  Behelf  zur  Beurtheilung  der  betreffenden  Verhältnisse. 

* 

VI.  Predöhl,  der  Vertrauensarzt  der  Hanseatischen  Ver¬ 
sicherungsanstalt  hat  dasselbe  Krankenmaterial  zur  Basis  seiner 
Beobachtungen  genommen,  das  schon  in  V  angeführt  ist.  Er  spricht 
sich  ganz  präcise  über  die  wichtige  Frage  aus,  wann  ein  Kranker 
zur  Aufnahme  in  eine  Heilanstalt  geeignet  sei  und  wann  nicht. 
Dass  er  Kehlkopfcomplicationen,  selbst  leichter  Art,  von  der 
Aufnahme  ausschliesst,  scheint  doch  etwas  zu  weit  gegangen.  Denn 
gerade  nach  dieser  Richtung  kann  man  oft  die  schönsten  Erfolge 
sehen,  wenn  die  allgemeine  mit  der  localen  Behandlung  com- 
binirt  wird. 

Der  zweite  Theil  der  Arbeit  beschäftigt  sich  mit  der  Unter¬ 
suchung  über  die  Dauer  der  Cure  r  folge;  er  beschränkt  sich 
aber  darauf,  die  Gesichtspunkte  anzugeben,  nach  welchen  diese 
Frage  entschieden  werden  soll,  ohne  dass  er  thatsächliche  Zahlen 
anführt.  Schliesslich  stellt  er  einen  Vergleich  zwischen  den  Er¬ 
folgen  der  Sommer-  und  Wintercuren  an,  der  ergibt,  dass  kein 
Unterschied  besteht. 

* 

VII.  Auch  Reiche’s  Arbeit  hängt  mit  den  beiden  ange¬ 
deuteten  Publicationen  zusammen,  auch  sie  beschäftigt  sich  mit 
jenen  Lungenkranken,  welche  die  Hanseatische  Versicherungs¬ 
anstalt  bisher  einer  Behandlung  zugeführt  hat.  Wie  dort,  so  sollen 
auch  hier  nicht  so  sehr  definitive  Schlüsse  aus  den  erzielten  Re¬ 
sultaten  gezogen  werden,  sondern  vielmehr  nur  der  Weg  angegeben 
werden,  auf  welchem  man  zur  grösstmöglichen  Ausnützung  der 
Erfahrungen  gelangen  kann.  Auf  diese  Art  ist  bei  gleichmässigem 
Vorgehen  Aller  am  leichtesten  eine  Generalstatistik  zu  erzielen,  die 
es  erst  gestatten  wird,  unwiderlegliche  Schlüsse  über  den  Werth 

der  Heilstättenbehandlung  zu  ziehen. 

* 

VIII.  Eine  zwar  populäre,  jedoch  nur  für  die  gebildeten  Kreise 
bestimmte  Darstellung  der  Tuberculose  und  deren  Bekämpfung.  Der 
Verfasser  trachtet,  durch  eine  ziemlich  eingehende  Beschreibung, 
durch  eine  Reihe  recht  guter  Abbildungen  das  Verständniss  zu 
erleichtern. 

So  ist  z.  B.  die  Schilderung  des  tuberculösen  Habitus  derart, 
dass  der  aufmerksame  Leser  schliesslich  ein  klares  Bild  dieses 
Menschen  vor  Augen  hat.  Zu  weit  ist  es  wohl  gegangen,  wenn  der 
Verfasser-  auch  die  Haarfarbe  in  Betracht  zieht  und  besonders  im 
rothen  Haare  ein  wichtiges  Zeichen  der  Prädisposition  sieht,  wenn 
der  Beschreibung  der  Augen,  Nase,  Zähne,  Nägel  u.  dgl.  je  ein 
eigener  Abschnitt  zugedacht  ist. 

Gelegentlich  der  Besprechung  der  Verhütung  und  Heilung 
stellt  er  sich  ganz  auf  den  Standpunkt  der  modernen  Anschauungen. 
Sehr  eingehend  durch  Illustrationen  unterstützt,  werden  jene  gym¬ 
nastischen  Uebungen  erklärt,  die  zu  einer  Kräftigung  der  Athem- 
musculatur,  zur  Stärkung  der  Lunge  selbst  führen.  Das  Büchlein 
schliesst  mit  einem  warmen  Appell  an  die  Mütter,  die  ihre 
Kinder  behüten,  die  A  e  r  z  t  e,  dass  sie  die  Krankheit  recht  früh 
diagnosticiren  mögen,  an  die  Reichen,  die  Sanatorien  gründen 
sollen,  an  die  Behörden,  die  die  öffentliche  Gesundheit  zu 
überwachen  haben  und  schliesslich  an  die  Kranken  selbst,  die 
auf  sich  achten,  die  Krankheit  heilen  mögen;  »guerissez-vous, 
car,  le  voulant,  vous  le  pouvez. « 

Arbeiten,  wie  die  vorliegende,  erscheinen  in  letzter  Zeit  so 
häufig,  dass,  wenn  jede  nur  in  einen  kleinen  Leserkreis  Eingang 
findet,  die  Kenntniss  der  Tuberculose,  jene  Grundbedingung  zu 
ihrer  Bekämpfung,  endlich  doch  Gemeingut  der  ganzen  Bevölkerung 


werden  muss.  Darum  ist  auch  jede  derartige  Publication,  als 
Tropfen,  der  endlich  den  Stein  aushöhlt,  mit  Freude  zu  begrüssen. 

v.  Weismay r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

69.  Zweiter  Bericht  über  dieThätigkeit  der 
Malaria-Expedition.  (Aufenthalt in  Niederländisch-Indien  vom 
21.  September  bis  12.  December  1899.)  Von  Prof.  Ko  ch  (Berlin). 
Schon  durch  die  ersten  Erkundigungen  wurde  in  Erfahrung  gebracht, 
dass  in  Batavia  die  Malaria  weitaus  nicht  mehr  die  Rolle  spielt, 
wie  ehedem;  im  Laufe  von  fünf  Wochen  konnten  daselbst  nur 
30  Malariafälle  ausfindig  gemacht  werden.  Am  deutlichsten  zeigte 
sich  die  Abnahme  der  Malaria  bei  der  Colonialarmee,  bei  welcher 
in  den  letzten  15  Jahren  die  Zahl  der  Erkrankungen  um  mehr  als 
50%  gesunken  ist.  Als  eine  der  Hauptursachen  hiefür  sieht  Koch 
die  unentgeltliche  Abgabe  von  Chinin  an  die  Bevölkerung  an.  In 
welchem  Umfange  das  geschieht,  kann  man  daraus  ermessen,  dass 
während  der  letzten  zehn  Jahre  durchschnittlich  2000  Chinin 
jährlich  aus  dem  Reichsmagazin  an  die  Bevölkerung  verabfolgt 
worden  waren;  1899  wurden  bis  Anfang  October  2394 hg  Chinin 
verbraucht.  Daselbst  angestellte  Versuche,  Malaria  auf  Affen  zu 
übertragen,  sind  vollständig  negativ  ausgefallen,  so  dass  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  der  Mensch  der  einzige  Träger  des  Para¬ 
siten  bleibt,  eine  Thatsache,  welche  für  die  Prophylaxis  der  Malaria 
von  grösster  Bedeutung  ist.  Von  Batavia  wandte  sich  die  Expedition 
nach  dem  in  Mittel-Java  liegenden  Ambarawa,  einer  vollständigen 
Sumpfgegend  mit  den  allergünstigsten  Bedingungen  für  die  Ent¬ 
wicklung  der  Malaria;  dennoch  konnten  hier  nur  21  Malariafälle 
aufgefunden  werden.  Dieses  immerhin  sehr  auffällige  Verhalten 
führte  dazu,  die  Kinder  auf  Malaria  hin  zu  untersuchen,  wobei  in 
einzelnen  Ortschaften  dieselben  bis  zu  21%  (bis  41%  der  noch 
nicht  ein  Jahr  alten!)  malariakrank  befunden  wurden.  Es  scheint 
demnach,  dass  die  Bewohner  dieser  Gegend  die  Malaria  schon  in 
der  Kindheit  durchmachen  und  wenn  sie  derselben  nicht  erliegen, 
gewissermassen  eine  weitgehende  Immunität  gegenüber  der  Malaria 
erlangen.  Gegenüber  der  Theorie,  dass  die  Malaria  durch  Mosquitos 
übertragen  werde,  wird  auch  behauptet,  dass  aut  Java  Orte  sich 
befinden,  in  denen  es  keine  Mücken  gebe,  und  dass  trotzdem  dort 
Malaria  vorkäme.  Koch  konnte  theils  selbst,  theils  durch  Um¬ 
fragen  feststellen,  dass  es  auf  Java  keine  mückenfreie  Ortschaften 
gebe  bis  auf  zwei,  in  welchen  aber  die  auftretenden  Malariafälle 
immer  eingeschleppte  waren.  Es  hat  sich  auch  auf  Java  der  Satz 
bestätigt:  »Wo  keine  Mosquitos,  dort  ist  auch  keine  endemische 
Malaria«.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  5.) 

Pi. 

* 

70.  Der  epileptische  Wandertrieb  (Poriomanie). 
Von  Dr.  Julius  Donath.  (Archiv  für  Psychiatrie.  1899, 
Bd.  XXXII,  Heft  2.)  Verfasser  definirt  den  epileptischen  Anfall  jed¬ 
weder  Form  und  jedweden  Ursprunges  als  »eine  krankhafte  Er¬ 
regung  der  Hirnrinde,  welche  plötzlich  ansteigt,  periodisch  wieder¬ 
kehrt,  typisch  abläuft  und  rasch  abklingt«.  Die  Bewusstseinsstörung 
lässt  er  nicht  als  ständiges  Merkmal  des  epileptischen  Anfalles 
gelten,  da  es  nur  von  der  Stärke  und  Ausbreitung  des  Reizes  ab¬ 
hängt,  ob  ein  Anfall  mit  oder  ohne  Bewusstseinsstörung,  demnach 
mit  oder  ohne  Amnesie  abläuft.  Von  diesen  Anschauungen  aus¬ 
gehend,  schildert  er  drei  Fälle  von  Wandertrieb  (Poriomanie, 
7)  7iopsta  =  Wanderschaft),  welchen  das  plötzliche  An-  und  Ab¬ 
klingen  des  veränderten  Seelenzustandes  während  der  Dauer  des 
Wandertriebes,  beziehungsweise  die  Plötzlichkeit  der  Handlung,  ihre 
Periodicität  und  ihr  typischer  Verlauf  gemeinsam  sind.  Nachfolgende 
Amnesie  besteht  in  keinem  der  Fälle.  Verfasser  tritt  für  die  epi¬ 
leptische  Natur  des  Wandertriebes  in  seinen  drei  Fällen  ein  und 
vertritt  die  Anschauung,  dass  die  epileptische  Poriomanie  ein  psy¬ 
chisches  Aequivalent  besonderer  Art  sei,  von  dem  gewöhnlichen 
dadurch  unterschieden,  dass  die  Bewusstseinsstörung  entweder 
gänzlich  fehlt,  oder  durch  ihre  Geringfügigkeit  in  den  Hintergrund 

tritt.  ^ 

* 

71.  Ueber  Erkrankungen  der  unteren  Rücken¬ 
marksabschnitte  nebst  einem  Beitrag  über  den 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  II 


261 


Verlauf  der  secundären  Degenerationen  im  Rücken¬ 
marke.  Von  Dr.  H.  Zingerle,  klinischer  Assistent 
in  Graz.  Die  aus  den  unteren  Rückenmarksabschnitten  ent¬ 
springenden  Wurzeln  verlaufen  in  Folge  der  Endigung  des  Markes 
in  der  Höhe  des  zweiten  Lendenwirbels  eine  grössere  Strecke 
innerhalb  des  Rückgratcanales  nach  abwärts,  bis  sie  denselben 
durch  die  For.  intervert.  zur  Cauda  equina  vereint  verlassen 
können.  Läsionen  in  verschiedenen  Höhen  der  tieferen  Rücken¬ 
marksabschnitte  können  klinisch  dieselben  Ausfallserscheinungen 
hervorrufen  je  nachdem  das  Mark  selbst  erkrankt  ist  oder  die 
Wurzeln  während  ihres  absteigenden  Verlaufes  in  der  Cauda 
equina  ergriffen  sind.  Zingerle  sucht  nun  an  der  Hand  von 
vier  Fällen,  unter  welchen  drei  traumatischer  Natur  sind,  die 
charakteristischen  Merkmale  für  die  Mark-  und  jene  für  die 
Wurzelsymptome.  Nach  Zingerle  sprechen  reissende  Schmerzen, 
Hyperästhesie  und  Krämpfe  für  Wurzelerkrankungen,  hingegen 
schmerzlose  Lähmungen  mit  rasch  eintretenden  Atrophien  begleitet 
von  fibrillären  Zuckungen,  Neigung  zu  Decubitus  und  das  Erhalten¬ 
bleiben  der  Reflexe  im  Bereiche  willkürlich  gelähmter  Muskeln  für 
Markläsionen.  Die  unterhalb  einer  Läsion  des  Rückenmarkes  ge¬ 
legenen  Reflexe  sind  gesteigert.  Wenn  von  mehreren  in  einem  be¬ 
stimmten  Rückenmarksegment  localisirten  Muskelgruppen  nur  ein 
Theil  functionsunfähig  wird,  verweist  dies  eher  auf  theilweise  Zer¬ 
störung  des  Segmentes,  etwa  durch  Blutung,  als  auf  Läsion  ein¬ 
zelner  Wurzelfädchen.  Verlauf  und  Prognose  sind  bei  Wurzelläsionon 
viel  günstiger.  —  (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XVIII,  Heft  3.) 

S. 

* 

72.  Magensyphilis.  Von  Dr.  Dalgliesh.  Wie  die 

Schleimhaut  des  Respirationstractes  hei  Syphilis  in  Mitleidenschaft 
gezogen  sein  kann,  so  kann  möglicher  Weise  ein  Magenkatarrh  auf 
syphilitischer  Basis  beruhen  und  ebenso  auch  ein  Gumma  daselbst 
die  Symptome  einer  schweren  Magenerkrankung  hervorrufen.  Dass 
man  sich  an  diese  Möglichkeit  erinnere,  das  ist  für  die  Therapie 
natürlich  von  grösster  Bedeutung.  Verfasser  berichtet  über  drei  von 
ihm  1898  beobachtete  Fälle  von  Magenerkrankungen  mit  sehr 
schweren  Symptomen  (bedeutende  Abmagerung,  Anämie,  Hämat- 
emesis),  welche  früher  syphilitisch  inficirte  Individuen  betrafen  und 
die  auf  Jodkali  prompt  reagirten.  —  (The  Lancet.  1899,  Bd.  II, 
Nr.  7.)  Pi. 

* 

73.  Ueber  die  Localisation  des  Ton  Vermögens. 
Von  Dr.  M.  Probst,  emerit.  klinischer  Universitätsassistent.  (Archiv 
für  Psychiatrie.  1899,  Bd.  XXXII,  Heft  2.)  Den  in  dem  Titel  ge¬ 
gebenen  Thema  nähert  sich  Probst  durch  das  Studium  der  patho¬ 
logischen  Anatomie  der  verschiedenen  Formen  der  Amusie.  Unter 
letzterem  Ausdruck  ist  der  Verlust  des  Musikverständnisses  und  des 
musikalischen  Ausdrucksvermögens  zu  verstehen.  Man  unterscheidet 
demnach  —  entsprechend  den  Aphasieformen  —  eine  sensorielle 
und  motorische  Amusie.  Erstere  umfasst  die  Tontaubheit  und  Noten¬ 
blindheit,  letztere  hingegen  unterscheidet  sich  als  vocale  motorische 
Amusie  (Unvermögen,  zu  singen),  instrumentale  motorische  Amusie 
(Unvermögen,  ein  Instrument  zu  spielen),  und  die  musikalische 
Agraphie.  Klinisch  sind  Amusie  und  Aphasie  von  einander  getrennt, 
denn  die  eine  kann  ohne  die  andere  auftreten.  Es  ist  daher  der 
Rückschluss  gestattet,  dass  die  beiden  Zustände  auch  pathologisch¬ 
anatomisch  von  einander  gelrennt  sind.  Um  die  Frage  der  Localisation 
der  verschiedenen  Amusieformen  einer  Lösung  zuführen  zu  können, 
hat  Probst  die  wenigen  (29)  Obductionsfälle  in  der  Literatur,  in 
welchen  über  das  musikalische  Verständniss  und  das  Vermögen  des 
musikalischen  Ausdruckes  einige  klinische  Aufzeichnungen  existirten, 
gesammelt,  und  einen  selbst  beobachteten  Fall,  der  auf  Serien¬ 
schnitten  mikroskopisch  untersucht  wurde,  hinzugefügt.  In  diesem 
Falle  handelt  es  sich  um  eine  Patientin  mit  totaler  Aphasie,  rechts¬ 
seitiger  Hemiplegie  und  Hemianopsie,  welche  Melodien  gut  verstand 
und  diese  nachzusingen  vermochte,  die  bekannten  mit  Text,  die 
unbekannten  nachträllernd.  Die  Affectsprache  war  im  Gegensatz  zur 
Spontansprache  gut  erhallen.  Dieser  Fall  ist  dafür  beweisend,  dass 
das  Musik  verständniss  nicht  an  das  Sprachverständniss  gebunden 
ist  und  ebenso  auch  nicht  das  willkürliche  Singen  an  das  spontane 
Sprachvermögen.  Es  muss  also  das  musikalische  Vermögen  anders 
localisirt  sein,  als  das  Sprachvermögen.  Nach  der  von  Probst 
gegebenen  Zusammenstellung  der  in  der  Literatur  enthaltenen  Ob¬ 


ductionsfälle  ist  es  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  anzunehmnen, 
dass  das  Musikverständniss  in  den  vorderen  Theilen  der  Temporal¬ 
windungen  und  zwar  zumeist  jener  der  linken  Hemisphäre  localisirt 
ist.  Ein  Eintreten  der  einen  Hemisphäre  für  die  lädirte  andere 
wurde  bisher  nicht  beobachtet.  Dieselbe  Wahrscheinlichkeit  spricht 
für  die  Localisation  der  motorischen  Amusie  in  der  zweiten  Fron¬ 
talwindung  und  zwar,  je  nach  individueller  Verschiedenheit,  bald 
der  linken,  bald  der  rechten  Hemisphäre.  Nach  den  wenigen  Ob- 
ductionsfällen,  welche  bezüglich  der  Localisation  der  Notenblindheit 
zur  Verfügung  stehen,  lässt  sich  erstere  in  der  nächsten  Nähe  der 
Localisationsstelle  für  Wortblindheit  vermuthen.  Wahrscheinlich 

kommt  auch  hier  das  untere  Scheitelläppchen  in  Betracht.  J. 

* 

74.  Der  seg  mentale  Begrenzungstypus  bei 
Hautanästhesien  am  Kopfe,  insbesonders  in  Fällen 
von  Syringomyelie.  Von  Dr.  Friedrich  v.  Sölde  r, 
klinischer  Assistent.  Der  peripherische  Typus  bei  Läsionen 
peripherischer  Nerven,  der  cerebrale  Typus,  der  bei  organischem 
Ursprung  Erkrankungen  des  Gehirnes  und  noch  prägnanter  bei 
Hysterie  vorkommt,  und  der  segmentale  Typus,  den  man  den 
Rückenmarks-  und  Wurzelläsion  zuschreiben  darf,  sind  bisher  als 
typische  Begrenzungsformen  der  Hautempfindungsstörungen  bekannt. 
Der  letztere  Typus,  bisher  nur  an  Rumpf  und  Extremitäten  dar¬ 
gestellt,  ist  wie  Sold  er  an  sechs  Fällen  von  Syringomyelie  beweist, 
auch  am  Kopfe  zu  constatiren.  Die  von  S  ö  1  d  e  r  schematisch  dar¬ 
gestellten  Sensibilitätsgruppen  am  Kopfe  finden  sich  nicht  bei 
Hysterie,  sind  bei  Syringomyelie  bis  auf  wenige,  unwesentliche  und 
in  besonderen  anatomischen  Verhältnissen  begründete  Variationen 
constant  und  daher  von  diagnostischem  Interesse.  Per  analogiam 
schliesst  S  ö  1  d  e  r,  dass  die  den  segmentalen  Typus  am  Kopfe 
repräsentirenden  Grenzlinien  die  typische  Begrenzungsform  für 
Sensibilitätsstörungen  der  organischen  Läsionen  des  obersten  Cervical- 
markes  und  der  Medulla  obl.  bilden,  welcher  Schluss  durch  aus 
der  Literatur  citirte  Fälle  Unterstützung  findet.  Am  Rumpfe  und 
an  Extremitäten  ist  die  Begrenzungsform  der  Anästhesien  bei 
spinalen  und  Wurzelläsionen  identisch.  Wie  aus  drei  von  Sold  er 
angeführten  Fällen  hervorgeht,  fehlt  am  Kopfe  diese  Ueberein- 
stimmung  in  der  Begrenzungsform  typischer  Mark-  und  Wurzel¬ 
anästhesien.  —  (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XVIII,  Heft  3.) 

S. 

* 

75.  (Aus  der  Heidelberger  medicinischen  Klinik  des  Professors 

Erle.)  Ueber  Behandlung  der  gonorrhoischen  Epi¬ 
didymitis  mit  Salicylpräparaten.  Von  Dr.  Bett  mann. 
Von  einer  Mischung  von  einem  Theil  Methylsalicylat  und  zwei  Theilen 
01.  oliv,  werden  6 — 8  cm3  auf  ein  Stück  nicht  entfetteter  Watte 
gegossen  und  dieses  auf  das  Scrotum  applicirt;  darüber  kommt  ein 
vollständig  abschliessendes  Stück  Guttaperchapapier.  Fixation  des 
Ganzen  mit  einem  ausgepolsterten  Suspensorium.  Der  Verband  wird 
alle  zwölf  Stunden  erneuert.  Diese  Methode  soll  die  Schmerzen 
prompt  beseitigen  und  schon  nach  drei  bis  vier  Tagen  die  Ver¬ 
wendung  des  üblichen  Druckverbandes  ermöglichen.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1899.  Nr.  38.)  Pi. 

* 

76.  Kritisches  zum  Capitel  der  normalen  und 
pathologischen  Sexualität.  Von  Dr.  P.  Näckl,  Oberarzt 
in  Hubertusburg.  (Archiv  für  Psychiatrie.  1899,  Bd.  XXXII,  Heft  2.) 
Das  Pathologische  des  Geschlechtslebens  erscheint  nur  dann  fest 
gegründet,  wenn  das  Normale  bekannt  ist.  Bis  jetzt*  stehen  nur  die 
Grundzüge  der  normalen  Sexualität  fest,  so  dass  wir  nur  die  aus¬ 
geprägteren  Fälle  von  sexuellen  Perversitäten  als  pathologisch  hin¬ 
stellen  sollten  und  auch  das  nicht  immer,  da  wir  die  Variations¬ 
breite  des  sogenannten  normalen  Geschlechtslebens  nicht  oder  nur 
ungenügend  kennen.  Ueberdies  ändert  sich  diese  Variationsbreite 
des  Normalen  je  nach  Zeit,  Ort  und  Race.  Näckl  sucht  zunächst 
den  Begriff  des  Geschlechtstriebes  festzustellen  und  spricht  dann  über 
die  Einzelheiten  des  normalen  Sexualtriebes.  In  dem  den  patho¬ 
logischen  Sexualzuständen  gewidmeten  Theile  seiner  Arbeit  bespricht 
Näckl  die  Onanie,  den  Exhibitionismus,  das  Tagträumen  (Dag- 
Dreaming),  den  Narcismus  und  den  homosexuellen  Verkehr.  Das 
Tagträumen  wurde  hauptsächlich  durch  die  Amerikanerin  Mabel 
Lewoy  d  studirt.  Es  findet  sich  häufiger  beim  weiblichen  Geschlecht 
als  beim  männlichen.  Den  Ausgangspunkt  bietet  ein  Ereigniss  in  einem 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


265 


Buche  oder  eine  persönliche  Erfahrung,  die  weiter  ausgesponnen 
wird,  besonders  in  der  Einsamkeit  und  im  Bette  vor  dem  Ein¬ 
schlafen.  Dabei  ist  häufig  ein  sexueller  Hintergrund  vorhanden.  Das 
Vorhandensein  von  Narcismus  (Selbstverliebtheit)  lässt  Näckl  nur 
gelten,  wenn  die  Betrachtung  des  eigenen  Ichs  oder  seiner  Theile 
von  deutlichen  Zeichen  des  Orgasmus  begleitet  ist  (auto-erotism). 
Narcismus  soll  sich  besonders  bei  Frauen  finden.  Näckl  bespricht 
endlich  den  homosexuellen  Verkehr.  Er  unterscheidet  eine  früh  und 
eine  spät  auftretende  Homosexualität.  Die  erstere  ist  die  echte, 
eventuell  angeborene,  die  zweite  die  erworbene  Form  und  meist  ein 
gemeines  Laster.  Näckl  tritt  für  die  Aufhebung  des  §  175 
(D.  St.  0.)  ein  und  hält  dafür,  dass  der  homosexuelle  Verkehr 
unter  dieselben  Strafbestimmungen  fallen  soll,  wie  der  heterosexuelle. 

J. 

* 

77.  lieber  Perseveration,  eine  f  o  r  in  a  1  e  S  t  ö  r  u  n  g 
i  m  Vorstellungsablauf e.  Von  Dr.  Friedrich  v.  Sölder, 
klinischer  Assistent.  Sölder  gibt  auf  Grund  von  vier  Be¬ 
obachtungen  eine  Besprechung  des  Symptoms  der  Perseveration. 
Diese  ist  eine  bei  Gehirn erkrankungen  mit  umschriebenen  Functions- 
defecten  (Aphasie,  Seelenblindheit,  Asymbolie)  ferner  in  Begleitung 
einer  allgemeinen  Schwäche  der  Associationsleistung  auftretende 
formale  Störung  im  Vorstellungsablaufe,  darin  sich  äussernd,  dass 
eine  einmal  geweckte  Vorstellung  in  den  unmittelbar  nachfolgenden 
Vorstellungsreihen  in  sinnloser  Verbindung  wiederkehrt.  Sölder 
gibt  an  Beispielen  eine  Uebersicht  über  die  beobachteten  Formen 
der  Perseveration:  Perseveration  gesprochener,  gehörter  Worte, 
Perseveration  beim  Schreiben,  beim  Lesen,  Perseveration  einfacher 
Muskelactionen,  Perseveration  begrifflicher  Vorstellungen.  Das 
Symptom  kann  beim  einzelnen  Kranken  sich  nur  auf  einem  um¬ 
schriebenen  Functionsgebiete  geltend  machen,  oder  es  kann  all¬ 
gemein  verbreitet  sein.  Gewöhnlich  findet  man  eine  Beschränkung 
auf  das  Sprachgebiet  als  Begleitsymptom  der  Aphasie  oder  selbst¬ 
ständig  ohne  eine  solche.  Sölder  findet  in  mancher  Beziehung 
eine  Uebereinstimmung  der  Phänomene  der  optischen  Nachbilder 
und  der  Perseveration  und  möchte  daher  letzere  als  psychisches 
Nachbild  bezeichnen.  —  (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XVII 1, 

Heft  3.)  '  S. 

* 

78.  Bericht  über  zwölf  mit  Strontiumbromid 
behandelte  Fälle  von  Epilepsie.  Von  Dr.  Smith 
(London).  Verfasser  hat  das  für  die  Epilepsiebehandlung  angepriesene 
Strontiumbromid  in  zwölf  Fällen  versucht  und  ist  zu  dem  Schlüsse 
gekommen,  dass  dieses  Mittel,  obwohl  theurer  als  das  Bromkali, 
nicht  mehr  als  dieses  leiste,  dass  im  Gegentheile  dem  letzteren 
bei  kleinerer  Dosis  eine  noch  schnellere  Heilwirkung  zukomme,  als 
dem  Strontium  salz.  —  (The  Lancet.  1899,  Bd.  II,  Nr.  7.) 

* 

79.  (Aus  dem  pharmakologischen  Institute  der  deutschen 
Universität  in  Prag.)  Beiträge  zur  Physiologie  und 
Pharmakologie  der  Diurese.  Von  Dr.  Schwär  z.  Ein¬ 
gehende,  am  Thiere  vorgenommene  Versuche  führten  zu  dem  Er¬ 
gebnisse,  dass  keines  der  echten  Diuretica  durch  Vermittlung  der 
Nierencirculation  wirkt.  Sowohl  die  Salze,  als  auch  Coffein  und 
Kalomel  beeinflussen  die  Diurese,  ohne  dass  die  Strömungsgeschwin¬ 
digkeit  des  Nierenblutes  erhöht  wird.  Es  muss  demnach  angenommen 
werden,  dass  die  Epithelien  der  Harncanälchen  durch  die  harn¬ 
fähigen  Stoffe  zu  secretorischer  Thätigkeit  angeregt  werden.  — 
(Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie.  Bd.  XLIlf, 

Heft  1  und  2.)  Pi. 

* 

80.  Ein  weiterer  Beitrag  zur  Lehre  von  der 
Mikrocephalie  nebst  zusammenfassendem  Berichte 
über  d  i  e  E  r  f  o  1  g  e  der  Craniotomie  b  e  i  d  e  r  Mikro¬ 
cephalie.  Von  Dr.  Alexander  P  i  1  c  z,  klinischer  Assi¬ 
stent.  Pilcz  publicirt  in  der  vorliegenden  Arbeit  einen  Fall  von 
echter  Mikrocephalie,  welcher  einerseits  durch  seine  Anamnese  eine 
Stütze  der  von  Pilcz  in  einer  früheren  Arbeit  vertretenen  An¬ 
schauung  bildet,  dass  die  ätiologischen  Factoren  der  Mikrocephalie 
vera  in  Störungen  liegen,  welche  auf  den  Keim  seihst  schädigend 
einwirkten  (anamnestisch  hatte  sich  nämlich  in  dem  Falle  Pilcz's 
schwerer  Alkoholismus  in  der  Ascendenz  des  mikroeephalen  In¬ 
dividuums  feststellen  lassen),  andererseits  durch  den  constatirten 


Mangel  von  Nahtsynostosen  das  Irrationelle  einer  eventuellen 
Graniektomie  erhellen  kann,  welch  letztere  auf  der  Voraussetzung 
beruht,  dass  die  abnorme  Kleinheit  des  Schädels  und  seines  In¬ 
haltes  durch  eine  primäre  prämature  Nahtsynostose  bedingt  sei, 
demnach  die  Mikroencephalie  secundär  durch  die  Mikrocephalie 
entstehe.  Nach  Darlegung  des  Falles  in  klinischer  und  anatomischer 
Hinsicht  gibt  Pilcz  eine  kritische  Zusammenfassung  jener  Ar¬ 
beiten,  welche  die  chirurgischen  Eingriffe  bei  der  Mikrocephalie 
zum  Gegenstand  haben.  —  (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XVIII, 

Heft  3.)  S. 

* 

81.  Beitrag  zur  pathologischen  Anatomie  der 
schweren  acuten  Verwirrtheit.  Von  Dr.  E.  Bisch  off, 
gewesenem  klinischen  Assistenten.  Das  Studium  der  durch  tödtlichen 
Ausgang  bei  ganz  rapidem  Verlauf  ausgezeichneten  Fälle  acuter 
Verwirrtheit,  welche  unter  dem  Sammelnamen  Delirium  acutum 
vereinigt  wurden,  bietet  die  Möglichkeit,  über  die  Vorgänge  Auf- 
Schlüsse  zu  erlangen,  welche  in  letzter  Linie  die  Psychose  hervor¬ 
bringen.  B  i  s  c  h  o  f  f  hat  bei  drei  hiehei  gehörigen  Fällen,  welche  in- 
soferne  eine  Sonderstellung  einnahmen,  als  in  jedem  derselben 
langdauernde  Koprostase,  respective  nekrotisirende  Enteritis  vorlag, 
eine  genaue  mikroskopische  Untersuchung  des  Centralnervensystems 
vorgenommen.  Den  mitgetheilten  Krankheitsbildern  kommen  zwei 
gemeinsame  Befunde  zu:  Die  Hyperämie  der  Hirnrinde  und  die 
Erkrankung  des  Darmcanales.  Die  Durchsicht  der  Literatur  über 
das  Delirium  acutum  lässt  die  Hyperämie  der  Hirnrinde  als  einzigen 
constanten  Befund  constatiren.  Nach  einer  von  Bischoff  ent¬ 
wickelten  Hypothese  wird  das  Zurückgehen  einmal  vorhandener 
Hyperämie  theils  in  Folge  mechanischer  Behinderung  durch  Ver¬ 
schluss  der  Abflusswege,  theils  in  mangelhafter  Function  der  Vaso¬ 
motoren  verhindert  und  die  Steigerung  der  klinischen  Erscheinungen 
dadurch  erklärt.  Aufgabe  der  Therapie  ist  es,  durch  hydrotherapeu¬ 
tische  Massregein  und  kräftige  Anregung  der  Darmthätigkeit,  die 
Circulationsstörung  zu  bekämpfen,  zumal  dann,  wenn  —  wie  in 
Bischoff’s  Fällen  -  eine  hochgradige  Störung  der  Verdauungs- 
thätigkeit  vorhanden  ist.  In  anatomischer  Beziehung  fand  sich  in 
den  drei  Fällen  B  i  s ch  o  f  f’s  eine  vorzugsweise  auf  die  Hirnrinde 
und  die  weichen  Hirnhäute  ausgezeichnete  Hyperämie  mit  conse- 
cutivem  Oedem.  Die  Veränderungen  die  sich  in  den  beiden  ersten 
Fällen  an  den  Rlndenzellen  fanden,  gestatten  auf  die  Natur  des 
ursächlichen  Krankheitsprocesses  keinen  Rückschluss.  Im  dritten 
Falle  waren  die  Ganglienzellen  der  Hirnrinde  grösstentheils  normal.  — 

(Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVI,  Heft  5.)  J. 

* 

82.  Ein  Fall  von  Vergiftung  mit  hypermangan- 
saurem  Kali.  Von  Dr.  Box  (London).  Eine  47  Jahre  alte,  dem 
Trünke  ergebene  Frau  hatte  eine  Handvoll  übermangansaures  Kali 
in  Bier  aufgelöst  und  die  Lösung  getrunken.  Tod  nach  35  Minuten, 
nachdem  die  Athmung  früher  als  das  Herz  zum  Stillstände  ge¬ 
kommen  war.  Die  Obduction  ergab  ausser  der  durch  das  Alkali 
bedingten  Verfärbung  der  Zunge  unter  Anderem  Glottisödem  und 
eine  oberflächliche  Nekrose  der  Magenschleimhaut.  Letztere  war 
gleichzeitig  mit  einem  schwarzen,  festhaftenden,  körnigen  Pulver 
bedeckt,  welches  wahrscheinlich  als  Manganhydroxyd  anzusehen  ist 
und  sich  durch  Reduction  des  mit  organischen  Substanzen  (Bier, 
Mageninhalt)  in  Berührung  gekommenen  übermangansauren  Kalis 
gebildet  hat.  —  (The  Lancet.  1899,  Bd.  II,  Nr.  7.) 

* 

83.  (Aus  der  Abtheilung  des  Prof.  v.  Noorden  am  städti¬ 
schen  Krankenhause  in  Frankfurt  a.  M.)  lieber  die  Unter¬ 
scheidung  des  weissen  und  dunklen  Fleisches  für 
die  Krankenernährung.  Von  Dr.  Offer  und  Dr.  Rosen- 
quist.  Die  Untersuchung  erstreckte  sich  auf  den  Gehalt  an  Ex- 
tractivstoffen  in  den  verschiedensten  Fleischsorten.  Die  daraus  ge¬ 
zogene  Schlussfolgerung  der  Verfasser  geht  dahin,  dass  die  in  der 
Diätetik  allgemein  beliebte  Unterscheidung  zwischen  hellem  und 
dunklen  Fleisch  auf  einem  unbegründeten  Vorurtheile  beruhe, 
welches  den  Patienten  —  besonders  Gichtikern  und  Nierenkranken 
—  lästige  Beschränkungen  auferlege.  —  Gegen  diese  Auslegung 
wendet  sich  Senator  in  einer  unter  gleichem  Titel  erschienenen 
Publication,  indem  er  unter  Anderem  einwendet,  dass  der  Unter¬ 
schied  der  Fleischsorten  - —  von  der  Verdaulichkeit  und  dem  Nähr- 
werthe  derselben  ganz  abgesehen  noch  durch  ganz  andere  Um- 


266 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


stände  bedingt  sei,  als  durch  den  Gehalt  an  Extractivstoffen.  Des- 
halb  sei  kein  Grund  vorhanden,  von  der  praktischen  Erfahrung 
abzugehen,  dass  im  Allgemeinen  weisses  Fleisch  für  Gicht-  und 
Nierenkranke  zuträglicher  sei,  als  dunkles.  —  (Berliner  klinische 

Wochenschrift.  1899,  Nr.  48,  44,  45.) 

* 

84.  Die  Schalen  haut  des  Hühnereies,  eine 
epithelhaltige  Membran,  und  ihre  Verwendung  zur 
Ueberhäutung  granulirender  Flächen.  Von  Professor 
Schüller  (Berlin).  Verfasser  weist  nach,  dass  die  dem  Eiweiss 
zu<rewendete  Seite  der  Schalenhaut  des  gewöhnlichen  Hühnereies 
ein  Epithel  trägt  und  dass  diese  Haut  in  möglichst  grossen  Stücken 
auf  gereinigte,  von  Eiter  freie  und  trocken  getupfte  Granulations¬ 
flächen  aufgetragen,  im  Stande  ist,  in  ihrem  Bereiche  Epithelbildung 
hervorzurufen.  Die  Schalenhaut  wird  gleich  nach  dem  Ausfliessen 
des  Eies,  ohne  dass  sie  durch  Berührung  irgendwie  verunreinigt 
oder  geschädigt  worden  ist,  mit  der  inneren  Seite  auf  die  Wund¬ 
fläche  gelegt,  und  mit  einem  einfachen  Verbände  befestigt.  Haupt¬ 
sache  ist,  dass  sie  der  Fläche  gut  angeschmiegt  bleiht  und  nicht 
verschoben  wird;  wenn  Schüller  nur  in  der  Mitte  einer  Granu¬ 
lationsfläche  die  Haut  auftrug,  so  entstand  nur  an  dieser  Stelle  eine 
Epithelneubildung;  mit  der  der  Schale  zugewendeten  Fläche  auf¬ 
getragen,  fand  keine  Epithelbildung  statt,  ein  Beweis,  dass  diese 
von  der  oberwähnten  Zelllage  abhängig  ist.  — -  (Monatsschrift  für 
Unfallheilkunde.  1899,  Nr.  9.) 

* 

85.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  Bonn.)  Eine  neue 

Methode  der  Röntgen-Photographie  des  Magens. 
Von  Dr.  Bade.  Durch  Aufblähen  des  Magens  mit  Kohlensäure 
sollen  die  Contouren  desselben,  besonders  bei  Kindern,  aber  auch 
bei  Erwachsenen,  bei  der  Durchleuchtung  mit  Röntgen-Strahlen  zur 
Ansicht  gebracht  werden  können.  —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  38.)  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

In  der  Sitzung  vom  6.  März  d.  J.  kamen  im  preussisehen  Ab¬ 
geordnetenhause  die  zu  so  unliebsamer  Berühmtheit  gelangten,  zu  Im- 
munisirungszwecken  ausgeführten  Seruminjectionen  Professor  Neisser’s 
in  Breslau  zur  Sprache  und  erfuhren  ein  geradezu  verdammendes  Ur- 
theil.  Es  wird  gewiss  Niemandem  beifallen,  muthwillig  unternommene 
Experimente  —  selbst  wenn  es  sich  nur  um  Thiere  als  Versuchsobjecte 
handeln  würde  —  in  Schutz  zu  nehmen  und  irgendwie  gut  zu  heissen. 
Aber  die  Beantwortung  der  Frage  wäre  doch  für  den  ferner  Stehen¬ 
den  in  dieser  Angelegenheit  von  ausschlaggebender  Bedeutung:  ob  es 
denn  schon  so  ohne  Weiteres  feststeht  und  von  einem  competenten 
fachmännischen  Areopag  —  denn  nur  einem  solchen  scheint 
uns  hier  ein  massgebendes  Urtheil  zuzukommen  —  ausgesprochen  ist, 
dass  den  von  Professor  Neisser  ausgeführten  therapeutischen  Ver¬ 
suchen  jene  wissenschaftlichen  Voraussetzungen  und  Grundlagen  von 
vorneherein  auch  thatsächlich  fehlten,  die,  indem  sie  einerseits  einzig 
und  allein  den  Experimenten  erst  Berechtigung  geben,  andererseits 
etwaige  unglückliche  Folgen  in  einem  ganz  anderen,  jedenfalls  viel 
milderen  Lichte  erscheinen  lassen.  Wer  hat  ein  Recht,  daran  zu 
zweifeln,  dass  Professor  Neisser  an  die  Versuche  mit  der  wissen¬ 
schaftlichen  Ueberzeugung  und  dem  zuversichtlichen  guten  Glauben 
herangetreten  ist,  ein  therapeutisches  Experiment  auszuführen,  das 
eventuell  für  die  Lösung  eines  der  wichtigsten  Probleme  von  segens¬ 
reichster  Bedeutung  werden  könnte,  und  wer  darf  es  in  Frage  stellen, 
dass  er  gewiss  davon  durchdrungen  war,  dass  er  mit  diesen  Versuchen 
zum  mindesten  Niemandem  einen  Schaden  zufügen  werde.  Wenn  man 
die  ganze  Angelegenheit  von  solchen  Gesichtspunkten  betrachtet,  dann 
mag  vielleicht  das  Urtheil  dahin  zusammenzufassen  sein,  dass  hier  ein 
Mann  von  den  eminenten  wissenschaftlichen  Qualitäten  und  von  der 
hervorragenden  fachlichen  Einsicht  wie  Neisser  einem  verhängniss- 
vollen  Irrthum  zum  Opfer  gefallen  ist  und  mit  ihm  Jene,  an  denen 
er  die  Versuche  ausgeführt  hat.  Man  wird  es  mehr  wie  je  beklagen 
müssen,  dass  gerade  auf  dem  Gebiete  der  Syphilisforschung  jener  Mittel¬ 
weg  versagt  ist,  der  bei  vielen  anderen  Infectionskrankheiten  über  die 
Klippen  des  therapeutischen  Experimentes  am  Menschen  hinweghilft: 
dass  das  Thierexperiment  wegen  der  natürlichen  Immunität  der  Thiere 
gegen  Syphilis  zur  Lösung  der  mannigfachen  hier  in  Betracht  kommen 
den  wissenschaftlichen  Fragen  nicht  herangezogen  werden  kann. 
Darin  liegt  ja  der  beklagenswerthe  Grund  der  Stagnation  in  der  Sy 
philisforschung,  dass  wir  lediglich  auf  die  Beobachtung  am  Menschen 
angewiesen  sind.  Die  Aerzte  haben  in  ihrem  Forscherdrange  häufig 
genug  daraus  die  unerbittliche  Consequenz  gezogen,  an  ihrem  eigenen 


Körper  mit  dem  furchtbaren  Gifte  zu  experimentiren.  Man  erinnere 
sich  nur  der  historisch  denkwürdigen  Versuche  Hunter’s!  Man  sollte 
all  diese  Dinge  sich  ein  wrenig  ins  Gedächtniss  zurückrufen  und  es 
würdigen,  in  wie  grosser  Zahl  die  Geschichte  unserer  Wissenschaft 
seit  Alters  her  bis  auf  den  heutigen  Tag  Beispiele  aufzuweisen  hat 
von  im  Interesse  der  Wissenschaft  aufgebrachtem  Opfermuthe  der 
Aerzte!  Man  würde  dann  vielleicht  doch  Bedenken  tragen,  das  gewiss 
beklagenswerthe  Ereigniss,  dass  ein  vielverdienter  Mann  der  Wissen¬ 
schaft  in  seinem  Bestreben,  der  ganzen  Menschheit  einen  Dienst  zu 
erweisen,  von  einer,  wie  es  sich  nachträglich  zeigte,  irrthümlichen  Auf¬ 
fassung  ausging  und  einzelne  Menschen  an  Leben  und  Gesundheit 
schädigte,  zum  Ausgangspunkt  eines  nicht  nur  gegen  einen  angesehenen 
Gelehrten,  sondern  auch  gegen  die  gesammte  medicinische  Forschung 
und  den  ärztlichen  Stand  gerichteten  gehässigen  Angriffes  zu  benützen. 
Merkwürdig  genug,  dass  in  einer  Zeit,  wo  man  der  ärztlichen  Wissen¬ 
schaft  so  ausserordentliche  Errungenschaften  zu  danken  hat,  solche 
ärzte-  und  forschungsfeindliche  Strömungen  so  sehr  überhandnehmen 
konnten!  Man  missverstehe  es  ja  nicht:  es  soll  dem  muthwilligen  Ex¬ 
perimentiren  und  mit  ihm  dem  Streberthum  in  der  Medicin  wahrhaftig 
nicht  das  Wort  geredet  werden.  An  der  Strafwürdigkeit  eines  unzu¬ 
lässigen  Versuches  —  dies  nur  nebenbei  bemerkt  im  Hinblick  auf 
in  der  Discussion  des  Falles  Neisser  geäusserte-  Meinungen  —  ändert 
es  wohl  gar  nichts,  ob  hiezu  vorher  die  Einwilligung  des  Kranken 
eingeholt  wurde  oder  nicht.  Das  Unzulässige  bleibt  unter  allen  Um¬ 
ständen  unzulässig  und  das  „Volenti  non  fit  injuria“  kann  hier 
wohl  kaum  Anwendung  finden.  Aber  bei  der  grössten  Gewissenhaftig¬ 
keit  wird  der  so  erwünschte  Fortschritt  unserer  Kunst  nie  ohne  den 
in  all  seinen  Folgen  von  vorneherein  nicht  genau  absehbaren  Versuch 
und  immer  nur  mit  Opfern  zu  erreichen  sein.  „Der  Weg  zu  unseren 
Erfolgen  führt  über  Berge  von  Leichen!“  Diese  Worte  hat  Bill¬ 
roth  gesprochen.  A.  F. 

* 

Ernannt:  Der  a.  o.  Professor  der  Augenheilkunde  in  Inns¬ 
bruck,  Dr.  Friedrich  Dimmer  zum  ordentlichen  Professor  dieses 
Faches  an  der  Universität  in  G  r  a  z.  —  Privatdocent  Dr.  Ewald 
Hering  zum  a.  o.  Profsssor  für  allgemeine  und  experimentelle  Patho¬ 
logie  an  der  deutschen  Universität  in  P  r  a  g.  —  Dr.  E  m  i  1  J.  M  a  1  v  i  c 
in  S  p  a  1  a  t  o  zum  Oberbezirksarzte.  —  Dr.  Carle  zum  ordentlichen 
Professor  der  chirurgischen  Pathologie  in  Turin.  —  Dr.  Cervesato 
zum  ordentlichen  Professor  für  Kinderkrankheiten  in  Bologna.  — 
Dr.  Weber  zum  ordentlichen  Professor  der  Psychiatrie  in  Genua. 

—  Dr.  Juvara  zum  Professor  der  chirurgischen  Anatomie  in  Jassy. 

* 

Verliehen:  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Hermann  Spitz  in 
Ta  r  nopol  das  Ritterkreuz  des  Franz  Joseph-Ordens.  —  Dem  Regi¬ 
ments-Arzte  des  Ruhestandes  Dr.  Otto  Hassack  der  Stabsarztes- 
Charakter  ad  honores. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Lamari  für  medicinische  Pathologie  in 
Messina. 

* 

Gestorben:  Professor  Lorenzo  Bruno  in  Turin.  — 
Dr.  Eugen  Boeckel,  ehemals  Professor  zu  Strassburg.  — 
Der  Professor  der  Chirurgie  zu  Reims,  Dr.  Deces. 

* 

In  der  Sitzung  des  nieder  österreichischen  Landes- 
Sanitäter  athes  am  5.  März  d.  J.  wurden  folgende  Gutachten 
erstattet:  1.  Ueber  die  Verleihung  einer  Apotheker-Concession  in 
einer  Gemeinde  Niederösterieichs ;  2.  über  die  bei  dem  Auftreten 

schwerer  Epidemien  zur  Verhinderung  der  Weiter  Verbreitung  derselben 
zu  treffenden  Vorkehrungen;  3.  über  die  Gebahrung  in  den  Ambula¬ 
torien  der  k.  k.  Krankenanstalten  Wiens  ;  4.  über  ein  Ansuchen  zur 
Errichtung  eines  ärztlichen  Institutes  für  Heissluftbebandlung. 

Freie  Stellen. 

Oberbezirksarztesstelle  im  Küstenland  mit  den  Be¬ 
zügen  der  VIII.  Rangsclasse,  bei  eventuellen  Vorrückungen,  Bezirks¬ 
arztesstelle  der  IX.,  respective  Sanitätsconcipistenstelle 
der  X.  Rangsclasse.  Bewerber  um  die  vorgedachten  Posten  haben  die  mit 
den  Nachweisen  über  ihre  bisherigen  Dienstleistungen  und  die  Kenntniss 
der  Landessprachen  belegten  Gesuche  durch  die  Vorgesetzte  Dienstbehörde 
bei  dem  Statthaltereipräsidium  in  Triest  bis  19.  März  1.  J.  einzu¬ 
bringen. 

Gemeindearztesstelle  in  Offenhausen,  Bezirk  Wels,  Ober¬ 
österreich.  Die  Sanitätsgemeinde  besteht  aus  der  Gemeinde  Offenhausen 
und  Theilen  der  Gemeinden  Bachamning,  Meggenhofen  und  Penewang 
mit  einer  Bevölkerungszahl  von  2227  Personen.  Mit  dieser  am  1.  April 
zu  besetzenden  Stelle  ist  eine  jährliche  Bestallung  von  800  Kronen 
verbunden.  Die  Vertragsbedingungen  liegen  zur  Einsichtnahme  im  Ge¬ 
meindeamte  auf.  Im  Markte  Offeuhausen  befindet  sich  keine  Apotheke,  und 
sind  die  nächst  befindlichen  Aerzte  10  bis  15  lcm  entfernt.  Bewerber  um 
diese  Stelle  wollen  ihre  Gesuche  bis  längstens  Ende  März  d.  J.  bei  der 
Gemeindevorstehung  Offenhausen  überreichen. 


Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


267 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  (1er  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Sitzung'  vom  9.  März  1900. 

Greifswalder  medicinisclier  Verein.  Sitzung  vom  3.  Februar  1900. 
Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  u.  k.  Militärärzte  der  Garnison 
Wien.  Sitzung  vom  16.  December  1899. 


Berichte  aus  dem  Verein  österreichischer 

lung  vom  7.  Februar  1900. 


Zahnärzte. 


Monatsversamm- 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  9.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  V.  Renss. 

Schriftführer:  Dr.  Alois  Kreidl. 

Docent  Dr.  Karl  A.  Herzfeld :  Ich  will  nur  kurz  über  einen 
Fall  referiren,  der  in  mehrfacher  Hinsicht  interessant  und  charakteri¬ 
stisch  ist.  Vor  wenigen  Tagen  kam  mir  eine  22jährige  Frau  aus 
Mähren  zur  Beobachtung,  welche,  seit  drei  Jahren  verheiratet,  vor 
l'/2  Jahren  das  erste  Mal  und  normal  geboren  hatte. 

Anfangs  März  1899,  somit  vor  mehr  als  einem  Jahre  das  letzte 
Mal  menstruirt,  fühlte  sie  sich  bald  darauf  schwanger  und  hatte  all 
die  ihr  bekannten  Schwangerschaftssymptome,  welche  durch  zehn  bis 
zwölf  Wochen  andauerten,  dann  jedoch  aufhörten,  ohne  dass  ihr 
Unterleib  an  Umfang  zunahm,  und  ohne  dass  irgendwelche  Theile  aus 
dem  Genitale  abgestossen  wurden.  Nachdem  ein  Aboitus  nicht  eintrat, 
hielt  die  Kranke  sich  überhaupt  nicht  für  schwanger.  Eine  im  Monate 
Juli  durch  längere  Zeit  sich  zeigende  blutige  Secretion  wurde  von 
dem  Fachgynäkologen,  der  sie  behandelte,  einer  stärkeren  Erosions¬ 
bildung  der  Portio  zugeschrieben  und  hörte  nach  vierwöchentlicher 
Behandlung,  die  in  Toucliirung  der  Portio  bestand,  auf.  Die  nun  seit 
mehr  als  zwölf  Monaten  bestehende  Amenorrhoe  wurde  mit  der  sich 
immer  deutlicher  zeigenden  Anämie  und  der  fortdauernden  Abmagerung 
und  Schwächung  der  Kranken  in  Zusammenhang  gebracht. 

Als  ich  diese  Anamnese  hörte,  war  es  mir  klar,  dass  es  sich 
wahrscheinlich  um  die  Rentention  eines  degenerirfen  Eies  in  der 
Uterushöhle  handeln  dürfte,  umsomehr  als  Breus  im  Jahre  1892 
eine  typische  Form  der  Molenschwaugerschaft  beschrieb,  bei  welcher 
der  Verlauf  und  die  Symptome  ähnlich  waren,  wie  in  diesem  meinem 
Falle.  Breus  hatte  in  seiner  Monographie  über  das  tuberöse  sub- 
choriale  Hämatom  der  Decidua  eiue  Reihe  von  Präparaten  beschrieben, 
die  er  alle  als  typische  Bilder  einer  besonderen  Form  der  Fleisch¬ 
molen  — ■  er  nannte  sie  auch  Hämatommolen  —  bezeichnete.  Danach 
kommt  es  in  solchen  Fällen  zu  einer  Unterbrechung  der  Entwicklung 
des  Embryo  im  Verlaufe  des  zweiten  Monates,  während  die  Eihäute 
bei  fortschreitende!-  Ernährung  des  Eies  weiter  wachsen,  in  Folge  des 
mangelnden  Inhaltdruckes  der  Eihöhle  —  bedingt  durch  das  voll¬ 
kommene  Fehlen  des  Fruchtwassers  —  sich  in  Falten  legen,  Divertikel 
bilden,  Hohlräume,  welche  dann  durch  aus  den  intravenösen  Räumen 
stammende  Blutextravasate,  die  somit  subchorial  gelegen  sind,  aus¬ 
gefüllt  werden.  Solche  Choriondivertikel  zeigen  mitunter  im  Durch¬ 
schnitte  einen  lappigen,  zottigen  Bau,  entprechend  dem,  dass  die 
Faltung  der  Eihäute  das  Primäre,  die  Blutung  das  Secundäre  war. 
Diese  mit  Blut  gefüllten,  in  einzelnen  Fällen  aber  auch  leeren 
Divertikel  des  Chorions,  welche  selbstverständlich  von  Amnion  überall 
überkleidet  sind,  prominiren  in  das  Innere  der  Eihöhle  und  geben 
derselben  ein  ganz  eigenthiimliches  Gepräge.  In  allen  Fällen 
Breus’  war  ein  Embryo  vorhanden,  der  in  der  Länge  zwischen  9  '/2  und 
17  mm  schwankte.  Die  längste  Schwangerschaft  betrug  elf  Monate. 
An  das  Vorhandensein  einer  solchen  Hämatommole  musste  ich  nun 
denken,  und  nachdem  die  Kranke  in  der  letzten  Zeit  sichtlich  herunter¬ 
kam,  sich  unwohl  und  beängstigt  fühlte,  wurde  die  Geburt,  die  sonst 
vielleicht  noch  längere  Zeit  auf  sich  hätte  warten  lassen,  nach  mehr 
als  einjähriger  Schwangerschaft  durch  Einführung  einer  Bougie  einge¬ 
leitet.  Das  Product  der  Geburtsthätigkeit  war  eine  typische  Hämatom¬ 
mole  im  Sinne  Breus,  wie  ich  sie  Ihnen  hier  demonstrire.  Die  ganze 
Länge  des  Eies  beträgt  101/ 2  cm,  die  Placenta  umgibt  weitaus  die 
grösste  Peripherie  des  Eies,  das  nur  an  einer  kleinen  Partie  —  ent¬ 
sprechend  dem  Chorion  laeve  —  die  freien  Eihäute  zeigt.  Dieselben 
liegen  der  vis  ä-vis-Wand  innig  an  —  mit  anderen  Worten:  es  ist 
jede  Eihöhle  aufgehoben. 

Schon  durch  das  uneröffnete  Ei  hindurch  erblickt  man  die 
dunklen,  rothbraun  gefärbten  Protuberanzen  an  der  amniotischen 
Fläche.  Nach  Aufschneiden  des  Eies  wird  zunächst  wiederum  das  voll¬ 
ständige  Fehlen  des  Fruchtwassers  constatirt. 

Wir  sehen  die  ganze  Placenta  und  die  der  Reflexa  entsprechende 
Partie  des  Chorion  mit  diesen  Knoten  besetzt,  welche  an  manchen 


Stellen  divertikelartig  ausgebuchtet  sind,  an  ihrer  dem  Ei  zugewendeten 
Partie  viel  breiter  als  an  ihrer  Basis,  somit  wie  gestielt  erscheinen, 
und,  mit  Ausnahme  von  einigen  wenigen  leeren  Divertikeln,  mit  altem, 
geschichtetem  Fibringerinnsel  ausgefüllt  sind.  An  der  unteren  Peripherie 
des  Eies,  zwischen  zwei  grösseren  Protuberanzen,  der  Abgang  des 
17  mm  langen,  wohl  erhaltenen,  etwas  ödematösen  Nabelstranges,  der 
zu  einem  11  mm  langen,  geschrumpften,  aber  nicht  macerirten  und  die 
H  i  s’sche  Cylinderform  zeigenden  Embryo  hinzieht.  Derselbe  ungefähr 
dem  Entwicklungsstadium  des  zweiten  Monates  entsprechend.  W  ir 
sehen  daher  an  dem  Präparate  alle  jene  typischen  Zeichen,  wie  sie 
Breus  in  seiner  Monographie  beschrieb. 

Nun  hat  Julius  Neumann  im  Jahre  1896,  im  fünften 
Bande  der  Monatshefte  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  eine  aus¬ 
führliche  Arbeit  publicirt,  in  welcher  er  auf  Giund  eines  grösseren 
Materiales  von  Präparaten  zu  der  Ueberzeugurg  kommt,  ^  dass  die 
B  r  e  u  s’schen  Fälle  durchaus  nicht  eine  typische  und  specielle  Form 
der  Fleischmolen  bezeichnen,  sondern  eben  Fleischmolen  seien,  nie 
alle  anderen;  nur  dass  es  primär  zu  Blutungen  in  den  sirbchorialen 
Raum  komme,  und  dass  die  Folge  dieser  Blutungen  die  Abhebung 
des  Chorions  sei. 

Ohne  mich  in  eine  weitere  Discussion  einzulassen,  muss  ich  nur 
bemerken,  dass  wohl  jeder  unbefangene  Leser  das  Material  Neu¬ 
mann’s,  auf  das  er  seine  Schlussfolgerungen  basirt,  als  ein  ganz 
anderes  bezeichnen  muss,  als  das,  welches  der  B  r  e  u  s’schen  Arbeit 
zu  Grunde  lag.  Es  handelt  sich  um  ein  durchaus  ungleichartiges 
Substrat  in  den  Arbeiten  Breus’s  und  Neumann’s,  und  dadurch 
erklärt  sich  wohl  die  Disparation  der  Conclusionen.  Dieses  Präparat 
aber,  das  ich  Ihnen  hier  vorstelle,  erscheint  mir  als  ein  neuer  Beweis 
dafür,  dass  es  wirklich  eine  typische  Form  der  Hämatommole  gibt, 
wie  sie  Breus  unter  dem  Namen  des  tuberösen  subchorialen  Häma¬ 
toms  der  Decidua  beschrieben  hat. 

Dr.  F.  Pencil  stellt  einen  Fall  von  Papillom  der  Harn¬ 
blase  vor. 

Der  Kranke,  ein  kräftiger  Mann  im  Alter  von  49  Jahren,  litt 
seit  Sommer  1898  an  in  längeren  Intervallen  wiederkehrender  Hämat¬ 
urie;  von  Ende  December  1899  bis  zu  seiner  Aufnahme  ins  Kranken¬ 
haus  bestand  die  Hämaturie  in  ziemlich  unveränderter  Stärke,  zugleich 
stellten  sich  dysurische  Beschwerden  ein.  Ende  Januar  d.  J.  suchte 
der  Kranke  die  III.  chirurgische  Abtheilung  auf;  die  Cystoskopie  ergab 
ein  der  rechten  Blasenwand  aufsitzendes  Papillom.  Der  Harn  war 
|  sauer,  sehr  reichliche  Epithelien,  vereinzelte  Eiterkörperchen  enthaltend, 
j  Am  31.  Januar  d.  J.  machte  Pen  dl  typischen  hohen  Blasenschnitt. 
Das  ziemlich  breit  gestielte,  walnussgrosse  Papillom  sass  über  der 
rechten  Uretermündung;  es  wurde  aus  der  Blasenwand  excidirt,  die 
Wundränder  durch  Catgutnähte  vereinigt ;  die  Blutung  stand 
vollständig,  die  Blase  wird  daher  in  zwei  Etagen  vernäht,  darüber 
die  Hautwunde  bis  auf  eine  Drainagecffnung  für  den  prävesicalen 
Raum  geschlossen,  ein  Verweilkatheter  in  die  Blase  eingelegt.  Während 
des  Erwachens  aus  der  Narkose  war  Patient  sehr  unruhig,  schlug  um 
sich  und  presste  heftig. 

Bald  nach  der  Operation  gingen  einige  Tropfen  blutigen  Urins 
aus  dem  Katheter  ab. 

Am  Nachmittage  desselben  Tages  klagte  Patient  über  sehr  hef¬ 
tige  Schmerzen  im  Unterbauche,  fortwährenden  Harndrang;  aus  dem 
Katheter  entleerten  sich  nur  Tropfen  dicken  Blutes,  geringe  Mengen 
in  den  Katheter  eingespritzter  antiseptischer  Flüssigkeit  flössen  nicht 
zurück.  Der  Verband  wurde  geöffnet  und  es  zeigte  sich,  dass  die  Blase 
bis  zum  Nabel  ausgedehnt  und  prall  gespannt  war;  es  konnte  wohl 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Ausdehnung  der  Blase  durch  eine 
Blutung  bedingt  war.  Die  Blasen  wunde  wurde  daher  neuerlich  eröffnet, 
und  durch  dieselbe  aus  der  Blase  600  g  coagulirten  Blutes  entleert. 
Es  lag  nahe,  anzunehmen,  dass  die  Nähte  an  der  Stelle,  wo  das  1  n- 
pillom  excidirt  worden  war,  insufficient  geworden  seien;  die  Ope¬ 
rationsstelle  wurde  daher  behufs  Stillung  der  Blutung  zur  Ansicht 
gebracht.  Es  blutete  jedoch  nach  Entleerung  der  Coagula  über¬ 
haupt  nicht  mehr,  die  Nähte  an  der  Excisionsstelle  waren  voll¬ 
ständig  sufficient.  Die  Blasenwunde  wurde  nun  verkleinert,  der  Rest 
nach  aussen  drainirt. 


268 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


Neun  Tage  nach  der  Operation  konnte  das  Drain  entfernt 
werden,  am  Ende  der  dritten  Woche  war  die  Blasenfistel  geschlossen 
und  der  Patient  konnte  das  Bett  verlassen.  Heute  ist  er  völlig  geheilt. 

Der  Zwischenfall,  der  nach  der  Operation  eingetreten  ist,  wirft 
die  Frage  auf,  oh  es  bei  blutigen  endovesicalen  Eingriffen  überhaupt 
gerathen  ist,  die  Blasenwunde  vollständig  zu  verschliessen ;  es  unter¬ 
liegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Blutung  in  unserem  Falle  durch  die 
während  des  Erwachens  aus  der  Narkose  besonders  heftig  arbeitende 
Bauchpresse  eingeleitet,  durch  die  Ausdehnung  der  Blase  in  Gang  er¬ 
halten  worden  ist;  dies  wäre  nicht  möglich  gewesen,  wenn  vom  Anfang 
an  eine  Drainageöffnung  in  der  Blase  als  Sicherheitsventil  belassen 
worden  wäre.  Der  Fall  soll  zur  Klärung  der  jetzt  so  häufig  zur  Dis¬ 
cussion  stehenden  Frage,  ob  Blasennaht  oder  Blasendrainage,  beitragen. 

Dr.  Holzknecht  demonstrirt  aus  der  Klinik  N  o  t  h  n  a  g  e  1  einen 
Fall  von  Mitbewegung  eines  intrathoraeischen  Tumors 
beim  Schluckacte. 

Bei  dem  54jährigen  Patienten  besteht  ein  in  jugulo  und  hinter 
der  rechten  Clavicula  eine  zum  Theil  umgreifbare  pulsirende  Geschwulst, 
deren  untere  Contour  röntgenoskopisch,  deren  mediale  tracheoskopisch 
(Compression  der  Trachea  von  rechts  her)  nachweisbar  ist.  Bezüglich 
der  Differentialdiagnose  zwischen  A.  anonyma  und  Aortenbogen  als 
Sitz  des  Aueurysmas,  die  wegen  der  immer  wieder  ventilirten  Frage 
der  Operation  bei  dem  ersteren  auch  von  eminent  praktischer  Bedeutung 
zu  werden  verspricht,  entscheidet  sich  Redner  wegen  der  höher  rechts¬ 
seitigen  Lage  des  ziemlich  kleinen  Aneurysmas,  wegen  der  durch  das¬ 
selbe  bedingten  Compression  der  Trachea  von  rechts  her  und  wegen 
einer  theil  weisen  röntgenoskopischen  Isolirbarkeit  in  schräg  von  hinten 
links  nach  vorn  rechts  gehender  Durchleuchtungsrichtung  für  die  Ano¬ 
nyma.  Bezüglich  letztgenannter  Durchleuchtungslichtung  verweist  er 
auf  den  in  der  vorhergehenden  Nummer  dieser  Zeitschrift  veröffent¬ 
lichten  ausführlichen  Artikel.  (Demonstration  von  Röutgenogrammen 
und  Schirmpause.) 

Weiters  bespricht  Redner  die  physiologische  stossweise  Hebung 
des  ganzen  Mediastinums  inclusive  Aneurysma  beim  Husten  und  end¬ 
lich  die  Thatsache,  dass  der  Aneurysmenschatten  wie  auch  der  Schatten 
des  nach  der  linken  Seite  verdrängten  Aortenbogens,  wenn  der  Patient 
schluckt,  um  1  cm  gehoben  wird. 

Redner  verweist  auf  die  Analogie  dieser  Erscheinung  mit  der 
Mitbewegung  der  Thyreoidea  beim  Schluckact  und  die  Beziehungen 
zum  Olive  r -  Car  do  r  eil  i’schen  Symptom,  das  der  Patient  ebenfalls 
darbietet,  und  deutet  es  auf  feste  Verbindung  des  Aneurysmas  mit 
Trachea  und  rechtem  Bronchus.  Das  palpable  Aneurysma  lässt  die 
Mitbewegung  auch  fühlen.  (Erscheint  in  extenso  in  der  Wiener  klinischen 
Rundschau.) 

Docent  Dr.  R.  Kretz  hält  den  angekündigten  Vortrag:  Ueber 
Lebercirrhose.  (Erscheint  demnächst  ausführlich.) 


Greifswalder  medicinischer  Verein. 

Sitzung  am  3.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer:  Busse. 

1.  Rosenthal  demonstrirt  einen  Fall  von  hochgradigem 
Meteorismus,  wahrscheinlich  in  Folge  von  angeborener  Darmstenose. 
Das  jetzt  3 '/Jährige  Kind  soll  von  Geburt  an  einen  aufgetriebenen 
Leib  gehabt  haben,  dessen  Umfang  stets,  besonders  aber  in  den  letzten 
acht  Wochen  zugenommen  hat.  Am  13.  Januar  1900  wurde  es  in  der 
Universitäts-Kinderklinik  aufgenommen,  nachdem  die  schon  vorher 
spärlichen  und  unregelmässigen  Stuhlentleerungen  angeblich  seit  fünf 
W  ochen  überhaupt  ausgeblieben  waren.  Ernährungszustand  äusserst 
dürftig,  das  Abdomen  hatte  einen  Grössenumfang  von  84  um.  Das 
Kind  verdrängt  14  l  Wasser  exclusive  Kopf  und  Hals,  während  es 
im  Ganzen  nur  10 '6  ly  wiegt.  Durch  Darmausspülungen,  Bauchmas¬ 
sage  etc.  wurden  reichliche  übelriechende  Faces  und  Darmgase  ent¬ 
leert  und  der  Umfang  um  20  cm  vermindert.  Der  Umstand,  dass 
dieser  Zustand  schon  von  Geburt  au  besteht,  spricht  gegen  chronische 
Dyspepsie  und  für  eine  angeborene  Darmstenose,  die  nach  Besserung 
des  Allgemeinbefindens  chirurgisch  zu  beseitigen  sein  wird. 

2.  Grawitz:  Ueber  Adenocareinome  mit  Projection  von 
Mikrophotogrammen.  Die  Bildung  der  drüsenähnlichen  Geschwülste 
kann  auf  sehr  verschiedene  Weise  vor  sich  gehen.  Einmal  sieht  man, 
dass  von  Drüsen  aus,  bei  der  Wucherung  derselben  eine  Ausstülpung 
des  Drüsenlumens  nach  der  verschiedensten  Richtung  hin  erfolgen  kann 
(Typ.  I),  es  bestehen  also  von  vorneherein  Lumina,  die  von  annähernd 
cylindrischeir  Zellen  ausgekleidet  sind.  Zweitens  kann  die  Wucherung 
zunächst  kleine  solide  Zellhaufeu  schaffen,  die  erst  später  bei  der 
Ausreifuug  der  Zellen  hohl  werden  und  um  das  Lumen  Cylinderzellen 
formiren  (Typ.  II).  Bei  dieser  Art  der  Bildung  kann  man  noch  zwei 
Unterabtheilungen  unterscheiden,  entweder  die  Zellnester  stehen  im 


directen  unmittelbaren  Zusammenhänge  mit  Drüsenbläschen,  das  Wachs¬ 
thum  der  Epithelien  erfolgt  in  continuirlichem  Zuge  oder  aber,  ent¬ 
fernt  von  den  fertigen  Drüsenbläschen  entstehen  im  Bindegewebe 

Zellhaufen,  bei  denen  also  ein  Zusammenhang  mit  den  vollendeten 

Epithelschläuchen  nicht  zu  erkennen  ist,  discontinuirliches  Wachsthum. 
Drittens  kommen  nun  auch  Tumoren  zur  Beobachtung,  in  denen 
Epithelien  in  den  Lymphbabnen  des  Bindegewebes  wuchern  und  dabei 
dickere  und  dünnere  Bindegewebsbündel  umschliessen,  durch  deren 
Schmelzung  und  Verflüssigung  dann  ein  Lumen  zu  Stande  kommt 

(Typ.  III).  Nur  bei  Typ.  I  handelt  es  sich  von  vorneherein  um 

Cylinderzellen  und  ausschliesslich  um  ein  Hervorgehen  aus  einer  bereits 
mit  drüsigen  Hohlräumen  versehenen  Matrix.  Bei  Typ.  II  und  111 
gibt  es  zunächst  kleine  solide  Zellhaufen  einfacher  runder  Zellformen, 
die  sich  erst  nachher  zu  Cylinderzellen  difterenziren. 

In  diesem  Falle  ist  es  gar  nicht  einmal  erforderlich,  dass  die 
Matrix  der  Geschwülste  schon  an  sich  drüsige  Structur  besitzt,  sondern 
z.  B.  auch  das  Epithel  der  Oberhaut  und  der  Nebenniere  und  das 
Zahnkeimepithel  kann  nach  anfangs  soliden  Zell  Wucherungen  schliess¬ 
lich  Drüsenschläuche  oder  kleine  Cysten  bilden.  Typ.  I  wird  in  einem 
Adenom  der  Thräuendrüse,  Typ.  II  in  einigen  Photogrammen  von 
Gallertpfropf  gezeigt.  Einen  extremen  Grad  des  discontinuirlichen 
Wachsthums  stellen  die  nicht  selten  in  Knochen  beobachteten  Meta¬ 
stasen  von  Struma  maligna  dar. 

Der  Typ.  III  tritt  am  deutlichsten  in  einem  Tumor  der  Hypophysis 
hervor.  In  Adeno-Carcinomen  des  Rectum  und  Ovarium  finden  sich  ge¬ 
wöhnlich  alle  drei  Typen.  Einige  Photogramme  zeigen  das  Hervor¬ 
gehen  von  Drüsenschläuchen  aus  den  tieferen  Schichten  des  Rete 
Malpighi  in  einem  Tumor  der  Achselhöhle  bei  einem  Soldaten  und 
einer  Geschwulst  der  Nackenhaut  bei  einer  älteren  Frau. 

In  einem  Tumor  der  Nebenniere  wird  ein  anderes  Beispiel  de- 
monstrirt,  wie  durch  Verflüssigung  von  Epithelien  und  Bindegewebe 
aus  soliden  Massen  durchaus  glanduläre  Bildungen  werden  können. 
Auch  die  cystischen  Geschwülste  des  Unterkiefers,  die  von  den 
„Debris  epitheliaux“,  den  nicht  verbrauchten  Zahnkeimresten  hervor¬ 
gehen,  liefern  nach  Typ.  II  und  III  vielfach  cystische  und  drüsige 
Geschwülste.  Zum  Schlüsse  w’erden  zahlreiche  Bilder  aus  den  Parotis- 
gescliwülsten  demonstrirt,  die  den  Beweis  liefern,  dass  die  Drüsen- 
epithelien  selbst  in  Wucherung  gerathen  und  die  Abkömmlinge  der¬ 
selben  den  Hauptantheil  der  so  oft  als  Endotheliome  aufgefassten  Ge¬ 
schwülste  liefern,  vielfach  auch  nach  dem  Typ.  III. 

Der  histologische  Bau  gibt  nur  annäherungsweise  einen  Mass¬ 
stab  für  den  Grad  der  Bösartigkeit;  im  Allgemeinen  ist  der  Tumor 
um  so  bösartiger,  je  weniger  rasch  und  je  weniger  vollständig  die 
krebsigen  Anfangsstadien  zu  dem  vollendeten  Drüsen-  und  Cystenbau 
übergehen. 

3.  Trie  pel:  Ueber  Stossfestigkeit  der  Knochen. 
Es  empfiehlt  sich  in  der  Anatomie  und  Chirurgie,  nicht  nur  An¬ 
gaben  über  die  statische  Festigkeit  der  Gewebe  und  Organe  in 
Gewichtseinheiten  zu  machen,  sondern  auch  solche  über  die  Stoss¬ 
festigkeit  in  Kilogramm-Metern.  Versuche  über  die  Stossfestigkeit  sind 
mit  ziemlich  beträchtlichen  Schwierigkeiten  verknüpft,  weil  von  der 
lebendigen  Kraft,  die  man  im  Experiment  auf  einen  Körper  einwirken 
lässt,  immer  mehr  oder  weniger  verloren  geht,  und  nur  wenige  der- 
aitige  Versuche  liegen  bisher  vor.  Man  kann  nun  aber  die  Stoss¬ 
festigkeit  aus  der  statischen  Festigkeit  berechnen,  mit  Hilfe  von 
Gleichungen  über  die  bei  der  statischen  Beanspruchung  geleistete 
Arbeit.  Die  Gewalten,  die  im  Körper  zu  Continuitätstrennungen  führen, 
müssen  immer  grösser  sein  als  die  für  die  Stossfestigkeiten  berech¬ 
neten  Werthe,  weil  eben  auch  hier  lebendige  Kraft  in  Verlust  gerätb, 
d.  h.  zu  anderen  Aufgaben  als  den  Continuitätstrennungen  verwendet 
wird,  vor  Allem  durch  die  Unterlage  und  durch  die  Gewebe,  die  sich 
zwischen  dem  stossenden  und  dem  zerbrechenden  oder  zeri’eissenden 
Körper  befinden.  Es  werden  einige  Zahlenangaben  gemacht  über  die  (durch 
Rechnung  ermittelten)  Stossfestigkeiten  einiger  Knochen.  Eine  aus¬ 
führliche  Darstellung  wird  an  anderer  Stelle  gegeben  werden. 


Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  und  k.  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  vom  16.  December  1899. 

Vorsitzender:  Generalstabsarzt  Dr.  J.  Uriel. 

Schriftführer :  Regimentsarzt  Dr.  K.*  Bielll. 

Der  Vorsitzende  dankt  dem  Herrn  Oberstabsarzt  Dr.  Leibnitz 
und  dem  Herrn  Regimentsarzt  Dr.  Zimmer  mann  für  ihre  bis¬ 
herige  Thätigkeit  als  Schriftführer. 

Sodann  führt  Regimentsarzt  Dr.  S  c  h  e  i  d  1  drei  Soldaten  mit 
Gehverbänden  von  der  chirurgischen  Abtheilung  des  k,  u.  k.  Garnisons- 
Spitales  Nr.  2  (Chefarzt  Oberstabsarzt  Dr.  J.  H  a  b  a  r  t)  vor,  um 
einerseits  den  in  die  Garnison  frisch  eingerückten  Militärärzten  Ge- 


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Nr.  11 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


legenheit  zu  bieten,  derlei  Verbände  kennen  zu  lernen  und  anderer¬ 
seits  die  Vorzüge  derselben  zu  demonstriren. 

1.  Fall,  einen  Kanonier  mit  offenem  Knochenbruch  (Durch- 
stechungsfractur)  des  Unterschenkels  betreffend,  gelangte  binnen  vier 
Wochen  unter  einem  Dauerverbande  ohne  Verkürzung  zur  Heilung 
und  geht  gegenwärtig  in  der  Br  uns ’sehen  Gehschiene  an¬ 
standslos  herum,  während  er  am  gesunden  Fusse  einen  Schuh  mit 
erhöhter  Korksohle  trägt. 

2.  Fall  (Infanterist)  mit  doppeltem  Bruch  des  Schienbeines  und 
einem  Schrägbruch  des  Wadenbeines  mit  einer  Verkürzung  von  3 — 4  cm 
heilte  in  derselben  Zeit  mit  mächtigem  Knochencallus  gleichfalls  unter 
einem  Verbände  binnen  vier  Wochen  ohne  Verkürzung  und  trägt 
gegenwärtig  die  Lie  r  mann  ’s  che  Gehschiene,  mit  welchei  ei 
gut  herumzugehen  vermag. 

3.  Fall  (Feldwebel)  von  doppeltem  Bruch  des  Schienbeines 
(supramalleolar  und  intermediär)  und  Querbruch  des  V  adenbeines, 
kam  am  4.  December  in  das  Garnisons-Spital  und  erhielt  sofoit  in 
Chloroformnarkose  (behufs  Ausgleichung  der  Verkürzung  von  3—4  cm) 
einen  Geh  verband  aus  Gyps  nach  der  in  der  chirurgischen 
Abtheilung  geübten  Methode.  Das  rasirte  und  rigoros  extendirte  Bein 
wird  in  der  Mittellage  zwischen  Pro-  und  Supination,  Beugung  und 
Streckung  durch  einen  verlässlichen  Assistenten  fixirt,  und  nachdem 
eine  Fusssohle  aus  dicker  Baumwollelage  behufs  Suspension  derselben 
nach  Prof.  Dollinger  angelegt  worden  ist,  werden  Gypsbinden 
directe  auf  die  Haut  applicirt  und  die  Gypstouren  an  den 
unteren  Kniegelenksknorren  (am  Schienbein  und  Wadenbein)  leicht 
eingedrückt  behufs  Erzielung  einiger  Stützpunkte,  während  dieselben 
in  der  Kniekehle  durch  Einlegen  eines  Fingers  nur  locker  durchlaufen, 
um  keine  Blutstauung  zu  bewirken.  Zur  Verstärkung  dient  Schustei- 
span,  Pappe,  Draht  u.  dgl. 

Die  Vortheile  dieser  Gehverbände  sind  so  augenfällig,  dass  sie 
allgemeine  Anwendung  verdienen.  Einerseits  leiden  die  Kranken  wedei 
an  den  Folgen  des  langen  Bettliegens  (keine  Hypostasen),  noch  an 
denen  der  festanliegenden  Verbände,  indem  Gelenksversteifungen 
(Anchylosen),  Ernährungsstörungen  (Muskelatrophien)  nie  beobachtet 
worden  sind,  andererseits  gestaltet  sich  der  Pflegedienst  viel  einfachei, 
indem  die  Kranken  selbstständig  sind  und  das  Pflegepersonal  entlastet 
wird.  Der  Hauptvortheil  liegt  jedoch  in  der  Erleichterung  des 
Verwundetentransportes  im  Felde,  und  aus  diesem 
Grunde  sollten  die  Gehverbände  aus  Gyps  Gemeingut  aller  Militär¬ 
ärzte  werden.  Das  Anlegen  derselben  in  der  Cbloroformnarkose  macht 
die  langwierige  Extension  entbehrlich  und  gewährt  die  beste  Sicher¬ 
heit  gegen  Zurückbleiben  einer  Knocbenverkürzung  oder  fehlerhafte 
Stellung. 

Oberstabsarzt  Dr.  J.  Habart  führt  einen  Kanonier  vor,  bei 
welchem  er  vor  fünf  Wochen  wegen  complicir  ter  Schädel- 
fractur  mit  Impressionserscheinungen  primäre  Tre¬ 
panation  und  am  zehnten  Tage  die  Deckung  des  4 — 5  cm  langen  und 
3  cm  breiten  Knochendefectes  im  Bereiche  des  linken  hinteren  Scheitel¬ 
beinhöckers  mittelst  Celluloid  (Heteroplastik  nach  A.  Frankel)  mit 
gutem  Erfolge  ausgeführt  hat.  Die  schweren  Drucksymptome  seitens 
des  Gehirnes ,  welches  muldenförmig  eingedrückt  war  und  keine 
Pulsation  zeigte,  steigerten  sich  bis  zum  Koma,  so  dass  nach  voll- 
führter  Operation  letaler  Ausgang  drohte.  Nach  48  Stunden  schwanden 
jedoch  alle  bedrohlichen  Druck-  und  Herdsymptome,  der  Mann  erholte 
sich  allraälig  und  konnte  Anfangs  der  vierten  Woche  das  Bett  ver¬ 
lassen.  Die  eingelegte  Celluloidplatte  ist  reactionslos  eingeheilt, 
und  gegenwärtig  bestehen  bei  dem  Verletzten  ausser  einer  Puls¬ 
beschleunigung  (100 — 120  Schläge)  keine  bemerkenswerthen  Er¬ 
scheinungen. 

Derselbe  demonstrirt  weiters  einen  Landwehrmann  nach  g  e- 
heiltem  Bauchschnitt,  welcher  in  Folge  von  Bauchfelltuberculose 
und  Bauchwassersucht  vor  acht  Wochen  mit  gutem  Erfolge  ausgetührt 
worden  ist.  Der  elende  Zustand  des  schwer  kranken  Mannes,  die 
bräunlichgelbe  Ascitesflüssigkeit,  welche  in  der  Menge  von  3  f  entleert 
wurde,  und  der  pathologische  Befund  am  grossen  Netze  und  an  den 
Gedärmen  (dicke  Auflagerungen  von  Exsudatschwarten  mit  linsen¬ 
grossen  Knötchen)  Hessen  keinen  günstigen  Erfolg  erwarten.  Nichtsdesto¬ 
weniger  erholte  sich  der  Mann  nach  vollführter  Laparotomie,  bei 
welcher  die  Gedärme  mittelst  steriler  Gazecompressen  mit  warmer 
Kochsalzlösung  abgewischt  worden  sind,  zusehends  und  kräftigte  sich 
binnen  vier  Wochen  in  der  Weise,  dass  er  das  Bett  verlassen  konnte, 
und  seither  hat  sich  auch  sein  Körpergewicht  gehoben.  Derselbe  fühlt 
sich  hinlänglich  kräftig,  um  seiner  Beschäftigung  als  Schneider  nach- 
kommen  zu  können. 

Regimentsarzt  Drastich  stellt  einen  Recruten  vor,  der  am 
29.  November  d.  J.  dem  Spitale  wegen  Verdachtes  auf  Simulation 
übergeben  worden  war.  Der  Mann  klagte  bei  der  Truppe  übei  Un¬ 
vermögen,  die  Gewehrgriffe  auszuführen  und  behauptete,  seit  einem 
im  Mai  1898  erlittenen  Sturze  auf  die  vorgestreckten  Arme,  wobei  er 
sich  einen  beiderseitigen  Knochenbruch  oberhalb  der  Handgelenke  zu¬ 


gezogen  habe,  eine  zunehmende  Schwäche  und  Abmagerung  beider 
Arme  wahrzunehmen. 

Die  objective  Untersuchung  ergab  eine  auffallende  Schlaffheit 
der  Musculatur  an  beiden  oberen  Extremitäten,  einschliesslich  einer 
beginnenden  Atrophie  der  kleinen  Handmuskeln,  Schwäche  und 
Functionsbehinderung  der  Arme,  erhebliche  Herabsetzung  der  faradi- 
schen  und  galvanischen  Muskelerregbarkeit  ohne  qualitative  Aenderung 
derselben,  Herabsetzung  der  tactilen  Sensibilität  im  Bereiche  des 
Trigeminus  auf  beiden  Seiten,  Aufhebung  derselben  an  den  Armen 
und  in  einer  beiläufig  zwei  Hand  breiten  Zone  an  Brust  und  Rücken 
und  partieller  Empfindungslähmung  für  Schmerz  und  Temperatur¬ 
differenzen,  namentlich  an  der  Aussenseite  der  Arme,  schliesslich  vaso¬ 
motorische  Störungen  im  Sinne  blau-roth  verfärbter,  kühl  an¬ 
zufassender  Hände.  Druckschmerzhaftigkeit  der  grösseren  Nerven- 
stämme  besteht  nicht,  dagegen  klagt  der  Patient  über  Schmerzen  an 
den  Handgelenken  und  leichte  Parästhesien  in  den  Fingern. 

Der  Vortragende  beschreibt  diesen  Fall  als  Syringomyelie  und 
weist  auf  die  Nothwendigkeit  hin,  bei  jeder  scheinbaren  Simulation 
auch  einen  genauen  Nervenstatus  aufzunehmen. 

Regimentsarzt  Dr.  K.  B  i  e  h  1  zeigt  ein  erst  einige  Tage  altes 
und  ein  abgelaufenes  Othämatom,  welches  beide  Male  durch  ein  Trauma 
verursacht  wurde.  Bei  ersterem  Kranken  wird  die  Concha  auriculae  sin. 
von  einer  über  haselnussprossen  Geschwulst  eingenommen.  Dieselbe 
zeigte  beiläufig  in  der  Mitte,  horizontal  verlaufend,  eine  deutliche  Ein¬ 
senkung  der  Oberfläche.  Die  Geschwulst  ist  prall  gespannt,  leicht 
fluctuirend,  wenig  druckempfindlich  und  gegen  die  Umgebung  nicht 
verfärbt.  Der  Eingang  zum  äusseren  Gehörgang  ist  durch  dieselbe 
vollständig  verschlossen  und  nur  durch  langsames  Zurückdrängen  ein 
Einblick  in  die  Tiefe  desselben  ermöglicht.  Fast  den  gleichen  Befund 
bot  auch  der  zweite  Kranke,  als  er  ins  Spital  abgegeben  wurde.  Bei 
diesem  wurde  erst  nur  die  von  L  a  u  b  i  n  g  e  r  ')  empfohlene,  an  der 
Klinik  Haug  geübte  Therapie  in  Anwendung  gebracht.  Dieselbe  be¬ 
steht  in  einem  Einspritzen  mehrerer  Tropfen  einer  Jodlösung.  Nach 
Ablauf  der  reactiven  Entzündung,  also  nach  beiläufig  vier  bis  fünf 
Tagen,  machte  sich  beim  erwähnten  Kranken  ein  ziemlich  rasches 
Kleinerwerden  der  Geschwulst  bemerkbar.  Dieses  günstige  und  nament¬ 
lich  so  rasch  erzielte  Resultat  —  heute  ist  nur  eine  geringe 
Verdickung  der  Haut  in  der  Concha  bemerkbar  —  fordert  zur  Wieder¬ 
holung  bei  dem  frisch  zugewachsenen  Kranken  auf.  Die  Methode  ist 
einfach,  unter  allen  Verhältnissen  ausführbar  und  den  Militärärzten 
nur  zu  empfehlen. 

Hierauf  hält  Regiments-  und  Gardearzt  Dr.  Johann  Steiner 
den  angekündigten  Vortrag :  Ueber  das  Militär-Sanitäts¬ 
wesen  in  der  Schweiz. 

Der  Vortragende,  welcher  den  grossen  eidgenössischen  Manövern 
des  Jahres  1899  beigewohnt  hat,  stellt  auf  Grund  der  hiebei  ge¬ 
wonnenen  Erfahrungen  das  schweizerische  Heeres-Sanitätswesen  als  das 
am  rationellsten  organisirte  hin,  da  der  Sanitätsdienst  in  der  ganzen 
Armee  von  der  den  anderen  Truppengattungen  völlig  gleichgestellten 
Truppe,  deren  Officiere  die  Aerzte  sind,  einheitlich  ausgeübt  wird. 

Nach  detaillirter  Besprechung  der  Organisation  und  Ausrüstung 
der  schweizerischen  Militärsanität  schildert  der  Vortragende  seine  per¬ 
sönlichen  Erlebnisse  während  der  Manöver  und  die  Eindrücke,  welche 
er  von  dem  kriegmässig  durchgeführten  Sanitätsdienste  gewann. 

Oberarzt  Dr.  Schubert  demonstrirt  einige  mikroskopische 
Präparate  vom  inneren  Ohre  des  Hundes  und  des  Meerschweinchens. 
Er  bespricht  im  Anschlüsse  daran  die  von  ihm  angewendete  Methode 
zur  Bereitung  derselben.  Er  betont  insbesondere  die  Wichtigkeit  einer 
guten  Entkalkungsflüssigkeit  und  nennt  als  solche  ein  ihm  vom 
Doeenten  Dr.  Günther  zur  Verfügung  gestelltes  Gemenge,  bestehend 
aus  der  Müller’schen  Flüssigkeit  mit  1%  Zusatz  concentrirter  Salz¬ 
säure.  Die  Flüssigkeit  wurde  täglich  gewechselt  und  in  grosser  Menge 
verwendet. 


Berichte  aus  dem  Vereine  österreichischer  Zahnärzte. 

Officieller  Bericht. 


Sitzung  vom  7.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Bardacll  sen. 

Schriftführer:  Dr.  v.  Wunschheim. 

Nach  Erledigung  des  Einlaufes  und  der  geschäftlichen  Ange¬ 
legenheiten  erhält  Herr  Dr.  Breuer  das  Wort  zu  seinem  angekün¬ 
digten  Vortrage  :  Ueber  Solilagold.  (Derselbe  erschemt  aus¬ 
führlich  in  der  „Oesterreichisch-ungarischen  Vierteljahrsschrift  für  Zahn¬ 
heilkunde“.)  TT 

Dr.  Breuer  berichtet  zunächst  sehr  eingehend  über  den  Untei- 

schied  des  Solilagoldes  von  allen  anderen  Goldsorten  und  bespricht 


*)  Laubinger, 
Perichondritis.  Archiv  für 


Beiträge  zur  Casuistik  der  Othämatome  und  der 
Ohrenheilkunde.  13d.  XLV1I,  Heft  1  und  2. 


270 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  11 


die  physikalischen  Eigenschaften  desselben.  Bezüglich  der  Herstellung 
von  Füllungen  mit  diesem  Golde  ist  er  in  manchen  Funkten  mit  den 
Vorschriften  De  Trey’s  nicht  einverstanden.  Der  Vortragende  wendet 
sich  sodann  der  Herstellung  einer  Füllung  mit  Solilagold  zu,  wie  sich 
dieselbe  nach  seiner  dreijährigen  Erfahrung  bewahit  hat,  und  betont, 
dass  das  Solilagold  insbesondere  bei  grossen  Cavitäten  und  bei  Con- 
tourfüllungen  mit  Vortheil  anzuwenden  sei.  Der  Vortragende  steht 
somit  mit  Prof.  Sachs,  welcher  ein  ungünstiges  Urtheil  über  Solila 
gold  gefällt  hat,  insofern  in  Widerspruch,  als  er  glaubt,  dass  bei 
richtiger  Behandlung  auch  mit  Solilagold  schöne  Erfolge  erzielt  werden 
können.  Zum  Schlüsse  seines  Vortrages  demonstrirt  Redner  eine  in 
einer  Stahlmatiize  hergestellte  Füllung  aus  Solilagold,  sowie  zum  Ver¬ 
gleiche  eine  von  Dr.  v.  Wunschhei  m  in  derselben  Matrize  her¬ 
gestellte  Füllung  aus  Herbs  t’schen  Cylindern. 

Discussion:  Dr.  Weiser  bemerkt,  er  müsse  trotz  der  Aus¬ 
führungen  des  Vortragenden  auch  jetzt  noch  davor  warnen,  nach  den 
von  De  Trey  angegebenen  Regeln  Füllungen  mit  Solilagold  auszu¬ 
führen.  Auch  sei  dadurch,  dass  man  mit  Solilagold  ebenso  lange 
brauche,  wie  mit  anderen  Goldsorten,  wenn  man  eine  gute  Füllung 
hersteilen  wolle,  kein  Vortheil  gegenüber  den  bisherigen  altbewährten 
Goldpräparaten  erreicht. 

Dr.  Breuer  erwidert,  dass  er  mit  seinen  Ausführungen  nur 
darthun  wollte,  dass  man  mit  Solila  bei  richtiger  Behandlung  ebenso 
schöne  Resultate  erzielen  könne,  wie  mit  anderem  Golde,  und  dass  er 
nicht,  wie  Prof.  Sachs,  durch  stricte  Verwerfung  des  Solilagoldes  ein 
ungerechtes  Urtheil  fällen  wollte. 

Prof.  Bleichsteiner  erwähnt,  dass  er  nach  Günther’s 
Schule  seinerzeit  die  Füllungen  mit  Krystallgold  in  der  Weise  be¬ 
gonnen  habe,  dass  zunächst  ein  in  Dütenform  gebrachtes  Pellet  aus 
Goldfolie  in  die  Gavität  gebracht  wurde,  um  ein  festes  Haften  des 
Goldes  an  der  Gavitätenwand  zu  erzielen,  was  mit  Krystallgold  allein 
sehr  schwierig  war.  Nach  seinen  Erfahrungen  sei  das  Arbeiten  mit 
Solilagold  ebenso  mühsam,  wie  mit  allen  anderen  Goldsorten,  und 
wenn  De  Trey  zugleich  mit  seinem  Golde  nicht  auch  seinen  Instru- 
nrentensatz  angegeben  hätte,  so  würde  man  mit  demselben  überhaupt 
nicht  haben  arbeiten  können,  da  eine  Dichtung  des  Solilagoldes  mit 
spitzen  Instrumenten  überhaupt  nicht  möglich  sei. 

Dr.  Breuer  stimmt  dem  Vorredner  in  diesem  Punkte  zu  und 
betont,  dass  er  in  seinem  Vortrage  diesen  Umstand  bereits  hervor¬ 
gehoben  habe. 

Dr.  Breuer  zeigt  im  Anschlüsse  an  die  Discussion  noch  die 
Herstellung  von  Abdrucklöffeln  nach  der  Methode  von  Bulin. 

In  der  sich  darüber  entspinnenden  Debatte  hebt  Dr.  v.  Wunsch¬ 
heim  hervor,  dass  er,  ohne  die  genannte  Methode  zu  kennen,  in  jedem 
halbwegs  schwierigen  Falle  sich  auf  die  genannte  Art  einen  Abdruck¬ 
löffel  herstelle,  da  er  die  Erfahrung  gemacht  habe,  dass  man  damit 
schneller  zum  Ziele  komme,  als  w7enn  man  eine  Reihe  von  Abdrücken 
nehme  und  doch  keinen  brauchbaren  erhalte.  In  letzter  Zeit  stanze  er 
sich  jedoch  die  Löffel  aus  Messingblech  und  erziele  damit  eiue  grössere 
Haltbarkeit  derselben. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Berlin). 

II.  Sitzungstag,  Dienstag  den  19.  September,  Vormittags. 

Vorsitzender  :  Se.  königl.  Hoheit  Prinz  Dr.  Ludwig  Ferdinand  von 
Bayern. 

IX.  K  ii  m  mell  (Hamburg):  U  e  b  e  r  circulare  Naht  der 
Gefässe.  (Fortsetzung.) 

Fall  I.  Eine  52jährige  Patientin  bemerkte  seit  circa  elf  Wochen 
in  der  rechten  Leistenbeuge  das  Auftreten  einer  ziemlich  rasch  wachsenden 
Geschwulst,  und  gleichzeitig  eine  Abnahme  ihres  Körpergewichtes. 
Mehrfach  gemachte  Incisionen  förderten  nur  etwas  Blut  zu  Tage.  Die 
mittelgrosse,  massig  gut  genährte  Patientin,  deren  übrige  Organe  gesund 
waren,  zeigte  in  der  rechten  Inguinalgegend  eine  über  faustgrosse,  theil- 
weise  stark  zerklüftete,  auf  der  Unterlage  nur  wenig  verschiebliche 
Gewulst,  aus  der  an  einigen  Stellen  jauchiger  Eiter  hervortritt.  An 
den  Genitalien  war  ausser  einer  leichten  Infiltration  in  der  rechten 
Seite  der  Vulva  nichts  Besonderes  zu  fühlen. 

Am  28.  April  wurde  der  carcinomatöse  Drüsentumor  exstirpirt. 
Nach  Umschneidung  des  Tumors  im  Gesunden  wird  derselbe  theils 
stumpf,  theils  mit  Hilfe  der  Seheere  herausgelöst.  Nachdem  die  Ge¬ 


schwulst  ringsum  frei  präparirt  ist,  zeigt  sich,  dass  sie  an  der  Vena 
und  Arteria  femoralis  adhärent  ist. 

Nach  vorsichtigem  Ablösen  von  den  Gefässen  zeigt  sich,  dass  die 
Arterie  ringsum  von  carcinomatösen  Massen  umwachsen  ist.  Das  Lumen 
der  Arterie  ist  durchgängig,  die  Pulsation  ober-  und  unterhalb  der 
carcinomatösen  Stelle  normal.  Auch  die  Vordeifläche  der  Vene  ist  in 
einer  Ausdehnung  von  2  cm  mit  carcinomatösen  Massen  bedeckt.  Die 
Arterie  wurde  in  weiter  Ausdehnung  frei  präparirt,  oben  und  unten  je 
eine  Arterienpincette  angelegt  und, das  erkrankte  Stück  in  einer  Aus¬ 
dehnung  von  4 — 5  cm  resecirt. 

Der  untere  Schnitt  lag  ungefähr  1  cm  oberhalb  des  Abganges 
der  Arteria  profunda.  Durch  vorsichtiges  Hervorziehen,  durch  genügendes 
Freipräpariren  und  durch  Beugen  des  Beines  im  Hüftgelenk  gelang 
es,  die  Enden  einander  zu  nähern  und  ohne  Spannung  zu  vereinigen. 
Diese  Vereinigung  wurde  in  der  Weise  ausgeführt,  dass  zunächst  das 
obere  Arterienende  in  das  untere  etwa  7a  cm  weit  eingeschoben  und 
dann  beide  mit  einem  feinen,  fortlaufenden  Seidenfaden  und  einer  mög¬ 
lichst  feinen,  leicht  gekrümmten  Nadel  genäht  wurden. 

Die  Nadel  durchdrang  nur  die  äussere  und  mittlere  Schicht  der 
Arterienwand,  während  die  Inlima  nicht  mit  durchstochen  wurde.  Nach 
Entfernung  der  Klammern  entleerte  sich  aus  einzelnen  Stichcanälen 
Blut.  Durch  eine  darüber  gelegte  zweite  Naht,  w'elche  nur  die  Adven¬ 
titia  fasste,  wurde  die  Blutung  nunmehr  vollständig  gestillt.  Das  Blut 
drang  sofort  in  das  Gefäss  ein,  die  Nahtstelle  wurde  zur  weiteren 
Sicherung  mit  einem  Muskel  umnäht  und  die  grosse  Hautwunde  gut 
mit  Gaze  tamponirt.  Nach  kurzer  Zeit  wurde  in  der  Poplitea  deutliche 
Pulsation  gefühlt.  Ernährungsstörungen  des  Beines  waren  nicht  vor¬ 
handen.  Die  ebenfalls  carcinomatÖ3  erkrankte  Vena  femoralis  war  offen 
liegen  geblieben  und  mit  einem  aseptischen  Tampon  bedeckt,  um  even¬ 
tuell  später,  nachdem  die  Circulation  des  Beines  gesichert,  die  erkrankten 
Theile  reseciren  zu  können.  Die  Vene  thrombosirte  jedoch  schon  in 
den  nächsten  Tagen  an  der  erkrankten  Stelle.  Ein  mässiges  Oedem  des 
Beines  entstand  und  nach  einigen  Tagen  stiess  sich  das  freiligende 
Venonstiick  nekrotisch  ab. 

Die  Wunde  heilte  per  granulationem  bis  auf  eine  kleine  zw7eimark- 
stückgrosse  Stelle,  in  welchem  sich  nach  einigen  Wochen  ein  Recidiv 
entwickelte,  welches  sich  rasch  weiter  verbreitete,  so  dass  sich  all- 
mälig  ein  grosses  carcinomatoses  Geschwür  entwickelte.  Das  Bein 
wTurde  schliesslich  stark  ödematös  und  Patientin  ging  am  Ende  an 
allgemeinem  Kräfteverfall  circa  vier  Monate  nach  der  Operation  zu  Grunde. 
Leider  war  bei  der  Section  von  der  Gefässnaht  nichts  zu  sehen,  da  die 
Arterie  allmälig  vollständig  durch  die  carcinomatösen  Massen  zerstört 
war.  In  der  rechten  Seite  der  Vulva  befand  sich  der  primäre  Carci- 
nomherd.  In  dem  Reste  der  Arterie  oberhalb  der  ursprünglichen  Naht¬ 
stelle  befand  sich  ein  bis  zur  Iliaca  reichender  Thrombus,  der  erst  in 
der  letzteren  Zeit  entstanden  war. 

Fall  II.  Patientin,  41  Jahre  alt,  bemerkte  seit  circa  einem  Jahre 
eine  allmälig  gänseeigross  gewordene  Geschwulst,  nicht  schmerzhaft, 
hart,  auf  der  Unterlage  etwas  verschieblich.  Primärer  Carcinomherd 
konnte  weder  in  der  Vagina,  noch  im  Uterus  nachgewiesen  werden. 
Sonst  innerer  Befund  normal. 

Operation  am  27.  Mai.  Umschneidung  des  Tumors  im  Gesunden, 
Auslösung  desselben  theils  stumpf,  theils  mit  dem  Messer.  Lösung  des 
Tumors  von  der  Arterie  leicht  durchführbar,  dagegen  Verwachsung  mit 
der  Vena  femoralis,  die  in  einer  Ausdehnung  von  2  cm  vom  Carcinom 
durchwachsen  ist.  Freipräparirung  der  Vene  in  einer  Ausdehnung  von 
6  cm.  Anlegung  einer  Schieberpincette,  mit  Gummi  armirt,  oben  und 
unten.  Resection  des  Tumors.  Die  Vene  war  nun  in  einer  Länge  von 
2  cm  bis  auf  eine  schmale,  2  mm  breite  Brücke  hinten  vollständig 
durchtrennt.  Durch  Beugt  n  des  Beines  im  Hüftgelenke  gelang  die 
Annäherung  der  Wundränder  sehr  leicht.  Die  beiden  Gefässenden 
wurden  durch  eine  möglichst  enge,  fortlaufende  Naht  geschlossen.  Eine 
Invagination  des  oberen  ins  untere  Ende  fand  nicht  statt,  so  dass 
Gefässwand  mit  Gefässw^and  vereinigt  waren.  Bei  der  relativen  Dünne 
der  Gefässwand  wird  nicht  immer  das  Eindringen  des  Fadens  durch 
die  Intima  vermieden  worden  sein.  (Fortsetzung  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  16.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Regierungsrat  lies  Prof.  Mauthner 

stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Prof.  Benedikt:  Therapie  der  Tabes. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  A.  Politzer,  Professor 
Weinleclmer,  Dr.  J.  Thenen,  Dr.  A.  Pilcz,  Hofrath  Prof.  Schnabel, 
Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart,  Dr.  A.  Jolles,  Docent  Dr.  Rötlii  und 
Regimentsarzt  Dr.  J.  Fein. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumülier  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  11 


Qollavcjolum. 


(Crede’s  wasserlösliches  Silbermetall).  Ungiftiges,  reizloses, 
äusserst  energisches  Antisepticnm  für  äusserlichen  und  inner¬ 
lichen  Gebrauch.  Angezeigt  bei  Lymphangitis,  Phlegmonen, 
allen  septischen  Erkrankungen  (reinen  und  gemischten),  bei 
infectiösen  Magen-  und  Darmerkrankungen,  sowie  bei  den 
Leiden  des  Nervensystems,  wo  Arg.  nitr.  angezeigt  ist.  (An¬ 
wendungsform:  In  Lösung  rein  oder  innerlich  als  Zusatz  zu 
Getränken,  als  Salbe  zur  Silbersehmiercnr,  als  Pillen,  Stäb¬ 
chen  etc.) 


<3 frei. 


Stark  antiseptisches,  reiz-  und  geruchloses,  ungiftiges  Silber¬ 
präparat  für  Crede’s  Silberwundbebandluug,  für  die  Augen¬ 
therapie  (speciell  Hornhautgeschwüre),  sowie  für  die  Behand¬ 
lung  der  Blasen-  und  Geschlechtskrankheiten. 


c JCyrcjolum. 


Wasserlösliches  metallisches  Quecksilber;  wirksames,  mildes 
Antisyphiliticum,  besonders  in  Form  der  10 °/0  igen  colloidalen 
Quecksilbersalbe.  Kein  Ekzem. 


GrysiallosQ. 


Ein  verbesserter,  leicht  löslicher  SüssstofI  in  Krystallform ; 
absolut  rein,  daher  vorzüglich  für  Diabetiker,  Magenkranke  etc. 
geeignet. 

Proben  und  Literatursammlung  kostenfrei  durch: 

Chemische  Fabrik  von  Heyden,  Radebeul-Dresden. 


Cascarine  Leprince. 

ci2  HI0  05. 

Wirksamer  Bestandteil  der  Cascara  Sagrada.  Cholagogum  &  Copragogum. 


Habituelle 

Verstopfung. 


Leber¬ 

beschwerde. 


Antisepsis 

dos 

Verdauungs- 

tractus. 


Atonie  der 
Peristaltik. 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 
Lactation. 


Chole- 
I  lithiasis. 


Pillen  und  Elixir. 


Das  »Cascarinec  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendns  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV.  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera- 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  Laffont,  Bulletin  de  1  Acadcmie  de  Mecle- 
cine,  14,  Juni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul  ;  Dujardm- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  1  uigatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305;  Tison,  Hop.tal 
St.-Jo8eph  und  Congr6s  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ;  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

Seine  Wirkung  ist  regelmässig,  leicht  zu  erzielen,  ohne  Angewöhnung,  aus¬ 
gezeichnet  bei  habitueller  Verstopfung  und  gegen  bacterielle  Proliferation  de3  Rheuma¬ 
tismus  (Dr.  Roux)  bei  Typhus  abdominalis  etc. 

Doslrung:  2  Pillen  Abends  oder  bei  den  Mahlzeiten. 

(Je  nach  der  Wirkung  die  Dosis  verringern  oder  steigern.) 

Verkauf  in  allen  Apotheken. 

Um  Nachahmungen  zu  vermeiden,  verordne  man  gefl.  stets:  ,,Cascarino  Leprinco  ■ 
Jede  Pille  trägt  obige  Aufschrift. 

General  vertretung:  St.  Leonhards-Apotheke,  Basel. 

Probesendungen  an  die  Herren  Aerzte  gratis. 

Zur  gefl.  Beachtung  !  Zur  Vermeidung  der  zahlreichen,  unter  ähnlichen  Namen  und 
Verpackungen  vorkommenden  Nachahmungen,  bitten  wir  die  Herren  Aerzte  gen. 
„Cascarine  Leprince“  verschreiben  zu  wollen.  (7a) 


CIBHI6EN. 

CAR^IGEl  ist  ein  aus  natürlichem,  bestem 
Fleischmaterial  her  gestelltes  Fleischpulver , 

vollkommen  assimilirbar  und  von 
höchstem  Jfälirwerth. 

Carnigen  ist  mit  keinem  wie  immer 
Namen"  habenden  Nährpräparat  vergleichbar 
und  zeichnet  sich  auch  durch  seine  geradezu 
erstaunliche  liösliclikeit  und  seinen 
Wohlgeschmack  vor  allen  anderen  Nähr¬ 
präparaten  ans. 

Carnigen  ist  klinisek  erprobt  und 

sowohl  als  Nährpräparat  für  Schwerkranke 
als  auch  als  Kräftigungsmittel  für  Schwäch¬ 
liche,  Kinder  und  Erwachsene  bestens  empfohlen. 

Carnigen  bewirkt  schon  nach  kurzem 
Gebrauche  eine  constatirbare  Zunahme  des 
Körpergewichtes. 

Gebrauchsanweisung:  Man  nehme  je  1  2Ess- 
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mal  täglich. 

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Vergiftung,  der  Neurasthenie,  der  Influenza,  Grippe  etc.  etc- 

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feingehalt  des  Migränin  gleichzeitig  als  Analepticum  vorzüglich  wirkt. 

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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  11. 


Die  Blaud’schen  Eisenpillen 

_ _ _  von  Zipperer  &  Weis 


mit  Cliocolade-Ueberzug. 


>-h)  Wien,  I.  Tuchlauben  27  e-< 

empfehlen  sich  nach  ärztlichen  Gutachten  dadurch,  dass  sie 
weich  sind,  sich  leicht  lösen  und  angenehm  zu  nehmen  sind. 


aUTACHTElT: 


Euer  Wohlgeboren!  Wien,  16.  Jänner  1899. 

Ich  bestätige  Ihnen  sehr  gerne,  dass  ich  Ihre  Blaud’schen  Pillen  mit 
Chocoladeüberzug  selbst  häufig  in  meiner  Praxis  verwende  und  mit  den¬ 
selben  sehr  zufrieden  bin,  indem  dieselben  allenthalben  sehr  gut  vertragen 
werden  und  den  grossen  Vorzug  haben,  angenehm  genommen  zu  werden. 

Hochachtungsvoll  Prof.  Hr.  Gustav  Lott. 

Euer  Wohlgeboren!  Klosterneuburg,  3.  Februar  1899. 
Ich  l  abe  die  von  Ihnen  ei  zeugten  Blaud’schen  Eisenpillen  mit  Choco¬ 
ladeüberzug  nun  durch  längere  Zeit  bei  den  Pfleglingen  der  hiesigen  Irren¬ 
anstalt  angewendet  und  bin  mit  dem  Erfolge  ganz  besonders  zufrieden,  da 
die  Pillen  augenscheinlich  leicht  vertragen  werden,  keine  unangenehmen 
Nebenerscheinungen  hervorrufen  und  von  den  Kranken  gerne  genommen 
werden.  Achtungsvoll  Dr.  Weiss. 

Euer  Wohlgeboren!  Wien,  19.  Jänner  1899. 

Ich  bestätige  Ihnen  mit  Vergnügen,  dass  ich  Ihre  mit  Chocoladeüber¬ 
zug  versehenen  Blaud’schen  Eisenpillen  wiederholt  mit  Erfolg  verwendete 
und  dass  alle  Patienten,  die  dieselben  nahmen,  mit  deren  guten  Geschmack 
und  leichten  Verdaulichkeit  sehr  zufrieden  waren. 

Primararzt  Dr.  Leo  Retltenbacher, 

Vorstand  der  III.  med.  Abth.  im  k.  k.  allg.  Krankenhause. 

Sehr  geehrter  Herr!  Innsbruck,  15.  April  1899. 

Ersuche  höflichst,  mir  wieder  umgehend  4  Schachteln  Ihrer  mit  Choco- 
lade  überzogenen  Blaud’schen  Pillen  zu  senden.  Ich  habe  nunmehr  Ihre 
Pillen  in  4  schweren  Fällen  von  Chlorose,  die  sämmtlich  bereits  mit  einer 
grossen  Anzahl  verschiedener  Eisenpräparate  ohne  Erfolg  behandelt  worden 
waren,  angewendet  und  konnte  bereits  nach  ca.  14  Tagen,  bei  einem 
besonders  schweren  Falle  nach  5  Wochen  eine  auffallende  Besserung 
sämmtlicher  Beschwerden  constatiren.  Ihr  ergebener 

Dr.  Brixa,  prakt.  Arzt,  Innsbruck,  Landhausstrasse  7. 

P.  S.  Die  Pillen  werden  zum  Unterschied  von  den  gewöhnlichen  Blaud’schen  durch¬ 
wegs  gern  genommen  und  leicht  verdaut,  wirken  auch  absolut  nicht  stopfend. 

Herrn  Josef  Weis,  Besitzer  der  Apotheke  »Zum  Mohren«, 

Wien,  I.  Tuchlauben  27. 

Für  Ihre  Freundlichkeit,  mir  Ihre  Pil.  Blaudii  c.  chocolad.  obduct.  zu 
eigenem  Gebrauche  zur  Verfügung  zu  stellen,  bestens  dankend,  kann  ich 
Ihnen  heute  mit  grosser  Freude  berichten,  dass  Ihre  Pillen  sich  ausgezeichnet 
bewähren.  Sie  nehmen  sich  angenehm  ein  und  besitzen  vor  den  magistraliter 
verschriebenen  gewöhnlichen  Pillen  den  grossen  Vorzug,  keine  Unannehm¬ 
lichkeiten  nach  sich  zu  ziehen.  Aber  auch  der  Erfolg  ist  ein  eminenter, 
indem  schon  nach  Verbrauch  von  150  Pillen  die  quälendsten  Beschwerden 
der  Chlorose  schwinden.  Die  Ernährung  und  das  Allgemeinbefinden  heben 
sich  sehr  rasch.  Indem  ich  Sie  versichere,  von  Ihrem  Präparate  bei  meinen 
Kranken  häutigen  Gebrauch  zu  machen,  zeichne  ich  hochachtungsvoll 
Brünn,  13.  Jänner  1898.  Dr.  Gustav  Haas. 


Note. 


1899. 


Wien,  am  8.  April 
Herren  Zipperer  &  Weis,  Apotheker,  Wien. 

Die  von  Ihnen  dem  k.  k.  Wilhelminen-Spital  zu  Versuchszwecken  gratis 
übermittelten  »Pilulae  Blaudii  c.  chocolade  obductae«  wurden  in  allen  geeig¬ 
neten  Fällen  mit  bestem  Erfolge  verwendet.  Ihres  angenehmen  Geschmackes 
und  der  leichten  Verdaulichkeit  wegen  werden  dieselben  gern  genommen 
und  gut  vertragen.  Dr.  Tölg, 

Director  des  Wilhelininen-Spitales,  Wien  XVI. 

P.  T.  Mohren-Apotheke,  Wien.  Wien,  10.  Februar  1899. 

Ich  bin  erfreut,  Ihnen  mittheilen  zu  können,  dass  ich  auf  Grund  meiner 
fast  zweijährigen  Versuche  Ihre  Blaud’schen  Pillen  mit  Chocolade  überzogen 
bei  Bleichsucht  und  Anämie  als  das  wirksamste  Heilmittel  schätzen  gelernt 
^a^e-  Achtungsvoll  Dr.  Taussig. 

Euer  Wohlgeboren!  Waidhofen,  2.  Februar  1899. 

Sende  hiemit  den  Betrag  für  die  Eisenpillen.  Da  ich  von  denselben 
bereits  gute  Erfolge  sah,  habe  ich  dieselben  zur  Anwendung  in  meiner 
eigenen  Familie  benöthigt.  Achtungsvoll 

Dr.  Effenberger,  Stadtphysicus,  Waidhofen  a.  d.  Ybbs. 

Euer  W  o  h  1  g  e  b  o  r  e  n ! 

Wollen  Sie  wieder  2  Schachteln  Ihrer  Blaud’schen  Eisenpillen  (mit 
Chocoladeüberzug)  an  die  Adresse  Frau  W"e'  J.  S.  in  Sillein  absenden. 
Diese  Pillen  werden  gerne  genommen  und  gut  vertragen. 

Achtungsvoll  Dr.  E.  Orvtin,  prakt.  Arzt. 

Sillein,  3.  Mai  1899. 

Friedau  a.  d.  Drau,  am  5.  Mai  1899. 

Wohlgeboren  Herren  Zipperer  &  Weis,  Wien. 

Es  gereicht  mir  zum  Vergnügen,  Ihnen  bezeugen  zu  können,  dass  ich 
mit  Ihren  Pilul.  Blaudii  c.  chocol.  obd.,  die  ich  vielfach  in  meiner  Praxis 
anwende,  sehr  zufrieden  bin,  sowohl  in  Bezug  auf  Wirksamkeit,  als  auch 
die  durch  den  Chocoladeüberzug  gewährleistete  Haltbarkeit  ebenso  wie 
den  Umstand,  dass  sie  leicht  und  gerne  von  den  Patienten  genommen 
werden.  Ich  werde  nicht  ermangeln,  auch  in  Zukunft  Ihr  Präparat  in  Fällen, 
in  denen  Eisen  indicirt  ist,  zu  verordnen.  Hochachtungsvoll 

Dr.  Georg  Kristan,  Districts-Arzt 

Euer  Wohlgeboren! 

Uebersende  dankend  den  schuldigen  Betrag  und  bestätige  mit  Ver¬ 
gnügen  die  überraschend  günstige  Wirkung  Ihrer  Bl.  Pillen  bei  einem  sehr 
chlorot.  Mädchen,  wo  Liqu.  ferr.  mang,  und  Eisen-Arsenwasser  wirkungslos 
waren.  Hochachtend  Zweythurm,  Gemeindearzt. 

Suben,  6.  Mai  1899. 


Die  BLAUD’schen  EISENPSLIsEN 

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unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs.  ^ 

)■■■  ■■■■■■  -------  1  (§> 

Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 

Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
Jos.  Gruber,  M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing, 

I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt, 

A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuekerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs.  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselhaum. 

,  Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Abonnementspreis 
jährlich  2J  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Ueberein- 
kommen. 

- * 

s? - 

Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII  1, 


Telephon  Nr.  6034. 


Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  22.  März  1900. 


Nr.  12. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Ori^inalartikel:  1.  lieber  Lebercirrhose.  Von  PrivatdocentDr.  Richard 

Kretz,  Prosector  am  k.  k.  Kaiser  Franz  Josef-Spitale  in  A\  ien. 
2.  Aus  der  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  in  Wien  (Professor 
Dr.  v.  Wagne  r).  Ueber  einige  Ergebnisse  von  Blutdruck¬ 
messungen  bei  Geisteskranken.  Von  Dr.  Alexander  Pilcz, 
klinischem  Assistenten. 

II.  Referate:  I.  Ueber  Besserhören  im  Lärm  und  die  Bedeutung  dieses 

Phänomens  für  die  Pathologie  und  Therapie  der  chronischen  pio- 
gressiven  Schwerhörigkeit  im  Lichte  der  Neuronlehre.  Von  Dr. 
Max  Breitung.  II.  Gibt  es  ein  Hören  ohne  Labyrinth'?  Von 
Dr  M  a  x  K  a  m  m.  III.  Die  tuberculösen  Erkrankungen  des 


Gehörorganes.  Von  Dr.  Otto  Bar  nick,  IV.  Der  Schai  lach  und 
das  Scharlach  diphtheroid  in  ihren  Beziehungen  zum  Gehörorgan. 
Von  Dr.  E.  W  e  i  1.  Ref.  Arthur  Singer.  —  Handbuch  der 
Ohrenheilkunde.  Von  Dr.  Wilhelm  Kirchner.  Ref.  B  i  e  h  1. 
—  Durchschnitt  durch  das  menschliche  Auge.  Von  M.  Salz¬ 
mann.  Ref.  Hanke.  —  Dermato-histologische  Technik.  Von 
Dr.  Max  Joseph  und  Dr.  Georg  Löwenbach.  Referent 
P  r  a  n  t  e  r. 


III.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

IV.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbenchte. 


Ueber  Lebercirrhose. 

Von  Privatdocent  Dr.  Richard  Kretz,  Prosector  am  k.  k.  Kaiser  Franz 

Josef-Spitale  in  Wien. 

Vortrag  mit  Demonstration  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschatt  der  Aerzte 

in  Wien  am  2.  März  1900. 

Der  histologische  Bau  der  cirrhotisch  erkrankten  Leber 
war  schon  so  vielfach  das  Object  eingehendster  Untersuchun¬ 
gen,  dass  es  kaum  mehr  möglich  scheint,  diese  Veränderungen 
genauer  und  besser  zu  beschreiben,  als  dies  bisher  schon  ge¬ 
schehen  ist,  und  doch  lehrt  die  vielfach  und  zu  keinem  ab¬ 
schliessenden  Urtheile  gediehene  Discussion  über  das  Wesen 
des  Processes,  dass  die  Untersuchungsresultate  noch  einer  ein¬ 
heitlichen  allgemein  anerkennbaren  Zusammenfassung  ent¬ 
behren;  eine  solche  zusammenfassende  Darstellung  in  grossen 
Zügen  will  ich  Ihnen  im  Folgenden  vorzuführen  versuchen. 

Vor  dem  Eingehen  auf  das  eigentliche  Thema  ist  es  noth- 
wendig,  über  die  Bestimmung  des  Begriffes  »Lebercirrhose« 
einige  kurze  Bemerkungen  zu  machen,  denn  ein  Iheil  der 
Schwierigkeiten  für  die  Theorie  der  Pathogenese  liegt  daiin, 
dass  Kliniker  wie  Anatomen  verschiedene  Formen  der  Krank¬ 
heit  im  Begriffe  »Cirrhose«  einreihten,  ohne  sich  genau  dai  übei 
Rechenschaft  zu  geben,  was  als  verschiedenes  Stadium  eines  und 
desselben  Processes,  was  als  differenter  Process  anzusehen  sei. 

Als  Todd  vor  mehr  als  40  Jahren,  der  L  a e n  n  e c’schen 
Cirrhose  mit  Organatrophie  die  hypertrophische  Form  dei 
Cirrhose  gegenüberstellte,  begannen  jene  Verschiebungen  im 
klinischen  und  anatomischen  Begiffe  der  Krankheit,  die  in  der 
Scheidung  der  französischen  Autoren  in  eine  uni-  und  intra¬ 
lobuläre  und  in  eine  multi-  und  interlobuläre  I  orm  ihren 
präcisesten,  aber  nicht  einwandfreien  Ausdruck  fanden. 

Mit  der  Aufstellung  der  »Cirrhose  hypertroph  ique  avec 
ictere«  durch  Charcot  und  Go  mb  a  ult  wurde  ein  Process 
sui  generis  der  L  a  ene  c’schen  und  Todd’schen  Cirrhose  an¬ 
gereiht.  Diese  neue  Form  der  hypertrophischen  Cirrhose  ist 
nachträglich  oft  missdeutet  worden  und  die  Beobachtung 
cholangoitischer  Indurationsprocesse  wurde  zum  I  heile  mit  der 


C.  h.  a.  i.  confundirt  und  die  secundäre  Atrophie  dieser  Leber¬ 
indurationen  fälschlich  in  das  Bild  der  C.  h.  a.  i.  mit  aufge¬ 
nommen;  diesen  unrichtigen  Vorstellungen  über  ein  atrophisches 
Stadium  der  hypertrophischen  Cirrhose  mit  Ikterus  wurde 
parallel  eine  hypertrophische  Cirrhose  als  Vorstadium  der 
atrophirenden  L  a  e  n  n  e  c’schen  halb  beobachtet,  halb  construct 
und  diese  Supposition  verquickt  mit  der  alten  und  sicheren 
klinischen  Beobachtung,  dass  der  Erkrankung  an  atrophischen 
Lebercirrhose  zumeist  eine  Periode  der  Lebervergrösserung 

vorangeht.  . 

Die  Beobachtung  hypertrophischer  Gewebspartien  in 

atrophischen  Organen  hat  die  Auffassung  der  Processe  noch 
mehr  ins  Schwanken  gebracht  und  so  kam  es,  dass  die  Ab¬ 
trennung  der  hypertrophischen  biliären  Cirrhose  von  der  einfach 
hypertrophischen,  das  wechselnde  Vorkommen  von  Ikterus  bei 
atrophirenden,  mit  Ascites  verbundenen  Lebercirrhosen,  das 
Hereinziehen  der  cholangoitischen  Processe  zwar  das  Detail- 
wissen  über  diese  Leberkrankheiten  sehr  bereichert  hat, 
der  Entwicklung  einer  einheitlichen  Auffassung  über  die  Patho¬ 
genese  aber  nicht  förderlich  gewesen  ist. 

Ich  will  für  die  folgenden  Ausführungen  von  der  einen 
eigenen,  wohl  charakterisirten  Typus  der  Leberkrankheiten 
darstellenden  »Cirrhose  hypertrophique  avec  ictere«  Char  c  ot 
und  Go  mb  au  It’s  absehen  und  ebensowenig  mich  auf  die 
verschiedenen  cholangoitischen  Processe,  welche  wahrscheinlich 
nur  zum  kleinen  Theil  mit  einiger  Berechtigung  als  Cirrhosen 
angesehen  werden  können,  beziehen;  auch  die  Gin  host  ^  > 
Bronzediabetes  und  die  Cirrhose  paludienne  will  ich  vorläufig 
nicht  mitberücksichtigen,  sondern  nur  das  grosse  und  wich¬ 
tige  Gebiet  der  Cirrhosen,  die  im  Typus  etwa  zwischen  der 
L  a  e  n  n  e  c’schen  und  der  Todd’schen  Form  schwanken,  m 


den  Kreis  meiner  Erörterungen  ziehen. 

Durch  die  Beobachtung  der  localisirten  Hypertrophien 
des  Parenchyms  in  cirrhotischen  Lebern,  aut  oie  um . 
einigen  Jahren  mein  Lehrer  weiland  Hofrath 
leitete,  kam  ich  dazu,  dem  ursprünglichen  aemösen  Bau  in 


vor 
K  u  n  d  r  a  t 


272 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  12 


cir rhotischen  Leber  nachzugehen;  es  war  das  eine  ziemlich 
schwierige,  aber,  wie  sich  nachträglich  erwies,  dankbare  Auf¬ 
gabe  und  vielleicht  habe  ich  mit  der  Unterstützung  Professor 
Pa  1  tauf’s  jene  Auffassung  gefunden,  welche  Kundrat  im 
Geiste  schon  vorschwebte,  als  er  mich  zur  Bearbeitung  dieses 
Themas  anregte. 

Auf  den  ersten  Blick  scheint  die  Beantwortung  der 
Frage  nach  den  Beziehungen  zwischen  normalem  Leberacinus 
und  Granulum  Lebergewebe  bei  der  Cirrhose  sehr  einfach: 
Die  Cirrhose  ist  eine  interstitielle  Hepatitis,  die  Parenchyminseln 
sind  also  einfach  die  auseinandergedrängten  und  deformirten 
alten  Acini;  die  körnige«  Zeichnung  der  cirrhotischen  Leber 
wäre  nach  dieser  Auffassung  eine  rein  acinose;  das  ist 
aber  in  Wirklichkeit  nur  sehr  theilweise  der  Fall. 

Die  Entscheidung  der  Frage  nach  der  Identificirung 
der  Lebergewebsgranula  mit  den  alten  Elementen  der  Leber- 
structur,  den  Acinis,  erfordert  eine  kurze  Erörterung  der 
Kriterien,  welche  die  Erkennung  der  Acini  gestatten. 

Das  zumeist  und  vorwiegend  zu  diesem  Zwecke  beob¬ 
achtete  interacinöse  Pfortadergefässsystem  mit  den  begleitenden 
Gallengefüssen  und  Leberarterienästchen  ist  hiefiir  nicht  gut 
geeignet;  denn  die  Vertheilung  dieses  vermehrten  »interstitiellen« 
Gewebes  weicht  in  gleichem  Sinne  und  ebenso  sehr  von  der 
Norm  ab.  wie  die  Lebergewebsgranula  von  den  Acinis  differireu. 
Aber  das  Lebervenensystem  besitzt  in  den  letzten  Endästen, 
in  den  Centralvenen  der  Leberläppchen  eine  Gefässbildung,  die 
durch  ihre  Beziehungen  zu  den  Parenchymzellen,  durch  den 
Man  gel  von  begleitenden  Gallencapillaren  und  arteriellen  Gefäss- 
chen  gut  kenntlich  ist;  für  die  Identificirung  der  Lebergranula  mit 
den  alten  Acinis  sind  diese  Gefässchen  besser  geeignet,  weil 
sie  in  dem  von  der  meist  veränderten  Peripherie  am  weitest 
abgelegenen  Parenchymtkeile  liegen. 

Die  wichtigsten  Unterschiede  im  Aufbau  der  normalen 
und  cirrhotischen  Leber  sind  nun  folgende:  Die  normale  Leber 
besteht  aus  kleinen  Läppchen,  den  sogenannten  Acinis,  die 
aber  mit  freiem  Auge  trotz  hinreichender  Grösse  deshalb  nicht 
gesehen  werden,  weil  das  interacinös  sich  ausbreitende  Gefäss- 
netz  der  Pfortader,  der  Leberarterie  und  der  Gallengänge 
in  den  letzten  Aesten  nicht  sichtbar  ist  und  in  der  mensch¬ 
lichen  Leber  eine  die  Acini  umgrenzende  Bindegewebskapsel 
fehlt;  im  mikroskopischen  Bild  sind  die  portalen  Gefässrami- 
ticationen  gut  zu  sehen  und  leicht  zu  kennen,  aber  eine  all¬ 
seitige  Umgrenzung  der  Acini  bilden  sie  nicht,  sondern  die 
Leberzellbalken  benachbarter  Acini  stehen  an  manchen  Stellen 
der  Peripherie  in  directem  Zusammenhang;  dadurch  aber, 
dass  die  Leberzellbalken  im  normalen  Läppchen  eine  radiäre, 
der  Centralvene  zustrebende  Richtung  besitzen,  kommt  der 
acinöse  Bau  im  Bilde  deutlicher  zur  Anschauung,  als  der  that- 
sächlichen  Begrenzung  durch  interacinöse  Gebilde  entspricht; 
man  kann  deshalb,  wenn  auch  einzelne  Zell-Individuen  an  der 
Grenze  zweier  benachbarter  Läppchen  nicht  immer  sicher  dem 
einen  oder  anderen  Acinus  zugerechnet  werden  können,  von  der  weit 
überwiegenden  Mehrzahl  der  Zellen  leicht  und  sicher  ihre 
Zugehörigkeit  zu  einem  bestimmten  Acinus  constatiren. 

Die  Peripherie  des  normalen  Läppchens  ist  ausserdem 
durch  eine  specielle  Gefässeinrichtung  ausgezeichnet;  in  ihr 
ergiessen  nämlich  die  Leberarterien  ihr  Blut  in  die  Pfortader- 
capillaren  und  dieser  von  dem  gemischten  Pfortader-  und  ar¬ 
teriellen  Blut  durchströmte  Gefässbezirk  bildet  ein  feinmaschiges 
Capillarnetz,  von  dem  nach  den  diametral  entgegengesetzten  Seiten 
die  Lebercapillaren  abzweigen.  Durch  diese  Eigenthümlichkeit  ist 
es  bedingt,  dass  die  Leberzellen  in  der  Peripherie  nicht  nur,  wie  ge¬ 
wöhnlich  angenommen  wird,  der  erste  Angriffspunkt  für  viele  func- 
tionelle  Schädigungen  sind,  sondern  auch  die  intensivste  Repro- 
ductionsfähigkeit  besitzen.  Das  interacinöse  Capillarnetz  der 
normalen  Leber  ist  kurzmasehig  und  mit  dem  intraacinösen 
gleich  calibrirt;  es  lässt  sich  an  den  tangentialen  Berührungs¬ 
flächen  benachbarter  Acini  als  ein  ganz  schmaler  Streifen 
erkennen. 

Die  Gestalt  der  Acini  ist  eine  rundlich-polygonale,  mit 
deutlichem  Ueberwiegen  jenes  Durchmessers,  der  die  Richtung 
der  Centralvene  markirt;  an  den  Zusammentrittsstellen  der 
fast  rechtwinkelig  sich  verzweigenden  centralen  Lebervenen 


findet  man  nun  häufig  eine  partielle  Confluenz  der  Leber¬ 
substanz  und  es  entstehen  so  auch  in  der  ganz  normalen 
Leber  herzförmige  oder  inehrbuckelige  Acinusconglomerate. 
Der  grösste  Durchmesser  eines  Acinus  überschreitet  meist 
1  kann  auch  2 '/2 mm  erreichen;  der  kleinere  beträgt 

meist  etwa  1  mm.  Für  eine  normale  Leber  des  Erwachsenen 
mit  etwa  1800^  Gewicht  berechnet  sich  die  Zahl  der  Acini 
auf  etwas  über  drei  ViertelmiKionen. 

Der  soeben  kurz  skizzirte  Aufbau  des  Organes  aus 
Acinis  kommt  nun,  wenn  auch  die  Grenzen  der  Läppchen 
makroskopisch  nicht  erkennbar  sind,  doch  indirect  sehr  gut 
zur  Anschauung  des  Obducenten;  dadurch  nämlich,  dass  die 
centralen  Theile  der  Läppchen  beim  Erwachsenen  durch  eine 
etwas  dunklere  Färbung  sich  auszeichnen,  kommt  auf  der 
Schnittfläche  eine  feinfleckige  Zeichnung  zu  Stande;  diese 
eigenthiimliche  Fleckung,  die  bei  massiger  Blutstauung  im 
Centrum  oder  durch  leichte  Fettinfiltration  der  Peripherie  sehr 
deutlich  wird,  in  kindlichen  oder  den  braunen  Lebern  der  alten 
Leute  aber  schwerer  zu  sehen  ist,  zeigt  die  Distanz  der  Centra  der 
einzelnen  Acini ;  da  nun  die  Entfernung  von  Mitte  zu  Mitte  der 
Läppchen  durchschnittlich  genau  so  gross-  ist,  wie  die  von 
Peripherie  zu  Peripherie,  so  ermöglicht  die  sichtbare  Entfernung 
der  Acinuscentra  ein  rasches  und  sicheres  Urtheil  über  die 
Grössenverhältnisse  der  Baueinheiten  des  ganzen  Organes. 
Man  kann  beispielweise  auf  den  ersten  Blick  sagen,  dass  die 
fettinfiltrirten  Acini  der  Leber  eines  Tuberculösen  etwas 
grösser  sind,  als  die  einer  Stauungsleber  mässigen  Grades, 
weil  bei  gleicher  Form  und  Vertheilung  der  dunkleren 
Fleckchen  die  Distanzen  derselben  im  ersten  Falle  etwas 
grösser  sind  als  im  zweiten. 

In  manchen  pathologischen  Fällen  ist  nun  die  Leber  fein 
netzförmig  gezeichnet  und  man  sieht  z.  B.  bei  Lebern  von 
etwa  einer  Woche  alten  Phosphor  Vergiftungen  die  Hauptmenge 
des  Parenchyms  opak  hellgelb,  mit  feiner,  etwas  einsinkender 
netzförmiger  Zeichnung ;  das  ist  eine  rein  acinöse  Zeichnung, 
die  vieleckigen  abgegrenzten  Felder  entsprechen  den  Acinis,  die 
netzförmige  Umgrenzung  bringt  das  interacinöse  und  even¬ 
tuell  den  äussersten  Rand  des  acinösen  Gewebes  unmittelbar 
zur  Anschauung. 

Vergleicht  man  nun  diese  netzförmige  acinöse  Zeichnung 
der  Leberschnittfläche  mit  dem  Durchschnitte  einer  cirrhoti¬ 
schen  Leber,  so  muss  man  sofort  die  principielle  Differenz  in 
der  Art  der  Zeichnung  zugeben  ;  die  beiden  Structurbilder  sind 
vollkommen  unähnlich  und  Kaufmann  hat  vollständig  Recht, 
wenn  er  den  nicht  selten  gebrauchten  Terminus  »acinös  ge¬ 
zeichnet«  durch  den  richtigeren  »pseudoacinös  gezeichnet«  er¬ 
setzt;  am  zutreffendsten  wird  wohl  das  Structurbild  einfach 
beschreibend  als  »körnige  Schnittfläche«  gekennzeichnet;  auch 
sind  die  Terminis  »grob  —  feinkörnig  —  ungleichmässig 
gekörnt«,  welche  Hofrath  K  u  n  d  r  a  t  gebrauchte,  anschaulicher 
und  mehr  sagend,  als  ein  vages  »pseudoacinös«. 

Das  Structurbild  einer  atrophischen  Cirrhose,  die  etwa 
dem  Typus  der  Laenne c’schen  entspricht,  zeigt  makroskopisch 
weder  eine  Fleckung  wie  eine  Stauungs-  oder  Fettleber,  noch 
jene  feine  netzförmige  Zeichnung,  die  früher  als  acinöse 
Structur  beschrieben  wurde;  das  hellgelbbräunliche,  leicht  vor¬ 
tretende  Parenchym  bildet  vielmehr  rundliche  oder  mehr 
länglich  gestaltete  Inselchen  von  sehr  differenter  Grösse;  die 
umfangreichsten  übertreffen  die  Dimensionen  eines  normalen 
Acinus  bei  weitem,  die  kleinsten  unter  ihnen  sind  fast  immer 
rundlich,  mit  freiem  Auge  eben  noch  sichtbar;  eine  dunklere 
Färbung  des  Centrums  fehlt  auch  an  den  grössten  derartigen 
Bildungen.  Die  grossen  Ramificationen  der  portalen  Gefässe 
und  der  Lebervenen  sind  entsprechend  der  Reduction  des 
Gesammtvolumens  mit  ihren  Querschnitten  etwas  zusammen¬ 
gerückt,  im  Vergleiche  zu  den  Entfernungen  im  normalen 
Organe.  Ein  besonderes  Vortreten  der  Bindegewcbsproliferation 
um  die  grösseren  portalen  Gebilde  fehlt;  die  Bindegewebszüge 
zwischen  dem  Parenchym  wechseln  in  ihrer  Breite  in  ziemlich 
weiten  Grenzen  bei  verschiedenen  Fällen  ebenso  wie  im  selben 
Organe;  die  allerkleinsten  Lebergewebsinselehen  sieht  man 
nicht  selten  in  besonders  mächtigen  Bindegewebszügen  und 
Flecken  eingesprengt ;  relativ  zarte  Kapseln  umschliessen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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grösserere  Parenchyminseln,  aber  es  gibt  auch  grobkörnige  I 
Cirrhosen  mit  derben  und  feinkörnige  mit  schmalem,  sein- 
hartem  Bindegewebe.  Die  Körnung  ist  bald  gleichmässig  feiner 
oder  gröber,  bald  ungleiclnnässig  bis  zum  Auftreten  förmlich 
tumorartige  Prominenzen.  Kleine  cirrhotische  Lebern  können 
eine  grobe  oder  feine  Körnung  des  Parenchyms  zeigen,  und 
derselbe  Unterschied  kommt  in  geringerem  Grade  auch  bei 
relativ  grossen  cirrhotischen  Lebern  vor;  eisenpigmentirte  und 
eisenpigmentlose  Cirrhosen  zeigen  in  der  Hinsicht  ganz  die 
gleiche  Vielgestaltigkeit  Nur  in  einer  Beziehung  scheint  eine 
gewisse  Regelmässigkeit  zu  bestehen,  nämlich  die,  dass  die 
Cirrhosen  jugendlicher  Individuen  auch  bei  hochgradiger 
Atrophie  des  Organes  grob  granulirt  sind;  sie  zeigen  nicht 
selten  zahlreiche  erbsen-  ja  bis  bohnengrosse  Parenchyminseln. 

Was  nun  die  Structuränderungen  der  cirrhotischen  Leber 
im  mikroskopischen  Bilde  betrifft,  so  will  ich  die  interacinöse 
Bindegewebsentwicklung,  die  Gallengangsneubildung,  wech¬ 
selnde  zeitige  Infiltration  und  anderes  mehr  vorläufig  bei  Seite 
lassen  und  mich  gleich  den  Veränderungen  des  acinösen  Baues 
zuwenden,  wie  er  aus  der  Beobachtung  im  mikroskopischen 
Bilde  abgeleitet  werden  kann.  Würde  es  sich  bei  der  Cirrhose 
nur  um  die  Entwicklung  eines  interacinösen  Bindegewebes 
und  primäre  oder  secundäre  Acinusatrophie  handeln,  so  sollten 
auf  der  Schnittfläche  des  atrophischen  Organes  die  Central¬ 
venenlumina  vermehrt  erscheinen  im  Vergleiche  zu  der  gleich 
grossen  Schnittfläche  einer  normalen  Leber.  In  Wirklichkeit 
nimmt  aber  die  relative  Zahl  der  Centralvenenlumina  sehr  be¬ 
trächtlich  ab  und  schon  vor  20  Jahren  hat  Ackermann 
diese  relative  Abnahme  der  Centralvenenlumina  beobachtet 
und  daraus  geschlossen,  dass  nicht  nur  die  Verkleinerung  der 
Acini,  sondern  auch  die  Abnahme  ihrer  Zahl  zur  Atrophie  des 
ganzen  Organes  führe,  dass  also  bei  der  Lebercirrhose  ein  voll¬ 
ständiges  Zugrundegehen  eines  Theiles  der  Acini  Vorkommen 
müsse.  Nur  über  die  Schwere  und  Ausdehnung  dieser  Zer¬ 
störung  giebt  Ackermanns  Darstellung  keinen  erschöpfen¬ 
den  Aufschluss;  es  finden  sich  in  einigermassen  atrophischen 
Organen  weniger  als  die  Hälfte  der  Centralvenenquerschnitte 
auf  der  Schnittflächeneinheit,  und  die  Reduction  der  Zahl  ist 
factisch  noch  weit  beträchtlicher  als  der  unmittelbare  Anblick 
lehrt,  denn  in  der  cirrhotischen  Leber  sollten  ja  die  Central¬ 
venenlumina  entsprechend  der  Volumsverminderung  gegen  die 
Norm  in  der  Schnittflächeneinheit  zugenommen  haben. 

Nun  entspricht  dieser  Abnahme  der  Zahl  der  Central¬ 
venenlumina  nicht  eine  gleiche  Verminderung  der  Parenchym¬ 
inseln  in  der  cirrhotischen  Leber,  sondern  nur  die  Zahl  der 
als  alte  Acini  erkennbaren  Lebergewebskörner  ist  sehr  ver¬ 
mindert.  Das  Lebergewebe  findet  sich  aber  noch  in  einer 
zweiten  Form  im  kranken  Organe,  nämlich  als  Lebergewebs¬ 
körner  von  meist  geringeren  Umfange,  die  von  einem  kurz- 
maschigen  Capillarnetze  durchzogen  sind,  denen  aber  ein  als 
Lebervene  erkennbares  Gefäss  vollständig  fehlt;  ich  habe  eine 
grössene  Reihe  cirrhotischer  Lebern  gerade  mit  Rücksicht  auf 
diese  Bildungen  in  etwa  2  mm  dicken  Stückchen  in  Serien¬ 
schnitten  von  °/ioo  bis  1  % oo  mm  Intervall  untersucht  und  diese 
Bildungen  immer,  wenn  auch  wechselnd  reichlich,  durchs  ganze 
Organ  zerstreut  gefunden;  stark  geschrumpfte  feinkörnige 
Cirrhosen  enthalten  sie  in  der  grössten  Anzahl,  ja  es  gibt 
Stellen  in  solchen  Organen,  wo  auf  den  Bezirk  von  sechs 
bis  acht  normalen  Acinis  nur  ein  oder  gar  kein  Lebergranulum 
mit  einer  Centralvene,  aber  eine  grosse  Zahl  lebervenenloser 
Parenchymkörner  entfalt. 

Die  Centralvenen  zeigen  aber  in  der  cirrhotischen  Leber 
noch  eine  andere  Abweichung  von  der  Norm;  sie  sind  nämlich 
nicht  nur  an  Zahl  vermindert,  sondern  auch  im  Lebergewebs- 
granulum,  so  weit  es  sich  als  Rest  eines  alten  Acinus  er¬ 
kennen  lässt,  nicht  mehr  central,  sondern  excentrisch  gelagert; 
Diese  Veränderung  der  Lage  geht  so  weit,  dass  zahlreiche 
Lebervenen  —  als  Centralvenen  kann  man  sie  füglich  nicht 
mehr  bezeichnen  —  ganz  nahe  an  die  Begrenzung  des  Paren- 
chymgranulums  vorgeschoben  sind,  ja  nur  mit  einer  Seite  ihrer 
Wand  demselben  angehören.  Grössere  Lebergewebsinselchen 
enthalten  des  Oefteren  mehr  als  eine  Lebervene,  aber  nicht 


mehr  von  jener  gleichmässigen  Calibriung  und  mit  der  nahezu 
rechtwinkeligen  Abzweigung  der  normalen  Centralvenen. 

Diese  Lebergewebsinselchen  mit  mehrfachen  unregel¬ 
mässig  gebildeten  Centralvenen  trifft  man  vorzüglich  in  den 
grossknotigen  Cirrhosen  juveniler  Individuen  und  in  den 
geschwulstähnlichen  Hypertrophien  in  atrophischen  cirrhotischen 
Lebern;  sie  finden  sich  ferner  in  den  Ausheilungsstadien 
degenerativer  Processe,  welche  beispielsweise  F  r  e  r  i  c  h  s  noch 
den  knotigen  Cirrhosen  zurechnet.  Sie  gleichen  vollständig 
den  Bildern,  die  P  on  fick  bei  der  Leberge websregeneration 
nach  Leberexstirpation  sah  und  sind  offenbar  als  Regenerations¬ 
herde,  die  von  relativ  intactem  Parenchym  ausgehen,  anzu¬ 
sehen. 

Endlich  wäre  an  den  Lebervenen  bei  Cirrhose  noch  eine 
dritte  Abweichung  von  der  Norm  zu  erwähnen;  im  normalen 
Acinus  streben  die  spitzwinkelig  zusammenfliessenden,  gleich¬ 
mässig  calibrirten  Lebercapillaren  in  radiärer  Richtung  dem 
centralen  Sammelgefässe  zu  und  durch  die  gleichmässige  Ein¬ 
reihung  der  Leberzellen  kommt  jener  bei  schwacher  Ver- 
grösserung  so  charakteristische,  regelmässige  Aufbau  des  nor¬ 
malen  Läppchens  zu  Stande;  bei  der  Cirrhose  fehlt  auch  den 
Lebergran ulis  mit  erkennbaren  Lebervenenlumen  diese  regel¬ 
mässige  Configuration  der  Capillaren  und  Leberzellreihen ;  es 
ist  ein  mehr  weniger  ziemlich  engmaschiges  Netzwerk  mit 
viel  stumpfwinkeligeren  Capillarcommunieationen,  in  das  die 
Leberzellen  in  sich  durchflechtenden  Zügen  eingelagert  sind. 
Die  Bilder  ähneln  oft  den  Schnitten  aus  einen  normalen  Acinus, 
der  tangential  gekappt  ist;  nur  ist  an  Lebergranulis  bei 
Cirrhose  das  Maschenwerk  weniger  gleichmässig  gebildet. 

Diese  Abweichung  von  der  Norm  ist  nichts  für  ( ürrhose 
speciell  Charakteristisches,  sondern  dieselbe  Umänderung  des 
Capillarbaues  tritt  in  Regenerationsherden  der  Leber  auf,  die 
nach  experimenteller  Exstirpation  beträchtlicher  Gewebstheile 
oder  als  Heilungsvorgang  bei  partiellen  aber  relativ  ausgedehnten 
Parenchymsdegenerationen  zu  Stande  kommt. 

Diese  weitgehenderen  Aenderungen  im  Capillargefäss- 
system  sind  nach  meiner  Meinung  die  Ursache  des  Auftretens 
der  Symptome  der  Pfortaderblutstauung,  vor  Allen  des  Ascites; 
die  Ürsache  hiefiir  ist  ungefähr  folgende:  Durch  das  Ab¬ 
schmelzen  des  Parenchyms  kommt  es  mit  dem  completen 
Zugrundegehen  von  ganzen  Acinis  zum  Ausfall  der  entsprechen¬ 
den  Anzahl  von  Centralvenen  und  der  zugehörigen  Leber¬ 
capillaren,  und  es  tritt  eine  Verschmälerung  insbesondere  der 
den  grössten  Durchströmungswiderstand  bietenden  Capillarbalm 
ein;  dieses  Circulationshemmniss  allein  wird  aber  relativ  gut 
vertragen  und  es  ist  nach  Experimenten  wie  Sectionserfahrungen 
anzunehmen,  dass  eine  Einengung  der  Capillarenstrombahn  der 
Leber  auf  weniger  als  die  Hälfte  des  Querschnittes  ohne 
Ascites,  ja  manchmal  ohne  dauernde  Stauung  im  Darme  er¬ 
tragen  wird;  bei  der  Cirrhose  kommen  nun  noch  andere 
Stromerschwerungen  in  Betracht:  Unter  geringem  Druck 
lassen  sich  hier  von  der  Pfortader  die  Lebervenen  mit  In- 
jectionsmassen  wenigstens  theilweise  füllen,  sie  dringt  aber, 
wie  z.  B.  auch  Orth  constatirte,  vorwiegend  durch  die  atro¬ 
phischen  Parenchymstheile  durch,  nicht  durch  die  turgescenten 
Lebergewebsinselchen,  die  sich  nur  an  der  Peripherie  zum 
geringen  Theile  injiciren;  es  besteht  also  neben  der  nicht  un¬ 
beträchtlichen  Verschmälerung  der  capillaren  Strombahn  von 
der  Pfortader  zur  Lebervene  eine  besondere  Circulations- 
erschwerung  in  den  eingeschalteten  Parenchymsinseln;  die  geben 
ihr  Blut  zum  Theile  nicht  direct  an  die  Centralvenen  ab,  sondern 
erst  am  Umwege  der  verschmähen  acinösen  Bahn  gelangt  es 
dort  hin;  der  capillare  Gefässmantel  mit  den  inneren  Pfort¬ 
aderwurzeln  ist  beträchtlich  verbreitert,  seine  Entleerung  in  die 
Centralvene  durch  die  Acinusseite  aber  erschwert;  dazu  kommt 
noch  Eines;  die  Zunahme  der  arteriellen  »inneren«  Ptortader- 
wurzeln,  die  durch  die  Beobachtung  über  die  Zunahme  des 
Lumens  der  Leberarterie  und  durch  Injectionsversuche  schon 
lange  gekannt  ist;  der  vermehrte  Zufluss  des  arteriellen,  untei 
höherem  Drucke  stehenden  Blutes  steigert  den  capillaren  G<‘- 
fässdruck  und  erschwert  somit  den  Abfluss  des  Pfortaderblutes 
gleichfalls.  Die  mangelnde  Blutstauung  im  Leberparenchv  m 
beweist,  dass  das  Stromhinderniss  hauptsächlich  ein  capillaies 


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ist,  und  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Strombahnverengerung 
auf  die  Hälfte,  ihre  Verlängerung  durch  Einschiebung  neuer 
Gefässe  aufs  Doppelte,  den  Widerstand  vervierfacht,  dass  der 
zunehmende  arterielle  Blutstrom  den  capillaren  und  indirect 
den  Pfortader-Blutdruck  auch  noch  steigen  lässt,  so  wird  man 
zugeben  müssen,  dass  hier  und  nicht  in  der  weder  makro¬ 
skopisch  noch  mikroskopisch  nachweisbaren  Compression  der 
Pfortaderramificationen  durch  schrumpfendes  Bindegewebe  die 
Ursache  des  Ascites  liegt;  diese  Compression  fehlt  ja  evident 
bei  Ascites  durch  Lebern  mit  reichvascularisirtem  schlaffem  Binde¬ 
gewebe;  die  Unnachgiebigkeit  der  Einkapselung  der  Capillaren 
wird  die  Stauung  wohl  steigern,  sie  ist  aber  nicht  die  Haupt¬ 
ursache  der  Vermehrung  des  Widerstandes  in  der  Leber- 
circulation.  Die  relativ  spärlichen  Communicationen  zwischen 
Pfortaderzweigen  und  Lebervenen,  die  in  menschlichen  und 
thierischen  Cirrhosen  constatirt  werden  können,  vermögen  in  der 
überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  diese  Verhältnisse  nicht 
nennenswerth  zu  beeinflussen. 

Alle  diese  Ausführungen  sind  nichts  wesentlich  Neues 
und  dieselben  Verhältnisse  lassen  sich  ganz  gut  von  den  vor¬ 
züglich  naturgetreuen  Abbildungen  aus  dem  Atlas  von 
Frerichs  und  in  einer  Reihe  von  Lehrbüchern  herablesen; 
die  Abweichungen  der  Leberzellbalkenbildung  sind  vielfach 
beschrieben  und  speciell  von  französischen  Autoren  als  Ver¬ 
krümmungen  und  Verbiegungen  der  Zellreihen  bei  Leber- 
cirrhose  betont  werden.  Bezüglich  des  »interstitiellen«  Binde¬ 
gewebes  sei  ergänzend  angeführt,  dass  es  namentlich  bei  den 
atrophischen  Cirrhosen  reichlich  Capillaren  arteriellen  Ur¬ 
sprunges  enthält  und  erst  nach  dem  Auftreten  dieser  neu¬ 
gebildeten  Gefässchen  reicher  an  elastischen  Fasern  wird.  Von 
den  vielfachen  Gallengangssprossen  des  interacinösen  Gewebes 
steht  nach  älteren  und  neueren  Untersuchungen  fest,  dass  sie 
mit  den  alten  Gängen  sowohl,  wie  mit  dem  secernirenden 
Parenchym  in  offener  Communication  stehen;  auch  die  leber¬ 
venenlosen  Parenchymsgranula  sind  als  abgesprengte  Acinus- 
reste,  als  isolirte  Leberzellconglomerate  schon  oft  beschrieben 
worden;  sie  finden  sich  auch  vielfach  abgebildet  und  Mertens 
fand  sie  auch  bei  der  von  ihm  experimentell  erzeugten  Cirrhose 
der  Kaninchen. 

Es  ist  nach  den  geschilderten  Befunden  ebenso  unmöglich, 
die  Lebercirrhose  ohne  Weiteres  den  interstitiellen  Entzündungs¬ 
processen  einzureihen,  was  bisher  vielfach  geschah,  wie  es 
angeht,  sie  einfach  als  chronische  Atrophie  zu  bezeichnen,  denn 
die  Bindegewebsproliferation  und  der  Schwund  eines  Theiles 
des  secernirenden  Parenchyms  sind  wohl  wesentliche  Attribute 
des  cirrhotischen  Processes,  das  Hauptgewicht  der  Verände¬ 
rungen  liegt  aber  nach  meiner  Meinung  in  der  durchgreifenden 
Veränderung  des  Aufbaues  der  Leber:  was  an  Leberparenchym 
in  der  cirrhotischen  Leber  vorhanden,  sind  sicher  nicht  nur 
Reste  des  ehemaligen  Parenchyms,  entstanden  durch  de- 
generatives  Abschmelzen  der  Peripherie  der  Läppchen  und  durch 
passive  Compression  von  Seite  des  neugebildeten  Bindegewebes; 
es  sind  ja  die  Lebergewebsinseln  gar  nicht  erkennbar  comprimirt, 
d.  h.  es  fehlt  an  ihnen  die  charakteristische  Zellverschiebung 
und  Abplattung,  die  z.  B.  ein  metastatischer  Carcinom- 
knoten  im  cirrhotischen  Gewebe  an  seiner  Peripherie  erzeugt; 
der  Wachsthumsdruck  in  den  Parenchyminseln  ist  also  grösser 
als  die  Oompressionskraft  des  umgebenden  Bindegewebes;  es 
handelt  sich  auch  nicht  um  einfache  chronische  Atrophie, 
sondern  das  secernirende  Parenchym  der  Leber  zeigt  in  allen 
Theilen  einen  tiefgreifenden  Umbau,  in  den  Alles  bis  zu  den 
Capillaren  und  Leberzellenreihen  herab  mit  einbezogen  ist. 
Die  Ungleichmässigkeit  der  Deutung  des  histologischen  Bildes 
der  Lebercirrhose.  die  Controverse  über  mono-  und  multilobuläre 
Formen,  über  primäre  Zelldegeneration  oder  primäre  Binde¬ 
gewebsneubildung,  rührt  in  Vielem  daher,  dass  man  zu  sehr 
geneigt  war,  die  Structur  der  cirrhotischen  Leber  ohne  Weiteres 
vom  normalen  acinösen  Bau  abzuleiten.  Wenn  in  einer  Paren¬ 
chyminsel  bei  Cirrhose  die  Lebervene  seitlich  verschoben  ist 
und  der  Capillarbau  des  Läppchenrestes  aus  einem  radiären 
in  einen  netzförmigen  verwandelt  wurde,  so  sind  das  nach  dem 
Gesagten  nicht  blos  passive  Deformirungen  des  ursprünglichen 
Gebildes,  sondern  schwere  Aenderungen  des  Aufbaues. 


Für  die  Beurtheilung  des  Entstehens  dieser  Verände¬ 
rungen  im  Aufbau  liegen  nun  in  den  Studien  über  die  Re¬ 
generation  des  Lebergewebes  gute  und  hinreichend  weit  ge: 
diehene  Untersuchungen  vor;  P  on  fick  hat  in  methodischer 
Weise  die  kolossale,  kaum  zu  erschöpfende  Regenerationsfähig¬ 
keit  des  Leberparenchyms  experimentell  erforscht.  Mar.chand 
und  Ströbe  haben  die  Regeneration  nach  Degenerativ- 
processen  genau  studirt;  aus  den  Arbeiten  über  die  hyper¬ 
trophischen  Formen  der  Cirrhose  ist  den  Anatomen  die  Vor¬ 
stellung  einer  Parenchymsproliferation  in  der  cirrhotischen  Leber 
geläufig  geworden;  Greco  hat  in  einer  bisher  wenig  beach¬ 
teten  Mittheilung  Befunde  vielfacher  localisirter  Leberzellneu¬ 
bildungen  in  atrophischen  Cirrhosen  bei  Individuen  mit  Tod 
an  intercurrenter  Erkrankung  mitgetheilt. 

Die  Deutung  des  geänderten  Structurbildes  ist  bisher 
immer  vom  Gesichtspunkte  der  Rückbeziehung  des  Leber- 
granulums  in  der  Cirrhose  auf  den  normalen  Acinus  versucht 
worden;  sie  ist  bisher  nicht  befriedigend  gelungen;  trotzdem 
nun  der  Befund  lebervenenloser  Zellhäufchen  schon  früh  dazu 
genöthigt  hatte,  den  tieferen  Veränderungen  des  Aufbaues 
der  cirrhotischen  Leber  ein  besonderes  Gewicht  zuzuschreiben, 
blieb  bisher  fast  ausschliesslich  die  Ansicht  geltend,  es  handle 
sich  um  Abschnürungen  durch  in  den  Rand  der  Acini  ein¬ 
dringende  Bindegewebsneubildung;  ein  relativ  häufiges  Vor¬ 
kommen  von  Degenerationszeichen  an  Zellen  solcher  Con¬ 
glomerate  schien  mit  dieser  Anschauung  im  Einklänge  zu 
stehen,  aber  man  hat  nicht  überlegt,  dass  eine  blosse  Ab¬ 
schnürung  durch  die  sectorenförmige  Einschnürung  eines  Ca- 
pillargebietes  des  Acinus  zur  Blutstauung  durch  Einengung 
des  Abflusses  gerade  so  führen  musste,  wie  die  Verengung 
der  Centralvene  Stauungsatrophie  bewirkt.  Es  muss  also  schon 
vor  der  Isolirung  von  solchen  Zellengruppen  zur  Umänderung 
der  capillaren  Circulation  gekommen  sein. 

Wie  weitgehend  die  symptomenlose  Einschiebung  von 
neugebildetem  Parenchym  sein  kann,  zeigen  die  Bilder  aus¬ 
gedehnter  Regeneration,  wie  eine  Leber  mit  totaler  Atrophie 
des  rechten,  schwerer  Erkrankung  des  linken  und  kolossaler 
Hypertrophie  des  Lobulus  Spiegelii ;  all  das  ist  ohne  klini¬ 
sche  Symptome  an  einem  physisch  schwer  arbeitenden 
Manne  zu  Stande  gekommen.  Bei  Kindern  wie  Erwachsenen 
findet  man  überhaupt  verhältnissmässig  häufig  schwere  abge¬ 
laufene  Leberläsionen,  ohne  die  Symptomenlosigkeit  immer  mit 
Recht  einer  mangelhaften  Anamnese  oder  Krankenbeobachtung 
in  die  Schuhe  schieben  zu  können.  Man  muss  vielmehr  an¬ 
nehmen,  dass  eine  höhere  Reserve  an  Arbeitsfähigkeit  des 
Parenchyms  und  die  sehr  regsame  Regeneration  bedeutende 
Defecte  functioneil  vollständig  überwinden  können;  von  der 
Ausdehnung  der  Umgestaltungen,  die  im  Parenchym  einer 
kranken  Leber  ohne  tödtliche  Functionsstörung  vor  sich  gehen 
können,  vermag  folgende  theilweise  eisenpigmentirte  Cirrhose 
ein  sehr  anschauliches  Bild  zu  geben. 

Man  weiss  aus  den  Untersuchungen  über  die  hämatogene 
Eisenablagerung  in  der  Leber,  dass  alle  Leberzellen  im  Acinus, 
concentrisch  von  aussen  nach  innen  abnehmend,  sich  mit  Pig¬ 
ment  beladen  und  dasselbe  relativ  lange  Zeit  festhalten ;  ich 
kann  Ihnen  nun  eine  Leber  zeigen,  in  der  die  kleinere  Hälfte 
des  Parenchyms  —  meist  grössere  Granulationen  zeigend  — 
rostbraun  pigmentirt,  die  andere,  in  Form  turgescenter  Granu¬ 
lationen  zerstreut  eingeschoben,  nahezu  pigmentfrei  ist ;  hier 
muss  also  eine  beträchtliche  Lebergewebsproduction  nach  Ab¬ 
lauf  des  mit  Pigmentirung  verbundenen  Processes  stattge¬ 
funden  haben  und  die  Pigmentdepots,  die  im  mikroskopischen 
Bilde  die  jungen  pigmentfreien  Bildungen  umgrenzen,  beweisen, 
dass  sie  einer  untergegangenen  pigmentirten  Generation  von 
Leberzellen  an  derselben  Stelle  folgten;  sie  zeigt  auch  sehr 
schön,  wie  in  der  cirrhotischen  Leber  Degeneration  schon  um¬ 
gebauten  Parenchyms  von  einer  und  nicht  minder  intensiven 
Regeneration  ausgeglichen  wird. 

Die  Beobachtung  Greco’s  über  kleinere  und  grössere 
Herde  von  Leberzellproliferationen  habe  ich  an  zahlreichen 
atrophischen  Cirrhosen  bestätigen  können  und  es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  die  centralvenenlosen  Zellenconglo- 
merate  der  cirrhotischen  Leber  in  erster  Linie  solchen  circum- 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


275 


scripten  Leberzellproliferationen  ihren  Ursprung  verdanken; 
so  erklärt  sich  auch  die  eigenthümliche  Vascularisation  dieser 
Gebilde,  die  nach  vielfachen  Untersuchungen  den  tangentialen 
Verzweigungsbezirken  der  Pfortader  und  namentlich  auch  neu¬ 
gebildeten  arteriellen  Capillaren,  den  »inneren  Pfortaderwurzeln« 
an  gehören. 

Diese  Intercalirung  jungen  Leberparenchyms  findet  aber 
nicht  nur  in  der  schon  cirrhotischen  Leber  statt,  sie  gehört 
dem  Vorstadium  der  Cirrhose,  der  vorangehenden  Leberhyper¬ 
trophie  der  Potatoren  an;  das  zeigt  beispielsweise  nicht  nur 
die  Leber  eines  an  Erysipel  verstorbenen  Potators,  die  bei 
massiger  Consistenz  und  kaum  vermehrtem  Bindegewebe  schon 
deutlich  ungleichförmig  granulirt  ist,  sondern  auch  die  Fett¬ 
lebern  der  Potatoren  documentiren  durch  die  Unregelmässig¬ 
keit  der  fleckigen  Zeichnung  am  Durchschnitt  schon  die  be¬ 
ginnende  Structuränderung;  auch  in  Abbildungen  des  Fr  er  ich  s- 
schen  Atlas  sind  die  Läppchenhypertrophie  und  der  Umbau 
des  Capillarensystemes  an  den  vorgewölbten  Buckeln  der  Peri¬ 
pherie  der  Acini  leicht  zu  erkennen. 

Die  Cirrhose  der  Leber  ist  in  ihrer  anatomischen  Er¬ 
scheinungsform  nie  in  allen  Theilen  vollkommen  gleichmässig 
ausgebildet,  und  wenn  auch  einzelne  Fälle  hauptsächlich 
Schrumpfung,  Fettinfiltration,  Parenchymsregeneration  oder 
Bindegewebshypertrophie  zeigen,  so  gibt  es  doch  keinen  ein¬ 
zigen  Fall,  in  dem  nicht  die  histologischen  Verschiedenheiten 
in  Schnitten  aus  demselben  Organe  bewiesen  wurden,  dass  die  I 
Cirrhose  ein  herdweise  aufflammender  und  wieder  ausheilender 
Process  sei.  Von  der  hypertrophischen  Potatorenleber  bis  zur 
geschrumpften  Laenn  e  c’schen  Cirrhose,  von  der  knotigen 
Hyperplasie  bis  zur  feinsten  Körnung  gibt  es  keine  absolut 
scharfe  Grenze  in  der  Reihe  der  Bilder;  der  eine  oder  andere 
individuelle  Fall  mag  einem  gangbaren  Typus  noch  so  sehr 
entsprechen,  wer  bei  einem  etwas  reichlicherem  Material  auf¬ 
merksam  beobachtet,  wird  immer  und  immer  wieder  auf  I  alle 
stossen,  die  dem  Schema  nicht  ohne  Weiteres  sich  einreihen 
lassen  und  er  wird  entweder  zur  Aufstellung  neuer  Unterarten 
schreiten  müssen,  oder  die  Nöthigung  empfinden,  die  Begriffs¬ 
bestimmung  der  Cirrhose  und  die  Theorie  ihrer  Pathogenese 
anders  zu  fassen. 

Für  den  Weg  der  Trennung  sind  die  bisherigen  Unter¬ 
suchungsresultate  nicht  weit  genug  gediehen;  wenn  auch  der 
didaktische  Werth  der  Abtrennung  einzelner  Typen  sehr  hoch 
zu  schätzen  ist,  so  scheint  mir  doch  nur  eine  ätiologische  Ein- 
theilung  von  dauerndem  Werthe  zu  sein  und  für  die  fehlen 
bisher  vor  Allem  hinreichende  klinische  Erfahrungen,  die 
den  anatomischen  Befunden  erst  weitere  Verwerthbarkeit 
geben.  Bliebe  der  zweite  auch  vielfach  beschrittene  Weg  der 
Modification  der  Begriffsbestimmung;  heute  wird  man  die  best 
präcisirte  moderne  Anschauung  über  Cirrhose  am  ehesten  in 
den  Ausführungen  S ie g e n  b  e  c k  van  Heukelom’s  finden, 
der  den  Process  als  combinirtes  Resultat  einer  fortschreitenden 
»degenerativen«  und  »sklerogenen«  Schädiguog  der  Leber  an¬ 
sieht.  Ich  glaube,  dass  die  Annahme  der  Einwirkung  der  combinir- 
ten  verschiedenen  pathogenen  Factoren  gewiss  als  eine  fruchtbare 
zu  bezeichnen  ist;  sie  wird  durch  das  Ineinanderfliessen  der 
Typen  dem  Anatomen  förmlich  aufgedrängt.  Soll  man  aber 
mit  Siegenbeck  van  Heukelom  ein  eigenes  sklerogenes 
Moment  annehmen?  Zur  Entscheidung  dieser  Frage  wären 
zunächst  die  Erfahrungen  über  ausheilende  Degenerations- 
processe  heranzuziehen  und  da  findet  sich,  dass  nach  acuten 
und  namentlich  subacuten  Degenerationen  das  residuale  Ge¬ 
webe  von  erkennbaren  Acinusresten,  die  förmliche  Gefäss- 
skelete  des  Läppchens  darstellen,  bis  zu  einem  gefässarmen 
sklerosirten  Bindegewebe  mit  Gallengangsprossen  alle 
Zwischenstufen  finden,  ja  selbst  zum  Acites  kann  es  nach 
einer  Beobachtung  Strobe’s  in  solchen  Fällen  kommen.  Nun 
haben  K  ah  Iden  und  Reimann  subacute  Lebercirrhosen  be¬ 
schrieben,  die  ihrer  anatomischen  Erscheinung  nach  heute,  ähnlich 
dem  einen  Falle  Strobe’s,  der  durch  Regeneration  ausheilenden 
Atrophie  zuzurechnen  sind.  Diese  Bilder,  welche  ältere  Autoren 
wie  Frerichs,  noch  direct  als  Cirrhosen  bezeichneten, 
sind  nach  meiner  Ansicht  der  Schlüssel  zur  Auffassung  der 
Cirrhose:  die  regenerirten  Parenchympartien  sind  die  Granula 


der  Cirrhose,  das  Gallencapillaren  führende  Bindegewebe  ist 
die  Vorstufe,  oder  besser  das  Analogon  des  »interstitiellen«  Ent- 
zündungsproductes  der  Cirrhose;  auch  hier  schwindet  die 
Schärfe  der  differenzirenden  Kriterien  bei  der  Beobachtung 
an  vielen  Fällen;  die  Analogie  dieser  Fälle  erstreckt  sich  bis 
auf  das  Vorkommen  adenomartiger  Bildungen  von  Lebergewebe 
und  das  Auftreten  des  Ascites,  und  zwischen  ihnen  und  den 
abgelaufenen  grossknotigen  Cirrhosen  der  juvenilen  Individuen 
gibt  es  keinen  Unterschied,  der  sich  nicht  ungezwungen  durch 
die  Differenz  der  zeitlichen  Entwicklung  des  einzelnen  Falles 
erklären  liesse,  und  von  den  grossknotigen  Lebern  gibt  es, 
wie  schon  erwähnt,  alle  Mittelstufen  bis  zu  den  feingekörnten. 

Wenn  man  nun  die  Analogien  in  den  Gewebsverände¬ 
rungen  der  heilenden  Atrophie  und  der  Lebercirrhose  erwägt, 
so  ist  durch  die  Klärung  der  Entwicklung  der  acuten  und 
subacuten  Lebererkrankung  auch  eine  Auffassung  der  Patho¬ 
genese  des  cirrhotischen  Processes  zu  geben,  die  besser  als 
die  bisherigen  Hypothesen  die  Vielgestaltigkeit  der  I  ormen 
einheitlich  in  sich  begreift:  Die  Lebercirrhose  ist  ein 
herdweise  localisirter,  recidivirender,  chroni¬ 
scher  Degenerationsprocess  mit  ein  gescho¬ 
benen  Regenerationen  des  Parenchyms.  Der 
Process  beginnt  mit  kleinen  Degenerationsherden  in  der 
Peripherie  der  Acini,  ihm  folgt  neben  Abschmelzung  der 
degenerirten  Partien  unter  Hinterlassung  kleinster  verödeter 
Bezirke  eine  Regeneration ;  diese  verläuft  zunächst  unter  dem 
Bilde  der  Regeneration  an  der  Peripherie  des  Läppchens  in 
der  Zone  der  tangentialen  Pfortaderverzweigung,  zum  Theile 
wahrscheinlich  auch  durch  Einschaltung  junger  Elemente  in 
den  Zellbalken ;  eine  solche  wechselnde  Degeneration  und  Neu¬ 
bildung  functionirender  Parenchyms  führt,  langsam  hin-  und 
herwandernd,  allmälig  zum  Umbau  der  normalen  Acini 
und  zu  massigen  Gestaltsveränderungen  derselben,  insbesondere 
ändert  dieser  sich  wiederholende  Vorgang  auch  die  capillare 
Blutvertheilung  und  damit  die  Ernährung  der  verschiedenen 
Theile  des  Parenchyms;  später  erkranken  unter  dem  an¬ 
dauernden  oder  erneuten  schädigenden  Moment  auch  tiefer 
im  Parenchym  sitzende  Leberzellcomplexe,  hier  führt  dann 
die  consecutive  Involution  zur  Verödung  intra-acinöser  Bezirke 
und  zur  stärkeren  Regeneration  der  im  tangentialen  Gefäss- 
bezirk  liegenden  früheren  Parenchymwucherungen;  der  Pro¬ 
cess  führt  endlich  an  einzelnen  Stellen  zum  completen  Unter¬ 
gang  des  Acinus,  die  zunehmende  Abschmelzung  auch  des 
neuen  Leberparenchyms  bewirkt  eine  steigende  Anhäufung 
von  verödeten  Bezirken,  die,  einer  weiteren  Rückbilduung 
nahezu  unfähig,  die  Parenchyminseln  auseinanderdrängen,  ja 
sie  secundär  in  ihrer  Function  und  Reproductionsiähigkeit 
schädigen. Schliesslich  erlahmt  die  überangestrengte  Vermehrungs- 
kraft  der  Leberzellen  und,  nachdem  das  Organ  durch  den 
Wechsel  von  Degeneration  und  Regeneration  vielfach  erneut 
und  umgebaut  worden  ist,  kommt  es  zum  Ueberwiegen  des 
Abganges  über  den  Nachwuchs,  zur  progressiven  Atrophie,  die 
schliesslich  durch  den  Ausfall  der  lebenswichtigen  Function 
der  Leber  zum  Tode  führt,  wenn  nicht  früher  schon  der 
marascente  Organismus  secundäi’en  oder  intercurrenten  Pro¬ 
cessen  auch  leichterer  Natur  erlegen  ist. 

Je  mächtiger  die  einzelnen  Degenerationsattaquen  sind, 
je  seltener  sie  eintreten,  desto  mehr  nähert  sich  die 
Cirrhose  dem  Bilde  der  knotigen,  regeneratorischen  Hyper¬ 
trophie,  die  nach  dieser  Anschauung  conform  der  Auffassung 
älterer  Autoren  den  Cirrhosen  einzureihen,  als  subacute  oder 
acute,  eventuell  abgelaufene  Form  derselben  zu  bezeichnen 
wäre;  der  Process  kann  nach  diesen  Ausführungen  in  jedem 
Stadium  durch  Ausbleiben  neuer  Zellschädigungen  zum  Still¬ 
stände  kommen,  und  finden  sich  bei  Sectionen  umgebaute  Lebern 
gar  nicht  so  selten,  die  verschiedenen  stationär  gebliebenen  oder 
etwas  zurückgebildeten  Stadien  der  geschilderten  Entwicklu 
entsprechen,  eine  Ansicht,  die  Kundrat  schon  vor  längere! 
Zeit  geäussert  hat  und  die  durch  spätere,  auch  klinische  M'.t- 
theilungen  über  einzelne  Fälle  von  Heilung  der  Leberciri hov 
selbst  bei  schon  entwickeltem  Ascites  bestätigt  wurde. 

Darüber,  dass  bei  Cirrhose  die  Reproductionsthätic heit 
der  Leberzellen  sehr  früh  beginnt,  liegt  auch  schon  eine  ex- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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perimentelle  Erfahrung  vor,  denn  Mertens  gibt  bei  Schilde¬ 
rung  der  Befunde  an  der  Kaninchenleber  vor  Entstehung  der 
Cirrhose  ausdrücklich  das  Auftreten  zahlreicher  Kerntheilungs- 
iiguren  in  den  Parenchymzellen  an.  Auch  die  auffallende  und 
merkwürdige  Häufigkeit  von  Adenom-  und  Carcinombildung 
in  der  cirrhotischen  Leber  deutet  auf  eine  ganz  besondere  In¬ 
anspruchnahme  der  Reproductionsthätigkeit  und  ich  halte 
dieses  Zusammentreffen  von  Carcinom  und  Cirrhose  für  eine 
Exemplification  der  W  e  i  g  e  r  fischen  Hypothese  von  der  Ubers 
Ziel  schiessenden  Regeneration:  die  fortwährende  übermässige 
Inanspruchnahme  der  Reproductionsthätigkeit  der  Zellen  macht 
diese  anaplastisch  mit  Persistenz  ihrer  Vermehrungsfähigkeit 
und  unter  allmäligem  Schwunde  der  höheren  functionellen 
Eigenschaften. 

Die  hier  entwickelte  Ilvpothese  über  die  Entstehung  der 
Lebercirrhose  fusst  im  Wesentlichen  auf  der  Kenntniss  der 
ganz  enormen  Regenerationsfähigkeit  des  Lebergewebes  und  bietet 
einen  weiteren  Einblick  in  die  vielgestaltige  Wirksamkeit  der 
reproducirenden  und  uniformenden  Tkätigkeit  der  Leberzellen ; 
dass  es  so  spät  gelang,  dieses  umbauende  und  neu  schaffende 
Leben  der  Zelle  für  die  Veränderung  der  cirrhotischen  Leber 
aus  den  entstandenen  Abweichungen  der  Norm  herauszulesen, 
liegt  in  der  ausserordentlichen  Vollkommenheit,  mit  der  im 
lebenden  Organismus  functioneile  wie  morphologische  Störungen 
ausgeglichen  werden.  Die  Aehnlichkeit  des  neugebildeten  und 
normalen  Gewebes  geht  so  weit,  dass  durch  lange  Zeit  die 
ausgezeichnetsten  Forscher  die  unterscheidenden  Kriterien  des 
Baues  wohl  sahen  und  beschrieben,  aber  den  Weg  der  Ent¬ 
wicklung  unrichtig  deuteten,  da  sie  das  pathologische  Bild 
direct  auf  normale  Verhältnisse  zurück  bezogen. 

Als  historische  Reminiscenz  mag  schliesslich  erwähnt  werden, 
dass  der  erste  Beschreiber  der  Cirrhose,  L  a  e  n  n  e  c,  dieser 
Anschauung  insofern  schon  nahe  gekommen  ist,  als  er  die 
Parenchymknötchen  bei  Cirrhose  als  Elemente  neuer  Bildung 
als  Neoplasmen,  ansah.  Die  mikroskopische  Bildung  zeigte 
scheinbar  sofort  die  Unhaltbarkeit  dieser  Ansicht;  heute  müssen 
wir  zugeben,  dass  ein  Körnchen  Wahrheit  in  ihr  enthalten 
ist:  die  Lebergewebskörner  der  Cirrhose  sind  wohl  kein  Neo¬ 
plasma  im  engen  Sinne  des  Wortes  aber  doch  Elemente  neuer 
Bildung. 

Ob  den  hier  entwickelten  Anschauungen  dauernder  Werth 
beizumessen  ist,  kann  erst  die  kritische  Nachuntersuchung 
feststellen,  gerade  so,  wie  auch  erst  die  Zukunft  lehren  kann, 
ob  diese  Hypothese  für  die  Klinik  verwerthbar  ist  und  be¬ 
fruchtend  auf  die  Fortbildung  der  Kenntnisse  über  die  Leber¬ 
cirrhose  einwirkt. 


Aus  der  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  in  Wien 

(Prof.  Dr.  v.  Wagner). 

Ueber  einige  Ergebnisse  von  Blutdruckmessungen 

bei  Geisteskranken. 

Von  Dr.  Alexander  Pilcz,  klinischem  Assistenten. 

Es  ist  wohl  überflüssig,  die  Wichtigkeit  von  Blutdruck¬ 
messungen  in  der  klinischen  Psychiatrie  erst  des  Längeren  zu 
erörtern.  In  den  Lehrbüchern  sowohl  wie  in  einzelnen  casuisti- 
schen  Beiträgen  ist  immer  wieder  die  Rede  von  vasomotori¬ 
schen  Erscheinungen  und  Störungen  bei  Geisteskranken,  und 
eine  grosse  Zahl  von  theoretisch  und  praktisch  interessanten 
Fragen  über  das  Verhalten  der  Gefässnerven,  des  Circulations- 
apparates  überhaupt  drängen  sich  uns  tagtäglich  auf. 

Umso  befremdender  muss  es  erscheinen,  dass  Arbeiten, 
welche  directe  Blutdruckmessungen  bei  Geisteskranken  zum 
Gegenstände  haben,  so  gut  wie  gar  nicht  existiren.  Die  meisten 
Autoren  sprechen  von  gesteigertem  oder  herabgesetztem  Blut¬ 
druck,  indem  sie  dabei  das  sphygmographische  Pulsbild  analy- 
siren.  oder  allgemeine  grob  sinnfällige  Erscheinungen,  wie 
Hyperämie,  Anämie  u.  s.  w.  berücksichtigen.  Wirkliche 
Messungen  des  Blutdruckes  aber  konnte  ich,  soviel  mir  die 
Literatur  zugänglich  ist,  nur  in  zwei  Publicationen  finden, 


auf  welche  ich  später  zurückkommen  werde,  in  den  Arbeiten 
von  Cra m e  r  und  von  Craig. 

Die  gründlichen  Arbeiten  K  o  r  n  f  e  1  d’s,  welchen  ich 
auch  mehrfach  citiren  werde,  behandeln  nicht  speciell  be¬ 
stimmte  Kategorien  von  Psychosen. 

Der  Grund  des  Missverhältnisses  zwischen  Interesse  und 
Bearbeitung  mag  bei  dieser  Frage  wohl  darin  liegen,  dass  wir 
bis  vor  Kurzem  thatsächlich  kein  Instrument  hatten,  das  Blut¬ 
druckmessungen  in  einer  leicht  ausführbaren  und  zuverlässigen 
Weise  gestattete,  zwei  Bedingungen,  welche  der  von  Professor 
Gärtner  ersonnene  Tonometer  vollauf  erfüllt. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  auf  eine  kritische  Vergleichung 
des  G  ä  r  t  n  e  Eschen  mit  anderen  Apparaten  einzugehen;  ich 
dürfte  mich  dazu  auch  gar  nicht  berufen  betrachten.  Ich  will 
nur  so  viel  sagen,  dass  ich  alsbald  den  Werth  dieses  Instru¬ 
mentes  ebenso  schätzen  lernte,  Avie  andere  Collegen,  die  sich 
desselben  bedient  hatten  (ich  verweise  auf  die  Ausführungen 
von  Winternitz,  Grebner  u.  s.  w.). 

Bevor  ich  nun  die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen 
mittheile,  möchte  ich  in  Betreff  der  Prüfungsmethode  einige 
Bemerkungen  vorausschicken,  aus  denen  zugleich  die  grosse 
Exactheit  des  G  ä  r  t  n  e  r’schen  Tonometers  erhellt. 

Die  Messungen  wurden  stets  derart  vorgenommen,  dass 
ich  den  Apparat  applicirte,  während  ein  College  den  Ball  com- 
primirte.  Ich  beobachtete  nunmehr  nach  Abnahme  des  anämi- 
sirenden  Ringes  nur  die  Fingerbeere,  der  Assistent  beschäf¬ 
tigte  sich  mit  der  Ablesung  am  Quecksilber-,  beziehungsweise 
Federmanometer.  Derart  unabhängig  von  einander,  waren  wir 
sicher,  in  völlig  objectiver  Weise  vorzugehen.  Jede  einzelne 
der  untersuchten  Personen  wurde  wiederholt,  in  einer  Sitzung 
mehrmals  hintereinander,  gemessen  und  da  war  es  nun  höchst 
interessant,  zu  sehen,  wie  die  gefundenen  Werthe  bei  einem 
und  demselben  Individuum  meist  haarscharf  zusammenfielen. 
Das  eben  Gesagte  bezieht  sich,  wie  ich  gleich  bemerken  will, 
auf  wiederholte  Untersuchungen  an  einem  und  demselben  In¬ 
dividuum,  die  in  kurzen  Zwischenräumen  vorgenommen  worden 
waren. 

Anfangs  Avaren  Avir  darauf  bedacht,  stets  denselben 
Finger  zu  wählen,  überzeugten  uns  aber  bald,  dass  die  Werthe 
einander  auch  bei  Messungen  an  verschiedenen  Fingern  gleich 
bleiben  bei  einem  und  demselben  Individuum. 

Kornfeld,  welcher  mit  dem  v.  Bas  elf sehen  Apparate 
arbeitete,  hatte  gezeigt,  wie  psychische  Momente,  Zorn,  Lachen, 
Schreck  etc.  den  Blutdruck  beeinflussen. 

Prof.  Gärtner  hatte  seinerzeit  erwähnt,  dass  bei  ner¬ 
vösen  Individuen  schon  die  minimale  Aufregung,  Avelche  mit 
der  Untersuchung  überhaupt  verbunden  ist,  genügt,  um  den 
Blutdruck  zu  steigern,  so  dass  von  ZAvei  aufeinanderfolgenden 
Messungen  die  erste  noch  unter  dem  Eindrücke  der  neuen 
und  ungewohnten  Procedur  vorgenommen,  häufig  etwas  höhere 
Zahlen  ergibt,  als  die  zweite.  ')  Diese  Beobachtung  konnte  ich 
im  Allgemeinen  bestätigen,  fand  aber  bei  einer  bestimmten 
Classe  von  Geisteskranken  eine  recht  bemerkenswerthe  Aus¬ 
nahme  davon.  Auch  wir  nahmen  ursprünglich  bei  jedem 
Geisteskranken  zwei  Messungen  hintereinander  vor;  bei  den 
Paralytikern  aber  erwies  sich  diese  Vorsicht  bald  als  unnöthig. 
Bei  diesen  dementen  Kranken  entfällt  eben  jenes  von  Pro¬ 
fessor  Gärtner  erwähnte  psychische  Moment,  und  die  bei 
derselben  Untersuchung  gefundenen  beiden  Zahlen  waren  jedes 
Mal  genau  dieselben.  Ich  wiederhole,  dass  ich,  nur  mit  der  Be- 


’)  Der  Einfluss  psychischer  Momente  auf  den  Blutdruck  zeigte  sich 
in  höchst  instructiver  Weise  unter  Anderem  auch  in  folgendem  Falle  aus 
unserer  Ambulanz.  Ein  Mann  hatte  bei  einer  Rauferei  einen  Schlag  auf 
das  Hinterhaupt  erhalten,  wovon  ihm  eine  Knochendepression  und  eine 
ausserordentlich  druckempfindliche  Narbe  zurückgeblieben  war.  Patient  zuckte 
nicht  nur  bei  Druck  auf  die  Narbe  schmerzlich  zusammen,  sondern  verrieth 
schon  deutlich  Angst,  sobald  man  nur  Miene  machte,  die  Narbe  zu  berühren. 
Der  Blutdruck  von  150  mm  Hg,  welchen  dieser  Mann  für  gewöhnlich  auf¬ 
wies,  schnellte  nun  jedes  Mal  bei  der  Ankündigung,  man  werde  jetzt  die 
Narbe  drücken,  sofort  auf  180  mm  Hg  empor,  eine  Zahl,  welche  auch  bei 
thatsächlich  ausgeübtem  Drucke  nicht  weiter  überschritten  wurde.  Dies  liess 
sich  mit  der  Sicherheit  eines  Experimentes  einige  Male  constätiren.  In  der 
kürzlich  erschienenen  Arbeit  von  Kapsammer  wird  der  psychische  Factor 
bei  Blutdrucksteigerung  auch  betont. 


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obacktung  der  Fingerbeere  beschäftigt,  von  dem  jeweiligen 
Stande  des  Manometers  keine  Ahnung  haben  konnte. 

Nun  zu  meinen  Ergebnissen. 

Mein  Material  umfasst  etwa  900 — 950  Messungen,  ange¬ 
stellt  bei  240  Geisteskranken.  Als  normalen  Blutdruck  be¬ 
zeichne  ich  mit  Prof.  G  ä  r  t  n  e  r  Werthe  von  105 — 130mm  Hg. 
Als  Controlpersonen  dienten  mehrere  Collegen,  Wärter  und 
einige  Geisteskranke,  bei  welchen  wir  nach  den  herrschenden 
Anschauungen  und  aller  psychiatrischen  Erfahrung  gemäss 
irgendwelche  Stoffwechselerkrankungen  oder  Alterationen  der 
Vasomotoren  nicht  anzunehmen  haben,  z.  B.  Paranoiker. 

Die  untersuchten  Kranken  recrutirten  sich  aus  folgenden 
Formen: 

Paralyse,  Hebephrenie,  periodisches  Irresein  (periodische 
Manie  und  Folie  circulaire),  Melancholie  und  Epilepsie. 

Auf  Grund  meiner  Untersuchungen  an  Paralytikern 
darf  ich  Folgendes  aussagen:  Die  Patienten  weisen  in  der 
ersten  Zeit  ihrer  Erkrankung  im  Allgemeinen  Blutdrucke  auf, 
welche  noch  als  normal  zu  bezeichnen  sind,  jedoch  sich  an 
der  unteren  Grenze  bewegen.  100 — 11 0  mm  Hg  sind  die  durch¬ 
schnittlichen  Werthe.  Je  länger  das  Leiden  besteht,  desto  mehr 
zeigt  der  Blutdruck  die  Tendenz,  zu  fallen  (Werthe  von  80 
bis  100  mm  Hg),  bis  endlich  bei  den  Paralytikern  in  den  ter¬ 
minalen  Stadien,  bei  den  dauernd  bettlägerigen,  unreinen,  zu 
Decubitusbildung  neigenden  Kranken  sehr  niedrige  Werthe  die 
Regel  sind  (50 — 80  mm  Hg). 

Die  Frage  nach  der  Pathogenese  des  Druckbrandes  bei 
Geisteskranken  war  bekanntlich  Gegenstand  vielfacher  Dis¬ 
cussion.  Die  bei  den  terminalen  Paralytikern  gefundenen 
niedrigen  Werthe  für  den  Blutdruck  erfahren  nun  ein  inter¬ 
essantes  Gegenstück  durch  die  Untersuchung  an  einem  nicht 
paralytischen  Kranken  unserer  Klinik,  welcher  sich  schon  seit 
über  2  Jahren  unter  ganz  denselben  äusseren  Bedingun¬ 
gen  befindet,  welche  für  das  Entstehen  des  Decubitus  mit  ver¬ 
antwortlich  gemacht  werden.  Es  handelt  sich  um  einen  40jährigen 
Kranken,  der  seit  etwa  29  Monaten  das  exquisite  Bild  der  Kata¬ 
lepsie  in  ganz  ungewöhnlicher  Intensität  bietet.  Derselbe  liegt 
regungslos  dahin  in  Rückenlage,  ist  dauernd  unrein  mit  Ivoth, 
zeigt  einen  extremen  Grad  von  Abmagerung,  welch  letztere 
auch  die  Muskeln  ergriffen  hat;  gleichwohl  trat  bei  diesem 
Kranken  an  keiner  Stelle  des  Körpers  Decubitus  auf. 

Der  Blutdruck  hält  sich  (bei  wiederholten  Messungen) 
stets  auf  100 — 105  mm  Hg. 

Die  stetige  Herabsetzung  des  Blutdruckes  im  Verlaufe 
der  progressiven  Paralyse  erscheint  dann  einen  Stillstand  zu 
erfahren,  wenn  sich  eine  Remission  einstellt.  Es  erreicht  der 
Blutdruck  wieder  normale  Werthe,  ja  vielleicht  ein  wenig 
höhere  Werthe,  als  sie  bei  Paralytikern  überhaupt  die  Regel 
sind.  So  fand  ich  bei  Kranken,  welche  ich  vor  zwei  bis  drei 
Jahren  als  beginnende  Paralytiker  kennen  gelernt  hatte,  mit¬ 
unter  Zahlen  von  110— 130mm  Hg;  diese  Fälle  aber,  welche 
trotz  des  langen  Bestehens  ihres  Leidens  normalen  Blutdruck 
hatten,  befanden  sich,  wie  die  Krankheitsgeschichte  und  die 
Gewichtstabelle  lehrten,  in  einer  weitgehenden  Remission. 

Gelegentlich  ergaben  sich  nun  Ausnahmen  von  dem  oben 
zusammengefassten  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen,  Aus¬ 
nahmen,  welche  aber  in  jedem  einzelnen  Falle  ihre  genügende 
Erklärung  fanden.  So  beobachtete  ich  z.  B.  bei  einem  in  den 
Endstadien  dahinsiechenden  Paralytiker,  dessen  Erkrankung 
auf  etwa  3l/2  Jahre  zurückdatirt,  statt  der  erwarteten  niedrigen 
Zahl  einen  Blutdruck  von  150  mm  Hg.  Aus  dem  Kranken¬ 
journale  ging  hervor,  dass  dieser  Patient  zugleich  an  Morbus 
Brightii  chron.  litt.  Ungewöhnlich  hohe  Werthe  (145  bis 
170  mm  Hg)  fand  ich  bei  Paralysen  der  hypochondrischen, 
überhaupt  der  depressiven  Form,  eine  Thatsache,  welche  im 
Einklänge  damit  steht,  dass  bei  nicht  paralytischen,  melan¬ 
cholischen  Geisteskranken,  mag  es  sich  um  Zustandsbilder 
oder  um  Krankheitsformen  handeln,  der  Blutdruck  immer 
hohe  Ziffern  ergibt,  wie  ich  später  ausführen  werde. 

Einer  Mittheilung  werth  erscheint  mir  auch  folgende  Be¬ 
obachtung.  Es  ist  eine  jedem  Irren arzte  bekannte  Thatsache, 
dass  den  Zeitpunkt  des  Exitus  beiläufig  vorauszusagen  gerade 
bei  den  Paralytikern  ausserordentlich  schwer  ist.  Ein  die  längste 


Zeit  bettlägeriger  Kranker  verfällt  unter  unseren  Augen  zu¬ 
sehends.  Eines  Tages  liegt  er  bei  der  Visite  nahezu  pulslos 
dahin,  mit  halonirten  Augen,  Cornealreflexe  nicht  mehr  aus¬ 
lösbar.  Den  Angehörigen  stellen  wir  den  Eintritt  des  Todes 
im  Laufe  der  nächsten  Stunden  in  Aussicht,  und  ....  der 
Kranke  lebt  tage-,  wochenlang,  ja  erholt  sich  vielleicht 
wieder.  Jeder  Fachcollege  wird  sich  ähnlicher  Fälle  aus  seiner 
Erfahrung  erinnern. 

Ich  hatte  nun  einen  Kranken  drei  Stunden  ante  exitum 
gemessen  und  fand  einen  Blutdruck  von  15 — 20  mm  PIg.  In 
einem  anderen  Falle,  wo  ich  die  Untersuchung  etwa  zwei 
Stunden  vor  dem  Tode  vornahm,  konnte  der  Blutdruck  über¬ 
haupt  nicht  mehr  gemesen  werden,  nachdem  wir  schon  auf 
Null  herabgegangen  waren,  ohne  dass  die  Fingerbeere  sich 
wieder  geröthet  hätte.  In  einem  dritten  Falle  (senile  Demenz 
mit  hochgradiger  Arteriosklerose)  fand  ich  einmal  bei  einer 
Visite  einen  Blutdruck  von  35  mm  Hg  und  wagte  daraufhin 
den  Exitus  innerhalb  der  nächsten  24  Stunden  zu  prognosti- 
ciren.  Der  Tod  trat  17  Stunden  nach  der  Messung  ein.  Noch 
interessanter  war  folgender  Fall:  Seniles  Individuum  mit 
starker  Atheromatose.  Blutdruck  160  mm  Hg.  Bei  einer  Visite 
auf  einmal  Blutdruck  von  70  mm  Hg,  der  einige  Tage  darauf 
auf  45  mm  Hg  gesunken  war.  Jetzt  konnte  ich  wieder  den 
Tod  innerhalb  eines  Tages  Voraussagen.  Exitus  etwa  sechs 
Stunden  nach  der  letzten  Messung.  (Kapsammer  gibt  als 
unterste  Grenze  des  Blutdruckes,  bei  dessen  Dauer  das  Leben 
bestehen  kann,  60  mm  Hg  an  bei  Geistesgesunden.  Als  Minimum 
fand  ich  bei  einer  Paralytica  durch  längere  Zeit  hindurch 
50 — 55  mm  Hg.) 

Dagegen  nun  erschienen  in  einem  Falle  von  Paralyse 
mit  gangränösem  Decubitus 2),  äusserster  Kachexie  und  man¬ 
gelnder  Nahrungsaufnahme  die  Stunden  des  Kranken  nach 
seinem  Aussehen  und  seiner  Pulsbeschaffenheit  einmal  bei 
einer  Visite  bereits  gezählt.  Der  Blutdruck  zeigte  aber 
140  mm  Hg.  Nun,  die  gangränösen  Hautfetzen  stiessen 
sich  ab,  der  Kranke  erholte  sich  wieder  und  lebte  bis 
16.  Februar  1900.  (Diese  Messung  war  am  18.  November  1899 
vorgenommen  worden.)  Ebenso  konnte  ich  bei  einem  I  alle, 
der  das  Bild  der  sogenannten  galoppirenden  Paralyse  bot,  trotz 
des  rapiden  Kräfteverfalles,  trotz  der  wiederholt  constatirten 
subnormalen  Temperaturen  (!),  trotz  der  bald  auftretenden 
Oedeme  an  den  Knöcheln  Voraussagen,  dass  der  Exitus 
wenigstens  nicht  binnen  kurzer  Zeit  zu  gewärtigen  sei,  da  der 
Blutdruck  bei  wiederholten  Messungen  sich  stets  auf  105  bis 
110  mm  Hg  hielt.  Der  weitere  \  erlauf  hat  mir  Recht  gegeben. 
Der  Kranke  lebte  noch,  nachdem  er  schon  einmal  im  Rectum 
35’8°  gemessen  hatte,  etwa  zwei  Monate  lang.  Bei  einer  \  isite 
aber  wies  der  Blutdruck  40— 45  mm  Hg  auf  und  der  Kranke 
starb  am  Abend  desselben  Tages. 

Bevor  ich  die  Ergebnisse  der  Blutdruckbestimmungen 
bei  Paralytikern  verlasse,  muss  ich  noch  auf  Folgendes  auf¬ 
merksam  machen.  Das  Alter  der  Kranken  spielt  natürlich  auch 
eine  gewisse  Rolle.  Gärtner  theilte  mir  mit,  dass  Individuen 
jenseits  der  Fünfziger- Jahre  im  Allgemeinen  oft  recht  hohe 
Werthe  (140,  150)  zeigen,  ohne  dass  die  objective  Unter¬ 
suchung  irgend  eine  Organerkrankung  nachweisen  könnte. 

Die  gefundenen  niedrigen  Zahlen  von  100 — 110  be¬ 
ziehen  sich  eben  auf  das  Gros  der  Paralytiker;  nun  fällt  dei 
Beginn  dieses  Leidens  bekanntlich  meistens  in  die  Dreissiger- 
und  Vierziger-Jahre.  Von  den  Kranken,  welche  einen  Blutdruck 
von  120—140  hatten,  zählten  die  Meisten,  soferne  es  sich 
nicht  um  eine  Remission  handelte,  über  50  Jahre. 

2)  Bei  diesem  Kranken,  welcher  einige  Monate  vor  den  eben  erwähn¬ 
ten  bedrohlichen  Symptomen  bei  wiederholten  Messungen  einen  Blutdiiul-. 
von  110  aufgewiesen  hatte,  fand  die  ungewöhnliche  Steigerung  aut  140  ein 
interessantes  Corrolar  in  dem  Umstande,  dass  gleichzeitig  mit  dem  Auftreten 
des  Decubitus  der  Harn  eiweisshältig  wurde.  Gegenwärtig  hat  derselbe 
Kranke  wieder  dauernd  einen  Druck  von  100— 110  mm  Hg.  Der  Harn  ist. 
wieder  frei  von  abnormalen  Bestandtheilen.  Ebenso  fand  ich  in  einem  andci  cu 
Falle  von  Decubitus  bei  Paralyse  einen  Druck  von  155  und  gleichzeitig 
Albuminurie,  welche  bei  der  Aufnahme  des  Kranken  vor  1  ,  Jahren  siclu-r 
nicht  bestanden  hatte.  Während  also,  wie  wir  oben  sahen,  das  Ent¬ 
stehen  des  Druckbrandes  durch  einen  ganz  geringen  Blutdruck  bedingt  ist, 
so  kann  wieder  der  Druckbrand  allerlei  Complicationen  mit  sich  bringen, 
welche  den  Blutdruck  in  die  Höhe  zu  treiben  im  Stande  sind. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  12 


Die  ganz  hohen  Werthe  aber  (140 — 170)  fanden,  wie 
ich  schon  erwähnte,  stets  ihre  ausreichende  Erklärung,  sei  es 
durch  Angstaffecte,  sei  es  durch  irgend  eine  körperliche 
Affection  (Nierenleiden  oder  bedeutende  allgemeine  Atheromatose 
u.  s.  w). 

Es  ist  vielleicht  nicht  überflüssig,  wenn  ich  ferner  be¬ 
merke,  dass  man  nicht  so  selten  gerade  bei  den  marastischen 
Paralytikern  gelegentlich  der  Messung  (vielleicht  durch 
die  Procedur  des  Anämisirens)  einen  Angiospasmus  der 
kleinsten  Gefässe  trifft,  welcher  eine  Messung  unmöglich  macht 
oder  einen  ganz  abnorm  niedrigen  Blutdruck  Vortäuschen 
könnte.  Gärtner  hatte  schon  darauf  aufmerksam  gemacht. 
Ich  kam  in  solchen  Fällen  immer  zum  Ziele,  wenn  ich  die 
Hand  des  betreffenden  Kranken  für  einige  Minuten  in  warmes 
Wasser  tauchen  liess,  wodurch  sich  der  Gefässkrampf  löste; 
ein  anderes  von  Gärtner  angegebenes  Mittel  besteht  darin, 
dass  man  in  dem  betreffenden  Finger  für  einige  Minuten  eine 
Stase  erzeugt,  dadurch,  dass  man  auf  ihn  mit  dem  Apparate 
einen  Druck  von  etwa  30  mm  Hg  einwirken  lässt. 

Endlich  muss  ich  erwähnen,  dass  es  mir  in  zwei  Fällen 
von  Paralyse  überhaupt  nicht  gelingen  wollte,  den  Blutdruck 
zu  messen,  weil  die  Fingerbeere  nicht  zu  anämisiren  war.  Die  Hände 
des  Kranken  boten  schwere  vaso-paraly tische  Erscheinungen, 
waren  gedunsen,  kühl,  livide  verfärbt.  Hier  nahm  die  Finger¬ 
beere,  sobald  der  anämisirende  Ring  zurückgewälzt  wurde, 
nach  wenigen  Augenblicken  ihr  früheres  blauröthliches  Aus¬ 
sehen  an,  obgleich  das  Manometer  auf  einen  Druck  von 
260mm  Hg  dauernd  eingestellt  gehalten  wurde.  Gärtner 
erzählte  mir,  dass  er  diese  Erscheinung  bei  Geistesgesunden 
auch  einmal  gefunden  hatte. 

Bei  der  Hebephrenie,  welche  ihrem  traurigen  Aus¬ 
gange  nach  irreparable  Läsionen  des  Centralnervensystems 
voraussetzen  lässt,  welche,  nach  den  Anschauungen  der  Heidel¬ 
berger  Schule,  eventuell  in  einer  Erkrankung  des  Gesammt- 
organismus  begründet  wäre,  konnten  a  priori  auch  irgend¬ 
welche  Ergebnisse  der  Blutdruckmessung  erwartet  werden. 
Jedoch  kam  ich  bei  diesen  Kranken  zu  keinem  Resultate.  Der 
Blutdruck  war  in  jedem  einzelnen  Falle  verschieden,  ging  in 
seinen  maximalen  und  minimalen  Werthen  nirgends  über  die 
normale  Grenze  hinaus,  sei  es,  dass  ich  frische  oder  abge¬ 
laufene,  einfach  demente  Fälle  untersuchte.  Nur  bei  zwei 
Kranken  dieser  Art,  deren  Psychose  sich  aber  durch  gewisse 
klinische  Besonderheiten  auszeichnete,  konnte  ich  bei  wieder¬ 
holt  angestellten  Messungen  ein  bestimmtes  Ergebniss  con- 
statiren.  Ich  will  darüber  berichten,  wenn  ich  von  den  perio¬ 
dischen  Psychosen  sprechen  werde. 

Bei  der  Melancholie  beobachtete  ich  immer  hohe 
Werthe.  Es  verhielten  sich  hier  die  einfach  depressiven  Formen 
anders  als  die  mit  Angstzuständen  einhergehenden. 

Bei  Ersteren  kamen  hohe  Zahlen  vor,  welche  den  höchsten 
noch  als  normal  zu  bezeichnenden  Zahlen  entsprachen  (130) 
oder  um  wenig  darüber  hinausgingen  (140),  dasselbe  gilt  von 
der  Angstmelancholie,  wrenn  die  Kranken  entweder  durch 
eine  entsprechende  Medication  (Opium)  beruhigt  sind,  oder 
sich,  bei  paroxysmal  auftretenden  Angstzuständen,  in  der 
anfallsfreien  Zeit  befinden.  Sowie  aber  der  Angstparoxysmus 
sich  einstellt  oder  versuchsweise  mit  der  eben  ausreichenden 
Opiumdosis  herabgegangen  wird,  schnellt  der  Blutdruck  rasch 
empor.  Ich  habe  hiebei  die  höchsten  Zahlen  gefunden,  welche 
ich  überhaupt  bei  durch  keine  somatische  Affection  com- 
plicirten  Psychosen  beobachtete  (170 — 200  Hg). 

Bei  dem  circulären  Irresein  gehen  die  Veränderungen 
im  Blutdrucke  ganz  parallel  mit  dem  Wechsel  im  psychischen 
Bilde:  während  der  melancholischen  Phase  hohe  Zahlen 
(bis  170),  während  der  manischen  niedrige  (bis  60).  Ich  hatte 
Gelegenheit,  dieses  Verhalten  mehrmals  nacheinander  bei  solchen 
Kranken  zu  prüfen,  deren  Zustandsbilder  rasch  (innerhalb 
\\  ochen  —  Monate)  wechseln,  und  fand  Differenzen  von 
40 — 50  Hg  bei  einem  und  demselben  Individuum,  zu  derselben 
Tageszeit  und  unter  denselben  äusseren  Bedingungen  gemessen. 
Besonders  instructiv  waren  hier  jene  Fälle  des  manisch- 
depressiven  Irreseins,  welche  brüske  Uebergäuge  zeigen,  wobei 


die  Kranke,  zum  Beispiel,  sich  als  Maniaca  niederlegt  und 
in  einer  schweren  Melancholie  am  nächsten  Tage  erwacht. 

Eine  unserer  Kranken,  welche  während  ihrer  Manie 
einen  Blutdruck  von  105 — 110,  während  ihrer  Melancholie 
einen  von  145 — 155  Hg  hatte,  zeigte  eines  Tages,  als  ich  sie 
in  der  expansiven  Phase  untersuchte,  zu  meinen  Erstaunen 
einen  Blutdruck  von  135  Hg.  Zwei  Tage  später  lag  die  Kranke 
bei  der  Frühvisite  schon  in  der  tiefsten  Depression  dahin.  Hatte 
so  in  diesem  einen  Falle  der  hohe  Blutdruck  bei  noch  be¬ 
stehender  Manie  seine  Erklärung  in  der  unmittelbar  darauf¬ 
folgenden  Melancholie  gefunden,  dieselbe  gewissermassen  schon 
angekündigt,  so  kann  ich  nicht  verschweigen,  dass  ich  unter 
meinen  Kranken  mit  cyklischem  Irresein  auch  Fällen 
begegnet  bin,  welche  mit  der  oben  angegebenen  Regel  nicht 
stimmten. 

So  fand  ich  zum  Beispiel  bei  einem  classischen  Falle 
von  Folie  circulaire  während  der  Manie  (und  nur  während 
einer  solchen  konnte  ich  den  Kranken  beobachten)  einen 
Blutdruck  von  125  Hg.  Andererseits  wieder  constatirte  ich 
während  der  depressiven  Phase  bei  einer  älteren  Kranken 
einen  Blutdruck  von  90 — 100  Hg.  Auch  in  diesem  Falle  war, 
während  ich  meine  Untersuchungen  begann,  nur  mehr  das  eine 
Zustandsbild  vorhanden. 

Bei  diesen  zwei  Kranken  lagen,  wie  erwähnt,  Messungen 
nur  während  einer  Phase  vor;  es  wäre  immerhin  möglich, 
dass  die  oben  angegebene  Differenz  zwischen  dem  Blutdruck 
bei  der  exaltirten  und  bei  der  depressiven  Periode  sich  auch 
in  diesen  Fällen  heraussteilen  würde,  wenn  wir  die  Kranken 
nach  geraumer  Zeit  in  einem  anderen  Phasen  bilde  wieder 
untersuchen  würden. 

Kornfeld  beobachtete  eine  Blutdrucksteigerung  auch 
durch  den  Zornaffect.  Für  meinen  hier  erwähnten  manischen 
Kranken  könnte  ich  dies  auch  zu  dem  Versuche  einer  Er¬ 
klärung  heranziehen,  da  gerade  dieser  Patient  während  seiner 
manischen  Phase  weniger  heitere,  als  andauernd  reizbare, 
zornmüthige  Verstimmung  zeigte.  Einstweilen  aber  muss  ich 
diese  Facten  einfach  verzeichnen,  ohne  sie  erklären  zu 
können. 

Die  oben  erwähnte  Beobachtung  von  Kornfeld  kann 
ich  übrigens  nur  vollauf  bestätigen.  Gerade  die  Labilität  der 
Stimmung  bei  den  Maniacis  bewirkt  es,  dass  man  bei  wieder¬ 
holten  Messungen  gelegentlich  höhere  Werthe  bekommt  als 
an  anderen  Tagen.  Während  in  der  Melancholie  und  der  depres¬ 
siven  Phase  des  cyklischen  Irreseins  der  Blutdruck  constant 
dieselben  hohen  Werthe  gibt,  sind  bei  der  Manie  Schwan¬ 
kungen  zu  constatiren,  und  die  in  der  Regel  niedrigen 
Werthe  erfahren  bei  einem  und  demselben  Kranken  oft 
vorübergehend  eine  Steigerung  (bis  zu  130). 

Bei  meinen  übrigen  Kranken  aber  mit  circulärem  Irresein, 
bei  welchen  die  einzelnen  Phasen  in  lang  dauernden  Cyklen 
verlaufen,  so  dass  derzeit  meine  Untersuchungen  auch  nur 
auf  einen  Zustand  sich  beziehen,  fand  ich  die  oben  angegebene 
Gesetzmässigkeit,  welche  mir  bei  den  rasch  wechselnden  Zu¬ 
standsbildern  entgegentrat,  bestätigt,  d.  h.  hohe  Zahlen  in  der 
Depression,  niedere  bei  der  Exaltation.  Interessant  ist  hier  zum 
Beispiel  ein  Mädchen,  das  im  Juni  v.  J.  nach  einer  Manie 
in  eine  schwere  Melancholie  mit  Stupor  verfiel;  derzeit  be¬ 
findet  sich  Patientin  in  einem  Zustande,  der  eigentlich  keine 
Stimmungsanomalie  verräth.  Monate  vorher  schon  machte  sich 
aber  das  Abklingen  der  Melancholie  trotz  äusserer  Hemmung 
klinisch  bemerkbar  in  einem  gelegentlichen  leisen  Lächeln, 
in  einer  der  Melancholie  absolut  fremden  Reizbarkeit,  in  einer  ge¬ 
wissen  Spontaneität  etc.  Der  Blutdruck,  welcher  im  Juni 
170  mvi  Hg  betragen  batte  (18jähriges,  körperlich  gesundes 
Individuum)  war  im  Verlaufe  der  folgenden  Monate  stufen¬ 
weise  auf  120 mm  Hg  gesunken;  in  einem  anderem  Falle  von 
langdauernder  Melancholie  mit  dem  Schwinden  derselben  von 
145  auf  HO.  Die  letztere  Kranke  zeigt  aber  schon  unver¬ 
kennbar  manische  Züge. 

Es  will  mir  scheinen,  dass  der  hohe  Blutdruck  bei  den 
depressiven  Zuständen  der  traurig-ängstlichen  Verstimmung 
als  solcher  zukommt,  mag  es  sich  um  eine  selbstständige 
Geisteskrankheit  oder  um  eine  vorübergehende  Phase  handeln, 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nicht  aber  einer  bei  der  Melancholie,  namentlich  der  circularen 
Depression,  nicht  selten  vorkommenden  und  recht  augen¬ 
fälligen  Erscheinung,  nämlich  dem  Stupor. 

Ich  möchte  in  diesem  Verhalten  sogar  ein  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  differentialdiagnostisch  verwerthbares  Hilfs¬ 
mittel  erblicken  bei  der  Entscheidung  zwischen  circulärem 
und  katatonem  Stupor. 

Wir  haben  zum  Beispiel  auf  der  Klinik  drei  Kranke, 
welche  das  schönste  Bild  des  Stupors  bieten  (einen  dieser 
Kranken  hatte  ich  schon  an  früherer  Stelle  erwähnt);  diese 
Kranken  nun,  bei  welchen  von  circulärem  Irresein  absolut 
nicht  die  Rede  ist  —  es  handelt  sich  in  diesen  Fällen  um 
Katatoniker  —  haben  normalen  (und  sogar  einer  einen  recht 
niedrigen)  Blutdruck,  der  eine  Kianke,  wie  erwähnt,  110, 
der  andere  Fall  (weibliche  Person)  lzO,  der  dritte  80 — 75. 

Fälle  rein  periodischer  Manie  hat  unsere  Klinik 
zwar  mehrere,  ich  muss  aber  gestehen,  dass  ich  nur  einen 
davon  in  einwandfreier  Weise  messen  konnte.  Ich  fand  einen 
Blutdruck  von  65  —  75  mm  Hg  auf  der  Höhe  der  Manie.  Ge¬ 
rade  dieser  Fall  betraf  einen  50jährigen  Menschen,  der  ohne 
hereditäre  Belastung  nach  einer  Apoplexie  (!)  in  spätem 
Lebensalter  an  periodischer  Manie  erkrankte.  Die  anderen 
Kranken  aber  machten  durch  ihre  heftige  psychomotorische 
Unruhe,  durch  ihr  Lachen,  Schreien,  Aufspringen,  jähen  Um¬ 
schwung  von  Heiterkeit  und  Zorn  u.  d gl .  jegliche  Messung, 
welche  halbwegs  Anspruch  auf  Exactheit  erheben  will,  illu¬ 
sorisch.  Hingegen  gelang  es  mir,  zwei  hebephrene  Kranke  mit 
ganz  regelmässigen  periodischen  Erregungszuständen  wieder¬ 
holt,  während  der  Ruhe,  wie  während  der  exaltirten  Phase  zu 
messen.  Das  Bild  während  der  letzteren  entsprach  beiläufig 
einer  Mania  gravis,  wenngleich  es  sich  durch  gewisse  klinische 
Charaktere,  Stereotypie,  Clownismus,  eigenthümlich  manierirtes 
theatralisches  Gebahren  u.  s.  w.,  schon  an  sich  als  katatone 
Erregung  kennzeichnete.  Besonders  aber  während  der^ruhigen 
Phase  konnte  bei  der  zunehmenden  Verblödung  der  Kranken, 
bei  der  eigenthümlich  steifen  Körperhaltung  u.  s.  w.  über  das 
ominöse  Grundleiden  kein  Zweifel  mehr  obwalten.  Auch  diese 
beiden  Kranken  nun  wiesen  constant  (bei  vielen  Unter¬ 
suchungen)  während  der  Erregungszustände  einen  um  20  bis 
30  mm  Hg  niedrigeren  Druck  auf,  als  während  der  Ruhe. 

Damit  habe  ich  mitgetheilt,  was  sich  einstweilen  bei 
Blutdruckmessungen  an  Geisteskranken  ergeben  hat.  Ich  er¬ 
streckte  meine  Untersuchungen  ausserdem  noch  auf  folgende 
Fragen. 

Fe  re  hat  bekanntlich  angegeben,  dass  während  des 
epileptischen  convulsiven  Anfalles  der  Blutdruck  bedeutend 
steige,  nachher  aber  unter  den  dem  einzelnen  Epileptiker  m 
der  interparoxysmellen  Zeit  eigenen  und  habituellen  Werth 
herabsinke.  Diese  Herabsetzung  des  Blutdruckes  solle  sich 
noch  fünf  bis  sechs  Stunden  nach  einem  Anfalle  constatiien 
lassen.  Bei  der  eminent  praktischen  Wichtigkeit  dieses  Themas 
—  ich  erinnere  nur  zum  Beispiel  daran,  wie  wichtig  gerade 
dem  Militärärzte  der  objective  Nachweis  eines  convulsiven 
Anfalles  wäre  —  machte  ich  auch  diese  Frage  zum  Gegen¬ 
stände  meiner  Untersuchungen.  Wie  es  die  Natur  der  Sache 
mit  sich  bringt,  war  ich  trotz  der  grossen  Zahl  von  Epileptikern 
in  unserem  klinischen  Materiale  nicht  im  Stande,  umfassende 
Untersuchungen  während  der  convulsiven  Attaque  vorzu¬ 
nehmen. 

Bis  das  Wartepersonal  den  Kranken  genügend  fixirt  hat, 
bis  es  gelungen  ist,  während  der  heftigen  tonisch-klonischen 
Krämpfe  den  Apparat  zu  appliciren,  bis  für  ausreichende  Be¬ 
leuchtung  gesorgt  ist  u.  s.  w.,  ist  meist  der  Anfall  schon  vor¬ 
über.  In  der  That  gelang  es  mir  nur  zweimal,  in  vor  mir 
selbst  völlig  einwandfreier  Weise  Kranke  auf  der  Höhe  des 
Anfalles  zu  messen.  Ich  fand  bei  einem  Patienten  220  (!) 
(Uebergang  der  tonischen  Krämpfe  zu  den  Klonismen),  bei 
einer  Frau  150  (nur  während  der  Klonismen  gemessen); 
während  des  postparoxysmalen  Sopors  sank  der  Blutdruck 
bei  Ersterem  auf  80,  bei  Letzterer  auf  <0.  Eine  Viertelstunde 
später  hatte  der  Mann  135,  die  Frau  (nach  etwa  fünf  Minuten) 
125.  Ich  verfüge  aber  ausserdem  über  eine  grosse  Anzahl  von 
Blutdruckbestimmungen  unmittelbar  nach  dem  Anfalle,  während 


der  soporösen  Phase.  Ich  beobachtete  nun  folgendes.  Mn  d  i 
Erschlaffung  der  Glieder,  mit  dem  ersten  tief  schnarchenden 
Athemzuge,  der  die  Relaxation  einleitet,  sinkt  dei  Blutdiu  > 
bedeutend,  steigt  aber  schon  nach  wenigen  Secundtn 
wieder  an  und  erreicht  nach  etwa  ein  bis  zwei  Minuten  die 
Höhe,  welche  der  Kranke  in  seiner  anfallsfreien  Zeit  zeigt. 
Meine  Ergebnisse  decken  sich  also  vollständig  mit  denen  von 
Kornfe  1  d.  Messungen,  y4— i 5 Stunden,  nach  einem  convulsiven 
Aufalle  vorgenommen,  ergeben  durchaus  dieselben  Wmthe, 
wie  sie  der  betreffende  Patient  aufweist,  wenn  mehret e  läge 
bis  Wochen  kein  Anfall  vorausgegangen  war. 

Ich  kann  nach  meinen  Erfahrungen  demnach  dieFere- 

sche  Behauptung  nicht  bestätigen. 

Prof.  Gärtner  theilt  mir  übrigens  mit,  dass  auch  beim 
Thierexperimente,  nach  künstlich  erzeugtem  epileptischen  An¬ 
falle  der  anfangs  bedeutend  gesteigerte  Blutdruck  mit  dem 
Aufhören  des  Krampfes  nach  einer  jähen  Depression  sehr 
rasch  wieder  seine  normale  Höhe  erreicht. 

Als  ganz  interessante  Thatsache  will  ich  noch  nachtragen, 
dass  die  kurzdauernde  postparoxysmale  Depression  im  Blut¬ 
drucke  niemals  niedrigere  Werthe  erreicht,  als  dieselben  Indi¬ 
viduen  im  physiologischen  Schlafe  haben. 

Ich  habe  endlich  die  von  Kornfeld,  dann  von 
v  Wagner  und  Gärtner  seinerzeit  angestellten  Unter¬ 
suchungen  über  das  Verhalten  des  Blutdruckes  während 
des  Schlafes  weiter  verfolgt  und  konnte  auf  Grund  von 
o-rösseren  Zahlen  die  von  diesen  Autoren  gefundenen  Resultate 
vollauf  bestätigen.  Zur  Zeit  der  grössten  Schlaftiefe,  also  etwa 
zwei  Stunden  nach  dem  Einschlafen,  ist  der  Blutdruck  immer 
herabgesetzt,  und  zwar  gegenüber  dem  wachen  Zustande  bei 
einem  und  demselben  Individuum  um  20  35  mm  Hg.  (K  o  r  n- 

feld  fand  noch  grössere  Differenzen.) 

Es  erübrigt  mir  endlich,  auf  die  einschlägigen  Unter¬ 
suchungen  anderer  Autoren  einzugehen.  Cramer,  welcher 
mit  dem  v.  Base  h’schen  Sphygmomanometer  arbeitete,  stellte 
seine  Beobachtungen  an  Angstmelancholien  an.  Er  constatirte 
während  der  Angstanfälle  durchschnittliche  Werthe  von 
152  mm  Hg.  Ueber  den  Blutdruck  in  der  intervallären  Zeit 
spricht  Cramer  nicht  ausdrücklich;  aus  den  mitgetheilten 
Tabellen  würde  hervorgehen,  dass  dabei  sogar  verhältnissmässig 
niedrige  Werthe  zur  Beobachtung  kamen  (110— 120  mm  Hg). 

Auf  verschiedene  Formen  von  Geisteskrankheiten  ei 
streckte  sich  die  Arbeit  von  Craig.  Dieser  Autor  bediente 
sich  des  Sphygmomanometers  von  Barnard  und  Hill. 

Die  Ergebnisse  Craig’s  stimmen  im  Grossen  und 
Ganzen  mit  den  meinen  überein.  Bei  Melancholie  hohe,  bei 
Manie  niedrige  Werthe.  Nur  bewegen  sich  die  Maximal-  und 
Minimalzahlen  bei  den  Kranken  Craig’s  innerhalb  geringerer 
Differenzen  (140—160  bei  der  Depression,  lOo— 110  bei 

exaltirten  Formen).  .  . 

Obwohl  Craig  angibt,  unter  seinen  Kranken  keinen 

Fall  von  cyklischem  Irresein  untersucht  zu  haben,  findet  sich 
doch  in  seinen  Tabellen  ein  hierhergehöriger  Fall  mit  folgenden 
Blutdrucken : 

Melancholie  150,  Manie  lOo,  lucides  Intel vall  125.  Le 
züHich  der  Angstmelancholie  kommt  Craig  zu  einem  Re¬ 
sultate,  das  mir  nicht  recht  verständlich  ist;  er  sagt,  da&s  der 
Blutdruck  im  Allgemeinen  herabgesetzt  sei,  wenn  die  Agitation 
ihren  äussersten  Grad  erreiche.  Ebensowenig  konnte  ich  ein 
anderes  Ergebniss  dieses  Autors  bestätigen,  wonach  bei  einem 
Erschöpfungsstupor  nach  Manie  der  Blutdruck  in  der  vege 
niedrig  sei,  bei  Stupor  im  Allgemeinen  erhöht.  Ein  Stupor 
nach  Melancholie  ist  wohl  ein  circulärer  Stupor ;  dabei  land 
ich  den  Blutdruck  gesteigert,  während  Stupor  im  Allgemeinen, 
zum  Beispiel  bei  der  Katatonie,  ohne  Einfluss  aut  den  Blut 

druck  zu  sein  scheint.  n 

Bezüglich  der  progressiven  Paralyse  kam  Lraig  zu 
keinen  bestimmten  Ergebnissen;  bei  den  Termmalstadien  fand 
auch  er  den  Blutdruck  herabgesetzt  (auf  100  mm  Ilg);  mi 
Uebrigen  schwankten  die  Werthe  zwischen  160— 100  mm  l  g. 
Craig  selbst  bemerkt,  dass  er  zu  wenig  passendes  Material 
hatte,  nur  ein  paar  vorgeschrittene  Fälle. 


280 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  12 


Mit  meinen  Mittheilungen  wollte  ich  nur  Tkatsachen 
bringen,  Beiträge  zir  klinischen  Psychiatrie  geliefert  haben. 

Theoretische  Erwägungen  oder  therapeutische  Versuche 
daran  zu  schliessen,  erscheint  mir  verfrüht. 

Literatur. 

Gärtner,  Ueber  einen  neuen  Blutdruckmesser  (Tonometer).  Wiener 
klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  25. 

Cramer,  Ueber  Verhalten  des  Blutdruckes  während  der  Angst  der 
Melancholischen.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1892,  Nr.  6 
und  7. 

Craig,  Blood-pressure  in  the  insane.  The  Lancet.  1898,  Bd.  I, 
pag.  1792. 

Fere,  Comptes  rendus  de  la  societe  de  biologie.  1889,  26  mars. 
Bulletins  de  la  societe  biolog.  1888,  pag.  506. 

Kapsammer,  Blutdruckmessungen  mit  dem  G  ä  r  t  n  e  r’schen 
Tonometer.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  51. 

v.  Wagner,  Discussion  zu  dem  Vortrage  Prof.  Gartner’s  im 
Wiener  psychiatrischen  Vereine.  Juni  1899.  Wiener  klinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  26. 

Kornfeld,  Ueber  das  Trional  als  Schlafmittel  etc.  Wiener  medi- 
ciuische  Blätter.  1898,  Nr.  1,  2,  3. 

Derselbe,  Ueber  die  Beziehungen  von  Blutkreislauf  und  Atlimung  zur 
geistigen  Arbeit.  Brünn  1899.  Festschrift  der  k.  k.  technischen  Hochschule 
in  Brünn  zur  Feier  ihres  50jährigen  Bestehens  etc. 

Derselbe,  Ueber  den  Einfluss  physischer  und  geistiger  Arbeit  auf 
den  Blutdruck.  Wiener  medicinische  Blätter.  1899,  Nr.  30  bis  32. 


REFERATE. 

I.  Ueber  Besserhören  im  Lärm  und  die  Bedeutung  dieses 
Phänomens  für  die  Pathologie  und  Therapie  der  chro¬ 
nischen  progressiven  Schwerhörigkeit  im  Lichte  der 

Neuronlehre. 

Von  Dr.  Max  Breitling,  Medicinalrath  in  Coburg. 

II.  Gibt  es  ein  Hören  ohne  Labyrinth? 

Von  Dr.  Max  Kamm  in  Breslau. 

III.  Die  tuberculösen  Erkrankungen  des  Gehörorganes. 

Von  Dr.  Otto  Barnick,  Ohrenarzt  am  Anna-Kinderhospital  und  am  Landes- 
Taubstummen-Institut  zu  Graz. 

IV.  Der  Scharlach  und  das  Scharlachdiphtheroid  in  ihren 

Beziehungen  zum  Gehörorgan. 

Von  Dr.  E.  Weil  in  Stuttgart. 

Klinische  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Otologie  und  Pkaryngo-Rhinologie. 
Herausgegeben  von  Docenten  Dr.  Haug  (München). 

Bd.  Ill,  Heft  2,  3,  4  und  5. 

Jena  1899,  Gustav  Fischer. 

I.  Das  anscheinend  so  paradoxe,  im  Verlaufe  der  chronischen 
progressiven  Schwerhörigkeit  auftretende  Phänomen  des  Besser¬ 
hörens  im  Lärm  hat  bis  heute  keine  Erklärung  gefunden,  welche 
allgemein  als  genügend  angenommen  worden  wäre.  Die  meisten 
Autoren  pflichten  der  Ansicht  Tröltsch’s  bei,  nach  welcher  bei 
der  Paracusis  Willisii  durch  die  Erschütterungen  Veränderungen  in 
der  Schwingungsfähigkeit  des  Trommelfelles  und  der  Gehörknöchel¬ 
chen  veranlasst  werden.  Medicinalrath  Dr.  Max  Breitung  ver¬ 
sucht  nun  in  einem  Vortrage,  den  er  auf  der  70.  Versammlung 
deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Düsseldorf  hielt,  die  Erschei¬ 
nung  der  Paracusis  im  Lichte  der  Neuronlehre  zu  erklären.  In 
seinen  Auseinandersetzungen  stützt  sich  hiebei  der  Autor  besonders 
auf  zwei  Präparate  des  Dr.  K  a  t  z,  aus  denen  hervorging,  dass  ein 
einfacher  Contact  zwischen  Endbäumchen  des  Nervus  vestibuli  und 
den  Hörzellen  bestehe.  Die  Begriffe  der  Function  und  der  anato¬ 
misch-histologischen  Constitution  seien  durchaus  incongruent.  Die 
Parakustiker  spüren  die  Schwebungen  früher  als  die  Normalhören¬ 
den,  während  die  einfache  Reizempfindlichkeit  abgenommen  hat. 
Urbantschitsch  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  es  bei 
Millelohrerkrankungen  vorkomme,  dass  das  Klappern  des  Wagn er¬ 
sehen  Hammers  hörverbessernd  wirke,  ohne  selbst  wahrgenommen 
zu  werden.  Breitung  beobachtete,  dass  auch  die  Erschütterungen 
beim  Radfahren  bei  Schwerhörigen  hörverbessernd  wirken.  Die  Frage, 
ob  die  Hörverbesserung  bei  Parakustikern  an  die  Dauer  der  Er¬ 
schütterungsreize  gebunden  ist,  mit  dem  Ende  derselben  erlischt, 
oder  ob  sie  die  Dauer  der  Einwirkung  überdauert,  wird  dahin  be¬ 
antwortet,  dass  die  Wirkung  der  heftigen  Reize  durchaus  nicht 


immer  an  die  Dauer  derselben  gebunden  ist,  sondern  oft  dieselbe 
um  eine  erhebliche  Zeit  überdauert,  wovon  Urban  tschitsch 
in  seinem  Lehrbuche  mehrere  Beispiele  anführt.  Den  Endeffect  der 
hochfrequenten  Erschütterung  verlegt  Autor  mehr  in  den  Nerven- 
endapparat,  als  in  die  Mechanik  des  Mittelohrapparates  und  kommt 
zum  Schlüsse  seiner  Theorie,  für  welche  allerdings  eine  materiell¬ 
experimentelle  Basis  fehlt,  dass,  wie  eine  ultimale  Erschütterung 
der  Neuronketten  eine  Erschütterung  mit  Amnesie,  mit  Perturbatio 
mentis  herbei  führen  könne,  eine  geringere  anregende  Wirkung  in 
den  Neuronkelten  durch  einen  mehr  corrigirenden  als  schädigenden 
Impuls  einlreten  kann. 

* 

II.  Dieser  Vortrag,  der  allerdings  keinerlei  eigene  Beobachtung 
enthält,  gibt  eine  Zusammenstellung  aller  jener  Arbeiten,  die  sicli 
mit  dieser  Frage  beschäftigen.  Das  Resume  desselben  ist: 

1.  Nach  experimenteller  Zerstörung  der  beiderseitigen  Schnecken 
bei  Tauben  bleibt  noch  ein  Rest  von  Hörvermögen. 

2.  Nach  experimenteller  Exstirpation  des  gesammten  Laby¬ 
rinthes  ist  ein  bewusstes  Hören  nicht  mehr  vorhanden. 

3.  Die  Hörreactionen  der  Thiere  in  E  w  a  1  d’s  Experimenten 
beruhen  auf  Reizung  sensibler  Nerven  anderer  peripherer  Organe. 

4.  Es  ist  physiologisch  denkbar,  dass  auch  beim  Menschen 
nach  Verlust  der  Schnecke  allein,  noch  ein  Rest  von  Hörvermögen 
bestehen  bleibt. 

5.  Die  klinischen  Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  nach 
Labyrinthnekrose  völlige  Taubheit  entsteht. 

6.  Die  dem  anscheinend  widersprechenden  Fälle  beruhen 
theils  auf  zurückgebliebenen  functionsfähigen  Theilen  des  Labyrinths, 
theils  auf  Beobachtungsfehlern. 

Zum  Schlüsse  wird  eine  Tabelle  der  Fälle  von  Labyrinth¬ 
nekrose,  bei  denen  anscheinend  Hörvermögen  noch  bestand,  angefügt. 

* 

III.  Nach  einem  kurzen  geschichtlichen  Rückblick  über  den 
Zusammenhang  gewisser  eiteriger  Processe  im  Ohre  mit  der  soge¬ 
nannten  »Phthise«,  einer  der  verderblichsten  Krankheiten  des 
Menschengeschlechtes,  kommt  Verfasser  zur  Eintheilung  der  tuber¬ 
culösen  Erkrankungen  des  Gehörorganes,  die  er  dem  Sitze  nach  in 
solche  des  äusseren,  mittleren  und  inneren  Ohres  gruppirt.  Dem 
klinischen  Verlaufe  nach  unterscheidet  er  eine  acute  und  chro¬ 
nische  Form.  Was  die  Art  der  Entstehung  anbelange,  so  handle 
es  sich  in  den  meisten  Fällen  um  eine  secundäre  Infection  des 
Organs  im  Anschluss  an  eine  primäre  Tuberculose  der  Lymph- 
drüsen  des  Halses,  des  Darmcanals,  beziehungsweise  der  Lungen 
und  des  Nasen-Raohenraumes.  Die  tuberculösen  Erkrankungen  des 
äusseren  Ohres  treten  hauptsächlich  in  vier  verschiedenen  Formen 
auf,  unter  dem  Bilde  des  Lupus  vulgaris,  der  circumscripten  Knoten- 
tuberculose  des  Unterohres,  der  tuberculösen  Perichondritis  und 
des  einfach  tuberculösen  Hautgeschwüres. 

Ein  Eindringen  des  Tuberkelbacillus  in  die  Mittelohrräume 
erfolgt  auf  dreierlei  Art :  Erstens  durch  das  Ilineinschleudern  der 
infectiösen  Massen  durch  die  Ohrtrompete,  zweitens  auf  dem 
Wege  des  Lymph-,  beziehungsweise  Blutstromes  und  drittens  durch 
ein  Weiterschreiten  tuberculöser  Processe  der  Nase,  des  Nasen- 
Rachenraumes  oder  des  äusseren  Ohres  auf  die  Trommelhöhle. 
Endlich  die  Tuberculose  des  Labyrinths  kommt  stets  dadurch  zu 
Stande,  dass  die  Erkrankung  vom  Mittelohr  auf  das  innere  Ohr 
übergreife.  Zum  Schlüsse  wird  noch  eine  kurze  Schilderung  der 
durch  die  tuberculösen  Entzündungen  des  Gehörorganes  hervor¬ 
gerufenen  Erkrankungen  des  Gehirns,  seiner  Häute  und  Blutleiter 
beigefügt. 

* 

IV.  Bereits  Wilde  klagt,  dass  beim  Scharlachfieber  die 
Aerzte  nicht  genügend  auf  den  Zustand  der  Ohren  Acht  geben, 
eine  Unterlassung,  die  oft  zu  permanenter  Taubheit  und  bei  jungen 
Patienten  zu  Taubstummheit  führte.  Eine  Klage,  die  leider  noch 
heute  ihre  volle  Berechtigung  hat  (Referent).  Auch  Burck- 
hardt-Merian  verlangt  mit  energischen  Worten,  dass  schon 
das  ärztliche  Mitgefühl  den  Collegen  den  Ohrenspiegel  in  die 
Hand  drücken  und  sie  zwingen  sollte,  mit  gebieterischem  Ernste 
Alles  anzuwenden,  was  die  praktische  Erfahrung  gegen  dieses 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


281 


Leiden  zur  Verfügung  stelle.  Nur  die  Kinderärzte  nähern  sich  den 
Ansichten  der  Ohrenärzte  und  halten  die  Otitis  media  purulenta 
für  eine  eminent  wichtige  Complication  des  Ohres,  wie  be¬ 
sonders  Bagin sky.  Die  Frage,  in  welchem  Procentsatz  das  Ohr 
bei  Scharlach  überhaupt  erkrankt,  wird  mit  10%  beantwortet,  ein 
Procentsatz,  der  sicher  viel  zu  niedrig  ist.  Wiewohl  der  Scharlach 
alle  Theile  des  Ohres  ergreifen  kann,  sind  doch  die  häufigsten 
Begleiterscheinungen  des  Scharlachs  unstreitbar  die  Mittelohr¬ 
erkrankungen. 

Leichte  Mittelohrerkrankungen  kommen  nach  des  Autors  An¬ 
sicht  beinahe  hei  allen  etwas  schwereren  Scharlacherkrankungen 
vor.  Betreffs  der  Symptome  der  Scharlachmittelohrerkrankungen 
wäre  besonders  das  eine  Moment  hervorzuheben,  dass  starke  Ent¬ 
zündungen  im  Ohre  vorhanden  sein  können,  ohne  dass  sie  be¬ 
sonders  auffallen.  Diese  Erfahrung  ist  deshalb  so  schwerwiegend, 
weil  bekannter  Weise  viele  praktische  Aerzte  auf  die  Ohren  nur 
dann  achten,  wenn  diese  eitern.  Schliesslich  citiit  Vei  fassei  di( 
Ansicht  B 1  a  u’s,  dass  die  bekannten  schweren  Schädigungen  des 
Gehörorganes  nach  Scharlach  nur  in  der  Minderheit  der  fälle  nui 
der  ursprünglichen  Malignität  der  pathologischen  1  locesso  beruhen, 
in  der  Mehrheit  der  Fälle  dagegen  hätten  sie  einzig  und  allein 
ihren  Grund  in  der  Vernachlässigung  des  Ohrenleidens. 

Die  Lecture  dieser  allerdings  zum  grossen  Theil  statistischen 
Arbeit  ist  ob  ihres  wichtigen  Inhaltes  den  praktischen  Aerzten  aul 
das  Wärmste  zu  empfehlen.  Arthur  Singer. 


Handbuch  der  Ohrenheilkunde. 

Von  Dr.  Wilhelm  Kirchner,  Professor  etc.  in  Würzburg-. 
Sechste  Auflage.  Mit  44  Abbildungen. 
Braunschweig  1899,  W  reden. 


Nach  kaum  zwei  Jahren  ist  wieder  eine  neue  (6.)  Auf¬ 
lage  von  Kir  chner’s  »Handbuch  der  Ohrenheilkunde«  er¬ 
schienen.  Dies  muss  als  ein  neuer  Beweis  dafür  angesehen  werden, 
dass  dieses  Buch  trotz  der  nicht  geringen  Auswahl  von  Lehr¬ 
büchern  dieses  Faches  Jedem,  welcher  sich  mit  den  wichtigsten 
Errungenschaften  der  Ohrenheilkunde  vertraut  machen  will,  ein 
willkommener  und  entschieden  sehr  empfehlenswerter  Behelf  ist. 

Die  vorgenommenen  Aenderungen  in  den  Abhandlungen  über 
die  Erkrankungen  des  Nasen-Rachenraumes,  sowie  über  die  operative 
Thätigkeit  bei  den  Eiterungsprocessen  im  Mittelohr  geben  Zeugniss, 
dass  Kirchner  bestrebt  ist,  der  raschen  Entwicklung  dieses  Ge¬ 


bietes  gerecht  zu  werden. 

Nicht  unterlassen  kann  ich  hier  die  Bemerkung,  dass  doch 
endlich  einmal  der  unglückselige  Name  »Radicaloperation«  für  die 
operative  Freilegung  aller  Mittelohrräume  (Küster,  Zaufal, 
Starke)  fallen  möge!  Sind  denn  alle  die  übrigen  Eingriffe,  wenn 
sie  vollständige  Heilung  erzielen,  nicht  »radical«?  Biehl. 


Durchschnitt  durch  das  menschliche  Auge. 

Von  M.  Salzmann. 

XVII.  Heft  der  Magnus’schen  augenärztlichen  Unterrichtstafeln. 

Breslau  1899,  J.  U.  Kern  (Max  Mülle  r). 

Das  vorliegende  Heft  besteht  aus  zwei  farbigen  F oliotafeln 

und  einem  kurzen  begleitenden  Texte. 

Die  erste  Tafel  stellt  einen  Horizontaldurchschnitt  durch  den 
menschlichen  Augapfel  in  30facher  Vergrösserung  dar  und  zeichnet 
sich  durch  bemerkenswerthe  Uebersichtlichkeit  aus,  die  auch  da  er¬ 
halten  bleibt,  wo  der  Autor  auf  genaue  Details  (wie  bei  der  Dar¬ 
stellung  der  Ursprünge  und  Ansätze  der  verschiedenen  Zonulafasern 
oder  der  feineren  Anatomie  der  Kammerbucht)  eingeht.  Die  leinen 
Unterschiede  in  der  Form  der  temporalen  und  nasalen  Seite  des 
Kammerwinkels,  durch  die  differente  Grösse  und  Gestalt  des  Ciliar¬ 
körpers  und  der  Iriswurzel  bedingt,  sind  hier  zum  ersten  Male 
bildlich  dargestellt  und  das  in  einer  dem  aufmerksamen  Beobachter 
augenfälligen,  dabei  aber  nicht  übertriebenen  Weise,  sondern 
genau  auf  Grund  exacter  Messungen  durchschnittener,  gut  gehärtetei 
und  conservirter  menschlicher  Bulbi  gezeichnet. 

Die  zweite  Tafel  gibt  ein  klares  Bild  des  Iriswinkels  und 
seiner  Umgebung  in  150facher  Vergrösserung  und  vereinigt  grosse 
Anschaulichkeit  mit  wahrhaft  künstlerischer  Ausführung,  peinlicher 
Genauigkeit  und  Berücksichtigung  aller  Details. 


So  erscheint  die  Aufgabe,  die  sich  der  Autor  stellte,  in  nach 
jeder  Richtung  mustergültiger  Weise  durchgeführt  und  kann  dieses 
Heft  der  augenärztlichen  Unterrichtstafeln  als  ein  ausgezeichnetes, 
man  könnte  sagen,  unentbehrliches  Hilfsmittel  lür  den  akademischen 
und  Selbstunterricht  wärmstens  empfohlen  werden.  Hank  e. 


Dermato-histologische  Technik. 

Ein  Leitfaden  für  Aerzte  und  Studirende. 

Von  Dr.  Max  Joseph  in  Berlin  und  Dr.  Georg  Loewenbach  in  Wien. 

Berlin  1900,  Louis  Marcus. 

Die  in  der  Vorrede  des  Büchleins  ausgesprochene  Absicht, 
einen  Leitfaden  für  Anfänger  wie  für  bereits  vorgeschrittene  Forscher 
zu  schreiben,  der  eine  rasche  Uebersicht  über  die  technischen 
Methoden  der  Dermatohistologie  gewährt,  haben  die  beiden  Ver¬ 
fasser  in  vortrefflicher  Weise  erfüllt.  Die  Zahl  der  ausgewählten  und 
angeführten  Methoden  ist  eine  reichliche,  doch  nicht  übermässige, 
die  Anordnung  des  Materiales  eine  übersichtliche.  Die  Beschreibung 
der  einzelnen  Methoden  ist  kurz,  dabei  doch  wieder  so  ausführlich, 
dass  bei  der  genauen  Angabe  der  Mass-  und  Gewichtsverhältnisse 
der  Reagentien  wie  der  Zeitdauer  der  einzelnen  Proeeduren  auch 
der  minder  Geübte  mit  Erfolg  zu  arbeiten  vermag.  Durch  Klein¬ 
druck  sind  schwierigere  oder  weniger  verlässliche  Verfahren  ge¬ 
kennzeichnet.  Viele  Literaturangaben  ermöglichen  die  Einsicht  in 
die  entsprechenden  Originalarbeiten.  Eine  übersichtliche  Inhalts¬ 
angabe,  wie  ein  alphabetisches  Register  erleichtern  das  rasche 
Auffinden  eines  bestimmten  Verfahrens. 

So  wird  dieser  Leitfaden  Jedem  erwünscht  und  von  Nutzen 
sein,  der  sich  mit  histologischen  Untersuchungen  der  Haut  befasst. 

Pran  ter. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Dr.  F  r  i  e  s  e  r  schildert  das  C  i  t  r  o  p  h  e  n  (citronen saures  Phene¬ 
tidin)  als  das  beste  Ersatzmittel  für  die  Salicylsäure,  dessen  unan¬ 
genehme  Nebenwirkungen  ihm  zu  fehlen  scheinen.  Die  Dosis  beträgt 
für  Erwachsene  täglich  3 — 4  cj  in  Pulver  oder  Lösung.  (Theiapie 

der  Gegenwart.  1899,  Nr.  11.)  ... 

Aehnliches  wird  von  Wohlgemuth  vom  Aspirin  be¬ 
hauptet.  Aspirin  ist  Acetylsalicylsäure  und  bildet  ein  weisses  krystal- 
linisches  Pulver,  welches,  in  Wasser  schwer  löslich,  am  besten  in 
Oblaten  verabreicht  wird.  Der  wichtigste  Unterschied  zwischen  Aspiiin 
und  Salicylsäure  soll  darin  liegen,  dass  jenes  den  Magen  unverändert 
passirt,  ihn  also  nicht  schädigt  und  erst  im  alkalischen  Darmsaft,  in 
Blut-  und  Gewebsflüssigkeit  zur  Spaltung  gelangt.  (Therapeutische 
Monatshefte.  1899.) 

* 

Nach  Dr.  v.  Hauschka  wurde  der  „Nährstoff  Heyden“ 
im  Maria  Theresien-Frauenhospitale  in  Wien  sehr  häufig  angewendet 
und  soll  derselbe  bei  Schwächezuständen  und  von  Reconvalescenten 
sehr  gut  vertragen  werden,  der  Appetit  sich  sehr  bessern.  Eiterige  Er¬ 
krankungen  sollen  eine  Contraindication  für  die  Anwendung  des  Nähr¬ 
stoffes  abgeben.  —  (Aerztliche  Rundschau.  1899,  Ni.  5U.) 

* 

(Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Hacker  in  Inns¬ 
bruck.)  Mittheilungen  über  Heroin.  V  on  Dr.  V  i  e  s  n e  1 . 
Die  hustenstillende  und  dyspnoebeseitigende  Wirkung  des  Heroins 
ist  schon  zur  Genüge  bekannt.  An  obiger  Klinik  wurde  fast  ausschliess¬ 
lich  die  narkotische,  schmerzstillende  und  sedative  Wirkung  des  Mittels 
erprobt,  wobei  sich  herausstellte,  dass  mit  einer  kleineren  Dosis  die¬ 
selbe  Wirkung  wie  bei  grösseren  Morphingaben  erzielt  werden  konnte, 
ohne  dass  besondere  Nebenwirkungen  beobachtet  worden  wären.  Das 
Mittel  war  bei  65  Fällen  481mal  angewendet  worden  und  hat  me  in 
Stich  gelassen;  in  einer  Viertel-  bis  einer  halben  Stunde  horte  der 
grösste  Schmerz  auf.  Auch  als  Schlafmittel  gleicht  seine  Wirkung  der 
des  Morphins.  Bei  internem  Gebrauch  wurden  5—10  Tropfen  einer 
l%igen  Lösung  von  Heroinum  muriaticum  (=  0  0025—0  005),  subcutan 
0-005,  erst  bei  längerem  Gebrauch  001  pro  dosi  und  003  pro  die, 

nie  mehr,  verabreicht.  —  (Deutsche  Aerztezeituug.  1900,  Nr.  3.) 

* 

(Aus  der  Klinik  von  Prof.  Senator  in  Berlin.)  lieber 
K 1  y  fl  t  i  e  r  e  und  Suppositorien  von  Heidelbeerextr  a  e  r 
zur  Behandlung  von  colitischen  Processen.  \  on  Doctor 
Strauss.  Mit  den  genannten  Mitteln  waren  Falle  von  Proktitis, 
chronischer  Colitis,  Colica  mucosa  mit  bestem  Erfolge  behandelt  woiden. 
Statt  der  gewöhnlichen  Heideibeerabkochungen  wurde  das  von  from 


282 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  12 


in  Frankfurt  a.  M.  hergestellte  Extract  verwendet,  indem  in  V4 1 
warmen,  mit  etwas  Soda  versetzten  Wasser  ein  Esslöflf^l  Extract  auf 
gelöst  wurde.  Die  Klystiere  haben  auf  den  Krankheitsprocess  eine 
stärkere  Wirkung,  als  die  Suppositorien,  welche  folgende  Zusammen¬ 
setzung  hatten:  Rp.  Extr.  vacc.  myrtilli  30*0,  Kal.  carb.  3-0,  Aq 
dest.  7  0,  Ol.  cacao  G0  0.  M.  f.  Supp.  Nr.  30.  S.  2  Supp,  täglich. 
—  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  3.) 

* 

Die  im  chemisch  bacteriologischen  Institute  des  Dr.  Aufrecht 
in  Berlin  angestellten  Versuche  über  die  desinficirende  Wirkung  einiger 
Thonerdej)räparate,  und  zwar  des  Liquor  Aluminii  acetici,  d.  i.  der 
essigsauren  Thonerde,  und  des  Aluminium  acetico-tartaricum  —  essig¬ 
weinsaure  Thonerde  -=  A  1  s  o  1  haben  ergeben,  dass  letzteres  nicht 
nur  die  essigsaure  Thonerde,  sondern  auch  die  Carbolsäure  in  der 
üblichen  Concentration  hinsichtlich  der  antiseptischen  Wirkung 
wesentlich  übertreffeu  soll.  —  (Deutsche  Aerztezeitung.  1900,  Nr.  4.) 

* 

Dr.  Lindemann  (Hamburg)  benützt  zur  localen  Heissluft- 
behandlung  der  verschiedenen  Gelenksleiden,  Rheumatismen, 
Neuralgien  etc.  statt  der  üblichen  mit  Gas  oder  Spiritus  geheizten 
Apparate  einen  Kasten,  dessen  Innenraum  durch  den  elektrischen 
Strom  bis  auf  170°  C.  erwärmt  werden  kann.  Bei  der  heute  gegebenen 
leichten  Möglichkeit  der  Beschaffung  einer  Stromquelle  und  der  aner¬ 
kannten  Vorzüge  der  Heissluftbehandlung  besitzen  diese  Apparate 
wesentliche  Vortheile  gegenüber  den  sonst  gebräuchlichen  Behandlungs¬ 
kästen.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  3.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Der  Vorstand  der  laryngologischen  Klinik  in  Wien,  Prof.  Dr. 
Ottokar  Chiari,  ist  der  „Wiener  klinischen  Wochenschrift“  als 
ständiger  Mitarbeiter  beigetreten.  Die  Red. 

* 

Ernannt:  Prof.  Julius  Hochenegg  in  W  i  e  n  zum 
correspondirenden  Mitgliede  der  „Societe  de  Chirurgie“  in  Bukarest. 
—  Dr.  P  o  z  z  i  zum  Professor  der  Chirurgie  in  Reims. 

* 

Verliehen:  Dem  Sections-Chef  im  Ministerium  des  Innern, 
Dr.  Emanuel  R.  K  u  s  y  v.  D  u  b  r  a  v,  der  fürstlich  montenegrini¬ 
sche  Danilo-Orden  I.  CI.  —  Dem  Gerichts-  und  Gefangenhausarzte 
Dr.  Samuel  Perl  in  Neu  titschein  der  Titel  eines  kaiserlichen 
Rathes.  —  Dem  Wundarzte  Franz  Seeliger  in  Weissen¬ 
kirch  e  n  a.  d.  Perschling  das  goldene  Verdienstkreuz. 

* 

Habilitii’t:  Dr.  V.  Mladejovsky  für  Balneologie  und 
Klimatologie  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag.  —  In  Mos¬ 
kau:  Dr.  Polijewtkow  für  Kinderkrankheiten,  P  o  1  j  a  k  o  w  für 
Krankheiten  der  Athmungsorgane,  Berestnew  für  Bacteriologie. 

* 

Gestorben:  Der  Professor  der  Chirurgie  in  Bonn,  Doctor 
Karl  v.  Mos  engeil.  —  Dr.  Sauer,  Assistent  am  pathologischen 
Institute  in  Bonn  in  Folge  einer  Blutvergiftung.  —  Doctor 
Skoczynski,  Privatdocent  für  Augenheilkunde  in  Krakau. 

* 

In  der  Sitzung  des  niederösterreichischen  Landes- 
Sanitätsrathes  am  12.  März  d.  J.  wurden  folgende  Gutachten 
erstattet:  1.  Ueber  das  Ansuchen  eines  Vereines  in  Wien  um  die  Be¬ 
willigung  zur  Errichtung  und  zum  Betriebe  eines  Wöchnerinnenheims, 
2.  über  die  Zweckmässigkeit  der  Einführung  einer  zur  Bekämpfung 
der  Schwindsucht  dienenden  Bildertafel  in  den  Schulen.  Schliesslich 
wurde  wegen  der  Neuorganisation  des  k.  k.  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  in  Wien  ein  Beschluss  gefasst,  welcher  die  Anschauungen  des 
Laudes-Sanitätsi  athes  in  dieser  das  sanitäre  Interesse  der  Bevölkerung 
sehr  wesentlich  berührenden  Frage  darlegt. 

* 

Das  C  o  m  i  t  e  des  ersten  internationalen  Con¬ 
gresses  für  ärztliche  Standesinteressen  und  ärzt¬ 
liche  Pflichtenlehre  vom  23.  bis  28.  Juli  1900  zu 
Paris  tlieilt  Folgendes  mit:  Wirkliche  Mitglieder  des  Congresses  sind 
Aerzte,  welche  den  Beitritt  unter  Bezahlung  des  Congressbeitrages  von 
15  Frcs.  an  den  Schatzmeister  Mr.  P.  INI  as  son,  Boulevard  Saint- 
Germain  120,  Paris,  melden.  Die  Frauen  der  Congressisten,  sowie 
Studirende  der  Medicin  können  gegen  Bezahlung  eines  Beitrages  von 
10  Frcs.  au  den  Veranstaltungen  des  Congresses  tlieilnehmen  und 
geniessen  auch  die  nachstehenden  Fahrpreisermässigungeu :  Jenen  Mit¬ 
gliedern,  welche  den  Beitrag  vor  dem  20.  Juni  bezahlen,  gewähren 
die  französischen  Eisenbahnen  eine  50%ige,  und  die  Compagnie  Trans- 
atlantique  eine  30%ige  Fahrpreisermässigung,  giltig  vom  20  Juli  bis 


20.  August  1900.  Was  die  Wohnungsfrage  anbelangt,  so  hat  sich  das 
Congresscomite  mit  folgenden  Gesellschaften  ins  Einvernehmen  gesetzt, 
welche  den  Mitgliedern  entsprechende  Zimmer  von  6-50  Frcs,  mit 
Pension  von  15  Frcs.,  Schl  ifstellen  von  3  Frcs.  pro  Tag  besorgen: 
Voyages  Pratiques,  Rue  de  Rome  9;  Voyages  Modernes,  Rue  de 
l’Echelle  1;  Agence  Desroches,  Rue  de  Faubourg  Montmartre  21; 
Voyages  Duchemin,  Rue  de  Grammont  20,  Paris.  Congressprogramme, 
Statuten  etc.  versendet  über  Anfrage  Dr.  J.  Glover,  Rue  de  Fau¬ 
bourg  Poissoniere  37,  Paris. 

* 

II  o  f  f  a’s  „Atlas  und  Grundriss  der  Verbandlehr  e“, 
herausgegebt-n  im  Verlage  Lehmann  in  München,  ist  in  zweiter 
Auflage  erschienen  (Preis  M.  7. — ). 

* 

Von  der  3.  Auflage  des  bei  Urban  &  Schwarzenberg 
in  Wien  von  Dr.  A.  Bum  herausgegebenen  „T  herapeutischen 
Lexikons“  sind  die  Lieferungen  7  — 14  (Dyspnoe — Kyphose)  er¬ 
schienen. 

* 

Das  bekannte  „Lehrbuch  der  Arzneimittellehre“  von 
Bernatzik  und  Vogl  wurde  von  Hofrath  v.  Vogl  umgearbeitet 
und  in  dritter  Auflage  herausgegeben.  Die  erste  Abtheilung  des 
Werkes  ist  bereits  bei  Urban  &  Schwarzenberg  erschienen, 
die  beiden  weiteren  Abtheilungen  sollen  in  kürzester  Zeit  folgen. 

* 

Die  Arsen-Eisenquellen  in  L  e  v  i  c  o  (Tirol)  sind  in  den  Besitz 
einer  neuen  Gesellschaft  übergegangen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  ira  er- 
weitertenGemeindegebiete.  8.  Jahreswoche  (vom  18..  Februar 
bis  24.  Februar  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  713,  unehelich  359,  zusammen 
1072,  Todt  geboren:  ehelich  47,  unehelich  22,  zusammen  69.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  706  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
225  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  138,  Blattern  0,  Masern  18, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  11,  Pertussis  10,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  42.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
114  (-j-  5),  Masern  309  (-)-  18),  Scharlach  44  ( — 17),  Typhus  abdominalis 
2  ( — 3),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  43  (-j-  11),  Croup  und 
Diphtherie  50  ( — 5),  Pertussis  63  (-(-  4),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  5  (-[-  2),  Trachom  1  (-j-  1),  Influenza  14  (-[-  11). 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  9.  Jahreswoche  (vom  25.  Februar 
bis  3,  März  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  633,  unehelich  322,  zusammen 
955.  Todt  geboren:  ehelich  42,  unehelich  19,  zusammen  61.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  667  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
21*1  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  128,  Blattern  0,  Masern  9, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  8,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  40.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
106  ( —  8),  Masern  297  ( —  12),  Scharlach  54  (- {-  10),  Typhus  abdominalis 
2  (=),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  16  ( —  27),  Croup  und 
Diphtherie  52  (-{-  2),  Pertussis  69  (-f-  6  ■ ,  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  ( —  2),  Trachom  0  ( —  1),  Influenza  18  (-j-  4). 

Freie  Stellen. 

Districtsarztesstelle  im  Curorte  Tschachwitz,  Böhmen.  Der 
District  umfasst  fünf  Gemeinden  mit  16  Ortschaften  und  einer  Bevölkerung 
von  2415  Einwohnern.  Gehalt  800  Kronen,  Reisepauschale  160  Kronen; 
freies  Quartier  mit  Stallung  und  Garten.  Bewerber  wollen  ihre  Gesuche  mit 
den  vorgeschriebenen  Belegen  (Diplomsabschrift,  Heimatschein,  Wohlver¬ 
haltungszeugnis,  bezirksärztliches  Gesundheitszeugniss)  thunlichst  bald, 
längstens  aber  bis  31.  März  1.  J,  an  den  Kaaden-Duppauer  Bezirks¬ 
ausschuss  in  Kaaden  richten. 

Secundararztesstelle  an  der  niederösterreichischen  Landes- 
Findelanstalt  in  Wien,  Niederösterreich.  Jährlicher  Gehalt 
600  Kronen,  Kostrelutum  monatlich  50  Kronen;  Anspruch  auf  eine 
Diensteswohnung  sammt  Beheizung  und  Beleuchtung.  Die  Stelle  wird  auf 
die  Dauer  von  zwei  Jahren  gegen  beiderseitige  dreimonatlicheKündigung  für 
den  Fall  der  Auflösung  dieses  Dienstverhältnisses  vor  dieser  Zeit  verliehen. 
Bewerber  um  dieselbe  haben  ihre  mit  einer  Stempelmarke  h  1  Krone 
versehenen  Gesuche,  welchen  der  Nachweis  des  erlangten  Doctorgrades  der 
gesammten  Heilkunde,  dann  der  Nachweis  der  österreichischen  Staatsbürger¬ 
schaft,  der  deutschen  Nationalität,  sowie  der  bisherigen  Verwendung  im 
ärztlichen  Dienste,  endlich  ein  Curriculum  vitae  beizuscbliessen  ist,  bis 
längstens  31.  März  1900  beim  niederösterreichischen  Landesausschusse  in 
Wien,  I.,  Herrengasse  13,  thunlichst  im  Wege  persönlicher  Vorstellung,  zu 
überreichen. 

Gemeindearztesstelle  in  Reichenthal  (politischer  Bezirk  Frei¬ 
stadt),  Oberösterreich.  Die  Sanitätsgemeinde  zählt  2440  Einwohner.  Die 
Entlohnung  für  die  Besorgung  des  gemeindeärztlichen  Dienstes  beträgt 
880  Kronen.  Die  Stelle  ist  sofort  zu  besetzen. 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


283 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  16.  März  1900. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  1.  März  1900. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  21.  Februar  1900. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 
Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  16.  Marz  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  J.  Mauthner. 

Schriftführer:  Dr.  H.  Ludwig. 

Prof.  Weinlechner  stellt  einen  34jährigen  Kaufmann  vor,  bei 
welchem  er  wegen  Papillom  der  Harnblase  den  hohen  Schnitt 
mit  gutem  Erfolge  ausgeführt  hat.  Der  Kranke  ist  ein  Gegenstück  zu 
dem  vom  Herrn  Assistenten  Dr.  P  e  n  d  1  in  der  letzten  Sitzung  voi- 
gestellten,  jedoch  von  älterer  und  schlimmerer  Form.  Wein¬ 
lech  n  e  r’s  Patient  leidet  seit  sechs  Jahren  an  Blasenblutungen,  welche 
in  verschieden  langen  Pausen,  namentlich  im  Monate  August,  aufgetieten 
sind  und  in  der  letzten  Zeit  sich  mehrten,  so  dass  Patient  sehr  an¬ 
ämisch  wurde. 

Er  wurde  am  25.  November  1899  an  Weinlechner  s  Ab¬ 
theilung  aufgenommen. 

Die  Blase  war  meist  ausgedehnt,  mit  blutigem  Harne  gefüllt. 
Patient  litt  an  häufigem  Harndrang,  der  Urin  war  innig  mit  Blut  ge¬ 
mengt  und  zeigte  auch  die  Erscheinungen  heftigen  Blasenkatarrhes. 
Um  den  Harn  zu  entleeren  und  zu  klären,  wurde  zeitweilig  durch  den 
Katheterismus  oder  durch  den  Verweilkatheter  mit  Bor-  oder  Alaun¬ 
lösung  die  Blase  ausgespült.  Herr  Prof.  Lang  hat  den  Kranken 
wiederholt  vergeblich  cystoskopirt,  und  als  endlich  die  Operation  bereits  e- 
schlossene  Sache  war,  nach  plötzlicher  Aufklärung  des  Harnes,  ein 
Papillom  an  der  linken  Blasenwand  cystoskopisch  gefunden. 

Am  4.  December  1899  wurde  in  Chloroformnarkose  die  Sectio 
alta  in  typischer  Weise  gemacht.  Mit  dem  Finger  wurde  das  mandel¬ 
kerngrosse  Papillom  gefühlt,  vorgezogen,  und  der  dünne  Stiel  nach 
Unterbindung  abgetragen.  Die  ganze  Blasenschleimhaut  fühlte  sich 
mosaikähnlich,  flachhöckerig  an,  und  da  Weinlechner  diese  Er¬ 
scheinung  auf  den  Katarrh  bezog,  so  hat  er  die  Blasenwunde  nur  mit 
der  Haut  vernäht,  die  Wunde  offen  gelasen,  mit  Tanninjodoformgaze 
austapezirt  und  öfters  Alaunpulver  in  die  Blasenwunde  gestreut.  Der 
Urin  wurde  durch  den  Verweilkatheter  abgeleitet. 

Am  23.  December  war  die  Wunde  geschlossen  und  der  Kranke 
wurde  bald  darauf  geheilt  entlassen.  Der  Urin  war  völlig  klar,  und 
der  Kranke  angewiesen,  sich  täglich  zweimal  den  Katheter  einzufiihien. 
Weil  der  Urin  wieder  theilweise  durch  die  fistulös  gewordene  Naibe 
abging,  wurde  der  Kranke  am  12.  Februar  abermals  aufgenommen 
und  nach  Application  eines  Verweilkatheters  am  10.  März  wiedei 
geheilt  entlassen. 

Solche  mit  heftigen  Blasenblutungen  einhergehende  Papillome 
sind  im  Ganzen  selten.  Zu  Anfang  seiner  chirurgischen  Laufbahn  hat 
Weinlechner  einen  ganz  jungen,  kräftigen  Geistlichen  zu  R.  in 
Oberösterreich  kennen  gelernt  und  die  Diagnose  richtig  gestellt.  Dei 
behandelnde  Arzt  überschickte  späterhin  das  kleine  Papillom.  Der 
Kranke  ist  in  Folge  der  Blutung  zu  Grunde  gegangen. 

Vor  mehreren  Jahren  hat  Weinlechner  in  der  hiesigen 
Gesellschaft  einen  Geistlichen  als  geheilt  vorgestellt  nach  Entfernung 
mehrerer  Blasenpapillome.  Der  Blasenkatarrh  bestand  bei  ihm  noc  i 
fort  und  der  Kranke  soll  später  in  Linz,  ob  an  Recidiv  ist  unbekannt, 
gestorben  sein. 

Was  nun  die  Blasennaht  nach  der  Sectio  alta  anbelangt,  so 
spielt  hiebei  die  Beschaffenheit  des  Harnes  eine  grosse  Rolle.  Lei 
vollkommen  normalem  Harn  und  gesunder  Blase  kann  man  eine  1  lima- 
heilung  erwarten. 

So  hat  Weinlechner  vor  Jahren  hier  einen  70jährigen 
Mann  vorgestellt,  bei  welchem  v.  D  u  m  r  e  i  c  h  e  r  durch  den  seit¬ 
lichen  Peritonealschnitt  lithotomirt  hatte.  Wegen  Recidive  machte 
Weinlechner  den  hohen  Schnitt,  entfernte  drei  grössere  Urat¬ 
steine.  Harn  und  Blase  waren  gesund  und  es  trat  vollständige  Heilung 
per  primam  durch  die  Naht  ein. 

Bei  katarrhalischer  Blase  mässigen  Grades  mag  die  Blase  voll¬ 
ständig  genäht  und  die  Bauchwunde  am  unteren  Ende  drainirt  weiden, 
um  dem  Harne,  im  Falle  die  Naht  insufficient  würde,  freien  Abfluss  zu 
verschaffen. 

Hat  man  es  mit  heftig  afficirter,  katarrhalischer  Blase  zu  thun, 
und  wären  mehrere  Papillome  zu  entfernen,  so  mag,  wie  in  dem 


obigen  Falle,  die  Blase  mit  der  Haut  vernäht  werden,  die  Bauch¬ 
wunde  mag  offen  gelassen  werden,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  dass,  wie 
in  diesem  Falle,  eine  zeitweise  Narbenharnfistel  entstehe. 

Dr.  Kreidl  demonstrirt  einen  nach  P  a  w  1  o  w  operirten  Hund 
mit  einem  sogenannten  isolirten  kleinen  Magen  und  bespricht  im  An¬ 
schlüsse  daran  die  wichtigsten  von  P  a  w  lo  w  und  seiner  Schule  an 
so  operirten  Hunden  gewonnenen  Ergebnisse. 

Dr.  A.  Pilcz  hält  seinen  angekündigten  Vortrag :  U  e  ber¬ 
einige  Ergebnisse  von  Blutdruckmessungen  bei 
Geisteskranken.  (Siehe  Originalien  dieser  Nummer.) 

An  der  Discussion  über  diesen  Vortrag  betheiligen  sich  die 
Herren:  Dr.  Federn,  Prof.  v.  Wagner,  Prof.  v.  Basch  und 
Dr.  T  e  1  e  k  y  *) 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  1.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  O.  Cliiari. 

Schriftführer:  Regimentsarzt  Dr.  Bielil. 

Der  Vorsitzende  eröffnet  die  Sitzung,  indem  er  die  neugewählten 
Mitglieder  begrüsst. 

Docent  Dr.  M  i  c  h  a  e  1  Grossmann  hält  seinen  angekündigten 
Vortrag :  Ueber  den  M,  cricothyreoideus. 

Vorerst  demonstrirt  er  folgende  Thierversuche:  Bei  einem  Ka¬ 
ninchen  wurde  die  Stimme  nach  Durchschneidung  der  beiden  Nn.  laryngei 
äup.  geprüft.  Die  Stimme  des  Thieres  wurde  nach  der  Durchschnei- 
dung  etwas  heiser  und  tiefer.  Es  trat  aber  nicht  jener  Grad  von 
Stimmhandstörung  ein,  wie  bei  totaler  Cricothyreoideuslähmung  sonst 
aufzutreten  pflegt,  weil  hier  der  N.  laryngeus  medius  noch  er¬ 
halten  war. 

Bei  dem  nächstfolgenden  Thiere,  einem  Hunde,  war  die  Demon¬ 
stration  der  Stimmänderung  nach  Lähmung  des  N.  laryng.  sup.  des-, 
halb  nicht  möglich,  weil  das  Thier  zu  stark  morphinisirt  war  und  aut 
schmerzhafte  Eingriffe  keinen  Laut  von  sich  gab.  Hingegen  konnte 
man  bei  diesem  Thiere  deutlich  sehen,  dass  die  Stimmbänder,  welche 
vorerst  der  ganzen  Länge  nach  geschlossen  wurden,  nach  Durch¬ 
schneidung  der  Nn.  laryngei  sup.  in  ihrem  hinteren  Abschnitte  eine 

dreieckige  Spalte  offen  Hessen.  _  . 

Endlich  wurde  an  einer  kleinen  Katze  gezeigt,  dass  nach  Duic  i- 
schneidung  der  Nn.  recurrentes  der  M.  cricothyreoideus  die  Stimm¬ 
bänder  von  vorne  nach  rückwärts  extendirt  und  hochgradig  adducirt. 

In  dem  nun  folgenden  Vortrage  wird  daran  erinnert,  dass  die 
Demonstrationen,  sowie  die  nun  anknüpfenden  Auseinandersetzungen 
durch  die  vorausgegangene  Discussion  über  Laryngo-Hysterie  veran¬ 
lasst  worden  sind. 

Der  Vortragende  bedauert,  dass  es  ihm  heute  wegen  der  zu 
tiefen  Narkose  des  Thieres  nicht  möglich  war,  die  Störungen  der 
Stimmbildung  in  Folge  von  Cricothyreoideuslähmung  zu  demonstnren 
und  gibt  nun  eine  Schilderung  seiner  diesbezüglichen  vieljähngen  Be¬ 
obachtungen  bei  den  verschiedensten  Thiergattungen,  bei  einer  giosbUi 
Reihe  von  Hunden,  von  denen  die  Mehrzahl  viele  Monate,  einige  sogar 
länger  als  ein  Jahr  am  Leben  erhalten  wurden,  glaubten  ursprünglich 
die  Wärter,  deren  Obhut  sie  anvertraut  waren,  die  Thiere  seien  stumm. 
Erst  im  weiteren  Verlaufe  zeigte  es  sich,  dass  sie,  wenn  ihnen  heftiger 
Schmerz  verursacht  oder  wenn  sie  gereizt  wurden,  denn  doch  gewisse 
Töne  hervorzubringen  vermochten,  die  aber  so  rauh  und  hennaing 
geklungen  haben,  dass  sie  kein  Mensch  als  Hundegebell  erkannt  hatte. 

Am  12.  März  1893  hatte  der  Vortragende  im  k.  k.  thieraizt- 
lichen  Institute  unter  der  freundlichen  Assistenz  des  Directors,  Herrn 
Hofrath  Bayer,  und  des  Herrn  Prof.  Schindelk  a  einem  Pferde 
die  beiden  Cricothyreoidei  abgetragen.  Am  15.  April,  am  &.  um 
6  Juni  wurde  das  Thier  durch  Schmerz,  Kitzel  und  durch  Heibm- 
führen  eines  Hengstes  gereizt.  Es  vermochte  aber  keinen  einzigen  lauten, 
an  das  Wiehern  der  Pferde  erinnernden  Ton  hervorzubringon.  Eswainui 
eine  Art  Stöhnen  und  Grunzen,  was  man  zu  hören  bekam.  ie  «>'•'- 
einstimmende  Ansicht  aller  Anwesenden  ging  dahin,  dass  man,  sa  .« 
man  nicht  das  Thier  vor  sich,  kaum  errathen  würde,  dass  diese  mein 

*)  Die  auf  die  Discussion  bezüglichen  Referate  sind  ^m^heil^gar 
nicht,  zum  Theile  verspätet  eingelangt. 


284 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  12 


einem  Röcheln  ähnlichen  Töne  oder  Geräusche  von  einem  Pferde  her-  | 
rühren. 

Man  kann  dasjenige,  was  die  Thiere  ohne  M.  cricothyreoideus  an 
Stimmbildung  noch  zu  leisten  vermögen,  verschiedenartig  beschreiben 
und  auch  taxiren.  Das  Eine  muss  aber  unbedingt  zugegeben  werden, 
dass  es  sich  hier  um  eine  hochgradige  Schädigung  der  Phonation 
handelt. 

Der  Vortragende  unterzieht  dann  einer  eingehenden  Erörterung, 
dass  die  Spannung  des  Stimmbandes  nur  unter  gleichzeitiger  Adduc¬ 
tion  vor  sich  gehen  kann  und  betont,  dass  nach  Wegfall  dieser  Span¬ 
nung  die  Stimmritze  nicht  mehr  der  ganzen  Länge  nach  geschlossen 
wird,  dass  im  hinteren  Glottisabschnitte,  wie  dies  am  Hunde  demon- 
strirt  wurde,  ein  dreieckiger  Raum  offen  bleibt. 

Der  Vortragende  weist  ferner  daraufhin,  dass  jeder  Schluck¬ 
act  von  einer  Contraction  des  M.  cricothyreoideus 
begleitet  wird,  dass  somit  iu  der  Reihe  jener  Factoren,  welche 
die  Bestimmung  haben,  für  die  anstandslose  Abwicklung  des  Schluss¬ 
actes  vorzusorgen  und  insbesondere  zu  verhüten,  dass  die  Speisen  oder 
Flüssigkeiten  während  des  Schluckens  in  den  Kehlkopf  gelangen, 
diesem  Muskel  eine  bestimmte  Rolle  zufällt. 

Endlich  behauptet  der  Vortragende,  dass  der  M.  cricothyreoi¬ 
deus  sich  bei  jeder  Exspiration  contrahire  und  durch 
sein  Zusammenziehen  die  Glottis  verengere. 

Der  M.  cricothyreoideus  ist  demnach  ein  Ex¬ 
tensor  und  Adductor  des  Stimmbandes,  in  erster 
Reihe  also  ein  Phonationsmuskel,  weiters  ist  er  ein 
Deglutitionsmuskel  und  endlich  ein  Exspirations¬ 
muskel.  In  seiner  letzteren  Eigenschaft  ist  er  ein 
Antagonist  des  M.  cricoarytaenoideus  posticus,  mit 
welchem  er  bei  der  Athmung  continuirlich  alter- 
n  i  r  e  n  d  automatisch  wirkt. 

Nach  der  Besprechung  der  isolir  ten  Wirkung  des  M.  crico¬ 
thyreoideus  wird  der  Effect  seines  Zusammenwirkens 
mit  den  anderen  Kehlkopfmuskeln  einer  Analyse  unter¬ 
zogen. 

Zunächst  kam  der  Stimmbandmuskel  an  die  Reihe,  und 
es  wurde  vorerst  erörtert,  wie  sich  die  Verhältnisse  gestalten,  wenn 
dieser  Muskel  allein,  ohne  jedwedes  antagonistisches  Hindernies  in 
Action  tritt.  Durch  die  Contractionen  des  M.  thyreo-arytaenoideus  — 
und  zwar  sowohl  seines  inneren,  als  auch  seines  äusseren  Abschnittes 
—  kann  sein  vorderer  Insertionspunkt  im  Winkel  des  Schildknorpels 
eine  Verschiebung  nach  rückwärts  selbstverständlich  nicht  erleiden. 
Durch  die  Verkürzung  des  Muskels  kann  demnach  nur  sein  hinterer 
Anheftungspunkt  eine  Ortsveränderung,  und  zwar  von  r ückwärts 
nach  vorne  und  von  aussen  nach  innen  erfahren.  Der  Zug,  der 
den  Processus  vocalis  aus  seiner  winkeligen  Stellung  in  die  gerade 
Linie  zieht,  muss  naturgemäss  auch  eine  Adduction  zur  Folge  haben. 
Nachdem  aber  der  Stimmbandmuskel  im  Gegensätze  zu  allen  anderen 
Kehlkopfmuskeln  seinen  Einfluss  auf  Spannung  und  Stellung  des 
Stimmbandes  nicht  durch  ausserhalb  desselben  gelegene  Angriffspunkte 
ausübt,  sondern  in  demselben  selbst,  als  sein  wesentlichster  Bestand¬ 
teil  verlaufend,  sich  geltend  macht,  liegt  es  auf  der  Hand,  dass 
durch  seine  Contractionen  nicht  nur  er  selbst,  sondern  die  gesammte 
das  Stimmband  bildende  Substanz  und  auch  zum  Theile  die  falschen 
Stimmbänder,  so  weit  sie  mit  Muskelfasern  versehen  sind,  von  rück¬ 
wärts  nach  vorne  zusammengezogen  werden.  Durch 
diese  Verkürzung  wird  das  wahre  und  auch  das  falsche  Stimmband 
nicht  allein  kürzer,  sondern  auch  dicker  und  plumper, 
und  was  besonders  zu  betonen  ist,  ganz  erheblich  entspannt. 
Durch  den  Wegfall  der  Spannung  wird  ihre  Motilität  erhöht. 

Während  nun  durch  den  M.  cricothyreoideus,  wenn  er  für  sich 
allein  wirkt,  das  Stimmband  von  vorne  nach  rückwärts  ge¬ 
zogen  und  seiner  ganzen  Länge  nach  gedehnt  und  gespannt 
w  i  r  d,  sehen  wir,  dass  durch  die  isolirte  Function  des  Stimmband¬ 
muskels  gerade  das  Gegentheil,  ein  Ziehen  von  rückwärts 
nach  vorne,  eine  Verkürzung  und  demzufolge  eine 
Entspannung  des  Stimmbandes  erfolgt. 

Dieser  Antagonismus  der  beiden  Muskeln  bei  ihrer  isolirten 
Function  wird  durch  ihre  gleichzeitige  Wirksamkeit  wesent¬ 
lich  geändert. 

Wird  das  Stimmbaud  durch  den  M.  cricothyreoideus  in  der  ge¬ 
schilderten  Weise  extendirt  und  addu  cirt,  dann  wird  durch  die 
Contraction  des  Stimmbandmuskels  ein  Gegen  zug  ausgeübt 
und  durch  dieses  Zusammenwirken  von  Zug  und 
Gegen  zug  wird  der  Grad  sowohl  der  Extension  als 
auch  der  Adduction  wesentlich  erhöht.  Es  werden  dann 
die  beiden  Muskel  zwar  noch  immer  in  entgegengesetzter 
Richtung  wirken,  aber  nicht  mehr  eine  antagonistische, 
sondern  die  gleiche  Function  erfüllen  —  Extension 
und  Adduction.  Da  kann  es  nun  allerdings  geschehen,  dass  bei 
ungenügenden  Contractionen  des  Stimmbandmuskels  im  vorderen 
Glottisabschnitte,  wo  keine  anderweitigen  Adductoren  existiren,  die  zu 


Hilfe  eilen  könnten,  der  Verschluss  ein  mangelhafter  bleibt,  aber  Ex- 
eavationen  werden  dadurch  allein  niemals  auftreten. 

Es  ist  ferner  anzunehmen,  dass  der  Stimmbandmuskel,  vermöge 
seiner  innigen  organischen  Verbindung  mit  der  Gesammtsubstanz  des 
Stimmbandes,  in  der  Lage  ist,  einzelne  Abschnitte  des 
S  t  i  m  m  b  a  n  d  e  s,  je  nach  den  Erfordernissen  der  Phona¬ 
tion  in  eine  höhere  oder  niedrigere  Spannung  zu 
versetzen. 

Endlich  soll  durch  diesen  Muskel  eine  Hyper  extension 
und  demzufolge  eine  Relaxation  verhütet  werden,  was  in 
Folge  der  fortgesetzten  Dehnung  durch  den  M.  cricothyreoideus 
schliesslich  denn  doch  eintreten  müsste,  wenn  das  Stimmband  kein 
Muskelstratum  enthielte. 

Es  wird  nun  die  Function  des  M.  cricoarytaenoideus  lateralis 
analysirt. 

Der  Zug,  der  durch  die  Contractionen  dieses  Muskels  auf  den 
Processus  muscularis  des  Aryknorpels  ausgeübt  wird,  dreht,  wie  das 
ja  allgemein  bekannt  ist,  den  Giessbeckenknorpel  im  Cricoarytaenoideal- 
gelenke  in  der  Weise,  dass  der  Processus  vocalis  gegen  die  Mittel¬ 
linie  verschoben  wird.  Dadurch  erfährt  die  vom  M.  cricothyreoideus 
und  Stimmbandmuskel  gemeinsam  bewirkte  Adduction  eine  erhebliche 
Steigerung.  Obgleich  dieser  Adductor  erst  etwa  im  hinteren  Drittel 
und  auch  hier  nur  auf  eiuen  bestimmten  Punkt  der  Glottis  seinen 
Einfluss  auszuüben  vermag,  ist  doch  fast  das  gesammte  Stimmband, 
insbesondere  aber  der  unmittelbar  vor  und  hinter  dem  Processus 
vocalis  gelegene  Abschnitt  gezwungen,  seiner  adducirenden  Kraft  zu 
folgen,  aber  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass  es 
sich  im  Zustande  straffer  Spannung  befindet. 

Ist  das  Stimmband  durch  Versagen  des  M.  cricothyreoideus  nicht 
gespannt  und  überdies  durch  die  unbehinderten  Contractionen  seines 
eigenen  Muskels  sogar  in  hohem  Grade  entspannt,  wird  der  M.  late¬ 
ralis  seinen  adducirenden  Einfluss  zwar  noch  immer,  ja  noch  viel 
leichter,  da  das  nicht  gespannte  Stimmband  keinen  Widerstand  leistet, 
ausüben;  allein  beim  schlaffen  Stimmbande  wird  nicht  viel  mehr  als 
der  unmittelbar  beeinflusste  Punkt,  der  Processus  vocalis,  diesem 
Muskelzuge  folgen.  Dieser  Punkt  wird  in  Folge  des  unbehinderten 
Zuges  des  Stimmbandmuskels  weit  mehr  nach  vorne  liegen  als  sonst, 
und  der  hinter  demselben  nach  rückwärts  gelegene  Abschnitt  der  Rima 
glottidis  verhältnissmässig  grösser  sein,  als  unter  normalen  Bedin¬ 
gungen.  In  dem  vor  dem  Processus  vocalis  gelegenen  Abschnitte  der 
Glottis  wird  sich  die  adducirende  Kraft  des  Stimmbandmuskels,  da  sie 
keinem  Widerstande  begegnet,  mit  Erfolg  geltend  machen  und  den 
Abschluss  der  Vereinigung  werden  zwei  Punkte  bilden,  welche  durch 
die  Contractionen  der  beiden  Mm.  laterales  genähert  werden.  Der 
hinter  dem  Processus  vocalis  gelegene,  hier  etwas  vergrösserte  Ab¬ 
schnitt  der  Glottis  aber  wird  in  Form  eines  gleic  h  schenk  e- 
1  i  g  e  n  Dreieckes,  dessen  Spitze  die  beiden  sich  be¬ 
rühr  enden  Processus  vocales  und  dessen  Basis  die 
Inter  a  rytae  noidealfalte  bildet,  offen  bleiben.  Dieses 
Offenbleiben  eines  dreieckigen  Raumes  in  dem  h  in¬ 
te  ren  Abschnitte  der  Stimmritze  ist  also  ein  charak¬ 
teristisches  Zeichen  für  das  Versagen  der  Function 
des  M.  cricothyreoideus  und  keineswegs,  wie  bisher 
allgemein  angenommen  wurde,  für  eine  Lähmung 
des  M.  cricoarytaenoideus  lateralis. 

Der  Vortragende  zieht  nun  den  Vergleich  zwischen  den  Folge¬ 
zuständen  einer  experimentellen  Lähmung  des  M.  cricothyreoideus  und 
jener  Erscheinungen  der  Larynx-Hysterie,  bei  welcher  er  eine  functio- 
nelle  Störung  desselben  Muskels  augenommen  hat,  und  wiederholt, 
dass  nach  seinem  Dafürhalten  die  Symptome  hier  wie  dort  analog  sind, 
und  dass  man  auf  Grund  dieser  Analogie  auch  für  das  erwähnte 
klinische  Bild  keine  andere  Ursache,  als  eine  functionelle  Störung  des 
M.  cricothyreoideus  anführen  kann. 

Es  wurde  noch  auf  einzelne  Unterschiede  zwischen  der  hysteri¬ 
schen  und  organischen  Lähmung  der  Phonationsstörung  bei  verschie¬ 
denen  Thierarten  nach  Cricothyreoideuslähmung  etc.  hingewiesen. 

Weiters  wird  auseinandergesetzt,  weshalb  der  Vortragende  die 
von  anderer  Seite  aufgestellte  Behauptung,  dass  es  sich  in  den  in 
Rede  stehenden  Fällen  von  Larynx-Hysterie  um  Krampf  einzelner  Ab¬ 
schnitte  von  Kehlkopfmuskeln  handle,  für  unannehmbar  halte. 

Zum  Schlüsse  wird  vom  Vortragenden  darauf  hingewiesen,  dass 
mit  der  functionelleu  Bedeutung  des  M.  cricothyreoideus  eine  Reihe 
der  wichtigsten  Fragen  der  Physiologie  und  Pathologie  des  Kehlkopfes 
Zusammenhängen.  Er  will  bei  dieser  Gelegenheit  nur  die  Frage  der 
Cadaverstellung  der  Stimmbänder  nach  Recurrenslähmung  zur  Sprache 
bringen,  die  er  unter  Würdigung  des  grossen  Einflusses,  den  der  er¬ 
wähnte  Muskel  auf  die  Stimmbandstelluug  ausübt,  bespricht. 

Die  Beziehung  zwischen  dem  M.  cricothyreoideus  und  der  Lehre 
von  der  Doppelinnervation  des  Kehlkopfes  will  er  bei  der  nächsten 
Gelegenheit  erörtern  (Autoreferat). 

(Der  Vortrag  erscheint  in  der  „Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde 
sowie  für  Kehlkopf-,  Nasen-Rachenkrankheiten“.) 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


285 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft 

Sitzung  vom  21.  Februar  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer:  Kreibich. 

Nobl  demonstrirt  aus  Grün  fei  d’s  Abtheilung: 

1.  Ein  lBjähriges  Mädchen  mit  einem  eigentliümlichen 
foliationsprocess  der  Zungenoberfläche,  der  vor  1 
einem  Jahre  an  der  Zungenspitze  begann,  seither  in  fast  ununter¬ 
brochenen  Nachschüben  die  vordere  Zungenhälfte  ergriff  und  vielfach 
angestellten  Heilversuchen  mit  Mundwässern,  wiederholten  Aetzungen 
mit  Lapis,  Chromsäure,  sowie  auch  einer  Abschabung  mit  dem  scharfen 
Löffel  trotzte.  Am  Zungenrücken,  an  der  Zungenspitze,  zum  Theil 
auch  an  der  unteren  Fläche  sieht  man  verschieden  grosse,  eiuzeln 
stehende  und  confluirende,  weisslichgelbe  Ringe  mit  lebhaft  rothem 
Centrum  und  scharfem  Rande.  Aber  auch  in  den  zwischen  den  er¬ 
krankten  Herden  liegenden  Stellen  ist  die  Zungenoberfläche  nicht  in¬ 
tact,  sondern  durch  Schwund  der  Epithelkuppen  der  filiformen  Pa¬ 
pillen  glänzend  saturirt  roth.  Im  abgeschabten  Belage  der  Ringe  sind 
neben  fettig  degenerirten  Epithelzelleu  massenhaft  verschiedenste  Mikro¬ 
organismen,  die  keinen  Anhaltspunkt  für  einen  mykotischen  Ursprung 
der  Läsion  geben  können.  Es  handelt  sich  vielmehr  um  die  unter  ver¬ 
schiedensten  Namen  beschriebene  Glossitis  superficialis  exfoliativa,  auch 
Keratosis  annularis  und  Lingua  geographica  und  anders  genannte 
Affection. 

Neumann  weist  auf  die  differentialdiagnostische  Wichtigkeit 
dieser  Fälle  hin. 

Kaposi  hebt  die  Wichtigkeit  dieser  viel  erörterten  Frage 
hervor.  Die  von  Nobl  gezeigte  Veränderung  finde  sich,  deutlich  ver¬ 
schieden  von  Syphilis,  zunächst  häufig  bei  fast  allen  Infectionskrank- 
heiten,  indem  das  Epithel  durch  acute  Hyperämie  und  Exsudation  ab¬ 
gehoben,  getrübt  und  abgestossen  wird.  Anatomisch  in  gleicher  Weise 
ist  der  Process  auch  in  allen  chronischen  Fällen  auf  das  oberflächliche 
Epithel  beschränkt,  weshalb  der  Ausdruck  „Glossitis“  gemieden  werden 
soilte.  Die  chronisch  recidivirende  Form  ist  ätiologisch  nicht  genau 
erkannt,  doch  kommen  namentlich  anämische,  dyspeptische  und  bei 
Frauen  dysmennorrhoische  Zustände  als  Prädisposition  in  Betracht. 
Ihre  Hauptsymptome  bilden  der  Exfoliationsprocess  und  die  namentlich 
beim  Genüsse  warmer  Speisen  und  beim  Sprechen  vorhandenen 
grossen  Schmerzen,  die  den  Patienten  oft  zur  Verzweiflung  bringen. 
Daher  bezeichnete  er  die  Erkrankung  als  Glossodynia  exfolia¬ 
tiva  und  fand  dieselbe  gar  nicht  selten,  zu  zwei  Dritteln  bei  Frauen. 
Symptomatisch  setzten  Touchirungen  mit  concentrirter  Lapislösung  die 
Schmerzhaftigkeit  sehr  herab;  aus  Causalindication  kommen  diätetische 
Medication,  Brunnencuren,  Alkalien,  Eisen-  oder  Bittermittel  und  andere 
in  Betracht. 

Ehrmann  stellt  vor  einen  Fall  von  syphilitischem 
Initial  affect  am  rechten  Nasenflügel.  Die  Diagnose 
stützt  sich  auf  die  beiderseitigen,  indolenten  Drüsenschwellungen  und 
sind  acut  entzündliche  Erscheinungen,  wie  Furunkel  und  Erysipel 
leicht  auszuschliessen.  Die  Haut  der  rechten  Nasolabialfurche  ist  braun- 
roth  infiltrirt  und  schuppend  als  Ausdruck  einer  Lymphangoitis 
capillaris.  Der  Infectionsmodus  ist  unbekannt. 

Neumann  führt  vier  Fälle  von  Sklerose  au  der  Nase  an,  darunter 
einen,  wo  sich  die  eine  Sklerose  an  der  Nasenspitze,  eine  zweite  an 
der  Oberlippe,  die  dritte  am  Kinne  befand. 

Lang  sah  eine  solche  bei  einem  10jährigen  Mädchen. 

E  h  r  m  a  n  n  bei  einer  Frau,  die  sich  im  Lavoir  eines  Luetischen 
gewaschen. 

Schiff  wirft  die  Frage  auf,  ob  man  nicht  ähnlich  wie  bei 
Lupus  und  Lepra  auch  hier  an  die  Möglichkeit  einer  Infection  durch 
die  verunreinigten  Hände  und  Finger  denken  könne. 

Kaposi  betont  dem  gegenüber,  dass  man  diesbezüglich  ana¬ 
mnestische  Angaben  nur  mit  der  grössten  Vorsicht  aufnehmen  und 
nicht,  wie  Beispiele  in  L  e  1  o  i  r’s  Buch  über  Lupus  beweisen,  passende 
Angaben  gekünstelt  venverthen  dürfe. 

Neumann  kennt  keine  sichere  Beobachtung  von  director 
Lupusinfection,  während  dies  für  Lepra  nach  den  Ergebnissen  der 
Berliner  Conferenz  doch  feststehe. 

Lang  schliesst  sich  bezüglich  der  Vorsicht  bei  Benützung 
anamnestischer  Beweise  Kaposi  an,  weist  aber  auf  die  sicheren  Be¬ 
obachtungen  J  a  d  a  s  s  o  h  n’s  und  Doutrelepon  t’s  über  die  Infec- 
tiosität  von  Lupus  hin. 

E  h  r  m  a  n  n  demonstrirt  ferner  die  Recidive  eines  L  u  p  u  s  t  u- 
m  i  d  u  s  nasi,  der  vor  zwei  Jahren  mit  33%iger  Resorcinpaste  zur  Heilung 
gebracht  worden,  und  erwähnt  einen  zweiten  Fall,  bei  dem  diese  Ap¬ 
plication  durch  Auskratzung  und  nochmalige  Anwendung  der  Paste 
zur  definitiven  Heilung  eines  Lupus  führte. 

Neumann  demonstrirt : 

1.  Den  bereits  früher  vorgestellten  Fall  von  Gumma  cuta- 
n  e  u  m,  das  unter  dem  Bilde  einer  Sykosis  verlief  und  nun  unter  einer 


Inunctionscur  und  Localapplication  mit  Empl.  cinereum  vollständig 
schwand. 

2.  Einen  40jährigen  Kranken  mit  universell  ausgebreitetem  F  i- 
broma  molluscum. 

3.  Einen  54jährigen  Bauer  mit  einem  ausgedehnten  Lupus 
der  rechten  Wange,  der  in  seinem  oberen  Autheil  in  einen 
flachen  Epithelialkrebs  übergegangen  ist. 

4.  Eine  22jährige  Kranke  mit  über  dem  ganzen  Körper  ausge¬ 
breiteten,  grossen  gummösen  Geschwüren. 

5.  Eine  32jährige  Magd  mit  aphthösen  Geschwüren  am 
Genitale  und  einem  toxischen  Exanthem  an  der  ganzen  Körper¬ 
decke.  An  der  Commissura  posterior  findet  sich  flachhandgrosses, 
schmutziggrau  belegtes  Geschwür  mit  scharfen,  nicht  unterminirten 
Rändern.  Am  Urethralwulst  mehrere  stecknadelkopfgross,  weisslich- 
belegte  Substanzverluste.  Urin  klar.  Ueber  der  Brust,  den  Schultern 
und  in  der  Lumbalgegend,  spärlich  an  den  Extremitäten  finden  sich 
hanfkorn-  bis  erbsengrosse,  von  rothem  Hof  umgebene  Knötchen,  die 
in  der  Mitte  meist  eine  Pustel  tragen. 

Die  Erkrankung  trat  einige  Tage  vor  dem  Spitalseintritte  unter 
heftigen  Fiebererscheinungen  auf. 

Lang  stellt  einen  29jährigen  Mann  vor,  bei  dem  er  wegen 
Lupus  die  rechte  Ohrmuschel  und  die  angrenzende  Wangenhaut  ent¬ 
fernte  und  den  Defect  durch  einen  entsprechend  geformten  Lappen 
aus  der  seitlichen  Halsgegend  plastisch  ersetzte,  so  dass  der  Wieder¬ 
ersatz  der  Ohrmuschel  kosmetisch  erreicht  ist. 

Lang  demonstrirt  ferner  eine  23jährige  Patientin,  bei  der  nach 
Exstirpation  eines  Lupus  der  linken  Nasenhälfte  der  Defect  durch 
ideal  eingeheilten,  stiellosen  Lappen  gedeckt  ist. 

Spitzer  demonstrirt: 

1.  Einen  Mann  mit  clavusähnlichem  Palmarsyphilid.  Infection 
November  1899. 

2.  Einen  Patienten  mit  ausgebreitetem  papulösem  Exanthem  am 
Stamme  und  der  Kopfhaut.  Der  Patient  zeigt  am  Abdomen  eine  local 
umschriebene,  kopfgrosse,  tumorartige  Fettanhäufung. 

3.  Einen  18jährigen  Burschen,  bei  dem,  ausgehend  von  einer 
exulcerirten  Papelgruppe  am  Scrotum,  im  Penoscrotal winkel  ein  Ab¬ 
scess  entstand,  der  im  Verlaufe  eines  deutlich  tastbaren,  entzündeten 
Lymphgefässes  auftrat. 

Nobl  demonstrirt  einen  Fall  von  Impetigo  contagiosa 
circinnata  im  Gesichte;  obwohl  die  klinischen  Charaktere  genügen, 
um  diese  Affection  dem  in  der  Configuration  ähnlichen  Herpes  ton¬ 
surans  vesiculosus  gegenüber  zu  differenziren,  hat  auch  die  vorge¬ 
nommene  Untersuchung  auf  Pilze  ein  negatives  Resultat  ergeben. 

Kreibich  demonstrirt  einen  Patienten  mit  einem  seit  acht 
Wochen  bestehenden  Substanzverlust  der  Oberlippe  auf  indurirter 
Basis,  ohne  regionär  vergrösserte  Lymphdrüsen  oder  Exanthem.  Daher 
sieht  es  Kreibich  trotz  der  Induration  als  traumatisches  Ulcus  an. 

Kaposi  und  Neumann  sahen  ähnliche,  jahrelang  persistirende 
Geschwüre  ohne  Drüsenschwellung,  die  oft  jeder  1  herapie  hartnäckig 
trotzen. 

Freund  sah  solche  Geschwüre  zugleich  mit  Menstruations¬ 
störungen  bei  einer  Frau  im  Frühjahr  und  Herbst  recidiviren;  auch 
die  13jährige  Tochter  dieser  Frau  leidet  seit  der  Pubertät  an  einer 
ähnlichen  Affection. 

Kaposi  demonstrirt : 

1 .  Einen  Fall  von  Erythema  p  a  p  u  1  a  t  u  m  in  Form  von 
disseminirten,  linsengrossen,  lebhaft  braunrothcn,  im  Centrum  sich 
conisch  erhebenden,  auf  Druck  vollständig  abblassenden  Efflorescenzen 
um  die  Augen,  die  Nase  und  am  Kinn. 

2.  Einen  über  das  ganze  Gesicht  ausgebreiteten  Lupus  ery¬ 
thematodes  bei  einem  36jährigen  Manne.  Derselbe,  anscheinend 
diffus,  zeigt  bei  näherem  Zusehen  schmale  Zwischenstreifen  normaler 
Haut  und  so  deutlich  discoiden  Charakter. 

3.  Einen  21jälirigen  Gymnasiasten  mit  einem  seit  dem  vierten 
Lebensjahre  bestehenden,  bald  an  der  einen,  bald  an  der  anderen 
Stelle  auftretenden,  stark  juckenden,  vergeblich  behandelten  Ausschlag. 
Jetzt  finden  sich  an  der  Stirne,  der  Streckseite  der  Hände  und  1  order¬ 
arme,  vereinzelt  auch  an  der  behaarten  Kopfhaut,  dem  Stamme  und 
den  unteren  Extremitäten  linsen-  bis  hellergrosse  Epitheldefecte  ähn¬ 
lich  den  Residuen  flacher  Bläschen  neben  kleineren,  lebhaft  rotlien, 
zumeist  excoriirten  Knötchen.  Dazwischen  auch  frische  und  ältere 
Kratzeffecte,  leichte  Pigmentffecke  und  kleine  Narben. 

Kaposi  hält  die  Affection  für  die  von  Hutchinson  1888 
beschriebene  und  1892  in  Wien  am  Dermatologen- Congresse  besprochene 
I  Form  von  Prurigo  aestivalis  oder  die  ähnlichen  auch  als 
Hydroa  aestivalis  vesiculosa  und  Acne  urticata 
necrotisans  beschriebenen  Erkrankungen,  die  von  M  a  g  n  u  s 
Möller  in  seiner  jüngst  erschienenen  Monographie  über  den  „Ein¬ 
fluss  des  Lichtes  auf  die  Haut  in  gesundem  und  krankem  Zu- 
I  stände“,  zusammenfassend  behandelt  werden. 


286 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1$ 


Auffallend  an  diesem  Falle  ist,  dass  die  Eruptionen  auch  an 
Körperstellen  auftreten,  die  durch  die  Kleidung  gedeckt  sind,  und 
ebenso  im  Winter  und  bei  Bettruhe  und  Aufenthalt  im  Zimmer. 

4.  Einen  Lichen  ruber  planus,  der  bei  einem  kräftigen, 
28jährigen  Mann  in  vier  Wochen  fast  den  ganzen  Körper  ergriff  und 
nun  das  typische  Aussehen  eines  ausgedehnten  Lichen  darbietet. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Chirurgie. 

Referent :  Wohlgemuth  (Berlin). 

II.  Sitzungstag,  Dienstag  den  19.  September,  Vormittags. 

Vorsitzender  :  Se.  königl.  Hoheit  Prinz  Dr.  Ludwig  Ferdinand  von 
Bayern. 

IX.  Kümmell  (Hamburg) :  U  e  b  e  r  circulare  Naht  der 
G  e  f  ä  s  s  e.  (Fortsetzung.) 

Vortragender  demonstrirt  an  herumgereichten  Präparaten 
diese  Naht. 

Nach  Abnahme  der  Klemmen  verlor  das  Bein  sofort  seine  livide 
Verfärbung  und  zeigte  sein  normales  Aussehen.  Aus  den  Stichcanälen 
der  Nahtstelle  fand  eine  leichte  Blutung  statt,  die  durch  Anlegung 
einiger  oberflächlicher  Nähte  leicht  beseitigt  wurde.  Durch  Lappenver¬ 
schiebung  gelang  es,  die  Wunde  vollständig  durch  Naht  zu  schliessen. 
Nach  10  Tagen  Entfernung  der  Nähte.  Die  Wunde  war  p.  pr.  geheilt, 
eine  Circulationsstörung  war  nicht  eingetreten.  Das  bis  dahin  in  der 
Hüfte  noch  flectirte  Bein  wurde  gestreckt,  Patientin  24  Tage  nach  der 
Operation  geheilt  entlassen. 

Die  Möglichkeit  der  circularen  erfolgreichen  Naht  der  Arterie 
sowohl  wie  der  Vene  beim  Menschen  ist  somit  bewiesen.  Sie  gelang 
im  ersten  Falle  mit,  im  zweiten  Falle  ohne  Invagination  nach  Re¬ 
section  grösserer  Stücke.  (Selbstbericht.) 

X.  Rosenberger  ( W ürzburg) :  Ueber  die  Behandlung 
von  gleichzeitigen  complicirten  Fracturen  des 
Ober-  und  Unterschenkels  derselben  Seite. 

Die  Behandlung  einer  Fractur  am  Ober-  und  Unterschenkel  der¬ 
selben  Seite  ist  immer  eine  schwere  Aufgabe  für  den  Chirurgen,  wenn 
die  Fracturen  aber  durch  eine  rohe  directe  Gewalt  entstanden  und 
complicirt  sind,  so  muss  die  Frage  erwogen  werden,  ob  überhaupt  con- 
servativ  verfahren  werden  soll  oder  nicht.  Einen  solchen  Fall  hat 
Rosenberger  zu  behandeln  Gelegenheit  gehabt.  Es  handelte  sich 
um  einen  gesunden  kräftigen  Landmann  im  Alter  von  38  Jahren,  der 
im  Begriffe  war,  einen  mit  Sand  schwer  beladenen  Wagen  einen  hohen 
Berg  hinunterzufahren,  als  plötzlich  die  Hemmkette  *  riss  und  er  zu 
Boden  fiel,  so  dass  er  vom  linken  Hinterrad  am  rechten  Ober-  und 
Unterschenkel  überfahren  wurde.  Der  sofort  herbeigerufene  Arzt  con- 
statirte  sowohl  am  Ober-  als  am  Unterschenkel  eine  Durchstechungs- 
fractur,  vermochte  jedoch  nicht  das  vorstehende  obere  Bruchende  der 
Tibia  zurückzubringen.  Als  Rosenberger  den  Patienten  am  näch¬ 
sten  Morgen  sah,  war  das  ganze  Bein  bis  auf  den  Unterleib  sehr  stark 
angeschwollen  und  der  Oberschenkel  fühlte  sich  ganz  kalt  an.  Aus 
der  2cm  langen  Stichwunde  über  den  Gefässen  an  der  Grenze  zwischen 
oberem  und  mittlerem  Drittel  entleerte  sich  sehr  viel  flüssiges  dunkles 
Blut,  das  mit  Luftblasen  vermischt  war.  Mit  Rücksicht  auf  die  Schwere 
der  Gewalt  und  die  Kälte  des  Oberschenkels,  an  dem  die  Wunde  den 
Eindruck  einer  Verletzung  an  der  Leiche  machte,  glaubte  Rosen¬ 
berger  von  einem  conservativen  Versuche  absehen  zu  sollen;  der 
Umstand  jedoch,  dass  sich  der  Unterschenkel,  aus  dem  das  obere 
Bruchende  8  cm  lang  wie  durch  ein  Knopfloch  herausstand,  warm 
anfühlte,  veranlasste  ihn,  conservativ  zu  verfahren,  selbst  auf  die 
Gefahr  hin,  dass  am  Oberschenkel  grössere  Hautpartien  gangränös 
würden. 

Die  Hauptfrage  war  nun  die,  wie  die  Fracturen  durch  einen  Ver¬ 
band  fixirt  werden  sollten.  Derselbe  sollte  doch  so  liegen,  dass  die 
Wunden,  an  denen  wegen  der  Verunreinigung  mit  Strassenstaub  und 
wegen  der  zu  befürchtenden  Gangrän  ein  häufiger  Verbandwechsel  zu 
erwarten  war,  verbunden  werden  konnten,  ohne  dass  die  Fixation  un¬ 
terbrochen  werden  musste.  Ein  Streckverband  konnte  diese  Bedingung 
nicht  erfüllen,  ebensowenig  schien  ein  Gypsverband,  der  bei  dem  star¬ 
ken  Manne  und  der  bedeutenden  Schwellung,  die  sich  bis  auf  den 
Unterleib  erstreckte,  sehr  schwer  anzulegen  gewesen  wäre,  geeignet. 
Bei  solchen  Erwägungen  wählte  Rosenberger  eine  lange  Aussen- 
schiene,  die  von  den  falschen  Rippen  bis  über  den  äusseren  Fussrand 
reichte. 

Die  Heilung  erfolgte  bei  diesem  Verbände  mit  3  cm  Verkürzung 
innerhalb  der  gewöhnlichen  Zeit  und  Rosenberger  ist  der  An¬ 


schauung,  dass  er  dieses  gute  Resultat  zum  grössten  Theile  der  Art 
der  Fixation,  das  heisst  der  Aussenschiene,  die  19  Tage  liegen  blieb 
und  das  Verbinden  der  Fracturen  gestattete,  ohne  dass  die  Fixation 
unterbrochen  werden  musste,  zuzuschreiben  habe. 

XL  Reiner  (Wien) :  Ueber  eine  Methode  zum  Stu¬ 
dium  des  Knochens  tructui. 

Redner  führt  aus,  dass  die  Röntgographie  der  Knochen  das,  was 
man  auf  den  Wolf  f’schen  Fournirschnitten  sich  erst  aus  vielen  Schnitten 
combiniren  musste,  auf  einem  Bilde  zur  Darstellung  bringt,  dem  aller¬ 
dings  ein  wichtiger  Factor,1  die  Körperlichkeit  fehlt.  Um  dies  zu  er¬ 
setzen,  hat  er  versucht,  die  Röntgographie  mit  der  Stereoskopie  zu 
verbinden  und  auf  den  (nun  demonstrirten)  Photogrammen  könne  man 
neben  den  klaren  Structurverhältnissen  auch  die  Perspective  schön  er-, 
kennen. 

Discussion:  Schulthes  (Zürich)  bemerkt  sehr  richtig, 
dass  die  Röntgen-Bilder  nicht  auf  dieselbe  Weise  entstehen  wie  die 
Stereoskop-Bilder,  die  bekanntlich  von  zwei  verschiedenen  Gesichts¬ 
winkeln  aus  aufgenommen  werden,  und  dass  damit  der  Werth  dieser 
Perspective  illusorisch  ist. 

XII.  Reiner  (Wien) :  Ueber  Beckenveränderungen 
nach  der  blutigen  Operation  der  congenitalenHüft- 
Verrenkung. 

Vortragender  zeigt  die  Contourenzeichnungen  von  drei  Becken, 
deren  Träger,  Induviduen  von  L 4 ’/* — 16  Jahren,  mit  einseitiger  Hüft¬ 
gelenksluxation  behaftet  waren.  Diese  Becken,  deren  genaue  Zeichnung 
nach  Röntgen-Bildern  angefertigt  wurde,  sind  sämmtlich  asymmetrisch 
schräg  verengte,  und  zwar  zweimal  auf  der  kranken  Seite  im  Schräg- 
und  Querdurchmesser  verändert,  einmal  umgekehrt  auf  der  gesunden 
Seite  und  viel  hochgradiger  als  die  beiden  anderen.  Diese  beiden 
waren  nicht  operirte,  der  eine  ein  blutig  operirter  Fall.  Den  Grund 
hiefür  glaubt  Reiner  in  der  Aushöhlung  des  Pfannenbodens,  der 
eine  Verletzung  der  Epiphysenfurchen  involvirt,  suchen  zu  müssen, 
wodurch  dann  auf  dieser  Seite  eine  Atrophie  entsteht.  Diese  Anomalien 
würden  in  späteren  Jahren  beim  Partus  sich  unter  Umständen  schwer 
rächen. 

Discussion:  Lorenz  (Wien).  Er  glaubt,  dass  schon  wegen 
dieser  unter  Umständen  sehr  traurigen  Nacbspielo  die  unblutige  Methode 
der  Hüftgelenksreposition  über  die  blutige  siegen  müsse.  Der  Pfannen¬ 
boden  müsse  unter  allen  Umständen  als  eine  sacrosancte  Gegend  be¬ 
trachtet  werden. 

* 

Nachmittagssitzung. 

Vorsitzender:  v.  Esmarch  (Kiel). 

XIII.  Schmidt  (Heidelberg) :  Ueber  die  operative  Be¬ 
handlung  der  Myelocele  spinalis. 

Die  bisher  geübten  Operationsmethoden  bei  Myelocele  spinalis 
(Punction,  oder  Punction  mit  folgender  Injection  von  Jodtinctur,  oder 
die  Exstirpation  des  Sackes  nach  Auslösuug  der  eingewachsenen  Ner¬ 
venbahnen)  sind  in  ihrem  Erfolge  unsicher  und  die  Exstirpation  be¬ 
sonders  ergibt  eine  grosse  Mortalität,  da  der  kindliche  Duralsack  ausser¬ 
ordentlich  leicht  auf  eine  auch  noch  so  geringe  Infection  mit  einer 
ascendirenden  Meningitis  antwortet  oder  leicht  eine  Fistelbildung  zurück¬ 
bleibt,  welche  zu  eiuer  secundären  Infection  führen  kann.  Schmidt 
macht  deshalb  den  Vorschlag,  den  Sack  zu  entleeren,  ihn  aber  als 
solchen  zu  erhalten  und  zum  Verschluss  der  Knochenlücke  zu  ver- 
werthen.  Das  Verfahren  ist  folgendes:  Bauchlage  mit  tief  liegendem 
Kopfe.  Verticaler  Längsschnitt  durch  die  Haut  über  die  ganze  Länge 
der  Geschwulst;  sorgfältige  Ablösung  der  Haut  von  dem  uneröffneten, 
noch  gefüllten  Sack  bis  zur  Bruchpforte.  Punction  des  Sackes  mit 
dicker  Pravaz-Nadel  am  unteren  Pole.  Während  der  Sack  langsam  zu¬ 
sammenfällt,  wird  auf  seine  Wölbung  eine  Sonde  mit  der  Längsachse 
flach  eingedrückt  und  die  sich  berührenden  Aussenflächen  des  Sackes 
werden  mit  einer  fortlaufenden  Naht  in  mehreren  über  einander  liegen¬ 
den  Etagen  vernäht.  So  werden  die  Nervenbündel  gegen  den  Canal 
geschoben,  der  Sack  in  sich  eingerollt  und  sein  Involut  bildet  einen 
festen  organischen  Tampon  in  dem  Defect  des  Wirbelbogens.  Die 
letzten  Fadenenden  wurden  durch  den  meist  scharf  ausgebildeten  Fa- 
scienrand  der  Knochenlücke  gezogen  und  verknüpft.  In  einem  Falle 
wurde  versucht,  den  Proc.  spinosus  des  nächst  tieferen  Wirbels  an 
seiner  Basis  zu  infrangiren  und  nach  aufwärts  zu  schlagen,  um  die 
Deckung  des  Defectes  zu  verstärken. 

Das  Verfahren  wurde  in  drei  Fällen,  deren  Einzelheiten  wieder¬ 
gegeben  wurden,  mit  vollem  Erfolge  angewendet  und  geniesst  vor  den 
bisher  geübten  Methoden  den  Vortheil  der  Einfachheit,  relativen  Unge¬ 
fährlichkeit  und  Dauerwirkung. 

XIV.  Dr.  Rieding  er  (Würzburg):  Die  Varität  im 
Schulter  gelenk. 

Der  Vortragende  demonstrirt  ein  Präparat,  welches  einen  Humerus 
varus,  die  Analogie  mit  der  Coxa  vara  an  der  Schulter  darstellt.  Die 


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Deformität  entstand  in  den  Wachstbumsjahren  und  war  combinirt  mit 
einer  im  Gefolge  einer  Condylenfractur  aufgetretenen  Ankylose  des 
Ellbogengelenkes.  Der  Vorderarm  steht  in  rechtwinkeliger  Beuge¬ 
stellung  und  in  mittlerer  Pronationsstellung.  Die  Deformität  kam  zu 
Stande  durch  Abknickung  in  der  Epiphysenliuie  am  oberen  Abschnitte 
des  Humerus,  und  zwar  ist  es  der  Humerusschaft,  welcher  eine  Ab¬ 
knickung  erfahren  hat.  Die  Varusstellung  ist  deutlich  ausgeprägt  durch 
Strecksteilung,  Einwärtsrotation  und  Adduction. 

Weiterhin  wird  ein  Präparat  demonstrirt,  an  dem  sich  bei  be¬ 
stehender  Arthritis  deformans  die  Gelenkfläche  des  Humeruskopfes  mehr 
horizontal  gestellt  hat.  Dasselbe  dient  als  Beispiel  für  die  Valgus- 
stellung. 

Schliesslich  erwähnt  der  Vortragende  einen  Fall  von  Wachstliums- 
und  Bewegungsstörungen  im  Schultergelenk  während  der  Pubertätsjahre, 
der  die  Vermuthung  nahe  legt,  dass  es  sich  um  einen  Humerus  varus 
gehandelt  hat. 

Discussion:  Joachimsthal  (Berlin)  hält  das  demonstrirte 
Präparat  für  noch  nicht  ganz  spruchreif.  Sollte  die  Durchsägung,  re¬ 
spective  Durchleuchtung  des  oberen  Humerusendes  keine  Andeutung 
einer  frühren  Fractur  ergeben,  so  lässt  sich  vermuthen,  dass  es  sich 
um  eine  —  jedenfalls  von  Wachsthumsvorgängen  im  Sinne  des  Vor¬ 
tragenden  unabhängige  —  functioneile  Störung  im  Anschluss  an 
die  Veränderungen  im  Ellbogengelenk  handelt.  Es  würde  sich  damit 
am  Humerus  ein  Analogon  für  die  Veränderungen  des  Schenkelhals¬ 
winkels  ergeben,  wie  sie  Joachimsthal  im  Anschluss  an  fehler¬ 
haft  geheilte  Schenkelscbaftfracturen  beschrieben  hat,  und  wie  sie  von 
Albert  u.  A.  bei  Knieverkrümmungen  eonstatirt  worden  sind. 

Rieding  er  (Würzburg)  bemerkt,  dass  diese  Einwendungen 
dem  Werth  seines  Präparates  keinen  Eintrag  thun. 

XV.  Prof.  R  i  e  d  i  n  g  e  r  (Würzburg) :  Z  u  r  Darmchirurgi  e. 

Der  Vortragende  spricht  über  die  Störungen,  die  in  Folge  In¬ 
carceration  am  Darm  auftreten.  In  vielen  Fällen  wird  der  Daim  be- 
bereits  bei  der  Operation  als  gangränös  befunden;  in  anderen  perforiit 
derselbe  nach  der  Reposition  in  die  Bauchhöhle,  und  zwar  manchmal 
verhältnissmässig  spät,  nach  acht  oder  mehr  Tagen.  Es  ist  nicht  leicht, 
zu  bestimmen,  ob  sich  der  länger  eingeklemmte  Darm  wieder  vollkommen 
erholen  kann  oder  nicht.  Das  Schicksal  der  Patienten,  bei  denen  die 
Perforation  in  die  freie  Bauchhöhle  erfolgt,  ist  in  der  Regel  rasch  be¬ 
siegelt.  Der  diffusen  Peritonitis  gegenüber  sind  wir  ziemlich  machtlos. 
Doch  kann  sich  der  Vorgang  auch  günstiger  gestalten.  Es  bildet  sich 
eine  mehr  oder  weniger  circumscripte  Peritonitis.  Einen  solchen  Fall 
hat  der  Redner  operirt.  Die  Oeffnung  im  Darm  lag  aber  nicht  an 
der  äusseren  Wunde,  sondern  in  einer  Dünndarmschlinge,  welche  in 
einen  grossen  Abscess  im  kleinen  Becken  mündete.  Nach  Resection 
des  mit  seiner  Umgebung  allseitig  intim  verwachsenen  Darmes  in 
grösserer  Ausdehnung  und  nach  Reinigung  der  Abscesshöhle  durch 
Austupfen  mit  Jodoformgaze  wurde  dieselbe  ausgiebig  drainirt.  Es  er¬ 
folgte  glatte  Heilung. 

Nach  einigen  Bemerkungen  über  die  Behandlung  der  eiterigen 
Peritonitis  demonstrirt  der  Vortragende  eine  Modification  der  circularen 
Darmnaht.  Zuerst  wird  eine  oder  auch  mehrere  Knopfnähte  am 
mesenterialen  Umfang  des  Darmes  von  innen  aus  gelegt.  Man  durch¬ 
sticht  alle  Lagen,  und  zwar  nicht  zu  nahe  am  Wundrand,  damit  die 
Berührungfläche  der  Serosa  ausgiebig  genug  wird,  dann  macht  man 
gegenüber  dieser  Stelle  am  zu-  und  abführenden  Darmstück  eine 
Längsincision.  Hierauf  werden  die  dadurch  entstehenden  beiden  obeien 
Zipfel  nach  oben  geschlagen  und  am  äussersten  Punkte  mit  einer 
Sutur  versehen. 

Nun'  näht  man  bis  zur  Mitte  weiter.  Ebenso  verfährt  man  an 
den  beiden  unteren  Zipfeln  und  näht  nach  oben  bis  zur  Mitte.  Die 
Längswunde,  die  nun  restirt,  wird  nach  dem  Lembertschen  Princip 
genäht.  Da,  wo  die  Wunden  im  rechten  Winkel  aufeinanderstossen, 
muss  besonders  exact  genäht  werden.  Diese  Modification  ist  leicht  und 
rasch  auszuführen  und  schützt  auch  die  Schleimhautwunde.  Sind  die 
Darmlumina  nicht  gleich,  so  kann  mit  der  Längincision  eine  Keilex- 
cision  verbunden  werden. 

XVI.  Hofmeister  (Tübingen):  Ueber  eine  unge¬ 
wöhnliche  Erscheinungsform  der  Blinddarmakti- 
nomykose. 

Bei  zwei  Männern  im  Alter  von  47  und  28  Jahren  hat  Vor¬ 
tragender  grosse  Ileocöcaltumoren,  beide  Male  mittelst  Resection  der 
Ileocöcalpartie  und  eines  mit  dem  Tumor  fest  verwachsenen  Stückes 
des  Colon  transversum  entfernt.  Die  Geschwülste,  welche  sich  unter 
mässigen  subjectiven  Beschwerden  und  ohne  wesentliche  Störung  der 
Darmthätigkeit  im  Laufe  einiger  Monate  entwickelt  hatten,  sassen  dei 
Vorderfläche  des  Cöcurn  fest  auf.  In  ihrem  Inneren  enthielten  sie  den 
Appendix  vermiformis,  dessen  Schleimhaut  intact  erschien.  Consistenz 
und  Schnittfläche  der  Tumoren  erinnerte  an  ein  derbes  Fibrosarkom, 
dagegen  ergab  die  mikroskopische  Untersuchung  eine  rein  entzündliche 
Bindegewebshyperplasie,  als  deren  Ursache  bei  wiederholter  genauer 
Untersuchung  in  Serienschnitten  durch  die  ganze  Dicke  der  1  umoren, 


spärliche  Aktinomycesdrusen  gefunden  wurden.  Das  Ungewöhnliche 
seiner  Fälle  sieht  Vortragender  in  der  Bildung  circumscripter,  mit  der 
Umgebung  relativ  wenig  verwachsener  (in  einem  der  beiden  'Tumoren 
sogar  verschieblichen)  Tumoren  ohne  Betheiligung  der  Bauchdecken  im 
Gegensatz  zu  der  bei  der  Aktinomykose  sonst  regelmässig  gefundenen 
diffusen,  schwer  abgrenzbaren  Infiltration,  ein  seltenes  Vorkommniss, 
das  jedoch  für  die  Diagnostik  der  Ileocöcaltumoren  nicht  ohne  prak¬ 
tische  Bedeutung  ist. 

XVII.  Lauenstein  (Hamburg) :  Eine  Complication 
nach  der  operativen  Behandlung  der  Appendicitis 
retrocoecalis. 

Lauenstein  hat  nach  Exstirpation  eines  retrocöcalen  Tumors 
bedingt  durch  chronische  Entzündung  des  Wurmfortsatzes  nach  4,  re¬ 
spective  20  Tagen  umschiiebene  Nekrose  der  Cöcalwand  auftreten 
sehen,  ausserdem  partielle  Thrombose  im  rechten  Saphenagebiet  und 
davon  abhängig  hämorrhagischen  Lungeninfaret.  Er  glaubt,  dass  an 
dieser  circumscripten  Gangrän  nicht  die  Nähte  schuld  sind,  sondern 
er  nimmt  eine  Schädigung  der  Ernährung  der  Cöcalwand  durch  Ab¬ 
lösung  des  Cöcurn,  respective  als  Folge  der  Durchtrennung  des  Meso- 
coecum  laterale  als  Ursache  an  und  räth,  in  ähnlichen  Fällen  den 
Wurmfortsatz  möglichst  isolirt  zu  entfernen  ohne  Mitnahme  von  zu 
viel  Gewebe  und,  statt  die  Bauchwunde  vollständig  primär  zu  schliessen, 
einen  Gazestreifen  auf  das  Cöcurn  zu  führen. 

XVIII.  v.  Eiseisberg  ((Königsberg):  Zur  Radicalopera- 
tion  des  Volvulus  und  der  Invagination  durch  die 
Resection. 

Während  der  Chirurg  seit  Jahren  der  Operation  der  incarcerirten 
Hernie  die  Radicaloperation  zur  Vermeidung  des  Recidives  folgen  lässt, 
ist  dies  bei  der  Operation  des  Volvulus  und  der  Invagination  noch 
nicht  allgemein  gebräuchlich.  Der  Operateur  ist  zufrieden,  wenn  er 
beim  Volvulus  detorquiren,  bei  der  Invagination  desinvaginiren  und 
dadurch  dem  Patienten  helfen  kann. 

Dass  es  nach  dieser  Operation  zur  Recidive  kommen  kann,  be¬ 
weisen  zahlreiche  Beobachtungen  (H.  Braun,  Roux  u.  A.).  Auch 
die  Anamnese  des  zweiten  seiner  Fälle  spricht  in  dieser  Richtung. 

In  der  Königsberger  chirurgischen  Klinik  wurden  in  den  letzten 
drei  Jahren  sechs  Fälle  von  Volvulus  der  Flexura  sigmoidea,  neun 
Fälle  von  Invagination  operirt,  von  welchen  die  von  Volvulus  genauer 
betrachtet  werden  sollen. 

Viermal  war  keine  Ernährungsstörung  der  Flexur  vorhanden. 
Es  wurde  detorquirt,  alle  vier  Patienten  konnten  die  Klinik  geheilt 
verlassen. 

Zweimal  war  die  Flexur  noch  weniger  gangränös,  das  eine  Mal 
wurden  die  Sehnürfurchen  übernäht,  das  andere  Mal  die  Flexur  in  toto 

resecirt.  Beide  Fälle  endeten  letal. 

Besonderes  Interesse  verdient  das  Schicksal  der  vier  Patienten 
der  ersten  Gruppe.  In  drei  dieser  vier  Fälle  konnte  eine  hochgradige 
Annäherung  der  beiden  Fusspunkte  der  Flexur  vorgefunden  werden. 
Obwohl  alle  vier  Patienten  nach  der  Detorsion  die  Klinik  geheilt  ver- 
liessen,  zeigte  die  weitere  Beobachtung,  dass  dreimal  die  Heilung  nicht 
von  Dauer  war. 

Einmal  konnte  über  das  weitere  Schicksal  nichts  erfahren 


werden. 

Einmal  traten  im  Laufe  des  folgenden  Jahres  häufige  Antalle 
von  Kolik  ein. 

Einmal  starb  der  Patient  nach  einem  Jahre  ausserhalb  dei 

Klinik  an  Ileus.  #  . 

Einmal  trat  nach  Jahresfrist  ein  Recidiv  des  Volvulus  aut, 

dessentwegen  die  Resection  der  ganzen  Flexur  vorgenommen  werden 
musste.  (Das  Präparat  wird  demonstrirt.) 

Aus  diesen  Beobachtungen  folgt  wohl,  dass  die 
Retorsion  nicht  genügt,  sondern  von  einer  Radical- 
operation  gefolgt  sein  muss.  _ 

Als  solche  kommen  in  Betracht:  1.  die  Colopexie,  2.  die  Re¬ 
section.  .  .  ,  ,  I  . 

Die  Colopexie  ist  entschieden  bei  weitem  der  leichtere  von 

beiden  Eingriffen,  doch  liegen  nicht  genug  Erfahrungen  vor,  ob  sie 
wirklich  Recidive  verhütet,  auch  ist  sie  nicht  nur  bei  gangränösem, 
sondern  auch  bei  stark  geblähtem  Darme  conti aindiciit. 

Die  Resection  ist  wohl  viel  eingreifender,  doch  bei  der  Gan¬ 
grän  das  einzig  zulässige  Verfahren;  nach  erfolgter  Detorsion  kommt 


T)  AnftirArlni»  antAi'f  nriPl* 


Mittel  zur  Vermeidung  eines  Recidives  in  Betracht. 

Dass  die  früher  mit  Recht  betonte  Gefahr  heutzutage  nicht  mein 
so  hoch  anzuschlagen  ist,  beweisen  wohl  neue  Resultate  von  Resection 
wegen  Invagination.  Unter  neun  von  ihm  mittelst  Totali  eseetion  R 
handelten  Fällen  von  Invagination  sind  nur  zwei  gestorben  und  diese, 
weil  das  eine  Mal  er,  das  andere  Mal  der  Patient  sich  zu  spät  zur 
Operation  entschloss.  Gerade  bei  den  geheilten  Fällen  handelte  es  sich 
um  Resection  von  ganz  besonders  ausgedehnten  Darmpartien,  was  an 
einigen  Präparaten  erläutert  wird.  Nur  einmal  gelang  die  Desinvagination. 


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es  wurde  jedoch  in  diesem  Falle,  da  die  Anamnese  wiederholte  Kolik¬ 
anfälle  ergeben  hatte,  sofort  die  Radicaloperation  durch  Resection  des 
Cöcums  ausgeführt. 

Die  einfache  Desinvagination  der  Invagination  ist  der  Detorsion 
des  Volvulus  vergleichbar,  beide  Eingriffe  sind  dort,  wo  die  Darm¬ 
wandung  gut  ernährt  ist,  ein  vortrefflicher  Behelf  und  das  ungefähr¬ 
lichste  und  schnellste  Verfahren  —  sichert  jedoch  durchaus  nicht  vor 
dem  liecidiv.  Ein  Ziel  wird  erst  durch  eine  sofort  oder  in  einem 
zweiten  Acte  vorgenommene  Resection  erreicht. 

Discussion:  Rehn  (Frankfurt  a.  M.)  hat  auch  nach  ein¬ 
facher  Desinvagination  einer  grossen  Darmpartie  Heilung  eintreten 
sehen  und  glaubt  daher,  keine  so  grosse  Operation  nach  der  gelungenen 
Desinvagination  anschliessen  zu  sollen. 

* 

III.  Sitzungstag. 

Gemeinschaftliche  Sitzung  mit  der  Section  für 
Militär -  Sanitätswesen  und  Unfallwesen. 

Vorsitzender:  Tiniann  (Coblenz). 

I .  Graser  (Erlangen) :  Die  Bruchanlage  und  -Er¬ 
krankung  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Militärdienst¬ 
tauglichkeit  und  der  Entscheid  über  Versorgungs-, 
beziehungsweise  Entschädigungsansprüche. 

Seit  der  Unfallgesetzgebung  hat  man  an  den  Bezeichnungen  ge¬ 
rüttelt.  Bruch  an  und  für  sich,  das  heisst  sackartige  Ausstülpung  des 
Bauchfells  (Bruchsack)  und  ferner  die  Füllung  des  Bruches  mit  Ein¬ 
geweide.  Dem  gegenüber  wollen  wir  festhalten,  dass  wir  unter  einem 
Bruch  den  fertigen  pathologischen  Zustand  verstehen,  dass  ein 
Eingeweide  unter  Vorstülpung  des  parietalen  Bauchfelles  aus  der 
Bauchhöhle  hervorgetreten  ist.  Ein  ausgebildeter  Bruch  hat  eine 
Bruchpforte,  einen  aus  parietalem  Peritoneum  bestehenden 
B  ruchsack  und  einen  Bruchinhalt  (Eingeweide). 

Das  Bauchfell  ist  eine  ziemlich  festgefügte  Membran,  welche  in 
der  Regel  den  darauf  ein  wirkenden  Gewalten  gewachsen  ist;  von  den 
übrigen  Schichten  verleiht  im  Wesentlichen  die  Musculatur  den 
Bauchdecken  ihre  Festigkeit.  An  allen  häufig  zum  Austritt  benützten 
sogenannten  Bruchpforten  finden  wir  einen  verminderten  musculären 
Verschluss,  die  Bauchwand  bedarf  aber  einer  grossen  Widerstands¬ 
fähigkeit  gegenüber  der  Bauchpresse.  Das  einfachste  Beispiel  für  einen 
Bruch  bleibt  immer  der  Nabelbruch  der  kleinen  Kinder.  Die  erhöhte 
Bauehpresse  drängt  unter  Vermittlung  des  Darmes  das  Bauchfell  durch 
die  ungenügend  verschlossene  Nabellücke  nach  aussen.  In  der  Nabel¬ 
gegend  ist  das  Bauchfell  nicht  sehr  verschieblich,  und  die  mechanischen 
Bedingungen  für  die  Vortreibung  sind  nicht  sehr  günstig,  deshalb 
bleiben  die  Nabelbrüche  meist  klein.  Wäre  die  Nabellücke  an  den 
unteren  Theilen  der  Bauchwand,  dann  wäre  der  Effect  der  Bauchpresse 
sicher  ein  grösserer. 

Für  die  äusseren  Leistenbrüche  ist  der  Weg  durch 
die  Bauchwand  bei  den  männlichen  Individuen  durch  den  Leistencanal 
vorgezeichnet.  Dieser  Leistencanal  ist  bei  jedem  Manne  ein  schwacher 
Theil  der  Bauchwand.  Die  Musculatur  ist  hier  unterbrochen.  Der 
Canal  wird  zwar  durch  den  Samenstrang  ausgefüllt,  aber  diese  Gebilde, 
meist  Gefässe,  haben  ein  wechselndes  Lumen  und  füllen  den  Raum 
nicht  immer  gleich  vollständig  aus.  In  dem  mehr  weniger  schrägen 
Verlauf  des  Leistencanals  ist  jedoch  ein  relativer  Schutz  gegeben.  Eine 
Schwäche  des  Leistencanals  ist  dadurch  bedingt,  dass  bei  jedem  Manne 
diesen  Weg  der  Ilode  einmal  zum  Durchtritt  durch  die  Bauchwand  be¬ 
nützt  hatte,  und  dass  seit  dieser  Zeit  eine  trichterförmige  Ausstülpung 
der  Fascia  transversalis  in  Form  der  Tunica  vaginalis  communis  fort¬ 
besteht.  Da  sich  diese  Verhältnisse  in  den  ersten  Lebensjahren  am 
meisten  geltend  machen,  so  ist  die  Häufigkeit  der  Leistenbrüche  zu 
dieser  Zeit  eine  entsprechend  grosse  (’/7  aller  Leistenbrüche  trifft  auf 
das  erste  Lebensjahr).  Vom  dritten  Jahre  ab  werden  dieselben  spär¬ 
licher,  erst  vom  fünfzehnten  Lebensjahre  an  treten  sie  wieder  häufiger 
auf,  was  zweifellos  darauf  zurückzuführen  ist,  dass  nun  an  den 
Körper  grössere  Anforderungen  gestellt  werden.  Der  Schwerpunkt  liegt 
jetzt  in  der  Zunahme  besonders  schädlicher  E  i  n  w  i  r- 
klingen,  was  durch  statistische  Erhebungen  bestätigt  wird;  schweres 
Schaffen  und  Tragen  junger  Leute,  die  Berufsart  fällt  in  die  Wag¬ 
schale.  Besonders  schädlich  erscheint  schw'ere  körperliche  Arbeit  im 
Stehen,  vornehmlich  in  gebückter  Stellung.  Die  während  der  Militär¬ 
zeit  auftretenden  Leistenbrüche  sind  offenbar  in  die  gleiche  Kategorie 
zu  stellen.  Der  ungeschulte  Körper  der  Rekruten  muss  Muskelgruppen 
in  Tbätigkeit  setzen,  die  bisher  absolut  geruht  haben;  er  muss  den 
Wirbelstrecker  anspannen,  die  Knie  einziehen,  die  Füsse  vorschleudern, 
Kniebeugen  mit  Vorwärtsspringen,  Beine  schwingen,  am  Sprungkasten 
üben  und  dergleichen  mehr.  In  Betracht  kommt  dabei  die  oftmalige 
hochgradige  Anstrengung  der  Bauchmusculatur,  womit  jedes  Mal 
eine  Steigerung  des  intraabdominalen  Druckes  verbunden  ist. 


Kann  nun  bei  einem  normalen  Manne  durch  die  Häufung 
schädlicher  Einflüsse  in  obigem  Sinne  ein  Leistenbruch  erzeugt  werden? 
Ich  stelle  diese  Behauptung  trotz  entgegenstehender  Ansichten  nam¬ 
hafter  Autoren  (z.  B.  L  i  n  h  a  r  t)  auf  und  halte  sie  für  einen  der 
wesentlichsten  Punkte  der  uns  hier  interessirenden  Fragen.  Eine  höhere 
Drucksteigerung  entsteht  jedenfalls  unter  normalen  Verhältnissen  nur 
unter  Contraction  der  umschliessenden  Muskelplatten  (Bauchpresse). 
Die  beweglichen  Eingeweide  werden  bei  der  Verkleinerung  des  Raumes 
im  Bauchinnern  ausweichen  und  nach  jenen  Gegenden  hingetrieben, 
an  welchen  eine  active  Betheiligung  an  der  Verkleinerung  des  Raumes 
nicht  vorhanden  ist.  Dieses  Ausweichen  findet  umso  gewaltsamer  statt, 
je  brüsker  und  plötzlicher  die  Bauchpresse  angespannt  wird,  wie  bei 
plötzlichen  Hustenstössen. 

Der  Effect  ist  in  hohem  Masse  abhängig  von  der  Körperhaltung . 
Eine  gewisse  Geschicklichkeit  bei  dieser  Haltung  ist  von 
grosser  Bedeutung,  was  oft  instinctiv  geschieht.  Unvorhergesehene 
Gewalteinwirkungen,  noch  dazu  bei  zufällig  ungeschickter  Stellung 
spielen  daher  bei  der  Bruchentstehung  eine  grosse  Rolle  (Ausgleiten, 
Hinfallen  bei  gespreizten  Beinen  etc.).  Jedermann  hat  schon  an  sich 
selbst  erfahren,  dass  bestimmte  Bewegungen  eine  lästige  Spannung  am 
untersten  Theile  des  Bauches  verursachen.  Das  Heben  schwerer  Lasten 
in  tiefer  Inspirationsstellung  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  physio¬ 
logische  Nothwendigkeit.  Das  Zwerchfell  muss  ein  festes  Widerlager 
bilden.  Durch  dieses  Verhalten  wird  aber  naturgemäss  die  Druck¬ 
wirkung  auf  die  unteren  Bauchtheile  gesteigert,  und  zwar  bei  manchen 
Hantirungen  ruckweis  e.  Diese  unangenehmen  Empfindungen 
werden  viel  wahrscheinlicher  durch  eine  Zerrung  des  Bauchfelles  be¬ 
dingt  als  durch  starke  Anspannung  der  Muskelansätze. 

Kehren  nun  solche  Anlässe  immer  und  immer  wieder,  so  können 
sie  recht  wohl  etwas  zur  Bruchentstehung  beitragen.  Es  handelt  sich 
dabei  nicht  um  grosse  Effecte,  sondern  um  eine  ganz  unscheinbare, 
auf  lange  Zeit  sich  erstreckende,  fast  unmerkliche  Minir- 
a  r  b  e  i  t.  Deshalb  hat  die  experimentelle  Prüfung  dieser  Frage  so 
viel  wie  gar  keine  Ergebnisse.  Hundert  Mal  wirkt  eine  an  sich  starke 
Belastung  auf  die  Baucheingeweide,  ohne  den  mindesten  Schaden  an¬ 
zurichten;  beim  nächsten  Mal  wirkt  ein  Theil  der  Kraft  gerade  so, 
dass  das  Bauchfell  an  einer  nachgiebigen  Stelle  in  einer  für  die  Aus¬ 
stülpung  besonders  günstigen  Richtung  getroffen  und  etwas  vor¬ 
getrieben  wird.  Es  entsteht  eine  gewisse  Lockerung  des  Bauchfelles, 
ein  locus  minoris  resistentiae.  Kommt  jetzt  eine  Zeit  der  Ruhe,  dann 
kann  Alles  wieder  gut  werden,  macht  sich  aber  eine  neue  Schädlichkeit 
geltend,  schreitet  das  Uebel  weiter.  Ich  möchte  glauben,  dass  es 
immer  wieder  derselbe  Darmtheil  ist,  der  zu  einer  bestimmten  Stelle 
der  Bauch  wand  bestimmte  Beziehungen  behält,  gewissermassen  in  sie 
hineinpasst.  Das  hauptsächlich  in  Betracht  kommende  Moment  ist 
wohl  sicher  die  durch  längere  ZeitfortwirkendeHäufung 
von  Schädlichkeiten,  besonders  eine  fortwährende  Anspannung 
der  Bauehpresse.  (Vergleich  mit  den  erworbenen  Darm-Divertikeln.) 
Es  wird  gerne  der  Fehler  gemacht,  dass  man  nicht  überlegt,  wie  lange 
die  Vorbereitungszeit  gedauert  hat;  man  hat  immer  den  Endeffect,  den 
fertigen  Bruch  vor  Augen. 

Für  die  grosse  Bedeutung  dieser  unmerklichen,  ganz  allmäligen 
Bruchbildung  spricht  ganz  entschieden  die  Thatsache,  dass  die  aller¬ 
meisten  Menschen  die  ersten  Stadien  der  Bruchbildung 
gar  nicht  an  sich  beobachten  und  erst  durch  Zunahme  der 
Geschwulst  oder  durch  einen  besonderen  Anlass  darauf  aufmerksam 
werden  (Quetschung,  Gesundheitsvisitationen  etc.).  Unter  1042  Per¬ 
sonen,  welche  sich  wegen  einfacher  Leistenbrüche  vorstellten,  fanden 
sich  nur  12,  welche  einen  beginnenden,  und  nur  48,  welche  einen 
interstitiellen  Leistenbruch  hatten. 

In  einer  Anzahl  von  Fällen  werden  aber  besondere  Gelegenheits¬ 
ursachen  angeführt,  bei  denen  der  Bruch  hervorgetreten  sei,  und  man 
hat  diese  Brüche  als  „Gewaltbrüche“,  als  „liernie  de  force“  bezeichnet. 
Die  Statistik  schwankt  in  sehr  weiten  unsicheren  Grenzen  zwischen  3 
und  40%,  die  absolute  plötzliche  Entstehung  eines  Bruches  mit  allen 
Attributen  ist  jedenfalls  so  enorm  selten,  dass  man  sie  praktisch  voll¬ 
ständig  unbeachtet  lassen  kann.  Sie  ist  theoretisch  unwahrscheinlich, 
und  kommt  sie  aber  einmal  vor,  dann  hätten  wir  es  bestimmt  mit 
einer  so  schweren  plötzlichen  Erkrankung  zu  thun  (Shock,  heftigste 
Schmerzen,  Erbrechen  etc.),  dass  sofort  nach  dem  Arzte  geschickt  und 
das  Bett  aufgesucht  würde.  Ganz  anders  steht  es  mit  denjenigen  sehr 
häufig  vorkommenden  Fällen,  in  welchen  der  Patient  aufs  Bestimmteste 
behauptet,  dass  er  früher  keinen  Bruch  hatte,  und  dass  mit  einem  Male 
bei  einer  besonderen  Veranlassung  ein  solcher  zum  Vorschein  gekommen 
sei.  Es  ist  die  Vorstellung  leicht,  dass  unter  einem  gewaltigen  Ruck 
die  Baucheingeweide  ein  nachgiebig  gewordenes,  auf  der  Unterlage  ge¬ 
lockertes  Bauchfell  ein  Stück  weit  vorgetrieben  und  so  ein  seit  längerer 
Zeit  vorbereiteter  Bruch  fertig  wird.  Wir  begreifen  es  ohne  Weiteres, 
dass  in  einen  kleinen  Bruch  bei  starker  Anstrengung  der  Bauchpresse 
unter  Dehnung  des  Bauchringes  und  Vergrösserung  des  Sackes  ein 


Nr.  12 


WIENER  KLINISCHE  W0CHENSCHE1ET.  1900 


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grösseres  Stück  Darm  und  Netz  herausgepresst  wird,  und  so  eine 
elastische  Einklemmung  beim  Nachlassen  der  Bauchpresse  entsteht. 

In  90  Fällen  von  100  geht  die  Ausspülung  ganz  allmälig  vor 
sich,  in  9  von  100  geht  es  ruckweise,  und  einmal  ist  es  ein  besonders 
kräftiger  Ruck,  der  vorwärts  gemacht  wird.  Besondere  Anzeichen  der 
gewaltsamen  Vortreibung  in  Gestalt  von  Sugillationen,  von  Öedem, 
von  Druckschmerzen  sucht  mau  vergebens,  wenn  nicht  gleichzeitig 
Einklemmung  vorhanden.  Die  dabei  auftretenden  Schmerzen  möchte 
ich  am  liebsten  als  Zeichen  einer  Contusion  des  Darmrohres  auffassen, 
weil  dieselben  mehr  in  die  Nabelgegend  als  in  die  Bruchpforte  ver¬ 
legt  werden. 

Die  enorm  verschiedenen  Anlässe,  die  Widerstandsfähigkeit  der 
Bauchwand,  die  Vorbereitung  durch  lange  Minirarbeit,  die  Individualität 
des  Verletzten,  all  dies  sind  Dinge,  welche  einer  Schematisirung  ent¬ 
gegenstehen.  Das  ruckweise  Vergrössern  oder  zum  Vorscheinkommen 
schliesst  aber  die  Thatsache  einer  durch  Unfall  bedingten  Schädigung 
nicht  aus. 

Bei  Unfallsbrüchen  kommt  man  über  eine  Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose  nicht  hinaus.  Die  Möglichkeit  eines  solchen  muss  zugegeben 
werden  bei  kleiuen  bis  hühnereigrossen  Brüchen,  wenu  der  Bruch  nicht 
sofort  selbst  zurückgeht,  sondern  reponirt  werden  muss,  erst  bei 
Pressen  oder  Husten  wieder  austritt,  bei  engem  Leistenring  und  -Canal 
und  einseitigem  Auftreten. 

Ein  frisch  traumatisch  entstandener  Bruch  ist  mit  Wahr¬ 
scheinlichkeit  zu  leugnen  bei  über  hühnereigrossen  Brüchen,  die  bereits 
in  den  Hodensack  reichen,  bei  Brüchen,  die  leicht  herein-  und  heraus¬ 
gehen  (beim  Niederlegen  zurück,  beim  Aufstehen  heraus),  bei  doppel¬ 
seitigen  Brüchen  oder  ausgesprochener  Bruchanlage  auf  der  a  n- 
dern  Seite. 

Was  die  Erwerbsbeschränkuug  anlangt,  so  muss  man  generell 
einen  ausgetretenen  Bruch  als  ein  die  Leistungsfähigkeit  schädigendes 
Gebrechen  anerkennen.  Das  Tragen  eines  Bruchbandes,  der  psychische 
Einfluss,  der  Gedanke,  dass  man  schadhaft  sei  und  Anderes  stellen 
zweifellos  eine  Schädigung  dar. 

Complicirter  wird  die  Sache,  wenn  wir  genöthigt  sind,  uns  noch 
mit  einer  besonderen  Bruchanlage  (Prädisposition)  zu  beschäftigen. 

Dieselbe  kann  angeboren  oder  ererbt  sein.  Verhältniss  nach 
Berg  circa  1  :  3  6.  Zur  angeborenen  Disposition  gehört  vor  Allem 
das  Offenbleiben  des  Processus  vaginalis  peritonei ;  er  kann  obliterirt 
sein  oftmals  schliesst  er  sich  gegen  den  Hoden  ab,  bleibt  im  Bereich 
des  Samenstranges  bis  zur  Bauchhöhle  oder  auch  nur  bis  zum  äusseren 
Leistenring  offen.  Unser  Wissen  in  dieser  Hinsicht  ist  noch  lücken¬ 
haft.  Erst  seitdem  viele  Radicaloperationen  ausgeführt  werden,  ge¬ 
winnen  wir  auch  hier  bessere  Einsicht.  Frank  hat  in  28  6"  o, 
B  e  r  n  e  w  s  k  y  (Koche  r’sche  Klinik)  in  35%  der  Fälle  congenitale 
Bruchsäcke  gefunden.  Ferner  gehört  unter  die  angeborenen  Momente 
ein  besonders  weiter  Leistencanal,  wie  fast  constant  bei  verspätetem 
descensus  testiculi,  eine  abnorm  geringe  Schrägheit  im  Verlauf  des 
Leistencanals. 

Weitere  dispouirende  Verhältnisse  werden  gebildet  durch  allge¬ 
meine  Körperschwäche,  abnorme  Länge  und  grössere  Schlaffheit  der 
Mesenterien  (die  günstigen  Erfolge  der  Radicaloperationen  lassen  diesen 
Factor  nicht  hoch  anschlagen),  schwächende  Krankheiten,  rasche  Ab¬ 
magerung  und  höheres  Alter  mit  seinem  physiologischen  Gewebsschwund, 
Brüche  in  Folge  von  Schwäche  der  Bauchwand  (hernie  de  taiblesse). 
Uns  interessiren  aber  hier  hauptsächlich  die  beim  Musterungsgeschäft 
festgestellten  Bruchanlagen.  Diese  bestehen  aus  zwei  Eigenthümlich- 
keiten,  welche  auseinander  zu  halteu  sind.  Die  eine  ist  die  wohl  am 
häufigsten  constatirte  abnorme  Weite  des  äusseren  Leistenringes.  Der¬ 
selbe  kommt  dann  sehr  in  Betracht,  wenn  der  Verlauf  des  Leisten- 
canales  ein  sehr  wenig  schräger  ist,  so  dass  der  hintere  und  vordere 
Ring  einander  fast  gegenüberliegen.  Oftmals  mag  daneben  eine  be¬ 
sonders  grosse  Weite  des  ganzen  Leistencanales  einhergehen  und  damit 
auch  eine  geringere  Festigkeit  der  vorderen  Bauchwand,  ein  stärkeres 
Auseinandertreten  der  Pfeiler  des  Leistenringes. 

Der  Leistencanal  wird  dann  auch  abnorm  weit  sein,  wenn  eine 
grössere  Menge  von  Fett  den  Samenstrang  umgibt  (fehlt  fast  nie  voll¬ 
ständig).  Die  Gewichts-  oder  Zugtheorie  ist  fallen  gelassen.  Durch 
die  Fettanhäufung  bleibt  der  Canal  weiter  und  kann  sich  nicht  wie 
normal  zusammenziehen.  Eine  andere  Anlage  ist  jene,  welche  man 
mit  dem  Ausdruck  „weiche  Leiste“  belegt  hat.  Dabei  zeigen  die 
Bauchdeckon  schon  in  der  Ruhe  eine  leichte  Vorbuchtung  parallel  dem 
P  o  u  p  a  r  t’schen  Bande,  beim  Pressen  sich  wulstförmig  vorwölbend, 
häufig  mit  weiten  Leistenringen  verbunden,  vielleicht  ein  Ueberrest  des 
vollen  Bauches  von  rachitischen  Kindern.  Man  könnte  sagen,  dass 
eine  solche  Schlaffheit  der  unteren  Bauchwand  der  Bruchbildung  in 
gewissem  Sinne  entgegenwirkt,  indem  Hervorstülpen  der  Bauchfelles 
leichter  bei  gespannter  Bauchwand  vor  sich  geht,  aber  dabei  hat  man 
wieder  zu  sehr  den  Moment,  in  welchem  der  Bruch  fertig  wird,  im 
Auge.  Aber  gerade  bei  abnormer  Schlaffheit  kommt  die  Vorstülpung 
gewöhnlich  ganz  allmälig,  ohne  ruckweise  Verstärkung  zu  Stande,  wird 


die  Verschieblichkeit  des  Bauchfelles  auf  der  Unterlage  vermehrt.  Be1 
solchen  Menschen  ist  wohl  die  Musculatur  stellenweise  dünner  und 
lückenhaft,  ohne  dass  die  gesammte  Bauchpresse  besonders  an  Kraft 
eingebüsst  hat.  Die  Ausdehnung  fällt  zum  grossen  Theil  auch  auf 
Nachgiebigkeit  der  Fascien,  Aponeurosen  und  den  Mangel  des  Fettes. 
Beim  Stuhlgang,  beim  Husten,  bei  der  Fixirung  des  Rumpfes  wirkt 
der  Druck  zweifellos  auf  die  vorhandenen  Lücken  in  der  Musculatur, 
so  dass  das  Bauchfell  in  diese  sich  hinein  begibt  und  an  Elasticität 
abnimmt. 

Von  grosser  Bedeutung  ist  noch  derjenige  Zustand,  welchen  man 
nach  Malgaigne  als  Pointe  de  hernie  bezeichnet,  eine  ovale  oder 
kugelige  Hervorwölbung,  Ausstülpung  des  Bauchfelles  an  den  Leisten¬ 
grübchen  bei  Menschen,  die  niemals  die  geringsten  Beschwerden  hatten. 
Solche  Leute  bekommen  sicher  mit  der  Zeit  einen  Leistenbruch,  welcher 
als  Typus  der  allmäligen  Bruchbildung  aufgefasst  werden  muss. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  folgende  Thesen  aufstellen: 

1.  Die  Mehrzahl  der  Leistenbrüche  bei  Erwachsenen  entsteht  in 
Folge  einer  ganz  allmäligen  Ausstülpung  des  Bauchfelles  unter  Mit¬ 
wirkung  der  Eingeweide. 

2.  Eine  plötzliche  gewaltsame  Entstehung  eines  Leistenbruches 
in  allen  seinen  Bestandtheilen  ist  theoretisch  sehr  unwahrscheinlich, 
durch  die  praktische  Erfahrung  nicht  erwiesen. 

3.  Eine  plötzliche  Vergrösserung  eines  in  der  Entwicklung  be¬ 
griffenen  Leistenbruches  ist  sehr  wohl  möglich  und  muss  unter  be 
sonderen  Umständen  als  Unfall  im  Sinne  des  Gesetzes  betrachtet  und 
entschädigt  werden. 

4.  Die  Diagnostik  eines  Unfallbruches  kann  sich  nicht  auf  ein 
bestimmtes  Symptomenbild  stützen  und  kann  in  den  meisten  Fällen 
nur  die  Möglichkeit  oder  Wahrscheinlichkeit  feststellen. 

5.  Es  gibt  eine  Reihe  von  Zuständen,  welche  man  als  Bruch¬ 
anlagen,  d.  h.  als  eine  die  Entstehung  von  Leistenbrüchen  erleichternde 
besondere  Leibesbeschaffenheit  bezeichnen  muss. 

II.  S  e  y  d  e  1  (München) :  Ueb  er  Deckung  v  o  n  Substanz¬ 
verlusten  des  Schädels  in  16  F  ä  1 1  e  n  von  Trepanation 
des  Schädels. 

In  Nr.  9  und  10  der  „Münchener  medicinischen  Wochenschrift“ 
dieses  Jahres  hat  Vortragender  14  von  ihm  vorgenommene  Trepana¬ 
tionen  des  Schädels  veröffentlicht  und  dabei  das  Hauptaugenmerk  auf 
die  Indicationen  zur  Trepanation  und  auf  die  Erfolge  gelenkt.  Da 
in  den  letzten  Monaten  noch  zwei  weitere  Trepanationen  von  demselben 
ausgeführt  wurden,  so  liegen  dem  heutigen  Vortrage  16  Fälle  zu 
Grunde. 

Bei  der  grossen  Ausdehnung  des  Capitels  der  Trepanation  will 
S  e  y  d  e  1  heute  nur  über  die  plastische  Deckung  und  den  Verschluss 
des  durch  die  Operation  gemachten  Schädeldefectes  sprechen. 

ln  drei  Fällen  wurde  kein  Versuch  gemacht,  die  Lücke  zu  er¬ 
setzen  und  es  trat  dessenungeachtet  knöcherner  Verschluss  ein,  weil 
nach  Ansicht  des  Vortragenden  zweimal  die  Gehirnhaut  intact  blieb. 
Sie  ist  die  innere  Knochenhaut  des  Schädels  und  besorgt  hauptsächlich 
die  Regeneration  des  Knochens. 

Die  osteoplastische  Schädelresection  nach  Wagner  hat  S  e  y  d  e  1 
zweimal  ausgeführt.  Einmal  wegen  Epilepsie,  einmal  wegen  Gehirn¬ 
tumor.  Der  Knochen  heilte  anstandslos  ein.  Die  Autoplastik  nach 
Müller -König  hat  Vortragender  viermal,  dreimal  mit  Erfolg  vor- 
genommen. 

Ebenso  wurde  dreimal  Knochen  und  Knochenhaut  aus  dem 
Schienbein  in  die  Schädellücke  transplantirt.  Diese  Knochenstücke 
werden  zwar  mit  derZeit  aufgesaugt,  bilden  jedoch  die  Unterlage  und 
das  Nährmaterial  für  den  neuen  Knochen.  In  den  zuletzt  operirten 
vier  Fällen  hat  Vortragender  die  Duplicität  der  Lappen  angewendet, 
indem  er  sich  neben  dem  Defecte  einen  gestielten,  lediglich  Knochen 
und  Knochenhaut  umfassenden  Lappen  bildet  und  diesen  in  die  Lücke 
einheilt. 

III.  Seydel:  Ueber  Schrotschussverletzungen. 

Vortragender  führt  aus,  dass  die  Schrotschussverletzungen  ein 
doppeltes  Interesse  hätten,  ein  gerichtsärztliches  und  ein  chirurgisches. 
Die  Veröffentlichungen  seien  aber  auf  beiden  Gebieten  nur  ganz 
spärlich.  Der  Grund  liege  wohl  darin,  dass  in  der  That  nur  eine 
geringe  Zahl  unter  den  fast  alltäglichen  derartigen  Unglücksfällen 
eine  Bedeutung  habe.  Unter  den  vielen  glücklich  verlaufenen  lällen 
komme  aber  dann  plötzlich  ein  sehr  tragischer  Fall  vor.  Die  Kugel 
eines  Zimmerstutzens  nimmt  durch  einen  unglücklichen  Zufall  den 
Weg  durch  die  Augenhöhle  in  das  Gehirn  oder  zwischen  zwei  Rippen 
hindurch  in  die  Aorta  nnd  das  Herz.  Zu  den  traurigsten  1  allen 
zählen  aber  von  jeher  jene,  in  welchen  auf  der  Jagd  sich  durch  Zu¬ 
fall  oder  Unvorsichtigkeit  eine  mit  einer  Schrotpatrone  geladene  Hinte 
entlädt,  und  der  Inhalt  direct  in  den  Körper  des  Trägers  oder  Be¬ 
gleiters  dringt. 

Vortragender  bespricht  nun  die  Häufigkeit,  Prognose  und  !>•' 
handlung  der  Schrotschussverletzungen,  theils  aus  eigener  Erlalu ung, 
theils  aus  Fällen  aus  der  Literatur  und  demonstrirt  eine  Röntgen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  12 


Photographie,  welche  den  Schädel  eines  Kindes  darstellt.  Mitten  im 
Gehirn  liegt  eine  Zimmerstutzenkugel,  welche  jedoch  dem  kleinen  Pa¬ 
tienten  nicht  die  geringsten  Beschwerden  verursacht,  ferner  eine  Ab 
bildung,  die  Hand  eines  Gendarmen,  welcher  von  einem  Wilderer  eine 
Schrotladung  in  dieselbe  erhielt. 

Schrotladungen  aus  nächster  Nähe  sind  zumeist  absolut  tödtlich, 
theils  wegen  der  ausgedehnten  Zermalmung  der  Gewebe  und  der  Blu¬ 
tung,  theils  wegen  der  grossen  Infectionsgefahr.  Zum  Schlüsse  stellt 
Seydel  noch  einen  von  ihm  behandelten  Fall  vor.  Einem  jungen 
Manne  war  auf  der  Jagd  eine  mit  Schrot  geladene  Flinte  losgegangen. 
Die  ganze  Schrotladung  drang  in  den  Oberschenkel  und  in  das  Knie¬ 
gelenk  und  zermalmte  den  Knochen  in  grosser  Ausdehnung,.  Die 
herausgenommenen  Knochenstücke  und  Schrotkörner,  gegen  40  an  der 
Zahl,  zeigte  der  Vortragende  vor,  sowie  eine  Röntgen-Photographie  über 
die  erfolgte  Heilung. 

Hierauf  stellt  Seydel  noch  folgende  operirte  Fälle  vor: 

1.  Einen  geheilten  Fall  von  Trepanation  des  Schädels  wegen 
Zertrümmerung  des  Gehirnes  und  Zerreissung  des  grossen  Hirnblut- 
lciters. 

2.  Einen  geheilten  Fall  von  Trepanation  des  Schädels  wegen 
Zerreissung  der  Gehirnarterie. 

3.  Einen  geheilten  Fall  von  perforirender  Schuss  Verletzung  des 
Unterleibes  (7  9  mm  Geschoss).  Darm  und  Becken  waren  durch¬ 
schossen.  Die  sich  bildende  Kothfistel  im  Becken  wurde  dadurch  zur 
Heilung  gebracht,  dass  ein  Hartgummipfropf  in  das  Becken  eingeheilt 
wurde. 

* 

Gemeinschaftliche  Sitzung  mit  der  Section  für 

innere  M  e  d  i  c  i  n. 

(Siehe  dort.) 

* 

IV.  Sitzungstag. 

Gemeinschaftliche  Sitzung  mit  der  Section  für 

Gynäkologie. 

Vorsitzender:  Braun  (Göttingen). 

Sarwey  (Tübingen),  berichtet  über  Ha  ndedesinfections- 
versuche,  welche  von  Prof.  Th.  Paul  und  ihm  gemeinsam  ange- 
fctellt  wurden  ;  zu  diesem  Zwecke  wurde  zunächst  eine  Methode  aus¬ 
gearbeitet,  welche  unter  möglichster  Vermeidung  aller  Fehlerquellen, 
und  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  in  der  chirurgischen  Praxis 
vorliegenden  Verhältnisse  eine  zuverlässige  Prüfung  der  bacteriologischen 
Beschaffenheit  der  Hände  nach  Anwendung  der  verschiedensten  Des- 
infectionsverfahren  gestattet. 

Für  eine  derartige  Methode  erscheinen  folgende  Gesichtspunkte 
massgebend: 

1.  Jede  Möglichkeit  irgend  welcher  nachträglichen  Verunreini¬ 
gung  der  desinficirten  Versuchshände  wird  während  der  ganzen  Dauer 
des  Versuches  durch  die  Verwendung  eines  sterilen  Kastens  ausge¬ 
schlossen,  in  welchem  die  Prüfung  der  Hände  vorgenommen  wird  ; 
derselbe  wird  demonstrirt. 

2.  Die  mit  jeder  länger  dauernden  chirurgischen  Operation  ein¬ 
hergehende  Aufweichung  und  mechanische  Abnützung  der  Hände  ist 
im  Versuche  dadurch  herbeizuführen,  dass  die  gesammte  Oberfläche 
beider  Hände  (im  sterilen  Kasten)  im  heissen  Wasserbade  ge 
waschen,  mit  Sand  gescheuert,  und  mit  dem  scharfen  Löffel  abge¬ 
schabt  wird. 

3.  Eine  reichliche  Abstreifung  vorhandener  Keime  von  den  Hand¬ 
flächen,  und  die  qualitative  sowohl,  als  die  quantitative  Bestimmung  des 
Keimgehaltes  wird  dadurch  ermöglicht,  dass  die  Keimabnahme  mit 
harten  Hölzchen  und  dem  scharfen  Löffel  erfolgt;  Hölzchen  und  Haut- 
geschabsel  werden  sodann  in  3  cm  Wasser  suspendirt,  die  Keime  durch 
längeres  Schütteln  von  den  Hölzchen  losgesprengt  und  hiedurch  gleich- 
rnässig  im  Wasser  vertheilt;  endlich  wird  Wasser  sammt  Hölzchen  und 
Hautgeschabsel  mit  flüssigem  Agar  gut  vermischt  und  in  Petri’sche 
Schalen  übertragen. 

Nach  dieser,  an  der  Hand  eines  Desinfectionsversuches  eingehend 
beschriebenen  Versuchsanordnung  wurden  mit  der  Heisswasser-Alkohol- 
Desinfection  nach  A  hl  fe  Id’s  Vorschriften  12  Versuche  ausgeführt, 
von  welchen  jeder  4  Stunden  beanspruchte  und  das  Ausgiessen  von 
über  100  Platten  erforderte. 

Die  Versuchsergebnisse,  welche  einerseits  in  Tabellenform  zu¬ 
sammengestellt  sind,  andererseits  an  den  mitgebraeliten,  mit  Formalin 
conservirten  Agarplatten  demonstiirt  werden,  sind  folgende: 


1.  Von  den  trockenen,  unvorbereiteten  Tageshänden  können  bei 
allen  Versuchspersonen  mittelst  harter  Hölzchen  zahlreiche  Keime’) 
entnommen  werden.  Die  Zahl  dieser  Keime  wird  durch  Befeuchten  der 
Hände  mit  sterilem  Wasser  vermehrt. 

2.  Durch  ein  5  Minuten  langes  intensives 
Waschen  der  Hände  mit  sterilem  Wasser,  steriler 
Seife  und  steriler  Bürste  wird  die  Zahl  der  mit  den 
Hölzchen  entnommenen  Keime  nicht  vermindert, 
sondern  eher  vermehrt. 

3.  Nach  5  Minuten  langer  Bearbeitung  der  Hände  in  Alkohol 
(96%)  mit  steriler  Bürste  und  sterilem  Flanelllappen  konnten  in  3 
von  12  Versuchen  (25%)  mit  den  Hölzchen  keine  Keime  von  den 
Händen  abgenommen  werden.  Bei  den  übrigen  9  Versuchen  gingen 
durchschnittlich  wenige2)  Keime  auf. 

4.  Nach  10  Minuten  langem  Verweilen  der  Hände  unter  Wasch¬ 
bewegungen  in  einem  Handbade  von  circa  42°  C.  blieb  das 
Waschwasser  in  2  von  12  Versuchen  steril  (16%%).  Bei  den  übri¬ 
gen  10  Versuchen  waren  darin  7mal  wenige  und  3mal  viele  Keime 
vorhanden. 

5.  Nach  diesem  Handbade  konnten  nur  in  1  von  12  Ver¬ 
suchen  keine  Keime  mit  den  Hölzchen  entnommen  werden  (8’5%. 
Bei  9  Versuchen  wurden  wenige  und  bei  2  Versuchen  viele  Keime 
entnommen. 

6.  Nach  5  Minuten  langem  Reiben  der  Hände  mit  Sand  und 
Wasser  von  circa  22°  blieb  der  Sand  in  2  von  12  Versuchen  (16%%) 
steril  (bei  derselben  Versuchsperson).  In  6  Versuchen  waren  darin 
wenige,  in  2  Versuchen  viele  und  in  2  Versuchen  sehr  viele  Keime 
vorhanden. 

7.  Nach  diesem  Sandbad  konnten  in  allen  12  Versuchen  mit 
den  Hölzchen  Keime  von  den  Händen  entfernt  werden.  Bei 
10  Versuchen  wurden  wenige  und  bei  2  Versuchen  viele  Keime 
entnommen. 

8.  Von  den  durch  die  Bäder  und  mechanische  Bearbeitung  stark 
macerirten  Händen  Hessen  sich  mit  dem  scharfen  Löffel  leicht  reich¬ 
liche  Epidermistheile  abschaben.  Diese  Geschabsel  blieben  bei  keinem 
von  10  Versuchen  steril.  Bei  6  Versuchen  waren  wenige,  bei  4  Ver¬ 
suchen  viele  Keime  vorhanden. 

’)  Unter  »Keimen«  sind  hier  solche  Mikroorganismen  verstanden, 
welche  sich  auf  Agar-Agar-Nährboden  bei  37-5°  zu  Colonien  entwickelten. 
Der  Agar-Agar-Nährboden  war  nach  der  Vorschrift  von  Krönig  und 
P  a  u  1  bereitet.  (Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infectionskrankheiten.  1897, 
Bd.  XXV,  pag.  17.)  Die  Culturen  wurden  acht  Tage  lang  beobachtet. 

2)  Der  Ausdruck  »wenige«  bedeutet  1  bis  circa  20  Keime,  »viele« 
circa  20  bis  80  Keime  und  »sehr  viele«  die  Zahlen  darüber  hinaus. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  23.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Chl’obttk 
stattfindenden 

Haupt  Versammlung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Wahl  der  Functionäre  und  neuer  Mitglieder.  ') 

2.  Bericht  über  das  abgelaufene  Vereinsjahr,  erstattet  vom  ersten 
Secretär. 

3.  Bibliotheksbericht,  erstattet  vom  ersten  Bibliothekar  Dr.  L.  Unger. 

4.  Hofrath  Prof.  Zuckerkandl:  Ueber  die  Epithelkörperchen  des 

Halses. 

5.  Verkündigung  des  Wahlresultates. 

’)  Die  Stimmzettel  für  die  Wahlen  werden  von  der  Wahlcommission 
von  1  2 7 — 8  Uhr  im  Verwaltungsrathszimmer  entgegengenommen. 

(In  dieser  Sitzung  linden  nach  §  12  der  Geschäftsordnung  keine  De¬ 
monstrationen  statt.) 

Bergmeister,  Pal  tauf. 

Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 
Programm 

für  die 

Montag,  den  26.  März  1900,  6  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Ohrenkranke  des  Herrn 

Prof.  Politzer 

atattfindende 

Wissenschaftliche  Sitzung : 

Demonstrationen.  (Angemeldet  die  Herren  :  Professoren  Gmber, 
Politzer,  Urbantscliitsch,  Doctoren  Pollak.  Gomperz,  Kreidl.  Ale¬ 
xander.  Alt,  Hammerschlag.) 

Prof.  Dr.  A.  Politzer,  Dr.  Josef  Pollak,  Dr.  Hugo  Frey, 

Vorsitzender.  Secretär.  Schriftführer. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumiiller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1 .  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

4>-  ■  — @ 

Redaction: 

Telephon  Kr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
Jos.  Gruber,  M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing, 
I.  Neumann,  R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt, 
A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Sclirötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Abonnementspreis 
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tions-Aufträge  für  das  In- 
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nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille- 
zeile  berechnet.  Grössere 
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Telephon  Nr.  60'Ji. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  29.  März  1900. 


Nr.  13. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


|  Originalartikel :  1.  Ein  Fall  intraabdominaler  Netztorsion.  Von  Prof. 
Dr.  J.  Hochenegg. 

2.  Aus  der  II.  Wiener  medizinischen  Klinik  (Hofrath  Neusser). 
Ueber  die  Hämamöben  L  ö  w  i  t’s  im  Blute  Leukämischer.  Voi- 
läufige  Mittheilung.  Von  Dr.  Wilhelm  Türk,  klinischem 
Assistenten. 

3.  Aus  der  internen  Abtheilung  des  Stabsarztes  Universitätsdocenten 
Dr.  A  1  o  i  s  P  i  c  k  im  k.  u.  k.  Garnisonsspitale  Nr.  1  in  Wien. 
Zur  Semiotik  des  zweiten  Pulmonaltones.  (Klinische  Studie  mit 
Bettelheim-Gärtner’s  Sthetophonometer.)  Von  Dr.  Adolf 


II. 


Hecht.  .  „ 

Referate:  I.  Ueber  Naheisepsis.  Von  Karl  Basch.  II.  Die  Ke- 
sorption  aus  der  Nabelschnur.  Von  R.  W.  Eaudnit  z.  III  Ueber 
gehäuftes  Auftreten  und  über  die  Aetiologie  der  Poliomyelitis 
anterior  acuta  infantum.  Von  S.  Auerbach.  IV.  fötales  Myxödem 
und  Cliondrodystro phia  foetalis  liyperplastica.  Von  Wilhelm 


Stöltzner.  V.  Ein  Fall  von  postdiphtheritiseher  Lähmung  mit 
eigenartigen  Oedemen.  Von  Hugo  Kraus.  VI.  Die  Stellung 
des  Kalks  in  der  Pathologie  der  Rachiiis.  Von  Wilhelm 
Stöltzner.  VII.  Zur  Serodiagnostik  im  Kindesalter..  Von  A. 
Pfaundler.  VIII.  Ueber  Farbenreactionen  der  Caseinflocken. 
Von  Karl  Feiner.  IX.  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der 
Fäeesgährung  bei  Säuglingen.  Von  Fritz  Callomon.  X.  Zur 
Kenntniss  der  Milchgerinnung  im  menschlichen  Magen.  Von  Josef 
Schnürer.  XI.  Ueber  Behandlung  der  Rachitis  mit  Thymus¬ 
substanz.  Von  W.  Stöltzner  und  W.  Lissaue  r.  XII.  Poly¬ 
posis  intestinalis.  Von  A.  V  aj  da.  Referent  \\  i  1  li.  Knoepfel- 
macher, 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbenchte. 


Ein  Fall  intraabdomineller  Netztorsion. 

Von  Prof.  Dr.  J.  Hochenegg. 

Auszugsweise  vorgetragen  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aeizte 

vom  23.  Februar  1900. 

Wegen  der  grossen  Seltenheit,  der  imponirenden  Schön¬ 
heit  des  Befundes  bei  der  Operation  und  den  Schwierigkeiten, 
die  sich  bei  der  Diagnoäenstellung  ergaben  und  die  es  be¬ 
greiflich  erscheinen  lassen,  dass  ich  unter  falscher  Diagnose 
operirte,  erscheint  mir  folgender  Fall  mittheilensweith  und  dei 
Veröffentlichung  würdig. 

Am  3.  Januar  d  J.  wurde  ich  über  Veranlassung  des 
Hausarztes,  des  Herrn  Dr.  Kaspar,  und  des  pro  consilio 
beigezogene  Herrn  Primarius  Dr.  Pal  zu  dem  41  Jahre  alten 
Herrn  M.  D.  gerufen  und  es  wurden  mir  folgende  anamnesti¬ 
sche  Daten  mitgetheilt: 

Patient  ist  seit  dem  Neujahrstage  krank.  Am  Abend  des 
1.  Januar  setzte  ziemlich  plötzlich  die  Erkrankung  mit  den  hef¬ 
tigsten  Bauchschmerzen,  Ueblichkeiten  und  Erbrechen  ein.  Patient 
bekam  einen  Schüttelfrost,  der  erst  im  Bette  nach  ungefähr  einei 
halben  Stunde  schwand. 

Da  Patient  das  instinctive  Gefühl  hatte,  dass  er  nach  einer 
Stuhlentleerung  sich  wohler  fühlen  werde,  liess  er  sich  ein  Klysma 
verabreichen,  worauf  zwar  Stuhl  eintrat,  die  Erleichterung  abei 
ausblieb.  Unter  qualvollen  Schmerzen  und  grosser  Unruhe  ging  die 
Nacht  vorüber,  am  nächsten  Tage,  also  am  2.  Januar,  war  das 
Befinden  etwas  besser,  namentlich  die  Schmerzen  geringer.  Er¬ 
brechen  war  keines  mehr  aufgetreten,  Winde  gingen  spärlich  ab, 
höchste  Temperatur  38‘4°. 

Im  Laufe  des  3.  Januar  verschlechterte  sich  wieder  der  Zu¬ 
stand,  Patient  war  wieder  viel  unruhiger,  die  Pulsfrequenz  stieg 


bis  nahe  an  100,  der  Bauch  wurde  grösser  und  lästig  gespannt, 
Singultus  stellte  sich  ein,  was  eben  die  Veranlassung  gab,  dass  ich 
nun  beigezogen  wurde. 

Nachzutragen  hätte  ich,  dass  Patient  als  rechtsseitiger  Ki  y p t < > i  - 
chist  geboren  war;  erst  als  Knabe  wurde  der  bis  dorthin  im  Bauch- 
raume  verbliebene  Hoden  im  Leistencanale  fühlbar  und  wutde  dann 
allmälig  durch  eine  nachrückende  Hernie  vor  den  äusseren  Leisten¬ 
ring  getrieben,  gelangte  aber  niemals  tiefer,  vermuthlich  auch  des¬ 
halb,  weil  die  rechtsseitige  Scrolalhälfte  klein  und  unentwickelt 
geblieben  war. 

Trotz  Tragens  eines  Bruchbandes,  mit  dem  die  doppelte  Ab¬ 
sicht,  sowohl  den  Hoden  herunten,  als  den  Bruch  drinnen  zu  er¬ 
halten,  zu  erreichen  versucht  wurde,  vergrösserte  sich  dei  Biuch 
stetig,  wobei  der  Bruchsack  wegen  Raummangel  im  Sciotum  sieh 
nach  aufwärts  und  aussen,  also  unter  der  Haut  der  Inguinalgegend, 
bis  über  Ganseigrösse  ausdehnte.  Dabei  blieb  der  Bruch  irnnrei 
reponibel,  indem  Patient  selbst  ängstlich  darüber  wachte,  dass  der 
Bruchinhalt  immer  gleich  reponirt  werde,  wenn  er  trotz  des  Bandes, 
das  Patient,  wie  gesagt,  von  Jugend  aut  trug,  etwa  \oi  ge¬ 
treten  war. 

Patient  hatte  sich  allmälig  mit  seinem  Bruchbande  abgefunden 
und  fand  keine  Veranlassung,  wegen  seiner  Hernie  ärztlichen  Rath 
einzuholen. 

Abgesehen  von  diesem  Leiden  war  Patient  gesund  und  na  !g 
bis  vor  zwei  Jahren.  Damals  stellten  sich  Magenstörungen  ein, 
wobei  Patient  das  Gefühl  hatte,  als  ob  sein  Magen  durch  ein 
schweres  Gewicht  verzogen  wäre  und  so  nicht  ordentlich  functio- 
niren  könne.  Es  wurden  verschiedene  Curen  in  Anwendung  gebracht, 
die.  Sorgfalt  in  Bezug  auf  die  Hernie  womöglich  noch  verschönt, 
allein  ohne  wesentlichen  Erfolg.  Patient  blieb  im  Magen  <  mp  IIU 
lieh  und  wurde  hiedurch  recht  gedrückt  und  verstimmt,  indem  er 
sich  seither  eigentlich  niemals  vollkommen  wohl  befand. 


292 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


Am  Sylvestertage  war  im  Bade  für  kurze  Zeit  die  Hernie 
stärker  vorgetreten  und  konnte  nur  mit  Mühe  reponirt  werden. 
Während  früher  die  Reposition  immer  leicht  mit  oft  bewährtem 
Handgriffe  gelang,  musste  Patient  diesmal  alle  möglichen  Manipu¬ 
lationen.  wie  Kneten  und  Verschieben  des  Bruchinhaltes  etc.  an¬ 
wenden,  um  endlich  den  Bruch  ganz  reponiren  und  das  Band 
wieder  anlegen  zu  können. 

Daraufhin  schien  Alles  wieder  in  Ordnung  zu  sein,  auch  der 
Neujahrstag  verlief  ohne  wesentliche  Beschwerden.  Am  Abend  setzten 
dann  die  eingangs  geschilderten  alarmirenden  Erscheinungen  ein. 

Bei  meiner  ersten  Untersuchung  fiel  mir  vor  Allem  das 
apathische,  verfallene  Wesen  des  Patienten  auf,  Puls  war  ziemlich 
frequent  und  klein,  Respiration  oberflächlich  und  frequent,  hie  und 
da  trat  namentlich  während  der  nun  folgenden  Untersuchung  Sin¬ 
gultus  auf.  Damals  war  als  Abendtemperatur  38'5°  verzeichnet. 

Patient  vermied  ängstlich  jede  Lageveränderung,  hielt  seinen 
rechten  Schenkel  angezogen  und  konnte  nur  langsam  und  vorsichtig 
die  Streckung  vornehmen. 

Das  ganze  Abdomen  war  aufgetrieben  und  gespannt,  die  In¬ 
guinalhernie  wurde  mit  einem  Bruchbande  zurückgehalten,  nach 
dessen  Entfernung  der  collabirte,  gefaltete,  in  seinen  Hautdecken 
pigmentirte  und  schwielig  verdickte  Bruchsack  sichtbar  wurde.  Natürlich 
wurde  die  erste  Untersuchung  der  Hernie  zu  Theil,  diese  erwies  sich 
aber  als  leer,  nur  der  atrophische  Inguinalhoden  konnte  in  ihr  getastet 
werden.  Auch  die  für  zwei  Finger  bequem  passirbare  Bruchpforte 
und  der  Inguinalcanal  waren  vollkommen  leer,  bei  vorsichtigem 
Husten  verspürte  man  oben  den  Anprall  der  gefüllten  Därme. 

Auf  Grund  dieser  Untersuchung  schloss  ich  also  vor  Allem 
von  Seite  der  Hernie  eine  Incarceration  und  Massenreduction  aus. 

Die  nun  vorgenommene  Palpation  des  Abdomens  ergab  be¬ 
trächtliche  Spannung  in  ganzer  Ausdehnung.  In  der  rechten  Unter¬ 
bauchgegend  wurde  handbreit  ober  dem  Poupart’schen  Bande,  nach 
aussen  zu  bis  gegen  die  Flanke  eine  deutliche  gespannte  Resistenz 
gefühlt,  deren  Betastung  enorm  empfindlich  war  und  über  welcher 
die  Percussion  Dämpfung  ergab. 

Trotz  längerer  Beobachtung  wurde  keinerlei  peristaltische 
Arbeit  der  Därme  wahrgenommen. 

Auf  Grund  dieser  Untersuchung  glaubte  ich  entschieden 
eine  directe  von  der  Hernie  ausgehende  Ursache  für  die  Er¬ 
scheinungen  ausschliessen  zu  können  und  bei  den  weiteren 
diagnostischen  Erhebungen  von  der  Hernie  absehen  zu 
dürfen. 

Am  meisten  schien  mir  der  Befund  für  Appendicitis  mit 
abgesacktem  Exsudat  zu  sprechen,  wobei  ich  mir  allerdings 
vorstellte,  dass  der  Wurmfortsatz  und  das  Cöcum  ehemals  im 
Bruche  Vorgelegen  sein  mochten,  und  dass  durch  die  gewalt¬ 
samen  Repositionsversuche  am  Sylvesterabend  der  erste  Anstoss 
zur  Entzündung  und  Exsudatbildung  gegeben  sein  mochte.  Für 
die  Entzündung  schien  mir  der  rasche  Anfang,  der  initiale 
Schüttelfrost  und  das  Fieber  sicher  zu  sprechen. 

Mehr  aus  äusseren  Gründen  und  weil  die  Erscheinungen 
ein  Zuwarten  erlaubten,  verschoben  wir  den  Eingriff  auf  den 
nächsten  Tag  für  den  Fall,  als  sich  der  Zustand  nicht  gebessert 
haben  sollte. 

Der  Befund  am  nächsten  Tage  war  nun  folgender: 

Wegen  sehr  heftiger  Schmerzen  musste  in  der  Nacht 
eine  Injection  gemacht  werden,  worauf  die  Schmerzen  nacli- 
liessen  und  Patient  sich  wohler  fühlte.  Die  Temperatur  war 
unter  die  Norm  (36‘9)  gesunken.  Puls  96,  klein.  Patient  war 
noch  apathischer  (Morphinwirkung),  entschieden  ikterisch,  Bauch 
mehr  aufgetrieben,  die  druckempfindliche  Resistenz  hatte  an 
Grösse  bedeutend  zugenommen  und  entsprach  jetzt  einem  fast 
mannskopfgrossen  Tumor,  der  die  ganze  rechte  Bauchseite 
einnahm. 

Grösste  Empfindlickeit  wurde  diesmal  an  einem  Punkte 
unter  dem  rechten  Rippenbogen  angegeben,  der  ungefähr  der 
Lage  der  Gallenblasse  entsprach. 

Erbrechen  war  keines  mehr  erfolgt,  wohl  aber  bestand 
häufiger  Singultus. 

Noch  eines  Umstandes  muss  ich  Erwähnung  tliun:  die 
Hernie  (es  war  kein  Bruchband  mehr  angelegt  worden)  war 
diesmal  prall  gespannt,  leer  schallend,  deutlich  Huctuirend  und 
ungemein  leicht  compressibel,  beim  Nachlassen  des  Druckes 


sich  aber  sofort  wieder  füllend.  Wir  schlossen  aus  dem  Um¬ 
stande  auf  vorhandenes  freies  Exsudat,  das  wegen  der  intra¬ 
abdominalen  Spannung  gegen  die  Hernie  vortrat. 

Da  mithin  von  einer  entschiedenen  Besserung  nicht  die 
Rede  sein  konnte,  schritt  ich  zur  Operation  (Sanatorium  Doctor 
L  ö  w),  die  mir  ein  nie  gesehenes,  imponirendes  Bild  lieferte. 

Narkose.  Schnitt  von  oben  nach  abwärts,  ungefähr  entsprechend 
der  rechten  Mamillarlinie,  über  die  höchste  Convexität  der  Geschwulst. 
Nach  Durchtrennung  der  Bauchmusculatur  wölbt  sich  blasenförmig 
das  Peritoneum  vor,  wobei  eine  blutige  Flüssigkeit  bläulich  durch¬ 
schimmert.  Nach  Eröffnung  des  Peritoneums  strömt  intensiv  blutig 
gefärbtes  Transsudat  in  grosser  Menge  ab  (gewiss  über  2  l)  worauf 
sich  in  der  Incisionswunde  ein  blauschwarzer,  von  maximal 
dilatirten  Venen  gebildeter  Tumor  einstellte,  der  sofort  als  dem 
Netze  angehörig  erkannt  wird. 

Nach  Erweiterung  des  Schnittes  nach  oben  und  unten  gelingt 
es  leicht,  den  mannskopfgrossen,  nirgends  verwachsenen,  ergo 
vollkommen  freien  Netztumor  als  Ganzes  vor  diesen  zu  wälzen 
und  genau  das  imponirende  Bild  zu  übersehen.  An  dem  über 
kindskopfgrossen  Netztumor  befanden  sich  an  einzelnen  Stellen 
bereits  eiterähnliche  Auflagerungen  und  grauweisse  Verfärbungen, 
so  namentlich  an  den  peripheren  Netzpartien.  Um  in  dem  ange¬ 
wiesenen  Platze  als  so  mächtig  geschwelltes  Organ  Platz  zu  finden, 
war  das  Netz  als  Ganzes  gewissermassen  doppelt  zusammengelegt, 
und  nach  oben  zu  eingeschlagen  und  das  Ganze  durch  lockere  Exsudat¬ 
membranen  in  dieser  Stellung  gegen  einander  fixirt;  so  finden  wir 
auch  noch  am  Präparate  die  groben  Netzklumpen,  die  wahrschein¬ 
lich  den  häufigsten  Bruchinhalt  darstellten,  nach  oben  zu  gelagert 
und  hier  unter  einander  verklebt. 

Als  Grund  für  diese  eigenthiimliche  Veränderung  des  Netzes 
vermuthete  ich  sogleich  eine  Torsion  und  konnte  bei  Betrachtung 
der  oberen  Partie  thatsächlich  einen  kaum  zeigefingerdicken  drei¬ 
mal  von  rechts  nach  links  absteigend  gewundenen  Strang  auf¬ 
finden,  ober  welchem  das  restliche  Netz  vollkommen  normal  be¬ 
funden  wurde  und  der  die  einzige  Verbindung  des  Tumors  über¬ 
haupt  darstellte. 

Ich  trug  nun  nach  dreifacher  Ligatur  das  Netz  hier  im  Ge¬ 
sunden  ab  und  entfernte  so  den  ganzen  Netztumor,  dann  Hess  ich 
das  Transudat,  so  gut  es  ging,  abfliessen. 

Um  den  Patienten  gleichzeitig  von  seiner  Hernie  zu  befreien, 
exstirpirte  ich  den  Bruchsack  sammt  dem  atrophischen  Hoden  und 
vernähte  mit  exacter  Etagennaht  die  Bruchpforte  und  die  Bauch¬ 
wunde. 

Der  Verlauf  war  ein  tadelloser,  durch  keinen  Zwischenfall 
getrübter,  so  dass  nach  26  Tagen  Patient  vollkommen  gehfähig 
das  Sanatorium  verlassen  konnte.  Er  befindet  sich  seither  voll¬ 
kommen  wohl  und  hat,  worauf  Patient  besonderes  Gewicht 
legt,  seine  lästigen  Magenbeschwerden  gänzlich  verloren. 

Die  Operation  deckte  also  als  Ursache  der  schweren  Er¬ 
scheinungen  eine  dreimalige  Torsion  des  an  einer  Stelle  stiel¬ 
artig  verdünnten  Netzes  auf,  wobei,  als  meinen  Fall  besonders 
auszeichnend,  besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdient, 
dass  die  Stieltorsion  bei  leerem  Bruchsacke,  also  vollkommen 
intraperitoneal,  entstand  und  dass  das  Netz  nirgends  Verwach¬ 
sungen  mit  Nachbarorganen  zeigte. 

Soviel  mich  die  Durchsicht  der  mir  zugänglichen  Literatur 
lehrt,  halte  ich  meinen  Fall  für  ein  Unicum;  ich  konnte 
wenigstens  keinen  einzigen  halbwegs  ähnlichen  Fall  publicirt 
auffinden. 

Von  den  zwei  *)  als  Netztorsion  beschriebenen  Fällen 
unterscheidet  sich  mein  Fall  wesentlich  dadurch,  dass,  wie 
schon  mehi fach  hervorgehoben,  der  Bruch  leer  war  und  die 
Torsion  sich  rein  intraabdominell  abgespielt  hatte,  während  bei  den 
beiden  citirten  Fällen  es  sich  um  incarcerirte  Netzhernien 
handelte,  deren  lang  ausgezogener  Stiel  dann  oberhalb  des 
Bruchringes  gedreht  gefunden  wurde. 

Natürlich  drängt  sich  uns  sofort  die  Frage  auf,  wieso  es 
zur  Torsion  kommen  konnte  und  gekommen  war. 

Die  Frage  ist  unschwer  zu  beantworten,  denn  man  braucht 
nur  anzunehmen,  dass  als  Bruchinhalt  seit  Jahren  (die  Hernie 
war  ja  eine  angeborene)  Netz  vorfiel;  so  wird  es  Einem  vor 

')  Oberst  M.,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1882,  Nr.  27.  —  Professor 
Dr.  Karl  Bayer.  Ibidem.  1898,  pag.  462. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Allem  verständlich,  wieso  es  zu  der  strangförmigen  Ausziehung 
eines  Theiles  des  Netzes  kommen  konnte,  so  wird  Einem  ferner 
erklärlich,  dass  mit  der  Zeit  die  unteren  Partien  des  Netzes, 
also  jene,  welche  namentlich  vorzufallen  pflegten,  so  klumpig 
verdickt  wurden.  Kennen  wir  doch  diese  lappige  und  klumpige 
Hypertrophie  des  Netzes  als  einen  sehr  gewöhnlichen  Befund 
bei  alten  Netzhernien. 

Diese  schweren  Netzklumpen  zogen  und  zerrten  dann 
weiter,  so  dass  der  Stiel  immer  zarter  und  dünner  wurde  und 
endlich  nur  eine  einem  lang  ausgezerrten  Geschwulsstiel  ähnliche 
Verbindung  zwischen  der  oberen  Netzpartie  und  der  den  Bruch¬ 
inhalt  bildenden  bestand. 

Zwei  Hauptbedingungen  für  die  Möglichkeit  einer  Torsion 
waren  somit  gegeben,  die  Länge  des  Stiels  und  der  freie,  d.  h. 
mit  der  Umgebung  nicht  verwachsene  höckerige  Tumor,  das 
k lumpig- hypertrophirte  Netz. 

Den" nächsten  Anstoss  zum  Eintritt  der  Drehung  mussten 
wir  in  Berücksichtigung  der  Anamnese  mit  dem  Vorfall  am 
Sylvestertage  in  Zusammenhang  bringen. 

Dem  Patienten  war  im  Bade  der  Bruch  stärker  als  sonst 
vorgefallen  und  konnte  nur  mit  grösster  Anstrengung,  die 
Patient  selbst  als  zerrend,  drückend,  schiebend  und  drehend 
bezeichnet,  reponirt  werden.  Patient  mag  mit  seinem  durch 
den  Bruchcanal  zurückzupressenden  Netze  ungefähr  so  vor¬ 
gegangen  sein,  wie  Jemand,  der  einen  Lappen  durch  einen 
etwa  zu  reinigenden  Lampencylinder  durchpressen  will.  Es  ist 
nur  zu  wahrscheinlich,  dass  gerade  bei  diesen  Manipulationen 
die  erste  Drehung  zu  Stande  gekommen  sein  mag;  die  anderen 
Drehungen  geschahen  dann  so  wie  bei  intraperitonealen  freien 
Tumoren  überhaupt;  der  wechselnde  Druck  der  Nachbar¬ 
organe,  die  allmälige  Schwellung  unter  dem  halbgedrehten 
Stiel,  die  Erschütterungen  beim  Gehen  und  Pressen  etc.  sind  ja 
als  die  die  Torsion  einleitenden  und  perfect  machenden  Kräfte 
schon  seit  Rokitansky’s  lichtvoller  Darstellung  hinlänglich 
bekannt. 

Nachdem  nun  einmal  die  Stieldrehung  eingetreten  war, 
stellten  sich  auch  bei  unserem  Patienten  als  Folgeerscheinungen 
dieselben  Erscheinungen  ein,  wie  sie  Torsionen  anderer  Organe 
einzuleiten  und  zu  begleiten  pflegen. 

Für  die  Vorgänge  bei  Torsionen  können  wegen  ihrer 
Häufigkeit  die  Stieltorsionen  bei  Ovarialcysten  gewissermassen  als 
Paradigma  dienen.  Der  ganze  Syraptomencomplex,  den  wir 
bei  diesen  zu  beobachten  gewohnt  sind,  fanden  wir  bei  unserem 
Kranken  durch  die  Netztorsion  ausgelöst.  Der  initiale  Schüttel¬ 
frost,  das  initiale,  auf  Reflexreizung  des  Peritoneums  zu  be¬ 
ziehende  Erbrechen,  die  stetig  zunehmende  Spannung  des 
Bauches,  der  Collaps  und  die  Störung  des  Allgemeinbefindens 
wurden  uns  bei  der  Operation  erklärlich. 

Auch  der  durch  die  Operation  aufgedeckte  Befund  ent¬ 
sprach  den  schweren  Circulationsstörungen,  die  durch  die 
Torsion  ausgelöst  worden  war,  vollkommen. 

Am  imponirendsten  in  dieser  Beziehung  musste  wohl 
die  Umwandlung  des  früheren  Bruchinhaltes,  des  Netzes,  zu 
einem  mannskopfgrossen  Tumor  erscheinen. 

Auf  maximale  Füllung  der  Venen  und  ödematöse  Durcn- 
tränkung  war  diese  rapide  Volumzunahme  zurückzuführen, 
ebenso  und  aus  demselben  Grunde,  wie  in  derselben  kurzen  Zeit, 
aus  einer  im  kleinen  Becken  bequem  Platz  findenden  Ovarial- 
cyste  ein  den  Unterleib  vollständig  erfüllender  Tumor 
werden  kann. 

Als  Folge  der  intensiven  Circulationsstörung  ist  auch 
das  massige,  blutige  Transsudat  aufzufassen,  das  ja  als  ge¬ 
wöhnliche  Begleiterscheinung  bei  in  ihren  Stielen  torquirten 
Tumoren  angetroffen  wird. 

Dass  ich  die  Diagnose  nicht  richtig  stellte  und  dass  ich 
mich  auf  falsche  Voraussetzungen  hin  zur  Operation  ent¬ 
schloss,  wird  mir  bei  dem  singulären  Ereigniss  einer  intra¬ 
abdominalen  Netztorsion  Niemand  verargen  können. 

Unser  Befund  aber  bestätigt  von  Neuem  die  Richtigkeit 
der  alten  Regel:  bei  bestehender  Hernie  sind  abdominale 
Störungen  zunächst  auf  die  Hernie  zu  beziehen  und  finden 
meist  durch  diese  ihre  Erklärung. 


Aus  der  II.  Wiener  medicinischen  Klinik  (Hofrath  Neusser). 

Ueber  die  Hämamöben  Löwit’s  im  Blute  Leuk¬ 
ämischer. 

Vorläufige  Mittheilung. 

Von  Dr.  Wilhelm  Türk,  klinischem  Assistenten. 

Als  Prof.  Löwit  auf  dem  letzten  Congresse  für  innere 
Medicin  in  Karlsbad  seine  Präparate  der  »Haemamoeba  leu- 
kaemiae  magna«  demonstrirte,  erlaubte  ich  mir,  die  Ansicht 
auszusprechen,  dass  diese  vermeintlichen  Protozoen  keine 
parasitären  Gebilde,  sondernMastzellengranulatiomn,  beziehungs¬ 
weise  Kunstproducte  aus  solchen  darstellen. 

Am  selben  Tage  noch  zeigte  ich  auch  Prof.  Lö  wit  selbst  und 
den  anwesenden  Congresstheilnehmern  ein  Leukämie-Blutpräparat 
meiner  Sammlung,  welches  den  »Amöben«  Löwit’s  ähnliche  Ge¬ 
bilde  in  Methylenblau-Eosinfärbung  zeigte  und  mich  zu  der  mitge- 
theilten  Auffassung  veranlasst  hatte.  Prof.  Löwit  erklärte  damals, 
dass  die  fraglichen  Gebilde  meines  Präparates  zwar  von  seinen 
»Amöben«  nach  dem  mikroskopischen  Bilde  nicht  sicher  zu 
unterscheiden  seien;  er  glaube  jedoch,  dass  meine  Gebilde  Mast- 
zellenproducte  darstellen  und  sich  von  den  seinen,  die  er  als 
Protozoen  deuten  müsse,  dadurch  ohne  Weiteres  werden  unter¬ 
scheiden  lassen,  dass  meine  Färbung  nicht  »säurelest«  sei  wie 
die  seine. 

Eine  Prüfung  dieser  Behauptung  Prof.  Löwit’s  war 
insolange,  als  er  seine  Methoden  nicht  mittheilte,  unmöglich. 
Als  jedoch  zu  Beginn  des  heurigen  Jahres  seine  ausführliche 
Monographie  über  diesen  Gegenstand  die  erwartete  Aufklärung 
bezüglich  der  Methodik  brachte,  war  mir  nichts  leichter,  als 
die  Irrthümlichkeit  der  oben  geäusserten  Meinung  Löwit’s, 
dass  meine  Mastzellenproducte  nicht  »säurefest«  in  seinem 
Sinne  seien,  darzuthun.  Wenn  man  zwei  Schwesterpräparate 
desselben  Leukämiefalles  zu  gleicher  Zeit  miteinander  in 
wässeriger  Methylenblaulösuug  unter  Erwärmen  färbt  (das  war 
meine  Methode  gewesen)  und  nun  das  eine  derselben  mit  0  3°/0 
salzsaurcm  Alkohol  —  der  sauren  Differenzirungsflüssigkeit 
L  ö  w  i  t’s  —  behandelt,  das  andere  aber  undifferenzirt  einbettet, 
so  sind  die  fraglichen  Gebilde  in  beiden  1  räpa- 
raten  in  vollständig  gleicher  Weise  erhalten. 

Aber  schon  bald  nach  dem  vorjährigen  Congresse,  im 
April  und  Mai  1899,  war  es  mir  weiters  gelungen,  festzustellen, 
dass  die  Mastzellen granulationen  verschiedenartigen  Methylen¬ 
blaulösungen  gegenüber  ein  äusserst  verschiedenes  \ei- 
halten  zeigen.  Ich  schicke  voraus,  dass  ich  ausschliesslich  von 
Präparaten  spreche,  welche,  wie  auch  die  Löwit  s,  durch  Er¬ 
hitzen  nach  Ehrlich  fixirt  wurden. 

Färbt  man  ein  solches  Präparat  unter  Erwärmen  in  con- 
centrirtem  alkoholischem  Methylenblau  (Dr.  Grübler), 
so  sind  die  Mastzellengranulationen  in  etwas  verschiedener 
Grösse  und  Deutlichkeit,  wie  sie  eben  in  den  Mastzellen  des 
leukämischen  Blutes  Vorkommen,  distinct  und  metachromatisch 
violett  gefärbt.  ~~  Nimmt  man  concentrates  wässeriges 
Methylenblau,  so  zeigt  die  Mehrzahl  der  Granulationen 
eine  auffällige  Deformirung,  während  nur  wenige  in  annähernd 
normaler  Gestalt  erhalten  sind:  cs  zeigen  sich  nämlich  in  dem 
Protoplasma  der  Mastzellen  grössere  oder  kleinere,  rundliche, 
ovale,  kantige,  bandförmige  oder  gar  verzweigte  violett  gefärbte 
Massen,  daneben  sieht  man  vielleicht  noch  einige  granulaartige 
runde  Körner,  die  grosse  Mehrzahl  der  Granulationen  aber  ist 
nicht  mehr  als  solche  gefärbt  zu  finden.  Es  liegt  für  den  un¬ 
befangenen  Beobachter  auf  der  Hand,  dass  durch  die  wässeiige 
Farbstofflösung  der  die  Farbenreaction  gebende  Bestandteil 
der  Granulationen  in  Folge  einer  durch  die  Erhitzung  nicht 
genügend  erfolgten  Fixation  ausgelaugt  worden  und  zu  den 
verschiedenartigst  gestalteten  Conglomeraten  zusammenge¬ 
sintert  ist.  Dass  der  Wassergehalt  der  Farblösung  dabei  eine 
wesentliche,  wenn  auch  nicht  die  einzige  Rolle  spieit,  lässt  sie  i 
dadurch  erweisen,  dass  diese  »Auslaugung«  umso  stärker  here  or* 
tritt,  dass  die  Conglomerate  umso  grösser  und  unregelmässigei 
werden,  je  mehr  man  die  Methylenblaulösungen  vei  dünnt,  unc 
dass  so  schliesslich  die  ganze  gefärbte  Masse  in  den  sonst  sc  ir 
schwach  gefärbten  Kern  diffundirt  oderauchzu  einem  grossen, 


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Nr.  13 


vielfach  ausserhalb  und  am  Rande  der  Zelle  liegenden,  manchmal 
spinnenartig  verzweigten  Klumpen  zusammengeflossen  erscheint. 
Dass  es  sich  bei  all’  dem  wirklich  um  Producte  von  Mastzellen¬ 
granulationen,  nicht  um  fremdartige  Gebilde  handelt,  geht  aus 
der  einfachen  Beobachtung  hervor,  dass  die  solche  enthaltenden 
Zellen  den  in  anders  gefärbten  Schwesterpräparaten  vorhandenen 
Mastzellen  an  Zahl  entsprechen  und  thatsächlich  an  ihre  Stelle 
getreten  sind;  denn  mit  normal  erhaltenen  Granulationen  ver¬ 
sehene  Mastzellen  fehlen  in  diesen  Präparaten. 

Ganz  gleichartig  dem  wässerigen  Methylenblau,  nur  etwas 
weniger  deformirend,  verhält  sich  Löfflers  alkalisches 
Methylenblau. 

War  durch  diese  nun  fast  ein  Jahr  alten  Beobachtungen 
meine  Anschauung  über  die  Natur  der  vermeintlichen  Häm¬ 
amöben  L  ö  w  i  t  ’s  wesentlich  gestützt  worden,  so  wurde  sie  zur 
vollen  Gewissheit  schon  durch  die  bisherigen  Resultate  der 
noch  lange  nicht  abgeschlossenen  Nachprüfung  der  Lö  wit¬ 
schen  Untersuchungen  mit  seiner  eigenen  »specifischen« 
Methode. 

Ich  will  über  diese  Befunde  vorläufig  nur  in  kurzen 
Sätzen  berichten;  eine  ausführlichere  Darstellung  dieses  Gegen¬ 
standes  behalte  ich  mir  für  den  heurigen  Wiesbadener  Congress 
für  innere  Medicin  vor. 

Erstens  stellt  sich  heraus,  dass  die  Zellen,  welche  die 
durch  Färbung  mit  Mühlheimer  Thionin  oder  der  »basischen 
Farbmischung«  Lü  wit’s  mit  oder  ohne  »Jodirung«  dar¬ 
gestellten  »Amöben«  enthalten,  an  Zahl  annähernd  den  in 
anders  gefärbten  Schwesterpräparaten  enthaltenen  Mastzellen 
entsprechen;  hiebei  sind  natürlich  die  immer,  wenn  auch  spärlich, 
vorhandenen  Zellen  mit  noch  als  solchen  erkennbaren  Mast¬ 
zellengranulationen  eingerechnet.  Ich  bemerke  nur  nebenbei,  dass, 
wie  schon  aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  auch  hier  nicht  alle  Mast¬ 
zellen  in  gleicher  Weise  der  »Auslaugung«  unterliegen,  und 
dass  auf  der  anderen  Seite  durch  die  »specifische«  Färbungs¬ 
methode  auch  die  Kerne  mancher  Leukocyten,  zumeist  Lympho- 
cyten,  theilweise  »ausgelaugt«  werden,  welche  Producte  dann 
den  gleichen  Farbenton  aufweisen  wie  die  »Amöben«.  Doch 
sind  sie  von  diesen  meist  ohne  jede  Schwierigkeit  zu  trennen, 
denn  die  »Amöben«  liegen  nicht,  wie  L  ö  wit  behauptet,  grössten- 
theils  in  den  Lymphocyten,  sondern  diese  sind  durchwegs  frei 
davon,  und  behaftet  mit  ihnen  sind  nur  die  allerdings  einen 
einfachen  oder  gelappten,  an  sich  sehr  schwach  färbbaren  Kern 
aufweisenden  Mastzellen. 

Zweitens  konnte  ich  mit  Thionin  (Mühlheim)  und  »ba¬ 
sischer  Farbmischung«  ebenso  wie  früher  mit  Methylenblau 
darthun,  dass  bei  Verdünnung  des  Farbstoffes  mit  destillirtem 
Wasser  die  »Amöben«  im  Allgemeinen  grösser,  mannigfacher 
gestaltet,  eventuell  verzweigt  werden  (»Geisselformen«),  während 
sie  bei  unverdünntem  Farbstoffe,  wie  esLöwit  angibt,  in  der 
Mehrzahl  eine  mehr  minder  deutliche  Ringform  erkennen 
lassen,  und  dabei  in  der  einzelnen  Zelle  meist  zahlreicher  er¬ 
scheinen. 

Drittens  gelang  es  mir,  bei  einer  Anzahl  Menschen, 
welche  nicht  an  Leukämie  litten,  in  ihrem  Blute  aber  —  ohne 
Leukocytose  —  doch  wenigstens  einen  geringen  Procentsatz 
von  Mastzellen  hatten,  durch  die  Färbung  mit  Lö  wit’s 
specifischer  Methode  die  classischen  » Amöben «bilder  zu  er¬ 
zeugen.  Doch  sind  die  Mastzellen  des  normalen  Menschen 
gegenüber  der  Auslaugung  mehr  widerstandsfähig  als  die  des 
Leukämikers,  und  es  gelingt  immer  nur  bei  einem  Brucktheile 
derselben,  die  typischen  Amöbenbildungen  hervorzubringen, 
während  andere  Zellen  noch  grösstentheils  erhaltene  Granulations- 
lürbung  und  die  schönsten  Uebergangsformen  von  Mastzellen¬ 
granulationen  zu  L  ö  w  i  t’schen  Hämamöben  darbieten.  Wiederum 
entspricht  die  Summe  der  Zellen,  welche  erhaltene  oder  theil¬ 
weise  deformirte  Mastzellengranulationen  und  typische  »Amöben« 
enthalten,  der  Verhältnisszahl  der  in  anderen  Präparaten  der¬ 
selben  Blutentnahme  bei  demselben  Patienten  gefundenen  Mast¬ 
zellen.  So  konnte  ich  die  »Haemamoeba  leukaemiae  magna« 
nachweisen  im  Blute  bei:  Pertussis,  Chlorose,  Asthma  bronchiale, 
Concretio  pericardii,  paroxysmaler  Hämoglobinurie  undCarcinom 
des  Magens. 


Und  viertens  endlich  gelang  es  mir,  »Hämamöben«  auch, 
wenngleich  nur  mit  Mühe,  im  Blute  normaler  Kaninchen 
nachzuweisen ;  allerdings  sind  die  Mastzellen  des  normalen 
Kaninchens  noch  mehr  widerstandsfähig  gegen  die  Auslaugung 
als  die  des  normalen  Menschen,  und  die  Deformation  gelingt 
dementsprechend  nur  in  sehr  wenigen  Exemplaren. 

Auf  die  Thierversuche  L  ö  w  i  t’s  kann  ich  heute,  da  meine 
diesbezüglichen  Nachuntersuchungen  noch  kaum  begonnen 
haben,  nicht  eingehen. 

Feststellen  muss  ich  nur  im  Gegensätze  zu  Löwit, 
dass  schon  das  normale  Kaninchen  Mastzellen  annähernd  in 
der  zehnfachen  Verhältnisszahl  des  Menschen  im  Blute  hat 
(meistens  2 — 5°/0!).  Und  im  Weiteren  möchte  ich  nur  jetzt 
schon  hervorheben,  dass  es  Löwit  nicht  gelang,  bei  seinen 
»leukämisch  inficirten«  Kaninchen  das  anatomische  und 
histologische  Bild  einer  Leukämie  zu  erzeugen,  sondern  dass 
er  seine  Behauptung,  er  habe  die  Leukämie  auf  sie  übertragen, 
ausschliesslich  auf  das  Vorhandensein  einer  chronisch-reci- 
divirenden  Leukocytose  und  den  Nachweis  seiner  Hämamöben 
zu  stützen  vermag.  Mit  der  Erkenntniss,  dass  Löwit’s 
»Amöben«  keine  Parasiten,  sondern  Kunstproducte  aus  Mast¬ 
zellengranulationen  darstellen,  stürzt  in  Folge  dessen  auch 
seine  Argumentation  bezüglich  der  Uebertragungsversuche  in 
sich  zusammen:  —  denn  eine  chronisch- recidivirende  Leuko¬ 
cytose,  auch  mit  Mastzellen,  ist  nicht  gleichbedeutend  mit 
Leukämie. 


Aus  der  internen  Abtheilung  des  Stabsarztes  Universitäts- 
Docenten  Dr.  Alois  Pick  im  k.  u.  k.  Garnisons-Spitale 

Nr.  1  in  Wien. 

Zur  Semiotik  des  zweiten  Pulmonaltones. 

(Klinische  Studie  mit  Bettelheim-Gärtner’s  Sthetophono- 

meter.) 

Von  Dr.  Adolf  Hecht. 

Während  Laennec  die  Extensität  der  Herztöne,  den 
Verbreitungsbezirk  ihrer  Wahrnehmbarkeit  auf  der  Oberfläche 
des  Thorax  für  sehr  wesentlich  hielt,  erkannten  seine  Nach¬ 
folger,  dass  dabei  die  Richtung  des  Blutstromes  und  die  Schall¬ 
leitungsverhältnisse  der  Medien  eine  massgebende  Rolle  spielen, 
so  dass  zwischen  Extensität  und  Intensität  der  Auscultations- 
phänomene  von  Proportionalität  nicht  die  Rede  sein  könne. 

Scoda  lehrte  dann  die  wichtige  Accentuation  des  zweiten 
Pulmonaltones  kennen  ;  und  da  diese  der  unmittelbarste  Aus¬ 
druck  für  die  Drucksteigerung  im  kleinen  Kreislauf  ist,  spielt 
heute  der  zweite  Pulmonalton  eine  grosse  differentialdiagnosti¬ 
sche  und  prognostische  Rolle,  die  Smith36)  dem  ersten  Pul¬ 
monalton  zu  übertragen  sich  vergeblich  bemühte. 

Nach  der  Anschauung  der  meisten  Kliniker  soll  der 
zweite  Pulmonalton  bei  Myocarditis  nicht  so  laut  sein  wie  bei 
Endocarditis,  bei  relativer  Insufflcienz  der  Mitralis  schwächer 
als  bei  organischer.  Besteht  bei  letzterer  eine  mächtige  Ac¬ 
centuation,  so  ist  daneben  wohl  auch  eine  Stenose  des  linken 
venösen  Ostiums  vorhanden.  Erlahmt  der  rechte  Ventrikel  und 
kommt  es  gar  zur  relativen  Tricuspidalinsufticienz,  so  ver¬ 
schwindet  die  Accentuation  wieder.  Bei  Aortenfehlern  kenn¬ 
zeichnet  beginnende  Accentuation  den  Eintritt  einer  relativen 
Mitralinsufficienz ;  hingegen  warnen  die  Autoren  vor  allzu 
rascher  Annahme  einer  Accentuation  bei  der  Aortenstenose, 
bei  der  der  zweite  Aortenton  so  schwach  ist. 

Bei  der  Aorteninsufficienz  ist  die  Beurtheilung  durch 
Wegfall  des  zweiten  Aortentons  als  Vergleichsphänomen  sehr 
erschwert.  Auch  bei  Nephritis  kann  die  Accentuation  des 
zweiten  Pulmonaltones  leicht  übersehen  werden,  wenn  der 
zweite  Aortenton  klingt.  Die  mit  Persistenz  des  Ductus  Botalli 
einhergehende  angeborene  Pulmonalstenose  ist  im  Gegensätze 
zum  Verhalten  bei  der  Aortenstenose  durch  einen  paukenden 
zweiten  Ton  charakterisirt. 

Pulmonalstenosen,  gleichsam  in  der  Continuität  der  Ar¬ 
terie,  werden  durch  intrathoracische  Tumoren  und  Lungen- 
cirrhosen  gebildet,  auch  sie  führen  zur  Accentuirung  des 


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zweiten  Pulmonaltones.  Beim  Cor  adiposum  spricht  die  Ac¬ 
centuation  für  Verfettung  vorwiegend  de3  linken  Ventrikels 
mit  consecutiver  Hypertrophie  rechts.  Das  Asthma  cardiale5), 
das  nach  dem  Verhalten  des  linken  Ventrikels  ein  Spasticum 
und  ein  Pareticum  sein  kann,  beruht  auf  einer  Drucksteigerung 
im  kleinen  Kreislauf,  die  zur  Lungenschwellung  und  Lungen¬ 
starrheit  führt,  ja  bei  der  spastischen  Form  sogar  zum 
Lungenödem. 

Auch  die  Lehre  vom  Lungenödem  ist  mit  den  Studien 
über  die  Druckverhältnisse  des  Lungenkreislaufes  innig  ver¬ 
knüpft.  Welch40)  führt  es  auf  Erlahmen  des  linken  Ven¬ 
trikels  zurück,  während  Jürgen  sen  15)  die  Möglichkeit  eines 
isolirten  Erlahmens  des  linken  Ventrikels  mit  Hinweis  auf  die 
gemeinsamen  Muskelfasern  und  die  von  Küttner18)  be¬ 
schriebenen  Gefässanastomosen  zwischen  dem  grossen  und 
kleinen  Kreislauf  leugnet  und  eine  allgemeine  Herzschwäche 
annimmt. 

Sahli35)  deducirt  aus  der  mangelhaften  Füllung  der 
Coronararterien  die  Unmöglichkeit  einer  isolirten  Herz¬ 
schwäche  des  linken  Ventrikels.  Gegen  Herzschwäche  über¬ 
haupt  spreche  das  Fehlen  von  Hirnerscheinungen,  durch 
Anämie  bedingt.  Bei  der  Lungenstauung  %ax  s^oyjjv,  bei  reiner 
Mitralinsufficienz  komme  nie  Lungenödem  zur  Beobachtung. 
Er  stellt  überhaupt  die  mechanische  Natur  des  Lungenödems 
in  Abrede,  es  soll  nach  ihm  in  Folge  erhöhter  Durchlässigkeit 
der  Gefässe  in  der  Agone  auftreten  und  dem  entzündlichen 
Oedem  näher  stehen,  als  dem  Stauungstranssudat. 

Gegen  das  Argument  von  den  Coronararterien  lässt  sich 
die  jedem  Experimentator  bekannte  Thatsache  ins  Feld  führen, 
dass  beim  Athmungsaussetzungsversuch  am  curarisirten  Thiere 
der  linke  Ventrikel  zuerst  erlahmt,  während  der  rechte  mit 
verstärkter  Function  noch  durch  Minuten  arbeitet. 

Die  Frage  nach  der  Natur  des  Lungenödems  beim 
Menschen  hat  auch  einen  wichtigen  therapeutischen  Gesichts¬ 
punkt.  Excitantia  sind  nämlich  bei  allgemeiner  Herzschwäche 
gewiss  indicirt ;  ob  diese  aber  bei  isolirter  Herzschwäche  links 
nicht  den  intact  arbeitenden  rechten  Ventrikel  zu  sehr  stimu- 
liren,  ist  eine  schon  aufgeworfene  Frage.  Ueber  die  Verhält¬ 
nisse  beim  Menschen  können  vielleicht  systematische  Beob¬ 
achtungen  über  das  Verhalten  der  zweiten  Töne  über  den 
grossen  Gefässen  Klarheit  schaffen. 

Von  den  Respirationskrankheiten  führen  vor  Allem  die 
mit  Verödung  von  Capillaren  einhergehenden  ausgedehnten 
Destructionsprocesse  und  das  chronische  (substantielle)  Emphysem 
zur  Drucksteigerung  im  kleinen  Kreislauf.  Doch  kann  die 
Verstärkung  der  Töne  auch  durch  Resonanzverhältnisse,  wie 
sie  eine  benachbarte,  infiltrirte  Lungenpartie,  eine  Caverne, 
ein  Pneumothorax,  dergeblähteMagen  schaffen,  zuStandekommen, 
manchmal  mit  metallischem  Beiklang.  So  hat  Fischer  13)  einen 
Fall  von  auf  sechs  Schritte  hörbarem  Schreien  des  Herzens 
beschrieben,  bedingt  durch  totale  Synechie  des  Pericards  und 
der  Pleuren.  L.  Riess31)  berichtet  über  mehrere  wenn  auch 
nicht  so  ausgeprägte  ähnliche  Fälle  und  erklärt  sich  durch 
Annäherung  des  Magens  diese  Schallerscheinungen.  Eine  an¬ 
dere  Art  der  »falschen«  Accentuation  kommt  durch  Retraction 
der  Lungenränder  und  durch  Entblössung  des  Anfangstheiles 
der  Pulmonalis  zu  Stande.  Pleuritiden  mit  mächtigem  Exsudat, 
Ascites  höheren  Grades,  Meteorismus  peritonei  und  intestinalis 
sollen  durch  die  Athmungsbehinderung  zur  compensatorischen 
Mehrleistung  des  rechten  Ventrikels  führen  und  daher  mit 
Accentuation  des  zweiten  Pulmonaltones  einhergehen.  Doch 
das  ist  Teleologie,  keine  Erklärung.  Dazu  kommt  noch,  dass 
Li  eilt  heim22)  gezeigt  hat,  dass  bei  Verlegung  von  selbst 
drei  Viertel  der  Strombahn  in  den  Lungen  der  arterielle 
Druck  nicht  sinke,  eine  Thatsache,  die  sich  wohl  aus  dem  fast 
vollständigen  Mangel  eines  Tonus  der  Lungengefässe  erklärt. 
Licht  heim  führt  das  Absinken  des  arteriellen  Druckes  im 
Körperkreisläufe  und  die  Drucksteigerung  im  Lungenkreis¬ 
läufe  auf  eine  Druckwirkung  des  Exsudates  auf  das  Herz  und 
eine  Knickung  der  grossen  Gefässstämme  zurück;  gegen 
letzteres  Moment  macht  Rosenbach32)  geltend,  dass  die 
Knickung  der  Aorta  zur  Accentuation  des  zweiten  Äortentones 
führen  müsste,  diese  aber  bei  Pleuritis  fehle.  Ferner  sind  alle 


Experimentatoren,  so  Poiseuille,  Quinke,  Pfeiffer, 
Funke,  Latschenberger,  Kowalewsky  darüber  einig, 
dass  die  relaxirte  Lunge  der  Durchblutung  einen  geringeren 
Widerstand  entgegensetzt,  als  die  aufgeblasene.  Eine  Erklärung 
liegt  vielleicht  in  der  grösseren  Vulnerabilität  des  linken  \  en- 
trikels  gegen  die  Verdrängung  des  Herzens,  und  besonders 
gegen  die  Kohlensäureintoxication.  Auf  diese  Art  würden  alle 
mit  Lufthunger  einhergehenden  Affectionen  zur  Minder- 
werthigkeit  der  Leistung  des  linken  Ventrikels  und  in  weiterer 
Folge  zur  Stauung  im  Lungenkreisläufe  führen. 

Diese  Annahme  werde  ich  noch  gelegentlich  der  Bäder¬ 
behandlung  zu  stützen  suchen.  Uebrigens  lassen  sich  diese 
Vorgänge  durch  Beobachtung  des  blossgelegten  Herzens  am 
curarisirten  Thiere  während  der  Athmungsaussetzung  ad  oeulos 


demonstriren. 

Nicht  anwendbar  ist  diese  Erklärung  auf  jene  Fälle  von 
Accentuation  des  zweiten  Pulmonaltones,  auf  die  Mann  ab  erg23) 
aufmerksam  gemacht  hat.  Es  sind  nämlich  Perityphlitiden  ohne 
Meteorismus,  ohne  Zwerchfellhochstand.  Meine  Ansicht  hier¬ 
über  lege  ich  in  einem  besonderen  Abschnitte  klar. 

Zur  Drucksteigerung  im  Lungenkreisläufe  stehen  auch 
gewisse  Fälle  von  Galoppi'hythmus  in  genetischem  Zusammen¬ 
hänge.  In  den  »Archives  generales  de  medecine«  geben 
Cuffer  und  Bar  billon10)  eine  Eintheilung  des  Galopp- 
rhytbmus  nach  P  o  t  a  i  n 28)  in  einen  mesosystolischen  und  diastoli¬ 
schen.  Dieser  kann  imrecktenoderim  linken  Herzen  durch  Vorhof- 


hyperkinese,  später  auch  durch  Vorhofbypertrophie  zu  Stande 
kommen.  Ueber  die  Hypertrophie  des  linken  Vorhofes  hat  Dr.  Ex- 
chaquet  gearbeitet,  während  die  des  rechten  von  Barie12) 
ausführlich  behandelt  wurde.  Nach  letzterem  Autor  kommen, 
wie  schon  Po  tain29)  hervorhebt,  bei  geringen  Affectionen 
des  Digestionstractes  vorübergehende  Dilatationen  der  rechten 
Herzhöhle  vor,  mit  rechts  localisirtem  Galopprhythmus,  wofür 
Potain  den  Terminus  »bruit  de  galop  retrosternal«  vorge¬ 
schlagen  hat.  Gastro-  und  Enterokatarrhe,  Leber-,  Uterus-, 
0  varialaffectionen  sollen  durch  Gefässkrämpfe  zur  Druck¬ 
steigerung  im  Lungenkreisläufe,  daher  auch  zur  Accentuation 
des  zweiten  Pulmonaltones  führen. 

Gegenüber  der  Wichtigkeit  des  zweiten  Pulmonaltones 
spielt  der  zweite  Aortenton  eine  untergeordnete  Rolle,  da  für 
die  Druckmessung  im  grossen  Kreislauf  exactere  Methode 
existirten.  Aber  gerade  bei  Erkrankungen  des  Herzens  ist 
Gärtner’s  Tonometer,  wie  neulich  erst  Weiss39)  betont 
hat,  nicht  so  gut  zu  verwenden,  als  bei  jenen  Affectionen,  die 
zur  Drucksteigerung  durch  Veränderung  an  der  Peripherie 
führen,  wie  Granularatrophie  der  Niere,  Arteriosklerose, 
Saturnismus  chronicus.  Man  hat  eben  keinen  Anhaltspunkt 
dafür,  welchen  Antheil  am  Tonus  in  einem  gegebenen  Moment 
die  Herzkraft  und  welchen  die  Widerstände  in  der  Peripherie 
haben. 

In  diesen  Fällen,  sowie  in  anderen,  die  Gegenstand 
späterer  Eröterung  sein  mögen,  entscheidet  das  Verhalten  des 
zweiten  Aortentones. 

Auffallend  laut  sind  die  zweiten  Töne  bei  nervösen  Herz- 
affectionen,  Morbus  Basedowii,  fieberhaften  Zuständen,  Anämie 
und  Chlorose.  Bei  letzterer  Affection  macht  Sahli  die  Zart¬ 
heit  und  Schwingungsfähigkeit  der  Klappen,  Andere’0),  3V)  die 
Retraction  der  Lungenränder  für  diese  Erscheinung  verant¬ 


wortlich. 

Alle  Herztöne  werden  jedes  Mal  leiser,  wenn  die  Herz¬ 
kraft  nachlässt,  sei  es  durch  acute  Ueberanstrengung,  Ver¬ 
blutung,  Kohlensäureüberladung  des  Blutes,  Herzgifte,  depas- 
cirende  Krankheiten;  ferner  beim  Erguss  von  Flüssigkeit  ins 
Pericard,  so  dass  insbesondere  die  Stärke  des  ersten  Mitral¬ 
tones  für  den  Verlauf  einer  Pericarditis  nach  H.  V  i  e  r  o  r  d  t 1 ' ) 
einen  brauchbaren  Index  abgibt.  Die  Abdrängung  des  Herzens 
von  der  Thoraxwand  und  die  Behinderung  der  diastolischen 
Ventrikelfüllung  bedingen  eine  »wahre«  und  »falsche«  Ab¬ 
schwächung  der  Herztöne  nebeneinander. 

Die  Angabe,  dass  bei  Mitralstenosen  der  erste  Mitral¬ 
ton  durch  Anspannung  der  Klappensegel  aus  gänzlicher  Er¬ 
schlaffung  laut  und  klingend  ist,  soll  man  nach  Leu  be-1) 
fast  nie  bestätigt  finden. 


296 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


Diese  Beschaffenheit  des  ersten  Mitraltones  und  zugleich 
auch  des  zweiten  Aortentones  soll  nach  Laiinnec  das  Cli- 
quetis  metallique  ausmachen  und  Hypertrophie  des  linken 
Ventrikels  anzeigen. 

Noch  unwichtiger  ist  die  Intensitätsbestimmung  von 
Schallphänomenen  an  peripheren  Gefässen.  Cruraltöne  findet 
man  auch  bei  Anämischen  und  Fiebernden,  aber  nie  so  laut 
als  bei  der  Aorteninsufficienz.  Auch  bei  der  Tricuspidal- 
insufficienz  spielen  Cruraltöne  in  den  Cruralvenen  eine  Rolle. 

Die  Intensitätsmessung. 

Die  Lautheit  der  Herztöne  wird  bei  verschiedenen  nor¬ 
malen  Menschen  von  der  Schwingungsfähigkeit  des  Thorax, 
sowie  von  dem  Verhalten  der  aus  Musculatur  und  Unterhaut¬ 
fettgewebe  bestehenden  Decken  verschiedentlich  beeinflusst, 
weshalb  exacte  Messungen  der  absoluten  Intensität  eines  Tones 
kaum  viel  an  verwerthbaren  Resultaten  liefern  dürften;  zum 
Beispiel: 

A.  J.  W.,  22  Jahre  alt,  kräftig,  reichlicher  Panniculus 
und  gut  entwickelte  Musculatur,  Cor  gesund.  Zweiter  Aorten¬ 
ton  15 mm  nach  Gärtner’s  Sthetophonometer  (siehe  unten). 
Tonus  135 mm  Hg  (Gärtner’s  Tonometer). 

B.  Wachmann  P.,  33  Jahre  alt,  klein,  gradier  Knochen¬ 
bau,  schwächliche  Musculatur,  mager,  Cor  gesund.  Zweiter 
Aortenton  19  mm  (Sthetophonometer).  Tonus  105  mm  Hg  (Tono¬ 
meter). 

Interessanter  ist  es  schon,  die  Intensität  eines  Tones  bei 
demselben  Individuum  zu  verschiedenen  Zeiten  unter  ver¬ 
schiedenen  Verhältnissen  zu  verfolgen.  Eine  Hauptfehlerquelle 
liegt  hiebei  in  der  verschiedenen  Perceptionsfähigkeit.  So  höre 
ich  nach  dem  Mittagmahle  entschieden  viel  schlechter  als  vor 
demselben,  zum  Beispiel: 

J.  W.,  22  Jahre  alt,  Struma,  Cor  normal. 

10  Uhr  Vormittags:  Tonus  125mm,  fast  unauslösch¬ 
licher  zweiter  Aortenton. 

3  Uhr  Nachmittags:  Tonus  135mm,  zweiter  Aortenton 
=  15  mm. 

Auch  diese  Messungen  büssen  dadurch  fast  ihren 
Werth  ein. 

Ganz  anders  steht  es  mit  dem  Verhältnisse  zweier  Herz¬ 
töne  zu  einander,  so  des  zweiten  Pulmonaltones  zum  zweiten 
Aortenton.  Auch  hier  können  Fehler  unterlaufen.  W  aldemar 
Henriques11)  hat  auf  Tonusschwankungen  im  Lungen¬ 
kreislauf  aufmerksam  gemacht.  Durch  gleichzeitige  Druck¬ 
messung  in  der  Pulmonalarterie  und  im  linken  Vorhof  zeigte 
er,  dass  rhythmische  Schwankungen,  ähnlich  denen  von 
Traube-Heri  n  g  im  grossen  Kreisläufe,  auch  in  der  Pul¬ 
monalarterie  und  im  linken  Vorhof  vorhanden  sind;  daraus 
zog  er  den  Schluss,  dass  nicht  Tonusschwankungen  der 
Lungengefässe,  sondern  rhythmische  Schwankungen  der  Herz¬ 
arbeit  die  Ursache  dafür  abgeben. 

Auscultatorisch  konnte  ich  davon  nichts  wahrnehmen, 
wohl  aber  ein  nach  Minuten  wechselndes  Lauter-  und  Leiser¬ 
werden  beobachten,  was  vielleicht  gar  nicht  am  Patienten, 
sondern  am  Untersucher  liegt.  Die  Aufmerksamkeit  schwank  t  ja  mit 
der  Blutversorgung  der  Grosshirnrinde.  Wenn  man  unmittelbar 
hintereinander  Aorta  und  Pulmonalis  auscultirt  und  die 
Messung  wiederholt,  vermeidet  man  wohl  falsche  Resultate. 

Eine  andere  Fehlerquelle  flnden  wir  schon  bei  Da  Costa11) 
genannt.  Beim  Vortreten  der  Lungenränder  im  tiefen  In- 
spirium  verschwinden  nämlich  die  Herztöne  links  ganz,  rechts 
aber  nur  theilweise;  offenbar  ist  dafür  die  Excursion  der 
Lungenränder  massgebend.  Ich  betrachte  einen  Ton  immer 
dann  als  erloschen,  wenn  er  auch  am  Ende  des  Exspiriums 
erloschen  ist. 

Die  Messung  der  Lautheit  kann,  wie  Bettelheim 
und  Gärtner6)  hervorheben,  nach  zweierlei  Principien  vor¬ 
genommen  werden. 

Physikalisch  einwandfrei  ist  die  Messung  durch  solide 
Leiter,  wie  sie  mit  grosser  Mühe  und  Geduld  II.  V  i  e  r  o  r  d  t 4 ') 
durchgetührt  hat.  Benützt  man  aber  die  Luftleitung,  so  muss 


man  sie  ausschliesslich  benützen,  wie  es  beim  Sthetometer 
nach  Bettelheim  und  Gärtner  geschehen  ist. 

Es  ist  ein  Sthetoskop,  bestehend  aus  einem  Ebonittrichter 
als  Aufsatz  und  einen  Neusilberrohr,  welches  einen  nach  der 
Originalangabe  O  b  mm  weiten,  40  mm  langen,  der  Längsachse 
parallelen,  linearen  Spalt  trägt,  der  aber  nur  die  obere  Hälfte 
des  Rohres  einnimmt.  Ebenso  lang  ist  die  darüber  verschieb¬ 
liche  Hartgummihülse.  Dieser  Apparat  basirt  auf  dem  Princip, 
dass  durch  den  seitlichen  Spalt  im  Rohre  Schallwellen  ent¬ 
weichen,  so  dass  der  Ton,  je  weiter  offen  der  Spalt  ist,  desto 
schwächer  wird,  bis  er  endlich  ganz  verschwindet.  Dadurch, 
dass  dieses  Sthetoskop  statt  der  Ohrplatte  einen  beiläufig 
8  cm  langen  Kautschukschlauch  mit  einer  Olive  trägt,  ist  die 
solide  Schallleitung  vollkommen  eliminirt. 

Je  lauter  ein  Ton  ist,  in  desto  weiterer  Ausdehnung 
muss  der  Spalt  offen  sein,  damit  der  Ton  ausgelöscht  werde. 
Auch  Höhe  und  Dauer  sollen  nach  H.  Vier  or  dt41)  und 
Gärtner6)  dabei  eine  Rolle  spielen.  Man  auscultirt  zunächst 
bei  geschlossenem  Spalt  und  schiebt  dann  die  Hülse  so  lange 
abwärts,  bis  man  eben  nichts  mehr  hört;  dann  liest  man  ab, 
wie  viele  Millimeter  der  Spalt  geöffnet  war.  Für  sehr  laute 
Töne  liess  ich  mir  ein  Instrument  mit  längerem  Schlauch  und 
einer  Spalte  von  100  mm  anfertigen  ;  und  trotzdem  sind  manche 
Töne  für  mich  unauslöschbar  geblieben. 

Vierordt41)  hat  für  sämmtliche  acht  Herztöne  Mittel- 
werthe  ermittelt. 

Uns  interessiren  für  vorliegende  Arbeit  zunächst  die 
folgenden : 

Zweiter  Aortenton :  513  |  respective  für  die  Alters-  (  481. 
Zweiter  Pulmonalton  :  624  J  classe  21 — 38  Jahre  (  568. 

Die  Mittel werthe  sind  von  geringer  Bedeutung,  wenn 
wir  die  Maxima  und  Minima  in  Betracht  ziehen. 

Maximum  Minimum 

Zweiter  Aortenton  .  .  744  288 

Zweiter  Pulmonalton  .  885  384 

Auch  das  Verhältnis  des  zweiten  Pulmonaltones  zum 
zweiten  Aortenton  variirt  sehr  beim  gesunden  Menschen. 

Es  war  einmal  P:A  =  432:288, 
ein  andermal  =456:480. 

Doch  das  sind  extreme  Fälle;  meist  ist  nach  II.  Vier¬ 
ordt  der  Pulmonalton  um  ein  Fünftel  lauter  als  der 
Aortenton. 

Ich  beziehe  den  P  immer  auf  A  =  100;  so  wäre  nach 
H.  Vierordt  P:A  =  120:100,  oder  wie  ich  kurz  schreibe, 
P  =  120  der  Mittelwerth. 

Gerhardt  hält  beide  Töne  für  gleich  laut,  Guttmann 
sogar  den  Aortenton  für  den  lauteren  Ton. 

Ganz  anders  steht  es  mit  den  Druckverhältnissen  in  den 
grossen  Gefässen. 

P  :  A  =  1 :  3  schätzen  Beutner  und  M  a  r  e  y. 

P  :  A  =  2  :  5  schätzen  Goltz  und  Gaule. 

P:  A  =  60:  111  nach  Messungen  von  Fick  und  B  a- 
d  o  u  d  am  Hunde. 

P  :  A  =  1 :  6'8  nach  Knoll  am  Kaninchen. 

Aus  dem  Verhältnisse  der  Gefässlumina  zu  schliessen, 
ist  der  Pulmonaldruck  beim  Kinde  relativ  höher  als  beim  Er¬ 
wachsenen. 

Die  Töne  können  sich  übrigens  auch  nicht  den  Druckhöhen 
proportional  verhalten;  denn  die  Pulmonalarterie  auscultiren 
wir  an  der  Klappe,  die  Aorta  aber  nicht.  Das  Ostium  arter. 
sinistrum  liegt  um  1'5  cm  tiefer  als  das  dextrum,  etwas  rechts 
und  hinter  dem  letzteren  (Ry  d  i  n  g  e  r  31),  und  wir  auscultiren 
den  diastolischen  Ton,  von  der  rückläufigen  Welle  erzeugt, 
peripheriewärts,  also  sogar  gegen  die  Stromrichtung.  So  kommt 
es,  dass  wir  im  Falle  der  Druckgleichheit  zwischen  Aorta  und 
Pulmonalarterie,  nämlich  bei  Persistenz  des  Ductus  Botalli 
einen  mächtig  accentuiiten  Pulmonalton  haben. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


297 


Nehmen  wir  die  zweiten  Töne  über  den  venösen  Ostien 
als  Massstab,  so  verhält  sich  nach  H.  Vier  or  dt  der  zweite 
Mitral-  zum  zweiten  Tricuspidalton  wie  479:422. 

Da  prägt  sich  schon,  zwar  nur  unvollkommen,  der 
höhere  Druck  der  Aorta  aus.  Die  Stromrichtung  ist  eben 
gleichsinnig,  aber  der  linke  Ventrikel  liegt  mehr  nach  hinten, 
als  der  rechte,  und  bei  Hypertrophie  des  rechten  Ventrikels 
ist  er  vollends  nach  hinten  gedrängt. 

Wollen  wir  aus  der  Schallintensität  auf  den  Druck 
schliessen,  so  müssen  wir  uns  auch  den  Satz  von  Overbeck 
und  Karl  v.  Vierordt  vergegenwärtigen,  dass  die  Schall¬ 
intensitäten  beim  Auffallen  gleich  grosser  Kugeln  aus  ver¬ 
schiedener  Höhe  nicht  mit  den  Fallhöhen  selbst,  sondern  nur 
mit  deren  Quadratwurzeln  wachsen.  Es  müsste  in  unserem 
Falle  der  doppelten  Schallstärke  der  vierfache  Druck,  der 
dreifachen  Schallstärke  bereits  der  neunfache  Druck  ent¬ 
sprechen. 

Der  Pulmonaldruck  während  der  Verdauung  und  bei 
abdominalen  Affectionen. 

Meine  Untersuchungen  an  Gesunden  ergaben  als  untere 
Grenze  des  zweiten  Pulmonaltones  100.  Nach  oben  konnte  ich 
nicht  gut  eine  solche  festsetzen,  da  mir  gar  bald  die  That- 
sache  auffiel,  dass  die  Nahrungsaufnahme  den  zweiten  Pul¬ 
monalton  stark  in  die  Höhe  treibt. 

Nachstehende  Tabellen  mögen  zur  Illustration  des  Ge¬ 
sagten  dienen. 


I. 


Nr. 

Diagnose 

Pulmonalton 

2  Uhi- 

Nachmittags 

Pulmonalton 

10  Uhr 
Vormittags 

1 

N.  S.,  Epilepsie . 

125 

100 

2 

L.  O.,  Epilepsie,  Fettsucht  .  .  . 

unauslöschlich 

500 

3 

B.  S.,  Epilepsie . 

170 

142 

4 

S.  L.,  Schädelimpression,  Cepha¬ 
laea  . 

200 

125 

5 

G.  S.,  Bettnässer . 

291 

166 

6 

D.  O.,  Psychose? . 

600 

375 

7 

J.  R.,  Epilepsie . 

manchmal 

gespalten 

360 

144 

8 

J.  L.,  Observat.  forens . 

187 

117 

9 

F.  B  ,  Epilepsie . 

171 

166 

10 

F.  D.,  Hysterie . 

264 

100 

n 

A.  P.,  Mitralinsufficienz  .... 

200 

150 

12 

II.  M.,  Reconvalescenz  nach 
Malaria . 

600 

266 

13 

M.  S.,  Bronchitis  diffusa  .... 

171 

120 

14 

R.  S.,  Trachom . 

250! 

400  ! 

15 

J.  II.,  Trachom . 

116 

100 

.16 

J.  M.,  Trachom . 

150 

100 

17 

W.  P.,  Trachom . 

170 

113 

18  • 

F.  J.,  Trachom . 

215 

157 

19 

W.  J.,  Trachom . 

275 

200 

20 

S.  J.,  Trachom . 

143 

120 

21 

A.  S.,  Trachom . 

120 

100 

22 

D.  S.,  Trachom . 

200 

143 

23 

T.  K.,  Trachom  ...  .  • 

145 

125 

24 

W.  K.,  Trachom . 

200 

140 

25 

M.  S.,  Bronch.  cat . 

171 

120 

Anmerkung1:  Eine  »falsche  Accentuation«  durch  Aufge- 
triehensein  des  Magens  oder  eines  Darmtheiles  war  in  keinem  lalle 
anzunehmen. 

Die  Untersuchten  waren  durchwegs  Soldaten  während  der  activen 
Dienstzeit. 

Die  Tabelle  I  enthält  mit  Ausnahme  des  Falles  Nr.  14 
durchwegs  beträchtliche  Verstärkung  des  zweiten  Pulmonal¬ 
tones  in  der  Phase  der  Resorption.  Da  Dr.  Hugo  Weiss  3'J) 
jüngst  erst  durch  Untersuchungen  mit  dem  Ionometer 
Gartner’s  einen  Druckabfall  in  der  \  erdauungsperiode 
nachgewiesen  hat,  der  uns  durch  die  Resorptionshyperämie 
des  Digestionstractes  sehr  begreiflich  erscheint,  so  könnten 
wir  die  Aenderung  des  Pulmonaltonwerthes  auf  Verkleinerung 


des  Nenners  schieben,  auf  Leiserwerden  des  zweiten 
Aortentones,  zum  Beispiel: 

M.  S:  Tonus  =  125  mm ;  P  =  173,  10  Uhr  a.  m. 

Tonus  =  105  mm\  P  =  300,  2  Uhr  p.  m. 

II. 

(Nr.  4.)  S.  L.  Schädelimpression  und  Cephalaea. 


p  6h  8  10  12  2  4  6  8  10 


III. 

(Nr.  9.)  F.  B.  Epilepsie. 

P  6h  8  10  12  2  4  G  8  10 


A  nmerkungl  Das  Frühstück  bestand  aus  einer  Zwiebelsuppe, 
das  Mittagmahl  aus  Rindsuppe,  Rindfleisch,  Kraut  und  einem  Brot,  das 
Nachtmahl  aus  Suppe  und  etwas  Reisfleisch  nebst  einem  Brot. 

Diese  Erklärung  wird  aber  durch  jene  Fälle  illusorisch, 
in  denen  nach  der  Mahlzeit  eine  deutliche  Drucksteigerung 
im  grossen  Kreislauf  eintrat. 

1.  M.  R.  Bronchit.  diffusa;  Cor  normal,  anämisches  Ge¬ 
räusch  an  der  Pulmonalis. 

2  Uhr  p.  m.  P  >  A,  beide  unauslöschlich.  Tonus  =  145  um. 
10  Uhr  a.  m.  P  =  85,  Tonus  =  130  mm. 

2.  J.  C.  Vor  drei  Jahren  Polyarthritis.  Jetzt  hebender 
Spitzenstoss  im  fünften  Intercostalraume  in  der  Mamillarlinie. 
Verbreiterte  sichtbare  Herzaction.  Leichte  Verbreiterung  der 
Herzdämpfung  über  den  linken  Sternalrand.  Zeitweilig  systo¬ 
lisches  Geräusch  über  allen  Ostien  (Mitralinsufficienz  ?). 

2  Uhr  p.  m.  P  )>  A  ;  beide  unauslöschlich.  Tonus  =  150. 

10  Uhr  a.  m.  P<A;  »  »  Tonus  =  130. 

Wir  sehen  in  beiden  Fällen  trotz  dieser  (vielleicht 
psychisch  bedingten)  Drucksteigerung  im  Körperkreislauf  den 
Pulmonalton  lauter  werden.  _  . 

Die  während  der  Verdauung  im  Lungenkreislaute  ein¬ 
tretende  Drucksteigerung  hat  ihr  pathologisches  Paradigma  in 
derjenigen,  welche  bei  abdominalen  Affectionen  aultritt  und 
zum  »bruit  de  Galop  retrosternal«  Po  tain’s,  sowie  zur  Ac¬ 
centuation  des  zweiten  Pulmonaltones  bei  Paratyphlitis  nac  i 
Mannaberg  führt. 


298 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


Mit  Hilfe  oben  erwähnter  Thatsachen  sei  eine  Erklärung 
dieses  Phänomens  versucht. 

Mannaberg23)  hebt  ausdrücklich  hervor,  er  habe  die 
Accentuirung  auch  ohne  Auftreibung  des  Abdomens,  ohne 
Hinaufdrängung  des  Zwerchfelles,  ohne  jedes  Zeichen  von 
Dyspnoe  beobachtet.  Dass  Fieber  oder  Schmerz  nicht  an  der 
Drucksteigerung  schuld  sein  können,  geht  aus  der  Fortdauer 
derselben  in  die  Reconvalescenz  hinein  hervor. 

Po  t  a  in  23)  hält,  was  Mannaberg  bereits  zurückweist, 
einen  reflectorischen  Gefässkrampf  in  der  Lunge  für  die  Ursache 
all  jener  Drucksteigerungen  im  Lungenkreislauf.  Er  sagt : 
»C'est  aussi  la  circulation  capillaire  de  poumons  qui  est  atteinte 
dans  les  troubles  dyspeptiques  et  intestinaux«.  .  .  . 

»Les  capillaires  se  eontractent  spasmodiquement  au 
moment  de  la  digestion.« 

Offenbar  schwebte  ihm  zwischen  den  Circulationsver- 
hältnissen  in  der  Lunge  während  der  Verdauung  und  denen 
bei  abdominalen  Affectionen  eine  gewisse  Analogie  vor.  Aber 
man  bedenke:  Ein  Gefässkrampf  soll  durch  zwei  Wochen 
anhalten! 

Wir  wissen,  dass  die  Vasoconstrictoren  überaus  leicht 
ermüden,  dass  der  Reizungsanämie  gar  bald  die  Lähmungs¬ 
hyperämie  folgt.  An  dieser  Stelle  seien  auch  die  vasomotorischen 
Verhältnisse  der  Lunge  erörtert. 

Brown-Sequard,  Fick  und  B  a  d  o  u  d,  sowie  Licht¬ 
heim  bezeichnen  den  Vagus,  sowie  spinale  Fasern  aus  dem 
Halsmark,  die  den  Weg  durch  das  erste  Ganglion  des  Brust¬ 
grenzstranges  nehmen,  als  Vasomotoren  der  Lunge  (citirt  nach 
Landois13).  Nach  Bradford  und  Dean8)  sollen  sie  aus 
dem  dritten  bis  fünften  Brustnerven  hervorgehen. 

Bad  ou  d  erhielt  im  Laboratorium  Fick  bei  Reizung 
des  Halsmarkes  wie  im  grossen  so  auch  im  kleinen  Kreis¬ 
läufe  eine  mächtige  Drucksteigerung  und  schloss  daraus  auf 
Contraction  der  Lungengefässe.  Eine  secundäre  Drucksteigerung 
vom  Körperkreisläufe  her  hält  er  für  ausgeschlossen,  weil  er 
durch  Splanchnicusreizuug  einen  enormen  Anstieg  im  grossen, 
einen  kaum  nennenswerthen  hingegen  im  kleinen  Kreisläufe 
erhielt.  Nach  Durchschneidung  des  Halsmarkes  sank  auch  der 
Druck  in  der  Pulmonalis. 

Er  hatte  zu  seinen  Messungen  von  der  Vena  jugularis 
externa  aus  eine  Canule  ins  rechte  Herz  eingeschoben,  während 
L  i  c  h  t  h  e  i  m  und  0  p  e  n  c  h  o  w  s  k  y  in  der  Pulmonalis  selbst 
massen,  um  die  Schleuderung  des  Schreibhebels  zu  verringern. 

Openchowsky 25)  bekam  auf  Halsmarkreizung  bei 
durchschnittenen  Splanclmici  keine  Pulmonaldrucksteigerung, 
da  auch  der  Aortendruck  nicht  anstieg.  Er  erhielt  überhaupt 
nie  Pulmonaldrucksteigerung  allein  und  stellte  darauf  fussend 
die  Lehre  auf,  dass  die  Vasoconstrictoren  der  Lunge  sehr 
wenig  reizbar  sind,  eine  Thatsache,  auf  die  auch  Ph.  Knoll 
aufmerksam  gemacht  hat. 

Hingegen  erzielte  Openchowsky  durch  Druck  auf 
den  Unterleib  der  Thiere  und  so  mechanisch  beförderte 
Entleerung  der  Venen  einen  Druckanstieg  in  der  Pulmonalis. 
Slaviansky  und  Basch  erhielten  dasselbe  Resultat  durch 
Reizung  der  durchschnittenen  Splanchnici.  Offenbar  pressten 
dabei  die  Abdominalorgane  ihr  Blut  in  die  Venen  aus.  Und 
wenn  Morel  das  Gleiche  von  der  elektrischen  und  mechani¬ 
schen  Reizung  der  Baucheingeweide  berichtet,  so  muss  ich 
nach  alledem  diese  Erscheinung  so  verstehen,  dass  er  dadurch 
eine  Hyperämie  des  Abdomens  setzt,  wodurch  der  rechte  Ven¬ 
trikel  reichlicher  mit  Blut  gespeist  wird,  der  hinwiederum 
mit  gesteigerter  Arbeitsleistung  darauf  antwortet. 

So  halte  ich  die  Verdauungshyperämie  für  die  Ursache 
der  physiologischen  Pulmonaldrucksteigerung  nach  der  Mahl¬ 
zeit,  und  die  fluxionäre  Hyperämie,  die  die  Entztindungsprocesse 
begleitet,  für  die  Ursache  der  Accentuation  bei  Peritonitiden,  Peri- 
typhlitiden  u.  s.  w.  Auch  die  Dauer  dieses  Phänomens  bis  in 
die  Reconvalescenz  hinein  wird  verständlich*,  denn  Hyperämie 
ist  die  erste  und  meist  auch  die  letzte  Erscheinung  bei  ent¬ 
zündlichen  Processen,  zum  Beispiel  bei  Angina  catarrhalis 
können  Fieber  und  Schmerz  schon  geschwunden  sein,  trotz¬ 
dem  die  Schleimhaut  noch  immer  geröthet  ist. 


Beispiele: 

1.  R.  P.  acuter  Gastroenterokatarrh,  sechs  flüssige  Stühle, 
kein  Fieber,  Cor  normal.  P  —  200. 

2.  Wachmann  P.,  33  Jahre  alt,  Catarrhus  ventriculi  chron. 
Cor  normal.  P  =  120. 

Bei  diesem  bereits  seit  Jahren  bestehenden  Katarrh  war  die 
Hyperämie  längst  in  den  Hintergrund  getreten. 

3.  Wachmann  G.,  40  Jahre  alt;  Paratyphlitis  mit  Durchbruch 
in  die  freie  Bauchhöhle.  Exitus. 

Bis  in  die  Agonie  war  der  zweite  Pulmonalton  unauslöschbar 
gewesen.  Die  Section  bestätigte  die  Diagnose. 

4.  Wachmann  L.  H.,  32  Jahre  alt;  Reizung  des  als  Strang 
palpablen  Processus  vermiformis.  Druckempfindlichkeit.  Seit  zwei 
Tagen  kein  Stuhl.  Kein  Fieber.  P  =  100. 

5.  J.  M. ;  bietet  ein  ähnliches  Bild  schon  das  dritte  Mal. 
P  =  93.  Auf  Irrigationen  nach  zwei  Tagen  Heilung. 

6.  H.  H.,  12.  Februar.  Patient  ist  seit  fünf  Tagen  ohne  Stuhl. 
Kein  Erbrechen,  kein  Meteorismus.  Nirgends  im  Abdomen  eine 
Resistenz  oder  Dämpfung  nachweisbar.  Grosse  Druckempfmdliehkeit 
und  Schmerzhaftigkeit  im  ganzen  Hypogastrium. 

Temperatur  38T°.  Augen  halonirt. 

Ueber  den  Lungen  überall  Giemen  und  Schnurren. 

Influenzaperitonitis  (?).  P  =  250. 

13.  Februar.  Status  idem.  Auf  Irrigation  erfolgt  Stuhl.  Puls 
=  120.  Tonus  (G  är  t  n  e  r)  =  90  mm.  P  =  360. 

14.  und  15.  Februar  etwas  Meteorismus.  P  =  300. 

16.  Februar.  Entfieberung,  Nachlass  der  Schmerzen. 

P  =  177. 

17.  Februar.  Subjectiv  wohl,  Appetit,  Tonus  =  100  mm. 

P  =  128. 

18.  Februar.  Neuerdings  Schmerzen,  die  auf  eine  Irrigation 
nachlassen.  P  =  128. 

Bis  22.  Februar  wohl.  Auf  Irrigation  kein  Stuhl,  mehrmaliges 
galliges  Erbrechen,  fortwährendes  Aufstossen.  Puls  =  150,  Tonus 
=  100  mm,  Temperatur  =  38'6°.  Schmerzen,  Meteorismus,  tympa- 
nitische  Dämpfung  in  der  rechten  Flanke.  Das  Diaphragma  steht 
rechts  an  der  fünften  Rippe.  P  =  500. 

23.  Februar.  Laparotomie.  Diffuse  fibrinös-eiterige  Peritonitis 
mit  Verklebungen.  Nach  der  Operation  Nachlass  der  Schmerzen. 
Temperatur  =  371°.  Puls  =  124.  P=300. 

24.  Februar.  Patient  erbricht  alles,  heftigste  Schmerzen. 
Temperatur  =  37*6°.  Puls  =136.  Tonus  =  90  m?».  Der  zweite 
Pulmonalton  wird  tastbar.  P  =  600. 

25.  Februar  vier  diarrhoische  Stühle,  Puls  =  136,  Tempe¬ 
ratur  37-9°.  P  =  700. 

26.  Februar.  Unstillbares  Erbrechen  hält  an  ;  sechs  diarrhoi¬ 
sche  Stühle.  Puls  =126.  P=1000.  Der  zweite  Pulmonalton  ist 
sehr  deutlich  tastbar. 

27.  Februar.  Exitus  letalis. 

Dieser  Fall  zeigt  besonders  schön,  wie  parallel  mit  den  peri¬ 
tonealen  Reizerscheinungen  der  zweite  Pulmonalton  lauter  und 
leiser  wird.  Er  ist  auch  ätiologisch  interessant. 

Da  Patient  die  Symptome  einer  respiratorischen  Influenza 
zeigte,  wurde  das  Krankheitsbild  als  Influenzaperitonitis  gedeutet. 
Teissier37)  berichtet  ja,  dass  nicht  nur  Enteritiden,  sondern 
auch  Symptome  von  Darmlähmung  eine  Influenza  begleiten  können. 
»Nous  l’avons  vu  simuler  une  perityphlite  classique.«  Diese  soll 
aber  nicht  wie  sonst  vom  Appendix,  sondern  vom  Cöcum  aus¬ 
gehen  (Leichtenstern  20). 

Schon  im  Fall  2  konnten  wir  sehen,  dass  nur  acute,  mit 
lebhafter  Hyperämie  einhergehende  Processe  zur  Accentuation  des 
zweiten  Pulmonaltones  führen.  Das  zeigt  auch  folgender  Fall. 

7.  R.  V.  Tuberculosis  serosarum.  Wenige  Tage  nach  einer 

Ö  ö 

Punctio  abdominis,  bei  der  9/  Exsudat  entleert  worden  waren, 
hatte  der  Patient  P  =  118  höchstens  bis  P  =  126  trotz  gleich¬ 
zeitig  bestehender  beiderseitiger  tuberculöser  Pleuritis.  Erst  als  das 
Abdomen  wieder  sehr  vergrössert  war  und  man  mit  Rücksicht  auf 
den  rapiden  Kräfteverfall  von  einer  neuerlichen  Punction  Abstand 
nehmen  musste,  stieg  in  Folge  der  Herzverdrängung  nach  oben  und 
des  Lufthungers  der  P  auf  500.  Das  war  gewiss  nicht  durch 
bessere  Speisung  des  rechten  Ventrikels  mit  Blut,  sondern  durch 
Stauung  vom  geschwächten  linken  Herzen  her  bedingt.  Vielleicht 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


299 


spielte  auch  das  Leiserwerden  des  zweiten  Aortentones  mit,  um 
das  Verhältniss  der  beiden  zweiten  Töne  im  gleichen  Sinne  zu 
verändern.  Die  eben  angeführten  Momente  können  auch  im  Falle  G 
von  einigem  Belang  gewesen  sein.  Die  Obduction  bestätigte  die 
Diagnose.  Das  Herz  wurde  braun,  atrophisch  gefunden,  und  so  war 
durch  die  Schwäche  des  linken  Ventrikels  der  letzte  Rest  der 
Reservekraft  des  rechten  ausgelöst  worden. 

Bronchialkatarrh  und  Influenza. 

Seit  Anfang  Januar  kam  eine  Reihe  von  Influenzen  zur 
Beobachtung,  während  im  Herbst  der  fieberlose,  descendirende 
Tracheal-  und  Bronchialkatarrh  sehr  häufig  war.  Die  Diagnose 
»Influenza«  war  durch  das  epidemische  Auftreten,  den  gleichen 
Verlauf,  das  hohe  remittirende  Fieber,  die  Neuralgien,  Muskel¬ 
schmerzen  und  schweren  Allgemeinsymptome  überhaupt  ge¬ 
nügend  sichergestellt. 

1.  D.  M.  Angina  catarrhalis ;  afebril,  über  der  ganzen  Lunge 
Rhonchi  sonori  et  sybillantes.  Bronchitis  diffusa.  P  =74. 

2.  J.  F.,  Wachmann,  30  Jahre  alt,  Reconvalescent  nach 
Rheumatismus  musculorum.  Bronchitis  diffusa.  P  =  20. 

3.  N.  P.  Bronchitis  diffusa  ohne  Fieber.  P  =  74. 

4.  J.  C.  Bronchitis  diffusa  ohne  Fieber.  P  —  30. 

5.  M.  G.  Bronchitis  diffusa  ohne  Fieber.  P  =  55. 

6.  M.  R.  Bronchitis  diffusa  ohne  Fieber.  P  =  85. 

7.  J.  B.  Bronchitis  diffusa  ohne  Fieber.  P  =  40.  Zwei 
Wochen  nach  der  Heilung  P  =  100. 

8.  T.  S.  Bronchitis  diffusa.  Temperatur  =  37  4.  Die  Milz  ist 
palpabel.  P  =  30. 

Hingegen  : 

9.  B.  G.  Influenza.  Temperatur  =  38'2°.  P  =  343. 

10.  J.  N.  Influenza.  Temperatur  =  37‘6°.  P  =  350. 

11.  G.  D.  Influenza.  Temperatur  =  38‘2°.  P  =  225.  Nach 
vier  Tagen  kein  Fieber ;  es  besteht  diffuser  Bronchialkatarrh. 

P  =  71. 

12.  J.  R.  Influenza.  Temperatur  =39 T°.  Es  bestehen  in 
den  Unterlappen  kleine  pneumonische  Herde.  P  =  200. 

13.  M.  R.  Influenza.  Temperatur  =  38-5°.  Trigeminusneur¬ 
algie.  P  =  300. 

14.  J.  R.  Influenza  mit  pneumonischen  Herden.  P  =  150. 
Herzschwäche,  Lungenödem. 

15.  M.  S.  Influenza?  Temperatur  =  37-8°.  Die  Allgemein¬ 
symptome  sind  nur  angedeutet.  P  =  120. 

16.  H.  R.  Influenza?  Temperatur  =  37'6°.  Die  Allgemein¬ 
symptome  sind  kaum  vorhanden.  P  =  118. 

17.  T.  A.  Schwere  diffuse  Bronchitis.  Kein  Fieber;  aber 
Cyanose  und  Dyspnoe.  Das  Exspirium  ist  sehr  verlängert. 
P  über  200. 

18.  R.  P.  Derselbe  Befund,  daneben  etwas  Tiefstand  der 
unteren  Lungengrenzen.  (Beginnendes  Volumen  pulmonum  auctum.) 

P  über  200. 

Alle  Messungen  wurden  um  10  Uhr  Morgens  ausgeführt.  Wo 
nichts  bemerkt  ist,  handelt  es  sich  um  Soldaten  zwischen  20  und 
24  Jahren. 

Wir  sehen,  dass  bei  der  einfachen  afebrilen  Bronchitis 
ohne  wesentliche  Dyspnoe  der  Pulmonaldruck  sehr  bedeutend 
herabgesetzt  ist.  Diese  Thatsache  erklärt  sich  ungezwungen 
aus  der  Hyperämie  der  Gefässnetze  der  Lungenarterie  und 
der  Bronchialarterien,  die  mit  dieser  in  reichem  Masse  ana- 
stomosiren.  Ebenso  sinkt  der  Aortendruck  bei  Hyperämie  im 
Abdomen.  Uebrigens  konnte  ich  das  Absinken  des  Druckes 
in  einem  hyperämisirten  Gefässgebiet  jüngst  sehr  gut  mit  dem 
G  ä  r  t  n  e  Eschen  Tonometer  nachweisen. 

Der  Wachmann  R.  S.,  35  Jahre  alt,  unterzieht  sich  der 
localen  Heissluftbehandlung  nach  Bier  wegen  chronischer 
Arthritis  in  der  Hand. 

An  der  zweiten  Phalanx  des  rechten  vierten  Fingers  ist 
der  Druck  vorher  145  mm,  nachher  128  mm.  Natürlich  war 
die  Hand  stark  hyperämisch. 

Die  Fälle  17  und  18  gehen  mit  starker  Dyspnoe  und 
Cyanose  einher  und  aus  der  Kohlensäureüberladung  des  Blutes 
erklärt  sich  auch  die  Accentuation. 


Aus  demselben  Grunde  steigert  ein  Bronchialkatarrh 
auch  die  Accentuirung  des  zweiten  Pulmonaltones  beim  Em¬ 
physem. 

Armeediener  A.  L.,  47  Jahre  alt,  Emphysem.  Lungen¬ 
grenzen  rechts  vorn  siebente  Rippe,  links  vorn  fünfte  Rippe, 
hinten  zwölfte  Rippe.  Geringe  Verschiebbarkeit.  Schachtelton. 
P  =  150.  Während  eines  afebrilen  Bronchialkatarrhs  P=180, 
nach  Ablauf  desselben  P  =  133,  neuerlich  Katarrh  P  =  166, 
nach  Ablauf  P  =  130. 

In  den  ausgesprochenen  Fällen  von  Influenza  war  der 
zweite  Pulmonalton  jedes  Mal  sehr  laut,  während  in  jenen 
Fällen  (15  und  16),  die  wegen  der  unbedeutenden  Allgemein¬ 
symptome  höchstens  eine  sehr  leichte  Influenza  annehmen 
Hessen,  die  Accentuation  vollkommen  fehlte. 

Im  Falle  11  überdauerten  die  bronchitischen  Erschei¬ 
nungen  die  Allgemeinerkrankung  um  eine  Woche.  Nach  der 
Entfieberung  nahm  der  accentuirte  Pulmonalton  jene  niederen 
Werthe  an,  die  ich  bei  einfachen  Bronchialkatarrhen  ge¬ 
funden  hatte. 

Durch  diese  Beobachtungen  fand  ich  mich  zu  der  An¬ 
nahme  veranlasst,  dass  es  sich  um  eine  Wirkung  der  In¬ 
fluenzatoxine  handle,  die,  wie  bekannt,  den  Herzmuskel  und 
dessen  nervöse  Apparate  so  schwer  schädigen,  dass  von  fran¬ 
zösischer  Seite  eine  »forme  cardiaque«  der  Influenza  beschrieben 
wurde;  ja  es  kann  sogar,  ganz  wie  nach  Diphtherie,  zum 
Herztod  kommen  (Leichtenste  rn 20). 

Ebenso  hat  P  i  g  n  o  1 27)  eine  acute  Dilatation  des  linken 
Ventrikels  bei  der  Influenza  beschrieben,  und  auch  Dräsche  l2) 
und  Teissier27)  haben  die  schädliche  Wirkung  der  Influenza¬ 
toxine  auf  das  Herz  betont. 

Die  Pleuritis. 

Bei  der  Pleuritis  wird  der  Pulmonaldruck  durch  ver¬ 
schiedene  Momente  beeinflusst;  daher  gehen  die  ermittelten 
Werthe  weit  auseinander. 

1.  L.  F.  D.  Nach  croupöser  Pneumonie  Pleuritis  exsudativa 
sin.:  die  ganze  Seite  ist  gedämpft.  Die  Herzdämpfung  reicht  nach 
rechts  bis  zur  Mittellinie.  Keine  wesentliche  Dyspnoe  oder  Cyanose. 

P  =  100. 

Wie  schon  oben  betont  wurde,  wirkt  die  Relaxation  der 
Lunge  druckerniedrigend,  und  dieses  Moment  kommt  hier  in  Be¬ 
tracht,  da  die  Herzkraft  intact  ist.  Aehnlich  ist 

2.  L.  N.  Pleuritis  sinistra;  die  ganze  Seite  ist  gedämpft. 
Der  wiederkehrende  Fremitus  zeigt  die  Schwartenbildung  an. 
P  =  87. 

Hingegen: 

3.  J.  C.  Pleuritis  exsudativa  sin.  bis  zum  Angulus  scapu¬ 
lae  infer. 

12.  Februar.  Herzverdrängung,  so  dass  die  Dämpfung  bis  an 
den  rechten  Sternalrand  reicht.  Der  zweite  Aortenton  ist  laut, 
klingend,  dabei  der  Tonus  nur  90  mm  nach  Gärtner,  also  viel¬ 
leicht  Aortenknickung.  P  =  60  (durch  Accentuirung  des  zweiten 
Aortentones !). 

17.  Februar.  Die  Herzdämpfung  reicht  nur  bis  zur  Mittel¬ 
linie.  Zweiter  Pulmonal-  und  Aortenton  sind  annähernd  gleich  laut, 
beide  unauslöschlich. 

20.  Februar.  Die  Herzdämpfung  überragt  kaum  etwas  den 
linken  Sternalrand.  P  =  166. 

Jetzt  kommt  also  erst  die  durch  den  Lufthunger  hervorge¬ 
rufene  Drucksteigerung  im  kleinen  Kreislauf  zum  Ausdruck,  da  der 
Aortenton  von  normaler  Lautheit  ist. 

4.  P.  S.  Pleuritis  exsudativa  sin.  bis  zum  Angulus. 

12.  Januar.  Keine  Herzverdrängung,  keine  Cyanose.  P=73 
(durch  Lungenrelaxation). 

17.  Januar.  P  =  35.  Hier  ist  aber  auch  eine  »falsche«  Ab¬ 
schwächung  des  zweiten  Pulmonaltones  dabei,  da  das  anwachsende 
Exsudat  das  Herz  von  der  Thoraxwand  links  abgedrängt  hat.  Im 
zweiten  linken  Intercostalraum  besteht  absolute  Dämpfung. 

.  5.  S.  II.  Recidivirende  Pleuritis.  Links  vorne  unten  Reiben, 
rechts  hinten  unten  drei  Querfinger  hohe  Schwarte. 

Die  Herzdämpfung  beginnt  am  oberen  Rand  der  dritten  Rippe. 
P  über  300  (unauslöschlich). 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


300 


Man  wäre  versucht,  eine  falsche  Accentuirung  durch  Ent- 
blössung  des  Anfangstheils  der  Pulmonalarterie  anzunehmen,  aber 
auch  im  Interscapularraum  ist  der  zweite  Ton  hörbar;  daher  muss 
es  sich  um  eine  wirkliche  Drucksteigerung  handeln,  sei  es  durch 
Schrumpfung  am  Lungenhilus,  oder  durch  Druckwirkung  geschwollener 
Lymphdrüsen  daselbst  auf  die  Lungenvenen. 

6.  J.  M.  Nach  beiderseitiger  croupöser  Pneumonie  finden  wir 
zwei  Wochen  nach  der  Krise,  am  19.  Januar,  links  hinten  noch 
eine  exsudative  Pleuritis  bis  an  den  Angulus;  kein  Fremitus. 
P  =  157. 

17.  Februar.  Schwacher  Fremitus,  Uebergang  in  Schwarte. 

P  =  270. 

Durch  Organisation  des  Exsudates  kann  doch  keine  Druck¬ 
steigerung  zu  Stande  kommen,  daher  muss  diese  Accentuirung 
durch  die  veränderten  Resonanzverhältnisse  vorgetäuscht  sein. 

7.  J.  L.  Ist  seit  zehn  Tagen  an  Influenza  erkrankt.  Jetzt 
heftige  diffuse  Bronchitis  mit  Dyspnoe  und  Cyanose.  Das  Exspirium 
ist  stark  verlängert.  Respiration  36.  Temperatur  B8'4°.  Rechts 
hinten  unten  drei  Querfinger  hohe  Pleuritis  exsudativa.  P  =  400, 
also  Accentuirung  trotz  der  Relaxation  in  Folge  der  Cyanose  und 
vor  Allem  der  Influenzainfection,  die  wahrscheinlich  mit  der  Pleuritis 
in  causalem  Zusammenhang  steht. 

8.  L.  V.  Pleuritis  dextra  tuberculosa.  Rechts  hinten  unten 
Dämpfung  mit  aufgehobenem  Fremitus  bis  zum  Angulus.  Dämpfung 
über  der  rechten  Lungenspitze,  Cavernen  im  rechten  Oberlappen. 
P  =  466. 

Drei  Wochen  später  ist  ein  Stillstand  des  Processes  einge¬ 
treten.  Kein  Fieber.  Der  Pulmonalton  ist  stationär. 

Auch  in  diesem  Falle  halte  ich  die  Schwäche  des  linken 
Ventrikels  für  die  Ursache  der  Drucksteigerung  im  Lungenkreislauf. 

Das  Emphysem. 

Die  Accentuirung  des  zweiten  Pulmonaltones  beim  Em¬ 
physema  pulmonum  ist  sehr  leicht  durch  Verengerung  des 
Strombettes  der  Pulmonalis  erklärlich;  doch  die  Arbeit  von 
Li  cht  he  im'22)  macht  es  wahrscheinlicher,  dass  die  Cyanose 
bei  dieser  Krankheit  die  Drucksteigerung  in  der  Pulmonal¬ 
arterie  bedingt.  Dafür  sprechen  auch  die  Schwankungen  des 
Pulmonaltones  je  nach  dem  Verhalten  des  concomitirenden 
Bronchialkatarrhs  (siehe  oben).  Es  sei  eines  Falles  gedacht,  in 
dem  diese  Accentuirung,  die  doch  sonst  constant  ist,  fehlte. 

Invalid  F.  T.,  49  Jahre  alt,  Lungengrenzen :  Rechts  vorn 
achte  Rippe,  links  keine  Herzdämpfung,  hinten  zwölfte  Rippe. 

Die  Radialarterie  ist  rigid,  geschlängelt.  Der  Tonus  =  150  mm 
nach  Gärt  n  e  r.  Der  zweite  Aortenton  ist  klingend,  daher  Pul¬ 
monalton  nur  =60. 

Arteriosklerose  und  Emphysem,  die  Abnützungskrank¬ 
heiten,  kommen  im  höheren  Alter  gewiss  oft  nebeneinander 
vor;  die  Verdeckung  der  Accentuation  des  zweiten  Pulmonal¬ 
tones  durch  den  klingenden  zweiten  Aortenton  muss  recht 
häufig  sein. 


Die  Pneumonie 

(und  die  Wirkung  kühler  Bäder). 

Die  Bäder  zur  Behandlung  der  Pneumoniker  kommen 
an  unserer  Abtheilung  in  Form  von  Halbbädern  von  24°  R., 
abgekühlt  auf  22°,  zur  Verwendung. 

Der  Patient  verbleibt  im  Bad  acht  Minuten,  wird  von 
zwei  Wärtern  frottirt  und  bekommt  zeitweilig  eine  kalte 
Douche  auf  den  Nacken.  Zur  Verhütung  von  Collaps  erhält 
er  mehrmals  einen  Schluck  Eiercognac  nach  der  Vorschrift 
von  Stoke. 

Die  physiologische  Wirkung  der  Bäder  wurde  von 
A.  Breitenstei  n !l)  eingehend  studirt.  Nach  ihm  geben  alle 
Autoren  bei  Gesunden  eine  vorübergehende  Drucksteigerung 
an,  während  bei  Fiebernden  nach  der  gewöhnlichen  Angabe 
der  Tonus  conform  mit  der  Puls-  und  Respirationsfrequenz 
absinkt. 

Br  ei  ten  st  ein  fand  bei  Typhuskranken  oft  einen  be¬ 
trächtlichen  Tonusanstieg,  in  anderen  Fällen  wieder  einen 


Abfall  und  bringt  mit  der  Vasoconstriction,  respective  Vaso¬ 
dilatation  diese  differenten  Resultate  in  Zusammenhang.  Er 
betont  auch,  dass  die  Kreislaufgeschwindigkeit  gar  nicht  vom 
absoluten  Druck  in  der  Arterie  abhängt,  sondern  nur  von  der 
Druckdifferenz  zwischen  dem  arteriellen  und  venösen  System. 
Werden  Herzkraft  und  Athmung  ungenügend,  so  kommt  es 
in  jenen  Kreislaufgebieten  zu  Stauungen,  in  denen  der  arte¬ 
rielle  Druck  besonders  niedrig  ist,  das  sind  Lunge  und 
Leber. 

Ueber  die  Wirkung  hydrotherapeutischer  Massnahmen 
bei  der  Pneumonie  haben  Kaufmann  und  De  B a r y 16) 
gearbeitet.  Sie  bedienten  sich  bei  ihren  Blutdruckmessungen 
des  Sphygmomanometers  von  v.  Basch. 

In  Betreff  der  Pneumonie  kommen  sie  zu  Schlüssen,  die 
sich  in  folgende  Sätze  kleiden  lassen. 

1.  Der  Blutdruck  ist  meist  tief  unter  der  Norm.  2.  In 
der  Krise  sinkt  er  noch  tiefer.  3.  P  r  i  e-s  s  n  i  t  z’sche  Ein¬ 
wickelungen  setzen  den  Blutdruck  herab.  4.  Halbbäder  von 
24°  auf  22°  R.  haben  die  gleiche  Wirkung  in  noch  höherem 
Masse,  was  die  Untersucher  auf  den  gesteigerten  Abfluss  nach 
der  hyperämischen  Haut  zurückführen. 

Meine  Beobachtungen  ergaben: 


1.  J.  K.,  croupöse  Pneumonie  des  linken  Unterlappens. 

9.  Januar.  10  Minuten  nach  dem  Bad 

Puls :  104  . 90 

Respiration  :  48 . 36 

Temperatur  :  39° . 38’8° 

ZweiterPulmonalton:125(15mm:  12 mm)  .  46(12 mm  :2 6 row). 

10.  Januar.  Post  crisim:  zweiter  Pulmonal  ton  =  135.  Das 
Infiltrat  ist  unverändert. 

13.  Januar.  Zweiter  Pulmonalton  =  113.  Aufhellung  der 
Dämpfung. 

17.  Januar.  P  =  131,  vielleicht  durch  Schrumpfung  der 
pleuritischen  Schwarte. 

23.  Januar.  P  =  129,  fortan  constant  so. 

2.  G.  W.  Struma,  Herzspitzenstoss  im  fünften  Intereostal- 

raum  in  der  Mamillarlinie,  hebend. 

13.  Januar.  Bronchitis  diffusa  febrilis. 

26.  Januar.  Beiderseitige  katarrhalische  Pneumonie. 


Temperatur  :  39-9° 
Puls  :  106  .  .  . 
Respiration :  36 
Tonus  :  105  mm 
P  :  188  (17:9) 


20  Minuten  nach  dem  Bad 

.  .  .  .  39  2° 

.  ...  98 
.  ...  32 

.  .  .  .  110  mm 
.  ...  120  (12  : 10) 


3.  J.  S.  B.  Links  hinten  unten  Pneumonie,  durch  Dämpfung 
Bronchialathmen.  Knisterrasseln  und  verstärkten  Fremitus  Charak¬ 
ter  isirt. 

Der  allmälige  Beginn  spricht  für  Influenza. 

15  Minuten  nach  dem  Bad 

Temperatur  :  40‘5° . 39'5° 


Puls:  92 . 80 

Respiration  :  36 . 32 

Tonus  :  lBOvmu . 135  mm 

P  :  143 . 130 


4.  G.  P.  Pneumonia  crouposa  lobi  infer,  sin.  17.  Februar 
P  =  200. 


10  Minuten  nach  dem  Bad 


Temperatur  :  40'8° . 405° 

Puls:  112  104 

Respiration  :  28  28 

Tonus:  75  mm . 80  mm 

P  :  250  .  111 


17.  Februar.  P  =  350.  Exitus.  Die  Obduction  erhärtete  die 
Diagnose. 

5.  L.  F.  I).  Pneumonia  crouposa  lobi  infer,  dextri. 

17.  Januar.  Hebender  Spitzenstoss,  knapp  einwärts  der  Ma¬ 
millarlinie  im  fünften  Intercostalraum ;  Hysterie.  Der  erste  Ton  an 
der  Spitze  ist  gespalten.  Alle  Herztöne  sind  auslöschbar.  Tempe¬ 
ratur  39°.  Der  Pulmonalton  ist  lauter  als  der  Aortenton;  und  zwar 
ist  die  Differenz  nach  dem  Bad  kleiner  als  vor  demselben. 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


301 


18.  .lanuar.  Post  crisirn.  Temperatur :  37-5° ;  Crepitus  redux. 
Während  die  Pneumonie  sich  löst,  tritt  die  Pleuritis  in  den  Vor¬ 
dergrund.  Pulmonalton  viel  lauter  als  Aortenton. 

21.  Januar.  Abends  40°,  Morgens  87°.  Das  Exsudat  reicht 
bis  zum  Angulus.  P  >  A. 

15.  Februar.  Das  Exsudat  ist  grössten theils  resorbirt.  Noch 
leichte  Schallverkürzung.  P  =  100. 

6.  H.  R.  Beiderseitige  lobuläre  Influenzapneumonie.  P  etwas 
grösser  als  A  ;  nach  dem  Bad  :  P  etwas  kleiner  als  A. 

7.  F.  L.  47  Jahre  alt,  Mitralinsufficienz,  hochgradiges  Lungen¬ 
emphysem,  Pneumonia  crouposa  lobi  infer,  sin. 

10.  Januar.  P  —  200. 

18.  Januar.  P  =  250  (post  crisim). 

Wir  haben  also  im  Allgemeinen  mit  dem  Gärtner- 
schen  Tonometer  einen  subnormalen  Blutdruck  gefunden.  Zu¬ 
gleich  haben  wir  sehr  hohe  Pulmonaltonzahlen  erhalten.  Dass 
im  Anschluss  an  die  Krise  und  die  beginnende  Resolution  im 
Fall  1.  der  Pulmonalton  noch  lauter  wird,  als  zuvor,  beweist, 
dass  nicht  etwa  Compression  der  Alveolargefässe  durch  das 
Exsudat  die  Ursache  der  Drucksteigerung  ist,  sondern  die 
durch  den  Lufthunger  und  die  Toxine  geschädigte  Leistungs¬ 
fähigkeit  des  linken  Ventrikels. 

Gerade  wenn  der  Stimulus  des  fieberwarmen  Blutes  für 
das  Herz  nicht  mehr  in  Betracht  kommt,  tritt  oft  in  umso 
bedenklicherer  Weise  die  Insufficienz  des  linken  Ventrikels 
zu  Tage,  so  dass  beim  Aufrichten  des  kaum  erst  entfieberten 
Patienten  Hirnanämie  eintreten  kann. 

Dass  nicht  das  Exsudat  mechanisch  den  Pulmonaldruck 
erhöht,  beweist  auch  das  Absinken  desselben  im  Bad.  Der 
Pulmonalton  wird  leiser,  zugleich  auch  der  zweite  Aortenton 
lauter,  weil  besonders  die  Nackendouche  die  nebeneinander¬ 
liegenden  Centren  der  Respiration  und  Circulation  günstig 
beeinflusst. 

Die  Tonussteigerung  möchte  ich,  wiewohl  ich  sie  constant 
vorgefunden  habe,  nicht  allzusehr  betonen;  denn  die  vaso¬ 
motorischen  Verhältnisse  ein  der  Peripherie  modificiren  in 
diesem  Falle  die  Aeusserung  der  Herzkraft.  Offenbar  haben 
die  Einen  Tonussteigerung  und  die  Anderen  Tonusabfall  be¬ 
obachtet,  weil  durch  den  Hautreiz  die  Vasoconstrictoren  erst 
gereizt,  dann  gelähmt  werden  (C.  Müller-4). 

Die  Aenderung  des  Verhältnisses  der  Töne  über  den 
grossen  Gefässen  beweist  aber  in  eindeutiger  Weise  die  Hebung 
der  Herzkraft. 

Die  Circulationskrankheiten. 

Smith  :i0)  machte  darauf  aufmerksam,  dass  Abnahme  des 
zweiten  Pulmonaltones  im  Verlaufe  von  Kreislaufstörungen 
zweierlei  bedeuten  könne,  nämlich  entweder  Besserung  der 
Kreislaufstörung  oder  Herzschwäche. 

Im  ersteren  Falle  nimmt  die  Dyspnoe  ab,  im  letzteren  zu. 

Ueber  Herzschwäche  habe  ich  folgende  Beobachtungen 
gemacht: 

1.  H.  N.  Nach  Polyarthritis  rheumatica  und  Endocarditis 
systolisches  Geräusch  über  allen  Ostien,  am  lautesten  an  der 
Pulmonalis. 

Leichte  Verbreiterung  des  Herzens  nach  rechts;  kaum  fühl¬ 
barer  Spitzenstoss. 

Pulsus  bigeminus,  bisweilen  auch  trigeminus.  P  =  32  (Herz¬ 
schwäche  durch  Myocarditis?). 

2.  J.  W.  Im  Jahre  1897  schwerer  Rheumatismus.  Jetzt 
Gyanose  an  Nase,  Ohren  und  Lippen,  Dyspnoe.  Gor:  Der  Spitzen¬ 
stoss  ist  hebend,  im  fünften  Intercostalraum,  zwei  Querlinger  ausser¬ 
halb  der  Mamillarlinie,  daselbst  ist  auch  ein  präsystolisches  Fre- 
missement  zu  tasten. 

Die  Herzdämpfung  reicht  nach  rechts  bis  an  den  rechten 
Sternalrand.  An  der  Spitze  ist  neben  einem  dumpfen  ersten  Ton 
ein  pfeifendes  Geräusch,  dann  ein  reiner  zweiter  Ton  und  an  diesen 
anschliessend  bis  zur  nächsten  Systole  ein  rieselndes  Geräusch 
zu  hören.  Ueber  den  anderen  Ostien  dumpfe  Töne. 

Undeutlicher  Leberpuls,  an  den  Halsvenen  keine  Eigenpul¬ 
sation.  Der  Radialpuls  ist  annähernd  von  normaler  Qualität. 


Incompensirte  Mitralinsufficienz  mit  Stenose  (eventuell  auch 
Tricuspidalinsufficienz).  P  =  80. 

3.  Armeediener  F.  H.,  50  Jahre  all.  Deutlicher  Herzbuckel, 
diffuse  Erschütterung  der  ganzen  Herzgegend,  kein  distincter  Spitzen¬ 
stoss;  die  Herzdämpfung  reicht  bis  an  den  rechten  Sternalrand; 
die  Herztöne  sind  rein,  dumpf,  leise,  arhythmisch.  Ascites,  mächtige 
Oedeme  an  den  Beinen,  Herzklopfen,  Athemnoth  bis  zur  Orthopnoe, 
Cyanose;  Leberschmerzen,  die  Leber  überragt  um  drei  Querfinger 
den  Rippenbogen. 

Der  Harn  enthält  kein  Eivveiss,  reichlich  Urate,  specifisches 
Gewicht  1029.  Myocarditis  chronica. 

1.  Januar.  P  =  80.  4,9  Diuretin  pro  die. 

5.  Januar.  P  =  100.  Die  Diurese  beträgt  G  l. 

12.  Januar.  P  =  108.  Die  Oedeme  sind  sehr  gering. 

18.  Januar.  P  =  144.  Subjectives  Wohlbefinden. 

20.  Januar.  P  =  A,  unauslöschlich;  kein  Oedem,  Herzklopfen. 
Statt  Diuretin  pro  die  Infusum  fol.  Digitalis  10  :  2000. 

23.  Januar.  Starke  Arhythmie,  Asthma  cardiacum,  Orthopnoe. 
P  —  66,  später  nur  60.  Strophanthus,  wieder  Diuretin. 

26.  Januar.  Die  Beschwerden  sind  behoben.  P  =  128.  Wieder 
Digitalis. 

27.  Januar.  P  =  53 !  Leberschmerzen,  cardiales  Asthma,  Kühl¬ 
apparat,  Strophanthus  und  Diuretin.  Fortab  erhält  Patient  keine 
Digitalis  mehr  und  verlässt  auf  eigenes  Verlangen  am  9.  Februar 
bedeutend  gebessert  das  Spital. 

Am  26.  Februar  fand  ich  den  Patienten  wieder  schlechter. 
Massige  Oedeme  an  den  Beinen,  Athemnoth,  Kopfschmerzen, 
Schmerzen  in  der  Leber,  die  den  Rippenbogen  um  fast  Handbreite 
überragt.  P  =  66. 

Dieser  Fall  zeigt  deutlich  die  ominöse  Bedeutung,  die 
der  Nachlass  der  Accentuirung  bisweilen  haben  kann. 

Am  23.  Januar,  27.  Januar  und  26.  Februar  markirt 
die  niedrige  Zahl  für  den  Pulmonalton  den  Eintritt  von  Cir- 
culationsstörungen  in  der  Lunge  und  Leber. 

Weiters  ist  der  Fall  durch  die  schlechte  Reaction  auf 
Digitalis  instructiv.  Th.  v.  Openchowsky26)  erklärt  die 
günstige  Wirkung  der  Digitalis  aus  dem  verschiedenen  Ver¬ 
halten  beider  Ventrikel  gegen  dieses  Mittel. 

Der  rechte  Ventrikel  soll  von  der  Digitalis  nicht  stimulirt 
werden,  weil  die  Contraction  der  rechten  Coronararterie  der 
Wirkung  auf  die  Musculatur  des  Herzens  selbst  entgegen¬ 
wirken  soll. 

v.  Basch  und  Andere  haben  bei  der  Digitaliswirkung 
einen  Anstieg  des  arteriellen  Druckes  und  zugleich  ein  Ab¬ 
sinken  des  Druckes  im  linken  Vorhof  beobachtet.  Open¬ 
chowsky  glaubt  nun  weiterhin,  dass  bei  Sklerose  der  Ar- 
teria  coronaria  dextra  Digitalis  contraindicirt  sei,  weil  sich  die 
so  veränderte  Arterie  nicht  verengern  könne  und  daher  auch 
der  rechte  Ventrikel  stimulirt  werde.  Die  Beobachtung  dieses 
Falles  beweist  wohl  zumindest,  dass  nicht  nur  bei  der  Hyper- 
kinese  des  rechten  Ventrikels,  sondern  sogar  bei  dem  nach 
Openchowsky  so  wünschenswerthen  Druckabfall  im 
Lungenkreisläufe  die  Digitalis  schädlich  wirken  kann.  In 
unserem  Falle  bedeutet  eben  das  Sinken  des  Pulmonaltones 
nicht  Beseitigung  der  Circulationsstörung,  sondern  Insufficienz 
des  rechten  Ventrikels. 

Das  Verhalten  des  Pulmonaltones  beim  Eintritt  einer 
Mitralinsufficienz  konnte  ich  sehr  schön  im  folgenden  Falle 
beobachten. 

J.  T.,  seit  drei  Wochen  Gonorrhoe  der  Urethra,  seit  gestern 
Gonitis  sinistra.  Spitzenstoss  im  vierten  Intercostalraume,  in  der 
Mamillarlinie,  hebend. 

Die  Herzaction  ist  verbreitet  sichtbar.  Nach  rechts  überragt 
die  Dämpfung  kaum  den  linken  Sternalrand.  Blasendes  systolisches 
Geräusch,  am  lautesten  an  der  Pulmonalis. 

19.  Januar.  P  =  116,  20.  Januar  P=100,  23.  Januar 
P  =  106,  25.  Januar  P  =  80. 

•  Wir  sehen  also  unter  dem  Einflüsse  der  Entstehung 
eines  Klappenfehlers  zunächst  keine  wesentliche  Pulmonaldruck¬ 
änderung.  Früher  hatte  man  deducirt,  dass  die  plötzlich  not¬ 
wendige  stärkere  Arbeitsleistung  ohne  Hypertrophie  nicht  aut 


302 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


gebracht  werden  könne  und  bis  zum  Zustandekommen  der¬ 
selben  der  Druck,  z.  B.  nach  arteficieller  Durchstossung  der 
Aortaklappen,  sehr  niedrig  sein  müsse,  was  aber  nach 
Rosenbach33)  unrichtig  ist.  Der  Druck  bleibt  so  hoch  wie 
zuvor.  Nur  die  Dauer  der  Mehrleistung  führt  zur  Hyper¬ 
trophie;  eine  momentane  Mehrleistung  stellt  die  Reservekraft 
bei,  die  zugleich  mit  der  Dilatation  ausgelöst  wird. 

Wir  sehen  in  diesem  Falle  ein  Absinken  des  Pulmonal¬ 
druckes  unter  Besserung  der  Kreislaufstörung  bei  ruhiger 
Bettlaere.  Dasselbe  konnte  ich  in  noch  einem  Falle  beob- 
achten. 


K.  P.  Vor  drei  Jahren  Polyarthritis  rheumat. ;  gegenwärtig 
bestell I  eine  recurrirrende  Endocarditis,  Herzspitzenstoss  im  fünften 
I ntercostalraume,  in  der  Mamillarlinie,  hebend.  Die  Dämpfung 
überragt  kaum  den  linken  Sternalrand.  An  der  Spitze  hört  man 
nach  dem  ersten  Tone  ein  blasendes  Geräusch;  dasselbe  ist  am 
lautestesten  über  der  Pulmonalarterie. 


8.  Januar  P  =  180  18:10  ] 

12.  Januar  P  =  162  26: 16 

28.  Januar  P  =  140  56:40  I 


Die  Aortazahl  stieg  also  auf  das 
Vierfache. 


Eine  Veränderung  im  Sinne  der  Verringerung  einer  seit 
drei  Jahren  bestehenden  Mitralinsufficienz  ist  wohl  kaum  anzu¬ 
nehmen.  Doch  legen  im  Institute  des  Prof.  v.  Basch  ausge¬ 
führte  Experimente 7)  die  Erscheinung  unserem  Verständnis 
nahe.  Bettel  heim  und  Kau  der  s  fanden,  dass  bei  Mitral¬ 


stenose 


A 

P 


von  8'2  auf  43  sinkt;  wenn  auch  eine  Insufficienz 


dabei  ist,  auf  3'3.  Bei  der  Compensation  wird  wieder  der 
Zähler  des  Bruches  grösser.  Die  Bedingung  für  die  Compen¬ 
sation  liegt  ergo  im  linken  Ventrikel ;  dabei  kann,  wie  auch 
in  unserem  Falle,  der  Pulmonaldruck  steigen,  fällt  aber  zu¬ 
meist.  In  unserem  Falle  erreichte  der  Pulmonalton  seine  drei¬ 
fache,  der  Aortenton  seine  vierfache  Stärke,  und  dabei  trat 
subjectives  Wohlbefinden  ein.  Die  Compensation  hatte 
vorwiegend  der  linke  Ventrikel  geleistet. 

Auch  beim  Absinken  der  Druckhöhen  kann,  wenn  auch 
nur  selten,  Compensation  eintreten,  indem  der  Pulmonaldruck 
noch  tiefer  sinkt  als  der  Aortendruck.  Für  diese  im  Labora¬ 
torium  v.  Basch  gefundene  Thatsache  konnte  ich  keinen 
klinischen  Beleg  finden. 


Stationäre  Mitralinsufficienzen  im  Zustand  der  Compensation. 

1.  M.  K.  Nach  rheumatischer  Endocarditis  zurückgebliebene 
Mitralinsufficienz.  P  stets  =  112,  nur  einmal  =  137. 

2.  M.  F.  Dasselbe.  P  =  333  (constant). 

3.  H.  K.  Seit  zwei  Jahren  Mitralinsufficienz,  Malaria.  P  über 
200,  am  24.  Januar  P  —  315. 

4.  J.  K.  Mitralinsufficienz.  P  =  133. 

5.  V.  J.  Mitralinsufficienz.  P  =  400  (constant). 

6.  J.  K.  Mitralinsufficienz.  P  =  250. 

7.  J.  M.,  Wachmann,  30  Jahre  alt.  Mitralinsufficienz. 
P  =  150. 

Wir  sehen  also,  besonders  in  den  Fällen  2,  3,  5  und  6, 
trotz  guter  Compensation  sehr  hohe  Pulmonaltonzahlen;  dabei  ist 
überall  auch  der  Spitzenstoss  hebend  als  Zeichen  der  Hypertrophie 
dos  linken  Ventrikels.  Trotzdem  ist  das  Vcrhältniss  nicht  dasselbe 
wie  bei  normalem  Herzen. 

Die  Aorteninsufficienz. 

K.  S.,  Invalide,  60  Jahre  alt,  hat  eine  typische  Aorten¬ 
insufficienz  auf  arteriosklerotischer  Grundlage. 

Pulmonal-  und  Aorlenton  sind  beiläufig  gleichlaut  und  un¬ 
auslöschlich.  Das  Geräusch  in  der  Diastole  am  Erb’schen  Punkt 
war  sehr  laut  und  trotzdem  schon  bei  16  wm  erloschen.  Die  Er¬ 
finder  des  Instrumentes  machen  auch  auf  die  unvergleichlich 
schnellere  Extinction  der  Geräusche  gegenüber  den  Tönen  auf¬ 
merksam. 

Die  Auscultation  der  Arterien  ergab  (links):  Carotis,  (in  der 
Höhe  des  Zungonbeinhorns),  Systole:  15  mm,  Diastole:  8  mm,  Tem¬ 


poralis:  1  mm  (Systole).  Subclavia  (über  der  Glavicula):  Systole: 
9  mm,  Diastole:  15  mm,  Brachialis  (in  der  Mitte  des  Oberarmes) 
5  mm  (Systole),  Radialis:  2  mm  (Systole).  Im  ersten  Tntercostalraum : 
1  mm.  Cruralarterie  (am  Schambeine)  2  mm  (Systole);  weiter  unten 
sind  keine  Töne  wahrnehmbar. 

E.  W.,  56  Jahre  alt,  hat  gleichfalls  eine  arteriosklerotische 
Aorleninsufficienz.  Zugleich  ist  die  Herzdämpfnng  nach  rechts  bis 
zur  Mittellinie  verbreitet.  Neben  dem  diastolischen  Geräusche  ist 
der  zweite  Aortenton  etwas  klingend.  P  =  80. 

Dadurch  erscheint  die  relative  Mitralinsufficienz  wohl  aus¬ 
geschlossen,  die  durch  die  Verbreitung  nach  rechts,  sowie  durch 
ein  systolisches  Geräusch  an  der  Spitze  wahrscheinlich  gemacht 
würde. 

Carotis:  Systole  =  8  mm,  Diastole  =  14  mm,  Temporalis 
=  0  mm. 

Subclavia:  Systole  =  2  mm,  Diastole  ==  6  mm ,  Axillaris 
Systole  =  2  mm. 

Brachialis:  Systole  =  1  mm,  Radialis:  Systole  —  1  mm. 

Cruralis  (in  inguine):  Systole  =  10  mm,  Poplitaea:  Systole 
=  1  mm. 


Andere  1  lerzaffectionen. 

Es  gelangten  viele  Fälle  von  functioneller  Untüchtigkeit  des 
Herzens  zur  Beobachtung;  bei  körperlichen  Anstrengungen  tritt 
Athemnoth  und  Herzklopfen  ein.  Objectiv  constatiren  wir  meist  ein 
rasches  Hinaufgehen  der  Pulsfrequenz  bei  Lagewechsel,  in  Hock¬ 
stellung  und  bei  forcirten  Bewegungen.  Einige  von  diesen  Fällen 
scheinen  mit  dem  Kropfherzen  in  Beziehung  zu  stehen. 

1.  E.  S.  Nie  vorher  Gelenksrheumatismus.  Unfähigkeit  zu 
schwerer  Arbeit.  Etwras  Struma  parenchymatosa.  Spitzenstoss  im 
fünften  Intercostalraum,  ein  Querfinger  ausserhalb  der  Mamillar¬ 
linie,  hebend.  Pulmonalton  im  Liegen  =  84,  im  Sitzen  =  250. 
P  )>  A  beide  unauslöschlich  nach  wenigen  Schritten  Laufschritt. 

2.  F.  B.  Dieselben  Beschwerden,  etwas  Struma.  Die  Puls¬ 
frequenz  ist  nicht  sehr  labil.  P  =  143.  ziemlich  constant. 

3.  B.  F.  Spitzenstoss  im  fünften  Intercostalraum,  hebend, 
ein  Querfinger  ausserhalb  der  Mamillarlinie.  P  A,  beide  un¬ 
auslöschlich.  Patient  hat  auch  in  der  Ruhe  oft  Herzklopfen. 

4.  Wachmann  T.,  28  Jahre  alt,  Reconvalescent  nach  Rheu¬ 
matismus  musculorum.  Keine  Beschwerden  von  Seite  des  Herzens. 
Struma  geringen  Grades,  Herzspitzenstoss  hebend,  im  fünften  Inter¬ 
costal  raum,  etwas  ausserhalb  der  Mamillarlinie  P  =  35,  da  der 
zweite  Aortenton  laut  und  klappend  ist. 

5.  Wachmann  F.  S.,  30  Jahre  alt.  Reconvalescent  nach 
Rheumatismus  musculorum,  keine  Beschwerden  von  Seite  des 
Herzens.  Herzspitzenstoss  an  normaler  Stelle,  hebend.  P  —  20. 

6.  F.  S.  Enteritis  acuta,  dabei  leichte  Struma  parenchymatosa. 
Der  Spitzenstoss  liegt  im  fünften  Intercostalraum,  in  der  Mamillar¬ 
linie,  ist  deutlich  hebend.  P  =  75  (durch  Accentuirung  des  zweiten 
Aortentones). 

Dabei  ist  zu  berücksichtigen,  dass  durch  den  Darmkatarrh 
im  Lungenkreislauf  Drucksteigerung  hervorgerufen  wird. 

Im  Gegensatz  zu  jenen  Fällen,  in  denen  das  Herz  nur  bei 
körperlichen  Anstrengungen  versagt,  war  im  folgenden  Falle  auch 
bei  körperlicher  Ruhe  meist  hohe  Tachycardie  vorhanden. 

J.  P.  Spitzenstoss  an  normaler  Stelle,  hebend.  108  Pulse. 
P  )>  A,  beide  unauslöschlich.  Auch  war  in  diesem  Falle  der  erste 
Pulmonalton  deutlich,  lauter  als  der  zweite. 

Patient  erhält  ein  Bad  von  26°  auf  24°  R.  durch  zehn 
Minuten. 

Eine  Viertelstunde  später  P  =  66  (10  :  15  mm)  72  Pulse. 

Sehr  interessant  war  noch  folgender  Fall  : 

K.  W.  Massige  Struma  parenchym.  Der  Spitzenstoss  im 
fünften  Intercostalraum  in  der  Mamillarlinie,  hebend.  Die  Dämpfung 
reicht  nach  rechts  bis  zur  Mitte.  Sternal-  und  epigastrische  Pul¬ 
sation.  Reine  Töne.  P  =  500. 

Aus  diesem  Befund  muss  man  wohl  die  Diagnose  einer 
Hvpertrophia  carotis  praecipue  ventriculi  dextri  stellen,  während 
in  den  anderen  Fällen  mit  Struma  der  linke  Ventrikel  hauptsäch¬ 
lich  hypertrophisch  angenommen  wrerden  muss. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1!«M). 


303 


In  anderen  Fällen  mit  einem  sogenannten  nervösen  Herzen 
fand  ich  während  einer  länger  dauernden  Untersuchung  ein  stetiges 
Lauterwerden  der  zweiten  Töne  über  den  grossen  Gefässen  bis  zur 
Unauslöschharkeit. 

V.  S.,  26  Jahre  alt,  nach  Polyarthritis  rheumatica ;  bis  auf 
ein  nur  zeitweilig  auftretendes  systolisches  Geräusch,  am  lautesten 
an  der  Pulmonalis,  normaler  Corbefund.  P  =  110.  Bald  darauf 
wird  der  Pulmonalton  und  wenige  Minuten  später  auch  der  Aortenton 
unauslöschlich. 

Solche  Fälle  dürften  Barthelemy3)  zur  Behauptung  be¬ 
stimmt  haben,  dass  im  Gefolge  einer  Polyarthritis  »Reizungen  des 
Herzens«  ohne  organische  Grundlage  Vorkommen. 

Tn  den  nächsten  zwei  Fällen  stiegen  die  Töne  so  rasch  an, 
dass  die  Messung  nicht  vollendet  werden  konnte. 

1.  R.  W.,  Neurastheniker,  klagt  beim  Laufen  über  Herz¬ 
klopfen.  Cor  normal. 

2.  J.  D.,  Reconvalescenf  nach  Rheumat.  muscul.;  Cor  normal. 
Zeitweise  leidet  Patient  an  Herzklopfen.  Der  zweite  Pulmonal  ton 
ist  mehr  als  doppelt  so  laut  als  der  zweite  Aortenton. 

Oft  fand  ich,  ohne  es  gerade  mit  ausgesprochenen  Herz¬ 
neurasthenikern  zu  thun  zu  haben,  die  Unauslöschharkeit  bei 
erethischen  Naturen  vor,  besonders  auch  bei  Epileptikern. 
Der  Versuch,  die  Herztöne  im  Schlate  zu  messen,  misslang 
stets;  auch  sonst  war  die  Unauslöschharkeit  der  Herztöne  oft 
die  Folge  der  psychischen  Erregung  bei  der  Untersuchung 
und  verschwand  dann  meist  auf  beruhigenden  Zuspruch  und 
bei  Wiederholung  der  Untersuchung. 

Aus  vorliegender  Arbeit  glaube  ich  folgende  Schlüsse 
ziehen  zu  können:  1.  Das  Sthetophonometer  nach  Bettel¬ 
heim  und  Gärtner  eignet  sich  vorzüglich  zur  Bestimmung 
des  Verhältnisses,  in  dem  die  Stärken  zweier  Herztöne  zu  ein¬ 
ander  stehen.  Am  werthvollsten  ist  wohl  das  Verhältniss  des 
zweiten  Pulmonaltones  zum  zweiten  Aortentone.  2.  Einmalige 
Untersuchungen  sind  wegen  grosser  individueller  Unterschiede 
wenig  verwerthbar.  3.  Fortlaufende  Beobachtungen  erlauben 
wichtige  Schlüsse  auf  den  Verlauf  von  Circulations-,  Respira¬ 
tions-  und  Abdominalerkrankungen.  4.  Auch  physiologische 
Studien  über  Veränderungen  im  kleinen  Kreislauf  sind  in 
exacter  Weise  möglich,  und  viele  Ergebnisse  der  experi¬ 
mentellen  Forschung  können  so  am  Menschen  ihre  Bestätigung 
finden. 

An  dieser  Stelle  sei  es  mir  gestattet,  meinem  verehrten 
Chef,  dem  Herrn  Stabsarzt  und  Universitätsdocenten  Dr.  Alois 
Pick,  für  die  warme  Förderung  meiner  Arbeit  nochmals 
meinen  herzlichsten  Dank  auszusprechen. 

Literaturverzeichnis  s. 

■)  Bari  e,  Le  progres  medical.  1880.  —  '-)  B  a  r  i  e,  Accidents  cardio- 
pulmonaires.  Revue  mensuelle  de  medecine.  1893.  —  ')  Barthelemy, 
Journ.  hebdom.  1834,  Nr.  39.  —  4)  Basch,  S.  v.,  Klinische  und  experi¬ 
mentelle  Studien  aus  dem  Laboratorium  des  Prof.  v.  Basch.  1S9L 

5)  Basch,  S.  v.,  Die  Lehre  von  der  cardialen  Dyspnoe  und  ihre  historische 
Entwicklung.  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  27,  28. 

6)  B  e  1 1  e  1  h  e  i  m  und  Gärtner,  Ueber  ein  neues  Instrument  zur  Inten¬ 

sitätsmessung  der  Auscultationsphänomene.  Wiener  klinische  Wocheuschritt. 
1892,  Nr.  44.  —  7)  Bettelheim  und  Kauders,  Experimentelle  Unter¬ 
suchungen  über  die  künstlich  erzeugte  Mitralinsufficienz  und  ihren  Einfluss 
auf  den  Kreislauf  in  der  Lunge.  Aus  dem  Laboratorium  des  Prof.  v.  Basch. 
1891.  —  8)  Bradford  und  Dean,  The  pulmonary  circulation.  Journal 
of  Physiology.  1894,  Vol.  XVI.  —  s)  Breitenstein  A.,  Beiträge  zur 
Kenntniss  der  Wirkung  kühler  Bäder  auf  den  Kreislauf  Gesunder  und 
Fieberkranker.  Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 
1896,  Bd.  XXXVII.  —  lö)  Cuffer  und  Barbillon,  Archives  generales 
de  medecine.  Februar  und  März  1887.  Nouvelles  recherches  sur  le  bruit  de 
galop  cardiaque.  —  ")  Da  Costa,  American  Journal.  Januar  1859.  — 
'-)  Dräsche,  Die  Influenza.  Wien  1890.  —  13)  Fischer,  Hufelands 
Journal  für  praktische  Heilkunde.  1821.  —  u)  Henri  qu  es  Waldemar, 
Archiv  für  Skandinav.  Physiologie.  1892,  Bd.  IV.  - —  l5)  Jürgensen, 
Die  Insufficienz  des  Herzens  in  H.  No  thnagel’s  Specieller  Pathologie  und 
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Priessnit  z’scher  Einwicklungen  auf  den  Blutdruck  bei  croupöser  Pneu¬ 
monie  und  diffuser  Nephritis.  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1888, 
Nr.  28.  —  i7)  Kriege  und  Schmall,  Ueber  den  Galopprhythmus  des 

Herzens.  Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  1891,  Bd.  XVIII.  ,s)  Kütt- 
n  e  r,  Die  Gefässverbindungen  zwischen  dem  grossen  und  kleinen  Kreislaut. 
Virchow’s  Archiv.  1876,  Bd.  LXXIII.  —  ,9)  L  a  n  d  o  i  s,  Lehrbuch  der 

Physiologie  des  Menschen.  8.  Auflage.  —  :0)  Leichtenstern,  Die  In¬ 


fluenza.  II.  Nothna  gel’s  Specielle  Pathologie  und  Therapie.  —  2I)  Leube, 
Specielle- Diagnose  innerer  Krankheiten.  Bd.  I.  —  ")  Lichtheim,  Ein¬ 
fluss  der  Störungen  des  Lungenkreislaufes  auf  den  Blutdruck.  Berlin  1876. 
—  23)  Mannaberg  J.,  Ueber  Accentuirung  des  zweiten  Pulmonaltones 
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-4)  C.  Müller,  Hydrotherapie.  1890.  —  ~°)  O  p  e  n  c  h  o  w  s  k  y,  T  h.  v., 

Ueber  die  Druckverhältnisse  im  kleinen  Kreislauf.  Aus  dem  Institute  Pro¬ 
fessor  Strieker’s.  Pflüger’s  Archiv.  Bd.  XXVIII.  —  ~G)  Open  chows  ky, 
Th.  v.,  Ueber  das  Verhalten  des  kleinen  Kreislaufes  gegen  die  Digitalis¬ 
gruppe.  Experimentell-klinische  Studie.  Bericht  über  den  VIII.  Congress  für 
innere  Medicin.  —  2")  Pignol,  Medecine  moderne.  Januar  1900.  — 

28)  Po  tain,  L’ Union  medicale.  November  1875,  Januar,  März  1876.  — 

29)  Pot  a  in,  De  la  dilatation  du  coeur.  Medecine  moderne.  26.  November 

1892.  —  ;!0)  R  ethers,  Beiträge  zur  Pathologie  der  Chlorose.  Dissertation. 
Berlin  1891.  —  31)  Riess  L.,  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1878, 
Nr.  51;  1879,  Nr.  52.  -—  32)  Rosenbach  O.,  Die  Erkrankungen  des 
Brustfelles  in  H.  Nothnagel’s  Specieller  Pathologie  und  Therapie.  — 
33)  Rosenbach  O.,  Ueber  artificielle  Herzklappenfehler.  Archiv  für  ex¬ 
perimentelle  Pathologie.  Bd.  IX.  —  34)  Rydinge  r,  Cursus  der  topographi¬ 
schen  Anatomie.  —  35)  S  a  h  1  i,  Zur  Pathologie  des  Lungenödems.  Bern 

1885.  —  36)  Smith,  Considerations  in  regard  to  acute  obstructive  diseases 
of  the  lungs.  Verhandlungen  des  X.  internationalen  Congresses.  — 
37)  T  e  i  s  s  i  e  r,  La  grippe,  1893.  Paris  (Baillicre).  —  :!S)  Wallersten, 
Beiträge  zur  Kenntniss  der  Chlorose.  Dissertation.  Bonn  1890.  —  39)  Weiss 
H.,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  4.  — -  40)  W  eich, 
Zur  Pathologie  des  Lungenödems.  Virchow’s  Archiv.  1878,  Bd.  LXXII. 
_  4i)  Vierordt  H.,  Messuug  der  Intensität  der  Herztöne.  Tübin¬ 
gen  1885. 


REFERATE. 

I.  Ueber  Nabelsepsis. 

Von  Karl  Rasch. 

II.  Die  Resorption  aus  der  Nabelschnur. 

Von  R.  W.  Raudnitz. 

III.  Ueber  gehäuftes  Auftreten  und  über  die  Aetiologie 

der  Poliomyelitis  anterior  acuta  infantum. 

Von  S.  Auerbach. 

IV.  Fötales  Myxödem  und  Chondrodystrophia  foetalis 

hyperplastica. 

Von  Wilhelm  Stöltzner. 

V.  Ein  Fall  von  postdiphtheritischer  Lähmung  mit 

eigenartigen  Oedemen. 

Von  Hugo  Kraus. 

VI.  Die  Stellung  des  Kalks  in  der  Pathologie  der 

Rachitis. 

Von  Wilhelm  Stöltzner. 

VII.  Zur  Serodiagnostik  im  Kindesalter. 

Von  A.  Pfaundler. 

VIII.  Ueber  Farbenreactionen  der  Caseinflocken. 

Von  Karl  Leiner. 

IX.  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der  Fäces- 

gährung  bei  Säuglingen. 

Von  Fritz  Callomon. 

X.  Zur  Kenntniss  der  Milchgerinnung  im  menschlichen 

Magen. 

Von  Josef  Schnürer. 

XI.  Ueber  Behandlung  der  Rachitis  mit  Thymussub¬ 

stanz. 

Von  W.  Stöltzner  und  W.  Lissauer. 

XII.  Polyposis  intestinalis. 

Von  A.  Vajda. 

Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1899,  Bd.  L. 

I.  Der  Umstand,  dass  durch  Runge  und  Andere  die  Ar¬ 
teriitis  umbilicalis  als  häufiger  Ausgangspunkt  einer  Sepsis  beim 
Neugeborenen  beschuldigt  worden  ist,  bat  Rasch  veranlasst, 
in  einer  überaus  interessanten  Arbeit  die  Grundlagen  dieser  Lehre 
von  der  Nabelsepsis  zu  prüfen.  Das  Resultat  seiner  Untersuchungen 
sei  gleich  verzeichnet:  Die  Arteriitis  umbilicalis  kann  nicht  als  eine 
Ursache  der  Säuglingsseptikämie  bezeichnet  werden.  Der  Weg,  den 
Rasch  eingeschlagen  hat,  um  zur  Klärung  der  Frage  zu  kommen, 
war  ein  recht  mühsamer.  Vor  Allem  hat  Verfasser  die  Nabelgefässe 
an  Leichen  von  Neugeborenen  makro-  und  mikroskopisch  unlei- 
sucht.  Dabei  hat  sich  gezeigt,  dass  die  am  Anlangstheile  der  Nabel¬ 
arterien  im  Nabel  öfters  gefundene  Entzündung  sich  niemals  das 
ganze  Gefäss  entlang  bis  zur  Einmündung  in  die  Hypogasti  icae 
erstreckt.  Von  einer  per  contiguitatem  in  die  Rlutbahn  fortgeleiteten 
Entzündung,  wie  dies  bei  der  Sepsis  in  böige  von  Phlebitis  umbi¬ 
licalis  gefordert  wird,  kann  daher  keine  Rede  sein.  Auch  das 
I  Gewebe  in  der  Umgebung  der  im  centralen  Abschnitt  stets  in  un 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  13 


304 


gestörter  Obliteration  sich  befindlichen  Nabelarterien  wies  keine 
Störung  auf. 

Ob  aber,  wie  dies  Runge  lehrt,  die  im  Anfangsstück  der 
Nabelarterien  öfters  angetroffene  Eiterung  nicht  auf  anderen  Wegen 
zur  Allgemeininfection  führt,  oder  ob  es  sich  hier  etwa  um 
Metastasen  einer  vom  Darme  ausgelösten  Sepsis  handelt,  darüber 
hat  Verfasser  Thierversuche  angestellt,  welche  die  Frage  sehr  gut 
beleuchten.  Vor  Allem  hat  Verfasser  neugeborenen  Hunden, 
Kaninchen  und  Meerschweinchen  bald  nach  der  Geburt  an  der 
Stelle  der  sich  vorbereitenden  Abstossung  des  Nabelschnurrestes 
stark  pathogene  Staphylococcen  eingerieben;  es  kam  dabei  niemals 
zu  Sepsis,  obwohl  geringe  Mengen  derselben  Culturen,  in  die  Blut¬ 
bahn  injicirt,  in  weniger  als  24  Stunden  die  Thiere  tödteten.  Auch 
der  Versuch  vom  zerquetschten  und  mit  Staphylococcen  inficirten 
Nabelschnurstumpf  eine  Septikämie  hervorrufen,  misslang.  Doch  kam 
es  dabei  zu  umschriebenen  Nekrosen  am  Nabel.  Verfasser  hat 
ferner  versucht  von  angelegten  Maultaschen  am  Nabel  aus,  ferner  durch 
Bacterieninjectionen  entlang  den  Nabelarterien,  Septikämie  hervor¬ 
zurufen,  auch  das  ohne  Erfolg.  Doch  gelang  es  auf  diese  Weise, 
die  beim  Menschen  beschriebenen  Nabelkrankheiten:  Ulcus,  Abscess, 
Phlegmone  und  Gangrän  hervorzurufen.  Der  Versuch,  die  Nabel- 
gefässe  von  ihrem  Lumen  aus  zu  inficiren,  scheiterte  an  der 
Kleinheit  und  Enge  dieser  Lumina  bei  den  neugeborenen  Thieren, 
welche  Verfasser  zu  Gebote  standen.  Doch  hat  Verfasser  an  Stelle 
solcher  Versuche  das  Experiment  gemacht,  die  zweifach  ligirte  und 
dann  angeschnittene  Carotis  vom  Lumen  aus  zu  inficiren,  um  all¬ 
gemeine  Sepsis  zu  erzeugen.  Auch  hier  kam  es  nur  zu  örtlicher 
Eiterung,  nicht  aber  zu  Allgemeininfection. 

Aus  diesen  Arbeiten  schliesst  Verfasser,  dass  den  Nabel- 
gefässen  nicht  ein  die  septische  Infection  fördernder  Einfluss  zu¬ 
komme,  sondern  im  Gegentheile  eine  die  Propagation  einer  Infection 
hemmende  Fähigkeit  innewohne. 

Und  Verfasser  erwägt  die  Möglichkeit,  ja  Wahrscheinlichkeit, 
dass  die  in  den  Anfangstheilen  der  Nabelarterien  sich  abspielenden 
Entzündungsprocesse  als  Ausdruck  von  Metastasen  einer  vom  Darm- 
tractus  ausgelösten  pyämischen  Infection  anzusehen  sind. 

Verfasser  zieht  aus  seinen  Untersuchungen  auch  für  die 
Praxis  wichtige  Schlüsse.  Es  ist  demnach  die  Angst  vor  der  Nabel¬ 
sepsis  eine  recht  unbegründete;  die  Behandlung  des  Nabelschnur¬ 
restes  sei  eine  einfache,  die  physiologische  Rückbildung  am  Nabel 
fördernde,  der  Verband  des  Nabelschnurrestes  ein  leichter,  um  die 
Mumification  zu  befördern.  Die  viel  discutirle  Frage,  ob  der  Neu¬ 
geborene  baden  solle  oder  nicht,  hält  Verfasser  für  bedeutungslos. 

* 

II.  Im  Anschlüsse  an  Base  h’s  Arbeit  berichtet  R  a  u  d  ni  t  z 
kurz  über  Versuche,  welche  er  vor  17  Jahren  angestellt  hat,  um 
zu  sehen,  ob  aus  der  Nabelschnur  Substanzen  resorbirt  werden 
können.  Verfasser  hat  diese  Untersuchungen  seinerzeit  nach  der 
Richtung  unternommen,  ob  nicht  die  Säuglingssepsis  in  der  Re¬ 
sorption  fauliger  Substanzen  aus  der  Nabelschnur  ihren  Ursprung 
hat,  wie  das  den  seinerzeitigen  Anschauungen  entsprochen  hätte. 
Hiebei  ergab  sich,  dass  Ferrocyankalium-  und  Jodkaliumlösungen, 
in  den  Nabelstrang  des  Neugeborenen  injicirt,  nicht  resorbirt 
werden. 

* 

III.  Auerbach  berichtet  über  eine  grössere  Zahl  von 
Poliomyelitisfällen,  welche  er  in  Frankfurt  innerhalb  kurzer  Zeit 
beobachtet  hat.  Während  in  der  dortigen  Poliklinik  für  Nerven¬ 
kranke  früher  jährlich  nur  zwei  bis  drei  Fälle  von  Poliomyelitis 
anterior  acuta  beobachtet  wurden,  kamen  in  sieben  Monaten 
(1898)  15  Fälle  zur  Beobachtung,  von  welchen  neun  Fälle  in  den 
Monaten  Mai  bis  September  ihren  Ursprung  nahmen;  vier  der  Pa- 
tienten  wohnten  im  selben  Stadttheile,  zwei  sogar  in  derselben 
Strasse. 

Dieses  gehäufte  Auftreten  von  Poliomyelitis  spricht  sehr  für 
die  infectiöse  Natur  der  Krankheit.  Dabei  betont  Verfasser  den 
ätiologischen  Zusammenhang  zwischen  Poliomyelitis,  Encephalitis  und 
Meningitis  cerebrospinalis.  Dafür  spricht  vor  Allem  das  wiederholt 
beobachtete  Auftreten  cerebraler  Herde  bei  Poliomyelitis.  Den  bisher 
bekannten  Fällen  fügt  Auerbach  einen  neuen,  von  ihm  beob¬ 
achteten  Fall  hinzu,  in  welchem  neben  Lähmung  der  oberen  und 
unteren  Extremität  auch  Faeialislähmung  mit  Ergriffensein  des 
Stirnastes  und  Entartungsreaction  vorhanden  war. 


Ganz  besonders  deutlich  wird  aber  die  ätiologische  Einheit 
der  genannten  drei  Krankheiten  durch  einen  Fund  von  Schnitze, 
den  Verfasser  citirt,  illustrirt.  Dieser  Autor  fand  in  der  Lumbal¬ 
flüssigkeit  bei  einem  Falle  von  Poliomyelitis  den  Jaeger- 
Weichselbau  m’schen  Meningococcus;  bei  diesem  Falle  be¬ 
standen  übrigens  auch  meningeale  Reizsymptome. 

* 

TV.  W.  Stöltzner  berichtet  über  zwei  Fälle  von 
Chondrodystrophia  f  o  e  t  a  1  i  s  hyperplastic  a,  bei 
welchen  er  einen  genauen  histologischen  Befund  erhoben  hat.  Der 
erste  Fall  zeichnete  sich  bei  makroskopischer  Untersuchung  durch 
eine  auffallende  Kürze  der  Extremitäten  bei  normal  langem  Ober¬ 
körper,  durch  abnorm  starke  Entwicklung  des  Unterhautfettgewebes, 
eine  auffallend  dicke  Zunge,  eine  (parenchymatöse)  Struma,  Ein¬ 
ziehung  der  Nasenwurzel,  stupiden  Gesichtsausdruck  aus.  Am  Skelet 
waren  frühzeitige  Synostosen  einzelner  Schädelnähte,  Rosenkranz 
und  schräg  verlaufende  Knochenknorpelgrenzen  an  den  Rippen, 
geringe  Dicke  der  Diaphysen  der  langen  Röhrenknochen  im  Ver- 
hältniss  zu  den  Epiphysen  auffällig.  Der  mikroskopische  Befund, 
den  Verfasser  ausführlich  wiedergibt,  ergab  in  der  Hauptsache 
Folgendes:  Das  Gewebe  der  Struma  normal,  die  Knorpelwucherungs¬ 
schichte  fehlte  an  manchen  Epiphysen  vollkommen,  an  anderen  war 
das  Knorpelgewebe  in  Schleim-  oder  Bindegewebe  umgewandelt, 
stellenweise  in  diesem  Gewebe  cystenartige  Hohlräume.  An  einzelnen 
Stellen  bildeten  compacte,  unterbrochene  Knochenplatten  die  Grenze 
zwischen  Diaphvse  und  Epiphyse.  Manchmal  ragte  das  Knochen¬ 
mark  direct  bis  an  die  Epiphyse,  an  vielen  Stellen  ragten  zwischen 
Dia-  und  Epiphyse  bindegewebige  Fortsätze,  die  vom  Perichondrium 
ihren  Ausgang  nahmen.  Die  Spongiosa  fehlte  an  einzelnen  Knochen 
völlig,  an  anderen  waren  nur  spärliche,  abnorm  dicke  Balken  an 
den  epiphysären  Enden  der  Markhöhlen. 

Während  das  Kind,  das  das  Substrat  dieser  Untersuchung 
bildete,  nur  eine  Stunde  die  Geburt  überlebt  hatte,  war  das  zweite 
beobachtete  Kind  zwei  Monate  alt  geworden.  Dieser  zweite  Fall 
ist  bereits  von  Job  anessen  veröffentlicht  worden.  Es  hatte 
während  des  Lebens  Tetaniesymptome  (mit  Laryngospasmus),  Rigi¬ 
dität  der  Beine,  kurze  Extremitäten;  bei  der  Section  zeigte  sich  die 
Schilddrüse  klein,  die  Wirbelsäule  lang  (in  Folge  auffallender  Höhe 
einzelner  Wirbelkörper),  die  Epiphysen  waren  verdickt. 

Die  Schilddrüse  war  auch  mikroskopisch  normal,  enthielt 
aber  trotz  einer  Thyreoideacur  kein  Jod.  Die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung,  die  Verfasser  an  einigen  Knochen  ausführen  konnte,  ergab: 
Die  Grenze  zwischen  ruhendem  und  wucherndem  Knorpel  unregel¬ 
mässig.  Die  Knorpelwucherungsschichte  schlecht  ausgebildet,  nur 
selten  Zellsäulen  vorhanden,  meist  die  Knorpelzellen  durch  reiche 
Entwicklung  von  Grundsubstanz  auseinandergedrängt.  Der  Knorpel 
an  allen  Epiphysen  in  beträchtlicher  Ausdehnung  provisorisch  ver¬ 
kalkt,  doch  die  Knochenknorpelgrenze  unregelmässig,  an  einzelnen 
Stellen  unterbrochen,  so  dass  die  Markräume  dort  an  unverkalkten 
Knorpel  stiessen.  An  Stelle  der  Spongiosa  spärliche,  dicke 
Balken. 

Während  der  erste  beschriebene  Fall  das  früher  von  den 
Autoren  als  »fötale  Rachitis*  bezeichnete  anatomische  Bild  zeigt, 
ist  in  dem  zweiten  Falle  eine  einfache  Dystrophie  des  Knorpels 
vorhanden  gewesen.  Aetiologisch  gehören  diese  beiden  Fälle,  ebenso 
wie  die  einschlägigen,  von  anderer  Seite  beschriebenen,  in  jene 
Gruppe  von  Allgemeinerkrankungen,  welche  mit  dem  Ausfälle  der 
Schilddrüsenfunction  Zusammenhängen,  schon  von  Virchow  für 
identisch  mit  Cretinismus  erklärt  und  von  Kaufmann  als 
Chondrodystrophia  foetalis  bezeichnet  worden  sind. 
Dafür  spricht  sich  auch  Verfasser  aus,  schlägt  jedoch  vor,  diese 
Fälle  als  »fötales  Myxödem«  zu  bezeichnen.  Streng  ge¬ 
nommen  gehört  der  hier  beschriebene  zweite  Fall  .1  oh  a  ne  s  sen's 
nicht  mehr  in  diese  Gruppe,  da  weder  cretinistisches  Aussehen, 
noch  Veränderungen  des  Unterbautzellgewebes,  der  Zunge  und 

der  Schilddrüse  nachweisbar  waren. 

* 

V.  H.  K  raus  hat  an  Ganghofne  r's  Klinik  einen  Fall 
von  ausgebreiteter  postdiphtheritischer  Lähmung  beobachtet,  der 
durch  das  Auftreten  von  ziemlich  starken  Oedemen  mit  unge¬ 
wöhnlicher  Localisation  eomplicirt  war.  An  der  Lähmung  waren 
Augenmuskeln,  Schlingmuskeln,  Gaumensegel,  Muskeln  der  oberen 
und  unteren  Extremitäten  sowie  des  Stammes  betheiligt. 


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Die  tiefen  Reflexe  fehlten,  die  elektrische  Erregbarkeit  der 
Muskeln  und  Nerven  war  tief  gestört,  die  Schmerzempfindung 
herabgesetzt.  Ausser  diesem  bekannten  Bilde  der  postdiphtheritischen 
Lähmung  bestanden  Oedeme  der  Haut,  die  am  stärksten  an  den 
oberen  Extremitäten  in  der  Gegend  der  Ellbogen  waren,  sich  an 
diesen  Extremitäten  nach  auf-  und  abwärts  verbreiteten;  auch  an 
den  Unterschenkeln  waren  leichte  Oedeme  nachweisbar,  die  Fuss- 
rücken  waren  beiderseits  frei.  Im  Verlaufe  der  mehrmonatlichen 
Beobachtungen  schwanden  diese  Oedeme,  kehrten  jedoch  an  ein¬ 
zelnen  Stellen,  darunter  auch  im  Gesichte,  wieder.  Am  Herzen 
bestand  ein  blasendes  systolisches  Geräusch,  Spaltung  des  zweiten 
Pulmonaltons,  keine  Verbreiterung.  Im  Harne  war  kein  Eiweiss. 

Für  das  Auftreten  der  Oedeme  bietet  weder  die  Blut¬ 
beschaffenheit,  noch  der  Herz-  oder  Nierenbefund  eine  Erklärung. 
Ueberdies  würde  auch  der  Sitz  der  Oedeme  nicht  damit  überein¬ 
stimmen,  ihre  Entstehung  auf  eines  dieser  Organe  zurückzuführen. 
Verfasser  meint,  dass  es  sich  um  eine  postdiphtheritische  Poly¬ 
neuritis  handeln  dürfte,  mit  Läsion  der  vasomotorischen  Bahnen. 
Möglicher  Weise  könnte  es  sich  im  beschriebenen  Falle  um  eine 
Uebergangsform  zwischen  Polyneuritis  und  den  als  Dermatomyositis 
und  Neuromyositis  beschriebenen  Krankheitsbildern  handeln. 

* 

VI.  Stöltzner  führt  in  seiner  Arbeit  aus,  dass  die 
bisher  aufgestellten  Theorien  über  die  Aetiologie  der  Rachitis  nicht 
haltbar  sind.  Nach  den  bisher  vorliegenden  Untersuchungen  kann 
es  sich,  was  übrigens  schon  anerkannt  ist,  weder  um  ungenügende 
Kalkzufuhr  in  der  Nahrung,  noch  um  mangelhafte  Resorption  des 
Kalkes,  noch  um  pathologisch  schnelle  Wiederausscheidung  handeln. 
Auch  der  Kalkgehalt  der  Organe  ist,  wie  Brubacher  nachge¬ 
wiesen  hat  und  Stöltzner  nach  eigenen,  hier  kurz  wieder¬ 
gegebenen  Versuchen  bestätigt,  ein  normaler. 

Da  auch  die  Alkalescenz  des  Blutes  normal  ist,'  sind  alle 
Hypothesen,  welche  sich  auf  Aenderung  der  Gewebsflüssigkeit  und 
Auslaugen  des  Kalkes  stützen,  hinfällig.  Verfasser  sagt:  »Es  bleibt 
also  nichts  übrig,  als  das  Ausbleiben  der  Verkalkung  bei  der  Ra¬ 
chitis  auf  einen  pathologischen  Zustand  des  Knochengewebes  selbst 
zurückzuführen«.  Referent  glaubt  jedoch,  dass  auch  diese  weit¬ 
gefasste  Annahme  als  nicht  haltbar  sich  erweisen  dürfte;  denn  es 
ist  doch  viel  naheliegender,  anzunehmen,  dass  es  sich  nicht  um 
Erkrankung  des  Knochengewebes,  sondern  eine  Allgemeinerkrankung 
des  Organismus  handeln  dürfte. 

* 

VII.  M.  Pfaundler  berichtet  in  eingehender  Weise  über 
die  Erfahrungen,  welche  an  Escherich’s  Klinik  in  Graz  über 
die  klinische  Verwerthung  des  Agglutinationsphänomens 
gesammelt  wurden.  Diese  Arbeit  bildet  zugleich  eine  werthvolle 
Zusammenfassung  der  einzelnen  Mittheilungen,  welche  über  Agglu¬ 
tination  aus  E  s  c  h  e  r  i  c  h’s  Klinik  bisher  erschienen  sind,  an  welchen 
der  Verfasser  in  erster  Reihe  betheiligt  war.  Die  Serumreactionen 
bezogen  sich  auf  den  Typhusbacillus,  den  Colibacillus,  Stämme  aus 
der  Gruppe  des  Mesentericus  und  des  Proteus,  Bac.  lactis  aero- 
genes,  Pyocyaneus,  Streptococcen  und  Staphylococcen. 

•Am  wichtigsten  sind  die  Untersuchungen  über  die  Co  li- 
a  g  g  1  u  t  i  n  a  t  i  o  n.  Die  grosse  Zahl  von  Reactionen  (550)  wurde 
nach  der  von  Pfaundler  schon  früher  angegebenen  Methodik 
ausgeführt.  Die  erhaltenen  Resultate  sind  sehr  bemerkenswert!! : 
Bei  Säuglingen  und  jüngeren  Kindern  gibt  das  Serum  mit  Coli  aus 
gesundem  Darm  keine  Agglutination  bei  einer  Verdünnung  von 
1  :  10.  Bei  älteren  Kindern  ist  eine  solche  Reaction  selten  (ein 
Fall,  1  :  30).  Bei  allen  Säuglingen  und  allen  älteren  Kindern,  deren 
Stuhlcoli  durch  ihr  auf  10%  oder  stärker  verdünntes  Serum  agglu- 
tinirt  wurde,  bestand  eine  Darmerkrankung.  Dabei  ist  zu  bemerken, 
dass  auch  in  positiven  Fällen  nicht  alle  Stämme  aus  dem  Stuhle 
eines  Darmkranken  agglutiniren,  dass  daher  der  negative  Ausfall 
der  Reaction  noch  nichts  beweist.  Die  Art  der  Darmerkrankung 
war  verschieden.  Verfasser  theilt  diese  in  drei  Gruppen:  a)  Primäre 
Darmerkrankungen  mit  secundärer  Betheiligung  der  Blase  und  des 
Peritoneums;  b)  Typhus  abdominalis;  c )  localisirte  Darmerkran¬ 
kungen. 

Bezüglich  der  Gruppe  a  ist  nur  bemerkenswert!!,  dass  durch 
den  Uebertritt  des  Coli  in  die  Peritonealhöhle  das  Agglutinations- 
phänommen  ebenso  zu  Stande  kommt,  wie  bei  der  Colicystitis. 
Verfasser  gibt  hiefür  folgende  Erklärung:  Der  im  Darm  blos  sapro- 


phytische  Colibacillus  nimmt  in  der  Bauchhöhle  und  Blase  parasi¬ 
tären  Charakter  an,  tritt  hier  zu  den  Gewebszellen  in  jene  sym¬ 
biotischen  Beziehungen,  welche  die  Entstehung  der  Agglutinine  be¬ 
wirken.  Das  Agglutinationsphänomen  für  Coli  in  typischen  Typhus¬ 
fällen  hat  Verfasser  schon  andernorts  auf  die  nahe  Verwandtschaft 
von  Coli  und  Bacillus  E  berth  zurückgeführt. 

Eine  besondere  Besprechung  widmet  Verfasser  dem  Aggluti- 
nationsphänomen  in  den  Fällen  der  dritten  Gruppe.  Hier  handelte 
es  sich  ausschliesslich  um  eine  wohlcharakterisirte  Krankheilsform, 
deren  klinisches  Bild  von  Es  che  rieh  aufgestellt  und  von  der 
grossen  Masse  noch  nicht  streng  abgrenzbarer  Darmerkrankungen 
losgelöst  worden  ist.  Escherich  hat  hiefür  den  Namen  »Coli¬ 
tis  infectiosa«  eingeführt. 

Verfasser  entwickelt  kurz  die  Symptomatologie  und  den 
charakteristischen  anatomischen  Befund  dieser  Krankheitsform  und 
meint,  dass  die  infectiöse  Colitis  Escherich  verwandt, 
vielleicht  sogar  identisch  sein  dürfte  mit  jener  infectiösen  Darm¬ 
erkrankung,  die  von  Finkeistein  beschrieben  worden  ist.  Der 
positive  Ausfall  des  Agglutinationsphänomens  in  den  Fällen  von 
Colitis  infectiosa  ist  nun  neuerdings  eine  wichtige  Stütze  dafür, 
den  Colibacillus  in  diesen  Fällen  als  Erreger  zu  betrachten. 

Von  Interesse  ist  es,  dass  in  diesen  Fällen  von  Colitis  in¬ 
fectiosa  das  Serum  der  erkrankten  Kinder  nicht  nur  aus  seinem 
Darme  herrührende  Colistämme  agglutinirte  (homologe  Reaction), 
sondern  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auch  von  anderen  Individuen 

herstammende  Coliculturen  (heterologe  Reaction). 

* 

VIII.  C.  Leine  r  hat  im  Caroline n-Kinderspitale 
in  Wien  Versuche  angestellt,  welche  die  Kenntniss  der  als  »Casein¬ 
flocken«  bezeichneten  Bröckelchen  in  den  Fäces  der  Kinder  fördern 
und  hat  so  einen  interessanten  Beitrag  zum  Studium  der  unvoll¬ 
kommen  abgelaufenen  Milchverdauung  geliefert. 

Keiner  hat  an  den  »Caseinflocken«  Farbenreactionen  ange¬ 
stellt,  um  über  die  Beschaffenheit  der  Grundsubstanz  Klarheit  zu 
bekommen.  Diese  Flöckchen  wurden  von  vielen  Seiten  als  Casein 
angesprochen  und  es  gelang  Le  in  er,  zu  zeigen,  dass  hievon  nicht 
die  Rede  sein  könne. 

Färbt  man  nämlich  Eiweisskörper  mit  basischen  und  sauren 
Farbstoffen,  so  gelingt  es,  mit  einzelnen  Säuregemischen  charakte¬ 
ristische  Färbungen  zu  erzielen.  Wenngleich  solche  Färbungen  des¬ 
halb  nur  mit  Vorsicht  verwerthet  werden  können,  weil  anorganische 
Beimengungen  und  andere  Umstände  die  Farbentöne  sehr  beein¬ 
flussen,  so  gelang  es  dem  Verfasser  doch,  zu  zeigen,  dass  Casein 
und  Paracasein  sich  gegenüber  einzelnen  Farbstoffgemischen  anders 
verhalten,  als  die  Caseinflocken,  welche  aus  diesem  Eiweisskörper 
bestehen  sollten.  Entscheidend  war  da  der  Versuch  mit  Methylgrün- 
Fuchsin.  Da  färben  sich  Casein  und  Paracasein  blau  bis  violett, 
die  Caseinflocken  aber  grün;  und  das  ist  auch  jene  Farbe,  welche 
das  Pseudonuclein  (aus  Paracasein  durch  künstliche  Verdauung 
dargestellt)  aus  dem  Gemenge  annimmt. 

Für  die  Frage  wichtig  ist  auch  der  Nachweis,  den  Verfasser 
geführt  hat,  dass  die  Caseinflocken  in  ihrer  Hauptmasse  nicht  aus 
Mucin  bestehen  können.  Zu  diesen  Versuchen  hat  Lein  er  die 
von  Lilienfeld  angegebene  Safranin-Lichtgrünfärbung 
benützt,  bei  welcher  sich  Eiweisskörper  röthlich,  Mucine  aber  grün 
färben.  Die  Caseinflocken  wiesen  keine  Spur  von  Grünfärbung  auf; 
hiedurch  war  es  entschieden,  dass  die  Caseinflocken  in  ihrer  Haupt¬ 
masse  nicht  aus  Mucin  bestehen  können. 

* 

IX.  Fr.  Callomon  berichtet  aus  der  Breslauer 
Kinderklinik  über  eine  Untersuchungsreihe,  welche  die  Ver- 
werthbarkeit  der  Gährungsprobe  für  den  Säugling  prüfte.  Be¬ 
kanntlich  hat  Ad.  Schmidt  in  einer  Reihe  von  Arbeiten  gezeigt, 
dass  die  Fäces  der  Erwachsenen  nach  der  Entleerung  einer  Kohle- 
hydratgährung  unterliegen,  welche  aus  den  in  ihnen  enthaltenen 
Resten  einer  Kohlehydratnahrung  hervorgeht.  Dabei  konnte  durch 
Strassburger  eine  Diät  ausfindig  gemacht  werden,  bei  welcher 
an  Fäces  Gesunder  niemals  eine  »Frühgährung«,  d.  h.  eine  in  den 
ersten  24  Stunden  ablaufende  Gährung  auftritt,  während  in  manchen 
Fällen  von  Darmerkrankung  eine  solche  entsteht,  wodurch  der 
Nachweis  erbracht  wird,  dass  der  Darmcanal  die  zugeführlen,  von 
einem  Gesunden  stets  bewältigten  Kohlehydrate  nicht  auszunülzeii 
vermochte,  also  nach  dieser  Richtung  insufficient  ist.  Diese 


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3  OH 


Schniidt’sch  e  Gährungsprobe  hat  Verfasser  benützt,  um 
auch  an  Säuglingen  die  Functionstüehtigkeit  des  Darmes  für  Kohle¬ 
hydratnahrung  zu  prüfen.  Die  erhaltenen  Resultate  sind  aber  ganz 
unerklärbar  und  für  die  Lösung  der  gestellten  Frage,  vorläufig 
wenigstens,  unvervverthbar.  Denn  es  hat  sich  bei  ein  und  dem¬ 
selben  Kinde  und  bei  gleicher  Nahrung  bald  Frühgährung  in  be¬ 
trächtlicherem,  bald  nur  in  sehr  geringem  Masse  eingestellt;  auch 
in  Bezug  auf  Ausnützbarkeit  der  verschiedenen  Kohlehydrate  lässt 
sich  aus  den  gewonnenen  Zahlen  kein  Schluss  ziehen.  Die  Werthe 
sind  für  Stärke-  und  z.  B.  Malzsuppennahrung  nicht  deutlich  diffe¬ 
rent.  Nur  bei  Obstipation  hat  sich  stets  ein  auffallend  geringes 
Mass  von  Frühgährung  gezeigt;  das  führt  Verfasser  im  Sinne 
Schmid  t's  darauf  zurück,  dass  die  Obstipation  doch  auf  dar- 
niederliegender  Peristaltik  in  Folge  von  geringer  Darmgährung  beruht. 

* 

X.  Obzwar  in  vielen  Lehrbüchern  ausdrücklich  zu  lesen  ist, 
dass  die  Kuhmilch  im  Säuglingsmagen  durch  Lab  zur  Gerinnung 
gebracht  wird,  ist  es  doch  noch  immer  nicht  entschieden  gewesen, 
ob  nicht  doch  ein  Theil  der  Kuhmilch  der  Säuregerinnung  anheim¬ 
fällt  im  Säuglingsmagen.  Denn  der  einzige  direete  Versuch  von 
Arth  us  und  Paget  hat  gezeigt,  dass  die  Lactoserumproteose, 
jener  albumosenartige  Körper,  welcher  bei  der  Labgerinnung  ent¬ 
steht,  im  Magen  vorhanden  ist.  Daraus  konnte  mit  Sicherheit  auf 
den  Ablauf  einer  Labgerinnung  geschlossen  werden,  nicht  aber  zu¬ 
gleich  ausgeschlossen  worden,  ob  nicht  ein  Theil  der  Kuhmilch 
daneben  noch  durch  Säure  geronnen  ist. 

Auf  die  Entscheidung  dieser  Frage  beziehen  sich  Versuche, 
welche  J.  Schnüre r  am  Garolinen-Kinderspitale  in 
Wien  ausgeführt  hat.  Die  Versuche  beruhen  auf  der  durch  Ham- 
m  a  r  s  t  e  n  festgelegten  Erfahrung,  dass  Casein,  das  einmal  der 
Labgerinnung  unterworfen  war,  wenn  es  wieder  gelüst  wird,  durch 
Lab  nicht  mehr  niedergeschlagen  wird,  während  das  durch.  Säure 
gefällte  Casein  aus  seiner  entsprechend  bereiteten  Lösung  —  bei 
Gegenwart  von  Kalksalzen  - —  durch  Lab  fällbar  ist.  Schnürer 
hat  nun  die  Milchgerinnsel  aus  dem  Säuglingsmagen  in  Ammoniak 
gelöst,  die  Lösung  vorsichtig  abgestumpft,  mit  Chlorcalciumlösung, 
dann  mit  kräftig  wirksamen  Labferment  versetzt;  es  ist  dabei 
in  keinem  der  Versuche  Gerinnung  eingetreten. 
Schnürer  bemerkt  übrigens,  dass  hiedurch  nur  gezeigt  wird, 
dass  die  Hauptmasse  des  Caseins  im  Magen  der  Labgerinnung 
unterworfen  ist,  weil  geringe  Mengen  von  Säurecasein  in  Folge 
einer  nicht  genügenden  Concentration  der  Lösung  der  Labfällung 
hatten  entgehen  können.  Ueberdies  hat  Schn  ii  rer  auch  gezeigt, 
dass  jedes  Mal  eine  halbe  Stuude  nach  der  Nahrungsaufnahme 
wirksames  Labferment  im  Mageninhalt  vorhanden  war. 

* 

XI.  StÖltzner  und  L  is  sauer  haben  an  Heubner’s 
Poliklinik  die  Wirksamkeit  der  Thym  ussubstanz  bei  Rachitis 
geprüft.  Die  Versuche  sind  im  Gegensätze  zu  v.  Mettenheime r’s 
Angaben  dahin  ausgefallen,  dass  weder  die  nervösen  Symptome 
noch  die  Knochenerkrankung  bei  dieser  Behandlungsmethode  beein¬ 
flusst  worden  sind. 

* 

XII.  Vajda  berichtet  über  folgenden  Fall;  Neunjähriger 
Knabe,  seit  drei  Jahren  flüssige,  oft  blutige  Stühle,  die  auch 
während  des  Spitalsaufenthalles  bestanden.  Dabei  hochgradige 
Anämie,  Oedeme  an  den  Beinen,  seröse  Ergüsse  in  die  Brust-  und 
Bauchhöhle;  bei  der  Untersuchung  des  Rectums  fand  sich  die 
Rectumschleimhaut  besäet  mit  kleinen  dichtgedrängten  Geschwülstchen. 
Bei  der  Autopsie  fand  man  den  Dickdarm  mit  hirsekorn-  bis 
bohnengrossen,  glatten,  weichen,  schleimhautartigen  Excrescenzen 
bestreut,  die  mehr  oder  weniger  erhaben  waren  ;  sie  reichen  bis 
ins  Cöcum,  sind  im  Colon  ascendens  und  im  Rectum  besonders 
dicht,  im  S  romanum  sehr  spärlich.  Bei  der  histologischen  Unter¬ 
suchung  wird  die  gleich  gestellte  anatomische  Diagnose  einer  Colitis 
polyposa  bestätigt,  ln  diesem  wie  in  anderen  Fällen  gleicher  Art 
fehlt  aber  jede  Spur  einer  Entzündung  der  Darmschleimhaut;  hie¬ 
durch  unterscheidet  sich  diese  Krankheit  von  jener  von  Roki¬ 
tansky  u.  A.  beschriebenen  Polypose,  welche  auf  dem  Boden 
eines  dysenterischen  Processes  sich  entwickelt.  Verfasser  schlägt 
für  die  Fälle  nicht  entzündlichen  Ursprunges  den  Namen  Poly¬ 
posis  intestinalis  (nach  Ziegler)  vor. 

W  i  1  h.  Kn  o  e  p  f  e  i  m  a  c  h  e  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

86.  Zur  Wirkung  der  Impfungen  gegen  den 
Typhus.  Von  S.  D.  Duckworth.  Wie  bekannt,  wurden  die 
nach  Südafrika  gesandten  Truppen  bis  zu  70°/o  gegen  Typhus, 
und  zwar  mit  einem  von  Prof.  Wright  hergestellten  Serum 
immunisirt.  Den  Injectionen  waren  nur  geringe  äussere  Reactionen, 
etwas  Kopfschmerz,  Röthung  um  die  Injectionsstelle  gefolgt.  Eine 
Woche  später  gab  das  Blutserum  bei  200facher  Verdünnung  noch 
deutliche  WidaTsclie  Reaction.  —  (Brit.  med.  Journ.  17.  No¬ 
vember  1899.) 

* 

87.  Wright  und  Lei  sh  mann  berichten  über  Im¬ 
pfungen,  welche  1898  und  Anfang  1899  bei  den  englischen 
Truppen  in  Indien  gegen  Typhus  ausgeführt  worden  waren. 
Das  Impfmaterial  wurde  aus  abgelödteten  Typhusbacterienculturen 
gewonnen.  Von  2835  Geimpften  waren  27  (G’95%)  an  Typhus 
erkrankt  und  5  (0-2%)  gestorben,  von  8460  nicht  Geimpften 
213  (2-5%)  erkrankt  und  23  (0'34°/0)  gestorben.  —  (Brit.  med. 
Journal.  20.  Januar  1900.) 

* 

88.  Ekzembehandlung  und  der  faradische 
Strom.  Von  Dr.  Vollmer  (Bad  Kreuznach).  Verfasser  macht  auf 
die  Verwendung  des  faradischen  Stromes  bei  der  Behandlung  hart¬ 
näckiger  Ekzemfälle  aufmerksam.  Er  führt  acht  Ekzemfälle  an,  bei 
welchen  jede  andere  Behandlung  vergeblich  gewesen  und  die  auf  täg¬ 
liche,  zehn  Minuten  dauernde  Faradisation  mit  immer  stärker 
werdenden  Strömen  in  etwa  drei  Wochen  vollkommen  ausheilten. 
—  (Therapeutische  Monatshefte.  1899,  Nr.  10.) 

* 

89.  Zur  Behandlung  des  cardialen  Asthma.  Von 
Dr.  A  b  e  e  (Nauheim).  Verfasser  theilt  mit,  dass  die  Anbringung 
einer  Pelotte  in  der  Gegend  der  Herzspitze,  welche  durch  einen 
Gurt  um  die  Brust  herum  festgehalten  wird,  oft  als  sehr  wohl- 
thuend  bei  den  durch  Herzerkrankungen  bedingten  asthmatischen 
Beschwerden  empfunden  werde.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  37.) 

* 

90.  Die  Bedeutung  des  Milch  ei  weisses  für  die 
Fleischbildung.  Von  Dr.  W.  C  a  s  p  a  r  i.  Es  ist  immer  noch 
eine  offene  Frage,  ob  die  einzelnen  Eiweissstoffe,  d.  i.  die  vegeta¬ 
bilischen  und  animalischen,  beziehungsweise  jene,  welche  phosphor- 
hältig  sind,  für  die  Ernährung  einander  gleichwerthig  seien.  Unter 
die  phosphorhältigen  Albumine  gehört  auch  das  Casein  der  Milch, 
welches  auch  in  Form  von  Salzen  (Casein-Ammonium=:Eucasin 
und  Caseinnatriumnutrose)  zur  Herstellung  von  Nährpräparaten  ver¬ 
wendet  wird.  Zur  Beurtheilung  der  Frage,  ob  das  Milcheiweiss  dem¬ 
jenigen  anderer  Nahrungsmittel  für  die  Vermehrung  des  Eiweiss¬ 
bestandes  des  Körpers  überlegen  sei,  hat  C  a  s  p  a  r  i  mit  dem 
»Milcheiweiss  Plasmon«  Stoffwechselversuche  angestellt. 
Letzteres,  aus  frischer  Magermilch  bereitet,  ist  ein  gelbliches, 
geschmack-  und  geruchloses  und  zum  Theil  in  Wasser  lösliches 
Pulver,  das  etwa  73%  Eiweiss  enthält.  Die  Versuche  sollen  sehr 
gute  Resultate  geliefert  haben,  so  dass  nach  Verfasser  dieses  Prä¬ 
parat  in  Anbetracht  seiner  gleichzeitigen  Billigkeit  einen  wirklichen 
Fortschritt  für  die  Diätetik  bedeutet.  —  (Zeitschrift  für  diätetische 
und  physikalische  Therapie.  Bd.  III,  Heft  5.) 

* 

91.  Mors  praecox  ex  haemorrhagia  cerebri 
post  co  i  tum.  Von  Prof.  Gum  p  recht  (Jena).  Es  handelt  sich 
um  eine  tödliche  Ponsblutung  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  eine 
Cohabition.  Die  Trägerin  derselben,  eine  32jährige  Frau  von  ziem¬ 
licher  Excitabilität,  war  nicht  erheblich  arteriosklerotisch,  hatte  sich 
weder  gewohnheitsmässig  noch  vor  dem  Coitus  dem  Alkoholgenuss 
ergeben  gehabt  und  war,  von  einer  für  den  Tod  gleichgiltigen 
Tubeneiterung  abgesehen,  gesund  und  kräftig  gewesen.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  45.) 

* 

92.  Untersuchungen  über  das  Wesen  des  Dia¬ 
betes  mellitus.  Vorläufige  Mittheilung  von  Prof.  Leo  (Bonn). 
Verfasser  hat  schon  früher  die  Ansicht  ausgesprochen,- dass  die  In- 
sufficienz  der  Zuckerverbrennung  in  den  Geweben  des  Diabetikers, 
für  den  Fall,  als  das  Pankreas  nicht  afficirt  ist,  dadurch  veranlasst 


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307 


wird,  dass  im  Körper  ein  toxisches  Agens  circulirt,  welches  auf 
die  zum  Verbrauche  des  Zuckers  nothwendige  Function  hemmend 
wirkt.  Eine  Bestätigung  dieser  Ansicht  findet  Leo  darin,  dass  er 
bei  subcutaner  oder  intraperitonealer  Injection  von  Urin,  der  von 
mittel  schweren  oder  schweren  Diabetesfällen  stammte,  bei  Hunden 
eine  Ausscheidung  von  Zucker  im  Harn  in  einer  Menge  von 
2 — 3°/oi  sogar  einmal  von  8'3%  erzeugen  konnte.  —  (Deutsche 

medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  43.) 

* 

93.  Ueber  »krankheitskeimfreie  Milch«  zur 
Ernährung  der  Säuglinge  wie  zum  allgemeinen 
Gebrauche.  Von  Dr.  S  i  e  g  e  r  t  (Slrassburg).  Nach  den  be¬ 
kannten  Untersuchungen  F  o  r  s  t  e  r’s  bleibt  eine  durch  mindestens 
15  Minuten  auf  65°  C.  erwärmte  Milch  an  Geschmack  und  Aus¬ 
sehen  unverändert,  während  vorhandene  Tuberkelbacillen  ver¬ 
nichtet  werden.  Ein  Aufkochen  der  Milch  vor  ihrer  Verabreichung 
an  den  Säugling  unterbleibt.  Hervorzuheben  ist,  dass  diese  Milch, 
welche  vielfach  durch  den  Grossbetrieb  hergestellt  wird,  in  Strass¬ 
burg  den  ärmeren  Müttern  von  Säuglingen  um  einen  billigeren 
Preis  zugänglich  gemacht  wird,  als  sie  ihn  sonst  für  ihre  ver¬ 
dünnte  Milch  bezahlen  müssen,  indem  die  Stadt  die  Preisdifferenz 
trägt,  da  sie  nach  Verordnung  des  Arztes  ohne  weitere  Umstände 
den  Betreffenden  Controlbücher  zum  Bezüge  der  krankheitskeim¬ 
freien  Milch,  zum  Beispiel  zu  15  statt  20  Pfennige  zur  Ver¬ 
fügung  stellt.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899, 

Nr.  46.)  Pi. 

* 

94.  Histolgie  des  Pemphigus  der  Haut  und  der 
Schleimhaut.  Von  Dr.  Karl  K  r  e  i  b  i  c  h.  (Archiv  für  Derma¬ 
tologie  und  Syphilis.  Bd.  L,  Heft  2  und  3.)  Kreibich  unter¬ 
suchte  bei  14  Fällen  circa  70  Pemphigusbläschen  und  fand,  dass 
der  Blasenbildung  nicht  nur  in  den  meisten  Fällen  eine  klinisch 
nachweisbare  ervthematöse  Entzündung  vorausgeht,  sondern  er  fand 
auch  mikroskopisch  bei  allen  Formen,  auch  jenen,  wo  sich  die 
Blasen  über  scheinbar  vollkommen  normaler  Haut  finden,  in  der 
Umgebung  und  Basis  der  Blasen  die  Zeichen  der  Entzündung  : 
Hyperämie,  Oedem  und  kleinzelliges  Infiltrat,  das  zum  grossen 
Theile  aus  eosinophilen  Zellen  bestand.  Die  Blasen  entstehen 
zwischen  Cutis  und  Epidermis  oder  in  der  Epidermis  selbst;  in 
beiden  Fällen  erfolgt  rasch  Ueberhäutung  der  Basis  von  der 
Peripherie,  von  Follikelresten  und  zurückgebliebenen  Epithelzellen 
aus,  welch  letzterer  Vorgang  im  zweiten  Falle  namentlich  häufig  ist. 
Bei  Pemphigus  foliaceus  fand  sich  eine  bedeutende  Ausdehnung 
der  Blut-  und  Lymphgefässe  in  den  oberen  und  tieferen  Cutis¬ 
schichten  mit  consecutivem  Oedem,  eine  vollständige  Abhebung 
der  Epidermis,  die  sich  nach  der  Regeneration  durch  Verlängerung 
der  .Leisten  und  Verbreiterung  der  Intercellularspalten  auszeichnet. 
Beim  Schleimhautpemphigus  ist  das  ganze  Epithel  abgehoben,  die 
Gefässe  stark  ausgedehnt,  die  freiliegende  Mucosa  ist  ödematös 
durchtränkt,  die  Keime  ihrer  Elemente  zeigen  geringere  Tingibilität. 

Frd. 

* 

95.  Ein  Fall  von  spontanem  Exophthalmus 
pulsans.  Heilung  durch  Ligatur  der  Carotis  com¬ 
munis.  Von  Anton  Gabs ze wie z,  Warschau.  (Gazete  lekarska. 
1900,  Nr.  1.)  Eine  30jährige  Frau  gibt  an,  dass  sie  während  eines 
Hustenanfalles  plötzlich  ein  heftiges  Knacken  im  linken  Auge  ver¬ 
spürte,  wonach  sich  ein  unerträglich  summendes  Geräusch  in  der 
linken  Kopfhälfte  einstellte,  welches  nicht  mehr  schwinden  wollte. 
Als  bald  darauf  auch  bedeutende  Sehstörungen  linkerseits  auf¬ 
traten,  begab  sich  Patientin  ins  St.  Rochusspital,  wo  am  linken 
Auge  folgender  Befund  gemacht  wurde:  Starker  Exophthalmus, 
Ptosis  und  Oedem  des  oberen,  Ektropion  des  unteren  Augenlides, 
Bulbus  etwas  hart  und  schmerzhaft,  seine  Bewegung  nach  aus¬ 
wärts  fast  unmöglich,  etwaige  Pulsation  objectiv  nicht  nachweisbar. 
Pupille  breit  und  starr,  reagirt  nicht  auf  Licht,  Augengrundarterien 
fast  blutleer,  die  Venen  dagegen  strotzend  gefüllt;  auf  der  Netz¬ 
haut  zahlreiche  hämorrhagische  Flecke,  Sehnervpapille  nicht  wahr¬ 
nehmbar.  Sowohl  mit  wie  ohne  Hörrohr  (auch  in  Entfernung)  lässt 
sich  am  linken  Auge  und  an  der  ganzen  entsprechenden  Kopf¬ 
hälfte  rhythmisches,  den  Herztönen  analoges  Geräusch  vernehmen 
Visus  links  =  0.  Auf  Grund  dessen  wurde  ein  Aneurysma  (wahr¬ 
scheinlich  der  Art.  carotis  int.  im  Sinus  cavern.)  diagnosticirt, 


welches  in  Folge  des  Hustenanfalles  platzte  und  die  oben  ge¬ 
schilderten  Veränderungen  nach  sich  zog.  In  der  Chloroformnarkose 
wurde  demnach  die  Carotis  commun.  ligirt,  wodurch  wie  mit  einem 
Schlage  das  summende  Geräusch  schwand,  und  nach  drei  darauf 
folgenden  Wochen  war  keine  Spur  von  Exophthalmus  und  den 
sonstigen  Krankheitssymptomen  mehr  vorhanden.  Visus  links  hat 
sich  derart  gebessert,  dass  Patientin  die  Umrisse  der  Gegenstände 
wahrnehmen  kann.  H.  P. 

* 

96.  Del’Eczemahyperkeratosique  interdigital. 
Par  W.  Dubreuilh.  (Ann.  d.  Dermatolog.  et  de  Syphiligr.  T.  X, 
Nr.  12.)  Dubreuilh  beobachtete  einige  Male  bei  Arthritikern 
eine  hartnäckige,  in  den  Interdigitalräumen  der  Zehen  localisirte 
Dermatose,  welche  am  auffälligsten  den  Charakter  einer  Hyperkera- 
tose  aufwies.  Die  betreffenden  Hautstellen  waren  von  dicken, 
breiten  opaken,  hornigen  Fetzen  bedeckt,  die,  macerirter  Epidermis 
ähnlich,  meist  an  einer  Seite  fest  hafteten  und  sich  nur  mit 
Fissurenbildung  loslösen  Hessen.  Darunter  erschien  die  Haut  ge- 
rötbet,  mit  dünner  transparenter  Epidermis  überdeckt.  Wo  sich  die 
Affection  auf  die  Nachbarschaft  erstreckte,  nahm  sie  das  Aussehen 
eines  vesiculösen  Ekzems  an.  Hyperhidrosis  pedum  bestand 
in  keinem  dieser  Fälle.  Therapeutisch  bewährten  sich  Ichtholalkohol, 
Bleiwasserumschläge,  Chrysarobinsalben  und  Lapispinselungen. 

Frd. 

* 

97.  Lähmung  bei  Diphtheriefällen,  die  mit 
Antitoxin  behandelt  worden  sind.  Von  Dr.  W  o  1 1  a  c  o  1 1 
(London).  Wie  Verfasser  mittheilt  ist  in  den  in  Betracht  kommen¬ 
den  Spitälern  Londons  die  Sterblichkeit  an  Diphtherie  von  29  auf 
15'3%  herabgegangen,  die  Lähmungen  jedoch  im  Jahre  1896  von 
13  auf  21%  gestiegen,  was  nach  der  Meinung  des  Autors  darin 
begründet  ist,  dass  die  eigentliche  Krankheit  jetzt  von  mehr 
Kindern  überstanden  wird,  dafür  aber  auch  mehr  den  Folgen  der¬ 
selben  ausgesetzt  sind.  Unter  472  untersuchten  Fällen  hatte  unter 
Anderem  die  Lähmung  413mal  den  weichen  Gaumen,  91mal  den 
Pharynx,  104mal  die  Augenmuskeln,  125mal  die  Beine  und  51  mal 
die  Arme  betroffen.  —  (Lancet.  1899,  Vol.  R,  Nr.  9.)  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Dr.  Dworetzky  berichtet  über  einige  Fälle  von  entzündlich¬ 
eiterigen  und  septischen  Processen,  welche  mit  wiederholten  Einrei¬ 
bungen  von  löslichem  Silber  =  Unguentum  Crede  behandelt 
worden  waren  und  in  denen  die  gleichen  guten  Erfahrungen  gemacht 
wurden,  wie  sie  schon  von  mehreren  Seiten  berichtet  worden  sind.  — 
(Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  3.) 

* 

Prof.  Galli-Valerio  in  Lausanne  theilt  einen  Fall  mit,  in 
welchem  durch  Verabreichung  von  DO  Salol  beschwerdelos  ein 
Bandwurm  (Bothriocephalus  latus)  abgetrieben  wurde.  —  (Therapeuti¬ 
sche  Monatshefte.  1900,  Nr.  3.) 

* 

Epicar  in  ist  ein  Derivat  der  Creosotinsäure  und  des  ß  Naph- 
thol  und  stellt  ein  in  Alkohol,  Aether  etc.  leicht  lösliches  Pulver  dar. 
Sein  Hauptanwendungsgebiet  sind  nach  Kaposi  alle  Hauterkrankun¬ 
gen  (Scabies  und  Dermatomykosen),  die  bisher  mit  Naphthol  behandelt 
worden  sind,  dessen  unerwünschte  Nebenerscheinungen  jenem  nicht  an¬ 
haften  sollen.  —  (Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  6.) 

* 

Ueber  einige  neuere  Caseinpräparate.  Von  Doctor 
Aufrecht  (Berlin).  Nutrose,  Sanatogen,  Eucasin  sind  in 
diesen  Blättern  wiederholt  besprochen  worden.  Seit  etwa  zwei  Jahren 
ist  das  Plasmon  in  den  Handel  gebracht  worden.  Zu  diesen  Präpa¬ 
raten  zählt  weiters  das  Eulactol,  ein  Präparat,  das  aus  Vollmilch, 
Pflanzeneiweiss  und  Nährsalzen  bereitet  wird  und  in  Pulverform  in  den 
Handel  kommt.  —  (Pharmaceutische  Zeitung.  1900,  Nr.  17.) 

* 

Ueber  Europhen.  Von  Dr.  Saalfeld  (Berlin).  Das 
Mittel,  der  Zusammensetzung  nach  Isobutylorthokresoljodid,  wird  als 
Ersatzmittel  für  Jodoform  empfohlen  und  letzterem  namentlich  bei  der 
Behandlung  des  Primäratfectes  und  Ulcus  molle  vorgezogen.  —  (  Thera¬ 
peutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  3.) 


308 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


Am  25.  d.  M.  starb  hier  Hofrath  Professor  Dr.  Johann 
Hofmokl,  geboren  1840  in  Brzezau  in  Galizien.  Seine  chirurgische 
Laufbahn  begann  er  unter  v.  Dumreicher,  dessen  mehrjähriger 
Assistent  er  war.  Bald  nach  seiner  Habilitirung  wurde  er  Abtheilungs¬ 
vorstand  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  und  Leiter  der  chirurgischen 
Abtheilung  des  Leopoldstädter  Kinderspitales.  Seit  1881  war  er  als 
k.  k.  Primararzt  thätig  und  wurde  1885  zum  Professor  e.  o.  ernannt. 
Seine  zahlreichen  fachwissenschafdichen  Publicationen  wurden  gelegent¬ 
lich  seines  25jährigen  Doctorjubiläums  von  dessen  Schülern  in  einer 
zweibändigen  Gesammtausgabe  vereinigt.  Unter  seinen  Arbeiten  fanden 
die  meiste  Beachtung:  „Experimentelles  über  das  mechanische  Moment 
bei  der  Brucheinklemmung“,  eine  Nachprüfung  der  bekannten  Ver¬ 
suche  von  Busch  und  Lossen,  seine  unter  Stricker  aus¬ 
geführten  Untersuchungen  über  Callusbildung,  ferner  seine  Arbeit 
über  den  intracapsulären  Bruch  des  Radiusköpfchens.  Auch  was  er 
sonst  veröffentlichte,  gibt  Zeugniss  von  seinem  steten  Bestreben,  seine 
ausgedehnte  praktische  Thätigkeit  immer  auf  der  wissenschaftlichen 
Höhe  seiner  Zeit  zu  erhalten.  Schon  zu  einer  Zeit,  in  der  nicht,  wie 
im  gegenwärtigen  Augenblicke,  die  Darmoperationen  zu  den  sozusagen 
alltäglichen  Eingriffen  zählten,  konnte  er  sich  gerade  auf  diesem  Ge¬ 
biete  mit  einer  besonders  günstigen  Statistik  seiner  zahlreichen  ein¬ 
schlägigen  Operationen  ausweisen.  —  Inmitten  arbeitsfroher  Thätigkeit 
erkrankte  Hofmokl  vor  zwei  Jahren  unter  Hämoptoe.  Damals 
wurde  an  ihm  der  Herzklappenfehler  entdeckt,  der  ihn  seither  mit 
nur  verhältnissmässig  kurzen  Zwischenzeiten  anscheinenden  Wohl¬ 
befindens  ans  Krankenzimmer  fesselte.  Von  einer  vor  etwa  Jahresfrist 
erlittenen  Hirnembolie  zwar  bis  auf  Reste  von  Sprachstörungen  leidlich 
erholt,  fühlte  er  doch  nicht  mehr  die  Kraft  in  sich,  in  seinem  ver¬ 
antwortungsvollen  Wirkungskreise  zu  verbleiben  und  kam  um  seinen 
Abschied  ein.  Er  wurde  ihm  unter  allen  Zeichen  allerhöchster  An¬ 
erkennung  gewährt.  Wenige  Wochen  nachher  ist  er  eines  raschen, 
sanften  Todes  gestorben.  Als  Fachmann  geschätzt,  als  biederer  Cha¬ 
rakter  und  allseitig  wohlwollender  Mensch  beliebt,  hinterlässt  er  ein 
hochgeachtetes  Andenken.  A.  F. 

* 

Ernannt:  Hofrath  Albert  in  Wien  und  Professor 
Metschnikoff  in  Paris  zu  auswärtigen  Mitgliedern  der  Aca- 
demie  de  medecine  zu  Paris.  —  Dr.  H.  Oltramare  zum  o.  Pro¬ 
fessor  für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  in  Genf.  ■ —  Dr.  C. 
Gram  zum  Professor  der  Medicin  in  Kopenhagen. 

* 

Verliehen:  Dem  a.  o.  Professor  der  Pharmakologie  zu 
Heidelberg,  Oppenheimer,  der  Hofrathstitel. 

* 

H  a  b  i  1  i  t  i  r  t :  Dr.  Friedrich  Best  für  Augenheilkunde 
in  Giessen.  —  Dr.  K.  Franz  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  in 
Halle.  —  Dr.  M  o  d  i  c  a  für  gerichtliche  Medicin  in  Catania. 

* 

Gestorben:  Der  Laryngologe  Whistler  in  London. 

* 

In  der  am  17.  März  1900  abgehaltenen  Sitzung  des  Obersten 
Sanitätsrathes  gelangten  nach  Mittheilungen  über  Erledigungen 
früherer  Berathungsgegenstände  und  über  sanitäre  Vorkommnisse 
nachstehende  Referate  zur  Berathung  und  Beschlussfassung:  1.  Gut¬ 
achten  über  die  Zulässigkeit  der  Errichtung  einer  Oelgasanstalt  für 
Waggonbeleuchtung.  (Referent :  Prof.  Ludwig.)  2.  Gutachten  über 
Verbesserungen  an  der  Filteranlage  der  Wienthal-Wasserleitung. 
(Referent:  Prof.  M.  Gruber.)  3.  Gutachten  betreffend  die  Regelung 
des  Handels  mit  Eis  in  sanitärer  Beziehung.  (Referent :  Derselbe.) 
4.  Gutachtliche  Aeusserung  über  die  Vervollkommnung  der  statistischen 
Nachweisungen  über  Irrenanstalten.  (Referent  Prof.  v.  Wagner.) 

* 

Preisfragen  für  die  k.  und  k.  Militärärzte  zur 
Erlangung  der  Stiftungen  des  k.  k.  Stabsfeldarztes 
Brendel  v.  Sternberg,  des  Josef  Preissinger,  des 
Regimentsarztes  Dr.  Johann  Wildgans,  des  Josef 
Malliard  und  des  Johann  Zauner.  1.  Die  Unterbringung 
von  A  erwuudeten  und  Kranken  am  Kriegsschauplätze,  insbesondere 
nach  grossen  Gefechten  und  Schlachten.  2.  Ueber  den  Einfluss  der 
Krankheiten  der  Haut  und  des  Bindegewebes  (mit  Ausschluss  der 
acuten  fieberhaften  Exantheme,  des  Rothlaufes,  dann  der  tuberculösen 
und  syphilitischen  Formen)  auf  die  militärische  Eignung  der  Wehr¬ 
pflichtigen  und  die  Dienstbarkeit  der  Soldaten;  Prophylaxe  und  Therapie 
der  bei  Soldaten  am  häufigsten  vorkommenden  derartigen  Krankheits¬ 


formen.  3.  Welche  Aenderungen  erscheinen  angesichts  der  modernen 
Kriegführung  in  dem  Sanitäts  Feldausrüstungsmaterial  des  k.  und  k. 
Heeres,  insbesondere  der  Truppen,  Divisions  Sanitätsanstalten  und  Feld¬ 
spitäler  geboten,  unter  der  Annahme,  dass  in  Hinkunft  die  Hilfsplätze 
von  den  Truppenkörpern  selbst,  speciell  von  den  Infanterieregimentern 
aufgestellt  werdrn.  Welche  von  den  für  das  Feld  normirten  Sanitäts- 
Ausrüstungsgegenständen  —  Arzneien,  Arzneigefässen  und  Apotheker- 
geräthen,  ärztlichen  und  Spitalsrequisiten,  Küchengeräthen,  Wäsche- 
und  Bettsorten,  Victualien  und  Labemittelu  —  wären  auszuscheiden 
oder  durch  neue  Muster  zu  ersetzen  und  welche  Ausrüstungsgegen¬ 
stände  wären  überhaupt  neu  einzuführen?  4.  Wie  gestaltet  sieh  auf 
Grund  praktischer  Erfahrung  der  Einfluss  der  verschiedenen  Krank¬ 
heiten  und  Gebrechen  des  Gehörorganes  auf  die  Kriegsdiensttauglich¬ 
keit  der  Wehrpflichtigen  und  Assentirten,  sowie  auf  die  Eignung  zur 
Militärerziehung?  Welche  Abänderungen  wären  sonach  in  den  bezüg¬ 
lichen  Vorschriften  (Dienstbuch  N  —  1,  Post  Nr.  8  —  13,  und  Dienst¬ 
buch  N  —  26,  Post  Nr.  8  —  13)  angezeigt?  Der  Preis  für  sämmtliche 
Fragen  besteht  aus  je  zwei  goldenen  Medaillen  im  Werthe  von  je 
80  K.  Die  Arbeiten  sind  entweder  von  den  Preiswerbern  zu  unter¬ 
zeichnen,  oder  mit  einem  Motto  zu  versehen,  welches  gleichlautend  und 
mit  Beifügung  des  Namens  und  der  Charge  des  Verfassers  in  einem  ver¬ 
schlossenen  Zettel  der  Arbeit  beigelegt  ist,  und  haben  bis  zum  1.  Ja¬ 
nuar  1901  beim  k.  und  k.  Militär-Sanitätscomite  in  Wien  (IX., 
Währingerstrasse  Nr.  25)  portofrei  einzulangen.  Jene  Bewerber,  welche 
ihren  Namen  nur  in  dem  Falle  genannt  wissen  wollen,  wenn  ihre  Arbeit 
den  Preis  erhält,  mögen  bestimmen,  was  mit  derselben  im  entgegen¬ 
gesetzten  Falle  zu  gesshehen  bat.  Die  Namen  derjenigen  Bewerber, 
welche  einen  Preis  erhalten,  werden  jedes  Mal  bei  der  nächsten  an  die 

k.  u.  k.  Militärärzte  auszugebenden  Ankündigung  neuer  Preisfragen 
bekanntgegeben.  Wien,  im  Februar  1900. 

* 

Unterstützungsverein  für  Witwen  und  Waisen 
der  k.  und  k.  Militärärzte  in  Wien.  Montag  den  30.  April 

l.  J.  um  5  Uhr  Nachmittags  findet  im  Lehrsaale  Nr.  1  der  ehe¬ 

maligen  Josefs-Akademie  (IX.,  Währingerstrasse  25)  die  diesjährige 
ordentliche  Generalversammlung  statt.  Tagesordnung:  1.  Veri- 
ficirung  des  Protokolls  der  vorjährigen  Generalversammlung.  2.  Vor¬ 
lage  des  Rechenschafts  Berichtes  für  das  Jahr  1899.  3.  Bericht  der 

Revisoren.  4.  Mittheilungen  de3  Verwaltungs-Comites.  5.  Eventuelle 
Anträge  von  Vereinsmitgliedern.  (Selbe  müssen  14  Tage  früher  dem 
Verwaltungs-Coniite  angezeigt  werden.)  6.  Wahl  von  Functionären  in 
das  Verwaltungs  Comite  nach  §  22,  dann  für  das  Schiedsgericht  nach 
§  30  der  Statuten  und  als  Revisoren  für  das  Jahr  1900  nach  §  9  der 
Geschäftsordnung.  Damit  die  Generalversammlung  nach  §  27  der 
Statuten  beschlussfähig  sei,  werden  die  P.  T.  Herren  Vereinsmitglieder 
ersucht,  hiebei  zuverlässlich  erscheinen  zu  wollen.  Wien,  den 
17.  März  1900.  Für  das  VerwaltuDgs-Comite :  Der  Präsident:  Doctor 
Moriz  R.  Nagy  v.  Rothkreuz  m.  p.,  k.  und  k.  General- 
Stabsarzt. 

* 

Im  Verlage  von  O.  ß  ö  h  m  e  r  t  in  Dresden  erscheint  unter  dem 
Titel:  „Der  Alkoholismus“  eine  Vierteljahrsschrift  zur  wissen¬ 
schaftlichen  Erörterung  der  Alkoholfrage.  Die  vier  Herausgeber : 
Sanitätsrath  Dr.  Baer  in  Berlin,  Geheimer  Regierungsrath  Professor 
Böhmert  in  Dresden,  Dr.  jur.  v.  Strauss  und  Torney  und 
Dr.  M.  W  a  1  d  s  c  h  m  i  d  t  in  Berlin  gehören  zum  Ausschüsse  des 
Deutschen  Vereines  gegen  den  Missbrauch  geistiger  Getränke.  Das  eis'e 
Heft  der  neuen  Zeitschrift  (Preis  M.  2. — )  ist  bereits  erschienen. 

* 

Berichtigung.  Durch  ein  Versehen  des  Verfassers  ist  der 
für  eine  andere  Arbeit  bestimmte  Kopf:  „Aus  der  IILmedicini- 
schon  Klinik  etc.“  fälschlich  auch  auf  der  in  der  vorletzten  Nummer 
der  Wiener  klinischen  Wochenschrift  erschienenen  Arbeit  Dr.  Eisen- 
menger's:  „Ueber  die  sogenannte  pericarditische  Pseudolebercirrhose 
(Dr.  P  i  c  k)“  gedruckt. 

Freie  Stellen. 

Bei  der  k.  k.  schlesischen  Landesregierung  in  Troppau  gelangt 
die  Stelle  eines  Sanitätsassistenten  mit  dem  Adjutum  jährlicherl200  K 
zur  Besetzung.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihie  gehörig  documentirten, 
mit  den  Nachweisen  über  Alter,  Zuständigkeit,  zurückgelegte  Studien, 
körperliche  Eignung,  sowie  über  die  mit  günstigem  Erfolge  abgelegte  ärzt¬ 
liche  Prüfung  zur  Erlangung  einer  bleibenden  Anstellung  im  öffentlichen 
Sanitätsdienste  bei  den  politischen  Behörden  belegten  Gesuche  bis  längstens 
15.  April  1900  entweder  unmittelbar  oder,  soferne  sie  bereits  im 
öffentlichen  Dienste  stehen,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  bei  dem 
k.  k.  schlesischen  Landespräsidium  in  Troppau  einzubriugen.  Unter  Um¬ 
ständen  können  auch  Bewerber  ohne  Physicatsprüfung  Berücksichtigung 
finden,  soferne  sie  den  Nachweis  über  eine  nach  Erlangung  des  Doctor- 
diplomes  in  einem  öffentlichen  Krankenhause  vollstreckte  angemessene 
Dienstleistung  oder  über  eine  mehrjährige  ärztliche  Privatpraxis  zu 
erbringen  vermögen.  Vom  k.  k.  schlesischen  Landespräsidium.  Troppau,  am 
13.  März  1900. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


309 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Gongressberichte. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Föstversammlung  vom  2  3.  März  1900. 

Zum  Protokoll  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  vom 
16.  März  1900. 


Verein  der  Aerzte  in  Steiermark.  Sitzung-  vom  20.  Januar  und  12.  Fe¬ 
bruar  1900. 

Oesterreichisclie  otologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  29.  Januar  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Festversammlung  vom  23.  März  1900. 

Vorsitzender:  Präsident  Hofratli  R.  Chrobak. 

Schriftführer :  Prof.  R.  Paltauf. 

Prof.  Bergmeister: 

Hochansehnliche  Versammlung, 

Sehr  geehrte  Herren! 

Gestatten  Sie  mir,  in  kurzem  Rückblicke  Bericht  zu  erstatten 
über  die  Leistungen  und  Erlebnisse  unserer  Gesellschaft  in  dem  zu 
Ende  gehenden  63.  Vereinsjahre. 

Zunächst  der  Stand  der  Gesellschaft: 

Am  Schlüsse  des  vorigen  Vereinsjahres  verblieben  532  ordent 
liehe  Mitglieder.  Hiezu  kamen  durch  Neuwahl  42;  11  Mitglieder 

starben  im  Laufe  des  Jahres  und  8  Mitglieder  haben  ihren  Austritt 
aus  der  Gesellschaft  angemeldet.  Es  verbleibt  somit  derzeit  ein  Stand 
von  555  ordentlichen  Mitgliedern. 

Durch  den  Tod  wurden  der  Gesellschaft  entrissen  am  22.  April 
1899  Dr.  Franz  Kar  is,  gewesener  klinischer  Assistent;  am 
26.  Juni  1899  Dr.  Leopold  Heinemann,  emeritirter  Primararzt; 
am  16.  Juli  1899  Dr.  Franz  Cehak,  emeritirter  klinischer  Assi¬ 
stent;  am  23.  Juli  1899  Dr.  Maximilian  Wilhelm  Löwen¬ 
feld,  Stadt-Armenarzt;  am  13.  September  1899  Prof.  Dr.  Karl 
Stoerk,  Vorstand  der  Klinik  für  Laryngologie ;  am  28.  September 

1899  Hofrath  Theodor  Puschmann,  Professor  der  Geschichte 
der  Medicin  an  der  Wiener  Universität;  am  11.  November  1899  der 
königlich  ungarische  Rath  Dr.  Albert  Györy  de  Nadudvar, 
gewesener  Docent  und  Primararzt;  am  4.  December  1899  Dr.  Michael 
Witzinger;  am  31.  Januar  1900  Hofrath  Dr.  Philipp  Knoll, 
Professor  für  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  an  der  Wiener 
Universität;  am  4.  Februar  1900  Dr.  S.  Plohn  und  am  11.  Februar 

1900  Dr.  Leo  Steindler. 

Unter  den  Dahingeschiedenen  sind  Namen,  welche  als  Zierden 
der  medicinischen  Wissenschaft  noch  in  späteren  Zeiten  genannt  sein 
werden.  Die  Gesellschaft  aber  betrauert  Alle  als  treue  wackere  Collegen, 
die,  Jeder  in  seinem  Kreise,  mit  aufopferungsvoller  Hingabe  in  echt 
humanem  Geiste  wirkten  und  durch  die  sittliche  Höhe  ihrer  Lebens¬ 
führung  da3  Ansehen  des  ärztlichen  Standes  zu  mehren  bestrebt 
waren . 

* 

Die  wissenschaftliche  Thätigkeit,  welche  die  Gesellschaft  in 
diesem  Jahre  entfaltete,  muss  als  eine  reiche  und  fruchtbare  bezeichnet 
werden.  - 

In  29  Sitzungen  fanden  21  Vorträge  und  90  Demonstrationen 
statt  und  wurden  6  vorläufige  Mittheilungen  gemacht. 

Von  den  Vorträgen  bezogen  sich  je  4  auf  Fragen  der  internen 
Medicin  und  der  Gynäkologie,  je  2  auf  Chirurgie,  experimentelle  Patho¬ 
logie,  Biologie,  Neuropathologie  und  Mechanotherapie;  ferner  je  1  auf 
den  medicinischen  Unterricht,  auf  Radiographie  und  pathologische 
Anatomie. 

Vorträge  hielten  Benedict  und  Max  Herz  je  2,  P  o  1  la¬ 
tsch  e  k ,  Kaiser,  Goldman,  Wertheim,  Chrobak,  W  e  in¬ 
lech  n  e  r,  Dräsche,  Albert,  Grebner,  Pauli,  H  a  b  a  r  t, 
Knauer,  Einer,  Schauta,  Herzfeld,  Kretz  und 
P i  1  c  z  je  1. 

Von  den  Demonstrationen  betrafen  Chirurgie  28,  Dermatologie 
und  Syphilidologie  12,  Pathologie  und  pathologische  Anatomie  8, 
Radioskopie  und  Radiotherapie  7,  Neuropathologie  6,  Instrumente  und 
Apparate  6,  Ophthalmologie  5,  interne  Medicin,  Gynäkologie,  Laryngo¬ 
logie  inclusive  Bronchoskopie  je  3,  Bacteriologie  2,  experimentelle 
Pathologie,  Parasitologie,  forensische  Medicin,  Otiatrie,  Urologie,  Em¬ 
bryologie  und  Pädiatrie  je  1. 

* 

Demonstrationen  hielten  ab: 

Weinlechner  10,  Paltauf  5,  II  o  c  h  e  n  e  g  g  4,  I.  N  e  u- 
mann,  E.  Lang,  B  ü  d  i  n  g  e  r,  H.  Schlesinger,  II.  v.  Schrötter 


je  3,  P  e  n  d  1,  R.  Kraus,  E.  S  c  h  i  f  f  und  Freund,  E.  Schiff 
allein,  Schopf,  Holzknecht,  C  z  o  k  o  r,  Kaposi,  Schnitzler 
und  S.  K  1  e  i  n  je  2,  M  i  r  1 1,  Wertheim,  Ehrmann,  Matze- 
nauer,  B  e  r  d  a  c  h,  Grünfeld,  R.  Frank,  H.  Benedikt, 
Sachs,  Henning,  A.  J o  1 1  e  s,  Harme  r,  Gärtner,  P  h  e  1 1  a  n , 
Preindelsberger,  A.  Schiff,  J.  Schnabel,  Thur  nw  aid, 
B  e  r  a  1 1,  Politzer,  M.  Sternberg,  A.  Langer,  E.  Ullmann, 
O.  Zucke  rkandl,  E  1  s  c  h  n  i  g  g,  Dörr,  J  e  h  1  e,  II  i  t  s  c  li¬ 
ra  a  n  n,  B  i  e  h  1,  Tandler,  Neurath,  S  p  i  e  g  1  e  r,  Hansy, 
E.  Schwarz,  Herzfeld  und  K  r  ei  d  1  je  1. 

Mittheilungen  machten: 

Fabricius,  E.  Ullmann,  Pal,  Töpfer,  Offer  und 
H  e  i  1 1  e  r  über  diverse  chirurgische,  experimentelle,  physiologische  und 
pathologische  Themata. 

Lebhafte  Discussionen  knüpften  sich  des  Oefteren  an  Vorträge 
und  Demonstrationen ;  ich  hebe  hervor  die  Debatte  über  die  mechani¬ 
sche  Behandlung  von  Herzkrankheiten,  über  Blutdruckmessungen,  über 
Radiotherapie,  über  Ovarientransplantation,  über  die  neue  medicinischo 
Rigorosenordnung  und  über  Enteroptose. 

* 

Nebst  den  wissenschaftlichen  Sitzungen  hielt  die  Gesellschaft 
3  administrative  Sitzungen  ab.  Von  besonderen  Fragen,  welche  hiebei 
zur  Verhandlung  kamen,  sind  zu  erwähnen  die  Frage  wegen  des  Um¬ 
baues  des  Allgemeinen  Krankenhauses  und  die  Frage  über  die  Gestal¬ 
tung  des  österreichischen  internationalen  Urheberrechtes. 

Zur  Berichterstattung  über  beide  Fragen  wurden  Comite’s  ein¬ 
gesetzt  und  über  erstere  in  der  administrativen  Sitzung  vom  16.  Juni 
1899  und  über  die  zweite  in  der  Sitzung  vom  2.  März  1900  Bericht 
erstattet. 

Die  Denkschrift  bezüglich  des  Umbaues  des  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  wurde  vom  Präsidium  den  betreffenden  Ressortministern,  sowde 
dem  Statthalter  überreicht  und  das  Referat  mit  der  Resolution  der 
Gesellschaft  bezüglich  der  Gestaltung  des  österreichischen  internatio¬ 
nalen  Urheberrechtes  an  das  Justizministerium  geleitet. 

Erwähnt  sei  ferner,  dass  Hofrath  Gustav  Braun  seitens  des 
Präsidiums  zur  Feier  seines  70.  Geburtstages  beglückwünscht  wurde, 
sowie  die  Theilnahme  der  Gesellschaft  an  der  Feier  des  Wiener  medi¬ 
cinischen  Doctorencollegiums  anlässlich  des  500jährigen  Bestandes  der 
Acta  Facultatis  medicae  Vindobonensis. 

* 

Dank  der  Initiative  unseres  verehrten  Präsidenten  ist  es  möglich 
geworden,  im  verflossenen  Sommer  dringende  Adaptirungen  zur  Ver- 
grösserung  der  Bibliotheksräume  durchzuführen,  wodurch  voraussicht¬ 
lich  für  einen  längeren  Zeitraum  der  geordnete  Bestand  unserer  stetig 
anwachsenden  Bücherei  sichergestellt  wurde. 

Nicht  unerwähnt  bleibe,  dass  Herr  Karl  Reichert  in  Wien 
am  17.  November  1899  aus  Anlass  der  Vollendung  seines  20.000sten 
Mikroskopes  dieses  Instrument  unserer  Gesellschaft  widmete. 

* 

Ich  bin  mit  meinem  Berichte  zu  Ende. 

Die  Gesellschaft  hat  ein  Jahr,  reich  an  wissenschaftlicher  Arbeit, 
hinter  sich.  Nach  ihrer  ganzen  Vergangenheit  darf  sie  mit  Vertrauen 
der  Zukunft  entgegensehen.  Ihre  Stärke  liegt  in  ihren  Zwecken.  Diese 
sind  die  Förderung  und  Vervollkommnung  der  gesammten  Heilkunde 
und  die  Befestigung  und  Erweiterung  des  freundschaftlichen,  colle- 
gialen  Verhältnisses  unter  den  Aerzten  im  Interesse  des  wissenschaft¬ 
lichen  Fortschrittes.  Die  Verfolgung  dieser  Zwecke  hat  der  Gesellschaft 
Ansehen  und  Ehre  gebracht  —  ihnen  wird  sie  auch  in  Hinkunft  un¬ 
entwegt  treu  bleiben.  (Beifall.) 

* 

Hierauf  gibt  Dr.  Unger  folgenden  Bibliotheksbericht  : 

Hochgeehrte  Herren  ! 

Im  abgelaufenen  Vereinsjahre  hat  sich  der  Bestand  unserer 
Bibliothek  abermals  erheblich  vermehrt  und  erweitert,  theils  duich 
zahlreiche  Geschenke  und  Widmungen,  theils  durch  Anschaffung  neuer 


3L0 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


Werke  und  Zeitschriften  und  durch  Ergänzung  der  vorhandenen 
Lücken.  Wie  alljährlich,  haben  uns  die  hohen  staatlichen,  landes¬ 
fürstlichen  und  communalen  Behörden  auch  diesmal  ihre  amtlichen 
Publicationen  zugewendet  und  ebenso  sind  uns  von  den  wissenschaft¬ 
lichen  Instituten,  Corporationen  und  Vereinen  des  In-  und  Auslandes 
deren  regelmässige  Mittheilungen  und  Berichte,  von  einer  grossen 
Anzahl  unserer  Gesellschaftsmitglieder  ihre  eigenen  Werke  und  Ar¬ 
beiten  nebst  mancherlei  anderen  werthvollen  Geschenken  zugegangen. 

An  grösseren  Spenden  hat  die  Bibliothek  erhalten  : 

Von  unserem  Herrn  Präsidenten  Hofrath  C  h  r  o  b  a  k  die  im 
abgelaufenen  Jahre  erschienenen  Bände  des  von  Nothnagel  heraus¬ 
gegebenen  Handbuches  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie;  die 
Verhandlungsberichte  der  deutschen  Gesellschaft  für  Gynäkologie  und 
den  kürzlich  erschienenen  Suplementband  des  M  e  y  e  r’schen  Conver- 
sationslexikons. 

Von  unserem  ordentlichen  Mitgliede  Herrn  Hofrath  Albert 
eine  Anzahl  werthvoller  medicinischer  Werke  aus  dem  XVI.  und 
XVII.  Jahrhunderte. 

Von  unserem  Ehrenmitgliede  Excellenz  v.  Scherzer  eine  Reihe 
interessanter  Publicationen  aus  dem  Gebiete  der  Anthropologie  und 
prähistorischen  Chirurgie. 

Von  unseren  correspondirenden  Mitgliedern  hat  Herr  Prof.  Orth 
in  Göttingen  eine  Anzahl  von  Dissertationen  aus  seinem  Institute, 
Herr  Prof,  v,  Baumgarten  in  Tübingen  wie  alljährlich  seinen 
Jahresbericht  über  die  pathogenen  Mikroorganismen  und  Herr  Professor 
La  ehr  in  Berlin  seinen  Jahresbericht  der  Psychiatrie  gespendet. 

Ihre  eigenen  Werke  und  Zeitschriften  haben  wir  erhalten  von 
den  Herren  : 

Ilofrath  Kaposi,  Czokor,  Obersteiner,  Breus  und 
Kol  is  ko,  Wölfl  er,  v.  Frisch,  Lang,  Ortner,  v.  Hacker, 
H  a  j  e  k,  Kolisch,  K  e  r  s  c  h  b  a  u  m  e  r,  G  1  a  x,  Proksch, 
Kann,  Pauli,  Winternitz,  Katz  und  Winkle  r.  Eine  Reihe 
anderer  Werke  und  Zeitschriften  haben  uns  gespendet  die  Herren: 
Pas  chkis,  R  e  t  h  i,  Lang,  G  a  1  a  1 1  i,  P  a  1 1  a  u  f ,  P  e  t  r  i  n  i  de 
G  a  1  a  t  z,  Adler,  K  u  n  d  r  a  t,  Pollatsche  k,  Mannaberg, 
Kraus,  Weiss,  Unger  und  zahlreiche  Einzelwerke  und  fort¬ 
laufende  Journale  haben  wir  erhalten  von  der  Redaction  der  Wiener 
klinischen  Wochenschrift  und  den  Verlagshandlungen  Braumüller 

6  Sohn  in  Wien,  Gerold  &  Sohn  in  Wien,  Felix  Alcan  in 
Paris,  Bailliere  in  Paris,  Carre  &  N  a  u  d  in  Paris,  Clausen 
in  Turin  und  Anderen. 

Es  ist  mir  eine  angenehme  Pfl  cht,  allen  den  genannten  Be¬ 
hörden,  Instituten,  Corporationen  und  Vereinen,  den  Ehrenmitgliedern, 
correspondirenden  und  ordentlichen  Mitgliedern  unserer  Gesellschaft, 
sowie  den  Redactionen  und  Verlegern  für  die  wohlwollende  Förderung 
der  Interessen  unserer  Bibliothek  auch  an  dieser  Stelle  den  ergebensten 
Dank  auszusprechen. 

Uebergehend  zur  Besprechung  der  Geschehnisse  innerhalb  der 
Bibliothek  im  abgelaufenen  Jahre,  will  ich  zunächst  bezüglich  der 
neuen  Anschaffungen  bemerken,  dass  die  Bibliotheksverwaltung 
auch  diesmal  bemüht  gewesen  ist,  den  vielfachen  Wünschen  der 
Herren  Mitglieder  entgegenzukommen  und  dieselben  mit  den  Bedürf¬ 
nissen  der  Bibliothek  und  deren  Mitteln  in  Einklang  zu  bringen. 

An  Zeitschriften  wurden  21  Nummern,  darunter  4  in  deutscher, 

7  in  englischer  und  10  in  französischer  Sprache,  an  Werken  38  Num¬ 
mern  angekauft;  unter  den  letzteren  befinden  sich  mehrere  grössere 
Sammelwerke,  Encyklopädien,  Festschriften  und  eine  Anzahl  werth¬ 
voller  Monographien  und  Abhandlungen  fast  aus  allen  Gebieten  der 
praktischen  und  theoretischen  Medicin.  Die  Ankäufe  betrafen  folgende 
Zeitschriften  und  Werke: 

a )  Zeitschriften  : 

1.  Archiv  der  Balneotherapie  und  Hydrotherapie.  Heraus¬ 
gegeben  von  C.  F.  Müller.  Halle  a.  S.  1899  ff.  —  2.  Archiv  für 
Schiff-  und  Tropenhygiene.  Herausgegeben  von  C.  M  e  n  s  e  in  Kassel. 
Leipzig  1897  ft’.  —  3.  Aerztliche  Saehverständigen-Zeitung.  Heraus¬ 
gegeben  von  L.  Becker  und  A.  Leppmann.  Berlin  1900  ff.  — 
4.  Beiträge  zur  experimentellen  Therapie.  Herausgegeben  von 
E.  Behring.  Berlin  und  Wien  1899  ff.  —  5.  Annales  d’Hygiene 
publique  et  de  medecine  legale.  Par  Adelon,  Andral  etc.  Paris  1900  ff. 

G.  Annales  d’Oculistique.  Fondee  par  Cun  i  er  en  1838.  Paris 

1898  ff.  —  7.  Annales  de  medecine  et  Chirurgie  infantiles.  Par 

E.  P  e  r  i  e  r.  Paris  1899  ff.  —  8.  Archives  provinciale  de  Medecine. 
Par  M.  Baudouin.  Paris  1899  ff.  —  9.  Archives  provinciale  de 

Chirurgie.  Par  M.  Baudouin.  Paris  1899  ff.  —  10.  Bulletins  de  la 
Societe  de  Pediatrie  de  Paris.  Paris  1899  ff.  —  11.  Congres  de  Chi¬ 
rurgie.  Treizieme  Congres.  Paris  1899  ff.  —  12.  Nouvelle  Iconographie 
de  la  Salpetriere.  Fondee  par  J.  M.  Charcot.  Paris  1899  ff.  — 
13.  Revue  Neurologique.  Par  E.  Brissaud  et  P.  Marie.  Paris 

1899  ff.  —  14.  Bibliographia  medica  (Index  Medicus).  Directeur- 

fondateur  Marcel  Baudouin.  Paris  1900  ff.  —  15.  Journal  of 


Anatomy  and  Physiology.  By  W.  Turner  etc.  London  1898  ft.  — 
16.  The  Journal  of  Pathology  and  Bacteriology.  By  G.  S.  Wood- 
head.  Edinburgh  and  London  1899  ff.  —  17.  The  Journal  of  mental 
Science.  By  H.  Ray  er,  C.  Norman  etc.  London  1899  ff.  18.  The 
american  Journal  of  Insanity.  By  G.  AlderBlumer.  Utica  (N.  Y.) 
1899  ff.  —  19.  The  american  gynaecological  aud  obstetrical  Journal. 
By  J.  D.  E  m  e  r  t.  New  York  1899  ff.  —  20.  Transactions  of  the 
obstetrical  Society  of  London.  London  1898  ff.  —  21.  Transactions  of 
the  oplithalmological  Society  of  the  united  Kingdom.  London  1899. 

b)  Werke  und  Handbücher: 

1.  Handbuch  der  Gynäkologie.  Herausgegeben  von  J.  Veit. 
Wiesbaden  1897/99.  5  Bände.  —  2.  Handbuch  der  Geburtshilfe.  Heraus¬ 
gegeben  von  P.  Müller.  Stuttgart  1888/89.  3  Bände.  —  3.  Hand¬ 
buch  der  praktischen  Chirurgie.  Herausgegeben  von  E.  v.  Be  r  g- 
m  a  n  n  n,  P.  v.  Bruns  und  J.  v.  Mikulicz.  Stuttgart  1899  ff.  — 
4.  Handbuch  der  Ohrenheilkunde.  Herausgegeben  von  H.  Schwarz  e. 
Leipzig  1892/93.  2  Bände.  —  5.  Handbuch  der  anorganischen  Chemie. 
Herausgegeben  von  O.  Damme  r.  Stuttgart  1899.  4  Bände.  —  6.  Lehr¬ 
buch  der  allgemeinen  Therapie  und  der  therapeutischen  Methodik. 
Herausgegeben  von  A.  Eulenburg  und  S.  Samuel.  Berlin  und 
Wien  1897/99.  3  Bände.  —  7.  Encyklopädie  der  Ohrenheilkunde. 
Herausgegeben  von  L.  Blau.  Berlin  1899.  —  8.  Kölliker  A., 
Handbuch  der  Gewebelehre.  Sechste  Auflage.  1889/96.  2  Bände.  — 
9.  Kirmisson  E.,  Lehrbuch  der  chirurgischen  Krankheiten  ange¬ 
borenen  Ursprungs.  Autorisirte  Uebersetzung  von  C.  Deutschländer. 
Stuttgart  1899.  —  10.  Hermann  L.,  Lehrbuch  der  Physiologie. 
Zwölfte  Auflage.  Berlin  1900.  - —  11.  Bendix  B.,  Lehrbuch  der 

Kinderheilkunde.  Berlin  und  Wien  1899.  —  12.  Sahli  H.,  Lehrbuch 
der  klinischen  Untersuchungsmethoden.  Zweite  Auflage.  Leipzig  und 
Wien  1899.  —  13.  Bechterew  W.  v.,  Die  Leitungsbahnen  im  Ge¬ 
hirn  und  Rückenmark.  Deutsch  von  R.  Weinberg.  Zweite  Auflage. 
Leipzig  1899.  - —  14.  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  und  klini¬ 
schen  Medicin.  Ernst  Lebe  recht  Wagner  gewidmet.  Leipzig 
1887.  —  15.  Beiträge  zur  Physiologie.  Festschrift  für  A  d  o  1  f  F  i  c  k. 
Braunschweig  1899.  —  16.  Klinisch  experimentelle  Beiträge  zur  inneren 
Medicin.  Festschrift  für  Julius  Lazarus.  Berlin  1899.  —  17.  Bern¬ 
heim  B.,  Die  Suggestion  und  ihre  Heilwirkung.  Deutsche  Ausgabe 
von  S.  Freud.  Zweite  Auflage.  Leipzig  und  Wien  1896.  —  18.  B  i  e- 
dert  Ph.,  Die  Kinderernährung  im  Säuglingsalter.  Dritte  Auflage. 
Stuttgart  1897.  —  19.  Edinger  L,  Vorlesungen  über  den  Bau  der 
nervösen  Centralorgane.  Sechste  Auflage.  Berlin  1900.  —  20.  F  in  sen 
Niels,  Ueber  die  Bedeutung  der  chemischen  Strahlen  des  Lichtes 
für  die  Medicin  und  Biologie.  Leipzig  1899.  —  21.  Güter  bock  P., 
Die  Krankheiten  der  Harnorgane.  Leipzig  und  Wien  1890/98.  2  Bände. 

—  22.  Hofmeier  M.,  Die  menschliche  Placenta.  Wiesbaden  1890.  — 
23.  Körner  O.,  Die  eiterigen  Erkrankungen  des  Schläfenbeines.  Wies¬ 
baden  1899.  —  24.  Kühne  Fr.,  Beiträge  zur  Anatomie  der  Tuben¬ 
schwangerschaft.  Marburg  1899.  —  25.  Külz  E.,  Kumpf  Th., 
Aldehoff  G.  uud  Sandmeyer  W.,  Klinische  Erfahrungen  über 
Diabetes  mellitus.  Jena  1899.  —  26.  Mac  e  wen  W.,  Dio  infectiös- 
eiterigen  Erkrankungen  des  Gehirnes  und  Rückenmarkes.  Autorisirte 
Uebersetzung  von  P.  Rudolf.  Wiesbaden  1898.  —  27.  Meyer  R., 
Ueber  epitheliale  Gebilde  im  Myometrium  des  fötalen  und  kindlichen 
Uterus.  Berlin  1899.  —  28.  Oppenheimer  Z.,  Physiologie  des 
Gefühles.  Heidelberg  1899.  —  29.  Pawlow  J.  P.,  Die  Arbeit  der 
Verdauungsdrüsen.  Autorisirte  Uebersetzung  von  A.  Walther.  Wies¬ 
baden  1899.  —  30.  Pfaundler  M.,  Ueber  Magencapacität  und 
Gastrektasie  im  Kindesalter.  Stuttgart  1898.  —  31.  Rubner  M., 
Ueber  Volksgesundheitspflege  und  medicinische  Heilkunde.  Berlin  1899. 

—  32.  Sachs  II.  und  Freud  C.  S.,  Die  Erkrankungen  des  Nerven¬ 
systems  nach  Unfällen.  Berlin  1899.  —  33.  Schrotte r  H.  v.,  Zur 
Ivenntniss  der  Bergkrankheit.  Wien  1899.  —  34.  Win  ekel  F.,  Die 
Pathologie  und  Therapie  des  Wochenbettes.  Berlin  1878.  —  35.  Dra¬ 
ge  n  d  o  r  f  G.,  Die  Heilpflanzen  der  verschiedenen  Völker  und  Zeiten. 
Stuttgart  1898.  —  36.  Loeb  J.,  Einleitung  in  die  vergleichende 
Gehirnphysiologie  und  vergleichende  Psychologie.  Leipzig  1899.  — 
37.  Mittheilungen  und  Verhandlungen  der  internationalen  wissenschaft¬ 
lichen  Lepraconferenz  zu  Berlin.  Berlin  1897.  —  38.  Samm¬ 
lung  klinischer  Abhandlungen  über  Pathologie  und  Therapie  der  Stoff¬ 
wechsel-  und  Ernährungsstörungen.  Herausgegeben  von  Prof.  C.  v. 
N  o  o  r  d  e  n.  Berlin  1900. 

Was  den  gegenwärtigen  Stand  der  Bibliothek  anbelangt,  so 
verhält  sich  derselbe  folgendermassen : 

Der  vorjährige  Stand  an  Einzel  werken  betrug  12.900  Num¬ 
mern;  der  gegenwärtige  Stand  beträgt  13.980  Nummern.  Vermehrung 
180  Nummern. 

Der  vorjährige  Stand  an  Zeitschriften  betrug  570  Nummern ; 
der  gegenwärtige  Stand  beträgt  596  Nummern.  Vermehrung  26  Nummern. 

Unter  den  Zeitschriften  befinden  sich  275  abgeschlossene  Nummern 
und  321  fortlaufende  Nummern,  zusammen  596  Nummern. 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


311 


Unter  den  fortlaufenden  Nummern  befinden  sich  160  abonnirte, 
99  geschenkte  Zeitschriften  und  62  Tauschexemplare.  Diese  321  Nummern 
bilden  zugleich  unseren  diesjährigen  Einlauf. 

Von  den  geschenkten  Zeitschriften  spendeten  die  Redaction  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“  39  Nummern,  Institute,  Verleger 
und  Gönner  60  Nummern,  zusammen  99  Nummern. 

Gebunden  wurden  im  abgelaufenen  Jahre  589  Einzelbände. 

Was  die  Completirung  unserer  Zeitschriftensammlung  an¬ 
belangt,  so  ist  im  abgelaufenen  Jahre  namentlich  eine  grosse  Lücke 
ausgefüllt  worden,  betreffend  das  englischeWochenjournal  „TheLancet“, 
welche  Zeitschrift  nunmehr  vollständig  in  unserer  Bibliothek  vor¬ 
handen  ist. 

Was  endlich  unsere  Duplicatensammlung  anbelangt,  so 
wurden  auch  im  abgelaufenen  Vereinsjahre  zahlreiche  Separata,  Bro- 
churen  und  Einzelwerke  an  eine  Anzahl  von  Mitgliedern  veräussert 
und  die  eingegangenen  Beträge  zum  Ankäufe  neuer  Werke  verausgabt. 

Schliesslich  will  ich  noch  bemerken,  dass  die  Fertigstellung  des 
geschriebenen  Bandkataloges  rüstig  vorwärtsschreitet  und  derselbe 
nunmehr  bis  zum  Buchstaben  H  inclusive  gediehen  ist. 

Ich  schliesse  hiemit  meinen  diesjährigen  Bericht  unter  Wieder¬ 
holung  des  wärmsten  Dankes  an  alle  Gönner  und  Freunde  unserer 
Bibliothek  und  der  Bitte,  diesen  Bericht  zur  Kenntniss  nehmen  zu 
wollen. 

Der  Präsident  spricht  beiden  Bibliothekaren  für  ihre  Mühewaltung 
und  Eifer  im  Namen  der  Gesellschaft  den  Dank  aus. 

Hierauf  hält  Hofrath  Zuckerkandl  seinen  Vortrag. 


Zum  Protokoll  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  vom  16.  März  1900. 

Aus  äusseren  Gründen  verhindert,  zu  den  Demonstrationen  eines 
Falles  von  Blasenpapillom  in  der  letzten  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  das  Wort  zu  ergreifen,  stellen  die  Gefertigten  das  Er¬ 
suchen,  folgende  Bemerkungen  dem  Protokolle  beifügen  zu  wollen. 

Die  unwidersprochene  Hervorhebung  des  erwähnten  Falles  durch 
die  Demonstration  ist  geeignet,  den  Eindruck  hervorzurufen,  als  ob 
Papillome  der  Blase,  wie  die  Operation  derartiger  Geschwülste  als 
seltenes  Vorkommnis  anzusehen  wären.  In  Wirklichkeit  verhält  sich  dies 
anders.  Seit  Einführung  der  Cystoskopie  machen  wir  hier  wie  ander¬ 
wärts,  wo  man  sich  dieses  Hilfsmittels  zu  bedienen  versteht,  die  Be¬ 
obachtung,  dass  die  gestielten  Tumoren  zu  den  häufig  vorkommenden 
gewöhnlichen  Erkrankungen  der  Blase  gehören. 

Die  Exstirpation  von  derartigen  Tumoren  aus  der  Blase  durch 
die  Sectio  alta  wird  entsprechend  häufig  geübt  und  ist  in  allen  ihren 
Einzelheiten  so  ausgebildet,  dass  man  den  Eingriff  füglich  den  typi¬ 
schen  Operationen  zuzählen  kann. 

Wien,  23.  März  1900. 

Dr.  O.  Zuckerkandl.  Prof.  A.  v.  Frisch. 

* 

Der  Gefertigte  erlaubt  sich,  zu  dem  in  der  Sitzung  vom 
16.  März  abgegebenen  Referate  zu  bemerken,  dass  der  Patient  mit  dem 
Papillom  der  Blase  von  Herrn  Prof.  Lang  blos  einmal  cystoskopirt 
wurde,  bei  welcher  Gelegenheit  die  Geschwulst  ganz  deutlich  zu  de- 
monstriren  war. 

Prof.  W  einlechner. 


Verein  der  Aerzte  in  Steiermark. 

Sitzung  vom  20.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Eschericli. 

Prof.  Holl:  Ueber  die  Lage  des  Dünndarmes. 

Die  Beziehung  der  Abhängigkeit  der  Topik  des  Dünndarmes 
von  der  Topik  der  ihn  versorgenden  Gefässe  kann  an  einem  passend 
hergestellten  Injectionspräparat  dargethan  werden.  Der  Rumpf  einer 
Leiche  wurde  eonserrirend  behandelt.  Nach  genügender  Härtung  wurde 
die  Aorta  abdominalis  injicirt  und  später  die  Bauchhöhle  eröffnet.  Der 
ganze  Dünndarm  war  im  linken  Seitenraume  und  im  Mittelraume 
(zwischen  beiden  Musculi  psoas  und  kleines  Becken)  Henk  e’s  ge¬ 
lagert,  die  Radix  mesenterii,  wie  gewöhnlich  entspringend,  lag  der 
hinteren  (linken)  Bauchwand  an.  Der  Dünndarm  war,  wie  folgt,  ge¬ 
ordnet:  Die  ersten  an  die  Flexura  duodeno  jejunalis  sich  anschliessen¬ 
den  Schlingen  bilden  eine  Gruppe  (a),  welche  zu  hinterst  und  oberst 
gelagert  war;  dann  überging  der  Dai m  in  einen  Complex  von  Schlingen 
(b),  welche  vor  a  und  gering  tiefer  lagen ;  dann  folgte  wieder  ein 
Complex  von  oberflächlichen  Schlingen  (c),  aber  tiefer  gelagert  wie  i; 
nun  bildete  der  Darm  eine  Gruppe  von  Schlingen  (d),  welche  tiefer 
und  hinter  c  angeordnet  waren ;  diesen  folgte  eine  Gruppe  von 
Schlingen  (e),  welche  wie  d,  nur  tiefer  Platz  nahmen;  die  Gruppe  von 


Schlingen  (f),  welche  in  der  Fossa  iliaca  lagen,  vermittelte  den  Ueber 
gang  in  den  Darm,  der  in  den  Mittelraum  des  Bauches  gelagert  war 
In  diesem,  also  zwischen  den  beiden  Musculi  psoas  und  kleinem 
Becken,  lagen  Gruppen  von  Schlingen,  fast  möchte  man  sagen  staffel¬ 
weise,  übereinander,  beziehungsweise  untereinander.  Nach  Aufnahme 
des  Befundes  der  Topik  der  Schlingen  wurde  der  Dünndarm  vorsichtig 
vom  Mesenterium  abgetrennt  und  die  Mesenterialgefässe  in  situ  präpa- 
rirt.  Die  Betrachtung  der  Abgabe  der  Zweige  der  Arteria  mesenterica 
superior  erfolgte  in  einer  der  Topik  der  Darmschlingen  ganz  genau 
angepassten  Weise,  d.  h.,  je  nachdem  eine  Gruppe  von  Darmschlingen 
höher  oder  tiefer  lagerte,  entsprang  das  sie  versorgende  Gefäss  auch 
höher  oder  tiefer  von  dem  Stamme  der  Arteria  mesenterica  superior; 
jenes  Gefäss,  welches  einer  Gruppe  von  der  hinteren  Bauchwand  näher¬ 
liegenden  Schlingen  Blut  zuführte,  entsprang  mehr  vom  hinteren  seit¬ 
lichen  Umfange  der  Arteria  mesenterica  superior,  als  jenes,  welches 
eine  oberflächliche  Gruppe  von  Schlingen  zu  versorgen  hatte;  dieses 
entsprang  direct  vom  seitlichen  oder  vom  vorderen  seitlichen  Umfange 
des  Hauptgefässstammes. 

Der  Befund  des  Injectionspräparates  ergab  sohin,  dass  die  Ast¬ 
folge  der  Arteria  mesenterica  superior  eine  gleiche  Topik  aufweist, 
wie  sie  die  einzelnen  Gruppen  der  Dünndarmschlingen  besitzen. 

Prof.  Kraus:  Meine  Herren!  Sehr  dankbar  müssen  wir  dem 
Collegen  Holl  dafür  sein,  dass  er  uns  die  Anschauungen  und  Unter¬ 
suchungen  von  W.  Henke,  Weinberg,  F.  P.  Mall  und 
D.  Sern  off  mitgetheilt  und  insbesondere  durch  eigene  reiche  Er¬ 
fahrung  und  Kritik,  sowie  durch  mit  gewohnter  Meisterschaft  herge¬ 
stellte  Präparate  so  anschaulich  gemacht  hat.  Alles,  was  auf  die  Ini¬ 
tiative  der  französischen  medicinischen  Schule  seit  Ende  der  Aehtziger- 
J  ahre  über  pathologisch  bewegliche  Organe  d  e  r  B  auch¬ 
höhle  klinisch  beobachtet  und  beschrieben  worden  ist  und  eine  so 
grosse  praktische  Bedeutung  erlangt  hat,  kann  ja  nur  dann  erklärt 
und  richtig  behandelt  werden,  wenn  die  mechanischen  Verhältnisse, 
welche  die  abdominalen  Eingeweide  in  ihrer  Lage  unbeweglich  er¬ 
halten,  aufgeklärt  sind.  Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  die  Frage 
über  die  Erhaltung  der  Baucheingeweide  in  ihrer  Lage  bisher  von 
Seite  der  Anatomen  verhältnissmässig  wenig  Bearbeitung  gefunden  hatte. 
Die  vorgetragenen  Untersuchungen  betreffend  den  Typus  des  Verlaufes 
der  Darmwindungen  und  deren  gesetzmässige  Beziehungen 
zur  Bauchwand  sind  gegenüber  der  früher  angenommenen  Regel¬ 
losigkeit  der  Intestina  im  unteren  Bauchhöhlenraum  ein  ebenso  über¬ 
raschender  wie  vielverheissender  Anfang,  trotz  der  zugestandenen  indi¬ 
viduellen  Schwankungen  und  trotz  des  Umstandes,  dass  vorläufig 
wenigstens  für  die  Bedürfnisse  des  Internisten  sofort  praktisch  verwerth- 
bare  Ergebnisse  kaum  vorliegen. 

Während  des  Lebens  ist  die  Masse  des  Dünndarmes  jedenfalls 
stark  verschieblich;  der  feste  Punkt,  von  welchem  aus  dieselbe  leicht 
nach  oben  und  unten  ausweicht,  ist  die  Wurzel  des  Mesenteriums. 
Schon  die  Gestalt  der  Bauchhöhle  ist  ja  recht  veränderlich,  und  bei 
vielen  Individuen  mit  einem  bestimmten  Habitus  genügen  bereits 
gewisse  Lagen  des  Körpers,  den  Dünndarm  nach  der  einen  oder 
anderen  Seite  sinken  zu  machen.  Der  schwangere  Uterus  und  abdo¬ 
minelle  Tumoren  finden  leicht  Platz,  ohne  dass  die  Circulation 
des  Darmes  Schaden  leidet.  Das  Interessanteste,  was  wir  heute  kennen 
gelernt  haben,  ist  der  eine  der  Factoren,  welche  den  in  Unordnung 
gerathenen  Darmwindungen  die  Fähigkeit  und  das  Bestreben  er- 
theilen,  jeweils  wieder  in  die  ursprüngliche  und  günstigste  Lage  zu¬ 
rückzukehren. 

Ausdrücklich  aber  betone  ich  einen  dieser  Factoren.  Denn  es 
gibt  deren  mehrere.  Auch  bei  den  pathologischen  Unregelmässigen 
in  der  Lagerung  der  Baucheingeweide  ist  naturgemäss  zunächst  den 
Bändern  des  Bauchfelles  die  Hauptrolle  zugeschrieben  worden.  Es  ist 
jedoch  wahrscheinlich  geworden,  dass  bei  jenen  „Ptosen“  stets 
mehrere  Factoren  nicht  in  gehöriger  Weise  fungiren.  Gerade  die 
eigentlichen  Fixationsapparate  reichen  bei  voller  Unversehrtheit  sogar 
gegenüber  der  Schwere  der  Baucheingeweide  selbst  nicht  aus,  um  Ver¬ 
schiebungen  der  letzteren  innerhalb  von  Grenzen  zu  verhindern, 
welche  den  ausgesprochensten  Graden  der  pathologischen  Mobilität  nahe 
kommen!  Man  ist  deshalb  darauf  geführt  worden,  den  massgebenden 
physiologischen  Factor,  welcher  die  abdominalen  Eingeweide  an  die 
normalen  Orte  fixirt,  weniger  in  den  peritonealen  Ligamenten  oder  den 
Gefässen,  als  in  den  allgemeinen  Bedingungen  des  nor¬ 
malen  intraabdominellen  Gleichgewichtes  zu  suchen. 
Diese  Bedingungen  sind  bisher  vorwiegend  von  Aerzten  discutirt  worden, 
und  die  Kritik  der  Anatomen  scheint  gegenüber  vielen  vorgebrachten 
Behauptungen  dringend  erwünscht.  Nothwendig  erscheint  eine  solche 
Kritik  sowohl  hinsichtlich  der  Merkmale  der  supponirten  Insufficienz 
des  allgemeinen  Körperbaues,  als  hinsichtlich  der  speciellen  vermeint¬ 
lichen  Störungen  des  intraabdominellen  Gleichgewichtes.  Ich  schlage 
also  vor,  in  die  Discussion  über  den  Vortrag  des  Prof.  Holl  die 
Splanchnoptose  einzubeziehen  und  bin  bereit,  ein  einschlägiges 
kurzes  Referat  zu  erstatten. 


312 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


Docent  Dr.  E.  Payr  betont,  dass  auch  den  Chirurgen  eine 
Anzahl  von  Erscheinungen  bekannt  ist,  die  einen  Zusammenhang  mit 
den  von  anatomischer  Seite  gefundenen  Thatsachen  erkennen  lassen. 

Die  von  anatomischer  Seite  hervorgehobene  Gesetzmässigkeit  der 
Lage  einzelner  Darmabschnitte  hat  einen  praktischen  Hintergrund  inso- 
ferne,  als  May  dl,  den  Angaben  Henke’s  folgend,  bereits  angibt, 
dass  die  oberen  Schlingen  des  Jejunums  mehr  linkerseits  quergelagert 
sind,  während  die  unteren  des  Ileums  mehr  rechts  vertical  angeordnet 
sind,  was  bei  Hindernissen  im  Inneren  des  Darmes  zur  Bildung  von 
durch  Gase  hochgradig  gespannten,  wurstförmigen,  durch  die  Bauch¬ 
decken  sichtbaren  Gebilden  führen  kann,  die  in  der  angegebenen 
Weise  angeordnet  sind.  Dies  kann  auch  diagnostisch  erheblichen  Werth 
zur  Erkennung  des  Hindernisses  haben. 

Was  endlich  das  flache  Anliegen  der  Mesenterialwurzel  an  der 
Wirbelsäule  aulangt,  so  ist  dies  ein  Verhalten,  das  an  der  Leiche 
trotz  Injection  der  Gefässe  und  Härtung  der  Theile  (vor  der  Präpara¬ 
tion)  zweifellos  zu  beobachten  ist;  am  Lebenden  aber,  wo  man  doch 
bei  einer  grossen  Zahl  von  Laparotomien  Gelegenheit  hat,  Eindrücke 
über  die  Lage  der  einzelnen  Theile  in  der  Bauchhöhle  zu  gewinnen, 
kann  dieses  Verhalten  nicht  als  das  normale  gelten.  Gerade  bei  einer 
häufig  zur  Ausführung  gelangenden  Operation  in  der  Bauchhöhle,  der 
Gastroenterostomie,  muss  man  beim  Suchen  und  Vorziehen  der  obersten 
Jejunumschlingen  in  die  unmittelbare  Nachbarschaft  der  Mesenterial¬ 
wurzel  gehen  und  fühlt  man  daselbst  häufig  eine  an  der  hinteren 
Bauchwand  angeheftete  mehr  oder  weniger  nach  vorne  zu  prominente 
Platte,  an  der  wir  in  Folge  ihrer  arteriellen  Blutgefässe  eine  sehr 
mächtige  Pulsation  bemerken,  so  dass  der  reichliche  Blutgehalt  viel¬ 
leicht  verantwortlich  für  die  Differenz  des  Befundts  am  Lebenden  und 
an  der  Leiche  gemacht  werden  kann. 

* 

Sitzung  vom  12.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Esclierich. 

Prof.  Esclierich  begrüsst  die  Versammlung  in  den  neuen 
Räumen  der  pädiatritischen  Klinik. 

Er  bespricht  kurz  die  baulichen  Veränderungen  durch  die  An¬ 
fügung  des  Kaiserin  Elisabeth-Tractes  und  macht  auf  die  Neuerungen, 
Xylolithböden,  Waschtische  nach  Eppendorfer  Muster,  transportable 
Bäder  etc.  aufmerksam.  Seit  Januar  1899  ist  auch  die  Kranken¬ 
abtheilung  der  Landes-Findelanstalt  in  den  Räumen  des  Kinderspitales 
untergebracht  und  der  Vortragende  bespricht  die  Vorkehrungen, 
welche  aus  diesem  Anlasse  für  die  Unterbringung  einer  grösseren  Zahl 
von  künstlich  ernährten  Säuglingen  im  Spitale  getroffen  wurden.  Zum 
Zwecke  der  Vermeidung  der  in  Säuglingsspitälern  so  gefürchteten  Contact- 
infectionen  wurde  die  strengste  Trennung  der  gesunden  von  den 
kranken  und  verdächtigen  Kindern,  eine  ausgiebige  Vermehrung  des 
Pflegepersonals  durch  die  Errichtung  eines  Kinderpflegerinnencurses, 
die  Aufstellung  besonderer  Kästchen  am  Kopfende  eines  jeden  Bettes, 
in  welchem  die  Gebrauchsgegenstände,  wie  Saugflasche,  Schnuller, 
Thermometer  etc.,  für  jedes  Kind  gesondert  aufbewahrt  werden,  und 
ähnliche  Massnahmen  durchgeführt. 

Da  unter  dem  Säuglingsmaterial  einer  Findelanstalt  eine  relativ 
grosse  Zahl  von  frühgeborenen  und  lebensschwachen  Kindern  zu  er¬ 
warten  ist,  musste  auch  die  Beschaffung  von  Wärmeapparaten  vorge¬ 
sehen  werden.  Neben  den  einfacheren  Couveusen  von  Tarnier  und 
einer  L  i  o  n’schen  Couveuse  steht  auch  eine  neu  construirte  Brut¬ 
kammer  zur  Verfügung,  welche  mehrere,  bis  zu  sechs  Säuglingen  auf¬ 
nehmen  kann  und  geräumig  genug  ist,  um  auch  der  Pflegerin  und 
den  Ammen  Zutritt  und  Aufenthalt  zu  gestatten,  so  dass  das  Kind 
auch  während  des  Trinkens,  Badens,  Wickelns  etc.  im  Wärmeräume 
verbleiben  kann.  Die  Temperatur  desselben  beträgt  circa  30°  und 
wird  durch  ein  an  die  allgemeine  Leitung  des  Hauses  angeschlossenes 
System  eiserner,  mit  warmem  Wasser  gefüllter  Röhren  erhalten.  Dieser 
Betrieb  verursacht  dadurch  im  Gegensätze  zu  den  mit  Gas  geheizten 
Couveusen  fast  keine  Kosten.  Elektrische  Contacttbermometer  signali- 
siren,  wenn  die  Temperatur  auf  28°  sinkt  oder  über  33°  C.  ansteigt. 
Die  Luft  wird  von  der  Aussenseite  des  Gebäudes  durch  einen  Canal 
zugeführt,  der  am  Boden  der  Kammer  einmündet;  sie  passirt  einen 
A\  asserfilter  und  streicht  dann  über  die  Heizung  und  eine  von  Pro¬ 
fessor  Pfaundler  angegebene  Anfeuchtungsvorrichtung,  welche 
derselben  einen  Gehalt  von  circa  G0°/0  relativer  Feuchtigkeit 
verleiht. 

In  die  Brutkammer  werden  nicht  nur  Frühgeborene  mit  sub¬ 
normaler  Temperatur  gegeben,  sondern  überhaupt  zu  früh  geborene 
und  lebensschwache  Kinder  mit  geringem  Geburtsgewicht  (unter  2000^). 
Dadurch,  dass  die  Wärmeabgabe  an  die  Umgebung  und  an  die  Ath- 
mungsluft  wegfällt,  bleibt  denselben  ein  wesentlicher,  für  die  Körper¬ 
ökonomie  vielleicht  entscheidender  Energieverlust  erspart.  Es  kommt 
dies  in  einer  raschen  Gewichtszunahme,  in  grösserer  Widerstands¬ 
fähigkeit  der  in  der  Kammer  gehaltenen  Kinder  gegen  Infectionen  zum 
Ausdruck.  Die  Brutkammer  ist  seit  November  1899  dauernd  in  Ver¬ 


wendung  und  die  damit  erzielten  Erfolge  entsprechen  den  Erwartungen. 
Es  wurden  darin  bereits  zwei  Kinder  mit  einem  Anfangsgewicht  von 
weniger  als  llOOy  aufgezogen. 

Prof.  Pfaundler  als  Gast  erläutert  die  von  ihm  angegebene 
Anfeuchtungsvorrichtung  für  die  Luft  der  Brutkammer. 

Dr.  Schmid  stellt  einen  zweijährigen  Knaben  vor,  der  an 
„Creeping  disease“  leidet.  Die  Krankheit  besteht  schon  seit  mehr  als 
zehn  Wochen  und  nimmt  den  von  den  Fällen  Neumann’s  und 
Kaposi’s  her  bekannten  Verlauf.  Bemerkensweith  ist  der  Fall 
S  c  h  m  i  d’s,  weil  der  Patient  von  mehreren  (sicher  von  zwei)  Larven 
derselben  Dipterenart  heimgesucht  ist,  von  denen  ein  Individuum  erst 
in  den  letzten  Tagen  seine  Gänge  zu  graben  begann.  Wie  in  den 
meisten  solchen  Fällen  nahm  auch  hier  der  Hautprocess  an  unbe¬ 
deckten  oder  mangelhaft  bedeckten  Körperstellen  (Oberschenkel  und 
Gegend  der  Nates)  seinen  Anfang  und  verlief  bis  nun  ohne  Compli- 
cationen,  wie  Pustelbildungen  etc.  Der  kleine  Patient  hat  nur  wenig 
unter  Juckreiz  zu  leiden,  worauf  einzelne  kleine  Kratzaffecte  hin¬ 
deuten.  Da  sich  die  Larvengänge  bis  in  die  Analfältelung  verfolgen 
Hessen,  so  wurde  nicht  nur  in  der  Haut  des  Kranken,  sondern  auch 
in  seinen  Excrementen  nach  dem  Erreger  dieser  Myiasis  gesucht  — 
bisher  aber  ohne  Erfolg.  Der  Patient  bleibt  behufs  weiterer  Beob¬ 
achtung  noch  im  Kinderspitale. 

Dr.  Merk  berichtet  anschliessend  über  die  Parasiten,  welche 
frühere  Beobachter  als  Ursache  dieser  Erkrankung  gefunden  zu  haben 
glaubten.  Im  Unterhautzellgewebe  sind  schon  gefunden  worden:  Hypo- 
derma,  Oestromyia,  Dermatobia  und  Cuterebra.  Brauer  beobachtete 
z.  B.,  dass  eine  Larve  von  Oestromyia  satyrus,  auf  seinen  Arm  gesetzt, 
in  der  Haut  verschwand,  bevor  er  die  Loupe  ergriffen  batte.  Einer  von 
diesen  vier  Gattungen  könnte  somit  der  Hautparasit  angehören.  Doch 
müssten  noch  mehr  Beobachtungen  vorliegen,  um  ein  abschliessendes 
Urtheil  fällen  zu  können.  Um  das  Thier  zu  finden,  haben  einige 
Forscher  mit  negativem  Erfolge  Hautstücke  excidirt  und  in  Schnitte 
zerlegt. 

Dr.  Luzzatto  (Triest)  demonstrirt  Originalpräparate  der  soge¬ 
nannten  Keuchhustenbacillen,  welche  dem  Prof.  Esclierich  von 
Dr.  Koplik  (New  York)  sowie  von  Dr.  Czaplewsky  zugesandt 
worden  waren.  Die  Resultate  seiner  in  der  Klinik  durebgeführten 
eigenen  Untersuchungen,  die  sich  auf  über  40  Fälle  erstrecken,  sind 
folgende : 

Er  fand  in  fast  alleu  Fällen  zwei  Arten  von  Bacterien,  von 
welchen  die  eine  dem  C  z  a  p  1  e  v  s  k  y’schen,  die  andere  dem  Koplik- 
scheu  Bacillus  entsprechen  dürfte.  Um  sich  zu  überzeugen,  welche  von 
beiden  Arten  die  specifische  wäre,  hat  Luzzatto  auch  andere  Sputa 
bei  verschiedensten  Krankheiten  der  Respirationsorgane  untersucht. 
Beide  Arten  wurden  mehrmals  gefunden. 

Die  e’-ste  Art,  ein  kurzes,  dickes,  nach  Gram  färbbares  Stäb¬ 
chen,  ist  morphologisch,  culturell  und  bezüglich  der  Virulenz  kaum 
von  dem  Pneumococcus  zu  differenziren  und  gehört  wahrscheinlich  in 
die  grosse  Gruppe  derselben. 

Die  zweite  Art  besteht  aus  einem  dünnen,  schlanken  Bacillus, 
welcher  nach  Gram  sich  nicht  färbt  und  dem  Influenzabacillus  sehr 
ähnlich  ist.  Er  differenzirt  sich  von  dem  letzten  durch  sein  Wachsthum 
auf  menschlichen  serösen  Flüssigkeiten.  Die  intratracheale  Einspritzung 
der  Bacterien  auf  einen  Affen  und  Hunde  verlief  negativ. 

Er  schliesst  nicht  aus,  dass  der  dünne  Bacillus,  welchen  er  Ba¬ 
cillus  minutissimus  sputi  nennt,  der  specifische  Erreger  sein  könnte, 
nachdem  er  ihn  bei  reinen,  uncomplicirten  Fällen  in  grosser  Menge 
gefunden  hat.  Da  er  ihn  aber  auch  bei  anderen  Erkrankungen  fand, 
so  glaubt  er  kein  Recht  zu  haben,  ihn  als  den  specifbchen  Erreger 
zu  erklären. 

Der  Bacillus  sei  jedenfalls  unserer  Aufmerksamkeit  würdig, 
nachdem  er  sehr  leicht  mit  dem  Influenzabacillus,  in  dessen  Gruppe 
Verfasser  ihn  einreiht,  verwechselt  werden  könnte. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Officielles  Protokoll  der  Sitzung  vom  29.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Politzer. 

Schriftführer:  Dr.  Hugo  Frey. 

Der  Vorsitzende  eröffnet  die  Sitzung  mit  folgendem  Nachruf: 

„Verehrte  Versammlung!  Es  obliegt  mii  die  traurige  Pflicht,  die 
erste  Sitzung  unseres  fünften  Vereinsjahres  mit  einer  Trauerbotschaft 
zu  eröffnen.  Einer  der  hervorragendsten  Vertreter  unseres  Faches,  eine 
Zierde  der  otologischen  Wissenschaft,  Dr.  Charles  Delstanchein 
Brüssel,  ist  vorgestern  aus  dem  Leben  geschieden.  In  ihm  verliert 
unsere  Special  Wissenschaft  einen  begeisterten,  nimmer  müden  Mitarbeiter, 
seine  Familie  den  treuesten  liebevollsten  Beschützer,  seine  ihm  näher 
stehenden  Collegen  den  edelsten,  verlässlichsten  Freund.  Einer  hoch¬ 
achtbaren,  angesehenen  Patric ierfamilie  Brüssels  entsprossen,  hatte  er 


Nr.  13 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


313 


sich  frühzeitig  unter  Leitung  seines  Vaters,  eines  geschätzten  Ohren¬ 
arztes,  der  Ohrenheilkunde  gewidmet.  Anfangs  unter  dem  Einfluss  der 
von  seinem  Vater  verehrten  Krame  r’schen  Anschauung  stehend, 
wendete  er  sich  sehr  bald  der  modernen,  pathologisch-anatomischen 
Richtung  zu,  deren  Ergebnisse  er  praktisch  zu  verwerthen  bemüht  war. 
Demgemäss  verfolgen  die  Arbeiten  Delstanche’s  mehr  praktische  als 
theoretische  Ziele.  Es  würde  uns  zu  weit  führen,  hier  auf  die  Leistungen 
Charles  Delstanche’s  ausführlich  einzugehen,  und  wir  beschränken 
uns  hier,  darauf  hinzuweisen,  dass  er  in  der  Erfindung  nützlicher  Appa¬ 
rate,  Instrumente  und  Heilmethoden  geradezu  unerreichbar  war.  Schon 
die  Einführung  der  Massage  des  Trommelfells  und  der  Gehörknöchelchen 
allein  genügt,  ihm  einen  bleibenden  Namen  in  der  otologischen  Wissen¬ 
schaft  für  immer  zu  sichern.  Welch  hoher  Werth  seinen  Leistungen 
beigemessen  wurde,  zeigt  die  Thatsache,  dass  Delstanche  am  letzten 
otologischen  Congress  in  Brüssel  der  Baron  de  Lenval-Preis  einstimmig 
zuerkannt  wurde. 

In  Charles  Delstanche  müssen  wir  aber  nicht  nur  den  Mann 
der  Wissenschaft,  sondern  auch  das  Andenken  eines  Menschen  ehren, 
in  dem  sich  alle  nur  den  edelsten  Charakteren  eigentliümlichen  Tugenden 
vereinigten.  In  hohem  Grade  liebenswürdig,  bescheiden,  wohlwollend 
und  opferwillig,  nahm  er  Jeden,  der  das  Glück  hatte,  mit  ihm  zu  ver¬ 
kehren,  durch  den  Zauber  seiner  Persönlichkeit  gefangen.  Durch  die 
Anerkennung  seiner  Leistungen  befriedigt,  begrüsste  er  stets  mit  Freude 
die  Arbeiten  Anderer  und  förderte  unablässig  die  wissenschaftlichen 
Bestrebungen  seiner  Assistenzärzte,  unter  denen  sein  tüchtiger  und 
talentirter  Sohn  Ernest  berufen  ist,  in  die  Fusstapfen  seines  Vaters 
zu  treten.  Unermüdlich  in  dem  Bestreben,  den  armen  Ohrenkranken 
zu  helfen,  wird  sein  Andenken  in  der  Bevölkerung  Brüssels  unver¬ 
gesslich  sein. 

Mit  dem  Tode  solcher  Männer  erlischt  aber  nicht  auch  ihr  Wirken, 
denn  das  schöne  Beispiel,  das  sie  uns  durch  ihre  unermüdliche  Arbeit 
auf  dem  Felde  der  Wissenschaft  gegeben,  wirkt  noch  lange  befruchtend 
auf  die  wissenschaftliche  Forschung,  und  so  bin  ich  überzeugt,  dass 
auch  das  Leben  und  Wirken  Delstanche’s  noch  lange  anregend 
auf  die  jüngere  Generation  wirken  wird.“ 

Die  Anwesenden  geben  ihrer  Trauer  durch  Erheben  von  den 
Sitzen  Ausdruck  und  ermächtigen  den  Vorsitzenden,  im  Namen  der 
Gesellschaft  ein  Beileidstelegramm  an  die  Hinterbliebenen  D  e  1  s  t  a  n- 
c  h  e’s  abzusenden. 

Der  Vorsitzende  bringt  weiterhin  der  Versammlung  Fol¬ 
gendes  als  Einlauf  zur  Ivenntniss : 

Eine  vom  französischen  Handels-  und  Verkehrsminister  an  die 
Gesellschaft  ergangene  officielle  Einladung  zum  Besuche  des  im 
August  d.  J.  in  Paris  stattfindenden  internationalen  medicinischen 
Congresses. 

Ferner  Gesuche  um  Aufnahme  als  Mitglieder  von  den  Herren 
Dr.  David  Hecht  (Pressburg)  und  Dr.  Rudolf  Steiner  (Wien). 
Beide  Herren  werden  in  geheimer  Abstimmung  einstimmig  zu  Mit¬ 
gliedern  gewählt. 

Wissenschaftlicher  Theil  der  Sitzung. 

1 .  Prof.  Gruber:  Ein  Fall  von  Fistula  auris  con¬ 
genita  mit  Abscessbildung  an  der  linken  Wange. 

Gruber  stellt  eine  17jährige  Patientin  vor,  bei  welcher  sich 
ohne  jedwelche  bekannte  Ursache  zu  einer  angeborenen  Fistel  (theil- 
weises  Offenbleiben  der  Kiemenspalte)  ein  walnussgrosser  Abscess 
gesellte.  Die  Seltenheit  dieser  Combination  sowie  der  Erfolg  der  da¬ 
gegen  eingeleiteten  Therapie  bestimmte  den  Vortragenden,  die  Kranke 
vorzustellen.  Trotzdom  sich  bei  starkem  Druck  auf  die  Geschwulst 
schon  bei  der  ersten  Untersuchung  ein  Tröpfchen  Eiter  bei  der  Fistel- 
Öffnung  entleerte,  versuchte  es  der  Vortragende  dennoch,  um  einer  miss- 
staltenden  Narbe  an  der  Wange  des  Mädchens  auszuweichen,  durch 
Bepinselung  mit  Jod-Opium-Tinctur  mit  gleichzeitiger  Application 
von  Umschlägen,  welche  auf  die  mit  Guttapercha  belegte  Stelle 
applicirt  und  nach  je  drei  Stunden  erneuert  wurden,  Resorption  zu  er¬ 
zielen,  was  nach  einer  achttägigen  Behandlung  soweit  zuStaude  kam, 
dass  nur  mehr  eine  erbsengrosse,  härtliche  Stelle  von  dem  Abscesse 
zurückblieb,  welche  gewiss  in  kurzer  Zeit  bei  fortgesetzter  Behandlung 
vollkommen  geschwunden  sein  wird.  *) 

2.  Regimentsarzt  Dr.  Biehl:  Ein  Fall  von  nach  Punc- 
tion  des  Sinus  sigmoideus  zurückgegangenen  pyämi¬ 
schen  Erscheinungen. 

Patient  (Infanterist  V.  des  bosnisch-hercegovinischen  Regimentes 
Nr.  1)  hatte  be  reits  in  der  Kindheit  Ohrenfluss,  der  aber  vollständig 
aufgehört  hatte;  anfangs  November  vorigen  Jahres  trat  derselbe  nach 

')  Nach  Vorstellung  der  Kranken  betrachtete  sich  diese  als  voll¬ 
kommen  gefeilt  und  blieb  aus  dem  Ambulatorium  weg.  Zur  Zeit,  als 
dieser  Bericht  sich  unter  der  Presse  befindet,  kam  sie  wieder,  nachdem 
sich  eine  bedeutende  Verschlimmerung  einstellte.  Nunmehr  musste  der 
Abscess  eröffnet  und  der  weiteren  chirurgischen  Behandlung  unterzogen 
werden. 


einer  Verkühlung  wiederum  auf;  dabei  bestand  auch  halbseitiger  Kopf¬ 
schmerz  und  Schwindelgefühl.  Als  nun  trotz  oftmals  am  Tage  ge¬ 
wechselten  feuchten  Verbandes  während  seines  bereits  dreiwöchentlichen 
Spitalaufenthaltes  kein  Nachlassen  des  profusen  schleimig-eiterigen 
Ausflusses  und  der  halbseitigen  Kopfschmerzen  zu  bemerken  war,  so 
entschloss  ich  mich  am  22.  Nevember,  trotzdem  keine  Druckempfind¬ 
lichkeit  am  Warzenfortsatze  zu  constatiren,  keine  Temperatursteigerung 
zu  beobachten  war  (am  16.  und  21.  November  sind  37  6  und  37'8 
notirt,  sonst  immer  37' 1,  3 7 *3),  zur  Eröffnung  dos  Warzenfortsatzes. 

Allerdings  ergab  die  Percussion  des  Warzenfortsatzes  dieser  Seite  ge¬ 
dämpften  Schall,  ebenso  erschien  auch  die  auf  den  Scheitel  aufgesetzte 
angeschlagene  Stimmgabel,  auf  dieser  Seite  auscultirt,  schwächer  zu 
klingen,  worauf  ja  Okuneff  aufmerksam  macht;  doch  erwiesen  sich 
mir  diese  beiden  Symptome,  trotzdem  ich  sie  immer  und  immer 
wieder  auf  ihre  Brauchbarkeit  prüfe,  noch  recht  zweideutig  in  Bezug 
auf  ihre  Sicherheit.  Dass  es  aber  in  der  That  höchste  Zeit  war,  dem 
Eiter  Abfluss  zu  verschaffen,  konnte  man  schon  nach  den  ersten 
Meisseischlägen  sehen,  als  derselbe,  sicherlich  unter  hohem  Drucke 
stehend,  aus  den  eröffneten  obeiflächlichen  Zellen  in  grosser  Menge 
abfloss.  Die  erkrankten  Zellen  Hessen  sich  weit  nach  rückwärts  ver¬ 
folgen;  ebenso  musste  auch  die  ganze  Spitze,  da  sie  erkrankt  war, 
entfernt  werden.  Nachdem,  so  weit  mit  freiem  Auge  zu  sehen,  alles 
Krankhafte  entfernt,  für  Abfluss  des  Eiters  aus  dem  Mittelohr  durch 
den  Attic  gesorgt  war,  wurde,  wie  ich  es  immer  in  diesen  Fällen 
thue,  ein  feuchter  Verband  angelegt.  Wiewohl  die  Temperatur  in  den 
ersten  Tagen  nicht  über  37'4  stieg,  fühlte  sich  doch  der  Kranke 
nicht  wohler  und  klagte  namentlich  noch  immer  über  heftige  Kopf¬ 
schmerzen.  Am  25.  d.  M.,  also  drei  Tage  nach  Eröffnung  des  Warzen¬ 
fortsatzes,  stieg  beim  Kranken  die  Temperatur  plötzlich  auf  40'9.  Ob 
er  einen  Schüttelfrost  gehabt,  Hess  sich  nicht  eruiren,  da  die  Bosniaken 
alle,  wenn  sie  bettlägerig  sind  und  besonders  nach  einem  operativen 
Eingriff,  zwei,  manchmal  drei  von  den  schweren  Winterkotzen  auf  sich 
nehmen,  in  denselben  sich  vergraben  und  oft  den  ganzen  Tag  nicht 
daraus  zum  Vorschein  kommen.  Gegen  diese  scheinbar  landesübliche 
Gewohnheit  ist  weder  durch  Strenge  noch  Güte  etwas  auszurichten. 
Da  die  Temperatursteigerung  nur  nachliess,  um  sofort  wieder  die 
frühere  Höhe  zu  erreichen,  zudtm  auch  am  nächsten  Tage  ein 
Schüttelfrost  beobachtet  werden  konnte,  die  Wunde  selbst  in  keiner 
Weise  verdächtig  erschien,  so  entschloss  ich  mich,  gegen  den  Sinus 
vorzugehen.  Der  Puls  war  78 — 80  in  der  Minute,  immerhin  in  An¬ 
betracht  der  hohen  Temperatur  etwas  verlangsamt.  Beim  Aufsuchen 
des  Sinus  zeigte  es  sich,  dass  derselbe  sehr  weit  nach  vorne  gelagert 
war.  Die  knöcherne  Sinuswand  bildete  zugleich  die  hintere  Wand  des 
Attic.  Der  Sinus  wurde  weit  freigelegt,  zeigte,  soweit  er  sichtbar  war, 
deutliche  Pulsation,  nirgends  eine  Verfärbung  seiner  häutigen  Wand. 
Von  der  Erwägung  ausgehend,  dass  allerdings,  so  weit  mit  freiem 
Auge  zu  beurtheilen  war,  nirgends  ein  Krankheitsherd  gefunden 
werden  konnte,  trotzdem  aber  von  irgend  einem  Orte  aus,  nach  dem 
plötzlichen  Ansteigen  der  Temperatur  und  dem  beobachteten  Schüttel¬ 
frost  zu  schliessen,  eine  Allgemeinverschleppung  von  septischem 
Material  stattgefunden  haben  musste  und  mir  als  solcher  weniger  die 
feineren  Gefässe  des  Knochens  als  der  Sinus  selbst,  wenn  er  auch 
makroskopisch  äusserlich  gesund  erschien,  verdächtig  war,  so  ent¬ 
schloss  ich  mich,  denselben,  so  weit  er  frei  lag,  also  vom  Sinus  trans- 
versus  bis  zur  Warzenfortsatzspitze,  zu  eröffnen.  Der  Kopf  wurde  zu 
diesem  Zwecke  etwas  tiefer  gelagert,  um  die  Luftaspiration  möglichst 
zu  verhindern.  Aus  der  Sinuswunde  quoll  reichlich  dunkles  Blut;  so¬ 
dann  wurde  tamponirt  und  wiederum  der  Verband  angelegt.  Der  Er¬ 
folg  war  ein  sehr  günstiger.  Wenngleich  auch  die  Temperatur  noch  in 
den  ersten  Tagen  immer  Fieber  verrieth  (37'8,  38-2),  so  stieg  sie 

doch  nicht  mehr  zu  ihrer  früheren  Höhe,  erreichte  überhaupt  sehr  bald 
ihre  normalen  Grade;  ebenso  stieg  auch  die  Pulsfrequenz.  Mit 
Freuden  theilte  jedoch  der  Kranke  selbst,  und  zwar  unaufgefordert, 
mit,  dass  er  nun  nicht  mehr  die  drückenden  Kopfschmerzen 
verspüre.  Die  Reconvalescenz  ging  langsam,  aber  ungestört  vor  sich. 

Was  nun  die  Eröffnung  des  scheinbar  gesunden  Sinus  anbelangt, 
so  hat  bereits  Hoeftmann  in  einem  Vortrage  auf  dem  18.  Chi- 
rurgencongress  zu  Berlin  im  Jahre  1889  dieselbe  empfohlen,  und  zwar 
bei  Symptomen,  welche  auf  vermehrten  Hirndruck  hindeuten.  Er  Hess 
es  am  Schlüsse  seines  Vortrages  offen,  ob  die  BlutentziehuDg  oder  die 
Trepanation  an  sich  den  günstigen  Erfolg,  über  den  er  in  seinen 
drei  Fällen  berichten  konnte,  hervorgebracht  hatte.  L  e  u  t  e  r  t  be¬ 
richtete  am  letzten  Otologentage  in  Hamburg  über  drei  Kranke,  bei 
welchen  er  durch  Eröffnen  des  Sinus  sigm.  theils  diagnostischen,  theils 
therapeutischen  Erfolg  verzeichnen  konnte.  „In  Anbetracht,  dass  wo¬ 
bei  den  in  Frage  kommenden  Fällen  —  so  sagt  er  bei  dieser  Ge¬ 
legenheit  —  die  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  bereits  gemacht 
haben  oder  jedenfalls  vornehmen  müssen  und  es  daher  eine  Kleinig¬ 
keit  ist,  den  Sinus  freizulegen  und  zu  incidiren,  darf  ich  Ihnen  doch 
vielleicht  empfehlen,  die  Blutentziehung  in  der  Nähe  des  Gehirnes  bei 
zweifelhaften  Fällen  von  Hirnabscessen  in  Anwendung  zu  bringen.“ 


314 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  13 


Boi  dem  heute  demonstrirten  Kranken  war  ja  sicherlich  kein 
Ilirnabscess  anzunehmen,  sondern  ich  würde  mich  eher  zu  der  An¬ 
sicht  entschlossen,  dass  erhöhter  Druck  in  Folge  Flüssigkeits¬ 
ansammlung  innerhalb  der  Meningen  den  Kopfschmerz  verursachte. 
Auch  glaube  ich,  dass  diese  Vermehrung  der  Flüssigkeit  nicht  auf 
eine  Entzündung  der  Hirnhäute,  sondern  eher  auf  eine  Stauung  in 
Folge  beginnender  Entzüudung  zurückzuführen  ist,  worauf  ja  das 
plötzliche  Ansteigen  der  Temperatur  und  die  Schüttelfröste  hindeuten. 
Mit  der  Eröffnung  des  Sinus,  der  dadurch  bedingten  Druckentlastung 
des  Gehirnes  und  dem  Ausschalten  des  Entzündungsherdes  Hessen 
nicht  nur  die  objectiven  Krankheitserscheinungen  eine  bedeutende 
Besserung  erkennen,  sondern  hörten  auch  die  subjectiven  Beschwerden 
vollkommen  auf.  Der  Kranke  zeigt  heute  nur  mehr  eine  kleine,  frisch 
granulirende  Wunde  am  Warzenfortsatze.  Der  Gehörgang  ist  trocken, 
die  Trommelfellmembran  vollständig  vernarbt.  Wegen  seiner  schwäch¬ 
lichen  Constitution  beantragte  ich  ihn  zur  Vorstellung  vor  die 
Superarbitrirungs  Commission,  und  lautet  der  Beschluss  derselben: 
„Invalid  zu  entlassen“. 

Discussion:  Urbantschitsch  fragt,  ob  nicht  vielleicht 
die  Eröffnung  einiger  eitergefüllter,  bei  der  ersten  Operation  über¬ 
sehener  Warzenfortsatzzellen  die  Ursache  der  Besserung  gewesen 
sein  könne. 

Gomperz  theilt  diese  Vermuthung. 

Politzer  glaubt  dem  gegenüber,  dass  die  Auffassung  des 
Vortragenden  nicht  ohne  Weiteres  von  der  Hand  zu  weisen  sei. 

Gruber  bemerkt,  dass  es  wohl  erklärlich  ist,  wie  durch  Blut¬ 
entleerung  aus  dem  Sinus  sigmoideus  die  Schmerzen  vollkommen  ge¬ 
schwunden  sein  können,  da  man  ja  durch  locale  Blutentziehungen 
unter  dem  Proc.  mastoid,  in  sehr  vielen  Fällen  die  Schmerzen  des 
Kranken  lindern  könne.  Ueberhaupt  ist  Gruber  der  Ansicht,  dass 
man  von  den  localen  Blutentleerungen  bei  entzündlichen  Processen, 
wo  es  nur  immer  angeht,  namentlich  um  die  Schmerzen  des  Kranken 
zu  lindern,  häufiger  Gebrauch  machen  sollte,  als  es  jetzt  geschieht. 

Pollak  kann  den  Zusammenhang  der  Kopfschmerzen  mit  der 
Fieberbewegung  nicht  einsehen;  er  vermuthet,  dass  die  bestandenen 
Kopfschmerzen  nur  eine  Folge  des  mechanischen  Insultes  der  ersten 
Operation  gewesen  seien. 

Gomperz  beantragt  Schluss  der  Debatte. 

Gruber  meint,  dass  der  mechanische  Insult  des  Meisseins  nur 
bei  Hirnabscessen  in  Frage  komme. 

B  i  e  h  1  antwortet,  es  sei  bei  der  zweiten  Operation  gewiss  kein 
Eiter  mehr  entleert  worden;  was  den  mechanischen  Insult  betrifft,  so 
glaubt  er,  dass  er  in  diesem  Fall  ausserordentlich  gering  war,  da  der 
Patient,  wie  alle  bosnischen  Soldaten,  die  er  bisher  operirte,  einen  so 
pneumatischen  Warzenfortsatz  besass,  dass  er  dem  Meissei  einen  sehr 
unbeträchtlichen  Widerstand  entgegensetzte. 

3.  Dr.  Singer:  Ein  Fall  von  hysterischem  Schwindel 
nach  Radicalope  ration. 

E.  F.,  17  Jahre  alt,  bekam  im  neunten  Lebensjahre  plötzlich, 
angeblich  ohne  bekannte  Ursache,  im  linken  Ohr  Stechen,  und  einige 
Tage  später  trat  Ohrenfluss  auf.  Nach  ärztlicher  Behandlung  soll  der¬ 
selbe  bald  sistirt  haben.  Seit  dieser  Zeit  klagte  sie  zeitweise  über 
Ohrenstechen.  Vor  zwei  Jahren  suchte  sie  die  Abtheilung  des  Prof. 
C  h  i  a  r  i  auf,  da  sie  durch  die  Nase  sprach,  wie  sie  sich  ausdrückte 
„schnofelte“,  und  furchtbare  linksseitige  Kopfschmerzen  hatte.  Im 
April  1899  wurde  ihr  an  derselben  Abtheilung  ein  Theil  der  links¬ 
seitigen  unteren  Muschel  entfernt,  da  durch  Pinseln  mit  Jodglycerin 
und  Lapislösungen  die  freie  Nasenathmung  nicht  hergestellt  worden 
war.  Nach  dieser  Operation  trat  angeblich  eine  Abscedirung  im  Innern 
der  Nase  auf,  in  deren  Verlauf  wahrscheinlich  eine  Zerstörung  des 
vorderen  Theiles  der  knorpeligen  Nasenscheidewand  mit  narbiger  Ein¬ 
ziehung  erfolgte,  so  dass  eine  noch  heute  sichtbare  Einsenkung  am 
unteren  Drittel  dos  Nasenrückens  entstand.  Auch  beim  Docenten 
Dr.  Hajek  wurde  Patientin  wregen  engen  Nasenraumes  an  der  linken 
unteren  Muschel  des  Oefteren  operirt.  Assistent  Dr.  Oster  setzer 
sah  in  der  Tiefe  desselben  immer  und  immer  wieder  Eiter,  der,  ab¬ 
getupft,  wieder  nachfloss,  so  dass  er  an  ein  Nebenhöhlenempyem 
dachte,  doch  die  Art  des  Auftretens  des  Eiters  sprach  gegen  eine  Er¬ 
krankung  der  Nebenhöhlen  der  Nase,  weshalb  er  zur  Untersuchung 
des  Ohres  Patientin  an  einen  Specialisten  verwies,  der  zu  dieser  Zeit 
im  Ohr  nichts  fand.  Erst  später,  im  Monat  Juni  1899,  traten  bohrende 
Schmerzen  im  Proc.  mastoid,  auf,  worauf  sich  wieder  Ohrenfluss  ein¬ 
stellte,  weshalb  sie  unsere  Abtheilung  aufsuchte.  Wir  fanden  den 
Gehörgang  leicht  verengt,  in  demselben  nur  spärliches  Secret;  nach 
Entfernung  desselben  konnte  man  in  dem  stark  geschwellten  und  leicht 
gerötheten  Trommelfell  eine  Lücke  im  vorderen  unteren  Quadranten 
wahrnehmen.  Patientin  gab  an,  dass  sie  seit  zwei  Monaten  ununter¬ 
brochen  Kopfschmerzen  und  Schwindel  habe.  Es  wurde  nun  Monate 
hindurch  conservativ  behandelt,  ohne  dass  die  missfarbige  Eiterung 


sistirte.  Die  Trommelfellperforation  vergiösserte  sich  zusehends  und 
zeigte  am  Rande  der  Membrana  tympani,  sowie  auch  an  der  sichtbaren 
Paukenschleimhaut  kleine,  röthliche  Granulationen.  Da  die  linksseitigen 
Kopfschmerzen  anhielten  und  die  Klagen  daiüber  besonders  heftig 
w'urden,  der  Schwindel  fortdauerte,  wurde  der  Patientin  die  Radical- 
operation  vorgeschlagen,  die  auch  am  17.  November  1899  ausgeführt 
wurde.  Bei  derselben  ergab  sich  das  Antrum,  die  Paukenhöhle  und 
der  Atticraum  mit  kleinen  Granulationen  erfüllt.  Die  Gehörknöchelchen 
bis  auf  den  Hammergriff,  der  an  der  Spitze  eariös  wTar,  wurden  intact 
befunden.  Nach  der  Operation  hatte  Patientin  durch  etwa  vier  Wochen 
vom  Schwindel  Ruhe  und  auch  die  Kopfschmerzen  waren  gewichen. 
Sie  hatte  keinerlei  Fieber.  Schlaf  und  Appetit  waren  ungestört.  Da 
aber  während  der  Nachbehandlung  reichliche  Granulationsbildung  im 
Gehörgang  auftrat,  wurden  ihr  von  einem  der  Herren  unserer  Ab¬ 
theilung  die  Granulationen  mit  dem  scharfen  Löffel  entfernt  und  die 
Reste  mit  Chromsäure  geätzt.  Gleich  nachher  stellten  sich  heftige 
Schmerzen  im  Ohr,  rasende  linksseitige  Kopfschmerzen,  grosser  Schwindel 
und  Schlaflosigkeit  ein.  Der  Schwindel  hält  nun  an  und  tritt  ganz  be¬ 
sonders  während  der  Nachbehandlung  auf.  Da  der  Gehörgang  leider 
durch  Granulationen  die  Tendenz  zur  Verengerung  zeigt,  muss  derselbe 
immer  tamponirt  werden.  Während  dieser  Tamponade,  doch  auch  beim 
Herausnehmen  des  Jodoformgazestreifens  oder  bei  der  Berührung  des 
Gehörganges  mit  der  Sonde  oder  Pincette  tritt  dieses  Schwindelgefühl 
in  besonders  verstärktem  Masse  auf.  Dasselbe  ist  verschiedenster  Art. 
Manchmal  dreht  sich  Alles  um  die  Patientin,  dann  fühlt  sie  sich  wie 
auf  einem  Schiff  befindlich,  immer  in  schaukelnder  Bewegung,  dann 
wieder  beschreibt  sie  das  Gefühl,  als  ob  sich  der  Fussboden  öffnete  und 
sie  in  die  entstandene  Vertiefung  einsänke.  Patientin  kann  sich  nicht 
vom  Sitz  erheben,  ihre  Fiisse  zeigen  ein  hochgradiges  Schwächegefühl, 
sie  kann  auch  unterstützt  kaum  wenige  Schritte  sich  fortbewegen,  ja 
manchmal  wisse  sie  gar  nicht,  was  mit  ihr  geschähe.  Auch  zu  Hause 
kann  sie  sich  mitunter  nicht  vom  Sitz  erheben,  und  beim  Niederlegen 
ins  Bett  tritt  spontan  ebenfalls  Schwindel  auf.  Aehnliche  Erscheinungen 
soll  sie  aber  auch  während  der  verschiedenen  Nasenoperationen  dar¬ 
geboten  haben.  Während  der  ganzen  Zeit  der  Behandlung  hatte  sie 
keine  subjectiven  Geräusche,  keine  besondere  Gehörsabnahme,  keinerlei 
Uebelkeiten  oder  Erbrechen.  Es  fehlte  jederlei  psychische  Verstimmung, 
im  Gegentheil,  die  gute  Laune  ist  immer  erhalten,  Gedächtnisschwäche 
oder  behindertes  Denkvermögen  fehlt  vollständig.  Chinin  hatte  keinerlei 
Einfluss  auf  den  Schwindel.  An  eine  operative  Verletzung  des  Laby¬ 
rinths,  sei  es  bei  der  Radicaloperation  oder  beim  Auskratzen  der 
Granulationen,  kann  nicht  gedacht  werden,  da  ja  Uebelkeit,  Erbrechen 
und  Nystagmus  fehlte,  wie  sie  Jansen  als  regelmässiges  Symptom  der 
Verletzung  des  gesunden  Labyrinths  beschreibt.  Ebenso  auszuschliessen 
ist  jede  meningeale,  cerebellare,  tabische,  epileptische  oder  Meniere’sche 
Erkrankung,  die  den  Schwindel  aufklären  würde.  Es  handelt  sich  in 
diesem  Fall  wahrscheinlich  um  eine  hysterische  Ueberempfindlichkeit, 
obwohl  man  auch  an  die  von  Prof.  Urbantschitsch  in  seinem 
Lehrbuch  besonders  betonten  refleetorischen,  von  sensitiven  Aesten 
des  äusseren  und  mittleren  Ohres  ausgehenden  Erregungen  denken 
könnte. 

(Schluss  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  30.  März  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Weilllechner 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Verkündigung:  des  Wahlresultates. 

2.  Prof.  Benedikt :  Therapie  der  Tabes. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  A.  Politzer,  Professor 
Weinleclmer,  Dr.  J.  Tlienen,  Ilofrath  Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt 
Docent  Dr.  Habart,  Dr.  A.  Julies,  Docent  Dr.  Re  tili,  Regimentsarzt 
Dr.  J.  Fein  und  Prof.  Englisch. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  5.  April  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Ilörsaale  der  laryngologiscben  Klinik  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Cliiari 
stattfindenden  Sitzung. 

1.  Demonstrationen. 

2.  Discussion  über  den  Vortrag  des  Herrn  Docenten  Dr.  Grossinann : 
Die  Functionen  des  M.  cricothyreoideus. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Wiener  klinische  Wochenschrift 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshaadlung. 

Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkand!. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Grussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  I)r.  Alexander  Fraenkel. 


Abonnementspreis 
jährlich  2j  K  —  20  Mark. 
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tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
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Postämtern,  sowie  auch  von 
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nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  ßO  h  =  50  Pf.  pro 
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zeile  berechnet.  Grössere 
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Telephon  Nr.  6034. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  5.  April  1900. 


Hr.  14. 


I  UNTIED  .A.  ILT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  der  Innsbrucker  Universitäts-Frauenklinik.  Zu 
Alexander’s  inguinaler  Verkürzung  und  Befestigung  der 
runden  Mutterbänder  bei  Rückwärtslagerung  des  Uterus.  Von  E. 
Ehrendorfer. 

2.  Aus  dem  bacteriologischen  Laboratorium  der  deutschen  Universitäts- 
Frauenklinik  (Vorstand  Prof.  Sänger)  zu  Prag.  Weitere  Unter¬ 
suchungen  über  den  Keimgehalt  der  weiblichen  Urethra.  Von  Dr. 
Ferdinand  Schenk  und  Dr.  Lothar  Austerlitz, 
Assistenten  der  Klinik. 

3.  Erwiderung  auf  Dr.  Eisenmenger’s  Aufsatz:  »Ueber  die 
sogenannte  Pseudolebercirrhose  (Fr.  Pick)«  in  Nr.  11  dieser 
Wochenschrift.  Von  Dr.  FriecLa!  Pick,  Privatdocent  für  innere 
Medicin  in  Prag. 


4.  Ueber  die  Hämamöben  im  Blute  Leukämischer.  Von  Prof.  Dr.  M- 
L  ö  w  i  t,  Innsbruck. 

5.  Bemerkungen  zu  obiger  Erwiderung.  Von  Dr.  W.  Türk. 

II.  Feuilleton :  Jos.  Gruber.  Nekrolog  von  Josef  Pollak. 

III.  Referate:  I.  Atlas  und  Grundriss  der  Gynäkolögie.  Von  Dr.  Oskar 

Schaeffer.  II.  Anatomischer  Atlas  der  geburtshilflichen 
Diagnostik  und  Therapie.  Von  Dr.  Oskar  Schaeffer. 
III.  100  illustrirte  Fälle  aus  der  Frauenpraxis.  Von  Dr.  A. 
Auvard.  IV.  Handbuch  der  Gynäkologie.  Von  J.  Veit. 
V.  Ueber  den  Abortus.  Von  Dr.  Oskar  Pierin  g.  Referent 
Savor. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbericlite. 


Aus  der  Innsbrucker  Universitäts-Frauenklinik. 

Zu  Alexander’s  inguinaler  Verkürzung  und  Be¬ 
festigung  der  runden  IVIutterbänder  bei  RLick- 
wärtsiagerung  des  Uterus. 

Von  E.  Ehrendorfer. 

Nach  einem  mit  Demonstration  von  Fällen  verbundenen  Vortrage  in  der 
wissenschaftlichen  Aerztegesellschaft  zu  Innsbruck  am  10.  Februar  1900. 

Wenn  auch  die  Folgen  nach  den  häufigen  Rückwärts¬ 
lagerungen  der  Gebärmutter  theilweise  überschätzt  worden 
sind,  so  halten  doch  erfahrene  Frauenärzte  mit  wenigen  Aus¬ 
nahmen  mit  Berechtigung  daran  fest,  dass  den  Retroversio- 
flexionen,  selbst  wenn  sie  nicht  complicirt  sind,  in  pathologischer 
Richtung  eine  wesentliche  Bedeutung  zukomme,  indem  viel¬ 
fach  sehr  lästige  Beschwerden  auch  bei  beweglichen  Verlage¬ 
rungen,  nur  durch  diese  allein  hervorgerufen,  sehr  häufig  bis 
zur  Behebung  der  fehlerhaften  Lage  andauern.  Eben  diese  durch 
die  Falschlagen  des  Uterus  verursachten  Beschwerden  führten 
für  jene  Fälle,  in  welchen  zunächst  die  conservative  allge¬ 
meine,  sowie  locale  Behandlung  vergeblich  angewendet  oder 
aus  bestimmten  Gründen  ungeeignet  war,  die  Noth wendigkeit 
herbei,  die  vorhandenen  Störungen  durch  Herstellung  der 
Normallage  des  Uterus  auf  operativem  Wege  dauernd  zu 
beseitigen.  Einen  sehr  geeigneten  Angriffspunkt  schienen  hiefür 
die  runden  Mutterbänder  zu  bieten,  deren  Kürzung  im  Allge¬ 
meinen  principiell  richtig,  auch  vielfach  versucht  worden  ist 
und  zwar  entweder  für  sich  allein  oder  in  Combination  mit 
anderen  Verfahren.  Aufgesucht  wurden  die  Bänder  entweder 
nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  von  der  Bauehwand,  oder 
von  der  Scheide  her,  oder  ohne  Eröffnung  der  ersteren  von 
den  Leistencanälen  aus. 


Indem  ich  nur  das  letztere  Verfahren,  die  älteste  und 
nach  vielfacher  Anfeindung  immer  wieder  an  die  Tagesordnung 
gesetzte  Methode  —  die  A  1  e  x  ander’sche  Operation  im  Allge¬ 
meinen  —  in  den  Kreis  unserer  Betrachtungen  ziehen  will, 
hebe  ich  hervor,  dass  ich  jedem  der  bekannten  operativen 
Hauptverfahren  zur  dauernden  Beseitigung  der  Rückwärts¬ 
lagerungen  des  Uterus,  sei  es  dass  letzterer  unmittelbar  an 
benachbarte  Stellen,  oder  mittelbar  durch  Bänderverkürzung 
in  der  neuen  Lage  befestigt  wird,  je  nach  bestimmten  Ver¬ 
hältnissen  ihre  völlige  Berechtigung  zuerkenne.  Keine  dieser 
ungleichwerthigen  Methoden  passt  für  alle  Fälle,  keine  einzige 
von  ihnen  stellt  sowohl  in  anatomischer  Richtung,  als  in 
Leistungsfähigkeit  absolut  normale  Verhältnisse  her  und  wirkt 
vollkommen  verlässlich  ohne  Recidive  und  Störungen.  Ich  er¬ 
achte  es  daher  für  unzweckmässig,  zu  Gunsten  der  einen  Ope¬ 
ration  andere  in  bestimmten  Fällen  sehr  bewährte  Methoden 
in  ihrem  Werthe  herabzusetzen. 

Wählt  man  individualisirend  die  richtigen  Fälle  aus,  so 
ist  es  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  unzweifelhaft,  dass  für 
die  operative  Geraderichtung  des  retroflectirten  Uterus  die 
A 1  ex  a  n  d  e  r’sche  Operation  in  erster  Linie  passt.  Diese  Me¬ 
thode,  welche  die  Kürzung  der  Ligamenta  rotunda  vom  Leisten¬ 
canal  erstrebt,  schafft  für  die  Lage  und  Function  des  Uterus 
nicht  nur  nahezu  normale  Verhältnisse,  sondern  ist  beinahe  so 
ungefährlich  als  die  Pessarbehandlung,  wobei  sie  vielfach  con- 
statirte  dauernde  Erfolge  bietet.  Sie  hat  sieh  allmälig  trotz 
getheilter  Beurtheilung  als  werthvolles  operatives  Hilfsmittel, 
als  leistungsfähiges  Lagecorrigens,  eine  gesicherte  Stelle  in  der 
Gynäkologie  erstritten. 

Obwohl  durch  verschiedene  in  neuerer  Zeit  zweckmässig 
angebrachte  Abänderungen  verschiedene  Mängel  der  A 1  e- 
x  a  n  d  e  r’schen  Operation  beseitigt  wurden,  und  dieselbe  unter 
gleichzeitig  strenger  Festhaltung  an  bestimmten  Vorbedingun- 


316 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


gen  und  Anzeigen  ein  grösseres  Vertrauen  sich  erworben  hat, 
so  sind  doch  zur  abschliessenden  Beurtheilung  eine  grosse  Zahl 
von  erwiesenen  Dauerheilungen  nöthig.  Massgebend  für  die 
Dauererfolge  können  aber  wiederum  nur  jene  Fälle  sein, 
welche  nach  möglichst  genau  durchgeführtem  erprobtem  Vor¬ 
gehen  operirt  worden  sind.  Es  müssen  deshalb  auch  bei  diesem 
Verfahren  in  der  Zukunft  technische  Fehler  vermieden  und 
muss  insbesondere  als  eine  wichtige  Grundbedingung  das  nach¬ 
trägliche  Zustandekommen  von  Hernien  verhütet  werden.  Die 
mangelhafte  Beherrschung  der  Technik  der  Alexander- 
schen  Operation  hatte  Schwierigkeiten  in  der  Auffindung  der 
runden  Mutterbänder  und  manche  davon  abhängige  Misserfolge 
zur  Folge  gehabt.  Noch  ein  weiterer  Umstand  gibt  zu  einer 
eingehenderen  Besprechung  Anlass. 

Aus  Oesterreichs  Schulen,  beziehungsweise  Anstalten 
liegen  nur  sehr  wenig  Berichte  über  das  besagte  operative  Ver¬ 
fahren  vor  und  scheint  demnach  dasselbe  hier  noch  keinen 
festen  Boden  gefasst  zu  haben.  Auch  sind  in  den  meisten 
neuen  Lehrbüchern  der  Gynäkologie  so  unzulängliche  Beschrei¬ 
bungen  von  der  Operation  gegeben,  dass  Jemand,  der  seine 
ersten  Versuche  in  dieser  Richtung  anstellt,  mitunter  mit  be¬ 
trächtlichen  technischen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  haben 
und  leicht  zum  Aufgeben  weiterer  Versuche  veranlasst  werden 
kann.  Ueber  die  Wichtigkeit  und  Art  der  freien  Prä¬ 
paration  des  Bandes  und  dessen  ausreichende  Verkürzung,  über 
die  Bedeutung  und  Art  des  festen  Verschlusses  des  Leisten  - 
canales  wird  vielfach  nichts  oder  Unvollständiges  erwähnt. 
Dabei  findet  man  stellenweise  leicht  zu  Missverständnissen 
führende  Bezeichnungen  der  oberen  Bauchwandfascien. 

Indem  ich  auf  Grund  eigener  Erfahrung  an  einer  Reihe 
von  Fällen,  über  die  später  in  grösserer  Zahl  und  nach  längerer 
Beobachtungsdauer  berichtet  werden  soll,  hauptsächlich  über 
diesen  technischen  Theil  der  moditicirten  A  1  ex  a  nd  e  r’schen 
Operation  ausführlicher  sprechen  möchte,  soll  gleichzeitig  ein 
zusammenfassendes  Uebersichtsbild  dieser  Operation  und  ihrer 
Leistungen  mit  entworfen  werden. 

Ueberblicken  wir  zuvor  den  geschichtlichen  Entwicklungs¬ 
gang  der  inguinalen  Ausschaltung  von  Theilen  der  Ligamenta 
rotunda,  die  zum  Zwecke  einer  Lageverbesserung  der  Gebär¬ 
mutter  unternommen  wurden,  so  wurde  dieselbe  bekanntlich 
zuerst  von  französischer  Seite  vorgeschlagen  [Alquie1)  bei 
Gebärmuttervorfall  1840,  bei  Retroflexio  uteri  Aran],  durch 
englische  Aerzte  jedoch  erst  in  die  Praxis  eingeführt  (W.  Ale¬ 
xander  1881,  etwas  später  Adams).  Nach  einem  kurzen 
Hautschnitte  über  der  äusseren  Leistenöffnung  wurde  das  runde 
Mutterband  an  dieser  Stelle  peripher  isolirt,  mehr  minder  in 
der  Richtung  des  natürlichen  Verlaufes  aus  dem  äusseren 
Ringe  hervorgezogen,  gekürzt,  die  Stümpfe  desselben  an  die 
Leistenringschenkel  und  diese  wieder  untereinander  vernäht.2) 

Gegen  Ende  der  Achtziger-Jahre  war  die  endgiltige  Methode 
Alexander’s  (auch  Alqui6-AIexander  oder  A 1  e- 
xander-Adams)  im  Auslande  viel  geübt  und  trat  eine  Reihe 
von  tüchtigen  Operateuren  für  dieselbe  warm  ein  (P  o  1  k, 
Munde,  Edebohls,  Cleveland,  Johnson,  Lusk, 
D  o  1  e  r  i  s,  Beurnier,  T  r  e  1  a  t,  S  e  g  o  n  d,  Schwartz, 
Riviere,  Pozzi,  Petit,  Slavjansky,  Grussdew). 

In  Deutschland  lehnte  man  diese  Operation  nach  ab¬ 
fälliger  Beurtheilung  grundsätzlich  ab  (Gynäkologischer  Con¬ 
gress  München  1886).  Mehrfache  Schwierigkeiten  in  der  Auf¬ 
findung  des  runden  Bandes  im  äusseren  Leistenringe  führten 
zu  der  nothwendigen  Forderung,  dass  neben  Verlängerung  des 
Hautschnittes  der  Leistencanal  gespalten,  das  runde  Mutter¬ 
band  in  demselben,  und  zwar  möglichst  central,  aufgesucht 
und  sorgfältig  präparirt  werde  (Edebohls,  C  h  a  1  o  t, 
Kocher,  Werth,  Küstne  r).  Ein  erhöhtes  Interesse  gewann 
die  Operation  in  Deutschland,  als  Kocher  (Lanz  1893)  die 

’)  Die  ausführlichen  Literaturangaben  finden  sich  im  Centralblatt  für 
Gynäkologie,  in  FrommeFs  Jahresberichten,  in  He  gar  und  Kalten- 
bacli’s  Lehrbuch  der  Gynäkologie,  in  der  Monatsschrift  für  Geburtshilfe 
und  Gynäkologie,  in  P  o  z  z  i’s  Lehrbuch  u.  s.  w. 

~)  Zusammenbinden  der  Lig.  rot.  unter  der  Haut  —  Gardener; 
Kreuzung  derselben  unter  der  Haut,  Vernähung  mit  der  Umgebung  und 
untereinander —  Casati,  Dole  r  is;  Verknüpfung  der  Ligamenta  um  die 
seitlich  durchlochten  Leistenpfeiler  und  Naht  —  S  e  g  o  n  d. 


Kürzung  der  Ligamenta  rotunda,  behufs  Geradrichtung  und 
Elevation  der  vorgefallenen  Gebärmutter  vornahm:  Grosser 
Schnitt  jederseits  zwischen  der  Spina  a.  s.  und  dem  Tuberc. 
pubic.,  centrales  Aufsuchen  des  Lig.  rot.  nach  ausgiebiger 
Spaltung  des  Leistencanales,  kräftiges  Vorziehen  der  Bänder 
seitlich  nach  aussen  gegen  die  Spinae  a.  s.  Festnähen  der¬ 
selben  an  dieser  Stelle,  daher  ausserhalb  des  Leistencanales 
aussen  auf  der  Apon.  des  M.  obl.  ext.,  Verschluss  des  Leisten¬ 
canales  und  der  Hautwunde.  Aufgemuntert  durch  die  viel¬ 
fachen  auswärtigen  Erfolge  gewann  die  modificirte  Alexan- 
d  e  r’sche  Operation  nach  Beseitigung  einzelner  Fehler  und  auf 
Grund  weiterer  Versuche,  sowie  voller  Anerkennung  mass¬ 
gebender  Fachmänner  (Werth,  Küstner)  eine  Reihe  neuer 
Anhänger  und  eifriger  Verfechter  seit  Mitte  der  Neunziger- 
Jahre.  In  Wien  wurde  nach  sonstigen  aufgegebenen  Versuchen 
Einzelner  eine  wichtige  Modification  der  A  1  e  x  a  n  d  e  r’schen 
Operation  durch  Fabricius-v.  Erlach  (Anfangs  1895, 
publicirt  im  gleichen  Jahre  im  Centralblatt  für  Gynäkologie) 
insoferne  angegeben,  als  diese  Operation  mit  dem  vollständigen 
Verschlüsse  des  Leistencanales,  entsprechend  Bass  ini’s  Vor¬ 
gang  bei  Radicaloperation  der  Leistenhernien,  combinirt  worden 
ist.  Etwa  zu  gleicher  Zeit  operirte  F.  Rumpf  (Berlin)  in 
derselben  Weise  (vom  Mai  1895  an,  publicirt  1898  im  Archiv 
für  Gynäkologie),  welcher  die  vorgenannten  Wiener  Autoren 
nicht  citirt. 

Indessen  mehrte  sich  auf  verschiedenen  Congressen  und 
in  Gynäkologen-Gesellschaften  das  Interesse  für  Alexan¬ 
der’s  Operation,  beziehungsweise  deren  Modificationen,  und 
traten  eine  Reihe  von  Autoren  auf  Grund  ihrer  Erfahrungen 
für  die  Richtigkeit  und  Ungefährlichkeit  der  Methode  ein 
(Gelpke-Städler,  Kummer,  Stocker,  Pernice  mit 
eigener  Nahtversorgung),  ebenso  traten  am  Leipziger  Congresse 
1897  Olshausen,  J.  Veit  und  Fritsch  auf  Grund  der 
Vorzüge  für  die  weitere  Verbreitung  des  Verfahrens  ein. 
Seitdem  sind  wieder  günstige  Berichte  von  verschiedenen 
Seiten  her  bekannt  geworden  (Calmann  -  Asch,  Fraser- 
J.  Veit,  Pfannenstiel,  Füth-Rotter,  Wahl,  Flais  ch- 
len,  Bröse,  Kötschau,  Krönig -Zweifel  und  Andere). 

Nähere  anatomische  Untersuchungen  des  Lig.  rot. 
lieferten  Doleris-Ricard,  Kummer,  Beuttner, 
Eisler  —  über  die  Tragkraft  der  Bänder  berichteten  Polk, 
Beurnier,  Lanz. 

Anatomische  Schwierigkeiten  und  Misserfolge  bei  dieser 
Operation  begegneten  Ungeübten  zumal  wenn  das  Band,  wie 
früher  zumeist,  peripher  daher  in  der  Gegend  des  äusseren 
Leistenringes  aufgesucht  und  ohne  Spaltung  des  Canales  frei¬ 
gemacht  schliesslich  hervorgezogen  wurde.  Da  misslang  zu¬ 
weilen  die  Operation  wegen  Dünnheit,  leichter  Zerreisslichkeit 
und  starker  Auffaserung  des  Bandes  an  dieser  Stelle,  nicht 
zum  mindesten  in  Folge  Ungeduld  des  Operateurs.  Bei  vor¬ 
sichtigem  geschickten  Präpariren,  wenn  das  Band  central 
gegen  den  inneren  Ring  zu,  wo  es  immer  kräftiger  entwickelt 
ist,  aufgesucht  wurde,  schwanden  die  Schwierigkeiten  in  der 
Auffindung,  welche  gewiss  einen  wesentlichen  Grund  gegen 
die  allgemeine  Aufnahme  der  Operation  bildeten.  Obwohl  im 
peripheren  Antheile  thatsächlieh  eine  gewisse  Verschiedenheit 
im  Verhalten  des  Bandes  besteht,  gaben  doch  die  meisten 
Operateure  nach  einiger  Uebung  an,  dass  sie  das  Band  stets 
leicht  und  sicher  gefunden  hätten.  Wenn  auch  bei  sehr  jungen, 
bleichsüchtigen  oder  schlecht  genährten,  sowie  bei  sehr  fett¬ 
reichen  Personen  das  runde  Band  mitunter  schwach  entwickelt 
und  brüchig  sein  kann,  so  lässt  es  sich  auch  da  bei  möglichst 
centralem  Äufsuchen  noch  isoliren  bis  zu  einer  Stelle,  an 
welcher  es  den  nöthigen  Zug  verträgt.  Für  die  ersten  Ver¬ 
suche  wird  man  immerhin  der  geringeren  Schwierigkeiten  und 
des  Zeitverlustes  halber  gut  thun,  Frauen  auszusuchen,  welche 
schon  geboren  haben,  da  bei  solchen  die  Bänder  gewöhnlich 
kräftiger  entwickelt  sind.  Anderweitige  Missstände  ergab  ferner 
ein  zum  Theile  ganz  unzweckmässiges  Material  (alte  Indivi¬ 
duen  jenseits  des  Klimax,  die  übrigens  für  die  Operation  nicht 
in  Betracht  kommen,  Personen  mit  angewachsenem  oder  mit 
Tumoren  versehenem  Uterus  etc.).  Ausser  den  fehlerhaften 
I  oder  Scheinoperationen  führten  falsche  Indicationsstellung,  sowie 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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unzulängliche  Nahtmethoden  behufs  Befestigung  des  Bandes 
und  Verschlusses  des  Leisten canales  zu  Misserfolgen. 

Die  vielfach  besprochenen  Schwierigkeiten  bei  der  Aus¬ 
führung  der  A  1  e  x  an  d  e  r’schen  Operation  bewirkten  es,  wes¬ 
halb  auch  ich  mich  auf  Grund  der  geltend  gemachten  Ab¬ 
lehnungsgründe  mit  der  Operation  nicht  recht  befreunden 
konnte.  Erst  die  vor  einiger  Zeit  erschienene  Arbeit  von 
Rumpf,  in  welcher  für  den  sicheren  und  dauernden  Ver¬ 
schluss  des  Leistencanales  nach  B  a  s  s  i  n  i  auf  Grund  zahl¬ 
reicher  günstiger  Erfolge  warm  eingetreten  wird,  war  es, 
welche  mein  Interesse  für  diese  Operation  wieder  besonders 
weckte. 

Der  meist  geübte  Vorgang  bei  der  modificirten  A 1  e- 
xander’scheu  Operation,  auf  dessen  technische  Einzelheiten 
hier  näher  einzugehen  gestattet  sein  möge,  ist  unter  specieller 
Berücksichtigung  des  von  uns  geübten  Verfahrens  folgender. 
Bad,  Rasiren  der  Pubes,  äussere  Hautdesinfection,  Entleerung 
der  Blase.  Vor  der  Operation  wird  von  Manchen  die  Auf¬ 
richtung  des  Uterus  geübt  (Pessar),  ist  jedoch  nicht  nöthig. 
Narkose,  mässige  Beckenhochlagerung.  Spaltung  der  äusseren 
Haut,  grösstentheils  innerhalb  der  Schamhaargegend,  mittelst 
eines  etwa  15  cm  langen  flach  bogenförmigen  Schnittes 
(Casati,  Rom  1887,  Rumpf),  welcher  knapp  über  den 
Tubercula  pubica,  beziehungsweise  den  P  o  u  p  a  r  t’schen 
Bändern,  bis  etwa  über  die  Mitte  derselben  hin  verläuft.  Die 
in  den  seitlichen  Wundwinkeln  meist  sichtbaren  Vasa  epigast. 
superf.  können,  müssen  aber  nicht  geschont  werden.  In  dieser 
bogenförmigen  Wunde,  deren  Schenkel  in  der  Verbindungs¬ 
linie  zwischen  den  Tub.  pub.  und  der  Sp.  ant.  sup.  ilei  liegen, 
werden  beide  äusseren  Leistenringe  aufgesucht  und  bestimmt 
gefunden.3)  Man  durchtrennt  das  subcutane  Fett,  die  ver¬ 
schieden  dicke  (nach  wiederholten  Geburten  zuweilen  recht 
derbe)  matt  glänzende  und  verschiebliche  Fascia  superficialis 
s.  subcutanea,  sowie  das  darunter  befindliche  meist  fetthaltige 
Bindegewebe,  und  zwar  zunächst  im  oberen  Wundwinkel,  bis 
man  auf  die  schräg  gefaserte  sehnig  -  hellglänzende  und  nicht 
verschiebliche  Aponeurose  des  M.  obliq.  ext.  gelangt  und  die¬ 
selbe  völlig  freilegt.  In  derselben  liegen  die  beiden  cutanen 
Mündungen  der  Leistencanäle  (dicht  seitlich  und  etwas  ober¬ 
halb  der  gut  durchtastbaren  Tubercula  pubis,  mit  ihren  Mittel¬ 
punkten  3'/2  —  4 cm  von  der  Linea  alba  entfernt)  beide  als 
mehr  minder  steile,  auch  ungleich  gebildete  Schlitzöffnungen 
zu  sehen.  Spritzende  Gefässe  werden  gefasst  und  ligirt,  andere 
torquirt.  Da  ein  klares  Freilegen  der  äusseren  Leisten¬ 
öffnungen  ebenso  wichtig  ist,  als  dass  das  pinselförmig  zer¬ 
faserte  Ende  der  Bänder  so  wie  die  übrigen  Gebilde  daselbst, 
nicht  unvorsichtig  mit  dem  Messer  durchtrennt  werden,  so 
schiebt  man  anfangs  am  besten  von  einem  der  seitlichen  Wund¬ 
winkel  beginnend,  stumpf  und  schräg  (mittelst  trockenen 
Tupfers)  in  der  Richtung  der  Faserung  der  äusseren 
Aponeurose  gegen  die  Tub.  pub.  nach  innen  hin,  alles  ver¬ 
schiebliche  Gewebe  ab.  Dabei  sieht  man  häufig,  dass  die  aus 
dem  Leistencanale  hervortretenden  von  einer  dünnen  Fascie  be¬ 
deckten  Gebilde  (Fettträubchen,  ein  Zweig  des  Nervus  spermati- 
cus  ext.,  Venae  sperm,  ext.,  Ligamentfasern),  welche  während  des 
kräftigen  Abschiebens,  ebenso  wie  auch  durch  einen  an  den  Scham- 
lippen-Weichtheilen  nach  innen  und  unten  ausgeübten  Zug, 
stärker  hervorgezogen  werden.  Oberflächlich  werden  diese 
Gebilde  von  Aesten  der  Vena  pudenda  externa,  die  von 
unten,  und  von  Hautzweigen  des  Nerv,  ileo-inguinalis,  die  von 
oben  kommen,  gekreuzt. 

Man  hält  sich  mit  dem  Aufsuchen  des  Bandendes  hier 
nicht  auf,  sondern  spaltet  auf  der  eingeführten  Hohlsonde  mittelst 
Scalpell  oder  Kniescheere  die  ganze  vordere  Wand  des 
Leistencanales,  und  zwar  parallel  dem  P  o  u  p  ar  t’schen  Bande, 
daher  nicht  paralell  auf  die  Faserrichtung  der  Apon.  des 
M.  obl.  ext.  Freilegung  des  Operationsgebietes  mit  stumpfen 
Haken,  exacte  Blutstillung.  Etwa  in  der  Mitte  des  Leisten¬ 
canales,  wenn  nöthig  noch  näher  dem  inneren  Leistenringe? 

3)  An  den  Enden  des  Bogenschnittes,  dicht  hinter  den  aufsteigenden 
Vasa  epif.  sup.  liegt  die  Gegend  des  inneren  Leistencanales.  Andere  führen 
jederseits  je  einen  Schnitt  von  8 — 9  cm  Länge.  Einen  grossen  Schnitt  führte 
wie  schon  erwähnt,  Kocher  aus. 


wird  der  ganze  Inhalt  des  ersteren  am  besten  auf  den  Finger 
aufgeladen  und  etwas  medialwärts  emporgehoben,  wobei  man  zu¬ 
meist  schon  zwischen  dem  Zeigefinger  und  Daumen  den  zu  unterst 
(an  der  hinteren  Leistencanalwand)  gelegenen,  platt  rundlichen 
Strang  des  Ligamentum  rotundum  (Pars  inguinalis,  extrapel- 
vina)  fühlt,  jedoch  zum  deutlichen  Sichtbarwerden  sorgfältig 
isoliren  muss.  Mittelst  anatomischer  Pincette  oder  Hohlsonde 
schiebt  man  den  seitlich  begleitenden  Nervus  spermat.  ext.  bei 
Seite,  entfernt  etwa  vorhandene  Fettklümpchen  und  schiebt 
stumpf  die  oberflächlich  deckenden,  dunkelrothen  und  querge¬ 
streiften  Randfaserzüge  des  M.  obl.  int.,  sowie  Transv.  abd.  nach 
aussen  und  oben.  Dann  fühlt  man  den  rundlichen  Strang  deutlicher 
durch,  der  auch  meist  schon  blassrosaroth  durchschimmert. 
Man  vermeide  die  Eröffnung  der  das  Band  begleitenden  ge¬ 
schlängelten  Venen,  die  man  stumpf  bei  Seite  schiebt.  Blutet 
es  jedoch,  dann  werden  die  Gefässchen  gleich  gefasst  und  mit 
dünnen  Fäden  ligirt.  Das  Ligament  muss  schliesslich  von  seiner 
zarten,  nach  Geburten  etwas  derberen  Bindegewebsscheide 
(Fortsatz  der  Fascia  transversalis)  ordentlich  befreit  werden, 
ebenso  wie  von  den  verschieden  zahlreichen  sehnigen  Fasern 
(Ansätze  des  M.  cremaster  ext.),  welche  beim  Anziehen  des 
Bandes  an  seiner  unteren  Fläche  wie  gespannte  Zwirnsfäden 
zu  fühlen  und  mittelst  Pincette  oder  Scheere  durchzu¬ 
trennen  sind. 

Wer  anfangs  ohne  Gefässe  aufzureissen  und  Muskel¬ 
fasern  zu  zerzupfen  präparirt  und  immer  wieder  nachfühlt, 
der  lernt  bald  den  blassrothen,  hier  etwa  J/3 — V2 cm  breiten, 
nur  vereinzelt  dünnen  Strang  von  glatten  Muskelfasern  zum 
Vorscheine  zu  bringen.  Das  Ablösen  der  Ligamentscheide  und 
der  besagten  Sehnenfäden  ist  entschieden  wichtig,  da  sie  sonst 
das  Vorziehen  des  Bandes  hindern.  Der  Zug  pflanzt  sich  dann 
auf  die  Bauchwand  aber  nicht  auf  den  Uterus  fort,  und 
wird  energisch  gezogen,  dann  kommen  Bandzerreissungen 
leicht  vor. 

Das  völlig  isolirte  nun  frei  bewegliche  Band  lässt  sich 
dann  schon  bei  mässig  kräftigem  Zuge  ohne  Gefahr 
der  Zerreissung  vorziehen.  Dies  geschieht  am  besten  mit  den 
Fingern  in  der  Richtung  des  Leistencanales  immer  wieder 
centralwärts  nachfassend,  bis  schliesslich  zum  inneren  Leisten¬ 
ring  der  Peritonealüberzug  des  hier  conisch  verbreiterten  Liga- 
rnentes  als  weissliche,  nach  vorne  spitz  zulaufende  Umschlags¬ 
falte  des  Bauchfelles  hervorkommt.  Es  ist  der  durch  künst¬ 
liche  Einstülpung  herausgezerrte  Processus  vaginalis  peritonei 
(Peritonealkegel  nach  Kocher),  welcher  von  oben  und 
vorne  her  das  Anfangsstück  der  Pars  pelvina  des  runden 
Bandes  bedeckt.  Klemmen  dürfen  nur  an  den  freigelegten 
peripheren  Bandantheil  angelegt  werden.  Jener  Theil,  welcher 
im  Canale  festgenäht  werden  soll,  darf  nicht  damit  unnützer 
Weise  zerquetscht  werden. 

Der  häufig  nicht  fest  angeheftete  Bauchfelltrichter  wird 
entweder  stumpf  durch  Wischen  mittelst  eines  Gazetupfers  oder 
vorsichtig  mittelst  Pincette  oder  Scheere  vor  dessen  Umschlags¬ 
rand  abgelöst  und  auf  einige  Centimeter  zurückgestreift.  Wird 
das  Peritonealsäckchen  eröffnet,  was  nicht  immer  zu  vermeiden, 
bei  aseptischem  Vorgehen  jedoch  belanglos  ist,  so  wird  dasselbe 
durch  feine  Naht  gleich  geschlossen.  Man  zieht  den  Becken- 
antheil  des  Bandes  so  weit  vor,  bis  man  den  Widerstand  des 
indessen  sich  aufrichtenden  und  der  Symphyse  ganz  nahe  ge¬ 
rückten  Uteruskörpers  fühlt  (ein  Assistent  kann  sich  eventuell 
durch  die  Scheide  von  der  richtigen  Lage  der  Gebärmutter 
überzeugen),  ohne  dass  jedoch  das  Organ  allzufest  au  den 
vorderen  Beckenring  angepresst  wird;  die  entsprechende  An¬ 
näherung  fühlt  der  Geübte  ganz  deutlich.  Etwa  10  cm  vor  der 
peripheren  Ansatzstelle  des  Bandes,  daher  etwas  vor  der  ins 
Auge  gefassten  Kürzungsstelle,  wird  eine  kleine  Klemmzange 
angelegt  und  mässig  angezogen  gehalten,  während  das  Wund¬ 
gebiet  trocken  gelegt  und  sodann  mit  einem  Gazetupfer  vor¬ 
läufig  bedeckt  wird. 

Der  gleiche  Vorgang  wiederholt  sich  aui  der  anderen 
Seite  und  sei  vorweg  gleich  bemerkt,  dass,  wenn  die  Auffin¬ 
dung  des  Ligamentes  auf  einer  Seite  zutällig  doch  nicht  ge¬ 
lingen  sollte,  dasselbe  vorerst  auf  der  anderen  Seite  autge- 
sucht  werden  kann. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


Die  beiden  in  gleicher  Entfernung  mittelst  Klammern 
gefassten  Bänder  werden  nach  der  Symphyse  zu  massig  kräftig 
angezogen  gehalten.  Hierauf  folgt  jederseits  die  sorgfältige 
Verschlussnaht  des  Leistencanales  nach  Bassi  n  i,  unter  Mit¬ 
fassen  des  Lig.  teres.  Mit  stark  gekrümmten  Nadeln  und  nicht 
dicker  Seide  wird  eine  nicht  zu  schmale  Partie  des  M.  obl. 
int.  und  transv.  gefasst  und  gleich  mit  der  ersten  oder  nächsten 
Naht,  das  in  seinem  obersten  Antheile  vom  Bauchfell  befreite 
Mutterband  mitten  durchgestochen,  hierauf  der  metallisch 
glänzende  dichte  Rand  des  Lig.  Pouparti,  von  oben  anfangend, 
mitgefasst.  Solche  Knopfnähte  werden  etwa  vier  bis  fünf  an¬ 
gelegt  und  unter  stetem  Trockentupfen  des  Leistencanales  der 
Reihe  nach  von  oben  her  geschlossen,  während  ein  Assistent 
die  Bänder  stets  gleichmässig  angezogen  hält.  Ein  etwa  10  cm 
langes  Stück  des  runden  Bandes  wird  an  der  äusseren  Leisten¬ 
öffnung  und  an  seiner  Ansatzstelle  abgeschnitten  und  der 
Stumpf  noch  mit  einer  Sutur  festgenäht.  Verschluss  der  Apo- 
neurose  des  M.  obl.  ext.  von  oben  herab  durch  fortlaufende 
dünne  Seidennaht.  Trockener  Tupfer  auf  die  Wunde,  gleicher 
Vorgang  auf  der  anderen  Seite.  Schluss  der  trockengewischten 
äusseren  Weichtheilwunde  von  den  zwei  oberen  Wundwinkeln 
aus,  durch  tiefe  und  oberflächliche,  oder  eine  fortlaufende  Naht, 
stets  unter  breitem  Mitfassen  der  ganzen  von  der  äusseren 
Aponeurose  abgelösten  Fettschichte  und  der  in  ihr  befindlichen 
Fascia  abdom.  superf.  Keine  Drainage.  Verband  wie  nach 
radicaler  Operation  von  Hernien  üblich.  Art  desselben  Neben¬ 
sache,  doch  guter  Abschluss,  besonders  gegen  das  äussere 
Genitale  bei  mässiger  Compression  nöthig.  Wir  verwenden  einen 
trockenen  sterilen  Gazewatteverband,  der  über  die  Hüften 
reicht,  darüber  einige  Touren  von  Organtinbinden.  Erster  Ver¬ 
bandwechsel  um  den  fünften  Tag,  Nahtentfernung  am  neunten 
oder  zehnten  Tage.  Aufstehen  Ende  der  zweiten  oder  Anfangs 
der  dritten  Woche.  Anfängliche  unangenehme  Spannung  in 
der  Wundgegend  vergeht  bald  nach  dem  Verlassen  des 
Bettes. 

Nach  der  Operation  wurde  früher  zur  mehrwöchentlichen 
Unterstützung  des  Uterus  Einlegen  von  Gazetampons  oder 
Pessarien  empfohlen.  Nach  richtiger  Ausführung  der  Operation 
ist  eine  solche  Stütze,  ausser  vielleicht  einmal  bei  etwas 
schwererem  Uterus,  nicht  nöthig. 

Die  wichtigsten  Hauptmomente  der  Operation  sind  daher: 
Stumpfes  vorsichtiges  Freilegen  der  äusseren  Leistenringe. 
Centrales  Aufsuchen  der  runden  Mutterbänder  nach  Spaltung 
des  Leistencanales,  möglichst  weites  Vorziehen  der  vollständig 
freipräparirten  Bänder,  da  der  Zug  erst  am  uterinen  Drittel 
des  Bandes  eigentlich  wirksam  wird.  Bruchsicherer  Verschluss 
des  Leistencanales  unter  Vorlagerung  einer  breiten  Muskel¬ 
schicht  nach  Bassi  ni  und  Mitfassen  der  Ligamente  in  ihrem 
natürlichen  Verlaufe,  ausgiebige  Kürzung  der  bei  Erwachsenen 
durchschnittlich  12 — 15  cm  langen  Bänder,  bis  der  Uterus 
sicher  nach  vorne  gestellt  ist. 

Man  achte  weiters  auf  völlige  Asepsis  und  sichere  Blut¬ 
stillung  zur  Vermeidung  von  Hämatomen,  vermeide  im  Leisten¬ 
canal  ebenso  wie  zwischen  den  äusseren  Weichtheilen  todte 
und  mit  Wundsecret  gefüllte  Räume.  Zur  Naht  verwende  man 
am  besten  dünne  Seide  (dickere  eitert  eher  heraus,  Catgut  allein 
führt  weniger  sicher  zu  den  nöthigen  festen  Verklebungen) 
und  vermeide  jedes  übermässige  Schnüren  der  Nähte.  Zur 
Umgehung  von  Narbenneuralgien  fasse  man  die  Nerven,  die 
bei  Seite  zu  schieben  oder  durchzuschneiden  sind,  nicht  mit. 
Um  eventuelle  Beschwerden  der  Blase  durch  Druck  auf  die¬ 
selbe  zu  verhüten,  werde  der  Uterus  nicht  allzu  straff  an  die 
Symphyse  herangedrängt. 

Die  Quernaht  am  gefässreichen  Ligamentum,  das  sie  nur 
zum  Theile  zu  fassen  hat,  scheint  keine,  von  Einzelnen  jedoch 
(Asch,  der  deshalb  das  Band  in  seiner  Längsrichtung  mittelst 
Steppnaht  an  den  Leistenpfeilern  befestigt.  Ko  ss  mann)  be¬ 
fürchtete  Ernährungsstörung  oder  Nekrose  zur  Folge  zu 
haben.  Ob  das  Band  einfach  gekürzt  wird  (Amputation),  oder 
die  Stumpfenden  wieder  zusammengenäht  werden  (Resection), 
erscheint  ohne  Belang.  Kleine  Wundreizungen,  offenbar  durch 
Anwesenheit  der  schwer  zu  reinigenden  Haarbälge  bedingt, 
kommen  vor,  jedoch  ohne  zu  Eiterungen  zu  führen. 


Hinsichtlich  der  Combination  von  Methoden 
kommen  je  nach  Bedarf  in  Betracht  die  Uterusausschabung 
(stets  nach  P  o  z  z  i)  und  plastische  Operationen  bei  Senkung 
oder  beginnendem  Vorfall  der  Scheide.  Wiederholt  haben 
wir  in  solchen  Fällen  mit  Vortheil  die  Operation  nach  Law- 
son  Tait  als  Unterstützungsmittel  unmittelbar  angeschlossen. 

Hinsichtlich  der  Indicationen  ist  daran  festzuhalten, 
dass  die  entsprechend  modificirte  Alexande  r’sche  Operation 
zur  radicalen  Beseitigung  von  nur  ganz  beweglichen  oder 
völlig  beweglich  gemachten  und  einige  Zeit  darnach 
beobachteten,  einfachen  Rückwärtslagerungen  der  Gebär¬ 
mutter  angezeigt  ist,  die  höchstens  mit  einem  mässigen 
Scheidenvorfall  verbunden  sind.  Ohne  dass  durch  sie  eine 
Einschränkung  oder  Verdrängung  der  wichtigen  conservativen 
(orthopädischen)  Behandlung,  die  sie  doch  nur  ergänzen  soll, 
Platz  zu  greifen  hat,  setzt  sie  auf  Grund  genauer  Unter¬ 
suchungen  präcise  Indicationen  voraus.  Ist  bei  einer  im 
zeugungsfähigen  Alter  befindlichen  Kranken  die  Verlagerung 
einer  beweglichen  Gebärmutter  nach  hinten  bei  Abwesenheit 
von  Adnexerkrankungen  wirklich  die  Hauptschuld  an  den 
Beschwerden  und  ist  die  Pessarbehandlung  entweder  erfolglos, 
oder  wird  sie  nicht  vertragen  oder  nicht  gewünscht,  so  ist  die 
A  1  e  x  an  d  e  i-’sche  Operation  in  Betracht  zu  ziehen.  Es  ist 
allseitig  bekannt,  dass  selbst  entsprechend  gewählte  Ringe 
nicht  jeden  beweglichen  Uterus  auf  die  Dauer  in  richtiger 
Lage  zu  halten  vermögen  (schlaffe  ungeeignete  Scheide,  Damm¬ 
risse,  grosse  Beweglichkeit  des  Uterus),  dass  weiters  Pessarien 
nach  Monaten,  selbst  nach  Jahren  nicht  zum  Ziele  führen, 
dass  mitunter  Schwierigkeiten  wegen  der  öfter  nöthigen  Ring¬ 
reinigung  durch  den  Arzt,  ferner  solche  hinsichtlich  des  Bei¬ 
schlafes  eintreten.  Ebenso  kann  der  begreifliche  Wunsch,  des 
Ringes  vor  einer  Verehelichung  auf  die  Dauer  loszuwerden, 
hier  ebenso  in  Betracht  kommen  als  wenn  die  Kranke  einen 
directen  beharrlichen  Widerwillen  gegen  das  Ringtragen  über¬ 
haupt  hegt.  Dazu  kommt  noch  der  Umstand,  dass  eine  empfind¬ 
liche  enge  Scheide  bei  jungfräulichen  Personen  für  eine  Pessar¬ 
behandlung  mitunter  ganz  ungeeignet  ist.  Verschiedene  Autoren 
melden  erfreuliche  operative  Erfolge  in  diesem  letzteren  Falle 
(K  ü  s  t  n  e  r,  B  r  o  e  s  e,  Flaischlen  u.  A.),  während  Andere 
die  Ventrifixation  hier  bevorzugen  (Olshausen,  Löhlein). 
Bei  zufällig  mit  vorhandenen  Leistenhernien  ist  natürlich  der 
Eingriff  umso  angezeigter. 

Jede  irgendwie  fixirte  Retroflexio  uteri  oder  deutlich  nach¬ 
weisbare  Erkrankungen  der  Adnexe,  eine  auffällige  Vergrösserung 
der  Gebärmutter,  sowie  eine  ungewöhnliche  Schlaffheit  der  Bauch¬ 
decken  und  der  Beckengebilde  contraindiciren  die  Operation. 
Eine  Erweiterung  der  Indication  für  diese  Operation  in  der 
Weise  zu  schaffen,  dass  man  fixirte  Retroflexionen  zuerst 
mittelst  des  hinteren  Scheidenbauchschnittes  löst  (Burr  age, 
F  uclis  - Asch),  oder  vom  inneren  Leistencanal  aus  das  Bauch¬ 
fell  eröffnet,  Verwachsungen  löst  und  kranke  Adnexe  beseitigt 
(methodisch  Goldspohn  [Chicago],  Edebohls  und  Fritsch 
nur  in  vereinzelten  Fällen)  halte  ich  als  Methode  für  durchaus 
nicht  zweckmässig,  ebenso  wie  eine  Ablösung  von  Fixationen 
nach  Laparotomie,  welche  der  A  1  e  x  a  n  d  e  r’schen  Operation 
unmittelbar  vorangeht  (Rumpfs  Vorschlag  mit  Benützung 
K  ü  s  t  n  e  r’s  Bauchschnittführung). 

Wie  schon  von  verschiedenen  Seiten  hervorgehoben 
wurde  liegt  der  Werth  des  Verfahrens  in  topographi¬ 
scher  Hinsicht  darin,  dass  der  Uterus  schonend  und  auf 
natürlichste  Art  in  fast  normale  Lagerung,  wie  besser  bei  keiner 
operativen  Retroflexionsmethode,  gebracht  wird,  und  dass  damit 
die  Heilung  gegenüber  der  Pessarbehandlung  dauernd  und 
rasch  erzielt  wird.  Ausserdem  sind,  da  eine  directe  künstliche 
Fixation  des  Uterus  vermieden  wird,  die  Bewegungen  des 
Uterus  sehr  wenig,  seine  Functionen  gar  nicht  beeinträchtigt. 
Abgesehen  von  der  Vermeidung  des  ßauchschnittes  und 
dessen  eventuellen  Folgen,  hinterlässt  besonders  die  Bogen- 
schnittführung  keine  entstellenden  äusseren  und,  was  noch 
wichtiger  ist,  keine  geburtsstörenden  Scheidennarben.  Diese 
Methode,  mit  der  man  den  Uterus  geradezu  beliebig  stark 
nach  vorne  stellen  kann,  ist  nach  allseitiger  Anerkennung  die 
ungefährlichste  aller  hierher  gehörigen  Methoden.  Bei  richtiger 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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Auswahl  der  Fälle  und  richtiger  Ausführung  des  Verfahrens 
sind  hier  die  Recidiven,  die  keiner  Methode  erspart  bleiben, 
gering  an  Zahl.  Selbst  von  den  Gegnern  der  Operation  wird 
weiters  allseitig  eine  förmliche  Sicherheit  für  einen  unge¬ 
störten  Schwangerschafts-,  sowie  Geburtsverlauf  zugegeben. 
Jedenfalls  kann  der  Operation  keine  ernste  Geburtsstörung 
zur  Last  gelegt  werden.  Die  vielfachen  und  erheblichen  Stö¬ 
rungen,  sowie  Gefahren  in  dieser  Richtung  bei  anderen  Me¬ 
thoden,  die  bei  mehr  pathologischer  Befestigung  eine  Dauer¬ 
stellung  erzwingen,  sind  bekannt  und  haben  in  neuester  Zeit 
dem  älteren  Verfahren  im  Principe  wieder  einen  neuen  An¬ 
hang  zugeführt.  Uebrigens  hat  man  die  operative  Verkürzung 
der  Ligamenta  teretia  als  die  einzige  Möglichkeit  um  Geburts¬ 
störungen  zu  vermeiden  auch  für  andere  Methoden  gerühmt 
(Wertheim).  Der  Uterus  bleibt  aber  auch  nach  Geburten 
meist  in  sehr  guter  Stellung  (W  e  r  t  b,  K  ü  s  t  n  e  r,  Stocker, 
Fraser,  Johnson)  und  wurde  vielfach  danach  eine  recht 
erwünschte  Hypertrophie  der  runden  Bänder  beobachtet.  Auch 
bei  Retroflexio  ut.  gravidi  wurde  diese  Operation  behufs  dau¬ 
ernder  Reposition  mit  günstigem  Erfolge  angewendet  (Jo r da n, 
Krakau). 

Der  Leistencanalverschluss  nach  Bassini,  welcher 
gleichzeitig  an  sich  ein  sicheres  Vorbeugungsmittel  gegen 
Leistenhernien  bildet,  erscheint  mir  als  eine  sehr  werthvolle 
Bereicherung  der  inguinalen  Methode.  Das  früher  mehrfach 
geübte  Verfahren,  die  hintere  Wand  des  Leistencanales  bei  der 
Verschlussnaht  des  letzteren  mitzufassen,  ergab  neben  der 
Gefahr  der  Anstechung  der  Art.  epig.  prof,  ein  weniger  ver¬ 
lässliches  Resultat.  Andererseits  erscheinen  mir  neuere  For¬ 
derungen  Einzelner,  den  Leistencanal  behufs  Hernienvermeidung 
doch  wieder  unbedingt  unversehrt  zu  erhalten  (C  a  11  man  n- 
Asch,  Stocker  und  Andere)  nicht  gerechtfertigt,  sie  be¬ 
deuten  eher  einen  Rückschritt,  wenn  auch  für  den  Geübten 
das  Auffinden  der  runden  Ränder  schon  am  äusseren  Leisten¬ 
ring  zumeist  möglich  ist.  Dass  dabei  das  Hereinziehen  des 
Peritonealkegels  in  den  Leistencanal  unter  Umständen  den 
Schaden  herbeiführen  kann,  den  man  gerade  unbedingt  ver¬ 
meiden  soll,  ist  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen.  Die 
mehrfach  der  Operation  zur  Last  gelegten  Nachtheile,  dass 
sie  angeblich  eine  starre  pathologische  Antefixatio,  beziehungs¬ 
weise  Antepositio  uteri,  dass  sie  Hindernisse  in  der  Ausdehnung 
der  Blase,  Gefahren  eventueller  Divertikelbildung  derselben 
oder  eine  Darmeinklemmung  verschulden  könne,  gelten  bisher 
nur  als  theoretische  Bedenken.  Ebenso  fallen  das  Abreissen 
von  Bändern,  Hämatombildungen,  Wundsecretverhaltung,  Fäden- 
auseiterungen,  Narbenneuralgien,  nicht  der  Operation,  sondern 
dem  Operateur  zur  Last  und  können  bei  nötbiger  Vorsicht 
vermieden  werden.  Nur  in  wenigen  Fällen  trat  ferner  nach  ^ 
diesen  Operationen  Abortus  ein  (unter  112  schwanger  ge¬ 
wordenen  Operirten  elfmal  in  Kleinwächte Fs  gesammelten 
Fällen).  Weiters  kann  nach  obigen  Darlegungen  die  vielfach 
betonte  Herniengefahr  sicher  und  dauernd  beseitigt  werden 
und  wenn  in  neuester  Zeit  Klagen  erhoben  wurden  (Nil  son, 
New  York),  dass  die  Zahl  der  Hernien  seit  Alexander’s 
Operation  bedeutend  zugenommen  habe,  so  soll  dies  im  Be¬ 
rechtigungsfalle  die  betonte  Nothwendigkeit  des  sicheren 
Leistencanalverschlusses  nach  Bassini  nur  noch  mehr 
hervorheben. 

Der  im  Allgemeinen  richtige  Vorwurf,  dass  dieser  Ein¬ 
griff  nicht  allen  Tndicationen  und  Complicationen  gerecht 
werden  könne,  wie  eine  Bauchhöhlenöffnung,  bei  welcher  Ver¬ 
wachsungen  direct  gelöst  und  erkrankte  Anhänge  unter  Einem 
beseitigt  werden  können,  wird  bei  der  enger  umgrenzten  In¬ 
dication  der  Operation  hinfällig. 

Werden  die  angegebenen  Regeln  beachtet,  so  erfolgt 
reactionslose  Heilung  und  in  Folge  dauernder  Lagecorrectur 
auch  die  Beseitigung  der  früher  bestandenen  Beschwerden. 
Die  Erfolge  sind  sowohl  in  subjectiver  (functioneller)  als  auch 
in  objectiver,  d.  h.  sowohl  in  anatomischer  als  orthopädischer 
Richtung  günstig.  Wiederholt  wurde  selbst  bei  einseitiger  Be¬ 
festigung  des  Bandes,  wenn  das  andere  abgerissen  oder  zu¬ 
fällig  nicht  aufgefunden  worden  ist,  ein  tadelloses  Resultat 
hinsichtlich  der  Läge  und  Function  des  Organes  erzielt  | 


(Küstner,  F laischien,  Fuchs  und  Andere).  Ferner 
konnte  in  mehreren  Fällen  bei  späteren  Sectionen  oder  Lapa¬ 
rotomien  sichergestellt  werden,  dass  das  runde  Band  im 
Canale  fest  verwachsen,  und  dass  die  Gebärmutter  in  rich¬ 
tiger  Lage  sei.  Aus  der  bisherigen  Statistik  wollen  wir,  nur 
grössere  Zahlen  herausgreifend,  erwähnen,  dass  P  o  1  k,  E  d  e- 
bohls,  Goldspohn  in  mehr  als  je  100  Fällen  nach 
Alexander’s  Methode  operirten  und  keine  Kranke  verloren 
haben.  Johnson  verzeichnet  unter  250  Fällen  einen  Todes¬ 
fall  an  Sepsis  in  Folge  der  Operation,  unter  320  weiteren 
von  ihm  in  Boston  (U.  S.)  gesammelten  Fällen  hat  sich  kein 
Todesfall  zugetragen. 

Die  für  eine  jede  Operation  entscheidenden  Dauer¬ 
resultate  haben  wegen  der  dieser  Operation  früher  anhaftenden 
Mängel  und  zum  Theile  falscher  Indicationsstellung  etwas 
weniger  günstig  gelautet  als  jene  der  verbesserten  Methode. 
Die  späteren  Resultate  müssen  als  meist  sehr  gute  bezeichnet 
werden  (Küstner,  R  ü  h  1,  Stocker,  G  e  1  p  k  e  -  S  t  ä  d  1  e  r, 
Simoes-Doleris,  Rumpf,  Zweifel  - Krönig4)  und 
Andere).  Ja  es  heben  verschiedene  Autoren  besonders  hervor, 
dass  bei  späteren  Nachuntersuchungen  der  Uterus  vielfach 
besser  stand,  als  bei  dem  vorherigen  Nachsehen. 

Ueber  die  von  unserer  Anstalt  erzielten  Dauererfolge 
der  durch  B  a  s  s i  n  i’s  Nahtverfahren  ergänzten  Alexander- 
schen  Operation,  für  die  ich  mich  jetzt  schon  in  sehr  günsti¬ 
gem  Sinne  aussprechen  muss,  soll  in  einem  späteren  Zeit¬ 
punkte  berichtet  werden. 

In  erster  Linie  lag  der  Zweck  dieser  Mittheilung  haupt¬ 
sächlich  darin,  für  die  modificirte  A 1  e  x  a  n  d  e  r  -  Operation  in 
bestimmten  Fällen  ein  erhöhtes  Interesse  auch  in  unseren 
Ländern  anzuregen,  von  wo  eigentlich  wie  bereits  erwähnt, 
zuerst  auf  die  Wichtigkeit  der  Combination  der  Alexander- 
schen  Operation  mit  Bas  sin  i’s  dauerndem  Leistencanalver- 
schlusse  hingewiesen  worden  ist.  Eine  entscheidende  Beurthei- 
lung  von  Dauerresultaten  bei  der  inguinalen  Verkürzung  der 
Ligamenta  rotunda,  wird  meiner  Ueberzeugung  nach  erst  aus 
einer  grösseren  Reihe  von  exact  und  mit  sicherem  Verschlüsse 
des  Leistencanales  ausgeführten  Fällen  erfolgen  können. 


Aus  dem  bacteriologischen  Laboratorium  der  deutschen 
Universitäts  -  Frauenklinik  (Vorstand  Prof.  Sänger)  zu 

Prag. 

Weitere  Untersuchungen  über  den  Keimgehalt 
der  weiblichen  Urethra. 

Von  Dr.  Ferdinand  Schenk  und  Dr.  Lothar  Austerlitz.  Assistenten  der 

Klinik. 

Auf  Grund  unserer  ’)  an  60  Fällen  vorgenommenen  Unter¬ 
suchungen  über  den  Keimgehalt  der  normalen  weiblichen 
Urethra  gelangten  wir  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  normale  weib¬ 
liche  Urethra  in  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  überhaupt 
keimfrei  ist-  die  in  den  übrigen  Fällen  vorkommenden  Keime 
sind  Saprophyten  verschiedener  Art,  die  aus  dem  Vestibulum 
dorthin  gelangt  sind.  Pathogene  Mikroorganismen  haben  wir 
in  der  normalen  weiblichen  Urethra  unter  59  Fällen  nur  zwei¬ 
mal  nachweisen  können. 

Zu  gleicher  Zeit  erschien  eine  Abhandlung  von  Savor* 2), 
welche  sich  mit  demselben  Thema  befasste,  und  in  welcher  der 
Autor  zu  wesentlich  anderen  Resultaten  gelangte. 

Zunächst  untersuchte  er  142  gynäkologisch  erkrankte 
Fälle;  sehen  wir  hiebei  von  26  Fällen  mit  alter  und  23  Fällen 
mit  frischer  Gonorrhoe  ab,  so  bleiben  93  an  ähnlichem  Mate¬ 
rial  erhobene  Befunde,  wie  es  das  unsere  war.  Hiebei  fand  er 
die  Urethra  59mal  keimhaltig,  34mal  steril.  Die  gefundenen 
Keime  waren  unter  Anderen  in  16  Fällen  Staphylococcus  pyo- 

4)  Die  soeben  im  3.  Hefte  der  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie,  Bd.  XI,  erschienene  Arbeit  von  Krönig-  F  eucht- 
w  a  n  g  e  r  über  die  Resultate  der  A  1  e  x  a  n  d  e  r’schen  Operation,  beziehungs¬ 
weise  deren  Modification  nach  Kocher  konnte  hier  nicht  mehr  berück¬ 
sichtigt  werden. 

')  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1899,  XXIV,  Nr.  17. 

2)  Beiträge  zur  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1899,  Bd.  II,  Heft  1. 


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genes  albus,  in  G  Fällen  Staphylococcus  pyogenes  aureus,  in 
14  Fällen  Bact.  coli  com.  und  in  4  Fällen  Streptococcus 
pyogenes. 

Ferner  untersuchte  er  die  Urethra  bei  120  Schwangeren 
auf  ihren  Keimgehalt.  290  hiebei  angestellte  Versuche  ergaben 
nur  72mal  ein  negatives  Resultat;  unter  den  118  positiven 
Fällen  wurde  neben  anderen  Mikroorganismen  95mal  Staphylo¬ 
coccus  pyogenes  albus,  18mal  Bact.  coli  com.  und  9mal  Strepto¬ 
coccus  pyogenes  gefunden. 

Noch  häufiger  sind  die  positiven  Befunde  bei  Wöchnerinnen ; 
Unter  173  an  88  Wöchnerinnen  vorgenommenen  Untersuchun¬ 
gen  findet  Savor  nur  in  10  Fällen  die  Urethra  steril;  in  den 
übrigen  Fällen  immer  keimhältig  und  auch  hier  wiederum  in 
vielen  Fällen  die  gewöhnlichen  Eitererreger. 

Bevor  wir  auf  die  Schlüsse,  die  Savor  in  praktischer 
Hinsicht  aus  den  Resultaten  seiner  Untersuchungen  zieht, 
eiugehen,  wollen  wir  zunächst  seine  Methode  der  Secretabnahme 
mit  der  unseren  vergleichen  und  über  neue  Untersuchungs¬ 
ergebnisse,  die  wir  theils  nach  seiner,  theils  nach  unserer 
Methode  gewonnen,  berichten.  Diesmal  erstrecken  sich  unsere 
Untersuchungen  sowohl  über  eine  Reihe  von  gynäkologisch  er 
krankten  Frauen,  ein  Material,  das  auch  unseren  früheren 
Untersuchungen  zu  Grunde  lag,  als  auch  von  Schwangeren 
und  Wöchnerinnen. 

Savor  beschreibt  die  Entnahme  des  Untersuchungsmate¬ 
riales  aus  der  Urethra  folgendermassen:  »Zuerst  wurde  durch 
entsprechendes  Auseinanderziehen  der  Labien  das  Orificium 
externum  urethrae  und  seine  Umgebung  freigelegt,  wobei  es 
fast  immer  zu  einem  leichten  Klaffen  der  Harnröhrenmündung 
kommt;  sodann  wurde  diese  sammt  ihrer  Umgebung  mit  einem 
in  l°/ü0ige  Sublimatlösung  getauchten  Wattebäuschchen  und 
darauf  mit  sterilem  Wasser  energisch  gereinigt;  nun  wurde 
unter  thunlichster  Vermeidung  des  Orificium  externum  urethrae 
mit  einer  Platinöse  eingegangen  bis  in  die  Tiefe  von  2  —  21/ 2cm, 
die  Wände  der  Urethra  abgeschabt  und  sofort  überimpft«. 

Wir  gingen  bei  unseren  Untersuchungen  in  der  Weise 
vor,  dass  wir  zunächst  mit  einem  nicht  zu  feuchten  Watte¬ 
bäuschchen,  das  in  Sublimatlösung  (1 : 1000)  getaucht  war,  die 
Umgebung  der  Urethralmündung  reinigten  und  hierauf  ein  am 
unteren  Ende  mit  Watte  .umwickeltes  Holzstäbchen,  wie  man 
solche  zur  Auswischung  des  Cervicalcanales  verwendet,  mit 
diesem  Ende  in  eine  Sublimatlösung  (ebenfalls  1  : 1000)  ein¬ 
tauchten,  sorgfältig  ausdrückten  und  hierauf  y2  cm  weit  in  die 
Urethra  einführten  und  damit  den  Anfangstheil  derselben 
gründlich  abrieben.  Hierauf  gingen  wir  mit  einer  Impfnadel 
iy2 — 2  cm  tief  ein  und  entnahmen  von  da  das  auszusäende 
Material. 

Der  ganze  Unterschied  zwischen  Savor’s  und  unserer 
Methode  besteht  demnach  hauptsächlich  darin,  dass  wir  den 
Anfangstheil  der  Urethra  gründlicher  auswischten,  da  es  doch 
nicht  darauf  ankommt,  die  Keime,  die  sich  unmittelbar  am 
Orificium  externum  befinden,  und  die  zweifelsohne  mit  den 
Keimen  des  Vestibulums  identisch  sind,  sondern  die  jenseits 
des  Orificium  befindlichen  Mikroorganismen  zu  bestimmen,  und 
dass  wir  statt  einer  Oese  eine  einfache  Impfnadel  verwendeten. 

Wir  haben  schon  in  unserer  früheren  Arbeit  die  Ansicht 
geäussert,  dass  die  Methoden  keineswegs  so  verschieden  sind, 
dass  dadurch  so  divergente  Resultate  bedingt  sein  könnten. 

Bevor  wir  daran  gingen,  die  Methode  Savor’s  zu  ver¬ 
suchen,  war  es  uns  darum  zu  thun,  nachweisen  zu  können, 
dass  unsere  Art  der  Secretabnahme  in  bacteriologischer  Hin¬ 
sicht  möglichst  einwandfrei  sei.  Zu  diesem  Behufe  untersuchten 
wir  den  Keimgehalt  der  Urethra  bei  zehn  Fällen  von  Cystitis. 
Da  mit  Sicherheit  anzunehmen  war,  dass  die  Mikroorganismen, 
welche  sich  in  der  Blase  befanden,  durch  den  Harn  auch  in 
die  Urethra  gelangten,  so  mussten  wir  sie  daselbst,  wenn 
unsere  Methode  der  Secretabnahme  richtig  war,  nachzuweisen 
in  der  Lage  sein.  In  der  That  gelang  es  uns,  wie  aus  der 
nachstehenden  Tabelle  ersichtlich  ist,  in  allen  zehn  Fällen,  und 
zwar  waren  in  acht  Fällen  die  Mikroorganismen  der  Blase 
und  Urethra  vollständig  identisch,  in  zwei  Fällen  war  der 
Befuud  nahezu  derselbe. 


Tabelle  I. 
Cystitis. 


Name  und 

Diagnose 

Urethra 

Bouillon 

Agar-Agar 

Hochgeschich¬ 
tetes  Trauben¬ 
zucker-Agar 

Harn 


Bemer¬ 

kungen 


1.  Z. 
Myoma 
ut. 


2.  J. 
Myoma 
ut. 


3.  P. 
Gravid. 

tub. 

4.  K. 

Ivystoma 

ov. 

5.  H. 
Care,  ut 


6.  T. 
Myoma 
ut. 


7.  H. 
Prolap¬ 
sus  vag:. 


8.  E. 
Endome¬ 
tritis 

9.  L. 
Ektro- 

pium 

10.  Z. 
Myoma 

uteri 


nicht 

pathogene 

Doppel- 

coccen 


plumpe  kurze 
Stäbchen  und 
Doppelcoccen 


lange  Schein¬ 
fäden  und 
Doppelcoccen 


coliähnliche  Stäbchen,  keine 
Indolreaction 


Doppel¬ 

coccen 


steril 


Doppelcoccen 


zweierlei  echte  Fäden  bildende 
Stäbchen 


steril 


steril 


Doppelcoccen 


Staphylococcus  pyogenes  aureus  und 
nicht  pathogene  Doppelcoccen 


Bacterium  coli  commune  und  nicht 
pathogene  Doppelcoccen 


kurze  plumpe  Stäbchen  und  Coccen  j 
in  Haufen 


lange  Schein¬ 
fäden  und 
plumpe 
Stäbchen 

coliähnliche 

Stäbchen 

ohne 

Indolreaction 

dieselben 

Doppelcoccen 


dieselben 

Stäbchen 


Stäbchen 

und 

Doppelcoccen 

Staphylo¬ 
coccus 
pyogenes 
aureus  und 
nicht  patho¬ 
gene  Doppel¬ 
coccen 

Bact.  coli, 
Doppelcoccen 


dieselben 

Stäbchen 


I 


Keine 

pathogene 

Keime. 


Nicht 

pathogen. 


Nicht 

pathogen. 

Nicht 

pathogen. 

Nicht 

pathogen. 

Ersterer 

pathogen. 


Staphylococcus  pyogenes  aureus 


grosse  plumpe  Stäbchen,  nicht  gas¬ 
bildend 


Staphylo¬ 
coccus  pyog. 
aureus 

dieselben 

Stäbchen 


Pathogen 
(weisse 
Maus  und 
Kaninchen 

Nicht 

pathogen. 


Pathogen. 


Nicht 

pathogen. 


Zunächst  untersuchten  wir  nun  25  Fälle  nach  der  Me¬ 
thode  von  Savor  (Tabelle  II);  zugleich  wurde  in  allen  diesen 
Fällen  das  Vestibulumsecret  und  der  Harn  auf  den  Bacterien- 
gehalt  hin  untersucht. 

Menge ')  fand  nur  selten  infectiöse  Bacterien  im  Vestibulum- 
secrete  und  meint,  dass  dieselben  doch  ungefähr  in  gleicher 
Häufigkeit  in  dem  Urethral-  und  in  dem  Vestibulumeecrete 
Vorkommen  sollten. 

Was  speciell  das  Bacterium  coli  anbelangt,  so  liesse  die 
nahe  Nachbarschaft  des  Rectums  den  häufigeren,  positiven 
Nachweis  derselben  in  der  normalen  Urethra  leicht  erklärlich 
erscheinen;  es  müsste  dann  aber  häufiger  im  Vestibulumsecret 
nachweisbar  sein,  in  welches  es  vom  Urin  eingespült  wurde. 

Wie  aus  der  Tabelle  II  ersichtlich  ist,  fanden  wir  in 
2  von  25  Fällen  pathogene  Keime  im  Vestibulum,  das  eine  Mal 
(Fall  4)  ein,  dem  Pneumobacillus  Friedländer  ähnliches 
Stäbchen,  das  andere  Mal  (Fall  10)  pathogene  Haufencoccen, 
die  aber  dem  Staphylococcus  pyogenes  aureus  nicht  entsprachen. 
In  den  übrigen  23  Fällen  waren  sowohl  die  Agarplatten  als 
auch  das  hochgeschichtete  Trauben zucker- Agar  meist  dicht  be¬ 
wachsen;  pathogene  Keime  konnten  wir  weiter  nicht  nach¬ 
weisen.  In  5  von  diesen  Fällen  war  lebhafte  Gasbildung  im 


’)  Bacteriologie  des  weiblichen  Genitalcanales,  I.  Theil. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


321 


Tabelle  II. 


Fort¬ 

laufende 

V  e  s  t  i  b 

u  1  u  m 

Urethra 

Harn 

Bemerkungen 

Zahl, 

Name, 

Diagnose 

Agar-Agar 

ochgeschichtetes 
’raubenzucker- A. 

Bouillon 

Agar-Agar  ^ 

lochgeschichtetes 

’raubenzucker-A. 

1.  M. 
Retro  fl. 
ut.  mob. 

zahlreiche 
weisse  Colonien 

dicht  bewachsen, 
nicht  vergasend 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

2.  W. 
Rupt. 
perin. 

zahlreiche  kleinste 
und  grössere 
weisse  Colonien 

wie  bei  Nr.  1 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

3.  S. 

Retrofl.  ut. 
mob. 

steril 

wenige  Colonien, 
nicht  vergasend 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

4.  R. 
Hernia 
ventralis 

Schimmelpilz 

dicht  bewachsen, 
nicht  vergasend 

nicht  pathogene 
Stäbchen 

steril 

zehn  Colonien 
einer  nichtpatho¬ 
genen  streng 
anaeroben 
Stäbchenait 

steril 

Von  der  Zucker-Agarcultur  aus 
dem  Vestibulumsecret  weisse 
Maus  subcutan  geimpft, 
f  18  Stunden  Friedländer  Art. 

5.  Sch. 
Myoma  ut. 

dicht  bewachsen 

sieben  Colonien 

nicht  pathogene 
Coccen 

nicht  pathogene 
Coccen 

nicht  pathogene 
Coccen 

steril 

Nicht  pathogen. 

6.  K. 
Prolaps, 
vaginae 

Schimmelpilz 

dicht  bewachsen, 
vergasend 

steril 

steril 

mehrere  kleine 
Colonien,  nicht 
vergasend 

steril 

Nicht  pathogen. 

7.  T. 
Endom. 
cervic. 

Schimmelpilz 

wolkenförmiges 
Wachstlium, 
nicht  vergast 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

8.  T. 

Retrofl.  ut. 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
nicht  vergasend 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

9.  0. 
Haemato- 
cele  peri- 
tubaria 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
nicht  vergasend 

steril 

steril 

drei  Colonien, 
kleine  Doppel¬ 
coccen  und 
plumpe  Stäbchen, 
nicht  vergasend 

steril 

Nicht  pathogen. 

10.  K. 
Prolapsus 
uteri 

zahlreiche 

Colonien 

dicht  bewachsen, 
nicht  vergasend 

nicht  pathogene 
Doppelcoccen 

nicht  pathogene 
Doppelcoccen 

dicht  bewachsen, 
nicht  pathogene 
Haufencoccen 

steril 

Von  der  Agarcultur  aus  dem 
Vestibulumsecret,  weisse  Maus 
subcutan  geimpft,  f  36  Stunden. 
Im  Blute  und  Peritoneum  Haufen¬ 
coccen,  kein  Staphylococcus 
pyog.  aur. 

11.  Sch. 
Ruptura 
perinei 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
gasbildend 

nicht  pathogene 
Stäbchen  und 
Doppelcoccen 

eine  Colonie 
Doppelcoccen, 
nicht  pathogen 

dicht  bewachsen, 
Stäbchen  und 
Coccen,  nicht 
pathogen 

steril 

Nichts  Pathogenes. 

12.  H. 
Kyst.  ov.  d 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
vergast 

steril 

steril 

dicht  bewachsen, 
Doppelcoccen 

steril 

Nicht  pathogen. 

13.  L. 
Kyst.  ov.  d 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
vergast 

steril 

steril 

dicht  bewachsen, 
Stäbchen  und 
Coccen 

steril 

Nicht  pathogen. 

14  '.K. 
Care,  corp 
ut. 

dichtes 

Wachsthum 

dicht  bewachsen, 
vergast 

steril 

steril 

dicht  bewachsen, 
Haufencoccen 

I 

steril 

Von  der  Agarcultur  aus  dem 
Vestibulumsecret  weisse  Maus 
subcutan  geimpft,  f  24  Stunden. 
Im  Blute  und  Peritoneum  coli- 
ähnliche  Stäbchen  ohne  Indol- 
reaction,  sonst  nirgends  patho¬ 
gene  Keime. 

15.  T. 
Retrofl.  ut 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
nicht  yergast 

kleine 

Ilaufencoccen 

kleine 

Haufencoccen 

Doppelcoccen 

steril 

Nicht  pathogen. 

16.  H. 
Salpingo- 
oophoritis 
bilat. 

dichtes 

Wachsthum 

dicht  bewachsen, 
keine  Gasbildung 

Haufencoccen 

steril 

dicht  bewachsen, 
keineGasbildung 

steril 

Nicht  pathogen. 

17.  B. 
Prolaps, 
vagin. 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
keiueGasbildung 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

18.  M. 
Kystom, 
ov.  sin. 

dicht  bewachsen 

dicht  bewachsen, 
nicht  gasbildend 

kleine 

Haufencoccen 

kleine 

Haufencoccen- 

kleine 

Haufencoceen 

steril 

Nicht  pathogen. 

1  1 

322 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


Fort¬ 

laufende 

Zahl, 

Name, 

Diag-nose 

V  e  s  t  i 

b  u  1  u  m 

Urethra 

Harn 

Bemerkungen 

Agar-Agar 

hoch  geschichtetes 
Traubenzucker-A 

Bouillon 

Agar-Agar 

fc>  © 

hochgeschichtetes 

Traubenzucker-A. 

19.  T. 
Endome¬ 
tritis 

dicht  bewachsen 

dichtes 

Wachsthum, 

Gasbildung 

Haufen-  und 
Doppelcoccen 

Haufen-  und 
Doppelcoccen 

Haufen-  und 
Doppelcoccen 

steril 

Nicht  pathogen. 

20.  L. 
Trolapsus 
vag. 

dichtes 

Wachsthum 

dichtes 
Wachsthum, 
keine  Gasbildung 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

21.  H. 
Endo¬ 
metritis 

bewachsen, 
einerlei  Colonien, 
grosse  Ketten- 
coccen 

dichtes 
Wachsthum, 
keine  Gasbildung 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

22.  P. 
Hernia 
ventralis 

dichtes 

Wachsthum 

dichtes 
Wachsthum, 
keine  Gasbildung 

kleine 

Doppelcoccen 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

23.  B. 
Myoma 
uteri 

verunreinigt 

dicht  bewachsen, 
keine  Gasbildung 

diffuse,  dichte 
Trübung, 
schwerer,  wolki¬ 
ger  Bodensatz 

steril 

dichtes 
Wachsthum, 
nicht  vergasend 

steril 

Die  Untersuchung  der  Bouillon- 
cultur  aus  der  Urethra  ergibt: 
Grosse  und  kleine  Doppelcoccen 
und  kleine  schlanke  Stäbchen  mit 
abgerundeten  Enden,  Gram  neg., 
auf  Agar  diffuses,  zartes,  weissliclies 
trockenes  Wachsthum.  Gelatine 
schnell  verflüssigend.  Zucker-Agar 
nicht  vergasend ;  weisse  Maus 
intrap.  f  24  Stunden.  Die  anderen 
Keime  nicht  pathogen. 

24.  K. 
Rupt. 
perin. 

zahlreiche 
Colonien,  beson¬ 
ders  Kettencoceen 

dichtes 
Wachsthum, 
keine  Gasbildung 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

25.  G. 
Kolpit. 
senilis 

Colonien  von 
Doppelcoccen 

dichtes 
Wachsthum, 
keine  Gasbildung 

steril 

steril 

steril 

steril 

Nicht  pathogen. 

Traubenzucker-Agar  aufgetreten.  Den  Harn  fanden  wir  in  allen 
25  Fällen  steril. 

Die  Untersuchung  des  Keimgehaltes  der  Urethra,  genau 
nach  Savor  vorgenommen,  ergab  in  10  Fällen  einen  negati¬ 
ven  Befund;  in  den  übrigen  15  Fällen  fand  sich  ein  einziges 
Mal  (Fall  23)  ein  pathogenes  Stäbchen.  Von  den  verwendeten 
Nährböden  blieb  auch  unter  diesen  Fällen  das  schrägerstarrte 
Agar  am  häufigsten  steril,  und  zwar  in  76%  der  Fälle  (gegen 
86%  der  von  uns  seinerzeit  untersuchten  60  Fälle),  die 
Bouillon  blieb  in  60%  der  Fälle,  derselbe  Procentsatz  wie 
unter  dem  früheren  Falle,  und  das  hochgeschichtete  Trauben¬ 
zucker-Agar  blieb  in  44%  der  Fälle  steril. 

Im  Ganzen  sind  demnach  40%  sterile  Befunde  gegen 
52%  unserer  früheren  Fälle  zu  verzeichnen. 

Vergleichen  wir  diese  Befunde  mit  denen  Meng  e’s,  der 
in  70  Fällen  Vestibulumsecret  untersuchte  und  darunter  drei¬ 
mal  den  Streptococcus  pyogenes,  zweimal  den  Staphylococcus 
pyogens  aureus  und  zweimal  ein  Bacterium,  welches  dem  Coli¬ 
bacillus  glich,  in  den  übrigen  Fällen  aber  Saprophyten  ver¬ 
schiedener  Art  fand,  so  ersehen  wir  daraus,  dass  unsere  Be¬ 
funde  sich  insoferne  mit  denen  Menge's  decken,  als  auch  er 
nur  in  einer  geringen  Anzahl  von  Fällen  infectiöse  Mikro¬ 
organismen  im  Vestibulumsecret  nachgewiesen  hat. 

Diese  verhältnissmässig  geringe  Differenz  lässt  sich  durch 
den  Umstand  erklären,  dass  durch  unsere  Methode  das  Orifi- 
cium  urethrae  doch  gründlicher  gereinigt  wird,  und  dass 
es  mittelst  der  Impfnadel  besser  möglich  ist,  das  Untersuchungs¬ 
material  nur  der  Urethra  zu  entnehmen,  als  mit  der  Oese. 

Savor  findet,  wie  erwähnt,  unter  93  Fällen  34mal  die 
Urethra  keimfrei;  dies  entspricht  einem  Procentsatz  von 
circa  36. 

In  dieser  Hinsicht  wären  unsere  Befunde  also  keineswegs 
sehr  verschieden ;  die  Art  der  gefundenen  Keime  ist  es. 
welche  unsere  Resultate  so  divergent  erscheinen  lässt. 


Wie  nicht  anders  zu  erwarten  ist,  stimmen  auch  unsere 
Befunde  an  Schwangeren  mit  denen  Savor’s  ganz  und  gar 
nicht  überein.  Wie  aus  der  nachstehenden  Tabelle  III  zu  er¬ 
sehen  ist,  fanden  wir  die  Urethra  in  13  von  25  Fällen  steril 
(gegen  72  sterile  Befunde  unter  290  Untersuchungen  von 
Savor). 

Noch  mehr  contrastiren  die  Befunde,  wenn  wir  die  Art 
der  von  uns  nachgewiesenen  Keime  mit  denen  von  Savor 
vergleichen.  Wir  fanden  in  keinem  einzigen  der  Fälle  einen 
pathogenen  Keim,-  während  Savor  unter  seinen  Fällen 
95  m  al  den  Staphylococcus  pyogenes  albus  nach- 
weisen  konnte  und  in  relativ  vielen  Fällen  auch  noch  andere 
pyogene  Mikroorganismen. 

Wenn  wir  auch  bedenken,  dass  Savor’s  Befunde  von 
einem  viel  grösseren  Materiale  stammen  —  er  hat  zwölfmal 
so  viel  Fälle  untersucht  wie  wir  —  so  kann  uns  dieser  Um¬ 
stand  allein  die  Verschiedenheit  der  Resultate  nicht  erklären, 
ebensowenig  wie  dies  bei  den  aus  Tabelle  IV  ersichtlichen 
differenten  Resultaten,  welche  unsere  Untersuchungen  über 
den  Keimgehalt  der  Urethra  von  Wöchnerinnen  betreffen,  der 
Fall  ist. 

Wir  konnten  hier  wohl  unter  12  positiven  Befunden 
zweimal  pathogene  Keime,  einmal  (in  Fall  7)  kleine,  runde 
Coccen  zu  zweien,  und  in  kleinen  Haufen,  doch  Gelatine 
nicht  verflüssigend,  das  andere  Mal  (Fall  24)  grosse,  ovale 
Doppclcoccen,  Gelatine  ebenfalls  nicht  verflüssigend,  nach- 
weisen,  doch  haben  wir  52%  steriler  Befunde  gegenüber  5% 
von  Savor. 

Und  auch  der  Procentsatz  unserer  pathogenen  Keime 
kann  sich  mit  dem  Savor’s  nicht  messen,  auch  hier  fand 
derselbe  unter  Anderem  51  mal  den  Staphylococcus  pyogenes 
albus  und  15mal  Bacterium  coli  commune. 

Bei  solchen  überaus  bedrohlichen  Befunden  kann  es  nicht 
Wunder  nehmen,  dass  Savor  in  praktischer  Hinsicht  den 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


323 


Schluss  zieht,  dass,  »nachdem  die  Katheterisationscystitis  bei 
bestehendem  Keimgehalt  der  Urethra  nicht  sicher  zu  vermeiden 
ist,  und  eine  schwer  vollkommen  zur  Heilung  zu  bringende 
Affection  darstellt,  nachdem  ferner  eine  exacte  Desinfection 
der  Urethra  vor  dem  Katheterismus  undurchführbar  erscheint, 
die  Prophylaxe  der  Katheterisationscystitis  in  einer  desinfi- 
cirenden  Ausspülung  der  Blase  nach  jedem  Katheterismus  be¬ 
stehen  muss«. 

Trotzdem  glauben  wir,  dass  es,  selbst  wenn  die  Behaup¬ 
tungen  Savor’s  unwidersprochen  blieben,  wenige  Aerzte  geben 
wird,  welche  den  Vorschlag  Savor’s  befolgen  werden.  Es 
wird  ein  jeder  Arzt,  der  über  ein  grösseres  diesbezügliches 
Material  verfügt,  Menge  (1.  c.)  darin  vollständig  Recht  geben, 


Tabelle  III. 
Schwangere. 


Fortlaufende  j 
Zahl,  Name  S 

-----  ; 

Bouillon 

hochgeschiclitetes 
Traubenzucker- Agar 

Bemerkungen 

1.  c. 

steril 

I 

steril 

— 

2.  V. 

steril 

steril 

— 

3.  E. 

grosse  Cocceu  in  Haufen 

grosse  Coccen  in  Haufen 

Nicht  pathogen. 

4.  B. 

grosse  Coecen  zu  zwei 
und  in  Haufen 

1 

lange,  schlanke,  streng 
anaerobe  Stäbrhen 

''licht  pathogen. 

6.  B. 

steril 

steril 

- 

G.  S. 

grosse  und  kleine 
Doppelcoccen 

grosse  und  kleine 
Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

7.  P. 

steril 

steril 

— 

8.  R. 

steril 

steril 

— 

9.  N. 

steril 

kurze,  plumpe,  coli- 
ähnliclie  Stabeben, 
Gram  beständig  unbe¬ 
weglich,  nicht  ver¬ 
gasend 

Nicht  pathogen. 

10.  W. 

steril 

steril 

— 

11.  N. 

kleine  Doppelcoccen 

kleine  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

12.  St 

steril 

steril 

— 

13.  C. 

grosse  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

14.  H. 

steril 

steril 

15.  L. 

grosse  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen 

IG.  E. 

steril 

kleine,  schlanke  Stäbchen 

Nicht  pathogen. 

17.  St. 

steril 

stet  il 

— 

18.  W. 

steril 

steril 

— 

19.  Z. 

grosse  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen  und 
grosse  plumpe  Stäbchen 

Nicht  pathogen. 

20.  S. 

steril 

steril 

— 

21.  K. 

steril 

steril 

— 

22.  H 

steril 

steril 

— 

23.  D. 

grosse  Coccen  zu  zwei 
und  in  Haufen 

grosse  Coccen  zu  zwei 
und  in  Haufen 

Nicht  pathogen. 

24.  L. 

grosse  Coccen  zu  zwei 
und  kurze  Ketten 

grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

•ri 

<M 

grosse  Doppelcoccen 
und  kleine,  zarte  Stäb¬ 
chen,  ohne  Gasbildung 

giosse  Doppelcoccen 
und  kleine,  zarte  Stäb¬ 
chen,  ohne  Gasbildung 

Nicht  pathogen. 

T  a 

belle  IV. 

Wöchnerinnen. 

;  T 

§  «j't; 
l  s  « 

I 

-4 

1 

-*  • 

U  £L, 

-  ~  <D 

Bouillon 

hochgeschichtetes 

rraubenzucker-Agar 

Bemerkungen 

lE 

M  N  cv. 

1 

r 

1.  v. 

Tage 

steril 

steril 

— 

1  r 

2.  F. 
Tage 

steril 

steril 

1 

— 

3.  B. 

7  Tage 

steril 

steril 

4.  K. 

1  Tag 

steril 

lange,  schlanke 
Scheinfäden  und 

Nicht  pathogen. 

grosse,  plumpe 

Stäbchen 

1 

5.  B. 

3  Tage 

grosse  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

G.  A. 

steril 

steril 

— 

7  Tage 

7.  R. 

kleine,  runde  Coccen, 

lange,  schlanke, 

Nähere  Bestimmung 

3  Tage 

vorwiegend  zu  zwei, 

streng  anaerobe, 

der  Bouilloncultur 

doch  auch  in  kleinen 

nicht  pathogene 

ergibt.  Gram  positiv. 

Haufen.  Reichlicher, 
schwerer,  bröckliger 
Bodensatz,  die  übrige 
Flüssigkeit  klar. 

Stäbchen 

Auf  Agar:  Runde,  er¬ 
habene,  glatt  trandige, 
feuchtglänzende  Co- 
lonien.  Gelatine  nicht 

verflüssigend,  weisse 
Maus  intraperiton. 

geimpft,  -j-  24  Stunden. 

8.  C. 

7  Tage 

steril 

steril 

— 

9.  R. 

7  Tage 

steril 

steril 

10.  M. 
3  Tage 

steril 

steril 

11.  K. 

3  Tage 

grosse  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

12.  L. 

steril 

steril 

— 

1  Tag 

13.  L. 

6  Tage 

steril 

steril 

14.  W. 

grosse  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

3  Tage 

15.  P. 

grosse  Coccen  in 

gr'osse  Coccen  in 

Nicht  pathogen. 

4  Tage 

Ketten 

Ketten 

16.  S. 

6  Tage 

steril 

steril 

‘ 

17.  F. 

G  Tage 

steril 

steril 

18.  B. 
9  Tage 

steril 

steril 

19.  C. 

kleine  Doppelcoccen 

grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

1  Tag 

20.  V. 

grosse  Coccen  in 

I 

grosse  Coccen  in 

Nicht  pathogen. 

1  Tag 

Haufen 

Haufen 

21.  C. 
2  Tagt 

kleine  Doppelcoccen 

!  kleine  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

22.  J. 

grosse  Coccen  in 

I  grosse  Coccen  in 

Nicht  pathogen. 

2  Tagt 

s  Haufen 

Haufen 

23.  M 
2  Tagt 

grosse  Doppelcoccen 

i  grosse  Doppelcoccen 

Nicht  pathogen. 

Nähere  Bestimmung  der 

Trauben  zucker- A  garcultur 

24.  P. 

grosse  Doppelcoccen 

grosse,  ovale  Doppel- 

1  Tag 

und  lange,  schlanke, 

coccen 

Gram  positiv.  Bouillon 

nicht  pathogene 
Stäbchen 

diffus,  zart  getrübt,  mit  ge¬ 
ringem,  wolkigem  Boden¬ 
satz.  Agar:  Grosse  flächen- 

hafte,  grauweissliche, 

speckig  glänzende  Colo- 
nien  mit  gezacktem  Hand. 

Gelatine  nicht  verflüssi¬ 
gend.  Weisse  Maus  intrap. 

geimpft,  f  24  Stunden. 

1 

25.  S. 
1  Tag 

steril 

steril 

324 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


dass  die  klinischen  Erfahrungen,  welche  man  bei  dem  Kathe¬ 
terismus  der  Blase  sammeln  kann,  den  Bacterienbefunden  von 
Gawronsky1)  und  Rovsing2),  welche  häutig  pathogene 
Keime  in  der  Urethra  fanden,  nicht  entsprechen. 

Und  wenn  Savor  berichtet,  dass  es  (bis  zum  Abschluss 
seiner  Arbeit)  hei  51  Fällen,  welche  nach  Operationen  kathe- 
terisirt  und  mit  prophylaktischen  Blasenspülungen  behandelt 
wurden,  kein  einziges  Mal  zur  Entwicklung  einer  Katheteri- 
sationscystitis  kam,  so  kann  man  dem  entgegenhalten,  dass  die 
meisten  Operateure  auch  ohne  prophylaktische  Blasenspülungen 
gewiss  über  so  grosse  und  auch  grössere  Serien  von  Kathete- 
risirten  ohne  Cystitis  berichten  können.  Ist  die  Urethralmündung 
gut  zugänglich  und  gut  zu  reinigen,  dann  kann  man  mit  der 
grössten  Ruhe  den  Katheter  so  häutig  als  man  will  einführen, 
ohne  eine  Katheterisationscystitis  zu  erzeugen.  Wir  haben  ausser 
bei  jauchigen  Processen  am  Uterus  oder  in  der  Scheide  (Zer¬ 
fall  von  Carcinommassen  oder  bei  Totalexstirpation  des  Uterus, 
nach  welchem  die  nekrotischen  Stümpfe  eine  längere  faulige 
Secretausscheidung  aus  der  Vagina  veranlassen  —  Menge 
1.  c.)  eine  Katheterisationscystitis  am  häufigsten  dann  auftreten 
sehen,  wenn  nach  zu  hoch  angelegten  Dammplastiken  der 
Introitus  so  eng  wurde,  dass  die  Urethralmündung  nur  schwer 
zugänglich  geworden  war. 

Was  die  Behauptung  Savor’s  anbelangt,  dass  die  Kathe¬ 
terisationscystitis  eine  schwer  vollkommen  zur  Heilung  zu 
bringende  Affection  darstellt,  so  können  wir  derselben  nicht 
beipflichten.  Es  wird  gewiss  darunter  schwere  Fälle  geben, 
das  muss  ohne  weiters  zugegeben  werden,  doch  ist  sicher,  dass 
die  meisten  Katheterisationscystitiden  keinen  schweren  Verlauf 
nehmen  und  nach  Aufhören  des  Katheterisirens  ohne  jede 
locale  Behandlung  meist  in  kurzer  Zeit  ausheilen. 

Was  die  Prüfung  der  Pathogenität  der  von  Savor  ge¬ 
fundenen  Mikroorganismen  anbelangt,  so  ist  nur  bei  den  Strepto¬ 
coccen  ausdrücklich  erwähnt,  dass  in  jedem  Falle  die  Prüfung 
durch  das  Thierexperiment  vorgenommen  wurde.  In  einem 
Falle  führte  das  Bact.  coli  im  Wochenbett  zur  Infection  und 
zum  Tode  der  Wöchnerin  und  erwies  sich  demnach  als 
pathogen;  über  die  Prüfung  der  Pathogenität  der  übrigen  Coli- 
bacillen  und  der  Staphvlococcen  ist  weder  in  den  Tabellen 
noch  im  Text  Näheres  erwähnt;  es  heisst  nur,  dass  die 
Pathogenität  des  Staphylococcus  pyog.  albus  im  Grossen  und 
Ganzen  der  des  Staphylococcus  pyogenes  aureus  entspricht. 

Von  den  als  »Bacillen  schlechtweg  bezeichneten  Mikro¬ 
organismen  wird  berichtet,  dass  sie  weder  für  Mäuse,  noch  für 
Meerschweinchen  und  Kaninchen  pathogen  sind. 

Jedenfalls  ist  nicht  zu  ersehen,  ob  gerade  die  Staphylo- 
coccen  jedes  Mal  einer  Prüfung  auf  ihre  Pathogenität  unter¬ 
zogen  wurden,  was  gewiss  von  der  grössten  Wichtigkeit  wäre. 
Wenn  sich  thatsächlich  alle  als  Staphylococcus  pyogenes  albus 
und  aureus  und  als  Bact.  coli  geführte  Mikroorganismen  als 
wirklich  pathogen  erwiesen  haben  —  ausdrücklich  behauptet 
dies  Savor,  wie  gesagt,  nur  von  den  Streptococcen  mit  Aus¬ 
nahme  eines  Falles  —  dann  sind  die  Befunde  entschieden  ernst 
zu  nehmen,  ebenso  ernst  wie  der  Befund  von  Streptococcen, 
da  die  genannten  Mikroorganismen  ebenso  wie  diese,  zu  den 
schwersten  puerperalen  Infectionen  führen  können. 

Wir  müssen  ausdrücklich  betonen,  dass  wir  ausnahmslos 
alle  vorkommenden  Mikroorganismen  auf  Pathogenität  prüften 
und  zwar  verwendeten  wir  in  den  meisten  Fällen  weisse  Mäuse, 
denen  wir  frische  Bouillonculturen  (y2 — 1  cm3)  intraperitoneal 
injicirten. 

Wenn  wir  auch  unsere  Methode  der  Secretabnahme  für 
ziemlich  einwandfrei  erachten,  so  betrachten  wir  selbst  die 
Untersuchungen  des  Keimgehaltes  der  Urethra  nicht  für  ab¬ 
geschlossen  und  sehen  speciell  den  Resultaten  M  e  n  g  e’s  (I.  c.), 
der  das  Material  zu  seinen  Untersuchungen  unmittelbar  post 
mortem  von  der  Blase  her  mit  völliger  Vermeidung  der  Urethral¬ 
mündung  entnimmt  und  zugleich  Controluntersuchungen  des 
Harns  anstellt,  mit  Spannung  entgegen. 

Auch  Savor  (1.  c.)  hat  viermal  nach  dieser  Methode 
den  Keimgehalt  der  Urethra  untersucht  und  zweimal  Bact. 

*)  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1894,  Nr.  11. 

-)  Berlin.  1890. 


coli  gefunden;  doch  hält  er  es  selbst  für  ungerechtfertigt,  aus 
einer  so  minimalen  Zahl  von  Untersuchungen  Schlüsse  zu 
ziehen. 

Die  Untersuchung  war  in  dem  einen  positiven  Falle  wohl 
schon  drei  Stunden  post  mortem  geschehen,  in  dem  zweiten 
jedoch  erst  24  Stunden  nach  dem  Tode. 

Wenn  wir  die  Resultate  unserer  Untersuchungen  kurz 
zusammenfassen,  so  können  wir  im  Allgemeinen  sagen,  dass 
dieselben  im  Ganzen  und  Grossen  den  von  uns  seinerzeit  be¬ 
richteten  Ergebnissen  entsprechen,  dass  weiter  das  Vestibulum 
ebenso  wie  die  Urethra  nur  selten  pathogene  Keime  enthalten; 
in  ungefähr  der  Hälfte  der  Fälle  findet  sich  die  Harnröhre 
bei  Schwangeren  und  Wöchnerinnen  frei  von  Keimen;  die 
nachgewiesenen  Keime  sind  meist  Saprophyten  verschiedener 
Art,  wie  sie  auch  öfters  im  Vestibulum  Vorkommen. 


Erwiderung  auf  Dr.  Eisenmenger’s  Aufsatz: 
»lieber  die  sogenannte  Pseudolebercirrhose 
(Fr.  Pick)«  in  Nr.  II  dieser  Wochenschrift. 

Von  Dr.  Priedel  Pick,  Privatdocent  für  innere  Medicin  in  Prag. 

Der  Umstand,  dass  an  meine  1896  erschienene  Arbeit,  in  welcher 
ich  unter  dem  Namen  der  „pericarditischen  Pseudolebercirrhose“  einen 
häutig  zu  diagnostischen  Irrthümern  führenden  Symptomencomplex  be¬ 
schrieb  uud  zeigte,  wie  man  unter  Beachtung  von  mir  hervorgehobener 
differentialdiagnostischer  Momente  ganz  wohl  die  r  i  c  h  t  i  g  e  Diagnose 
stellen  kann,  „eine  ganze  Reihe  von  Publicationen  anschloss,  welche 
einschlägige  Beobachtungen  bringen  und  der  Mehrzahl  nach  meinen 
Vorschlag  vollinhaltlich  aeceptiren,  ja  dass  sogar  der  Name  in  einzelne 
Lehrbücher  aufgenommen  wurde“,  hat  Herrn  Dr.  Eisenmenger 
zu  einem  vehementen  Angriffe  auf  meine  Arbeit  veranlasst.  Er  con- 
statirt  zunächst  den  „E r  f  o  1  g“,  den  diese  gehabt  und  fährt  dann  fort: 
„Angesichts  dieses  Erfolges  scheint  es  berechtigt  und  nothwendig,  die 
Arbeit  Pick’s  einer  eingehenden  Kritik  zu  unterziehen“,  und  diese 
ist,  wie  die  Folge  lehrt,  eine  vollständig  ablehnende. 

Auch  in  den  verschiedenen  an  meine  Publication  anschliessenden 
Arbeiten  haben  gelegentlich  Fachgenossen  auf  Grund  ihrer  Be¬ 
obachtungen  von  dem  oder  jenem  Punkt  meiner  Arbeit  ab¬ 
weichende  Ansicht  en  mit  mehr  oder  weniger  Energie  geäussert, 
ich  habe  es  aber  bisher  als  Feind  jeglicher  Polemik  vermieden,  zu  irgend 
einer  dieser  Arbeiten  speeiell  Stellung  zu  nehmen.  Anders  steht  die 
Sache  bei  Herrn  Dr.  Eisenmenger;  dieser  bringt  keine  ein¬ 
zige  eigene  Beobachtung,  und  wir  lernen  da  also  ein  etwas  un¬ 
gewöhnliches  ätiologisches  Moment  für  eine  Kritik  kennen,  nämlich  den 
„Erfolg“  einer  Arbeit. 

Ob  dieses  Motiv  mangels  eigener  Beobachtungen  eine  genügende 
Berechtigung  für  eine  so  ablehnende  Kritik  bildet,  will  ich  nicht 
untersuchen,  jedenfalls  scheint  es  mir  aber  nicht  das  so  vollstän¬ 
dige  Verkennen  des  eigentlichen  Tenors  meiner  Arbeit,  nämlich 
der  diagnostischen  Seite  derselben,  zu  entschuldigen,  das  sich  in 
den  folgenden  Ausführungen  Herrn  Dr.  Eisenmenge  r’s  kund  gibt. 
Er  fragt :  „Wer  soll  denn  die  Diagnose  pericarditische  Pseudoleber¬ 
cirrhose  machen?  Der  Kliniker  kann  sie  nicht  machen,  denn  er 
weiss  nichts  von  der  Pericarditis.“  Ja,  er  soll  sie  eben 
suchen,  er  soll  daran  denken,  dass  eine  solche  vorliegen  kann 
und  sie  durch  anamnestische  Erhebungen  und  möglichst  häufige  Unter¬ 
suchungen,  wie  ich  das  ausdrücklich  betont  habe,  feststellen.  Das 
ist  ja  der  Tenor  meiner  ganzen  Arbeit,  das  zeigt  die 
ganze  Anordnung  derselben,  indem  ich  nach  Erörterung  der  Pathogenese 
des  isolirten  Ascites  in  den  beiden  ersten  Fällen  sage,  dass  dies¬ 
bezüglich  noch  keine  Klarheit  zu  erzielen,  und  fortfahre  :  „Vorderhand 
scheint  es  mir  am  wichtigsten,  das  diagnostische  Moment 
hervorzukehren  und  zu  zeigen,  wie  man  gegebenenfalls  den,  wie  wir 
oben  gesehen  haben,  von  verschiedenen  Autoren  begangenen  Irrthum 
vermeiden  kann.“  Dann  folgt  die  Erörterung  der  verschiedenen 
differentialdiagnostischen  Momente  und  die  Mittheilung  eines 
Falles,  in  welchem  ich  auf  Grund  derselben  die  rich¬ 
tige  Diagnose  zu  stellen  in  der  Lage  war.  Und  auch  in  meinem 
Resum6  sind  die  Anhaltspunkte  für  die  Stellung  der  richtigen  Diagnose 
entsprechend  hervorgehoben  (Punkt  3).  Andererseits  ist  es  auch  vor¬ 
gekommen,  dass  der  Kliniker  in  Fällen  anscheinender  Lebercirrhose 
von  der  Pericarditis  wusste  und  doch  nicht  an  eine  eventuelle 
Beziehung  zwischen  ihr  und  der  Lebererkrankung  dachte,  und 
auch  deswegen  war  es  nicht  überflüssig,  auf  die  Möglichkeit  eines 
solchen  Zusammenhanges  hinzuweisen.  Herr  Dr.  Eisenmenger, 
braucht  gar  nicht  weit  zu  gehen,  um  einen  solchen  Fall  zu  finden.  Er 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


325 


möge  mir  die  Monographie  „Erkrankungen  des  Herzbeutels“  von  Hof¬ 
rath  v.  Sehr  öfter  hernehmen.  Doi  t  spricht  v.  Sehr  öfter,  wie 
ich  in  meiner  Arbeit  bereits  citirte,  von  einem  jungen  Mädchen,  das 
mit  Lebe  rcirr  hose  aus  der  Fremde  zugereist  ist,  bei  welchem 
absolut  kein  Herzstoss  aufgefunden  werden  konnte,  der  behandelnde 
Arzt  aber  auf  eine  briefliche  Anfrage  hin  mit  aller  Bestimmtheit  er¬ 
klärte,  aus  den  lauten  Reibegeräuschen  am  HerzeD  seinerzeit  eine 
Pericarditis  diagnosticirt  zu  haben,  v.  Sehr  öfter  erwähnt 
mit  keinem  Worte  die  Möglichkeit  eines  Zusammen¬ 
hanges  zwischen  der  früher  constatirten  Pericarditis  und  der  Leber¬ 
erkrankung,  obwohl  man  bei  einem  jungen  Mädchen  die  Diagnose 
Lebercirrhose  doch  erst  nach  reiflicher  Erwägung  aller  anderen  Mög¬ 
lichkeiten  stellen  wird. 

Hier  w  e  i  s  s  also  der  Kliniker  von  der  Peri¬ 
carditis,  weist  aber  gar  nicht  auf  einen  eventuellen 
Zusammenhang  hin  und  so  war  es  doch  nicht  so  übe  r- 
flüssi  g,  dass  ich  auf  einen  solchen  aufmerksam  machte,  wie  dies  ja 
auch  gelegentlich  von  manchen  Autoren  hervorgehoben  wird  (W  e  r- 
batus,  Dissertation.  Erlangen  1899):  „Pick  weist  zum  ersten  Male 
auf  diesen  Zusammenhang  hin.“ 

Es  gibt  also  doch  Kliniker,  die  in  solchen  Fällen 
die  chronische  Pericarditis  diagn  osticiren  können, 
wie  dies  mein  dritter  Fall,  ferner  die  seither  mitgetheilten  Fälle  von 
Patella,  G  a  1  v  a  g  n  i,  Strümpell  (Werbatus)  und  Andere 
lehren,  und  diese  zeigen  wohl  zur  Genüge,  wie  unberechtigt  die 
kurz  angebundene  Art  ist,  mit  welcher  Herr  Dr.  Eisenmenger 
diese  Möglichkeit  verneint.  Wenn  Herr  Dr.  Eisenmenger  nun 
fortfährt:  „der  pathologische  Ana  torn- wird  gar  nicht  in  Ver¬ 
suchung  kommen,  an  eine  Lebercirrhose  zu  denken“,  so  ist  es  eigent¬ 
lich  schwer,  eine  solche  Naivotät  zu  verstehen.  \\  er  hat  denn  je  so 
etwas  behauptet?  Für  den  pathologischen  Anatomen  gibt 
es  doch  keine  latente  Pericarditis,  für  ihn  existirt  dieser 
Symptomencomplex  gar  nicht,  und  er  kann  auch  gar  kein  Urtheil 
über  seine  klinische  Berechtigung  oder  Nichtberechtigung  abgeben.  Es 
wird  vielleicht  gut  sein,  um  diesen  Unterschied  dem  Verständnisse  des 
Herrn  Dr.  Eisenmenger  näher  zu  rücken,  ein  analoges 
Beispiel  heranzuziehen.  Die  Sache  liegt  ganz  ähnlich,  wie  bei  der 
apoplektiformen  Pseudobulbärparalyse;  auch  hier  hat  der 
Kliniker  ein  einer  andereu  Affection  mit  ganz  anderem  anatomischem 
Substrat  sehr  ähnliches  Krankheitsbild,  für  den  p  a  t  h,o  1  o  g  i  sehen 
Anatomen  aber  existirt  dasselbe  nicht,  für  ihn  sind 
das  Blutungen  oder  Erweichungen  im  Gehirn,  ganz  ebenso  wie  bei 
einer  gewöhnlichen  Hemiplegie.  Dieser  Vergleich  widerlegt  auch 
zur  Genüge  den  von  Herrn  Eisenmenger  geäusserten  Tadel,  dass 
„eines  der  wesentlichen  Merkmale  des  Begriffes  pericard.  Pseudol.  ein 
„diagnostischer  Schnitzer“  sei  und  mit  den  Fortschritten 
in  der  Diagnostik  der  Pericarditis  diese  Krankheitsgruppe  ver¬ 
schwinden  müsse. 

Das  ist  nicht  richtig ;  bei  der  Pseudobulbärparalyse 
kann  der  Kliniker  aus  der  Anamnese  und  dem  Status  sehr 
wohl  die  Diagnose  cerebraler  Erweichung  oder  Blutungsherde 
machen  und  doch  behält  er  den  Namen  bei,  weil  der¬ 
selbe  den  Symptomencomplex  prägnant  Charakter  i- 
s  i  r  t.  Ebenso  ist  es  bei  der  Pseudoleber  cirrhose;  nicht  „den 
diagnostischen  Schnitzer“  zeigt  der  Name  an,  den  kann  man  ja,  wie  ich 
bewiesen  habe,  vermeiden,  sondern  die  Aehulichkeit  mit 
einem  andersartigen  Krankheitsprocesse.  Schön  ist  der  Name  ja  nicht, 
mir  gefällt  diese  vox  hybrida  auch  nicht  —  ich  habe  nur  keinen 
besseren  gefunden  — ,  aber  er  ist  doch  kürzer  und  so  ein  mnemo¬ 
technisches  Hilfsmittel  warnender  Art  bei  der  Diagnose, 
die  ja  doch  häufig  auch  Erinnerungssache  ist. 

Diese  Auseinandersetzungen  zeigen  zur  Genüge,  wie  sehr  Herr 
Dr.  Eisenmenger  die  wesentliche,  die  klinische  Seite  der  Frage 
verkennt,  die  er  in  20  Zeilen  erledigt.  Er  wendet  sich  in  den  folgenden 
acht  Spalten  mit  umso  grösserer  Ausführlichkeit  gegen  die  pathologisch¬ 
anatomische  Seite  derselben. 

Ich  bin  in  meiner  Arbeit  nach  Erwägung  der  spärlichen  bis 
dahin  bekannten  Sectionsbefunde  zu  der  Ansicht  gelangt,  dass  die  Ur¬ 
sa  c  h  e  des  Ueber  wiege  ns  des  Ascites  in  solchen  Fällen  in 
der  Leber  zu  suchen  sei,  in  welcher  durch  die  lang  dauernde  Circu- 
lationsstörung  sich  Bindegewebswucherungen  itabliren,  welche,  jetzt 
dauernd  geworden,  auch  beim  Zurückgehen  der  allgemeinen  Circu- 
lationsstörungen  Stauung  im  Pfortadergebiete  zur  Folge  haben.  Gegen 
diese  Anschauung  wendet  sich  nun  Herr  Dr.  Eisenmenger  in  sehr 
ausführlicher  Weise,  indem  er  sie  als  veraltet  bezeichnet  und  ihr 
eine  angeblich  neuere  Darstellung  entgegensetzt,  welche  der  Bind  e- 
ge  webswucherung  nur  eine  ganz  geringfügige  Rolle 
zuschreibt  und  auf  Grund  von  Präparaten  und  Aeusserungen  Professor 
Paltau  f’s  bestreitet  er  überhaupt  das  Vorkommen  einer 
stärkeren  Wucherung  und  S  hrumpfung  des  Bindegewebes. 


Dies  ist  das  Wesentliche  seiner  Ausführungen,  denn  ob  die 
Leberzellen  nur  durch  die  Gefässdilatation  oder  auch  durch  Ernährungs¬ 
störungen  oder  die  Bindegewebswucherung  leiden,  ist  für  die  Entstehung 
der  Pfortaderstauung,  auf  die  es  hier  allein  ankommt,  ganz  gleich- 
giltig.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  Herr  Dr.  Eisenmenger  die  Autoren 
nicht  angibt,  welche  sonst  noch  diese  neuere  Anschauung  vertreten. 
Denn  wie  ein  kurzer  Ueber  blick  über  die  modernen 
Lehr-  und  Handbücher  zeigt,  findet  sich  in  den¬ 
selben  immer  noch  die  von  mir  herausgegebene, 
nach  Herrn  D  r .  Eisenmenger  veraltete  Lehre  ver¬ 
treten. 

Es  ist  also  denn  doch  diese  Anschauung  entgegen  der 
Darstellung  Dr.  Eisenmenge r’s,  die  bislang  allgemein  accep- 
t  i  r  t  e  und  ich  war  daher  wohl  berechtigt,  dieselbe  zur  Erklärung 
dieser  Fälle  heranzuziehen.  Wenn  Herr  Dr.  Eisenmenger  dieselbe 
verwerfen  will,  dann  müsste  er  erst  durch  eigene,  auf  breiterer  Basis 
angestellte  histologische  Untersuchungen  die  Geringfügigkeit  der  peri¬ 
portalen  BindegewebswucheruDg  erweisen.  Das  ist  dann  aber  eine 
Frage,  die  für  die  G  e  s  a  m  m  t  h  e  i  t  der  Fälle  von  Blutstauungs- 
eirrhose  zu  entscheiden  sein  wird,  und  es  erscheint  doch  voreilig,  die¬ 
selbe,  so  lange  sie  noch  mehr  oder  weniger  Privatansicht  ist, 
als  Haupteinwand  gegen  einen  Symptomencomplex  zu  benützen,  der 
nur  einen  Einzelfall  dieser  Veränderung  darstellt  und  für  dessen  auf 
vorwiegend  klinischem  Gebiete  liegende  Berechtigung  diese  Erklärung 
überhaupt  nur  von  secundärer  Bedeutung  ist. 

Was  die  weiteren  Bemerkungen  des  Herrn  Dr.  Eisenmenger 
betrifft,  so  kann  ich  hier  mit  Rücksicht  auf  den  geringen  mir  zuge¬ 
wiesenen  Raum  nur  die  wichtigsten  in  Kürze  streifen.  Ein  so  häufiges 
Krankheitsbild  sind  die  Fälle  von  isolirtem  Ascites  bei  Pericarditis  oder 
anderen  Herzaflfectionen  doch  nicht,  wie  Herr  Dr.  Eisenmenger 
meint,  der  selbst  keinen  einzigen  derartigen  Fall  anführt,  es  aber  nicht 
zulässig  findet,  ein  häufiges  Krankheitsbild  auf  eine  seltene  Ursache 
zurückzuführen.  Von  ersterer  Art  sind  seit  meiner  Publication  etwa 
15  Fälle  aus  den  verschiedensten  Ländern,  die  Mehrzahl  aus  Italien, 
mitgetheilt  worden,  meist  selbst  von  Klinikern  mit  langjähriger  Erfahrung, 
wie  B  o  z  z  o  1  o,  Patella  u.  A.  immer  nur  e  i  n  Fall. 

Bezüglich  der  verschiedenen  anderen  Erklärungsversuche, 
die  Herr  Dr.  Eisenmenger  an  Stelle  der  von  mir  gegebenen 
setzen  will,  wie  Compression  oder  Knickung  der  unteren  Hohlvene  oder 
Peritonitis  an  der  Leberpforte,  so  habe  ich  dieselben  ja  alle  schon  i  n 
meiner  Arbeit  genügend  besprochen  und  motivirt,  warum  ich  sie 
nicht  stichhaltig  finde.  Die  Knickung  der  H  o  h  1  v  e  n  e  hat  noch 
niemand  bewiesen,  sie  würde  auch  das  Fehlen  der  Extremitätenödeme 
nicht  erklären,  auch  die  Peritonitis  ist  nicht  regelmässig  genug 
gefunden  worden,  um  zur  Erklärung  zu  genügen,  wie  dies  im  An¬ 
schluss  an  meine  Ausführungen  auch  Galvagni  und  Patella 
hervorgehoben  haben.  Ferner  fehlt  jeder  Anhaltspunkt  für  diese  beiden 
Momente  in  den  Fällen  von  isolirtem  Ascites  bei  Klappenfehlern. 
Auch  die  verschiedenen  Versuche  des  Herrn  Dr.  Eisenmenger, 
das  Fehlen  der  Extremitätenödeme  aus  physiologischen,  für  den 
Abfluss  aus  den  unteren  Extremitäten  günstigeren  Bedingungen  zu  er¬ 
klären,  wird  durch  das  sonstige  regelmässig  umgekehrte  Verhalten  bei 
Herzkrankheiten  widerlegt.  Gegen  seine  Annahme,  dass  das  häufige 
Vorkommen  dieses  Symptomencomplexes  im  jugendlichen  Alter 
gegenüber  den  Erwachsenen  eine  Folge  der  bei  letzteien  an  den  peii- 
pheren  Gefässen  früher  auftretenden  senilen  Veränderungen  sei,  spricht 
erstens  das  gelegentliche  Auftreten  des  Symptomencomplexes  in  höherem 
Alter  (im  ersten  meiner  Fälle  44  Jahre)  und  ferner  der  in  der  Anam¬ 
nese  solcher  Fälle  hervortretende  Umstand,  dass  bei  der  ersten, 
zweiten  Incompensation  die  Oedeme  zurückgehen,  aber  Lebervergrösse- 
rung  und  Ascites  isolirt  bestehen  bleiben,  was  gerade  viel  mehr  für 
meine  Annahme  spricht,  wonach  eben  die  sich  jetzt  in  der  Leber 
dauernd  etablirende  Bindegewebswucherung  die  Ursache  darstellt.  Dies 
Alles  zeigt  wohl  zur  Genüge,  wie  unzulänglich  die  verschiedenen  Er¬ 
klärungsversuche  sind,  welche  Herr  Dr.  Eisenmengei  mit  solchei 
Bestimmtheit,  zum  Theil  ohne  meine  frühere  Zurückweisung  derselben 
zu  erwähnen,  anführt. 

Ausserdem  ist  in  seinen  Erörterungen  noch  ein  Umstand  auf¬ 
fällig,  die  Art  und  Weise,  mit  welcher  er  bestimmte  Aeusserungen 
verschiedener  Autoren,  wenn  er  sie  nicht  widerlegen  kann,  in  ihrer 
Beweiskraft  zweifelhaft  zu  machen  sucht.  So  liest  er  aus  der  Abbil¬ 
dung  Zi'egler’s,  des  einzigen  pathologischen  Anatomen,  den  er 
citirt,  einen  Gegensatz  zu  dessen  textlicher  Aeusserung  heraus,  welch 
letztere  geradezu  in  meinem  Sinne  lautet.  Beim  Falle  N  a  c  h  o  tL  be¬ 
zweifelt  er  die  ganz  präcisen  Angaben  über  die  Intactheit  des  l  erito- 
neums  bei  der  wegen  hochgradigem  Ascites  vorgenommenen  Laparotomie. 
Bei  den  Sectionsbefunden  meiner  drei  Fälle  tadelt  er,  dass  „in  keinem 
einzigen  Falle“  die  mikroskopische  Untersuchung  erfolgt  sei,  und  doch 
enthält  das  erste  Sectionsprotokoll  (pag.  4)  eine  durch  gesperrten 
I  Druck  hervorgehobene  Note  darüber  mit  Constatirung  der  interstitiellen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


Bindegewebswucherung.  Ich  glaube,  bevor  man  so  streng  kri- 
t  i  s  i  r  t,  sollte  man  doch  genauer  nachseh  en.  So  sehr  ich 
das  Fehlen  des  mikroskopischen  Befundes  bei  den  beiden  anderen 
Fällen  bedauere,  so  ist  dies  nicht  meine  Schuld,  denn  wie  aus  dem 
Texte  meiner  Arbeit  hervorgeht,  war  erst  das  zufällige  Zusammen¬ 
treffen  der  ersten  zwei  Fälle  für  mich  die  Veranlassung,  mich  mit 
diesem  Thema  zu  beschäftigen  und  damals  die  Bedeutung  des  Leber¬ 
befundes  noch  nicht  so  klar,  um  mir  bei  der  Section  gleich  Stücke 
der  Leber  zu  erbitten.  Der  dritte  Fall  aber  wurde  durch  eine  Kette 
von  Transferirungen  von  einer  anderen  Klinik,  ohne  das3  ich  davon 
wusste,  secirt.  Uebrigens  spricht  schon  die  makroskopische  Be¬ 
schreibung  der  Lebern,  die  trotz  jahrelangem  Ascites  nicht  ver¬ 
kleinert  waren,  gegen  ihre  Auffassung  als  atrophische  oder  Säufer- 
cirrhose,  wie  Herr  Dr.  Eisenmenger  will.  Wenn  er  sich  dabei  auf 
die  von  den  secirenden  Assistenten  in  der  lateinischen  Diagnose 
gebrauchte  Bezeichnung  „Cirrhosis  hepatisu  stützt  und  es  als 
„ausgeschlossen“  bezeichnet,  dass  ein  deutscher  Anatom  so  eine 
„Cirrhose  cardiaque“  benenne,  so  genügt  der  Hinweis  auf  die  oben 
gebrachten  Citate  aus  den  Lehrbüchern,  um  dies  zu  widerlegen. 
Uebrigens  ist.  Cirrhosis  hepatis  —  ein  Wort,  das  im  Grunde  genommen 
nur  bedeutet,  dass  die  Leber  gelb  ist  —  kein  so  scharf  umschriebener 
Begriff,  und  die  ätiologisch  verschiedensten  anatomischen  Veränderungen 
werden  so  bezeichnet.  Bei  dieser  Gelegenheit  zeigt  sich  auch  wieder 
das  Bestreben  Herrn  Dr.  Eisen  menge  r’s,  präcise  Aeusserungen 
von  Autoren  auf  Umwegen  ihrer  Beweiskraft  zu  entkleiden,  indem  er 
mit  Bezug  auf  die  von  mir  mitgetheilte  Ansicht  Prof.  Chiari’s,  in 
dessen  Institut  die  Fälle  secirt  wurden,  dahingehend,  „dass  es  sich  in 
diesen  Fällen  um  so  eine  Cirrhose  cardiaque  gehandelt  habe“,  sagt:  Ich 
bin  überzeug  t,  dass  Chiari,  wenn  er  das  Sectio  nsproto- 
koll  gesehen  hätte,  sich  nicht  so  bestimmt  ausgedrückt  hätte“. 
Wie  k  o  m  m  m  t  Herr  Dr.  Eisenmenger  zu  dieser  U  e  b  er¬ 
zen  gung?  Wer  das  Interesse  kennt,  welches  Hofrath  C  h  i  a  r  i  allen 
solchen  Arbeiten  entgegenbringt  und  die  peinliche  Sorgfalt,  mit 
welcher  er  jedes  Protokoll  vor  der  Publication  durchliest,  den  wird  die 
Leichtfertigkeit  dieser  Zumuthung  überraschen  und  dar¬ 
über  hätte,  ehe  er  so  etwas  schrieb,  Herr  Dr.  Eisenmenger  sich 
auch  in  Wien  orientiren  können.  Auch  lässt  meine  Stylisirung  gar  keinen 
Zweifel  aufkommen,  dass  es  sich  um  autorisirte  Wieder¬ 
gabe  einer  gutachtlichen  Aeusserung  handle,  sie 
ist  ganz  ähnlich  wie  dort,  wo  Herr  Eisenmenger  die  Meinung 
des  Herrn  Prof.  Pal  tauf  über  die  Cirrhose  mittheilf,  und  eine 
solche  Meinungsäusserung  wird  doch  Niemand  ohne  reifliche 
Erwägung  abgeben. 

•  Was  die  Schlusssätze  des  Herrn  Dr.  Eise  n  menge  r 
betrifft,  so  liegt  in  den  ersten  beiden,  die  die  Aehnlichkeit  des  von 
mir  beschriebenen  Symptomencomplexes  mit  der  Leberciri  hose  zugeben, 
eigentlich  eine  genügende  Desavouirung  seines  ablehnenden 
Urtheiles ;  wenn  er  denselben  auch  klinisch  deswegen  verwirft,  weil 
er  nicht  einheitlich  anatomisch,  sondern  durch  verschiedene  Processe 
herbeigeführt  werde,  so  ist  zu  erwidern,  dass  es  mir  eben  logischer 
scheint,  bei  identischem  klinischem  Bilde  das  häufigste  anatomische 
Moment  herauszuheben  und  das  eben  die  Stauungsveränderungen  in 
der  Leber  bilden,  wie  ich  erst  auf  dem  letzten  Congiesse  für  innere 
Medicin  in  einem  Vortrage  hervorhob,  den  Herr  Eisenmenger 
nebenbei  gesagt,  gar  nicht  citirt,  obwohl  er  ganze  Sätze 
wörtlich  daraus  abschreibt.  Die  Entscheidung  können  erst 
weitere  Untersuchungen  bringen,  die  damaligen,  nicht  durch  eigene 
Beobachtungen  gestützten  Einwendungen  des  Herrn  Eisenmenger 
sind  dazu  am  wenigsten  geeignet.  Uebrigens  liegt  die  Hauptsache  in 
der  richtigen  klinischen  Beobachtung,  die  Deutung,  die  jedoch  immer 
etwas  Subjectives,  vom  Einzelfall  Abhängiges  hat,  schwankt  oft  im 
Anfänge,  ehe  eine  endiltige  Entscheidung  getroffen  wird. 

Es  ist  eigentlich  schwer  zu  verstehen,  wieso  Herr  Eisen¬ 
menger  die  klinische  Seite  so  vollständig  verkannte,  wie  wir 
anfaugs  gesehen  haben,  da  er  ja  als  Motiv  seiner  Kritik  den  „Erfolg“ 
meiner  Anregung  bezeichnet.  Worin  soll  dieser  aber  bestanden  haben? 
Dass  bezüglich  des  Zustandekommens  des  Ascites  nicht  alle  Autoren 
meiner  Meinung  sind,  das  habe  ich  in  meinem  Karlsbader  Vortrage, 
den  Herr  Eisenmenger  ja  kennt,  hervorgehoben,  der  „Erfolg“, 
von  welchem  Herr  Eisenmenger  spricht,  lag  aber  nicht  in  der 
Erklärung,  sondern  in  der  diagnostischen  Seite  und  in  dieser 
Beziehung  wird  mir  Herr  Dr.  Eisenmenger  schon  gestatten,  die 
Aeceptirung  von  Seiten  erfahrener  Kliniker,  wie  Baeumler, 
B  o  z  z  o  1  o,  G  a  1  v  a  g  n  i,  Patella,  Strümpell  und  Anderer  für 
schwerwiegend  zu  erachten. 


Ueber  die  Hämamöben  im  Blute  Leukämischer. 

Von  Prof.  Dr.  M.  Löwit,  Innsbruck. 

Auf  die  vorläufige  Mittheilung  W.  T  ü  r  k’s  in  Nr.  13  dieser 
Zeitschrift  habe  ich  kurz  Folgendes  zu  entgegnen: 

1.  Es  ist  unzulässig,  die  von  mir  als  Hämamöben  im  Blute  myelämi- 
scher  Kranker  beschriebenen  Gebilde  als  Auslaugungsproducte  der  Mast¬ 
zellengranula  zu  bezeichnen.  Mastzellengranula  und  Ilämamöben  können 
durch  Gestalt,  Grösse  und  Färbungsdifferenzen  sicher  von  einander  unter¬ 
schieden  werden.  Tür  k’s  Beobachtungen  über  das  differente  Aussehen  der 
Mastzellen  bei  Anwendung  verschiedener  Farbstoffe  (alkoholisches,  wässeri¬ 
ges  und  Lö  ff  ler’s  Methylenblau)  treffen  das  Weseu  dieser  Unterscheidungen 
zwischen  den  beiden  Gebilden  durchaus  nicht.  Diese  Differenzen  sind 
bereits  in  meiner  Monographie  klar  dargelegt,  allein  sie  sind  von 
Türk  nicht  erfasst  oder  nicht  beachtet  worden.  Wer  behaupten  kann, 
dass  die  typischen  Griffelformen,  die  typischen  Sichelformen  und  auch 
die  grossen  Amöbenformen  der  Myelämieparasiten  als  Kunst-  oder 
Auslaugungsproducte  von  Mastzellengranulis  anzusehen  sind,  der  hat 
eben  diese  typischen  Parasitenformen  noch  nicht  gesehen. 

2.  Diese  typischen  Parasitenformen  sind  nicht,  wie  aus  der  Dar¬ 
stellung  von  Türk  vermuthet  werden  könnte,  nur  mit  verdünnten, 
sondern  mit  vollständig  gesättigten  Thioninlösungen,  mit  denen  ich 
vorwiegend  arbeite,  darstellbar.  Parasitenformen  und  Mastzellen¬ 
granula  können  gleichzeitig  in  demselben  Präparate,  ja  in  der  gleichen 
Zelle  zur  Darstellung  gebracht  und  von  einander  namentlich  durch 
Gestalt-  und  Färbungsdifferenzen  unterschieden  werden.  Die  dies¬ 
bezügliche  Färbungsmethode  ist  jedoch  schwierig  und  wegen  Mangel 
an  Material  noch  nicht  völlig  durchgearbeitet.  Dass  man  bei  An¬ 
wendung  der  bisherigen  Färbungsmethoden,  namentlich  des  basischen 
Farbengemisches,  derartige  Beobachtungen  bereits  machen  konnte,  habe 
ich  in  meiner  Monographie  erwähnt. 

Dass  man  mit  Farbstoftlösungen  von  verschiedenem  Wassergehalt 
verschiedenartige  Bilder  an  den  Mastzellengranulis  zu  erhalten  ver¬ 
mag,  die  gelegentlich  auch  eine  gewisse  formelle  Aehnlichkeit  mit 
parasitären  Gebilden  darbieten  können,  was  bereits  in  meiner  Mono¬ 
graphie  betont  wurde,  kann  ohne  Weiteres  zugegeben  werden  ;  das 
rechtfertigt  aber  in  keinerlei  Weise  eine  Identificirung  dieser  defor- 
mirten  Granula  mit  den  parasitären  Gebilden  aus  dem  Blute  myelämi- 
scher  Individuen. 

3.  Der  Behauptung  von  Türk,  dass  er  auch  bei  zahlreichen 
anderen  Krankheiten  die  „Haemamoeba  leukaemiae  magna“  im  Blute 
nachweisen  konnte,  stelle  ich  die  ebenso  bestimmte  Behauptung  gegen¬ 
über,  dass  die  im  Blute  und  den  blutzellenbildenden  Organen  normaler 
Menschen  und  Thiere  enthaltenen  Mastzellengranula,  sowie  die  nament¬ 
lich  bei  der  gewöhnlichen  Form  der  Leukocytose,  bei  hochgradigen 
Formen  von  Anämien,  im  Malariablute,  bei  Krebskachexie  und  wohl 
auch  bei  zahlreichen  anderen  Erkrankungen  im  peripheren  Blute  an 
den  Leukocyten  vorkommenden  Degenerationsproducte  des  Kern-  und 
Zellzerfalles,  die  auch  in  den  blutzellenbildenden  Organen  häufig  ge¬ 
funden  werden,  mit  den  Parasiten  aus  dem  Blute  Myelämischer  nicht 
identificirt  werden  können,  von  ihnen  vielmehr  sicher  unterscheid¬ 
bar  sind. 

4.  Es  kann  nicht  zugegeben  werden,  dass  das  von  mir  an  den 
leukämisch  inficirten  Kaninchen  hervorgerufene  Krankheitsbild  als  eine 
chronisch  recidivirende  Leukocytose,  wie  das  Türk  thut,  bezeichnet 
werde;  auch  dafür  habe  ich  die  Gründe  bereits  in  meiner  Monographie 
auseinandergesetzt. 

Die  parasitären  Gebilde,  die  bei  den  inficirten  Thieren  im  Blute 
und  den  blutzellenbildenden  Organen  auftreten,  sind  von  den  normaler 
Weise  bei  den  betreffenden  Thieren  vorhandenen  Mastzellengranulis 
und  anderen  mit  basischen  Farben  darstellbaren  Elementen  sicher 
unterscheidbar,  worüber  ich  bereits  in  meiner  Monographie  die 
nöthigen  Angaben  machte,  und  worauf  ich  in  einer  baldigst  erschei¬ 
nenden  Untersuchung  noch  näher  zurückkommen  werde. 

Die  Behauptung  von  Türk,  dass  es  mir  an  den  leukämisch 
inficirten  Kaninchen  nicht  gelang,  anatomisch  und  histologisch  das  Bild 
menschlicher  Leukämie  zu  erzeugen,  findet  ihre  Entgegnung  in  der 
von  mir  ermittelten  und  in  meiner  Monographie  bereits  näher  aus¬ 
einandergesetzten  Beobachturg.  dass  das  gewählte  Versuchsthier  nicht 
günstiger,  oder  doch  jedenfalls  andersartige  Bedingungen  als  sie  im 
menschlichen  Organismus  für  die  Entwicklung  des  Parasiten  vorliegen, 
darbietet.  Das  leukämisch  inficirte  Kaninchen  zeigt  auch  anatomisch 
und  histologisch  Krankheitserscheinungen,  'welche  nur  quantitativ  ver¬ 
schieden  von  jenen  beim  myelämischen  Menschen  sind,  und  welche  es 
nicht  gestatten,  diese  Krankheitserscheinungen  als  eine  chronisch  reci¬ 
divirende  Leukocytose  zu  bezeichnen.  Ich  halte  daher  meine  Argumen¬ 
tation  bezüglich  der  Uebertragungsversuche  der  Myelämie  auf  das 
Kaninchen  vollkommen  aufrecht. 

Eine  eingehende  Darstellung  der  hier  berührten  Verhältnisse 
bleibt  einer  anderen  Gelegenheit  Vorbehalten. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Bemerkungen  zu  obiger  Erwiderung. 

Von  Dr.  W.  Türk. 

Die  vorstehende  Erwiderung  Prof.  L  ö  w  i  t  s  auf  meine  vor¬ 
läufige  Mittheilung  kann  mich  in  keiner  Weise  veranlassen,  irgend 
einen  Sa'z  oder  auch  nur  ein  Wort  meiner  Ausführungen  abzuändern 
oder  zu  widerrufen;  ich  muss  vielmehr  alle  ausgesprochenen  An 
schaumigen  in  ihrem  vollen  Umfange  aufrecht  erhalten. 

Herr  Prof.  Löwit  wiederholt  lediglich  die  Argumente  seiner 
Monographie,  die  alle  mir  ja  selbstverständlich  vor  Anstellung  meiner 
Nachuntersuchungen  wohl  bekannt  waren,  und  trotz  deren  und 
gegen  die  ich  eben  auf  Grund  dieser  Nachunter¬ 
suchungen  die  vorläufige  Mittheilung  erscheinen  liess.  Ich  habe 
daher  keinen  Anlass,  jetzt  auf  diese  Erwiderung  weiter  einzugehen  und 
verweise  bezüglich  der  Begründung  meiner  Anschauungen  auf  den  in 
Wiesbaden  zu  haltenden  Vortrag,  bei  welchem  Anlasse  ich  meine  Ar¬ 
gumente  und  Präparate  zur  Beurtheilung  nicht  nur  Prof.  Löwit, 
sondern  den  sämmtlichen  Congresstheilnehmern  und  der  Wissenschaft 
überhaupt  vorlegen  werde. 


FEUILLETON. 


Am  31.  März  schied  Josef  Gruber  in  seinem  73.  Lebens- 
jahie  aus  einem  fruchtbaren,  an  Arbeit  und  Ehren  reichen  Leben.  — 
Am  4.  August  1827  zu  Kosolup  in  Böhmen  geboren,  absolvirte 
Gruber  die  medicinischen  Studien  an  der  Wiener  Universität,  wo¬ 
selbst  er  1855  zum  Doctor  der  Medicin  und  Chirurgie  promovirt  wurde. 
1855 — 1860  wirkte  er  als  Secundararzt  im  k.  k.  Allgemeinen  Kranken¬ 
hause.  Schon  seine  aus  dieser  Zeit  stammenden  Abhandlungen  über 
chirurgische  und  dermatologische  Themata,  z.  B. :  „Ueber  Harnblasen- 
zerreissung“  (Medicinisches  Jahrbuch  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
1857)  —  „Ueber  Abscesse  in  der  vorderen  Bauchwand“  (ibidem  1860) 

—  „Ueber  den  organischen  Stoffwechsel  syphilitisch  Erkrankter  unter 
dem  Gebrauche  von  Mercurialmitteln“  (ibidem  1859),  legen  Zeugniss 
ab  von  seinem  wissenschaftlichen  Eifer  und  guter  Beobachtungsgabe. 

—  Gleichzeitig  beschäftigte  er  sich  autodidaktisch  mit  Ohrenheilkunde, 
die  damals  an  der  hiesigen  Facultät  nicht  gelehrt,  durch  die  Arbeiten 
von  Toynbee  und  von  T  r  ö  1 1  s  c  h  in  eine  neue  Bahn  geleitet  wurde. 
Unter  dem  Einflüsse  der  damals  zur  höchsten  Bliithe  gelangten  Wiener 
medicinischen  Schule  wandte  er  die  Grundzüge  der  Forschung  dieser 
classischen  Schule  auf  die  junge  Disciplin  an.  Mit  einem,  von  heiligem 
Enthusiasmus  getragenen  Feuereifer,  den  er  sich  bis  zu  seinem  Tode 
bewahrte,  stürzte  er  sich  auf  die  anatomische  und  pathologisch-anato¬ 
mische  Bearbeitung  des  Gehörorganes.  Auf  Grundlage  seiner  diesbezüg¬ 
lichen  Arbeiten  habilitirte  er  sich  1863  neben  den  mächtig  empor¬ 
strebenden  Politzer  unter  der  Patronanz  Hyrtl’s  als  Privatdocent 
für  theoretische  und  praktische  Ohrenheilkunde  an  der  Wiener  Univer¬ 
sität.  1867  publicirte  er  seine  bedeutsame  Monographie:  „Anatomisch¬ 
physiologische  Studien  über  das  Trommelfell  und  die  Gehörknöchelchen“ 
und  1870  sein  „Lehrbuch  der  Ohrenheilkunde“.  In  dieselbe  Zeit 
fällt  die  Gründung  der  „Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde“  im  Vereine 
mit  Rü  ding  er,  Voltolini  und  Weber -Lie  1,  die  seitdem  als 
wichtiges  und  vornehmes  Publicationsorgan  für  dieses  Gebiet,  sowie 
für  die  verwandten  Fächer  der  Nasen-,  Rachen-  und  Kehlkopf krank- 
heiten  blüht  und  gedeiht. 

1870  erfolgte  seine  Ernennung  zum  a.  o.  Professor  und  1873, 
zugleich  mit  Politzer,  zum  Vorstande  der  hauptsächlich  auf  sein 
unermüdliches  Betreiben  und  auf  Rokitansky’s  Befürwortung  neu¬ 
errichteten  Klinik  für  Ohrenkranke.  Trotz  der  Beschränktheit  des 
Raumes  und  der  Mittel  entwickelte  hier  Gruber  seine  äusserst  frucht¬ 
bare  didaktische  Thätigkeit.  Die  Zahl  der  Hörer,  welche  aus  aller 
Herren  Länder  zuströmten,  um  sich  an  der  Wiener  Ohrenklinik  zu 
Ohrenärzten  auszubilden,  übersteigt  viele  Tausende;  viele  derselben 
sind  nunmehr  als  Professoren  und  Docenten  an  den  Universitäten  des 
Auslandes  und  des  Inlandes  thätig.  Dabei  erlahmte  Grube  r’s  Arbeits- 
fleiss  und  seine  Begeisterung  für  die  von  ihm  tradirte  Disciplin  niemals. 
Es  gibt  kein  Gebiet  der  Ohrenheilkunde,  welches  er  nicht  durch  gründ¬ 
liche  Untersuchungen  und  durch  auf  seine  reiche  Erfahrung  gegründete 
Kenntnisse  beleuchtet  und  gefördert  hätte.  Als  einer  der  Ersten  er¬ 
kannte  er  die  Wichtigkeit  der  operativen  Eingriffe  bei  Mittelohreiterungen 
und  ihrem  Complicationen,  und  wusste  diese  Operationen  mit  bewun- 
derungswerther  Exactheit  auszuführen.  Viele  Hunderte  von  Menschen 
verdanken  ihm  ihr  Leben,  viele  Tausende  ihr  Gehör. 

Ein  grosses  Verdienst  hat  sich  Gruber  durch  die  Gründung 
der  „Oesterreichischen  otologischen  Gesellschaft'  erworben.  Insbesondere 


die  Wiener  Ohrenärzte,  die  in  der  Lage  sind,  den  Monatssitzungen 
regelmässig  beizuwohnen,  wissen  den  hohen  Werth  eines  streng  sach¬ 
lichen  Meinungsaustausches  und  der  vielfachen  Belehrung  und  Anregung, 
sowie  der  Förderung  der  Collegialität,  um  die  sich  Gruber  besonders 
bemüht  hat,  zu  schätzen.  Er  hat  es  während  seiner  Erkrankung  als 
besonders  schmerzlich  empfunden,  dass  er  der  letzten,  am  26.  März 
stattgefundenen  Sitzung,  zum  ersten  Male  seit  Begründung  der  Gesell¬ 
schaft,  nicht  beiwohnen  konnte. 

In  Anerkennung  seiner  wissenschaftlichen  und  lehramtlichen 
Thätigkeit  wurde  ihm  1896  der  Titel  und  Charakter  eines  o.  ö.  Pro¬ 
fessors  verliehen,  und  als  er,  im  Jahre  1898  nach  Absolvirung  dos 
ihm  von  der  Facultät  bewilligten  Ehrenjahres  die  Lehrkanzel  wegen 
seines  Alters  verlassen  musste,  wurde  er  Allerhöchst  durch  Verleihung 
des  Eisernen  Kronenordens  III.  Classe  ausgezeichnet. 

Der  Abschied  des  geistig  und  körperlich  rüstigen,  noch  immer 
arbeitsfrohen  Mannes  vom  Lehramte  gab  zu  einer  erhebenden  leier 
Veranlassung,  an  der  sich  die  Facultät,  die  otologische  Gesellschaft 
und  Deputationen  aus  allen  Welttheilen  betheiligten,  und  bei  welcher 
sich  manifestirte,  wie  viel  Liebe,  Verehrung  und  Dankbarkeit  sich 
Gruber  durch  seinen  geraden,  offenen,  biederen  Charakter  bei  seinen 
Collegen  und  Schülern,  und  durch  seine  unversiegliche,  stets  gleich¬ 
bleibende  Humanität  bei  seinen  Patienten  erworben  hat.  Leider  war  es 
ihm  nicht  lange  gegönnt,  sein  Otium  cum  dignitate  zu  gemessen;  ganz 
unerwartet  trat  der  Tod  an  ihn  heran;  er  starb  nach  kurzem  und  fast 
schmerzlosem  Krankenlager,  zum  grossen  Kummer  seiner  Familie  und 
seiner  Freunde.  Ehre  seinem  Andenken!  Josef  Pollak. 


REFERATE. 

I.  Atlas  und  Grundriss  der  Gynäkologie. 

Von  Dr.  Oskar  Schaeffer,  Heidelberg. 

2.  Auflage. 

München  1899,  J.  F.  Lehman  n. 

II.  Anatomischer  Atlas  der  geburtshilflichen  Diagnostik 

und  Therapie. 

Von  Dr.  Oskar  Schaeffer,  Heidelberg. 

2.  Auflage. 

M  uneben  1899,  J.  F.  Lehm  a  n  n. 

III.  100  illustrirte  Fälle  aus  der  Frauenpraxis. 

Von  Dr.  A.  Auvard,  Paris. 

Deutsch  von  Dr.  A.  Rosenau,  Kissingen.  2.  Auflage. 

Leipzig  1899,  J.  A.  Barth. 

IV.  Handbuch  der  Gynäkologie. 

m.  Band,  2.  Hälfte,  1.  und  2.  Abtheilung. 

Herausgegeben  von  J.  Veit,  Leyden. 

Wiesbaden  1899,  J.  F.  Bergman  n. 

V.  Ueber  den  Abortus. 

Von  Dr.  Oskar  Piering. 

Berlin  1899,  Fischer’s  medicinische  Buchhandlung  (H.  Kornfeld). 

I.  Schaeffer’s  Werk  stellt  eine  glückliche  Combination 
von  Atlas  und  Grundriss  dar.  Der  äusserst  knapp  und  präcis  ge¬ 
haltene  Text  würde  an  und  für  sich  die  Lecture  des  Buches  zu 
einer  sehr  anstrengenden  gestalten,  wenn  nicht  die  nebenstehenden 
Abbildungen  einesteils  zur  Erholung  des  Lesers,  andererseits  zu 
der  in  dem  behandelten  Thema  so  sehr  nötigen  bildlichen  Er¬ 
läuterung  und  Erklärung  dienen  würden. 

Die  Zahl  der  Abbildungen  ist  eine  sehr  grosse,  auf  262  1  ext- 
seiten  kommen  207  meist  farbige  Illustrationen  und  62  Text¬ 
illustrationen;  die  Bilder  sind  meist  sehr  gut  ausgeführt,  und  die 
Verwendung  verschiedener  Farben  erleichtert  in  hohem  Masse  die 
Orientirung.  Das  Werk,  dessen  äussere  Ausstattung  die  bekannt 
vornehme  der  L  eh  in  a  n  n’sehen  medicinischen  Handatlanten  ist, 
dürfte  sich  sowohl  für  den  Studirenden,  als  auch  ganz  besonders 
für  den  Praktiker  als  werthvolles  Nachschlagebuch  auch  weiterhin 
bewähren. 

* 

II.  Dasselbe  gilt  von  dem  anatomischen  Atlas  der  geburts¬ 
hilflichen  Diagnostik  und  Therapie;  nur  tritt  hier,  dem  veränderten 
Gegenstand  entsprechend,  die  Ausstattung  mit  Abbildungen  dem 
Texte  gegenüber  mehr  zurück. 

* 

III.  Der  Uebersetzer  theilt  mit,  dass  Auvard  mit  seinem 
Büchlein,  das  er  »Formulaire  Gynecologique«  nennt,  durchaus  nicht 
ein  ausführliches  Handbuch  der  Frauenkrankheiten  ersetzen,  sondern 
nur-  diese  in  ihren  Hauptformen  kurz  und  anschaulich  daislellcn 
wollte.  Diese  Versicherung  erscheint  schon  bei  einem  flüchtigen 
Blicke  in  das  Büchlein  für  überflüssig,  denn  kein  Mensch  wird  hei 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


Durchsicht  der  113  Seiten  das  Gegentheil  annehmen.  Die  Illustra¬ 
tionen  verblüffen  oft  durch  ihre  ungeheuere  Naivität;  sie  ent¬ 
sprechen  dem,  was  ein  des  Zeichnens  vollkommen  unkundiger 
Lehrer  oft  zum  besseren  Verständnis  der  Hörer  mit  flüchtigem 
Griffel  an  die  Tafel  wirft,  erscheinen  aber  einer  Reproduction  ganz 
und  gar  unwürdig.  Der  begleitende  Text  ist  kurz,  aber  unvoll¬ 
ständig. 

* 

IV.  Die  vorliegende  zweite  Hälfte  zum  dritten  Bande  des 
Handbuches  der  Gynäkologie  bildet  den  Abschluss  des  gross  ange¬ 
legten  und  gross  durchgeführten  Werkes.  Veit  selbst  weist  in  der 
Vorrede  zum  Schlussbande  auf  die  grossen  Schwierigkeiten  hin, 
die  sich  der  raschen  Vollendung  desselben  cntgegenstellten  und 
eine  vielfache  Arbeitsteilung  erheischten.  Er  versäumt  aber  auch 
nicht,  zu  betonen,  dass  in  der  Behandlung  der  einzelnen  Fragen 
eine  weitgehende  Uebereinstimmung  herrscht,  so  dass  die  ver¬ 
schiedenen  Schulen  Deutschlands  entstammenden  Arbeiten  doch  ein 
harmonisches  Ganze  bilden,  und  die  Arbeit  des  Einen  sich  leicht 
an  die  eines  Anderen  anlehnen  konnte. 

Diese  Einigkeit  tritt  ganz  besonders  hervor  in  dem  Streben 
aller  Mitarbeiter,  die  objective  Basis  unserer  Kenntnisse  in  der 
Anatomie  und  Aetiologie  zu  fördern.  Diesbezüglich  muss  als  muster- 
giltig  die  erste  Abhandlung  in  der  ersten  Abtheilung  —  jede 
solche  stellt  einen  ganz  stattlichen  Band  dar  —  genannt  werden, 
in  der  v.  Rosthorn  die  Krankheiten  des  Beckenbindegewebes 
bespricht.  Ein  sehr  ausführlicher,  grösstentheils  auf  eigenen,  mühe¬ 
vollen  und  nach  eigenen  exacten  Methoden  ausgeführten  Unter¬ 
suchungen  basirender  anatomischer  Excurs  leitet  zur  Besprechung 
der  pathologischen  Vorgänge  und  der  Entzündungen  des  Becken¬ 
bindegewebes  über,  die  in  Aetiologie,  pathologischer  Anatomie,  in 
ihren  klinischen  Erscheinungen,  in  Verlauf  und  Behandlung  ge¬ 
bührend  gewürdigt  erscheinen.  Dann  folgt  ein  Capitel  über  die 
primären  Neubildungen  des  Beckenbindegewebes  und  Bildungen  aus 
Resten  embryonaler  Organe,  während  ein  kurzer  Abschnitt  über 
Fremdkörper  im  Parametrium  —  aus  redactionellen  Gründen  in 
die  zweite  Abtheilung  hineinverlegt  —  den  Schluss  bildet.  Die 
glückliche  Verbindung  von  Anatom  und  Kliniker,  wie  sie  dem  Autor 
zu  eigen  ist,  lässt  das  Gelingen  der  mühevollen  und  schwierigen 
Aufgabe  begreiflich  erscheinen.  Die  reichlich  beigegebenen  äusserst 
gelungenen  Abbildungen  tragen  in  instructiver  Weise  zum  Ver¬ 
ständnis  des  Textes  bei. 

In  die  Bearbeitung  des  Carcinoma  uteri  theilen  sich 
vier  Autoren.  W  inter,  der  diesem  Thema  in  seinem  anatomischen 
Theile  seit  langer  Zeit  volles  Interesse  zuwendet,  bespricht  die 
Anatomie,  Frommei  die  Aetiologie,  Symptomatologie,  Diagnose 
und  Radicalbehandlung,  Gessner  die  palliative  Behandlung  des 
inoperablen  Carcinoms  und  Sarwey  die  Complication  des  Car- 
cinoms  durch  Schwangerschaft.  Die  ersten  zwei  Abhandlungen 
bringen  leider  nur  sehr  wenig,  was  in  Bezug  auf  die  praktischen 
Erfolge  von  Wichtigkeit  wäre.  Mit  Recht  wird  die  Nothwendigkeit 
einer  möglichst  frühzeitigen  Diagnose  für  die  Besserung  der  ope¬ 
rativen  Resultate  betont.  (Referent  kann  nicht  umhin,  mit  Genug¬ 
tuung  darauf  hinzuweisen,  dass  in  den  letzten  Jahren  immer  mehr 
Fälle  von  Seite  der  Hausärzte  oft  schon  sehr  frühzeitig  erkannt 
und  behufs  Operation  der  Klinik  zugewiesen  werden.)  Ein  weiterer 
Fortschritt  wäre  möglicher  Weise  von  der  principiellen  Anwendung 
der  abdominalen  Totalexstirpation  unter  gleichzeitiger  Ausräumung 
der  retroperitonealen  Lymphdrüsen  zu  erwarten,  doch  stehen  dem 
zwei  Bedenken  entgegen;  einerseits  die  erschreckend  hohe  Morta¬ 
lität  dieser  Operation  und  andererseits  die  principielle  Frage,  ob 
denn  thatsächlich  das  Carcinom  des  Uterus  so  rasch  wie  etwa  das 
der  Mamma  auf  die  Lymphdrüsen  übergreift.  Winter  und  F  r  om  m  e  1 
verneinen  diese  Frage  iür  alle  Formen  des  Uteruscareinoms  und 
wollen  weitere  Untersuchungen  im  Sinne  Ries’  abwarten;  Fr  om¬ 
ni  e  1  speciell  betont  die  Seltenheit  der  Lymphdrüsenrecidive  und 
bezieht  sich  unter  Anderem  auf  eine  mündliche  Mittheilung 
f  rounds,  welcher  bei  der  in  letzterer  Zeit  principiell  ausgeführ- 
len  Ausräumung  der  Iliaealdrüsen  dieselben  fast  nie  erkrankt  fand. 
Da  derzeit  in  Wien  einschlägige  Untersuchungen  in  grossem  Mass- 
stabe  vorgenommen  werden,  müssen  wir  den  Resultaten  derselben 
mit  Interesse  entgegenblicken,  da  sie  vielleicht  geeignet  erscheinen, 
Klärung  in  die  controverse  Frage  zu  bringen. 


Das  Capitel  über  palliative  Behandlung  des  inoperablen  Car¬ 
cinoms  erscheint  für  den  praktischen  Arzt  zu  wichtig,  um  hier  im 
Auszuge  wiedergegeben  zu  werden,  und  wird  Gessner  den  Dank 
aller  Derer  eintragen,  denen  die  undankbare  und  enorme  Auf¬ 
opferung  erfordernde  Aufgabe  zufällt,  diesen  Kranken  im  letzten 
und  schrecklichsten  Stadium  ihres  Leidens  beizustehen. 

Die  Arbeit  Sarwey’s  verwerthet  die  reichliche  Casuistik  zur 
Formulirung  folgender  Schlusssätze:  In  der  Schwangerschaft  stellt 
bei  operablem  Carcinom  die  unverzüglich  vorgenommene  vagi¬ 
nale  Totalexstirpation  des  Uterus  im  Interesse  der  Mutter  das 
rationellste  Verfahren  dar;  eine  vorhergehende  künstliche  Entleerung 
des  Uterus  erscheint  in  den  ersten  Schwangerschaftsmonaten  über¬ 
flüssig,  im  fünften  bis  siebenten  Monate  dagegen  wegen  der  be¬ 
trächtlichen  Vergrösserung  des  Uterus  angezeigt;  in  den  zwei 
letzten  Monaten  muss  der  Exstirpation  des  Uterus  im  Interesse 
der  lebensfähig  gewordenen  Frucht  der  abdominelle,  eventuell  der 
vaginale  Kaiserschnitt  vorangehen.  In  der  Schwangerschaft  ist  bei 
inoperablem  Carcinom  im  Interesse  der  Frucht,  soweit  irgend 
möglich,  ein  exspectatives  Verhalten  mit  rein  symptomatischer  Be¬ 
handlung  bis  zum  normalen  Ende  der  Gravidität  angezeigt. 
Während  der  Geburt  ist  bei  operablem  Carcinom  an  die 
spontan  erfolgte  oder  künstlich  beendete  Geburt  die  vaginale  Total¬ 
exstirpation  des  frisch  entbundenen  Uterus  sofort  anzuschliessen; 
bei .  inoperablem,  mit  Gebärunmöglichkeit  verbundenem  Carcinom  ist 
wenigstens  die  Frucht  durch  Sectio  caesarea  zu  retten. 

Den  Schluss  der  ersten  Abtheilung  bildet  eine  Besprechung 
der  Deciduoma  m a  1  i g n u m  durch  Veit.  Die  eingehende  Be¬ 
handlung  des  Themas  ist  in  stark  subjectiver  Färbung  gehalten 
und  bleibt  Verfasser  bei  seiner  alten  Ansicht,  dass  zur  Entwicklung 
eines  Deciduoms  eine  präexistente  Erkrankung  des  Uterus  (Sarkom) 
nötbig  sei.  Die  Therapie  kann  natürlich  nur  eine  operative  sein; 
Verfasser  zählt  unter  89  Fällen  29,  die  durch  die  Operation  vor¬ 
läufig  und,  wie  es  ziemlich  sicher  erscheint,  einzelne  definitiv  ge¬ 
rettet  erscheinen.  Für  die  frühzeitige  Erkenntniss  wird  ausser  der 
mikroskopischen  Untersuchung  curettirter  Massen  vor  Allem  der 
Werth  der  diagnostischen  Austastung  des  Uterus  hervor¬ 
gehoben. 

In  der  zweiten  Abtheilung  bearbeitet  Winternitz  die 
Hämatokele,  unter  welchem  Namen  er  nur  die  intraperitonealen 
Blutergüsse  verstanden  wissen  will;  die  extraperitonealen,  die 
Hämatome,  hat  v.  Rosthorn  in  seiner  Arbeit  besprochen.  Aetio- 
logisch  kommt  weitaus  in  den  meisten  Fällen  die  Graviditas  tubaria 
mit  ihren  Ausgängen  in  Abort  oder  Ruptur  in  Betracht,  doch 
erscheint  es  nöthig,  darauf  hinzuweisen,  dass,  wenn  auch  selten, 
zur  Zeit  der  Menstruation,  dann  bei  anderweitigen  Tubenerkrankun¬ 
gen  Pelveoperitonitis,  Infectionskrankheiten,  Varicositäten  im  Liga¬ 
mentum  latum,  malignen  Neoplasmen  etc.  Hämatokelen  entstehen 
können.  Die  Besprechung  des  pathologisch-anatomischen  Befundes, 
der  Symptome,  des  Verlaufes,  der  Häufigkeit  und  Diagnose  leitet 
hinüber  zur  Behandlung  der  Therapie.  Exspectatives  Verfahren 
eignet  sich  besonders  für  uncomplicirte  Hämatokelen,  sowie  für 
frühe  Tubaraborte,  wobei  natürlich  vor  Massage  und  heissen  Aus¬ 
spülungen  zu  warnen  ist.  Tritt  keine  Resorption  ein,  oder  wächst 
die  Hämatokele,  so  muss  activ  eingegriffen  werden;  auch  sociale 
Verhältnisse  können  zur  Operation  drängen,  da  die  exspectative 
Behandlung  meist  viel  Zeit  erfordert.  Winternitz  ist  kein  An¬ 
hänger  der  Punction,  die  vaginale  Incision  will  er  auf  Fälle  von 
vereiterten  oder  verjauchten  grossen  Hämatokelen  oder  solche  bei 
herabgekommenen  Kranken  beschränkt  wissen;  als  der  normale 
Weg  erscheint  ihm  die  Laparotomie.  Zur  Stillung  parenchymatöser 
Blutungen  empfiehlt  er  warm  die  Tamponade  nach  Mikulicz. 

Die  Aetiologie  und  pathologische  Anatomie  der  Tuben¬ 
erkrankungen  hat  in  Kl  ein  bans  einen  würdigen  Bearbeiter  ge¬ 
funden.  Es  erscheint  unmöglich,  der  Fülle  von  Material  und  der 
entsprechenden  Verwerthung  desselben  im  Rahmen  eines  Referates 
gerecht  zu  werden.  Hervorzuheben  ist  die  strenge  Gliederung  des 
Stoffes,  die  Beherrschung  der  Literatur  und  die  reichliche  Aus- 
■  stattung  mit  Abbildungen,  von  denen  51  im  Texte  und  7  auf 
Tafeln  beigegeben  sind.  Besonders  letztere  sind  geradezu  muster- 
giltig  ausgeführt.  —  Den  klinischen  Theil  behandelt  Veit  in  an¬ 
regender  und  fesselnder  Form.  Die  Symptome,  Diagnose  und  Pro¬ 
gnose  werden  eingehend  behandelt,  ganz  besonders  das  Capitel  über 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Therapie;  dass  letzteres  mit  einem  Abschnitte  über  Prophylaxe  be¬ 
ginnt,  muss  rühmend  hervorgehoben  weiden,  doch  dürften  leider 
die  darin  gegebenen  Vorschriften  nur  selten  befolgt  werden.  Die 
conservativen  Methoden,  wie  Tamponbehandlung,  Badecuren, 
Lösung  von  Verwachsungen  durch  langsame  Dehnung  oder  brüske 
Zerreissung  mit  oder  ohne  Colpotomia  anterior  (A.  Martin),  die 
Behandlung  des  Endometriums,  vaginale  Incision  und  die  Salpingo- 
tomie  finden  weniger  in  ihrer  Technik,  als  in  ihren  Indicationen 
und  Contraindicationen  eine  erschöpfende  Besprechung.  Von  den 
operativen  Methoden  will  Verfasser  die  vaginale  Uterusexstirpation 
(mit  Zurücklassung  der  Anhänge)  nur  als  Nothbehelf  gelten  lassen, 
wenn  es  bei  geplanter  vaginaler  Radicaloperation  nicht  möglich  ist, 
die  Anhänge  zu  entfernen;  ausserdem  kommt  die  Operation  auch 
noch  in  Betracht,  wenn  nach  der  »Castration«  die  Entzündung  an¬ 
dauert  oder  Fisteln  Zurückbleiben,  die  nicht  heilen.  Die  Darmver¬ 
letzungen,  die  bei  der  vaginalen  Radicaloperation  nicht  so  selten 
Vorkommen,  erfordern  eine  besonders  strenge  Indicationsstellung  zu 
dieser  Operation.  Nach  der  Exstirpation  der  Adnexe  per  laparo- 
tomiam  drainirt  Veit  nur,  wenn  der  Darm  oder  der  Ureter  ver¬ 
letzt  wurde  und  wenn  nach  Beendigung  der  Laparotomie  noch 
weitere  Verunreinigung  der  Bauchhöhle  sicher  zu  erwarten  ist.  Die 
Mitentfernung  des  Uterus  findet  ihre  Berechtigung  in  der  Unmög¬ 
lichkeit,  auf  vaginalem  Wege  die  Tubensäcke  vollständig  zu  ent¬ 
fernen  und  darin,  dass  die  Dauererfolge  der  Salpingektomie  oft 
recht  unvollständige  sind  und  der  Uterus  nach  dieser  ein  functions¬ 
unfähiges  Organ  darstellt,  das  höchstens  Beschwerden  verursacht 
und  nicht  so  selten  nachträglich  exstirpirt  werden  muss.  Die  vagi¬ 
nale  Cöliotomie  ist  zur  Entfernung  nur  einer  Tube  der  zu  wählende 
Weg.  Die  Indication  zum  operativen  Eingreifen  findet  Veit  stets 
bei  Tubentuberculose,  malignen  Erkrankungen,  Hämatosalpinx  bei 
Genital  Verschluss  u.  dgl.,  bei  anderen  Erkrankungen  ist  die  Ope¬ 
ration  als  Ultimum  refugium  anzusehen,  zu  dem  erst  geschritten 
werden  soll,  wenn  die  conservativen  Behandlungsmethoden  im 
Stiche  Hessen;  allerdings  werden  da  die  äusseren  Verhältnisse  der 
Patientin  oft  zur  Operation  drängen.  Die  Mortalität  nach  abdomi¬ 
naler  Adnexenexstirpation  beträgt  5*7  °/0,  nach  vaginaler  Radical¬ 
operation  4‘49%.  Die  Dauererfolge  ersterer  betragen  85% ;  bei 
den  übrigen  wurde  der  Erfolg  durch  infectiöse  Uteruskatarrhe  und 
klimakterische  Beschwerden  beeinträchtigt.  Bei  vaginaler  Radical¬ 
operation  sind  98%  Dauererfolge  zu  verzeichnen.  Veit  wählt 
daher  diesen  Weg,  besonders  dann,  wenn  die  Bauchdecken  sehr 
fettreich  sind  und  der  Uterus  gut  beweglich,  mithin  das  Ligamentum 
infundibulo-pelvicum  gut  zugänglich  ist.  Zahlreiche  Verwachsungen 
oberhalb  des  Beckeneinganges  dagegen  bedingen  die  Laparotomie, 
wobei  man  Tuben  und  Ovarien  entfernt  und  die  Mitnahme  des 
Uterus  sehr  erwägenswerth  erscheint,  wenngleich  derzeit  noch  nicht 
sicher  zu  bestimmen  ist,  ob  dadurch  die  Resultate  wesentlich  besser 
werden. 

Die  allgemeine  Peritonitis,  so  weit  sie  in  das  Gebiet  der 
Gynäkologie  reicht,  wurde  von  Doederlein  in  vollständig  mo¬ 
derner,  klarer  und  übersichtlicher  Weise  bearbeitet.  Hervorzuheben 
ist,  dass  die  Frage  nach  der  Operation  dahin  beantwortet  wird, 
dass  diese  ebensosehr  bei  localisirter  Peritonitis  gerechtfertigt  ist, 
als  ihr  Erfolg  bei  der  diffusen  Entzündung  unsicher  ist  und  sich 
für  diese  allgemein  gütige  Normen  nicht  aufstellen  lassen.  Die 
Prognose  bei  Bauchfelltuberculose  ist  nach  Doederlein  weniger 
günstig,  als  im  Allgemeinen  angenommen  wird;  die  Operation 
zeigt  48%,  bei  Peritonitis  tuberculosa  sicca  sogar  72%  Miss¬ 
erfolge. 

Das  Sarcoma  uteri  bespricht  G  e  s  s  n  e  r.  Er  hat  durch  seine 
mühevolle  und  ausserordentlich  eingehende  Darstellung  des  Standes 
der  Lehre  vom  Uterussarkom  unser  Wissen  um  Vieles  erweitert 
und  dieses  in  anschaulicher  Form  geschildert;  in  praktischer  Be¬ 
ziehung  sind  neue  Schlüsse  nicht  zu  ziehen.  Im  Anschlüsse  gibt 
er  noch  eine  Uebersicht  über  das  Endothelioma  uteri  und  die 
bisher  bekannten  Fälle. 

Ein  ausserordentlich  genau  gearbeitetes  Autoren-  und  Sach¬ 
register  bildet  den  Schluss  dieses  Bandes  und  damit  des  ganzen 
Werkes,  das  stets  dem  wissenschaftlich  Arbeitenden  ein  unent¬ 
behrliches  Handbuch,  der  deutschen  Wissenschaft  eine  unvergäng¬ 
liche  Zierde  bleiben  wird. 

* 


V.  Der  mit  sieben  Abbildungen  im  Texte  ausgestattete,  den 
Aerzten  für  die  Praxis,  den  Studirenden  für  das  Rigorosum  ge¬ 
widmete  Leitfaden  Piering's  enthält  eine  kurz,  knapp  und  klar 
gehaltene  Uebersicht  über  die  Aetiologie,  Diagnose,  Prognose  und 
Therapie  des  Abortus.  Die  darin  ausgesprochenen  Grundsätze  ent¬ 
sprechen  vollkommen  denen  der  Wiener  Schule;  das  Büchlein  wird 
am  besten  charakterisirt  durch  das  Schlusswort  des  Autors:  »Wie 
überall  in  der  Geburtshilfe,  so  führt  auch  beim  Abortus  ein 
möglichst  conservatives,  ruhiges  Vorgehen  am  sichersten  zum  Ziele. 
Gleich  dem  Vorgehen  bei  normaler  Geburt,  erfordert  auch  der 
Abort  unser  Einschreiten  nur  dann,  wenn  der  Verlauf  von  der 
Norm  abweicht.  Ohne  strenge  Indication  (Fieber.  Blutung,  Jauchung) 
darf  kein  Eingriff  vorgenommen  werden,  besonders  nicht  mit  In¬ 
strumenten.  «  Savor. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

98.  Die  interne  Behandlung  der  Hämorrhoiden. 
Von  Boas  (Berlin).  Bei  der  Therapie  der  Hämorrhoiden  muss  man 
sich  vor  Augen  halten,  dass  dieselben,  von  seltenen  Gomplicationen 
abgesehen,  ein  locales  Mastdarm  leiden  sind  und,  wie  F  r  e- 
r  i  c  h  s,  v.  Recklinghausen,  Esmarch  und  Nothnagel 
in  letzter  Zeit  nachweisen,  nichts  mit  den  venösen  Stauungen  zu 
thun  haben,  welche  von  Herz,  Lunge  oder  Leber  ausgehen.  Unter 
den  localen  Ursachen  spielen  jene  die  Hauptrolle,  welche  den  Ab¬ 
fluss  des  Blutes  nach  der  Pfortader  behindern  können:  Tumoren 
des  Dickdarmes,  der  schwangere  Uterus,  Adnexerkrankungen,  Blasen¬ 
steine,  Darmgeschwüre,  Stenosen,  Darmkatarrhe  u.  A.  Die  häufigste 
Ursache  für  Entstehung  von  Hämorrhoiden  liegt  jedoch  in  dem 
Drucke,  welchen  eingedickte,  stagnirende  Kothmassen  in  der  Flexur 
oder  der  Ampulle  des  Rectums  aut  die  Darmgefässe  auszuüben 
pflegen  und  folgerichtig  besteht  die  häufigste  Therapie  in  der  Ver¬ 
hütung  der  Ansammlung  grösserer  Fäcalmassen,  beziehungsweise 
in  der  Beseitigung  der  habituellen  Obstipation.  Abführmittel  sind 
hier  im  Allgemeinen  unzweckmässig;  das  Ziel  der  Therapie  besteht 
vielmehr  darin,  täglich  einen  breiigen  Stuhl  herbeizuführen,  zu 
welchem  Zwecke  fast  allgemein  eine  reizlose,  »blande  Diät«  ver¬ 
ordnet  wird,  welche  jedoch  nach  Boas  geradezu  das  geeignetste 
Mittel  ist,  um  die  Hämorrhoiden  in  ihrem  Bestände  zu  erhalten 
und  die  Obstipation  zu  begünstigen.  Am  Platze  sind  Gemüse,  Salze, 
Zuckerarten  u.  s.  w.  Neben  der  Diät  ist  reichliche  Bewegung,  ge¬ 
naue  Reinigung  des  Anus  nach  jeder  Stuhlabsetzung  (am  besten 
mit  Wattebäuschchen  in  Alaunlösung  getränkt)  anzuordnen.  In  späteren 
Stadien  sind  milde  Abführmittel  nicht  zu  umgehen,  Klysmen  jedoch 
so  viel  als  möglich  wegen  der  localen  Reizung  zu  vermeiden. 
Weiters  kommen  Mineralwässer,  Bade-  und  Traubencuren  in  Be¬ 
tracht;  bei  Excoriationen  der  Hämorrhoiden  Suppositorien  (Rp. 
Chrysarob.  0'08,  Jodof.  002,  Extr.  bellad.  0*01,  Butyr.  cacao.  M. 
f.  suppos.  D.  S.  zwei-  bis  dreimal  täglich  ein  Supp.),  oder  Salben 
(Chrysar.  0’8,  Jodof.  0'3,  Extr.  bellad.  0'6,  Vaselin  150.  D.  S.  mehr¬ 
mals  täglich  aufzustreichen)  in  Betracht.  Bei  äusseren  Knoten  em¬ 
pfiehlt  es  sich:  Kalii  jodat.  2'0,  Jodi  puri  0'2,  Glycer.  35'0  mit 
einem  Glasstabe  aufzutragen.  Treten  habituelle  Blutungen  aus  den 
Knoten  trotz  normaler Defäcation  auf,  so  empfiehlt  es  sich,  vonExtr.  tluid. 
hamamel.  virg.  (Parke,  Davis  &  Co.)  durch  vier  Wochen  dreimal 
täglich  einen  Theelöffel  in  einem  Weinglas  Wasser,  später  zwei-,  be¬ 
ziehungsweise  einmal  täglich  durch  weitere  acht  Wochen  nehmen 
zu  lassen.  Mehrfach  werden  auch  Suppositorien  von  dem  Mittel 
empfohlen:  Rp.  Extr.  fluid,  hamamel.  (Parke,  Davis  &  Co.)  0'2o, 
Disp.  in  suppos.  opercul.  dos.  20.  D.  S.  zwei-  bis  dreimal  täglich 
ein  Supp.).  Bei  acuten  Blutungen  tritt  selbstverständlich  eine  sorg¬ 
fältige  Tamponade  des  Rectums  in  ihr  Recht.  Weitere  Gomplicationen 
und  Behandlungsmethoden  fallen  in  das  chirurgische  Gebiet. 

(Die  Therapie  der  Gegenwart.  1899,  Nr.  10.) 

* 

99.  Zur  therapeutischen  Verwerthung  von  See¬ 
reisen.  Von  Dr.  Weber  (London).  Seereisen  sollen  überhaupt 
nur  Personen  empfohlen  werden,  welche  das  Seeleben  gern  haben 
oder  vertragen.  In  den  Anfangsstadien  der  Lungentuberculose 
können  dieselben  mit  grossem  Nutzen  unternommen  werden;  in 
vielen  Fällen  lassen  sie  sich  jedoch  durch  andere  klimatische  und 
hygienische  Methoden  ersetzen.  Bei  gewissen  Zuständen  der  I  ubei- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


culose  nervösen  Ursprungs  verdienen  aber  die  Seereisen  den  Vorzug. 
In  prophylaktischer  Hinsicht  sind  lange  Seereisen  bei  Lungentuber- 
culose  und  Scrophulose  von  Werth;  aber  auch  hier  lassen  sie  sich 
durch  Aufenthalt  in  Küsten-  und  Höhenklimaten  ersetzen.  Letzteres 
eilt  auch  von  der  Bedeutung  der  Seefahrten  bei  chronischem  Kehl- 
k o p  f-  und  Bronchialkatarrh;  in  diesen  Fällen  ist  eine  Reise 
im  Milteimeer,  nach  Madeira,  den  Azoren,  nach  Westindien  meist 
von  grossem  Vortheil.  Bei  A  s  th  m  a  ist  der  Erfolg  sehr  un¬ 
sicher.  Bei  Hautschwäche,  Neigung  zu  Erkältungen,  Rheu- 
m  a  t  i  s  m  u  s  empfehlen  sich  Seefahrten,  sind  aber  hei  Gicht  meist 
ohne  Nutzen.  Im  Gegentheile:  Gichtanfälle  sind  am  Meere 
sogar  häufiger  als  am  Lande.  Bei  Störungen  in  der  Gallen¬ 
absonderung  mit  Neigung  zu  Gallensteinbildung  sollen  Seereisen 
vermieden  werden.  Verstopfung  in  Folge  von  Darmträgheit 
wird  durch  Seereisen  meist  vermehrt,  ausser  in  heissen  Zonen, 
in  welch  letzteren  aber  die  Neigung  zu  Durchfall  verschlimmert 
wird.  In  manchen  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane 
können  Seereisen  die  Behandlung  wesentlich  unterstützen,  sowie 
sie  auch  hei  manchen  psychischen  Alterationen  empfehlenswerth 
sind;  hei  Dipsomanie  bilden  sie,  insofern  wirklich  auf  Schiffen 
keine  geistigen  Getränke  verabreicht  werden,  ein  wichtiges  Be¬ 
handlungsmittel.  Eine  Contraindication  gegen  Seereisen  geben 
ab:  Dauernde  Neigung  zu  Seekrankheit,  schwächliche  Constitution, 
Neigung  zu  Fieber,  beständige  Appetitlosigkeit,  Dilatatio  cordis, 
Leberanschwellung,  Atherom,  vorgeschrittene  Lungentuherculose  mit 
Ausnahme  der  ganz  stationär  bleibenden  Fülle,  grosse  Neigung  zu 
Hämoptoe,  Epilepsie,  Schlaflosigkeit  auf  dem  Meere,  Glaukom, 
Neigung  zu  maniakalischen  Anfällen,  periodischem  Irresein  und 
Selbstmord.  —  (Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische  Therapie. 
Bd.  III,  Heft  5.) 

* 

100.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  zu  Königsberg.)  Ueber 
die  Kohlensäureverunreinigung  d e r  L u f t  i n  Z i m m ern 
durch  Petroleum  Öfen.  Von  Dr.  Babucke.  Die  Unter¬ 
suchung  wurde  in  einem  sehr  kleinen  Zimmer  mit  nur  12  cm3 
Luftinhalt  angestellt.  Die  Normalkohlensäuremenge  (1%0)  wurde 
hinnen  kurzer  Zeit  in  einem  Maasse  überschritten,  welche  den  Auf¬ 
enthalt  in  einem  solchen  Raume  unräthlich  erscheinen  lässt.  Doch 
ist  zu  bemerken,  dass  so  kleine  Räume  in  Wirklichkeit  doch  meist 
nur  zu  vorübergehendem  Aufenthalte  benützt  werden.  —  (Zeit¬ 
schrift  für  Hygiene  und  Infectionskrankheiten.  Rd.  XXXII,  Heft  1.) 

* 

101.  Ueber  das  Plasmon  (Caseon)  als  Eiweiss- 
ersatz,  nebst  Beiträgen  zur  Lehre  vom  Eiweiss- 
Stoffwechsel.  Von  Dr.  Bloch  (Moabit,  Berlin).  Die  künstlichen 
Eiweisspräparate  lassen  sich  in  zwei  Gruppen  bringen.  In  die  erste 
gehören  diejenigen,  welche  hauptsächlich  anregend  wirken,  während 
ihr  Nährwerth  geringer  ist;  in  diese  reihen  sich  ein  die  Fleisch 
und  Bouillonextracle,  Fleischsäfte  (Puro,  Carno,  Meat  juice,  Beef 
juice).  Die  zweite  Gruppe  umfasst  die  Präparate,  welche  eine  er¬ 
nährende  Wirkung  entfalten  können;  dahin  gehören  das  Fleisch¬ 
pulver,  Tropon,  Eucasin,  Nutrose,  Sanatogen,  Albumosen  (Somatose) 
und  Peptone.  Die  beiden  letzteren  reizen  in  grösserer  Menge  die 
Magen-  und  Darmschleimhaut.  Der  Preis  dieser  Präparate  ist  zu¬ 
meist  hinsichtlich  ihres  Nährwerthes  ein  ausserordentlich  hoher. 
Um  ein  Beispiel  anzuführen,  kosten  1000 g  Eiweiss  in  Form  von 
Erbsen  P70,  als  Tropon  4'80,  als  Kuhmilch  5'60,  als  Ochsen¬ 
fleisch  (170,  als  Nutrose  2730,  als  Somatose  aus  Milch  70’00,  als 
Meat  juice  1237  10  Mark!  Das  Plasmon,  welches  aus  der  Mager¬ 
milch  gewonnen  wird,  stellt  sich  nicht  höher  als  Tropon.  Alle 
dessen  Eigenschaften  inbegriffen,  lässt  sich  behaupten,  dass  das 
Plasmon  hei  seiner  vorzüglichen  Ausnützbarkeit  das  Eiweiss  der 
anderen  Nahrungsmittel  vollständig  ersetzen  kann.  —  (Zeitschrift 
für  diätetische  und  physikalische  Therapie.  Bd.  Ill,  Heft  6.) 

* 

102.  lieber  antitoxische  Eigenschaften  der 
Galle  eines  T  e  t  a  n  i  k  e  r s.  Von  Prof.  V  i  n  c  en  z  i  (Sassari). 
Die  Galle  zeigte  im  Reagensglase  so  ausgesprochene  antitoxische 
Eigenschaften,  dass  1  cm 3  von  ihr  die  fünfzigfache  tödtliche  Dosis 
Tetanusgift  zu  neutralisiren  im  Stande  war.  Dieselbe  zeigte  jedoch 
keine  immunisirende  Eigenschaft;  denn  alle  Meerschweinchen,  denen 
zuerst  Galle  und  einige  Tage  nachher  Telanusgift  injicirt  worden 
war,  gingen  zu  Grunde.  Die  normale  Galle  vom  Menschen  und 


verschiedenen  Thieren  zeigte  keine  antitoxische  Eigenschaften.  — 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  37.) 

* 

1 03.  Ueber  einenFall  von  gleichzeitiger  Intra¬ 
un  d  Extrauteringravidität.  Von  Dr.  Mond  (Hamburg). 
Der  betreffende  Fall  betraf  eine  28jährige  Frau,  die  schon  fünf 
normale  Gehurten  überstanden  hatte.  Die  Extrauteringravidität  —  be¬ 
ziehungsweise  der  Tuharabort  —  war  in  Folge  der  leichten  äusseren, 
der  stärkeren  inneren  Blutung  und  durch  die  Palpation  erkannt 
und  operativ  angegangen  worden.  Bei  der  Laparotomie  constatirte 
man  auch  eine  etwa  der  zehnten  Woche  entsprechende  Gravidität 
des  Uterus,  welche  den  Zeitverhältnissen  nach  der  extrauterinen 
Schwangerschaft  entsprach.  Beide  sind  demnach  auf  eine  und  die¬ 
selbe  Conception  zurückzuführen.  Die  Frau  wurde  fünf  Monate 
hernach  leicht  von  einem  kräftigen  Kinde  entbunden  und  hat  ein 
normales  Wochenbett  durehgemacht.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  37.) 

* 

104.  Ueber  mechanischeBehandlungvo  n  Unter¬ 
schenkelgeschwüren.  Von  Dr.  Heermann  (Spandau).  Ein 
viereckiges  Lederstück  von  Höhe  und  etwas  grösserem  Umfange  als 
der  zu  behandelnde  Theil  des  Unterschenkels  wird  an  der  einen 
Seite  mit  Schnallen  von  2  bis  4  cm  Breite,  die  dicht  aneinder  ge¬ 
reiht  sind,  besetzt  und  von  der  anderen  Seite  her  so  in  Riemen 
geschnitten,  dass  jeder  Schnalle  ein  Riemen  entspricht,  alle  Riemen 
aber  durch  einen  Randstrefien  an  der  Schnallenseite  Zusammen¬ 
hängen.  Handelt  es  sich  um  ein  schmerzhaftes  Geschwür, 
dann  werden  ausserhalb  der  schmerzenden  Stelle  einige  Rollen 
Leinen  oder  Gaze,  in  die  ein  Stück  Kork  eingewickelt  ist,  durch 
eine  Mullbinde  so  befestigt,  dass  die  schmerzhaften  Stellen  und  die 
Geschwürsfläche  hohl  liegen.  Ueber  die  Mullbinde  wird  die  Leder¬ 
binde  so  geschnallt,  dass  eine  Entspannung  des  Geschwürsgrundes 
eintritt.  Die  sonstige  medicamentöse  Behandlung  wird,  wie  üblich, 
fortgesetzt.  Zeigt  das  Geschwür  keine  Schmerzhaftigkeit,  aber  hohe 
Ränder,  so  werden  die  obgenannten  Rollen  auf  diese  Ränder  selbst 
aufgelegt.  Mit  einem  derartigen  Verbände  kann  der  Kranke  beliebig 
herumgehen;  nur  hei  Wunden  mit  auffallend  schmierigem  Belage 
ist  Vorsicht  geboten  und  bei  acut  entzündetem  Zustande  die  Me¬ 
thode  nicht  geeignet.  Geschwüre,  welche  auf  diese  Weise  im  Umher¬ 
gehen  zur  Heilung  gebracht  werden,  sollen  mit  einer  festeren  Narbe 
als  es  sonst  der  Fall  zu  sein  pflegt,  heilen.  —  (Deutsche  medi¬ 
cinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  37.) 

* 

105.  (Aus  dem  städtischen  Krankenhause  in  Gharlottenburg.) 
Ueber  Giftwirkungen  des  Extractum  f  i  I  i  c  i  s  m  a  r  i  s 
aether  eum  und  ihre  Verhütung.  Von  Prof.  Grawitz. 
Die  Dosis  des  Mittels  soll  bei  der  Frage  nach  der  Giftwirkung  nicht 
von  ausschlaggebender  Bedeutung  sein.  Man  begnügt  sich  aber 
dennoch,  Erwachsenen  8 — 10,  Kindern  über  sechs  Jahre  die  Hälfte 
davon  zu  geben.  Oelige  Abführmittel  sind  zu  vermeiden  und  die 
Cur,  besonders  bei  geschwächten  Personen,  mit  besonderer  Vorsicht 
einzuleiten,  also  wenn  z.  B.  eine  antisyphilitische  Cur  kurz  vorher 
durchgemacht  worden  ist,  wenn  schwere  Anämien  bestehen.  Eine 
Schwächung  des  Organismus,  welche  für  eine  Giftwirkung  des  Filix- 
extractes  in  Betracht  kommt,  soll  auch  die  sogenannte  »Vorbe- 
reitungscur«  bedeuten.  Grawitz  hat  auf  letztere  schon  seit  Jahren 
verzichtet.  Die  Patienten  nehmen  am  Vortage  wie  gewöhnlich  ihre 
Mahlzeiten  ein,  am  Morgen  des  Curtages  erhalten  sie  auf  nüchternen 
Magen  Karlsbader  oder  Bittersalz  und,  nachdem  diese  ihre  Wirkung 
gethan,  das  Mittel  in  Kaffee.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  38.) 

* 

106.  Sechster  Bericht  der  Augenahtheilung  in 

0 1  m  ü  t  z  über  das  Jahr  1899.  Von  Primarius  Dr.  E  d  u  a  r  d 
Zirm.  Es  standen  898  Augenkranke  in  Behandlung,  von  welchen 
845  während  des  Jahres  entlassen  wurden,  und  zwar:  729  geheilt 
(86-2%),  63  gebessert  (7'5%),  20  ungeheilt  (2'4%,  33  (3’9%) 
wurden  abtransferirt.  Staaroperationen:  159,  darunter  105  Lappen¬ 
extractionen.  Iridektomien:  67.  Gesammtzahl  der  Operationen:  466, 
Von  den  mit  Lappenschnitt  nach  oben  operirlen  105  Staaren  älterer 
Kranker  (96  mit  und  9  ohne  Iridektomie)  war  bei  101  der  Erfolg 
ein  günstiger.  In  vier  Fällen  trat  Wundeiterung  auf.  Pi. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


331 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

In  der  vergangenen  Woche  spielte  sich  hier  vor  den  Geschworenen 
eine  Gerichtsverhandlung  ab,  die  die  ganze  Stadt  in  Athem  hielt.  Der 
Vater  eines  in  einem  hiesigen  Kinderspitale  an  Diphtherie  verstorbenen 
Kindes  hat  eine  Flugschrift  veröffentlicht,  welche  gegen  die  im  Spitale 
thätigen  Aerzte,  die  dort  den  Wartdienst  besorgenden  Schwestern,  wie 
überhaupt  gegen  die  ganze  Verwaltung  des  Spitales  die  schwersten 
Beschuldigungen  enthielt.  Es  ist  nicht  unsere  Sache,  zu  untersuchen, 
inwieweit  hinter  diesen  heftigen  Anklagen  eine  Mache  der  Anhänger 
der  —  sit  venia  verbo  —  „Naturheilkunde“  zu  suchen  ist,  mit  denen 
der  von  den  Aerzten  auf  Verleumdung  geklagte  Verfasser  der  Bro¬ 
chure  in  mehrfacher  Verbindung  stehen  soll.  Wir  wollen  vielmehr 
annehmen,  dass  hier  thatsächlich  der  Vaterschmerz  sich  Luft 
gemacht  und  nicht  gemeine  geschäftliche  Motive  die  Abfassung 
und  den  eifrigen  Vertrieb  der  Schrift  veranlasst  haben.  Den  Ge¬ 
schworenen  schien  für  die  weitaus  grösste  Mehrzahl  der  vom  Ange¬ 
klagten  erbrachten  Anschuldigungen  der  Beweis  der  Wahrheit  erbracht. 
Dies  war  ja  vorauszusehen.  Es  muss  ja  jedem  Laien  geradezu  entsetz¬ 
lich  scheinen,  wenn  man  ihm  erzählt,  dass  man  den  Diphtheriekindern 
gewaltsam  den  Mund  öffnet,  ihnen  Mundkeile  einführt,  dass  die  Kinder 
hiebei  bluten  u.  s.  f. 

„C’est  le  ton  qui  fait  la  chanson“,  und  die  Laien  sind  ja  ausser¬ 
dem  bei  uns  zu  Lande  so  vortrefflich  darauf  präparirt,  den  ärztlichen 
Handlungen  mit  dem  grössten  Misstrauen  zu  begegnen.  Dieselben 
Leute,  die  ihr  Kind  in  der  häuslichen  Noth  den  denkbar  ungünstigsten 
Verhältnissen  überlassen,  skandalisiren  sich  darüber,  wenn  ein  unab¬ 
weisbares,  schwer  krankes  Kind  zunächst  im  Drange  der  Geschäfte  und 
aus  Platzmangel  in  ein  noch  nicht  umgebettetes  Lager  gebracht  werden 
muss,  und  wenn  ein  mit  Ungeziefer  eingebrachtes  Kind  nicht  sofort 
in  radicaler  Weise  davon  befreit  wird,  so  hat  es  die  Läuse  natürlich 
im  Spital  acquirirt.  Wenn  der  Arzt  es  mit  seiner  Verantwortlichkeit 
nicht  vereinbaren  kann,  ein  Kind  auf  der  Höhe  der  Erkrankung  oder 
mit  noch  offener  Wunde  der  häuslichen  „Pflege11  zurückzugeben,  so  ist 
auch  sofort  der  Mythus  von  den  wissenschaftlichen  Experimenten  zur 
Stelle,  die  man  mit  dem  Kinde  im  Spitale  noch  vorhabe.  Da  finden  sich  dann 
Zeitungen,  die  mit  fetten  Lettern  es  abdrucken,  dass  der  Portier  des 
Hauses  den  Kindern  den  Leib  aufschneide,  den  Schädel  durchsäge  und 
die  Wirbelsäule  aufstemme!  Entsteht  —  trotz  vermeintlicher  Beob¬ 
achtung  aller  Cautelen  der  Asepsis  —  im  Anschluss  an  eine  Serum- 
injection  ein  Abscess,  der  operativ  eröffnet  werden  muss,  dann  wird 
sofort  die  Gelegenheit  ergriffen,  die  schädlichen  Wirkungen  der  Serum¬ 
therapie  ins  grellste  Licht  zu  stellen,  und  man  darf  auch  dessen  ge¬ 
wärtig  sein,  dass  sich  auch  bald  der  „Volksfreund“  im  Keichsrathe 
finden  wird,  der  mit  beweglichen  Worten  all  das  Unheil  schildern  wird, 
das  die  Schulmedicin  mit  ihren  „Impfungen“  über  die  Menschheit  bringt, 
und  die  Regierung  wird  von  ihm  aufgefordert  werden,  ihr  förderndes 
Augenmerk  den  Bestrebungen  der  „Naturheilmethode“  zuzuwenden. 
Der  Sachkundige  weiss,  w7as  er  von  all  diesen  Dingen  zu  halten  hat, 
der  Laie,  der  in  der  Beurtheilung  der  Verhältnisse  lediglich  auf  sein 
Gefühl  angewiesen  ist,  kann  unter  dem  Eindrücke  der  Aussagen 
schmerzgebeugter  Eltern,  die  den  unabwendbaren  Tod  ihres  Kindes  be¬ 
klagen,  nicht  anders  als  ein  verdammendes  Verdict  fallen. 

Ferne  steht  es  uns,  einen  Schuldigen  decken  zu  wollen  und 
.  Missstände,  wo  immer  sie  bestehen,  gutheissen  zu  wollen.  Aber  wer  je 
Gelegenheit  gehabt,  in  das  Getriebe  unserer  Kinderspitäler  nur  einiger- 
massen  Einblick  zu  gewannen,  der  wird  auch  in  Rücksicht  auf  die  un¬ 
geheure  Ueberbürdung  der  dort  unter  so  schwerer  Verantwortung 
arbeitenden  Aerzte  gewiss  mit  seinem  verdammenden  Urtheile 
etwas  zurückhaltender  werden.  Man  wird  es  dann,  wenn  nicht  ent¬ 
schuldigen,  so  doch  erklärlich  finden,  wenn  ein  junger  Arzt  unter  der 
Last  der  grossen  Anforderungen  und  der  so  hochgestellten  vielseitigen 
Ansprüche  sein  psychisches  Gleichgewicht  nicht  immer  aufieeht  erhält 
und  sein  Temperament  in  einer  das  allgemeine  Empfinden  verletzenden 
Weise  zeitweise  durchbricht.  Der  ferner  Stehende  sieht  bei  Beurtheilung 
solcher  Verhältnisse  nur  den  einzelnen  Fall  und  fordert  für  diesen  die 
Bethätigung  aller  zweifellos  gebotenen  Rücksichten.  Wem  aber  das 
menschliche  Elend  tagtäglich  hundertfach  in  seiner  traurigsten  Form 
begegnet,  wer  berufsmässig  mit  dem  Massenunglück  und  nicht  nur  mit 
dem  individuellen  sich  zu  beschäftigen  genötliigt  ist,  der  büsst,  auch 
beim  besten  Willen  sich  auf  der  Höhe  aller  gerechten  sittlichen  For¬ 
derungen  zu  halten,  doch  mit  der  Zeit  einigermassen  von  jener  Em¬ 
pfindlichkeit  für  das  individuelle  Elend  und  jener  Anpassungsfähigkeit 
an  die  individuellen  Empfindungen  ein,  die  eine  der  wichtigsten  Grund¬ 
lagen  gedeihlich  ärztlichen  Wirkens  sind.  Es  ist  bedauerlich,  dass  oft 
genug  dem  so  ist  —  aber  es  ist  menschlich,  allzumenschlich. 

Möge  doch  aus  dieser  Gerichtsverhandlung  allseitig  die  Lehre 
gezogen  werden.  Es  möge  den  Aerzten  eingedenk  bleiben,  dass  all  die 
Wohlthaten,  die  sie  vielen  Tausenden  erwiesen  haben,  die  Klagen 
einiger  weniger  Unzufriedener  nicht  aufwiegen  können.  Staat  und 
Gesellschaft  aber  mögen  ihrerseits  nun  endlich  an  die  Verpflichtungen 


erinnert  werden,  die  sie  den  armen  kranken  Kindern  gegenüber  haben. 
Es  muss  endlich  durch  entsprechende  Dotirung  der  bestehenden  Kinder¬ 
spitäler,  die  alle  in  hohem  Grade  nothleidend  sind  und  dem  grossen 
Andrange  Hilfsbedürftiger  nicht  Stand  halten  können,  und  vor  Allem 
durch  die  Errichtung  neuer  Kinderspitäler  dem  oft  genug  geschilderten 
Jammer  und  der  unverantwortlichen  Ueberbürdung  von  Aerzten  und 

Pflegerinnen  ein  Ende  gemacht  weiden.  A.  F. 

* 

H  a  b  i  1  i  t  i  r  t :  Dr.  L.  Neumaye  r,  Assistent  am  anatomischen 
Institute  in  München. 

* 

Kundmachung.  Mit  Beziehung  auf  die  Kundmachung  der 

k.  k.  niederösterreichischen  Statthalterei  vom  31.  October  1882, 
Z.  42.484,  L.-G.  und  V.-Bl.  Nr.  59,  sowie  auf  das  Gesetz  vom 
16.  Januar  1896,  R.-G.-Bl.  Nr.  89  ex  1897,  wird  bekannt  gegeben, 
dass  die  zunächst  für  Aspiranten  auf  Marktcommissär¬ 
stellen  jährlich  abz  uh  altenden  Curse:  a)  über  mikro¬ 
skopische  Fleischbeschau,  l)  über  vegetabilische  Nahrungs-  und  Genuss¬ 
mittel  und  die  mit  denselben  leicht  zu  verwechselnden  Giftpflanzen, 
c)  über  chemische  Technologie  der  menschlichen  Nahrungs-  und  Ge¬ 
nussmittel,  und  zwar  der  erste  in  der  Zeit  vom  23.  April  bis  5.  Mai 

l.  J.  täglich  mit  Ausnahme  der  Sonn-  und  Feiertage  von  ^ll  bis 
1/2 1  Uhr  Vormittags,  der  zweite  und  dritte  Curs  vom  23.  April  an 
bis  Anfangs  Juli  Montag,  Mittwoch  und  Freitag  von  3 — 5  Uhr  Nach¬ 
mittags  in  einem  vor  Beginn  durch  Anschlag  an  der  k.  k.  allgemeinen 
Untersuchungsanstalt  für  Lebensmittel  bekannt  zu  gebenden  Hörsaale 
stattfinden  werden.  Der  Curs  über  Fleischbeschau  wird  im  k.  und 
k.  Militär-Thierarzneiinstitute  in  Wien  von  Prof.  Dr.  Johann 
Czokor  abgehalten  werden.  Der  Unterricht  über  vegetabilische 
Nahrungs-  und  Genussmittel  wird  unter  Oberaufsicht,  des 
k.  k.  Professors  für  Hygiene,  des  Obersauitätsrathes  Dr.  Max 
Gruber  durch  den  Adjuncten  der  allgemeinen  Untersuchungsanstalt 
für  Lebensmittel,  Privatdocenten  Dr.  Josef  Hockauf,  der  Curs 
über  chemische  Technologie  der  menschlichen  Nahrungs-  und  Genuss¬ 
mittel  durch  den  k.  k.  Oberinspector  der  Untersuchungsanstalt,  Privat¬ 
docenten  Dr.  Gustav  Schacherl,  ertheilt  werden.  Diebetreffenden 
Prüfungen  finden  nach  Schluss  der  Curse  statt.  Aerzte,  Tbierärzte, 
Aspiranten  auf  Vieh-  und  Fleischbeschauer-,  sowie  auf  Marktcommissärs¬ 
stellen  und  andere,  welche  an  diesen  unentgeltlich  abzuhaltenden  Cursen 
theilnehmen  wollen,  haben  sich  vor  Beginn  derselben  bei  dem  Rectorate 
des  k.  und  k.  Militär-Thierarzneiinstitutes  und  der  thierärztlichen  Hoch¬ 
schule  in  Wien,  beziehungsweise  in  der  k.  k.  allgemeinen  Unter¬ 
suchungsanstalt  für  Lebensmittel  in  Wien,  IX.,  Schwarzspanierstrasse  7, 
zu  melden.  W  i  e  n,  am  23.  März  1900.  Von  der  k.  k.  niederöster¬ 
reichischen  Statthalterei. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift :  Organisations  sitzung. 
In  der  am  24.  v.  M.  stattgefundenen  Sitzung  des  Centralausschusses 
der  Wiener  Aerzteorganisation  („Verband  der  Aerzte  Wiens“)  wurde 
auf  Grund  einer  vom  Margarethener  Aerzteverein  eingebrachten  Re¬ 
solution  dem  Bedauern  Ausdruck  verliehen,  dass  in  der  eben  tagenden 
Krankenhaus-Enquete  die  Vertretung  der  praktischen  Aerzte  keine  Be¬ 
rücksichtigung  gefunden  habe,  und  es  wurde  beschlossen,  an  mass¬ 
gebender  Stelle  das  Ersuchen  vorzutragen,  dass  diese  Ausserachtlassung 
wieder  wettgemacht  werden  möge.  Um  die  bereits  von  der  Kammer 
mit  viel  Fleiss  und  Mühe,  leider  aber  mit  w7enig  Erfolg  bearbeitete 
Ambulatoriumfrage  vielleicht  doch  einer  den  Interessen  der 
praktischen  Aerzte  Rechnung  tragenden  Lösung  näher  zu 
bringen,  wurde  eine  achtgliederige  Ambulatoriumscommission  eingesetzt, 
welche  neuerlich  die  Ambulatoriumsfrage  zu  studiren  hat.  —  Der  Ver¬ 
treter  der  Zahnärzte  referirte  über  die  Lage  der  Zahnärzte  und 
deren  Schädigung  durch  behördlich  privilegirte  C  u  r  pfuscher;  da 
in  Oesterreich  die  Heilkunde  sowohl  im  Gesummten,  als  auch  in  ihren 
einzelnen  Zweigen  nur  von  Doctoren  ausgeübt  werden  darf,  sind  die 
Genehmigung  ausländischer  Zahnärzte  und  die  Erweiterung  der  gewerb¬ 
lichen  Befugnisse  der  Zahntechniker  in  das  Gebiet  der  Heilkunde  hinein, 
wie  sie  dermalen  seitens  des  Ministeriums  des  Innern  und  verschiedener 
Statthaltereien  geübt  werden,  als  ungesetzlich  zu  betrachten;  ein  dem 
Ministerium  zu  überreichendes  Memorandum  spricht  den  V  unsch  aus, 
dass  derartige  „ausnahmsweise  Praxisbewilligungen“  in  Hinkunft  unter¬ 
bleiben  mögen,  da  das  Ministerium  wohl  die  oberste  Aufsichts¬ 
behörde  über  die  Sanitätspersonen  führe,  jedoch  nicht  berechtigt 
sei,  Sanitätspersonen  zu  creire  n.  Die  Allgemeinheit  der  Aerzte 
geht  diese  Frage  aus  dem  Grunde  an,  weil  durch  die  Praxisberechtigung 
gewisser  Zahntechniker  ein  gefährliches  Präjudiz  für  andere  lächei 
der  Heilkunde  geschaffen  ist.  —  Der  grösste  Theil  der  \  erhandlungen 
beschäftigte  sich  jedoch  mit  der  Meister  kr  ankencassen  frage. 
Es  wurde  beschlossen,  dass  jene  wenigen  M  iener  Aerzte,  deren  ehien- 
wörtliche  Erklärungen  noch  ausstelien,  neuerlich  aufgefordert  weiden, 
dieselben  innerhalb  acht  Tagen  au  die  Organisation  einzuschicken; 


332 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  1 


nach  diesem  Zeiträume  werden  die  Säumigen  den  Bezirksvereinen 
nominirt  und  durch  deren  persönliche  Intervention  zur  Abgabe 
der  Erklärung  veranlasst  werden ;  da  es  aber  trauriger  Weise  doch 
einzelne  Aerzte  gibt,  welche  trotz  ausdrücklichen  Beschlusses  der 
Kammer  durch  Annahme  von  (Control-)Stellen  bei  den  Meistercassen 
die  Collegenschaft  schwer  schädigen,  werden  die  Aerzte  Wiens  schon 
heute  gebeten,  dem  Centralausschusse  solche  Aerzte  zur  Kenntniss 
zu  bringen,  damit  derselbe  die  Namen  derselben  dem  zuständigen 
Bezirksvereine  behufs  gütlicher  Intervention  zum  Zwecke  der  Nieder¬ 
legung  dieser  Stellen  bekanntgeben  kann;  gegen  jene  Aerzte,  welche 
sich  dem  gemeinsamen  Votum  der  Wiener  Aerzteschaft  gegenüber  ab¬ 
lehnend  verhalten  und  trotz  desselben  standeswidrig  angenommene 
Meistereassenstellen  beibehalten,  ist  mit  schroffer  Rücksichtslosigkeit 
vorzugehen,  und  in  erster  Linie  werden  deren  Namen  veröffentlicht. 
Die  erste  Ceutralausschusssitzung  bot  den  Eindruck,  dass  die  Organi¬ 
sationsidee  unter  der  überwiegenden  Majorität  der  Aerzte  Wiens  warme 
Freunde  und  Förderer  besitzt  und  dass  die  Solidarität  der  Aerzte 
gewiss  nur  Gutes  erreichen  wird. 

* 

Unterstützungsverein  der  Aerzte  Wiens.  Ein 
neuer  wirthschaftlicher  Verein  ist  entstanden  durch  die  am  6.  v.  M. 
erfolgte  Constituirung  des  „U  nter  Stützungsvereines  der 
Aerzte  Wien  s“,  eines  Vereines,  welcher  in  gewissem  Sinne  eine 
Aelinlichkeit  mit  dem  „Todfall-Unterstützunginstitut  der  Aerztekammer 
in  Oberösterreich“  und  mit  ähnlichen  Einrichtungen  bei  anderen 
Ständen  hat.  Er  ist  eine  auf  dem  Principe  der  Selbsthilfe  aufgebaute 
Sterbecassa.  Im  Falle  des,  aus  was  immer  für  Gründen,  ein¬ 
getretenen  Ablebens  eines  Mitgliedes  erhalten  die  Hinterbliebenen  des 
Verstorbenen,  beziehungsweise  eine  andere  von  ihm  vorher  (sub 
Couvert;  namhaft  gemachte  Person  in  discretester  Weise  aus  den 
Vereinsmitteln  sofort  einen  Betrag,  dessen  Höhe  sich  nach  der  An¬ 
zahl  der  dem  Vereine  am  Todestage  des  Mitgliedes  angehörenden 
Vereinsmitglieder  richtet,  und  es  gilt  als  Regel,  dass  für  jedes  Mit¬ 
glied  2  Kronen  angewiesen  werden.  Dieser  Betrag  wird  in  geeigneter 
Weise  durch  die  Mitgliedsbeiträge  eingebracht.  Der  Mitglieds¬ 
beitrag  wird  auf  blos  2  Kronen  pro  Todesfall  angesetzt,  um  be¬ 
sonders  den  weniger  gut  situirten  Collegen  die  Möglichkeit  des  Bei¬ 
trittes  zu  bieten.  (Angenommen,  ein  Mitglied  stirbt  und  der  Verein 
zählt  gerade  500  Mitglieder,  so  stellt  sich  der  Betrag  auf  1000  Kronen.) 
Um  dem  Vereine  eine  möglichst  breite  Basis  zu  schaffen,  wurde  ausser 
der  geringen  Bemessung  des  Mitgliedsbeitrages  auch  die  einmalige 
Eintrittsgebühr  zur  Bestreitung  der  Administration  für  den  Anfang 
ausserordentlich  niedrig  gestellt  und  im  ersten  Halbjahre  des  Vereins¬ 
bestandes  für  alle  Eintretenden,  unbeschadet  ihres  Alters,  mit  nur 
4  Kronen  festgesetzt.  In  späterer  Zeit  allerdings  wird  die  Eintritts¬ 
gebühr  je  nach  dem  Alter  des  Aufzunehmenden  zwischen  5  und 
200  Kronen  schwanken.  Es  empfiehlt  sich  daher  aus  Ersparungs¬ 
rücksichten,  dem  Vereine  ehestens  beizutreten.  Die  geringen  Verbind¬ 
lichkeiten  und  namentlich  auch  der  Umstand,  dass  auf  eventuell  in 
Noth  gerathende  Collegen  weitgehende  Rücksicht  genommen  wird,  er¬ 
möglicht  es  allen  Wiener  Collegen,  dieser  Vereinigung  sich  anzu- 
schliessen.  Zur  Aufklärung  sei  noch  beigefügt,  dass  dieser  neue 
„Unterstützungsverein  der  Aerzte  Wiens“  nicht  etwa  ein  Con- 
currenzinstitut  gegenüber  dem  „Unterstützungsinstitute  des  Wiener 
medicinisc  hen  Doctor  encollegiums“  ist,  da  beide  Vereine 
ganz  verschiedene  Zwecke  verfolgen.  Beitrittserklärungen  nehmen  die 
Mitglieder  und  der  Obmann  Dr.  Tennenbaum,  II.,  Prater¬ 
strasse  10,  entgegen. 

* 

Witwen-  und  Waisensocietät  des  Wiener  medi- 
cinischen  Doctorencollegiums.  Am  20.  v.  M.  fand  im 
Societätshause  „van  Swieten-Hof“  die  diesjährige  ordentliche  General¬ 
versammlung  statt,  die  sehr  zahlreich  besucht  war.  Der  Präsident, 
Regierungsrath  Dr.  Spitzmüller,  konnte  in  seinem  Berichte  unter 
dem  Beifalle  der  Versammlung  constatiren,  dass  das  Vermögen  der 
Societät  sich  im  abgelaufenen  Jahre  wiederum  vermehrt  habe,  so  dass 
es  jetzt  über  5'/2  Millionen  Kronen  beträgt.  Dasselbe  besteht  aus 
Realitäten,  darunter  der  prächtige  „van  Swieten-Hof“  in  der  Rothen¬ 
thurmstrasse,  und  aus  pupillarsicheren  Effecten.  Für  Witwen-  und 
Waisenpensionen  wurden  im  Jahre  1899  rund  260.000  Kronen  aus 
gegeben,  ein  glänzendes  Zeugniss  für  die  segensreiche  Thätigkeit  der 
Societät.  Dem  abtretenden  Präsidenten,  Regierungs) ath  Dr.  Spitz¬ 
müller,  wurde  auf  Antrag  des  Primarius  Dr.  Adler  der  beste 
Dank  für  seine  hingebungsvolle,  eifrige  und  von  Erfolg  gekrönte 
Thätigkeit  ausgesprochen,  worauf  Dr.  S  p  i  t  z  m  ü  1 1  er  wieder  für  fünf 
Jahre  zum  Präsidenten  gewählt  wurde.  Auch  dem  Cassier  Dr.  R  e  i  1 1  e  r 
und  dem  Actuar  Dr.  Klein  wurde  der  wärmste  Dank  ausgesprochen. 
Die  Wahlen  ergaben  das  Resultat,  dass  Prof.  Dr.  Mracek,  Doctor 
Pernitza,  Prof.  Csokor,  Dr.  Fischer,  Dr .  Gelmo  und 
Dr.  Uli  mann  einstimmig  wiedergewählt  wurden. 

* 


Von  dem  „Jahrbuch  der  praktischen  Medici n“, 
herausgegeben  unter  Mitwirkung  bewährter  Referenten  von  Doctor 
J.  Schwalbe  (Berlin)  im  Verlage  von  F.  Enke  in  Stuttgart,  ist 
das  erste  Heft  des  Jahrganges  1900  erschienen.  Dasselbe  enthält  den 
Bericht  über  allgemeine  Pathologie  und  pathologische  Anatomie  von 
Ribbert  (Zürich),  über  die  Krankheiten  des  Nervensystems  von 
Seeligmüller  (Halle),  über  Psychiatrie  von  L  e  w  a  1  d  (Breslau) 
und  über  die  Krankheiten  der  Athmungsorgane  von  Hochhaus 
(Kiel).  Preis  des  Heftes  M.  3. — . 

* 

Von  der  neuen  „Zeitschrift  für  Tuberculose  und 
Heilstätten  wesen“,  herausgegeben  von  C.  Gerhardt, 
B.  Fraenkel  und  E.  v.  Leyden,  verlegt  bei  Barth  in  Leipzig, 
ist  das  erste  Heft  des  ersten  Bandes  erschienen.  Nebst  den  einleitenden 
Worten  von  E.  v.  Leyden  enthält  das  Heft  an  Originalarbeiten: 
Die  Tröpfcheninfection,  von  B.  Fraenkel;  The  conditions  of  infection 
by  tubercle,  von  Ran  so  me;  L’agglutination  du  baeille  de  Koch, 
von  Arloing;  Zur  Heilbarkeit  der  Tuberculose,  von  v.  Schrötter; 
Die  Bedeutung  der  Tuberculose  als  Ursache  des  vorzeitigen  Todes  bei 
erwachsenen  Bewohnern  des  Deutschen  Reiches,  von  R  a  h  t  s  ;  Die 
Vererbung  des  Locus  minoris  resistentiae  bei  der  Lungentuberculose, 
von  Turban;  Die  Bekämpfung  der  Lungenschwindsucht  und  das 
neue  Invalidenversicherungsgesetz,  von  Gebhard;  Diagnostik  preeoce 
de  la  tuberculose  pulmonaire,  von  Bogaert  und  Klyners;  Ueber 
einige  der  nächsten  Aufgaben  der  Tuberculoseforschung,  von  Cornet. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  10.  Jahreswoche  (vom  4.  März 
bis  10,  März  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  639,  unehelich  329,  zusammen 
968.  Todt  geboren:  ehelich  47,  unehelich  14,  zusammen  61.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  763  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 

24  2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  148,  Blattern  0,  Masern  15, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  5,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  40.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
115  (-(-  9),  Masern  292  ( — 5),  Scharlach  53  ( —  1),  Typhus  abdominalis 
9  (-(-  7),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  27  (-f-  11),  Croup  und 
Diphtherie  57  (-)-  5),  Pertussis  70  (-j-  1),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  ( —  1),  Trachom  5  (-(-  5),  Influenza  38  (-J-  20). 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  11.  Jahreswoche  (vom  11.  März 
bis  17.  März  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  641,  unehelich  293,  zusammen 
934.  Todt  geboren:  ehelich  55,  unehelich  18,  zusammen  73.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  863  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
27-4  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  158,  Blattern  0,  Masern  19, 
Scharlach  1,  Diphtherie  und  Croup  5,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  4, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  50.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
72  ( —  43),  Masern  204  ( —  88),  Scharlach  45  ( —  8),  Typhus  abdominalis 

25  (-{-  16),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  24  ( —  3),  Croup  und 
Diphtherie  60  (-(-3),  Pertussis  42  ( —  28),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  5  (-)-  3),  Trachom  2  ( —  3),  Influenza  54  (-|-  16), 


Freie  Stellen. 

Erste  Stadtarztesstelle  in  Leitmeritz,  Böhmen. 
Jahresgehalt  1200  K,  ohne  Anspruch  auf  einen  Ruhegehalt.  Der  erste 
Stadtarzt  hat  in  dieser  seiner  Eigenschaft  sich  allen  in  der  auf  Grund  des 
Gesetzes  vom  23.  Februar  1888,  L.-G.-Bl.  Nr.  9,  für  Gemeindeärzte  erlassenen 
Dienstinstruction  enthaltenen  Obliegenheiten  mit  Ausnahme  der  iD  den 
§§  11  und  13  dieser  Instruction  enthaltenen  Verpflichtungen,  betreffend  die 
Todtenbeschau  und  die  Impfung,  zu  unterziehen.  Bewerber  deutscher  Natio¬ 
nalität  haben  ihre  mit  dem  Heimatsscheine,  dem  Diplome  über  den  erlangten 
Doctorgrad,  mit  den  Zeugnissen  über  die  bisherige  Verwendung  belegten 
Gesuche  bis  zum  15.  April  1900  bei  dem  Bürgermeisteramte  in 
Leitmeritz  einzubringen.  Der  Antritt  dieser  Stelle  kann  am  1.  Mai  1900 
erfolgen. 

Badearztesstelle  im  Curorte  Liebwerda,  Bezirk  Friedland 
in  Böhmen.  Die  näheren  Bedingungen  sind  bei  der  Curinspection  zu 
erfahren. 

Gemeindearztesstelle  in  Gimino,  Küstenland,  mit  einem 
Jahresgehalte  von  2000  K.  Der  Arzt  ist  verpflichtet,  die  Armen  der  ganzen 
Dorfgemeinde  unentgeltlich  zu  behandeln,  als  sanitäres  Gemeindeorgan  im 
Sinne  des  Landesgesetzes  vom  18.  März  1874  zu  fungiren  und  eine  Haus¬ 
apotheke  zu  halten.  Für  Armenbesuche  ausserhalb  des  Domicilortes,  wie  auch 
für  sonstige  im  Aufträge  der  Gemeinde  unternommenen  Dienstreisen  werden 
ihm  die  Reisekosten  vergütet.  Der  Dienstvertrag  wird  auf  drei  Jahre  ge¬ 
schlossen  und  nach  Verlauf  dieser  Frist  von  Jahr  zu  Jahr  stillschweigend 
erneuert,  den  Fall  einer  gegenseitig  drei  Monate  vor  Ablauf  der  Jahresfrist 
zu  erfolgenden  Kündigung  ausgenommen.  Die  Gesuche  mit  dem  ärztlichen 
Diplome,  den  Nachweisen  über  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  über 
die  Kenntniss  der  kroatischen  und  der  italienischen  Sprache  und  über 
andere  allfällige  Qualificationen  sind  an  das  Bürgermeisteramt  in  Gimino 
bis  längstens  15.  April  1.  J.  einzubringen. 


Nr.  14 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


333 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft 
Sitzung  vorn  30.  März  1900. 


INHALT: 

der  Aerzte  in  Wien.  |  Oesterreichische  otologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  29.  Januar  1900. 

(Fortsetzung  ) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  30.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Weinlecliner. 

Schriftführer :  Dr.  Flinke. 

Der  Vorsitzende  macht  Mittheilung  von  dem  Ableben  Hofrath 
Hofmokl’s  und  fordert  die  Anwesenden  zur  Trauerkundgebung  auf, 
sich  von  den  Sitzen  zu  erheben.  Hierauf  begrüsst  er  den  als  Gast  er¬ 
schienenen  Prof.  £  d  i  n  g  e  r  aus  Frankfurt. 

Der  Schriftführer  verliest  das  Protokoll  der  Wahlen  von  Func¬ 
tionären  und  Mitgliedern  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
vom  23.  März  1900. 

Für  die  Wahl  zu  Vorsitzenden  und  Schriftführern  wurden  ab¬ 
gegeben  137  gütige  Stimmzettel.  Die  absolute  Majorität  betrug  69  ;  als 
gewählt  erscheinen  : 

Zu  Vorsitzenden:  Prof.  Johann  Csokor,  Dr.  Joh. 
Habart,  k.  und  k.  Oberstabsarzt,  und  Dr.Hermann  T  e  1  e  k  y. 

Zu  Schriftführern:  Dr.  Ferdinand  Alt,  Oskar 
F  o  e  d  e  r  1  und  Emil  Knauer. 

Für  die  Wahl  von  Mitgliedern  wurden  abgegeben  127  gütige 
Stimmzettel.  Die  absolute  Majorität  betrug  64.  Als  gewählt  er¬ 
scheinen  : 

Zu  correspond  ir  enden  Mitgliedern:  Prof.  Julius 
Glax  in  Graz  und  Prof.  E.  H.  Kisch  in  Prag. 

Zu  ordentlichen  Mitgliedern:  Die  Herren  Doctoren 
Alexander  Gustav,  Benedict  Hermann,  Czerwenka 
Karl,  Deutsch  Eduard,  Donath  Julius,  Grosser  Otto, 
Halban  Heinrich  v.,  Hamm  erschlag  Victor,  Hanszel 
Friedrich,  Hitschmann  Fritz,  Kamen  Ludwig,  Korn¬ 
feld  Ferdinand,  Kornfeld  Siegmund,  Kr  au  s  s  W  alther, 
Lindenthal  Otto,  Oelwein  Gustav,  Oesterreicher 
Gustav,  O  1 1  o  H  e  i  n  r  i  c  h,  Pick  Ernst  Peter,  Reimann 
Heinrich,  Ri  sc  ha  wy  Benjamin,  Roth  Maximilian, 
Rothberger  Karl  Julius,  Schnabl  Josef,  Schumacher 
Siegmund  v.,  Spitzer  Ludwig,  Steiner  Johann,  Wald¬ 
stein  Edmund  und  W eiss  Hugo. 

Dr.  Wilhelm  Latzko  stellt  eine  Patientin  aus  dem  Kaiser  Franz 
Josef-Ambulatorium  vor,  die  vor  ungefähr  sechs  Jahren  in  seme  Be¬ 
handlung  trat.  „  _  ,  .  . 

Dieselbe  ist  30  Jahre  alt  und  litt  seit  ihrem  16.  Lebensjahre  an 
Osteomalacie.  Nebstdem  bestanden  heftige,  anfallsweise  auftretende 
Magenbeschwerden,  die  wohl  auf  ein  Ulcus  ventriculi  zurückzufühlen 
sind.  Durch  eine  fünf  Jahre  lang  mit  Unterbrechungen  forgesetzte 
Phosphortherapie  heilte  die  Knochenerweichung  vollständig  aus.  Die 
Kranke  hat  im  Ganzen  3  b  g  Phosphor  eingenommen. 

Im  März  v.  J.  wurde  sie,  die  bis  dahin  virgo  intacta  war, 
gravid,  ohne  dass  die  Schwangerschaft  auf  den  erzielten  Erfolg  einen 
Einfluss  gehabt  hätte. 

Durch  Untersuchung  in  Narkose  am  18.  November  wurde  fest¬ 
gestellt,  dass  die  bestehende  Beckenverengerung  den  Kaiserschnitt  am 
Ende  der  Schwangerschaft  implicirte.  Doch  trat  im  Anschlüsse  an  die 
Narkose  unstillbares  Erbrechen  auf,  welches  als  ultimum  refugium  d.e 
künstliche  Frühgeburt  durch  Sectio  caesarea  erforderte. 

Die  Operation  wurde  am  24.  November  ohne  Narkose  unter 
Schleie  h’scher  Infiltrationsanästhesie  mit  Cocain  ß -Lösung  vorge¬ 
nommen.  Es  wurde  nur  die  Linea  alba  infiltrirt.  Der  Schnitt  im  Uteius 
erforderte  keine  künstliche  Anästhesie.  Das  entwickelte  Kind  war  todt 
und  leichenstarr.  Nachdem  jede  Zerrung  des  Peritoneums  mit  heftigen 
Schmerzäusserungen  beantwortet  wurde,  wählte  Latzko  als  kürzestes 
Operationsverfahren  die  Porro-Operation  mit  extraperitonealer  Stiel¬ 
behandlung. 

Das  Erbrechen  sistirte  sofort  nach  der  Entbindung.  Am  selben 
Tage  wurde  flüssige  Nahrung,  vom  dritten  Tage  an  auch  feste  an¬ 
standslos  vertragen.  Doch  erkrankte  die  Wöchnerin  —  wohl  in  folge 
der  hochgradigen  Inanition  —  am  Operationstage  an  einer  leichten 
Psychose,  die  fünf  Tage  andauerte. 


Derzeit  besteht  volle  Euphorie,  mit  Ausnahme  von  hie  und  da 
auf  tretenden  Magenbeschwerden. 

Dr.  Latzko  demonstrirt  verschiedene  von  Dr.  Kienboeck 
ausgeführte  Röntgen-Bilder  des  ausgeheilten  Skeletes,  darunter  ein 
die  &Beckenverhältnisse  sehr  deutlich  darstellendes  Radiogramm. 


Prof.  Benedikt  demonstrirt  einen  seit  1873  erkrankten  labiker 
mit  prodromaler  Sehnervenatrophie. 

Es  ist  die  einzige  Ausnahme,  die  Benedikt  in  seiner  40  jähri- 
gen  Praxis  kennt,  bei  der  trotz  elektrischer  und  hydropathischer  Be¬ 
handlung  bei  prodromaler  Sehnervenatrophie  die  labes  sich  immei  mein  ent¬ 
wickelte  und  im  Jahre  1889  einen  so  hohen  Grad  erreichte,  dass 
der  Kranke  weder  stehen  noch  gehen  konnte,  und  dass  er  den  Ver¬ 
such  zweier  Männer,  ihn  stehend  zu  erhalten,  vereitelte,  indem  die 
schleudernde  Bewegung  seiner  Beine  die  Haltenden  gefährdete.  Be¬ 
nedikt  dehnte  damals  dessen  beide  Ischiadici  blutig  und  im  Ver¬ 
laufe  eines  Halbjahres  kehrte  allmälig  die  Geh-  und  Stehfähigkeit 
zurück  und  die  heftigen  Schmerzanfälle  wurden  immer  seltener,  kürzer 
und  schwächer.  Diese  Gehfähigkeit  hat  sich  durch  elf  Jahre  bis  jetzt 
erhalten,  wie  die  Demonstration  zeigt,  obwohl  der  Kranke  von  schweren 
Schicksalsschlägen  heimgesucht  wurde. 


Prof.  Benedikt  hält  hierauf  seinen  angekündigten  Vortrag: 
Ueber  die  Therapie  der  Tabes.  Er  betont  zunächst,  dass  er 
bei  der  Besprechung  verschiedener  Tabesfragen  in  erster  Linie  die 
Tendenz  verfolge,  einen  Typus  für  jene  wichtige  Reform  der  klinischen 
Wissenschaft  zu  liefern,  die  als  „klinische  Biomechanik“  bestimmt 
ist,  eine  neue  wissenschaftliche  Denkschule  in  der  Medicin  zu  schaffen. 
Darum  habe  er  die  Grundgleichung  aller  biologischen  Leistung  als 
Ausgangspunkt  der  Aetiologie  dieses  Leidens  gewählt.  Heute  behandle 
er  vorzugsweise  die  Aetiologie  des  Keilstrangschwundes. 

Die  wissenschaftliche  Grundlage  jedes  Heilversuches  sei  abei 
der  biomechanische  Satz:  Dass,  so  wie  in  der  organischen  Welt  Alles 
in  ewiger  Bewegung,  und  Ruhe  und  Gleichgewicht  nur  subjective 
Orientirungspunkte  unseres  Denkens  seien,  so  bestehe  das  Leben  dei 
Gewebe  in  fortwährendem  Wechsel  zwischen  Ueberspannung.  und 
Unterspannung,  zwischen  Entladungs-  und  Ladungsdrang,  zwischen 
Entladung  und  Ladung.  Ladung  und  Entladung  geschehen  durch  Zu¬ 
fuhr  oder  Abfuhr  von  Energien  allein,  oder  von  Energien  und  Stoffen. 
Durch  Wärme,  Licht,  Elektricität  laden  wir  den  Organismus  mit 
Energien,  und  ähnlich  entladen  wir  durch  sie;  stofflich  und  zugleich 
mit  Energien  durch  anorganische  Substanzen,  wie  Luft,  Wasser, 
Salze  etc.  Eine  „Conditio  vitae  sine  qua  non“  sei  aber  die  Ladung 
mit  organischen  Substanzen  und  diese  Ladung  sei  mehr  als  eine  stoff¬ 
liche  allein,  sie  sei  zugleich  Ladung  mit  den  eigentlichen  Lebens¬ 
energien.  Es  sei  hier  wichtig,  den  Satz  zu  betonen :  Der  Tod  sei 
nicht  das  Ende  des  Lebens.  Die  Gewebe  und  Producte  der  Küche, 
der  Fruchtkammer,  des  Kellers  sind  todt,  aber  sie  enthalten  jene 
Lebensenergien,  welche  die  anorganischen  Elemente  zu  organischen 
Substanzen  Zusammenhalten,  und  diese  sind  nöthig  zur  Erhaltung  und 
zum  Erzeugen  von  Leben.  Auch  die  Entladungen  geschehen  im 
Stoffwechsel  durch  Lebensenergien  und  nicht  durch  rein  physikalische 
Vorgänge  allein.  Positive  und  negative  biomechanische  Spannungen 
können  nur  zum  kleinsten  Theile  durch  physikalische  Apparate  kennt¬ 
lich  gemacht  und  gemessen  werden. 

Der  Fundamentalsatz  von  dem  ewigen  inneren  Wechsel  zwischen 


nter-  und  Ueberspannung  lehrt  uns,  dass  die  Unterspannung  ein 
ienso  mächtiger  Lebensreiz  sei,  als  die  Ueberspannung  und  die  Lehre 
jm  negativen  Reize  gewinnt  eine  höhere  Klarheit.  Hunger  und 
urst  der  Gewebe  sind  ein  ebenso  mächtiger  Reiz,  wie  der  Zeugungs-, 
ebärungs-  und  Abfuhrskitzel  der  Gewebe. 

Von  diesem  gewonnenen  neuen  Standpunkte  aus  muss  die 
herapie  an  Klarheit  gewinnen.  Vor  Allem  werden,  wir  nicht  men 
m  vorneherein  gewisse  krankhafte  Vorgänge,  wie  Schmeiz  um 
rämpfe,  als  krankhaft  erhöhte  Zustände  ansehen,  sondern  begreifen, 
iss  sie  ebenso  gut  Zeichen  eines  herabgesetzten  Lebenszustandes  sein 
Junen,  und  wir  werden  häufig  Reizmittel  statt  Betäubungs-  und 
nterdrückungsmittel  anwenden  und  umgekehrt.  Auch  erhöhte  B  u 
ifuhr  werden  wir  nicht  absolut  als  zu  bekämpfenden  Reizzustand  an- 


334 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


sehen,  sondern  diese  Zufuhr  noch  vielleicht  fördern,  um  den  Ladungs¬ 
reiz  der  Gewebe  zu  befriedigen. 

Besonders  geeignet  ist  diese  biomechanische  Betrachtungsweise, 
um  gewissen  therapeutischen  Käthseln  beizukommen.  Zu  diesen  zählt 
die  Wirkung  der  differenten  Bäder,  an  deren  verschiedener  Wirkung 
gegenüber  den  indifferenten  kein  Zweifel  obwalten  kann.  Dass  bei 
den  Jod-,  Eisen-  Moor-Bädern  etc.  Stoffzufuhr  keine  Rolle  spielt,  ist 
sicher;  es  kann  sich  also  nur  um  die  Jod-Eisen-Moorenergien  etc. 
handeln,  welche  Ladungen  und  Entladungen  bewirken,  welche  in  sehr 
verwickelter,  heute  nicht  übersehbarer  Weise  in  die  Tiefe  wirken. 

Noch  wichtiger  wird  dieser  Standpunkt,  wenn  wir  die  specifische 
Wirkung  jener  Heilmittel  in  Betracht  ziehen,  welche  auf  ein  be¬ 
stimmtes  Gewebe  oder  Theile  eines  bestimmten  Gewebes  wirken,  wie 
die  Narcotica. 

Nicht  die  Stoffzufuhr  spielt  dabei  eine  erste  Rolle,  sondern  die 
eigenartige  Energiezufuhr,  welche  den  bestimmten  Gewebstheil  zu 
laden  oder  zu  entladen  im  Stande  ist.  Die  ganze  Lehre  von  den 
Toxinen,  Antitoxinen  und  von  der  Immunität  muss  durch  die  bio¬ 
mechanische  Beleuchtung  an  Klarheit  gewinnen. 

Nach  der  Entwicklung  des  allgemeinen  biomechanischen  Stand¬ 
punktes  wollen  wir  die  Therapie  des  Keilstrangschwundes  erörtern. 

Bei  subacuter  Entwicklung  oder  bei  subacutem  Nachschübe  ist 
strenge  Antip  hlogose  angezeigt,  also  absolute  Ruhe,  Kälteanwen¬ 
dung  an  der  Wirbelsäule,  allenfalls  blutige  Schröpfköpfe  und  Ex- 
tractum  secalis  cornuti  innerlich.  Gegen  diese  Heilanzeige  wird  am 
meisten  in  verhängnissvoller  Weise  für  den  Verlauf  der  Erkrankung 
gesündigt.  Im  späteren  Verlaufe,  wenn  die  Zehrung  der  Gewebe  fort¬ 
geschritten  ist,  muss  umgekehrt  die  Blutzufuhr  begünstigt  werden  und 
starke  Douche  und  schottische  Douche  bewirken  dies  am  besten. 

Eine  wichtige  Heilkraft  bei  der  Aufhaltung  und  Besserung  und 
vielleicht  Heilung  im  Beginne  kommt  der  Elektricität  zu  und  vor 
Allem  der  centralen  Galvanisation;  die  Faradisation  spielt  eine  Neben¬ 
rolle  bei  der  Bekämpfung  des  Secundärsymptomes  der  Anästhesie  und 
als  örtliches  Betäubungsmittel  gegen  örtlichen  tabischen  Schmerz. 

Der  Kaltwasser  cur  kommt  eine  gleichwerthige  Rolle  zu. 
Thermen  sind  schädlich.  Milde  und  kurz  angewendet  sorgen  sie  für 
die  Reinlichkeit  der  Kranken.  Wenn  sie  die  Schmerzen  mildern,  ver¬ 
schlimmern  sie  die  Bewegung. 

Höchst  bedeutsam  ist  die  Dehnung,  zunächst  die  unblutige 
nach  der  Methode  von  Motschutkofski  (Suspension),  oder  die 
von  mir  verbreitete  von  B  o  n  u  z  z  i. 

Als  die  wichtigste  Methode  in  der  Therapie  des 
Keilstrangschwundes  ist  die  blutige  Dehnung  der 
Ischiadici  anzusehen;  sie  ist  die  oberste  Therapie  der  Zukunft, 
die  in  jedem  Falle  in  früherer  Zeit  und  sogar  öfters  bei  den  einzelnen 
ausgeübt  werden  wird.  Wenn  die  Methode  von  Motschutkofski 
und  B  o  n  u  z  z  i  die  Motilität  bessern,  so  wirkt  die  blutige  Dehnung 
auf  Motilität  und  die  Schmerzen  unvergleichlich  besser.  Sie  spielt  die¬ 
selbe  Rolle,  wie  Nervenzerrung  beim  „Tic  douloureux“.  Alle  diese 
Dehnungen  führen  den  Hintersträngen  und  Hinterwurzeln  Energie  zu, 
welche  deren  Reizkraft  erhöhen  und  in  ein  besseres  Assimilations- 
verhältniss  zum  Stoffwechsel  setzen. 

Es  war  unverständig  und  unvernünftig,  diese  grosse  Errungen¬ 
schaft  aus  dem  zeitgenössischen  Bewusstsein  verschwinden  zu  lassen. 

Eine  Nebenrolle  spielt  die  Nervenmassage,  die  ich  übe,  nämlich 
das  „Zupfen  der  Nervenstämme“  in  der  Art,  wie  man  Saiten 
in  der  Musik  zupft. 

Die  Uebungstherapie  des  Keilstrangschwundes  ist  so  alt  wie  das 
Leiden.  Der  erste  Keilstrangkranke  hat  schon  triebartig  Alles  auf- 
geboten,  durch  Aufmerksamkeit,  Hinschauen,  durch  Muskelinnervations¬ 
nachschub  u.  s.  w.  die  Sicherheit  seines  Stehens  und  Gehens  zu  ver¬ 
bessern.  Die  spät  nachhinkende  ärztliche  Intelligenz  hat  daran  wenig 
geändert.  Ich  mache  solche  Freiübungen  seit  längerer  Zeit  auf  eine 
persönliche  Anregung  des  Pariser  Arztes  T  a  r  g  1  i  a  u  und  heute  werden 
Vorrichtungen  dazu  verwendet.  Die  Erfolge  sind  spärlich,  und  am 
wichtigsten  bleiben  die  instinctiven  Hebungen  der  Kranken.  Der  irrige 
Aufputz  mit  der  falschen  Theorie  von  Leyden  ändert  natürlich  an 
der  Sache  nichts. 

In  der  medicamentösen  Therapie  spielt  jene  mit  Quecksilber  und 
Jod  die  hervorragendste,  wenn  auch  oft  eine  äusserst  traurige  Rolle. 
Gegen  beide  Heilmittel  sind  die  Keilstränge  sehr  empfindlich  auch 
dann,  wenn  deren  Verwendung  gerechtfertigt  ist.  Nun  werden  sie  aber 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ohne  Berechtigung  angewendet,  weil  die 
Ratio,  nämlich  die  syphilitische  Ursache  des  Leidens,  fehlt.  Darum  hat 
der  zeitgenössische,  ätiologische  Irrthum  so  verhängnisvoll  auf  die 
Kranken  gewirkt,  wie  seinerzeit  der  Irrthum,  dass  die  tabischen 
Schmerzen  Rheumatismus  bedeuten  und  daher  eine  energische  Thermo- 
therapie  erfordern.  Hätte  man  in  den  letzten  20  Jahren  die  Tabiker 
nicht  behandelt,  so  stünde  es  besser  um  sie,  weil  viele  durch  die  Mode- 


thorheit  nicht  zu  Grunde  gerichtet  worden  wären.  Gerade  die  wirklich 
mit  Lustseuche  zusammenhängenden  Fälle  haben  einen  äusserst  milden 
Verlauf,  der  sie  jeder  vernünftigen  Therapie,  z.  B.  in  hervorragender 
Weise  der  blutigen  Dehnung,  zugänglich  macht  und  jede  übertriebene 
antispecifische  gefährdet  sie  ebenso  sehr  als  die  nicht  syphilitischen 
Fälle.  Die  Bekämpfung  des  Lustseuchengiftes  durch  die  bewährten 
Gegengifte  —  Quecksilber  und  Jod  —  muss  sehr  vorsichtig  gemacht 
werden.  Die  allgemeinen  strategischen  Regeln  dieser  Kampfführung 
müssen  bei  Keilstrangkranken  taktisch  sehr  vorsichtig  verwendet  werden. 
Wo  der  Verdacht  auf  Lustseuche  als  Ursache  des  Leidens  besteht, 
beginne  ich  mit  Einspritzungen  von  Sublimat.  Ergeben  diese  keinen 
Erfolg,  so  ist  jeder  energische  Versuch  gewiss  erfolglos.  Die  Wirkung 
der  Einspritzungen  erschöpfen  aber  den  Erfolg  nicht.  Wo  sie  positiv 
ausfallen,  kann  man  zu  Schmiercuren  mit  vorsichtiger  Steigerung  der 
Dosis  von  2‘0  aufwärts  bis  zu  4  0  Vorgehen.  Tritt  ein  Stillstand  der 
Besserung  oder  gar  Verschlimmerung  ein,  so  ist  die  Behandlung  zu 
unterbrechen  und  allenfalls  zu  verschieben.  Bei  Jodgebrauch  ist  die 
Tagesdosis  von  DO  wohl  immer  genügend  uud  die  Wirkung  wie  beim 
Quecksilber  strenge  zu  überwachen.  Auf  diese  Weise  kann  man  nützen 
und  den  Schaden  vermeiden.  Bei  heftigen  Schmerzen  kann  man  Sublimat 
oder  Jod  in  drei  Tagesgaben  mit  je  1/3  crJL,  Morphin  verabreichen. 

Die  sonst  in  Betracht  kommenden  Heilmittel,  wie  Nitras  argenti 
und  Extractum  calabaris,  spielen  eine  geringe  Rolle.  Als  schmerz¬ 
stillende  Mittel  sind  Jod-Natrium  ,  die  Salicylpräparate ,  Phenace¬ 
tin  u.  s.  w.  anzusehen,  und  das  Morphin  ist  immer  noch  als  souverän 
zu  betrachten.  In  subeutaner  Form  führt  es  leicht  zum  Morphinismus; 
ob  es  aber  auch  in  dieser  Form  bei  Crises  gastriques  zu  entbehren 
sei,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Eine  wichtige  Rolle  spielen  die  Points  defeu  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Tabes.  Sie  sind  sowohl  in  der  französischen  Anwendungs¬ 
weise,  als  in  meiner,  durch  Unterhaltung  der  Wundeiterimg  häufig 
wirksam  gegen  die  Schmerzanfälle  und  sind  von  capitaler  Bedeutung 
für  die  Behandlung  der  Crises  gastriques,  besonders  wenn  noch  kein 
Morphinismus  besteht. 

Die  Prognose  des  Tabes  ist  keine  so  schlimme  als  es  scheint, 
wenn  sie  sich  selbst  überlassen  bleibt  oder  geeignet  behandelt  wird. 

Sie  verläuft  meist  schleppend,  und  rasche  Verschlimmerungen 
lassen  sich  oft  durch  antiphlogistische  Behandlung  bedeutend  bessern. 
Bei  prodromaler  Sehnervenatrophie,  bei  prodromalen  Crises  gastriques 
und  wenn  der  Fall  die  Bedeutung  einer  aufsteigenden  Anoia  para¬ 
lytica  hat,  lassen  sich  durch  geeignete  Therapie,  wie  blutige  oder  un¬ 
blutige  Dehnung,  durch  Elektricität  und  Hydrotherapie  die  spinalen 
Symptome  wesentlich  bessern,  so  dass  selbst  die  verlorene  Steh-  und 
Gehfähigkeit  in  einem  hohen  uud  bleibenden  Grade  zurückgebildet 
werden  kann.  Die  Algien  werden  nach  blutiger  -Dehnung  allmälig 
schwächer,  kürzer  und  seltener  und  ebenso,  wie  es  scheint,  die  Crises 
laryngeenes. 

Dauernde  Abhilfe  der  Crises  gastriques  habe  ich  von  der  Kau¬ 
terisation  gesehen.  Die  mit  Syphilis  zusammenhängenden  Fälle 
haben  auch  ohne  alle  Therapie  meist  einen  schlejjpenden  Verlauf  und 
sind,  wie  schon  erwähnt,  allen  rationellen  Therapien,  besonders  der 
Dehnung,  äusserst  zugänglich.  Es  gibt  auch  sonst  noch  „benigne“  Fälle. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Officielles  Protokoll  der  Sitzung  vom  29.  Januar  1900. 

(Fortsetzung.) 

Vorsitzender:  Prof.  Politzer. 

Schriftführer:  Dr.  Hugo  Frey. 

3.  Dr.  Singer:  Ein  Fall  von  hysterischem  Schwindel 
nach  Radicalope  ration. 

Discussion:  Politzer:  Obwrohl  der  Vortragende  hervor¬ 
hebt,  dass  an  eine  Läsion  des  Labyrinths  nicht  zu  denken  sei,  glaube 
er  doch,  dass  ein  schon  erkrankter  und  bei  der  Operation  nicht  ent¬ 
fernter  Theil  des  Knochens  noch  nachträglich,  während  die  Heilung 
im  Gange  ist,  zerstört  werden  könnte,  oder  dass  durch  das  Vorhofs¬ 
und  Schneckenfbnster  Granulationen  in  das  Labyrinth  hineinwandern 
könnten.  Wenn  nicht  anderweitige  hysterische  Stigmen  an  der  Patientin 
nachweisbar  seien,  so  würde  er  doch  vorschlagen,  auch  diese  Möglich¬ 
keit  in  Erwägung  zu  ziehen. 

Urbantschitsch  stimmt  dieser  Meinung  im  Allgemeinen  bei, 
nur  meint  er,  dass  in  diesem  speciellen  Falle  die  Erscheinungen  so  eigen- 
thümlicher  Art  seien,  dass  sie  sich  nur  auf  eine  Hysterie  beziehen 

lassen. 

Dr.  Hammerschlag:  Ich  hatte  im  Verlaufe  der  letzten 
Jahre  wiederholt  Gelegenheit,  hysterische  Personen  auf  eventuelle  Hör¬ 
störungen  zu  untersuchen. 


Nr.  14 


335 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nach  meinen  Erfahrungen  lassen  sich  die  Manifestationen  der 
Hysterie  im  Gebiete  des  Gehörorganes  eintheilen  in  Hypästhesien  und 
Hyperästhesien. 

Die  Hypästhesie  des  Acusticus  ist  gewöhnlich  eine  Theilorscheinung 
der  hysterischen  halbseitigen  Herabsetzung  sämmtlicher  Empfindungs¬ 
qualitäten  und  ist  charakterisirt  durch  den  Stimmgabelbefund  der  ein¬ 
seitigen  nervösen  Schwerhörigkeit.  Ohrensausen  und  Schwindel  gehören 
nicht  zum  Symptomenbilde  der  hysterischen  Hypakusis. 

Wo  Ohrensausen  oder  Schwindel  bei  Hysterischen  auftritt,  wird 
man  in  der  Regel  ein  organisches  Ohrenleiden  constatiren  können.  Bei 
mit  organischen  Ohrenleiden  behafteten,  hysterischen  Personen  tritt 
Schwindel  mitunter  mit  einer  Heftigkeit  auf,  die  mit  der  Schwere  des 
Ohrenleidens  in  auffallendem  Widerspruch  steht. 

4.  Dr.  Singer:  Framboesia  syphilitica  an  der 
Ohrmuschel. 

Ich  möchte  mir  weiter  erlauben,  über  die  Krankheit  eines  Patienten, 
den  ich  Ihnen  hiemit  vorstelle,  nur  zu  referiren,  denn  das  schöne  Bild, 
das  ich  Ihnen  zeigen  wollte,  ist  zum  grössten  Theil  durch  den  fort¬ 
schreitenden  Heilungsprocess  verschwunden,  wurde  aber  bereits  von 
Herrn  Dr.  Nobel,  Assistent  an  der  Abtheilung  für  Syphilis  der  All¬ 
gemeinen  Poliklinik,  in  der  Dermatologischen  Gesellschaft  demonstrirt. 

Es  handelte  sich  um  ein  gewiss  sehr  seltenes  Vorkommniss  einer 
Framboesia  syphilitica  an  der  Ohrmuschel.  Hofrath  Neumann  be¬ 
schreibt  dieses  Krankheitsbild  folgendermassen:  Selten  begegnet  man 
an  Stellen,  die  ziemlich  entfernt  von  der  Schleimhaut  liegen,  einer  auf 
papillärer  Wucherung  und  Gefässbildung  beruhenden  Papelform  mit 
grossen,  livid  rothen,  derben,  bald  ulcerösen,  bald  intacten  disseminirten 
Efflorescenzen,  die  als  Framboesia  syphilitica  bezeichnet  wird.  Sie  wurde 
vonKolaczek,  Amicis  und  Simon  beobachtet.  Sie  zählt  zu  der 
sehr  seltenen  Form  des  papulösen  Syphilids.  Diese  Formen  kommen 
besonders  an  behaarten  Körperstellen,  also  am  behaarten  Kopf  und  an 
der  Bartgegend,  aber  auch  an  anderen  Körpertheilen  vor,  so  an  den 
Mundwinkeln,  dem  Kinn,  den  Nasenflügeln  und  in  unserem  Fall  an  der 
Ohrmuschel;  es  bilden  sich  da  manchmal  sehr  grosse  und  succulente 
Papeln  aus,  die  mit  Schuppen  und  Krusten  bedeckt  sind,  nach  deren 
Abhebeu  die  Oberfläche  mit  zahlreichen  papillären  Zapfen  besetzt  ist. 

Patient  J.  S.,  Kohlenhändler,  ein  Jahr  verheiratet,  inficirte  sich 
vor  etwa  drei  Monaten,  von  dem  Tage  seines  Eintrittes  in  die  Ab¬ 
theilung  an  gerechnet  (das  war  Anfangs  December).  Die  damals  sicht¬ 
baren  Läsionsformen  schlossen  sich  unmittelbar  an  den  Initialeffect  am 
Penis  an.  Im  Bereich  der  behaarten  Kopfhaut,  und  zwar  über  dem 
linken  Scheitel  und  dem  Hinterhaupt,  sah  man  drei  bis  pfirsich grosse, 
halbkugelig  prominirende  Tumoren,  die  mit  schmutzig  -  honiggelben 
Borken  bedeckt  waren.  Entfernte  man  die  Krusten,  die  aus  ab- 
gestossenen  Schuppenmassen,  Eiter  und  Blutcoagulis  bestanden  und 
bloss  an  der  Peripherie  festsassen,  so  zeigte  sich  in  auffallender  Weise 
die  papillär  unebene,  vielfach  durchfurchte,  lappig-drüsige,  himbeer- 
artige,  rothe,  eine  klebrige,  stark  stinkende  Flüssigkeit  secernirende 
Oberfläche  aus  dem  Capillitium  stark  hervortretend.  Die  Haare  fehlten 
auf  ganzen  Inseln  der  kranken  Stellen,  fanden  sich  an  anderen  Stellen 
wieder  in  Büscheln  und  einzeln,  fest  und  lose.  Diese  Geschwülste 
grenzten  sich  scharf  ab  gegen  die  peripher  gesunde  Haut,  erreichten 
die  Höhe  von  etwa  D/2 —  2  cm,  wuchsen  mehr  in  die  Breite,  so  zwar, 
dass  sie  an  der  Oberfläche  eine  grössere  Ausbreitung  zeigten  als  an 
der  Basis,  mit  welcher  sie  mit  der  Haut  in  Verbindung  standen.  Am 
linken  Naseneingang  befand  sich  eine  bohnengrosse,  grauweisse,  nässende, 
mit  Borken  bedeckte  Vegetationsmasse.  Am  weichen  Gaumen,  besonders 
an  den  vorderen  Gaumenbögen  und  an  der  Uvula,  bestanden  zahlreiche 
Plaques  muqueuses.  Am  rechten  Oberarm  und  auf  der  Stirn  waren  Narben 
oder  auch  Erhabenheiten  solcher  Geschwülste  sichtbar. 

An  der  linken  Ohrmuschel  war  die  Concha,  die  Incisura  inter- 
tragica,  der  Eingang  in  den  äusseren  Gehörgang  in  nahezu  seinem 
ganzen  Umfange  ausgekleidet  und  erfüllt  von  einer  confluirten,  wenig 
eiterig  belegten,  grauröthlichen,  mannigfach  durchfurchten,  lappigen, 
frambösieartigen,  etwa  6  mm  über  der  Oberfläche  erhabenen,  nuss¬ 
grossen,  papulösen  Wucherung.  Bei  Berührung  war  dieselbe  wenig 
schmerzhaft.  Der  äussere  Gehörgang  war  zum  grössten  Theil  verlegt, 
theils  durch  die  denselben  erfüllende  Aftermasse,  theils  durch  reichliche, 
geschwellte,  grauröthliche,  warzige  Efflorescenzen,  die  besonders  die 
tieferen  Abschnitte  des  Gehörganges  so  ausfüllten,  dass  sich  dem  unter¬ 
suchenden  Auge,  nach  Einführen  des  kleinsten  Trichters,  eine  dem 
Granulationsgewebe  ähnliche  Neubildung  präsentirte,  welche  das  Lumen 
abschloss.  Aus  dem  Gehörgang  fand  eine  reichliche,  durch  Beimischung 
von  Epidermisschuppen  etwas  resistentere  Eiterabsonderung  statt,  so 
dass  das  Bild  einer  Otitis  externa  vorgetäuscht  wurde,  umsomehr,  als 
der  Process  sehr  schmerzhaft  verlief;  hatten  ja  erst  die  grossen  Ohren¬ 
schmerzen  den  Patienten  zu  uns  geführt.  Patient  gibt  an,  dass  das 
linksseitige  Ohrenleiden  vor  etwa  zwei  Monaten  mit  einem  kleinen 
„Wimmerl“  am  Ohreingang  an  der  unteren  Gehörgangswand  begonnen 
habe.  Angeblich  kratzte  er  dasselbe  und  riss  die  Krusten  immer  wieder 
weg.  Ohrenfluss  sei  erst  vier  Wochen  später  unter  heftigen  Schmerzen 


aufgetreten.  Das  Hörvermögen  auf  diesem  Ohr  bedeutend  herabgesetzt. 
Linkes  Ohr:  Trommelfell  und  Hörvermögen  vollkommen  normal. 

Alle  Erscheinungsformen  der  Syphilis,  wie  Sklerosen,  Roseola, 
Maculae,  Papeln,  tuberculöse  Syphilide,  Condylomata  lata,  Ulcerationen, 
Gummata,  welche  an  der  Haut  überhaupt  Vorkommen,  können  sich 
auch  an  der  Ohrmuschel  oder  im  äusseren  Gehörgang  finden,  und  zwar 
sowohl  im  frühesten  Stadium,  wie  auch  in  späteren  Zeiträumen  der 
Erkrankung,  zugleich  mit  luetischen  Zeichen  am  übrigen  Körper  odei 
als  einziges  Symptom  der  Syphilis.  Fälle  dieser  Art  sollten  immei 
auch  dem  Ohrenarzt  überwiesen  werden  —  in  unserem  Fall  geschah 
es  umgekehrt,  da  sandte  ich  den  Patienten  zu  dem  Syphilidologen  — , 
denn  neben  dem  äusseren  Ohr  kann  gleichzeitig  auch  die  Paukenhöhle 
ergriffen  sein,  wie  wir  es  hier  fanden.  Diese  specifischen  Eiterungs- 
processe  bieten  jedoch  in  ihrem  klinischen  Bilde  gewöhnlich  keine 
andere  Erscheinung  dar,  als  die  nicht  specifischen  Mittelohreiterungen. 
Was  endlich  die  locale  Disposition  betrifft,  ist  hier  die  Otorrhoe  nicht 
als  das  die  specifische  Erkrankung  an  dieser  Stelle  bedingende  Moment 
auzusehen,  da  diese  erst  vier  Wochen  nach  dem  Auftreten  der  Ge¬ 
schwulst  an  der  Ohrmuschel  erschien. 

Es  finden  sich  verhältnissmässig  wenig  Veröffentlichungen  über 
Syphilis  des  äusseren  Ohres,  wie  dies  auch  dem  in  praxi  immerhin 
seltenen  Vorkommen  von  specifischen  Affectionen  im  Gehörgang  oder 
an  der  Ohrmuschel  entspricht.  So  konnte  z.  B.  Knapp  unter  9000 
bis  10.000  Ohrenkranken  nur  viermal  Syphilis  des  Gehörganges  nach- 
weisen. 

5.  Docent  Dr.  Alt:  Ein  Fall  von  geheilter  Peri¬ 
chondritis  auriculae  nach  Radicaloperation. 

Bei  einem  15jährigen  Patienten  wurde  wegen  einer  chronischen 
eiterigen  Mittelohrentzündung  mit  Granulationen  aus  dem  Anti  um, 
sowie  wegen  Kopfschmerzen,  Schwindel  und  Erbrechen  die  Radical¬ 
operation  mit  Körne  r’scher  Plastik  und  primärer  Naht  ausgeführt. 
Zwei  Tage  nach  der  Operation  musste  wegen  eines  eingetretenen  Col¬ 
lapses  Verbandwechsel  vorgenommen  werden,  während  sonst  der  erste 
Verband  erst  nach  fünf  Tagen  erfolgt,  bis  der  bei  der  Plastik  ge¬ 
bildete  Lappen  angeheilt  ist.  In  der  Wundhöhle  konnte  man  von 
hinten  oben  aus  der  Gegend  des  Sinus  hervorquellenden  Eiter  nach- 
weisen,  weshalb  sogleich  die  Wunde  nochmals  eröffnet  und  der  Sinus 
freigelegt  wurde.  Es  bestand  ein  perisinuöser  Abscess,  der  Sinus  selbst 
war  mit  missfarbigen  Thromben  erfüllt  und  wurde  ausgeräumt. 

Der  weitere  Verlauf  war  ein  normaler,  bis  sechs  Wochen  nach 
der  zweiten  Operation  die  Perichondritis  auriculae  auftrat,  welche 
nach  zwei  breiten  Incisionen  an  der  vorderen  und  hinteren  Fläche 
der  Ohrmuschel  ausheilte,  ohne  eine  wesentliche  Entstellung  zurück¬ 
zulassen. 

Dieser  Fall  von  Perichondritis  nach  Radicaloperation  ist  der  erste, 
den  Alt  bei  dem  grossen  Material  an  der  Universitäts-Ohrenklinik  seit 
Jahren  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte.  Als  Ursache  der  Affection 
betrachtet  er  die  Schädigung  des  Körne  r’schen  Lappens  (w'elche 
durch  die  Wiedereröffnung  der  primär  geschlossenen  Wundhöhle  be¬ 
dingt  war)  mit  secundärer  Ernährungsstörung  und  Nekrose  desselben, 
die  eine  Infection  der  Ohrmuschel  erst  nach  sechs  Wochen  herbei¬ 
führte.  Die  Körne  r’sche  Plastik  mit  primärer  Naht  nach  Radical¬ 
operation  bietet  grosse  Vortheile,  darf  aber  nur  für  jene  Fälle  Vor¬ 
behalten  bleiben,  bei  denen  eine  völlig  uncomplicirte  Nachbehandlung 
voraussichtlich  ist. 

Discussion:  Urbantschitsch  glaubt  im  Gegensatz  zum 
Vortragenden,  dass  solche  Perichondritiden  immer  die  Folge  von 
Fehlern  in  der  Asepsis  bei  der  Operation  seien,  welche  niemals  ganz 
zu  vermeiden  sein  werden.  Er  sah  in  den  letzten  Jahren  vier  der¬ 
artige  Fälle. 

Politzer  constatirt,  dass  dies  der  erste  Fall  an  seiner  Klinik 
sei;  er  glaubt,  dass  beide  Ursachen,  Infection  bei  der  Operation  und 
schlechte  Ernährung  des  Gewebes,  massgebend  seien. 

6.  Dr.  Hammer  schlag:  Ein  Fall  von  chronischer 
Mitteloh  reite  rung,  Caries  des  Warzenfortsatzes, 
plötzliches  Auftreten  schwerer  meningealer  Sym¬ 
ptome,  Operation,  Freilegung  der  Mittelohr  räume, 
Eröffnung  der  mittleren  Schädelgrube,  des  Sinus, 
der  hinteren  Schädelgrube,  Exploration  des  Klein¬ 
hirnes,  Heilung. 

Die  Patientin  ist  ein  1  Sjähriges  Mädchen  aus  tubereulös  belasteter 
Familie.  Seit  dem  fünften  Lebensjahr  besteht  eine  rechtsseitige  Ohr¬ 
eiterung,  die  trotz  ärztlicher  Behandlung  und  trotz  wiederholter  Ent¬ 
fernung  von  Polypen  niemals  sistirt  hat.  Anfangs  October  1899  stellten 
sich  ohne  jede  Veranlassung  Schmerzen  im  rechten  Ohr  ein,  die  sich 
allmälig  zu  grosser  Intensität  steigerten;  hiezu  gesellte  sich  ein  con- 

tinuirlicher,  halbseitiger  Kopfschmerz. 

Die  Patientin  wurde  am  25.  October  in  die  Klinik  aufgenommen. 
Noch  am  2G.  Früh  war  sie  bei  vollem  Bewusstsein  und  im  Stande,  die 
eben  citirte  Anamnese  abzugeben.  Der  um  diese  Zeit  erhobene  somatische 
Status  ergab  normalen  Herz-  und  Lungenbefund,  regelmässigen,  nie  >t 


336 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  14 


beschleunigten  Puls,  normale  Temperatur;  die  Pupillen  waren  gleich, 
ziemlich  weit  und  reagirten  prompt  auf  Licht  und  Accommodation. 
Bevor  an  die  Aufnahme  des  Ohrenbefundes  geschritten  werden  konnte, 
begann  Patientin  über  furchtbare  Kopfschmerzen  zu  klagen,  wurde  sein- 
blass  und  verfallen  und  es  stellte  sich  ein  profuses  Erbrechen  ein. 
Die  Patientin  vermied  ängstlich  jede  Kopfbewegung,  der  Puls  war 
sehr  klein,  die  Frequenz  72,  dabei  aber  regelmässig. 

Gegen  11  Uhr  etwa  trat  vollständige  Bewusstlosigkeit  ein  und 
Strabismus  divergens,  die  Pupillen  waren  sehr  weit  und  reagirten 
träge.  Um  12  Uhr  bestand  noch  immer  vollständige  Bewusstlosigkeit, 
Puls  60,  unregelmässig,  Respiration  50.  Es  wurde  sofort  an  die 
Operation  geschritten,  die  mir  von  Herrn  Prof.  Politzer  gütigst 
überlassen  wurde. 

Der  gewöhnliche  Hautschnitt  durch  die  intacten  Weichtheile  legte 
das  Planum  mastoideum  bloss,  welches  unmittelbar  hinter  der  Spina 
suprameatum  eine  haardünne  Fistel  zeigte,  aus  der  sich  eine  Spur 
dünnen  Eiters  entleerte.  Nach  der  Wegmeisselung  der  hinteren  und 
oberen  Gehörgangswand  zeigte  sieb  das  stark  vergrösserte  Antrum, 
welches  vollkommen  von  einem  sehr  dünnen  und  stinkenden  Eiter  erfüllt 
war.  Im  Attic  und  in  der  Trommelhöhle  fanden  sich  spärliche  Granu¬ 
lationen  und  derselbe  stinkende  Eiter.  Der  Ambos  wurde  nicht  auf¬ 
gefunden,  vom  Hammer  nur  der  Kopf.  Die  Knochenwand  des  Sulcus 
sigmoideus  fand  sich  an  einer  Stelle  von  einer  feinen  Fistel  durch¬ 
brochen,  aus  der  sehr  lebhaft  flüssiger  Eiter  hervorpulsirte. 

Der  hierauf  in  grossem  Umfange  freigelegte  Sinus  war  von  Eiter 
vollständig  umspült,  seine  laterale,  membranöse  Wand  missfarbig.  Die 
laterale  Wand  wird  gespalten  und  hierauf  mit  der  Scheere  so  weit  als 
möglich  abgetragen.  Der  Sinus  selbst  ist  collabirt  und  leer,  nur  an 
einer  umschriebenen  Stelle  findet  sich  ein  frisches  Coagulum.  Hierauf 
wird  das  Tegmen  tympani  und  antri  vollständig  entfernt,  die  freigelegte 
Dura  des  Schläfenlappens  w'ölbt  sich  stark  vor,  zeigt  keine  Pulsation, 
erscheint  aber  sonst  durchaus  normal.  Es  wird  sodann  die  vom  Sinus 
nach  vorne  gelegene  Knochenwand  entfernt  und  die  Dura  der  hinteren 
Schädelgruppe  etwa  in  der  Ausdehnung  eines  Kronenstückes  freigelegt. 
Dieselbe  erscheint,  so  weit  sichtbar,  verdickt,  stark  injicirt  und  an 
mehreren  Stellen  von  einem  missfarbigen  Exsudat  bedeckt.  Dieser 
Theil  der  Dura  wird  nun  gespalten. 

Das  Kleinhirn  wölbt  sich  sofort  stark  vor  und  wird  zweimal  nach 
verschiedenen  Richtungen  mit  dem  Sealpell  incidirt.  Aus  dem  Kleinhirn 
entleert  sich  kein  Eiter.  Hierauf  lockere  Tamponade  und  Verband. 

Unmittelbar  nach  der  Operation  erlangte  Patientin  das  Bewusst¬ 
sein  wieder;  sie  klagte  jetzt  über  sehr  starke  Schmerzen  im  Kopf  und 
Nacken,  der  Puls  war  stark  retardirf,  dabei  rhythmisch,  ziemlich  voll 
und  hart.  Am  Abend  verlor  Patientin  das  Bewusstsein  abermals  und 
blieb  die  ganze  Nacht  hindurch  vollständig  bewusstlos.  Sie  schrie  zeit¬ 
weise  auf,  Hess  Urin  und  Stuhl  unter  sich.  Am  nächsten  Tage  Früh, 
etwa  um  7  Uhr,  war  die  Patientin  wieder  bei  Bewusstsein,  der  Puls 
war  noch  immer  retardirt,  dabei  rhythmisch,  die  Temperatur  normal; 
an  den  unteren  Extremitäten  war  jetzt  deutliche  Hauthyperästhesie  zu 
constatiren,  Strabismus  noch  immer  vorhanden.  Seither  hat  Patientin 
das  Bewusstsein  nicht  mehr  verloren. 

Am  zweiten  Tage  nach  der  Operation  stieg  die  Temperatur  noch 
einmal  über  38°;  es  wurde  deshalb  der  Verbandwechsel  vorgenommen, 
die  Wunde  war  vollkommen  trocken,  nirgends  Eiter  nachweisber.  Seit¬ 
her  blieb  die  Patientin  afebril.  Am  vierten  Tage  nach  der  Operation 
war  sie  bereits  ganz  schmerzfrei.  Der  Appetit  und  der  Schlaf  waren 
wieder  normal. 

Am  4.  December,  also  elf  Tage  nach  der  Aufnahme,  verliess 
die  Patientin  das  Spital  und  ist  jetzt  vollständig  geheilt.  Nach¬ 
zutragen  wäre  noch,  dass  in  diesem  Fall  die  Gehörgangsplastik  bei 
der  Operation  unterlassen  wurde,  und  zw-ar  aus  zweifachen  Gründen: 
1.  Hess  der  sehr  schlechte  Zustand  der  Kranken  eine  länger  dauernde 
Narkose  nicht  als  rathsam  erscheinen  und  2.  sollte  eventuell  bei 
günstigem  Verlauf  die  Körner’sche  Plastik  mit  primärem  Verschluss 
der  retroauriculären  Wunde  ausgeführt  werden.  Die  Patientin  Hess 
indessen  später  einen  nochmaligen  operativen  Eingriff  nicht  zu,  und  so 
musste  die  Wunde  ohne  Plastik  behandelt  werden.  Mau  sieht  jetzt 
durch  den  intacten  Gehörgang  die  epidermisirte  innere  Trommelhöhlen¬ 
wand,  die  retroauriculäre  Wunde  hat  sich  secundär  geschlossen,  und 
ich  gewann  aus  dem  Verlauf  der  Wundheilung  den  Eindruck,  als  sei 
das  Antrum  obliterirt. 

E  p  i  k  r  i  s  e.  Das  plötzliche  Auftreten  des  geschilderten  schweren 
Symptomencomplexes  nach  vorher  relativ  gutem  Allgemeinbefinden 
Hess  zunächst  an  den  Durchbruch  eines  bestandenen  Hirnabscesses 
denken,  und  das  umsomehr,  da  die  Exploration  des  Sinus  wohl  einen 
perisinuösen  Eiterherd,  nicht  aber  eine  makroskopisch  nachweisbare 
Infection  seines  Inhaltes  ergeben  hatte.  Die  Freilegung  des  Schläfen¬ 
lappens  nun  Hess  das  Vorhandensein  eines  Schläfenlappenabscesses  als 
unwahrscheinlich  erscheinen.  Dagegen  musste  man  bei  der  Localisation 


des  perisinuösen  Eiterherdes  mehr  an  eine  Infection  des  Kleinhirnes 
denken.  Die  Operation  ergab  nun  eine  ziemlich  ausgedehnte,  wenn 
auch  circumscripte  Pachymeningitis  externa  der  hinteren  Schädelgrube, 
aber  keinen  Kleinhirnabscess.  Die  schweren  Erscheinungen:  die  voll¬ 
ständige  Bewusstlosigkeit,  der  Strabismus,  die  Hyperästhesie  an  den 
Beinen,  würden  sich  eventuell  als  Symptome  einer  diffusen,  eiterigen 
Leptomeningitis  deuten  lassen,  umsomehr,  da  wir  seit  der  letzten 
Publication  Gradenigo’s  mit  voller  Sicherheit  wissen,  dass  auch 
diese  otitische  Complication  einer  operativen  Therapie  zugänglich  ist. 
Indessen  ist  zum  Nachweis  der  otitischen  Leptomeningitis  das  Er¬ 
gebnis  der  Spinalpunction  unbedingt  nothwendig,  die  in  unserem  Fall 
wegen  der  drängenden  Symptome  nicht  mohr  ausführbar  war.  Der 
Augenhintergrund  war  stets  normal. 

Discussion:  Kaufmann  erinnert  an  einen  ähnlichen  Fall, 
der  von  ihm  und  Hacker  operirt  wurde. 

7 .  Dr.  Hammerschlag:  Ein  Fall  von  plötzlicher, 
totaler,  beiderseitiger  Ertaubung  mit  Schwindel 
und  Erbrechen  im  Gefolge  einer  fieberhaften 
acuten  Erkrankung. 

Die  Patientin  ist  ein  1 7jähriges  Mädchen  aus  einer  kinder¬ 
reichen  Familie.  Die  Mutter  leidet  seit  14  Jahren  an  Beinfrass,  der 
Vater  starb  an  einer  Lungenkrankheit,  und  von  elf  Geschwistern  leben 
nur  noch  drei.  Die  Patientin  will  stets  gesund  gewesen  sein,  auch  das 
Gehör  war  immer  normal.  Am  16.  November  1899  bekam  sie  Stechen 
in  der  rechten  Brustseite,  am  17.  stellte  sich  die  Periode  ein.  An 
demselben  Tage  bekam  sie  starke  Schmerzen  im  Hinterhaupte,  das 
Erbrechen  und  das  Fieber  dauerten  an.  An  diesem  Tage  bekam  sie 
auch  Schwindel;  derselbe  war  sehr  stark  und  die  Gegenstände  drehten 
sich  von  rechts  nach  links.  Besonders  beim  Umwenden  im  Bette  hatte 
Patientin  das  Gefühl,  als  ob  sie  fallen  müsste.  An  demselben  Tage 
stellte  sich  Ohrensausen  ein.  Erst  am  dritten  Tage  nach  Beginn  der 
Erkrankung,  also  am  18.  November,  begann  das  Gehör  langsam  ab¬ 
zunehmen  und  war  am  Abend  dieses  Tages  gleich  Null. 

Am  19.  November  wurde  Patientin  in  die  Klinik  Neuss  er 
aufgenommen.  Bei  der  Aufnahme  bestand  noch  immer  Fieber,  Schwindel, 
Ohrensausen  und  ein  sehr  ausgebreiteter  Herpes  im  Gesicht,  besonders 
an  den  Lippen  und  um  den  Naseneingang.  Die  Allgemeinuntersuchung 
ergab  vollkommen  normalen  Thorax-  und  Abdomenbefund.  Am  Stamme 
und  an  den  Extremitäten  bestanden  zahlreiche  blass  rosarothe,  unter 
dem  Fingerdrucke  verschwindende  Roseolen,  daneben  grössere,  intensiv 
rothe,  unregelmässig  zerstreute  Flecke.  Im  Gebiete  der  Hirnnerven, 
mit  Ausnahme  des  Acusticus  negativer  Befund;  der  Augenhintergrund 
beiderseits  normal. 

Als  ich  die  Patientin  am  20.  November  zum  ersten  Male  sah, 
zeigte  sie  beim  Aufsitzen  im  Bette  keinerlei  Schwindel  oder  Unsicher¬ 
heit;  auch  das  Stehen  mit  geschlossenen  Augen  und  das  Umdrehen 
erfolgte  ohne  besonderes  Schwanken,  dagegen  war  die  Patientin  ausser 
Stande,  schwierigeren  Anforderungen  an  ihr  Gleichgewicht  nachzu¬ 
kommen.  Der  Versuch,  kleine  Gegenstände,  auf  einem  Fusse  stehend, 
vom  Boden  aufzuheben,  misslang  vollständig.  Die  Trommelfelle  waren 
beiderseits  leicht  getrübt  und  retrahirt,  der  Gehörgangskitzelreflex 
rechts  etwas  herab  gesetzt,  Weber  im  Kopfe,  Rinne  beiderseits  schein¬ 
bar  negativ  in  Folge  des  beinahe  vollständigen  Ausfalles  der  Luft¬ 
leitung,  nur  bei  stärkstem  Anschlägen  wurde  die  C2-Gabel  beiderseits 
angeblich  gehört,  vielleicht  fand  hier  eine  Verwechslung  mit  den  Vi- 
brationsempfindungen  an  der  Ohrmuschel  statt.  Vollständige  Taubheit, 
selbst  für  forcirte  laute  Sprache  und  für  Vocale,  die  Uhr  wurde  von 
den  Kopfknochen  beiderseits  nicht  gehört,  die  stark  angeschlagene 
Stimmgabel  von  den  Warzenfortsätzen  stark  verkürzt. 

Der  von  Prof.  v.  Frankl  aufgenommene  Nervenbefund  war  in 
jeder  Hinsicht  negativ,  ebenso  der  Harnbefund.  Patientin  w-urde  dann 
durch  etwa  drei  Wochen  erfolglos  mit  Pilocarpin  behandelt.  Erst  in 
der  letzten  Zeit  kam  ich  dazu,  eine  elektrische  Untersuchung  zu 
machen,  wobei  sich  zeigte,  dass  der  Acusticus  auf  kurze  Ströme 
leichter  ansprach,  wie  auf  lange.  Uebererregbarkeit  der  Acustici  be¬ 
stand  nicht.  (Schluss  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  6.  April  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Clll’obak 
stattfindender) 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  Latzko:  Demonstrationen. 

2.  Dr.  J.  Tlienen:  Die  Ursache  des  Geburtseintrittes. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  A.  Politzer,  Professor 
Weinlecliner,  Hofrath  Prof.  Schnabel,  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart, 
Dr.  A.  Julies,  Docent  Dr.  R6tlli,  Regimentsarzt  Dr.  J.  Fein  und 
Prof.  Englisch. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


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austrocknend  und  reducirt  die  Eiterproduction  auffallend 
schnell.  Wirkt  in  manchen  Fällen  zwar  weniger  stark  gra- 
nulirend  als  Jodoform,  übertrifft  aber  Jodoform  und  alle  an¬ 
deren  Mittel  eminent  in  epithelbildender  Wirkung.  Von 
specifischer  Wirkung  bei  ulcera  mollia,  ulcus  cruris,  allen 
nässenden  Ekzemen  u.  s.  w.  Frische  Wunden  heilen  pei 
primam  und  alle  Autoren  haben  abgekürzte  Heilungsdauei 
constatirt.  Infolge  der  Ungiftigkeit  und  schmerzstillenden 
Wirkung  von  grossem  Vortheil  in  der  Gynäkologie  und  bei 
Brandwunden.  Bei  chronischen  nässenden  Ekzemen  (Intel tugo 
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Das  »Cascarinec  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallieirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  tbera- 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  LafFont,  Bulletin  de  1  Academie  de  ilede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul  ;  Dujardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  1  urgatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305;  Tison,  Hopital 
St. -Joseph  und  CongiAs  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  181)5,  1.  lheil, 
pag.  963  ;  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

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erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

@> 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuekerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gnssenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Verlagshandlung  : 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel.  Telephon  Nr.  etm. 

o 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  12.  April  1900.  Nr.  15. 


XIDTIEX-A-ILT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  der  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  von 
Prof.  v.  Wagner.  Ueber  Beziehungen  der  K  o  r  s  a  k  o  f  f’schen 
Psychose  zur  Polioencephalitis  acuta  liaemorrhagica  superior.  Von 
Dr.  A.  E  1  z  h  o  1  z,  I.  Assistenten  der  Klinik. 

2.  Ein  Beitrag  zur  sogenannten  retrograden  Incarceration.  Von  Dr. 
Dominik  P  u  p  o  v  a  c,  Assistenten  an  der  II.  chirurgischen  Klinik 
in  Wien. 

3.  Zum  Artikel  von  Schenk  und  Austerlitz:  »Weitere  Unter¬ 
suchungen  üb’er  den  Keimgehalt  der  weiblichen  Urethra«,  diese 
Zeitschrift.  1900,  pag  319  ff.  Von  Dr.  Rudolf  Savor,  Assistenten 
der  Klinik  Chrobak. 

4.  Erklärung  zu  Dr.  F.  Pick’s  Erwiderung  in  voriger  Nummer.  Von 
Dr.  Victor  Eisenmenger. 


II.  Referate:  I.  Die  Erkrankungen  des  Nervensystems  nach  Unfällen,  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Untersuchung  und  Begutachtung. 
Von  Privatdocent  Dr.  Heinrich  Sachs  und  Dr.  C.  S.  Freun  d. 
II.  Ueber  traumatische  Entstehung  innerer  Krankheiten.  Von  Prof. 
Dr.  R.  Stern.  III.  Atlas  und  Grundriss  der  Unfallheilkunde,  so¬ 
wie  der  Nachkrankheiten  der  Unfallverletzungen.  Von  Dr.  E  d. 
Golebiewski.  IV.  Die  Entschädigung  der  Unterleibsbrüche  in 
der  staatlichen  Unfallversicherung.  Von  Dr.  C.  Kaufmann. 
V.  Rentensätze  für  glatte  Schäden  in  privater  und  obligatorischer 
Unfallversicherung,  Von  Dr.  Ferd.  B  ä  h  r,  VI.  Die  Beziehungen 
zwischen  Unfall  und  Diabetes.  Von  Prof.  H.  Senate  r.  VII.  Zur 
Begutachtung  der  erwerbsbeeinträchtigenden  Folgen  der  Ischias. 
Von  Dr.  H.  Ehret.  Referent  R  o  s  m  a  n  i  t. 

III.  Vermischte  Nachrichten. 

|  IV.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  der  I.  psychiatrischen  Universitätsklinik  von  Pro-  j 

fessor  v.  Wagner. 

Ueber  Beziehungen  der  Korsakoff’schen  Psychose 
zur  Polioencephalitis  acuta  haemorrhagica  su¬ 
perior. 

Von  Dr.  A.  Elzholz,  I.  Assistenten  der  Klinik. 

Nach  einem  für  die  Probevorlesung  zur  Erlangung  der  Venia  legendi  be¬ 
stimmten  Vortrag. 

Die  vorstehend  genannten  Affectionen  wurden  in  nicht 
gar  weit  auseinander  liegenden  Zeitpunkten  als  scharf  um¬ 
schriebene,  wohl  charakterisirte,  klinische  Krankheitszustände 
aufgestellt,  von  denen  dem  zweiten  auch  eine  präcise  patholo¬ 
gisch-anatomische  Basis  von  seinem  Autor  zugeschrieben  wurde. 
Im  Jahre  1881  entwarf  W  ernicke1)  auf  Grund  dreier  eigener 
Beobachtungen,  denen  er  einen  Fall  Gayet’s  hinzufügte,  das 
klinische  und  pathologisch-anatomische  Bild  der  von  ihm 
Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.  genannten  Krankheit,  im 
Jahre  1887  in  zwei  russischen  Arbeiten  Korsakoff  die 
Schilderung  einer  bis  dahin  wohl  hie  und  da  beobachteten  und 
auch  berücksichtigten 2),  aber  in  ihrer  wohlausgeprägten 
Eigenart  nicht  näher  gewürdigten  psychischen  Störung,  die  er 
dann  in  seinen  im  Jahre  1890 — 1891  erschienenen  deutschen 
Arbeiten 3)  unter  dem  Namen  Psychosis  polyneuritica  oder 
Cerebropathia  psych,  toxaemica  in  die  deutsche  Literatur 
einführte. 

Beide  diese  Aufstellungen  erregten  in  hohem  Masse  das 
Interesse  der  Neurologen  und  Psychiater,  wie  aus  den  auf 
diese  ersten  Arbeiten  gefolgten,  dem  gleichen  Gegenstand  ge¬ 


widmeten  Publicationen  hervorgeht.  Diese  haben  die  Berech¬ 
tigung  der  von  den  ersten  Autoren  entworfenen  klinischen 
Bilder  und  der  Angaben  über  die  pathologisch-anatomische 
Basis  in  dem  einen  derselben,  der  W  ern  i  c  k  e’sehen  Polio¬ 
encephalitis  acuta  haem.  sup.  bestätigt,  doch  dabei,  wie  so  oft 
bei  vertieftem  und  auf  eine  breitere  Basis  gestellten  Studium 
von  Fragen,  gewisse  Modificationen  in  der  ursprünglichen 
Prägung  und  Auffassung  der  uns  beschäftigenden  Krankheits¬ 
bilder  herbeigeführt.  Welche  Wandlung  sich  darin  bisher  voll¬ 
zog,  soll  sich  aus  einem  die  Literatur  in  ihren  markanten 
Arbeiten  berücksichtigenden  Rückblick  ergeben.  Es  wird  sich 
am  Schlüsse  desselben  zeigen,  dass  die  Verschiedenheit  dieser 
Krankheitsformen,  sowie  sie  uns  in  der  klinischen  Erscheinungs¬ 
weise  und  den  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  jener 
Fälle  entgegentritt,  welche  zur  Aufstellung  derselben  geführt 
haben,  nicht  davon  abzuhalten  braucht,  zwischen  diesen 
scheinbar  so  differenten  Zuständen  innige  Beziehungen 
zu  entdecken  und  für  beide,  zumindest  für  eine  An¬ 
zahl  von  Fällen  auf  einen  einheitlichen  Krankheitsprocess 
zu  recurriren.  Ein  auf  der  Klinik  beobachteter,  in  seiner 
Symptomengruppirung  äusserst  seltener  Fall,  dem  meines 
Wissens  nur  ein  fast  gleicher  und  einige  ihm  nahestehende 
aus  der  Literatur  an  die  Seite  zu  setzen  sind,  wird  unter 
Heranziehung  anderweitiger  Literaturdaten  sowohl  zur  Ulu- 
strirung  dieser  Auffassung,  wie  für  die  Stellungnahme  zu  einer 
noch  actuellen  Frage  in  der  Literatur  der  sogenannten  poly- 
neuritischen  Psychose  heranzuziehen  sein. 

Indem  ich  mit  der  Erörterung  der  sogenannten  poly- 
neuritischen  Psychose  beginne,  sei  in  knappen  Zügen  das 
Krankheitsbild,  wie  es  Korsakoff  zuerst  entworfen,  und  die 
Auffassung,  die  es  bei  ihm  gefunden,  hier  reproducirt. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


Die  psychischen  Störungen,  welche  die  Polyneuritiden 
verschiedenster  Aetiologie  begleiten,  können  in  mehreren  klini¬ 
schen  Formen  entgegen  treten.  In  den  leichtesten  Fällen  handelt 
es  sich  um  eine  reizbare  Schwäche,  sich  äussernd  in  leichter 
Ermüdbarkeit  des  Gehirns,  in  Schlaflosigkeit  und  Affecten  der 
Furcht,  des  Kummers.  Zwangsideen,  launenhaftes  Wesen,  un¬ 
überlegte  Wünsche  kommen  häufig  vor  als  Ausdruck  der  Un¬ 
möglichkeit,  gewisse  Vorstellungen  zu  bannen.  Bei  tieferer 
psychischer  Störung  entwickelt  sich  ein  verwirrter  Aufregungs¬ 
zustand  mit  heftigen  Affecten.  Delirien,  Hallucinationen.  affec¬ 
tiven  Handlungen.  Dieser  erregte  Zustand  geht  in  Genesung 
über  oder  macht  einer  chronischen  Krankheitsform  Platz.  Die 
chronischen  Krankheitsformen  unterschied  Korsakoff  in 
seiner  ersten  Arbeit  als  stuporösen  Schwachsinn  und  apathi¬ 
sche  Verwirrtheit.  Erstere  äussere  sich  in  tiefer  Störung  der 
Ueberlegung  mit  isolirten  deliriösen  Ideen,  Illusionen  und 
Hallucinationen,  oft  mit  zeitweiligen  Ausbrüchen  von  Tobsucht. 

Die  apathische  Verwirrtheit,  entweder  das  Endstadium 
einer  anfänglichen  tobsüchtigen  hallucinatorischen  Verwirrtheit 
darstellend,  oder  ohne  ein  solches  Vorstadium  sich  allmälig  ent¬ 
wickelnd,  ist  charakterisirt  durch  Vermengung  der  Vor¬ 
stellungen,  Desorientirung  in  Bezug  auf  Zeit  und  Ort,  viel¬ 
fache  Irrungen  und  Schwächung  des  Gedächtnisses.  Diese 
Form  der  Verwirrtheit,  meint  Korsakoff,  dürfte  die  häu¬ 
tigste  Störung  bei  Polyneuritis  sein  und  erreicht  verschiedene 
Grade,  manchmal  einen  solch  hohen  Grad,  dass  der  Kranke 
die  Bedeutung  von  Gegenständen,  Worten  und  Zeichen  ver¬ 
gisst.  Als  eine  besondere  Form  neuritischer  Geistesstörung 
wird  von  den  letzten  Fällen  noch  eine  abgetrennt,  bei  der 
neben  relativer  Klarheit  des  Bewusstseins  und  erhaltener 
Ueberlegung  das  Gedächtniss  für  die  Jüngstvergangenheit  ge¬ 
stört  ist.  Es  sind  das  Fälle  mit  acuter  Amnesie. 

Neben  diesen  Symptomen  psychischer  Störung  linden 
sich  die  bekannten  Erscheinungen  der  Polyneuritis.  Besonders 
hervorzuheben  ist,  dass  Korsakoff  das  gelegentliche  Mit- 
betroffensein  des  Gehirnes  und  des  Rückenmarkes  in  Form 
von  Herderkrankungen  betont.  Als  Symptome  herdartiger 
Mitbetheiligung  des  Gehirnes  verzeichnet  er  Schwindel,  Er¬ 
brechen,  Pupillendifferenz,  Ophthalmoplegia  externa,  Sprach¬ 
störung,  Schlingbeschwerden.  Bemerkenswerth  ist  ferner  die 
von  Korsakoff  gemachte  Beobachtung,  dass  bei  der  alko¬ 
holischen,  multiplen  Neuritis  fast  stets  Cerebropathia  (das  ist 
die  soeben  erwähnten  Symptome)  vorhanden  zu  sein  pflegt. 

Ausser  den  Störungen  der  Psyche,  den  physischen 
Symptomen  seitens  des  Nervensystems  linden  sich  Erscheinun¬ 
gen  einer  Mitaffection  des  Gesammtorganismus,  allgemeine  Ab¬ 
magerung,  Verfall  der  Kräfte,  Sinken  der  Herzthätigkeit, 
qualitative  Veränderungen  des  Harnes,  bisweilen  hartnäckiges 
Erbrechen. 

Korsakoff  bezeichnete  die  Combination  der  eigen¬ 
artigen  Geistesstörung  mit  den  Erscheinungen  von  Seiten,  des 
peripheren  Nervensystems  und  des  Gesammtorganismus  als 
Psychosis  polyneuritica  oder  Cerebropathia  psych,  toxaemica. 
Für  die  Aufstellung  des  ersten  Terminus  war  bestimmend  die 
Auffassung  Korsakoff’s  von  dem  innigen  Zusammenhänge 
der  psychischen  Störung  mit  der  Polyneuritis.  Am  bezeich¬ 
nendsten  für  diese  Auffassung  ist  der  Satz:  »Uebrigens  wird 
man  bei  eingehender  Untersuchung  immer  irgend  welche  An¬ 
zeichen  von  Neuritis  linden  können,  was  dann  auch  die 
Diagnose  der  psychischen  Störung  erleichtert.«  Dass  die 
psychische  Störung,  wie  sie  vor  ihm  bei  Alkoholneuritis  ge¬ 
sehen  und  beschrieben  wurde,  nicht  als  Complication  der 
Polyneuritis  unter  dem  Einflüsse  des  Alkoholismus  anzusehen 
sei,  ergibt  sich  Korsakoff  aus  dem  Vorkommen  der  gleichen 
psychischen  Störung  bei  multipler  Neuritis  sicher  nicht  alko 
holischen  Ursprunges. 

Cerebropathica  psych,  toxaem.  nennt  Korsakoff  die 
Krankheit,  weil  es  sich  um  eine  psychische  Störung  handelt, 
die  fast  stets  von  physischen  Symptomen  einer  Hirnaffection 
begleitet  ist  und  weil  ihr  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ana¬ 
tomische,  wenn  auch  mannigfache  Veränderungen  des  Gehirnes 
zu  Grunde  liegen.  Zum  Unterschiede  von  anderen  Cerebro- 
pathien  legt  er  ihr  die  Bezeichnung  toxämisch  bei,  weil  er 


sowohl  die  Affection  des  Gehirnes  wie  der  peripheren  Nerven 
auf  die  Einwirkung  im  Blute  kreisender  toxischer  Substanzen 
auf  das  Nervensystem  bezieht. 

Was  nun  das  psychische  Krankheitsbild  betrifft,  bezie¬ 
hungsweise  dieZahlder  von  Korsakof  f  unterschiedenen  Formen 
psychischer  Störung  bei  Polyneuritis,  so  hat  er  schon  in  der 
zweiten  deutschen  Arbeit  die  fünf  Formen  um  eine,  nämlich 
um  den  stuporösen  Schwachsinn  eingeschränkt. 

Die  bald  nach  der  russischen  Publication  sich  regende 
Opposition  T  i  1  i  n  g’s  4)  gegen  die  Korsakof  f’sche  Auf¬ 
fassung  der  polyneuritischen  Psychose,  die  geltend  machte, 
dass  die  von  Korsakoff  der  Polyneuritis  zu  Gute  ge¬ 
schriebene  psychische  Störung  eine  Ei-scheinungsweise  des 
chronischen  Alkoholismus  sei,  konnte,  wie  schon  erwähnt,  von 
Korsakoff,  dann  Korsakoff  und  Serbski5)  durch  Veröffent¬ 
lichung  von  Polyneuritisfällen  mit  einer  vom  Alkoholismus  verschie¬ 
denen  Aetiologie  zumSchweigen  gebracht  werden.  Schwerer  wogen 
die  Einwände  Tili  n  g’s  in  einer  späteren  Publication  6),  Ein¬ 
wände,  die,  nach  den  zahlreichen,  der  Korsakof  f’schen  Auf¬ 
fassung  zustimmenden  Arbeiten  der  früheren  Jahre  in  letzter 
Zeit  wieder  zum  Theil  aufgenommen  und  um  einen  wesent¬ 
lichen,  später  zu  besprechenden  vermehrt,  die  ursprüngliche 
Auffassung,  sowie  den  von  Korsakoff  vorgeschlagenen 
Terminus  des  in  Rede  stehenden  Krankheitsbildes  verdrängt 
haben.  Um  auf  Tiling  zurückzukommen,  wollte  dieser  zu¬ 
nächst  die  acute  Form  der  sogenannten  polyneuritischen 
Psychose,  die  Verwirrung  mit  Aufregungszuständen,  die  ohne 
Amnesie  verlaufen  kann,  oder  ein  Anfangsstadium  der  späteren 
amnestischen  Geistesstörung  darstellt,  nicht  als  eine  für  Poly¬ 
neuritis  charakteristische  Geistesstörung  gelten  lassen.  »So 
lange  allgemeine  Verwirrtheit  und  Aufregung  bis  zu  Tobsucht 
besteht,  liegt  in  dem  Verwechseln  von  Factis  und  alten 
Reminiscenzen  mit  kiirzlichen  Begebenheiten,  in  der  Des¬ 
orientirung  in  Bezug  auf  Ort  und  Zeit  gar  nichts  Charakteri¬ 
stisches  für  eine  Form  von  Geistesstörung.«  Die  Berechtigung 
dieses  Einwandes  wurde  in  den  späteren"  Veröffentlichungen 
der  verschiedenen  Autoren  trotz  Adoptirung  der  Korsakoff- 
schen  Krankheit  dadurch  dargethan,  dass  diese  eigentlich  nur 
die  eine  E'orm  der  vielen  von  Korsakoff  aufgestellten 
Varietäten  der  sogenannten  polyneuritischen  Psychose  zum 
Gegenstände  ihrer  Erörterungen  gemacht,  nämlich  die  durch 
Amnesie  und  Erinnerungsfälschungen,  beziehungsweise  Er¬ 
innerungstäuschungen  charakterisirte  Form,  oder  diese  Zustände 
mit  vorausgehender  deliranter  Phase. 

Dass  diese  Form  von  Geistesstörung  eine  klinische 
Eigenart  aufweist  und  zumindest  vom  symptomatologischen 
Standpunkte  als  eine  specifische  Combination  von  Symptomen 
eine  besondere  Stellung  verdient,  ist  kaum  zu  bestreiten  und 
wurde  auch  so  ziemlich  allgemein  anerkannt.  Diese  Eigenart 
wurde  von  Tiling  selbst  durch  den  Terminus  »amnestische 
Geistesstörung«  gewürdigt.  Der  extreme  Standpunkt  von 
Seglas7),  dass  die  Störung  des  Gedächtnisses  in  Form  einer 
hartnäckigen  Amnesie  in  directe  Beziehung  mit  der  primären 
Geistesverwirrung  (Confusion  mentale)  zu  bringen  wäre,  dass 
diese  ein  Zeichen  der  Erschöpfung  und  der  Abschwächung  des 
Nervensystems  in  der  Reconvalescenzperiode  nach  der  primären 
Verwirrtheit  darstelle,  ist  wohl  ohne  Weiteres  abzulehnen.  Mit 
Recht  opponirt  demselben  S  o  u  k  h  a  n  o  f  f 8)  unter  Hinweis  auf 
die  Meynert’scke  Amentia,  der  ein  solches  Nachstadium 
statuier  Amnesie  fehlt. 

Ein  weiterer  Einwand  T  i  1  i  n  g’s,  der  später  mehrfach 
wiederholt  und  erweitert  wurde,  war  der,  dass  die  amnestische 
Geistesstörung  nicht  nur  der  Polyneuritis  zukomme,  sondern 
sich  auch  bei  seniler  Demenz,  nach  Schädeltraumen  vorflnde. 

Haury9),  gleichfalls  ein  Gegner  der  K  o  r  s  a  k  of  f’schen 
Auffassung,  verwies  auf  progressive  Paralyse.  Gudden10) 
weist  ausser  auf  diese  Fälle  auf  die  ähnlichen  Zustände  bei 
Kohlenoxydgasvergiftungen  und  bei  wiederbelebten  Erhängten 
hin.  Redlich11)  erinnert  an  die  ähnliche  psychische  Störung 
bei  wiederbelebten  Ertrunkenen,  an  die  Zustände  nach  hysteri¬ 
schen  Anfällen,  nach  apoplektischen  Insulten  und  nach  schweren 
Affecten.  In  einer  der  letzten  Arbeiten  über  unser  Thema 
kommt  M  ö  n  k  e  m  ü  11er 12)  in  ausführlicher  Weise  auf  die 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ähnlichen  Krankheitsbilder  im  Senium  und  bei  der  progres¬ 
siven  Paralyse  zu  sprechen,  ebenso  Jolly  13),  der  für  die 
nicht  heilenden  Fälle  der  typischen,  sogenannten  polyneuriti- 
schen  Psychose  selbst  anatomische  Veränderungen  mit  der¬ 
selben  Localisation  im  Gehirn,  wie  für  die  Fälle  von  seniler 
Demenz  und  progressiver  Paralyse  mit  gleicher  klinischer  Er¬ 
scheinungsweise  postulirt.  Jolly  hat  auch  in  zwei  Fällen 
syphilitischer  Gehirnerkrankungen  das  charakteristische  Bild 
der  Ko  r  sa  k  o  ff  sehen  Störung  beobachtet. 

Wenn  aber  Tiling  wegen  Vorkommens  des  gleichen 
psychischen  Symptomencomplexes  bei  seniler  Demenz,  nach 
Schädeltraumen  die  K  o  r  s  a  k  o  f  f  sehe  Psychose  als  besondere 
Form  von  Geistesstörungen  nicht  anerkennen  will,  und  die  Be¬ 
zeichnung  dieser  Krankheit  als  Cerebropathia  psych,  toxaern. 
und  der  Psychose  als  Psychosis  polyneuritica  nicht  zutreffend 
tindet,  so  ist  zu  bedenken,  dass,  wie  Redlich11)  hervor¬ 
hebt,  die  Veränderungen  bei  den  zwei  genannten  Affectionen, 
die  zu  Gedäehtnissstörung  führen,  in  ganz  anderer  Weise 
zu  Stande  kommen,  als  bei  der  sogenannten  polyneuritischen 
Psychose.  Dass  übrigens  eine  klinische  Specificität  des  typi¬ 
schen  Krankheitsbildes  bei  Polyneuritis  gegenüber  der  senilen 
Demenz  und  der  progressiven  Paralyse  bestellt,  war  M  ön  ke¬ 
rn  ü  11  er  12)  in  einer  differentialdiagnostischen  Erörterung  dieser 
Zustände  zu  erweisen  bestrebt.  Wenngleich  nun  mit  Rücksicht 
darauf,  dass  Mönkemüller  eigentlich  nur  quantitative  Ver¬ 
schiedenheiten  der  Symptome  zur  Differentialdiagnose  heran¬ 
zieht,  seinen  Erörterungen  kaum  unbestrittene  Geltung 
zuzusprechen  ist,  so  ist  wohl  zu  acceptiren,  dass  der 
acute  Beginn  der  Gedäehtnissstörung  sowohl  in  den  Fällen 
mit,  wie  ohne  delirantes  Vorstadium  der  sogenannten  poly¬ 
neuritischen  Psychose  einen  besonderen  Charakter  verleiht. 
Neben  dieser  klinischen  Besonderheit  ist  es  aber  der  ätio¬ 
logische  Factor,  welcher  dem  Krankheitsbilde  bei  Poly¬ 
neuritis  eine  Sonderstellung  gegenüber  den  ähnlichen  Bildern 
bei  progressiver  Paralyse,  seniler  Demenz  etc.  anweist.  Es  ist 
die  Toxämie,  die  von  der  ganz  überwiegenden  Anzahl  der 
Autoren  als  ursächliches  Moment  der  in  Rede  stehenden  Zu¬ 
stände  anerkannt  ist  und  die  Korsakoff  durch  den  Ter¬ 
minus  Cerebropathia  psychica  toxaemica  berücksichtigt  wissen 
wollte.  Abgesehen  von  Tiling,  der  erklärt,  dass  es  vorder¬ 
hand  unmöglich  sei,  anzugeben,  welches  ätiologische  Moment 
für  die  Entstehung  der  typischen  Psychose  bei  Polyneuritis 
entscheidend  sei,  haben  meines  Wissens  nur  Frank14), 
Seglas7)  und  theilweise  Gudden10)  sich  für  eine  andere 
Aetiologie,  als  die  Toxämie,  ausgesprochen.  Letztere  erblicken 
in  der  polyneuritischen  Psychose  eine  Erschöpfung  des  Nerven¬ 
systems,  beziehungsweise  des  Gehirns.  Für  Frank  ist  sie 
das  Ergebniss  ungünstiger  hygienischer  Verhältnisse  und  un¬ 
genügender  Ernährung. 

Von  den  Autoren,  die  den  K  o  r  s  a  k  o  f  f  sehen  Stand¬ 
punkt  bezüglich  der  Toxämie  theilen,  acceptiren  die  Einen, 
speciell  die  älteren,  in  Allem  die  Lehre  K  o  r  s  a  k  o  f  f’s,  sowohl 
seine  Auffassung,  wie  den  Terminus  »polyneuritische  Psychose«* 
die  Anderen,  und  namentlich  Autoren  der  letzten  Zeit,  betonen  den 
von  ihnen  gemachten  Beobachtungen  gemäss  das  Vorkommen 
der  K  o  r  s  a  k  o  f  f  sehen  Psychose  auch  ohne  gleichzeitige 
Neuritis,  verwerfen  daher  die  Bezeichnung  polyneuritische  Psy¬ 
chose.  Zu  den  Autoren  erster  Kategorie  gehören:  Brie15), 
Vaindrach,  Doubrovine,  K  i  c  h  k  i  n  e  1 6),  Hövel11’11), 
S  o  1 1  i  e  r  17),  Ballet18),  C  o  1 1  e  1  a  1 9),  Soukkanoff8),  Red¬ 
lich11);  auf  der  anderen  Seite  stehen:  Regis'20),  Ba¬ 
bin  ski21),  Gudden10),  Jolly14),  Mönkemüller12), 
Schulze  22). 

Der  Ein  wand  Soukhanof  f  s  8)  gegen  B  a  b  i  n  s  k  i 2  ‘), 
dass  dieser  das  Bestehen  eines  organischen  Bandes  zwischen 
Psychose  und  Neuritis  leugne,  weil  er  offenbar  Fälle  vor 
Augen  hatte,  bei  denen  die  neuritische  Störung  nur  wenig  aus¬ 
geprägt  war,  ist  durch  die  Publication  der  Fälle  von 
Gudden10)  (vier  Fälle),  Jolly13)  (zwei  Fälle),  Mönke¬ 
müller  t2)  (zwei  Fälle),  Schulze 22)  (zwei  Fälle)  widerlegt. 
Mönkemüller,  Schulze  betonen  ausdrücklich,  dass  sie 
ihre  Fälle  auf  Symptome  von  Neuritis  sorgfältig  untersucht 
und  in  typischen  Fällen  von  K  or  salco  ff  scher  Geistesstörung 


alle  Erscheinungen  einer  Neuritis  vermisst  haben.  Auch  der 
auf  unserer  Klinik  beobachtete  Fall,  der  von  Rai  mann21; 
publicirt  wurde,  reiht  sich  den  wenigen  bisher  veröffentlichten 
Fällen  dieser  Art  an.  Solche  Fälle  waren  es,  die  Jolly  die 
Bezeichnung  polyneuritische  Psychose  als  den  Thatsachcn  nicht 
entsprechend  verwerfen  Hessen  und  ihm  nahelegten,  für  die 
Korsakof f sehe  Form  den  auch  schon  von  Schulze  accep- 
tirten  Terminus  »Korsakof fsches  Syndrom«  vorzuschlagen. 
Die  Korsakof f sehe  Form  als  toxämische  Geistesstörung 
zu  bezeichnen,  erklärt  Jolly  für  nicht  zulässig,  da  er  in 
Ueberein Stimmung  mit  der  von  K r a e p e  1  i n  24),  von  mir20), 
von  Jacobson26)  vertretenen  Auffassung  auch  das  Delirium 
tremens  als  toxämische  Psychose  anspricht.  Mit  Recht  betont 
er,  dass  in  dem  acut  auftretenden  Gesammtbilde  des  Del. 
trem.  sich  auch  eine  acute  Vergiftung  ausdrücke,  die  durchaus 
nicht  aus  einer  einfachen  Summation  der  Alkoholwirkung  er¬ 
klärt  werden  könne,  sondern  das  Zwischenglied  einer  inten¬ 
siven  Stoffwechselstörung  mit  Noth wendigkeit  postulire.  Auch 
ist  Jolly  zuzustimmen,  wenn  er  sagt,  dass  toxämische  Geistes¬ 
störungen  zweifellos  in  grösserer  Menge  und  Mannigfaltigkeit 
Vorkommen,  als  dass  sie  auf  das  eine  von  Korsakoff  ge¬ 
zeichnete,  allerdings  sehr  in  die  Augen  springende  Bild  be¬ 
schränkt  werden  könnten.  Es  ist  hier  insbesondere  auf  die 
Arbeiten  von  v.  Wagner27)  zu  verweisen,  der  einerseits  den 
stricten  Nachweis  der  engen  Beziehungen  zwischen  gastro¬ 
intestinalen  Autointoxicationen  in  vielen  Fällen  von  acuten 


Psychosen  führt  und  andererseits  schon  im  Jahre  1892  für  die 
Mehrzahl  der  postfebrilen  Psychosen  auf  leichte  polyneuritische 
Erscheinungen  aufmerksam  gemacht  hat,  ein  Befund,  den  wir 
bei  der  regelmässigen  Untersuchung  der  Amentiafälle  auf 


die 


se 


Symptome  hin  immer  wieder  bestätigt  finden  konnten. 
Gleichwohl  glaube  ich,  dass  die  Bezeichnung  Cerebro¬ 
pathia  psychica  toxaemica  für  die  K  o  r  s  ak  o  ff’sche  Psychose 
nicht  unzutreffend  gewählt  ist  und  sowohl  der  Pathologie,  wie 
dem  Symptomencomplex  dieses  Krankheitszustandes  gerecht 
wird.  Die  Gründe,  die  hiefür  sprechen,  werden  weiter  unten 
anzuführen  sein,  und  zwar  nach  Erörterungen  der  Modificationen, 
welche  die  Fassung  des  klinischen  und  pathologisch-anatomi¬ 
schen  Bildes  der  Polioencephalitis  acuta  haem,  sup.,  sowie  die 
Auffassung  des  dieser  zu  Grunde  liegenden  Processes  seit  der 
Aufstellung  jener  Krankheit  durch  Wernicke  bisher  er¬ 
fahren  hat. 

Das  Wesen  der  Wernicke’schen  Polioencephalitis  besteht 
nach  Wernicke  in  einem  acuten  entzündlichen  Process  mit  zahl¬ 
reichen,  sehr  kleinen,  die  Grösse  eines  Stecknadelkopfes  nicht  iibei- 
treffenden  Blutaustritten,  die  das  centrale  Höhlengrau  des  vierten 
Ventrikels,  des  Aquaeductus  Sylvii  und  des  diätten  Ventrikels 
einnehmen,  wobei  die  Kerne  der  Augenmuskelnerven  von  den 
Blutaustritten  ergriffen  werden.  Die  Krankheit  führt  in  10  bis 
14  Tagen  zum  Tode.  Die  überwiegenden  Symptome  bestehen 
in  conjugirten  Augenmuskellähmungen,  die  rasch  entstehen, 
fortschreiten  und  schliesslich  zu  einer  fast  totalen  Lähmung  der 
Augenmusculatur  führen;  ausgenommen  davon  bleiben  der 
Sphincter  iridis  und  Levator  palpebrarum.  Der  Gang  zeigt  eine 
Combination  von  Steifheit  mit  Ataxie,  ist  taumelnd;  als  Allgemein¬ 
erscheinungen  bestehen  Störungen  des  Bewusstseins,  entweder 
von  Anfang  an  Somnolenz  oder  ein  Schlussstadium  der  Som¬ 
nolenz,  das  durch  ein  länger  dauerndes  Stadium  der  Agitation 
eingeleitet  wird.  Die  psychischen  Störungen  bei  zwei  Alkoholfällen 
waren  ein  Delirium  tremens.  Entzündliche  Veränderungen  der  Pa 
pillen  fanden  sich  in  allen  drei  Fällen  Wernicke’s.  Dieses  Krank¬ 
heitsbild  hat  nach  der  symptomatologischen,  wie  nach  der  patho¬ 
logisch-anatomischen  Seite  mannigfache  Modificationen  erfahren. 
In  symptomatologischer  Richtung  stellte  sich  heraus,  dass  trotz 
Gleichbleibens  des  pathologisch-anatomischen  Processes  conjugirte 
Augenmuskellähmungen  keineswegs  die  Regel  sind;  die  Äugen- 
muskellähmungen  fanden  sich  auf  ein  Auge  beschränkt  bei  I  rei¬ 
bleiben  des  zweiten  Auges  (Fall  Schlesi nger  s  und  llori  s -8).  E> 
fand  sich  Ptosis  und  auch  die  Innervation  der  inferioren  Augen¬ 


muskeln  war  in  mannigfacher  Weise  gestört. 


Es  ist  Miosis, 
verzeichnet:  neben 


dann  Mydriasis,  Ungleichheit  der  Pupillen 
absoluter  Pupillenstarre  ist  auch  Lichtstarre  bei  erhaltener  accom¬ 
modative!’  und  Convergenzreaction  der  Pupillen  vermerkt  (I  <i 


340 


WIEN Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


Boe  decker29),  totale  Pupillenstarre  (Fall  Salomonsohn’s30), 
Fall  Tomas  ini’s31),  Fall  Reunert’s  32).  Es  fanden  sieb  in¬ 
dessen  nicht  nur  Aenderungen  hinsichtlich  der  Symptome 
innerhalb  des  von  Wernicke  entworfenen  localen  Symptomen- 
complexes,  demnach  in  der  Anordnung  der  von  der  Ophthal- 
moplogie  befallenen  Augenmuskeln.  Das  Krankheitsbild  griff 
mehrfach  über  den  Rahmen  dieses  Symptomencomplexes  mehr 
oder  minder  weit  hinaus;  so  fanden  sich  im  Falle  Kaiser’s33) 
ladbare  Lähmungen  und  gegen  Lebensende  eine  Hemiplegie, 
schon  im  Falle  Gayett’s34)  eine  kurzdauernde  Hemiplegie,  im 
Falle  S  c  h  1  e  s  i  n  g  e  r’s  und  H  o  r  i’s 28)  Sprachstörung  und  Schling¬ 
beschwerden,  in  dem  allerdings  zweifelhaften  Falle  Marina’s35) 
Deglutitions-  und  dysarthrische  Störungen,  später  beiderseitige 
complete  und  totale  Facialislähmung,  im  geheilten  Falle 
W  iener’s36)  eine  flüchtige  Hemiparese  mit  Einschluss  des 
Facialis.  Mehr  noch  als  durch  die  Symptomenbereicherung 
treten  einzelne  Fälle  durch  weit  verbreitete  pathologisch¬ 
anatomische  Veränderungen  aus  den  Grenzen  der  von  Wer¬ 
nicke  aufgestellten  pathologisch  -  anatomischen  Grundlagen 
seines  Krankheitsbildes  heraus.  Nicht  nur  das  centrale  Höhlen¬ 
grau  des  dritten,  vierten  Ventrikels  und  des  Aquaeductus  Sylvii, 
nicht  nur  die  Gehirnnervenkerne  sind  der  Sitz  der  acuten 
hämorrhagischen  Entzündung;  die  Hämorrhagien  fanden  sich  auch 
in  anderen  grauen  Massen,  in  der  Substantia  nigra,  im  Nucleus  ruber, 
im  Thalamus  opticus,  im  Falle  Kaiser’s33)  und  Boedecker’s29) 
in  den  grauen  Massen  des  Rückenmarkes,  im  Vorderhorn,  an 
der  Grenze  des  Vorderhornes  und  Hinterholmes,  in  dem  als  sub¬ 
acute  Polioencephalomyelitis  diagnosticirten  Falle  Kal  is  che  r’s  3‘) 
im  centralen  Höhlengrau  vom  hinteren  Drittel  des  dritten 
Ventrikels  abwärts  bis  zum  Sacralmark.  Man  stiess  ferner 
auf  kleine  Hämorrhagien  mit  dem  Charakter  einer  acuten  Ent¬ 
zündung  in  der  weissen  Substanz,  so  in  den  Markmassen  des 
Hirnstammes,  in  der  inneren  Kapsel,  dem  Hirnschenkelfuss, 
dem  Vierhügel,  dem  Pons  und  der  Medulla  oblongata  (Fall  Hori’s 
und  S  chl e  s  i nger’s,  Kai  s er’s;  im  ersten  Falle  Murawieff’s38) 
waren  Lemniscus,  Brachia  conjunctiva,  Pyramiden  betroffen 
im  Falle  Gol  d  sc h eider’s  39)  Schleife,  Bindearm,  Hirnschenkel¬ 
fuss,  hintere  Commissur,  Capsula  interna,  Centrum  semiovale  in 
geringem  Masse  neben  den  grauen  Massen  der  Substantia 
nigra,  des  rothen  Haubenkernes,  des  Thalamus  opticus;  es 
handelte  sich  um  grössere  Blutaustritte,  dabei  Polioencephalitis 
acuta  haem.  sup. 

Im  Falle  Schüle’s40)  und  Eisenlohr’s41)  waren  zum 
Befunde  einer  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.  ziemlich  aus¬ 
gedehnte  Erweichungen  hinzugesellt.  Im  Falle  Eisenlohr’s 
war  ausser  der  Erweichung  ein  Befund,  der  der  von  Strümpell 
aufgestellten  Encephalitis  acuta  haemorrh.  entspi'ach.  Hieher 
gehört  offenbar  auch  der  von  Wernicke  citirte  Befund 
Gayett’s,  bei  dem  die  als  entzündlich  aufgefassten  Ver¬ 
änderungen  den  ganzen  Querschnitt  der  linken  Haube  mit 
Einschluss  des  linken  Bindearmes  einnahmen,  und  auch  die 
Sehhügel  in  unregelmässiger  Weise  ergriffen  waren.  Auch 
der  Fall  Gold  s  c  hei  d  er’s  wurde  von  Oppenheim*)  als 
eine  Combination  der  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.  mit 
einer  Strümp  ell’schen  Encephalitis  acuta  haem.  angesehen. 

V  as  die  Krankheitsdauer  der  letal  verlaufenen  Fälle  be¬ 
trifft,  so  ist,  abgesehen  von  dem  Falle  Gayett’s  mit  fünf¬ 
monatlichem  Verlauf  und  dem  Schlesinger’s  und  Hori’s 
mit  16 wöchentlicher  Dauer,  der  peracute  dreitägige  Verlauf 
im  Falle  Eis  en  lo  h  r’s  41),  der  fünftägige  im  Falle  Jacobaeu  s42) 
hervorzuheben,  zeitliche  Verhältnisse,  die  von  den  Angaben 
Wernicke’s  über  eine  10 — 14 tägige  Dauer  erheblich  ab¬ 
weichen. 

Eine  praktische  Bedeutung  vom  Standpunkte  der  Pro¬ 
gnose  gewannen  jene  Fälle,  die  zweifellos  durch  ihre  klinische 
Erscheinungsweise  der  W  er  nie  ke’schen  Polioencephalitis 
acuta  haem.  sup.  sich  einreihen,  entgegen  der  letalen  Pro¬ 
gnose,  die  Wernicke  diesen  Fällen  stellt,  jedoch  dieser  Krank¬ 
heit  nicht  erlagen,  sondern  entweder  ganz  geheilt  (Fall 
V  i  e  n  e  r’s36),  T  omasin  i’s31),  Fall  S  a  1  o  m  o  n  s  o  h  n’s30),  hinsicht¬ 
lich  der  Augensymptome  Fall  Mur a wieff’s38),  oder  mit  mehr 

*)  Hie  Prognose  (1er  acuten  nicht  eiterigen  Encephalitis.  Deutsche 
Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  1895,  Bd.  VI. 


oder  minder  ausgeprägtem  Bewegungsdefect  der  Augenmuskeln 
aus  derselben  hervorgingen:  die  Fälle  Thomsen’s43), 
Boedecker’s44),  Suckling’s45),  Lin  smey  er’s  4fi),  der  auf 
unserer  Klinik  beobachtete  und  von  Raimann  mitgetheilte 
Fall,  der  allerdings  nicht  sicher  hieher  gehörige  Fall  Marina’s35) 
(weil  Lues  nicht  sicher  auszuschliessen  ist).  Nach  Oppen¬ 
heim47)  scheint  die  Prognose  der  auf  Influenza  beruhenden 
Fälle,  wozu  er  die  Fälle  von  Uhthoff,  Pflüger,  einen 
eigenen  Fall  zählt,  eine  besonders  günstige  quoad  sana- 
tionem  zu  sein. 

Wenn  ich  weiter  oben  Fälle  erwähnt  habe,  welche  nach 
der  symptomatologischen  Seite  gleichsam  eine  Bereicherung 
des  Wernicke’schen  Symptomencomplexes  bedeuten,  Fälle, 
bei  denen  sich  mit  der  Ophthalmoplegie  noch  andere  Ausfalls¬ 
erscheinungen  vereinigten,  so  erscheinen  die  meisten  geheilten 
Fälle  um  einige  klinische  Züge  ärmer,  als  das  von  W ernicke 
entworfene  Krankheitsbild;  zunächst  fehlt  hier  ein  Fortschreiten 
der  Augenmuskellähmungen  zu  einer  fast  totalen  Paralyse;  viel¬ 
mehr  bildet  sich,  wie  schon  B oedeeker44)  hervorhob,  die  Oph¬ 
thalmoplegie  innerhalb  einer  kurzen  Zeit  zurück.  So  sei  bei¬ 
spielsweise  erwähnt,  dass  im  Falle  Salomonsohn’s30)  nach 
zwölf  Tagen  die  totale,  demnach  interiore  und  exteriore  Oph¬ 
thalmoplegie  vollständig  geheilt  war;  im  Falle  Thomsen’s43) 
ging  in  den  nächsten  Tagen  nach  der  Erkrankung  die  Augen¬ 
muskellähmung  zurück  und  war  innerhalb  vier  Monaten  bis 
auf  einen  eben  sichtbaren  Bewegungsdefect  des  linken  Auges 
geheilt;  im  Falle  Boedecker’s44)  sind  nach  etwas  mehr  als 
zwei  Monaten,  nach  einem  Wechsel  von  Besserung  und  Ver¬ 
schlimmerung  die  Augenbewegungen  frei  bis  auf  ein  geringes 
Zurückbleiben  im  Sinne  der  Extend ;  bei  dem  auf  unserer 
Klinik  beobachteten  Falle  war  nur  am  ersten  Tage  Unbeweg¬ 
lichkeit  des  rechten  Bulbus  zu  constatiren  ;  schon  am  zweiten 
Tage  fand  sich  nur  beiderseitige  Abducenslähmung,  die  sonstigen 
Augenbewegungen  waren  und  blieben  frei;  am  15.  Tage  war 
die  linke  Abducenslähmung  ganz  zurückgegangen,  die  rechte 
nur  noch  spurweise  vorhanden,  was  bis  zur  Entlassung  an¬ 
hält.  Bei  externer  seitlicher  Blickrichtung  Nystagmus  horizon- 
talis.  Dieser  Fall  bildet  den  Uebergang  zu  solchen  Fällen,  wo 
eine  eigentliche  Ophthalmoplegie  fehlt  und  nur  Lähmungen 
einzelner  Muskeln  sich  vorfinden;  als  solcher  ist  ein  Fall 
B  oedecker’s  (in  der  Publication  aus  dem  Jahre  189  2  44])  an¬ 
zuführen;  es  ist  das  ein  geheilter  Fall.  Boedecker  weistauf 
die  grosse  Uebereinstimmung  dieses  Falles,  in  dem  nur  beider¬ 
seitige  Abducenslähmung  vorlag,  mit  dem  zuvor  schon  er¬ 
wähnten  geheilten  Falle,  welch  letzterer  anfangs  eine  Ophthalmo¬ 
plegie  und  weiterhin  nur  Abducensparese  aufwies,  eine  Ueber¬ 
einstimmung,  die  durch  den  übrigen  Symptomencomplex  ge¬ 
geben  ist.  Die  grosse  Aehnlichkeit  ist  hergestellt  durch  den¬ 
selben  acuten  Beginn,  durch  Störungen  im  Augenmuskelapparate 
unter  gleichzeitigem  Auftreten  von  Delirien,  durch  den  Nystag¬ 
mus,  Pupillendifferenz  und  denselben  paretisch  schwankenden 
Gang,  gleiche  Pulsbeschleunigung  bei  normaler  Temperatur, 
das  schnelle  Schwinden  der  Augenmukeiparese  im  Bereiche  der 
Abducentes  bis  auf  einen  eben  nachweisbaren  minimalen  Be- 
wegungsdefeet,  durch  über  Wochen  sich  hinziehendes  protra- 
hirtes  Delirium  alkoholischen  Charakters,  nach  dessen  Ablauf 
Gedächtnissschwäche  zurückbleibt.  Boedecker  nimmt  von 
diesem  Falle  ausgehend  Anlass,  darauf  hinzuweisen,  dass  den 
in  der  Literatur  der  multiplen  Alkoholneuritis  verzeichneten 
Lähmungen  einzelner  Augenmuskeln  bei  manchen  Fällen  mit 
psychischen  Erscheinungen  die  gleiche  Bedeutung  wie  der  Oph¬ 
thalmoplegie  in  den  mit  den  Wernicke’schen  mehr  oder 
minder  übereinstimmenden  Fällen  zukommen  dürfte,  so  in 
einzelnen  Fällen  von  Schulze,  Lilienfeld,  Oppenheim 
und  Bernhardt,  ein  Hinweis,  in  dem  schon  Thomsen43), 
Boedecker  vorausging. 

Indem  ich  nun  an  den  ersten  Tlieil  meiner  Dar¬ 
legungen  anknüpfe,  ist  zu  betonen,  dass  die  beiden  ge¬ 
heilten  Fälle  Boedecker’s  nach  Ablauf  eines  protrahirten 
Deliriums  das  typische  Bild  der  sogenannten  polyneuritischen 
Psychose  in  ganz  gleicher  Weise,  wie  der  an  unserer  Klinik 
beobachtete,  dargeboten  haben.  Der  mit  mehr  verbreiteten 
Augenmuskellähmungen  behaftet  gewesene  erste  geheilte  Fall 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


341 


Boedecker’s  stimmte  mit  dem  an.  unserer  Klinik  beobachteten, 
wie  ich  entgegen  Boedecker  glaube,  auch  darin  überein,  dass 
eigentliche  neuritische  Symptome  dort  fehlten.  Boedecker 
verzeichnet  eine  hochgradige  Schwäche,  einen  paretischen, 
ataktischen  Gang,  aber  keine  ausgesprochenen  Lähmungserschei¬ 
nungen  und  an  sensiblen  Störungen  vor  der  Erkrankung 
Schmerzen  in  den  Knieeu,  Erscheinungen,  die  umso  wenigei 
zur  Diagnose  »Neuritis«  ausreichen,  als  Boedecker  selbst 
in  seiner  späteren  Arbeit 29)  aus  dem  Jahre  1895  aus 
der  Zusammenfassung  der  bis  dahin  histologisch  unter¬ 
suchten  Fälle  die  Angabe  ableitet,  dass  die  peripheren  Ner¬ 
ven,  wo  untersucht,  entweder  gesund,  oder  nur  wenig  be¬ 
fallen  befunden  wurden.  In  einem  eigenen  neuen  Fall,  der, 
was  Gang,  motorische  Kraft  betrifft,  sich  gleich  dem  vor¬ 
erwähnten  verhielt,  überdies  noch  Abschwächung  der  Patellar- 
sehnenreflexe  aufwies,  erhob  er  nur  Blutungen  und  verdickte 
Gefässwandungen  in  beiden  Crurales;  im  Uebrigen  waren  diese 
gesund.  Der  geheilte  Fall  Thomsen’s43)  ist  anfangs  verwirrt, 
nach  18  Tagen  klar,  aber  ein  wenig  stumpf;  vielleicht  dart 
auch  in  diesem  Falle  die  Stumpfheit  in  Analogie  mit  der  so¬ 
genannten  polyneuritischen  Psychose  gesetzt  werden.  Der  Fall 
ist  1888  publicirt,  wo  die  Kenntniss  dieser  Form  psychischer 
Störung  noch  nicht  geläufig'  war.  Diesen  Fällen  ist  ferner 
Suckling’s  gebesserter  Fall  einer  Polioencephalitis  acuta 
haem.  sup.  anzureihen:  Bei  einem  Potator  fand  sich  beider¬ 
seitige  Ptosis,  Strabismus  divergens.  Patient  konnte  die  Augen 
zur  Seite  bewegen,  nicht  aber  nach  oben  und  unten.  Die 
Patellarsehnenreflexe  fehlten;  sonst  keine  Paresen,  Druck¬ 
schmerzhaftigkeit  der  Nervenstämme;  psychisch  erschien  der 
Kranke  verwirrt,  sein  Gedächtniss  war  sehr  gestört;  er  wusste 
nicht,  wo  er  sich  befand,  war  zeitlich  desorientirt;  wenn  er  gefragt 
wurde,  ob  er  aus  war,  antwortete  er  in  bejahendem  Sinne,  indem 
er  erklärte,  einige  Meilen  sich  entfernt  und  Whisky  getrunken  zu 
haben,  während  er  sich  thatsächlich  im  Spital  befunden  habe;  später 
besserte  sich  die  Ophthalmoplegie;  über  das  weitere  psychische 
Verhalten  ist  nichts  angegeben.  Es  ist  ohne  Weiteres  klar,  dass 
es  sich  auch  in  diesem  Falle  um  eine  psychische  Störung  vom 
Charakter  der  sogenannten  polyneuritischen  Psychose  mit  Er¬ 
innerungstäuschungen  handelte.  Auch  der  geheilte  Fall 
Murawi  e  f  f’s 38)  betraf  einen  Potator,  der  neben  Augenmuskel¬ 
störungen,  beschränkt  aut  eine  Störung  der  conjugirten  Augen¬ 
bewegungen  bei  Freibleiben  aller  nicht  conjugirten  Bewegungen, 
auf  eine  Pupillendifferenz  und  vorübergehende  beiderseitige 
Ptosis,  neben  Symptomen  von  Polyneuritis  das  typische  Bild 
einer  sogenannten  polyneuritischen  Psychose  bot;  es  fanden 
sich  Gedächtnissschwäche  und  paramuestische  Erscheinungen; 
innerhalb  fünf  Monaten  war  die  Ophthalmoplegie  ganz  zurück¬ 
gegangen,  das  Gedächtniss  so  weit  gebessert,  dass  er  seinen  Ge¬ 
schäften  nachgehen  konnte;  die  Symptome  der  Polyneuritis 
hielten  in  geringem  Grade  noch  an.  Nur  im  Falle  Wien  er  S"°) 
mit  der  gleichen,  nämlich  alkoholischen  Aetiologie  ist  von 
einer  sogenannten  polyneuritischen  Psychose  nichts  erwähnt; 
immerhin  auffallend  ist  auch  bei  diesem  Falle  die  lange  Dauer 
der  psychischen  Störung,  da  erst  am  zehnten  Tage  nach  Auf¬ 
nahme  des  im  Alkoholdelirium  angekommenen  Kranken  ver¬ 
zeichnet  ist,  dass  die  Benommenheit  geschwunden  sei;  doch 
soll  Patient  schon  fünf  Wochen  früher  krank  gewesen  sein; 
aus  der  Krankengeschichte  ist  allerdings  nicht  zu  ersehen,  ob 
er  während  dieser  Zeit  psychische  Störungen  bot.  In  den  ge¬ 
heilten  Fällen  L  i  n  s  m  e  y  e  r’s 40)  mit  einer  Septhämie  alsLrsache 
der  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.,  Tomasini’s  mit  In¬ 
fluenza  als  ätiologischem  Moment  dieses  Leidens,  Salomo  n- 
s  ohn’s  ohne  bekannte  Aetiologie,  den  Influenzafällen  Uhthott  s, 
P  f  1  ü  g  e  r’s,  Oppenhei  m’s,  und  dem  zweitelhatten  Marinas 
finden  sich  keine  Anhaltspunkte  für  die  Annahme  einer  poly¬ 
neuritischen  Psychose. 

Fasst  man  die  Resultate  obigen  Rückblickes  zu¬ 
sammen,  so  ergibt  sich  die  bemerkenswerthe  Ihatsache, 
dass  in  sechs  geheilten  Fällen  von  Polioencephalitis  acuta 
haem.  sup.  sich  eine  Combination  dieses  Leidens  mit  der^  so¬ 
genannten  polyneuritischen  Psychose  vortand,  in  einem  Falle 
mit  alkoholischer  Aetiologie  war  sie  vielleicht  deshalb  nicht 
vorhanden,  weil  es  sich  um  einen  leichten  und  sehr  schnell  in 


Genesung  ausgegangenen  Fall  handelte  (Fall  Wiener,  der 
am  5.  Juni  delirant  ins  Spital  kam  und  am  6.  Juli  ganz  ge¬ 
heilt  war);  die  anderen  Fälle  mit  nicht  alkoholischer  Aetiologie 
(Influenza,  Septhämie,  unbekannte  Aetiologie)  Hessen  die 
obenerwähnte  Combination  vermissen.  Diese  Zusammenstellung 
lässt  den  Schluss  nicht  ungerechtfertigt  erscheinen,  dass  zu¬ 
mindest  der  alkoholischen  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup 
die  Tendenz  innewohnt,  sich  regelmässig  mit  der  sogenannten 
polyneuritischen  Psychose  zu  verbinden  und  dass  in  den  tödt- 
lich  verlaufenden  Fällen  dieser  Affection  sich  vielleicht  nur 
desshalb  die  polyneuritische  Psychose  nicht  bemerkbar  machte, 
weil  der  Entwicklung  derselben  der  Exitus  zuvorkam. 

Was  die  zuvor  erwähnte  Annahme  Boedecker’«4 1) 
betrifft,  dass  manche  Fälle  der  multiplen  Alkoholneuritis  mit 
Erscheinungen  psychischer  Störung  und  einzelnen  Augenmuskel¬ 
lähmungen  den  W  e  r  n  i  c  k  e’schen  Fällen  der  Polioencephalitis 
acuta  haem.  sup.  einzureihen  sind,  so  haben  Untersuchungen 
der  letzten  Jahre  ergeben,  dass  diese  vollauf  berechtigt  war. 
Von  besonderem  Interesse  für  die  hier  behandelte  Frage  ist 
die  Arbeit  Gudden’s 10)  aus  dem  Jahre  1896;  von  fünf 
histologisch  untersuchten  Fällen  Gudden’s  gingen  zwei  mit 
einer  Psychose  vom  Charakter  einer  K  o  r  s  a  k  o  f  fischen 
Geistesstörung  einher;  aber  auch  die  anderen  drei  Fälle  zeigten 
eine  nicht  unbeträchtliche  Geistesschwäche,  namentlich  eine 
Schwäche  des  Gedächtnisses.  In  vier  von  diesen  fünf  Fällen 
fanden  sich  nun  hämorrhagisch-encephalitische  Processe  (der 
Stamm  des  fünften  Falles  wurde  nicht  untersucht),  die  sich 
mit  grösserer  oder  geringerer  Intensität  in  der  Wand  des 
dritten  Ventrikels,  den  grossen  Ganglien,  insbesondere  den 
Sehhügeln,  auch  in  den  Corpora  mamillaria  abgespielt  hatten. 
In  keinem  dieser  Fälle  sind  Bewegungsstörungen  der  exteri- 
oren  Augenmuskeln  intra  vitam  beobachtet  worden;  nur  der 
dritte  Fall  wies  eine  träge  Lichtreaction,  der  fünfte  Fall  gegen 
das  Lebensende  Fehlen  der  Lichtreaction  auf.  Die  Natur  des 
Processes  war  identisch  mit  der  der  Fälle  Wernicke’s  und 
der  der  anderen  Fälle  von  Ophthalmoplegie,  welche  als  Poli- 
encephalitis  acuta  haem.  sup.  beschrieben  wurden.  Der  Unter¬ 
schied  bestand  nur  in  der  Localisation  des  Processes,  der  die 
Augenmuskelkerne  unbetheiligt  Hess;  im  ersten  Falle  war  der 
entzündlich-hämorrhagische  Process  sogar  weit  verbreitet,  so 
dass  die  graue,  hauptsächlich  aber  die  weisse  Substanz  des 
Rückenmarkes  in  den  verschiedensten  Höhen  kleine  und 
kleinste  Blutaustritte  erkennen  Hess;  im  mittleren  Drittel  des 
Halssegmentes  fand  sich  ein  kleiner  Erweichungsherd;  im 
dritten  Falle  fand  sich  eine  Hämorrhagie  in  der  kernfreien 
Zone  der  Brücke  zwischen  Nervus  facialis  und  trochlearis  ver¬ 
zeichnet.  Gudden’s  Voraussage,  dass  eine  methodische  Unter¬ 
suchung  der  Hirnstämme  von  Alkohohkern  solche,  aut  dieWandun- 
gen  des  dritten  Ventrikels  und  dessen  Umgebung  beschränkte  De- 
structionen,  als  ein  nicht  allzuseltenes  Vorkommniss,  ergeben 
dürfte,  ist  durch  die  im  Jahre  1898  mitgetheilte  Untersuchung 
Bonhoeffer’s48)  bestätigt  worden.  Dieser  fand  bei  vier 
unter  sieben  untersuchten  Delirantengehirnen  kleine  Blutextra¬ 
vasate  im  Höhlengrau,  speciell  in  der  Gegend  der  Augen¬ 
muskelkerne.  Es  hatte  sich  in  diesen  I  ällen  um  schwere  Al- 
koholdelirien  gehandelt.  Was  hier  besonders  zu  betonen  ist, 
ist,  dass  Bonhoeffer  klinisch  nichts  von  Augenmuskel¬ 
störungen  constatiren  konnte.  Von  zwei  geheilten  Delirium¬ 
fällen  Bonhoeffer’s  brachte  der  eine  Delirant  Klagen  über 
Doppeltsehen  ohne  Vorhandensein  einer  objectiv  nachweisbaren 
Parese  der  Augenmuskeln  vor,  der  zweite,  der  erst  einen  lag 
nach  Ablauf  des  Deliriums  von  Bonhoeffer  gesehen  wurde, 
und  gleichfalls  Doppelbilder  angab,  zeigte  eine  leichte  Schwäche 
des  rechten  Abducens,  die  nach  wenigen  Tagen  geschwun¬ 
den  war.  t 

Diese  hier  zusammengestellten  klinischen  und  patho¬ 
logisch-anatomischen  Befunde  geben  Boedecke  r  Recht,  w  enn 
er  in  der  Arbeit  aus  dem  Jahre  1892  darauf  hinweist,  dass 
nur  die  verschiedene  Ausdehnung  und  die  Intensität  der  Hä- 
morrhagien  die  Verschiedenheit  der  klinischen  Bilder  bedingt, 
dass  der  rasche  Exitus  in  den  mit  den  W  e  r  n  i  cke  sehen 
übereinstimmenden  Fällen  durch  Uebergreiten  auf  I  n  UIU 
Atbmungscentrum  herbeigeführt  werden  dürfte.  V  ii  se  en  c  en 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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gleichen  pathologisch -anatomischen  Process  und  annäherungs¬ 
weise  die  gleiche  Localisation  mit  Vorliebe  desselben  für  das 
centrale  Höhlengrau  des  dritten,  oder  des  dritten  und  vierten, 
oder  auch  des  dritten,  vierten  Ventrikels  und  Aquaeductus 
Sylvii  bald  mit  mehr  oder  minder  vollständiger  Ophthalmo¬ 
plegie,  ähnlich  den  W  e  r  n  i  c  k  e’schen  Fällen,  bald  mit  ein¬ 
zelnen  Augenmuskellähmungen,  wobei  die  Abducentes  bevor¬ 
zugt  werden,  bald  mit  isolirten  Störungen  des  Pupillenspieles 
einhergehen  und  schliesslich  ohne  alle  Augensymptome,  ohne 
irgend  welche  Symptome  seitens  der  Gehirnnerven  überhaupt 
verlaufen. 

Die  Fälle,  welche  die  Grundlage  vorstehender  Erörterungen 
abgaben,  betrafen  vorwiegend  chronische  Alkoholisten,  was  nicht 
Wunder  nehmen  wird,  da  in  der  Aetiologie  der  Polioencepha¬ 
litis  acuta  haem.  sup.  nach  den  bisher  bekannt  gewordenen 
Fällen  der  chronische  Alkoholmissbrauch  eine  überragende 
Rolle  spielt;  wir  sahen,  dass  sechs  genesene  Fälle,  die  das  Bild 
dieser  Erkrankung  darboten,  auf  psychischem  Gebiete  mit  der 
typischen  K  o  r  s  a  k  o  ff’schen  Geistesstörung  einhergingen.  In 
fünf  dieser  Fälle  setzte  die  Erkrankung  mit  Augenmuskel¬ 
störungen  und  einem  Delirium  alkoholischen  Charakters  ein, 
welch  letzteres  von  den  gewöhnlichen  Delirien  sich  durch  den 
protrahirten  Verlauf  und  durch  die  allgemeine  Schwäche  der 
Patienten  unterscheidet,  derzufolge  die  Kranken  nur  halblaut 
oder  leise  vor  sich  hindelirirten,  nicht  die  bekannte  motorische 
Geschäftigkeit  zeigten.  Die  Verwirrtheit  im  Falle  Thomsen’s 
hielt  17,  das  Delirium  in  dem  einen  geheilten  Falle  Boe- 
decke r’s  15  Tage  an,  in  dem  zweiten  Falle  Boe  decker’s 
zoo-  es  sich  über  Wochen  hin,  in  dem  an  unserer  Klinik  be- 
obachteten  Falle  dauerte  es  sechs  Tage.  Mit  Zurücktreten  des 
Deliriums  trjtf  in  diesen  Fällen  das  Krankheitsbild  einer  typi¬ 
schen  Gedächtnissstörung  vom  Charakter  der  Korsakoff- 
schen  Psychose  hervor,  die  weiterhin  in  Genesung  überging. 
Der  eine  Fall  Boe  decker’s,  wie  ich  weiter  oben  ausführte, 
sowie  der  auf  unserer  Klinik  beobachtete  Hessen  die  Sym¬ 
ptome  einer  Neuritis  vermissen.  In  zwei  der  sechs  Fälle,  dem 
Falle  Suckling’s  und  Murawieff’s,  scheint  die  Ophthal¬ 
moplegie  und  die  sogenannte  polyneuritische  Psychose  sich 
ohne  vorausgegangenes  Delirium  entwickelt  zu  haben. 

Zieht  man  weiterhin  die  vorliegenden  pathologisch-histo¬ 
logischen  Befunde  zu  Rathe,  so  ist  hervorzuheben,  dass,  wie 
die  Gudden’schen  Fälle  lehren,  bei  der  sogenannten  poly- 
neuritischen  Psychose  sich  ein  pathologisch-anatomischer  Befund 
im  Gehirne  vorfinden  kann,  der  mit  den  Befunden  in  den 
Fällen  Wernicke’s  (der  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.) 
im  Wesentlichen  übereinstimmt,  auch  dann,  wenn  Gehirn- 
nervenlähnmngen,  Augenmuskellähmungen  fehlen  oder  verein¬ 
zelt  angedeutet  sind. 

Mit  diesem  Sachverhalte  vor  Augen  werden  wir  erst  das 
richtige  Verständniss  und  die  richtige  pathologisch-anatomische 
Deutung  für  jene  Gehirnsymptome  gewinnen,  die  Korsa¬ 
koff  als  sehr  häufiges  Vorkommniss  bei  der  sogenannten 
polyneuritischen  Psychose  alkoholischen  Ursprunges  beschrieb 
und  die  ich  eingangs  besonders  hervorhob;  es  handelt  sich, 
um  zu  wiederholen,  um  das  Mitbetroffensein  des  Gehirnes  in 
Form  von  Herderkrankung,  als  deren  Symptome  Nystagmus, 
Pupillendifferenz,  Ophthalmoplegie,  Sprachstörung,  Schlingbe¬ 
schwerden,  Schwindel,  Erbrechen  genannt  Avurden;  es  sind 
dies  sämmtlich  Symptome,  wie  sie  auch  dem  hämorrhagisch 
entzündlichen  Process  des  centralen  Höhlengraus  im  Gehirn 
als  solchem  zukommen.  Wenn  K  o  r  s  ak  o  f  f  auch  das  Rücken¬ 
mark  bei  der  sogenannten  polyneuritischen  Psychose  mitafficirt 
liudet.  so  ist  an  die  Rückenmarksbefunde  bei  Polioencephalitis 
acuta  haem,  sup.,  so  z.  B.  in  den  obdueirten  Fällen  Kaiser’s, 
Boedecke  r’s,  in  dem  einen  Fall  G  u  d  d  e  ns  zu  erinnern.  Ein 
die  nahen  Beziehungen  zwischen  der  Polioencephalitis  acuta 
haem.  sup.  und  der  sogenannten  polyneuritischen  Psychose  be¬ 
leuchtendes  Moment  ist  ferner  in  dem  Umstande  zu  finden, 
dass,  wie  Korsakoff  hervorhebt  und  schon  Aveiter  oben 
betont  wurde,  bei  der  alkoholischen  multiplen  Neuritis  fast 
stets  Cerebropathie,  d.  i.  die  oben  erwähnten  Symptome  zu 
finden  sind;  andererseits  hat  die  überAviegende  Anzahl  der 
Fälle  von  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.  eine  alkoholische 


Aetiologie;  aber  selbst  in  Fällen  der  sogenannten  polyneuriti¬ 
schen  Psychose,  avo  Symptome  einer  Cerebropathie  fehlen,  wird 
man  nicht  ohne  Weiteres  ein  Mitbetroffensein  des  centralen 
Höhlengraus  ausschliessen  können,  wie  die3  die  Gudden- 
schen  Fälle  lehren.  Auch  die  B  on  h  o  e  ff  e  r’schen  18)  Fälle,  bei 
denen  allerdings  nichts  von  einer  polyneuritischen  Psychose 
verzeichnet  ist,  und  die  allem  Anscheine  nach  (die  Angaben 
hierüber  sind  sehr  flüchtige)  im  Delirium  starben,  dürfen  hieftir 
herangezogen  Averden.  Es  ist  sehr  Avahrscheinlich,  dass  es  sich 
um  Fälle  handelte,  die,  Avenn  s’e  nicht  letal  ausgegangen 
wären,  von  einer  K  o  r  s  a  ko  ff’schen  Psychose  gefolgt  wären. 

Die  Angaben  Korsakoff’s  über  eine  Betheiligung  der 
Augenmuskeln  bei  den  Fällen  sogenannter  polyneuritischer 
Psychose  linden  sich  in  den  Krankengeschichten  späterer  Au¬ 
toren  vielfach  bestätigt. 

Brie  l5)  berichtet  über  Nystagmus  bei  seitlicher  Blick¬ 
richtung  und  Abducenslähmung  mit  Doppeltsehen  bei 
einer  durch  Gastroenterititis  zur  Entwicklung  gelangten  Poly¬ 
neuritis  mit  Korsakof f’scher  Psychose ;  nach  nahezu  voll¬ 
ständiger  psychischer  Genesung  blieben  noch  geringe  Ein¬ 
schränkung  der  Beweglichkeit  und  geringer  Nystagmus  bei 
seitlicher  Blickrichtung  zurück.  Redlich11)  verzeichnet  im 
ersten  seiner  zwei  Fälle  Ungleichheit  der  Pupillen,  linksseitige 
Abducensparese  und  Nystagmus  bei  extremer  Blickrichtung 
nach  links  wie  rechts,  desgleichen  beim  Blick  nach  oben, 
Symptome,  die  bis  auf  die  Pupillendifferenz  weiterhin  schwanden. 
Im  zweiten  Falle  fand  sich  Ungleichheit  und  Lichtstarre  der 
Pupillen,  die  weiterhin  ihre  Lichtreaction  zurückerlangten. 

Jolly  l3)  gibt  im  vierten  seiner  tabellarisch  zusammen¬ 
gestellten  männlichen  Neuritisfälle  mit  K  o  r  s  a  k  o  f  f’schem 
Syndrom  beiderseitige  Abducensparese  an,  die  nach  einigen 
Monaten  gesclnvunden  ist,  für  den  Fall  6  derselben  Gruppe 
Pupillendifferenz,  für  die  zweite  Frau  derselben  Gruppe 
anfangs  träge,  später  gebesserte  Lichtreaction  der  Pupillen, 
für  die  vierte  Frau  dieser  Gruppe  linke  Abducensparese  bei 
der  Aufnahme,  die  bald  scliAvindet,  für  die  fünfte  Frau  leichte 
Ptosis  und  starke  ErAveiterung  der  rechten  Pupille,  die  beide 
Aveiterhin  zurückgehen;  es  sind  das  sämmtlich  alkoholische 
Fälle. 

Soukhanoff8)  berichtet  im  ersten  seiner  zehn  Fälle, 
dass  das  rechte  Auge  weiter  offen  ist  als  das  linke,  die  Zunge 
leicht  nach  rechts  abAveicht.  Die  histologische  Untersuchung 
dieses  zur  Obduction  gekommenen  Falles  hat  leider  Aveder  das 
centrale  Höhlengrau  noch  auch  die  Augenmuskelnerven  be¬ 
rücksichtigt;  im  zweiten  Falle  entwickelte  sich  nach  einer 
vorausgegangenen  fieberhaften,  nicht  näher  diagnosticirten  Er¬ 
krankung,  zugleich  mit  der  Gedächtnissstörung  einsetzend, 
Doppeltsehen  von  flüchtiger  Dauer;  späterhin  wurde  beider¬ 
seitige  Ptosis  und  zeitweiliger  Strabismus,  durch  Schwäche  des 
linken  Abducens  bedingt,  beobachtel;  die  Ptosis  schwand  nach 
einigen  Tagen.  Im  vierten  Falle,  einer  Korsakoff’schen  Psychose 
bei  einem  Trinker  nach  Influenza  fand  sich  eine  AAreite  linke,  auf 
Licht  schlecht  reagirende  Pupille,  nachdem  schon  zAvei  Monate 
früher  Diplopie  bestanden  hatte.  Auch  für  diesen  Fall,  der 
obducirt  wurde,  findet  sich  kein  ausführlicher  histologischer 
Befund  ;  nur  Walle  r’sche  Degeneration  der  peripheren  Nerven 
ist  verzeichnet.  Der  fünfte  Fall,  Säufer,  zeigte  nach  voraus¬ 
gegangener  Neuritis  Strabismus  und  gleichzeitig  mit  dessen 
Auftreten  Neigung  zu  imaginären  Erzählungen.  Der  siebente 
Fall  mit  unbekannter  Aetiologie  bot  rechts  eine  Aveitere  Pupille 
als  links,  der  achte  Fall  zeigte  Ungleichheit  der  Pupillen. 
Im  neunten  Falle,  der  im  Gefolge  eines  typhösen  Fiebers  er¬ 
krankt  Avar,  ist  beiderseitige  Ptosis  und  Diplopie  vermerkt; 
der  physische  Zustand  besserte  sich  weiterhin. 

Unter  den  24  Fällen  M  ö  n  k  e  m  ü  1 1  e  r’s  12)  lindet  sich 
auch  eine  Anzahl  mit  Augenmuskelstörungen ;  der  fünfte  Fall, 
Potator,  zeigt  Schwäche  der  Abducentes,  sechster  Fall,  Potatrix, 
lange  dauernden  Nystagmus  und  anfangs  träge,  später  aus¬ 
giebige  Lichtreaction  der  Pupillen,  der  siebente,  Potatrix,  hori¬ 
zontalen  Nystagmus,  der  zehnte  Fall  mit  unbekannter  Aetiologie 
(kein  Trinker),  vielleicht  nach  einer  fieberhaften  Cerebrospinal- 
meningitis,  eine  Aveitere  und  träge  reagirende  linke  Pupille 
gegenüber  rechts,  die  später  zur  Norm  zurückkehrt,  der  eilte 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


343 


Fall,  Potator,  horizontalen  Nystagmus,  der  jahrelang  fortbestehen 
bleibt,  der  13.  Fall,  Potator,  im  Beginne  minimale,  wenn  über¬ 
haupt  vorhandene,  nach  drei  Monaten  aber  wieder  ausgiebige 
und  prompte  Licht-  und  Convergenzreaction,  der  16.  Fall, 
Potator,  starre,  nach  sechs  Wochen  wieder  prompt  reagirende 
Pupillen  ;  hier  verdient  erwähnt  zu  werden,  dass  im  dritten 
Falle  Mönkemülle  r’s,  einem  ohne  Augenerscheinungen 
schnell  verlaufenen,  obducirten  Falle,  im  Stabkranz  und  den 
grossen  Ganglien  sich  stecknadelkopfgrosse  Erweichungsherde 
vorfanden. 

Meine  vorstehende  Zusammenstellung  macht  nicht  den 
Anspruch  auf  Vollständigkeit;  ob  in  allen  Fällen,  wo  Augen¬ 
muskelstörungen  sich  vorfanden,  entzündlich-hämorrhagische 
Processe  im  Sinne  einer  nach  Ausdehnung  und  Localisation 
modificirten  Polioencephalitis  haem.  sup.  acuta  nach  Wernicke 
denselben  zu  Grunde  lagen,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden ; 
bei'  einer  Krankheit,  die  ihren  Namen  dem  so  häufigen  Er- 
griffensein  der  peripheren  Nerven  in  Form  einer  Polyneuritis 
anfangs  verdankte,  wird  es  schwer  sein,  für  alle  Fälle  mit 
Augenmuskelstörungen  eine  neuritische  Affection  der  Augen¬ 
muskelnerven  auszuschliessen ;  eine  gewisse  Berechtigung 
hiezu  hätte  man,  wenn  sehr  zahlreiche  histologische  Unter¬ 
suchungen  nach  dieser  Richtung  ein  negatives  Resultat  er¬ 
geben  hätten;  solche  Untersuchungen  stehen  aber  noch  aus; 
so  ist  darüber  in  den  wenigen  obducirten  Fällen  unter  den 
zuvor  bezüglich  der  Augensymptome  gestreiften  nichts  darüber 
ausgesagt.  Auch  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  in  einigen  wenigen 
obducirten  Fällen  von  Augenmuskellähmung  bei  Alkoholneuritis 
weder  Veränderungen  an  den  Augenmuskelnerven,  noch  auch 
solche,  in  deren  Ursprungskernen,  oder  dem  centralen  Höhlen¬ 
grau  gefunden  wurden.  Ob  nicht  eine  weniger  sorgfältige 
Untersuchung  kleinere  und  kleinste  Läsionen  hiebei  über¬ 
sehen,  käme  immerhin  in  Betracht. 

Die  weiter  oben  erörteten  Befunde  weisen  jedoch  wohl 
mit  Sicherheit  darauf  hin,  dass  viele  selbst  der  unbedeutend¬ 
sten  Augenmuskelstörungen  im  Verlaufe  der  sogenannten 
polyneuritischen  Psychose  einer  hämorrhagisch  entzündlichen 
Polioencephalitis  ihre  Entstehung  verdanken  dürften;  vielleicht 
ist  die  überwiegende  Anzahl,  oder  auch  alle  darauf  zu  beziehen. 
Es  darf  unter  Zugrundelegung  der  vorausgegangenen  Er¬ 
örterungen  die  Combination  der  polyneuritischen  Psychose  mit 
Polioencephalitis  acuta  haem,  sup.,  besonders  in  Fällen  alko¬ 
holischer  Provenienz,  als  häufiges  Vorkommniss  angesehen 
werden;  aus  dieser  Häufigkeit  des  gemeinschaftlichen  Vor¬ 
kommens  darf  aber  weiter  geschlossen  werden,  dass  die  poly- 
*  neuritische  Psychose  und  die  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup. 
verschiedene  Manifestationen  eines  und  desselben  Krankheits- 
processes  sind.  Dadurch,  dass  derselbe  die  Gehirnrinde  in 
einer  bisher  nicht  genau  bekannten  Weise  in  ihrer  Function 
schädigt,  im  centralen  Höhlengrau  des  Gehirnes,  der  Medulla 
spinalis,  den  Gehirnnervenkernen  hämorrhagisch  entzündliche 
Vorgänge  verursacht  und  an  den  peripheren  Nerven  neuriti¬ 
sche  Veränderungen  setzt,  kommt  das  complete  Bild  einer  soge¬ 
nannten  polyneuritischen  Psychose  mit  Gehirnnervensymptomen 
zu  Stande,  manchmal  auch  ohne  letztere;  manchmal  bleiben  die 
peripheren  Nerven  verschont,  dann  resultirt  die  typische  psychi¬ 
sche  Störung  und  diese  Fälle  haben,  wie  früher  erörtert,  zur  Ver¬ 
werfung  des  Terminus  »polyneuritische  Psychose«  geführt. 
Andere  Male  ist  das  centrale  Höhlengrau,  namentlich  die  Augen¬ 
muskelkerne,  in  einer  mit  den  W  e  r  n  i  c  k  e’schen  Fällen  über¬ 
einstimmenden  Ausdehnung  und  Localisation  betroffen,  dann 
werden  die  Symptome  der  W  e  r  n  i  c  k  e’schen  Polioencephalitis 
acuta  haem.  sup.  die  Scene  beherrschen.  —  Was  den  Krankheits- 
process  betrifft,  so  hängt  er,  wie  in  Uebereinstimmung  mit 
Korsakoff  angenommen  und  wie  im  ersten  Theile  des 
Aufsatzes  besprochen  wurde,  mit  Toxämie  des  Blutes,  bedingt 
durch  Autointoxicationen  oder  Toxine  der  Infectionserreger, 
zusammen.  Mit  Rücksicht  auf  die  Häufigkeit  der  physischen 
Gehirnsymtome  bei  der  sogenannten  polyneuritischen  Psychose 
erscheint  mir  der  von  Korsakoff  vorgeschlagene  Terminus 
Cerebropathia  psychica  toxaemica  werth,  beibehalten  zu 
werden.  Gegen  Jolly13)  der  diesen  Terminus  nicht  passend 
findet,  weil  er  (wie  schon  früher  erwähnt)  nichts  Charakteri¬ 


stisches  für  die  in  Rede  stehende  Psychose  habe,  ebenso  gut 
auf  das  Delirium  tremens  als  eine  gleichfalls  toxische  Psychose 
anwendbar  sei  und  weil  der  Begriff  der  toxämischen  psychischen 
Störungen  oder  der  Autointoxicationen  ein  ziemlich  weit  aus¬ 
gedehnter  ist,  ist  zu  bemerken,  dass  Symptome  seitens  der 
Gehirnnerven  beim  gewöhnlichen  Delirium  tremens  kaum  Vor¬ 
kommen. 

Gewisse  klinische  Gesichtspunkte  lassen  ferner  die  Auf¬ 
fassung  gerechtfertigt  erscheinen,  dass  dem  gewöhnlichen  De¬ 
lirium  tremens  einerseits  und  der  sogenannten  polyneuritischen 
Psychose  andererseits  verschiedene  Toxämien  zu  Grunde  liegen. 
Die  initialen  Delirien  der  sogenannten  polyneuritischen  Psy¬ 
chose,  sowie  die  die  Polioencephalitis  haem.  acuta  sup.  be¬ 
gleitenden  Delirien  sind  schwere,  wie  Boedecker  für  letztere 
betonte,  durch  die  grosse  allgemeine  Schwäche  mit  einem 
charakteristischen  Zuge  ausgestattete,  ferner  protrahirte,  über 
Wochen  und  selbst  Monate  sich  hinziehende  Delirien.  Be¬ 
merkenswerth  ist  ferner,  dass  hier  andauerndes,  hartnäckiges 
Erbrechen,  ein  Symptom  langdauernder  Verdauungsstörungen, 
wie  dies  Mönkemüller  für  die  sogenannte  polyneuritische 
Psychose  mit  Recht  betont,  ein  häufiges  Vorkommniss  ist,  ein 
Umstand,  der  auf  die  grosse  Bedeutung  der  gestörten  Func¬ 
tion  des  Intestinaltractes  bei  der  Bildung  des  hier  in  Be¬ 
tracht  kommenden  Giftes  hin  weist,  während  man  für  das  ge¬ 
wöhnliche  Delirium  tremens  sich  das  hier  wirksame  Gift  in 
anderer  Weise  zu  Stande  gekommen  denken  kann.*) 

Für  das  qualitative  Auseinanderhalten  der  zwei  oben  unter¬ 
schiedenen  Gifte  dürfte  vielleicht  noch  Folgendes  in  Betracht 
kommen :  Das  alkoholische  Delirium  trägt  vorwiegend  den  Cha¬ 
rakter  eines  Reizungsvorganges,  die  Cerebropathia  psych,  tox. 
das  Gepräge  der  Lähmung,  des  associativen  Ausfalles.  Während 
wir  für  das  gewöhnliche,  heilende  Alkoholdelirium  gar  keinen 
Grund  zur  Annahme  eines  andauernden  Ausfalles  asso- 
ciativer  Bahnen  haben,  ist  dies  für  die  Cerebropathia  psychica 
toxaemica  durch  die  Befunde  Gudden’s  so  ziemlich  sicher¬ 
gestellt;  im  ersten,  vierten  und  fünften  seiner  alkoholischen 
Polyneuritisfälle  mit  psychischer  Störung,  mit  dem  post¬ 
mortalen  Befund  einer  Polioencephalitis  acuta  haem.  sup.  fand 
sich  Einbusse  des  radiären  Fasergeflechtes,  im  ersten 
Falle  in  der  linken,  vorderen  Centralwindung,  im  vierten 
Falle  in  der  dritten  Stirnwindung,  im  fünften  Falle,  wo  nur 
ein  Stück  der  ersten  linken  Temporalwindung  untersucht 
wurde,  in  dieser  Windung;  gleichsam  als  Ergänzung  zu  diesen 
Befunden  sind  die  Angaben  Bonhoeffer’s49)  anzusehen,  wonach 
er  bei  drei  tödtlich  verlaufenen  Delirien  alkoholischen  Cha¬ 
rakters  mit  March  i  frische,  sehr  starke,  degenerative  Verände¬ 
rungen  in  den  Radiärfasern  der  centralen  Windungen  und 
daneben  im  Wurm  des  Kleinhirns  fand;  in  einem  dieser  Fälle 
liegt  auch  der  Befund  einer  Polioencephalitis  acuta  haem. 
sup.  vor;  es  bandelte  sich  hier  um  schwere  Delirien.  Wären 
diese  Delirien  in  Heilung  übergegangen,  so  hätten  die  Kranken 
in  die  Reconvalescenzperiode  eine  Einbusse  an  Fasern  des 
radiären  Flechtwerkes  herübergenommen  und  es  wäre  bei 
späterer  histologischer  Untersuchung  der  gleiche  Befund,  wie 
in  dem  ersten  Falle  Gudden’s  zu  erwarten.  Vielleicht  hätte 
sich  diese  Einbusse  und  die  daraus  abzuleitenden,  weniger  in¬ 
tensiven,  nur  functioneilen  Störungen  des  übrigen  Associations¬ 
organes  als  psychische  Cerebropathie  geltend  gemacht.  —  Es  ist 
daher  wohl  nicht  ungerechtfertigt,  sich  vorzustellen,  dass  beim 
gewöhnlichen  Delirium  durch  das  specitische  Gift  desselben  vor- 
wiegendReizung’svorgänge, vielleicht  nur  in  denGanglienzellen  (als 
dem  allgemein  angenommenen  Sitze  der  Initiative  für  psychi¬ 
sche  Processe)  ausgelöst  werden,  bei  der  Cerebropathia  psy¬ 
chica  toxaemica  durch  die  andere,  vielleicht  eine  accidentelle 
Toxämie  in  Folge  der  intensiveren  Schädigung  die  Ganglien¬ 
zellen  gelähmt  werden  und  die  von  vielen  Zellen  abgehenden 
Associations-  und  Projectionsfasern  degeneriren,  oder  dass  diese 
Fasern  selbst  Sitz  der  Schädigung  durch  das  aut  sie  ein  wir¬ 
kende  Gift  sind  und  auf  solche  Weise  untergehen.  Letztere 
Annahme  könnte  sich  auf  die  Analogie  des  Betroffenseins  von 
Nervenfasern  in  den  peripheren  Nerven  bei  der  multiplen 


*)  Siehe  Literaturuummer  25). 


344 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


Neuritis  stützen;  für  die  erste  Annahme  würden  sowohl  die 
von  Bonhoeffer 49),  wie  j üngst  von  Trömner50)  erhobenen 
Befunde  schwerer  Veränderungen  an  den  Ganglienzellen  der 
Gehirnrinde  bei  letal  verlaufenden  Alkoholdelirien  heranzu¬ 
ziehen  sein. 

Die  sogenannte  polyneuritische  Psychose  behält  sowohl 
durch  die  Häufigkeit  der  Symptome  seitens  der  Gehirnnerven, 
wie  allem  Anscheine  nach  auch  durch  eine  besondere  Art  der 
Toxämie  ihre  Sonderstellung  gegenüber  dem  gewöhnlichen 
Delirium  tremens  bei,  nicht  minder  gegenüber  anderen  Psy¬ 
chosen.  die  auf  eine  Autointoxication  im  Sinne  v.  Wagner’s 
zu  beziehen  sind,  weil  bei  den  letztgenannten  Psychosen 
physische  Symptome  seitens  des  Gehirnes  ein  äusserst  seltenes 
Vorkommniss  darstellen  dürften.  Es  wird  daher  der  Terminus 
»  Cerebropathia  psychica  toxaemica«  sowohl  der  Symptomatologie, 
wie  der  Pathologie  des  von  Korsakoff  zuerst  genauer  ge¬ 
schilderten  Krankheitsbildes  gerecht. 

Literatur. 

')  W  e  r  n  i  c  k  e,  Die  acute  hämorrhagische  Polioencephalitis  superior. 
Lehrbuch  der  Gehirnkrankheiten.  Bd.  II,  pag.  229. 

2)  Fischer,  Ueber  eine  eigenthürnliche  Spinalerkrankung  bei 
Trinkern.  Archiv  für  Psychiatrie.  1882,  Bd.  XIII;  dann  Fälle  von  Strüm¬ 
pell,  Löwenfeld,  Bernhardt,  citirt  nach  Tiling. 

3)  Korsakoff,  Ueber  eine  besondere  Form  psychischer  Störung, 
combinirt  mit  multipler  Neuritis.  Archiv  für  Psychiatrie.  1890,  Bd.  XXI.  — 
Eine  psychische  Störung,  combinirt  mit  multipler  Neuritis.  Allgemeine  Zeit¬ 
schrift  für  Psychiatrie.  Bd.  XLVI,  und:  Erinnerungstäuschungen  (Pseudo- 
reminiscenzen)  bei  polyneuritischer  Psychose.  Ibidem.  1891,  Bd.  XLVII. 

4)  Tiling,  Ueber  die  bei  der  alkoholischen  Neuritis  multiplex  be¬ 
obachtete  Geistesstörung.  Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  1890, 
Bd.  XLVI. 

■’)  Korsakoff-Serbski,  Ein  Fall  von  polyneuritischer  Psychose 
mit  Autopsie.  Archiv  für  Psychiatrie.  1892,  Bd.  XXIII. 

6)  Tiling,  Ueber  die  amnestische  Geistesstörung.  Allgemeine  Zeit¬ 
schrift  für  Psychiatrie.  1892,  Bd.  XLVIII. 

')  S  e  g  1  a  s,  Lemons  cliniques  sur  les  maladies  mentales  et  nerveuses. 
Paris  1895,  pag.  238 — 243,  citirt  nach  Soukhanoff. 

s)  Soukhanoff,  Sur  les  formes  diverses  de  la  psychose  poly- 
nevritique.  Revue  de  medecin.  1897,  Nr.  5. 

9)  M.  Haury,  Contribution  ä  l’etude  des  Nevrocerebrites  toxiques 
(Psychoses  polynevritiques).  Lyon  1894.  Citirt  nach  Soukhanoff  und 
Jolly  (siehe  weiter  unten). 

'")  Gudden,  Klinische  und  anatomische  Beiträge  zur  Kenntniss  der 
multiplen  Alkoholneuritis  nebst  Bemerkungen  über  die  Regenerationsvor¬ 
gänge  im  peripheren  Nervensystem.  Archiv  für  Psychiatiie  und  Nervenheil¬ 
kunde.  Bd.  XXVIII. 

;1)  Redlich,  Ueber  die  polyneuritischen  Psychosen.  Wiener  klini¬ 
sche  Wochenschrift.  1896,  Nr.  27. 

12)  Mönkemülle  r,  Casuistische  Beiträge  zur  polyneuritischen 
Psychose.  Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  1898,  Bd.  LIV. 

13)  Jolly,  Ueber  die  psychischen  Störungen  bei  Polyneuritis. 
Charite-Annalen.  XXH.  Jahrgang. 

14)  M.  F  r  a  n  k,  Polyneuritis  und  Geistesstörung.  Inaugural-Disser¬ 
tation.  Köln  1890.  Citirt  nach  Soukhanoff. 

,5)  Brie,  Ein  Fall  von  Geistesstörung  nach  Influenza.  Allgemeine 
Zeitschrift  für  Psychiatrie.  1892,  Bd.  XLVIII, 

16)Vaindrach,  Doubrovine,  Kickhine  (russisch).  Citirt 
nach  Soukhanoff. 

16<l)  Hövel,  Ueber  posttyphöse  Dementia  acuta,  combinirt  mit 
Polyneuritis.  Jahrbuch  für  Psychiatrie.  1892,  Bd.  XI. 

4  )  S  o  1 1  i  e  r,  Un  cas  de  psychose  polynevritique.  Revue  neuro- 
logique.  1895,  Nr.  15. 

15)  Balle  t,  Les  Polynevrites.  Progres  medical.  1896,  Nr.  18. 

19j  C  o  1 1  e  1  a,  La  psicosi  polineuritica.  Napoli  1894.  Citirt  nach 
Jolly  und  Redlich. 

2")  Regis,  Des  psychoses  dans  les  polynevrites.  Arch,  de  neuro¬ 
logic.  1894,  Nr.  91. 

21)  Babinski,  Traite  de  medecine  1894,  T.  VI,  pag.  745. 

-2)  E.  Schulze,  Beitrag  zur  Lehre  von  den  sogenannten  poly¬ 
neuritischen  Psychosen.  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  24. 

-;!)  Raiman  n,  Polioencephalitis  superior  acuta  und  Delirium  aleo- 
liolieum  als  Einleitung  einer  K  o  r  s  a  k  o  f  f’schen  Psychose  ohne  Polyneu¬ 
ritis.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  2. 

-4)  Kraepelin,  Ueber  Delirium  tremens- artige  Zustände  bei 
Paralysis.  Neurologisches  Centralblatt.  1896,  Juliheft,  und:  Psychiatrie. 
1899,  Bd.  n,  pag.  90. 

25)  E  1  z  h  o  1  z,  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Delirium  tremens.  Jahr¬ 
bücher  für  Psychiatrie.  1896,  Bd.  XV,  Heft  2  und  3. 

26)  J  a  c  o  b  s  o  n,  Ueber  die  Pathogenese  des  Deliriums  tremens.  All¬ 
gemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LIV. 

27)  v.  W  agne  r,  Ueber  Psychosen  auf  Grundlage  gastrointestinaler 
Autointoxication.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1896,  Nr.  10,  und:  Ueber 
die  körperlichen  Grundlagen  der  acuten  Psychosen.  Jahrbücher  für  Psychiatrie. 
1892,  Bd.  X. 


2S)  H  o  r  i  und  H.  Schlesinger,  Polioencephalitis  superior  haemor- 
rhagiea  mit  subacutem  Verlaufe  und  dem  Symptomencomplexe  der  Pseudo¬ 
bulbärparalyse.  Arbeiten  aus  dem  Obersteine  r’schen  Institute  für 
Anatomie  und  Physiologie  des  Centralnervensystem.  1896,  Heft  4. 

29)  Boedecker,  Zur  Kenntniss  der  acuten  alkoholischen  Ophthalmo¬ 
plegien.  Archiv  für  Psychiatrie.  1895,  Bd.  XXVII. 

30)  Salomo  nsohn,  Ueber  Polioencephalitis  acuta  superior. 
Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1891,  Nr.  27. 

31)  To  masini,  Polioencephalite  superiore  acuta  con  esito  in 
guarigione.  Clinica  medica  ital.  1898. 

32)  R  e  u  n  e  r  t,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  multiplen  Alkohol¬ 
neuritis.  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  Bd.  L.  (Fall  25.) 

33)  K  a  i  s  e  r,  Zur  Kenntniss  der  Polioencephalomyelitis  acuta.  Deutsche 
Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  1895,  Bd.  VH. 

34)  G  a  y  e  t,  citirt  nach  Wernicke. 

35)  Marin  a,  Ueber  multiple  Augenmuskellähmungen  und  ihre  Be¬ 
ziehungen  zu  den  sie  bedingenden,  vorzugsweise  nervösen  Krankheiten. 
1896,  pag.  138. 

36)  W  i  e  n  e  r,  Ueber  einen  genesenen  Fall  von  Polioencephalitis 
haemorrhagica  superior.  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  40. 

37)  Kalis  cli  er,  Mittheilung  eines  Falles  von  Ophthalmoplegie 
und  Extremitätenlähmung  mit  Sectionsbefuud.  Neurologisches  Central¬ 
blatt.  1894,  pag.  876. 

38)  Murawieff,  Zwei  Fälle  von  Polioencephalitis  acuta  haemor¬ 
rhagica  superior  (Wernicke).  Neurologisches  Centralblatt.  1897,  Nr.  2 
und  3. 

39)  Goldscheider,  Ein  Fall  von  primärer  acuter  multipler 
Encephalitis.  Casuistische  Mittheilungen.  Charite-Annalen,  XVII.  Jahrgang. 

40)  S  c  h  ü  1  e,  Ein  Beitrag  zu  den  acut  entstehenden  Ophthalmoplegien. 
Archiv  für  Psychiatrie.  1895,  Bd.  XXVII. 

41)  Ei  sen  loh  r,  Ein  Fall  von  acuter  hämorrhagischer  Encephalitis. 
Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1892,  Nr.  47. 

42)  Jacobaeus,  Ueber  einen  Fall  von  Polioencephalitis 

haemorrhagica  superior.  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde. 

1895,  Bd.  V. 

43)  Thomsen,  Zur  Pathologie  und  Anatomie  der  acuten  alko¬ 
holischen  Augenmuskellähmung  nebst  Bemerkungen  über  die  anatomische 
Deutung  einiger  Symptome  im  Krankheitsbilde  der  alkoholischen  Neuritis. 
Berliner  klinische  Wochenschrift.  1888,  Nr.  2. 

41)  Boedecker,  Klinischer  Beitrag  zur  Kenntniss  der  acuten  alko¬ 
holischen  Augenmuskellähmung.  Charit e-Annalen.  1892,  Bd.  XVII. 

45)  Suckling,  Ophthalmoplegia  externa  due  to  alcohol.  British 
medical  Journal.  1888.  Bd.  I,  pag.  464. 

46j  Linsmeye  r,  Acut  verlaufender  Fall  von  Polioencephalitis 
superior  nach  Sephthämie  mit  Ausgang  in  Heilung.  Sitzungsbericht  des  Ver¬ 
eines  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien  vom  13.  Juni  1899.  Wiener 
klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  26. 

47)  Oppenheim,  Die  Encephalitis.  N  o  t  h  n  a  g  e  l’s  Specielle 
Pathologie  und  Therapie.  Bd.  IX,  H.  Theil,  pag.  65. 

4S)  Bonhoeffer,  Der  Geisteszustand  'des  Alkoholdeliranten. 

W  e  r  n  i  c  k  e’s  Psychiatrische  Abhandlungen.  Heft  6,  pag.  49. 

49)  Bonhoeffe  r,  Klinische  und  anatomische  Beiträge  zur 
Kenntniss  der  Alkoholdelirien.  Monatsschrift  für  Psychiatrie  und  Neuro¬ 
logie.  Bd.  I. 

50)  Trömner,  Pathologisch-anatomische  Befunde  bei  Delirium 
tremens  nebst  Bemerkungen  zur  Structur  der  Ganglienzellen.  Archiv  für 
Psychiatrie.  1899,  Bd.  XXXI. 


Ein  Beitrag  zur  sogenannten  retrograden  In¬ 
carceration. 

Von  Dr.  Dominik  Pnpovac,  Assistenten  an  der  II.  chirurgischen  Klinik  in 

Wien. 

Bekanntlich  hat  May  dl  im  Jahre  1895  den  Terminus 

»retrograde  Incarceration«  eingeführt,  und  zwar  anlässlich 

zweier  von  ihm  beobachteter  Fälle,  von  denen  der  eine  eine 

Incarceration  des  Wurmfortsatzes,  der  andere  eine  solche  der 

Tube  betraf.  Mavdl  erwähnt  hiebei  die  Seltenheit  der  Her- 

«/ 

nien  des  Wurmfortsatzes  und  der  Tube  überhaupt,  noch  mehr 
aber  das  seltene  Vorkommen  der  Incarceration  dieser  Organe, 
insbesondere  aber  der  retrograden  Incarceration.  Unter  diesem 
Ausdrucke  versteht  er  die  Erscheinung,  dass  der  incarcerirte 
Theil  des  Organes  bauchwärts  vom  incarcerirenden  Ringe  ge¬ 
legen  ist,  während  peripherwärts  von  ihm,  das  heisst  im 
Bruchsacke  selbst,  ein  verhältnissmässig  normal  beschaffener 
Theil  des  Eingeweides  sich  vorfindet.  In  seinem  Falle  von 
retrograder  Incarceration  des  Wurmfortsatzes  fand  sich  im 
Bruchsacke  das  Cöcum.  ein  Theil  des  Ileums  und  das  Anfangs¬ 
stück  des  Wurmfortsatzes,  während  das  periphere  Ende  des 
letzteren  in  der  Bauchhöhle  lag;  dieser  Theil  zeigte  die  Er¬ 
scheinungen  der  Gangrän,  während  die  im  Bruchsacke  ge¬ 
legenen  Gebilde  in  ihrer  Ernährung  nicht  gestört  waren.  Im 
Anschlüsse  an  seine  Beobachtungen  bespricht  May  dl  die 


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veranlassenden  Momente  zur  Entstehung  dieser  Art  von  In¬ 
carceration,  bezeichnet  die  strangförmigen  Organe,  wie  Tube 
und  Wurmfortsatz,  als  besonders  disponirt  für  die  retrograde 
Incarceration  und  zieht  auch  die  Möglichkeit  einer  retrograden 
Incarceration  eines  Netzstranges  oder  eines  vorhandenen  Di¬ 
verticulum  Meckelii  in  Betracht,  wenn,  auch  bis  zu  seiner  Pu¬ 
blication  keine  Beobachtung  einer  retrograden  Incarceration 
dieser  Organe  veröffentlicht  war. 

Der  Publication  Maydl’s  folgten  in  kurzen  Intervallen 
die  von  Schnitzler,  Kukula,  Kopstein  und  C.  Bayer, 
die  verschiedene  Arten  von  retrograden  Incarcerationen  be¬ 
trafen,  vorzugsweise  aber  Netzincarcerationen,  so  dass  also  die 
Annahme  Maydl’s,  dass  auch  das  Netz  zur  retrograden  In¬ 
carceration  disponirt  sei,  in  der  That  ihre  Bestätigung  fand. 
In  jüngster  Zeit  ist  von  Baracz  ein  Fall  von  retrograder 
Netzincarceration  mit  Torsion  des  retrograd  incarcerirten 
Theiles  erschienen. 

Mit  diesen  Fällen  ist  die  bisherige  Casuistik  der  soge¬ 
nannten  retrograden  Incarcerationen  erschöpft. 

Ich  hatte  nun  vor  kurzer  Zeit  Gelegenheit  einen  Fall 
von  retrograder  Incarceration  des  Wurmfortsatzes  zu  beob¬ 
achten  und  da  der  Fall  eine  reine  Wurmfortsatzhernie  betraf, 
so  glaube  ich,  dass  die  Seltenheit  dieser  Erscheinung  die  Mit¬ 
theilung  derselben  rechtfertigt. 

Im  Anschlüsse  daran  berichte  ich  kurz  über  einen  von 
mir  beobachteten  Fall  von  retrograder  Netzincarceration. 

1.  Fall  von  retrograder  Incarceration  des  Wurm¬ 
fortsatzes. 

Am  9.  März  d.  J.  wurde  ein  SOjähriger  Geschäftsdiener  an 
die  II.  chirurgische  Klinik  behufs  Operation  eines  rechtsseitigen 
incarcerirten  Schenkelhernie  geschickt.  Die  Anamnese  ergab,  dass 
Patient  in  seiner  Jugend  an  Knochentubercuiose  und  häufigen 
Lungenkatarrhen  gelitten  habe.  Eine  linksseitige  Leistenhernie  habe 
er  schon  seit  30  Jahren;  die  rechtsseitige  Schenkelhernie  sei  vor 
zwei  Tagen  plötzlich  nach  körperlicher  Anstrengung  aufgetreten, 
wobei  Patient  heftige  Schmerzen  in  der  Geschwulst,  selbst  und  in 
der  Nabelgegend  empfunden  habe;  gleichzeitig  trat  Brechneigung 
auf  und  erst  nach  Einnahme  von  Abführmitteln  trat  wenige  Stunden 
vor  der  auf  die  Klinik  erfolgten  Aufnahme  des  Patienten  reich¬ 
licher  Stuhlgang  und  Abgang  von  Winden  *ein,  so  dass  sich  Pa¬ 
tient  bedeutend  erleichtert  fühlte,  doch  blieben  die  Schmerzen  in 
der  Bruchgeschwulst  fortbestehen.  Die  Untersuchung  des  ziemlich 
mageren,  schwächlich  gebauten  Mannes  ergab:  An  den  inneren 
Organen  ausser  einem  Emphysem  der  Lungen  keine  abnormen 
Verhältnisse. 

In  der  Gegend  des  Sternums  zahlreiche  strahlige  Narben. 
In  der  linken  Leistenbeuge  eine  kindsfaustgrosse,  leicht  reponible 
Hernie.  In  der  rechten  Schenkelbeuge  eine  unterhalb  des  Poupart- 
schen  Bandes  gelegene  hühnereigrosse  Geschwulst  über  der  die 
Haut  etwas  geröthet  erscheint.  Haut  und  subcutanes  Zellgewebe 
über  der  Geschwulst  verschieblich.  Geschwulst  selbst  auf  der 
Unterlage  nicht  verschiebbar. 

Consistenz:  prall,  elastisch,  fluctuirend,  Percussionsschall  da¬ 
rüber  leer. 

Diagnose:  rechtsseitige  incarcerirte  Schenkelhernie,  Inhalt 
wahrscheinlich  Netz. 

Die  Operation  wurde  unter  meiner  Assistenz  von  Herrn 
Dr.  Stein  ausgeführt  und  zwar  anfangs  unter  localer  Anästhesie 
(S  ch  1  eich’sche  Infiltrationsmethode),  dann  unter  Narkose  mit 
B  i  1 1  r  o  t  h’scher  Mischung. 

Nach  Freilegung  des  circa  hühnereigrossen  Bruchsackes 
durch  einen  Längsschnitt  wurde  derselbe  eröffnet.  Er  erwies  sieb 
als  ziemlich  dickwandig  und  es  entleerte  sich  eine  geringe  Menge 
blutig  tingirten,  jedoch  nicht  trüben  und  nicht  übelriechenden 
Bruchwassers. 

Als  Inhalt  repräsentirte  sich  eine  düsterroth  gefärbte  Darm¬ 
schlinge  von  Kleinfingerdicke,  die  wegen  ihren  Grössenverhältnisse 
sofort  als  Wurmfortsatz  angesprochen  werden  musste. 

Nun  wurde  die  allgemeine  Narkose  eingeleitet  und  unter 
dieser  die  Operation  beendet.  Nach  Erweiterung  des  Bruchringes 
von  aussen  Hess  sich  die  Darmschlinge  vorziehen  und  es  zeigte 


sich,  dass  in  der  That  eine  Schlingenincarceration  des  Processus 
vermiformis  vorlas;. 

Das  freie  Ende  desselben  war  bauchwärts  vom  Bruchringe 
gelegen  und  zeigte  eine  schwärzlichgrüne  Farbe  und  an  seiner 
hinteren  Fläche  einen  gelblich  belegten  oberflächlichen  Substanz¬ 
verlust.  Nun  wurde  das  Cöcum  vorgezogen  und  der  Wurmfortsatz 
an  seiner  Insertionsstelle  amputirt  und  die  im  Cöcum  gesetzte 
Wunde  kunstgerecht  geschlossen.  Abtragung  des  Bruchsackes  nach 
vorhergegangener  Ligatur  des  Bruchsackhalses  und  vollständige 
Hautnaht.  Leider  erlag  der  80jährige  Patient  am  zehnten  Tage 
nach  der  Operation  einer  Lobulärpneumonie,  die  am  achten  Tage 
post  operationem  aufgetreten  war.  Die  Obductionsdiagnose  lautete: 
Diffuse  eiterige  Bronchititis  mit  lobulärpneumonischen  Herden  in 
beiden  Unterlappen.  Chronisches  Emphysem  beider  Lungen  und 
senile  Atrophie  sämmtlicher  Organe.  Operationswunde  vollständig 
reactionslos. 


Der  exstirpirte  Wurmfortsatz  (siehe  die  Abbildung)  zeigt 
eine  Länge  von  11cm  und  enthält  in  seinem  Innern  einen 
blutig-schleimigen  Inhalt.  Es  waren  deutlich  zwei  Incarcerations- 
furchen  ausgeprägt,  wodurch  er  in  drei  Theile  getheilt  wurde, 
deren  mittlerer  und  periplierster  die  bereits  oben  geschilderten 
Veränderungen  zeigten,  während  der  centrale  Theil  keinerlei 
Veränderungen  aufwies.  Es  lag  somit  in  diesem  Falle  eine  In¬ 
carceration  des  Wurmfortsatzes  vor,  die  dadurch  umso  inter¬ 
essanter  ist,  als  erstens  der  Wurmfortsatz  allein  incarcerirt 
war,  und  zweitens  nur  eine  Schlinge  desselben  im  Bruchsacke 
lag,  während  sein  peripherster  Theil  bauchwärts  vom  Bruch¬ 
ringe  lag  und  in  seinen  Circulationsverhältnissen  am  schwersten 
geschädigt  war,  so  dass  also  jene  Erscheinung  vorlag,  die 
M  a  y  d  1  mit  dem  Namen  der  retrograden  Incarceration  be- 
zeichnete.  Dass  diese  Erscheinung  eintreten  konnte,  dazu  war 
der  Wurmfortsatz  durch  seine  bedeutende  Länge  und  sein 
freies  Gekröse  vorzüglich  geeignet.  Dass  sein  distales  Ende 
von  Circulationsstörungen  mehr  betroffen  war  als  das  im  Bruch¬ 
sacke  gelegene  Mittelstück,  hat  wohl  darin  seinen  Grund,  dass 
die  zu-  und  abführenden  Gefässe  des  ersteren  an  zwei  Stellen 
entsprechend  den  beiden  Incarcerationsfurchen  comprimirt 
wurden,  während  das  Mittelstück  die  Constriction  seiner 
zu-  und  abführenden  Gefässe  nur  an  einer  Stelle  zu  er¬ 
leiden  hatte. 

Bei  der  Suche  in  der  ziemlich  reichhaltigen  Literatur 
über  die  Wurmfortsatzbrüche  konnte  ich  nur  einen  einzigen 
ähnlichen  Fall  finden  und  zwar  betrifft  dieser  eine  Beobach¬ 
tung  Rose’s.  Derselbe  theilt  einen  Fall  von  Schlingenincar¬ 
ceration  des  Processus  vermiformis  mit.  Es  handelte  sich  um 
eine  rechtsseitige  incarcerirte  Schenkelhernie  bei  einer  54jährigen 
Patientin.  Der  Befund  bei  der  Operation  ergab  eine  Schlingen¬ 
incarceration  des  Processus  vermiformis,  wobei  jedoch  der  im 
Bruchsacke  gelegene  Theil  des  Wurmfortsatzes  in  seinen  Cir¬ 
culationsverhältnissen  am  meisten  gestört  war,  während  sowohl 
das  centrale  Ende,  als  auch  das  periphere  die  normale  Färbung 
zeigten.  Dies  erklärt  sich  wohl  au3  dem  Umstande,  dass  im 
Falle  Rose’s  die  Einschnürung  nicht  das  Mesenteriolum  des 
Wurmfortsatzes  mit  betraf,  so  dass  also  die  zu-  und  abführen¬ 
den  Gefässe  des  Endstückes  keinerlei  Compression  erfuhren. 
Somit  ist  dieser  Fall  wohl  als  Schlingenincarceration  des  Wurm- 


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fortsatzes,  nicht  aber  als  retrograde  Incarceration  im  Sinne 
Maydl’s  aufzufassen,  da  das  bauch wärts  vom  Bruchringe 
gelegene  Ende  keinerlei  Veränderungen  autwies. 

Erklärung  der  Abbildung:  Dieselbe  stellt  den  resecirten 
Wurmfortsatz  in  der  Ansicht  von  rückwärts  etwas  verkleinert 
dar.  Man  sieht  deutlich  die  beiden  Sehnürfurchen  und  die 
Erscheinung  der  Gangrän  am  peripheren  Ende,  die  sich  durch 
einen  oberflächlichen  Substanzverlust  daselbst  documentirt. 
Auch  am  Mesenteriolum  sieht  man  die  Strangulation,  gekenn¬ 
zeichnet  durch  dessen  Zusammenfaltung.  Leider  wurde  dasselbe 
am  Uebergange  vom  centralen  Theile  des  Wurmfortsatzes  zur 
incarcerirt  gewesenen  Schlinge  bei  der  Entfaltung  nach  Lösung 
der  Incarceration  eingerissen. 

2.  Fall  von  retrograder  Netzincareeration. 

Am  17.  October  1899  erschien  im  Ambulatorium  der 
II.  chirurgischen  Klinik  ein  46jähriger  Patient,  der  folgende  An¬ 
gaben  machte.  Seit  20  Jahren  habe  er  einen  rechtsseitigen  Leisten- 
bruch,  der  sich  stets  leicht  reponiren  liess  und  den  Patient  in  den 
letzten  Jahren  durch  ein  entsprechendes  Bruchband  zurückhielt. 

Am  16.  October  1899  verspürte  Patient  beim  Aufstehen 
einen  stechenden  Schmerz  in  der  Leistengegend,  und  als  er  den 
hervorgetretenen  Bruch  reponiren  wollte,  gelang  ihm  dies  nicht 
mehr,  so  dass  er  rasch  einen  Arzt  aufsuchte,  der  durch  eine 
Stunde  lang  unter  heftigen  Schmerzen  von  Seite  des  Patienten 
vergebliche  Repositionsversuche  machte. 

Patient  begab  sich  wieder  nach  Hause,  legte  sich  zu  Bette 
und  bemerkte  nun  eine  allmälig  zunehmende  Anschwellung  des 
Bruches. 

Tags  darauf  suchte  er  unsere  Klinik  auf.  Ich  constatirte  eine 
rechtsseitige  inguinale,  irreponible  Netzhernie  mit  Flüssigkeitserguss 
im  Bruchsacke  und  rieth  dem  Patienten  die  Spitalsaufnahme  an, 
wozu  er  sich  jedoch  erst  am  19.  October  entschloss. 

Bei  der  an  diesem  Tage  erfolgten  Untersuchung  constatirte 
man  eine  circa  kindsfaustgrosse,  rechtsseitige,  inguinale,  irreponible 
Netzhernie  mit  Flüssigkeitsansammlung  im  Bruchsacke  und  bedeu¬ 
tender  Druckschmerzhaftigkeit  im  Bereiche  der  Hernie.  Allgemein¬ 
erscheinungen  einer  Incarceration  fehlten,  und  da  zu  einem  sofor¬ 
tigen  Eingriff  keine  Indication  vorlag,  wurde  Patient  zunächst  zu 
Bett  gebracht  und  local  Kälte  applicirt,  worauf  binnen  wenigen  Tagen 
die  Druckempfindlichkeit  aufhörte  und  auch  der  Flüssigkeitserguss 
schwand. 

Am  28.  October  wurde  unter  meiner  Assistenz  die  Radical- 
operation  der  Hernie  nach  B  a  s  s  i  n  i  in  ungestörter  Mischungs¬ 
narkose  (Billroth)  von  5/4stündiger  Dauer  durch  einen  der 
Operationszöglinge  der  Klinik  (Dr.  Schall  er)  ausgeführt.  Nach 
Freilegung  des  Bruchsackes  und  Isolirung  desselben  vom  Samen¬ 
strange  wurde  der  Bruchsack  eröffnet. 

Als  Inhalt  desselben  zeigte  sich  ein  circa  daumendicker,  mit 
der  Bruchsackwandung  durch  leicht  trennbare  Adhäsionen  verklebter 
Netzstrang.  Als  man  nun  versuchte,  denselben  aus  dem  inneren 
Bruchringe  vorzuziehen,  gelang  dies  nicht  und  erst  nach  Erweiterung 
des  inneren  Bruchringes  konnte  der  Netzstrang  weiter  vorgezogen 
werden,  wobei  auf  einmal  ein  circa  kindsfaustgrosser,  schwärzlich 
verfärbter,  von  thrombosirten  Gefässen  durchzogener  Netzklumpen 
aus  der  Bauchhöhle  herauskam.  Derselbe  stellte  das  freie  Ende  des 
im  Bruchsacke  gelegenen  und  zusammengefalteten  Netzstranges  dar 
und  war  von  der  ihm  zugehörenden  Hälfte  durch  eine  deutliche 
Schnürt urche  geschieden,  so  wie  er  sich  durch  seine  Verfärbung 
schon  von  dem  allerdings  auch  nicht  mehr  normal  aussehenden,  im 
Bruchsacke  gelegenen  Netzstrange  unterschied. 

Der  im  Bruchsacke  gelegene  Netzstrang  stellte  also  eigentlich 
eine  Schlinge  dar,  deren  beide  Schenkel  durch  Adhäsionen  an¬ 
einander  fixirt  waren,  während  das  freie  Ende  des  Netzstranges 
bauchwärts  vom  Bruchringe  lag.  Nun  wurde  der  Netzstrang  so  weit 
vorgezogen,  dass  dessen  Resection  in  normal  aussehendem  Gewebe 
vollzogen  werden  konnte,  worauf  die  typische  Operation  nach 
B  a  s  s  i  n  i  ausgeführt  wurde. 

17  Tage  später  verliess  Patient  mit  per  primam  intentionein 
verheilter  Operationswunde  die  Klinik. 

Aus  dem  Befunde  bei  der  Operation  erhellt,  dass  es  sich  in 
diesem  Falle  um  eine  retrograde  Incarceration  eines  Netzstranges 
im  Sinne  Maydl’s  gehandelt  hatte. 


Im  Anschlüsse  an  diese  zwei  von  mir  beobachteten  Fälle 
will  ich  folgeude  Bemerkungen  über  den  Terminus  »retrograde 
Incarceration«  anknüpfen. 

Dier  Ausdruck  kann  seiner  Etymologie  nach  zu  Miss¬ 
verständnissen  führen  und  bezeichnet  auch  nicht  die  thatsäch- 
lich  vorhandenen  anatomischen  Verhältnisse. 

Welchen  Theil  nennen  wir  incarcerirt?  Gewiss  nur 
jenen,  der  im  Bruchsacke  eingesperrt  ist.  Die  Bezeichnung 
kann  sich  also  nicht  auf  jene  Theile  erstrecken,  die  bauch¬ 
wärts  vom  incatcerirenden  Ringe  gelegen  sind,  auch  dann 
nicht,  wenn  diese  Theile  das  freie  Ende  der  im  Bruchsacke 
enthaltenen  Theile  darstellen.  Dass  bei  einer  Incarceration 
eines  strangförmigen  Organes  das  centralwärts  vom  Bruchringe 
gelegene  Ende  in  seiner  Ernährung  am  meisten  geschädigt 
sein  kann,  hat  seinen  Grund  darin,  dass  die  zu-  und  abführenden 
Gefässe  dieses  Theiles  zweimal  eine  Einschnürung  erlitten 
haben,  während  der  im  Bruchsack  gelegene  Theil  diese  Schädi¬ 
gung  seiner  Gefässe  nur  einmal  erfahren  hat.  Der  Umstand, 
dass  die  auf  die  Incarceration  folgenden  Zustände  am  meisten 
den  bauchwärts  vom  Incarcerationsringe  gelegenen  Theil  des 
incarcerirten  Organes  betreffen,  kann  nicht  bestimmend  sein, 
diesen  Theil  deshalb  als  incarcerirt  zu  bezeichnen.  Der  ein¬ 
schnürende  Ring,  der  im  Falle  Maydl’s  das  Cöcum,  einen 
Theil  des  Ileums  und  den  Processus'  vermiformis  umschnürte, 
hat  die  ersteren  zwei  Organe  nicht  weniger  umschnürt,  als  den 
Wurmfortsatz,  da  er  sie  ja  gemeinschaftlich  umfasste,  nur 
mussten  sich  eben  die  Circulationsstörungen  aus  den  bereits 
angeführten  Gründen  am  freien  Ende  des  Wurmfortsatzes  am 
meisten  bemerkbar  machen. 

Der  Fall  Rose's  zeigt  uns,  dass  diese  Erscheinung  aus- 
bleiben  kann,  wenn  das  Mesenteriolum  des  Wurmfortsatzes 
nicht  mit  incarcerirt  ist.  Es  ist  somit  die  Erscheinung  der 
Circulationsstörungen  am  peripheren  Ende  nur  eine  accidentelle 
Erscheinung  des  gesammten  Bildes  einer  Schlingenincarceration 
eines  strangförmigen  Gebildes,  mag  nun  dieselbe  den  Processus 
vermiformis  allein  betreffen,  oder  der  andere  Schenkel  der 
Schlinge  von  den  dem  Wurmfortsatz  benachbarten  Gebilden 
formirt  werden. 

Besser  ist  daher  für  die  reinen  Fälle  der  Incarceration 
der  strangförmigen  Gebilde,  wie  Wurmfortsatz,  Tube,  Netz 
und  Diverticulum  Meckelii  die  bereits  von  Rose  gebrauchte 
Bezeichnung  »incarc’erirter  Schlingenbruch«  des  betreffenden 
Organes,  die  sofort  verständlich  ist. 

Literatur. 

May  dl,  Ueber  retrograde  Incarceration  der  Tube  und  des  Pro¬ 
cessus  vermiformis.  Wiener  klinische  Rundschau.  1895,  Nr.  2  und  3. 

Kukula  0.,  Ueber  einen  Fall  von  retrograder  Incarceration,  welche 
durch  einen  gestielten  Tumor  des  Dünndarmes  bedingt  war.  Wiener  klinische 
Rundschau.  1895,  Nr.  20. 

J.  Schnitzler,  Retrograde  Incarceration  des  Netzes.  Wiener  klini¬ 
sche  Rundschau.  1896,  Nr.  6. 

W.  Kopstein,  Ueber  einen  Fall  von  retrograder  Incarceration 
eines  bindegewebigen  Stranges  Wiener  klinische  Rundschau.  1898,  Nr.  14. 

C.  Bayer,  Retrograde  Netzincareeration  mit  Stieltorsion  über  dem 
Bruchringe.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1898,  Nr.  17. 

R.  v.  B  a  r  a  c  z,  Retrograde  Netzincareeration  mit  Torsion  in  der 
Bauchhöhle.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LIV. 

J.  Rose,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XXXV,  pag.  51. 


Zum  Artikel  von  Schenk  und  Austerlitz:  »Weitere 
Untersuchungen  über  derr  Keimgehalt  der  weib¬ 
lichen  Urethra«,  diese  Zeitschrift.  1900,  pag.  319  ff. 

Von  Dr.  Rudolf  Savor,  Assistenten  der  Klinik  C  h  r  o  b  a  k. 

Schenk  und  Austerlitz  haben  bald  nach  dem  Erscheinen 
meiner  Mittheilung  über  den  Keimgehalt  der  weiblichen  Harnröhre1) 
ihre  Untersuchungsergebnisse 2)  veröffentlicht  und  vielfach  differente 
Resultate  mitgetheilt ;  in  einer  Nachschrift  besprechen  sie  meine  Re¬ 
sultate  und  stellen  weitere  Untersuchungen  in  Aussicht,  über  welche 
sie  in  der  im  Titel  genannten  Publication  berichten. 

J)  H  e  g  a  r,  Beiträge  zur  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1899,  Bd.  II, 

Heft  1. 

2)  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Bd.  XXIV,  Nr.  17, 
27.  April. 


Nr.  15 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Sie  stellen  dieselben  in  Gegensatz  zu  meinen  Resultaten  und 
äussern  so  wie  in  der  ersten  Veröffentlichung  ihre  Ansicht  dahin,  dass 
unsere  Methoden  nicht  so  sehr  ditferiren,  als  dass  dadurch  so  diver¬ 
gente  Resultate  bedingt  sein  könnten. 

Ich  bedauere  nun,  hierin  mit  Schenk  und  Austerlitz 
nicht  der  gleichen  Ansicht  sein  zu  können,  und  führe  hier  zur  Be¬ 
gründung  die  Schilderung  unserer  Methoden  an. 

Ich  beschreibe  die  Methode  der  Abimpfung  aus  der  Urethra 
folgendermassen :  ,, Zuerst  wurde  durch  entsprechendes  Auseinander¬ 

ziehen  der  Labien  das  Orificium  externum  urethrae  und  seine  Um¬ 
gebung  freigelegt,  wobei  es  fast  immer  zu  einem  leichten  Klaffen  der 
Harnröhrenmündung  kommt;  sodann  wurde  diese  sammt  ihrer  Um¬ 
gebung  mit  einem  in  l0/o0iger  Sublimatlösung  getauchten  Watte- 
bäuschchen  und  dann  mit  sterilem  Wasser  energisch  gereinigt;  nun 
wurde  unter  thunlichster  Vermeidung  des  Orif.  ext.  urethrae  mit  einer 
Platinöse  eingegangen  bis  in  die  Tiefe  von  2— 2'/2CWi,  die  Wände  der 
Urethra  abgeschabt  und  sofort  überimpft.“ 

Schenk  und  Austerlitz  schreiben:  „Wir  gingen  hei 
unseren  Untersuchungen  in  der  Weise  vor,  dass  wir  zunächst  mit 
einem  nicht  zu  feuchten  Wattebäuschchen,  das  in  Sublimatlösung 
(1:1000)  getaucht  war,  die  Umgebung  der  Urethralmündung  reinigten 
und  hierauf  ein  am  unteren  Ende  mit  Watte  umwickelter  Holzstäbchen, 
wie  man  solche  zur  Auswischung  des  Cervicalcanales  verwendet,  mit 
diesem  Ende  in  eine  Sublimatlöung  (ebenfalls  1  :  1000)  eintauebten,  sorg¬ 
fältig  ausdrückten  und  hierauf  ’/ 2  cm  weit  in  die  Urethra  einführten 
und  damit  den  Anfangstheil  derselben  gründlich  abrieben.  Hierauf 
gingen  wir  mit  einer  Impfnadel  1  — 2  cm  tief  ein  und  entnahmen 

von  da  das  auszusäende  Material.“ 

Aus  dem  Vergleiche  beider  Schilderungen  geht  hervor,  dass 
Schenk  und  Austerlitz  durchaus  nicht  das  Object  in  gleicher 
Ausdehnung  untersuchten,  wie  ich.  Was  ich  der  bacteriologischen 
Prüfung  unterzog,  war  die  Harnröhre  mit  thunlichster  Ausschaltung 
des  Orificium  externum  urethrae;  es  entsprach  dies  auch  dev  Frage,  zu 
deren  Beantwortung  ich  meine  Untersuchungen  unternahm,  der  Frage 
nämlich,  wie  oft  bei  schwangeren  und  kranken  Frauen  nach  der 
üblichen  und  allgemein  durchführbaren  Desinftctionsmethode  Mikro¬ 
organismen  nachw7eisbar  sind,  und  welcher  Natur  dieselben  sind;  ich 
habe  dies  auch  ausdrücklich  in  meiner  Publication  hervorgehoben 
(1.  c.  pag.  107).  Was  hingegen  Schenk  und  Austerlitz  unter¬ 
suchten,  wTar  die  Harnröhre  mit  Ausschaltung  des  vordersten  Abschnittes 
derselben,  also  des  Abschnittes,  der  bei  der  üblichen  Desinfections- 
methode  undesinficirt  bleibt. 

Gestattet  mithin  schon  die  Verschiedenheit  des  Objectes  nicht, 
ohne  Weiteres  unsere  Untersuchungsresultate  zu  vergleichen,  so  glaube 
ich  im  Gegentheile  noch  einige  Erklärungen  für  unsere  divergenten 
Resultate  geben  zu  dürfen.  Während  ich  mein  Augenmerk  darauf 
lenkte,  nach  der  Desinfection  mit  Sublimat  durch  Abreiben  mit 
sterilem  Wasser  etwa  noch  anhaftendes  Sublimat  zu  entfernen,  haben 
Schenk  und  Austerlitz  dies  nicht  nur  nicht  gethan,  sondern 
sogar  den  Anfangstheil  der  Urethra  mit  Sublimat  ausgerieben,  ohne 
hinterher  für  die  Fortschaft’ung  von  vielleicht  noch  anhaftendem 
Sublimat  zu  sorgen.  Dann  gingen  sie  mit  einer  Impfnadel  durch  den 
soeben  desinficirten  Anfangstheil  der  Harnröhre  hindurch,  um  aus  den 
tieferen  Partien  abzuimpfen.  Es  liegt  nahe,  wenigstens  der  Vermuthung 
Ausdruck  zu  geben,  es  mögen  doch  bei  dieser  zweimaligen  Passage 
des  vorderen  Theiles  der  Urethra  Reste  des  zur  Desinfection  desselben 
verwendeten  Sublimates  mitgenommen  und  auf  den  Nährboden  über¬ 
bracht  worden  sein,  woselbst  das  Sublimat  seine  auch  noch  in  sehr 
starken  Verdünnungen  bedeutende  entwicklungshemmende  Wirkung 
entfalten  konnte. 

Ist  nun  dadurch  vielleicht  schon  theilweise  eine  Erklärung  der 
vielen  sterilen  Befunde  von  Schenk  und  Austerlitz  gegeben, 
so  mag  eine  weitere  in  dem  zur  Entnahme  verwendeten  Instrumente 
liegen.  Schenk  und  A  u  s  t  e  r  1  i  t  z  verwendeten  eine  Impfnadel,  ich 
eine  Platinöse  von  etwa  2  mm  Durchmesser,  letzteres  in  der  Absicht, 
durch  Abschaben  der  Wände  mehr  Material  zu  gewinnen,  da  ich  von 
früheren  Untersuchungen  her  wusste,  dass  oft  nur  spärliche  Keime 
in  der  Urethra  vorhanden  sind.  Es  ist  vielleicht  nicht  unangemessen, 
auch  auf  diese  Differenz  hinzuweisen,  die  es  möglicher  Weise  mit  sich 
brachte,  dass  manche  keimhaltige  Urethra  der  Impfnadel  entging. 

Dass  vorstehende  Ausführungen  viel  für  sich  haben,  geht  auch 
aus  einem  Theile  der  Untersuchungen  von  Schenk  und  Auster¬ 
litz  hervor.  Die  beiden  Autoren  haben  nämlich  auch  die  Methode 
der  Desinfection  nachgeprüft  die  ich  anwendete,  und  fanden  nur  in 
40°/o  die  Urethra  steril.  Meine  Untersuchungen  ergaben  für  die  gleichen 
Fälle  (gynäkologisch  Kranke  ohne  nachweisbare  Gonorrhoe)  36*5°/o, 
was  meines  Erachtens  ganz  gut  stimmt. 

Diese  so  geringe  Verschiedenheit  bei  nach  der  von  mir  angewendeten 
Methode  ausgefiibrten  Untersuchungen  wird  auch  von  Schenk  und 
Aus  t  e  r  1  i  t  z  anerkannt,  nur  finden  sie,  dass  es  die  Art  der  ge¬ 
fundenen  Keime  sei,  welche  unsere  Resultate  so  divergent  erscheinen 


liess.  Sie  trafen  nämlich  viel  seltener  als  ich  pathogene  Keime  in  der 
Urethra.  Es  ist  wohl  meiner  Meinung  nach  nicht  schwierig,  diesom 
Einwande  unter  Hinweis  auf  die  so  differente  Zahl  der  untersuchten 
Fälle  (25  bei  Schenk  und  Austerlitz,  gegen  93  bei  mir)  zu 
begegnen. 

Was  die  nach  der  von  Schenk  und  Austerlitz  geübten 
Methode  untersuchten  Fälle  betrifft,  so  kann  wohl  über  die  dabei  er¬ 
zielten  Resultate  vor  Allem  über  das  häufige  oder  seltene  Vorkommen 
pathogener  Keime  ein  Urtheil  nicht  abgegeben  werden,  da  eigene 
Erfahrungen  nach  dieser  Methode  fehlen.  Ebenso  ist  es  unmöglich, 
über  die  weiteren  Schlüsse,  die  Schenk  und  Austerlitz  im 
Gegensätze  zu  mir  gezogen  haben,  zu  discutiren,  da  die  Prämissen 
andere  sind. 

Von  meiner  Behauptung,  dass  die  Katheterisationscystitis  eine 
schwer  zu  heilende  Affection  darstellt,  kann  ich  nicht  abgehen.  Es  ist 
ja  richtig,  dass  man  durch  entsprechende  Behandlung  die  Individuen 
von  ihrem  subjectiven  Symptomen  befreien  und  den  Harn  eiterfrei 
machen  kann.  Wenn  man  aber  solche  Fälle  in  Evidenz  hält,  so  findet 
man,  dass  es  speciell  bei  der  saueren  Cystitis  nur  selten  gelingt,  den 
Harn  dauernd  keimfrei  zu  erhalten,  und  man  bekommt  den  Eindruck 
—  mir  stehen  derzeit  noch  keine  statistischen  Daten  zu  Gebote  —  dass 
viele  Frauen  unter  den  Folgen  einer  bei  jedem  Anlasse  recidivirenden, 
durch  den  Katheterismus  erworbenen  Cystitis  jahrelang  und  viel 
mehr  zu  leiden  haben,  als  es  die  Krankheit,  derentwegen  sie  operirt 
wurden,  mit  sich  gebracht  hätte. 

Wenn  ich  mir  erlaube,  zum  Schlüsse  kurz  zu  resumiren,  so 
erscheint  es  mir  nicht  möglich,  den  Untersuchungsergebnissen  von 
Schenk  und  Austerlitz,  die  auf  anderer  Basis  und  mit  anderer 
Methode  unter  Ausschaltung  eines  Theiles  des  Untersuchungsobjectes 
erzielt  wurden,  vorläufig  den  von  den  Autoren  angenommenen  Bezug 
zu  den  Resultaten  meiner  bacteriologischen  Prüfungen  zuzuerkennen. 
Doch  ist  zuzugeben,  dass  noch  weitere  Untersuchungen  nothwendig 
sind;  dieselben  werden  auch  an  unserer  Klinik  ausgeführt  werden. 


Erklärung  zu  Dr.  F.  Pick’s  Erwiderung  in 
voriger  Nummer. 

Von  Dr.  Victor  Eisenmenger. 

Der  sachliche  Theil  von  Pick’s  Erwiderung  gibt  mir  keinen 
Anlass,  meine  Meinung  zu  ändern.  Ich  werde  auf  den  Gegenstand,  wie 
bereits  angekündigt,  noch  einmal  zurückkommen.  Auf  die  persönlichen 
Anwürfe  Pick’s  gehe  ich  wegen  des  Tones,  in  dem  sie  gehalten  sind, 
nicht  ein. 


REFERATE. 

I.  Die  Erkrankungen  des  Nervensystems  nach  Unfällen, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Untersuchung  und 

Begutachtung. 

Von  Privatdocent  Dr.  Heinrich  Sachs  und  Dr.  C.  S.  Freund.  Nerven¬ 
ärzte  in  Breslau. 

Mit  20  Abbildungen  im  Text.  581  S. 

Berlin  1900,  Fische  r’s  medicinische  Buchhandlung. 

II.  Ueber  traumatische  Entstehung  innerer  Krank¬ 

heiten. 

Klinische  Studien  mit  Berücksichtigung  der  Un¬ 
fall-Begutachtung. 

Von  Prof.  Dr.  R.  Stern  in  Breslau. 

Zweites  (Schluss-)Heft:  Krankheiten  der  Bauchorgane,  des  Stoffwechsels 

und  des  Blutes. 

502  Seiten. 

Jena  1900,  Gustav  Fischer. 

III.  Atlas  und  Grundriss  der  Unfallheilkunde,  sowie  der 

Nachkrankheiten  der  Unfallverletzungen. 

Von  Dr.  Ed.  Golebiewski  in  Berlin. 

Mit  40  farbigen  Tafeln  nach  Originalaquarellen  des  Malers  J  o  h.  F  i  n  k 
und  141  schwarzen  Abbildungen. 

642  Seiten,  Preis  15  Mark. 

München  1900,  J.  F.  Le  h  in  a  n  n. 

IV.  Die  Entschädigung  der  Unterleibsbrüche  in  der 
staatlichen  Unfallversicherung. 

Gutachten,  dem  Vorstande  der  Arbeiter-Unfallversicherungsaustalt  für  Nieder¬ 
österreich  in  Wien  erstattet  von  Dr.  C.  Kaufmann,  Docent  fur  Chirurgie 

in  Zürich. 

47  Seiten. 

Wien  1900,  Franz  Deuticke, 


348 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


V.  Rentensätze  für  glatte  Schäden  in  privater  und 
obligatorischer  Unfallversicherung. 

Von  l)r.  Ford.  Rühr,  Hannover. 

94  Seiten,  Preis  M.  1'50. 

Karlsruhe  1899,  J.  J.  Reif f. 

VI.  Die  Beziehungen  zwischen  Unfall  und  Diabetes. 

Von  Prof.  H.  Senator,  Berlin. 

Monatsschrift  für  Unfallheilkunde.  1900,  Nr.  1. 

VII.  Zur  Begutachtung  der  erwerbsbeeinträchtigenden 

Folgen  der  Ischias. 

Von  Dr.  H.  Ehret.  Privatdocent  in  Strassbur^. 

Monatsschrift  für  Unfallheilkunde.  1900,  Nr.  2. 

1.  Die  durch  mehrfache  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  bereits 
wohlbekannten  Verfasser  haben  nun  ihre  reiche,  grösstentheils  in 
dem  Institute  für  Unfallverletzte  in  Breslau  gesammelten  Erfah¬ 
rungen  zu  einer  zusammenfassenden  Darstellung  der  Unfallnerven¬ 
krankheiten  verarbeitet,  die  eine  äusserst  willkommene  und  werth- 
volle  Ergänzung  der  Unfallsliteratur  bildet,  da  eine  derartige  Arbeit 
von  fachmännischer  Seite  bisher  fehlte.  Das  aussergewöhnlich  grosse 
Material  (5000  stationäre  Verletzte,  darunter  circa  1000,  die  an 
Nervenkrankheiten  litten  oder  solcher  verdächtig  waren,  nebst  vielen 
Tausend  von  begutachteten  Fällen)  setzte  die  Verfasser  in  den 
Stand,  überall  aus  Eigenem  zu  schöpfen,  so  dass  das  Buch  nicht 
nur  ein  durchaus  suhjeclives  Gepräge  trägt,  sondern  die  eigenen 
Erfahrungen  in  gewissem  Sinne  auch  massgebend  waren  für  Um¬ 
grenzung  und  Eintheilung  des  Stoffes,  sonst  hätte  vielleicht  noch 
manche  Nervenkrankheit,  die  zu  Unfällen  in  Beziehung  steht  (etwa 
im  Vergleiche  mit  dem  betreffenden  Abschnitte  in  Th  ienrs  Hand¬ 
huche),  Aufnahme  und  manche  Einzelheit  eine  nähere  Ausführung 
verdient.  Indessen  fehlt  nichts  Wessentliches,  und  was  die  Verfasser 
bieten,  steht  durchaus  auf  der  Höhe  ernster,  wissenschaftlicher 
Forschung.  Wer  also  etwa  in  dem  Buche  nach  kurzgefassten 
Regeln  für  eine  bequeme  Abschätzung  suchen  wollte,  wird  es  ent¬ 
täuscht  bei  Seite  legen;  wer  sich  aber  gründlich  und  in  ernstem 
Streben  über  den  fraglichen  Gegenstand  unterrichten  und  auf  die 
Höhe  unseres  heutigen  Standpunktes  bringen  will,  der  wird  die 
Arbeit  mit  ebensoviel  Vergnügen  als  Nutzen  studiren. 

Die  Vertheilung  der  Materie  ist  hauptsächlich  durch  zwei 
Momente  gekennzeichnet:  die  grosse  Ausdehnung  des  allgemeinen 
Theiles  (309  Seiten  von  564)  und  die  ausführliche,  zwei  Drittel 
des  Textes  einnehmende  Darstellung  der  Neurosen  im  speciellen 
Theile.  Die  weite  Fassung  der  allgemeinen  Erörterungen  ergab  sich 
aus  dem  Bestreben,  die  zwischen  Unfällen  und  Erkrankungen  des 
Nervensystems  bestehenden  Beziehungen  im  Zusammenhänge  mög¬ 
lichst  nach  allen  Richtungen  hin  zu  beleuchten  und  auch  dem 
neurologisch  nicht  vorgebildeten  Arzte  durch  umfassende  Darlegung 
der  normalen  Beschaffenheit  und  Function  des  Nervensystems,  der 
Symptomatologie  und  Untersuchungsmethoden  unter  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  der  Gutachterthätigkeit  »das  gesammte  Handwerks¬ 
zeug  für  die  neurologische  Auffassung  des  einzelnen  Falles  an  die 
Hand  zu  gehen.«  Die  Zweckmässigkeit  einer  eingehenden  Behand¬ 
lung  der  Neurosen  bedarf  kaum  einer  besonderen  Begründung; 
nicht  nur,  dass  sie  auch  heute  noch  eines  der  schwierigsten  Capitel 
auf  dem  ganzen  Wissensgebiete  der  Medicin  darstellen,  fehlt  es 
gerade  hier  in  weiten  Kreisen  noch  immer  an  einem  durchgreifen¬ 
den  Verständnisse,  woraus  für  Behandlung  und  Begutachtung  die 
nachtheiligsten  Folgen  entstehen.  Der  unglückselige  Name  »trauma¬ 
tische  Neurose«  mit  den  daran  geknüpften  nebelhaften  Vorstellungen 
beherrscht  noch  immer  nicht  nur  einen  beträchtlichen  Theil  der 
Praktiker,  sondern  hat  sich  auch  in  Richterkreisen  und  selbst  im 
Publicum  bereits  derart  festgesetzt,  dass  es  jahrelanger  Arbeit  bedürfen 
wird,  dem  richtigen  Verständnisse  zum  Durchbruche  zu  verhelfen. 

Wie  die  Verfasser  ihre  Aufgabe  des  Näheren  gelöst,  darüber 
soll  der  Leser  kurz  orientirt  werden. 

Auf  eine  allgemeine  Einleitung,  welche  die  Begriffe:  Unfall, 
Arbeits-  und  Erwerbsfähigkeit,  sowie  die  allgemeinen  Grundsätze 
der  Abschätzung  und  Begutachtung  feststellt,  folgen  die  Grundan¬ 
schauungen  der  Anatomie  und  Physiologie,  soweit  dieselben 
für  das  Verständniss  und  die  Diagnose  der  einzelnen  Erkrankung- 

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formen  unerlässlich  sind.  Die  Aufeinanderfolge  der  Muskelkerne  im 
Rückenmarke  wird  nach  Kocher  gebracht;  eine  Tabelle  gibt  die 
zu  den  einzelnen  peripheren  Nerven  gehörigen  Muskeln.  Vortrefflich 
ist  der  Abschnitt  über  die  Function  der  Muskeln  gefasst,  die  an 
den  einzelnen  Gelenken  unter  genauer  Berücksichtigung  der  Schwere 


wie  der  Thätigkeit  der  Antagonisten  in  anschaulichster  Weise  durch- 
gesproehen  werden.  Zur  Darstellung  der  sensiblen  Beziehungen  des 
Rückenmarkes  und  der  peripheren  Nerven  zur  Haut  dienen  die 
vielfach  verbesserten  Freun  d’schen  Schemata  zur  Eintragung  der 
Sensibilitätsstörungen.  Ausserordentlich  interessant  mit  vielfachen 
neuen  Gesichtspunkten  sind  die  vielfachen  Abschnitte  über  die 
Thätigkeit  des  Rückenmarkes  und  Grosshirnes 
beleuchtet.  Tn  dem  wichtigen  Capitel  über  Symptomatologie 
und  Untersuchungsmethoden  geben  Verfasser  aus  ihrer 
reichen  Erfahrung  die  werthvollsten  Fingerzeige,  die  umsomehr  Be¬ 
achtung  verdienen,  als  es  sich  hier  nicht  nur  um  den  richtigen 
Aufbau  der  Diagnose  handelt,  sondern  der  Kranke  durch  unzweck- 
mässige  Untersuchungsmethoden  ganz  erheblich  geschädigt  werden 
kann.  Den  Anomalien  der  Körperform,  der  Haltung 
und  des  Ganges  folgen  die  Störungen  der  Geistesthä- 
t i  g k  e i t,  der  Schmerz,  die  Parästhesien  und  wegen  ihrer 
besonderen  Bedeutung  für  Unvallverletzte  in  ausführlichster  Weise 
abgehandelt  die  Störungen  der  Empfindung s-  und  Be¬ 
wegungsfähigkeit.  Stern  hat  bekanntlich  periodische 
Schwankungen  der  Hirnrindenfunctionen  beschrieben,  die  sich  da¬ 
durch  kundgeben,  dass  an  derselben  Stelle  von  Secunde  zu  Se- 
cunde  Anästhesie  mit  normaler  Empfindungsfähigkeit  abwechselt; 
Verfasser  haben  ähnliche  Schwankungen,  aber  mit  grösseren  Perioden 
von  je  10 — 20  Secunden  Dauer  gefunden.  Die  normalen  Excur- 
sionsweiten  sind  an  allen  Gelenken  für  active  und  passive  Bewe¬ 
gungen  genau  angegeben.  Dynamometern  und  dergleichen  Hilfs¬ 
apparaten  wird  nur  ein  sehr  bedingter  Werth  beigelegt;  zuverlässiger 
seien  die  Uebungen  an  den  medico-mechanischen  Apparaten.  An 
die  Reflexerscheinungen  schliessen  der  Trigeminus, 
Geruch  und  Geschmack;  die  Störungen  des  Auges 
und  seiner  Hilfsorgane  sind,  entsprechend  ihrer  Wichtigkeit 
für  den  vorliegenden  Zweck,  in  eingehendster  und  klarster  'Weise 
auseinandergesetzt;  daran  reihen  sich  die  Störungen  des 
Gehörs  und  der  vegetativen  Functionen  (Circulation, 
Respiration,  Verdauung,  Urinentleerung,  Potenz,  secretorische  und 
trophisehe  Störungen). 

In  dem  grundlegenden  Capitel  »Pathogenese«  werden  das 
körperliche  und  psychische  Trauma  in  ihren  unmittelbaren  und  se- 
cundären  Wirkungen  auf  das  Nervensystem  in  ausführlichster  Weise 
erörtert.  Die  Neuritis  ascend,  wird  von  den  Verfassern  nicht  aner¬ 
kannt,  sie  haben  unter  ihrem  grossen  Materiale  niemals  eine  ge¬ 
sehen.  Das  Aufwärtskriechen  einer  parenchymatösen  oder  intersti¬ 
tiellen  (nicht  infectiösen)  Neuritis  sei  einer  pathogenetischen  Auf¬ 
fassung  überhaupt  nicht  zugänglich  und  in  allen  bisher  veröffent¬ 
lichten  Fällen  fehlte  der  Nachweis  der  sich  ausbreitenden  Neuritis. 
Ebenso  ablehnend  verhalten  sich  die  Verfasser  gegenüber  den  Ge¬ 
hirn-  und  Rückenmarkserkrankungen,  die  nach  peripheren  Ver¬ 
letzungen  auf  reflectorischem  Wege  oder  durch  das  Mittelglied  der 
Neurit,  asc.  entstehen  sollen.  Bei  Besprechung  des  psychischen 
Traumas  wird  der  Schreck  an  erster  Stelle  genannt,  nicht  mit  der 
gleichen  Unmittelbarkeit,  aber  mit  eher  noch  stärkerer  Gefährdung 
wirkt  die  Angst;  die  dritte  Form  der  psychischen  Schädlichkeiten 
ist  durch  die  langsam,  aber  dauernd  einwirkenden  deprimirenden 
Vorstellungen  gegeben,  und  die  schädigenden  Momente,  welche  dem 
modernen  Versicherungswesen  ihre  Entstehung  verdanken.  Unter  der 
erworbenen  Prädisposition  wird  der  chronische  Alkoholismus  in 
allen  seinen  Erscheinungsformen  eingehend  gewürdigt  und  auf  deren 
häufige  Aehnlichkeit  mit  Unfallfolgen  hingewiesen.  In  dem  Haupt¬ 
abschnitte  »Einfluss  von  Unfällen  auf  schon  beste¬ 
hende  Krankheiten  und  unmittelbare  Hervor- 
rufung  von  Krankheiten  durch  Unfälle«  bringen  die 
Verfasser  ihre  Anschauungen  über  den  causalen  Zusammenhang  der 
typischen  und  atypischen  Nervenkrankheiten  mit  Unfällen. 

In  der  Frage  der  traumatischen  Tabes  präcisiren  die 
Autoren  ihren  Standpunkt  dahin:  »Ein  gesunder  und  nicht  —  ins¬ 
besondere  durch  vorausgegangene  Syphilis  —  prädisponirter  Mensch 
erwirbt  in  Folge  eines  Unfalles,  mag  derselbe  leicht  oder  schwer 
sein,  mag  er  am  Rückenmarke  selbst  oder  an  den  peripheren 
Nerven  angreifen,  niemals  eine  Tabes.  .  .  .  Bei  vorhandener  Anlage 
zur  Tabes  können  Verletzungen  des  Rückenmarkes  den  Ausbruch 
der  Krankheit  herbeiführen,  bei  vorhandener  Erkrankung  den  Ver¬ 
lauf  beschleunigen.  Periphere  Verletzungen  können  selbst  bei  vor¬ 
handener  Krankheitsanlage  oder  schon  ausgebildeter  Tabes  den 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Verlauf  derselben  nicht  direct  beeinflussen,  wohl  aber  für  das  Her¬ 
vortreten  einzelner  Symptome  der  Erkrankung  von  wesentlicher 
Bedeutung  sein.«  Unter  vielen  tausend  Unfällen  haben  die  \  erfasst  i 
zwar  eine  grössere  Reihe  von  1  abesfällen  getroffen,  abei  niemals 
zur  Annahme  eines  ursächlichen  Zusammenhanges  zwischen  Unfall 
und  Entstehung  der  Tabes  Veranlassung  gefunden.  Aehnlich  wird 
die  traumatische  Paralyse  beurtheilt.  »Ein  Unfall  macht 
an  sich  niemals  eine  progressive  Paralyse. «  Bei  vorbereitetem  Boden 
kann  eine  schwere  Kopfverletzung  ihren  schnellen  Ausbruch  herbei¬ 
führen  oder  eine  schon  vorhandene  in  ihrer  Weiterentwicklung 
beschleunigen.  »Das  Gewöhnlichste  aber  ist,  dass,  wenn  nach  einer 
Verletzung  sich  eine  Geistesstörung  entwickelt,  dies  keine  1  aial^se  ist.« 

Der  Zusammenhang  zwischen  V erletzung  und  echter  Para¬ 
lysis  agitans  müsse  erst  noch  erwiesen  werden  (die  letzten 
Publicationen  v.  Krafft-Ebing’s  in  dieser  Zeitschrift  sind  noch 
nicht  berücksichtigt).  Bei  der  Sy  r  ingom  yelie  sei  diese  bestimmte 
Erkrankung  streng  zu  scheiden  von  einem  syringomyelitischen 
Symptomencomplexe,  als  Ausdruck  der  Vernichtung  der  grauen 
Substanz  des  Rückenmarkes.  Die  Anlage  zur  Syringomyelie  ist  an¬ 
geboren;  diese  Erkrankung  ist  nicht  Folge  von  Unfällen;  doch 
könnte  ihre  Entwicklung  und  Verschlimmerung  gelegentlich  durch 
das  Rückenmark  treffende  Unfälle  begünstigt  werden.  Ganz  ausge¬ 
schlossen  erscheint  den  Verfassern  die  Entstehung  dieser  Krankheit 
auf  Grund  einer  peripheren  Verletzung;  es  wäre  ganz  unbegreiflich, 
wie  eine  in  die  Höhe  kriechende  Entzündung  gerade  die  graue 
Substanz  um  den  Centralcanal  erreichen  und  hier  eine  ausgedehnte 
Höhlenbildung  bewirken  sollte.  Verfasser  haben  viele  Fälle  von 
Syringomyelie  bef  Verletzten  gefunden,  konnten  abei  in  dei  Mehi- 
zahl  der  Fälle  nachweisen,  dass  die  Erkrankung  schon  vor  dem 
Unfälle  bestanden  hatte  und  niemals  auch  nur  mit  einiger  Wahr¬ 
scheinlichkeit  den  Beweis  erbringen,  dass  der  Unfall  die  Syringo¬ 
myelie  veranlasst  habe.  Betrachtungen  über  Unfall  und  A  1 1  e  i 

schliessen  den  allgemeinen  Theil. 

Im  speciellen  Th  eile  werden  zunächst  die  V  e  r- 
letzungen  der  Extremitäten  in  neurologischer  und  vielfach 
auch  chirurgischer  Beziehung  besprochen  und  die  Läsionen  du 
einzelnen  Nerven  in  ihren  Folgen  genau  beschrieben.  Bei  Behand¬ 
lung  der  Radialislähmung  wird  ein  einfacher  Apparat  von  B  o- 
g  at  sch  empfohlen,  der  die  Hand  in  die  Verlängerung  des  Vorder¬ 
armes  stellt  und  den  Faustschluss  ganz  erheblich  kräftigt.  Mit 
grösster  Sorgfalt  und  ausserordentlich  lehrreich  sind  die  \  erletzungen 
der  Wirbelsä  ule,  des  Rückenmarkes  und  der  Nerven¬ 
wurzeln  nach  allen  Richtungen  hin  durchgearbeitet.  Bei  dei 
K  ü  m  m  e  1  l’schen  Fractur  (der  Name  des  Autors  ist,  wie  so  häufig, 
nicht  richtig  wiedergegeben)  kann  im  Stadium  der  Gibbusbildung 
durch  Verengerung  der  Zwischenwirbellöcher  leicht  ein  Diuck  aut 
die  Nervenwurzeln  enstehen  (das  Mark  selbst  ist  dabei  nicht  be¬ 
theiligt),  der  sich  durch  neuralgische  Schmerzen,  sowie  charakte¬ 
ristische  Bewegungsstörungen  und  Haltungsanomalien  verräth. 

Bezüglich  des  Vorkommens  einer  reinen  Commotio  spinal, 
schliessen  sich  die  Verfasser  dem  Ausspruche  Kochers  an,  dass 
sie  für  den  Menschen  erst  noch  zu  erweisen  sei;  wie  bekannt,  ist 
die  Rückenmarkserschütterung  namentlich  nach  Eisenbahnverletzungen 
noch  immer  eine  sehr  beliebte  Diagnose  (zweifellos  in  Nachwiikung 
der  früher  üblichen  englischen  Bezeichnung  für  derartige  Folge¬ 
zustände).  Die  Verletzungen  der  anderen  Regionen  sind  nur  kurz 
berührt  und  erst  die  das  Capitel  abschliessenden  \  erletzun¬ 
gen  des  Hirnschädels  und  seines  Inhaltes  wiedei 
ausführlich  behandelt.  Bei  Besprechung  der  späteren  Folgen  dei 
Kopfverletzungen  heben  die  Verfasser  eine  typische  Gruppe  von 
Fällen  heraus,  deren  Kenntniss  praktisch  von  Wichtigkeit  ist.  Ge¬ 
meinsam  ist  diesen  Erkrankungen  die  Entstehung  durch  directe  Ver¬ 
letzungen  des  Kopfes  (alle  Formen  der  Schädigung  des  Gehirnes 
und  seiner  Häute  können  das  ursächliche  Moment  bilden)  und  das 
oft  jahrelange,  selbst  dauernde  Bestehen  von  Reizerscheinungen, 
die  genau  geschildert  werden.  Von  den  Neurosen  sind  die  Fälle  zu 
trennen;  in  der  Behandlung  erfordern  sie  im  Gegensätze  zu  diesen 
Schonung;  frühzeitige  Wiederaufnahme  der  Arbeit  kann  schweren 
Schaden  bringen.  Von  weiteren  Folgen  der  Kopfverletzungen  wird 
das  häufige  Auftreten  von  Arteriosklerose  schon  in  jungen  Jahren 
hervorgehoben.  Die  Beurtheilung  der  Erwerbsfähigkeit  nach  Wiibel- 
Rückenmarks-  und  Kopfverletzungen  wird  in  eingehendster  Weise 
erörtert. 


Der  weiteste  Raum  im  speciellen  Theile  ist,  wie  bereits 
hervorgehoben,  der  Besprechung  der  Neurosen  gewidmet.  Was 
die  Verfasser  über  diese  im  Allgemeinen,  sowie  ihre  Beziehungen 
zu  den  Unfällen  Vorbringen,  gehört  mit  zu  dem  Interessantesten 
und  Lehrreichsten,  was  über  dieses  schwierige  Thema  noch  ge¬ 
schrieben  worden  ist.  Ferne  von  allen  speculativen  Betrachtungen 
suchen  sie  den  Erscheinungen  überall  auf  den  Grund  zu  gehen, 
und,  so  weit  es  der  Stand  unseres  heutigen  Wissens  überhaupt 
gestattet,  ein  wirkliches  Erfassen  der  oft  recht  complicirten  Ver¬ 
hältnisse  zu  ermöglichen.  Die  »traumatische  Neurose«  als  eigene 
Krankheitsform  wird  nicht  anerkannt  und  dringend  gerathen,  diese 
Bezeichnung,  die  schon  so  viel  Unheil  in  der  neurologischen 
Diagnostik  angestellt  hat,  endlich  ganz  fallen  zu  lassen.  Dagegen 
fordern  sie  sowohl  mit  Rücksicht  aul  die  Iherapie,  als  die  Ab¬ 
schätzung  eine  möglichst  genaue  Differentialdiagnose  der  einzelnen 
Neurosen,  um  so  die  Zahl  jener  undefinirbaren  Krankheits formen, 
für  deren  Unterbringung  der  Name  »traumatische  Neurose«  ein  so 
unendlich  bequemes  Auskunftsmittel  ist,  nach  Möglichkeit  einzu¬ 
engen.  Falls  man  diagnostisch  nicht  zum  Ziele  komme,  möge  man 
nicht  anstehen,  zu  sagen:  »Hier  handelt  es  sich  um  eine  lunctio- 
nelle  Allgemeinerkrankung  des  Nervensystems  mir  unklarer  Natur« , 
damit  werde  man  keinen  Schaden  anrichten  und  sich  selbst  nicht 
in  eine  trügerische  neurologische  Sicherheit  einwiegen. 

Die  verschiedenen  Formen  der  Neurosen  werden  hierauf  an 
einer  Reihe  von  typischen  Fällen  erörtert,  beginnend  mit  der 
Hysterie.  Die  Verfasser  sondern  die  Fälle  in  zwei  grosse  Gruppen, 
deren  erste  alle  diejenigen  Formen  umfasst,  bei  denen  irgendwelche 
körperliche  Erscheinungen  der  Hysterie  nach  einem  Unfälle  aulge¬ 
treten  sind,  während  das  psychische  Leben  nicht  wesentlich  alteiiit 
erscheint.  Innerhalb  dieser  Gruppen  werden  die  Fälle  nach  den 
wesentlichsten  klinischen  Momenten  geordnet  und  für  jede  diesei 
Abtheilungen  mehrere  Beispiele  gebracht.  Die  Verfasser  unterscheiden 
so  Fälle  mit  1.  vorwiegenden  Sensibilitätsstörungen,  2.  ausgespro¬ 
chene  Lähmungen,  3.  vorwiegenden  Contracturen,  4.  tonischen  und 
klonischen  Krämpfen,  5.  Zittern  und  Schütteln,  6.  Herz-  und  Ath- 
mungsneurosen,  und  7.  hysterischen  Krampfanfällen. 

Die  zweite  Gruppe  bilden  die  Schreckneur  osen,  bei 
denen  das  ganze  psychische  Leben  geändert  erscheint  und  bei 
denen  es  mitunter  zweifelhaft  sein  kann,  ob  sie  nicht  schon  den 
Uebergang  zu  den  Psychosen  bilden.  Die  Combination  mit  Hysteiie 
kann  sehr  verwickelte  Krankheitsbilder  geben.  Es  iolgen  die  Neur¬ 
asthenie  und  im  Anfänge  Beispiele  von  Ilirnreizung  nach  Kopt- 
traumen  (wie  oben  angedeutet);  die  Hypochondiie,  Bemei- 
kungen  zur  Differentialdiagnostik  der  Neurosen,  ihre 
Prognose,  Therapie  und  Höhe  der  Abschätzung  mit 
einer  Unsumme  praktisch  eminent  wichtiger  Auseinandersetzungen. 
Recht  eindringlich  wird  hervorgehoben  und  begründet,  wie  die  ein¬ 
zelnen  Formen  eine  ganz  verschiedene  Abschätzung  erfoidern  und 
dass  die  Höhe  derselben  recht  eigentlich  mit  zur  Therapie  gehöre. 
Die  Krankengeschichten  selbst  (inclusive  Psychosen  69  an  Zahl), 
deren  besondere  Bedeutung  für  die  hier  in  Betracht  kommenden 
Krankheitsformen  nicht  erst  hervorgehoben  zu  werden  braucht, 
sind  meisterhaft  abgefasst,  es  ist  ein  wahres  Vergnügen,  sie  zu 
lesen.  Ohne  Weitschweifigkeit  ergeben  sie  jederzeit  ein  erschöpfen¬ 
des  Bild  des  Einzelfalles  und  zeugen  zugleich  von  der  hochenl- 
wickelten  Behandlungskunst  der  Verfasser,  die  ja  gerade  hier  von 
ausschlaggebender  Wichtigkeit.  Ueberall  wissen  sie  die  lichtige 
Grenze  zwischen  wissenschaftlicher  Ueberzeugung  und  wahrei 
Humanität  zu  wahren  und  der  Leser  gewinnt  die  Ueberzeugung, 
dass  das  Wohl  der  Kranken  nicht  leicht  sorgfältigeren  Anwälten 
anvertraut  werden  könnte.  Besonderen  Werth  erhalten  die  Kranken¬ 
geschichten  noch  dadurch,  dass  zahlreiche  Fälle  jahrelang  (bis  zu 
zehn)  beobachtet  oder  nach  solchen  Fristen  nach  untersucht  winden, 
so  dass  auch  die  prognostischen  Angaben  der  Verfasser  auf  v  üb¬ 
licher  Erfahrung  beruhen  und  sie  in  die  Lage  kamen,  glei*  b  ( u 
praktische  Probe  auf  die  Richtigkeit  ihrer  Behandlungs-  und  Ab¬ 
schätzungsmethode  zu  machen. 

Das  letzte  Capitel  ist  den  Geistesstörungen  nach 
Unfällen  gewidmet.  Die  Verfasser  führen  aus,  dass  die  traumati¬ 
sche  Aetiologie  für  echte  Geistesstörungen  nur  eine  sehr  geringe 
Bedeutung  besitze  und  dass  sich  in  Folge  dessen  in  der  Psychiatrie 

unter  Einwirkung  der  Unfallversicherungsgesetze  nicht  jener  gewal  tige 

Fortschritt  vollzogen  habe,  wie  ihn  die  übrigen  I)is<  ip  nu  n 


350 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


weisen.  Abgesehen  von  ihrer  reichen  eigenen  (Kasuistik  haben  sie 
in  allen  zugänglichen  Acten  nach  solchen  Erkrankungen  gefahndet 
und  hatten  so  ein  Material  von  circa  20.000  Unfällen  zur  Ver¬ 
fügung.  Aber  während  bei  den  Neurosen  die  Auswahl  der  Fälle 
wegen  ihrer  Ueberfülle  Schwierigkeiten  machte,  stellte  sich  hei  den 
Psychosen  die  entgegengesetzte  Verlegenheit  heraus;  auch  in  den 
Irrenanstalten  kämen  Fälle  von  »traumatischem  Irresein«  selten  zur 
Aufnahme.  Was  über  einschlägige  Fragen  zu  sagen  ist,  haben  die 
Verfasser  in  musterhafter  Weise  zusamengestellt  und  mit  den  hier 
ebenfalls  unentbehrlichen  Krankengeschichten  belegt,  so  dass  der 
Praktiker  alle  jene  Anhaltspunkte,  die  ihm  die  Wissenschaft  über¬ 
haupt  gehen  kann,  in  übersichtlichster  und  anregendster  Weise  zur 
Benützung  bereit  findet. 

Diese  kurzen  Andeutungen  müssen  dem  Hinweise  genügen, 
welcher  Schatz  von  Wissen  und  Erfahrung  in  dem  Buche  zu¬ 
sammengetragen  ist;  mögen  ihn  recht  Viele  heben  und  sich  des 
Genusses  freuen. 

* 

II.  Stern,  der  inzwischen,  zweifellos  mit  für  seine  Verdienste 
um  die  Unfallheilkunde  (gleich  Thiem)  zum  Professor  ernannt 
worden  ist,  hat  dem  im  Jahre  1896  erschienenen  ersten  Hefte 
seiner  klinischen  Studien,  welches  die  Krankheiten  des  Herzens 
und  der  Lunge  zum  Gegenstand  hatte,  und  in  dieser  Zeitschrift, 
1896,  pag.  1040—1044,  ausführlich  referirt  wurde,  nun  das  Schluss¬ 
heft  folgen  lassen,  wrelches  die  traumatische  Entstehung 
der  Krankheiten  der  Bauchorgane  (mit  Ausschluss  der 
Beckenorgane),  des  Stoffwechsels  und  Blutes  behandelt, 
unter  Verzicht  auf  die  Bearbeitung  der  Nervenkrankheiten,  deren 
traumatische  Aetiologie  bereits  eingehende  Würdigung  gefunden  hat. 

Der  überragenden  Sachkenntniss  und  dem  scharfen  kritischen 
Verstände  des  Verfassers  ist  es  abermals  glänzend  gelungen,  alle 
auch  in  diesem  Bereiche  bestehenden  Beziehungen  zwischen  Un¬ 
fällen  und  Krankheiten  bis  in  die  verborgensten  Einzelheiten  klar¬ 
zulegen  und  uns  unter  strenger  Festhaltung  des  ausschliesslich 
massgebenden  wissenschaftlichen  Standpunktes  in  allen  einschlägigen 
Fragen  an  die  Grenze  der  für  unser  heutiges  Wissen  erreichbaren 
Erkenntniss  zu  führen,  über  die  hinaus  es  vor  der  Hand  nur  ein 
non  liquet  gibt.  Es  wäre  recht  sehr  zu  wünschen,  dass  die  Arbeits¬ 
methode  des  Verfassers  allgemein  gewürdigt  und  zum  Muster  ge¬ 
nommen  würde;  die  Grenzen  der  Unfallheilkunde  würden  dann  zwar 
enger  gezogen,  der  Besitzstand  aber  ein  umso  besser  fundirter 
werden.  In  unserer  Gutachterthätigkeit  sollen  wir  eben  nur  wissen¬ 
schaftliche  Principien  vertreten,  nicht  aber  Socialpolitik  treiben; 
dass  uns  Verfasser  dies  für  eine  grosse  Reihe  wichtiger  Erkran¬ 
kungen  wieder  in  so  ausserordentlicher  Weise  erleichtert  hat,  dafür 
sind  wir  ihm  zu  wärmstem  Danke  verpflichtet.  Bei  dem  lebhaften 
Interesse,  das  diesem  Gegenstände  wohl  von  allen  Seiten  entgegen¬ 
gebracht  wird,  mag  es  gestattet  sein,  die  Ausführungen  des  Ver¬ 
fassers  etwas  genauer  wiederzugeben. 

Der  dritte  Abschnitt  (der  erste  des  zweiten  Heftes)  umfasst 
die  Krankheiten  des  Magen-Darmcanales  und  des 
Peritoneums.  Nach  allgemeinen  Bemerkungen  über  Magenver¬ 
letzungen  und  Bluterbrechen  werden  zunächst  die  Erkrankungen 
der  Magenschleimhaut  (sogenanntes  traumatisches  Magen¬ 
geschwür)  besprochen,  und  zwar  in  zwei  Gruppen,  als  rasch 
zur  Heilung  gelangende  und  chronisch  verlaufende  Fälle.  Nach 
einem  die  Magengegend  treffenden  Trauma  bleibt  ein  Schmerz  in 
der  getroffenen  Gegend  zurück  und  es  stellt  sich  sofort,  nach 
Stunden  oder  Tagen,  Blutbrechen  ein.  Meist  handelt  es  sich  dabei 
um  einfache  Schleimhautrisse  oder  umschriebene  Nekrosen  der 
Mucosa,  kaum  um  wirkliche  Geschwüre.  Heilungsdauer  von  wenigen 
Tagen  bis  zu  etwa  drei  Monaten.  Die  Fälle  der  zweiten  Gruppe 
nehmen  bei  ähnlichem  Beginne  einen  chronischen,  über  Jahre  sich 
erstreckenden  Verlauf.  Zwei  eigene  Beobachtungen.  Der  Verlauf 
entspricht  beiläufig  der  Annahme  eines  Ulcus  rotund.;  ob  ein 
solches  immer  vorliegt,  darüber  fehlen  noch  anatomische  Befunde; 
es  kann  sich  auch  um  atypische  Ulcerationen,  beziehungsweise 
hämorrhagische  Erosionen  mit  gastritischen  Veränderungen  handeln. 
Welche  Umstände  im  Einzelfalle  die  Heilung  der  frischen  Magen¬ 
wunde  verhindern,  wissen  wir  nicht  sicher;  Anämie  und  Hyperacidität 
scheinen  nicht  in  Betracht  zu  kommen,  vielleicht  secundäre  In¬ 
fection.  Eine  sichere  Entscheidung,  ob  ein  Ulcus  in  Folge  eines 
Trauma  entstanden,  oder  nur  manifest  geworden  ist,  lässt  sich 


nicht  immer  treffen.  Für  Duodenal-  und  Magengeschwüre  nach  Ver¬ 
brennungen  (vielleicht  auch  nach  Infectionskrankheiten)  ist  der  em- 
bolische  oder  thrombotische  Ursprung  wahrscheinlich.  Bekanntlich 
machte  v.  Eiseisberg  am  letzten  Chirurgencongresse  Mitthei¬ 
lungen  über  Magen-  und  Duodenalblutungen  nach  Operationen,  die 
er  auf  Thrombose  und  Embolie  in  Folge  Quetschung  und  Abbin¬ 
dung  des  Netzes  des  Mesenteriums  u.  s.  w.  zurückführt.  In  fünf 
von  sieben  Fällen  (fünf  Herniolaparotomieen  und  zwei  sacrale  Ope¬ 
rationen)  erfolgte  die  Hämatemesis  am  ersten  bis  siebenten  Tage; 
in  den  zwei  anderen  Fällen  blieb  wohl  das  Blutbrechen  aus,  aber 
die  Section  stellte  einmal  frische  Hämorrhagien  der  Magenschleim¬ 
haut,  das  andere  Mal  zahlreiche  Geschwüre  im  Magen  fest;  auch 
in  zwei  der  erstgenannten  Fälle  fanden  sich  bei  der  Obduction 
frische  Duodenalgeschwüre.  Ebenso  hat  v.  Eiseisberg  nach  zwei 
Pylorusresectionen  das  Auftreten  von  Ulcerationen  in  der  Nähe  der 
fest  verheilten  Narbe  beobachtet,  die  jedes  Mal  durch  Perforation 
zum  Tode  führten;  ferner  ein  Duodenalgeschwür  nach  einer  Hals¬ 
operation.  Die  Nutzanwendung  dieser  Erfahrungen  auf  die  Folgen 
von  äusseren  Verletzungen  ergibt  sich  von  selbst.  Pylorus¬ 
stenose  kann  nach  einem  Trauma  auf  zweifache  Weise  entste¬ 
llen,  durch  Narbenbildung  innerhalb  der  Magenwand  und  durch 
Perigastritis,  deren  Producte  Compression  oder  Abknickung  des 
Pylorus  bewirken.  Mittheilung  von  fünf  operativ  geheilten  Fällen; 
in  dem  zweiten  Falle  Krön  lei  n’s  fand  sich  dicht  vor  der  Stenose 
ein  2 — 4  cm  breiter,  gürtelförmiger  Defect  der  Schleimhaut,  den 
K  r  ö  n  1  e  i  n  durch  traumatische  Ablösung  und  secundäre  Nekrose 
erklärt,  während  Stern  eine  Verletzung  der  den  Pylorus  und 
seine  Umgebung  versorgenden  Gefässe,  die  zu  Circulationsstörungen 
und  Nekrose  der  gegen  Schädigung  der  Blutzufuhr  besonders  em¬ 
pfindlichen  Schleimhaut  führte,  für  wahrscheinlicher  hält.  An  an¬ 
deren  Stellen  des  Magens  als  am  Pylorus  ist  die  traumatische 
Narbenstenose  in  einwandfreien  Beispielen  bisher  nicht  bekannt. 
Naturgemäss  können  auch  traumatisch  entstandene  Veränderungen 
der  Nachbarorgane  (Leber,  Gallenblase,  Pankreas)  Compression  des 
Pylorus  veranlassen.  Ausser  durch  mechanische  Hindernisse  kann 
eine  traumatische  Magenerweiterung  auch  acut  durch  plötzliche 
Lähmung  der  Musculatur  entstehen;  eine  solche  ist  auch  nach 
Traumen  beobachtet  worden,  die  nicht  die  Magengegend  direct  trafen. 

Es  folgen  die  Krankheiten  des  Darmes;  zunächst 
jene  der  Schleimhaut  (Enteritis  und  Darmgeschwür),  dann 
das  umfangreiche  Capitel  Darm  Verengerung  und  Ver¬ 
schluss:  durch  narbige  Veränderung  der  Darmwand,  Divertikel¬ 
bildung;  Invagination;  Einklemmung  in  traumatisch  entstandene 
pathologische  Oeffnungen  in  Netz,  Mesenterium,  Bauchwand  und 
Zwerchfell;  in  Folge  von  Peritonitis  (Fall  von  Ruggi,  achtjähriger 
Knabe,  Quetschung  des  Bauches,  nach  14  Tagen  die  ersten  Zeichen 
von  Darmstenose;  nach  vier  Monaten  erste  Laparotomie,  Durch¬ 
schneidung  eines  Netzstranges;  nach  12  Tagen  zweite  Laparotomie, 
Enteroanastomose;  nach  weiteren  13  Tagen  dritte  Laparotomie  mit 
Resection  der  miteinander  und  mit  der  Bauchwand  verwachsenen 
Dünndarmschlingen  in  der  Länge  von  3'30  m\  Heilung);  Compression 
von  aussen;  Achsendrehung  und  Knotenbildung;  Darmlähmung 
(Ileus  paralyticus).  Ein  Krankheitsbild  des  traumatischen  Ileus  zu 
entwerfen,  ist  nicht  möglich,  ebensowenig  eine  zeitliche  Grenze  auf¬ 
zustellen,  innerhalb  deren  nach  einem  Unfälle  Ileussymptome  auf¬ 
getreten  sein  müssen,  um  einen  ursächlichen  Zusammenhang  anzu¬ 
nehmen.  Nur  die  Aufklärung  der  Ursachen  des  Ileus  ermöglicht  im 
Einzelfalle  die  Entscheidung  über  die  Bedeutung  eines  vorausgegan¬ 
genen  Traumas;  oft  nur  der  autoptische  Befund  (Operation  oder 
Section).  Nach  den  nervösen  Magen-  und  Darmerkran¬ 
kungen  (hysterische  Magenblutung,  gastrische  Krisen,  Rumination 
nach  Unfällen)  wird  die  Peritonitis  in  eingehendster  Weise  mit 
reicher  Casuistik  abgehandelt.  Der  normale  Wurmfortsatz  wird 
nicht  leicht  von  einem  Trauma  getroffen  werden,  wohl  aber  kann 
durch  ein  solches  die  chronische  und  latente  Entzündung  desselben 
in  eine  acute  Epityphitis  umgewandelt  werden.  (Die  deutschen 
Chirurgen  gebrauchen,  dem  Vorschläge  K  lister’s  folgend  [Cen¬ 
tralblatt  für  Chirurgie.  1898,  50]  fast  durchwegs  diese  Bezeichnung, 
während  Verfasser  das  »Wortungeheuer«  Appendicitis  beibehalten 
hat;  Appendix  ist  ausserdem  Fern.).  Die  sogenannte  traumati¬ 
sche  Perityphlitis  kann  durch  Verletzung  des  Cöcum  und 
Dünndarms  hervorgerufen  werden;  ohne  Operation  ist  eine  strenge 
Scheidung  der  genannten  Erkrankungen  meist  nicht  möglich.  Bei 


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Quetschungen  mit  Secundärperforation  können  Tage  und  Wochen 
vergehen,  ehe  die  peritonitischen  Erscheinungen  auftreten.  Auch  der 
traumatische  Ursprung  von  subphrenischen  und  peri- 
gastritischen  Abscesen  ist  bereits  beobachtet.  Unter  den 
chronischen  Formen  der  Peritonitis  kann  die  Tuberculose  ebenfalls 
durch  ein  Trauma  entstehen.  Besondere  Bedeutung  haben  die  nach 
traumatischen  Entzündungen  auftretenden  peritonealen  Ad¬ 
häsionen,  die  Verfasser  in  drei  Gruppen  bespricht,  je  nachdem 
Schmerzen,  Magenbeschwerden  oder  Störungen  der  Darmfunctionen 
vorwiegen.  Bemerkenswerth  ist  ihr  enger  Zusammenhang  mit 
neurasthenischen  und  hysterischen  Symptomen;  es  ist  nicht  immer 
leicht,  zu  entscheiden,  was  das  Primäre  ist.  Schliesslich  wird  noch 
der  Einfluss  körperlicher  Anstrengungen  auf  die 
Entstehung  und  Verschlimmerung  von  Krankheiten  des  Magen- 
Darmcanales  erörtert.  Eine  plötzliche  intensive  Anstrengung  führt 
nicht  nur  zu  einer  erheblichen  Drucksteigerung  in  der  Brusthöhle, 
sondern  auch  zu  einer  ebensolchen  in  der  Bauchhöhle,  die  ähn¬ 
liche  Effecte  haben  kann,  wie  eine  plötzlich  von  aussen  ein  wir¬ 
kende,  zur  Verkleinerung  des  Bauchraumes  führende  Gewalt:  Zer¬ 
rung  und  Verschiebung  der  Unterleibsorgane,  Sprengung  von  Ad¬ 
häsionen  u.  dgl. ;  Magenblutungen,  Perforationen  bereits  bestehender 
Magengeschwüre  und'  selbst  Rupturen  des  gesunden  Darmes  wurden 
aus  diesem  Anlasse  wiederholt  beobachtet. 

Der  vierte  Abschnitt  bringt  die  Krankheiten  der 
parenchymatösen  Unterleibsorgane;  vorerst  jene  der 
Leber  und  der  G  a  1 1  e  n  w  e  g  e,  als :  Active  Hyperämie. 
Nach  Quetschung  und  heftiger  Erschütterung  der  Leber  treten  An¬ 
schwellung  und  Druckempfindlichkeit  auf,  die  als  fluxionäre  Hyper¬ 
ämie,  eventuell  mit  Blutungen  in  das  Innere  des  Organes  gedeutet 
werden  und  nach  einigen  Tagen  oder  Wochen  wieder  zurückgehen. 
Tritt  durch  Verletzung  der  Leber-  und  Gallenwege  gleichzeitig 
Ikterus  auf,  so  kann  das  Bild  dem  katarrhalischen  Ikterus  sehr 
ähnlich  werden.  Infectiöse  Hepatitis,  Leberabscess. 
Wird  eine  Leberverletzung  inficirt,  so  kommt  es  meist  zur  Eiterung. 
Bezüglich  der  Zeit  zwischen  Trauma  und  Beginn  der  Krankheits¬ 
erscheinungen  lässt  sich  eine  bestimmte  Grenze  nicht  aufstellen. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  entwickeln  sich  die  Symptome  in  den 
ersten  Tagen,  es  kann  aber  auch  zunächst  eine  Latenzzeit  von 
verschieden  langer  Dauer  (Wochen,  Monate,  vielleicht  sogar  Jahre) 
eintreten,  weil  die  Infection  nicht  sofort  zu  erfolgen  braucht  oder 
bei  geringer  Virulenz  der  Erreger  geringe  oder  gar  keine  Symptome 
macht.  Verlauf  und  Ausgang  wie  bei  nicht  traumatischen  Abscessen. 
Chronische  Hepatitis  (Lebercirrhose).  Es  werden  zwei 
Fälle  mitgetheilt,  wo  nach  Trauma  eine  diffuse,  nach  Art  der 
Cirrhose  verlaufende  Bindegewebswucherung  mit  secundärer  Atrophie 
des  Parenchyms  zu  Stande  kam;  beide  Male  fand  sich  reichliche 
Ablagerung  von  Blutpigment  in  der  Leber.  Die  Fälle  von  t  r  a  u- 
matischer  Wanderleber  sind  noch  zweifelhaft;  bei  be¬ 
stehender  Enteroptose  kann  das  Trauma  durch  Zerrung  der  Liga¬ 
mente  zu  Schmerzen  führen  und  auf  diese  Weise  zum  ersten  Male 
Symptome  machen.  Die  wichtigste  Folgekrankheit  der  Verletzung 
der  Gallenblase  und  der  grossen  Gallengänge  ist  die  Peritonitis. 
Eine  in  .Folge  von  Cholelithiasis  entstandene  und  bis  dahin  latente 
Cholecystitis  kann  durch  ein  Trauma  manifest  werden.  Aber  auch 
ohne  vorherige  Cholelithiasis  kann  ein  Trauma  zu  Cholecystitis 
führen,  indem  es  durch  eine  Schleimhautverletzung  der  Gallenblase 
den  schon  vorher  eingedrungenen  Infectionserregern  eine  Invasions¬ 
stelle  schafft;  Verfasser  theilt  einen  selbst  beobachteten  derartigen 
Fall  mit.  Es  folgen  die  traumatischen  Milzerkrankungen 
als:  Acute  und  chronische  Splenitis,  Milzabscess,  Milznekrose,  eiterige 
Perisplenitis  und  Wandermilz;  ob  eine  Milzcontusion  das  Aufflackern 
einer  alten  Malariainfection  bedingen  könne,  ist  noch  fraglich.  Von 
den  Krankheiten  des  Pankreas:  Die  acute  Entzündung, 
Blutung  und  Nekrose,  chronische  Pankreatitis,  bewegliches  Pankreas 
und  ein  kurzer  Hinweis  auf  Cysten  und  Pseudocysten;  zu  den 
letzteren  kann  man  auch  die  Flüssigkeitsansammlungen  in  der 
Bursa  omental,  rechnen,  die  sich  zuweilen  schon  in  den  ersten 
Tagen  nach  der  Verletzung  entwickeln. 

Eines  der  wichtigsten  Capitel  stellen  die  vom  Verfasser  zum 
ersten  Male  zusammenfassend  bearbeiteten  Nierenkrankheiten 
dar.  Nach  allgemeinen  Bemerkungen  über  Nierenverletzungen  werden 
die  Veränderungen  des  Harnes  in  Folge  von  Traumen  besprochen. 
Sie  können  Folge  der  Nierenverletzung  sein:  Hämaturie,  Ausscheidung 


von  Eiweiss  und  geformten  Elementen  und  quantitative  Aenderungen 
der  Harnsecretion;  in  Verletzungen  des  Centralnervensystems  be¬ 
gründet  sein  und  nach  Knochenbrüchen  und  ausgedehnten  Blutun¬ 
gen  auftreten  (Fett,  braungefärbte  Cylinder  u.  s.  w.).  Ganz  hervor¬ 
ragendes  Interesse  bietet  die  ausgezeichnete  Bearbeitung  der  trau¬ 
matischen  Nephritis,  die  Verfasser  in  drei  Formen  bespricht: 
1.  Rasch  zur  Heilung  oder  zum  Tode  gelangende  Fälle  mit  dem 
Harnbefunde  einer  acuten  Nephritis.  2.  Fälle  von  länger  dauernder  Ei- 
weiss-(und  Cylinder-)Ausscheidung  ohne  sonstige  nephritische 
Erscheinungen.  3.  Fälle  von  diffuser  Nephritis  nach  Trauma.  Auf 
schon  bestehende  Nephritis  können  Contusionen  der  Niere  einen 
ungünstigen  Einfluss  ausüben  (Auftreten  von  Oedemen  bald  nach 
dem  Trauma).  Die  infectiösen  Processe  in  den  Nieren  und  in  ihrer 
Umgebung  werden  gemeinsam  behandelt,  weil  die  Bedeutung  des 
Traumas  für  ihr  Zustandekommen  die  gleiche  ist  und  sie  nicht 
selten  nebeneinander  Vorkommen:  Niere  na  bscess  und  eite¬ 
rige  Nephritis;  Pyelonephritis  und  Pyonephrose; 
Para-  und  Perinephritis.  Bezüglich  des  zeitlichen  Ablaufes 
bestehen  die  grössten  Unterschiede;  während  in  einem  Falle  von 
subcutaner  Nierenverletzung  bereits  am  17.  Tage  ein  grosser  Theil 
des  Organes  in  einen  Abscess  verwandelt  war,  kann  es  andererseits 
nicht  nur  Wochen  und  Monate,  sondern  selbst  Jahre  dauern,  ehe 
die  Infection  erfolgt  oder  bis  sie  Symptome  macht.  Einwandfreie 
Fälle,  in  denen  ein  Trauma  zu  Nierentubercuculose  ge¬ 
führt  hätte,  sind  bisher  nicht  bekannt;  wohl  aber  kann  bei  schon 
bestehender,  bis  dahin  latenter  Tuberculose  ein  das  kranke  Organ 
treffendes  Trauma  zu  Blutung  führen  und  so  zum  ersten  Male  die 
Aufmerksamkeit  auf  das  Leiden  lenken.  Die  Entstehung  einer 
Häm  a  to-  oder  richtiger  Hämatohydronephrose  in  Folge 
von  Trauma  ist  ohne  Weiteres  verständlich;  viel  mannigfacher  ist 
schon  die  Pathogenese  der  traumatischen  Hydro  nephrose, 
die  erschöpfend  dargestellt  wird;  bei  der  Verschiedenheit  der  Ur¬ 
sache  ist  auch  die  Zeit  zwischen  Trauma  und  Entwicklung  der 
Hydronephrose  grossen  Schwankungen  unterworfen.  Die  sogenannte 
traumatische  Pseudohydronephrose  (Ansammlung  von 
Urin  und  eventuell  auch  Blut  im  perirenalen  Gewebe)  ist  durch 
die  physikalische  Untersuchung  und  auch  durch  die  Punction  nicht 
immer  sicher  von  der  wahren  Hydronephrose  zu  unterscheiden; 
einwandfreien  Aufschluss  gibt  meist  nur  die  Operation.  Naturgemäss 
kann  das  Trauma  auch  das  Bersten  eines  hydro-  oder  pyonephro- 
tischen  Sackes  bewirken;  sollte  das  Leiden  bis  dahin  keine  Symp¬ 
tome  gemacht  haben,  so  kann  die  Diagnose  beträchtliche  Schwierig¬ 
keiten  veranlassen.  Sehr  unsicher  ist  der  ursächliche  Zusammen¬ 
hang  zwischen  Trauma  und  Nephrolithiasis,  da  auch  deren 
sonstige  Aetiologie  nicht  klar  und  ihre  unbemerkte  Präexistenz  nie¬ 
mals  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  werden  kann.  Traumatische 
Einwirkungen  scheinen  die  Entstehung  dieses  Leidens  in  zweifacher 
Weise  zu  begünstigen,  durch  Verletzungen  der  Niere  und  des 
Nierenbeckens  und  solche  der  Wirbelsäule,  beziehungsweise  des 
Rückenmarkes.  Da  die  traumatischen  Nierenblutungen  in  der  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  sicher  nicht  zur  Steinbildung  führen,  müsste  noch 
eine  sogenannte  Disposition  dazukommen,  die  man  sich  in  Analogie 
mit  der  Cholelithiasis  etwa  als  einen  durch  Mikroorganismen  hervor¬ 
gerufenen  »steinbildenden  Katarrh«  denken  könnte.  Selbst  die 
seltenen  Fälle,  in  denen  ein  Blutgerinnsel  als  Centrum  eines  nach 
einem  Trauma  entstandenen  Concrementes  gefunden  wird,  sind  als 
wissenschaftliches  Beweismaterial  nur  mit  grösster  Vorsicht  zu  ver- 
werthen,  da  auch  hier  eine  präexistente  Nephrolithiasis  meist  nicht 
mit  Sicherheit  auszuschliessen  ist.  Für  die  Unfallbegutachtung  ist 
es  namentlich  wichtig,  ob  man  annehmen  darf,  dass  das  Stein¬ 
leiden  erst  nach  dem  Unfälle  entstanden  oder  durch  diesen  wesent¬ 
lich  verschlimmert  worden  ist  und  ob  das  Trauma  geeignet  war. 
eine  Nierenverletzung  zu  verursachen.  Bezüglich  der  Rückenmark¬ 
verletzungen  ist  nur  sicher,  dass  sie  in  Folge  von  Blasenlähmung 
zur  Harninfection  führen,  welch  letztere  die  Entstehung  von  Phosphat¬ 
steinen  begünstigt;  ob  Verletzungen  der  Wirbelsäule  oder  des 
Rückenmarkes  ausserdem  noch  einen  begünstigenden  Einfluss  aul 
die  Entstehung  der  Nephrolithiasis  ausiiben,  muss  vorläufig  dahin¬ 
gestellt  bleiben.  Von  grosser  praktischer  Wichtigkeit  sind  die  Aus¬ 
führungen  über  traumatische  Nierendislocation.  In 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  kann  man  nur  sagen,  dass 
die  Wanderniere  durch  das  Trauma  manifest  geworden  ist;  es  ist 
nicht  wahrscheinlich,  dass  ein  einmaliges  Trauma  ohne  sonstige 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


Nebenverletzungen  zu  erheblicher  Dislocation  der  normal  befestigten 
Niere  führt.  Bei  Beurtheilung  der  Erwerbsfähigkeit  ist  zu  beachten, 
dass  nicht  das  Vorhandensein  einer  Wanderniere  an  und  für  sich 
einen  Rentenanspruch  bedingt,  sondern  erst  die  dadurch  etwa 
hervorgerufene  Einhusse  an  Arbeitsfähigkeit.  Bei  Untersuchung  und 
Begutachtung  ist  ferner  nicht  zu  vergessen,  dass  die  wandernde 
Niere  hei  Laien  als  ein  schweres  Leiden  gilt,  daher  Mittheilung 
und  Bescheinigung  der  Diagnose  die  Erwerbsfähigkeit  geradezu 
vernichten  kann.  Um  einer  missbräuchlichen  Ausnützung  des  Ge¬ 
setzes  vorzubeugen,  nehmen  gegenwärtig  die  meisten  Gutachter  und 
auch  das  Reichsversicherungsamt  an,  die  »Entstehung«  einer 
Wanderniere  sei  nur  dann  auf  einen  Unfall  zurückzuführen,  wenn 
im  Momente  desselben  ein  heftiger  Schmerz  empfunden  wurde  und 
seitdem  subjective  Beschwerden  vorhanden  sind. 

Im  fünften  Abschnitte  bespricht  Verfasser  die  malignen 
Geschwülste,  Cysten  und  Gefässerkrankungen  der 
Unterleibsorgane.  Er  verurtheilt  sehr  mit  Recht  die  immer 
wieder  veröffentlichten  Massenstatistiken,  in  denen  Beobachtungen 
der  verschiedensten  Autoren,  soweit  sie  in  der  Anamnese  eines 
Tumorfalles  irgend  ein  Trauma  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  er¬ 
wähnen,  zusammengestellt  und  daraus  weitgehende  Schlüsse  gezogen 
werden;  die  Grösse  solcher  Zahlen  könne  nur  Demjenigen  impo- 
niren,  der  sich  die  Qualität  des  Materiales  nicht  näher  ansieht.  Bei 
dem  Mangel  aller  positiven  Erkenntniss  müssen  wir  uns  damit 
bescheiden,  die  Ergebnisse  ärztlicher  Erfahrung  kritisch  zu  ver- 
werthen,  und  wenn  uns  die  Ausführung  der  Unfallversicherungs¬ 
gesetze  Entscheidungen  aufzwingt,  so  können  diese  nicht  als  wissen¬ 
schaftliche  Urtheilssprüche  gelten,  sondern  sie  laufen  auf  eine  Ab¬ 
wägung  von  Wahrscheinlichkeiten  hinaus.  In  der  Frage  kommen 
in  Betracht:  Ort  der  Verletzung;  der  Unfall  muss  nach  der 
Art  seines  Herganges  geeignet  sein,  eine  Verletzung  desjenigen  Or¬ 
ganes  herbeizuführen,  das  später  Sitz  der  Neubildung  wurde;  leider 
ist  auch  diese  selbstverständliche  Forderung  in  vielen  Publicationen 
ausser  Acht  gelassen.  Die  Entwicklung  der  Geschwulst 
nach  dem  Trauma;  der  Tumor  muss  nach  dem  Trauma  und 
zwar  innerhalb  einer  Zeit  entstanden  sein,  die  einen  Zusammenhang 
als  wahrscheinlich  annehmen  lässt;  die  ersten  Symptome  werden 
kaum  vor  einigen  Wochen  auftreten  können;  zeigen  sich  innerhalb 
der  Zeit,  die  maligne  Neubildungen  erfahrungsgemäss  zu  ihrer  Ent¬ 
wicklung  brauchen,  d.  h.  innerhalb  von  zwei  bis  drei  Jahren  nach 
dem  Trauma  gar  keine  Symptome,  so  kann  die  Wahrscheinlichkeit 
traumatischer  Entstehung  nicht  mehr  geltend  gemacht  werden;  es 
sei  denn,  dass  sich  an  das  Trauma  zunächst  chronisch  entzünd¬ 
liche  Processe  anschlossen,  oder  dass  hei  Operation  oder  Section 
ein  Zusammenhang  der  Neubildung  mit  einer  von  der  Verletzung 
herrührenden  Narbe  nachgewiesen  wird.  (Mittheilung  eines  Falles  von 
Lebersarkom  nach  Schlag  in  die  Magengegend,  wo  hei  der  Section, 
fünf  Monate  nach  dem  Unfälle  im  1.  Leberlappen,  dem  Hauptsitze 
der  Geschwulst,  eine  grosse  Narbe  gefunden  wurde.)  In  Folge  eines 
Traumas  etwa  eingetretene  allgemeine  Schwächung  des  Körpers  hat 
keinen  Einfluss  auf  die  Entwicklung  bösartiger  Geschwülste.  Am 
häufigsten  kommt  das  Magencarcinom  in  Betracht.  (Als  Be¬ 
weis,  wie  —  leider  nicht  selten  - —  auch  namhafte  Kliniker  in 
ihren  Gutachten  mehr  suhjectiven  Anschauungen  als  ohjectiver 
Beweisführung  Raum  geben,  sei  auf  ein  hier  mitgetheiltes  Gutachten 
von  Schönborn  verwiesen.  Die  Kritik  desselben  besorgt  Verfasser 
mit  der  gewohnten  vornehmen  Ruhe  und  Gelassenheit,  die  durch  lang¬ 
jährige  Erfahrung  gegen  alle  Ueherraschungen  gesichert  erscheint.)  Ver¬ 
fasser  hebt  als  bezeichnend  hervor,  dass  in  der  reichen  Literatur  über 
traumatisches  Magencarcinom  bisher  kein  Fall  vorliegt,  in  dem  ein 
Zusammenhang  des  Carcinoms  mit  chronisch  entzündlichen  Pro¬ 
cessen  traumatischen  Ursprunges  oder  einer  auf  Magenverletzung 
zurückzu  führenden  Narbe  thatsächlicli  beobachtet  worden  wäre.  Viel 
seltener  als  beim  Carcinom  des  Magens  wird  bei  den  Darmtumoren 
das  I  rauma  als  ätiologisches  Moment  angeschuldigt,  während  man 
gerade  das  Umgekehrte  erwarten  müsste,  wenn  wirklich  das  Trauma 
ein  bedeutungsvoller  Factor  bei  der  Entwicklung  maligner  Geschwülste 
wäre,  da  der  Darm  viel  häufiger  durch  äussere  Gewalt  verletzt 
wird,  als  der  Magen. 

Seltene  Vorkommnisse  und  der  klinischen  Diagnose  bezüglich 
ihres  Ausgangspunktes  schwer  zugänglich  sind  die  nach  traumati¬ 
schen  Einwirkungen  auf  die  Unterleibsorgane  beobachteten  B  1  u  t- 
und  E  r  w  eich  ungscyst  e  n  oder  in  drüsigen  Organen  gelegent¬ 


lich  vorkommenden  Retentionscysten.  Verfasser  erwähnt 
solche  im  Bereiche  des  Magen-Darmcanales,  Peritoneal-,  Mesen¬ 
terial-,  Leber-,  Milz-,  echte  Pankreas-  und  hämorrhagische  Pseudo¬ 
cysten,  die  oben  bereits  angeführt,  hier  erst  eingehender  besprochen 
werden. 

Bei  der  Echinococcenkrankheit  besteht  die  ver¬ 
meintliche  Einwirkung  des  Traumas  meist  darin,  dass  der  hiebei 
entstehende  Schmerz  die  Aufmerksamkeit  des  Verletzten  auf  die 
bis  dabin  symptomlos  und  unbemerkt  gebliebene  Geschwulst  lenkt. 
Wahrscheinlich  erfolgt  die  Infection  in  den  meisten  der  bei  Er¬ 
wachsenen  in  Erscheinung  tretenden  Fälle  schon  im  frühen  Kindes¬ 
alter.  Wohl  aber  kann  das  Trauma  verschlimmernd  auf  den  Verlauf 
der  Echinococcenkrankheit  —  insbesondere  des  Leberechinococcus 
—  einwirken,  indem  es  zu  reactiver  Entzündung,  Vereiterung 
und  Perforation  des  Sackes  mit  allen  ihren  möglichen  Folgen  führt. 

Die  Krankheiten  der  Unter  leibsgefässe  um¬ 
fassen  die  Aneurysmen  der  Aorta  abdominalis  und 
ihrer  Aeste  (Beispiele  von  traumatischen  Spätblutungen  in  den 
Magen-Darmcanal  oder  den  Harnapparat  in  Folge  von  traumatischen 
Aneurysmen  der  Leber-,  beziehungsweise  Nierenarterie);  ferner 
Arterien-  und  Venenthrombosen  (Fall  von  Thrombose 
der  rechten  Arteria  iliaca  mit  consecutiver  Gangrän  des  Fusses  in 
Folge  Contusion  der  rechten  Unterbauchgegend). 

Der  letzte  Abschnitt  enthält  die  Krankheiten  des 
Stoffwechsels  und  des  Blutes,  beginnend  mit  dem 
Diabetes  mellitus.  Rasch  vorübergehende  Glykosurie  ist  nach 
Kopfverletzungen  nicht  selten;  sie  tritt  nach  Stunden  ein  und 
dauert  im  Mittel  fünf  bis  acht  Tage;  dabei  meist  leichte  Albumin¬ 
urie.  Von  diesen  Fällen  führen  allmälige  Uebergänge  zu  solchen 
mit  länger  dauernder  Zuckerausscheidung,  gewöhnlich  verbunden 
mit  Polydipsie  und  Polyurie.  Am  wahrscheinlichsten  ist  die  trau¬ 
matische  Entstehung  des  Diabetes  in  jenen  Fällen  mit  ungewöhn¬ 
lich  raschem  und  gutartigem  Verlaufe,  bei  denen  die  Zuckeraus¬ 
scheidung  meist  in  den  ersten  Tagen  nach  dem  Trauma  beginnt 
und  nur  einige  Wochen  oder  Monate  dauert.  Dagegen  ist  in  fast 
allen  Fällen  mit  chronischem  Verlaufe  die  Möglichkeit,  dass  die 
Krankheit  schon  vor  dem  Trauma  bestand,  nicht  auszuschliessen. 
Die  nähere  Localisation  der  Schädelverletzung  scheint  ohne  be¬ 
stimmenden  Einfluss  auf  die  Entstehung  des  Diabetes  zu  sein;  in 
vereinzelten  Fällen  kann  die  Glykosurie  die  Bedeutung  eines  bul- 
bären  Herdsymptomes  haben;  für  die  sichere  Localisation  eines 
»Centrums«  am  Boden  des  vierten  Ventrikels  beim  Menschen  fehlen 
bisher  Anhaltspunkte.  Falls  nicht  durch  das  Trauma  hervorgerufene 
Hirnkrankheiten  oder  Neurosen  das  Bindeglied  zwischen  Trauma 
und  Diabetes  hersteilen,  wird  der  ursächliche  Zusammenhang  dann 
unwahrscheinlich,  wenn  sich  die  Zuckerausscheidung  nicht  in  den 
ersten  Wochen  entwickelt.  Aehnlich  wie  die  directen  Kopfver¬ 
letzungen  können  schwere  allgemeine  Erschütterungen  des  Körpers 
wirken,  wobei  es  oft  unentschieden  bleibt,  ob  etwa  auch  Rücken¬ 
marksverletzungen  causal  anzuschuldigen  sind.  Von  weiteren 
sonstigen  Verletzungen  und  traumatischen  Erkrankungen  kommen 
hauptsächlich  noch  jene  des  Pankreas  und  vielleicht  der  Leber  in 
Betracht;  für  das  Entstehen  eines  Diabetes  nach  peripheren  Ver¬ 
letzungen  fehlt  uns  jedes  Verständniss.  Die  Möglichkeit,  dass  psy¬ 
chische  Einwirkungen  zu  Diabetes  führen,  will  Verfasser  nicht  in 
Abrede  stellen,  doch  komme  derartigen  Beobachtungen  fast  niemals 
eine  Beweiskraft  zu;  er  erinnert  daran,  wie  vor  Aufklärung  der 
Aetiologie  der  Infectionskrankheiten  bei  mehreren  unter  ihnen 
(Typhus,  Tetanus)  dieselben  Einflüsse  als  sein*  wichtig  bezeichnet 
wurden;  auch  die  vielfach  behauptete  verschlimmernde  Wirkung 
von  seelischen  Erregungen  ist  jedenfalls  nicht  constatirt.  Bezüglich 
der  Unfallneurosen  als  ätiologisches  Moment  für  Diabetes  hält  Ver¬ 
fasser  die  Zahl  der  mitgetheilten  Fälle  noch  nicht  für  gross  genug, 
um  eine  zufällige  Coincidenz  ausschliessen  zu  lassen.  Den  neueren 
Untersuchungen  über  alimentäre  Glykosurie  bei  derartigen  Neurosen 
wird  kein  zu  grosser  Werth  für  die  Unterstützung  eines  causalen 
Zusammenhanges  zwischen  Diabetes  und  Neurosen  beigemessen;  es 
hegen  bisher  keine  Erfahrungen  vor,  dass  sich  aus  einer  derartigen 
Glykosurie  ein  Diabetes  entwickelt  hätte. 

Der  Diabetes  insipidus  wird  in  ähnlicher  Anordnung 
getrennt  besprochen;  eine  Tabelle  bringt  auch  hier  wie  beim  Diabetes 
mellitus  eine  Auswahl  klinischer  Beobachtungen:  die  traumatische 
Entstehung  scheint  liier  relativ  häufiger  vorzukommen. 


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Das  Capitel  über  Diabetes  gehört  mit  jenem  über  die  Nieren¬ 
krankheiten  zu  den  schönsten  des  Buches;  sie  zeigen  so  recht  die 
unvergleichliche  Kunst  des  Verfassers,  auch  verwickelte  Fragen  so 
einfach  und  klar  auseinanderzulegen  und  die  Schlussfolgerungen 
mit  solcher  logischen  Schärfe  zu  deduciren,  dass  die  Orientirung 
für  Jedermann  eine  spielende  wird.  Es  wird  wohl  kaum  Jemand 
in  einschlägigen  Fragen  ein  Gutachten  abgeben  dürfen,  ohne  die 
Ausführungen  des  Verfassers  eingesehen  zu  haben. 

Von  den  Krankheiten  des  Blutes  ist  hauptsächlich 
die  Leukämie  berücksichtigt,  während  eine  Würdigung  der 
traumatischen  Aetiologie  einiger  allgemeinen  Infectionskrankheiten 
(acuter  Gelenksrheumatismus)  das  Heft  abschliesst.  Jedem  Abschnitte 
folgt  das  ausführliche  Literaturverzeichniss. 

So  liegt  denn  die  erste  zusammenfassende  Darstellung  der 
traumatischen  Entstehung  innerer  Krankheiten  vollendet  vor  und 
Verfasser  kann  sich  mit  wohlverdienter  Genugthuung  sagen,  dass 
er  da  auf  einem  abgelegenen  und  bisher  wenig  beachteten  Gebiete 
eine  wirklich  bahnbrechende  Arbeit  geleistet  hat,  die  erst  nach  und 
nach  in  ihrem  wahren  Wer  the  erkannt  werden  wird.  Das  Buch  ist 
nicht  nur  für  alle  Unfallsärzte,  die  ihre  Aufgabe  ernst  nehmen, 
durchaus  unentbehrlich,  sondern  auch  die  Internisten  werden  ihm 
die  eingehendste  Beachtung  schenken  müssen,  weil  die  Erforschung 
der  Aetiologie  dieser  Krankheiten  eine  der  wichtigsten  allgemeinen 
Aufgaben  der  medicinischen  Wissenschaft  darstellt,  die  nur  durch 
die  Unfallversicherungsgesetze  in  etwas  rascheren  Fluss  gebracht 
worden  ist. 

* 

III.  Der  sehr  fleissige  und  seit  Bestehen  der  Unfallversiche¬ 
rungsgesetze  um  die  Unfallheilkunde  verdiente  Verfasser  hat  sich 
hier  eine  Aufgabe  gestellt,  der  er  nicht  gewachsen  ist.  Gole- 
biewski  weiss  und  kann  sehr  viel,  auf  seinem  bekannten  Lieb¬ 
lingsgebiete  ist  er  sogar  sehr  zu  Hause,  aber  zu  einer  Darstellung 
der  Unfallheilkunde  auch  nur  in  ihren  Hauptgebieten  ist  sein 
Wissen  weder  abgeklärt,  noch  umfassend  genug.  Was  er  bietet, 
ist  eigentlich  nur  ein  illustrirter  Bericht  über  seine  13jährige,  der 
Nachbehandlung  von  Unfallverletzten  gewidmete  Thätigkeit  (dem 
ganzen  Werke  liegen  5245  eigene  Beobachtungen  zu  Grunde),  der 
noch  dadurch  einseitig  und  einförmig  wird,  dass  er  hauptsächlich 
die  Folgezustände  von  Knochen-  und  Gelenkverletzungen  aus  einer 
Zeit  zum  Gegenstände  hat,  wo  die  Verletzten  nach  abgeschlossener 
chirurgischer  Heilung  (i.  e.  Wochen  und  Monate  nach  dem  Unfälle) 
zur  medico-mechanischen  Nachbehandlung  in  seine  Anstalt  aufge¬ 
nommen  wurden.  Es  werden  demgemäss  nur  die  Symptome  geheilter 
Verletzungen  geschildert  (die  Lecture  muthet  so  sonderbar  an,  dass 
man  sich  erst  vorsätzlich  hineindenken  muss,  um  das  Gebotene 
überhaupt  zu  verstehen),  die  von  sehr  geringer  Mannigfaltigkeit 
sind  und  sich  wie  die  Nachbehandlung  mehr  oder  weniger  immer 
um  dieselben  Zustände  von  Steifigkeit,  Atrophie  u.  s.  w.  drehen. 
Ueber  die  Behandlung  frischer  Verletzungen,  namentlich  wie  die¬ 
selbe  von  vorneherein  einzurichten  ist,  um  zu  einem  möglichst 
günstigen  functioneilen  Resultate  zu  führen,  und  Zustände,  deren 
Schilderung  dieses  Buch  gewidmet  ist,  zu  vermeiden,  erfährt  der 
Leser  gar  nichts.  Ebenso  betrifft  die  sehr  ausgedehnte  Gasuistik 
(circa  310  eigene  und  nur  ein  fremder  Fall)  fast  durchwegs  Folge¬ 
zustände  nach  den  genannten  Verletzungen,  deren  Mittheilung  kaum 
allgemeines  Interesse  erregt.  So  ist  der  Fall  z.  B.  »Hüftverrenkung« 
überschrieben,  aber  Verfasser  hatte  nur  die  reponirte  und  geheilte  Luxa¬ 
tion  zur  Nachbehandlung  und  der  Leser  erfährt  gar  nicht,  welche  Art 
der  Verrenkung-  Vorgelegen.  Was  textlich,  casuistisch  und  bildlich 
von  sonstigen  Verletzungen  und  Erkrankungen  drum  und  dran 
gehängt  wurde,  um  wenigstens  den  Schein  der  Vollständigkeit  zu 
erwecken,  ist  von  mehr  als  zweifelhaftem  Werthe;  die  hier  bei¬ 
gegebenen  Krankengeschichten  sind  meist  so  kurz  gefasst,  dass  die 
Diagnosen  mehr  wie  angeklebte  Etiquetten  wirken,  die  man  gläubig 
hinnehmen  muss,  da  jede  Begründung  fehlt.  Sehr  schlecht  sind  die 
Nervenkrankheiten  weggekommen,  von  denen  man  da  und  dort 
wohl  verstreute  Bruchstücke  findet,  aber  Vieles  ganz  fehlt  (z.  B. 
die  peripheren  Lähmungen);  Augen-,  Ohren-  und  Frauenkrankheiten 
waren  von  vornherein  ausgeschlossen.  Wie  Verfasser  mit  der 
Materie  überhaupt  geschaltet  hat,  wollen  wir  kurz  durchgehen. 

Der  sehr  kurz  gefasste  allgemeine  Theil  ist  so  flüchtig  hin¬ 
geworfen  und  enthält  so  viele  unrichtige,  willkürliche,  nicht  er¬ 
wiesene,  ja  überhaupt  nicht  verständliche  Behauptungen,  dass  er 


das  grösste  Befremden  hinterlässt;  die  Belege  dafür  findet  man  auf 
jedem  Blatte.  Im  speciellen  Theile  fehlt  vor  Allem  jede  zweckent¬ 
sprechende  Stoffvertheilung  und  ist  die  Ausführung  eine  so  un- 
gleichmässige  und  sprunghafte,  dass  kaum  ein  Krankheitsbild  rund 
herausgearbeitet  wird.  So  sind  gleich  die  Verletzungen  und  trau¬ 
matischen  Erkrankungen  des  Kopfes  ausserordentlich  lückenhaft 
und  oberflächlich  behandelt,  die  wichtigsten  Dinge  mit  einigen 
nichtssagenden  Bemerkungen  abgethan.  Der  Diabetes  ist  in  sieben 
Zeilen  zusammengefasst.  Zwischen  Gehirntumoren  und  Gesichtsver- 
letzungen  werden  auf  fünf  Seiten  die  functionellen  Neurosen  er¬ 
ledigt  unter  Beibringung  von  zwei  ganz  belanglosen,  wenige  Zeilen 
umfassenden  Krankengeschichten.  Der  Abschnitt  Rumpf  ist  fast 
ausschliesslich  den  Verletzungen  der  Wirbelsäule  gewidmet  (circa 
50  Seiten),  während  die  gesannnten  Rückenmarkserkrankungen  in 
durchaus  ungenügender  Weise  auf  wenigen  Blättern  abgefertigt 
werden.  Unter  Brust  ist  wieder  der  weiteste  Raum  auf  die  Schil¬ 
derung  der  Rippenbrüche  verwendet,  während  die  traumatischen  Er¬ 
krankungen  von  Pleura  und  Lungen  (auch  die  Tuberculose)  als 
Nachkrankheiten  dieser  Fracturen  auf  sechs  Seiten  zu  einem  sehr 
ungedeihlichen  Ende  geführt  werden;  die  Herz-  und  Gefässerkran- 
kungen  auf  vier  Seiten.  Nach  S  t  er  n’s  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete 
ist  eine  solche  Behandlung  dieser  Krankheiten  nicht  mehr  zulässig; 
ein  einfacher  Hinweis  auf  diesen  Autor  wäre  klüger  gewesen.  Doch 
findet  sich  Derartiges  in  dem  ganzen  dicken  Buche  nicht,  aus  dem 
man  überhaupt  sehr  wenig  über  die  Arbeiten  Anderer  erfährt;  die 
wenigen  Autornamen,  die  Vorkommen,  sind  nicht  einmal  durch 
gesperrten  Druck  hervorgehoben.  Die  Verletzungen  und  Erkrankungen 
des  Bauches  erscheinen  mehr  angedeutet,  als  ausgeführt,  nur  die 
Hernien  eingehender  besprochen. 

Dagegen  nehmen  die  Verletzungen  und  traumatischen  Er¬ 
krankungen  des  Beckens  und  der  Extremitäten  fast  zwei 
Drittel  des  umfangreichen  Buches  (378  Seiten)  ein  und  zwar,  wie 
bereits  hervorgehoben  wurde,  unter  fast  ausschliesslicher  Berück¬ 
sichtigung  der  Fracturen  und  Luxationen,  während  auf  die  sonstigen 
Gewebsverletzungen  und  Erkrankungen  nur  ein  verschwindender 
Theil  entfällt.  Hier  ist  das  eigenliche  Arbeitsgebiet  des  Verfassers 
und  da  weiss  er  sich  keine  Beschränkung  aufzuerlegen. 

Leider  finden  sich  auch  hier  neben  vielen  interessanten  und 
schönen  Beobachtungen  und  Beschreibungen  —  die  übrigens  kaum 
Jemand  in  einem  Grundrisse  der  Unfallheilkunde  suchen  diirlte  — 
viele  Flüchtigkeiten  und  Absonderlichkeiten  und  fehlt  es  so  sehr 
an  jeder  grundlegenden  Eintheilung  und  systematischen  Durch¬ 
führung,  dass  auch  die  Lecture  dieses  Haupttheiles  des  Buches 
keine  rechte  Freude  aufkommen  lässt. 

Und  nun  der  Atlas,  den  das  Buch  wohl  in  erster  Linie  vor¬ 
stellen  soll.  Ein  Atlas  der  Unfallheilkunde  erregt  schon  von  vorn¬ 
herein  gewisse  Bedenken,  da  die  nach  Unfällen  auftretenden  Ver- 
letzungs-  und  Krankheitsbilder  keine  anderen  sind,  als  wir  aus 
sonstigen  Ursachen  zu  sehen  pflegen.  Immerhin  könnte  man  sich 
aus  den  einzelnen  Disciplinen  (nebst  Chirurgie  hauptsächlich  Neuro¬ 
logie)  wichtige  und  bezeichnende,  für  diesen  speciellen  Zweck  ge¬ 
eignete  Typen  ausgewählt  denken,  die  auch  dieses  Grenzgebiet 
bildlich  umfassen  und  den  Praktiker  bei  der  Diagnosenstellung 
unterstützen  könnten.  Golebiewski  hat  sich  aber  auch  hier 
ausschliesslich  auf  sein  eigenes  einseitiges  Material  beschränkt  und 
liefert  im  Grunde  genommen  nur  Illustrationen  zu  seinem  Anstalts¬ 
berichte,  also  hauptsächlich  Fracturen  (über  120  Bilder,  darunter 
Sprunggelenk  und  Fusswurzel  stark  vorwiegend),  gegen  welche  die 
Luxationen  (die  eben  meist  schon  reponirt  in  die  Anstalt  kamen) 
an  Zahl  (vier)  verschwinden.  Diese  Ziffern  allein  beweisen  eigentlich 
schon,  dass  auch  bei  der  Auswahl  und  Vertheilung  der  Bilder 
jedes  einheitliche  und  zielbewusste  Princip  fehlte.  Ob  übrigens  nach 
dem  in  jeder  Hinsicht  ausgezeichneten  Atlas  von  Helfer  ich  ein 
besonderes  Bedürfniss  für  eine  derartige  Darstellung  des  Gegenstandes 
vorhanden  war,  kann  doch  füglich  mit  Recht  bezweifelt  werden. 

Die  farbigen  Tafeln  sind  von  Maler  Fink  in  durchaus 
künstlerischer  Weise  mit  grösster  Sorgfalt  und  Naturtreue  ausge¬ 
führt  und  man  möchte  es  fast  bedauern,  dass  diese  Kunst  nicht  in 
den  Dienst  einer  besseren  Sache  gestellt  wurde.  Was  die  Auswahl 
der  Fälle  anbelangt,  dürfte  es  für  den  Lehrzweck  doch  von  recht 
geringem  Werthe  sein,  Schädeldepressionen,  Narben  an  den  ver¬ 
schiedensten  Körperstellen,  ein  verengtes  Nasenloch,  geheilte  Schlüssel¬ 
bein-  und  Rippenbrüche,  Vorderarmatrophien,  Handsteifigkeiten 


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Fingerstümpfe,  einen  Nabelbruch,  die  Narbe  nach  Leistenbruch- 
operation  (als  Kniestück),  ein  Genu  valg.  nach  Unterschenkelfractur 
u.  v.  A.  in  schönsten  farbigen  Bildern  dargeslcllt  zu  sehen,  da  der¬ 
artige  Dinge  wohl  den  meisten  Aerzten  aus  der  Nalurbetrachtung 
geläufig  sind  und  besondere  Feinheiten  der  Beobachtung  oder  Be¬ 
schreibung  für  den  vorliegenden  Zweck  nicht  in  Betracht  kommen. 
Hervorgehoben  seien  hier:  Facialis-,  Sympathicuslähmung,  Contractor 
des  Cucullaris,  einige  Wirbelbrüche,  eine  frische  Ulnarislähmung 
(sonst  fehlen  die  peripheren  Nervenlähmungen  ganz),  eine  Tropho- 
neurose  der  Hand  nach  Medianus-  und  Ulnarisdurchschneidung, 
Fersenbeinbruch,  Luxationsfractur  des  Talus  u.  A.  m. 

In  ähnlicher  Weise  findet  man  unter  den  schwarzen  Bildern 
sehr  Brauchbares  nebst  Alltäglichem  und  Ueberflüssigem.  Von  Sohlen¬ 
abdrücken  zählt  man  17  Paare.  Am  werthvollsten  sind  die  Röntgen- 
Bilder  (obwohl  Wirbelsäule,  Becken  und  Hüftgelenk  ganz  fehlen), 
welche  die  Fracturen  der  Extremitäten  durch  überzahlreiche  Bilder 
(GO)  in  schöner  Weise  zur  Darstellung  bringen. 

So  hinterlässt  das  Buch  Alles  in  Allem  einen  recht  gemischten 
Eindruck  und  wenn  Verfasser  in  der  Einleitung  dccretirt,  dass  das¬ 
selbe  für  Aerzte  und  Studirende  ein  willkommenes,  kurzge- 
fasstes  Handbuch  sein  und  eine  bestehende  Lücke  in  der  medi- 
einisehen  Literatur  ausfüllen  solle,  so  dürfte  das  ärztliche  Publicum 
diese  Widmung  unter  dem  gegenwärtigen  Titel  des  Buches  kaum 
annehmen;  als  Atlas  und  Handbuch  der  Nachkrankheiten  von  Un¬ 
fall  Verletzungen  könnte  man  ihm  nicht  viel  Uebles  nachsagen. 

* 

IV.  Der  Vorstand  der  Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt  für 
Niederösterreich  in  Wien  hat  Kaufmann  um  ein  Gutachten  in 
der  Bruchfrage  ersucht  und  ihn  eingeladen,  sich  gleichzeitig  über 
die  bei  der  Unfallerhebung  im  Allgemeinen,  sowie  von  dem  be¬ 
handelnden  und  begutachtenden  Arzte  zu  beachtenden  Momente  zu 
äussern.  Kaufmann  ist  dieser  Aufforderung  bereitwilligst  nach¬ 
gekommen  und  der  genannte  Vorstand  veröffentlicht  nun  dessen 
Gutachten.  Es  zerfällt  in  folgende  Abschnitte:  I.  Die  für  die  Ent¬ 
schädigung  der  unfallweise  entstandenen  sogenannten  traumatischen 
Erkrankungen  massgebenden  Gesichtspunkte.  II.  Die  Begründung 
der  Entschädigungspflicht  bei  Unterleibsbrüchen.  III.  Art  und  Fest¬ 
stellung  des  Betriebsunfalles.  IV.  Die  Aufgaben  der  ärztlichen 
Untersuchung  bei  Leistenbrüchen.  V.  Die  Aufgaben  der  ärztlichen 
Begutachtung  bei  Leistenbrüchen.  VI.  Begründung  und  Normirung 
der  Entschädigung  bei  Leistenbrüchen.  VII.  Die  seltenen  Bruch¬ 
arten  (Schenkel-,  Nabel-,  Magen-,  Narbenbruch).  VIII.  Die  Bruch¬ 
einklemmung.  IX.  Verschlimmerung  und  Verletzung  alter  Brüche. 
Im  Anhänge:  Formulare.  In  jedem  Abschnitte  werden  alle  ein¬ 
schlägigen  Fragen  kurz  erörtert  und  zum  Schlüsse  in  knappe,  be¬ 
zeichnende  Sätze  zusammengefasst.  Hier  möge  Folgendes  kurz 
hervorgehoben  werden  : 

In  der  Regel  entstehen  die  Brüche  langsam  und  allmälig; 
doch  lässt  sich  ihre  ausnahmsweise  plötzliche  Entstehung  nicht 
bestreiten.  Hauptzweck  des  Gutachtens  ist  es  nun,  die  Bedingungen 
festzustellen,  unter  denen  ein  Bruch  als  Unfallfolge  anzusehen  ist. 
Kaufmann  sagt: 

»Ein  Unfallbruch  ist  mit  Wahrscheinlichkeit 
anzunehmen:  1.  Wenn  ein  Unfall  oder  eine  Ueberanstrengung 
beim  Betriebe  mit  Sicherheit  nachweisbar  sind.  2.  Wenn  die  Er¬ 
scheinungen  des  Bruchaustrittes  zutreffend  angegeben  werden  und 
der  Arzt  rasch  darnach  zugezogen  wurde.  3.  Wenn  nach  dem  Be¬ 
funde  zuzugeben  ist,  dass  es  sich  um  einen  frischen  Bruch 
handeln  kann. 

EinUnfallbruchist  ohne  Weiteres  nicht  anzu¬ 
nehmen,  sofern  nur  eine  der  folgenden  Bedingungen  zutrifft: 
1.  Wenn  er  bei  der  gewohnten  und  betriebsüblichen  Arbeits¬ 
verrichtung  in  die  Erscheinung  trat,  ein  Unfall  oder  eine  Ueber¬ 
anstrengung  mithin  nicht  vorliegt.  2.  Wenn  Schmerzen  beim  Bruch¬ 
austritt  fehlten  und  der  Arzt  nicht  sofort  oder  innerhalb  der  ersten 
zwei  Tage,  sondern  erst  später  zugezogen  wurde.  3.  Wenn  der 
Bruch  mit  Sicherheit  als  alter  Bruch  erkannt  wird.« 

Zur  Feststellung  des  Betriebsunfalles  und  der  aussergewöhn- 
lichen  Anstrengung,  die  in  erster  Linie  den  Betriebsorganen  zusteht, 
aber  auch  darin  bewanderten  Aerzten  übertragen  werden  kann, 
wird  ein  entsprechender,  auf  Brüche  bezüglicher  Zusatz  zur  Un¬ 
fallsanzeige  vorgeschlagen.  Die  äusseren  Umstände  des  zweiten 
Punktes  ergeben  sich  aus  dem  ärztlichen  Gutachten  oder  werden 


durch  Zeugen  eruirt.  Nur  die  dritte  Frage  ist  rein  medicinischer 
Natur  und  werden  alle  für  ihre  Entscheidung  nur  irgendwie  be¬ 
langreichen  Gesichtspunkte  kurz,  aber  eingehend  gewürdigt,  ohne 
hiezu  neue  Argumente  vorzubringen.  Um  dieselben  thunlichst  bald 
nach  dem  Unfälle  festzulegen,  sollen  die  Gassenärzte,  denen  die 
Verletzten  zuerst  zugewiesen  werden,  einen  »Anmeldeschein 
für  Unterleibsbrüche«  ausfüllen,  der  in  25  Fragen  alles 
für  den  speciollen  Zweck  Wissenswerthe  enthält  und  deren  Be¬ 
antwortung  zu  genauester  Untersuchung  zwingt.  Sollte  die  Ent¬ 
schädigungspflicht  durch  diesen  ersten  ärztlichen  Befund  nicht  ge¬ 
nügend  geklärt,  respective  ein  solcher  überhaupt  nicht  aufgenommen 
worden  sein,  weil  die  Ansprüche  erst  nachträglich  erhoben  wurden, 
so  wird  für  die  Untersuchung  durch  den  Vertrauensarzt  ein  zweites 
ähnliches  Formular:  »Aerztlicher  Bericht  über  das 
Bruchleiden  des...«  vorgeschlagen,  welches  in  31  Fragen 
sowohl  die  Angaben  des  Verletzten,  als  den  Befund  in  ausführ¬ 
lichster  Weise  wiedergibt.  Naturgemäss  wird  die  Werthigkeit  dieser 
Befunde  hauptsächlich  von  der  Sachkenntniss  der  betreffenden  Aerzte 
und  ihrer  Beherrschung  der  Untersuchungstechnik  abhängen;  diese 
aber  vorausgesetzt,  dürfte  ein  derartig  ausgefülltes  Formular  that- 
sächlich  alle  für  die  Beurtheilung  der  Frage,  ob  ein  Bruch  als 
frisch  entstanden  oder  alt  anzusehen  sei,  massgebenden  Gesichts¬ 
punkte  mit  der  heute  überhaupt  erreichbaren  Vollständigkeit  enthalten. 
Dem  Vorstande  würde  die  Entscheidung  über  die  Entschädigungs¬ 
pflicht  im  Einzelfalle  ganz  wesentlich  erleichtert  werden  und  dies 
etwa  dem  Standpunkte  entsprechen,  wie  er  in  Deutschland  seit 
Jahren  geltend  ist.  Allerdings  bleibt  dabei  die  Frage  offen,  wie  sich 
die  Schiedsgerichte  zu  dieser  Auffassung  stellen  würden,  für  deren 
Entscheidungen  bei  dem  Mangel  einer  dem  Reichsversicherungs¬ 
amte  entsprechenden  Centralstelle  bisher  ebenfalls  alle  einheitlichen 
Gesichtspunkte  fehlen.  Auf  alle  Fälle  verdient  das  Bestreben  des 
sehr  rührigen  Vorstandes,  in  einer  so  wichtigen  Frage  endlich 
halbwegs  Ordnung  zu  schaffen,  die  vollste  Anerkennung.  Vielleicht 
finden  diese  Verhältnisse  nun  auch  von  Seite  der  berufsgenossen¬ 
schaftlichen  Unfallversicherungsanstalt  der  österreichischen  Eisen¬ 
bahnen  eine  eingehendere  Beachtung;  bisher  hat  dieselbe  die  für 
sie  thätigen  Aerzte  ohne  alle  Informationen  gelassen,  so  dass  diese 
weder  wissen,  was  der  Vorstand  unter  einem  Unfälle  überhaupt 
versteht,  noch  von  welchen  Momenten  er  sich  bei  der  Einschätzung 
leiten  lässt. 

Zweifellos  ist  es,  dass  die  Vertheilung  dieses  leicht  verständ¬ 
lich  abgefassten  Gutachtens  unter  die  Aerzte  und  ihre  Verpflichtung 
auf  dasselbe  ganz  wohl  geeignet  wären,  in  dieser  vielumstrittenen 
Frage  nicht  nur  ein  besseres  Verständniss  im  Allgemeinen,  sondern 
vor  Allem  eine  einheitliche  Auffassung  und  gleichmässiges  Vor¬ 
gehen  bei  der  praktischen  Durchführung  des  Unfallversicherungs¬ 
gesetzes  anzubahnen.  Aber  die  wissenschaftliche  Seite  der  Bruch¬ 
frage  ist  dadurch  um  keinen  Schritt  vorwärts  gebracht.  Es  wird 
doch  Niemand  glauben,  dass  eine  Hernie,  bei  der  die  Punkte  1 
und  2  zutreffen  (deren  Erfüllung  dem  Rentenwärter  zudem  in  ge¬ 
wissem  Sinne  in  die  Hand  gegeben  ist)  und  bei  der  nach  dem 
localen  Befunde  die  plötzliche  Entstehung  wahrscheinlich  ist,  auch 
wirklich  anlässlich  des  fraglichen  Unfalles  plötzlich  und  zum  ersten 
Male  vorgetreten  sei;  es  kann  so  sein,  doch  besteht  keinerlei  Ge¬ 
wissheit  darüber,  da  sich  diese  Erscheinungen  auch  auf  mannig¬ 
fache  andere  Art  erklären  lassen.  Es  ist  daher  nicht  recht  ver¬ 
ständlich,  warum  sich  Kaufmann  über  Aerzte  und  Juristen 
verwundert,  die  immer  noch  Schwierigkeiten  in  der  Bruchfrage 
finden,  und  ziemlich  deutlich  zu  verstehen  gibt,  man  müsse  die 
Sache  nur  recht  anzupacken  wissen,  dann  sei  ihre  Ueberwindung 
leicht.  Die  Verdienste,  die  sich  Kaufmann  um  die  praktische 
Lösung  dieser  Frage  schon  früher  und  jetzt  neuerdings  erworben 
hat,  sind  klar  und  unbestritten,  aber  neue  Momente  zur  wissen¬ 
schaftlichen  Klärung  der  Frage  hat  er  nicht  beigebracht;  hier  be¬ 
stehen  die  alten  Schwierigkeiten  unverändert  fort,  und  auch  die 
vielen  Autopsien  durch  Radicaloperation  haben  bisher  keinen 
wesentlichen  Fortschritt  gezeitigt. 

* 

V.  Man  mag  noch  so  sehr  gegen  die  Benützung  von  Renten¬ 
tabellen  eifern  und  noch  so  dringend  für  die  Individualisirung  im 
Einzelfalle  eintreten,  die  Thatsache  ihrer  Unentbehrlichkeit  für  die 
Praxis  lässt  sich  nicht  aus  der  Welt  schaffen.  Am  ersten  Tage  seiner 
praktischen  Thätigkeit  werden  dem  Arzte  die  Formulare  der  Ver- 


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sicherungsanstalt  auf  den  Tisch  gelegt,  deren  Ausfüllung  eine  pro- 
centuelle  Abschätzung  der  etwaigen  Einbusse  an  Erwerbsfähigkeit 
erfordert.  Nun  gleich  wieder  mit  dem  Studium  der  Unfallheilkunde 
zu  beginnen,  dazu  fehlen  meist  sowohl  Zeit  als  Lust;  es  wird  also 
naturgewäss  nach  dem  ersten  besten  erreichbaren  Schema  gegriffen, 
das  aus  der  Noth  hilft,  und  nur  zu  oft  erschöpft  sich  die  ganze 
Unfallheilkunde  in  der  bald  erworbenen  Abschätzungsroutine.  Es  ist 
daher  sehr  erfreulich,  dass  ein  so  erfahrener  und  anerkannter  Autor 
wie  B  ä  h  r  die  Mühe  nicht  gescheut  hat,  für  diesen  Zweck  einen 
Schlüssel  zu  bringen,  der  eindringlichst  zum  Mitdenken  anregen 
und  die  rein  mechanische  Benützung  nach  Möglichkeit  hintanhalten 
soll.  Da  jede  Tabelle  mehr  weniger  subjective  Anschauungen  zum 
Ausdrucke  bringt,  so  ist  es  vor  Allem  die  Durchsicht  mehrerer 
solcher  Zusammenstellungen  und  der  Vergleich  ihrer  Begründungen, 
der  zur  Kritik  und  Mitarbeit  anregt  und  diese  Methode  hat  Bähr 
für  sein  Schema  in  der  glücklichsten  Weise  nutzbar  zu  machen 
verstanden.  »Nicht  die  Entnahme  eines  Werthes  aus  einer  der  Ta¬ 
bellen  wird  beabsichtigt,  sondern  der  Leser  möge  durch  den  Ver¬ 
gleich  der  Tabellen  zu  eigenem  Urtheile  angeregt  werden.« 

Nach  einigen  sehr  treffenden  allgemeinen  Bemerkungen  über 
die  Schaffung  und  den  Werth  solcher  Entschädigungsscalen  werden 
zunächst  die  in  der  Privatunfallversicherung  (bei  28  Anstalten) 
bestehenden  Sätze  mitgetheilt  und  besprochen.  Die  Normen,  die 
sich  in  der  obligatorischen  Unfallversicherung  in  Deutschland  all- 
mälig  herausgebildet  haben,  werden  an  der  Hand  der  Tabellen  von 
elf  Berufsgenossenschaften  und  der  K  ö  n  e  n’schen  Gliedertabelle  er¬ 
örtert.  Hierauf  wird  das  sehr  ausführliche  Wiener  Schema 
(der  Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt  für  Niederösterreich  in  Wien) 
und  das  kurze  Grazer  Schema  (der  gleichen  Anstalt  für  Steier¬ 
mark  und  Kärnten  in  Graz)  zum  Abdrucke  gebracht.  Es  folgen  die 
von  Aerzten  aufgestellten  Tabellen  (Blasius,  Bode,  Riedinger, 
Becker)  und  auf  fünf  Blättern  eine  zusammenfassende  kritische 
Besprechung  aller  vorgeführten  Rentensätze,  die  bei  den  einzelnen 
Krankheitsgruppen  zu  den  von  Bähr  selbst  vorgeschlagenen  und 
begründeten  Werthen  hinüberleitet.  Schliesslich  werden  sie  in  einer 
kurzen  Tabelle  übersichtlich  zur  Darstellung  gebracht.  Verfasser  er¬ 
sucht  nochmals,  bei  Benützung  seiner  Tabelle  alles  das,  was  im 
Texte  und  in  den  einzelnen  Tabellen  bei  deren  Gebrauche  ausge¬ 
führt  ist,  eingehend  zu  berücksichtigen,  weil  nur  so  ein  wirklicher 
Nutzen  resultiren  könne.  Auf  Einzelheiten  einzugehen,  ist  hier  nicht 
der  Ort.  Die  kleine  Schrift  sei  allen  Aerzten  bestens  empfohlen;  sie 
ist  die  vollkommenste  ihrer  Art,  die  wir  bisher  besitzen. 

* 

VI.  Sowohl  körperliches  als  psychisches  Trauma  kann  Veran¬ 
lassung  zu  Diabetes  mellitus  geben,  »zumal  bei  schon  bestehender 
Disposition  dazu«.  In  ersterer  Beziehung  kommen  namentlich  Ver¬ 
letzungen  der  Medulla  oblong,  und  der  benachbarten  Hirnpartien, 
der  sympathischen  Ganglien,  des  Halsmarks,  ferner  von  Pankreas, 
und  Leber  in  Betracht,  ebenso  heftige  Erschütterung  des  ganzen 
Körpers.  Dass  heftige  Gemüthsbewegungen  einen  bestehenden  Diabetes 
verschlimmern  und  nicht  selten  erst  veranlassen,  hält  Senator 
durch  klinische  Beobachtungen  für  sichergestellt;  die  Disposition 
kann  durch  neuropathische  Belastung  oder  Krankheiten  (Gicht,  Fett¬ 
leibigkeit)  gegeben  sein.  Sehr  häufig  combiniren  sich  beide  Schädi¬ 
gungen.  Senator  erwähnt  einen  Mann,  bei  dem  er  mehrere 
Monate  nach  einem  Blitzschläge  unzweifelhaften  Diabetes  nach- 
weisen  konnte  und  bei  dem  sich  die  Symptome  angeblich 
schon  14  Tage  nach  dem  Unfälle  bemerkbar  machten.  Als  dritte 
Entstehungsweise  hält  Senator  die  Entwicklung  eines  Diabetes 
durch  das  Mittelglied  einer  Unfall-,  oder  wie  er  sagt,  Emotions¬ 
neurose  für  wahrscheinlich,  Nach  dem  Trauma  entwickelt  sich  zu¬ 
nächst  die  Neurose,  in  ihrem  Verlaufe  alimentäre  Glykosurie  und 
aus  dieser  der  Diabetes.  Senator  gibt  aber  zu,  diesen  Entwick¬ 
lungsgang  selbst  noch  nicht  beobachtet  zu  haben.  Unter  1090 
eigenen  Fällen  von  Diabetes  kann  Senator  nur  elfmal  (in  wenig 
über  1%)  traumatische  Entstehung  annehmen  (dabei  ist  der  er¬ 
wähnte  Fall  von  Blitzschlag  und  ein  Fall  nach  Laparotomie  mit¬ 
gezählt). 

Viel  seltener  ist  im  Allgemeinen  der  Diabetes  insipidus,  seine 
traumatische  Entstehung  dagegen  häufiger;  unter  76  eigenen  Fällen 
zählt  Senator  drei,  in  denen  dem  Ausbruche  der  Krankheit 

Sturz  oder  Schlag  auf  den  Kopf  unmittelbar  vorausging,  also  4%. 

* 


VII.  Die  Zug-  und  Druckverhältnisse  für  den  erkrankten  Ischiadicus 
(wie  Cruralis)  sind  am  günstigsten  in  Abduction,  Flexion  und 
Rotation  nach  aussen.  Aus  der  Stellung,  die  das  kranke  Bein  in 
Folge  dessen  gegen  den  Rumpf  anzunehmen  und  festzuhalten  be¬ 
strebt  ist,  ergeben  sich  gewisse  Eigenthümlichkeiten  des  Sitzens, 
Aufrichtens,  Biickens,  Stehens  und  Gehens,  die  sich  als  objective 
Symptome  für  die  Beurtheilung  der  Erwerbsfähigkeit  verwerthen 
lassen.  Die  Kranken  sitzen  derart,  dass  sie  den  Winkel  zwischen 
Oberschenkel  und  Rumpf  stumpf,  d.  h.  möglichst  unverändert 
lassen;  sie  vermeiden  die  senkrecht  aufsteigende  Lehne  und  sitzen 
mehr  auf  dem  vorderen  Rande  des  Stuhles;  der  Oberschenkel  wird 
nicht  wagrecht  gehalten,  sondern  das  Knie  möglichst  gesenkt  und 
der  Oberkörper  durch  kyphotische  Biegung  der  Wirbelsäule  im 
Dorsolumbaltheile  möglichst  nach  vorne  gebracht.  Die  Kranken 
sitzen  mehr  auf  der  hinteren,  als  unteren  Fläche  der  Tubera  ischii. 
Noch  auffälliger  wird  die  Behinderung  des  Sitzens  auf  dem  Erd¬ 
boden  oder  einer  Tischplatte,  weil  hier  der  Oberschenkel  nicht 
gesenkt  werden  kann.  Die  Kranken  sitzen  sozusagen  auf  dem  Kreuz¬ 
bein  und  die  Erhebung  des  Oberkörpers  gelingt  trotz  der  deutlichen 
kyphotischen  Krümmung  der  Wirbelsäule  nur  unvollständig;  der 
Oberschenkel  wird  möglichst  dicht  auf  die  Unterlage  aufgedrückt. 
Bringt  man  den  Kranken  aus  der  sitzenden  in  die  liegende  Stellung, 
so  geschieht  dies  durch  Umschlagen  der  Kyphose  im  Dorsolumbal¬ 
theile  in  lordotische  Biegung;  das  Becken  selbst  bewegt  sich  nur 
wenig  und  nimmt  den  Oberschenkel,  dessen  Flexion  dadurch  offen¬ 
kundig  wird,  mit.  Das  Knie  muss  gebeugt  werden,  um  den  Fuss 
auf  die  Unterlage  zu  bringen.  Beim  Aufstehen  vom  Stuhle  rückt 
der  Ischiaskranke  zunächst  möglichst  weit  nach  dem  vorderen 
Rande  des  Stuhles  und  stellt  dabei  die  Füsse,  besonders  den  er¬ 
krankten,  möglichst  weit  zurück;  erst  dann  richtet  er  sich  gerade 
auf,  ohne  dabei  viel  an  der  Stellung  des  Oberkörpers  zu  ändern. 
Die  Besonderheiten  des  Aufstehens  vom  Erdboden  hat  bereits 
Minor  zur  Differentialdiagnose  zwischen  Lumbago  und  Ischias 
verwendet.  Der  gesunde  Fuss  wird  durch  starke  Beugung  des  Knies 
und  Oberschenkels  möglichst  weit  unter  den  durch  die  Hände  in 
Schwebe  gehaltenen  Oberkörper  gebracht,  dieser  selbst  möglichst 
stark  nach  der  gesunden  Seite  hinübergelehnt;  der  Fuss  der  er- 
erkrankten  Seite  wird  nach  rückwärts  gebracht  und  die  Beugung 
des  Oberschenkels  gegen  den  Rumpf  nach  Möglichkeit  vermieden, 
während  die  Flexion  des  Knies  sehr  stark  ausfällt;  nach  Erlangung 
des  nöthigen  Gleichgewichtes  richtet  sich  der  Kranke  auf.  Bückt 
sich  der  Ischiaskranke,  so  wird  das  kranke  Bein  bei  fixem  Winkel 
zwischen  Oberschenkel  und  Becken  umsomehr  nach  rückwärts 
gestellt,  als  sich  der  auf  dem  gesunden,  in  Knie  und  Hüfte  ent¬ 
sprechend  gebeugten  Beine  ruhende  Oberkörper  nach  abwärts  senkt. 
Am  deutlichsten  ist  die  Hemmung  des  Beckens  bei  geschlossenen 
Füssen  und  durchgedrücktem  Knie.  Complicirter  und  nicht  leicht 
kurz  wiederzugeben  sind  die  im  Stehen  und  Gehen  sich  all- 
mälig  ausbildenden  Veränderungen;  sie  müssen  im  Originale  nach¬ 
gelesen  werden.  Aus  der  Vollständigkeit  und  dem  Grade  der  hier 
nur  angedeuteten  Kennzeichen  ergeben  sich  werthvolle  Anhalts¬ 
punkte  für  eine  den  thatsächlichen  Verhältnissen  möglichst  nahe¬ 
kommende  Abschätzung  der  Erwerbsfähigkeit.  R  o  s  m  a  n  i  t. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Manson  in  London  und  Bergmann  in  Berlin 
zu  auswärtigen  Mitgliedern  der  Academie  de  medicine  zu  Paris. 

* 

V  erliehen:  Dem  Sanilätsrath  Dr.  Max  Breitung  in 
Coburg  das  Prädicat  Professor. 

* 

Gestorben:  Der  Chefarzt  des  Ersten  allgemeinen  Beamten¬ 
vereines  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie,  Dr.  E.  Buch  he  im 
in  W  i  e  n.  —  Der  ehemalige  Professor  der  Chirurgie  zu  K  o  p  e  n- 
hagen,  Dr.  Saxtorph. 

* 

In  der  am  20.  März  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  n  i  e  d  e  r- 
üsterreichischen  Landes-Sanitätsrathes  gaben  die 
Mittheilungen  des  Regierungs-Vertreters  über  das  im  Monate  Mäiz  be¬ 
obachtete  häufigere  Auftreten  von  Typhus-Erkrankungen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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in  Wien  dem  Landes-Sanitätsrathe  Gelegenheit  zu  einer  eingehenden 
Besprechung  über  die  Ursachen  und  die  Verbreitung  dieser  Infections- 
krankheit.  Die  Zahl  der  Erkrankungen  bewegte  sich  bis  Mitte  März 
d.  J.  in  normalen  Grenzen  und  war  sogar  geringer  als  in  der  gleichen 
Zeitperiode  der  Vorjahre.  Ueber  Anzeige  der  Direction  des  Allgemeinen 
Krankenhauses  von  der  häufigeren  Aufnahme  Typhuskranker  in  die 
Anstalt  wurden  sofort  von  der  Sanitätsbehörde  und  dem  Wiener 
Stadtphysieate  die  eingehendsten  Erhebungen  über  die  Zahl  und  die 
Wohnung  der  Kranken,  sowie  über  die  Entstehungsursachen  gepflogen 
und  dieselben  auch  auf  das  Gebiet  der  Hochquellenleitung  und  das 
Pottschacher  Schöpfwerk  ausgedehnt.  Die  eingehenden  Untersuchungen 
durch  die  Hygieniker  schliessen  jeden  Verdacht  einer  Verunreinigung 
des  Wiener  Trinkwassers  aus.  Ebenso  hat  auch  die  Besichtigung  des 
Pottschacher  Schöpfwerkes,  welches  übrigens  seit  Mitte  Februar  nicht 
im  Betriebe  ist,  nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt  eines  Verdachtes 
der  Verschlechterung  oder  Gefährdung  der  Hochquellenleitung  ergeben. 
Es  kann  daher  das  Trinkwasser  mit  Bestimmtheit  als  Krankheits¬ 
vermittler  ausgeschlossen  werden.  Auch  die  bisherigen  Untersuchungen 
der  Milch  und  anderer  Nahrungsmittel  lassen  dieselben  vorläufig  als 
Infectionsquellen  ausschliessen.  Die  Krankheitsfälle  vertheilen  sich  auf 
das  ganze  Gebiet  der  Stadt  Wien  und  kommen  zum  grössten  Theile 
in  Häusern  und  Strassen  vereinzelt  vor.  Es  ist  daher  ein  Grund  zur 
Befürchtung  einer  abnormen  Verbreitung  des  Typhus  in  Wien  nicht 
vorhanden,  doch  werden  die  Nachforschungen  nach  den  Ursachen  der 
Entstehung  und  Verbreitung  fortgesetzt  und  besondere  Aufmerksamkeit 
den  Typhuserkrankungen  auf  dem  Lande  und  der  Einfuhr  von  Lebens¬ 
mitteln  aus  verdächtigen  Gegenden  zugewendet.  Aehnliche  vorüber¬ 
gehende  Steigerungen  der  Zahl  der  Typhuserkrankungen  wurden  wieder¬ 
holt,  und  zwar  besonders  1883  und  1893  (December  143  Fälle)  beob¬ 
achtet.  Für  die  Krankenaufnahme  ist  vorläufig  in  den  Spitälern 
gesorgt,  doch  dürfte,  da  der  Krankheitscharakter  einen  längeren  Auf¬ 
enthalt  in  den  Spitälern  bedingt,  eventuell  die  Gemeinde  für  die 
Unterbringung  dieser  oder  anderer  sich  häufender  Fälle  von  Infections- 
krankheiten  herangezogen  werden  müssen.  Im  weiteren  Verlaufe  der 
Sitzung  wurden  Gutachten  über  den  Betrieb  einer  Privat-Heilanstalt 
in  einer  Gemeinde  Niederösterreichs  und  über  die  Erweiterung 
einer  ausserhalb  Wiens  in  einer  Kirche  befindlichen  Familiengruft 
erstattet. 

* 

Vom  18.  bis  21.  April  wird  zu  Wiesbaden  unter  dem 
Vorsitze  des  Prof.  Dr.  R.  v.  Jak  sch  der  XVII L  Congress  für 
innere  Me  di  ein  tagen.  Die  Sitzungen  finden  im  Weis  sen 
Saale  des  Curhauses  statt.  Das  Bureau  befindet  sich  neben 
dem  Eingänge  des  Curhauses.  Als  schon  länger  vorbereitete  Verhand¬ 
lungsgegenstände,  für  welche  Autoritäten  ersten  Ranges 
die  Referate  übernommen  haben  und  welche  bedeu¬ 
tendes  act  u  eiles  Interesse  haben,  stehen  auf  dem  Pro¬ 
gramme:  Die  Behandlung  der  Pneumonie  (Referenten: 
v.  Koran  yi  [Budapest]  und  Pel  [Amsterdam]);  Die  Endocar¬ 
ditis  und  ihre  Beziehungen  zu  anderen  Krankheiten 
(Referent:  Litten  [Berlin]).  Ausserdem  haben  folgende  Herren  Einzel¬ 
vorträge  angemeldet:  Neuss  er  (Wien):  Zur  Klinik  des  Maltafiebers 
(mit  Demonstration);  Wenckebach  (Utrecht):  Ueber  die  physio¬ 
logische  Erklärung  verschiedener  Herzpulsarhythmien;  Türk  (Wien): 
Ueber  die  Hämamöba  L  ö  w  i  t’s  im  Blute  Leukämischer;  M.  Löwit 
(Innsbruck):  Weitere  Beobachtungen  über  die  Parasiten  der  Leukämie; 
K.  Grube  (Neuenahr  London) :  1.  Ueber  gichtische  Erkrankungen 

de3  Magens  und  Darmes,  2.  Ueber  ein  dem  Coma  diabeticum  analoges 
künstlich  hervorgerufenes  Koma  (Demonstration);  M.  Bresgen 
(Wiesbaden):  Die  Reizung  und  Entzündung  der  Nasenschleimhaut  in 
ihrem  Einflüsse  auf  die  Athmung  und  das  Herz;  Schott  (Nauheim): 
Influenza  und  chronische  Herzkrankheiten;  Martin  Mendelsohn 
(Berlin):  Ueber  ein  Herztonicum;  Weintraud  (Wiesbaden):  Ueber 
den  Abbau  des  Nucleins  im  Stoffwechsel;  Herrn.  Hildebrandt 
(Berlin):  Ueber  eine  Synthese  im  Thierkörpsr;  v.  Noorden  (Frank¬ 
furt  a.  M.) :  Zur  Arzneibehandlung  des  Diabetes  mellitus;  K  o  h  n- 
stamm  (Königstein  i.  T.):  Die  abführenden  Kleinhirnbahnen  und 
ihre  klinische  Bedeutung;  Sonnenberger  (Worms):  Beiträge  zur 
Aetiologie  der  acuten  Verdauungsstörung,  insbesondere  der  Cholera 
nostras  des  Säuglingsalters;  Edgar  Gans  (Karlsbad):  Die  Gade- 
sche  Methode  der  quantitativen  Harnstoffbestimmung;  Schücking 
(Pyrmont):  Die  physiologischen  Wirkungen  der  Alkalisaccharate; 
Lenne  (Neuenahr):  Die  Eiweisszufuhr  in  der  Diabetikerdiät;  Aug. 
Hoi  imanu  (Düsseldorf):  Zur  Pathologie  der  paroxysmalen  Tachy- 
cardie;  Herrn.  Vi  erordt  (Tübingen):  Ueber  Cyanose;  Bettmann 
Uleidelberg):  Ueber  eine  besondere  Form  des  chronischen  Ikterus; 
Gum  p  recht  (Jena):  Ein  neuer  Bestandtheil  der  normalen  Spinal- 
fliissigkeit ;  Karl  Born  stein  (Bad  Landeck):  Ueber  die  Mittel  zur 
Hebung  des  Ei  weissbestandes  im  Organismus;  A.  Smith  (Schloss  Marbach): 

1.  Ueber  einige  neue  Methoden  zur  Bestimmung  der  Herzgrenzen, 

2.  Ueber  objective  Veränderungen  des  Herzens  unter  dem  Einflüsse 


localer  und  allgemeiner  Elektrisation.  Zugleich  ein  Beitrag  zur 
Lösung  der  Frage:  Beruht  die  Wirkung  der  Elektricität  beim  Menschen 
auf  Suggestion  oder  nicht?  Boas  (Berlin):  Statistisch-klinische  Studien 
an  200  Fällen  von  intestinalen  Carcinomen;  A.  Poehl  (St.  Peters¬ 
burg)  :  Die  organtherapeutischen  Mittel  bei  Autointoxicationen ;  Emil 
Kraus  (Prag):  Züchtung  des  Typhusbacillus  aus  dem  Stuhle; 
Wal  ko  (Prag):  Ueber  den  therapeutischen  Werth  und  die  Wirkung 
der  Blutentziehung  bei  Urämie  und  Pneumonie;  Queirolo  (Pisa): 
Die  Magengrenzen  und  ihre  Veränderungen,  sowie  ein  neues  Verfahren 
(Queirolo-Landi),  dieselben  zu  bestimmen;  A.  Strubeil 
(Breslau) :  Ueber  eine  neue  Methode  der  Urin-  und  Blutuntersuchung; 
W.  11  i  s  jr.  und  Theodor  Paul:  Verhalten  und  Reactionen  der 
Harnsäure  und  ihrer  Salze  in  Lösungen;  R.  Behla  (Luckau  N.  L.) : 
Ueber  Cancer  ä  deux;  Friedei  Pick  (Prag):  Eine  eigenartige 
Lähmungserscheinung  bei  Hysterie;  Moritz  (München):  Eine  ein¬ 
fache  Methode,  um  beim  Röntgen-  Verfahren  mit  Hilfe  der  Schatten- 
projectionen  die  wahre  Grösse  der  Gegenstände  zu  ermitteln  und  die 
exacte  Bestimmung  der  Herzgrösse  mittelst  dieses  Verfahrens  (mit 
Demonstration);  Heinz  (Erlangen):  Experimentelle  Untersuchungen 
über  Digitaliswirkung;  Qu  esse  (Wiesbaden):  Epilepsie  und  adenoide 
Vegetationen;  Ad.  Bickel  (Berlin):  Ueber  die  krampferregende 
Wirkung  der  Galle  und  der  gallensauren  Salze  (mit  Demonstrationen); 
A  g  er  on  (Hamburg):  Diagnostische  und  therapeutische  Bemerkungen 
zum  chronischen  Magengeschwüre;  Stareka  (Berka):  Ueber  Blut- 
körperchenzählung;  W  e  i  s  s  (Basel):  Die  Erfolge  der  Urosinbehandlung 
bei  harnsaurer  Diathese;  Ernst  Bendix  (Berlin):  Ueber  Agglutina¬ 
tion  der  Tuberkelbacillen  (Demonstration);  Leo  Schwarz  (Prag): 
Ueber  Acetonausscheidung;  Magnus-Levi  (Berlin):  Ueber  den 
B  e  n  c  e  -  J  o  n  e  s’schen  Ei  weisskörper ;  Max  Michaelis  (Berlin): 
Ueber  Sauerstofftherapie;  Müller  (Leipzig):  Zur  Entstehung  der 
Lungenentzündungen;  W  o  1  f  Becher  (Berlin)  und  Rud.  Len  n- 
h  o  ff  (Berlin):  Weitere  Untersuchungen  über  die  Beziehungen  zwischen 
Körperform  und  Lage  der  Nieren.  Theilnehmer  für  einen 
einzelnen  Congress  kann  jeder  Arzt  werden.  Die 
Theilnehmerkarte  kostet  15  Mark.  Die  Theilnehmer  können  sich  an 
Vorträgen,  Demonstrationen  und  Discussionen  betheiligen  und  erhalten 
ein  im  Buchhandel  circa  12  Mark  kostendes  Exemplar  der  Ve  hand¬ 
langen  gratis.  Mit  dem  Congresse  ist  in  einem  Nebenraume  des 
Sitzungssaales  eine  Ausstellung  von  neueren  ärztlichen 
Apparaten,  Instrumenten,  Präparaten  u.  s.  w.,  so  weit 
sie  für  die  innere  Medicin  Interesse  haben,  verbunden. 


Freie  Stellen. 

Stadtarztesstelle  in  Sangerberg  bei  Marienbad,  Böhmen. 
Der  Gebalt  beträgt  jährlich  1200  K.  Bewerber  um  diese  Stelle  müssen 
Österreichische  Staatsbürger,  deutscher  Nationalität,  christlicher  Religion  und 
Doctoren  der  gesammten  Heilkunde  sein.  Der  Antritt  dieses  Postens  erfolgt 
nach  Uebereinkommen.  Bewerber  wollen  ihre  mit  dem  Heimatscheine, 
dem  Sittenzeugnisse,  Doctordiplome,  Taufscheine  und  dem  von  einem 
k.  k  Bezirksarzte  ausgestellten  oder  bestätigten  Zeugnisse  über  die 
physische  Diensttauglichkeit  und  den  allfälligen  Verwendungszeugnissen 
belegten  Gesuche  bis  15.  April  1900  beim  Bürgermeisteramte  Sangerberg 
einbringen. 

D  ist  r ictsar zt  esstell e  in  dem  aus  den  Gemeinden  Mildenau  und 
Raspenau  bestehenden,  3920 Einwohner  zählenden  Sanitätsdistricte  Raspenau, 
politischer  Bezirk  Friedland.  Böhmen.  Mit  diesem  Dienstposten  ist  ein 
Jahresgehalt  von  800  K  und  ein  jährliches  Reisepauschale  von  154  K  36  A 
verbunden.  Gesuche  um  die  Verleihung  dieser  Districtsarztesstelle,  deren 
Besetzung  >  auf  ein  Jahr  provisorisch  und  gegen  eine  vierteljährige 
Kündigung  erfolgt,  sind  unter  Beibringung  der  im  §  5  des  Gesetzes  vom 
23.  Februar  1888,  L.  G.  Bl.  Nr.  9,  vorgeschriebenen  Belege  und  der  Nack¬ 
weisung  der  vollkommenen  Kenntniss  der  deutschen  Sprache  in  Wort  und 
Schrift  bis  15  April  1900  beim  Bezirksausschüsse  in  Friedland  einzubringen. 
Der  Dienstantritt  hat  am  1.  Juni  d.  J.  zu  erfolgen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeindengruppe  Traut¬ 
mannsdorf,  Sarasdorf  und  Stixneusiedl,  mit  dem  Wolmsitzein  Trautmanns¬ 
dorf,  Nieder  Österreich.  Gemeindebezüge  900  K,  eventuell  500  K 
und  freie  Wohnung  in  einem  eigenen  Hause  sammt  Garten.  Landes¬ 
subvention  800  Ä',  ferner  ein  zu  vereinbarendes  Pauschale  seitens  der 
Bezirkskrankencasse.  Haltung  einer  Hausapotheke  erforderlich.  Der  Ge¬ 
meindearzt  ist  verpflichtet,  in  Siixneusiedl  dreimal  und  in  Sarasdorf 
zweimal  wöchentlich  zu  ordiniren  Bewerber  um  diese  mit  1.  Juni  1900  zu 
besetzende  Stelle  wollen  ihre  mit  dem  Tauf-(Geburts-)scheine,  dem 
Heimatscheine,  dem  amtsärztlichen  Gesundheits-  und  Tauglichkeitszeugnisse, 
dem  Siltenzeugnisse,  sowie  dem  Diplome  und  etwaigen  Verwendungs¬ 
zeugnissen  belegten  Gesuche  bis  längstens  20.  April  1900  bei  der  k.  k. 
Bezirkshauptmannschaft  Bruck  an  der  Leitha  einbringen.  Persönliche  Vor¬ 
stellung  erwünscht. 

Gemeindearztes  stelle  für  die  Sanitätsgruppe  Gross-Ebersdorf, 
Bezirk  Korneuburg,  Nieder  Österreich.  Bezüge:  Von  den  Gemeinden  ein 
jährliches  Fixum  von  400  K  und  eine  Subvention  aus  dem  Landesfonde  im 
jährlichen  Ausmasse  von  700  K.  Haltung  einer  Hausapotheke  erforderlich. 
Die  Einrichtung  für  dieselbe  kann  von  den  Erben  des  verstorbenen  Ge¬ 
meindearztes  übernommen  werden.  Bewerber  wollen  ihre  Gesuche  ehestens 
an  die  Gemeindevorstehung  in  Gross-Ebersdorf  richten. 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


357 


Verhandlungen 


ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  |  Oesterreichische  otologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  29.  Januar  1900. 

Sitzung  vom  6.  April  1900.  (Schluss.)  . 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom  71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 
13.  März  1900.  Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  G.  Apiil  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Chrobak. 

Schriftführer :  Prof.  R.  Paltauf. 

Der  Vorsitzende  tlieilt  den  Tod  zweier  Mitglieder  der  k.  k.  Ge¬ 
sellschaft  rpit,  darunter  eines  der  ältesten;  es  sind  dies  Herr  Professor 
J.  Gruber  und  Herr  Dr.  Thausig;  die  Versammlung  erhebt  sich 
zum  Zeichen  der  Trauer. 

Der  Vorsitzende  erinnert,  dass  aus  den  Stiftungen  für  arme, 
unterstützungsbedürftige  Mitglieder  noch  Gelder  erübrigt  sind  und 
ersucht  um  eventuelle  confidentielle  Mittheilungen. 

Der  Verein  „Centralbibliothek“,  welcher  sich  keiner  Unter¬ 
stützung  von  Seite  mancher  Behörden  erfreut,  aber  innerhalb  kurzer 
Zeit  einen  ganz  enormen  Aufschwung  genommen  hat  (er  hat  in  zwei 
Jahren  zwölf  Bibliotheken  eingerichtet),  legt  den  Mitgliedern  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  seine  Jahresberichte  vor  und  ersucht 
um  Unterstützung  und  Förderung  namentlich  in  Beziehung  auf  die 
von  ihm  errichte  medicinische  Studienbibliothek  (IX.,  Ilöfergasse)  sei 
es  durch  Spenden  von  Büchern,  sei  es  durch  solche  von  Geld. 

Der  österreichische  Verein  gegen  Trunksucht  richtete  an  die 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  ein  Schreiben,  mit  welchem  es  dieselbe 
einladet,  sich  an  den  Organisationsarbeiten  für  den  im  Jahre  1901  in  Wien 
abzuhaltenden  8.  internationalen  Congress  gegen  den  Alkoholismus 
zu  betheiligen  und  einen  Delegirten  in  das  in  Bildung  begriffene  Or- 
ganisationscomite  zu  entsenden.  Der  VerwaltuDgsrath  wird  entsprechend 
den  Statuten  die  Delegirtenwahl  vornehmen. 

Prof.  Benedikt  stellt  einen  Fall  von  Tabes  vor,  den  er  im 
Jahre  1898  durch  acht  Monate  vergebens  mittelst  Elektricität,  Hydro¬ 
therapie,  Points  de  feu  und  unblutige  Dehnung  behandelte. 

Der  Kranke  litt  an  äusserst  heftigen,  fast  continuirlich  andau¬ 
ernden  Schmerzanfällen,  an  ebenso  intensiven  und  andauernden  Larynx- 
krisen  und  seine  Gehfähigkeit  war  so  herabgekommen,  dass  er  nur  mit 
Hilfe  zweier  Stöcke  gehen  konnte  und  bald  ermüdete. 

Da  jede  Art  von  Respirationsbeschwerden  und  besonders  Crises 
laryngeennes  für  die  blutige  Dehnung  sehr  bedenklich  sind,  entschloss 
sich  Benedikt  im  December  1898  nur  wegen  der  verzweifelten 
Lage  des  Kranken  zweizeitig  zu  operiren.  Alle  krankhaften  Evsehei- 
scheinungen  Hessen  bald  nach.  Die  Algien  und  die  Kehlkopfkrisen 
wurden  immer  seltener,  kürzer  und  schwächer  und  heute  sind  nur 
mehr  Mahnungen  daron  vorhanden.  Die  Gehfähigkeit  besserte  sich 
so,  dass  def  Kranke  leicht  ohne  Stock  und  andauernd  gehen  kann 
und  sich-  sein  Brot  als  Hausirer  verdient. 

Dr.  P.  Karplus  demonstrirt  das  anatomische  Präparat  eines 
Falles,  bei  dem  intra  vitam  die  Diagnose  auf  ein  rupturirtes 
Aneurysma  der  Carotis  interna  an  der  Hirnbasis 
gestellt  und  Heilung  durch  Unterbindung  der  Carotis 
communis  versucht  worden  war. 

Die  69jährige  Kranke  war  am  8.  März  1900  während  der 
Mahlzeit  mitten  aus  vollkommenem  Wohlbefinden  plötzlich  erkrankt. 
Sie  empfand  einen  heftigen  stechenden  Schmerz,  der  vom  linken  Unter¬ 
kieferwinkel  gegen  den  Scheitel  hinaufzog;  sie  meinte,  der  Schlag 
müsse  sie  getroffen  haben  und  schrie  vor  Schmerz  laut  auf.  Von 
diesem  Momente  an  hatte  Patientin  heftige  Schmerzen  in  der  linken 
Kopfhälfte;  zugleich  mit  den  Schmerzen  trat  ein  Rauschen  im  linken 
Ohre  auf,  „wie  wenn  eine  Säge  hin  und  her  fährt“.  Zwei  Tage  später 
begann  eine  leichte  Ptosis  links,  die  während  der  folgenden  acht 
Tage  an  Intensität  zunahm;  es  trat  ein  eben  merklicher  Exophthalmus 
links  auf;  der  linke  Bulbus  wurde  etwas  druckempfindlich;  hob  Pa¬ 
tientin  das  herabgesunkene  Oberlid  mit  der  Hand  in  die  Höhe,  so  sah 
sie  doppelt. 

Die  anhaltenden  Schmerzen  veranlassten  die  Kranke  im  Spitale 
Hilfe  zu  suchen;  sie  wurde  auf  die  Nervenklinik  v.  K  r  a  f  f  t  -  E  b  i  n  g 
aufgenommen. 

Der  Vortragende  sah  die  Patientin  zum  ersten  Male  am  27.  M  är  z 
Früh  und  konnte  folgenden  Befund  aufnehmen:  Freies  Sensorium, 


Klage  über  heftige  Kopfschmerzen  links  und  Rauschen  im  linken  Ohre 
Arteriosklerose  der  tastbaren  Gefässe.  Hypertrophie  des  linken  Herz 
Ventrikels.  Eine  Spur  Albumen  im  Harn.  Die  übrigen  Störungen  im 
Bereich  des  Kopfes.  Ptosis  links,  leichter  Exophthalmus  links,  Parese 
des  linken  Nervus  abducens  und  der  äusseren  Aeste  des  linken  N. 
oculomotorius.  Die  anderen  Hirnnerven  normal.  Beim  Anlegen  des  Ohres 
an  den  Kopf  der  Kranken  hörte  man  ein  lautes  Geräusch;  das¬ 
selbe  war  rhythmisch,  mit  dem  Puls  synchron,  links  viel  deutlicher 
zu  hören  als  rechts.  Am  lautesten  war  es  hinter  der  linken  Ohr¬ 
muschel.  Man  hörte  das  Geräusch  auch  auf  eine  Distanz  von  mehreren 
Centimetern  vom  Kopfe.  Compression  der  linken  Carotis 
communis  am  Halse  brachte  das  Geräusch  zum  Ver¬ 
schwinden  und  zugleich  gab  Patientin  jedes  Mal  an,  das  Rauschen 
nun  nicht  zu  hören.  Der  linke  Bulbus  pulsirte  nicht,  Stauungs 
erscheinungen  waren  weder  im  Augeninneren  noch  im  äusseren  Augen 
abschnitte  links  vorhanden.  Visus  links  Vi o»  rechts  °/i o- 

Bei  wiederholter  Untersuchung  der  Kranken  während  der  ersten 
24  Stunden  ihres  Spitalaufenthaltes  war  stets  derselbe  Befund  zu  con- 
statiren.  Auch  klagte  sie  beständig  über  starke  Kopfschmerzen,  gegen 
welche  Eisbeutel  und  Antineuralgica  nur  vorübergehend  Erleichterung 
brachten. 

Der  Vortragende  stellte  nun  die  Diagnose  auf  ein  rupturirtes 
Aneurysma  der  linken  Carotis  interna  an  der  Hirn¬ 
basis.  Aneurysmaruptur  glaubte  er  wegen  des  so  acuten  Einsetzens 
des  Symptombildes  annehmen  zu  müssen.  Ob  die  Ruptur  in  den 
Sinus  cavernosus  hinein  erfolgt  war  oder  nach  dem  Austritte  der 
Carotis  aus  dem  Sinus,  Hess  sich  nicht  entscheiden.  Die  für  den  Sinus 
cavernosus  ganz  charakteristischen  Symptome  fehlten,  es  war  kein 
Pulsiren  des  etwas  prominenten  Bulbus  vorhanden,  es  waren  keine 
Stauungserscheinungen  am  Bulbus  da;  auch  an  der  Augenklinik, 
welche  Patientin  ursprünglich  aufgesuclit  hatte,  und  von  welcher  sie 
in  die  Nervenambulanz  gesendet  wurde,  hatte  man  das  Fehlen  von 
Stauungssymptomen  constatirt,  und  die  Patientin,  sowie  deren  intelligente 
Umgebung  berichteten,  dass  sie  Pulsiren  des  Auges,  sowie  Röthung 
und  Schwellung  desselben  im  ganzen  bisherigen  Verlaufe  nicht  wahr¬ 
genommen  hätten.  Bei  der  Annahme  einer  Ruptur  des  Carotis- 
Aneurysmas  nach  Austritt  aus  dem  Sinus  war  die  Abdueensparese  un¬ 
gewöhnlich;  ferner  konnte  mau  wegen  des  Fehlens  allgemeiner  cen¬ 
traler  Erscheinungen  trotz  des  plötzlichen  Beginnes  keine  grosse 
diffuse  Blutung  annehmen,  sondern  abgesackte  Blutung  oder  vielleicht 
nicht  vollkommene  Ruptur  der  Arterienwand.  Aber  daran,  dass  hier 
nicht  ein  unversehrtes  Aneurysma  vorlag,  daran,  dass  in  dem  Moment, 
wo  die  Schmerzen  und  das  Sausen  unter  einem  heftigen  Stiche  ein¬ 
setzten,  das  Aneurysma  rupturirt  war,  wurde  festgehalten. 

Auf  Grund  dieser  Diagnose  wurde  der  Kranken  eine  Operation 
vorgeschlagen,  sie  willigte  sofort  ein.  Prof.  v.  Mosetig  hatte  die 
Güte,  auf  des  Vortragenden  Ersuchen  sogleich  —  am  28.  März, 
Mittags  —  unter  Localanästhesie  die  Unterbindung  und 
Durchschneidung  der  linken  Carotis  communis  am 
Halse  vorzunehmen.  Der  Eingriff  wurde  zunächst  gut  vertragen.  Die 
Schmerzen  waren  mit  einem  Schlage  verschwunden  und  kehrten  nicht 
wieder.  Sausen  —  von  der  Patientin  selbst  wahrgenommen  und  vom 
Arzte  zu  hören  —  trat  wenige  Minuten  nach  der  Operation  in  geringer 
Stärke  wieder  auf  und  verlor  sich  im  Laufe  des  29.  März  nach  und 
nach  vollkommen.  Der  Exophthalmus  war  verschwunden,  der  Bulbus 
nicht  mehr  empfindlich,  die  Ptosis  und  die  Parese  der  anderen  äusseren 
Oculomotoriusäste  gingen  zurück,  die  Abdueensparese  besserte  sich  am 
wenigsten.  Patientin  war  überglücklich,  von  den  Schmerzen  und  dem 
lästigen  Rauschen  befreit  zu  sein. 

Am  30.  März  trat  Herzschwäche  ein,  gegen  die  wir  ver¬ 
gebens  ankämpften.  Dazu  trat  eine  rechtsseitige  Hemiplegie 
mit  Aphasie.  Kräfteverfall,  Lobulärpneumonie.  Exitus  letalis  am 
3.  April  1900. 

Die  klinische  Diagnose  lautete:  Aneurysma  der  linken 
Carotis  an  der  Gehirnbasis.  Ruptur  des  Aneurysma. 
Ligatur  undDurchschnoidung  der  linken  Carotis 


358 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


communis  mit  nachfolgenderErweichungder  linken 
Gehirnhemisphäre.  Arteriosklerose. 

Die  Section  (Prof.  Weichselbaum)  bestätigte  die  Diagnose. 
Das  Präparat,  welches  der  Vortragende  nun  zur  Demonstration  bringt, 
zeigt  an  der  linken  Carotis  im  Sinus  cavernosus  ein  sackförmiges, 
flaches,  etwa  1  cm  langes  Aneurysma,  welches  an  der  medialen  Wand 
eine  3  mm  lange,  von  einem  Thrombus  verstopfte  Rissstelle  aufweist. 
Der  Circulus  arteriosus  Willisii  war  normal  entwickelt,  die  basalen 
Hirngefässe  wenig  arteriosklerotisch,  nirgends  thrombosirt.  Die  linke 
Jlirnhemisphäre  erweicht.  Die  Herzmusculatur  war  fettig  degenerirt, 
von  Schwielen  durchsetzt.  In  dieser  schlechten  Beschaffenheit  der  Herz¬ 
musculatur  war  auch  wohl  die  wesentliche  Ursache  zu  suchen  für  den 
ungünstigen  Ausgang.  Doch  glaubt  der  Vortragende,  dass  in  einem 
ähnlichen  Falle  wieder  ein  operativer  Eingriff  in  Erwägung  gezogen 
werden  müsste. 

Dr.  Kornfeld;  Ich  habe  den  G  a  e  r  t  n  e  r’schen  Versuch,  in 
welchem  der  Druck  bestimmt  wurde,  unter  dem  Flüssigkeit  durch  die 
Radialarterie  iu  die  Leichenhand  einströmte  und  zugleich  der  Tono¬ 
meterdruck  gemessen  wurde,  welcher  nöthig  war,  um  das  Ausfliessen 
dieser  Flüssigkeit  aus  dem  Finger  zu  unterdrücken,  wiederholt,  und 
zwar  zunächst  mit  Wickershei  m’scher  Flüssigkeit.  Dieser  Versuch 
ergab,  dass  bei  Durchströmen  des  Fingers  sofort  ein  Oedem  auftrat; 
schon  vor  Entstehung  des  Oedems  zeigte  sich  ein  Missverhältniss 
zwischen  dem  mit  dem  Manometer  gemessenen  Radialisdruck  und  dem 
Tonometerdruck,  welches  Missverhältniss  sich  in  dem  Masse  steigerte, 
als  das  Oedem  zur  Entwicklung  gelangte.  Ich  habe  dann,  um  das 
Oedem  zu  vermeiden,  die  Versuche  statt  mit  Wasser  oder  Wickers- 
h  e  i  m’scher  Flüssigkeit  mit  einer  Mischung  von  Oel  und  Petroleum 
ausgeführt.  Hiebei  entstand  kein  Oedem,  aber  das  Missverhältniss 
zwischen  dem  Tonometerdruck  und  zwar  demjenigen,  der  abgelesen 
wurde,  wenn  das  Durchströmen  aufhörte,  also  die  Digitalarterie  eom- 
primirt  war,  und  dem  Drucke,  der  in  der  Ulnararterie  gemessen  wurde, 
während  die  Einflusscanule  in  die  A.  radialis  eingebunden  war,  so  dass 
der  Druck  im  Arcus  volaris  bestimmt  wurde,  war  ein  ganz  auffallender. 
Eine  annähernde  Uebereinstimmung  fand  sich  aber  zwischen  dem 
Druck,  welcher  im  Arcus  herrschte,  und  dem  Tonometerdruck,  wenn 
das  Ausfliessen  wieder  begann.  Diese  letzteren  Versuche  würden  mit 
Prof.  G  aertner’s  Meinung  übereinstimmen,  aus  den  ersteren  dagegen 
geht  hervor,  dass  von  dem  durch  die  Kautschukspannung  erzeugten 
Druck  nur  ein  aliquoter  Theil  auf  die  Digitalarterie  übertragen  wird. 
Da  aber  diese  Versuche  über  die  klinische  Verwerthung  nichts  aus- 
sagen,  so  müssen  direct  vergleichende  Messungen  am  lebenden  Finger 
angestellt  werden. 

Ich  habe  120  vergleichende  Messungen  dieser  Art  ausgeführt, 
und  zwar  in  der  Weise,  dass  ich  unter  ganz  gleichen  Versuchsbedin¬ 
gungen  mit  dem  Sphygmomanometer  v.  B  a  s  c  h’s  den  Druck  in  der 
Radialarterie  mass  und  gleichzeitig  mit  dem  Tonometer  von  Gaertner 
den  Druck  bestimmte,  bei  welchem  deutliche  Röthung  eines  bestimmten 
Fingers  eintrat. 

Sämmtlicbe  Versuche  sind  mit  exact  construirten  und  erprobten 
Hg-Manometern  ausgeführt  worden.  Nur  in  einer  kleinen  Zahl  der 
Fälle,  und  zwar  im  Ganzen  18,  fand  ich  Uebereinstimmung  der  nach 
beiden  Methoden  gefundenen  Werthe  und  in  einer  noch  geringeren 
Zahl  war  der  Tonometerdruck  niedriger,  als  der  mit  dem  Sphygmo¬ 
manometer  gefundene.  In  der  übrigen  Zahl  war  der  Tonometerdruck 
der  höhere.  Das  Ueberwiegen  des  Tonometerdruckes  betrug  zuweilen 
nur  5  — 10%.  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  25 — 35%,  doch  in  einzelnen 
Fällen  auch  60%  und  darüber. 

Keineswegs  liess  sich  eine  Proportionalität  zwischen  den  nach 
beiden  Methoden  gefundenen  Zahlen  feststellen.  Demselben  Sphygmo¬ 
manometerdruck  entsprachen  sowohl  bei  demselben  Individuum,  als 
auch  bei  verschiedenen  Individuen  verschiedene  Tonometer  drucke  und 
umgekehrt. 

Während  der  Sphygmomanometerdruck  unverändert  blieb,  konnten 
durch  Aenderungen  der  Geschwindigkeit  der  Lüftung  des  den  Finger 
comprimirenden  Ringes  verschiedene  Druckwertlie  mit  dem  Tonometer 
gemessen  werden.  Ebenso  war  bei  unverändertem  Sphygmomanometer¬ 
druck  der  Tonometerdruck  je  nach  Wahl  der  Hand  oder  des  Fingers 
verschieden.  Eine  weitere  Reihe  von  Versuchen  zeigte,  dass  durch 
locale  Einflüsse  das  Ergebniss  der  Tonometermessung  an  dem  diesen 
Einflüssen  unterworfenen  Finger  in  ganz  bestimmter  Weise  beeinflusst 
werden  konnte,  welche  der  allgemeinen  Beeinflussung  des  Kreislaufes 
durch  die  vorgenommene  Procedur  nicht  entsprach.  Hieraus  geht  hervor, 
dass  die  mit  dem  Tonometer  gewonnenen  Zahlen  die  Resultante  eines 
ganzen  Complexes  von  Bedingungen  darstellen,  unter  denen  nebst  dem 
Arteriondrucke  die  Art  der  Venenstauung  und  der  Gewebsdruck  eine 
massgebende  Rolle  spielen  dürften.  Es  ist  aber  aus  der  Angabe  des 
Tonometers  selbst  nicht  möglich,  zu  entscheiden,  welchen  Antheil  diese 
verschiedenen  Bedingungen  an  dem  Gesammtresultate  haben.  Ja  es  ist 
nicht  einmal  möglich,  festzustellen,  ob  der  Blutdruck,  der  ja  eigentlich 


gemessen  werden  soll,  in  dem  gefundenen  Gesammtresultate  eine 
dominirende  Rolle  spielt.  (Näheres  werde  ich  an  anderer  Stelle  mit¬ 
theilen.) 

Ob  die  tonometrische  Methode,  combinirt  mit  der  sphygmomano- 
metrischen,  dadurch,  dass  man  eine  von  den  unbekannten  Bedingungen, 
d.  i.  den  Blutdruck,  genauer  kennen  lernt,  Auskunft  über  die  anderen 
Bedingungen  zu  geben  vermag,  was  ja  klinisch  nicht  ohne  Interesse 
wäre,  das  müssen  weitere  Versuche  lehren. 

Discussion  zum  Vortrage  Dr.  K  o  r  n  f  e  1  d’s  : 

Prof.  Gaertner:  Die  Ausführungen  des  Herrn  Redners  zer¬ 
fallen  in  zwei  Abschnitte.  Der  erste  behandelt  Leichenversuche  nach 
einer  von  mir  erfundenen  Methode.  Es  ergab  sich  dabei  eine  gute 
Uebereinstimmung  der  Resultate,  wenn  das  Experiment  analog  der 
Messung  am  Lebenden  ausgeführt  wurde.  Das  spricht  also  entschieden 
fürs  Tonometer. 

Schon  in  meiner  ersten  Publication  (Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift  vom  23.  Juni  1899)  habe  ich  auf  verschiedene  Fehlerquellen 
dieser  Versuche  hingewiesen. 

Demnächst  werde  ich  über  viel  verlässlichere  Vergleichs - 
messungen  berichten,  die  es  gestatten,  am  lebenden  Thiere  die  Angaben 
des  Tonometers  mit  den  Angaben  eines  mit  der  Arterie  direct  ver¬ 
bundenen  Quecksilbermanometers  zu  vergleichen.  Das  Tonometer  lege 
ich  am  rasirten  Schwanz  eines  (weissen)  Hundes  an. 

Die  Ausführung  der  tonometrischen  Messung  unterliegt  keiner 
Schwierigkeit. 

Diese  Versuche  ergaben  nun  eine  ausgezeichnete  Ueberein¬ 
stimmung  zwischen  den  Tonometerzahlen  und  den  in  der  A.  cruralis 
direct  gemessenen. 

In  dem  zweiten  Theile  seiner  Ausführungen  vergleicht  Herr 
Dr.  Kornfeld  die  Angaben  des  Tonometers  mit  denen  des  Sphygmo¬ 
manometers  v.  B  a  s  c  h’s.  Aus  der  ungenügenden  Uebereinstimmung 
schliesst  er  auf  die  Unvollkommenheit  des  Tonometers. 

Gegen  diese  Art  der  Argumentation  muss  ich 
entschieden  Protest  erheben.  Das  Sphygmomano¬ 
meter  v.  Base  h’s  ist  sicherlich  kein  Normalinstru¬ 
ment,  mit  dem  man  andere  Apparate  aicht  oder  con¬ 
trol  irt.  Das  sollte  dem  Herrn  Vortragenden  aus  der  Literatur  be¬ 
kannt  sein. 

Für  mich  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  die  Differenzen 
hauptsächlich  dem  Sphygmomanometer  zur  Last  geschrieben  werden 
müssen. 

Der  Herr  Vortragende  hat  übrigens  vor  kurzer  Zeit  in  einer 
Publication  erwähnt,  dass  er  seine  sphygmomanometrischen  Messungen 
mit  dem  Tonometer  controlirt:  „Das  gewonnene  Resultat  war  nach 
beiden  Methoden  das  absolut  gleiche.“ 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir,  Herrn  Prof.  v.  Basch  gegen¬ 
über  neuerdings  meine  Ueberzeugung  von  der  völligen  Unerspriesslich- 
keit  der  von  ihm  und  seinen  Schülern  am  Tonometer  geübten  Kritik 
hervorzuheben.  Die  Entscheidung  darüber,  ob  sein  oder  mein  Apparat 
besser  ist,  wird  sicherlich  nur  von  Unbefangenen,  Dritten  gefällt 
werden.  Sie  ist  ja  im  Zuge,  und  ich  habe  allen  Grund,  mit  dem  bis¬ 
herigen  Ausfall  derselben  zufrieden  sein. 

Prof.  v.  Basch  erinnert  daran,  dass  die  exacte  Prüfung  des 
Sphygmomanometers  am  Thierexperimente  sehr  leicht  und  sicher  sei, 
und  dass  dieselbe  nicht  nur  von  ihm,  sondern  auch  von  Z  a  d  e  k, 
Rosen  u.  A.  vorgenommen  worden  sei.  Rosen  hat  die  sphygmo- 
manometrische  Methode  sogar  für  das  Thier  direct  verwendet,  wo  ja 
immer  die  directe  manometrische  Methode  mit  in  Anwendung  kommen 
kann.  Der  Letzte,  der  die  sphygmomanomefrische  Methode  experimentell 
prüfte,  war  bekanntlich  Prof.  v.  Ziemssen.  Vor  einigen  Jahren 
theilte  er  auf  einer  Naturforscherversammlung,  die  hier  stattfand, 
folgenden  Versuch  mit:  Er  hatte  Gelegenheit,  einen  Mann  auf  die 
Klinik  zu  bekommen,  dessen  Temporalis  auf  der  einen  Seite  verletzt 
war.  Mit  dieser  Temporalis  wurde  ein  Manometer  verbunden  und  damit 
der  Druck  gemessen,  an  der  anderen  unverletzten  Temporalis  wurde 
der  Druck  mit  dem  Sphygmomanometer,  den  Prof.  v.  Ziemssen  so 
freundlich  war,  Baschometer  zu  nennen,  bestimmt.  Es  ergaben  sich 
hiebei  ganz  übereinstimmende  Werthe.  Er  hält  es  also  für  vollständig 
überflüssig,  auch  nur  ein  Wort  zur  Vertheidigung  der  sphygmomano- 
metrischen  Methode  beizubringen,  wohl  aber  möchte  er  Herrn  Professor 
Gaertner,  der  so  ängstlich  dem  Sphygmomanometer  ausweicht,  den 
Rath  geben,  ein  anderes  Instrument  zu  vergleichenden  Prüfungen  zu 
benützen,  und  zwar  das  Sphygmomanometer  von  Moss  o*  Das  scheint 
schon  deshalb  angezeigt,  weil  ja  mit  dem  Moss  o’schen  Instrumente 
der  Druck  ebenfalls  an  der  Digitalis  gemessen  wird.  Auf  diese  Weise 
könnte  er  sich  den  Controlversuch  mit  dem  Schweife  des  weissen 
Hundes  ersparen  und  da  vergleichen,  wo  verglichen  werden  soll,  am 
Menschen. 

Prof.  Gaertner:  Die  freundlichen  Rathschläge  des  Herrn 
Prof.  v.  Basch  lehne  ich  dankend  ab.  Das  Sphygmomanometer  von 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCIIENSCI IRIFT.  1900. 


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M  o  8  s  o  ist  zur  Ueberprüfung  des  Tonometers  nicht  geeignet,  da  seine 
Angaben  sich  mit  den  absoluten  Druckwerthen  sicherlich  nicht  docken. 
Das  geben  auch  Autoren  zu,  die  den  Apparat  verwendet  haben. 

Hierauf  hält  Dr.  Theneii  seinen  Vortrag:  Die  Ursache  des 
Geburtseintrittes.  (Erscheint  demnächst  ausführlich  in  dieser 
Wochenschrift.) 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  13.  März  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  v.  Krafft-Ebing. 

Schriftführer:  Dr.  y.  Sölder. 

1.  Privatdocent  Dr.  K  a  r  1  K  u  n  n  demonstrirt  einen  Tabiker  mit 
dissociirter  Augenmuskellähmung.  Patient  leidet  an 
Paralyse  des  rechten  Rectus  medialis,  fixirt  aber  mit  dem  rechten  Auge. 
Lässt  man  ihn  stark  nach  rechts  blicken,  so  bewegt  sich' das  linke 
Auge  bis  ungefähr  an  die  normale  Grenze  nach  innen  und  macht  dann, 
während  das  rechte  Auge  ruhig  im  äusseren  Lidwinkel  stehen  bleibt 
von  Zeit  zu  Zeit  ruhig  gleitende  Bewegungen  zurück  in  die  Mittel¬ 
stellung  oder  ein  wenig  nach  oben  oder  unten.  Diese  Bewegungen 
eines  Auges,  unabhängig  vom  anderen,  stellen  somit  einen  Zerfall  der 
Association  der  Augenbewegungen  dar.  Diese  Erscheinung  konnte  Vor¬ 
tragender  bisher  in  sechs  Fällen  constatiren,  welche  alle  an  Tabes 
litten.  Die  ausführliche  Publication  über  dieses  merkwürdige  Phänomen 
findet  sich  in:  Beiträge  zur  Augenheilkunde,  Heft  41. 

Discussion:  Dr.  Kar  plus  bemerkt,  dass  man  dieselbe 
Erscheinung  manchmal  bei  Krampfanfällen  sehe,  und  zwar  zuweilen 
ganz  so,  wie  im  demonstrirten  Falle.  Karplus  habe  seinerzeit  in 
einer  Publication  diese  dissociirten  Augenbewegungen  in  Krampfanfällen 
erwähnt;  sie  kommen  bei  epileptischen  wie  bei  hysterischen  Anfällen  vor. 

Dr.  K  u  n  n  erwähnt,  dass  er  als  Erster  einen  classischen  Fall 
von  Dissociation  der  Augenbewegungen  bei  Hysterie  beschrieben  habe, 
dass  es  sich  hierbei  aber  nicht  um  Lähmungen  handle.  Die  scheinbare 
Dissociation  bei  Augenmuskelkrämpfen  rührt  daher,  dass  die  krampfenden 
Muskeln  sich  eben  in  unregelmässiger  Weise  contrahiren  und  relaxiren, 
wodurch  auch  uncoordinirte  Bewegungen  zu  Stande  kommen,  die 
aber  mit  dem  von  ihm  demonstrirten  Symptom  der  dissociirten 
Lähm  u  n  g  keine  Analogie  habe. 

Dr.  Karplus  erwidert,  er  wolle  nicht  behaupten,  dass  der 
Mechanismus  des  Phänomens  in  beiden  Fällen  derselbe  sei.  Das  klinische 
Bild  der  dissociirten  Augenbewegung  aber  könne  in  Krampfanfällen 
ganz  so  sein  wie  in  dem  von  Dr.  Kunn  demonstrirten  Falle. 

2.  Dr.  Elzholz  demonstrirt  eine  Patientin  mit  der  zwischen 
Syringomyelie  und  amyotrophischer  Lateralsklerose  schwankenden 
Diagnose. 

Die  49jährige,  hereditär  nicht  belastete,  vor  vier  Jahren  wegen 
Uteruscarcinom  radical  operirte,  von  Recidiven  oder  nachweisbaren 
Metastasen  frei  gebliebene  Kranke  fiel  im  October  1898  von  Tisch¬ 
höhe  rücklings  auf  die  rechte  Schulter  auf,  ohne  das  Bewusstsein  ver¬ 
loren  zu  haben.  Die  in  der  Folge  aufgetretenen  intermittirenden  Schmerzen 
in  der  Schultergegend  sind  seit  mehreren  Monaten  cessirt.  Im  April 
1899  hatte  sie  einen  Anfall  von  Bewusstlosigkeit  mit  klonischen 
Zuckuugen  im  rechten  Facialisgobiet  und  nachfolgender  aphasischer 
Sprachstörung  von  einer  flüchtigen,  kaum  mehrere  Stunden  anhaltenden 
Dauer.  Im  Mai  stellte  sich  eine  innerhalb  24  Stunden  zur  Entwicklung 
gelangte  Gebrauchsunfähigkeit  des  rechten  Oberarmes  ein,  nachdem 
schon  mehrere  Wochen  zuvor  Abstehen  des  rechten  Schulterblattes  von 
der  Umgebung  bemerkt  worden  war.  Innerhalb  weniger  Tage  besserte 
sich  der  Zustand  im  rechten  Oberarme  bis  zur  normalen  Bewegungs¬ 
fähigkeit  bei  Fortdauer  eines  Schwächegefühles  in  demselben.  Die  Kranke 
konnte  wieder  durch  mehrere  Wochen  sich  des  Armes  zum  Frisiren 
bedienen.  Nach  allmälig  fortgeschrittener  Verschlimmerung  besteht  seit 
drei  Monaten  vollständiges  Unvermögen,  den  rechten  Oberarm  zu  ge¬ 
brauchen,  bei  Erhaltensein  der  Bewegungen  in  der  rechten  Hand  und 
in  den  Fingern  in  normalem  Umfange.  Letztere  befähigen  die  Kranke 
zu  kleineren  \  errichtungen  und  Hantirungen,  wenn  sie  die  im  Ellbogen 
gebeugte  Extremität  in  einer  Schlinge  trägt.  Eine  Abnahme  der  Be¬ 
wegungsfähigkeit  und  der  Kraft  in  den  anderen  Extremitäten  machte 
sich  der  Patientin  nicht  wahrnehmbar. 

Die  Intelligenz  der  anämischen,  schlecht  genährten  Kranken  ist 
nachweislich  nicht  gestört.  Pupillen  lichtstarr  bei  erhaltener  accommo- 
dativer  und  Convergenzreaetion.  Seitens  der  Gehirnnerven  bis  auf  einen 
leicht  auslösbaren  Masseterenreflex  sonst  nichts  Bemerkenswerthes. 
Der  Oberarm  kann  wegen  totaler  Lähmung  des  Deltoideus  nicht  ge¬ 
hoben,  wegen  Functionsschwäche  des  Peetoralis  major,  des  Latissimus 
dorsi  und  Teres  major  nur  mit  geringer  Kraft  adducirf,  wegen  aus¬ 
geprägter  Parese  der  Subscapularis  nur  sehr  schwächlich  einwärts  ge¬ 
rollt  und  wegen  Parese  des  Infraspinatus  und  Teres  minor  nur  mit 
leicht  zu  überwindender  Kraft  nach  auswärts  gerollt  werden.  Die  Beu¬ 


gung  des  Oberarmes  im  Ellbogengelenk  ist  wegen  totaler  Lähmung 
des  Brachialis  internus,  des  Biceps  und  des  Supinator  longus  unmöglich. 
Der  in  pronirter  Stellung  herabhängende  Vorderarm  kann  wegen 
Lähmung  des  Supinator  brevis  nicht  supinirt  werden.  Die  Extensoren 
des  Vorderarmes,  sowie  die  die  Bewegungen  der  Hand  und  der  Finger 
besorgenden  Muskeln  nur  in  ihren  groben  motorischen  Kraft  gegenüber 
der  linken  Seite  etwas  herabgesetzt.  Die  Parese  des  Musculus  serratus 
anticus  major  ist  aus  dem  flügelförmigen  Abstehen  der  Scapula  deut¬ 
lich  erkennbar.  Die  Motilität  der  anderen  Extremitäten  intact. 

Die  von  der  Lähmung  am  stärksten  betroffenen  Muskeln  sind 
stark  atrophisch,  am  stärksten  der  Deltoideus,  etwas  weniger  der  Biceps, 
Brachialis  internus,  Supinator  longus,  ferner  in  geringerem  Masse  der 
rechte  Peetoralis  major,  Latissimus  dorsi.  Der  noch  erhaltene  Rest  des 
Biceps,  Brachialis  internus  fühlte  sich  weich  und  teigig  an,  offenbar 
in  Folge  Ersatzes  eines  Theiles  der  Muskelsubstanz  durch  Fett.  Links 
ist  der  Petoralis  major  vielleicht  auch  schon  etwas  atrophisch.  In  den 
stark  atrophischen  Muskeln  fibrilläre  Zuckungen.  Der  Deltoideus, 
Brachialis  interims,  Biceps,  Supinator  longus,  und  Serratus  anticus  major 
zeigen  Entartungsreaction,  Einzelne  der  anderen  functionsschwachen 
Muskeln  herabgesetzte  elektrische  Erregbarkeit.  Der  Bicepsreflex  rechts, 
sowie  die  tiefen  Reflexe  vom  Vorderarm  fehlen.  Der  Tricepsreflex  leb¬ 
haft.  Dia  Sehnenreflexe  der  linken  Seite  lebhaft.  Der  Patellar-  und 
Achillessehnenreflex  rechts  gegenüber  links  deutlich  gesteigert.  Kigores 
in  der  Musculatur,  Versteifungen  in  den  Gelenken  bei  passiven  Be¬ 
wegungen  bestehen  nicht. 

Die  Sensibilität  ist  überall  intact,  insbesondere  nirgends  disso¬ 
ciate  Empfindungslähmung.  Wirbelsäule  weder  spontan  schmerzhaft 
noch  druckempfindlich;  keine  Deformität  derselben,  keine  Skoliose. 
Blasen-  und  Mastdarmfunction  intact. 

Was  zunächst  den  Sitz  der  dem  obigen  Befunde  zu  Grunde 
liegenden  Affection  betrifft,  so  ist  eine  primäre  und  nur  auf  diese 
beschränkte  Erkrankung  der  Muskeln,  ferner  ein  Neuritis  der  peripheren 
Nervenstämme  auszuschliessen,  letztere  schon  wegen  des  ungleichartigen 
Verhaltens  von  Muskeln,  die  von  gleichen  Nervenstämmen  versorgt 
werden.  An  eine  combinirte  Plexuslähmung  im  Sinne  E  r  b’s,  bei  der 
die  Combination  gelähmter  und  atrophischer  Muskeln  die  gleiche  ist, 
wie  die  Combination  der  von  der  Lähmung  am  stärksten  betroffenen 
Muskeln  in  unserem  Falle,  ist  kein  Grund  zu  denken,  weil  neben  Fehlen 
von  Sensibilitätsstörungen,  von  Druckempfindlichkeit  des  Plexus  brachi¬ 
alis  das  Mitbetroffensein  einer  Anzahl  von  bei  der  E  r  b’schen  Lähmung 
nicht  afficirteu  Muskeln,  wenn  auch  in  geringerem  Grade  dagegen 
spricht.  Das  vorliegende  Symptom  einer  Seitenstrangaffeetion,  und  zwar 
rechts  in  Form  des  gesteigerten  Patellar-  und  Achillessehnenreflexes  auf 
einer  Seite,  auf  welcher  sich  auch  die  Muskelaffection  befindet,  unter¬ 
stützt  diese  Ansschliessung.  Die  annäherungsweise  gleiche  Auswahl 
atrophischer  und  gelähmter  Muskeln  hat  Rem  a  k  als  Oberarmtypus  der 
Poliomyelitis  acuta  bei  Erwachsenen  unterschieden.  Der  Sitz  der  Rücken¬ 
marksläsion  wurde  für  diese  Affection  in  die  Höhe  der  vierten  und 
fünften  Cer vicalwurzel  verlegt.  Den  gleichen  Sitz  dürfte  die  Affection 
in  uuserem  Falle  haben.  Was  die  Natur  der  Affection  betrifft,  so 
kommen  Syringgomyelie  und  amyotrophische  Lateralsklerose  differential¬ 
diagnostisch  in  Betracht,  Syringomyelie,  da  wir  gegenwärtig  wissen, 
dass  diese  in  Beginn  und  auch  später  noch  lange  Zeit  mit  vorwiegend 
oder  ausschliesslich  motorischen  Symptomen  bei  Fehlen  von  Sensibilitäts- 
defecten  einhergehen  kann.  Die  Vertheilung  der  atrophischen  Muskeln 
in  unserem  Falle  stimmt  mit  Remak's  ähnlichen  Fällen  von  Syringo¬ 
myelie  (mit  Oberarmtypus)  überein,  und  fügt  sich  auch  in  den  von 
Schlesinger  genauer  beschriebenen  humero-scapularen  Typus  der 
Syringomyelie  ein,  bei  dem  den  Muskelatropbien  um  Jahre  voraus¬ 
eilende  sensible  Störungen  Vorkommen  können.  Was  nun  die  amyo¬ 
trophische  Lateralsklerose  betrifft,  so  würde  das  Beschränktbleiben  der 
Störungen  auf  die  motorische  Sphäre  eher  für  letztere  sprechen.  Die 
vorwiegende  Localisation  der  Atrophie  und  der  Lähmungen  im  Bereich 
der  Schulter  und  des  Oberarmes  bei  relativem  Intactbleiben  der  kleinen 
Muskeln  der  Hand,  der  Streck-  und  Beugemuskel  des  Vorderarmes 
Hesse  allerdings  den  Fall  einem  selteneren,  aber  immerhin'  bekannten 
Typus  dieses  Leidens  zuzählen.  Auch  hinsichtlich  des  auffallend  langen 
Verschontbleibens  der  linken  oberen  Extremität  von  Atrophie  und  Parese 
(seit  April  1899)  bei  der  Kranken  sind  analoge  Fälle  in  der  Literatur 
verzeichnet;  so  z.  B.  ein  Fall  S  t  r  ü  m  p  e  1  l’s,  ein  Fall  G  o  w  e  r’s.  Die 
rasch  einsetzende  Lähmung  des  rechten  Oberarmes, f  nachdem  eine 
Atrophie  der  Muskeln  des  Schultergürtels  vorausgegangen  (von  der 
Umgebung  früher  bemerktes  Abstehen  der  rechten  Scapula)  kann 
ebensogut  auf  Syringomyelie,  wie  auf  amyotrophische  Lateralsklerose, 
wenn  auch  als  seltenes  Ereigniss  bei  letzterer  bezogen  werden.  Der 
Beginn  mit  Schmerzen  und  namentlich  die  Remission  nach  der  anfalls¬ 
weise  aufgetretenen  Lähmung  des  Oberarmes  spricht  zu  Gunsten  einer 
Syringomyelie.  Eine  sichere  Entscheidung  bezüglich  der  Diagnose  ist 
jedoch  derzeit  nicht  möglich.  Die  reflectorische  Pupillenstarre,  gleich- 
giltig,  ob  sie  ein  Initialsymptom  einer  progressiven  Paralyse  darstellt, 
wofür  nach  den  anamnestischen  Daten  ein  begründeter  Verdacht  hier 


360 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


vorliegt,  oder  selbstständig  besteht,  kann  als  unterstützendes  Moment 
für  die  Diagnose  nicht  verwerthet  werden.  Es  sind  Syringomyelien, 
aber  auch  Fälle  amyotrophischer  Lateralsklerose  und  progressiver 
Muskelatrophie,  combinirt  mit  progressiver  Paralyse  bekannt.  Aber  auch 
ohne  Combination  mit  Paralyse  oder  Tabes  ist  Pupillenstarre  bei  Syringo¬ 
myelie  verzeichnet;  dass  sie  bei  amyotrophischer  Lateralsklerose  Vor¬ 
kommen  könne,  hat  letzthin  Schlesinger  hier  mitgetheilt. 

3.  Df.  E.  Kaimann  demonstrirt  mikroskopische  Präparate 
eines  Falles  von  Polioencephalitis  superior  acula  hämorrhagica. 

Es  handelto  sich  um  einen  45jährigen  Alkoholiker  (Schnaps¬ 
säufer),  der  mit  Ausnahme  eines  Deliriums  vor  18  Jahren  nie  krank 
gewesen ;  der  Mann  ging  sogar  bis  zum  Tage  vor  der  Einbringung 
anstandslos  seinem  Berufe  nach.  Jetzt  war  neuerlich  ein  Delirium  aleo- 
holicum  ausgebrochen ;  ausserdem  fiel  uns  eine  Orientirungsstörung  auf, 
welche  der  ganz  leichten  deliriösen  Verwirrtheit  nicht  entsprach.  Die 
körperliche  Untersuchung  ergab  bei  dem  kräftigen  Patienten  die  Zeichen 
des  chronischen  Alkoholismus,  deutlich  das  ß  o  m  b  e  r  g’sche  Symptom, 
endlich  einen  geringen  Strabismus  convergens  als  Folge  einer  beider¬ 
seitigen  Abducens  p  a  r  e  s  e ;  bei  seitlicher  Blickrichtung  traten  nystak¬ 
tische  Zuckungen  auf.  Die  Pupillen,  anfangs  eng,  auf  Licht  nicht 
roagirend,  wurden  später  different  und  vollkommen  starr.  Sonst  be¬ 
standen  keinerlei  Störungen.  Der  Krankheitsprocess  dauerte  nur  kurze 
Zeit;  das  Delirium  nahm  einen  asthenischen  Charakter  an,  die  anfangs 
normale  Körpertemperatur  sank  unter  die  Norm;  am  neunten  Krank¬ 
heitstage  war  der  Patient  moribund  und  unter  allmäligem  Erlöschen 
der  Reflexe  erfolgte  ohne  besondere  Erscheinungen  Tags  darauf  im 
tiefsten  Koma  der  Exitus  letalis. 

Die  Obduction  lieferte  ein  recht  negatives  Ergebniss  luid  keine 
Aufklärung  über  die  unmittelbare  Todesursache.  Sehr  ausgeprägte  Ver¬ 
änderungen  ergab  indess  die  mikroskopische  Untersuchung  des  Hirn¬ 
stammes,  von  dem  eine  geschlossene  Schnittserie  angefertigt  wurde. 
Wir  sehen  einen  Krankheitsprocess,  der  sich  strenge  auf  den  grauen 
Boden  des  vierten  Ventrikels,  des  Aquaeductus  Sylvii  beschränkt,  und 
im  hinterstsn  Drittel  der  dritten  Hirnkammer  abklingt;  alle  anderen 
grauen  Massen,  die  Rinde  des  Gross-  und  Kleinhirns  sind  völlig  ver¬ 
schont.  In  diesem  streng  abgegrenzten  Gebiete  finden  wir  eine  ausser¬ 
ordentliche  Hyperämie,  die  Gewebselemente  dicht  durchsetzt  von  einer 
grossen  Anzahl  erweiterter  und  geschlängelter  Gefässe,  die  mit  Blut¬ 
körperchen  strotzend  angepfropft  sind.  Die  Scene  wird  aber  beherrscht 
durch  zahlreiche  Hämorrhagien,  die  in  wechselnder  Form  und  oft  be¬ 
trächtlicher  Ausdehnung  die  perivasculären  Räume  erfüllen  und  frei  im 
Gewebe  sich  ausbreiten.  Eine  Rundzelleninfiltration,  eine  Kernvermehrung 
ist  nicht  erweislich,  auch  scheinen  die  Zellen  wenig  gelitten  zu  haben, 
was  vielleicht  die  Geringfügigkeit  der  intra  vitam  bestandenen  Aus¬ 
fallssymptome  zu  erklären  vermöchte. 

Da  mancherlei  Zeichen  fehlen,  die  wir  sonst  für  Entzündungs- 
processe  verlangen,  so  mag  es  fraglich  sein,  ob  man  das  Recht  hat, 
in  unserem  Falle  von  Polioencephalitis  zu  sprechen.  Indess  lassen  sich 
in  der  Literatur,  worauf  Vortragender  erst  kürzlich  hinwies,  von  dem 
völlig  negativen  pathologisch-histologischen  Befunde  bei  diaguosticir- 
barem  klinischem  Bilde  alle  Uebergänge  auffinden  bis  zum  voll  aus¬ 
geprägten  Entzündungsprocosse;  als  einen  solchen  Uebergangsfall,  der 
von  der  Polioencephalitis  nicht  scharf  abzugrenzen,  wäre  auch  der  eben 
vorgestellte  zu  betrachten.  Ohne  für  heute  naheliegende  Schlussfolge¬ 
rungen  zu  ziehen,  betont  der  Vortragende  schliesslich  nochmals  das 
Missverhältnis  zwischen  dem  Ernste  des  eben  mitgetheilten  Falles,  dem 
deutlich  markirten  pathologisch-histologischen  Befunde  und  der  Gering¬ 
fügigkeit  der  klinisch  nachweisbaren  Localzeichen.  (Der  Casus  wird 
gelegentlich  einer  allgemeineren,  an  anderer  Stelle  zu  veröffentlichenden 
Arbeit  Verwendung  finden.) 

4.  Cand.  med.  Erwin  Stransky  und  Dr.  Ten  C  a  t  e 
halten  einen  Vortrag  übor  die  c  o  r  r  e  1  a  t  i  v  e  E  m  p  f  i  n  d  1  i  c  h  k  e  i  ts- 
schwank  ung.  Als  solche  wird  von  ihnen  die  Erscheinung  be¬ 
zeichnet,  dass  Anästhesirung,  beziehungsweise  Hypästhesirung  einer 
Hautstelle  Hyperästhesie  in  anderen  noch  näher  zu  bezeichnenden  Ilaut- 
gebieten  hervorruft,  oder,  wie  sich  die  Vortragenden  ausdrücken,  sich 
auf  letztere  projiciren  lässt.  Eine  ähnliche  Beobachtung  wurde 
schon  ^  früher  von  R  u  m  p  f,  Friedmann  und  Rosenthal  ge¬ 
macht,  aber  diese  Autoren  suchten  einen  Zusammenhang  der  Erscheinung 
mit  dem  Transfert  zu  constatiren,  als  dessen  physiologisches  Correlat 
sie  ihnen  "^erschien.  Diese  Annahme  musste  um  so  näher  liegen,  als  die 
genannten  Autoren  die  Empfindlichkeitssteigerung  nur  an  dem  zur 
hypästhesirten  Stelle  symmetrisch  gelegenen  Hautfleck  beobachteten. 
Doch  war  es  den  Vortragenden  a  limine  zweifelhaft,  ob  eine  Homo- 
logisirung  beider  Erscheinungen  gerechtfertigt  sei,  denn  beim  Transfert 
wird  durch  psychische  Mittel,  die  in  keinem  Verhältnisse  zur  erzeugten 
Wirkung  stehen,  Anästhesie  in  normale  Empfindlichkeit  übergeleitet 
und  umgekehrt;  sind  zwar  auch  hier  mannigfache  Varianten  möglich  — 
Möbius  hat  in  seinem  seinerzeitigen  Referat  über  den  Gegenstand 
eine  grosse  Reihe  derselben  zusammengestellt  —  so  handelt  es  sich 
doch  nirgends  darum,  dass  Hypästhesirung  eines  llautgebietes  durch 


organische  Anästhetica  (Cocain,  Aethylchlorid,  Eis)  in  anderen  um 
schriebenen  und  keinerlei  corticalen  oder  —  nach  Wernicke’s  Aus¬ 
druck  —  transcorticalen  Innervationstypus  aufweisenden  Hautbezirken 
eine  correlative  Hyperästhesie  hervorruft.  Andererseits  hat  Volkmann 
schon  vor  langer  Zeit  gezeigt,  dass  durch  Einübung  erzeugte  Steigerung 
der  Tastschärfe  eines  Hautgebietes,  z.  B.  einer  Fingerkuppe,  mit  der 
gleichen  Erscheinung  auf  der  symmetrischen  Stelle  der  Gegenseite  ver¬ 
gesellschaftet  sei.  Und  v.  Frankl-Hochwart  fand  bei  einer  Reihe 
von  hysterischen  Anästhesien  eine  Herabsetzung  der  Empfindlichkeit 
auch  auf  der  anderen  Körperseite.  Diese  letzteren  Wahrnehmungen 
sind  aus  der  beiderseitigen  corticalen  Innervation  zu  erklären,  welche 
Sensibilität  und  Motilität  in  gleicher  Weise  betrifft.  Gilt  dasselbe  aber 
auch  für  die  correlative  Empfindlichkeitsschwankung?  Ist  der  Ort,  wo 
dieselbe  ausgelöst  wird,  gleichfalls  in  corticalen  oder  transcorticalen 
Regionen  zu  suchen? 

Die  Vortragenden  haben,  um  die  Entscheidung  dieser  physiolo¬ 
gisch  und  klinisch  nicht  uninteressanten  Frage  anzubahnen,  in  dem 
unter  der  Leitung  v.  Frankl-IIochwar  t’s*  stehenden  Nerven- 
ambulatorium  der  Klinik  Nothnagel  sowie  auf  dieser  Klinik  selber 
an  über  50  Personen  mehr  als  300  Versuche  ausgeführt.  Es  wurden 
mittelst  der  oben  genannten  Anästhetica  kleine  Fleckchen  Haut  hyp- 
ästhesirt  und  nun  andere  Hautgebiete  derselben  und  der  heteronymen 
Seite,  deren  Schwellenwerth  vorher  bestimmt  worden  war  —  in  Betracht 
kam,  der  grösseren  Objectivität  halber,  vorzüglich  die  tactile  Empfind¬ 
lichkeit  —  gleichfalls  fleckchenweise  auf  Empfindlichkeitssteigerung  hin 
untersucht.  Benützt  wurde  ein  von  Stransky  schon  in  einer  früheren 
Arbeit  verwendetes  und  von  Dr.  T  e  n  C  a  t  e  zweckmässig  verbessertes 
Aesthesiometer,  welches  sich  von  dem  von  v.  Frey  im  Jahre  1896 
angegebenen  Haarästhesiometer  nicht  wesentlich  unterscheidet.  Die 
v.  Fre y’sche  Methode  gestattet  ja  überhaupt  einen  hohen  Grad  von 
Objectivität  der  Untersuchung.  Diese  letztere  geschah  natürlich  unter 
einer  ganzen  Reihe  von  Cautelen,  die  hier  nicht  näher  erörtert 
werden  sollen. 

Als  Endresultat  ergab  sich,  dass  die  correlative  Empfindlichkeits¬ 
schwankung  Hautgebiete  betrifft,  welche  mit  der  hypästhesirten  Stelle 
im  Verhältnisse  der  Gemeinschaft  oder  nahen  Nachbarschaft  bezüglich 
der  zugehörigen  Rückenmarkssegmeute  stehen.  Als  Segmente  sind  hier 
nicht  so  sehr  die  radiculären  Zonen,  wie  sie  vorwiegend  Kocher 
aufstellte,  anzusehen,  weil  ja  Wurzel  und  Segment  sich  nicht  decken 
(Mott,  Sherrington,  Head),  als  die  mehr  spinalen  Zonen.  Als 
Paradigmata  dienten  vorwiegend  die  W  i  c  h  m  a  n  n’schen  Tafeln.  Eine 
Uebereinstimmung  mit  dem  Vertheilungstypus  der  peripheren  Nerven 
ergab  sich  ebensowenig  wie  eine  Beziehung  zur  Symmetrie,  soweit  sich 
dieselbe  nicht  mit  den  Segmentbezirken  deckte.  Homonyme  und  hetero- 
nyme  Körperseite  verhielten  sich  gleich. 

Da  vorwiegend  die  Tastempfindlichkeit  geprüft  wurde,  so  wäre 
somit  auch  für  diese  eine  segmentale  Vertretung  im  Rückenmarke  zu 
denken,  gleichwie  für  Schmerz-  und  Temperaturempfindlichkeit.  Eine 
theilweise  Vertretung  derselben  im  centralen  Rückenmarksgrau  gibt 
selbst  Bickel  zu,  auch  Obersteiner  spricht  davon.  E  dinger 
hält  sogar  dafür,  dass  es  nur  die  Bahnen  für  Muskel-  und  statischen 
Sinn  seien,  die,  ohne  das  centrale  Rückenmarksgrau  zu  passiren,  zum 
Gehirn  emporsteigen;  für  die  Tastbahnen  wäre  somit  ebenfalls  eine 
Beziehung  zum  Segment  anzunehmen.  Als  nähere  Localität  wäre  mit 
Schlesinger  das  Vorderhorn  zu  bezeichnen. 

Die  Vortragenden  haben  auch  eine  Reihe  pathologischer  Fälle 
mit  Defecten  der  Sensibilität  untersucht.  Bringt  man  diese  Fälle  dem 
Sitze  der  Erkrankung  nach  in  Gruppen,  so  zeigte  sich  Folgendes  :  In 
zwei  Fällen  von  Myelitis  und  zwei  Fällen  von  Syringomyelie  war  in 
den  Bereich  der  hypästhetischen  Hautsegmente  eine  Schwankung  eben¬ 
so  wenig  zu  projiciren  wie  von  demselben  weg.  Von  diesen  Fällen 
unterschied  sich  ein  Fall  von  isolirter  Neuritis  des  N.  ulnaris  an  der 
linken  Hand  dadurch,  dass  die  Projection  auf  das,  beziehungsweise 
von  dem  hypästhetischen  Hautgebiet  unmöglich  war,  jedoch  bezüglich 
der  an  die  hypästhetische  Zone  angrenzende  Haut,  welche  wohl  dem¬ 
selben  Rückenmarksegmente,  nicht  aber  demselben  Nerven  angehört, 
sich  normal  verhielt.  Ein  ganz  ähnliches  Bild  boten  fünf  Fälle  von 
peripherischer  Facialislähmung  mit  der  zuerst  von  v.  Frank  1- 
Hochwart,  später  auch  von  anderen  Autoren,  jüngst  wieder  erst 
von  Biehl  beschriebenen  und  auch  von  den  Vortragenden  beobach¬ 
teten  Sensibilitätsherabsetzung  auf  der  paretischen  Gesichtseite.  Ein 
Fall  von  Meningitis  cerebralis  luetica  mit  Hypästhesie  des  linken 
Beines  zeigte  Projectionsmöglichkeit  nach  beiden  Richtungen  hin.  Im 
Gegensätze  hiezu  konnte  in  drei  Fällen  von  hysterischer  Ilalbseiten- 
hvpästliesie  zwar  von  der  hypästhetischen  auf  die  normal  empfindende, 
nicht  aber  in  umgekehrter  Richtung  correlative  Hyperästhesie  projicirt 
werden.  Das  spricht  gleichfalls  dafür,  dass  der  Auslösungsort  der 
Schwankung  im  Rückenmark  sich  befindet.  Hier  ist  es  auch  am  Platze, 
daran  zu  erinnern,  dass  von  L  a  e  h  r  auf  klinischem,  von  Korniloff 
auf  experimentellem  Wege  gezeigt  wurde,  dass  myelogenhypästhetische, 
beziehungsweise  anästhetische  Gebiete  sich  nach  oben  mit  einer  hyper- 


Nr.  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


361 


ästhetischen  Zone  abgrenzen,  was  übrigens  schon  Brown-Scquard 
hervorhob. 

Eine  Schematisirung  dieser  Befunde  wäre  sicherlich  verfrüht. 
Nur  das  Verhalten  in  Fällen  mit  „functioneller“  Sensibilitätsstörung 
könnte  vielleicht  schon  jetzt  als  differentialdiagnostisches  Moment  gegen¬ 
über  simulirten  Defecten  benützt  werden. 

Nähere  Erörterungen,  sowie  detaillirte  Mittheilungen  und  Zahlen¬ 
angaben  über  die  angestellten  Versuche  folgen  bald  in  einer  ausführ¬ 
lichen  Publication  ;  dieselben  mussten  aus  äusseren  Gründen  leider 
schon  jetzt  zu  einem  vorläufigen  Abschlüsse  gebracht,  sollen  aber 
demnächst  wieder  aufgenommen  werden. 

Discussion:  Prof.  Ober  st  ein  er:  Diese  interessanten  Ver¬ 
suche  sind  geeignet,  die  Selbstständigkeit  des  Rückenmarksegmentes 
viel  besser  hervortreten  zu  lassen,  als  es  die  Anatomie  bei  der  Un¬ 
sicherheit  unserer  Kenntnisse  über  den  Verlauf  der  Sensibilitätsbahnen 
bisher  vermocht  hat.  Wie  es  diese  Versuche  für  das  sensible  Gebiet 
erweisen,  so  scheint  auch  auf  trophischem  und  vasomotorischen  Gebiete 
eine  gewisse  Selbstständigkeit  des  Segmentes  zu  herrschen;  so  soll 
durch  das  Kriechen  einer  Raupe  über  den  Arm  ein  Erythem  an  der 
symmetrischen  Stelle  auftreten  können. 

5.  Dr.  Pilcz  hält  seinen  Vortrag:  Zur  Aetiologie  und 
pathologischen  Anatomie  des  periodischen  Irre¬ 
seins. 

In  der  Aetiologie  des  periodischen  Irreseins  kennt  man  die  an¬ 
geborene,  erblich  übertragbare  und  die  erworbene  Veranlagung.  Die  Here¬ 
dität  findet  sich  gerade  bei  den  periodischen  Psychosen  häufig  als 
gleichartige,  derart,  dass  die  eigenartige  Disposition  in  der  Ascendenz 
und  der  Descendenz  ihren  Ausdruck  in  derselben  Form  der  psychischen 
Störung  findet.  Von  erworbenen  Schädlichkeiten,  welche  periodisches 
Irresein  nach  sich  ziehen,  sind  Schädeltraumen  seit  Langem  bekannt. 

Es  gibt  nun  eine  andere  Art  erworbener  Schädlichkeiten,  welche 
auch  periodisches  Irresein  zur  Folge  haben  kann,  nämlich  organische 
cerebrale  Processe,  cerebrale  Herde,  Hirnnarben. 

In  der  Literatur  existiren  acht  Sectionsberiehte  mit  negativem 
Obductionsbefunde;  neun  mit  positivem  Ergebnisse  der  Nekropsie  (alle 
Erweichungen,  Sklerosen  etc.),  zu  denen  weitere  zwei  Fälle  aus  dem 
Materiale  der  Klinik  v.  Wagner  kommen;  ausserdem  verfügt  Pilcz 
über  drei  persönliche  Beobachtungen,  bei  welchen  zwar  noch  kein  Ob- 
ductionsbefund  vorliegt,  schon  in  vivo  aber  die  Diagnose  eines  cere¬ 
bralen  Herdes  mit  voller  Sicherheit  gestellt  werden  konnte  (Apoplexie 
mit  nachfolgender  Hemiparese),  desgleichen  drei  analoge  Fälle  aus  der 
Literatur;  im  Ganzen  also  17  Fälle  periodischer  Psychosen  mit  posi¬ 
tivem,  pathologisch-anatomischem  Befund. 

Das  Klinische  der  Fälle  anlangend,  wird  bei  50°  o  jener  ohne 
Sectionsergebniss  das  Intactbleiben  der  Intelligenz  ausdrücklich  notirt, 
bei  88°/o  der  Kranken  mit  positivem  Befunde  ausdrücklich  der  Aus¬ 
gang  in  mehr  minder  hochgradige  Demenz  angegeben.  (Bei  den  übrigen 
Fällen  liegen  keine  genaueren  Berichte  über  diesen  speciellen 
Punkt  vor.) 

Dass  unter  den  periodisch  Geisteskranken,  deren  pathologische 
Anatomie  durch  die  Obduction  oder  durch  das  klinische  Bild  klar¬ 
gestellt  ist,  88%  in  Demenz  verfallen,  ist  umso  bemerkenswerther,  als 
gerade  der  Intellect  bei  dem  periodischen  Irresein  im  Allgemeinen  nicht 
geschädigt  zu  werden  pflegt.  Bei  jenen  Fällen,  welche  eine  geistige 
Abschwächung  im  Verlaufe  der  periodischen  Psychose  erleiden,  dürfte 
nach  dem  vorliegenden  Materiale  ein  cerebraler  organischer  Process, 
eine  „Hirnnarbe“,  zu  Grunde  liegen. 

Die  Ansicht,  dass  gewisse  Fälle  periodischen  Irreseins  ihre 
Aetiologie  in  einer  durch  einen  cerebralen  Herd  bewirkten  erworbenen 
Anlage  haben,  wird  aber  gestützt  durch  andere  bekannte  Thatsachen 
der  klinischen  Psychiatrie,  welche  nunmehr  in  ein  neues  Licht 
rücken. 

In  der  manischen  Phase  des  circulären  Irreseins  wurden  vielfach 
sogenannte  „liirncongestive“  Zustände  beschrieben,  Sprachstörung, 
epileptische  Anfälle,  vorübergehende  Hemiparesen  etc. 

Pilcz  möchte  in  dergleichen  Zuständen  nur  Nachschübe  jener 
cerebralen  pathologischen  Vorgänge  erblicken,  welche  die  Psychose 
selbst  möglicher  Weise  bewirkten,  Läsionen,  welche  einmal  durch  eine 
neuerliche  Localisation  klinisch  manifest  wurden,  während  sie  vorher, 
in  einer  indifferenten  Gehirnregion,  z.  B.  im  Stirnlappen  sitzend,  keine 
anderweitigen  Erscheinungen  hervorgerufen  hatten,  als  eben  die  periodi¬ 
sche  Geistesstörung. 

Im  Einklänge  mit  der  Anschauung  Pilcz’  steht  auch  der  Um¬ 
stand,  dass  in  der  Vorgeschichte  periodisch  Geisteskranker  so  häufig 
die  Rede  ist  von  Zuständen,  welche  gleichfalls  auf  ein  cerebrales 
Leiden  hinweisen  (Fraisen,  „Gehirnhautentzündung“  etc.). 

Zum  Schlüsse  erwähnt  Pilcz  die  mannigfachen  Beziehungen 
und  Analogien  zwischen  periodischem  Irresein  und  der  Epilepsie.  (Die¬ 
selbe  Aetiologie,  nämlich  Heredität,  Schädeltrauma,  Hirnnarben,  reflec- 
torisch  wirkende  Veränderungen  peripherer  Organe,  dann  Gleichartig¬ 
keit  der  Prodrome  und  der  Anfälle  selbst,  Combination  von  Epilepsie 


und  einer  periodischen  Psychose,  das  circulare  epileptische  Irresein  [Samt 
v.  Krafft-Ebing],  die  periodischen,  kurzdauernden,  deliranten 
Verworrenheitszustände,  welche  sich  klinisch  überhaupt  nicht  von  der 
psychischen  Epilepsie  trennen  lassen.) 

(Ausführliche  Mittheilung  erfolgt  demnächst  in  der  „Monatsschrift 
für  Psychiatrie  und  Neurologie“  von  W  e  r  n  i  c  k  e- Ziehen). 

Discussion:  Hofrath  v.  Krafft-Ebing:  Die  Analogien 
zwischen  periodischer  Geistesstörung  und  Epilepsie  verdienen  gewiss 
weiter  in  Betracht  gezogen  zu  werden.  Besonders  wäre  darauf  zu 
achten,  ob  nicht  hinter  den  periodischen  Psychosen  etwas  Epileptisches 
zu  finden  ist.  Es  hat  ja  Autoren  gegeben,  die  erstere  geradezu  in  die 
Epilepsie  einbezogen  haben.  Hiezu  wäre  noch  zu  erwähnen,  dass  cs 
bei  Epilepsie  periodische  Manien  und  Melancholien  mit  ganz  kurz 
dauernden  Anfällen  gibt,  die  sich  bei  klarem  Bewusstsein  abspielen, 
so  dass  man  zunächst  gar  nicht  auf  deren  epileptische  Bedeutung  ver¬ 
fallen  würde. 

Prof.  v.  Wagner  bemerkt  bezüglich  der  beiden  von  ihm  be¬ 
obachteten  und  von  Dr.  P  i  1  c  z  in  seinem  Vortrage  verwertheten  Fälle 
von  periodischer  Geistesstörung  mit  Obductionsbefund,  dass  bei  den¬ 
selben  nicht  an  Epilepsie  zu  denken  war,  da  absolut  nichts  Anderes 
als  eine  periodische  Psychose  vorlag.  Der  eine  war  ein  typischer  Fall 
von  periodischer  Manie,  deren  Verlauf  durch  Jahre  beobachtet  werden 
konnte;  im  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  circulare  Geistes¬ 
störung. 

Dr.  Pilcz  beantwortet  eine  Anfrage  dahin,  dass  manche  trau¬ 
matische  Fälle  von  periodischer  Geistesstörung  ausser  dem  Uebergange 
in  Blödsinn  noch  gewisse  andere  klinische  Unterscheidungsmerkmale 
zeigen,  auf  deren  Besprechung  wegen  vorgerückter  Stunde  nicht  ein¬ 
gegangen  werden  konnte. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Officielles  Protokoll  der  Sitzung  vom  29.  Januar  1900. 

(Schluss.) 

Vorsitzender:  Prof.  Politzer. 

Schriftführer:  Dr.  Hugo  Frey. 

7 .  Dr.  Hammer  schlag:  Ein  Fall  von  plötzlicher, 
totaler,  beiderseitiger  Ertaubung  mit  Schwindel 
und  Erbrechen  im  Gefolge  einer  fieberhaften 
acuten  Erkrankung. 

E  p  i  k  r  i  s  e.  Wir  haben  es  hier  mit  einem  Falle  von  plötzlicher 
und  im  Gefolge  einer  acuten  fieberhaften  Infectionskrankheit  aufge¬ 
tretener  Ertaubung  unter  M  e  n  i  e  r  e’schen  Symptomen  zu  thun. 
Hysterie  lässt  sich  bei  der  Patientin  mit  voller  Sicherheit  ausschliessen, 
ebensowohl  eine  beiderseitige  wirkliche  Meniere’sche  Erkrankung 
also  eine  beiderseitige  apoplektiform  durch  Hämorrhagie  ins  Labyrinth 
hervorgerufene  Ertaubung.  Am  plausibelsten  erscheint  die  Ansicht 
Prof.  v.  Frank  l’s,  der  auch  ich  mich  anschliessen  möchte,  der  die 
Ertaubung  auf  eine  Otitis  interna  labyrinthica  (V  o  1 1  o  1  i  n  i)  zurück¬ 
führt  und  die  ganze  Erkrankung  der  Patientin  als  eine  abortive  Form 
der  Meningitis  cerebrospinalis  epidemica  deutet.  Diese  abortive  Form 
manifestirt  sich  nach  II  a  u  g  durch  meist  nur  mässiges,  kurz  dauerndes 
Fieber  in  der  Dauer  von  3 — 4  Tagen  mit  leichten  Reizerscheinungen 
von  Seiten  des  Gehirns,  leichtem  Brechreiz  oder  wirklichem  Erbrechen. 
Die  Bogengangsymptome,  die  Ataxie,  der  Schwindel  und  die  Brech¬ 
neigung  gehen  im  Laufe  der  Zeit  wieder  zurück,  während  die  Taub¬ 
heit  meist  in  vollem  Umfange  bestehen  bleibt. 

Discussion:  Poliak  vermuthet,  gestützt  auf  eigene  Beob¬ 
achtungen,  dass  es  sich  hier  um  eine  Abortivform  der  Meningitis 
cerebrospinalis  handle. 

Gruber  glaubt,  dass  auch  die  Annahme  einer  genuinen  Otitis 
interna,  nach  V  o  1 1  o  1  i  n  i,  den  Fall  zureichend  erkläre. 

8.  Prof.  Politzer:  Demonstration  eines  Gehirns 
mit  multipler  Abscessbildung  im  linken  Schläfen¬ 
lappe  n. 

Der  Fall  betrifft  einen  29jährigen  Idioten,  der  angeblich  seit 
vier  Wochen  an  einer  linksseitigen  acuten,  eiterigen  Mittelohrentzün¬ 
dung  litt  und  über  heftige  Schmerzen  in  der  linken  Kopfhälfte  klagte. 
Die  Untersuchung  ergab  eine  kleinlinsengrosse  Perforation  in  der 
unteren  Hälfte  des  entzündeten  und  geschwellten  Trommelfells,  mässige 
Eitersecretion  in  der  Trommelhöhle  und  leichte  Druckempfindlichkeit 
am  Warzenfortsatz.  Genaue  Hörprüfungen  konnten  nicht  vorgenommen 
werden.  Da  trotz  dreitägiger  antiphlogistischer  Behandlung  die  Kopf¬ 
schmerzen  anhielten,  so  wurde  die  Aufmeisselung  des  Warzenfortsatzes 
vorgenommen,  bei  welcher  man  erst  in  einer  Tiefe  von  1/2  cm  auf 
Eiter  und  schlaffe  Granulationen  stiess.  Nach  vollständiger  Ausräumung 
der  erweichten  Knochenpartien  zeigte  sich  das  an  das  Antrum  gren¬ 
zende  Knochengewebe  von  normaler  Beschaffenheit,  weshalb  von  einer 
Eröffnung  des  Antrums  Abstand  genommen  wurde.  Zwei  Tage  nach 


362 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  15 


der  Operation  befand  sieh  Patient  anscheinend  wohl,  in  der  dem 
zweiten  Tage  folgenden  Nacht  wurde  er  von  wüthenden  Kopfschmerzen 
befallen,  welche  die  Nacht  hindurch  unter  Symptomen  von  Tobsucht 
fortdauerten,  bis  Morgens  der  letale  Ausgang  erfolgte. 

Die  Nekroskopie  ergab:  Eiterige  Entzündung  der  linken  Trommel¬ 
höhle  mit  Perforation  des  Trommelfells.  Die  Trommelhöhlenschleimhaut 
stark  aufgelockert;  Cavum  tympani  und  Antrum  mastoideum  enthalten 
nur  geringe  Eitermengen.  Das  Tegmen  tympani  hyperämisch,  jedoch 
intact,  desgleichen  die  der  Trommelhöhle  entsprechende  Partie  der  Dura 
mater.  Im  linken  Schläfenlappen  erscheinen  am  Durchschnitt  drei  ältere, 
von  einer  Bindegewebskapsel  begrenzte  Abscesse,  welche  nahe  der 
Grenze  der  unteren  Fläche  des  Schläfenlappens  liegen  und  deren  Um¬ 
gebung  frische,  encephalitbche  Erweichung  und  beginnende  Lepto¬ 
meningitis  zeigt.  Entsprechend  einem  der  oberflächlich  gelegenen  Ab¬ 
scesse  besteht  eine  circumscripte  Pachymeningitis  interna  und  externa 
in  der  Ausdehnung  von  4  mm  und  entsprechend  dieser  Stelle  am 
unteren  Abschnitt  der  Schläfenbeinschuppe  eine  frische  Knocbenusur 
mit  Perforation  der  Schläfenbeinschuppe  nach  aussen. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Referent  Dr.  Edmund  Falk  (Berlin). 

Sitzung  am  20.  September  1899,  Vormittags. 

Vorsitzender:  Se.  königl.  Hoheit  Prinz  Dr.  Ludwig  Ferdinand  von 
Baiern. 

Gemeinsame  Sitzung  mit  der  Section  für  Augen¬ 
heilkunde. 

I.  v.  A  m  m  o  n  :  Zur  Diagnose  und  Therapie  der 
Augeneiterung  der  Neugeborenen. 

Die  eine  Zeit  lang  herrschende  Ansicht,  dass  die  Augeneiterungen 
Neugeborenev  in  den  allermeisten  Fällen  durch  gonorrhoische  An¬ 
steckung  bedingt  seien,  wobei  die  Zeit  der  Infection  in  den  Verlauf 
des  Geburtsvorganges  verlegt  wird,  wurde  während  der  letzten  Jahre 
mehrfach  angegriffen.  Sie  verdient  aber  nicht  allein  bezüglich  der 
Classificirung  der  Infectionsträger,  sondern  auch  hinsichtlich  des  Zeit¬ 
punktes  der  Uebertragung  des  Virus  rectificirt  zu  werden. 

Das  sogenannte  typische  Bild  der  Ophthalmogonorrhoea  neona¬ 
torum  darf  zur  Diagnose  nicht  ohne  Weiteres  benützt  werden,  da  es 
einerseits  eine  Reihe  von  Fällen  gonorrhoischer  Natur  gibt,  die  aus 
verschiedenen  Gründen  wenig  entzündliche  Erscheinungen  aufweisen, 
und  da  andererseits  Fälle  zur  Beobachtung  kommen,  bei  denen  trotz 
hochgradigster  entzündlicher  Veränderungen  die  Gonococcen  absolut 
keine  Rolle  spielen.  Unter  100  Fällen  von  Augeneiterungen  Neugebo¬ 
rener  befanden  sich  nur  56  gonorrhoische,  bei  denen  die  Eiterung  nur 
in  einem  Viertel  der  Fälle  zwischen  dem  ersten  und  dritten  Tage 
auftrat.  Die  Mehrzahl  der  Fälle  stellen  Spätinfectionen  dar,  die  nicht 
bei  oder  unmittelbar  nach  der  Geburt  entstanden  sind.  Deshalb  wird 
auch  die  C  r  e  d  e’sche  Methode  die  Zahl  der  Augeneiterungen  nicht 
wesentlich  zu  verringern  im  Stande  sein. 

Eine  wichtige  Rolle  bei  der  Infection  der  Bindehaut  Neugebo¬ 
rener  spielen  die  Pneumococcen.  Das  durch  dieselben  liervorgerufene 
Krankheitsbild  zeigt  die  Eigentümlichkeit,  dass  nach  drei  bis  fünf 
Tagen  sehr  starken  Katarrhs  und  profuser  Eiterung  der  Process  mit 
einem  Male  besser  wird,  im  Gegensätze  zu  den  gonorrhoischen 
Infectiouen,  die  nur  ganz  allmälig  in  der  Besserung  fortschreiten. 
Ausser  diesen  beiden  Infectionserregern  wurden  noch  in  zwei  Fällen 
die  sogenannten  Pseudogonococcen,  in  drei  Fällen  Bacterium  pneu¬ 
moniae  gefunden,  während  sich  Staphylococcen  beinahe  in  jedem 
Conjuncti  valeiter  nach  weisen  lassen.  Auch  die  letzteren  vermögen 
schwere  Zerstörungen  der  Hornhaut  zu  verursachen,  wenn  der  all¬ 
gemeine  Ernährungszustand  des  Patienten  gelitten  hat.  Der  Name 
Blennorrhoea  wäre  deshalb  am  besten  ganz  zu  vermeiden,  da  er  nur 
ein  Symptom  ätiologisch  ganz  verschiedener  Processe  berücksichtigt, 
sollte  aber  mindestens  hei  den  von  amtlicher  Seite  ausgegebenen  Zähl¬ 
karten  durch  einen  präeiseren  ersetzt  werden. 

Unter  den  zur  Heilung  der  gonorrhoischen  Conjunctivitis  Neu¬ 
geborener  angewendeten  therapeutischen  Massnahmen  scheint  die 
Argentum  nitricum-Behandlung  noch  am  meisten  im  Gebrauche  zu 
sein.  Ihre  Unzuverlässigkeit  und  die  dabei  gelegentlich  auftretenden 
Schädigungen  der  Hornhaut  haben  v.  Ammon  veranlasst,  ex¬ 
perimentelle  Untersuchungen  über  die  Wirkungsweise  des  Höllensteins 
zu  machen,  und  zwar  vor  Allem  deshalb,  weil  man  vielfach  die 
Infectionserreger  direct  beeinflussen  zu  können  glaubt.  Die  Versuche 


wurden  so  vorgenommen,  dass  die  Augen  lebender  Kaninchen,  gesunde 
und  in  pathologischen  Zustand  versetzte,  mit  Höllenstein  sowohl  in 
der  Form  des  C  r  e  d  e’sehen  Tropfens  als  in  der  Form  von  Höllen- 
steinpinselungeu  behandelt  wurden.  Nach  der  Tüdtung  des  Thiei es 
wurde  das  in  die  Gewebe  eingedrungene  Silbersalz  durch  Schwefel¬ 
wasserstoffwasser  als  unlösliches  schwarzes  Sclnvefelsilber  nieder¬ 
geschlagen,  das  seinerseits  im  mikroskopischen  Präparate  bequem  nach¬ 
gewiesen  werden  konnte.  Es  zeigte  sich  hiebei,  dass  die  Ilöllenstein- 
ätzungen  viel  zu  wenig  tief  in  das  Gewebe  eindringen,  als  dass  sie 
darin  befindliche  Mikroben  zu  schädigen  vermöchten.  Aus  diesem  Grunde 
ist  auch  die  Cr  ed  e’sche  Methode  nicht  absolut  zuverlässig.  Die 
gleichen  Versuche  wurden  dann  unter  Anwendung  von  Protargol  ge¬ 
macht  und  auch  hiebei  erfuhr  man,  dass  diesem  Mittel  die  ihm 
zugesagte  Tiefenwirkung  nicht  zukommt. 

Wir  vermögen  daher  durch  chemische  Mittel  die  eingedrungenen 
Mikroben  nicht  zu  schädigen  und  es  ist  das  Beste,  wenn  wir  derartige 
Bestrebungen  überhaupt  aufgeben.  Es  hat  sich  bei  der  Behandlung 
gezeigt,  dass  die  reizlose  Therapie,  welche  lediglich  in  der  Anwendung 
der  Kälte  und  in  der  Ausspülung  des  Bindehautsackes  mit  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung  besteht,  am  schnellsten  einen 
Rückgang  der  entzündlichen  Erscheinungen  herbeizuführen  vermag. 
Erst  wenn  die  Lidschwellung  so  weit  zurückgegangen  ist,  dass  die 
Kinder  die  Augen  wieder  selbst  zu  öffnen  vermögen,  was  nach  drei 
bis  fünf  Tagen  der  Fall  ist,  kann  zu  einer  adstringirenden  Behandlung 
übergegangen  werden.  Hiebei  hat  sich  dann  10 — 20%  Protargol- 
lösung  gut  bewährt.  Nach  einiger  Zeit  muss  jedoch  auch  an  die  Stelle 
dieses  Adstringens  ein  anderes  treten,  wenn  die  Heilung  nicht  ver¬ 
zögert  werden  soll.  Da  man  mit  dieser  im  Anfänge  rein  antiphlogistischen 
Therapie  ebensoweit  kommt  wie  mit  der  Anwendung  ätzender  Sub¬ 
stanzen,  so  sind  die  letzteren  bei  der  Behandlung  der  Augeneiterung 
Neugeborener  entbehrlich  geworden.  Die  Therapie  dieser  Affection 
kann  in  Ansehung  der  Zartheit  der  betroffenen  Organe  nicht  reizlos 
genug  sein.  Der  Schwerpunkt  der  Behandlung  liegt  in  der  Anwendung 
der  Kälte  und  in  der  mechanischen  Reinigung. 

II.  Gramer  (Bonn):  Augenkatarrhe  und  pro¬ 

phylaktische  Desinfection  der  Augen  der  Neugebo¬ 
renen. 

Gonorrhoische  und  nicht  gonorrhoische  Augenentzündungen 
können  klinisch  nicht  unterschieden  werden.  Als  Erreger  von  Augen¬ 
entzündungen  beim  Neugeborenen  kommen  neben  den  Gonococcen 
in  Befracht  Pneumococcen,  zur  Coligruppe  gehörige  Stäbchen,  Sta¬ 
phylococcus  aureus,  Streptococcen  und  Diphtheriebacillen.  Auch  ein 
Theil  der  nicht  gonorrhoischen  Augeneiterungen  wird  durch  Bacterieu 
des  Locliialsecretes  hervorgerufen.  Die  Pneumococcen-Conjunctivitis 
kann  durch  Uebertragung  durch  den  Mundspeichel  der  Mutter  hervor¬ 
gerufen  weiden.  Eine  Eröffnung  der  Lidspalte  intra  partum  ist  mit 
Sicherheit  als  möglich  anzunehmen.  Primärblenorrhoeen  bieten  deshalb 
heftigere  klinische  Symptome  als  Secundärblenorrhoeen,  weil  das  Auge 
direct  post  partum  sich  in  einem  alterirten  Zustande  befindet  und 
deshalb  auf  alle  Reize  heftiger  reagirt  als  später.  Die  Cred  c’sehe 
Einträufelung  ist  als  prophylaktische  Massnahme  zu  verlassen,  weil 
durch  die  nach  derselben  eintretende  heftige  Reaction  der  Conjunctival- 
sehleimhaut  die  Besiedlung  des  Conjunctivalsacks  mit  Bacterien  und 
die  Entstehung  von  gutartigen  Secundärinfectionen  ausserordentlich 
begünstigt  wird.  Die  Besiedlung  des  Conjunctivalsackes  des  Neugebo¬ 
renen  mit  Bacterien  geht  sehr  langsam  und  spärlich  vor  sich.  Pro¬ 
targol  hat  sich  in  der  Bonner  Frauenklinik  in  20%iger  Lösung  als  Pro- 
phylacticum  gut  bewährt. 

Discussion:  Schatz  hat  die  Argentum-Einträufelungen 

durch  1 1  r  o  1-Instillationen  ersetzt,  die  Reaction  nach  denselben  ist 
wesentlich  geringer. 

Krönig  konnte  nachweisen,  dass  sicher  intra  partum  eine 
Infection  mit  Gonococcen  möglich  ist,  in  einem  Falle  Hess  sich  direct 
nach  der  Geburt  schon  eine  schwere  Veränderung  am  Auge  nachweisen 
(vorzeitiger  Blasensprung).  Er  verwendet  Argentum  aceticum. 

S  c  h  m  i  d  t-R  i  m  p  1  e  r  hält  es  für  wichtig,  dass  wir  den  Namen 
Blennorrhoe  beibelialten,  eventuell  ihn  durch  den  Zusatz  Blennorrhoea 
gonorrhoica  etc.  näher  definiren.  Eine  Abschwächung  von  Gonococcen, 
welche  leichtere  Aftectionen  hervorrufen  soll,  scheint  ihm  nicht  be¬ 
wiesen.  Denn  durch  dieselbe  Infection  kann  eine  verschieden  schwere 
Erkrankung  hei  verschiedenen  Personen  entstehen.  Er  ist  entschiedener 
Anhänger  der  Behandlung  mit  2%iger  Höllensteinlösung,  selbstverständ¬ 
lich  unter  gleichzeitiger  Anwendung  von  Kälte;  hiedurch  entsteht  eine 
sehr  schnelle  Abschwellung  der  Conjunctiva.  Er  kennt  keinen  Fall, 
in  dem  das  Auge  zu  Grunde  ging,  wenn  nicht  vorher  Honihautver- 
letzungen  bestanden. 

La queu  r  stimmt  ebenfalls  der  Behandlung  mit  Argentum 
nitricum  bei  und  warnt  vor  der  zu  frühzeitigen  Empfehlung  neuerer 
Mittel.  Nachtheilige  Wirkungen  konnten  bei  vorsichtiger  Anwendung 
nicht  festgestellt  werden.  Reizungen  kommen  zweifellos  vor,  jedoch 
keine  schweren  Affectionen. 


Nr  15 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Uh  toff:  Schwere  Conjunctivitis  durch  sogenannte  Pseudo- 
gonococeen  sind  zweifellos  selten.  Bei  Staphylococcus  albus  ist  es 
zweifelhaft,  ob  er,  wo  er  gefunden  wird,  auch  der  Erreger  der  Er¬ 
krankung  ist.  Auch  Uh  to  ff  hält  das  Argentum  nitricum  ■  für  das 
zuverlässigste  Mittel;  Protargol  ist  zweifellos  ein  gutes  Mittel,  aber 
ist  sicher  dem  Argentum  nitricum  nicht  überlegen,  eine  2%ige 
Argentumlösung  sollte  nicht  überschritten  werden.  Das  C  r  e  d  e’sche 
Verfahren  ist  ein  wirksames,  eine  obligatorische  Einführung  ist  jedoch 
keineswegs  empfehlenswerth.  Der  ulceröse  Hornhautprocess  wird  nicht 
durch  Gonococcen,  sondern  durch  Streptococcen,  Staphylococcen  etc. 
bewirkt,  und  in  diesen  Fällen  ist  natürlich  die  Anwendung  von 
Mitteln,  welche  allein  Gonococcen  abtödten  sollen,  nicht  genügend. 

Schatz  empfiehlt  noch  einmal  das  Itrol  auch  als  prophylakti¬ 
sches  Mittel  gegen  die  Blennorrhoe. 

Freund  empfiehlt  warm  die  Anwendung  von  Argentum 
nitricum;  natürlich  können  wir  nicht  jedes  Mal  Erkrankungen  verhüten, 
besonders  unreife,  widerstandsunfähige  Individuen  zeigen  nach  prophy¬ 
laktischen  Einträufelungen  sehr  schwere  Reizzustände.  Waren  diese 
Kinder  aber  inficirt,  so  nützen  die  Einträufelungen  bei  ihnen  gar 
nichts.  Bei  ihnen  sind  daher  die  Instillationen  nur  in  ganz  verdünnter 
Concentration  anzuwenden. 

Eversb  usch  (Erlangen):  Die  Entstehung  von  Hornhaut¬ 
geschwüren  verhindert  er  durch  gleichzeitige  Instillation  von  Physo¬ 
stigmin-Pilocarpinlösung.  Eine  Argentumbehandlung  prophylaktisch 
kann  nie  schaden.  Bei  einer  ausgebrochenen  Blennorrhoe  hingegen  ist 
die  Hauptsache  Reinlichkeit,  Entfernung  der  Secrete,  roizlose  Be¬ 
handlung  mit  Eisumschlägen.  Protargol  scheint  bei  schweren 
Fällen  weniger  günstig  zu  wirken.  Eine  Infection  kann  auch 
intra  partum  entstehen  bei  Kindern,  die  in  der  Glückshaube  geboren 
wurden. 

E  1  s  c  h  n  i  g  (Wien)  betont  die  Nothwendigkeit,  frische  Argentum¬ 
lösungen  zu  verwenden. 

Schlösser  (München).  Bei  schwächlichen  Kindern  muss  jeder 
Reiz  vermieden  werden,  ja  selbst  Eisumschläge  wirken  bei  ihnen 
schädlich,  Wärme,  Kataplasmen  wirken  günstiger. 

Cramer:  Für  die  Behandlung  der  ausgebrochenen  Blennorrhoe 
leistet  die  2%ige  Argentum  nitricum-Lösung  auf  der  geburtshilflichen 
Station  sehr  gute  Dienste.  Schon  C  r  e  d  e  hat  in  seiner  Monographie 
über  sein  Verfahren  die  Empfindlichkeit  Frühgeborener  gegen  die 
Argentumlösung  hervorgehoben. 

* 

Vorsitzender:  v.  Ott  (St.  Petersburg). 

V.  Schatz  (Rostock) :  Ueber  die  Stirn  lagen. 

Die  Stirnlagen  sind,  weil  so  selten  vorkommend,  wenig  studirt 
worden ;  und  doch  müssten  sie,  gerade  weil  so  selten,  umsomehr 
theoretisch  gepflegt  werden.  Gewöhnlich  werden  die  Stirnlagen  mit  den 
Gesichtslagen  gewissermassen  als  eine  Unterart  derselben  oder  als 
Uebergang  zu  denselben  behandelt.  Das  ist  aber  vollständig  falsch, 
denn  sie  sind  gerade  das  Gegentlieil  von  Gesichtslagen,  ebenso  wie 
von  Hinterhauptslagen,  gewissermassen  die  Querlagen  des  Kopfes.  Sie 
kommen  auch  entgegen  den  Gesichts-  und  Hinterhauptslagen  in  der 
Schwangerschaft  als  stabile  Lage  bei  normal  gebauten  Kindern  gar 
nicht  vor.  Während  der  Geburt  entstehen  sie  zwar  nicht  ganz  selten 
bei  Mangel  jeden  Widerstandes,  z.  B.  beim  zweiten  Zwilling  ;  sie  sind 
dann  aber  ganz  ohne  Bedeutung.  Gewöhnlich  aber  ist  der  Widerstand 
bei  ihnen  sehr  gross  und  der  Mechanismus  sehr  exact.  Die  meisten 
stabilen  Stirnlagen  entstehen  durch  einen  Rückzug  am  Kindeskopf 
mittelst  des  Halses  des  Kindes.  Zumeist  entsteht  dieser  Rückzug  durch 
Krampf  des  Isthmus  uteri,  des  inneren  Muttermundes.  Ohne  die  Lehre 
von  diesem  Krampfe  ist  die  Lehre  von  der  Stirnlage  überhaupt  nicht 
zu  verstehen.  Nun  ist  aber  dieses  Capitel  in  Deutschland  in  den  letzten 
Decennien  so  gut  wie  gar  nicht  behandelt,  ja  der  Krampf  sogar  ge¬ 
leugnet  worden.  In  derartigen  Fällen  von  Gesichtslagen  wendete 
Schatz  mit  bestem  Erfolge  Chloroform  an,  legte  die  Zange  zu  beiden 
Seiten  des  Kopfes  an,  ohne  denselben  zunächst  direct  zu  fassen,  stellte 
dann  innerhalb  der  Zange  durch  Herabziehen  des  Kinnes  mit  Zeige- 
und  Mittelfinger  während  der  Wehenpause  eine  Gesichtslage  her,  schloss 
nun  die  Zange  an  dem  in  Gesichtslage  befindlichen  Kopf  und  zog  ihn 
so  herab,  dass  das  Kinn  in  den  Schambogen  zu  liegen  kam  und  dort 
liegen  bleiben  musste.  Jetzt  konnte  der  Kopf  sich  auch  nicht  mehr  in 
der  Zange  um  seine  Querachse  drehen  und  wurde,  während  der  Krampf 
des  inneren  Muttermundes  durch  die  Narkose  aufhörte,  leicht  entwickelt. 
Aber  nur  bei  relativ  kleinem  Kopf  kann  der  Krampf  des  inneren 
Muttermundes  Stirnlage  bewirken.  Die  Behandlung  wird  immer  auf  den 
Krampf  des  inneren  Muttermundes  zuerst  Rücksicht  nehmen  müssen. 
Er  schwindet  von  selbst  kaum  oder  sehr  spät  und  macht  die  Geburt 
sehr  schmerzhaft  und  langwierig.  Man  erkennt  ihn  indirect  an  den 
eigentümlich  schmerzhaften  Wehen  mit  Pressgefühl  ohne  entsprechenden 
Tiefstand  des  Kopfes,  direct  an  der  Einschnürung  um  den  Hals  des 
Kindes.  Ist  der  äussere  Muttermund  vollständig  erweitert  und  der  Kopf 


nicht  gross  und  gut  beweglich,  so  wird  man  denselben  ohne  Aufschub 
durch  das  oben  geschilderte  Operationsverfahren  unter  Chloroform  ,  ex- 
trahiren.  Ist  der  äussere  Muttermund  noch  eng  oder  der  Kopf  nicht 
so  handlich,  so  wird  man  mit  Wärme,  Bädern,  Schwitzen,  Morphium 
den  Krampf  bekämpfen.  Er  scheint  unter  rheumatischen  Vorbedingungen 
häufiger  aufzutreten.  In  Mecklenburg  sind  in  zwölf  Jahren  in  den 
Monaten  Juni,  Juli,  August  Stirnlagen  viel  weniger  beobachtet  worden, 
als  in  den  übrigen  Monaten,  während  bei  den  Gesichtslagen  ein  Unter¬ 
schied  nicht  zu  finden  ist.  Ist  erst  einmal  starke  Configuration  einge¬ 
treten,  so  wird  man  sich  begnügen  müssen,  den  Kopf  so,  wie  er  con- 
figurirt  ist,  zu  extrahiren;  wird  aber  dabei  immer  Chloroform  an  wenden, 
um  den  Krampf  zu  vermindern  und  kann  dann  auch  die  Zange  über 
Stirn  und  Hinterhaupt  anlegen.  Bei  tieferem  Kopfstand  wird  man,  wenn 
es  ohne  grössere  Schwierigkeit  geschehen  kann,  möglichst  bald  Nacken 
oder  Nasenwurzel  in  den  Schambogen  einleiten.  (Erscheint  ausführlich 
im  Centralblatt  für  Gynäkologie.) 

VI.  A.  Müller  (München):  Ueber  die  Ursachen  der 
Ungleichheit  und  der  Unklarheit  der  Benennung 
und  Eintheilung  der  Kindeslagen. 

Nachdem  Müller  ausführlich  auf  die  Ursachen  der  jetzt  herr¬ 
schenden  Unklarheit  in  der  Benennung  der  Kinderlagen  eingegangen 
ist,  führt  er  aus,  dass  zur  Erreichung  einer  grösseren  Klarheit  und 
Einigkeit  nöthig  sei,  dass 

L  alle  aut  Eintheilung  der  Lagen  und  deren  Verlauf  bezüglichen 
Verhältnisse  in  dem  Abschnitte  über  „Mechanik  der  Geburt“  zusammen¬ 
hängend  und  erschöpfend  abgehandelt  werden  und  dass  alle  hiebei  in 
Betracht  kommenden  Begriffe  peinlich  genau  definirt  werden,  diese 
Definitionen  consequent  durchgeführt  werden; 

2.  das  Wort  „Lage“  nicht  mehr  als  mit  „Situs“  identisch 
gebraucht  wird. 

3.  Das  Wort  „Schädel“  ist  gänzlich  zu  verwerfen  und  wenn 
gebraucht,  genau  zu  definiren  und  nur  in  diesem  einen  Sinne  -zu  ge¬ 
brauchen. 

4.  Das  Wort  „normal“  ist  ebenfalls  durch  andere  zu  ersetzen 
oder  nur  in  einem,  vom  Autor  genau  zu  definirendem  Sinne  zu  ge¬ 
brauchen. 

5.  Bei  der  Eintheilung  der  Lagen  ist  nicht  nur  der  „Situs“  als 
Achsenrichtung,  sondern  auch  der  vorliegende  Endpunkt  der  Achse  in 
die  Definition  der  Geradelagen  aufzunehmen. 

6.  Der  Begriff  „Kindesachse“  ist  zu  definiren. 

7.  Der  alte  Begriff:  Stellung,  Positio,  ist  in  zwei  zu  spalten, 
nämlich 

1.  Versio  =  Richtung  des  Rückens  (oder  Hinterhauptes)  nach 
den  Seiten  der  Mutter, 

2.  Positio  =  Einstellung  (Lage)  des  vorliegenden  Theiles. 

8.  Der  „Stand“  (Status)  ist  zu  definiren  und  eventuell  „Quer¬ 
stellung“  statt  „Querstand“  zu  sagen. 

9.  Das  Wort  „Lage“  ist  nur  noch  zur  Bezeichnung  von  Lagerungs¬ 
verhältnissen  im  Allgemeinen  (auch  hier  ist  besser  „Lagerung“  zu 
sagen)  und  von  „Lage  im  klinischen  Sinne  zu  benützen  und 
ist  dieser  „klinische  Begriff“  zu  definiren. 

10.  Man  muss  trennen :  Eintheilung  der  Lagen  und  B  e- 
nennung  der  Lagen.  Die  Benennung  wird  bei  den  Geradlagen 
dem  vorliegennen  Kindestheile  entnommen. 

11.  Die  Bezeichnung  der  Unterarten  der  Lagen  nach  der  Richtung 
des  Rückens  mittelst  Zahlen  ist  subjectiv,  daher  unwissenschaftlich 
und  durch  objective,  rein  räumliche  Bezeichnungen  zu  ersetzen,  wie 
solche  z.  B.  in  Frankreich  üblich  sind. 

12.  Erkennt  man  die  von  v.  Weiss  und  Vortragenden  gege¬ 
benen  Definitionen  für  die  „klinische  Lage“  an,  so  muss  man  mit 
K  ehre  r  unterscheiden  : 

1.  Hinterscheitel  =  Hinterhauptslagen:  Pos.  Occipital,  posteriores. 

2.  Mittelscheitellagen:  Scheitellagen:  Pos.  Verticales. 

3.  Vorderscheitel  —  Vorderhauptslagen. 

(Erscheint  ausführlich  in  der  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und 
Gynäkologie.) 

VII.  J.  Veit  (Leiden):  Ueber  V  ord.erhauptslagen. 

Veit  knüpft  an  die  Arbeiten  von  C.  Bidder  und  A.  Müller 

au  und  bespricht  die  Frage,  ob  es  zweckmässig  sei,  neben  den  beiden 
Hinterhauptslagen  und  den  beiden  Vorderhauptslagen  noch  hintere 
Hinterhauptlage  und  eventuell  auch  hintere  Vorderhauptslagen  zu 
trennen.  Vortragender  kann  diese  Unterscheidungen  nicht  als  nützlich 
anerkennen,  wenn  auch  gewisse  Unterschiede  im  Mechanismus  Vor¬ 
kommen.  Die  Gründe,  welche  ihn  veranlassen,  im  Wesentlichen  nur 
die  beiden  Hinterhauptslagen  und  daneben  zwei  Vorderhauplslagen  als 
abnorme  Austrittsmechanismen,  die  übrigens  nicht  immer  unter  sich 
gleich  sind,  zuzulassen,  sind  folgende:  In  erster  Linie  sieht  man  den 
Austritt  des  Hinterhauptes  nach  hinten  gleichzeitig  mit  dem  Gesicht 
—  also  den  Mechanismus  der  Vorderhauptlage  mit  brachycepbalem 
Schädel  —  erfolgen  in  Fällen,  in  denen  der  Schädel  dolichocephal  ist 
und  umgekehrt  sieht  man  bei  rigidem  Damm  auch  einmal  auanahms 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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weise  brachycephale  Schädel  so  austreton,  dass  erst  das  Hinterhaupt 
über  den  Damm  rotirt  und  dann  das  Gesicht  hinter  der  Symphyse 
hervorklappt.  Das  hängt  allein  von  dem  Fehlen  oder  Vorhandensein 
des  Dammes  ab. 

Demnächst  aber  gibt  es  Fälle,  in  denen  ein  kleiner  kindlicher 
Schädel  durch  das  Becken  sehr  schnell  durchtritt,  ohne  dass  man  mehr 
sagen  kann,  als  dass  die  grosse  Fontanelle  nach  vorn  gelichtet  ist. 

Die  Senkung  der  grossen  Fontanelle  im  Beckeneingang,  wie  man 
sie  beim  platten  Becken  findet,  verwandelt  sich  gewöhnlich  in  eine  ge¬ 
wöhnliche  Hinterhauptslage,  d.  h.  der  Kopf,  dem  durch  das  platte 
Becken  eine  bestimmte  Haltung  und  Configuration  auferlegt  war,  geht 
in  eine  normale  Stellung  nach  Ueberwindung  des  Hindernisses  zurück, 
wenn  nicht  Zufälligkeiten  seine  Beweglichkeit  beeinträchtigen;  als  solche 
Ursachen  nennt  Vortragender  den  vorzeitigen  Wasserabgang;  doch  gibt 
es  auch  andere  —  den  Krampf  des  Contractionsringes  gibt  Vortragender 
aber  nicht  zu. 

Drehung  der  kleinen  Fontanelle  nach  hinten  im  Beginne  der 
Geburt  braucht  keineswegs  bis  zuletzt  zu  persistiren. 

Man  kommt  nach  der  Meinung  des  Vortragenden  damit  aus, 
dass  man  z.  B.  von  erster  oder  zweiter  Hinterhauptslage  spricht  und 
eventuell  hinzusetzt  mit  Senkung  der  grossen  Fontanelle  oder  mit 
Stand  der  kleinen  Fontanelle  noch  nach  hinten.  Erst  wenn  der  Kopf 
mit  nach  vorn  gerichteter  grosser  Fontanelle  austrat,  spricht  er  von 
Vorderhauptslage  und  ist  bereit,  den  Unterschied  der  Senkung  der 
kleinen  oder  der  grossen  Fontanelle  descriptiv  als  Zusatz  hinzuzufügen. 

Die  Aetiologie  der  Vorderhauptslage  liegt  nicht  in  der  Kopf¬ 
form  —  sonst  müssten  Vorderhauptslagen  regelmässig  bei  denselben 
Frauen  bei  verschiedenen  Geburten  beobachtet  werden. 

Vortragender  trennt  den  Eingangsmechanismus,  den  er  nur  beim 
engen  Becken  zugibt,  von  dem  eigentlichen  Durchtritts-  und  diesen 
von  dem  Austrittsmechanismus.  Nur  die  beiden  letzten  sind  in  der 
Aetiologie  von  Bedeutung. 

Vom  praktischen  Standpunkte  aus  ist  es  wichtig,  den  Unterschied 
zwischen  Vorderhauptslage  und  Vorderscheitelbeineinstellung  streng 
durchzuführen ;  nur  dadurch  wird  man  sich  vor  Schwierigkeiten  be¬ 
wahren.  Die  Vorderscheitelbeineinstellung  verlangt  unter  gewissen  Um¬ 
ständen  die  Wendung,  contraindicirt  im  Allgemeinen  die  Zange;  die 
Vorderhauptslage  verlangt  Abwarten  und  nur  bei  strenger  Indication 
die  Zange. 

Auf  die  Frage,  wann  man  die  Drehung  der  kleinen  Fontanelle 
nach  vorn  noch  vornehmen  soll,  geht  Vortragender  hier  nicht  ein; 
muss  man  in  Vorderhauptslage  extrahiren,  so  muss  man  entsprechend 
dem  Geburtsmechanismus  die  Griffe  der  Zange  zuerst  sehr  stark  senken. 

An  der  gemeinsamen  Discussion  über  die  drei  Vorträge  betheiligen 
sich  die  Herren  Freund  sen.,  Bumm,  v.  Her  ff,  Schatz, 
J.  Veit,  A.  Müller. 

VIII.  v.  II  er  ff  (Halle  a.  S.):  Ueber  Dauer  heilung 
nach  Prolapsoperationen. 

v.  H  e  r  f  f  berichtet  über  die  Resultate,  die  er  bei  den  ver¬ 
schiedenen  Arten  der  Operationen,  welche  zur  Heilung  des  Vorfalles 
der  Scheide  und  der  Gebärmutter  vorgenommen  wurden,  erhalten  hat. 
In  einer  ersten  Gruppe  sind  die  Fälle  zusammengestellt,  in  denen  es 
sich  um  einfache  Prolapsoperationen,  Kolporhaphien,  Perineorhaphien 
handelte.  In  diesen  Fällen  (137),  von  denen  21  später  geboren  haben, 
sah  er  zwar  in  7 7 •  1  °/0  Heilung  des  Vorfalles,  aber  nur  in  37 ‘2 %  der 
Fälle  völlige  Arbeitsfähigkeit  eintreten.  In  76*1  °/0  von  ihnen  fand  sich 
Descensus  der  vorderen  Scheidewand,  in  21-4°/o  Senkung  der  hinteren, 
in  33-3%  war  gleichzeitig  Senkung  der  Gebärmutter  vorhanden.  Als 
Ursache  des  Recidives  werden  neunmal  Geburten,  36mal  Schlaffheit 
der  Gewebe  und  zwölfmal  Störungen  am  Damm  angegeben.  Bei  mit 
Collum-  und  Portiooperationen  complicirten  Prolapsoperationen  (28),  bei 
denen  fünf  Frauen  später  Geburten  überstanden,  trat  in  75°/0  Heilung, 
in  50%  völlige  Arbeitsfähigkeit  ein.  Wurde  mit  den  Prolapsoperationen 
eine  Vagino-  respective  Vesicofixation  ausgeführt  (61mal),  —  16  von 
diesen  Frauen  wurden  später  zum  Theile  mittelst  Kunsthilfe  ent¬ 
bunden  —  so  wurde  in  7 8 •  1  °/0  Heilung,  in  4 18%  völlige  Arbeitsfähigkeit 
erzielt.  Bei  gleichzeitiger  Ventrofixation  war  das  Verhältnis  76 '9% 
Heilungen,  53'8%  völlige  Arbeitsfähigkeit.  Wurde  endlich  zur  Hebung 
des  Vorfalles  die  Hysterektomie  und  dabei  zugleich  eine  Kolporhaphie, 
respective  Perineorhaphie  ausgeführt,  so  wurde  zwar  nur  in  51-7%  eine 
Heilung  des  Vorfalles  gesehen,  hingegen  in  55' 1%  dauernde  Arbeits¬ 
fähigkeit  erreicht. 

v.  H  e  r  f  f  betont  die  Nothwendigkeit  einer  gleichzeitigen  Aus¬ 
führung  der  Vagino  ,  respective  Vesicofixation  zur  Heilung  des  Prolapses. 

IX.  K  o  e  t  s  c  h  a  u  :  U  e  b  e  r  D  a  u  e  r  r  e  s  u  1 1  a  t  e  nach  Ve  n  t  r  i- 
fixatio  uteri  und  nach  der  Alexander -  Ada  m’s  chen 
Operation. 


Vortragender  behandelt  jede  bewegliche  Retroflexioversio  bei 
der  geschlechtsreifen  Frau  auch  dann,  wenn  sie  noch  keine  Symptome 
macht,  weil  sie  immer  eine  schwere  Gleichgewichtsstörung  der  Bocken- 
organe  darstellt.  Die  Operation  tritt  bei  Hindernissen  für  dauernde 
Reposition  in  ihre  Rechte.  Allen  operativen  Methoden  ist  gemeinsam, 
dass  sie  absolut  normale  Verhältnisse  nicht  liei stellen.  Die  Vagino¬ 
fixation  im  geschlechtsreifen  Alter  hält  Koetschau  für  unstatthaft. 
Sie  kommt  besonders  bei  Combination  von  Prolaps  und  Retroflexion 
post  climacterium  in  Betracht ;  i  n  t  r  a  climacterium  ist  in  solchen 
Fällen  bei  beweglicher  Retroflexion  die  A  1  e  x  a  n  d  e  r’sche  Operation 
die  richtige.  Diese  „bilateral-symmetrische  Suspension  des  Uterus  an 
den  Ligamenta  rotunda“,  seit  den  Modificationen  von  Kocher, 
W  e  r  t  h  und  Rumpf  erheblich  verbessert,  kommt  nur  in  Fällen  von 
vollständig  beweglichem,  nicht  vergrössertem  Uterus  in  Anwendung. 

Vortragender  hat  unter  23  seit  1894  operirfen  Fällen  fünf 
Recidive  erlebt;  von  19  Fällen  bis  Ende  1898  (die  übrigen  vier  —  1899) 
wurden  drei  gravid  und  kamen  glatt  nieder.  Operationsmethode  nach 
Werth  und  später  nach  Rump  f.  Bei  der  fixirten  Retroflexion 
ist  und  bleibt  die  Operation  par  excellence  die  Ventrifixatio  uteri.  Die 
sogenannte  innere  ventrale  A  1  e  x  a  n  d  e  r -Operation,  welche  die  Liga¬ 
menta  rotunda  mittelst  Faltenbildung  verkürzt,  ist  wegen  der  Verklebung 
mit  der  Bauchwand  und  der  dadurch  entstehenden  unerwünschten  tiefen 
Fixation  kein  Ersatz  für  die  Ventrifixation. 

Vortragender  hat  bis  Ende  1898  letztere  149mal  ausgeführt;  im 
Jahre  1899  zwölfmal.  Der  Uterus  wird  ungefähr  an  der  Stelle,  wo  der 
Fundus  in  die  vordere  Wand  übergeht,  mittelst  zweier  starker,  durch 
die  ganze  Dicke  der  Bauchdecken  geführter  Seidennäbte  fixirt  in  einer 
Breite  von  1% — 2  cm  und  einer  Tiefe  von  %  cm.  Der  Fundus  darf 
nicht  fixirt  werden,  denn  der  Uterus  ist  physiologisch  ein  in  sich  und 
nach  allen  Seiten  bewegliches  Organ.  Die  nach  Ventrifixationen  be¬ 
obachtete  Häufigkeit  von  Querlagen  ist  immer  dann  gefunden  worden, 
wenn  der  Fundus  fixirt  war;  nur  eine  tiefe  und  breite  Fixation  ruft 
eine  Querlage  oder  schwere  Geburtsstörung  hervor,  nicht  aber  eine 
schmale  und  hohe. 

Unter  75  bis  Ende  1894  ventrifixirten  Fällen  war,  soweit  Nach¬ 
untersuchung  möglich,  kein  Recidiv,  kein  Todesfall;  neun  gebaren  glatt, 
zwei  abortirten. 

Von  1895  — 1897:  35  Ventrifixationen  mit  21  für  Gravidität 

verwerthbaren  Fällen ;  darunter  neunmal  ungestörte  Gravidität  und 
glatte  rasche  Geburt,  einmal  ZaDge  am  hochstehenden  Kopfe,  einmal 
drei  Aborte;  in  elf  dieser  Fälle  waren  nur  einseitige  Adnexa  noch 
vorhanden.  Recidiv:  einmal  (bei  Prolaps),  kein  Todesfall.  1897  und  1898: 
39  Fälle;  kein  Recidiv,  kein  Todesfall.  Von  23  für  Gravidität  ver¬ 
werthbaren  Fällen  (zehnmal  nur  einseitige  Adnexa)  haben  sieben  geboren 
und  zwar  schnell  und  ohne  Störung;  einmal  Wendung  wie  in  früheren 
Geburten. 

Die  Dauerresultate  der  Ventrifixationen  müssen  somit  als  durch¬ 
aus  gute  bezeichnet  werden.  Kein  einziges  Recidiv  bei  Retroflexio  uteri 
war  vorhanden.  Die  Ventrifixation  wird  dauerndes  Bürgerrecht  in  der 
Gynäkologie  behalten.  Die  Dauerresultate  der  A  1  e  x  a  n  d  e  r’schen 
Operation  nach  heutigen  Grundsätzen  können  nach  den  vorliegenden 
Berichten  als  zufriedenstellende  bezeichnet  werden. 

X.  S  c  hü  ck  in  g  (Pyrmont):  Die  K  o  1  p  o  c  h  i  a  s  m  o  r  h  a  p  h  i  e, 
eine  neue  Operationsmethode  bei  Retroflexio  und 
Prolaps. 

Behufs  Erhaltung  der  freien  Beweglichkeit  der  Gebärmutter  und 
ihrer  ungestörten  Entwicklung  im  graviden  Zustande,  suchte  Schücking 
ähnliche  Verhältnisse,  wie  sie  durch  das  Pessar  geschaffen  werden, 
durch  folgenden  Eingriff  zu  erreichen.  Nach  einem  an  der  Grenze 
zwischen  Portio  und  vorderem  Scheidengewölbe  geführten  Querschnitt 
wird  die  Schleimhaut  nach  oben  und  unten  mit  dem  Scalpellstiel  stumpf 
abgelöst.  Nach  dieser  Unterminirung  wird  der  horizontal  verlaufende 
Schnitt  in  senkrechter  Linie  vereinigt.  Ursprüngliche  Wundlinie  und 
Naht  stellen  ein  Kreuz  dar,  daher  der  einer  älteren  technischen  Be¬ 
zeichnung  entnommene  Name  der  Chiasmorhaphie  - —  Scheiden¬ 
kreuznaht. 

In  den  Fällen,  in  denen  das  hintere  Scheidengewölbe  derartig 
gedehnt  war,  dass  der  vom  vorderen  Scheidengewölbe  ausgehende  seit¬ 
liche  Zug  nicht  ausreichte,  das  Corpus  nach  vorn  zu  halten,  hat 
Schücking  den  vorderen  Querschnitt  durch  einen  Längsschnitt  im 
hinteren  Scheidengewölbe,  der  an  der  Grenze  zwischen  der  Portio  und 
dem  Gewölbe  begann,  ergänzt.  Dieser  sagittal  verlaufende  Schnitt 
wurde  durch  eine  Quernaht  vereinigt. 

Bei  den  sieben,  nach  dieser  Methode  behandelten  Fällen  von 
mobiler  Retroflexio  wurde  fünfmal  ein  befriedigendes  Resultat  erzielt. 
Im  sechsten  Fall  wurde  das  Resultat  durch  secundäre  Narbenbildung 
gleichfalls  günstig.  Im  siebenten  Falle  ist  es  hingegen  zunächst  ein 
negatives. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  KrafFt-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Güssen!)  auer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373.  Redigirt  von  Dr.  Alexander  FraenkeL 

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Oie  „Wiener  klinische 
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erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

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XIII.  Jahrgang. 


Wien,  19.  April  1900. 


Nr.  16. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Die  Ursache  des  Gebartseintrittes.  Von  Dr.  Josef 
T  h  e  n  e  n. 

2.  Ueber  den  Einfluss  des  Alkohols  auf  die  Ausscheidung-  der  re- 
ducirenden  Substanzen  im  Harne.  Von  Adalbert  Gregor, 
Cand.  med.,  Innsbruck. 

II.  Referate:  I.  Mittel  und  Wege  zur  Schaffung  und  Erhaltung  eines 
entsprechenden  Sanitäts-Hilfspersonales  für  die  Militär-Sanitäts¬ 
anstalten  und  die  Truppen  im  Frieden  und  im  Kriege.  Von  Dr. 
Eduard  Bass.  II.  Leitfaden  der  Militärbygiene  für  den  Unter¬ 
richt  der  Einjährig-Freiwilligenärzte.  Von  Dr.  Johann  Schüfe r. 

III.  Eine  applicatorische  Uebung  im  Freien  für  Militärärzte  und 
Sanitätsofficiere.  Von  Gustav  Wolff.  IV.  Ein  Vorschlag  zur 
Ventilation  fahrender  Eisenbahnwaggons.  Von  Dr.  A.  Hinter- 


III. 

IV. 
V. 

VI. 


b  e  r  g  e  r.  Ref.  J.  Steiner.  —  Lehrbuch  der  Histologie  und  der 
mikroskopischen  Anatomie  mit  besonderer  Berücksichtigung  des 
menschlichen  Körpers,  einschliesslich  der  mikroskopischen  Technik. 
Von  Ladislaus  Szymonowicz.  Ref.  J.  Schaffer.  — 
I.  Rhinologie,  Laryngologie  und  Otologie  in  ihrer  Bedeutung  für 
die  allgemeine  Medicin.  Von  Dr.  E.  P.  Friedrich.  II.  Die 
Krankheiten  der  Mundhöhle,  des  Rachens  und  des  Kehlkopfes. 
Von  Dr.  Albert  Rose  n'b  e  r  g.  HI.  Zur  Morphologie  der  Epi¬ 
glottis.  Von  Dr.  R.  Henke.  Ref.  Koschier. 

Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

Therapeutische  Notizen. 

Vermischte  Nachrichten. 

Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Die  Ursache  des  Geburtseintrittes. 

Von  Dr.  Josef  Thenen. 

Vortrag,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  am  6.  April  1900. 

Die  Frage  nach  der  Ursache  des  Geburtseintrittes,  be¬ 
ziehungsweise  nach  jenen  Vorgängen,  welche  den  Beginn  der 
Wehenthätigkeit  des  schwangeren  Uterus  hervorrufen,  bildet 
den  Gegenstand  eines  viel  bearbeiteten  Capitels  der 
Physiologie. 

In  zahlreichen  Hypothesen  wurden  die  verschiedent- 
lichsten,  am  Ende  der  Schwangerschaft  auftretenden,  Erschei¬ 
nungen  und  Veränderungen  am  Uterus,  an  den  Eihüllen  und 
im  Embryo  mit  dem  Beginne  des  Geburtsactes  in  Verbindung 
gebracht,  oder  zumindest  die  Möglichkeit  eines  Einflusses  dieser 
erwogen. 

Keine  der  bisher  aufgestellten  Hypothesen  konnte  der 
Kritik  Stand  halten,  da  in  denselben  Vorgänge  und  Erschei¬ 
nungen  verwerthet  wurden,  die  wohl  am  Schwangerschaftsende 
auftreten  können,  keineswegs  jedoch  —  wie  es  eine  allgemeine 
Theorie  erfordert  —  bei  jeder  Geburt,  sei  dieselbe  normal 
oder  auf  pathologische  Vorgänge  zurückzuführen,  nachweis¬ 
bar  sind. 

Diese  Theorien  erweisen  sich  aber  a  priori  schon  deshalb 
als  unrichtig,  weil  in  denselben  der  Beginn  der  Wehenthätig¬ 
keit  bei  extrauteriner  Schwangerschaft  weder  zu  erklären 
versucht,  noch  überhaupt  in  einen  Zusammenhang  mit  der  ver- 
wertheten  Erscheinung  gebracht  wird. 

So  nahmen  Petit,  Dubois,  Kilian  an,  die  Geburts¬ 
wehen  werden  durch  den  Druck,  den  der  vorliegende  Kindes- 
tlieil  auf  den  unteren  Abschnitt  des  Uterus  ausübe,  ausgelöst.1) 
Um  dieser  Auffassung  mehr  Wahrscheinlichkeit  zu  verleiben, 


ergänzte  sie  Veit  durch  die  Erklärung,  dass  es  wohl  vor¬ 
wiegend  auf  den  Druck,  den  das  Ganglion  cervicale  und  die 
benachbarten  Nerven  erleiden,  sowie  auf  die  Pressung  der 
Uteruswand  zwischen  Kindestheil  und  Beckenwandung  an¬ 
kommen  müsse. 

Zur  Beurtheilung  dieser  Hypothese  genügt  die  Anführung 
jener  Fälle,  welche  sie  nicht  erklärt:  Sämmtliche  normalen 
Geburten  bei  Mehrgeschwängerten  und  Eintritt  der  Wehen¬ 
thätigkeit  bei  Querlage,  bei  Abortus  und  extrauteriner  Schwan¬ 
gerschaft. 

Simpson  suchte  in  der  Verfettung  der  Decidua  die 
Ursache  des  Geburtseintrittes.  Veit  hält  jedoch  die  Rüclc- 
bildnngsphänomene  in  der  Decidua  für  zu  geringfügig,  um 
solchen  Einfluss  ausüben  zu  können,  und  er  citirt 
in  der  Besprechung  dieser  Theorie  mit  Recht  den  Ausspruch 
Labs’,  der,  »selbst  wenn  die  Verfettung  vorhanden  ist  — 
statt  des  einen  Räthsels  —  des  Eintrittes  der  Wehen  —  nur 
ein  anderes  —  Eintritt  der  Verfettung  —  gesetzt  findet«. 

Die  sogenannten  Fremdkörpertheorien,  deren  Begründer 
nach  einer  Mittheilung  Geyl’s  der  Physiologe  Reil  war,  und 
die  von  Baudelocque,  Huve,  Scanzoni,  Nägele  ver¬ 
treten  wurden,  berücksichtigen  ebenfalls  nicht  die  extrauterine 
Lage  der  Frucht.  Durch  Veränderungen,  welche  am  Ende  der 
Schwangerschaft  in  der  Decidua  auftreten,  deren  Entstehen 
übrigens  auch  unerklärt  bleibt2),  werde  die  Frucht  zum  Fremd¬ 
körper,  der  den  Uterus  zu  Contractionen  anrege. 

Die  Resultate  der  experimentellen  Untersuchungen 
Brown-Sequar d’s,  welcher  bei  Versuchsthieren  durch  Ueber- 
ladung  des  Blutes  mit  Kohlensäure  Uteruscontractionen  hervor¬ 
rufen  konnte,  ferner  die  Untersuchungen  Rung  e’s,  welcher 
das  Entstehen  der  Contractionen  nicht  auf  den  lvohlensäure- 


')  J.  V  e  i  t,  Handbuch  der  Geburtshilfe  von  Müller. 


J)  Veit,  1.  c. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  16 


366 


Überschuss,  sondern  auf  den  Sauerstoffmangel  im  Blute  zurück¬ 
führte,  bildeten  die  Grundlage  mehrerer  Hypothesen,  in 
welchen  die  Ursache  des  Geburtseintrittes  auf  oberwähnte 
chemische  Veränderungen  des  in  den  intervillösen  Räumen 
circulirenden  Blutes  bezogen  wurde. 

Nach  C.  Hasse  lässt  sich  der  Kohlensäurereichthum 
des  vom  Fötus  abströmenden  Blutes  am  Ende  der  Schwanger¬ 
schaft  durch  die  in  Folge  Verschlusses  des  Foramen  ovale  und 
Verengerung  des  Ductus  arteriosus  Botalli  und  Ductus  venosus 
Arantii  bedingte  Aenderung  der  Circulation  im  Fötus  er¬ 
klären. 

Nach  Leopold  kann  eine  erhöhte  Venosität  des  in  den 
intervillösen  Räumen  circulirenden  Blutes  durch  das  Auftreten 
der  spontanen  Venenthrombosen  in  der  Serotina  und  der 
Placentarstelle  des  Uterus  zu  Stande  kommen. 

Abgesehen  davon,  dass  diese  Hypothesen  gleichfalls  nur 
die  intrauterine  Schwangerschaft  berücksichtigen,  erscheint  es 
zweifelhaft,  ob  die  Ergebnisse  der  erwähnten  Experimente, 
bei  welchen  die  gesammte  oder  der  grösste  Theil  der  Uterus- 
masse  unter  geänderte  Verhältnisse  gesetzt  wurde,  eine  so  er¬ 
weiterte  Anwendung  erfahren  dürfen,  wie  es  die  Annahme 
erfordert,  dass  in  der  veränderten  Beschaffenheit  des  Blutes 
in  den  intervillösen  Räumen  dieselben  Bedingungen  wie  im 
Experimente  vorhanden  seien. 

In  einer  grossen  Zahl  von  Hypothesen  werden  die 
natürlichen  Schwangerschaftsveränderungen  des  Uterus 
zur  Erklärung  des  Geburtseintrittes  herangezogen.  So  ist  es 
nach  R  i  t  g  e  n  auf  die  vollendete  Ausbildung  der  Muskel¬ 
fasern,  nach  Litzman  auf  die  Ausbildung  der  Nervenfasern, 
nach  Obernier,  R  e  i  m  a  n  n,  Kehrer,  Labs  auf  die  zu¬ 
nehmende  Reizbarkeit  der  Uterusnerven  zurückzuführen,  dass 
ein  geringer  Reiz  am  Ende  der  Schwangerschaft  Uteruscon- 
tractionen  und  Geburtseintritt  hervorrufen  könne. 3) 

Es  liegt,  wie  schon  aus  den  angeführten  Beispielen 
hervorgeht,  den  meisten  Hypothesen  die  Auffassung  zu  Grunde, 
dass  der  Geburtsact  durch  einen  Reiz  ausgelöst  werde,  und 
dass  dieser  Reiz  durch  Veränderungen  hervorgerufen  werde, 
welche  am  Ende  der  Schwangerschaft  im  Uterus  oder  in  der 
Frucht  auftreten  und  durch  Reifung  der  Frucht  bedingt  oder 
auf  noch  unbekannte  Vorgänge  zurückzuführen  sein  sollten. 

Aus  der  Unmöglichkeit,  auf  Grund  dieser  Vorstellung  zu 
einer  einheitlichen  Theorie  zu  gelangen,  wurde  nicht  die  Fol¬ 
gerung  gezogen,  diese  Vorstellung  sei  möglicher  Weise  un¬ 
richtig,  sondern  es  wurde  zur  Stütze  derselben  das  Auskunfts¬ 
mittel  einer  neuen  Hypothese  gefunden  und  aus  der  scheinbar 
verschiedenen  Geburtsursache  bei  anormalem  Geburtseintritte 
wie  nach  Fieber,  Blutung,  Endometritis,  Vergiftungen, 
Sturz  etc.  —  erklärt,  e3  müssen  verschiedene  Reize  die  Geburts¬ 
wehen  auslösen  können.  Diese  Annahme  beruht  nach  meiner 
Ansicht  auf  Verwechslung  der  Begriffe  von  Ursache  und  Ver¬ 
anlassung.  Alle  angeführten  Momente  —  wie  Fieber,  Sturz 
etc.  —  führen  nur  unter  bestimmten  Umständen  den  Geburts¬ 
eintritt  herbei,  und  zwar  dann,  wenn  durch  sie  zufällig  jener 
physiologische  Process  hervorgerufen  wird,  der  den  Eintritt 
der  Wehen  verursacht.  Sie  können  jedoch  auch  vollständig 
reactionslos  verlauten,  sind  daher  keineswegs  als  causa  sufficiens 
zu  betrachten. 

Da  die  Besprechung  sämmtlicher  Hypothosen  zu  weit 
führen  würde,  wurden  nur  diejenigen  erwähnt,  welche  in  der 
Literatur  häufiger  angeführt  werden,  um  gerade  an  diesen 
nachzuweisen,  dass  das  Problem  der  Ursache  des  Geburts¬ 
eintrittes,  welches  bekanntlich  schon  Hippok rates  zu  er¬ 
gründen  versucht  hatte,  als  ungelöst  betrachtet  werden  muss. 

I. 

Wenn  sich  das  lebende  befruchtete  Ei  an  der  Schleim¬ 
haut  des  Uterus  oder  der  Tuben  (eventuell  am  Ovarium  oder 
Peritoneum)  festgesetzt  hat  und  mit  dieser,  beziehungsweise 
dem  mütterlichen  ( )rganismus  in  vitale  Verbindung  tritt,  be¬ 
ginnt  Schwangerschaft. 


In  Folge  dieser  Verbindung  bilden  sich  im  mütterlichen 
Organismus  die  bedeutenden  Veränderungen  aus,  welche  kurz¬ 
weg  als  Schwangerschaftssymtome  bezeichnet  werden.  Diese 
sind  immer  gleichartig  und  weisen  nur  je  nach  der 
Eignung  der  Haftstelle  graduelle  Unterschiede  auf. 

Bei  normalem  Verlaufe  schreitet  die  Entwicklung  der 
Schwangerschaftsveränderungen  mit  der  Entwicklung  der 
Frucht  gleichmässig  fort.  Erst  durch  den  Eintritt  der  Geburt 
erfolgt  eine  Unterbrechung,  an  die  sich  die  Rückbildung  der 
Schwangerschaftsveränderungen  anschliesst. 

Wird  jedoch  —  wie  die  Erfahrung  lehrt  —  durch  einen 
pathologischen  Process,  z.  B.  eine  Blutung,  das  Ei  zerstört 
oder  von  seiner  Haftstelle  losgelöst,  so  beginnt,  ebenso  wie 
nach  normaler  Geburt,  die  Rückbildung  der  Schwangerschafts¬ 
veränderungen,  wobei  die  Erscheinung  zu  Tage  tritt,  dass  es 
physiologisch  bedeutungslos  ist,  ob  das  Ei  im  Mutterleibe  ver¬ 
bleibt,  wie  z.  B.  bei  extrauteriner  Lage  der  Frucht,  oder  ob 
dasselbe  ausgestossen  wurde. 

Die  Zerstörung  des  Eies  oder  die  Lostrennung  desselben 
von  der  Haftstelle,  d.  i.  die  Unterbrechung  der  vitalen  Ver¬ 
bindung  von  Mutter  und  Frucht  hemmt  demnach  nicht  nur 
die  Fortentwicklung  der  Schwangerschaftsveränderungen, 
sondern  sie  bedingt  auch  die  sofortige  Rückbildung  der 
schon  v  o  r  h  a  n  d  e  n  e  n  Veränderungen  und  die  Rückkehr  des 
mütterlichen  Organismus  zur  Norm,  soferne  nicht  —  wie  bei 
Retention  des  abgestorbenen  Eies  oder  eines  Theiles  desselben 
im  Uterus  —  ein  Hinderniss  die  Rückbildung  einer  Schwanger¬ 
schaftserscheinung  hemmt,  die  eben  dann  nur  als  mechanisch 
bedingte  Veränderung  fortbesteht. 

Die  physiologische  Ursache  dieser  Erscheinung  kann 
daher  nicht  in  der  mechanischen  Entfernung  des  Eies  gesucht 
werden,  sondern  muss  —  wie  es  allerdings  selbstverständlich 
erscheint,  doch  betont  werden  muss  —  nur  in  einer  Func¬ 
tion  des  Eies  gelegen  sein. 

Auf  Grund  dieser  Vorstellung  würde  sich  der  natürliche 
Zusammenhang  der  erwähnten  Erscheinungen  folgendermassen 
erklären  lassen: 

Das  lebende  befruchtete  Ei  übt  in  vitaler  Verbindung 
einen  mächtigen  Reiz  auf  den  mütterlichen  Organismus  aus, 
dessen  Reaction  sich  in  den  Schwangerschaftsveränderungen 
äussert.  Durch  Zerstörung  oder  Loslösung  des  Eies  entfällt  der 
Reiz,  worauf  die  Reactionserscheinungen  schwinden. 

Die  Schwangerschafts  Veränderungen  bil¬ 
den  demnach  die  s  p  e  c  i  fische  Reaction  des  weib¬ 
lichen  Organismus  auf  den  Reiz  des  lebenden 
befruchteten  Eies. 

Da  die  Uebertragung  des  Reizes  nur  an  der  Verbindungs¬ 
stelle  von  Mutter  und  Frucht  stattfinden  kann,  so  wird  die¬ 
selbe  anfangs  von  der  Gesammtoberfläche,  später  vom  Chorion 
frondosum  und  nach  Entwicklung  der  Placenta  von  dieser  aus 
erfolgen.  Es  ist  in  den  anatomischen  und  physiologischen  Ver¬ 
hältnissen  begründet,  dass  der  Placenta  die  Aufgabe  der  Reiz¬ 
übertragung  zufällt.  Dass  eine  Loslösung  derselben  von  gleichen 
Folgen  wie  die  Lostrennung  des  ganzen  Eies  begleitet  ist, 
wird  durch  jene  Fälle  von  Abortus  illustrirt,  die  nach  Zer¬ 
störung  der  Placenta  oder  nach  ausgebreiteter  Blutung  zwischen 
dieser  und  der  Uterusschleimhaut  auftreten. 

Die  naturgemäss  bedeutenden  Reactionserscheinungen  am 
Uterus  äussern  sich  einerseits  in  den  sinnlich  wahrnehm¬ 
baren  Veränderungen  desselben  (Massenzunahme, 
Bildung  der  Decidua  etc.)  und  andererseits  in  einem  s  p  e- 
cifischen  functionellen  Verhalten.  Letzteres  muss 
deshalb  als  specifisch  aufgefasst  werden,  da  nur  während  der 
Schwangerschaft  die  auffallende  Erscheinung  zu  Tage  tritt, 
dass  der  Uterus  bei  seiner  erhaltenen  und  eher  noch  erhö  hen 
Irritabilität  auf  so  hochgradige  Veränderungen  seiner  Sch'eim- 
haut  nicht  mit  Contractionen  reagirt,  während  solche  sowohl 
im  schwangeren,  als  im  nicht  schwangeren  Zustande  durch 
anderweitige,  weit  geringere  Vorgänge  ausgelöst  werden. 

Dieses  Verhalten  gegenüber  den  durch  die  Schwanger¬ 
schaft  hervorgerufenen  Veränderungen  lässt  sich  nur  durch 
das  Bestehen  der  vitalen  Verbindung  und  der  Uebertragung 
eines  Reizes  erklären,  wodurch  Ei  und  Decidua,  bezielmngs- 


s)  Veit,  1.  c. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


367 


weise  letztere  allein,  sich  während  der  Schwangerschaft  als  dem 
Uterus  normal  angehörende  Gebilde  repräsentiren. 

Sind  die  Schwangerschaftserscheinungen  als  specifische 
Reaction  an  das  Bestehen  eines  Reizes  geknüpft,  so  muss  mit 
dem  Ausfall  des  Reizes  oder  dem  Sinken  desselben  unter  die 
erforderliche  Grösse  das  physiologische  Ende  der 
Schwangerschaft  eintrete  n,  welches,  wie  aus  der  Dar¬ 
stellung  ersichtlich  ist,  nicht  mit  dem  bisher  festgehaltenen, 
auf  den  anatomischen  Vorgang  zurückgeführten  Schwanger¬ 
schaftsende  zu  identificiren  ist. 

Nach  Beendigung  der  Schwangerschaft,  d.  h.  wenn  der 
vom  Ei  ausgehende  Reiz  entfallen  ist,  oder  nicht  mehr  jene 
Grösse  erreicht,  um  den  mütterlichen  Organismus  in  seiner 
Reaction  zu  erhalten,  tritt  der  Uterus  wieder  in  normale 
Function  und  wird  durch  die  Decidua,  die  nunmehr  nur  eine 
veränderte  Schleimhaut  darstellt,  zu  Contractionen  angeregt, 
die  sich,  entsprechend  der  Ausbildung  der  Muscularis  und  der 
Nervenelemente  und  im  Verhältniss  zum  auszustossenden  Objecte 
zu  Geburtswehen  steigern,  die  erst  nach  Entfernung  des  verän¬ 
derten  Gewebes  aufhören. 4) 

Die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist  nach  meiner,  der 
bisherigen  Auffassung  entgegengesetzten  Anschauung  daher 
nicht  im  Auftreten  eines  neuen  Reizes,  sondern  im  Aus¬ 
fallen  jenes  Reizes  zu  suchen,  der  die  Schwangerschaft 
hervorrief. 

Die  Wehenthätigkeit  des  Uterus  ist  die 
erste  Aeusserung  seiner  wiedergewonnenen 
normalen  Function  in  unmittelbaremAnschluss 
an  das  physiologische  Schwangerschaftsende. 

II. 

Von  der  Anschauung  geleitet,  welcher  schon  Zweifel 
in  seinem  Lehrbuche  der  Geburtshilfe  Ausdruck  verlieh,  dass 
gewissen  Fällen  von  Frühgeburt  die  Bedeutung  eines  Experi¬ 
mentes  zukomme,  gehe  ich  daran,  die  aus  der  Beobachtung 
der  einfachen  Beispiele  gewonnenen  Resultate  zur  Erklärung 
des  normalen  Geburtseintrittes  zu  verwerthen. 

In  den  an  s  ä  m  m  1 1  i  c  h  e  n  g  e  b  o  r  e  ne  n  P 1  a  ce  n  t  e  n 
wahrnehmbaren  Degenerationserscheinungen 
sehe  ich  die  Folgen  jener  Vorgänge,  die  die  An¬ 
nahme  einer  der  Geburt  vorausgegangenen 
physiologischen  Lostrennung  von  Mutter  und 
Frucht,  sowie  der  Ausschaltung  d  e  s  v  o  n  letzterer 
ausgehenden  Reizes  rechtfertigen. 

Die  auffallende  Erscheinung  ausgebreiteter  Degeneration 
an  einem  so  wichtigen  Organe,  wie  es  die  Placenta  ist,  legte 
von  jeher  den  Gedanken  nahe,  in  diesen  ein  ursächliches 
Moment  für  den  Geburtseintritt  zu  suchen;  doch  kam  man 
nicht  über  die  Vermuthung  hinaus,  da  nicht  einmal  das  Ent¬ 
stehen  der  Degenerationen  einwurfsfrei  erklärt  werden  konnte. 

Um  das  Auftreten  degenerativer  Processe  in  der  Placenta 
zur  Erklärung  des  Geburtseintrittes  überhaupt  heranziehen  zu 
dürfen,  halte  ich  es  für  erforderlich,  zunächst  deren  Ent¬ 
stehungsursache  klarz  ulegen,  dann  aber  auch 
die  Erklärung  zu  erbringen,  warum  diese  Pro¬ 
cesse  zu  einer  Zeit  auftrete n,  in  welcher  sich 
das  Kind  —  bei  der  durch  die  Grösse  des  mensch¬ 
lichen  Organismus  erreichbaren  Grenze  —  unter 
günstigsten  Bedingungen  zur  selbstständigen 
Fortentwicklung  befindet.  Aus  der  Physiologie  der 
Placenta  ergeben  sich  sehr  wichtige  Beiträge  zur  Lösung  er¬ 
wähnter  Fragen,  weshalb  auf  dieselben  im  Nachfolgenden  des 
Näheren  eingegangen  werden  soll. 

Die  Placenta  erreicht  am  Ende  des  dritten  Monates  der 
Schwangerschaft  das  Gewicht  von  36 g,  im  vierten  Monate  er¬ 
reicht  sie  80  <7;  im  fünften,  sechsten  und  siebenten  Monate  be¬ 
trägt  die  Gewichtszunahme  je  100 <7;  im  achten  Monate  ver¬ 
ringert  sich  die  Zunahme  auf  60  im  neunten  Monate 
schon  auf  40  g  und  im  zehnten  Monate  soll  die  Gewichts¬ 
zunahme  6  g  betragen.  Wenn  man  berücksichtigt,  dass  ein 

4)  Ein  Abortus  in  den  ersten  Wochen  der  Schwangerschaft  verläuft 
daher  unter  dem  Bilde  einer  Menstruation. 


Theil  der  Gewichtszunahme  der  Placenta  auf  die  Zunahme 
des  Blutgehaltes  in  der  Frucht  zurückzuführen  ist  und  diese 
in  den  letzten  sechs  Wochen  auf  mindestens  40  g 5)  zu  ver¬ 
anschlagen  ist,  so  erscheint  die  Annahme  gerechtfertigt,  dass 
die  Placenta  von  der  34.  bis  zur  36.  Woche  eine 
geringe,  von  der  36.  Woche  bis  zum  Ende  der 
Schwangerschaft  keine  Grössenzunahme  er¬ 
fährt. 

Der  Fötus  hingegen  wächst  vom  Beginne  der  Schwanger¬ 
schaft  bis  zum  Ende  continuirlich;  er  erlangt  im  dritten  Monate, 
in  welchem  die  Placenta  ein  Durchschnittsgewicht  von  36  g 
aufweist,  ein  Gewicht  von  circa  15  g  und  erreicht  in  der 
30.  Woche  1800  g.  Von  diesem  Zeitpunkte  an¬ 
gefangen  ist  die  Massenzunahme  des  Fötus  eine 
enorme  und  beträgt  bis  zum  Ende  der  Schwanger¬ 
schaft  circa  1400  t/. 

Nachfolgende  Tabelle  gibt  ein  übersichtliches  Bild  des 
Wachsthums  von  Fötus  und  Placenta  in  den  letzten  zehn 
Wochen : 


Woche 

Placenta 

Fötus 

Zunahme 

der  Placenta 

des  Kindes 

Beginn  bis 
30.  Woche 

bis  430  # 

bis  1800# 

30.— 3‘2.  Woche 

»  460  g 

»  2100  (j 

30# 

300  # 

32. — 34.  » 

»  480  g 

»  2400# 

20# 

300# 

34. — 36.  » 

»  490  g 

»  28C0  # 

10# 

400  # 

(500) 

200# 

36.-38.  » 

— 

»  3000  # 

— 

38.-40.  » 

»  3200  # 

200# 

Ein  Vergleich  der  Gewichte  von  Fötus  und  Placenta  in 
den  einzelnen  Phasen  ihrer  Entwicklung  führt  zu  folgendem 
Resultate:  Die  ersten  Wochen  der  Schwangerschaft  scheinen 
vorwiegend  der  Ausbildung  der  Placenta  zu  dienen.  Von  dem 
Zeitpunkte,  in  welchem  die  Placenta  zu  vollständiger  Functions¬ 
fähigkeit  entwickelt  ist,  wachsen  Placenta  und  Fötus  bis  zur 
30.  Woche  gleichmässig  weiter,  und  es  erreicht  erstere  ein 
Gewicht  von  430 g,  letzterer  von  1800 ^7.  Während  nun 
in  den  nachfolgenden  Wochen  das  Wachsthum 
des  Fötus  in  so  erhöhtem  Masse  fortschreitet, 
dass  derselbe  in  der  kurzen  Zeit  bis  zum  Ende 
der  Schwangerschaft  eine  Gewichtszunahme 
von  1400y  —  beinahe  eine  Verdoppelung  des  Gewichtes  — 
erfährt,  bleibt  die  Placenta  in  ihrer  Entwick¬ 
lung  auffallend  zurück  undzeigt  in  den  letzten 
vier  Wochen  gar  keine  Grössenzunahme. 

Die  Ursache  dieser  Erscheinungen  ist  in  den  Kreislaufs¬ 
verhältnissen  der  Frucht  zu  suchen,  die  es  bedingen,  dass  die 
Ernährung  und  Fortentwicklung  der  Placenta  auch  von  der 
Entwicklung  des  Fötus  abhängig  ist. 

Ich  erachte  es  für  nothwendig,  diese  Verhältnisse,  denen 
ich  eine  grosse  Bedeutung  für  die  Physiologie  und  Pathologie 
der  Placenta  zuschreibe,  ausführlicher  zu  erörtern,  und  zwar 
umsomehr,  als  dieselben  auffallender  Weise  bisher  in  der 
Literatur  keine  Beachtung  fanden.  Dabei  beziehe  ich  mich 
zunächst  nur  auf  die  Thatsache,  dass  der  fötale  Kreislauf  in 
sich  geschlossen  ist. 

Das  durch  die  Vena  umbilicalis  zum  Fötus  fliessende 
arterielle  Blut  versorgt  denselben.  Von  diesem  strömt  das 
venöse  Blut  durch  die  beiden  Arteriae  umbilicales  zur  Placenta 
zurück.  In  der  Placenta  findet  eine  Theilung  des  Blutstromes 
statt,  und  zwar  in  den  Hauptstrom,  der  durch  die  Zotten- 
gefässe  direct  zu  den  Capillaren  der  Ernährungszotten  fliesst, 
um  den  Stoffwechsel  zu  vermitteln,  und  in  einen  Nebenstrom, 
der  die  Placenta  ernährt. 

Stamm  und  Haftzotten  können  nur  auf  die  beschriebene 
Weise  mit  Nährstoffen  versehen  werden. f>)  Die  dem  Stoff- 

5)  Welcker  gibt  die  Blutmenge  des  Neugeborenen  mit  '/19  des 
Körpergewichtes  an. 

ü)  Das  von  denselben  abfliessende,  hochgradig  venöse  Blut  vermischt 
sich  mit  dem  aus  den  Ernährungszotten  kommenden  arteriellen  Blute. 


3B8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  16 


Wechsel  dienenden  sogenannten  Ernährungszotten  stehen  aller¬ 
dings  unter  weit  günstigeren  Bedingungen,  da  sie,  vom  mütter¬ 
lichen  Blute  umspült,  auch  durch  Osmose  aus  diesem  das 
nothwendige  Material  beziehen  können. 

Diejenigen  Theile  der  Placenta,  welche  nicht  durch 
Osmose  ernährt  werden ,  können  daher  nur  durch 
Blut  versorgt  werden,  w^  eich  es  den  Fötus  vorher 
schon  p a s s i r t  hat,  und  nur  jene  Nährstoffe  er- 
halten,  welche  als  (Jeher schuss  vom  Fötus  im 
venösen  Blute  durch  dieArteriae  umbilicales 
rückströmen. 

In  Folge  der  Kreislaufverhältnisse  muss  die  Entwicklung 
der  Placenta  daher  von  zwei  Factoren  abhängig  sein,  und 
zwar  sowohl  von  der  eigenen  Grösse  als  von  der  des  Fötus, 
wie  sich  dies  auch  thatsächlich  an  der  Entwicklung  beider  in 
den  einzelnen  Phasen  nachwreisen  lässt. 

Nach  Ausbildung  des  Placentarkreislaufes  vermag  die 
Placenta  in  Folge  des  günstigen  Verhältnisses  ihrer  Grösse  zu 
der  des  Fötus  so  viel  Material  aufzubringen,  um  damit  die 
Fortentwicklung  des  Fötus  zu  ermöglichen  und  mit  dem  im 
venösen  Blute  abströmenden  Ueberschusse  sich  selbst  weiter 
zu  entwickeln. 

Mit  dem  Fortschreiten  der  Schwangerschaft  ändert  sich 
zwar  das  Grössenverhältniss  zwischen  Placenta  und  Fötus  zu 
Ungunsten  letzterer,  bleibt  aber  immerhin  bis  zum  Anfänge 
des  achten  Lunarmonates  relativ  günstig,  da  die  Placenta 
gleichzeitig  mit  dem  Fötus  wächst  und  daher  dem  gesteigerten 
Nahrungserforderniss  nachzukommen  vermag. 

Um  die  30.  Woche  der  Schwangerschaft,  es  fällt  dies 
gerade  in  jene  Periode,  in  welcher  der  Fötus  die  Lebens¬ 
fähigkeit  erlangt  hat,  da  alle  Organe  functionsfähig  geworden 
sind  —  tritt  in  der  Fortentwicklung  beider  Fruchtan theile 
eine  auffallende  Verschiedenheit  auf:  Die  Placenta  bleibt 
im  Vergleiche  zu  den  vorangegangenen  Mona¬ 
ten  in  der  Entwicklung  zurück,  während  der 
Fötus  von  diesemZeitpunkte  an  enorm  es  Wachs¬ 
thum  auf  weist.  Letzterer  konnte  sich  nämlich  in  Folge 
seiner  günstigeren  Ernährungsbedingungen  rascher  als  die 
Placenta  entwickeln,  so  dass  sich  mit  dem  Fortschreiten  der 
Schwangerschaft  das  Verhältniss  zu  Ungunsten  der  Placenta 
verschob  und  nun  der  grösste  Theil  des  von  der  Placenta  auf¬ 
gebrachten  Nährmateriales  vom  Fötus  —  in  Folge  seiner 
Masse  und  der  Ausbildung  der  Organe  —  absorbirt  wird. 
Dadurch  verringert  sich  die  für  die  Placenta  erübrigte  Quan¬ 
tität  der  Nährstoffe. 

Das  Wachsthum  der  Placenta  word  —  wie  aus  ansre- 
führter  Tabelle  ersichtlich  —  träger  und  dies  führt  schliesslich 
bei  dem  durch  die  Weiterentwicklung  sich  steigernden 
Nahrungserforderniss  des  Fötus  dazu,  dass  die  zur  Placenta 
abströmenden  Stoffe  gerade  nur  noch  hinreichen,  um  die 
Placenta  im  Gleichgewichte  zu  erhalten,  wodurch  Stillstand 
im  Wachsthume  eintritt  (circa  34.  Woche).  Zu  dieser  Zeit 
hat  die  Placenta  das  Maximum  ihrer  Leistungsfähigkeit 
erlangt. 

Da  sich  jedoch  das  Nahrungserforderniss  des  Fötus  mit 
seiner  Massenzunahme  noch  weiter  steigert,  muss  die  Menge 
der  im  abströmenden  Blute  vorhandenen  Nährstoffe  ent¬ 
sprechend  abnehmen,  bis  die  erübrigte  Quantität  endlich  nicht 
mehr  hinreichen  kann,  um  die  Placenta  im  Gleichgewichte  zu 
erhalten :  Die  Placenta  muss  daher  der  Unter¬ 
ernährung  und  in  Folge  dieser  der  regressiven 
Metamorphose  anheimfallen. 

Anfangs  dürfte  wohl  noch  die  Blutzunahme  in  der 
Frucht  eine  Compensation  schaffen,  doch  kann  dieselbe  nicht 
von  dauernder  Wirkung  sein.  Auch  werden  andererseits  durch 
die  regressive  Metamorphose  in  der  Placenta  Theile  derselben 
vom  Stoffwechsel  ausgeschaltet,  was  wieder  durch  Verminderung 
der  Nahrungsaufnahme  zu  noch  rascherer  Ausbreitung  dege- 
nerativer  Processe  führen  muss. 

Da  demnach  Aufbau  und  Ernährung  der 
Placenta  durch  die  vom  Fötus  abströmenden 
Nährstoffe  erfolgt,  tritt  die  Placenta  mit  dem 
Fortschreiten  der  Entwicklung  des  Fötus  in 


den  letzten  Wochen  der  Schwangerschaft 
unter  ungünstige  Ernährungsbedingungen.  Dies 
äussert  sich  in  der  Zeit  zwischen  der  30.  und  34.  Woche  in 
trägerem  Wachsthume,  später  (34.  bis  36.  Woche)  in  Wachs¬ 
thumsstillstand  und  in  den  letzten  Wochen  (36.  Woche  bis 
Schluss)  in  Erscheinungen  regressiver  Metamorphose. 

Die  Folgen  der  regressiven  Metamorphose  zeigen  sich  in 
den  bekannten  Veränderungen  geborener  Placenten,  und  zwar 
als  Degenerationserscheinungen  verschiedenen  Grades  an  den 
Zotten  und  deren  Epithelien.  Sie  treten  in  denjenigen  Gewebs- 
partien  zuerst  auf,  welche  in  Bezug  auf  Lage  und  Gefässver- 
theilung  unter  ungünstigeren  Bedingungen  stehen.  In  dieser 
Hinsicht  sind  an  erster  Stelle  die  Haftzotten,  also  diejenigen 
Gebilde,  welche  die  Verbindung  zwischen  Mutter  und  Frucht 
vermitteln,  zu  nennen,  die  nur  durch  Endramificationen  der 
Gefässe  versorgt  werden.  Unter  weit  günstigeren  Bedingungen 
befinden  sich  schon  die  Stammzotten  mit  ihren  axialen 
Gefässen. 

Unter  den  günstigsten  Bedingungen  stehen  jedoch  die 
Ernährungszotten,  die  das  für  sie  erforderliche  Nährmaterial 
auch  auf  osmotischem  Wege  direct  vom  mütterlichen  Blute 
aufnehmen  können.  In  denselben  wird  es  daher  weit  seltener 
und  nur  secundär  zu  regressiver  Metamorphose  kommen,  wo¬ 
durch  der  für  den  Fötus  nothwendige  Stoff  Wechsel 
ungestört  bleibt,  während  grosse  Theile  der  Placenta 
schon  zu  Grunde  gegangen  sind. 

Die  degenerativen  Veränderungen  in  der 
Placenta  sind  demnach  Folgeerscheinungen 
der  physiologischen  Unterernährung  derselben 
in  den  letzten  Wochen  der  Schwangerschaft.  Sie 
sind,  mit  Ausnahme  der  durch  bestimmt  nachweisbare  patho¬ 
logische  Processe  hervorgerufenen  Veränderungen  —  insge- 
sammt  auf  beschriebene  Rückbildungsvorgänge  zurückzuführen, 
so  z.  B.  die  Infarcte  (Ackermann),  bei  welchen  die 
primären  Gefässveränderungen,  oder  auch  die  Gerinnungen,  bei 
welchen  die  physiologische  Degeneration  der  Zotten  die 
durch  Nekrobiose  hervorgerufenen  ersten  Veränderungen  dar¬ 
stellen. 

Es  würde  zu  weit  vom  Thema  ablenken,  wenn  ich  auf 
alle  in  den  letzten  Jahrzehnten  so  ausführlich  bearbeiteten 
Degenerationserscheinungen  reifer  Placenten  näher  eingehen 
würde.  Es  genüge  der  Hinweis,  dass  alle  Grade  der  Rück¬ 
bildung  beobachtet  werden,  von  den  ersten  Veränderungen 
des  Zellkernes  bis  zu  den  schon  makroskopisch  wahrnehm¬ 
baren  Erscheinungen,  und  dass  selbst  ganze  Gewebsantheile 
der  Placenta  so  verändert  sind,  dass  deren  ursprüngliche 
Structur  überhaupt  nicht  mehr  erkennbar  ist. 

Darauf  ist  es  auch  zurückzuführen,  dass  das  Studium 
der  normalen  Structur  der  menschlichen  Placenta  grossen 
Schwierigkeiten  begegnet  und  auch  zu  keinem  Abschlüsse  ge¬ 
bracht  werden  konnte. 7) 

Ich  möchte  nur  die  Beobachtungen  von  Lang  h  ans 
über  das  Auftreten  von  Verkalkungen  in  der  Placenta  be¬ 
sonders  hervorheben,  da  aus  der  Lage  dieser  Herde  ein  Schluss 
auf  die  Lage  der  relativ  älteren  Degenerationsherde  berechtigt 
erscheint,  und  ich  die  Angaben  von  Langhans  als  Beweis 
zur  Stütze  meiner  Hypothese  anführen  zu  dürfen  glaube. 

»Verkalkungen  finden  sich«,  wie  Langhans  schreibt, 
»vorzugsweise  in  denjenigen  Theilen,  welche  weniger  der  Er¬ 
nährung  des  Kindes,  als  vielmehr  zur  Verbindung  beider 

Theile  der  Placenta  untereinander,  von  den  fötalen  Theilen 

/ 

die  letzten  Enden  der  dickeren  in  die  Placenta  materna  sich 
einsenkenden  Zottenstämme  und  mütterlicherseits  die  oberen, 
die  eingewachsenen  feinen  Zotten  umgebenden  homogenen  oder 
leicht  streifigen  meist  zellarmen  Schichten«. 

Langhans  hebt  auch  hervor,  dass  durch  diese  Ver¬ 
änderungen  die  Ernährung  des  Kindes  kaum  beeinträchtigt 
werden  könne. 

')  Nur  Placenten  aus  der  Zeit  vor  der  30.  Schv\  angerschaftswoche, 
die  nicht  durch  den  Geburtsact  zu  Tage  gefördert  werden  (z.  B.  durch 
Operationen  oder  bei  Sectio  caesarea  nach  plötzlichem  Tod  der  Mutter)  könnten 
normale  Strueturverhältnisse  bieten. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


369 


Aus  den  Ergebnissen  der  histologischen  Untersuchungen 
gewinnen  wir  jedoch  noch  nicht  ein  richtiges  Bild  von  der 
Ausdehnung  der  vegetativen  Störungen  in  der  reifenden 
Placenta8),  da  sich  bekanntlich  nicht  nur  functioneile  Aen- 
derungen  in  der  Zelle,  sondern  sogar  auch  die  ersten  Dege¬ 
nerationsstadien  im  Zellplasma  und  im  Zellkerne  unserer  Be¬ 
obachtung  entziehen.  Die  Veränderungen  letzterwähnter  Art 
müssen  —  nach  der  Ausbreitung  der  sinnlich  wahrnehmbaren 
zu  sch  lies  sen  —  jedenfalls  auch  bedeutend  sein  und  werden 
vorwiegend  die  Haftzotten  betreffen,  als  diejenigen  Theile  der 
Placenta,  welche  unter  den  ungünstigsten  Ernähr ungsbedin- 
gungen  stehen. 

Nachdem  Entstehen  und  Ausbreitung  der  Degenerationen 
klargelegt  und  die  Erklärung  erbracht  wurde,  dass  diese  Pro- 
cesse  Folgen  der  physiologischen  Rückbildung  der  Placenta 
nach  Entwicklung  des  Fötus  sind,  erübrigt  noch  die  Ver- 
werthung  der  gewonnenen  Resultate  zur  Erklärung  des  nor¬ 
malen  Geburtseintrittes. 

Mit  der  Degeneration  der  Haftzotten  vollzieht  sich  ein 
Process,  der  eine  psysiologische  Loslösung  der  Frucht  vom 
mütterlichen  Organismus  bedeutet,  da  das  veränderte  Gewebe 
der  Haftzotten  nicht  mehr  die  vitale  Verbindung  aufrecht 
erhalten  und  daher  auch  nicht  mehr  den  Reiz  des  lebenden 
Eies  zu  übertragen  vermag.  In  gleichem  Masse,  wie  die  De¬ 
generation  der  Zotten  schreitet  die  Trennung  von  Mutter  und 
Frucht  vor,  doch  dauert  die  Schwangerschaft  fort,  so  lange 
noch  ein  genügend  grosser  Antheil  der  Placenta  mit  dem 
mütterlichen  Organismus  in  vitaler  Verbindung  verbleibt.  Mit 
weiterer  Ausbreitung  der  Veränderungen  verringert  sich  das 
intacte  Gewebe,  bis  schliesslich  der  von  diesem  übertragene 
Reiz  nicht  mehr  hinreicht,  den  mütterlichen  Organismus  in 
Schwangerschaftsreaction  zu  erhalten:  es  ist  hie  mit  das 
physiologische  Ende  der  Schwangerschaft  ein¬ 
getreten. 

Der  Uterus  tritt  wieder  in  normale  Function  und  wird 
durch  die  veränderte  Mucosa  zu  Contractionen  angeregt,  deren 
Intensität  durch  die  Ausbildung  der  Musculatur  und  Nerven- 
elemente,  sowie  durch  die  Masse  des  auszustossenden  Inhaltes 
bedingt  ist.  und  die  erst  dann  aufhören,  wenn  die  Hauptmasse 
veränderter  Schleimhaut  ausgestossen  wurde  (Geburt  und  Nach¬ 
wehen). 

Der  Geburtsact  bereitet  sich  demnach  allmälig  vor,  indem 
mit  der  Ausbreitung  der  degenerativen  Veränderungen  der 
Reiz  abnimmt,  wodurch  das  Gleichgewicht  des  in  Schwanger¬ 
schaftsreaction  befindlichen  Uterus  eine  Störung  erleiden  muss. 
Dies  äussert  sich  auch  in  den  im  letzten  Monate  auftretenden 
und  sich  häufenden  Contractionen,  die  durch  den  Antagonis¬ 
mus  zweier  Factoren  ausgelöst  und  behoben  werden,  durch 
den  Reiz  der  veränderten  Mucosa  (Decidua)  einerseits  und  den 
Reiz  der  lebenden  Frucht  andererseits,  bis  endlich  durch  die 
Abschwächung  des  letzteren  ersterer  überwiegt. 

Es  soll  noch  hervorgehoben  werden,  dass  die  Decidua 
als  solche,  als  veränderte  Uterusmacosa,  die  normal 
functionirende  Gebärmutter  zu  Contractionen  anregen  muss. 
Möglicher  Weise  wäre  auch  den  degenerativen  Veränderungen 
in  der  Decidua  eine  gewisse  Bedeutung  zuzumessen  und  daher 
zu  erwähnen,  dass  deren  Ausbreitung  durch  die  in  den  letzten 
Wochen  auftretenden  Uteruscontractionen  sowie  die  hie¬ 
durch  bedingten  mechanischen  Gewebstrenn ungen  gefördert 
werden  dürfte.  Doch  sind  dies  Momente,  die  erst  in  zweiter 
Linie  in  Betracht  kommen  —  ebenso  wie  z.  B.  auch  die  Masse 
des  Uterusinhaltes  für  die  Wehenstärke  massgebend  ist  — 
und  die  mit  der  Ursache  des  Geburtseintrittes  nicht  in  directem 
Zusammenhänge  stehen. 

III. 

Die  Anwendung  meiner  Hypothese  zur  Erklärung  des 
anormalen  Geburtseintrittes,  der,  trotz  verschiedener  Veranlas¬ 
sungen,  immer  auf  dieselbe  physiologische  Ursache  —  Ausfall 
des  Reizes  der  lebenden  Frucht  —  zurückgeführt  werden 

8)  Die  Kalkablagerungen  in  der  Placenta  materna  dürften  grössten- 
theils  Reste  geschwundener  Haftzotten  sein. 


muss  —  gestaltet  sich,  wie  ich  an  einzelnen  Beispielen  nach- 
weisen  will,  sehr  einfach. 

Fälle  von  Abortus  oder  Frühgeburt  in  Folge  Erkran¬ 
kungen  der  Uterusmucosa  sind  auf  die  Art  zu  erklären,  dass 
in  Folge  der  Erkrankung  der  Uterusschleimhaut  die  Placenta 
in  der  Entwicklung  Zurückbleiben  muss.  Dadurch  wird  die 
Grenze  ihrer  Leistungsfähigkeit  früher  erreicht  und  die  Geburt 
bereitet  sich  in  jenem  Momente  vor,  in  welchem  sich  der 
Fötus  im  Verhältniss  zur  Placenta  in  solchem  Masse  entwickelt 
hat,  dass  er  das  durch  sie  gelieferte  Nahrungsmaterial  zum 
grössten  Theile  absorbirt. 

Tritt  ein  Bluterguss  zwischen  Placenta  und  Uterus  ein, 
so  ist  der  weitere  Verlauf  der  Schwangerschaft  vom  relativen 
Grössenverhältniss  zwischen  dem  noch  functionirenden,  nicht 
ausgeschalteten  Placentarantheile  und  dem  Fötus,  somit  auch 
vom  Alter  der  Frucht  abhängig.  Ist  dieses  Ereigniss  beispiels¬ 
weise  in  den  ersten  Monaten  der  Schwangerschaft  eingetreten, 
so  kann  bei  dem  geringen  Nahrungsbedürfnisse  des  Embryo 
der  unversehrte  Antheil  der  Placenta  noch  genügend  Material 
zur  eigenen  und  des  Embryo  Fortentwicklung  aufbringen  und 
die  Schwangerschaft  kann  ungefähr  zum  normalen  Termine 
enden,  nur  dass  bisweilen  ein  in  der  Entwicklung  zurückge¬ 
bliebenes  Kind  geboren  wird. 

Erfolgt  die  Blutung  in  einem  späteren  Monate,  in  welchem 
der  Nahrungsüberschuss  für  die  Placenta  schon  ein  geringer 
ist,  dann  wird  die  Wirkung,  d.  i.  Geburt,  sofort  oder  in 
kurzer  Zeit  eintreten  müssen,  da  durch  Ausschaltung  eines 
Theiles  der  Placenta  dem  noch  functionirenden  Reste  auch 
das  geringe  Nährmaterial,  das  demselben  vorher  zuströmte, 
entzogen  wird,  wodurch  es  in  diesem  zu  nekrobiotiscken  Ver¬ 
änderungen  kommen  muss. 

Die  künstliche  Einleitung  der  Geburt  besteht  darin,  dass 
durch  mechanische  Reizung  Uteruscontractionen  hervorgerufen 
werden,  die  sich  erst  dann  zu  Geburtswehen  steigern,  wenn 
eine  mechanische  Loslösung  der  Frucht  und  dadurch  Ausfall 
des  Reizes  der  lebenden  Frucht  erzielt  wurde. 

Fieberhafte  Erkrankungen  der  Mutter,  pathologische 
Processe  im  Fötus  oder  Tod  desselben,  Circulationsstörungen 
in  Folge  Veränderungen  an  der  Nabelschnur  fuhren  zuerst 
zur  Degeneration  in  der  Placenta  foetalis,  die  den  Geburtsein¬ 
tritt  verursacht. 

Die  Ursache  der  Uteruscontractionen  bei  ektopischer 
Schwangerschaft  ist  ebenso  wie  bei  normaler  auf  den  Ausfall 
des  Reizes  der  lebenden  Frucht  zurückzuführen.  Wie  sich  aus 
der  Beobachtung  des  Schwangerschaftsverlaufes  ergibt,  erfährt 
der  Mechanismus  nur  insoferne  eine  Aenderung,  als  der  Uterus 
nicht  wie  bei  normalem  Verlaufe  unter  directem,  sondern  in 
Folge  der  Verlagerung  der  Haftstelle  unter  mittelbarem  Ein¬ 
fluss  des  Eies  steht,  wie  sich  dies  auch  in  der  geringen  Reaction 
desselben  äussert. 

Nach  Absterben  oder  Loslösung  der  Frucht  entfällt  auch 
dieser  indirecte  Reiz,  worauf  der  Uterus,  zur  Norm  zurück¬ 
gekehrt,  die  veränderte  Mucosa  ausstösst. 

Auch  alle  anderen,  nicht  speciell  angeführten  Fälle 
anormalen  Geburtseintrittes  lassen  sich  unter  Berücksichtigung 
der  Wechselbeziehung  zwischen  Fötus  und  Placenta  aut  die- 
dieselbe  Ursache  —  Ausfall  des  Reizes  der  Frucht  zurück¬ 
führen,  weshalb  ich  der  Kenntniss  dieser  Vorgänge  auch  eine 
gewisse  praktische  Bedeutung  zuschreiben  möchte. 

Diese  Hypothese  liefert  —  wie  erforderlich  —  auch  die 
ungezwungene  Erklärung  der  typischen  Schwangerschafts¬ 
dauer,  die,  trotz  der  zahlreichen  Erörterungen,  deren  Gegen¬ 
stand  sie  war,  gegenwärtig  nur  mit  Zugrundelegung  der 
Vererbungstheorie  und  in  weitgehender  Anwendung  derselben 
erklärt  wird. 


370 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  16 


Ueber  den  Einfluss  des  Alkohols  auf  die  Aus¬ 
scheidung  der  reducirenden  Substanzen  im 

Harne. 

Von  Adalbert  Gregor,  Cand.  med.,  Innsbruck. 

In  einer  Arbeit  '):  »Ueber  die  quantitative  Bestimmung 
der  reducirenden  Substanzen  im  Harne  nach  dem  Verfahren 
von  Zdenek  Peska«,  in  welcher  ich  den  Einfluss  ver¬ 
schiedener  Ernährungsverhältnisse  auf  die  Ausscheidung  der 
reducirenden  Substanzen  im  Harne  untersuchte,  ergab  es  sich, 
dass  unter  den  im  gewöhnlichen  Leben  hiebei  in  Betracht 
kommenden  Substanzen  der  Alkohol  die  einzige  war,  die  eine 
Steigerung  der  Reductionskraft  des  Harnes  herbeiführte.  Diese 
Erfahrung  schien  mir  von  derartigem  Interesse,  dass  ich  be¬ 
schloss,  die  damals  erhaltenen  Resultate  durch  neue  Experi¬ 
mente  zu  ergänzen. 

Zur  quantitativen  Bestimmung  der  reducirenden  Substanzen 
diente  mir  auch  diesmal  das  von  mir  für  die  Harnanalyse  em¬ 
pfohlene  Peska’sche  Verfahren.  Dasselbe  beruht  auf  der  von 
P  a  v  y  2)  angegebenen  Methode,  nach  welcher  durch  Ammoniak¬ 
zusatz  zur  F  e  h  1  i  n  g’schen  Lösung  ein  scharfer  Farbenumschlag 
von  Blau  in  farblos  erzielt  wird  und  ist  insoweit  ein  Fortschritt 
gegen  Pav  y's  Verfahren,  als  der  hiebei  nöthige  Abschluss  der 
Rcductionsflüssigkeit  von  der  atmosphärischen  Luft  durch  Ueber- 
schichtung  mit  Paraffmöl  erzielt  wird.  Schon  in  der  citirten  Arbeit 
fand  ich  mich  genöthigt,  bei  der  Untersuchung  normaler  Harne  auf 
ihr  Reductionsvermögen  eine  Modification  der  Methode  Peska’s 
vorzunehmen,  auf  die  ich  auch  hier  näher  eingehen  möchte.  Bei 
der  Untersuchung  nicht  diabetischer,  zumal  niedrig  gestellter  Harne 
tritt  nämlich  meistens  bei  Anwendung  der  von  Peska  empfohlenen 
Methode  ein  schwer  zu  constatirender  Farbenumschlag  der  dunkel¬ 
blauen  Kupfersulfatlösung  ins  Schmutziggrüne  ein.  Es  rührt  dies 
daher,  dass  zur  Titration  sehr  bedeutende  Harnmengen  verwendet 
werden  müssen  und  kann  dadurch  vermieden  werden,  dass  man 
kleinere  Mengen  von  Kupfersulfatlösung  in  Anwendung  bringt.  So 
ergaben  vergleichende  Versuche,  dass  bei  demselben  Harne,  der  bei 
der  Titration  mit  100c?«3  Peska’scher  Lösung  einen  kaum  wahr¬ 
nehmbaren,  bei  50  c???3  einen  noch  undeutlichen  Umschlag  ergab, 
derselbe  bei  weiter  verminderter  Flüssigkeitsmenge  immer  deutlicher 
wurde  und  bei  Quantitäten  von  unter  10  c???3  stets  in  zufrieden¬ 
stellender  Weise  eintrat. 

Den  Nachweis,  dass  eine  derartige  Veränderung  der  Menge 
der  Reductionslösung  zulässig  ist,  suchte  ich  in  der  Weise  zu 
erbringen,  dass  ich  eine  circa  V2%2»e  Zuckerlösung  herstellte  und 
dieselbe  nacheinander  mit  50,  20,  10  c???3  P  e  s  k  a’scher  Flüssigkeit 
titrirte  und  ebenso  mit  einer  circa  y4%igen  Traubenzuckerlösung 
verfuhr.  Es  stellte  sich  dabei  heraus,  dass  die  zur  Reduction  der 
betreffenden  Mengen  Titrationsflüssigkeit  verbrauchten  Cubikcenti- 
meter  Zuckerlösung  denselben  proportional  waren.  Ein  Gleiches 
ergab  die  Berechnung  des  Procentgehaltes.  Die  Zahlen  selbst 
lauten: 


Verwendete 
Menge  Peska- 
scher  Flüssig¬ 
keit  in  Cubik- 
I  centimetern 


Zur  Reduction  ver¬ 
brauchte  Zuckerlösung  in 
Cubikcentimetern 


Procentgehalt 


50 

8-0 

0-497 

20 

3-3 

0-488 

10 

1-7 

0-474 

50 

16-1 

0-249 

20 

6-55 

0-252 

10 

325 

0-251 

Eine  noch  grössere  Verminderung  der  Titrationslösung  vorzu¬ 
nehmen,  halte  ich  für  unzweckmässig,  weil  bei  der  Verwendung 
noch  geringerer  Mengen  die  Fehlerquellen  (Abmessung,  Titrations- 


’)  Centralblatt  für  die  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane. 
1899,  Bd.  X,  240. 

'-)  Zeitschrift  für  analytische  Chemie.  1880,  19,  98. 


grenze)  immer  mehr  in  die  Wagschale  fallen.  So  macht  die  Ueber- 
oder  Untertitration  um  nur  */l0c???3  bei  1/2°/<Poer  Zucker-  und 
5c???3  Peska'scher  Lösung  einen  Fehler  von  bereits  003%  aus. 

Es  erscheint  daher  angezeigt,  ausser  in  Fällen,  wo  man  durch 
überaus  geringe  Reductionsfähigkeit  des  Harnes  —  und  mit  solchem 
hatte  ich  es  in  meiner  früheren  Arbeit  zu  thun  —  geradezu  ge¬ 
zwungen  ist,  die  Menge  Peska’scher  Flüssigkeit  sehr  zu  ver¬ 
mindern,  keinesfalls  zu  geringe  Mengen  derselben  anzuwenden. 

Für  die  folgenden  Versuche  wählte  ich  je  10  cm3  Reductions¬ 
lösung,  da  mir  dieses  Quantum  für  die  zu  erwartenden  Verhält¬ 
nisse  am  angemessensten  schien. 

Ich  kann  diese  Bemerkungen  über  die  Methode  nicht  ab- 
schliessen,  ohne  auf  einen  Umstand  hingewiesen  zu  haben,  der 
leicbt  die  ganze  Methode  misscreditiren  könnte.  Im  Laboratoriums¬ 
gebrauche  wird  bisweilen  statt  der  empfohlenen  Paraffinflüssigkeil 
als  Abschlussmittel  Petroleum  gewählt.  Dieses  Verfahren  ist  aber 
entschieden  unzulässig.  Denn  durch  das  Petroleum  hindurch  findet 
eine  Oxydation  der  reducirten  Lösung  statt  und  man  kommt  mit 
der  Titration  nicht  zu  Ende,  weil  gegen  Schluss  der  Titration  die 
langen  Zwischenpausen  hinreichen,  um  die  Reduction  des  hinzu¬ 
gefügten  V10  c???3  wieder  aufzuheben. 

Freilich  findet  der  Erfahrene  hinlänglich  Anhaltspunkte  (wie 
das  Eben-Reducirtwerden,  die  Raschheit  der  Verfärbung  nach  dem 
letzten  Zusatze  reducirender  Flüssigkeit  etc.),  um  die  Untersuchung 
abkürzen  zu  können. 

Als  ein  solcher  Anhaltspunkt  kann  auch  das  specifische  Ge¬ 
wicht  des  Harnes  dienen,  da  es  in  gewisser  Proportionalität  mit 
dem  Gehalte  an  reducirenden  Substanzen  steht. 

Indem  ich  nunmehr  zu  der  Beschreibung  der  Versuche 
selbst  übergehe,  führe  ich  als  Grundlage  derselben  die  Resul¬ 
tate  an,  die  ich  an  einem  Tage  erhielt,  an  dem  sich  nach 
mehreren  Beobachtungen  die  Ausscheidung  der  reducirenden 
Substanzen  für  die  im  Verlaufe  der  Experimente  im  Allge¬ 
meinen  beobachteteten  Verhältnisse  als  typisch  erwiesen.  Mit 
ihnen  sollen  die  sich  nach  Einführung  eines  oder  des  anderen 
Factors  ergebenden  Ausscheidungen  verglichen,  nach  ihnen 
eventuelle  Veränderungen  der  Quantität  reducirender  Sub¬ 
stanzen  beurtheilt  werden. 

An  sämmtlichen  Versuchstagen  nahm  ich  in  jeweils  ungefähr 
gleichbleibender  Menge  Morgens  8V2  Uhr  eine  Tasse  Kaffee  mit 
etwas  Weissbrot,  Mittags  1  —  1%  Uhr  Suppe,  Braten,  Mehlspeise 
und  circa  250  c???3  Gieshübler,  Nachmittags  4  Uhr  circa  50$  Ge¬ 
bäck,  Abends  8  Uhr  Braten  und  circa  400  c???3  Thee  mit  ungefähr 
10  $  Zucker. 

Der  Versuch  fand  bei  gewöhnlicher  geistiger  Thätigkeit  und 
Gemiithslage  statt  und  ergab  folgendes  Resultat: 


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8-10 

78 

1-022 

0-4040 

03151 

20 

10—1 

151 

1023 

0-2886 

0-4357 

2-8 

1-4 

119 

1-026 

0-4488 

0-5341 

1-8 

4—7 

96 

1-025 

0-4488 

0-4308 

1-8 

7  —  10 

104 

1-025 

0-5050 

0-5252 

1-6 

10—7 

241 

1-024 

0-4488 

1-0816 

1-8 

t:  •  0 
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2  ®  P  v  V3 
Ph  :0  3  g 


Ein  Vergleich  des  erhaltenen  Ergebnisses  mit  den  ent¬ 
sprechenden  der  erwähnten  Arbeit3)  lässt  erkennen,  dass  die 
daselbst  aufgestellten  Gesetze  für  die  Abhängigkeit  der  Aus¬ 
scheidung  an  reducirenden  Substanzen  von  der  Nahrungs¬ 
aufnahme  in  gleicher  Weise  wiederkehren,  dass  aber  die  Aus¬ 
scheidungen  im  Ganzen  erhöht  sind. 

Als  Ursache  hiefür  sehe  ich  eine  veränderte  mit  ge¬ 
ringerem  Energieverbrauche  verbundene  Lebensweise  an 
(Weihnachtsferien). 


3)  1.  c.  S.  248. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


371 


An  dem  Versuchslage  wurden  unter  sonst  ganz  gleichen  Be¬ 
dingungen  um  l'/2  Uhr  Mittags  unmittelbar  nach  dem  Speisen  und 
Abends  10  Uhr  nach  vermindertem  Theegenusse  (circa  200  cm3) 
je  500  cm3  Bukowinaer  Dampfbieres  genossen,  dessen  Analyse  nach 


Dr.  Neumann  Wender4 5)  lautet: 

Specifisches  Gewicht . 1'0163 

Extract  . 4'85 

Alkohol . -U26 

Glycerin  . 0230 

Milchsäure . 0'120 

Phosphorsäure . 0'042 

Ursprünglicher  Extract  der  Würze  .  1337 
Wirklicher  Vergährungsgrad  .  .  .  64' 16°. 


Die  Harnuntersuchung  ergab  folgende  Wer  the: 


Zeit 

1 

Ausgeschiedene 
Harnmenge  in 
Cubikcentimetern 

Specifisches  Gewicht 

i 

Procentgehalt  des 
Harnes  an  redu¬ 
cirenden  Substanzen 

i 

Reducii  ende  Substanz 
bezogen  auf 
Traubenzucker  in 
Grammen 

10  cmz  P  e  s  k  a’sche 
Lösung,  reducirt 
durch  Cubik- 
centimeter  Harn 

Aii  merk  urig’ 

7-10 

164 

1  019 

0.2607 

0-4275 

3-1 

10-1 

128 

102 

0-3232 

0-4106 

2-5 

1-4 

170 

102 

0-5373 

0-9134 

1-5 

1.  Biergenuss. 

4—7 

115 

1-029 

0-5743 

0-6604 

1-4 

7-10 

110 

1-025 

0-4752 

0-5227 

1-7 

10—7 

451 

1-013 

02093 

0-9439 

3-9 

2.  Biergenuss. 

Am  nächsten  Versuchstage,  an  dem  ich  je  die  gleiche  Menge 
Bieres  um  10  Uhr  Vormittags  und  4  Uhr  Nachmittags  trank,  erhielt 
ich  folgende  Werthe: 


Zeit 

Ausgeschiedene 
Harumenge  in 
Cubikcentimetern 

Specifisches  Gewicht 

Procentgehalt  des 
Harnes  an  redu¬ 
cirenden  Substanzen 

Reduc.rende  Substanz 
bezogen  auf 
Traubenzucker  in 
Grammen 

10  c??i3  der  Peska- 
schen  Lösung,  redu¬ 
cirt  durch  Cubik- 
centimeter  Harn 

Anmerkung  ! 

7—10 

346 

1  011 

0  1510 

05165 

5-5 

10-10®/4 

450 

1-003 

00516 

0-2322 

15-9 

1.  Biergenuss. 

10»/4 — 1 

294 

1-007 

0  1415 

0-4160 

5-8 

1—4 

177 

1025 

0-4040 

0-7151 

2-0 

4-7 

557 

1-004 

0-0932 

0-5191 

8-8 

2 .  Biergenuss. 

7-10 

143 

1-024 

0-4252 

0-6080 

1-9 

10—7 

298 

1-023 

0-4040 

1-2039 

2-0 

Es  sei  noch  bemerkt,  dass  die  Zeit,  in  der  die  jedesmalige 
Bieraufnahme  stattfand,  15  Minuten  betrug. 


Die  gefundenen  Zahlen  lassen  eine  deutliche  Steigerung 
der  Reduction sk raft  des  Harnes  im  Anschlüsse  an  den  Bier¬ 
genuss  erkennen.  Die  Menge  an  reducirender  Substanz  er¬ 
reicht  in  der  Periode  1 — 4  Uhr  die  sonst  in  der  Nachmittags¬ 
ausseheidung  nie  beobachtete  Höhe  von  0  9134 g  und  ist  noch 
in  den  beiden  folgenden  Perioden  gesteigert.  Dass  unter 
solchen  Umständen  der  Biergenuss  am  Abende  nicht  noch 
eine  Steigerung  hervorrufen  konnte,  ist  erklärlich.  Aehnlich  sind 
die  Ergebnisse  des  zweiten  Versuches  zu  deuten.  Der  nach 
der  ersten  Bieraufnahme  in  zwei  Perioden  ausgeschiedene 
Harn  enthält  0  6482(7  reducirender  Substanz  gegen  eine  dieser 
Periode  entsprechende  Normalausscheidung  von  durchschnitt¬ 
lich  0  4  <7.  Auch  die  nächste  Periode  ist  noch  erhöht,  0  715(7. 
Der  zweite  Biergenuss  um  4  Uhr  Nachmittags  übt  seine 
Wirkung  wahrscheinlich  in  Folge  der  durch  den  ungewohnten  ’) 
Alkoholgenuss  verursachten  Verdauungsstörung  erst  in  den 

4)  Wender,  Lebensmittel  und  Gebrauclisgegenstände  der  Stadt 
Czernowitz.  1891. 

5)  Verfasser  pflegt  sonst  Alkohol  in  gar  keiner  1  orm  zu  sich  zu 
nehmen. 


zwei  nicht  unmittelbar  anschliessenden  Perioden  7  — 10  und 
10 — 7  aus. 

Wie  man  sieht,  sind  also  die  erhaltenen  Resultate  durch¬ 
aus  eindeutig. 

Thatsächlich  war  es  mir  aber  diesmal  weniger  darum  zu 
thun,  die  Wirkung  des  Alkohols  auf  die  Ausscheidung  der 
reducirenden  Substanzen  klarzulegen  (sie  ist  schon  durch  die 
Ergebnisse  anderer  Erscheinungen (i)  hinlänglich  verbürgt)  als 
vielmehr  den  Nachweis  zu  liefern,  dass  unter  ganz  denselben 
Verhältnissen  bis  auf  Ausschluss  des  Alkohols  eine  Steigerung 
der  Reductionskraft  nicht  stattfindet.  Warum  denn  gerade 
den  Alkohol  für  eine  physiologische  Glykosurie  verant¬ 
wortlich  machen,  wenn  er  nicht  der  einzige,  ja  beim  Biere 
nicht  einmal  der  Hauptbestandtheil  des  alkoholischen  Ge¬ 
tränkes  ist?  Krehl7),  der  die  Einwirkung  des  Bieres  auf  die 
Zuckerausscheidung  im  Harne  studirt,  führt  als  Einwand  gegen 
seine  Deutung,  dass  der  Alkohol  die  constatirte  Mehraus¬ 
scheidung  an  Zucker  hervorrufe,  die  Vermuthung  an,  es 
könne  der  gleiche  Effect  auf  die  Maltose  des  Bieres  zurück¬ 
geführt  werden.  In  Wirklichkeit  wurde  der  Einfluss  der 
Maltose  meines  Wissens  darauf  hin  noch  nicht  geprüft,  und 
der  Einwurf  bleibt  bei  Krehl  wenigstens  aufrecht  er¬ 
halten  7). 

Auch  mir  stiegen  Bedenken  gegen  die  Bierexperimente 
auf.  Reine  Maltose  einzunehmen  unterliess  ich  aber  aus  prak¬ 
tischen  Rücksichten,  halte  es  aber  auch  aus  theoretischen 
Ueberlegungen  für  gänzlich  überflüssig. 

Fürs  Erste  ist  ja  Maltose  dem  Organismus  gar  kein 
fremder  Körper.  Steht  es  doch  heute  gegenüber  der  älteren 
Anschauung,  es  werde  das  Stärkemehl  durch  die  Verdauungs¬ 
fermente  im  Organismus  in  Dextrose  verwandelt,  durch  neuere 
Untersuchungen  fest8),  dass  die  Hälfte  der  aufgenommenen 
Stärke  in  Maltose  übergeführt  werde.  Es  wäre  also  doch  zum 
Mindesten  sonderbar,  wenn  der  Organismus  gegen  die  directe 
Einführung  eines  von  ihm  selbst  producirten  Körpers  revol- 
tiren  sollte. 

Und  dann:  Was  macht  denn  eigentlich  das  Bier  zum 
Biere?  Offenbar  die  Vergäbrung  der  Maltose.  In  dem  Masse 
also,  als  der  Alkoholgehalt  steigt,  muss  der  Gehalt  an  Maltose 
sinken.  Und  die  Einwirkung  halb  vergoltener  Biere  und  die 
einzelnen  Stufen  der  Vergährung  der  maltosehaltigen  Flüssig¬ 
keit  im  Bier  zu  studiren,  dürfte  praktisch  undurchführbar  sein 
und  kaum  grosses  Interesse  beanspruchen. 


Ich  entnehme  aus  König’s  Handbuch  eine  Angabe  über  die 
Zusammensetzung  der  Bierwürze,  die  V.  Schulze  für  eine 
10%ige  Wiener  Würze  als  Mittel  von  vier  Analysen  durch  directe 


Summe  des  Extractes  . 

.  .  9'584 

Maltose . 

.  .  4-419 

Dextrin . 

.  .  3-373 

Protein  . 

.  .  0-671 

Asche  . 

.  .  0-179 

Sonstige  Bestandtheile 

.  .  0-905. 

lyse  des  fertigen  Bieres 

bietet  nach  K 

Specifisches  Gewicht 

.  .  1-0165 

Wasser . 

.  .  90-27 

Kohlensäure 

.  .  0-194 

Alkohol . 

.  .*  3-95 

Extract . 

.  .  5-78 

Eiweiss . 

.  .  0-44 

Zucker . 

.  .  0-68 

Gummi . 

.  .  4-7 

Milchsäure 

.  .  0145 

Asche  . 

.  .  0-234 

Phosphorsäure 

.  .  0-077. 

IV, 


D  Krehl,  Centralblatt  für  innere  Medicin.  1897.  Nr.  40 
7)  K  r  e  h  1,  Pathologische  Physiologie.  Leipzig  1898,  S  '’l81" 

•  8)  Literatur  bei  :  Bunge,  Physiologische  Chemie.  18J8,  Bel. 

181 

9)  Koni  g,  Die  menschlichen  Nahrungs-  und  Genussmittel.  Zweite 
Auflage.  Bd.  II,  pag.  521. 


pag. 


372 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Nr.  10 


Al  so  nicht  die  Spuren  von  Maltose  sind  es,  die  für  die 
Einwirkung  des  Bieres  auf  die  Reductionsfähigkeit  des  Harnes 
zur  Verantwortung  gezogen  werden  könnten.  Das  fertige  Bier 
enthält  ja  reichlich  andere  Substanzen,  die  dem  Zweifel  ge¬ 
nügende  Anhaltspunkte  geben. 

Die  ganze  Angelegenheit  ist  aber  mit  einem  Schlage  er¬ 
ledigt,  wenn  wir  uns  durch  einen  energischen  Willensact  ent- 
schliessen,  die  Ausscheidung  nach  dem  Genüsse  der  nichts 
weniger  als  wohlschmeckenden  Bierwürze  zu  untersuchen,  in 
deren  Gehalte  nicht  nur  alle  etwa  in  Betracht  zu  ziehenden 
Bestandteile  des  Bieres  wiederkehren,  sondern  noch  obendrein 
an  erster  Stelle  die  Maltose  prangt. 

Bei  den  gleich  anzuführenden  Versuchen  nahm  ich  an  zwei 
aufeinanderfolgenden  Tagen  am  ersten  um  10  Uhr  Vormittags  und 
4  Uhr  Nachmittags  jo  500  c?«3  gehopfte,  am  zweiten  zu  denselben 
Tageszeiten  die  gleichen  Mengen  ungehopfter  Bierwürze  ein,  die 
derselben  Brauerei  und  derselben  Biergattung  entstammte,  deren 
Bier  ich  bei  den  obigen  Versuchen  trank. 


Zeit 

Ausgeschiedene 
Harnmenge  inCubik- 
centimetern 

Specifiscbes 

Gewicht 

Procentgehalt  des 
Harnsanreducirenden( 
Substanzen 

Reducirende  Substanz 
bezogen  auf  Trauben¬ 
zucker  in  Grammen 

10  cm3  der  Peska- 
schen  Lösung  redu¬ 
cirt  durch  Cubik- 
centimeter  Harn 

Anmerkung 

I. 

7— lü 

160 

1-02 

0-2321 

0-3729 

35 

io— v2i 

638 

1-004 

00694 

0-4427 

11*8 

Bierwürze 

V-4-4 

248 

1  021 

0-2886 

0-7151 

2-8 

'4-7 

279 

1012 

0-1736 

0-4843 

4-7 

Bierwürze 

7—10 

147 

1*021 

0-3513 

05163 

2-3 

10-7 

508 

1-015 

0-2331 

1-1841 

35 

7—10 

199 

1-014 

0-1600 

0-3184 

5-1 

10-1 

496 

1-005 

00586 

0-2906 

14-0  I  Bierwürze 

1-4 

335 

1-015 

0-1773 

0-5939 

4-6 

4-7 

281 

1-011 

0-1026 

0-2883 

8"0  i  Bierwürze 

7—10 

136 

1-020 

0-4040 

0-5494 

2-0 

10—7 

487 

1-015 

0-2607 

1-1896 

3-1 

Nirgends  ist  eine  Steigerung  der  Reductionskraft  des 
Harnes  wahrzunehmen.  Zwar  findet  sich  in  der  Periode  I 
'/2 1 — 4  der  verhältnissmässig  hohe  Werth  von  0‘7151,  aber 
wir  dürfen  dennoch  hierin  nichts  Widersprechendes  erkennen, 
weil  er  einerseits  einer  B’/oStündigen  Ausscheidung  entspricht, 
andererseits  vor-  und  nachher  geringe  Mengen  reducirender 
Substanz  ausgeschieden  wurden. 

Die  für  das  Bier  erhaltenen  Ergebnisse  dürfen  natürlich 
auch  auf  die  übrigen  zumeist  minder  extractreichen  alkoholi¬ 
schen  Getränke  übertragen  werden.  Wie  überhaupt  der  blosse 
Alkoholzusatz  die  Wirkung  irgend  eines  Getränkes  auf  den 
Organismus  gründlich  verändern  könne,  wollte  ich  noch  in 
anderer  Weise  darthun. 

Dass  Traubenzucker  an  sich  keine  Vermehrung  der  re- 
ducirenden  Substanzen  im  Harne  hervorruft,  steht  durch 
B  re  u  l’s  I0)  Versuche  fest;  dass  ein  Gemenge  von  Traubenzucker 
und  Alkohol  ganz  andere  Resultate  liefert,  erweisen  folgende 
Versuche : 

50 g  Dextrose  wurden  mit  50  c?«3  absoluten  Alkoholes  ver¬ 
setzt  und  das  Ganze  auf  500  c??t3  mit  Wasser  aufgefüllt.  Von 
diesem  Alkoholsyrup  genoss  ich  um  11  Uhr  Vormittags  150  cm1 
und,  nachdem  die  Folgen  für  das  Sensorium  wider  Erwarten  glimpf¬ 
lich  waren,  am  Nachmittage  um  2  Uhr  200  ciivK  Da  sich  diese 


in)  Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 
Ed.  XL,  I. 


Versuche  der  Zeit  nach  den  Bierexperimenten  anschlossen  und  man 
daher  von  dieser  Seite  eine  Beeinflussung  voraussetzen  konnte, 
lasse  ich  den  erhaltenen  Ergebnissen  die  Daten  vorangehen,  welche 
ich  an  dem  dem  Biergenusse  folgenden  Tage  erhielt,  um  darzu- 
thun,  dass  sich  ein  solcher  Einfluss  thatsächlich  nicht  geltend 
machen  konnte. 


Zeit 

Ausgeschiedene 

Harnmenge  in  Cubik- 

centimetern 

Specifiscbes 

Gewicht 

Procentgehalt  des 

Harnsanreducirenden 

Substanzen 

Reductionssubstanz 

bezogen  auf  Trauben¬ 

zucker  in  Grammen 

1 

100cm3  der  Peska- 

sehen  Lösung,  redu¬ 

cirt  durch  Cubik- 

centimeter  Harn 

Anmerkung 

7-10 

166 

1  021 

03513 

0-5834 

2-3 

10-1 

120 

1-020 

0-4040 

0-4848 

2-0 

60 

d 

1-4 

102 

1025 

0  4488 

0-4577 

1-8 

4-7 

111 

1031 

0-4752 

0-5274 

1-7 

a 

7—10 

101 

1-032 

0-5386 

0-5439 

1*5 

o 

10-7 

268 

1034 

0-4488 

1-2027 

1-8 

<4 

Die  Zahlen  sind  offenbar  ganz  normal,  wenn  auch  die  Aus¬ 
scheidung  7  — 10  Uhr  Morgens  etwas  höher  reducirt,  so  erreicht 
doch  im  Verlaufe  des  Tages  die  Reductionskraft  ihren  normalen 
Verlauf.  Hingegen  ergab  der  Genuss  des  beschriebenen  Alkohol- 
syrupes  folgende  Werthe: 


Zeit 

Ausgeschiedene 
Harnmenge  in  Cubik- 
centimetern 

ISpecifisches 

Gewicht 

Procentgehalt  des 

Harnsan  reducirenden 

Substanzen 

Reductionssubstanz 

bezogen  auf  Trauben¬ 

zucker  in  Grammen 

10cm3  der  Peska- 

schen  Lösung,  redu¬ 

cirt  durch  Cubik- 
centimeter  Harn 

Anmerkung 

7—10 

66 

1  028 

0-4752 

0-3136 

1-7 

10-7 

214 

1-028 

0-4752 

1-0169 

1-7 

7—10 

98 

1-025 

0-3673 

03539 

2-2 

10—1 

141 

1023 

0-3848 

0-5425 

2-1 

Alkoholsyrup 

1—4 

341 

1-013 

0-2473 

0-8433 

3-3 

Alkoholsyrup 

4-7 

119 

1-025 

0-5050 

06009 

1-6 

7-10 

94 

1  027 

0-5757 

0-5411 

1-4 

10-7 

410 

1-016 

03232 

1-3251 

2-5 

Die 

erste 

Aufnahme  des 

alkoholischen  Getränkes  ge 

fast  spurlos  vorüber,  was  zum  Theile  der  geringen  genossenen 
Alkoholmenge  zuzuschreiben  ist,  zum  Theile  aber  auch  dadurch 
verursacht  wurde,  dass  ich,  um  die  üblen  Empfindungen  zu 
verscheuchen,  einen  Spaziergang  bei  — 10°  unternahm.  Und  dass 
eine  so  erzeugte  Vermehrung  der  Wärmeabgabe  leicht  die  zu 
erwartende  Mehrreduction  compensiren  kann,  habe  ich  in 
der  citirten  Arbeit  nachgewiesen.  n)  Ganz  anders  stellten  sich 
die  Verhältnisse  nach  der  zweiten  verstärkten  Alkoholaufnahme. 
Hier  -wurde  absichtlich  nach  derselben  vollkommen  physische 
Ruhe  beobachtet  und  der  Erfolg  war  eine  ganz  bedeutende 
Mehrreduction  in  der  folgenden  Periode  1—4);  ja  noch  die 
nächste  (4 — 7)  scheint  noch  beeinflusst.  Die  Periode  (7 — 10) 
zeigt  ein  Sinken,  die  darauffolgende  ein  Steigen. 

Offenbar  wurde  hier  die  durch  das  Abendessen  bedingte 
Mehrausscheidung  durch  die  noch  anhaltende  Alkoholeinwir¬ 
kung  verstärkt. 

Ueberhaupt  erscheint  mir  der  Einfluss  des  reinen  Al¬ 
kohols  in  dieser  Richtung  als  verhältnissmässig  gedehnt,  indem 
sie  nicht  in  unmittelbar  folgender  Ausscheidung  die  Menge 
reducirender  Substanzen  plötzlich  erhebt,  sondern  sich  gleich- 
mässig  auf  mehrere  Perioden  erstreckt;  eine  Vermuthung,  die 
auch  durch  folgende  Zahlen  gestützt  wird,  welche  ich  am 
folgenden  Tage  durch  einen  abermaligen  Genuss  von  150  c»?3 
desselben  Syrups,  denen  noch  5  c???3  absoluter  Alkohol  beige¬ 
fügt  waren,  erhielt. 


1!)  1.  c.  S.  257. 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


373 


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Anmerkung* 


7—10 

368 

1-011 

01243 

0-4647 

65 

10—12  7, 

313 

1-010 

0-1243 

0-3950 

65 

12'/2-4 

175 

1021 

03513 

0-6147 

2-3 

4-7 

183 

1024 

0-2786 

0-5098 

2-9 

7—10 

100 

1024 

0-5050 

0-5050 

1-6 

Alkoholsyrup. 

10—7 

318 

1025 

0-4488 

1-4271 

1-8 

Die  Ausscheidung  an  reducirender  Substanz  in  der  ent¬ 
sprechenden  Periode  ist  verhältnissmässig  nur  wenig  gesteigert, 
erreicht  aber  während  der  Nacht  die  sonst  nie  beobachtete 
Grösse  von  1-4271  (/. 

Ich  kann  also  als  Resultat  meiner  neuerlichen  Unter¬ 
suchungen  meine  in  der  öfters  citirten  Abhandlung  aufgestel'te 
Behauptung:  Der  Alkoholgenuss  erzeugt  eine  Erhöhung  der 
Reductionsfähigkeit  des  Harnes,  dahin  modificiren:  Der  Genuss 
alkoholischer  Getränke,  vor  Allem  des  Bieres,  ruft  eine  aus¬ 
schliesslich  auf  den  Alkoholgehalt  derselben  zurückzuführende 
Steigerung  der  Reductionsfähigkeit  des  Harnes  herbei. 

Dabei  könnte  man  selbstverständlich  an  eine  Steigerung 
der  Ausscheidung  aller  iiu  Harne  vorkommenden  Substanzen, 
die  ammoniakalische  Kupferlösung  reduciren,  denken,  so 
Kreatin,  Kreatinin,  deren  diesbezügliches  Verhalten  ich  näch¬ 
stens  zu  veröffentlichen  gedenke ;  im  Zusammenhänge  aber 
mit  den  Ergebnissen  Breul’s  dürfte  jedenfalls  in  erster  Linie 
dem  Traubenzucker  die  wesentliche  Rolle  zuzuschreiben  sein. 


REFERATE. 

I.  Mittel  und  Wege  zur  Schaffung  und  Erhaltung  eines 
entsprechenden  Sanitäts-Hilfspersonales  für  die  Militär- 
Sanitätsanstalten  und  die  Truppen  im  Frieden  und  im 

Kriege. 

Von  Dr.  Eduard  Bass,  k.  u.  k.  Regimentsarzt  etc. 

Vom  k.  u.  k.  Militär-Sanitätscomite  gekrönte  Preissclirift. 

8U,  155  Seiten. 

Wien  1900,  Josef  Safar. 

II.  Leitfaden  der  Militärhygiene  für  den  Unterricht  der 

Einjährig-Freiwilligenärzte. 

Von  Dr.  Johann  Schöfer,  k.  u.  k.  Oberstabsarzt. 

*  .  7 

Zweite  umgearbeitete  Auflage.  Mit  neun  Abbildungen. 

8n,  116  Seiten. 

Wien  1900,  Josef  ft  a  f  ä  f. 

III.  Eine  applicatorische  Uebung  im  Freien  für 
Militärärzte  und  Sanitätsofficiere. 

Von  Gustav  Wolff,  k.  und  k.  Oberlieutenant,  zugetheilt  dem  Generalstabe. 
Mit  1  Ordre  de  bataille  und  4  Skizzen.  16°.  23  Seiten. 

Wien  und  Leipzig  1899,  Wilhelm  Braumiiller. 

IV.  Ein  Vorschlag  zur  Ventilation  fahrender  Eisenbahn¬ 
waggons. 

Von  Dr.  A.  Hinterberger. 

Sonderabdruck  aus  der  »Zeitschrift  des  österreichischen  Ingenieur-  und 
Architekten-Vereines«.  1899,  Nr.  32. 

Wien  1899,  im  Selbstverläge  des  Verfassers. 

I.  Die  überaus  gediegene  Studie  sucht  alle  jene  organisatori¬ 
schen  Massnahmen  darzulegen,  welche  bezüglich  Wahl,  Ausbildung 
und  Verwendung  des  Sanitäts-Hilfspersonales  getroffen  werden 
müssen,  um  den  Militärärzten  und  dem  Sanitätsdienste  bei  der 
Armee  überhaupt  ein  geschultes  und  verlässliches  Unterpersonal  zu 
schaffen.  Dies  wäre  in  erster  Linie  durch  Stabilisirung  des 
Truppen-Sanitäts-Hilfspersonales  zu  bewerkstelligen, 
da  derzeit  der  grösste  Theil  der  Krankenpfleger  nur  vorübergehend 
in  dieser  Dienstesverwendung  steht. 

Die  concreten,  bis  ins  kleinste  Detail  ausgearbeiteten  Anträge 
des  Verfassers  betreffen  die  Fürwahl  und  Ausbildung  der  Sanitäts¬ 


gehilfen,  die  Schaffung  von  ständigen  Truppen-Krankenpflegern,  von 
Spitalsdienern,  von  Blessirtenträger-Compagnien  bei  den  Divisions- 
Sanitätsanstalten  und  von  Hilfsblessirtenträgern,  dann  die  Verlegung 
der  rein  militärischen  Ausbildung  der  Sanitätstruppe  zur  Infanterie 
u.  a.  m.  Alle  Vorschläge  beruhen  auf  äusserst  genauen,  zum  1  hei  1 
sehr  complicirten  Rechnungen  und  zeigen  das  Bestreben,  ohne 
Heranziehung  grosser,  neuer  personeller  Mittel  durch  blosse  Um¬ 
lagerung  der  vorhandenen  Kräfte  das  Ziel  zu  erreichen. 

Wendet  sich  •  auch  das  Buch  vorzüglich  an  die  zur  organi¬ 
satorischen  Umgestaltung  des  Heeres-Sanitätswesens  berufenen  fac- 
toren,  so  bietet  es  doch  allen  Militärärzten  eine  Fülle  von  An¬ 
regungen  und  Belehrungen,  so  dass  es  allseits  bestens  empfohlen 
werden  kann. 

* 

II.  Als  langjähriger  Lehrer  der  Einjährig-Freiwilligenärzte 
am  Garnisonsspitale  Nr.  1  in  Wien  war  der  Verfasser  wohl  ganz 
besonders  berufen,  alle  jene  einschlägigen  Kenntnisse  in  möglichst 
gedrängter  Form  und  doch  erschöpfendem  Umfange  zusammenzu¬ 
fassen,  welche  dem  Militärärzte  zur  zweckdienlichen  Ausübung 
seines  Berufes  als  praktischer  Hygieniker  unentbehrlich  sind.  Dass 
das  Büchlein  einem  wirklichen  Bedürfnisse  entsprach,  zeigt  das  Er¬ 
scheinen  einer  zweiten  Auflage  binnen  Jahresfrist. 

Die  Erörterungen  erstrecken  sich  auf  die  Ernährung  und  die 
Nahrungsmittel,  wobei  selbstverständlich  der  Ernährung  des  Soldaten 
besonderes  Augenmerk  geschenkt  wird,  aul  die  Wasserversorgung, 
die  militärischen  Unterkünfte,  die  Bekleidung  und  Rüstung,  ferner 
auf  die  hygienischen  Verhältnisse  bei  den  militärischen  Hebungen 
und  auf  die  Infection skrankheiten.  Dieses  Capitel  hat  in  der  vor¬ 
liegenden  Auflage  eine  ausführlichere  Behandlung  erfahren,  als 
früher. 

Das  besprochene  Buch  wird  nicht  nur  den  Einjährig-!  rei- 
willigenärzten  hochwillkommen  sein,  sondern  auch  allen  activen 
Kameraden  als  handliches  Nachsch lagebuch,  sowie  als  Behelf  zur 
Vorbereitung  für  die  Stabsarztprüfung  gute  Dienste  leisten. 

* 

III.  W  o  1  ff’s  Büchlein  ist  ein  neuer,  willkommener  Beitrag  zu 
der  auf  Schulung  der  Militärärzte  im  Eeld-Sanitätsdienste  ab- 
zielenden  Literatur.  Die  Arbeit  besteht  in  »Annahmen«  für  eine 
im  Gelände  selbst  durchzuführende  applicatorische  Uebung.  Die 
»Lösungen«  der  Aufgaben  werden  nicht  geboten,  jedoch  in  Aus¬ 
sicht  gestellt.  Als  Uebungsterrain  ist  der  historische  Boden  von 
Königgrätz  gewählt.  Vier  treffliche  Skizzen  erhöhen  den  Werth  der 
Arbeit. 

* 

IV.  Um  in  den  Eisenbahnwaggons  langer  Fahrt,  besonders  wäh¬ 
rend  der  kalten  Jahreszeit,  den  Belästigungen,  sowie  den  Gesund¬ 
heitsstörungen  durch  Luftverunreinigungen  vorzubeugen,  legt  Doctor 
Hinterberger  den  Ingenieuren  einen  trefflichen  Vorschlag  zur 
Begutachtung,  technischen  Detaillirung  und  Berechnung  vor. 

Von  der  Thatsache  ausgehend,  dass  sich  in  der  Nähe  eines 
bewegenden  Eisenbahnzuges  in  Folge  des  aufgewirbelten  Staubes 
und  der  verschiedenen  Emanationen  der  Maschine  keine  hygienisch 
zulässige  Frischluft  vorfindet,  verlangt  der  Autor  die  Entnahme  der 
Ventilationsluft  vor  der  Spitze  des  Zuges  durch  an  der 
Stirnseite  der  Maschine  befindliche,  fast  so  weit  wie  die  Puffer¬ 
enden  vorstehende,  grosse  Auffangtrichter,  von  denen  Rohre  über 
den  Zug  wegziehen  und  im  Inneren  der  Waggons  enden,  lim  Zug¬ 
luft  zu  vermeiden,  müsse  der  Austritt  an  der  Decke  der  Waggons 
durch  zahlreiche  kleine  Oeffnungen  erfolgen  und  eine  Vorwärmung 
der  Ventilationsluft  stattfinden.  Letzteres  könne  durch  Ausnützung 
der  Jleizvorkehrungen  oder  durch  eigene  elektrische  Heizkörper 
geschehen.  —  Weitere  Details  müssen  im  Originale  nachgesehen 
werden. 

Der  sinnreiche  Vorschlag  des  Verfassers  verdient  vollste  Be¬ 
achtung.  Für  Militärärzte  ist  die  Angelegenheit  mit  Bücksicht  aul 
die  Wichtigkeit  der  Ventilirung  von  Lazarethzügen  besonders 
interessant.  T  Steiner. 


374 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  16 


Lehrbuch  der  Histologie  und  der  mikroskopischen  Ana¬ 
tomie  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  menschlichen 
Körpers,  einschliesslich  der  mikroskopischen  Technik. 

Von  Ladislaus  Szymonowicz  (Lemberg). 

Mit  169  Original -Illustrationen  im  Text  und  81  desgleichen  auf  52,  theils 

farbigen  Tafeln. 

1.  und  2.  Lieferung. 

W  ü  r  sc  b  n  r  g  19'JO,  A.  Stube  r. 

Die  vorliegenden  Lieferungen  dieses  auf  beiläufig  fünf  Liefe¬ 
rungen  berechneten  Lehrbuches  der  Histologie  überraschen  durch 
eine  auffallend  reiche  Ausstattung  und  wirklich  künstlerische  Aus¬ 
führung  der  Abbildungen,  welche  durch  die  beigegebenen,  theilweise 
mehrfarbigen  Tafeln,  die  in  den  Text  eingeschaltet  werden  sollen, 
noch  erhöht  wird.  Das  Werk  wird  somit  als  erstes  in  der  histo¬ 
logischen  Literatur  Lehrbuch  und  Atlas  vereinigen.  Die  Abbildungen 
scheinen  grösstentheils  sorgfältig  nach  Originalpräparaten  gezeichnet, 
ein  kleiner  Theil  sind  Nachbildungen.  Die  textliche  Darstellung 
scheint  sehr  concis  —  nach  meiner  Meinung  vielfach  sogar  allzu 
kurz  gefasst  —  und  den  neuesten  Forschungsergebnissen  Rechnung 
tragend;  über  dieselbe,  sowie  über  den  sachlichen  Inhalt  und 
didaktischen  Werth  des  Buches  kann  ein  Urtheil  erst  gefällt  werden, 
wenn  das  Werk  vollendet  vorliegt,  was  hoffentlich  nicht  in  allzu 
langer  Zeit  der  Fall  ist.  J.  Schaffer,  Wien. 


I.  Rhinologie.  Laryngologie  und  Otologie  in  ihrer  Be¬ 

deutung  für  die  allgemeine  Medicin. 

Von  Dr.  E.  P.  Friedrich,  Privatdocent  an  der  Universität  Leipzig. 

Leipzig  1899,  F.  C.  W.  V  o  g  e  1. 

II.  Die  Krankheiten  der  Mundhöhle,  des  Rachens  und 

des  Kehlkopfes. 

Von  Dr.  Albert  Rosenberg. 

Berlin,  S.  Karger. 

III.  Zur  Morphologie  der  Epiglottis. 

Von  Dr.  R.  Henke. 

B  e  r  1  i  n  1899,  Oskar  Coblentz. 

I.  Im  vorliegenden  Werke  bespricht  Verfasser  die  zahlreichen 
Berührungspunkte  der  allgemeinen  Medicin  mit  der  Laryngo-, 
Rhino-  und  Otologie  und  macht  hiebei  auf  die  Wichtigkeit  der 
richtigen  Beurtheilung  jener  bei  den  verschiedenen  Krankheiten  des 
allgemeinen  Organismus  auftretenden  Symptome  aufmerksam, 
welche  schon  in  die  oben  erwähnten  Specialfächer  einschlagen  und 
für  die  Erkenntniss  der  allgemeinen  Krankheit  von  ausserordent¬ 
licher  Bedeutung  sind.  Wir  haben  hiemit  mit  keinem  streng  spe- 
cialistischen  Buch  zu  thun,  Verfasser  hat  sich  vielmehr  die  Aufgabe 
gestellt,  die  scharfen  Grenzen,  welche  jetzt  noch  vielfach  zwischen 
diesen  Specialfächern  und  der  allgemeinen  Medicin  bestehen,  auf¬ 
zuheben  und  die  Verbindung  zwischen  denselben  zu  einer  engeren 
zu  gestalten.  Zu  dem  Zweck  schildert  Verfasser  die  vielfachen 
Wechselbeziehungen  zwischen  den  Krankheiten  des  allgemeinen  Or¬ 
ganismus  und  jenen  der  Nase,  des  Rachens,  des  Kehlkopfes  und 
der  Ohren  und  illustrirt  dieselben  durch  knapp  gefasste,  aber  doch 
sehr  genaue  Krankheitsbilder,  welche  eben  durch  ihre  Exactheit 
besonders  geeignet  erscheinen,  dem  nachschlagenden  praktischen 
Arzte  eine  sehr  werthvolle  Hilfe  und  Unterstützung  in  der  Be¬ 
urtheilung  des  ihm  vorliegenden  Krankheitsfalles  zu  gewähren. 

Wenn  auch  sämmlliche  Capitel  des  Buches  ganz  ausserordent¬ 
lich  gewissenhaft  und  erschöpfend  bearbeitet  sind,  möchten  wir 
doch  jene  über  die  Nervenkrankheiten  und  die  Infectionskrankheiten 
als  ganz  besonders  gelungen  bezeichnen. 

* 

II.  Es  liegt  nun  die  zweite  Auflage  des  bekannten  Bucbes 
von  Dr.  Rosenberg  über  Laryngo-  und  Rhinologie  vor.  Diese 
neue  Auflage  hat  bedeutende  Veränderungen  und  Erweiterungen 
erfahren  in  Folge  der  nothwendig  gewordenen  Berücksichtigung  von 
zahlreichen  dieses  Specialfach  berührenden  Arbeiten,  welche  in  der 
letzten  Zeit  erschienen  sind. 

Dank  den  Erfahrungen  aus  den  Aerztecursen,  als  auch  aus 
dem  studentischen  Unterricht,  welche  sich  Verfasser  während  seiner 
zwölfjährigen  Thätigkeit  als  Assistent  von  Prof.  Fränkel  erworben 
hat,  erscheint  uns  das  Buch  speciell  für  Studirende  ganz  besonders 
geeignet. 


Die  Ausstattung  des  Buches,  welchem  zahlreiche  Abbildungen 
beigegeben  sind,  ist  vorzüglich. 

* 

IH.  Im  ersten  Abschnitte  der  vorliegenden  Brochure  bespricht 
Verfasser  mit  Berücksichtigung  der  Literatur  die  physiologisch  vor¬ 
kommenden  Varietäten  der  Epiglottis  in  Bezug  auf  ihre  Form  und 
Lage.  Im  zweiten  Theile  werden  die  Formveränderungen  der  Epi¬ 
glottis  bei  den  verschiedenen  Krankheiten  der  oberen  Luftröhre 
beschrieben  und  besonders  ausführlich  werden  jene  Veränderungen 
behandelt,  welche  durch  von  der  Epiglottis  ausgehende  Tumoren 
bedingt  sind.  Die  am  häufigsten  vorkommenden  Formver¬ 
änderungen  der  Epiglottis  sind  durch  zahlreiche,  meistens  ganz  gut 
gelungene  Abbildungen  veranschaulicht.  K  o  s  c  h  i  e  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

107.  (Aus  dem  physiologischen  Institute  zu  Erlangen.)  Ueber 
einen  bequemen  Nachweis  von  Aceton  im  Harne 
und  anderen  Körperflüssigkeiten.  Von  Dr.  Oppen¬ 
heimer.  Nachfolgende  Probe  soll  weit  empfindlicher  als  die 
übliche  Jodoformprobe  sein  noch  bei  1  : 800.000  eine  Reaction 
geben  und  bei  reinen  Zuckerharnen  nicht  auftreten.  Das  Reagens 
ist  nach  folgendem  Verhältniss  zusammengesetzt:  Hydrarg.  oxyd. 
flavi  v.  hum.  parat.  50  0,  Acid.  sulf.  conc.  200'0,  Aq.  d.  lOOO'O. 
Zuerst  wird  die  Schwefelsäure,  dann  das  Hg  O  ins  Wasser  gegeben, 
das  Ganze  24  Stunden  stehen  gelassen  und  filtrirt.  Zu  etwa 
3  cm 3  unfiltrirten  Harn  wird  tropfenweise  so  lange  Reagens  zuge¬ 
setzt,  bis  die  entstehende  Trübung  nicht  mehr  durch  Umschütteln 
verschwindet,  worauf  noch  einige  Tropfen  hinzugefügt  werden.  Man 
lässt  dann  durch  drei  Minuten  den  Niederschlag  sich  setzen,  filtrirt 
durch  ein  dickes  Filter,  bis  das  Filtrat  klar  ist;  diesem  werden 
dann  noch  etwa  2  cmz  Reagens  und  3 — 4  c?«3  einer  30%igen 
Schwefelsäure  zugesetzt.  Das  Ganze  wird  ein  bis  zwei,  höchstens 
vier  Minuten  an  der  Flamme  oder  im  Wasserbade  erhitzt.  Tritt 
ein  dicker,  weisser  Niederschlag,  der  sich  in  überschüssiger  Salz¬ 
säure  fast  ganz  auflöst,  auf,  so  ist  reichlich  Aceton  vorhanden.  Der 
Niederschlag  fällt  nur  in  sehr  verdünnten  Lösungen  aus.  Verfasser 
theilt  auch  eine  Methode  mit,  durch  die  mit  dem  gleichen  Reagens 
eine  quantitative  Bestimmung  des  Aceton  vorgenommen  werden 
könnte.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  38.) 

* 

1 08.  Histologische  Untersuchungen  bei  experi- 
m  enteil  erzeugter  Osteo  myelitis.  Von  Prof.  Enderlen 
(Marburg).  Es  handelte  sich  darum,  die  Behauptung  Marwedel’s, 
dass  grosse  eosinophile  Markzcllen  in  Bindegewebszellen  übergeben 
können,  einer  Nachprüfung  zu  unterziehen.  Die  Versuche  wurden 
an  Kaninchen  angestellt,  denen  der  Femur  mit  einem  Drillbolwer 
durchbohrt  und  dessen  Mark  dann  mechanisch  zerstört,  beziehungs¬ 
weise  bei  späteren  Versuchen  mit  Eitercoccen  inficirt  wurde.  Im 
ersten  Falle  fand  Enderlen  unter  Anderem,  dass  die  Nekrose  nur 
eine  ganz  umschriebene  bleibt,  die  Regeneration  von  den  Binde¬ 
gewebszellen  ausgeht,  dass  aus  den  eosinophilen  und  pseudoeosino¬ 
philen  Zellen  keine  Spindelzellen  entstehen  und  die  Einwanderung 
von  Markzellen  aus  der  Umgebung  statthat.  Die  eiterige  Entzündung 
des  Knochenmarkes  unterscheidet  sich  wesentlich  von  der  anderer 
Organe,  indem  hier  in  den  Herd  die  leukocytären  Elemente  direct 
aus  der  Umgebung  einwandern,  ohne  erst  den  Umweg  durch  die 
Blutgefässe  zu  machen.  —  (Separatabdruck  aus  der  Deutschen 
Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LIT.) 

* 

109.  DieBehandlung  der  Ischias  mit  Methylen- 
b  1  a  u.  Von  G.  Klemperer  (Berlin).  Unter  27  Fällen  typischer, 
mit  Methylenblau  behandelter  Ischias  waren  sechs  Fälle  in  ausge¬ 
zeichneter  Weise  durch  das  Mittel  beeinflusst  worden,  so  dass  die 
Krankheit  in  10  bis  15  Tagen  als  definitiv  geheilt  bezeichnet 
werden  musste,  während  13  Fälle  sieben  bis  zehn  Wochen  zur 
Heilung  gebraucht  haben;  achtmal  hat  das  Präparat  gar  keinen 
Einfluss  gehabt.  Klemperer  empfiehlt:  Methyleni  coerul.;  Semen 
myristicae  aa.  0T  in  Caps,  gelat.  Nr.  G0.  Täglich  drei  bis  sechs 
Stück.  Der  Zusatz  von  Semen  myristicae  soll  eine  mögliche  Blasen¬ 
reizung  verhindern.  Auf  die  blaue  Verfärbung  des  Urins  sind  die 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


375 


Kranken  aufmerksam  zu  machen.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart. 
1899,  Nr.  11.) 

* 

110.  Blaublindheit  bei  Schrumpfniere.  Von 
C.  Gebhardt.  König  hat  seinerzeit  unter  Anderen  bei  14  an 
Retinitis  albuminurica  leidenden  Personen  Blaublindheit  feststellen 
können  und  Gebhardt  neuerdings  dasselbe  Verhalten  hei  drei 
Fällen  von  Schrumpfniere.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  1.) 

* 

111.  Ueber  die  therapeutische  Anwendung 
der  Ei  gone  (Jodeiweisssverbi  ndungen).  Von  Doctor 
Ghrzelitzer  (Posen).  Man  unterscheidet  unter  Anderem  ein 
a-Eigon  (Albumen  jodatum)  und  ein  ß-Eigon  (Peptonum  jod.).  Sie 
wirken  in  der  Weise,  dass  die  Verbindung  zersetzt  und  das  frei¬ 
werdende  Jod  sofort  wieder  durch  andere  Eiweissstoffe  gebunden 
wird.  Aeusseriich  als  10  bis  20%iges  Streupulver  oder  5°/0ige 
Salbe  angewendet,  sollen  sie  eine  schnell  granulirende,  stark  anti¬ 
septische  und  desodorisirende  Kraft  besitzen,  innerlich  (a-Eigon- 
natrium  5  0.  solve  in  Aqu.  ferv.  20  0,  Syr.  cort.  aur.  lSO'O,  drei¬ 
mal  täglich  ein  Esslöffel)  appetitanregend  wirken.  Verfasser  nennt 
sie  ein  ideales  Wundstreupulver  und  hat  namentlich  das  a-Eigon 
bei  hartem  Schanker,  Hautgummen,  Balanitis,  Unterschenkel¬ 
geschwüren  mit  gutem  Erfolge  angewendet.  —  (Monatshefte  lür 
praktische  Dermatologie.  Bd.  XXIX,  Nr.  8.) 

* 

112.  Str  enge  Milch  euren  b  er  i  Diabetes  mellitus. 
Von  Prof.  Winternitz  und  Dr.  Strass  er  (Wien).  Die  Ergeb¬ 
nisse  der  an  Diabetikern  bei  Einhaltung  strenger  Milchcur  von  den 
Verfassern  gemachten  Beobachtungen  sind  unter  anderen  folgende: 
Eine  strenge  Milchcur  macht  in  kürzester  Zeit,  meist  schon  nach 
48  Stunden,  die  Mehrzahl  der  Diabetiker,  auch  jugendlicher  und 
selbst  solcher,  die  durch  Karlsbadercuren  keinen  Erfolg  gehabt 
haben,  zuckerfrei  oder  vermindert  zum  Mindesten  sehr  beträchtlich 
die  Zuckerausscheidung.  Besteht  gleichzeitig  Albuminurie,  so 
schwindet  oder  nimmt  auch  letztere  ab.  In  manchen  Fällen  tritt 
beim  Uebergange  zur  gemischten  Diät  oder  bei  Zugabe  von  Fleisch 
zur  Milch,  der  Zucker  aufs  Neue  auf,  so  dass  eine  Wiederholung 
der  Milchcur  nothwendig  ist:  überhaupt  ist  nicht  zu  entscheiden, 
ob  beim  Uebergange  von  strenger  Milchcur  zur  gemischten  Kost 
nicht  die  Zugabe  von  grünen  Gemüsen  und  Cerealien  jener  von 
Fleisch  vorzuziehen  sei.  Manche  Diabetiker  werden  durch  die  Milch¬ 
cur  vollständig  geheilt  und  bleiben  es  auch  bei  gemischter  Kost 
und  reichlicher  Zufuhr  von  Amylaceen.  —  (Centralblatt  für  innere 
Medicin.  1899.  Nr.  45.) 

* 

113.  (Aus  der  medicinischen  Poliklinik  des  Prof.  Penzoldt 
in  Erlangen.)  Orexinum  tannicum  als  appetitanregen¬ 
des  Mittel.  Von  Dr.  Z  e  1 1  n  e  r.  Den  früher  in  Verwendung  ge¬ 
standenen  Orexinpräparaten,  d.  i.  dem  O.  muriaticum,  dann  dem 
O.  basicum  hafteten  verschiedene  unangenehme  Nebenwirkungen, 
wie  Brennen  im  Munde  an,  was  bei  dem  in  neuerer  Zeit  herge¬ 
stellten  Mittel,  dem  0.  tannicum  nicht  der  Fall  ist,  weshalb  dieses 
ohne  Umhüllung  gegeben  werden  kann,  ln  53  Fällen,  in  denen 
das  Mittel  verabreicht  worden  war,  wobei  gleichzeitig  Aufzeichnun¬ 
gen  gemacht  wurden,  war  30mal  sofort  oder  in  den  ersten  Tagen 
die  appetiterregende  Wirkung  - — -  in  einzelnen  Fällen  sogar  das 
Gefühl  des  Heisshungers  —  eingetreten,  neunmal  war  die  Wirkung 
undeutlich  und  14mal  war  sie  ganz  ausgeblieben.  Die  zu  verab¬ 
reichende  Dosis  beträgt  (43 — 0'5  ein-  bis  zweimal  täglich  und 
wird  besonders  anlässlich  der  bei  beginnender  Lungentuberculose, 
anämischen  Zuständen,  Reconvalescenten,  Nervösen  etc.  bestehenden 
Appetitlosigkeit  angewendet.  Die  streng  wissenschaftiche  Indication 
besteht  in  der  Herabsetzung  der  Salzsäuresecretion ;  da  man  die 
Untersuchung  des  Magensaftes  nicht  immer  leicht  vornehmen  kann, 
ist  —  bei  der  zweifellosen  Unschädlichkeit  des  Mittels  —  dasselbe 
abgesehen  von  der  ursächlichen  Behandlung,  versuchsweise  zu 
geben.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1899,  Nr.  11.)  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Ueber  das  Holocain  und  dessenEin  Wirkung  auf 
das  Hornhautepithel  und  auf  die  Heilung  per  for  i- 
render  Horn  hautschnitte.  Von  A  1  b  i  n  Daten.  (Aus:  Mit¬ 
tbeilungen  aus  der  Augenklinik  des  carolinischen  medico-chirurgischen 
Institutes  zu  Stockholm.  Herausgegeben  von  Prof.  J.  Widmark. 
Jena  1899,  G.  Fischer.)  Auf  Grund  einer  Gegenüberstellung  der 
ausserordentlichen  Vortheile,  andererseits  auch  der  Nachtheile,  welche 
die  Anwendung  des  Cocains  hei  Augenoperationen  mit  sich  bringt, 
kommt  Dalen  zu  dem  Schlüsse,  dass  es  gerechtfertigt  ist,  Ersatz¬ 
mittel  des  Cocains  auf  ihre  Brauchbarkeit  zu  prüfen  und  hat  als 
solches  das  Holocain  ins  Bereich  seiner  Untersuchungen  gezogen.  Das¬ 
selbe  hat  vor  dem  Cocain  den  Vorzug,  dass  es  sich  beim  Kochen 
nicht  ändert  und  selbst  antiseptische  Eigenschaften  besitzt,  dass  es 
auch  bei  entzündeten  Augen  wirkt  und  die  Pupillenweite,  sowie  den 
intraoeulären  Druck  nicht  beeinflusst.  Von  seinen  Fehlern  ist  der 
grösste  seine  starke  Giftigkeit,  sowie  die  Schädigung  des  Hornhaut¬ 
epithels  bei  öfterer  Einträufelung,  weshalb  es  sich  vorzugsweise  für 
kurz  dauernde  Eingriffe  (z.  B.  Entfernung  von  Fremdkörpern  aus  der 
Cornea)  eignet. 

Den  durch  das  Holocain  bewirkten  Epithel  Veränderungen  hat 
der  Verfasser  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet  und  glaubt  auch 
Unterschiede  zwischen  denselben  und  jenen  nach  Cocaineinträufelungen 
entstandenen  aufgefunden  zu  haben,  welche  darin  bestehen,  dass  die 
holocainisirte  Cornea  an  den  veränderten  Partien  mehr  eben  und  matt¬ 
grau,  die  cocainisirte  mehr  feinhöckerig,  hie  und  da  auf  der  Ober¬ 
fläche  fein  zerfetzt  und  mehr  grau  gefleckt  erscheint.  Nach  kurzer  Ein¬ 
wirkung  des  Mittels  kehrt  ungefähr  gleichzeitig  mit  der  Sensibilität 
auch  das  normale  Aussehen  der  Hornhautoberfläche  zurück;  nach 
länger  fortgesetzter  Einträufelung  konnte  er  jedoch  noch  nach 
24  Stunden  oberflächliche  Flecken  in  der  Cornea  erkennen.  Mikrosko¬ 
pisch  untersucht  zeigt  eine  holocainisirte  Hornhaut  eine  Coagulations- 
nekrose,  welche  in  der  Schichte  der  polygonalen  Zellen  anfängt,  zu¬ 
letzt  aber  das  ganze  Epithel  in  eine  homogene  Masse  umwandelt;  bei 
Cocaineinwirkring  dagegen  werden  die  obersten  Zellen  abgestossen  und 
bilden  einen  Detritus,  während  die  darunterliegenden  vaeuolisirt  und 
schliesslich  auch  abgestossen  werden. 

Da  nach  Mellinger’s  Untersuchungen  das  Cocain  die  Heilung 
der  Hornhautwunden  stört,  und  zwar,  wie  er  annimmt,  durch  eine 
lymphatische  Anämie,  welche  verhindert,  dass  der  gewöhnliche  primäre 
Wundverschluss  durch  ein  directes  Aneinanderlegen  der  Lamellen  oder 
durch  fibrinöse  Verklebung  zu  Stande  kommt,  so  dass  der  Wund¬ 
verschluss  ausschliesslich  vom  Epithel  besorgt  wird,  so  wiederholte 
Dalen  diese  Versuche,  indem  er  kurze  Schnittwunden  in  der  Mitte 
der  Cornea  von  Kaninchen  anlegte,  einerseits  unter  Anwendung  von 
Cocain,  andererseits  von  Holocain,  endlich  ohne  locale  Anästhesie  in 
Aethernarkose  und  die  Heilungsvorgänge  an  gleichalterigen  Wunden 
verglich.  Dabei  erhielt  er  das  Resultat,  dass  der  primärlamelläre  Ver¬ 
schluss  sehr  wohl  auch  bei  Cocain-  oder  Holocainanwendung  Vor¬ 
kommen  kann,  dass  ebenso  auch  eine  reichliche  Fibrinausscheidung 
sieb  eiDstellen  kann,  und  dass  das  Epithel  an  verschiedenen  Stellen 
der  Wunde  sehr  verschieden  tief  eindringt.  Es  besteht  also  durchaus 
kein  wesentlicher  Unterschied  in  den  Heilungsvorgängen  zwischen  den 
drei  unter  verschiedenen  Bedingungen  angelegten  Schnittwunden. 

Wintersteiner. 

* 

Untersuchungen  über  Naphthalan.  Von  Doctor 
Spiegel  und  Dr.  N  a  p  h  t  a  1  i.  Die  Untersuchungen  haben  ergeben, 
dass  Naphthalan  ein  nahezu  reines  Mineralfett  ist,  das  durch  seine 
Consistenz,  Emulgirbarkeit,  Aufnahmsfähigkeit  für  wässerige  und  wein- 
geistige  Lösungen,  Unveränderlichkeit,  seine  antiseptische  Wirkung 
sich  hervorragend  zur  Salbengrundlage,  wie  als  Verband  mittel  eignet. 


(Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr. 


3.) 


Ueber  Kryofin.  Von  Dr.  Br  ei  ten  stein  (Basel). 
Kryofin  —  Methylglykolsäurephenetidid,  ein  geschmack-  und  geruch¬ 
loses,  in  Wasser  schwer  lösliches  Pulver  wird  zu  0'5 — 10  pro  dosi 
und  etwa  2  0  pro  die  in  Kapseln  als  Antipyreticum  und  namentlich 
auch  als  wirksames  Antineuralgicum  oft  auch  bei  Migräne  mit  gutem 
Erfolge- verabreicht.  Soll  keine  besonderen  Nebenwirkungen  besitzen. 
—  (Theraneutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  3.)  Bi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  P.  Popp  er  t  zum  o.  Professor  der  Chirurgie 
in  Giessen.  —  Dr.  Göppert  zum  a.  o.  Professor  der  Anatomie 
in  Heidelberg.  —  Prof.  Cramer  zum  Director  der  Irrenanstalt 
in  Göttin  gen.  —  Dr.  Nikol  ski  in  Kiew  zum  a.  o.  Professor 
für  Dermatologie  und  Syphilis  in  Warschau. 


376 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  16 


Verliehen:  Den  Oberstabsärzten  Dr.  Augustin  Weis¬ 
bach,  Dr.  Franz  Weese,  Dr.  Eduard  P  o  r  i  a  s  und  Dr.  T  heo- 
d  o  r  Helm  der  Generalstabsarztes-Charakter  ad  honores;  sännntlichen, 
sowie  dem  Oberstabsarzte  Dr.  Johann  P  rottmann  wurde  der 
Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekannt  gegeben.  —  Dem 
Oberstabsarzte  Dr.  Konrad  Knöchel  das  Ritterkreuz  des  Franz 
Josef-Ordens.  —  Das  goldene  Verdienstkreuz  mit  der  Krone  den 
Regimentsärzten:  Dr.  Michael  Schwarzkopf,  Dr.  Leopold 
B  i  b  e  r,  Dr.  Josef  Kan  ii  s  z,  Dr.  Leopold  Terenkoczy, 
Dr.  Adolf  Schönbaum,  Dr.  Polykarp  Stary,  Dr.  Karl 
Schneider,  Dr.  C  o  1  o  m  a  n  G  ö  m  ö  r  y,  Dr.  G  o  1 1 1  i  e  b  Arn¬ 
stein,  Dr.  Heinrich  Otto,  Dr.  Josef  S  t  r  a  §  i  r  i  b  k  a, 

J )r.  Paul  Winternitz,  Dr.  Alfred  Schücking,  Dr.  Karl 
Fischer  und  Dr.  Wenzel  Jun. 

* 

Habil  itirt:  In  Bologna:  Dr.  Secchi  für  Dermatologie 
und  Syphilis,  Bruschettini  und  Brazzola  für  Hygiene.  —  In 
Neapel:  C  h  i  n  n  i  für  Anatomie,  B  a  c  u  1  o  für  Pädiatrie,  P  i  e  c  i- 
nino  für  Elektrotherapie.  —  In  Rom:  Parlavecchio  für  chirur¬ 
gische  Pathologie.  —  In  Siena:  Martini  für  chirurgische  Patho¬ 
logie,  Simonetta  für  Hygiene.  —  In  Turin:  Galeazzi  und 
Nigrisoli  für  Chirurgie,  B  i  a  g  i  n  i  und  M  e  n  s  i  für  Pädiatrie, 
Abba  und  Mazza  für  Hygiene,  Tirelli  für  gerichtliche  Medicin. 
—  Kohlbrugge  in  Utrecht  für  Tropenhygiene.  —  Neielow 
in  Kiew  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  —  Yakowlew  und 
Abramitschewin  Petersburg  für  Dermatologie  und  Syphilis, 
Hubert  ebendaselbst  für  Pädiatrie. 

* 

Gestorben:  Der  Frauenarzt  S.  William  Priestley  in 
London.  —  Dr.  Franz  W  i  1  d  n  e  r,  a.  o.  Professor  der  Thierheil¬ 
kunde  in  Innsbruck. 

* 

In  der  am  9.  Apiil  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  nieder¬ 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  machte  der 
Landes-Sanitäts-Referent  Statthaltereirath  Dr.  Netolitzky  dem 
Sanitätsrathe  die  Mittheilung  von  der  Abnahme  der  Typhus- 
Erkrankungen  in  Wien.  Während  die  Zahl  der  neugemeldeten 
Typhuskranken  in  der  vorletzten  Märzwoche  sich  auf  62  und  in  der 
letzten  Märzwoche  auf  70  Fälle  belief,  wurden  in  der  ersten-  April¬ 
woche  nur  26  Erkrankungen  neu  gemeldet.  Auch  die  Zahl  der  in  den 
öffentlichen  Krankenanstalten  untergebraebten  Typhuskranken  ist  von 
97  auf  89  Kranke  gesunken.  Diese  rasche  und  beträchliche  Abnahme 
in  der,  Zahl  der  Typhuserkrankungen  lässt  hoffen,  dass  die  Gefahr 
einer  weiteren  Ausbreitung  der  erwähnten  Infectionskrankheit  als  be¬ 
seitigt  anzusehen  sein  dürfte.  Behufs  wirksamer  Controle  der  Nahrungs¬ 
mittel  und  Milchzufuhr  aus  verdächtigen  Gegenden  wird  dem  Wiener 
Magistrate  fortlaufend  der  Stand  ausserhalb  Wiens  bekanntgegeben, 
um  einer  eventuellen  Einschleppung  dieser  Krankheit  von  auswärts  vor¬ 
zubeugen,  da  die  Entstehung  von  Typhuserkrankungen  auf  diesem 
Wege  nicht  völlig  ausgeschlossen  werden  kann.  Im  weiteren  Verlaufe 
der  Sitzung  wurde  ein  Besetzungsvorschlag  für  die  erledigte  Stelle 
eines  Veterinär-Inspectors  in  Niederösterreich  erstattet  und  wurden 
Gutachten  über  die  Statutenentwürfe  eines  ärztlichen  Röntgen-Institutes 
in  Wien  und  einer  öffentlichen  Krankenanstalt  ausserhalb  Wiens, 
schliesslich  über  den  Betrieb  einer  Privat-Heilanstalt  in  einer  Gemeinde 
Niederösterreichs  abgegeben. 

* 

Collegentag.  Im  Kreise  der  Unterzeichneten  Collegen,  welche 
1 869  die  Alma  mater  Vindobonensis  bezogen  und  somit 
1874  absolvirt  haben,  win  de  der  Gedanken  rege,  zur  Feier  der  25.  Jahres¬ 
wende  ihres  Austrittes  aus  der  Studienzeit  einen  gemeinsamen  Collegen¬ 
tag  im  Laufe  des  October  1.  J.  in  Wien  zu  veranstalten.  Der  Zweck  ist 
die  Belebung  der  Erinnerung  an  '  die  schönen  goldenen  Tage  des  ge¬ 
meinsamen  Studiums,  sowie  die  Erneuerung  und  Festigung  des  im 
Laufe  der  langen  Zeit  gelockerten  Freundschaftsbandes.  Es  ergeht 
daher  zunächst  mit  Diesem  die  collegiale  Aufforderung  an  sämmtliche 
Absolventen,  ihre  Theilnahmserklärung  mündlich  oder  schriftlich  an 
Herrn  Dr.  Arthur  Pinsker,  II.,  Kaiser  Josefstrasse  3, 
und  zwar  längstens  bis  1.  Juni  1.  J.  gelangen  zu  lassen,  worauf 
jedem  Theilnehmer  das  detaillirte  Programm  zugeschickt  wird.  Mit 
collegialem  Grusse  das  vorbereitende  Comite:  Dr.  Moriz  Breuer, 
Prof.  Hans  C  h  i  a  r  i,  Dr.  Heinrich  Farvage  r,  Dr.  Emanuel 
Frank,  Dr.  Hermann  H  i  1  1  i  s  e  h  e  r,  Dr.  Heinrich  Jellinek, 
Prof.  Johann  Mikulicz,  Dr.  Arthur  Pinsker,  Dr.  Josef 
Stein  bach,  Dr.  Franz  S  c  h  o  p  f. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift:  „Warnung!  Mit  Bezug  auf 
ein  vor  Kurzem  in  einem  Wiener  Tagesjournale  eingeschaltetes  I  n  s  e- 
r  a  t,  durch  welches  eine  Meiste  rkrankencasse  mehrere  Control- 
ärzte  sucht,  wird  seitens  des  Verbandes  der  Aerzte  Wiens  in  Erin¬ 


nerung  gebracht,  dass  laut  Beschluss  des  Wiener  allgemeinen  Aerztetages 
und  der  Wiener  Kammer  die  Anuahme  einer  solchen  Stelle  standeswidrig 
ist  und  einem  Verrathe  an  der  Gesammtheit  der  Collegen  gleich¬ 
kommt.“ 

* 

Das  chemisch-mikroskopische  und  bacteriologisebe  Laboratorium 
von  Dr.  Max  Jolles  und  Dr.  Adolf  Jolles  in  Wien,  IX., 
Türkenstrasse  9,  hat  über  Erlass  des  k.  k.  Ministeriums  des  Innern 
von  der  Statthalterei  nach  §  31  des  Lebensmittelgesetzes  die  Autori¬ 
sation  zur  Vornahme  von  chemischen  und  bacteriologischen  Unter¬ 
suchungen  von  Nahrungs-  und  Genussmitteln,  sowie  Gebrauchsgegen¬ 
ständen  erhalten. 

* 

Vom  25.  bis  28.  April  d.  J.  wird  in  Neapel  unter  dem  Prä¬ 
sidium  des  Unterrichtsministers  Prof.  B  a  c  c  e  1  1  i  ein  Tuberculose- 
congress  stattfinden.  Derselbe  wird  in  sich  in  vier  Abtheilungen  gliedern, 
deren  Gegenstand  Aetiologie  und  Prophylaxe,  Pathologie  und  Klinik, 
Therapie  und  die  Sanatorienfrage  bilden  wird.  Die  italienischen  Bahnen 
gewähren  den  auswärtigen  Theilnehmern  50%  Ermässigung.  Mitglieder¬ 
beitrag  20  Lire. 

* 

Vom  27.  Juli  bis  1.  August  d.  J.  wird  in  Paris  ein  inter¬ 
nationaler  Congress  für  medicinische  Elektrologie 
und  Radiologie  stattfinden. 

* 

Seit  1.  März  erscheint  im  Verlage  von  W.  Braumüller  in 
Wien  halbmonatlich  unter  dem  Titel :  „O  österreichisches 
Aerztekammerblatt“  ein  amtliches,  von  Dr.  Franz  Br e n n e r 
in  Brünn  redigirtes  Organ  der  Aerztekammern  von  Kärnten,  Krain, 
Mähren  (deutscher  Antheil),  Niederösterreich  (ausser  Wien),  Salzburg, 
Schlesien  und  Deutschtirol..  Das  Blatt,  welches  in  die  Hände  sämmt- 
licher  Aerzte  gelangt,  deren  Kammern  an  der  Herausgabe  des  Or¬ 
ganes  mitbetheiligt  sind  und  gewissermassen  ein  Bindeglied  zwischen 
allen  Aerzten  der  Monarchie  sein  soll,  wird  die  Verhandiungsberichte 
aller  Aerztekammern  bringen  und  ausschliesslich  den  Standesinteressen 
der  Aerzte  gewidmet  sein. 

* 

Die  Schädlichkeit  mässigen  Alkoholgenusses. 
Vom  Oberstabsarzt  Dr.  Matthaei  (Danzig).  Verlag  Tienken 
(Leipzig).  Die  Brochure,  auch  zur  Massenverbreitung  bestimmt,  wendet 
sich  gegen  den  auch  nur  mässigen  Genuss  alkoholischer  Getränke  bei 
Kindern  und  Erwachsenen.  Der  Alkohol  ist  der  Feind  jedes  Cultur- 
fortschrittes  und  sein  Vertrieb  sollte  eigentlich  auf  die  Apotheken 
beschränkt  sein.  Das  Schriftclien  wird  allen  Freunden  der  Antialkohol¬ 
bewegung  sehr  vollkommen  sein.  Preis  M.  0-50. 

* 

Im  Verlage  von  Möller  in  Berlin  ist  ein  von  Dr.  Schönen¬ 
berger  (Bremen)  herausgegebener  „Wegweiser  zur  Aus¬ 
führung  ärztlicher  Curvor  Schriften“  erschienen. 

* 

Der  „Bibliographische  Semester  bericht  für 
Neurologie  und  Psychiatri  e“,  herausgegebon  bei  G.  Fischer 
in  Jena  von  Dr.  Busch  an,  ist  in  seiner  ersten  Hälfte  für  1899 
(fünfter  Jahrgang)  erschienen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  12.  .Jahreswoche  (vom  18.  März 
bis  24.  März  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  721,  unehelich  334,  zusammen 
1055.  Todt  geboren:  ehelich  48,  unehelich  16,  zusammen  64.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  835  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
26'5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  153,  Blattern  0,  Masern  15, 
Scharlach  1,  Diphtherie  und  Croup  10,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  6, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  5,  Neu¬ 
bildungen  49.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
101  (~|-  29),  Masern  261  (— |—  57),  Scharlach  66  (— }—  21),  Typhus  abdominalis 
64  (-)-  39),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  33  (-(-  9),  Croup  und 
Diphtherie  53  ( —  7),  Pertussis  65  (-[-  23),  Dysenterie  0  (—),  Cholera  (J  (=), 
Puerperalfieber  3  ( —  2),  Trachom  5  (-|-  3),  Influenza  57  (-f-  3). 

* 

Aas  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  13.  Jahreswoche  (vom  25.  März 
bis  31,  März  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  639,  unehelich  314,  zusammen 
953.  Todt  geboren:  ehelich  46  unehelich  23,  zusammen  69.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  876  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
277  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  163,  Blattern  0,  Masern  19, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  9,  Typhus  abdominalis  8, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  48.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
88  ( —  13),  Masern  247  ( —  14t,  Scharlach  50  ( —  16),  Typhus  abdominalis 
70  (-j-  6),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  32  ( —  1),  Croup  und 
Diphtherie  37  ( —  16 1,  Pertussis  41  ( —  24),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  ( —  1  ,  Trachom  2  ( —  3  ,  Influenza  38  ( —  19). 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


377 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 

Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  u.  k.  Militärärzte  der  Garnison  71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Wien.  Sitzung  vom  13.  und  27.  Januar  1900.  Vom  17.— 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 

Berichte  aus  dem  Verein  österreichischer  Zahnärzte.  Sitzung  vom 
3.  Januar  und  7.  März  1900. 


Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  und  k.  Militärärzte 

der  Garnison  Wien. 

Sitzung  am  13.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Kratschmer. 

Oberarzt  Dr.  Jeney  demonstrirt  verschiedene  Röntgen- 
Photographien  aus  dem  Gebiete  der  Chirurgie.  Er  hebt  die  Wichtig¬ 
keit  der  Controle  mittelst  Röntgen-  Strahlen  beim  Anlegen  fixirender 
Verbände  hervor,  demonstrirt  mehrere  Photographien  von  Fällen,  wo 
man  mit  den  gewöhnlichen  Untersuchungsmethoden  keine  Knochen- 
fractur  nachweisen  konnte,  während  die  Röntgen  -  Untersuchung 
eine  solche  ergab.  Von  solchen  Fällen  besprach  er  eine  speciell  beim 
Militär  vorkommende  Krankheit,  nämlich  die  Fussgescliwulst  oder 
Marschgeschwulst,  welche  besonders  während  der  Ablichtung  oder 
während  der  Marschübungen  bei  den  Recruten  vorkommt  und  in  einer 
sehr  schmerzhaften  Anschwellung  des  Fussrückens  besteht.  Diese  Er¬ 
krankung  der  Soldaten  wurde  von  Weisbach  für  eine  Entzündung 
der  Gelenksbänder  zwischen  den  Mittelfussknochen  (Syndesmitis  meta- 
tarsea),  von  Pouzat,  Poulet  und  anderen  französischen  Militär¬ 
ärzten  für  eine  Sehnenscheidenentzündung,  beziehungsweise  für  eine 
epidemisch  auftretende  rheumatische  Erkrankung  gehalten.  Oberstabs¬ 
arzt  Kirchner  in  Düsseldorf  hatte  mittelst  Röntgen  -  Strahlen 
nachgewiesen,  dass  es  sieb  in  den  meisten  Fällen  um  Fractur  eines 
Mittelfussknocliens  handelt,  und  zwar  am  häufigsten  des  II  und  III, 
weniger  häufig  des  IV,  seltener  des  I  und  V.  Nach  dem  Sanitäts¬ 
berichte  der  königlich  preussischen  Armee  vom  Jahre  1896  und  1897 
beträgt  die  Fussgescliwulst  27 %o  sämmtlicher  Krankheitsfälle. 

Vortragender  konnte  im  Laufe  des  Jahres  1899  bei  den  in  Wien 
garnisonirenden  Soldaten  einen  einzigen  Fall  röntgenographisch  nach¬ 
weisen;  alle  anderen  Krankheitsfälle  von  ähnlichen  Symptomen  waren 
wahrscheinlich  Syndesmitiden  im  Sinne  W  e  i  s  b  a  c  h’s. 

Vortragender  prüfte  die  Harnblasen-  und  Gallensteine,  ferner 
die  Nierenconcremente  auf  ihre  Durchlässigkeit  für  Röntgen- Strahlen 
und  demonstrate  ein  diesbezügliches  Bild.  Er  erwähnt  die  Unter¬ 
suchungen  von  Wagner,  Leonard  und  Ringel,  von  welchen 
der  Erstere  die  Urate  für  durchlässiger  erklärt  als  die  Phosphate, 
während  Ringel  und  Leonard  die  Phosphate  für  durchlässiger 
halten. 

Vortragender  schliesst  sich  nach  seinem  Befunde  der  Meinung 
von  Leonard  und  Ringel  an,  dass  nämlich  die  Oxalate  am  aller¬ 
undurchlässigsten,  etwas  durchlässiger  die  Urate,  noch  mehr  die  Phos¬ 
phate,  während  die  Cholesterien  und  Gallenfarbstoffsteine  für  Röntgen- 
Strahlen  sehr  durchlässig  sind,  so  dass  letztere  im  Organismus  auf  der 
photographischen  Platte  sehr  selten  nachweisbar  sind. 

Oberstabsarzt  Dr.  Habart  bemerkt  zu  den  Darstellungen  der 
Marschgeschwulst,  dass  es  zwei  Gattungen  dieser  Krankheit 
gibt,  und  zwar:  1.  jene  mit  Bruch  des  Mittelfussknoehens  im  Sinne 
K  i  r  c  h  n  e  r’s,  und  2.  solche  unter  dem  Bilde  von  Syndesmitis  oder 
Tendovaginitis  im  Sinne  Weisbach’s,  und  fragt,  warum  in  den 
statistischen  Jahrbüchern  unserer  Armee  dieselbe  keine  Erwähnung 
findet.  Er  hofft,  dass  die  heutige  Demonstration  diesbezüglich  anregend 
wirken  wird. 

Darauf  demonstrirt  er:  I.  ein  Schusspräparat  aus  dem  Dünn¬ 
darm  eines  Selbstmörders,  welches  durch  Resection  gewonnen  wurde, 
und  zwei  Schussöffnungen  von  3  cm  Länge  und  1'5  —  2  cm  Breite  dar¬ 
stellt,  an  welchen  eine  Schleimhauteversion  (bouchon  muqueux)  von 
schöner  Form  sichtbar  ist,  wie  sie  von  Braman,  Reclus  und  vielen 
Anderen  beschrieben  worden  und  von  ihm  bei  Schiessversuchen  mit 
8  mm  Handfeuerwaffen  beobachtet  worden  ist.  Der  Obductionsbefund 
constatirte  ausserdem  zwei  Durchbohrungen  des  Magens,  zwei  des 
Dickdarmes  und  eine  des  Dünndarmes  (sieben  Perforationen)  nebst 
Kothaustritt,  Spulwürmer  in  der  Bauchhöhle  und  ausgebreitete  Bauch¬ 
fellverletzungen.  Bei  der  Operation  wurden  grosse  Tuchfetzen  im  Ein¬ 
schuss  (Magengrube)  nebst  Spulwürmern  und  trichterförmiger  Ausschuss 
in  der  rechten  Lendengegend  (Schrägschuss  ä  bout  partant)  vorgefunden. 
Nach  Einnähen  eines  Murphy-  Knopfes  im  Dünndarm,  Naht  einer 


Dickdarmöffnung  nach  Lembert  und  Resection  von  Netztheilen 
musste  die  Operation  unterbrochen  werden,  und  trotz  dieser  multiplen 
Schussverletzung  blieb  der  Puls  bis  zum  Tode  (acht  Stunden  nach 
der  Verletzung)  ziemlich  gut,  nachdem  keine  grossen  Blutgefässe  ver¬ 
letzt  worden  sind.  Unter  Demonstration  mehrerer  Schusspräparate  von 
den  Darmeingeweiden  des  Pferdes,  von  denen  einzelne  gleichfalls 
Schleimhautvorfälle  enthalten,  hebt  er  den  schädlichen  Einfluss  der¬ 
selben  auf  Spontanheilungen  hervor,  da  sie  Kothfistelbildungen  be¬ 
günstigen,  und  behält  sich  vor,  auf  den  Entstehungsmechanismus  dieser 
Vorfälle  später  einmal  einzugehen.  Die  Weite  der  Schussöffnungen 
verhält  sich  stets  proportional  zur  Schussdistanz  und  wächst  mit  der 
Nähe  des  Schusses  bis  zur  Explosivwirkung. 

2.  Vorführung  eines  Kanoniers  mit  den  Erscheinungen  einer 
traumatischen  Neurose,  entstanden  durch  Quetschung  und 
Erschütterung  des  Brustkorbes  und  des  Magens  durch  Anpressen  an 
eine  Futtermuschel  seitens  eines  Pferdes.  Die  anscheinend  leichte  Ver¬ 
letzung  artete  in  gefahrdrohende  Neurose  aus,  und  vor  14  Tagen 
wurde  ein  heftiger  Anfall  von  traumatischer  Hysterie  mit 
Erscheinungen  von  Tetanie  beobachtet,  in  dessen  Verlaufe  die  Athmung 
ausgeblieben  ist,  so  dass  das  Pflegepersonale  bereits  den  eingetretenen 
Tod  meldete.  Chvostek’sches  Symptom  und  Troussea li¬ 
sch,  es  Phänomen  von  N.  ulnaris  links  und  N.  tibialis  waren 
deutlich  ausgeprägt,  die  galvanische  Erregbarkeit  (E  r  b)  war  hoch¬ 
gradig  gesteigert,  die  Pupillen  waren  weit,  es  bestand  Erbrechen  und 
linksseitige  Hemihypästhesie.  Die  Hände  befanden  sich  in  Schreiber¬ 
stellung.  Der  hochgradig  herabgekommene  Mann  erholte  sich  in  den 
letzten  Tagen,  und  der  bestandene  Verdacht  auf  Lungen-  und  Meningeal- 
tuberculose  konnte  weder  bacteriologisch ,  noch  klinisch  hergestellt 
werden. 

3.  Demonstration  eines  nach  Trepanation  der  Wirbel¬ 
säule  theilweise  geheilten  Marine-Unterofficiers,  welcher  vor  zwei 
Jahren  nach  Rückkehr  der  Escadre  von  Kreta  durch  Sturz  vom 
dritten  Stockwerke  der  Marinekaserne  in  Pola  einen  Bruch  des 
zehnten,  elften  und  zwölften  Brustwirbels  erlitten  hatte  und  Er¬ 
scheinungen  der  vollständigen  Lähmung  der  Blase,  des  Mastdarmes 
und  der  Beine  bot.  Er  lag  acht  Monate  im  Marinespitale  in  Pola  in 
Behandlung,  worauf  er  superarbitrirt  dem  Invalidenhause  in  Wien 
übergeben  wurde.  Im  14.  Monate  nach  der  Verletzung  eröffnete 
Habart  an  Stelle  des  bestandenen  Buckels  (Kyphoskoliose)  den 
Wirbelcanal,  resecirte  alle  drei  gebrochenen  und  eingedrückten  Wirbel¬ 
bogen  und  Darmfortsätze  (Laminectomia)  und  konnte  durch  Abtasten 
des  Rückenmarkes  nachweisen,  dass  die  Continuität  desselben  nicht 
unterbrochen  ist,  sondern  an  der  Stelle  der  Impression  eine  Verdickung 
von  Daumendicke  besteht,  theils  als  Folge  von  Pachymeningitis 
haemorrhagica  und  von  neugebildeten  Knochenplatten,  theils  in  Folge 
von  Wucherungen  der  Rückenmarkshüllen  bedingt  durch  C  o  m- 
pressionsmyelitis,  während  eine  Fractur,  Luxation  und  Luxations- 
fractur  der  Wirbelkörper  ausgeschlossen  werden  konnte.  Der  Defect 
im  Bereiche  der  abgemeisselten  Quer-  und  Dornfortsätze  wurde  durch 
eine  10  cm  lange  und  3  cm  breite  ausgehöhlte  Celluloid  platte, 
welche  in  die  Wirbelsäule  eingeklemmt  wurde,  gedeckt  (Heteroplastik), 
und,  Dank  der  gelungenen  Aseptik,  gelang  die  Einheilung  derselben 
anstandslos  und  der  Buckel  sammt  der  bestehenden  Schmerzhaftigkeit 
ist  behoben.  Unter  Ausnützung  aller  Hilfsmittel  in  der  Nachbehandlungs¬ 
periode  (Suspensorium,  Lorenz ’s  che  Gehänge,  Massage,  Elektricität, 
Bäder,  Eisen,  Nitr.  argenti,  Nux  vomica)  ist  es  gelungen,  1.  den 
Blasenkatarrh  und  die  Pyelitis  zu  beheben;  2.  die  Capacität  der  Blase 
bis  auf  220cm3  Inhalt  zu  erhöhen;  3.  den  Mastdarm  bezüglich  der 
Motilität  vollständig  herzustellen,  so  dass  der  Stuhlgang  regelmässig 
erfolgt;  4.  den  Decubitus  sammt  den  Gefahren  der  Sepsis  zur  Heilung 
zu  bringen;  5.  die  Beweglichkeit  der  Beine  so  weit  herzustellen,  dass 
sie  gehoben  und  bei  Gehversuchen  in  einer  Gehschule  nach  vorne  ge¬ 
schleudert  werden;  6.  den  paralytischen  Spitzhiss  durch  Redressement 
zu  beseitigen;  7.  die  Ernährung  und  Empfindlichkeit  der  Beine  zu 
bessern  und  8.  dem  Kranken  ein  erträgliches  Dasein  zu  ermöglichen. 
Durch  Versteifung  der  Gelenke  (steife  Verbände)  erscheint  die  Ge- 


378 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  16 


brauchsfähigkeit  der  Beine  noch  grösser,  und  II  a  b  a  r  t  hofft,  dieselbe 
durch  Fixationsapparate  oder  Arthrodese  noch  zu  erhöhen. 

Der  lehrreiche  Fall  dürfte  in  der  Casuistik  über  Rückenmarks¬ 
regeneration  und  operative  W  i  r  b  e  1  c  h  i  r  u  r  g  i  e  eine  bleibende 
Stellung  behaupten. 

Regimentsarzt  Dr.  Drastich  stellt  einen  Jäger  vor,  welcher 
sich  durch  einen  am  27.  November  1899  im  Dienste  erfolgten  Sturz 
auf  den  vorgestreckten  linken  Arm  eine  Verrenkung  des  Schulter¬ 
gelenkes  (Luxatio  subcoracoidea)  zugezogen  und  bei  dem  sich  trotz 
sofortiger  Repouirung  nach  einigen  Tagen  eine  fast  vollständige  Läh¬ 
mung  des  linken  Armes  eingestellt  hat. 

Der  Vortragende  hebt  als  interessanten  Befund  hervor,  dass  es 
sich  einerseits  um  eine  Plexuslähmung  handle,  welche  aus  dem 
Functionsausfalle  und  der  partiellen  Entartungsreaction  (träge  Zuckung) 
zu  erschlossen  sei,  und  dass  andererseits  auch  eine  functioneile  Er¬ 
krankung  (traumatische  Hysterie)  vorliege,  nachdem  ein  ausgebreiteter 
Sensibilitätsdefect  für  alle  Gefühlsqualitäten  nachzuweisen  sei,  welcher 
die  Haut  des  ganzen  Oberarmes,  der  Achselhöhle  und  der  Schulter 
bis  zum  Halse  betrifft,  und  nachdem  überdies  —  abgesehen  von  dem 
Missverhältnisse  zwischen  objectivem  Befund  und  Functionsausfall  — 
auch  noch  eine  bedeutende  Herabsetzung  des  Gaumenreflexes  und  Un¬ 
vermögen,  die  linke  Schulter  zu  heben  (Cucullariswirkung),  bestehen. 

* 

Sitzung  am  27.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Generalstabsarzt  Dr.  Josef  Uriel. 

Regimentsarzt  Dr.  Zimmer  mann  demonstrirt  eine  Frau,  bei 
welcher  er  die  supravaginale  Amputation  des  graviden  myomatösen 
Uterus  nach  Porro  ausgeführt  hatte  und  bespricht  die  Indications- 
stellung  für  sein  operatives  Vorgehen  in  diesem  Falle  und  im  Allge¬ 
meinen  über  das  Thema  „Uterus-Myom  und  Gravidität“,  wobei  er  auf 
den  von  Hofrath  Prof.  Dr.  Chrobak  am  2.  Juni  1899  in  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  gehaltenen  Vortrag  verwies. 

Regimentsarzt  Dr.  C.  B  i  e  h  1  zeigt  drei  Leute,  bei  welchen  er 
wegen  chronischer  Mittelohreiterung  sämmtliclie  Mittelohrräume  frei¬ 
gelegt  hatte,  ln  einem  Falle  wurde  die  Hautwunde  sofort  vernäht; 
dieselbe  heilte  per  primam  und  war  nach  acht  Wochen  die  ganze 
Wundhöhle  vollständig  überhäutet.  Im  zweiten  Falle  schloss  sich  die 
retroauriculäre  Oeffnung  per  granulationem.  Wenngleich  auch  in  diesem 
Falle  die  Heilung  ungestört  von  Statten  ging,  so  verlief  dieselbe  doch 
bedeutend  langsamer,  als  bei  dem  früher  Besprochenen;  der  Mann  ist 
bereits  den  vierten  Monat  im  Spital.  Bei  dem  zuletzt  Demonstrirten 
wird  die  retroauriculäre  Oeffnung  offen  erhalten,  da  der  gesetzte  Defect 
wegen  der  ausgedehnten  Caries  zu  gross  war,  andererseits  auch  die 
Wunde,  namentlich  in  der  Tiefe  gegen  den  Sinus  jederzeit  zugänglich 
sein  muss.  Bei  diesem  Kranken  ist  die  Heilung  am  langwierigsten, 
zumal  schliesslich  auch  die  Oeffnung  plastisch  gedeckt  werden  muss. 

Oberarzt  Dr.  Doerr  demonstrirt  das  anatomische  Präparat 
eines  Falles  von  multipler  Dünndarmstenose.  Es  waren  fünf  Stricturen  des 
Ileums  in  einer  Entfernung  von  15,  50,  70,  80  und  110  c??i  von  der 
lleocöcalklappe  gemessen,  vorhanden.  Oberhalb  jeder  Strietur  war  der 
Darm  beträchtlich  erweitert,  die  Musculatur  hypertrophisch,  die  Schleim¬ 
haut  zeigte  kleine  Geschwüre.  Eines  derselben  hatte  perforirt  und  eine 
letale  Peritonitis  veranlasst.  Ausserdem  bestand  eine  narbige  Strietur 
der  B  a  u  h  i  n’sehen  Klappe  (nur  für  einen  Bleistift  passirbar)  und  eine 
röhrenförmige  Verengerung  des  Cöcums  und  des  unteren  Theiles  des 
Colon  ascendens,  dessen  Wand  daselbst  tumorartig  verdickt  war.  Ober¬ 
halb  der  Dünndarmstricturen  fanden  sich  zahlreiche  Fremdkörper  (in- 
crustirte  Pflaumen-  und  Kirschenkerne).  Die  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  ergab  jedoch  die  tuberculöse  Natur  der  Vorgefundenen  Ver¬ 
änderungen.  Der  Vortragende  verweist  auf  eine  Discussion,  die  an¬ 
lässlich  eines  von  Primarius  Dr.  Schnitzler  in  der  Sitzung  der 
Gesellschaft  der  Aerzte  vom  30.  November  1899  vorgestellten  Falles 
stattgefunden  hatte,  im  Verlaufe  welcher  Hofrath  Prof.  v.  Schrotte r 
behauptete,  dass  multiple  Dünndarmstricturen  häufig  durch  verschluckte 
Fremdkörper  herbeigeführt  würden.  Auf  Grund  seines  Falles  kommt 
der  Vortragende  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  aufgefundenen  Fremdkörper 
in  derartigen  Fällen  nur  einen  zufälligen  Befund  darstellen.  Sie  werden 
an  den  schon  früher  vorhandenen  Stricturen  zurückgehalten,  die  sich 
aus  tubereulösen  Ulcerationen  entwickeln. 

Weiters  demonstrirt  der  Vortragende  Präparate  von  Darm¬ 
geschwüren,  die  sich  bei  der  Section  eines  Selbstmörders  fanden,  der 
im  Stadium  der  secundäreu  Syphilis  gestorben  war. 


Berichte  aus  dem  Vereine  österreichischer  Zahnärzte. 

Officieller  Bericht. 

Sitzung  vom  3.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Johann  Piclller. 

Schriftführer :  Dr.  v.  Wunschheini. 

Dr.  v.  Wunsch  heim  demonstrirt  einen  elektrischen  Warm¬ 
wasserbehälter,  der  die  Form  oines  gewöhnlichen  Rechauds  hat  und 
durch  eine  Glühlampe,  die  in  den  flascheuförmig  ausgehöhlten  Boden 
desselben  hineiureicht,  die  nöthige  Wärme  zugeführt  erhält.  Der  Vor¬ 
tragende  liebt  die  Vorzüge  dieses  kleinen  Apparates  hervor,  als  welche 
er  insbesondere  dessen  Reinlichkeit,  stete  Gebrauchsfertigkeit  und 
Billigkeit  bezeichnet. 

Es  erhält  nunmehr  Herr  Dr.  Breuer  das  Wort  zu  seinem  an¬ 
gekündigtem  Vortrage  :  „Ueber  Solilagold  und  Fälle  aus 
der  Praxis“.  Mit  Rücksicht  auf  die  noch  zu  verhandelnden  ge¬ 
schäftlichen  Angelegenheiten  verschiebt  der  Redner  die  erste 
Hälfte  seines  Vortrages  und  geht  gleich  zum  zweiten  Theile  des¬ 
selben  über. 

Dr.  Breuer  demonstrirt  zunächst  einen  Unterkiefer  mit  einem 
transponirteu,  zweiten  Schneidezahne,  der  so  um  180°  gedreht  war, 
dass  seine  labiale  Seite  nach  rückwärts,  und  seine  linguale  Seite  nach 
vorne  gerichtet  war.  Es  folgten  den  drei  Schneidezähnen  der  Reihe 
nach  der  linko  Eckzahn,  der  gedrehte,  seitliche  Schneidezahn  und 
hierauf  die  übrigen  Zähne. 

Im  Anschlüsse  daran  zeigt  der  Vortragende  das  Modell  eines 
Oberkiefers  mit  zwei  vollständig  ausgebildeten,  bleibenden,  seitlichen 
linken  Schneidezähnen. 

Dr.  Bieuer  demonstrirt  ferner  die  Modelle  eines  Unterkiefer¬ 
bruches  sammt  Saue  r’scher  Schiene.  Der  Fall  war  insoferne  interes¬ 
sant,  als  er  in  mancher  Beziehung  von  den  in  den  Lehrbüchern  ent¬ 
haltenen  Regeln  abwich.  Er  betraf  einen  Patienten,  der  in  einem 
epileptischen  Anfälle  vom  zweiten  Stocke  aufs  Pflaster  stürzte  und 
mehrfache  Verletzungen,  darunter  eine  Fractur  des  Uuterkiefers 
davon  trug.  Der  Vortragende  wurde  behufs  Anlegung  eines  entspre¬ 
chenden  Verbandes  ins  Stephanie-Spital  gerufen,  wohin  der  Verletzte 
gebracht  worden  war.  In  der  Narkose  wurde  von  dem  gebrochenen 
Unterkiefer  nach  möglichster  Reposition  des  herausgeschlagenen  Mittel¬ 
stückes,  das  die  Schneidezähne  und  Eckzähne  und  noch  den  linken 
Backenzahn  trug,  ein  Abdruck  genommen,  desgleichen  vom  Oberkiefer, 
und  dann  eine  provisorische  Schiene  nach  v.  M  e  t  n  i  t  z  angelegt.  Die 
Herstellung  der  Dauerschiene  bot  aber  grosse  Schwierigkeiten.  In  den 
Lehrbüchern  steht  immer,  man  richte  sich  bei  Herstellung  der  Arti¬ 
culation  nach  den  Zähnen  des  Oberkiefers.  Nun  hatte  der  Patient  aber 
nur  fünf  Zähne  im  Oberkiefer  und  diese  articulirten  mit  den  gerade 
im  herausgeschlagenen  Mittelstück  des  Unterkiefers  steckenden  Zähnen. 
Um  die  Articulation  zu  finden,  wurde  das  Gypsmodell  den  Bruchlinien 
des  Unterkiefers  entsprechend  zersägt,  die  einzelnen  Theile  so  lange 
verstellt,  bis  die  Zähne  des  Unterkiefers  mit  den  an  den  oberen 
Zähnen  im  Ganzen  vorhandenen  fünf  Schlifflächen  articulirten,  die 
Theile  sodann  fixirt,  und  auf  der  so  gewonnenen  ursprünglichen  Form 
des  Unterkiefers  die  Saue  r’sche  Schiene  den  Zahnhälsen  entsprechend 
aus  einem  Stück  Eisendraht  vom  Vortragenden  selbst  montirt.  Am 
nächsten  Tage  wurde  dem  Patienten  die  Schiene  in  Narkose  angelegt, 
zunächst  an  den  vorhandenen  Molaren  mit  Bindedraht  in  Achtertouren 
befestigt,  sodann  nunmehr  das  leicht  reponible  Mittelstück  des  Unter¬ 
kiefers  so  gehoben,  dass  die  Zähne  in  ihrem  Bett  in  der  Schiene  Platz 
fanden,  und  sodann  die  Zähne  gleichfalls  mit  Bindedraht  an  der 
Schiene  fest  angebunden.  Die  Schiene  passte  vollkommen,  die  ge¬ 
brochenen  Theile  bewegten  sich  nicht  mehr.  Bereits  am  selben  Tage 
fühlte  sich  Patient  bedeutend  wohler,  am  vierten  Tage  rauchte  er 
bereits  seine  geliebte  Virginiacigarre  und,  als  er  nach  vier  Wochen 
wegen  vollkommenen  Wohlbefindens  stürmisch  seine  Entlassung  aus 
dem  Spitale  verlangte,  war  die  Callusbildung  bereits  soweit  vorge¬ 
schritten,  dass  man  seinem  Wunsche  willfahren  konnte,  ihm  aber  die 
Schiene  noch  beliess  (gegen  seinen  Willen),  da  sich  rechterseits  einige 
Sequester  abzustossen  drohten.  Seither  sah  und  hörte  der  Vortragende 
von  dem  Patienten  nichts  mehr. 

Der  Redner  demonstrirt  weiters  die  Wurzel  eines  linken  oberen 
Schneidezahnes,  welche  der  Länge  nach  gespalten  war.  Selbe  war  im 
Jahre  1894  behufs  Stiftzahnersatzes  elektrolytisch  behandelt  worden, 
d.  h.  es  wurde  der  Wurzelcanalinhalt  nach  Einführung  einer  als  Anode 
dienenden  Mille  r’schen  Nervnadel  einfach  durch  die  Wirkung  eines 
ein  und  einhalb  M. -Ampere  starken  Stromes  in  der  Dauer  von  fünf 
Minuten  in  drei  auf  einander  folgenden  Sitzungen  elektrolytisch  zer¬ 
setzt.  Nach  dieser  Procedur  wurde  der  Wurzelcanalinhalt  jedes  Mal 
ausgespritzt,  der  Canal  gereinigt,  nach  der  letzten  Behandlung  mit 
Thyraolpasta  und  Guttapercha  gefüllt  und  der  Stiftzahn  eingesetzt. 
Nach  mehr  als  zwei  Jahren  brach  der  Stiftzahn  ab.  Der  Stift  wurde 
entfernt,  neuerdings  Elektrolyse  des  Wurzelcanalinhaltes,  diesmal  aber 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


879 


mit  einer  Platinnadel  als  Anode,  welche  mit  in  Kochsalz  getauchten 
Wattefäden  bewickelt  war  (behufs  Abspaltung  von  Chlor).  Nach  kaum 
einem  Jahre  hatte  Patientin  (eine  Knirscherin),  auch  diesen  Stiftzahn 
und  mit  ihm  die  Wurzel  zertrümmert.  Das  gleiche  Schicksal  ereilte 
die  nebenstehende,  eine  Richmondkrone  tragende  Eckzahnwurzel.  Man 
sieht  an  der  extrahirten  Schneidezahnwurzel  die  Spitze  ganz  schwarz 
gefärbt  (von  den  an  der  M  i  1 1  e  r’schen  Nadel  [Anode]  gebildeten  und 
in  das  Dentin  eingedrungenen  Eisenverbindungen),  ein  Beweis  dafür, 
dass  in  dem  sich  verjüngenden  Wurzelcanale  dort,  wo  die  Spitze  der 
Anode  die  Wände  fast  berührte,  die  grösste  Stromdichte  war,  mithin 
am  gefährlichsten  Theil,  dem  Apex,  die  grösste  bactericide  Wirkung 
des  elektrischen  Stromes  erfolgte.  Patientin  hatte  auch  während  der 
vier  Jahre,  da  sie  den  Stiftzahn  trug,  niemals  irgend  welche  Be¬ 
schwerden  seitens  der  Wurzel  gehabt. 

Weiters  berichtet  Dr.  B  r  e  u  e  r  über  folgenden  Fall:  Vor  einiger 
Zeit  kam  beim  Vortragenden  ein  Hauptmann  wieder  in  Behandlung, 
der  schon  vor  fünf  Jahrer  in  längerer  zahnärztlicher  Behandlung  ge¬ 
standen  war.  Diesmal  fanden  sich  grosse  eariöse  Defecte  an  den 
letzten  Molaren  des  Ober-  und  Unterkiefers  vor,  was  bei  dem  sonst 
sehr  auf  seine  Zähne  sehenden  Patienten  auffiel.  Auf  die  Frage,  warum 
er  das  Uebel  so  lange  anstehen  liess,  gab  er  erstaunt  zur  Antwort, 
er  habe  nie  etwas  verspürt.  Eine  abgestorbene  Pulpa  vermuthend, 
nahm  Vortiagender  zunächst  den  am  stärksten  erkrankten  Weisheits¬ 
zahn  links  unten  in  Behandlung  und  war  sehr  erstaunt,  plötzlich  eine 
blutende  Pulpa  vor  sich  zu  haben.  Patient  verspürte  aber  keinen 
Scbmerz,  empfand  auch  nicht  Temperaturwechsel  schmerzhaft.  Während 
der  weiteren  Behandlung  bekam  Patient  plötzlich  einen  besorgniss¬ 
erregenden  Anfall  von  Laryngospasmus.  Auf  das  hin  forschte  Vor¬ 
tragender  weiter  und  erhob  folgende  Anamnese: 

Patient  war  im  Jahre  1888  bei  einer  (Jebung  vom  Pferde  ge¬ 
stürzt,  so  dass  er  eine  schwere  Gehirn-  und  Rückenmarkserschütterung 
davontrug.  Nach  jahrelangem  Kranksein  und  wiederholter  Behandlung 
in  Spitälern  hatte  sich  Patient  wieder  so  weit  erholt,  dass  er  wieder 
Dienst  machen  konnte,  war  aber  zum  Truppendienste  nicht  mehr  recht 
fähig.  Da  ihn  seine  unterschiedlichen  Neuralgien,  seine  rasche  Er¬ 
müdung,  die  merkliche  Abnahme  seiner  Sehkraft  den  an  ihn  gestellten 
Anforderungen  nicht  mehr  nachkommen  Hessen,  wurde  er  auf  einen 
Ruheposten  versetzt  und  sieht  nun  mit  Besorgniss  seinen  Zustand  von 
Jahr  zu  Jahr  schlechter  werden.  Während  früher  die  Neuralgien  nur 
die  Beine  betrafen,  treten  sie  jetzt  auch  schon  in  der  Bauch-  und 
Magengegend,  sowie  in  den  Armen  auf.  Desgleichen  leidet  er  oft  an 
unerträglichen  Kopfschmerzen  und  dem  oben  erwähnten  Laryngo¬ 
spasmus.  Prof.  Ortner,  an  den  Patient  gewiesen  wurde,  bestätigte 
die  schon  vor  Jahren  im  Garnisonsspitale  vermuthungsweise  gestellte 
Diagnose  auf  Tabes  mit  ungünstiger  Prognose,  insbesondere  mit  Rück¬ 
sicht  auf  die  bestehende  Postieuslähmung  (auf  welcher  der  Laryngo¬ 
spasmus  beruht).  Der  Befund  an  den  Zähnen,  nämlich  die  Entwicklung 
grosser  cariöser  Defecte  mangels  einer  schmerzhaften  Empfindung 
seitens  des  Patienten,  die  vollkommene  Empfindungslosigkeit  gegen 
Temperatureinflüsse  und  beim  Excaviren,  welche  Symptome  auch  bei 
den  anderen  noch  behandelten  Zähnen  constatirt  wurden,  berechtigen 
zu  der  Annahme,  dass  diese  Symptome  mit  dem  fortschreitenden  All¬ 
gemeinleiden  Zusammenhängen,  umsomehr,  als  Patient  vor  fünf  Jahren 
sehr  empfindlich  war,  weshalb  der  Vortragende  die  Herren  Collegen, 
insbesonders  Jene,  welche  an  den  Schulen  wirken,  auffordert,  auf  diese 
Symptome  zu  achten,  weil  vielleicht  dieselben  zu  einer  Frühdiagnose 
auf  Tabes  verwerthet  werden  können. 

Ein  weiterer  Fall  betrifft  eine  bedauernswerthe  Frau,  welche  vor 
Jahren  von  ihrem  Gatten  mit  Lues  beglückt  wurde.  Als  sie  im 
Jahre  1896  in  Behandlung  trat,  litt  sie  an  einer  ausgebreiteten  Leuko¬ 
plakia  oris,  die  jeder  Behandlung  trotzte,  sowie  an  Neuralgien  im 
linken  Unterkiefer,  die  sich  hauptsächlich  im  ersten  Backenzahne  eon- 
centrirten,  jedes  Frühjahr  auftraten,  von  Jahr  zu  Jahr  ärger  wurden 
und  auf  Jodkali  wohl  nachliessen,  aber  nur  sehr  langsam  schwanden. 
Da  sie  sich  weigerte,  nochmals  Jodkali  zu  nehmen  und  auf  Extraction 
des  bei  Percussion  etwas  empfindlichen  ersten  Prämolaren  bestand, 
willfahrte  Vortragender  ihrem  Wunsche.  Der  extrahirte  Zahn  war 
äusserlich  vollkommen  gesund,  nur  am  Periost  befanden  sich  einzelne 
sehnige  Flecken.  Der  Zahn  wurde  zersprengt,  wobei  die  Pulpa  leider 
sehr  in  Mitleidenschaft  gezogen  wurde.  An  den  intacten  Theilen 
konnte  man  aber  eine  merkwürdige  Veränderung  constatiren.  Sie  waren 
starr,  elastisch,  glänzend,  am  Rande  durchscheinend,  wenig  blutend, 
so  dass  Vortragender  eine  amyloide  Entartung  vermuthen  möchte.  Der 
Beweis  konnte  allerdings  nicht  erbracht  werden,  da  es  an  den  nöthigen 
Uutersuchungsmitteln  und  an  der  Zeit  fehlte.  Vortragender  möchte 
jedoch  abermals  die  Herren  Collegen  bitten,  ähnlichen  Fällen  ihre 
Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Die  neuralgischen  Schmerzen  erklärt  sich 
Vortragender  als  auf  endarteriitischen  Veränderungen  im  Canalis 
mandibularis  beruhend,  welche  im  Frühjahre,  sobald  in  Folge  der  zu¬ 
nehmenden  Lufttemperatur  eine  erhöhte  Fluxion  zur  Haut  stattfindet, 
leicht  zur  Compression  des  Nervus  mandibularis  im  Canale  oder  im 


Foramen  mentale  führen  könnten.  Nach  der  Extraction  war  Patientin 
eine  Zeit  lang  von  Schmerzen  frei.  Ob  sie  es  dauernd  blieb,  kann 
Vortragender  nicht  beantworten,  da  er  sie  seitdem  nicht  wieder 
gesehen. 

Der  nächste  Fall  betrifft  eine  Patientin,  welche  im  October  1896 
aus  Mähren  zugereist  kam,  um  hier  Heilung  und  Linderung  von  neur¬ 
algischen  Schmerzen  im  linken  Unterkiefer  zu  finden,  die  sie  schon 
seit  zwei  Monaten  quälten  und  ihr  den  Schlaf  raubten.  Der  Arzt  in 
ihrem  Heimatsorte  hatte  schon  vor  längerer  Zeit  den  zweiten  Backen¬ 
zahn  links  unten  entfernt,  den  Patientin  als  Ursache  bezeichnete,  ohne 
mehr  als  vorübergehende  Besserung  zu  erreichen.  Da  in  letzter  Zeit, 
wie  gesagt,  die  Schmerzen,  welche  Abends  auftraten  und  bis  zum 
Morgen  dauerten,  den  Schlaf  vollständig  störten,  griff  der  behandelnde 
Arzt  zum  Morphin;  Patientin,  aus  Angst  vor  einem  schweren  Leiden, 
kam  nach  Wien  und  wurde  wegen  Verdachtes  auf  dentalen  Ursprung 
des  Leidens  von  dem  consultirten  Arzte  an  den  Vortragenden  gewiesen. 
Patientin  klagte  ausser  neuralgischen  Schmerzen  im  linken  Unterkiefer 
auch  noch  seit  mehreren  Tagen  über  Schwerhörigkeit,  Ohrenstechen 
und  Ohrensausen,  Gefühl  von  Schwere  und  Druck  im  linken  Ohre 
(„wie  wenn  das  Ohr  zerspringen  sollte“).  Die  Untersuchung  ergab  am 
Weisheitszahn  links  unten,  buccal,  unter  dem  Zahnfleisch  versteckt, 
eine  tiefe  eariöse  Höhle,  auf  derem  Grunde  die  Pulpa,  wahrscheinlich 
ulcerirend,  blosslag. 

Die  Extraction  des  Weisheitszahnes  befreite  Patientin  wohl  von 
den  Neuralgien,  aber  nicht  von  den  Ohrenschmerzen.  Vortragender 
untersuchte  nun  das  Ohr,  fand  den  äusseren  Gehörgang  mit  einer 
braunen  Masse  erfüllt  und  spritzte  denselben,  Cerumen  vermuthend, 
aus.  Die  aus  dem  Ohre  kommende  Flüssigkeit  hatte  einen  eigenthiim- 
lichen  Geruch;  der  Pfropf  ging  nicht  mit.  Mit  der  Pincette  entfernte 
nun  Vortragender  denselben,  welcher  sich  als  aus  zwei  gequollenen 
Knoblauchstückchen  bestehend  erwies.  Jetzt  erst  erinnerte  sich  Patientin, 
dass  sie  sich  in  ihren  Schmerzen  auf  den  Rath  theilnehmender  Be¬ 
kannten  hin  vor  elf  Tagen  zwei  Stückchen  einer  Knoblauchfrucht  ins 
Ohr  steckte,  auf  deren  Herausnahme  sie  vergass.  Mit  der  Entfernung 
dieser  Fremdkörper  schwanden  auch  die  Ohrenschmerzen.  Vortragender 
macht  darauf  aufmerksam,  dass  auch  in  unseren  Gegenden  bei  Ohren¬ 
stechen  (im  Gefolge  von  Zahnschmerzen)  von  der  Bevölkerung  häufig 
die  Blätter  des  Hauswurz  (Sempervivum  teetovum)  in  ähnlicher  Weise 
verwendet  werden,  und  spricht  die  Vermuthung  aus,  ob  nicht  manche 
der  beschriebenen  Ohrenleiden  im  Gefolge  von  Pulpitis  auf  vergessene 
Fremdkörper  zurückzuführen  wären. 

Der  letzte  Fall  von  wochenlanger  Dauer  einer  Neuralgie  in 
Folge  von  Pulpitis  betraf  einen  Herrn,  der  im  Jahre  1897  zum  Vor¬ 
tragenden  um  Hilfe  kam,  nachdem  er  durch  nahezu  drei  Wochen 
täglich  von  5  Uhr  ab  bis  nach  Mitternacht  an  den  heftigsten  Schmerzen 
im  rechten  Unterkiefer  zu  leiden  hatte.  Genannter  Patient  hatte  sich 
aut  den  Rath  seines  Zahnarztes  hin  den  im  aufsteigenden  Aste  des 
rechten  Unterkiefers  sitzenden,  mit  der  Krone  horizontal  gegen  den 
zweiten  Molaren  hin  durchbrechenden  Weisheitszahn  entfernen  lassen. 
Die  Operation  wurde  in  Narkose  vorgenommen,  dabei  aber  der  Zahn 
so  unglücklich  fracturirt,  dass  nur  die  Krone  und  der  grössere  Theil 
der  mesialen  Wurzel  entfernt  wurde,  was  bei  der  eigenthümlichen 
Stellung  des  Zahnes  kaum  zu  vermeiden  war.  Nach  der  Operation 
hatte  der  Patient  grosse  Schmerzen,  bezüglich  deren  er  vertröstet 
wurde,  dass  sie  wohl  bald  aufhören  würden.  Nachdem  dies  aber  durch 
Wochen  nicht  der  Fall  war,  kam  Patient  zum  Vortragenden.  Derselbe 
constatirte  rechts  unten,  hinter  dem  zweiten  Molaren,  in  der  distalen 
Spitze  eines  tief  reichenden  Schlitzes  im  Zahnfleische  die  Reste  der 
distalen  Wurzel  des  dritten  Molaren.  An  der  nach  vorne  abfallenden 
schiefen  Ebene  berührte  die  Sonde  die  Stelle,  welche  ausserordentlich 
empfindlich  war,  also  blossliegende  Pulpa  in  traumatischer  Entzündung. 
Nach  Application  von  Cocain  in  Substanz  wurde  selbe  mit  scharfer 
Fräse  abgebohrt.  Darauf  war  Patient  schmerzfrei.  Die  Extraction  der 
Wurzel  gelang  aber  erst  nach  IV2  Jahren. 

* 

Sitzung  vom  7.  März  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Johann  Pichler. 

Schriftführer:  Dr.  v.  Wunschheim. 

Dr.  Pichler  stellt  in  Vertretung  des  am  Erscheinen  verhin¬ 
derten  Dr.  T  rauner  eine  Patientin  vor,  bei  welcher  Letzterer  vor 
vier  Wochen  eine  Zahnwurzelcyste  des  Oberkiefers  nach  der  Methode 
von  Part  sch  operirt  hatte.  Das  Volumen  der  Cyste  entsprach  un¬ 
gefähr  demjenigen  eines  Taubeneies  bei  der  Operation,  während  gegen¬ 
wärtig  nach  nur  vier  Wochen  nur  mehr  eine  seichte  grnb'ge  ^  er- 
tiefung  an  der  Operationsstelle  zu  sehen  ist.  Der  Vortragende  betont 
die  Kürze  der  Heilungsdauer,  die  bei  der  Methode  nach  Partsch 
erzielt  wird,  während  bei  den  früheren  Operationsmethoden  oft  ein  Jahr 
und  länger  zur  Heilung  solcher  Cysten  benöthigt  wurde. 


380 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  16 


Dr.  Kraus  hält  hierauf  seinen  an  der  Tagesordnung  stehenden 
Vortrag :  Ueber  die  Verwertung  keramischer  Kunst 
in  der  operativen  Zahnheilkunde.  (Derselbe  erscheint 
ausführlich  in  der  Wiener  zahnärztlichen  Monatsschrift.) 

Der  Vortragende  gibt  zunächst  einen  geschichtlichen  Ueberblick 
über  die  Verwendung  des  Porzellans  in  der  Zahnheilkunde  und  wendet 
sich  gegen  letzteren  Ausdruck,  den  er  lieber  durch  die  Bezeichnung 
„keramische  Füllungen“  ersetzt  wissen  möchte.  Nach  Erörterung  der 
Zusammensetzung  des  Porzellans  und  der  Farbengebung  desselben 
mittelst  Metalloxyden  wendet  sich  der  Redner  seiner  Methode  der  Her¬ 
stellung  von  Porzellanfüllungen  zu.  Dieselbe  besteht  gleich  der  Me¬ 
thode  Silberer’s  darin,  dass  er  mit  einer  plastischen  Masse  (Gutta¬ 
percha),  Abdruck  nimmt,  den  letzteren  mit  Gyps  ausgiesst  und  in  der 
so  gewonnenen  Cavität  des  Gypsmodelles  die  Einlage  in  einem  Gas¬ 
ofen  brennt.  Der  Vortragende  zeigt  am  Schlüsse  seiner  Ausführungen 
verschiedene  Einlagen  und  Ecken,  die  er  nach  seiner  Methode 
hergestellt  und  auf  deren  exacten  Randschluss  er  speciell  auf¬ 
merksam  macht  und  demonstrirt  auch  die  Herstellung  eines  Inlays  mit 
seinem  Ofen. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Referent  Dr.  Edmund  Falk  (Berlin). 

Sitzung  am  20.  September  1899,  Vormittags. 

Vorsitzender:  Se.  königl.  Hoheit  Prinz  Dr.  Ludwig  Ferdinand  von 
Baiern . 

Gemeinsame  Sitzung  mit  der  Section  für  Augen¬ 
heilkunde. 

Vorsitzender:  v.  Ott  (St.  Petersburg). 

X.  S c h ü c k in g  ( Pyrmont) :  Die  Kolpochiasmorhaphie, 
eine  neue  Operationsmethode  bei  Retroflexio  und 
P  r  o  1  a  p  s. 

Ausser  der  Retroflexio  ist  das  geschilderte  Verfahren  in  einem 
Falle  von  totalem  Prolaps  angewrendet.  Hier  handelte  cs  sich  um  ein 
elongirtes  Collum  nebst  Cystocele.  Die  in  diesem  Falle  benützten 
Pessare  waren  nicht  im  Stunde  gewesen,  den  Vorfall  zurückzuhalten. 
Hier,  wo  sich  die  Leistungsfähigkeit  der  Methode  sehr  deutlich  erweisen 
konnte,  hat  sie  die  Probe  durchaus  befriedigend  bestanden. 

XL  Th  ei  1  h  ab  er  (München):  Ueber  Prolapsoperationen. 

1.  Vortragender  ist  der  Ansicht,  dass  viel  schärfer  unterschieden 
werden  sollte  zwischen  Vaginal-  und  Uterusprolaps.  Die  grossen  Pro¬ 
lapse  sind  meist  Prolapse  der  vorderen  Vaginalwand  mit  secundärer 
Elongation  der  Cervix,  der  primäre  Prolaps  der  hinteren  Vaginalwand 
nimmt  selten  grosse  Dimensionen  an.  Der  primäre  Uterusprolaps  ist 
sehr  selten.  Dies  zeigt  die  klinische  Beobachtung.  Aber  auch  theo¬ 
retische  Erwägungen  beweisen  dies,  denn  der  Uterus  ist  ausserordentlich 
stark  fixirt  durch  das  parametrane  Bindegewebe;  dies  verhindert  den 
Vorfall.  Die  Ligamenta  vesico-uterina,  recto-uterina,  rotunda,  das  Peri¬ 
toneum  können  den  Uterus  nicht  verhindern,  zu  prolabiren. 

2.  Die  Vaginalwände  sind  nur  durch  das  unter  ihnen  liegende 
Bindegewebe  fixirt.  Der  Vaginalprolaps  kommt  zu  Stande  durch  Atro¬ 
phie  dieses  Bindegewebes.  Die  Einrisse  des  Septum  recto  vaginale 
haben  für  die  Entstehung  des  Prolapsus  vaginae  anterior,  keine  wesent¬ 
liche  Bedeutung.  Die  Erschlaffung  dieses  Septums  ist  in  der  Haupt¬ 
sache  Folge  des  Prolapses. 

3.  Dem  entsprechend  ist  es  zwecklos,  bei  der  Operation  des 
Prolapsus  vaginae  anterior,  eine  Verstärkung  des  Septum  vaginale  her¬ 
beizuführen,  dagegen  darf  die  Colporrhaphia  anterior  nicht  als  „neben¬ 
sächliche“  Operation  ausgeführt  werden,  im  Gegentheil,  es  sollte,  wie  bei 
malignen  Tumoren,  exactest  im  Gesunden  angefrischt  werden.  Bleiben 
kleine  Reste  der  prolabirten  Schleimhaut  stehen,  so  bildet  sich  die 
Cystocele  wieder  heraus.  Dies  wird  nicht  verhindert  durch  sehr  hohen 
Damm  oder  sehr  enge  Vagina  oder  sehr  starkes  Septum  recto  vaginale. 

Bei  grossen  Prolapsen  muss  deshalb  die  ganze  vordere  Vaginal¬ 
wand  bis  in  die  seitlichen  Scheiden  Wandungen  hinein  excidirt  werden. 
Die  hintere  Scheidenwand  bleibt  gewöhnlich  intact.  Dammplastik  hält 
T  hei  lh  aber  nicht  für  unbedingt  nothwendig,  doch  nimmt  er  ge¬ 
wöhnlich  eine  Verengerung  des  weiten  Vaginalostiums  durch  „quere 
Dammspaltung“  vor. 

22  in  dieser  Weise  operirte  und  controlirte  Fälle  sind  bis 
heute  recidivfrei  geblieben  (zum  Theil  schon  vor  vier  bis  fünf  Jahren 
operirt). 


Die  Retroflexionstellung  des  Uterus  wurde  nicht  corrigirt. 

Er  hält  letzteres  für  überflüssig,  die  Vaginofixation  leistet  gegen 
den  Prolaps  nichts,  der  Nutzen  der  Ventrofixation  ist  ebenso  proble¬ 
matisch,  auch  die  Totalextirpation  des  Uterus  dürfte  bei  der  Be¬ 
handlung  des  Vaginalprolapses  keine  Zukunft  haben. 

Die  typische  Colpoperineorhaphie  ist  für  die  Fälle  von  Prolapsus 
vaginae  posterior  zu  reserviren.  Das  Zustandekommen  dieser  Form 
von  Prolapsen  wird  begünstigst  durch  das  Vorhandensein  eines 
Dammrisses. 

XII.  Robert  Ziegen  speck  (München)  beschreibt  eine 
neue  Prolapsoperation,  der  vor  allem  eine  Myorhapie  des 
M.  levator  ani  eigen  ist.  Ziegen  speck  glaubt  nähmlich,  dass  die 
Erweiterung  der  Oeffnung  im  Levator  ani,  durch  welchen  die  Scheide 
hindurchtritt,  die  hauptsächliche  Ursache  für  die  Entstehung  des  Vor¬ 
falles  sei.  Zur  Heilung  sei  daher  die  Muskelnaht  dringend  nothwendig. 
Der  Muskel  erscheint  nach  der  stumpfen  Ablösung  der  hinteren 
Scheidenwand  als  sehnig  schimmernde  Falte,  derselbe  wird  mittelst 
zweier  kräftiger  Catgutsuturen  isolirt.  Der  übrige  Theil  der  Operation 
ist  der  F  r  a  n  k’schen  Operation  ähnlich.  Ein  Bogenschnitt  wird  ent¬ 
lang  der  Grenze  von  Haut  und  Scheidenschleimhaut  am  hinteren 
Umfange  des  Scheideneinganges  gemacht;  die  Scheidenwand  von  der 
Wand  des  Rectums  im  Septum  recto-vaginale  stumpf  abpräparirt,  jetzt 
aber  zur  Vermeidung  von  todten  Räumen  der  abgelöste  Lappen  durch 
einen  Längsschnitt  gespalten  und  durch  versenkte  Nähte  werden 
die  wunden  Flächen  der  Scheidenhaut  der  einen  Seite  auf  diejenigen 
der  anderen  Seite  aufgenäht.  Zum  Schluss  wird  die  rautenförmige 
Dammwunde  vernäht. 

* 

Gemeinsame  Sitzung  mit  der  Section  für  Chirurgie. 

Donnerstag,  den  21.  September,  Vormittags. 

I.  Martin  (Greifswald) :  Zur  Ureter  en-Chirurgie. 

Mit  den  Fortschritten  der  Chirurgie  sind  auch  die  Ergebnisse, 
welche  von  den  Gynäkologen  bei  den  Operationen  der  Ureterenfisteln 
erzielt  wurden,  bessere  geworden.  Die  Operation  von  der  Scheide  aus 
liess  sich  in  vielen  Fällen  durch  den  Angriff  von  der  Bauchhöhle  er¬ 
setzen.  Man  muss  in  operativer  Hinsicht  zwischen  den  frischen  Fällen 
von  Ureterenverletzungen  und  den  Fisteln  unterscheiden.  Die  Ureteren¬ 
fisteln  entstehen  am  häufigsten  durch  Verletzungen  im  Wochenbett,  aber 
auch  die  Myomoperation  erscheint  als  nicht  seltene  Gelegenheitsursache, 
und  zwar  entstehen  sie  häufiger  durch  Unterbindung  oder  durch  Ab¬ 
klemmen  als  durch  directes  Durchschneiden,  gar  oft  wird  während 
der  Operation  die  Verletzung  nicht  erkannt.  Wird  die  Ureterenverletzung 
bei  vaginalen  Operationen  alsbald  erkannt,  so  empfiehlt  sich  die  Ein- 
nähung  der  Uretermündung  in  die  Blase,  bei  abdominaler  Operation 
kommt  die  K  e  1 1  y’sche  Operation  (Invagination  des  oberen  Endes  in 
das  untere)  und  besonders  die  Implantation  des  oberen,  centralen  Endes 
des  verletzten  Uterus  in  die  Blase  in  Betracht.  Wesentliche  Fort¬ 
schritte  hat  auch  die  Operation  der  Ureterfisteln  gemacht,  die  wegen 
der  Narbenverziehungen  so  äusserst  schwer  anzugreifen  sind  und  wegen 
der  nicht  seltenen  Betheiligung  der  Niere  an  dem  Erkrankungspi'ocess 
eine  ungünstige  Prognose  geben.  Der  Vorschlag  M  a  c  k  e  n  r  o  d  t’s,  die 
Operation  von  der  Scheide  her  durch  vorhergehende  Exstirpation  des 
Uterus  leichter  zu  gestalten,  dürfte  nur  für  Frauen  im  vorgerückterem 
Alter  Geltung  haben.  Ausserordentliche  Erfolge  hat  hingegen  die  Ope¬ 
ration  der  Ureterfistel  von  der  eröffneten  Bauchhöhle  aus  zu  verzeich¬ 
nen,  auch  ein  rein  extraperitoneales  Verfahren  kann  bisweilen  sehr 
gute  Resultate  geben  und  ist  ungefährlicher,  stösst  aber,  wenn  der 
Ureter  in  Schwielen  eingebettet  ist,  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten, 
ist  also  nur  bei  Abwesenheit  ausgedehnter  Narben  anzuwenden.  Bei 
nachweisbarer  oder  während  der  Operation  festgestellter  Entwicklung 
ausgedehnter  Narben  hingegen  soll  man  zunächst  intraperitoneal  den 
Ureter  auslösen,  alsdann  die  Wunde  im  Peritoneum  schliessen  und  den 
unter  dem  Peritoneum  in  den  paravesicalen  Raum  hindurchgeführten 
Ureter  in  die  Blase  einnähen,  indem  man  ihn  circa  'l*cm  weit  in  die 
Blase  mittelst  des  durch  die  Harnröhre  herausgeführten  Zügels  hinein¬ 
zieht  und  durch  zwei  Etagen  von  Catgutknopfnähten  befestigt.  —  Ebenso 
wie  Martin  für  die  meisten  der  genannten  Operationsarten  Beispiele 
an  führt,  in  denen  er  dieselben  ausgeführt  hat,  erläutert  er  auch  diese 
intraperitoneale  Ureterocystoanastomose  durch  die  Mittheilung  einer 
ausführlichen  Krankengeschichte.  Bei  der  betreffenden  Patientin  war 
bei  einer  abdominalen  Radicaloperation  eine  Verletzung  des  linken 
Ureters,  wahrscheinlich  durch  eine  Ligatur  eingetreten.  Im  Verlauf  der 
lieconvalescenz  bildete  sich  eine  Ureterenscheidenfistel.  Vor  der  Ope¬ 
ration,  welche  ein  halbes  Jahr  später  vorgenommen  wurde,  coivstatirte 
Martin  durch  Sondirung  und  Cystoskopie,  dass  das  untere  Ende  des 
Ureters  verödet  war,  das  obere  Ende  hingegen  beweglich  erschien.  Er 
versuchte  daher  zunächst  von  der  Scheide  aus  den  Ureter  in  die  Blase 
einzunähen,  da  jedoch  wahrscheinlich  ein  Faden  zu  tief  gelegt  war, 


Nr.  16 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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bildete  sich  eine  neue  Ureterenfistel,  welche  auch  durch  Ueberhäutung 
mit  Scheidenschleimhaut  nicht  geschlossen  werden  konnte.  Durch  diese 
Operationen,  in  deren  Folge  es  zu  einer  urämischen  Intoxication  kam, 
waren  durch  die  starke  Narbenbildung  die  Aussichten  für  eine  neue 
Operation  wesentlich  verschlechtert. 

Trotzdem  gelang  es,  durch  eine  intra-extraperitonale  Operation 
die  Patientin  zu  heilen.  Die  Operation  wurde  so  ausgeführt,  dass  zu¬ 
nächst  intraperitoneal  der  Ureter  aus  den  Verwachsungen  gelöst,  als¬ 
dann  von  dem  Ende  der  Bauchincision  aus  das  Peritoneum  von  der 
Blase  abpräparirt  wurde,  und  weiter  wurde  über  die  Fossa  paravesi- 
calis  weg  bis  zur  Kreuzung  des  Ureters  mit  der  Art.  iliaca  subporito- 
neal  vorgedrungen.  Der  Schlitz  im  Peritoneum  wurde  jetzt  vernäht, 
die  Bauchwunde  provisorisch  geschlossen,  und  so  die  Einnähung  des 
Ureters  in  der  Blase  auf  extraperitonealem  Wege  vollzogen.  Zum 
Schluss  wurde  in  den  paravesicalen  Raum  ein  Jodoformgazestreifen 
eingelegt. 

II.  Wert  heim:  Demonstration  zum  Capitel: 
Ureterenchirurgie. 

Die  grosse  Mehrzahl  aller  bisher  in  der  Literatur  nieder¬ 
gelegten  Fälle  von  abdominaler  Implantation  des  Ureters  in  die 
Blase  betreffenden  Fälle,  in  denen  die  Verletzung  des  Ureters  unbeab¬ 
sichtigter  Weise  bei  Gelegenheit  irgend  einer  Operation  in  der  Nach¬ 
barschaft  desselben  oder  in  Folge  schwerer  Entbindung  zu  Stande  kam. 
Werthei  m  demonstrirt  die  Präparate  von  zwei  Fällen,  in  w’elchen 
die  vesicale  Einpflanzung  des  Ureters  nach  beabsichtigter  Ureteren- 
resection  ausgeführt  wurde. 

Der  eine  dieser  Fälle  betrifft  eine  circa  64jährige  Frau,  bei  welcher 
ein  circa  hühnereigrosser  Blasentumor  vorhanden  war,  der  sich  in  der 
Basis  der  Blase  derart  entwickelt  hatte,  dass  der  linke  Ureter  mitten 
in  der  Geschwulstmasse  ausmündete.  Da  in  Folge  dessen  die  cysto- 
skopische  Ureterensondirung  unmöglich  war,  eröffnete  Wer  the  im  die 
Blase  durch  Sectio  alta  und  nach  Abkratzung  der  weichen  Geschwulst¬ 
massen  mit  dem  Löffel  gelang  es,  einen  Katheter  einzuführen,  der  bis 
zum  Ende  der  Operation  liegen  blieb.  Durch  einen  Querschnitt,  ange¬ 
setzt  am  oberen  Ende  des  Sectio  alta-Schnittes,  drang  er  nun  extra- 
vesical  und  extraperitoneal,  also  zwischen  Blasenwand  und  Peritoneum 
in  die  Tiefe,  wo  der  durch  den  Katheter  kenntliche  Ureter  freipräpa- 
rirt  und  etwas  mobilisirt  wurde.  Hierauf  Durchtrennung  des  Ureters 
circa  2'/ncm  von  der  Einmündung  in  die  Blase  entfernt,  Sicherung  des 
centralen  Ureterenendes  durch  einen  provisorischen  Seidenzügel  und 
jetzt  vom  Sectio  alta-Schnitt  aus  Erfassen  des  Blasentumors  mittelst  Zange 
und  Exstirpation  desselben  im  Zusammenhänge  mit  dem  ausgelösten 
Ureterenstücke.  In  den  so  resultirenden  circa  doppeltthalergrossen  De¬ 
fect  der  Blasenwand  wurde  nun  das  centrale  Ende  des  Ureters  herein¬ 
gezogen  und  mittelst  einiger  feiner  Catgutnäthe  fixirt,  im  Uebrigen 
der  Defect  sorgfältig  vereinigt.  Da  W  e  r  t  h  e  i  m  eine  Sicherung  für 
den  Fall  der  Incontinenz  der  Einpflanzungsnaht  für  wünschenswerth 
hielt,  stiess  er  nach  der  Scheide  hin  durch  und  legte  eine  Jodoform¬ 
gazedrainage  an.  Dann  wurde  die  Bauchwunde  völlig  geschlossen,  bis 
auf  eine  kleine  Oeffnung,  durch  die  ein  D  i  1 1  e  l’sches  Knieheberrohr  in 
die  Blase  eingeführt  wurde. 

Der  Verlauf  war  günstig,  die  Heilung  ging  anstandslos  vor  sich. 
Doch  ging  die  durch  Alter  und  die  Krankheit  geschwächte  Patientin 
einige  Monate  nach  der  Operation  an  Herzschwäche  und  Marasmus 
zu  Grunde. 

Der  linke  Ureter  ist,  wie  an  dem  Sectionspräparat  zu  erkennen, 
fast  an  normaler  Stelle  in  die  Blasenwand  eingeheilt,  ferner  kann  man 
an  dem  bis  nahe  zur  Niere  aufgeschnittenen  Ureter  weder  ein  Zeichen 
einer  Stenose,  noch  irgend  welche  Dilatation  entdecken.  Drittens  er¬ 
scheint  bemerkenswert!!,  dass  der  Ureter  mit  einem  circa  6  —  7  mm 
langen  Stücke  in  das  Blasenlumen  vorragt,  ein  Umstand,  der  gewiss 
nur  zufällig  ist  und  dadurch  bedingt  ist,  dass  der  Ureter  bei  seiner 
Einpflanzung  vorsichtshalber  etwas  stärker  herabgezogen  worden  war. 

In  diesem  Falle,  der  schon  im  Jahre  1895  operirt  wurde,  zu 
einer  Zeit  also,  in  welcher  die  Literatur  der  Ureterenchirurgie  noch 
sehr  spärlich  war,  wurde  der  Typus  der  extraperitonealen  Operations¬ 
methode  gewahrt,  und  es  ist  vielleicht  der  erste  in  dieser  Weise  mit 
Erfolg  operirte  Fall;  in  dem  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  ein 
intra-extraperitoneales  Vorgehen,  wie  es  schon  durch  die  Sachlage 
geboten  war. 

Wertheim  exstirpirte  bei  der  30jährigen  Patientin  ein  mit 
dem  im  vierten  Monate  graviden  Uterus  innig  verwachsenes  linksseitiges 
Ovarialsarkom  von  eineinhalb  Faust  Grösse,  welches  derart  auf  das 
Colon  descendens  und  den  linken  Ureter  Übergriffen  hatte,  dass  von 
ersterem  ein  circa  10  cm  langes  Stück,  von  letzterem  ein  circa  7  cm 
langes  Stück  resecirt  werden  musste.  Wie  man  aus  den  verschiedenen, 
durch  das  Präparat  gelegten  Durchschnitten  ersieht,  wäre  es  ganz  un¬ 
möglich  gewesen,  den  Tumor  vom  Darme  oder  vom  Ureter  abzulösen; 
ja  letzterer  ist  von  der  Tumormassö  vollständig  obliterirt,  so  dass  das 
Lumen  aufgehoben  ist. 


Die  Darmnaht  hielt,  die  Uretereneinpflanzungsnaht  versagte.  Da 
wiederum  nach  der  Scheide  drainirt  und  die  Peritonealhöhle  sorgfältigst 
abgeschlossen  war,  resultirte  eine  Ureterenvaginalfistel,  mit  welcher 
Patientin  entlassen  wurde. 

Die  Ursache  für  das  Misslingen  der  Einpflanzung  ist  offenbar  in 
der  bedeutenden  Spannung  zu  suchen. 

Im  Anschlüsse  an  diese  beiden  Fälle  von  beabsichtigt  durchge¬ 
führter  Ureterenresection  mit  Implantation  in  die  Blase,  erwähnt  Wer  t- 
h  e  i  m  noch  eine  vor  wenigen  Monaten  erfolgreich  durchgeführte  vesicale 
Ureterenimplantation,  die  wegen  unversehentlicher  Verletzung  des  Ureters 
nöthig  war.  Es  handelte  sich  um  ein  enorm  grosses  intraligamentäres 
Myom.  Den  bei  der  Ausschälung  verletzten  Ureter  pflanzte  er  circa 
4  cm  höher  in  die  Blase  ein.  Wiederum  Drainage  nach  der  Vagina  und 
sorgfältige  Deckung  des  Ureters  und  der  Blase  mit  Peritoneum,  Heilung 
per  primam. 

Interessant  ist  nun  in  diesem  Falle  die  cystokopische  Beobachtung 
des  implantirten  Ureters.  Wie  im  ersten  Falle,  ragt  derselbe  stumpf¬ 
artig  in  die  Blase  vor,  und  an  diesem  Stumpf  kommt  nun  die  peri¬ 
staltische  Contraction  der  Ureterenmusculatur  in  höchst  auffälliger  Weise 
zur  Beobachtung:  nachdem  der  Urinstrahl  ausgepresst  ist,  verschliesst 
sich  das  Ostium  und  der  Stumpf  krümmt  sich  nun  ganz  zur  Seite,  sich 
innig  an  die  Blasenwand  anlegend.  Auch  scheint  dabei  trotz  des  Ver¬ 
lustes  des  Ureterensphinkters  ein  sphinkterenartiger  Schluss  einzutreten, 
eine  Beobachtung,  die  für  die  Möglichkeit  einer  aufsteigenden  Infection 
nicht  ohne  Belang  zu  sein  scheint. 

Zum  Schlüsse  erwähnt  Wortheim,  dass  ausser  diesen  bei 
frischer  Verletzung  ausgeführten  Einpflanzungen  des  Ureters  in  die 
Blase  auch  bei  verschiedenen  alten  Verletzungen  (sogenannten  Ureter 
fisteln)  die  Einpflanzung  ausgeführt  wurde,  sowohl  auf  vaginalem  als 
auf  abdominalem  Wege.  Diese  alten  Fälle  sind  ganz  anders  zu  be- 
urth eilen.  Hier  handelt  es  sich  um  narbiges,  manchmal  schwieliges 
Gewebe,  in  welchem  der  Ureter  völlig  eingeschlossen  sein  kann.  Er 
kann  nicht  immer  genügend  mobilisirt  werden,  und  da  die  Verletzung 
mitunter  recht  hoch  sitzt,  schliesslich  auch  die  Blase  (nach  Exstirpation 
grosser  intraligamentärer  Tumoren)  dabei  sehr  fixirt  und  derb  infiltrirt 
sein  kann,  gelingt  die  Näherung  der  beiden  Theile  (Ureter  und  Blase) 
nicht  jedes  Mal  ohne  bedeutende  Spannung.  Das  aber  gibt  eine  sehr 
schlechte  Prognose  für  die  Einheilung.  Solche  Fälle  sind  es,  für  welche 
nach  wie  vor  die  Nephrektomie  der  richtige  Eingriff  ist. 

Discussion:  1.  Fritsch:  Die  Diagnose  soll  bei  Ureteren- 
verletzung  stets  durch  die  Cystoskopie,  nicht  durch  Sondirung  gestellt 
werden.  Fritsch  hat  wiederholt  die  directe  Ureterennaht  mit  günstigem 
Erfolg  gemacht.  Später  hat  er  die  Witze  l’sclie  Operation,  zuletzt  die 
intraperitoneale  Einnähung  in  die  Blase  gemacht  und  über  die  Wunde 
das  Peritoneum  vernäht.  Im  Princip  ist  Fritsch  für  die  abdominale 
Operation,  bei  decrepiden,  schwachen  Personen  ist  jedoch  die  Nephrek¬ 
tomie  ungefährlicher. 

2.  A  mann  glaubt,  dass  das  extraperitoneale  Verfahren  für  die 
Zukunft  die  meiste  Aussicht  auf  Erfolg  habe.  Das  Narbengewebe, 
welches  die  Operation  erschweren  kann,  kann  man  bei  dem  extra¬ 
peritonealen  Verfahren  häufig  umgehen.  Den  Uterus  zu  exstirpiren 
hält  er  nicht  für  zweckmässig.  Bei  einer  Ureterencervicalfistel  operirte 
er  nach  W  i  t  z  e  1 ;  die  Frau  machte  nachher  eine  Geburt  ohne 
Schwierigkeit  durch. 

3.  Martin:  Die  Nierenexstirpation  hält  Martin,  falls  der 
Implantation  Schwierigkeiten  entgegenstehen,  für  berechtigt. 

* 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  B  e  n  d  i  x  (Berlin). 

I.  Sitzung:  Montag  den  18.  September  1899. 

IV.  Dr.  K.  Oppenheimer  (München) :  Ueb er  d  i  e  Pasten- 
risirung  der  M  i  1  c  h  zum  Zwecke  der  Säuglingser¬ 
nähr  u  n  g. 

Verfasser  wurde  durch  Solo  min’s  Arbeit  aus  dem  Jahre  1896 
darauf  aufmerksam,  dass  bei  einer  Erhitzung  der  Milch  auf  80"  und 
mehr  bereits  eingreifende  chemische  Veränderungen  (Ausscheidung  der 
Eiweisskörper)  vor  sich  gehen. 

Um  diese  Schädigungen  bei  der  Herstellung  der  Kindermilch  zu 
vermeiden,  stellte  sich  Verfasser  die  Aufgabe,  die  Ursache  der  chemi¬ 
schen  Veränderungen,  das  heisst  das  übermässige  Erhitzen  der  Milch, 
zu  vermeiden  und  trotzdem  eine  genügend  lange  Haltbarkeit  zu 
erzielen. 

Das  Resultat  seiner  dreijährigen  Versuche  auf  diesem  Gebiete 
fasst  er  zusammen  in  dem  Satz: 

,.Eine  halbstündige  Erhitzung  der  Milch  auf  70"  mit  darnach 
folgender  tüchtiger  Abkühlung  genügt,  um  die  Milch  für  mindestens 
zwei  Tage  haltbar  zu  machen.“ 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Bezüglich  der  Abtödtung  der  pathogenen  Keime,  speciell  des 
Tuberkelbaeillus,  in  der  so  bereiteten,  das  heisst  pasteurisirten  Milch 
stützt  sich  Verfasser  auf  die  Versuche  von  Bi  tier  und  De  Man, 
ans  denen  hervorgeht,  dass  der  Tuberkelbacillus  bei  halbstündiger 
Einwirkung  einer  Temperatur  von  68 — 69°  mit  Sicherheit  ver¬ 
nichtet  wird. 

Um  die,  in  seinem  weiter  unten  zu  beschreibenden  Pasteurisir- 
apparate  bereitete  Milch  noch  speciell  auf  ihre  Tuberkelfreiheit  zu 
prüfen,  stellte  Verfasser  im  pathologischen  Institute  zu  München  Ver¬ 
suche  an,  welche  zeigten,  dass  der  Apparat  in  dieser  Beziehung  völlige 
Sicherheit  bietet.  Drei  Versuchsthiere,  denen  eine,  mit  einer  reichlichen 
Tuberkelcultur  inficirte  und  dann  pasteurisirte  Milch  injicirt  worden 
war,  wiesen  nach  sechs  Wochen  keinerlei  tuberculöse  Erscheinungen 
auf,  während  die  drei  Controlthiere,  denen  man  die  gleiche  Menge  einer 
ebenso  infieirten  Rohmilch  injicirt  hatte,  deutlich  erkennbare  Tuber- 
culose  der  Leber  und  Milz  zeigten. 

Der  Apparat,  welcher  zum  Pasteurisiren  im  Hause  bestimmt  ist, 
besteht  aus  einem  Wasserbehälter  mit  doppelter  Wandung,  deren 
Zwischenraum  mit  Asbest  ausgefüllt  ist.  Durch  den  Deckel  ragt  ein 
Thermometer,  welches  in  das  Wasserbad  eintaucht  und  dessen  Tempe¬ 
ratur  anzeigt.  In  den  Wasserbehälter  wird  ein  Flascheneinsatz  mit  acht 
Milchfläschchen  gestellt.  Zum  Gebrauch  wird  der  Wasserbehälter  bis 
zur  Höhe  der  Milchsäule  in  den  Flaschen  mit  kaltem  Wasser  gefüllt 
und  verschlossen  auf  ein  gelindes  Feuer  gestellt.  Sobald  das  Thermo¬ 
meter  auf  75°  zeigt,  wird  der  Apparat  vom  Feuer  genommen  und  in 
der  Nähe  des  Herdes  niedergestellt. 

Nach  einer  halben  Stunde  wird  der  Deckel  geöffnet,  die  Flaschen 
werden  tüchtig  gekühlt  und  kalt  aufbewahrt,  am  Besten  im  Eisschrank. 
In  Familien  welche  keinen  Eisschrank  besitzen,  lässt  Verfasser  die 
M'lch  in  oft  zu  erneuerndem  Brunnenwasser  aufbewahren. 

Mit  der,  in  dem  eben  beschriebenen  Apparate  im  Hause 
bereiteten  Milch  wurden  zehn  Säuglinge  aufgezogen.  Neun  gediehen 
trefflich  und  ohne  jede  Störung;  das  zehnte  starb  an  einer  cerebralen 
Erkrankung.  32  Kinder  wurden  mit  einer  im  Grossbetriebe  pasteuri¬ 
sirten  Milch  ernährt;  hier  waren  die  Resultate  im  Winter  günstig,  im 
Sommer  dagegen  traten  bei  verschiedenen  Kindern  Darmstörungen  auf. 
Als  Verfasser  daraufhin  die  Milch  im  Grossbetriebe  sterilisiren 
liess,  blieben  die  Verhältnisse  genau  die  gleichen,  das  heisst,  es  kamen 
auch  jetzt  mehrere  theils  leichte,  theils  schwere  Darmerkrankungen  zur 
Beobachtung. 

Verfasser  misst  weder  dem  Pasteurisiren  noch  dem  Sterilisiren 
an  und  für  sich  die  Schuld  an  diesen  ungünstigen  Resultaten  bei,  son¬ 
dern  glaubt,  die  mangelhafte  Ausführung  verantwortlich  machen  zu 
müssen,  welche  beide  Methoden  im  Grossbetriebe  erfuhren. 

Zum  Schlüsse  empfiehlt  der  Vortragende,  statt  des  jetzt 
üblichen  Sterilisirens  das  Pasteurisiren  in  die  Praxis  einzuführen,  da 
die  pasteurisirte  Milch  bei  genügender  Haltbarkeit  chemisch  weit 
weniger  verändert,  daher  bekömmlicher  und  wohlschmeckender  sei  als 
die  sterilisirte. 

Discussion  zu  dem  Vortrage  Oppenheime  r’s. 

1.  Biedert  (Hagenau)  weiss  durch  persönliche  Mittheilung, 
dass  von  Forster  in  Amsterdam  bereits  seit  Langem  die  Pasteu¬ 
risation  der  Milch  im  Grossen  durchgeführt  wird.  Biedert  fragt  den 
Vortragenden,  ob  ihm  hierüber  günstigere  Resultate  gegenüber  der  ge¬ 
kochten  Milch  bekannt  sind.  Biedert  selbst  scheinen  die  Nachtheile 
gekochter  Milch  noch  nicht  genügend  bewiesen  zu  sein.  Biedert 
weist  darauf  hin,  dass  man  auch  in  der  Butterindustrie  die  Pasteu¬ 
risation  verwendet  aber  man  traue  dem  pasteurisirten  Rahm  nicht 
ganz,  da  Bacterium  coli  und  Proteus  nicht  vernichtet  und  daher  Rahm 
und  Butter  verderben  könnten.  Immerhin  hält  Biedert  den  von 
Oppenheimer  angegebenen  Apparat  für  nützlich,  weil  dadurch  dem 
Einzelnen  Versuche  damit  ermöglicht  würden. 

2.  Sonnenberger  (Worms)  legt  den  Hauptwerth  für  die 
Gewinnung  einer  guten  Milch  auf  die  Fütterung  der  Kühe,  es  kommt 
sehr  darauf  au,  dass  durch  das  Futter  keine  toxischen  Stoffe  in  die 
Milch  hineingelangen.  Redner  fragt  daher  den  Herrn  Vortragenden,  ob 
nicht  etwa  die  beobachteten  Brechdurcb fälle  mit  einer  Aenderung  in 
der  I  ütterung  Zusammenhängen,  was  jedoch  Oppenheimer 
negiren  kann. 

Y.  Ca  merer  sen.  (Urach)  gibt  für  den  ausfallenden  Vortrag 
des  Herrn  Ritter  (Berlin):  Der  Urin  des  Säuglings,  einige 
Zahlen  von  drei  Kinderharnen. 

Der  relative  Gehalt  des  Säuglingsurins  an  C  und  II  nimmt  mit 
der  Zeit  der  Lactation  ab.  (Siehe  nebenstehende  Tabelle.) 

VI.  Georg  Mell  in  (Helsingfors  in  Finnland):  Ueber  die 
Virulenz  des  aus  Kiuderstühlen  gewonnenen  Bac¬ 
terium  coli  commune. 

Der  Referent  hat  aus  22  verschiedenen  Kinderstühlen  Bacterium 
coli  commune  isolirt,  und  zwar  aus  21  Fällen  von  acuten  Gastro¬ 


C 

H 

I 

N  =  1  gesetzt 

(R  u  b  n  e  r  u.  H  e  u  b  n  e  r)  neun 
Wochen . 

(Camerer  u.  Söldner)  .  .  J 

1-27 

1-20 

100 

0-27 

0-21 

Muttermilchnahrung 

Erwachsener  —  gemischte  \ 

Kost  (nach  V  o  i  t)  / 

0-72 

0T5 

enteritiden  und  einmal  aus  den  Entleerungen  eines  gesunden  Kindes. 
Von  diesem  rein  gezüchteten  verschiedenen  Bacterium  coli  wurde  eine 
bestimmte  Menge  von  einer  24  Stunden  alten  Bouilloncultur  je  einem 
Kaninchen  oder  Meerschweinchen  intraperitoneal  injicirt,  und  zwar 
jedes  Mal  1  cm*  auf  circa  1  hg  Körpergewicht. 

Die  Thiere  reagirten  auf  diese  Einspritzungen  sehr  verschieden: 

1.  Die  Thiere  starben  schon  nach  weniger  als  zwölf  Stunden, 
ohne  dass  eine  Verletzung  bei  den  Einspritzungen  bei  der  Section  sich 
ergab  (vier  Fälle). 

2.  Die  Thiere  erlagen  nach  zwei  bis  drei  Tagen  (fünf  Fälle). 

3.  Die  Thiere  starben  erst  nach  einer  Kraukheitsdauer  von  mehr 
als  einer  Woche  (drei  Fälle). 

4.  Die  Thiere  zeigten  wohl  die  ersten  Tage  Krankheitssymptome, 
wie  Fieber,  Appetitlosigkeit,  Unbeweglichkeit  u.  s.  w.,  aber  bald  er¬ 
holten  sie  sich  wieder,  wurden  mobil,  nahmen  an  Gewicht  zu  und 
schienen  vollständig  gesund  (zehn  Fälle). 

In  den  zu  der  ersten  Reihe  gehörigen  Fällen  ergab  die 
Section  makroskopisch  kaum  etwas  Abnormes.  Mit  Hilfe  des  Mikro¬ 
skops  könnte  Bacterium  coli  schon  vier  Stunden  nach  der  Injection 
im  Herzblut  constatirt  und  daraus  rein  gezüchtet  werden. 

In  den  zum  Punkte  2  gehörigen  Fällen  zeigte  die  Section  ein 
spärliches  seröses  Exsudat  in  der  Pleura-  und  Pericardial-,  etwas 
reichlicheres  in  der  Bauchhöhle,  mit  ab  und  zu  beginnender  Verklebung 
der  mässig  aufgeblähten  Därme.  Die  Milz  erschien  mässig  geschwollen, 
die  Darmschleimhaut  ganz  oder  theilweise  injicirt  und  die  Peyer’schen 
Plaques  ebenso  geschwollen.  Bacterium  coli  konnte  in  allen  Fällen 
aus  dem  Herzblute,  oft  auch  aus  der  Urinblase,  der  Milz  und  den 
Nieren  rein  gezüchtet  werden. 

Bei  den  zum  Momente  3  gehörigen  Fällen  ergab  die  Section 
grössere  Veränderungen.  Auch  hier  bestand  ein  spärliches  seröses 
Exsudat  in  der  Pleura-  und  der  Pericardialhöhle.  ln  der  Bauchhöhle 
wurde  einmal  eine  schwere  Peritonitis  mit  abgekapselten  Eiterherden 
gefunden,  in  den  anderen  Fällen  eine  beginnende  adhäsive  Peritonitis 
ohne  Eiter.  Die  Milz  war  stark  geschwollen,  die  Darmschleimhaut 
injicirt,  die  Peyer’schen  Plaques  auch  geschwollen.  In  dem  Falle 
von  der  eiterigen  Peritonitis  konnte  Bacterium  coli  aus  der  Bauch¬ 
höhle,  dem  Herzblute,  der  Milz,  den  Tubae  fallopiae  rein  gezüchtet 
werden.  In  den  anderen  Fällen  waren  keine  Mikroorganismen  an  den¬ 
selben  Stellen  zu  finden. 

Die  zum  4.  Punkte  gehörigen  Thiere  leben  noch,  nachdem 
sie  ihre  Krankheit  überwunden  haben  und  nehmen  fortdauernd  an 
Gewicht  zu. 

Bei  der  Einspritzung  von  sogar  relativ  grösseren  Mengen  von 
dem  aus  gesundem  Darme  stammenden  Bacterium  coli  zeigte  das 
Versuchsthier  keine  Krankheitssymptome. 

Aus  diesen  Versuchen  geht  also  hervor,  dass  das  Bacterium  coli 
unter  Umständen  eine  ausserordentliche  Virulenz  erlangen  kann,  aber 
auch,  dass  die  Virulenz  in  grossen  Breiten  schwankt.  Neben  einer 
Giftwirkung,  welche  ein  Thier  in  wenigen  Stunden  zu  Grunde  richtet, 
steht  eine  solche,  welche  die  Gesundheit  der  Thiere  energisch  erschüttert, 
um  dann  das  Thier  wieder  zur  vollen  Gesundung  gelangen  zu  lassen. 
—  Dabei  kann  man  nicht  behaupten,  dass  die  Schwere  der  Erkrankung 
mit  der  Giftwirkung  des  Bacterium  coli  in  Correspondenz  stände. 
Leichtere  Erkrankungsfälle  ergaben  giftigere  Keime,  als  schwerere. 

Bemerkt  muss  aber  auch  werden,  dass  das  aus  gesundem 
Darme  stammende  Bacterium  coli  nicht  pathogen  war.  Doch  müssten 
mehrere  ähnliche  Fälle  erst  beobachtet  werden,  ehe  man  ein  zu¬ 
verlässiges  Resultat  in  dieser  Hinsicht  erreichen  kann. 

Dabei  war  es  vom  höchsten  Interesse,  zu  beobachten,  dass  alle 
die  Alfectionen,  Cystitiden,  Tympania  abdominis  et  uteri  u.  s.  w.,  die 
bisher  in  der  Literatur  als  menschliche  Erkrankungen  durch  Bacterium 
coli  hervorgerufen,  angegeben  worden  sind,  auch  bei  unseren  Versuchs- 
thieren  beobachtet  wurden. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumiiller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  16. 


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allen  septischen  Erkrankungen  (reinen  und  gemischten),  bei 
infectiösen  Magen-  und  Darmerkrankungen,  sowie  bei  den 
Leiden  des  Nervensystems,  wo  Arg.  nitr.  angezeigt  ist.  (An¬ 
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Leber¬ 

beschwerde. 


Antisepsis 

des 

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tractu8. 


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während  der 
Gravidität 
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Chole¬ 

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rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (Kl.  Laffont,  Bulletin  de  l’Academie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Socidte  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul;  Dujardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  Purgatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305;  Tison,  Hop'tal 
St. -Joseph  und  Congrbs  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ;  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

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General-Vertretung:  St.  Leonhards-Apotheke,  Basel. 

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mit  einem  jährlichen  Bezüge  von  1200  K  ab  1.  Juni  1900  zu  besetzen.  Demselben  ob¬ 
liegt  im  Vereine  mit  dem  Hilfsarzte  täglich  eine  zweimalige  Visite.  Bewerber  wollen 
ihre  mit  den  üblichen  Documenten  versehenen  Gesuche  bis  15.  Mai  d.  J.  an  den 
Verein  zur  Pflege  kranker  Studirender,  I.  Universität,  Stiege  9,  richten. 


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öffnung  eines  neuen  Curhauses,  1898  Eröffnung  des  neuen  Festsaales.  Eröffnung  einer 
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L’Indep.  med.  21  Juin  1899:  Dr.  Lefort  Etude 
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Münch.  Medic.  Woch.  1899,  Nr.  1.  Hofrath  Prof. 
Dr.  Fleiner:  »Ueber  Chloralbacid  und  seine 
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Dr.  C.  Longard:  »Ueber  den  Werth  des  Amylo- 
forms  in  der  Chirurgie«.  (Therap.  Monatshefte.) 
Münch.  Med.  Woch.  1899.  Nr. 12:  Dr.Heddaeus, 
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M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  KrafFt-Ebing,  I.  Neumann’ 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  26.  April  1900.  Nr.  17. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  and  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
nnd  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
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mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  NonpareiUe- 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Uoberein- 
kommen. 


Verlagshandlung : 
Telephon  Nr.  6004. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilian  platz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  nnd  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditärsyphi¬ 
litischen.  Von  Prof.  E.  Finger. 

2.  Aus  dem  Kronprinz  Rudolf-Spitale.  Der  Darmkrebs  im  Kindes¬ 
alter.  Von  Dr.  Zuppinger, 


II.  Referate:  Die  Krankheiten  der  Milz  und  die  hämorrhagischen  Dia- 
thesen.  Von  Prof.  Dr.  M.  Litten.  Ref.  Schmidt. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Ueber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditär 

syphilitischen. 

Von  Prof.  £.  Finger. 

Referat,  über  Ersuchen  des  Organisationscomites  erstattet  für  den  IV.  inter¬ 
nationalen  Congress  für  Dermatologie  und  Syphilidologie  in  Paris  vom 

2. — 9.  August  1900. 

Wenn  ich  der  sehr  ehrenden  Einladung  des  Organisations¬ 
comites  für  den  IV.  internationalen  Congress  für  Dermatologie 
und  Syphilis  Folge  leiste  und  über  das  Thema:  »Die  Nach¬ 
kommenschaft  der  Hereditärsyphilitischen«  Be¬ 
richt  erstatte,  so  geschieht  dies  nicht  ohne  Zagen.  Müssen  wir 
auf  der  einen  Seite  dem  Organisationscomite  unseren  herz¬ 
lichen  Dank  sagen,  dass  es  die  Anregung  gab,  eine  so 
wichtige,  nicht  nur  hygienisch,  sondern  social  bedeutungsvolle 
Frage  zu  discutiren,  so  müssen  wir  auf  der  anderen  Seite  zu¬ 
geben,  dass  die  Discussion  über  dieses  ernste  Thema  eine  sehr 
schwierige  ist,  indem  bisher  nur  eine  relativ  kleine  Zahl  und  da 
oft  nicht  einwandfreier  Beobachtungen  vorliegt.  Es  ist  ja  auch 
naturgemäss,  dass  solche  Beobachtungen  nur  in  kleiner  Zahl 
vorliegen  können,  sind  doch  die  Schwierigkeiten,  die  dem 
Arzte,  dem  Forscher  sich  hier  entgegenstellen,  riesig  gross. 
Die  Nachkommenschaft  Hereditärsypbilitischer  studiren,  fest¬ 
stellen,  ob  und  welche  Veränderungen  bei  denselben  die  durch 
mehrere  Generationen  vererbte  Krankheit  bedingte,  heisst  für 
uns  mindestens  drei  Generationen  überblicken,  deren  Krank¬ 
heit,  deren  Verlauf  deren  Acquisitionsweise  zweifellos  eruiren, 
die  Aesserungen  der  Krankheit  fixiren ;  wie  schwer  ist  dieses 
aber.  Nur  wenig  Aerzten  ist  es  gegönnt,  während  einer  langen 
Ihätigkeit  Grossvater  und  Enkel  in  der  Ordinationsstunde  zu 
sehen,  und  so  sind  wir  meist  auf  Anamnese  angewiesen,  und 
wie  trügerisch  und  unverlässlich  diese  bei  Syphilis  gerade  ist, 
wissen  wir  ja.  Wie  selten  gelingt  es  uns,  nur  aus  der  Anamnese 
zweifellos  festzustellen,  dass  die  •  Eltern  eines  Patienten  an 
Syphilis  litten.  Werden  sonst  die  Leiden  und  Krankheiten  der 
Eltern  am  häuslichen  Herde  offen  besprochen,  tauchen  sie  nach 
Jahren  als  Reminiscenzen  schwerer  Tage  wieder  auf  und  ge¬ 
langen  so  zur  Kenntniss  der  Kinder,  so  ist  das  bei  Syphilis 
ganz  anders.  Der  Vater  hütet  sich  wohl,  von  den  galanten 


Abenteuern  seines  Junggesellenlebens  und  deren  Folgen,  von 
den  in  der  Ehe  gemachten  Seitensprüngen  vor  seiner  Familie 
zu  sprechen;  da  ist  er  der  Tugendheld  und  geneigt,  auf  jeden 
leichtfertigen  Jüngling  den  Stein  zu  werfen,  jeden  Syphilitischen 
zu  verdammen.  Wird  die  Frau,  die  Mutter,  inficirt,  so  weiss 
sie  ja  meist  von  ihrer  Erkrankung  nichts,  der  vom  Manne  ein- 
geweihte  Hausarzt  muss  im  Gegentheile  mithelfen,  die  Frau 
zu  hintergehen  und  über  die  wahre  Ursache  ihres  Leidens 
hinüberzutäuschen.  Die  Kinder  erfahren  also  von  der  syphiliti¬ 
schen  Erkrankung  ihrer  Eltern  nur  selten,  nur  durch  einen 
Zufall  etwa.  Ja,  selbst  in  jenen  Fällen,  in  denen  die  Er¬ 
krankung  der  Eltern  sich  durch  Vererbung  auf  ihre  nächsten 
Nachkommen  übertrug,  erfahren  die  Kinder  meist  nichts  davon, 
ihre  Erkrankung  wird  ihnen  als  von  einer  Amme,  einem  Kinds¬ 
mädchen  acquirirt  geschildert,  die  hereditäre  Lues  denselben 
als  eine  in  frühester  Kindheit  acquirirte  Erkrankung  dar¬ 
gestellt.  Zahlreiche  Hereditärsyphilitische  wissen  also  nicht, 
dass  sie  an  ererbter  Syphilis  leiden,  was  für  uns  bei  Aufnahme 
anamnestischer  Daten  umso  bedauerlicher  ist,  als  wir  bei  einem 
an  veralteter  Lues  leidenden  erwachsenen  Individuum  oft  ab¬ 
solut  keine  Anhaltspunkte  haben,  zu  entscheiden,  ob  hereditäre 
oder  in  frühester  Jugend  acquirirte  Lues  vorliegt.  Der  Streit 
über  die  sogenannte  Lues  hereditaria  tarda  beweist  dieses  ja. 

Wenn  nun  aber  die  Eltern  ihre  acquirirte  Syphilis  ver¬ 
heimlichen  oder  dissimuliren,  deren  Kinder  von  der  Syphilis 
der  Eltern  meist  keine  Kenntniss  haben,  selbst  wenn  sie  an 
hereditär-luetischen  Symptomen  leiden,  von  der  Thatsache  der 
Ererbung  der  Syphilis  keine  Ahnung  haben,  wie  soll  die  dritte 
Generation  über  die  acquirirte  Syphilis  der  ersten,  die  ererbte 
Syphilis  der  zweiten  Generation  eine  solche  genaue  Kenntniss 
haben,  dass  deren  Bericht  für  unsere  wissenschaftliche  Nach¬ 
forschung  nur  halbwegs  brauchbar  wäre?  Andererseits  kommt 
aber  auch  das  Entgegengesetzte  vor,  dass  insbesondere  Väter 
hereditär-syphilitischer  Kinder  vom  Arzte  wegen  acquirirter 
Syphilis  inquirirt  und  in  die  Enge  getrieben,  sich  als  un¬ 
schuldige  Opfer  hereditärer  Syphilis  hinstellen  wollen.  »Sie 
können  mir  es  glauben,  Herr  Doctor,  ich  war  nie  krank,  ich 
habe  nie  etwas,  selbst  nicht  den  kleinsten  Tripper  gehabt, 
aber  mein  Vater,  Gott  hab’  ihn  selig!  soll  ein  flottes  Jung- 


384 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Vr.  17 


gesellenleben  geführt  und  an  galanten  Krankheiten  gelitten 
haben;  kann  die  Krankheit  meines  Kindes  nicht  noch  aus 
dieser  Quelle  stammen?«  ist  eine  Frage,  die  wir  nicht  selten 
zu  hören  bekommen.  Anderweitige,  für  die  Anamnese  als 
unterstützende  Momente  dienende  Angaben  sind  meist  ebenso 
schwer  verlässlich  und  lückenlos  zu  erhalten.  Wie  selten  weiss 
die  zweite  Generation  darüber  Auskunft  zu  geben,  ob  in  der 
ersten  Generation  Abortus,  Frühgeburten,  Todtgeburten  etc. 
vorkamen.  AI  it  dieser  Un  Verlässlichkeit  der  Angaben  hängt  es 
zusammen,  dass  in  früheren  Zeiten  eine  Vererbung  der  Syphilis 
in  mehreren  Generationen  wohl  im  Allgemeinen  behauptet, 
aber  nicht  erwiesen  wurde.  So  spricht  van  Helm  on  t  von 
einer  Vererbung  der  Syphilis  bis  in  die  vierte  Generation, 
Sanchez  erklärt  aus  seiner  60jährigen  Erfahrung,  dass  es 
täglich  geschehe,  dass  sich  die  Syphilis  bis  in  das  vierte  und 
achte  Glied  forterbe.  Gir  tanner  erklärt  diese  Vererbung 
für  möglich,  R  a  u  1  i  n,  Beyer,  P  o  1 1  o  n  behaupten,  dass  sich 
die  Syphilis  bis  auf  die  dritte  Generation  erstrecken  könne, 
Rosen  hebt  hervor,  die  Kinder  der  Syphilitischen  seien  klein 
und  schwächlich,  zeugen  ähnliche  Kinder,  so  dass  auf  diese 
Weise  eine  ganze  Bevölkerung  ausarten  könne;  eine  ähnliche 
Ansicht  spricht  F  a  b  r  e  aus ,  und  Par  en  t-Duch  atel 
meint,  die  Syphilis  tödte  den  Befallenen  zwar  nicht  sofort,  aber 
die  Zahl  ihrer  Opfer  sei  doch  gross;  macht  sie  den  Befallenen 
nicht  steril,  so  stellen  doch  dessen  Nachkommen  eine  ver¬ 
kümmerte  Race  (race  abätardie)  dar,  ungeeignet  zu  bürger¬ 
licher  Beschäftigung,  wie  zum  Militärdienst,  eine  Last  für  die 
Gesellschaft. 

Diese  Ansichten  sind  ganz  allgemein  gehalten  und  wir  sind 
nicht  in  der  Lage,  die  Beweise,  jen*  Momente,  die  zu  diesen 
Ansichten  führten,  zu  prüfen.  In  den  letzten  Decennien  nun 
ist  diese  Frage  in  concreterer  Form  wieder  aufgeworfen 
worden  und  nicht  Avenig  casuistische  Arbeiten  wurden  publicirt. 
Insbesondere  aber  sind  hervorzuheben  die  Arbeiten  unserer 
verdienstvollen  französischen  Collegen  A.  und  E.  Fournier, 
Barthelemy,  Jullien  und  Anderer,  die  sehr  werthvolles 
Material  zusammentrugen  und  mit  denen  wir  uns  im  Fol¬ 
genden  zu  beschäftigen  haben  werden. 

Die  acquirirte  Syphilis  der  Eltern  kann  der  allgemein 
geltenden  Ansicht  nach  bei  ihren  directen  Nachkommen, 
ihren  Kindern,  in  verschiedener  Form  sich  äussern.  Sie  kann 
direct  als  Syphilis  übergehen;  die  Kinder  leiden  an  echter, 
ererbter,  zu  Zeiten  contagiöser  Syphilis.  Doch  dieses  ist  nicht 
unbedingt  nöthig.  ja  es  findet  nur  in  der  Minderzahl  der 
Fälle  statt.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  bleiben  die  Kinder 
gesund.  Diesen  gesunden  Kindern  wird  eine  gewisse  absolute 
oder  relative  Immunität  zugeschrieben,  mit  der  wir  uns  werden 
zu  beschäftigen  haben.  Schon  die  hereditär-syphilitischen 
Kinder  bieten  neben  den  Symptomen  echter  Syphilis  Erschei¬ 
nungen  anderer  Art  dar,  verschiedene  Formen  von  Ernährungs¬ 
störungen  und  EntAvicklungshemmungen.  Welk,  zart,  greisen¬ 
haft  bei  der  Geburt,  bleiben  sie  schlecht  genährt,  im  Wachs- 
tlmm  zurück,  lernen  spät  gehen  und  sprechen,  die  Entwick¬ 
lung  der  Zähne  und  Haare  ist  ungenügend,  die  Geschlechts¬ 
reife  tritt  zögernd  und  ungenügend  ein,  Ernährungsstörungen 
verschiedener  Art,  gewisse  charakteristische  Erkrankungen, 
Avie  die  von  Silex  wieder  aufgenommene  Hutchinso  n- 
seke  Trias  treten  auf,  Erscheinungen  auf  deren  Details  ich  ja 
an  diesem  Orte  nicht  näher  einzugehen  brauche.  Diese  selben 
Erscheinungen  vererben  sich  aber  auch  selbstständig,  unab¬ 
hängig  von  Vererbung  der  Syphilis  als  solcher. 

Die  echte  hereditäre  Lues  ist  auf  den  Uebergang  des 
uns  leider  noch  immer  nicht  bekannten  Virus  von  Eltern  auf 
die  Kinder  zurückzuführen,  die  Immunität  ist  auf  den  Ueber¬ 
gang  immun isirender  Substanzen  von  Eltern  zum  Kinde,  oder 
auf  die  Anregung  der  Production  solcher  im  kindlichen  Or¬ 
ganismus  zurückzuleiten,  so  die  letzte  Reihe  der  »dystrophi¬ 
schen«  Störungen  ist  auf  eine  Alteration,  eine  »Depravation« 
von  Sperma  und  Ovulum  zu  beziehen,  die  durch  die  vom 

gt  wird.  So  Avenigstens 
habe  ich  in  meinem  Aufsatze  »Die  Syphilis  als  Bacterien- 
krankheit«  und  insbesondere  in  meiner  Bearbeitung  von 
A.  Fourniers  »Heredite  syphilitique«  diese  ganze  Erschei¬ 


Syphilisvirus  producirten  Toxine  bedin 


nungsreihe  gedeutet.  Die  Experimente  von  Char  rin,  Gley, 
Fern  etc.  haben  diese  Auffassung  durch  Analogien  gestützt 
und  die  französischen  Bearbeiter  dieser  Fragen  haben  dieselbe 
Auffassung  aeceptirt.  Wollen  wir  also  die  Einwirkung  der 
Syphilis  auf  die  weiteren  Generationen  studiren,  so  müssen 
Avir  diese  drei  Aeusserungen  der  Syphilis  trennen  und  stu¬ 
diren.  ob  1.  das  syphilitische  Virus,  2.  die  toxischen  syphili¬ 
tischen  Dystrophien,  3.  die  Immunität  gegen  Syphilisinfection 
als  absolute  und  relative  sich  in  Generationen  vererben. 

I.  Was  die  erste  Frage,  die  Vererbung  d  ex- 
echten  Syphilis  in  Generationen  betrifft,  so  sind 
allerdings  bereits  eine  Reihe  casuistischer  Mittheilungen  be¬ 
kannt,  die  diese  Vererbung  zu  beweisen  trachten.  Was  das 
Formale  betrifft,  so  sind  diese  Publicationen  unter  verschiedenen, 
zum  Theile  nicht  dem  Sachlichen  entsprechenden  Titeln  ange¬ 
führt.  Wenn  in  einer  Familie  die  erste  Generation  an  aquirirter, 
die  zweite  an  ererbter  und  die  dritte  an  ererbter  Syphylis 
leidet,  so  handelt  es  sich  um  Syphilis  in  drei  auf¬ 
einander  folgenden  Generationen,  aber  nur  um 
Vererbung  der  Syphilis  auf  die  zAveite  Genera¬ 
tion,  da  ja  der  Process  der  Vererbung  nur  zweimal,  von  der 
ersten  auf  die  zweite,  von  der  zweiten  auf  die  dritte  Genera¬ 
tion  stattfand,  nur  die  zAveite  und  dritte  Generation  an  Erb¬ 
syphilis  leidet,  die  erste  ja  acquirirte  Syphilis  darbot.  Die  hie 
und  da  beliebte  Bezeichnung  solcher  Fälle  als  Vererbung  auf 
die  dritte  Generation  ist  also  logisch  nicht  ganz  gerechtfertigt, 
und  es  wäre  wünschenswerth,  diese  Fälle  einheitlich  als  Ver¬ 
erbung  der  Syphilis  auf  die  zweite  Generation 
zu  bezeichnen,  und  damit  zu  kennzeichnen,  dass  der  Process 
der  Vererbung  zweimal  stattfand. 

Was  das  Sachliche  betrifft,  so  wird  die  theoretische 
Möglichkeit  des  Statthndens  eines  solchen  Vorganges  von  den 
neueren  Autoren  wohl  ausnahmslos  zugegeben.  Avenn  auch  als 
eine  Seltenheit,  und  zwar  deshalb  zugegeben,  Aveil  es  bekannt  ist, 
dass  bei  acquirirter  Syphilis  die  V  er  e r  b u  n  g  d  e  r  s  e  1  b  en,  Avie 
Fälle  von  Campbell,  Henoch,  Weil  etc.  beweisen,  noch 
lange  Zeit  nach  der  Infection,  12,15,  selbst  2  0  J ahre 
nach  derselben  erfolgen  könne.  An  diese  Erfahrung 
schliesst  sich  die  logische  Folgerung  an,  dass  auch  ein  Indivi¬ 
duum,  das  seine  Syphilis  bei  der  Zeugung  acquirirte,  dieselbe 
noch  nach  20  Jahren  vererben  könne,  also  besonders  für  das 
Aveibliche  Geschlecht  die  Möglichkeit  vorliege,  dass  eine  mit 
Erbsyphilis  geborene  Fx-au  in  ihrem  18.,  20.  Lebensjahre 
ihrerseits  Kinder  mit  von  ihr  Aveitei-geerbter  Syphilis  gebären 
könne.  Als  der  crasseste  dieser  Fälle  ATon  Vererbung  der 
Syphilis  mit  langer  Frist  gilt  der  Fall  von  Bo  e  ck  (Erfahrun- 
gen  über  Syphilis.  1876)  eine  Frau  betreffend,  die  im  Alter 
von  zehn  Jahren  von  Bo  eck  Avegen  acquirirter  Syphilis  be¬ 
handelt  wurde,  später  zAvei  tertiäre  Recidiven  hatte  und  dann 
heiratete.  Diese  Frau  hatte  nun  fünf  Kinder,  deren  erstes 
gesund  Avar  und,  zwei  Jahre  alt,  an  unbekannter  Krankheit 
starb,  deren  zweites,  drittes,  viertes  gesund  waren  und  von 
einem  Dienstmädchen  mit  Syphilis  inticirt  wurden,  während 
das  fünfte  Kind,  zehn  Jahre  nach  dem  vierten  geboren,  als 
die  Frau  47  Jahre  alt  Avar,  Erscheinungen  hereditärer  Syphilis 
darbot.  Der  Vater  hat  »aller  Wahrscheinlichkeit  nach?  keine 
constitutionelle  Syphilis  gehabt,  es  hätte  also  die  Mutter 
37  Jahre  nach  der  eigenen  Infection  ihre  Syphilis  noch  vererbt, 
vererbt  nachdem  sie  vorher  vier  ganz  gesunde  Kindei-,  von  denen 
drei  sich  mit  Syphilis  inficirten,  geboren  hatte.  Der  Fall  er¬ 
scheint  mir  nicht  absolut  einwandfrei  und  wäre  wohl  die 
hereditäre  Syphilis  des  letzten  Kindes  dadurch  zu  erklären, 
dass  der  Mann  sich  in  dem  Intervalle  von  zehn  Jahren,  das 
zwischen  der  Geburt  des  vorletzten  und  letzten  Kindes  lag, 
mit  Syphilis  inticirte,  Avas  um  so  wahrscheinlicher  ist,  als  die 
Angaben  B  o  e  c  k’s  über  den  Gesundheitszustand  des  Mannes 
doch  reservirt  lauten,  oder  dass  der  Mann  nicht  der  Vater  des 
Kindes  war. 

Als  weiterer  Stützpunkt  für  die  Möglichkeit  der  Vei'- 
erbung  der  Syphilis  auf  die  zweite  Genei-ation  Aväre  geltend 
zu  machen,  dass  die  hereditäre  Syphilis  lange  Zeit 
contagiös  bleiben  könne.  So  führt  Lee  (Lectures  on 
Syphilis.  1875)  einen  Fall  an,  einen  Mann  betreffend,  der  an 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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hereditärer  Syphilis  litt  und  seine  Frau  bald  nach  der  Ehe¬ 
schliessung  mit  Syphilis  inficirte. 

Da  nun  aber  solche  Fälle  von  Vererbung 
und  Contagiosität  der  Syphilis  mit  1  a  n  g  e  r  F  r  i  s  t, 
wenn  auch  als  extreme  Seltenheit,  v  o  r  1  i  e  g  e  n , 
muss  theoretisch  die  Vererbung  der  Syphilis 
auf  die  zweite  Generation,  wenn  auch  g  e  w  i  s  s 
nur  als  ausnahmsweises  Vorkommniss  zuge¬ 
geben  werden. 

Eine  Zahl  von  Einzelbeobachtungen  liegt  nun  vor; 
wollen  wir  diese  kritisch  durchsehen,  dann  müssen  wir  zu¬ 
nächst  jene  Postulate  fixiren,  die  zur  Aüthenticität  des  Falles 
noting  sind. 

Hiezu  ist  noting,  dass  1.  die  vererbte  Syphilis 
in  der  zweiten  Generation  zweifellos  feststehe, 
Vater  oder  Mutter  an  zweifelloser  hereditärer  Syphilis  gelitten 
haben  müssen,  deren  Beginn  auch  wirklich  aus  den  ersten 
Lebenswochen  oder  Lebenslagen  datiren  muss.  Steht  diese 
Thatsache  fest,  dann  sind  weitere  Daten  über  die  erste  Gene¬ 
ration  nicht  noting.  2.  Es  muss  eine  acquirirte  Syphi¬ 
lis  in  der  zweiten  Generation,  also  eine  Infection  des 
gesunden,  oder  eine  Reinfection  des  syphilitischen  Theiles  voi¬ 
der  Geburt  der  dritten  Generation  unbedingt  ausge¬ 
schlossen  sein.  3.  Die  hereditäre  Natur  der 
Syphilis  der  dritten  Generation  muss  zweifel¬ 
los  erwiesen  sein. 

Von  diesen  Postulaten  ist  das  zweite  wohl  am  schwersten 
zu  erfüllen,  und  wie  wir  sehen  werden,  in  den  bisher  vor¬ 
liegenden  Fällen  nicht  erfüllt. 

Es  ist  ja  durch  eine  selbst  wiederholte  Untersuchung 
eines  Individuums  oft  nicht  so  leicht  festzustellen,  dass  es  von 
Syphilis  frei  ist  und  frei  war,  dann,  wenn  gar  keine  Anhalts¬ 
punkte  dafür  da  sind,  wissen  wir  doch,  dass  eine  Lues  nicht 
selten  so  spurlos  verläuft,  dass  sie  nach  Jahren  keine  Residuen 
mehr  zurücklässt,  der  Anamnese  ist  aber  begreiflicher  Weise 
nur  wenig  Werth  beizumessen. 

Sehen  wir  nun  die  bisher  publicirten  Fälle  an,  die  ich 
in  chronologischer  Reihenfolge  hier  kurz  Revue  passiren 
lassen  will. 

1.  Fall.  (Davas-se,  La  Syphilis,  ses  formes  et  son  unite. 
Paris  1865.)  Erste  (feneration:  Die  Grossmutter  wurde  kurz  nach 
der  Verehelichung  krank,  hatte  Ausschläge,  Geschwüre  im  Halse, 
die  lange  Zeit  dauerten  und  mit  Zerstörung  des  Gaumens  endeten. 
Auf  wahrscheinlich  mercurielle  Behandlung  genas  sie  und  gebar 
drei  gesunde  Kinder.  Zur  Zeit  zeigte  sie  ganz  charakteristische 
Syphiliserscheinungen,  gänzliche  Zerstörung  des  Gaumens  und  der 
Gaumenbögen,  von  Narbensträngen  eingefasst,  Communication  der 
Nasen-  und  Rachenhöhle,  näselnde  Sprache  etc.  Zweite  Generation: 
Vater  und  Mutter  beide  kräftig,  leugnen  Infection,  wurden  nicht 
untersucht.  Sechs  Kinder  starben  kurz  nach  der  Geburt  an  Lebens¬ 
schwäche,  Gonvulsionen,  das  letzte  Kind  (dritte  Generation)  bis  zum 
Alter  von  -sieben  Jahren  gesund,  zeigte  damals  eine  chronische 
Kniegelenksentzündung,  die  auf  antiscrophulöse  Behandlung  nicht 
heilte.  Im  Alter  von  16  Jahren  chronische  fungöse  Kniegelenks¬ 
entzündung  mit  multipler  Caries  und  Nekrose  der  Gelenksenden, 
multiple  Periostitiden  der  langen  Röhrenknochen,  Erkrankung  der 
Nase  mit  Exfoliation  von  Knochen  und  Knorpel.  Erscheinungen 
von  Rachitis,  die  Schneidezähne  zeigen  die  »für  Syphilis  charakte¬ 
ristischen  Veränderungen«. 

Epikrise:  Die  Syphilis  der  ersten  Generation  ist  zweifellos, 
Die  Angaben  betreffend  die  zweite  Generation  sind  lückenhaft; 
würde  man  sie  wörtlich  nehmen,  dann  wäre  der  Fall  ein  solcher, 
in  dem  die  Syphilis  von  der  ersten  mit  Ueberspringung  der  zweiten 
auf  die  dritte  Generation  vererbt  wäre.  Die  Angabe  der  sechs  auf¬ 
einanderfolgenden  Todesfälle  von  kleinen  Kindern  könnte  Verdacht 
auf  acquirirte  Syphilis  in  der  zweiten  Generation  erwecken.  In  der 
dritten  Generation  ist  sowohl  die  Erkrankung  als  syphilitische,  wie 
insbesondere  als  hereditärsyphilitische  zweifelhaft. 

2.  Fall.  (Collin,  Observation  de  THeredosyphilis  ä  la  seconde 
Generation.  Lyon  medic.  1874.) 

Der  Grossvater  mütterlicherseits  soll  an  Syphilis  gestorben 
sein.  Beide  Eltern,  die  zweite  Generation,  werden  bei  Untersuchung 


gesund  befunden  und  sollen  immer  gesund  gewesen  sein.  Deren 
Kind,  die  dritte  Generation,  hatte,  acht  oder  neun  Monate  alt,  ein 
Exanthem,  später  wiederholt  Bronchitis  und  Koryza,  im  Alter  von 
sechs  Jahren  Koryza  und  Affection  beider  Lungenspitzen.  Unter 
Schwefeltherapie  kam  es  zu  einer  Eruption  von  Roseola  und  Plaques 
der  Mundschleimhaut. 

Epikrise:  Ueber  Syphilis  der  ersten  Generation  ungenaue 
Daten,  in  der  zweiten  Generation  hereditäre  Syphilis  nicht  er¬ 
weisbar,  acquirirte  nicht  auszuschliessen,  die  hereditäre  Natur  der 
Syphilis  der  dritten  Generation  ist  fraglich. 

3.  Fall.  (Simon,  Discussion  über  die  Pathologie  der  Syphilis. 
Transact,  of  the  pathol.  Soc.  London  1876.)  Eine  Frau,  deren 
Vater  an  tertiärer  Syphilis  gestorben  war  und  die  selbst  syphilitische 
Symptome  darbot,  die  nur  auf  Vererbung  zurückzuführen  waren, 
gebar  ein  Kind  mit  Erscheinungen  hereditärer  Syphilis.  Verfasser 
ist  geneigt,  die  Syphilis  des  Grossvaters  und  Enkels  in  Zusammen¬ 
hang  zu  bringen. 

Epikrise:  Da  alle  Angaben  über  den  Mann,  den  Vater  des 
Kindes,  fehlen,  entspricht  die  Beobachtung  nicht  den  oben  an¬ 
gegebenen  Postulaten. 

4.  Fall.  (Atkinson,  An  account  of  Syphilis  inherited  trough 
two  Generations.  Arch,  of  Dermatology.  1877.)  In  der  ersten 
Generation  zeigt  die  Grossmutter  im  Gesicht  zahlreiche,  für  Syphilis 
verdächtige  Narben.  Der  Grossvater  leugnet  jedoch  jede  Infection. 

Die  dieser  Ehe  entsprossene  Generation  besteht  aus  sechs 
Kindern.  Von  diesen  starben  die  beiden  ersten  ein  Jahr,  respective 
zwei  Wochen  alt  an  Gonvulsionen,  das  dritte  und  vierte  Kind  starb 
jedes  im  Alter  von  fünf  Monaten.  Das  fünfte  Kind  Julia  zeigt 
Symptome  hereditärer  Syphilis,  vorgewölbte  Stirne,  abgeplattete  Nase, 
gekerbte  Zähne,  Cornealnarben  nach  Keratitis.  Julia  verehelichte 
sich  mit  16  Jahren  an  einen  gesunden  und  bei  der  Untersuchung 
gesund  befundenen  Mann,  und  hatte  noch  in  der  Ehe,  nach  der 
Geburt  des  ersten  Kindes,  ein  papulo-serpiginöses  Syphilid  an  den 
oberen  Extremitäten.  Das  sechste  Kind,  drei  Jahre  jünger  als  Julia, 
zeigt  gekerbte  Zähne,  Corneanarben  nach  Keratitis,  Taubheit.  Die 
der  Ehe  der  Julia  mit  dem  angeblich  gesunden  Manne  entsprossene 
dritte  Generation  besteht  aus  zwei  Kindern.  Das  ältere  war  bis  auf 
ein  Eczema  ani  gesund.  Das  jüngere,  zwei  Jahre  später  geborene 
Kind  zeigte  acht  Wochen  nach  der  Geburt  eine  schon  längere  Zeit 
bestehende  Koryza,  eine  ältere  Roseola,  Röthung  und  Schuppung 
der  Palmae  und  Plantae,  Fissuren  in  den  Mundwinkeln,  ist  wohl 
reif  geboren,  aber  schwach  und  welk.  Auf  antiluetische  Behandlung 
bessern  sich  wohl  die  Syphilissymptome,  aber  das  Kind  stirbt,  zwei 
Monate  alt,  an  Diarrhöe. 

Epikrise:  Die  hereditäre  Syphilis  in  der  zweiten  und 
dritten  Generation  ist  wohl  zweifellos.  Die  Aüthenticität  des  Falles 
hängt  davon  ab,  wie  viel  man  den  Angaben,  der  Vater  des  Kindes 
sei  nicht  syphilitisch,  Geltung  gibt.  Immerhin  wäre  es  möglich,  dass 
die  hereditärsyphilitische  Julia  sich  vor  ihrer  Ehe  reinficirte,  wofür 
das  sonst  auffallende  Auftreten  des  tuberculo-serpiginösen  Syphilides 
sprechen  würde,  oder  dass  deren  Mann  nach  der  Geburt  des  ersten 
gesunden  Kindes  sich  mit  Syphilis  inficirte.  Zweifel  an  der  Echtheit 
des  Falles  sind  umso  berechtigter,  als  King  (Hereditary  Syphilitic 
Transmission  through  two  Generations.  Journ.  of  cutan.  and  genito-urin. 
Dis.  1889)  berichtet,  Atkinson  habe  ihm  gesprächsweise  mit- 
getheilt,  dass  er  selbst  an  der  Echtheit  seines  Falles  zweifle. 

5.  Fall.  (Laschkewitz,  Syphilis  hereditaria  tarda.  Archiv 
für  Dermatologie.  1878.)  Ein  sehr  lückenhafter  Fall.  Von  der  ersten 
Generation  ist  nichts  bekannt.  Von  der  zweiten  Generation  ist  die 
Mutter  gesund,  der  Vater  schien  es  auch,  erkrankte  aber  ein  Jahr 
nach  der  Erkrankung  seines  Kindes  an  Amblyopie  in  Folge  bilateraler 
Retinitis,  die  auf  Quecksilber  rasch  heilte.  Die  dritte  Generation,  ein 
Mädchen,  war  bis  zum  Alter  von  13  Jahren  gesund,  erkrankte 
dann  an  Spondylitis  der  Halswirbel  mit  Lähmung  aller  vier  Ex¬ 
tremitäten.  Mercurielle  Behandlung  brachte  in  zwei  Monaten  Heilung. 

Epikrise:  Selbst  unter  der  Voraussetzung,  dass  Vater  und 
Kind  wirklich  an  luetischen  Erscheinungen  litten,  was  nicht  zweifel¬ 
los  dasteht,  lässt  der  Fall  doch  mehrere  Deutungen  zu,  so  acquirirte 
Syphilis  des  Vaters,  hereditäre  Syphilis  des  Kindes,  acquirirte 
Syphilis  des  Vaters  nach  Geburt  des  Kindes,  frühzeitige  Infection 
des  Kindes  durch  den  Vater  oder  anderwärts,  so  dass  wir  dem  Falle 
absolut  keine  Beweiskraft  zuschreiben  können. 


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6.  Fal].  (Hutchinson,  London  Hospital  Report.  II,  1865, 
und:  Syphilis.  1887,  pag.  396.)  Ueber  die  erste  Generation  ist 
nichts  bekannt.  Von  der  zweiten  Generation  zeigt  die  Mutter 
zweifellose  Symptome  hereditärer  Syphilis.  Ist  zwar  kräftig,  hat 
aber  frische  Keratitis,  gekerbte  Zähne,  radiäre  Narben  um  den 
Mund,  vorgewölbte  Stirne.  Der  Vater  leugnet  syphilitische  Infection, 
Untersuchung  lässt  keine  solche  nachweisen.  Der  Mann  stand  wegen 
Sykosis  lange  Zeit  bei  E.  Wilson  und  Dr.  Startin  in  Behand¬ 
lung,  ohne  dass  einer  dieser  Aerzte  Erscheinungen  von  Syphilis 
nachweisen  konnte.  Dritte  Generation:  deren  Kind  ist  kräftig, 
aber  zweifellos  hereditärsyphilitisch,  hat  Koryza,  syphilitisches 
Exanthem,  welche  Symptome  unter  antiluetischer  Behandlung  aus¬ 
heilten. 

Epikrise:  Der  Fall  wäre  authentisch,  wenn  nicht  doch 
die  Möglichkeit,  dass  in  der  zweiten  Generation  acquirirte  Syphi¬ 
lis  da  war,  aber  nicht  nachgewiesen  werden  konnte,  zugegeben 
werden  müsste. 

7.  Fall.  (Rabl,  Ueber  Lues  congenita  tarda.  Wien  1887.) 
Ueber  die  erste  Generation  ist  nichts  bekannt.  Von  der  zweiten 
Generation  hatten  die  Mutter  und  deren  Schwester,  die  sonst  gesund 
waren,  in  den  Pubertätsjahren  eine  interstitielle  Keratitis  durch¬ 
gemacht,  deren  Narben  noch  sichtbar  sind.  Die  Tochter,  die  dritte 
Generation,  erkrankte,  14  Jahre  alt,  an  interstitieller  Keratitis,  die 
in  Bad  Hall  zur  Ausheilung  kam. 

Epikrise:  Selbst  für  den  Fall,  dass  die  Keratitis  bei 
Mutter  und  Tochter  wirklich  hereditärluetischen  Ursprungs  sind, 
was  durchaus  nicht  zweifellos  ist,  kann  der  Fall,  da  über  den 
Vater  nur  die  Angabe  der  Frau,  er  sei  gesund,  vorliegt,  nicht  als 
Beweis  der  Vererbung  der  Syphilis  auf  die  zweite  Generation  bei¬ 
gezogen  werden. 

8.  Fall.  (Rabl,  ibidem.)  Von  der  ersten  Generation  hatte  die 
Grossmutter  mutterseits  im  ersten  Jahre  der  Ehe  eine  Syphilis 
durchgemacht,  die  in  mehrfachen  Recidiven  zu  Tophi  an  den 
Tibien  und  Perforation  des  Septum  narium  geführt  hatte.  Deren 
Tochter  (die  Mutter,  zweite  Generation)  war  gesund  erkrankte  aber 
in  den  Pubertätsjahren  an  einer  Ozaena,  die  zu  Verlust  des 
Knochengerüstes  und  Einsinken  der  Nase  geführt  hatte.  Ueber 
deren  Mann,  den  Vater,  ist  nichts  bekannt.  Der  Sohn,  dritte  Ge¬ 
neration,  war  gesund,  bis  er  im  Alter  von  elf  Jahren  an  einer 
Schwellung  der  Cervicaldrüsen  erkrankte,  die  auf  Jodbehand¬ 
lung  heilte. 

Epikrise:  Die  ererbte  Syphilis  in  der  zweiten  Generation 
ist  zweifellos,  acquirirte  Syphilis  des  Vaters  nicht  auszuschliessen, 
die  Natur  der  Erkrankung  des  Sohnes,  dritte  Generation,  als  syphi¬ 
litisch  ist  wohl  fraglich. 

9.  Fall.  (R  a  b  1,  ibidem.)  Die  Grossmutter  mutterseits,  erste 
Generation,  erkrankt  im  Alter  von  65  Jahren  an  Ulcerationen  an 
den  Muscheln  und  am  Septum  der  Nase  mit  typischen  nächtlichen 
Kopfschmerzen;  Heilung  in  Hall,  doch  Recidive  im  nächsten  Jahre. 
Deren  Tochter,  zweite  Generation,  ist  bis  zum  Alter  von  20  Jahren 
gesund,  erkrankt  dann  an  ulcerösem  Processe  des  Septum  cartila- 
gineum  nasi  mit  Destruction  und  Deformation  der  Nase.  Der  Mann 
derselben  soll  gesund  sein.  Deren  Sohn,  dritte  Generation,  gesund, 
zeigt  zehn  Jahre  alt  Koryza,  17  Jahre  alt  Gumma  am  unteren 
Augenlid. 

Epikrise:  Der  Fall  lässt  auch  die  Deutung  zu,  die  Gross¬ 
mutter  sei  erst  nach  Geburt  der  Tochter  mit  Lues  inficirt  worden, 
die  Tochter  leide,  vielleicht  von  der  Mutter  in  der  Kindheit  inficirt, 
an  aller,  frühzeitig  acquirirter  Lues;  deren  Syphilis  ist  als  hereditär 
durchaus  nicht  festgestellt,  acquirirte  Syphilis  beim  Vater,  respec¬ 
tive  Manne  nicht  ausgeschlossen,  hereditäre  Lues  der  dritten  Gene¬ 
ration  nicht  zweifellos. 

10.  Fall.  (Dezanneau,  Observation  d’Heredosyphilis  ä  la 
seconde  Generation.  Anna],  de  Dermat.  et  de  Syphil.  1888.)  Ueber 
die  erste  Generation  fehlen  alle  Nachrichten.  Der  Vater,  zweite 
Generation,  war  gesund  bis  zum  Alter  von  14  Jahren,  in  dem  er 
eine  incomplete  Paralyse  beider  Beine,  Diplopie,  Kopfschmerz  darbot, 
welche  Erscheinungen  auf  unbekannte  Heilmittel  schwanden.  Fünf 
Geschwister  des  Vaters  starben  an  Lebensschwäche  rasch  nach 
der  Geburt.  Seine  Frau,  die  Mutter,  soll  stets  gesund  gewesen  sein. 
Der  Ehe  entstammten  vier  Kinder,  dritte  Generation,  davon  zwei 
Abortus,  ein  scheinbar  gesundes  Kind,  das,  sieben  Monate  alt,  an 
Hirnerscheinungen  starb,  ein  viertes  Kind,  das  bis  zum  Alter  von 


23  Jahren  gesund  war,  dann  aber  an  Hemiplegie  und  doppelseitiger 
Keratitis  erkrankte,  die  auf  Quecksilber  und  Jod  heilte,  nach 
einiger  Zeit  recidivirte,  um  unter  derselben  Behandlung  wieder  ab¬ 
zuheilen. 

Epik  rise:  Weder  in  der  zweiten  noch  dritten  Generation 
ist  die  ererbte  Syphilis  zweifellos,  ja  selbst  die  Diagnose  Syphilis, 
besonders  in  der  zweiten  Generation,  nicht  unzweifelhaft. 

11.  Fall.  (Mensinga,  Ueber  40  Jahre  Lues  in  einer 
Familie.  Internationale  klinische  Rundschau.  1888.)  In  der  ersten 
Generation  hatte  der  Grossvater  als  lediger  Mann  eine  schwere  Lues 
durchgemacht,  die  Mutter  gesund.  Deren  sechs  Kinder,  zweite  Gene¬ 
ration,  zuerst  drei  Knaben  und  darauf  drei  Mädchen  zeigten  alle 
bei  oder  bald  nach  der  Geburt  Erscheinungen  hereditärer  Syphilis. 
Die  Zweitälteste  Tochter,  das  viertälteste  Kind,  hatte  ebenso  bald 
nach  der  Geburt,  in  der  Kindheit  und  noch  während  der  Ehe 
syphilitische  oder  wenigstens  verdächtige  Symptome.  Sie  heiratete 
mit  20  Jahren  einen  Mann,  den  der  Verfasser  kannte,  vor  und 
während  der  Ehe  wiederholt  behandelt  und  untersucht  hatte,  einmal 
auch  zwecks  Versicherung,  der  nie  Symptome  von  Syphilis  zeigte, 
syphilitische  Infection  leugnete.  Die  dieser  Ehe  entsprossene  dritte 
Generation  besteht  aus  fünf  Kindern.  Das  erste  Kind,  ein  Mädchen, 
zeigt  drei  Wochen  nach  der  Geburt  ein  luetisches  Exanthem,  das 
zweite  Kind,  ein  Mädchen,  ist  gesund.  Das  dritte  Kind,  ein  Mäd¬ 
chen,  gesund,  erkrankt,  ein  Jahr  alt,  an  einer  Meningitis,  die  auf 
Jodkali  heilte.  Das  vierte  Kind,  ein  Mädchen,  zeigte  zehn  Wochen 
nach  der  Geburt  Rhagaden  der  Mundwinkel,  Papeln  am  Anus,  in- 
ficirte  seine  Amme  und  ein  Stubenmädchen.  Das  fünfte  Kind,  ein 
Knabe,  neun  Jahre  nach  der  Eheschliessung  geboren,  zeigt  14  Tage 
alt  einen  Pemphigus  syphiliticus  und  inficirte  seine  Amme,  die,  als 
der  Knabe  vier  Monate  alt  war,  secundäre  Syphilissymptome  darbot. 
Alle  vier  syphilitischen  Kinder  wurden  behandelt,  blieben  am 
Leben,  zeigten  aber  mehrere  Recidiven  ihrer  Lues. 

Epikrise:  Der  Fall  ist  wohl  höchst  beachtenswerth,  der 
auffälligste  Fall  in  der  ganzen  diesbezüglichen  Casuistik.  Die  Erb¬ 
lues  sowohl  in  der  zweiten,  als  dritten  Generation  ist  zweifellos, 
das  einzige  Bedenken  wird  doch  immer  das  bleiben,  der  Verfasser 
habe  trotz  alledem  die  acquirirte  Lues  des  Vaters,  der  zweiten 
Generation  übersehen. 

12.  Fall.  (King,  Hereditary-syphilitic  Transmission  throug  two 
Generations.  Journ.  of  Cutan.  and  Genito-urin.  Dis.  1889.)  Ueber 
die  erste  Generation  ist  nichts  bekannt.  Die  zweite  Generation,  so¬ 
wohl  Vater  als  Mutter,  erscheinen  völlig  wohl  und  zeigen  keine 
Erscheinungen  von  Syphilis,  insbesondere  leugnet  der  Vater,  der 
vom  Verfasser  »ernstlich  ins  Gebet  genommen  wurde«,  jede  In¬ 
fection.  Deren  Kinder,  Zwillinge,  Knabe  und  Mädchen,  zeigen 
zweifellose  Erscheinungen  hereditärer  Syphilis,  Roseola  bei,  respec¬ 
tive  wenige  Tage  nach  der  Geburt,  Koryza,  Plaques,  Condylomata 
ad  anuni.  Das  Mädchen  bekommt  ein  Blasensyphilid  und  stirbt, 
der  Knabe  bleibt  am  Leben  und  inficirt  beim  Säugen  seine  Mutter. 
Nachdem  in  der  zweiten  Generation  keine  Syphilis  nachzuweisen 
ist,  führt  Verfasser  die  Syphilis  der  dritten  Generation  auf  die 
erste  Generation  zurück. 

Epikrise:  Nachdem  für  die  zweite  Generation  der  Beweis 
ererbter  Syphilis  fehlt,  acquirirte  Syphilis  in  dieser  Generation  nicht 
ausgeschlossen  ist,  erscheint  der  Fall  für  unsere  Frage  nicht  be¬ 
weisend. 

13.  Fall.  (Majew,  Ueber  den  Einfluss  der  Syphilis  der 
Eltern  auf  die  Nachkommen.  III.  Congress  russischer  Aerzte.  Monats¬ 
hefte  für  praktische  Dermatologie.  1889.)  Von  der  ersten  Generation 
ist  der  Grossvater  mutterseits  syphilitisch  gewesen.  Die  zweite  Ge¬ 
neration,  Vater  und  Mutter,  werden  gesund  befunden  und  leugnen 
Infection,  deren  Kind,  dritte  Generation,  zeigt,  drei  Jahre  alt, 
ein  Gumma  ad  nates,  nachdem  es  bis  dahin  gesund  gewesen 
sein  soll. 

Epikrise:  Die  ererbte  Syphilis  ist  in  der  zweiten  Generation 
nicht  erwiesen,  acquirirte  nicht  ausgeschlossen,  aber  auch  die  er¬ 
erbte  Syphilis  der  dritten  Generation  erscheint  fraglich,  frühzeitig 
acquirirte  Syphilis  beim  Kinde  möglich,  der  Fall  also  nicht 
beweisend. 

14.  Fall.  (Bo  eck,  Syphilis  hereditaire  ä  la  seconde  Gene¬ 
ration.  Annal.  de  Derm,  et  de  Syphiligr.  1889.)  Die  Grossmutter 
mutterseits,  erste  Generation,  war  18  Jahre  alt  wegen  Syphilis  be¬ 
handelt  worden.  Sechs  Jahre  später  gebar  sie  eine  Tochter,  zweite 


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Generation,  die,  zwei  Monate  alt,  schwere  Erscheinungen  hereditärer 
Syphilis  darbot,  behandelt  wurde,  aber  noch  im  Alter  von  29  Jahren 
die  Residuen  dieser  als  Narben  nach  Keratitis,  gekerbte  Zähne, 
Narben  um  den  Mund  zeigte.  Was  die  dritte  Generation  betrifft,  so 
hatte  diese  Frau  zunächst  ausserehelich  ein  Kind  von  einem  Manne, 
über  den  nichts  weiter  bekannt  ist,  das  gesund  war,  aber,  einen 
Monat  alt,  an  Convulsionen  starb.  Dann  verheiratete  sich  die  Frau 
mit  einem  Manne,  der,  sorgfältig  von  B  o  e  c  k  untersucht,  keine 
Syphilissymptome  zeigte,  Infection  leugnete.  Mit  diesem  Manne  hatte 
die  Frau  zwei  Kinder,  zunächst  nach  zweijähriger  Ehe  ein  Kind, 
das  bis  zum  Alter  von  zwei  Jahren  gesund  blieb,  dann  an  Scarla¬ 
tina  starb,  dann  nach  fünfjähriger  Ehe  ein  zweites  Kind,  das  bei 
der  Geburt  schon  Koryza  zeigte,  im  Alter  von  2'/2  Monaten  Ro¬ 
seola,  später  Fissuren  an  den  Lippen,  Periostitis  der  Tibien  zeigte 
und  auf  antiluetische  Behandlung  genas. 

Epikrise:  Der  Fall  ist  gewiss  beachtenswerlh,  hereditäre 
Lues  in  der  zweiten  und  dritten  Generation  sind  zweifellos  und 
doch  kann  man  angesichts  der  Thatsache,  dass  die  Frau  zuerst 
zwei  gesunde  Kinder  gebar,  sich  des  Verdachtes  nicht  erwehren, 
der  Mann  der  Frau  habe  in  dem  Intervall  von  drei  Jahren,  das 

zwischen  der  Geburt  des  zweiten  und  dritten  Kindes  lag,  eine 

Syphilis  acquirirt,  von  der  B  o  e  c  k  bei  der  Untersuchung  keine 
Symptome  mehr  wahrnahm. 

15.  Fall.  (Nunn,  On  maternal  Conditions  in  congenital 

Syphilis.  Lancet.  1891,11.)  Die  Grossmutter mutterseits  hatteSyphilis  voi¬ 
der  Geburt  ihrer  Tochter  und  als  Residuum  dieser  eine  alte 

Psoriasis  palmaris.  Neben  dieser  Sklerose  am  Finger,  Roseola, 

recente  Syphilissymptome  als  Folge  einer  venerischen  Infection 
von  ihrem  syphilitischen  Enkel.  In  der  zweiten  Generation  hatte  die 
Tochter  bald  nach  der  Geburt  die  Erscheinungen  congenitaler  Lues, 
Koryza,  Fissuren  der  Mundwinkel  und  zeigt  als  Erwachsene  noch 
hereditärluetische  Symptome,  Fehlen  der  Augenbrauen  und  Wimpern, 
H  u  t  c  h  i  n  s  o  n’sche  Zähne.  Deren  Mann,  vom  Autor  sorgfältig 
untersucht,  zeigte  keine  Symptome  von  Syphilis,  leugnet  Infection. 
Deren  Kind,  die  dritte  Generation,  hatte  nach  der  Geburt  Koryza, 
Fissuren  um  den  Mund,  Papeln  ad  anum. 

Epikrise:  Die  Bedeutung  dieses  Falles  hängt  davon  ab, 
oh  man  den  Beweis,  dass  in  der  zweiten  Generation  acquirirte 
Lues  ausgeschlossen  sei,  durch  die  Untersuchung  des  Mannes  und 
dessen  Angaben  als  erbracht  ansehen  will. 

16.  Fall.  (Galezowski,  Des  Affections  oculaires  syphilit. 
ä  la  troisieme  Generation,  Ann  ab  de  Derm,  et  de  Syphiligr.  1895, 
und:  Ogilvie,  On  the  transmission  of  Syphilis  te  tho  third 
Gener.  Brit.  Journ.  of  Dermat.  1897.)  Der  Grossvater  mutterseits, 
erste  Generation,  litt  in  den  letzten  Jahren  viel  an  Halsschmerzen, 
Geschwüren  an  den  Beinen  und  stand  in  Ri  cord’s  Behandlung. 
Dessen  Tochter,  zweite  Generation,  litt  von  Kindheit  an  bösen 
Augen  und  Abscessen  am  Nacken.  Im  Alter  von  42  Jahren  er¬ 
krankte  sie  an  beiderseitiger  interstitieller  Keratitis  und  disseminirter 
syphilitischer  Chorioiditis,  die  auf  Mercur  heilte.  Dieselbe  ist  ver¬ 
heiratet,  doch  fehlen  über  den  Mann  alle  Angaben.  Sie  hatte  einen 
Abortus,  dann  ein  Kind,  das  schwächlich  war,  immer  an  den 
Augen  litt  und,  acht  Jahre  alt,  eine  interstitielle  Keratitis  beider 
Augen  und  dissemenirte  Retinitis  pigmentosa  darbot.  Quecksilber¬ 
behandlung  brachte  Besserung. 

Epikrise:  Nachdem  acquirirte  Syphilis  in  der  zweiten 
Generation  nicht  auszuschliessen  ist,  erscheint  der  Fall  nicht  be¬ 
weisend. 

17.  Fall.  (Galezowski,  ibidem.)  In  der  ersten  Generation 
hatte  der  Grossvater  schwere  syphilitische  Haut-  und  Lungen- 
altectionen,  an  denen  er  trotz  antiluetischer  Behandlung  starb. 
Seine  Frau,  die  Grossmutter,  hatte  einen  Abortus,  drei  Kinder,  von 
denen  zwei  in  der  Kindheit  starben.  Das  einzige  überlebende  Kind, 
die  zweite  Generation,  ein  Mädchen,  litt  von  früh  auf  an  Augen¬ 
entzündungen,  erkrankte,  26  Jahre  alt,  an  peripherer  interstitieller 
Keratitis,  die  nach  zwei  Jahren  recidivirte  und  auf  Quecksilber 
heilte.  Ueber  den  Mann  derselben  fehlen  alle  Angaben.  Sie  hatte 
zwei  Kinder,  eines  starb  im  ersten  Lebensjahre,  das  andere  (dritte 
Generation),  hatte  drei  Jahre  alt  disseminirte  Retinitis  pigmentosa, 
die  auf  Quecksilber  sich  wesentlich  besserte. 

Epikrise:  Das  Fehlen  von  Nachweisen  über  den  Mann, 
besonders  der  Mangel,  dass  hei  demselben  acquirirte  Lues  nicht 


auszuschliessen  ist,  lassen  den  Fall  in  unserer  Frage  nicht  be¬ 
weisend  erscheinen. 

18.  Fall.  (Klein  in:  Neumann,  Syphilis.  1896.)  Von 
der  ersten  Generation  hatte  der  Grossvater  (mutterseits)  acquirirte 
Lues.  Die  Tochter  (zweite  Generation)  eine  Syphilis  hereditaria 
tarda  mit  Periostosen.  Ueber  deren  Mann  ist  nichts  bekannt,  deren 
Tochter,  dritte  Generation,  hatte  mit  16  und  18  Jahren  je  einen 
Anfall  von  Keratitis  parenchymatosa. 

Epik  rise:  Die  hereditäre  Lues  ist  weder  in  der  zweiten 
noch  dritten  Generation  zweifellos  erwiesen,  acquirirte  Lues  beim 
Vater,  zweite  Generation,  nicht  ausgeschlossen,  der  Fall  nicht  be¬ 
weisend. 

19.  Fall.  (v.  Düring,  Weitere  Beiträge  zur  Lehre  von  der 
hereditären  Syphilis.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1897.) 
Grossvater,  erste  Generation,  hatte  sich  angeblich  vor  35  Jahren 
inficirt.  Zeigt  eine  grosse  Narbe  auf  der  Schleimhaut  des  Gaumens. 
Sein  Sohn,  zweite  Generation,  hatte  von  klein  auf  luetische  Symp¬ 
tome,  im  14.  Lebenjahre  Spätsymptome,  deren  Residuen,  Narben 
am  Gaumen,  Perforation  des  Septums,  Sattelnase,  noch  sichtbar. 
Ueber  dessen  Frau  nichts  bekannt.  Von  seinen  Kindern  (dritte 
Generation)  sind  drei  früh  gestorben,  eine  acht  Jahre  alte  Tochter 
zeigt  Narben  auf  der  Scheimhaut  des  Gaumens,  Hutchinson- 
sche  Zähne,  Deformation  des  Schädels,  ist  in  der  Entwicklung  sehr 
zurück. 

20.  Fall.  (v.  Düring,  ibidem.)  Der  Grossvater,  erste  Genera¬ 
tion,  hat  mit  circa  20  Jahren  Syphilis  acquirirt,  hatte  Spät¬ 
symptome  vor  15  Jahren,  zeigt  gummöse  Ulcerationen  an  den 
Unterschenkeln,  ebenda  zahlreiche  Narben,  Leukoplakia  oris.  Sein 
Sohn?  zweite  Generation,  soll  von  Kind  auf  syphilitisch  gewesen 
sein,  hatte  als  junger  Mann  Spätsymptome,  zeigt  eine  grosse  Narbe 
an  Pharynxwand,  Gaumenbögen,  Gaumen.  Ueber  dessen  Frau  ist 
nichts  bekannt.  Dessen  Sohn,  dritte  Generation,  zehn  Jahre  alt,  hat 
interstitielle  Glossitis,  Ulcerationen  an  Gaumenbögen,  Deformation 
des  Schädels,  schwächlich  entwickelt. 

21.  Fall.  (v.  Düring,  ibidem.)  Von  der  ersten  Generation 
hat  der  Grossvater,  der  nun  60  Jahre  ist,  vor  mehr  als  20  Jahren 
Syphilis  acquirirt,  seine  Frau  inficirt,  die  mehrere  Abortus  durch- 
machte  und  ein  serpiginöses  Syphilid  am  Stamme  darbot.  Mehrere 
Kinder  sind  gestorben,  die  zwei  überlebenden  zeigen  Formen  der 
Spätsyphilis.  Von  diesen  hat  der  Sohn,  zweite  Generation,  Leuko¬ 
plakie  und  grosse  Ulcerationen  auf  der  Schleimhaut  des  Gaumens, 
auch  dessen  Frau  soll  syphilitisch  sein.  Der  Sohn  desselben,  dritte 
Generation,  hat  natiforme  Stirne,  TI  u  t  ch  i  n  s  o  n’sche  Zähne, 
Ulceration  mit  Zerstörung  des  weichen  Gaumen. 

Epikrise:  Alle  drei  Beobachtungen  v.  Düring’s  leiden 
an  dem  Umstand,  dass  sie  nur  durch  die  sehr  lückenhafte  und  bei 
dem  Milieu,  das  Verfasser  untersuchte  (türkische  Landbevölkerung) 
sehr  unverlässliche  Anamnese  gestützt  werden.  Der  Einwand,  dass 
alle  drei  Generationen,  die  ja  Spätsyphilis  darbieten,  sämmtlich  an 
acquirirter  Syphilis  leiden,  ist  nicht  zu  entkräften,  die  Fälle  für 
unsere  Frage  nicht  verwendbar. 

22.  Fall.  (S  t r  eg m  i nski,  Heredosypliilis  ä  la  seconde 
Generation.  Wratsch.  1897.  Annal.  de  Denn,  et  de  Syphil.  1897.) 
Ueber  die  erste  Generation  ist  nichts  bekannt.  Von  der  zweiten 
Generation  erkrankte  der  Vater  mit  16  Jahren  an  Keratitis 
bilateralis,  die  für  heredosyphili tisch  erklärt  wurde  und  auf  anti- 
luetische  Cur  heilte.  Zur  Zeit  der  letzten  Untersuchungen  zeigte 
Patient  eine  Chorioiditis  areolaris,  wie  sie  bei  hereditärer  Syphilis 
nicht  selten  vorkommt.  Die  Mutter  ist  völlig  gesund.  Die  dritte 
Generation  besteht  aus  zwei  Kindern,  von  denen  das  ältere,  ein 
12  Jahre  alter  Knabe,  Keratitis  punctata,  Glaskörpertrübung, 
Chorioiditis  areolaris  zeigt,  die  sich  auf  antiluetische  Behandlung 
wesentlich  bessern,  während  das  jüngere  Kind,  ein  neun  Jahre 
altes  Mädchen,  Glaskörpertrübung,  areoläre  Chorioiditis,  Retinitis 
pigmentosa  darbietet,  die  sich  auf  antiluetische  Cur  bessern. 

Epikrise:  Abgesehen  davon,  ob  man  berechtigt  ist,  in  der 
zweiten  und  dritten  Generation,  rein  nur  auf  Grund  der  Augen¬ 
erkrankung  hereditäre  Syphilis  zu  diagnosticiren,  ist  in  der  zweiten 
Generation,  bei  der  Mutter,  acquirirte  Lues  nicht  mit  Sicherheit 
ausgeschlossen. 

23.  Fall.  (Pinard,  citirt:  E.  Fournier,  Stigmates  dys- 
trophiques  de  l’heredosyphilis.  1898.)  Von  der  ersten  Generation 
soll  der  Grossvater  an  Syphilis  gelitten  haben,  die  Grossmutter 


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war  gesund.  Der  Ehe  entsprossen  zuerst  zwei  macerirte,  dann  ein 
todtes  Kind,  dann  zwei  gesunde  Mädchen,  deren  jüngeres  mit 
14  Jahren  eine  Periostitis  tibiae  und  hartnäckige  Ophthalmie  darbot, 
heiratete  und  ein  gesundes  Kind  hatte.  Das  ältere  Mädchen  war 
als  Kind  sehr  schwächlich,  wurde  nur  mit  Mühe  grossgezogen, 
lernte  erst  mit  14  Monaten  gehen.  Im  Alter  von  18  !/-2  Jahren 
hatte  sie  Dolores  nocturni  in  den  Tibien,  es  entwickelte  sich 
Periostitis  derselben  mit  Verdickung  des  Knochens.  Bald  darauf 
entstand  eine  schwere  Ophthalmie,  die  mit  hinteren  Synechien  aus¬ 
heilte  und  eine  Ohrenkrankheit,  die  zu  Schwerhörigkeit  führte.  Die 
Betreffende,  zweite  Generation,  hatte  von  ihrem  ersten  Manne  ein 
Kind,  Zangengeburt,  das  rasch  starb;  über  den  Mann  konnte  nichts 
Bestimmtes  cruirt  werden.  In  zweiter  Ehe  mit  einem  Manne,  der 
bei  der  Untersuchung  nichts  Verdächtiges  darbot,  hatte  sie  zuerst 
vier  Abortus  zwischen  dem  zweiten  und  vierten  Monate,  dann 
gebar  sie  ein  gesundes,  kräftiges  Kind  (dritte  Generation),  das  einen 
Monat  nach  der  Geburt  rothe  Flecke,  zwei  Monate  nach  der  Geburt 
ein  ulceröses  Syphilid  am  Schenkel  darbot. 

Epikrise:  Das  späte  Auftreten  der  Syphiliserscheinungen 
in  der  zweiten  Generation  lässt  die  hereditäre  Syphilis  nicht 
zweifellos  erscheinen,  gibt  die  Möglichkeit,  dass  die  Mutter  an 
acquirirter  Syphilis  gelitten  habe.  Ebenso  kann  über  die  Thatsache, 
dass  der  Mann,  zweite  Generation,  nicht  an  Syphilis  litt,  Zweifel 
entstehen;  der  Fall  ist  also  nicht  beweisend. 

24.  Fall.  (1st  am  an  off,  nach  gütiger  persönlicher  Mit¬ 
theilung.)  Der  Grossvater,  erste  Generation,  acquirirte  Syphilis  im 
Jahre  1862.  Von  seinen  zwei  Söhnen  starb  der  erste  gleich  nach 
der  Geburt,  der  zweite  (zweite  Generation)  hatte  Erscheinungen 
hereditärer  Syphilis.  Dieser  heiratete  im  Jahre  1893.  Zwei  Kinder 
desselben,  dritte  Generation,  Sohn  und  Tochter,  jetzt  vier,  respective 
zwei  Jahre  alt,  hatten  gleich  nach  der  Geburt  einen  Pemphigus, 
der  auf  Sublimatbäder  heilte. 

Epikrise:  Abgesehen  davon,  dass  die  Syphilis  der  dritten 
Generation  nicht  so  ganz  ausser  Zweifel  scheint,  ist  acquirirte 
Syphilis  seitens  der  Mutter  in  der  zweiten  Generation,  ebenso  auch 
seitens  des  Vaters  nicht  völlig  ausgeschlossen,  der  Fall  also  nicht 
zweifellos. 

Dies  das  Material,  das  mir  von  Fällen  von  Vererbung 
der  Syphilis  in  die  zweite  Generation  zusammenzustellen 
gelang.  Wie  die  kurzen  epikritischen  Bemerkungen,  die  ich 
jedem  einzelnen  Falle  beifügte,  zeigen,  ist  es  fast  durchwegs 
nicht  absolut  beweiskräftig. 

Sondern  wir  zunächst  eine  kleine  Gruppe  von  Fällen, 
die  Fälle  von  Davasse,  Collin,  King,  Majew  ab,  in 
denen  in  der  zweiten  Generation  überhaupt  Syphilis  nicht 
nachzuweisen  war,  und  die  Verfasser  auf  die  präsumirte  oder 
nachgewiesene  Syphilis  der  Grosseltern  als  Erklärung  für  die 
hereditäre  Syphilis  der  Enkel  eben  aus  diesem  Grunde  recur- 
riren,  weil  sie  in  der  zweiten  Generation  keine  Syphilis  über¬ 
haupt  nachweisen  konnten,  wir  aber  diese  Auffassung  absolut 
nicht  acceptiren  können,  da  wir  uns  nicht  vorstellen  können, 
dass  das  syphilitische  Virus  im  Organismus  eines  der  Erzeuger 
der  zweiten  Generation  durch  dessen  ganzes  Leben  latent 
geblieben  wäre,  um  bei  dem  Enkel  erst  in  activer  Form  auf¬ 
zutreten;  —  eliminiren  wir  weiters  jene  Fälle,  in  denen  die 
hereditäre  Syphilis,  sei  es  in  der  zweiten  oder  dritten  Gene¬ 
ration,  nur  auf  Grund  tardiver  und  da  wohl  tbeilweise  frag¬ 
licher  Symptome  diagnosticirt  wurde,  so  der  Fälle  von  L  a  s  c  li¬ 
ke  witz,  Vater  bilaterale  Retinitis  —  Kind  Spondylitis  der 
Halswirbel,  Rabl  (7),  Mutter  Keratitis  interstitialis  —  Kind 
Keratitis  interstitialis,  Dezanneau,  Vater  Parese  mit  Diplopie 
—  Kind  im  Alter  von  23  Jahren  Hemiplegie  und  bilaterale 
Keratitis,  Galezowski  (16)  Mutter  interstitielle  Keratitis 
und  disseminirte  Chorioiditis  —  Kind,  acht  Jahre  alt,  inter¬ 
stitielle  Keratitis  und  Retinitis  pigmentosa,  (17)  Mutter  inter¬ 
stitielle  Keratitis  —  Kind,  drei  Jahre  alt,  Retinitis  pigmentosa, 
Klein  Mutter  Syphilis  hereditaria  tarda  —  Kind  mit  16  Jahren 
Keratitis  parenehymatosa.  S  t  r  e  g  m  i  n  s  k  y,  V ater  Chorioiditis 
areolaris  —  zwei  Kinder  Keratitis  punctata,  Chorioiditis,  Glas¬ 
körpertrübung,  indem  es  sich  hier  um  Fälle  handelt,  in 
denen  sowohl  die  syphilitische  Natur  des  Uebels  überhaupt,  als 
dessen  heredosyphilitisehe  Natur  doch  noch  nicht  über  allen 


Zweifel  erhaben  ist,  von  mancher  autoritativen  Seite  diese 
Aetiologie  nicht,  oder  wenigstens  nicht  als  ausschliesslich  zu¬ 
gegeben  wird,  wie  z.  B.  Hippel,  der  die  Keratitis  inter- 
stitialis  häufiger  auf  tuberculöse  Infection,  als  auf  Lues 
zu  rück  führt ;  - — 

Eliminiren  wir  endlich  jene  Fälle,  wie  die  v.  Dü  ring’s, 
wo  dem  Verfasser  nur  die  spätsyphilitischen  Erscheinungen 
bei  schon  älteren  oder  wenigstens  über  die  erste  Kindheit 
hinausgewachsenen  Individuen  Vorlagen  und  die  Thatsache 
der  Ererbung  in  der  zweiten  und  dritten  Generation  nur  auf 
eine,  nach  den  Schilderungen  des  Verfassers  selbst  sehr  unzu¬ 
verlässige  Anamnese  basirt  ist,  dann  bleiben  nur  die  Beob¬ 
achtungen  von  Atkinson,  Hutchinson,  Mensinga, 
Boeck,  N u  n  n  übrig,  die  den  eingangs  angeführten  Postulaten 
nahezu  entsprechen. 

Im  Falle  Atkinson  lässt  das  späte  Auftreten  eines 
papulo-serpiginösen  Syphilides  bei  der  Mutter  an  die  Möglich¬ 
keit  einer  Reinfection,  die  Thatsache,  dass  zwei  Jahre  nach 
dem  älteren  gesunden  ein  hereditärsyphilitisches,  intensiv 
krankes  Kind  zur  Welt  kam,  ap  eine  nach  Geburt  des  ersten 
Kindes  erfolgte  Infection  des  Mannes  denken;  übrigens  soll, 
wie  King  mittheilt,  Atkinson  seinen  Fall  selbst  fallen 
gelassen  haben.  Im  Falle  B  o  e  c  k’s,  der  sonst  höchst  beachtens- 
werth  wäre,  wirkt  es  störend  und  die  Bedeutung  des  Falles 
beeinträchtigend ,  dass  die  zweifellos  hereditärsyphilitische 
Mutter  zuerst  von  zwei  verschiedenen  Männern  je  ein  gesundes, 
dann  erst  drei  Jahre  später  von  dem  zweiten  dieser  Männer 
ein  schwer  hereditärsyphilitisches  Kind  bekam.  Es  bleiben 
noch  die  Fälle  Hutchinson,  Mensinga,  Nunn.  Den  Fall 
Hutchinson’s  beschuldigt  Ogilvie,  dass  er  zweimal  (in 
Hutchinso n’s  Syphilis)  in  verschiedener  Version  erschienen 
sei  (pag.  90  und  397).  Ich  habe  bei  genauer  Durchsicht  nicht 
die  Ueberzeugung  gewinnen  können,  dass  es  sich  in  beiden 
Stellen  um  denselben  Fall  handelt,  glaube  vielmehr,  dass  Hut¬ 
chinson  hier  zwei  differente  Fälle  bespricht.  Die  zwei  Fälle 
Mensinga,  Nunn  sind  nun  allerdings  sehr  beaehtenswerth. 
In  allen  beiden  Fällen  ist  die  hereditäre  Syphilis  der  Mutter 
in  der  zweiten  Generation  zweifellos  erwiesen,  auch  die  Lues 
der  ersten  Generation  sichergestellt,  weniger  sicher  ist  in 
Hutchinson’s  Falle  die  ererbte  Syphilis  der  Mutter  (vor¬ 
gewölbte  Stirne,  erodirte  Zähne,  Keratitisnarben),  auch  fehlen 
in  diesem  Falle  die  gewiss  wünschenswerthen  Angaben  über 
die  erste  Generation.  Zweifellos  ist  in  allen  drei  Fällen  die 
ererbte  Syphilis  in  der  dritten  Generation,  die  bei  Mensinga 
sogar  bei  drei  Kindern  nachweisbar  ist;  nur  einen  wunden 
Punkt  haben  alle  drei  Fälle,  die  Gesundheit  des  Vaters.  Der 
Vater,  von  dem  genannten  Verfasser  sorgfältig  wiederholt 
untersucht,  befragt,  im  Falle  Mensinga  selbst'  durch  Jahre 
beobachtet,  zeigte  keine  Erscheinungen  von  Syphilis.  Ist  nun 
dieser  thunlichst  sorgfältig  erhobene  negative  Befund  wissen¬ 
schaftlich  dem  Beweise,  dass  der  Vater  nicht  syphilitisch  war, 
gleichzustellen?  Gewiss  nicht!  Wir  befinden  uns  hier  wieder 
in  einer  Situation,  in  der  wir  uns  in  den  Fragen  der  Ver¬ 
erbung  nicht  so  selten  befinden.  Ich  erinnere  nur  an  die  Frage 
der  Syphilis  tertiaire  d’emblee,  sei  es  als  Syphilis  hereditaria 
tarda,  oder  als  Syphilis  postconceptionelle  tardive  der  Frau. 
Diese  Frage  steht  und  fällt  mit  dem  Beweis,  dass  den  tar- 
diven  Erscheinungen  in  beiden  Fällen  keine  frühsyphilitischen, 
sei  es  hereditäre,  sei  es  acquirirte  Symptome  vorausgingen. 
Den  exacten  Beweis  zu  liefern  werden  wir  aber  nie  im  Stande 
sein  deshalb,  weil,  gleichviel  ob  der  Patient  Symptome  hatte, 
die  er  übersah,  oder  ob  er  keine  Symptome  hatte,  er  in  beiden 
Fällen  den  Arzt  nicht  zu  Rathe  zieht,  wir  also  rein  nur  auf 
die  Anamnese  angewiesen  sind.  Aehnlich  ist  unsere  Situation 
hier.  Auch  sorgfältigste  Untersuchung,  auch  längere  Beob¬ 
achtung  vermag  nie  wissenschaftlich  einwandfrei  festzustellen, 
dass  der  Vater  in  den  Fällen  sicher  nicht  an  Syphilis  gelitten 
habe,  ein  exacter  einwandfreier  Beweis  der  Existenz  einer 
Vererbung  auf  die  zweite  Generation  ist  damit  kaum  denkbar. 
Nur  e  i  n  F  a  1 1  wäre  denkbar,  der  zur  zweifellosen 
Constatirung  dieses  Factums  führen  könnte, 
der  Fall,  dass  eine  zweifellos  hereditärsyphilitische  Frau  ein 
zweifellos  hereditärsyphilitisches  Kind  gebärt  und  der  Vater 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


ä89 


des  Kindes  bald  nach  dessen  Geburt  eine  receute  acquirirte 
Syphilis  darbieten  würde.  Andererseits  müsste  eine  Verviel¬ 
fältigung  der  Beobachtungen  von  Mens  in  ga  und  Nunn 
auch  den  Werth  eines  Beweises  haben.,  da  der  Einwand,  der 
jetzt  einem  oder  wenigen  Fällen  gegenüber  Geltung  hat,  man 
sei  nicht  in  der  Lage  gewesen,  die  acquirirte,  zur  Zeit  der 
Untersuchung  abgelaufene  oder  latente  Syphilis  des  Vaters  zu 
constatiren,  einer  grossen  Zahl  analoger  Beobachtungen  gegen¬ 
über  wohl  verstummen  müsste.  Wie  heute  die  Sachen  stehen, 
können  wir  nur  sagen,  die  Vererbung  echter  Syphilis 
auf  die  zweite  Generation  sei  theoretisch  als 
möglich  zuzugeben,  es  liege  bereits  eine  Zahl 
von  Beobachtungen,  vor,  die,  wenn  auch  nicht 
absolut  einwandfrei,  doch  in  diesem  Sinne  ge¬ 
deutet  werden  könne,  wissenschaftlich  er¬ 
wiesen  sei  aber  diese  Vere  r.  bung  heute  noch 

nicht.  (Fortsetzung  folgt.) 

Aus  dem  Kronprinz  Rudolf-Kinderspitale. 

Der  Darmkrebs  im  Kindesalter. 

Von  Dr.  Znppinger. 

Vor  kurzer  Zei t  wurden  wir  im  Kronprinz  Rudolf-Kinder¬ 
spitale  durch  ein  jäh  zum  Tode  führendes  Darmcarcinom  bei  einem 
zwölfjährigen  Mädchen  in  seltener  Weise  überrascht. 

Im  Nachstehenden  theile  ich  die  Krankengeschichte  und  den 
genauen  Obductionsbefund  mit  und  möchte  nach  einigen  epikriti¬ 
schen  Bemerkungen  den  Stand  unseres  jetzigen  Wissens  in  Bezug 
auf  den  Darmkrebs  im  Kindesalter,  das  ich  mit  dem  vollendeten 
14.  Lebensjahre  für  abgeschlossen  betrachte,  präcisiren. 

Am  19.  Januar  1900  kam  aus  Ungarn  die  zwölfjährige 
Theresia  II.,  sub  Prot.-Z.  36  zur  Aufnahme. 

Die  Mutter  gab  an,  dass  ihr  Kind  seit  drei  Monaten  krank 
sei;  anfangs  stellten  sich  Kolikanfälle  ein,  dann  traten  nebstbei 
vor  und  während  jeder  Defäcation  im  Bauche  starke  Schmer¬ 
zen  auf. 

Die  Kleine  hatte  oft  Stuhlzwang  und  in  letzter  Zeit  zeigte 
sich  öfters  Blut  im  Stuhle.  Die  Schmerzen  sollen  zeitweilig  so 
intensiv  sein,  dass  sie  nur  in  stark  nach  vorne  gebeugter  Haltung 
gehen  kann. 

Ich  liess  das  Kind  vollständig  entkleiden  und  fragte  nach 
dem  Sitze  der  Schmerzen;  es  zeigte  wiederholt  auf  die  oberen 
Steissbeinwirbel,  an  denen  jedoch  nichts  Abnormes  nachweis¬ 
bar  war. 

Das  Abdomen  war  etwas  meteoristisch  aufgetrieben  und  ge¬ 
spannt,  Palpation  und  Percussion  desselben  ergaben  sonst  keine 
positiven  Anhaltspunkte. 

Ebenso  negativ  war  die  Digital  Untersuchung  des  Enddarmes. 
Bei  genauer  Inspection  des  Anus  entdeckte  ich  eine  kleine  Fissur, 
touchirte  dieselbe  mit  dem  Lapisstifte  und  nahm  dann  die  Patientin 
zur  weiteren  Beobachtung  auf. 

Nachträglich  wurde  noch  anamnestisch  eruirt,  dass  die  kleine 
Theresia  früher  nie  krank  gewesen  sei  und  bis  in  die  allerletzte 
Zeit  stets  normalen  Appetit  zeigte. 

Vater  und  Mutter  der  Patientin  leben  und  sind  gesund. 
Niemand  in  ihrer  ganzen  Verwandtschaft  soll  je  an  Krebs  ge¬ 
storben  sein. 

Din  Mutter  hatte  16  Kinder  geboren,  von  denen  neun  starben, 
sechs  im  Alter  von  drei  Monaten  angeblich  an  Fraisen,  drei  in 
späteren  Jahren  an  Lungenentzündung.  Die  anderen  lebenden 
Kinder  erfreuen  sich  bester  Gesundheit. 

Status  praesens  vom  25.  Januar:  Für  ihr  Aller 
grosses,  kräftig  gebautes,  gul  entwickeltes  und  gut  genährtes 
Mädchen. 

Skleren  leicht  ikterisch.  Befund  der  Lunge  und  des  Herzens 
normal,  ebenso  die  Temperatur. 

Abdomen  massig  meteoristisch  aufgetrieben,  ohne  abnormen 
Befund.  Harn  weder  eiweiss-  noch  zuckerhaltig. 

Das  Kind  ist  bei  Appetit,  tagsüber  ausser  Bett,  lustig  und 
guter  Dinge  und  gibt  an,  in  den  letzten  Tagen  ohne  Schmerzen 
und  Blutabgang  mehrmals  zu  Stuhl  gewesen  zu  sein. 


D.ecur.sus  morbi.  29.  Januar:  Patientin  fühlte  sich  Vor¬ 
mittags  noch  wohl,  erbrach  Nachmittags,  verweigerte  die  Nahrungs¬ 
aufnahme  und  begab  sich  zu  Bette, .  nachdem  sie  noch  einen  Brief 
an  ihre  Eltern  geschrieben,  dass  sie  heute  wieder  ihre  Bauch¬ 
schmerzen  bekommen  habe.  Das  Wartepersonale  machte  sie  auf 
eine  faustgrosse  Geschwulst  aufmerksam,  die  sich  im  linken  Hypo¬ 
gastrium  zeigte  und  bald  wieder  verging,  wie  sie  dies,  wenn  sie 
Bauchschmerzen  habe,  schon  öfters  bemerkte. 

Bei  der  Nachmittagsvisite  klagte  das  arme  Kind  über  uner¬ 
trägliche  Bauchschmerzen  und  war  sehr  unruhig.  Das  Abdomen 
war  stark  meteoristisch  aufgetrieben  und  druckempfindlich.  Seil 
Mittags  entleerte  es  zwei  flüssige,  schwarzbraune  Stühle. 

Es  wurde  ein  Le  i  t  e  r’scher  Kühlapparat  auf  das  Abdomen 
verordnet  und  intern  Opium  gegeben. 

Bis  Nachts  hatte  sich  ihr  Zustand  bedenklich  verschlimmert; 
sie  jammerte  und  stöhnte  ununterbrochen.  Der  Puls  wurde  faden¬ 
förmig  und  die  peripheren  Körpertheile  blieben  trotz  reichlicher 
Wärmezufuhr  kalt. 

Sensorium  meist  benommen.  Das  Abdomen  war  noch 
stärker  aufgetrieben,  mit  deutlicher  Dämpfung  in  beiden  Flanken. 
Das  Erbrechen  hatte  sich  nicht  mehr  wiederholt,  jedoch  gingen 
noch  zwei  fast  aus  reinem,  schwarz-rothem  Blute  bestehende  Stühle 
ab.  Die  Temperatur  stieg  nur  auf  37  2. 

30.  Januar.  Frühtemperatur  35'6;  Puls  schwer  zu  fühlen, 
Herztöne  kaum  hörbar.  In  den  bisher  von  Schmerzen  durchwühlten 
Körper  ist  Ruhe  eingezogen. 

Das  Abdomen  ist  bretthart  und  hochgradig  aufgetrieben. 

Trotz  Kochsalzinfusion  und.  Injection  von  Ivampheröl  ver¬ 
fällt  das  Kind  rasch  und  stirbt  in  schwerstem  Collaps  um 
9  Uhr  Früh. 

Die  O  b  d  u  c  t  i  o  n  (Prof.  P  a  1 1  a  u  f)  e  r  g  ab  folgenden 

BefuntL' 

Dem  Alter  entsprechend  gross,  mässig  genährt.  Allgemeine 
Decke  blass,  mit  lividen  Todtenflecken  auf  der  Rückseite  und 
rechten  Gesichtshälfte,  Lippen  cyanotisch,  Pupillen  mässig  und 
gleich  weit.  Abdomen  sehr  stark  gespannt,  in  der  unteren  rechten 
Hälfte  etwas  mehr  ausgebaucht  als  links,  daselbst  auch  etwas 
grünlich  verfärbt. 

Bei  der  Eröffnung  des  Abdomens  entleert  sich  eine  trübe, 
wässerige,  mit  schleimigen  Fibrinflocken  untermengte,  etwas  gas¬ 
führende  Flüssigkeit  und  liegt  zunächst  in  der  Mittellinie  das  zu 
einer  S-förmigen  Schlinge  gebogene,  enorm  ausgedehnte  und  prall 
gespannte  Colon  transversum  vor. 

Auch  das  Colon  ascendens,  namentlich  das  Cöcum  ist  enorm 
ausgedehnt  und  gespannt. 

Die  Serosa,  ebenso  das  Netz  intensiv  geröthet,  in  letzterem 
ein  kleinbohnengrosser  medullar-weisser,  ziemlich  harter  Knoten, 
welcher  reichlich  Saft  gibt.  An  dem  Ansatz  des  Netzes  am  Colon 
transversum  sind  noch  vier  ähnliche,  weissröthliche,  harte  Knoten 
auffindbar. 

Das  Netz  ist  mit  der  Leber,  und  zwar  an  einer  etwa  hühner¬ 
eigrossen  Geschwulst,  welche  sich  aber  vollständig  aus  einer  tiefen 
Grube  der  Leber  auslösen  lässt  und  dem  Peritoneum  parietale  der 
vorderen  Bsuchwand  innig  aufsitzt,  verwachsen. 

Diese  oberflächlich  schwärzlich  verfärbte  Geschwulst  besteht 
aus  einem  grauröthlichen,  ziemlich  reich  vascularisirten,  von  der 
Basis  aus  etwas  radiär  gestreiften  Neubildungsgewebe,  das  an  der 
Peripherie  fettig-gelbe,  opake  und  von  Hämorrhagien  durchsetzte 
Herde  zeigt.  Neben  und  auf  dieser  grösseren  Geschwulst  sitzt  eine 
zweite,  kleinussgrosse,  wie  ein  Fortsatz  auf,  die  aus  einem  weiss¬ 
gelblichen,  hie  und  da  gallertig  schimmernden  Gewebe  besteht. 

Das  Colon  descendens,  die  obere  Schlinge  der  Flcxur  enorm 
ausgedehnt,  letztere  an  einer  ringförmig  eingezogenen,  sich  hart  an¬ 
fühlenden  Partie  plötzlich  abgeschnürt. 

Der  untere  Schenkel  der  Flexur,  der  Uebergang  in  den  End¬ 
darm  nur  von  wenig  Gas  gebläht. 

An  der  ringförmig  eingezogene  Partie  ist  das  Mesenterium 
von  einer  weissen,  harten  Aftermasse  infiltrirt.  Am  Rande  des 
Darmbein  tellers,  an  der  hinteren  Blasenwand,  vor  dem  infantilen 
Uterus  und  an  einer  halbmondförmig  sich  spannenden  Falte  erbsen- 
und  kleinbohnengrosse  geröthete  Knoten.  Der  Grund  des  D  o  u  g  1  a  s- 
schen  Raumes  rechterseits  an  der  vorderen  Rectalwand  stari 
infiltrirt. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  17 


Die  dünnen  Gedärme  sind  massig  ausgedehnt,  ihre  Serosa 
stellenweise  streifenförmig  geröthet. 

Die  Leber  ist  stark  in  die  Kuppe  des  Zwerchfelles  gedrängt, 
zeigt  ausser  jener  bereits  beschriebenen  tiefen  Grube  noch  drei 
fingerbeerengrosse  Eindrücke,  herrührend  von  halbkugeligen,  circa 
1  cm  im  Durchmesser  haltenden,  theils  gerötheten,  theils  medullar- 
weissen  Knoten,  neben  denen  sich  zahlreiche  kleinere,  grauweisse 
und  ebenfalls  runde  Knötchen  finden.  In  der  Leber  mehrere  nuss- 
bis  kleinapfelgrosse,  medullar-weisse,  runde  Geschwülste,  welche 
reichlich  Saft  geben;  das  anliegende  Lebergewebe  ist  etwas  com- 
primirt,  sonst  blass-braun  mit  undeutlicher  Zeichnung. 

Die  Milz  ist  platt,  braunroth,  das  Gewebe  ziemlich  dicht. 
Beide  Nieren  in  der  Rinde  stark  gequollen  und  erbleicht. 

Im  Dickdarm  reichliche,  aashaft  stinkende,  graubraune,  mit 
Fruchtkörnern  untermengte  harte  Knollen  und  skybalahältige,  flüssige 
Fäcalmassen. 

Die  Schleimhaut  ist  grau,  hie  und  da  gallig  imbibirt. 

An  der  eingeschnürten  Stelle  der  Flexura  sigmoidea  befindet 
sich  ein  gürtelförmiges,  etwa  2  cm  starkes  Geschwür  mit  stark  auf¬ 
geworfenen,  starr  infiltrirten  Rändern  und  einer  nach  dem  Mesen¬ 
terium  zu  recessusartig  vertieften  Basis.  Die  Ränder,  sowie  jene 
medulläre  Infiltration  zeigen  ein  weisses,  deutlich  Saft  gebendes 
Neubildungsgewebe. 

Im  Enddarm  gefaltete  Schleimhaut.  Jene  Knoten  im  Douglas 
durch  die  Darmwand  wohl  tastbar,  aber  nicht  in  die  Darmwand 
infiltrirt. 

Im  Dünndarm  starke  Schwellung  der  Follikel  und  der  Pay  er¬ 
sehen  Plaques  und  flüssiger,  gallig  gefärbter  Inhalt.  Der  Magen  ist 
klein  und  enthält  wenig  schleimige  Flüssigkeit,  seine  Schleimhaut 
ist  blass.  Brustorgane  normal. 

Diagnose:  Carcinoma  flexurae  sigmoides  exulceratum,  cum 
strictura  hujus  Carcinoma  metastaticum  hepatis,  peritonei,  omenti 
et  glandularum  lymph,  retroperitoneal.  Peritonitis  incipiens. 

Die  histologisch-mikroskopische  Untersuchung  des  Neubildungs¬ 
gewebes  ergab  ein  typisches  Cylinderzellencarcinom. 

Es  ist  wohl  leicht  begreiflich,  dass  wir  in  diesem  Falle  nicht 
im  Entferntesten  an  ein  Darmcarcinom  dachten  und  die  nach¬ 
träglich  allerdings  erkannten  Anhaltspunkte  hiefür  anders  ver- 
wertheten. 

Das  Mädchen  war  gut  genährt  und  entwickelt,  bei  Appetit 
und  guter  Laune;  tagsüber  ausser  Bett,  tummelte  es  sich  mit 
anderen  Kindern  im  Krankenzimmer  herum.  Da  konnten  wir  doch 
an  keine  ernstere  Krankheit  denken;  zudem  gab  die  Kleine  an,  dass 
sie  seit  der  Touchirung  der  Analfissur  die  Schmerzen  fast  vollständig 
verloren  habe  und  der  Stuhl  nicht  mehr  blutig  sei. 

Auch  die  genaueste  Palpation  des  Abdomens  hätte  uns  nicht 
eines  Besseren  belehren  können,  da  sowohl  das  Carcinom  der 
Flexura  sigmoidea,  sowie  die  metastatischen  Tumoren  der  Leber¬ 
oberfläche,  wie  die  Obduction  ergab,  von  stark  geblähten  Darm¬ 
schlingen  überlagert  waren. 

Als  das  Krankheitsbild  sich  in  so  stürmischer  Weise  änderte, 
mussten  wir  an  eine  wahrscheinlich  durch  Invagination  bedingte 
Occlusio  intestini  denken. 

Während  der  Vorbereitungen  zur  operativen  Hilfe  trat  der 
Exitus  letalis  ein. 

Die  Darmobturation  hatten  wohl  die  harten  Kothknollen  an 
der  kaum  für  einen  kleinen  Finger  durchgängigen  Strictur  ver¬ 
schuldet  und  intestinale  Toxikämie  und  die  beginnende  Peritonitis 
zerstörten  in  wenigen  Stunden  das  junge  Leben. 

Die  Carcinose  ist  im  Kindesalter  bekannter  Weise  eine 
seltene  Krankheit.  Nach  verschiedenen  statistischen  Arbeiten 
treten  90%  aller  Carcinome  im  40. — 80.  Lebensjahre  auf, 
die  zweite  Hälfte  des  zweiten,  das  dritte  und  vierte  Lebens- 
decennium  occupiren  fast  den  ganzen  Rest,  so  dass  die  älteren 
Berechnungen,  wonach  von  1000  Krebskranken  drei  bis  acht 
dem  Kindesalter  angehören,  der  Wirklichkeit  entschieden  nicht 
entsprechen;  der  Irrthum  kam  durch  die  Einrechnung  anderer 
Geschwülste,  besonders  der  bei  Kindern  viel  häufigeren  Sarkome 
zu  Stande. 

Nach  den  neueren  statistischen  Daten  von  de  la  C  a  m  p  ') 
kommen  von  10.000  Carcinomen  auf  das  erste  und  zweite 


Decennium  19;  von  diesen  stehen  aber  verschiedene  ausserhalb 
des  Kindesalters,  so  dass  wir  sagen  müssen,  dass  von  1000  Krebs¬ 
fällen  ungefähr  einer  dem  Kindesalter  angehört. 

Diese  auf  die  Kinder  entfallende  geringe  Anzahl  vertheilt 
sich  nun,  Avie  auch  im  höheren  Alter,  auf  fast  sämmtliche  Or¬ 
gane  des  Körpers,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  der  Lieb¬ 
lingssitz  der  Carcinome  bei  Erwachsenen  ein  anderer  ist. 

Nach  verschiedenen  statistischen  Berechnungen  kommt 
bei  diesen  an  erster  Stelle  des  Carcinoma  uteri,  dann  das 
Mammacarcinom,  der  Magen-,  der  Mastdarm-  und  Speise¬ 
röhrenkrebs. 

Bei  den  Kindern  ist  dies  nun  ganz  anders.  Das  Carci¬ 
noma  uteri  ist  die  grösste  Seltenheit,  ebenso  das  Mammacarci¬ 
nom,  es  liegen  hierüber  nur  ganz  vereinzelte  Publicationen 
vor.  Bezüglich  des  Sitzes  an  der  Speiseröhre  sagt  May  dl2), 
dass  er  vor  dem  30.  Lebensjahre  kein  Oesophaguscarcinom 
fand;  obwohl  seit  der  Veröffentlichung  dieser  Arbeit  17  Jahre 
vorüber  sind,  erging  es  mir  ebenso. 

Etwas  häufiger  ist  der  Magenkrebs;  so  erwähnt 
R  Scholz  in  seiner  im  Jahre  1886  in  Breslau  erschienenen 
Dissertation,  dass  bis  dahin  fünf  Fälle  von  Magenkrebs  im 
ersten  Ledensdecennium  bekannt  seien.  C.  Stern3)  erklärt 
allerdings  zwei  hievon  als  sehr  zweifelhaft.  Seither  sah 
Duzea4)  eiu  Pyloruscarcinom  bei  einem  zwölfjährigen 
Mädchen. 

Was  den  Darmkrebs  anbelangt,  erwähne  ich  hier  vor¬ 
läufig  nur  kurz,  dass  er  im  Kindesalter  die  erste  Stelle  ein¬ 
nimmt,  häufiger  aber  in  den  nächstfolgenden  Jahren  vor¬ 
kommt. 

In  den  älteren  Arbeiten  über  Carcinose  im  Kindesalter 
stehen  bezüglich  der  Häufigkeit  voran  die  Nieren  ,  Augen- 
und  Knochen  krebse. 

Nun  wissen  wir,  dass  damals  die  Sarkome  noch  nicht 
abgetrennt  waren,  und  dass  die  Carcinome  in  diesen  Organen, 
wenn  es  überhaupt  wahr  ist,  enorm  selten  Vorkommen. 

Dann  liest  man,  dass  relativ  oft  auch  die  Generations¬ 
drüsen  der  Kinder  vom  Krebs  befallen  werden.  Aber  auch 
hier  Avaren  die  Sarkome  Veranlassung  zu  diesem  Irrthum; 
thatsäehlich  liegen  aber  einige  Beobachtungen  von  primärem 
Krebs  der  Testtkel,  Samen  blasen  und  Ovarien  vor. 

Ebenso  dürfte  es  sich  mit  den  bösartigen  Neubildungen 
der  Prostata  verhalten. 

Quincke  und  Hoppe  S  e  y  1  e  r  5)  berichten  von  sechs 
unzweifelhaften  Fällen  von  primären  Lebercarcinomen  bei 
Kindern  bis  zum  zwölften  Lebensjahre;  •  nach  den  neuesten 
Arbeiten  von  Ziegler  handelt  es  sich  aber  hier  meist  um 
sogenannte  Angiosarkome. 

Nach  O  s  e  r 6)  wurden  drei  Fälle  von  Pankreascarci- 
nomen  vom  siebenten  Monate  bis  zum  14.  Lebensjahre 
beobachtet. 

Endlich  erwähne  ich  noch  kurz,  dass  man  in  der  ein¬ 
schlägigen  Literatur  noch  ganz  vereinzelte  Beobachtungen  von 
Carcinom  des  Gehirnes,  der  Nase,  Lippen,  Schilddrüse,  des 
Kehlkopfes  mit  Tracheotomie,  der  Lunge  und  Milz,  der  Hals-, 
Achsel-,  Bronchial-,  Mesenterial-  und  Leistendrüsen,  Harnblase 
und  Knochen  findet,  die  dem  Kindelalter  angehören;  diese 
Fälle  stammen  zumeist  aus  früherer  Zeit  und  dürften  daher 
nicht  verlässlich  sein. 

Doch  nun  zum  Darmkrebs. 

Im  Nachstehenden  will  ich  nun  alle  in  der  Literatur  mir 
zugänglich  gewesenen  primären  kindlichen  Darmkrebse,  die 
mir  unzweifelhaft  schienen,  möglichst  chronologisch  zusammen¬ 
stellen. 

Prof.  Clar7)  berichtete  im  Jahre  1855  folgenden  Fall, 
der  seither  in  allen  diesbezüglichen  Arbeiten  als  vollwerthig 
citirt  ist. 

Ein  3 '/4  Jahre  alter  Knabe  schien  bis  sieben  Tage  vor 
seinem  Tode  fast  durchgehends  gesund. 

An  diesem  Jage  schAvoll,  ohne  dass  sich  der  Knabe 
besonders  unwohl  gefühlt  hätte,  der  Bauch  bei  zeitweiser  Ver¬ 
stopfung  in  sehr  bedeutender  Weise  an.  Erst  drei  Tage  vor 
dem  Tode  war  im  Mesogastrium  eine  faustgrosse,  schmerzlose 
Gesclnvulst  zu  fühlen.  In  den  letzten  zwei  Lebenstagen  trat 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Erbrechen  mit  fäculentem  Geruch  auf.  Bei  fortwährender  Zu¬ 
nahme  des  Bauches,  bei  zunehmender  Hinfälligkeit  und  all¬ 
gemeiner  Anämie  entschlief  der  Knabe  bei  fast  vollkommenem 
Bewusstsein. 

Im  Dickdarm  und  zwar  beim  Uebergange  des  absteigen¬ 
den  Colons  in  die  Flexura  sigmoidea  war  eine  fast  4'"  dicke, 
hirnmarkähnliche  Infiltration  der  gesammten  Darmhäute,  welche 
nach  innen  zu  im  ganzen  Umfang  erweicht  und  graulich  pig- 
mentirt  war.  Das  Zwerchfell,  Peritoneum,  Gekröse  und  die 
Bauchwand  enthielten  Krebsknoten. 

Zum  Schlüsse  sagt  Prof.  Clar:  »Der  Knabe  war  somit 
an  einem  acuten  Krebs  des  Darmes,  des  Bauchfells  und  der 
Mesenterialdrüsen,  welche  acute  Bauchwassersucht,  Darm¬ 
lähmung  und  acutes  Lungenödem  zur  Folge  hatte,  gestorben.« 

feteiners)  sah  im  Jahre  1865  Dickdarmkrebs  bei  einem 
neunjährigen  Knaben.  Man  merkte  in  der  letzten  Zeit  dem 
Kinde  nur  an,  dass  es  blässer  wurde. 

Zwei  Tage  vor  der  Spitalsaufnahme  traten  ohne  nach¬ 
weisbare  Ursache  Ueblichkeit,  Erbrechen,  Stuhlverstopfung  und 
Kolikanfälle  auf. 

Der  Knabe  war  kräftig  gebaut  und  gut  genährt.  Das 
Abdomen  war  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  ungewöhnlich 
meteoristisch  aufgetrieben  und  druckempfindlich.  Bei  diesen 
Symptomen  wurde  an  eine  innere  Incarceration  gedacht,  re¬ 
spective  die  Möglichkeit  eines  Volvulus  oder  Darmin vagination 
angenommen.  Der  Knabe  verschied  sechs  Stünden  nach  der 
Spitalsaufnahme. 

Bei  der  Obduetion  zeigte  sich  der  Dickdarrn  an  der 
Stelle,  wo  die  Flexura  sigmoidea  beginnt,  in  sämmtlichen 
Häuten  enorm  verdickt,  callös,  grünlichgelb.  Das  Lumen  des 
Darmrohres  war  bis  zur  Undurchgängigkeit  einer  Federspule 
verengt  und  zwar  trichterförmig  mit  der  Spitze  nach  oben. 

Diese  stricturirte  Partie  war  an  5/4  Zoll  lang  und  wie 
ein  dicker  Wulst  in  das  Darmrohr  gewissermassen  emgekeilt. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  Areolarkrebs. 

Im  Jahre  1878  entdeckte  Span  ton9)  bei  einem  zwölf¬ 
jährigen  Knaben  eines  Tages,  nachdem  er  einen  Sturz  erlitten, 
eine  Schwellung  in  der  rechten  Leistengegend. 

Bei  näherer  Untersuchung  fand  man  in  der  Fossa  iliaca 
dext.  eine  ovale,  wenig  empfindliche  und  bewegliche  Geschwulst, 
welche  nach  dem  Gebrauche  von  Abführmitteln  unverändert  blieb. 

Zehn  Tage  später  traten  unter  Fiebererscheinungen  (39°) 
häufiges  Erbrechen  und  Bauchschmerzen  auf.  Alle  diese  Zu¬ 
fälle  verschwanden  wieder,  nur  der  Tumor  blieb.  Nach  etwa 
dreimonatlicher  Krankheitsdauer  starb  das  Kind  an  Peritonitis. 
Bei  der  Obduetion  fand  man  ausser  der  letzteren  ein  Medullar- 
carcinom  am  Endstück  des  Ileums  von  der  Grösse  einer  Cocos- 
nuss,  welches  das  Cöcum  durchbrochen  hatte  und  dort  mit 
einer  Geschwürsfläche  blosslag. 

Dun  kan10)  beobachtete  im  Jab  re  1885  bei  einem 
S'/ojährigen  Knaben  ein  grosses  Dünndarmcarcinom  mit  meta¬ 
statischen  Tumoren  in  Leber  und  Nieren. 

Die  Krankheit  begann  mit  leichten  Anschwellungen  des 
Bauches  und  der  Beine  und  endete  in  einem  Monat.  Wegen 
Dyspnoe  musste  ein  pleuritisches  Exsudat  punctirt  werden. 
Unter  Zunahme  der  Athembeschwerden,  Auftreten  von  knolligen 
Anschwellungen  im  Bauche  und  erschöpfenden  Diarrhöen  ging 
das  Kind  drei  Wochen  nach  der  Spitalsaufnahme  zu  Grunde. 

Der  Dünndarm  war  in  der  Ausdehnung«  von  7 */.,  cm  von 
einer  harten  Krebsgeschwulst  eingenommen,  welche  sich  auch 
mikroskopisch  als  Carcinom  erwies. 

Stern  ')  berichtet  im  Jahre  1892  von  einem  Mastdarm- 
carcinom  bei  einem  elfjährigen  Mädchen. 

Das  Kind  soll  seit  einem  Monat  an  schwer  zu  be¬ 
kämpfender  Stuhlverstopfung  gelitten  haben  und  magerte  dabei 
stark  ab.  Im  Stuhl  war  nie  Blut,  das  Abdomen  war  stark 
meteoristisch  aufgetrieben.  Es  wurde  die  Diagnose  auf  chronisch 
entstandene  Invagination  gestellt.  Bei  der  vorgenommenen 
Operation  musste  ein  Anus  praeternaturalis  angelegt  werden. 
Sechs  Monate  hernach  starb  das  Kind. 

Erwähnenswerth  wäre  noch,  dass  während  des  Verlaufes 
zweimal  Convulsionen  auftraten,  die  auf  Darmausspülungen 


behoben  wurden,  und  Stern  meinte,  dass  es  sich  um  Auto- 
intoxicationen  handelte. 

Interessant  ist  die  Beobachtung  A  h  1  f  e  1  d’s  n);  er  sah 
bei  einer  Sirenenmissbildung,  welche  blinde  Endigung  des  Dick¬ 
darmes  zeigte,  an  diesem  ein  Darmcarcinom  von  Maulbeer¬ 
grösse. 

Prof.  Czerny12)  hatte  im  Jahre  1896  die  seltene  Ge¬ 
legenheit,  bei  einem  13jährigen  Knaben  einen  Mastdarmkrebs 
zu  operiren. 

Im  Rectum  des  kleinen  Patienten  fand  sich  dicht  unter¬ 
halb  des  Promontoriums  eine  zapfenförmige,  innen  ulcerirte 
Geschwulst.  Wegen  der  Jugend  des  Patienten  wurde  die 
Diagnose  auf  papilläres  Adenom  gestellt,  trotzdem  aber  die 
Resectio  recti  auf  8  cm  Länge  vorgenommen.  Das  carcinomatöse 
Geschwür  umfasste  4  cm  hoch  das  Mastdarmrohr,  und  die 
epitheliale  Wucherung  reichte  durch  die  Muscularis  bis  auf 
die  Serosa  des  D  o  u  g  1  a  s'schen  Raumes,  die  in  Pfennigstück¬ 
grösse  entartet  war  und  entfernt  wurde. 

Der  Tumor  soll  sich  seit  einem  halben  Jahre  ent¬ 
wickelt  haben;  bezüglich  der  Symptome  ist  nichts  mitgetheilt. 

Ohne  nähere  Angaben  erwähnt  Prof.  Nothnagel13) 
bei  den  bösartigen  Neubildungen  des  Darmes,  dass  er  bei 
einem  zwölfjährigen  Knaben  ein  Cöcumcarcinom  beobachtete. 

Nach  May  dl2)  sollen  Allingham  und  Bryant  über 
Cöcalcarcinome  bei  einem  13jährigen  Knaben  und  einem  zwölf 
jährigen  Mädchen  berichtet  haben. 

Leider  waren  mir  diese  Mittheilungen  nicht  zugänglich, 
aber  die  Namen  dieser  Autoren  verbürgen  wohl  die  Richtigkeit 
der  Angaben. 

Als  letzter  Fall  beschliesst  die  Casuistik  des  kindlichen 
Darmkrebses  unsere  eingangs  mitgetheilte  Beobachtung. 

Wir  konnten  also  elf  unzweifelhafte  Fälle  von  primärem 
Darmkrebs  zusammenstellen  und  müssen  daraus  folgern,  dass 
derselbe  im  Kindesalter  relativ  am  häufigsten  vorkommt,  an 
und  für  sich  aber  eine  seltene  und  in  vivo  schwer  diagnosticir- 
bare  Krankheit  ist. 

Die  meisten  Beobachtungen  wurden  in  den  letzten  De- 
cennien  gemacht  und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  bei  der  all¬ 
gemeinen  Zunahme  der  Carcinose  ihr  auch  immer  mehr  Kinder 
zum  Opfer  fallen. 

Bezüglich  des  Sitzes  der  Carcinome  wird  bei  Erwachsenen 
nach  verschiedenen  statistischen  Arbeiten  weitaus  am  häufigsten 
der  Mastdarm,  am  seltensten  der  Dünndarm  befallen. 

Wir  hatten  einen  Dünndarm-,  zwei  Mastdarm-  und  acht 
Dickdarmkrebse;  von  letzteren  sass  die  eine  Hälfte  am  Cöcum, 
die  andere  an  der,  Flexura  sigmoidea. 

Es  scheint  also  der  Lieblingssitz  bei  Kindern  der  Dick¬ 
darm  an  den  letztgenannten  Partien  zu  sein,  während  der 
Mastdarm  viel  seltener  betheiligt  ist. 

So  stellte  Schoening14)  im  Jahre  1885  13  Fälle  von 
Mastdarmkrebs  vor  dem  20.  Lebensjahre  zusammen,  von 
denen  jedoch  nur  sieben  unzweifelhaft  sind,  doch  alle  diese 
Patienten  standen  im  Alter  von  16  —  20  Jahren  und  Schoe¬ 
ning  hielt  deshalb  den  Mastdarmkrebs  vor  dem  15.  Lebens¬ 
jahre  für  unbekannt. 

Interessant  ist  diesbezüglich  das  Wechselspiel  mit  dem 
Sarkom;  dieses  befällt  hauptsächlich  den  Dünndarm,  in  seltenen 
Fällen  den  Dickdarm  und  dann  meist  am  Cöcum. 

Was  das  Alter  der  Kinder  anbelangt,  tritt  der  Darmkrebs 
am  häufigsten  gegen  das  Ende  des  Kindesalters  auf;  nur  ein¬ 
mal  wurde  er  bei  einem  Neugeborenen  und  zweimal  zwischen 
dem  dritten  und  vierten  Lebensjahr  beobachtet. 

Bezüglich  des  Geschlechtes  sind  die  Knaben  in  auf¬ 
fallender  Weise  bevorzugt;  von  zehn  Kindern  waren  sieben 
Knaben  und  drei  Mädchen.  Auch  bei  Erwachsenen  prävalirt 
das  männliche  Geschlecht. 

Bei  der  Symptomatologie  des  Darmkrebses  müssen  wir 
vor  Allem  hervorheben,  dass  es  bei  Kindern  nie  zur  ausge¬ 
sprochenen  Krebskachexie  kommt;  meist  bestehen  nur  mehr 
oder  weniger  schwere  Anämien  und  der  gute  Ernährungs¬ 
zustand  kann  bis  zum  Tode  intact  bleiben,  ja  es  kann  das 
Darmcarcinom  bei  einem  anscheinend  gesunden  Kinde  nur 
ein  zufälliger  Befund  sein. 


392 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.- -17 


Mit  der  Zeit  treten  aber  doch  die  localen  Symptome,  die 
ja  dieselben  wie  bei  Erwachsenen  sind,  in  den  Vordergrund, 
und  dann  ist  auch  meist  der  Exitus  letalis  nicht  mehr  ferne. 

Es  scheint  nämlich  im  kindlichen  Organismus  mit  seinem 
erhöhten  Stoffwechsel  das  Carcinom  zum  rascheren  Wachs¬ 
thum  günstige  Bedingungen  zu  finden;  andererseits  ist  dieser 
zarte  kindliche  Organismus  bedeutend  weniger  widerstands¬ 
fähig,  so  dass  daraus  eine  viel  kürzere  Lebensdauer  resultirt. 

Prof.  Nothnagel  schätzt  bei  Erwachsenen  die  mittlere 
Lebensdauer,  wenn  keine  operative  Hilfe  geleistet  wird,  auf 
v2 — 2  Jahre,  Bei  den  Kindern  müssen  wir  unter  denselben 
Bedingungen  höchstens  ein  halbes  Jahr  annehmen. 

In  Bezug  auf  die  Differentialdiagnose  mit  dem  Darm- 
sarkom,  das  im  Kindesalter  seltener  als  das  Carcinom  vor¬ 
kommt,  erwähne  ich,  dass  nach  Prof.  Nothnagel  das 
Sarkom  keine  Einschnürung,  sondern  meist  eine  Dilatation 
der  erkrankten  Darmpartie  erzeuge;  auch  soll  frühzeitig  be¬ 
deutende  Abmagerung  und  Kräfteverfall  auftreten. 

Die  operative  Heilung  des  Darmkrebses  dürfte  bei  den 
Kindern  bedeutend  schlechtere  Chancen  haben  als  bei  Er¬ 
wachsenen,  und  zwar  hauptsächlich  deshalb,  weil  meistens  die 
D  iagnose  erst  zu  einer  Zeit  sicher  gestellt  werden  kann, 
wenn  zahlreiche  Metastasen  eine  radicale  Operation  unmöglich 
machen;  so  starb  auch,  wie  mir  mitgetheilt  wurde,  der  von 
Czerny  anscheinend  gewiss  radical  operirte  Knabe  nach 
ungefähr  eineinviertel  Jahren  an  Recidive. 

Zum  Schlüsse  erübrigt  mir  noch  die  angenehme  Pflicht, 
meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Director  Gnän  dinger,  und 
Herrn  Prof.  Pal  tauf  für  ihre  freundliche  Unterstützung 
meinen  besten  Dank  auszuspr echen. 

Literaturangaben. 

')  Dr.  de  1  a  Camp,  Carcinom  in  den  ersten  beiden  Lebens- 
decennien.  Mittbeilnngen  aus  den  Hamburger  Staatskrankenanstalten.  1897, 
Bd.  I,  Heft  1,  pag.  41. 

-)  Dr.  M  a  y  d  1,  Ueber  den  Darmkrebs.  Wien  1883. 

;!)  Dr.  Karl  Stern,  Zur  Kenntniss  maligner  Neubildungen  im 
Kindesalter.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1892. 

4)  Dr.  D  u  z  e  a,  Saute  des  hospit.  1887,  Heft  56. 

•')  Prof.  Q  ui  n  cke  und  Hoppe-Seyler,  Die  Krankheiten  der 
Leber.  Nothnagel’s  Speeielle  Pathologie  und  Therapie. 

°)  Prof.  Oser,  Die  Erkrankungen  des  Pankreas.  Ebendort. 

7)  Prof.  C 1  a  r,  Oesterreichische  Zeitschrift  für  Kinderheilkunde. 
1855,  I.  Jahrgang,  Heft  2. 

8)  Docent  Steiner,  Ein  Beitrag  zu  den  Stenosen  im  Kindesalter. 
Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  A.  R.  Bd.  VII. 

9)  S  p  a  n  t  o  n,  Med.  Times  and  Gaz.  1878;  nach  einem  Referat  in: 
Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XIII. 

,0)  Dunkan,  Edinburgh  med.  Journ.  1885.  Jahrbuch  für  Kinder¬ 
heilkunde.  Bd.  XVII. 

!1)  Alfeld,  Archiv  für  Gynäkologie.  Bd.  XVI. 

12)  Czerny,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1896,  Nr.  11. 

13)  Prof.  Nothnagel,  Die  Erkrankungen  des  Darmes  und  Perito¬ 
neums.  1898 

14)  Schoenin  g,  Ueber  das  Vorkommen  des  Mastdarmkrebses  in 
den  ersten  beiden  Lebensdecennien.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie. 
Bd.  XXII. 


REFERATE. 

Die  Krankheiten  der  Milz  und  die  hämorrhagischen 

Diathesen. 

Von  Prof.  Dr.  M.  Litten. 

Speeielle  Pathologie  und  Therapie.  Herausgegeben 
von  Hofrath  Prof.  Dr.  Hermann  Nothnagel. 

Bd.  VIII,  3.  Theil. 

Wien,  Hölde  r. 

Bei  der  Seltenheit  von  in  der  Milz  primär  und  ausschliess¬ 
lich  localisirten  Kraukheitsprocessen,  bei  der  regen  Antheilnahme 
dieses  uns  in  seiner  physiologischen  Function  noch  vielfach  räth- 
selhaften  Organes  an  ganz  verschiedenartigen  Krankheitsprocessen, 
erscheint  die  Aufgabe,  der  sich  der  Autor  mit  so  grosser  Sach¬ 
kenntnis  und  Geschicklichkeit  unterzogen  hat,  von  vorneherein 
als  eine  äusserst  schwierige.  Dazu  gesellt  sich  der  Umstand,  dass 
die  Milz  ja  eigentlich  nicht  ein  in  sich  abgeschlossenes  functio- 
uelles  Ganze  bildet,  sondern  nur  einen  Theil  eines  viel  grösseren 


Systemes  (Milz  -j-  Drüsen  -(-  Knochenmark  -f-  Thyreoidea  (?) 
ausmaeht.  Ein  Herausschälen,  ein  isolirtes  Hervorheben  der  Milz¬ 
veränderung  erscheint  daher  vielfach  unmöglich.  Aus  diesen  und 
den  früher  erwähnten  Verhältnissen  erklärt  sich  Manches,  was  im 
ersten  Momente  als  Weitschweifigkeit,  als  ein  Uebergreifen  in  die 
Prärogative  anderer  Bände  des  Handbuches  aufgefasst  werden 
könnte  (eingehende  Berücksichtigung  der  Leukämie,  Pseudoleu¬ 
kämie  u.  s.  wr.). 

Die  grosse  Sicherheit  unseres  pathologisch  -  anatomischen 
Wissens  gegenüber  der  Unklarheit  so  mancher  klinischer  Fragen 
lägst  es  wohl  auch  erklärlich  erscheinen,  wenn  der  Autor  auf  dem 
sicheren  Boden  pathologisch- anatomischer  Forschung  mit  besonderer 
Vorliebe  weilt  (Milzinfarct,  Histologie  der  Milztumoren  u,  8.  w.). 

So  gewissenhaft  der  Autor  in  der  Wiedergabe  fremder  An¬ 
schauungen  ist,  so  präeise  und  klar  tritt  dort,  wo  ihm  eigene 
Erfahrung  zu  Gebote  steht,  sein  individueller  Standpunkt  hervor. 

Zunächst  werden  die  physikalischen  Untersuehungsmethoden 
eingehend  berücksichtigt,  einschliesslich  Röntgenographie  und  Probe- 
punctioD. 

Besonders  bei  jugendlichen  Individuen  will  Litten  den 
unteren  Theil  der  Milz  deutlich  gefühlt  haben,  ohne  dass  Erkran¬ 
kungen  des  Organes  bestanden. 

Er  weist  andererseits  hin  auf  das  häufige  Vorkommen  von 
Mflztumor  ohne  greifbare  Aetiologie,  besonders  bei  jugendlichen 
Individuen. 

Eine  Beziehung  zu  Rachitis  ist  ihm  unwahrscheinlich.  Im 
engeren  Rahmen,  unserem  Wissen  entsprechend,  ist  die  Physio¬ 
logie  der  Milz  gehalten.  Auf  Widerspruch  dürfte  der  Autor  stossen  mit 
der  Behauptung,  die  Milz  sei  die  Hauptbildungsstätte  der  weissen 
Blutkörperchen.  Nun  folgen  die  verschiedenartigen  pathologischen 
Affectionen  der  Milz.  Nur  Einzelnes  sei  hervorgehoben  aus  der 
Fülle  interessanter  Details,  besonders  so  weit  es  sieh  um  die  in¬ 
dividuellen  Anschauungen  des  Autors  handelt.  Reichlich  sind  die¬ 
selben  niedergelegt  in  dem  ausführlichen  Capitel  über  Milzinfarct. 
Mit  besonderem  Nachdruck  wird  auf  die  ab  und  zu  vorkommende 
Sterilität  von  Milzabscessen  hingewiesen.  Betont  wird  die  Häufig¬ 
keit  von  venösen  Herderkrankungen  (Infarcten)  bei  Recurrensmilz 
(40%)  gegenüber  der  Seltenheit  solcher  arteriellen  Ursprunges 
(5%l  Sehr  eingehende  Besprechung  erfährt  die  Amyloidose 
der  Milz. 

Hinsichtlich  der  Organotherapie  bei  Leukämie  steht  der 
Autor  auf  einen  ganz  ablehnenden  Standpunkte,  auch  vom  Thyre- 
oidin  sah  er  keine  Erfolge.  Sehr  Iesenswerth  ist  die  Besprechung 
der  niehtparasitären  Milzcysten.  Gegen  die  Auffassung  seröser 
Cysten,  als  durch  Retention  bedingt,  wird  entschieden  Stellung 
genommen,  das  scheinbare  Fehlen  des  Zellenbelages  in  hämorrha¬ 
gischen  Cysten  zurückgeführt  auf  artifieielle  Entfernung  desselben 
bei  den  Härtungsprocessen. 

Hinsichtlich  der  Probepunctionen  ist  jedenfalls  die  Bemer¬ 
kung  des  Autors  interessant,  »er  habe  bei  fast  zahllosen  Probe- 
punetionen,  die  zum  Theil  in  eine  nicht  antiseptische  Zeit  fallen, 
niemals  einen  unangenehmen  Zwischenfall  erlebt«,  vor  Allem  nie 
eine  Vereiterung  eines  früher  klaren  Inhaltes. 

Hinsichtlich  des  so  viel  besprochenen  und  so  selten  beob¬ 
achteten  Hydatidenschwirrens  steht  Litten  auf  dem  Standpunkte 
Rüchenmeister’s.  Eine  Bedingung  desselben  sei  das  Vor¬ 
handensein  von  Toehterblasen.  Es  sei  für  den  Process  charakteri¬ 
stisch,  komme  bei  Cysten  anderer  Genesis  nicht  vor.  Ausführ¬ 
liche  Berücksichtigung  erfährt  die  Splenektomie  sowohl  in  ihren 
theoretischen  als  praktischen  Ergebnissen,  sowie  in  ihrer  Indica¬ 
tion  am  Krankenbett. 

Anschliessend  an  die  Erkrankungen  der  Milz  bespricht 
Litten  in  klarer  und  erschöpfender  Weise  das  so  überaus  ver¬ 
worrene,  an  Worten  mit  fehlenden  Begriffen  reiche  Capitel  der 
hämorrhagischen  Diathesen  (Scorbut,  Hämophilie,  Morbus  maculosus 
Werlhofii). 

Er  definirt  den  Scorbut  als  eine  Infectionskrankheit  nicht 
contagiösen  Ursprunges,  hervorgerufen  durch  Mikroorganismen, 
welche  in  einem  kaliarmen  Körper  günstigen  Nährboden  finden, 
ohne  jedoch  den  Kalimangel  als  eine  Conditio  sine  qua  non  auf¬ 
zufassen.  Seiner  eigenen  Beobachtung  zufolge  tritt  Scorbut  auch 
nach  Influenza  auf. 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


393 


Nansen’s  Erfahrungen  hinsichtlich  zweckmässiger  Ver- 
proviantiruug  werden  eingehend  berücksichtigt. 

Bei  Besprechung  der  Hämophilie  wird  gegen  die  K  o  c  h’sche 
Theorie  vom  infectiösen  Charakter  derselben,  wohl  mit  Fug  und 
Recht,  entschieden  Stellung  genommen.  Sehr  bemerkenswertk  er¬ 
scheint  mir  der  Standpunkt  des  Autors  hinsichtlich  der  Purpura- 
erkraukungen,  dahingehend,  »dass  es  sich  nicht  um  essentielle 
Unterschiede,  sondern  nur  um  graduelle,  d.  h.  um  solche  in  der 
Intensität  der  Erkrankungen  handelt.«  Sehr  warm  tritt  Litten 
für  die  infectiöse  Natur  der  Purpuraerkrankungen  ein,  während  er 
andererseits  Gefässveränderungen  als  ätiologisches  Moment  mit 
Rücksicht  auf  das  rasche  Kommen  und  Gehen  von  Hautblutungen 
zurückweist. 

Energisch  wendet  er  sich  gegen  den  Missbrauch  mit  den 
von  Schön  lein  eingeführten  Namen  »Peliosis  rheumatiea«. 
Eine  Existenzberechtigung  kommt  seiner  Ansicht  nach  diesem 
Symptomeneomplex  überhaupt  nicht  zu.  Die  Schwierigkeit  der 
Diagnose  einer  Purpura  fulminans  (Henoch)  besonders  gegen¬ 
über  hämorrhagischer  Variola  wird  durch  einen  Fall  eigener  Be¬ 
obachtung  erläutert. 

Alles  in  Allem  —  ein  Buch,  dessen  Lecture  Niemand  be¬ 
enden  wild,  ohne  dem  Autor  Dank  zu  sagen,  für  die  so  klare, 
übersichtlichtliche,  durch  reichliche  eigene  Erfahrung  gestützte 
Bearbeitung  zweier  so  eminent  schwieriger  Capitel  der  internen 
Medicin.  Schmidt. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

1 14.  U  e  b  e  r  eine  Massenerkrankung  d  u  r  c  h 
Vergift  um  g  mit  stark  solan  inhaltigen  Kartoffeln. 
Von  Prof.  Pfuhl  (Berlin).  Bei  einem  Truppentheil  hatten "  sich 
vom  29.  Mai  bis  1.  Juni  1898  56  Mann  wegen  eines  acuten 
Magefi-Darmkatarrhes  krank  gemeldet.  Die  Umstände  lenkten  den 
Verdacht  auf  eine  Tags  vorher  frisch  bezogene  Lieferung  Kartoffel, 
welche  dann  auch  auf  ihren  Solaningehalt  geprüft  wurden.  Die 
Untersuchung  ergab  bei  den  ungekochten  0'38,  bei  den  gekochten 
O-24%0  Solanin,  während  normaler  Weise  bei  den  ungekochten  im 
Mai  blos  0  06  Vorkommen.  Diejenigen  aus  der  Mannschaft,  welche 
ihre  ganze  Portion  Erdäpfel  gegessen  hatten,  dürften  etwa  0  3  So- 
lanin  zu  sich  genommen  haben.  Diese  Massenerkrankung  hat  auch 
insoferne  ein  weiteres  Interesse,  als  sie  auffordert,  in  Fällen,  wo 
nach  einer  Mahlzeit  mit  reichlichem  Kartoffelgenuss  ein  acuter 
Magen-Darmkatarrh  mit  Kopfschmerz,  Schwindel  und  Schläfrigkeit 
entsteht,  auch  an  eine  Solaninvergiftung  zu  denken.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  46.) 

* 

1 15.  E  i  n  V  o  r  s  c  h  1  a  g  z  u  r  d  i  ä  t  e  t  i  s  c  h  e  n  B  e  h  a  n  d  1  u  ng 
Basedow-Kranker.  Von  Dr.  L  a  n  z  (Bern).  Beim  Basedow 
scheint  die  Thätigkeit  der  Schilddrüse  eine  übermässige  und  diese 
Krankheit  daher  der  Gegensatz  zu  jenen  Zuständen  zu  sein,  welche 
bei .  mangelnder  Function  der  Schilddrüse  eintreten  (Athyreosis, 
Cachexia  thyreopriva,  Myxödem).  Im  letzteren  Falle  entstehen  im 
Körper  Gifte,  deren  Einverleibung  in  den  Organismus  eines  Basedow- 
Kranken  möglicher  Weise  das  überschüssige  Drüsensecret  neutrali- 
siren  kann.  Lanz  hat  jungen  Ziegen  die  Schilddrüse  entfernt  und 
deren  Milch  zwei  Basedowkranken  regelmässig  verabreicht,  was 
von  sehr  günstigem  Erfolge  gewesen  sein  soll.  —  (Correspondenz- 
blatt  für  Schweizer  Aerzte.  1899,  Nr.  23.) 

* 

116.  Zur  wissenschaftlichen  Begründung  der 
Organtherapie.  Von  Dr.  L  o  e  w  y  und  Dr.  Richter  (Berlin). 
Die  Organtherapie  will  dem  Körper  durch  Einverleibung  bestimmter 
Organsubstanzen  wieder  etwas  zuführen,  was  ihm  verloren  ge¬ 
gangen  ist.  Vorläufig  hat  diese  Therapie  ihre  Begründung  in  den 
Erfolgen  der  Schilddrüsentherapie  gefunden.  Loewy  und  Richter 
beschäftigten  sich,  den  Einfluss  verabreichter  Ovarialsubstanz  kennen 
zu  lernen  und  fanden  dabei,  dass  hei  castrirten  weiblichen  Thieren 
10  bis  15  Wochen  der  Sauersloffverbrauch  sich  um  etwa  20% 
gegen  früher  verringerte  und  auch  in  der  weiteren  Zeit  auf  dieser 
niederen  Stufe  bestehen  bleibt,  durch  welchen  Befund  sich  auch 
der  Fettansatz  bei  Individuen  mit  nicht  mein*  functionirenden 


Ovarien  erklärt.  Wurde  derartig  castrirten  Thieren  Oophorin  ver¬ 
abreicht,  so  steigerte  sich  wieder  der  Gaswechsel  und  erreichte 
sogar  höhere  Werthe  als  vorher.  Dieser  Umstand  legt  es  nahe,  hei 
Fettsucht  in  Folge  Klimakterium  Oophorin  zu  versuchen.  Auf  ge¬ 
sunde  Thiere  hatte  die  Verabreichung  von  Eierstocksubstanz  nicht 
den  geringsten  Einfluss.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  50.) 

* 

117.  In  der  Juni-Sitzung  der  medicinischen  Gesellschaft  der 
Stadt  Basel  fand  durch  Dr.  Gelpke  die  Demonstration  zweier 
Präparate  aus  dem  Gebiete  der  Magenchirurgie 
statt.  Bei  einer  Frau  war  vor  fünf  Jahren  durch  Prof.  Socin  die 
Gastroenterostomia  anterior  in  üblicher  Weise  ausgeführt  worden. 
Einige  Monate  vor  dem  jetzt  erfolgten  Tode  waren  aufs  neue 
Magenbeschwerden  aufgetreten.  Die  Section  ergab  den  überraschen¬ 
den  Befund,  dass  die  angelegte  Magen-Darmfistel  bis  auf  ein  Lumen 
von  Bleistiftdicke  in  Folge  Narbenschrumpfung  sich  verengert  hatte. 
Dieser  Befund  würde  dazu  nöthigen,  die  Fisteln  künftig  gross 
genug  anzulegen  und  bei  der  fortlaufenden  Naht  ein  allzu  starkes 
Zusammenschnüren  zu  vermeiden.  Das  zweite  Präparat  stammte 
von  einer  wegen  Garcinom  ausgeführten  Pylorusresection. 
Die  Wiedervereinigung  von  Magen  und  Duodenum  erfolgte  mittelst 
Murphy -  Knopf.  Abgang  desselben  am  14.  Tage.  —  Gorrespon- 
denzblalt  für  Schweizer  Aerzte.  1899.) 

* 

118.  lieber  den  Einfluss  des  Schilddrüsen  Ver¬ 
lustes  auf  die  Heilung  von  Knochenbrüchen.  Von 
Dr.  Steinlin  (St.  Gallen).  Auf  Grund  ausgedehnter  Thierversuche 
kam  Verfasser  zu  folgenden  Schlussfolgerungen:  Durch  Verlust  der 
Schilddrüse  tritt  eine  Störung  der  normalen  Fracturheilung  ein  und 
zwar  beruht  dieselbe  auf  einer  Verzögerung  der  Gallusentwicklung 
und  -Rückbildung.  Je  länger  das  Thier  der  Schilddrüse  beraubt 
ist,  je  länger  also  die  Kachexie  besteht,  desto  ausgeprägter  sind 
die  genannten  Abweichungen  vom  Normalen;  schliesslich  tritt  aber 
dennoch  Fracturheilung  ein.  Ueber  die  Frage,  ob  durch  Einführung 
von  Schilddrüsensubstanz  in  den  Körper  eine  Beschleunigung  einer 
Fracturheilung  erzielt  werden  oder  überhaupt  angeregt  werden 
könnte,  ist  Steinlin  nicht  in  der  Lage,  zu  berichten;  er  macht 
jedoch  auf  zwei  von  Gauthier  veröffentlichte  Fälle  aufmerksam, 
welche  eine  derartige  therapeutische  Beeinflussung  als  möglich  er¬ 
scheinen  lassen.  —  (Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LX,  Heft  2.) 

* 

119.  Forceps  in  mortua.  Lebendes  Kind.  Von 

Dr.  Fl  ei  schm  an  n  (Budapest).  Nachdem  das  erste  Zangenblatt 
eingeführt  war,  collabirte  die  mit  einem  Vitium  behaftete  Frau, 
'trotz  der  durch  etwa  zehn  Minuten  fortgesetzten  Wiederbelebungsver- 
suche  sistirte  Athmung  und  Puls,  worauf  gleich  mit  dem  zweiten 
Blatte  eingegangen  und  ein  reifes,  asphyktisches,  jedoch  leicht  zu 
belebendes  Mädchen  entwickelt  werden  konnte.  — ■  (Centralblatt  für 
Gynäkologie.  1900,  Nr.  4.)  Pi. 

VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

E  r  n  a  n  n  t  :  Dr.  G.  Aschaffenburg  in  Heidelberg 
zum  a.  o.  Professor  der  Psychiatrie.  —  Geheimer  Rath  Röntgen 
in  München  zum  auswärtigen  Mitgliede  der  Academie  de  medecine 
zu  Paris. 

* 

Verliehen:  Dem  Oberstabsarzte  Martin  Rosner  der 
Generalstabsarztes-Charakter  ad  honores  und  das  Ritterkreuz  des  Franz 
Josef-Ordens.  —  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Victor  Tein  dl  der 
Orden  der  Eisernen  Krone  III.  CI.  —  Dem  Oberstabsarzte  Doctor 
Michael  V  o  1  l  e  r  i  c  der  Generalstabsarztes-Charakter  ad  honores. 
—  Dem  Generalstabsärzte  Dr.  Julius  Ivlemenöic  wurde  der 
Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekannt  gegeben,  desgleichen 
dem  Oberstabsarzte  Dr.  Ludwig  Ehnl;  letzterem  auch  der  General- 
stabsarztes-Chai  akter  verliehen.  —  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  S  t  e  p  h  a  n 
R  u  c  e  v  i  c  der  kaiserlich  oftomanische  Medschidje-Oröen  111.  CI.  —  Dem 
Stabsarzte  Dr.  Wilhelm  Cavallar  a.  D.  das  Ehrenkreuz  III.  CI. 
des  fürstlich  Schaümburg-Lippe’schen  llausordens.  —  Dem  Curarzte 
Dr,  Emil  Röchelt  in  Meran  das  Ritterkreuz  de3  Franz  Josef- 
Ordens.  —  Dr.  R  o  i  n  <>  h  o  t  h  in  Halle  das  Prädieat  Professor. 

* 


394 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  17 


Das  von  den  österreichischen  zahnärztlichen  Vereinen  eingesetzte 
Comite  macht  auf  den  diesjährigen  Internationalen  zahn- 
ärztlichenCongress  zu  Paris  aufmerksam.  Die  Anmeldungen 
zur  Theilnahme  an  dem  Congresse  geschehen  mittelst  eigener 
Beitrittserklärungen,  die  jedem  Fachcollegen  von  Seite 
des  Comites  zugesendet  werden.  Zugleich  mit  der  An¬ 
meldung  ist  an  den  Gassier  des  Comites,  Herrn  Dr. 
Willy  Herz-Fränkl,  Wien,  I.,  Graben  31,  der  Mit¬ 
gliedsbeitrag  von  25  K  einzusenden.  Das  Comite  steht  mit 
einem  hervorragenden  Reisebureau  in  Verhandlungen,  um  den  am  Con¬ 
gresse  theilnehmenden  Collegen,  welche  übrigens  auf  den  französischen 
Bahnen  eine  50%ige  Ermässigung  geniessen,  die  Reise,  sowie  die 
Unterkunft  möglichst  zu  erleichtern.  Im  Hinblicke  auf  die 
bereits  sehr  vorgerückte  Zeit,  welche  es  namentlich  mit 
Rücksicht  auf  Unterkunft  geboten  erscheinen  lässt,  sich  eine  solche 
noch  rechtzeitig  zu  sichern,  ergeht  analleCollegen,  welche 
die  Absicht  haben,  sich  an  dem  Congresse  zu  be¬ 
theiligen,  die  dringende  Bitte,  ihre  Beitritts¬ 
erklärungen  ehestens  einzusenden.  Sämmtliche 
Beitrittserklärungen,  Zuschriften  und  Anfragen 
sind  an  den  Secretär  des  Comites,  Herrn  Dr.  v.  Wunsch¬ 
heim,  Wien,  I.,  Kärntnerstrasse  8,  zu  richten. 

* 

Kundmachung.  (Neuwahlen  der  Mitglieder  der 
Wiener  Ae  rztekammer.)  Behufs  Einleitung  der  Neuwahlen  der 
Mitglieder  und  Ersatzmänner  der  Wiener  Aerztekammer  wurden  im 
Sinne  der  Durchführungsverordnung  zum  Aerztekammergesetze  (L.  Gr. 
und  V.-Bl.  Nr.  61  ex  1893)  im  Einvernehmen  mit  dem  zur  einst¬ 
weiligen  Besorgung  der  Geschäfte  der  Wiener  Aerztekammer  bestellten 
Herrn  k.  k.  Bezirksarzte  Dr.  Thomas  Edlen  v.  Res  ch  die  Wähler¬ 
listen  getrennt  für  die  19  Wiener  Gemeindebezirke  verfasst.  Dieselben 
werden  nunmehr  von  Samstag  dem  21.  April  1900  an  durch  acht  Tage, 
d.  i.  bis  einschliesslich  Samstag  den  28.  April  1900  während  der  Amts¬ 
stunden  (8  Uhr  Früh  bis  2  Uhr  Nachmittags)  im  Steuer-  und  Wahl¬ 
kataster  fl.  Bezirk,  Rathhaus,  Stiege  VIII,  Hochparterre)  im  Originale 
and  bei  den  magistratischen  Bezirksämtern  in  Abschrift  zur  Einsicht 
aufliegen.  Dies  wird  den  Herren  Aerzten  des  Wiener  Gemeindebezirkes 
mit  der  Einladung  bekannt  gegeben,  etwaige  Reclamationen  innerhalb 
dieses  Termiues  schriftlich  beim  Wiener  Magistrate  (Einreichungspro¬ 
tokoll)  anzubringen.  Nach  Ablauf  dieses  Termines  einlangende  Recla¬ 
mationen  können  für  den  bevorstehenden  Wahlact  nicht  mehr  berück¬ 
sichtigt  werden.  Vom  Magistrate  der  k.  k.  Reichshaupt-  und  Residenz¬ 
stadt  Wien  als  politischer  Behörde  erster  Instanz,  am  14.  April  1900. 

Im  Nachhange  zur  liierämtlichen  Kundmachung  vom  14.  April 
1900,  G.-Z.  204.200  ex  1899/ VIII,  betreffend  die  Neuwahlen  der 
Mitglieder  der  Wiener  Aerztekammer,  wird  im  Sinne  des  Erlasses  der 
k.  k.  n.-ö.  Statthalterei  vom  19.  April  1900,  Z.  36.267  den  Herren 
Aerzten  des  Wiener  Gemeindegebietes  bekanntgegeben,  dass  Reclama¬ 
tionen  gegen  die  Wählerlisten  bezüglich  der  oben  bezeichneten  Neu¬ 
wahlen  auch  mündlich  im  Steuer-  und  Wahlkataster, 
(I.  Bezirk,  Rathhaus,  Stiege  VIII,  Hochparterre)  innerhalb  des 
in  der  eingangs  bezogenen  Kundmachung  fest¬ 
gesetzten  achttägigen  Termines,  das  ist  vom  21.  bis 
einschliesslich  28.  April  1900  täglich  von  8  Uhr  früh  bis 
2  Uhr  nachmittags  angebracht  werden  können.  Vom  Magistrate  der 
k.  k.  Reichshaupt-  und  Residenzstadt  Wien  als  politische  Behörde 
erster  Instanz,  am  20.  April  1900. 

* 

Unterstützungsverein  der  Aerzte  Wiens.  Dem 
neugegründeten  Vereine  wird  von  der  Aerzteschaft  Wiens  grosses 
Interesse  entgegengebracht.  Es  sind  demselben  in  der  kurzen  Zeit  seit 
dessem  Bestände  schon  über  400  Collegen  als  Mitglieder  beigetreten. 
In  allen  in  der  letzten  Zeit  stattgehabten  Sitzungen  der  einzelnen  Be¬ 
zirksvereine  wurde  über  den  Verein  referirt.  Die  Nothwendigkeit  des 
Bestandes  eines  derartiges  Vereines  wurde  allgemein  anerkannt  und 
dessen  Gründung  sympathisch  begrüsst.  Der  Aerzteverein  des 
VII.,  A  Ill.  und  XVII.  Bezirkes  fasste  den  Beschluss  auf  corpo- 
rativen  Eintritt  in  den  neu  gegründeten  Verein.  In  der  letzten  Sitzung 
des  ärztlichen  Vereines  des  X.  Bezirkes  und  des  Ver¬ 
eines  der  südlichen  Bezirke  traten  sämmtliche  anwesende 
Collegen  sofort  dem  Vereine  bei  und  es  wurde  überdies  der  Beschluss 
gefasst,  die  abwesenden  Collegen,  Mitglieder  des  betreffenden  Vereines, 
aufzufordern,  ebenfalls  dem  Vereine  beizutreten.  Der  ärztliche 
\  er  ein  der  südlichen  Bezirke  bewilligte  überdies  dem  Ver¬ 
eine  eine  Spende  von  100  Kronen;  einen  gleichen  Betrag  widmete  der 
anwesende  Herr  Primarius  Dr.  Hans  Adler.  Diesem  Beispiele 
folgten  einige  andere  anwesende  Collegen  mit  Spenden.  Bei  den  bekannt 
edlen  Zwecken  des  Vereines  und  den  geringen  Beiträgen  (4  Kronen 
E  i  n  t  r  i  1 1  s  g  e  b  ü  h  r,  2  Kronen  Mitgliedsbeitrag  bei 
jedem  Todesfälle)  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  in  kurzer 


Zeit  die  gesammte  Aerzteschaft  Wiens  diesem  Vereine  sich  anschliessen 
wird.  Der  Beitritt  zum  Vereine  erfolgt  am  bequemsten  durch  Einsen¬ 
dung  von  6  Kronen  an  den  Obmann,  Herrn  Dr.  S.  Tennenbaum, 
II.,  Praterstrasse  10,  oder  an  den  Vereinscassier,  Herrn  Doctor 
W.  Schönwald,  II.,  Taborstrasse  17. 

* 

Im  Verlage  von  Urban  &  Schwarzenberg  (Wien- 
Berlin)  erscheint  ein  von  Prof.  P  a  g  e  1  herausgegebenes  „Biblio¬ 
graphisches  Lexikon  hervorragender  Aerzte  des 
XIX.  Jahrhundertes“.  Das  ganze  mit  zahlreichen  Portraits  ver¬ 
sehene  Werk  wird  in  etwa  20  Lieferungen  ä  M.  1*20  erscheinen;  die 
ersten  vier  Hefte  (Abadie  —  Delstanches)  sind  bereits  zur  Aus¬ 
gabe  gelangt. 

* 

Im  Verlage  von  Vogel  (Leipzig)  sollen  mehrere  mediciuische 
Encyklopädien  erscheinen.  Vorläufig  liegt  das  erste  Heft  einer  von 
den  Professoren  Sänger  (Prag)  und  v.  H  e  r  f  f  (Halle)  heraus¬ 
gegebenen  „Encyklopädie  der  Geburtshilfe  und  Gynä¬ 
kologie“  vor,  welche  in  20  Lieferungen  (ä  M.  2. — )  vollständig 
erscheinen  wird. 

* 

Hofrath  Prof.  Neumann  wohnt  I.  Kolowratring  14  (Telephon 
904).  —  Docent  Dr.  K  o  1  i  s  c  h  ordinirt  von  Ende  April  bis 

September  in  Karlsbad,  Haus  „Pomeranzenbaum“. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  14.  Jahreswoche  (vom  1.  April 
bis  7.  April  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  617,  unehelich  260,  zusammen 
877.  Todt  geboren:  ehelich  41,  unehelich  27,  zusammen  68.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  802  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
25  2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  149,  Blattern  0,  Masern  12, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  2,  Typbus  abdominalis  7, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  46.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
98  (-{-  10),  Masern  266  (-|-  19),  Scharlach  36  ( —  14).  Typhus  abdominalis 
27  ( —  43),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  37  (-(-  5),  Croup  und 
Diphtherie  43  (~f-  6),  Pertussis  35  (—  6),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-f-  2),  Trachom  4  (-j-  2),  Influenza  37  ( —  1). 


Freie  Stellen. 

Zweite  Stadtarztesstelle  in  Mährisch-Ostrau,  Mähren. 
Mit  dieser  Stelle  ist  ein  Grundgehalt  von  2400  K  pro  Jahr,  nebst 
dem  Ansprüche  auf  zehn  sechsprocentige  und  zehn  vierprocentige  Biennal¬ 
zulagen,  sowie  im  Falle  der  definitiven  Anstellung  auch  der  Anspruch 
auf  Altersversorgung  nach  der  für  städtische  Beamte  und  Diener  gelten¬ 
den  Pensionsnorm  verbunden.  Die  Anstellung  erfolgt  auf  ein  Jahr  pro¬ 
visorisch,  doch  wird  dieses  provisorische  Dienstjahr  bei  der  definitiven  An¬ 
stellung  in  das  Definitivum  eingerechnet.  Bewerber  um  diese  Stelle,  welche 
das  Alter  von  35  Jahren  nicht  überschritten  haben,  haben  ihre  mit 
den  Nachweisen  über  die  zurückgelegten  Studien  und  die  abgelegte 
Physicatsprüfung  belegten,  mit  einem  Kronenstempel  versehenen  Gesuche 
bis  längstens  15.  Mai  1900  beim  Stadtvorstande  in  Mährisch  Ostrau  einzu¬ 
bringen.  Dem  anzustellenden  Arzte  werden  nebst  den  theilweisen  Agenden 
des  Stadtphysicates  auch  noch  die  Agenden  des  Marktcommissariates 
übertragen,  weshalb  Competenten,  welche  in  dieser  Beziehung  praktische 
und  theoretische  Ausbildung  nachweisen,  bevorzugt  werden. 


P.  T. 

Die  gefertigte  Administration  erlaubt  sich,  an  alle 
P.  T.  Abonnenten  die  dringende  Bitte  zu  richten,  ihr 
jede  Wolinungs Veränderung  rechtzeitig  und  auf  directem 
Wege  bekanntgeben  zu  wollen,  da  sie  sonst  nicht  in  der 
Lage  wäre,  weder  für  rechtzeitige  Zustellung  des  Blattes 
haften  zu  können,  noch  für  eventuell  durch  diese  Ur¬ 
sache  in  Verlust  gerathene  Nummern  kostenlosen  Er¬ 
satz  zu  bieten. 

/  .... 

Telephon  Nr.  601)4.  Hochachtungsvoll 

Wilhelm  Braumüller 


Administration  der  „Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 
Wien,  VIII/1,  Wickenburggasse  Nr,  13. 


Nr.  17 


395 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


IMHALT: 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung  71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

vom  7.  März  1900.  Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 

29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  (18.  bis 
21.  April.)  I 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  7.  März  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer:  Kreibich. 

Ehr  mann  stellt  einen  Mann  mit  einem  handtellergrossen  Ge¬ 
schwüre  am  Nacken  vor,  das  secundär  aus  einem  trockenen  Schorf 
mit  einem  randständigen  Blasenwall  hervorging,  die  ebenso  deutlich 
wie  das  bestehende  Geschwür  ein  Artefact  als  Ursache  annehmen 
lassen.  Die  Verätzung  dürfte  durch  ein  concentrirtes  Alkali  herbei¬ 
geführt  worden  sein,  wenn  auch  aus  der  Anamnese  nichts  zu  erfahren 
war.  Aehnliche  Schorfe  wurden  auch  an  Lagerhausarbeitern  beobachtet, 
die  Aetzsoda  in  Säcken  trugen. 

Auch  Neumann  hält  das  Geschwür  für  arteficiell  und  erinnert 
namentlich  an  ähnliche  Affectionen  bei  Hysterischen,  wie  auch  an  das 
von  ihm  vor  circa  15  Jahren  vorgestellte  Mädchen,  bei  dem  ähnliche 
Schorfe  als  Spontongangrän  imponirten.  Billroth  habe  sie  aber  als 
Artefacte  erkannt;  und  in  der  That  waren  sie  durch  selbst  beigebrachte 
Nadelstiche  verursacht. 

Kreibich  erwähnt  eines  Mädchens,  dass  sich  mit  einem  in 
Wasser  getauchten  Sodasäckchen  einrieb  und  dadurch  eine  faustgrosse 
Blase  erzeugte,  die  sich  auf  einen  Scheerenschlag  entleerte  und  so 
einen  Pemphigus  hystericus  ausschloss. 

Spie  gl  er  stellt  eine  72jährige  Frau  vor,  die  vierzig  Jahre 
verheiratet  war  und  seit  Jahren  verwitwet  ist.  Vor  50  Jahren  erfolgte 
viermal  hintereinander  Abortus.  Jetzt  hat  sie  ein  universelles  Exanthem, 
dessen  so  spätes  Auftreten  bemerkenswerth  ist,  da  man  eine  neuer¬ 
liche  Infection  wohl  nicht  annehmen  kann. 

Neumann  erinnert  an  solche  Formen  bei  der  endemischen 
Syphilis,  bei  der  besonders  der  Mangel  einer  specifischen  Therapie 
ausschlaggebend  sei. 

Neumann  demonstrirt: 

1.  Einen  41jährigen  Mann  mit  ausgebreitetem  Carcinom  der 
Mund-  und  Rachenhöhle.  Der  Patient  erhielt  im  Sommer  1899, 
als  die  Affection  begann,  sieben  Injectionen  in  die  Glutäalgegend. 
Von  autoritativer  chirurgischer  Seite  wurden  die  Zerstörungen  für 
tuberculös  gehalten,  später  wieder  im  Krankenhause  mit  Jodkali  be¬ 
handelt.  Der  ganze  weiche  Gaumen,  die  angrenzenden  Theile  der 
Gaumenbögen  und  Tonsillen  sind  in  ein  ausgedehntes  Geschwür  mit 
aufgeworfenen,  steilen  Rändern  verwandelt,  das  auf  den  rechten 
hinteren  Zungenrand  übergreift.  Am  Halse  rechts  ist  ein  mit  dem 
Unterkiefer  fest  verwachsener,  kindskopfgrosser  Drüsentumor,  der  in 
der  Mitte  zu  einem  fistulösen  Durchbruche  geführt  hat. 

Die  histologische  Untersuchung  eines  kleinen  Gewebsstückes 
bestätigte  die  klinische  Diagnose  eines  Carcinoms. 

2.  Einen  34jährigen  Kranken  mit  umfangreichen  gummösen 
Zerstörungen  des  Rachens.  Infection  seit  1892;  ein  halbes 
Jahr  darauf  Lichen  syphiliticus  und  ein  papulo-pustulöses  Exanthem. 
Seit  1896  Auftreten  und  rasches  Fortschreiten  der  Geschwüre  im 
Rachen. 

3.  Eine  25jährige  Kranke,  die  bei  ihrem  Spitalseintritte  im 
December  1899  einen  ausgedehnten  Lupus  exulceratus  der 
linken  Wange,  der  Nase  und  des  Gaumens  hatte.  Nach  localer  Appli¬ 
cation  von  30%  Chrysarob  inpflaster  ist  der  Lupus  der  Wange 
ganz,  der  an  der  Nase  fast  vollkommen  mit  Hinterlassung  einer  glatten, 
weissen  Narbe  geschwunden. 

4.  Einen  45jährigen  Kranken,  bei  dem  ein  elevirter,  flachhand¬ 
grosser  Herd  von  Lupus  vulgaris  am  Nacken  nach  localer  An¬ 
wendung  des  Chrysarobinpflasters  bis  auf  eine  bräunliche  Verfärbung 
regress  erscheint. 

5.  Multiple  ulcerirte  Hautgummen  bei  einer  55jährigen 
Patientin.  Syphilis  seit  dem  Jahre  1893. 

Finger  demonstrirt  einen  seit  drei  Monaten  in  Beobachtung 
stehenden  Mann,  bei  dem  man  nach  dem  Initialaffect  und  dem  fast 
involvirten  papulo-pustulosen  Exanthem  nunmehr  allenthalben  Ver¬ 
änderungen  an  den  Venen  der  Extremitäten  sieht.  Die  Gefässe  sind 


als  verdickte,  nicht  schmerzhafte  Stränge,  und  längs  derselben  den 
Venenklappen  entsprechende  Knötchen  zu  tasten.  Sie  verschwinden 
unter  specifischer  Behandlung,  andere  tauchen  wieder  auf.  Diese 
Gefässerkrankung  muss  als  multiple  chronische  Phlebitis 
syphilitica  aufgefasst  werden. 

Ehrmann  hebt  zum  Unterschiede  von  der  Lymphangoitis 
syphilitica  hervor,  dass,  während  die  infiltrirten  Venen  mannigfache 
Inseln  einschliessen,  die  Lymphstränge  in  bestimmten  Richtungen  ver¬ 
laufen  und  wegen  der  dichten  Anordnung  der  Klappen  viel-  und 
kleinhöckerig  erscheinen,  wie  bei  der  dorsalen  Lymphstrangsklerose, 
die  mit  Unrecht  als  Phlebitis  angesehen  werde. 

Matzenaue  r  berichtet  über  gummöse  Neubildungen  im 
Blasenhalse  bei  einer  20jährigen  Prostituirten.  Dieselben  erscheinen 
bei  der  urethroskopischen  Untersuchung  der  dilatirten  Harnröhre  als 
flach  erhabene,  leicht  blutende  Wucherungen  an  der  genannten  Stelle. 

Ehr  mann  demonstrirt  den  in  der  vorigen  Sitzung  vorgestellten 
Fall  der  extragenitalen  Sklerose  an  der  Nase,  der  nun  ein 
papulöses  Exanthem  zeigt.  Ferner: 

2.  Einen  Mann  mit  Ulcer  a  tuberculosa  am  weichen 
Gaumen  und  der  Epiglottis. 

Spiegler  stellt  ein  Mädchen  vor,  das  sich  vor  fünf  Jahren 
die  Obren  stechen  liess  und  im  Anschlüsse  daran  eine  derbe  Neu¬ 
bildung  bekam,  deren  histologische  Untersuchung  fibröses  Bindegewebe 
mit  eingelagerten  Riesenzellen,  also  das  Bild  einer  chronisch  ent¬ 
zündlichen  Geschwulst  ergab. 

Kaposi  hält  die  Geschwulst  für  ein  gerade  an  dieser  Stelle 
so  häutiges  Keloid. 

Kreibich  stellt  einen  kräftigen,  46jährigen  Mann  vor,  der 
seit  acht  Jahren  am  Halse,  dem  Stamme,  sowie  den  Extremitäten,  be¬ 
sonders  auch  an  den  Handrücken,  verschieden  grosse  und  geformte, 
flecken-  und  streifenförmige,  scharf  begrenzte,  stark  juckende,  gelb¬ 
braun  bis  braunroth  gefärbte  Herde  hat,  deren  Haut  leicht  schilfert 
und  keinerlei  Exsudationserscheinungen  zeigt.  Der  Vortragende  hält 
diese  Herde  für  jenes  eigentümliche,  Monate  bis  Jahre  andauernde 
Stadium  eczematosum,  das  als  Frühsymptom  der 
Mycosis  fungoides  vorangeht. 

Lang  und  Neumann  geben  diese  Möglichkeit  zu,  doch 
müsse  man  noch  andere  Processe  differentialdiagnostisch  ins  Auge 
fassen. 

Kaposi  gesteht  die  Schwierigkeit  der  Einreihung  dieses 
Krankheitsbildes  zu  einer  systematischen  Diagnose  zu.  Doch  handle 
es  sich  seiner  Meinung  nach  hier  um  eine  mechanische  Ektasie  der 
oberflächlichen  Gefässe  mit  consecutive  r  Atrophie  und  allen 
ihren  Folgeerscheinungen. 

Neumann  wird  von  Weidenfeld  aufmerksam  gemacht, 
dass  das  vorliegende  Krankheitsbild  auch  viel  Aehnlichkeit  mit  den 
von  ihm  beschriebenen  Fällen  von  circumscripter  idiopathischer  Atro¬ 
phie  habe. 

Kaposi  verweist  auch  auf  die  von  E.  W  i  1  s  o  n  als  Morphaea 
(rubra,  nigra,  lardacea  etc.)  beschriebenen  Affectionen,  die  mit  ihren 
atrophischen  Folgezuständen  von  späteren  Autoren  theils  der  circum- 
scripten  Sklerodermie,  theils  der  eigenthümlichen,  milde  verlaufenden 
Form  der  Lepra  maculosa  zugesprochen  wurden  und  auch  hier  er¬ 
wähnt  werden  müssen. 

Kaposi  demonstrirt: 

1.  Ein  junges,  26jähriges  Mädchen  mit  beginnender  Sklerodermie, 
vorwiegend  an  den  Wangen  und  am  Kinne,  wenig  am  Stamme  aus¬ 
gebreitet. 

2.  Einen  23jährigen  Mann  mit  einem  N  a  e  v  u  s  mollusciformis 
angiomatosus  der  linken  Wange,  die  sich  im  Ganzen  pastös  an¬ 
fühlt  und  deren  Schleimhaut  durch  die  dunkelblaurotbe,  unregelmässig 
höckerige,  etwas  compressable  Tumormasse  vorgedrängt  erscheint. 

3.  Einen  Fall  von  eigentümlicher  multipler  Hautgangrän 
nach  einer  Kohlenoxydgasintoxication  bei  einer  56jährigen 
Taglöhnerin,  die  von  der  Abtheilung  Pdl  ins  Wasserbett  trans- 
ferirt  wurde. 


WIEN  Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  17 


396 


Bei  der  ziemlieh  herabgekommenen  und  etwas  dementen  Patientin 
findet  sich  unterhalb  des  rechten  Trochanters  ein  zweihandtellergrosser, 
ovaler,  längsverlaufender,  tief  zwischen  die  Museulatur  bis  nahe  an 
den  Knochen  reichender,  unregelmässig  zerklüfteter  Substanzverlust, 
der  von  missfarbigen,  übelriechenden,  Fett  emulgirenden  Gangränfetzen 
bedeckt  ist,  am  Rande  aber  deutliche  Granulationsbildung  zeigt. 

An  der  Aussenseite  des  rechten  Unterschenkels,  hart  unter  dem 
Kniegelenke,  findet  man  zwei  ähnliche,  kleinere  Gangränherde,  deren 
Centrum  von  je  einem,  3  mm  vom  zarten  Ueberhäutungssaume  ent¬ 
fernten,  schwarzen,  trockenen  Schorfe  bedeckt  ist,  der  so  gelockert 
aufsitzt,  dass  man  darunter  den  gangränösen,  mit  missfarbigem  Eiter 
bedeckten  Grund  erkennt.  Zwei  seichte,  kreuzergrosse,  schon  in 
Epidermisirung  begriffene  Substanzverluste  sind  an  der  Innenseite  des 
linken  Oberschenkels  und  Kniegelenkes,  während  sich  nach  aussen 
vom  linken  Tibiaknorren  eine  rötbliche,  oberflächlich  erodirte  Stolle 
findet.  Den  inneren,  unteren  Quadranten  der  rechten  Mamma  nimmt 
ein  apfelgrosser,  zerklüfteter,  Museulatur,  Fett-  und  Drüsengewebe 
blosslegender,  missfärbig  belegter  Substanzverlust  ein,  der  sich  am 
Rand  durch  eine  reactive  Entzündungszone  abgrenzt.  Auch  über  beiden 
Glutaei  finden  sich  links  ein  handtellergrosser,  rechts  ein  guldengrosser 
Substanzverlust,  von  denen  der  irstere  im  Centrum  einen  schwarzen, 
gangränösen  Schorf  trägt,  der  rechte  rein  granulirend  erscheint. 

Innere  Organe  gesund.  Der  Nervenstatus  ergibt  ausser  einer 
leichten  Schwäche  im  rechten  Bein  keine  Veränderung.  Im  Harn  weder 
Eiweiss,  noch  Zucker,  doch  lässt  die  Patientin  Urin  und  Stuhl 
unter  sich. 

Das  eigenthümliehe  Krankheitsbild  liess  im  ersten  Augenblicke 
vermuthen,  als  handelte  es  sich  um  eine  traumatische,  durch  eine 
ätzende  Flüssigkeit  hervorgerufene  Nekrose  an  den  betreffenden  Stellen. 
Dagegen  spricht  zunächst  der  vor  der  Spitalsaufnahme  beobachtete 
Befund  von  tiefen,  subcutaneu  Hautkämorrhagien  als  Primärerschei- 
nungen,  über  denen  sich  dann  die  Haut  in  missfärbigen  Blasen  abhob; 
noch  mehr  die  Anamnese,  welche  ergab,  dass  die  Patientin  am  4.  Februar 
mitten  in  ihrer  Wohnstube  bewusstlos  und  mit  ihr  ein  lojähriger  Sohn 
todt  aufgefunden  wurde,  dessen  gerichtliche  Obduction  Kohlenoxydgas¬ 
vergiftung  feststellte;  es  war  somit  der  Beweis  erbracht,  dass  es  sich 
um  eine  symptomatische  lntoxicationsgangrän  handle.  Ohne  des  Näheren 
auf  die  Pathologie  und  allgemeine  Symptomenreihe  dieser  Vergiftung 
einzugehen,  wie  sie  ja  ausführlich  von  Robert  in  seinem  Lehrbuche 
der  Intoxicationen  erörtert  sind,  möchte  ich  nur  kurz  einige,  uns 
interessirende,  in  unmittelbarer  Folge  oder  erst  Tage  und  Wochen 
nach  der  Vergiftung  entstehende  Veränderungen  an  der  Haut  be¬ 
rühren. 

Man  beobachtet,  ähnlich  wie  in  den  inneren  Organen,  auch  in 
der  Haut  kleinere  und  grössere  Gefässrupturen  und  Ilämorrhagien, 
ferner  in  Folge  persistirender  Gefässerweiteruugen  das  Auftreten  von 
rothen  Flecken  am  Stamme  und  im  Gesichte,  an  der  Nase  und  den 
Ohren,  ähnlich  wie  bei  Erfrierungen.  Als  Folge  local  asphyklischer 
Zustände  entstehen  Decubitus,  Gangrän,  Herpes  und  pemphigusartige 
Blasenbildungen,  wie  die  vou  Lendet  beobachtete  Eruption  eines 
Herpes  zoster  frontalis.  Auch  so  schwere  Veränderungen,  wie  in 
unserem  Falle,  wurden  schon  beschrieben,  so  von  Alberti,  der  eine 
tiefe  Gangrän  der  Halsmusculatur,  der  Haut  über  dem  Olecranon, 
Trochanter  und  Hinterhaupte  an  der  rechten  Körperhälfte  erwähnt  und 
darum  vermuthet,  dass  die  Entstehung  der  Gangrän  durch  das  Liegen 
des  Patienten  auf  der  rechten  Seite  während  der  Bewusstlosigkeit 
Bedingt  sei.  Eine  Zusammenstellung  ähnlicher,  schwerer  Läsionen  an 
der  Haut  biingt,  noch  eine  Arbeit  Becker’s  in  der  Deutschen 
medicinischen  Wochenschrift  (1889). 

29  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 

18.-21.  April. 

Referent:  Dr.  Heinz  Wohlgemuth  (Berlin). 

I.  Sitzungstag:  Vormittagssitzung. 

Der  \  oreitzende  v.  Bergmann  (Berlin)  begrüsst  die  Ver¬ 
sammlung  und  gibt  in  kurzen  charakteristischen  Zügen  ein  Bild  vom 
Standpunkte  der  Chirurgie  von  heute  in  Gegenüberstellung  der 
grossen  Errungenschaften  des  vergangenen  Jahrhunderts  zu"  dem 
Können  im  Anfänge  desselben.  Er  betont,  wie  das  vergangene  Jahr¬ 
hundert  sich  vor  Allem  um  die  Erforschung  der  Entstehung  und  Be¬ 
handlung  der  bösartigen  Geschwülste  verdient  gemacht  hat,  der 
auch  die  heutige  Vormittagssitzung  gewidmet  ist.  Erster  Vor¬ 
tragender  ist: 


Czern  y  (Heidelberg) :  U  e  b  e  r  die  Behandlung  in¬ 
operabler  Krebse. 

Nach  den  Statistiken,  so  führt  Redner  aus,  seien  75%  aller 
chirurgischen  Carcinome  inoperabel,  nach  D  ü  h  r  s  s  e  n  werde  von  den 
Carcinomen  des  Uterus  nur  der  zehnte  Theil  geheilt.  Das  ist  gewiss 
ein  trauriges  Resultat,  und  er  ist  durch  diese  schlechten  Resultate  zu 
dem  wohlüberlegten  Schlüsse  gekommen,  dass  er  einen  Patienten  mit 
einem  inoperablen  oder  schwer  zu  operirenden  Carcinom  lieber  in  der 
Hoffnung,  doch  noch  gesund  zu  werden,  zu  Grunde  gehen  sehen,  als 
dass  er  dies  mit  so  traurigem  Resultate,  welches  die  beste  Operation  oft 
nicht  vermeiden  kann,  operirt  wird  und  seine  Hoffnung  auf  Genesung 
1  schwinden  sieht.  Das  Vertrauen  zum  Arzte  ist  eine  Hauptsache  gerade 
bei  den  bösartigen  Geschwülsten.  Nur  durch  die  Erschütterung  des¬ 
selben  fallen  die  Patienten  oft  der  Curpfuscherei  anheim.  Hier  haben 
Arzt  und  Publicum  zu  gleichen  Theilen  Schuld.  Bei  letzterem  ist  es  zu¬ 
meist  der  Wunderglaube  an  verschiedene  pflanzliche  oder  auch  sympathi¬ 
sche  Mittel,  der  die  Schuld  trägt,  dann  aber  auch  die  Leichtigkeit,  mit 
der  heutzutage  der  Patient  andere  Aerzte  unter  Umgehung  seines  Haus¬ 
oder  behandelnden  Arztes  fragt.  Der  Hausarzt  ist  in  vielen  Fällen  nur  der 
dünne  sympathische  Nervenstrang,  der  zum  Specialisten  hinleitet.  An 
den  Aerzten  liegt  die  Schuld,  weil  die  Diagnose  „Carcinom“  für  viele  ein 
Horror  ist.  Vielo  junge  Aerzte  können  und  viele  ältere  wollen  damit 
nichts  anfangen,  wenn  sie  den  Fall  für  inoperabel  halten.  Doch  muss 
er  gerade  ein  Hauptgewicht  auf  die  Behandlung  dieser  Art  von  Car¬ 
cinomen  legen.  Mit  der  Diagnose  „Krebs“  will  er  überhaupt  „alle 
bösartigen  Geschwülste  bezeichnet  wissen,  welche  weiter  wuchern  und 
durch  Infection  oder  Marasmus  schliesslich  zum  Tode  führen“.  Soll  man 
nun  jeden  Krebs  operiren?  So  weit  wie  möglich,  ja,  sogar  bei  dem  so 
sehr  gefürchteten  Carcinoma  lenticulare  will  er  eine  Exstirpation  weit 
im  Gesunden  versucht,  wissen.  Manchmal  gelingt  es,  ihn  so  zu  heilen. 
Drei  Dinge  sind  es,  die  vor  Allem  bei  der  Behandlung  des  Carcinoms 
vermieden  werden  müssen:  Blutung,  Jauchung  und  Sch  merzen.  Als  Palliativ- 
Operation  kommt  hier  manchmal  die  Unterbindung  der  zuführenden  Ge- 
fässe  in  Betracht,  wie  sie  beim  Zungencarcinom  sich  nicht  selten  von 
gutem  Erfolge  erweist.  Ferner  die  Auslöffelung  und  das  Ferrum  candens. 
Durch  Ausschabung  und  Aetzung  bringen  wir  dem  Patienten  oft  Er¬ 
leichterung  und  manchmal  Heilung.  Die  Aetzung  soll  am  besten  eine 
chemische  sein  und  hier  haben  sich  ihm  die  20 — 50n/nigen  Clorzink- 
lösungen,  mit  denen  Gazestreifen  befeuchtet  werden  und  die  Wundhöhle 
tamponirt  wird,  am  vortheilhaftesten  gezeigt.  Bei  flachen  Geschwüren 
ist  auch  eine  Aetzpaste  am  Platze.  Bei  den  Carcinomen  der  Cervix  uteri 
leistet  der  Thermokauter  oder  die  Heissluftbehandlung  mit  nachfolgen¬ 
der  Aetzung  gute  Dienste,  nur  soll  man  nicht  vergessen,  die  Scheide 
gut  einzufetten  und  sie.  nachher  mit  in  5%ige  Na  Cl-Lösung  getauchten 
Gazestreifen  gut  auszustopfen.  Auch  bei  Rectumcarcinom  hat  Czerny 
gesehen,  dass  nach  Chlorzinkätzung  ein  vorher  für  inoperabel  gehal¬ 
tenes  Carcinom  beweglich  wurde  und  dann  exstirpirt  werden  konnte. 
Bei  recidivirtem  Carcinom  der  Clavicula,  des  Gesichts  etc.  konnte  er 
nach  10  —  50n,0igor  Chlorzinkätzung  fast  stets  einen  guten  Erfolg  auf¬ 
weisen.  Bei  48  Uteruscarcinomcn  erreichte  er  nach  Ausschabung  und 
Tamponade  kein  Resultat,  dagegen  nach  weiterer  Chlorzinkätzung 
Heilung.  Vortragender  theilt  dann  noch  mehrere  Krankengeschichten 
mit,  wo  z.  B.  nach  Auslöffelung,  Abtragung  und  Aetzung  mit  30°/oiger 
Chlorzinklösung  bei  einem  von  autoritativer  Seite  für  inoperabel  ge¬ 
haltenen  Carcinom  Heilung  erfolgt  ist.  Er  hat  auch  Aetzungen 
mit  Formalin  als  10— -30°/0iger  Umschlag,  mit  Arsenpaste 

und  Sol.  Fowleri  als  Injection  versucht,  doch  diese  machen  Entzün¬ 
dungen  und  Schmerzen,  nicht  selten  auch  Vergiftungen.  Von  Arsen 
und  Jodkali,  von  dem  Cancroin  Adamkiewicz  hat  er  ebenso- 
w'enig  wie  von  den  zahlreichen  anderen  Injectionsmittein  und  der 
elektrischen  Behandlung  Nutzen  gesehen.  Aber  auch  die  Pflanzenmittel 
will  er  nicht  vermissen,  wenn  er  sieht,  dass  der  Kranke  diese  Dinge, 
die  ihm  heilkräftig  dünken  oder  von  deren  Heilkraft  er  gehört  hat, 
erproben  will,  wenn  er  auch  zugeben  muss,  dass  alle  Versuche,  durch 
allgemeine  Behandlung  Heilung  zu  erzielen,  nutzlos  seien.  Ein  Lichtblick 
für  die  Carcinombehandlung  schien  es  zu  sein,  als  man  erfuhr,  dass 
das  Erysipel  auf  die  Resorption  des  Sarkoms  so  vortheilhaft  einwirkte, 
aber  auch  diese  Hoffnung  hat  sich  nicht  erfüllt.  Ueberhaupt  werden 
wir  zu  einer  rationellen  Grundlage  für  die  Behandlung  des  Carcinoms 
erst  dann  gelangen  können,  wenn  die  Ursachen  des  Carcinoms 
erforscht  worden  sind.  Daher  ist  die  Initiative  des  Cultusministeriums 
mit  Freuden  zu  begriissen,  welches  zu  einer  Sammelforschuug  zur  Er¬ 
forschung  des  Krebses  auffordert  und  auch  die  Deutsche  Gesellschaft 
für  Chirurgie  sollte  dies  unterstützen,  und  zur  besseren  Erforschung, 
zum  gründlicheren  Studium  sollten  die  Carcinomkranken  in  besondere 
Hospitäler  kommen.  Die  Statistik  hat  gezeigt,  dass  die  Krebsseuche 
fortwährend  zunimmt,  in  England  ist  sie  auf  das  Vierfache  gestiegen, 
in  New  York  soll  sie  die  Tuberculose,  den  Typhus  und  die  Blattern 
zusammen  um  das  Zehnfache  übertr^ffen.  Sie  ist  in  Städten  häufiger, 
als  auf  dem  Lande,  die  Erkrankungen  sind  umso  zahlreicher,  je 
enger  und  dichter  die  Menschen  beisammen  wohnen.  Das  spricht  für 


Nr.  17 


WIENER  KLINISCHE  WüCl  LENSCHR1ET.  19U0. 


eine  von  aussen  kommende  Ursache.  Daher  soll  man  wie  in  London, 
New  York  und  in  anderen  Städten  Cancerhospitäler  bauen  mit  allon 
Einrichtungen  modorner  Forschung  und  Behandlung.  Diese  Hospitäler 
sollen  nicht  Sinecuren  für  alternde  Bezirksärzte  sein,  sondern  junge 
Aerzte  mit  jugendlichem  Forscherdrang  sollen  sie  leiten;  denn  keine 
Krankheit  fordere  so  sehr  das  Mitgefühl  mit  den  armen  Leidenden  wie 
das  Carcinom. 

Discussion:  Friedrich  (Leipzig)  betont,  dass  Thiersch 
schon  in  den  letzten  20  Jahren  seines  Lebens  der  parasitären  Natur 
für  eine  gewisse  Reihe  von  Carcinomen  zugeneigt  hat. 

Helfe  rich  (Kiel)  tritt  für  die  Chlorzinkätzung  ein. 

Steinthal  (Stuttgart)  hat  sehr  schwere  Nachblutungen  nach 
Abstossung  des  Schorfes  bei  Chlorzinkätzungen  gesehen. 

Krönlein  (Zürich):  Darm-  und  M  a  s  t  d  a  r  m  c  a  r  c  i- 
n  o  m  e  und  die  Resultate  ihrer  operativen  Behänd- 
1  u  n  g. 

Der  deutsche  Standpunkt  der  operativen  Behandlung  des  Mast- 
darmcarcinoms  wie  aller  anderen  Carcinome  wird  eigentlich  nur  in 
Deutschland  selbst  vertreten.  Es  sprechen  dagegen  mehrere  Dinge : 

1.  die  schlechten  Endresultate,  2.  die  Mortalität  bei  der  Operation, 
3.  die  schlechten  functionellen  Resultate.  Um  einen  Ueberblick  zu  ge¬ 
winnen,  hat  er  das  ganze  Material  der  in  Deutschland  operirten  Car- 
cinome  von  elf  Kliniken  gesammelt.  Was  nun  die  Mortalität  anlangt, 
so  sind  von  zusammen  881  in  den  letzten  zwei  Decennien  operirten 
und  exstirpirten  Fällen  von  Carcinoma  recti  19'4%>  d.  h.  ein  Fünftel 
aller  Fälle  gestorben,  eine  Mortalitätsziffer,  die  bei  den  verschiedenen 
Autoren  natürlich  bedeutend  schwankt.  Der  eine  Theil,  sechs  Kliniken 
mit  444  Operationen,  habe  12  6%  Todesfälle,  der  andere,  fünf  Kliniken 
mit  437  Operationen,  habe  dagegen  26r7%  aufzuweisen.  Wenn  man 
sich  nun  nach  der  Ursache  dieser  grossen  Mortalität  erkundigt,  so 
sieht  man,  dass  an  Sepsis  5US %,  d.  h.  mehr  als  die  Hälfte  an  Wund- 
infection,  an  Collaps  18%,  an  Pneumonie,  Embolie  etc.  131%  zu 
Grunde  gingen.  In  keiner  Beziehung  zur  Operation  starben  15%.  An 
diesen  Resultaten  ist  wohl  in  einzelnen  Fällen  eine  zu  weit  gestellte 
Indication  zur  Operation  Schuld,  in  anderen  wohl  die  Methode  der 
Operation.  Ivrönlein  unterscheidet  zwei  Hauptmethoden  derselben: 
1.  die  perineale,  2.  die  dorsale  mit  oder  ohne  Voroperation.  Die  erste 
greift  direct  den  Mastdarm  an,  die  zweite  holt  erst  das  intacte  Mast- 
darmrohr  heraus.  Diese  Operation  wurde  zuerst  von  französischen 
Chirurgen  D  e  n  o  u  v  i  1 1  i  e  r  und  V  e  r  n  e  u  i  1  angegeben,  bei  uns 
heisst  sie  die  Koche  r’sche  Methode.  Darnach  trat  Kraske  mit 
der  osteoplastischen  Resection  des  Kreuzbeines  auf.  Was  nun  die 
Wahl  der  Operationsmethode  anlangt,  so  verfahren  die  meisten 
Chirurgen  eklektisch  mit  Ausnahme  von  H  o  c  h  e  n  e  g  g,  der  die  sacrale 
Methode  zum  Princip  erhebt.  In  Bezug  auf  die  Dauerresultate  ist  der 
Standpunkt  bis  jetzt  ein  sehr  pessimistischer,  doch  wird  er  besser, 
wenn  man  diese  Resultate  vom  pathologisch-anatomischen  Standpunkt 
aus  beta  achtet.  Axel  1  versen  hat  eine  Statistik  geliefert,  nach 
welcher  in  operirten  und  nicht  operirten  Fällen  bei  an  Carcinom  ge¬ 
storbenen  Patienten  in  fast  der  Hälfte  aller  Fälle  keine  Metastasen 
in  Leber,  Milz  etc.  nachzuweisen,  darum  wäre  vom  pathologisch-anato¬ 
mischen  Standpunkte  dieser  Pessimismus  nicht  gerechtfertigt.  Wann 
sollen  wir  nur  eine  Heilung  als  Dauererfolg  annehmen?  Er  glaubt, 
dass  drei  Jahre  genug  sind,  und  nach  seiner  Statistik  ist  nach  diesem 
Giundsatze  in  einem  Siebentel  aller  Fälle  ein  Dauererfolg  aufzuweisen. 
Aber  er  hat  auch  13  Spätrecidive  unter  allen  seinen  Fällen  aufzu- 
w'eisen  und  daher  will  er  nicht  von  einer  Radicalheilung,  sondern  nur 
von  Dauererfolgen  sprechen.  Der  Kreis  der  Indication  zur  Operation 
sollte  nicht  mehr  erweitert  werden,  das  Zulässige  ist  nach  seiner  Meinung 
schon  überschritten.  Man  soll  Halt  machen,  sobald  die  Nebenorgane 
ergriffen  sind.  Die  Resection  der  Blase  und  der  Harnröhre  hat  stets 
schlechte  Resultate  geliefert.  Lieber  solle  man  den  Kreis  der  Indicationen 
enger  ziehen.  Die  functionellen  Resultate  betreffen  in  erster  Reihe  immer 
die  Continenzfrage.  Beobachtungen  darüber  hat  er  wenig  gefunden,  daher 
will  er  über  die  Erfahrungen  in  seiner  eigenen  Klinik  sprechen.  Die 
Continenzfrage  hat  in  den  Augen  der  Patienten  die  grösste  Bedeutung, 
eine  grössere  noch  als  die  Mortalitätsfrage.  Daher  soll  man  möglichst 
conservirend  verfahren,  nicht  rücksichtslos  exstirpiren  aus  Furcht  vor 
Recidiven  im  Interesse  gründlicher  Säuberung.  Entweder  ganz  odor 
partiell  soll  ein  gesunder  Anus  erhalten  -werden  und  wenn  auch  nur 
ein  Schleimhautstreifen  den  gesunden  Anus  mit  dem  centralen  Mast¬ 
darmende  verbindet.  Er  hat  nie  einen  Anus  sacralis  praeternaturalis 
geduldet,  sondern  ihn  stets  geschlossen  und  hat  in  seinen  39  Fällen 
in  30%  vollkommene  Continenz,  relative  Continenz  in  60%,  ab¬ 
solute  Incontinenz  in  10%  aufzuweisen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


397 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  B  e  n  d  i  x  (Berlin). 

I.  Sitzung:  Montag  den  18.  September  1899. 

VI.  Georg  M  e  1 1  i  n  (Helsingfors  in  Finnland) :  U  e  b  e  r  die 
Virulenz  des  aus  Kinder  Stühlen  gewonnenen  Bac¬ 
terium  coli  commune.  (Fortsetzung.) 

Wie  soll  man  sich  das  Verhältniss  des  Bacterium  coli  im  ge¬ 
sunden  Darm  im  Gegensatz  zu  dem  im  kranken  Darm  erklären?  Wes¬ 
halb  ist  das  eine  Bacterium  coli  virulenter  als  das  andere?  Manche 
Autoren  haben  geglaubt,  die  Ursache  in  der  Verschiedenartigkeit  der 
Nährböden  finden  zu  müssen.  Und  wenn  auch  die  Möglichkeit  nicht 
von  der  Hand  zu  weisen  ist,  dass  eine  chemisch,  thermisch  und 
mechanisch  oder  anderweitig  gereizte  Darmschleimhaut  ein  besonders 
günstiger  Entwicklungsplatz  für  ein  virulentes  Bacterium  coli  abgeben 
dürfte,  so  könnte  man  mit  Ritter  auch  die  Frage  anders  beant¬ 
worten.  Denn  wie  wir  von  einem  Diphtheriebacillus  und  von  einem 
Pseudodiphtheriebacillus  sprechen,  so  könnten  wir  auch  bei  Bacterium 
coli  zwischen  einem  Pseudobacillus  und  einem  virulenten  Bacterium 
coli  commune  unterscheiden. 

VII.  Meinhard  P  f  a  u  n  d  1  e  r  (Graz) :  Ueber  Saugen 
und  Verdauen. 

Bei  der  Nahrungsaufnahme  des  Kindes  treten  oft  schon  in  den 
ersten  Lebenswochen  stark  betonte,  individuelle  Züge  hervor;  sorgsame 
Rücksichtnahme  auf  dieselben  fördert  die  diätetischen  Bestrebungen, 
wogegen  eine  schablonenhafte  Anstaltsbehandlung  minder  gute  Erfolge 
aufweist.  Andererseits  darf  aber  auch  die  „Selbstbestimmung“  der 
Mahlzeit  durch  den  Säugling  nicht  zu  weit  gehen.  Bei  künstlich  ge¬ 
nährten  Kindern  droht  sonst  namentlich  Gefahr  von  Seiten  übermässiger 
Inanspruchnahme  der  mechanischen  Magenwandfunctionen  durch  Ueber- 
schreitung  der  Maximaldosis  für  die  Einzelmahlzeit.  Hiefür  wurde  an 
anderem  Orte  der  exacte  Beweis  erbracht.  Ein  Grund  dafür,  dass 
diese  Ueberschreitung  des  maximalen  Nahrungsvolums  gerade  bei 
künstlich  genährten  Kindern  so  häufig  geschieht,  liegt  darin,  dass  die 
heute  als  rationell  geltende  Fütterungsmethode  beim  Flaschenkinde  im 
Gegensätze  zu  jener  beim  Brustkinde  eine  fast  durchaus  passive 
Nahrungsaufnahme  zur  Folge  hat. 

Ein  detaillirte3  Studium  der  Mechanik  von  Saug-  und  Kau¬ 
bewegung  beim  Kinde  erwies: 

1.  Dass  dem  Brustkinde  Saugbewegungen  im  Sinne  des 
„primitiven  Saugverfahrens“  (Auerbach)  zukommen,  dass  dieselben 
aber  nicht  den  Austritt  der  Milch  aus  der  erigirten  Warze,  sondern 
im  Wesentlichen  nur  die  Füllung  der  äusseren  Milchwege  von  der 
Drüse  her  bewerkstelligen.  Der  Austritt  der  Milch  aus  der  Warze 
erfolgt  durch  eine  auspressende ,  gewissermassen  melkende  Kau¬ 
bewegung. 

2.  Dass  bei  der  meist  üblichen  Fütterungsmethode  der  Flaschen- 
kinder  mittelst  grossen  Biberons  echte  Saugbewegungen,  welche  ein 
Druckgefälle  im  Sinne  einer  Ausaugung  von  Nahruugsflüs3igkeit  er¬ 
zeugen  würden,  in  der  Regel  völlig  fehlen  und  die  Kaubewegungen 
energielos  erfolgen,  dass  das  Kind  seine  Nahrung  als  nahezu  ohne 
eigene  Arbeitsleistung  zugeführt  erhält. 

3.  Dass  Flaschenkinder  jedoch  durch  geeignetes  Verfahren, 
namentlich  durch  Einschaltung  successive  gesteigerter  Widerstände, 
zu  einer  activen  Nahrungsaufnahme  angelernt  werden  können. 

Die  ehemals  gebräuchliche  Form  der  Saugflaschen  „ä  long 
biberon“  nöthigt  das  künstlich  genährte  Kind  zu  einer  activen  Nahrungs¬ 
aufnahme,  doch  stehen  diesem  Vortheile  die  bekannten  in  der  er¬ 
schwerten  Reinigung  des  Gummischlauches  begründeten  Nachtheile 
entgegen,  deren  Bedeutung  allerdings  überschätzt  zu  werden  pflegt. 

Eine  vom  Verfasser  angewandte,  einfache  Vorrichtung  gestattet 
die  Energie  der  einzelnen  Saugzüge,  sowie  den  durch  Summirung  des 
Effectes  aufeinander  folgender  Saugzüge  erreichbaren  „maximalen 
Saug  druck“  während  der  Mahlzeit  manometrisch  zu  messen.  Die 
aus  diesen  Messungen  sich  ergebenden  Schlüsse  und  Daten  sind  im 
Originale  einzusehen. 

Es  wurden  ferner  vergleichende  Untersuchungen  über  die  secre- 
torische  Magenfunction  und  den  Verlauf  der  Magenverdauung  nach 
activ  und  nach  passiv  eingenommenen  Mahlzeiten  von  gleicher  Qualität 
und  Quantität  angestellt.  Dieselben  ergaben  in  der  ausgesprochensten 
Weise,  dass  die  Gesammt-Aeiditätscurve  und  der  Procentgehalt  des 
gemischten  Mageninhaltes  an  HCl  nach  activ  eingenommenen  Mahl¬ 
zeiten  ceteris  paribus  beträchtlich  rascher  und  höher  ansteigen,  als 
nach  passiv  eingenommener  Mahlzeit.  Dies  wird  am  einfachsten  durch 
die  Annahme  erklärt,  dass  die  Saugbewegung  zur  Magensaftsec  ction 


398 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  17 


anrege.  Auch  die  Magenentleerung  scheint  direct  durch  die  Saug¬ 
bewegung  gefördert  zu  werden.  Damit  steht  die  Beobachtung,  dass 
sich  die  Flaschenkinder  nach  activ  eingenommener  Mahlzeit  sichtlich 
wohler  fühlen,  seltener  erbrechen,  rascher  einsehlafen  etc.,  in  gutem 
Einklänge.  Nach  all  dem  erscheint  die  active  Nahrungsaufnahme  durch 
das  Flaschenkind  eine  erstrebenswerthe  Neuerung  in  der  Diätetik  des 
Säuglings. 

Discussion:  1.  Biedert  (Hagenau)  hebt  hervor,  dass  er 
bereits  im  Jahre  1876  die  mit  der  P  f  a  u  n  d  1  e  r’schen  übereinstimmende 
Erklärung  für  die  Saugbewegung  gegeben  habe.  Zugleich  sprechen 
die  Bemerkungen  Pf  aundler’s  auch  für  das,  was  Biedert  des 
Oefteren  hervorgehoben  hat,  dass  die  Nachtheile  der  alten  Saugflasche 
nicht  gar  zu  grosse  sein  dürften. 

2.  Czerny  (Breslau)  meint,  wenn  die  alten  Saugflaschen  gut 
seien,  so  ermangle  der  Beweis  dafür,  welcher  nur  gegeben  würde  durch 
bessere  Ernährungsresultate  bei  Kindern,  welche  mit  den  Flaschen  mit 
langen  Saugrohren  gefüttert  wurden,  gegenüber  denen,  bei  welchen 
moderne  Flaschen  verwendet  werden. 

3.  R.  F  i  s  c  h  1  (Prag)  hält  das  Innehalten  einer  bestimmten 
Zeit  bei  der  Verabreichung  der  Nahrung  doch  für  segensreich,  die 
Resultate  bei  künstlicher  Ernährung  seit  Einführung  der  dreistündlichen 
Pausen  haben  sich  günstiger  gestaltet.  Die  Kinder  schreien  meist  nicht, 
weil  sie  Hunger  haben,  sondern  vor  Schmerzen  (Kolik  etc.),  auch  wird 
durch  das  stricte  Innebalten  der  längeren  Pause  wohl  am  leichtesten 
die  Magenüberdehnung  verhütet.  Ob  durch  das  Trinken  aus  Saug¬ 
flaschen  mit  langem  Saugstück  das  Saugen  an  der  Mutterbrust  voll¬ 
kommen  nachgeabmt  wird,  bezweifelt  F  i  s  c  h  1. 

4.  Schlossmann  (Dresden)  betont,  dass  die  eine  Brust  nicht 
wie  die  andere  in  derselben  Weise  die  Milch  beim  Saugen  hergeben, 
der  einen  ist  leichter,  der  anderen  schwerer  die  Milch  zu  entziehen 
(respective  durch  Saugen  zu  entnehmen);  auch  ist  die  Saugkraft  der 
einzelnen  Kinder  nicht  dieselbe. 

5.  Conrad  (Essen)  warnt  vor  der  alten  Saugflasche  wegen 
der  Schwierigkeit,  sie  leicht  und  gut  zu  säubern;  er  macht  ferner 
darauf  aufmerksam,  dass  in  den  Vertiefungen  (Theilstrichmarke)  der 
sogenannten  Strichflaschen  leicht  eine  Schmutzablagerungsstätte  ge¬ 
geben  sei. 

6.  Hecker  (München)  redet  dem  Schnuller  insoweit  das  Wort, 
weil  er  das  Kind  beruhigt  und  es  dadurch  vor  Ermüdung  schützt. 
Den  kurzen  Sauger  zieht  er  vor. 

7.  Luge  n  b  ü  h  1  (Wiesbaden)  hebt  hervor,  dass  die  Mittheilung 
P  f  a  u  n  d  1  e  r’s,  dass  durch  den  Saugact  die  Magensaftabsonderung  ver¬ 
mehrt  werde,  auch  durch  Untersuchungen  von  P  a  u  1  o  w  gestützt  werde. 

8.  Pfaundler  (Graz)  [Schlusswort]  erwidert  auf  die 
mannigfachen  Einwürfe,  dass  auch  heute  noch  wie  früher  die  Saug¬ 
flasche  „ä  long  biberon“  in  der  Grazer  Klinik  verworfen  werde.  Das 
Mitschlucken  von  Luft  könne  übrigens  auch  hiebei  durch  ein  Ventil 
verhindert  werden,  wodurch  eine  Ueberdehnung  des  Magens  aus¬ 
geschaltet  würde.  Dass  bei  den  verschiedenen  Frauen  die  Milch  leicht 
oder  schwer  kommt  und  geht,  hat  auch  Pfaundler  beobachtet, 
aber  nicht,  wenn  einmal  angesogen,  sie  von  selbst  wieder  läuft.  In 
der  Grazer  Klinik  haben  die  Strichflaschen  keine  Vertiefungen  als 
„Marke“,  sondern  an  der  Aussenseite  Leisten. 

* 

II.  Sitzung,  Dienstag,  den  19.  September  1899. 

Vorsitzender:  Heubner. 

I.  J.  Lange  (Leipzig),  Referent:  Ueb  er  Krämpfe  im 
K  i  n  d  e  s  a  1 1  e  r. 

Das  Thema  ist  im  Einverständnis  mit  dem  Vorstande  der  Ge¬ 
sellschaft  auf  die  sogenannte  Eclampsia  infantum  begrenzt  worden. 
Nach  kurzer  Schilderung  der  wesentlichsten  Symptome  dessen,  was  wir 
als  Kindereklampsie  zu  bezeichnen  pflegen,  und  Betonung  der  Schwierig 
keit,  darüber  schlüssig  zu  werden,  wo  Normal  und  Krankhaft  sich 
scheiden,  wird  auf  die  ätiologischen  Verhältnisse  des  Näheren  ein¬ 
gegangen.  Von  den  organisch  bedingten  Convulsionen  ist  hier  nicht  die 
Rede,  sondern  nur  von  den  sogenannten  functionellen.  Der  Unterschied 
besteht  ja  nur  darin,  dass  wir  für  die  eiuen  ein  anatomisches  Substrat 
kennen,  für  die  anderen  bis  dato  nicht.  Die  functionelle  Eklampsie 
wird  wiederum  in  sympathische  und  idiopathische  getheilt.  Der  erstere 
Begriff  deckt  sich  fast  mit  dem  der  symptomatischen:  es  gibt  wahr¬ 
scheinlich  nur  Krämpfe,  die  durch  eine  primäre  pathologische  Verände¬ 
rung  erzeugt  werden,  daher  ist  der  Begriff  Eklampsie  als 
Krank  heitsname  aus  den  Lehrbüchern  der  Pathologie  und 
Therapie  zu  streichen,  ebenso  wie  etwa  Fieber,  Erbrechen  oder 
Kopfschmerz.  —  Kurze  Besprechung  der  Pathogenese  der  Convulsionen. 
Anämie,  aber  auch  venöse  Hyperämie,  ferner  auch  active  Hyperämie, 
vasomotorische  Störungen  sowohl,  als  auch  Blutdruckschwankungen 


im  Gehirn,  sollen  Anfälle  auslösen  köunen.  Die  Annahme  eines  Krampf¬ 
centrums  erscheint  nicht  mehr  genügend  haltbar,  dagegen  sind  als  Sitz 
der  Affection  die  motorischen  Rindengebiote  des  Grosshirns  zu  ver- 
muthen.  Die  wichtigen  Arbeiten  Soltmann’s  erklären  wohl  die 
Disposition  der  Zeit  etwa  vom  vierten  bis  zwölften  Lebensmonate  für 
ihr  Auftreten,  lassen  aber  die  Ursachen  dunkel,  da  nicht  erklärlich, 
warum  von  zwei  Kindern  unter  ganz  gleichen  Verhältnissen  eines 
Krämpfe  bekommt  bei  sonst  harmlosen,  sensiblen  Reizen,  das  andere 
nicht.  Nach  Ablehnung  der  „Zahnkrämpfe“  und  kurzer  Aufzählung 
der  sogenannten  Reflexkrämpfe  werden  die  initialen  Krämpfe  bei  acuten 
Lifectionen  besprochen  und  gegenüber  dem  unhaltbaren  Zusammenhänge 
derselben  mit  dom  plötzlich  ansteigenden  Fieber  der  viel  wahrschein¬ 
lichere  Einflüsse  der  betreffenden  Toxine  etc.  betont.  Hierauf  wird  die 
Lehre  von  den  Autointoxieationen  und  deren  mögliche  Beziehungen  zur 
Eklampsie  erörtert.  Thierversuche  ergaben  dem  Vortragenden  (allerdings 
nur  in  zwei  von  elf  Fällen)  positive  Resultate,  doch  ist  zunächst  nur 
mit  grosser  Vorsicht  ein  Für  oder  Wider  gestattet.  —  Die  Grund¬ 
frage,  wie  wir  uns  das  Entstehen  der  Krämpfe,  abgesehen  von  der 
Altersdisposition,  erklären  sollen,  bleibt  vorläufig  noch  offen,  obwohl  die 
Autointoxicationsannahme  auch  für  die  Einwirkung  der  Rachitis  ver- 
werthbar  wäre.  Nach  kurzer  Erwähnung  der  Schwierigkeit,  Eklampsie 
und  Epilepsie  diagnostisch  zu  trennen,  wird  die  Therapie  besprochen, 
und  für  die  schweren  acuten  Fälle  besonders  die  Chloroformnarkose 
(Troussea  u)  und  für  alle  dringend  der  Phosphor  —  auch  unabhängig 
von  etwaiger  Rachitis  —  empfohlen. 

II.  Martin  T  hi  mich  (Breslau),  Correferent : 

Vortragender,  der  sich  gleichfalls  nur  mit  der  sogenannten 
„Eclampsia  infantum“,  d.  h.  den  „functionellen“,  nicht  durch  eine 
anatomisch  nachweisbare  Erkrankung  des  Centralnervensystems  be¬ 
dingten  Krämpfen  beschäftigt,  geht  nach  kurzen  differentialdiagnosti¬ 
schen  Bemerkungen  zu  einer  Schilderung  des  klinischen  Bildes  über, 
wobei  er  besonders  auf  das  sonstige  Verhalten  der  Kinder  Werth  legt. 
Er  unterscheidet  danach  zwischen  den  schwer  magen-darmkranken 
Kindern,  bei  denen  die  Krämpfe  mit  anderen  centralen  Reiz-  und 
Lähmungserscheinungen  vergesellschaftet  sind,  und  zwischen  den  schein¬ 
bar  nicht  kranken  Kindern.  Bei  diesen  findet  er  entweder  die  Symptome 
einer  latenten  Tetanie  oder  den  Bestand  einer  lang  dauernden  Ueber- 
ernährung.  Völlig  gesunde  Kinder  werden  niemals  von  Krämpfen 
befallen. 

Im  Folgenden  erwähnt  Vortragender  die  bisher  weniger  bedeut¬ 
samen  Ergebnisse  der  pathologischen  Anatomie  und  geht  dann  in  einem 
sehr  umfangreichen  Capitel  auf  die  Theorien  über  das  Zustandekommen 
der  Krämpfe  ein.  Eine  ausführliche  Besprechung  und  Ablehnung  er¬ 
fährt  die  S  o  1 1  m  a  n  n’sche  Reflextheorie,  welche  zu  der  Aufstellung 
einer  im  Säuglingsalter  physiologischen  „Spasmophilie“  oder  „erhöhten 
Reflexdisposition“  führt,  welche  mit  den  klinischen  Thatsachen  nicht 
vereinbar  ist.  Wenn  es  überhaupt  eine  „Spasmophilie“  zu  irgend  einer 
Zeit  des  Säuglingsalters  gibt,  so  muss  dieselbe  als  pithologisch  be¬ 
zeichnet  werden,  und  zwar  scheint  sie  abhängig  zu  sein  von  dem  Be¬ 
stehen  eines  tetanoiden  Zustandes  oder  einer  durch  Ueberernährung 
hervorgerufenen  Stoffwechselanomalie.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  27.  April  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Csokor 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart :  Der  gegenwärtige  Stand  der 
Verwundungsfrage  im  Kriege  und  die  Wechselbeziehungen  derselben  zum 
Sanitätsdienste  im  Felde.  (Mit  Demonstrationen.) 

2.  Dr.  C.  Sternberg:  Demonstration  anaerober  Actinomycesculturen. 

3.  Dr.  Alexander:  Ein  nettes  zerlegbares  Mittelohrmodell  zu  Unter¬ 
richtszwecken. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Professoren:  A.  Politzer, 

Weinlechner,  Schnabel,  A.  Jolles,  Retlii,  Fein,  Englisch  und 
Wertlieim. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  3.  Mai  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  laryngologiscben  Klinik  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Cliiari 
stattfindenden  Sitzung. 

Demonstrationen. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Br.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  3.  Mai  ISOO.  Hr.  18. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  nnd  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  Iti- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonparcille- 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Ueberein- 
kommen. 


Verlägshandlung : 
Telephon  Nr.  60U4. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX,  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1 .  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


X  IST  ZK  ALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Meine  Operationserfolge  bei  Reetumcarcinoni.  Von 
Prof.  Julius  H  o  c  h  e  n  e  g  g,  Wien. 

2.  Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Universitätsklinik  Hofrath  Professor 
N  i  c  o  1  a  d  o  n  i’s,  Graz.  Zur  Technik  der  keilförmigen  Osteotomie 
der  Tibia  (M  eyer-Schede).  Von  Dr.  Ludw,  Luksc  h, 
Assistenten  der  Klinik. 

3.  Ueber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditärsyphilitischen.  Von 
Prof.  E.  Finge  r.  (Fortsetzung.) 

II.  Referate:  Pathologie  und  Therapie  der  Erkrankungen  des  peripheri¬ 
schen  Nervensystems.  Von  Privatdocent  Dr.  Franz  Wind¬ 


scheid.  Eef.  Hermann  Schlesinger.  —  Der  anatomische 
Bau  des  Unterkiefers  als  Grundlage  der  Extractionsmechanik.  Von 
Dr.  Rudolf  Loos.  Ref.  I  s  o  o.  —  Grundriss  der  organischen 
Chemie.  Von  Karl  Oppenheime  r.  Ref.  R.  v.  Z  e  y  n  e  k, 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Meine  Operationserfolge  bei  Rectumcarcinorn. 

Von  Prof.  Julius  Hochenegg,  Wien. 

Auszugsweise  vorgetragen  am  18.  April  1900,  am  ersten  Sitzungstage  des 
XXIX.  Congresses  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  ia  Berlin. 

Meine  Herren!  Ich  begrüsse  die  Anregung,  die  uns 
durch  den  Vortrag  Herrn  Krönlei  n’s  (»Darm-  und  Mastdarm- 
carcinom  und  die  Resultate  ihrer  operativen  Behandlung«)  ge¬ 
bracht  wurde  und  halte  es  für  sehr  zeitgemäss,  wieder  einmal  an 
dieser  geweihten  Stätte  im  gegenseitigen  Austausche  unserer  Er¬ 
fahrungen  fragliche  Punkte  in  der  Behandlung  eines  so  häufigen 
Leidens,  wie  dies  das  Darm-  und  speciell  das  Mastdarmcarcinom 
darstellt,  der  Erledigung  näher  zu  bringen. 

Herrn  Krön  lei  n’s  klarer,  auf  genauer  statistischer  Ver- 
werthung  des  bisher  in  der  Literatur  niedergelegten  dies¬ 
bezüglichen  Materiales  basirter  Vortrag  überhebt  mich  der 
Mühe,  Ihnen  eine  historische  Darlegung  der  gegen  das  Rectum- 
carcinom  ins  Feld  geführten  Methoden  zu  geben.  Wir  ersahen 
aber  aus  den  von  Krönlein  zusammengestellten  Zahlen  und  aus 
Krönleins  persönlichen  Ansichten,  dass  in  wichtigen  Puncten, 
ja  selbst  in  der  Indicationsstellung  noch  keine  Einigkeit  unter 
den  C  hirurgen  herrscht  und  ich  bin  der  Meinung,  dass  auch  das, 
was  wir  heute  von  den  Fachgenossen  über  die  Behandlung  des 
Rectumcarcinoms  zu  hören  bekommen  werden,  zu  keiner  Ent¬ 
scheidung  führen  wird,  dass  aber  dennoch  wichtige  Argumente 
und  Anregungen  für  diese  oder  jene  Methode  zur  allgemeinen 
Kenntniss  kommen  werden,  die  vielleicht  in  späteren  Tagen 
eine  einheitliche  Indicationsstellung  für  die  Operabilität  der 
vectumcarcinome  überhaupt,  sowie  für  die  AVahrung  der  ver- 
schiedenen  Methoden  anbahnen  dürften. 

•Ii  C^esem  Sinne  fasse  ich  meine  heutige  Aufgabe  auf;  ich 
will  durch  Vorführung  meiner  Erfahrungen  über  Rectum- 
carcinom  zur  Klärung  beitragen  und  Ihnen  nur  meine  per¬ 
sönlichen  Ansichten  zur  Prüfung  vorlegen.  Dies  erkläre  das 
rein  subjective  Gepräge  meines  Vortrages. 


Von  den  Rectumcarcinomen,  die  mir  im  Laufe  meiner 
selbstständigen  chirurgischen  Thätigkeit  zur  Beobachtung  vor¬ 
kamen,  ging  vor  Allem  ein  nicht  unbeträchtlicher  Bruchtheil 
für  die  weitere  Beobachtung  und  Behandlung  durch  mich  ver¬ 
loren,  da  sich  die  Patienten  nicht  zu  der  von  mir  empfohlenen 
Art  der  Behandlung  verstehen  wollten,  ein  weiterer,  bedeutend 
grösserer  Antheil  kam  in  einer  Zeit  zur  Beobachtung,  in  welcher 
wegen  der  Ausbreitung  der  Erkrankung  nicht  mehr  an  den 
Versuch  einer  radicalen  Heilung  gedacht  werden  konnte  und 
bei  denen  deshalb  nur  palliative  Methoden  in  Anwendung 
gebracht  werden  konnten  (55  Colostomien  nach  May  dl,  drei 
Excoclileationen,  vier  Versuche  mit  Dilatation  und  Tubage).  Iu 
129  Fällen  wurde  die  Exstirpation  des  Mastdarmkrebses  ge¬ 
macht,  und  zwar  bei  nur  acht  Fällen  nach  der  sogenannten 
perinealen  Methode,  bei  121  Fällen  jedoch  nach  der  sacralen 
Methode. 

Die  Erfahrungen,  die  ich  bei  diesen  121  nach  der 
sacralen  Methode  operirten  Fällen  zu  sammeln  Gelegenheit  hatte, 
gaben  für  mich  den  Grund  ab,  um  mich  zum  Worte  zu  melden, 
und  ich  will  dieselbe  Ihnen  darlegen,  wobei  es  mich  freuen 
würde,  wenn  ich  neue  Anhänger  für  eine  Methode  gewinnen 
würde,  der,  wie  mir  K  r  ö  n  1  e  i  n’s  Ausführungen  aufs  Neue  be¬ 
weisen,  meiner  Meinung  nach  noch  immer  zu  wenig  Bedeutung 
entgegengebracht  wird. 

Meinem  Vorsatze  entsprechend  will  ich  es  vermeiden,  die 
Ansichten  anderer  Chirurgen  kritisch  zu  beleuchten  oder  noch¬ 
mals  des  Längeren  das  Wesen  der  sacralen  Methode,  die  ich 
ja  auf  Grund  der  zahlreichen  diesbezüglichen  Arbeiten  als 
selbst  in  ihren  Details  allgemein  bekannt  voraussetzen  darf,  zu 
schildern.  Ich  werde  mich,  wie  gesagt,  darauf  beschränken,  Ihnen 
nur  meine  persönlichen  Ansichten  mitzutheilen,  Ihnen  nur  über 
meine  eigenen  Operations-  und  Dauererfolge  zu  berichten  und 
die  Technik  nur  in  jenen  Punkten  zu  s'kizziren,  welche  von 
mir  angegebene  und  noch  geübte  Modifieationen  betreffen  und 
meine  Art  des  Operirens  von  anderen  Chirurgen  unterscheidet. 


400 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  18 


Schon  in  der  Indicationsstellung  für  die  sacrale  Methode 
unterscheide  ich  mich  sehr  wesentlich  von  so  manchen  anderen 
Chirurgen. 

Da  ich  von  Anfang  an  der  Ansicht  war,  dass  Rectum- 
carcinome  auf  sacralem  Wege  sicherer  für  den  Patienten  und 
bequemer  für  den  Operateur  entfernt  werden  können  als  mit 
den  alten  perinealen  Methoden,  da  ich  ferner  auf  Grund  unserer 
Operationserfolge  die  Ueberzeugung  gewann,  dass  diese  Form 
der  Exstirpation  auch  nicht  gefährlicher  sei  als  die  alten 
perinealen  Methoden  schlug  ich  schon  in  meiner  ersten  dies¬ 
bezüglichen  Publication  *),  also  vor  zwölf  Jahren,  vor,  die  sacrale 
Exstirpation  als  Normalverfahren  für  die  Entfernung  des 
krebsigen  Mastdarmes  zu  acceptiren  und  nur  in  den  an  und 
für  sich  ziemlich  seltenen,  ganz  tiefsitzenden  Carcinomen  der 
Analportion  nach  den  bisher  üblichen  perinealen  Methoden  vor- 
zugehen. 

Dazu  kam  in  consequenter  Verfolgung  dieser  Auffassung 
als  weiteres  wichtiges  Argument  noch  für  mich  in  Betracht: 
ich  habe  den  Eindruck,  dass  auch  die  Dauerresultate  seither 
bessere  geworden  sind.  Ich  kann  zwar  diese  Ansicht  nicht  mit 
eigenen  Zahlen  belegen,  indem  mir  selbst  Erfahrungen  von  einer 
grösseren  Anzahl  perineal  durchgeführter  Operationen  fehlen, 
aber  der  Vergleich  meiner  Dauerresultate  mit  den  Statistiken 
über  perineal  operirte  Fälle  lässt  mich  dies  doch  sicher  an¬ 
nehmen,  besonders  wenn  berücksichtigt  wird,  dass  jetzt  viel 
weiter  vorgeschrittenere  Carcinome  zur  Operation  gelangen. 

Von  vielen,  und  darunter  sehr  massgebenden  Seiten  wurde 
und  wird  noch  gegen  die  Verallgemeinerung  der  sacralen 
Methode  und  Nonnirung  derselben  zum  Normalverfahren 
energischer  Einspruch  erhoben,  indem  hervorgehoben  wurde, 
dass  die  zum  Wesen  der  sacralen  Methode  gehörige  Vor¬ 
operation  einen  an  und  für  sich  schweren  Eingriff  darstelle. 

Die  Gefahr  der  Blutung,  die  Schädigung  der  Nerven,  die 
Gefahr  der  Eröffnung  des  Canalis  spinalis  und  endlich  nicht 
näher  definirte  Beschwerden  für  die  Zukunft  wurden  von  den 
Gegnern  gegen  die  Methode  ins  Feld  geführt,  und  ich  als 
Schwärmer  hingestellt,  der  in  seinem  übertriebenen  Enthusiasmus 
weit  über  das  Ziel  schiesst. 

Ich  verfüge  heute  über  ein  Material  von  121  sacralen 
Rectum-Exstirpationen  und  50  diversen  anderen  sacralen  Ein¬ 
griffen,  also  zusammen  über  171  sacrale  Operationen  2)  und  ich 
habe  in  keinem  einzigen  Falle  den  Eindruck  gewinnen  können, 
als  ob  durch  die  Voroperation  jemals  dem  Patienten  irgend¬ 
welcher  Schaden  erwachsen  wäre,  und  es  war  auch  in  den 
18  tödtlich  endigenden  Fällen  niemals  auch  nur  in  entfernter 
Hinsicht  die  Todesursache  mit  der  Voroperation  in  Zusammen¬ 
hang  zu  bringen. 

Auch  für  den  weiteren  Lebensverlauf  meiner  Patienten 
waren  keine  wesentlich  schädigenden  Folgen  aus  der  Vor- 

')  Hochenegg,  Die  sacrale  Methode  der  Exstirpation  von  Mast- 
darmcarcinomen  nach  Prof.  K  r  a  s  k  e.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1888, 
Nr.  11—16. 

2)  Folgende  Tabelle  gibt  einen  Ueberblick  über  die  Fälle,  in  welchen 
ich  sacral  operirte;  sie  sind  theil weise  wenigstens  publicirt  in  der  Wiener 
klinischen  Wochenschrift.  1888,  Nr.  11 — 16;  1889,  Nr.  26 — 30;  1897,  Nr.  32; 
1900,  Nr.  3,  und:  Frank,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  Nr.  43 — 48. 


Indication 

Anzahl 

der 

Fälle 

Geschlecht 

Ausgang 

Männer 

Weiber 

geheilt 

gestorben 

Missbildungen  des  Rectums 

5 

2 

3 

3 

2 

Rectumcarcinome . 

121 

74 

47 

111 

10 

Kectumprolaps . 

1 

— 

1 

1 

— 

Rectumstrictur . .  . 

8 

1 

7 

7 

1 

Retroflexio  uteri  fixata  .  .  . 

1 

— 

1 

1 

_ 

Cystischer  Tumor  im  Parametrium  . 

1 

— 

1 

1 

— 

Myoma  uteri . 

1 

— 

1 

1 

— 

Carcinoma  uteri . 

28 

— 

28 

24 

4 

Sacraltumor  . 

1 

— 

1 

— 

1 

Beckeneiterung  (Perity pliilitis)  .  . 

3 

1 

2 

3 

— 

Dystopie  der  Niere . 

1 

— 

1 

1 

— 

Summe  der  sacral  operirten  Fälle 

171 

78 

93 

153 

18 

operation  abzuleiten.  Die  anfänglich  häufig  zu  beobachtenden, 
übrigens  vorübergehenden  Schmerzen  beim  Stehen  und  Gehen, 
die  ich  auf  eine  Lockerung  in  der  Symphysis  sacro-iliaca  zurück¬ 
führte,  vermied  ich,  indem  ich  die  Ligamente  in  später  zu 
schildernder  Weise  schone.  Ernstere  Störungen  in  der  Harn¬ 
entleerung  finde  ich  im  Ganzen  nur  zehnmal  während  des 
Wundverlaufes  verzeichnet,  dieselben  schwanden  aber  immer 
vollständig,  wenn  die  Patienten  sich  zum  Uriniren  aufknien 
durften  und  selbst  auf  den  Geburtsact  hat  die  Entfernung  des 
Steisskreuzbeines  keinen  störenden  Einfluss,  wie  die  Beob¬ 
achtung  von  drei  meiner  Patientinnen  lehrt,  welche  nach  sacraler 
Rectumexstirpation  anstandslos,  die  eine  sogar  zweimal,  aus¬ 
getragene  Kinder  zur  Welt  brachten. 

Wenn  ich  Ihnen  nun  weiters  ausführe,  dass  ich  nach 
meiner  letzten  Berechnung  für  die  sacrale  Rectumoperation  eine 
Mortalität  von  nicht  ganz  5 °/0  erzielte,  so  werden  Sie  mir  wohl 
zugestehcn,  dass  ich  für  meine  schon  vor  zwölf  Jahren  ge- 
äusserte  Ansicht,  dass  durch  die  Voroperation  keine  Gefahr  für 
unsere  Patienten  erwächst,  auch  den  Beweis  erbracht  habe. 

Als  Grenzen  der  Operabilität  eines  Mastdarmcarcinoms 
gelten  für  mich  nebst  constatirbaren  inneren  Metastasen  einzig 
und  allein  die  starre  carcinomatöse  Fixation  im  Beckenzell 
gewebe  und  weit  verbreitete  Drüsenerkrankung.  Bei  Fixation 
gegen  Prostata  und  Blase,  gegen  Vagina  und  Uterus  versuche 
ich  immer  noch  die  Exstirpation,  indem  ich  Stücke  des  secundär 
erkrankten  Organes  nach  Bedarf  mit  resecire. 

Ich  ging  in  der  Beurtheilung  der  Operationsmöglichkeit 
bedeutend  weiter  als  andere  Chirurgen  nach  ihren  Publica- 
tionen  zu  thun  scheinen.  Für  mich  ist  eigentlich  nur  die  einzige 
Erwägung  massgebend,  ob  die  Entfernung  des  Neu¬ 
gebildes  überhaupt  technisch  ohne  Gefährdung 
der  Function  der  übrigen  Beckenorgane  durch¬ 
führbar  sei  oder  nicht. 

So  operirte  ich  eine  Anzahl  von  Carcinomen,  die  nach 
den  gewöhnlich  geltenden  Regeln  nur  mehr  für  Palliativopera¬ 
tionen  geeignet  gewesen  wären,  und  hatte  dabei  zweimal  die 
Freude,  an  selbst  bei  der  Operation  fast  aussichtslos  erscheinen¬ 
den  Fällen  Dauerheilungen  zu  erzielen;  allerdings  geschah  es 
mir  aber  andererseits  dreimal,  dass  ich  nach  sacraler  Frei¬ 
legung  des  Tumors  und  dadurch  ermöglichter  directer  Explora¬ 
tion  von  der  Operation  abstehen  und  eine  Palliativoperation 
machen  musste. 

Die  Indication  für  Colostomie  ist  somit  wesentlich  für 
mich  eingeschränkt  und  bleibt  nur  für  die  absolut  unexstirpir- 
baren  Carcinome  Vorbehalten. 

Ich  empfahl  früher  immer,  den  sacralen  Rectumexstirpa- 
tionen  sowie  man  das  auch  bei  andern  Operationen  am  Rectum 
zu  thun  pflegt,  eine  möglichst  gründliche,  also  energische 
Entleerungscur  vorauszuschicken,  damit  womöglich  durch  Ab¬ 
führmittel  und  Irrigationen  die  ober  dem  Neoplasma  ange¬ 
häuften  Kothmassen  zur  Erweichung  und  Ausscheidung  ge¬ 
bracht  werden.  Durch  diese  Vorbereitungscur  verzögerte  sich 
die  Operation  manchmal  durch  Wochen;  durch  die  quälenden 
Proceduren  dieser  Cur,  sowie  durch  die  Angst  vor  der  Opera¬ 
tion  und  durch  die  geringe  Nahrungsaufnahme  während  der 
Zeit  der  Vorbereitung  kamen  manche  Patienten  stark  herunter 
und  was  war  meist  das  Resultat?  Nach  der  Operation  gingen 
trotzdem  Unmassen  von  Kotli  ab.  Diese  Erfahrung  veranlasste 
mich,  allmälig  ganz  von  dieser  Vorbereitungscur,  die  bei  wand¬ 
ständigen  Carcinomen  ohne  wesentliche  Verengerung  unnöthig, 
bei  circulären  mit  stärkerer  Stenose  unwirksam  ist,  abzukommen. 
Seither  fand  ich  dann  auch,  das  der  geformte  dicke  Koth,  den 
man  ohne  Abführmittel  immer  ober  der  Stenose  antrifft,  für 
die  ganzen  Wundverhältnisse  viel  weniger  störend  ist  als  die 
künstlich  erweichten  dünnflüssigen  Massen,  die,  wenn  einmal  die 
Stenose  durch  die  Operation  behoben  ist,  unter  lebhafter 
Peristaltik  gegen  die  Naht  getrieben  werden,  und  diese  meist 
zerreissen,  worauf  dann  viel  eher  durch  dieselben  eine  Wund- 
infection  zu  Stande  kommt,  als  durch  den  eventuell  austreten¬ 
den  geformten  Koth.  Nur  bei  absoluter  Stuhlverhaltung  und 
Ileussymptomen  entleere  ich  per  colostomiam  den  Darm. 

Als  Voroperation  halte  ich  noch  immer  mit  wenig 
Abänderungen  an  den  ursprünglich  gegebenen  Vorschlägen 


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Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


401 


fest  und  konnte  mich  für  keine  der  zahlreichen  vorgeschlagenen 
Modificationen  erwärmen. 

Dass  ich  meine  Patienten  in  der  linken  Seitenlage  operire, 
dass  ich  statt  des  geradlinigen  Hautschnittes  einen  nach  rechts 
convexen  Bogenschnitt  mache,  sind  nebensächliche  Abänderungen. 
Im  Bezug  auf  die  Knochenoperation  wäre  zu  erwähnen, 
dass  ich  mich  ganz  nach  den  Verhältnissen  richte,  unter  allen 
Umständen  das  Steissbein  enucleire,  vom  Kreuzbein  aber  nach 
Bedarf  bald  mehr,  bald  weniger  entferne.  Beim  weiten  weib¬ 
lichen  Becken  kam  ich  in  der  Regel  der  Fälle  mit  einem  Ab¬ 
kneipen  des  freien  Antheiles  des  Kreuzbeins  aus.  Um  die 
Ligamente  wenigstens  theilweise  zu  erhalten  und  die  nach 
der  vollkommenen  Durchschneidung  manchmal  beobachtete 
Lockerung  der  Symphysen  zwischen  Becken  und  Kreuzbein 
zu  vermeiden,  dabei  aber  doch  nicht  an  Manipulationsraum 
einzubüssen,  empfahl  sich  mir  eine  bogenförmige  Abtragung 
des  Kreuzbeins,  wodurch  die  lateralen  Insertionsstellen  der 
Ligamente  wenigstens  grösstentheils  geschont  bleiben. 

Nach  gemachter  Voroperation  unterscheidet  sich,  wie  Sie 
wissen,  der  weitere  Operationsverlauf  sehr  wesentlich  nach  der 
Localisation  und  Ausbreitung  des  Neoplasmas,  je  nachdem  man 
nämlich  die  Analportion  mit  entfernen  muss  oder  ob  diese  mit 
ihrem  Sphinkter  erhaltbar  ist. 

Während  die  erste  Eventualität  keine  wesentlichen 
Schwierigkeiten  bietet,  indem  hiebei  einfach  der  Anus  Um¬ 
schnitten  und  der  Darm  aus  seinem  Bette  von  unten  nach 
aufwärts  langsam  präparirend  ausgelöst  wird,  bildet  bei  erhalt¬ 
barer  Analportion  und  vorzunehmender  Continuitätsresection 
die  vollständige  Isolirung  des  Tumors  namentlich  an  der 
vorderen  Wand  für  mich  noch  immer  den  schwierigsten  Theil 
der  ganzen  Operation. 

Ich  vollführe  dieselbe  meist  stumpf,  indem  ich  von  beiden 
Seiten  um  den  Mastdarm  herum  das  Gewebe  durchtrenne,  bis 
ich  einen  Canal  formirt  habe,  der  die  doppelte  Abbindung  des 
Darmes  ermöglicht.  Zwischen  diesen  Ligaturen  durchtrenne 
ich  den  Darm,  ohne  fürchten  zu  müssen,  dass  irgend  etwas 
von  seinem  Inhalte  gegen  die  Wundhöhle  austreten  kann. 

Wenn  die  Isolirung  aber  gar  nicht  gelingen  wollte,  und 
ich  mich  fürchten  musste,  in  falsche  Schichten  gerathen  zu 
sein,  so  half  ich  mir  so,  dass  ich  das  Rectum  unter  dem  Tumor 
knapp  ober  dem  Sphinkter  durchschnitt,  dann  das  zuführende 
Darmlumen  mit  Klemmen  abschloss  und  jetzt,  unter  constantem 
Zug  den  Darm  nach  hinten  und  oben  vorziehend,  von  unten 
nach  aufwärts  bis  zur  gewünschten  Höhe  isolirte.  Auch  schlug 
ich  manchmal  bei  tieferem  Sitz  der  Neubildung  den  umge¬ 
kehrten  Weg  ein,  indem  ich  zunächst  ober  dem  Neoplasma 
den  Darm  isolirte,  durchtrennte  und  dann  von  oben  nach  ab¬ 
wärts  die  Auslösung  vornahm.  Unter  allen  Umständen  wird 
durch  eingelegte  Tupfer  die  Wunde  vor  jeder  Verunreinigung 
exact  geschützt. 

Principiell  eröffne  ich  das  Peritoneum,  da  ich  den  Ein¬ 
druck  gewonnen  habe,  dass  nur  nach  Eröffnung,  respective 
Abtrennung  des  peritonealen  Ansatzes  das  obere  Darmstück 
so  mobil  gemacht  werden  kann,  wie  man  es  braucht,  um  es 
dann  bequem  ohne  zu  grosse  Zerrung  nach  einer  der  später 
zu  erörternden  Arten  versorgen  zu  können.  Nach  der  voll¬ 
ständigen  genügenden  Mobilmachung  des  Darmes  schliesse  ich 
sofort  die  Peritoneallücke  mit  Seidennähten  und  trage  erst 
dann  den  carcinomatösen  Darm  ab. 

Von  der  Peritonealeröffnung  erlebte  ich  nur  ein  einziges 
Mal  bei  den  von  mir  operirten  Patienten  eine  gefährliche  Com¬ 
plication.  Es  war  das  jener  Fall,  den  ich  in  der  Provinz 
operirte  und  nicht  selbst  nachbehandeln  konnte,  und  bei 
welchem  es  in  Folge  heftigen  Narkoseerbrechens  zur  Ruptur 
der  Peritonealnaht,  zum  Prolaps  und  zur  Incarceration  von 
Dünndarmschlingen  im  Wundcavum  gekommen  war.  Sonst 
halte  ich  die  Peritonealeröffnung  für  belanglos,  den  Vortheil 
durch  dieselbe  aber  für  sehr  bedeutend,  da,  wie  gesagt,  nur 
nach  dieser  der  Darm  ordentlich  vorgezogen  werden  kann. 
Vollkommen  gleichgiltig  ist  ferner  der  bei  allen  meinen  Patienten 
zu  constatirende  Lufteintritt  in  das  Peritonealcavum,  welches 
Ereigniss  uns  das  jedes  Mal  constatirbare  Verschwinden  der 


Leberdämpfung  erklärt.  In  ein  bis  zwei  Tagen  ist  die  Luft 
wieder  resorbirt,  die  Leberdämpfung  wieder  constatirbar. 

War  nun  die  Analportion  mit  erkrankt,  die  Pars  sphincte- 
rica  also  nicht  zu  erhalten,  so  nähte  ich  den  Darm  knapp  unter 
dem  abgetragenen  Kreuzbein  ein.  Der  so  entstandene  Anus 
praeternaturalis  sacralis  wird  nach  vollendeter  Heilung  mit  der 
von  mir  angegebenen  Pelotte  verschlossen  oder  aber  der 
Verschluss  durch  einen  mittelst  Gummiband  angedrückten 
Schwamm  bewerkstelligt. 

Bei  erhaltungsfähiger  Analportion,  also  in  den  Fällen, 
wo  der  Operateur  mit  Continuitätsresection  sein  Auskommen 
findet,  wird  nach  vollendeter  Resection  das  obere  Darmstück 
an  das  untere  angenäht,  um  so,  wo  möglich,  nach  erzielter 
Heilung  vollkommene  Continenz  dem  Patienten  zu  sichern. 
Dieses  ideale  Resultat,  das  mit  keiner  der  früheren  Methoden 
erreichbar  war  und  uns  erst  durch  die  saci-alen  Methoden  er¬ 
möglicht  wurde,  hat  so  viel  Bestechendes,  dass  es  begreiflich 
erscheint,*  wenn  es,  wo  überhaupt  durchführbar,  angestrebt 
wird.  Doch  darf  man  in  der  Schonung  der  Analportion,  längs 
welcher  bekanntlich  ein  grosser  Theil  der  Lymphgefässe  ver¬ 
läuft,  nicht  zu  weit  gehen.  Ich  verfiel  früher  häufig  in  diesen 
Fehler  und  habe  so  manchen  Fall  von  Localrecidive  auf  den¬ 
selben  zurückzuführen. 

Bisher  hafteten  aber  der  Resection  mit  Naht  grössere 
Gefahren  an  als  der  einfachen  Amputation  des  Darmes.  Meist 
riss  durch  die  nachrückenden  Fäcalmassen  die  Naht  irgendwo 
ein,  der  Kothaustritt  hatte  dann  Kothinfiltration  und  stercorale 
Phlegmone,  die  in  vielen  Fällen  den  Tod  herbeiführte,  zur 
Folge.  Auch  war  die  Anlegung  der  Naht  sehr  schwierig  und 
niemals  so  exact  wie  an  andern  Darmpartien  durchführbar. 

Ich  erkannte  sehr  bald,  dass  hierin  ein  wunder  Punkt 
der  Methode  liege  und  war  seit  Langem  bestrebt,  die  Naht 
zu  verbessern,  um  dieser  Gefahr  möglichst  auszuweichen. 

Um  zu  verhindern,  dass  Koth  gegen  die  Wunde  aus¬ 
treten  könne,  zog  ich  einfach  den  oberen  Darm,  also  meist 
das  untere  Ende  der  Flexur  durch  die  Pars  sphincterica  durch, 
und  fixirte  den  Darm  aussen  vor  dem  Anus.  Zur  grösseren 
Sicherheit  legte  ich  dann  von  der  Wunde  aus  eine  zweite 
Nahtreihe  an.  Wenn  nun  vorzeitig  Kothabgang  erfolgte,  wurde 
der  Koth  ohne  Gefährdung  der  Wunde  direct  nach  aussen 
entleert.  Um  weiters  die  Verwachsung  im  Bereiche  des 
Sphincters  zu  einer  innigeren  zu  gestalten,  excidirte  ich  aus 
dem  analen  Stück  die  Schleimhaut,  es  berührten  sich  nun  die 
Wand  des  vorgezogenen  Darmes,  also  meist  Peritoneum  mit 
einer  angefrischten  Wundfläche,  und  beide  konnten  direct 
breit  mit  einander  verwachsen,  wodurch  auch  das  Einrollen 
des  durch  den  Anus  durchgezogenen  Darmes  am  besten  ver¬ 
mieden  wird  (publicirt  1889). 

Um  ferner  die  in  der  Wunde  immerhin  schwer  in  der 
ganzen  Peripherie  exact  anzulegende  Naht  leichter, 
sicherer  und  schneller  durchführbar  zu  machen,  ging  ich  in 
Fällen,  wo  wegen  zu  starker  Spannung  die  Durchziehmethode 
unausführbar  schien,  so  vor,  dass  ich  für  die  Zeit  der  Naht¬ 
anlegung  den  Darm  allerdings  durchzog,  nachdem  ich  vorher 
den  analen  Antheil  durch  Klemmpincetten  nach  aussen  umge¬ 
stülpt  hatte,  wodurch  also  eine  Art  Invagination  erzeugt  worden. 
Jetzt  konnte  ich  bequem  vor  dem  Anus  die  exacte  circuläre 
Naht  machen,  worauf  dann  wieder  der  Darm  von  der  Wunde  aus  zu¬ 
rückgezogen, also  die  Invagination  behoben  wurde  (publicirt  1897). 

Nur  wenn  auch  diese  Art  der  Nahtanlegung  nicht  durch¬ 
führbar  ist,  lege  ich  von  der  Wunde  aus  die  circuläre  Darm¬ 
naht  an. 

Trotz  dieser  Nahtverbesserungen  geschieht  es  immer  noch 
in  einzelnen  Fällen,  dass  die  Naht  irgendwo  einreisst  und  sich 
dann  Koth  gegen  die  Wunde  ergiesst.  Meist  jedoch  trat  dieses 
früher  so  gefährliche  Ereigniss  erst  nach  einigen  Tagen  ein, 
in  einem  Zeitpunkt,  wo  die  Wunde  bereits  granulirt  und  so 
eine  Infection  viel  unwahrscheinlicher  ist.  Diesem  Umstande 
schreibe  ich  es  auch  zu,  dass  ich  von  meinen  62  Resections- 
fällen  mit  Darmnaht  nur  einen  einzigen  Fall  an  stercoraler 
Phlegmone  verlor. 

Seitdem  ich  gelernt  habe,  die  Naht  wenigstens  für  die 
erste  Zeit  auf  diese  Weise  zu  sichern,  habe  ich  nie  mehr  das 


402 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  18 


Verfahren  der  partiellen  Naht  unter  Anlegung  eines  provi¬ 
sorischen  Sacralafters  bei  meinen  Fällen  geübt,  und  habe  da¬ 
durch  die  so  lästige  zweite,  auf  den  Verschluss  des  künst¬ 
lichen  Afters  abzielende  Operation  bis  auf  wenige  Fälle  ver¬ 
mieden  (2  Fälle). 

Nach  vollendeter  Exstirpation  mit  Einnähung 
des  Darmes  an  sacraler  Stelle  oder  nach  gemachter  Darmnaht  ver¬ 
nähe  ich  die  äussere  Wunde  immer  nur  in  ihrem  oberen  und 
unteren  Winkel,  in  der  Mitte  lasse  ich  die  Wunde  weit  offen 
und  drainire  mit  Drain  und  Jodoformgaze  die  ganze  Höhle. 
Dann  verbinde  ich  mit  einer  breiten  Taubinde,  also  auch  lange 
nicht  mehr  so  vorsichtig  und  complieirt,  wie  ich  das  früher 
zu  thun  gewohnt  war. 

In  der  Regel  der  Fälle  ist  nach  diesen  so  ausgeführten 
Operationen  der  Wundverlauf  ein  fast  reactionsloser.  Die  Pa¬ 
tienten  verbringen  in  abwechselnder  Seitenlage  die  Zeit,  die 
sie  gezwungen  %sind,  das  Bett  zu  hüten.  Wenn  bis  zum  vierten 
Tag  nicht  spontan  Stuhl  erfolgt  ist,  was  jetzt,  wo  ich  nur 
ausnahmsweise  Opium  nach  den  Operationen  reichen  lasse, 
immer  seltener  wird,  erzwinge  ich  durch  ausgiebige  Dosen 
von  Ricinusöl  breiige  Entleerung.  Erst  nach  erfolgter  Defäcation 
wird  meist,  der  Verband  zum  ersten  Male  gewechselt  und  von 
nun  an  ganz  nach  Bedarf  täglich,  so  oft  Beschmutzung  dies 
eben  noting  macht.  Nur  bei  Austritt  von  Fäcalien  in  die  Wund¬ 
höhle  wird  mit  lauem  Wasser  irrigirt,  sonst  immer  nur  die 
äusseren  trockenen  Gazelagen  nach  schonender  Reinigung  ge¬ 
wechselt. 

Der  kürzeste  Wundverlauf  bis  zur  erfolgten  Entlassungs¬ 
fähigkeit  betrug  14  Tage,  in  der  Regel  der  Fälle  sind  aber  die 
Patienten  doch  drei  Wochen  spitalsbedürftig.  Auf  einige  Details 
der  Nachbehandlung  komme  ich  übrigens  noch  später  zu 
sprechen. 

Was  erreichen  wir  nun  durch  die  sacrale  Operation  für 
unsere  Patienten? 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  können  die  die  Operation 
zunächst  überstehenden  Patienten  in  folgende  Gruppen  ein- 
getheilt  werden  : 

1.  Bei  jenen  Fällen,  die  mit  Continuitätsresection  be¬ 
handelt  wurden,  kann,  wenn  die  nach  einer  der  verschiedenen 
Vorschläge  ausgeführte  Darmnaht  hält  und  ausheilt,  voll¬ 
ständige  Continenz  erzielt  werden,  also  ein  Resultat  erreicht 
werden,  das  als  ideal  zu  bezeichnen  ist  und  vollständig  gleich- 
werthig  mit  den  gelungenen  Fällen  von  Resectionen  an  anderen 
Darmabschnitten  vergleichbar  ist. 

Dabei  kann,  und  das  spielt  für  das  zu  erstrebende 
Ziel  keine  wesentliche  Rolle,  die  Heilung  des  Darmes  per 
primam  erfolgen  oder,  was  wohl  oft  der  Fall  ist,  an  Stelle  der 
Naht  eine  Zeit  lang  eine  kleine  Fistel  bestehen,  die  dann  ent¬ 
weder  spontan  oder  nach  Kauterisation  mit  Lapis  ausheilt. 

Die  meisten  dieser  Patienten  sind  nach  perfecter  Heilung 
körperlich  vollkommen  gesund  und  werden  durch  keinerlei 
Störungen  irgendwie  an  die  überstandene  Operation  und  das 
durch  dieselbe  beseitigte  Leiden  erinnert.  Ich  habe  als  in  diese 
Kategorie  gehörig  zwei  Frauen,  welche  anstandslos  reife,  die 
eine  ein  4200  schweres  Kind  gebaren.  Einer  meiner  Patienten 
betont  mir  jedes  Mal,  dass  er  sich  erst  seit  der  Operation  über¬ 
haupt  wohl  fühle,  indem  er  früher  mit  Defäcationsschwierig- 
keiten  zu  laboriren  hatte.  Ein  anderer  wieder  geht  seinem 
schweren  Berufe  als  Forstmann  nach,  wieder  ein  andererfährt 
ohne  Beschwerden  stundenlang  Velociped  u.  s.  w.;  ich  hebe 
eben  nur  besonders  markante  Fälle  hervor.  Vollständige  Con¬ 
tinenz  erzielte  ich 

in  5  Fällen  nach  Naht  in  der  Wunde, 

»21  »  »  der  Durchziehmethode, 

*  3  »  »  Spontanheilung  einer  Fistel, 

»  nach  plastischem  Verschluss  der  Fistel. 

Allerdings  wird  dann  und  wann  selbst  bei  gelungener 
Darmnaht  die  Freude  am  Erfolge  durch  allerhand  Beschwerden 
getrübt.  Solche  sind  zunächst  Incontinenz  für  dünnen  Stuhl 
trotz  vollkommen  erhaltenem  Sphinkter  und  vollkommen  ge¬ 
heilter  Naht  (3  Fälle).  Ich  beziehe  diese  Erscheinung  auf 
meine  Gepflogenheit,  bei  vorzunehmender  Darmnaht  jedes  Mal 
den  Sphinkter  stumpf  zu  dehnen,  ungefähr  so,  wie  man  dies 


früher  zur  Behandlung  von  Fissuren  und  Hämorrhoiden  an¬ 
gegeben  hat.  Ich  time  dies,  um  zu  verhindern,  dass  Kothballen 
ober  dem  Sphinkter  sich  während  der  Wundheilung  anstauen 
und  so  die  Naht  gefährden.  Es  hat  mir  dieser  Usus  so  gute 
Dienste  geleistet,  dass  ich  nicht  davon  abgehe,  trotzdem  mir 
in  zwei  Fällen  über  die  nur  relative  Continenz  arg  geklagt  wird. 

Eine  weitere  unangenehme  Erscheinung  nach  gemachter 
und  gelungener  Darmnaht  wird  duroh  Stricturen  an  Stelle  der 
Naht  erklärt.  Der  Patient  hat  dann  den  quälenden  Eindruck, 
dass  er  sich  niemals  vollkommen  entleere;  der  Stuhl  wird  dabei 
in  kleinen  Portionen  abgesetzt;  solche  Patienten  werden  oft 
psychisch  sehr  verstimmt,  da  sie  meinen,  dass  ihr  Carcinom 
schon  wieder  in  Entwicklung  sei.  Ich  war  in  solchen  Fällen 
oft  erstaunt,  im  Rectum  bei  der  Digitaluntersuchung  nur  eine 
feine,  circuläre,  gegen  das  Lumen  zu  vorspringende  Leiste  zu 
finden,  die  den  Querschnitt  des  Darmes  scheinbar  kaum  ver¬ 
ändert.  Uns  wird  aber  das  Unbehagen  klar,  wenn  wir  uns 
vor  Augen  halten,  dass  ober  dem  Sphincter  externus  der 
Mastdarm  ampullenförmig  erweiterungsfähig  sein  soll  und  wenn 
j  wir  die  Erfahrungen  von  anderen  gutartigen  Stricturen  auf 
unsere  Fälle  übertragen.  Bei  solchen  Veränderungen  sehen  wir 
dann  im  weiteren  Verlaufe,  dass  ober  der  Naht  sich  der  Darm 
stark  ausdehnt,  was  so  weit  gehen  kann,  dass  selbst  eine 
Dehnung  der  äusseren  Narbe  entsprechend  der  sacralen  Wunde 
zu  Stande  kommt,  die  uns  eine  sacrale  Hernie  Vortäuschen 
könnte.  Instinctiv  kommen  solche  Patienten  darauf,  dass  dieser 
Sack  bei  der  Defäcation  mit  zu  entleeren  sei  und  gewöhnen 
sich  daran,  denselben  mit  ihren  Händen  zu  drücken,  um  ihn 
so  mechanisch  auszuquetschen.  Einer  meiner  Patienten  liess 
sich  eine  Art  Bracherium  construiren,  um  diese  lästige  Folge 
der  Stenose  leichter  ertragen  zu  können.  Regelmässige  Bougie¬ 
rungen  und  Nachhilfe  mit  Irrigationen  werden  hiedurch  nöthig 
und  beheben  mit  der  Zeit  meist  vollständig  die  Strictur. 

Ein  viel  unangenehmeres  Bild  bieten  uns  jene  Patienten, 
bei  denen  die  Naht  versucht,  also  die  Analportion  erhalten 
wurde,  und  bei  denen  es  aus  irgend  einem  Grunde  zur  breiten 
Berstung  und  zur  Entwicklung  einer  hinteren  bleibenden,  also 
von  Epithel  überzogenen  Rectalfistel  gekommen  war  (27  Fälle). 
Bei  solchen  Patienten  bestehen  für  den  Austritt  des  Stuhles 
zwei  Löcher,  der  erhaltene  After  und  die  neue  sacrale  Fistel. 

Gewöhnlich  verengert  sich  nun  im  Laufe  der  Zeit  letztere 
immer  mehr  und  mehr,  so  dass  nur  in  einer  dünnen,  band¬ 
förmigen  Form  der  Kotli  durchgepresst  wird.  Aber  auch  der 
Weg  durch  den  Auus  leidet,  sei  es,  dass  narbige  Schrumpfung 
oder  Verziehen  mit  winkeliger  Knickung  die  Durchgängigkeit 
beeinträchtigt.  Für  solche  Fälle  schlage  ich  die  baldige  pla¬ 
stische  Deckung  des  hinteren  Defectes,  eventuell  blosse  An¬ 
frischung  nach  Spaltung  der  Pars  sphincterica  mittelst  hinterem 
Rhapheschnitt  vor,  was  mir  in  zwei  Fällen  rasch  die  Beschwerden 
behob  und  selbst  gutes  functionelles  Resultat  geliefert  hat. 

II.  Die  zweite  Gruppe  von  sacral  Operirten  besitzen 
nach  der  Amputation,  respective  Exstirpation  des  Rectums 
einen  sacralen  After  (50  Fälle),  oder  aber,  wenn  man  den 
Darm  bis  in  die  Gegend  des  ursprünglichen  Afters  vorzieht 
und  hier  einnäht,  hier  den  incontinenten  neuen  After  (8  Fälle). 

In  der  Regel  der  Fälle  nähte  ich  den  Darm  knapp  unter 
der  Abtragungsfläche  des  Os  sacrum  in  die  äussere  Haut  ein, 
also  etablirte  einen  sacralen  After,  da  es  mir  den  Eindruck 
macht,  dass  dieser  besser  mit  Pelotten  verschlossen  werden 
kann  als  der  perineale.  Die  von  mir  hiefür  construirte  Pelotte 
(beschrieben  in  meiner  ersten  Publication)  functionirt  in 
manchen  Fällen  so  ausgezeichnet,  dass  selbst  dünnflüssige 
Kothmassen  gut  zurückgehalten  werden  können. 

Allmälig  kam  ich  namentlich  bei  meinen  Spitalspatienten 
von  dieser  doch  immerhin  kostspieligen  Pelotte  ab  und  lasse 
nun  folgende  einfache  Verschlussbandage  tragen:  Auf  das  Lumen 
des  sacralen  Afters  wird  ein  grösserer,  feuchter,  aber  gut  aus¬ 
gedrückter  Schwamm  aufgelegt  und  mit  einem  breiten  Gummi¬ 
band  in  Form  der  Taubinde  angedrückt  erhalten. 

Auch  bei  den  Fällen  von  sacralem  After  sah  ich,  was 
ich  bei  den  Colostomien  immer  besonders  hervörhebe,  welch 
grosse  Bedeutung  es  hat,  nach  erfolgter  Heilung  zuerst  eine 
förmliche  Abführcur  einzuleiten,  um  so  mit  Abführmitteln  und 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Irrigationen  alle  angehäuften  alten  Kothmassen  zu  entfernen 
und  dann  durch  Regelung  der  Diät  regelmässig  geformte 
Stühle  zu  erzwingen.  Solche  Patienten  setzen  des  Morgens 
ihren  Stuhl  ah,  reinigen  sich  dann  im  Sitzbad,  bleiben 
tagsüber  selbst  ohne  Pelotte  vollkommen  rein  und  können  un¬ 
gestört  ihrem  Berufe  nachgehen.  Die  grosse  Angst  vor  Be¬ 
schmutzung,  welche  die  Patienten  nach  der  Operation  mehr 
quält,  als  ihr  Rectumcarcinom  vor  der  Operation,  verschwindet 
dann  allmälig  und  ich  konnte  bei  allen  meinen  Patienten 
ein  förmliches  Aufblühen  und  rapide  Gewichtszunahme  con- 
statiren. 

Natürlich  hat  die  Incontinenz  trotz  der  besten  Pelotten 
immer  viel  Missliches,  und  es  sind  daher  alle  Bestrebungen, 
welche  dieselbe  zu  beheben  und  die  Patienten  von  den  Pelotten 
unabhängig  zu  machen  sich  bemühen,  vollständig  gerechtfertigt 
und  zu  begriissen. 

So  sehen  wir  denn  auch,  dass  die  Chirurgen  in  dieser 
Hinsicht  vielfach  Versuche  angestellt  haben;  Witzei  ver¬ 
legte  den  widernatürlichen  After  in  die  Glutäalregion  und 
hoffte,  von  der  vom  Musculus  glutaeus  maximus  dargestellten 
Muskelklammer  eine  Art  Sphinkter  zu  erzielen.  Gersuny 
torquirte  vor  der  Einnähung  den  Darm  und  will,  ähnlich  wie 
er  es  bei  der  weiblichen  Urethra  wegen  Incontinenz  mit  gutem 
Erfolg  that,  einen  Abschluss,  der  nur  den  austreibenden  Kräften 
nachgibt,  herstellen. 

Ich  versuchte  beide  Verfahren,  hatte  aber  bei  beiden 
Malheur,  indem  sich  bei  der  Patientin,  bei  der  ich  den  After 
in  die  Glutäalgegend  verlegte,  der  Darm,  wahrscheinlich  beim 
Umlagern,  losriss  und  hinter  die  Musculatur  zurückzog,  wobei 
Koth  in  die  Wunde  entleert  wurde.  Eine  zum  Verjauchen  des 
ganzen  Beckens  führende  Phlegmone,  der  die  Patientin  auch 
erlag,  war  die  Folge  davon;  in  dem  Falle,  wo  ich  nach  dem 
Rathe  Gersuny’s  die  Drehung  vornahm,  wurde  mir  das  ge¬ 
drehte  Stück  bis  zum  Ansätze  des  Peritoneums~gangränös;  Patient 
kam  zwar  mit  dem  Leben  davon,  doch  dauerte  es  bis  zur 
definitiven  Verheilung  sehr  lange. 

Um  einem  gewissen  Grad  von  Continenz  zu  erzielen,  an¬ 
dererseits  durch  die  Pelotte  den  Darm  sicherer  verschliessen 
zu  können,  schlug  Billroth  eine,  wie  mir  scheint,  sehr 
praktische  Modification  vor,  die  darin  besteht,  dass  der  Darm 
unter  der  Haut  des  Kreuzbeines  nach  aufwärts  geschlagen 
wird,  so  dass  der  sacrale  After  ungefähr  in  der  Mitte  des 
Kreuzbeines  zu  liegen  kommt.  Hiedurch  kann  leicht  der  Darm 
gegen  den  Knochen  gedrückt  und  so  verschlossen  erhalten 
werden. 

Ich  protegirte  dieses  Verfahren  in  einigen  Fällen,  kam 
aber  gerade  in  letzterer  Zeit  wieder  davon  ab,  da  ich  De¬ 
cubitus  des  Darmes  an  der  Umbeugestelle  durch  Druck  des 
Knochens  erlebte. 

So  bin  icli  denn  auf  dem  Umwege  einiger  trauriger  Er¬ 
fahrungen  wieder  zu  der  ursprünglichen  Form  des  sacralen 
Afters  angelangt,  und  habe,  wie  gesagt,  die  Erfahrung  ge¬ 
macht,  dass  bei  einiger  Intelligenz  und  sorgsamer  Pflege  die 
Patienten  endlich  sich  ganz  gut  mit  ihrem  Gebrechen  abfinden 
und  selbst  ohne  Störungen  ihrem  Berufe  nachkommen  können. 

Eine  sehr  quälende  aber  immerhin  seltene  Folge  des 
sacralen  Afters  ist  der  sich  manchmal  einstellende  mächtige 
Darmvorfall.  Ich  habe  dieses  Ereigniss  aber  nur  in  Fällen  zu 
beobachten  Gelegenheit  gehabt,  bei  welchen  weder  eine  Binde, 
noch  eine  Pelotte  getragen  wurde. 

Die  fast  ausnahmslos  zu  constatirende  Folge  sacraler 
Operationen  (dabei  bleibt  es  gleichgiltig,  ob  Darmnaht  oder 
künstlicher  After  angelegt  wurde)  ist  eine  rapide  Gewichts¬ 
zunahme  und  ein  förmliches  Aufblühen  unserer  Patienten. 

Das  frische,  gute  Aussehen  hält  an,  so  lange  die  Patienten 
recidivfrei  sind,  und  schwindet  sofort,  wenn  durch  Recidive  die 
Detäcationsschwierigkeiten  erneuert  oder  innere  Metastasen 
lebenswichtiger  Organe  eingetreten  sind. 

So  traurig  das  Bild  ist,  unter  welchem  Recidive  zum 
Ende  führt,  so  unterscheidet  es  sich  doch  wesentlich  von  dem 
ausnahmslos  noch  viel  qualvollerem  Siechthum  nach  Colostomien. 
Da  in  den  weitaus  meisten  Fällen  die  Recidive,  wenn  man  als 
solche  überhaupt  das  Weiterwuchern  des  Krebses  in  den 


regionären  Drüsen  bezeichnen  darf,  nicht  im  Darm,  sondern 
ausserhalb  dieses  im  periproktalen  Zellgewebe  abläuft,  sind 
Stenosenerscheinungen  selten.  Meist  durchwuchert  der  Krebs, 
hauptsächlich  nach  hinten  wachsend,  die  sacrale  Narbe  und  er¬ 
scheint  vor  dieser  oft  in  Form  grosser  pilzförmiger  Geschwülste. 
Compression  der  Blase  beobachtete  ich  nur  einmal,  Perforation 
in  die  Blase  jedoch  niemals.  In  acht  Fällen  musste  ich  wegen 
Compression  des  Darmes  in  späterem  Verlauf  colostomiren. 
In  einer  auffallend  grossen  Anzahl  von  Fällen  erlagen  die 
Patienten  inneren  Metastasen  ohne  dass  irgend  ein  für  Recidive 
sprechendes  Moment  aufgefunden  werden  konnte. 

Gänzlich  bin.  ich  davon  abgekommen,  bei  Recidiven  nach 
sacralen  Operationen  den  Versuch  radicaler  Exstirpation  zu 
wiederholen.  In  den  wenigen  Fällen,  bei  welchen  ich  in  früheren 
Zeiten  diese  Versuche  machte,  kam  ich  jedes  Mal  nach  opera¬ 
tiver  Freilegung  zur  Einsicht,  dass  es  ein  absolut  aussichts¬ 
loses  Beginnen  darstelle,  den  die  ganze  Narbenmasse  durch¬ 
setzenden  Krebs  zu  exstirpiren.  Ich  gehe  eben  schon  bei  der 
ersten  Operation  so  energisch  als  möglich  vor,  so  dass  eine 
zweite  Operation  nichts  mehr  zu  leisten  im  Stande  ist. 

Meine  Herren,  ich  kommt  nun  zu  meiner  Statistik. 
Ich  werde  bei  der  Darlegung  derselben  jedoch  nur  die  Mor¬ 
talitätsstatistik  und  die  der  Dauerresultete  entwickeln,  indem 
erst  im  vorigen  Monat  einer  meiner  Schüler  eine  diesbezüg¬ 
liche  genaue  statistische  Arbeit  im  Lan ge n beck’schen  Archive 
erscheinen  liess  und  ich  somit  in  allen  weiteren  Punkten  auf 
dieselbe  verweisen  kann.2) 

Seit  dem  2.  Mai  1887  vollführte  ich  bis  zum  heutigen 
Tage,  also  in  einem  Zeiträume  von  fast  13  Jahren,  121  sacrale 
Rectumexstirpationen. 

Dabei  will  ich  noch  besonders  hervorheben,  dass  ich  diese 
immerhin  bedeutende  Anzahl  von  Operationen  durchaus  selbst  aus¬ 
geführt  habe,  und  ich  bin  der  Meinung,  dass  dieser  Umstand 
meinen  Erfahrungen  eine  grössere  Bedeutung  zur  Charakteristik 
der  Methode  verleiht  als  dieselbe  Statistiken  verdienen,  in 
welchen  Operationsresultate  verschiedener  und  verschieden 
qualificirter  Operateure,  wie  z.  B.  bei  allen  klinischen  Berichten 
des  Chefs  und  der  Assistenten,  niedergelegt  sind. 

Ich  kenne  keine  Operation,  bei  der  es  so  wie  bei  dei 
sacralen  Rectumexstirpation  auf  genaue  anatomische  Vorstellung 
und  auf  chirurgische  Erfahrung  und  Uebung  ankommt.  Ich 
kenne  aber  auch  weiter  wenige  Operationen,  bei  denen  die 
Nachbehandlung  eine  so  grosse  Rolle  spielt. 

In  der  Regel  der  Fälle  ist  das  Schicksal  eines  Patienten 
am  Operationstische  entschieden  und  die  Nachbehandlung  hat 
nur  die  Aufgabe,  zu  verhindern,  dass  auf  den  durch  die  Ope¬ 
ration  und  Krankheit  in  seiner  Widerstandskraft  geschädigten 
Patienten  irgend  eine  neue  Schädlichkeit  einwirke. 

In  unseren  Fällen  ist  das  ganz  anders.  Hier  hat  der 
nachbehandelnde  Arzt  lange  Zeit  auf  gewissenhaftester  Wacht 
zu  stehen,  damit  nichts  zum  Nachtheile  des  Patienten  über¬ 
sehen  werde.  Nur  einige  Beispiele:  Ich  sah  einen  fremden 
Patienten  an  acutester  Peritonitis  in  wenigen  Stunden  zu 
Grunde  gesehen,  den  der  verbindende  Arzt  beim  Verband¬ 
wechsel  in  Knie  Ellbogenlage  gelagert  hatte.  Die  Section  zeigte, 
dass  ein  zwischen  Rectum  und  Blase  zur  Entwicklung  ge¬ 
kommener  Abscess,  der  sonst  wahrscheinlich  gegen  die  W  unde 
zu  durchgebrochen  wäre,  in  dieser  fehlerhaften  Lagerung  gegen 
das  Peritonialcavum  geplatzt  war. 

Bei  einigen  meiner  Patienten  kam  es  zu  Fieber  in  Folge 
Eiterverhaltung  nur  dadurch,  dass  der  herabgezogene  und  ge¬ 
nähte  Darm  ampullenartig  ober  dem  Sphinkter  durch  Koth  er¬ 
weitert  war  und  so  den  Abfluss  aus  dem  Wundcavum  voll¬ 
ständig  verhinderte. 

Wie  eine  Darmnaht  gegen  den  anrückenden  Stuhl  zu 
schützen  ist,  wann  es  besser  ist,  lieber  die  Naht  nach  hinten 
zu  öffnen  und  so,  freie  Passage  zu  gewähren  als  die  ganze 
Naht  zu  riskiren  alles  das  sind  Dinge,  die  genau  überlegt 
sein  wollen  und  auf  Erfahrung  basirt  sein  müssen. 

Bei  der  Beurtheilung  meiner  Resultate  kommt  also 
weiters  in  Betracht,  dass  ich  in  allen  Fällen  mit  Ausnahme 

*)  Dr.  Josef  Pichler,  Zur  Statistik  und  operativen  Behandlung 
der  Rectumcarcinoine.  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LKI,  Heit  1. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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eines,  die  Nachbehandlung  selbst  geführt  oder  doch  wenigstens 
mit  besonderer  Aufmerksamkeit  überwacht  habe. 

Von  meinen  121  Fällen  verlor  ich  zehn  Fälle  in  zeit¬ 
lichen  Anschlüsse  an  die  Operation,  was  ein  Mortalitätsver- 
hältniss  von  8'2%  ergibt. 

Besehen  wir  uns  aber  die  Todesursachen  in  diesen  zehn 
Fällen,  so  werden  Sie  mir  wohl  Recht  geben,  wenn  ich  vier 
Fälle  ausscheide,  da  bei  diesen  die  Todesursache  in  keinem 
directen  Zusammenhänge  mit  der  Operation  und  Wund¬ 
heilung  stand. 

Es  starben  au  Sepsis,  Peritonitis,  respective  stercoraler 
Phlegmone  vier  Fälle  (zwei  Männer,  zwei  Weiber). 

Bei  einer  Frau  versuchte  ich  die  Methode  nach  Witzei. 
Durch  Zurückgleiten  des  in  die  Glutäusmusculatur  eingenähten 
Darmes  war  es  zu  rapid  tödtlich  verlaufender  Beckenphlegmone 
gekommen.  Eine  Frau  (Fall  44)  erlag  einer  subacuten  Sepsis  am 
22.  Tage. 

Bei  einem  stark  herabgekommenen  anämischen  Manne 
(Fall  36)  musste  eine  Nachblutung  aus  der  A.  sacralis 
gestillt  werden,  wobei  eine  Wundinfection  stattfand.  Bei  einem 
zweiten  Manne  (Fall  110),  einem  62jährigen  Herrn,  versuchte 
ich  die  Darmnaht.  Wegen  Spannung  konnte  ich  dieselbe  nur  von 
der  Wunde  aus  machen;  es  kam  zur  Berstung  und  stercoraler 
Phlegmone. 

An  Verblutung  verlor  ich  zwei  Fälle  (zwei  Weiber, 
Fall  53  und  105). 

Eine  Frau  erlag  am  dritten  Tage  einer  inneren  Verblutung. 
Das  Carcinom  war  mit  der  Scheide  verwachsen,  ich  musste  ein 
thalergrosses  Stück  reseciren,  und  die  daselbst  befindlichen,  enorm 
varicös  dilatirten  Venen  zahlreich  ligiren.  Nach  einem  Verband¬ 
wechsel  und  frischer  Lagerung  collabirte  die  Patientin  plötzlich, 
wurde  pulslos  und  starb  im  Verlaufe  einer  Viertelstunde,  noch 
bevor  ich  wieder  geholt  werden  konnte.  Eine  zweite  Frau,  bei  der 
ich  ebenfalls  wegen  Uebergreifen  auf  die  Vagina  diese  grössten- 
theils  reseciren  musste,  erlag  am  zweiten  Tage  trotz  scheinbar  ge¬ 
lungener  Tamponade  einer  Blutung,  die,  wie  die  Section  uns  lehrte, 
gegen  die  Bauchhöhle  zu  durch  den  geplatzten  Peritonealschlitz 
nach  innen  zu  stattgefunden  hatte. 

Das  sind  die  Fälle,  die  unbedingt  für  die  Mortalitäts¬ 
berechnung  in  Betracht  kommen;  ausschalten  möchte  ich  die 
vier  weiten  Todesfälle,  nämlich: 

1.  Einen  Fall  von  capillärer  B  r  o  n  c  h i  t  i  s.  (Fall  20. 
58jährige  Frau,  die  nach  der  Durchziehmethode  operirt  wird. 
Tod  am  15.  Tage.  Section:  Capilläre  Bronchitis  bei  in  Heilung 
begriffener  Wunde.) 

2.  Einen  Fall  (Fall  71.  Mann  52  Jahre  alt)  von  Dann¬ 
blutung  in  Folge  eines  Duodenalgeschwüres  am  achten  Tage. 

3.  Eine  62jährige  Frau  (Fall  79)  erlag  am  18.  Tage 
nach  vollkommen  reactionslosem  Wundverlauf  und  nahezu 
geheilter  Wunde  beim  Aufstehen  (sie  war  bereits  drei  Tage 
ausser  Bett)  einer  Hirnembolie,  und  endlich 

4.  den  Fall  52  von  Incarceration  gegen  die  Wundhöhle. 

Der  Patient  erlag  am  zehnten  Tage  einer  Incarceration,  die 
dadurch  entstanden  war,  dass  in  Folge  starken  Erbrechens  nach 
der  Narkose  die  Peritonealnaht  riss  und  Dünndärme  gegen  die 
Wundhöhle  vortraten  und  sich  hier  allmälig  einklemmten.  Der  Fall 
wurde  in  der  Provinz  (21  Stunden  Bahnfahrt  von  Wien)  operirt 
und  konnte  von  mir  nicht  nachbehandelt  werden. 

Nach  Abzug  dieser  vier  Fälle  gestaltet  sich  das  Morta- 
litätsverhältniss  so,  dass  ich  bei  121  Operationen  6  Todesfälle 
in  zeitlichem  und  causalem  Zusammenhänge  mit  der  Operation 
zu  verzeichnen  habe.  Dies  gibt  ein  Mortalitätsprocent  von  nicht 
ganz  5%. 

(Also  ich  habe  nicht  20%  Mortalität  bei  den  sacralen 
Rectumexstirpationen,  wie  mir  fast  allgemein  und  bis  in  die 
neueste  Zeit,  so  auch  in  der  jüngst  erschienenen  statistischen 
Arbeit  aus  der  Rostocker  Klinik  zugedacht  werden,  sondern 
nur  5%.) 

Für  die  Beurtheilung  der  Dauerheilungen,  wozu  ich  jene 
Fälle  rechne,  welche  über  drei  Jahre  nach  der  Operation  leben 


oder  gelebt  haben,  kommen  von  meinen  121  Operationen  nur 
62  Fälle  in  Betracht,  indem  59  Fälle  in  Abzug  zu  bringen 
sind,  und  zwar  die  10  Todesfälle,  22  Fälle,  von  denen  keine 
Nachricht  zu  erhalten  war  und  von  denen  ich  nach  der  Ope¬ 
ration  nichts  mehr  erfuhr,  ferner  die  22  Fälle,  die  ich  seit 
April  1897  operirte,  welche  also  noch  nicht  drei  Jahre  in  Be¬ 
obachtung  sind.  Und  endlich  5  Fälle,  die  an  intercurrenten 
Krankheiten  vor  Ablauf  des  dritten  Jahres  gestorben  sind. 

Von  diesen  62  Fällen  sind  ohne  Recidiv  21  Fälle  länger 
als  drei  Jahre  am  Leben  geblieben,  respective  leben  noch 
(meine  erste  Patientin,  die  ich  am  2.  Mai  1887  operirte,  ist 
unter  diesen,  befindet  sich  vollständig  wohl  und  sieht  prächtig 
aus).  Ich  halte  es  aber  keineswegs  für  gerechtfertigt,  so  ohne 
Weiteres  diese  Zahlen  zur  Berechnung  herbeizuziehen,  um 
daraus  den  Procentsatz  der  Dauerheilungen  zu  berechnen,  da 
unter  den  22  Fällen,  von  denen  ich  keine  Nachricht  erhalten 
konnte,  gewiss  die  meisten  an  Recidive  gestorben  sein  dürfteu, 
also  füglich  mit  in  die  Berechnung  einbezogen  werden  müssen. 
Thut  man  dies,  so  erhalte  ich  21  Dauerheilungen  auf  84  Ope¬ 
rationen,  was  einen  Prozentsatz  von  25%  ergibt.  Abgesehen 
von  dieser  Berechnung  habe  ich  den  persönlichen  Eindruck, 
dass  die  Dauerheilungen  immer  noch  viel  zu  spärlich  sind 
gegenüber  der  Mühe  und  Sorge,  die  uns  Chirurgen  aus  jedem 
sacral  zu  operirenden  Patienten  erwachsen. 

Wenn  nicht  die  Totalexstirpation  des  ganzen  unteren 
Dickdarmstückes  (Rectum  und  Flexur)  auf  dem  combinirten 
Wege  der  sacralen  Methode  und  per  laparotomiam  einen  totalen 
Umschwung  in  der  Therapie  der  Rectumcarcinome  überhaupt 
hervorzurufen  im  Stande  ist,  so  können  wir  wohl  annehmen, 
dass  wir  an  einem  Grenzpunkte  angelangt  sind. 

Viel  mehr  werden  wir  in  nächster  Zukunft  wohl  kaum 
operativ  für  unsere  Kranken  leisten  können.  Der  Fortschritt 
muss  zunächst  in  der  Diagnosenstellung  gemacht  werden.  Nur 
Frühdiagnosen  des  Rectumcarcinoms  würden  uns  in  den  Stand 
setzen,  im  Berichte  über  die  nächsten  100  Fälle  mehr  Dauer¬ 
heilungen  zu  verzeichnen. 

Wenn  der  Chirurg  den  Internisten  um  Frühdiagnosen 
bei  schwierig  zu  diagnosticirenden,  weil  fast  symptomlos  ver¬ 
laufenden  Leiden  anderer  innerer  Organe  angeht,  so  mag  ja 
das  in  vielen  Fällen  ein  unerfüllbares  Verlangen  sein.  Das 
dürfen  wir  aber  verlangen,  dass  bei  allen  Rectalbeschwerden 
auch  das  Rectum  digital  untersucht  werde,  und  dass  so  ver¬ 
hindert  würde,  dass  noch  so  häufig  ohne  Untersuchung  lange 
Zeit  hindurch  mit  falscher  Diagnose  ordinirt  und  hiebei  die 
beste  Zeit  für  die  Operation  des  carcinomatösen  Mastdarmes 
geopfert  wird. 


Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Universitätsklinik  Hofrath 

Prof.  Nicoladoni’s,  Graz. 

Zur  Technik  der  keilförmigen  Osteotomie  der 
Tibia  (Meyer-Schede). 

Von  Dr.  Ludw.  Luksch,  Assistenten  der  Klinik. 

Nach  der  Vorschrift  von  Meyer  und  Schede  wird 
die  in  der  Ueberschrift  genannte  Operation  bei  Genu  valgum 
in  der  Weise  ausgeführt,  dass  ein  Keil  aus  der  Tibia  aus- 
gemeisselt,  resp.  ausserdem  die  Fibula  linear  osteotomirt  wird. 
Alle  späteren  Autoren  fügen  nichts  Neues  hinzu.  Nur  König 
betont  in  seinem  Lehrbuche  die  Wichtigkeit,  die  laterale  Wand 
der  Tibia  ganz  zu  durchschlagen.  Hier  liegt,  sagt  König,  die 
scharfe  Seite  des  Keiles.  Thut  man  das,  fährt  König  fort,  so 
hat  man  die  Durchmeisselung  der  Fibula  nicht  noting,  es  corri- 
giren  sich  auch  die  schlimmsten  Genua  valga  leicht. 

Ein  Fehler  dieser  Methode  liegt  nun  darin,  dass  der 
Keil  nur  aus  der  Tibia  ausgemeisselt  wird,  um  die  Difformität 
des  Unterschenkels,  Tibia  plus  Fibula,  zu  corrigiren.  Theoretisch 
richtig  wäre  es,  einen  Keil  aus  dem  ganzen  Skelet  des  Unter¬ 
schenkels  herauszunehmen,  d.  h.  bei  Genu  valgum  die  Schneide 
des  Keiles  an  die  laterale  Seite  der  Fibula  zu  verlegen 
(siehe  Fig.  1).  Es  ergibt  sich,  dass  dann  aus  der  Tibia 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ein  recht  winkeliges  Prisma,  dessen  Basis  ein 
Trapez  ist,  a  u  s  g  e  m  e  i  s  s  e  1 1  werden  muss. 

Aus  der  Fibula  sollte  ein  Keil  mit  ganz  kleiner  Höhe 
des  Keilrückens  herausgenommen  werden.  Sobald  aber  die 
Tibia  in  der  angegebenen  Weise  osteotomirt  ist,  wird  die 
Trennung  der  Fibula  (vielleicht  nur  die  allerhochgradigsten 
Fälle  von  Verkrümmung  des  Unterschenkels  im  Sinne  eines 
Genu  valgum  ausgenommen)  unnothwendig.  Die  Difformität 
lässt  sich  in  Folge  der  Beweglichkeit  zwischen  Tibia  und 
Fibula  in  den  beiden  sie  verbindenden  Gelenken,  ohne  In¬ 
anspruchnahme  der  Elasticität  der  Fibula  ausgleichen.  ln 
einigen  Fällen,  welche  in  der  gedachten  Weise  operirt  wurden, 
konnte  ich  mich  überzeugen,  dass  sich  die  Difformität  leicht, 
ohne  Federung  der  Fibula  corrigiren  liess,  und  dass  sich  die 
Meisseiflächen  der  Tibia  genau  aneinander  legten. 

Die  Seiten  des  auszumeisselnden  Prismas  lassen  sich  aus 
der  Breite  der  Tibia,  der  Entfernung  zwischen  medialer  Tibia 
und  lateraler  Fibulakante  und  aus  der  Grösse  des  zur  Cor¬ 
rectin'  nothwendigen  Winkels  leicht  berechnen. 


Ausser  dem  genauen  Aneinanderpassen  der 
Trennungsflächen  der  Tibia  bietet  die  Ausführung 
der  Operation  in  der  geschilderten  Weise  noch  andere  Vor¬ 
theile.  Vor  Allem  ist  es,  wie  erwähnt,  kaum  je  nöthig,  die 
I  ibula.  zu  osteotomiren.  Es  bleibt  der  Nerv,  peroneus 
vor  jeder  Verletzung  bei  der  Operation,  vor 
einer  Zerrung  bei  der  Correctur  der  Difformität  (Kocher) 
und  vor  einer  späteren  Leitungsunterbrechung 
durch  die  Weichtheilnarbe  oder  den  Knochencallus  sicher 
bewahrt. 

Die  intacte  Fibula  bildet  für  die  durchtrennte  Tibia 
gleichsam  eine  Schiene^  welche  eine  Beugestellung  des 
centralen  Stückes  der  Tibia  im  Kniegelenke 
verhindert.  Eine  Beugung  im  Kniegelenke  kommt  bei 
Durchtrennung  der  Tibia  und  Fibula  leicht  zu  Stande,  weil 
die  kurzen  centralen  Fragmente  der  Unterschenkelknochen, 
aut  welche  die.  mächtigen  Beuger  des  Kniegelenkes  wirken, 
nicht  sicher  fixirt  werden  können.  Insbesondere  dann,  wenn 
aus  irgend  einem  Grunde  nicht  sogleich  nach  der  Osteotomie 
ein  gut  passender  Gipsverband  angelegt  wird,  stellt  sich  leicht 
eine  Beugecontractur  im  Kniegelenk  ein.  Eine  Ausheilung 
aber  mit  Abknickung  des  Unterschenkels  nach  rückwärts  be¬ 
deutet  eine  schwere  Beeinträchtigung  der  Gebrauchsfähigkeit. 

Endlich  ist  für  eine  glatte  und  dauernde  Heilung  des 
Genu  yalgum  von  Wichtigkeit,  dass  bei  der  Correctur  der 
Difformität  die  Fibula  nicht  gebogen  wird,  wie  es  bei  der 
Keilosteotomie  geschieht. 

Die  Federung  der  Fibula  muss  vom  fixirten  Verbände 
überwunden  werden.  Der  Verband  drückt  dann  leicht,  ver¬ 


ursacht  Schmerzen  eventuell  sogar  Decubitus.  Wird  dann 
nach  einer  Reihe  von  Wochen  der  fixirende  Verband  weg¬ 
gelassen,  so  kann  durch  die  elastische  Spannung  der  Fibula 
(die  Beurtheilung,  ob  der  Callus  der  Tibia  bereits  gehörig  fest 
geworden  ist,  ist  schwierig)  ein  Recidiv  der  Difformität  ver¬ 
anlasst  werden.  Bei  Herausmeissein  eines  Prismas 
aus  der  Tibia,  wie  oben  angegeben,  wird  jede 
Spannung  der  Fibula  vermieden. 

Das  eingangs  aufgestellte  Princip  über  die  Anlage  des 
Keiles  lässt  sich  auch  für  die  operative  Beseitigung  eines 
Genu  varum,  sofern  ein  solches  durch  eine  Verkrümmung 
des  Unterschenkels  am  oberen  Ende  bedingt  ist,  durchführen. 
Die  Schneide  des  Keiles  muss  an  die  Innenseite  der  Tibia, 
der  Keilrücken  an  die  Aussenseite  der  Fibula  verlegt  werden 
(Fig.  2).  Aus  der  Tibia  ist  ein  derartig  angelegter  Keil,  dessen 
Höhe  leicht  zu  berechnen  ist,  unschwer  auszumeisseln.  Dagegen 
ist  es  unmöglich,  ohne  Verletzung  des  Nervus  peroneus  bei 
der  Operation,  und  ohne  spätere  Gefährdung  desselben,  aus 
der  h  ibula  ein  entsprechendes  Prisma  herauszunehmen.  Die 
Länge  des  aus  der  I  ibula  zu  resecirenden  Stückes  würde  z.  B. 
bei  einem  erwachsenen  Individuum,  bei  einer  beabsichtigten 
Correctur  um  20°  schon  circa  22  mm  betragen. 

Ich  möchte  nun  vorschlagen,  um  die  noth  wendige  Ver¬ 
kürzung  der  Fibula  zu  erreichen,  an  der  Grenze  des 
mittleren  und  unteren  Drittels  der  Fibula,  wo 
sie  ohne  Nebenverletzung  leicht  blosszulegen  ist,  eine  schräge 
Osteotomie  auszuführen,  und  zwar  schräg  von  aussen 
oben  nach  innen  unten.  Durch  Verschiebung  der  schrägen 
Osteotomieflüchen  aneinander  ist,  wie  ich  mich  durch  Leichen¬ 
versuche  überzeugte,  leicht  die  nothwendige  Verkürzung  der 
Fibula  zu  erreichen. 


Heber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditär¬ 
syphilitischen. 

Von  Prof.  E.  Finger. 

Referat,  über  Ersuchen  des  Organisationscomites  erstattet  für  den  IV.  inter¬ 
nationalen  Congress  für  Dermatologie  und  Syphilidologie  in  Paris  vom 

2. — 9.  August  1900. 

(Fortsetzung.) 

II.  Der  zweite  Punkt,  den  wir  nun  zu  besprechen  haben, 
ist  die  Frage  des  degenerativen  Einflusses  der 
Syphilis  auf  die  Nachkommenschaft.  Es  ist  ja  eine 
bekannte  Thatsache,  dass  die  hereditäre  Syphilis,  ganz  ebenso 
wie  die  acquirirte,  zwei  Reihen  von  Veränderungen  setzt,  ein¬ 
mal  die  specifisch  syphilitischen  Krankheitsherde,  dann  aber 
eine  Reihe  schwerer  allgemeiner  und  Ernährungsstörungen, 
die  sich  als  Lebensschwäche,  Marasmus,  Atrophie,  allgemeine 
Debilität  bei  dem  hereditärsyphilitischen  Neugeborenen  äussern. 
Sehr  häufig  sind  diese  allgemeinen  Ernährungsstörungen, 
häufiger  ^  als  eigentlich  luetische  Erkrankung,  Ursache  des 
frühen  Todes  dieser  Kinder.  Ist  die  Ernährungsstörung  nicht 
so  bedeutend,  dann  bleibt  wohl  das  Kind  am  Leben,  aber  die 
Erscheinungen  gestörter  Ernährung  und  Entwicklung  bleiben 
tortbestehen,  sie  beeinflussen  die  Entwicklung  des  kindlichen 
Organismus  noch  lange  Zeit,  oft  bis  über  die  Pubertät 
hinaus,  sind  Ursache,  dass  die  physiologischen  Entwick- 
lungs-  und  Wachsthumsphänomene  verspätet,  inconstant,  lang¬ 
sam,  sich  entwickeln.  Das  Kind  bleibt  in  seiner  ganzen  Ent¬ 
wicklung, ^sowie  in  besonderen  Aeusserungen  derselben,  Gang, 
Sprache,  Zahnungsprocess,  Einsetzen  der  Pubertät  zeitlich  oder 
dauernd  zurück.  Neben  diesen  allgemeinen  dystrophischen 
Störungen  entwickeln  sich  auch  partielle  Dystrophien,  als 
deren  erste  ja  die  H  u  t  c  h  i  n  s  o  n’sche  Trias  bekannt  wurde. 
Es  ist  insbesondere  das  grosse  Verdienst  französischer  Autoren, 
diese  Frage  des  degenerativen  Einflusses  der  Syphilis  zunächst 
auf  die  nächste  Nachkommenschaft,  die  zweite  Generation,  zum 
Gegenstände  eingehender  Studien  gemacht  zu  haben,  als  deren 
Zusammenfassung  das  neueste  Buch  von  Edmund  Four¬ 
nier,  »Stigmates  dystrophiques  de  THdr^dosyphilis«,  Paris 
1898,  anzusehen  ist. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Dass  die  Syphilis  bei  ihrer  Vererbung  diesen  degeneriren- 
den  Einfluss  übt,  ist  ja  zweifellos  sicher.  Ja  es  bedarf 
hiezu  nicht  der  Vererbung.  Es  sind  ja  heute  schon 
nicht  wenige  Fälle  bekannt,  wo  eine  in  frühester  Jugend,  dem 
Säuglingsalter,  acquirirte  Syphilis  auf  die  Entwicklung  des  er¬ 
krankten  Kindes  denselben  »dystrophischen,  degenerativen« 
Einfluss  hatte,  so  dass  das  Vorhandensein  solcher  »Stigmen« 
für  hereditäre  Syphilis  allein  nicht  mehr  charakteristisch  ist 
Ich  hatte  seinerzeit  in  einer  Abhandlung  »Die  Syphilis  als 
Infectionskrankheit«  und  in  meiner  Bearbeitung  des  A.  F  o  u  r- 
n  i  e  r'schen  Werkes  »Die  Vererbung  der  Syphilis«  auf 
Analogieschlüsse,  besonders  auf  die  Verhältnisse  fussend,  dass 
analoge  »dystrophische«  Erscheinungen  bei  den  Kindern  von 
Alkoholisten  beobachtet  werden,  die  Auffassung  dieser  Dys¬ 
trophien  als  F olge  einer  durch  die  Syphilistoxine  bedingten 
»Depravation«  des  Sperma  und  Ovulum  vertreten,  eine  An¬ 
sicht,  die  durch  neuere  französische  Untersuchungen,  die 
hervorragenden  Arbeiten  von  Fere,  Char  rin  und  G  1  e  y 
gestützt,  heute  insbesondere  von  französischen  Autoren  ziem¬ 
lich  einstimmig  angenommen  ist.  Dass  also  dieSyphilis 
einen  dystrophischen  Einfluss  auf  den  in  Ent¬ 
wicklung  begriffenen,  kindlichen  Organismus 
a  us  übt,  dessen  physiologische  Entwicklung 
stört  und  hemmt,  ist  zweifellos,  mag  es  sich  da 
um  eine  acquirirte  oder  ererbte  Syphilis 
handeln. 

Wenn  nun  aber  bei  den  Eltern  die  virulente,  also  auch 
vererbbare  Phase  der  Erkrankung  abgelaufen  ist,  dieselben 
dann  also  echte  Syphilis  nicht  mehr  vererben  können,  dann 
kann  die  im  elterlichen  Organismus  zurückbleibende  toxische 
Action  des  Syphilisvirus,  als  Depravation  von  Sperma  und 
Ovulum  noch  fortwirken,  es  können  also  dann  Kinder  zur 
Welt  kommen,  die  nur  an  »Dystrophien«  nicht  mehr  an 
echter  Syphilis  leiden.  Auch  diese  theoretisch  plausible  An¬ 
nahme  scheint  durch  Erfahrung  als  zweifellos  berechtigt. 
Aber  dieser  Gruppe  von  Kindern  gegenüber  begegnen  wir 
doch  in  der  Praxis,  mit  Rücksicht  auf  die  syphilitische  Natur 
der  Dystrophien,  deren  Zusammenhang  mit  Lues  der  Eltern 
einer  Reihe  grosser  Schwierigkeiten.  Ohne  die  grossen  Ver¬ 
dienste  Derjenigen,  die  gerade  dieses  schwierige  Capitel  zum 
Gegenstände  ihres  eingehenden  Studiums  gemacht  haben,  irgend¬ 
wie  schmälern  zu  wollen,  möchte  ich  noch  meine  Ansicht 
dahin  präcisiren,  dass  diese  Gruppe,  was  deren  Ab¬ 
grenzung  betrifft,  was  die  Frage  betrifft,  inwie¬ 
weit  die  einzelne  Form  der  Dystrophie  de  facto 
von  Syphilis  ab  hängt,  noch  weiterer  eingehen¬ 
der  Studien  bedarf.  Die  Schwierigkeiten  sind  deshalb 
so  gross,  weil :  1.  die  Dystrophien  als  syphilitische, 
durch  Syphilistoxine  bedingte,  gar  nichts 
Charakteristisches  dar  bieten,  sondern  dieselben 
sind,  wie  sie  durch  Tuberculose,  Alkoholismus,  Bleisiechthum 
etc.  der  Eltern  auch  erzeugt  werden  können,  wie  dies  die 
letzten  Bearbeiter  dieses  Gegenstandes,  Barasch  und 
E.  Fournie  r,  besonders  betonen ; 

2.  aber  ganz  analoge  Dystrophien,  Miss¬ 
bildungen,  Hemmungsbildungen,  körperliche  und  geistige, 
auch  in  Familien  Vorkommen,  wo  die  genannten 
ätiologischen  Momente,  Syphilis,  Tuberculose,  Alko¬ 
holismus,  Bleiintoxication  etc.  zweifellos  fehlen; 

3.  diese  Dystrophien,  auch  bei  Kindern 
syphilitischer  Eltern,  insbesondere  aber  bei 
hereditär  syphilitischen  Kindern  relativ  selten 
und  inconstant  sind.  A  priori  müsste  man  erwarten, 
dass  die  echt  hereditärsyphilitischen  Kinder,  die  aus  »depra- 
virtem«  Sperma  oder  Ovulum  gezeugt,  von  ihren  Eltern  das 
Syphilisvirus  mit  dessen  Toxinwirkungen  ererbten,  häufiger 
und  intensiver,  ja  fast  ausnahmslos  an  »Dystrophien«  leiden 
sollten,  dieselben  müssten  neben  den  virulenten  Symptomen 
die  meisten  allgemeinen  und  partiellen  Dystrophien  zeigen.' 
Für  die  allgemeine  Dystrophie  trifft  dieses  ja  wohl  zu,  ihr 
verdanken  ja  die  meisten  syphilitischen  Kinder  ihren  Tod.  Aber 
bei  den  überlebenden  hereditärsyphilitischen  Kindern  sind 
doch  partielle  Dystrophien  eine  Seltenheit.  So  betrifft  auch  die 


grosse  Casuistik  im  Buche  von  E.  Fournier  der  grössten 
Zahl  nach  Kinder,  die  keine  echte  Syphilis  hatten.  Eine  Um¬ 
frage,  die  ich  bei  einigen  unserer  bedeutensten  und  meist- 
beschäftigtesten  Gynäkologen  und  Pädiatern  hielt,  ergab,  dass 
bei  uns  hereditärsyphilitische  Kinder  durchaus  nicht  selten 
sind,  aber  ausser  der  »allgemeinen  Lebensschwäche«,  der  all-* 
gemeinen  Dystrophie,  kaum  je,  insbesondere  keine  partiellen 
Dystrophien  bei  denselben  gefunden  werden.  Die  zweite 
Gruppe  von  Kindern,  die  nur  an  »Dystrophien«  leiden,  müsste 
gegenüber  der  Gruppe  von  Kindern  die  an  Erbsyphilis  und 
Dystrophien  leiden,  kleiner  sein,  während  die  bisherige  Casuistik 
sie  als  grösser  als  die  erste  ansehen  lässt.  Auch  findet  man  in 
der  Casuistik  nicht  so  selten  Fälle,  wo  nur  ein  einziges  Kind 
an  Dystrophie,  besonders  partieller  leidet,  die  älteren  und 
jüngeren  Geschwister  keine  solche  zeigen,  eine  nicht  recht 
verständliche  Beobachtung,  da  die  syphilotoxische  »Deprava¬ 
tion«  des  Sperma  oder  Ovulum  doch  eine  constante,  oder  all- 
mälig  gleichmässig  abnehmende  sein  müsste.  Und  so  muss  ich 
gestehen,  dass  unter  den  bisherigen  Beobachtun¬ 
gen,  insbesondere,  was  besondere  partielle 
Dystrophien,  wie  Hasenscharte,  Klumpfuss,  Spina  bifida, 
die  Hemmungs-  und  Missbildungen  der  Finger  und  Zehen, 
die  congenitalen  Herzaffeetionen  betrifft,  sich  nicht  wenige 
Beobachtungenfinden,  denengegenüber  uns  vor¬ 
läufig  noch  die  Frage  erlaubt  sein  muss,  ob  die¬ 
selbe  Dystrophie  sich  nicht  auch  dann  ent¬ 
wickelt  hätte,  wenn  in  der  Ascendenz  keine 
Syphilis  Vorgelegen  wäre.  Dasselbe  gilt  für  die  von 
Galezowski,  Antonelli  beschriebenen  Dystrophien  des 
Auges  und  des  Augenhintergrundes,  wie  auch  für  die  ver¬ 
schiedenen  Dystrophien  der  Zähne.  Es  gilt  dieser  Einwand  ja 
insbesondere  für  die  ganze  Gruppe  jener  Hemmungs-  und 
Missbildungen,  wie  die  Klumpfüsse,  die  Entwicklungsstörungen 
der  Extremitätenenden,  Polydaktylie,  Syndaktylie,  Brachy- 
daktylie,  Ektodaktylie  Ektromelie  und  Hemimelie,  congenitale 
Amputationen  etc.,  die  in  einer  allen  gemeinsamen  mechanischen 
Ursache  ihre  Erklärung  finden,  in  der  zu  geringen  Menge  von 
Fruchtwasser,  als  deren  Consequenz  ja  dann  auch  die  amnio¬ 
tischen  Stränge  anzusehen  sind.  Es  könnte  dann  also  die 
Syphilis  ihren  Einfluss  nur  so  üben,  dass  sie  für  das  Zustande¬ 
kommen  dieser  mechanischen  Momente,  der  geringen  Frucht¬ 
wassermenge  verantwortlich  gemacht  würde.  Wenn  wir 
also  auch  unbedingt  der  Ueber zeugung  sind, 
dass  die  hereditäre  Syphilis  auf  die  von  ihr  be¬ 
fallene  Generation  einen  intensiven  dystrophi¬ 
schen,  degenerativen  Einfluss  zu  üben  vermöge 
und  übe,  so  glauben  wir  doch,  dass  die  Grenzen 
bis  wohin  dieser  degenerative  Einfluss  reicht, 
bisher  noch  nicht  festgestellt  sind  und  erst 
durch  weitere  Untersuchungen,  weiteres  Ma¬ 
terial  werden  festgesetzt  und  abgesteckt 
werden  können. 

Sind  wir  uns  aber  so  schon  über  den  Einfluss  der  auf 
die  erste  Generation  vererbten  Syphilis,  respective  den 
degenerativen  Einfluss,  den  eine  Syphilis  der  Eltern  auf  die 
Kinder  übt,  nicht  völlig  einig,  so  wachsen  diese  Schwierig¬ 
keiten  bedeutend,  wenn  die  Frage  auftaucht,  wie  denn  solche, 
in  Folge  elterlicher  Syphilis  degenerirte  Kinder  sich  ihren 
Nachkommen  gegenüber  verhalten. 

Dass  schwächliche,  kränkliche  Eltern 
meist  wieder  schwächliche  kränkliche  Kinder 
zeugen,  ist  bekannt,  ebenso  aber  ist  bekannt,  dass  bei 
Schwächlichkeit  des  einen  Erzeugers  und  bei  voller  Gesund¬ 
heit  des  anderen  ganz  wohl  gesunde,  kräftige  Kinder  gezeugt 
werden  können.  Dieser  reparatorische  Einfluss  des 
gesunden  Zeugers  ist  in  unserer  Frage  umso  beachtens- 
wertker,  als  es  doch  nur  ein  besonderer  Zufall  sein  müsste, 
dass  von  einem  Ehepaare  beide  Tlieile  an  hereditärer  Syphilis 
leiden  oder  gelitten  haben.  Andererseits  ist  zu  beachten, 
dass  der  dystrophirende  Einfluss  der  ererbten 
Syphilis  schon  in  der  ersten  Generation  häufig 
ein  begrenzter  ist,  uns  Allen  wohl  Beispiele  bekannt  sind 
von  Kindern,  die  an  hereditärer  Syphilis  litten,  eine  recht 


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schwere  Kinderzeit  durchmachten,  dann  aber  doch  noch  zu 
kräftigen,  gesunden  Individuen  heranwuchsen.  Es  ist  aber 
dann  nicht  gut  denkbar,  dass  diese  noch  zu  einer  gesunden 
Entwicklung  gelangten  Individuen  die  Dystrophie,  die  all¬ 
gemeine  Ernährungsstörung,  an  der  sie  nur  in  der  Kindheit 
litten,  ihren  Nachkommen  vererben  könnten.  Es  muss  aber 
die  Möglichkeit  zugegeben  werden,  dass  dieses  dann  geschieht, 
wenn  die  Eltern  oder  einer  der  Erzeuger  sich  von  den  Ein¬ 
flüssen  der  hereditärsyphilitischen  Degeneration  nicht  zu  be¬ 
freien  vermochte,  sein  Lebtag  an  denselben  leidet. 

Neben  der  Frage  der  Vererbung  allgemeiner  Dystrophie 
auf  die  Nachkommenschaft,  die  ja,  ohne  mathematisch  genau 
erwiesen  zu  sein,  wie  ich  erwähnte,  schon  von  den  älteren 
Autoren,  Rosen,  Fahre,  Parent-Duchatel  angenommen 
wurde,  und  die  ja  in  dem  oben  angedeuteten  Sinne,  dass  kränk¬ 
liche  Eltern  leicht  wieder  kränkliche  Kinder  zeugen,  ohne 
Weiteres  zuzugeben  ist,  ist  in  neuester  Zeit,  insbesondere  durch 
die  Arbeiten  von  E.  Fournier,  Barthelemy,  Jullien 
eine  weitere  Frage  aDgeregt  worden,  ob  denn  nicht  solche 
Eltern,  die  in  Folge  hereditäi’-toxischer  Einflüsse  locale 
Dystrophien,  Stigmen  darbieten,  auch  wieder  ihrerseits  Kinder 
zeugen,  die  analoge,  bald  mehr,  bald  weniger  intensive  Dege¬ 
nerationszeichen,  Stigmen  aufweisen.  Die  bisherige  Casuistik 
in  dieser  Frage  ist  naturgemäss  noch  klein,  die  Schwierigkeiten, 
die  sich  dem  Forscher  bieten,  einwandsfreie  solche  Fälle  zu 
sammeln,  sind  ja  begreiflicher  Weise  gross. 

Um  einwandfrei  zu  sein,  muss  ja  der  Fall, 
gleich  den  Fällen  der  ersten  Gruppe,  drei  Post u- 
laten  gerecht  werden:  1.  Die  hereditäre  Syphilis 
bei  den  Eltern,  in  der  zweiten  Generation,  muss 
zweifellos  sein.  2.  Acquirirte  Syphilis  in  der 
zweiten  Generation  muss  zweifellos  sicher  aus¬ 
geschlossensein.  3.  Auch  in  der  dritten  Gene¬ 
ration  muss  acquirirte  Syphilis  ausgeschlossen 
sein,  da  ja,  wie  wir  besprachen,  wenn  die  Acquisition  in 
frühester  Kindheit  erfolgte,  eine  solche  sehr  frühzeitig  acqui¬ 
rirte  Syphilis  durch  Erzeugung  von  Dystrophien  leicht  den 
Eindruck  hereditärer  Beeinflussung  hervorrufen  kann.  Nun  ist 
aber  die  Diagnose  in  dieser  Gruppe  von  Fällen  sehr  schwierig, 
weil  auf  noch  nicht  genügend  definirte  Symptome  gestützt 
und  wenn  wir  in  einem  Falle  bei  den  Grosseltern  acquirirte 
Syphilis,  bei  den  Eltern,  d.  h.  einem  Erzeuger,  gewisse  partielle 
Dystrophien,  in  der  dritten  Generation  auch  wieder  partielle 
Dystrophien  finden,  die  Frage  offen  steht,  wie  viel 
von  diesem  post  hoc  auch  wirklich  propter  hoc 
zu  Stande  kam. 

Wir  wollen  nun  zunächst  die  in  dieser  Frage  vorhandene 
Casuistik  einer  kurzen  Prüfung  unterziehen,  besonders  mit 
Rücksicht  auf  die  oben  angegebenen  Postulate. 

1.  Fall.  (Gibert,  Normandie  medicale.  1890.) 

Der  Vater  ist  gesund,  die  Mutter  hereditärsyphilitisch.  Alle 
vier  Kinder  der  Ehe  sind  rachitisch,  eines  dabei  auch  idiotisch. 

2.  Fall.  (Etienne,  Heredite  syphilitique  ä  la  deuxieme 
Generation.  Annal.  de  Dermal,  et  de  Syphiligr.  1894.) 

Die  Grossmutter  war  syphilitisch  und  starb  an  syphilitischer 
Caries  der  Schädelknochen  im  Alter  von  55  Jahren,  deren  Mann 
56  Jahre  alt  an  Hemiplegie. 

Der  Sohn  dieser  Eltern  hatte  im  Alter  von  34  Jahren  eine 
Aphasie,  die  auf  Einreibungscur  rasch  heilte,  seither  psychische 
Störungen,  intensive  Kopfschmerzen,  starb  durch  einen  Sturz,  der 
durch  einen  Schwindelanfall  bedingt  war.  Dessen  Frau  gesund. 
15  Graviditäten  hatten  den  folgenden  Ausgang:  1.  Gesundes 
Mädchen,  das,  sieben  Jahre  all,  durch  eine  Verunglückung  starb. 
2.  Abortus  im  dritten  Monate.  3.  Mädchen,  gegenwärtig  18  Jahre 
alt,  hatte  im  Alter  von  elf  Jahren  eine  Meningitis,  die  auf  Ein¬ 
reibungen  heilte,  ebenso  psychische  Störungen.  4.  Knabe.  Mit  drei 
Jahren  erst  zu  sprechen  begonnen,  hat  dauernde  Sprachstörung. 
5.  Mädchen,  16  Jahre  alt.  Mit  sechs  Monaten  Abscess  hinter  dem 
Ohr,  mit  elf  Jahren  intensive  Kopfschmerzen,  die  auf  Frictionen 
ausheilten,  mit  15  Jahren  cerebrale  Reizerscheinungen,  die  auf 
Quecksilberinjeclionen  heilten.  6.  Knabe  von  15  Jahren,  leidet  viel 
an  Kopfschmerz,  der  sich  stets  auf  Jodkalium  bessert.  7.  Abortus. 


8.  Mädchen,  starb,  fünf  Jahre  alt,  an  foudroyanter  Gangrän  der 
Wange.  9.  Abortus  mit  drei  Monaten.  10.  Mädchen,  elf  Jahre  all, 
blind.  11.  Mädchen,  reif,  aber  mit  universeller  Hautexfoliation 
»halb  macerirt«  geboren.  Mit  sechs  Jahren  Geschwüre  ad  nates. 
Geschwür  am  harten  Gaumen.  Anomalien  der  Implantation  der 
Zähne  und  der  Zahnbildung.  12.  Abortus,  sechs  Monate.  13.  Mäd¬ 
chen,  sechs  Jahre  alt,  viel  Kopfschmerz.  14.  Abortus  mit  drei 
Monaten.  15.  Mädchen,  reif,  abnorme  Zahnbildung. 

Epikrise:  Der  Fall  wäre  sehr  auffällig,  wenn  die  heredi¬ 
täre  Syphilis  des  Vaters  zweifellos  wäre.  Aber  aus  den  Angaben 
erhellt  nicht,  wann  die  Grossmutter  (oh  vor  oder  nach  Geburt  des 
Sohnes)  inficirt  wurde,  ob  der  Sohn  eine  hereditäre,  in  der  Kind¬ 
heit  oder  später  acquirirte  Syphilis  darbot,  deren  späte  Aeusserung 
sein  aphasischer  Anfall  war. 

3.  Fall.  (Gaston,  Syphilis  here'ditaire  de  deuxieme  Gene¬ 
ration.  Annal.  de  Dermat.  et  de  Syphiligr.  1895.) 

Die  Grossmutter  hatte  im  Alter  von  53  Jahren  ein  serpigi- 
nöses  gummöses  Syphilid.  Alter  der  Syphilis  konnte  nicht  eruirt 
werden.  Deren  Mann  soll  viel  an  »Ausschlägen«  gelitten  und  oft 
Jodkali  genommen  haben.  Das  Ehepaar  hat  nur  ein  Kind,  eine 
Tochter,  die  in  der  Kindheit  viel  an  Augen-  und  Ohrenkrankheiten 
litt,  neun  Jahre  alt  Plaques  muqueuses  am  Mund,  16  Jahre  alt 
eine  Perforation  des  harten  Gaumens  hatte,  die  auf  antiluetische 
Cur  heilte.  Dieselbe  zeigt  Depression  der  Nase,  Hutchinson- 
sche  Zähne.  Sie  heiratete  einen  angeblich  gesunden  Mann  und  hatte 
mit  demselben  ein  Kind,  das  reif  und  gut  entwickelt  ist,  aber  am 
linken  Arme  unter  dem  Ellbogen  eine  congenitale  Amputation,  vor¬ 
springende  Stirnhöcker  zeigt. 

Epikrise:  Auch  in  dem  Falle  ist  die  hereditäre  Lues  der 
zweiten  Generation,  der  Mutter,  fraglich,  aber  wegen  des  Auftretens 
von  Papeln  im  neunten  Lebensjahre  sehr  zweifelhaft. 

4.  Fall.  (Jacquet,  Annal.  de  Dermat.  et  de  Syphiligr. 
1895.) 

Die  Mutter  hat  Zeichen  hereditärer  Lues,  Arthropathien,  ge¬ 
kerbte  Zähne,  Narben  an  Mund  und  Nase,  Exostosen  an  der  Rhaphe 
des  Gaumens.  Zwei  Kinder  derselben  zeigen  gekrümmte  säbel¬ 
förmige  Tibien,  Schädeldifformitäten,  gekerbte  Zähne,  Exostosen  in 
der  Rhaphe  des  Gaumens. 

Epikrise:  Nachdem  über  den  Vater  nichts  bekannt  ist, 
erscheint  es  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Syphilis  der  Kinder 
von  diesem  als  Vererbung  auf  die  erste  Generation  herstammt. 

5.  Fall.  (v.  Düring,  Weitere  Beiträge  zur  Lehre  von  der 
hereditären  Syphilis.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1897.) 

Grossvater,  60  Jahre  alt,  hatte  in  seiner  Jugend  Syphilis. 
Sein  Sohn  und  dessen  Frau  sollen  Syphilis  haben.  Deren  Kind, 
ein  acht  Jahre  alter  Knabe,  hat  Leukoplakien  der  Mundschleimhaut, 
H  u  t  c  h  i  n  s  o  n’sche  Zähne,  Schädeldeformation. 

6.  Fall.  (v.  Düring,  ibidem.) 

Grossvater,  53  Jahre  alt,  in  Jugend  inficirt,  zeigt  Narben  mit 
Zerstörung  des  weichen  Gaumens.  Dessen  Sohn  hat,  30  Jahre  alt, 
Narben  auf  der  Schleimhaut  des  Rachens,  Leukoplakie.  Dessen 
Sohn,  acht  Jahre  alt,  hat  vorgewölbte  Stirnhöcker,  mangelhaft  ent¬ 
wickelte  Zähne. 

Epikrise:  Die  ungenügende  Anamnese  in  beiden  Fällen 
lässt  acquirirte  Syphilis  in  der  zweiten  Generation  nicht  mit  Sicher¬ 
heit  ausschliessen. 

7.  Fall.  (Tarnowsky,  Prostitution  und  Abolitionismus. 

1890.) 

Der  Grossvater  hatte  in  früher  Jugend  eine  leichte  Syphilis, 
der  Sohn  eine  hereditäre  Syphilis  und  noch  mit  23  Jahren  ein 
serpiginöses  tuberculoses  Syphilid.  Dessen  Frau  ist  ganz  gesund. 
Von  elf  Schwangerschaften  derselben  endeten  acht  mit  Geburt 
todter  Kinder;  von  den  drei  lebend  geborenen  starb  eines  an 
Tuberculose,  eines  ist  hystero-epilep tisch,  eines  hat  eine  Struma. 

Epikrise:  Die  Bedeutung  des  Falles  hängt  davon  ab,  ob 
in  der  zweiten  Generation  acquirirte  Lues  auszuschliessen  ist,  was 
nach  Verfasser  sicher  zu  sein  scheint. 

8.  Fall.  (Tarnowsky,  ibidem.) 

Ein  verheirateter  Mann  inficirt  sich  mit  Syphilis,  inficirt  seine 
Frau  und  stirbt.  Die  Frau  verheiratet  sich  wieder,  bringt  nach 
einigen  Fehlgeburten  ein  hereditärsyphilitisches  Mädchen  zur  Welt, 
das  besonders  verschiedene  Knochenprocesse  zeigt.  Dieses  Mädchen 
verheiratet  sich,  19  Jahre  alt,  mit  einem  gesunden,  kräftigen  Manne. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  18 


Das  erste  Kind  dieser  Ehe  ist  taubstumm,  das  zweite  leidet  an 
Moral  insanity. 

9.  Fall.  (Gilles  de  la  Tourette,  La  syphilis  hereditaire 
de  la  moelle.  Nouv.  Iconogr.  de  la  Salpetriere.  1896.) 

Der  Vater  ist  hereditär-syphilitisch,  die  Mutter  gesund.  Sechs 
Kinder:  1.  Tochter,  stirbt  an  Meningitis  im  Alter  von  l'/2  Jahren. 
2.  Knabe,  stirbt  ein  Jahr  alt.  8.  Abortus  mit  fünf  Monaten. 
4.  Knabe,  stirbt  an  Peritonitis,  12  Jahre  alt.  5.  Abortus  im  sechsten 
Monate.  6.  Tochter  lebt,  sehr  nervös. 

10.  Fall.  (Barthel  e  m  y,  Essai  sur  les  stigmates  de  para- 
heredosyphilis  de  seconde  generation.  Annal.  de  Dermat.  et  de 
Syphil.  1897.) 

Der  Grossvater  war  sicher  syphilitisch  und  starb  an  einer 
Ostitis  der  Nasen-  und  Schädelknochen  mit  consecutiver  Meningo¬ 
encephalitis.  Dessen  Tochter  ist  hereditärsyphilitisch,  zeigt  retardirte 
Dentition,  Infantilismus,  verspätete  Menses,  interstitielle  Keratitis, 
Osteoarthropathien,  Hypertrophie  der  Leber,  Albuminurie.  Mit 
19  Jahren  an  einen  gesunden  Mann  verheiratet,  hatte  sie  zuerst 
drei  Abortus  mit  drei,  fünf  und  sieben  Monaten,  dann  ein  Kind, 
das  jetzt  fünf  Jahre  alt  ist,  spät  gehen  und  sprechen  lernte, 
anämisch  ist,  grossen,  verbildeten  Schädel,  verkümmerte  Zähne, 
grosse  Leber  hat. 

11.  Fall.  (Barthelemy,  ibidem.) 

Grossvater  sechs  Jahre  vor  der  Ehe  inficirt,  hat  noch  Narben 
nach  Gummen.  Ein  Kind  starb,  13  Monate  alt,  an  Meningitis.  Das 
zweite  Kind,  eine  Frühgeburt,  Mädchen,  blieb  im  Wachsthum 
zurück,  erste  Zahnung  verlief  schlecht,  wird  skoliotisch,  hat  mit 
17  Jahren  einen  chronischen  Rheumatismus,  hat  psychische 
Störungen,  Melancholie,  Angstgefühle.  Verheiratet  hat  sie  ein  Kind, 
das  bis  zum  Alter  von  zehn  Jahren  an  Drüsenschwellungen  leidet, 
mager,  disproportionirt  ist,  an  Cyanose  und  Hyperidrose  der  Ex¬ 
tremitäten  leidet. 

12.  Fall.  (Barthelemy,  ibidem.) 

Die  Mutter  zeigt  typische  hereditäre  Syphilis.  Die  Tochter 
von  16  Jahren  ist  gross,  mager,  lymphatisch,  die  Zähne  unregel¬ 
mässig  gestellt,  chronischer  Ohrenfluss.  Chronischer  Nasen-Rachen- 
katarrh  und  Bronchitis. 

13.  Fall.  (Barthelemy,  ibidem.) 

Die  Mutter  ist  sicher  hereditärsyphilitisch,  im  Wachsthum 
zurückgeblieben,  hat  deformirte  unregelmässig  gestellte  Zähne, 
Narben  nach  syphilitischen  Ulcerationen,  polyarticulären  Pseudo¬ 
rheumatismus.  Die  Tochter,  vier  Jahre  alt,  ist  Idiotin. 

14.  Fall.  (Barthelemy,  ibidem.) 

Der  Grossvater  war  sicher  syphilitisch.  Der  Vater  hatte  keine 
Symptome  von  Syphilis,  starb  aber  an  progressiver  Paralyse.  Dessen 
Sohn  ist  epileptisch. 

Epikrise:  Die  fünf  Fälle  von  Barthelemy,  so  interes¬ 
sant  und  beachtenswerth  sie  sind,  erscheinen  doch  nicht  unbedingt 
beweisend.  Insbesondere  ist  die  acquirirte  Syphilis  in  der  zweiten 
Generation,  mit  Ausnahme  des  Falles  10,  in  den  anderen  Fällen 
nicht  ausgeschlossen. 

15.  Fall.  (Caubet,  Arch.  d'Obstetr.  et  de  Gynecol.  1894.) 

Die  Grossmulter  wurde  mit  Syphilis  inficirt,  hatte  ein  todtes 

Kind,  drei  Frühgeburten,  die  rasch  starben,  zwei  überlebende 
Kinder.  Von  diesen  eines,  ein  Mädchen,  hatte  von  Jugend  auf  Er¬ 
scheinungen  tertiärer  Syphilis,  mit  15  Jahren  ulcerirtes  Gumma 
auf  dem  Malleolus.  Mit  19  Jahren  Ehe  mit  einem  gesunden  Manne. 
Drei  Schwangerschaften,  die  mit  Geburt  todter,  macerirter  Kinder 
enden.  Dann  Gumma  der  Nase,  Jodbehandlung,  bald  darauf  Geburt 
eines  monströsen  Kindes,  das  eine  Hasenscharte,  einen  Pes  varo- 
equinus,  verschiedene  Finger-  und  Zehenmissbildungen  darbietet  und 
nach  drei  Tagen  stirbt. 

Epikrise:  Die  Echtheit  des  Falles  hängt  davon  ab,  ob  die 
acquirirte  Syphilis  des  Vaters,  zweite  Generation,  mit  Sicherheit 
ausgeschlossen  wurde. 

16.  Fall.  (A.  Fournier,  citirt  in:  E.  Fournier,  Stigmates 
dystrophiques  de  l’heredite  syphil.  Paris  1898.) 

Die  Grosseltern  mütterlicherseits  sollen  sicher  syphilitisch  ge¬ 
wesen  sein.  Von  zehn  Graviditäten  drei  Abortus  oder  Geburt 
lebensschwacher  Kinder.  Die  Tochter  klein,  schlecht  entwickelt,  mit 
asymmetrischem  Gesichte,  abnormer  Zahnbildung,  Keratitisnarben, 
hat  mit  43  Jahren  eine  spastische  spinale  Paraplegie.  Ihr  Mann, 
untersucht  und  befragt,  leugnet  Infection.  Deren  Kind,  Mädchen, 


14  Jahren  alt,  infantil,  zeigt  vorgewölbte  Stirnhöcker,  asymmetrischen 
Schädel,  Strabismus,  Dystrophie  der  Zähne,  Narben  um  den  Mund. 

17.  Fall.  (A.  Fournier,  ibidem.) 

Die  Mutter  ist  hereditärsyphilitisch,  der  Vater  gesund.  Drei 
Schwangerschaften  enden  mit  Abortus  ohne  bekannte  Ursache. 

18.  Fall.  (A.  Fournier,  ibidem.) 

Die  Mutter,  zweifellos  hereditärsyphilitisch,  zeigt  noch  zahl¬ 
reiche  syphilitische  Veränderungen.  Deren  Mann  untersucht  und 
gesund  befunden.  Von  vier  Graviditäten  zwei  Abortus,  ein  Kind, 
das,  einen  Monat  alt,  starb,  ein  lebendes  gesundes  Kind.  Die  Mutter 
hatte  fünf  Geschwister.  Von  diesen  starb  ein  Bruder  jung.  Ein 
zweiter  Bruder  hinkt  und  hatte  ein  Kind,  das,  einen  Monat  alt,  an 
Lebensschwäche  starb.  Eine  Schwester,  die  gesund  ist,  hatte  drei 
Kinder,  von  denen  zwei  früh  starben. 

19.  Fall.  (A.  Fournier,  ibidem.) 

Der  Grossvater  war  syphilitisch,  zwei  ältere  Kinder  starben 
im  Alter  von  vier  bis  sechs  Wochen.  Das  jüngste  Kind  ist  hereditär¬ 
syphilitisch,  hat  vorgewölbte  Stirne,  platte  Nase,  Narben  am 
Schenkel,  Exostosen  der  Tibia,  frische  gummöse  Peritonitis.  Mit 
einem  gesunden  Manne  verheiratet,  hatte  sie  zwei  reife  Kinder, 
deren  eines,  einen  Monat  alt,  an  Convulsionen,  das  andere,  3l/2  Mo- 
nate  alt,  an  Bronchitis  starb.  Beide  Kinder  waren  welk  und 
lebensschwach. 

20.  Fall.  (E.  Fournier,  ibidem.) 

Zustand  der  Grosseltern  ist  unbekannt,  ein  Kind  derselben 
starb,  18  Monate  alt,  an  Meningitis,  das  zweite,  ein  Mädchen,  war 
bis  zum  Alter  von  neun  Jahren  stets  krank,  elend,  hatte,  fünf 
Jahre  alt,  eine  Koryza  mit  Einsinken  der  Nase,  mit  18  Jahren  den 
Beginn  von  tabischen  Symptomen.  Dieselbe  war  dreimal  verheiratet. 
Nur  aus  der  zweiten  Ehe  sind  zwei  Kinder,  deren  älteres  gesund 
war,  sechs  Jahre  alt  an  Meningitis  starb,  das  jüngere,  drei  Jahre 
alte,  ist  welk,  hat  grossen  Kopf  mit  vorspringenden  Stirnhöckern, 
gekerbte  Zähne  und  allgemeine  angeborene  Cyanose  der  Haut  in 
Folge  angeborener  Enge  der  Pulmonalarterien.  Die  Fingerphalangen 
sind  kolbig  aufgetrieben. 

21.  Fall.  (L  an  n  e  lo  n  g  u  e,  ibidem.) 

Der  Grossvater  mutterseits  hatte  mit  21  Jahren  Syphilis 
acquirirt  und  wiederholt  Erscheinungen.  Dessen  Tochter  gesund, 
frei  von  Stigmen,  ebenso  deren  Mann  gesund,  soll  nie  inficirt  ge¬ 
wesen  sein.  Von  drei  Graviditäten  zwei  Abortus,  ein  elendes  Kind, 
das  ausgesprochene  Mikrocephalie  und  Idiotie,  zahlreiche  Difformitäten 
der  Zähne,  Kerbungen,  unregelmässige  Stellung,  sowie  ungleiche 
Entwicklung  beider  Körperhälften  zeigt. 

22.  Fall.  (I  c  tarn  an  off,  persönliche  Mittheilung.) 

Der  Grossvater  acquirirte  Syphilis  im  Jahre  1854,  hatte  drei 
Söhne,  die  alle  mit  hereditärer  Syphilis  behaftet  waren.  Zwei 
blieben  unverheiratet,  der  dritte  heiratete  1887.  Die  erste  Geburt 
war  ein  Abortus,  die  zweite  normal,  das  Kind,  jetzt  sieben  Jahre 
alt,  leidet  an  Epilepsie. 

23.  Fall.  (Ictamanoff,  persönliche  Mittheilung.) 

Der  Grossvater  wurde  im  Jahre  1866  inficirt.  Ein  Sohn,  mit 
hereditärer  Syphilis  behaftet,  heiratet  1890.  Ein  Kind,  jetzt  sieben 
Jahre  alt,  leidet  an  hochgradiger  Rachitis. 

Epikrise:  In  beiden  Fällen  fehlen  leider  alle  Daten,  die 
uns  die  acquirirte  Syphilis  in  der  zweiten  Generation,  sei  es  Vater 
oder  Mutier,  ausschliessen  lassen. 

Ausser  den  eben  mitgetheilten  Fällen  finden  wir  noch 
acht  Fälle  von  Vererbung  von  rudimentären  Stigmen  angeblich 
hereditärer  Syphilis  in  einer  Arbeit  von  Antonelli  (Les 
stigmates  ophthalmoscopiques  rudimentaires  de  la  Syphilis 
hereditaire.  Paris  1897).  Ganz  abgesehen  davon,  ob  die  von 
Antonelli  beobachteten  und  studirten  rudimentären  oph¬ 
thalmoskopisch  constatirbaren  Veränderungen  am  Augenhinter¬ 
grund  wirklich  mit  Syphilis  Zusammenhängen,  sind  diese  Fälle 
für  den  Nachweis  der  Vererbung  solcher  Degenerationszeichen 
auf  die  zweite  Degeneration  deshalb  nicht  beweisend,  weil  die 
Daten  über  die  vorangegangene  Syphilis  der  Grosseltern, 
hereditäre  Syphilis  der  Eltern  tlieils  sehr  mangelhaft  sind, 
theils  fehlen.  Insbesondere  fehlt  aber  in  allen  Fällen  der  Nach¬ 
weis,  dass  in  der  zweiten  Generation  bei  den  Eltern,  dem 
Vater,  keine  acquirirte  Syphilis  vorlag;  über  den  Vater  sind 
überhaupt  keine  Daten  vorhanden. 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ueberblicken  wir  die  eben  mitgetheilte  Casuistik,  so 
müssen  wir  sagen,  so  interessant  lind  auffallend  die  darin  ent¬ 
haltenen  Thatsachen  auch  sind,  so  ist  dieselbe  doch  wissen¬ 
schaftlich  exact  nicht  beweisend.  Ganz  abgesehen  davon,  dass 
in  manchen  Fällen,  wie  wir  auseinandergesetzt,  der  Zusammen¬ 
hang  der  dystrophischen,  degenerativen  Erscheinungen  mit 
Syphilis  doch  noch  nicht  erwiesen  ist,  werden  wir,  auch  wenn 
wir  a  priori  diese  Dystrophien  als  syphilitische  zugeben  und 
ansehen  wollen,  doch  sagen  müssen,  dass  der  exacte  Beweis, 
es  handle  sich  um  eine  Vererbung  solcher  Dystrophien  auf 
die  zweite  Generation,  nicht  erbracht  ist.  Prüfen  wir  die 
Fälle  auf  die  eingangs  aufgestellten  Postulate, 
so  müssenwir  vor  Allem  betonen,  dass  dieselben 
in  dieser  Beziehung  meist  lückenhaft  sind,  dass 
der  sichere  Ausschluss  der  acquirirten  Syphilis 
in  der  zweiten  Generation  —  Infection  des  gesunden, 
Reinfection  des  hereditärsyphilitischen  Zeugers  —  in  keinem 
Falle  zweifellos  ist.  Scheiden  wir  jene  Fälle,  in  denen 
die  Daten  über  die  zweite  Generation  lückenhaft  sind,  aus,  so 
bleiben  die  Fälle  von  Tarnowsky  (7,  8),  Gilles  dela 
Tourette  (9),  Barthelemy  (10,  11),  Caubet  (15), 
A.  Fournier  (16,  17,  18),  E.  Fournier  (19),  Lanne- 
longue  (21)  übrig.  In  zwei  dieser  Fälle  (7,  9)  war  der  Vater 
hereditärsyphilitisch,  die  Mutter  gesund,  in  den  übrigen  Fällen 
die  Mutter  hereditärsyphilitiscb,  der  Vater  gesund.  Lassen  wir 
die  Frage  der  Reinfection  des  hereditärsyphilitischen  Theiles, 
als  doch  relativ  selten,  ganz  bei  Seite,  so  gilt  jenen  Fällen 
gegenüber,  in  denen  die  Mutter  hereditärsyphilitisch,  der  Vater 
angeblich  gesund  war,  doch  der  Einwand,  ob  die  Gesundheit 
des  Vaters  zweifellos  sicher  erwiesen  ist,  ob  nicht  alle  jene 
Erscheinungen,  die  sich  in  der  dritten  Generation  einstellten, 
nicht  mit  der  hereditären  Syphilis  der  Mutter,  sondern  mit 
einer  acquirirten,  geleugneten,  zur  Zeit  der  Untersuchung 
latenten,  nicht  kenntlichen  Syphilis  des  Vaters  zusammen¬ 
hingen.  Wir  befinden  uns  hier  wieder  in  demselben  Dilemma, 
wie  in  der  vorhergehenden  Gruppe,  und  es  besteht  für 
den  einzelnen  Beobachter  die  unüberbrückbare 
Schwierigkeit,  seine  auf  Grund  genauer  Kennt¬ 
nis»  des  Falles  feststehende  subjective  Ueber- 
zeugung  in  eine  objectiv  unangreifbare  Form 
zu  bringen. 

Objectiv  exact  werden  hier  auch  wieder  nur  solche 
Beobachtungen  sein,  in  denen  die  hereditärsyphilitische  Mutter 
ein  oder  einige  mit  auffallenden  Dystrophien  behaftete  Kinder 
zur  Welt  bringt  und  der  Vater  bald  nach  der  Geburt  dieser 
Kinder  seine  bisherige  Syphilisfreiheit  durch  eine  syphilitische 
Infection  documentirt. 

Bezüglich  der  Aeusserungen  dieser  Dystrophie  bei  der 
dritten  Generation  können  wir,  da  deren  Grenzen  noch  nicht 
umschrieben  sind,  uns  nicht  in  Details  einlassen.  Eines  möchten 
wir  betonen:  Dass  einmal  die  Intensität  und  Fre¬ 
quenz  derselben  doch  bei  der  dritten  Generation 
abzunehmen  scheint,  wie  dies  ja  auch  Antonelli  für 
seine  ophthalmoskopischen  Stigmen  behauptet,  dass  also,  wenn 
wirklich  der  Einfluss  der  Syphilis  auf  mehrere  Generationen 
erwiesen  wäre,  dies  doch  nur  in  einem  von  Generation 
zu  Generation  abnehmenden  Grade  der  Fall  sein 
dürfte,  also  eine  dauernde  Degeneration  der  Race  doch  nicht 
zu  befürchten  ist,  das  Correctiv  des  gesunden  anderen  Er¬ 
zeugers  neben  dem  hereditärsyphilitisch  Belasteten  also  von 
Generation  zu  Generation  mächtiger  wird.  Gefährlicher 
für  die  Race  als  durch  Degeneration,  scheint 
hingegen  die  Erbsyphilis  durch  Entvölkerung 
zu  sein,  denn  das  einzige,  wohl  zweifellos  zuzugebende 
Symptom  der  Erbsyphilis  auch  in  der  zweiten  Generation 
scheint  die  Polyletalität,  die  Zeugung  lebensun- 
fähigerKinder  zu  sein.  Inden  am  meisten  einwandfreien 
Fällen  ist  dieses  Symptom  hervorstehend;  es  ist  auffällig,  in 
einer  Statistik  A.  Fournier’s,  die  von  33  Kindern  in  Ehen, 
in  denen  ein  Theil  (meist  der  Vater)  hereditärluetisch  wax’, 
10  Abortus,  3  Frühgeburten,  4  lebensschwache,  16  überlebende 
Kinder  ergibt,  so  dass  wir  den  Gesammteindruck  des  bis¬ 
herigen  Materiales  dahin  formuliren  möchten ,  dass  die 


Syphilis  in  ihrer  Einwirkung  auf  die  Nach¬ 
kommenschaft  weniger  die  Degeneration,  als 
die  Verminderung,  die  Decimirung  der  Race 

bedeute.  (Schluss  folgt.) 


REFERATE. 

Pathologie  und  Therapie  der  Erkrankungen  des  peri¬ 
pherischen  Nervensystems. 

Von  Privatdocent  Dr.  Franz  Wiiulsclieid. 

Medicinische  Bibliothek  für  praktische  Aerzte.  Nr.  157 — 161. 

244  Seiten  und  44  Abbildungen  im  Text. 

Leipzig  1899,  C.  G.  Naumann. 

Referent  hat  mit  Vergnügen  das  Büchlein  durchblättert, 
welches  in  erster  Linie  für  den  praktischen  Arzt  bestimmt  ist.  In 
klarer,  conciser  Weise  ist  der  heutige  Stand  der  Pathologie  des 
peripheren  Nervensystems  dargestellt. 

Der  Therapie  sind  zumeist  etwas  grössere  Ahschnitte  gewidmet, 
in  welchen  Verfasser  sich  ebensosehr  vom  therapeutischen  Nihilis¬ 
mus,  als  auch  vom  therapeutischen  Zuviel  fernhält.  Speciell  sei 
hervorgehoben,  dass  Windscheid  der  elektrischen  Behandlung 
von  peripheren  Nervenei'krankungen  sympathisch  gegenübersteht, 
ohne  auf  die  Erörterung  der  Art  der  Heilwirkung  einzugehen.  Ent¬ 
sprechend  der  gebräuchlichen  Eintheilung  zerfällt  das  Buch  in  zwei 
Hauptabschnitte:  Erkrankungen  der  peripherischen  sensiblen  und 
peripherischen  motorischen  Nerven  (Krämpfe,  Lähmungen).  Die 
Lähmung  des  N.  cutaneus  femoris  lateralis  wäre  wohl  besser  im 
ersten  Abschnitte  untergebracht. 

Eine  grössere  Zahl  recht  instructiver,  zumeist  schematischer 
Abbildungen  erläutern  gut  den  Text. 

Das  Werk  wird  von  den  Praktikern  zweifellos  viel  benützt 
werden.  Hermann  Schlesinger. 


Der  anatomische  Bau  des  Unterkiefers  als  Grundlage 
der  Extractionsmechanik. 

Von  Dr.  Rudolf  Loos. 

Wien  1899,  Alfred  Holder. 

Von  den  67  Octavseiten  des  vorliegenden  Büchleins  entfallen 
28  auf  den  anatomischen  Theil,  der  Rest  auf  die  Extractions¬ 
mechanik.  Zahlreiche  gelungene  schematische  Darstellungen  sind  dem 
Texte  eingestreut  und  5  Tafeln  hintangefügt. 

Trotz  so  bescheidenen  Umfanges  erfährt  sowohl  die  Anatomie, 
als  auch  der  physikalische  Theil  eine  sorgfältige,  seriöse  und  er¬ 
schöpfende  Behandlung  in  so  klarer,  präciser  und  anregender  Dar¬ 
stellung,  dass  sich  hiedurch  die  Arbeit  in  die  Reihe  der 
gelungensten  Monographien  auf  dem  Gebiete  der  Zahnheilkunde 
erhebt. 

Die  Ausstattung  ist  tadellos.  I  s  o  o. 


Grundriss  der  organischen  Chemie. 

Von  Karl  Oppenheimer. 

Berlin  1899,  Boas  &  Heffe. 

2.  Auflage. 

Der  Verfasser  möchte  mit  diesem  Grundrisse  dem  Lernenden 
»die  harte  und  lange  Arbeit,  die  meist  nöthig  ist,  um  sich  in  diesem 
Labyrinthe  (der  organischen  Chemie)  zurechtzufinden«  ersparen.  Ob 
dies  überhaupt,  auch  durch  das  beste  sogenannte  Paukbüchlein 
erreichbar  ist,  muss  wohl  dahingestellt  bleiben. 

Das  vorliegende  Büchlein  ist  mit  Fleiss  und  mit  Geschick 
gearbeitet,  so  dass  es  zur  Recapitulation  von  Namen  und  Formeln 
gut  verwendbar  ist.  In  diesem  Sinne  wird  hier  auf  dasselbe 
aufmerksam  gemacht,  da  Manchem  eine  rasche,  wenn  auch  nur 
oberflächliche  Orientirung  über  die  wichtigsten  chemischen  Sub¬ 
stanzen  erwünscht  sein  dürfte.  R.  v.  Zeynek. 


410 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  18 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

120.  Bemerkungen  über  Erinnerungsfälschun¬ 

gen  und  pathologische  Traum  zustande.  Von  Doctor 
Albert  B  e  h  r,  praktischer  Arzt  in  Riga.  Die  Treue  der  Erinne¬ 
rung  kann  hei  Geisteskranken  mannigfaltige  und  erhebliche  Störungen 
darhieten.  Es  handelt  sich  hei  diesen  Störungen,  welche  man 
nach  Kräpelin  als  Erinnerungsfälschungen  bezeichnet,  entweder 
um  theilweise  Vermischung  wirklicher  Erlebnisse  mit  eigenen  Zu- 
thaten,  oder  um  völlig  freie  Erfindung  scheinbarer  Reminiscenzen. 
In  manchen  Fällen  werden  die  Erinnerungsfälschungen  nicht  frei 
erzeugt,  sondern  schliessen  sich  an  irgendwelche  zufällige  äussere 
Eindrücke  an  (associirende  Form),  in  anderen  Fällen  wird  der  gegen¬ 
wärtige  Eindruck  mit  einem  Erinnerungsbilde  identificirt  (identifi- 
cirende  Form).  Alle  Formen  von  Erinnerungsfälschungen  weisen 
gemeinsame  Züge  auf  und  zeigen  sich  als  Ermüdungssymptome  bei 
Gesunden  und  Kranken.  Ihre  Vorausbedingung  ist  eine  entweder 
erworbene  oder  ex  origine  bestehende  Benommenheit,  in  ihrer 
leichten  Form  ein  Träumen  oder  Dämmern,  bei  schweren  psychi¬ 
schen  Erkrankungen  ein  pathologischer  Traumzustand.  Sie  erwecken 
im  Leben  der  Gesunden  phantastische,  abergläubische  Combinationen, 
im  Leben  Kranker  (zumal  Paranoischer)  beeinflussen  sie  das  Denken 
und  Trachten  in  der  Richtung  des  vorhandenen  Wahnes.  Gewissen 
Paranoiaformen  und  einzelnen  destructiven  psychischen  Erkrankun¬ 
gen  drücken  die  Erinnerungsfälschungen  den  Charakter  auf.  Häufig 
begleiten  Erinnerungsfälschungen  das  Erwachen  und  tragen  alsdann 
einen  hallucinatorischen  Charakter.  Behr  ist  der  Ansicht,  dass 
durch  ein  genaues  Studium  der  pathologischen  Schlaf-  und  Traum- 
zustände  das  Wesen  der  Erinnerungsfälschungen  erforscht  werden 
wird.  Die  experimentelle  Psychologie  sei  dazu  berufen,  diese  Be¬ 
wusstseinszustände  unserem  Verständnisse  näher  zu  bringen.  — 
(Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft  6.)  S. 

* 

121.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Würzburg.)  lieber 

locale  Disposition,  Erkältung  und  Abhärtung.  Von 
Dr.  Kisskalt.  Der  gewöhnliche  Vorgang  bei  der  Erkältung,  und 
zwar  nicht  nur  bei  der  am  stärksten  ausgesprochenen  Form  der¬ 
selben,  wie  sie  z.  B.  durch  vollständige  Durchnässung  der  Kleider 
hervorgerufen  wird,  ist  der,  dass  die  Hautgefässe  contrahirt  werden, 
wodurch  es  zu  einer  auch  arteriellen  Hyperämie  der  inneren  Or¬ 
gane  einschliesslich  der  Athemwege  kommt,  wodurch  diese  zur  An¬ 
siedlung,  beziehungsweise  Vermehrung  der  Bacterien  disponirt 
werden.  Bei  dieser  inneren  Hyperämie  wird  die  Circulation  des 
Blutes  in  den  Capillaren  eine  raschere  und  das  Blut  kommt  arte¬ 
rieller  als  normal  in  den  Venen  an.  Wie  aber  das  venöse  Blut 
infectiöse  Processe  günstig  zu  beeinflussen  im  Stande  ist,  ebenso 
vermehrt  die  arterielle  Hyperämie  die  Disposition  der  Gewebe  für 
die  Ansiedlung  pathogener  Keime.  Die  Hautgefässe  conlrahiren  sich 
aber  nicht  an  allen  Körperstellen  mit  gleicher  Promptheit;  Stellen, 
die  oft  der  kalten  Luft  ausgesetzt  sind,  wie  die  Hände,  reagiren 
nicht  so  stark  darauf,  wie  z.  B.  die  Haut  des  Rückens.  Ebenso 
bestehen  auch  zwischen  den  einzelnen  Personen  Unterschiede. 
Solche,  die  sich  z.  B.  durch  tägliche  kalte  Waschungen  am  ganzen 
Körper  gegen  die  Einflüsse  der  Kälte  abgehärtet  haben,  d.  h.  die 
ihre  Hautgefässe  gewöhnt  haben,  nicht  mehr  so  stark  auf  Kälte¬ 
reize  zu  reagiren,  erkälten  sich  erfahrungsgemäss  viel  seltener,  als 
verweichlichte  Menschen.  Die  Abhärtung  gegen  Einwirkungen  der 
Kälte  hat  also  zur  Folge,  dass  die  Gefässe  der  Haut  nicht  mehr 
so  prompt  auf  jeden  Kältereiz  durch  Contraction  antworten,  eine 
innere  arterielle  Hyperämie  nicht  so  leicht  zu  Stande  kommt,  und 
daher  auch  keine  Disposition  zur  Erkrankung  geschaffen  wird.  — 
(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  4.)  Pi. 

* 

1 22.  Fragen  aus  dem  Gebiete  der  Erblichkeit. 
Von  Dr.  Kirchhof f,  Neustadt  in  Holstein.  Kirchhoff  publicirt 
unter  obigem  Titel  einen  am  3.  August  1899  in  der  Versammlung 
norddeutscher  Irrenärzte  in  Schleswig  gehaltenen  Vortrag.  Er  nimmt 
in  demselben  zu  den  verschiedenen  Fragen  der  Erblichkeit  und 
deren  Bedeutung  für  pathologische  Untersuchungen  Stellung.  Die 
Betrachtungen  Kirchhoff’s  machen  wahrscheinlich,  dass  eine 
Ueberschätzung  des  Einflusses  und  der  Gefahren  der  Erblichkeit 
stattfindet.  Ein  Vererbungsvorgang  wird  jedoch  von  Kirchhoff 
besonders  hervorgehoben,  nämlich  die  Gefahr  der  Zeuo-un»  im 


Rausche  mit  ihren  vergiftenden  Wirkungen  auf  das  Keimplasma. 
Mit  dem  Zurücktreten  der  Erblichkeit  als  Ursache  geistiger  Störungen 
treten  natürlich  andere  Ursachen  der  letzteren  mehr  in  den  Vorder¬ 
grund.  Unter  diesen  verdienen  spätere  Entwicklungsstörungen,  be¬ 
sonders  die  grosse  Gruppe  der  infantilen  Cerebralstörungen  Beach¬ 
tung,  welche  —  scheinbar  ausgebeilt  —  die  Anlage  zu  späterer 
Verletzlichkeit  verbergen.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie. 

Bd.  LVI,  Heft  6.)  ‘  S. 

* 

123.  Zur  Behandlung  der  chronischen  Obsti¬ 

pation  im  Kindesalter.  Von  Dr.  D  o  e  r  f  1  e  r  (Regensburg). 
Verfasser  legt  dar,  dass  die  in  Form  von  Kuhmilch-Wassermengen 
beliebiger  Provenienz  eingeführte  Nahrung  zu  wasserreich  und 
voluminös,  zu  fettarm  ist,  und  dass  das  Casein,  von  welchem 
Heubner  bewiesen  hat,  dass  das  Kuhmilchcasein  geradeso  leicht 
verdaulich  ist,  wie  das 'Frauenmilchcasein,  im  Kinderdarm  in  Folge 
der  übermässigen  Verdünnung  des  Magen-  und  Darmsaftes  und 
wohl  auch  der  Galle  durch  die  wässerige  Milch,  schlecht  verdaut 
wird.  Die  daraus  hervorgehende  chronische  Obstipation  ist  kein 
eigentlicher  Krankheitszustand,  sondern  ein  Hemmungsvorgang  und 
Autor  glaubt,  sie  durch  Zusatz  frischer  süsser  Butter  zur  gewöhn¬ 
lichen  Milchnahrung  sicher  verhüten  und  heilen  zu  können.  Die 
Butter  muss  stets  frisch  und  bester  Qualität  sein,  die  Einzelgabe 
muss  streng  individualisirt,  und  anfangs  stets  vom  Arzte  gegeben 
werden.  Hiefür  hat  sich  folgendes  Schema  als  besonders  geeignet 
erwiesen:  Im  ersten  Lebensmonat  kann,  da  die  Verstopfung  nicht 
hartnäckig  ist,  Klysmabehandlung  durchgeführt  werden ;  im  zweiten 
und  dritten  Monat  ist  täglich  Früh  und  Abends  ein  halber  bis  ein 
Kaffeelöffel  voll  zu  geben,  und  zwar  so  lange,  bis  normaler  Stuhl¬ 
gang  erfolgt,  dann  nur  jeden  zweiten  Tag  diese  Dosis;  im  dritten 
und  vierten  Monate  zwei  bis  drei  Kaffeelöffel  täglich;  ist  der  Stuhl¬ 
gang  geregelt,  dann  wird  Butter  nur  im  Bedarfsfälle  in  derselben 
Menge  alle  zwei  bis  drei  Tage  gegeben.  Vom  fünften  Monate  an 
bis  zu  einem  Jahre  alle  zwei  bis  drei  Tage  ein  bis  drei  Esslöffel 
durch  längere  Zeit.  Die  Butter  darf  nur  im  Naturzustände,  nie  mit 
Milch  oder  anderen  Vehikeln  verrührt  gegeben  werden;  sie  darf  auch 
nicht  schon  mehrere  Tage  alt  sein.  Der  Stuhl  tritt  meist  nach 
vier  bis  fünt  Stunden  in  breiiger  Consistenz  auf.  Auch  bei  anämi¬ 
schen,  rachitischen  Kindern  scheint  die  Butter  das  Befinden  günstig 
zu  beeinflussen.  Zu  betonen  ist  noch  Folgendes:  Die  Kinder  dürfen 
nur  dann  Butter  bekommen,  wenn  sie  nur  an  Verstopfung  und 
deren  Folgen  leiden.  Es  darf  kein  Magenkatarrh,  kein  Dünn-  oder 
Dickdarmkatarrh  etc.  bestehen,  die  Ernährung  muss  einigermassen 
rationell  durchgeführt  worden  sein,  die  Kinder  müssen  ihre  bis¬ 
herige  Nahrung  vertragen  haben.  Nach  Verfasser  steht  fest,  dass 
durch  frische  Kuhbutter  die  hartnäckigste  Obstipation  mit  ihren 
Folgen  bei  sonst  nicht  kranken  Kindern  spielend  beseitigt  und 
dauernd  geheilt  werden  kann,  und  dass  die  bisherigen  Heilmethoden, 
Klysma,  Abführmittel,  Massage  ruhig  verlassen  werden  können.  — 
(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  4 )  Pi. 

* 

1 24.  Temperaturbeobachtungen  bei  weiblichen 
Geisteskranken  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  physiologischen  Wellenbewegung.  Von  Doctor 
August  He  gar  in  Tllenau.  Dass  eine  Wechselwirkung  zwischen 
dem  psychischen  Leben  des  Weibes  und  dem  Menstruationsvor- 
gange  bestehe,  ist  längst  bekannt.  Diese  Erscheinung  ist  nach  Unter¬ 
suchungen  verschiedener  Autoren  (Reinl,  Goodmann  u.  A.) 
auf  die  wie  Ebbe  und  Fluth  sich  steigernde  und  vermindernde  In¬ 
tensität  der  Lebensprocesse  beim  Weibe  zurückzuführen.  Das  Leben 
des  Weibes  verläuft  gewissermassen  in  Stadien,  die  einer  Men¬ 
struationsepoche  entsprechen.  In  jedem  Stadium  erfahren  die  Lebens¬ 
processe  eine  Steigerung  und  Verminderung  der  Intensität.  Diese 
verlaufen  mithin  in  Form  einer  Wellenlinie.  Auf  den  Uebergang 
der  ersten  Hälfte  in  die  zweite  dieser  Linie  fällt  die  menstruelle 
Blutung.  Diese  Erscheinung  fand  Reinl  in  seinen  an  gesunden 
und  pathologischen  Fällen  angestellten  Temperaturmessungen  be¬ 
stätigt  und  Hegar  fand  die  Temperaturwelle  bei  Geisteskranken 
erhalten.  Die  praktische  Verwerthung  der  Beobachtungen  Hegar’s 
liegt  darin,  dass  unsere  therapeutischen  und  Vorsichtsmassregeln 
umso  weiter  nach  dem  Intermenstruum  vorgreifen  müssen,  je  stärker 
sich  die  Störungen  in  der  prämenstruellen  und  menstruellen  Zeit 
ausprägen.  Durch  rechtzeitige  Anordnung  der  Bettruhe,  Fernhalten 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


411 


aller  Aufregung,  Vermeiden  aller  eingreifenden  Aenderungen  in  der 
Therapie  und  Lebenshaltung,  vermehrte  Sorge  für  das  regelmässige 
Functioniren  der  Verdauungsorgane  Hessen  sich  manche  Erregungs¬ 
zustände  unschädlich  machen  und  vermeiden.  —  (Zeitschrift  für 

Psychiatrie.  Bd.  LVI,  Heft  6.)  S. 

* 

125.  Ein  Fall  von  Lepra  in  England.  Von  Ross 
Mac  Mahon.  Verfasser  behandelt  einen  35jährigen  Leprakranken, 
der  aus  einer  Familie  stammt,  in  der  kein  Leprafall  vorgekommen, 
der  angeblich  nie  mit  einem  Leprösen  zusammengetroffen  und  der 
niemals  England  verlassen  hat.  Die  Infectionsquelle  muss  demnach 
im  Bereiche  des  Landes  liegen.  Verfasser  erklärt,  selbst  acht  oder 
neun  Lepröse  in  London  zu  kennen.  —  (The  Lancet.  1899,  Vol.  II, 

Nr.  12.)  Pi- 

* 

126.  Zur  B  ehandlung  acuter  Erregungszustände. 
Von  Dr.  Adolf  Gross  in  Alt-Scherbitz.  Gross  sucht  in  der 
vorliegenden  Arbeit  eingehend,  und  zwar  vorwiegend  an  Beispielen 
darzulegen,  wie  in  der  Provincial-Irrenanstalt  Alt-Scherbitz  die  bei 
der  Behandlung  acuter  Erregungszustände  in  Betracht  kommenden 
therapeutischen  Eingriffe:  Bettbehandlung,  Isolirung,  Badehehandlung 
und  arzneiliche  Verordnungen,  und  zwar  in  planmässiger  Combi¬ 
nation  gehandhabt  werden.  Da  die  Arbeit  auch  das  Ziel  verfolgt, 
die  Zweckmässigkeit  der  Alt-Scherbitzer  Wachabtheilungen  nach¬ 
zuweisen,  wird  deren  Construction  einleitend  klargelegt.  Vielleicht 
wären  die  Behandlungsresultate  des  Verfassers  weniger  glänzende, 
wenn  er  alle  Arten  von  acuten  Erregungszuständen  Geisteskranker 
seinen  combinirten  therapeutischen  Massnahmen  zu  unterziehen 
Gelegenheit  hätte.  —  (Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVI, 

Heft  6.)  s- 

* 

127.  Endresultate  nach  totaler,  wegen  Tum  oren 
ausgeführter  Mammaexstirpation.  Von  Dr.  Simpson 
(London).  Der  Verfasser  hat  100  in  der  Zeit  von  1877  — 1898 
durch  Prof.  Barker  operirte  Fälle  von  Mammatumoren  in  ihrem 
weiteren  Verlaufe  verfolgt  und  dabei  folgendes  Ergebniss  erhalten. 
Mit  Ausnahme  von  fünf  Fällen,  in  denen  der  Tod  mehr  oder  minder 
unmittelbar  als  eine  Folge  der  Operation  aufzufassen  ist  und 
solchen,  bei  denen  die  weitere  Untersuchung  den  Tumor  als  einen 
gutartigen  erkennen  Hess,  blieben  90  Fälle  für  die  weitere  Beob¬ 
achtung  übrig.  Von  vier  Fällen  von  »Duct  cancer«  sind  zwei  jetzt 
nach  7V2,  beziehungsweise  10 '/4  Jahren  noch  ohne  Recidive  ge¬ 
blieben,  eine  Frau  ist  nach  33/4  Jahren  recidivefrei  an  Pyelitis  ge¬ 
storben:  von  der  vierten  Frau  konnte  nur  in  Erfahrung  gebracht 
werden,  dass  sie  nach  drei  Jahren  noch  ohne  Recidive  war.  Von 
den  weiteren  86  Operirten  leben  zur  Zeit  sicher  noch  23,  von 
welchen  nur  zwei  eine  Recidive  bis  jetzt  bekommen  haben,  während 
die  übrigen  zur  Zeit,  und  zwar  je  eine  durch  elf  Jahre  und  sieben 
Monate,  zehn  Jahre  und  vier  Monate,  6V2  Jahre,  drei  über  fünf 
Jahre,  die  anderen  durch  eine  geringe  Zeit  noch  vollkommen  gesund 
erscheinen.  Neun  weitere  Fälle  waren  drei  bis  elf  Jahre  gesund, 
doch  konnte  über  deren  weiteres  Schicksal  nichts  Sicheres  erfahren 
werden.  Die  übrigen  54  sind  durchschnittlich  nach  28  Monaten  in 
Folge  Recidive  gestorben.  In  sechs  Fällen  war  ein  zweites,  bezie¬ 
hungsweise  in  einem  Falle  ein  drittes  Mal  operirt  worden.  Die 
durchschnittliche  Lebensdauer  betrug  nach  der  zweiten  Operation 
noch  18  Monate.  Barker  schliesst  sich  der  Ansicht  Jener  an, 
welche  den  Krebs  für  eine  Constitutionskrankheit  halten;  nichts¬ 
destoweniger  soll  der  locale  Herd  entfernt  werden,  da  zweifellos 
das  Lehen  hiedurch  verlängert  werden  könne.  —  (Lancet.  1899, 
Vol.  II, '  Nr.  2.) 

* 

128.  Sequeira  beschreibt  einen  zum  Tode  führenden  Fall 

von  Diabetes  bei  einem  drei  Jahre  und  zwei  Monate 
alten  Mädchen.  Der  Zuckergehalt  vor  der  antidiabetischen 
Diät  hatte  11%  bei  einer  Harnabsonderung  von  2500  cw’’  inner¬ 
halb  24  Stunden  betragen.  Besonders  erwähnenswerth  ist,  dass 
während  des  Bestandes  eines  Icterus  catarrhalis  der  Zuckergehalt 
bis  auf  0‘7%  heruntergegangen  war.  —  (Lancet.  1899,  Vol.  II, 
Nr.  3.)  °  Pi- 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

(Aus  der  I.  Klinik  für  Syphilis  von  Hofrath  Neumann  in 
Wien.)  Das  Quecksilberresorbin,  hergestellt  aus  einer  Com¬ 
bination  von  Quecksilber  und  Resorbin,  das  ist  einer  hauptsächlich 
aus  Mandelöl,  Wachs  und  Wasser  bestehenden  Salbengrundlage,  ent¬ 
hält  ebenso  wie  das  officinelle  Unguentum  cinereum  3o'/3°/o  Queck¬ 
silber,  wird  in  Glastuben  ä  30  cj  dispensirt  und  kommt  etwas  billiger 
als  die  gewöhnliche  graue  Salbe  zu  stehen.  Das  Ergebniss  der  mit 
dieser  Salbe  an  der  Klinik  angestellten  Versuche  war  folgendes  :  „Das 
Quecksilberresorbin  hat  in  keinem  der  behandelten  Fälle  versagt  . 
Gegenüber  der  grauen  Salbe  besitzt  es  folgendo  Vortheile:  Verkürzung 
und  Erleichterung  der  Einreibung,  besseres  Eindringen  in  die  Epi¬ 
dermis,  angenehmer  Geruch  und  Herabsetzung  der  Behandlungsdauer. 
Es  ist  daher  geeignet,  die  graue  Salbe  in  der  Therapie  der  Syphilis 
vollständig  zu  ersetzen.  —  (Sonderabdruck  aus  der  Wiener  mediciui- 
scben  Wochenschrift.  1900,  Nr.  8.) 

* 

Zu  den  Eisenpräparaten,  welche  den  bekannten  Indicationen 
entsprechen,  gehört  nach  Dr.  Gold  mann  auch  das  Ilaemato- 
genum  siccum  Schneider,  kurz  „Sicco“  benannt,  welches 
aus  Rinderblut  hergestellt  wird,  89'5o/0  Eiweiss,  0'33o/0  organisches 
Eisen  und  2'60/0  Mineralsalze  enthält  und  in  kaltem  Wasser  voll¬ 
kommen  löslich  ist.  Es  wird  in  Form  von  Chocoladepastillen,  Pulver, 
Lösung,  Biscuits  etc.  angewendet.  —  (Deutsche  medicinische  Presse. 
1900,  Nr.  5.) 

* 

In  der  poliklinischen  Abtheilung  für  Kinderkrankheiten  des 
Prof.  Frühwald  in  Wien  wurde  das  Tannopin,  eine  Tannin- 
UrotropinverbinduDg  als  Adstringens  bei  einer  grossen  Zahl  von  Darm¬ 
katarrhen  verschiedenen  Ursprunges  und,  wie  Tittel  berichtet,  mit 
gutem  Erfolge  angewendet.  Die  Verabreichung  geschah  in  Pulvern  zu 
0-1 —  o-3— 0'5  pro  dosi  und  bis  2'0  pro  die  bei  grösseren  Kindern. 

Die  Wirkung  ist  jener  des  Tannalbin  etc.  ähnlich,  doch  soll  das 
Mittel  noch  weniger  ungünstig  als  die  sonstigen  Tanninpräparate  auf 
Magenverdauung  einwirken.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900, 
Nr.  2.) 

* 

Die  Behandlung  des  Unterschenkelgeschwüres 
mit  „C  rurin“.  Von  Dr.  M.  Joseph.  Das  Mittel  ist  eine  Chinolin- 
Wismuth  Rhodanverbindung  und  wird  rein  oder  zu  gleichen  Theilen  mit 
Amylum  vermischt  auf  das  Geschwür  aufgetragen.  Es  soll  in  sein 
guter  Weise  die  Granulirung  und  Ueberhäutung  der  Wundfläche 
befördern.  —  (Dermatologisches  Centralblatt.  3.  Jahrgang,  Nr.  5.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Auszeichnung:  Dem  Marine-Oberstabsarzte  Dr.  Emil 
Dery  wurde  der  Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekannt 
gegeben. 

* 


Ernannt:  Zum  Generalstabsarzt:  Dr.  Jul.  Pildner  v.  Stein¬ 
burg.  —  Zu  Oberstabsärzten  I.  CI.  die  Doctoren:  Ignaz  Ivopfiva, 
Dominik  Linardic,  Karl  Nusko,  Adalb.  Korbelaf,  Joh.  Müller, 
Jos.  Ulrich,  Arthur  v.  Wagner,  Ferd.  Sounewend,  Alfred  Haw- 
ranek,  Jos.  Urban,  Eugen  Leibnitz,  Eduard  Matschnig  und 
Alois  Brutmann.  —  Zu  Oberstabsärzten  II.  CI.  die  Doctoren:  Ignaz 
Hermann,  Friedr.  Dfevikovsky,  Emanuel  Emmer,  Heinr.  Hart¬ 
mann,  Ludw.  Zweythurm,  Jul.  Schulbaum,  Friedr.  Vorbuchner, 
Joh.  Pavlik,  Franz  Witek,  Karl  Mayer,  Joh.  Wenzl,  Flor. 
Eberle,  Coloman  Svehla,  Joh.  Popp,  Friedr.  Gooss,  Salomon 
Kirchenberger,  lg.  Link  und  Heinrich  Kowalski.  —  Zu  Stabs¬ 
ärzten  die  Doctoren:  Ferd.  Böhm,  Jak.  Ellbogen,  Jak.  Rabl,  Karl 
Baumann,  Jak.  Fried,  lg.  Weiss,  Karl  Marusin,  Edmund  Ge¬ 
duldiger,  Alkmund  Grossmann,  Emil  Blasius,  Willi.  Dietl, 
Ludw.  Pick,  Joh.  Wolter,  Mich.  Schwarzkopf,  Jonas  Reiss, 
Sigm.  Gero,  Simon  Ziehn,  Coloman  Gömöry,  Heinr.  Otto,  Altr. 
Schücking,  Sigm.  Dynes  und  Erich  Kunze.  —  Im  marineärztlichen 
Officierscorps :  Zum  Marinestabsarzt:  Dr.  Lud.  Fischer.  —  Im  land¬ 
wehrärztlichen  Officierscorps:  Zu  Oberstabsärzten  I.  CI.  die  Doctoren: 
Anton  Stenzl  und  Joh.  Plahl.  —  Zu  Stabsärzten  die  Doctoren. 
Arthur  Perlsee,  Liborius  Stefan  und  Anton  Fischer. 

* 


Verliehen:  Dem  Assistenzarzt-Stellvertreter  Dr.  Karl  P  r  e- 
leitner  in  Wien  das  goldene  Verdienstkreuz.  Dem  Badeaizte 

Dr.  Ignaz  Kraus  sen.  in  Karlsbad 
königlich  sächsischen  Albrecht-Ordens. 


das  Ritterkreuz  I.  CI.  des 
Dem  Stadtarzte  Dr.  Georg 


412 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  18 


Marie  in  Cetinje  der  kaiserlich  ottomanische  Osmanje-Orden 
IV.  CI. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Mladejovski  an  der  böhmischen  rnedi- 
cinischen  Facultät  in  Prag  für  Balneologie  und  Klimatologie. 

* 

Gestorben:  S.  A.  Douglas  Maclagan,  ehemaliger 
Professor  der  Hygiene  und  gerichtlichen  Medicin  zu  Edinburgh.  — 
Regimentsarzt  Dr.  Heinrich  Fritsch  in  Wien. 

* 

In  der  am  23.  April  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  nieder¬ 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  machte  der 
Landes-Sanitäts-Referent  Statthaltereirath  Dr.  Netolitzky  dem 
Sanitätsrathe  die  Mittheilung  von  der  weiteren  Abnahme  der 
Typhuserkrankungen  i  n  W  i  e  n.  In  der  Woche  vom  8.  bis 
14.  April  wurden  im  ganzen  Gemeindegebiete  Wiens  nur  12,  in  der 
nächstfolgenden  Woche  vom  15.  bis  21.  April  insgesammt  15  Typhus¬ 
fälle  neu  gemeldet,  welche  Zahlen  auch  unter  normalen  Verhältnissen 
beobachtet  werden.  Die  Gefahr  der  weiteren  Ausbreitung 
des  Abdominaltyphus  kann  demnach  als  beseitigt 
bezeichnet  werden.  Ferner  wurde  in  der  Sitzung  der  Vorschlag 
für  die  Besetzung  mehrerer  in  den  k.  k.  Krankenanstalten  Wiens  er¬ 
ledigter  Primararztesstellen  erstattet  und  über  die  in  zwei  Privatheil¬ 
anstalten  Wiens  beabsichtigten  Aenderungen,  beziehungsweise  Erweite¬ 
rungen  das  Gutachten  abgegeben. 

* 

Verein  zur  Errichtung  und  Förde  rung  von  See¬ 
hospizen  und  Asylen.  Am  21.  April  um  11  Uhr  Vormittags 
fand  im  Rathhause  in  Anwesenheit  der  hohen  Protectorin,  der  Frau 
Erzherzogin  Maria  Theresia  die  15.  Generalversammlung  des 
Vereines  unter  dem  Vorsitze  des  Fürsten  Johann  zu  Schwarzen¬ 
berg  statt.  Prof.  M  o  n  t  i  erstattet  den  Rechenschaftsbericht,  weicht  m 
zu  entnehmen  ist,  dass  der  Verein  bereits  5274  kranke  Kinder  in 
seinen  beiden  Anstalten,  dem  „Erzherzogin  Maria  Theresia-Seehospiz 
zu  S.  Pelagio  bei  Rovigno“  und  dem  „Kaiser  Franz  Josef-Kinder¬ 
hospiz  zu  Sulzbach  bei  Ischl“  verpflegt  und  behandelt  hat,  von  denen 
3073  volle  Genesung  gefunden  haben.  Im  Jahre  1899  wurden  in  beiden 
Anstalten  599  Kinder  verpflegt  und  ärztlich  behandelt.  Davon  blieben 
am  Schlüsse  des  Jahres  200  noch  in  Behandlung.  Von  den  übrigen 
wurden  in  Abgang  gebracht:  als  geheilt  286  =  71%,  als  gebessert 
54=13%,  ungeheilt  38  =  8%  und  gestorben  an  den  Folgen  der 
Scrophulose  24  =  6%.  Beiden  Anstalten  sind  viele  hochherzige  Spenden 
zugekommen,  wofür  der  Berichterstatter  dankt.  Weiters  berührt  Hof¬ 
rath  Albert,  welche  Anschauungen  der  Aerzte  vor  15  Jahren  zur 
Gründung  der  genannten  Hospize,  als  Ausdruck  des  Bestrebens,  die 
Scrophulose  conservativ  zu  behandeln,  geführt  haben  und  gedenkt 
des  verstorbenen  Präsidenten  Grafen  Falken  hayn,  sowie  der  werk- 
thätigen  Hilfe  von  Seite  der  Wiener  Gemeindevertretung  und  der 
Wiener  Gesellschaft.  Nach  einer  Erwiderung  des  Bürgermeisters 
Dr.  Lueger,  der  Erstattung  des  Cassaberichtes  und  Ergänzungswahl 
einiger  Functionäre  wurde  die  Versammlung  geschlossen. 

* 

Vom  Jahrgange  1900  des  von  Dr.  J.  Schwalbe  in  Berlin 
herausgegebenen  „Jahrbuches  der  praktischen  Medicin“, 
verlegt  bei  Enke,  Stuttgart,  ist  das  zweite  Heft  erschienen.  Dasselbe 
bringt  die  Besprechung  der  Krankheiten  der  Athmungsorgane  von 
Hochhaus  (Fortsetzung),  der  Verdauungsorgane  von  Rosenheim 
(Berlin),  der  llarnorgane  von  Für  bringe  r  und  Stettiner  (Berlin) 
und  der  acuten  allgemeinen  Infectionskraukheiten  und  Zoonosen  von 
Dr.  Freyhan  (Berlin). 

* 

SanitätsverhältnissebeiderMannschaftdesk.u.k.Heeres 
im  Monat  Januar  1900.  Mit  Ende  December  1899  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1623,  in  Heilanstalten  7317  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  Januar  1900  18.595  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  66.  Im  Monat  Januar  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  8782  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Koplstärke  31.  Im  Monat  Januar  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  17.354  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  15.808  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  911,  durch  Tod  59  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  3'40,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0‘2 1.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1954,  in  Heilanstalten  8227  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  15.  Jahreswoche  (vom  8.  April 
bis  14.  April  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  619,  unehelich  310,  zusammen 
929.  Todt  geboren:  ehelich  49,  unehelich  24,  zusammen  73.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  854  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 


26  8  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  161,  Blattern  0,  Masern  16, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  7,  Pertussis  5,  Typhus  abdominalis  4, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  44.  Angezeigte  Iufectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
42  ( —  56),  Masern  216  ( —  50j,  Scharlach  35  ( —  11,  Typbus  abdominalis 
12  ( —  15),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  19  ( —  18),  Croup  und 
Diphtherie  37  ( —  6).  Pertussis  35  (=),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 

(=),  Puerperalfieber  2  ( —  2),  Trachom  2  ( —  2),  Influenza  41  ( —  9). 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Netter,  La  peste  et  son  microbe.  Carre  &  Naud,  Paris.  121  S. 

Peter,  Organische  und  anorganische  Chemie.  Calvary,  Berlin.  Preis 
M.  3.60. 

Temesväry.  Volksbräuche  und  Aberglauben  in  der  Geburtshilfe  und 
der  Pflege  der  Neugeborenen  in  Ungarn.  Grieben,  Leipzig.  Preis 

M.  2.80. 

Forster,  Ueber  nervöse  Leberkolik.  Vogel,  Leipzig.  Preis  M.  1. — . 
Friedlaender,  Die  Krankheiten  der  männlichen  Harnorgane.  Marcus,  Berlin. 
Preis  M.  6. — . 

Bergmann,  Bruns  und  Mikulicz.  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie. 

Enke,  Stuttgart.  Lieferung  7 — 10.  Preis  ä  Lieferung  M.  4. — . 
Ebstein  und  Schwalbe,  Handbuch  der  praktischen  Medicin.  Ibidem. 

Lieferung  14 — 19.  Preis  ä  Lieferung  M.  4. — . 

Jessner,  Pathologie  und  Therapie  der  Hautjuckens.  Stüber,  Würzburg. 
1.  Theil.  Preis  M.  0'90. 

Peters,  Der  Arzt  und  die  Heilkunst  in  der  deutschen  Vergangenheit. 

Diederichs,  Leipzig  1900.  Preis  M.  4.  — . 

Seifert  und  Müller,  Taschenbuch  der  medicinisch-klinischen  Diagnostik. 

10.  Auflage.  Bergmann,  Wiesbaden  Preis  M.  4. — . 

Fraenkel  E  ,  Mikrophotographisclier  Atlas.  Lieferung  1.  Tuberkelbacillus. 

Gräfe  &  Sillem,  Hamburg.  Preis  M.  6.  — . 

Bericht  über  den  Congress  zur  Bekämpfung  der  Tuberculose,  redigirt 
von  Dr.  Pannwitz,  Berlin.  Centralcomite  zur  Errichtung  von 
Heilstätten.  855  S. 

Stumpf,  Der  Entwicklungsgedanke  in  der  gegenwärtigen  Philosophie.  Barth, 
Leipzig.  Preis  M.  0.80. 

Dieudonnf',  Schutzimpfung  und  Serumtherapie.  2.  Auflage.  Ibidem.  Preis 
M.  5.—. 

Leudesdorf,  Aus  der  Praxis  eines  alten  Arztes.  Ibidem.  Preis  M.  1. — . 
Parreidt,  Zahnheilkunde.  3.  Auflage.  Ibidem.  Preis  M.  6.75. 

Kl’Üche,  Allgemeine  Chirurgie.  7.  Auflage.  Ibidem.  Preis  M.  6.75. 
Schmidt,  Friedheim,  Lamhofer,  Donat,  Diagnostisch  -  therapeutisches 
Vademecum.  4.  Auflage.  Ibidem.  Preis  M.  6. — . 

Zelis,  Die  medicinischen  Verbandmaterialien.  Springer,  Berlin.  Preis 
M.  6.—. 

Dommer,  Vorsichtsmassregeln  beim  Selbstkatheterismus  zur  Vertheilung  an 
Blasenkranke.  Seitz  &  Schauer,  München  1900. 

Hoffa,  Die  moderne  Behandlung  der  Spondylitis.  Ibidem.  28  S. 
Goldschmidt,  Weitere  Beiträge  zum  nervösen  Asthma.  Ibidem.  26  S. 
Joseph,  Die  Prophylaxe  bei  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  Ibidem. 
Schaeffer,  Die  Prophylaxe  in  der  Geburtshilfe.  Ibidem. 

Wegele,  Die  diätetische  Küche  für  Magen-  und  Darmkranke.  Fischer,  Jena. 
Preis  M.  1.60. 

Monti,  Die  Kinderheilkunde  in  Einzeldarstellungen.  Heft  10:  Diphtherie, 
Heft  11  :  Rachitis.  Urban  &  Schwarzenberg,  Wien.  Preis  ä  Heft 
M.  2.—. 

Celli,  Die  Malaria  nach  den  neuesten  Forschungen.  Deutsch  von  Doctor 
Kerschbaume  r.  Ibidem. 

Vogl  V.,  Bernatzik-Vogl’s  Lehrbuch  der  Arzneimittellehre.  3.  Auflage. 

Ibidem.  Preis  M.  20. — .  (Erschienen  1.  Abtheilung.) 

Jonas,  Symptomatologie  und  Therapie  der  vasogenen  Keflexneurosen  und 
Organerkrankunger.  Seyffartli,  Liegnitz.  Preis  M.  5. — . 

Leo,  Ueber  Wesen  und  Ursache  der  Zuckerkrankheit.  Hirschwald,  Berlin. 
109  S. 

Ellgler,  Warum  werden  die  Nervenkranken  nicht  gesund?  2.  Auflage. 
Selbstverlag,  Landsberg  1900.  47  S. 

Hofmann,  Die  paroxysmale  Tachycardie.  Bergmann,  Wiesbaden.  Preis 
M.  4.—. 

Grätipuer,  Ueber  Bädercuren  in  Bad  Nauheim  bei  Herzkranken.  Ibidem. 
Preis  M.  1.  — . 

Putiata-Kersclibaumer,  Das  Sarkom  des  Auges.  Ibidem.  Preis  M.  16. — . 
Löwit,  Die  Leukämie  als  Protozoeninfection.  Ibidem.  Preis  M.  14.60. 
Bickel,  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Pathogenese  der  Cholämie. 
Ibidem.  Preis  M.  3. — . 


Freie  Stellen. 

Districtsarztess  teile  in  dem  subventionirten  Sanitätsdistricte 
O  b er- K aunitz-Tai ko  witz,  Mähren,  politischer  Bezirk  Mähriscli-Kromau; 
der  District  umfasst  67'64  km-  mit  12  Gemeinden  und  3630  Ein¬ 
wohnern  böhmischer  Nationalität.  Jahresgehalt  800  K,  Fahrpau¬ 
schale  394  K  90  h.  Der  bisherige  Sitz  des  Arztes  ist  Taikowitz; 
wegen  Verlegung  des  ärztlichen  Sitzes  von  Taikowitz  nach  Biharowitz 
sind  die  Verhandlungen  im  Zuge.  In  diesem  Falle  würde  sich  das  Fahr¬ 
pauschale  noch  um  einige  Kronen  erhöhen.  Die  im  Sinne  des  §  11  des 
mährischen  Landessanitätsgesetzes  vom  10.  Februar  1884,  L.  G.  Bl.  Nr.  28, 
belegten  Gesuche  sind  bis  zum  10.  Mai  1.  J.  an  den  Obmann  der  Dele- 
girtenversammlung,  Franz  Hruza  in  Biharowitz,  zu  richten. 


Nr.  18 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  27.  April  1900. 

18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden.  Vom  18.— 21.  April  1900. 
29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  (18.  bis 
21.  April.)  (Fortsetzung.) 


2.  Oesterreichiscber  Balneologen- Congress  zu  Ragusa  und  Ilidze. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  27.  April  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Csokor. 

Schriftführer :  Docent  Dr.  Alt. 

Prof.  Johann  Csokor  spricht  seinen  verbindlichsten  Dank 
aus  für  die  ehrende  Wahl  zum  Vorsitzenden  der  Verhandlungen. 

Prof.  Albert  demonstrirt  Serien  von  Knochen¬ 
schnitten  des  Menschen,  von  einzelnen  Säuget  liieren 
und  Röntgen-Bilder  von  Knochen  vor  weltlicher 
T  h  i  e  r  e  (Ursus  speleus  und  Hippopotamus  von  Madagascar). 

Dr.  Föderl  referirt  aus  Hofrath  Güssen  baue  r’s  Klink  über 
zwölf  Fälle  von  Caput  obstipum,  welche  nach  einer  an  dieser 
Klinik  seit  drei  Jahren  geübten  plastischen  Methode  operirt 
worden  sind. 

Von  einem  zwischen  beiden  Köpfen  des  M.  sterno-eleido-mastoid. 
gelegenen,  3  cm  langen  Schnitt  aus  werden  die  einzelnen  Antheile  des 
Muskels  durch  Verschiebung  der  Wundränder  zugänglich  gemacht,  die 
claviculare  Portion  wird  von  ihrem  Ansätze  und  ihrer  Unterlage  bis 
zum  gemeinsamen  Kopfe  freipräparirt,  und  in  dieser  Höhe  die  sternale  Portion 
quer  durchtrennt,  so  dass  bei  der  folgenden  Stellungscorectur  die  ge¬ 
lösten  Muskelköpfe  verschoben  und  ihre  Querschnitte  durch  Catgut¬ 
nähte  vereinigt  werden  können. 

Dadurch  wird  eine  Verlängerung  des  Sterno-cleido-mast.  um  die 
Länge  der  clavicularen  Portion  erzielt.  Sich  spannende  Stränge  des 
Platysmas,  des  Cucullaris  und  der  Fascie  werden  eingekerbt,  respec¬ 
tive  excidirt. 

Bei  dem  ersten  Fall,  den  Föderl  im  Juli  1897  operirt  hatte, 
war  eine  vorausgängige  Behandlung  ohne  Erfolg,  so  dass  der  Versuch 
gemacht  wurde,  die  4  cm  betragende  Verkürzung  des  M.  sterno-eleido- 
mastoid.  auf  plastischen  Wege  zu  beheben.  Das  Resultat  war  ein  der¬ 
artiges,  dass  es  zur  Wiederholung  des  Verfahrens  in  anderen  Fällen 
aufforderte,  um  so  mehr,  als  wenige  Monate  später,  im  November  1897, 
Bayer  in  Prag  seine  Erfahrungen  über  die  plastische  Achillotenotomie, 
mit  welcher  er  sehr  günstige  Erfolge  bei  Spitzfuss  erzielt  hat,  in 
einer  Publication  niedergelegt  hatte. 

Bei  dem  oben  erwähnten  Falle,  kam  es  bei  der  Uebercorrectur 
des  Schiefhalses  zu  Collaps,  welcher  wohl  auf  die  bei  dem  Redressement 
erfolgte  Compression  der  Gefässe  und  Zerrung  der  Nerven  zurückzu¬ 
führen  ist.  Diesbezüglich  sei  auf  eine  Publication  Rainer’s  aus  Hof¬ 
rath  A  1  b  e  r  t’s  Klinik,  einen  Exitus  während  des  modellirenden  Redres¬ 
sements  eines  Caput  obstipum  betreffend,  verwiesen. 

In  den  folgenden  elf  Fällen  fixirte  man  daher  den  Kopf  in 
einer  leicht  redressirten  Stellung  und  nahm  die  Uebercorrectur  in  den 
nächsten  Tagen  durch  elastischen  Zug  entsprechend  der  Wirkung  des 
contralateralen  Muskels  vor. 

Der  erste  Verbandwechsel  wird  Ende  der  zweiten  Woche  vor¬ 
genommen,  und  mit  dem  Spitalsaustritte,  der  gewöhnlich  14  Tage 
post  operationem  erfolgt,  ist  die  Nachbehandlung  abgeschlossen.  Die  Ver¬ 
krümmungen  der  Wirbelsäule  bilden  sich  zurück,  weniger  beeinflusst 
wird  das  N  i  k  o  1  a  d  o  n  i’sche  Phänomen,  die  extramediane  Verlagerung 
des  Kopfes  nach  der  gesunden  Seite,  und  störend  bleibt  die  Asymmetria 
faciei . 

Dr.  Losdorfer:  Durch  zahlreiche  und  eingehende  mikroskopische 
Blutuntersuchungen  bin  ich  in  die  Lage  gekommen,  heute  eine  vor¬ 
läufige  Mittheilung  zu  machen  über  einen  neuen  eigenthümlichen  Befund 
im  Blute  Syphiliskranker. 

Als  ich  vor  mehr  als  1 1/2  Jahren  meine  Untersuchungen  auf¬ 
nahm,  habe  ich  mir  die  Frage  vorgelegt:  Gibt  es  mikroskopisch 
wahrnehmbare  Veränderungen  im  Blute  Syphilitischer  und  welches  sind 
dieselben? 

Von  der  Erwägung  ausgehend,  dass  solche  Veränderungen  durch¬ 
aus  nicht  an  alle  Phasen  der  Syphilis  gebunden  sein  müssten,  beschloss 
ich,  diese  Untersuchungen  gleich  bei  Beginn  des  Leidens,  also  unmittelbar 


nach  dem  Auftreten  des  Initialaffectes,  anzufangen  und  parallel  mit  dem 
Fortschreiten  der  Krankheit  möglichst  lange  fortzusetzen  und  auf  diese 
Weise  bin  ich  zu  dem  Befunde  gekommen,  welchen  ich  jetzt  mittlieilen 
und  durch  Vorlage  von  Photogrammen,  Zeichnungen  und  Demon¬ 
stration  frischer  Präparate  bekräftigen  werde.  Zur  letzteren  haben  mir 
Herr  Professor  P  a  1 1  a  u  f ,  der  seit  einem  Jahre  mich  mit  Rath  und 
That  aufs  Freundlichste  unterstützt  und  dadurch  die  Sache  wesentlich 
gefördert  hat,  sowie  Herr  Dr.  Sternberg  ihre  Beihilfe  zugesagt, 
wofür  ich  beiden  Herren,  besonders  aber  für  ihre  bisherige  Unter¬ 
stützung,  meinem  verbindlichsten  Dank  ausspreche. 

Untersucht  man  das  Blut  eines  an  einer  frischen  Induration  er¬ 
krankten  Individuums  mikroskopisch,  so  unterscheidet  sich  dieses  vom 
Blute  eines  Gesunden  in  keinerlei  Weise.  Durch  vier  bis  fünf  Wochen 
ergibt  sich  derselbe  Befund. 

Wenn  aber  die  Krankheit  weiter  vorschreitet,  wenn  die  vom 
Infectionsherde  entfernt  gelegenen  Lymphdrüsen  schwellen,  das  Allge¬ 
meinbefinden  sich  trübt,  jedoch  oft  bevor  noch  die  geringste  Spur 
eines  Exanthemes  vorhanden,  da  ändert  sich  dieses  Verhalten. 

Untersucht  man  ein  in  diesem  Krankheitsstadium  entnommenes 
Bluttröpfchen  auf  dem  planen  Objectträger  bei  starker  Vergrösserung, 
Hartnack  Ocular  3,  Object.  10  (Wasserimmersion)  oder  Zeiss 
ein  Zwölftel,  so  findet  man  ausnahmsweise  gleich,  meist  aber  erst  nach 
mehreren  Stunden,  besonders  in  den  von  rothen  Blutkörperchen  freien 
Serumflächen  kleine,  länglichrunde,  mattglänzende  Körperchen  von  der 
beiläufigen  GrÖ3se  eines  Granulums  eines  grobgranulirten  Leukocyten, 
jedoch  lange  nicht  so  scharf  contourirt  und  nicht  so  glänzend 
wie  dieses. 

Anfänglich  sieht  man  diese  Körperchen,  besonders  wo  sie  in 
den  dichten  Maschen  der  Fibrinnetze  liegen,  im  Zustande  der  Ruhe. 

Bald  aber  beginnt  eines  um  das  andere,  und  zwar  ruckweise, 
sich  zu  bewegen,  verlässt  seinen  Standort,  taucht  im  Serum  bald  auf 
bald  unter,  vereinigt  sich  mit  einem  zweiten  Körperchen,  wobei  die 
rollenden  und  tanzenden  Bewegungen  noch  deutlicher  hervortreten,  um 
sich  von  diesem  wieder  zu  trennen,  oder  mit  ihm  vereint  zu  bleiben. 
Sind  beide  Körperchen  von  gleicher  Grösse,  so  sind  sie  vereint  einem 
Bacterium  sehr  ähnlich,  meist  sind  jedoch  die  beiden  Körperchen  so¬ 
wohl  an  Grösse,  als  auch  an  Glanz  verschieden. 

Nach  einiger  Zeit  gewahrt  man  drei-  und  viergliederige  Kettchen, 
und  zeigen  diese  die  Eigentümlichkeit,  dass  die  Glieder  heinahe  nie¬ 
mals  in  einer  geraden  Linie  liegen,  sondern  meist  nach  Kleeblattform 
aneinander  gereiht  sind.  Die  Anzahl  der  zu  einer  Gruppe  vereinigten 
Körperchen  wird  successive  grösser  und  erreicht  nach  etwa  acht  Stunden 
die  Zahl  von  6 — 10. 

Bei  Wiederaufnahme  der  durch  die  Nacht  unterbrochenen  Beob¬ 
achtung  haben  sich  diese  Gruppen  noch  mehr  vergrössert  und  finden 
sieh  Kettchen  und  Gruppen  von  12  —  20  Gliedern,  wobei  die  einzelnen 
Körperchen  theil weise  neben-  und  übereinander  zu  liegen  kommen. 

Dabei  sind  die  grösseren  Kettchen  zur  Ruhe  gekommen,  während 
kleinere,  obschon  minder  lebhaft  als  am  ersten  Tage,  vereinzelte  Kör¬ 
perchen  aber  gerade  so  wie  zu  Beginn  sich  bewegen. 

Weit  über  diese  Entwicklung  hinaus  findet  eine  solche  im 
hängenden  Tropfen  am  hohlen  Objectträger  statt.  Hier  findet  man  nach 
24  und  mehr  Stunden  Gruppen  in  zierlichen  Formen  auch  von  100 
und  mehr  Körnchen.  Dank  dem  Umstande,  dass  diese  Gebilde  als 
specifisch  leichter  über  die  Blutkörperchen  emporsteigen,  ist  der 
hängende  Tropfen  zu  ihrer  Beobachtung  besonders  geeignet. 

Nebst  der  eben  beschriebenen  Form  begegnet  man  häufig  einer 
zweiten.  Bei  dieser  finden  sich  wesentlich  grössere  Körperchen  vereinigt 
zu  lappenförmigen  Gebilden.  Bei  continuirlicher  Beobachtung  sieht  man 
zuweilen  das  Hervorgehen  dieser  grösseren  Körperchen  aus  Aneinander¬ 
lagerung  von  kleineren  Körnchen,  und  zeigen  dann  die  grossen  lappen¬ 
förmigen  Gebilde  deutlich  eine  körnige  Structur. 

In  manchen  Fällen  kommen  die  beiden  Gruppentypen  neben¬ 
einander,  in  anderen  nur  eine  von  beiden  vor.  Am  dritten,  manchmal 
schon  am  zweiten  Tage  scheint  die  Entwicklung  der  Gruppen  abge- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  18 


schlossen,  man  kann  sie  noch  durch  mehrere  Tage  deutlich  unter  den 
auftretenden  Ausscheidungen  erkennen,  dann  aber  gehen  sie  im  allge¬ 
meinen  Detritus  unter. 

Ob  diese  Kettchen  und  Gruppen  durch  Vermehrung  der  Glieder 
aus  sich  selbst  heraus,  d.  h.  durch  Theilung  oder  Sprossenbildung,  ob 
durch  Aneinanderlagerung  der  einzelnen  Körperchen  entstehen,  ist  bisher 
nicht  entschieden. 

Die  Anzahl  der  in  den  einzelnen  Fällen  vorkommenden  Gruppen 
ist  äusserst  verschieden,  in  manchen  finden  sie  sich  nur  vereinzelt, 
während  sie  in  anderen  so  zahlreich  sind,  dass  man  in  jedem  Seh¬ 
felde  eine  grössere  Anzahl  vorfindet  und  dass  im  Stadium  der  Be¬ 
wegung  das  ganze  Blutpräparat  zu  leben  scheint. 

Von  Einfluss  auf  ihr  Auftreten  ist  die  Temperatur  und  wird 
diesbezüglich  Herr  Prof.  Pal  tauf  Mittheilung  über  eine  interessante 
Beobachtung  machen.  Eine  mässige  Zimmertemperatur  scheint  ihrer 
Entwicklung  am  günstigsten  zu  sein. 

Bemerkenswerth  ist  der  Einfluss  einer  mercuriellen  Behandlung. 
Ich  beobachtete  eine  auffallende  Abnahme  etwa  bei  der  10.  bis  15. 
Einreibung,  ihr  Verschwinden  nach  der  20.  bis  25.,  in  einem  Falle 
nach  dreimonatlichem  Gebrauch  von  Sublimatpillen. 

Das  Vorkommen  ist  an  eine  bestimmte  Phase  oder  Form  der 
Syphilis  nicht  gebunden,  am  sichersten  trifft  man  sie  an  unmittelbar 
vor  oder  bei  dem  Auftreten  des  Exanthems. 

Ich  habe  sie  bisher  in  120 — 125  Fällen  gesehen,  von  denen  die 
meisten  zu  wiederholten  Malen,  eine  grössere  Anzahl  durch  Monate 
untersucht  wurden.  Von  diesen  entfallen  110  auf  frische  Formen,  die 
übrigen  auf  Recidive  und  Spätformen  :  Rupia,  Gumma,  Geschwüre,  ein 
Fall  auf  hereditäre  Lues. 

Zur  Controle  habe  ich  selbstverständlich  auch  Blut  von  Gesunden 
oder  Nichtsyphiliskranken  untersucht  und  über  G0  Fälle,  von  denen 
ebenfalls  die  mir  leichter  zu  Gebote  stehenden  mehrmals  in  Anspruch 
genommen  wurden,  verzeichnet.  Ich  habe  hiebei  bisher  niemals  dieselben 
Gebilde,  niemals  den  kleinkörnigen  Kettchen  auffallend  Aehnliches 
gefunden,  wohl  aber  habe  ich  zuweilen  beobachtet,  dass  jene  sowohl 
im  frischen  gesunden  als  auch  im  pathologischen  Blute  vorkommenden 
kugelförmigen  glänzenden  Körperchen  mit  lebhafter  Molecularbewegung, 
die  Hermann  Müller  als  Homokonien  (Blutstäubchen)  beschrieben 
hat,  oder  auch  jene  runden  oder  unregelmässig  geformten,  mehr  oder 
weniger  lichtbrechenden  Körperchen,  von  denen  viele  ebenfalls  Mole¬ 
cularbewegung  zeigen  und  im  Laufe  mehrtägiger  Beobachtung  an 
Volumen  wesentlich  zunehmen  und  von  einzelnen  Autoren  als  Fett¬ 
kügelchen,  Elementarkörperchen,  Zerfallskörperchen  bezeichnet  werden, 
sich  derartig  aneinander  lagern  können,  dass  sie  liantel-,  wurmförmige 
oder  kleine  lappige  Klümpchen  bilden,  jedoch  so,  dass  die  einzelnen 
Glieder  zusammenzufliessen  scheinen. 

Auf  die  wichtige  Frage  nach  dem  Wesen  der  im  Syphilisblute 
vorkommenden  Gebilde  bin  ich  vorläufig  noch  nicht  in  der 
Lage,  eine  befriedigende  Antwort  zu  ertheilen.  Alle  Versuche,  die 
nebst  mir  in  ausgedehntem  Masse  Herr  Prof.  Pal  tauf  unternommen, 
um  sie  zu  färben  und  dadurch  über  ihre  Natur  Aufschluss  zu  erhalten, 
sind  erfolglos  geblieben. 

Fest  steht  heute  der  Befund  ihres  Vorkommens  im  Blute.  Wir 
kennen  ihre  früher  erwähnten  morphologischen  Eigenschaften,  die  Be¬ 
wegung  der  einzelnen  Körperchen  und  kleinen  Gruppen  derselben  und 
endlich  ihre  Eigentümlichkeit,  in  Form  grösserer  Kettchen  und 
Gruppen  über  alle  im  Blute  befindlichen  Formelemente  empor¬ 
zusteigen. 

Weitere  hoffentlich  zahlreiche  Untersuchungen  werden  w'ohl  auch 
weitere  Aufschlüsse  bringen. 

Discussion  zum  Vortrage  Dr.  Losdorfe  r’s. 

Prof.  R.  Pal  tauf:  Herr  Dr.  Losdorf  er  hat  mir  im  ver¬ 
gangenen  Sommer  zum  ersten  Male  seine  Präparate  gezeigt  und  im 
Verlaufe  des  Winters  diese  Demonstration  oftmals  wiederholt;  ich  habe 
ihn  auf  die  Verwendung  des  hohlen  Objecttuigers  aufmerksam  gemacht 
und  an  seinen  Präparaten  und  an  solchen  von  Patienten  der  Ab¬ 
theilung  Prof.  Mraöek’s  einige  Reactionen  gemacht.  Die  Bewegung 
der  Körnchen  halte  ich  für  Molecularbewegung;  es  schien  mir  auch, 
dass  bei  den  einzelnen  Kranken  die  Grösse  der  Körnchen  eine  ge¬ 
wisse  Constanz  habe,  dass  bei  dem  einen  die  kleineren,  bei  dem 
anderen  die  grösseren  Formen  sich  finden.  Die  Körnchen  sind  ange¬ 
trocknet,  mit  den  basischen  Anilinfarben  nicht  färbbar,  im  nativen 
Präparate  nehmen  einzelne  Methylenblau  an,  andere,  die  Mehrzahl, 
bleiben  ungefärbt,  so  dass  nicht  alle  Körnchen  derselben  Dignität  zu 
sein  scheinen;  mit  Osmiumsäure  konnte  einige  Male  stellenweise  eine 
leicht  graue  Färbung  wahrgenommen  werden;  verdünnte  Essigsäure 
macht  die  Körnchenhaufen  deutlicher,  10°/0ige  Natronlauge  löst  die¬ 
selben.  Bemerkenswerth  ist  die  Eigenschaft  der  Körnchenhaufen,  in 
der  Höhe  des  Bluttropfens  sich  anzusammeln.  Auffallend  ist  die  Er¬ 
scheinung,  dass  ihr  Auftreten  im  Thermostaten  ausbleibt,  während 
es  bei  gewöhnlicher  Tempeiatur,  auch  an  Präparaten,  die  im  Thermo¬ 
staten  bereits  über  Nacht  gewesen  waren,  ausserhalb  desselben  zu¬ 


stande  kommt.  Ich  habe  den  Eindruck,  dass  die  Körnchen  und  die 
aus  ihnen  zusammengesetzten  Aggregate  Zerfalls-  oder  Gerinnungs- 
producte  sind. 

Wir  haben  im  Spitale  nur  zu  besagten  Untersuchungen  bei 
sechs  bis  sieben  Patienten  diese  Blutuntersuchung  vorgenommen,  meist 
an  Leuten  mit  frischen  Exanthemen  ;  bei  diesen  fanden  sie  sich;  Control¬ 
untersuchungen  haben  wir  nicht  vorgenommen,  da  mir  Kranken¬ 
material  ja  nicht  zur  Verfügung  steht. 

Ich  kann  daher  über  die  Specifität  des  Befundes  nichts  sagen; 
wie  gesagt  habe  ich  den  Eindruck  von  Zerfalls-  oder  Ge- 
rinnungsproducten,  die  vielleicht  mit  einer  Veränderung  der  Blut¬ 
beschaffenheit  in  Zusammenhang  stehen,  wie  ja  eine  solche  bei  Lues, 
namentlich  zur  Zeit  des  Ausbruches  des  Exanthems  häufig  zu  bestehen 
scheint;  ob  der  Befund  aber  für  die  Lues  speeifisch  und  charakteristisch 
ist,  kann  ich  nicht  sagen. 

Hofrath  Kaposi:  College  Los  dorfer  war  so  freundlich, 
mir  vor  einigen  Tagen  die  in  Rede  stehenden  Präparate  zu  demon- 
striren  und  ich  constatire  ebenfalls  den  thatsächlichen  Befund  als 
solchen.  Wenn  aber  Losdorf  er  keine  weiter  Schlussfolgerungen 
aus  demselben  zunächst  gezogen  hat,  so  scheint  es  mir  doch  nicht 
überflüssig,  sogleich  und  an  dieser  Stelle  Einiges  dazu  zu  bemerken,  be¬ 
sonders  in  Rücksicht  auf  zwei  Gedanken,  die,  wenn  auch  nicht  aus¬ 
gesprochen,  sich  unmittelber  Vielen  aufdrängen  könnten. 

Erstens  in  Bezug  auf  eine  ätiologische  Bedeutung  der  demon- 
strirten  Körperchen  für  Lues.  Und  da  muss  besonders  betont  werden, 
dass  Losdorfer  eine  solche  den  Körperchen  nicht  zugesprochen  hat 
und  das  war  ganz  recht  von  ihm.  Denn  er  muss  sich  ja  dessen  be¬ 
wusst  sein,  dass  seine  Controluntersuchungen  (Untersuchungen  von 
Blut  Nichtsyphilitischer  und  von  allerlei  Krankheiten)  denn  doch  zu 
wenige  sind  und  in  Anbetracht  der  vielerlei  Körperchen  unklarer  Natur, 
welche  die  Hämatologie  in  den  letzten  Jahren  im  Blute  entdeckt  hat. 
Aber  auch  mit  dieser  Einschränkung  wäre  der  Befund  von  Losdorfer 
noch  sehr  interessant,  woferne  die  zu  erwartenden  weiteren  Unter¬ 
suchungen  ergeben  würden,  dass  diese  Körperchen  thatsächlich  nur 
im  Blute  Syphilitischkranker  vorkämen,  also  ein  specifisclies  und  für 
Lues  charakteristisches  Vorkommniss  darstellen  würden. 

Zweitens,  bezüglich,  der  biologischen  Bedeutung  dieser  Gebilde. 
Losdorfer  hat  sich  an  diesem  Orte  darüber  nicht  geäussert.  Aber 
aus  den  mündlichen  Besprechungen  scheint  hervorzugehen,  dass  er 
geneigt  ist,  denselben  die  Bedeutung  von  den  pflanzlichen  Mikro¬ 
organismen  zugehörigen  Gebilden  zu  vindiciren,  während,  wie  wir 
gehört  haben,  Pal  tauf  schon  andeutet,  dass  ihre  Derivation  von 
Formelementen  des  Blutes  nicht  undenkbar  wäre. 

In  Anbetracht  gewisser  Reminiscenzen,  die  sich  uns  natur- 
gemäss  aufdrängen,  ist  diese  Meinung,  die  auch  ich  von  Anbeginn  an 
hege,  nicht  zu  unterdrücken  und  mit  Rücksicht  darauf,  dass  auch  von 
anderer  Seite  schon  (Fünfter  Congress  der  Deutschen  dermatologischen 
Gesellschaft  1895  in  Graz)  biochemische  Eigen  thiimlichkeiten  des 
syphilitischen  Blutes  behauptet  worden  sind. 

Endlich  ist  aber  auch  grösste  Vorsicht  bezüglich  der  Deutung 
des  Losdorfe  r’schen  Befundes  vorläufig  geboten  in  Erinnerung 
daran,  wie  einmal  schon  von  einer  unseren  Kreisen  seinerzeit  sehr 
nahegestandenen  Seite  die  Untersuchung  des  Blutes  Syphilitischer  und 
SyphilitischGewesener  behufs  angeblicher  Constatirung  von  Andauer  oder 
Heilung  der  specifischen  Diathese  ins  sogenannte  „Praktische“  inscenirt 
worden  ist.  Es  muss  daher  aufs  Ernstlichste  vor  voreiligen  und 
weitergehenden  Deutungen  gewarnt  werden  und  Losdorfer  hat 
ganz  recht  gethan,  sich  heute  auf  die  blosse  Mittheilung  seines  that¬ 
sächlichen  Befundes  zu  beschränken. 

Primarius  Dr.  Preindelsberger :  Ueber  eine  Modifica¬ 
tion  bei  Dislocation  der  Struma.  (Erscheint  demnächst  aus¬ 
führlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart:  Der  gegenwärtige 
Stand  der  Verwundungsfrage  im  Kriege  und  die 
Wechselbeziehungen  derselben  zum  Sanitätsdienste 
im  Felde.  (Erscheint  demnächst  ausführlich  in  dieser  Wochen¬ 
schrift.) 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden. 

Vom  18.  bis  21.  April  1900. 

Referent  Albu  (Berlin). 

1.  Sitzung. 

I.  v.  Kora  n  y  i  (Budapest; :  DieBehandlungder  acuten 
Lu  ngenentzündung. 

Vortragender  erörtert  einleitend  zunächst  die  Frage,  auf  welche 
Krankheitsvorgänge  der  Begriff  der  croupösen  Lungenentzündung  aus¬ 
gedehnt  werden  darf.  Durch  Leich  ten  stern  sind  die  von  ihm  als 
primär  asthenische  Pneumonien  bezeiehneten  Formen  allmälig  immer 


Nr.  18 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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mehr  von  der  einfachen  croupösen  Lungenentzündung  abgetrennt 
worden,  weil  sie  ätiologisch  als  Streptococcenpneumonien,  anatomisch 
als  Cellularpneumonien  anzusehen  seien.  Dieser  Lehre  gegenüber  beruft 
sich  v.  Kora  n  y  i  auf  die  neueren  Untersuchungen  P  e  r  t  i  k’s  (Buda¬ 
pest),  von  Cruse  und  P  a  n  s  i  n  i  und  als  gewichtigstes  Zeugniss  auf 
die  Arbeiten  von  Lu  bar  sch,  durch  die  erwiesen  wurde,  dass  der 
F  r  ä  n  k  e  Fache  Diplococcus  lanceolatus  und  der  Streptococcus  nur 
Racenverschiedenheiten  derselben  Mikrobenart  bilden  und  je  nach 
ihrer  verschiedenen  Virulenz  verschiedene  Formen  der  Pneumonie  be¬ 
dingen.  Es  gibt  fibrinöse  Streptococcen-  und  cellulare  Diplococcen- 
Pneumonien  und  auch  die  Verschiedenheit  des  Verlaufes  der  Krankheit 
hängt  nicht  von  der  Racenverschiedenheit  des  Krankheitserregers  ab, 
so  dass  v.  Kor  any  i  weder  einen  ätiologischen,  noch  klinisch-anato¬ 
mischen  Grund  findet,  um  von  seiner  früheren  Ansicht  abzugehen, 
dass  die  primären  fibrinösen  und  asthenischen  Pneumonien  zu  einer 
Krankheitsgruppe  gehören.  Die  Auffassung  entspricht  auch  dem 
praktischen  Bedürfniss,  nach  dem  die  verschiedenen  Formen  der 
Lungenentzündung  nicht  mit  je  entsprechenden  specifischen  Methoden, 
sondern  nach  Indicationen,  die  allen  gemeinschaftlich  sind,  behandelt 
werden. 

Zuerst  bespricht  v.  Kor  any  i  diejenigen  Heilmittel  und  Ver 
fahren,  die  der  neueren  Zeit  angehören  und  aus  neueren  pathologi¬ 
schen  Ansichten  hervorgegangen  sind.  Dahin  gehören  diejenigen,  die 
an  Blutuntersuchungen  bei  Pneumonie  sich  anlehnen.  Die  Erkennung 
des  Bacterien-  und  Toxinengehaltes  im  Pneumonieblut  führte  zu  Ver¬ 
suchen  mit  Pneumonieserum,  die  von  Klemperer,  Cruse,  P  a  n- 
sini  und  Emmerich  angebahnt,  zu  einer  methodischen  Behandlung 
ausgebildet  wurden  und  namentlich  in  Italien,  aber  auch  in  England, 
Frankreich  und  anderen  Ländern  angewendet  wurden.  Aus  den  zur 
Verfügung  stehenden  Daten  kommt  Referent  zum  Schluss,  dass  die 
gegenwärtig  angewendete  Serumtherapie  auf  den  pneumoniekranken 
Menschen  keine  schädliche  Nebenwirkung  ausübt  und  einer  Anzahl  von 
Fällen  nützlich  zu  sein  schien,  aber  eine  specifische  oder  die  Krankheit 
abkürzende  Wirkung  ist  nicht  bewiesen.  Es  werden  dann  die  Verän¬ 
derungen  besprochen,  die  in  den  Blutzellen  der  Pneumoniker  nach¬ 
weisbar  sind,  namentlich  die  Leukocytose,  die  vielfach,  als  einem  na¬ 
türlichem  Heilbestreben  des  Organismus  entstammend  betrachtet  wurde 
und  zur  künstlich  therapeutischen  Erzeugung  von  Leukocytose  mittelst 
Pilocarpin,  Antipyrin,  Antifebrin,  Nuclein  und  hydropathischer  Proceduren 
Veranlassung  gab,  die  aber  alle  als  für  die  Behandlung  der  Pneumonie 
unwesentlich  erkannt  wurden. 

Vortragender  berichtet  weiter  über  die  neuerdings  auf  seiner 
Klinik  angestellten  Untersuchungen  über  das  specifische  Gewicht  des 
Pneumonieblutes.  Es  ergab  sich,  dass  der  Kochsalzgehalt  des  Blutes 
vermindert,  der  Gefrierpunkt  erhöht  ist.  Um  die  normalen  Verhältnisse 
wieder  herzustellen,  empfiehlt  sich  die  Oxygendurchströmung  des 
Blutes,  welche  den  Gehalt  an  Chloriden  im  Blutserum  erhöht.  Von 
der  Anwendung  von  Oxigeninhalationen  hat  v.  Koranyi  ebenso 
wie  Douglas-Powell  und  Grey  und  Andere  in  der  Praxis 
Vortheilhaftes  gesehen.  Den  Aderlass  verwirft  v.  Koranyi  als 
antipneumonisches  Heilverfahren,  da  durch  die  jetzt  übliche  Art 
der  Aderlässe  das  Blut  nicht  entgiftet  werden  könnte,  er  hält  ihn 
aber  für  geradezu  lebensrettend  bei  hochgradiger  Hyperämie  der  Lunge 
ohne  oder  mit  bereits  entwickeltem  Oedem,  lebhafter  Ilerzbewegung 
und  angestrengter  Thätigkeit  der  Respirationsmuskeln;  der  Puls,  der 
vor  der  Venäsection  schwächer  war,  wird  nach  derselben  oft  stärker 
und  voller. 

Bezüglich  der  Kochsalzinfusionen  für  sich  oder  in  Verbindung 
mit  dem  Aderlass  kommt  Referent  zu  dem  Schluss,  dass  solche  der 
Icbämie  des  linken  Pierzen  zu  Gute  kommen,  andererseits  die  Diurese 
und  damit  die  Excretion  toxischer  Stoffe  befördern  können.  Referent 
streift  dann  kurz  die  Pneumoniebehandlung  mit  Digitalis,  Antipyreticis, 
Alkohol,  Opium,  Eis  und  vielen  anderen  Mitteln,  deren  Werth  dadurch 
sehr  fraglich  wird,  dass  die  Ansichten  der  erfahrensten  Aerzte  darüber 
weit  auseinander  gehen. 

Ein  Vergleich  der  Erfolge  der  verschiedenen  Behandlungsmethoden 
ist  unmöglich  wegen  der  Unzuverlässigkeit  aller  vorhandenen  statisti¬ 
schen  Ausweise,  auf  die  schon  vor  25  Jahren  Jürgengen  hinge¬ 
wiesen  hat.  Das  ist  heute  noch  dasselbe. 

Vortragender  schliesst:  Die  moderne  Pneumonietherapie  ist  eine 
gesunde  und  viel  vermögende,  indem  sie  die  Bekämpfung  bedrohlicher 
Symptome  sich  angelegen  sein  lässt,  die  den  Arzt  in  den  Stand  setzen, 
manches  gefährdete  Menschenleben  zu  retten,  aber  es  ist  keine  solche 
therapeutische  Errungenschaft  zu  verzeichnen,  die  die  Krankheit  in 
specifischer  Weise  abzukürzen,  die  Mortalitätsstatistik  in  merkbarer 
Weise  zu  beeinflussen  vermag.  Die  Serotherapie  ist  noch  wenig  ver¬ 
lässlich. 

Um  die  gründliche  Durchforschung  der  einzelnen  Mitteln  und 
Methoden  der  Behandlung  zu  befördern  und  zu  concentriren,  glaubt 


v.  Koranyi,  dass  es  zweckmässig  wäre,  wenn  eine  Gruppe  von  be¬ 
rufenen  Fachmännern  sich  vereinigte,  um  in  durchdachter  Arbeitsein- 
theilung  vorzugehen,  und  unterbreitet  diese  in  mehrfachen  anderen 
Fragen  als  zweckmässig  erwiesene  Idee  dom  Congresse. 

(Fortsetzung  folgt.) 


29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

18.— 21.  April. 

(Fortsetzung.) 

Referent:  Dr.  Heinz  Wohlgemuth  (Berlin). 

I.  Sitzungstag:  Vormittagssitzung. 

III.  R  e  h  n  (Frankfurt  a.  M.) :  Die  Verbesserungen  in 
der  Technik  der  Mastdarmamputation  und  Re¬ 
section. 

Vortragender  hält  es  für  fraglich,  ob  die  Verbesserung  der  ope¬ 
rativen  Resultate  in  der  Frühdiagnose  zu  suchen  ist.  Er  glaubt  viel¬ 
mehr,  dass  der  Methode  viel  Gewicht  beizumessen  ist.  Als  Kraske 
seine  Methode  angab,  da  bemächtigte  sich  der  Chirurgen  anfangs  ein 
grosser  Enthusiasmus,  allein  der  Rückschlag,  die  schlimmen  Erfahrungen 
in  Bezug  auf  Mortalität  und  die  functionellen  Resultate  blieben  nicht 
lange  aus.  Viele  hatten  sogar  vor  der  Methode  gewarnt.  Sie  schafft  in 
der  That  schlechte  Wundverhältnisse.  Seit  einiger  Zeit  mehren  sich 
die  Stimmen  für  die  perineale  Operation,  besondex-s  seitdem  aus  dem 
W  a  1  d  e  y  e  r’schen  Institute  J  erotha  seine  Untersuchungen  über  die 
sacralen  und  rectalen  Lymphgefässe  veröffentlicht  hat.  Redner  demon- 
strirt  diese  anatomischen  Studien  an  Zeichnungen  aus  dem  Wal¬ 
de  y  e  r’schen  Institute  und  schlägt  vor,  die  von  Waldeyer  einge¬ 
führten  Benennungen  zu  acceptiren.  Seine  anatomischen  Studien  führten 
ihn  nun  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Exstirpation  eines  Carcinoms 
vom  Darmlumen  aus  ist  unstatthaft.  2.  Das  Rectum  ist  extrafascial 
auszulösen.  3.  Die  Methoden  sind  vorzuziehen,  die  einmal  den  grössten 
Ueberblick  bei  den  geringsten  Veidetzungen  gewähren,  ferner  acute 
Wundverhältnisse,  guten  Schluss  und  Function  gewährleisten,  und  die 
schliesslich  annähernd  normale  Verhältnisse  herstellen. 

Die  Gefahren  der  Operation  sind  im  Wesentlichen  Infection  und 
Blutungen.  Wo  das  Carcinom  über  die  Fascien  hinausgewuchert  ist, 
da  soll  man  nicht  operiren.  Er  empfiehlt  eine  Methode,  die  im  Wesent¬ 
lichen  der  Dieffenbac  h’schen  ähnlich  ist.  Schnitt  in  der  vorderen 
Rhaphe  perinealis.  Wenn  keine  Verwachsungen  da  sind,  dann  kann  man 
ausserordentlich  leicht  weiter  Vorgehen.  Der  Vorzug  dieses  Schnittes 
ist,  dass  man  die  Verhältnisse  gleich  beim  Beginn  der  Operation  über¬ 
schauen  kann.  Dann  wird  tamponirt  und  ein  hinterer  Schnitt  neben 
dem  Kreuzbein  angelegt.  Nach  Spaltung  der  Sphinkteren  wird  die 
Schleimhaut  des  unteren  Mastdarmabschnittes  exstirpirt  und  dann  die 
Resection  des  oberen  Endes  möglichst  gross  vorgenommen.  Auch  die 
Drüsen  sollen  berücksichtigt  werden.  Das  centrale  Ende  wird  erst 
nach  Durchscheidung  der  A.  haemorrhoidalis  posterior  heruntergezogen 
und  perineal  angenäht.  Bei  möglichst  vollkommenem  Schlüsse  Drainage 
vorn  und  hinten.  Die  Nachbehandlung  ist  so  viel  einfacher  als  boi  der 
sacralen  Methode,  die  Secrete  können  nicht  an  den  steilen  Wänden  des 
Beckens  haften,  brauchen  nicht  erst  durch  Bindegewebe  und  Knochen 
zu  gehen.  Bei  der  Fraxx  sind  die  Verhältnisse  natürlich  noch  viel  ein¬ 
facher.  Die  Frage,  wie  man  sich  zu  der  combinirten  Methode  vom 
Bauche  aus  und  von  hinten  stellen  soll,  ist  theoretisch  wohl  klar,  aber 
in  praxi  sind  die  Schwierigkeiten,  Unterbindungen  der  Arterien,  nicht 
ungefährlich.  Doch  ist  ein  Hauptmoment,  die  Herstellung  natürlicher 
Verhältnisse,  wegen  des  nothwendigen  Anus  praeternatiu-alis  hier  nicht 
möglich.  Soll  man  nun,  um  normale  Verhältnisse  zu  erreichen,  exstir- 
piren  oder  amputiren?  Die  rohe  Amputation  hat  manchmal,  wie  bekannt, 
Gangrän  zur  Folge  durch  zu  grossen  Zug  an  der  A.  mesenterica  in¬ 
ferior,  die  dadurch  an  ihrem  Abgang  von  der  Aorta  spitzwinkelig  ab¬ 
geknickt  wird.  Daher  soll  man  bei  hoher  Amputation  die  Durchtrennung 
des  A.  haemorrhoidalis  posterior  vorausschicken.  Das  Peritoneum  ist 
möglichst  zu  schliessen,  trotzdem  es  manchmal  nicht  ungefährlich  ist- 
Vortragender  zeigt  dann  noch  Injeetionspräparate  der  Arterienver¬ 
zweigungen. 

IV.  Hochenegg  (Wien):  Bericht  über  121  eigene 
sacrale  Mastdarmoperationen  wegen  Carcinom  und 
über  die  durch  die  Operation  erzielten  Resultate. 

Hochenegg  hält  das  sacrale  für  das  Normalverfahren  und 
will  die  jxerineale  Methode  nur  dann  angewendet  wissen,  wenn  das 
Carcinom  höchstens  bis  über  den  Sphinkter  hinaufreicht.  Der  Vor¬ 
operation  bei  dem  sacralen  Verfahren  will  er  keine  grosse  Gefahr  bei¬ 
messen.  Er  hat  jetzt  121  Fälle  in  13  Jahren  mit  nur  10  Todesfällen, 
das  sind  8'2 °/0,  so  operirt.  Die  Vortheile  der  Methode  sieht  er  in 
der  Schnelligkeit,  der  exacten  Blutstillung  und  der  im  Gegensatz 
zu  R  e  h  n  recht  exacten  Drainage  nach  hinten.  Contraindicationen  sind 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nur  absolut  starre  Verwachsungen  im  Becken.  Perineale  Exstirpationen 
hat  er  im  Ganzen  8  gemacht.  Die  Vorbereitungscur  zur  Ausscheidung 
der  harten  Ivothmassen  hat  er  früher  auf  10 — 14  Tage  ausgedehnt, 
doch  ist  er  davon  zurückgekommen,  ja  er  glaubt  sogar,  dass  die  Ope¬ 
rationsresultate  dadurch  in  manchen  Fällen  verschlechtert  worden  sind. 
Was  nun  die  Operationstechnik  anlangt,  so  macht  er  einen  linkscon¬ 
vexen  Bogenschnitt,  entfernt  das  Steissbein  und,  je  nachdem  es 
nöthig  ist,  geht  er  höher  hinauf.  Der  Tumor  wird  extrafascial  heraus- 
präparirt.  Schwierig  ist  es,  wenn  es  sich  um  eine  Continuitätsresection 
handelt  und  der  Analtheil  erhalten  werden  soll.  Er  eröffnet  principiell 
das  Peritoneum,  weil  nur  so  der  Darm  absolut  mobil  gemacht  werden 
kann,  schliesst  es  aber  vor  der  Durchschneidung  des  Darmes  wieder. 
Die  Analportion  wird  nach  seiner  Meinung  viel  zu  häufig  erhalten. 
Er  hat  häufig  beobachtet,  dass  die  Recidiven  gerade  von  hier  ausgehen, 
daher  soll  man  sie  nur  dann  erhalten,  wenn  man  ihrer  ganz  sicher 
ist.  Eine  grosse  Gefahr  ist  auch  der  zu  frühe  Ivothabgang  wegen  der 
eventuellen  stercoralen  Phlegmone.  Seitdem  er  nun  Versuche  gemacht 
hat,  das  centrale  Ende  in  den  Anus  herabzuziehen  nach  der  Ablösung 
der  Schleimhaut  des  analen  Endes,  hat  er  von  62  Fällen  nur  einen 
an  stercoraler  Phlegmone  verloren.  Der  Abfluss  ist  absolut  gewährleistet 
durch  ausgiebige  Drainage  vorn  und  hinten  und  zu  beiden  Seiten.  Ein 
Stuhl  geht  gewöhnlich  am  vierten  oder  fünften  Tage  von  selbst  ab. 
Dann  wird  der  erste  Verbandwechsel  vorgenommen.  Bei  stehenbleibendem 
Sphinkter  tritt  nicht  selten  eine  Dehnung  der  Naht  auf,  eine  Erweiterung 
oberhalb  des  Sphinkter  mit  dem  Gefühl  der  Stuhlverbaltung,  oder  die 
Naht  platzt  gar  an  einer  Stelle  und  es  tritt  eine  Analfistel  mit  ihren 
Unaunehmlichkeiteu  auf.  Bei  einer  Mortalität  von  8%  verlor  er  nach 
Sepsis  4  Fälle,  an  Blutungen  2  Frauen,  bei  denen  er  Stücke  der 
Vagina  und  des  Uterus  mitentfernen  musste,  1  Fall  ging  an  Embolie, 
1  an  Incarceration  zu  Grunde. 

V.  Schucha  r  d  (Stettin) :  Zur  Technik  der  Exstir¬ 
pation  des  Rectum  und  des  Colon  sigmoideum. 

Nach  Resection  des  Steissbeins  hält  er  den  Darm  bis  ganz 
zuletzt  geschlossen.  Bei  hochsitzendem  Carcinom  wird  natürlich  das 
Mesocolon  eingeschnitten.  Auf  diesem  Wege  kann  man  theoretisch, 
wie  es  bei  Leichenversuchen  geschehen,  45  cm  Darm  entfernen,  dann 
allerdings  hat  das  Herabziehen  ein  Ende,  sobald  nämlich  das  S  romanum 
gestreckt  ist.  Aber  in  praxi  ist  dies  Herabziehen  doch  lange  nicht  so 
weit  möglich,  da  in  den  Beckenorganen  durch  die  Geschwulst  eine 
Menge  Veränderungen  und  Verwachsungen  entstanden  sind.  Was  die 
hochsitzenden  Mastdarmcarcinome  anlangt,  die  nicht  abzutasten  sind, 
so  gehören  diese  überhaupt  nicht  mehr  zum  Mastdarm,  sondern  zum 
Colon  pelvinum  nach  Waldeyer.  Grosses  Gewicht  ist  auf  die 
Schrumpfungen  des  Mastdarmes  und  des  Colons  zu  legen,  die  nicht 
nur  bei  Carcinom,  sondern  auch  bei  Tuberculose  und  Syphilis  ent¬ 
stehen.  Hier  ist  es  oft  nicht  möglich,  das  centrale  Ende  genügend 
hei  abzll ziehen .  (Fortsetzung  folgt.) 


2.  Oesterreichischer  Balneologen-Congress  zu  Ragusa 

und  Ilidze. 

Es  sei  hier  gestattet,  in  Kürze  die  allgemeinen  Eindrücke  wieder¬ 
zugeben,  welche  der  Besucher  dieses  Congresses  gewonnen. 

Schon  die  Reise  per  terram  et  mare  verlief  in  grösster  Ordnung 
und  mit  solcher  Präcision,  dass  es  unter  der  stattlichen  Zahl  der 
Congressreisenden  keinen  einzigen  Unzufriedenen  gab.  Die  Versamm¬ 
lung  selbst  war  in  ausgezeichneter  Weise  organisirt.  Die  Sitzungen 
waren  in  Bezug  auf  die  Wahl  der  Locale  und  hinsichtlich  der  Auf¬ 
stellung  der  Tagesordnungen  in  eminenter  Weise  vorbereitet,  so  dass 
sämmtliclie  Theilnehmer  in  bequemer  Weise  aller  Anregungen  und 
Belehrungen  sich  zu  erfreuen  in  der  Lage  waren.  Trotz  der  zahl¬ 
reichen  Festlichkeiten  und  Excursionen,  welche  sowohl  in  Ragusa  als 
auch  in  Ilidze  seitens  der  bezüglichen  Vertretungen  und  Localcomites 
in  unübertrefflicher  Liebenswürdigkeit  veranstaltet  wurden,  bewahrte 
die  Versammlung  im  Wesentlichen  den  Charakter  ernster  Arbeit.  Mit 
Eifer  wurde  in  den  Sitzungen  vorgetragen  und  discutirt ;  es  dürfte 
kaum  Jemand  den  Congress  verlassen  haben,  ohne  nachhaltige  wissen¬ 
schaftliche  Anregung.  Hervorgehoben  zu  werden  verdienen  auch  die 
Festbanquete  an  beiden  Congressorten,  welche  durch  vortreffliche  Tisch¬ 
reden  gewürzt  waren.  Für  die  musterhafte  Aufbereitung  und  Organi¬ 
sation  des  Congresses  sei  auch  an  dieser  Stelle  dem  Secretär  des 
Centralverbandes  der  Balneologen  Oesterreichs,  Herrn  Dr.  AVetten- 
d  o  r  f  e  r,  der  Dank  geziemend  ausgesprochen. 

Aus  den  Sitzungen: 

Prof.  Kisch:  Balneotherapie  der  Fettleibigkeit. 

Die  Erfordernisse  einer  rationellen  Entfettungsmethode  im  All¬ 
gemeinen  erörternd,  bespricht  Referent  speciell  die  Brunnen-  und  Bade- 
curen  als  Mittel  gegen  die  Fettleibigkeit.  In  erster  Linie  stehen  hiebei 


die  an  Natriumsulfat  und  Kohlensäure  reichen  Mineralwässer,  bei 
denen  sich  die  Wirkung  auf  Fettzersetzung  mit  einer  bedeutenden 
Beeinflussung  des  Circulationsapparates  verbindet.  Der  durch  Trink- 
curen  mit  den  alkalisch-salinischen  AA^ässern  herbeige¬ 
führte  gesteigerte  Fettverbrauch  muss  sich  aber  unter  Leitung  des 
Arztes  derart  vollziehen,  dass  hiebei  die  Behauptung  des  Eiweiss- 
bestandes  erzielt  wird,  es  also  wohl  zum  Verluste  an  Fett,  jedoch 
nicht  zur  Einbusse  an  Körpereiweiss  kommt.  Die  kalten  Quellen 
sind  den  Thermen  schon  wegen  der  wesentlich  stärkeren  diu- 
retischen  AVirkung  vorzuziehen.  Aehnlich  der  Wirkung  der 
Glaubersalzwässer  aber  weitaus  unzureichender  bezüglich  der  Ent¬ 
fettung  sind  die  Kochsalzwässer;  die  Bitterwässer  können 
zu  demselben  Zwecke  wegen  ihrer  heftig  purgirenden  und  hiemit 
nahrungsentziehenden  Eigenschaft  nur  in  discreter  AA7eise  und  durch 
ganz  kurze  Zeit  gebraucht  werden;  die  Verwendung  der  Jod  wässer 
ist  gleichfalls,  weil  sie  eine  allgemeine  depotenzirende  Unterernährung 
zuWege  bringen,  nicht  empfehlenswerth.  AVährend  Trinkeuren  mit  den 
bezeichneten  Quellgruppen  nur  für  die  plethorische  Form  der  Fett¬ 
leibigkeit  zur  Anwendung  kommen,  eignet  sich  für  anämische  Fettleibige 
fast  ausschliesslich  der  innerliche  Gebrauch  der  reinen  Eisen¬ 
wässer  und  der  an  Eisencarbonat  sehr  reichen  alkalischen  Säuerlinge, 
welche  geeignet  sind,  die  änämisclie  oder  chlorotische  Blutbeschaffen- 
zu  verbessern  und  so  den  günstigen  Nährboden  dieser  Art  der 
Fettentwicklung  zu  entziehen.  Die  ärztliche  Ueberwachung  der  Brunnen- 
curen  der  Fettleibigen  darf  sich  nicht  blos  auf  die  nothwendigen 
körperlichen  Wägungen  beschränken,  sondern  hat  eine  sorgfältige 
Controle  der  Muskelkraft  des  Individuums,  speciell  der  Kraft  des 
Herzmuskels  zu  üben,  dabei  genaue  Differenzbestimmungen  über 
Flüssigkeitsaufnahme  und  Harnausscheidung  zu  führen  und  endlich 
durch  Stoffwechselbestimmungen  eine  Feststellung  der  Stickstoff1- Ein-  und 
Ausfuhr  vorzunehmen. 

Nur  auf  solche  AVeise  ist  eine  Schädigung  des  Organismus  durch 
forcirte  Brunneneuren  zu  vermeiden. 

Zur  Unterstützung  der  Trinkcur  mit  den  Mineralwässern  dient 
die  systematische  Anwendung  heisser  mineral-  und  kohlensäurereicher 
Bäder.  Heisse  Bäder  von  40 — 45°  C.  befördern  die  Fettabgabe  durch 
die  Haut  und  wirken  hiedurch  auf  den  Fettverbrauch  steigernd  ein, 
besonders  dann,  wenn  in  Folge  nachhaltiger  Erwärmung  des  Körpers 
nach  dem  Bade  durch  Bewegung  oder  Einwicklung  zum  Schwitzen 
Anlass  gegeben  wird.  Bei  der  bedeutenden  Steigerung  der  Körper¬ 
temperatur,  welche  die  schweissproducirenden  Badeformen  verursachen, 
bei  der  grossen  Vermehrung  der  Pulsfrequenz  und  Erhöhung  der  Zahl 
der  Athemzüge,  welche  sie  bewirken,  vor  Allem  aber  bei  dem  über¬ 
aus  raschen  und  mächtigen  Anstiege  des  Blutdruckes,  welchen  sie 
hervorbringen,  dürfen  solche  Bäder  nur  jenen  Fettleibigen  gestattet 
werden,  deren  Herzmuskel  noch  vollkommen  intact  ist  und  deren  Ar¬ 
terien  sich  nicht  sklerosirt  erweisen.  Die  kohlensäurereichen  Bäder 
sind  besonders  mit  Rücksicht  auf  das  in  seiner  Function  mehr  minder 
geschwächte  Herz  der  Fettleibigen  empfehlenswerth,  indem  ein  solches  Bad 
den  Blutdruck  steigert,  den  Puls  verlangsamt,  ihn  voller  und  kräftiger 
gestaltet,  das  Volumen  jeder  einzelnen  Herzsystole  erhöht,  den  Tonus 
des  Herzmuskels  stärkt  und  die  Herzarbeit  erleichtert.  Nicht  so  mächtig 
wirksam,  wie  die  kohlensäurereicheu  Mineralbäder,  aber  immerhin  als 
den  Stoffwechsel  beeinflussend,  kommen  auch  salzhaltige  und  hiedurch 
stark  hautreizende  Bäder  zur  Verwendung;  denn  ihr  Haupteffect  liegt 
wesentlich  in  dem  beschleunigten  Umsätze  stickstoffloser  Verbindungen, 
deren  Endresultat  vermehrte  Kohlensäureausscheidung  ist. 

Zum  Schlüsse  betont  Referent,  dass  alle  die  verschiedenen 
Brunnen-  und  Badecuren  durchaus  keine  specifischen  Mittel  gegen  die 
in  Rede  stehende  Stoffwechselerkrankung  bilden,  und  dass  sie  nur  als 
günstige  und  förderliche  Unterstützung  des  einzigen  wirklichen 
Arcanums  gegen  Fettleibigkeit  zu  betrachten  sind,  das  da  heisst: 
Regelung  der  Ernährung  und  der  Muskelarbeit. 

Docent  Dr.  A.  Strasse  r:  Die  diätetische  und  hydro¬ 
therapeutische  Behandlung  der  Fettleibigkeit.  Am 
Anfänge  des  Referates  bespricht  Verfasser  die  Classification,  respective 
die  zu  Grunde  liegenden  Auffassungen  der  Fettleibigkeit  und  be¬ 
tont,  dass  keine  der  bestehenden  Classificationen  unbedingt  acceptirt 
werden  kann,  sie  bezeichnen  gerade  nur  extreme  Fälle  und  haben  für 
die  grosse  Ueberzahl  der  Uebergangsfälle  keinen  AArerth.  Insbesondere 
betont  er,  dass  die  meisten  sogenannten  plethorischen  Fettleibigen  nicht 
als  rein  Fettleibige  zu  betrachten  seien,  sie  leiden  vielmehr  an  einer 
combinirten  Allgemeinerkrankung,  bei  welcher  gichtische,  neurastheni- 
sche  Zustände  und  oft  Anfänge  einer  Arteriosklerose  neben  der  äusser- 
lich  hervorragenden  Fettleibigkeit  sich  gleichzeitig  entwickeln.  Es 
wäre  dieser  Zustand  vielmehr  als  eine  Plethora  der  überladenen  Zelle 
anzusehen.  Rein  plethorische  Fettleibige  existiren  wohl,  jedoch  wenige; 
als  Typus  seien  die  jungen  Alkoholiker  anzusehen. 

Auf  die  diätetische  Behandlung  übergehend,  bespricht  S  t  r  a  s  s  er 
die  bestehenden  hervorragenden  Kostvorschriften,  insbesondere  die 
Banting-  und  Oertel-Schweninger-  Cur.  Er  verurtheilt  jede 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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einseitige  Kostordnung,  beleuchtet  die  Nachtheile  der  Eiweissüber- 
fütteruug,  die  gar  nicht  die  Vortlieile  hat,  die  man  ihr  ursprünglich 
zugedacht  hat.  Den  bei  Mastfetten  oft  hervortretenden  Zustand  nach 
jahrelang  fortgesetztem  excessivem  Fleischgenuss  nennt  er  einen 
„azotoxischen“  Zustand,  der  durch  B  a  n  t  i  n  g’sche  Vorschriften  eher 
verschärft  werden  kann.  Auch  bietet  die  B  a  n  t  i  n  g  -  Cur,  und  mit  ihr 
alle,  die  so  viel  Eiweiss  zuführen  wollen,  nicht  einmal  den  erwünsch¬ 
ten  Schutz  für  das  Organeiweiss.  Bei  0  e  r  t  e  1  und  Schweninger 
beleuchtet  Strass  er  nach  Besprechung  der  experimentellen  Durst- 
curen  an  Thieren,  die  Haltlosigkeit  und  mangelhafte  Begründung  der 
Vorschriften,  insbesondere  bei  Schweninger;  0  er  t  el’s  Ideen 
sind  auf  das  mechanische  Moment  der  geschwächten  Herzkraft  ge¬ 
gründet  und  wenigstens  für  die  hydrämischen  Fälle  mit  stark  ge¬ 
sunkener  Herzkraft  und  mit  etwas  Erleichterung  anzuwenden.  IJebri- 
gens  betonte  Winter  nitz  schon  auf  Grund  seiner  und  vieler 
Anderer  Beobachtungen,  dass  reichliches  Wassertrinken  auch  Körper¬ 
gewichtsabnahme  bewirken  kann,  den  vegetabilischen  Curen  oder 
wenigstens  der  weitgehendsten  Berücksichtigung  der  pflanzlichen 
Nahrungsmittel,  sowie  der  Milchcuren  steht  Strass  er  sehr  freundlich 
gegenüber;  die  letzteren  glaubt  er  als  Einleitung  einer  Entfettungscur 
sehr  gut  gebrauchen  zu  können,  die  früheren  insbesondere  bei  gichti¬ 
schen  Complicationen.  Die  sonstigen  Modificationen,  mit  Zugabe  von 
Fett  oder  Kohlehydraten,  sind  alle  brauchbar.  Strasser  plaidirt 
sogar,  man  solle  zumindest  eine  gute  Erhaltungskost  geben  und  sogar 
ab  und  zu  etwas  Luxuszugabe,  aber  man  solle  andererseits  trachten 
durch  verschiedene  Vorschriften,  unter  welchen  er  die  Hydrotherapie 
hervorhebt,  die  Leistungsfähigkeit  des  Organismus  in  der  Richtung 
der  Fettspaltung  zu  erhöhen.  Die  Hydrotherapie,  wie  überhaupt  die 
physikalischen  Methoden,  sind  in  der  Behandlung  der  Fettleibigkeit  die 
wichtigsten.  Strasser  bespricht  die  physiologische  Begründung, 
dann  die  Methodik  der  Hydrotherapie  der  Fettleibigkeit;  so  die 
intensiven  Wärmeentziehungen,  wie  die  Wärmezufuhrs-(Schweiss-)pro- 
ceduren  und  die  Lichtschwitzbäder,  deren  specifische  Wirkung  er 
durchaus  nicht  für  bewiesen  erachtet,  wiewohl  sie  technisch  ausser¬ 
ordentlich  gut  verwerthbar  sind.  Die  Eigenschaft  der  Lichtbäder,  das 
Herz  mehr  zu  schonen  als  andere  Schwitzbäder  ist  nur  dann  hervor¬ 
ragend,  wenn  man  die  Bäder  technisch  vollständig  beherrscht  und  mit 
der  Temperatur  nicht  über  50<>  C.  geht.  Beide  Abtheilungen  schliessen 
mit  scharfer  Präcisirung  des  therapeutischen  Vorgehens  bei  Complica¬ 
tionen.  In  der  ersten  Abtheilung  findet  sich  ausserdem  eine  scharfe 
Kritik  der  Calorienberechnung  der  Nahrung. 

(Fortsetzung  folgt.) 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  Bend  ix  (Berlin). 

II.  Sitzung,  Dienstag,  den  19.  September  1899. 

Vorsitzender:  Heubner. 

II.  M.  Thimich  (Breslau),  Correferent:  Des  Weiteren  werden  mehr 
oder  minder  eingehend  die  Hypothesen  erörtert,  welche  eine  Autointoxi¬ 
cation  theils  vom  Darme  aus,  theils  im  intermediären  Stoffwechsel  sich  ab¬ 
spielend  (Störungen  der  Leber-  und  Nierenfunction)  annehmen,  wobei 
Vortragender  besonders  auf  die  in  der  Literatur  nirgends  erwähnte 
Möglichkeit  hinweist,  dass  Störungen  der  auf  Osmose  beruhenden  engen 
Wechselbeziehungen  des  Wassers,  der  Salze  und  Eiweisskörper  im  Blut 
und  Geweben  (Gehirn)  die  Ursache  für  Krämpfe  abgeben  können,  wie 
sich  dies  durch  Thierversuche  zeigen  lässt.  In  manchen  Fällen  ist 
eine  acute  Ueberladung  des  Blutes  mit  Kohlensäure  aus  den  mannig¬ 
faltigsten  Gründen  als  ätiologischer  Factor  zu  erkennen. 

Schliesslich  erwähnt  Verfasser  die  Theorie  von  K  a  s  s  o  w  i  t  z, 
dass  die  chronische  Hyperämie  der  rachitischen  Schädelknochen  einen 
Reizzustaud  der  Hirnrinde  schaffe  und  dadurch  zu  Krämpfen  führe. 
Diese  Hypothese  ist  in  keiner  Weise  mit  den  anatomischen  und  klini¬ 
schen  Thatsachen  in  Einklang  zu  bringen  und  muss  deshalb  abge¬ 
lehnt  werden. 

III.  Ganghof  n  er  (Prag) :  Ueber  Spasmus  glottidis 
bei  Tetanie  der  Kinder. 

Der  Vortragende  führt  aus,  dass  ihm  verhältnissmässig  nur 
wenige  Fälle  von  Laryngospasmus  vorgekommen  sind,  bei  welchen 
Latenzsymptome  der  Tetanie  andauernd  gefehlt  haben.  Diese  Differenz 
gegenüber  den  Beobachtungen  mancher  anderer  Beobachter  sei  wohl 


nur  eiue  scheinbare  und  erkläre  sich  durch  die  verschiedene  Auffassung 
über  die  diagnostische  Verwerthbarkeit  der  einzelnen  Latenzsymptome. 

Ganghofner  erörtert  die  Umstände,  welche  es,  namentlich 
bei  ambulatorischer  Behandlung,  oft  unmöglich  machen,  das  Vorhanden¬ 
sein  des  T  r  o  u  s  s  e  a  u’schen  Phänomens  und  der  Steigerung  der  elek¬ 
trischen  Erregbarkeit  zu  constatiren,  auch  wenn  diese  als  obligat  an¬ 
gesehenen  Latenzsymptome  vorhanden  sind.  Werden  nun  derartige 
Fälle  von  Stimmritzenkrampf  aus  der  Gruppe  der  Tetanie  ausgeschieden 
und  als  besondere  Form  des  Laryngospasmus  aufgestellt,  so  verkleinert 
sich  das  Gebiet  der  kindlichen  Tetanie  in  einer  den  thatsächlichen 
Verhältnissen  nicht  entsprechenden  Weise.  Ganghofner  hält  es  mit 
Rücksicht  auf  den  Umstand,  dass  nach  seinen  Untersuchungen  bei 
Kindern  der  zwei  ersten  Lebensjahre  eine  erhebliche  Steigerung 
der  mechanischen  Nervenerregbarkeit  ohne  Vorhandensein  von  Tetanie 
nicht  leicht  vorkommt,  für  zulässig,  die  Diagnose  „Tetanie“  bei  Laryngo¬ 
spasmus  zu  stellen,  wenn  eine  beträchtliche  Steigerung  der  mechani¬ 
schen  Erregbarkeit  der  peripheren  Nerven  vorhanden  ist,  auch  bei 
Fehlen  des  T  r  o  u  s  s  e  a  u’schen  Phänomens.  Auf  die  Prüfung  der  gal¬ 
vanischen  Erregbarkeit  muss  ja  bei  ambulatorischem  Material  aus 
äusseren  Gründen  häufig  verzichtet  werden.  Wohl  liege  hier  in  der 
Abschätzung  des  Grades  der  Erregbarkeitssteigerung  ein  subjectives 
Moment,  welches  eine  gewisse  Fehlerquelle  involvirt,  aber  diese  ist 
gewiss  nicht  hoch  anzuschlagen,  wenn  man  in  der  Untersuchung 
tetaniekranker  Kinder  geübt  ist. 

Ganghofner  analysirt  diesbezüglich  105  Fälle  von  Stimm' 
ritzenkrampf,  die  im  Laufe  der  letzten  drei  Jahre  von  ihm  beobachtet 
wurden.  Davon  zeigten  61  =  58%  manifeste  Tetanie  (spontane  carpo- 
pedale  Spasmen)  oder  doch  sogenannte  obligate  Latenzsymptome 
(Trousseau),  während  bei  den  anderen  44  Fällen  von  Laryngo¬ 
spasmus  =  42°/o  theils  nur  Steigerung  der  mechanischen  Nervenerreg¬ 
barkeit  constatirt  werden  konnte  (bei  38  Fällen  =  36%),  theils  über¬ 
haupt  kein  Zeichen  der  Tetanie  zur  Zeit  der  Untersuchung  sich  vor¬ 
fand;  diese  letzte  Gruppe  umfasste  nur  6  Fälle  =  5'7 %  aller  Fälle 
von  Stimmritzenkrampf.  Ganghofner  weist  darauf  hin,  dass  an 
der  von  ihm  geleiteten  Anstalt  auch  in  den  vorangegangenen  Jahren 
ganz  ähnliche  Verhältnisse  bezüglich  des  Laryngospasmus  und  der 
Tetanie  sich  ergeben  haben.  Nach  seiner  Auffassung  seien  jedoch  die 
38  Fälle  mit  blosser  Steigerung  der  mechanischen  Erregbarkeit  auch 
der  Tetanie  zuzuzählen,  so  dass  dann  von  105  Fällen  von  Laryngo¬ 
spasmus  99  =  94%  Tetaniesymptome  aufweisen,  beziehungsweise  zur 
Tetanie  gehören. 

Aus  der  Publication  von  Loos  schliesst  Ganghofner,  dass 
in  Graz  bezüglich  des  ambulatorischen  Materiales  ähnliche  Verhältnisse 
bestehen. 

Ganghofner  will  keineswegs  behaupten,  dass  es  bei  Kindern 
keinen  Laryngospasmus  ohne  Tetauie  gibt,  oder  dass  gelegentlich  der 
Stimmvitzenkrampf  nicht  auch  aus  anderen  Ursachen  zu  Stande  kommt; 
doch  muss  er  nach  seiner  Erfahrung  die  Coincidenz  von  Stimmritzen¬ 
krampf  und  Tetanie  als  Regel  ansehen  und  das  Vorkommen  von 
Stimmritzenkrampf  ohne  Zeichen  von  Tetanie  als  seltene  Ausnahme. 
Die  innige  Beziehung  dos  Stimmritzenkrampfes  zur  Tetanie  zeigt  sich 
auch,  wenn  man  die  Frage  umkehrt  und  fragt,  wie  oft  findet  sich 
Laryngospasmus  bei  Kindern  der  ersten  Lebensjahre,  die  irgendwelche 
Symptome  der  Tetanie  aufweisen.  Ganghofner  zählt  unter 
130  Fällen  von  Tetanie  der  letzten  Jahre  an  seiner  Anstalt  99  Fälle 
von  Laryngospasmus  =  76%,  in  früheren  Jahren  ergaben  sich  für  die¬ 
selbe  Anstalt  63—76%.  Bei  dem  Grazer  Materiale  scheinen  sich 
Laryngospasmus  und  Tetanie  fast  vollständig  zu  decken. 

Unter  Hinweis  auf  den  Umstand,  dass  auch  Eklampsie  den 
Stimmritzenkrampf  häufig  begleitet,  vertritt  Ganghofner  die  auch 
von  Esche  rieh  acceptirte  Auffassung,  dass  es  sich  bei  all  diesen 
zur  Tetanie  gehörigen  Krampfformen  um  Abstufungen  ein  und  desselben 
Krankheitszustandes  handelt. 

Fast  alle  Kinder  mit  Laryngospasmus  waren  rachitisch,  nämlich 
96%,  bei  der  Mehrzahl  wurde  ein  guter  Ernährungszustand,  häufig 
jedoch  pastöser  Habitus,  bleiche  Gesichtsfarbe  und  Status  lymphatiers 
constatirt  und  in  81  %  der  Fälle  fanden  sich  —  im  Gegensatz  zu  den 
Beobachtungen  der  Grazer  Schule  —  mehr  weniger  ausgesprochene 
gastro-intestinale  Störungen.  Diätetische  Behandlung  hatte  häutig 
einen  günstigen  Einfluss  auf  die  Anfälle  von  Stimmritzenkrampf,  doch 
versagte  sie  in  anderen  Fällen.  Bei  gleichzeitiger  Phosphor  behänd - 
lung  wurden  anscheinend  bessere  Resultate  erzielt,  obgleich  es  auch  da 
Misserfolge  gab  und  bei  einem  neuerlichen  Auftreten  von  Diarrhöen 
recidivirten  die  Stimmritzenkrämpfe  trotz  fortgesetzter  Phosphordai- 
reichung. 

Wenn  auch  die  gastrointestinalen  Störungen  als  auslösendes 
Moment  wirken  können,  so  erscheinen  sie  doch  nicht  als  das  1  litnni' 
in  dem  ganzen  Krankheitszustand,  als  die  eigentliche  Krankheitsursache, 
sie  stellen  sich  vielmehr  dar  als  eine  Begleiterscheinung  der  schon  vor¬ 
handenen  Krankheit,  deren  Wesen  wohl  als  eine  Art  von  Intoxieutn  n 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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aufzufassen  ist,  wahrscheinlich  zusammenhängend  mit  Anomalien  des 
Stoffwechsels. 

IV.  Ilochsinger  (Wien) :  U  e  b  e  r  Tetanie  und  t  e  ta¬ 
li  ie  ähnliche  Zustände  bei  Kindern  der  ersten  Lebeus- 
woche  n. 

Eigentümliche  Veränderungen  im  Tonus  der  Extremitätenmus- 
culatur  kranker,  insbesondere  schwer  darmkranker  Säuglinge  früher 
Lebensperioden  waren  schon  älteren  Autoren  bekannt,  aber  erst  von 
Zappe  rt  —  wenigstens  anatomisch  —  etwas  eingehender  gewürdigt 
worden.  Hie  meisten  pädiatrischen  Forscher  subsumirten  das  dabei 
zu  beobachtende  Krankheitsbild  —  krankhafte  Faustbildung 
un  d  eine  der  Tetaniestellung  der  Hand  ähnliche 
permanente  Flexion  derselben  —  unter  den  Begriff  der 
Tet  anie  (Arthrogryposis),  wiewohl  mit  Ausnahme  des  letzt¬ 
erwähnten  Symptomes,  der  Contracturstellung  der  Hand,  auch  nicht 
einmal  die  allergeringste  Aehulichkeit  zwischen  der  zu  erörternden 
Säuglingskrankheit  und  der  Tetanie  besteht. 

Die  permanenten  tonischen  Extremitätenkrämpfe,  das  Hauptsym¬ 
ptom  der  Erkrankung,  sind  nach  Meinung  des  Vortragenden  nichts 
Anderes  als  die  höchste  Steigerung  einer  auch  im  physiologischen  Zu¬ 
stande  der  Neugeborenen  vorliegenden  Flexorenhypertonie.  Beim  Neu¬ 
geborenen  und  jungen  Säugling  besteht  eine  gewisse  Neigung  zu 
tonisch  enBeugespasmen,  die  bereits  bei  einfachen  psychischen 
Erregungen  zum  Vorschein  kommen  kann  und  zahlreiche  Uebergänge 
zur  pathologischen  Myotonie  der  Neugeborenen,  wie  Hoch  singer 
sie  nennt,  aufweist. 

Die  pathologische  Myotonie  der  Neugeboren  Hoch  singer’s 
Nomenclatur  ist  in  vielen  Fällen  charakterisirt  durch  ein  dem  Trous- 
s  e  a  u’schen  Symptom  der  Tetanie  ähnliches,  durch  Compression  des 
Sulcus  bicip.  int.  hervorrufbares  Krampfphänomen  —  das  Faust¬ 
phänomen  — ,  das  alle  Grade  von  der  halben  Faustbildung  mit 
eingeschlagenem  Daumen  bis  zur  completen  tonischen  Faustcontractur 
mit  vollständig  flectirtem,  opponirtem,  senkrecht  eingeschlagenem  oder 
zwischen  zweitem  und  drittem  Finger  durchgepresstem  Daumen  zeigen 
kann.  Es  findet  sich  am  häufigsten  bei  Kindern  der  ersten 
Lebens  Wochen  mit  gastrointestinalen  Störungen,  lange  dauernden 
entzündlichen  Dermatosen  und  Congenitalsyphilis. 

Die  betreffenden  Kinder  zeigen  meist  schon  im  Ruhezustände 
eine  intensivere  Flexorenhypertonie,  nicht  selten  starre  spastische 
Extremitätenhaltungen  (Dauerspasmen),  wobei  die  Handstellung  den 
Typus  des  Faustphänomens  (Schreibfederhaltung,  Tetaniestellung) 
zeigte.  Die  Dauerspasmen  sind  schmerzlos,  permanent  und  unver¬ 
ändert  fortbestehend;  die  befallenen  Kinder  zeigen  kein  Facialis* 
phänomen. 

Escherich’s  Pseudotetanus  zählt  Hochsinger  unbe¬ 
dingt  der  von  ihm  sogenannten  Myotonie  zu.  Dieselbe  ist  kein  primäres 
Leiden,  sondern  nur  der  Ausdruck  einer  erhöhten  Vulnerabilität  des 
Rückenmarkes.  Ihre  Entwicklung  wird  begünstigt  durch  die  ange¬ 
borene  Muskelhypertonie  und  Krampftendenz  des  Neugeborenen.  Ihre 
Contracturen  sind  persistent,  schmerzlos,  treten  niemals  attaquenweise 
auf,  die  Muskelsteifigkeit  entwickelt  sich  allmälig.  Sie  recidivirt  nicht, 
beruht  nie  auf  Rachitis,  wie  die  echte  Kindertetanie,  florirt  daher  auch 
nicht  im  Frühling,  ist  vielmehr  in  der  heissen  Sommerszeit,  ent¬ 
sprechend  der  llauptfrequenz  der  Darmkatarrhe,  am  häufigsten. 

Das  Faustphänomen  ist  ein  directer  Rückenmarksreflex, 
steht  in  inniger  Beziehung  zu  der  erwähnten  physiologischen  Flexoren¬ 
hypertonie  und  ist  genetisch  gleichzuhalten  dem  Trousseau’schen 
Phänomen,  dessen  Beweiskraft  in  Bezug  auf  Tetanie 
für  die  ersten  Lebensmonate  nun  eine  erhebliche 
Einschränkung  erfahren  dürfte.  Das  Faustphänomen  kommt 
niemals  bei  vollkommen  normalen  Neugeborenen  oder  Säug¬ 
lingen  zum  Vorschein,  liess  sich  an  dem  von  Ilochsinger  im  dies¬ 
jährigen  Sommer  beobachteten  Materiale  bei  circa  60%  der  kranken 
Kinder  des  ersten  Lebensquartales  hervorrufen,  tritt  nie  bei  älteren 
Säuglingen  auf,  ist  —  immer  gleich  den  Myotonien  —  weder  an  die 
Jahreszeit  noch  an  rachitische  Veränderungen  des  Skeletes  gebunden. 
Bei  den  erkrankten  Kindern  zeigte  sich  kein  Facialphänomen,  sowie 
keine  mechanische  oder  galvanische  Uebererregbarkeit.  Laryngospasmus 
und  Eklampsie  fehlen  stets. 

Die  Reflexe  erscheinen  nur  in  schweren  Fällen  von  Dauerspasmen 
bedeutend  herabgesetzt. 

Ein  gewisser  Grad  von  pathologischer  Myotonie,  sowie  die  Er- 
i egbarkeit  des  Faustphänomens  sind  fast  regelmässige  Begleiterschei¬ 
nungen  der  congenitalen  Frühsyphilis  der  Neugeborenen  und  jener 
Säuglinge,  welche  den  dritten  Lebensmonat  noch  nicht  überschritten 
haben.  Die  directe  Abhängigkeit  der  Myotonie  von  der  Syphilis  wird 
durch  die  prompte  Wirkung  der  antiluetischen  Therapie  erwiesen. 

Die  anatomische  Grundlage  der  Myotonie  dürfte  in  den 
zuerst  von  Zapp  er  t  gefundenen  M  a  r  c  h  i-  und  Nissel’schen  De¬ 


generationen  des  Säuglingsrückenmarkes  liegen,  welche  die  Vorder¬ 
wurzeln  und  Vorderhornzellen  betreffen  und  wohl  in  Folge  toxischer 
oder  nutritiver  Störungen  des  Nervengewebes  im  Verlaufe  schwerer 
Krankheiten  entstanden  siud.  Das  anatomische  Bild  deckt  sich  voll¬ 
ständig  mit  den  von  Ilochsinger  beobachteten  klinischen  Er¬ 
scheinungen. 

Die  Myotonien  Hochsinger's  können  in  vier  Gruppen  ein- 
getheilt  werden: 

1.  Die  Myotonia  physiologica  neonatorum:  leichte 
Rigidität  der  Extremitätenbeuger,  Tendenz  zu  flectirter  Finger-  und 
Zehenhaltung.  Vollkommenes  Wohlbefinden  des  Säuglings. 

II.  Die  pathologische  Myotonie  ersten  Grades: 
Erregbarkeit  des  Faustphänomens,  Flexorenhypertonie. 

III.  Die  Myotonie  zweiten  Grades  (M.  spastica  perstans) : 
Faustphänomen,  permanente  Flexionskrämpfe  der  Hände  und  Fiisse 
(Arthrogryposis,  Spasmus  carpopedalis  perstans),  Versteifungen  ver¬ 
schiedener  Extremitätenbeuger.  Bei  schweren  Darm-  und  Hautkrank¬ 
heiten,  hereditärer  Lues,  Verbrennungen. 

IV.  Pseudotetanus:  Uebergreifen  des  myotonischen  Pro¬ 
cesses  auf  Rumpf-,  eventuell  Gesichtsmusculatur.  Sonst  wie  III. 

Discussion:  1.  Esche  rich  (Graz) :  In  dem  unklaren  Krank¬ 
heitsbilde  der  Krämpfe  sondert  sich  eine  Gruppe,  bei  welcher  sich 
tetanische  Symptome  finden.  Wir  sind  daran  gewöhnt,  bei  jedem  mit 
Eklampsie  eingebrachten  Kinde  darauf  zu  prüfen  und  finden  dieselben 
recht  häufig.  Die  eklamptischen  Zufälle  alterniren  mit  laryngospastischen 
Anfällen.  Sie  kommen  zu  gewissen  Zeiten  besonders  häufig  vor.  Betreffs 
der  Aetiologie  steht  Esche  rieh  auf  dem  Standpunkt,  dass  eine 
Stoffwechselalteration  zu  Grunde  liegt,  und  weist  auf  das  häufige  Vor¬ 
handensein  des  Status  thymicus  hin,  bei  dem  ja  wohl  das  Substrat  einer 
Stoffwechselanomalie  angenommen  werden  darf. 

2.  Soltmann  (Leipzig)  hält  an  der  von  ihm  erwiesenen 
(v.  Trschanoff,  M  a  r  c  a  c  c  i,  V  a  c  i  g  n  i)  erhöhten  Reflexdisposition 
der  Neugeborenen  bei  Abwesenheit  der  corticalen  Centren  und  physio¬ 
logischen  Spasmophilie  fest.  Das  ist  die  Causa  physiologica  int.,  aber 
zum  Zustandekommen  des  Krampfes,  der  Eklampsie  selbst,  gehört  noch 
eine  Causa  pathologica.  Der  H  e  n  o  c  h’sche  von  T  h  i  e  m  i  c  h  angeführte 
Fall  beweist  für  die  Erregbarkeit  der  Rinde  und  Ausgang  des  Krampfes 
von  dort  nichts,  da  bei  der  Aetiologie  des  Falles  subcorticale  Blutungen 
die  Ursache  sein  können.  Für  die  Tetanie  hat  physiologisch  aller¬ 
dings  das  physiologische  Verhalten  der  Muskeln  der  Neugeborenen  auch 
ihre  Wichtigkeit,  da  das  Myogramm  des  Muskels  sich  bei  geringem 
Erhebungsmaximum  durch  die  Abflachung  des  Gipfels  der  Curve  und 
zunehmende  Streckung  auszeichnet,  und  der  Muskel  länger  im  Maxi¬ 
mum  seiner  Contraction  verharrt.  So  kommen  klonisch-tonische  Krämpfe 
so  häufig  vor,  natürlich  auch  bei  der  Tetanie  stets  auf  Grund  eines 
pathologischen  Momentes,  welches  infectiös  die  Tetanie  bedingt.  Aber 
wenn  aus  dem  Laryngospasmus  eine  Tetanie  entsteht,  so  ist  dies  nur 
als  eine  Steigerung  des  Krampfes  unter  dem  Einfluss 
der  Apnoe  bei  Glottisverschluss  durch  die  Stauung  im 
Lungenkreislauf  und  Gehirn  und  als  eine  C02-Anhäufung  entsprechend 
den  Experimenten  von  L  a  n  d  o  i  s,  Hermann,  Nasse  u.  A.  auf¬ 
zufassen. 

3.  Pott  (Halle)  hat  bei  der  Aetiologie  der  Krämpfe  des  Kindes¬ 
alters  in  den  Vorträgen  den  Hinweis  auf  die  hereditäre  Belastung  ver¬ 
misst.  Nach  seiner  Beobachtung  entstammen  die  mit  Tetanie  behafteten 
Kinder  recht  häufig  Eltern,  wo  psychische,  epileptische  Belastung  oder 
Alkoholmissbrauch  vorhanden  war. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  4.  Mai  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofr.  Chrobak 
staUfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Winternitz:  Demonstration. 

2.  Dr.  C.  Sternberg:  Demonstration  anaerober  Aktinomycesculturen. 

3.  Dr.  R.  Kienböck:  Demonstration  mehrerer  Fälle  von  mittelst 
Röntgen-Strahlen  entdeckten  und  zum  Theil  daraufhin  operativ  ent¬ 
fernten  Fremdkörpern. 

4.  Dr.  Alexander:  Ein  neues  zerlegbares  Mittelohrmodell  zu  Unter¬ 
richtszwecken. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Professoren:  A.  Politzer, 
Weinlechner,  Schnabel,  A.  Julies,  Röthi,  Fein,  Englisch  und 
Wertheim. 

Bergmeister,  Pal  tauf. 


Verantwortlicher  Redaeteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumiiller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


.  -■  ® 

Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

4 . -  ■■■■  -  —  © 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Rediffirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Uoberein- 
kommen. 


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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIXI.  Jahrgang. 


Wien,  10.  Mai  1900. 


Mr.  19. 


I  IST  33! -A.  X-.  T : 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  endemischen  und  sporadischen  Cretinismus 

und  dessen  Behandlung.  Von  Prof.  Wagner  v.  Jauregg. 

2.  Aus  dem  Ospedale  Civico  in  Triest.  Ein  Fall  von  cerebraler 
Kinderlähmung  mit  wechselständiger  Abducensparalyse.  Von  Dr. 
Eduard  M  e  n  z. 

3.  Ueber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditärsyphilitischen.  Von 
Prof.  E.  Finge  r.  (Schluss.) 

4.  Zur  Frage  des  Bacteriengehaltes  der  Harnröhre.  Replik  von  Dr. 
Schenk  und  Dr.  Auster  liz,  Assistenten  der  Klinik  Säuger. 

5.  Bemerkungen  zu  vorstehender  Replik.  Von  Dr.  Rudolf  Savor. 

II.  Feuilleton:  Creirung  vou  Zahnärzten  durch  das  k.  k.  Ministerium  des 

Innern.  Von  Dr.  Rudolf  Weiser. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

III.  Referate:  I.  Die  Localisation  der  psychischen  Thätigkeiten  im  Gehirn. 

Von  Dr.  Bernli.  H  o  1 1  ä  n  d  e  r.  II.  Vorlesungen  über  den  Bau 
der  nervösen  Centralorgane  des  Mensclieu  und  der  Thiere.  Von 
L.  E  d  i  n  g  e  r.  HI.  Die  Rückenmarksnerven  und  ihre  Segment¬ 
bezüge.  Von  Dr.  R.  Wich  mann.  IV.  Atlas  des  gesunden  und 
kranken  Nervensystems  nebst  Grundriss  der  Anatomie,  Pathologie 
und  Therapie  desselben.  Von  C  h  r  i  s  t  f  r.  Jakob.  V.  Die  psychi¬ 
atrischen  Aufgaben  des  Staates.  Von  Dr.  Emil  Kr  ä  pel  in. 
Ref.  Obersteiner. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Ueber  endemischen  und  sporadischen  Cretinis¬ 
mus  und  dessen  Behandlung. 

Von  Prof.  Wagner  v.  Jauregg. 

Eine  der  glänzendsten  Errungenschaften  auf  dem  Ge¬ 
biete  der  Therapie  war  in  neuerer  Zeit  unleugbar  die  Schild¬ 
drüsenbehandlung,  nämlich  die  Methode,  Krankheiten,  die  auf 
mangelhafter  Function  der  Schilddrüse  beruhen,  durch  Fütte¬ 
rung  mit  Schilddrüsensubstanz  zu  bekämpfen.  Mit  Befriedigung 
können  wir  auf  die  Entstehungsgeschichte  dieser  Entdeckung 
zurückblicken.  Wir  sehen,  wie  von  experimentellen  Ergeb¬ 
nissen  ausgehend,  eine  Reihe  von  Forschern  in  folgerichtigem 
Denken  einen  Schritt  um  den  anderen  vorwärts  machte,  bis 
wir  den  dermaligen  Stand  der  Scliilddrüsenbehandlung  er¬ 
reichten.  Ja  man  kann  jetzt  schon  sagen,  dass  der  heutige, 
keineswegs  unbefriedigende  Stand  der  Frage  gewiss  nicht  der 
definitive  bleiben  wird,  indem  durch  das  Eingreifen  der  Chemie 
ein  weiterer  Fortschritt  zum  Mindesten  schon  an  gebahnt  ist. 

Ueberblicken  wir  einmal  kurz  die  Entwicklung  der 
Schilddrüsentherapie,  so  ergibt  sich  Folgendes.  An  den  von 
Schiff  und  Anderen  gelieferten  Nachweis  von  den  schädlichen 
Folgen  der  Schilddrüsenexstirpation  schloss  sieh  bald  die  Vor¬ 
stellung,  dass  es  der  Ausfall  der  Schilddrüsenfunction  sei,  der 
diese  Störungen  bedinge.  Die  Richtigkeit  dieser  Vorstellung 
war  als  bewiesen  anzusehen,  als  es  gelang,  die  schädlichen 
Folgen  der  Schilddrüsenexstirpation  zu  bannen  dadurch,  dass 
man  die  au  eine  andere  Körperstelle  transplantirte  Schilddrüse 
zur  Finheilung  und  Vascularisation  brachte,  ein  Versuch,  den 
schon  Schiff  angestrebt  und  den  zuerst  Eiseisberg1)  in 
einwandfreier  Weise  ausgeführt  hat. 

Die  Vermuthung,  dass  dabei  gewisse,  in  der  Schilddrüse 
erzeugte  und  in  den  Kreislauf  gelangende  Stoffe  das  Wirk¬ 
same  sein  dürften,  veranlasste  hierauf  andere  Forscher 


dazu,  die  schädlichen  Folgen  der  Schilddrüsenexstirpation 
durch  subcutane  oder  intravenöse  Injectionen  von  Schilddrüsen- 
extracten  zu  bekämpfen,  ein  Versuch,  den  zuerst  Murray2) 
am  Menschen  machte. 

Den  nächsten  Schritt  that  Mackenzie3),  indem  er 
mit  Erfolg  versuchte,  die  subcutane  Einverleibung  von  Scliild- 
drüsensubstanz  durch  die  per  os  erfolgende  zu  ersetzen  '),  bis 
die  Anfertigung  von  trockenen,  aus  Schilddrüsensubstanz  her¬ 
gestellten  Präparaten  (Tabletten)  dieser  Behandlungsmethode 
ihre  heutige  Gestalt  gab. 

Die  Zukunft  endlich  gehört  den  Versuchen  der  Chemiker,, 
die,  wie  Baum  an  n,  Fraenkel,  Notlcin  u.  A.,  bestrebt 
waren,  die  wirksame  Substanz  aus  der  Drüse  isolirt  darzu¬ 
stellen.  Wenn  auch  über  die  bisherigen  Resultate  dieser 
Forscher  derzeit  ein  endgiltiges  Urtheil  nicht  gefällt  werden 
kann,  so  ist  doch  sicher,  dass  der  von  ihnen  eingeschlagene 
Weg  der  richtige  ist  und  voraussichtlich  bald  vou  Erfolg  ge¬ 
krönt  sein  wird. 

Die  ersten  Triumphe  feierte  diese  Behandlungsmethode 
bei  jener  Erkrankung,  als  deren  Grundlage  Ausfall  der  Schild- 
drüsenf unction  durch  Erkrankung  dieses  Organs  (meist  Schwund) 
ausser  allen  Zweifel  gestellt  ist,  beim  Myxödem  der  Erwachsenen, 
der  Cachexie  pachydermique  der  französischen  Schriftsteller. 

Die  Anzahl  der  mit  Erfolg  behandelten  Fälle  dieser  Er¬ 
krankung  ist  eine  sehr  bedeutende^  schon  1S95  konnte  Heins- 
heimer5)  aus  der  Literatur  150  Fälle  zusammenstellen.  Es 
ist  die  Wirksamkeit  der  Schilddrüsenbehandlung  hei  dieser 


2 )  Brit.  med.  Journ.  1891. 

:i)  Brit.  med.  Journ.  1892. 

4)  Dass  das  Secret  der  Schilddrüse  vom  Magen  und  Darin  aus  wnK- 

sam  bleibt,  wird  uns  umsoweniger  wundern,  wenn  wir  sehen,  dass  bei  ge¬ 
wissen  Wirbelthieren  (Amphioxus,  Fischen)  die  Schilddrüse  einen  Aus¬ 
führungsgang  besitzt,  durch  den  sie  ihr  Secret  in  den  Verdauungstract  ent¬ 
leert  (M  u  r  r  a  y).  ... 

5)  Heins  heimer,  Entwicklung  und  gegenwärtiger 

Schilddrüsenbehandlung.  München  1895. 


Stand  der 


')  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1892. 


420 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


Erkrankung  schon  eine  so  anerkannte,  dass  es  sich  kaum  mehr 
verlohnt,  gewöhnliche  Fälle  der  Art  mitzutheilen. 

Dem  Myxödem  am  nächsten  steht  die  Cachexia  strumi- 
priva.  auch  operatives  Myxödem  genannt,  und  der  sporadische 
Cretinismus,  der  ziemlich  allgemein  als  infantiles  Myxödem 
aufgefasst  wird.  Es  ist  daher  erklärlich,  dass  auch  bei  diesen 
Krankheiten  günstige  Erfolge  der  Schilddrüsentherapie  beob¬ 
achtet  und  mitgetheilt  wurden.  Eine  ausführliche  Schilderung 
>ler  Behandlungserfolge  bei  diesen  Erkrankungen  folgt  später. 

Dem  gegenüber  muss  es  befremden,  dass  von  einem 
Leiden,  das  dieser  Krankheitsgruppe  so  nahe  steht,  von  dem 
endemischen  Cretinismus  bisher  fast  keine  Erfolge  der  Schild¬ 
drüsentherapie  gemeldet  wurden. 

Ich  habe  vor  zwei  Jahren  in  einem  Vorträge  6)  den  Vor¬ 
schlag  gemacht,  in  Gegenden,  die  vom  endemischen  Cretinis¬ 
mus  heimgesucht  sind,  systematische  Versuche  mit  Schild¬ 
drüsenfütterung  anzustellen ;  es  ist  mir  aber  weder  aus  früherer, 
noch  aus  späterer  Zeit  bekannt  geworden,  dass  ein  solcher 
Versuch  in  umfänglicherem  Masse  wirklich  gemacht  worden 
wäre.  Dieser  Umstand  mag  es  rechtfertigen,  dass  ich  in  Folgen¬ 
dem  nochmals  auf  diesen  Gegenstand  zurückkomme. 

Bezüglich  der  Auffassung  des  endemischen  Cretinismus 
stehen  sich  derzeit  noch  zwei  Anschauungen  gegenüber.  Nach 
der  einen  wäre  der  endemische  Cretinismus  nichts  Anderes  als 
infantiles  Myxödem.  Eine  ihrem  Wesen  nach  allerdings  noch 
unbekannte  endemische  Schädlichkeit  bringt  nach  dieser  An¬ 
schauung  in  früher  Kindheit  eine  Erkrankung  der  Schilddrüse 
hervor,  die  deren  Function  hochgradig  beeinträchtigt  oder  sogar 
aufhebt;  die  Folge  davon  ist  der  Cretinismus.  Nach  dieser 
Theorie  wären  also  aus  der  Erkrankung  der  Schilddrüse  alle 
weiteren  Symptome  des  endemischen  Cretinismus,  so  z.  B.  auch 
der  Blödsinn,  abzuleiten. 

Nach  einer  anderen  Anschauung  würde  die  endemische 
Schädlichkeit  eine  Erkrankung  des  ganzen  Organismus,  vor 
Allem  auch  des  Gehirns  hervorrufen,  und  die  Erkrankung  der 
Schilddrüse  mit  ihren  Consequenzen  wäre  nur  eine  Theil- 
erscheinung  des  Krankheitsbildes. 

Dass  die  Erkrankung  der  Schilddrüse  mit  ihrer  Con- 
sequenz,  dem  infantilen  Myxödem,  beim  endemischen  Creti¬ 
nismus  eine  grosse  Rolle  spielt,  kann  natürlich  auch  von  den 
Verfechtern  dieser  Theorie  nicht  in  Abrede  gestellt  werden. 

Die  ersterwähnte  Auffassung  wird,  wenn  ich  zunächst 
nur  die  deutsche  Literatur  berücksichtige,  von  Kocher7)  und 
mir8)  vertreten;  zur  zweiten  bekennen  sich  Birch  er9)  und 
Ewald.10 *)  Sehen  wir,  auf  welche  Argumente  sich  die  eine 
und  die  andere  Ansicht  stützt. 

Die  ersterwähnte  Theorie  des  endemischen  Cretinismus, 
die  ich  in  der  Folge  kurz  die  thyreoidale  nennen  will,  gründet 
sich  vor  Allem  darauf,  dass  alle  wesentlichen  Symptome  des 
endemischen  Cretinismus  durch  die  Beeinträchtigung,  respec¬ 
tive  den  Ausfall  der  Schilddrüsenfunction  erklärt  werden  können. 
Es  ergibt  sich  das,  wenn  man  die  Erscheinungen  des  endemi¬ 
schen  Cretinismus  und  jener  Erkrankungen,  die  zweifellos  auf 
einer  Störung  der  Schilddrüsenfunction  beruhen,  nämlich  des 
operativen  Myxödems  und  des  spontanen  Myxödems  der  Er¬ 
wachsenen  miteinander  vergleicht. 

Die  wichtigsten  Erscheinungen  des  endemischen  Cretinis¬ 
mus  sind: 


6)  Ueber  den  Cretinismus.  Monatshefte  für  Gesundheitspflege.  1898, 
Bd.  XVI.  Es  hat  übrigens  diesen  Vorschlag  unter  Anderen  auch  Ewald 
(Die  Erkrankungen  der  Schilddrüse,  Myxödem  und  Cretinismus.  Wien  189(5) 
gemacht,  obwohl  er  sich  gegen  die  Wirksamkeit  dieser  Behandlung  beim 
endemischen  Cretinismus  skeptisch  verhält,  was  bei  seiner  Auffassung  dieser 
Erkrankung  nicht  anders  zu  erwarten  ist. 

7)  Zur  Verhütung  des  Cretinismus  etc.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirur¬ 
gie.  Bd.  XXXIV. 

8)  Ueber  den  Cretinismus.  Mittbeilungen  des  Vereines  der  Aeizte  in 
Steiermark.  1893. 

9)  Der  endemische  Kropf  und  seine  Beziehungen  zur  Taubstummheit 

und  zum  Cretinismus.  Basel  1883;  ferner:  Volkmanu’s  klinische  Vorträge. 

1890,  Nr.  357,  und:  Ergebnisse  der  allgemeinen  Aetiologie,  herausgegeben 

von  Lubarsch  und  Ostertag.  Wiesbaden  1896. 

!0)  Die  Erkrankungen  der  Schilddrüse,  Myxödem  und  Cretinismus. 

Wien  1896. 


1.  Der  Blödsinn. 

2.  Die  Wachsthumsstörung. 

3.  Die  Störung  der  geschlechtlichen  Entwicklung. 

4.  Die  Sprachstörung. 

5.  Die  Gehörsstörung. 

6.  Die  Erkrankung  der  Schilddrüse. 

Prüfen  wir  nun  die  einzelnen  Symptome  der  Reihe  nach, 
ob  sie  nach  der  thyreoidalen  Theorie  erklärt  werden  können. 

1.  Der  Blödsinn.  Dass  dem  Myxödem  der  Erwach¬ 
senen  geistige  Störungen  eigen  sind,  wird  allgemein  anerkannt. 
Eine  Verlangsamung  aller  psychischen  und  psychomotorischen 
Functionen,  ein  geistiger  Torpor,  eine  Abnahme  des  Gedächt¬ 
nisses  und  der  Aufmerksamkeit  ist  diesen  Kranken  eigen,  und 
dieselben  Züge  finden  wir  auch  im  Blödsinn  der  Cretins  wieder. 
Sind  es  doch  ausschliesslich  apathische,  torpide  Formen  des 
Blödsinns,  die  wir  beim  Cretinismus  an  treffen.  Dass  beim  Myx¬ 
ödem  der  Erwachsenen  nicht  das  volle  Bild  des  cretinischen 
Blödsinns  auftritt,  wird  uns  nicht  verwundern  können,  wenn 
wir  bedenken,  dass  in  dem  einen  Falle  die  Störung  der  Gehirn¬ 
function  eine  bereits  entwickelte  Psyche  trifft,  während  sie  im 
anderen  Falle  schon  im  Beginne  aller  psychischen  Entwicklung 
sich  geltend  macht. 

Der  Unterschied  schwindet  auch  sofort,  wenn  wir,  den 
sporadischen  Cretinismus  vorläufig  ganz  bei  Seite  lassend,  jene 
Fälle  des  operativen  Myxödems  berücksichtigen,  bei  denen  die 
Operation  in  eine  frühe  Lebensphase  fällt.  In  derartigen  Fällen 
entwickelt  sich  häufig  ein  Blödsinn,  der  dem  cretinischen  von 
den  Beschreibern  vollständig  gleich  geachtet  wird. 

2.  Die  Wachsthumsstörung.  Dieselbekommt  natür¬ 
lich  beim  Myxödem  der  Erwachsenen  nicht  zur  Beobachtung. 
Dagegen  finden  wir  sie  beim  operativen  Myxödem,  wenn  die 
Exstirpation  des  Kropfes  in  einer  Lebensepoche  vorgenommen 
wird,  in  der  das  Wachsthum  noch  in  vollem  Gange  ist.  Solche 
Fälle  sind  beschrieben  worden  von  Kocher  n),  Grundier  12), 
H.  Schmid13),  B  a  i  1 1  a  r  g  e  r  14)  und  Anderen. 

Die  Wachsthumsstörung  beim  operativen  Myxödem  hat 
auch  ganz  dieselben  Charaktere,  wie  beim  Cretinismus.  Sie 
betrifft  nicht  nur  das  Längen wachsthum,  sondern  es  kommt 
auch  durch  mangelhafte  Entwicklung  der  knorpelig  angelegten 
Theile  des  Schädelskeletes  jene  den  Cretins  eigene  physio- 
gnomische  Bildung  zu  Stande,  die  durch  eine  abgeflachte,  ein¬ 
gedrückte  Nasenwurzel  und  durch  einen  niedrigen  Oberkiefer, 
also  kurze  Nase  gekennzeichnet  ist. 

Zudem  ist  durch  Hofmeister15),  Eiseisberg16)  und 
Andere  nachgewiesen  worden,  dass  gewisse  Thiere,  die  in  neu¬ 
geborenem  Zustande  die  Exstirpation  der  Schilddrüse  überleben, 
wie  Lämmer  und  Ziegen,  eine  Wachsthumsstörung  zeigen,  die 
der  bei  den  Cretins  beobachteten  vollständig  analog  ist. 

3.  Die  Störung  der  geschlechtlichen  Ent¬ 
wicklung.  Auch  diese  kann  beim  Myxödem  der  Erwach¬ 
senen  nicht  mehr  Vorkommen;  immerhin  wird  bei  dieser  Er¬ 
krankung  von  Störungen  der  Genitalfunction  berichtet,  z.  B. 
Erlöschen  des  Geschlechtstriebes;  bei  Frauen  vorzeitiges  Ein¬ 
treten  der  Menopause.  Dagegen  wird  mangelhafte  geschlecht¬ 
liche  Entwicklung,  auch  auf  die  secundären  Geschlechts¬ 
charaktere  sich  erstreckend,  beim  operativen  Myxödem  beob¬ 
achtet,  wenn  die  Operation  in  die  Zeit  vor  der  geschlechtlichen 
Reife  fällt.  Mangelhafte  Entwicklung  der  Geschlechtsorgane 
konnte  ferner  auch  Eiseisberg  bei  seinen  operirten  Thieren 
beobachten. 

4.  und  5.  Sprachstörung  und  Gehörsstörung. 
Am  wenigsten  aufgeklärt  ist  noch  die  Beziehung  der  cretini¬ 
schen  Sprachstörung  und  der  cretinischen  Gehörsstörung,  die 
zusammen  den  Begriff  der  endemischen  Taubstumm¬ 
heit  ausmachen,  zur  Erkrankung  der  Schilddrüse.  Die  Sprach¬ 
störung  hat  man  früher  meist  auf  die  mangelhafte  Gehirnent¬ 
wicklung  der  Cretins  bezogen  (auch  Kocher  thut  dies)  und 


”)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XXIX. 

Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  1885. 

13)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1886. 

!4)  Annales  medico-psych.  1884. 

15)  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  1894. 

16)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XLIX. 


Nr.  10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


421 


sich  dieselbe  ebenso  erklärt,  wie  die  mangelhafte  oder  fehlende 
Entwieklung  des  Sprachvermögens  bei  anderen  Formen  der 
Idiotie. 

Es  soll  nun  nicht  geleugnet  werden,  dass  der  Gehirndefect, 
der  Blödsinn  des  Cretins  auch  einen  Antheil  an  seinem  Sprach- 
defecte  habe.  Aber  der  Hauptsache  nach  ist  die  Sprachstörung 
des  Cretins  bedingt  durch  seine  Gehörsstörung.  Wir  finden 
bei  den  Cretins  alle  möglichen  Abstufungen  von  Gehörs¬ 
störung  bis  zur  vollständigen  Taubheit,  und  wir  finden  bei 
jenen  Cretins,  bei  denen  überhaupt  ein  Grad  von  Sprachent¬ 
wicklung  vorhanden  ist,  ganz  dieselbe  auf  mangelhafter  Arti¬ 
culation  beruhende  Sprachstörung,  wie  bei  nicht  cretinischen 
Taubstummen,  bei  Taubstummen,  die  nur  in  Folge  localer  Er¬ 
krankung  des  Gehörorganes  nicht  ordentlich  sprechen  gelernt 
haben. 

Welcher  Zusammenhang  besteht  nun  zwischen  Erkrankung 
der  Schilddrüse  und  des  Gehörorganes?  Sicherlich  ist  nicht  der 
Blödsinn  als  das  Mittelglied  anzusehen,  wie  manche  Autoren 
meinen,  welche  die  Schwerhörigkeit  des  Cretins  als  mangel¬ 
hafte  Sinnesfunction  in  Folge  des  Blödsinns  auffassen  wollen, 
denn  andere  Sinnesfunctionen,  z.  B.  der  Gesichtssinn,  zeigen, 
wie  Hitschmann t7)  nachgewiesen  hat,  bei  den  Cretins  keines¬ 
wegs  ebensolche  Störungen. 

Leider  bestehen  ähnliche  systematische  Untersuchungen 
am  Lebenden,  wie  sie  Hitschmann  über  den  Gesichtssinn 
der  Cretins  angestellt  hat,  nicht  auch  bezüglich  des  Gehörs¬ 
sinnes.  Ebensowenig  liegen  ausreichende  anatomische  Unter¬ 
suchungen  über  das  Gehörorgan  bei  Cretinismus,  Myxödem 
und  verwandten  Zuständen  vor.  Man  kann  sich  daher  vorläufig 
über  den  Zusammenhang  zwischen  Gehörsstörung  und  Er¬ 
krankung  der  Schilddrüse  nur  hypothetische  Urtheile  bilden. 

Da  sei  zunächst  darauf  hingewiesen,  dass  auch  beim 
Myxödem  der  Erwachsenen  Gehörsstörungen  eine  recht  häufige 
Erscheinung  sind.  So  berichtet  das  Myxödem-Comite  der 
Londoner  Clinical  Society,  dass  unter  109  von  Myxödem  be¬ 
fallenen  Erwachsenen  bei  mehr  als  der  Hälfte  eine  Abnahme 
des  Gehörs  verzeichnet  war.  Dazu  kommt  noch,  dass  der  Defect 
bei  einer  beträchtlichen  Zahl  von  Fällen  ein  einseitiger  war, 
was  auf  eine  periphere  Ursache  hinweist.  Der  ursächliche  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  Myxödem  und  Ohrenerkrankung  wird 
auch  noch  dadurch  nachgewiesen,  dass  diese  Schwerhörigkeit 
auf  eine  Behandlung  mit  Schilddrüse  ebenso  wie  die  anderen 
Symptome  des  Myxödems  zur  Heilung  kommt. I8)  Es  ist  also 
anzunehmen,  dass  der  dem  Myxödem  zu  Grunde  liegende 
Process  selbst  eine  Beeinträchtigung  der  Gehörsfunction,  und 
zwar  durch  eine  Schädigung  der  peripheren  Apparate 
herbeiführt. 

Aber  eben  um  zu  ergründen,  auf  welchem  Wege  das 
geschieht,  wäre  eine  gründliche,  fachmännische,  an  grosssem 
Materiale  durchgeführte  Untersuchung  der  Gehörsfunction  sowohl 
beim  Myxödem  der  Erwachsenen,  als  auch  beim  endemischen 
Cretinismus  wünschenswerth.  Da  eine  solche  nicht  vorliegt, 
stehen  uns  nur  Hypothesen  zur  Erklärung  der  cretinischen 
Taubheit  zu  Gebote. 

Eine  solche  habe  ich  schon  ausgesprochen  in  einem  1893 
in  Graz  gehaltenen  Vortrage,  19)  Die  oft  zu  hörende  Angabe, 
dass  die  Schwerhörigkeit  des  Cretins  starke  Intensitäts- 
schwankungen  zeigt,  brachte  mich  auf  die  Vermuthung,  dass 
eine  Wucherung  des  adenoiden  Gewebes  in  der  Rachenhöhle 
der  Schwerhörigheit  zu  Grunde  liegen  könnte.  Es  wurde  dieser 
Befund  auch  von  Professor  Habermann  in  Graz,  der  auf 
meine  Bitte  zwei  Cretins  untersuchte,  bestätiget;  ausserdem  fand  er 
aber  in  dem  einen  Falle  eine  eigentümliche  Verfärbung  und  Ver¬ 
dickung  der  ganzen  Nasen-  und  Rachenschleimhaut,  so  dass  er  die 
Vermuthung  aussprach,  es  könnte  eine  den  äusseren  Haut¬ 
schwellungen  analoge  Schwellung  der  Mucosa  und  Submucosa 
im  Nasenrachenraume  dem  Myxödem  eigen  sein  und  in  ihrer 

1 ')  Augenuntersuchungen  bei  Cretinismus,  Zwergwuchs  und  verwandten 
Zuständen.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1898. 

Kinnicut,  New  York  Med.  Record.  1893.  —  Allen  Starr, 
Ibidem.  —  Vulpius,  Archiv  für  Ohrenheilkunde,  ßd.  XLI. 

19)  Ueber  den  Cretinismus,  Mittheilungen  des  Vereines  der  Aerzte  in 
Steiermark.  1893. 


Fortsetzung  auf  die  Tuben-  und  vielleicht  auch  Paukenhöhlen¬ 
schleimhaut  die  Schwerhörigkeit  verursachen.  Es  wird  übrigens 
auch  in  Fällen  von  Myxödem  Erwachsener  eine  Schwellung 
der  Gebilde  der  hinteren  Rachenwand  und  der  Uvula-0),  sowie 
eine  chronische  hypertrophische  Rhinitis21)  beschrieben.22)  Aehn- 
liche  Processe  könnten  also  die  cretinische  Schwerhörigkeit 
verursachen. 

Es  wäre  aber  auch  möglich,,  dass  in  Veränderungen  der 
knöchernen  Theile  des  Gehörorganes  die  Schwerhörigkeit  der 
Cretins  begründet  ist.  Das  Felsenbein  entsteht  nämlich,  wie 
die  anderen  Knochen  der  Schädelbasis  aus  einer  knorpeligen 
Grundlage,  und  wir  wissen  bereits,  dass  bei  der  cretinischen 
Wachsthumsstörung  vorwiegend  die  Bildung  von  Knochen  aus 
Knorpelsubstanz  beeinträchtigt  ist.  Es  könnte  also  auch  das 
im  Felsenbein  eingeschlossene  Gehörorgan  in  seinen  knöchernen 
Theilen  einer  Entwicklungsstörung  unterliegen. 

Diese  Hypothese  wird  mir  nahegelegt  durch  einen  Befund 
von  Moos  und  S  t  e  i  n  br  üg  g  e23),  die  bei  einem  cretinösen 
Taubstummen  im  Gehörorgan  schwere  Veränderungen  fanden, 
die  sie  theils  für  angeboren,  theils  für  erworben  halten;  unter 
den  ersteren  auch  solche,  die  in  Störungen  der  Knochenbildung 
bestehen,  z.  B.  unvollkommene  Verknöcherung  des  Steig¬ 
bügels  und  des  Canalis  Faliopiae.  (Dass  unvollkommene  Ver¬ 
knöcherungen  bei  Cretins  häufig  Vorkommen,  werden  wir  bald 
hören.)  Uebrigens  schreibt  auch  N  i  e  p  c  e  fils 24)  in  der  pathologi¬ 
schen  Anatomie  des  Cretinismus:  »L’oreille  moyenne  est  atrophiee; 
les  osselets  sont  de  nature  spongieuse«,  ohne  näher  anzugeben, 
auf  wessen  Untersuchungen  er  sich  stützt. 

6.  Was  endlich  die  Erkrankung  derSchilddrüse 
anbelangt,  finden  wir  beim  Cretinismus  zwei  anscheinend  ein¬ 
ander  entgegengesetzte  Zustände,  kropfige  Entartung  des 
Organes  und  Atrophie  desselben.  Den  früheren  Autoren  (vor 
Schiff  und  Kocher)  machte  gerade  die  Erklärung  des  Um¬ 
standes,  dass  zwar  bei  vielen  Fällen  Kropf  vorhanden  ist,  bei 
anderen  aber,  und  zwar  oft  sehr  ausgesprochenen  Fällen  von 
Cretinismus  Kropf  fehlt,  grosse  Schwierigkeiten  (dass  in  diesen 
letzteren  Fällen  nicht  blos  der  Kropf,  sondern  die  Schilddrüse 
überhaupt  fehlt,  hatte  man  damals  nicht  genügend  beachtet). 
Aus  diesem  Grunde  waren  manche  Autoren  geneigt,  den  Zu¬ 
sammenhang  von  Kropf  und  Cretinismus  überhaupt  in  Zweifel 
zu  ziehen.25) 

Heute  wissen  wir  aber,  dass  es  nur  auf  die  Functions¬ 
störung  der  Schilddrüse  ankommt,  und  die  kann  bei  kropfiger 
Entartung  des  Organes  ebenso  Schaden  leiden,  wie  bei  Atrophie 
desselben.  Ein  Mittelding  aber,  eine  nicht  atrophische  und 
nicht  strumöse  Schilddrüse  scheint,  nach  meinen  Erfahrungen 
wenigstens,  die  sich  auf  mehr  als  200  Cretins  erstrecken,  nicht 
vorzukommen. 

Wohl  aber  können  Atrophie  und  Kropf  an  einem  und 
demselben  Individuum  nebeneinander  Vorkommen,  indem  die 
Schilddrüse  selbst  atrophirt  ist,  während  einzelne  accessorische 
Schilddrüsenläppchen  kropfig  entartet  sind. 

In  neuerer  Zeit  sind  auch  histologische  Untersuchungen 
der  Schilddrüsen  von  Cretins  angestellt  worden26),  deren  Re¬ 
sultate  mit  der  thyreoidalen  Theorie  des  Cretinismus  vollständig 
übereinstimmen.  Speciell  Coulon  sagt:  »Bei  vier  Cretinen 


20)  Middleton,  Glasgow,  med.  Journ.  1894. 

21)  Kinnicut,  Philadelphia  med.  news.  1893. 

23)  Nach  Hertoghe  (Bullet,  de  l’academie  royale  des  medecines  de 
Belgique.  1898,  XII)  sollen  sogar  alle  Myxödem-Kranken  adenoide  Vege¬ 
tationen  und  eine  hypertrophische  Rhinitis  haben,  und  sollen  das  sehr  früh¬ 
zeitig  auftretende  Symptome  dieser  Erkrankung  sein. 

23)  Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  XI. 

24)  These.  Paris  1871. 

25)  Immerhin  hat  ein  erleuchteter  Geist  wie  Virchow  schon  tiiih 

den  wahren  Zusammenhang  geahnt.  Er  schreibt  in  den  gesammelten  Ab¬ 
handlungen  (pag.  930)  nach  Erwähnung  des  Falles  von  B  1  i  z  a  r  d  C  u  r  1  i  n  g 
(des  ersten  Cretins,  bei  dem  die  Ohduction  ein  vollständiges  leiden  dei 
Schilddrüse  ergab):  »Gesetzt,  dies  sei  ganz  richtig,  so  folgt  doch  daraus  noch 
nichts  für  die  Zufälligkeit  der  territorialen  Combination  von  Kropf  und 
Cretinismus,  ja  man  könnte  aus  dem  letzteren  Falle  eher  etwas  dagegen  a  > 
leiten,-  indem  die  Function  der  Schilddrüse  bei  uns 
gedehnter  Erkrankung  ebenso  defect  sein  könnte,  als 
beivollkommenemMangel«.  .  .  „ 

86)  Han  au,  Verhandlungen  des  X.  internationalen  medicinnschen  Con¬ 
gresses.  Berlin  1891,  Bd.  II;  Coulon,  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXLVil. 


422 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


und  einem  geistig  gut  entwickelten  Individuum  mit  körperlich 
cretinischcm  Habitus  ist  also  die  Schilddrüse  nicht  vollständig 
zu  Grunde  gegangen,  aber  ihr  Gewebe  zeigt  Veränderungen, 
die  alle  darauf  hindeuten,  dass  sie  ihre  Function  eingestellt  oder 
wenigstens  nur  auf  ein  äusserst  geringes  Mass  eingeschränkt  hat.« 

Gegen  die  thyreoidale  Theorie  des  Cretinismus  kann  es 
nicht  als  Beweis  angeführt  werden,  wie  dies  B  i  r  c  h  e  r  27)  that, 
dass  in  einzelnen  obducirten  Fällen  noch  normales,  anscheinend 
functionsfähiges  Schilddrüsengewebe  vorhanden  war.  Es  gibt 
ja  die  verschiedensten  Intensitätsstufen  des  Cretinismus,  wobei 
ich  als  Gradmesser  nicht  den  Blödsinn  gelten  lassen  kann,  denn 
derselbe  geht  den  übrigen  Symptomen  des  Cretinismus  nicht 
vollkommen  parallel;  zudem  hängt  er  auch  theilweise  von  er¬ 
ziehlichen  Einflüssen  ab. 

Als  massgebende  Gradmesser  des  Cretinismus  sehe  ich 
vielmehr  die  Wachsthumsstörung,  die  Störung  der  Geschlechts¬ 
entwicklung  und  das  Myxödem  an.  Man  findet  nun  gerade  in 
den  höchsten  Graden  des  Cretinismus  ausnahmslos  Fehlen, 
respective  hochgradige  Atrophie  der  Schilddrüse.  Wenn  aber  in 
leichteren  Fällen  von  Cretinismus  neben  entarteten  Theilen  der 
Schilddrüse  auch  noch  normales,  anscheinend  functionsfähiges 
Schilddrüsengewebe  gefunden  wird,  so  erklärt  das  nur,  warum 
der  Cretinismus  in  dem  betreffenden  Falle  nicht  höhere  Grade 
erreicht  hat.  Gegen  die  thyreoidale  Theorie  des  Cretinismus 
würde  nur  ein  Befund  einer  in  toto  normalen,  weder  kropfig 
entarteten,  noch  atrophirten  Drüse  sprechen.  Ein  solcher  Befund 
ist  aber  bisher  nicht  erhoben  worden. 

Wir  haben  also  gesehen,  dass  alle  wesentlichen  Symptome 
des  Cretinismus  aus  der  Erkrankung  der  Schilddrüse  erklärt 
werden  können,  vorausgesetzt,  dass  diese  Erkrankung  zu  einer 
hochgradigen  Functionsstörung  der  Drüse  führt. 

Den  im  gegebenen  Falle  vorhandenen  Grad  der  Functions¬ 
störung  können  wir  allerdings  nicht  direct  nachweisen,  da  uns 
das  Secret  der  Schilddrüse  nicht  zugänglich  und  daher  auch 
nicht  quantitativ  bestimmbar  ist,  wir  können  ihn  aber  nur  aus 
dem  Auftreten  und  der  Intensität  der  Symptome,  von  denen 
die  Functionsstörung  der  Schilddrüse  gefolgt  ist,  erschliessen. 

Sehen  wir  nun  die  Einwände  an,  die  gegen  diese  thyreoidale 
Theorie  des  Cretinismus  gemacht  worden  sind. 

Ewald28)  gibt  die  Identität  von  sporadischem  Cretinismus 
und  infantilem  Myxödem  zu;  er  stellt  aber  in  Abrede,  dass  sich 
endemischer  Cretinismus  und  infantiles  Myxödem  vollständig 
decken.  Er  ist  daher  bemüssigt,  Unterscheidungsmerkmale 
zwischen  sporadischem  und  endemischem  Cretinismus  anzugeben. 
Es  lässt  sich  aber  nachweisen,  dass  diese  Unterscheidungs¬ 
merkmale  nicht  zutreffen. 

Ewald  statuirt  in  erster  Linie  einen  durchgreifenden 
Unterschied  im  Knochenwachsthum,  vor  Allem  im  Wachsthum 
der  Schädelknochen  (prämature  Synostose);  der  rasche  Aufbruch 
der  Knorpel- Matrix  beim  endemischen  Cretinismus,  das  lange 
Offenbleiben  der  Fontanellen  und  der  Nähte  beim  sporadischen 
Cretinismus.  Dieser  von  Ewald  angegebene  Unterschied 
besteht  thatsächlich  nicht.  Nachdem  schon  früher  vielfach  gegen 
die  nicht  von  Virchow  selber  verschuldete  aber  durch  seinen 
Befund  einer  prämaturen  Tribasilarsynostose  veranlasste  Lehre 
von  der  frühzeitigen  Nahtverknöcherung  beim  endemischen 
Cretinismus  Bedenken  geäussert  worden  waren,  hat  neuerlich 
Langhans29)  auf  Grund  eingehender  Untersuchungen  fest¬ 
gestellt,  dass  Ausbleiben  von  physiologischen  Verknöcherungen, 
abnorm  langes  Offenbleiben  von  Nähten  beim  endemischen 
Cretinismus  ein  sehr  häufiger  Befund  sei.  Dagegen  bezweifelt 
er,  dass  die  beschriebenen  Fälle  prämaturer  Naht- Synostose, 
die  beschrieben  wurden  und  die  nur  bei  Neugeborenen  vor¬ 
kamen,  überhaupt  dem  endemischen  Cretinismus  angehören. 

Er  weist  diese  Fälle  vielmehr  der  Chondrodystrophie  zu 
und  resumirt:  »Bis  jetzt  ist  bei  keinem  Cretin  die  vorzeitige 
Verknöcherung  irgend  einer  Knorpelfuge  nachgewiesen.  Die 
knorpelig  vorgebildeten  Knochen  wachsen  sehr  langsam  in  die 

2 ')  Lubarsch  und  Ostertag-,  I.  c. 

' 3 )  Die  Erkrankungen  der  Schilddrüse,  Myxödem  und  Cretinismus. 
NothnageTs  Handbuch.  "Wien  1896. 

29)  Virchow’s  Archiv,  Bd.  CXLIX. 


Länge,  die  Epiphysen  bleiben  niedrig.  Die  Ossificationsgrenze 
schreitet  sehr  langsam  vor,  die  Ossificationskei ne  in  den  Epi¬ 
physen  treten  spät  auf  und  die  Epiphysenscheiben  erhalten  sich 
lange  über  den  normalen  Termin  hinaus.  Reste  derselben  sind 
noch  im  45.  Jahre  nachzuweisen.« 

Ich  möchte  das  Vorkommen  prämaturer  Synostosen  beim 
Cretin  nicht  so  bestimmt  in  Abrede  stellen  wie  Langhans; 
denn  ich  halte  die  Frage  der  Zugehörigkeit  der  Chondro¬ 
dystrophie  (Rachitis  foetalis),  der  solche  prämature  Synostosen 
eigen  sind,  zum  Cretinismus  für  eine  offene.  Ich  halte  es  für 
möglich,  dass  wir  in  der  Chondrodystrophie  nur  eine  Varietät 
der  thyreopriven  Wachsthumsstörung  vor  uns  haben,  respective 
dass  wenigstens  ein  Theil  der  .als  Chondrodystrophie  be- 
sclniebenen  Fälle  auf  Grundlage  des  Athyreoidismus  zuStande 
kommt.  Es  ist  möglicher  Weise  nicht  von  entscheidender  Be¬ 
deutung,  ob  die  Naht,  früh  verknöchert  oder  lange  persistirt; 
für  das  Wesentliche  des  Processes  möchte  ich  vielmehr  in 
beiden  Fällen  die  mangelhafte  Bildung  von  Knochen  aus 
Knorpel,  das  mangelhafte  Wachsthum  des  Knochens  ansehen. 

Aber  sei  dem  wie  immer,  soviel  ist  sicher,  dass  dieses 
erste  von  Ewald  angeführte  Unterscheidungsmerkmal  zwischen 
sporadischem  und  endemischem  Cretinismus  nicht  zu  Recht 
besteht. 

Viel  Aufklärung  ist  in  dieser  Frage  von  der  Untersuchung 
lebender  Cretins  mittelst  Röntgen-Strahlen  zu  erwarten  und 
thatsächlich  ist  dieser  Weg  schon  betreten  worden*  So  hat 
Hofmeister30)  einen  Fall  von  Cretinismus  beschrieben, 
bei  dem  sich  mangelhafte  Verknöcherung  an  den  untersuchten 
Skelettheilen  nachweisen  liess.  Kürzlich  hat  ferner  Wyss31) 
eine  grössere  Anzahl  von  Cretins  mit  Röntgen-Strahlen  unter¬ 
sucht  und  fasst  seine  Resultate  in  folgende  Punkte  zusammen: 

»1.  Bei  allen  beobachteten  Cretinen  und  Cretinoiden  von 
den  verschiedensten  Altern  und  Graden  ist  nirgends  eine  An¬ 
deutung  von  vorzeitiger  Verknöcherung  zu  bemerken,  weder 
von  vorzeitigem  Auftreten  von  Knochenkernen,  noch  von  früh¬ 
zeitiger  Synostose. 

2.  Alle  Individuen,  die  nach  Herkunft  und  körperlichem 
und  geistigem  Befund  zweifellos  als  Cretinen  oder  Cretinoide 
zu  betrachten  sind  und  die  noch  im  Entwicklungsalter  oder 
wenige  Jahre  darüber  stehen,  zeigen  eine  Hemmung  in  der 
Verknöcherung  des  knorpligen  Skeletes,  die  sich  in  späterem 
Auftreten  der  Knochenkerne  und  in  langsamerem  Verschwinden 
der  Epiphysenfugen  äusserte. 

3.  Der  Unterschied  in  der  Ossification  gegenüber  der 
Norm  beträgt  in  der  Regel  nur  wenige  Jahre,  wenigstens  für 
die  makroskopische  Untersuchung  und  die  noch  gröbere 
Methode  der  Röntgen-Strahlen,  es  ist  somit  nur  ausnahmsweise 
nach  25  Jahren  noch  ein  abnormer  Befund  zu  erwarten.« 

Durch  das  häufige  Ausbleiben  der  Verknöcherungen  bei 
den  Cretins  wird  es  auch  erklärlich,  dass,  wie  ich  schon  in 
einem  früheren  Aufsatze 32)  mittheilte,  und  wie  später  noch 
erörtert  werden  wird,  bei  Cretins  häufig  noch  ein  merkliches 
Längenwachsthum  der  Knochen  stattfindet  in  einem  Lebens¬ 
alter,  in  dem  das  Längenwachsthum  normaler  Menschen  schon 
lange  abgeschlossen  zu  sein  pflegt. 

In  schöner  Uebereinstimmung  mit  den  eben  angeführten 
Forschungsresultaten  steht  die  Thatsache,  dass  dieselbe  Störung, 
mangelhafte  Verknöcherung  und  abnorm  lange  Persistenz  der 
Knorpelfugen  bei  zweifellosen  Fällen  von  thyreopriver  Wachs¬ 
thumsstörung  sich  vorfindet.  So  hat  Nauwerck33)  bei  einem 
28jährigen  Manne,  dem  im  zehnten  Lebensjahre  die  Schild¬ 
drüse  entfernt  worden  war  und  dessen  Wachsthum  seither 
still  gestanden  hatte,  im  Humerus  sowie  im  oberen  Femurkopfe 
und  an  dessen  Trochanteren  die  Epiphysenscheiben  noch  vor¬ 
gefunden.  Ebenso  hat  Hofmeister34)  nach  Schilddrüsen¬ 
exstirpationen  an  neugeborenen  Kaninchen  mangelhaftes  Längen¬ 
wachsthum  mit  Erhaltenbleiben  der  Epiphysenscheiben  con- 
statirt. 


30)  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen.  Bd.  I. 

31)  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen  Strahlen.  Bd.  III. 

32)  Mittheilungen  des  Vereines  der  Aerzte  in  Steiermark.  1893. 

33)  Mittheilungen  aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Tübingen.  I. 

34)  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  1894,  Bd.  XI. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


423 


Ewald  führt  ferner  als  Unterschied  an  das  fehlende 
oder  wenigstens  nicht  besonders  ausgesprochene  Myxödem  beim 
endemischen  Cretinismus  im  Gegensätze  zu  den  sporadischen 
Fällen. 

Auch  dieses  Unterscheidungsmerkmal  existirt  thatsächlich 
nicht.  Jeder  wirkliche  Kenner  des  endemischen  Cretinismus 
wird  zugeben,  dass  man  bei  dieser  Erkrankung  Fälle  von  so 
vollkommen  ausgebildetem  Myxödem  sehen  kann,  wie  man  es 
beim  sporadischen  nur  je  zu  Gesicht  bekommt.  Freilich  findet 
man  es  nicht  in  allen  Fällen  so  ausgesprochen ;  das  hat  aber 
einen  zweifachen  Grund.  Erstens  gibt  es  beim  Cretinismus  die 
verschiedensten  Abstufungen  der  Intensität,  Fälle,  in  denen 
die  Folgen  des  Athyreoidismus  aufs  Höchste  entwickelt  sind, 
und  solche,  in  denen  dieselben  nur  angedeutet  sind.  Bei  den 
letzteren  wird  natürlich  auch  das  Myxödem  nicht  in  so  präg¬ 
nanter  Ausbildung  vorgefunden.  Zweitens  habe  ich  schon  in 
meinem  mehrmals  erwähnten  Vortrage35)  hervorgehoben,  dass 
man  das  Myxödem  in  voller  Ausprägung  nur  bei  jugendlichen 
Cretins  findet;  dies  scheint  darin  begründet  zu  sein,  dass  im 
späteren  Alter  die  Hautschwellungen  schwinden,  wie  ja  auch 
beim  Myxödem  der  Erwachsenen  ein  späteres,  atrophisches 
Stadium  beschrieben  wird. 

Ewald  führt  ferner  als  Unterschied  an  den  Verlauf  der 
Erkrankung,  die  beim  endemischen  Cretinismus  nach  einer 
gewissen  Zeit  stationär  bleibt,  mit  langer  Lebensdauer  einher¬ 
gehen  kann,  während  sie  beim  sporadischen  Cretinismus  pro¬ 
gredient  ist  und  meistens  zu  frühem  Tode  führt.  So  soll  kein 
in  den  letzten  Jahren  bekannt  gewordener  Fall  das  dritte 
Lebensdecennium  überschritten  haben. 

Es  ist  das  erstens  nicht  ganz  richtig,  denn  es  sind  auch 
Fälle  von  sporadischem  Cretinismus  beschrieben  worden,  die 
ein  höheres  Alter  als  30  Jahre  erreicht  haben,  so  von  Bour¬ 
neville,  Cousot,  Bramwell,  Thomson,  Rushton  Parker, 
Osler  und  Anderen. 

Ferner  ist  aber  noch  ein  anderer  Umstand  in  Betracht 
zu  ziehen.  Die  beschriebenen  Fälle  von  sporadischem  Cretinis¬ 
mus  sind  fast  ausschliesslich  solche,  bei  denen  die  Folgen  des 
Ausfalles  der  Schilddrüsen  function  hochgradige,  wo  also  der 
Athyreoidismus  ein  möglichst  completer  war.  Das  ist,  wie  schon 
erwähnt,  beim  endemischen  Cretinismus  nicht  immer  der  Fall. 
Wenn  wir  aber  nur  jene  Fälle  von  endemischem  Cretinismus 
berücksichtigen  würden,  bei  denen  der  Athyreoidismus  ein 
ebenso  vollständiger  ist,  wie  bei  den  Fällen  von  sporadischem 
Cretinismus,  so  würde  der  von  Ewald  angegebene  Unter¬ 
schied  in  der  Lebensdauer  der  Erkrankten  schwinden,  denn 
diese  Cretinismen  höchsten  Grades  (den  höchsten  Grad  auf  die 
Erscheinungen  des  Athyreoidismus  bezogen,  nicht  auf  den  Blöd¬ 
sinn,  denn  die  beiden  Symptome  gehen,  wie  gesagt,  nicht  immer 
parallel)  scheinen  auch  keine  lange  Lebensdauer  zu  haben, 
da  die  Vorgefundenen  meist  auch  im  jugendlichen  Alter  stehen. 

Es  ist  ja  allerdings  eine  Erscheinung,  die  einer  Erklärung 
bedarf,  dass  vom  sporadischen  Cretinismus  immer  nur  Fälle 
mit  hochentwickeltem  Athyreoidismus  beschrieben  werden.  Es 
ist  aber  nicht  nur  möglich,  sondern  sogar  wahrscheinlich,  dass 
der  uns  unbekannte,  die  Schilddrüsenfunction  schädigende 
Process  beim  sporadischen  Cretinismus  ein  anderer  ist,  als  beim 
endemischen:  dass  er  bei  ersterem  immer  eine  hochgradige 
Functionsstörung  der  Schilddrüse  setzt,  während  bei  letzterem 
vielfach  auch  leichtere  Grade  Vorkommen.  Es  dürfte  also  ein 
Unterschied  in  der  Aetiologie  der  Schilddrüsen¬ 
erkrankung  bei  den  beiden  Formen  des  Cretinismus  vor¬ 
handen  sein;  dagegen  besteht  kein  Unterschied  im  Sym- 
ptomenbild,  das  eben  das  des  Athyreoidismus  in  seinen 
verschiedenen  Graden  ist. 

Auf  ein  Argument  E  w  a  1  d’s  endlich,  dass  sich  beim 
endemischen  Cretinismus  bisher,  die  beim  sporadischen  erfolg¬ 
reiche  specifiscke  Therapie  unwirksam  erwiesen  habe,  werden 
wir  bald  zurückkommen.  Man  sucht  übrigens  in  Ew  aid’s 
Werke  vergeblich  nach  einer  Begründung  dieser  Behauptung. 


Von  B  i  r  c  h  e  r 3ß),  dessen  Darstellung  Ewald  in  manchen 
Punkten  gefolgt  ist,  sind  noch  einige  andere  Argumente  gegen 
die  Identificirung  von  endemischem  Cretinismus  mit  dem  in¬ 
fantilen  Athyreoidismus  angeführt  worden,  wobei  B  i  r  c  h  e  r 
sich  über  die  Stellung  des  sporadischen  Cretinismus  zum  ende¬ 
mischen  und  zum  Athyreoidismus  nicht  deutlich  ausspricht. 

Zunächst  muss  auffallen,  dass  B  i  r  c  h  e  r  die  Fälle  von 
Zwergwuchs  mit  mangelhafter  oder  ausbleibender  Verknöcherung 
der  Knorpelfugen,  selbst  wenn  dieselben  sonst  alle  Charaktere 
des  Cretinismus  darbieten,  von  demselben  abtrennen  und  der 
Chondrodystrophia  foetalis  zuw'eisen  will.  Er  geht  darin  so 
weit,  dass  er  einen  Fall,  den  er  selbst  in  vivo  für  einen  Cretin 
gehalten  hatte,  nach  dem  Tode  wegen  des  Befundes  persi- 
stirender  Knorpelfugen  der  Chondrodystrophie  zurechnete.  Dem 
Cretinismus  schreibt  er  die  Tendenz  zur  vorzeitigen  Ver¬ 
knöcherung  von  Knorpelfugen  zu.  Er  befindet  sich  da  in 
einem  auffallenden  Gegensätze  zuLanghan  s,  der,  wie  schon 
erwähnt,  auf  Grund  eigener  und  fremder  Beobachtungen  gerade 
das  Ausbleiben  der  Verknöcherung  von  Epiphysenknorpeln 
als  charakteristisch  für  die  cretinische  Wachsthumsstörung  er¬ 
klärte.  Er  befindet  sich  in  einem  ebensolchen  Gegensätze 
zu  den  neuesten  Bearbeitern  dieses  Gebietes,  Breus  und 
K  o  1  i  s  k  o 37),  die  sich  in  der  Auffassung  der  cretinischen 
Wachsthumsstörung  vollständig  Langhaus  anschliessen  und 
gerade  die  Fälle  mit  frühzeitiger  Verknöcherung  der  Knorpel¬ 
fugen,  im  Gegensätze  zuBircker,  der  Chondrodystrophie  zu¬ 
weisen. 

Die  Entscheidung  dieser  Frage  wird  aber  durch  die 
Möglichkeit,  das  Skelet  zahlreicher  Cretins  in  vivo  mit  Röntgen- 
Strahlen  zu  untersuchen,  bald  gebracht  werden  oder  ist  eigent¬ 
lich  durch  die  citirten  Untersuchungen  von  Hofmeister  und 
W  y  s  s  bereits  gebracht. 

Will  Bi  r  eher  alle  diese  aus  einem  Centrum  des  epide¬ 
mischen  Cretinismus  stammenden  Fälle,  die  Wyss  untersucht 
hat  und  bei  denen  er  abnormes  Persistiren  der  Knorpelfugen 
beobachtet  hat,  der  Chondrodystrophie  zuweisen,  so  habe  ich 
nichts  dagegen.  Man  wird  aber  dann,  um  den  Thatsachen 
Rechnung  zu  tragen,  die  Chondrodystrophie  als  eine  Varietät 
des  Cretinismus  ansehen  müssen;  wie  ich  schon  früher  an¬ 
deutete,  glaube  ich,  dass  sich  der  ganze  Streit  um  prämature 
Synostose  und  abnorme  Persistenz  der  Knorpelfugen  als  ein 
müssiger  herausstellen  wird;  dass  sich  vielmehr  als  das  Wesent¬ 
liche  die  Wachsthumsstörung,  die  mangelhafte  Entwicklung 
von  Knochen  aus  Knorpel  ergeben  wird,  bei  der  die  oben  er¬ 
wähnten  Differenzen  von  secundärer  Bedeutung  sein  dürften. 

Jedenfalls  kann  man  das  Eine  schon  jetzt  mit  Bestimmt¬ 
heit  sagen,  dass  das  Studium  der  Wachsthumsstörung  keinen 
Einwand  gegen  die  thyreoidale  Theorie  des  Cretinismus  er¬ 
geben  hat. 

Birch  er38)  führt  ferner  als  Argument  gegen  diese 
Theorie  den  Erfolg  an,  den  die  von  ihm  in  zwei  Fällen  von 
Cretinismus  ausgeführte  Kropfexstirpation  hatte.  Die  eine 
Kranke  bekam  nach  dem  Verluste  ihrer  Struma  Tetanie  und 
Myxödem,  die  nach  zweimaliger  Implantation  von  Stücken 
menschlicher  Schilddrüse  (bei  einer  Kropfexstirpation  gewonnen) 
in  die  Bauchhöhle  sich  jedes  Mal  besserte.  Endlich  ging  aber 
die  Operirte  doch  mit  Tod  ab. 

Es  wird,  um  diesen  Fall  von  Cretinismus  etwas  näher 
zu  charakterisiren,  zweckmässig  sein,  einige  vonBircker  ge¬ 
lieferten  Daten  über  diese  Cretine  zu  reproduciren. 

»Marie  B.,  33  Jahre  alt,  ledig,  Landarbeiterin,  geboren  und 
auferzogen  auf  der  Meermolasse,  später  wohnhaft  auf  Trias.  Kräftiges, 
mittelgrosses  Individuum  mit  plumpem,  schwerfälligem  Körper 
und  deutlich  ausgeprägter  cretinischer  Degeneration  mittleren  Grades. 
Der  Kopf  ist  oben  etwas  ausgeweitet,  die  Nase  an  der  Wurzel 
breit,  dick,  etwas  aufgeworfen;  die  Augen  etwas  weit  von  einander 
entfernt;  die  Lippen  dick,  wulstig,  aber  nicht  hängend.  Der  Miltel- 

36)  Ergebnisse  der  allgemeinen  Pathologie  und  pathologischen  Ana¬ 
tomie  etc.  Herausgegeben  von  Lubarsch  und  Ostertag.  1896,  1.  Ab¬ 
theilung. 

37)  Die  pathologischen  Beckenformen.  Leipzig  und  IVien  1900,  Bd.  I, 
1.  Theil. 

38)  V  o  1  k  in  a  n  n’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  Nr.  357. 


35)  Mittheilungen  des  Vereines  der  Aerzte  in  Steiermark.  1893. 


424 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


und  rechte  Seitenlappen  der  Schilddrüse  sind  stark,  der  linke 
Seitenlappen  mässig  vergrössert,  so  dass  Athemnoth  mit  etwas 
Stridor  besteht. 

Der  Gang  ist  schwankend  und  schleppend,  das  Hörvermögen 
ist  vermindert  und  die  Sprache  schwerfällig,  lallend. 

Die  geistige  Function  ist  beschränkt  und  etwas  verlangsamt. 
Hau  sge  schäfte,  Garten-  und  Feldarbeiten  besorgt 
sie  jedoch  richtig  und  ist  sehr  fleissig.  Sie  liest 
auch  Gedrucktes  und  Geschriebenes  ganz  ordent¬ 
lich  und  schreibt  Briefe.  Wenn  ihrldeenkreisauch 
ein  beschränkter  ist,  so  fasst  sie  doch  das,  wassie 
percipirt  und  was  sie  interessirt,  klar  auf  und 
gibt  klaren  Bescheid.  Sie  wünscht  die  Kropfex- 
stirpation  nicht  nur  wegen  der  Athemnoth,  son¬ 
dern  auch  aus  kosmetischen  Gründen,  »um  nach 
Amerika  zu  ihren  Angehörigen  auszuwandern«. 

Ferner  heisst  es  in  der  Krankengeschichte  nach  der  ersten 
Operation: 

»Die  Patientin  ist  geistig  sehr  munter  und 
fröhlicher  Laune.  Die  Wiederherstellung  ihres 
Intellectes  erhellt  am  Besten  daraus,  dass  sie  ein 
beliebtes  Spiel  (neun  Steine)  nicht  etwa  nur  me¬ 
chanisch,  sondern  recht  raffinirt  spielt.« 

Die  Cretine,  welche  Briefe  schreibt,  die  Operation  der 
Struma  aus  kosmetischen  Gründen  wünscht  und  nach  Amerika 
auswandern  will,  dürfte  ein  Fall  sein,  in  dem  der  Cretinismus 
nur  eine  sehr  geringe  Intensitätsstufe  erreicht  hatte,  umsomehr 
als  auch  die  körperliche  Degeneration  gering  gewesen  zu  sein 
scheint;  zum  Mindesten  fehlte  eine  Wachsthumsstörung,  ln 
diesem  Falle  war  auch  nach  der  thyreoidalen  Theorie  des 
Cretinismus  eine  vollständige  Aufhebung  der  Schilddrüsen¬ 
function  nicht  anzunehmen,  und  daher  waren  schwere  Aus¬ 
fallserscheinungen  nach  Totalexstirpation  ganz  wohl  zu  erwarten. 
Mit  diesem  Falle  wird  also  Bircher  die  thyreoidale  Theorie 
nicht  aus  den  Angeln  heben.  Schade,  dass  Bircher  den 
zweiten  Fall,  in  dem  nach  Entfernung  des  grössten  Theiles 
der  kropfigen  Schilddrüse  bei  einem  Cretin  letale  Tetanie  ein¬ 
trat,  nicht  ebenso  ausführlich  beschrieben  hat! 

Hanau  39)  hat  übrigens  schon  gegen  diese  Bi r ch er’schen 
Experimente  sehr  treffend  eingewendet,  dass  deren  Resultat 
ebenso  verständlich  ist,  wie,  dass  ein  Individuum  mit  chroni¬ 
scher  Nephritis  urämisch  wird,  wenn  man  es  doppelseitig 
nephrotomirt. 

Von  französischen  Autoren  ist  es  besonders  Bourne¬ 
ville-10),  der  sieh  eingehend  mit  dem  Studium  des  sporadischen 
Cretinismus  befasst  und  eine  grössere  Anzahl  von  Fällen  unter 
dem  Namen  Idiotie  avec  Cachexie  pachydermique  beschrieben 
hat.  Bourneville  führt  den  sporadischen  Cretinismus  auf 
Athyreoidismus  zurück;  dagegen  will  er  den  endemischen 
Cretinismus  (den  er  übrigens,  wie  er  selbst  zugibt,  nicht  aus 
eigener  Anschauung  kennt)  streng  vom  sporadischen  getrennt 
wissen.  Er  ist  daher  bemüssigt,  unterscheidende  Merkmale 
zwischen  beiden  Krankheiten  anzugeben.  Von  diesen  Merk¬ 
malen  bedürfen  mehrere  keiner  eingehenden  Widerlegung;  sie 
entspringen  einfach  einer  mangelhaften  Kenntniss  des  endemi¬ 
schen  Cretinismus.  So,  wenn  Bourneville  den  Cretins 
häufigen  Strabismus,  Unempfindlichkeit  der  Retina,  das  Fehlen 
der  Pseudolipome  und  der  Cachexie  pachydermique  überhaupt 
zuschreibt,  ferner  eine  Neigung  zu  convulsiven  Erkrankungen. 
Pseudolipome  und  die  Cachexie  pachydermique  kommen  beim 
endemischen  Cretinismus  ebenso  vor,  wie  beim  sporadischen; 
Strabismus,  Unempfindlichkeit  der  Retina,  sowie  Convulsionen 
fehlen  auch  dem  endemischen  Cretinismus,  d.  h.  sie  können 
ja  ein  oder  das  andere  Mal  vorhanden  sein,  aber  sie  sind 
selten,  ungemein  viel  seltener  als  bei  den  anderen  Formen 
der  Idiotie;  und  wenn  sie  Vorkommen,  haben  sie  mit  dem 
Cretinismus  als  solchem  nichts  zu  thun,  sondern  sind  rein  zu¬ 
fällige  Complicationen. 


39)  Verhandlungen  des  X.  internationalen  medicini, sehen  Congresses. 
Berlin  1891. 

4")  Archiv,  de  Neurologie.  XVI,  XVII.  Progres  med.  1880,  1890,  1895. 


Wenn  Bourneville,  ferner  auch  B  a  i  1 1  a  r  g  e  r  4I) 
einige  pathologisch-anatomische  Charaktere  des  Cretinismus  an¬ 
führt,  die  das  Gehirn  betreffen,  wie  Vermehrung  des  Liquor 
cerebrospinalis,  Asymmetrie  des  Grosshirns,  Kleinheit  und 
Asymmetrie  des  Kleinhirns,  so  entspringt  das  wieder  nur  einer 
mangelhaften  Kenntniss  des  endemischen  Cretinismus.  Die  patho¬ 
logische  Anatomie  des  Cretinengehirns  ist  noch  ausständig; 
die  meisten  Befunde,  welche  beschrieben  wurden,  beziehen  sich 
gar  nicht  auf  Fälle  von  Cretinismus,  sondern  auf  andere  Fälle 
von  Idiotie;  und  aus  den  wenigen  Sectionsbefunden  wirklicher 
Cretins  ist  höchstens  das  Fehlen  charakteristischer  Veränderungen 
am  Gehirn  zu  entnehmen. 

Nicht  mehr  Werth  hat  es,  wenn  Bourneville  den 
sporadischen  und  endemischen  Cretinismus  nach  der  Schädel- 
form  unterscheiden  will.  Beim  Ersteren  soll  sich  Dolichocephalic, 
beim  Letzteren  Brackycephalie  finden.  Es  ist  aber  vorerst  zu 
bemerken,  dass  die  Dolichocephalie  der  von  Bourneville 
beobachteten  Fälle  möglicher  Weise  Race-Eigenthtimlichkeit 
sein  könnte,  und  in  der  übrigen  Literatur  des  sporadischen 
Cretinismus  findet  man  den  Längen-Breiten-Index  des  Schädels 
nur  selten  angegeben.  Ausserdem  sind  auch  Fälle  von  spora¬ 
dischem  Cretinismus  mit  Brackycephalie  beschrieben  worden 
(Rail  ton42),  und  beim  endemischen  Cretinismus  habe  ich 
selbst,  wenn  auch  in  der  Minderzahl  der  Fälle,  Dolichocephalie 
beobachtet. 

In  der  englischen  Literatur  ist  am  frühesten  die  Identität 
von  sporadischem,  endemischem  Cretinismus  und  infantilem 
Myxödem  anerkannt  und  als  das  Gemeinsame  dieser  Er¬ 
krankungen  der  Athyreoidismus  hingestellt  worden,  ein  Stand¬ 
punkt,  den  zuerst  S  e  m  o  n  43)  eingenommen  hat  und  den  alle 
englischen  Autoren,  welche  dieses  Thema  behandeln,  theilen, 
so  neuestens  Murray44).  Es  fehlt  daher  an  Versuchen, 
symptomatologische  Differenzen  zwischen  sporadischem  und 
endemischem  Cretinismus  aufzustellen;  im  Gegentheile  haben 
solche  Versuche  in  der  englischen  Literatur  wiederholt  Wider¬ 
spruch  erfahren  45). 

Die  englische  Literatur  ist  ungemein  reich  an  Fällen  von 
Cretinismus,  die  zwar  häufig  als  sporadischer  Cretinismus,  oft 
genug  aber  auch  als  Cretinismus  schlechtweg  bezeichnet 
werden. 

Wenn  man  übrigens  sieht,  wie  nicht  selten  mehrfache 
Fälle  von  Cretinismus  in  einer  Familie  beschrieben  werden, 
wie  ein  oder  das  andere  Mal  bei  den  Eltern  Kropf  verzeichnet 
wird,  wie  die  Mehrzahl  der  Fälle  aus  gewissen  Gegenden  her- 
rühren,  ein  Umstand,  auf  den  einzelne  Autoren  auch  aufmerk¬ 
sam  machen46),  so  wird  man  sich  des  Verdachtes  nicht  er¬ 
wehren  können,  dass  einzelne  dieser  Fälle  thatsächlich  dem 
endemischen  Cretinismus  angehören  dürften. 

Kehren  wir  nun  zu  der  Eingangs  berührten  Frage  zurück, 
zur  Behandlung  des  endemischen  Cretinismus.  Wenn  man  auf 
dem  Standpunkte  steht,  dass  das  Wesentliche  des  Cretinismus 
ein  in  früher  Kindheit  eintretender  Ausfall  der  Schilddrüsen¬ 
function  ist,  so  muss  man  erwarten,  dass  das  Mittel,  welches 
sich  in  anderen  Fällen  von  mangelnder  Schilddrüsenfunction 
wirksam  erwiesen  hat,  nämlich  die  Schilddrüsenfütterung,  auch 
in  der  Behandlung  des  Cretinismus  Erfolg  haben  werde.  Ja 
man  kann  selbst  von  dem  Standpunkte  Ew  aid’s  aus  diese 
Therapie  beim  Cretinismus  nicht  ganz  verwerfen,  da  dieser 
Autor  den  Athyreoidismus  zwar  nicht  als  das  Wesen,  aber  als 
eine  wichtige  Begleiterscheinung  des  endemischen  Cretinismus 
ansielit.  Man  musste  also  von  diesem  Standpunkte  aus  zwar 
nicht  eine  Heilung  aber  doch  eine  wesentliche  Besserung  des 
Cretinismus  von  der  Schilddrüsentherapie  erwarten. 

Die  Erfolge,  die  nun  beim  sporadischen  Cretinismus  mit 
der  Schilddrüsenbehandlung  erzielt  wurden,  sind  sehr  be- 

41)  Dictionnaire  encyclopedique  des  siences  medicales,  articles:  Cretin, 
Cretinisme.  Paris  1879. 

42)  Brit.  med.  Journ.  1891. 

43)  Brit.  med.  Journ.  1883. 

44)  Lancet.  1899. 

4o)  Railton,  Brit.  med.  Journ.  1891;  Rushton  Parker,  Brit.  med. 
Journ.  1896;  Kirk,  Lancet.  1884. 

4G)  Stevenson,  Brit.  med.  Journ.  1896.  OliphantNicholson, 
ibidem.  Byron-Bram  well,  Brit.  med.  Journ.  1894. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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merkenswerthe.  Schon  im  Jahre  1895,  also  vier  Jahre  nach 
Murray’s  erster  Veröffentlichung  Liber  die  Injectionen  von 
Schilddrüsenextract,  drei  Jahre  nach  Einführung  der  Schild¬ 
drüsenfütterung,  konnte  H  §  i  n  s  h  e  i  m  e  r 47)  39  Fälle  von 
sporadischem  Cretinismus  zusammenstellen,  die  theils  mit  sub- 
cutaner  Implantation  von  Schilddrüse,  theils  mit  subcutaner 
Injection  von  Extracten,  theils  mit  Schilddrüsenfütterung  be¬ 
handelt  worden  waren,  darunter  viele  mit  ausgezeichnetem 
Erfolge. 

Seither  haben  sich  die  Berichte  über  die  Behandlung  des 
sporadischen  Cretinismus  mit  Schilddrüsenfütterung  noch  be¬ 
deutend  vermehrt.  Es  sind  besonders  die  englischen  Zeitungen 
British  medical  Journal  und  Lancet,  die  zahlreiche 
einschlägige  Berichte  enthalten.  II  u  s  h  to  n  Parker  48)  konnte 
1896  in  der  British  medical  Association  Photographien  von 
40  Cretins  vor  und  nach  der  Behandlung  vorzeigen.  Aus  der 
deutschen  Literatur  konnte  S  k  1  a  c  e  k49)  ausser  seinen  eigenen, 
11  Fälle  anführen.  Wiederholt  hat  Bourneville50)  über 
die  günstigen  Erfolge  berichtet,  die  er  bei  seinen  Fällen  von 
sporadischem  Cretinismus  mit  Schilddrüsenfütterung  erzielt  hat. 
Aus  Belgien  berichtet  Hertoghe51)  über  viele  bemerkens- 
werthe  Erfolge.  Auch  die  amerikanischen  Zeitungen  enthalten 
hieher  gehörige  Fälle;  so  konnte  0  s  1  e  r  52)  1897  über  60  theils 
behandelte,  theils  nicht  behandelte  Fälle  von  Cretinismus  aus 
Amerika  berichten. 

Die  Erfolge,  die  mit  der  Schilddrüsenbehandlung  erzielt 
wurden,  stellen  sich,  wenn  wir  zunächst  die  einzelnen  Sym¬ 
ptome  berücksichtigen  wollen,  folgendermassen  dar  : 

1.  Myxödem.  Eine  Wirkung,  die  in  allen  erfolgreich 
behandelten  Fällen  auftrat,  und  zwar  sehr  frühzeitig,  so  dass 
sie  schon  in  den  ersten  Wochen,  ja  Tagen  der  Behandlung 
sichtbar  wurde,  war  das  Schwinden  des  Myxödems.  Die  ge¬ 
schwollenen  Lider,  Lippen,  Wangen  fallen  ab  und  nehmen 
normale  Beschaffenheit  an,  die  Pseudolipome  schwinden,  die 
gedunsene  Haut  an  Rumpf  und  Extremitäten  schwillt  ab;  die 
Haut  verliert  ihre  bleiche,  wachsartige  Färbung  und  bekommt 
eine  gesunde  Farbe;  ebenso  verliert  die  Haut  ihre  trockene, 
rauhe  Oberfläche.  Die  bei  Cretins  meist  fehlende  Schweiss- 
secretion  stellt  sich  ein  und  die  Haut  wird  weich  und  ge¬ 
schmeidig. 

2.  Steigerung  des  Längenwachsthums.  Die¬ 
selbe  äussert  sich  darin,  dass  die  Zunahme  im  Längenwachs¬ 
thum  in  einem  ganz  anderen  Massstabe  vor  sich  geht,  als  vor 
der  Behandlung,  respective  dass  das  Längenwachsthum,  das 
vor  der  Behandlung  ganz  still  gestanden  hatte,  wieder  an¬ 
geregt  wird. 

Die  Zunahmen  der  Körperlänge,  die  so  erreicht  wurden, 
sind  oft  recht  bedeutende.  So  wuchs  der  10]/‘>jährige  Patient 
Russel  R  e  n  d  1  e’s53)  in  18  Monaten  um  23  cm ;;  ein  14jähriger 
Patient  Hertogh  e’s  54)  wuchs  in  zwei  Jahren  und  19  Monaten 
von  74  auf  115cm,  also  um  41cm;  der  Fall  Lockhart 
Gibson’s55)  wuchs  vom  6.  bis  zum  11.  Jahre  von  84  auf 
1 06  5  cm,  also  um  22'5  cm;  der  14jährige  Patient  R  a  i  1 1  o  n’s  56) 
wuchs  in  einem  Jahre  um  10  cm,  zehnmal  mehr,  als  er  in  den 
vorangegangenen  Jahren  gewachsen  war;  Carmichael’s57) 
Fall,  dreijährig,  wuchs  in  neun  Monaten  um  10  cm,  während 
er  vorher  nur  um  2‘5  cm  im  Jahre  zugenommen  hatte. 

Ein  Mädchen,  das  ich  seit  dem  20.  April  1895  behandle, 
das,  damals  1 1  jährig,  96  cm  gemessen  hatte  und  in  den  letzten 
Jahren  kaum  gewachsen  war,  misst  heute,  16jährig,  nach 
fünfjähriger  ununterbrochener  Behandlung  mit  frischer  Schild¬ 
drüse  und  Tabletten  132  cm,  hat  also  in  dieser  Zeit  um  36  cm 


n)  Entwicklung  und  jetziger  Stand  der  Schilddrüsenbehandlung. 
München  1895. 

48)  Brit.  med.  Journ.  1896. 

49)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1899. 

’")  Proges  med.  1896  und  1897.  Arch,  de  Neurologie.  1896. 

Jl)  Bulletin  de  l’academie  royale  Belgique.  1895,  1896  und  1899. 

°~)  Amer.  Journ.  of.  med.  Sciences.  1897. 

M)  Lancet.  1899. 

'4)  Bulletin  de  l’Academie  royale  Belgique.  1895  und  1899. 

5D)  Brit.  med.  Journ.  1897. 

:’6)  Brit.  med.  Journ.  1894. 

57)  Lancet.  1893. 


zugenommen.  Ich  konnte  mich  in  diesem  Falle  überzeugen, 
dass  durch  das  gesteigerte  Knochen  wachsthum  auch  die  Ver¬ 
kürzung  der  Schädelbasis  ausgeglichen  wird  und  daher  der 
cretinische  Charakter  des  knöchernen  Gesichtsskeletes,  die  ein¬ 
gedrückte  flache  Nasenwurzel  und  kurze  Nase  (niedriger  Ober¬ 
kiefer)  vollständig  verloren  gehen  kann. 

Dieses  durch  die  Behandlung  angeregte  Wachsthum  er¬ 
folgt  noch  in  Lebensaltern,  in  denen  das  Längenwachsthum 
normaler  Weise  nur  mehr  in  ganz  geringem  Masse  vor  sich 
geht  oder  selbst  längst  abgeschlossen  ist.  So  wuchs  Schmidt’s58) 
20jährige  Cretine,  die  seit  fünf  Jahren  nicht  mehr  gewachsen 
war,  während  eines  Jahres  um  5  cm;  ein  ebenfalls  20jähriger 
Fall  Hertoghe’s 59)  in  lVg  Jahren  von  1215  auf  133  cm; 
eine  27jährige  Patientin  Murray’s60)  wuchs  während  vier 
Jahren  von  87'5  auf  97'5  cm;  ein  ebenfalls  27jähriger  Fall 
Hertoghe’s61)  in  einem  Jahre  von  137 — 140  cm;  auch  die 
30jährige  Patientin  Wharton  S  i  n  k  1  e  i’s  62)  wuchs  noch  im 
Laufe  von  drei  Jahren  um  8  cm.  Das  Aeusserste  dürfte  der 
fast  40jährige  Patient  Thomso n’s  63)  geleistet  haben,  der  in 
zwei  Jahren  noch  um  6  cm  wuchs. 

Das  Wiedererwachen  der  Wachsthumsenergie  erfolgt 
manchmal  in  sehr  stürmischer  Weise;  so  beobachtete  Hertoghe64) 
in  sechs  Wochen  eine  Zunahme  um  10cm;  Abrams65)  in 
sechs  Wochen  um  3cm;  Rehn66)  sah  einen  seiner  Kranken 
in  acht  Tagen  um  1  cm  zunehmen. 

3.  Verkleinerung  und  endliche  Schliessung 
der  bis  dahin  offen  gebliebenen  grossen  Fonta¬ 
nelle.  Eine  Theilerscheinung  der  cretinischen  Wachsthums¬ 
störung  ist  das  abnorm  lange,  oft  bis  weit  ins  zweite,  ja  ins 
dritte  Decennium  reichende  Offenbleiben  der  Fontanelle.  Unter 
der  Schilddrüsenbehandlung  verkleinert  sich  die  Fontanelle 
rasch  und  hat  sich  in  mehreren  Fällen  noch  während  der 
Dauer  der  Beobachtung  vollständig  geschlossen. 

4.  Beschleunigung  der  Zahnentwicklung. 
Der  Zahndurchbruch  erfolgt  beim  Cretin  meist  sehr  verspätet; 
ebenso  lässt  der  Ersatz  der  Milchzähne  durch  die  bleibenden 
Zähne  meist  lange  auf  sich  warten;  die  ersteren  bleiben  oft 
bis  gegen  das  Ende  des  zweiten  Decenniums  und  länger.  Unter 
der  Schilddrüsenbehandlung  wird  das  Versäumniss  rasch  nach¬ 
geholt;  ein  Zahn  nach  dem  anderen  bricht  durch,  und  wenn 
die  Patienten  schon  in  dem  betreffenden  Alter  sind,  erfolgt 
rasch  der  Ersatz  der  Milchzähne  durch  die  bleibenden  Zähne. 
Auch  dieser  Process  vollzieht  sich  noch  über  die  normale 
Altersgrenze  hinaus;  so  bekam  z.  B.  Wharton  Sinklei’s 
30jährige  Patientin  in  drei  Jahren  noch  vier  neue  Zähne. 

5.  Die  ausgebliebene  Entwicklung  der  Genitalien, 
der  Geschlechtsfunction  und  der  secundären  Geschlechts- 
Charaktere  stellt  sich  ein,  oder,  wenn  dieselbe  nur  zurück¬ 
geblieben  war,  wird  sie  gefördert. 

Es  liegen  darüber  hauptsächlich  Berichte  von  weiblichen 
Kranken  vor.  Bei  denselben  tritt  die  bisher  ausgebliebene 
Menstruation  ein  (z.  B.  bei  einer  26jährigen  Patientin  Lunn’s), 
oder  sie  wird  im  Gegensatz  zu  früher  reichlich  und  regel¬ 
mässig.  Bei  der  27jährigen  Patientin  Murray’s67)  z.  B.,  bei 
der  vor  der  Behandlung  die  Brustdrüsen  ganz  unentwickelt  ge¬ 
wesen  waren,  sind  nach  vier  Jahren,  wie  auch  aus  einer  der 
Krankengeschichte  beigegebenen  Photographie  zu  ersehen,  recht 
gut  entwickelte  Brustdrüsen  vorhanden.  Auch  vom  ersten  Auf¬ 
treten  von  Schamhaaren  während  der  Behandlung  wird  be¬ 
richtet. 

6.  Die  bei  Cretins  oft  vorhandene  Makroglossie,  in 
Folge  deren  die  Zunge  aus  dem  geöffneten  Munde  herausragt 
und  sogar  manchmal  die  Zahnstellung  eine  abnorme  wird,  geht 


r>8)  Deutsche  medicinisehe  Wochenschrift.  1894. 

59)  Bulletin  de  l’Academie  royale  Belgique.  1896. 
co)  Lancet  1899. 

61)  Bulletin  de  l’Academie  royale  Belgique.  1896. 

G~)  Philadelph.  med.  Journ.  1898. 

G'4)  Brit.  med.  Journ.  1896. 

64)  Bulletin  de  l’Academie  royale  Belgique.  1895. 

G5)  Brit.  med.  Journ.  1897. 

GG)  Verhandlungen  des  XIV.  Congresses  für  innere  Medicin. 
G7)  Lancet.  1899. 


420 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


während  der  Behandlung  zurück;  die  Zunge  verkleinert  sich, 
tritt  hinter  die  Zahnreihen  zurück  und  der  Mund  schliesst  sich. 

7.  Schwinden  des  N  a  b  e  1  b  r  u  c  h  e  s.  Sehr  viele 
Cretins  haben  neben  einem  sehr  ausgedehnten  Abdomen  einen 
Nabelbruch.  Unter  der  Behandlung  verkleinert  sich  das  Ab¬ 
domen.  der  Nabelbruch  geht  zurück  und  schwindet  end¬ 
lich  ganz. 

8.  Haarwachsthum.  In  vielen  Fällen  wird  berichtet, 
dass  das  Kopfhaar  der  Kranken  während  der  Behandlung  auf¬ 
fallend  gewachsen  sei,  fein,  weich  und  reichlich  geworden  sei. 
ln  manchen  Fällen  wird  hiezu  berichtet,  dass  erst  das  grobe, 
struppige,  kurze  Haar,  das  den  Cretins  eigen  ist,  ausgefallen 
und  dann  erst  neues  Haar  nachgewachsen  sei. 

9.  Steigerung  der  Körpertemperatur.  Die  ge¬ 
wöhnlich  subnormalen  Temperaturen  der  Cretins  erhöhen  sich 
in  Folge  der  Behandlung  zu  Normal-Temperaturen,  ja  bei 
reichlicher  Schilddrüsenzufuhr  treten  sogar  vorübergehend 
febrile  Temperaturen  auf. 

10.  Die  Harnstoffaussc  hei  dung  der  Kranken  wird 
entsprechend  ihrem  durch  die  Behandlung  gesteigerten  Stoff¬ 
wechsel  vermehrt. 

1 1.  Was  endlich  die  Besserung  der  psychischen 
und  nervösen  Functionen  anbelangt,  so  ist  zunächst 
ein  Erfolg  schon  frühzeitig  zu  bemerken  und  sehr  auffallend. 
Die  behandelten  Individuen  verlieren  die  für  den  Cretin 
charakteristische  Apathie  und  Bewegungsunlust;  sie  werden 
lebhaft,  aufgeweckt,  fangen  an  Interesse  zu  zeigen,  sind  den 
ganzen  Tag  auf  den  Beinen  und  werden,  wenn  überhaupt 
sprachfähig,  sehr  gesprächig. 

In  Bezug  auf  den  wichtigsten  Punkt,  die  Besserung  der 
Intelligenz,  sind  die  bisherigen  Versuche,  wie  zugestanden 
werden  muss,  noch  nicht  ausreichend,  um  ein  abschliessendes 
Urtheil  zu  fällen.  Nicht  als  ob  keine  Fortschritte  auf  intel- 
lectuellem  Gebiete  in  Folge  der  Behandlung  zu  verzeichnen 
wären;  im  Gegentheile,  fast  in  allen  Fällen  wird  die  auffallende 
Besserung  im  günstigen  Zustande  der  Behandelten  hervor¬ 
gehoben.  Aber  das  Endergebniss  lässt  sich  heute  noch  nicht 
fixiren,  es  lässt  sich  nicht  bestimmen,  wie  nahe  dem  Normal¬ 
zustände  man  durch  eine  consequent  fortgesetzte  Behandlung 
wird  kommen  können.  Es  ist  das  in  der  Natur  des  vor¬ 
liegenden  Materiales  begründet.  Die  meisten  der  bis  jetzt  be¬ 
handelten  Cretins  standen  im  zweiten  Decennium,  mehrere  im 
dritten,  vereinzelte  sogar  im  vierten,  nur  eine  Minderzahl  be¬ 
fand  sich  noch  im  ersten  Decennium.  [Es  ist  aber  von  vorne- 
lierein  kaum  zu  erwarten,  dass  ein  durch  den  Athyreoidismus 
10,  20  und  mehr  Jahre  schwer  geschädigtes  Gehirn  nach 
Behebung  dieser  chronischen  Vergiftung  die  Fähigkeit  haben 
sollte,  den  seinem  Alter  entsprechenden  Normalzustand  binnen 
Kurzem  zu  erreichen.  Ist  doch  der  geistige  Zustand  eines 
10 — 20 — 80jährigen  nicht  blos  das  Product  von  Vorgängen, 
deren  Bedingungen  im  Gehirn  selbst  gegeben  sind,  sondern 
auch  von  einer  Unsumme  von  äusseren  Einwirkungen  (Er¬ 
ziehung,  Unterricht,  individuelle  Lebenserfahrung),  denen  sein 
Gehirn  während  der  ganzen  Lebenszeit  ausgesetzt  war  und 
deren  Ausbleiben  beim  Cretin  durch  die  Schilddrüsenfütterung 
allein  nicht  wettgemacht  werden  kann.  Es  kann  dadurch 
das  Gehirn  höchstens  aufnahmsfähig  gemacht  werden  für 
diese  äusseren  Einwirkungen;  die  letzteren  selbst  können  aber 
gewiss  nur  ganz  unvollkommen,  und  das  erst  im  Laufe  der 
Zeit  nachgeholt  werden.  Dazu  kommt,  dass  die  vorliegenden 
Berichte  meist  nur  kurze  Zeiträume  umfassen,  oft  nur  Monate, 
selten  mehr  als  zwei  Jahre,  was  ja  bei  der  Neuheit  der  Methode 
ganz  selbstverständlich  ist. 

Man  würde  darum  ganz  Unrecht  tlmn,  wenn  man  die 
bereits  nachgewiesenen  Erfolge  mit  pessimistischen  Augen  an- 
selien  würde;  sie  sind  auch  in  einzelnen  Fällen,  wo  die  Be¬ 
dingungen  günstige  waren,  erfreulich  genug,  um  uns  mit 
Hoffnung  für  die  Zukunft  zu  erfüllen.  Wenn  z.  B.  Thomson68) 
berichtet,  dass  eine  Cretine,  bei  der  die  Behandlung  bereits  im 
fünften  Lebensjahre  eingeleitet  wurde,  mit  acht  Jahren  so  weit 
war,  dass  sie  die  Schule  besuchen  konnte  und  nicht  schlechter 

6S)  Brit.  med.  Journ.  1896. 


war,  als  die  anderen  Kinder,  so  ist  das  das  Aeusserste  dessen, 
was  man  erwarten  konnte.  Ebenso,  wenn  man  von  Rehn69) 
hört,  dass  sein  mit  61/.,  Jahren  in  Behandlung  gekommener 
Fall  nach  einjähriger  Behandlung  mit  Erfolg  in  die  Schule 
eintreten  konnte,  und  dass  ein  zweiter  von  4l/2  Jahren  ab  be¬ 
handelter  Fall  nach  dreijähriger  Cur  als  geistig  hoffnungsvoll 
bezeichnet  werden  konnte.  Solche  und  ähnliche  Fälle  sind  aber 
doch  noch  vereinzelt.  Man  ward  daher  mit  dem  Urtheile  über 
den  Grad  der  möglichen  Besserung  auf  intellectuellem  Gebiete 
zurückhalten  müssen,  bis  eine  genügende  Anzahl  von  Fällen 
vorliegen  wird,  bei  denen  die  Behandlung  in  frühem  Lebens¬ 
alter  begonnen  und  hinlänglich  lang  fortgesetzt  worden 
sein  wird. 

Nochmals  möchte  ich  aber  betonen,  dass  nur  der  Grad 
der  erreichbaren  Besserung  noch  fraglich  sein  kann;  dass  über¬ 
haupt  eine  auffallende  Besserung  auch,  auf  geistigem  Gebiete 
erzielt  wird,  beweisen  schon  die  bisherigen  Berichte  zur  Genüge. 
Nicht  selten  sind  unter  anderen  auch  die  Fälle,  in  denen  Cretins 
weit  über  das  dem  Auftreten  dieser  Leistungen  entsprechende 
Alter  nicht  sprachen,  ja  selbst  nicht  gehen  konnten  und  diese 
Fähigkeiten  unter  Schilddrüsenbehandlung  rasch  erlangten. 

So  viel  über  die  Wandlungen,  welche  das  Krankheitsbild 
in  seinen  einzelnen  Symptomen  erfährt.  Fassen  wir  Alles  noch¬ 
mals  zusammen,  so  haben  wir  vor  der  Behandlung  ein  Geschöpf, 
das  in  seiner  plumpen  Unförmlichkeit  und  Hässlichkeit  nicht  blos 
Mitleid,  sondern  auch  Abscheu  erweckt,  theilnahmslos  vor 
sich  hin  brütet  und  in  einem  Zustand  mangelhafter  körper¬ 
licher  und  geistiger  Entwicklung  zeitlebens  verharrt;  nach  der 
Behandlung  ein  dem  normalen  menschlichen  Typus  ent¬ 
sprechendes,  manchmal  sogar  höheren  ästhetischen  Anforderungen 
genügendes70)  wenn  auch  etwas  hinter  seinen  Jahren  zurück¬ 
gebliebenes  W esen,  das  in  seiner  Lebhaftigkeit  und  erwachen¬ 
den  Intelligenz  frohe  Hoffnungen  für  die  Zukunft  erweckt. 

Für  die  Methode  der  Behandlung  ergaben  sich  nach  den 
bisherigen  Erfahrungen,  die  sich  ja  allerdings  bei  der  Neuheit 
der  Methode  erst  über  einige  Jahre  erstrecken,  einige  wichtige 
Anhaltspunkte. 

Vor  Allem  muss  die  Behandlung  voraussichtlich  lebens¬ 
länglich  fortgesetzt  werden.  Die  verabreichte  Schilddrüsen¬ 
substanz  soll  ja  bei  dem  Kranken  den  Mangel  oder  das  Deficit 
seiner  eigenen  Schilddrüsenfunction  ersetzen.  Thatsächlieh  be¬ 
richten  mehrere  Autoren,  dass  mit  dem  Aussetzen  der  Behand¬ 
lung  auch  die  erreichten  Erfolge  theilweise  wieder  verloren 
gehen.  Die  Kranken  verlieren  ihre  Lebhaftigkeit  und  verfallen 
wieder  in  Torpor,  die  Hautschwellungen  treten  wieder  auf,  die 
Körpertemperatur  sinkt  u.  s.  w.  Es  muss  also  immer  wieder 
neue  Schilddrüsensubstanz  zugeführt  werden,  um  die  erreichten 
Erfolge  festzuhalten. 

Ferner  geben  unsere  Autoren  an,  dass  man  bezüglich 
der  Dosirung  zwei  Stadien  unterscheiden  muss:  In  dem  ersten 
Stadium  handelt  es  sich  darum,  die  vorhandenen  Schäden  des 
Athyreoidismus  zu  beseitigen  und  dazu  sind  grössere  Dosen 
nothwendig,  die  allerdings  für  jedes  einzelne  Individuum  be¬ 
stimmt  werden  müssen,  denn  bei  zu  grossen  Dosen  können 
auch  unangenehme  Erscheinungen,  wie  Schwächezustände, 
Zittern,  Pulsbeschleunigung,  Fieber,  Erbrechen,  Durchfall  etc. 
eintreten.  In  dem  zweiten  Stadium,  in  dem  es  sich  darum 
handelt,  die  erreichten  Erfolge  festzuhalten,  kommt  man  mit 
geringeren  Dosen  aus,  oder  es  genügt,  die  anfänglichen  Dosen 
nicht  täglich,  sondern  ein  bis  zweimal  wöchentlich  zu  geben. 

Ferner  sind  die  Erfolge  um  so  grösser  und  treten  um  so 
rascher  auf,  in  je  früherem  Alter  die  Behandlung  begonnen 
wird.  Dass  bei  den  bis  jetzt  mitgetheilten  Fällen  die  Behandlung 
erst  in  einem  mehr  weniger  vorgeschrittenen  Alter  begonnen 
wurde,  hängt  damit  zusammen,  dass  die  Methode  erst  vor 
Kurzem  gefunden  wurde.  Man  wird  aber  in  Zukunft  einen 

69)  1.  c. 

70)  Viele  Autoren  haben  ihre  Mittheilungen  mit  Photographien  der 
Behandelten  aus  verschiedenen  Stadien  der  Cur  ausgestattet.  Gegenüber¬ 
stellungen  von  Bildern  vor  und  nach  der  Behandlung,  wie  sie  z.  B. 
Hertoghe  (Bulletin  de  l’Academie  royale  Belgique.  1899,  Fig.  10  und  11) 
und  Lock  hart  Gibson  (Brit  med.  Journ.  1897,  pag.  1341,  Fig.  1,  2,  3) 
bringen,  haben  geradezu  etwas  Rührendes  an  sich. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Cretinismus  nicht  10,  20  Jahre  und  länger  bestehen  lassen, 
sondern  mit  der  Behandlung  beginnen,  sobald  die  Diagnose 
feststeht.  Die  Diagnose  des  Cretinismus  in  den  frühesten 
Lebensaltern  ist  aber  eine  unsichere,  weil  der  Grad  der  Ent¬ 
wicklungshemmung  erst  aus  dem  Vergleiche  der  zu  erwartenden 
und  der  thatsächlich  erfolgten  Entwicklung  bemessen  werden 
kann.  Murray71)  empfiehlt  daher,  bei  allen  Kindern,  die  in  der 
Entwicklung  auffällig  zurückblieben,  versuchsweise  durch 
einige  Monate  Schilddrüsenfütterung  durchzuführen.  Macht  die 
Entwicklung  unter  dieser  Behandlung  merkliche  Fortschritte, 
so  kann  dies  als  Beweis  angesehen  werden,  dass  die  Ent¬ 
wicklungshemmung  durch  Athyreoidismus  bedingt  war,  und 
damit  ist  die  Indication  für  die  Fortsetzung  der  Behandlung- 
gegeben. 

Nach  dem  Gesagten  wird  man  das  Verlangen,  dass  solche 
Versuche  auch  beim  endemischen  Cretinismus  in  umfänglichem 
Masse  angestellt  werden  sollen,  kaum  weiter  zu  rechtfertigen 
brauchen.  Bei  der  Eigenart  der  Verhältnisse,  unter  denen  die 
Opfer  des  endemischen  Cretinismus  leben,  könnten  solche  Ver¬ 
suche  nur  von  der  staatlichen  Sanitätsverwaltung  ausgehen. 
Die  Wichtigkeit  der  Sache  erhellt  wohl  sofort,  wenn  man  be¬ 
denkt,  dass  der  endemische  Cretinismus  in  unseren  Alpenländern 
und  auch  noch  in  anderen  Gegenden  der  Monarchie  (z.  B.  ge¬ 
wisse  Theile  von  Ungarn  und  Galizien)  eine  Seuche  darstellt, 
die  nach  der  Tuberculose  und  Syphilis  die  meisten  Opfer 
fordert. 


Aus  dem  Ospedale  Civico  in  Triest. 

Ein  Fall  von  cerebraler  Kinderlähmung  mit 
wechselständiger  Abducensparalyse. 

Von  Dr.  Eduard  Menz. 

Im  Jahre  1892  brachte  ich  in  dieser  Zeitschrift  einen 
Fall  von  cerebraler  infantiler  Hemiplegie  mit  doppelseitiger 
Oculomotoriuslähmung  zur  Veröffentlichung,  den  ich  auf  der 
Klinik  weiland  Hofrath  Kahler’s  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatte.  Seither  bin  ich  der  Literatur  über  diesen  Gegenstand 
aufmerksam  gefolgt,  konnte  jedoch  keiner  weiteren  in  das 
engere  Gebiet  der  Augenmuskellähmungen  einschlägigen  Publi¬ 
cation  begegnen.  Derartige  Befunde  scheinen  somit  zum  Unter¬ 
schiede  von  jenen  bei  der  diplegischen  Cerebrallähmung 
(Freu  d),  oder  der  L  i  1 1 1  e’schen  Krankheit  schlechtweg,  nach 
wie  vor  sehr  selten  zu  sein.  In  der  im  Jahre  1896  erschienenen 
ungemein  gewissenhaften  Zusammenstellung  Marina’s1)  werden 
im  betreffenden  Capitel  nur  zwei  Fälle  ausgeführt:  der  meinige, 
und  der  auch  schon  von  mir  in  meiner  früheren  Arbeit  citirte 
Fall  W allenber g’s.2)  Sigmund  Freud  erwähnt  in  seiner 
Monographie  aus  dem  Jahre  1897  3)  nur  noch  zweier  minder 
ausgesprochener  älterer  Falle;  bei  dem  einen  fanden  sich  »Reste 
einer  wechselständigen  Oculomotoriuslähmung  (Ptosis)«;  bei  dem 
anderen  »trat  nach  einem  neuen  Krankheitsschub  (mit  Fieber 
und  Convulsionen)  eine  vorher  gewiss  nicht  vorhandene 
Lähmung  des  wechselständigen  Abducens  auf,  die  sich  nach 
kurzer  Zeit  zurückbildete.4)« 

Demnach  können  Augenmuskellähmungen,  was  sowohl 
I  r  e  u  d  und  R  i  e  5)  als  auch  Seeligmüller6)  ausdrück¬ 
lich  hervorheben,  nicht  als  Theilerscheinung  der  infantilen 
cerebralen  Hemiplegie  aufgefasst,  müssen  dagegen  im  Einzel¬ 
falle  als  Complicationen  oder  als  Zeichen  einer  Localerkrankung 
gedeutet  werden. 

In  diesem  letzteren  Sinne  bietet  der  im  Nachstehenden 
mitgetheilte  Fall,  den  mir  ein  glücklicher  Zufall  wieder  in  die 
Hände  spielte,  einiges  Interesse. 

71)  Lancet.  1899. 

')  lieber  multiple  AugeDmuskellähmungen  etc.  Wien  1896.  Franz 
Deuticke. 

~)  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  1888,  Bd.  XIX. 

J)  Die  infantile  Cerebrallähmung'.  Wien  1897.  Holder. 

4)  I  reud  und  Rie,  Klinische  Studie  über  die  halbseitige  Cerebral¬ 
lähmung  der  Kinder.  1891,  Fall  33  und  19. 

5)  1.  c. 

6)  Realencyklopädie  der  gesamraten  Heilkunde.  3.  Auflage,  Bd.  XII. 


E.  D.,  10  Jahre  alt,  wurde  im  Februar  1900  auf  der  Ab¬ 
theilung  des  Primararztes  Dr.  G  e  r  m  o  n  i  g,  dem  ich  hiemit  für  die 
Ueberlassung  des  Falles  meinen  besonderen  Dank  ausspreche,  wegen 
Schwäche  und  Bewegungsstörungen  der  rechten  oberen  und  unteren 
Extremität  aufgenommen. 

Es  ist  das  zweitgeborene  Kind  gesunder  Eltern,  kam  ohne 
ärztliche  Hilfe  auf  die  Welt.  Vier  Geschwister  leben  und  sind  ge¬ 
sund.  Im  Alter  von  sechs  Monaten  erkrankte  es  an  Fieber,  das 
wenige  Tage  anhielt;  am  dritten  Krankheitstage  fanden  es  die 
Eltern  regungslos  im  Bette  liegen.  Bei  der  näheren  Untersuchung 
wurden  sie  gewahr,  dass  das  Kind  schielte  und  rechtseitig  gelähmt 
war.  Die  Lähmung  ging  in  der  Folge  bedeutend  zurück,  das  Schielen 
blieb  bestehen.  Das  Kind  lernte  mit  drei  Jahren  gehen  und  ist 
seither  nicht  mehr  krank  gewesen.  Geistig  soll  es  normal  entwickelt 
sein.  Es  leidet  an  keinerlei  convulsiven  Anfällen. 

Status  praesens:  Dem  Alter  entsprechend,  gut  entwickeltes 
Mädchen  von  kräftigem  Knochenbau,  gut  entwickelter  Musculatur. 
Haut  elastisch,  sichtbare  Schleimhäute  gut  gefärbt.  Puls  76,  rhyth¬ 
misch,  Arterie  weich,  Pulswelle  normal.  Respiration  16,  thorako- 
abdominal.  Die  Untersuchung  der  Brust-  und  Unterleibsorgane  er¬ 
gibt  normalen  Befund. 

Die  Untersuchung  des  Schädels  ergibt  keine  auffallende  Asym¬ 
metrie.  Grösste  Peripherie  50  cm.  In  der  Mitte  der  Stirne,  knapp 
am  Haarrande  eine  etwa  fingernagelgrosse  frei  bewegliche  Narbe. 
Keine  sichtbaren  Degenerationszeichen  am  Schädel  und  im  Gesichte. 
Bei  Betrachtung  desselben  fällt,  abgesehen  von  dem  später  zu  be¬ 
schreibenden  Strabismus,  eine  gewisse  mimische  Unruhe  auf,  die 
sofort  an  Chorea  erinnert  und  sich  in  zuckenden  Bewegungen  der 
Stirnhaut,  der  Nasenflügel  und  der  Lippen  äussert.  Auf  besondere 
Aufforderung  hin  vermag  Patientin  nur  mangelhaft  diese  Bewegungen 
zu  unterdrücken.  Hiebei  verräth  sie  eine  enorme  Emotivität  und 
beginnt,  trotz  guter  Worte,  zu  weinen. 

Ptosis  besteht  nicht.  Die  Bewegungen  des  rechten  Bulbus 
sind  frei :  er  folgt  dem  vorgehaltenen  Finger  nach  allen  Richtungen 
bis  in  die  Extreme.  Der  linke  Bulbus  ist  dagegen  für  gewöhnlich 
im  Canthus  internus  eingestellt ;  er  kann  zwar  normal  gehoben  und 
gesenkt  werden,  vermag  jedoch  nicht  beim  Blicke  nach  aussen  die 
Mittellinie  der  Rima  zu  überschreiten ;  es  geschieht  höchstens  ruck¬ 
weise,  bei  sichtlich  äusserster  Anstrengung  der  kleinen  Patientin. 
Beide  Pupillen  reagiren  prompt  auf  Licht;  die  Accommodation  ist 
vollkommen  erhalten.  Bei  gewöhnlicher  Einstellung  des  linken  Bulbus 
im  Canthus  internus  erscheint  die  linke  Pupille  etwas  weiter.  Doppel¬ 
bilder  bestehen  nicht.  Die  Sehkraft  des  rechten  Auges  ist  normal. 
Mit  dem  linken  gelingt  Fingerzählen  kaum  auf  1  m  Distanz.  Von  der 
Untersuchung  des  Augenhintergrundes  wurde  wegen  Ungeberdigkeit 
der  kleinen  Patientin  abgesehen. 

Beim  Stirnrunzeln  legt  sich  die  Haut  links  in  deutlichere 
Falte,  denn  rechts,  die  rechte  Augenbraue  bleibt  hiebei  etwas  gegen 
die  linke  zurück.  Der  Lidschluss  erfolgt  beiderseits  kräftig,  jedoch 
mit  überwiegender  Energie  auf  der  linken  Seite.  Beim  Runzeln  der 
Nasenhaut  und  beim  Zähnezeigen  erweist  sich  der  rechte  VII. 
ebenfalls  als  der  schwächere,  auch  die  rechte  Nasolabialfalte  ist 
weniger  ausgesprochen  als  die  linke.  Bei  mimischer  Ruhe  steht 
jedoch  eher  der  rechte  Mundwinkel  höher  und  der  rechts  von  der 
Medianlinie  liegende  Theil  der  Lippenspalte  erscheint  um  ein  Geringes 
kleiner  (Contractur). 

Die  Zunge  wird  gerade  vorgestreckt,  die  Uvula  weicht  nicht 
ab.  Die  Wirbelsäule  weist  eine  geringe  sinistroconvexe  statische 
Skoliose  auf:  besonders  auffällig  ist  dagegen  die  Haltung  der  rechten 
oberen  und  unteren  Extremität  und  der  Gang  der  Patientin. 

Der  rechte  Oberarm  wird  gegen  den  Thorax  in  Adduction, 
der  Vorderarm  in  einem  rechten  Winkel  zum  Oberarm  in  pronirter 
Stellung,  die  Hand  in  extremster  Volarflexion  unter  Zuhilfenahme 
der  anderen  Hand  ruhig  erhalten.  Dies  ist  das  gewöhnliche  Auf¬ 
treten  der  Patientin.  Lässt  sie  auf  Aufforderung  hin  die  rechte 
Hand  frei,  so  schnappt  geradezu  der  rechte  Vorderarm  mit  der 
Hand  in  Supination,  die  Finger  ballen  sich  fast  zur  Faust,  und  es 
treten  die  früher  unterdrückten  Zuckungen  im  Schulter-  und  im 
Ellbogengelenke  auf,  welche  gleichzeitig  mit  athetoseartigem  Heben 
und  Senken  einzelner  Finger  einhergehen. 

Die  active  Beweglichkeit  der  oberen  rechten  Extremität  ist 
ausserordentlich  beschränkt,  was  nicht  blos  auf  Rechnung  der  vor¬ 
handenen  Parese,  sondern  auch,  und  nicht  zum  geringsten  Theile, 


428 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


auf  jene  der  vorhandenen  Muskelcontracturen  und  der  choreo-athe- 
tolischen  Bewegungen  zu  setzen  ist.  Dieselben  Contract uren  sind 
es,  die  den  passiven  Bewegungen  nur  einen  sehr  beschränkten 
Spielraum  lassen. 

Im  Knochenwachsthum  weisen  die  beiden  oberen  Extremitäten 
kaum  merkliche  Unterschiede  auf.  Die  Musculatur  ist  rechts  eher 
kräftiger  denn  links,  was  wohl  als  eine  Arbeitshypertrophie  auf¬ 
gefasst  werden  muss.  So  hat  beispielsweise  der  rechte  Oberarm 
über  den  Biceps  20  cm,  der  linke  19  cm  Umfang. 

Auch  die  untere  rechte  Extremität  weist  in  der  Ruhe  unwill¬ 
kürliche  Bewegungen  choreatisch-athetoti sehen  Charakters  auf:  sie 
fühlt  sich  hart  an,  und  wir  finden  auch  hier  wieder  Muskelrigidität 
und  Contracturen.  Der  Kuss  wird  in  Equinostellung  gehalten,  die 
weder  activ  noch  passiv  wesentlich  corrigirbar  ist.  Der  Gang  der 
Patientin  ist  deutlich  hemiparetisch,  wird  jedoch  überdies  durch 
die  choreatischen  Zuckungen  noch  beeinflusst. 

Die  Untersuchung  der  Sensibilität  ergibt  am  ganzen  Körper 
normale  Befunde.  Auch  die  elektrische  Prüfung  bot  bezüglich  der 
erkrankten  Extremitätenmusculatur  nichts  Wesentliches. 

Die  Haut-  und  Sehnenreflexe  sind  beiderseits  erhalten.  Rechts 
sind  sie  wegen  der  steten  Muskelspasmen  nur  mit  Mühe  auszulösen, 

Der  oben  beschriebene  Fall  bedarf  eigentlich  kaum  einer 
weiteren  Erörterung.  Wir  haben  es  mit  den  Folgezuständen 
einer  bei  einem  sechsmonatlichen  .Kinde  acut  aufgetretenen 
halbseitigen  Lähmung  zu  thun,  die  sich  heute  als  rechtsseitige 
Hemiparese  mit  Contracturen  und  Muskelspasmen  in  den  be¬ 
troffenen  Gliedern  äussert:  das  gewöhnliche,  bekannte  Bild  der 
cerebralen  Hemiplegie.  Aus  dem  Rahmen  desselben  tritt  nur 
die  wecliselständige  Abducenslähmung.  Die  Deutung  dieser 
letzteren  unterliegt  jedoch  keiner  weiteren  Schwierigkeit  — 
ist  doch  die  alternirende  Sextuslähmung  erfahrungsgemäss 
ebenso  ein  klinischer  Hinweis  für  die  topische  Diagnose  eines 
Herdes  im  Pons  Varoli,  wie  die  wechselständige  Tertiuslähmung 
auf  eine  Läsion  des  Hirnschenkelfusses  hindeutet.  Folgen  wir 
noch,  behufs  näherer  Localisation  den  Ausführungen  Gowers7), 
so  können  wir  vielleicht  auch  behaupten,  dass  mit  Rücksicht 
auf  das  Erhaltensein  der  conjugirten  Bewegungen  beider  Augen 
nach  links,  die  Integrität  des  linken  Abducenskernes  selbst 
gewährleistet  ist,  da  ja  der  letztere  mit  den  Fasern  des  III. 
für  den  Rectus  medialis  der  anderen  Seite  in  Verbindung  steht. 

Bei  dieser  Auffassung  des  Falles  braucht  die  Einheitlich¬ 
keit  der  Läsion,  für  die  übrigens  die  Anamnese  ja  deutlich 
spricht,  gar  nicht  in  Frage  zu  kommen;  der  Fall  selbst  reiht 
sich  aber  trotz  mangelnden  Sectionsbefundes  ebenbürtig  neben 
den  Fall  Wallenberg’s,  bei  dem  thatsächlich  ein  Herd  in 
dem  Hirnstamme  gefunden  wurde. 


Ueber  die  Nachkommenschaft  der  Hereditär¬ 
syphilitischen. 

Von  Prof.  E.  Finger. 

Referat,  über  Ersuchen  des  Organisationscomites  erstattet  für  den  IV.  inter¬ 
nationalen  Congress  für  Dermatologie  und  Syphilidologie  in  Paris  vom 

2.-9.  August  1900. 

(Schluss.) 

III.  Der  letzte  Punkt,  den  wir  nun  noch  zu  besprechen 
haben,  ist  die  Frage  der  Vererbung  der  Immunität 
auf  die  Nachkommen  Syphilitischer  auch  dann, 
wenn  denselben  Syphilis  als  solche  nicht  vererbt  wird. 

Diese  Ansicht  von  der  Vererbung  der  Immunität  hat 
sich  allmälig  ausgebildet  und  ist  schon  sehr  alt.  Schon  Fra- 
c  a  st  or,  Brassavolus,  Fallopius,  Tomitanus,  ins¬ 
besondere  Alex.  T  r  a  j.  Petronius  nehmen  eine  solche 
Vererbung  der  Immunität  an  und  seither  hat  sich  diese  An¬ 
nahme  eigentlich  unwidersprochen  in  unserer  Literatur  er¬ 
halten. 

Zwei  Momente  stützen  diese  Ansicht.  Einmal  dieThat- 
saclie,  dass  die  Syphilis  im  V  erlaufe  der  letzten 

7)  Citirt  aus:  Sckmidt-Rimpler,  Die  Erkrankungen  des  Auges  im 
Zusammenhänge  mit  anderen  Krankheiten.  1898,  Holder. 


vier  Jahr  hunderte  einen  wesentlich  milderen  Ver¬ 
lauf  angenommen  hat.  Mag  es  auch  richtig  sein,  was 
Proksch  und  Buret  historisch  feststellten,  dass  die  Syphilis 
zur  Zeit  ihrer  grossen  ersten  Epidemie  nicht  durchwegs  bös¬ 
artig  auftrat,  nur  maligne  Formen  producirte,  auch  damals 
schon  neben  dem  bösartigen  ein  milder  Verlauf  bekannt  war. 
Eines  scheint  doch  zweifellos,  dass  zur  Zeit  der  ersten  Epidemie 
die  relative  Zahl  maligner  Fälle  eine  weitaus  grössere  war,  als 
heute.  Wohl  haben  verschiedene  Factoren,  die  genauere  Kennt- 
niss  der  Krankheit,  richtigere  Behandlung,  Besserung  der 
hygienisch-diätetischen  Verhältnisse  etc.  dazu  beigetragen,  den 
Verlauf  der  Syphilis  zu  mildern.  Eines  bleibt  doch  auffallend, 
dass  schon  die  Zeitgenossen  der  ersten  Epidemie  unter  jenen 
Momenten,  die  milderen  Verlauf  der  Syphilis  bedingten,  die 
vererbte  relative  Immunität  anführen.  Besonders  thut  dieses 
Petro  n  ins,  der  ausdrücklich  betont,  durch  den  wiederholten 
Uebergang  von  einer  Generation  auf  die  andere  sei  das  syphi¬ 
litische  Gift  von  dem  menschlichen  Organismus  allmälig  assi- 
milirt  worden  und  eine  neue  Infection  vermöge  deshalb  gegen¬ 
wärtig  keineswegs  mehr  die  Wirkungen  wie  in  der  ersten 
Periode  der  Krankheit  zu  erzielen.  Es  ist  dies  eine  Ansicht, 
die  noch  in  unserem  Jahrhunderte  von  D  i  d  ay,  L  a  n  g  1  e  b  e  r  t 
etc.  wieder  aufgenommen  wurde.  Können  wir  auch  die  hier 
gegebene  Erklärung  von  der  allmäligen,  durch  Assimilirung 
erfolgten  Abschwächung  des  Virus  als  solchen  nicht  accep 
tiren,  da  ja  sonst  unter  dem  Einflüsse  des  durchwegs  abge¬ 
schwächten  Virus  nur  durchwegs  leichte  Formen  auftreten 
könnten,  wir  aber  im  Gegentheil  stets  die  Beobachtung 
machen,  dass  das  Virus  in  manchen  Organismen  auch  heute 
noch  bösartige  Formen  der  Syphilis  hervorzurufen  vermag, 
der  mildere  Verlauf  der  Syphilis  also  nicht  dem  Virus,  sondern 
dem  Organismus,  dem  Boden,  zuzuschreiben  ist,  so  bleibt 
durch  diese  Ueberlegungen  doch  die  Thatsache  des  progressiven 
Milderwerdens  der  Syphilis  nicht  tangirt,  ja  die  Thatsache, 
dass  der  mildere  Verlauf  der  Syphilis  nicht  dem  Virus,  sondern 
dem  inficirten  Organismus  entstammt,  also  der  Organismus  als 
solcher  sich  geändert  hat.  im  Laufe  der  Zeit  gegen  das  Virus 
refraetärer  geworden  ist,  im  Zusammenhalt  mit  der  Lehre  von 
der  erworbenen  Immunität  der  Syphilis,  führte  dazu,  diese 
grössere  Widerstandsfähigkeit  des  Organismus  auf  ererbte  Ein¬ 
flüsse,  ererbte  Immunität  zurückzuführen.  Diese  Lehre 
fand  auf  der  anderen  Seite  ihre  Stütze  an  Be¬ 
obachtungen,  die  man  an  bisher  von  Syphilis 
verschonten  Völkern,  sobald  zu  denselben 
Syphilis  i  m  p  o  r  t  i  r  t  wurde,  und  bei  der  soge¬ 
nannten  Syphilis  maligna  machte.  Schon  Petro¬ 
nius  betonte,  dass  schon  zu  seiner  Zeit  die  Syphilis,  wenn 
sie  bei  völlig  gesunden,  von  ererbter  Einwirkung  völlig  freien 
Personen  auftrat,  im  vollsten  Masse  die  Bösartigkeit  der  ersten 
Periode  darbot.  Nachdem  aber  bei  Völkern  und  Stämmen,  die 
von  Syphilis  verschont  blieben,  diese  ererbte  Einwirkung  fehlt, 
muss,  falls  eine  solche  Menschengruppe  an  Syphilis  erkrankt, 
die  Syphilis  zuerst  in  bösartiger  Form  auftreten  und  erst  im 
Verlaufe  der  Zeit,  wenn  die  hereditären  immunisirenden  Ein¬ 
flüsse  sich  geltend  zu  machen  beginnen,  mildere  Allüren  an¬ 
nehmen.  In  der  That  liegen  nun  solche  Berichte  vor.  Die 
älteren  derselben,  die  Sandwichinseln,  Mauritius,  Haiti,  die 
brasilianischen  Indianer  betreffend,  finden  wir  bei  Hirsch 
(Historisch-geographische  Pathologie.  1860),  Berichte  analogen 
Inhaltes  bezüglich  Schweden  und  Norwegen,  Jütland,  Oceanien 
bringt  R  e  y  (La  syphilis  suivant  les  races  et  les  climats. 
Annales  de  Dermat.  et  de  syphiligr.  1880).  Einen  Bericht  aus 
neuester  Zeit  bezüglich  der  Syphilis  der  Cattarunga-Indianer 
bringt  das  Philadelphia  Register  1888,  dahingehend,  die 
Syphilis  sei  bei  diesem  Indianerstamme  vor  etwa  50  Jahien 
eingeschleppt  worden,  sei  damals  in  den  nächsten  10 — 15  Jahren 
epidemisch  aufgetreten,  mit  schweren  Formen  und  so  allge¬ 
meiner  Verbreitung,  dass  kaum  eine  Familie  der  Infection 
entging.  Seither  sei  die  Syphilis  mild  und  selten  geworden, 
so  dass  in  den  letzten  fünf  Jahren  nur  zwei  Fälle  zur  Beob¬ 
achtung  kamen. 

Es  wird  also  so  der  milde  Verlauf  der  Syphilis  bei 
ganzen  Völkern  und  Volksstämmen  auf  hereditär-immunisirende 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Einflüsse  zurückgeführt,  wie  dies  für  Portugal  durch  Lee 
und  Fergusson  schon  Anfangs  des  Jahrhundertes  geschah. 

Dieselbe  Auffassung  über  das  Milder¬ 
werden  der  Syphilis  durch  he reditär -  immun i- 
sirende  Einflüsse,  deren  schwerer  Verlauf  dort, 
wo  diese  Einflüsse  fehlen,  bei  ganzen  Völkerstämmen, 
hat  man  in  der  letzten  Zeit  auch  dem  einzelnen 
Individuum  gegenüber,  falls  dasselbe  an 
schwerer,  sogenannter  maligner  Syphilis  er¬ 
krankte,  zur  Geltung  gebracht,  es  gilt  also  auch . 
wieder  die  schon  vor  400  Jahren  aufgestellte  Ansicht  von 
Petr  on  ins.  So  wird  ja  das  Auftreten  maligner  Syphilis  bei 
ganz  kräftigen,  gesunden  Individuen,  bei  denen  die  bekannten 
ätiologischen  Momente,  wie  Tuberculose,  Alkoholismus,  Malaria¬ 
siechthum,  depotenzirende  Krankheiten,  fehlen,  von  zahlreichen 
Autoren,  Ne  iss  er,  Lesser,  Haslund,  Ko  pp  etc.  darauf 
zurückgeführt,  dass  in  der  Ascendenz  des  betreffenden  Indi¬ 
viduums  durch  lange  Zeit  keine  syphilitische  Infection  vorkam, 
das  Individuum  also  keine  kereditär-immunisirenden  Eigen¬ 
schaften  erworben  hat,  eine  Ansicht,  die  wohl  recht  plausibel 
ist,  aber  kaum  je  streng  wissenschaftlich  bewiesen  werden 
dürfte. 

Als  Gegenstück  dieser  Fälle  wären  jene 
Beobachtungen  anzuführen,  die  dafür  sprechen, 
dass  bei  Individuen,  in  deren  Ascendenz  lueti¬ 
sche  Infection  erst  vor  Kurzem  v  o  r  f  i  e  1,  die 
Syphilis  auffällig  milde  verlief.  So  sprechen 
Hutchinson,  M  a  j  e  w,  N  e  i  s  s  e  r  davon,  dass  in  solchen 
Fällen  sich  nur  eine  typische  Initialsklerose,  aber  ohne  Con- 
secutivis,  entwickeln  könne.  Tarnowsky  erwähnt  30,  M  o  1  o- 
denkow  20,  C.  Paul  zwei  Fälle,  in  denen  bei  Nachkommen 
syphilitischer  Eltern  wohl  eine  syphilitische  Infection  zu  Stande 
kam,  dieselbe  aber  einen  auffällig  milden,  nahezu  abortiven 
Verlauf  nahm.  Tarnowsky  hebt  die  gewiss  auffällige  That 
Sache  hervor,  dass  unter  den  gesund  eingetragenen  Peters¬ 
burger  Prostituirten  nur  jene  von  syphilitischer  Infection  ver¬ 
schont  sind,  die  Anzeichen  hereditärer  Syphilis  darbieten. 

Als  eine  kieker  gehörige  Thatsache  ist  auch  die  von 
P  r  o  f  e  t  a,  vor  ihm  aber  schon  von  B  ehrend  hervorgehobene 
Beobachtung  zu  erwähnen,  die  seither  als  P  r  o  f  e  t  a’s  Gesetz 
bekannt  ist,  dahin  gehend,  dass  ein  gesundes  Kind  einer  im 
contagiösen  Stadium  der  Syphilis  befindlichen  Mutter  von 
dieser  durch  das  Stillen  und  Warten  nicht  inficirt  werde. 
Allerdings  fügt  Profeta  weiter  hinzu,  das  Kind  könne 
später,  sobald  dessen  Organismus  erneuert  ist,  syphilitischer 
Infection  wieder  zugänglich  werden.  Durch  eine  Verallgemei¬ 
nerung  auf  alle  Kinder  syphilitischer  Eltern  wurde  diese  Be¬ 
obachtung  auch  als  P  r  o  f  e  t  a’ s  c  h  e  s  Gesetz  bezeichnet, 
besagt  dann  also  eigentlich  mehr,  als  Profeta  selbst  aus- 
drücken  wollte. 

Es  haben  also  mehrfache  Beobachtungen, 
die  Beobachtungen,  dass  die  Syphilis  im  Laufe  der  Zeiten 
milderen  Verlauf  angenommen  habe,  dass  bei  Kindern  syphi¬ 
litischer  Eltern  die  Syphilis  mild  oder  abortiv  verlaufe,  here¬ 
ditär-syphilitische  Individuen  sich  gegen  Syphilisinfection  re- 
fractär  verhalten,  die  Beobachtung,  dass  secundär-syphilitische 
Mütter  ihre  gesunden  Kinder  nicht  zu  inficiren  pflegen,  endlich 
die  Auffassung  der  sporadischen  Fälle  von  maligner  Syphilis 
gesunder  Individuen  schon  seit  langer  Zeit  dahin 
geführt,  anzunehmen,  dass  ein  I  n  d  i  v  i  d  u  u  m,  d  a  s 
durch  acquirirte  Syphilis  gegen  Neuin  fection 
immun  geworden  sei,  diese  Immunität,  als  ab¬ 
solute  oder  relative,  auf  seine  Nachkommen  zu 
vererben  vermöge.  Prüft  man  aber  die  Stützeu  dieser 
Ansicht,  dann  muss  man  zugeben,  dass  sie  nicht  absolut  sicher 
sind,  nicht  den  Werth  wissenschaftlicher  Beweise  beanspruchen 
können.  So  hat  der  mildere  Verlauf  der  Syphilis  bei  durch¬ 
seuchten  Völkern  möglicher  Weise  ganz  andere  Ursachen,  die 
in  besserer  Hygiene,  Diät,  Therapie  etc.  zu  suchen  sind;  auch 
die  sporadisch  auftretende  maligne  Lues  kann  anderen  uns 
unbekannten  Factoren  und  nicht  dem  Fehlen  ererbter  Im¬ 
munität  ihre  Entstehung  verdanken;  die  Immunität  der  ge 
sunden  Kinder  syphilitischer  Eltern,  die  sogenannte  Pro- 


feta’sche  Immunität,  ist  bisher  durch  Impfung  nicht  erprobt, 
also  wissenschaftlich  nicht  erwiesen.  Es  hat  ja  Neisser  erst 
neulich,  und  gewiss  mit  Recht  darauf  hingewiesen,  dass  die 
Lehre  von  der  Immunität  bei  Syphilis  einer 
gründlichen  Revision  bedarf,  die  bisher  gelten¬ 
den  Ansichten  mehr  traditionell  als  wissen¬ 
schaftlich  begründet  seien.  In  der  That  kennen  wir 
eigentlich  für  die  Annahme  der  Vererbung  der  Immunität  bis¬ 
her  keine  zwingenden  Beweise,  wir  kennen  aber  eine 
Reihe  von  Thatsachen,  die,  wenn  auch  nicht 
direct  dagegen,  so  doch  dafür  sprechen,  dass 
eine  solche  Vererbung  der  Immunität  nur  in 
beschränktem  Masse  vorkomme,  zum  mindesten  in 
einer  nicht  geringen  Zahl  von  Fällen  ausbleibe.  Solche  That¬ 
sachen,  die  uns  in  unserem  Glauben  an  die  Vererbung  der 
Immunität  wanken  machen  müssen,  sind  :  1.  Die  Thatsache, 
dass  bei  acquirirter  Syphilis  selbst  die  Im¬ 
munität  oft  eine  zeitlich  begrenzteist,  Reinfectionen 
nach  nicht  so  langer  Zeit,  ja  wenn  auch  in  seltenen  Fällen 
schon  zur  Zeit  noch  bestehender  Erscheinungen  von  der  ersten 
Infection  her  zur  Beobachtung  kommen.  Hiebei  müssen  wir 
uns  noch  von  der  Erwägung  leiten  lassen,  dass  solche  Re¬ 
infectionen  vielleicht  noch  h  ä  u  fi  g  e  r  wären,  wenn 
nicht  sociale  Momente,  Vorsicht,  Routine,  Ehe  und  deren 
Surrogate,  weiters  Alter,  Impotenz  etc.  der  Häufigkeit  der¬ 
selben  entgegenarbeiten  würden.  2.  Die  Thatsache,  dass 
nicht  wenige  Fälle  bekannt  sind,  in  denen 
zweifellos  he  reditär  syphilitische  Individuen 
sich  reinficiren.  3.  Die  Thatsache,  dass  nicht 
wenigeFälle  bekannt  sind,  dass  gesunde  Kinder 
syphilitischer  Eltern  sich  inficiren  und  deren 
Syphilis  durchaus  nicht  immer  einen  milden 
Verlauf  nim  m  t. 

Die  Frage  der  Reinfection  nach  acquirirter  Syphilis  hier 
eingehend  zu  erörtern,  würde  den  Rahmen  dieses  Referates 
überschreiten,  ich  begnüge  mich  damit,  die  grosse  Zahl  zweifel¬ 
loser  Fälle  zu  constatiren  und  hervorzuheben,  dass  in  einem 
Theile  derselben  die  zweite  Infection  durchaus  nicht  jenen 
milden  Verlauf  darbot,  den  man  auf  Basis  einer  zurück¬ 
bleibenden,  wenigstens  relativen  Immunität  erwarten  sollte. 

Dagegen  möchte  ich  in  die  Besprechung  der  beiden 
anderen  Punkte  etwas  näher  eingehen.  Wohl  betrifft  die  hier 
niedergelegte  Casuistik  nur  die  zweite  Generation,  die  un¬ 
mittelbaren  Nachkommen  von  Eltern  mit  acquirirter  Syphilis, 
gehört  also,  strenge  genommen,  nicht  in  ein  Referat,  das  sich 
mit  den  Nachkommen  Hereditärsyphilitischer  zu  befassen  hat, 
aber  über  die  Immunität  dieser  liegt  uns  zur  Zeit  keine 
Casuistik  vor,  andererseits  wrerden  die  an  der  zweiten  Gene¬ 
ration  gemachten  und  vorliegenden  Beobachtungen  uns  manche 
Rückschlüsse  auf  die  dritte  und  die  weiteren  Generationen  g-e- 

O 

statten. 

A.  Wras  die  Reinfection  hereditärsyphiliti¬ 
scher  Individuen  betrifft,  so  möchte  ich  dieselben  in  zwei 
Gruppen  theilen,  in  deren  erste  jene  Individuen  gehören,  die 
echte,  ererbte  Syphilis  durchmachten,  während  in  der  zweiten 
Gruppe  jene  Fälle  zusammengefasst  sind,  bei  denen  die  Kinder 
keine  Zeichen  echter  congenitaler  Syphilis  darboten,  der  Ein¬ 
fluss  der  elterlichen  Syphilis  sich  nur  durch  die  bekannten 
Degenerationserscheinungen,  Stigmen,  äusserte. 

T.  Grupp  e.  Hieher  gehören: 

1.  Fall.  (Hutchinson,  Medical  Times  and  Gazette.  1863; 
Syphilis.  1887.)  Beide  Eltern  acquirirten  Syphilis  etwa  sechs  Jahre 
vor  Geburt  des  Kindes.  Drei  ältere  Kinder  starben  früh.  Der  Patient 
hatte  in  der  Kindheit  ein  luetisches  Exanthem,  mit  15  Jahren  eine 
Keratitis  punctata,  Iridochorioiditis,  die  auf  Quecksilber  heilte. 
20  Jahre  alt  acquirirte  derselbe  Syphilis,  hatte  eine  Roseola,  Ge¬ 
schwüre  im  Rachen  und  wurde  mit  Quecksilber  behandelt. 

2.  Fall.  (Merkel,  Baierisehes  Intelligenzblatt.,  1869.)  Ver¬ 
fasser  berichtet  über  einen  Fall,  ein  Mädchen  betreffend,  das  als 
Kind  eine  Perforation  des  harten  Gaumens  durch  Syphilis  erlitten 
batte,  strahlige  Narben  am  Mund  darbot,  mit  19  Jahren  aber  Er- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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scheinungen  frischer,  secundärer  Syphilis,  maculo-papulöses  Exanthem, 
Plaques  an  der  Vulva  darbot. 

3.  Fall.  (R  i  n  e  c  k  e  r,  Ueber  Scrophulose  und  Syphilis.  Sitzungs¬ 
berichte  der  physiologisch-medicinisehen  Gesellschaft  in  Würzburg. 
1881.)  Verfasser  stellt  einen  kräftig  gebauten,  29  Jahre  alten  Mann 
vor,  der  im  Alter  von  zehn  Jahren  nach  vorausgegangenem  Schar¬ 
lach  eine  Syphilis  hereditaria  tarda  unter  der  Form  von  Ulcerationen 
im  Nasen-Rachenraum  darbot,  die  mit  beträchtlicher  Deformation 
der  äusseren  Nase  heilten.  Vor  einem  Jahre  acquirirte  derselbe 
einen  phagedänischen  Initialaffect,  an  den  sich  ein  ulceröses  Haut¬ 
syphilid  anschloss. 

4.  Fall.  (Wolff,  Syphilis  hereditaria  tarda.  Volkmanri’s 
Vorträge.  1886.)  Wolff  berichtet  über  ein  Mädchen,  dessen  ältere 
Geschwister  unter  einem  Jahre  gestorben  waren.  Dieselbe  zeigte, 
16  Jahre  alt,  Virgo,  körperlich  sehr  mangelhaft  entwickelt,  ein 
luberculo-ulceröses  Syphilid  am  Rücken,  das  auf  antiluetische  Be¬ 
handlung  heilte.  Sechs  Jahre  später  hatte  dieselbe  einen  syphiliti¬ 
schen  Initialaffect  am  Labium  mit  secundär-syphilitischen  Con- 
secutivis. 

5.  Fall.  (Hutchinson,  Syphilis.  1887.)  Ein  Mann  mit 
typischen  Symptomen  hereditärer  Syphilis,  verbildeten  Gesichts¬ 
skelet,  Narben  nach  interstitieller  Keratitis,  erodirlen  Zähnen,  ac¬ 
quirirte  eine  ulcerirte  Sklerose,  die  von  disseminirtem,  ulcerösem 
Hautsyphilide  gefolgt  war. 

6.  Fall.  (Hutchinson,  ibidem.)  22  Jahre  alter  Patient  mit 
typisch  hereditär-syphilitischer  Gesichtsbildung,  erodirten  Zähnen, 
Narben  nach  Keratitis  interstitialis,  acquirirte  Sklerose,  die  drei 
Monate  später  von  Ecthyma  syphiliticum  gefolgt  war. 

7.  Fall.  (Dieulafov,  Syphilis  du  poumon.  Gaz.  hebdom. 
de  med.  et  de  Chirurg.  1889.)  Ein  Patient,  dessen  Anamnese 
hereditäre  Lues  ergab,  der  Hutchinso n’sche  Zähne  darbot,  vor 
Jahren  ein  Gumma  an  der  Tibia  hatte,  das  auf  antiluetische  Be¬ 
handlung  heilte,  reinficirt  sich  mit  einer  Sklerose,  die  von  secundär- 
syphilitischen  Gonsecutivis  gefolgt  war. 

8.  Fall.  (H  ö  n  n,  Ueber  hereditäre  Syphilis.  Inaugural-Disser¬ 
tation.  Würzburg  1890.)  Als  kleines  Kind  hatte  die  nun  18  Jahre 
alte  M.  K.  ein  luetisches  Exanthem  durchgemacht,  mit  zwölf  Jahren 
Ulcerationen  am  weichen  Gaumen  und  der  Nase.  Jetzt  ist  die  Nase 
eingesunken,  Vomer  und  Os  nasale  theilweise  zerstört,  im  rechten 
Nasengange  oberflächliche  Ulcerationen,  geheilte  Perforation  der 
Nasenscheidewand  und  des  harten  Gaumens.  Ausserdem  hat  das 
Mädchen  eine  frische  Initialsklerose  in  der  Fossa  navicularis. 

9.  Fall.  (Taylor,  A  case  of  syphilitic  Infection  in  a  Person 
hereditary  syphilitic.  Journ.  of  cutan.  and  genit.-urin.  dis.  1890.) 

Der  Vater  war  syphilitisch  gewesen,  die  Mutter  hatte  drei 
Fehlgeburten,  dann  kam  es  zur  Geburt  eines  Mädchens,  das  bald 
nach  der  Geburt  Roseola,  Koryza  darbot,  sehr  schwächlich  und 
kränklich  war.  Mit  19  Jahren  verheiratet  und  Mutter  eines  ge¬ 
sunden  Knaben  hatte  die  Betreffende  ein  syphilitisches  Gumma  am 
Nasenflügeln,  das  auf  antiluetische  Behandlung  heilte.  Sieben  Jahre 
später,  im  Alter  von  26  Jahren  wurde  dieselbe  von  ihrem  Manne 
mit  Sklerose,  auf  die  Roseola  und  Plaques  folgten,  inficirt. 

10.  Fall.  (Hutchinson,  Acquiret  Syphilis  in  a  subject 
of  inherited  Taint.  Medical  Journ.  1894.) 

Ein  25  Jahre  alter  Mann  mit  Residuen  hereditärer  Syphilis, 
Keratitis  interstitialis,  Narben  an  den  Mundwinkeln,  eingesunkener 
Nase,  dessen  Bruder  an  einer  chronischen  Knochenerkrankung  leidet, 
acquirirt  eine  Sklerose,  die  von  Gonsecutivis  und  nach  einem  Jahr 
von  syphilitischer  Dactylitis  gefolgt  war. 

11.  Fall.  (Lang,  Vorlesungen  über  Pathologie  uud  Therapie 
der  Syphilis.  1896.) 

Der  Vater  war  luetisch,  mehrere  ältere  Geschwister  starben 
bald  nach  der  Geburt,  der  Patient,  das  jüngste  Kind,  war  gesund, 
bis  es  im  16.  Lebensjahre  Gummen  am  Unterschenkel  und  im 
Rachen  darbot.  25  Jahre  alt,  acquirirte  derselbe  eine  typische 
Sklerose  mit  Skleradenitis. 

Lang  fügt  hinzu,  er  habe  seither  mehrere  analoge  Fälle  be¬ 
obachtet. 

12.  Fall.  (Desnos,  Societe  medic,  de  l’Elysee.  1.  Februar 
1897.) 

Der  Vater  inficirte  sich  drei  Jahre  vor  der  Verehelichung.  In 
den  ersten  drei  Jahren  der  Ehe  erfolgte  die  Geburt  von  zwei 


hereditär-syphilitischen  Kindern.  Das  eine  derselben  inficirte  sich 
als  Student  der  Medicin  mit  Syphilis. 

1 3.  Fall.  (Hochsinger,  Studien  über  die  hereditäre  Syphilis. 
Wien  1898.) 

Vater  und  Mutter  syphilitisch.  Die  Tochter  hat  bald  nach 
der  Geburt  Symptome  hereditärer  Syphilis.  Koryza,  syphilitisches 
Exanthem,  heilt  auf  antiluetische  Cur.  Im  elften  Jahre  zeigt  sie 
eine  gummöse  Periostitis  tibiae.  Mit  21  Jahren  heiratet  sie  einen 
Mann,  der  durch  seine  hartnäckige  Weigerung,  sich  untersuchen  zu 
.  lassen  den  Verdacht  auf  Syphilis  erweckt,  hat  mit  diesem  zwei 
hereditärluetische  Kinder  und  zeigt  zur  Zeit,  als  sie  das  zweite 
Kind  stillte,  Papeln  am  Munde  und  dem  Genitale.  (Infection  vom 
Kinde?) 

14.  Fall.  (Emery,  citirt  E.  Fournier,  Stigmates  dystro- 
phiques  de  l’Heredo-Syphilis.  Paris  1898.) 

Von  elf  Geschwistern  des  Patienten  sind  sechs  gestorben. 
Der  Patient  selbst  zeigt  Erosion  der  Zähne,  Keratitisnarben, 
Zerstörung  der  Nase  durch  eine  ulceröse  Affection  im  Alter  von 
elf  Jahren. 

Mit  20  Jahren  acquirirt  derselbe  eine  Sklerose,  papulöses 
Syphilid,  Papeln  im  Munde  und  am  Genitale. 

II.  Gruppe. 

15.  Fall.  (Dowse,  Medical  Times  and  Gazette.  1877.) 

Die  Mutter  hatte  acht  Abortus.  Die  Tochter  zeigte  typische 
H  u  t  ch  i  n  s  o  n’sche  Zähne,  inficirte  sich  von  einen  syphilitischen 
Kinde  mit  einer  Sklerose  am  Arme,  zeigte  Exanthem,  später 
schwere  ulceröse  Syphilide,  Destruction  der  Nase,  Larynx,  Trachea, 
Rupia  syphilitica. 

1 6.  Fall.  Tavernier,  Considerations  ä  propos  de  trois  cas  de 
Syphilis  acquise,  chez  des  sujets  porteur  de  stigmates  de  la 
Syphilis  hereditaire  tardive.  Annales  de  Dermatologie  et  de  Syphiligr. 
1887.) 

Patientin  klein,  schwächlich,  mit  Hutchinso  n’schen  Zähnen, 
Narben  ad  nates.  Ein  Bruder  aus  unbekannter  Ursache  gestorben, 
acquirirt  drei  ekthymaähnliche  Schanker  am  Genitale,  Skleradenitis, 
Roseola. 

17.  Fall.  (Tavernier,  ibidem.) 

Von  neun  Geschwistern  des  Patienten  sind  vier  gestorben. 
Der  Patient  sehr  schwach,  zurückgeblieben,  mit  vorgewölbten  Stirn¬ 
höckern,  erodirten  Zähnen,  Narben  ad  nates  hat  Phimose,  Sklerose, 
luxurirende  Papeln  ad  anum,  Leucoderma  syphiliticum. 

18.  Fall.  (Tavernier,  ibidem.) 

Von  zwölf  Geschwistern  vier  gestorben.  Patient  mit  erodirten 
Zähnen,  Keratitisnarben,  Narben  ad  nates,  hat  Phimose,  Sklerose, 
Roseola,  Plaques  im  Munde  und  ad  anum. 

19.  Fall.  (Wickham,  Soc.  franyaise  de  Dermat.  et  de 
Syphiligr.  12.  November  1896.) 

Ein  Mädchen  mit  typischen  Hu  t  ch  i  n  s  o n’schen  Zähnen 
acquirirt  Sclerose,  Roseola  und  zeigt  später  eine  ganze  Reihe 
schwerer  Syphiliserscheinungen. 

20.  Fall.  (Le  Pile  ur,  Syphilis  acquise  eher  un  sujet 
considere  comme  heredosyphilitique.  Annal.  de  Dermat.  et  de 
Syphil.  1896.) 

Der  Vater  mit  30  Jahren  syphilitisch  inficirt,  heiratet  fünf 
Jahre  später,  erkrankt  während  der  Ehe  an  Gummen  am  Unter¬ 
schenkel  und  cerebralen  Erscheinungen.  Mutter  bleibt  gesund.  Ein 
Abortus,  ein  Kind  (Sohn),  das  keine  Syphilissymptome,  wohl  aber 
Mikrodontismus,  erodirte  Zähne  zeigt,  geistig  sehr  zurück,  zornmüthig 
ist,  viel  an  Kopfschmerz  leidet.  29  Jahre  alt,  inficirt  sich  derselbe 
mit  Sklerose,  Roseola,  Papeln  ad  anum  und  genitale. 

21.  Fall.  (Cooper  and  Gottereil,  Syphilitic  Reinfection. 
Bericht  des  III.  internationalen  dermatologischen  Congresses.  London 
1896.) 

Ein  20  Jahre  altes  Mädchen  mit  syphilitischen  Schneide¬ 
zähnen,  alten  Keratitisnarben,  hat  eine  frische  Sklerose,  secundäre 
Symptome. 

22.  Fall.  (E.  F  o  u  r  n  i  e  r,  Stigmates  dystrophiques  de  l’Heredo- 
Syphilis.  Paris  1898.) 

Ein  Mann  mit  typischen  Hutchinso  n’schen  Zähnen, 
acquirirt,  18  Jahre  alt,  eine  Initialsklerose  mit  Consecutivis  und 
zeigt,  29  Jahre  alt,  tertiäre  Symptome. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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23.  Fall.  (E.  Fournier,  ibidem.) 

Eine  Frau  von  23  Jahren,  von  deren  10  Geschwistern  sechs 
bald  nach  der  Geburt  oder  in  frühester  Jugend  gestorben  waren, 
die  selbst  Infantilismus,  Dystrophien  der  Zähne,  Keratitisnarben 
nach  einer  schweren  in  der  Kindheit  durchgemachten  Augen¬ 
erkrankung  darbietet,  zeigt  eine  Sklerose  des  linken  Labium, 
Roseola,  Papeln  der  Mundschleimhaut;  Genitale,  Anus,  Alopekie, 
Fieber,  Kopfschmerz. 

24.  Fall.  (E.  Fournier,  ibidem.) 

Ein  junger  Mann  mit  ausgesprochenem  Infantilismus,  Dys¬ 
trophien  der  Zähne,  Ektopie  der  Hoden  zeigt  Sklerose  des  Präputiums, 
Skleradenitis,  Roseola,  Papeln  der  Mundschleimhaut,  Alopekie. 

25.  Fall.  (E.  Fournier,  ibidem.) 

Der  Vater,  nun  67  Jahre  alt,  litt  im  Alter  von  20  Jahren 
an  Sklerose,  Consecutivis,  Periostitis  tibiae.  Von  13  Kindern  sind 
sechs  früh  verstorben.  Von  den  überlebenden  zeigt  ein  21  Jahre 
alter  Sohn,  der  dystrophische  Zähne  darbietet,  Sklerose  am  Frenulum, 
maculo-papulöses  Exanthem. 

26.  Fall.  (Jul lien  und  Thuvien,  Contribution  de  la 
reinfection  chez  les  heredo-syphilitiques.  Annal.  de  Derm,  et  de 
Syphil.  1899.) 

Der  Vater  inficirte  sich  sechs  Monate  vor  der  Ehe  und  be¬ 
handelte  sich  schlecht,  die  Mutter  bleibt  gesund.  Der  Sohn,  im 
erster  Jahre  der  Ehe  geboren,  hat  keine  Syphilissymptome,  bleibt 
aber  geistig  und  körperlich  zurück,  seine  Haut  ist  atrophisch,  dys- 
und  achromatisch,  die  Nägel  fehlen,  an  den  unteren  Extremitäten 
Narben,  Narben  von  Keratitis.  Mit  22  Jahren  zeigt  dieser  Sohn 
Sklerose,  papulo-pustulöses  Syphilid,  das  hämorrhagisch  wird, 
schwere  denutritive  Allgemeinerscheinungen,  Tod  an  Pneumonie. 

27.  Fall.  (Rendu,  Progres  medical.  1899,  Nr.  29)  stellte 
in  der  Academie  de  medecine  ein  19  Jahre  altes  Mädchen  vor, 
das  alle  Zeichen  hereditärer  Syphilis  darbot,  dabei  aber  an  einer 
echten,  frischen  acquirirten  Lues  litt.  Diese  letztere  war  gutartig. 

Ueberblicken  wir  die  eben  mitgetheilten  Fälle,  so  erhellt 
aus  dem  Studium  der  ersten  Gruppe  derselben  die  Thatsache, 
dass  Individuen,  die  in  ihrer  Kindheit  eine  er¬ 
erbte  Syphilis  durch  machten,  durch  diese 
gegen  Neuinfection,  Reinfection  nicht  immun 
zu  werden  brauchen,  sondern  im  weiteren  Verlaufe  des 
Lebens  ganz  wohl  noch  an  acquirirter  Lues  erkranken  können. 
Ja  nicht  einmal  ein  wesentlich  milderer  Ver¬ 
lauf  der  Syphilis  lässt  sich  in  diesen  Fällen 
constatiren. 

Wohl  führt  Majew  an,  er  hätte  in  zwei  Fällen  bei 
heredosyphilitischen  Individuen  einen  abortiven  Verlauf  der 
Syphilis  beobachtet,  derart,  dass  sich  bei  diesen  Individuen 
nur  eine  Initialsklerose  ohne  Consecutivis  entwickelte,  aber  in 
den  oben  angeführten  in  extenso  in  der  Literatur  nieder¬ 
gelegten  Fällen  sehen  wir  nichts  derartiges.  Die  Syphilis  hat, 
so  weit  die  Beobachtung  reichte,  in  den  meisten  Fällen  den¬ 
selben  Durchschnittsverlauf,  wie  wir  ihn  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  syphilitischer  Infection  überhaupt  heutzutage  beobachten. 
In  drei  Fällen  (Rinecker  3,  Hutchinson  5,  6,  10)  da¬ 
gegen  war  der  Verlauf  der  Syphilis  ein  direct  schwerer. 
Die  Zeit  zwischen  dem  Ablauf  der  ersten  Infection,  d.  h.  dem 
Ausheilen  der  letzten  Aeusserungen  derselben  und  dem  Auf¬ 
treten  der  zweiten  Infection  betrug,  so  weit  dies  aus  den 
Krankengeschichten  ersichtlich,  5  Jahre  (Hutchinson  1), 
6  Jahre  (Wolff  4),  7  Jahre  (Taylor  9),  9  Jahre  (Emmery  14), 
also  durchaus  keine  auffällig  lange  Zeit,  ja  in  einem  Falle 
(Hönn  8),  der  leider  nur  fragmentarisch  vorliegt,  hatte  das 
Mädchen  zur  Zeit  der  Reinfection  noch  ulceröse  Processe,  die 
von  der  hereditären  Syphilis  herstammten. 

Zugegeben  muss  werden,  dass  nicht  in  allen  Fällen  die 
erste  Syphilis  als  hereditäre  zweifellos  erwiesen  ist.  Sicher  ist 
dies  nur  für  die  Fälle:  Hutchinson  (1),  Hönn  (8),  Taylor  (9), 
Desnos  (12),  Hochsinger  (13).  Für  die  anderen  Fälle  der 
ersten  Gruppe  könnte  ganz  wohl  der  Einwand  erhoben  werden, 
dass  ein  oder  der  andere  derselben  keine  hereditäre  sondern 
eine  in  frühester  Jugend  erworbene  Syphilis  darstelle.  Der 
Einwand  ist,  vom  principiellen  Standpunkte  der 
Dauer  der  Immunität,  und  nur  diesen  nehme  ich  hier 


ein,  gleichgiltig.  Es  geht  ja  wohl  nicht  an,  der  acquirirten 
Syphilis  die  Fähigkeit  zuzuschreiben,  das  Individuum  gegen 
Reinfection  widerstandsfähiger  zu  machen,  als  die  ererbte  Sy¬ 
philis,  wie  Hutchinson  dies  (1863)  that.  Aus  dieser 
Gruppe  von  Fällen  ist  ja  nur  der  Schluss  zu 
ziehen,  dass  eine  in  frühester  Kindheit  durch¬ 
gemachte  (hereditäre  oder  acquirirte)  Syphilis  eine  Im¬ 
munität  bedingt,  die  zur  Zeit  der  Pubertät,  also 
in  den  für  dielnfection  gefährlichsten  Jahren,  für 
viele  Individuen  schon  erloschen  ist,  Reinfectionen 
um  diese  Zeit  also  nicht  mehr  zu  verhindern  ver¬ 
mag.  Wenn  Hutchinson  schon  im  Jahre  1863  den  Eindruck 
hatte,  dass  hereditäre  Syphilis  gegen  Reinfectionen  weniger 
schütze  als  acquirirte  Syphilis,  ein  Eindruck,  den  man  fast 
zu  theilen  geneigt  wäre,  so  kann  die  Beobachtung  nur  in  der 
Art  erklärt  werden,  dass  man  annimmt,  beiden  Formen  der 
Infection  komme  nur  eine  zeitlich  begrenzte  Im¬ 
munität  zu,  deren  Dauer  sich  auf  10 — 15  Jahre  etwa  er¬ 
strecken  könnte.  Individuen  nun,  die  sich  im  Alter  zwischen 
20  und  30  Jahren  einer  Infection  mit  acquirirter  Syphilis  aus¬ 
setzen,  geniessen  diese  Immunität  bis  in  ihr  40. — 45.  Lebens¬ 
jahr,  also  bis  zu  einer  Zeit,  in  der  die  Gefahr  von  Infection, 
also  auch  Reinfection,  für  sie  wesentlich  abnahm.  Dieselbe 
Dauer  der  Immunität  für  hereditäre  oder  in  früher  Kindheit 
acquirirte  Syphilis  findet  aber  die  betreffenden  Individuen  in 
dem  Alter  von  20 — 30  Jahren,  das  bekanntlich  für  die  In¬ 
fection  das  gefährlichste  ist,  schon  frei  von  dieser  Immunität, 
schütze  sie  also  nicht  mehr  vor  Reinfection. 

Aus  der  zweiten  Gruppe  von  Fällen  würde  sich  weiters 
der  Schluss  ergeben,  dass  auch  jene  Kinder,  die,  wenn  auch 
nicht  mehr  das  syphilitische  Virus  von  den  Eltern  übernahmen, 
durch  die  syphilitische  Intoxication  der  Eltern  aber  in  ihrer 
Entwicklung  und  ihrem  Gedeihen  sowohl  im  intrauterinen,  als 
extrauterinen  Leben  wesentlich  nachtheilig  beeinflusst  werden, 
eine  Immunität  gegen  syphilitische  Infection 
nicht  unbedingt  zu  besitzen  brauchen.  Ja  selbst 
von  einer  relativen  Immunität  kann  in  diesen  Fällen  kaum 
die  Rede  sein.  Wohl  gibt  Tarnowsky  an,  30  Fälle  leichten 
und  abortiven  Verlaufes  der  Syphilis  bei  Individuen  beobachtet 
zu  haben,  die  selbst  schwächlich,  neuropathisch,  viele  Degene- 
nerationszeichen  an  sich  tragen,  bei  denen  meist  eine  Syphilis 
der  Eltern  oder  Vater  oder  Mutter  allein  nachzuweisen  war. 
Moloden  kow  sammelte  20  Fälle  von  Infectionen  bei  jungen 
Männern,  die  alle  Hu  t  c h  i  n  so n ’sehe  Zähne  darboten  und 
alle  leichten,  abortiven  Verlauf  der  Syphilis  darboten,  unsere 
hier  gesammelten  Beobachtungen  zeigen  aber,  dass  dem  nicht 
immer  so  sein  müsse,  die  Vererbung  einer  selbst  relativen 
dauernden  Immunität  ausbleiben  könne.  Die  Mehrzahl  der 
Fälle  zeigt  Durchschnittsverlauf,  die  Fälle  von  Dowse  (15), 
Wickham  (22),  E.  Fournier  (26),  Jullien  und  Thuvien 
(27)  schweren  Verlauf  der  acquirirten  Syphilis.  Das  Alter,  in 
dem  die  Infection  stattfand,  29  Jahre  (20),  20  Jahre  (21), 
19  Jahre  (22),  23  Jahre  (24),  21  Jahre  (25),  22  Jahre  (27) 
ist  stets  ein  jugendliches,  vor,  oder  zwischen  20—30  Jahren, 
was  beweist,  dass  in  diesen  Fällen,  wenn  überhaupt 
je  eine  Immunität  bestand,  diese  zur  Zeit  der  Pu¬ 
bertät  bereits  erloschen  war. 

Gewiss  wird  in  manchen  dieser  Fälle,  in  denen  von  den 
Antecedentien  der  Ascendenz  nichts  bekannt  ist,  bei  dem  in- 
ficirten  Individuum  nur  geringe  Degenerationserscheinungen 
nur  Hutchinson’sche  Zähne,  Keratitisnarben  etc.  sich  vor¬ 
fanden,  es  dem  Zweifler  fraglich  bleiben,  ob  das  Individuum 
überhaupt  unter  dem  Einflüsse  syphilitischer  Intoxication 
stand,  bei  den  Eltern  de  facto  Syphilis  vorhanden  war.  Doch 
ist  dieser  Einwand  nur  für  die  Minderzahl  der  Fälle  der 
zweiten  Gruppe  am  Platze.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
Dowse  (15),  Tavernier  (17,  18),  Le  Pileur  (20),  E.  Four¬ 
nier  (23,  24,  25),  Jullien  und  Thuvien  (27),  sind  über 
die  Syphilis  der  Eltern  directe  Nachweise,  oder  machen  andere 
Momente,  die  Polyletalität  der  Geschwister  des  Patienten 
im  Zusammenhalt  mit  den  Degenerationserscheinungen  dieselbe 
zum  Mindesten  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich. 


492 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


»Sehen  wir  nun  so,  dass  Kinder,  die  unter  dem  Einflüsse 
des  ererbten  Leidens  standen,  oder  zum  mindesten  durch  dessen 
Toxine  in  nachtheiliger  Weise  beeinflusst  wurden,  doch  keine 
(o  ler  nur  eine  kurz  dauernde)  Immunität  gegen  Syphilisinfection 
zu  besitzen  brauchen,  so  wird  es  uns  kein  Wunder .  nehmen, 
zu  sehen,  dass  die  gesunden  Kinder  syphilitischer  Eltern  keine 
solche  Immunität  darzubieten  brauchen,  wie  die  nächste  Gruppe 
von  Fällen  beweist. 

B.  In  der  Frage  der  Infection  gesunder  Kinder 
syphilitischer  Eltern  ist  nämlich  eine,  wenn  auch  nicht 
grosse  Casuistik  vorhanden,  Fälle,  die  beweisen,  dass  solche 
Kinder  in  den  verschiedenen  Lebensaltern  Syphilis  zu  acqui- 
riren  vermögen.  Hierher  gehören  folgende  Fälle: 

1.  Fall.  (Bärensprung,  Die  hereditäre  Syphilis.  Berlin 
1864.) 

Die  Mutter,  die  bereits  früher  ein  gesundes  Kind  geboren 
hatte,'  wurde  im  letzten  Monate  der  Gravidität  inficirt,  hatte  ihre 
secundären  Symptome  etwa  sechs  Wochen  nach  der  Entbindung 
und  zeigte  später  mehrere  Recidiven.  Ihr  Kind,  reif  geboren  und 
gut  entwickelt,  das  mit  der  Mutier  in  demselben  Bette  schlief, 
zeigte,  elf  Monate  alt,  die  Erscheinungen  einer  circa  drei  Monate 
alten,  acquirirten  Syphilis,  Reste  von  Roseola,  papulöses  Exanthem, 
luxurirende  Papeln  ad  anum  et  genitale,  sowie  am  Munde,  den 
Tonsillen. 

2.  Fall.  (Mireur,  Essai  sur  l’heredite  syphilitique.  Paris 
1 867.) 

Der  Vater  hatte  sich  mit  Syphilis  als  Junggeselle  inficirt  und 
nach  Abheilung  der  ersten  Symptome  verehelicht.  Dessen  Frau 
blieb  gesund  und  gebar  22  Monate  nach  der  Infection  des  Mannes 
ein  gesundes  reifes  Kind,  das,  zwei  Jahre  alt,  durch  Kuss  vom 
eigenen  Vater,  der  damals  erodirte  Papeln  an  den  Mundlippen  dar¬ 
bot,  mit  einer  Lippensklerose  inficirt  wurde,  auf  die  typische  Allge¬ 
meinsymptome  folgten. 

3.  Fall.  (Bo  eck,  Erfahrungen  über  Syphilis.  1875.) 

Die  Mutter  wurde  im  Alter  von  zehn  Jahren  mit  Syphilis 
inficirt,  behandelt  und  hatte  später  zwei  tertiäre  Recidiven.  Mit 
27  Jahren  verheiratet,  batte  die  Frau  zuerst  ein  Kind,  das  zwei 
Jahre  alt  starb,  dann  drei  gesunde  Kinder,  welche  drei  in  kind¬ 
lichem  Aller  sämmtlich  von  einem  syphilitischen  Dienstmädchen 
inficirt  wurden. 

4.  Fall.  (Obtulowicz,  Ein  Fall  von  Syphilis.  Gesellschaft 
der  Aerzte.  Krakau  1876.) 

Die  Mutter  wurde  etwa  im  siebenten  Monate  der  Gravidität 
inficirt,  hatte  im  achten  Monate  eine  Sklerose,  auf  die  eine  Roseola 
folgte,  gebar  ein  reifes,  kräftiges  Kind,  das  während  sechsmonat- 
licher  ärztlicher  Beobachtung  keine  Syphiliserscheinungen  darbot; 
zehn  Monate  alt  —  die  Mutter  batte  zu  dieser  Zeit  eine  Recidive 
von  ulcerösen  Papeln  an  Mund  und  Zunge  —  zeigte  das  Kind 
Symptome  acquirirter  Lues,  Roseola,  bedeutende  Drüsenschwellungen, 
Papeln  an  Mundschleimhaut  und  Anus. 

5.  Fall.  (Weil,  lieber  syphilitische  Infection  der  Kinder 
nach  der  Geburt.  Zeitschrift  für  praktische  Medicin.  1877.) 

Der  Vater  acquirirte  Syphilis,  als  dessen  Frau  im  dritten 
Monate  der  Gravidität  stand,  inficirte  dieselbe  etwa  im  siebenten 
Monate.  Zur  Zeit  der  Entbindung  hatte  die  Frau  Papeln  am  Geni¬ 
tale  und  Anus.  Das  Kind,  reif,  gesund  geboren,  zeigte  in  der 
vierten  Woche  nach  der  Geburt  eine  Sklerose  an  der  Nasenwurzel, 
eit  V  ochen  alt  ein  ausgebreitetes  maculo-papulöses  Exanthem, 
Psoriasis  palmae  et  plantae. 

6.  Fall.  (Grün  fold,  Ueber  Vererbung  der  Syphilis  bei  Neu¬ 
geborenen.  Wiener  medicinische  Presse.  1879.) 

Die  Mutter  wurde  Mitte  der  Gravidität  von  ihrem  recent 
syphilitischen  Manne  inficirt,  hatte  zur  Zeit  der  Entbindung  Papeln 
am  Genitale  und  ein  papulöses  Syphilid,  gebar  ein  gesundes  Kind, 
das,  acht  Wochen  alt,  eine  charakteristische  Sklerose  am  behaarten 
Kopfe  und  ein  recentes  syphilitisches  Exanthem  darbot. 

7.  lall.  (Arning,  Fall  von  syphilitischer  Infection  einer 
graviden  Mutter  seitens  des  recent  luetischen  Ehemannes.  Gesundes 
Kind.  Spätere  Infection  desselben  durch  die  Mutter.  Vierteljahres¬ 
schrift  für  Dermatologie  und  Syphilis.  1883.) 

Die  Mutter  wurde  von  dem  recent-svphilitiscben  Manne  im 
vierten  Monate  der  Gravidität  inficirt.  Gebar  ein  gesundes  Kind, 


das  sie  zunächst  an  beiden  Brüsten,  dann  wegen  Rhagaden  der 
linken  nur  an  der  rechten  Brust  stillte.  Zehn  Wochen  alt  hatte 
das  Kind  eine  Sklerose  an  der  Oberlippe,  17  Wochen  alt  ein  aus- 
gebreitetes  papulöses  Syphilid  am  Stamme,  Papeln  an  Mundschleim¬ 
haut  und  Anus,  die  auf  antiluetische  Behandlung  heilten.  Einen 
Monat  später  trat  Periostitis  am  Zeigefinger  auf  und  fünf  \VTochen 
später  starb  das  Kind  marascirend  an  Convulsionen.  Die  Section 
ergab  einen  Erweichungsherd  am  Schläfelappen. 

8.  Fall.  (Neumann,  Zur  Lehre  von  der  congenitalen  Lues. 
Wiener  medicinisches  Jahrbuch.  1885.) 

Die  Mutter  wurde  im  siebenten  Monate  der  Gravidität  von 
ihrem  frisch  inficirten  Manne  mit  Syphilis  inficirt,  hatte  im  neunten 
Monate  der  Gravidität  ihre  secundären  Symptome  und  gebar  einen 
gesunden  reifen  Knaben,  der,  sieben  Monate  alt,  wahrscheinlich  von 
nässenden  Papeln  am  Genitale  der  Mutter,  mit  der  er  im  selben 
Bette  schlief,  eine  Sklerose  am  Genitale  mit  consecutivem  syphiliti¬ 
schem  Exanthem  darbot. 

9.  Fall.  (B  a  r  t  h  e  1  e  m  y,  eil.  Riocreux,  Syphilis.  Heredite 
paternelle.  Paris  1888.) 

Der  Vater  hatte  eine  schwere  Syphilis  mit  mehreren  tertiären 
Recidiven.  Der  Sohn,  vier  Jahre  nach  der  Infection  des  Vaters 
geboren,  acquirirte,  24  Jahre  alt,  Syphilis,  die  von  ziemlich  schweren 
Erscheinungen  nervöser  und  tertiärer  Natur  gefolgt  war. 

10.  Fall.  (Esow,  II.  Congress  russischer  Aerzte.  Monatshefte 
für  praktische  Dermatologie.  1889.) 

Der  Vater  hatte  eine  schwere  Syphilis  durchgemacht,  der 
Sohn,  gesund  geboren,  acquirirte  Syphilis,  die  auch  schweren  Ver¬ 
lauf  nahm. 

11.  Fall.  (Gold  flamm,  Klinischer  Beitrag  zur  Aetiologie 
der  Tabes  dorsalis.  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde. 
1892.) 

Der  Vater  hatte  mit  20  Jahren  eine,  syphilitische  Infection 
durchgemacht,  die  20  Jahre  später  von  Tabes  gefolgt  war.  Der 
Sohn  acquirirte  im  Alter  von  23  Jahren  Syphilis  und  zeigte  elf 
Jahre  später  die  ersten  Symptome  von  Tabes. 

12.  Fall.  (C.  Paul,  De  la  Syphilis  attenue.  Memoire  de  la 
Soc.  de  Therap.  1893.) 

Der  Vater  inficirte  sich  acht  Jahre  vor  der  Ehe  und  machte 
eine  schwere,  noch  in  der  Ehe  von  tertiären  Symptomen  gefolgte 
Syphilis  mit.  Von  zwei  gesunden  Söhnen  acquirirte  der  jüngere 
zwölf  Jahre  nach  der  Infection  des  Vaters  geborene  Sohn  im  Alter 
von  22  Jahren  eine  mild  verlaufende  Syphilis. 

13.  Fall.  (C.  Paul,  ibidem.) 

Der  Vater  inficirte  sich  acht  Jahre  vor  der  Ehe  und  machte 
eine  hartnäckige  Syphilis  durch,  die  noch  in  der  Ehe  sich  durch 
tertiäre  Symptome  äusserte.  Ein  gesunder  Sohn  inficirte  sich, 
18  Jahre  alt,  mit  Syphilis,  die  milden  Verlauf  nahm. 

14.  Fall.  (v.  Düring,  Ueber  einige  Fragen  aus  der  Lehre 
von  der  Vererbung  der  Syphilis.  Monatshefte  für  praktische  Dermato¬ 
logie.  1895.) 

Beide  Eltern  batten  Syphilis.  Auf  eine  Frühgeburt  folgte  die 
Geburt  mehrerer  syphilitischer  Kinder,  dann  die  Geburt  eines 
Sohnes,  der  von  hereditärer  Syphilis  frei  blieb,  aber  im  Alter  von 
21  Jahren  Syphilis  acquirirte,  die  wohl  nicht  schwer,  aber  hart¬ 
näckig  war,  erst  nach  dreijähriger  Behandlung  ausheilte. 

15.  Fall.  (Harding,  A  case  of  Syphilis  in  Mother  and 
child  with  unusual  History.  Boston  med.  and  surg.  Journal.  1896.) 

Die  Mutter  wurde  zur  Zeit  der  Conception  von  ihrem  recent 
syphilitischen  Manne  inficirt,  hatte  im  zweiten  Monate  der  Gravi¬ 
dität  ein  Exanthem,  das  antiluetisch  behandelt  wurde.  Sie  gebar 
ein  gesundes,  reifes  Kind,  das  sie  selbst  —  sie  war  zu  dieser 
Zeit  symptomenfrei  —  stillte  und  das  gesund  blieb.  Drei  Jahre 
später,  die  Mutter  hatte  eben  ein  pustuloses  Syphilid,  zeigte  das 
Kind,  das  mit  der  Mutter  im  selben  Bette  schlief,  an  einer  Stelle 
am  rechten  Arm,  an  der  es  durch  eine  Nadel  geritzt  worden  war, 
eine  typische  Sklerose,  multiple  Drüsenschwellung,  Roseola,  Plaques 
an  Mund  und  Genitale. 

16.  Fall.  (Wickham,  Societe  franyaise  de  Dermal  et  de 
Syphiligr.  10.  December  1896.) 

Der  Vater  war  vor  der  Ehe  syphilitisch.  Der  Sohn,  gesund 
geboren,  acquirirte  eine  Syphilis,  die  sehr  schweren  Verlauf  nahm. 

17.  Fall.  (v.  Düring,  Weitere  Beiträge  zur  Lehre  von  der 
hereditären  Syphilis.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1897.) 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


433 


Dor  Vater  zeigt  tertiäre  Symptome  einer  vor  vierzig  Jahren 
acquirirten  Syphilis.  Zwei  Söhne,  32  und  28  Jahre  alt,  leiden  an 
aequirirter  Syphilis. 

18.  Fall.  (v.  Düring,  ibidem.) 

Vater  60  Jahre  alt,  Mutter  40  Jahre  alt,  haben  beide  ulceröse 
Nasen-Rachensyphilis,  letztere  auch  ein  serpiginöses  ulceröses 
Syphilid  der  Brust.  Eine  20jährige  Tochter  hat  Gumma  der  Zunge, 
serpiginöses  Syphilid  der  Haut,  ein  17jähriger  Sohn  ulcerirtes 
Gumma  der  Rachenwand.  Das  jüngste,  drei  Jahre  alte  Kind,  ein 
kräftiges,  gesundes  Mädchen,  hat  luxurirende  Papeln  an  Mundschleim¬ 
haut  und  ad  anum.  Wurde  angeblich  durch  Kuss  inficirt. 

19.  Fall.  (v.  Düring,  ibidem.) 

Vater  50  Jahre  alt,  vor  etwa  25  Jahren  inficirt,  zeigt  narbige 
Zerstörung  des  weichen  Gaumen,  interstitielle  Glossitis,  Leuko¬ 
plakie.  Dessen  20  Jahre  alter  Sohn  hat  einen  Primäraffect  am 
Penis,  syphilitisches  Exanthem,  wuchernde  Papeln  circa  anum  und 
dem  Genitale. 

20.  Fall.  (v.  D  firing,  ibidem.) 

Vater  60  Jahre  alt,  vor  etwa  25  Jahren  inficirt,  hat  Narben 
nach  gummösen  Hautsyphiliden.  Dessen  lo  Jahre  alte  lochter  mit 
natiformer  Stirne,  welkem  Aussehen,  hat  ein  papulöses  Syphilid  am 
Körper,  grosse,  ulcerirte  Papel  (Primäraffect  r1)  aui  der  rechten 
Tonsille. 

21.  Fall.  (v.  Düring,  ibidem.) 

Vater  45  Jahre  alt,  vor  circa  20  Jahren  inficirt,  hat  Glossitis 
und  Narben  am  Gaumen.  Dessen  Frau,  die  gestorben  ist,  war  an¬ 
geblich  sicher  syphilitisch.  Ein  13  Jahre  alter  Sohn  leidet  seil 
sieben  Jahren  an  ulcerösem  Hautsyphilide,  ein  jüngerer  Sohn, 
sieben  Jahre  alt,  hat  ein  frisches  papulo-ulceröses  Exanthem,  Papeln 
am  Munde  und  ad  anum. 

22.  Fall.  (Thibierge,  Soc.  medic,  de  l’Elysee.  1.  Februar 

1897. ) 

Der  Sohn  eines  syphilitischen  Vaters,  der  nie  Zeichen  er¬ 
erbter  Syphilis  dargeboten  hatte,  acquirirte  im  Alter  von  20  Jahren 
eine  Sklerose  mit  Consecutivis. 

23.  Fall.  (T h i b ie r ge,  ibidem.) 

Die  Tochter  eines  Vaters,  der  als  Junggeselle  Syphilis  durch¬ 
gemacht  hatte,  wird  von  ihrem  syphilitischen  Manne  mit  Sklerose 
an  der  Zunge  und  Consecutivis  inficirt. 

24.  Fall.  (Tarnowsky,  Reinfectio  syphilitica.  Wratsch. 

1898. ) 

Die  Mutter  war  syphilitisch  und  starb  an  Dementia  syphilitica. 
Deren  Sohn,  gesund  geboren,  acquirirte,  30  Jahre  alt,  eine  leicht 
verlaufende  Syphilis  und  reinficirte  sich  zehn  Jahre  später  mit 
einer  zweiten,  etwas  schwerer  verlaufenden  Syphilis. 

25.  Fall.  (Jul  lien,  L’heredite  seconde  en  Syphilis.  Journ. 
des  mal.  cutanees  et  syphil.  1898.) 

Der  Vater  war  vor  der  Ehe  syphilitisch,  der  Sohn,  gesund 
geboren,  acquirirt  als  junger  Mann  Syphilis. 

26.  Fall.  (Jul  lien,  ibidem.) 

Die  Mutter  wurde  vor  24  Jahren  inficirt.  Der  Sohn,  21  Jahre 
alt,  drei  Jahre  nach  der  Infection  der  Mutter  gesund  geboren, 
acquirirte,  19  Jahre  alt,  eine  Sklerose,  auf  die  sofort  eine  von 
Beginn  an  schwere  Syphilis  folgte. 

27.  Fall.  (A  n  z  a,  Appunti  di  sifilide.  Giornal.  ital.  di  malattie 
ven.  e  dclla  pelle.  1898.) 

Die  Mutter  wurde  zur  Zeit  der  Conception  inficirt,  batte  im 
dritten  Monate  der  Gravidität  sec-undäre  Symptome,  gebar  einen 
gesunden  und  reifen  Knaben,  den  sie  mit  ihrem  gleichalterigen 
Neffen  gleichzeitig  stillte.  Der  Neffe  wurde  beim  Säugen  inficirt, 
der  Sohn  nicht.  Letzterer  acquirirte,  23  Jahre  alt,  Sklerose  mit 
Consecutivis  von  normalem  Verlauf. 

28.  Fall.  (0  g  i  1  v  i  e,  Congenital  Immunity  to  Syphilis.  British 
Journal  of  Dermatology.  1899.) 

Der  Vater  acquirirte  fünf  Jahre  vor  der  Ehe  Syphilis,  hatte 
zwei  gesunde  Söhne.  Von  diesen  acquirirte  der  eine,  18  Jahre  alt, 
Sklerose  und  Consecutiva. 

29.  Fall.  (Ogilvie,  ibidem.) 

Der  Vater  acquirirte  Syphilis  fünf  Jahre  vor  der  Ehe,  hatte 
vier  gesunde  Kinder;  von  diesen  das  älteste,  ein  Sohn,  inficirtc 
sich,  21  Jahre  alt,  mit  Sklerose,  auf  die  eine  hartnäckige,  drei 
Jahre  recidivirende  Syphilis  folgte. 


Die  hier  angeführte  Casuistik  könnte  gewiss  noch  ver¬ 
mehrt  werden.  Mit  Recht  führen  v.  Düring  und  Jullien 
an,  dass  jedem  beschäftigteren  Specialisten  Fälle  Vorkommen, 
dass  Söhne  syphilitisch  gewesener  Väter  selbst  an  aequirirter 
Syphilis  erkranken.  Ich  verfüge  aus  den  letzten  Jahren  über 
zwei  solche  Beobachtungen.  Gewiss  können  die  vorliegenden 
Beobachtungen,  von  denen  einige,  wie  die  v.  D  firing’s,  die 
sich  nur  auf  unsichere  Anamnese  stützen,  nicht  ganz  einwand¬ 
frei  sein  mögen,  (denn  um  einwandfrei  zu  sein,  muss  in  jedem 
Falle  sichergestellt  sein,  dass  die  Eltern  ihre  Syphilis  vor  der 
Geburt  der  betreffenden,  später  inficirten  Kinder  acquirirten) 
nicht  dazu  benützt  werden,  die  Lehre  von  der  Vererbung  der 
Immunität  zu  widerlegen,  sie  können  a  priori  nur  als  Aus¬ 
nahmen  dieser  Lehre  gelten. 

Sehen  wir  uns  die  Fälle  genauer  an,  so  finden  wir,  was 
die  Syphilis  des  Vaters  betrifft,  zunächst  einige  Fälle,  wo 
einerseits  zwischen  der  Geburt  des  Kindes  und  der  Infection 
des  Vaters  ein  relativ  kurzer  Zeitraum,  zwei  Jahre,  drei  Jahre, 
fünf  Jahre  verstrich,  andererseits  die  Infection  des  Kindes  re¬ 
lativ  rasch  nach  der  Geburt  (zwei  Jahre  im  Falle  Bar  the- 
1  e m y ’s)  erfolgte,  die  Immunität  also  trotz  für  die¬ 
selbe  günstiger  Bedingungen  nicht,  o  d e r  v  i ei¬ 
le  i  c  h  t  nicht  mehr  vorhanden  war.  Die  Mehrzahl 
sind  allerdings  Fälle,  wo  einmal  zwischen  der  Infection 
des  Vaters  und  der  Geburt  des  fraglichen  Kindes,  dann  aber 
zwischen  der  Geburt  des  Kindes  und  dessen  Infection  eine 
lange  Reihe  von  Jahren  verstrich,  so  dass  man  das  Fehlen 
der  Immunität  des  Kindes  erklären  kann  entweder  daraus, 
dass  der  Vater  lange  Zeit,  viele  Jahre  vor  der  Zeugung  des 
Kindes  inficirt,  seine  erworbene  Immunität  zur  Zeit  der 
Zeugung  des  Kindes  verloren  hatte,  also  unter  dafür  gün¬ 
stigen  Bedingungen  auch  reinficirbar  gewesen  wäre,  diese 
Immunität  also  nicht  vererben  konnte,  oder  dass  das  Kind 
wohl  eine  Immunität  vererbt  erhielt,  derselben  aber  in  dem 
langen  Intervall  von  rund  20  Jahren,  die  zwischen  Geburt  und 
Infection  lagen,  wieder  verlustig  wurde.  Für  unsere  F  rage 
nach  der  Vererbung  der  Immunität  auf  die 
Nachkommenschaftbleibt  sich  dies  wohl  gleich. 
Denn  wenn  die  Verhältnisse  einmal  so  liegen, 
dass,  wenn  der  V  a  t  e  r  fünf  bis  sechs  Jahre  voi¬ 
der  Ehe  inficirt  wurde,  der  Sohn  im  18.  oder 
20.  Lebensjahre  seinerseits  Syphilis  zu  acqui- 
riren  vermag,  also  keine  Immunität  gegen  Infection  mehr 
zu  besitzen  braucht,  so  ist  es  uns  gleich  giltig,  ob  der 
Vater  die  acquirirte  Immunität  bereits  verlor, 
also  nicht  vererbte,  oder  ob  eine  Immunität  von 
begrenzter  Dauer  auf  den  Sohn  vererbt  jvurd  e, 
die  aber  zur  Zeit  der  Pubertät 
bereits  wieder  geschwunden 
bleibt  für  uns,  dass  der  Sohn  eines  syphiliti¬ 
schen  Vaters  zur  Zeit  seiner  Pubertät  keine 
Immunität  mehr  besitzt,  die  er  auf  die  zweite 
Generation  vererben  könnte. 

Was  die  Frage  der  Vererbung  der  Immunität  gegen 
Syphilis  seitens  der  Mutter  betrifft,  so  enthält  die  oben  ange¬ 
führte  Casuistik  auffallend  viele  Fälle,  die  sich  als  Ausnahmen 
vom  Profetaschen  Gesetz  darstellen.  Diese  Ausnahmen 
gehören  wieder  alle  einer  Gruppe  an,  in  der  die  Mutter  post 
conceptionem  inficirt  wird.  Von  Fällen,  wo  die  Mutter  vor  der 
Conception  des  Kindes  inficirt  wurde,  haben  wir  nur  einen, 
den  Fall  Jullien’s  (26),  und  die  Zahl  dieser  Fälle  ist  wohl 
vor  allem  deshalb  so  gering,  weil,  wenn  die  Mutter  zur  Zeit 
der  Conception  recent  syphilitisch  ist,  die  Geburt  eines  gesunden 
Kindes  ja  zu  den  Seltenheiten  gehört. 

Die  Fälle  postconceptioneller  Infection  der  Mutter  gehören 
nun  gerade  zu  denjenigen,  wo  vom  bacteriellen  Standpunkte 
aus  die  Verhältnisse  für  die  Immunisirung  des  Kindes  am 
günstigsten  liegen.  Das  Kind,  durch  die  placentare  Scheidewand 
geschützt,  erhält  von  der  Mutter  kein  Virus,  aber  durch  den 
placentaren  Stoffwechsel  entweder  direct  Antitoxine,  odei 
Toxine,  die  im  kindlichen  Organismus  Antitoxinbildung  anregen 
sollen.  Und  doch  kann  unter  solchen  Umständen  die  Immunität 
des  Kindes  ausbleiben.  Sehen  wir  von  jenen  Fällen  ab  in 


des  Sohnes 
war,  das  F  a  c  i  t 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


denen  die  Infection  der  Mutter  spät  in  der  Gravidität  erfolgte, 
die  Zeit  zur  Immunisirung  des  Kindes  also  vielleicht  zu  kurz 
war,  so  bleiben  noch  einige  Fälle,  in  denen  die  Infection  der 
Mutter  früh,  spätestens  in  der  Mitte  der  Gravidität  erfolgte, 
das  Kind  aber  nicht  immun  wurde,  denn  die  Infection  der 
Kinder  erfolgte  in  den  meisten  dieser  Fälle  sehr  rasch. 

So  wurde  im  Falle  Grün  fei  d’s  (6)  die  Mutter  Mitte 
der  Gravidität,  das  Kind  sub  partu  inficirt.  Im  Falle  Ar- 
n  i  n  g  (7)  die  Mutter  im  vierten  Monate  der  Gravidität,  das 
Kind  sieben  Wochen  alt  inficirt.  Eine  kurz  dauernde  Immu¬ 
nität  würde  nur  durch  die  Fälle  von  Neumann  (8),  Har¬ 
ding  (15)  und  An  za  (27)  plausibel  gemacht,  wo  die  Kinder, 
trotz  der  Gelegenheit  dazu,  in  den  ersten  Lebensmonaten  nicht 
inficirt  wurden,  ihre  Infection  erst  später  erlitten.  Wie  barock 
übrigens  die  Verhältnisse  der  Immunität  sich  gestalten  können, 
zeigt  der  Fall  Tarnowsky’s  (24),  den  Sohn  einer  syphiliti¬ 
schen  Mutter  betreffend,  der  sich  zweimal  im  Leben,  im  Alter 
von  30  und  40  Jahren  mit  acquirirter  Syphilis  inficirte. 

Aber  auch  von  einer  relativen  ererbten  Im¬ 
munität  gestatten  uns  diese  Fälle  nicht  zu 
sprechen.  Von  29  Kindern  syphilitischer  Eltern  machten 
8  eine  schwere  aquirirte  Syphilis  durch,  ein  Verhältniss,  das 
sehr  zu  Ungunsten  der  von  den  Eltern  ererbten  Einflüsse 
sprechen  würde. 

Ich  habe  die  hier  angeführten  Thatsachen  dass,  1.  here¬ 
ditärsyphilitische  Individuen  sich  zu  reinficiren  vermögen, 

2.  die  durch  die  Syphilis  der  Eltern  »stigmatisirten«,  degene- 
rirten  Kinder  Syphilis  zu  acquiriren  vermögen,  8.  die  gesunden 
Kinder  syphilitischer  Eltern  der  Infection  zugänglich  sind, 
bisher  als  Ausnahmen  vom  Gesetz  der  Vererbung  der  Immu¬ 
nität  bezeichnet.  Diese  Auffassung  würde  passen,  wenn  die 
Thatsache  der  Vererbung  der  Immunität  in  wissenschaftlicher 
Weise  exact  bewiesen  wäre.  Doch  dem  ist  nicht  so.  Die  Ver¬ 
erbung  der  Immunität  ist  bisher  erschlossen, 
supponirt,  aber  nicht  bewiesen  worden,  gestützt 
wurde  sie  nur  durch  die,  auf  verschiedene  Weise  zu  erklärende 
Beobachtung  von  dem  Milderwerden  der  Syphilis  bei  durch¬ 
seuchten  Völkern,  sowie  durch  die  Beobachtung,  dass  recent 
syphilitische  Mütter  ihre  gesunden  Kinder  nicht  zu  inficiren 
pflegen.  In  der  That  scheint  auch  Manches  dafür  zu  sprechen, 
dass  solche  Kinder  sich  einer  kurz  dauernden  Immunität  zu 
erfreuen  haben.  Aber  die  ganze  Lehre  von  der  Ver¬ 
erbung  der  Immunität  auf  die  erste  Generation 
ist  eine  so  wenig  gestützte,  dass  man  wohl  angesichts 
der  zahlreichen  Ausnahmen  von  dem  supponirten  Gesetze  sich 
fragen  muss,  ob  denn  das  Gesetz  selbst  zu  Recht  besteht, 
dass  wir  uns  fragen  müssen,  ob  denn  wirklich  eine 
Vererbung  der  Immunität  in  diesem  Sinne  be¬ 
steht. 

Ueber  eine  Vererbung  der  von  den  Eltern  überkommenen 
Immunität  auf  die  Kinder  und  weitere  Nachkommen  ist  nichts 
bekannt,  sie  wird  angenommen,  ist  aber  nicht  bewiesen,  aber 
auch  nicht  widerlegt.  Würden  die  v.  Düring’schen  Fälle 
von  Vererbung  der  Syphilis  auf  die  zweite  Generation,  die 
leider  alle  nur  auf  einer,  wie  derselbe  selbst  betont,  unver¬ 
lässlichen  Anamnese  basiren,  verlässlich  sein,  dann  würden 
sie  eher  gegen  die  Vererbung  einer  Immunität  sprechen,  auch 
eine  relative  Immunität  nicht  annehmen  lassen,  denn  in  diesen 
Fällen  sehen  wir,  wie  bei  drei  Generationen,  deren  Syphilis 
unter  gleichen  äusseren  Verhältnissen  verläuft,  von  Hygiene, 
Therapie  nicht  beeinflusst  ist,  die  Syphilis  in  allen  drei  Gene¬ 
rationen  unter  schweren,  tertiären  Symptomen  verläuft,  eine 
Milderung  des  Verlaufes  durch  vererbte  Immunität,  weder  in 
der  zweiten  noch  dritten  Generation  kenntlich  ist.  W  i  r 
können  also  die  Frage  der  Vererbung  der  Im¬ 
munität  auf  die  Nachkommen  Syphilitischer 
heute  nur  dahin  beantworten,  dass  für  deren 
Stattfinden  keine  Beweise  erbracht  sind,  gegen 
deren  regelmässiges,  ausnahmsloses  Stattfinden 
zahlreiche  Fälle  sprechen,  die  bisher  mehr 
supponirte,  als  erwiesene  Vererbung  der  Im¬ 
munität  also,  wie  auch  Neisser  betont,  dringend 
der  Revision  bedarf. 


Insbesondere  möchten  wir  betonen,  dass  heute  bereits 
eine  nicht  geringe  Zahl  von  Fällen  vorliegt,  in  denen  die 
directen  Nachkommen  syphilitischer  Eltern, 
gleichgiltig  ob  dieselben  durch  die  elterliche  Syphilis  beein¬ 
flusst  werden  oder  nicht,  in  der  Pubertätszeit  sich 
mit  Syphilis  inficirte  n,  also  zu  dieser  Zeit  keine 
oder  keine  Immunität  mehr  besassen,  die  sie 
auf  ihreNach  kommen  weiter  vererben  könnten. 

Ueberblicken  wir  alles  das  eben  Gesagte,  so  ergeben 
sich  aus  demselben  die  folgenden  Sätze: 

1.  Es  muss  theoretisch  als  möglich  zugegeben  werden, 
dass  ebenso  wie  auf  die  erste,  auch  auf  die  zweite  und  viel¬ 
leicht  auch  weitere  Generationen  eine  Vererbung  der  Syphilis 
in  der  Weise  erfolgen  kann,  dass  drei  Aeusserungen  elterlicher 
Syphilis,  a )  die  echte  virulente  Syphilis,  b)  syphilotoxische, 
dystrophische  Störungen,  c)  Immunität,  sich  selbstständig  und 
unabhängig  von  einander  vererben. 

A.  Vererbung  echter,  virulenter  Syphilis 
auf  die  zweite  Generation. 

2.  Wenn  dieser  Modus  der  Vererbung  auch  theoretisch 
als  möglich  zugegeben  werden  muss,  so  muss  doch  andererseits 
hervorgehoben  werden,  dass  derselbe  bisher  nicht  einwandfrei 
nachgewiesen  ist. 

3.  Um  für  die  Vererbung  in  die  zweite  Generation  be¬ 
weisend  zu  sein,  müssen  die  betreffenden  Fälle  folgenden 
Postulaten  entsprechen:  d)  Die  hereditäre  Syphilis  eines  der 
Zeuger  muss  zweifellos  erwiesen  sein,  b)  Acquirirte  Syphilis 
in  der  zweiten  Generation  muss  sicher  auszuschliessen  sein, 
c)  Die  Natur  der  Syphilis  in  der  dritten  Generation,  als  er¬ 
erbte,  muss  zweifellos  sein. 

4.  Damit  die  Erbsyphilis  in  der  zweiten  und  dritten 
Generation  ausser  Zweifel  sei,  müssen  die  Erscheinungen  der¬ 
selben  bei  oder  bald  nach  der  Geburt  auftreten.  Fälle  tardiver 
tertiärer  Syphilis  sind  nicht  beweiskräftig,  da  hier  immer  die 
Frage,  ob  hereditäre,  oder  frühzeitig  acquirirte  Syphilis,  offen 
bleiben  wird. 

5.  Die  Frage  des  Ausschlusses  acquirirter  Syphilis  in  der 
zweiten  Generation  (Infection  der  gesunden,  Reinfection  des 
hereditärsyphilitischen  Zeugers)  ist  eine  schwierige,  da  sie  sich 
nur  auf  negative  Momente  stützt,  kaum  exact  wissenschaft¬ 
lich  zu  lösende,  da  es  in  jedem  einzelnen  Falle  dem  gewissen¬ 
haftesten  Beobachter  unmöglich  ist,  seine  durch  genaue  Kennt- 
niss  des  Einzelfalles  gewonnene  subjective  Ueberzeugung  in 
eine  objectiv  unanfechtbare  Form  zu  bringen. 

6.  Vom  Standpunkte  der  eben  gegebenen  Postulate  sind 
die  meisten  der  bisher  bekannten  (24)  Beobachtungen  ein¬ 
wandfähig,  einige  aber  doch  (Nunn,  Mensinga,  Hutchinson) 
im  höchsten  Grade  auffällig.  Beweisend  sind  dieselben  nicht, 
und  wäre  als  absolut  beweisend  nur  ein  Fall  anzusehen,  der 
nach  dem  folgenden  Typus  verliefe:  Die  Mutter  ist  hereditär¬ 
syphilitisch  und  gebärt  ein  hereditärsyphilitisches  Kind.  Sehr 
bald  nach  der  Geburt  desselben  inficirt  sich  der  Mann,  der 
Vater  des  Kindes,  ausserehelich  mit  Syphilis. 

B.  Vererbung  syphilotoxischer  dystro¬ 
phischer  Störungen  auf  die  zweite  Generation. 

7.  Diese  Frage  ist  deshalb  noch  schwieriger  zu  beant¬ 
worten,  als  die  erste,  da  der  Begriff  der  syphilotoxischen  dys¬ 
trophischen  Störung,  auch  bei  der  Vererbung  auf  die  erste 
Generation  bisher  nicht  genau  präcisirt  und  umschrieben  ist. 

8.  Trotz  hervorragender  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete, 
ist  diese  Frage  bisher  noch  nicht  geklärt,  weil: 

d)  diese  Dystrophien  als  syphilitische  gar  nichts  Cha¬ 
rakteristisches  darbieten ; 

b)  analoge  Dystrophien  auch  in  Familien  zur  Beobach¬ 
tung  kommen,  wo  alle  bekannten  ätiologischen  Momente,  be¬ 
sonders  Syphilis,  Tuberculose,  Alkoholismus,  Bleiintoxication  etc. 
fehlen; 

c)  solche  Dystrophien,  wenn  syphilitischer  Natur,  bei  den 
echt  hereditär- syphilitischen  Kindern  am  häufigsten  Vorkommen 
sollten,  bisher  aber  im  Gegentheil  eine  kleine  Gruppe  von 
Kindern,  die  neben  echter  Erbsyphilis  Dystrophien  darbieten, 
einer  bedeutend  grösseren  Gruppe  von  Kindern  gegenüber¬ 
steht,  die  nur  Dystrophien,  keine  echte  Erbsyphilis  zeigen. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


435 


9.  Wenn  auch  zweifellos  allgemeine  Ernährungsstörungen 
Debilität,  Lebensschwäche,  Infantilismus,  als  Folge  syphilo- 
toxischer  Einwirkung  bei  Kindern  syphilitischer  Eltern  sich 
vorfinden,  so  muss  bei  der  Auffassung  gewisser,  besonders 
partieller  seltener  Dystrophien  als  syphilotoxischer,  doch  die 
Erwägung  Platz  greifen,  wie  weit  wir,  aus  dem  post  hoc  auf 
ein  propter  hoc  schliessen  dürfen,  ist  die  Frage  angezeigt,  ob 
solche  Veränderungen  nicht  auch  dann  zur  Entwicklung  ge¬ 
kommen  wären,  wenn  Syphilis  bei  der  Ascendenz  gefehlt  hätte. 

10.  Bezüglich  der  Frage  der  Vererbung  von  Dystrophien 
auf  die  zweite  Generation  müssen,  bei  Beurtheilung  des  Einzel¬ 
falles,  dieselben  Gesichtspunkte  im  Auge  behalten  werden,  wie 
bei  Beurtheilung  der  vorhandenen  Gruppe:  1.  Es  muss  here¬ 
ditäre  Syphilis  in  der  zweiten  Generation  zweifellos  erwiesen 
sein.  2.  Acquirirte  Syphilis  in  der  zweiten  Generation  (In¬ 
fection  des  gesunden,  Reinfection  des  syphilitischen  Theiles) 
muss  sicher  ausgeschlossen  sein.  3.  Auch  in  der  dritten 
Generation  muss  eine  frühzeitig  acquirirte  Syphilis  aus¬ 
geschlossen  sein. 

11.  Letztere  Bedingung,  Ausschluss  acquirirter  Syphilis 
in  der  dritten  Generation  ist  deshalb  nothwendig,  weil  heute 
schon  durch  eine  Reihe  von  Beobachtungen  festzustehen 
scheint,  dass  dystrophische  Störungen  beim  Kinde  sich  nicht 
nur  in  Folge  hereditärer,  sondern  auch  frühzeitig  im  Säuglings¬ 
alter  acquirirter  Syphilis  entwickeln  und  dadurch  eine  here¬ 
ditäre  Dystrophie  vorgetäuscht  werden  kann. 

12.  Von  diesem  Standpunkte  betrachtet,  ist  die  bisherige 
Casuistik  (31  Fälle)  wohl  sehr  beachtens werth,  aber  nicht 
völlig  beweisend.  Insbesondere  der  Ausschluss  acquirirter 
Syphilis  in  der  zweiten  Generation  stösst  auf  dieselben 
Schwierigkeiten,  wie  bei  der  ersten  Gruppe,  der  Vererbung 
echter  Syphilis  auf  die  zweite  Generation. 

13.  Bezüglich  der  Vererbung  der  Dystrophien,  dieselbe 
als  syphilotoxische  vorausgesetzt,  auf  die  Nachkommenschaft 
scheint  aus  dem  bisher  Bekannten  doch  die  Thatsache  zu 
resultiren,  dass  diese  Dystrophien  von  Generation  zu  Gene¬ 
ration  seltener  und  milder  werden.  Dagegen  scheint  die  Poly¬ 
letalität,  die  Zeugung  lebensunfähiger  Kinder,  sich  auch  in 
der  zweiten  und  dritten  Generation  ziemlich  unvermindert  zu 
erhalten. 

14.  Daraus  würde  folgen,  dass  die  Syphilis  in  ihrer  Ein¬ 
wirkung  auf  die  Nachkommenschaft  weniger  zu  einer  Degene¬ 
ration,  als  zur  Verminderung,  zur  Decimirung  der  Race  führt. 

G.  Vererbung  absoluter  und  relativer  Im¬ 
munität  auf  die  Nachkommen  Syphilitischer. 

15.  Schon  seit  alter  Zeit  wird  angenommen,  dass  die 
Nachkommen  syphilitischer  Eltern  sich  einer  absoluten  oder 
relativen  Immunität  gegen  Syphilisinfection  erfreuen.  Diese 
Annahme  basirt  auf  mehreren  Beobachtungen:  a )  Auf  der  Be¬ 
obachtung,  dass  die  Syphilis  dort,  wo  sie  schon  längere  Zeit, 
endemisch  herrscht,  einen  wesentlich  milderen  Verlauf  darbietet. 
b)  Die  Beobachtung,  dass  die  Syphilis,  zu  bis  dahin  syphi¬ 
lisfreien  Völkern  gebracht,  dortselbst  im  Beginne  unter  schweren 
Erscheinungen  auftritt.  c )  Auf  die  Erklärung  und  Auffassung 
der  sporadischen  Fälle  von  maligner  Syphilis  als  Syphilis  bei 
Individuen,  deren  Ascendenz  durch  mehrere  Generationen 
syphilisfrei  war.  d )  Durch  die  Beobachtung,  dass  Mütter  im 
contagiösen  Stadium  der  Syphilis  ihre  gesunden  Neugeborenen 
nicht  inficiren  (P  r  o  f  e  t  a’s  Gesetz). 

16.  Diese  Beobachtungen,  so  beachtenswerth  sie  sind, 
sind  doch  keine  unantastbaren  wissenschaftlichen  Beweise  von 
der  Vererbung  der  Immunität  und  können  auch  in  anderer 
Weise  eine  befriedigende  Erklärung  finden. 

17.  Dem  gegenüber  kennen  wir  eine  Reihe  von  That- 
sachen,  welche  Beweise  abgeben,  dass  die  Vererbung  der  Im¬ 
munität,  wenn  sie  überhaupt  stattfindet,  doch  nur  inconstant 
und  im  beschränktem  Masse  erfolgt,  Thatsachen,  die  uns  auf 
den  Gedanken  bringen  müssen,  die  Lehre  von  der  ererbten 
Immunität  der  Syphilis  sei  mehr  traditonell  als  wissenschaftlich 
begründet  und  bedürfe  einer  gründlichen  Revision. 

18.  Diese  Thatsachen  sind:  a )  Die  Thatsache,  dass  bei 
acquirirter  Syphilis  selbst  die  Immunität  oft  eine  zeitlich  be¬ 
grenzte  ist,  Reinfectionen  zur  Beobachtung  kommen,  im  Ver¬ 


eine  mit  der  Erwägung,  dass  solche  Reinfectionen  vielleicht 
noch  häufiger  wären,  wenn  nicht  sociale  und  andere  Momente, 
Vorsicht,  Routine,  Ehe  und  deren  Surrogate,  Alter,  Impotenz, 
der  Reinfection  hindernd  im  Wege  stünden,  b)  Die  Thatsache, 
dass  nicht  wenige  Fälle  bekannt  sind,  in  denen  hereditär¬ 
syphilitische  (14  Fälle)  oder  syphilitoxisch-dystrophische  (137 
Fälle)  oder  ganz  gesunde  Kinder  (29  Fälle)  syphilitischer  Eltern 
sich  mit  Syphilis  inficiren.  c)  Die  Thatsache,  dass  in  diesen 
Fällen  nicht  nur  absolute,  sondern  theilweise  auch  relative 
Immunität,  ein  besonders  milder  Verlauf  der  Syphilis,  oft  nicht 
zu  constatiren  ist. 

19.  Die  Thatsache,  dass  bei  einer  Zahl  von  Kindern 
syphilitischer  Eltern  eine  Immunität,  wenn  überhaupt  vor¬ 
handen,  doch  in  der  Pubertät,  im  zeugungsfähigen  Alter,  be¬ 
reits  erloschen  war,  ist  für  uns  ein  Beweis,  dass  diese  Indi¬ 
viduen  also  eine  Immunität  auf  ihre  Kinder  und  Nachkommen 
nicht  weiter  vererben  können,  die  Nachkommen  syphilitischer 
Eltern  also  eine  Immunität,  absolut  oder  relativ,  nicht  zu  be¬ 
sitzen  brauchen. 

20.  Aber  die  oben  gegebenen  Thatsachen,  den  Beweisen 
für  die  Vererbung  der  Immunität  gegen  Syphilis  gegenüber 
gestellt,  müssen  uns  zum  Nachdenken  darüber  veranlassen, 
ob  wir  denn  das  Recht  haben,  an  dem  Lehrsätze  von  der 
unbegrenzten,  d.  h.  lebenslänglichen  Dauer  der  Immunität  bei 
acquirirter  Syphilis,  an  der  These  von  der  Vererbung  der  Im¬ 
munität  noch  weiter  festzuhalten. 


Zur  Frage  des  Bacteriengehaltes  der  Harnröhre. 

Replik,  von  Dr.  Schenk  und  Dr.  Austerlitz,  Assistenten  der  Klinik 

Sänger. 

Die  Erwiderung  S  a  v  o  r’s  !)  auf  unsere  in  dieser  Zeitschrift 
(1900,  Nr.  14)  erschienene  Publication  gibt  uns  nochmals  Veran¬ 
lassung,  auf  einige  von  Savor  unberücksichtigt  gelassene,  uns  jedoch 
sehr  wichtig  erscheinende  Punkte  kurz  einzugehen : 

1.  Haben  wir  durch  Untersuchung  von  zehn  Fällen  von  Cystitis 
und  identischem  bacteriologischen  Befund  in  Urethra  und  Blase  den 
Nachweis  geliefert,  dass  bei  unserer  Methode  der  Secretabnahme  aus 
der  Urethra  die  Keime  in  derselben  nicht  vernichtet  werden. 

2.  Vermissen  wir  in  der  Erwiderung  S  a  v  o  r’s  die  Beantwortung 
der  uns  besonders  wichtig  erscheinenden  Frage  nach  der  Bestimmung 
der  Pathogenität  seiner  häufig  gefundenen  Staphylococcen. 

3.  Lässt  Savor  die  von  anderen  Autoren  und  uns  angestellten 
Untersuchungen  des  Keimgehaltes  der  Blase  und  des  Vestibulum- 
secretes  unberücksichtigt.  Das  seltene  Vorkommen  von  pathogenen  Keimen 
in  der  Blase  und  im  Vestibulum  macht  das  häufige  Vorkommen  solcher 
Mikroorganismen  in  der  Urethra  unwahrscheinlich. 

4.  Wenn  sich  auch  die  Untersuchungen  Savor’s  über  ein 
grösseres  Material,  als  es  das  unsere  war,  erstreckten,  so  müssen  wir 
trotzdem  sagen,  dass,  so  lange  wir  nicht  vollständig  überzeugt  sind, 
dass  die  Prüfung  der  gefundenen  Keime  in  jedem  einzelnen  Falle, 
speciell  auf  Pathogenität,  exact  vorgenommen  wurde,  unsere  25  Fälle 
beweiskräftiger  sind,  als  die  93  Fälle  von  Savor. 

Im  Uebrigen  wollen  wir  die  Resultate  der  von  Savor  beab¬ 
sichtigten  weiteren  diesbezüglichen  Untersuchungen,  die  gewiss  besonders 
die  Pathogenität  der  gefundenen  Keime  berücksichtigen  werden, 
abwarten  und  glauben,  dass  dann  trotz  des  Unterschiedes  der 
Methoden  in  dieser  Frage  eine  Einigung  leicht  zu  erzielen  sein  wird. 


Bemerkungen  zu  vorstehender  Replik. 

Von  Dr.  Rudolf  Savor. 

Es  sei  mir  gestattet,  an  vorstehende  Replik  von  Schenk  und 
Austerlitz  einige  Bemerkungen  knüpfen  zu  dürfen. 

Vor  Allem  habe  ich  nicht  behauptet,  dass  durch  die  Methode 
der  Secretentnahme  von  Schenk  und  Austerlitz  die  Keime  in 
der  Urethra  vernichtet  werden,  sondern  habe  nur  der  Vermuthung 
Ausdruck  gegeben,  dass  bei  dieser  Methode  Reste  des  zur  Infection 
verwendeten  Sublimates  mit  überimpft  werden  und  auf  dem  Nährboden 
ihre  entwicklungshemmende  Wirkung  entfaltet  haben  könnten,  was  im 
Vereine  mit  der  Verwendung  einer  Impfnadel  (Sehe  n  k  und  Auster¬ 
litz)  statt  einer  Oese  (Savor)  vielleicht  Ursache  war,  dass  mancher 
Keim  in  der  Urethra  der  Impfnadel  entging.  Dagegen  können  auch 

q  Diese  Zeitschrift.  1900,  Nr.  15. 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  19(X). 


Nr.  19 


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die  von  Schenk  und  Austerlitz  angezogenen  Untersuchungs¬ 
resultate  bei  Cystitis  wohl  kaum  als  Einwand  angeführt  werden,  da 
doch  bei  dieser  durch  jede  Harnentleerung  die  Harnröhre  mit  bacterien- 
hältigem  Harn  überschwemmt  wird  und  der  Nachweis  anderer,  als  der 
im  Blasenharn  gefundenen  Mikroorganismen  sehr  auffällig  erscheinen 
würde. 

Was  weiterhin  die  Pathogenität  der  von  mir  gefundenen  Staphylo- 
coccen  betiiffr,  so  wurde  dieselbe  nicht  geprüft;  leider  schliessen  die 
Verhältnisse  der  Klinik  solche  Prüfungen  in  grösserem  Massstabe,  wie 
sie  noting  gewesen  wären,  aus,  aber  da  diese  Verhältnisse  derzeit  nicht 
zu  ändern  sind,  so  kann  auch  bei  weiteren  Untersuchungen  eine  solche 
Prüfung  in  ausgedehnterer  Weise  nicht  statthaben.  Wo  ich  in  meiner 
Publication  von  pathogenen“  Staphylococcen  sprach,  ist  dies  in  dem 
wohl  allgemein  gütigen  Sinne  zu  verstehen,  dass  darunter  die  pyo¬ 
genen  Staphylococcen  gemeint  sind;  beim  Staphylococcus  non  pyo¬ 
genes  wurde  ausdrücklich  das  difFerentialdiagnostische  Merkmal  des 
Nichtverflüssigens  der  Gelatine  betont. 

Endlich  fehlte  mangels  eigener  Untersuchungen  jede  Veran¬ 
lassung,  sich  über  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  des  Vcstibulum- 
secretes  zu  äussein. 

Eine  weitere  Aufklärung  ist  durch  noch  anzustellende  Unter¬ 
suchungen  zu  erwarten. 


FEUILLETON. 

Creirung  von  Zahnärzten  durch  das  k.  k.  Ministe¬ 
rium  des  Innern. 

Ein  Appell  an  die  Professor en-Collegien  der  öster¬ 
reichischen  Universitäten. 

Wer  das  Parteileben  der  ärztlichen  Corporationen  in  den 
letzten  Jahren  aufmerksamer  verfolgt  hat,  wird  sich  nicht  ver¬ 
hehlen,  dass  es  den  Zahnärzten  nicht  immer  gelungen  ist,  bei 
Vertretung  ihrer  Interessen  zu  verhüten,  dass  sie  in  Collegen- 
kreisen  missverstanden  werden. 

Man  darf  wohl  annehmen,  dass  die  Zeit,  wo  die  Zahn¬ 
heilkunde  als  ein  Stiefkind  der  Chirurgie  betrachtet  wurde, 
bereits  mehr  als  drei  Decennien  hinter  uns  liegt;  nur  für  jene 
Aerzte,  welche  die  Entwicklung  der  modernen  Zabnheilkunde 
nicht  zu  verfolgen  in  der  Lage  waren,  sei  flüchtig  erwähnt, 
dass  ihr  wissenschaftlicher  Aufbau  sich  auf  die  Werke  eines 
W  e  d  1,  H  e  i  d  e  r,  Salter,  Heath,  Tomes,  Albrecht, 
Leber  und  Kottenstein,  Mühlreiter,  Garretson, 
Taft,  Bonwill,  Essig,  Magitot,  Malassez,  der  Bacterio- 
logen  Miller,  Mills,  Underwood,  auf  die  topographisch¬ 
anatomischen  Forschungen  Zuckerkandl’s  auf  die  Werke 
Arkövy's.  Scheff’s,  v.  Metnitz’,  Kot  hm  aim’s,  Witz  el’s, 
auf  mannigfache  Arbeiten  B  er  ten’s,  Rose’s,  S  t  er  nf  eld’s, 
Zsigmondy’s,  Claude  Martin’s  und  vieler  Anderer  stützt. 
Aut  solchem  Unterbaue  fussend,  hat  sich  die  Zabnheilkunde 
trotz  des  etwas  befremdlichen  Gepräges,  das  ihr  unvermeidliche 
enge  Beziehungen  zu  kunstgewerblichen  ^Tätigkeiten  verleihen 
mussten,  zu  einem  Zweige  der  Chirurgie  emporgeschwungen, 
dessen  sich  die  anderen  ärztlichen  Specialfächer  nicht  zu 
schämen  brauchen. 

Mochten  auch  vor  zehn  und  fünfzehn  Jahren  die  über¬ 
raschende  Ausbildung  der  Prothese  und  der  Orthodontie  den 
Anschein  erwecken,  dass  die  moderne  Zahnheilkunde  mehr  und 
mehr  auf  das  Gebiet  rein  mechanischer  Routine  abschwenke, 
so  sind,  Dank  der  liebevollen  Hingabe,  mit  welcher  neben 
anderen  allgemein  ausgebildeten  Aerzten  insbesondere  der 
geniale  Breslauer  Chirurge  Professor  Part  sch  die  Errungen¬ 
schaften  der  allgemeinen  Chirurgie  für  die  Zwecke  der  Zahn¬ 
ärzte  dienstbar  gemacht  hat,  die  Beziehungen  der  Tochter- 
disciplin  Zahnheilkunde  zu  dem  Mutterfaelie  Chirurgie  wieder 
äusserst  intime  geworden  und  führen  die  erstere  ihrem  Ziele: 
dem  Aushaue  zur  Stomatologie,  immer  näher  und 
näher! 

Jene  Aerzte,  welche  als  Zahnpatienten  oder  durch  einen 
anderen  Zufall  in  nähere  Fühlung  mit  tüchtigen  Vertretern 
des  zahnärztlichen  Standes  gekommen  sind,  werden  zugehen, 
dass  die  moderne  Zahnheilkunde  wie  wenige  praktische  Fächer 
in  gleichem  Masse  mit  erstaunlicher  Präcision  und  Positivität 


des  Erfolges  ihre  wissenschaftlichen  Wert  he  aus  der  Theorie 
in  praktische  Verwendung  umsetzen  kann. 

Trotz  der  Geneigtheit,  auf  welche  die  Zahnärzte  bei 
dieser  letzteren  Gruppe  von  Collegen  wohl  rechnen  dürften, 
wäre  es  ein  gewagtes  Unternehmen,  an  irgend  eine  einflussreiche 
ärztliche  Corporation  mit  dem  Ansinnen  heranzutreten,  dass 
Letztere  gerade  für  die  Zahnärzte  speeiell  eine  Lanze  ein¬ 
lege,  wenn  sie  wieder  im  Begriffe  sind,  ihre  Standesinteressen 
zu  verfechten. 

Im  Folgenden  soll  aber  gezeigt  werden,  dass  es  sich  bei 
der  diesmaligen  Action  der  organisirten  Zahnärzte  nicht  so 
sehr  um  die  Beschiitzung  einer  allerdings  sehr  erheblichen 
Anzahl  von  jungen  Collegen  handelt,  welche  durch  das  von 
Seite  der  Behörden  geradezu  favorisirteE  m  p  o  r- 
wuchern  der  Curpfu scherei  materiellem  Ruine  ent¬ 
gegengeführt  werden,  als  vielmehr  um  die  allgemeine  Bedeutung, 
welche  der  zahnärztlichen  Praxis  als  Placirungsgebiet 
für  die  durch  allerlei  Factoren  wirthschaftlich 
sosehwerbedrängteAerzteschaft  zufällt,  und  endlich 
soll  ganz  besonders  die  Aufmerksamkeit  des  ärztlichen  Standes 
auf  ein  Vorgehen  von  Seite  des  Ministeriums 
desinner  n  gelenkt  werden,  welches  eine  Hintan¬ 
set  z  u  n  g  der  verbrieften  Rechte  und  Institu¬ 
tionen  der  österreichischen  Universitäten  in- 
v  o  1  v  i  r  t. 

Namentlich  von  dem  letzten  dieser  drei  Gesichtspunkte 
ausgehend,  wird  es  nicht  als  vordringlich  oder  unbe¬ 
scheiden  angesehen  werden,  wenn  die  Zahnärzte  Oesterreichs, 
welche  ja  seit  fünfzig  Jahren  selbstständig,  d.  h.  ohne  An¬ 
lehnung  an  eine  grössere  ärztliche  Corporation  den  Kampf 
gegen  ihre  Schädiger  fast  vergeblich  führen,  endlich  jetzt  in 
ihrer  Stellungnahme  gegen  die  von  Seite  des  Ministeriums  des 
Innern  geübte  »ausnahmsweise  Berechtigung«  von 
in  Oesterreich  zur  Ausübung  der  zahnärztlichen 
Praxis  nicht  Befugten  auch  an  die  Professor  en- 
Collegien  der  österreichischen  Universitäten  mit  der  Bitte 
herantreten,  sie  mit  ihrer  Autorität  zu  unterstützen. 

Die  sich  vollkommen  correct  verhaltende  überwiegende 
Majorität  der  Zahnärzte  Wiens,  War  sich  stets  und  ist  sich 
heute  mehr  denn  je  vollkommen  darüber  klar,  dass  drei 
Factoren  das  Ueberhandnehmen  der  Curpfuscherei  auf  zahn¬ 
ärztlichem  Gebiete  und  die  Lahmlegung  der  Abwehrmittel 
gegen  dieselbe  verschuldet  haben: 

1.  Die  Verwendung  von  Personen,  welche  zur  Ausübung 
der  zahnärztlichen  Praxis  in  Oesterreich  nicht  berechtigt 
sind,  als  Assistenten  von  Seite  einer  Anzahl  von  österreichischen 
Zahnärzten;  die  Zahl  der  Letzteren  soll  dermalen  in  Wien 
elf  betragen. 

2.  Die  —  seit  1885  bis  heute  die  erstaunliche  Anzahl 
von  zehn* 1)  Fällen  in  Wien  allein  betragenden,  an  Zahn¬ 
techniker  oder  andere  den  gesetztliclien  Anforderungen  nicht 
entsprechende  Personen  von  Seite  des  Ministeriums  des  Innern 
ertheilten  »Erweiterungen  der  Befugnisse«. 

3.  Die  schamlose  Rolle,  zu  welcher  zahlreiche  ehrver¬ 
gessene  Aerzte,  fast  ausschliesslich  Nicht-Zahnärzte,  sich  her¬ 
gehen,  indem  sie  sich  Zahntechnikern  oder  anderen  zur  Aus¬ 
übung  der  Zahnheilkunde  in  Oesterreich  nicht  Berechtigten 
gegen  Zusicherung  von  Tantiemen  oder  gegen  fixen  Gehalt 
als  »Schutz-Doctoren«  (»Strohmänner«)  verdingen,  um  so  die 
Uehergriffe  der  Letzteren  auf  das  operative  Gebiet  der  Zahn¬ 
heilkunde  gegen  gesetzliche  Ahndung  zu  decken;  27  davon 
sind  sogar  heim  Physieate  —  nicht  etwa  »an  gezeigt«  — , 
sondern  amtlich  »angemeldet«,  obwohl  beim  Stadtphysicate 
sehr  wold  bekannt  ist,  dass  diese  Aerzte  von  Zahnheilkunde 
nahezu  oder  überhaupt  nichts  verstehen  und,  wenn  es  gut  geht, 
täglich  eine  Stunde  pro  forma  die  den  ganzen  Tag  währende 
curpfuscherische  Thätigkeit  ihren  Lohnherrn  oder  mitunter 
ihrer  zwei  bis  vier  Lohnherren  »beaufsichtigen«. 

Es  sei  hier  gleich  vorweg  der  Meinung  Ausdruck  gegeben, 
dass  gegen  diese  corrumpirten  Auswürflinge  des  ärztlichen 

')  Zwei  weitere  Fälle  sind  hier  nicht  mit  einbezogen,  weil  in  diesen 
die  ministerielle  Bewilligung  auf  Grund  einer  Allerhöchsten  Entschliessung 

I  ertheilt  worden  ist.  —  —  — 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


437 


Standes,  zumal  die  Behörden  nicht  anstehen,  sie  sogar  ofticiell 
zu  registriren  und  zu  toleriren,  einzig  und  allein  eine  princi- 
pielle  Erhöhung  der  Disciplinargewalt  der  Aerztekammern 
(nicht  Geldstrafen,  sondern  selbst  Entziehung  des  Diploms,  wie 
bei  den  Advocatenkammern)  Abhilfe  schaffen  kann. 

Gegen  die  sub  numero  1  angeführte  Gesetzesübertretung 
hofft  die  organisirte  Zahnärzteschaft,  welche  in  einer  freien 
Versammlung  beschlossen  hat,  Collegen,  welche  sich  dieser 
Uebertretung  schuldig  gemacht  haben,  dahin  zu  beeinflussen, 
dass  sie  sich  ehrenwörtlich  zur  Abstellung  dieser  Unzukömm- 
lichkeit  verpflichten,  allein  Herr  zu  werden. 

Eine  eingehendere  Besprechung  erheischt 
aber  die  im  zweiten  Punkte  angeführteCreirung 
von  Sanitätspersonen  im  Wege  einerCompetenz- 
Überschreitung  v  o  n  S  e  i  t  e  n  d  e  s  k.  k.  M  i  n  i  s  t  e  r  i  u  m  s 
des  Innern. 

Der  in  einem  Rechtsstaate  ganz  einzig  dastehende  Vor¬ 
gang  besteht  in  Folgendem: 

Das  Ministerium  des  Innern  er tlieilt  in  diesen  Fällen 
seinen  Schützlingen  »erweiterte  gewerbliche  Befugnisse«  als 
Zahntechniker,  und  gestattet  ihnen,  unter  diesem  Titel  ärzt¬ 
liche  Eingriffe,  obwohl  »nach  Artikel  V  des  Einführungsgesetzes 
der  Gewerbe-Ordnung  die  Ausübung  der  Heilkunde  nicht  unter 
die  Bestimmung  der  letzteren  gehört«.  —  Das  Ministerium 
deslnnern  über  sc  hr  eitet  hie  mit  seine  Competenz, 
indem  es  Personen  die  ärztliche  venia  practi- 
candi  ganz  oder  verstümmelt  ert  heilt,  während 
diese  letztere  dem  Gesetze  nach  nur  von  den 
Professor en-Collegien  der  Universitäten  ver¬ 
liehen  werden  kann. 

Noch  auf  ein  zweites  ähnliches  Factum  sei  hier  nach- 
drücklichst  hingewiesen. 

Das  Erscheinen  des  Erlasses  der  niederösterreichischen 
Statthalterei  vom  17.  November  1899,  Z.  102.049,  worin  auf¬ 
merksam  gemacht  wird,  »dass  zur  Ausübung  der  zahnärztlichen 
Praxis  jeder  Art  im  Inlande  lediglich  inländi  sehe 
Doctor en  der  gesammten  Heilkunde  berechtigt 
sind«,  wurde  von  der  überwiegenden  Majorität  der  Zahnärzte 
Wiens  mit  wahrer  Begeisterung  aufgenommen. 

Hingegen  liefert  der  Schlusssatz  des  eben 
citirten  Erlasses  einen  deprimirenden  Beweis 
dafür,  wie  leicht  man  sich  im  Ministerium  des  Innern 
über  die  Patente  der  Universitäten  und  die 
Rechte  der  Professor  en-Collegien  hinwegsetzt, 
wenn  es  sich  darum  handelt,  eine  genügend  protegirte  Person, 
auch  wenn  sie  die  gesetzlichen  Qualifieationen  hieftir  durch¬ 
aus  nicht  besitzt,  »ausnahmsweise  zu  berechtigen«  (?)  das 
zu  thun,  was  sonst  nur  Doctoren  der  gesammten  Heilkunde 
gestattet  ist. 

Dieser  Schlusssatz  besagt :  »dass  die  Anstellung 
von  im  Inlande  zur  zahnärztlichen  Praxis  nicht 
berechtigten  ausländischen  Staatsangehörigen 
als  Hilfsärzte  —  ohne  besondere  Bewilligung  des 
k.  k.  Ministeriums  des  Innern  unzulässig  ist«. 

Also  in  einem  und  demselben  Erlasse  das, 
wie  gesagt,  von  den  Aerzten  wärmstens  be- 
grüsste  Verbot  des  Haltens  gesetzlich  nicht 
qualificirter  Assistenten  und  —  die  Clausel, 
durch  welche  sich  das  Ministerium  vermuth- 
lich  im  Zuge  befindliche  C  o  m  p  e  t  e  n  z  ü  ber¬ 
sch  reit  ungen  vor  behält! 

Man  halte  sich  gefälligst  vor  Augen:  Auf  der  einen  Seite  die 
Forderung,  acht  Jahre  Gymnasium  zustudiren,  Maturitätsprüfung 
abzulegen,  medicinische  Studien  zu  treiben,  sich  den  Rigorosen 
zu  unterziehen;  wie  viel  Zeit  und  fleissiges,  angestrengtes  Lernen 
erfordert  dies,  wie  viel  Capital  haben  insbesondere  Eltern 
investirt,  deren  Söhne  von  ihnen  in  eine  grössere  Stadt  ge¬ 
schickt  werden  mussten;  dazu  kommen  dann  noch  die  specielle 
Ausbildung  für  das  zahnärztliche  Fach  und  die  Beschaffung 
eines  ungewöhnlich  kostspieligen  Instrumentariums!  Auf  der 
anderen  Seite  wird  an  Zahntechniker,  welche  ganz  gewöhnlich 
nicht  mehr  als  Volksschulbildung  aufweisen  können,  wenn  es 
hoch  hergeht,  eine  halbe  Mittelschule,  oder  gar  als  ausser¬ 


ordentlicher  Hörer  einige  Curse  an  einer  Universität  absolvirt 
haben,  oder  an  nicht  graduirte  Mediciner,  oder  an  ausländische 
Zahnärzte,  deren  Vorbildung  durchaus  nicht  an  eine  öster¬ 
reichische  oder  deutsche  Mittelschulbildung  heranreicht,  deren 
Ausbildung  in  der  Zahnheilkunde  mit  einem  medicinischen 
Studiengange  keineswegs  verglichen  werden  kann  durch 
das  Ministerium  des  Innern  die  venia  practicandi  ver¬ 
liehen  ! 

Ob  diese  venia  practicandi  ganz  oder  verstümmelt 
er theilt  wird,  ist  an  sich  ganz  irrelevant  und  überhaupt  auch 
schon  deshalb,  weil  in  beiden  Fällen  sie  so  ausgedehnt  als 
irgend  möglich  benützt  wird,  zumal  ja  von  Seiten  der  Regierung 
keine  Controle  ausgeübt  werden  kann.  Oder  sollten  die  Herren 
Referenten  im  Sanitätsdepartement  in  der  That  selbst  daran 
glauben  können,  dass  der  durch  den  Ministerialerlass  vom 
11.  Juli  1893,  Z.  16.706  Gewappnete  mit  Pulpitis  behaftete 
Zähne  nur  mit  Hochquellenwasser  besänftigen  und  die  bei 
einem  Falle  von  Perforation  des  Gaumens  durch  Gumma  ver¬ 
wendeten  Abdrucklöffel  mit  Eau  de  Cologne  desinficiren  kann, 
weil  er  zwar  »zum  Zahn-  und  Wurzelziehen  und  zum  Plom- 
biren,  sowie  Feilen  (?!)  und  Reinigen  der  Zähne«  —  jedoch 
»ohne  Anwendung  von  Medicamenten«  berechtigt  ist?  Sollten 
diese  Herren  wirklich  ob  ihrer  Bureauthätigkeit  die  Medicin 
so  vollständig  vergessen  haben,  dass  es  ihnen,  wenn  sie  im 
Ministerialerlasse  vom  29.  März  1897,  Z.  4064,  einen  Zahntechniker 
vorsichtshalber  nur  dazu  »berechtigen«,  »dem  Zahnersatz  hinder¬ 
liche,  lockere  Zähne  und  Zahnpartikel  aus  dem  vollkomm en 
gesundem  Munde«  zu  entfernen,  nicht  einfällt,  dass  in 
einem  vollkommen  gesunden  Munde  weder  lockere  Zahnpartikel 
Vorkommen,  noch  ein  Zahnersatz  nothwendig  ist,  weil  Mutter 
Natur  —  ohne  vom  Ministerium  »ausnahmsweise  zu  einem 
Theile  der  zahnärztlichen  Praxis  berechtigt  zu  sein«,  die  Kiefer 
mit  32  Zähnen  ganz  ausgefüllt  hat?  In  Anbetracht  der  armen 
»Patienten«  oder  vielleicht  »Kunden«  eines  »ausnahmsweise 
zur  Ausübung  eines  Theiles  der  zahnärztlichen  Praxis  be- 
]  rechtigten«  Zahntechnikers  (Ministerialerlass  vom  15.  Juli  1896, 
Z.  22.417)  ist  man  übrigens  in  der  Verstümmelung  der  venia 
practicandi  zu  weit  gegangen,  denn  dieser  Unglückliche 
darf  nur  »dem  Zahnersätze  hinderliche,  lockere,  nicht 
schmerzende  Zähne«  entfernen  und  muss  sich  somit  jeden¬ 
falls  hüten,  schmerzhafte  Zähne  zu  extrahiren!  \  on  der 
Erlaubniss,  nur  bis  zur  Pulpa  plombiren  zu  dürfen,  aber  ja  nicht 
weiter,  soll  an  einem  anderen  Orte  die  Rede  sein.  Sapienti  sat! 

Angesichts  solcher  Ausseraehtlassung  der  Gesetze  von 
Seite  einer  k.  k.  Behörde  ist  wohl  d  i  e  F  r  a  g  e  berechtigt: 
was  würden  die  Juristen  dazu  sagen,  wenn  man  dem  Richte  r- 
oder  Advocatenstande  so  ziemlich  alljährlich  einen 
»Collegen«,  der  weder  die  gesetzlich  fixirte  Vorbildung,  noch 
die  entsprechenden  Studien,  noch  die  verlangten  Prüfungen 
aufzuweisen  hat,  einschieben  wollte?!  —  — 

Die  zahnärztliche  Praxis  galt  vor  wenigen  Jahren  noch 
als  ein  Gebiet  ärztlichen  Wirkens,  für  welches  aut  Seite  des 
Publicums  ein  grosser  Bedarf,  auf  Seite  der  mcdicinisch 
vorgebildeten  Beflissenen  der  Zahnheilkunde  die  Chance  vor¬ 
lag,  nach  rund  drei  Jahren  specieller  Ausbildung  einen 
zwar  mühevollen,  aber  sicheren  Erwerb  zu  finden. 

Wie  liegt  die  Sache  aber  heute?  — 

Auf  Grund  glaubwürdiger  Informationen  lässt  sich  die  er¬ 
staunliche  Thatsache  constatiren,  dass  diese  bisher  reichliche 
Quelle  für  eine  standesgemässe  Versorgung  arbeits¬ 
lustiger,  sich  für  chirurgische  Fächer  gut  qualificirender  junger 
Aerzte  fast  schon  im  Begriffe  ist,  wieder  zu  versiegen  —  dass 
eine  ganz  erschreckende  Anzahl  junger  Collegen,  welche  erst 
in  den  letzten  drei  bis  vier  Jahren  sich  voll  berechtigter  Hoff¬ 
nungen  diesem  Fache  zugewendet  haben,  weil  sie  in  anderen 
Zweigen  der  Heilkunde  gar  keine  Aperturen  finden  konnten 
—  grausam  enttäuscht  wurde. 

Dass  eine  Weltstadt  vom  Range  Wiens  immerhin  25  30 

sehr  gut  situirte  und  eine  vielleicht  doppelt  so  grosse  Anzahl 
von  Zahnärzten  zählt,  welchen  es  leidlich  gut  geht,  ändert  an 
dieser  soeben  beklagten  Thatsache  nichts. 

Die  Ursache  dieser  rapiden  Einschränkung  dieses  nicht 
zu  unterschätzenden  Placirungsgebietes  für  junge  Aerzte  liegt 


438 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


darin,  dass  sich  heute  in  Wien  in  die  zahnärztliche  Praxis 
ausser  236  Zahnärzten  noch  mindestens  150  andere  Personen 
theilen  : 

1.  Ueber  hundert  mit  einer  Concession  zur  selbstständigen 
Ausübung  des  zahntechnischen  Gewerbes  ausgestattete  Zahn¬ 
techniker,  welche  mit  wenigen  Ausnahmen  alle  in  operativer 
Zahnheilkunde  curpfuschen,  und  zwar  entweder  o)  unter  dem 
»Schutze«  eines  ärztlichen  Strohmannes  oder  b)  ohne  sich 
dieses  von  den  Behörden  officiell  tolerirten  Schutz¬ 
mittels  zu  bedienen. 

2.  Eine  grosse  Anzahl  von  nicht  concessionirten,  theils 
bei  Zahnärzten,  theils  bei  Zahntechnikern  angestellten  zahn¬ 
technischen  Gehilfen,  von  welchen  nur  wenige  in  ihren  freien 
Stunden  der  Verlockung  widerstehen,  dasselbe  zu  thun,  was 
die  Concessionirten  im  grossen  Stile  betreiben. 

3.  Die  oben  erwähnten,  vom  Ministerium  des  Innern  mit 
einer  »erweiterten  gewerblichen  Befugniss«  ausgestatteten 
>  Sanitätspersonen«. 

Für  die  ökonomische  Seite  der  Schädigung  des  Aerzte- 
standes  kommen  alle  diese  drei  Kategorien  von  Concurrenten 
in  gleichem  Masse  in  Betracht. 

Für  die  andere,  die  Aerzteschaft  im  Allgemeinen  und 
insbesondere  auch  die  Universitäten  weit  mehr  interessirende 
Seite,  für  die  Schädigung  des  Ansehens  besonders  gefährlich 
ist  die  zweite  Kategorie. 

Diese  Leute  haben  ihre  »ausnahmsweisen  Berechtigungen« 
auf  Grund  von  Zeugnissen  hochgestellter,  einflussreicher  Persön¬ 
lichkeiten.  unter  Anrühmung  ihrer  angeblich  exorbitanten 
Leistungen,  unter  Hinweis  auf  die  Nothwendigkeit,  in  Oester¬ 
reich  der  Zahnheilkunde  auf  die  Beine  zu  helfen,  zu  erlangen 
verstanden;  —  alles  Erdenkliche  wird  aufgebauscht  und  her¬ 
vorgehoben,  nur  über  den  Mangel  des  Nachweises  der 
wissenschaftlichen  Befähigung  und  den  Mangel 
des  Rechtes  setzt  sich  das  Ministerium  des  Innern  hinweg! 

Das  Publicum  aber  wird  irre  und  hält  vielfach  diese 
Gattung  »Zahnärzte«  für  die  auf  der  Höhe  der  Zeit  stehenden 
Fachleute,  es  wird  nicht  müde,  sie  »Doctor«  zu  nennen,  wenn 
sie  nicht  gar  zum  Lohne  für  zielbewusste  Humanitätsheuchelei 
schon  mit  anderen  Titeln  versorgt  worden  sind,  unter  welchen 
»Landesgerichtszahnarzt«  (in  Graz),  »Zahnarzt  der  k.  k.  Sicher¬ 
heitswache«,  »Zahnarzt  der  Marine-Section«  nur  die  minder- 
werthigen  sind. 

Hochansehnliche  Professoren- Collegien! 

In  diesen  Zuständen  liegt  weit  mehr  als  etwa  nur  eine 
materielle  Schädigung  eines  Theiles  von  praktischen  Aerzten, 
—  es  liegt  darin  eine  tiefe  Beschämung  des  ärztlichen  Standes 
überhaupt ! 

Es  ist  auch  nicht  zu  übersehen,  dass  es  in  unserer  Aera 
der  Naturheilkünstler  auch  für  andere  Zweige  der  Heilkunde 
(für  die  Chirurgie,  Geburtshilfe,  Augenheilkunde,  für  die  Hydro¬ 
therapie,  Massage,  Orthopädie  etc.)  ein  umso  gefahrbringenderes 
Präjudiz  schaffen  muss,  je  länger  die  oben  angeführten  Ausser- 
achtlassungen  des  Gesetzes  von  Seite  einer  hohen  Behörde  auf 
keinen  Widerstand  seitens  der  durch  sie  Geschädigten  zu 
stossen  scheinen. 

Die  Zahnärzte  haben  sich  seitens  ihrer  Vereine  an  den 
»Verband  der  Aerzte  Wiens«  gewendet  und  die  deputative 
Ueberreichung  einer  Resolution  bei  Sr.  Excellenz  dem  Minister 
des  Innern  beschlossen,  sie  haben  sich  in  einer  »freien  Ver¬ 
sammlung«  organisirt  und  suchen  im  Wege  einer  Beschwerde 
die  Wahrung  ihrer  Rechte. 

Das  wirksamste  Mittel  aber,  ihr  Ziel  zu  erreichen,  wäre 
eine  Aeusserung  von  Seite  der  medicinischen  Professoren- 
Collegien  der  österreichischen  Universitäten! 

Fine  Gruppe  von  Aerzten,  welche  sich  einem  jung-auf¬ 
strebenden,  erstaunlich  sich  entwickelnden  Zweige  der  Chirurgie 
zugewendet  haben  und  ihren  Stolz  darein  setzen,  die  moderne 
Zahnheilkunde  mit  den  von  der  Universität  mitgenommenen 
Lehren  und  Anregungen  der  allgemeinen  Medicin  zu  befruchten. 


auf  dass  sie  rasch  zur  Stomatologie  sich  entfalte,  hofft,  dass 
ihr  Appell  an  die  vornehmste  Vertretung  der  Interessen  des 
Aerztestandes  nicht  wirkungslos  verhallen  wird! 

Med.  univ.  Dr.  Rudolf  Weiser, 

Vorstand-Stellvertreter  des  Executiv-Comites 
der  »Freien  Versammlung  der  Zahnärzte«. 


REFERATE. 

I.  Die  Localisation  der  psychischen  Thätigkeiten  im 

Gehirn. 

Von  Dr.  Bernli.  Holländer,  London. 

32  S. 

Berlin  1900,  Hirschwald. 

II.  Vorlesungen  über  den  Bau  der  nervösen  Central¬ 

organe  des  Menschen  und  der  Thiere. 

Von  L.  Edinger. 

Sechste  umgeai  beitete  und  vermehrte  Auflage.  430  S.,  2  Tafeln. 

Leipzig  1900,  F.  C.  W.  Vogel. 

III.  Die  Rückenmarksnerven  und  ihre  Segmentbezüge. 

Ein  Lehrbuch  der  Segmentaldiagnostik  der 
Rückenmarkskrankheiten. 

Von  Dr.  R.  Wichmann. 

280  Seiten  mit  76  Abbildungen  und  7  farbigen  Tafeln. 

Berlin  1 900,  O.  Salle. 

IV.  Atlas  des  gesunden  und  kranken  Nervensystems 
nebst  Grundriss  der  Anatomie,  Pathologie  und  Therapie 

desselben. 

Von  Christfr.  Jakob,  Buenos  Aires. 

Mit  einem  Vorworte  von  Prof.  A.  v.  Strümpell. 

Zweite  Auflage.  208  Seiten  und  84  Tafeln. 

München  1899,  F.  Lehmann. 

V.  Die  psychiatrischen  Aufgaben  des  Staates. 

Von  Dr.  Emil  Kröpelin,  Professor  in  Heidelberg. 

52  Seiten. 

Jena  1900,  G.  Fischer. 

I.  In  der  jüngsten  Zeit  finden  die  Lehren  des  genialen  Gail 
wieder  ihre  wärmsten  Vertreter.  Viel  weiter  als  Möbius  (Fünfte 
Versammlung  der  vereinigten  mitteldeutschen  Psychiater  und  Neuro¬ 
logen.  23.  October  1899)  geht  in  dieser  Beziehung  Holländer, 
welcher  in  seiner  kleinen  Schrift  geradezu  eine  Apologie  der  ab¬ 
sonderlichsten  phrenologischen  Theorien  bietet  —  »es  ist  der 
Gail,  den  er  kennt,  den  er  entdeckt  hat,  welchen  er  der  heutigen 
Gelehrtenwelt  vorführt«,  während  der  andere  Gail  mit  seinem 
phrenologischen  Unsinn  nur  in  der  Einbildungskraft  seiner  Gegner 
existirt. 

An  einer  ganzen  Reihe  von  Beispielen  wird  nachgewiesen, 
wie  richtig  Gail  seine  Seelenkräfte  localisirt  hat;  z.  B.  in  der 
oberen  Gegend  der  vorderen  Centralwindung  ist  der  »Sinn  der 
Beharrlichkeit«  vertreten;  man  stellt  sich  fest  auf  die  Beine  (gegen¬ 
wärtig  nachgewiesenes  motorisches  Centrum  der  Unterextremität) 
u.  s.  w. 

G  all’s  Auffassung  vom  Kleinhirn  als  Sitz  des  Geschlechts¬ 
triebes  wird  auch  wieder  neu  aufgenommen.  Den  Tonsinn  verlegt 
Holländer  »zwischen  obere  und  untere  Schläfenwindung  un¬ 
mittelbar  zwischen  die  Lappen  der  Fissura  Sylvii«  (wo  mag  dies 
sein  ?). 

Als  wahrscheinlich  sei  ferner  anzunehmen:  1.  dass  der  Ur¬ 
sprung  des  Krankheitsherdes  der  Monomanie  gaie  vor  der  Central¬ 
furche  im  rückwärtigen  Theil  des  Stirnlappens  zu  suchen  sei, 
2.  jener  der  Monomanie  triste,  der  deprimirenden  Gefühlszustände, 
der  Melancholie,  hinter  der  Centralfurche  in  der  untersten  Hälfte 
des  Scheitellappens,  3.  dass  der  ursprüngliche  Krankheitsherd  der 
Folie  furieuse,  der  erhöhten  Reizbarkeit,  der  Manie  und  Tobsucht, 
im  basalen  Theile  des  Schläfelappens  seine  Localisation  habe  und 
von  da  sich  ausdehne. 

Es  Hesse  sich  noch  mancherlei  anführen,  das  bei  der  Lecture 
des  Werkchens  auffällt,  doch  dürften  die  wenigen  Beispiele  für 
eine  Charakteristik  des  vom  Verfasser  eingenommenen  Standpunktes 
genügen. 

* 

II.  Es  erscheint  wrohl  überflüssig,  auf  die  Vorzüge  dieses  aus¬ 
gezeichneten  Werkes,  das  in  15  Jahren  sechs  Auflagen  erlebt  hat, 
nochmals  speciell  hinzuweisen. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


439 


Die  vorliegende  Ausgabe  ist  mehr  als  40  Seiten  und  zwei  Tafeln 
stärker  als  ihre  Vorgängerin.  Im  Capitel  der  vergleichenden  Ana¬ 
tomie  sind  das  Gehirn  des  Haies  und  das  Vogelgehirn  vollständig 
neu  dar«estellt  und  durch  sehr  instructive  Abbildungen  dem  Ver- 
ständnisse  näher  gerückt.  Aber  auch  die  anderen  Abschnitte  sind 
textlich  und  illustrativ  erweitert  und  verbessert  worden. 

Ein  Eingehen  in  die  Details  der  Ausführungen  E  dingers 
wäre  hier  nicht  am  Platze ;  es  muss  hinreichen,  zu  erwähnen  dass 
er  nicht  blos  ein  vorzügliches  Lehrbuch,  sondern  auch  dem  Fac  i- 
manrie  ein  ganz  unentbehrliches  Hilfswerk  darhietet. 

* 

Ilf  Das  Buch  ist  aus  einer  von  dem  verstorbenen  Professor 
Renz  begonnenen,  aber  1888  aufgegebenen  Arbeit  hervorgewachsen. 
Der  Verfasser  gibt  nun  mit  Benützung  der  hmterlassenen  Notizen 
von  Renz  und  der  seitherigen  Literatur  eine  sehr  eingehende, 
ausführliche  Darstellung  der  peripheren  Verkeilung  der  Rucken- 
marksnerven  in  Muskeln  und  Haut.  Während  der  erste  Theil  die 
aus  der  Anatomie  und  Physiologie  bei  Mensch  und  Thier  gewonnenen 
Ergebnisse  über  die  Projection  der  einzelnen  Nervengebiete  in 
Muskeln  und  Haut  bringt,  dient  der  zweite  Theil  dazu,  zu  prüfen, 
inwieweit  diese  Ergebnisse  mit  den  pathologischen  Erfahrungen  heim 
Menschen  im  Einklang  stehen.  Es  wird  hier  vom  Ruckenmarke 
ausgehend  untersucht,  welche  Muskeln  und  welche  Hautflachen  von 
jedem  einzelnen  Segmente  versorgt  werden;  es  wird  mit  dem  ersten 
Cervicalsegmente  begonnen  und  in  absteigender  Reihe  jedes  einzelne 
Segment  durch  das  ganze  Rückenmark  hindurch  verfolgt.  Von  be¬ 
sonderer  Wichtigkeit  sind  hier  die  zahlreichen,  von  Renz  gesam¬ 
melten,  in  Abbildungen  wiedergegebenen  Fälle,  die  die  betreffenden 
Hautzonen  erkennen  lassen.  Der  dritte  Theil  endlich  betitelt  sich: 
»Die  Ausfallssymptome  bei  den  Querschnitterkrankungen  dei  ein¬ 
zelnen  Rückenmarksegmente«  ;  ihm  kommt  jedenfalls  zusammen  mi 
den  farbigen  Tafeln  bei  der  Segmentdiagnostik  die  grösste  praktische 

Bedeutung  zu.  ...  ,  , 

Obwohl  nur  elf  Seiten  umfassend,  gibt  dieser  Abschnitt  doch 

eine  zwar  gedrängte,  aber  sehr  übersichtliche  Darstellung  der  mo¬ 
torischen  und  sensiblen  Ausfallserscheinungen  bei  Querlasionen  in 
jedem  einzelnen  Rückenmarkssegmente. 

Den  Beschluss  bilden  zwei  Literaturverzeichnisse;  das  erste 

enthält  die  von  Renz  benützten  Schriften  bis  zum  Jahre  1888, 
das  zweite  die  neueren  Arbeiten  nebst  einigen  Nachträgen. 

Das  Buch  strebt  nicht  an,  *  durchgelesen«  zu  werden  aber 
es  gibt  eine  äusserst  eingehende  und  dabei  sehr  klare  Anleitung 
bei  der  Feststellung  der  Segmentdiagnose  ab  und  wird  wohl  m 
jedem  solchen  Falle  mit  grösstem  Nutzen  zu  Rathe  gezogen  werden 
können,  da  es  in  bisher  noch  nicht  erreichter  Vollständigkeit  alle 
auf  diesem  Gebiete  gesammelten  Erfahrungen  in  geordneter  Weise 
vorführt. 


IV.  Wenn  schon  die  erste  Auflage  dieses  Handatlasses  vielen 
Beifall  gefunden  hat  —  sie  wurde  in  vier  Sprachen  übersetzt  — , 
so  verdient  die  neue  »umgearbeitete«  Auflage  einen  solchen  in 
noch  weit  höherem  Masse. 

Die  Zahl  der  Tafeln  und  der  Textabbildungen  ist  vermehrt, 
insbesondere  aber  erscheinen  viele  Tafeln  der  ersten  Auflage  (so 
z.  B.  manche  unklare  Bilder,  ferner  die  durch  ihre  grelle  Färbung 
unangenehm  auffallenden  Tafeln)  durch  neuere,  weitaus  bessere 
ersetzt;  manche  von  ihnen  zeichnen  sich  durch  ihre  künstlerische 
Ausführung  besonders  vortheilhaft  aus.  In  der  Reihe  der  berien- 
schnitte,  Tafeln  40—50,  könnten  manche  Bilder  lichter  gehalten 
sein;  es  würden  dann  nicht  blos  die  verschiedenen  Faserbundei, 
sondern  auch  die  blau  eingezeichneten  Nervenzellen  besser  zui 

Geltung  kommen.  .  ,  .  ,  r  , 

58  Tafeln  sind  der  normalen  Anatomie,  Histologie  und  Ent¬ 
wicklungsgeschichte  des  Nervensystems  gewidmet,  die  folBenden 
26  Tafeln  führen  eine  Anzahl  pathologisch-anatomischer  Processe 
in  ihrem  makro-  oder  mikroskopischen  Bilde  voi.  _  . 

In  dem  folgenden  textlichen  Theile  werden  die  Grundzuge 
der  Anatomie  und  Physiologie  des  Centralnervensystems  kurz  aus¬ 
einandergesetzt,  woran  sich  eine  allgemeine  und  specielle  Patho¬ 
logie  und  Therapie  des  Nervensystems  schliesst. 

Das  Inhaltsverzeichnis  führt  am  Schlüsse  noch  einen  A  - 
schnitt  über  das  Sectionsverfahren  und  die  mikroskopische  Techm  c, 


Literaturverzeichniss  u.  A.  m.  an;  doch  fehlt,  wenigstens  in  dem 
eingesandten  Recensionsexemplar,  dieser  Abschnitt 

Das  ganze  Werk  zeichnet  sich  durch  seine  *Uebersichtlichkeit 

und  Klarheit  der  Darstellung  aus. 

Der  praktische  Arzt,  der  nicht  Zeit  und  Gelegenheit  —  oder 
auch  Lust  —  hat,  sich  eingehender  mit  dem  Studium  der  Nerven¬ 
krankheiten  und  speciell  mit  den  so  schwierigen  theoretischen  Vor¬ 
studien  dazu  zu  befassen,  wird  an  dem  Jak  ob  sehen  Handatlas 
einen  getreuen  und  sicheren  Führer  finden.  Es  mag  gerade  für 
solche  Zwecke  als  werthvoll  hervorgehoben  werden,  dass  trotz  dei 
gebotenen  Kürze  immer  der  neueste  Standpunkt  festgehaUen  er¬ 
scheint.  In  erster  Linie  aber  muss  der  eminent  praktische  Werth 

des  Büches  rühmend  betont  werden. 

* 

V.  Die  vorliegende  Schrift  ist  aus  einem  Vortrage  auf  der  Ver¬ 
sammlung  südwestdeutscher  Irrenärzte  in  Frankfurt  hervorgegangen 
und  wendet  sich  in  ihrer  erweiterten  Form  keineswegs  an  die 
engeren  Fachgenossen  allein. 

Der  Autor  fasst  sein  Thema  im  weitesten  Sinne  auf,  und  be¬ 
spricht  daher  in  erster  Linie,  inwieweit  dem  Staate  eine  Einfluss¬ 
nahme  auf  die  Verhütung  von  Geisteskrankheiten  zukomme;  es 
kann  sich  dabei  wohl  fast  nur  um  die  Bekämpfung  des  Alkohol¬ 
missbrauches  und  die  Einschränkung  der  Syphilis  handeln. 

Der  weitaus  grössere  Theil  der  Auseinandersetzungen  ist  den 
Einrichtungen  gewidmet,  die  zur  Versorgung  der  Geisteskranken  ge¬ 
troffen  worden  sind.  Obwohl  der  Verfasser  sich  lediglich  auf  die 
diesbezüglichen  Verhältnisse  in  Deutschland,  insbesondere  im  Gross- 
herzogthume  Baden,  beschränkt,  sind  seine  Darstellungen  auch  für 
uns  von  grossem  Interesse;  sie  zeigen  aber,  dass  gerade  bei  uns 
in  Oesterreich  viele  Einrichtungen  keineswegs  hinter  denen  in 
Deutschland  zurückstehen,  ja  manche  sogar  entschieden  vorzu- 

Dem  Grundsätze,  dass  die  beste  Gewähr  für  den  Schutz  des 

Geisteskranken  in  der  Vertrauenswürdigkeit  und  gründlichen 

psychiatrischen  Bildung  des  Arztes  gelegen  sind,  kann  man  nui 
1  J  . .  flhprs  diner. 


unbedingt  zustimmen. 


Am  3  d  M.  in  seinem  38.  Lebensjahre  wurde  der  a.  o.  Pro¬ 
fessor  und  Primararzt  am  Rudolf-Spitale  Ritter  v.  L  i  m  b  e  c  k  das 
Opfer  einer  schweren  Erkrankung,  welche  ihn  schon  in  den  letzten 
Jahren  in  seiner  Schaffenskraft  gelähmt  und  an  der  Ausübung  seines 

Beiufejngek*meyersctiedenen  hatte  sich  eine  glückliche,  theoretische 
Vorbildung  mit  der  praktischen  Schulung  vereinigt.  Semem  Lerngange 
nach  gehörte  Limbeck  der  Prager  deutschen  Universität  an.  Im 
JahreS  1884  zum  Doctor  promovirt,  war  Limbeck  nacheinandei 
Assistent  bei  Hering,  hierauf  am  Institute  für  pathologische  Anatom.e 
und  schliesslich  an  der  I.  medicinischen  Klinik.  Den  grössten  Einfluss 
auf  seine  Entwicklung  hat  zweifellos  Hofmeister  genommen,  um 
welchen  sich  damals  alle  talentirten  und  strebsamen  jungen  Leute  dei 
Universität  schaarten.  Aus  dessen  Laboratorium  veröffentlichte  L  m- 
beck  eine  Reihe  vortrefflicher  Arbeiten  (Ueber  die  diuretisclie  Wnku  g 
der  Salze;  Ueber  die  Giftwirkung  der  Chlorate  u  s.  w.),  die  An¬ 
regungen  Hof  m  ei  st  er’ s  wurden  bestimmend  für  die  Richtung, 
der  sich  Limbeck  selbstständig  fernerhin  bethätigte. 

Im  Jahre  1893  habilitirte  sich  Limbeck  als  Pnvatdocent  tu. 
innere  Medicin  auf  Grund  seiner  Arbeit  „Ueber  entzündliche  Leu  o- 
evtose“,  in  welcher  neben  seither  oft  bestätigten  klinischen  Beob¬ 
achtungen  zum  ersten  Male  experimentelle  Untersuchungen  "  ei  ' 
Entstehung  dieser  bedeutungsvollen  Blutveränderung  ausg 
Nüt  dieser  Studie  hatte  Limbeck  das  Gebiet  betreten ,  -  -Idiem 
er  von  da  ab  oft  zurückkehrte,  der  sich  rasch  entfaltenden  Blut 
Pathologie  stets  neue  und  interessante  Thatsachen  hinzufugend  Senn 
Sen8Kenntnisse  auf  diesem  Arbeitsfelde  hat  «  be, ^btanng 
des  Buches  „Grundriss  einer  klinischen  Pathologie  des  Blut«  gewährt 
dessen  erweiterte  zweite  Auflage  (1896)  ein  beliebtes  Handbuch  de. 

Khniker^gewordeUs ist  wurde  Limbeck  als  Abtheilungsvorstand  der 

IV.  medicinischen  Abtheilung  an  das  Rudolf-Spital  nac  1  ien  - 

und  nun  begann  für  ihn  eine  glückliche  Zeit da 
und  experimentell  forschend,  zugleich  eine  Reihe  jung. 


440 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


wissenschaftlicher  Thätigkeit  aneifern  konnte.  Hier  versuchte  er  sich 
auch  erfolgreich  in  Fragen  der  Stoffwechselpathologie  (Stoffwechsel  im 
Greisenalter,  Säurewirkung  auf  den  Stoffwechsel  und  Anderes)  bis  der 
Ausbruch  seiner  Erkrankung  die  glücklich  aufsteigende  Laufbahn,  des 
noch  jungen  Forschers  jäh  unterbrach.  Im  Jahie  189S  hatte  er  den 
Professor titel  erhalten. 

Limbeck  war  ein  lauterer,  aufrichtiger  Charakter,  von  vor¬ 
nehmer  und  freier  Gesinnung.  Von  einer  seltenen  reinen  Freude  an 
der  Wissenschaft  beseelt,  nahm  er  auch  freudigen  Antheil  an  jeder 
wissenschaftlichen  Leistung  Anderer.  Jeder  Stellungsdünkel  war  ihm 
tief  verhasst. 

Seine  kräftige  Initiative  beim  Suchen  nach  neuen  Methoden  und 
Thatsachen,  eine  unermüdliche  Arbeitskraft  charakterisiren  den  Ver¬ 
storbenen  als  Forscher. 

Die  zahlreichen  Arbeiten  voll  wichtigen,  thatsächlichen  Materiales 
werden  seinen  Namen  in  der  Wissenschaft  erhalten,  Alle,  die  ihm 
näher  gestanden,  werden  sein  Bild  aus  den  Tagen  seiner  ungebrochenen 
Kraft  treu  bewahren;  unsere  Facultät  hat  einen  tüchtigen,  hoffnungs¬ 
vollen  Gelehrten  und  gesinnungsfesten  Mann  lange  vor  der  Zeit  ver¬ 
loren.  Pauli. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Am  3.  d.  M.  feierte  Hofrath  Karl  T  o  1  d  t,  Professor  der 
Anatomie  in  Wien,  seinen  GO.  Geburtstag.  Obwohl  die  aus 
diesem  Anlasse  geplante  Huldigung  abgelehnt  worden  war,  Hessen  es 
sich  die  Studenten  nicht  nehmen,  ihrem  Lehrer  eine  herzliche  Ovation 
zu  bereiten. 

* 

Ernannt:  Hofrath  Prof.  R.  Chrobak  zum  Ehrenbürger 
von  Bad  Hall  in  Oberösterreich.  —  Dr.  H.  Cameron  in  Glas¬ 
gow  zum  Professor  der  chirurgischen  Klinik.  —  Dr.  Schömberg 
zum  Professor  der  Dermatologie  in  Philadelphia. 

* 

Verliehen:  Dem  Sanitätsrathe  und  Primarärzte  im  städtischen 
allgemeinen  Krankenhause  zu  Linz,  Dr.  Alexander  Brenner, 
das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef  -  Ordens.  —  Dem  Regimentsarzte 
Dr.  StanislausBalko  des  Ruhestandes  der  Stabsarztens-Charakter 
ad  honores. 

* 

Habilitirt:  Dr.  med.  Ignaz  Lemberger,  Magister  der 
Pharmacie,  als  Privatdocent  für  Pharmakognosie  und  Mikroskopie  der 
Nahrungs-  und  Genussmittel  an  der  medicinischen  Facultät  in  Krakau. 
—  Dr.  Hartmann  für  Chirurgie  in  Jen  a.  —  In  Padu  a : 
Dr.  Viola  für  medicinische  Pathologie  und  Dr.  G  a  n  g  i  t  a  n  o  für 
chirurgische  Pathologie.  —  In  Palermo:  Dr.  Pollaci  und 
Dr.  Scagliosi  für  pathologische  Anatomie.  —  Dr.  Crespi  in 
Pavia  für  Chirurgie,  Dr.  Voinitch-Sianochentski  in  Peters¬ 
burg  für  dasselbe  Fach. 

* 

Gestorben:  Der  Geheime  Medicinalrath  und  ehemalige 
Director  der  chirurgischen  Klinik  in  Giessen,  Prof.  Bose. 

* 

Zufolge  Beschlusses  des  Wiener  Apothoker-IIauptgremiums  wird 
von  nun  an  in  allen  Apotheken  Wiens  bei  Recepten,  welche 
die  Bezeichnung  „pro  paupe  r  e“  seitens  des  betreffenden 
ordinirenden  Herrn  Arztes  tragen,  die  'Faxe  für  die  billigste  Ex¬ 
pedition  in  Rechnung  gebracht,  wogegen  eine  weitere  Gewährung  eines 
Procentnachlasses  selbstverständlich  entfällt. 

* 

Im  Verlage  von  W.  Brau  mü  11  er  in  Wien  ist  die  Brochure: 
„Zwischen  Aerzten  und  Clienten“,  herausgegeben  von  Prof. 
Ughetti,  ins  Deutsche  übertragen  von  Dr.  G  a  1  1  i,  welche  bereits 
in  Nr.  22,  1899,  dieser  Wochenschrift  eine  eingehende  Besprechung 
erfahren  hat,  in  zweiter  Auflage  erschienen. 

* 

Wie  der  achte  Jahresbericht  des  Vereines  „Heil¬ 
anstalt  A  1 1  a  n  d“  ausweist,  waren  daselbst  im  Jahre  1899 
293  Patienten  aufgenommen  worden.  Aus  dem  ärztlichen  Berichte  — 
erstattet  vom  Director  der  Anstalt  Dr.  A.  v.  Weismayr  —  ist  zu 
entnehmen,  dass  weitaus  die  meisten  dir  Kranken  (178  =  5G%)  im 
dritten  Lebensdecenium  standen,  dass  von  der  Gesammtsumme  12  5 
(50  9 7«)  als  wesentlich  gebessert,  57  (23  3%)  als  gebessert,  44  (17  5%) 
ungeheilt  entlassen  wurden,  während  IG  für  die  Anstaltsbehandlung 
überhaupt  ungeeignet  waren  und  4  gestorben  sind.  Die  Bedeulung 
der  Anstalt  liegt  aber  nicht  nur  in  der  Behandlung  Tuberculüser, 
sondern  noch  auf  einem  anderen  Gebiete,  das  kaum  unwesentliche r 


ist  als  das  erstere  und  dessen  der  Bericht  mit  folgenden  Worten  ge¬ 
denkt  :  „Die  Anstalt  muss  und  wird  auf  diese  Art  das 
Centrum  sein,  von  dem  aus  die  Belehrung  des 
Volkes  sich  in  immer  weitere  Kreise  verbreiten 
wird;  jeder  Wieder  her  gestellte  wird  a  1  s  L  e  h  r  e  r  der 
hygienischen  Lebensweise  wirken,  so  dass  die  Seg¬ 
nungen,  die  von  der  Heilanstalt  ausgehen,  nicht  an 
den  Grenzen  unseres  Gebietes  Halt  machen,  sondern 
weitere  Volksschichten  durchdringen  werden“. 

* 

A  ti  8  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  16.  Jahreswoche  (vom  15.  April 
bis  21,  April  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  739,  unehelich  338,  zusammen 
1077.  Todt  geboren:  ehelich  32,  unehelich  19,  zusammen  51.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  802  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
25  2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  156,  Blattern  0,  Masern  16, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  6, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  47.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
80  (-j-  38),  Masern  221  (-j-  5),  Scharlach  41  (-|-  6),  Typhus  abdominalis 
15  (-(-  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  30  (-|-  11),  Croup  und 
Diphtherie  48  (-(-  11),  Pertussis  58  (-j-  23),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  (=),  Trachom  5  (-|-  3 1,  Influenza  13  ( —  2). 


Freie  Stellen. 

Districtsarztesstelle  für  den  Sauitätsdistrict  Albrechtsdorf 
in  Bö  h  m  e  n,  mit  Marienberg  und  Dessendorf,  mit  4332  Einwohnern. 
Mit  diesem  Posten  ist  ein  jährlicher  Gehalt  von  800  K  und  ein  jährliches 
Reisepauschale  von  300  K  verbunden.  Die  Anstellung  erfolgt  provisorisch 
für  ein  Jahr.  Bewerber  deutscher  Nationalität  wollen  ihre  mit  den  im  Ge- 
seize  vom  23.  Februar  1888,  L.  G.  Bl.  Nr.  9,  geforderten  Nachweisen 
belegten  Gesuche  bis  15.  Mai  1900  beim  Bezirksausschüsse  in  Tannwald 
einbringen. 

Distr ictsarztelle  in  dem  neu  errichteten,  aus  3  Gemeinden  mit 
3090  Einwohnern  bestehenden  Sanitätsdistricte  Mutönitz,  Mähren.  Mit 
dieser  »Stelle  ist  ein  Jahresgehalt  von  800  K  und  ein  Reisepauschale 
von  100  K  verbunden.  Die  im  Sinne  des  §  1 1  des  mährischen  Landes- 
Sanitätsgesetzes  vom  10.  Februar  1884,  L.  G.  Bl.  Nr.  28,  belegten  Gesuche 
sind  bis  zum  15.  Mai  1.  J.  an  den  Obmann  der  Delegirtenversammlung 
des  Sanitätsdistrictes  zu  richten. 

Eine  eventuell  mehrere  städtische  Arztesstellen 
II.  Classe  der  VII.  städtischen  Rangsclasse  im  Status  des  Stadt- 
pbysicates  der  Stadt  W  i  e  n,  mit  dem  Jahresgehalte  von  2000  K,  dem 
Quartiergelde  von  800  K  und  zwei  Triennien  von  je  200  K.  Bewerber 
um  diese  Stellen  haben  den  Nachweis  des  an  einer  inländischen  Universität 
erlangten  akademischen  Grades  eines  Doctors  der  gesummten  Heilkunde, 
ferner  einer  mindestens  zweijährigen  spitalsärztlichen  Dienstleistung  nach 
der  Promotion  und  einer  gründlichen,  in  allen  Zweigen  der  medicinischen 
Wissenschaften  erworbenen  Ausbildung,  eventuell  der  Verwendung  im 
staatlichen  Sanitätsdienste  zu  liefern,  endlich  den  Heimatschein  und  den 
Taufschein  oder  ein  Geburtszeugniss  beizubririgen.  Nicht  in  Wien  wohnende 
Bewerber  haben  ausserdem  ihrem  Gesuche  ein  amtsärztliches  Zeugniss 
über  die  physische  Eignung  zur  Verseilung  des  städtischen  Dienstes,  sowie 
ein  Leumundszeugniss  beizuschliessen.  Auf  diese  Anstellung  finden  weiters 
die  §§  1  —  3  der  Dienstpragmatik  für  die  Gemeindebeamten  Anwendung. 
Bemerkt  wird,  dass  diese  Stellen  für  das  ganze  Gemeindegebiet  von  Wien 
ausgeschrieben  sind,  daher  die  Competenz  unter  Einschränkung  auf  einen 
bestimmten  Bezirk  oder  Bezirkstheil  unstatthaft  ist.  Die  Ernennung  erfolgt 
provisorisch  und  gegen  Widerruf  auf  ein  Jahr  mit  dem  Beisatze,  dass  dieselbe 
nach  zufriedenstellender  einjähriger  Verwendung  vom  Wiener  Stadtrathe  in 
eine  definitive  umgewandelt  werden  kann.  Die  Gesuche  um  diese  Stellen 
sind,  vorscliriftsmässig  gestempelt,  bis  längstens  31.  Mai  1900,  12  UhrMittags 
im  Einreichungsprotokolle  des  Wiener  Magistrates  zu  überreichen.  Auf 
später  einlangende  und  ebenso  auf  nicht  gehörig  belegte  Gesuche  wird  keine 
Rücksicht  genommen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  aus  den  Gemeinden  Gerasdorf 
und  Süssenbrunn  bestehende  Sanitätsgemeindengrnppe  Gerasdorf  an  der 
Staatsbahn,  im  politischen  Bezii ke  Floridsdorf,  Niederösterreich.  Dienst¬ 
antritt  am  1.  Juli  1900.  Fixe  Bezüge :  Gemeindebeiträge  600  K,  Landessubvention 
690  K.  Haltung  einer  Hausapotheke  erforderlich.  Mit  dem  Taufscheine, 
Heimatscheine,  Sittenzeugnisse,  amtsärztlichen  Gesundheitszeugnisse,  Diplome 
und  dem  Nachweise  spitalsärztlicher  Praxis  belegte  Gesuche  sind  bis 
spätestens  1.  Juni  1.  J.  an  den  Gemeindevorsteher  in  Süssenbrunn  zu 
richten. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanitätsgemeindegruppe  Göttles- 
lirunn-  Arb  esthal  mit  dem  Wohnsitze  des  Arztes  in  Göttlesbrnnn  (politischer 
Bezirk  Bruck  an  der  Leitha,  Niede  rösterreicli.)  Der  Gemeindearzt 
bezieht  von  den  beiden  Gemeinden  einen  .Jahresbeitrag  von  600  7v  und 
eine  Landessubvention  von  800  Kt  zusammen  also  1400  K,  Ve>  pflichtung 
zur  Fiilnung  einer  Hausapotheke.  Bewerber  um  diese  am  1.  Juli  1.  J.  zu 
besetzende  Stelle  wollen  ihre  mit  dem  Tauf-,  respective  Geburtsscheine, 
dem  Heimatsscheine  dem  ärztlichen  Diplome,  dem  Sittenzeugnisse  und  dem 
von  einem  k.  k.  Amtsärzte  ausgestellten  Gesundheits-  und  Tauglichkeits¬ 
zeugnisse  sowie  etwaigen  Nachweisen  über  ihre  bi.-herige  Verwendung  be¬ 
legten  Gesuche  an  den  Gemeindevorsteher  Paul  Giasl  in  Göttlesbrnnn  bis 
längstens  26.  Mai  I960  einsenden.  Persönliche  Vorstellung  erwünscht. 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


441 


V erhandlungen  ärztlicher 


IONnEi-A-ILT: 


Of ficielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  4.  Mai  1900.  ,  . 

29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  filr  Chirurgie.  (IS.  Ins 

21.  April.)  (Fortsetzung.) 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden.  Vom  18.— 21.  April  190J. 

(Fortsetzung.) 

2.  Oesterreichischer  Balneologen  Congress  zu  Ragusa  und  llul/.e. 

(Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  4.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Präsident  R.  Chrobak, 

Schriftführer:  R.  Paltauf. 

Der  Präsident  macht  Mittheilung  von  dem  Ableben  ^  des  noch 
vor  wenigen  Jahren  so  thätigen  Mitgliedes,  des  Herrn  Prof.  R.  v.  L  i  m- 
beck.  Die  Mitglieder  erheben  sich  zur  Bekundung  der  1  rauer  von 

den  Sl^iegll'Del  irten  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  das  vor¬ 
bereitende  Comite  für  den  im  Jahre  1901  in  Wien  tagenden  inter¬ 
nationalen  Congress  gegen  den  Alkoholismus  hat  der  Verwaltungsrath 
Herrn  Obersanitätsrath  Prof.  v.  Wagner  gewählt  und  schlagt  den¬ 
selben  dem  Plenum  vor;  das  Plenum  stimmt  per  acclamationem  zu. 

Die  k.  k.  geologische  Reichsanstalt  hat  eine  Einladung  zu  ei 
am  9.  Juni  stattfindenden  Jubiläumssitzung  anlässlich  ihres  90jährigen 

Bestandes  Glax  ,„ld  Prof.  K„.l.  haben  Dankschreiben 

für  ihre  Wahl  zu  correspondirenden  Mitgliedern  an  die  k.  k.  G^sel  - 

schaft  gerichtet.  t  .  , ...  „  Tvnil„i10. 

Prof.  Winternitz  demonstrirt  einen  eompendiosen  Douc 

a  p  para  t,  welcher  die  Anwendung  kohlensäurehältiger  Douchen  jeder¬ 
zeit  auch  auf  Reisen,  gestattet.  _ 

’  Discussion:  Prof.  Lang  hat  vor  mehreren  Jahren  in  der 

Wiener  dermatologischen  Gesellschaft  eine  Syphonbrause  demonstrirt, 
worüber  auch  in  der  Wiener  medicimschen  Wochenschrift,  1895, 
pag  220,  eine  Notiz  erschienen  ist.  Für  Pruritus  am,  Eczema  chron. 
auf  Genitale,  Pityriasis  capitis  etc.  eignet  sich  diese  Syphonbrause 
sehr  gut  und  ist  leicht  herzustellen,  wenn  man  einen  etwa  1  m  langen 
Kaütsoh..k»chlauch,  der  mit  einer  Brause  von  etwa  2  Heller  im  Durch- 

messet-  versehen  ist,  an  einen  Syphon  steckt. 

Da  Syphons  fast  überall  zu  haben  sind,  braucht  der  Betreffende 

nur  das  Stück  Kautschuk  mit  der  Brause  in  seiner  Handtasche  mit¬ 
zunehmen.  Der  starke  Druck,  unter  welchem  der  Strahl  hervorsturzt, 
verlangt,  dass  der  Schlauch  festsitzt.  Prof.  Lang  ersucht,  aus  obiger 
Notiz  Folgendes  anführen  zu  dürfen:  „Da  nach  physiologischen  Ver¬ 
suchen  die  Kohlensäure  einen  Hautreiz  abgibt,  so  erscheint  die  Syphon¬ 
brause  bei  Alopecia  praematura,  Seborrhoea  sicca,  chronischem  trockenen 
Ekzem  mit  verdickter  Haut  indicirt.  Will  man  einen  intensiven  Haut¬ 
reiz  erzeugen  (wie  bei  Neuralgien,  Parästhesien  etc.),  so  steckt  man 
statt  der  Brause  einen  sehr  dünnen  Irrigatoransatz  an.  De.  f« 
stechende,  Kohlensäure  führende  Wasserstrahl  kann,  auf  einen  Punkt 
conceutrirt,  längs  des  Verlaufes  von  Nerven  verthei  t  oder  innerhalb 
einer  bestimmten  Fläche  zur  Wirkung  gebracht  werden. 

Prof.  Gärtner:  Es  ist  auch  vorgekommen,  dass  Syphons  tm 
die  Application  von  Klysmen  verwendet  worden  sind;  in  der  Kohlen¬ 
säure-Industrie  wurden  gewisse  Ansätze  construct,  die  eine  Einführung 

derselben  in  den  Anus  nicht  gestatten. 

Dr.  C.  Sternberg :  Demonstration  anaorobei 
tinomy’eesculturen.  (Erscheint  demnächst  ausführlich  in  dieser 

Wochen  sc  ^  Kienböck  demonstrirt  mehrere  Fälle  von  Fremd 
körpern  im  menschlichen  O  r  gani  b  m  u  b,  die  mit  mRe 
des  Röntgen-Verfahrens  constatirt  wurden,  und  auf  ver seine 

dene  Weise  den  Körper  verbessern  ,  F«b,nar 

1.  Fall.  Ich  erlaube  mir  zunächst,  Sie  an  eine  am  . 
d.  J.  von  Herrn  Primarius  Schnitzler  hier  gehaltene  Demon¬ 
stration  zu  erinnern;  es  handelte  sich  um  einen  achtjährigen  Knaben 
der  seit  2V,  Jahren  eine  unaufgeklärte  recdivir ende 
Entzündung  des  linken  Kniegelenkes  hatte.  Diese  Ent 
ziindungsprocess  war  vielfach  von  Chirurgen  für  Fung™ i  geha  ten 
worden?  während  die  von  mir  angestollte  Ron  t  ge  n -Untosuchnjsg 
überraschender  Weise  das  Vorhandensein  eines  fast  2  cm  lan, 
Nadel  Stückes  im  kranken  Gelenke  ergab. 


Zum  Beweise,  dass  dieses  Ergebnis  und  die  Bestimmung  des 
Sitzes  der  Nadel  richtig  war,  demonstrire  ich  Ihnen  heute  den  genannten 
Fremdkörper;  er  wurde  auf  operativem  Wege  aus  dem  Meniscus 
lateralis  entfernt.  Der  Patient  befindet  sich  wohl  und  ist  von  seinem 
Leiden  dauernd  geheilt. 

2.  Fall.  Ich  zeige  nun  zwei  metallene  Fremdkörper  vor,  welche 
von  Kindern  beim  Spielen  geschluckt  wurden;  zunächst  ein  2  cm 
langes,  spitziges  Bruchstück  eines  silbernen  U  hr  a  n  h  ä  n  g  s  e  1  s.  lc  i 
sah  es  im  Abdomen  eines  neun  Monate  alten  Knaben  durch  Radio¬ 
skopie,  einige  Stunden  nachdem  das  Kind  den  Gegenstand  geschluckt 
hatte.  Nach  der  Lage  schien  der  Fremdkörper  im  Duodenum  fest  zu 
stecken. 

Sechs  Stunden  später  zeigte  eine  zweite  Durchleuchtung,  dass 
der  Fremdkörper  wahrscheinlich  bis  in  den  Mastdarm  gewandert  war. 
Derselbe  verliess  nach  zwei  Tagen  mit  dem  Stuhle  den  Darm. 

3.  Fall.  Hier  zeige  ich  eine  Spielmarke  aus  Messing,  etwas 
grösser  als  ein  Zwanzighellerstück,  welches  einige  Stunden  vor  der 
Untersuchung  von  einem  zweijährigen  Knaben  verschluckt  worden 
war.  Kurze  Zeit  nach  diesem  Ereigniss  fand  ich  Zeichen  von  O  e  so¬ 
ph  a  g  u  s  s  t  e  n  o  s  e  vor  und  sah  in  der  That  auf  dem  Ron  t  g  e  n- 
Schirme  den  bezeichneten  Gegenstand  in  der  Speiseröhre  des  Kindes 

in  der  Höhe  des  zweiten  und  dritten  Brustwirbels.  Nach 
Tage  zeigte  sieh  die  Spielmarke  an  derselben  Stelle, 
der  Gegenstand  vom  Chirurgen  mittelst  Münzenfängers 


festgeklemmt, 
einem  halben 
daher  wurde 


extraliirt.  .  . .  . 

4.  Fall.  Nun  will  ich  ganz  kurz  über  drei  lalle  von 

Projection  im  Schädel  berichten.  Zunächst  über  einen  Fall, 
den  ich  an  anderer  Stelle  eingehender  besprochen  habe.  Der  Patient 
hatte  vor  sieben  Jahren  mehrere  Schüsse  gegen  seinen  Kopt  abge¬ 
feuert,  zeigte  jedoch  erst  in  der  letzten  Zeit  Störungen  des  Nerven¬ 
systems.  Ich  fand  mittelst  des  R  ö  n  t  g  e  n  -Verfahrens,  dass  vier  kleine 
Geschosse  platt  gedrückt  an  der  Oberfläche  des  knöchernen  Hirn¬ 


schädels  sassen, 


also  nicht  in  das  Innere  der  Schädelhöhle  ein  ge¬ 
drungen  waren. 

Auf  gewisse  Indicationen  hin  wurde  eines  der  Projectile  an  dei 
von  mir  bezeichneten  Stelle,  in  der  rechten  Schläfengrube  in  dem 
Knochen  deprimirt,  von  chirurgischer  Hand  aufgesucht,  gefunden  und 

extrahirt.  (Demonstration.)  Q  ,  , 

5.  Fall.  Hier  demonstrire  ich  die  Radiographie  des  bcnaaels 

eines  30jährigen  Mannes,  der  sich  vor  drei  Jahren  ein  grosses  Pro- 
jectil  in  die  rechte  Schläfengegend  gejagt  hatte.  Ich  bestimmte  den 


Tiefensitz  des  Fremdkörpers  als 
keine  Ursache  vor,  die  Kugel  zu 


1  ]l2cm  unter 
entfernen. 


dem  Hautniveau.  Es 


lag 


6.  Fall.  Schliesslich  gestatten  Sie  mir,  ganz  kurz  über  einen 
dritten  Fall  von  Schussverletzung  des  Kopfes  zu  berichten  und  zu 
demonstriren,  der  ebenfalls  in  der  letzten  Zeit  im  Sanatorium  Furth 
in  meine  Beobachtung  kam. 

Ein  30jähriger  Mann  hatte  sich  vor  einem  halben  Jahre  auf 
dieselbe  Weise  zu  entleiben  versucht,  wie  der  letzterwähnte  Patient. 
Die  Folge  war  eine  nach  mehreren  Stunden  plötzlich  auftretende  links¬ 
seitige  Hemiplegie,  mit  allmäliger  Besserung.  Die  R  ö  n  t  g  e  n- Unter¬ 
suchung  lehrte;  dass  in  der  That  ein  grosses  Projectil  in  die  Schade  1- 
höhle  selbst  eingedrungen  war  —  was  in  den  früheren  lallen  meb 
der  Fall  war  —  und  weit  entfernt  vom  Einschuss  im  rechten  Hintei- 

hauptlappen  sass.  ,  ,  _ 

zur  operativen  Entfernung  war  durch  heftige 

rechten  Kopfhälfte  gegeben.  Es  soll  hier  über 
v  _  _  von  mir  nichts  weiter  erzählt  werden;  ich  be¬ 

schränke  mich  darauf,  das  Geschoss  zu  demonstriren.  Fs  wurde  von 
Herrn  Primarius  Schnitzler  von  jenem  Punkte  der  Schadelobei- 
fläche  aus  aufgesucht,  den  ich  radioskopisch  ermittelt  und  maiki. 
hatte.  Unter  dieser  Stelle  des  Hautniveaus  wurde  das  Geschoss  » 
senkrechtem  Vordringen  in  die  Tiefe,  3  cm  weit,  vorgefunden,  wie  ich 
es  vorher  genau  angegeben  hatte. 


Die  Indication 
Schmerzanfälle  in  der 
die  Operation  selbst 


442 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


Zum  Schlüsse  möchte  ich  an  den  besprochenen  Fällen  kurz  er¬ 
örtern,  welche  Bedeutung  die  Constatirung  von  Fremdkörpern  im  Or¬ 
ganismus  durch  das  R  ö  n  t  g  e  n  -  Verfahren  für  die  Patienten  hatte. 

Was  den  an  erster  Stelle  besprochenen  Knaben  betrifft,  wäre  er 
wahrscheinlich  zeitlebens  durch  Entzündungsprocesse  im  linken  Knie 
am  Gebrauche  dieser  Extremität  gehindert  gewesen.  Sogar  gesetzt  den 
Fall,  dass  ein  Chirurg  auf  den  äusseren  klinischen  Befund  allein  hin 
eine  Eröffnung  des  Gelenkes  vorgenommen  hätte,  um  nach  einem 
Krankheitsherde  zu  suchen,  ist  es  höchst  unwahrscheinlich,  dass  er 
dabei  auf  die  kleine  versteckte  Nadel  gestossen  wäre. 

Ueber  den  zweiten  Fall  ist  zu  sagen,  dass  die  Eltern  jenes 
Kindes,  welches  das  silberne  Anhängsel  verschluckt  hatte,  durch 
mehrere  Tage,  nämlich  bis  zum  Abgänge  mit  dem  Stuhl,  in  grösster 
Sorge  gewesen  waren,  ob  der  spitzige  Gegenstand  nicht  vielleicht  eine 
Verletzung  des  Darmes  und  die  Noth wendigkeit  einer  Operation  herbei¬ 
führen  würde. 

Da  wir  aber  radioskopisch  sahen,  dass  sich  der  Fremdkörper 
durch  den  ganzen  Darm  bis  in  das  Rectum  fortbewegt  hatte,  konnten 
wir  schon  am  ersten  Tage  die  geängsteten  Eltern  vollkommen  be¬ 
ruhigen. 

Betreffend  die  Extraction  der  Spielmarke  mittelst  Münzenfänger 
ist  zu  betonen,  dass  dieser  Eingriff  dadurch  ungemein  erleichtert  und 
vereinfacht  wurde,  dass  die  Lage  und  Orientirung  des  Fremdkörpers 
genau  bestimmt  worden  war. 

Ueber  die  Bedeutung  der  Extraction  der  Projectile  aus  dem 
Kopfe  für  den  Zustand  des  Kranken  steht  uns  derzeit  kein  Urtheil 
zu,  da  der  Verlauf  durch  zu  kurze  Zeit  beobachtet  wurde. 

Prof.  W  einlechner  macht  mit  Bezug  auf  die  Mittheilung 
des  Herrn  Vorredners  und  mit  Rückblick  auf  die  Demonstration  von 
Seite  des  Herrn  Primararztes  Dr.  Schnitzler  in  dieser  Gesellschaft 
vom  16.  Februar  d.  J.  folgende  Bemerkung: 

Im  Ganzen  habe  er  die  Vortheile  der  Röntgenisirung  in  seiner 
Praxis  hochschätzen  gelernt;  jedoch  dürfe  man  nicht  glauben,  dass 
man  früherer  Zeit  Fremdkörper,  zumal  im  Kniegelenke,  nicht 
gefunden  und  entfernt  habe.  Er  erwähnt  mehrere  derartige  Fälle  aus 
seiner  Erfahrung,  in  welchen  ihm  die  Auffindung  und  Entfernung  ge¬ 
lang,  ohne  anamnestisch  auf  die  Anwesenheit  von  Nadeln  geführt 
worden  zu  sein.  Genaue  Untersuchung  und  das  Darandenken  an  die 
Möglichkeit  der  Existenz  eines  Fremdkörpers  seien  äusserst  noth- 
wendig.  In  dem  Falle  von  Primarius  Schnitzler  sei  dies  nicht  der 
Fall  gewesen,  daher  das  Kind  von  verschiedenen  Aerzten  in  ver¬ 
schiedenen  Ländern  vergeblich  mit  Gypsverbänden  unter  zeitweiliger 
Besserung  behandelt  worden  ist. 

Sonderbar  finde  W  einlechner,  dass  für  die  Erkrankung 
durch  Fremdkörper  ein  eigener  griechisch  lateinischer  Name  erfunden 
worden  sei. 

Hierauf  stellt  sich  W  einlechner  selbst  als  Demonstrations¬ 
object  wegen  einer  Nadel  zur  Verfügung,  welche  vor  mehreren  Wochen 
von  ihm  unter  der  Haut  in  der  Gegend  des  rechten  Condylus  femoris 
internus  wahrgenommen  werden  konnte  und  von  Dr.  Stöckel,  Leiter 
des  Röntgen-Institutes  im  allgemeinen  Krankenhause,  als  solche 
constatirt  wurde.  Diese  Nadel  hat  sich  W  einlechner  gelegentlich 
einer  Krankenuntersuchung  beim  Niederknien  auf  ein  Kissen,  wie  er 
vermuthete,  vor  etwa  15  Jahren  eingestochen.  Der  mässige  Schmerz 
im  Knie  war  nach  einigen  Tagen  verschwunden.  Die  Nadel  wurde 
damals  von  Weinlechner  nur  vermuthet  und  bis  auf  die  letzte 
Zeit  nie  gefühlt.  In  Folge  des  Radfahrens  mag  sie  aus  der  Tiefe 
unter  die  Haut  gewandert  sein. 

Primarius  Dr.  Schnitzler  kommt  zunächst  mit  einigen 
Worten  auf  den  von  Dr.  Kienböck  erwähnten  Fall  von  Fremd¬ 
körper  im  Kniegelenk  zurück,  der  ein  prägnantes  Beispiel  für  die 
von  Riedel  als  Perixenitis  bezeichnete  Krankheitsform  darstellt.  Be¬ 
züglich  des  von  Dr.  Kienböck  zuletzt  erwähnten  Falles,  in 
welchem  Schnitzler  das  Projectil  aus  dem  Occipitallappen  entfernt 
hat,  bemerkt  Schnitzler,  dass  die  Indication  zur  Operation  durch 
die  quälenden  Kopfschmerzen  gegeben  war.  Es  wurde  zunächst  an  der 
Einschussstelle  —  über  dem  rechten  Scheitelbein  —  eingegangen  und 
eine  unter  dem  leicht  deprimirten  Knochen  gelegene  traumatische  Cyste 
entfernt  und  dann  über  dem  rechten  Hinterhaupthöcker  eine  zweite 
Trepanation  vorgenommen  und  von  hier  aus  in  der  von  Dr.  Kien¬ 
böck  geschilderten  Weise  das  Projectil  nicht  ohne  Schwierigkeiten 
entfernt.  Der  Kranke  ist  von  seinen  Kopfschmerzen  seit  der  Operation 
befreit;  doch  bleibt  es  unbestimmt,  ob  diese  Kopfschmerzen  durch  die 
erwähnte  intracranielle  Cyste  oder  durch  das  Projectil  bedingt  waren. 

Auf  die  Replik  des  Herrn  Primarius  Schnitzler  erwidert 
Weinlechner,  Schnitzler  hätte  nicht  nöthig  gehabt,  sich 
weiss  zu  waschen,  da  ja  ein  Vorwurf  ihm  gegenüber  ferne  lag.  Vom 
Vorwurfe  der  Behandlung  des  geschwollenen  Kniegelenkes  mit  Gyps¬ 
verbänden  sei  er  vollkommen  frei,  da  er  sie  nicht  angelegt  habe, 
ebenso  von  der  Bereicherung  der  chirurgischen  Nomenclatur.  Von  dem 


dritten  Punkte  jedoch,  dem  Nichtdarandenken,  könne  er  nicht  frei¬ 
gesprochen  werden,  da  er  den  Röntgenisator  nöthig  hatte. 

Dr.  Alexander :  Ueber  ein  neues,  zerlegbares  Mitte  1- 
ohrmodell  zu  Unterrichtszwecken  (mit  Demonstrationen). 

Das  Modell,  das  in  30facher  Vergrösserung  des  natürlichen 
Präparates  angefertigt  ist,  stellt  das  Mittelohr  der  rechten  Körperseite 
eines  erwachsenen  Menschen  in  der  Ansicht  von  innen  nach  gedachter 
Wegnahme  der  Labyrinth  wand  der  Paukenhöhle  dar  und  umfasst  das 
Trommelfell,  den  oberen  Trommelhöhlenraum,  die  Trommelfell-  und 
die  Taschenfalten,  die  Corda  tympani  und  die  Gehörknöchelchen  mit 
ihren  Muskeln  und  Bändern.  Ausserdem  sind  die  Tuba  auditiva,  das 
Antrum  tympanicum,  die  Pars  tegmentosa  oss.  temp.,  der  Recessus 
jugularis  und  die  Eminentia  pyramidalis  theil weise  ersichtlich. 

Die  Herstellung  des  Modelles,  das  von  Herrn  Bildhauer  Tag¬ 
lang  nach  meinen  Angaben  und  Präparaten  gefertigt  worden  ist, 
wurde  durch  die  Schwierigkeit  veranlasst,  einem  Auditorium  das  Ver¬ 
halten  der  an  der  Innenseite  des  Trommelfelles  gelegenen  Falten  und 
Taschen  am  natürlichen  Object  mit  genügender  Deutlichkeit  vor  Augen 
zu  führen.  Der  Erreichung  des  beabsichtigten  Zweckes  dienen: 

1.  Die  verhältnissmässig  hohe  Vergrösserung,  in  welcher  das 
Modell  angefertigt  ist. 

2.  Seine  Zerlegbarkeit. 

3.  Die  genaue  Nachbildung  der  Gestalt-  und  Formenverhältnisse 
des  natürlichen  Präparates. 


29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

18. — 21.  April. 

(Fortsetzung.) 

Referent:  Dr.  Heinz  Wohlgemut h  (Berlin). 

I.  Sitzungstag.  Nachmittagssitzung. 

VI.  Körte  (Berlin):  Erfahrungen  über  die  operative 
Behandlung  der  malignen  Dickdarmtumoren. 

Körte  stellt  eine  Reihe  von  Patienten  vor  und  demonstrirt  die 
Präparate  von  Dickdarmcarcinomen,  die  er  diesen  entfernt  hat.  Er 
hat  im  Ganzen  54  Fälle  aufzuweisen,  von  denen  er  43  mit  51  Ein¬ 
griffen  operirt  hat.  Der  älteste  Fall  war  84  Jahre  alt,  9  standen  im 
dritten  Decennium.  Der  Hauptsitz  des  Tumors  war  die  Flexura  sig- 
moidea,  19mal,  dann  die  Ileocöcalgegend  mit  15  Fällen.  Als  wichtige 
Symptome  bezeichnet  er  den  Abgang  von  Blut  und  blutigem  Schleim. 
Am  wichtigsten  sind  natürlich  die  Stenosenerscheinungen,  die  am 
frühesten  bei  ringförmigen  Tumoren  auftreten,  während  ganz  grosse 
wandständige  Tumoren  lange  Zeit  ohne  dieselben  bleiben.  Die  Laparo¬ 
tomie  ist  auch  daun  gerechtfertigt,  wenn  diese  Stenosenerscheinuugen, 
durch  tuberculöse  oder  narbige  Tumoren  verursacht  sind.  Sichtbar, 
durch  das  Bestreben,  durch  den  engen  Theil  den  Koth  zu  entleeren, 
ist  in  vielen  Fällen  die  Hypertrophie  des  centralen  Darmabschnittes. 
Von  grösster  Wichtigkeit  ist  natürlich  die  Differential-Diagnose  und 
wenn  diese  festgestellt  ist,  die  Beurtheilung,  ob  der  Fall  operirbar  ist, 
oder  nicht.  Da  kann  man  nun  bei  den  Tumoren  der  Ileocöcalgegend 
nach  seinen  Erfahrungen  bedeutend  weiter  gehen,  als  am  beweglichen 
Darm.  Bestehender  Ileus  beeinflusst  das  Resultat  der  Operation  natür¬ 
lich  sehr.  Von  25  derartigen  Fällen  hat  er  15  geheilt,  10  sind  ge¬ 
storben.  Die  Radicaloperation  konnte  er  bei  seinen  54  Patienten  nur 
19mal  machen,  und  zwar  6mal  in  der  Ileocöcalgegend,  6mal  in  der 
Flexura  hepatica,  am  Colon  ascendens  und  an  der  Flexura  sigmoidea 
7mal.  Die  5  vorgestellten  Fälle  sind  von  3  bis  8 V2  Jahren  gesund. 
Als  Palliativoperation  ist  der  Enterostomie  die  Entoroanastomose  natür¬ 
lich  vorzuziehen.  Er  hat  sie  12mal  gemacht,  mit  9  Erfolgen  und 
3  Todesfällen,  3 mal  zwischnn  Colon  transversum  und  Flexura 
sigmoidea,  5mal  zwischen  Ileum  und  Flexura  sigmoidea  und  4mal 
zwischen  Ileum  und  Colon  transversum.  Die  Enterostomie  hat  er  20mal 
ausgeführt,  2mal  die  Ileostomie,  8mal  die  Cöcostomie,  lOmal  die 
Colostomie,  die  natürlich  wegen  der  geeigneteren  Stuhlverhältnisse  bei 
Weitem  vorzuziehen  ist.  Die  letzteren  Patienten  können  durch  gute 
Pelotte  und  Regelung  der  Diät  eine  genügende  Continenz  haben  und 
ein  erträgliches  Dasein  führen. 

Discussion:  Ivraske  (Freiburg)  glaubt,  dass  die  von  ihm 
inaugurate  sacrale  Methode  der  Mastdarmexstirpation  Alles  leistet,  was 
man  von  ihr  erwarten  kann,  besonders  im  Hinblicke  auf  die  func- 
tionellen  Resultate.  Zwar  wenn  man  auf  die  Erhaltung  des  unteren 
Mastdarmabschnittes  kein  Gewicht  legt,  kommt  sie  wenig  in  Betracht. 
Aber  auch  bei  ihr  sind  Recidive  nicht  ausgeschlossen.  Er  hat  solche 
auch  nach  fünf  und  mehr  Jahren  gesehen.  Was  die  Frage  anlangt, 
ob  man  überhaupt  von  Recidiven  oder  neuen  Carcinomen  sprechen 
kann,  so  glaubt  er,  dass  die  schnell  folgenden  Tumoren  neu,  die 
später  auftretenden  von  zurückgelassenen  Keimen  entstanden  sind.  Um 
dies  nach  Möglichkeit  zu  vermeiden,  schlägt  er  die  combinirte  Ope- 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


443 


ration  vor,  und  zwar  soll  man,  wenn  man  mit  der  abdominalen  Art 
combiniren  will,  diese  zuerst  machen.  Man  kann  dann  schnell  zu  der 
eventuellen  Ueberzeugung  gelangen,  dass  die  Exstirpation  unmöglich 
ist  und  dann  gleich  den  Schnitt  zur  Anlegung  eines  Anus  praeterna¬ 
turalis  benützen.  Hat  man  sich  aber  von  der  Möglichkeit  der  Exstir¬ 
pation  vergewissert,  dann  wird  zuerst  die  A.  haemonhoidalis  post, 
unterbunden,  die  Operation  wird  so  gut  wie  blutlos  dadurch,  und  man 
kann  auch  so  die  Lymphdrüsen  die  im  Mesorectum  sitzen,  vollkommen 
entfernen  und  eine  grosse  Gefahr  für  Recidive  vermeiden.  Die  Gefahr 
der  Gangrän  des  heruntergezogenen  Darmes  hält  er  nicht  für  so  be¬ 
deutend.  ,  „  . 

Henle  (Breslau)  empfiehlt  das  N  i  c  o  1  a  d  o  n  i  sehe  Vorfahren, 

welches  eine  Sepsis  durch  den  Kothabgang  möglichst  verhütet,  Nach¬ 
operationen  von  Fisteln  etc.  weniger  häufig  erforderlich,  wenn  aber 
solche  nöthig  sind,  etwa  in  ein  Drittel  der  Fälle,  weniger  umfangreich 
und  leichter  macht.  Im  Uebrigen  hat  in  der  Breslauer  Klinik  die 
sacrale  Methode  bessere  Resultate  geliefert  als  die  perineale. 

Steinthal  (Stuttgart)  hat  in  einem  Falle  ein  5cm  über  dem 
Anus  sitzendes  Carcinom  (?),  welches  sich  vor  den  Mastdarm  herunter¬ 
ziehen  liess,  nach  dem  Vorgänge  von  Mikulicz  bei  Mastdarmprolaps 
amputirt.  In  einem  ähnlichen  hat  er  hinter  dem  Tumor  nach  Ein¬ 
führung  eines  Dittel’schen  Mastdarmrohres  eine  elastische  Schlinge 
umgelegt,  die  nach  acht  Tagen  durchschnitt.  Der  Fall  war  in  fünf 
Wochen  geheilt  mit  völliger  Functionsfähigkeit.  Nach  2'j2  Jahren 
Recidiv,  welches  er  durch  Kauterisation  geheilt  hat.  Auf  die  combimrte 
Art  hat  er  einen  Fall  operirt,  eine  52jährige  Kranke  mit  hoch¬ 
sitzendem  Carcinom.  Nach  dem  medianen  Bauchschnitt  fand  er  ein  so 
kurzes,  fettreiches  Mesocolon,  dass  eine  Invagination  nicht  möglich 


erschien.  Daher  hat  er  oberhalb  der  Neubildung  durchschnitten,  das 
periphere  Ende  vernäht  und  versenkt,  das  centrale  Ende  im  unteren 
Wundwinkel  eingenäht.  Dann  hat  er  in  einer  zweiten  Sitzung  das 
Rectum  von  unten  herausgeholt.  Die  Verwundung  war  keine  so 
grosse  wie  bei  der  sacralen  Methode,  doch  war  der  Ueberblick  nicht 
so  gut. 

Güssen  baue  r  (Wien) :  Dass  er  in  der  K  r  ö  n  1  e  l  n  sehen 
Tabelle  trotz  der  grössten  Zahl  der  Operationen  (144)  in  den  Dauer¬ 
heilungen  nicht  figurirt,  liegt  daran,  dass  er  in  Böhmen  nur  von  einigen 
wenigen  Patienten  weitere  Nachricht  bekommen  hat.  Er  steht  auf  dem 
Standpunkt,  die  Indicationen  zur  Operation  sehr  weit  anzunehmen. 
Was  nun  die  Methode  anlangt,  so  ist  beim  Weibe  die  sacrale  Methode 
nicht  nöthig,  sie  ist  dagegen  beim  Manne  in  Combination  mit  der 
osteoplastischen  Kreuzbeinresection  vorzuziehen.  Für  die  Bestimmung 
der  Dauerresultate  hält  er  drei  Jahre  für  eine  zu  kurze  Zeit,  als  dass 
eine  symptomlose  Heilung  schon  als  Dauerresultat  zu  betrachten  sei. 
Nach  sieben  Jahren  können  noch  Recidive  auftreten. 

VII.  v.  Mangold  (Dresden)  stellt  einen  durch  U  e  b  e  r- 
tragung  von  Rückenknorpel  geheilten  Fall  von  Kehl¬ 
kopfstenose  nach  Typhus  und  einen  ebenfalls  duich  Uebei- 
tragung  von  Rückenknorpel  geheilten  Fall  ■son 
Sattelnase  vor.  Er  hat  im  Ganzen  fünf  solche  Uebertragungen 
bisher  gemacht,  drei  am  Kehlkopf,  zwei  an  der  Nase. 

Discussion:  v.  Bergmann  (Berlin)  bemerkt,  dass  das 
Knorpelstück  am  Kehlkopf  unter  der  Haut  auffällig  deutlich  veischieb- 
lich  ist. 

VIII.  v.  Stubenrauch  (München):  Die  Veränderungen 
des  wachsenden  Knochens  unter  dem  Einflüsse  des 
Phosphors. 

Redner  hat  Versuche  mit  Phosphor  an  Hühnern,  Tauben  und 
Meerschweinchen  angestellt  und  gefunden,  dass  am  Epiphysemknorpel 
an  der  Stelle  der  Spongiosa  eine  etwas  dichtere  Substanz  entsteht,  die 
abhängig  ist  von  der  Dosis,  der  Dauer  der  Fütterung  und  von  den 
Wachsthumsvorgängen.  Diese  Schicht  war  besonders  an  dei  obeien 
Humerus-,  unteren  Femur-,  Radius  und  Ulnaepiphyse  zu  sehen.  Sie 
konnte  bei  rasch  wachsenden  Thieren  am  besten  beobachtet  werden. 
Zu  einem  vollständigen  Verschluss  der  Markhöhle  konnte  er  es  jedoch 
nicht  bringen.  Er  muss  anerkennen,  dass  die  Wirkung  des  Phorphois 
auf  die  rachitischen  Knochen,  so  lange  nicht  das  Wesen  der  Rachitis 
selbst  festgestellt,  nicht  zu  entscheiden  ist.  Die  Beobachtung  jedoch, 
dass  Kinder,  die  sich  in  Phosphorfabriken  aufhalten,  sich  kräftig  ent¬ 
wickeln  sollen,  fordert  zur  Nachprüfung  auf.  Man  fand  auch  bei  Sec 
tionen  von  in  Zündholzfabriken  beschäftigt  gewesenen  Arbeitern  con- 
centrische  Knochenauflagerungen  mit  Verschluss  der  Markhöhle.  Re  nei 
zeigt  dann  noch  Röntgen-Photographien  von  solchen  Arbeitern,  die 
an  den  Epiphysengrenzen  deutliche  bis  grosse  Knochenauflagei  ungen 

aufwiesen.  . 

IX.  Franz  Koenig  (Berlin) :  Wandlungen  in  der 
chirurgischen  Technik  der  Gelenkoperationen. 

Bei  der  Frage  der  Sicherheit  der  Operationen  der  Gelenker 
krankungen  kommt  es  darauf  an,  ob  sie  septischei  odei  aseptisc  lei 
Art  sind.  Bei  den  aseptischen  Gelenkresectionen,  der  Patellarnaht 
Fremdkörperentfernung  hat  Koenig  sich  eine  besondere  lechmk 


ohne  Fingergebrauch“  ausgebildet  und  stellt  als  Forderung  auf  bei 
diesen  Operationen:  1.  nie  die  Hand  in  das  Gelenk  hineinzubringen, 

2  nie  ohne  Blutleere  zu  operiren,  nicht  nur  wegen  des  besseren  Ueber- 
blickes,  sondern  auch  wegen  der  Asepsis,  3.  Drainage  möglichst  zu 
vermeiden.  Man  hat  geglaubt,  dass  die  R  ö  n  t  g  e  n- Strahlen,  besonders 
bei  Fremdkörpern,  viel  Aufschluss  geben  würden.  Er  ist  sehr  enttausc  i 
worden.  Man  macht  durch  die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen  oft  die  Diagnose 
des  Fremdkörpers,  wo  keiner  ist,  wenn  Verknöcherungen  im  Knorpel 
und  ähnliche  Vorkommnisse  Schatten  geben.  Bei  eiterigen  Gelenken 
macht  er  möglichst  grosse  Schnitte,  beiderseits  8—10  cm  lang  an  dei 
tiefsten  Stelle  des  Synovialumschlages.  So  heilen  besonders  die  Gono- 
coccengelenke  ohne  erhebliche  functioneile  Störungen  vorzüglich  aus 
Wenn  Seitenschnitte,  grosse  Incisionen  nichts  mehr  helfen,  dann  tnlt 
die  quere  Auftrennung  des  Gelenkes  mit  Ablösung  der  Patella  in  ihr 
Recht:  so  kann  man  nicht  selten  noch  die  Amputation  vermeiden. 
(Vorstellung  eines  solchen  Patienten,  bei  dem  eine  Amputation  in  trage 
kam.)  Was  nun  die  schweren  Formen  von  Arthritis  deformans,  be¬ 
sonders  im  Hüftgelenk,  anlangt,  so  hält  er  es  für  richtiger,  den  kranken 
Kopf  vorzunehmen,  als  die  Patienten  mit  einem  H  e  s  s  i  n  g  sehen  lutor 

herumgehen  zu  lassen.  .  .  ,  .  , 

Discussion:  Franke  (Braunschweig)  bemerkt,  dass  ei 
das  von  Koenig  vorgeschlagene  Verfahren  der  operativen  Behandlung 
der  Arthritis  deformans  schon  1894  ausgeübt  und  vorgeschlagen  hat. 
Auch  die  Ausspülung  der  Gelenke  hält  er  von  Werth. 

Schede  (Bonn)  glaubt,  dass  viele  gonorrhoische  Gelenke  mit 
antiseptischer  Ausspülung  ohne  Drainage  und  Incision  heilen.  Noth- 
wendig  bei  den  Spülungen  sind  Bewegungen  im  Gelenk.  Man  soll  zu¬ 
erst  mit  indifferenten  Flüssigkeiten  :  Bor  ,  Salicylwasser,  dann  mit 
Sublimat,  ln/00,  spülen,  vorausgesetzt  muss  natürlich  werden,  dass  die 

Kapsel  intact  ist. 

Koenig:  Schlusswort.  .  . 

X  v  Eiseisberg  (Königsberg)  stellt  einen  Patienten  mit 
Verlust  des  rechten  Zeigefingers  vor,  auf  den  er  die 

zweite  Zehe  aufgepflanzt  hat.  _  .  . 

XI.  Bunge  (Königsberg) :  Demonstration  einiger 

nach  Bier’scher  Methode  amputirter  Patienten. 

XII.  Hirsch  (Köln):  Vorstellung  einer  Unter¬ 
schenkelamputation  mit  tragfähigem  Stumpfe  und 

neuer  Prothese.  , _ 

Die  Tragfähigkeit  des  Stumpfes  hat  er  ohne  Knochenunteil  age 

durch  Massage” und  Tretübungen  erreicht.  Die  Prothese  trügt  an  einer 
einfachen  Seitenschiene  zwei  breite  eiserne  gepolsterte  Klammern  zur 

'^Discussion:  Nötzel  (Frankfurt  a.  M.)  berichtet  über  die 
Resultate  des  B  i  e  r’schen  Verfahrens  im  Krankenhause  zu  Frankfurt  a.  M. 
lobt  die  Unempfindlichkeit  des  Stumpfes  und  hält  die  Methode  für  eine 

entschiedene  Verbesserung.  ,  _ 

Bunge  (Königsberg)  redet  den  einfachen  Gypsprothesen,  beson¬ 
ders  für  arme  Patienten,  das  Wort,  die  auf  einen  einfachen  Holzpflock 
über  dem  Strumpf  aufgegypst  und  mit  Bändern  versehen  werden,  damit 

sie  nicht  abgeschleudert  werden  können. 

Bier  (Greifswald)  weist  darauf  hin,  dass  man  die  Tretubungen 
der  Kranken  sehr  vorsichtig  vornehmen  lassen  soll,  und  dass  der  Vor¬ 
theil  der  tragfähigen  Stümpfe  nach  seiner  Methode  darin  liegt,  dass 
Periostwucherungen,  die  immer  schmerzhaft  sind,  ausgeschaltet  werden. 

XIII.  Reichel  (Chemnitz):  Ueber  Chondromatose  des 

Kniegelenkes.  _  „  , 

Vortragender  berichtet  über  einen  sehr  seltenen  Fall  von  wahrer 

intraarticulärer  Knorpelgeschwulst  der  Synovialis  des  Kniegelenkes  bei 
einem  35jährigen  Patienten,  die  sich  innerhalb  fünf  Jahren  zu  bedeu¬ 
tender  Grösse  entwickelt  hat,  eine  nahezu  faustgrosse,  anscheinend 
knochenharte  Geschwulst,  welche  nach  aussen  oben  von  der  Kniescheibe 
dem  Knochen  unverschieblich  aufzusitzen  schien.  Ein  Flussigkeitserguss 
fehlte.  Die  Function  des  Beines  war  trotz  der  grossen  Geschwulst  nur 
wenig  gestört.  Die  Synovialkapsel  zeigte  sich  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
erkrankt.  Da  wo  der  Process  am  wenigsten  vorgeschritten,  war  ihre 
Oberfläche  durch  eine  Unzahl  gewucherter,  derber,  knorpelhaltiger 
Synovialzotten  bis  Erbsengrösse  höckerig  und  rauh,  an  anderer  Stelle 
war  sie  in  eine  1-3  cm  dicke,  knorpelige  Geschwulstmasse  von 

6 _ 8 — 11  cm  Länge,  beziehungsweise  Breite  umgewandelt.  Die  Gelen  v- 

knorpel  selbst,  die  Menisken  und  die  knöchernen  Gelenkenden  waren 
frei  Die  mikroskopische  Untersuchung  bestätigte,  dass  es  sich  um  ein 
wahres  Enchodrom  handelte.  Die  mit  der  Gelenkhöhle  commumcirende 
Bursa  poplitea  enthielt  eine  gleichartige  Geschwulst  von  Huhnereigrosse, 
noch  innig  mit  der  Wand  verbunden.  Im  Gelenk  einige  freiknorpe  ige 
Gelenkkörper,  augenscheinlich  von  der  Hauptgeschwulstmasse  abge¬ 
brochen.  Für  einen  chronisch  entzündlichen  1  iocess,  ins  esoiueit 
Arthritis  deformans,  gab  weder  der  makro-,  noch  miki  os  opisc  u, 
fund  Anhalt. 

Demonstration  des  Präparates. 


44  4 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  19 


Abendsitzung,  10  Uhr  Abends  bis  11 '/9  Uhr  Nachts. 

1.  Immelmann  (Berlin)  zeigt  die  Röntgogramme  verschiedener 
Knochengeschwulstformen,  Tuberculose,  Syphilis,  Echinococcus,  ferner 
Lungentuberculose  und  anderer  Erkrankungen. 

2.  Joachimsthal  (Berlin)  demonstrirt  eino  Anzahl  von  Bil¬ 
dern,  die  die  hohe  Bedeutung  des  Röntgen-Verfahrens  für  die  Erforschung 
der  angeborenen  Deformitäten  vor  Augen  führen.  Zur  Be¬ 
sprechung  kommen  dabei  unter  Anderem  der  angeborene  Hockstand 
des  Schulterblattes,  die  fötalen  Amputationen,  Defectbildungen  an  den 
langen  Röhrenknochen,  an  Händen  und  Füssen,  die  angeborene  Skoliose. 

3.  Derselbe  spricht  zur  diagnostischen  Verwerthung 
des  Röntgen -Verfahrens  und  projicirt  im  Aufträge  eiuer  Anzahl 
von  Mitgliedern  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie,  sowie  aus 
seiner  eigenen  Sammlung  Röntgen-Bilder,  die  die  diagnostische  Bedeutung 
der  Durchleuchtung  darthun.  Von  Interesse  sind  namentlich  die  von  Küm 
mell  (Hamburg)  stammenden  Bilder  von  Patienten  mit  Fisteln,  deren 
Ursprungsherd  nach  vorheriger  Einspritzung  von  Jodoformemulsion  sich 
auf  den  Skiagrammen  in  Folge  der  schweren  Durchlässigkeit  des  Jodo¬ 
forms  für  die  X-Strahlen  ergab.  In  einem  Fall  von  Fistelbildung  in 
der  lleocöcalgegend,  bei  der  man  eine  perityphlitische  Erkrankung 
annehmen  zu  müssen  geglaubt  hatte,  führt  der  auf  dem  Skiagramm 
sich  deutlich  markirende,  mit  Jodoformemulsion  gefüllte  Fistelgang  zur 
rechten  Niere.  Es  hat  demnach  eine  paranephritische  Eiterung  Vorge¬ 
legen.  Andere  Bilder  zeigen  seltene  Fracturen,  Kugeln  im  Gehirn, 
syphilitische  Erkrankungen  des  Skeletes,  die  Entstehung  der  Zehen¬ 
deformitäten  unter  dem  Einfluss  unzweckmässigen  Schuhwerkes  u.  A.  m. 

4.  L  au  e  n  s  te  i  n  (Hamburg):  Demonstration  von  Röntgen- 
Bild  e  r  n  und  Präparaten  eines  Falles  von  Spontan- 
fractur  des  Oberschenkels  durch  Tumor. 

5.  Sadeck  (Hamburg)  demonstrirt  Röntgen-Bilder  von  Knochen¬ 
atrophie  und  deren  Rückbildung. 

G.  P  o  e  1  e  h  e  n  (Zeitz)  zeigt  das  Röntgen -  Bild  eines  von 
ihm  operirten  Oesophagusdive  rtik  eis. 

7.  Holländer  (Berlin) :  Resultate  der  II  e  i  s  s  1  u  f  t  be¬ 
ll  a  n  d  1  u  n  g  bei  Lupus  und  Angiosarkomen.  Redner  demon¬ 
strirt  zunächst  einen  extremen  Fall  von  diffusem  Angiocavernom 
des  Gesichtes  vor  und  nach  der  Behandlung  —  die  blaurotke,  beim 
Schwein  erectile  Blutgeschwulst  war  durch  zweimalige  Heissluftkauteri¬ 
sation  in  eine  glatte,  weisse,  bewegliche  Narbe  verwandelt.  Sodann 
projicirt  derselbe  eine  Serie  von  Dauerresultaten  von  Lupus,  welche 
durch  seine  Ileissluftkauterisation  länger  als  drei  Jahre  geheilt  waren. 

(Fortsetzung  folgt.) 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden, 

Vom  18.  bis  21.  April  1900. 

Referent  Allm  (Berlin). 

(Fortsetzung.) 

1.  Sitzung. 

P  e  1  (Amsterdam) :  Die  Behandlung  der  croupösen 
Pneumoni  e. 

Spou tane  Schwankungen  und  unerwartete  Wendungen  des  Krank¬ 
heitsverlaufes,  locale,  epidemische  und  Alterseinflüsse,  der  individuelle 
Unterschied  des  Krankenmateriales,  unzuverlässige  anamnestisclie  An¬ 
gaben,  zufällige  Coincidenzen  und  Launen  des  Zufalles  erschweren  im 
hohen  Grade  die  richtige  Werthschätzung  der  Heilerfolge  bei  der  Pneu¬ 
monie.  Die  ungenügende  Beachtung  dieser  Quellen  der  Täuschung  hat 
manche  falsche  therapeutische  Schlüsse  gezeitigt.  Der  einzige 
Weg,  der  zur  Wahrheit  führt,  ist  die  genaue  nüchterne, 
objective  Beobachtung  am  Krankenbette.  In  den  meisten 
Fällen  besorgt  die  Natur  auch  ohne  ärztliche  Dazwisckenkunft  die 
Heilung,  da  auch  hier,  wie  überall  bei  krankhaften  Vorgängen,  die 
com  pensatorische  Kraft  zur  Ausgleichung  pathologischer  Zu¬ 
stände  eintreten.  Vielfältig  sind  die  Schutzmittel,  mittelst  welcher  der 
ergriffene  Organismus  sich  zur  Wehr  setzt  und  eine  Entgiftung  des 
Blutes  und  der  Körperorgane  anstrebt:  Welche  grosse  Rolle  hiebei 
die  Leukocyten  und  das  Fibrin  spielen,  beweist  schon  die 
häufig  vorkommende  Hyperleukocytose  und  Hyper  fibri¬ 
nöse  des  Blutes.  Möglicher  Weise  ist  die  Erhöhung  der 
T  e  m  p  erat  u  r  ein  treuer  Bundesgenosse  der  beiden  eben  genannten 
Factoren.  Ueber  das  Schicksal  des  Pneumonikers  wird 
denn  auch  nicht  in  der  Lunge,  sondern  in  erster 
Reihe  in  den  Säften  des  Körpers  entschieden.  Die 
Constitution,  respective  die  Individualität  des  Erkrankten,  welche 
in  erster  Reihe  die  Intensität  der  Antitoxinbildung  überhaupt,  sowie 
die  Kraft  an  Abwehrmitteln  überhaupt,  bedingt,  ist  hiebei  von  ent¬ 
scheidender  Bedeutung.  Für  die  Pneumonien,  welche  weniger  günstig 


für  den  Kranken  verlaufen,  sind  es  auch  wieder  gewisse  Anomalien 
der  Constitution,  welche  den  abnormalen,  unregelmässigen  Ver¬ 
lauf  beeinflussen.  Das  Leben  der  Emphysematiker  und  Bronchitiker, 
der  Brightiker  und  Diabetiker,  der  Bejahrten  und  Heruntergekommenen, 
der  Nervös-Ueberreizten  und  besonders  der  Alkoholiker  wird  mehr  als 
das  der  Gesunden  gefährdet,  wenn  sie  von  einer  Pneumonie  ergriffen 
werden.  Hier  fände  ein  Heilmittel,  das  die  drohenden  Gefahren  des 
Lebens  aufzuheben  oder  zu  veringern  vermöchte,  seinen  rechten  Platz. 
Die  objective  Beobachtung  hat  nun  gezeigt,  dass  wir  bis 
jetzt  über  kein  einziges  Mittel  verfügen,  mittelst  welchem  wir  im 
Stande  sind,  den  pneumonischen  Process  abzukürzen 
oder  direct  günstig  zu  beeinflussen.  Von  keiner  der  als  solche 
anempfohlenen  Heilmethoden  ist  die  coupirende  Wirkung  genügend 
fundirt  (Heroica,  als:  grosse  Gaben  Tinet.  stibiatus,  Veratrin  und 
Mercur,  Aderlass,  Natron  salicylium,  Pilocarpin,  Jodsalze,  leukoeytäre 
Mittel,  Chinin,  Digitalis,  kalte  Bäder  etc.).  Der  Werth  der  Serum¬ 
therapie  steht  noch  nicht  fest.  Bewiesen  ist  nur,  dass  die  Pneumonie 
bei  Anwendung  oben  genannter  Heilmittel  günstig  verlaufen  kann,  aber 
nicht,  dass  es  die  Verabreichung  dieser  Arzneien  gewesen  ist,  welche 
zu  dem  guten  Ausgang  geführt  hat.  Iudessen  können  einzelne  dieser 
Mittel  als  Symptomatica  sich  nützlich  erweisen.  So  kann  z.  B. 
der  Aderlass  auch  jetzt  noch  indicirt  sein  bei  schwerer  Dyspnoe, 
Cyanose  und  unterdrücktem  Puls,  wie  bei  beginnendem  Lungenödem. 
Er  kann  dann  sogar  von  lobensrettender  Bedeutung  sein.  Als  Nervinum 
und  Euphoricum  kann  das  Chinin  vielleicht  nützlich  sein,  obwohl 
die  ihm  von  Aufrecht  zugedachte  specifische  Wirkung  auf  die 
Pneumotoxine  auf  schwachen  Füssen  steht.  Die  Digitalis  kann  in 
kleinen  Dosen  als  Cardiotonicum  verwandt  werden,  obwohl  die 
Stimulantia  bei  der  Herzschwäche  acuter  Iufectionskrankheiten 
besser  und  schneller  wirken.  Die  Digitalis  ist  nur  indicirt,  wenn  ein 
Herzkranker  von  einer  Pneumonie  ergriffen  wird  und  eine  Herz¬ 
schwäche  auftritt  oder  die  Herzinsufffcienz  sich  wie  bei  einem  Herz¬ 
kranken  (mit  arythimer  Stauung  des  Blutes)  in  den  Vordergrund 
schiebt.  Dagegen  sind  grosse  Gaben,  wie  siePetruscu  befürwortet, 
nicht  zu  empfehlen.  Die  Verehrer  dieser  Methode  haben  nur  leichtere 
Fälle  behandelt  und  gerade  die  schweren  Fälle  (mit  Herz¬ 
schwäche)  ausgeschlossen,  und  es  wären  gerade  diese  Fälle,  an  welchen 
sie  die  Behandlungsweise  hätten  erproben  müssen,  weil  die  leichteren 
Fälle  gewiss  auch  ohne  sie  zur  Heilung  gelangt  wären.  Je  weniger 
der  Arzt  bei  den  regulär  verlaufenden  Pneumonien 
eingreift,  desto  grösser  ist  die  Wahrscheinlichkeit 
eines  glücklichen  Ausganges.  Nicht  eing  reifen  heisst 
aber  nicht:  Nichts  thun.  Dem  Arzt  bleibt  die  wichtige  Aufgabe 
übrig,  dem  Kranken  die  Wohlthat  einer  gut  verstandenen  Hygiene, 
den  Segen  einer  sorgfältigen  Pflege,  den  Nutzen  einer  zweckmässigen 
Ernährung  und  die  Linderung  der  meist  quälenden  Erscheinung  zu 
Theil  werden  zu  lassen,  damit  die  Verhältnisse  für  die  natürliche 
Heilung  sich  um  so  günstiger  gestalten.  Ganz  mit  Unrecht  ist  diese 
symptomatische  Therapie  oft  als  „exspectative1,  bezeichnet 
und  mit  Geringschätzung  angesehen.  Der  Arzt  erachte  auch  Nichts  zu 
gering,  Nichts  zu  unbedeutend,  weil  es  ja  öfter  auf  die  Summe 
von  Kleinigkeiten  ankommt.  Gerade  die  genaue  Berücksichti¬ 
gung  aller  Verhältnisse,  die  für  den  Kranken  von  Werth  sein  können, 
verräth  den  einsichtigen  und  gewissenhaften  Arzt.  Das  Grosse  be¬ 
sorgt  schon  die  Natur,  der  Arzt  besorge  das  Kleine. 
Gegen  den  quälenden  Husten  und  die  erschwerte  Expectoration  sind 
die  altehrwürdigen  Dove  r’schen  Pulver,  gegen  das  heftige  Seiten¬ 
stechen  nöthigenfalls  kleine  Morphiumeinspritzungen  und 
später  gegen  die  erschwerte  Expectoration  ein  Expectorans  empfehlens- 
werth,  ohne  dass  sich  gerade  behaupten  lässt,  dass  man  auch  ohne 
diese  Mittel  nicht  auskäme.  Die  unregelmässigen  atypischen 
Fälle  erfordern  im  Grossen  und  Ganzen  ein  stimulirendes  Ver¬ 
fahren.  Es  ist  hier  fast  immer  die  Herzschwäche,  sowie  die 
Körperschwäche  überhaupt,  welche  die  Lebensgefahr  bedingt.  So  sehr 
eine  zu  frühe  und  übertriebene  Anwendung  der  Reizmittel  zu 
fürchten  ist,  kann  doch  andererseits  das  Leben  eines  Pneumonikers 
durch  ein  zur  rechten  Zeit  verabreichtes  Reizmittel  gerettet  werden. 
In  erster  Linie  steht  der  Alkohol.  Obgleich  es  mit  der  theoretischen 
Begründung  schlecht  bestellt  ist  und  die  ihm  zugeschriebene  eiweiss- 
sparende  Wirkung  nicht  genügend  fundirt  ist,  bekommt  man  doch  am 
Krankenbette  des  Fiebernden  den  festen  Eindruck,  dass  der  Alkohol 
Stimuli  rend  und  kräftigend  wirkt.  —  Aber  hier  ist 
vor  einem  Ueber  mass  zu  warnen.  Vorsichtig  und  zurück¬ 
haltend  sei  man  namentlich  bei  jugendlichen  Personen.  Als 
das  zuverlässigste  Analepticum  muss  der  lvampher  gelten:  Anfangs 
in  kleinen  Dosen  und  bei  stärker  drohenden  Lebensgefahr  in  hohen 
Dosen,  und  besonders  subeutan  in  Verbindung  mit  Aether.  Das  Leben 
mancher  Pneumoniker,  welches  durch  Collapse  und  Herzschwäche  be¬ 
droht  ist,  wird  dadurch  gerettet,  dass  man  ihnen  über  den  kritischen 
Augenblick  durch  Kampher  hinweghilft.  Regelmässige  Abwaschungen 
.  der  Haut  sind  für  den  Kranken  höchst  angenehm  und  zugleich  wohl- 


Nr.  19 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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thuend.  Dagegen  erfordert  die  erhöhte  Körperwärme  durchaus  nicht 
die  Anwendung  von  Fiebermitteln,  sie  bringt  dem  Körper  keine  Gefahr. 
Man  vergleiche  die  auffallende  Euphorie  und  das  verhältnismässig  gute 
Allgemeinbefinden  des  Pneumonikers,  dessen  Temperatur  bis  auf  42" 
gestiegen  ist,  mit  dem  somnolenten  Zustand  des  Typhuskranken,  der 
bei  niedriger  Körperwärme  phantasirend,  schläfrig,  mit  zitternden 
Gliedmassen  ans  Bett  gefesselt  ist!  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
das  Fieber  eine  zweckmässige  Reaction  des  inficirten 
Organismus  ist,  die  ihm  nützt.  Bei  der  Pneumonie  liegt 
umsoweniger  Grund  für  eine  antipyretische  Behandlung  vor,  weil  der 
Krankheitsprocess  sich  schnell  verläuft.  Der  Arzt  hat  aber  auch  die 
Pflicht  prophylaktisch  thätig  zu  sein.  Er  muss,  so  viel  wie 
möglich  dafür  sorgen,  dass  die  C  o  n  s  t  i  t  u  t  i  o  n  der  ihn  anvertrauten 
Menschen  möglichst  intact  bleibt,  damit,  wenn  sie  trotzdem  einmal 
von  einer  Pneumonie  befallen  werden,  die  natürlichen  Abwehrmittel 
in  voller,  ungeschwächter  Stärke  zur  Wirkung  gelangen  können.  Die 
Hauptsache  ist  und  bleibt  hiebei,  stets  Excesse  in  Ueber¬ 
au  st  r  e  n  g  u  n  g  e  n  nach  jeder  Richtung  hin  schon  in  ge¬ 
sunden  Tagen  zu  vermeiden.  ........  ,  „ 

Discussion:  Stabsarzt  Müller  berichtet  über  das  Er¬ 
gebnis  der  Statistik  der  preussischen,  sächsischen  und  wiirtembergi- 
schen  Armee  der  letzten  20  Jahre.  Sie  weist  85.000  Fälle  auf,  jährlich 
im  Durchschnitte  4100  Fälle.  Im  Verhältnisse  zur  Kopfzahl  des  Heeres 
ist  eine  Abnahme  von  12-7  auf  6-8<>/00  allmälig  eingetreten. 
Diese  Verminderung  der  Morbidität  ist  bedingt  durch  die  Verbesserung 
der  sanitären  Verhältnisse  und  die  sorgfältigere  Rekrutirung.  Die 
Mortalität  beträgt  im  Durchschnitt  jährlich  106 ;  die  Pneumonie  ist 
nach  wie  vor  die  tödtlichste  Krankheit  im  Heere,  feie  macht  15-7  /„ 
der  Gesammtsterblichkeit  aus,  bei  Ausschluss  der  Phthise.  Sie  schwankt 

von  4i/2 _ 8 °/0,  keine  Behandlungsmethode  hat  vor  der  anderen  einen 

Vorzug  erwiesen.  Man  muss  auch  heute  noch  in  jedem  einzelnen 
Falle  die  geeignete  Methode  suchen.  Den  Cassenkranken  sollte  wie 
den  Soldaten  nach  überstandener  Krankheit  vier  Wochen  Urlaub  ge¬ 
währt  werden.  „ 

Jürgenseil  (Tübingen)  hält  die  hydriatische  Behandlung  zur 

Bekämpfung  der  Herzschwäche  gerade  für  das  geeignetste  Mittel;  im 
Uebrigen  habe  er  dieselben  Grundsätze  in  der  Behandlung  wie  die 

Herren  Referenten.  ,  .  .  .  ....  „.... 

Rumpf  (Hamburg)  hat  die  Kochsalzinfusionen  in  zwölf  lallen 

von  grosser  Herzschwäche  in  Folge  von  Blutverarmung  angewendet. 
Davon  sind  vier  Kranke  genesen,  indem  sich  eine  bessere  Diurese  ein- 
stellte.  Es  ist  also  ein  Mittel  von  beschränktem  Werth. 

Rosenstein  (Leyden) :  Man  muss  stets  die  Grenzen  des 
Herzens  von  vorneherein  beobachten.  Sobald  die  Zunahme  der 
Dämpfung  nach  rechts  mit  gleichzeitiger  Steigerung  der  Pulsfrequenz 
manifest  wird,  ist  die  Prognose  schlecht  und  man  muss  rechtzeitig 

Reizmittel  anwenden.  „  .  .  „  ....  ,  . 

Smith  (Schloss  Marbach)  warnt  vor  dem  Alkohol.  Er  gefährdet 

das  Herz,  weil  er  es  erweitert. 

Paessler  (Leipzig)  warnt  vor  der  Anwendung  von  Lhloral- 
hydrat  als  Beruhigungsmittel,  weil  es  eine  Gefässlähmung  hervorruft 
und  so  die  Wirkung  der  Pneumococcen  noch  steigern  kann. 

Schnitze  (Bonn)  wendet  den  Alkohol  nur  bei  Trinkern  an. 
Wo  man  zweifelhaft  ist,  dient  der  Muskelschmerz  auf  Druck  als  Kenn¬ 
zeichen.  Sonst  empfehlen  sich  als  Analeptica  Kaffee  und  Kamphei.  Von 

der  Digitalis  macht  er  keinen  Gebrauch. 

Naunyn  (Strasburg)  hält  doch  noch  an  dem  Werth  der  Expec¬ 
torants  fest.  Namentlich  Jodkali  hat  auf  der  Höhe  oft  eine  gute  Wir¬ 
kung.  Ferner  empfiehlt  Naunyn  das  Ergotin  als  Mittel  gegen  den 
Collaps,  4—5  dg  einer  10%igen  Lösung  subcutan.  Es  wirkt  auf  die 
Gefässe  blutdrucksteigernd. 

Lenhartz  (Hamburg) :  Die  Pneumoniker  sterben  nicht  nur  an 
ihren  Herzen  und  den  Gefässnerven,  sondern  auch  an  Bacteriämie. 
Die  Blutuntersuchung  hat  daher  sogar  prognostischen  Werth.  Die  Digi¬ 
talis  in  kleinen  Dosen  hält  Lenhartz  für  das  beste  Herztomcum 
nach  dem  40.  Lebensjahre,  indem  es  die  Elasticität  des  Herzmuskels 

verstärkt. 

Nothnagel  (Wien)  empfiehlt  nachdrücklich  die  Hydro¬ 
therapie,  die  da,  wo  andere  Behandlungsmethoden  versagen,  oft 

prompt  wirkt.  , 

Senator  (Berlin)  rätli  die  Anwendung  von  alkalischen  und 

alkalisch-muriatisclien  Mineralwässern,  weil  sie  durch  Steigei ung  des 
Affluxus  bei  allen  Bronchitiden  die  Expectoration  erleichtern. 

F  r  i  e  d  e  1  Pick  (Prag)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  ein 
Thierversuch  das  Ergotin  nur  am  Uterus  eine  gefässverengernde  Wirkung 

zeigt,  sonst  nirgends.  .  ,  . 

Bäumler  (Freiburg):  In  einzelnen  Fällen  tritt  der  Tod  vom 

Gehirn  aus  ein  durch  Psychosen  oder  plötzliche  Hyperpyrexie.  Die 
Hydrotherapie  ist  keine  Antipyrese,  sondern  eine  Einwirkung  aut  die 
Gefässnerven. 


2.  Sitzung. 

I.  Neusaer  (Wien) :  Zur  Klinik  des  M  a  1 1  a  f  i  e  b  e  r  s. 

Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  eine  an  den  Küste  11  u n  d 
auf  den  Inseln  des  Mittelländischen  Meeres  vorkom¬ 
mende  Infectionskrankkeit :  Malta,  C  y  p  e  r  n,  den  Balearen,  im 
griechischen  Archipel,  in  K  1  e  i  11  a  s  i  e  n,  Gibraltar, 
Sicilieu,  Sardinien,  Corsica,  Genua,  Neapel,  Dal¬ 
matien,  auf  den  br  ionischen  Inseln,  Alexandrien, 
Tunis,  Algier.  Das  geographische  Verbreitungsgebiet  dieser 
Krankheit  umfasst  aber  auch  die  Inseln  und  die  amerikani¬ 
sche  Westseite  des  Atlantischen  Oceans.  Erreger  der 
Krankheit  ist  der  von  Bruce  1897  entdeckte  Mikrococcus 
melitensis,  der  für  Affen  pathogen  ist.  Die  Incubation  schwankt 
zwischen  8 — 20  Tagen.  Der  Maltacoccus  wird  durch  das  Blutserum 
von  Maltakranken  agglutinirt.  Die  Krankheit  beginnt  mit  Fieber,  das 
bis  40-5°  C.  steigen  kann;  Kopf-,  Glieder-  und  Lendeuschmerzen, 
Schlaf-  und  Appetitlosigkeit,  verbunden  mit  Brechreiz  und  manchmal 
Erbrechen  gesellen  sich  hinzu.  Gewöhnlich  bestehen  auch  Obstipation 
und  profuse  Schweisse,  weshalb  die  Krankheit  bei  acutem  Ver¬ 
lauf  als  F  e  b  r  i  s  sudor  alis  uud  bei  chronischem  als  Phthisis 
mediterranea  bezeichnet  wurde.  Der  Fieberanfall  dauert  eine  bis 
fünf  Wochen.  Im  weiteren  Verlaufe  und  als  Nachkrankheiten  kommen 
rheumatische  Aflfectionen  der  Gelenke,  Orchitis,  Mastitis  und  Neuralgien 
vor.  Tödtlicher  Ausgang  ist  selten,  die  Sterblichkeit  beträgt  2%.  Die 
Leichenbefunde  ergaben  Hyperämie  der  Lungen  und  der  Leber,  Milz- 
vergrösserung,  Röthung  und  Schwellung  der  Dünndarmschleimhaut,  im 
Dickdarme  finden  sich  noch  Geschwüre. 

Charakteristisch  für  das  Maltafieber  sind  die  in  unregelmässigen 
Intervallen  auftretenden  Rückfälle,  welche  die  Krankheit  über 
Monate,  ja  selbst  Jahre  hinziehen  können.  Einen  solchen  Fall,  der 
sich  durch  eine  lange  Dauer  (acht  Jahre)  charakterisirt,  stellt  der 
Vortragende  vor. 

Der  Vortragende  macht  auf  die  verschiedenen  klinischen  Bilder 
dieser  Krankheit  und  die  Schwierigkeit  der  Diagnose  aufmerksam.  Die 
acuten  Fälle  können  unter  dem  Bilde  einer  schweren  Malaria  auftreten, 
die  subacuten  intermittirenden  wurden  thatsächlich  schon  mit  Typhus, 
subacuter  Tuberculose  oder  Endocarditis  verwechselt,  letzteres  besonders 
bei  gleichzeitigen  Gelenkafifectionen,  die  chronischen  Formen  mit  inter- 
mittirendem  Fieber  führten  zur  Verwechslung  mit  Tuberculose  oder 
reeurrirender  Pseudoleukämie.  Die  als  Nachkrankheiten  des  Maltafiebers 
auftretenden  Störungen  seitens  des  Nervensystemes  können  sehr  viel¬ 
gestaltig  sein,  und  theils  die  sensible,  theils  die  motorische  Sphäre  be¬ 
treffen.  Eine  wirksame  Therapie  des  Maltafiebers  ist  unbekannt.  Die 
Bekämpfung  dieser  für  das  Militär  und  die  Marine  so  wichtigen  Krank¬ 
heit,  die  nach  englischen  und  amerikanischen  Statistiken  die  Erkrankten 
durchschnittlich  90  Tage  und  darüber  an  das  Bett  fesselt  und  sie  durch 
die  oft  jeder  Behandlung  trotzenden  Recidive  in  ihrer  Leistungsfähigkeit 
herabsetzt,  wäre  nicht  nur  eine  Errungenschaft  der  Medicin,  sondern 
hätte  auch  staatswirthschaftliche  Bedeutung.  Bei  der  zunehmenden  Aus¬ 
dehnung  der  deutschen  Colonialpolitik  zweifelt  der  Vortragende  nicht, 
dass  die  deutsche  Marine  in  kurzer  Zeit  die  Herde  dieser  Krankheit  be¬ 
treten  wird,  insbesondere  bei  dem  bevorstehenden  Bau  der  Eisenbahn  in 
Kleinasien. 

II.  Wenckebach  (Utrecht) :  Die  physiologische  Er¬ 
klärung  der  Arhythmie  des  Herzens. 

Die  drei  Hauptfunctionen,  welche  wir  als  Bedingung  der  regel 
mässigen  Herzthätigkeit  haben  kennen  gelernt,  sind  1.  die  automatische 
Reizbarkeit  des  Herzmuskels,  2.  das  Vermögen,  die  motorischen 
Reize  von  Muskelzelle  auf  Muskelzelle  weiter  zu  leiten,  3.  die  C011- 
tractilität.  Das  Nervensystem  ist  im  Stande,  in  diese  drei  fundamen¬ 
talen  Eigenschaften  ändernd  einzugreifen.  Störungen  in  jeder  dieser 
Functionen  sind  im  Stande,  eine  besondere  Form  der  Arhythmien  her¬ 
vorzurufen. 

Die  automatische  Reizbarkeit  ist  sehr  oft  erhöht.  Es  treten  daher 
überzählige  Extra-Systolae  auf.  Diese  entsprechen  in  den  meisten  Fällen 
den  sogenannten  frustranen  Contractioneu  und  rufen  den  Pulsus  trige¬ 
minus,  das  Intermittiren  und  verwandte  Pulsformen  hervor. 

Das  motorische  Leistungsvermögen  des  Herzmuskels  kann  ge¬ 
schwächt  und  erhöht  sein.  Im  ersten  Falle  kann  es  zu  regelmässigem 
Intermittiren  kommen,  wobei  keine  Extra-Systolae  stattfinden  und 
eine  eigenthümliche  Allorhythmie  auttritt.  Dieses  regelmässige  Intm 
mittiren  kann  durch  allerlei  Uebergangsformen  so  weit  gehen,  dass 
schliesslich  eine  Bradycardie  entsteht,  wobei  nur  jeder  zweite  Reiz  eine 
Systole  hervorruft.  Leitungshemmung  ist  auch  die  Ursache  der  fetokes- 
A  d  a  m’schen  Krankheit. 

Wenn  die  Leitungsfähigkeit  aber  normal  erhöht  und  da  jei 
das  Herz  stark  gereizt  wird,  kommt  es  zum  Delirium  cordis. 
Digitalis  wirkt  hier  günstig,  durch  Vagusreizung,  welche  die  Leitung 

erschwert.  .  ,  , 

Die  typische  Arhythmie  durch  geschwächte  Contractilitat  ist  uei 

Pulsus  alternans. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  1900. 


Nr.  19 


Diese  Störungen  der  drei  Hauptfunctionen  können  einzeln  und 
combinirt  auftreten ;  von  functioneller  Störung  des  Herzmuskels  und 
dann  mehr  ständig,  von  Nerveneinfluss  abhängig  und  dann  mehr  vor¬ 
übergehend  sich  kundgebend. 

Discussion:  Rosenstein  (Leiden). 

III.  Grube  (Neuenahr):  Ueber  gichtische  Erkran¬ 
kungen  des  Magens  und  Darms. 

Vortragender  betont  das  Vorkommen  ätiologischen  Zusammen¬ 
hanges  von  Verdauungsstörungen  der  Gichtiker  mit  der  Grundkrankheit. 
Es  kommen  sowohl  seitens  des  Magens  wie  des  Darms  mannigfache 
Krankheitsbilder  vor,  die  nur  die  Existenz  von  Gährungs-  und  Fäulniss- 
processen  gemeinsam  haben.  Bald  besteht  nur  das  Symptomenbild  der 
Dyspepsia  nervosa,  in  anderen  Fällen  sind  Abnormitäten  des  Magen¬ 
chemismus  (auch  Milchsäuregährung)  oder  Störungen  der  Motilität  vor¬ 
handen.  Charakteristisch  ist  das  Erhaltensein  des  Appetits.  Die  Darm¬ 
störungen  sind  hauptsächlich  Verstopfung,  Flatulenz,  stinkende  Fäces. 
In  Folge  dessen  auch  grosse  Mengen  Indican  im  Harn.  Bemerkens¬ 
werth  ist  der  häufige  Abgang  bedeutender  Schleimmassen  mit  dem 
Stuhl,  oft  unter  Koliken.  Vortragender  neigt  der  Ansicht  zu,  dass  die 
Magen-  und  Darmstörungen  das  Primäre  sind  und  den  acuten  Gicht¬ 
anfall  auslösen.  Zur  Annahme  gichtischer  Erkrankungen  des  Magens 
und  Darms  sind  drei  Voraussetzungen  nöthig:  1.  Frühere  Anfälle  von 
acuter  Gicht  oder  noch  jetzt  Erscheinungen  von  solcher;  2.  andere 
Symptome  chronischer  Gicht;  3.  Vorkommen  hereditärer  Gicht  in  der 
Familie. 

Discussion:  Minkowski  (Strassburg):  Die  häufigen  Ver¬ 
dauungsstörungen  bei  Gichtikern  sind  nicht  zu  leugnen  und  ein  ätio¬ 
logischer  Zusammenhang  nicht  unmöglich.  Zumeist  werden  sie  aber 
durch  die  bei  diesen  Kranken  oft  ganz  falsche  Ernährung  und  den 
Missbrauch  von  Medicamenten  hervorgerufen.  Klinisch  haben  sie  nichts 
Charakteristisches.  Harnsäureablagerungen  sind  im  Verdauungstractus 
niemals  gefunden  worden. 

v.  No  orden  (Frankfurt  a.  M.):  Die  Verdauungsstörungen 
kommen  fast  immer  nur  bei  wohlhabenden  Gichtikern  vor,  die  durch 
die  oft  wechselnde  Diät  den  Magen  belasten.  Sie  sind  keine  directe 
Consequenz  des  gichtischen  Processes. 

His  (Leipzig)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  man  selten  Ge¬ 
legenheit  hat,  in  Fällen  frischer  Harnsäureablagerungen  auf  den  serösen 
Häuten  die  Section  zu  machen.  Sie  verschwinden  immer  nach  kurzer 
Zeit.  Die  Peritonealablagerungen  könnten  doch  Ursache  der  Darm- 
stürungen  sein. 

IV.  Grube  (Neuenahr):  Ueber  ein  dem  Coma  dia- 
beticum  analoges  künstlich  her  vor  gerufenes  Coma. 

Vortragender  hat  mit  der  ß-Amido-Buttersäure,  die  von 
W.  Sternberg  (Berlin)  unlängst  als  Ursache  des  Coma  diabeticum 
beim  Menschen  angegeben  worden  ist,  zur  Prüfung  ihrer  Giftigkeit 
Injectionsversuche  an  Katzen  gemacht  und  stets  einen  positiven  Ausfall 
gehabt;  es  entstand  die  charakteristische  Veränderung  der  Respiration 
unter  Eintritt  tiefen  Comas.  Die  Zuckerausscheidung  im  Harn  bei  den 
Thieren  ist  nur  als  Folge  der  Operation  anzusehen,  dagegen  ist  das 
häufige  Auftreten  von  Aceton  und  Acetessigsäure  bemerkenswert!).  In 
einigen  Fällen  wurde  die  Athmung  nach  Injection  von  Natr.  bicarb, 
wieder  normal. 

Discussion:  Magnus-Levy  (Strassburg):  Die  Entstehung 
der  ß-Oxy-Buttersäure  im  menschlichen  Körper  kann  nicht,  wie  S  tern- 
borg  behauptet  hat,  auf  eine  Amidosäure  zurückgeführt  werden. 
Schon  die  quantitativen  Verhältnisse  sprechen  gegen  eine  solche  Ab¬ 
stammung  vom  Körpereiweiss.  Die  Hypothese  ist  deshalb  abzuweisen. 

Löwit  (Innsbruck)  hält  die  Methode  der  Versuchsanordnung 
des  Vortragenden  (Registrirung  der  Athmungsphasen  von  der  Tracheal- 
wunde  aus)  nicht  für  einwandfrei.  Auch  zeigen  die  Curven  nichts 
anderes  .als  die  gewöhnliche  Form  tiefer  Dyspnoe,  wie  sie  nach  mannig¬ 
fachen  Vergiftungen  bei  Thieren  zu  beobachten  sind. 

Biedl  (Wien)  hält  gleichfalls  die  Schlussfolgerungen  des  Vor¬ 
tragenden  für  nicht  berechtigt,  auch  die  Uebertragung  auf  den  Menschen 
nicht  für  statthaft. 

V.  Schott  (Nauheim):  Influenza  und  chronische 
Herzkrankheiten. 

1.  Vortragender  weist  darauf  hin,  dass  die  Influenza  auch  das 
Herz  ergreift,  und  zwar  derart,  dass  durch  die  cardialen  Erkrankungen 
nicht  nur  die  Morbiditäts-,  sondern  auch  die  Mortalitätsziffer  bedeutend 
beeinflusst  wird.  Redner  erörtert  dann  die  drei  Gruppen  von  Herz- 
afleetionen,  welche  entweder  durch  die  Influenza  direct  hervorgerufen 
oder  durch  sie  verschlimmert  werden,  nämlich  1.  primäre  Herzerkran¬ 
kungen,  2.  Herzleiden,  secundär  entstanden  in  Folge  anderer  durch 
Influenza  hervorgerufener  Erkrankungen,  3.  Einwirkung  der  Influenza 
auf  bestehende  Herzaflectionen. 

Von  den  primären,  durch  die  Influenza  hervorgerufenen  Herz¬ 
leiden  sind  in  erster  Linie  die  nervösen  Herzaflectionen  zu  nennen. 
Bei  den  motorischen  Neurosen  überwiegt  zwar  die  Tachycardie,  auf¬ 
fallend  ist  aber  gerade  hier  die  Häufigkeit  der  Bradycardien,  welche 


in  solcher  Zahl  wohl  kaum  bei  einer  anderen  Infectionskrankheit  ge¬ 
funden  wurden.  Pseudangina  wie  auch  Angina  pectoris  vera  und  Neu¬ 
rasthenia  cordis  sind  bei  Patienten,  die  an  Influenza  litten,  gar  nicht 
selten  die  Folge.  Ganz  besonders  häufig  sind  die  llerzmuskelaffectionen, 
die  zum  Theile  rein,  zum  Theile  in  Folge  von  Herzneurosen  zur  Be¬ 
obachtung  gelaugen. 

Den  schlimmsten  Gefahren  sind  solche  Patienten  durch  die  In- 
fluenzaerkrankung  ausgesetzt,  welche  bereits  an  endo-  oder  myocardi- 
schen  Processen  vorher  litten.  Ein  grosser  Procentsatz  der  congenitalen 
Herzleiden  endigt  durch  die  Influenza  letal,  und  myocarditische  Pro- 
cesse  werden  oft  rapid  verschlimmert.  Starke  Herzausdehnungen  kommen 
schon  bei  einfacher  musculärer  Debilitas  vor,  und  früher  bestandene 
Herzneurosen  werden  durch  die  epidemische  Grippe  nicht  nur  leicht 
wieder  wachgerufen,  sondern  durch  ihre  Verschlimmerung  wird  secundär 
der  Herzmuskel  auch  leicht  mitafficirt. 

VI.  Weint  raud  (Wiesbaden):  Ueber  den  Abbau  des 
Nucleins  im  Stoffwechsel. 

Obwohl  die  beträchtliche  Vermehrung  der  Harnsäure- Ausscheidung 
nach  Verabreichung  nucleinhaltiger  Kost  für  eine  directe  Entstehung 
der  Harnsäure  aus  den  Nahrungsmitteln  spricht,  ist  neuerdings  be¬ 
stritten  worden,  dass  das  Nahrungsnuclein  die  Quelle  der  Harnsäure 
sei,  weil  man  glaubte,  analoge  Harnsäurevermehrung  auch  nach  Ver¬ 
einbarung  nucleinfreier  Extracte  aus  Kalbsthymus  constatirt  zu  haben 
und  weil  die  Harnsäurevermehrung  nach  Thymusgenuss  schon  in  so 
frühen  Verdauungsstunden  einsetzt,  in  denen  man  eine  Resorption  von 
Nuclein  aus  dem  Darmcanale  noch  kaum  voraussetzen  darf. 

Genaue  Bestimmungen  der  stündlichen  Stickstoffharnsäure  und 
Phosphorsäure- Ausscheidung  nach  Thymusnahrung  und  Verabreichung 
von  nucleinfreien  Extracten  aus  Thymus  haben  indessen  ergeben,  dass 
im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  die  Verabreichung  eine  mit  der  Ver- 
dauungs-Leukocytose  im  Zusammenhänge  stehende  Vermehrung  der 
Harnsäure-Ausscheidung  eintritt,  dass  aber  ausserdem  unzweifelhaft 
auch  eine  von  der  Verdauungs-Leukocytose  unabhängige  Harnsäure¬ 
vermehrung  nach  Thymuskost  sich  einstellt,  die  nur  mit  der  Resorption 
von  Nahrungsnuclein  sich  erklären  lässt. 

Bei  der  gelegentlich  zu  beobachtenden  Vermehrung  der  Hippur¬ 
säure  Ausscheidung  bei  Nucleinnahrung  ist  es  nicht  das  Glykokoll, 
sondern  vielmehr  der  aromatische  Paarling  der  Hippursäure,  die  Benzoe¬ 
säure,  die,  und  zwar  in  Folge  vermehrter  Darmfäulniss,  als  Material 
für  die  Hippursäurebildung  bei  der  Nuclein-Verdauung  verfügbar  wird. 
Ein  Antagonismus  zwischen  Hippursäure-  und  Harnsäurebildung  in  der 
Art,  als  ob  für  Beide  das  Glykokoll  als  ein  gemeinsames  Bindungs¬ 
material  in  Betracht  komme  und  dementsprechend  bei  vermehrter 
Hippursäurebildung  die  Harnsäureausscheidung  herabgesetzt  sein  müsse, 
existirt  nicht.  Für  die  Harnsäurebildung  ist  das  beim  Nucleinabbau, 
wie  bei  der  Eiweisszersetung  überhaupt  verfügbar  werdende  Glykokoll 
nicht  heranzuziehen.  Hippursäure-  und  Harnsäurebildung  sind  zwei 
von  einander  ganz  unabhängige  Processe,  und  eine  Therapie  der 
Gicht  und  harnsauren  Diathese,  die  sich  auf  die  Annahme  stützt,  dass 
die  Hippursäure  bildenden  Mittel  die  Harnsäure  vermindern,  ist  wenig 
aussichtsvoll. 

VII.  K.  Hildebrandt  (Berlin):  Ueber  eine  Synthese 
im  Thierkörper. 

Bei  der  Condensation  von  Piperistin  und  Phenolen  mittelst 
Formaldehyd  entstehen  neue  Basen,  die  dadurch  charakterisirt  sind, 
dass  das  Phenolhydroxil  des  Benzolkernes  in  die  Reaction  nicht  ein¬ 
tritt.  Im  Organismus  des  Kaninchens  gehen  diese  Basen  Paarungen 
mit  Glykuronsäure,  einige  gleichzeitig  eine  Methylirung  am  N  des 
Piperistinvinges  ein. 

Die  nach  Einführung  des  Condensatiousproductes  aus  Piperistin, 
Thymol,  Formaldehyd  im  Organismus  erzeugte  Verbindung  fällt  aus 
dem  Harne  krystallinisch  aus;  ihre  Lösung  zeigt  entsprechend  ihrer 
Constitution  neutrale  Reaction  und  Linksdrehung. 

Die  Aldehydgruppe  der  Glykuronsäure  paart  sich  mit  dem  Phenol- 
hydroxyl  des  Benzolrings,  ihre  Carboxylgruppe  spaltet  mit  der  durch 
die  Methylirung  entstandenen  Ammoniumhzdroxylbase  Wasser  ab.  Im 
Organismus  des  Hundes  tritt  die  Synthese  nicht  ein. 

Beim  Frosch  ist  die  für  das  Kaninchen  ungiftige  Harnverbindung 
different,  wenn  auch  nicht  in  dem  Masse,  wie  die  primäre  Base. 

VIII.  Moritz  (München):  Ueber  eine  einfache  Methode, 
um  beim  Röntgen  - Verfahren  mit  Hilfe  der  Schatte  n- 
projectionen  die  wahre  Grösse  der  Gegenstände  zu 
ermitteln. 

Die  Schattenprojectionen,  die  man  beim  Röntgen-Verfahren  von 
den  Gegenständen  bekommt,  sind  wegen  der  Divergenz  der  Strahlen 
immer  vergrössert,  ohne  dass  der  Grad  der  Vergrösserung  bei  Gegen¬ 
ständen,  deren  Entfernung  von  der  Röhre  und  dem  Projectionsschirm 
nicht  genau  bekannt  ist,  in  einfacher  Weise  zu  bestimmen  wäre.  Man 
kann  jedoch  die  wahre  Grösse  eines  Gegenstandes  in  der  Weise  er¬ 
mitteln,  dass  man  die  Röntgen- Röhre  genau  senkrecht  unter  seinem  Um¬ 
riss  hinbewegt  und  nacheinander  die  einzelnen  Punkte  des  Umrisses 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


markirt.  Nach  diesem  Princip  hat  der  Vortragende  einen  Apparat  con¬ 
struct,  der  es  gestattet,  den  Umriss,  z.  B.  des  Herzens,  in  wenig  mehr 
als  einer  halben  Minute  aufzunehmen.  Diese  Bestimmung  ist  der  Herz¬ 
percussion  an  Zuverlässigkeit  überlegen  und  daher  als  Controle  für 
letztere  von  Bedeutung.  (Demonstration  des  Apparates.) 

(Fortsetzung  folgt.) 


2.  Oesterreichischer  Balneologen-Congress  zu  Ragusa 

und  Ilidze. 

(Fortsetzung.) 

Dr.  Wendzilo  wicz,  Bezirksarzt  in  Ragusa:  Ragusa  als 
klimatische  Winter  station  und  als  Seebad. 

Wendzilowicz  schildert  in  anschaulicherWeise  die  Lage  und  die 
subtropische  Vegetation  Ragusas,  erörtert  die  klimatischen  und  Salubritäts- 
verhältnisse,  weist  procentuell  die  Erkrankungen  und  die  Sterblichkeit 
nach;  von  Epidemien  trat  vor  17  Jahren  die  Variola  auf,  eiugeschleppt 
durch  einen  Matrosen  (von  23  Erkrankten  starben  neun),  und  in 
manchen  Jahren  die  Morbiden,  sonst  gab  es  seit  22  Jahren  keine 
Epidemie.  Diphtheritis  kommt  nur  sporadisch  vor,  nie  über  drei  Fälle 
pro  Jahr.  Ragusa  hat  ein  mittelfeuchtwarmes  Klima,  dessen  charakteri¬ 
stische  Eigenschaften  sind: 

1.  Ein  relativ  hoher  Gehalt  an  Sauerstoff  und  ein  geringer 
Gehalt  an  Kohlensäure,  beträchtlicher  Ozonreichthum  und  ziemlicher 
Salzgehalt  der  Atmosphäre,  überdies  ist  die  Luft  staub  -und  keimfrei; 

2.  Geringe  Temperaturschwankungen; 

3.  Von  der  Wasserfläche  ausgehende  starke  Lichtreflexe,  deien 
hygienischer  Vortheil  in  der  Zerstörung  der  Mikroorganismen  besteht; 

4.  Hohe  Feuchtigkeit  und  geringe  Feuchtigkeitsschwankungen; 

5.  Hoher  Luftdruck  und  ausgiebige  Luftströmungen. 

Die  Einwirkung  dieses  Klimas  besteht: 

a)  in  Verlangsamung  und  Kräftigung  der  Herzthätigkeit; 

h)  in  Verminderung  der  Athemzüge  und  Vertiefung  der  In¬ 
spiration  ;  *■  . 

c)  in  Erhöhung  der  Schweiss-  und  Harnabsonderung,  Steigerung 
des  Stoffwechsels,  Anregung  des  Appetites  und  Vermehrung  des  Körper¬ 
gewichtes.  #  . 

Zum  Schlüsse  gibt  W  endzilowicz  eine  historische  Dar¬ 
stellung  Ragusas  und  hebt  die  Vorzüge  dieser  Stadt  als  klimatische 

Winterstation  und  als  Seebad  hervor. 

Primarius  Dr.  G.  Kobler,  Sarajevo :  Zur  W  a  s  s  e  r- 
behandlung  des  Ileotyphus. 

Der  Vortragende  betont  die  Umwandlung,  welche  die  Prognose  des 
Ileotyphus  durch  die  in  den  letzten  Decennien  eingetretene  Verringerung  der 
Mortalität  erfahren  hat,  und  beleuchtet  die  hiebei  in  Betracht  kommenden 
Momente,  von  welchen  er  als  das  wichtigste  die  allgemein  zur  Geltung  ge¬ 
kommene  Wasserbehandlung  bezeichnet.  Er  geht  sodann  zur  Besprechung 
der  in  seiner  Abtheilung  im  Landesspitale  zu  Sarajevo  erzielten  Resultate 
über.  Er  hat  innerhalb  5 l/a  Jahren  bei  391  Ileotyphuskranken  eine 
Mortalität  von  blos  6  6%  zu  verzeichnen  gehabt,  ein  Procentver- 
hältniss,  welches  zu  den  denkbar  günstigsten  zu  rechnen  ist.  Kobler 
verwendet  blos  sehr  selten  die  eigentliche  Bäderbehandlung,  sondern 
regelmässige  und  consequent  durchgeführte  kalte  Waschungen,  wobei 
eine  ausreichende  Wärmeabgabe,  energische  Lageveränderungen,  dadurch 
kräftige  Inspirationen,  Vermeidung  von  Lungenhypostasen  und  eine 
gute  Hautpflege  erzielt  wurden.  Ebenso  wird  hiebei  in  ausreichendem 
Masse  den  wichtigen,  insbesondere  von  Winter  nitz  ausgesprochenen 
Anforderungen  in  Bezug  auf  Verbesserung  der  Blutcirculation  (Con¬ 
traction  der  G^fässe  mit  nachfolgender  Reaction),  sowie  Blutregeneration 
entsprochen. 

Als  besonders  wichtig  stellt  der  Vortragende  hin,  dass  diese 
Proceduren  weitaus  geringere  Anforderungen  an  das  Wartepersonale 
stellen  als  die  Bäderbehandlung,  wodurch  sie  sich  insbesondere  für 
das  Spital  eignen,  in  welchem,  namentlich  im  Falle  von  Epidemien, 
nicht  für  jeden  Einzelfall  eine  Pflegeperson  zur  Verfügung  steht, 
während  bei  den  Abreibungen  eine  Wärterin  auch  sechs  bis  acht 
Typhuskranke  besorgen  kann.  Nicht  nur  die  Mortalitätsstatistik, 
sondern  auch  die  Erfahrungen  in  Bezug  auf  Lungencomplicationen 
(3  8%  der  Todesfälle)  und  Decubitus  (3'7%  sämmtlicher  Erkrankungs¬ 
fälle)  sprechen  für  die  Güte  des  Verfahrens,  welches  der  Vortragende 
nicht  als  ein  exspectatives,  sondern  als  ein  im  besten  Sinne  des  Wortes 

QptivPQ  hpzpipnnpt 

Sanitätsratli  Dr.  D  u  1 1  e  r  in  D.-Tuzla:  DieGuber -  Quellen 

in  Srebrenica.  # 

Verfasser  schildert  die  topographischen  Verhältnisse  des  Quellen¬ 
gebietes  und  seiner  Umgebung  und  liefert  ein  anschauliches  Bild 
der  Landschaft;  er  beschreibt  die  Vitriolquellen,  die  volksthüm- 
lichen  Sitten  und  Gebräuche  an  den  Quellen  und  gibt  historische 
Daten  über  die  Stadt  Srebrenica  und  ihre  Umgebung  aus  der  Römer¬ 
zeit  und  dem  Mittelalter.  Nach  der  Darstellung  der  geologischen  Ver¬ 


hältnisse  des  Bezirkes  beschreibt  derselbe  das  Gestein,  die  Entstehungs¬ 
weise  der  Vitriolquellen  und  des  von  ihnen  produeirten  Ockers.  Er 
schliesst  mit  der  Analyse  der  Quellen,  vergleicht  dieselben  mit  den 
Vitriolquellen  von  Levico  und  spricht  von  der  therapeutischen  Ver¬ 
wendung  des  Guber-Wassers  im  Allgemeinen. 

L.  G 1  ü  c  k,  Sarajevo :  Ueber  die  Bedeutung  des 
Srebrenicaer  Arsen-Eisenwassers  in  der  Therapie 
der  Hautkrankheiten. 

Anknüpfend  an  die  von  Duller  gegebene  Beschreibung 
des  Srebrenicaer  Mineralquellengebietes,  theilt  Glück  seine  mit 
dem  Hauptrepräsentanten  dieser  Wässer,  und  zwar  mit  arsen- 
eisenhältigem  „Crni  Guber“  -Wasser  bei  einer  grossen  Anzahl  von 
Hautkranken  gewonnenen  Erfahrungen  mit.  Als  directes  Heilmittel 
verwendete  er  dasselbe  gegen  Psoriasis  vulgaris,  Lichen  ruber,  chro¬ 
nische  Ekzeme  bei  Kindern,  Neuralgien  nach  Herpes  zoster  und  bei 
den  symmetrischen  localen  Asphyxien  der  Hände  und  Füsse,  wie  sie 
nicht  selten  bei  jugendlichen,  etwas  blutarmen  Personen  beobachtet 
werden  können. 

Nachdem  Glück  bereits  im  Jahre  1890  an  Sträflingen  die 
blutbildende  Eigenschaft  des  Guberwassers  geprüft  hatte,  versuchte 
er  es  bei  der  Acne  cachecticorum,  in  leichteren  Fällen  von  Acne 
rosacea,  weiters  bei  der  Urticaria  chronica,  dem  Pemphigus  vulgaris 
und  mehrfach  auch  gegen  chronische  Furunculose.  Schliesslich  bildeten 
mehrere  Fälle  von  Lupus  vulgaris,  Lichen  scrophulosorum  und  eine 
nicht  unbeträchtliche  Anzahl  blutarmer  Lueskranker,  die  sich  zeitweise 
gegen  Quecksilber  und  Jod  refraetär  zeigten,  die  Prüfungsobjecte  für 
die  Beurtheilung  des  therapeutischen  Werthes  des  Guber-Wassers  in 


der  Dermatologie. 

Nachdem  G  1  ii  c  k  die  leichte  Resorbirbarkeit  und  die  absolute 
Unschädlichkeit  des  Mittels,  das  er  vielfach  in  bedeutenden,  höheren 
als  den  üblichen  Tagesgaben  ordinirt,  hervorgehoben  hat,  gelangt  er 
zu  dem  Resultate,  dass  das  Arsen-Eisenwasser  der  Crni-Guber-Quelle 
bei  Srebrenica  in  der  Therapie  einer  bedeutenden  Anzahl  chronischer 
Hautkrankheiten  nicht  nur  als  blutbildendes  und  tonisireudes,  sondern 
geradezu  auch  als  heilendes  Mittel  eine  hervorragende  Bedeutung  hat. 
Ueberall  da,  wo  Arsen  oder  Eisen,  beziehungsweise  beide  combinirt, 
indicirt  sind,  wird  das  Guber-Wasser,  in  geeigneter  Weise  und  Menge 
ordinirt,  den  günstigsten  Einfluss  ausüben  und  das  möglichst  beste 

Resultat  herbeiführen.  . 

Primarius  Dr.  Gr.  K  o  b  1  0  r,  S&rajovo  \  Die  Anwendung 
des  Srebrenicaer  Guber-Wassers  bei  i  n  n  e  r  e  n  Krank¬ 
heiten.  ,  .  .  ,  , 

Der  Vortragende  entwickelt  die  Indicationen,  bei  welchen  das 

zu  so  rascher  Popularität  gelangte  Arsen  Eisenwasser  von  Srebrenica 
Anwendung  findet:  bei  Anämieen,  die  verschiedensten  Nervenkrank¬ 
heiten,  Frauenleiden,  Drüsenerkrankungen  u.  s.  w.  Das  Srebrenicaer 
Guber-Wasser  verdankt  seine  Erfolge  nicht  blos  dem  reichem  Gehalte 
an  eigentlich  wirksamen  Bestandtheilen ,  sondern  in  ebenso  hohem 
Masse°  dem  Vorhandensein  von  Componenten,  welche  einen  günstigen 
Einfluss  auf  den  Magen-Darmtract  und  damit  auch  eine  besonders  leichte 
Verträglichkeit  und  gute  Verdaulichkeit  bedingen.  Die  hervorragendsten 
Eigenschaften  des  Guber-Wassers,  den  Magen-Darmtract  nicht  zu  schädigen, 
ja  sogar  durch  Hebung  des  Allgemeinzustandes  günstig  zu  beeinflussen, 
bestimmte  den  Vortragenden,  das  genannte  Mineralwasser  auch  bei 
Herzkrankheiten,  also  bei  Erkrankungen,  bei  welchen  bisher  weder 
Arsen  noch  Eisen  verwendet  wurden,  zur  Anwendung  zu  bringen. 
-Die  Erfolge  sind  so  befriedigend,  dass  Kobler  es  als  ein  sehr  be- 
achtenswerthes  blutregenerirendes,  tonisirendes  und  die  Herzaction  re- 
gulirendes  Mittel  bei  der  Behandlung  der  „blassen“  Form  des  Vitium 
cordis  bezeichnet.  Jedenfalls  gelten  für  das  genannte  Mineralwasser  die 
Contraindicationen,  wie  sie  sonst  für  die  Martialien  und  Arsenpräparate 

bestehen,  in  weitaus  geringerem  Grade. 

Dr.  A.  Bum  (Wien) :  Die  mechanische  Behandlung 

der  Fettleibigkeit.  . 

Der  Einfluss  der  Körperbewegung  auf  den  Organismus  ist  wohl- 
studirt.  Mehr  als  die  Hälfte  des  gesammten  Körpergewichtes  beträgt 
die  durch  zahllose,  viel  verzweigte  Gefässe  ernährte  Skeletmusculatur, 
und  einwandfreie  Thierversuche  lehren  uns,  dass  die  in  der  Musculatur 
enthaltenen,  ein  Drittel  des  Gesammtblutes  repräsentirende  Blut¬ 
menge  während  der  Muskelarbeit  auf  66%  gesteigert  wird.  Die  Arbeits¬ 
hyperämie  der  Musculatur  hat  gleichzeitig  einen  erhöhten  Gaswechsel 
zur  Folge  Mehrverbrauch  an  Sauerstoff,  Mehrbildung  von  Kohlensäure, 
Steigerung  der  Kohlenstoffverbrennung.  Auf  der  Steigerung  der  Oxy¬ 
dationsvorgänge  bei  der  Muskelcontraction,  deren  Wirkung  durch  methodi¬ 
sches  Tiefathmen  erhöht  wird,  beruht  die  vermehrte  Fettverbrennung 

durch  methodische  Muskelarbeit.  . 

Neben  der  Steigerung  der  Kohlenstoffverbrennung  erfolgt  bei 
Muskelarbeit,  zumal  bei  anstrengender,  ungewohnter  Körperbewegung, 
Eiweisszerfall,  der  jedoch  nach  Krummacher  zur  Deckung  der  ge¬ 
leisteten  Arbeit  nicht  hinreicht  und  durch  Zufuhr  stickstottieic  > 
Nahrung  unschwer  ersetzt  werden  kann. 


448 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  10 


Von  minderer  Bedeutung  sind  hier  die  Wirkungen  der  Massage, 
die  jedoch  sowohl  als  Abdomenmassage  (Anregung  der  Darmperistaltik), 
wie  als  allgemeine  Körpermassage  (Begünstigung  der  Perspiratio  inten- 
sibilis,  Depletion  der  Gewebe,  Anregung  der  Diurese)  in  der  Therapie 
der  Obesitas  immerhin  eine  bemerkenswerthe  Rolle  spielt  und  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  (Fettleibigkeit  gelähmter,  schwerer  Arthritiker  etc.)  die 
Gymnastik  zu  ersetzen  berufen  ist.  Bezüglich  der  Leistungen  der 
mechanischen  Behandlung  der  Fettleibigkeit  ist  nicht  die  Wage  allein 
massgebend,  sondern  das  Messband  und  Dynamometer. 

Betreffs  der  speciellen  Indicationsstellung  der  Mechanotherapie 
bei  Lipomatosis  verweist  Vortragender  zunächst  auf  die  prophy¬ 
laktische  Bedeutung  mechanischer  Entfettung  bei  hereditär  belasteten 
Individuen,  bei  welcher  schon  in  früher  Jugend  methodische  Bewegungs¬ 
behandlung  geboten  sei,  ferner  auf  den  Werth  der  Vorbeugung  von 
Fettansatz  bei  jungen  Leuten  mit  frühzeitig  erworbenem  Vitium. 

Die  therapeutischen  Massnahmen  variiren  nach  der  Art  der  vor¬ 
liegenden  Fälle,  für  deren  Gruppirung  Bum  die  klinische  Ein- 
theilung  Noorden’s  in  sonst  gesunde  und  in  mit  Complicationen  seitens 
lebenswichtiger  Organe  behaftete  Fette  acceptirt.  Nach  Besprechung 
der  erstgenannten  Gruppe,  die,  je  nach  der  Differenz  zwischen  Mittel¬ 
gewicht  und  thatsächlich  vorhandenem  Gewichte  in  drei  Stufen  zu 
theilen  sind,  wobei  Vortragender  vor  rascher  Entfettung  der  gering¬ 
gradigen,  aus  kosmetischen  Gründen  Abnahme  verlangenden  Fälle  unter 
Hinweis  auf  die  Gefahren  des  Schwindens  des  mesenterialen  und  peri¬ 
visceralen  Fettes  (Lageveränderungen  der  Organe)  warnt  und  nach 
Betonung  des  intermittirenden  combinirten  Verfahrens  (Balneo-,  Hydro- 
und  Mechanotherapie)  bei  sonst  gesunden  Fettleibigen,  geht  Bum  zur 
Erörterung  des  Werthes  mechanischer  Behandlung  der  wichtigsten 
Complicationen  der  Fettleibigkeit  über,  diejenigen  zumal  für 
die  mechanische  Behandlung  reclamirend,  die  auch  als  selbstständige 
Erkrankungen  zunächst  diese  Therapie  beanspruchen  (Anämie,  Diabetes, 
Arthritiden,  functioneile  Neurosen).  Eingehende  Besprechung  erfahren 
die  Circulationsstör  ungen  Fettleibiger,  die  Arteriosklerose 
und  die  Ilerzadynamie.  Was  die  Freiluftbehandlung  in  der  Therapie 
der  Phthise,  ist  die  mechanische  Behandlung  der  Herzschwäche  Lipo- 
matöser.  Dieselbe  hat  einerseits  der  Mehrbelastung  des  Herzens  mit 
Arbeit  entgegenzutreten,  andererseits  den  Herzmuskel  selbst  zu  kräftigen. 
Der  erstgenannten  Indication  wird  die  Gymnastik  gerecht  durch  Er¬ 
weiterung  der  Stromgebiete  und  hiedurch  bewirkte  Herabsetzung  der 
peripheren  Widerstände  durch  die  Arbeitshyperämie  der  Musculatur, 
andererseits  durch  Erleichterung  der  Saugarbeit  des  Herzens  in  Folge 
Beschleunigung  des  Rückflusses  des  venösen  Blutes  durch  Vertiefung 
der  Respiration,  durch  Ausnützung  des  „Fasciensaugapparates“  bei 
passiven  und  Rollbewegungen  des  Rumpfes  und  der  Extremitäten  und 
durch  Verbesserung  der  B'ut-  und  Lymphbewegung  mittelst  Massage 
der  Extremitäten  und  des  Halses.  Die  Kräftigung  des  Herzmuskels 
durch  Erschütterung  und  Klopfung  der  Herzgegend  und  des  Rückens, 
die  den  schwedischen  Aerzten  seit  Decennien  bekannt  ist,  hat  durch 
II  c  i  1 1  e  r’s  Arbeiten  in  jüngster  Zeit  eine  dankenswerthe  Bestätigung 
und  Deutung  erfahren. 

Zum  Schlüsse  bespricht  Vortragender  die  Technik  der  gym¬ 
nastischen  Behandlung  der  Fettleibigkeit,  für  welche  zunächst  genauest 
zu  dosirende,  alle  Muskelgruppen  abwechselnd  und  gleichmässig  in  An¬ 
spruch  nehmende,  bezüglich  der  Athmung,  des  Tempos  und  der  Zahl 
vorgeschriebene  Widerstandsbewegungen  in  Frage  kommen,  welche, 
Dank  den  in  neuester  Zeit  nach  den  Principien  der  physiologischen 
Schwankungen  des  Kraftmomentes  construirten  Präcisionsapparaten  von 
M  a  x  He  r  z,  welche  die  Muskelarbeit  in  Kilogrammmeter  minutiös 
dosiren,  eine  den  anderen  physikalischen  Heilmethoden  adäquate, 
durchaus  exacte  Methode  darstellen,  ferner  „Förderungsbewegungen“ 
in  Form  von  Rollungen  und  anderen  Bewegungen  der  Gelenke  und 
des  Rumpfes  von  genau  präcisirter  Excursion  und  Dauer,  endlich 
Apparate,  die  passive  Eingriffe,  zumal  Erschütterungen  und  Klopfungen 
des  Thorax,  vermitteln.  Auch  die  Selbsthommungsgymnastik  (Schott), 
welche  der  Herz-  und  Gefässinnervation  dient,  findet  durch  entsprechende 
Apparate  fachgemässe  Anwendung.  Von  allergrösstem  Werthe,  besonders 
für  die  mechanische  Behandlung  von  Complicationen  der  Fettleibigkeit 
mit  Störungen  der  Circulation,  ist  die  exacte  Do  sir  bark  eit  der 
Methode,  die  bei  Sportbewegungen  undurchführbar  ist.  Seinen  Stand¬ 
punkt  in  der  praktisch  wichtigen^ Frage  der  Anwendung  von  Sport¬ 
bewegungen  seitens  Fettleibiger  präcisirt  Vortragender,  wie  folgt: 
\  011  der  Anschauung  geleitet,  dass  jedes,  nicht  genau  dosirbare  und 
vom  Arzte  controlirbare  Agens  von  der  Anwendung  in  der  exacten 
Methodik  auszuschliessen  sei,  kann  Bum  dem  Sport  einen  Platz  unter 
den  therapeutischen  Methoden  der  Obesitas  nicht  einräumen. 
Bei  intactem  Circulationsapparate  und  bei  Fehlen  sonstiger  Complica¬ 
tionen  ist  derselbe  jedoch  immerhin  als  häufig  wünsclienswerthes 
Surrogat  streng  methodischer,  mechanischer  Behandlung  zu  be¬ 
trachten  und  unter  entsprechenden,  gegen  jede  Uebertreibung  gerichteten 


Cautelen  auch  ärztlich  zu  empfehlen.  Bei  Complicationen  der  Fettsucht 
seitens  des  Circulationsapparates  ist  von  den  Sportbewegungen  lediglich 
das  bezügliche  Tempo  und  Arbeitspausen  entsprechend  modificirte 
Bergsteigen  in  der  guten  Jahreszeit  (Oertel)  als  die  sonstigen 
mechanischen  Applicationen  zeitweilig  ablösendes  Verfahren  zu  betrachten 
und  unter  sorgfältiger  Beobachtung  des  Patienten  zu  gestatten,  jede 
andere  Art  der  sportlichen  Bewegung  aber  zu  untersagen. 

Docent  Dr.  D.  K  u  t  h  y,  Budapest :  Beitrag  zur  C  u  r  o  r  t  e- 
hygiene. 

Die  Heilstättenbewegung  der  civilisirten  Erde  bringt  das  Volk 
einer  hygienischen  Denkweise  immer  näher.  Das  fortwährende  Predigen 
über  Luft,  Licht,  Sauberkeit  verfehlt  seine  Wirkung  auf  das  Publicum 
nicht  und  wird  noch  in  absehbarer  Zeit  die  weitesten  Folgen  haben. 
Die  Ansprüche  der  Culturmenschen  sind  zwar  heute  schon  genügend 
gross  und  vielfältig,  in  hygienischer  Beziehung  aber  werden  sich  die¬ 
selben  erst  jetzt,  in  dem  heissen  Kampfe  gegen  die  „menschliche  Phyl¬ 
loxera“  entwickeln. 

Die  hygienischen  Forderungen  der  Curorte  werden  par  excellence 
stets  rigoroser.  Wenn  dem  Laien  einmal  die  Begriffe  über  Contact-, 
Inhalations-  und  Fütterungstuberculose  geläufig  werden,  so  wird  er 
in  den  Curstationen,  welche  er  nun  zu  seiner  Erholung  besucht, 
die  peinlichste  Fürsorge  bezüglich  der  Vermeidung  von  Gesundheits¬ 
schädlichkeiten  auffindeu  wollen. 

Ein  hochwichtiger  Theil  dieser  Fürsorge  ist  die  zweckdienliche 
Vorkehrung  behufs  Sammeln  und  Vernichten  des  Sputums.  Zur  Ver¬ 
nichtung  des  Auswurfes  haben  wir  einfache  Wege  einzuschlagen,  zum 
Sammeln  desselben  dienen  die  verschiedenen  Spucknäpfe,  Spuckfläsch¬ 
chen,  Crachoirs,  Sputum- Bottles. 

Wie  wir  wissen,  sind  die  letzteren  portable,  die  ersteren  fixe 
Apparate.  Unter  den  Taschen-Sputumsammlern  befindet  sich  ein  Modell, 
das  Dettweile  r’sche,  welches  den  Zweckmässigkeitsforderungen  sehr 
gut  genügt.  Ich  muss  aber  gestehen,  dass  mir  ein  allen  Ansprüchen 
genügender  stabiler  Spucknapf  bisher  nicht  bekannt  gewesen  ist.  Ent¬ 
weder  kann  das  Gefäss  nur  schwer  gereinigt  werden,  oder  es  steht 
der  Auswurf  darin  sehr  zur  Schau  getragen,  dann  sind  die  Trichter 
der  Apparate  weit  zu  wenig  steil,  das  gute  Hinabgleiten  des  Sputums 
zu  ermöglichen,  dann  können  auch  vielfach  bezüglich  des  Materiales 
Einwände  gemacht  werden. 

Ich  erlaubte  mir  nun,  einen  Spucknapf  einfachster  Form  zu 
construiren,  von  dessen  Eigenschaften  ich  hoffe,  dass  sie  sich  sowohl 
am  Krankenbette,  als  in  den  Zimmern,  in  Gesellschaftsräumen, 
au  den  Corridoren  und  Promenaden  etc.  wohl  bewähren  werden. 

Dem  Congresse  sollen  die  betreffenden  Modelle  zur  gütigen  Be- 
urtheilung  vorgelegt  werden. 

Dr.  Josef  Schwarz,  Baden  bei  Wien:  Ueber  das  Ver¬ 
schicken  keuchhustenkranker  Kinder. 

Allgemein  wird  bei  Keuchhusten  Luftveränderung  als  das  sicherste 
Mittel  zur  raschen  Abkürzung  des  Verlaufes  gehalten;  und  da  zu 
diesem  Zwecke  die  Kinder  gewöhnlich  in  Curorte  und  Sommer¬ 
frischen  verschickt  werden,  sind  letztere  bei  dieser  Frage  in  hohem 
Masse  tangirt. 

Vortragender  erörtert  den  Gegenstand  vom  Standpunkte  der 
Prophylaxis,  der  Therapie  und  dem  der  Curorte.  , 

Vom  Standpunkte  der  Prophylaxis  wird  auf  das  Schlagendste 
gezeigt,  dass  das  Verschicken  keuchhustenkranker  Kinder  im  crassesten 
Widerspruche  zu  allen  bei  Infectionskrankheiten  gebotenen  prophy¬ 
laktischen  Massregeln  steht.  In  therapeutischer  Beziehung  leugnet  Vor¬ 
tragender  den  der  Luftveränderung  zugeschriebenen  grossen  Werth, 
behauptete  vielmehr  auf  Grund  seiner  Erfahrung,  dass  die  Luftverän¬ 
derung  von  einem  ganz  untergeordneten  minimalen  Einfluss  sei.  Und 
die  Curorte  werden  durch  das  Verschicken  keuchhustenkranker  Kinder 
in  mitunter  sehr  empfindlicher  Weise  geschädigt.  Vortragender  gelangt 
daher  zu  dem  Resultate,  dass  solche  Kinder,  analog  dem  Vorgehen 
bei  anderen  Infectionskrankheiten,  zu  Hause  zu  behalten  seien,  und 
beruft  sich,  bezüglich  der  Ausführbarkeit  dessen,  sowohl  auf  die  Aus¬ 
sprüche  Anderer,  als  auch  auf  eigene  diesbezüglich  gemachte  Er¬ 
fahrung.  Der  Congress  sei  schliesslich  berufen,  zu  dieser  Frage  Stellung 
ZU  nehmen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  11.  Mai  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Oberstabsarztes  Docent  Dr.  Habart 

stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  H.  Benedikt:  Demonstration  von  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bildern. 

2.  Hofratli  Prof.  Schnabel:  Die  glaukomatöse  Sehnervenatrophie. 
Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Professoren:  A.  Politzer, 

Weinlecliner,  A.  Jolles,  llöthi,  Fein,  Englisch  und  Wertheim. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  19. 


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(Crede’s  wasserlösliches  Silbermetall).  Augezeigt  bei  Lymph¬ 
angitis,  Phlegmonen,  allen  septischen  Erkrankungen  (reinen 
und  gemischten),  bei  infectiösen  Magen-  und  Darmerkrankungen, 
sowie  bei  den  Leiden  des  Nervensystems,  wo  Arg.  nitr.  an¬ 
gezeigt  ist.  (Anwendungsform :  In  Lösung,  innerlich  als  Zusatz 
zu  Getränken,  als  Salbe  (Unguentum  Crede)  zur  Silberschmier- 
cur,  als  Pillen,  Stäbchen  etc.) 

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Stark  antiseptisches,  reiz-  und  geruchloses,  ungiftiges  Silber¬ 
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therapie  (speciell  Hornhautgeschwüre),  sowie  für  die  Behand¬ 
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rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  Laffont,  Bulletin  de  l’Aeademie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul;  Dujardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  Purgatifs, 
pag.  104 ;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305 ;  Tison,  Höpital 
St. -Joseph  und  Congres  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ,  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

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80  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  5.  Gastein  von  Dr.  G.  Pröll.  5.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

„  44.  Gastein  von  Dr.  E.  Bunzel.  7.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 
„  111.  Gastein  von  Dr.  A.  Wass ing.  2.  Aufl.  90  kr. —  1  M.  50  Pf. 
„  13.  Giesshübl -Sauerbrunn  von  Dr.  Lösehner  und  Dr.  Willi. 

Gastl.  13.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  34.  Gleichenberg  v.  Dr.  C.  Höffinger.  6.  Aufl.  2  fl.  40  kr. —  4M. 
„  98.  Gleichenberg  von  Dr.  A.  Iväudi.  1  fl.  —  2  M. 

„  8.  Gleichenberg  von  Dr.  C.  Clar.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  1.  Gmunden  von  Dr.  H.  Wolfsgrub  er.  2.  Aufl.  60  kr.  — 

1  M.  20  Pf. 

„  87.  Goisern.  2.  Aufl.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  42.  Görz  von  Dr.  Schatzmeyer.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  53.  Gräfenberg  von  Dr.  Kutschera.  1  fl.  —  2  M. 

y,  79.  G räfenberg  von  Dr.  C.Anjel.  2.  Aufl.  60  kr. —  1  M.  20  Pf. 

„  43.  Gries  von  Dr.  Navratil.  2  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  14.  Hall  von  Dr.  Schuber.  3.  Aufl.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

,.  89.  II  all-les-bains  par  le  Dr.  J.  Rabl.  40  kr.  —  80  Pf. 

,,  17.  Herkulesbad  von  Dr.  A.  Popov iciu.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  99.  Johannisbad  von  Dr.  Fr.  Knaur.  80  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  11.  Ischl  von  Dr.  H.  Kaan.  3.  Aufl.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  95.  Ischl  et  ses  environs  par  le  Dr.  H.  Kaan.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  106.  Italiens  Thermen  von  Dr.  W.  II.  Gilbert.  60  kr.  —  1  M. 
„  59.  Kalsdorfer  Sauerbrunn  von  J.  Karner.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  30.  Kaltenl eutgeben  von  Dr.  W.  Winternitz.  2.  Aufl. 

„  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  67.  Karlsbrunn  von  Dr.  J.  Steinschneider.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  12.  Kärnten  von  P.  v.  Radies.  1  fl.  40  kr.  —  2  M.  80  Pf. 

„  51.  Königswart  von  Dr.  A.  Kohn.  1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40 

»  75.  Korytnica  von  Dr.  G.  Vogel.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

»  73.  K  rapina-Töplitz  von  Dr.  J.  Weingerl.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 


Nr.  65.  Kreuzen  von  Dr.  0.  Fleischander  1.  1  fl.  —  2  M. 

„  23.  Krynica  von  Dr.  M.  Zieleniewsky.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  18.  Leukerbad  von  Dr.  Jos.  v.  Werra.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  57.  Levico  von  J.  Pacher.  50  kr.  —  1  M. 

„  55.  Lipik  von  Dr.  II.  Kern.  2.  Aufl.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  41.  Loeche-les-bains  von  Dr.  Jos.  de  Werra.  50  kr.  —  1  M. 

„  70.  Luhatschowitz  v.  Dr.  F.  Küchler.  2.  Aufl.  70kr. —  1M.40PL 

„  109.  Luhatschowitz  von  Dr.  Spielmann.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 
„  10.  Lussin  von  E.  Gelcich  und  Dr.  Ghersa.  50  kr.  —  1  M. 

„  35.  Marienbad  von  Dr.  Jul.  Sterk.  2.  Aufl.  80  kr. —  1  M.  60  Pf. 

„  97.  Mattigbad  von  Dr.  C.  Staininger.  50  kr.  —  1  M. 

„  2.  Meran  von  Dr.  J.  Pircher.  4.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  50.  Meran  von  Dr.  F.  Kuhn.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  91.  Millstatt  von  Dr.  F.  Pichler.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  81.  Monsummano  von  Dr.  F.  Daubrawa.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  20.  Montecatini  und  Monsummano  von  Dr.  W.  H.  Gilbert. 

70  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  64.  Nervi  von  Dr.  M.  Thilenius.  50  kr.  —  1  M. 

„  39.  Neuhaus  von  Dr.  C.  Paltauf.  3.  Aufl.  80  kr.  —  1  M.  40  Pf. 
„  21.  Ost- u.  Nordseebäder  v.  0.  v.  Balten.  1  fl. 50kr.  —  2M.50Pf. 

„  76.  Pfäfers-Ragaz  von  Dr.  F.  Daffner.  50  kr.  —  1  M. 

„  49.  Pisa  von  Dr.  C.  Schandein.  1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40  Pf. 
„  63?  Pistyan  von  Dr.  v.  Fodor.  3.  Aufl.  50  kr.  —  90  Pf. 

„  71.  Pistjän  von  Dr.  S.  Weinberger.  2.  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  105.  Plattensee-Bäder  (in  englischer  Sprache)  von  Dr.  C. 
Prey  sz.  30  kr.  —  50  Pf. 

„  66.  Pöstjeni  iszafürdö  irta  Dr.  Fodor.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  9.  Pyrawarth  von  Dr.  M.  Bree.  40  kr.  —  80  Pf. 

„  101.  Radein  von  Dr.  J.  Höhn  und  Prof.  Reibenschuh. 
80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

Reichenhall  von  Dr.  Goldschmidt.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 
Rohitsch-Sauerbrunn  von  Dr.  J.  Hoisel.  4.  Aufl.  80  kr. 
—  1  M.  40  Pf. 

Römerbad  von  Dr.  II.  Mayrhofer.  3.  Aufl.  70kr.  —  1  M.  40  Pf. 
„  32.  Roncegno  von  Dr.  C.  Goldwurm  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  104.  Ronneburg  von  Dr.  W.  H.  Gilbert.  70  kr.  —  1  M.  20  Pf. 
„  69.  Roznau  von  Dr.  F.  Koblovsky.  70  kr.  —  1  M.  40  Pf. 

„  16.  Roznauer  Führer  von  Dr.  F.  P  olansky.  3.  Aufl.  50  kr.  —  1  M. 

„  86.  Sangerberg  von  Dr.  H.  Penn.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  15.  Schweizer  Curorte  v.  Dr.  A.  Feierabend.  2.  Aufl.  2fl.  —  4M. 

„  29.  Siebenbürgen  von  Dr.  C.  Sigmund.  2.  Aufl.  1  fl.  80  kr.  — 
3  M.  60  Pf. 

„  103.  Siöfok  am  Plattensee  von  Dr.  Cornel  Preysz.  40  kr.  —  70  Pf. 
„  54.  Steiermärkischeßäderv.  Dr.  A.  Scb  lossar.  1  fl.  50  kr. —  3  M. 
„  33.  Tatzmannsdorf  von  Dr.  L.  Thomas.  50  kr.  —  1  M. 

„  7.  Tepl  itz-  Schön  au  von  Dr.  Samuely.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  48.  Thüringens  Badeorte  von  Dr.  L.  Pfeiffer.  2.  Aufl. 
1  fl.  50  kr.  —  3  M. 

„  88.  Töplitz  inUnterkraiu  von  P.  v.  Radies.  1  fl.  —  2  M. 

„  56.  Trenchin-Teplitz  von  Dr.  S.  Ventura.  7.  Aufl. 

1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40  Pf. 

„  72.  Ungarn.  Les  eaux  minerales  par  Dr.  J.  Hirschfeld. 

1  fl.  20  kr.  —  2  M.  40  Pf. 

„  46.  Veldes  von  Dr.  L.  Germonik.  2.  Aufl.  1  fl.  —  2  M. 

„  96.  Vihnye  von  Dr.  S.  v.  Bole  man.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  27.  Vöslau  von  Dr.  S.  Friedmann.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 

„  3.  Wörthersee  von  E.  Tullinger.  60  kr.  —  1  M.  20  Pf. 


83. 

68. 

62. 


Nr.  26.  „Quellenstudien“  von  P.  v.  Radies.  1  fl.  40  kr.  —  2  M.  80  Pf. 
„  40.  Anleitung  zur  Wahl  der  Curorte  von  Dr.  J.  Meyr. 
2.  Aufl.  2  fl.  —  4  M. 

„  74.  Klimatische  Curen  bei  Lungenkranken.  Von  Dr.  J. 

Schreiber.  80  kr.  —  1  M.  60  Pf. 

„  78.  Wintercuren  an  Schwefelthermen  von  Dr.  A.  Reumont. 

40  kr.  —  80  Pf. 

„  100.  Heilquellen  u.  Curorte  Mitteleuropas.  80  kr. —  1M.60PL 
Höffinger,  Dr.  Karl,  kaiserl.  Rath,  Curarzt  in  Gleichenberg  und  Gries  bei  Bozen.  Gries-Bozen  als  klimatischer,  Terrain -Curort 
und  Touristenstation.  Ein  Begleiter  für  Gurgäste,  Reisende  und  Touristen.  Zweite,  ergänzte  Auflage.  Mit  Illustrationen  und 
Karten.  (Bade-Bibliothek.)  8L  1895.  Cart.  2  fl.  —  3  M.  60  Pf. 

Lang,  Melchior.  Ajaccio  als  klimatischer  Curortund  die  Insel  Corsica.  Mit  einem  Lichtdruck  und  einer  Karte.  8°.  1895.  1  fl.  20  kr.  —  2  M. 

bchwetter,  Anton,  städt.  Lehrer  in  Wien.  Der  klimatische  Höhencurort  Neumarkt  in  Steiermark.  Führer  für  Curgäste  und  Touristen. 

Zweite,  gänzlich  umgearbeitete  und  verbesserte  Auflage.  Mit  einer  Abhandlung:  Ueber  den  Einfluss  des  Höhenklimas  auf  die  Tuber- 
_ culose  von  Dr.  Friedrich  Gauster.  Mit  20  Illustrationen,  Situationsplänen  und  2  Karten.  8°.  1893.  1  fl.  —  2  M. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
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unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Kraflft-Ebing,  L  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Grussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  17.  Mai  1900. 


Nr.  20. 


IITHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  eine  psychisch  bedingte  Störung  der  Defäca- 
tion.  Von  A.  Pick,  Prag. 

2.  Ueber  die  Wiederbelebung  in  Todesfällen  in  Folge  von  Erstickung, 
Chloroformvergiftung  und  elektrischem  Schlage.  Von  Prof.  Dr.  J. 
P  r  u  s,  Director  des  Institutes  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  an  der  k.  k.  Universität  zu  Lemberg. 

3.  Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Erzherzogin  Sophien-Spitales 
in  Wien.  Beitrag  zur  Technik  der  A  1  e  x  a  n  d  e  r’schen  Operation. 
Vom  Abtheilungsvorstande  Primararzt  Dr.  Guido  v.  Török. 


II.  Referate:  Handbuch  der  praktischen  Mediciu.  Von  W.  Ebstein  und 
J.  Schwalbe.  Ref.  v.  Weismayr.  —  I.  Bericht  über  den  Congress 
zur  Bekämpfung  der  Tuberculose  als  Volkskrankheit.  Berlin,  24.  bis 
27.  Mai  1899.  Herausgegeben  von  der  Congressleitung. 
n.  Les  Sanatoria.  Von  J.  A.  Knopf.  Ref.  v.  W  e  i  s  m  a  y  r. 

III.  Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Eingesendet. 

VI.  Vermischte  Nachrichten. 

VII.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Ueber  eine  psychisch  bedingte  Störung  der 

Defäcation. 

Von  A.  Pick,  Prag. 

Mitgetheilt  auf  der  Versammlung  ostdeutscher  Irrenärzte  in  Breslau  am 

24.  Februar  1900. 

Die  wesentlichen  Analogieen  zwischen  den  Functionen 
der  Sphinkteren  der  unteren  Leibesöffnungen,  des  Sphincter 
ani  et  vesicae,  legen  die  Erwartung  nahe,  dass  die  Pathologie 
beider  die  gleichen  functionellen  Störungen  in  die  Erscheinung 
treten  lassen  müsste;  das  ist  jedoch  nicht  allgemein  der  Fall, 
und  gerade  für  diejenige  Form  functioneller  Störung  des  Harn¬ 
lassens,  welche,  seitdem  J  am  e  s  P  a g  e  t  sie  als  »Harnstottern«, 
Guyon  als  »timidite  urinaire«  beschrieben,  den  Urologen  und 
Neurologen  ganz  geläufig  ist,  bietet  die  bisherige  Literatur, 
soweit  ich  sie  überblicken  kann,  nichts  Analoges  im  Gebiete 
der  Störungen  der  Defäcation;  dass  das  Analogon  dazu  in 
der  That  vorhanden,  glaube  ich  durch  die  nachstehende  Mit¬ 
theilung  erweisen  zu  können  Der  Beweis  ist  übrigens  um  so 
leichter,  als  die  beiden  analogen  Erscheinungen  im  Gebiete  des 
Harnlassens  und  der  Defäcation  bei  demselben  Individuum 
nebeneinander  vorhanden  sind. 

Die  erwähnte,  namentlich  bei  Neurasthenischen  vor¬ 
kommende  Störung  der  Harnentleerung,  mit  der  sich  noch 
vor  Kurzem  neuerlich  Guyon  in  den  Annales  des  mal.  des 
Organes  genito-urin.  1893,  pag.  644,  beschäftigt  hat1),  besteht 
bekanntlich  darin,  dass  die  davon  Befallenen  nicht  blos  in 
Gegenwart  irgend  einer  Person  nicht  uriniren  können,  sondern 
dass  sogar  die  dem  Kranken  sich  blos  durch  ein  Geräusch 
verrathende  Anwesenheit  einer  Person  im  Nebenzimmer,  ja 
selbst  der  hlose  Gedanke  an  eine  solche  Nähe  genügt,  um  das 
Harnlassen  unmöglich  zu  machen. 


9  Vgl.  auch  die  zusammenfassende  Darstellung  von  v.  Frankl- 
Hochwart  und  Zuckerkandl  in:  Nothnagel’s  Specielle  Pathologie  und 
Therapie.  1898,  XXX,  II,  1,  pag.  82. 


Die  klinische  Analyse  der  Erscheinung  2)  ergibt,  dass  die 
Störung  darin  besteht,  dass  die  zur  Entleerung  der  Blase 
nöthige  Erschlaffung  des  Sphinkter  nicht  in  normaler  Weise 
eintritt,  weil  die  auf  den  Act  gerichtete  Aufmerksamkeit  diese 
Erschlaffung  verhindert.  Bei  den  in  Rede  stehenden  Kranken 
ist  dieses,  bekanntlich  auch  in  der  Norm  wirksame  Moment  in 
krankhafter  Weise  gesteigert  und  dadurch  die  sonst  unbe¬ 
hinderte  Harnentleerung  nicht  selten  hochgradig,  selbst  bis  zu 
langdauernder  Retention  gestört.  Der  nachstehende  Fall  soll 
nun  zeigen,  dass  auch  der  Act  der  Defäcation  in  der 
gleichen  Weise,  also  in  Folge  psychischen  Einflusses  gestört 
sein  kann. 

Patient  ist  ein  in  den  Fünfziger- Jahren  stehender  pensionirter 
Steuerexecutor,  der  wegen  in  der  letzten  Zeit  autgetretener,  von 
Suicidideen  begleiteter  hypochondrischer  Erregung  zur  Klinik  gebracht 
worden  war.  Den  kurzen  ärztlichen  Angaben  ist  zu  entnehmen, 
dass  er  schon  seit  mehr  als  20  Jahren  wegen  Neurasthenie  in 
Behandlung  steht  und  alle  möglichen  Aerzte  consultirt  hat;  die 
Hauptklagen  beziehen  sich  auf  Schlaflosigkeit  und  Stuhlverstopiung, 
in  der  letzten  Zeit  auch  Ohrensausen,  psychische  Hyperästhesie, 
die  ihm  jeden  Umgang  unmöglich  mache  und  letztlich  auch  zu 
Zornesausbrüchen,  selbst  gegen  die  Frau,  geführt  hatte. 

Bei  der  Aufnahme  erweist  sich  der  Kranke  völlig  klar  und 
gibt  folgende  eingehende  Anamnese: 

Ueber  Heredität  weiss  er  nur  anzugeben,  dass  seine  Mutter 
etwas  nervös  gewesen;  sie  hätte  an  Stuhlbeschwerden  gelitten,  sei 
von  einem  Arzte  zum  andern  gelaufen,  aber  so  wie  er  sei  sie  nicht 
krank  gewesen.  Sein  Hauptleiden  bestehe  darin,  dass  er  nicht  blos 
ganz  allein  sein  müsse,  sondern  auch  Niemanden  in  der  Nähe 
wissen  dürfe,  wenn  er  Urin  lassen  oder  Stuhl  ahsetzen  solle. 

Dieses  Leiden  gehe  schon  in  seine  Jugend  zurück  und  zwar 
begann  es  zuerst  mit  Schwierigkeiten  beim  Absetzen  des  Stuhles; 

2)  Aus  der  Specialliteratur  ist  besonders  heranzuziehen :  Jules 
Janet,  Troubles  psychopathiques  de  la  mictiou.  Essai  de  psycho-physio- 
logie  normale  et  pathologique.  1890. 


450 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


schon  als  14jähriger  Junge,  erinnere  er  sich,  durfte  Niemand  in 
der  Nähe  sein,  wenn  er  Stuhl  haben  sollte;  sowie  er  allein  war, 
stellte  sich  der  Stuhl  sofort  ein;  er  hatte  immer  Angst,  dass  er 
zufällig  von  Jemandem  auf  dem  Abort  getroffen  würde,  »sonst  geht 
die  Geschichte  sofort  zurück;  war  die  Geschichte  heraus,  dann 
war  mir  immer  ganz  wohl«.  Auf  die  Frage,  was  denn  die  Ursache 
war,  dass  er,  wenn  Jemand  dabei  war,  keinen  Stuhl  absetzen 
konnte,  sagt  er:  »Weil  ich  daran  gedacht  habe«.  Er 
erzählt  dann  ausführlich,  unter  welch  schwierigen  Umständen,  da 
er  damals  als  Sattlergehilfe  in  Arbeit  stand,  er  oft  dazu  kam,  allein 
und  ungestört  den  Stuhl  absetzen  zu  können.  Erst  wesentlich 
später,  seiner  Angabe  nach  erst  etwa  zu  26  Jahren,  stellte  sich 
die  gleiche  Erscheinung  beim  Urinlassen  ein;  er  musste  dann  auch 
dabei  allein  sein;  »so  wie  Jemand  dazu  kam,  war  es  schon  weg«. 
Er  vermied  deshalb  möglichst  die  Benützung  öffentlicher  Pissoirs, 
die  er  nur  benützen  konnte,  nachdem  er  abgewartet,  dass  niemand 
Anderer  in  denselben  war;  er  regelte  deshalb  auch  seine  diesbezüg¬ 
lichen  Bedürfnisse  in  genau  von  ihm  detaillirter  Weise  möglichst 
so,  dass  er  dieselben  zu  Hause  befriedigen  konnte. 

Beide  Erscheinungen  hätten  sich  allmälig  immer  mehr  ver¬ 
schlimmert  und  seien  später  andere  Störungen  hinzugetreten;  einer¬ 
seits  leide  er  an  ausserordentlich  häufig  auftretendem  Harndrange; 
je  mehr  er  daran  denke,  umso  ärger  ist  es:  es  tritt  Harnträufeln 
ein,  was  der  Patient  einmal  als  »tripperartig«  bezeichnet  (also  ein 
wirkliches  »Harnstottern«);  andererseits  leide  er  an  permanentem 
Stuhldrange  mit  hartnäckiger  Stuhlverstopfung,  gegen  die  er  alles 
Mögliche  schon  angewendet  habe  und  die  auch  die  Ursache  sei, 
dass  er  jetzt,  auch  allein,  lange  Zeit  auf  dem  Gloset  sitzen  müsse, 
ehe  Stuhl  erfolge. 

Das  eigentliche  Leiden  habe  sich  überdies  noch  hinsichtlich 
der  Defäcation  in  anderer  Weise  verschlimmert;  seit  dem  Jahre  1887, 
also  seit  zwölf  Jahren,  trage  er  einen  grossen  Zettel  mit  sich,  auf 
dem  alle  möglichen  Lotteriecombinatiouen  verzeichnet  sind;  wenn 
er  während  des  Versuches  zum  Stuhlabsetzen  diese  Nummern  lese, 
dann  komme  der  Stuhl.  Auf  die  Frage,  wieso  er  darauf  gekommen, 
sagt  er:  »Wenn  ich  mich  mit  den  Nummern  beschäftigte,  ver- 
g  a s  s  ich  auf  den  Stuhl  und  er  kam  gleich«;  der  von 
ihm  producirte  Zettel  stellt  sich  als  ein  altes  unterklebtes  Ziffern¬ 
tableau  dar,  das  deutliche  Spuren  langjährigen  Gebrauches  an 
sich  trägt. 

ln  den  letzten  Jahren  sei  es  überdies  noch  in  der  Weise 
schlimmer,  dass  schon  die  Vorstellung,  dass  Jemand  in  der  Nähe 
sei,  ihn  am  Absetzen  des  Stuhles  hindere  und  er  habe  deshalb 
auch  schon  die  Wohnung  wechseln  müssen;  selbst  wenn  Jemand 
in  der  Nebenwohnung  Violine  spiele,  könne  »die  Geschichte  nicht 
heraus«.  Ausserdem  klagt  er  über  Unruhe  in  den  Därmen;  der 
Darm  ist  wie  verengt;  früher  hatte  er  »grossen,  offenen«  Stuhl  oder 
keinen,  jetzt  sei  er  nicht,  wie  er  sein  solle;  er  komme  nur  in 
kleinen  Stückchen  oder  schütter,  und  dieser  »schüttere«  Stuhl  ist 
am  ärgsten,  da  ziehen  sich  die  Därme  immer  zusammen.  Alle  die 
erzählten  Umstände  werden  von  seiner  Frau  bestätigt  und  noch 
berichtet,  dass,  als  Patient  vor  vielen  Jahren  mit  Variola  krank 
lag,  er  nur  mit  Mühe  vermocht  werden  konnte,  die  Leibschüssel 
in  Gegenwart  der  Frau  zu  benützen. 

Im  Uebrigen  gibt  Patient  an,  dass  er  im  Alter  von  24  Jahren 
eine  Gonorrhoe  gehabt,  von  der,  was  richtig,  nichts  zurückgeblieben, 
auch  keine  Strictur,  auf  die  er  seines  Harnleidens  wegen  von  ver¬ 
schiedenen  Specialisten  untersucht  worden  sei;  weiter  gibt  er  zu, 
dass  er  in  den  letzten  Jahren  fortwährend  über  sein  Leiden  spe- 
culire;  früher  wäre  das  nicht  der  Fall  gewesen.  Damals  habe  er, 
nachdem  er  sich  wegen  Nervosität  und  Rheumatismus  pensioniren 
liess,  Spaziergänge  gemacht,  Kaffeehaus  besucht;  in  der  letzten  Zeit 
habe  er  das  Alles  aufgegeben  und  sei  zu  Hause  fortwährend  mit 
seinem  Leiden  beschäftigt  gewesen. 

Die  somatische  Untersuchung  ergibt  keinerlei  Abnormität; 
eine  freie  Leistenhernie  hat  er  erst  später  acquirirt,  dieselbe  hat 
nichts  mit  seinem  Leiden  zu  thun.  Besonders  sei  noch  hervor¬ 
gehoben,  dass  local  weder  am  Darm,  noch  an  Blase  oder  Urethra 
etwas  Abnormes  zu  finden  ist  und  dass  auch  der  Urin  sich  als 
vollständig  normal  erweist. 


und  der  Defäcation  ebenso  wie  die  Obstipation  in  der  gleichen 
Weise  an  ihn  beobachtet;  das  Closet  benützt  er  nur,  wenn  er 
dort  ganz  allein  sein  kanu  und  Niemanden  in  der  Nähe  ver- 
muthet;  deshalb  benützt  er  es  auch  am  liebsten  Morgens  oder 
Abends,  wo  auch  der  anstossende  Gang  von  Kranken  frei 
ist.  Nachts  lässt  er  den  Harn  am  liebsten,  wenn  die  Umgebung 
schläft;  ausserdem,  klagt  er  über  alles  Mögliche:  über  Stuhl¬ 
verstopfung  oder  zu  wenig  Stuhl,  über  fortwährenden  Harn¬ 
drang,  auch  bei  nachweislich  leerer  Blase,  über  angebliche 
Schlaflosigkeit,  über  Appetitlosigkeit  und  Blähungen.  Im  Mittel¬ 
punkte  seines  ganzen  Denkens  stehen  aber  die  zuvor  ausführ¬ 
lich  beschriebenen  Erscheinungen. 

Was  diese  nun  betrifft,  so  kann  es  wohl  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  dieselben,  insoweit  sie  das  Uriniren  betreffen, 
völlig  mit  dem  übereinstimmen,  was  Paget  zuerst  als  Harn¬ 
stottern  beschrieben;  der  psychische  Factor  der  Störung,  das 
Fehlen  jeder  somatischen  Grundlage  sind  zu  offenbar,  als  dass 
es  noch  weiterer  Beweise  bedürfte;  überdies  finden  wir  bei 
unserem  Kranken  die  auch  von  Guyon  von  solchen  Kranken 
berichteten  Schmerzen,  die  wie  er  als  differentialdiagnostisch 
hervorhebt,  nicht  mit  dem  Harnlassen  im  Zusammenhänge 
stehen,  vielmehr  neben  demselben  bestehen;  weiter  finden  wir 
bei  ihm  das  von  J.  Janet3)  erwähnte  Symptom  des  gestei¬ 
gerten  Harndranges;  aber  im  vorliegenden  Falle  wenigstens 
ist  die  von  Janet  gegebene  Deutung,  Angst  vor  unwillkür¬ 
lichem  Harnabgänge  und  dadurch  veranlasste  Sphinkter- 
contraction,  offenbar  nicht  aeceptabel,  vielmehr  möchte  ich 
auch  dieses  Symptom  als  ein  psychisches  deuten,  bedingt  durch 
die  fortdauernd  auf  den  Act  des  Harnlassens  gerichtete  Auf¬ 
merksamkeit. 

Ebenso  psychisch  bedingt  erscheint  nun  bei  unserem 
Kranken  auch  die  andere  Störung,  die  der  Defäcation;  die 
völlige  Analogie  mit  derjenigen,  wie  sie  unser  Patient  hin¬ 
sichtlich  des  Urinirens  zeigt  und  wie  sie  seit  Paget  bekannt 
ist,  springt  zu  deutlich  in  die  Augen,  als  dass  es  auch  da 
erst  vieler  Worte  bedurfte;  dass  diese  Analogie  selbst  bis  auf 
scheinbar  nebensächliche  Details  sich  erstreckt,  möge  Nach¬ 
stehendes  beweisen.  Raymond  berichtet  (1.  c.  pag.  750),  dass 
Patienten  mit  »timidite  urinaire«  aus  offenbarem  Verständniss 
für  die  Grundlage  der  Störung  beim  Versuche  zu  uriniren, 
daran  gehen,  etwas  zu  lesen  oder  zu  zählen,  und  dass  damit 
zu  ihrer  Befriedigung  die  Urinentleerung  sich  vollzieht;  und 
nun  sehen  wir  auch  bei  unserem  Kranken  dieses  interessante 
psychische  Moment  zur  Erleichterung  der  Defäcation  in  der 
gleichen  Weise  herangezogen.  Analysiren  wir  die  die  Defäcation 
betreffenden  Erscheinungen,  so  handelt  es  sich  hier  um  eine 
durch  die  Aufmerksamkeit  auf  den  Act  erfolgende  Störung 
in  der  dazu  nothwendigen  Relaxation  der  Sphinkteren,  also  um 
eine  der  Störungen,  die  We  i  r-M  i  t  c  h  e  1 1 4)  im  Allgemeinen 
als  bedingt  bezeichnet  durch  »a  want  of  coordination  of  the 
various  muscles  used  in  defecation«.  Doch  macht  der  genannte 
Autor  von  der  hier  beschriebenen  Störung  keine  Erwähnung 
und  sagt  nur  (1.  c.  pag.  262)  »Hysterical  cases  in  which  the 
extrusive  muscles  act,  but  the  anal  opening  declines  to  yield 
are  most  rare«. 

Im  vorliegenden  Falle  ist  nun  die  Störung  dieser  Coor¬ 
dination  durch  ein  psychisches  Moment  bedingt  (nur  zur  Vor¬ 
sicht  sei  speciell  das  Fehlen  jedes  Zeichens  von  Hysterie 
hervorgehoben),  das  wir  ganz  in  der  gleichen  Weise  auch 
beim  Acte  des  Harnlassens  wirksam  sehen;  erscheint  uns  da¬ 
durch  das  Nebeneinandervorkommen  der  beiden  Störungen  bei 
unserem  Patienten  ohne  Weiteres  verständlich,  so  wirft  sich  da¬ 
gegen  die  Frage  auf,  woraus  sich  das  bekanntlich  so  häufige 
Vorkommen  der  einen  Erscheinung,  die  Seltenheit  der  anderen 
erklären;  man  wird  als  Antwort  dafür  jedenfalls  vor  Allem  die 
differenten  psychologischen  Bedingungen  heranziehen  dürfen, 
unter  denen  die  beiden  in  Betracht  kommenden  Acte  sich  ge¬ 
wöhnlich  vollziehen;  dass  diese  äusseren  Bedingungen  dabei 
eine  entscheidende  Rolle  spielen,  geht  schon  daraus  hervor, 
dass  das  »Harnstottern«  ganz  vorwiegend,  wenn  nicht  aus- 

3)  Nach:  Raymond,  Clinique  des  mal.  du  syst.  nerv.  2.  Serie. 
1897,  pag.  751. 

4)  Lectures  on  dis.  of  the  nerv.  syst.  2.  ed.  1885,  pag.  258  und  261. 


Während  seines  kurzen  Aufenthaltes  auf  der  Klinik 
werden  die  von  ihm  mitgetheilten  Störungen  des  Urinlassens 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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schliesslich  bei  Männern  vorkommt.  Im  Uebrigen  möchte  ich 
gerade  mit  Rücksicht  darauf  bemerken,  dass  ich  gelegentlichen 
Aeusserungen  von  Damen  entnehmen  möchte,  dass  die  hier 
beschriebene  Erscheinung  doch  nicht  so  selten  ist,  wie  es 
nach  dem  bisherigen  Fehlen  einer  Beschreibung  derselben  in 
der  medicinischen  Literatur  den  Anschein  hat,  und  dass 
namentlich  die  so  häufig  aus  dem  jugendlichen  Alter  stammende 
habituelle  Obstipation  durch  jene  Störung  zuweilen  bedingt 
sein  dürfte. 


Ueber  die  Wiederbelebung  in  Todesfällen  in 
Folge  von  Erstickung,  Chloroformvergiftung  und 
elektrischem  Schlage. 

Von  Prof.  Dr.  J.  Prus,  Director  des  Institutes  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  an  der  k.  k.  Universität  zu  Lemberg. 

(Nach  einem  am  11,  November  1899  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in 
Lemberg  abgehaltenen  Vortrage.) 

Wie  es  schon  bekannt  ist,  folgt  mit  der  Sistirung  der 
Athmung  und  der  Herzbewegungen  der  Tod  des  einzelnen 
Individuums.  Von  dieser  Zeit  an  greift  in  dem  todten  Organismus 
eine  Reihe  von  Veränderungen  Platz,  welche  vor  Allem  zur 
vollkommenen  Vernichtung  jeglicher  Erregbarkeit  der  Gewebe 
führen.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  von  dem  Momente 
des  eingetretenen  Todes  an  gerechnet,  die  einzelnen  Gewebe 
ihre  Erregbarkeit  in  verhältnissmässig  ungleicher  Zeit  ver¬ 
lieren.  Am  frühesten  erlischt  die  Erregbarkeit  des  Nerven- 
und  Drüsengewebes,  dann  des  Muskelgewebes,  am  spätesten 
die  Erregbarkeit  des  Bindegewebes.  Die  dem  lebenden  Or¬ 
ganismus  entnommenen  Gewebe  behalten  ihre  Erregbarkeit 
ebenfalls  durch  gewisse  Zeit  und  zwar:  Nerven  und  Muskeln 
bleiben  unter  geeigneten  Bedingungen  mehrere  Stunden  erreg¬ 
bar;  das  einem  Hunde  ausgeschnittene  Herz,  behält  seine 
Erregbarkeit  bis  96  Stunden,  am  längsten  aber  das  Knoipel- 
gewebe,  welches  seine  Lebensfähigkeit  sogar  30  Tage  be¬ 
wahren  kann. 

Gestiizt  auf  das  Princip,  dass  in  dem  Momente  des  ein¬ 
getretenen  Todes  eines  Individuums  die  einzelnen  Gewebe 
ihre  Erregbarkeit  gewisse  Zeit  noch  aufbewahren,  bin  ich  auf 
die  Idee  gekommen,  ob  man  nicht  in  jenen  Fällen,  in 
welchen  der  gesunde  menschliche  Organismus 
aus  irgend  welchen  Gründen  dem  plötzlichen 
Tode  erlegen  ist,  sei  es  durch  Erstickung, 
elektrischen  Schlag,  Chloroformvergiftung, 
oder  durch  andere  Gifte  zur  Wiederbelebung 
schreiten  sollte,  und  zwar  durch  künstliche 
Herstellung  jener  Bedingungen,  unter  welchen 
höhere  Organismen  zu  leben  gewohnt  sind. 

Diese  Bedingungen  wären  gegeben  durch: 
d)  Künstliche  Athmung,  b)  künstliche  Circulation 
des  Blutes;  doch  beide  wären  nur  dann  von  Erfolg,  wenn 
man  zum  Acte  der  Wiederbelebung  zu  einer  Zeit  schreiten 
würde,  in  welcher  die  Erregbarkeit  der  Gewebe,  wenn  auch 
minimal,  noch  erhalten  ist. 

Dies  vorausgesetzt,  muss  man  jetzt  die  Frage  aufwerfen, 
wie  diese  Bedingungen  erfüllt  werden  müssen, 
damit  sie  uns  im  Nothfalle  ja  nicht  im  Stiche  lassen? 

Um  der  Bedingung  d)  vollkommen  zu  entsprechen,  genügt 
nicht  die  Methode  von  Sylvester,  Pazini,  Howard  und 
ähnliche  Verfahren,  deren  wir  uns  gewöhnlich  in  Fällen  des 
Scheintodes  bedienen,  ich  meine  in  Fällen,  in  welchen  die  Herz- 
und  Lungenthätigkeit  für  unsere  Sinne  nicht  wahrnehmbar  ist. 
sondern  es  wäre  in  solchen  Fällen  vor  Allem  die  Tracheotomie 
auszuführen  und  die  Trachea  mittelst  entsprechender  Canule 
mit  einem  Blasebalg  zu  verbinden,  um  mit  Hilfe  des  letzteren, 
ein  entsprechendes  Luftquantum  in  die  Lunge  treiben  zu 
können. 

Was  die  Bedingung  b )  anbelangt,  so  habe  ich  nach 
vielen  experimentellen  Untersuchungen  die  Ueberzeugung  ge¬ 
wonnen,  dass  man  die  künstliche  Blutcirculation 
noch  am  ehesten  und  sichersten  durch  rhythmi¬ 


schen  Fingerdruck  auf  das  blossgelegte  Herz  ein¬ 
leiten  kann,  denn  nur  auf  diese  Weise  ist  es  möglich,  die 
Systole  und  Diastole  des  Herzens  künstlich  zu  erzielen,  somit 
die  Bedingungen  zu  schaffen,  von  welchen  eben  die  Circulation 
des  Blutes  in  erster  Reihe  abhängig  ist. 

Mit  Nachdruck  muss  ich  hier  erwähnen,  dass  die  schon 
früher  von  Prof.  Boehm  angegebene  Methode1),  welche  auf 
der  rhythmischen  Compression  des  unversehrten  Brustkorbes 
beruht,  in  Todesfällen  zur  künstlichen  Circulation  des  Blutes 
weder  bei  Menschen  noch  bei  Thieren  mit  wenig  elastischem 
Thorax  führen  kann,  und  zwar  aus  diesem  Grunde,  weil  die 
Compressibilität  des  Brustkorbes  meistens  viel  zu  gering  ist. 

Die  Experimente,  die  Prof.  Boehm  zum  grössten 
Theile  an  jungen  Katzen  unternahm,  die  er  durch  Kalisalze, 
Chloroform  oder  Verschluss  der  Trachea  zuerst  scheintodt 
machte,  haben  meistens  durch  die  Anwendung  künstlicher 
Athmung  und  der  rythmischen  Compression  des  unversehrten 
Brustkorbes  wohl  zu  einem  positiven  Resultate  geführt;  bedenkt 
man  aber,  dass  Prof.  Boehm  die  Versuche  entweder  sofort, 
oder  höchstens  einige  Minuten  nach  dem  Verschwinden  der 
Pulswelle  am  Kymographion  machte,  also  zu  einer  Zeit,  in 
welcher  die  Herzbewegungen  noch  erhalten  waren,  wenn  auch 
das  Manometer  in  Folge  deren  Schwäche  sie  nicht  mehr 
zeichnen  konnte,  so  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  was  übri¬ 
gens  Prof.  Boehm  selbst  betont,  dass  man  bei  seinen  Ver¬ 
suchen  nicht  von  einer  Wiederbelebung  nach  dem 
wirklichen  Tode,  sondern  nur  von  einem  Erwachen  aus  dem 
Scheintode  sprechen  kann.  Indem  ich  mir  die  specielle 
Besprechung  der  Experimente  Prof.  B  o  e  h  m’s  Vorbehalte,  will 
ich  noch  einmal  ausdrücklich  betonen,  dass  man  bei  einem 
todten  Individuum  die  künstliche  Circulation  des  Blutes  nur 
durch  directe  Compression  des  freigelegten  Herzens  hervor- 
rufen  kann,  wozu  natürlich  die  Eröffnung  des  Brustkorbes  in 
der  Herzgegend,  mit  Intactlassung  der  Pleuren  noth- 
wendig  ist. 

Es  drängt  sich  nun  die  Frage  auf,  wie  man  sich 
am  leichtesten  den  Weg  bahnen  könnte,  um  zum  mensch¬ 
lichen  Herzen  zu  gelangen?  Auf  diese  Frage  kommt  uns  die 
Chirurgie  zu  Hilfe,  indem  sie  uns  Methoden  angibt,  mittelst 
welcher  wir  das  menschliche  Herz  freilegen,  ohne  die  Pleuren 
zu  verletzen.  Es  ist  nicht  meine  Aufgabe,  hier  die  einzelnen 
Methoden  aufzuzählen,  es  genügt  mir,  nur  deren  zwei  be¬ 
sonders  zu  erwähnen,  nämlich  die  1.  von  Hofrath  Professor 
Dr.  R  y  d  y  g  i  e  r  2)  und  2.  von  Docent  Dr.  Wehr.3)  Beide 
diese  bewährten  Methoden  gestatten  uns,  die  Herzgegend  rasch, 
sicher  und  ausgiebig  zu  eröffnen,  so  dass  man  das  mensch¬ 
liche  Herz  dann  bequem  mit  einer  Hand  ergreifen  und 
rhythmisch  comprimiren  kann. 

Um  mich  zu  überzeugen,  ob  die  Idee  betreffs  der 
Wiederbelebung  eines  todten  Individuums  mit  Hilfe  künst¬ 
licher  Athmung  und  künstlicher  Blutcirculation  sich  einmal 
verwirklichen  kann,  habe  ich  eine  Reihe  von  Experimenten 
ausgeführt,  bei  welchen  ich  bestrebt  war,  H  liiere,  die  durch 
Erstickung,  Chloroformvergiftung,  oder  durch  elektrischen 
Schlag  des  Lebens  beraubt  waren,  wiederzubeleben,  indem  ich 
in  verschiedenen  Perioden  des  wirklichen  Todes,  künstliche 
Athmung  und  die  rhythmische  Herzcompression  einleitete. 

1.  Wiederbelebung  nach  Erstickung. 

Die  Versuche  führte  ich  in  folgender  Weise  aus: 

An  einem  lebenden,  vollkommen  gesunden,  entsprechend 
narkotisirten  und  am  Klebs’schen  Tischchen  befestigten  Thiere, 
führte  ich  zuerst  die  Tracheotomie  aus;  die  Halsschlagader 
(Carotis)  vereinigte  ich  mit  einem  Quecksilbermanometer.  An  der 
rechten  Thoraxseite  befestigte  ich  ein  Gummipolsterchen,  das  mil 

>)  Prof.  Dr.  R.  Boehm,  Ueber  Wiederbelebung  nach  Vergiftungen 
und  Asphyxie.  Archiv  für  experimenteile  Pathologie  und  Pharmakologie. 

1877,  Bd.  VIII.  ,  , 

•)  Hofrath  Prof.  Rydygier,  Ueber  Herzwunden.  Wiener  klinische 

Wochenschrift.  1898,  Nr.  47. 

3)  Docent  Wehr,  Ueber  eine  neue  Methode  der  Brustkorberüitming 
zur  Blosslegung  des  Herzens.  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd  LIX, 
Heft  4. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  BKIO. 


Nr.  20 


der  M  a  re  y’ sehen  Trommel  verbunden  war,  um  die  Athembewe- 
gungen  zu  registriren.  Sämmtliche  Blutdruck-  und  Respirations- 
schwankungen  wurden  auf  einen  breiten,  berussten  Papierstreifen 
notirt. 

Derselbe  4 m  lang  und  25— Stic?«  breit,  bewegte  sich  am 
Cylinder  meines  Kymograph  ions,  der  nach  dem  Muster  des 
Her  i  ng’schen  construirt  ist,  da  das  Ludwig’sche  Kymographion 
zu  derartigen  Versuchen  wenig  geeignet  ist.  Sowohl  das  Kymo¬ 
graphion,  als  der  zur  künstlichen  Athmung  dienende  Blasebalg, 
wurden  mittelst  kleiner  elektrischer  Motoren  in  Betrieb  gesetzt. 
Nachdem  ich  vorerst  an  dem  Kymographion  die  normalen  Respira¬ 
tionen  und  den  normalen  Blutdruck  notiren  Hess,  verschloss  ich 
hermetisch  das  Gummiröhrchen,  das  mit  der  in  der  Luftröhre  be¬ 
findlichen  Canute  vereinigt  war.  Von  da  an  begann  das  Ersticken 
des  Thieres  und  das  Manometer  zeigte  eine  Blutdrucksteigerung, 
worauf  in  kurzer  Zeit  bedeutende  Druckschwankungen,  sowie  der 
sogenannte  Vaguspuls,  ferner  Athemnoth  (Dyspnoe)  und  Krämpfe 
auftraten.  Nachdem  letztere  sistirten,  verminderten  sich  allmälig  die 
Respirationen,  der  Blutdruck  fiel  langsam  ab,  endlich  hörte  das 
Athmen  gänzlich  auf  und  gewöhnlich  war  2' — 3'  später  der  Blut¬ 
druck  auf  Null  gefallen  und  an  der  betreffenden  Curve  fehlte  jede 
Spur  der  durch  die  Herzthätigkeit  bedingten  Schwankungen. 

Die  Zeit,  die  seit  dem  Tracheaverschluss  bis  zum  Sistiren 
der  Herzbewegungen  verstrich,  das  ist  die  Zeitdauer  des  Erstickens 
betrug  im  Minimum  4',  das  Maximum  20'.  Die  Erstickungsdauer  er¬ 
streckte  sich  in  den  Einzelversuchen  auf:  4‘,  4'  7",  4'  20",  5' 

in  drei  Fällen;  5' 21",  5'30"  5' 45"  in  zwei  Fällen;  5'  55" 

6'  in  drei  Fällen;  6' 25",  6' 30"  in  zwei  Fällen;  7'  in  sechs 
Fällen;  7' 20",  7' 30",  8'  in  sechs  Fällen;  8' 17"  in  zwei 

Fällen;  8' 38",  9'  in  drei  Fällen;  9' 40"  in  zwei  Fällen;  10', 


10' 34",  11',  13',  20'. 

Die  seit  Aufhören  der  Athmung  bis  zur  Sistirung  der  Herz¬ 
thätigkeit  verstrichene  Zeit  betrug  im  Maximum  5'.  ln  den  Einzel¬ 
versuchen  währte  diese  Zeit  1'  (in  sieben  Fällen);  1 '  7",  1 ' 17", 
1‘  20",  1'  24",  1 ' 30",  1 ' 40",  1 ' 50",  1'  55"  2'  (in  vier  Fällen); 
2'8",  2' 10"  (in  drei  Fällen);  2' 20",  2'25",  2' 30",  2'40"  (in 
vier  Fällen);  2'  50",  3'  (in  zwei  Fällen);  3' 10"  (in  zwei  Fällen); 
3' 17",  3' 24",  3'  50",  5'.  In  zwei  Fällen  hörte  die  Herzaction 
früher  auf,  als  die  Respiration,  und  zwar  in  einem  Falle  um  15", 
im  zweiten  um  2  33"  früher  als  der  letzte  Athemzug. 

Nachdem  die  Athem-  und  die  Herzbewegungen  sistirt  haften, 
eröffnete  ich  den  Brustkorb,  und  zwar  entweder  in  der  Mittellinie 
des  Körpers  nach  Durchsägen  des  Brustbeines,  oder  aber  an  der 
linken  Seite  nach  Durchschneidung  des  zweiten  bis  dritten  Rippen¬ 
knorpels,  dort,  wo  sie  sich  an  den  Rippen  anheften. 

Das  erstere  Verfahren  wendete  ich  in  den  Fällen  an,  wo  es 
mir  nicht  an  der  Erhaltung  des  Thieres  nach  dessen  Wieder¬ 
belebung  gelegen  war;  des  zweiten  Verfahrens  bediente  ich  mich 


hingegen  dort,  wo  die  Thiere  nach  dem  Experimente  noch  längere 
Zeit  leben  sollten.  Nach  sorgfältiger  Besichtigung  des  blossgelegten 
Herzens  und  nachdem  ich  mich  überzeugt  habe,  dass  weder  die 
Kammern  noch  die  Vorkammern  eine  Spur  einer  Bewegung  ver- 
rathen,  dass  also  das  Thier  unzweifelhaft  todt  ist,  wartete  ich 
ruhig  einige  bis  10  und  45  ja  sogar  bis  60',  wobei  ich  stets  das 
freipräparirte  Herz  betrachtete  und  die  Wartezeit  im  Protokolle 
notirte.  Nachher  schritt  ich  an  die  eigentliche  Wiederbelebungs- 
action.  Nachdem  ich  die  Verschlusskappe,  die  den  Luftzutritt  in 
die  Lunge  hinderte,  entfernt  habe,  vereinigte  ich  das  Gummi¬ 
röhrchen  der  Trachealcanule  mit  dem  für  künstliche  Athmung  be¬ 
stimmten  Blasebalg.  Hinzufügen  will  ich  noch,  dass  ich  im  Gummi¬ 
rohr  —  wie  es  gewöhnlich  zu  geschehen  pflegt  —  durch  An¬ 
sohneiden  desselben  in  schieier  Richtung  eine  Oeffnung  geschaffen, 
durch  welche  sowohl  die  überschüssig  eingepumpte  als  auch  die 
ausgeathmete  Luft  frei  entweichen  konnte. 


Nachdem  ich  nun  das  freigelegte  Herz  mit  der  rechten 
Hand  derart  umklammert  habe,  dass  der  Daumen  an  der 
rechten  Kammer  ruhte,  die  übrigen  Finger  die  linke  be¬ 
rührten,  begann  ich  beide  Kammern  mit  massiger  Kraft 
rhythmisch  zu  comprimiren,  und  zwar  so,  dass  ich  Systole  und 
Diastole  nachahmte. 

Sehr  oft  setzte  ich  gleichzeitig  mit  Beginn  der  Herz- 
compressionen  den  Blasebalg  in  Bewegung. 


In  einigen  Fällen  begann  jedoch  das  künstliche  Athmen 
etwas  später  namentlich  um  10",  15"  in  zwei  Fällen,  um 
39",  3'  20"  oder  aber  auch  früher  als  die  Herzmassage  um 
30",  50",  3'. 

Bei  jeder  Herzcompression  stieg  die  Quecksilbersäule  im 
Manometer  um  einige  oder  auch  mehr  Millimeter.  Nach  etlichen 
30 — 60  Compressionen  ruhte  ich  eine  kleine  Weile  aus,  be¬ 
obachtete  dabei  aufmerksam  das  blossliegende  Herz,  worauf 
ich  von  Neuem  beide  Kammern  gleichmässig  zu  comprimiren 
begann,  bis  mich  die  Ermüdung  der  Hand  die  Massage  auszu¬ 
setzen  veranlasst  hatte. 

In  Ausnahmsfällen  traten  schon  nach  14"  in  Folge  der 
Massage  selbstständige  energische  Herzbewegungen  auf;  in 
der  Regel  musste  man  längere  Zeit  fortsetzen  bis  man  solche 
Bewegungen  erzielte. 

Unter  dem  Einflüsse  der  Massage  begannen  gewöhnlich 
die  Ventrikel  straffer  zu  werden,  sowie  eine  hellere  Farbe  an¬ 
zunehmen,  worauf  in  kurzer  Zeit  schwache  selbstständige  Be¬ 
wegungen  der  Vorhöfe  und  dann  erst  schwache  Ventrikel- 
contractionen  bemerkbar  waren.  In  diesem  Momente  begann 
das  Manometer  die  Drucksteigerung  anzuzeigen,  welche  auch 
dann  nicht  bis  auf  Null  zurückging,  als  man  für  eine  Weile 
die  Massage  aussetzte,  sondern  sie  verblieb  bei  einer  gewissen 
Höhe.  Kurz  darauf  trat  wärend  der  Massage  die  erste  ener¬ 
gische  Herzsystole  auf;  selbe  war  nicht  nur  für  den  Finger 
deutlich  fühlbar,  sondern  auch  an  der  Curve  durch  einen  be¬ 
deutenden  Anstieg  notirt.  Unter  dem  Einflüsse  einer  noch 
längeren  Massage  potenzirte  sich  die  Energie  der  Kammer¬ 
systolen  noch  mehr,  so  dass  die  anfangs  langsamen  und  un¬ 
regelmässigen  Herzschläge  immer  frequenter  und  rhythmischer 
wurden  und  endlich  kam  es  dazu  —  dies  ist  wohl  aas  Wich¬ 
tigste  an  der  Sache  —  dass  die  kräftigen  Contractionen  auch 
in  den  Massagepausen  ihre  Energie  nicht  einbüssten. 

Sobald  nach  länger  dauernder  Sistirung  der  Herz- 
compressionen  der  Energie  der  Herzbewegungen  nicht  nach- 
liess  und  der  Blutdruck  immer  mehr  anstieg,  da  war  jede 
weitere  Massage  gänzlich  überflüssig;  sobald  aber  in  den 
Pausen  die  Herzcontractionen  nicht  nur  nicht  stärker,  sondern 
vielmehr  schwächer  wurden,  musste  ich  natürlich  die  Massage 
fortsetzen,  da  sonst  früher  oder  später  die  Herzthätigkeit  völlig 
sistirte,  während  ein  unverdrossenes  F ortsetzen  der  Com¬ 
pressionen  die  Energie  der  Herzschläge  vergrösserte,  so  dass 
es  fast  immer  gelang,  das  Herz  zur  normalen  selbstständigen 
Action  zu  bringen.  Nachdem  die  Herzthätigkeit  einige  Zeit 
selbstständig  angehalten  und  der  Blutdruck  allmälig  angestiegen 
war,  trat  die  erste  selbstständige  Inspiration  auf;  diese  war 
jedoch  so  schwach,  dass  die  Feder  der  M  a  r  ey’schen  Trommel, 
welche  die  durch  die  künstliche  Athmung  bedingten  Thorax¬ 
schwankungen  registriren  sollte,  sie  gar  nicht  verzeichnete. 
Deutlich  jedoch  war  diese  Inspiration  sichtbar  gemacht  auf 
der  Blutdruckcurve;  dieselbe  war  nämlich  etwas  niedriger 
während  der  Inspiration,  um  bald  darauf  ein  wenig  über  das 
frühere  Niveau  zu  steigen.  Sodann  kam  die  zweite  Inspiration, 
diese  war  an  der  Curve  noch  kenntlicher  durch  ein  momen¬ 
tanes  Sinken  des  Blutdruckes  während  der  Inspiration  und 
dai’auf  folgendes  deutlicheres  Ansteigen. 

Der  dritte  Athemzug  war  nicht  blos  an  der  Blutdruck¬ 
curve,  sondern  auch  an  der  Respiration  zum  Ausdruck  ge¬ 
bracht,  man  konnte  überdies  die  Thoraxbewegung  mit  freiem 
Auge  sehen. 

Jede  folgende  Respiration  war  immer  deutlicher  an  der 
Respirations-  und  Blutdruckcurve  notirt. 

Die  ersten  Athembewegungen  kamen  lediglich  durch 
Zwerchfellwirkung  zu  Stande  an  den  späteren  hingegen  be¬ 
theiligten  sich  auch  die  Thoraxmuskeln. 

Sobald  die  Respirationen  einige  Zeit  selbstständig  ange¬ 
halten  haben,  war  das  künstliche  Athmen  überflüssig,  natürlich 
nur  in  den  Fällen,  wo  der  Brustkorb  links  eröffnet  wurde, 
also  bei  einseitigem  Pneumothorax. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Wiederbelebung  beginnt  das 
Thier  auf  unsere  Reize  zu  reagiren,  die  Augenlider  schliessen 
sich  reflectorisch  bei  Berührung  der  Cornea,  die  Pfote  wird 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


bewegt  beim  Stechen  der  Solllengegend  und  die  Pupille  con- 
trahirt  sich  auf  grellen  Lichtreiz. 

Hierauf  beginnt  das  Thier  diverse  Bewegungen  auszu¬ 
führen  und  das  Bewusstsein  wieder  zu  erlangen.  In  den  Fällen, 
bei  denen  seit  Sistirung  der  Herzaction  bis  zu  Beginn  der 
Herzmassage  eine  längere  Frist  verstreicht,  müssen  wir 
manchmal  das  Herz  1 — 2h  massiren,  um  hinreichend  kräftige 
und  selbstständige  Bewegungen  zu  erzielen,  wenn  auch  die 
ersten  Spuren  solcher  Bewegungen  —  besonders  an  den  Vor¬ 
höfen  —  sehr  früh  zum  Vorschein  kommen. 

Am  schwierigsten  ist  das  Herz  zu  einer  selbstständigen 
Function  zu  bewegeD,  sobald  in  Folge  der  Massage  fibrilläre 
der  peristaltischen  ähnliche  Zuckungen  (Delirium  cordis)  auf- 
treten. 

Die  Zeitdauer,  welche  seit  Sistirung  der 
Herzaction,  also  seit  dem  Eintritte  des  Todes 
bis  zum  Beginne  der  directen  Herzmassage  ver¬ 
strich,  betrug  in  den  44  Versuchsfällen  im  Mini¬ 
mum  F,  im  Maximum  lh  .  Und  zwar  dauerte  es:  in  drei 
I  ällen  je  1',  F  30",  2';  in  acht  Fällen  je  3',  3' 20";  in  zwei 
Fällen  3' 30",  3' 49",  4' 30",  4' 40";  in  vier  Fällen  5',  5' 30", 
5' 50";  in  drei  Fällen  6',  7' 27",  8';  in  fünf  Fällen  je  10';  in 
zwei  Fällen  je  15',  16',  30',  40',  45',  50',  lh  (in  zwei  Fällen). 

Die  Zeit,  die  erforderlich  war,  vom  Beginn  der  Massage 
bis  zu  den  ersten  selbstständigen  Contractionsspuren  betrug 
im  Minimum  14",  im  Maximum  lh  47',  und  zwar:  14",  30" 
(in  zwei  Fällen),  35",  45"  (in  zwei  Fällen),  50",  53",  55", 
56",  58",  F  (in  zwei  Fällen),  1'30"  (in  vier  Fällen),  1 ' 47", 
2',  2' 30"  (in  zwei  Fällen),  2' 34,  2' 35",  2' 40",  2' 51",  3', 
5',  6',  10'  (in  zwei  Fällen),  11' 34",  12',  13'  30",  13' 41",  15', 
36',  51' 30",  lh ,  lh  34',  lh  47".  In  einem  Falle  erschien 
nicht  die  leiseste  Spur  einer  Herzcontraction,  ungeachtet  dessen, 
dass  die  Herzmassage  lange  Zeit  fortgesetzt  wurde.  In  drei 
Fällen  sind  nur  fibrilläre  Zuckungen  aufgetreten. 

Die  selbstständige,  regelmässige  und  energische  Herz¬ 
action  ist  in  32  Fällen  in  einer  Versuchsreihe  von  44  Ex¬ 
perimenten  aufgetreten  —  in  acht  Fällen  dagegen  konnte  man 
die  energische  Herzthätigkeit  nicht  erwecken,  obwohl  schwache 
rythmische  Contractionen  des  Herzens  zum  Vorschein  kamen, 
während  in  vier  Fällen  (wie  ich  schon  oben  erwähnt  habe) 
überhaupt  keine  Spur  von  rhythmischen  Herzbewegungen  er¬ 
schienen  ist. 


Die  Z  'it,  die  erforderlich  war  bis  zum  Auftreten  der 
regelmässigen  energischen  Herzthätigkeit,  schwankte  zwischen 
14"  bis  lh  50',  und  zwar  dauerte  es:  14",  30"  (in  zwei  Fällen), 
45",  50",  55",  F  (in  zwei  Fällen),  1' 10",  F  15",  F30",  2'  (in 
drei  Fällen),  2' 30".  2' 35",  2' 51",  3' 2",  6',  7',  10',  12', 
13' 41",  14'.  16',  24' 47",  26',  51'  30",  58'/  lh  1' 17", 
lh  40",  lh  50'. 


Die  Zeit,  die  verflossen  seit  dem  Auftreten  der  ersten 
Herzcontractionen  bis  zum  Eintreten  der  selbstständigen, 
vollkommen  regelmässigen  Herzthätigkeit,  betrug  in  diesen 
32  Fällen  im  Minimum  0,  im  Maximum  lb  26' 30",  und  zwar 
in  14  Fällen  war  diese  Zeit  gleich  Null,  das  heisst  mit  dem 
Auftreten  der  ersten  Bewegungsspuren  begann  auch  die  regel¬ 
mässige  Herzaction,  während  es  in  anderen  Fällen  dauerte: 
12",  28",  30",  40",  F4",  1'  15",  2',  4',  5'7",  6',  8',  8' 30".  11', 
16',  22',  23',  49' 17",  lh26'30". 

Die  Zeit,  die  verflossen  seit  dem  Auftreten  der  ersten 
Herzcontractionen  bis  zum  ersten  selbstständigen  Athemzug 
betrug  in  Minimum  0  (das  heisst  die  Inspiration  trat  gleich¬ 
zeitig  mit  der  ersten  Herzsystole  auf)  im  Maximum  lh  46' 43", 
und  zwar  dauerte  es:  0"  (in  zwei  Fällen),  10",  30",  1' 19", 
F 25",  F 26",  1'  30",  2',  2‘30"  (in  zwei  Fällen),  2'43",  2' 55", 
3',  3'  5",  3'  15",  3'  30"  (in  zwei  Fällen),  3' 45",  4',  4'  4",  5'  1",  9'. 
10',  10'  20",  1F,  12'  7",  13',  24',  35'  25",  37',  lh46'43. 

In  manchen  Fällen  kehrte  die  erste  Inspiration  wieder 
vor  der  selbstständigen  Herzaction,  und  zwar  um  10",  7' 56", 
28',  lh  28". 


In  jenen  Fällen,  wo  es  mir  darum  zu  thun  war,  das 
Thier  nach  der  Wiederbelebung  weiter  am 
Leben  zu  erhalten,  machte  ich  alle  operativen 
Eingriffe  unter  aseptischen  Cautelen.  Nachdem 


ich  zwei  bis  drei  Rippenknorpel  an  der  Stelle  ihres  Ansatzes 
an  die  eigentlichen  Rippen  durchschnitten  und  hiedurch  den 
Brustkorb  eröffnet  hatte,  legte  ich  sowohl  an  jedem  Rippen¬ 
knorpel  als  auch  an  jeder  zugehörigen  Rippe  eine  feste  Seiden  - 
ligatur  an,  einerseits  um  die  Intercostalarterien  zu  unterbinden, 
andererseits  um  nach  der  Wiederbelebung  des  Thieres  die 
Rippen  und  deren  entsprechende  Knorpel  vermittelst  dieser 
Seidenfaden  miteinander  zu  verbinden.  Mit  besonderem  Nach¬ 
drucke  muss  ich  erwähnen,  dass  bei  dieser  Methode 
der  Thoraxöffnung  die  Herzmassage  schwieri¬ 
ger  ist,  indem  man  hiebei  nicht  die  ganze  Hand,  sondern 
blos  den  Zeige-  und  Mittelfinger,  höchstens  den  vierten  und 
den  kleinen  Finger  in  das  Innere  des  Brustkorbes  einführen 
kann,  während  der  Daumen  ausserhalb  desselben,  und  zwar 
auf  das  Brustblatt  gestützt,  sich  befinden  muss.  Unter  solchen 
Umständen  kann  die  Herzmassage  nur  so  vor  sich  gehen,  dass 
man  nur  die  linke  Kammer  mit  den  Fingern  comprimirt  und 
gleichzeitig  bestrebt  ist,  die  rechte  an  das  Brustblatt  anzu¬ 
drücken.  Trotz  dieser  Schwierigkeiten  ist  mir  häufig  die 
Wiederbelebung  gelungen. 

Sobald  die  selbstständige  Lungen-  und  Herzthätigkeit 
regelrecht  vor  sich  ging,  nähte  ich  zuerst  die  Wunde  am 
Brustkorb,  hierauf  entfernte  ich  die  Trachealcanule  und  nach 
Anlegung  einer  exacten  Naht  an  der  Trachea  unterband  ich 
die  Halsarterie,  um  das  Manometer  beseitigen  zu  können. 

Nachdem  ich  die  Wunde  am  Halse  sorgfältig  zugenäht, 
habe  ich  das  Thier  vom  Tischchen  losgebunden  und  es 
freigelassen,  indem  ich  dafür  sorgte,  dass  das  Thier  eine  ge¬ 
wisse  Zeit  in  einem  gut  gewärmten  Zimmer  sich  befinde.  In 
Ausnahmsfällen  hat  sich  das  Thier  nach  der  Wiederbelebung 
sehr  rasch  erholt,  und  zwar  so,  dass  es  schon  einige  Minuten 
nach  dem  Abbinden  herumlaufen  konnte. 

Meistens  ist  aber  vorgekommen,  dass  das  Thier  innerhalb 
der  ersten  Stunde  nach  der  Wiederbelebung  kaum  den  Kopf 
zu  erheben  oder  von  einer  liegenden  in  sitzende  Position  über¬ 
zugehen  vermochte. 

Erst  später  konnte  das  Thier  sich  auf  die  vorderen, 
schliesslich  auch  auf  die  Hinterpfoten  stellen.  Der  Gang 
des  Thieres  war  anfangs  wankend,  es  ist  leicht  umgefallen, 
beim  kleinsten  Hinderniss  stolperte  es,  später  aber  hat 
es  schon  alle  Bewegungen  ohne  Mühe  ausgeführt. 

Bei  44  Experimenten  ist  die  Wiederbelebung 
in  31  Fällen  gelungen,  also  in  70ü/o  aller  Ver¬ 
suche.  Bedenkt  man,  dass  in  13  Fällen,  bei  welchen  die 
Wiederbelebung  misslang,  die  Eröffnung  des  Brustkorbes  seit¬ 
wärts  durch  den  Schnitt  der  Rippenknorpel  geschah,  so  kann 
man  zugeben,  dass  der  Procentsatz  der  günstigen  Fälle  viel 
höher  wäre,  wenn  ich  in  jenen  Fällen  die  Herzmassage  so  ener¬ 
gisch  hätte  anwenden  können,  wie  in  den  Fällen  der  Eröffnung 
des  Brustkorbes  mit  dem  Durchsägen  des  Brustbeines.  Be¬ 
züglich  dieser  13  Versuche,  bei  welchen  die  Wiederbelebung 
misslang,  muss  ich  wohl  bemerken:  dass  1.  in  sechs  Fällen 
die  selbstständige  Athmung,  nicht  aber  die  selbstständige 
reguläre  Herzaction,  dass  2.  bei  einem  Falle  in  Folge  der 
Herzmassage  und  künstlicher  Athmung  nur  die  selbstständige 
reguläre  Herzaction  nicht  aber  die  selbstständige  Athmung 
wiederkehrte,  dass  3.  bei  zwei  Fällen  mir  nicht  gelungen  ist 
weder  selbstständige  Alhembewegungen  noch  die  reguläre 
Herzaction  zu  erregen,  wiewohl  beide  Vorhöfe  und  beide 
Kammern  in  schwacher  rhythmischer  Systole  begriffen  waren, 
dass  4.  in  drei  Fällen  nur  fibrilläre  Zuckungen  des  Herz¬ 
muskels  und  kein  selbstständiges  Athmen  aufgetreten  ist  und 
dass  5.  in  einem  Falle  weder  der  Athem  noch  irgend  welche 
Bewegungen,  wie  fibrilläre  Zuckungen  des  Herzens  er¬ 
schienen  sind. 

Von  31  wiederbelebten  Hunden,  tödtete  ich 
19  nach  Beendigung  des  Experimentes,  und  zwar 
deshalb,  weil  ich  in  diesen  Fällen  den  Brustkorb  mittelst 
Durchsägen  des  Sternums  in  der  Mittellinie  eröffnet  habe  und 
durch  den  so  entstandenen  beiderseitigen  Pneumothorax  die 
Möglichkeit,  das  Thier  längere  Zeit  beim  Leben  zu  erhalten, 
ausgeschlossen  habe;  denn,  wenn  auch  das  Thier  nach  der 
Wiederbelebung  eine  selbstständige  energische  Herzaction  hatte 


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und  auch  sehr  energische  selbstständige  Athembevvegungen 
ausführte,  musste  es  nach  Sistirung  künstlicher  Athmung  in 
kurzer  Zeit  wieder  zu  Grunde  gehen,  und  zwar  durch  Er¬ 
stickung  in  Folge  des  beiderseitigen  Pneumothorax. 

Der  Zweck  dieser  Experimente  war  vor  Allem  d  i  e  B  e- 
stimmung  derZeitdauer,  welche  man  von  dem 
Momente  des  eingetretenen  Todes  eines  Thieres 
ab  warten  kann,  um  die  erfolgreiche  Action  der 
Wiede  rbelebung  vorzu  nehmen. 

Als  ich  am  11.  November  1899  in  der  Lemberger  Aerzte- 
Gesellschaft  über  meine  Experimente  Bericht  erstattete,  konnte 
ich  bestimmt  sagen,  dass  man  ein  Thier  sogar  noch 
15  Minuten  nach  dem  Tode  mittelst  meiner  Me¬ 
thode  wieder  beleben  kann. 

Wenn  diese  Worte  motivirt  durch  eine  Reihe  specieller 
Untersuchungen  und  gestützt  auf  entsprechende  Demonstrationen, 
damals  das  ganze  Auditorium  in  Staunen  gesetzt  haben,  so 
fühle  ich  heute  umso  grössere  innere  Befriedigung  von  meiner 
Arbeit,  da  ich  das  Resultat  meiner  weiteren  Experimente  mit¬ 
theilen  kann,  welche  erwiesen  haben,  dass  sogar  noch 
eine  Stunde  nach  dem  eingetretenen  Tode  eines 
Thieres  man  es  noch  wieder  beleben  kann,  und 
zwar  mit  Hilfe  der  Massage  des  freigelegten 
Herzens,  der  künstlichen  Athmung  und  der  In¬ 
fusion  von  Kochsalzlösung.  In  diesen  Fällen  führte 
ich  sowohl  die  Herzmassage,  wie  auch  die  künstliche  Athmung, 
beständig  längere  Zeit  aus,  ausserdem  aber  injicirte  ich  in  das 
centripetale  Ende  der  Arteria  femoralis  in  gewissen  Zeit¬ 
abschnitten  50—  100  cm3  physiologischer  Kochsalzlösung  aus 
der  Burette,  um  die  künstliche  Circulation  desto  sicherer  zu 
erhalten. 

Hier  muss  ich  erwähnen,  dass  die  Indication  zur  Koch¬ 
salzinfusion  der  Grad  der  Blutfüllung  des  Herzens  ist. 

Je  weniger  Blut  das  Herz  enthält,  umso  eher  müssen  wir 
die  Kochsalzinfusion  vornehmen,  denn  es  ist  klar,  dass  auch 
die  stärkste  Massage  eines  mit  einem  winzigen  Blutquantum 
gefüllten  Herzens  die  Circulation  des  Blutes  nicht  im  Gang 
erhalten  kann. 

Weiters  muss  ich  erwähnen,  dass  die  Kochsalzinfusion  in 
die  Halsvene  viel  weniger  zum  Ziele  führt,  als  die  Infusion  in 
das  centripetale  Ende  der  Femoralarterie,  von  wo  aus  die 
Kochsalzlösung  gemischt  mit  Arterienblute  leicht  in  den  An¬ 
fang  der  Aorta  und  dann  in  die  Kranzarterien  des  Herzens 
gelangt;  die  Erhaltung  der  Circulation  in  den  Kranzarterien 
hingegen  hat  für  die  Erregung  der  selbstständigen  Herzaction 
die  grösste  Bedeutung. 

Die  Erfahrung  hat  mich  ausserdem  gelehrt,  dass  die 
Kochsalzinfusionen  in  die  Halsvene  sogar  mit  einer  gewissen 
Gefahr  verbunden  sind,  denn  sie  geben  sichtlich  den  Grund 
zur  Entstehung  des  intensiven  Lungenödems. 

Endlich  muss  ich  hervorheben,  dass  ich,  gestützt  auf  die 
Experimente  Sch  ticking’s  (Therapeutische  Monatshefte. 
1899,  Nr.  12),  bei  Kochsalzinfusionen  den  Zusatz  von  0  03% 
Natrium  saccharatum  für  vortheilhaft  halte,  das  im  Blute  unter 
dem  Einflüsse  der  Kohlensäure  sich  in  Natron  carbon,  und 
Zucker  spaltet  und  die  Kohlensäure,  ohne  gleichzeitig  das 
Leben  der  Gewebe  zu  gefährden,  bindet. 

Also  bei  der  Anwendung  dieser  Methode  der  Wiederbe¬ 
lebung  erhielt  ich  ein  positives  Resultat  sogar  in  jenem  Falle, 
bei  welchem  von  dem  Momente  der  Sistirung  jeder  Herzbe¬ 
wegung  in  Folge  der  Erstickung  des  Thieres  bis  zur  Vor¬ 
nahme  der  Herzmassage  und  künstlicher  Athmung  eine  volle 
Stunde  verstrich.  In  diesem  Falle  eben  trat  nach  einstündiger 
(genau  lh  P  17")  Massage  die  selbstständige  reguläre  energische 
Herzaction  auf,  worauf  mehr  weniger  in  einer  Stunde  (57' 26") 
unter  dem  Einflüsse  fortdauernder  künstlicher  Athmung  und 
immer  energischerer  selbstständigerer  Herzaction  die  selbst¬ 
ständige  regelmässige  Respiration  auftrat.  Im  Laufe  der  nächsten 
(also  der  dritten)  Stunde  kehrten  die  Haut-  und  Cornealreflexe 
und  zuletzt  auch  die  spontanen  Bewegungen  wieder.  Nachher 
wurde  der  Hund  getödtet,  weil  der  Brustkorb  in  der  Mittel¬ 
linie  geöffnet  worden  war. 


Von  zwölf  Hunden,  welche  ich  nach  der 
Wiederbelebung  beim  Leben  liess  und  bei 
welchen  ich  den  Brustkorb  seitwärts  er  öffnete, 
lebt  bis  jetzt  einer,  dagegen  sind  neun  Hunde 
in  Folge  der  Infection,  zwei  in  Folge  des  inten¬ 
siven  Lungenödems  zu  Grunde  gegangen. 

Jener  Hund,  welcher  nach  der  W  i  e  d  e  r  b  e  1  e  b  u  n  g 
bis  jetzt  lebt  und  welchen  ich  in  der  Sitzung  der  Aerzte- 
gesellschaft  am  11.  November  1899  demonstrirt  habe,  wurde 
am  14.  Juni  1899  durch  Erstickung  getödtet.  Von  dem  Mo¬ 
mente  des  Verschlusses  der  Trachea  bis  zum  letzten  Athem- 
zuge  sind  3'  15",  bis  zur  Sistirung  der  Herzbewegungen  5' 45" 
verflossen,  das  Herz  hat  somit  zu  schlagen  aufgehört  2'  30" 
später  als  die  Athmung.  Die  Frist  des  Todes,  oder  mit 
anderen  Worten  die  Zeit,  welche  verstrich  seit  Sistirung  der 
Herzthätigkeit  bis  zum  Beginne  der  Massage  und  künstlichen 
Athmung  am  Versuchsthiere  betrug  6'.  Nach  2x/%  lang 
dauernder  Massage  und  künstlicher  Respiration  erschienen  die 
ersten  Herzcontractionen  und  eine  halbe  Minute  später  der 
erste  selbstständige  Athemzug;  nach  weiteren  5'  wurde  die 
Thoraxwunde  zugenäht,  eine  Viertelstunde  hierauf  die  Tracheal- 
canule  entfernt  und  die  Trachea  geschlossen,  worauf  nach 
weiteren  5'  die  Halsarterie  unterbunden,  das  Manometer  be¬ 
seitigt,  die  Hals  wunde  vernäht  und  der  Hund  vom  Operations¬ 
tisch  losgebunden.  Die  Untersuchung  des  Hundes  ergab:  Die 
Athmung,  der  Puls,  Cornea-  und  Hautreflexe,  sowie  die  Reaction 
der  Pupillen  auf  Licht  normal,  hingegen  eine  Steigerung  der 
Sehnenreflexe;  der  Hund  liegt  im  Allgemeinen  ruhig,  nur  von 
Zeit  zu  Zeit  bewegt  er  schwach  den  Kopf  oder  die  Pfoten. 
Die  Körpertemperatur,  die  eine  halbe  Stunde  nach  dem  Los¬ 
binden  im  Mastdarm  gemessen  wurde,  belief  sich  auf  3P5°C. 

Im  Laufe  des  ersten  Tages  nach  der  Operation  pflegte 
das  Thier  vorwiegend  zu  schlafen,  nur  traten  zeitweise  leichte 
Zuckungen  klonischer  Natur  auf  und  zwar  überwiegend  in 
den  Vorderbeinen.  Diese  Zuckungen  ähneln  besonders  den 
Schüttelfrösten.  Das  Seh-  und  Hörvermögen  sind  in  hohem 
Grade  beeinträchtigt.  Am  zweiten  Tage  verlässt  wohl  das  Thier 
seinen  Käfig,  allein  der  Gang  ist  noch  langsam  und  unsicher, 
die  Hinterpfoten  sind  wesentlich  schwächer  als  die  vorderen. 
Im  Urin  war  eine  grosse  Menge  von  Uraten  und  eine  Spur 
von  Albumen  und  Zucker.  Die  Temperatur  betrug  32'5°  C. 
Am  dritten  Tage  traten  blutige  Stühle  auf,  sonst  verhielten 
sich  die  Hunde  ruhig,  der  Gang  sowie  das  Gehör  sind  regel¬ 
recht,  nur  das  Sehvermögen  ist  noch  etwas  beschränkt.  Während 
am  sechsten  Tage  die  Wunde  am  Halse  fast  verheilt  war, 
eiterte  die  am  Thorax  recht  stark,  so  dass  man  sie  mit  Bor¬ 
wasser  ausspritzen  und  mit  Gaze  tamponiren  musste;  nach 
drei  Wochen  war  sie  endlich  ganz  zugeheilt.  Am  16.  Juli  1899, 
also  genau  einen  Monat  nach  dem  vorgenommenen  Experi¬ 
mente,  warf  die  Hündin  vier  gesunde  Junge.  Sie  lebt  übrigens 
bis  heute  (d.  i.  also  über  acht  Monate)  und  ist  vollkommen 
gesund. 

Von  den  neun  Hunden,  welche  nach  der 
Wiederbelebung  an  der  Infection  zu  Grunde 
gingen,  lebte  einer  fünf,  drei  je  drei,  einer  einen 
Tag,  zwei  je  einen  halben  Tag,  zwei  lebten  blos 
je  einige  Stunden.  Zwei  Hunde  sind  unter  den 
Erscheinungen  eines  acuten  Lungenödems  im 
Laufe  der  ersten  Stunden  nach  dem  Losbinden 
vom  Klebs’schen  Tisch  gestorben. 

Wenn  auch  von  den  zwölf  Hunden,  an  deren  Erhaltung 
mir  gelegen  war,  derzeit  nur  einer  lebt,  verliert  meine  Methode 
der  Wiederbelebung  trotz  dieses  geringen  Procentsatzes  (d.  i. 
8'33%)  nichts  an  ihrer  Bedeutung.  Erwägt  man  nämlich,  dass 
die  Todesursache  der  wiederbelebten  Thiere  die  Infection  war, 
so  muss  man  zugestehen,  dass  der  Procentsatz  auf  83'33% 
gestiegen  wäre,  sobald  man  jener  irgendwie  Einhalt  gethan 
hätte.  Auf  der  beiliegenden  Tafel  I  sind  Experimente  über  die 
Wiederbelebung  nach  Erstickung  zusammengestellt. 

Meine  Experimente  beweisen,  dass  man 
durch  Erstickung  getödtete  Thiere  wieder 
beleben  kann,  und  zwar  auch  dann,  wenn  der  Tod 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


455 


Tafel  I.  Wiederbelebung  nach  Erstickung. 


Laufende  Zahl 

Zeitdauer  des 
Erstickens 
bis  zum 

Beginn  der 
directen  Herz¬ 
massage 
seit  dem 

Beginn  der  künst¬ 
lichen  Respiration 

Die  ersten  selbst¬ 

ständigen  Herzcon- 
tractionen  sind 

zurückgekehrt 

Die  regelmässige 

und  energische 

Herzaction  ist 

zurückgekehrt 

Die  natürliche 
Respiration  ist 
zurückgekehrt 

Ist  die  Wiederbelebung 

gelungen? 

Eröffnung  des  Brustkorbes  iu  der 

Mittellinie  (M),  von  der  Seite  (8) 

Das  Thier  lebte  nach  der 

Wiederbelebung 

Anmerkung 

Aufhören  der 
Athmung 

Aufhören  der 
Herzthätigkeit 

Aufhören  der 
Herzbewegungen 

- 1 

Aufhören  der 
Athmung 

seit  dem  Auf¬ 

hören  der 
Herzbewegungen 

— 

seit  dem  Auf¬ 

hören  der 
Athmung 

seit  dem  Be¬ 

ginne  der 
Herzmassage 

nach  dem  Be¬ 

ginne  der  Herz¬ 
massage 

nach  dem 

Wiederbeginne 

der  Herz¬ 

thätigkeit 

nach  dem  Beginne 
der  Herzmassage 

1 

7' 

8'  17" 

2'  17" 

I 

1'  15" 

2'  32" 

15" 

58" 

1'  10" 

5'  59" 

5'  1" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

2 

5'  30" 

6'  30" 

1' 

2' 

1' 

2' 

gleich- 

13'  30" 

H  40' 

42'  30" 

28' 

ja 

S 

'/•2  Stunde 

Oedema  pulm. 

zeitig 

vor 

acutum. 

3 

3' 

6' 

1' 

4' 

1' 

4' 

gleich- 

45" 

2' 

4' 

3'  15" 

ja 

s 

— 

Getödtet. 

zeitig 

4 

7' 10" 

9' 

1'  30" 

3'  20" 

1'  30" 

3'  20" 

gleich- 

55" 

55" 

4' 

3'  5" 

ja 

s 

— 

Getödtet. 

zeitig 

5 

7' 

8' 

2' 

3' 

2'  30" 

3'  30" 

30" 

50" 

50" 

2'  15" 

1'  25" 

ja 

s 

3  Tage 

Infection. 

6 

7' 30" 

9'  40" 

3' 

5'  10" 

3' 

5'  10" 

gleich- 

1' 

1' 

1'  10" 

10" 

ja 

s 

3  Tage 

Infection . 

zeitig 

7 

3' 50" 

7' 

3' 

6'  10" 

3' 

6'  10" 

gleich- 

10' 

12' 

10' 

gleich- 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

zeitig 

zeitig 

8 

3' 

4' 20" 

3' 

4' 20" 

3' 

4'  20" 

gleich- 

2' 

2' 

2' 30" 

30" 

ja 

8 

— 

Getödtet. 

zeitig 

9 

11' 

13' 

3' 

5' 

3' 

5' 

gleich- 

lh  34' 

1  b  50' 

6' 

lh  28' 

ja 

S 

]j2  Stunde 

Oedema  pulm , 

zeitig 

vor 

acutum. 

10 

6' 

8' 

3' 

5' 

3'  15" 

5'  15" 

15" 

1' 

1' 

2'  19" 

1'  19" 

ja 

S 

12 

Infection. 

Stunden 

11 

6'  20" 

9' 

3' 

5'  40" 

3'  10" 

5'  50" 

10' 

1'  30" 

kehrte 

4' 

2'  30" 

nein 

S 

— 

— 

nicht 

zurück 

12 

19' 

20' 

3' 

4' 

3' 

4' 

gleich- 

53" 

6' 

13' 

12'  7" 

ja 

S 

12 

Infection. 

zeitig 

Stunden 

13 

1'  55" 

W  45" 

3' 

6'  50" 

3' 

6'  50" 

gleich- 

45" 

45" 

45" 

gleich- 

ja 

S 

3  Tage 

Infection. 

zeitig 

zeitig 

14 

4'  33" 

8' 

3'  20" 

6'  47" 

3' 20" 

6' 47" 

gleich- 

13' 41" 

13'  41" 

5'  45" 

7' 56" 

ja 

s 

3  7, 

Infection. 

zeitig 

vor 

Stunden 

15 

3'  47" 

5'  55 

3'  30" 

5'  38" 

3'  30" 

5'  38" 

gleich- 

2' 34" 

3'  2" 

5'  17" 

2' 43" 

ja 

M 

Getödtet. 

zeitig 

16 

5'  15" 

0 

3'  30" 

3'  15" 

3' 

2'  45" 

30" 

30" 

30" 

4' 

3'  30" 

. 

s 

5  Tage 

Infection. 

vor 

17 

3' 57" 

5'21" 

3'  49" 

5'  13" 

3'  49" 

5'  13" 

gleich- 

r  47" 

24'  47" 

38' 47" 

37' 

. 

ja 

s 

— 

Getödtet. 

zeitig 

18 

5' 

6'  30" 

4'  30" 

6' 

4'  30" 

6' 

gleich- 

1' 

1'  30" 

2'  i  0" 

1'  30" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

zeitig 

19 

6' 23" 

8'  38" 

4' 40" 

6'  55" 

4'  40" 

6' 55" 

gleich- 

kehrten 

kehrte 

5' 

— 

nein 

s 

— 

— 

zeitig 

nicht 

nicht 

zurück 

zurück 

20 

2' 

7' 

5' 

10' 

5' 

10' 

gleich- 

1'  30" 

kehrte 

11' 50" 

10'  20" 

nein 

s 

— 

zeitig 

nicht 

zurück 

21 

7' 33" 

5' 

5' 

2' 27" 

5' 

2' 27" 

gleich- 

14" 

14" 

1'  40" 

1'  26" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

zeitig 

22 

3'  50" 

6' 

5' 

7'  10" 

5' 

7'  10" 

gleich- 

30" 

30" 

3'  25" 

2'  55" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

zeitig 

23 

7' 20" 

9' 

5' 

6'  40" 

5' 

6' 40" 

gleich- 

5' 

kehrte 

16' 

11' 

nein 

S 

— 

_ 

zeitig 

nicht 

zurück 

24 

7' 

8' 

5'  30" 

6'  30" 

5'  30" 

6'  30" 

gleich- 

1'  30" 

kehrte 

5' 

3‘  30" 

nein 

s 

— 

— 

zeitig 

nicht 

zurück 

25 

7' 

8' 

5'  50" 

6'  50" 

5' 

6' 

50" 

fibrilläre 

kehrte 

9'  30" 

— 

nein 

8 

— 

— 

vor 

Zuckun- 

nicht 

gen 

zurück 

26 

3'  15" 

5' 45" 

6' 

8' 30" 

6' 

8'  30" 

gleich- 

2'  30' 

2' 30' 

3' 

30' 

ja 

S 

Lebt  schon 

Vollkommen 

zeitig 

beinahe 

gesund. 

1  Jahr 

27 

7' 

8' 

6' 

7' 

3' 

4' 

3'  voi 

2'  30' 

kehrte 

12' ?0" 

10' 

nein 

s 

_ 

— 

nicht 

zurück 

466 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  20 


Zeitdauer  des 
Erstickens 
bis  zum 

Beginn  der  directen 
Herzmassage  seit 

Beginn  der  künstlichen 
Respiration 

in  selbst- 

in  Herz¬ 

men  sind 
gekehrt 

Die  regelmässige 

und  energische  Herz¬ 

action  ist  zurück¬ 
gekehrt 

Die  natürliche 
Respiration  ist 
zurückgekehrt 

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korbes  in  der 

der  Seite  (S) 

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bören  der 

Herzbewegungen 

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nach  dem  Beginne 
der  Herzmassage 

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28 

9' 

11' 

6' 

8‘ 

6' 

8' 

gleich¬ 

zeitig 

fibrilläre 

Zuckun¬ 

gen 

kehlte 

nicht 

zurück 

11' 

nein 

s  : 

Reflexe 
und  spon¬ 
tane  Be¬ 
wegungen 
kehrten 
zurück 

29 

3' 

4'  7" 

7'  27" 

8'  34" 

7' 27" 

8'  34" 

gleich¬ 

zeitig 

35" 

T  15" 

5'  10" 

4'  35" 

ja 

M 

Getödtet. 

30 

5' 

7' 

8' 

10' 

8' 

10' 

gleich¬ 

zeitig 

3' 

7' 

5' 

2' 

ja 

S 

Getödtet. 

31 

7'  30" 

9'  40" 

10' 

12  10" 

10' 

12'  10" 

gleich¬ 

zeitig 

fibrilläre 

Zuckun¬ 

gen 

kehrte 

nicht 

zurück 

6' 

nein 

M 

32 

7' 

10' 

10' 

13' 

10' 

13' 

gleich¬ 

zeitig 

2' 51" 

2'  21" 

5' 51" 

3' 

ja 

S 

1  Tag 

Infection. 

33 

2'  50" 

5'  30" 

10' 

12'  40" 

10' 

12' 40" 

gleich¬ 

zeitig 

2'  40" 

kehrte 

nicht 

zurück 

2'  30" 

10" 

zuvor 

nein 

S 

34 

4'  30" 

7'  20" 

10' 

12' 50" 

13'  20" 

16'  10" 

3'  20" 

1'  30" 

10' 

13' 

1 1'  30" 

ja 

s 

6'/, 

Stunden 

Infection. 

35 

4' 

6' 

10' 

12' 

10' 

12' 

i  gleich¬ 
zeitig 

6' 

14' 

15' 

9' 

ja 

s 

— 

Getödtet. 

36 

4' 

6'  25" 

15' 

17' 25" 

15' 

17'  25" 

gleich¬ 

zeitig 

2'  35" 

2' 35" 

38' 

35'  25" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

37 

3' 

4' 

15' 

16' 

15' 

16' 

gleich¬ 

zeitig 

56" 

2' 

5' 

4'  4" 

ja 

M 

Getödtet. 

38 

3'  5" 

5' 

16' 

17' 55" 

16' 

17' 55" 

gleich¬ 

zeitig 

lh  47' 

kehrte 

nicht 

zurück 

kehrte 

nicht 

zurück 

nein 

M 

39 

5' 

7'  30" 

30' 

32'  30" 

30' 

32'  30" 

gleich¬ 

zeitig 

51' 30" 

51'  30" 

kehrte 

nicht 

zurück 

nein 

M 

40 

4'  30" 

7' 

40' 

42'  30" 

40' 

42'  30" 

gleich¬ 

zeitig 

36' 

58' 

40' 

4' 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

41 

5' 

7' 

45' 

47' 

45' 

47' 

gleich-, 

zeitig 

10' 

16' 

23' 

13' 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

42 

4'  40" 

7' 

50' 

52'  20" 

50' 

52' 20" 

gleich¬ 

zeitig 

15' 

26' 

39' 

24' 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

43 

(  7'  10" 

10' 34" 

1  lh 

lh  3' 24" 

ih 

lii  3' 24" 

gleich¬ 

zeitig 

11' 34" 

kehrte 

nicht 

zurück 

kehrte 

nicht 

zurück 

nein 

M 

44 

5' 

i 

8'  17" 

D> 

lh  3' 17" 

lh 

lh  3' 17" 

I 

gleich¬ 

zeitig 

12' 

lh  1' 17" 

lh  58'  43" 

lh  46' 43" 

ja 

M 

Getödtet.. 

des  Tliieres  selbst  eine  Stunde  dauerte,  wenn 

l  i 

man  sicli  meiner  Methode  bedient. 

Dieselbe  beruht  darauf,  dass  man  1.  künst¬ 
lich  den  Kreislauf  wieder  her  stellt  a )  mit  Hilfe 
der  Herzmassage  nach  vorausgegangener  Thorax¬ 
eröffnung  und  entsprechender  Blosslegung  des 
Herzens,  b)  mit  Injection  einer  entsprechenden 
Menge  physiologischer  Kochsalzlösung  in  das 
centripetale  Ende  der  Cruralarterie;  2.  ferner 
darauf,  dass  man  künstliche  Respiration  ver¬ 
mittelst  eines  mit  der  Luftröhre  verbundenen 
Blasebalges  einleitet. 

2.  Wiederbelebung  nach  Chloroformtod. 

Die  Versuche  führte  ich  in  .ähnlicher  Art  und  Weise  aus,  wie 
die  früheren,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  ich  das  Thier  zwang, 
eine  mit  Chloroformdämpfen  geschwängerte  Luft  einzuathmen,  um 


so  dessen  Tod  herbeizuführen.  Da  das  Chloroformiren  der  Thiere 
mit  Hilfe  der  sogenannten  Maske  zu  viel  Zeit  beansprucht,  bis  der 
Tod  derselben  eintritt,  bediente  ich  mich  in  der  Regel  einer  bis  zu 
einem  gewissen  Theilstriche  mit  reinem  Chloroform  gefüllten 
W  u  1  f  sehen  Flasche,  die  mit  zwei  Glasröhren  versehen  war.  Eine 
derselben  reichte  fast  bis  auf  den  Boden  des  Gefässes,  während  die 
andere,  die  mit  der  Trachealcanule  verbunden  war,  kaum  um  Weniges 
den  Flaschenstöpsel  überragte. 

Mit  jedem  Athemzuge  wurde  den  Lungen  ein  gewisses  Luft¬ 
quantum  zugeführt,  das  mit  Chloroformdämpfen  gesättigt  war,  hin¬ 
gegen  konnte  mit  der  Exspiration  blos  eine  geringe  Kohlensäure¬ 
menge  durch  das  Chloroform  in  die  Flasche  durchdringen.  In  Folge 
dieses  Verfahrens  hat  sich  eine  bedeutendere  Kohlensäuremenge  in 
den  Lungen  angesammelt,  so  zwar,  dass  man  stricte  genommen 
behaupten  kann,  das  Thier  sei  nicht  nur  durch  das  Chloroform, 
sondern  auch  durch  die  Kohlensäure  wie  bei  der  Erstickung  ver¬ 
giftet  worden. 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


457 


Tafel  II.  Wiederbelebung  nach  Chloroformtod. 


3 

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Das  Chloro- 
formiren 
dauerte  bis 
zum  Aufhören 

Beginn  der  directen 
Herzmassage  seit 
dem  Aufhören 

Beginn  der  künstlichen 
Respiration  seit  dem 

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Herzcontr. 

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1'  20" 

55" 

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55" 

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Oedema  pulmonum 

zeitig 

• 

nicht 

zurück 

acutum. 

2 

T  10" 

11' 20" 

1'  30" 

5'  40" 

1'  30" 

5'  45" 

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kehrte 

kehrte 

5'  48" 

— 

nein 

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— 

zeitig 

nicht 

nicht 

zurück 

zurück 

3 

6' 

6'  30" 

1'  30" 

2' 

1'  30" 

2' 

gleich- 

2' 

2' 

2' 

2' 

ja 

M 

Getödtet. 

zeitig 

4 

2'  30" 

6'  40" 

3'  50" 

8' 

3'  50" 

8' 

gleich- 

1'  15" 

2' 30" 

9' 

7'  45" 

ja 

S 

_ 

Getödtet. 

zeitig 

5 

U  40" 

1'  30" 

4' 

3'  50" 

4' 

3'  50" 

gleich 

5' 

5' 

4' 

1' 

ja 

s 

8  Monate 

8  Monate  nach  der 
Wiederbelebung  getödtet 

zeitig 

vor 

durch  Vernichten  der 

Medulla  oblongata. 

6 

50" 

50" 

5' 

5' 

6'  40" 

6'  40" 

1'  40" 

2'  50" 

2'  50" 

8' 

5'  10" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

7 

6' 

6' 

5' 

5' 

4'  10" 

4'  10" 

50" 

30" 

33" 

2'  36" 

2'  6" 

ja 

M 

_ 

Getödtet. 

vor 

8 

9' 

13' 

5'  14" 

9' 14" 

5'  14" 

9'  14" 

gleich- 

1'  40" 

2' 

30' 

28'  20" 

ja 

M 

Getödtet. 

zeitig 

9 

2' 

1'  40" 

5'  20" 

5' 

40" 

20" 

4' 10" 

V  30" 

1'  30" 

2' 

30" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

vor 

10 

4'  6" 

4'  30" 

5'  30" 

5'  54" 

5'  30" 

5'  54" 

gleich- 

34" 

34" 

1'  36" 

1'  2" 

ja 

S 

Getödtet. 

zeitig 

11 

8' 

12'  30" 

10' 

14' 30" 

10' 

14'  30" 

gleich- 

1'  12" 

12'  20" 

45'  30" 

44'  18" 

ja 

S 

3  Stunden 

Bluterguss  in  die 

zeitig 

linke  Pleurahöhle. 

12 

1'  30" 

2'  8" 

11' 

11' 38" 

7' 

7'  38" 

4' 

6' 

9' 

3'  50" 

2'  10" 

ja 

s 

— 

Getödtet. 

vor 

vor 

13 

3'  20" 

5'  30" 

12' 

14'  10" 

12' 

14' 10" 

gleich- 

kehrte 

kehrte 

kehrte 

— 

nein 

s 

— 

zeitig 

nicht 

nicht 

nicht 

zurück 

zurück 

zurück 

14 

1  1'  20" 

16' 50" 

15' 

20'  30" 

15' 

20'  30" 

gleich- 

14' 

20' 

27'  10" 

13'  10" 

ja 

M 

— 

— 

zeitig 

15 

3'  10" 

5'  40" 

15' 

17' 30" 

15' 

17' 30" 

gleich- 

1'  45" 

29'  20" 

28'  20" 

26'  35" 

ja 

M 

2  Stunden 

Getödtet. 

zeitig 

16 

20' 

20' 

16' 

16' 

19' 

19' 

3' 

11' 26" 

25' 

27' 

15'  39" 

ja 

M 

1  Stunde 

Getödtet. 

17 

3'  10" 

5'  45" 

16' 

18'  35" 

16' 

1 8'  35" 

gleich- 

kehrte 

kehrte 

kehrte 

— 

nein 

S 

— 

— 

zeitig 

nicht 

nicht 

nicht 

zurück 

zurück 

zurück 

18 

U  50" 

2' 

30' 

30'  10" 

30' 

30'  10" 

gleich 

10'  30" 

16'  30" 

kehrte 

— 

nein 

M 

— 

Oedema  pulmonum 

zeitig 

nicht 

zurück 

acutum. 

19 

15' 

14' 20" 

47' 

46' 20" 

47' 

46'  20" 

gleich- 

11' 

23' 

11»  12' 30" 

lh  1'  30" 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

zeitig 

20 

6'  10" 

8'  20" 

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gleich- 

14' 

58' 

lh  31' 

lh  17' 

ja 

M 

— 

Getödtet. 

zeitig 

21 

2'  10" 

6'  30" 

lh 

li»  4' 20" 

lh 

l'i  4' 20' 

(gleich- 

20' 

lh 

in  42' 

lh  22' 

ja 

M 

Getödtet. 

1 

zeitig 

Um  die  gleichzeitige  Kohlensäurevergiftung  auszuschallen, 
habe  ich  zwischen  W  u  1  f’sche  Flasche  und  Luftröhre  noch  ein 
Glasrohr  von  T-  oder  U-Form  eingeschoben  und  das  freie  Ende 
desselben  durch  ein  entsprechendes  Ventil  geschlossen;  letzteres 
öffnete  sich  im  Momente  der  Exspiration,  wodurch  die  ausgeath- 
mete  Luft  sammt  der  Kohlensäure  entweichen  konnte.  Unter  dem 
Einflüsse  der  allmäligen  Chloroformvergiftung  hörte  bald  die  Athmung 
auf,  der  Blutdruck  sank  ziemlich  schnell  bis  auf  Null  und  das 
Herz  hörte  zu  schlagen  auf.  Nach  Eröffnung  des  Brustkorbes,  sei 
es  mittelst  Durchsägung  des  Sternums,  oder  aber  mittelst  Durch¬ 
schneidung  mehrerer  Kippen  links,  besichtigte  ich  sorgfältig  das 
blossgelegte  Herz,  und  nachdem  ich  gesehen,  dass  es  nicht  eine 


Spur  irgend  einer  Bewegung  verrieth,  wartete  ich  noch  wenige  oder 
auch  10 — 20  und  mehr  Minuten,  entfernte  hierauf  dieWull'sche 
Flasche,  und  nach  Vereinigung  der  Luftröhre  mit  einem  Blasebalg 
begann  ich  das  Herz  mit  den  Fingern  zu  comprimiren,  wobei 
gleichzeitig  der  für  den  Blasebalg  bestimmte  Motor  zu  functioniren 
begann. 

Einige  Zeit  nach  der  begonnenen  Massage  erschienen  gewöhn¬ 
lich  die  ersten  selbstständigen  Herzcontractionon,  später  kehrten  die 
Respiration  und  schliesslich  auch  die  anderen  Functionen  wieder. 

Die  Zeitdauer,  die  nöthig  war  vom  Anbeginn  des  (Jhloro- 
formirens  bis  zur  Sistirung  der  Athmung,  schwankte  zwischen 


4  58 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  11)00. 


Ni.  20 


50" — 20'.  Insbesondere  betrug  diese  Frist  50",  1'  30"  (in  zwei 
Fällen),  1' 40",  1/50",  2',  2' 10",  2'30".  3' 10"  (in  zwei  Fällen), 
3' 20",  4' 6",  6'  (in  zwei  Fällen),  6' 10",  7' 10",  8',  9',  11' 20", 
15%  20'. 

Die  Zeitdauer  seit  Beginn  der  Chloroformnarkose  bis  zur 
Sistirung  der  Herzbewegung  schwankte  gleichfalls  zwischen 
50"  und  20',  und  zwar  betrug  sie  in  den  einzelnen  Fällen: 
50",  1'  20",  1'  30",  1'  40",  2',  2' 8",  4' 30",  5' 30",  5' 40", 
5' 45",  6',  6' 30"  (in  zwei  Fällen),  6' 40",  8' 20",  11' 20", 
12' 30",  13',  14' 20",  16'  50",  20'. 

Von  dem  Momente  der  Sistirung  der  Respiration  bis 
zum  Aufhören  der  Herzthätigkeit  verflossen:  10",  24",  30", 
38",  2' 10"  (in  zwei  Fällen),  2'  30",  2' 35",  4',  4' 10"  (in  zwei 
Fällen),  4'  20",  4'  30",  5'  10". 

ln  drei  Fällen  hörten  die  Athembewegungen  gleichzeitig 
mit  denen  des  Herzens  auf,  hingegen  sistirten  in  vier  Fällen 
die  Herzcontractionen  vor  der  Respiration,  und  zwar  in  zwei 
Fällen  um  10",  in  einem  um  20"  und  in  einem  Falle  um 
40"  früher. 

Die  vom  Momente  des  eingetretenen  Todes 
bis  zum  Beginne  der  Herzmassage  verstrichene 
Zeit  betrug  im  Minimum  55",  im  Maximum  eine 
Stunde,  und  zwar  55",  1'30"  (in  zwei  Fällen),  3'2",  3’ 50", 
5'  (bei  zwei  Thieren),  5' 14",  5' 20",  5' 30",  10',  11',  12',  15' 
(in  zwei  Fällen),  16'  (in  zwei  Fällen),  30',  47',  lh  (in  zwei 
Fällen). 

Die  künstliche  Athmung  begann  in  16  Fällen  gleichzeitig 
mit  der  Herzmassage,  in  drei  Fällen  hingegen  begann  sie 
früher,  und  zwar  um  50",  4',  4'  10"  vor  letzterer.  In  zwei 
Fällen  wieder  wurde  sie  später  begonnen  (1'  40",  3'). 

Die  ersten  selbstständigen  Herzcontractionen  kehrten 
wieder,  nachdem  die  Herzmassage  30",  34",  1'  12",  1' 15", 
1 ' 30",  1'40",  1'  45",  2',  2' 50",  5',  6',  10'  15",  10' 30",  11', 
11' 26",  14'  (in  zwei  Fällen),  20'  andauerte.  In  drei  Fällen 
sind  selbstständige  rhythmische  Herzbewegungen  nicht  er¬ 
schienen. 

Die  regelmässige  energische  Herzthätigkeit  kehrte  wieder, 
nachdem  die  Herzmassage  33",  34",  1'  30",  2'  (in  zwei 

Fällen),  2'30",  2' 50",  5',  9%  11' 15",  12'20",  16'30",  20', 
23',  25',  29' 20",  58',  lh  andauerte. 

Die  selbstständige  Respirationsthätigkeit  trat  wieder  auf 
in  Folge  Herzmassage  von  nachstehender  Dauer:  1 ' 36",  2' 
(in  zwei  Fällen),  2' 36",  3' 50",  4',  5' 48",  8',  9',  27',  27' 10", 
29'  20",  30',  45'  30",  1“  12' 30",  lu  31',  lh  42'.  In  vier  Fällen 
kehrte  der  selbstständige  Athem  nicht  wieder. 

Die  Zeit,  die  verstrichen  seit  dem  Auftreten  der  ersten 
selbstständigen  Herzbewegungen  bis  zum  Erscheinen  des  ersten 
selbstständigen  Athemzuges  betrug:  30",  1' 2",  2',  2' 6", 

5' 10",  7' 45",  13' 10",  15' 34",  26' 35",  28' 20",  44' 18", 
lh  1' 30 ',  l1'  17',  lh  22'.  In  einem  Falle  trat  der  erste  Athem- 
zug  1',  in  einem  anderen  Falle  2' 10"  vor  der  ersten  selbst¬ 
ständige  Herzcontractionen  auf. 

Die  Wiederbelebung  gelang  bei  21  Ver¬ 
suchen  16  m  a  1,  d.  i.  in  76%  aller  Fälle. 

In  den  fünf  Fällen,  wo  die  Wiederbelebung  misslang, 
kehrte  zweimal  die  selbstständige  Herzaction,  nicht  aber  die 
Respiration  wieder,  in  einem  Falle  trat  Respiration  und  keine 
Herzthätigkeit  auf,  in  zwei  Fällen  kehrte  weder  die  Herzaction, 
noch  die  selbstständige  Athmung  zurück. 

Von  den  15  wiederbelebten  Hunden  liess 
ich  einen,  und  zwar  durch  acht  Monate,  am 
Leben,  die  anderen  tödtete  ich  kurz  nach  der 
Wiederbelebung. 

Die  Chloroformnarkose  des  acht  Monate  nach 
dem  \  ersuche  am  Leben  gebliebenen  Hundes 
hatte  1'40"  gedauert. 

Die  Herzcontractionen  hörten  in  diesem  Falle  10"  vor 
den  Athembewegungen  auf.  Die  Wiederbelebung  begann  4' 
nach  dem  constatirten  Tode  des  Thieres.  Nach  2'  lang  an¬ 
dauernder  Massage  und  eingeleiteter  künstlicher  Athmung 
kehrte  der  erste  selbstständige  Athemzug  wieder  und  nach 
einer  weiteren  Minute  und  10"  die  ersten  rhythmischen  Herz¬ 
bewegungen. 


Nachdem  die  Wunden  genäht  und  der  Hund  vom  Ope¬ 
rationstisch  losgebunden,  begann  er  schon  nach  wenigen  Minuten 
ziemlich  rasch  zu  laufen  und  am  Abend  desselben  Tages  frass 
er  recht  gierig.  Trotz  der  Eiterung  heilten  beide  Wunden  im 
Laufe  von  sechs  Wochen;  seitdem  war  am  Thiere  nichts  Ab¬ 
normes  wahrnehmbar..  Diesen  Hund  demonstrirte  ich  in  der 
Aerztegesellschaft  am  11.  November  1899. 

Nach  acht  Monaten  wurde  das  Thier  durch  Durch¬ 
schneidung  der  Medulla  oblongata  getödtet.  Die  Nekroskopie 
ergab  bis  auf  geringe  Adhäsionen  des  äusseren  Pericards  mit 
der  Thoraxwand  keine  wesentlichen  Veränderungen. 

Beigeschlossene  Tafel  IT  gibt  die  Zusammenstellung  von 
Experimenten  über  die  Wiederbelebung  nach  Chloroformtod. 

Auf  Grund  der  ausgeführten  Versuche  be¬ 
hau  p  t  e  i  c  h,  dass  man  die  durch  Chloroform  ge- 
tödteten  Thiere  auch  dann  wiederbeleben  kann, 
wenn  vom  Momente  des  Todes  (d.  i.  nach  Sisti¬ 
rung  der  Herz-  und  Respirationsthätigkeit)  bis 
zum  Beginne  der  Herzmassage  sogar  eine 
Stunde  verflossen  ist.  (Schluss  folgt.) 


Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Erzherzogin 
Sophien-Spitales  in  Wien. 

Beitrag  zur  Technik  der  Alexander’schen 

Operation. 

Vom  Abtheilung-svorstande  Primararzt  Dr.  Guido  v.  Török. 

Anknüpfend  an  die  in  Nr.  14  dieser  Zeitschrift  publicirte 
Abhandlung  Prof.  Ehrendorfer’s  in  Innsbruck  über  die 
nach  Alexander  ausgeführte  inguinale  Verkürzung  und 
Befestigung  der  runden  Mutterbänder  bei  Rückwärtslagerung 
des  Uterus,  erlaube  ich  mir,  über  einen  Fall  zu  berichten,  bei 
welchem  die  vorne  über  der  Symphyse  durchgeführte  subcutane 
Verknüpfung  der  Ligamenta  rotunda  nach  Gardener  ein 
ganz  vorzügliches  Resultat  zur  Folge  hatte. 

Die  Krankengeschichte  dieses  Falles  ist  kurz  folgende: 

E.  K.,  19  Jahre  alt,  hat  niemals  geboren  und  war  bis  zu  ihrem 
Eintritte  in  das  Spital  (16.  Januar  1900)  niemals  bettlägerig.  Patientin 
soll  aber  seit  vier  Jahren  an  einem  Ausfluss  aus  dem  Genitale  leiden 
und  muss  angeblich  sehr  oft  uriniren.  Dabei  sind  zeitweilig  Stuhl¬ 
verstopfung  und  Kreuzschmerzen  vorhanden.  Diese  Schmerzen  haben 
in  den  letzten  fünf  Wochen  bedeutend  zugenommen  und  sind  weiters 
ischiadische  Schmerzen  im  rechten  Beine  hinzugetreten,  welche  die 
Kranke  dermalen  zwingen,  eine  Spitalspllege  in  Anspruch  zu 
nehmen. 

Bei  der  auf  die  medicinische  Abtheilung  erfolgten  Aufnahme 
fand  sich  an  den  Brust-  und  Bauchorganen  nichts  Abnormes. 

Die  Untersuchung  des  Genitales  ergab  einen  geringgradigen 
katarrhalischen  Fluor.  Im  Secret  sind  keine  Gonococcen  nachzu¬ 
weisen.  An  den  Adnexen  keine  krankhafte  Veränderung.  Uterus 
etwas  vergrössert,  nach  allen  Seiten  leicht  beweglich,  jedoch  in 
starker  Retroversionsstellung  und  etwas  herabgesenkt.  Portio  dem¬ 
entsprechend  knapp  hinter  dem  Introitus  mit  dem  Finger  tastbar, 
nach  vorne  gelagert.  Im  hinteren  Scheidengewölbe  fühlt  man  den 
nach  hinten  verlagerten  Uteruskörper.  Derselbe  kann  leicht  nach 
vorne  aufgerichtet  werden. 

Harn  klar,  keine  abnormen  Bestandtheile  enthaltend. 

Nachdem  die  Kranke  wegen  ihrer  ischiadischcn  Schmerzen 
eine  Zeit  lang  mit  Salicyl,  warmen  Bädern  und  Faradisationen  be¬ 
handelt  worden  war,  ohne  dass  eine  wesentliche  Besserung  des 
Leidens  constatirt  werden  konnte,  so  erfolgte  am  12.  Februar  ihre 
Transferirung  auf  die  chirurgische  Abtheilung  behufs  Heilung  der 
Uelroversio  uteri  durch  Operation. 

Da  nun  einerseits  die  dienende  Berufsstellung  der  Patientin 
das  Tragen  eines  Pessariums  nicht  rathsam  erscheinen  liess,  anderer¬ 
seits  die  Jugend  der  Kranken  und  die  ganz  freie  Beweglichkeit  des 
Uterus  (bei  verhältnissmässiger  Enge  der  Vagina)  die  Ausführung  der 
Alexander’schen  Operation  ermöglichten,  so  entschloss  ich  mich, 
im  letztgenannten  Sinne  vorzugehen. 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


453 


12.  Februar.  Nach  Rasirung  dc'r  Haare  am  Mons  veneris  und 
nach  gründlicher  Reinigung  und  Desinfeclion  der  Ilaut  wurde  in 
Narkose  (mit  B  i  1 1  r  o  t  h’scher  Mischung)  je  ein  Schnitt  über  beide 
Leistencanäle  ausgeführt.  Es  erfolgte  dann  die  Spaltung  der  Apo- 
neurose  dos  Musculus  obliquus  externus  auf  der  Ilohlsondc  bis  zur 
Höhe  des  inneren  Leistenringes,  worauf  die  Ligamenta  rotunda 
beiderseits  bis  zur  Plica  peritonealis  freipräparirt  und  hervor¬ 
gezogen  werden  konnten.  Diese  Plica  wurde  auf  2  cm  Distanz  nach 
oben  hin  stumpf  abgelöst.  Die  Ligamenta  rotunda  sind  jetzt  vom 
Tuberculum  pubicum  abgetrennt  und  am  peripheren  Ende  mit 
Klemmen  fixirt  worden  ;  sie  liessen  sich  ohne  Schwierigkeit  vorziehen, 
wobei  eine  Aufrichtung  des  Uterus  constatirt  werden  konnte. 

Hierauf  machte  ich  einen  kleinen,  etwa  2  cm  langen  Schnitt  in 
der  Linea  alba  unmittelbar  über  der  Symphysis  pubica,  und  führte 
beiderseits  eine  Kornzange  subcutan  von  hier  aus  bis  in  beide  seit¬ 
lichen  Operationswunden  durch.  Mit  diesen  Kornzangen  wurden  die 
bisher  mit  Klemmen  fixirt  gewesenen  peripheren  Stümpfe  der  Liga¬ 
menta  rotunda  gefasst  und  bei  der  mittleren  Incisionswunde  über 
die  Insertion  der  Recti  hinweggehend,  subcutan  herausgeleitet.  Nun 
erfolgte  das  kräftige  Anziehen  und  die  Knotung  der  Mutterbänder  im 
Bereiche  dieser  mittleren  Schnittwunde  in  einem  solchen  Masse,  bis 
der  in  die  Vagina  eingeführte  Finger  eines  Assistenten  die  vollstän¬ 
dige  Hebung  und  Geraderichtung  des  Uterus  erkennen  liess.  Jetzt 
wurde  der,  beide  Ligamenta  verknüpfende,  doppelte  Knoten  in  sich 
mit  Seidennähten  fixirt,  durch  Abschneiden  von  je  etwa  Sem  langen 
Ligamentstücken  adjustirt  und  in  der  mittleren  Incisionswunde  ver¬ 
senkt.  Die  Befestigung  der  runden  Mutterbänder  wurde  ferner  auch 
in  den  beiden  seitlichen  Operationswmnden  entsprechend  den  Leisten¬ 
canälen  durch  je  fünf  tiefgreifende  Nähte  vorgenommen,  wobei  die 
Inguinalcanäle  in  exacter  Weise  verschlossen  werden  konnten.  Diese 
Nähte  fassten: 

1.  die  Aponeurose  des  Obliquus  externus, 

2.  die  tiefe  Muskelschichte, 

3.  das  Ligamentum  rotundum, 

4.  einen  Theil  des  P  o  u  p  a  r  t’schen  Bandes  und  des  Cre¬ 
masters, 

5.  nochmals  die  Aponeurose  des  Obliquus  externus. 

Darüber  erfolgte  an  allen  drei  Wunden  die  exacte  Vernähung 

der  Haut.  Verband  mit  Jodoformgaze. 

Vollkommen  reactionslose  Verheilung.  Patientin  bleibt  drei 
Wochen  im  Bette  und  verlässt  erst  am  17.  März  1.  J.  das  Spital  als 
geheilt. 

Die  Untersuchung  per  vaginam  ergibt  bei  der  Entlassung  der 
Kranken,  dass  der  Uterus  sich  in  tadelloser  Lage  befindet. 

Die  Beschw'erden  des  Mädchens  sind  ebenfalls  vollkommen 
verschwunden  und  erscheint  dasselbe  wieder  normal,  arbeitsfähig. 
Wie  schon  oft,  so  hat  auch  hier  die  Beseitigung  der  Lageverände¬ 
rung  des  Uterus  der  Patientin  die  normale  Arbeitskraft  wieder  ver¬ 
liehen. 

Es  ist  nicht  beabsichtigt,  hier  auf  die  Indicationsstellung 
und  die  erzielten  Erfolge  bei  der  A 1  e  x  an  d  e  Eschen  Operation 
einzugehen.  Die  Operation  hat  sich  bekanntlich  in  den  letzten 
Jahren  immer  mehr  Anhänger  erworben  und  wird  in  den  ge¬ 
eigneten  Fällen  sicher  Vorzügliches  leisten.  Nur  bezüglich  der 
Technik  der  Operation  möchte  ich  mir  erlauben,  überein¬ 
stimmend  mit  Prof.  Ehrendorfer,  J.  Fabricius1), 
Erlach  u.  A.  zu  bemerken,  dass  es  in  allen  Fällen  rathsam 
ist,  den  ganzen  Leistencanal  in  der  oben  beschriebenen  Weise 
freizulegen,  auch  wenn  das  Ligamentum  rotundum  noch  vor 
der  Spaltung  der  Aponeurose  des  Musculus  obliquus  externus 
vorne  exact  isolirt  werden  könnte;  denn  erst  durch  die  Los¬ 
trennung  des  Ligamentes  bis  hinauf  zur  Ansatzstelle  des  Peri¬ 
tonealkegels  erreicht  das  runde  Mutterband  eine  genügende 
Motilität,  um  in  entsprechender  Weise  hervorgezogen  werden 
zu  können.  Auf  letzteren  Umstand  ist  das  Hauptgewicht  bei 
Ausführung  der  Operation  zu  legen. 

Ein  weiterer  wichtiger  Punkt  betrifft  nun  die  Fixirung 
der  Ligamenta  rotunda.  Bekanntlich  erfolgt  diese  gewöhnlich 
durch  einfache  Festnähung  der  runden  Mutterbänder  an  die 
Schichten  des  Leistencanales.  In  den  meisten  Fällen  wird  ja 
diese  Methode  genügen;  sie  bietet  jedoch  bei  etwas  schlafferen 

!)  J.  Fabricius,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1895,  Nr.  29. 


Bauchdecken  eine  nur  geringere  Garantie  gegen  Recidive,  denn 
es  erscheint  dabei  am  Ligamentum  rotundum  nur  ein  seit¬ 
lich  wirkender  fixirender  Zug  angebracht.  Es  ist  aber  ein¬ 
leuchtend,  dass  dieser  Zug  viel  intensiver  und  sicherer  in 
seiner  Wirkung  ist,  wenn  er  vorne  in  der  Längsrichtung  des 
runden  Mutterbandes  eingreift. 

Aus  diesem  Grunde  ist  den  Modificationen  der  A 1  e- 
x  a  n  d  e  Eschen  Operation,  w  ie  sie  von  Kocher,  S  e  g  o  n  d, 
C  a  s  a  t  i,  D  o  1  e  r  i  s  angegeben  wurden,  ein  sichererer  Erfolg 
zuzusprechen. 

Unter  allen  Methoden  bietet  aber  die  oben  geschilderte 
subcutane  Zusammenknüpfung  beider  Ligamenta  rotunda  über 
der  Symphyse  die  grösste  Garantie  gegen  Recidiven,  denn  es 
bilden  dabei  der  Musculus  rectus  abdominis  dexter  und  sinister 
das  am  wenigsten  nachgiebige  Postament,  auf  welchem  die 
Knotung  zu  ruhen  kommt.  Diese  Methode  Hesse  sich  nur  dann 
nicht  ausführen,  wenn  man  nicht  genügend  lange  und  kräftige 
Stücke  der  L’gamente  freipräpariren  kann. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  man  bei  allen  Methoden 
besonders  darauf  achten  wird,  den  Leistencanal  wieder  exact 
mit  B  a  s  s  i  n  i’schen  Nähten  zu  verschliessen,  um  ein  even¬ 
tuelles  Auftreten  von  Hernien  zu  vermeiden. 


REFERATE. 

Handbuch  der  praktischen  Medicin. 

Herausgegeben  von  W.  Ebstein  und  J.  Schwalbe. 

Fünf  Bände. 

Stutt  gart  1899,  Enke. 

Fünftes  Referat  (vide  Nr.  6,  12,  42,  51,  Jahrgang  1899  dieser  Zeitschrift). 
I.  F.  Kraus:  Krankheiten  der  sogenannten  Blut¬ 
drüsen. 

II.  H.  Braun:  Chirurgie  der  Blutgefässdrüsen. 

III.  G.  Sticker:  Krankheiten  der  Lippen,  der  Mund¬ 
höhle  und  der  Speiseröhre. 

IV.  S.  S  c  h  e  f  f :  Zahnkrankheiten. 

V.  P.  K.  P  e h  1 :  Krankheiten  des  Magens. 

VI.  A.  Pribram:  Krankheiten  des  Darmes. 

VII.  A.  Epstein:  Verdaungsstörungen  im  Säuglings¬ 

alter. 

VIII.  Die  Krankheiten  des  Nervensystems.  (IV.  Band.j 

Von  Eulenburg,  Kölliker,  Nicolaie  r,  Obersteiner, 

Redlich,  Schmidt-Rimpler,  Steinbrügge,  Ziehen. 

I.  Mit  dem  Schlüsse  der  vierten  und  dem  Anfänge  der  siebenten 
Lieferung  ist  der  dritte  Abschnitt  des  Handbuches,  die  Erkrankungen 
des  Blutes  und  der  blutbereitenden  Organe,  abgeschlossen.  Der 
Zweck  des  Werkes,  Anhaltspunkte  für  die  Praxis  zu  geben,  der 
bisher  immer  consequent  zum  Ausdruck  gekommen,  ist  auch  das 
Leitmotiv  der  Krau  s’schen  Bearbeitung  der  Erkrankungen 
der  Blutdrüsen.  Gerade  hier  wäre  ja  die  Verlockung  zu  rein 
wissenschaftlich-theoretischen  Digressionen  gewiss  recht  gross  ge¬ 
wesen.  Und  doch  geht  schon  aus  einem  flüchtigen  Ueberblick  die 
Tendenz  hervor,  die  der  Autor  befolgte,  für  die  Praxis  zu 
schreiben. 

Dementsprechend  ist  schon  der  Umfang  der  einzelnen  Capitel 
ein  sehr  verschiedener,  besonderes  Gewicht  auf  die  praktisch  wich¬ 
tigsten  Erkrankungen,  so  z.  B.  die  Scrophulose  (diese  aus  der  Feder 
von  T  o  b  e  i  t  z),  verschiedene  andere  häufigere  Lymphdrüsenkrank- 
heiten  und  pathologische  Zustände  der  Milz  gelegt,  während  die 
Erkrankungen  der  Thymus,  der  Hypophysis,  der  Carotisdrüse  sich 
auf  die  Erwähnung  des  Thymustodes,  der  Akromegalie  etc.  be¬ 
schränken. 

Gelegentlich  der  Besprechung  der  Nebennieren  und  der 
Thyreoidea  sind  vor  Allem  die  A  dd  i  s  o  n’sche  und  B  a  s  e  d  o  w’sche 
Erkrankung  mit  jener  Genauigkeit  besprochen,  die  sie  für  die  Praxis 
verdienen.  Wenn  auch  die  orga notherapeutischen  Prä¬ 
parate  nicht  einfach  mit  Stillschweigen  übergangen  sind,  so  zeigt 
der  Autor  wohl  schon  durch  den  Kleindruck  und  die  Knappheit 
der  Darstellung,  dass  er  ihnen  keine  besondere  Bedeutung  vindi- 
cirt.  Eine  Ausnahme  machen  natürlich  die  Präparate,  die  aus  der 
Thyreoidea  gewonnen  sind. 

* 


460 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  20 


II.  Wie  schon  bei  anderen  Gelegenheiten,  so  ist  auch  hier 
der  für  den  Praktiker  so  wichtige  Zusammenhang  der  Chirurgie 
mit  der  internen  Medicin  durch  das  eigene  Capitel  über  die  chi¬ 
rurgische  Behandlung  der  Blutdrüsen  (H.  Braun) 
zum  Ausdruck  gebracht. 

* 

III.  Den  Schluss  der  siebenten,  sowie  die  achte,  neunte  und 
elfte  Lieferung  des  Werkes  nimmt  die  Besprechung  der  Krank¬ 
heiten  der  Verdauungsorgane  ein,  ein  Abschnitt,  der 
noch  nicht  complet  vorliegt,  sondern  mit  dem  Beginn  der  Be¬ 
schreibung  der  Leberkrankheiten  schliesst,  die  deshalb  einer  späteren 
Besprechung  Vorbehalten  bleiben  müssen. 

Wie  angegeben,  vertheilt  sich  dev  bisher  erschienene  Theil 
dieses  Capitels  auf  fünf  Autoren.  Die  Einleitung  bilden  die  Krank¬ 
heiten  der  Lippen,  der  Mundhöhle  und  der  Speise¬ 
röhre  (Sticker). 

Der  Verfasser  beschränkt  sich  nicht  auf  die  dem  Gebiete  des 
Internisten  im  strengsten  Wortsinne  zukommenden  pathologischen 
Erscheinungen,  sondern  streift  auch  kurz  die  Neoplasmen,  syphiliti¬ 
schen  Affectionen  und  Wunden  der  Lippen  und  ist  ganz  besonders 
bei  den  Mund-  und  Speiseröhrenkrankheiten,  um  die  Darstellung 
möglichst  vollständig  zu  gestalten,  oft  gezwungen,  sich  auf  das 
Gebiet  der  Chirurgie  zu  begeben.  Ausser  den  verschiedenen  Formen 
der  Stomatitis  interessiren  vor  Allem  die  Krankheiten  der  Speise¬ 
röhre,  die  umfassend,  durch  einige  Illustrationen  unterstützt,  dar¬ 
gestellt  sind. 

* 

IV.  Wenn  auch  die  Behandlung  der  Zähne  —  von  der  Land¬ 
praxis  abgesehen,  wo  Extractionen  oft  nicht  zu  umgehen  sind  — 
kaum  je  dem  praktischen  Arzte  zufällt,  so  ist  die  Aufnahme  des 
äusserst  knapp  gehaltenen  Capitels  Zahnkrankheiten  von 
Sehe  ff  insoferne  doch  ganz  zweckmässig,  als  ja  die  Hygiene  der  Mund¬ 
höhle,  somit  auch  der  Zähne  so  innig  mit  den  Verdauungszu¬ 
ständen  zusammenhängt,  dass  der  Praktiker  wenigstens  oberflächlich 
darüber  orientirt  sein  sollte.  Die  Darstellung  des  Gegenstandes  ist 
in  der  That  eine  solche,  dass  sie  nur  für  den  praktischen  Arzt 
bestimmt  erscheint,  weit  entfernt,  jene  Kunststücke  und  Feinheiten 
in  der  conservativen  und  operativen  Zahnheilkunde  zu  berühren, 
die  ja  doch  immer  nur  Domäne  des  Zahnarztes  bleiben  werden. 
Der  Autor  beschränkt  sich  daher  auf  einige  Worte  über  die  Caries, 
die  Krankheiten  der  Pulpa  und  des  Periosts,  über  die  Extraction, 
die  Reinigung  der  Zähne  und  die  Hygiene  und  Kosmetik  der 
Mundhöhle. 

* 

V.  Hierauf  folgt  das  umfangreiche  Capitel  über  die  Krank¬ 
heiten  des  Magens  von  P.  K.  P  e  h  1.  In  einer  kurzen  Einleitung 
weist  der  Verfasser  auf  die  Wichtigkeit  der  Kenntniss  der  Magen¬ 
krankheiten  hin,  jener  Leiden,  »die  die  Lebensfreude  der  damit 
Behafteten  in  hohem  Grade  verbittern  ....  Jeder  praktische 
Arzt  soll  deshalb  Magenarzt  sein.« 

Und  noch  eine  Forderung  stellt  er  auf:  Individual  i- 
siren.  Jeder  Magen  habe  seine  eigenen  Capricen,  man  müsse 
daher  stets  das  kranke  Individuum  ebenso  vor  Augen  haben, 
wie  die  Krankheit  als  solche.  Der  »Allgemeine  Theil«  der  Arbeit, 
der  in  gleich  ausführlicher  Weise  die  Symptome,  die  Diagnose  und 
Behandlung  der  Magenkrankheiten  im  Allgemeinen  bespricht,  ist  so 
umfassend,  dass  sich  der  Verfasser  im  speciellen  Theil  umso  kürzer 
fassen  konnte,  ohne  dass  dadurch  die  Klarheit  irgendwie  gelitten 
hätte.  Auf  Grund  reichster  eigener  Erfahrung  und  ausführlicher 
literarischer  Angaben  construirt  er  ein  klares  Gesammtbild  und  zeigt 
dem  Praktiker  den  oft  so  schwer  zu  findenden  Weg  zur  richtigen 
Erkenntniss  der  einschlägigen  Krankheiten.  Ein  umfangreiches  Lite- 
raturverzeichniss  beschliesst  jeden  der  beiden  Theile.  Nicht  so  ganz 
aut  der  Höhe  wie  die  eigene  Leistung  des  Autors  stehen  die  Ab¬ 
bildungen,  fast  durchwegs  dem  C  r  u  v  ei  1  h  i  e  r'schen  Atlas  ent¬ 
nommen.  Wenn  wir  auch  heute  gerade  in  dieser  Hinsicht  etwas 
verwöhnt,  also  schärfer  im  Urtheil  sind,  so  wäre  es  doch  mit 
Rücksicht  auf  die  Höhe,  auf  der  die  Reproductionstechnik  heute 
steht,  lebhaft  zu  wünschen,  dass  diese  Bilder  in  einer  eventuellen 
Neuauflage  durch  technisch  vollkommenere  ersetzt  werden.  Dann 
ist  an  P  e  h  l’s  Arbeit  gar  Nichts  auszusetzen! 

* 


VI.  An  sie  reiht  sich,  die  neunte  und  einen  Theil  der  elften 
Lieferung  einnehmend,  die  eingehende  Bearbeitung  der  Krank¬ 
heiten  des  Darmes  von  Pribram.  Auch  hier  finden  wir 
wieder  dieselbe  Eintheilung,  zuerst  die  allgemeine  Symptomatologie 
und  Therapie,  dann  erst  die  specielle  Pathologie  des  Darmes.  Gerade 
diese  Gleichmässigkeit  der  Behandlung  des  Stoffes,  die  in  jedem 
Abschnitt  wieder  zu  finden  ist,  erweckt  den  Eindruck  einer  ein¬ 
heitlichen,  aus  der  Feder  eines  Autors  stammenden  Arbeit 
und  gibt  Zeugniss  von  der  trefflichen  Redigirung  des 
ganzen  Werkes. 

Auf  die  einzelnen  Capitel  der  P  r  i  b  r  a  nf  sehen  Arbeit  einzu¬ 
gehen,  verbietet  sich  von  selbst.  Ganz  besonders  fällt  die  Dar¬ 
stellung  der  verschiedenen  Arten  der  Darmverengerung  und  Ver- 
schliessung  in  die  Augen,  die  nach  jeder  Richtung,  vor  Allem  be¬ 
züglich  der  Diagnose  und  Behandlung,  den  Bedürfnissen  des  Prak¬ 
tikers  vollkommen  gerecht  wird.  Ebenso  sind  die  entzündlichen 
Krankheiten,  besonders  die  verschiedenen  pathologischen  Zustände 
des  Cöcums  und  dessen  Umgebung  ausserordentlich  umfassend  dar¬ 
gestellt  und  zeugen  von  der  reichen  Erfahrung  und  eingehendsten 
Literaturkenntniss  des  Verfassers.  Eine  nur  flüchtige  Beleuchtung 
erfahren  jene  infectiösen  Erkrankungen,  die,  wie  die  Amöbendysenterie, 
die  bacterielle  Form  der  Ruhr  u.  dgl.  von  geringerer  praktischer  Be¬ 
deutung  sind.  Zu  cursorisch  vielleicht  ist  die  Besprechung  der 
Geschwürsprocesse,  vor  Allem  der  Tuberculose  des  Darmes,  die  ja 
gerade  für  den  praktischen  Arzt  von  so  enormer  Wichtigkeit  sind. 
Nach  kurzer  Erwähnung  der  Darmneurosen  und  der  Erkrankungen 
der  Darmgefässe,  besonders  der  Hämorrhoiden,  schliesst  die  lesens- 
werthe,  umfassende  Bearbeitung  des  so  wichtigen  Stoffes  mit  der 
Besprechung  der  Darmschmarotzer  und  deren  Behandlung. 

* 

VII.  Die  letzte  der  complet  vorliegenden  Arbeiten  ist  die  über 
die  Verdauungsstörungen  im  Säuglingsalter  von 
Epstein.  Gewiss  wird  jeder  Praktiker  die  Aufnahme  dieses  eigent¬ 
lich  der  Kinderheilkunde  angehörigen  Capitels  mit  grosser  Freude 
begrüssen,  da  es  wohl  keinem  erspart  bleibt,  in  diesbezüglichen 
Fragen  sein  Votum  als  Hausarzt  abzugeben.  Der  Autor  sagt  denn 
auch  in  der  Einleitung  ausdrücklich,  dass  er,  dem  Zweck  des  »Hand¬ 
buches  «  entsprechend,  »das  Bedürfniss  des  ausübenden 
Arztes  im  Auge  behalten  und  demselben  einen 
Leitfaden  zu  geben  versuchen«  wolle.  Wiederum  ist  es 
der  allgemeine  Theil,  in  dem  der  Leser  alles  Wissenswerthe  über 
die  Untersuchung  der  Kinder,  die  Diagnose  aus  den  Excreten,  über 
die  natürliche  und  künstliche  Ernährung,  die  Diätetik  der  Stillenden 
und  über  die  Behandlung  der  Verdauungskrankheiten  so  genau  er¬ 
fährt,  dass  die  Besprechung  der  einzelnen  Krankheitsformen  eine 
relativ  cursorische  sein  konnte,  ohne  dass  der  Verfasser  dadurch 
irgend  etwas  schuldig  geblieben  wäre.  Sehr  ausführlich  ist  das  der 
Arbeit  angehängte  Literaturverzeichniss. 

Was  weiter  von  den  Erkrankungen  der  Verdauungsorgane 
vorliegt  (Krankheiten  der  Leber  von  Epstein)  ist  noch  nicht 
vollständig  erschienen;  ebenso  liegen  die  Capitel:  Krankheiten  der 
Harnblase  von  K  ü  m  m  e  1  und  Gehirnkrankheiten  von  Ziehen 
erst  theilweise  vor.  Hoffentlich  gelangen  die  noch  fehlenden 
Lieferungen  recht  bald  in  unsere  Hände,  da  sich  gewiss  jeder  Leser 
des  Handbuches  schon  wünscht,  das  Werk  recht  bald  vollständig 
in  Händen  zu  haben.  J) 

* 

VIII.  Mit  dem  vorliegenden  IV.  Band  des  Handbuches  nähert 
sich  das  schöne  Unternehmen  seinem  Abschluss,  nachdem  es  vor 
kaum  zwei  Jahren  begonnen  hat.  Ein  Blick  auf  die  Namen  der 
Autoren  dieses  Bandes,  unter  denen  wir  auch  zwei  Vertreter  der 
Wiener  Schule  finden,  lässt  von  vorneherein  das  Beste  erwarten. 
Und  in  der  That  ist  es  den  Verfassern  gelungen,  den  schwierigen 
Gegenstand  in  einer  so  zusammenhängenden,  einheitlichen  und 
klaren  Weise  zur  Darstellung  zu  bringen,  dass  auch  der  von  den 
wissenschaftlichen  Centralstellen  fern  lebende  Praktiker  an  der  Hand 
solcher  Führer  relativ  leicht  den  Weg  durch  die  oft  recht  schwierigen 
Gebiete  findet.  Dadurch  ist  auch  in  diesem  Bande  der  Zweck  des 
Handbuches  vollkommen  erreicht:  der  praktische  Arzt  findet  darin 

Nach  Drucklegung  dieses  Referates  sind  sechs  weitere  Lieferungen 
erschienen,  so  dass  nur  mehr  drei  Hefte  ausständig  sind, 

Anmerkung  des  Referenten. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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gerade  das,  was  er  für  die  Praxis  braucht,  ohne  gezwungen  zu 
sein,  aus  specialistischen  Detailfragen  und  complicirten  Einzelheiten 
selbst  die  praktischen  Consequenzen  zu  ziehen.  Alles  das  haben 
ihm  die  Verfasser  erspart,  indem  nur  das  gebracht  ist,  was  zum 
Verstündniss  des  Ganzen  nothwendig  ist  und  Gemeingut  aller  Aerzte 
sein  soll. 

Ausser  den  Krankheiten  des  Hirns  und  der  Hirnhäute,  des 
Rückenmarks,  der  peripheren  Nerven  und  allgemeinen  Neurosen 
sind  eigene  Abschnitte  auch  den  pathologischen  Zuständen  des 
Auges  und  des  Ohres  in  ihren  Beziehungen  zur  inneren  Medicin, 
sowie  eine  compendiöse  Darstellung  der  Chirurgie  des  Central¬ 
nervensystems  und  der  peripheren  Nerven  in  den  Kreis  der  Be¬ 
trachtungen  aufgenommen . 

Die  ganze  10.  und  der  Anfang  der  15.  Lieferung  ist  durch 
die  Besprechung  der  Krankheiten  des  Hirns  und  der  Hirnhäute  von 
Ziehen  (Jena)  eingenommen.  Wie  überall,  so  ist  auch  hier  wieder 
ganz  besonders  auf  den  allgemeinen  Tlieil  Rücksicht  genommen, 
der  einerseits  die  anatomischen  und  physiologischen  Verhältnisse 
des  Gehirns,  zum  Theil  durch  Zeichnungen  und  Schemen  illustrirt, 
anderseits  die  pathologischen  Vorbemerkungen,  die  Untersuchungs¬ 
methoden  etc.  auseinandersetzt.  Den  speciellen  Theil  sucht  der  Ver¬ 
fasser  aus  Gründen  der  Uebersicht  in  ein  System  zu  bringen,  in¬ 
dem  er  von  den  Hirnkrankheiten  die  circulatorischen,  entzündlichen, 
neoplastischen,  traumatischen,  primär- parenchymatösen  und  die 
Wachsthumsstörungen  unterscheidet,  während  er  bei  den  Erkran¬ 
kungen  der  Meninx  sich  an  die  Eintheilung  in  die  der  Dura  und 
der  Arachnoidea  und  Pia  hält.  Ein  ausführliches  Literaturverzeich- 
niss  folgt  jedem  einzelnen  Capitel. 

Die  hierauf  folgende  Besprechung  der  Krankheiten  des  Auges 
von  Schmid  t-Rimpler  (Göttingen)  beschränkt  sich,  dem  Zweck 
des  Buches  folgend,  auf  die  Anführung  jener  Leiden  des  Sehorganes, 
die  für  den  praktischen  Arzt  durch  ihren  Zusammenhang  mit  inneren 
Krankheiten  von  Wichtigkeit  sind.  In  erster  Linie  sind  es  die  bei 
Nervenerkrankungen  zur  Beobachtung  kommenden  Störungen,  z.  B. 
die  Stauungspapille,  Augenmuskellähmungen,  Veränderungen  der 
Pupille  etc.,  ferner  Augenleiden,  die  als  Begleiterscheinungen  bei 
Krankheiten  der  Respirations-  und  Circulationsorgane  (Embolie  u.  dgl.), 
bei  Leukämie,  Morbus  Basedowii,  Nephritis  (Retinitis),  Tuberculose, 
Diabetes,  Hautkrankheiten  Vorkommen  und  als  Folge  von  Intoxica- 
tionen  auftreten. 

Ganz  analog  ist  das  nächste  Capitel,  die  Krankheiten  des 
Ohres  in  ihren  Beziehungen  zur  inneren  Medicin  von  Steinbrügge 
(Giessen)  durchgeführt.  Auch  hier  finden  wir  alle  jene  Erkrankungen 
des  Gehörorganes  kurz  erwähnt,  die  mit  inneren  Leiden  in  einem 
Causalnexus  stehen.  Ausführlicher  als  die  übrigen  Zustände  ist  die 
Darstellung  des  unter  dem  Namen  der  M  e  n  i  e  r  e’schen  Krankheit 
bekannten  Symptomencomplexes. 

Weiter  folgen  die  Erkrankungen  des  Rückenmarks  von  Ob  er¬ 
st  ein  er  und  Redlich  (Wien).  Einige  Bilder  von  Querschnitten 
der  Medulla  spinalis,  Radiographien  (Syringomyelie)  erleichtern  das 
Verständniss  wesentlich.  Wenn  auch  jede  der  einschlägigen  Krank¬ 
heiten  Erwähnung  findet,  so  Lessen  sich  die  Verfasser  in  Bezug 
auf  die  Ausführlichkeit  der  Darstellung  einzig  und  allein  von  der 
praktischen  Wichtigkeit  der  verschiedenen  Erkrankungen  leiten.  Es 
sind  daher  in  erster  Linie  die  acute  und  chronische  Myelitis,  die 
diversen  Formen  der  Poliomyelitis,  ferner  die  Syringomyelie  und 
Tabes,  die  entsprechend  ihrer  Bedeutung  für  den  praktischen  Arzt 
eine  eingehende  Besprechung  erfahren.  Jeder  wird  den  beiden 
Autoren  Dank  wissen  für  die  treffliche,  klare  Bearbeitung  des  com¬ 
plicirten  Stoffes. 

Fast  die  ganze  18.  Lieferung  des  Handbuches  ist  von  dem 
die  Krankheiten  der  peripheren  Nerven  behandelnden  Abschnitte 
eingenommen;  er  stammt  aus  der  Feder  Eulenburg’s  (Berlin). 
Nach  kurzen  physiologischen  Vorbemerkungen,  Schilderung  der 
Untersuchungsmethoden  u.  dgl.  wird  das  wichtige  Krankheitsbild 
der  Neuritis  schon  im  allgemeinen  Theile  ausführlich  besprochen, 
während  der  specielle  Theil  den  Erkrankungen  der  einzelnen  Nerven, 
deren  Darstellung  dadurch  entsprechend  oberflächlicher  sein  kann, 
Vorbehalten  ist.  Aus  jedem  Abschnitte  spricht  das  Bestreben,  für 
die  Praxis  zu  schreiben;  dementsprechend  sind  gerade  jene  Leiden, 
die  den  Praktiker  so  oft  beschäftigen,  wie  z.  B.  Neuralgien  im 
Trigeminusgebiete,  Lähmung  des  Facialis,  Ischias  etc.  in  den 
Vordergrund  gerückt,  ganz  besonders  auch  in  Bezug  auf  die 


Therapie  sehr  ausführlich  besprochen,  während  andere  Krankheiten 
wegen  ihrer  geringen  praktischen  Bedeutung  eine  nur  oberfläch¬ 
liche  Darstellung  erfahren. 

Von  den  allgemeinen  Neurosen  sind  in  erster  Linie  die  um¬ 
fangreichen  Capitel  über  die  Neurasthenie,  Hysterie,  Hypochondrie, 
ferner  Chorea,  Epilepsie,  Paramyoclonus  u.  A.  m.  von  Jolly  (Berlin) 
sehr  ausführlich  bearbeitet.  Audi  der  Diabetes  insipidus  und  die 
Seekrankheit  werden  in  diesem  Abschnitte  besprochen.  Die  Be¬ 
arbeitung  des  Tetanus  aus  der  Feder  von  Nicolai  er  (Göttingen), 
sowie  einiger  funclioneller  Sprachstörungen  (Stottern,  Taubstumm¬ 
heit  etc.)  von  Ziehen  (Jena)  beschliessen  diesen  Abschnitt.  Als 
letztes  Capitel  des  vierten  Bandes  ist  die  Besprechung  der  Chirurgie 
des  Nervensystems  von  Kölliker  (Leipzig)  mit  kurzer  Beschreibung 
der  Operationen  und  deren  Indicationen  angereiht.  Wenn  auch  der 
Praktiker  niemals  Gelegenheit  haben  wird,  eine  solche  Operation 
selbst  auszuführen,  so  ist  es  doch  andererseits  von  der  grössten  Be¬ 
deutung,  über  die  Indicationen  zur  Ausführung  einer  chirurgischen 
Behandlung  genau  orientirt  zu  sein,  um  kein  Mittel  unversucht  zu 
lassen,  wenn  es  sich  um  die  Genesung  seines  Kranken  handelt. 

Gerade  dieses  Hinübergreifen  auf  andere  Gebiete,  die  Be¬ 
sprechung  der  Chirurgie  in  ihrem  Zusammenhang  mit  der  internen 
Medicin,  der  Erkrankungen  des  Auges  und  Ohres,  so  weit  sie  von 
inneren  Krankheiten  abhängig  sind,  ist  es,  was  das  vorliegende 
Handbuch  ganz  besonders  auszeichnet.  Nicht  minder  bestechend 
wirkt  die  schon  wiederholt  erwähnte  einheitliche  Darstellung 
des  Stoffes,  die  thatsächlich  den  Eindruck  erweckt,  als  hätte  das 
ganze  Werk  einen  Verfasser.  Auch  äusserlich  kommt  diese  Ein¬ 
heitlichkeit  schon  durch  die  Eintheilung  der  einzelnen  Bände  und 
das  jeweilige  Sachregister  zum  Ausdruck.  Es  fehlen  nur  noch  wenige 
Lieferungen  und  das  Handbuch  wird  complet  vorliegen.  Bleiben  die 
noch  ausständigen  Theile,  woran  wohl  kaum  zu  zweifeln  ist,  auf 
der  Höhe  der  bisher  erschienenen,  so  wird  jeder  objectiv  urtheilende 
Leser  das  Werk  als  eine  erfreuliche  Bereicherung  der  Literatur  an¬ 
erkennen.  v.  Weismayr. 


I.  Bericht  über  den  Congress  zur  Bekämpfung  der  Tuber¬ 
culose  als  Volkskrankheit.  Berlin,  24.  bis  27.  Mai  1899. 

Herausgegeben  von  der  C'ongressleitung.  Unter  Mitwirkung  der  Abtheilungs- 
vorstände,  redigirt  von  Dr.  Pannwitz. 

Deutsches  Centralcomite  zur  Errichtung  von  Heilstätten  für  Lungen¬ 
kranke. 

Berlin  1899. 

II.  Les  Sanatoria. 

Traitement  et  Prophylaxie  de  la  Phthisie  pulmo- 

n  a  i  r  e. 

Von  J.  A.  Knopf. 

Paris  1900,  Carre  &  N  a  u  d. 

I.  Ein  umfangreicher,  schön  ausgestatteter  Band,  das  officielle 
Protokoll  über  den  im  Mai  v.  J.  stattgehabten  Congress  zur  Be¬ 
kämpfung  der  Tuberculose  in  Berlin,  von  Pannwitz  in  kurzer 
Frist  zusammengestellt,  gibt  Zeugniss  von  der  Fülle  der  Arbeit,  die 
damals  in  der  deutschen  Metropole  bewältigt  wurde. 

Nicht  nur  die  Referate  und  Vorträge  die  wirklich  gehalten 
worden  sind,  sondern  auch  die  sehr  zahlreichen  zur  Discussion  an¬ 
gemeldeten  Themen,  die  wegen  Mangel  an  Zeit  nicht  zur  Sprache 
kommen  konnten,  sind  im  vorliegenden  Berichte  abgedruckt;  ebenso 
die  Eröffnungs-  und  Schlussreden,  die  Verzeichnisse  der  Mitglieder 
und  Delegirten  der  verschiedenen  Länder,  die  zur  Vertheilung  ge¬ 
langten  Druckschriften,  die  ausgestellten  Heilstättenpläne  u.  dgl.  m. 
Darum  wird  dieser  Bericht,  den  das  Centralcomite  allen  Delegirten 
auf  dem  Wege  der  Regierungen  zukommen  lässt,  der  auf  diese  Art 
in  aller  Herren  Länder  gelangt,  nicht  nur  jedem  Congresstheilnehmer 
ein  erwünschtes  Andenken  sein,  sondern  auch  Jeder  der  den  Con¬ 
gress  nicht  besucht  hat,  wird  aus  der  grossen  Menge  der  Vorträge 
und  Referate  Nutzen  ziehen  können,  da  wohl  die  Prophylaxe  und 
Therapie  der  Tuberculose  kaum  irgendwo  eingehender  behandelt, 
von  mehr  Seiten  beleuchtet  sein  kann,  als  es  in  diesem  Berichte 
der  Fall  ist.  Deshalb  ist  dem  Werke  die  weiteste  Verbreitung  leb¬ 
haft  zu  wünschen. 

* 

II.  Eine  ausführliche  Wiedergabe  der  Geschichte  der  Tuberculose 
und  deren  Behandlung,  die  mit  Hippo  k  rates  beginnt  und  mit 


402 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  20 


dem  Congress  zur  Bekämpfung  der  Tuberculose  in  Berlin  (1899) 
sehliesst,  eröffnet  das  stattliche  Werk  des  Verfassers.  Gelegentlich 
der  Erwähnung  der  Opposition  mancher  Gemeinden  gegen  die 
Gründung  von  Heilanstalten,  erzählt  Knopf  auch  von  den  Kämpfen, 
die  hei  uns  stattfanden,  ehe  man  in  Alland  den  definitiven  Platz 
gefunden.  In  recht  ironisch-witziger  Weise  schildert  er  die  Furcht 
der  Einwohner  des  zuerst  gewählten  Ortes,  dahin  gehend,  die  reichen 
Kranken  würden  ausbleiben,  wenn  die  Anstalt  für  die  Armen  einmal 
dastehen  werde.  So  entschied  man  sich  für  einen  anderen  Ort 
....  et  au  grand  etonnement  des  bons  viilageois  de  la  place  designee 
auparavant,  les  clients  du  grand  professeur  (des  Gründers  der  An¬ 
stalt)  vont  a  present  dans  le  voisinage  du  sanatorium  erige  pour 
les  pauvres«. 

Die  zunächst  folgenden  Capitel  bringen  statistische  Daten  über 
die  Sterblichkeit  in  Folge  von  Tuberculose,  sowie  über  die  ana- 
lomischen  und  klinischen  Beweise  der  Heilbarkeit  dieses  Leidens 
und  die  Dauer  der  Heilung.  In  der  Form  eines  Sammelreferates 
werden  ferner  die  verschiedenen  Infeclionsmöglichkeiten  und  deren 
Abwehr  auseinandergesetzt.  Das  nächste  Capitel  zeigt  uns  den  Kampf 
der  verschiedenen  Länder  gegen  die  Schwindsucht;  der  Verfasser 
citirt  die  eventuellen  Gesetze  und  Verhaltungsmassregeln  bezüglich 
der  allgemeinen  Prophylaxe.  Oesterreich  kommt  dabei  ziemlich 
schlecht  weg,  ohne  dass  dem  Autor  daraus  ein  Vorwurf  gemacht 
werden  könnte;  er  anerkennt  die  Thätigkeit  des  Vereines  »Heilanstalt 
Alland«,  der  ja  in  Cisleithanien  bis  nun  einzig  und  allein  die  Be¬ 
kämpfung  der  Tuberculose  sich  zur  Aufgabe  gemacht  hat. 

Interessant  sind  die  Vorkehrungen  in  anderen  Ländern,  so 
z.  B.  in  Australien.  In  Sydney  ist  es  bei  Strafe  von  25  Francs  unter¬ 
sagt,  in  einem  öffentlichen  Local  oder  auf  der  Strasse  auf  den  Boden 
zu  spucken.  Auch  die  Gesetze  zur  Bekämpfung  der  Viehtuherculose 
und  deren  Uehertragung  auf  den  Menschen  sind  dort  streng  ge¬ 
regelt.  Ganz  besonders  aber  stehen  in  dieser  Hinsicht  Frankreich 
und  die  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  obenan.  Eine  auch 
nur  cursorischc  Wiedergabe  der  betreffenden  Gesetze  und  Vorschriften 
verbietet  sich  von  selbst. 

Die  folgenden  Capitel  besprechen  von  rein  ärztlichen  Stand¬ 
punkt  alle  zur  Verhütung  der  menschlichen  und  thierischen  Tuber¬ 
culose  nöthigen  Massregeln,  sowie  die  Behandlung  der  Krankheit 
und  bilden  auf  diese  Weise  den  Uebergang  zu  dem  Ilaupttheil  des 
Werkes,  der  Beschreibung  der  bestehenden  Sanatorien  und  Heilstätten 
für  Tuberculose.  In  alphabetischer  Reihenfolge  der  einzelnen  Länder 
zählt  der  Verfasser  einen  grossen  Theil  der  zur  Zeit  der  Heraus¬ 
gabe  des  Buches  schon  belegten  Heilstätten  für  Arme  und  Sana¬ 
torien  für  Reiche  nicht  nur  auf,  sondern  bringt  von  jeder  einzelnen 
Anstalt  eine  eingehende  Beschreibung  und  Bilder,  die  eine  klare 
Vorstellung  gestatten.  Dass  in  dieses  Capitel  nicht  alle  bestehenden 
Anstalten  aufgenommen  werden  konnten,  ohne  den  Umfang  des 
Werkes  über  Mass  zu  vergrössern,  geht  schon  aus  der  darauf¬ 
folgenden  Tabelle  hervor,  in  der  der  Verfasser  die  sämmtlichen  Heil¬ 
stätten  übersichtlich  aufzählt,  im  Ganzen  über  160,  darunter  an  50 
in  Deutschland,  26  in  Grossbrilannien,  33  in  Amerika  u.  dgl.  m. 

In  einem  kürzeren  Capitel  beschreibt  Knopf  ein  »ideales  Sana¬ 
torium«;  »ideal«  nicht  in  der  bekannten  Bedeutung,  dass  wir  es  so  nie 
erreichen  können,  sondern  vielmehr  nur  im  Sinne  des  »Mustergültigen« 
in  Bezug  auf  Lage,  Bau  und  Einrichtung.  Die  Forderungen,  die  er 
ausspricht,  sind  durchwegs  zu  unterschreiben;  wenn  die  Anstalt 
aber  so  wird,  wie  er  sie  in  Fig.  63  abbildet,  so  mag  sie  sehr 
praktisch  sein,  aber  schön  ist  sie  gewiss  nicht.  Dieses  nur  im  Mittel- 
tract  mehrstöckige,  in  den  langen  Flügeln  aber  einstöckige  Gebäude 
sieht,  auf  dem  Bilde  wenigstens,  einem  Eisenbahnperron  ähnlicher 
als  einem  Sanatorium.  Das  ist  übrigens  eine  Frage,  die  der  Architekt 
zu  lösen  hat:  vom  hygienischen  Standpunkte  kann  gegen  Knopf’s 
Musteranstalt  nichts  eingewendet  werden. 

In  ausführlicher  Weise  bespricht  der  Verfasser  die  in  den  An¬ 
stalten  gebräuchlichen  und  zweckmässigsten  Gefässe  zum  Auffangen 
des  Sputums.  Die  Schrotte r’sche  Papier-mache-Schale  scheint 
ihm  nicht  bekannt  zu  sein,  dagegen  bildet  er  eine  »tasse-crachoir 
bygienicjue«  ab,  ein  Aluminiumgefäss,  das  mit  undurchlässigem  Papier 
ausgelegt  ist.  Dieses  wird  sammt  dem  Sputum  leicht  heraus 
genommen  —  es  ist  in  Form  einer  Tasche  gefaltet  —  und  ins 
Feuer  geworfen.  Nicht  uninteressant  ist  es,  zu  erfahren,  dass  im 
Sanatorium  von  Dr.  Trudeau  (Saranac  Lake)  die  Kranken  statt 
der  Taschentücher  —  japanisches  Papier  verwenden,  das  nach  der 


Benützung  ins  Feuer  geworfen  wird;  eine  Idee,  die  entschieden  Be¬ 
achtung  verdient,  da  ja  Taschentücher  stets  als  inficirt  zu  be¬ 
trachten  sind. 

Die  folgenden  Capitel  beschäftigen  sich  mit  der  hygienisch¬ 
diätetischen  Behandlung  der  Tuberculose  in  und  ausser  der  Anstalt; 
der  Verfasser  bespricht  eingehend  die  medicamentöse  und  sympto¬ 
matische  Therapie,  die  Behandlung  etwaiger  Coinplicationen,  der 
Larynxtuherculose,  sowie  die  Behandlung  in  Specialanstalten  in 
Städten.  Wir  müssen,  sagt  er  zum  Schluss,  dahin  kommen,  die 
Tuberculose  verschwinden  zu  machen;  aus  vollem  Herzen  sehliesst 
er  sich  der  Meinung  des  unsterblichen  Pasteur  an:  »II  est 
dans  le  pouvoir  de  l’homme  de  faire  disparaitre 
to utes  les  maladies  parasitaires  du  monde«. 

Mit  Rücksicht  darauf,  dass  bisher  keine  ähnliche  Arbeit 
existirt,  die  in  so  eingehender  Weise  über  die  Sanatorienbehandlung 
der  Tuberculose  Aufschluss  gibt,  wie  gerade  die  vorliegende,  ist  die 
Lecture  Jedem  wärmstens  zu  empfehlen.  Die  Ausstattung  des  an 
500  Seiten  starken  Werkes  ist  in  jeder  Hinsicht  tadellos. 

v.  Weis  m  a  y  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

129.  Ueber  die  Vererbung  der  Agglutinin  e  bei 
choleraimmunisirten  Meerschweinchen.  Von  Doctor 
Dieudonne  (Würzburg).  Bis  jetzt  sind  im  Blutserum  drei 
Gruppen  von  Schutzstoffen  entdeckt  worden,  die  im  Kampfe  des 
Organismus  mit  den  Bacterien  sonder  Zweifel  eine  wichtige  Rolle 
spielen.  In  die  erste  Gruppe  gehören  die  Antitoxine,  deren 
Wirksamkeit  darin  besteht,  die  von  gewissen  Bacterien  (besonders 
Diphtherie  und  Tetanus)  gebildeten,  giftig  wirkenden  Stoffwechscl- 
producte  (Toxine)  unschädlich  zu  machen.  Sie  finden  sich  bei  vielen 
gesunden  Menschen,  hei  Neugeborenen,  besonders  aber  nach  er¬ 
worbener  Immunität  und  bei  künstlich  immunisirten  Thieren.  Diese 
Antitoxine  wirken  auch,  wenn  sie  einem  fremden  Körper  einverleibt 
werden  (Serumtherapie).  Die  zweite  Gruppe  bilden  die  bacterio- 
lytischen  Schutzstoffe,  welche  die  lebenden  Bacterien  direct 
tödten  und  namentlich  bei  Individuen  Vorkommen,  welche  eine 
natürliche  oder  künstliche  Cholera-  oder  Typhusinfection  durchge¬ 
macht  haben.  Sie  verleihen  demnach  eine  Bacterienimmunität  und 
wirken  in  der  Weise,  dass  sie  die  Bacterien  zur  Auflösung  bringen. 
Diese  bacterioly tischen  Stoffe  entfalten  ihre  Wirksamkeit  im  Wesent¬ 
lichen  nur  i  m  Thierkörper.  Wurden  in  derselben  Richtung  Thiere 
künstlich  immunisirt,  so  besitzt  das  Serum  dieser  Thiere  noch  die 
Fähigkeit,  ausserhalb  des  Thierkörpers  die  entsprechenden 
Bacterien  in  eigenthümlicher  Weise  zu  beeinflussen:  Die  vorher  be¬ 
weglichen  Bacterien  werden  unbeweglich  und  kleben  zu  Häufchen 
zusammen.  Dies  wird  durch  die  dritte  Art  der  Schutzstoffe  bedingt, 
welche  von  Gruber  und  Durham  als  A g glutinine  he- 
zeichnet  werden.  Bis  jetzt  ist  weiters  bekannt,  dass  die  Antitoxine 
durch  die  Milch  —  nicht  durch  Samen  oder  Eizelle  —  auf  den 
Säugling  übertragen  werden  können.  Hinsichtlich  der  anderen  Schutz¬ 
körper  ist  in  dieser  Beziehung  noch  wenig  bekannt  geworden. 
Dieudonne  hat  in  zahlreichen  Meerschweinchenversuchen  ge¬ 
funden,  dass  die  Agglutinine  von  den  Eltern  auf  die  Nachkommen 
vererbt  werden,  und  zwar  in  so  höherem  Masse,  je  hochgradiger 
die  Eltern  immunisirt  sind.  Der  Vater  spielt  dabei  gar  keine  Rolle, 
sondern  ausschliesslich  die  Mutter.  Diese  Agglutinationswirkung 
nimmt  rasch  ab  und  ist  innerhalb  von  l'/2 — 2  Monaten  völlig 
verschwunden.  Eine  Vererbung  der  Agglutinine  auf  die  Enkelgene¬ 
ration  findet  nicht  statt.  Eine  Uebertragung  der  Agglutinine  durch 
die  Säugung  findet  beim  Meerschweinchen  nicht  statt.  —  (Fest¬ 
schrift  zum  50jährigen  Jubiläum  der  physikalisch-medicinischen 
Gesellschaft  zu  Würzburg.  Stüber,  Würzburg  1899.) 

* 

130.  (Aus  dem  pathologischen  Institute  zu  Königsberg.) 
Ueber  chronische  Myocarditis  mit  Ilerzaneu- 
rysma  im  Kindesalter,  zugleich  ein  Beitrag  zur 
Aetiologie  derselben.  Von  Dr.  Rosenstein.  Ein  elf¬ 
jähriger  Knabe,  dem  in  Narkose  ein  vom  Becken  ausgehender  kalter 
Abscess  eröffnet  worden  war,  starb  zwei  Tage  nachher.  Bei  der  Ob- 
duction  wurde,  abgesehen  von  tuberculösen  Herden  in  verschiedenen 
Organen,  an  der  Spitze  des  linken  Ventrikels  eine  ausgebuchtete, 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


endocarditische  Schwiele  gefunden.  Trotzdem  die  mikroskopische 
Untersuchung  .keine  tuherculösen  Herde  an  dieser  Stelle  finden 
liess,  glaubte  man  doch  annehmen  zu  müssen,  dass  von  einer  ur¬ 
sprünglich  vorhandenen  chronischen  —  wahrscheinlich  tubor- 
culösen  —  Pericarditis  der  tuberculöse  Entzündungsprocess  auf  das 
Mvo-  und  Endocard  übergegriffen,  zur  Schwielenbildung  und  damit 
zur  Entstehung  eines  Aneurysmas  an  der  Herzspitze  geführt  habe. 
Ueber  Herzbeschwerden  hatte  der  Knabe  nie  geklagt  gehabt.  — 
(Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXIX,  Heft  1  und  2.) 

* 

131.  Ueber  einen  Fall  von  Jodkalium  parotitis. 
Von  Dr.  Trautmann  (München).  Ein  32jähriger  kräftiger  Mann 
hatte  innerhalb  15  Tagen  12  g  Jodkali,  beziehungsweise  0'26  pro 
dosi  und  0'8  pro  die  genommen.  Darauf  trat  eine  heftige  Entzün¬ 
dung  der  rechten  Parotis  auf,  die  spontan  zurückging,  als  das  Medi¬ 
cament  ausgesetzt  wurde.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  4.) 

* 

132.  Zur  Therapie  und  Aetiologie  der  Hals¬ 
lymphome.  Von  Dr.  Jessen  (Hamburg).  Verfasser  ist  nach 
seinen  Erfahrungen  überzeugt,  dass  die  sogenannten  Halslymphome 
der  Kinder  fast  immer  von  der  Rachentonsille  ausgehen;  in  zweiter 
Linie  kommen  die  Gaumentonsillen  und  weiterhin  cariöse  Zähne 
als  Eingangspforten  für  die  jeweiligen  Mikroben  in  Betracht.  Ebenso 
wie  nun  an  anderen  Körperstellen  die  regionären  Drüsen  nach  Ent- 
ternung  des  primären  Krankheitsherdes  abschwellen,  ebenso  soll 
auch  das  hier  der  Fall  sein.  Zum  Beweise  dafür,  dass  nach  ope¬ 
rativer  Entfernung  der  Rachentonsille  selbst  lange,  aber  erfolglos 
behandelte  Halslymphome  zurückgehen,  werden  sechs  Krankenge¬ 
schichten  vorgelegt,  darunter  zwei,  in  denen  berichtet  wird,  dass 
Fisteln,  welche  nach  operativer  Entfernung  der  Drüsenpakete  zurück¬ 
geblieben  waren  und  sich  trotz  aller  Behandlung  nicht  schlossen, 
in  8 — 14  Tagen  verheilten,  nachdem  die  Rachentonsille  entfernt 
worden  war.  —  (Centralblatt  für  innere  Medicin.  1899,  Nr.  35.) 

* 

133.  (Aus  der  inneren  Abtheilung  des  Geh.  R.  B  u  rk  a  r  t  am 
St.  Johannes-Hospital  zu  Bonn.)  Ein  Fall  von  chronischer 
Trionalvergiftung.  Die  28jährige  Dame  hatte  zur  Bekämpfung 
ihrer  Schlaflosigkeit  vom  15.  Januar  bis  3.  Juni  1898  in  regel¬ 
mässigen  Zwischenräumen  Trional  genommen  und  davon  während 
der  genannten  Zeit  127  <7  verbraucht.  Ende  März  fiel  es  den  An¬ 
gehörigen  der  Patientin  auf,  dass  diese  schlecht  aussehe,  das  linke 
Bein  beim  Gehen  etwas  nachschleppte  und  neben  einer  zunehmenden 
Mattigkeit  eine  gewisse  psychische  Depression  zeigte.  Von  Ende 
April  ab  wurden  die  Stühle  dünn,  fleischwasserähnlich  und  waren 
mit  viel  Schleim  vermengt;  vom  11.  Mai  an  bestanden  Verstopfung, 
kolikartige  Schmerzen  und  einige  Tage  lang  soll  fast  gar  kein  Urin 
entleert  worden  sein.  Der  erste  hernach  unter  grossen  Schmerzen 
gelassene  Harn  war  burgunderroth.  Dieser  Farbstoff  war  nicht  — 
wie  hei  Salolvergiftung  —  durch  Hämatoporphyrin,  sondern  durch 
einen  noch  unbekannten  Körper  bedingt.  Die  weitere  Untersuchung 
des  Harnes  ergab  das  Bestehen  einer  Nephritis.  Aus  dem  weiteren 
Verlaufe  der  Krankheit,  die  einen  Spitalsaufenthalt  von  vier  Monaten 
nöthig  gemacht  hatte,  sind  die  oft  auftretende  Herzschwäche  (Tachy- 
cardie,  Beklemmung,  Blässe  der  Haut),  die  Sensibilitätsstörung  im 
Gebiete  der  Kreuzbeingegend  und  der  unteren  Extremitäten,  die 
motorischen  Störungen  in  den  letzteren  besonders  bemerkenswert!!. 
Die  Therapie  hatte  im  Aussetzen  des  Medicamentes,  Erhöhung  der 
Alkalescenz  des  Blutes  (Natr.  bicarb,  und  sulf.)  und  in  allgemein 
roborirender  Diät  bestanden.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  40.) 

* 

134.  Dr.  Schultz  (Berlin)  berichtet,  dass  in  jüngster  Zeit 
in  einem  Monate  18  frische  Trachomfälle  beobachtet 
werden  konnten,  was  hei  der  relativen  Seltenheit  derselben  in  Berlin 
recht  auffallend  war.  Weitere  Nachforschungen  ergaben  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Infection  in  einem  Badebassin  ge¬ 
schehen  und  durch  das  Wasser  vermittelt  worden  war.  —  (Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  39.) 

* 

135.  Ist  Chloroform  ein  Bandwurmmittel?  Von 
0.  Leichtenstern  (Köln).  Dasselbe  wurde  von  amerikanischen, 
englischen  und  französischen  Antoren,  schliesslich  von  Graescr 


4(13 


in  Bonn  in  folgender  Form  empfohlen:  Rp.  Ghlorof.  4-0,  01.  croton, 
gtt.  I,  Glyc.  300.  S.  auf  einmal  zu  nehmen.  Leichtenstern 
hat  es  in  13  Fällen  von  Taenia  saginata  versucht,  wobei  nur 
ein  einziges  Mal  der  Kopf  mit  abging;  ja  sogar  als  proglottiden- 
treibendes  Mittel  hatte  es  sich  schlecht  bewährt.  G  r  a  e  s  e  r  hatte 
mit  dem  Mittel  in  37  Fällen  von  Taenia  solium,  die  leichter 
abzutreiben  ist,  einen  vollkommenen  Erfolg  erreicht.  Doch  ist  es 
sehr  fraglich,  ob  man  gegen  die  letztere  Bandwurmart  das  Mittel 
anwenden  solle,  da  nach  dieser  grossen  Chloroformdosis  Schlafsucht, 
Sopor,  selbst  schwerer  Gollaps  beobachtet  worden  sind,  andererseits 
hiezu  das  gänzlich  gefahrlose  Koso  vollkommen  ausreicht.  —  (Die 

Therapie  der  Gegenwart.  1899,  Nr.  9.) 

* 

136.  (Aus  dem  Augusta-Hospital  in  Köln.)  Ueber  Venen¬ 
thrombose  bei  Chlorose.  Von  Leichtenstern.  Es  wird 
auf  die  Häufigkeit  der  Venenthrombose  bei  Chlorose  hingewiesen. 
Leichtenstern  hat  in  einem  Halbjahre  acht  Fälle  constatirt 
und  aus  der  Literatur  86  derartige  Fälle  gesammelt.  Sie  betraf  die 
Venen  der  Unterextremitäten  48mal  und  die  Gehirnsinus  29mal. 
Oedem  kann  fehlen,  manchmal  auch  der  Schmerz!  Es  ist  das 
therapeutisch  sehr  wichtig,  da  die  Thrombose  übersehen  und 
Massage,  Spazirengehen,  Gymnastik  etc.  verordnet  und  die  Gefahr 
einer  »Pulmonalembolie«  provocirt  werden  könnte,  und  zwar  um  so 
mehr,  als  die  chlorotischen  Thromben  durch  ihr  lockeres  Gefüge 
—  vielleicht  in  Folge  des  Reichtumes  an  Blutplättchen  —  aus¬ 
gezeichnet  sind.  Die  Ursachen  der  Thrombcnbildung  bei  Chlorose 
sind  noch  nicht  ganz  aufgeklärt.  In  Betracht  kommen  wohl  die 
geschwächte  Triebkraft  des  chlorotischen  Herzmuskels,  Veränderun¬ 
gen  an  der  Intima  der  Gefässwände  und  eine  Veränderung  der 
Blutbeschaffenheit.  — -  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  48.) 

* 

137.  Ueber  das  Vorkommen  von  Talgdrüsen  in 
der  Schleimhaut  des  Mundes.  Von  Dr.  D  e  1  b  a  n  c  0 
(Hamburg).  Es  wurden  zwei  Fälle  genauer  beobachtet,  in  welchen, 
wahrscheinlich  in  Folge  einer  entzündlichen  Reizung,  auf  der 
Wangenschleimhaut  eine  Menge  gelb  durchscheinender  miliarer 
Körner  auftreten,  die  über  die  Oberfläche  nicht  oder  nur  ein 
weniges  emporragten,  und  von  welchen  die  grössten  Stecknadelkopf¬ 
grösse  erreichten.  Die  mikroskopische  Untersuchung  erwies  sie  als 
Talgdrüsen,  als  welche  sie  sich  anderen  von  Haaren  unabhängigen 
Schleimhauttalgdrüsen  anreihen  dürften,  wie  den  M  e  i  h  0  nr  sehen, 
Tys  on’schen,  den  Talgdrüsen  im  Bereiche  des  rothen  Lippen¬ 
randes  und  jenen  der  kleinen  Labien.  —  (Monatshefte  für  praktische 
Dermatologie.  Bd.  XXIX,  Nr.  8.) 

* 

138.  Dass  die  Gonoccen  die  Ursachen  verschieden  localisirter 
Entzündungsprocesse  sein  können,  ist  bekannt.  Sie  wurden  als  Er¬ 
reger  von  Salpingitis,  von  Endocarditis  und  ebenso  in  der  Gelenk¬ 
flüssigkeit  bei  Tripperrheumatismus  nachgewiesen,  v.  Leyden  be¬ 
richtete  im  Vereine  für  innere  Medicin  zu  Berlin  über  einen  Fall 
von  diffuser  eiterig-fibrinöser  Peritonitis,  welche 
ausschliesslich  durch  Gonoccen  hervorgerufen  worden 
war.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  52.) 

* 

139-  Ein  casuistischer  Beitrag  zur  Schularzt- 
fr  age.  Von  Dr.  Lohnstein  (Berlin).  Die  Bestrebungen  auf  Ein¬ 
führung  der  Institution  der  Schulärzte  wird  von  einem  Theile  der 
Lehrerschaft  mit  der  Motivirung  bekämpft,  dass  sie  für  alle  schul¬ 
hygienischen  Fragen  selbst  genügend  competent  sei.  Im  Gegensätze 
hiezu  steht  der  hier  mitgetheilte  Fall,  in  dem  ein  wegen  seines 
Schichtstaares  mit  Erfolg  operirter  Knabe,  der  mit  entsprechenden 
Convexgläsern  feine  Druckschrift  (Sn.  (47)  ziemlich  fliessend  lesen 
konnte,  auf  blosse  Anordnung  des  Schulrectors  einer  Blindenschule 
überwiesen  wird,  dort  mit  der  Erlernung  der  Blindenschrift  sich 
abquälen,  trotz  eines  abgegebenen  ärztlichen  Attestes  daselbst  bleiben 
muss  und  seine  Entlassung  erst  nach  Beschreiten  eines  langwierigen 
Instanzenzuges  erfolgen  kann.  —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  52.) 

* 

140.  Drei  Gastroenterostomien,  eine  Darm- 
resection  und  zwei  Enteroenterostomien  an  einer 
Kranken  mit  Ausgang  in  Heilung.  Von  Prof.  Kehr  in 


464 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  20 


Halberstadt.  Wegen  eines  alten  Ulcusleidens  wurde  bei  der  20jähri- 
gen  Kranken  zuerst  die  Gastroenterostomie  nach  Hacker,  wegen 
des  Auftretens  der  alten  Symptome  sechs  Wochen  später  die 
Enteroenterostomie  nach  Braun,  aus  gleicher  Ursache  etwa  ein 
halbes  Jahr  später  die  Gastroenterostomia  antecolica  anterior  nach 
W  ö  1  f  1  e  r  ausgeführt.  Trotz  der  vier  Löcher  im  Magen,  worunter 
drei  dem  Abfluss  dienten,  kehrten  die  Beschwerden  wieder,  so  dass 
die  Patientin  nach  drei  Vierteljahren  abermals  laparotomirt  wurde, 
wobei  constatirt  werden  konnte,  dass  die  anfangs  gut  functionirende 
Gastroenterostomieöffnung  vollständig  verschwunden  war.  Die 
Wölfler'sche  Schlinge  wurde  ahgelöst,  resecirt,  die  abführende 
Schlinge  in  den  Magen  eingenäht,  die  zuführende  in  den  abführen¬ 
den  Darmtheil  eingefügt.  Vorläufig  befindet  sich  die  Operirte  wohl. 
Kehr  bevorzugt  die  Hacke  r’sche  Methode.  —  (Münchener  medi- 

cinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  49.) 

* 

141.  (Aus  der  chirurgischen  Privatklinik  des  Prof.  Kehr  in 
Halberstadt.)  Erster  Fall  von  erfolgreicher  Gastro¬ 
enterostomie  wegen  angeborener  stenosirender 
Pylorushypertrophie  bei  einem  achtwöchigen 
Säuglinge.  Von  W.  Abel.  Die  ersten  vier  Wochen  hatten  keine 
auffälligen  Krankheitserscheinungen  bestanden;  erst  nachher  führten 
das  hartnäckige,  niemals  gallige  Erbrechen  nach  der  Nahrungs¬ 
aufnahme,  der  spärliche  Stuhlgang,  die  Abmagerung,  die  peristalti¬ 
schen  Bewegungen  des  dilatirten  Magens,  die  Resistenz  in  der 
Pylorusgegend  zur  Diagnose  eines  stenosirenden  Tumors  der 
Pylorusgegend.  Bei  der  glatt  verlaufenen  Operation  nach  W  ö  1  f  1  e  r 
erwies  sich  der  Pförtner  nicht  einmal  für  eine  3  mm  dicke  Sonde 
durchgängig.  Das  Kind  nahm  gleich  in  der  ersten  Woche  um  450 g 
zu.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  48.) 

* 

142.  Ueber  die  Wirkung  des  Morphins  und 
einiger  seiner  Abkömmlinge  auf  die  Athmung.  Von 
Dr.  Impens  (Brüssel).  Aus  sehr  zahlreichen  Thierversuchen  er¬ 
geben  sich  folgende  Schlüsse:  Unter  allen  Substanzen  der  Morphin¬ 
gruppe  wirkt  Heroin  mit  der  geringsten  Dosis  auf  die  Athmung. 
Morphin  fordert  eine  fünffache  Gabe,  Dionin  eine  zwölffache,  Codein 
eine  20fache,  um  einen  noch  nicht  annähernden  Effect  zu  erreichen. 
Peronin  hat  nach  einer  2  —  30fachen  Dosis  nur  eine  sehr  geringe 
Wirkung.  Die  Gefahr  beim  Gebrauche  des  Heroin  ist  eine  viel 
kleinere  wie  bei  den  anderen  Präparaten,  ist  2,5mal  so  gross  heim 
Morphin,  zwölfmal  beim  Dionin,  20mal  beim  Codein.  Stellt  man 
den  Effect  beim  Peronin  gleich  1,  so  ist  er  mit  Dionin  D4, 
Codein  2,  Morphin  2'5,  Heroin  3'7.  Die  Energie  jedes  Athemzuges 
wird  heim  Heroin  erhöht,  was  zum  Beispiel  besonders  für  die 
Phthise  von  Wichtigkeit  ist,  bei  den  anderen  dagegen  meist  ver¬ 
mindert;  Heroin  ist  nach  Autor  ein  specifisches  energisches  Seda¬ 
tivum  in  Bezug  auf  die  Athmung.  Für  den  Menschen  sollen  die¬ 
selben  Schlüsse  gelten.  —  (Pflüger’s  Archiv  für  Physiologie. 
Bd.  LXXVIII,  Heft  11  und  12.) 

* 

143.  Ein  mit  grossen  Carboldosen  behandelter 
und  geheilter  Pestfall.  Von  M.  A  t  k  i  n  s  o  n.  Es  handelte 
sich  um  einen  Schotten  mit  Bubo  der  Inguinaldrüsen,  bei  dem 
durch  den  Befund  von  Bacillen  im  Blute  die  Pest  festgestellt 
worden  war.  Derselbe  bekam  durch  drei  Tage  vierstündlich 
0  2  Carbolsäure  in  Pillen,  von  da  ab  etwas  weniger.  Carbolharn 
war  erst  am  15.  Tage  aufgetreten,  von  welcher  Zeit  mit  der  Ver¬ 
abreichung  des  Medicamentes  aufgehört  wurde,  zumal  alle  Er¬ 
scheinungen  der  Krankheit  bis  auf  einen  für  die  Incision  reifen  Bubo 

nachgelassen  hatten.  (Lancet.  9.  December  1899.) 

* 

144.  Ueber  einen  Fall  von  milchweis  sem  Asci¬ 
tes  hei  syphilitischer  Lebercirrhose.  Von  Dr.  Pol¬ 
jak  off  (Moskau).  Der  Fall  ist  besonders  im  Hinblicke  auf  die 
Arbeit  aus  der  Klinik  von  Prof.  B  o  z  z  o  1  o  in  Nr.  3  dieser 
Wochenschrift  von  besonderem  Interesse.  Es  handelte  sich  um  eine 
Irau  mit  syphilitischer  Lebercirrhose  und  parenchymatöser  Nephritis. 
Bei  der  Punction  des  Ascites  waren  9  Liter  einer  milchweissen 
Flüssigkeit,  dessen  Farbe  nicht  erklärt  werden  konnte,  da  die  Unter¬ 
suchung  für  Fett  und  Extractivstoffe  nur  0'26%  ergab.  - —  (Ber¬ 
liner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  1.) 

* 


145.  (Aus  dem  pharmakologischen  Institute  in  Bonn.) 
Ueber  das  Kohlenoxyd  im  Tabak  rauche.  Von  Pro¬ 
fessor  Binz  (Bonn).  Es  gibt  dreierlei  Gifte  im  Tabakrauche: 
1.  Das  Nicotin,  2.  die  durch  langsames  Verbrennen  entstehenden 
Brenzkörper  (Pyridin  u.  s.  w.)  und  3.  das  durch  denselben  Vor¬ 
gang  entstehende  Kohlenoxyd.  Die  Menge  des  letzteren  Stoffes  im 
Rauche  schwankte  zwischen  0'6  bis  7‘6%  unc^  ist  umso  grösser 
je  weniger  Luft  durch  den  Tabak  durchgesaugt  wird,  beziehungs¬ 
weise  je  langsamer  er  verbrennt.  Erst  der  Rauch  von  600  Cigarren 
würde  in  einem  Zimmer  von  64  m3  Rauminhalt  den  für  einen 
Menschen  tödtlichen  Procentsatz  von  05  Kohlenoxyd  erreichen. 
Eine  noch  so  geringe  acute  Vergiftung  durch  das  Kohlenoxyd  des 
Tabakrauches  ist  demnach  schwerlich  zu  befürchten;  ob  aber  nicht 
dadurch,  dass  jahrelang  kleine  Mengen  von  Kohlenoxyd  ins  Blut 
des  Rauchers  übergehen,  eine  chronische  Schädigung  herbeigeführt 
werden  kann,  wäre  erst  zu  untersuchen.  —  (Deutsche  Aerzte- 
Zeitung.  1900,  Nr.  1.) 

* 

146.  (Aus  der  poliklinischen  Abtheilung  des  Prof.  Boas  in 
Berlin.)  Der  Einfluss  der  Menstruation  auf  die  Thä- 
tigkeit  des  Magens.  Von  Dr.  Elsner.  Verfasser  hatte  Ge¬ 
legenheit  bei  14  menstruirenden  Frauen  mehrmals  deren  Magen¬ 
function  zu  prüfen.  Dabei  ergaben  sich  folgende  Befunde:  Geringe 
Blutungen  waren  ohne  Einfluss  auf  die  Acidität  des  Magensaftes; 
bei  stärkeren  Blutungen  kann  Hyperacidität  auftreten,  welche  ent¬ 
weder  die  Folge  eines  von  den  Genitalien  ausgehenden  vasomotori¬ 
schen  Reflexes  oder  einer  directen  Uebertragung  des  Genitalreizes 
auf  die  Nervenbahnen  des  Magens  ist.  Bei  noch  stärkeren  Blutungen 
kann  eine  Verminderung  der  Magensaftabscheidung  und  damit 
zugleich  eine  Hypacidität  auftreten.  —  (Archiv  für  Verdauungs¬ 
krankheiten.  Bd.  V,  Heft  4.) 

* 

147.  Ein  mit  intracerebraler  Injection  behan¬ 
delter  Tetanusfall.  Von  Gimlette  (London).  Der  Fall 
betraf  einen  23jährigen  gesunden  Mann,  welcher  eine  Woche  nach 
der  Infection  mit  beginnenden  Tetanussymptomen  ins  königliche 
Seehospital  aufgenommen  worden  war.  Die  beiden  ersten  Tage 
wurden  Brom  und  Chloral  versucht,  am  dritten  Tage  jedoch  zwei 
intracerebrale  Injectionen  von  concentrirtem  Serum,  und  zwar  von 
je  2  5  cm3  in  jede  Schädelhälfte  ausgeführt.  Dazu  kam  ausserdem 
noch  eine  Injection  von  10  cm3  gewöhnlichen  Serums,  welch  letztere 
noch  durch  weitere  zehn  Tage  wiederholt  wurde.  Irgendwelche  Er¬ 
scheinungen  von  Seite  des  Gehirnes  in  Folge  des  Eingriffes  waren 
nicht  beobachtet  worden.  Der  Fall  endete  mit  Heilung,  welche 
Verfasser  vollständig  der  Wirksamkeit  des  Antitoxins  zuschreibt. 
—  (Lancet.  1899,  Vol.  II,  Nr.  2.) 

* 

148.  Endemische  Bad- Conjunctivitis.  Von  Doctor 
Fe  hr  (Berlin).  In  Nr.  39,  1899  der  Berliner  klinischen  Wochen¬ 
schrift  hat  Schulz  über  18  junge  Leute  berichtet,  welche  mit 
echtem  Trachom  an  die  Poliklinik  zur  Beobachtung  gekommen 
waren  und  die  im  vergangenen  Sommer  eine  bestimmte  Badeanstalt 
besucht  hatten.  In  derselben  Zeit  kamen  an  der  Augenheilanstalt 
des  Prof.  Hirschherg  40  Fälle  von  Augenbindehauterkrankungen 
zur  Beobachtung,  welche  anfangs  auch  für  Trachom  gehalten 
wurden,  aber  erst  durch  den  Verlauf  als  gutartige  Conjunctivitiden 
erkannt  worden  waren.  Die  betreffenden  Personen  hatten  alle  das¬ 
selbe  Bad  besucht  gehabt  wie  jene,  über  welche  Schulz  be¬ 
richtet  hatte.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  1.) 

Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Für  die  im  Haushalte  schwierig  herzustellenden  Fleischsäfte 
werden  solche  fabriksmässig  bereitet  und  in  den  Handel  gebracht.  Zu 
diesen  gehört  auch  der  von  Dr.  Scholl  in  Thalkirchen  bei  München 
hergestellte  F  1  e  i  s  c  h  s  a  f  t  Puro,  dessen  Darreichung  von  Prof. 
Mendelsohn  bei  Anorexie,  unstillbarem  Erbrechen,  Ulcus  ventriculi, 
überhaupt  bei  verschiedenen  Zuständen,  welche  eine  Schonung  des 
Darmes  beanspruchen,  als  sehr  werthvoll  bezeichnet  ward.  —  (Wiener 
medicinische  Presse.  1900,  Nr.  9.) 

* 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


465 


Dr.  Beuttner  in  Genf  bait  das  Salipyrin  für  angezeigt 
bei  den  Meno-  und  Metrorrhagien  verschiedenster  Art  und  ganz  be¬ 
sonders  bei  den  prämenstruellen  und  menstruellen  psychischen 
Depressionszuständen.  —  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte. 
1900,  Nr.  2.) 

* 

Dr.  R  i  e  c  k  in  Bassum  äussert  sich  über  das  Ge  o  s  o  t 
(Valeriansäureester  des  Guajacols),  dass  dasselbe  nicht  nur  ein  sonst 
brauchbares,  ungiftiges  Antisepticum  sei,  sondern  ein  Tuberculose- 
Heilmittel  mit  geradezu  „specifisch“  zu  nennender  Wirkung.  Das 
Beispiel  einer  Anwendung  bei  Erwachsenen  wäre  folgendes:  Rp. 
Geosot  (Dr.  Wendt)  10  0,  Tinct.  gentian.  20  0.  D.  S.  drei-  bis  viermal 
täglich  15 — 30  T  ropfen. 

* 

Buchanan  (Bengalien)  berichtet,  dass  er  in  555  Fällen  von 
Dysenterie  Magnesium-  beziehungsweise  später  Natriumsulfat  mit  sein- 
gutem  Erfolge  angewendet  habe:  es  waren  im  Ganzen  nur  fünf  Todes¬ 
fälle  zu  verzeichnen  gewesen.  —  (Brit.  med.  Journ.  10.  Feb.  1900.) 

Pi. 


EINGESENDET. 

Hochgeehrter  Herr  Redacteur! 

Die  neueste  Wendung  in  dem  Sensationsprocesse  Hilsner  muss 
jedem  Arzte,  dem  die  Ehre  seines  Standes  am  Herzen  liegt,  eine  pein¬ 
liche  Empfindung  verursachen;  sind  doch  die  meisten  Conclusionen, 
die  die  Gerichtsärzte  aus  der  Autopsie  gezogen  hatten,  durch  ein 
Facultätsgutachten  als  unrichtig  oder  unerwiesen  dargestellt  worden. 
Wenn  wir  nach  dem  jüngsten,  die  Bevölkerung  aufregenden  und  auf¬ 
reizenden  Processe  uns  mit  gutem  Gewissen  sagen  durften,  wir  Aerzte 
haben  unter  schwierigen  Verhältnissen  unsere  Pflicht  gethan,  so  gut 
wir  es  konnten,  und  so  gut,  wie  jeder  andere  Stand,  so  muss  diesmal 
leider  eingestanden  werden,  dass  in  einer  Capitalaffaire  in  relativ  ein¬ 
fachen  Fragen  zwei  Gutachten  sich  diametral  entgegenstehen.  Ist  das 
nicht  für  das  Ansehen  des  Standes  schlimmer  als  der  Process  Stell¬ 
bogen,  als  Meisterkrankencassen  etc.,  muss  das  nicht  Hunderte  in  die 
Hände  der  Homöopathen  und  Naturheilkünstler  treiben?  Und  doch 
kann  die  Desavouirung  des  ersten  Gutachten  durch  die  Facultät  nicht 
Wunder  nehmen. 

Wer  viele  Sectionen  gesehen  hat,  der  kennt  auch  die  Schwierig¬ 
keit  der  Beurtheilung,  er  weiss,  dass  selbst  Derjenige,  der  sein  Leben 
der  pathologischen  Anatomie  gewidmet  hat,  nicht  allzu  selten  vor  un¬ 
lösbaren  Räthseln  das  Messer  niederlegen  muss.  Ist  die  Natur  doch 
nicht  nur  im  Schaffen,  sondern  auch  im  Zerstören  unerschöpflich 
mannigfaltig. 

Und  die  gerichtlichen  Sectionen  bieten  zwar  theilweise  andere, 
gewiss  aber  nicht  leichtere  Aufgaben. 

Was  soll  diesem  Reichthum  gegenüber  die  Erfahrung  des  Land¬ 
arztes,  der  die  Zahl  der  Sectionen,  die  er  seit  seiner  Studienzeit  aus¬ 
geführt  hat,  vielleicht  an  den  Fingern  abzählen  kann?  von  dem  weder 
zu  verlangen  ist,  dass  er  die  nöthige  Uebung  sich  erhalten  noch  den 
Fortschritten  der  Wissenschaft  folgen  kann?  Freilich  bleibt  die  Ueber- 
prüfung  durch  die  Facultätsgutachten;  diese  können  logische  Fehler 
aufdecken,  das  Object  aber  ist  verloren ;  neue  Beobachtungen  können 
in  der  Regel  nicht  mehr  gemacht,  fehlerhafte  nicht  corrigirt  werden. 

Wer  Sectionen  auf  dem  Lande  mitgemacht  hat,  kennt  die 
mangelhaften  Hilfsmittel,  die  ungenügende  Technik,  die  Zweifel,  die 
verlegenen  Gesichter;  schliesslich  das  Protokoll,  es  muss  ja  sein  und 
wem  Gott  ein  Amt  gibt,  u.  s.  w. 

Eine  Abhilfe  schiene  mir  nun  durchaus  nicht  schwer.  Denken 
wir  uns  z.  B.  jedem  der  niederösterreichischen  Kreisgerichte  einen 
vollkommen  ausgebildeten  pathologischen  Anatomen  zugetheilt;  ein 
Mangel  an  solchen  kann,  da  im  pathologischen  Institute,  an  den 
Prosecturen  der  grossen  Wiener  Krankenhäuser,  am  gerichtlich-medi- 
cinischen  Institute  und  endlich  an  den  entsprechenden  Anstalten  der 
übrigen  Universitäten  eine  grosse  Zahl  von  tüchtigen  Assistenten 
herangebildet  wird,  nicht  bestehen.  Würden  nun  die  modernen  Ver- 
ständigungs-  und  Communicationsmittel  ohne  bureaukratische  Hinder¬ 
nisse  gebraucht,  so  dürfte  kaum  ein  Ort  im  Lande  sein,  an  welchem 
nicht  vierundzwanzig  Stunden  nach  der  Meldung  eine  von  sach¬ 
verständiger  Hand  ausgeführte  Section  zu  erzielen  wäre. 

Aehnlich  dürfte  es  in  anderen  Ländern,  vielleicht  mit  Ausnahme 
ganz  entlegener  Gebirgsgegenden,  von  Galizien  und  Dalmatien  sein. 
Sache  der  Justizverwaltung  wäre  es,  diese  provinciellen  Verschieden¬ 
heiten  zu  berücksichtigen,  Instructionen  zu  geben,  in  welchen  Fällen 
der  Anatom  zuzuziehen  sei  etc.  Ueberhaupt  sollen  diese  Zeilen  nur 
eine  Anregung  geben.  Da  am  Sitze  der  Kreisgerichte  heute  vielfach 
nicht  unbedeutende  Spitäler  bestehen,  so  würde  für  den  betreffenden 
pathologischen  Anatomen  sich  die  Uebernahme  der  Prosectur  dieses 


Spitales  naturgemäss  ergeben.  Bei  gutem  Willen  von  allen  Seiten 
könnte  ein  strebsamer  Mann,  der  sein  Leben  der  Wissenschaft  widmen 
will,  ein,  wenn  auch  nicht  reichliches,  so  doch  mögliches  Auskommen 
und  eine  angesehene  sociale  Stellung  finden.  Das  Leichenmaterial  des 
Krankenhauses,  die  Untersuchungen,  die  dieses  seihst  verlangt,  würden 
ihn  nöthigen,  in  wissenschaftlicher  Beziehung  nicht  zurückzubleiben; 
vielleicht  würden  bacteriologische  Untersuchungen  bei  Epidemien  u.  s.  w. 
ihm  zugetheilt  werden.  So  würden  neue  wissenschaftliche  Centren  ge¬ 
bildet,  deren  wir  im  Vergleiche  zu  dem  mit  Universitäten  so  reich 
versorgten  Deutschland  leider  so  wenige  besitzen. 

Vor  Allem  aber  ist  die  Justiz  berufen  für  eine  möglichst  voll¬ 
kommene  Ausführung  der  gerichtlichen  Sectionen  Sorge  zu  tragen.  Die 
unbedeutenden  Kosten  (würden  doch  auch  manche  Diäten  entfallen) 
dürften  hier  nicht  in  Frage  kommen.  Handelt  es  sich  doch  um  nichts 
Geringes  —  um  Recht,  Freiheit  und  Leben! 

Die  pathologische  Anatomie  bleibt  nicht  nur  die  Basis  der 
Medicin,  sie  liefert  auch  oft  und  gerade  in  den  wichtigsten  Fällen  das 
nothwendige  Substrat  der  Rechtsprechung. 

Ein  alter  Seci  r  saalbesuche  r.  *) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Die  Universitätsprofessoren  Hofrath  Dr.  Ritter  von 
Schrotte  r  (Wien),  Dr.  B.  F  r  ä  n  k  e  1  und  Dr.  P.  Heymann 
(Berlin)  auf  dem  Laryngologen-Congresse  in  Neapel,  der  gleichzeitig 
dort  mit  dem  Antituberculose-Congresse  abgehalten  wurde,  zu  Ehren¬ 
mitgliedern.  —  Der  Privatdocent  Dr.  Stephan  Bernheimer  in 
W  i  e  n  zum  ordentlichen  Professor  der  Augenheilkunde  in  Innsbruck. 

* 

Verliehen:  Dem  a.  o.  Professor  der  Augenheilkunde  in 
Graz,  Dr.  Alois  Birnbacher,  der  Titel  und  Charakter  eines 
ordentlichen  Universitätsprofessors- 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrathes  vom 
5.  Mai  d.  J.  gelangten  nach  Mittheilung  verschiedener  Geschäftsange¬ 
legenheiten  durch  den  Vorsitzenden  Obersanitätsrath  Hofrath  v.  V  o  g  1 
die  sanitätspolizeilichen  Massnahmen  zur  Besprechung,  welche 
anlässlich  des  Auftretens  der  Pest  in  Port  Said  in  Aegypten  und  an 
den  Küsten  des  Rothen  Meeres,  worüber  Sectionschef  Dr.  Ritter 
v.  Kusji  genaue  Mittheilung  machte,  durchzuführen  sind.  Hierauf 
wurden  nachstehende  Referate  erledigt:  1.  Gutachtliche  Aeusserung 
über  die  Qualification  der  Bewerber  um  die  erledigte  Stelle  eines 
Veterinärinspectors  für  Niederösterreich  (Referent :  Ministerialrath 
B.  Sperk).  2.  Gutachten  über  die  Zulässigkeit  der  Verwendung 
galvanisirter  und  verzinkter  schmiedeiserner  Röhren  bei  Wasserleitungs¬ 
anlagen  (Referent:  Prof.  L  u  d  w  i  g).  3.  Gutachten  über  die  Errichtung 
einer  Privat-Heilanstalt  mit  Heissluftbehandlung  (Referent:  Professor 
Wagner  v.  J  a  u  r  e  g  g). 

* 

Officieller  Bericht  über  die  Centralausschuss¬ 
sitzung  des  Verbandes  der  Aerzte  Wiens  vom 

5.  Mai  1900.  1.  Kammerwahlen:  Es  wurde  beschlossen,  ein 

Aerztekammer-Wahlcomite  ins  Leben  zu  rufen,  welchem  die  Aufgabe 
ertheilt  wird,  der  nächsten  Organisationssitzung  einen  Schlüssel  für 
die  Kammerwahlen  vorzulegen.  In  dieses  Comite  entsenden  die  Dele- 
girten  jedes  dem  Verbände  angehörigen  Vereines  einen  Vertreter  aus 
ihrer  Mitte.  Ausserdem  wurde  ein  vom  Vorstande  vorgeschlagener 
Modus  für  die  Kammerwahlen  mit  geringen  Aenderungen  angenommen. 
(Bericht  darüber  folgt  nach  der  nächsten  Sitzung.)  2.  Die  Lebens¬ 
versicherungsgesellschaften  werden  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  die  Todesfallparere  nicht  durch  Vermittlung  der  ver¬ 
sicherten  Partei,  sondern  durch  die  Gesellschaft  direct  an  die  Aerzte 
zu  leiten  seien;  Krankheits-,  beziehungsweise  Todesberichte  werden  in 
Hinkunft  seitens  der  Aerzte  nur  dann  ausgefertigt,  wenn  sie  dem  Arzte 
von  der  Gesellschaft  direct  abverlangt  und  mit  mindestens  sechs  Kronen 
honorirt  werden.  3.  Den  Krakauer  Spitalsärzten  wurde  an¬ 
lässlich  ihres  Kampfes  um  Verbesserung  ihrer  wirthschaftlichen  Lage 
die  vollste  Sympathie  ausgedrückt.  4.  Resolution:  „Durch  Beschluss 
des  Centralausschusses  werden  die  Mitglieder  desselben  ersucht,  bei 
eventuellen,  von  ihnen  ausgehenden  Publicationen  in  den  Journalen 
den  Anschein  zu  vermeiden,  als  ob  sie  im  Namen  oder  im  Aufträge 
des  Centralausschusses  veröffentlichen,  ausser  wenn  sie  vom  Central- 
ausschusse  ausdrücklich  dazu  ermächtigt  wurden.“  5.  Meister- 
krankencassen -Commission.  Zur  schleunigen  Abwicklung 
der  Agenden  in  dieser  Frage  wurde  eine  eigene  Commission  gew’ählt. 

6.  Die  freie  Arztwahl  betreffend  wurde  folgende  Resolution  be¬ 
schlossen:  „Der  Verband  der  Aerzte  Wiens  hält  fest  an  der  am 
9.  Februar  1897  in  der  allgemeinen  Versammlung  der  Aerzte  des 

:':)  Der  Name  des  Herrn  Einsenders  ist  der  Redaction  bekannt. 


466 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  20 


Wiener  Kammersprengels  einstimmig  gefassten  Resolution.  Der  Ver¬ 
band  der  Aerzte  Wiens  hält  die  freie  Arztwahl  bei  geeigneter  Durch¬ 
führung  für  das  ideal  der  cassenärztlichen  Institutionen  und  will  an¬ 
streben,  dass  die  Lassen  gesetzlich  verpflichtet  werden,  ihre  Kranken 
nach  dem  System  der  freien  Arztwahl  bei  entsprechender  Ilonorirung 
der  ärztlichen  Leistungen  behandeln  zu  lassen.  Der  Verein  zur  Ein¬ 
führung  der  freien  Arztwahl  wird  entsprechende  Vorschläge  erstatten.“ 
7.  Eine  in  den  Tagesblättern  erscheinende  Ankündigung  eines 
Curpfuschers  wurde  behufs  behördlicher  Inhibirung  angezeigt.  Der 
Schriftführer. 

* 

Pbarmakologen-Vereinigung.  Eiuer  auf  der  Natur¬ 
forscherversammlung  zu  München  entstandenen  Anregung  folgend, 
haben  sich  am  19.  und  20.  April  im  Anschlüsse  an  den  Congress  für  innere 
Medicin  zu  Wiesbaden  eine  grössere  Anzahl  deutscher  Pharmakologen 
und  in  deutscher  Sprache  publieirende  auswärtige  Faehgenossen  zu¬ 
sammengefunden,  um  in  ungezwungener  Form  Mittheilungen  aus  dem 
Gebiete  der  experimentellen  Pharmakologie  auszutauschen.  Es  be¬ 
theiligten  sich  an  der  Versammlung  die  Herren:  Binz  (Bonn), 
Dreser  (Elberfeld),  Falk  (Kiel),  Fessel  (Würzburg),  Geppert 
(Giessen),  Gott  lieb  (Heidelberg),  Heinz  (Erlangen),  Heffter 
(Bern),  Hey  mans  (Gent),  Jacobj  (Göttingen),  Jod  1  bau  er 
(München),  Robert  (Rostock),  Kunkel  (Würzburg),  Lewin 
(Berlin),  Löwi  (Marburg),  Hans  Meyer  (Marburg),  Santesson 
(Stockholm),  Straub  (Leipzig),  v.  Tappeiner  (München)  und 
Weiss  (Basel).  Am  Vorabende  der  wissenschaftlichen  Versammlung 
wurde  nach  Begrüssung  der  Anwesenden  durch  Prof.  v.  T  a  p  p  e  i  n  e  r 
die  Begründung  einer  „Pharmakologen-Vereinigung“  beschlossen, 
welche  alle  zwei  Jahre  zu  einer  wissenschaftlichen  Tagung  zusammen¬ 
treten  soll.  Alle  deutsch  publicirenden  Pharmakologen  von  Fach  sollen 
zur  Theilnahme  eingeladen  werden.  Zur  Vorbereitung  der  folgenden 
Versammlungen  wurde  ein  Comite  gewählt,  bestehend  aus  den  Herren 
Binz  (Bonn),  v.  Tappeiner  (München)  und  G  o  1 1 1  i  e  b  (Heidel¬ 
berg).  Die  künftigen  Versammlungen  sind  je  nach  Vorschlag  des 
Comites  bald  im  Anschlüsse  an  den  Congress  für  innere  Medicin,  bald 
im  Anschlüsse  an  den  internationalen  Physiologencongress  in  Aussicht 
genommen  oder  sollen  auch  völlig  selbstständig  in  einem  der  deutschen 
Universitätsinstitute  abgehalten  werden.  Bei  der  diesjährigen  Ver¬ 
sammlung  fanden  drei  wissenschaftliche  Sitzungen  in  dem  freundlichst 
zur  Verfügung  gestellten  Hörsaale  des  chemischen  Laboratoriums 
Fresenius’  statt,  in  denen  die  Herren  Falk  (Kiel),  Binz  (Bonn) 
und  Hey  mans  (Gent)  den  Vorsitz  führten.  An  diesen  Sitzungen 
nahmen  auf  Einladung  durch  den  Präsidenten  auch  Mitglieder  des 
Congresses  für  innere  Medicin  theil,  wie  auch  das  Festmahl  dieses 
Congresses  die  Pharmakologen  mit  den  Internisten  gesellig  vereinte. 
In  den  wissenschaftlichen  Sitzungen,  die  durch  eine  Ansprache  Pro¬ 
fessor  K  unke  l’s  eingeleitet  wurden,  wurden  folgende  Vorträge  ge¬ 
halten,  an  die  sich  eine  zum  Theile  lebhafte  Discussion  anschloss. 
Santesson:  Hat  der  Gehalt  an  K  e  1 1  e  r’schem  Cornutin  im  Secale 
cornutum  eine  Bedeutung  für  die  Werthbestimmung  der  Drogue?  — 
Dreser:  Experimentelle  Kritik  eines  Apparates  zur  Untersuchung 
der  Athmungsthätigkeit.  —  Falk:  Demonstration  eines  Apparates 
zum  Katheterisiren  von  Hündinnen.  —  Kunkel:  Ueber  die  Eisen¬ 
frage.  —  Heffter:  Verhalten  der  Kakodylsäure  im  Organismus.  — 
Santesson:  Einiges  über  die  Wirkung  des  Diphtherietoxins.  — 
Heinz:  Experimentelles  zur  Digitalis  Wirkung.  —  Straub:  Zur 
Theorie  der  Digitaliswirkung.  —  Robert:  Ueber  das  Verhalten  des 
Jods  und  seiner  Verbindungen  zum  Harn.  —  v.  Tapp  ein  er: 
Weitere  Versuche  über  die  Wirkung  fluorescirender  Stoffe.  —  Hilde- 
b  ran  dt:  Eine  Synthese  im  Thierkörper. 

* 

In  der  Zeit  vom  26. — 28.  Juli  wird  in  Paris  der  I.  inter¬ 
nationale  Congress  der  medicinischen  Presse  statt¬ 
finden,  der  sich  besonders  mit  zwei  Phagen,  nämlich  jener  der 
Gründung  einer  internationalen  Vereinigung  der  medicinischen  Presse, 
sowie  des  Schutzes  der  Urheberrechte  medicinisch-literarischer  Arbeiten 
beschäftigen  soll.  An  der  Spitze  des  Organitationscomitcs  steht  Pro¬ 
fessor  C  o  r  n  i  1. 

* 

Vom  „II  a  n  d  a  1 1  a  s  der  Anatomie  des  Mensche  n“, 
herausgegeben  mit  Unterstützung  von  Prof.  II  is  durch  W.  Spalte¬ 
holz  bei  Ilirzel  in  Leipzig,  ist  der  dritte  Band,  erste  Abtheilung 
erschienen.  Derselbe  enthält  die  anatomischen  Abbildungen  des  Ver- 
dauungstractes,  der  Organe  der  Bauch-  und  Beckenhöhle,  der  Gebilde 
des  Dammes,  sowie  der  weiblichen  Brustdrüse.  Auch  in  diesem  Bande 
sind,  wie  in  den  früheren,  die  Abbildungen  in  ein-  und  mehrfarbiger 
Autotypie  hergestellt. 

* 

Von  Hofrath  D  rase  he’s  (Wien)  „Bibliothek  der  ge¬ 
summten  medicinischen  Wisseuschafte  n“,  herausgegeben 


bei  K.  Prochaska  in  Wien,  sind  die  Lieferungen  188 — 193,  das 
ist  das  zweite  bis  fünfte  Heft  Chirurgie  (Atherom — Extremitäten),  sowie 
14.  und  15.  Heft  der  Abtheilung:  Venerische  und  Hautkrankheiten 
(Pankreassyphilis— Schanker)  erschienen. 

* 

Sanitätsverhältnissebei  der  Mannschaft  des  k.u.k.  Heer  es 
im  Monat  Februar  1900.  Mit  Ende  Januar  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1954,  in  Heilanstalten  8227  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  Februar  1900  15.558  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  55.  Im  Monat  Februar  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  7100  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Koplstärke  25.  Im  Monat  Februar  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  16.148  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  14.526  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  899,  durch  Tod  68  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  4-21,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0  24.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1777,  in  Heilanstalten  7814  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  G  e  m  e  i  u  d  e  g  e  b  i  e  t  e.  17.  Jahreswoche  (vom  22.  April 
bis  28.  April  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  665,  unehelich  329,  zusammen 
994.  Todt  geboren:  ehelich  52,  unehelich  26,  zusammen  78.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  755  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
23  7  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  152,  Blattern  0,  Masern  14, 
Scharlach  5,  Diphtherie  und  Croup  5,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  l, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  4,  Neu¬ 
bildungen  32.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
70  ( —  10),  Masern  281  (-j-  60),  Scharlach  45  (-j-  4),  Typhus  abdominalis 
13  ( —  2),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  29  ( —  1),  Croup  und 
Diphtherie  33  ( —  15),  Pertussis  65  (-}-  7),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-{-  2),  Trachom  5  (=),  Influenza  9  ( —  4). 


Freie  Stellen, 

Sanitätsassistentenstelle  mit  dem  Adjutum  jährlicher  1000  K 
bei  der  Statthalterei  in  Linz,  eventuell  bei  einer  Bezirkshauptmannschaft 
in  Ob  er  Österreich.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  gehörig  docu- 
mentirten  Gesuche  mit  den  Nachweisen  über  Alter,  Zuständigkeit  und 
den  an  einer  inländischen  Universität  erlangten  Grad  eines  Doctors  der 
gesammten  Heilkunde,  eventuell  auch  über  die  mit  Erfolg  abgelegte  Prüfung 
zur  Erlangung  einer  bleibenden  Anstellung  im  öffentlichen  Sanitätsdienste 
bei  den  politischen  Behörden,  sowie  über  ihre  bisherige  Verwendung  bis 
längstens  20.  Mai  1900  entweder  unmittelbar,  oder,  soferne  sie  bereits  im 
Dienste  stehen,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  beim  k.  k.  Statthalterei¬ 
präsidium  in  Linz  einzubringen. 

Stelle  eines  leitenden  Arztes  (Directors)  der  Landesirren¬ 
anstalt  Valduna  bei  Rankvveil,  Vorarlberg.  Der  Jahresgehalt  beträgt 
4800  K  und  wird  in  monatlichen  Anticipandoraten  ausbezahlf.  Gleichzeitig 
stehen  dem  Director  eine  Wohnung  in  der  Anstalt  und  das  erforderliche 
Holz  unentgeltlich  zur  Verfügung.  Im  Uebrigen  wird  sich  auf  die  beste¬ 
henden  Statuten  und  die  Instruction  berufen  und  nur  noch  bemerkt,  dass 
dem  Director  jederzeit  ein  sechsmonatliches  Kündigungsrecht  zusteht.  Be¬ 
werber  um  diese  Stelle  haben  ihre  Gesuche  mit  dem  ärztlichen  Diplome, 
den  Belegen  über  Alter,  Stand,  Sprachkenntnisse  und  bisherige  Verwen¬ 
dung,  insbesondere  über  ihre  Dienstleistung  in  Irrenanstalten,  bis  31.  Mai 
d.  J.  beim  Vorarlberger  Landesausschusse  in  Bregenz  zu  überreichen. 

Der  »Oesterreichisch-ungarischen  Consular-Correspondenz«  ist  folgende 
Zuschrift  des  k.  u.  k.  Consulates  in  Port- Said  unterm  3.  d.  M.  zu¬ 
gegangen  : 

Aerzte-Stellen  in  Suez. 

Die  »Administration  Quarantenaire«  des  »Conseil  Sanitaire  Maritime 
et  Quarantenaire«  schreibt  folgende  Stellen  aus: 

1.  Eine  A  e  r  z  t  i  n- S  t  e  1 1  e  beim  Amte  in  Suez.  Monatliche 
Bezüge  22 — 28  türkische  Pfund  Den  Offerten  sind  beizuschliessen:  a)  Ori¬ 
ginal  oder  Copie  des  Doctordiploms;  b)  Zeugniss  über  gute  Constitution; 

c)  formale  Erklärung,  dass  der  Dienst  in  dem  der  officiellen  Ernennung 
folgenden  Monate  angetreten  wird.  Ausserdem  ist  in  dem  Gesuche  anzu¬ 
geben,  welcher  Sprachen  Bewerberin  mächtig  ist. 

2.  Eine  Stelle  als  Arzt  zweiter  Classe.  Monatsgehalt  wie 
unter  1.  Beizuschliessende  Documente:  «)  Original  oder  Copie  des  Diploms 
als  Doctor  der  Medicin  und  Chirurgie;  b)  Certificat  über  abgelegte  Studien 
der  Bacteriologie  und  Epidemiologie;  c)  Certificat  über  gute  Constitution; 

d )  formale  Erklärung  wie  oben.  Im  Gesuche  sind  anzugeben:  Alter  und 
Sprachkenntnisse. 

3.  Eine  Arztes-Stelle  für  den  Ueberwachungs-  und 
Desinfectionsdienst  in  Suez  und  bei  den  Moses-Quellen.  Die  auf 
diese  Stelle  reflectirenden  Aerzte  müssen  mit  einem  regulären  Diplome  ver¬ 
sehen  sein.  Den  Vorzug  erhalten  jene,  welche  praktische  Special¬ 
studien  der  Bacteriologie  und  Epidemiologie  nachzu¬ 
weisen  vermögen.  Gehalt  ursprünglich  8000  Frcs.  pro  Jahr,  welcher  sich 
progressiv  bis  auf  12000  Frcs.  erhöht.  Offerte  sind  bis  31.  Mai  1.  J.  an 
die  »Presidence  du  Conseil  Quarantenaire  ä  Alexandrie«  zu  richten  und  zu 
belegen  mit:  a)  Copie  des  Doctordiplomes,  ausgestellt  von  einer  Universität 
oder  dem  Staate;  b)  Certificat  über  praktische  Studien  der  Bacteriologie; 
c)  Zeugnisse,  welche  die  Specialkenntnisse  in  der  Epidemiologie  nachzu- 
weistn  vermögen;  d )  ärztliches  Zeugniss  über  gute  Constitution;  e)  formale 
Erklärung  über  den  Amtsantritt  wie  oben. 


Nr.  20 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


467 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften 


und  Congressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  11.  Mai  1900. 

Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  vom  4.  Mai  1900. 


29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  (18.  bis 
21.  April.)  (Fortsetzung.) 

18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden.  Vom  18.— 21.  April  1900. 
(Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  11.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Habart. 

Schriftführer :  Dr.  Föderl. 

Habart  dankt  für  die  ehrende  Wahl  zum  Vorsitzenden  der 
Gesellschaft. 

Dr.  Alfred  Gleich  demonstrirt  einen  vor  sechs 
Jahren  operirten  Fall  von  Caput  obstipum. 

Meine  Herren!  Gestatten  Sie  mir  einen  Fall  von  linksseitigem 
Caput  obstipum  vorzustellen,  welchen  ich  am  5.  Februar  1894  an 
einem  siebzehnjährigen  Jüngling  operirte.  Von  einem  etwa  10  cm.  langen 
Hautschnitte,  welcher  in  der  Richtung  des  normalen  V  erlaufes  der 
Sternalportion  des  Sternocleidomastoideus  geführt  wurde,  excidirte  ich 
sämmtliche  sich  spannende  Fascienzüge  und  präparirte  beide  Muskel¬ 
portionen  bis  auf  die  anscheinend  normalen  Muskelbündel  frei.  \  on 
der  Sternalportion  blieb  nur  ein  etwa  federkieldicker  Muskelstreif  er¬ 
halten,  welcher  bei  der  weiteren  Operation  einriss,  so  dass  am  Sternum 
nur  ein  etwa  5  cm  langes  Muskelbündel  erhalten  blieb,  am  gemein¬ 
samen  Kopfe  ein  noch  kleineres.  Nach  dem  Redressement  der  Wirbel¬ 
säule  wurden  nun,  da  die  Muskelenden  nicht  direct  zu  vereinigen 
waren,  dieselben  bei  der  Hautnaht  mit  eingenäht.  Die  Nachbehandlung 
war  sehr  einfach;  am  13.  Februar  zeigte  sich  die  Wunde  per  primam 
geheilt  und  17  Tage  nach  der  Operation  verliess  Patient  das  Spital. 
Die  Skoliose  der  Halswirbelsäule  ist  vollkommen  beseitigt,  von  der 
Asymmetrie  ist  wenig  zu  bemerken.  Bei  der  Betastung  kann  man  wohl 
das  erhaltene  Muskelbündel  nachweisen,  doch  ist  die  Contour  der 
Sternalportion  dadurch  nicht  wieder  hergestellt;  es  ist  dies  ein  Mangel, 
welcher,  wie  Billroth  öfters  betonte,  besonders  bei  Mädchen  sehr 
ins  Gewicht  fällt.  Diesen  Schönheitsfehler  beseitigt  zu  haben,  scheint 
Föderl  durch  seine  Operationsmethode  gelungen  zu  sein.  Lorenz 
hat,  wie  ich  glaube,  zuerst  zu  der  Anschauung  hingeneigt,  dass  es 
sich  bei  angeborenem  Schiefhals  um  eine  angeborene  Skoliose  der  Hals¬ 
wirbelsäule  handle,  er  legt  daher  der  Nachbehandlung  auch  die  dem¬ 
entsprechende  Bedeutung  bei.  Eine  Stütze  für  diese  Anschauung  ist  in 
einer  Demonstration  eines  Pferdes  mit  angeborener  Skoliose  der  Hals¬ 
wirbelsäule  durch  Herrn  Prof.  Beier  der  thierärztlichen  Hochschule 
zu  finden;  da  ich  glaube,  dass  diese  Demonstration  in  ätiologischer 
Beziehung  werthvoll  ist  und  ich  selbe  nirgends  erwähnt  finde,  möchte 
ich  sie  der  Vergessenheit  entreissen.  An  dieser  Stelle  sei  noch  zweier 
Fälle  aus  der  Klinik  Billroth  gedacht,  eines  Zwillingsbrüderpaares, 
von  welchen  der  eine,  wie  die  Anamnese  ergab,  den  Schiefhals  mit 
zur  Welt  brachte,  der  andere  dadurch  acquirirte,  dass  er  den  Kopf 
constant  so  hielt  wie  sein  Bruder.  Es  würde  sich  in  diesen  Fällen 
einerseits  um  die  angeborene,  anderseits  um  die  habituelle  Skoliose  der 
Halswirbelsäule  handeln.  Nach  der  von  v.  M  i  k  u  1  i  c  z  angegebenen  Radi- 
caloperation,  nämlich  der  Ausrottung  des  Sternocleido,  fällt  jedenfalls 
der  Mangel  der  Muekelcontour  am  meisten  auf,  so  dass  aus  kosme¬ 
tischen  Gründen  eine  Verlagerung  eines  Muskels  an  die  genannte 
Stelle  am  wiinschenswerthesten  erscheinen  dürfte.  Durch  Versuche  an 
der  Leiche  fand  ich,  dass  dazu  ein  Theil  des  Pectoralis  oder  einfacher 
noch  ein  Theil  des  anderen  Sternocleido  herangezogen  werden  könnte. 
Da  Thierversuche  bewiesen  haben,  dass  durch  Unterbindung  der  Ca¬ 
rotis  externa  Wachsthumshemmung  eintritt,  wäre  daran  zu  denken, 
dieselbe  zum  Ausgleich  der  Asymmetrie  bei  Mädchen  zu  verwerthen. 
Sollten  sich  die  von  Beier  mit  resorbirbaren  Metallröhrchen  ange- 
stellten  Versuche  bewähren,  so  Hesse  sich  durch  Anlegung  eines  zu¬ 
sammengedrückten  Magnesiumringes  an  die  Carotis  die  Wachsthum¬ 
hemmung  auch  dosiren. 

Dr.  Matzenauer  macht  eine  vo  r  läufige  Mittheilung 
zur  Aetiologie  des  Hospitalbrandes  und  demon¬ 
strirt  mikroskopische  Präparate  und  Abbildungen. 

An  der  Klinik  Hofrath  Prof.  Neumann  kommen  alljährlich 
eine  Reihe  von  Geschwürsprocessen  zur  Beobachtung,  welche  durch 


ihr  Aussehen,  Form  und  Grösse,  durch  ihre  rapide  Progredienz  und 
Destructionskraft  sofort  als  eine  eigenartige,  von  den  venerischen  Ge¬ 
schwüren  getrennte  Affection  auffällen,  zumal  sie  nicht  blos  am  Ge¬ 
nitale  selbst,  sondern  häufig  auch  in  der  Umgebung  desselben,  in  der 
Genitocruralfurche,  am  Perineum,  in  der  Crena  ani  u.  s.  w.  bei 
gleichzeitig  intactem  Genitale  aultreten. 

Sie  charakterisiren  sich  insbesonders  durch  die  Auflagerung 
eines  schmutzig-grauen,  grau-grünlichen  bis  schwärzlichen  Belages  \on 
variabler,  manchmal  mehrere  Centimeter  Dicke;  der  Belag  ist  gelatinös 
pastös  oder  zunderartig  zerfallen;  die  Geschwüre  verbreiten  einen 
penetrant  fauligen  Geruch.  Dabei  bestehen  zumeist  4  iebeieischei- 
nungen. 

In  der  Regel  betrifft  es  unsauber  gehaltene,  schmutzige  Indivi¬ 
duen;  sie  geben  nahezu  constant  an,  dass  sie  vor  wenigen  lagen 
plötzlich  unter  Schmerzen  und  Fieber  erkrankt  seien,  dass  aber  die 
anfangs  unscheinbare  Wunde  sich  rapid,  in  beunruhigender  A\  eise 
vergrösserte,  so  dass  sie  bereits  Kronen-  bis  Thaler-  bis  I  laehhandgiüsse 
erreicht  hat. 

Die  anamnestischen  Daten  bezüglich  der  zuletzt  stattgehabten 
Cohabitation  lassen  häufig  genug  in  Folge  der  langen,  seither  ver¬ 
strichenen  Zeit  eine  Uebertragung  durch  Coitus  ausgeschlossen  ei- 
scheinen. 

Wir  sahen  im  Verlaufe  der  letzten  vier  Jahre  mehrfach  Ge¬ 
schwüre  von  weit  über  Flachhandgrösse  in  der  Crena  ani  und  Kieuz- 
beingegend,  wobei  in  einem  Falle  der  Process  bis  auf  den  Knochen 
reichte,  das  Os  sacrum  blosslegte ;  in  einem  anderen  Falle,  gleichfalls 
von  der  Crena  ani  ausgehend,  wurde  innerhalb  weniger  Stunden  der 
Sphincter  ani  zerstört,  so  dass  Incontinentia  alvi  eintrat  und  die 
Analöffnung  ein  kindsfaustgrosses,  trichterförmiges  Loch  bildete, 
wobei  die  Gangrän  etwa  4 — 5  cm  hoch  aufs  Rectum  selbst  überge¬ 
griffen  hatte.  _  _ 

In  wieder  einem  anderen  Falle  bestand  bei  einer  \  irgo  Intacta 
in  der  Genitocruralfurche  ein  mehrere  Querfinger  breites  und  iatt 
flachhandgrosses,  gangränöses  Geschwür,  das  bis  zum  folgenden  Tag 
die  doppelte  Dimension  erreichte  und  die  Muskelgruppe  der  Adductoien 
des  Oberschenkels  blosslegte. 

Derartige  extragenitale  Geschwüre  waren  es  zuerst,  welche  mn 
die  Annahme  gerechtfertigt  erscheinen  Hessen,  dass  dieser  lapid  foit- 
schreitende  gangänöse  Zerstörungsprocess  mit  der  angeblich  heutzutage 
so  selten  auftretenden  Nosocomialgangrän  zu  identifieiren  sei.  Ein 
Vergleich  mit  der  von  Rosenbach  in  seiner  Monographie  über 
Hospitalbrand  gegebenen  Schilderung  lässt  wohl  kaum  einem  Zweifel 
Raum,  dass  wir  in  der  That  Nosocomialgangrän  in  der  von  älteien 
Autoren  sogenannten  „pulpösen  Formu  vor  uns  hatten. 

Die  vergleichenden  Beobachtungen  dieser  typischen  formen  mit 
abortiv  verlaufenden  Fällen,  sowie  das  gleichzeitige  “Vorkommen  aus¬ 
gebreiteter  extragenitaler  Gangränherde  mit  ähnlichen  gangränösen 
Geschwüren  am  Genitale  lehrten  erst  im  Verlaufe  von  Jahren  das 
Krankheitsbild  in  seinem  ganzen  Umfang  kennen,  so  dass  wir  nun¬ 
mehr  allmonatlich  freilich  meist  leichtere  und  leichteste  Fälle  von 
Nosocomialgangrän  sehen,  und  zwar  zumeist  am  Genitale,  wo  bisliei 
das  Vorkommen  von  Hospitalbrand  nicht  bekannt  war.  Es  ergab  sich 
aus  einer  Reihe  diesbezüglicher  Uebergangsformen,  dass  die  als 
„diphtheritische“,  als  „phagedänische“  und  „gangränöse  Geschwüre“ 
bezeichneten  Fälle  dem  Hospitalbrand  zugerechnet  werden  müssen, 
wobei  das  diphtheritische  Geschwür  die  „pulpöse  Form“,  das  phage¬ 
dänische  die  „ulceröse  Form“  desselben  repräsentirt. 

Diese  Geschwüre  können  am  Genitale  sowohl  selbstständig  und 
primär  als  solche  auftreten,  oder  sich  zu  einer  bereits  bestehenden 
venerischen  Affection  hinzugesellen,  wodurch  diese  letztere  aber  all- 
sogleich  ihren  Charakter  verliert  und  durch  die  Gangrän  substi- 
tuirt  wird. 

Die  Zerstörungen  sind  auch  hier  oft  furchtbare,  namentlic .i 
wenn  eine  das  gangränöse  Geschwür  cachirende  Phimose  nicht  recht¬ 
zeitig  behoben  wird.  Von  der  Glans  penis  ist  dann  oft  nur  mein  ein 


468 


WEENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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rudimentärer  Stummel  vorhanden;  in  einem  unserer  Fälle  war  sie  in 
sagittaler  Richtung  wie  mit  dem  Messer  gespalten,  die  Urethra  auf 
2  cm  Länge  gespalten.  In  einem  anderen  Falle  war  die  Harnröhre 
von  oben  her  durch  den  consumirten  Schwellkörper  als  offene  Rinne 
blossgelegt  vom  Orificium  bis  zur  Wurzel  des  Penisschaftes,  ein 
andermal  war  die  Glans  und  der  vordere  Theil  des  Peuisschaftes 
überhaupt  eingeschmolzen,  so  dass  der  Rest  des  Penis  einem  Amputa¬ 
tionsstumpf  glich. 

Auf  dem  weit  ulcerirten,  oft  schon  papierdünnen  und  schwärz¬ 
lich  verfärbten  Präputium  lagerte  manchmal  das  Geflecht  der  Blut¬ 
gefässe,  nett  blossgelegt  wie  an  einem  anatomischen  Präparat. 

Gangränöse  Geschwüre  verursachen  keine  Bubonen. 

Innerhalb  der  letzten  drei  Jahre  habe  ich  von  22  Fällen  immer 
mehrere  Gewebsstücke  aus  verschiedenen  Geschwürspartien  behufs 
mikroskopischer  Untersuchung  excidirt,  und  davon  einzelne  vom 
frühesten  Stadium  in  zusammenhängender  Serie  geschnitten. 

Herrn  Prof.  Weichselbaum  bin  ich  für  seine  wiederholt 
eingehende  Prüfung  meiner  Präparate  zu  tiefstem  Danke  vei- 
pflichtet. 

Histologisch  charakterisirt  sich  die  Krankheit  als  ein  Entzün- 
dungsprocess,  der  frühzeitig  durch  Colliquation  der  zelligen  Elemente 
zur  Coagulationsnekrose  des  Gewebes  führt. 

Die  ersten  Anfänge  des  Processes,  welche  klinisch  noch  nicht 
als  Geschwürsformen,  sondern  als  dünne  Auflagerungen  weisslicher 
Membranen  erscheinen,  zeigen  auch  mikroskopisch  keinen  Substanz¬ 
verlust.  Die  weisslichen  Auflagerungen  bestehen  vielmehr  aus  den 
zum  Theile  zu  Grunde  gegangenen  Epithelien  selbst,  deren  Proto¬ 
plasmaleib  zuerst  vacuolisirt  und  verflüssigt  wird,  so  dass  der  Zell¬ 
kern  in  einer  Höhle  zu  liegen  scheint,  die  mit  einer  nicht  färbbaren 
aber  von  feinen  Fibrinfäden  durchzogenen  Flüssigkeit  erfüllt  ist. 

In  den  obersten  Schichten  sind  die  Epithelien  kernlos  und 
hyalin  geworden,  und  sind  miteinander  zu  völlig  homogen  scholligen 
Massen  verschmolzen,  in  welchen  Fibrinbröckel  und  reichlich  ver¬ 
schiedenerlei  Bacterien  eingelagert  sind.  Die  weisslichen  Membranen 
bestehen  demnach  aus  dem  zu  Grunde  gegangenen  Epithel  selbst  und 
aus  ausgeschiedenen  Fibrinmassen,  sie  sind  dem  Epithel  nicht  auf¬ 
gelagert,  sondern  liegen  an  Stelle  derselben,  sie  stellen  mithin  eine 
croupöse  Membran  dar. 

Sehr  rasch  zerfällt  so  die  ganze  Epitheldecke,  der  darunter 
liegende  Papillarkörper  wird  durchsetzt  und  späterhin  ersetzt  durch 
ein  dichtes,  theils  aus  emigrirten  polynucleäreu  Leukocyten,  theils  aus 
den  bereits  nekrotischen  Bindegewebszellen  bestehendes  Infiltrat;  das¬ 
selbe  ist  oberflächlich  mit  einer  Schichte  vollständig  nekrotischen  Ge¬ 
webes  bedeckt,  in  welcher  nur  vereinzelt  Zellkerne,  rothe  Blutkörperchen 
oder  Fragmente  derselben  erkennbar  sind.  Die  Ausscheidung  eines 
fibrinösen  Exsudates  lässt  sich  oft  weit  und  bis  tief  ins  Gewebe  hinein 
verfolgen,  zumal  um  die  Gefässe,  die  maximal  erweitert  und  strotzend 
mit  Blut  erfüllt  sind.  Die  Wandungen  desselben  zeigen  in  der  Um¬ 
gebung  des  Entzündungsherdes  frühzeitig  die  Erscheinungen  einer 
Coagulationsnekrose,  indem  die  Zellleiber  durch  eine  serös-fibrinöse 
Flüssigkeit  aufquellen,  von  Fibrinfibrillen  umscheidet  werden,  endlich 
verflüssigen  und  mit  einander  zu  homogen  scholligen  Balken  ver¬ 
schmelzen.  Die  frühzeitige  Coagulationsnekrose  der  Gefässwand  bedingt 
das  Auftreten  zahlreicher  punktförmiger  Hämorrhagien,  die,  wie 
Rosenbach  hervorhebt,  zu  den  regelmässigen,  oft  frühesten  Sym¬ 
ptomen  des  Hospitalbrandgeschwüres  zählen,  sie  veranlasst  aber  zuweilen 
auch  die  vehementen  Blutungen  aus  grösseren  Gefässen,  welche 
v.  Pith  a  die  Schreckensprärogative  des  Hospitalbrandes  nennt.  In 
einem  unserer  Fälle  kam  es  zur  Blutung  aus  der  Arteria  dorsalis  penis. 

Da  die  nekrotischen  Gewebspartien  mit  dem  darunter  liegenden 
entzündlich  infiltrirten  oder  noch  normalen  Gewebe  in  unmittelbarem, 
untrennbarem  Zusammenhang  stehen,  stellen  sie  klinisch  einen  nicht 
abstreifbaren,  pulpösen  Belag  dar  und  dürfen  als  diphtheritische  Mem¬ 
branen  bezeichnet  werden. 

Zur  Aetiologie  des  Hospitalbrandes  liegen  nur  spärliche  An¬ 
gaben  vor.  Rappin  fand  1895  in  vier  Fällen  den  Bacillus  pyo- 
cyaneus,  Vincent  1896  dagegen  in  47  Fällen,  die  er  in  Algier  zu 
beobachten  Gelegenheit  hatte,  in  dem  nekrotischen  Gewebe  einen 
Gram  negativen  Bacillus,  der  sonst  in  seinem  morphologischen  Ver¬ 
halten  mit  meinem  Bacillus  übereinzustimmen  scheint.  Endlich  be¬ 
schreiben  Favre  und  Barbezat  1896  bei  hospitalbrandigen  Ge¬ 
schwüren  im  Mund  einen  Bacillus,  der  sich  leicht  auf  den  gewöhn¬ 
lichen  Nährboden  züchten  liess. 

Ich  fand  in  allen  Fällen  als  constanten  Befund  einen  Bacillus, 
in  manchen  Präparaten  ausschliesslich,  in  den  meisten  in  so  über¬ 
wiegender  Zahl  und  in  solcher  Lage  im  Gewebe  selbst,  dass  andere 
Bacterien  dagegen  nicht  in  Betracht  kamen.  In  der  nekrotischen 
Membran  ist  der  Bacillus  entweder  gar  nicht  oder  nur  in  geringerer 
Zahl  zu  finden,  zeigt  hier  auch  Degenerationsformen  und  wird  durch 
verschiedenerlei  andere  secundär  eingewanderte  Bacterien  verdrängt. 
An  der  Uebergangszone  vom  nekrotischen  zum  entzündlich  infiltrirten 


Gewebe  findet  sich  dagegen  dieser  Bacillus  oft  in  ungeheurer  Zahl, 
allein  ohne  andere  Bacterienbeimengung.  Zeigt  das  Präparat  die  Rand¬ 
partie  eines  progredienten  Geschwüres,  so  sieht  man  stellenweise  die 
Bacillen  tief  ins  Gewebe  Vordringen,  wo  noch  keine  Nekrose  besteht, 
ja  selbst  eine  stärkere  entzündliche  Infiltration  noch  fehlt  und  nur 
die  Gefässe  von  einem  dichten  Fibrinnetz  umsponnen  sind.  Hier 
färben  sich  die  Bacillen  intensiv  und  in  toto,  während  die  absterbenden 
Individuen  in  der  dem  Gewebe  auflagernden  Membran  vielfach  eine 
lückenhafte,  nur  partielle  Färbung  annehmen  oder  wie  Schatten  er¬ 
scheinen.  Sobald  der  Geschwürsprocess  stationär  wird  oder  sich  de- 
maskirt,  sind  die  Bacillen  nicht  mehr  zu  finden.  Der  Bacillus  ist 
schlank,  geradlinig  oder  manchmal  leicht  geschwungen,  meist  4  bis  5  fj. 
lang  und  circa  0'3  bis  0’5  p  breit,  er  liegt  zumeist  einzeln,  zuweilen 
zu  zweit  an  einander  gegliedert;  seine  Enden  sind  meist  nicht  eckig, 
sondern  leicht  abgerundet.  Der  Bacillus  ist  im  Schnitt  am  besten  nach 
Weigert  zu  färben;  doch  scheint  eine  vorsichtige,  zarte 
Entfärbung  mit  Anilinöl  reichlich  gemengt  mit  Xylol  vortheilhaft. 
Der  Bacillus  scheint  ein  Anaerob  zu  sein.  Ich  glaube,  bestärkt  durch 
das  Gutachten  Professor  Weichselbau  m’s,  den  Bacillus  in  Rein- 
cultur  im  Zucker-Agar-Stich  gesehen  zu  haben;  derselbe  wuchs  inner¬ 
halb  zwei  bis  drei  Tagen  in  den  unteren  zwei  Dritteln  des  Stich¬ 
canals,  der  wie  zart  bestäubt  erschien,  ohne  Gasbildung.  Eine  Weiter- 
iiberimpfung  gelang  nicht. 

Culturversuche  sind  umsomehr  erschwert,  als  sich  der  Hospital¬ 
brand  nur  schwierig  und  unter  besonderen  Cautelen  künstlich  auf 
Menschen  oder  Thiere  überimpfen  lässt. 

Es  gelang  mir,  an  einem  Meerschweinchen  ein  typisches  Ge¬ 
schwür  zu  erzeugen,  doch  nicht,  dieses  wieder  auf  andere  Thiere 
weiter  zu  überimpfen. 

An  der  Discussion  betheiligen  sich:  Prof.  P  a  1 1  a  u  f ,  Hofrath 
Kaposi,  Docent  Grünfeld  und  Prof.  Gussenbauer. 

R.  P  a  1 1  a  u  f  ist  erstaunt,  zu  hören,  dass  an  einer  Klinik  allein 
in  Wien  21  Fälle  von  Nosocomialgangrän  beobachtet  worden  sind  und 
fragt.,  auf  welche  Weise  für  die  beobachteten  und  untersuchten  gan¬ 
gränösen  phagedäuischen  Geschwiirsprocesse  die  Identität  mit  der 
seinerzeit  so  fürchterlichen  Nosocomialgangrän  erschlossen  worden  ist, 
ob  auch  die  so  bekannte  Contagiosität  derselben  beobachtet  worden 
ist.  Pal  tauf  hat  in  der  langen  Reihe  von  Jahren  nie  gehört,  dass 
ein  Fall  von  Nosocomialgangän  im  Krankenhause  vorgekommen  ist; 
auf  der  Klinik  Billroth  wurde  einmal  ein  Fall  mit  derselben  ver¬ 
glichen,  der  sich  aber  dann  als  artificiellen  Schorf  bei  einer  Hysterica 
erwiesen  hat.  Für  die  an  sich  interessanten  Untersuchungen  ist  diese 
Frage,  ob  die  alte  echte  Nosocomialgangrän  vorliegt,  doch  sehr  wichtig. 

Matzenaue  r  erwidert,  dass  die  Schilderungen  älterer  Autoren 
über  echte  Nosocomialgangrän  speciell  von  Billroth,  P  i  t  h  a, 
Rosenbach  etc.  vollkommen  mit  den  klinischen  und  anatomischen 
Erscheinungsformen  der  eigenen  Beobachtungen  übereinstimmen. 

P  a  1 1  a  u  f  meint,  das  sei  noch  nicht  ausreichend  zur  Identi- 
ficirung. 

Hofrath  Kaposi  will  von  dem  histologischen  und  bacteriolo- 
gi sehen  Theile  der  Ausführungen  des  Vortragenden  vollständig  ab- 
sehen  und  nur  vom  klinischen  Standpunkte  auf  dieselben  Einiges 
Vorbringen.  Von  diesem  aus  nun  constatirt  Kaposi,  dass  die  be¬ 
schriebenen  Processe,  die  er  ja  selber  auch  zur  Genüge  aus  persön¬ 
licher  Betrachtung  kennt,  allerdings  vollkommen  dem  entsprechen,  was 
man  eben  als  Hospitalbrand  zu  bezeichnen  gewohnt  war,  also 
Hospitalbrand  darstellen.  Kaposi  verweist  nun  speciell  auf  diese 
Vorkommnisse,  insoferne  sie  in  der  Vor- Lister  Zeit  bei  uns  recht  häufig 
waren,  namentlich  auf  gewissen  Zimmern  (der  jetzigen  II.  Syphilis- 
Abtheilung)  und  sporadisch  auch  auf  anderen  Zimmern  der  Haut¬ 
klinik  und  -Abtheilung,  zumeist  ausgehend  von  Schankergeschwüren 
der  Genitalien  und  Bubonen.  Kaposi  beschreibt  nun  nach  seinen 
eigenen  diesbezüglichen  Erfahrungen  das  urplötzliche  Einsetzen  solcher 
Gangränen  auch  selbst  auf  granulirenden  Flächen  unter  Fieber  unter 
dem  Bilde  des  trockenen,  mumificirenden,  zunderartigen  Necrosirens 
der  Gewebe,  oder  dem  des  feuchten  Brandes,  oder  der  Hinzugesellung 
der  letzteren  zur  ersteren  Beginnform,  die  enorme  und  rapide  Weiter¬ 
verbreitung  und  Zerstörung  tiefster  Schichten  bis  auf  die  Muskeln 
des  Abdomens,  der  Inguinal-  und  Cruralregion,  Arrodirung  und  letale 
Blutung  der  A.  femoralis,  der  möglichen  Heilung  u.  s.  w.,  wobei  er 
auf  die  bezüglichen  Tafeln  in  seinem  grossen  Atlas  der  Syphilis  hin¬ 
weist.  Insoweit  sei  also,  was  Matzenauer  hier  zur  Rede  ge¬ 
bracht  hat,  factisch  als  Nosocomialgangränform  aufzufassen. 

Dagegen  will  Kaposi  zweierlei  dahingestellt  sein  lassen, 
d.  h.  weder  entscheiden  noch  erörtern,  1.  ob  all  die  von  Matzen¬ 
auer  angeführten  Formen  auch  in  der  gedachten  Beziehung  gleich¬ 
wertig  sind  und  ob  es  nicht  dabei  andersdeutige  gibt;  2.  ob  der  bac- 
teriologische  Beweis  von  der  ätiologischen  Beziehung  der  demonstrirten 
Bacterien  zur  Nosocomialgangrän  erbracht  ist.  Das  zu  entscheiden  sei 
Sache  der  Bacteriologen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Docent  Dr.  Grünfeld  bemerkt,  dass  die  schweren  Fälle  von 
gangränösen,  mit  ausgedehnten  Zerstörungen  einhergegangenen  Adenitiden 
und  andere  Geschwürsformen  auf  die  Klinik  oder  Abtheilung  zumeist 
von  Aussen  importirt  wurden,  dass  dagegen  das  Auftreten  von  Noso- 
comialgangrän  unter  den  Augen  der  Aerzte  entstanden,  wahrschein¬ 
lich  durch  Instrumente,  Verbandstoffe  etc.  weiter  verbreitet,  auf  eine 
Anzahl  von  Kranken  beschränkt  blieb.  Insoferne  kann  wohl  von  einem 
endemischen  Charakter  dieser  Complication  gesprochen  werden.  In 
der  vorantiseptischen  Zeit  konnten  derlei  Fälle  dem  Spitale  ent¬ 
stammender  und  sich  rasch  vermehrender  Gangrän  öfters  beobachtet 
werden,  welche  oft  der  Benarbung  nahe  Geschwürsformen  plötzlich  be¬ 
fiel.  Der  Nachweis  ihrer  Entstehung  und  Verbreitung  war  oft  unauf¬ 
findbar,  nicht  selten  aber  dennoch  möglich. 

Matzenauer  entgegnet,  dass  er  in  seiner  kurzen  vorläufigen 
Mittheilung  nicht  auf  genauere  klinische  Details  eingehen  konnte, 
Hofrath  Kapos  i’s  Schilderung  eines  typischen  Falles  von  Nosocomial- 
gangrän  entspreche  aber  ganz  getreu  einem  an  der  Klinik  Neumann 
beobachteten  Falle  von  gangränösem  Bubo,  bei  welchem  es  auch  rapid 
zur  Blosslegung  des  Ligamentum  Poupartii  und  der  Muskelgruppen 
kam;  bei  dem  schon  greisen  Kranken  wurde  ein  bereits  spontan  per¬ 
forator  Bubo  durch  Contactinfection  mit  der  gangränösen  Glans  penis 
secundär  gangränös.  Zur  Entwicklung  eines  gangränösen  Bubo,  in¬ 
soferne  derselbe  als  regionäre  Lymphdrüsenschwellung  mit  etwa 
begleitenden  lymphangioitischen  Erscheinungen  aufzufassen  sei,  komme 
es  aber  in  Folge  eines  hospitalbrandigen  Geschwüres  überhaupt  gar 
niemals ;  die  Nosocomialgangrän  verursacht  keine  Bubonen.  Die 
Infection  ist  bei  unseren  Fällen  niemals  im  Spital  erfolgt;  die  Fälle 
kamen  alle  schon  mit  entwickelten  gangränösen  Geschwüren  zur  Auf¬ 
nahme,  kein  einziges  entstand  während  des  Spitalsaufenthaltes,  noch 
gab  es  zur  Weiterverbreitung  auf  andere  Kranke  Anlass.  Dass  die 
sogenannten  diphtheritisehen  und  phagedänischen  Geschwüre  der  Noso¬ 
comialgangrän  zugerechnet  werden  müssen,  ergibt  sich  aus  dem  Ver¬ 
gleich  dieser  Geschwürsformen  mit  den  typischen  Bildern  der  letzteren, 
namentlich  beweisen  dies  Fälle,  wo  gleichzeitig  ein  ausgedehnter, 
rapid  fortschreitender  Herd  von  Gangrän  neben  phagedänischen  Ge¬ 
schwüren  am  Genitale  besteht,  oder  wo  nach  Eröffnung  eines  phimo- 
tischen  Präputium  ausser  einem  ausgedehnten,  flachen  (phagedänischen) 
Geschwür  am  inneren  Vorhautblatt  auch  die  Glans  penis  oder  die 
Schwellkörper  des  Penis  selbst  destruirt  und  mit  einer  hervorquellenden, 
schlammartigen,  bräunlich  zunderförmigen  „pulpösen“  Masse  bedeckt  sind. 
Denn  ob  die  Nosocomialgangrän  in  der  pulpösen  und  ulcerösen  Form 
auftritt,  hängt  hauptsächlich  von  der  Localisation  ab  und  dürfte  auf 
.den  anatomischen  Verhältnissen  des  betroffenen  Gewebes  beruhen.  Bei 
der  pulpösen  Form  ist  der  dicke  Schorf  oft  ganz  trocken,  sondert  kein 
eiteriges  Secret  ab;  erst  wenn  das  nekrotische  Gewebe  der  Zersetzung 
verfällt,  kommt  es  zur  Absonderung  eines  jauchigen  Secretes,  wie  dies 
bei  der  ulcerösen  Form  sich  immer  findet,  indem  hier  dem  reichlich 
abgesonderten  serösen  Exsudat  sich  massenhaft  rothe  Blutkörperchen, 
Detritusmassen  und  abgestorbene  Gewebsfetzen  und  andere  Zerfalls- 
producte  beimengen,  so  dass  ein  dünnflüssiges,  missfärbig  bräunliches, 
eben  jauchiges  Secret  gebildet  wird.  Das  histologische  Bild  zeigt  bei 
der  pulpösen  Form  einen  bei  Weitem  hochgradigeren,  bei  beiden 
Formen  aber  im  Wesentlichen  gleichen  entzündlich-nekrotischen 
Process.  Und  endlich  finden  sich  bei  beiden  Formen  dieselben  Bacillen, 
deren  ursächliche  Bedeutung  ich  allerdings  heute  noch  nicht  anerkannt 
hoffen  darf. 

G  r  ü  n  f  e  1  d  hält  Matzenauer’s  Fälle  für  Formen  echter 
Nosocomialgangrän. 

Prof.  Gussenbauer  berichtet  über  einen  Fall  von  Gangrän 
am  Unterkiefer,  welcher  heuer  an  der  Klinik  zur  Behandlung  kam. 

Eine  55jährige  Patientin  hatte  sich  mit  einem  Zahnstocher  die 
Gingiva  verletzt,  die  sich  darauf  schwärzlich  verfärbte  und  geschwürigen 
Zerfall  zeigte. 

Während  sich  in  den  ersten  drei  Tagen  der  zunächst  ambula¬ 
torischen  Beobachtung  das  Bild  wenig  geändert  hatte,  verbreitete  sich 
dann  rasch  die  Nekrose  am  Zahnfleisch  und  griff  auch  auf  die  Lippen 
über;  die  Zähne  waren  gelockert,  ihre  Wurzeln  blossgelegt. 

Die  Frau  musste  als  schwer  krank  aufgenommen  und  sofort 
operirt  werden. 

Das  Zahnfleisch  bildete  eine  schmierige  pulpöse  Masse.  Es  be¬ 
stand  keine  scharfe  Demarcation  gegen  die  intensiv  geröthete  Um¬ 
gebung. 

Auch  die  rechte  Hälfte  der  Unterlippe  war  geschwollen,  derb 
infiltrirt  und  am  Kinn  zeigte  sich  eine  hellergrosse,  schwarzblaue  Stelle, 
über  welcher  die  Epidermis  in  Bläschen  abgehoben  war. 

Die  derbe  Infiltration  der  gerötheten  Umgebung  nahm  gegen 
den  Hals  allmälig  ab.  Das  Krankhafte  wurde  mit  dem  Thermokauter 
entfernt  und  die  Wunde  mit  rauchender  Salpetersäure  verschorft. 

Der  Process  demarkirte  sich  aber  erst  nach  der  Injection  5°/o'ger 
Carbolsäure  in  die  Nachbarschaft  des  Defectes.  An  der  Zunge  entstand 
späterdings  eine  schwärzlich  verfärbte  Stelle,  die  wieder  mit  dem  Pa- 


quelin  excidirt  worden  ist.  Aber  überall  da,  wo  durch  das  Anfassen 
der  Zunge  mit  der  Ilakenpincette  Läsionen  gesetzt  waren,  zeigten  sich 
neue  Herde,  die  durch  Carbolinjectionen  gleichfalls  localisirt  werden 
konnten. 

Güssen  bau  er  meint,  dass  das  Bild,  welches  Dr.  Matzen¬ 
auer  für  seine  Fälle  beschrieben,  in  klinischer  und  anatomischer  Be¬ 
ziehung  sich  deckt  mit  dem,  was  man  früher  so  häufig  als  Nosocomial¬ 
gangrän  beobachtet  hat;  König  und  V  o  1  k  m  a  n  n  haben  auf  Ueber- 
gangsformen  hingewiesen  und  schon  Heine  hat  bei  seinen  Unter¬ 
suchungen  Mikroorganismen  gefunden,  ohne  aber  dieselbe  als  Ursache 
der  Gangrän  anzusprechen. 

Wenn  Dr.  Matzenauer  in  allen  Fällen  denselben  Bacillus 
gefunden  hat,  wäre  dessen  Stellung  als  Erreger  der  Gangrän  kaum 
zu  bezweifeln,  wenn  auch  das  Thierexperiment  negativ  blieb. 

Dr.  Hermann  Benedikt  demonstrirt  Röntgen-Auf¬ 
nahmen  eines  Mediastinaltumors. 

Meine  Herren!  Ich  erlaube  mir,  Ihnen  zunächst  das  Bild  eines 
grossen  Mediastinaltumors  zu  demonstriren,  welches  Ihnen  die  grosse 
Bedeutung  der  Röntgen  -  Untersuchung  für  die  interne  Medicin 
wieder  deutlich  beweisen  soll.  Der  Patient  leidet  seit  vier  Jahren  an 
asthmatischen  Anfällen  und  heftigen  Intercostalneuralgien.  Die  physi¬ 
kalische  Untersuchung  ergibt  am  Rücken  zu  beiden  Seiten  der  Wirbel¬ 
säule  Dämpfung,  rechts  weiter  nach  aussen  reichend  als  links.  Ueber 
der  Dämpfung  weder  Athemgeräusche,  noch  Herztöne  zu  hören.  Beide 
Lungen  sind  comprimirt. 

Patient  hat  vor  vielen  Jahren  Lues  acquirirt.  Ein  hervor¬ 
ragender  Internist  hatte  die  Diagnose  auf  Aneurysma  gestellt.  Der 
Patient  kam  nach  Wien  und  wurde  mir  zur  Röntgen-  Unter¬ 
suchung  zugewiesen. 

Man  sah  sofort  auf  dem  Bariumplatincyanürschirm  der  Dämpfung 
entsprechend  einen  Schatten,  welcher  vom  Jugulum  bis  zum  Zwerch¬ 
fell  reichte  und  sich  in  der  Höhe  der  fünften  und  sechsten  Rippe  nach 
beiden  Seiten  am  stärksten  ausdehnte;  der  Schatten  zeigte  keine  Pul¬ 
sation.  Beide  Lungen  stark  comprimirt,  erscheinen  nicht  so  hell,  wie 
normale  Lungen.  Auf  dem  Radiogramm  sehen  Sie  sehr  schön  den 
Tumor,  links  vom  Schatten  desselben  den  dunklen  Herzschatten. 

Nach  Angabe  des  Patienten  haben  die  Beschwerden  auf  Jod- 
curen  zu  wiederholten  Malen  bedeutend  nachgelassen.  Da  Lues  bestanden 
hat,  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  Tumor  damit  im  Zusammen¬ 
hänge  steht  und  wurde  eine  energische  Jodcur  verordnet. 

Wie  wirksam  Jod  sein  kann,  bewies  mir  folgender  lall:. 

Das  Bild  hatte  ich  schon  vor  zwei  Jahren  hier  demonstiiit.  Es 
zeigt  einen  grossen  Mediastinaltumor.  Patient  wurde  nach  Hall  geschickt, 
woselbst  er  drei  Monate  blieb.  Als  er  zurückkehrte,  war  der  Tumor 
circa  um  2  cm  in  der  Breite  kleiner  geworden.  Während  des  Winters 
nahm  er  dann  Jodpillen  und  kam  vergangenen  Sommer  wiedei  nach 
Hall.  Er  war  frei  von  allen  Beschwerden  und  die  neuerliche  Unter¬ 
suchung  zeigte,  dass  der  Tumor  vollständig  geschwunden  war. 

Hofrath  Schnabel  hält  seinen  angekündigten  Vor¬ 
trag  über  die  glau  komatöse  Sehnervenatrophie. 

Die  Vortragende  beschreibt  einen  Glaukomfall,  den  ei  zum 
Ausgangspunkte  seiner  Erörterung  gewählt.  Die  72jährige  Kianke 
hatte  chronisch  entzündliches  Glaukom  beider  Augen,  wuide  an  dei 
Klinik  des  Vortragenden  links  iridektomirt  —  rechts  bestand  absolutes 
Glaukom  —  und  starb  plötzlich  am  sechsten  Tage  nach  der  Operation. 
Der  linke  Sehnerv  war  geschwollen  wie  bei  Stauungspapille,  dei  rechte 
zeigte  glaukomatöse  Excavation  bei  normaler  Lage  der  Lamina  ciibiosa 
intrascleralis.  Durch  welchen  Vorgang  führt  Glaukom  zur  Schwellung 
des  vorderen  Sehnervenendes?  Durch  welchen  Vorgang  führt  Glaukom 
das  vordere  Sehnervenende  aus  dem  Anfangsstadium  der  Schwellung 
zu  dem  Endstadium  der  Aushöhlung  ? 

Der  Vortragende  benützte  zum  Studium  an  100  Sehnerven,  von 
denen  42  durch  Glaukom,  18  durch  andere  Processe  atrophisch  ge¬ 
worden,  die  übrigen  gesund  waren.  Docent  Elschnig  stellte  die 
Präparate  her. 

Die  frühesten  Gewebsveränderungen  betreffen  die  Nervenfasern 
und  sind  rein  degenerativer  Natur.  Sie  beginnen  im  intrascleialen  Stück 
und  schreiten  rasch  in  das  extraoculäre  Sehnervenstück  fort.  Entzünd¬ 
liche  Veränderungen  fehlen  in  frischen  Fällen.  In  einem  drei  Wochen 
alten  Fall  von  acutem  Glaukom  reichte  der  Zerfall  der  lasern  bis 

zur  Eintrittsstelle  der  Centralarterie. 

An  die  Stelle  der  zerfallenen  Nervenfaserstücke  treten  mikro¬ 
skopische  Caverneu,  die  rasch  wachsen,  so  dass  sie  mit  freiem  Auge 
sichtbar  werden.  Der  Vortragende  zeigt  vergrösserte  1  hotogiaphien 
mikroskopischer  Längenschnitte  glaukomatöser  Sebneiven  mit  sein 
zahlreichen  Cavernen  im  extraoculären  Stücke. 

Im  intraoculären  Stücke  beginnt  die  Höhlenbildung  im  intia 
skleralen  Thcilc. 

Die  kleinen  Höhlen  setzen  einen  Spalt  zusammen,  der  den  Nerv 
vor  der  Lamina  cribrosa  intrascleralis  durchquert.  Von  diesem  Haupt¬ 
spalte  ziehen  sehr  viele  verästigte  Spalte  zwischen  und  in  die  Nerven- 


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faserbündel,  so  dass  das  marklose  Stück  badeschwammähnlich  von 
kleinen  Hoblräumen  durchsetzt  wird.  In  Folge  der  Zusammenhangs¬ 
lockerung  neigen  sich  die  verschmäcktigten  Bündel  nach  den  Seiten 
und  hinten,  die  Excavationshildung  wird  an  der  Oberfläche  sichtbar. 
Durch  fortschreitenden  Schwund  der  Nervenfaserbündel  gerathen  die 
Balken  der  intraskleralen  Lamina  exact  an  die  Oberfläche  und  es  re- 
sultirt  schliesslich  eine  einzige  grosse,  nach  vorne  offene  Caverne  — 
die  glaukomatüse  Excavation. 

Neben  dem  Aushöhlungsschwunde,  der  dem  Glaukom  eigen- 
thümlich  ist,  kommt  im  glaukomatös  erkrankten  Nerven  auch  der  ge¬ 
wöhnliche  Verdichtungsschwund  vor.  Der  letztere  bewirkt  manchmal 
das  Ausbleiben  der  glaukomatösen  Excavation,  manchmal  das  Partiell¬ 
bleiben  derselben.  Sitzt  er  unmittelbar  hinter  der  Lamina,  so  bleibt 
die  Dislocation  der  Lamina  aus,  trotzdem  totale  Excavation  besteht. 
Sitzt  hinter  der  Lamina  Aushöhlungsschwund  und  rücken  die  queren 
Balken  zwischen  den  leergewordenen  Furchen  aneinander,  so  ziehen 
sie  die  Lamina  intrascleralis  mit  sich  und  die  Excavation  wird  ge¬ 
räumiger,  als  dem  Volum  des  intraoculären  Stückes  entspricht. 

Die  Stauungspapillengestalt  der  Papille  war  nicht  durch  Ent¬ 
zündung  erzeugt,  sondern  durch  Vergrösserung  der  Gewebsspalten 
durch  eingetretene  pathologische  Flüssigkeit.  Vielleicht  gibt  die  Durch- 
tränkung  der  Sehnerven  mit  pathologischer  Flüssigkeit  den  Anlass  zum 
Zerfalle  mit  Cavernenbildung. 

Glau  komatöse  Sehnervenatrophie  ist  Zerfall 
der  Sehnervenfasern  mit  Cavernenbildung.  Die 
glaukomatöse  Excavation  ist  eine  von  diesen  Ca¬ 
vemen. 


Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  vom  4.  Mai  1900. 

Der  Ombrophor.  ‘)  Ein  transportabler  Apparat 
für  Regenbäder  mit  kohlensaurem  Wasser.  Von  den 
Professoren  Wintemitz  und  Gärtner  (Wien). 

Nichts  vermöchte  zur  Verbreitung  der  Wassercur  als  diätetisches, 
hygienisches,  prophylaktisches  und  therapeutisches  Mittel  so  viel  bei¬ 
zutragen,  als  die  Möglichkeit,  diese  Cur  in  seinem  Heim,  unabhängig 
von  geschultem  Wartepersonale,  ohne  Abhängigkeit  von  Wasserleitung 
und  besonderen  Baderäumlichkeiten,  zu  gebrauchen.  Diese  Erwägung 
und  der  Umstand,  dass  die  gebräuchlichen  Douche-  und  Badevor- 
richtungen  schwer  transportabel  sind,  und  die  transportablen  zumeist 
mit  zu  geringem,  nicht  regulirbarem  Drucke  arbeiten,  veranlasste  den 
einen  von  uns  schon  vor  mehreren  Jahren,  einen  Apparat  zu  con- 
struiren,  der  seither  vielfach  von  seinen  Patienten  verwendet  wurde. 

Der  Apparat  bestand  aus  eiuom  Kupferkessel  mit  absperrbarem 
Ventil,  Steigrohr  und  Brausevorrichtung  für  Regen-  und  bewegliche 
Fächerdouche,  mit  einer  Untersatzschale  und  einem  Schutzvorhange. 
Das  zum  Regenbade  bestimmte  Wasser  musste  von  einem  Diener 
herbeigeschafft  und  mittelst  der  an  dem  Apparate  befindlichen  Flügel¬ 
pumpe  ziemlich  mühsam  in  den  Kessel  eingepumpt  werden.  So  wurde 
die  in  dem  Kessel  befindliche  Luft  durch  das  eingetriebene  Wasser 
comprimirt.  Es  gelingt  auf  diese  Weise,  das  eingepumpte  Wasser 
unter  einen  Druck  von  1 1  /2  —  2  Atmosphären  zu  setzen. 

Mit  der  Oetfnung  des  Wechsels  stürzt  nun  das  Wasser  mit  der 
entsprechenden  Kraft  aus  der  Brause  oder  dem  Fächer.  Dieser  Anfangs¬ 
druck  nimmt  jedoch  mit  dem  Ausströmen  des  Wassers  sehr  rapid  ab, 
es  bleibt  eine  grosse  Menge  Wasser  in  dem  Kessel  zurück,  das 
vor  neuerlichem  Gebrauche  der  Douche  mühsam  herausgepumpt 
werden  muss. 

Trotz  all  dieser  Mängel  und  der  verhältnissmässig  noch  geringen 
I  ransportabilität  entsprach  derselbe  doch  in  soferne  seiner  Aufgabe, 
als  or  einen  ziemlich  kräftigen  thermischen  und  mechanischen,  wenn 
auch  nur  momentanen  Reiz  auszuüben  und  eine  günstige  Reaction  zu 
bewirken  vermochte. 

Es  ist  uns  nun  gelungen,  einen  Apparat  herzustellen,  der  bei 
sehr  leichter  Transportabilität,  fast  ohne  Hilfspersonal,  in  jedem 
Raume  aufstellbar  und  benützbar  ist.  Einen  Apparat,  der  einen 
regulirbaren,  bis  zu  dem  letzten  Wassertropfen  gleichbleibenden 
thermischen,  mechanischen  und  chemischen  Reiz  ausübt. 

Dieser  Zweck  wurde  dadurch  erreicht,  dass  wir  als  Quelle  des 
erforderlichen  Druckes  eine  Flasche  mit  flüssiger  Kohlensäure  be¬ 
nützten. 

Der  Apparat,  der  in  zusammengelegtem  Zustande  sich  als  ein 
kleiner,  circa  20  kg  schwerer  Koffer  mit  Handhaben  zum  Transporte 
präsentirt,  zeigt  nach  Abhebung  des  Deckels  einen  Einsatz,  in  welchem 
die  ganze  Vorrichtung  verpackt  ist. 

Zum  Behufe  der  Benützung  wird  der  Einsatz  herausgehoben. 
Der  Koffer  selbst  lässt  sich  nun  sehr  einfach,  durch  Aufstellen  von 

')  Demonstrirt  in  der  II.  wissenschaftlichen  Versammlung  des 
t'entralverbandes  der  Balneologen  Oesterreichs  zu  Ragusa  (1.  April  1900). 


Schutzwänden  von  einem  wasserdichten  Stoffe,  in  eine  kleine,  mit 
dünnen  Zinkplatten  ausgekleidete  Wanne  verwandeln,  deren  eine 
schmale  Seite  mit  einem  verschliessbaren  Schlitz  zum  Einsteigen  des 
Badenden  vorsehen  ist. 

Die  einzelnen  Theile  des  Apparates  werden  nun  aus  dem  Ein¬ 
sätze  herausgehoben  und  zusammengestellt. 

Es  besteht  der  ganze  Apparat  aus  einem  cylindrischen,  etwa 
10  l  Wasser  fassenden  kupfernen  und  vernickelten  Wasserkessel. 

Dieser  Kessel  trägt  auf  seiner  convexen  oberen  Fläche  eine 
mit  einem  luft-  und  wasserdichten  Verschlussstück  versehene  Einguss¬ 
öffnung  für  das  zu  benützende  Wasser,  welches  in  der  gewünschten 
Temperatur  mittelst  eines  Trichters  oder  eines  Kautschukschlauches 
von  einer  zur  Verfügung  stehenden  Wasserleitung  eingefüllt 
werden  kann. 

Neben  dem  Wasserkessel  befindet  sich  eine  durch  eine  Metall¬ 
spange  mit  ihm  verbundene,  1  leg  flüssige  Kohlensäure  enthaltende 
Stahlflasche. 

An  diese  wird  nun  verlässlich  ein  mit  einem  Manometer  ver¬ 
bundenes  Reducir  ventil  angeschraubt. 

Dieses  Reducirventil  wird  durch  einen  Metallspiralschlauch  mit 
einer  zweiten  Oeffnung  des  Wassercylinders  verbunden.  Von  dieser 
Oeffnung,  durch  welche  die  Kohlensäure  in  den  Wassercylinder  ein- 
strömt,  verläuft  im  Innern  des  Wassergefässes  ein  Rohr  bis  zur  Basis 
desselben,  um  hier  in  der  Art  eines  Schlangenrohres  zu  endigen. 
Dieser  Theil  des  Rohres  ist  von  einer  grossen  Zahl  capillarer  Löcher 
durchbohrt. 

An  eine  dritte  Oeffnung  in  der  Mitte  des  Wassercylinders 
schliesst  sich  im  Innern  ein  auch  bis  zum  Boden  reichendes  Rohr  an, 
mit  welchem  die  durch  Sperrhähne  verschliessbaren  Röhren  des  Steig¬ 
rohres,  des  Brausekopfes  und  der  Seitenbrause  vermittelst  sogenannter 
Holländer- Verschlussstücke  verbunden  sind. 

Wird  der  so  zusammengesetzte  Apparat  in  der  Nähe  der  früher 
geschildeten  Kofferwanne  derart  aufgestellt,  dass  der  Brausekopf 
über  der  Mitte  der  Wanne  steht,  so  ist  die  Douche  zum  Gebrauche 
vorbereitet. 

Mann  öffnet  nun  das  Rad  ventil  der  Kohlensäureflasche  und 
schraubt  das  Idealventil  so  weit  herab,  bis  das  Manometer  den  ge¬ 
wünschten  Druck  an  zeigt. 

Es  dringt  nun  die  Kohlensäure  in  den  Wassercylinder,  sättigt 
je  nach  dem  mehr  oder  weniger  hohen  Drucke  das  Wasser  mehr  oder 
weniger  mit  Kohlensäure  und  setzt  dieses  unter  den  entsprechenden 
Druck. 

Der  Badende  kann  nun  durch  den  Einsteigschlitz,  entkleidet, 
in  die  Wanne  einsteigen,  den  Schlitz  durch  Zuknöpfen  verschliessen, 
den  Hahn  der  Brause  öffnen  und  eine  allgemeine  Douche  nehmen 
oder  den  Regen  von  oben  absperren  und  mit  der  beweglichen  Seiten¬ 
brause  jeden  beliebigen  lvörpertheil  der  Douche  aussetzen. 

Nach  gebrauchtem  Regenbade  schliesst  man  die  Wechsel  und 
verlässt  durch  der  Eingangsschlitz  die  Wanne. 

Die  1  kg  flüssige  Kohlensäure  haltende  Flasche  reicht  zu 
20—25  Douchen  aus  und  kann  für  1  K  in  den  fast  in  jeder  Gross¬ 
stadt  befindlichen  Kohlensäurefabriken  wieder  frisch  gefüllt  werden. 

Das  Wasser,  das  nach  der  Douche  in  dem  Wännchen  ange¬ 
sammelt  ist,  wird  durch  ein  in  der  Nähe  des  Bodens  angebrachtes 
Ventil  leicht  entfernt.  Von  einem  Herumspritzen  des  Wassers,  Be¬ 
netzung  der  Umgebung  ist  dabei  keine  Rede. 

Die  hier  geschilderte  Douche  unterscheidet  sich  von  den  ge¬ 
wöhnlichen  Regenbädern  mit  gemeinem  Wasser  dadurch,  dass  hier  das 
zur  Douche  benützte  Wasser  sich  in  dem  Cylinder  mit  Kohlensäure, 
die  durch  die  Oeffnungen  des  Schlangenrohres  in  feinen  Bläschen  ein¬ 
dringt,  sättigt  und  nun  beim  Auffallen  auf  den  Körper  nicht  nur 
einen  mechanischen  und  thermischen,  sondern  durch  die  an  der  Haut 
hängenbleibenden  CO^-Bläschen  gleichzeitig  einen  chemischen  Reiz 
ausübt,  der  wie  in  dem  C02-Bade  ein  eigenthümlich  angenehmes 
Prickeln  bewirkt,  das  die  sensiblen  peripherischen  Nervenendigungen 
über  die  niedrige  Wassertemperatur  hinwegtäuscht,  die  Reaction  er¬ 
leichtert  und  ihre  Dauer  erhöht  und  auf  diese  Weise  den  Iudications- 
kreis  für  die  diätetische,  hygienische,  prophylaktische  und  therapeutische 
Wirkung  erweitert. 

Diese  von  uns  Ombrophor  —  Regenbringer  —  genannte  trans¬ 
portable  Douchevorrichtung  bedeutet  ganz  gewiss  zunächst  einen 
hygienischen  Fortschritt,  da  sie  die  Annehmlichkeit  gewährt,  nicht 
nur  in  seinem  Schlafzimmer  unmittelbar  aus  der  Bettwärme  heraus 
ein  solches  Bad  nehmen  zu  können,  sondern  es  auch  ermöglicht,  den 
Apparat,  der  ja  bequem  in  einen  kleinen  Koffer  verpackt  werden 
kann,  auf  der  Reise  zu  benützen.  Die  Nützlichkeit  solcher  Regenbäder 
für  Gesunde,  Anämische,  Geschwächte,  Reconvalescente  und  an 
Circulationsstörungen  mannigfachster  Art  Leidende,  hat  sich  uns  ebenso, 
vielleicht  noch  besser  bewährt,  wde  die  gewöhnlichen  Regenbäder,  die 
in  technischer  Beziehung  jenen  sicherlich  uachstehen. 


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Stabile  Apparate  nach  demselben  Principe  sind  in  Vor¬ 
bereitung. 

Die  Kohlensäureindustrie  des  Dr.  Iiayd  t  in  Wien  (I.,  Schotten¬ 
ring  19)  hat  die  Fabrication  dieser  Apparate  übernommen. 


29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

18.— 21.  April. 

(Fortsetzung.) 

Referent:  Dr.  Heinz  Wohlgemuth  (Berlin). 

Zweiter  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

I.  James  Israel  (Berlin) :  Ueber  Operationen  bei 
Nieren-  und  Ureter  steinen. 

Nach  einem  geschichtlichen  Ueberbücko  über  die  Nierenchirurgie 
und  einem  allgemeinen  Hinweise  auf  die  nicht  gar  so  selten  bestehende 
Schwierigkeit,  Nierensteine  mit  Bestimmtheit  zu  diagnosticiren,  wendet 
sich  der  Vortragende  zu  den  Indicationen  für  die  operativen  Eingrifte 
bei  der  Nephrolithiasis,  und  zwar  der  primären  Nierensteine  und  stellt 
folgende  drei  Fragen  auf:  1.  Wann  stehen  wir  der  zwingenden  Noth- 
wendigkeit  gegenüber,  zu  operiren?  2.  Wann  sollen  wir  trotz  Fehlens 
einer  unmittelbaren  Gefahr  für  das  Leben  oder  die  Niere  zur  Ope¬ 
ration  rathen?  3.  Wann  ist  es  besser,  von  einem  Eingriff  Abstand  zu 
nehmen?  Die  unabweisbarste  Nöthigung  zum  Einschreiten  wird  von 
der  calculösen  Anurie  aufgezwungen.  Mag  sie  auf  der  Occlusion  nur 
eines  Ureters  mit  reflectorischer  Functionshemmung  der  anderen  Niere 
beruhen  oder  auf  doppelseitiger  Steinverstopfung,  oder  einseitiger  mit 
präexistirender  Functionslosigkeit  oder  Mangel  der  anderen  Niere,  in 
jedem  Falle  muss  die  erloschene  Function  der  zuletzt  occludirten  Niere 
sofort  auf  operativem  Wege  hergestellt  werden.  Zwar  kann  eine  totale 
Anurie  viele  Tage  hindurch  ertragen  werden  und  mit  dem  Spontan- 
abgange  des  occludirenden  Steines  enden,  doch  geht  der  Kranke  meist 
urämisch  zu  Grunde.  Ein  spontaner  Abgang  des  Steines  kann  allen¬ 
falls  solange  erwartet  werden,  als  noch  Koliken  bestehen.  Berücksichtigt 
man  ausserdem,  dass  sich  in  einer  durch  Steinverstopfung  ver¬ 
schlossenen  Niere  sehr  schnell  degenerative  Processe  der  Epithelien 
entwickeln,  welche  auch  nach  Beseitigung  des  Abflusshindernisses  eine 
Wiederaufnahme  der  Function  unmöglich  machen,  so  dürfen  wir  bei 
calculöser  Anurie  nicht  zögern,  sofort  einzugreifen. 

Eine  andere  Complication,  welche  zwingend  die  operative  Ent¬ 
fernung  des  Steines  fordert,  ist  die  acute  pyelonephritische  Infection 
einer  Steinniere,  mag  das  Concrement  im  Becken  oder  im  Ureter 
seinen  Sitz  haben.  Dieser  verderbliche  Process,  welcher  mit  schwerem 
Krankheitsgefühl,  unregelmässig  pyämischem  Fieber,  Schüttelfrösten, 
bisweilen  Erbrechen,  Trockenheit  der  Zunge,  häufig  spontaner  Schmerz¬ 
haftigkeit  der  Niere  einhergeht  und  zu  einer  Durchsetzung  des  Or¬ 
ganes  mit  miliaren  Abscessen  führt,  zwingt  zu  schnellem  Handeln. 
Denn  die  iufectiös  erkrankte  Steinniere  bedroht  auch  die  gesunde 
Niere  frühzeitig  mit  einer  toxischen  parenchymatösen  Nephritis.  Bei 
dieser  eminenten  Lebensgefahr  ist  die  ausgiebigste  Spaltung  der  Niere 
mittelst  Sectionsschnittes  und  Entfernung  des  Steines  am  Platze.  In 
solchem  Falle  wird  man  die  gespaltene  Niere  durch  Tamponade 
often  halten,  um  die  Elimination  der  Krankheitsproducte  zu  be¬ 
fördern. 

Wie  hier  die  Lebensgefahr,  so  zwingt  uns  die  Sorge  für  die 
Erhaltung  der  Niere  in  allen  den  Fällen  zum  Handeln,  in  denen  der 
Stein  durch  Störung  des  Abflusses  Retentionserscheinungen  macht.  Be¬ 
sonders  dringlich  ist  dies  in  den  Fällen,  in  denen  der  retinirte  Inhalt 
bereits  eiterig  infiltrirt  ist.  Eine  Unterlassung  der  Steinextraction  führt 
unaufhaltsam  zu  Druckatrophie  mit  Destruction  des  Nierenparenchyms. 
Man  muss  eingreifen,  sobald  eine  auf  Retention  beruhende  Ver- 
grösserung  des  Organs  erkannt  werden  kann.  Nierenblutungen  geben 
am  seltensten  eine  Indication  zur  Nephrolithotomie,  häufiger  der  Verdacht 
auf  eine  bösartige  Neubildung  oder  Tuberculose.  Deshalb  müssen  wir 
bei  allen  Nierenblutungen,  über  deren  Ursache  wir  keine  absolute 
Klarheit  gewinnen  können,  durch  eine  Explorativoperation  feststellen, 
ob  nicht  ein  bösartiges  Leiden  vorliegt,  von  dessen  frühzeitiger  Ent¬ 
deckung  die  Zukunft  des  Kranken  abhängt. 

Berechtigt  uns  aber  schon  das  Vorhandensein  eines  Nieren¬ 
steines  an  sich,  ohne  unmittelbare  Gefahr  für  das  Leben  oder  die 
Niere  auch  bei  geringfügigen  oder  fehlenden  Beschwerden  auf  einen 
operativen  Eingriff  zu  dringen?  Hier  ist  wohl  entscheidend  die  Er¬ 
fahrung,  dass  das  Risico  gegenüber  dem  Gewinne  geringfügig  ist.  Die 
Mortalität  der  Nephrolithotomien  mit  ihren  2  —  4 %  ist  niedriger  als 
die  der  bestgelungenen  Reihen  von  Lithotripsien.  Doch  so  lange  man 
einem  vor  die  Entscheidung  gestellten  Patienten  weder  zu  versichern 
vermag,  dass  er  zu  den  97%  Geheilten  und  nicht  zu  den  3%  Ge¬ 
storbenen  gehören  wird,  noch  dass  gerade  ihn  die  möglichen  Gefahren 
eines  zuwartenden  Verhaltens  treffen  müssen,  wird  sich  ein  Kranker 


mit  unerheblichen  Beschwerden  nicht  leicht  durch  statistische  Erwä¬ 
gungen  zur  Operation  bestimmen  lassen. 

Wann  sollen  wir  nur  den  Patienten  zur  Operation  zu  bewegen 
versuchen,  wenn  keine  unmittelbare  Gefahr  vorliegt?  In  erster  Linie 
dann,  wenn  es  sich  nicht  mehr  um  ein  aseptisches  Steinleiden  handelt, 
sondern  eine  pyelitische,  respective  eine  chronische  pyelonephritische 
Infection  erkannt  werden  kann.  Diesen  Steinkranken  droht  vor  Allem 
die  Gefahr  einer  acuten  infectiösen  Pyelonephritis  mit  multipler 
Abscessbildung  und  septischer  Allgemeininfection.  Derselbe  Standpunkt 
gilt  für  diejenigen  Formen  der  Steinkrankheit,  welche  sich  nicht  in 
acuten,  von  gesunden  Intervallen  getrennten  Schmerzparoxismen  äussern, 
sondern  in  chronischen  anhaltenden  oder  sehr  häufig  auftretenden  Be¬ 
schwerden  vielfältiger  Art  und  zwar  nicht  so  sehr  wegen  der  Intensität 
der  Schmerzen  als  wegen  des  durch  die  Chronicität  bedingten  dau¬ 
ernden  Missbefindens,  das  zu  schwerer  hypochondrischer  Verstimmung 
führen  kann.  Diese  chronischen  Steinbeschwerden  äussern  sich  nicht 
selten  in  so  lavirter  Form,  dass  es  bisweilen  allen  ärztlichen  Scharf¬ 
blick  erfordert,  um  das  wahre  Grundleiden  zu  erkennen.  Eine  letzte 
Indication  für  die  Empfehlung  eines  operativen  Einschreiten  ist  in  dem 
Vorhandensein  eines  von  Mastdarm  oder  Scheide  fühlbaren  Ureter¬ 
steines  zu  erblicken,  da  ein  solcher  Zustand  stets  mit  Retention  und 
Infection  der  Niere  endet. 

Die  Frage  nach  der  Dauerhaftigkeit  der  Resultate  soll  aber 
nicht  ohne  Einfluss  auf  unser  Handeln  sein.  Leider  fehlen  bisher 
ziffernmässige  Daten  in  statistisch  brauchbarem  Umfange  über  die 
Häufigkeit  der  Steinrecidive.  Doch  sind  sie  nach  seinen  eigenen  Er¬ 
fahrungen  bei  sauren  Steinen  selten.  Doch  die  Möglichkeit  eines 
Recidivs  darf  von  der  Operation  nicht  abhalten.  Nach  der  Extraction 
eines  Nierenconcrements  werden  wir  viel  eher  auf  diätetischem  oder 
medicamentösem  Wege  einer  Neubildung  vorzubeugen  vermögen,  als 
bereits  vorhandene  zur  Elimination  zu  bringen.  Gelingt  dies  nicht,  so 
ist  aber  auch  die  Wiederholung  der  Nephrolithotomie  an  derselben 
Niere  ebenso  gefahrlos  ausführbar  wie  die  primäre. 

Es  gibt  eine  gewisse  Form  des  Steinleidens  jedoch,  bei  welcher 
der  Patient  nicht  selten  die  Operation  fordert,  wir  sie  aber  verweigern 
sollten.  Das  sind  diejenigen  Fälle,  in  welchen  unter  häufig  auftreten¬ 
den  Koliken  fast  jedes  Mal  kleine,  nicht  facettirte  Sternchen  abgehen, 
während  in  den  Pausen  völliges  Wohlbefinden  und  klarer  aseptischer 
Harn  ohne  Formelemente  vorhanden  ist.  Die  Operation  würde  nutzlos 
sein,  weil  sie  keinen  retinirten  Stein  zu  Tage  fördern  würde  und  der 
Disposition  zur  Bildung  neuer  nicht  entgegentreten  könnte.  Hier 
vermag  eine  Veränderung  der  Lebensweise  manchmal  etwas  zu 
leisten. 

Was  nun  die  Operationsmethoden  anlangt,  so  haben  wir  zwei 
Wege,  zum  Stein  zu  gelangen:  durch  das  Nierenbecken  oder  durch 
das  Parenchym.  Das  letzte  Verfahren  ist  geeigneter,  die  sichere  Ent¬ 
fernung  aller  vorhandenen  Steine  zu  erreichen,  als  die  Pyelotomie, 
welche  wohl  für  Beckensteine  genügt,  doch  keine  Gewähr  für  das 
Zurückbleiben  unentdeckter  Concremente  in  den  Kelchen  leistet.  Denn 
die  Sondirung  der  letzteren  ist  ganz  unsicher,  ihre  Austastung  mit 
dem  Finger  ohne  Quetschung  der  Wundränder  nicht  ausführbar, 
welche  die  primäre  Verheilung  gefährdet.  Zudem  ist  die  Extraction 
von  Kelchsteiuen  von  den  Nierenbecken  aus  nicht  selten  recht 
schwierig.  Denn  weder  kann  man  unter  Leitung  des  Auges  extrahiren 
noch  ist  die  Einführung  des  Instrumentes  neben  dem  Finger  bei  der 
kleinen  Wunde  rathsam.  Korallensteine,  welche  vielästig  in  die  Kelch¬ 
höhlen  hineinragen,  können  von  einer  Nierenbeckenwunde  aus  in  toto 
unmöglich  entfernt  werden.  Ihre  Zertrümmerung  aber  birgt  die  doppelte 
Gefahr  einer  Verletzung  der  Wundränder  durch  scharfe  Kanten  und 
des  Zurückbleibens  von  Fragmenten.  Den  Vorwurf  der  Begünstigung 
der  Fistelbildung  verdient  die  Pyelotomie  jedoch  nicht,  denn  nicht 
nur  feine  genähte  Nierenbecken  sondern  auch  die  nicht  oder  inexact 
genähten  sind  per  primam  geheilt.  Die  Naht  des  Nierenbeckens  jedoch 
erfordert  eine  subtilere  Technik  als  die  des  Nierenparenchyms.  Zwar 
ist  die  Spaltung  der  Niere  nothwendig  mit  einem  kleinen  Verlust  an 
secernirender  Nierensubstanz  verbunden  durch  die  Atrophie  eines  wenn 
auch  schmalen  Ge websstreifens;  doch  hält  Vortragender  den  Ausfall 
für  so  gering  gegenüber  den  Vortheilen,  dass  er  die  Pyelolithotomie 
zu  Gunsten  der  Nephrolithotomie  verlassen  hat.  Durch  Acupunctur 
der  freigelegten  Niere  ein  Urtheil  über  das  Vorhandensein  eines  Steines 
gewinnen  zu  wollen,  hält  er  für  nutzlos.  Als  wesentlich  für  das  Ge¬ 
lingen  der  Operation  betrachtet  er  folgende  Massnahmen:  vollständige 
Aushülsung  der  Niere  aus  der  Fettkapsel  bis  zum  Stiel,  wobei  eine 
gleichzeitige  Ablösung  der  Capsula  propria  von  der  Niere  sorgfältigst 
zu  vermeiden  ist,  ein  Missgriff,  welcher  sich  bei  der  an  Steinnieren 
häufig  vorhandenen  innigen  Verwachsung  beider  Kapseln  leicht  er¬ 
eignen  kann.  Ferner  Isolirung  des  Ureters  von  den  übrigen  Stiel¬ 
gebilden,  weil  die  zum  Zwecke  der  Blutleere  erforderliche  Stiel- 
constriction  ausschliesslich  die  Gefässe  treffen  darf.  Den  Ureter  aber 
muss  man  frei  lassen,  um  ihn  durch  retrograde  Sondirung  auf  seine 
Durchgängigkeit  prüfen  zu  können.  Die  Blutleere  wird  am  schwersten 


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mit  einem  um  den  Stiel  geschlungenen  Drainagerohr  erzeugt.  Die 
Incision  findet  in  der  Längsrichtung  des  Convexstandes  2 — 3  mm 
dorsalwärts  von  der  Ebene  des  Sectionsschnittes  statt;  auf  diese  Weise 
hat  man  das  geringste  Mass  der  Blutung  zu  gewärtigen,  da  der 
dickere  ventrale  und  der  schmälere  dorsale  Abschnitt  der  Niere  von 
gesonderten  Gefässgebieten  versorgt  werden,  welche  sich  in  der  an¬ 
gegebenen  Schnittebene  berühren,  ohne  miteinander  zu  communiciren. 
Bei  der  Abtastung  der  Kelche  soll  mau  den  an  den  beiden  Polenden 
gelegenen  eine  geschärfte  Aufmerksamkeit  zuwenden,  die  sich  wegen 
der  nicht  selten  vorkommenden  hufeisenförmigen  Krümmung  der 
Steinnieren  der  Untersuchung  entziehen.  Keine  Steinoperation  ohne 
Prüfung  des  Ureters  auf  seine  völlige  Durchgängigkeit  und  ohne  dass 
seine  nicht  selten  vorhandenen  adhäsiven  Verwachsungen  mit  dem 
Nierenbecken  gelöst  werden,  welche  durch  Behinderung  des  Abflusses 
die  primäre  Verklebung  der  Nierenwunde  hindern  können.  Bei  Durch¬ 
gängigkeit  des  Ureters  einige  tiefgreifende  Catgutnähte,  welche  ge¬ 
schürzt  werden,  während  ein  Assistent  die  Wundflächen  der  Niere 
glatt  aufeinander  drückt  und  mit  dieser  sanften  Compression  noch 
einige  Minuten  nach  Entfernung  des  Constrictionsschlauches  fortfährt. 
Der  Nahtverschluss  ist  das  Normalverfahren  bei  aseptischen  oder 
höchstens  leicht  inficirten  Steinnieren  mit  sauerem  Urin,  fehlender  oder 
unbedeutender  Retention.  Bei  grösserer  Retention  dagegen,  eiteriger 
oder  ammonikalischer  Beschaffenheit  des  Urins,  miliaren  Entzündungs¬ 
herden  der  Abscesse  im  Parenchym  selbst  ist  die  freieste  Drainage 
bei  offener  Wunde  das  beste  Heilmittel.  Ein  Verstoss  dagegen  rächt 
sich  durch  weiteres  Fortschreiten  der  infectiösen  Processe  im  Paren¬ 
chym  bis  zur  Nekrose  des  von  der  Naht  umschlossenen  Stückes.  Eine 
solche  sicher  functionirende  Drainage  lässt  sich  nicht  durch  eine 
Pyelotomie  erreichen.  In  einzelnen  Fällen  ausgedehnter  multipler  Stein¬ 
bildung  mit  ammoniakalischer  Zersetzung  des  Urins  ist  er  so  weit  ge¬ 
gangen,  die  Niei'e  völlig  in  zwei  Hälften  zu  spalten,  sie  auseinander  zu 
klappen  und  ihre  Ränder  mit  den  Bauchwundrändern  zu  vereinigen, 
um  ihre  Hohlräume  so  lange  einer  gründlichen  desinficirenden  Local¬ 
behandlung  zu  unterwerfen,  bis  der  Urin  sauer  und  klar  geworden 
und  damit  die  Gefahr  eines  Recidives  von  Phosphatconcretionen  be¬ 
seitigt  war. 

(Fortsetzung  folgt  ) 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden. 

Vom  18.  bis  21.  April  1900. 

Referent  Albll  (Berlin). 

(Fortsetzung.) 

III.  Sitzung. 

1.  T  ii  r  k  (Wien) :  Ueber  die  Hämamöben  Löwit’sim 
Blute  Leukämischer. 

Die  Ansicht  L  ö  w  i  t’s,  dass  die  von  ihm  im  Blute  bei  der  myelo¬ 
genen  Leukämie  gefundenen  „specifi-chen  Körper“  Parasiten  aus  der 
Gruppe  der  Protozoen  darstellen  und  die  Erreger  der  Krankheit  seien, 
beruht  auf  einer  irrthümlichen  Deutung  dieser  Gebilde. 

Der  Vortragende  hat  sich  durch  diesbezügliche  Nachuntersuchungen, 
welche  sich  vorläufig  nur  auf  das  periphere  Blut  bei  myelogener  Leu¬ 
kämie  erstrecken  konnten,  davon  überzeugt,  dass  die  „specifischen 
Körper“  L  ö  w  i  t’s  Auslaugungsproducte  der  Mastzellengranula  durch 
die  angewendeten  Färbemittel  darstellen,  da  durch  wässerige  Lösungen 
basischer  Farbstoffe  die  specifischen  Granulationen  der  meisten  Mast¬ 
zellen  deformirt,  „ausgelaugt“,  werden,  und  hiedurch  Gebilde  zu 
Stande  kommen,  welche  von  den  „Ilämamöben“  L  ö  w  i  t’s  nicht  zu 
unterscheiden  sind,  ferner  da  diejenigen  Zellen  im  Blute  Leukämischer, 
welche  die  nach  dessen  „specifischer“  Methode  dargestellten  Hämamöben 
L  ö  w  i  t’s  enthalten,  thatsächlich  an  Zahl  den  in  andersgefärbten  Prä¬ 
paraten  desselben  Blutes  enthaltenen  Mastzellen  entsprechen;  dabei  wird 
die  Zahl  der  noch  erhaltene  Mastzellengranula  tragenden  Zellen  auf 
einen  verschwindenden  Bruchtheil  herabgesetzt  und  finden  sich  typische 
„Hämamöben“  bei  einer  ganzen  Reihe  anderweitig  kranker  Menschen, 
wenn  ihr  Blut  nur  Mastzellen  enthält. 

Endlich  ist  die  Argumentation  L  ö  w  i  t’s,  er  habe  die  Leukämie 
auf  Kaninchen  übertragen,  nicht  einwandfrei,  weil  ersieh  nur  auf  ganz 
uncharakteristische  Veränderungen  in  den  blutbildenden  Organen,  eine 
chronisch  recidivirende  Leukocytose  und  den  Nachweis  seiner  Hämamöben 
stützen  kann. 

L  ö  w  i  t  (Innsbruck)  bestreitet  alle  Ausführungen  des  Vortragenden. 
Ueber  die  Thierversuche  habe  er  ein  abfälliges  Urtheil  gefällt,  ohne 
sie  selbst  nachgemacht  zu  haben.  Die  angebliche  Verwechslung  mit 
Mastzellengranulationen  sei  ihm  sicher  nicht  zur  Last  zu  legen,  da  er 
sie  selbst  schon  früher  von  seinen  Amöben  wohl  zu  unterscheiden  ge¬ 
lernt  hat.  Die  von  ihm  verwendeten  wässerigen  Farblösungen  haben 


gar  keine  solche  deformirendo  Wirkung.  Die  Mastzellengranula  sind 
neben  den  Amöben  getrennt  darzustellen.  Auch  haben  erstere  niemals 
die  typische  Sichel  und  Geisselformen,  ferner  auch  niemals  die  Grösse 
der  Amöben,  schliesslich  auch  nicht  die  charakteristische  von  Cellulose¬ 
gestalt  hei-stammende  Grünfärbung.  Mit  Nachbehandlung  seiner  (L  ö- 
w  i  t’s)  Präparate  mit  Alkohol  kommen  die  Mastzellengrauula  zur  Er¬ 
scheinung. 

Türk:  Nur  ein  Theil  der  Granula  wird  ausgelaugt,  und  zwar 
der  sich  basisch  färbende  Antheil.  Grösse,  Form  und  Farbe  seien 
nicht  wesentliche  Kennzeichen  für  diese  vielfach  confluirenden  Körnchen¬ 
massen. 

Kraus  (Graz)  theilt  die  Bedenken  des  Vorredners.  Die  nach¬ 
trägliche  Darstellung  der  Granula  neben  den  Amöben  durch  Alkohol 
ist  ihm  nicht  gelungen. 

Löwit:  In  den  nachgefärbten  Präparaten  treten  die  Granula 
nicht  einzeln,  sondern  in  grossen  Massen  auf.  In  T  ü  r  k's  Präparaten 
von  Nichtleukämischen  hat  Löwit  nichts  seinen  Amöben  Aehnliches 
sehen  können. 

Kraus  (Prag)  fragt,  ob  sich  diese  Amöben  auch  im  ungefärbten 
Präparat  am  geheizten  Objecttisch  finden,  da  er  sie  selbst  nicht  sehen 
konnte. 

Löwit  hat  dies  zu  untei’suchen  neuerdings  keine  Gelegenheit 
gehabt. 

Es  folgen  noch  weitere  Repliken  von  Türk,  Kraus  (Graz) 
und  Löwit,  deren  Ei-gebniss  unentschieden  bleibt.  Man  kommt  dahin 
überein,  dass  noch  die  Untersuchungen  anderer  Autoi-en  abgewartet 
werden  müssen. 

II.  Löwit  (Innsbruck) :  Weitere  Beobachtungen  über 
die  Parasiten  der  Leukämie. 

Vortragender  hat  bei  Fällen  von  Lymphämie  die  neuere  Färbungs¬ 
methode  von  Roman  owsky  angewendet  und  in  den  Lymphocytosen, 
welche  55 °/0  der  Leukocytosen  ausmachten,  eigenartige  Bildungen  ge¬ 
funden  :  äusserst  kleine  Körperchen  von  Ringform,  meist  einzeln,  mit 
deutlichen  Vacuolen.  Es  ist  ausgeschlossen,  dass  es  Zerfallsproducte 
des  Kerns  seien.  Im  Knochenmark  leukämisch  inficirter  Kaninchen 
kamen  ähnliche  Bildungen  vor. 

Türk  (Wien)  glaubt  solche  auch  im  normalen  Blut  gesehen 
zu  haben. 

III.  Sonnenberger  (Worms):  Beiträge  zur  Aetio- 
logie  und  Pathogenese  der  acuten  Verdauungsstö¬ 
rungen  im  Säuglingsalter,  insbesondere  der  Cholera 
nostras. 

Vortragender  weist  zunächst  darauf  hin,  dass  bei  vielen  Ver¬ 
dauungskrankheiten  in  diesem  Alter  der  Vorgang  der  Intoxication 
eine  Rolle  spiele  und  dass  die  Intoxicationen  umso  leichter  zu  Stande 
kommen  beim  Säugling,  als  gerade  in  diesem  Alter  die  Verdauungs¬ 
organe  und  deren  Functionen  so  beschaffen  sind,  dass  sie  das 
Zustandekommen  der  Vergiftungen  sehr  begünstigen.  Im  Gegensatz  zu 
den  bacteriellen  Intoxicationen  bei  den  schweren  Verdauungsstörungen 
im  Säuglingsalter  hat  Sonnenberger  eine  neue  Krankheitsrubrik, 
die  rein  chemischen,  sogenannten  Milchintoxicationen 
aufgestellt.  Dieselben  kommen  als  Ursachen  der  Verdauungsstörungen 
künstlich  ei-nährter  Säuglinge  sehr  häufig  vor.  Ihre  Entstehungsweise 
basirt  ausser  der  erwähnten  eigenthümlichen  Beschaffenheit  am  kind¬ 
lichen  Verdauungsorgane  auf  den  Thatsachen,  dass  die  Milch  Secret 
und  Exci'et  ist,  und  dass  in  einer  grossen  Reihe  gangbarer  Futtei'mittel 
und  Fütterungsweisen  pflanzliche  Alkaloide,  Glykoside  und  ähnliche 
mehr  oder  minder  giftige  Stoffe  vorhanden  sind,  die  umso  leichter  in 
die  Milch  übergehen,  als  die  pflanzenfressenden  Thiei-e  Gifte  in  ungleich 
grösserer  Menge  unbeschadet  ihrer  Gesundheit  vertragen  können,  ohne 
zu  erkranken,  als  fleischfi-essende  Thiere  und  der  Mensch;  insbesondere 
findet  das  zur  Zeit  der  Lactation  statt,  wo  ein  Theil  der  Gifte  in  der 
Milch  wieder  ausgeschieden  wird.  Diese  Gifte  verui’sachen  die  oft  sehr 
schweren  Verdauungsstörungen,  die  bei  Säuglingen,  insbesondere  unter 
dem  Bilde  eiuer  Gastroenteritis,  acut  verlaufen  können. 

(Fortsetzung  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  18.  Mai  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  Teleky 
stattflndendeo 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Docent  Dr.  Röthi:  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Luft¬ 
strömung  in  der  gesunden  und  kranken  Nase. 

2.  Dr.  Adolf  Julies:  Ueber  eine  einfache  und  zuverlässige  Methode 
zur  quantitativen  Bestimmung  der  Harnsäure,  sowie  der  Purinbasen  (Alloxur- 
basen)  im  Harn. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Professoren:  A.  Politzer, 
Weinlechner,  Fein,  Englisch  und  Wertheini. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Wiener  klinische  Wochenschrift 

unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  24.  Mai  1900.  Hr.  21. 


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Abonnementspreis 
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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX,  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1 .  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


INHALT: 


(Alle  Rächte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Der  gegenwärtige  Stand  der  Verwundungsfrage  im 
Kriege  und  die  Wechselbeziehungen  derselben  zum  Sanitätsdienste 
im  Felde.  Von  Oberstabsarzt  Dr.  J.  H  a  b  a  r  t,  Privatdocent  für 
Kriegschirurgie  an  der  Wiener  Universität. 

2.  Aus  dem  k.  und  k.  Garnisons-Spitale  Nr.  1  in  Wien  (Abtheilung 
für  Haut-  und  Syphiliskranke  des  Herrn  Stabsarztes  Dr.  A.  Thurn- 
w  a  1  d).  Ueber  die  sogenannte  Lues  hereditaria  tarda,  beobachtet 
an  der  bosnisch-hercegovinischen  Mannschaft  der  Wiener  Garnison 
aus  den  Jahren  1897,  1898  und  1899.  Von  Dr.  F.  Schuster, 
k.  und  k.  Oberarzt  und  Secundarius  obiger  Abtbeilung. 

3.  Ueber  die  Wiederbelebung  in  Todesfällen  in  Folge  von  Erstickung, 
Chloroformvergiftung  und  elektriseht-m  Schlage  Von  Prof.  Dr.  J. 


P  r  u  s,  Director  des  Institutes  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  an  der  k.  k.  Universität  zu  Lemberg.  (Schluss.) 

4.  Entgegnung  auf  0  s  t  w  a  1  d’s  Bemerkungen  zu  meinem  Vorträge: 
»Ueber  physikalisch-chemische  Methoden  und  Probleme  in  der 
Medicin.«  Von  Docent  Dr.  W.  Pauli. 

II.  Referate:  I.  Das  Bronchialasthma  und  seine  Behandlung.  Von 
Goluboff.  H.  Nahrungsmittel  und  Ernährung  der  Gesunden 
und  Kranken.  Von  Dr.  Felix  Hirschfeld.  Ref,  0  r  t  n  e  r. 

III.  Vermischte  Nachrichten. 

IV.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Der  gegenwärtige  Stand  der  Verwundungsfrage 
im  Kriege  und  die  Wechselbeziehungen  derselben 
zum  Sanitätsdienste  im  Felde. 

Von  Oberstabsarzt  Dr.  J.  Habart,  Privatdocent  für  Kriegscbirurgie  an  der 

Wiener  Universität. 

Vortrag,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
am  27.  April  1900.  !) 

Das  zur  Neige  eilende  Jahrhundert  hat  unter  den  viel¬ 
fachen  Problemen  geistiger  Schaffungskraft  der  Neuzeit  zwei 
markante  Zeitfragen  von  grosser  Tragweite  aufgerollt,  welche 
nicht  nur  das  Interesse  unserer  Fachkreise  erwecken,  sondern 
die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  Welt  in  Anspruch  nehmen, 
es  ist  die  Frage  der  Wundbehandlung  und  jene 
der  Neubewaffnung  der  Armeen  mit  Repetir- 
waffen  und  Schnellfeuer kanonen.  Dasselbe  Jahr¬ 
hundert,  welches  unter  Napoleon  I.  durch  Kriegsereignisse 
mannigfacher  Art  tiefgehende  Umwälzungen  gebracht  hatte, 
endet  mit  Erfahrungen,  welche  weder  der  gewaltige  Imperator 
noch  dessen  grosse  Kriegschirurgen  Percy  und  Larrey  zu 
ahnen  vermochten.  Die  Muskete  mit  dem  glatten  Laufe  und 
dem  Rundblei  der  Napoleonischen  Kriege  ist  durch  eine 
Präcisionswaffe  von  hoher  Vervollkommnung  ersetzt  worden,  die 
kämptenden  Heeresmassen  haben  nicht  mehr  wochen-  und 
monatelange  Märsche  zurückzulegen,  sondern  werden  auf  Eisen¬ 
bahnen  fortgebracht,  welche  auch  dem  Verwundetenabschube 
zu  Nutzen  kommen,  die  Elektricität  und  das  Telephon  über¬ 
nehmen  den  Dienst  der  Feldpost  und  der  Reiterordonnanzen,  der 
Luftballon  ist  zum  Kriegsspion  geworden,  das  Fahrrad  versucht 

')  (Mit  Demonstrationen  von  Geschossen  der  Caliber  18 — 5  mm  und 
Schusspräparaten  von  Menschenleichen,  Pferden,  Hunden,  Ziegen  und 
Schafen,  sowie  Gelatinebüchsen,  gewonnen  durch  Schiessvetsuche  mit  8, 
6'5  und  5  vim  Repetirge wehren,  und  erläutert  durch  ballistische  Diagramme 
und  Photogramme). 


es  schon,  gleichfalls  Dienste  im  Felde  zu  leisten  und  vielleicht 
ist  die  Zeit  nicht  ferne,  wo  Automobilwagen  den  Verwundeten¬ 
transport  besorgen  werden.  Larrey’s  Memoiren  eröffnen 
uns  den  Einblick  in  die  Schicksale  der  Verwundeten  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  in  überaus  anziehender  und  belehrender 
Weise,  die  Schlachten  von  Leipzig  und  Waterloo  und  theil- 
weise  auch  der  Krimfeldzug  wurden  mit  Rundblei  und  glatten 
Vorderladern,  der  italienische  Krieg  1848 — 1849,  1859  und  1866, 
der  schleswig-holsteinische  Krieg  1864  und  der  amerikanische 
Secessionskrieg  1861  — 1865,  sowie  der  Feldzug  im  Jahre  1866 
in  Böhmen  durch  Vorderlader  mit  conischen  und  cylindroogivalen 
Langgeschossen  ausgefochten,  nur  Preussen  trat  schon  1864 
mit  dem  Dreyse’schen  Hinterlader  siegreich  in  den  Vorder¬ 
grund  und  erst  seit  Mitte  des  Jahrhunderts  standen  cylindro- 
conische  und  cylindroogivale  Spitzgeschosse  von  11  1 8  rnm 

Caliber  und  gezogene  Gewehrläufe  (Drall)  in  Verwendung. 
Während  bisher  französische  Kriegschirurgen  durch  volle  drei 
Jahrhunderte  die  Führerrolle  innehatten,  machen  sich  schon  in 
Schleswig  deutsche  Chirurgen:  Hannover,  Strom  eyer  und 
Langen  beck  bemerkbar  und  das  Kriegsjahr  1870  bis 
1871  bedeutet  einen  Wendepunct  zu  Gunsten  der  Deutschen 
nicht  blos  in  der  Kriegsführung,  sondern  auch  in  der  Kriegs¬ 
chirurgie,  indem  seither  deutsche  Chirurgen  die  Bannerträger 
der  Kriegschirurgie  geblieben  sind.  Hier  wirkte  auch  unser  zu 
früh  dahingegangener  Meister  Billroth  bahnbrechend,  wie 
wir  aus  seinen  kriegchirurgischen  Briefen  aus  den  Feldlazarethen 
in  Mannheim  und  Weissenburg  ersehen.  Mit  Charpie  und  An¬ 
wendung  von  übermangansaurem  Kalium  wurden  bis  nun  un¬ 
erwartete  Heilerfolge  bei  Kriegsverletzungen  erzielt,  weil 
erstens  eine  grosse  Anzahl  von  vorzüglichen  Kriegschirurgen 
(v.  Langenbeck,  Billroth,  v.  Esmarch,  B  a  r  d  e  1  e  b  e  n , 
v.  Volk  mann  u.  A.  m.)  am  Kriegsschauplätze  thätig  und 
zweitens  die  Organisation  des  staatlichen  Sanitätsdienstes  und 
der  freiwilligen  Sanitätspflege  musterhaft  durchgeführt  war, 
nachdem  es  die  deutsche  Kriegsverwaltung  vorher  nicht  ver- 


474 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


säumt  hatte,  Fachorgane  über  den  Ocean  nach  Amerika  behufs 
Studiums  des  Sanitätsdienstes  im  Felde  zu  entsenden  und  sich 
die  Erfahrungen  im  Gebiete  der  Kranken-  und  Verwundeten¬ 
zerstreuung,  welche  bei  uns  im  italienischen  Kriege  1859  durch 
Generalstabsarzt  Felix  v.  K  r  a  u  s  zuerst  im  grossen  Massstabe  er¬ 
folgreich  durchgeführt  wurde,  ferner  die  Verwendung  der  Sanitäts- 
ziige  zum  Krankenabschube  und  die  Benützung  von  Kranken- 
Baraken  zur  Unterbringung  von  Verwundeten  und  Isolirung 
von  Infectionskranken  zu  eigen  machte.  Hiedurch  ist  die  relativ 
günstige  Sterblichkeitsziffer  von  1 2%  unter  den 
99.566  deutsch  enBlessirten  in  d  e  n  F  eldlazarethen 
und  die  gute  Functionirung  des  Sanitätsdienstes  in  erster  Linie 
begründet,  indem  Verwundete  der  deutschen  Heere  zumeist 
binnen  10 — 12  Stunden  versorgt  waren,  wie  Le  Fort  durch 
eigene  Wahrnehmung  bestätigen  konnte.  Hier  nahmen  die 
Deutschen  den  Kampf  mit  einem  vorzüglichen  Hinterlader  der 
Franzosen  (Chassepot)  auf  und  gingen  aus  demselben  in  Folge 
überlegener  Taktik  siegreich  hervor.  In  diese  Zeit  fällt 
die  epochale  Entdeckung  von  Josef  Lister  und 
seine  antiseptische  Wundbehandlung  bildet  einen 
Markstein  dieses  Jahrhunderts  von  unvergänglichem  Glanze. 
Es  ist  meine  Pflicht  hier  hervorzuheben,  dass  es  das  unsterbliche 
Verdienst  von  J.  Ph.  Semmel  weis  war,  die  Wund¬ 
in  f  e  c  t  i  o  n  als  Erster  beim  Kindbettfieber  erkannt  und  empirisch 
den  richtigen  Weg  zu  ihrer  Verhütung  angegeben  zu  haben, 
während  L.  Pasteur  gleichzeitig  auf  die  Anwesenheit  von 
Mikroorganismen  bei  der  Gährung  hinwies  und  auf  diese  Art 
den  Boden  für  die  Lehre  L  i  s  t  e  r’s  vorbereitet  hatte.  Als 
v.  Berg m  ann  während  des  türkisch-russischen  Krieges  am 
Balkan  1877 — 1878  durch  antiseptische  Occlusion  (mit  SalicyJ- 
verband)  in  Combination  mit  Gypsverband  den  Beweis  erbracht 
hatte,  dass  die  Antiseptik  im  Felde  anwendbar  ist, 
wurde  dieselbe  seither  auch  Gemeingut  der  Kriegschirurgen, 
und  Rey her  konnte  bei  der  russischen  Armee  in  Kleinasien 
bereits  eine  Art  von  Statistik  über  Kriegsantiseptik  liefern. 
In  den  ungünstigen  Verhältnissen  der  russischen  Armee  am 
Balkan,  welche  weit  vom  Heimatslande  zu  operiren  hatte  und 
von  demselben  durch  einen  grossen  Wasserstrom  getrennt  war, 
ferner  in  der  mangelhaften  Organisation  des  Sanitätsdienstes 
lag  jedoch  der  Kern  zum  Misslingen  der  Wundbehandlung, 
deren  Resultate  die  denkbar  ungünstigsten  waren.  Die  Auflesung 
der  Blessirten  erst  in  zwei  bis  drei  Tagen  nach  der  Ver¬ 
wundung,  der  marter volle  Transport  auf  den  bulgarischen 
Bauernwagen  und  die  schlechte  Unterkunft  zur  Winterszeit, 
ferner  die  ungenügende  Pflege  haben  es  verschuldet,  dass  die 
Sterblichkeit  unter  den  Blessirten  26°/o  betragen  hatte  und 
nachdem  das  Nahfeuer  der  türkischen  Truppen  durch  die 
Snider-  und  Martinigewelire  so  verheerend  wirkte,  dass  auf 
drei,  bei  Plewna  auf  zwei  Verwundete  ein  Todter  entfiel,  so  wird 
die  prekäre  Lage  der  russischen  Armee  hinlänglich  erklärlich. 
Hier  tritt  uns  zum  letzten  Male  die  sympathische  Erscheinung 
von  Pirogoff  entgegen.  Den  ersten  stichhältigen  und  statistisch 
fundirten  Beweis  über  die  günstige  Wirkung  der  Antiseptik 
im  Felde  verdanken  wir  v.  M  o  s  e  t  i  g,  M  a  y  d  1,  Alex. 
F  r  a  e  n  k  e  1  u.  A.  aus  dem  serbo  -  bulgarischen  Kriege 
1885 — 1886,  wo  auf  Grund  secundärer  Antiseptik  die 
Sterblichkeit  in  den  Feldspitälern  auf  1‘5%  herabsank  und 
unter  dem  Schutze  derselben  die  grössten  Operationen  erfolgreich 
ausgeführt  worden  sind. 

In  dieser  Zeit  (1885)  erschien  die  Publication  von  R.  Koch: 
Untersuchungen  über  die  Aetiologie  der  Wund¬ 
in  fe  c  t  i  o  n  s  k  r  a n  k  h  e  it  e  n,  in  welcher  wir  mit  den  Mikro¬ 
organismen  der  Wundeiterung  bekannt  gemacht  werden, 
und  in  diesem  Zustande  befand  sich  beiläufig  die  Kriegs¬ 
chirurgie,  als  im  Jahre  1886  die  Franzosen  mit  einem 
neuen  Ordonnanzgewehr  hervorgetreten  waren,  welches  einen 
Repetirer  von  8 mm  darstellte.  Mit  einem  Schlage  wurden 
hier  die  Rep etirfrage,  die  Caliberfrage  und  die  Pulver¬ 
frage2)  gelöst,  und  seither  sind  alle  Armeen  mit  klein- 
calibrigen  Handfeuerwaffen  ausgerüstet  worden.  Neben  Waffen- 

■)  Repetirfrage,  Caliberfrage  und  Pulverfrage  bei  den  Handfeuer¬ 
waffen.  Sechs  Vorträge,  gehalten  von  Nikolaus  R.  v.  Wuich,  k.  und  k. 
Oberst  des  Artilleriestabes.  Wien  1895.  Seidel  &  Sohn. 


tecknikern,  Ballistikern  und  Taktikern  haben  sich  auch  Kriegs¬ 
chirurgen  dem  Studium  des  Kleincalibers  gewidmet,  und  gegen¬ 
wärtig  verfügen  wir  über  eine  umfangreiche  Literatur  in  dieser 
Richtung.  Indessen  wurden  jedoch  nicht  blos  Fusstruppen,  sondern 
auch  Reitertruppen  mit  Repetirern  bewaffnet,  und  das  Artillerie 
wesen  macht  gleichfalls  einen  Umwandlungsprocess  durch,  welcher 
nicht  minder  beachtungswerth  erscheint.  Es  ist  einleuchtend,  dass 
diese  Momente  den  gegenwärtigen  Stand  der  Verwundungs¬ 
frage  im  Kriege  beeinflussen  müssen,  und  nachdem  Viele 
von  den  Civilärzten  im  Kriegsfälle  berufen  sind,  als  Truppen¬ 
oder  Spitalsärzte  mitzuwirken,  so  erscheint  die  Erörterung 
dieses  Gegenstandes  gewiss  hinlänglich  begründet.  Um  den 
richtigen  Einblick  in  den  Mechanismus  der  verschiedenartigen 
Verletzungen  im  Kriege  zu  gewinnen,  genügt  das  theoretische 
Studium  der  einschlägigen  Literaturwerke  nur  unvollständig, 
sondern  es  erscheint  dringend  nothwendig,  sich  durch  ex¬ 
perimentelle  Studien  für  das  Fach  der  Kriegschirurgie  vorzu¬ 
bereiten  und  allerlei  Arten  von  Verletzungen  der  Friedens¬ 
praxis  zu  verwerthen,  um  im  Bedarfsfälle  die  Kriegsverletzungen 
richtig  beurtheilen  und  behandeln  zu  können.  Weise  und  für¬ 
sorgliche  Armeeverwaltungen  unterlassen  es  ferner  nicht,  ihre 
Organe  bei  Ausbruch  eines  Krieges  auf  den  Kriegsschauplatz 
selbst  zu  entsenden,  und  hat  in  dieser  Richtung  die  freiwillige 
Krankenpflege  in  den  letzten  Jahren  viel  Lobenswerthes  ge¬ 
leistet,  so  z.  B.  im  serbo-türkischen  (1875 — 1876)  und  türkisch¬ 
montenegrinischen  Kriege  (1876  — 1877)  das  Rothe  Kreuz  von 
Russland,  im  serbo-bulgarischen  Kriege  (1885 — 1886)  die  Orden 
und  Vereine  von  Oesterreich-Ungarn,  Deutschland,  Russland 
und  England,  im  griechisch-türkischen  Kriege  (1897)  jene  von 
Oesterreich-Ungarn,  Deutschland3 4),  Russland,  England  und 
Amerika  und  im  auglo-boerischen  Kriege  die  Missionen  von 
Deutschland,  Russland  und  Holland.  Als  im  Jahre  1891  in 
Chile  zum  ersten  Male  Kleincalibergewehre  in  Verwendung 
kamen,  hoffte  man  bald  eine  vergleichende  Statistik  der  Schuss¬ 
verletzungen  gegenüber  dem  alten  System  von  Kriegsgewehren 
verwerthen  zu  können,  welche  jedoch  bis  zur  Stunde  nicht 
erschienen  ist.  Hingegen  berichteten  die  Franzosen  aus  Dahomey 
über  gutartige  Schuss  Verletzungen  seitens  ihres  Lebel-Ge  wehres, 
während  der  japanisch-chinesische  Krieg  (1894 — 1895)  und 
die  kriegerische  Campagne  der  Italiener  in  Abyssinien  (1896) 
nichts  Neues  gebracht  hat,  ebensowenig  wie  der  griechisch¬ 
türkische  Krieg  (1897),  nachdem  hier  fast  ausschliesslich  noch 
die  alten  Kriegsgewehre  in  Benützung  standen.  Im  spanisch¬ 
amerikanischen  Kriege  (1898)  standen  sich  beiderseits  klein- 
calibrige  Kriegsgewehre  gegenüber;  über  das  Schicksal  des 
Krieges  entschieden  hier  jedoch  die  Schiffsgeschütze,  und  nach¬ 
dem  die  bis  nun  erschienenen  Verwundungsstatistiken  von  Seite 
der  Amerikaner1)  gleichfalls  nicht  abgeschlossen  sind,  so  ist 
den  Vermuthungen  weiter  Spielraum  offen  gelassen  worden, 
während  die  Verwundungsfrage  in  praktischem  Sinne  von 
Senn  u.  A.  lehrreich  erörtert  worden  ist. 

3)  Bericht  des  Central-Comites  der  Deutschen  Vereine  vom  Rothen 
Kreuz  über  seine  internationale  Hilfsthätigkeit  während  des  türkisch¬ 
griechischen  Krieges  1897.  Berlin  1897. 

4)  Die  durchschnittliche  Stärke  der  amerikanischen  Armee  belief  sich 
auf  167.168  Mann.  In  der  Zeit  vom  1.  Mai  bis  31.  December  1898 

sind  gefallen .  283  Mann 

verwundet .  1600  » 

an  Krankheiten  gestorben  .  .  .  4965  » 

Verhältniss  der  Todten  zu  den  Verwundeten 

bei  El  Caney  und  San  Juan  (vor  Santiago  de 

Cuba) . 1:4 

bei  Manila  . . 1  : 6‘7 

bei  La  Guasima . 1  :  3’25 

im  Gesammtverlust  .  1  :  5‘6 

Für  die  Zeit  vom  1.  Mai  1898  bis  30.  Juni  1899  (Kämpfe  auf  den 
Philippinen  nach  Friedensschluss)  melden  vorläufige  Berichte: 

Gesammt-Todesfälle  6619, 

davon  im  Kampfe  gefallen . 496 

später  an  Wunden  gestorben . 202 

durch  Verunglückung  gestorben  ....  216 

914 

An  Krankheiten  gestorben  5705  (darunter  an  Typhus  2774,  Malaria 
476,  Pneumonie  359,  Dysenterie  342,  Gelbfieber  185  u.  ä.).  Diese  und 
nachfolgende  Statistiken  verdanke  ich  den  Angaben  des  k.  und  k.  Regiments¬ 
und  Paradearztes  Dr.  J.  Steiner. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


47f> 


Bis  nun  liegen  somit  keine  einwandfreien  und  brauchbaren 
Statistiken  im  Sinne  von  0 1  i  o  über  den  amerikanischen  Se- 
cessionskrieg  (1861 — 1865)  und  des  Sanitätsberichtes  über  die 
deutschen  Heere  (1870  — 1871)  vor,  welche  einen  Schluss  auf 
die  Ver  wund  ungsfähigk  eit  des  Klein  calibers 
im  Kriege  gestatten  dürften,  und  es  scheint  dem  gegenwärtig 
wüthenden  Kriege  zwischen  den  Boeren  und  Engländern  Vor¬ 
behalten  zu  sein,  vielleicht  einigermassen  Licht  über  die  actuelle 
Frage  zu  verbreiten.  Thatsache  bleibt,  dass  das 
Kleincaliber  keineswegs  so  gutartig  wirkt,  wie 
von  mancher  Seite  angenommen  und  gewünscht 
w  i  r  d.  Als  die  Engländer  1897  die  Grenzstämme  in  Indien 
zu  bekämpfen  hatten,  schien  ihnen  das  Lee-Metford-Geschoss 
(M.  89  von  7‘69  mm  Caliber  und  610  Anfangsgeschwindigkeit) 
nicht  hinlänglich  wirkungsfähig,  und  deshalb  Hessen  sie  in  Dum 
Dum,  Fabrik  bei  Calcutta,  sogenannte  Weichnasen  oder  Dum 
Dum-Geschosse  mit  blossliegender  Bleispitze  erzeugen,  welche 
sich  beim  Auftreffen  stark  stauchten  und  in  Folge  der  ge¬ 
waltigen  ballistischen  Arbeitsenergie  verheerende  Wirkungen 
hervorriefen,  wie  Prof.  Bruns5)  in  einer  gediegenen  Ex- 
periinentalarbeit  nachgewiesen  hatte.  Aehnliche  Geschosse  haben 
Jäger  und  Sportsmänner  gegen  Hochwild  gleichfalls  mit  Erfolg 
angewendet,  indem  sie  durch  Blosslegen  und  Abkappen  des 
Bleinkernes  und  Reducirung  des  Metallmantels  das  Geschoss 
explosionsartig  wirken  Hessen.  Bruns  gebührt  das  Verdienst, 
dass  dieses  Geschoss  in  der  Haager  Friedensconferenz  (1899) 
als  völkerwiderrechtlich  stigmatisirt  wurde. 

In  Sudan  (1898)  gebrauchten  die  Engländer  ein  Hohl¬ 
spitzengeschoss,  welches  ähnliche  Schusswirkungen  im 
Nahfeuer  hervorruft  und  gleichfalls  von  Bruns0)  experimentell 
als  inhuman  hingestellt  worden  ist.  In  Afrika  sollen  die 
Engländer  nur  ein  Lee-Metford-V ollgeschoss  gebrauchen, 
während  die  Boeren  mit  einem  vorzüglichen  Repetirer  (Mauser 
M.  93)  von  7  mm  Caliber,  einem  Vollgeschoss  von  11*2  g  Ge¬ 
wicht,  V  25  =  690  m  Geschwindigkeit,  4000  m  Ertrag  und  von 
gewaltiger  Durchschlagskraft  versehen  sind.  Die  Kämpfe  am 
Modder  River  und  Tugela  illustriren  die  Wirkungsfähigkeit 
des  Kleincalibers  in  überzeugender  Weise  und  bestätigen  so¬ 
wohl  die  Annahmen  der  Ballistiker,  als  auch  die  Schiessergeb¬ 
nisse  der  Kriegschirurgen  (Reger,  v.  C  o  1  e r  -  S  c  h  j  e  r  n  i n g, 
B  i  r  c  h  e  r,  Kocher,  Nimier-Chauvel,  Delorme,  D  e- 
m os  then  u.  A.) 

Die  kleincalibrigen  Handfeuerwaffen  unterscheiden  sich 
von  den  früheren  Kriegsgewehren  1.  durch  die  gesteigerte 
Präcision,  die  Paketladung  (Mehrlader)  und  den  Repetir- 
mechanismus,  weshalb  sie  Schnellfeuerwaffen  heissen;  2.  durch 
grössere  Härte  des  Geschosses,  welches  durch  Stahl-,  Nickel¬ 
oder  Kupfermantel  versteift  und  hiedurch  gegen  Stauchung 


Grössen-  und 

Gewichts¬ 

verhältnisse 

Muster  des  Ges 

c  h  o  s  s  e  s 

Tabatiere 

Zündnadel 

(Dreyse) 

Chassepot 

Snider 

Martini 

W  erndl 

Repetirer 

Caliber  in 
Millimetern 

18 

13-5 

11*8 

14 

11 

11 

80 

6-5 

5-0 

Länge  in 
Millimetern 

24 

28-5 

25-0 

25 

31 

27 

31-8 

31-4 

32 

Gewicht  in 
Grammen 

35—47 

31-0 

250 

31 

32 

24 

15-8 

10-5 

6-5 

Querschnitts¬ 
belastung  pro 
Quadrat¬ 
millimeter 

0-137 

0-223 

0-228 

0-192 

0-245 

0-25 

0-3 

0-3 

0-316 

(Deformirung)  theilweise  geschützt  ist;  3.  durch  grössere  Länge, 
geringeres  Gewicht  (m)  und  grössere  Querschnittsbelastung 
des  Geschosses;  4.  durch  grössere  Anfangsgeschwindigkeit  (v) 

5)  Ueber  die  Wirkung  der  Bleispitzengeschosse.  Tübingen  1898. 
Laupp’sche  Buchhandlung. 

c)  Ueber  die  Wirkung  der  neuesten  englischen  Armeegeschosse  M,  IV 
(Hohlspitzengeschosse).  Tübingen  1899. 


von  620,  730,  850  und  mehr  Meter  in  der  Secunde  und  hie¬ 
durch  bedingte  grössere  Arbeitsleistung  (Energie),  Durchschlags¬ 
kraft  und  flache  (rasante)  Flugbahn,  wodurch  mehr  Zielobjecte 
getroffen  werden;  5.  durch  grössere  Tragweite  (Ertrag),  ge¬ 
ringere  Stauchung  des  Geschosses  und  grössere  Treffsicher¬ 
heit;  durch  grösseres  Ausmass  an  Taschenmunition  und  hiedurch 
bedingte  grössere  Treffwahrscheinlichkeit,  welche  Wolozkoi 
mit  0'25%  begrenzt,  indem  er  auf  400  Schuss  einen  Treffer 
annimmt  (W  o  1  o  z  k  o  i’sches  Mitte  1). 

Unter  den  angeführten  Factoren  beeinflusst  die  speci- 
fisclie  Querschnittsbelastung  des  Geschosses 
und  die  Grösse  der  Auftreffgeschwindigkeit  am  meisten  den 
Schusseffect,  weshalb  jene  Kriegsgewehre  die  besten  sind,  bei 
deren  Geschossen  grosse  Querschnittsbelastungen  und  günstige 
Auftreffgeschwindigkeiten  vorhanden  sind,  wie  es  bei  unserem 
Repetirgewehr  M.  95  der  Fall  ist.  Um  grosse  Querschnitts¬ 
belastungen  zu  erzielen,  blieben  einige  Staaten  beim  8  mm- 
Caliber  nicht  stehen,  sondern  gingen  auf  6'5  mm  Caliber  herab, 
wie  Italien,  Rumänien  und  Holland,  und  gewiegte  Ballistiker 
(v.  W  u  i c h,  W i  1 1  e,  Weigner  und  B  e  1  i  c z a y  7)  behaupten, 
dass  hiemit  noch  nicht  die  untere  Grenze  eines 
verwundungsfähigen  und  wirkungsvollen  Cali¬ 
bers  erreicht  sei.  Die  Verwundungsfähigkeit  eines  Ge¬ 
schosses  wurde  bis  nun  allgemein  durch  die  Gesammt- 

m  .  v2 

Energie  (lebendige  Kraft)  E  =  — ^ —  ausgedrückt, 


welche  in  einer  Distanz  von  0  m  bei  unserem  Repetirer  309'6  mhg 
(Meterkilogramm)  beträgt.  Nachdem  laut  Erfahrungen  eine 
Gesammt- Energie  von  3 — 5  mhg  genügt,  um  einen  Menschen 
zu  tödten,  wenn  lebenswichtige  Organe  (grosse  Schlagadern 
am  Halse  oder  in  der  Schenkelbeuge,  ferner  jene  der  Glied¬ 
massen  und  der  Körperhöhlen,  dann  Herz,  Magen,  Darm  u.  a.) 
getroffen  werden  und  beim  Pferde  dieselbe  Wirkung  noch 
durch  5—10 mhg  Arbeitsleistung  des  Geschosses  erzielt  wird, 
so  ersieht  man,  dass  sich  die  Zone  der  tödtlichen  Ge¬ 
wehrschüsse  bei  8  mm  Caliber  nahezu  bis  auf  4000  m  Ent¬ 
fernung  erstreckt,  nachdem  beispielsweise  auf  3500  m  Distanz 
noch  eine  Gesammt-Energie  von  14'7w/cy  vorhanden  ist.  Diese 
theoretische  Annahme  ist  durch  Beobachtung  vorgefallener 
Unglücksfälle  beim  feldmässigen  Schiessen,  bei  Gebrauch  der 
Schiesswaffe  von  Wachposten  und  bei  Arbeitertumulten  in  der 
That  bestätigt  worden,  während  Beobachtungen  aus  den  Kriegen 
letzter  Jahre  nicht  vorliegen,  da  hiezu  selten  Müsse  und  Ge¬ 
legenheit  gefunden  wird.  Die  Kampfunfähigkeit  kann 
indessen  durch  blosse  Verhinderung  des  Anlaufes  seitens  des 
Gegners  erzielt  werden,  und  hiezu  ist  nicht  immer  ein  tödtlicher 
Schuss  erforderlich,  sondern  es  genügt,  den  Anlauf  durch  Ver¬ 
wundung  des  knöchernen  Bewegungsapparates  aufzuhalten,  und 
deshalb  kann  bei  Beurtheilung  der  Verwundungsfähigkeit  einer 
Kriegswaffe  auch  blos  jene  Geschossenergie  in  Calcul  gezogen 
werden,  welche  die  langen  compacten  Röhrenknochen  noch  zu 
splittern  vermag,  und  hiezu  genügt  eine  Gesammt-Energie  von 
20  —  23  mhg,  welche  Bedingung  das  deutsche  Repetirgewehr 
M.  88  noch  auf  2000  m  erfüllt,  während  der  Wirkungsbereich 
unseies  Repetirgewehres  M.  95  bis  auf  2200 — 2300  m  hinaus¬ 
reicht,  wie  ich  schon  vor  Jahren  durch  Experimente  festgestellt 
habe,  indem  ich  die  Distanz  grenze  für  wirksame 
Knochenschüsse  mit  3000  Schritten  (2250  m)  fest¬ 
stellte.8)  Es  gereicht  mir  zur  grossen  Befriedigung,  dass  nun¬ 
mehr  ein  gewiegter  Ballistiker  (Hauptmann  A.  Beliczay  in 
seiner  vorcitirten  Studie,  Seite  159,  Tabelle  III)  durch  Be¬ 
rechnung  dieselben  Grenzwerthe  nachgewiesen  hat,  wodurch 
jeder  Zweifel  über  die  objective  Beurtheilung  der  Experimental¬ 
ergebnisse  behoben  erscheint.  Es  ist  einleuchtend,  dass  bei 
Geschossen,  welche  lebende  oder  leblose  Kampfziele  durch¬ 
dringen,  nicht  immer  die  totale  Auftreffenergie  verbraucht  wird, 
sondern  ein  Antheil  derselben  unbeniitzt  bleibt,  insofern  er 
nicht  zur  reciproken  Rückwirkung  auf  das  Geschoss  selbst, 


7)  Wirkungsfähigkeit  kleincalibriger  Gewehre.  Mittheilungen  über 
Gegenstände  des  Artillerie-  und  Geniewesens.  Jahrgang  1900,  3.  Heft. 

8)  Siehe:  Geschosswirkung  der  8  mm -Handfeuerwaffen  an  Menschen 
irnd  Pferden.  Seite  95,  zweite  Zeile  von  unten.  Wien  1892.  1  erlag 
von  Josef  Safaf. 


476 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


d.  h.  zur  Deformirung  desselben  oder  zur  Umsetzung  in  Wärme 


m .  v* 


ausgenützt  worden  ist.  Nach  Beliczay  versinnlicht  E  = — 

den  ganzen  Effect  der  Geschosswirkung  bei  Gegenständen,  die 
das  Geschoss  nicht  durchdringen  kann,  während  die  Wirkung 
des  Geschosses  bei  Gegenständen,  die  es  durchdringt,  durch 
m  v 

Eq=  ,  d.  h.  durch  die  Querschnittsenergie  angegeben 

2  .  r2  7r 

wird.  Nach  dieser  Formel  repräsentirt  das  deutsche  Repetir- 
gewehr  M.  88  eine  Querschnittsenergie  von  6  093  mhg  pro 
Quadratmillimeter,  das  italienische  Repetirgewehr  von  6*5 mm 
Caliber  M.  91  eine  solche  von  l'2^bmkg,  das  französische 
Lebel-Gewehr  M.  86  solche  von  5-737w%  und  unser  Gewehr 
M.  95  eine  Querschnittsenergie  von  5‘862  mkg.  Es  steht  nun 
fest,  dass  eine  Querschnittsenergie  von  0'446  mlcg  genügt,  um 
compacte  Röhrenknochen  noch  zu  splittern,  und  beim  deutschen 
Repetirgewehr  M.  88  in  der  Entfernung  von  2000  m  ge¬ 
leistet  wird.  Heutzutage  wissen  wir  demnach,  dass  nicht  die 
Gesammt-Energie,  sondern  die  Querschnitts-Energie 
die  Verwundungsfähigkeit  eines  Geschosses  bestimmt. 

Nachdem  aber  die  Querschnitts-Energien  der  kleinst- 
calibrigen  Geschosse  (von  6f5,  6,  5'5  und  5  mm  Caliber)  im 
Allgemeinen  grössere  Werthe  aufweisen  als  jene  der  8  mm 
Geschosse,  so  lassen  erstere  —  wenigstens  theoretisch  —  auch 
eine  grössere  Wirkung  erwarten.  Die  durch  5  mm  -  G  e- 
schosse  erzeugten  Schusspräparate  lassen  auf 
nahen  Distanzen  t hatsächlich  eine  viel  grössere 
Wirkung  erkennen  als  bei  8 mm  Caliber. 


auch  ein  wesentlich  kräftigeres  Pulver  als  das  Schwarzpulver 
erforderlich  und  nunmehr  stehen  hauptsächlich  zwei  Nitro- 
körper  in  Verwendung,  und  zwar  das  Nitrocellulosepulver 
(Schiesswollpulver)  für  die  Handfeuerwaffen  und  die  Combination 
der  Nitrocellulose  mit  Nitroglycerin  als  Sprenggelatinepulver 
für  die  Feldgeschütze,  während  für  die  brisanten  Spreng 
geschosse  (Bomben  und  Granaten)  Pikrinsäurepräparate  (Melinit, 
Ecrasit)  benützt  werden. 

Mit  der  Lösung  der  Caliberfrage  wurde  auch  die  Er¬ 
höhung  der  Patronenzahl  pro  Mann  erreicht,  welche  beim 
deutschen  Infanteristen  heute  bereits  150  Stück  als  Taschen¬ 
munition  und  150  Stück  als  Reserve vorrath  beträgt  und  mit 
Verkleinerung  des  Calibers  auf  200,  beziehungsweise  400  ge¬ 
steigert  werden  kann,  so  dass  nach  dem  W  o  1  o  z  k  o  i’schen 
Trefferprocent  ein  Treffer  von  jedem  Mann  der  F uss- 
truppen  zu  erreichen  wäre.  Ich  habe  unter  Zugrundelegung 
dieser  Patronenausrüstung  die  voraussichtliche  Verwundetenzahl 
rechnungsmässig  festgestellt  und  gefunden,  dass  1.  im  All¬ 
gemeinen  die  Verwundungszahl  im  Kriege  zunehmen  muss, 
2.  ein  Todter  auf  vier  Treffer  entfällt  und  in  Folge  dieses 
Verhältnisses  1  :  3  die  Zahl  der  Todten  =  25%  gegenüber 
den  früheren  Verluststatistiken  zunehmen  wird  und  3.  das 
Verhältniss  der  Leicht-  und  Schwerblessirten  etwa  wie  55  :  20 
ausfällt,  während  Birch  er9)  nur  15%  stärkere  Knochen¬ 
splitterungen  und  die  Zahl  der  Leichtblessirten  von  60%  an¬ 
nimmt.  Es  wird  gewiss  feindliche  Zusammenstösse  geben,  wo 
das  Verhältniss  der  Todten  zu  den  Verwundeten  zunehmen 
und  die  Höhe  jener  bei  der  russischen  Armee  bei  Plewna  er- 


Baliistische  Leistungen  nachfolgender  Kriegsgewehre  nach  Beliczay. 


Deutsches  Repetirgewehr 
M.  88. 

Caliber  79  mm,  Gewicht  des  Geschosses  14-7  g, 
Länge  des  Geschosses  3L25  mm,  specifische 
Querschnittsbelastung  0283  mm2,  Umdrehungs¬ 
zahl  2660. 


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§ 


Italienisches  Repetirgewehr 
M.  91. 

Caliber  6  5  mm,  Gewicht  des  Geschosses  10'2  g, 
Länge  des  Geschosses  305 mm,  specifische  Quer¬ 
schnittsbelastung  0  289  mm2,  Umdrehungszahl 
2770. 


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Oesterreich  isch-ungarisches 
Repetirgewehr  M.  95. 

Caliber  8  mm,  Gewicht  des  Geschosses 
Länge  des  Geschosses  31 '8  mm,  specifische  Quer¬ 
schnittsbelastung  0299  —  0'30  mm2,  Umdrehungs¬ 
zahl  2480. 


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2 


0 

100 

200 

300 

400 

500 

600 

700 

800 

900 

1000 

1100 

1200 

1300 

1400 

1500 

1600 

1700 

1800 

1900 

2000 


6400 

566-5 
501 ’5 
443-8 
392-9 
348  7 
3195 
299-4 
284-4 
272-2 
260-9 
250  0 
239-5 
229-5 
219  9 
210-8 
2020 
193-5 
185-4 
177-7 
170-3 


314 

239 

186 

145 

113 

90 

76 

68 

63 

58 

53 

49 

45 

42 

38 

35 

32 

30 

27 

25 

23 


6-093 

4-638 
3-609 
2-813 
2-192 
1-746 
1-474 
1-289 
1-222 
1125 
1  028 
0  950 
0-873 
0  815 
0-737 
0-679 
0-621 
0-582 
0-523 
0-485 
0-446 


0 

100 

200 

300 

400 

500 

600 

700 

800 

900 

1000 

1100 

1200 

1300 

1400 

1500 

1600 

1700 

1800 

1900 

2000 


700 

615 

541 

476 

420 

373 

334 

308 

290 

276 

263 

252 

242 

232 

223 

215 

207 

199 

192 

184 

177 


257-2 
198  6 
153-6 
1189 
91  7 
723 
58-5 
49-8 
44  1 
39-9 
36-3 
333 
30-7 
28-2 
26-1 
24-2 
22-4 
20-7 
19-3 
17-7 
16  4 


7  295 
5633 
4-356 
3  372 
2-601 
2-051 
1-659 
1  412 
1-250 
1-131 
1-029 
0-944 
0-870 
0-799 
0-740 
0-686 
0-635 
0-58? 
0-547 
0-502 
0  465 


0 

100 

200 

300 

400 

500 

600 

700 

800 

900 

1000 

1100 

1200 

1300 

1400 

1500 

1600 

1700 

1800 

1900 

2000 


620 

550 

490 

440 

400 

370 

350 

330 

315 

300 

285 

274 

262 

249 

239 

230 

221 

215 

208 

202 

195 


309-6 
243-6 
1934 
155'9 
128  9 
110-3 
98-7 
87  7 
79-9 
72-5 
65-4 
60-5 
553 
510 
46-9 
42-6 
39-9 
37T 
340 
32-1 
30-6 


5-862 
4-442 
3-662 
2952 
2  440 
2-088 
1  868 
1-660 
1-512 
1-372 
1-218 
1-145 
1-047 
0-965 
0-888 
0806 
i  )’7B5 
0-702 
0-643 
0-607 
0-566 


Mit  der  Verkleinerung  des  Calibers  erfolgte  eine  Ver¬ 
längerung  des  Geschosses,  wodurch  eine  günstige  Querschnitts¬ 
belastung  zu  Stande  kam,  welche  im  Vereine  mit  der  Ver- 
grösserung  der  Anfangsgeschwindigkeit  die  Bahnrasanz  steigerte 
und  die  Eindringungstiefe  des  Geschosses  erhöhte.  Hiezu  ist 


reicht  wird,  woselbst  nach  Pirogoff  dasselbe  1  :  2,  ja  sogar 
1  :  1  betrug,  indem  anfangs  auf  drei  und  später  auf  zwei  Ver¬ 
wundete  ein  Todter  entfallen  ist.  Die  Kleincaliberwaffen  wirken 

9)  Neue  Untersuchungen  über  die  Wirkung  der  Handfeuerwaffen. 
Aarau  1896,  pag.  53. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


477 


bis  zu  500  m  Distanz  auffallend  zerstörend,  indem  Knochen¬ 
gebilde  aller  Gattungen  innerhalb  dieser  Entfernungen  mehr 
oder  minder  zermalmt  und  zersplittert  und  mit  Flüssigkeiten 
gefüllte  Hohlorgane  (Schädel,  Herz,  Magen,  Darm,  Blase)  im 
weiten  Umfange  eröffnet  werden.  Man  bezeichnet  diese  Wirkungs¬ 
zone  als  Explosivzone  im  Nahfeuer.  Gelingt  es  dem 
Vertheidiger,  den  Feind  in  den  Bereich  dieser  Zone  heran¬ 
zulocken,  so  ist  derselbe  in  eine  Falle  gerathen,  wo  die  Ver¬ 
lustgrösse  stark  emporschnellt.  Dieselbe  betrug  beispiels¬ 
weise  auf  unserer  Seite  im  italienischem  Feldzuge  22,49%>  in 
Böhmen  im  Jahre  1866  hingegen  29  2%,  weil  unsere  Truppen 
noch  mit  Vorderlader  bewaffnet  waren  und  einem  viel  präciseren 
Kriegsgewehr,  dem  Hinterlader  (Zündnadelgewehr)  der  Preussen 
gegenüberstanden.  Die  deutschen  Heere  hatten  1870 — 1871 
eine  Verlustgrösse  von  14'8%  und  die  Russen  bei  der  Donau¬ 
armee  1877 — 1878  ein  solches  von  20‘88%. 

Eine  Truppe,  welche  es  versteht,  ihren  Munitionsvorrath 
für  diese  Zone  des  wirksamsten  Gewehrfeuers  aufzusparen,  hat 
berechtigte  Aussicht  auf  Erfolg,  in  welcher  Richtung  sich  die 
Boeren  nicht  nur  als  Meisterschützen,  sondern  auch  als  vor¬ 
zügliche  Kenner  der  Feuerdisciplin  bewährt  haben,  so  am  Spions- 
kop  beim  Zurückdrängen  der  Buller’schen  Divisionen  u.  dgl.  m. 
Von  500 — 2250  m  können  gleichfalls  noch  Knochen  lebender 
Kampfziele  durch  das  Kleincaliber  durchgeschlagen  und  Weich¬ 
gebilde  aller  Grade  durchbohrt  oder  zerrissen  werden,  und  nach¬ 
dem  die  Aufsatzstellungen  nur  bis  2000  m  reichen,  so  sind 
Treffer,  welche  ausserhalb  dieser  Schussweite  erfolgen,  nur 
Zufallstreffer  und  man  bezeichnet  die  Zone  über  1500  m  hinaus 
als  die  Zone  der  ungezielten  Schüsse  oder  des  Fehlfeuers, 
im  Allgemeinen  aber  die  Strecke  hinter  500  m  als  F  e  r  n- 
f  e  u  e  r. 

Die  Ueberlegenheit  der  Mauser- Selbstladepistole  über  den 
Armeerevolver  wurde  durch  Bruns  experimentell  festgestellt  und 
hiedurch  auch  ihre  Kriegsbrauchbarkeit  erwiesen. 10) 

Verhältniss  der  Hauptwaffengattungen  zu  ein¬ 
ander  (nach  Berndt11). 

Es  kamen  auf  1000  Infanteristen  in  der  Schlacht  bei: 


Leipzig  (1813) . 

200  Reiter  und  4*5 

Geschütze 

Solferino  (1859) . 

80 

3-0 

» 

Custozza  (1866) . 

70 

20 

» 

Königgrätz  (1866) . 

130 

35 

» 

Wörth  (1870) . 

160 

» 

35 

» 

Mars-la-Tour  (1870) 

170 

4-5 

» 

Sedan  (1870)  . 

150 

1> 

45 

Plewna  (30.  Juli  1877)  .  . 
ferner  in  der 

120 

4-0 

französischen  Armee  (1813) 

190 

y> 

30 

russischen  Armee  (Krim  1855) 
österreichischen  Armee  (Italien 

130 

» 

» 

30 

» 

1859) . 

österreichischen  Armee  (Böhmen 

40 

3  0 

1866) . 

österreichischen  Armee  (Italien 

110 

30 

1866) . 

40 

» 

20 

preussischen  Armee  (1866)  . 

120 

» 

» 

3  0 

» 

italienischen  Armee  (1866)  . 

60 

20 

deutschen  Armee  (1870)  . 

70 

» 

» 

30 

französischen  Armee  (1870) 

100 

» 

3  5 

Nach  Ansicht  der  Strategen  und 

Taktiker 

dei 

•  Jetztzeit 

sollen  auf  10  Infanteristen  1 

2  Geschütze  entfallen. 

Reiter, 

und 

auf  1000  Mann 

Neben  den  Feuerwaffen  verdienen  die  b  1 

anken 

Waffen 

bei  Beurtheilung  der  Verwundungsfrage  genannt  zu  werden 
und  hier  variirt  das  Verwundungsprocent  zwischen  0  37  im 
amerikanischen  Kriege  (1861  — 1865),  in  welchem  522  Säbel¬ 
hiebwunden  und  400  Bajonnettstichwunden  (nach  Otis)  be¬ 
handelt  worden  sind,  und  zwischen  3'9  im  böhmischen  Feld¬ 
zuge  (nach  Richter)  im  Vergleiche  zum  Gesammtverluste 
der  Armeen,  und  dasselbe  ist  bei  den  Engländern  in  den 

,0)  Militärarzt  Nr.  20  vom  Jahre  1897. 

")  Die  Zahl  im  Kriege.  1897. 


Kämpfen  am  Nil  und  in  Suakim  auf  15 — 20  gestiegen,  nach¬ 
dem  der  Feind  vorwiegend  mit  Säbel  und  Pfeil  bewaffnet  war. 
Unter  die  blanken  Waffen  werden  gezählt  die  verschiedenen 
Formen  von  Bajonnetten  (siehe  S.  393 — 396.  Les  Armes 
blanches  12),  Säbel,  Degen,  Lanzen  und  Piken,  welche  als 
Hieb-  und  Stichwaffen  in  Verwendung  gelangen.  Gegen¬ 
wärtig  sind  die  Gewehrbajonnette  zumeist  als  Stichbajoanette 
construirt,  während  früher  mehr  Haubajonnette  oder  Misch¬ 
formen  von  beiden  benützt  worden  sind  und  nunmehr  sind  die 
Reitertruppen  in  Russland,  Deutschland  und  Frankreich  nicht 
blos  mit  Repetircarabinern  und  Säbeln,  sondern  auch  mit 
Lanzen  ausgerüstet,  welche  eine  gefürchtete  Kriegswaffe 
darstellen. 

Nachdem  die  Cavallerietruppen  mehr  exponirt  sind  als 
die  Infanterietruppen,  indem  sie  nicht  so  leicht  in  Deckungen 
Schutz  finden  können  wie  letztere,  so  sind  sie  auch  mehr  Ver¬ 
wundungen  ausgesetzt,  und  während  in  der  deutschen  Armee 
1870 — 1871  das  Verwundungsprocent  bei  der  Infanterie  0‘60 
betrug,  steigerte  sich  dasselbe  bei  den  Reitertruppen  auf  113 
(Nimier,  1.  c.,  pag.  114),  und  deshalb  begegnet  man  auch 
mehrfachen  Verletzungen,  sobald  Cavallerieattaquen  geritten 
werden.  Durch  Sturz  vom  Pferde,  zumal  das  Reitergefecht 
pele-mele  wüthet,  durch  Hufschlag,  durch  Schleifen  vom  Pferde 
können  die  vielfachen  Verletzungen  noch  mehr  complicirt 
werden,  indem  sich  zu  einfachen  oder  durchdringenden  Hieb¬ 
und  Stichwunden  Riss-  und  Quetschwunden  und  Knochen¬ 
brüche  nebst  Verrenkungen  aller  Art  hinzugesellen.  Seit  jeher 
wurden  Lanzenstiche  mehr  gefürchtet  als  Säbelhiebwunden  und 
sind  im  Allgemeinen  gefährlicher  als  letztere,  indem  die  Sterb¬ 
lichkeit  im  amerikanischen  Kriege  unter  den  Stichverletzungen 
3%  gegenüber  von  0'71%  der  Hiebwunden  und  bei  den 
Deutschen  1870 — 1871  etwa  3‘8%  betrug.  Die  Reitertruppen 
haben  in  Folge  der  grossen  Tragweite  der  kleincalibrigen 
Handfeuerwaffen  im  Aufklärungsdienste  mehr  Hindernisse  zu 
bewältigen  als  ehedem,  und  nachdem  heutzutage  keine  Armee 
über  berittene  Blessirtenträger  verfügt,  wie  solche  unter 
Napoleon  I.  durch  Larrey  organisirt  worden  sind,  wird  ihnen 
zumeist  die  ärztliche  Hilfeleistung  viel  später  zu  Theil  als  den 
übrigen  Waffengattungen. 

In  diese  Gruppe  von  Verletzungen  sind  auch  die 
Misshandlungen  verwundeter  Krieger  einzureihen,  welche 
bei  orientalischen  und  nicht  civilisirten  Volksstämmen  üblich 
sind  und  auch  vom  Balkan  in  den  Jahren  1869 — 1878 
manche  traurige  Reminiscenz  hinterlassen  haben.  Es  sind  die 
Köpfungen  oder  Decapitationen  (Decollations),  wie  sie  von 
türkischen  und  chinesischen  (in  Toking)  Soldaten  geübt  worden 
sind  und  welche  barbarische  Missethat  auch  zur  Nachahmung 
bei  den  Nachbarvölkern  geführt  hatte.  Verstümmelungen  durch 
Abschneiden  von  Ohren,  Nasen,  Lippen,  Fingern  und  Zehen, 
ja  Absetzungen  ganzer  Gliedmassen  sind  der  Ausdruck  bestia¬ 
lischer  Entartung  des  Menschengeschlechtes  und  wurden  noch 
zu  Ende  dieses  Jahrhunderts,  bei  uns  in  der  Krivoscie  (1869) 
und  im  Occupationsfeldzuge  (1878)  in  Bosnien,  bei  den  Italienern 
1896  in  Abyssinien  (»le  mutilazioni  di  mano  destra  e  piede 
sinistro«)13)  beobachtet.  Die  Schändung  durch  Entmannung 
(Emasculation)  haben  gleichfalls  unsere  Truppen  und  die 
Italiener  zu  erleiden  gehabt,  indem  das  ganze  Genitalorgan 
oder  Theile  desselben  (transcutane  Castration)  durch  scharfe 
Handschar-  oder  Yataganhiebe  abgesetzt  worden  sind. 

M  a  r  o  c  c  o  berichtet  eingehend  über  derlei  Beobachtungen 
in  der  italienischen  Armee  aus  Abyssinien,  ich  will  jedoch  meine 
Erfahrungen  über  diese  Trophäen  von  abgesetzten  Köpfen, 
welche  im  Umkreise  des  Kriegshelden  auf  Stangen  aufgesteckt 
wmrden  und  über  die  abgeschnittenen,  in  Feldtaschen  auf¬ 
bewahrten  Weichtheilfragmente  der  Nasen  und  Ohren,  welche 


Les  Armes  blanches.  Leur  action  et  leurs  effects  vulnerants; 
A.  Nimie  r,  medecin  principal  de  2.  cl.,  professeur  au  Val-de-Grace,  und 
Ed.  Laval,  medecin  aide-major  de  1.  cl.  Paris,  Felix  Alcan,  editeur,  1900. 

13)  Sulla  operasitä  del  corpo  sanitario  militare  italiano  durame  la 
campagna  d’ Africa  1896.  Riassunto  di  138  relazioni  mediclie  compilato  dal 
colonn.  medico  Panara,  segretario  del  1’  ispettorato  di  sanitä  militaie, 
pag.  1167.  Giornale  medico  del  regio  esercito.  Anno  XL V.  Enrico  Voghero. 
Roma  1897. 


478 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


sich  wie  weiche  Krebse  anfühlen,  hier  nicht  des  Näheren  er¬ 
örtern. 

Die  dritte  Waffengattung,  welcher  sowohl  im  Feld-  als 
auch  im  Belagerungs-  und  Festungskriege,  ferner  im  Gebirgs- 
kriege  und  im  Seekriege  eine  hervorragende  Bedeutung  zu¬ 
kommt,  ist  die  Art  i  1  le  ri  e  waffe,  welche  soeben  in  einem 
radicalen  Umwandlungsprocess  begriffen  ist  und  einen  sehr 
complicirten  Apparat  darstellt.  Derselben  fällt  die  Aufgabe  zu, 
Befestigungen  zu  zerstören,  Panzerschiffe  in  den  Grund  zu 
bohren  oder  lebende  Kampfmittel  ausser  Gefecht  zu  setzen. 
Während  bei  Beschiessung  fester  Plätze  und  Vernichtung  von 
Seefahrzeugen  gegenwärtig  hauptsächlich  mit  Melinit  oder 
Ecrasit  (nitrirte  Phenolverbindungen  oder  Pikrinsäurepräparate) 
gefüllte  Brisanzgranaten  oder  Bomben  Verwendung  finden,  ist 
die  Feldartillerie  hauptsächlich  mit  Shrapnels  ausgerüstet.  Die 
Brisanzgranaten14)  sind  entweder  dünnwandige  stählerne  oder 
gusseiserne  Hohlgeschosse  (Minengranaten)  von  verschieden 
grossem  Gewichte  mit  grosser  Füllung  von  Pikrinsäure  und 
Aehnlichem,  welche,  in  geschlossenen  Bäumen  zur  Detonation 
gebracht,  zerstörend  durch  die  Expansiv  Wirkung  der  Ver¬ 
brennungsgase  wirken,  nachdem  die  Gasspannungen  immens 
gross  sind  oder  dickwandige  Sprenggeschosse  mit  kleiner 
Füllung,  deren  Sprengstücke  Ziele  hinter  Deckungen  ver¬ 
nichten  sollen. 

Ueber  die  Wirkung  der  Pikrinsäure  gewann  man  im  Pro- 
cesse  Turpin’s,  ferner  bei  der  Explosion  in  Beifort  (1887) 
und  im  Arsenale  von  Toul  (1888 t5)  die  ersten  Anhalts¬ 
punkte,  welche  seither  von  Tacliard  durch  Mittheilung  der 
wahrgenommenen  destructiven  Zerstörungen  an  Menschen  bei 
diesem  Unglücksfall  (Abreissen  von  Gliedmassen,  Eröffnung  der 
Körperhöhlen  mit  Hervorschleudern  von  Gedärmen  u.  dgl.  m.) 
näher  beleuchtet  worden  sind.16) 

Bei  Einwirkung  dieser  Sprenggranaten  sind  zweierlei 
Wirkungen  an  lebenden  Zielen  wahrnehmbar:  erstens  die 
dynamische  Wirkung  seitens  der  Sprengstücke 
des  Hohlgeschosses,  welche  alle  Gebilde  des  getroffenen  Zieles 
zerreissen  und  Bilder  hervorbringen,  welche  Pirogoff  schon 
beim  alten  groben  Geschoss  der  Artillerie  so  drastisch  gemalt 
hat,  und  zweitens  die  Effecteseitens  der  durch  plötz¬ 
lich  e  Entzünd  ungzurDetonation  gebrachten  Pulver¬ 
ladung,  ob  dieselbe  nun  aus  Schwarzpulver,  Melinit  oder  nitro¬ 
glycerinhaltigem  Nitrocellulose-Pulver  besteht.  Hier  tritt  anfangs 
die  gewaltige  Luftverdichtung  und  bald  darauf  die  un¬ 
vermeidliche  Luftverdünnung  oder  V acuumwirkung 
in  Kraft  und  beeinflusst  die  lebenden  Kampfmittel  in  ver¬ 
schiedener  Weise  durch  Berstung  edler  Hohlorgane  (Ohr,  Auge, 
Lunge,  Unterleibseingeweide),  welche  sich  durch  äussere  oder 
innere  Blutungen  äussern  kann,  ferner  durch  Shock,  Nerven¬ 
störungen  aller  Art,  durch  Psychosen  u.  dgl.  m.  Die  Wirkung 
der  berüchtigten  Lyddit-Bomben  der  Engländer  ist  auf  diese 
Art  zu  beurtheilen.  Während  beim  Platzen  eines  derartigen 
Brisanzgeschosses  die  Sprengstücke  nach  allen  Richtungen 
kilometerweit  herumgeschleudert  werden  und  getroffene  Menschen 
und  Thiere  tödtlich  oder  mehr  minder  schwer  verletzen,  wirkt 
gleichzeitig  die  Verdichtungs-  und  Verdünnungsatmosphäre  in 
der  nächsten  Umgebung  der  Auffallstelle  schädigend  ein,  und 
neben  1  odten,  Schwer-  und  Leichtverwundeten  gibt  es  Fälle, 
welche  mit  Berstung  des  Trommelfelles,  Nasenbluten,  vorüber¬ 
gehender  Ohnmacht  davon  kommen  oder  ganz  unverletzt 
bleiben.  Als  Complication  wird  oft  Wundtetanus  bei  den  Ver¬ 
letzten  beobachtet,  nachdem  mit  den  Sprengstticken  Erd¬ 
partikelchen  in  den  Körper  gelangen  und  den  Tetanusbacillus 
einschleppen,  ferner  malignes  Oedem,  wie  ich  experimentell 
durch  h  üllen  von  Hauttaschen  mit  Erde  bei  Hunden  und  Kanin¬ 
chen  nachweisen  konnte.  Nicht  selten  findet  man  abgerissene 
Kürpertheile  mit  blossliegenden  Gefässen,  welche  wenig  oder 

14)  Schiessbericht  89  von  Friedrich  Krupp,  1898.  Die  Ent¬ 
wicklung  des  K  r  u  p  p’schen  Feldartillerie-Materials  von  1892—1897.  Guss¬ 
stahlfabrik  Essen  a.  Ruhr. 

1  )  Siehe  pag.  904:  Traite  de  Chirurgie  de  guerre.  Par  E.  Delorme, 
medecin  principal  etc.  Paris  1893. 

u9  Les  explosifs,  les  poudres,  les  projectiles  d’exercice,  leur  action 
et  leurs  effets  vulnerants.  Von  Nimier  und  Laval.  Paris.  Felix  Alcan 
editeur  1899. 


gar  nicht  bluten,  indem  die  zerrissenen,  verätzten  oder  ver¬ 
brannten  Gewebe  wenig  Neigung  zur  Blutung  zeigen. 

Als  Universalgeschoss  der  Feldartillerie 
gilt  das  Shrapnel,  d.  h.  ein  Metallhohlgeschoss,  welches 
mit  Rundkugeln  von  Weich-  oder  Hartblei  gefüllt  ist  und 
als  ein  in  der  Luft  zerspringendes  Streugeschoss 
durch  seine  grosse  Tiefenwirkung  gegen  lebende  Ziele 
(aufmarschirende,  ungedeckte  oder  wenig  gedeckte  Fuss- 
truppen,  Cavallerie  und  Artillerie)  zweckmässig  wirken, 
aber  auch  in  Deckungen  (Mauern)  Breschen  legen  soll.  Die 
Zahl  der  Füllkugeln  schwankt  zwischen  105  und  340,  das 
Gewicht  derselben  zwischen  10  und  20#,  und  als  Caliber  war 
bisher  fast  allgemein  18 mm  üblich.  Oberst  H.  Bireher17) 
hat  Schiessversuche  mit  dem  schweizerischen  8-4c«i-Bodcn- 
kammershrapnel  von  bahnbrechender  Bedeutung  durch¬ 
geführt  und  die  Wirkung  der  Füllkugeln  im  menschlichen 
Körper  klargelegt.  Nach  Crepiren  des  Shrapnels  in  2000  Distanz 
zeigten  die  Füllkugeln  312  m  V,  und  die  Wirkung  derselben 
gestaltete  sich  dann  verschieden,  je  nach  der  Lage  im  Streu¬ 
kegel  und  der  jeweiligen  Auftreffgeschwindigkeit,  beziehungs¬ 
weise  dem  Intervall.  Gegenwärtig  ist  man  über  die  Grösse 
der  lebendigen  Kraft  (Gesammt-Energie)  einer  Füllkugel  nicht 
einig,  welche  eine  Kampfunfähigkeit  des  lebenden  Zieles  be¬ 
dingen  soll,  indem  sich  die  Franzosen  einer  solchen  von  3‘6  mkg 
bei  81  m  V  begnügen,  während  in  Deutschland  8  vikg  und  iu 
Russland  sogar  24  mkg  Arbeitsleistung  verlangt  wird.  W  eigner 18) 
will  durch  Versuche  dargethan  haben,  dass  durch  1 1  mm  Füll¬ 
kugeln  von  8'2#  Gewicht  die  Wirkungsfähigkeit  des  Shrapnels 
erhöht  werden  kann,  nachdem  hiedurch  nicht  nur  die  Zahl  der 
Füllkugeln  von  150  auf  400  erhöht,  sondern  bei  gleicher 
Arbeitsleistung  auch  grössere  Durchschlagsleistung  erzielt 
werden  könnte.  Aehnlich  lautet  die  Ansicht  Bircher’s  für 
10  mm  Caliber. 

Die  Schusseffecte  äussern  sich  in  der  Haut  durch  grössere 
Einschussöffnungen  als  bei  kleincalibrigen  Handfeuerwaffen, 
deren  Ränder  gequetscht,  eingerissen  und  unregelmässig  sind 
und  in  deren  Tiefe  zumeist  Fetzen  von  Kleidungsstoffen  stecken, 
während  beim  Kleincaliber  der  Einschuss  gewöhnlich  rund, 
wie  durch  ein  Locheisen  herausgeschlagen,  glatt  und  rein  er¬ 
scheint. 

Der  Shrapnelschuss  ist  somit  von  Anfang 
an  gefährlicher  bezüglich  des  Gelingens  eines 
aseptischen  Wundverlaufes  und  ist  für  primäre 
Occlusion  nicht  so  gut  geeignet  wie  der  glatte 
Gewehrschuss.  Der  Ausschuss  ist  grösser  als  der  Ein¬ 
schuss.  Im  Bereiche  der  Weichtheile  und  Eingeweideorgane 
äussert  sich  die  Wirkung  stärker  als  bei  Gewehrschüssen. 
Ebenso  sind  die  Verletzungen  der  Knochen  nach  allen  Rich¬ 
tungen  bedeutend  schwerer  als  bei  Infanteriegewehren,  es 
kommen  an  Röhrenknochen  Splitterbrüche  mit  weiten  Fissuren 
zu  Stande,  welche  an  die  Wirkung  des  Weichbleies  erinnern. 

Im  Allgemeinen  ist  der  Shrapnelschuss  geeignet,  auf  Ent¬ 
fernungen  von  2000  —  4000  und  5000m  Truppenmassen  mit  einem 
Geschosshagel  zu  überschütten,  ähnlich  der  Salve  einer  Infanterie- 
abtheilung  von  einer  bis  drei  Compagnien  und  während  man 
bei  Fusstruppen  das  Rundblei  ausser  Gebrauch  setzte  und  das¬ 
selbe  durch  ein  percussionskräftiges  Panzergeschoss  ersetzte, 
wird  es  dermalen  als  Füllkugel  verwendet  und  wirkt  beim 
Shrapnelschuss  in  artilleristischen  Entfernungen  etwa  so  wie 
seinerzeit  beim  Nah-  und  Fernfeuer  der  glatten  Vorderlader. 
Nachdem  ich  wiederholt  an  anderer  Stelle 19)  die  voraussichtlichen 
Verlustziffern  zu  bestimmen  versucht  habe,  sehe  ich  hier  von 
Wiederholung  dieser  Berechnungen  ab  und  gelange  auf  Grund 
meiner  Schiessversuche  und  Studien  zu  folgenden  Schluss¬ 
folgerungen  : 

1.  Die  Neubewaffnung  der  Armeen  mit  Repetirwaffen  und 
die  Reorganisation  der  Artilleriewaffen  muss  voraussichtlich, 

17)  Die  Wirkung  der  Artilleriegeschosse.  Beilage:  Atlas  mit  32  Tafeln. 
Aarau  bei  Sauerländer  &  Co.  1899. 

;8)  Wie  kann  die  Shrapnelwirkung  erhöht  werden?  Mittheilungen 
über  Gegenstände  des  Artillerie-  und  Genie-Wesens.  Wien  1898. 

,9)  Siehe  5.  Heft  der  Mittheilungen  über  Gegenstände  des  Artillerie- 
und  Genie-Wesens.  Wien  1900.  Die  W  o  1  o  z  k  o  i’schen  Treflferprocente  in 
Theorie  und  Praxis  des  Sanitätsdienstes  im  Felde. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


479 


sobald  grössere  Truppenmassen  zusammenstossen,  grössere  Ver¬ 
luste  an  Menschen  ergeben  als  ehedem,  und  wird  sich  diese 
Zunahme  hauptsächlich  in  der  Steigerung  der  tödtlichen 
Schüsse  manifestiren,  indem  das  Verhältniss  1:3  als  Mittel¬ 
ziffer  angenommen  werden  kann.  Demzufolge  entfallen  25% 
der  Verluste  auf  Todte,  20%  auf  Schwerblessirte  und  55% 
auf  Leichtblessirte,  wobei  die  Verluste  der  Cavallerie  und 
Artillerie  zusammen  10%  der  Gesammtverluste  ausmachen 
dürften.  Nach  wie  vor  begründen  jedoch  die  Erkrankungen 
der  Truppen  grössere  Verluste  als  Kriegswunden,  wofür  be¬ 
sonders  im  spanischen  Insurrectionskriege  auf  Cuba  (1895  bis 
1897)  Belege  vorliegen,  indem  50°/0  Todesfälle  auf  Krankheiten 
im  Felde  und  blos  5%  auf  Kriegswunden  entfallen.20)  Um¬ 
gekehrte  Verhältnisse  gelten  als  Ausnahmsfälle.21) 

2.  Die  in  allen  grossen  Armeen  durchgeführten  Schiess¬ 
versuche  mit  Kleincaliber  läuterten  die  Kenntnisse  über  Kriegs¬ 
verletzungen  in  vortheilhafter  Weise.  Dieselben  zeigen  trotz 
gesteigerter  ballistischer  Leistungsfähigkeit  der  Geschosse  einen 
relativ  gutartigeren  Charakter  als  früher,  und  Dank  der  überall 
eingeführten  Kriegs- Antiseptik  und  Aseptik  gestaltet  sich  der 
Heilungsverlauf  der  Kriegswunden  sehr  günstig. 

3.  Die  Indicationsstellung  zur  Vornahme  chirurgischer 
Eingriffe  (Debridement,  Blutstillung,  Resectionen  und  Ampu¬ 
tationen,  Trepanation,  Bauchschnitt,  Kochsalz-Infusion)  ist  er¬ 
leichtert,  Dank  der  Kenntniss  der  Geschosswirkung  und  dem 
Schutze  der  Anti-  und  Aseptik,  welche  sich  (im  Sinne  von 
Brunner) 22)  im  Kriege  vortheilhaft  ergänzen,  indem  Antiseptik 
mehr  in  der  ersten  Linie  zur  Anwendung  kommt  und  in  den 
Feldlazarethen  die  Aseptik  vorwiegen  kann. 

4.  Vorsorglich  handeln  jene  Armeen  und  Staaten,  welche 
der  Ausbildung  ihres  Sanitäts-  und  Hilfssanitätspersonales  schon 
im  Frieden  ihre  Aufmerksamkeit  zuwenden,  weil  hiedurch  der 
Sanitätsdienst  im  Feld  gefördert,  durch  Erzielung  günstiger 
Heilerfolge  die  Invalidisirungsziffer  herabgesetzt  und  die  Arbeits¬ 
kraft  erhalten  wird.  Popularisirung  des  Samariterdienstes  im 
Sinne  von  v.  Esmarch,  Förderung  der  staatlichen  und  frei¬ 
willigen  Krankenpflege  und  grüsstmögliche  Ausdehnung  sani¬ 
tärer  Massnahmen  für  den  Krieg  werden  die  Heilerfolge 
unterstützen. 

5.  Nicht  der  erste  Verband  allein  im  Sinne  von 
v.  Volkmann  entscheidet  über  das  Schicksal  der  Ver¬ 
wundeten,  sondern  mehr  noch  der  erste  Transport  der 
Verwundeten,  welcher  schnell  und  schonend  erfolgen  soll, 
um  Blessirte  ehethunlichst  der  ärztlichen  Hilfeleistung  zuzu¬ 
führen.  Geschultes  Trägerpersonale  für  das  Auflesen  der  Bles- 
sirten  und  den  Transport  derselben  und  ausreichende  ärztliche 
Kräfte  für  die  Anlegung  des  ersten  Wund  Verbundes  können 
den  Wundverlauf  von  Haus  aus  günstig  beeinflussen.  Fertige 
Verbandschablonen  im  Sinne  von  v.  Bergmann  und  die  Fest¬ 
stellung  der  voraussichtlichen  Verbandtypen  für  einzelne  Ver¬ 
wundungsformen  werden  die  erste  Hilfe  wesentlich  erleichtern. 
Der  Kern  des  Sanitätsdienstes  im  Felde  liegt 
in  der. Ad  ministration  (Pirogoff),  und  diese  hat  dafür 
zu  sorgen,  dass  im  Bedarfsfälle  alles  Nothwendige  an  Ort  und 
Stelle  ist. 

6.  Das  Sanitätswesen  im  Felde  erfordert  besondere  Fach¬ 
kenntnisse  und  deshalb  wird  die  selbstständige  Leitung 

’")  Von  187.262  Mann  starben  auf  dem  Schlachtfelde  1511 

»  187.262  »  »  an  Wunden  ....  704 

Zusammen  .  .  .  2.218 

»  187.263  »  »  am  Gelbfieber  .  .  .  13.004 

»  187.262  »  »  an  anderen  Krankheit.  40.000 

Zusammen  .  .  .  53.004. 

~ ')  Bei  den  Engländern  in  Südafrika  in  der  Stärke  von  circa 
194.000  Mann  besteht  nach  dem  officiellen  Verlustausweise  (inclusive 
7.  April  1900)  bis  nun  ein  solches  verkehrtes  Verhältniss: 


Gefallen  in  der  Schlacht .  2.171 

Gestorben  an  Wunden .  513 

Vermisst  und  gefangen . 3.890 

Gestorben  an  Krankheiten . 1.532 

Verwundet . 10.023 

Zusammen  .  .  .  18.129 


Gesammtverlust  9°/ ,. 

‘-)  Erfahrungen  und  Studien  über  Wundinfection  und  Wundbehand¬ 
lung.  Von  Dr.  Konrad  Brunner,  Chefarzt  des  Cantonspitales  Miinster- 
lingen.  Frauenfeld,  Verlag  von  J.  Huber,  1899. 


des  Feld  Sanitätsdienstes  seitens  der  Militärärzte  zur 
unabweisbaren  Nothwendigkeit,  wie  es  in  der  englischen  Armee 
in  Chitral  1897,  in  Sudan  1898 23)  und  gegenwärtig  in  Afrika 
der  Fall  ist,  deren  Sanitätsofficiere  combattant  sind.  Es  bildet 
sich  eine  eigene  T  aktik  des  Sanitätsdienstes  im  Felde 
aus  auf  Grund  der  durch  weittragende  Kriegswaffen  geänderten 
Verhältnisse  und  während  die  leitenden  Sanitätsorgane  mit  den 
bestehenden  Hilfskräften  (Sanitätspersonen  und  Sanitätsmaterial) 
zu  disponiren  und  den  Verwundetenabschub  durchzuführen 
haben  werden,  leisten  die  ausführenden  Sanitätsorgane  die  erste 
Hilfe  in  der  Gefechtslinie,  am  Hilfs-  oder  Verbandplätze  (in  der 
Ambulanz),  im  Feldlazarethe,  führen  hygienische  Massnahmen 
durch  und  wachen  über  den  Gesundheitszustand  der  Armee 
(Salubritätscommission).  Welch  eine  schöne  und  dankbare,  aber 
schwere  und  verantwortungsvolle  Aufgabe  hat  hier  das  Sani¬ 
tätscorps  zu  übernehmen!  Kriegsspiele,  Sanitätsübungen  im 
Anschlüsse  an  grosse  Truppenmanöver,  Reitübungen  u.  dgl.  m. 
gehören  nunmehr  zur  kriegsmässigen  Ausbildung  eines  jeden 
Sanitätsofficiers  des  activen  und  Reservestandes,  nachdem 
Reserveärzte  hauptsächlich  den  ausführenden  Sanitätsdienst  zu 
leisten  haben,  welcher  ohne  Vorbildung  nicht  gelingen  kann. 

7.  Die  grosse  Portee  der  Kriegswaffen  fordert  eine  Ver¬ 
legung  der  Hilfsplätze  nach  rückwärts,  wodurch  die  Blessirten- 
träger  grosse  Strecken  zurückzulegon  hätten  und  die  Räumung 
des  Schlachtfeldes  verzögert  würde.  Deshalb  wird  die  Ver¬ 
schiebung  der  Hilfsplätze  nach  vorne  auf  den 
Ort  der  grössten  Verluste  am  Kampffelde  der 
schnellen  Versorgung  der  Blessirten  den  grössten  Vorschub 
leisten,  wozu  Feuerpausen  oder  vollständige  Waffenruhe  nach 
Beendigung  der  Schlacht  benützt  werden. 

8.  Nachdem  die  Thätigkeit  des  Sanitätspersonales  öfters  erst 
in  der  Nacht  eingeleitet  werden  kann,  so  erfordert  die  Be¬ 
leuchtung  des  Schlachtfeldes  eine  erhöhte  Aufmerksamkeit. 
Ausser  Pechfackeln,  Magnesiumfackeln,  Kohl’schen  Beleuchtungs¬ 
apparaten  von  Petroleum  und  solchen  von  Acetylengas 
kommen  elektrische  Beleuchtungskörper  in  Betracht  (M  u  n  d  y). 
Hier  könnten  die  Vereine  vom  Rothen  Kreuze  werkthätig  mit¬ 
helfen.  Ebenso  harrt  die  provisorische  Unterbringung  von  Ver¬ 
wundeten  nach  grossen  Gefechten  und  Schlachten  am  Schlacht¬ 
felde  oder  in  der  Nähe  desselben  noch  einer  endgiltigen  Lösung, 
insofern  der  Verwundetenabschub  undurchführbar  erscheint 
und  in  jenen  Fällen  des  siegreichen  Vorgehens,  in  denen  auch 
die  Versorgung  der  feindlichen  Blessirten  zu  bewerkstelligen  ist. 

9.  Die  Genfer  Convention  erscheint  reformbedürftig,  wie 
Bi  r  eher  schon  vor  Jahren  nachgewiesen  hat,  und  werden 
hoffentlich  bei  den  Reformberathungen  auch  Vertreter  des 
ärztlichen  Standes  herangezogen  werden,  welche  bei  der  Haager 
F r iede n  sconferen z  fehlten . 

10.  Seit  dem  Jahre  1870 — 1871  begegnen  wir  bis  nun 
zum  ersten  Male  im  südafrikanischen  Kriege  auf  Seite  der 
Engländer  mehr  Verwundungen  als  Erkrankungen,  welche 
Thatsache  einerseits  die  Leistungsfähigkeit  des  Kleincalibers 
als  Kriegswaffe  hinlänglich  begründet  und  andererseits  die 
seitens  der  Engländer  eingeleiteten  sanitären,  hygienischen  und 
administrativen  Vorsorgen  in  einem  günstigen  Lichte  erscheinen 
lässt.  Neben  Kriegshygiene  functionirt  auch  der  kriegschirur¬ 
gische  Apparat  sowohl  auf  Seiten  der  staatlichen  als  auch  auf 
Seiten  der  freiwilligen  und  internationalen  Verwundetenpflege 
äusserst  prompt  und  segensreich.  Kriegshygiene  und  Kriegs¬ 
chirurgie  sind  berufen,  gegenüber  den  neuesten  mörderischen 
Producten  der  Waffentechnik  das  Gleichgewicht  zu  halten,  denn 
die  Lehren  derselben  sind  nunmehr  vortrefflich  fundirt  und 
mag  der  Kriegsapparat  auch  noch  zerstörender  wirken  als  bis¬ 
her,  die  gewaltigen  Fortschritte  dieser  immer  mehr  empor¬ 
strebenden  Kunstwissenschaften  werden  es  vermögen,  die  Wir- 
kungen  desselben  zu  paralysiren  und  nicht  blos  lebenserhaltend, 
sondern  im  Sinne  unseres  edlen  Berufes  auch  lebensrettend  zu 
wirken. 

23)  Einiges  über  den  Sanitätsdienst  während  des  sudanesischen  Feld¬ 
zuges.  im  Herbste  1898.  Mifgetheilt  von  Dr.  J  o  h  a  n  n  Steiner,  k.  und  k. 
Regiments-  und  Gardearzt.  St.reffleur’s  österreichische  militärische  Zeitschrift. 
Wien  1899,  Bd.  II,  Heft  2. 


480 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


Aus  dem  k.  und  k.  Garnisons-Spitale  Nr.  1  in  Wien 
(Abtheilung  für  Haut-  und  Syphiliskranke  des  Herrn 
Stabsarztes  Dr.  A.  Thurnwald). 

Ueber  die  sogenannte  Lues  hereditaria  tarda, 
beobachtet  an  der  bosnisch-hercegovinischen 
Mannschaft  der  Wiener  Garnison  aus  den 
Jahren  1897,  1898  und  1899. 

Von  Dr.  F.  Schuster,  k.  und  k.  Oberarzt  und  Secundarius  obiger  Ab¬ 
theilung. 

Es  ist  ungefähr  ein  halbes  Jahrhundert  her,  dass  der 
Name  »Lues  hereditaria  tarda«  in  der  medicinischen  Literatur 
auftauchte  und  damit  eine  Menge  von  Streitfragen  entfesselte, 
die  auch  heute  noch  nicht  gelöst  scheinen. 

Die  Entscheidung  lag  in  der  Beantwortung  der  Frage 
nach  dem  Zeiträume,  innerhalb  welchem  noch  die  ersten 
Erscheinungen  der  ererbten  Krankheit  nach  der  Geburt  auf- 
treten  können. 

Wer  den  Namen  »Syphilis  hereditaria  tarda«  creirte,  ist 
wohl  schwer  zu  eruiren;  doch  dürften  wir  nicht  irre  gehen, 
wenn  wir  einen  französischen  Syphilidologen  als  Vater  dieser 
Bezeichnung  annehmen.  Vielleicht  Ri  c  o  r  d,  vieleicht  D  i  d  a  y  ? 
Von  dem  ersten  wurde  im  Jahre  1853  in  einer  Sitzung  der 
medicinischen  Akademie  der  Ausdruck  erwähnt  und  berichtet, 
dass  er  einen  17jährigen  jungen  Mann  in  Behandlung  habe, 
bei  welchem  in  diesem  Alter  erst  die  von  seinen  Eltern  er¬ 
erbte  Syphilis  in  tertiärer  Form  auftrete,  und  er  sagt  weiter¬ 
hin  :  »Ich  habe  Menschen  gesehen,  bei  denen  die  Syphilis  erst 
im  40.  Lebensjahre  sich  bemerkbar  machte«.  Di  day  aber 
veröffentlichte  im  Jahre  1860  eine  Arbeit  unter  dem  Titel: 
»Sur  une  forme  particuliere  de  syphilis  congenitale  tardive. 
(Gaz.  hebdorn.) 

Auch  Augagneur  tritt  für  die  Anschauung  ein,  dass 
die  hereditäre  Syphilis  erst  spät  zum  Ausbruch  gelangen  könne, 
was  bei  dieser  sogenannten  »tardiven«  Form  gewöhnlich  im 
Pubertätsalter  oder  in  noch  höherem  Alter  (er  spricht  gleich¬ 
falls  von  40  Jahren)  möglich  sei.  M.  Robert  erzählt  sogar 
von  einem  Falle,  wo  sich  die  Eruption  erst  im  65.  Lebens¬ 
jahre  zeigte. 

Schon  damals  beim  ersten  Auftauchen  dieser  neuen  Lehre 
wurde  viel  für  und  wider  über  die  Möglichkeit  einer  so 
langen  Latenz  gestritten,  und  A.  Fournier  steht  noch  heute 
auf  dem  bejahenden  Standpunkte.  In  seinem  Buche  »Die 
Vererbung  der  Syphilis«  sagt  er  Folgendes:  »Die  hereditäre 
Syphilis  zeigt  zwei  Typen:  das  ist  die  frühzeitige,  here¬ 
ditäre  Syphilis,  deren  Symptome  in  utero  oder  in  den 
ersten  Lebenswochen  oder  Monaten  zur  Entwicklung  kommen, 
und  die  Syphilis  hereditaria  tarda,  die  durch  die 
ersten  Lebensjahre  völlig  latent  bleibt  und  sich  erst  im  vor¬ 
gerücktem  Alter  des  Kindes,  im  Alter  von  10,  15  selbst 
20  Jahren  äussert«.  (Citirt  nach  der  Bearbeitung  von  E.  Finger.) 

Das  Charakteristische,  das  diese  Fälle  von  anderen  unter¬ 
scheiden  soll,  ist  in  folgenden  vier  Punkten  zusammengefasst: 
1.  Abwesenheit  einer  Narbe,  die  auf  einen  Primäraffect  hin- 
weisen  könnte.  2.  Syphilis  der  Eltern.  3.  Erscheinungen  ter¬ 
tiärer  Syphilis  bei  verhältnissmässig  jungen  Individuen. 
4.  Das  Individuum  darf  nicht  unter  vier  Jahre  alt  sein 
(G  1  ü  c  k). 

Der  Streit  über  diese  Frage  wogte  hin  und  her.  Die 
Verfechter  der  Möglichkeit  einer  so  langen  Latenz  haben  mit 
Eiter  und  Geschick  auf  die  Aehnlichkeit  mit  der  Lungen- 
tuberculose  hingewiesen,  die  ja  gleichfalls  viele  Jahre  latent 
bleibt,  und  deren  spätes  Auftreten  erwiesen  sei;  soll  nicht  die 
Lues,  sagen  sie,  denselben  Weg  einschlagen  können?  In  der 
jüngsten  Zeit  hat  dieses  Lager  viele  seiner  Anhänger  verloren, 
und  die  meisten  Syphilidologen  (Neumann,  Lang,  Kaposi 
und  Andere)  sind  dahingekommen,  die  Existenz  einer  Lues 
hereditaria  tarda  überhaupt  zu  negiren. 

Wir  möchten  bei  dieser  Gelegenheit  an  jene  Pandemie 
erinnern,  die  vor  ungefähr  100  Jahren  im  croatisch-istrianischen 
Küstenlaude  wüthete,  und  welche  man  nach  der  Ortschaft,  wo 


sie  zuerst  aufgetreten  sein  soll,  mit  »Skerljevo«  bezeichnete. 
Die  Sanitätsberichte  von  damals  (1802 — 1804)  übertreiben 
wohl  gehörig  in  der  Zahl  dieser  Kranken,  wenn  sie  von 
14.000  sprechen.  Der  Skerljevo,  über  welchen  eine  Fluth  von 
Schriften  entstand,  von  denen  erst  die  im  Jahre  1868  er¬ 
schienene  Broschüre  von  Dr.  v.  Pernhoffe r  Klarheit  schaffte, 
wurde  zuerst  für  eine  Art  »venerischer  Krätze«  oder  doch 
wenigstens  für  eine  eigenthümliche  »infectiöse«  Form  der  ge¬ 
wöhnlichen  Lues  gehalten.  So  glaubte  man,  dass  sich  der 
Skerljevo  nie  durch  Beischlaf  verbreite  und  niemals  mit  Ge¬ 
schwüren  und  Bubonen  beginne;  ferner  wurde  ein  frühzeitiges 
Auftreten  von  Knochenschmerzen  (!)  constatirt  und  niemals 
ein  Resultat  durch  Ueberimpfung  erzielt,  v.  Pernhoffer 
erkannte,  dass  man  es  damals  mit  einer  endemischen  Syphilis 
zu  tliun  hatte,  spricht  auch  schon  von  dem  Ueberwiegen  der 
tardiven  Form,  und  dass  der  Skerljevo  nichts  anderes  als  ein 
Sammelname  von  Syphiliserscheinungen  sei. 

In  den  Achtziger  Jahren  nun  bekamen  wir  die  Kunde 
von  derselben  endemischen  Form  der  Lues  in  den  occupirten 
Ländern.  Wenn  man  den  Gewährsmännern  glauben  kann,  so 
war  die  Syphilis  vor  den  Dreissiger- Jahren  im  Lande  wenig 
gekannt.  Erst  im  Jahre  1832  soll  sie  durch  ein  türkisches 
Heer,  welches  unter  Mahmud  Pascha  einen  Aufstand  in 
Bosnien  unterdrückte,  eingeschleppt  worden  sein.  Durch  die 
Untersuchungen  und  Beobachtungen  von  Neumann  und 
Glück,  wie  von  den  einheimischen  Aerzten,  müssen  wir  an¬ 
nehmen,  dass  neben  anderen  Ursachen,  die  wir  weiter  unten 
anführen  wollen,  auch  eine  gewisse  Prädisposition  für  Syphilis 
den  Bewohnern  dieser  Länder  eigen  ist,  welche  mit  zur  Ent¬ 
stehung  der  Endemie  beigetragen  hat. 

Nun  werden  auf  unserer  Abtheilung  mit  jedem  Jahre  bei 
Einrückung  der  Rekruten  von  bosnisch-hercegovinischen  Regi¬ 
mentern  Fälle  von  Lues  beobachtet,  bei  denen  kein  Primär¬ 
affect  nachzuweisen  ist.  Uns  liegen  aus  den  letzten  drei  Jahren 
54  solcher  Fälle  vor,  die  sich  folgendermassen  gruppiren :  im 
Jahre  1897  achtzehn,  1898  vierzehn,  1899  zweiundzwanzig 
Syphiliskranke,  bei  denen  durch  sorgfältiges  Inquiriren  oft 
nicht  einmal  ein  stattgehabter  Coitus,  noch  weniger  ein  Primär¬ 
affect  eruirt  werden  konnte.  Wir  schliessen  absichtliches 
Leugnen  vollständig  aus,  weil  wir  bei  anderen  venerischen 
Erkrankungen,  wie  zum  Beispiel  bei  Gonnorrhoe,  immer 
wahren  Angaben  begegnet  sind.  Manchmal  ging  aus  der 
Anamnese  hervor,  dass  die  Kranken  in  ihrer  Jugend  an 
Rachengeschwüren,  Ozaena  oder  schon  an  Hautaffectionen 
gelitten  haben. 

Das  Jahrbuch  des  bosnisch-hercegovinischen  Landes- 
spitales  in  Serajevo  (für  1894,  1895  und  1896)  gibt  fast  die¬ 
selben  Angaben  über  dieselbe  Art  seiner  Syphilisfälle  wieder. 
So  wie  bei  unseren  Patienten  lässt  sich  auch  dort  eine  »auf¬ 
fällig  hohe  Betheiligung  der  zweiten  Decennalperiode,  circa  42% 
sämmtlicher  Syphilisfälle,  erweisen«.  Ferner  wurde  ebendaselbst 
der  Initialaffect  nur  bei  54-8%  der  Patienten  constatirt,  bei 
den  übrigen  konnte  weder  am  Genitale  noch  an  einer  anderen 
Körperstelle  eine  Spur  desselben  gefunden  werden. 

Bei  den  Krankheitserscheinungen,  wie  sie  unsere  Bos- 
niaken  darboten,  fiel  uns  das  zumeist  secundäre  Spät¬ 
stadium  der  Syphilis  auf,  und  ferner  das  hauptsächlichste 
Ergriffensein  der  Mund-,  Rachenhöhle  und  des  Larynx.  Oft 
ist  nur  das  Bild  einer  luetischen  Angina  nebst  allgemeinen 
Drüsenschwellungen  vorhanden,  zu  denen  sich  eine  namhafte 
Schwellung  der  Tonsillen  bald  mit  oberflächlicher,  bald  mit 
tiefgreifender  Geschwürsbildung  gesellt.  Hiezu  kommen  Plaques 
von  verschiedener  Grösse  und  Ausdehnung  an  der  Mund¬ 
schleimhaut,  der  Zunge  und  den  Lippen.  Sehr  häufig  —  in 
82%  der  erwähnten  Fälle  —  ist  der  Larynx  mitergriffen. 
Ulcera  von  wechselnder  Grösse  auf  einem  oder  beiden  wahren 
Stimmbändern,  Anschwellungen  und  düsterrothe  Färbung  der 
Taschenbänder  bedingen  die  charakteristische  heisere  und 
kraftlose  Stimme  unserer  Kranken.  Daneben  ist  gewöhnlich 
auch  die  Epiglottis  diffus  geröthet,  geschwollen  und  zusammen¬ 
gefaltet,  das  Zahnfleisch  aufgelockert. 

Ferner  war  in  neun  Fällen  eine  Rhinitis  atrophica 
luetica  zu  constatiren  neben  Vorhandensein  von  kreisrunden 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


4SI 


Geschwüren  in  Linsengrösse  mit  etwas  harten  Rändern  und 
mit  bräunlich  gelben,  ziemlich  fest  adhärirenden  Borken  bedeckt. 
Nekrose  des  knöchernen  Antheiles  des  Nasengerüstes  war  in 
einem  einzigen  Falle  neben  vollständigem  Verschluss  der 
Choanen  vorhanden.  Unter  den  Hautaffectionen  waren  das 
kleinpapulöse,  klein-  und  grossmaculöse  Exanthem  selten  zu 
sehen.  Am  häufigsten  imponirten  die  breiten  Condylome  an 
Prädilectionsstellen,  wie  Scrotum  und  Anus.  Zeissl  der 
Aelt.ere  hat  den  Vorschlag  gemacht,  die  secundäre  Syphilis 
überhaupt  als  condylomatöses  Stadium  der  Krankheit  zu  be¬ 
nennen.  In  der  That  waren  bei  unseren  Kranken  die  breiten 
Condylome  das  hervorstechendste  Symptom  ihres  Leidens. 

Auf  der  behaarten  Kopfhaut  constatirten  wir  in  sechs 
Fällen  ein  crustöses  Syphilid,  welches  bei  einem  Kranken  be¬ 
sonders  durch  die  häufigen  Recidive  interessant  war.  Aus¬ 
gesprochene  tertiäre  Erscheinungen  konnten  wir  nur  bei  zwei 
Fällen  beobachten. 

Der  erste  betrifft  den  Infanteristen  O.  S.  mit  einer  tei°ie:en 
Periostauftreibung  von  Taubenei-  bis  Hühnereigrösse  am  Stirnbein, 
Scheitelbein  und  an  den  horizontalen  Aesten  der  Unterkiefer,  am 
sternalen  Ende  der  Clavicula,  am  acromialen  Ende  beider  Scapulae, 
an  der  Trochlea  links  und  am  linken  Köpfchen  des  Wadenbeines.  In 
der  Scrotalhaut  fand  sich  eine  derbe  Einlagerung  vor.  Dabei  waren 
die  falschen  Stimmbänder  geröthet  und  aufgelockert,  das  linke  wahre 
Stimmband  derb  infiltrirt.  Von  dem  auf  dem  Stirnbeine  aufgebrochenen 
Gumma  ging  dann  ein  intercurrirendes  Erysipel  aus,  welches  den 
ohnehin  langwierigen  Krankheitsfall  noch  bedeutend  hinauszog. 

Der  zweite  Fall  (Infanterist  H.  B.)  war  gekennzeichnet  durch 
Ulcera  am  Dorsum  pedis  von  nierenförmiger  Gestalt  mit  speckigem 
Belag,  und  durch  Knochenauftreibungen  entlang  beider  Tibien,  welche 
typische  Dolores  osteocopi  hervorriefen. 

Diese  zwei  Kranken  könnten  wir  als  ergriffen  von  der 
tardiven  Lues  anführen,  wenn  nicht  gerade  diese  in  der 
Anamnese  angegeben  hätten,  sie  wären  schon  vor  mehreren 
Jahren  an  Symptomen  erkrankt  gewesen,  welche  auf  Syphilis 
hinweisen. 

Was  die  Therapie  betrifft,  so  müssen  wir  hervorheben, 
dass  bei  selbst  schweren  Fällen  die  Erscheinungen  gewöhnlich 
nach  20 — 25  Inunctionen  mit  Ung.  einer,  ä  3‘0 — 4  5  g  pro  die 
sämmtlicli  zurückgingen,  bei  Recidiven  Jodkali  und  5%  ig'e 
Subli  matin  jectionen  ausgezeichnete  Erfolge  hervorriefen. 

Man  kommt  zur  schliesslichen  Ueberzeugung,  dass,  wie 
die  schon  erwähnte  Prädisposition,  auch  der  Heilungstrieb  bei 
diesem  Volke  ein  grösserer  sein  muss. 

Es  sei  mir  vergönnt,  einen  Fall,  seiner  rasch  aufeinander 
folgenden  Recidiven  halber,  in  extenso  hier  anzuführen.  Er 
betrifft  den  Infanteristen  S.  T.  (bosnisch-hercegovinisches 
Infanterie  Regiment  Nr.  4),  geboren  1878. 

Erster  Spitalsaufenthalt  vom  19.  Januay  bis  20.  Fe¬ 
bruar  1899. 

Coitus  wird  überhaupt  negirt,  ein  Primäraffect  ist  nirgends 
nachweisbar.  Sämmtliche  Drüsen  geschwollen,  nässende  Papeln  ad 
scrotum  et  ad  anum.  Im  Pharynx  grau  belegte  Geschwüre.  Nach 
20  Einreibungen  mit  Ung.  einer.  3*0  <7  pro  die,  nach  Ivalomelbehand- 
lung  der  Papeln  und  Touchirung  der  Ulcera  im  Pharynx  mit 
Argent,  nitric,  sind  sämmtliche  Erscheinungen  geschwunden,  und  der 
Patient  wird  geheilt  entlassen. 

Zweiter  Spitalsaufenthalt:  Schon  Mitte  Mai  kommt 
Patient  wieder  mit  folgendem  Befund:  Der  grösste  Theil  der  behaarten 
Kopfhaut  ist  mit  Borken  bedeckt,  die  Haare  sind  durch  ein  zähes 
Secret  an  vielen  Stellen  verklebt.  Der  Scheitel  des  Kopfes  wird  von 
Pusteln  eingenommen,  die  in  der  Grösse  von  der  eines  Hellers  bis 
zu  der  eines  Guldens  wechseln,  und  von  welchen  einzelne  geplatzt 
sind,  dicke  Granulationswucherungen  zeigen  und  lebhaft  secerniren. 
Aehnliche  Pusteln  befinden  sich  auch  zum  Theil  auf  der  Stirne,  zum 
1  heil  am  Hinterhaupt  und  Nacken.  Die  Submaxillardrüsen  beiderseits 
bohnengross,  Retroauriculardriisen  über  erbsengross.  Der  Kehlkopf¬ 
spiegelbefund  ergibt:  Schleimhaut  des  Larynx  geschwollen  und  ge¬ 
röthet.  An  den  Stimmbändern,  insbesondere  rechts,  mehrere  Plaques. 

Therapie:  Zur  Erweichung  des  crustösen  Syphilides  gaben 
wir  eine  Haube,  durchtränkt  mit  Oleum  jecoris  aselli.  Inunctionen 
mit  Ung.  einer.  4‘5</  pro  die.  Touchirung  des  Kehlkopfes  mit  5°(Uiger 


Argent,  nitric. -Lösung.  Auf  die  luxuriirenden  Papeln  dachziegelförmig 
aufgestrichene  rothe  Präcipi tatsalbe. 

Nach  zehn  Einreibungen  sind  die  Papeln  schon  ins  Niveau  der 
Kopfhaut  zurückgesunken,  die  Secretion  ist  verschwunden,  die  Krusten 
sind  leicht  abhebbar.  Kopfhaare  werden  rasirt.  Emplastr.  hydrargyr. 
cinereum  auf  die  afficirte  Kopfhaut. 

Nach  25  Einreibungen  waren  die  Papeln  überhäutet,  die  Kopf¬ 
haut  ist  glatt,  nur  mehr  geröthet.  Nach  80  Einreibungen  sind  die 
Drüsen  kaum  mehr  zu  tasten.  Sonstige  Erscheinungen  sämmtlicli 
geschwunden,  und  Patient  wird  am  20.  Juni  geheilt  entlassen. 

Dritter  Spital  saufenthalt  im  selben  Jahre  vom 
18.  October  bis  15.  November. 

Status:  Auf  dem  ganzen  behaarten  Kopfe  bis  zum  Nacken 
finden  sich  wieder  dichtgedrängte,  mit  Borken  bedeckte  und  bis  omm 
elevirte  exulcerirte  Stellen.  Nässende  Papeln  ad  scrotum  et  anum. 
Geschwüre  auf  den  Tonsillen.  Drüsen  in  cervice  bohnengross. 

Therapie:  Rasur  der  Kopfhaare.  Graue  Salbe  auf  die  Kopfhaut 
applicirt  abwechselnd  mit  Präcipitatsalbe.  Sublimatinjectionen  (5%) 
ad  nates.  Innerlich  Decoct.  Zittmanni  inspissatum. 

Nach  der  vierten  Injection  sind  die  Papeln  am  Kopfe  abgeheilt. 
Geschwüre  im  Munde  verheilt,  die  Papeln  ad  scrotum  et  anum  nach 
örtlicher  Kalomelbehandlung  verschwunden.  Nach  der  fünften  In¬ 
jection  war  die  Kopfhaut  glatt  und  an  einzelnen  Stellen  nur  mehr 
blassroth.  Mit  Urlaubsantrag  wird  Patient  auf  drei  Monate  in  seine 
Heimat  entlassen. 

Wenn  wir  auf  die  Aetiologie  näher  eingehen  wollen,  so 
werden  wir  uns  bald  überzeugen,  dass  bei  allen  diesen  Fällen 
nur  höchst  selten  von  einer  hereditären  Syphilis  die  Rede  sein 
kann.  Abgesehen  von  dem  fast  ausschliesslichen  Fehlen  der 
Hutchinso n’schen  Trias  (die  charakteristischen  Zahndefecte, 
Keratitis  parenchymatosa  und  Taubheit  durch  Labyrinther¬ 
krankung)  stellen  sich  wohl  alle  Formen  als  Folgen  einer 
in  frühester  Kindheit  oder  noch  später  erworbenen  Syphilis 
dar.  Die  Träger  des  Contagiums  sind  wahrscheinlich  der 
Säugungsact,  dann  der  gemeinschaftliche  Gebrauch  von  Trink¬ 
geschirren  und  Essgeräthen,  sowie  der  Tabakspfeifen,  der 
Tschibuks,  die  von  Mund  zu  Mund  gehen,  die  wollenen 
Kleidungsstücke,  das  Zusammenschlafen,  der  Gebrauch  von 
schmutzigen  und  meist  stumpfen  Rasirmessern  u.  s.  w.  Dabei 
muss  man  wohl  noch  die  grosse  Unreinlichkeit  der  ärmeren 
Bevölkerung,  welche  ja  am  allermeisten  von  der  Krankheit 
heimgesucht  wird,  und  die  nahezu  gänzlich  vernachlässigte 
Hautpflege  als  Mitursache  der  Endemie  beschuldigen.  Des¬ 
gleichen  dürfte  das  in  der  dortigen  Gegend  noch  übliche  Aus¬ 
saugen  der  Operationswunde  bei  der  rituellen  Circumcision 
zur  Verbreitung  der  Syphilis  beitragen.  Stellen  doch  das  grösste 
Contingent  dieser  Kranken  die  Mohammedaner. 

Die  Symptome  der  Infection,  welche  durch  irgend  eine 
obiger  Ursachen  herbeigeführt  wurde,  eine  Sklerose  und  ein 
darauffolgendes  Exanthem  werden  nicht  beachtet  oder  nicht 
erkannt,  eine  gewiegte  ärztliche  Hilfe  kann  entweder  bei  dem 
herrschenden  Aerztemangel  nicht  in  Anspruch  genommen 
werden,  oder  wird  bei  der  Indolenz  der  Leute  nicht  aufgesucht, 
obwohl  der  Bosniak  sein  Kind  ungemein  liebt  und  den 
»Frenjak«  (Syphilis)  ebensosehr  fürchtet.  Man  begnügt  sich 
mit  Quecksilberräucherungen  von  landesüblichen  Hekims 
(Aerzten),  bis  späterhin  der  minder  Erfahrene  von  dem  Bilde 
und  Symptomencomplex  der  »tardiven«  Form  überrascht  wird. 

Nochmals  hervorzuheben  wäre  bei  unserem  Patienten  die 
Häufigkeit  der  Recidiven  in  so  rascher  Aufeinanderfolge.  So 
sind  uns  in  den  54  Fällen  4  Fälle  mit  drei,  8  Fälle  mit  zwei 
und  1 7  Fälle  mit  einfachen  Recidiven  in  der  kürzesten  Zeit 
zur  Beobachtung  gekommen. 

Jedenfalls  wird  aber  der  Gedanke  an  eine  Lues  here¬ 
ditaria  tarda  bei  genauer  und  streng  sachlicher  Sichtung  der 
verschiedenen  Erscheinungen  in  den  Hintergrund  treten  müssen 
und  werden  sich  schliesslich  alle  diese  Krankheitsfälle  als 
Spätrecidivformen  einer  extragenital  erworbenen  Syphilis 
erweisen. 

An  dieser  Stelle  sei  mir  noch  gestattet,  meinem  hoch¬ 
verehrten  Chef,  dem  Herrn  Stabsarzt  Dr.  Thurnwald,  für 
die  warme  Förderung  dieser  Arbeit  und  gütige  Ueberlassung 
des  Materiales  meinen  ergebensten  Dank  auszusprechen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nt.  21 


4S2 


Literatur. 

Dr.  Gustav  v.  Pernhoffer,  Untersuchungen  und  Erfahrungen 
über  das  Krankheitsübel  »Skerljevo«  im  croatisch-istrianischen  Kiistenlande. 
Wien  1868. 

Ur.  Leopold  Glück,  Ueber  Syphilis  hereditaria  tarda.  Wiener 
inedicinische  Presse.  1881. 

Derselbe,  Zur  Kenntniss  der  Syphilis  in  Bosnien  und  Hercego¬ 
vina.  Wiener  medicinische  Presse.  1888. 

Puschmann,  Alter  und  Ursachen  der  Beschneidung.  Wiener 
medicinische  Presse.  1891. 

Prof.  Dr.  Neuman  n,  Syphilis.  Wien  1899. 

Alfred  Fournier,  Die  Vererbung  der  Syphilis,  bearbeitet  von 
Finger.  1892. 

Kaposi,  Pathologie  und  Therapie  der  Syphilis.  Stuttgart  1891. 

Finger,  Die  Syphilis.  Wien  1896. 

Jahrbuch  des  bosnisch-hercegovinischen  Landesspitales  in  Serajevo 
(1895,  1896,  1897). 


lieber  die  Wiederbelebung  in  Todesfällen  in 
Folge  von  Erstickung,  Chloroformvergiftung  und 
elektrischem  Schlage. 

Von  Prof.  Dr.  J.  Prus,  Director  des  Institutes  für  allgemeine  und  experimentelle 
Pathologie  an  der  k.  k.  Universität  zu  Lemberg. 

(Nach  einem  am  11.  November  1899  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in 
Lemberg  abgehaltenen  Vortrage.) 

(Schluss.) 

3.  Ueber  die  Wiederbelebung  in  den  durch  elektrischen 
Schlag  bewirkten  Todesfällen. 

Bekanntlich  veranlasst  die  Anwendung  selbst  des 
schwächsten  elektrischen  Stromes  auf  das  blossgelegte  Herz 
in  der  Regel  die  augenblickliche  Herzlähmung  unter  Auftreten 
von  fibrillären  Herzmuskelzuckungen,  wobei  der  Blutdruck 
plötzlich  bis  auf  Null  absinkt  und  der  Kreislauf  gänzlich 
sistirt.  Das  Thier  ist  eine  Weile  unruhig  und  ängstlich,  ver¬ 
liert  nachher  das  Bewusstsein,  die  Athemzüge  werden  schwächer 
und  verschwinden. 

Da  ich  voraussetzte,  dass  ein  schwacher  elektrischer 
Strom  keine  tiefen  Veränderungen  im  Herzmuskel  verursachen 
könne,  glaubte  ich,  dass  gerade  in  Todesfällen  dieser  Art 
meine  Wiederbelebungsmethode  vom  besten  Erfolge  gekrönt 
sein  würde.  Leider  haben  die  in  verschiedener  Weise  an  Thieren 
ausgeführten  Versuche  meine  diesbezügliche  Annahme  nicht 
bestätigt,  vielmehr  erwiesen,  dass  gerade  bei  dieser  Todesart 
es  am  schwierigsten  sei,  die  reguläre  selbstständige  Herzaction 
wieder  herzustellen. 

Die  Versuche  wurden  in  folgender  Weise  angestellt: 

Nachdem  man  das  Thier  narkotisirt  hatte,  wurde  die  Trachea 
eröffnet  und  die  Halsschlagader  mit  einem  Manometer  vereinigt. 
Nach  der  hierauf  erfolgten  Eröffnung  des  Thorax  —  sei  es  in  der 
Mittellinie,  oder  aber  an  der  linken  Körperseite  — -  und  Blosslegung 
des  Herzens  berührte  ich  mit  zwei  dünnen  Platinelektroden  ver¬ 
schiedene  Stellen  des  Herzens,  wobei  ich  einen  sehr  schwachen 
constanten  oder  inducirten  Strom  verwendete.  Die  Stromintensität 
war  gewöhnlich  so  schwach,  dass  man  den  Strom  kaum  an  der 
Zunge  verspürte.  In  anderen  Fällen  bediente  ich  mich  eines  Stromes 
von  bedeutender  Spannung,  und  zwar  eines  solchen  von  110  Volt, 
den  eine  Dynamomaschine  lieferte.  In  diesen  Fällen  jedoch  eröffnete 
ich  den  Brustkorb  nicht,  sondern  berührte  blos  mit  entsprechenden 
Elektroden  die  Haut  in  der  Herzgegend.  Sowohl  in  der  ersten,  als 
auch  in  der  zweiten  Reihe  der  diesbezüglichen  Experimente  trat 
gewöhnlich  sofort  nach  der  Anwendung  des  elektrischen  Stromes 
die  Herzlähmung  ein. 

Ich  habe  35  Versuche  ausgeführt,  und  zwar 
habe  ich  den  schwachen  constanten  Strom  in 
14  fällen,  den  Induetionsstrom  in  sieben  Fällen 
und  einen  solchen  von  grosser  Intensität 
(100 — 110  Volt)  14 mal  angewendet. 

Die  vom  Momente  der  Einwirkung  des  constanten  Stromes 
aut  das  entblösste  Herz  bis  zum  Eintritte  der  Herzlähmung 
verflossene  Zeit  betrug  manchmal  kaum  yt0"  —  berechnet 
mit  Hille  des  Deprez’schen  Signalapparates.  Gewöhnlich 


war  diese  Frist  länger,  insbesondere  bei  Anwendung  des 
unterbrochenen  Stromes,  sowie  desjenigen  von  grosser  Spannung, 
und  zwar  betrug  sie  im  Minimum  2',  im  Maximum  1' 50". 

Vom  Eintritte  der  Herzparalyse  bis  zur  Sistirung  der 
Respirationsbewegungen  verflossen  gewöhnlich  1 — 2',  in  Aus¬ 
nahmsfällen  dauerte  es  länger  (bis  7')  oder  sogar  kürzer 
(einige  Secunden). 

Die  vom  Beginne  der  Herzlähmung  bis  zur 
begonnenen  Herzmassage  verstrichene  Zeit 
schwankte  zwischen  22" — lh  ;  es  betrug  dieselbe: 
22",  25",  40",  49",  1',  1'  14",  1'30",  1'40",  1'47", 
2'  (in  zwei  Fällen),  2' 30",  2' 42",  3',  5'  (in  zwei 
Fällen),  5'  40",  5'  47",  6',  6' 26",  7' 24",  8'  (in  drei 
Fällen),  8'  3",  9' 10",  10'  (in  vier  Fällen),  11' 30",  19' 58", 
30',  45',  1  h. 

Die  bis  zum  Auftreten  der  ersten  selbstständigen  Herz¬ 
bewegungen  nothwendig  gewesene  Zeit  betrug  im  Minimum 
30",  im  Maximum  lh  36',  und  zwar:  30",  2',  3' 4",  3' 30", 
13',  16'  (in  zwei  Fällen),  16'  50",  18' 10",  20',  22',  31',  33', 
35',  37',  39',  46',  48',  52',  54',  56',  lh8'36",  lh  10',  l1*  12', 
lh  14',  lh  26',  lh  30',  lh  36'. 

In  vier  Fällen  konnte  man  trotz  beinahe  zweistündiger 
Massage  keine  selbstständigen  rhythmischen  Herzbewegungen 
her  vorrufen.  Die  Massage  begann  man  in  dem  einen  Falle 
schon  1'  nach  der  eingetretenen  Paralyse  des  Herzens;  in 
dem  zweiten  nach  6',  in  dem  dritten  nach  10‘  und  im  vierten 
nach  1  h. 

Eine  selbstständige  regelmässige  Herz- 
action  kehrte  blos  in  fünf  Fällen  wieder. 

In  zwei  Versuchen  stellte  sich  regelmässige  Herzthätig- 
keit  unter  Einfluss  der  Massage  unvermittelt  wieder  ein,  und 
zwar  in  einem  Falle  nach  18' 40",  im  zweiten  nach  lh  8' 40"; 
in  drei  anderen  Fällen  erst  nach  Ablauf  einer  gewissen  Periode 
einer  unregelmässigen  Herzaction;  erstere  dauerte  in  einem 
Falle  36',  im  zweiten  46'  und  im  dritten  2h  3'  10". 

Die  vom  Beginne  der  Massage  bis  zum  Auftreten  der 
ersten  selbstständigen  Athemzüge  verstrichene  Zeit  betrug  im 
Minimum  17",  im  Maximum  lh  18',  und  zwar:  17",  30"  (zwei¬ 
mal),  46",  50",  1',  1'  15",  1'  40",  3'  (viermal),  4'  (in  drei 
Fällen),  5',  5' 8",  6' 55",  7',  8'  (zweimal),  11',  12'  (zweimal), 
13' 15",  17' 50",  22' 30",  26',  42',  lh  18'.  In  zwei  Fällen  trat 
in  der  Athmung  trotz  der  Herzlähmung  keine  Unterbrechung 
ein,  da  nämlich  kurz  nach  dem  Auftreten  der  ersteren  (näm¬ 
lich  25",  beziehungsweise  40"  später)  mit  der  Massage  be¬ 
gonnen  wurde.  In  einem  Falle  kam  es  zu  gar  keiner  selbst¬ 
ständigen  Respiration,  trotz  zweistündiger  Massage  und  künst¬ 
licher  Athmung;  es  wurde  hier  allerdings  die  Massage  lh 
nach  eingetretener  Herzlähmung  vorgenommen. 

In  zwei  Versuchen  konnte  die  natürliche  Respiration 
selbstverständlich  gar  nicht  zurückkehren,  weil  ich  noch  vor 
der  Application  des  elektrischen  Stromes  auf  das  Herz  das 
verlängerte  Mark  durchschnitten  habe. 

Bei  den  35  Versuchen  gelang  die  Wieder¬ 
belebung  nur  fünfmal,  d.  i.  in  14%  aller  Fälle. 


In  dem  ersten  günstigen  Versuche  begann  man  mit  der 
Massage  und  künstlichen  Athmung  5' 40",  nachdem  die  Herzlähmung 
in  Folge  des  elektrischen  Stromes  eingetreten  war. 

Der  erste  selbstständige  Athemzug  kehrte  wieder  nach  22'  30", 
die  ersten  Herzbewegungen  nach  lh  8'  40" ;  selbe  waren  sofort 
regelmässig  und  energisch. 

Hervorgehoben  zu  werden  verdient  der  Umstand,  dass  kurz 
nach  Rückkehr  der  selbstständigen  Respiration  und  ziemlich  lange, 
nämlich  eine  halbe  Stunde  vor  der  wiederhergestellten  Herzaction 
nicht  nur  Reflexe,  sondern  auch  willkürliche  Bewegungen  zunächst 
der  Vorder-,  später  auch  der  Hinterbeine  aufgetreten  sind.  Der 
Hund  lebte  noch  nach  der  Wiederbelebung  lV2h  ,  worauf  er  ge- 
tödtet  wurde. 

Im  zweiten  Falle  verstrichen  19'  58"  vom  Momente  der  Herz¬ 
lähmung  bis  zum  Beginne  der  Massage  und  der  künstlichen  Ath¬ 
mung.  Der  erste  Athemzug  trat  nach  6'  55"  wieder  auf,  die  ersten 
Herzbewegungen  nach  1 11  36',  die  eigentliche  regelmässige  Herzaction 
hingegen  nach  2h  12'.  Auch  in  diesem  Versuche  kehrten  Reflexe 


Tafel  III.  Wiederbelebung  in  den  durch  elektrischen  Schlag  bewirkten  Todesfällen. 


Ki.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


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Die  ersten  selbst¬ 
ständigen  HerzCon- 
tractionen  sind 
zurückgekehrt 


Die  regelmässige 
und  energische 
Herzaction  ist 
zurückg'ekehrt 


nach  dem  Beginne 
der  Herzmassage 


nach  dem  Wieder¬ 
beginne  der 
ersten  Herzcon- 
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Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


485 


und  willkürliche  Bewegungen  von  der  rhythmischen  Herzthätigkeit 
wieder  auf  und  zwar  um  lh  früher. 

Eine  halbe  Stunde  nach  der  Wiederbelebung  tödtete  man  das 
betreffende  Thier. 

Beim  dritten  Versuche  begann  die  Massage  25"  später, 
nachdem  die  Herzlähmung  eingetreten  war.  Die  selbstständige  Re¬ 
spiration  ging  ohne  jede  Unterbrechung  vor  sich.  Nach  18'  10" 
kehrte  die  regelmässige  Herzthätigkeit  wieder.  Das  Thier  lebte  noch 
drei  Viertelstunden,  worauf  es  gotödtet  wurde. 

Im  vierten  Versuche  verstrichen  seit  der  Herzlähmung  2' 30", 
bis  die  Massage  und  künstliche  Respiration  begonnen  wurde.  Nach 
46"  schon  athmete  das  Thier  selbstständig.  Herzbewegungen  zeigten 
sich  bereits  nach  16'  50",  die  eigentliche  rhythmische  Herzaction 
hingegen  begann  erst  nach  2b  20'  lang  andauernder  Massage.  Der 
Corneal-  und  Fusssohlenreflex  erschienen  ziemlich  früh,  nämlich 
10'  nach  der  wieder  aufgetretenen  Respiration.  Die  willkürlichen 
Bewegungen  begannen  12'  später.  Nachdem  das  Thier  noch  lh  ge¬ 
lebt,  wurde  es  getödtet. 

Im  fünften  Fale  dauerte  es  8'  nach  der  Herzlähmung  bis 
man  künstliche  Alhmung  und  die  Massage  einleitete.  Hier  trat  die 
regelmässige  Herzaction  10'  vor  der  selbstständigen  Athmung  auf. 
Die  ersten  Herzbewegungen  kehrten  wieder  nach  22'  langer  Massage 
die  regelmässige  Herzthätigkeit  nach  lh  8',  der  erste  Athemzug 
nach  lh  18'.  Dieser  Hund  lebte  noch  lh  16'  bevor  er  getödtet 
wurde. 

Nur  in  einem  von  den  30  misslungenen  Versuchen  er¬ 
folgte  weder  die  Rückkehr  der  Athmung  noch  die  der  Herz 
thätigkeit;  es  betraf  dies  den  Fall,  in  dem  das  Herz  Stillstand 
in  Folge  Anwendung  eines  elektrischen  Stromes  von  110  Volt 
Spannung  auf  den  unversehrten  Brustkorb  und  wo  die  Massage 
sowie  die  künstliche  Athmung  erst  eine  Stunde  nach  erfolgter 
Herzlähmung  eingeleitet  wurden. 

ln  29  Fällen,  in  denen  die  Wiederbelebung  nicht  gelang, 
liess  sich  zwar  keine  regelmässige  Herzaction,  aber  wenigstens 
selbstständige  Respiration  erzielen.  Bei  fünf  Versuchsthieren 
kehrte  nämlich  diese  sehr  früh  zurück,  denn  schon  im  Laufe 
der  ersten  Minuten  anhaltender  Massage  und  künstlicher 
Athmung,  und  zwar  nach  17",  30"  (in  zwei  Fällen),  50",  1'; 
bei  14  Thieren  dauerte  es  weniger  als  10',  und  zwar:  1'  15", 
1'  40",  3'  (in  vier  Fällen),  4'  (in  drei  Fällen),  5',  5' 8",  7',  8' 
(in  zwei  Fällen);  in  sieben  Fällen  war  noch  eine  längere  Zeit 
erforderlich,  11',  12'  (in  zwei  Fällen),  13'  15",  17' 50",  26',  42', 
bis  man  durch  die  genannte  Methode  der  Wiederbelebung 
regelmässige  Athemzüge  hervorrief.  Hinzufügen  muss  ich  noch, 
dass  in  sieben  Fällen  ausser  der  selbstständigen  Athmung 
Reflex-  und  Willkürbewegungen  der  Beine  sich  einstellten, 
trotzdem  die  Herzthätigkeit  auch  später  nicht  wiederkehrte. 
In  diesen  sieben  Fällen  wurde  mit  der  Massage  begonnen  49", 
1'44",  3',  7' 24,  10'  (in  drei  Fällen),  später  nachdem  die  Herz¬ 
lähmung  eingetreten  war. 

Auf  der  Tafel  III  sind  Experimente  über  die  Wieder¬ 
belebung  in  den  durch  elektrischen  Schlag  bewirkten  Todes¬ 
fällen  zusammengestellt. 

Aus  den  obigen  Versuchen  geht  hervor,  dass  das 
durcli  den  elektrischen  Strom  paralysirte  Herz 
überaus  schwer  zur  selbstständigen  und  regel¬ 
mässigen  Function  erregt  werden  kann,  auch 
dann  nicht,  wenn  früh  die  Massage  und  die  künst¬ 
liche  Athmung  zur  Anwendung  kamen. 

Ich  muss  offen  gestehen,  dass  ich  dieses  Factum  nicht 
triftig  zu  begründen  weiss.  Die  Vermuthung,  dass  der  elek¬ 
trische  Strom  das  nach  Kronecker  und  S  c  h  m  e  y  in  der 
Kammerscheidewand  befindliche  Nervencentrum,  welches  die 
Coordination  der  Herzbewegungen  regelt,  lähmt,  ist  nicht  stich¬ 
hältig;  es  ist  nämlich  schwer  zu  begreifen,  warum  ein  kaum 
an  der  Zunge  empfindbarer  Strom  gerade  die  in  der  Herz¬ 
scheidewand  gelegenen  Nervenzellen  lähmen  sollte,  während 
im  Allgemeinen  schwache  Ströme  gemeiniglich  nicht  lähmend, 
sondern  vielmehr  reizend  auf  die  Nervenzellen  einwirken? 

Mehr  Wahrscheinlichkeit  hätte  die  Annahme  für  sich, 
dass  unter  dem  Einflüsse  selbst  sehr  schwacher  Ströme  ein 
Tetanus  des  Herzmuskels  entsteht  und  dieser  ihn  eben  nicht 


zu  einer  regelmässigen  Herzthätigkeit  kommen  lässt.  Er¬ 
wägt  man  jedoch,  dass  unter  dem  Einflüsse  des  elektrischen 
Stromes  im  Augenblicke  der  Herzparalyse  immer  fibrilläre 
Zuckungen  ähnlich  den  peristaltischen,  auftreten  und  das  Herz 
schlaff  bleibt,  so  müssen  wir  auch  diese  Deutung  als  ungenügend 
betrachten. 

Gegen  die  Annahme,  dass  die  Herzlähmung  auf  reflek¬ 
torischem  Wege  verursacht  wird,  spricht  nicht  blos  die  kurze 
Frist,  die  zwischen  der  Stromeinwirkung  und  der  Herzparalyse 
liegt  (d.  i.  '/[o"),  sondern  auch  der  Umstand,  dass  die  Durch¬ 
schneidung  des  verlängerten  Markes  und  der  Vagi,  den  Ein¬ 
tritt  der  Lähmung  in  Folge  von  Elektricität  nicht  verhindert. 
Berücksichtigen  wir  ferner,  dass  mechanische  Momente  aller 
Art,  wie  starkes  Drücken,  Stechen,  Pressen,  Ziehen  oder  Zerren 
des  Herzens  in  der  Regel  keine  Lähmung  desselben  veran¬ 
lassen,  so  müssen  wir  zugeben,  dass  eine  richtige  Erklärung 
für  das  Auftreten  der  Herzlähmung  durch  den  elektrischen 
Strom  auf  grosse  Schwierigkeiten  stösst.  Sie  sind  umso  grösser, 
wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass  ich  in  manchen  Fällen  einen 
Strom  von  verschiedener  Art  und  Spannung  in  mannigfachster 
Weise  sogar  einige  Minuten  ununterbrochen  auf  das  Herz  ein¬ 
wirken  lassen  konnte,  ohne  dass  dieses  gelähmt  wurde. 

Erwähnt  muss  noch  werden,  dass  ich  bei  den  Versuchen 
ein  besonderes  Augenmerk  auf  die  Berührungsstelle  der  Elek¬ 
troden  hatte,  aber  auch  in  dieser  Beziehung  war  kein  Unter¬ 
schied  im  Verhalten  der  Kammern,  Scheidewände  und  Vor¬ 
kammern  zu  bemerken.  Angesichts  dieser  Schwierigkeiten  muss 
ich  die  Frage,  ob  der  elektrische  Strom  die  motorischen 
Herzganglien,  die  übrigens  His  und  Romberg  negiren, 
lähmt  oder  aber  unmittelbar  auf  den  Herzmuskel  wirkt,  un- 
erörtert  lassen. 

An  dieser  Stelle  möge  mit  besonderem  Nachdruck  her¬ 
vorgehoben  werden,  dass  ich  im  Gegensätze  zum  Vorschlag 
Prof.  Sippels  (Ein  Beitrag  zum  Chloroformtod.  Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  44),  man  solle  in  Fällen 
von  Herzlähmung  in  Folge  Chloroform  Vergiftung  das  Herz 
mittelst  elektrischen  Stromes  wieder  zu  erregen  versuchen, 
dies  ganz  entschieden  widerrathe;  die  Anwendung  des  elek¬ 
trischen  Stromes  nämlich,  sei  es  auf  das  Pericard,  sei  es  direct 
aufs  Herz  vermittelst  einer  nach  Angabe  Prof.  Sippels 
oberflächlich  eingestochenen  dünnen  Nadel,  würde  fast  sicher 
eine  definitive  Lähmung  hei  beiführen.  Auf  Grund  meiner 
Versuche  muss  ich  entschieden  diese  Rettungsmethode  ab- 
rathen  bei  Menschen,  bei  denen  das  Herz  aus  irgend  welchem 
Grunde  zu  schlagen  aufgehört  hat.  Obgleich  mir  die  Experi¬ 
mente  von  Bow  ditch  und  Anderen  an  dem  Froschherzen 
sowie  die  am  Herzen  der  Katharina  Serafin  von  Ziems  sen 
angestellten  Versuche  bekannt  sind  (den  Rhythmus  der  Herz¬ 
thätigkeit  konnte  man  bei  der  Serafin  durch  Abänderung  der 
Stromrichtung  nach  Belieben  wechseln),  würde  ich  es  doch 
niemals  wagen,  am  Menschen  den  elektrischen  Strom  derart 
anzuwenden,  dass  ich  die  Elektrode  auf  das  blossgelegte  Herz 
anlege  oder  gar  in  den  Herzmuskel  einsteche.  Vielmehr  muss 
ich  sogar  warnen  vor  der  Anwendung  starker  Ströme  in  der 
Herzgegend  bei  unberührtem  Brustkorb  des  Menschen,  da  aus 
meinen  Versuchen  hervorgeht,  dass  ein  Strom  von  100  bis 
110  Volt  Spannung,  den  ich  durch  den  unversehrten  Brust¬ 
korb  eines  Hundes  geleitet  habe,  das  Heiz  gewöhnlich 
lähmte,  während  der  gleiche  Strom  an  anderen  Körperstellen, 
ja  sogar  bei  Einwirkung  auf  das  entblösste  Gehirn  oder 
Rückenmark,  den  Tod  nicht  herbeiführt.  Sobald  ich  den  einen 
Pol  auf  das  blossgelegte  Hirn,  den  anderen  auf  das  frei¬ 
gelegte  Rückenmark,  und  zwar  an  dessen  Lendentheil,  an¬ 
legte,  ging  das  Thier  gleichfalls  nicht  zu  Grunde,  sondern 
es  bekam  blos  einen  epileptischen  Anfall.  Diese  Ver¬ 
suche  beweisen  zur  Genüge,  dass  der  Tod  bei 
den  vom  Blitze  getroffenen  oder  durch  einen 
von  einer  Dynamomaschine  herrührenden  elek¬ 
trischen  Strom  verunglückten  Menschen  in 
einer  directen  Herzlähmung  seine  Ursache  hat. 
Wenn  ich  auch  bei  meinen  Versuchen  zur  Wiedererregung 
der  Herzaction  nach  eingetretener  Lähmung  des  Herzens  in 
Folge  des  elektrischen  Stromes  auf  grosse  Schwierigkeiten  ge- 


48G 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


stossen  bin,  so  wage  ich  dennoch,  mit  Rücksicht  auf  den 
geringen  Procentsatz  der  positiv  ausgefallenen  Experimente 
zu  behaupten,  dass  man  die  durch  den  elektrischen 
Strom  getödteten  T  h  i  e  r  e  vermittelst  Herz¬ 
massage  und  künstlicher  Athmung  wieder¬ 
beleben  kann. 

* 

Lenken  wir  jetzt  unsere  Aufmerksamkeit  auf  das  all¬ 
gemeine  Resultat  meiner  Untersuchungen  und  vergleichen  wir 
dieselben  vor  Allem  mit  dem  Experimenten  Boehm’s. 

1.  In  erster  Reihe  sehen  wir  einen  wichtigen  Unterschied 
in  der  Art  der  Herzmassage.  Während  Boeli  m  die  Herz¬ 
massage  dutch  rhythmischen  Druck  des  uneröffneten  und  nach- 
giebigen  Brustkorbes  versuchte,  besteht  meine  Methode  in  un¬ 
mittelbarer  Compression  des  blossgelegten  Herzens  vermittelst 
der  Finger,  angesichts  dessen  die  von  Boehm  erforderliche 
Bedingung,  dass  der  Brustkorb  nachgiebig  sei,  gar  nicht  in 
Rechnung  kommt. 

2.  Dieser  neuen  Methode  haben  wir  es  zu  verdanken, 
dass  wir  uns  zur  Wiederbelebung  sogar  in  jenen  Fällen  be¬ 
wegen  lassen,  in  welchen  seit  dem  Momente  des  Todes  des 
Individuums  eine  volle  Stunde  vergangen  ist,  während  hin¬ 
gegen  Boehm  die  Herzmassage  entweder  sofort  nach 
Sistirung  der  am  Kymographion  verzeichneten  Herzbewegungen 
oder  spätestens  l’/2'  in  Erstickungsfällen.  3 — 4'  in  Vergiftungs¬ 
fällen  mit  Alkalien  und  3—9'  in  Fällen  von  Chloroform¬ 
vergiftung  einleiten  musste. 

3.  Wir  sehen  einen  bedeutenden  Unterschied  in  dem 
Zeitabschnitte,  in  welchem  die  Erregbarkeit  des  Herzens  er¬ 
löschen  soll;  und  zwar  behauptet  Boehm,  dass  das  Herz, 
dessen  Bewegungen  in  Folge  der  Erstickung,  also  Sauerstoff¬ 
mangel  sistiren,  seine  Erregbarkeit  aussergewühnlich  schnell 
verliert,  und  zwar  umso  schneller,  als  in  denjenigen  Todes¬ 
fällen,  in  welchen  der  Sauerstoffmangel  nicht  so  bedeutend 
ist,  wie  bei  der  Erstickung.  Meine  Untersuchungen  hingegen 
haben  bewiesen,  dass  trotz  einstündiger  Dauer  des  Todes, 
sei  es  durch  Suffocation  oder  Chloroformvergiftung,  die  Er¬ 
regbarkeit  des  Herzens  noch  bis  zu  jenem  Grade  erhalten  ist. 
dass  durch  die  Anwendung  meiner  Methode  der  Wieder¬ 
belebung  die  reguläre  und  energische  Herzthätigkeit  wieder¬ 
kehren  kann. 

4.  Beweisen  meine  Untersuchungen,  dass  das  centrale 
Nervensystem  seine  Erregbarkeit  sogar  in  jenen  Fällen  wieder¬ 
erlangen  kann,  in  welchen  der  Tod  eine  Stunde  dauerte  und 
in  welchen  nach  Ablauf  jener  Stunde  keine  Spur  der  Thätig- 
keit  durch  die  nächste  zweite  und  sogar  dritte  Stunde  auf¬ 
getreten  ist,  trotzdem  die  künstliche  Blutcirculation  und  die 
künstliche  Athmung  unterhalten  wurden. 

5.  Muss  ich  hervorheben,  dass  die  von  Prof.  Boehm 
beschriebenen  Erscheinungen,  unter  denen  das  Leben  aufs 
Neue  sich  zu  regen  beginnt,  den  Resultaten  meiner 
Untersuchungen  vollkommen  entsprechen.  Meine  Experi¬ 
mente  haben  nämlich  gezeigt,  dass  der  Blutdruck,  der 
Puls,  die  Athmung,  die  Pupillen,  die  Reflexe,  die  willkürlichen 
Bewegungen,  die  Sensibilität,  die  Sinnesthätigkeit  und  die 
Körpertemperatur  nach  der  Wiederbelebung  des  Thieres  sich 
im  Allgemeinen  so  verhalten,  wie  es  B  o  e  h  m  in  seiner  Arbeit 
angegeben  hat.  Ich  erlaube  mir  aber  zu  betonen,  dass  die 
Reihenfolge,  in  welcher  die  einzelnen  Functionen  nach  der 
Wiederbelebung  zurückkommen,  nicht  immer  die  Umkehrung 
derjenigen  Ordnung  ist,  in  welcher  die  einzelnen  Functionen 
beim  herannahenden  Tode  erlöschen,  ln  manchen  Fällen,  in 
welchen  das  Herz  wahrhaftig  das  Ultimum  moriens  war, 
kehrte  zuerst  die  selbstständige  Athmung,  nicht  aber  die  Herz- 
function  zurück  und  auch  umgekehrt.  In  dieser  Beziehung 
also  besteht  wirklich  eine  Differenz  in  den  Anschauungen 
Boehms  und  den  meinigen. 

Fragen  wir  jetzt,  ob  die  Resultate  meiner  Untersuchungen, 
auf  hundert  an  Thieren  ausgeführten  Experimente  gestützt, 
in  der  ärztlichen  Praxis  eine  Verwendung  finden  können,  mit 
anderen  Worten:  ob  wir  uns  entschlossen  sollen,  in  Todes¬ 
fällen  in  Folge  von  Erstickung,  Chloroformvergiftung  oder 
elektrischen  Schlages  die  Wiederbelebung  zu  versuchen. 


Ich  hege  gar  keinen  Zweifel,  dass  meine 
Methode  der  Wiederbelebung,  unter  günstigen 
Bedingungen  angewendet,  sogar  bei  Menschen 
ein  positives  Resultat  geben  muss.  Diesen  Satz 
kann  ich  heute  umso  sicherer  aussprechen,  als  ich  auf  Grund 
eigener  Erfahrung  constatiren  konnte,  dass  bei  einem  durch 
Erstickung  gestorbenen  Menschen  die  Erregbarkeit  des  Herzens 
nicht  gleichzeitig  mit  dem  Tode  des  Individuums  erlischt, 
sondern  dass  diese  sogar  noch  zwei  Stunden 
nach  dem  Tode  a  n  h  ä  1 1. 

Der  Fall  betrifft  einen  48jährigen  Mann,  welcher  am 
19.  Januar  1900  im  Universitätskellcr  sich  seines  Lebens  durch 
Erhängen  beraubte.  Der  Selbstmörder  B.  H.  war  ein  Lemberger 
Universitätsdiener.  Nach  der  Angabe  seiner  Frau  trug  sich  H.  seit 
längerer  Zeit  mit  Selbstmordgedanken,  da  er  fürchtete,  seinen  Posten 
in  Folge  des  leidenschaftlichen  Trinkens  zu  verlieren.  Als  man  den 
Selbstmörder  an  dem  genannten  Tag  um  4  Uhr  Nachmittags  in 
dem  Keller  aufgehängt  entdeckte,  konnte  man  bei  ihm  kein  Lebens¬ 
zeichen  mehr  wahrnehmen.  Die  bald  alarmirten  Aerzte  der  Rettungs¬ 
gesellschaft  haben  durch  längere  Zeit  alle  passenden  Rettungs¬ 
versuche  angestellt,  jedoch  vergeblich.  Eine  Stunde  später,  von  dem 
Falle  zufällig  benachrichtigt,  begab  ich  mich  sofort  in  das  Uni¬ 
versitätsgebäude,  und  nachdem  ich  von  der  Frau  des  Selbstmörders 
die  Erlaubniss  zur  Tracheotomie  und  Blosslegung  des  Herzens  zum 
Zwecke  der  Herzmassage  und  künstlicher  Athmung  bekommen  halle, 
consultirte  ich  den  Docenten  Dr.  W  ehr,  der  mit  Hilfe  des  Docenten 
Dr.  Gabryszewski  zuerst  die  Trachea  und  dann  den  Brust¬ 
korb  ohne  Verletzung  der  Pleuren  nach  eigener  Methode  eröffnete. 
Als  ich  mich  überzeugt  hatte,  dass  das  eröffnete  Herz  keine  Spur 
von  irgend  welcher  Bewegung  zeigte,  erfasste  ich  dasselbe  und  fing 
die  Herzmassage  an,  während  gleichzeitig  die  Luft  in  die  Lungen 
durch  einen  Blasebalg  getrieben  wurde.  Nachdem  die  Herz¬ 
massage  ungefähr  1 5'  dauerte,  bemerkte  ich  die 
ersten  Spuren  selbstständiger  rhythmischer  Con¬ 
tra  c  t  i  o  n  e  n  beider  V  o  r  h  ö  f  e.  Die  Systole  trat  in 
Form  einer  Welle  auf,  welche  von  der-  Grenze 
zwischen  V o r h o f  und  Kammer  in  der  Richtung 
zum  1 1  e  r  z  o  h  r  d  a  h  i  n  z  o  a-. 

Habe  ich  die  Herzmassage  einige  Minuten  unterbrochen,  dann 
wurden  die  Vorhofcontractionen  graduell  schwächer,  bis  sie  endlich 
ganz  sistirten,  bei  der  Wiederaufnahme  der  Herzmassage  aber 
wieder  auftauchten,  und  zwar  in  Form  der  oben  genannten  Welle. 
Als  aber  trotz  fortwährender  Massage  und  trolz  erfolgter  Injection 
physiologischer  Kochsalzlösung  in  die  äussere  Armvene  die  Gon- 
tractionen  der  Vorhöfe  nicht  nur  sich  nicht  potenzirten,  sondern 
gar  allmälig  schwächer  wurden,  trat  ich  von  der  weiteren  Rettungs- 
action  ab,  umsomehr,  da  auch  die  Trachealcanule  und  der  Blase¬ 
balg  unzweckmässig  waren,  und  daher  die  künstliche  Athmung 
nicht  entsprechend  vor  sich  gehen  konnte. 

Die  Erfahrung,  dass  das  menschliche  Herz 
beim  Tode  durch  Erstickung  noch  zwei  Stunden 
nach  dem  Tode  des  Individuums  erregbar  war, 
ist  meiner  Ansicht  von  ausserge  wöhn  licher 
Bedeutung.  Diese  Erfahrung  ist  ein  Fingerzeig 
dafür,  dass  meine  Idee  der  Wiederbelebung 
t  o  d  t  e  r  Individuen  sich  verwirklichen  kann. 
Wenn  nämlich  im  Erstickungsfalle  das  menschliche  Herz  sogar 
zwei  Stunden  nach  dem  Tode  eines  Individuums  seine  Erreg¬ 
barkeit  noch  nicht  gänzlich  verloren  hat,  so  kann  ich  be¬ 
haupten,  dass  diese  Erregbarkeit  in  der  ersten  Stunde  noch 
bis  zu  jenem  Grade  erhalten  war,  dass  durch  die  Herzmassage 
nicht  nur  die  Vorhöfe,  sondern  auch  die  Kammern  zur  regel¬ 
mässigen  Thätigkeit  wiederkehren  würden,  was  übrigens  die 
Experimente  an  Thieren  bewiesen  haben.  Mit  Rücksicht  auf 
die  Erfolge  meiner  Untersuchungen  kann  ich  muthig  den  Satz 
aussprechen,  dass  man  bei  Menschen  in  plötz¬ 
lichen  Todesfällen  in  Folge  von  Erstickung, 
elektrischem  Schlag,  besonders  aber  in  Folge 
Chloroformvergiftung,  meine  Wiederbelebungs¬ 
methode  verwenden  soll,  nachdem  vorher  alle 
bis  jetzt  bekannten  Rettungsmethoden  erfolg¬ 
los  geblieben  sind. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


487 


Ich  hege  die  Hoffnung,  dass  in  manchem  plötzlichen 
Todesfälle  vor  Allem  aber  bei  Todesfällen  in  Folge  von 
Chloroformvergiftung  während  der  Operation  meine  Methode 
von  Erfolg  gekrönt  sein  wird,  umsomehr,  als  der  Operateur 
noch  rechtzeitig  zur  Eröffnung  des  Brustkorbes  treten  kann, 
um  dann  die  Herzmassage  vorzunehmen. 


Entgegnung  auf  Ostwald’s  Bemerkungen  zu  meinem  Vor¬ 
trage:  >Ueber  physikalisch  -  chemische  Methoden  und 
Probleme  in  der  Medicin. ') 

Von  Docent  Dr.  W.  Pauli. 

In  einem  Vortrage,  welcher  am  10.  November  1899  in  der  k.  k. 
Gesellschaft  der  Aerzte  gehalten  wurde,  habe  ich  auch  von  physiologi¬ 
schen  Gesichtspunkten  aus  an  den  Anschauungen  0  s  t  w  a  1  d’s  eine 
durchaus  sachliche  Kritik  geübt.  Fast  gleichzeitig  sind  dessen  engere 
Fachgenossen  seiner  Ueberschätzung  der  Energetik  in  oft  scharfer 
Weise  entgegengetreten. 

Ostwald  behauptet  nun  in  einem  leider  verspätet  zu  meiner 
Kenntniss  gelangten  Referate  über  meinen  Vortrag  (in  der  von  ihm 
herausgegebenen  Zeitschrift  für  physikalische  Chemie.  Bd.  XXXIV, 
pag.  426),  ohne  Inhalt  und  Richtung  meiner  Ausführungen  anzugeben, 
dass  ich  die  kinetische  Hypothese  nicht  von  der  reinen  Thermodynamik 
und  die  Energetik  nicht  von  der  Mechanistik  zu  unterscheiden  wisse 
und  den  zweiten  Hauptsatz  (der  Thermodynamik)  nicht  einmal  dem 
Namen  nach  zu  kennen  scheine. 

Aus  diösen  Bemerkungen  geht  für  einen  jeden  Leser  meines 
Vortrages  zwingend  hervor,  dass  Ostwald  denselben  unmöglich  auf¬ 
merksam  gelesen  hat,  da  die  kinetische  Hypothese  (Wärme  ist  Mole- 
cularbewegung)  weder  dem  Worte  noch  dem  Sinne  nach  darin  ange¬ 
führt  ist,  während  mein  Vorwurf,  dass  Ostwald’s  energetische  Welt¬ 
anschauung  im  Grunde  eine  mechanische  sei,  in  keiner  Weise  von 
ihm  widerlegt  wird.  Dem  zweiten  Hauptsatze  bin  ich  wissentlich 
aus  dem  Wege  gegangen,  da  er  nicht  nothwendig  im  Zusammenhänge 
mit  der  vorliegenden  Frage  behandelt  zu  werden  brauchte.  Eine  sach¬ 
liche  Auseinandersetzung  mit  Ostwald  wird  wohl  erst  möglich  sein, 
sobald  er  sich  mit  dem  Inhalte  meiner  Schrift  vertraut  gemacht 
haben  wird. 

Gewiss  wäre  auch  meinerseits  der  Standpunkt  berechtigt,  eine 
jede  Polemik  zu  unterlassen,  da  die  Entscheidung  über  eine  Arbeit 
schliesslich  an  diese  und  nicht  an  die  Person  eines  Kritikers  geknüpft 
ist.  Die  Ursache  meiner  Abwehr  ist  aber  das  Vorgehen  Ostwald’s, 
der  den  Umstand,  dass  ich  ihn  angegriffen  habe,  verschweigt,  und  so 
im  Scheine  der  Objectivität  einige  allgemeine  und  unthatsächliche  Be 
merkungen  vorbringt.  Auf  die  für  die  Art  seiner  Kritik  charakteristi¬ 
schen  persönlichen  Ausführungen  von  0  s  t  w  a  1  d  brauche  ich  nicht 
näher  einzugehen. 2) 


REFERATE. 

I.  Das  Bronchialasthma  und  seine  Behandlung. 

Von  Goluboff. 

Volk  m  a  n  n’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  Neue  Folge.  Nr.  256/257. 

1899. 

II.  Nahrungsmittel  und  Ernährung  der  Gesunden  und 

Kranken. 

Von  Dr.  Felix  Uirsclifeld,  Privatdocent  an  der  Universität  Berlin. 
Berlin  1900,  Hirschwald. 

I.  Der  Verfasser  gibt  in  dem  vorliegenden  Doppelhefte  eine 
übersichtliche  und  ziemlich  eingehende  Darstellung  über  das  Asthma 
bronchiale.  Nach  ausführlicher  Schilderung  der  Geschichte  dieser 
Erkrankung  schreitet  er  zur  Besprechung  der  Aetiologie  derselben. 
Hiebei  gedenkt  er  der  Heredität  als  wichtigen  Factors  und  streift 
auch  die  Frage  nach  den  Beziehungen  von  Podagra  und  Asthma 
bronchiale.  Er  anerkennt  erstere  als  mögliche  Ursache  des  letzteren. 
Referent  möchte  diesbezüglich  der  Ansicht  beipflichten,  dass  Podagra 
und  Asthma  bronchiale  zweifellos  einander  coordinirte  Erscheinungen 
sein  können,  beide  entwickelt  auf  der  Basis  einer  uratischen 
Diathese.  Bald  kommt  es  vor,  dass  ein  mit  letzterer  Affection  hereditär 

’)  Erschienen  bei  M.  Perles,  Wien  1900. 

')  Diese  Entgegnung  wurde  der  Redaction  der  »Zeitschrift  für  physi¬ 
kalische  Chemie«  seinerzeit  von  Herrn  Dr.  Pauli  zugeschickt,  deren  Auf¬ 
nahme  jedoch  dortselbst  verweigert.  Da  es  sich  um  einen  in  der  k.  k.  Ge¬ 
sellschaft  der  Aerzte  gehaltenen  Vortrag  handelt,  glaubten  wir,  dein  Autor 
Gelegenheit  bieten  zu  müssen,  an  dieser  Stelle  seine  Gegenbemerkungen  vor- 
znhringen.  Die  Redaction. 


belastetes  Individuum  an  Asthma  bronchiale  leidet,  bald,  dass  ein 
und  dasselbe  Individuum  im  Wechsel  Podagra  und  Asthma  besitzt 
und  beide  Male,  dass  das  Asthma  bronchiale  verschwindet  (nach 
der  Erfahrung  des  Referenten  ein  selbst  über  ein  Jahrzehnt  dau¬ 
erndes  Asthma),  wenn  eine  antiuratische  Therapie  eingeschlagen  wird. 

Nach  Erledigung  des  Abschnittes  »Aetiologie«  übergeht  Ver¬ 
fasser  zur  Schilderung  der  verschiedenen  klinischen  Formen  des 
Asthmas. 

Er  stellt  neben  allseits  anerkannten  Formen  eine  »möglicher 
Weise  ein  wenig  problematische«  Form  auf,  bei  der  präexistent 
eine  mehr  minder  lange  dauernde  Bronchitis  (die  neurosecretorische 
Form  des  Asthmas)  besteht,  aus  der  sich  dann  das  bronchiale 
Asthma  (die  spasmodische  Form  des  Asthmas)  erhebt.  Diese  prä¬ 
existente  Bronchitis  soll  durch  reichlichen  Gehalt  des  Sputums  an 
eosinophilen  Zellen,  eventuell  auch  durch  Gehalt  an  Gursch- 
mann’schen  Spiralen  ausgezeichnet  sein.  Referent  hält  zufolge 
eigener  Erfahrung  (Klinik  Neusser)  diese  specielle  Form  des 
Asthmas  für  ganz  ausser  Zweifel  und  für  gar  nicht  so  selten,  ge¬ 
radeso  wie  er  Goluboff  Recht  geben  muss,  wenn  dieser  behauptet, 
dass  eosinophile  Zellen  im  Sputum  und  auch  im  Blute  noch  selbst 
monatelang  nach  vorübergegangenem  asthmatischem  Anfälle  in 
reicher  Zahl  verbleiben  können.  Solche  Fälle  »eosinophiler  Bron¬ 
chitis«  stehen  nach  des  Referenten  Ansicht  mindestens  äusserst 
nahe  den  Fällen  der  von  Teichmüller  beschriebenen  eosino¬ 
philen  Bronchitis  (Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin),  deren 
Existenz  der  Schule  Neusser’s  seit  einem  Decennium  bekannt 
ist;  freilich  haben  wir  diese  häufigen  Fälle  von  eosinophiler  Bron¬ 
chitis  immer  als  »Bronchitis  chronica  asthmatica  oder  Asthma 
catarrhale«  aufgefasst  und  es  fiele  dem  Referenten  auch  heute 
noch  schwer,  dieser  Deutung  der  eosinophilen  Bronchitis  nicht  Raum 
zu  geben. 

An  die  Abgrenzung  der  verschiedenen  klinischen  Formen  des 
Asthma  bronchiale  reiht  Verfasser  die  Schilderung  des  Verlaufes, 
der  Prognose  und  der  pathologischen  Anatomie.  In  letzterer  Rich¬ 
tung  wäre  vielleicht  auch  des  Vorkommens  von  Fibringerinnsel  im 
Sputum,  respective  in  den  Bronchien  bei  Asthma  bronchiale  zu 
gedenken,  ein  Moment,  worauf  vor  vielleicht  1  '/2  Jahren  auch  in 
Berlin  hingewiesen  wurde.  Referent  erinnert  sich  eines  diesbezüg¬ 
lich  äusserst  interessanten  Falles  aus  der  Klinik  Neusser,  bei 
welchem  ein  typisches  Asthma  bronchiale  (C  h  a  r  c  o  t’sche  Kry- 
stalle,  Gurschmann’sche  Spiralen,  eosinophile  Zellen  im  Sputum 
der  von  classischen  Anfällen  heimgesuchten  Patientin)  in  eine 
chronische  fibrinöse  Bronchitis  (mit  eosinophilen  Zellen)  überging: 
Folge  der  durch  beide  Erkrankungen  bedingten  Athmungserschwerung 
Volumen  pulmonum  acutum  und  active  Dilatation  des  rechten 
Ventrikels. 

Nach  Würdigung  der  Differentialdiagnose  —  das  Hauptgewicht 
für  die  Diagnose  »Asthma  bronchiale«  legt  Goluboff  mit  Recht 
auf  den  mikroskopischen  Befund  des  Sputums  —  wendet  sich  Ver¬ 
fasser  zur  Schilderung  der  Therapie  der  Erkrankung.  Goluboff 
redet  unter  Anderem  auch  der  Anwendung  des  Atropins  weniger 
zwecks  Bekämpfung  des  Anfalles,  als  zwecks  Hintanhaltung  einer 
Recidive  derselben  das  Wort.  v.  No  or  den  bat  sich  jüngst  in 
gleicher  Art  über  die  Verwerthung  des  Atropins  beim  Asthma  bron¬ 
chiale  ausgesprochen,  während  in  allerjüngster  Zeit  Riegel  dieses 
Medicament  zwecks  Unterdrückung  des  Anfalles  wärmstens  empfiehlt. 
Referent  freut  sich  über  diese  Benützung  des  Atropins,  das  er 
selber  schon,  einer  Anregung  N  e  u  s  s  e  r’s  folgend,  seit  einem  De¬ 
cennium  bei  Asthma  bronchiale  verwendet:  schon  vor  zwei  Jahren 
konnte  Referent  über  manchmal  ausgezeichnete  Erfolge  bei  Anwen¬ 
dung  grosser  Dosen  (selbst  bis  zu  O'OOGg  pro  die)  in  seinen 
Vorlesungen  über  specielle  Therapie  innerer  Krankheiten  be¬ 
richten. 

Was  Goluboff  vom  Jodkali  schreibt,  das  verdient  die  all¬ 
gemeinste  Zustimmung.  Auch  Referenten  scheint  dasselbe  das  aller- 
beste  Mittel  bei  Bronchitis  asthmatica.  Interessant  ist,  dass  G  o  1  u- 
b  o  f  f  die  Wirkung  des  Jod  —  abgesehen  von  seinen  resorbirenden 
Eigenschaften  - — -  sich  hypothetlisch  auch  derart  zu  erklären  ver¬ 
sucht,  dass  es  die  Bronchialschleimhaut  reizt  und  diese  für  die 
»Angriffe,  Impulse,  welche  den  specifisch-asthmatischen  Katarrh 
hervorrufen«,  minder  empfänglich  macht:  »man  erzielt  gewisser- 
massen  durch  das  Jod  eine  Abhärtung  (Gymnastik)  der  Schleim¬ 
häute.« 


•188 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ni.  21 


Vollkommen  Recht  hat  Verfasser  nach  des  Referenten  An¬ 
schauung  weiter,  wenn  er  verlangt,  dass  Arsen  in  grossen  Dosen 
anzuwenden  ist,  soll  es  überhaupt  beim  Asthma  bronchiale  nützen; 
und  in  manchen  Fällen  (abgemagertes  nervöses  Individuum  mit  un¬ 
reiner  Haut)  vermag  es  zweifellos  Nutzen  zu  stiften. 

G  o  1  u  b  o  f  f  berichtet,  dass  er  auch  vom  Argent,  nitr.,  durch 
lange  Zeit  gebraucht  (Tagesdosis  anscheinend  001 — 002 g),  beim 
Athma  neurasthenischer  Individuen  guten  Erfolg  gesehen  hat. 

* 

II.  Der  auf  dem  Gebiete  der  Ernährungslehre  und  Ernährungs¬ 
therapie  eifrig  und  mit  vielem  Erfolge  thätige  Autor  hat  im  vor¬ 
liegenden,  255  Seiten  starken  Buche  seine  vor  mehreren  Jahren 
herausgegebenen  Grundzüge  der  Krankenernährung  in  veränderter 
Form  und  erheblich  erweitertem  Umfange  neuerdings  in  den  Buch¬ 
handel  gebracht.  Ist  gerade  die  jetzige  Zeit  reich  an  ähnlichen  Ar¬ 
beiten,  da  die  diätetische  Behandlung  der  inneren  Krankheiten  in 
den  Vordergrund  unserer  therapeutischen  Bestrebungen  getreten  ist, 
so  halte  ich  gerade  II  i  r  s  c  h  f  e  1  d’s  Werk  für  einen  gerne  gesehenen 
Ankömmling,  soweit  das  Bedürfnis  des  praktischen  Arztes  und  des 
Studirenden  in  Rücksicht  gezogen  wird:  denn  es  erzählt  für  diese 
trotz  seines  wirklich  geringen  Umfanges  in  präciser  Sprache  fast 
Alles,  was  sie  wissen  wollen  und  wissen  sollen.  Und  was  es  bringt, 
ist,  wie  von  dem  Autor  nicht  anders  zu  erwarten  war,  auf  die 
wissenschaftliche  Grundlage  der  Ernährungsphysiologie,  respective 
der  Stoffwechselchemie,  in  solider  Weise  aufgebaut.  Nur  in  Kleinig¬ 
keiten  kann  der  Leser  vielleicht  etwas  anderer  Anschauung  als  der 
Autor  sein  oder  etwas  mehr  zu  hören  wünschen,  als  der  Autor 
berichtet;  nach  letztgenannter  Hinsicht  würde  beispielsweise  Referent 
eine  kleine  Erweiterung  des  Capitels  »Fleischbrühe«  gut  hallen, 
denn  die  auch  in  ärztlichen  Kreisen  noch  vielfach  unklaren  Begriffe 
über  den  Werth  der  Suppe  auf  die  Ernährung  haben  doch  durch 
neuere  Untersuchungen  (Koep  p  e)  eine  auch  mit  der  praktischen 
Erfahrung  harmonirende,  auf  jeden  Fall  recht  mittheilenswerthe 
Klärung  erhalten.  Nach  eigener  Richtung  wäre  Referent  nicht  ein¬ 
verstanden  mit  dem  Rathe  H  i  r  s  c  h  f  e  1  d’s,  Nierenkranken  unein¬ 
geschränkt  Suppe  gemessen  zu  lassen:  abgesehen  von  den  Extrac- 
tivstoffen  kommt  nach  des  Referenten  Ansicht  doch  auch  der 
relativ  nicht  geringe  Salzgehalt  der  Suppe  in  Betracht:  im  Ver¬ 
gleiche  zu  dem  wohl  gelungenen  Ganzen  als  Beispiele  angezogen 
doch  nur  kleine  Momente,  die  dem  Werthe  des  Gesammtwerkes 
keinerlei  Abbruch  thun  können.  Ortner. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  Nikolaus  C  s  ä  p  zum  Obei  Stabsarzt  II.  Classe. 
—  Zu  Stabsärzten  die  Doetoren:  Michael  Denk,  Julius  Töth, 
Stefan  H  r  a  b  e  c  z  y,  Anton  S  e  b  e  ö  k  und  Simon  Klein, 
sämmtliche  im  landwehrärztlichen  Officierscorps.  —  Prof.  A.  Freiherr 
v.  Eiseisberg  (Königsberg)  zum  Ehrendoctor  der  Universität  Leiden. 

* 

Verliehen:  Dem  Oberbezirksarzte  in  Gör  z,  kaiserlichen 
Rath  Dr.  Alexander  Zenkovich,  das  Ritterkreuz  des  Franz 
Josef-Ordens.  —  Den  Badeärzten  Dr.  Josef  Mlady  und  Dr.  David 
Tyrnauer  in  Karlsbad  der  Titel  eines  kaiserlichen  Rathes. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Adolf  E  1  z  h  o  1  z  für  Psychiatrie  und 
Neurologie  in  Wien.  —  Dr.  Jaroslav  Bukovsky  für  Dermato¬ 
logie  und  Syphilidologie  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag.  — 
Dr.  P.  Sick  für  Chirurgie  in  Kiel.  —  In  Rostock  Dr.  Eh  rieh 
für  ( ’hirurgie  und  Dr.  Scheven  für  Psychiatrie.  —  In  Strassburg 
Dr.  Landolf  für  Augenheilkunde  und  Dr.  Funke  für  Geburtshilfe 
und  Gynäkologie. 

* 

Gestorben:  Der  Oberstabsarzt  d.  R.  Dr.  Hugo  Schipek 
in  Wien.  —  Dr.  Ignaz  Grasse,  jubiliiter  k.  k.  Bezirksarzt  und 
gewesener  Landtagsabgeordneter  für  die  Stadt  Reichenberg. 

* 

ln  Hamburg  ist  durch  die  Redaction  der  Fortschritte  auf  dem 
Gebiet  der  Röntgen-Strahlen  eine  Auskunftsstelle  für  alle  auf  die 
Anwendung  der  Röntgen-Strahlen  sich  beziehenden  Angelegenheiten 
Ungerichtet  worden.  Fragen  mediciniseher,  physikalif eher  oder  tech¬ 
nischer  Art  werden  beantwortet,  und  soweit  dieselben  von  allgemeinem 


Interesse  sind,  in  der  Zeitschrift  publicirt.  Alle  Anfragen  sind  direct 
an  die  Redaction,  Dr.  Albers-Schönberg,  Esplanade  38, 
Hamburg,  zu  richten. 

* 

Die  Brochure :  Therapeutische  Indicationen  für 
interne  Krankheiten,  dessen  erste  Auflage  von  Dr.  Sch  weiger 
herausgegeben  worden  war,  ist  nun  von  Weiss  und  Schweiger 
neu  revidirt  in  zweiter  Auflage  bei  Seitz  &  Schauer  in  München 
erschienen. 

* 

Das  von  Dr.  C.  H.  S  t  r  a  t  z  bei  Enke  in  Stuttgart  heraus¬ 
gegebene  Werk  „Die  Schönheit  des  weiblichen  Körpers“, 
welches  bereits  in  Nr.  45,  1899  der  „Wiener  klinischen  Wochen¬ 

schrift“  eine  ausführliche  Besprechung  erfahren  hat,  ist  soeben  in 
siebenter  Auflage  erschienen. 

* 

Der  Privatdocent  für  Augenheilkunde  in  Wien,  Dr.  S.  Klein, 
ersucht  uns,  bekanntzugeben,  dass  er  in  Hinkunft,  um  Verwechslungen 
vorzubeugen,  seine  schriftstellerischen  Publicationen  als  „S.  Klein 
(Bäringer)“  unterzeichnen  werde. 

* 

Die  in  den  beiden  letzten  Jahren  neu  erbaute  Cur-  und  Wasser¬ 
heilanstalt  des  Dr.  K  o  n  r  i  e  d  in  Edlach  ist  nunmehr  seit  mehreren 
Wochen  im  Betriebe.  Die  Anstalt  hat  eine  landschaftlich  sehr  schöne 
Lage  am  Sixdabhange  der  Raxalpe  und  des  Schneeberges  in  600  tn  See¬ 
höhe.  In  der  Curanstalt  Edlach  finden  alle  Kranken  Aufnahme,  deren 
Leiden  sich  für  eine  Anstaltsbehandlung  eignen.  Auch  Erholungs¬ 
bedürftige  und  Reconvalescenten  finden  Aufnahme  bei  sorgfältiger 
Ueberwachung  und  geregelter  Diät.  Von  der  Aufnahme  sind  absolut 
ausgeschlossen:  Infectiouskrankheiten,  Psychosen  und  Epilepsie.  Als 
Curmethoden  kommen  in  Anwendung  das  gesammte  Wasserheilverfahren, 
Dampf-  und  Heissluftbäder,  elektrische  Licht-  und  Kohlensäurebäder, 
Luft-  und  Sonnenbäder,  alle  Medicinal bäder,  schwedische  maschinelle 
Heilgymnastik,  Massage  und  Elektrotherapie,  Mineralwasser-  und,  in 
besonderer  Berücksichtigung,  Diätcuren. 

* 

Aus  dem  Sanitätsbericlite  der  Stadt  Wien  irn  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  18.  Jahreswoche  (vom  29.  April 
bis  5.  Mai  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  581,  unehelich  303,  zusammen 
884.  Todt  geboren:  ehelich  61,  unehelich  27,  zusammen  88.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  802  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
25  2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  161,  Blattern  0,  Masern  20, 
Scharlach  0,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  5,  Typhus  abdominalis  4, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  35.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
62  ( —  8),  Masern  241  ( —  40),  Scharlach  50  (-)-  5),  Typhus  abdominalis 
10  ( —  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  31  (T-  2),  Croup  und 
Diphtherie  38  (-j-  5),  Pertussis  49  (-(-  16),  Dysenterie  0  ( —  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  ( —  1),  Trachom  14  (-|-  9),  Influenza  5  ( —  4). 


Freie  Stellen. 

Stadtarztesstelle  in  Falkenau  an  der  Eger,  Böhmen.  Jahres¬ 
gehalt  1200  K  (ohne  Anspruch  auf  einen  Ruhegehalt).  Der  Stadtarzt  hat 
in  dieser  seiner  Eigenschaft  sich  allen,  in  der  auf  Grund  des  Gesetzes  vom 
23.  Februar  1888,  L.  G.  Bl.  Nr.  9,  für  Gemeindeärzte  erlassenen  Dienst¬ 
instruction  enthaltenen  Obliegenheiten  zu  unterziehen.  Ausserdem  obliegt 
dem  Stadtarzte  die  unentgeltliche  Behandlung  der  städtischen  Beamten  und 
Diener  und  deren  Familienangehörigen,  der  einheimischen  Armen  und  der  im 
städtischen  Krankenhause  aufzunehmenden  Kranken.  Bewerber  deutscher 
Nationalität  haben  ihre  mit  dem  Heimatscheine,  dem  Diplome  über  den  er¬ 
langten  Doctorgrad  und  mit  den  Zeugnissen  über  die  bisherige  Verwendung 
belegten  Gesuche  bis  Ende  Mai  1.  J.  bei  dem  Bürgermeisteramte  in 
Falkenau  einzubringeu.  Der  Antritt  dieser  Stelle  hat  mit  1.  Juli  1900 
zu  erfolgen. 

Primararztesstelle.  An  der  neu  zu  errichtenden  Kinder- 
Abtheilung  des  Allgemeinen  Krankenhauses  in  Klagenfurt  ist  die  Stelle 
des  Primararztes  mit  einem  Jahresgehalte  von  200Ö  I\,  einer  Activitäts- 
zulage  von  400  K  und  dem  Ansprüche  auf  Quinquennalzulagen  von  400  K, 
die  in  die  Pension  eingerechnet  werden,  zu  besetzen.  Die  Besetzung  dieser 
Dienstesstelle  erfolgt  zunächst  provisorisch  und  steht  ihre  dauernde  Ver¬ 
leihung  dem  hohen  Landtage  zu.  Bewerber  um  die  erwähnte  Dienstesstelle 
haben  ihre  mit  dem  Taufscheine,  Heimatscheine  und  Doctordiplome  be¬ 
legten  gestempelten  Gesuche  unter  Nachweis  ihrer  StudieD,  sowie  ihrer  bis¬ 
herigen  mehrjährigen  ärztlichen  Verwendung  in  einem  Kinderspitale  bis 
längstens  15.  Juni  1900  beim  Unterzeichneten  Landesausschusse  unmittel¬ 
bar,  beziehungsweise  durch  ihre  Vorgesetzte  Dienstesbehörde  einzubringen 
Vom  kärntnerischen  Landesausschusse.  Klagenfurt.  am  10.  Mai  1900. 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


489 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


INHALT: 

Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  (18.  his 
Sitzung  vom  18.  Mai  1900.  21.  April.)  (Fortsetzung.) 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  5.  April  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  18.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Teleky. 

Schriftführer :  Dr.  Knauer. 

Dr.  Teleky  dankt  für  die  ehrende  Wahl  zum  Vorsitzenden 
der  Gesellschaft. 

Dr.  Anton  Bum  demonstrirt  eine  subacromiale 
intracapsuläre  Humerusluxation. 

Ich  habe  die  Ehre  einen  zehnjährigen  Knaben  vorzustellen, 
dessen  rechte  Oberextremität  im  Wachsthum  erheblich  zurückgeblieben 
ist  (Differenz  zwischen  kranker  und  gesunder  Seite:  Oberarm,  vom 
Acromion  bis  Olecranon  2  72,  Vorderarm,  Olecranon,  Eminentia  carpi 
ulnar.  2ll2,  Handlänge  1,  Clavicula  2ll2,  Spina  scapulae  1,  Thorax¬ 
umfang  1  cm)  und  auch  functioneile  Störungen  zeigt.  Patient  kann 
den  Arm  activ  nur  bis  zur  Horizontalen  heben;  auch  passiv  lässt 
sich  die  Excursion  im  Schultergelenke  in  dieser  Ebene,  sowie  bei  der 
Bewegung  nach  rückwärts  nur  um  wenige  Grade  vergrössern.  Auch 
im  Ellbogengelenke  ist  die  active  und  passive  Beweglichkeit  einge¬ 
schränkt. 

Die  Inspection  ergibt  zunächst  das  Fehlen  der  normalen  Schulter¬ 
wölbung;  die  Palpation  erweist  die  Abwesenheit  des  Humeruskopfes 
an  normaler  Stelle.  Dafür  findet  sich  unterhalb  des  Acromion  eine 
halbkugelförmige,  glatte,  harte  Hervorwölbung,  welche  die  Rotationen 
des  Humerus  mitmacht.  Es  ist  der  dislocirte  Humeruskopf,  der  mit 
dem  Pfannenrande  und  dem  Acromion  articulirt. 

Es  handelt  sich  um  eine  subacromiale  intracapsu¬ 
läre  Humerusluxation. 

Aus  der  Anamnese  geht  hervor,  dass  der  vorgestellte  Knabe 
in  Schädellage  mittelst  Forceps  geboren  wurde  und  unmittelbar  nach 
der  Geburt  nebst  einer  rechtsseitigen  Facialislähmung,  die  bald  ge¬ 
schwunden  ist,  Unbeweglichkeit  des  rechten  Armes  zeigte,  die  trotz 
langjähriger  Behandlung  sich  nur  sehr  langsam  besserte. 

Wir  haben  es  daher  mit  einer  traumatischen,  intra  partum  er¬ 
zeugten  Armlähmung  zu  thun,  als  deren  Folge  die  demonstrirte 
Humerusluxation  und  die  ausserdem  vorhandene  Subluxation  beider 
Vorderarmknochen  im  rechten  Ellbogengelenke  nach  vorne  aufzufassen 
ist.  Beide  Luxationen  sind  wohl  durch  Ueberwiegen  einzelner,  nicht  ge¬ 
lähmter  Muskelgruppen  gegenüber  gelähmten  Muskeln  —  also  als 
„paralytische“  Luxationen  aufzufassen,  die  secundär  zu  Stande 
gekommen  sind.  Ich  habe  mir  erlaubt,  den  wohl  nicht  allzu  häufig 
vorkommenden  Fall  hier  vorzustellen,  um  zu  zeigen,  wie  vorsichtig 
man  in  der  Deutung  von  Luxationen  sein  muss,  die  auf  den  ersten 
Blick  als  angeborene  imponiren.  Bekanntlich  gehören  angeborene 
Humerusluxationen  zu  den  grössten  Seltenheiten.  In  der  Literatur 
finden  sich  im  Ganzen  neun  Fälle,  wovon  drei  die  L.  subcoracoidea, 
zwei  die  L.  supraacromialis  und  vier  die  L.  subacromialis  (subspinosa) 
betreffen,  doch  sind  auch  unter  diesen  Fällen  einige  recht  zweifelhafte. 
Noch  seltener  sind  angeborene  Luxationen  beider  Vorderarmknochen 
im  Ellbogengelenke.  (Demonstration  der  Röntgenogramme  aus  den 
Instituten  Schiff-Freund  und  Raise  r.) 

Primararzt  Dr.  Schnitzler  stellt  einen  wegen  sub- 
cutaner  Darmruptur  laparatomirten  Patienten  vor. 

Der  23jälirige  Mann  war  am  21.  April  gegen  10  Uhr  Vormittags 
in  der  Weise  verunglückt,  dass  er,  ein  cira  35  kg  schweres 
Schaff  tragend,  ausglitt  und  nach  rückwärts  stürzte,  wobei  das  Schaff 
auf  sein  Abdomen  auffiel.  Er  schleppte  sich  mühsam  in  seine  Kammer 
und  suchte  das  Bett  auf.  Nachmittags  wurde  er  auf  die  Abtheilung  des 
Vortragenden  gebracht.  Damals  bestanden  keinerlei  schwere  Erschei¬ 
nungen,  der  Puls  war  gut  und  von  normaler  Frequenz.  Erbrechen  war 
nicht  aufgetreten.  Erst  am  22.  April  Morgens  sah  Schnitzler  den 
Verletzten.  Auch  jetzt  war  das  Allgemeinbefinden  ein  gutes,  Tempe¬ 
ratur  und  Puls  normal,  Sensorium  ganz  frei;  der  Verletzte  machte 
durchaus  nicht  den  Eindruck  eines  schwer  Kranken.  Doch  war 
Morgens  einmal  Erbrechen  aufgetreten,  die  rechte  Unterbauch¬ 


gegend  war  druckempfindlich  und  durch  excessive  Muskel¬ 
spannung  resistenter,  der  Schall  in  der  Ileocöcalgegend  gedämpft. 
Daher  entschloss  sich  Schnitzler  zur  sofortigen  Laparotomie, 
die  24  Stunden  nach  dem  Trauma  in  Chloroformnarkose  ausgeführt 
wurde.  Medianschnitt  unterhalb  des  Nabels.  Präperitoneales  Zellgewebe 
ödematös.  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  entleert  sich  eiterige,  mit 
Dünndarminhalt  gemengte  Flüssigkeit,  die  im  rechten  Hypogastrium 
in  grossen  Mengen  angesammelt  und  nirgend  durch  festere  Adhäsionen 
abgegrenzt  war.  Die  Dünndärme  werden  entwickelt,  zeigen  sich 
überall  mit  fibrinös-eiterigem  Belag  bedeckt,  nicht  stark 
gebläht.  Im  Bereich  des  mittleren  Ileum  eine,  an  der  convexen  Darm¬ 
wand  gelegene,  bohnengrosse  Perforationsöffnung,  aus  der 
Darminhalt  quillt.  Keine  weitere  Darm-  oder  Mesenterialverletzung. 
Naht  der  Darmwunde.  Gründliche  Ausspülung  der  Bauch¬ 
höhle  und  Irrigation  der  vorgelagerten  Dünndärme  mit  heisser 
6°/0iger  Kochsalzlösung.  Einführung  von  dicken  Drains  und  Jodoform¬ 
gazetampons  in  den  Douglas  und  das  rechte  Hypogastrium.  Ver¬ 
kleinerung  der  Bauchwunde.  Glatte  Heilung  bis  auf  einen  heute 
noch  bestehenden  Granulationsstreifen.  Schnitzler  bespricht  die 
Schwierigkeiten  der  Indicationsstellung  zur  Operation  bei  subcutanen 
Bauchverletzungen  und  erwähnt  die  diesbezügliche  Discussion  auf  dem 
diesjährigen  Chirurgencongress.  Besonders  verhängnisvoll  ist  der  Um¬ 
stand,  dass  oft  trotz  schon  ausgebreiteter  Peritonealinfection  das  All¬ 
gemeinbefinden  des  Verletzten  ein  irreführend  gutes  ist.  Von  Wichtigkeit 
ist  die  umschriebene  Schmerzhaftigkeit  und  Contraction  der  Bauchwandung. 
Schnitzler  ist  für  frühzeitige  Eingriffe  bei  subcutanen  Bauch  Verletzungen, 
sobald  eine  Darmverletzung  (respective  Verletzung  von  Leber  oder  Milz) 
nicht  mit  Sicherheit  auszuschliessen  ist.  Die  Statistik  zeigt,  dass  mit  dem 
Zuwarten  die  Chancen  des  Eingriffes  sich  rapid  verschlimmern.  So  hat 
Angerer  von  neun  operirten  Darmrupturen  nur  zwei  geheilt,  bei 
welchen  die  Laparotomie  fünf,  respective  neun  Stunden  post  trauma 
ausgeführt  wurde.  König  konnte  schon  sechs  Stunden  post  trauma 
bei  der  Laparotomie  Peritonitis  finden.  Vor  mehreren  Jahren  hat 
J  a  h  o  d  a  hier  zwei  Fälle  vorgestellt,  bei  welchen  die  Laparotomie 
noch  25,  respective  80  Stunden  nach  der  Verletzung  noch  zur  Heilung 
führte,  doch  sind  solche  Fälle  wohl  nur  als  glückliche  Ausnahmsfälle 
zu  betrachten. 

Im  Anschluss  hieran  berichtet  Schnitzler  über  eine  zweite, 
vor  11  Tagen  von  ihm  operirte  Darmverletzung,  die  durch  ihre  Ent¬ 
stehung  interessant  ist.  Ein  20jähriger  Schlosser  bearbeitete  mit  dem 
Hammer  ein  Stück  Eisenblech.  Da  sprang  ein  Stück  davon  ab  und 
drang  durch  Rock,  Hose,  Hemd  und  Unterhose  durch  in  den  Bauch 
des  Verletzten,  der  sofort  zusammenstürzte  und  bald  darauf  auf 
Schnitzle  r’s  Abtheilung  gebracht  wurde.  Schnitzler  sah  ihn 
D/2  Stunden  nach  dem  Unfall.  Der  Mann  war  im  tiefen  Shock,  hatte 
kleinen,  frequenten  Puls,  erbrach,  war  halb  benommen  und  stöhnte 
fortwährend.  Rechts  und  unterhalb  des  Nabels  ragte  aus  einer  circa  D/2  cm 
langen  Hautwunde  ein  Stückchen  Netz  heraus.  Sofortige  Laparo¬ 
tomie.  Nach  Erweiterung  der  Wunde  quillt  viel  Blut  aus  der 
Peritonealhöhle.  Absuchen  des  Darmes.  Im  Bereiche  des  untersten 
Ileum  eine  Darmschlinge  vorne  auf  ein  Dritttheil  der  Circumferenz 
scharfrandig  durchtrennt,  die  Wunde  reicht  bis  in  den  Mesen¬ 
terialansatz;  daselbst  eine  blutende  Arterie.  Ligatur  des  Gefässes, 
Darmnaht.  Auf  dem  Mesenterium  liegt  das  (demon¬ 
strirte)  Stück  Eisenblech,  das  kaum  2  mm  stark  und  unregel¬ 
mässig  rund  ist  und  dessen  Durchmesser  1 4  cm  beträgt.  Ausspülung 
der  Unterbauchgegend,  Tamponade,  partielle  Bauchdeckennaht.  Patient 
ist  auf  dem  Wege  der  Besserung.  Bemerkenswerth  ist  in  diesem  Falle, 
dass  ein  Stückchen  Eisenblech  durch  einen  einfachen  Hammerschlag 
mit  projectilähnlicher  Gewalt  durch  die  Kleidung  hindurch  in  das 
Abdomen  eindrang  und  eine  schwere  Verletzung  erzeugen  konnte. 
Die  Indication  zum  Eingriff  war  hier  schon  durch  den  Netzprolaps 
gegeben. 

Prof.  Weinlechner  stellt  einen  50jährigen  Kürschner  aus  Galizien 
vor,  welcher  von  Hofrath  v.  Schrotte  r’s  Klinik  an  seine  Abtheilung 
transferirt  wurde,  mit  der  Bemerkung,  dass  durch  die  Function  und 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


mikroskopische  Untersuchung  Sk  ol  ices  von  Echinococcus, 
linken  und  Membranen  in  einer  Bauchgeschwulst  nachgewiesen 
worden  seien.  Patient  gab  an,  dass  er  vor  18  Jahren  zuerst  in  der 
Gegend  der  Milz  eine  harte  Geschwulst  bemerkt  habe,  nach  sechs 
Jahren  sei  eine  ähnliche  auch  in  der  Lebergegend  aufgetreten.  Schmerzen 
habe  er  erst  im  Februar  1.  J.  in  erwähnenswerther  Weise  beobachtet. 
Mit  Hunden  habe  er  nie  etwas  zu  schaffen  gehabt,  mit  Ilundefellen 
wohl,  die  aber  präparirt  aus  Amerika  angekommen  seien. 

Der  Status  ist  folgender:  Der  Bauch  ist  besonders  im  oberen 
Antheilo  ausgedehnt,  allem  Anscheine  nach  bedingt  durch  zwei  ungleich 
grosse  Geschwülste,  welche  der  Leber  und  Milz  anzugehören  scheinen. 
Beide  Geschwülste  treffen  in  der  Nabellinie  ober  dem  Nabel  zu¬ 
sammen. 

Vier  Finger  breit  drängt  sich  der  Leberantheil  ein  paar 
Querfinger  nach  links  herüber ;  nach  oben  reicht  er  bis  zur  fünften 
Kippe  und  geht  dann  horizontal  über  die  sechste  bis  achte  Rippe  hin¬ 
über,  füllt  die  obere  rechte  Lendengegend  aus,  den  hinteren  Brust- 
antheil  meist  freilassend,  und  reicht  nach  abwärts  bis  zur  Nabelhöhe. 
Der  Milzantheil  der  Geschwulst  geht  vom  Nabel  schräg  herunter 
bis  zur  Spina  ant.  sup.,  reicht  vorne  in  der  Mamillarlinie  bis  zur  fünften 
Kippe  und  geht  dann  schräg,  den  linken  Brustantheil  frei  lassend, 
herab  in  die  linke  Lendengegend,  die  hier  weniger  erfüllt  ist,  als  auf 
der  rechten  Seite. 

Grösster  Umfang  zwischen  Processus  xiphoides  und  Nabel  .  110  cm 

„  „  in  der  Nabelhöhe . 98  cm 

„  „  an  der  Basis  des  Processus  xiphoides  .  .  100  cm 

Distanz  vom  Processus  xiphoides  zur  Symphyse . 54  cm. 

Die  Milzgeschwulst  zeigt  knollige  Vorwölbungen  in  Form  seichter 
Abschnitte  einer  Billardkugel  und  darüber,  von  verschiedener  Consi- 
stenz.  An  dem  Leberantheile  de3  Tumors  sind  solche  Consistenzdiffe- 
renzen  wohl  vorhanden,  aber  weniger  ausgeprägt,  wie  links,  die 
Geschwulst  mehr  flach. 

Kein  Ascites,  ödematöse  Schwellung  in  den  unteren  Extremitäten 
bis  in  die  Höhe  des  Kniegelenkes.  Wenn  der  Patient  aufsitzt,  drängt 
sich  der  Bauch  in  der  Linea  alba  hernienartig  vor. 

Prof.  Weinlechner  ist  der  Ansicht,  dass  in  der  Milz  der 
Echinococcus  multipel  vorhanden  sei,  dagegen  scheint  in  der  Leber 
ein  grösserer  Sack  vorhanden  zu  sein,  doch  sei  die  Mehrzahl  der  Säcke 
nicht  ausgeschlossen. 

Was  die  Therapie  anlangt,  so  sei  er  mit  den  Erfolgen  seiner 
Behandlung  an  der  Leber  und  Niere  recht  wohl  zufrieden.  Bei  grösseren 
Säcken  punctirte  er  mit  einer  Art  F 1  o  u  r  a  n  t’schen  Troikart  und  liess 
die  Doppelrohre  liegen;  in  den  letzten  Jahren  habe  er  die  übliche  In¬ 
cision  mit  Peritonealnaht  zweizeitig  geübt,  bei  kleineren  multiplen 
Fällen  Jod  injicirt  oder  punctirt  und  die  Canule  dauernd  liegen 
gelassen. 

In  diesem  Falle  wäre  die  Splenektomie  indicirt,  wenn  der 
Kranke  nicht  sichere  Garantie  der  Heilung  als  Bedingung  stellen 
würde.  Rechterseits  an  der  Leber  würde  er  den  grösseren  Sack  nach 
Peritonealnaht  incidiren,  denn  die  Leberfläche  ist  mit  der  vorderen 
Bauchwand  nicht  verwachsen.  Vorläufig  ist  Patient  jedem  operativem 
Eingriff  abhold. 

Docent  Dr.  Spiegler  demonstrirt  aus  seiner  Abtheilung  des 
Kaiser  Franz  Josef-Ambulatoriums  einen  60jährigen 
Mann,  dessen  Körperoberfläche  mit  Hunderten  linsen-  bis  baselnuss¬ 
grossen  Knoten  von  Molluscum  fibrosum  bedeckt  ist.  In  Be¬ 
ziehung  auf  Heredität  ist  nichts  eruirbar. 

Docent  Dr.  L.  Rethi  hält  seinen  angekündigten  Vortrag  über: 
Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Luft¬ 
strömung  in  der  normalen  Nase,  sowie  bei  patho¬ 
logischen  Veränderungen  derselben  und  des  Nasen- 
Kachenra  u  m  e  s. 

Nach  einer  kurzen  übersichtlichen  Darlegung  der  Ansichten 
früherer  Autoren  und  der  Anführung  der  bisherigen  Forschungen  legt 
der  Vortragende  die  Ergebnisse  seiner  experimentellen  Untersuchungen 
vor,  die  er  im  physiologischen  Institute  der  Wiener  Universität  aus¬ 
geführt  hat.  Die  Versuche  wurden  an  menschlichen  Leichenköpfen 
vorgenommen,  doch  bezogen  sie  sich  nur  zum  geringen  Theile  auf  die 
normale  Nase,  und  grössere  Aufmerksamkeit  wurde  jenen  Versuchen 
zugewendet,  die  sich  auf  die  Luftströmung  beim  Vorhandensein  von 
pathologischen  Veränderungen  in  der  Nase  sowohl,  als  auch  im  Nasen- 
Rachenraum  beziehen.  Die  Versuche  wurden  theils  an  frischen,  theils 
an  Trockenpräparaten  vorgenommen;  an  letzteren,  weil  pathologische 
Veränderungen  in  der  Nase,  im  Nasen-Rachenraum,  sowie  an  der 
äusseren  Nase  durch  Wachsmodellirung  leicht  künstlich  nachgeahmt 
werden  konnten.  Der  Schädel  wurde  median  auseinandergesägt,  die 
äussere  Nasenwand  mit  Lakmuspapier  belegt  und  nach  Verschluss  von 
innen  her  durch  eine  hermetisch  sehliessende  Glasplatte  theils  Ammoniak¬ 
dämpfe,  theils  Tabakrauch  durchgeleitet,  entweder  aspirirt,  oder  im 
Sinne  der  Ausathmung  herausgetrieben,  so  dass  der  Luftweg  direct 


verfolgt,  oder  durch  die  Bläuung  des  Lakmuspapieres  festgestellt 
werden  konnte. 

Die  Resultate  dieser  Untersuchungen,  welche  der  kaiserlichen 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  am  15.  Februar  d.  J.  vorgelegt 
wurden,  sind  folgende:  In  der  normalen  Nase  dringt  die 
Luft  bei  der  Inspiration  senkrecht  auf  die  Ebene 
der  äusseren  Nasenlöcher  ein,  prallt  am  Septum  an 
und  strömt  im  Bogen  am  vorderen  Ende  der  mittleren 
Muschel  vorbei,  nach  innen  von  derselben,  zum  Tlieil 
über,  zum  Theil  unter  derselben  fast  bis  zur  oberen 
Fläche  der  unteren  Muschel,  hauptsächlich  durch 
den  mittleren  Nasen  gang  nach  hinten  in  den  Nasen-Rachen¬ 
raum.  Am  geringsten  ist  die  Luftbewegung  unter  dem  Nasendache. 
Ebenso  ist  die  Luftströmung  bei  der  Exspiration.  Bei  Stumpfnase  flacht 
sich  der  Bogen  ab.  Auch  bei  relativ  weiten  Nasengängen  und  weiter 
Rima  olfactoria  ist  der  Luftstrom  im  Wesen  derselbe  und  der  inner¬ 
halb  normaler  Grenzen  verbleibende  Turgor  der  Nasenschleimhaut  übt 
hierauf  keinen  merkbaren  Einfluss  aus. 

Die  Nebenhöhlen  betreffend  zeigte  sich,  dass  die  Luftbewegung 
in  denselben  nicht  nur  von  der  Stärke  und  dem  Wechsel 
der  Luftströmung,  sondern  insbesondere  auch  von 
der  Grösse  der  Oeffnung,  der  Art  der  Einmündung 
und  der  Configuration  der  nächsten  Umgebung 
abhängt. 

Zur  Untersuchung  der  Luftströmung  beim  Vorhandensein  von 
pathologischen  Veränderungen  wurden  partielle  oder  totale  Ver¬ 
dickungen,  Auswüchse  der  Nasenscheidewand,  adenoide  Wucherungen 
am  Rachendach  etc.  künstlich  nachgeahmt.  Es  ergab  sich,  dass  die 
Luft  entsprechend  den  sich  entgegenstellenden 
Hindernissen  abgelenkt  wird,  dass  sie  aber  stets 
die  Tendenz  hat,  die  normale  Richtung  beiz  u  be¬ 
halten.  So  strömt  z.  B.  die  Luft  bei  Hypertrophie  der 
mittleren  Muschel,  das  Septum  berührenden  Polypen,  haupt¬ 
sächlich  unterhalb  und  zum  Theil  auch  über  den¬ 
selben  nach  hinten.  Beim  Vorhandensein  von  adenoiden  Vege¬ 
tationen  fällt  der  Luftstrom  hinten  steil  in  den  Nasen-Rachenraum  ab. 
Bei  Hypertrophie  der  unteren  Muschel  in  ihrer 
Mitte  strömt  die  Luft  wie  in  der  normalen  Nase; 
sind  jedoch  die  Enden  dieser  Muschel  bedeutend 
vergrössert,  so  erleidet  die  Richtung  des  Luft¬ 
stromes  eine  Ablenkung.  Resection  der  unteren 
Muschel  ändert  nichts  Wesentliches  und  der  Luft¬ 
strom  erreicht  nicht  die  Resection  sstelle. 

Eine  Berührung  des  Luftstromes  mit  der  unteren  Muschel  kommt 
also  nur  bei  beträchtlichen  pathologischen  Veränderungen,  bedeutenden 
Verdickungen  der  Muschelenden  oder  oberhalb  dieser  Muschel  vor. 

Diese  Ergebnisse  stimmen  mit  den  klinischen  Erfahrungen  voll¬ 
kommen  überein,  denn  man  sieht  oft  bedeutende,  den  ganzen  unteren 
Nasengang  ausfüllende  Hypertrophien  der  unteren  Muschel  ohne  sub- 
jectives  Gefühl  der  Nasenstenose  und  andererseits  bedeutende  Nasen¬ 
stenose  bei  freiem  unteren  Nasengang,  dann  nämlich,  wenn  die  mittlere 
Muschel  verdickt  ist,  wenn  adenoide  Vegetationen  oder  Hypertrophien 
der  unteren  Muschel  vorhanden  sind. 

Demnach  kann  die  Schleimhaut  der  unteren 
Muschel  auf  die  Beschaffenheit  der  durchströmen¬ 
den  Luft  keinen  wesentlichen  Einfluss  üben  und 
diese  weder  wesentlich  erwärmen,  noch  wesentlich 
befeuchten  und  auch  eine  mehr  oder  minder  voll¬ 
ständige  Abtragung  derselben  wird  in  dieser  Rich¬ 
tung  keine  nennenswerthen  Veränderungen  zur 
Folge  haben. 

In  der  That  geben  fast  alle  Autoren  an,  nach  Resection  der 
unteren  Muschel  nie  irgend  welche  nachtheiligen  Folgen,  z.  B.  subjectiv 
oder  objectiv  wahrnehmbare  Trockenheit  des  Rachens  und  des  Kehl¬ 
kopfes  gesehen  zu  haben.  Auch  der  Vortragende  sah  nie  nach 
einem  solchen  operativen  Eingriffe  unangenehme 
Folgeerscheinungen,  und  wenn  dennoch  Einzelne  angeben, 
Trockenheit  in  den  tiefer  gelegenen  Schleimhäuten  gesehen  zu  haben, 
so  wäre  es  möglich,  dass  dieser  Zustand  schon  früher  vorhanden  war 
und  die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  nach  Wiederherstellung  der 
Nasenathmung  mehr  auf  den  Rachen  gelenkt  wurde  und  die  Trocken¬ 
heit  trotz  radicalen  Eingriffes  in  der  Nase  sich  dann  noch  zu  höherem 
Masse  weiter  entwickelte. 

Dr.  Adolf  Jolles  :  Ueber  eine  einfache  und  zuver¬ 
lässige  Methode  zur  quantitativen  Bestimmung  der 
Harnsäure,  sowie  der  Purinbasen  (Alloxurbasen)  im 
Harn  e. 

Nach  einer  eingehenden  Besprechung  der  Fortschritte,  welche 
die  Chemie  der  Purinkörper  in  den  letzten  Jahren  gemacht  bat,  be¬ 
spricht  Vortragender  eingehend  die  Harnsäure,  das  Hypoxanthin, 
Xanthin,  sowie  das  Adenin,  welche  wegen  ihres  Vorkommens  in  den 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Geweben  und  im  Harne  für  die  Physiologie  von  besonderer  Wichtig¬ 
keit  sind,  ferner  die  methylirten  Körper  dieser  Gruppe,  wie  Theobromin 
und  Coffein,  die  in  Anbetracht  ihrer  Wirkungen  auf  den  Organismus 
ein  hervorragendes  Interesse  beanspruchen.  Dr.  J  oll  es  legt  hierauf 
die  Ansichten  dar,  welche  nach  den  Arbeiten  von  Medicus  und 
Fischer  über  die  Structur  dieser  Körper  jetzt  allgemein  angenommen 
sind,  und  nach  welchen  diese  Körper  als  Derivate  des  von  E.  Fisch  er 
dargestellten  Pur  ins 

N  =  CH 

I  I 

HC  C  —  N  \ 

II  II  CH 

N  —  C  —  NH/ 

aufzufassen  sind,  somit  also  untereinander  in  sehr  nahen  Beziehungen 
stehen,  wie  das  ja  auch  durch  die  in  den  letzten  Jahren  gelungenen 
Ueberführungen  der  einzelnen  Glieder  dieser  Gruppe  ineinander  ex¬ 
perimentell  bestätigt  worden  ist.  Harnsäure,  Xanthin  und  Hypoxanthin 
sind  sauerstoffhaltige  Derivate,  Adenin  ein  Amidoderivat,  des  Purins. 
Durch  Einführung  von  Methylgruppen  in  bestimmter  Stellung  in  das 
Xanthin  entstehen  endlich  die  Methylxanthine,  unter  denen  das  Theo¬ 
bromin  und  das  Coffein  die  bekanntesten  sind.  Im  Anschlüsse  an  die 
Besprechung  der  chemischen  Constitution  erläutert  Vortragender 
das  Vorkommen  dieser  Körper  im  Harne.  Harnsäure,  Xanthin,  Hypo¬ 
xanthin,  Adenin  sind  Spaltungsproducte  des  Organismus  und  die 
Grösse  ihrer  Ausscheidung  aus  dem  menschlichen  Organismus  gibt  uns 
einen  Massstab  für  die  Grösse  des  Zerfalles  der  Zellkerne;  die 
methylirten  Derivate  hingegen  stammen  ausschliesslich  aus 

der  Nahrung,  zumal  aus  den  Genussmitteln.  Hiebei  sind  interes¬ 
sante  Beobachtungen  gemacht  worden,  dahin  gehend,  dass  im 
Organismus  eine  theilweise  Abspaltung  der  Methylgruppen  statt¬ 
findet,  so  dass  die  aufgenommenen  methylirten  Körper  im  Harne 
zum  Theil  entmethylirt  wiedergefunden  werden.  Zur  Bestimmung  dieser 
wichtigen  Körperclasse  sind  eine  grosse  Anzahl  Methoden  vorgeschlagen 
worden,  die  meist  aber  sehr  unsichere  Resultate  ergaben,  indem  zum 
Theil  die  Fällungen  nicht  genügend  quantitativ  waren,  zum  Theil 
andere  im  Harne  befindliche  Körper,  wie  Farbstoffe,  Eiweiss  Fehler 
in  der  Bestimmung  herbeiführten.  Nachdem  Vortragender  mit  der  von 
ihm  vorgeschlagenen  Methode  zur  Harnsäurebestimmung,  welche  in 
extenso  in  den  Berichten  der  Akademie  der  Wissenschaften  erschienen 
ist,  sehr  günstige  Resultate  erhalten  hatte,  versuchte  er,  dasselbe 
Princip  auf  die  Bestimmung  der  Purinbasen  im  Harne  anzuwenden, 
und  erzielte  ebenso  gute  Erfolge.  Ebenso  wie  die  Harnsäure  durch 
Oxydation  mit  Permanganat  unter  Einhaltung  bestimmter  Bedingungen 
ihren  gesammten  Stickstoff  in  Form  von  Harnstoff  wiederfinden  lässt, 
der  dann  entweder  als  oxalsaurer  Harnstoff  gewogen  werden  kann, 
oder  bei  dem  man  den  aus  ihm  durch  Bromlauge  entwickelten  Stick¬ 
stoff  bestimmen  kann,  so  wird  auch  bei  den  im  Harne  vorkommenden 
Purinbasen  der  ganze  Stickstoff  (wie  beim  Xanthin),  oder  der  grösste 
Theil  (wie  beim  Adenin)  nach  der  Oxydation  durch  Bromlauge  ent¬ 
wickelt  und  auf  diese  Thatsache  hat  Vortragender  seine  Methode  zur 
Bestimmung  der  Purinbasen  gegründet.  Zur  Abscheidung  der  Purin¬ 
basen  aus  dem  Harne  verfährt  man  analog  der  Ludwig-Salkowski- 
sclien  Methode,  indem  man  zur  Isolirung  dieser  Körper  die  Silber- 
Magnesium-Doppelsalze  verwendet.  Dieser  Silber-Magnesiumniederschlag 
wird  nun  für  sich  oder  eventuell  nach  Entfernung  des  Silbers  mit 
schwefelsaurer  Permanganatlösung  nach  genauer  Vorschrift  oxydirt, 
das  Oxydationsgemisch  neutralisirt,  im  Azometer  mit  Bromlauge  ver¬ 
setzt  und  der  freigemachte  Stickstoff  gemessen.  Diese  Zahl  gibt  also 
den  Stickstoff  der  Harnsäure  plus  Purinsäure  an.  Wenn  man  gleich¬ 
zeitig  aus  einer  ebenso  grossen  HarnmeDge  die  Harnsäure  durch  Fäl¬ 
lung  mit  essigsaurem  Ammon  isolirt  hat  und  genau  so  der  Oxydation, 
sowie  dem  Verfahren  im  Azotometer  unterzogen  hat,  so  lässt  sich  aus 
der  Differenz  der  beiden  Volumablösungen  des  Stickstoffes  der  Stick¬ 
stoffgehalt  der  Purinbasen  in  der  betreffenden  Harnprobe  ebenso  genau 
als  anschaulich  ablesen.  Das  Verhältniss  von  Harnsäure-N  zum  Purin- 
basen-N  be'wegt  sich  nach  den  Untersuchungen  des  Dr.  J  o  1 1  e  s 
auch  bei  normalen  Harnen  zwischen  weiten  Grenzen,  was  darauf 
zurückzuführen  ist,  dass  unter  den  Purinbasen  des  Harnes  auch 
die  methylirten  Purine,  welche  hauptsächlich  aus  der  Nahrung  stammen, 
gleichzeitig  zur  Bestimmung  gelangen.  Daher  sind  die  Zahlen,  welche 
für  den  Purinbasen-N  resultiren,  für  diagnostische  Zwecke  noch  mit 
grosser  Reserve  aufzufassen.  Nur  abnorm  hohe  Werthe  berechtigen,  auf 
einen  vermehrten  Zerfall  kernhaltigen  Materials  zu  schliessen.  Besonders 
werthvoll  erweisen  sich  die  Purinbasen-Bestimmungen,  wenn  dieselben 
in  Combination  mit  dem  Gesammt-N  durchgeführt  werden,  indem  Harne 
mit  relativ  niedrigem  Gesammt-N  und  erheblich  erhöhtem  Gehalt  an 
Purinkörper-N  auf  tiefgreifende  Degenerationen  im  Organismus  schliessen 
lassen.  So  hat  Vortragender  bei  zwei  Fällen  von  Magencarcinom,  bei 
einem  schweren  Typhusfall,  ferner  bei  perniciöser  Anämie  und  bei 
Leukämie  in  Uebereinstimmung  mit  anderen  Autoren  auffallend  hohe 
Zahlen  für  den  Purinbasen-N  gefunden. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  5.  April  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  O.  Chiari. 

Schriftführer:  Dr.  Hanszel. 

Der  Vorsitzende  begrüsst  als  Gäste  die  Herren  Doctoren  K  r  e  i  d  1, 
Pick,  Sachs  und  Dempsey. 

1.  Docent  Dr.  M.  Hajek:  Ich  stelle  hier  einen  Fall  von  com¬ 
pleter  rechtsseitiger  Reeurrenslähmung  vor,  in  welchem  das  Stimmband 
ausgeschweift  ist  und  weder  in  der  Phonations-,  noch  in  der  Respirations¬ 
stellung,  sondern  in  der  sogenannten  Cadaverstellung  d.  h.  in  der 
beiläufigen  Mittelstellung  zwischen  Phonations-  und  Respirationsstellung, 
unbeweglich  steht. 

Das  linke  Stimmband  überschreitet  bei  der  Phonation  die  Me¬ 
dianlinie,  um  an  das  rechte  heranzutreten. 

Es  wäre  an  dem  Falle  nichts  Bemerkenswerthes,  da  ja  dies  Bild 
allen  Laryngologen  zur  Genüge  bekannt  ist,  wenn  nicht  Herr  Docent 
Grossmann  in  seiner  Arbeit:  „Zur  Lehre  von  der  Posticuslähmung“ 
sagen  würde,  dass  man  die  Cadaverstellung  des  Stimmbandes  am 
Lebenden  überhaupt  niemals  sehen  könne.  Nun  ist  das  einfach  nicht 
richtig,  wie  auch  der  demonstrirte  Fall  zeigt. 

Es  ist  dabei  völlig  unfruchtbar,  zu  discutiren,  ob  diese  am 
Lebenden  als  Cadaverstellung  bezeichnete  Lage  des  Stimmbandes  haar¬ 
scharf  mit  der  Lage  des  Stimmbandes  am  Cadaver  übereinstimmen 
würde,  da  erstens,  wie  die  Messungen  an  der  Leiche  zeigen,  auch  am 
Cadaver  Schwankungen  in  der  Stimmbandposition  Vorkommen  und 
zweitens  für  die  Stellung  der  Stimmbänder  an  der  Leiche  noch  ge¬ 
wisse  Momente  der  Elasticität  und  der  Starre  beitragen. 

Es  ist  sehr  zweckmässig,  das  Wort  „Cadaverstellung“  auch 
für  Verhältnisse  am  Lebenden  beizubehalten,  weil  dadurch  die  Lage 
des  Stimmbandes  nach  Wegfall  der  bewegenden  Kräfte  (Adduction 
und  Abduction)  ausgezeichnet  zum  Ausdrucke  gebracht  wird. 

Discussion:  Docent  Dr.  Grossmann:  In  dem  demon- 
strirten  Falle  ist  ein  total  gelähmtes  Stimmband  in  mässiger  Adduction 
zu  sehen  und  diesen  Zustand  nenut  Herr  College  Hajek  „Cadaver¬ 
stellung“.  Eine  jedenfalls  unpassende  Bezeichnung,  weil  sie  sich  mit 
dem  Befunde  gar  nicht  deckt. 

Durch  eine  solche  willkürliche  Benennung  wird  jedoch 
die  Richtigkeit  meiner  Behauptung,  dass  bei  Reeurrenslähmung 
eine  Cadaverstellung  in  des  Wortes  buchstäblichem 
Sinne  „n  iemals“  Vorkommen  kann,  sicherlich  nicht  widerlegt, 
wenn  überhaupt  zugegeben  wird,  dass  ausser  dem  Recurrens  noch 
andere  Faetoren  den  Stand  des  Stimmbandes  bestimmen. 

Prof.  Chiari  konnte  bisher  keinen  Unterschied  zwischen  der 
Stellung  der  Stimmbänder  bei  Reeurrenslähmung  in  vivo  und  der  in 
cadavere  sehen. 

2.  Regimentsarzt  Dr.  Fein  macht  Mittheilung  von  einer  neuen 
Art  der  Therapie  bei  der  typischen  Form  der  Pachy¬ 
derm  i  a  1  a  r  y  n  g  i  s  mit  alkoholischer  Lösung  von  Acidum  salicylicum. 
Der  vorgestellte  62jährige  Patient,  welcher  unter  Anderem  an  Husten 
und  starker  Heiserkeit  litt,  zeigte,  als  er  im  September  1898  aut  die 
Abtheilung  für  Halskranke  der  Allgemeinen  Poliklinik  kam,  vor 
Beginn  der  Behandlung  „schalenförmige,  über  erbsengrosse  Geschwülste 
an  beiden  Processus  vocales“. 

Die  linke  Geschwulst  wurde  zum  Theile  abgetragen  und  histo¬ 
logisch  als  Pachydermie  erkannt.  Nun  wurde  der  Kranke  durch  einige 
Monate  mit  einer  I0°/Oigen  alkoholischen  Lösung  von  Salicylsäure  ge 
pinselt,  da  der  Vortragende  von  dem  Gedanken  ausging,  dass  diese 
Säure  auch  an  der  äusseren  Haut  Wucherungen  des  Epithels  zur 
Maceration  und  zur  Abstossung  bringe.  In  der  That  besserte  sich  der 
Zustand  sehr  rasch,  die  Geschwülste  wurden  kleiner  und  flacher  und 
jetzt  ist  der  Befund,  trotzdem  mit  der  Behandlung  fast  ein  Jahr  aus¬ 
gesetzt  wurde,  so  günstig,  dass  nur  eine  ganz  flache,  diffuse  A  er- 
dickung  an  beiden  Stimmbändern  zu  sehen  ist.  Die  Stimme  ist  klar 
und  rein  und  die  subjectiven  Beschwerden  sind  bis  auf  ein  Gefühl 
von  Kratzen  im  Halse,  das  jedoch  auf  die  Pharyngitis  lateralis  be¬ 
zogen  werden  dürfte,  geschwunden. 

Dieser  Erfolg  ist  jedenfalls  mit  Rücksicht  auf  die  Trostlosigkeit 
der  bisher  üblichen  therapeutischen  Massnahmen  sehr  günstig  zu 
nennen. 

Das  Medicament  wird  gut  vertragen,  wirkt  nicht  reizend  und 
wurde  endolaryngeal  nur  von  Dun  das  Grant  zur  Nachbehandlung 
bei  Papillomatosis  angewendet. 

Discussion:  Docent  Dr.  Roth  erkundigt  sich,  ob  dieser 
Patient  beruflich  viel  sprechen  müsse,  was  der  Vortragende  bejaht. 

Dr.  Oster  setzer  gibt  an,  dass  er  bei  Docenten  Dr.  Hajek 
schon  .seit  längerer  Zeit  in  Fällen  von  Pachydermie,  Sängerknötchen 
etc.  endolaryngeal  mit  Salicylsäure  behandelt. 

Prof.  Chiari  kennt  den  Fall,  ist  aber  mit  dem  Enderfolge  der 
Behandlung  nicht  ganz  zufrieden. 


492 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


Docent  Dr.  R  6  t  h  i  hebt  hervor,  dass  pachydermische  Wülste 
auch  spontan  schwinden,  allerdings  nicht  in  so  kurzer  Zeit,  wie  in 
dem  demonstrirten  Falle  am  rechten  Processus  vocalis,  und  erwähnt 
weiters  einen  Fall,  bei  dem  die  Wülste  binnen  2V2  Jahren  spontan 
beinahe  vollständig  schwanden.  In  dem  vorgestellten  Falle  scheinen 
die  Salicylsäurepinselungen  in  der  That  günstig  eingewirkt  zu  haben, 
da  sich  der  rechte  Wulst  schon  nach  etwa  dreimonatlicher  Behandlung 
verkleinert  hat. 

3.  Discussion  über  den  Vortrag  des  Docenten 
Dr.  Grossmaun:  Ueber  die  Function  des  Musculus 
crico-thyreoideus. 

Docent  Dr.  Rethi  betont  vorerst,  dass  der  Vortragende  die 
add  ucir  ende  Kraft  des  M.  crico-thyreoideus  über¬ 
schätzt;  faradische  Reizung  dieses  Muskels  ergibt  nebst  Spanung 
zwar  auch  Adduction,  doch  ist  diese  sehr  gering.  Es  ist  bekannt,  dass, 
wenn  die  Nn.  recurrentes  durchschnitten  sind,  Durchschneidung  der 
Nn.  laryngei  superiores  entweder  gar  keine  oder  nur  eine  sehr  gering¬ 
fügige  Glottiserweiterung  zur  Folge  hat  (K  e  1 1  n  e  r,  Katzenstein, 
Klemperer,  Burger).  Tritt  starke  Adduction  auf,  so  führt  sie 
Rethi  auf  Stromschleifen  zurück,  welche  entweder  direct  auf  die 
Glottisschliesser  (M.  crico-aryt.  later.)  überspringen  oder  auf  sensible 
Nerven,  von  denen  dann  Reflexe  in  den  Schliessern  und  im  M.  con¬ 
strictor  pharyngis  inf.  ausgelöst  werden. 

Eine  Spalte  oder  Lücke  zwischen  den  Arytänoid- 
knorpeln,  die  nach  Grossmann  für  Crico-tbyreoideuslähmung 
charakteristisch  sein  soll,  ist  nach  Ausschaltung  dieses  Muskels  bei 
der  Phonation  nicht  vorhanden.  Dass  eine  Lücke  zwischen  den 
Arytänoidknorpeln,  wie  Grossmann  sagt,  bisher  allgemein  für  eine 
Lähmung  des  M.  crico  aryt.  lat.  gehalten  wurde,  hält  übrigens  Rethi 
für  einen  Lapsus  linguae,  beziehungsweise  calami;  ein  solches  Dreieck 
„dessen  Spitze  die  beiden  sich  berührenden  Proc.  vocales  und  dessen 
Basis  die  Interarytänoidalfalte  bildet“  gilt  doch  allgemein  als  Trans- 
versus-  und  nicht  als  Lateralislähmung. 

Die  Bezeichnung  „Cadaverstellung“  kann  man  vorderhand,  da 
man  ja  weiss,  was  darunter  zu  verstehen  ist,  beibehalten,  obwohl 
diese  Stellung  mit  der  in  der  Leiche  nicht  völlig 
identisch  ist,  da  in  vivo  noch  verschiedene  Factoren  mitwirken, 
die  in  cadavere  entfallen;  im  Uebrigen  ist  auch  in  der  Leiche  die 
Stimmbandstellung  nicht  immer  gleich,  und  zwar  nicht  nur  bei  ver¬ 
schiedenen  Thiergattungen,  sondern  auch  bei  Thieren  derselben 
Species. 

Was  die  phonatorischen  Störungen  betrifft,  von  denen  die  ganze 
Discussion  eigentlich  ausging,  so  konnte  der  vorgeführte  Hund  aller¬ 
dings  weder  vor  noch  nach  der  Durchschneidung  des  N.  laryngeus 
sup.  zur  Phonation  gebracht  werden;  dagegen  war  das  demonstrirte 
Kaninchen  auch  nach  der  Durchschneidung  durchaus  nicht  stimmlos  und 
aus  den  Angaben  älterer  Autoren  (Dupuytren,  L  0  n  g  e  t,  Bose, 
Schmidt,  S  c  h  e  c  h)  ist  ebenfalls  zu  ersehen,  dass  Ausschaltung 
des  M.  crico-thyreoideus  keine  Aphonie  zur  Folge  hat. 
(Das  o.  privativum  besagt  ja  einen  vollständigen  Verlust  der  Stimme.) 
Tritt  ja  eine  solche  nicht  immer  ein,  selbst  wenn  alle  vier  Kehlkopf¬ 
nerven  durchschnitten  wurden,  und  doch  soll  der  Hund,  wie  Gross¬ 
mann  angibt,  nach  alleiniger  Ausschaltung  der  Mm.  crico-thyreoidei 
nur  mehr  „hauchen“!  Beim  Kaninchen  war  der  Stimmunterschied  vor 
und  nach  Durchreissung  der  Nn.  laryngei  sup.  so  gering,  dass  man 
nicht  mit  Sicherheit  sagen  konnte,  ob  der  M.  crico-thyreoideus  gerade 
faradisirt  wurde  oder  nicht.  Allerdings  war  der  N.  laryng.  medius,  der 
sich  bei  diesen  Thieren  an  der  motorischen  Innervation  dieses  Muskels 
betheiligt,  in  diesen  beiden  Fällen  unberücksichtigt  geblieben. 

Berühren  sich  die  Proc.  vocales,  sehen  die  Stimmbänder  normal 
aus,  ist  weder  eine  Lähmung  des  M.  vocalis  oder  transversus,  noch 
eine  spastische  Aphonie  vorhanden  und  ist  der  Exspirationsdruck  ein 
genügender,  so  wird  keine  Aphonie  vorhanden  sein,  auch  wenn  der 
M.  crico-thyreoideus  gelähmt  ist. 

Es  ist  ein  Irrthum,  zu  glauben,  der  M.  cricothyreoideus  sei  der 
einzige  Stimmbandspanner  oder  vielmehr  der  einzige  Muskel,  der  die 
Stimmbänder  in  einen  ensprechend  vibrationsfähigen,  für  die  Phonation 
günstigen  Zustand  versetzen  kann.  Rethi  weist  auf  die  experimentellen 
Untersuchungen  über  Messung  der  Stimmbandspannung  hin,  deren  Er¬ 
gebnisse  er  in  den  Sitzungsberichten  der  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Wien  vor  drei  Jahren  publicirt  hat.  In  einem  Falle  ergab  Crico- 
thyreoideus-Contraction  eine  Stimmbandspannung  von  480  g  und  die 
des  M.  vocalis  150 g,  in  einem  zweiten:  230  und  120  g,  d.  h.  die 
Spannung  oder  Festigkeit  betrug  in  dem  zweiten  Falle  bei  Internus- 
Contraction  mehr  als  die  Hälfte  der  Crico-thyreoidous-Spannung.  Nun 
muss  man  aber  noch  berücksichtigen,  dass  die  Muskeln  nicht  isolirt 
wirken  und  wenn  nun  die  Stimmbänder  und  Arytänoidknorpel  an¬ 
einander  gepresst  werden,  wenn  der  M.  crico-arytaen.  post,  mit  seiner 
nach  hinten  wirkenden  Componente  in  Action  tritt  und  geradezu  wie 
ein  Spanner  im  Sinne  des  M.  cricothyreoideus  wirkt,  quasi  auch 
Phonationsmuskel  ist,  so  wird  der  M.  vocalis  umso  grössere  Wirkung 


entfalten  können  und  doch  war  schon  bei  alleiniger  Contraction 
des  M.  vocalis  —  denn  die  Thiere  waren  curarisirt  —  die  Spannung, 
d.  h.  die  Festigkeit  des  Stimmbandes,  auf  die  es  ja  bei  Betrachtung 
der  Phonationsfähigkeit  ankommt,  eine  so  bedeutende. 

Wohl  soll  nicht  alles  vom  Thierexperimente  auf  den  Menschen 
übertragen  werden;  sind  ja  oft  bedeutende  Unterschiede  vorhanden: 
so  haben  z.  B.  gewisse  Thiergattungen  einen  N.  laryngeus  medius; 
der  Hund  hat  ganz  andere  Respirationsphasen ;  Reizung  des  N.  recurrens 
mit  mittelstarken  Strömen  ergibt  beim  Hunde  Glottisschluss,  bei  der 
Katze  Oetfnen  der  Glottis  etc.  Was  aber  die  phonatorischen  Störungen 
betrifft,  ist  volle  Analogie  vorhanden ;  eine  rauhe,  veränderte, 
heisere  Stimme  ist,  wie  wir  wissen,  Folge  der  Crico- 
thyreoideus-Ausschaltung,  nicht  aber  Aphonie;  es 
kommt  hiedui'ch,  und  das  ist  ja  das  Wesentliche,  nie  zu  einem  voll¬ 
ständigen  Verlust  der  Stimme,  wie  man  dies  z.  B.  bei  einer  hysterischen 
Aphonia  paralytica  so  oft  sieht,  wenn  nicht  etwa  durch  den  operativen 
Eingriff  Oedeme  oder  Suffusionen  im  Kehlkopfinnern  entstehen,  welche 
die  Stimme  aufheben. 

Schliesslich  erwähnt  Rethi,  dass  er  bei  Besprechung  des  Falles 
von  Roth,  in  welchem  Aphonie  vorhanden  war  und  sich  die  Taschen¬ 
bänder  bei  jedem  Phonationsversuch  berührten,  gleich  einleitend  in 
der  Discussion  nur  von  einer  sehr  starken  „krampfähnlichen“  Con¬ 
traction  des  Taschenbandmuskels  sprach,  welche  sich  bei  jedem  Phona¬ 
tionsversuch  einstellte  und  das  Taschenband  dicker  machte;  es  war 
aber  keine  Crico-thyreoideus-Lähmung,  sondern  eine  mechanische  Be¬ 
hinderung  der  Vibration  vorhanden  in  Folge  Aufliegens  des  verdickten 
Taschenbandes.  Im  Uebrigen  war  der  Fall  nicht  rein  und  nicht  ge¬ 
eignet,  die  Frage  der  Crico  thyreoideus-Lähmung  zu  discutiren,  da  die 
Stimmbänder  während  der  Phonation  fast  ganz  unsichtbar  waren. 

Docent  Dr.  Roth:  Nachdem  der  Herr  College  Grossmann 
besonders  hervorgehoben  hat,  dass  den  unmittelbaren  Anstoss  zu  seinen 
Demonstrationen  und  seinem  Vortrage  die  vorausgegangene  Discussion 
über  Laryngo-Hysterie  und  die  Vorstellung  meines  Falles  gegeben 
haben,  möge  es  mir  gestattet  sein,  auf  diesen  Fall  noch  einmal  zurück¬ 
zukommen  und  im  Anschlüsse  an  diesen  die  von  Grossmann  auf¬ 
gestellten  Sätze  einer  kritischen  Beleuchtung  zu  unterziehen. 

Bei  meinem  Falle  traten  zwei  Erscheinungen  markant  hervor: 
die  vollständige  Aphonie,  eine  functioneile  Störung,  und  das 
laryngoskopische  Bild,  welches  als  Ursache  der  Aphonie  an¬ 
gesehen  werden  musste.  Dieses  letztere  stellte  sich  so  dar,  dass  bei 
Inspiration  keine  Abweichung  vom  Normalen  zu  constatiren  war,  in 
dem  Momente  aber,  wo  die  Patientin  phoniren  wollte,  legten  sich  die 
Taschenbänder  in  der  Mittellinie  hart  aneinander,  deckten  somit  die 
wahren  Stimmlippen  vollständig  und  Hessen  nur  in  ihrem  hinteren  Ab¬ 
schnitte  eine  kleine  Lücke  offen,  durch  welche  der  hinterste  Antheil 
der  wahren  Stimmlippen  gesehen  werden  konnte.  Diese  letzteren 
waren,  soweit  man  dies  durch  die  kleine  Lücke  sehen  konnte,  bis  zur 
Berührung  genähert,  hinter  den  Processus  vocales  klaffte  aber  eben¬ 
falls  eine  Lücke,  die  etwas  kleiner  war  als  die  obere. 

Ich  erklärte  die  Aphonie  in  der  Weise,  dass  im  Momente  der 
Phonations-Intention  die  Taschenbänder  durch  eine  übermässige, 
hyperkinetische  Action  des  Musculus  thyreo-arytaenoideus  superior,  bis 
zur  Berührung  einander  genähert  werden;  sie  liegen  dann  wie 
Dämpfer  auf  den  Stimmlippen  auf  und  verhindern  deren  freie  zur 
Tonerzeugung  erforderliche  Vibration.  Dieser  Ansicht  schlossen  sich 
auch  andere  Collegen  an,  so  namentlich  Dr.  Rethi,  während 
Dr.  Grossmann  sowohl  die  Aphonie  als  auch  das  derselben  zu 
Grunde  liegende  laryngoskopische  Bild  auf  eine  Lähmung  des  Musculus 
crico-thyreoideus  zurückführen  zu  müssen  glaubte.  Um  diese  seine 
Ansicht  zu  beweisen,  führte  er  die  Thierversuche  aus,  indem  bei 
einem  Kaninchen  durch  Zerreissung  des  innervirenden  Nervus  laryngeus 
superior,  bei  einem  Hunde  durch  Durchschneidung  des  Musculus  crico¬ 
thyreoideus  selbst  die  Function  dieser  Muskeln  aufgehoben  wurden. 
Das  Resultat  dieses  Eingriffes  war,  dass  das  Kaninchen  bei  schmerz¬ 
haften  Reizen,  wenn  auch  mit  veränderter  Stimme,  dennoch  schrie,  es 
war  also  keine  vollständige  Aphonie  eingetreten.  Dr.  Grossmann 
erklärte  allerdings  diesen  Versuch  als  für  seinen  Zweck  nicht  ver- 
werthbar,  da  der  Nervus  laryngeus  medius,  welcher  ebenfalls  den 
M.  crico-thyreoideus  versorgt,  intact  geblieben  war,  somit  noch  motori¬ 
sche  Impulse  zu  diesem  Muskel  gelangen  konnten,  allein,  wenn  wir 
berücksichtigen,  dass  Dr.  Grossmann  über  einen  im  Jahre  1893 
ausgeführten  Versuch  berichtet,  in  welchem  er  bei  einem  Pferde  beide 
Musculi  crico  thyreoidei  durchschnitten  hatte,  und  wo  er  einen  Monat 
nach  dieser  Operation  bei  dem  Pferde  durch  intensive  äussere  Reize 
Töne  hervorrief,  welche  dem  „Wiehern“  eines  Pferdes  absolut  nicht 
ähnlich  waren,  so  ist  es  klar,  dass  es  ihm  durch  experimentelle 
Lähmung  des  Musculus  crico-thyreoideus  nicht  gelungen  ist,  eine  so 
totale  Aphonie  zu  erzielen,  als  dies  in  meinem  Falle  zu  beobachten 
war.  Dass  eine  erhebliche  phonatorische  Schädigung  nach  Ausschaltung 
dieses  Muskels,  welchem  ja  die  Spannung  des  Stimmbandes  obliegt, 
eintreten  muss,  war  ja  von  vorneberein  zu  erwarten,  dass  aber  die 


Nr.  21 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Lähmung  dieses  Muskels  vollständige  Aphonie  bedingen  müsse,  hat 
das  Experiment  keineswegs  erwiesen. 

Die  zweite  Erscheinung,  das  oben  geschilderte  eigenthümliche 
laryngoskopische  Bild,  konnte  ich  bei  dem  zweiten  Thiere,  dem  seiner 
Musculi  crico-thyreoidei  beraubten  Hunde,  auch  nicht  finden.  Dr.  Gross- 
m  a  n  n  machte  zwar  auf  eine  zwischen  den  Aryknorpeln  sichtbare 
Spalte  aufmerksam,  ich  konnte  dieselbe  nicht  sehen,  allein,  wenn  ich 
auch  zugeben  will,  dass  sie  vorhanden  war,  so  beweist  sie  nichts, 
denn  erstens  hätte  nachgewiesen  werden  müssen,  dass  die  Spalte 
während  der  Phonation  übrig  bleibt,  und  zweitens  hätten  auch  die 
Taschenbänder  sich  bis  zur  Berührung  einander  nähern  müssen,  wie 
dies  in  dem  von  mir  demonstrirten  Falle  gesehen  wurde,  wenn  in 
beiden,  dem  Versuchsthiere  und  in  meinem  Falle  dieselben  Bedin¬ 
gungen  vorhanden  waren.  Dieser  Nachweis  ist  nicht  gelungen  und  aus 
diesem  Grunde  bin  ich  nicht  in  der  Lage,  die  von  Dr.  Grossmann 
zur  Erklärung  meines  Falles  herangezogene  Lähmung  des  Musculus 
crico  thyreoideus  zu  acceptiren.  Ich  muss  vielmehr  mehr  denn  je  an 
jener  Erklärung  der  Erscheinungen  festhalten,  die  ich  bei  Vorstellung 
meines  Falles  gegeben  habe. 

Ich  kann  mir  auch  nicht  vorstellen,  wie  die  Lücke,  welche  in 
der  Rima  cartilag.  übrig  bleibt  durch  den  Ausfall  des  Muse,  crico- 
thyreoideus  erklärt  werden  könnte,  nachdem  ja  der  Verschluss  der¬ 
selben  zu  den  Functionen  der  Musculi  interarytaenoidei  gehört,  und 
nicht  durch  die  Thätigkeit  der  Muse,  crico-thyreoidei  herbeigeführt 
werden  kann. 

Wenn  somit  Dr.  Grossmann  das  Klaffen  der  Glottis  cart, 
bei  der  Phonation  als  charakteristisch  für  eine  Lähmung  der  Musculi 
crico-thyreoidei  bezeichnet,  so  muss  ich  dieser  Ansicht  widersprechen, 
sie  ist  nur  charakteristisch  für  eine  Lähmung  des  Musculus  transversus. 
Wenn  aber  weiters  behauptet  wird,  dass  bei  Ausfall  der  Musculi 
crico-thyreoidei  der  durch  die  Contraction  der  beiden  Musculi  crico- 
arytaenoidei  laterales  zur  Berührung  gekommene  Punkt  der  wahren 
Stimmlippen  nunmehr  durch  die  unbehinderte  Action  der  Musculi 
vocales  weiter  nach  vorne  gezogen  wird,  muss  ich  dem  entgegenhalten, 
dass  eine  solche  Verlagerung  des  Berührungspunktes,  id  est  der  Pro 
cessus  vocales,  aus  dem  Grunde  unmöglich  ist,  weil  diesem  Zuge  der 
Musculi  vocales  die  verticalen  Componenten  sowohl  des  Musculus 
crico-arytaenoideus  lateralis  als  auch  posticus  wirksam  entgegenwirken, 
somit  das  Gleichgewicht  wieder  hersteilen. 

Schliesslich  muss  ich  noch  direct  betonen,  dass  ich  die  bis  zur 
Berührung  erfolgte  Annäherung  der  Taschenbänder  keinesfalls  durch 
einen  Krampf  oder  einen  krampfartigen  Zustand,  sondern  lediglich 
durch  eine  dem  Normalen  gegenüber  gesteigerte  motorische  Beein¬ 
flussung,  demzufolge  erhöhte  Action  des  im  Taschenbande  verlaufenden 
Muskels  erkläre.  Solche  Steigerungen  der  motorischen  Impulse  finden 
sich  ja  bei  der  Hysterie  nicht  selten,  wie  auch  neben  denselben 
wieder  Muskeln  gefunden  werden,  welche  in  ihrer  Wirkung  durch 
herabgesetzte  Energie  insufficient  geworden  sind;  auf  diese  Weise 
kann  ganz  gut  neben  dem  hyperkinetischen  Musculus  thyreo-arytaenoideus 
sup.  ein  insufficienter  Musculus  transversus  bestehen. 

Docent  Dr.  M.  Hajek:  Da  Einiges  schon  von  den  Herren 
Vorrednern  berichtigt  wurde,  kann  ich  mich  kürzer  fassen.  Herr  Dr. 
Grossmann  hat  sich  in  seinem  Vortrage  des  Besonderen  mit  der 
Function  des  M.  crieothyreoideus  und  mit  seinem  Einfluss  auf  die 
Function  des  M.  thyreo-arytaenoideus  befasst.  Was  er  hierüber  gesagt, 
ist  eigentlich  selbstverständlich,  denn  es  wurde  seit  jeher  gelehrt,  dass 
der  M.  thyreo-arytaenoideus  nur  dann  seine  bekannte  Function,  den 
Stimmbandrand  geradlinig  zu  machen  und  die  Glottis  zum  vollständigen 
Verschluss  zu  bringen,  ausführen  kann,  wenn  die  Stimmbandränder 
fixirt  werden.  Die  Fixation  des  hinteren  Stimmbandrandes  während 
der  Phonation  bedarf  keiner  Muskelkraft,  hier  genügt  vollständig  das 
Ligamentum  crico-arytaenoideum  posticum,  wie  dies  weiland  Dr.  Bere  g- 
szaszy  nachgewiesen  hat,  aber  seither  in  Vergessenheit  gerathen  zu 
sein  scheint,  da  man  noch  immer  von  einer  fixirenden  Muskelkraft  für 
das  hintere  Ende  des  Stimmbandes  bei  der  Phonation  spricht.  Das 
vordere  Ende  .des  Stimmbandes  wird  durch  den  M.  crico- thyreoideus 
fixirt,  dem  bekannten,  von  H  o  p  e  r  zuerst  nachgewiesenen  Zug  des 
Ringknorpels  nach  oben.  Lässt  der  M.  crico-thyreoideus  nach,  ist  so¬ 
mit  das  vordere  Stimmbandende  nicht  fixirt,  dann  ist  es  selbstverständ- 
ich,  dass  der  M.  thyreo-arytaenoideus  sich  verkürzen  wird  und  nicht 
mehr  die  ihm  unter  normalen  Verhältnissen  zukommende  Wirkung 
haben  kann. 

Der  M.  crico-thyreoideus  ist  zweifelsohne  einer  der  wichtigsten 
zur  Phonation  dienenden  Muskeln.  Man  kann  durch  Auflegen  der 
Finger  an  die  Vorderfläche  des  Ringknorpels  seine  Contraction  genau 
verfolgen. 

Bevor  noch  ein  Ton  hörbar  ist,  fühlt  man  schon  beim  An¬ 
schicken  einer  Intonation  diesen  Muskel  sich  zusammenziehen.  Ja,  die 
lebhafte  Vorstellung  eines  hohen  Tones  involvirt  schon  die  Contraction 
dieses  Muskels.  Es  ist  diese  Beobachtung  von  besonderem  Interesse, 
weil  sie  die  vor  mehreren  Jahren  von  weiland  Prof.  Stricker  auf¬ 


gestellte  Ansicht,  nach  welcher  Bewegungsvorstellungen  mit  einer 
Contraction  der  zur  betreffenden  Bewegung  erforderlichen  Muskelgruppen 
verknüpft  sind,  in  vorzüglicher  Weise  illustrirt. 

Alle  Behauptungen  und  Experimente  des  Herrn  Grossmann 
über  die  Function  des  M.  crico-thyreoideus  als  Phonationsmuskel  sind 
bekannt.  Neu  ist  aber  die  Behauptung,  dass  die  Lähmung  des  M.  crico- 
thyreoideus  an  der  Entstehung  des  dreieckigen  Raumes  in  der  Glottis 
cartilaginosa  schuld  sei.  Diese  letzte  Behauptung  ist  aber  durchaus 
nicht  aufrecht  zu  erhalten,  und  auch  das  Experiment  des  Herrn  Gross¬ 
mann  hat  dies  durchaus  nicht  erwiesen.  Denn  wie  immer  man  die 
an  dem  Thierexperimente  gesehene  Erschlaffung  der  Stimmbänder  deutet 
und  beschreibt,  von  der  Entstehung  des  erwähnten  dreieckigen  Raumes 
kann  keine  Rede  sein,  und  Niemand  von  uns  hat  denselben  gesehen, 
kann  ihn  auch  nicht  gesehen  haben,  denn  es  ist  einfach  unfasslich, 
wie  so  etwas  nach  Lähmung  der  M.  crico-thyreoidei  entstehen  sollte. 

Ueberdies  ist  der  Satz  des  Herrn  Grossmann:  „Dieses  Offen¬ 
bleiben  eines  dreieckigen  Raumes  in  dem  hinteren  Abschnitte  der 
Stimmritze  ist  also  ein  charakteristisches  Zeichen  für  das  Versagen 
der  Function  des  M.  crico-thyreoideus  und  keineswegs,  wie  bisher  all¬ 
gemein  angenommen  wurde,  für  eine  Lähmung  des  M.  crico-arytaeno¬ 
ideus  lateralis“  befremdend,  und  zwar  deshalb,  weil  es  bisher 
keinem  Laryngologen  eingefallen  ist,  die  Ent 
stehung  des  dreieckigen  Raumes  auf  Lähmung  der 
Crico-ary  taenoidei  laterales  zurückzuführen,  es  viel¬ 
mehr  allgemein  bekannt  ist,  dass  hiefiir  nur  der  M.  arytaenoideus 
transversus  verantwortlich  gemacht  wurde,  woran  ja  auch  nicht 
zu  rütteln  ist. 

Chiari  hebt  hervor,  dass  die  Mm.  crico  thyreoidei  als  Spanner 
der  Stimmbänder  schon  immer  anerkannt  waren;  ihre  adducirende 
Wirkung  ist  jedenfalls  viel  geringer,  als  die  der  Mm.  crico-aryt.  laterales 
und  der  Mm.  thyreo-aryt.  Der  M.  vocalis  hat  neben  seiner  adducirenden 
Wirkung  hauptsächlich  noch  die  Aufgabe,  die  concaven  Ränder  der 
passiv  gespannten  Stimmbänder  auf  die  Sehne,  i.  e.  die  Medianlinie  zu 
bringen,  sie  zu  festigen  und  wahrscheinlich  auch  je  nach  Bedürfniss 
der  Phonation  im  Ganzen  oder  in  Theilen  nach  der  Quere  zu  spannen. 

Die  Mm.  crico-aryt.  laterales  bringen  die  Spitzen  der  Processus 
vocales  aneinander ;  die  Aryknorpel  selbst  werden  durch  den  Transversus 
aneinandergezogen.  Die  dreieckige  Lücke  hinter  den  Spitzen  der  Pro¬ 
cessus  vocales,  welche  man  bei  Insufficienz  der  Transversi  nicht  selten 
sieht,  wird  sicher  nicht  durch  Insufficienz  der  Mm.  crico-thyreoidei  be¬ 
dingt.  Alle  diese  Thatsachen  ergeben  sich  aus  den  anotomischen  Ver¬ 
hältnissen  und  aus  der  Beobachtung  am  Lebenden,  sind  allgemein  an¬ 
erkannt  und  werden  durch  Grossmann’s  Experimente  nicht  er¬ 
schüttert. 

Im  Uebrigen  schliesst  sich  Chiari  den  Ausführungen  der 
Vorredner  an. 

Dr.  C.  Müller  erinnert  an  die  Versuche  Neumayer’s.  Der¬ 
selbe  hat  die  verschiedenen  Muskel  des  Larynx  in  künstliche  Wärme¬ 
starre  versetzt,  indem  er  vierkantige  Eisenstäbe  von  verschiedener 
Grösse  in  kochendem  Wasser  erhitzte  und  dann  an  den  Muskel  an¬ 
legte,  welcher  in  Wärmestarre  versetzt  werden  sollte.  Die  mit  dieser 
Methode  erzielten  Contractionen  waren  immer  ausgiebig  und  erwiesen 
sich  insbesondere  bei  der  Prüfung  der  Function  der  Mm.  crico-thyreoid. 
und  crico-aryt.  post,  als  werthvoll. 

Die  bezüglich  der  Function  der  einzelnen  Muskel  gewonnenen 
Resultate  stimmen  mit  den  durch  andere  Methoden  erzielten  Ergebnissen 
überein.  Bezüglich  der  Cadaverstellung  fand  Neu  may  er  bei  der 
Untersuchung  zahlreicher  Kehlköpfe  des  Menschen  und  verschiedener 
Thiere,  dass  die  sogenannte  Cadaverstellung  nicht  zu  jeder  Zeit  zu 
finden  sei,  sondern  dass  die  Glottis,  in  Folge  der  Todtenstarre  und 
Wiederverschwindens  derselben,  verschiedene  Formen  annehmen  könne. 

Docent  Dr.  Gross  mann:  Meine  Herren !  Wenn  die  Anschau¬ 
ungen,  die  in  der  heutigen  Discussion  zum  Ausdrucke  gelangten, 
richtig  sind,  unterliegt  es  wohl  keinem  Zweifel,  dass  alle  meine  Be¬ 
hauptungen,  welche  ich  in  den  vorausgegangenen  Sitzungen  aufgestellt 
habe,  unhaltbare  sind.  Ich  müsste  fast  jedes  meiner  Worte  widerrufen, 
und  fast  jede  meiner  Angaben  als  unrichtig,  als  falsch  erklären. 

So  ungünstig  steht  es  aber  mit  meinen  Erörterungen  glücklicher 
Weise  denn  doch  nicht.  Ich  habe  im  Gegentheile  die  Empfindung,  dass 
ich  auch  nach  den  heutigen  Auseinandersetzungen  keinen  Anlass  habe, 
auch  nur  eine  meiner  Behauptungen  fallen  zu  lassen,  oder  auch  nur 
zu  modificiren. 

Ob  dieser  Empfindung  blos  ein  fortgesetzter  Irrthum  meinerseits, 
ein  starrsinniges  Festhalten  an  die  bereits  ausgesprochene  Meinung, 
oder  aber  jene  Zuversicht  zu  Grunde  liegt,  welche  uns  das  Bewusst¬ 
sein  verleiht,  den  festen  Boden  erwiesener  Thatsachen  keinen  Augen¬ 
blick  verlassen  zu  haben,  das  soll  heute  nicht  weiter  erörtert  werden, 
darüber  wird  ja  die  Zukunft  entscheiden. 

Die  Thatsache  an  und  für  sich  aber,  dass  meine  Auffassung 
nicht  die  allgemeine  Zustimmung  gefunden  hat,  und  mir  nach 
verschiedener  Richtung  opponirt  wurde,  finde  ich  vollständig  begreiflich. 


4114 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


Alte  Lehrsätze,  die  wir  viele  Jahre  hindurch  als  unantastbare 
Wahrheiten  zu  respectiren  gewohnt  waren,  die  bei  allen  unseren  klini¬ 
schen  Beobachtungen  als  unsere  vertrauenswürdige  Wegweiser  gegolten 
haben ,  geben  wir  nicht  im  Handumdrehen  auf,  um  neuen  Lehren  Platz 
zu  machen,  die  ja  schon  deshalb  unwillkommen  sind,  weil  sie  ja  immer 
einen  Angriff  auf  unseren  geistigen  Besitzstand  bilden.  Solche  Lehren 
müssen  ja  unter  allen  Umständen  vorerst  strenge  geprüft,  sorgfältig 
erwogen,  und  dann  erst  ordentlich  verdaut  werden.  Ich  konnte  und 
durfte  eine  widerspruchslose  Zustimmung  umso  weniger  erwarten,  als 
ich  ja  selbst  meine  Meinung  mir  erst  nach  langjähriger,  mühevoller 
Arbeit  zu  bilden  vermochte. 

Es  dauerte  wahrlich  lange  genug,  bis  es  mir  gelungen  ist,  die 
heute  in  Discussion  stehenden  klinischen  Bilder  durch  experimental- 
physiologische  Versuche  klar  zu  machen  und  bis  mein  Verständniss 
nach  und  nach  zu  einem  feststehenden  Urtheil  sich  abgeklärt  hat. 
Einzig  und  allein  zu  meiner  Rechtfertigung,  dass  ich  nicht  die  un¬ 
reife  Frucht  einer  flüchtigen  Eingebung,  sondern  das  Ergebniss  einer 
vieljährigen  mühevollen  Arbeit  Ihrer  Beurtheilung  unterbreitet  habe, 
erlaube  ich  mir  hervorzuheben,  dass  ich  mich  mit  der  Physiologie  des 
M.  cricothyreoideus  seit  den  Achtziger  Jahren  beschäftige.  Die  un¬ 
mittelbare  Anregung  zu  dieser  Arbeit  gaben  mir  meine  Versuche: 
„Ueber  die  Wurzelfasern  der  peripheren  Kehlkopfnerven“.  Bei  diesen 
Experimenten,  welche  ich,  wie  Sie  wissen,  unter  Exne  r’s  Leitung 
durchzuführen  das  Glück  hatte,  habe  ich  unter  Anderem  die  Beob¬ 
achtung  gemacht,  dass  bei  Reizung  der  von  mir  als  mittleres  Bündel 
bezeichneten  Vago-Accessoriusfasern,  diejenigen  Kehlkopfmuskeln  sich 
eontrahiren,  welche  vom  N.  laryng.  infer,  versorgt  werden.  Wird 
dieses  mittlere  Bündel  durchtrennt,  treten  die  Erscheinungen  einer 
Recurrenslähmung  auf  —  die  Unbeweglichkeit  des  correspondirenden 
Stimmbandes  und  die  damit  verbundene  Störung  der  Stimmbildung. 
Bei  Reizung  des  oberen,  dem  Glossopharyngeus  anliegenden  Bündels 
tritt  Contraction  im  M.  cricothyreoideus  auf;  nach  Durchtrennung  dieses 
Bündels  erfolgt  die  Lähmung  des  N.  laryng.  sup.,  die  Beweglichkeit 
des  Stimmbandes  hat  nicht  nur  nicht  gelitten,  sondern  war  sogar 
erhöht;  die  Stimmbildung  aber  war  zu  meiner  grossen  Ueber- 
raschung  in  hohem  Grade  gestört.  Ich  habe  damals  dieses  Ergebniss 
noch  nicht  recht  verstanden,  nur  das  Eine  war  mir  klar,  dass  die 
Stimme  nicht  allein  durch  Recurrenslähmung  und 
durch  die  Unbeweglichkeit  der  Stimmbänder,  sondern 
auch  durch  Lähmung  des  N.  laryng.  sup.  bei  erhaltener 
Beweglichkeit  des  Stimmbandes  in  hohem  Grade 
gestört  wird. 

Das  war  der  Ausgangspunkt  meiner  weiteren  Untersuchungen, 
deren  Resultate  zum  Theile  schon  publicirt  wurden  und  zum  Theile 
erst  veröffentlicht  werden  sollen.  Die  erzielten  Ergebnisse  erscheinen 
mir  von  so  überzeugender  Klarheit,  dass  ich  trotz  den  Einwendungen, 
welche  gegen  einen  Theil  derselben  heute  erhoben  v'urden,  nicht 
glauben  kann,  dass  ich  einem  Irrthume  zum  Opfer  gefallen  sei. 

Herr  Collega  Kethi  gab  der  Meinung  Ausdruck,  dass  die 
adducirende  Kraft  des  M.  cricothyr.  überschätzt 
wird.  Ich  kann  mir  diesen  Vorwurf  nicht  machen,  vermuthe  aber, 
dass  diese  Kraft  von  Vielen  unterschätzt  wird.  Wer  über  diese 
Verhältnisse  orientirt  sein  will,  braucht  blos  die  beiden  Nn.  recurr. 
zu  durchsclmeiden  und  er  hat  ein  Kehlkopfbild  vor  sich,  bei  welchem 
nur  der  Arbeitseffect  des  M.  cricothyr.  zum  Ausdrucke  'gelangt.  Es 
wird  sich  nun  zeigen,  dass  die  Stimmbänder  durch  diesen  Muskel 
allein  so  hochgradig  adducirt  weiden,  dass  Erstickungsgefahr 
auftritt.  Es  ist  selbstverständlich,  dass  unter  normalen  Verhältnissen 
so  lango  der  Widerstand  der  Antagonisten  nicht  beseitigt  ist,  die  Leistungen 
dieses  Muskels  weit  geringer  ausfallen  werden,  gleichwie  der  Effect, 
den  man  unter  Zuhilfenahme  starker  Inductionsströme  erzielt,  grösser 
sein  wird,  als  wenn  der  Muskel  seine  Kräfte  blos  auf  Grund  der  em¬ 
pfangenen  Kräfte  geltend  macht. 

Dass  der  M.  cricothyr.  nicht  der  alleinige  Spanner  ist, 
habe  ich  in  meinem  Vortrage  ausführlich  erörtert.  Ich  habe  auch 
darauf  hiugewiesen,  dass  sein  Partner  —  der  Stimmbandmuskel  —  zur 
Extension  nur  unter  der  Bedingung  beiträgt,  wenn  der  M.  cricothyr. 
seine  Function  versieht.  Versagt  dieser  seinen  Dienst,  wird  auch 
der  Stimmbandmuskel  nicht  mehr  spanne  n,  sondern  im  Gegentheil 
entspannen. 

Die  Behauptung  des  Herrn  Prof.  Chiari,  dass  der  Stimmband¬ 
muskel  nicht  spannt,  sondern  nur  adducirt,  ist  in  dem  soeben  ange¬ 
deuteten  Sinne  richtig  zu  stellen. 

Fast  alle  Herren  Vorredner  haben  hervorgehoben,  dass  ihnen 
das  Offenbleiben  einer  dreieckigen  Spalte  im  hinteren  Abschnitte  der 
Stimmritze  einzig  und  allein  als  Folge  einer  Cricothyreoideuslähmung 
unverständlich  sei  und  haben  der  Meinung  Ausdruck  gegeben,  dass 
ein  solcher  Befund  auf  ein  Versagen  des  M.  transversus  hiudeute.  Den 
M.  transversus  habe  ich  in  meinem  Vortrage  nicht  nur  nicht  über¬ 
sehen,  sondern  gleichzeitig  mit  dem  M.  lateralis  eingehend  erörtert. 
Während  man  beim  klinischen  Bilde  noch  daran  denken  könnte, 


meinte  ich,  dass  das  Offenbleiben  der  Glottis  durch  Lähmung  des 
M.  lateralis  oder  transversus  bedingt  sei,  war  eine  solche  Annahme 
bei  einem  Experimente,  wo  nur  der  M.  cricothyr.  gelähmt,  alles  andere 
aber  intact  erhalten  wurde,  von  vorneherein  ausgeschlossen.  Bei  straff 
gespannten  Stimmbändern,  hiess  es  weiter,  wird  sowohl  der  M.  lateralis, 
als  auch  der  transvers.  seine  adducirende  Kraft  energisch  zur  Geltung 
bringen  können;  bei  schlaffen  Stimmbändern  hingegen  wird  dieselbe 
wesentlich  geringer  ausfallen.  Unter  diesen  Umständen  werden  nur 
die  unmittelbaren  Angriffspunkte,  nicht  aber  die 
entfernteren  Abschnitte  der  Adduction  folgen  und  der 
M.  transversus  vermag,  obgleich  er  berufen  ist,  die  Vereinigung  gerade 
des  hinteren  Theiles  der  Stimmbänder  zu  bewirken,  diese  Aufgabe 
nicht  mehr  tadellos  zu  lösen  und  es  bleibt  dann  eine  dreieckige 
Spalte  offen. 

Es  wurde  mir  vorgehalten,  dass  bei  dem  von  mir  demonstrirten 
Hunde  die  nach  Paralyse  der  beiden  Nn.  laryngei  sup.  klaffende  Stelle 
der  Stimmritze  keine  dreieckige  Gestalt  hatte.  Das  ist  wohl  möglich 
und  es  wird  vielleicht  vorsichtiger  sein,  künftighin  nur  von  einem 
nach  rückwärts  zunehmenden  Klaffen  der  Stimmritze  zu  sprechen.  Es 
darf  aber  nicht  übersehen  werden,  dass  das  fragliche  Dreieck  auch 
beim  Menschen  nicht  immer  in  tadelloser  geometrischer  Form 
erscheint. 

Eine  weitere  Meinungsdifferenz  bezieht  sich  auf  den  Grad  der 
Stimmstörung  bei  Cricothyreoideuslähmung.  Ich  bedaure  lebhaft,  dass 
mir  letzthin  gerade  jene  Demonstration  misslungen  ist,  welche  berufen 
gewesen  wäre,  die  diesbezüglichen  Anschauungen  zu  klären.  Es  war 
aber  nicht  meine  Schuld,  dass  der  Hund  weder  vor,  noch  nach  der 
Durchschneidung  der  Nn.  laryng.  sup.  zu  bewegen  war,  einen  Laut 
von  sich  zu  geben.  Ich  halte  meine  Behauptung  aufrecht,  dass  die 
fragliche  Schädigung  der  Stimme  eine  hochgradige  ist,  dass  das  Thier 
erst  nach  Verlauf  einer  gewissen  Zeit  bei  heftigem  Schmerz  und 
grosser  Erregung  gewisse  heisere  Laute  mühsam  hervorbringt,  welche 
aber  so  abnormal  klingen,  dass  ich  nur  von  Geräuschen,  nicht  aber 
von  tadellosen  Tönen  sprechen  möchte.  Bei  gleicher  Anstrengung 
würde  auch  der  aphonische  Mensch  ähnliche  Stimmleistungen  zu  Wege 
bringen.  Mit  Rücksicht  auf  diese  rudimentäre  Phonation  erscheint  es 
mir  vorsichtiger,  um  allen  Wortklaubereien  aus  dem  Wege  zu  gehen, 
nicht  von  Aphonie,  sondern  nur  von  einer  hochgradigen  Stimm¬ 
störung  als  Folgezustand  einer  Lähmung  des  M.  cricothyreoideus  zu 
sprechen. 

Wenn  ich  mir  das  Bild  der  in  Discussion  stehenden  Form  von 
Larynxhysterie  in  Erinnerung  rufe,  jenen  Kehlkopfzustand,  bei  welchem 
die  Glottis  in  ihrem  hinteren  Abschnitte  weit  klafft,  weiters  eine  hoch¬ 
gradige  Stimmstörung  bei  vollständig  erhaltener  Beweglichkeit  der 
Stimmbänder  besteht,  nochmals  in  Erwägung  ziehe,  sehe  ich  trotz 
der  geäusserten  Bedenken  auch  heute  noch  keine  plausiblere  und  be¬ 
rechtigtere  Aufklärung,  als  in  der  von  mir  aufgestellten  Behauptung 
gelegen  ist,  dass  es  sich  in  diesen  Fällen  um  ein  Versagen  des 
M.  cricothyreoideus  handelt. 

Von  Herrn  Collegon  Roth  wurde  mir  vorgehalten,  dass  bei 
meinem  demonstrirten  Thiere  die  Taschenbänder  nach  Lähmung  der 
Nn.  laryngei  sup.  sich  durchaus  nicht  so  verhielten,  wie  in  dem  von 
ihm  vorgestellten  Falle  von  Larynxhysterie.  Die  Richtigkeit  dieser  Be¬ 
hauptung  muss  ich  unbedingt  zugeben.  Ich  glaube  aber,  wenn  es  uns 
gelungen  ist,  die  charakteristischen  Ilaupterscheinungen  eines  Krank¬ 
heitszustandes  experimentell  nachzuahmen,  ist  die  Forderung,  dass  wir 
auch  alle  im  Krankheitsverlaufe  sich  etw'a  entwickelnden  Begleiter¬ 
scheinungen  im  Experimente  zum  Ausdrucke  bringen,  etwas  zu  weit 
gehend.  Nur  nebenbei  möchte  ich  bemerken,  dass,  nachdem  im  Ver¬ 
suche  die  Taschenbänder  nicht  bis  zu  gegenseitiger  Berührung  genähert 
wrerden,  die  Stimmstörung  hier  nicht  durch  dieses  mechanische  Ilinder- 
niss  bedingt  sein  kann,  v7ie  es  die  Herren  beim  Menschen  anzunehmen 
geneigt  sind. 

Die  Herren  Roth  und  R  e  t  h  i  bleiben  nun  bei  ihrer  bereits 
ausgesprochenen  Meinung,  dass  es  sich  bei  der  bewussten  Form  von 
Larynxhysterie  um  einen  hyper  kinetischen  oder  krampf¬ 
ähnlichen  Zustand  jenes  Theiles  des  Stimmbandmuskels  handelt, 
welcher  den  Taschenbändern  angehört. 

Unter  Hyperkinese  versteht  man  wohl  allgemein  Krampf  des 
Muskels,  was  ich  mir  aber  unter  einem  „krampfähnlichem 
Zustand  e“  vorstellen  soll,  ist  mir  nicht  recht  klar.  Auch  erscheint 
es  mir  von  vornherein  unwahrscheinlich,  dass  ein  solcher  hyperkineti¬ 
scher  Zustand  mit  jeder  Inspiration  verschwindet,  um  mit  jeder  Exspiration 
wieder  aufzutauchen.  Unsere  Auffassung  vom  Krampf 
schliesst  eine  solche  rhythmische  Muskelfunction 
aus.  Von  klonischen  Zuckungen  kann  ja  hier  keine  Rede  sein. 

In  der  Eigenart  des  Krampfes  liegt  es  weiter,  dass  er  mit  einer 
gewissen  Schnelligkeit  auftritt  und  eine  bestimmte  Zeit  andauert.  Er 
müsste  sich  also  in  unserem  Falle  in  der  Weise  äussern,  dass  nach 
jeder  Inspiration  ein  Zusammenschnellen  der  Stimmbänder  erfolgt,  nicht 
aber  eine  gemüthliche  normale  Adduction.  Auch  müsste  der  „krampfähn- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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liehe  Verschluss  der  wahren  oder  falschen  Stimmbänder  auf  der 
Höhe  der  Exspiration  dem  Wiederöffnen  der  Glottis,  wenigstens  im 
Beginne  der  Einathmung  ein  gewisses  Hinderniss  entgegensetzen.  Solche 
Unregelmässigkeiten  sind  aber  weder  in  der  einen,  noch  in  der  anderen 
Phase  zu  beobachten;  es  wickelt  sich  Alles  mit  so  augenfälliger 
Leichtigkeit  ab,  dass  wir  an  eine  Ilypermotililät  denken  müssen. 

Es  ist  bemerkenswert!),  dass  dieselben  Herren,  welche  nicht  be¬ 
greifen  zu  können  erklärten,  weshalb  bei  Lähmung  des  M.  crico- 
tbyreoideus  der  hintere  Glottisabschnitt  offen  bleiben  soll,  gar  nicht 
das  Bedürfniss  empfunden  haben,  uns  Aufschluss  zu  geben,  warum 
die  Stimmritze  bei  dem  supponirten  Krampfe  in  einem  Theile  des 
Stimmbandmuskels,  wenn  sonst  nichts  vorliegt,  nicht  zum  Verschlüsse 
kommt.  Es  erscheint  aber  auch  unverständlich,  dass  bei  dem  angeb¬ 
lichen  hyperkiuetischen  Zustande  eines  bestimmten  Muskelabschnittes 
bei  sonst  normalen  Verhältnissen  eine  totale  Aphonie 
einzig  und  allein  durch  die  Annäheruug  der  Taschenbänder  ent¬ 
stehen  sollte. 

Ich  wage  also  die  Behauptung,  dass,  selbst  wenn  meine  Auf¬ 
fassung  sich  als  unhaltbar  erweisen  sollte,  die  Annahme,  dass  es  sich 
in  dem  erörterten  Krankheitsbilde  um  einen  Krampf  handelt,  nie  zur 
Geltung  kommen  kann.  Wir  werden  dann  nur  gezwungen  sein,  Hand 
in  Hand  uns  um  ein  Drittes  umzusehen. 

Meine  Herren!  Wenn  wir  uns  auch  nicht  einigen  konnten,  glaube 
ich  doch,  dass  wir  Alle  mit  dem  Gange  uud  dem  Ergebnisse  unserer 
Discussion  zufrieden  sein  können.  Zunächst  haben  wir  die  Streitfragen 
auf  dem  Gebiete  der  Larynxinnervation  auf  ihre  einfache  Formel  redu- 
cirt.  Nicht  die  complicirten  klinischen  Bilder,  sondern  die  functioneile 
Bedeutung  einzelner  Kehlkopfmuskeln  müssen  wir  vorerst  zu  erörtern 
und  zu  erledigen  suchen. 

Die  Larvngologie  wird  in  wenigen  Jahren  ihr  fünfzigjähriges 
Jubiläum  feiern.  Seit  einem  Jahrhundert  —  wenn  wir  die  Ergebnisse 
der  früheren  Epochen  ganz  ausser  Acht  lassen  —  bemühten  sich  die 
hervorragendsten  Physiologen  Frankreichs,  Deutschlands  und  Oester¬ 
reichs,  die  Physiologie  des  Kehlkopfes  auszubauen,  und  nun  sind  wir 
glücklich  dort  angelangt,  dass  wir  uns  nicht  einmal  über  den  M.  crico- 
thyreoideus  zu  einigen  wissen. 

So  armselig  auch  dieses  Ergebniss  ist,  wird  es  uns  nicht  ent- 
muthigen,  die  begonnene  Arbeit  unverzagt  fortzusetzen,  die  wir  mit 
vereinten  Kräften  hoffentlich  auch  endlich  zum  Abschlüsse  bringen 
werden. 

Docent  Dr.  R  e  t  h  i  berichtigt,  dass  er  in  der  Discussion  über 
den  oben  erwähnten  Fall,  wie  aus  dem  offieiellen  Protokolle  hervor¬ 
geht,  sogleich  betont  hat,  es  sei  nicht  von  einem  wirklichen 
Krampf,  sondern  von  einer  übermässigen  Contraction  des 
M.  thyreo  arytaen.  sup.  die  Rede  gewesen,  welche  mit  den  Vor¬ 
gängen  bei  der  Aphonia  spastica  in  volle  Analogie 
zu  setzen  sei. 


29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

18.— 21.  April. 

(Fortsetzung.) 

Referent:  Dr.  Heinz  Wohlgemuth  (Berlin). 

Zweiter  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

I.  James  Israel  (Berlin) :  Ueber  Operationen  bei 
Nieren-  und  Uretersteinen.  (Fortsetzung.) 

Die  Exstirpation  hat  bei  primären  Steinnieren  und  in  verein- 
zelnten  Fällen  eine  Berechtigung;  niemals  darf  sie  bei  aseptischen 
Steinnieren  von  vorneherein  in  Aussicht  genommen  werden.  Unter  dem 
Zwange  eines  unvorhergesehenen  Unglücksfalles,  Zerreissung  der  Art. 
oder  Vena  renalis,  welche  durch  die  Naht  nicht  zu  beherrschen  wäre, 
kann  sie  zur  Nothwendigkeit  werden.  Aber  auch  bei  den  inficirten 
primären  Steinnieren  sollte  die  Exstirpation  in  Anbetracht  der  häufigen 
Doppelseitigkeit  der  Nierensteine  in  der  Regel  der  Nephrostomie 
weichen.  Als  secundäre  Operation  kann  sie  dagegen  geboten  sein.  Dies 
gilt  vor  Allem  für  die  ganz  ausnahmsweise  der  Nephrolithotomie  fol¬ 
genden  gefahrdrohenden  Hämaturien,  welche  nicht  durch  eine  Wieder¬ 
eröffnung  der  Niere  mit  nachfolgender  Tamponade  beherrscht  werden 
können,  was  z.  B.  bei  ausgesprochener  Hämophilie  sich  ereignen  kann. 
Er  hat  in  einer  solchen  Lage  die  Exstirpation  mit  Erfolg  ausgeführt. 
Fehlt  aber  die  Anomalie  der  Hämophilie,  so  führt  ein  profuser  Blut¬ 
erguss  in  die  Nierenhohlräume  alsbald  zu  einer  Spannung  der  Capsula 
fibrosa,  welche  die  Blutung  durch  ihren  elastischen  Gegendruck  zum 
Stehen  bringt.  Das  ist  der  Grund,  weshalb  vor  der  Ablösung  der 
Capsula  fibrosa  auf  das  Eindringlichste  zu  warnen  ist.  Bei  dem  einzigen 
Kranken,  den  er  am  Tage  nach  der  Operation  einer  uncomplicirten 
Nephrolithotomie  an  profuser  Hämaturie  verloren  hat,  war  er  ge¬ 
zwungen  gewesen,  durch  die  untrennbaren  Verwachsungen  der  beiden 


Hüllen  die  Niere  völlig  zu  entkapseln.  Daraus  ergibt  sich  die  Noth¬ 
wendigkeit,  die  unabsichtlich  oder  vorsätzlich  abgelöste  fibröse  Kapsel 
am  Schlüsse  der  Operation  wieder  zu  vereinigen,  uud  wenn  es  nicht 
gelingt,  auf  den  Nahtverschluss  der  Niere  zu  Gunsten  einer  sorgfältigen 
Tamponade  zu  verzichten. 

Der  Nachweis  der  Uretersteine  durch  cystoskopische  Ureter- 
sondiruug  ist  unsicher,  weil  ein  die  Sonde  festhaltendes  Ilinderniss 
nicht  nothwendig  ein  Stein  sein  muss.  Die  Normaloperation  soll  stets 
mit  der  Niere  auch  den  angrenzenden  Ureterabschnitt  freilegen.  Deutet 
seine  Ausdehnung  durch  Flüssigkeit  oder  die  retrograde  Sondirung 
auf  ein  peripher  gelegenes  Abflusshinderniss,  so  verfolgt  man  ihn  ab¬ 
wärts  bis  zur  Stelle  der  Steineinklemmung.  Ist  der  Stein  zu  mobili- 
siren,  so  verschiebt  man  ihn  aufwärts  bis  in  das  Nierenbecken  und 
entfernt  ihn  von  dort  durch  Nephrolithotomie  zugleich  mit  anderen 
etwa  in  der  Niere  befindlichen.  Ist  er  unverrückbar,  so  muss  er  durch 
eine  Längsincision  des  Ureters  entfernt  werden,  die  mit  einer  Lern- 
b  e  r  t’schen  Naht  geschlossen  wird.  Die  Nierenwunde  lässt  man  für 
den  Harnabfluss  offen,  um  die  ungestörte  Heilung  der  Ureternaht  zu 
sichern.  Ist  die  Naht  des  Ureters  nicht  möglich,  so  führt  man  einen 
retrograden  Verweilkatheter  vom  Nierenbecken  in  die  Blase,  dessen 
Ende  man  aus  der  Harnröhre  herausleiten  kann.  Eine  auf  die  Uretero- 
lithotomie  beschränkte  Operation  ohne  Freilegung,  respective  Eröffnung 
der  Niere  kann  überhaupt  nur  bei  fühlbarem  Stein  im  Kleinbeckentheil 
des  Ureters  in  Frage  kommen.  Man  kann  dann  entweder  von  der 
Vagina  oder  vom  Bauche  aus  extraperitoneal  Vorgehen,  im  letzteren 
Falle  durch  einen  parallel  zum  Lig.  Poupartii  verlaufenden  Schnitt. 
Doch  lässt  diese  Operation  etwaige  Nierensteine  unberücksichtigt,  macht 
die  Naht  in  der  engen  trichterförmigen  Wunde  sehr  schwierig  und  die 
prima  intentio  derselben  ist  nicht  gewährleistet,  wenn  nicht  der  Harn 
durch  eine  gleichzeitige  Nephrotomie  abgeleitet  wird.  Bei  eiterigem 
oder  ammoniakalischem  Harn  oder  gar  bei  fieberhafter  Pyelonephritis 
würde  die  Unterlassung  einer  gleichzeitigen  Nephrostomie  ein  grosser 
Fehler  sein. 

Wenn  bei  calculöser  Anurie  das  Nierenepithel  noch  nicht  durch 
zu  lange  Occlusion  irreparabel  geschädigt  ist,  so  vermögen  wir  durch 
breite  Spaltung  des  Nierenparenchyms  bis  ins  Becken  die  temporär 
erloschene  Leistungsfähigkeit  des  Organes  wieder  zu  erwecken.  Der 
Indicatio  vitalis  ist  genügt.  Finden  wir  nun  den  Stein  im  Anfangstlieile 
des  Ureters,  so  werden  wir  ihn  natürlich  sofort  entfernen,  liegt  er 
aber  in  einem  tiefen  Abschnitte  desselben,  insbesondere  im  kleinen 
Becken,  so  wird  es  von  dem  Kräftezustande  des  Patienten,  von  dem 
Grade  der  bereits  vorhandenen  urämischen  Erscheinungen,  von  der 
Toleranz  gegen  die  Narkose  abkängen,  ob  wir  die  Entfernung  des 
Steines  sogleich  oder  später  vornehmen.  Eine  lange  Narkose  kann  für 
das  Herz  Urämischer  leicht  verhängnisvoll  werden.  Eine  sofortige 
Nahtvereinigung  würde  nach  Entfernung  des  occludirenden  Steines  ein 
grosser  Fehler  sein,  weil  die  Druckentlastung  doch  Hauptsache  ist. 
Aus  demselben  Grunde  ist  es  irrationell,  bei  einer  länger  als  48  Stunden 
bestehenden  Occlusion,  bei  der  bereits  starke  renale  Anschoppung  und 
Drucksteigerung  erwartet  werden  muss,  sich  mit  Umgehung  der 
Nephrotomie  auf  die  Entfernung  eines  fühlbaren  Uretersteines  zu  be¬ 
schränken,  weil,  abgesehen  davon,  dass  oberhalb  des  fühlbaren  Steines 
der  eigentlich  occludirende  liegen  kann,  die  Vitalindication,  die  Druck¬ 
entlastung  unberücksichtigt  geblieben  ist.  Die  grösste  Schwierigkeit 
liegt  bisweilen  darin,  zu  erkennen,  welche  Niere  die  zuletzt  occludirte 
ist,  da  nur  an  dieser  eingegriffen  werden  soll.  Die  Anamnese  der 
letzten  Kolik  fehlt  bei  den  seltenen  Fällen  von  Anurie  ohne  Kolik 
und  in  den  häufigeren  von  urämischer  Benommenheit.  Aber  auch  durch 
wichtige  Angaben  kann  die  Diagnose  bisweilen  irregeführt  werden.  Er 
hat  beobachtet,  dass  der  letzte  die  Anurie  einleitende  Schmerzanfall 
an  der  der  frischen  Occlusion  entgegengesetzten  Seite  empfunden  wurde. 
Auch  die  objectiven  Befunde  sind  nicht  untrüglich.  Die  Schwellung 
der  abgesperrten  Niere  ist  entweder  nicht  erheblich  genug,  um  bei  der 
oft  bestehenden  Fettleibigkeit  und  meteoristisclien  Auftreibung  tastbar 
zu  sein,  oder  sie  beweist  nicht,  dass  sie  die  letztoccludirte  ist.  Bei  der 
häufigen  Doppelseitigkeit  des  Steinleidens  kann  der  gefüllte  Tumor 
eine  alte  Hydronephrose  sein,  die  vor  Zeiten  durch  Steinverschluss  des 
Ureters  entstanden,  functionell  schon  lange  nicht  mehr  in  Betracht 
kam,  bevor  durch  Verlegung  der  anderen  Niere  die  Anurie  erzeugt 
wurde.  Auch  der  vom  Mastdarm  oder  der  Vagina  gefühlte  Stein  kann 
der  Seite  angehören,  auf  welcher  eine  Ureterverstopfung  mit  consecu- 
tiver  Verödung  der  Niere  seit  Langem  bestand.  Brauchbar  zur  Er¬ 
kennung  der  letztoccludirten  Niere  ist  die  Beschränkung  des  Druck¬ 
schmerzes  auf  eine  Seite,  doch  fehlt  auch  dieses  Zeichen  häufig.  Da¬ 
gegen  ist  eine  ausschliesslich  auf  der  Seite  der  letzten  Occlusion  auf¬ 
tretende  reflectorische  Spannung  der  Bauchmusculatur  geeignet,  einen 
Fingerzeig  zu  geben.  Principiell  ist  die  Operation  mit  der  Freilegung 
der  verdächtigen  Niere,  nicht  aber  mit  der  eines  etwa  gefühlten  Ureter- 
steines  zu  beginnen.  Denn  nur  so  kann  ein  Fehlgriff  sofort  erkannt 
werden,  wenn  wir  ein  destruirtes  Organ  oder  eine  reflectorisch  unthätige 
Niere  ohne  Ureterverschluss  finden.  Haben  wir  die  falsche  Seito  ange 


496 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  21 


griffen  und  eine  reflectorisch  unthätige  Niere  gefunden,  so  dürfte  bei 
erst  kurzem  Bestände  der  Anurie  und  dem  Fehlen  jeder  urämischen 
Erscheinung,  falls  eine  längere  Narkose  nothwendig,  der  Versuch  ge¬ 
stattet  sein,  sich  vorläufig  mit  der  Incision  dieser  Seite  zu  begnügen. 
Am  nächsten  Tage  müssen  wir  jedenfalls  die  Seite  der  frischen  Occlu¬ 
sion  angreifen.  Der  Aufschub  ist  nicht  gestattet,  wenn  bereits  auch 
nur  leise  Anzeichen  beginnender  Urämie  vorhanden  sind,  oder  die  zu¬ 
erst  freigelegte  Niere  sich  im  Zustande  alter  irreparabler  organischer 
Schädigung  befindet. 

Discussion:  Czerny  (Heidelberg)  freut  sich,  dass  Israel 
die  Indicationen  zur  Operation  so  klar  und  bestimmt  zu  ziehen  im 
Stande  ist.  Er  ist  von  der  Pyelotomie  wegen  der  häufig  zurückbleiben¬ 
den  Fisteln  wieder  abgekommen  und  macht  nur  mehr  die  Nephrotomie. 
Er  hat  zweimal  Uretersteine  am  Ende  des  Ureters  gesehen,  einmal  hat 
er  ihn  herausbekommen,  das  zweite  Mal  musste  er  eine  Klystotomie 
machen.  Er  hält  es  für  sehr  schwierig,  zu  entscheiden,  wann  man  bei 
Anurie  nicht  operiren  soll.  In  einem  Falle  hat  er  z.  B.  links  incidirt, 
einen  Ureterstein  entfernt  und  der  Patient  ist  trotzdem  an  Urämie  zu 
Grunde  gegangen.  Bei  der  Section  fand  sich  ein  Stein  im  anderen 
Ureter  und  viele  kleine  Steine  im  Nierenbecken. 

Krönlein  (Zürich)  glaubt,  dass  die  Radioskopie  bei  der  Dia¬ 
gnose  von  Nieren-  und  Uretersteinen  von  grossem  Werth  ist.  In  einem 
Falle  ohne  jeden  Anhaltspunkt  hat  er  die  Laparotomie  zur  Inspection 
gemacht  und  constatirt,  dass  die  rechte  Niere  vollständig  fehlt.  Darauf 
hat  er  den  Bauch  wieder  geschlossen  und  ist  nun  extraperitoneal  auf 
die  linke  Niere  losgegangen,  konnte  aber  keinen  Stein  finden.  Da  er 
sich  damals  auch  scheute,  zu  incidiren,  ist  der  Patient  zu  Grunde  ge¬ 
gangen.  Die  Section  förderte  einen  Stein  zu  Tage,  5 — 6  cm  unterhalb 
des  Abganges  des  Ureters.  Die  Steine  im  unteren  Ende  des  Ureters, 
dort  wo  es  die  Ampulle  hat,  schlägt  er  vor,  durch  Cysto  Ureterotomie 
zu  entfernen. 

Kolaczek  (Breslau)  hat  auch  in  einem  Falle  von  Anurie  einen 
Stein  aus  dem  Anfänge  des  Ureters  entfernt  und  trotzdem  ist  der  Exitus 
eingetreten.  Bei  einem  zweiten  Falle  von  Abscessniere,  complicirt  mit 
Extrauteringravidität,  hat  er  die  einzelnen  Abscesschen  gespalten.  Später 
wurde  die  Extrauteringravidität  operirt. 

Z  o  n  d  e  c  k  (Berlin):  Man  soll  die  Nephrotomie  V2 — 3/4  cm  dorsal- 
wärts  vom  Seetionsschnitt  machen;  da  auch  das  Nierenbecken  mit 
seiner  grössten  Portion  dorsalwärts  liegt,  kommt  man  mit  diesem 
Schnitt  am  besten  auch  dort  hinein. 

Alsberg  (Altona)  hat  auch  einen  Ureterstein  extrahirt. 

Lauenstein  (Hamburg)  hat  beobachtet,  dass  die  Röntgen- 
Photographie  nicht  nur  Oxalatsteine,  sondern  auch  Phosphat¬ 
steine  erkennen  lassen.  In  Ansnahmsfällen  dürfe  man  wohl  eine 
primäre  Exstirpation  der  SteiDniere  machen,  wie  er  es  in  einem  Falle 
nöthig  hatte. 

K  ü  m  m  e  1 1  (Hamburg)  empfiehlt  die  retrograde  Drainage  durch 
Ureter,  Blase  und  Urethra.  Er  hat  dann  stets  die  Niere  wieder  ge¬ 
schlossen  und  gute  Resultate  erzielt.  Natürlich  ist  dies  Verfahren  bei 
eiterigen  Processen  nicht  möglich.  Quoad  Röntgographie  sind  Oxalat- 
und  Uratsteine  natürlich  am  besten  zu  sehen,  aber  auch  Phosphat¬ 
steine.  Die  Deutlichkeit  des  Bildes  ist  natürlich  sehr  abhängig  von 
der  Fettschicht  des  Patienten. 

Israel  (Berlin):  Seine  Erfahrungen  über  die  Röntgographie  in 
Bezug  auf  die  Diagnose  der  Steine  sind  ganz  geringe,  er  hat  meist 
undeutliche  Bilder  bekommen.  In  Hamburg  wird  die  Technik  wohl 
besser  ausgebildet  sein.  Was  nun  das  K  r  ö  n  1  e  i  n’sche  intraperitoneale 
Verfahren  anlangt,  so  glaubt  er,  dass  durch  die  Abtastung  recht  wenig 
zu  erreichen  ist,  wenn  die  Steine  nicht  sehr  gross  sind.  Auch  bei 
Solitärniere  hat  er  zweimal  operirt,  ja  er  glaubt  sogar,  dass  man  gerade 
hier  incidiren  muss,  weil  die  Herabsetzung  des  intrarenalen  Druckes 
in  den  meisten  Fällen  doch  eine  Indicatio  vitalis  ist.  Die  Spaltung  des 
Beckens  bei  Abscessniere  hält  er  für  nutzlos. 

II.  K  ü  m  m  e  1 1  (Hamburg) :  Die  Feststellung  der 
Functionsfähigkeit  der  Nieren  vor  operativen  Ein¬ 
griffen. 

Den  Ureterenkatheterismus  hält  Kümmell  heute  für  das 
souveräne  Mittel  zur  Feststellung  der  Functionsfähigkeit  der  Nieren. 
Doch  gibt  es  Fälle,  wo  diese  Feststellung  ausserordentlich  schwierig 
oder  gar  nicht  möglich  ist,  z.  B.  bei  der  Tuberculose  der  Harnorgane. 
Liefern  beide  Seiten  einen  nicht  intacten  Harn,  so  ist  man  immer  noch 
im  Zweifel,  wo  man  angreifen  soll.  Soll  man  z.  B.  bei  linksseitiger 
Tuberculose  und  rechtsseitigem  trüben  Urin,  wie  er  einen  Fall  beob¬ 
achtet  hat,  die  Exstirpation  wagen?  in  diesem  Falle  hat  er  die  Exstir¬ 
pation  gemacht,  der  andere  Urin  blieb  lange  Zeit  trübe,  wurde  aber 
schliesslich  wieder  klar  und  gesund.  In  einem  zweiten  Falle  ging  er 
ähnlich  vor.  Er  will  aber  nur  betonen,  dass  der  Harnleiterkatheteris¬ 
mus  nicht  immer  zuverlässig  ist.  Die  Gefahren  derselben  schätzt  er 
gering.  Er  hat  noch  nie  eine  Infection  gesehen.  Albarran  hat  in 


mehr  als  1000  Fällen  keine  Infection  gehabt,  doch  kann  sie  natürlich 
Vorkommen.  Einen  anderen  Weg  zur  Feststellung  der  Functionsfähig¬ 
keit  der  Niere  bemüht  sich  die  interne  Medicin  auf  physikalischem 
Wege  zu  finden,  nämlich  durch  Bestimmung  der  Ilarnstoffmenge  und 
des  Gefrierpunktes  des  Blutes  und  des  Urins  und  zwar  einmal  des 
Urins  beider  Nieren,  und  des  jeder  einzelnen.  Die  Bestimmung  des 
Harnstoffes  ist  einfach,  doch  am  wenigsten  sicher.  Man  nimmt  an, 
dass  das  Heruntergehen  desselben  von  20  g  auf  16#  in  24  Stunden 
einen  schweren  operativen  Eingriff  mit  Entfernung  einer  Niere  nicht 
rathsam  erscheinen  lässt.  Viel  genauere  Resultate  gibt  die  Bestimmung 
des  Gefrierpunktes  der  körperlichen  Flüssigkeiten,  wie  sie  van 
t’H  off,  K  o  r  4  n  y  i,  Senator  u.  A.  schon  gemacht  haben.  Blut  hat 
bekanntlich  einen  Gefrierpunkt  unter  dem  des  destillirten  Wassers, 
sobald  aber  die  Nierenfunction  im  Verhältniss  zum  Stoffwechsel  unzu¬ 
reichend  wirkt,  sinkt  der  Gefrierpunkt.  Bei  Entfernung  einer  Niere 
sinkt  er  anfangs  ebenfalls  in  Folge  der  der  anderen  Niere  aufge¬ 
bürdeten  Doppelleistung,  wird  aber  bald  wieder  ausgeglichen.  Redner 
macht  die  Wahrscheinlichkeit  dieser  Angaben  an  einer  aufgestellten 
Tabelle  klar.  Ein  Gefrierpunkt  von  0'9°  unterhalb  des  Urins  deutet 
auf  eine  Insufficienz  der  Niere  hin,  auf  ein  Uebergreifen  des  Krank- 
heitsprocesses  auf  die  Substanz.  Dies  scheint  wichtig,  da  wir  nach  dem 
Vorgehen  von  Israel  im  Begriffe  stehen,  auch  eine  Auswahl  von 
internen  Erkrankungen  der  Niere  in  den  Bereich  unseres  chirurgischen 
Handelns  zu  ziehen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  25.  Mai  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Csokor 

stattflnder  dsD 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  Emil  Kraus:  Ueber  die  Verbreitung  der  Gonococcen  im 
Gewebe  des  gonorrhoisch  erkrankten  Uterus  und  seiner  Adnexe.  Vorläufige 
Mittheilung.) 

2.  Hofrath  S.  Exner:  Demonstration  eines  Mikrophons  zur  acustischen 
Beobachtung  der  Schallschwingungen  am  menschlichen  Gehörorgan. 

3.  Prof.  Englisch:  Zur  Hypertrophie  der  Prostata. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  Weinlechner,  Fein 
und  Wertheim. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 
Programm 

für  die 

Montag,  den  28.  Mai  1900,  6  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  k.  k.  Universitäts-Ohrenklinik 

stattfindende 

Wissenschaftliche  »Sitzung : 

1.  Vortrag  des  Herrn  Dr.  G.  Alexander  :  Ueber  eine  seltene  Miss¬ 
bildung  der  Ohrmuschel. 

2.  Demonstrationen.  [Angemeldet  die  Herren :  Prof.  Politzer, 
Doctoren  Alt,  Hammerschlag,  Alexander  (ein  Modell  des  Trommelfelles 
zu  Unterrichtszwecken],  Dr.  Frey.) 

Prof.  Dr.  A.  Politzer,  Dr.  Josef  Poliak,  Dr.  Hugo  Frey, 

Vorsitzender.  Seeretär.  Schriftführer. 


Oesterreichische  Gesellschaft  für  Gesundheitspflege, 

I.  Börsegasse  1. 

Mittwoch  den  30.  Mai  1900.  7  Uhr  Abends, 

V  oll  versammln  ng 

im  Hörsaale  des  k.  k.  hygienischen  Universitäts-Institutes,  IX.,  Schwarz¬ 
spanierstrasse  17. 

Tagesordnung: 

1.  Mittheilungen  des  Vorsitzenden  und  Vereinsangelegenheiten. 

2.  Demonstration  eines  neuen  Apparates  zur  Bestimmung  der 
Mauerfeuchtigkeit  durch  Herrn  k.  k.  Bezirksarzt  Cr.  G.  M  a  r  k  1. 

3.  Demonstration  von  Thermophor-Apparaten  durch  Herrn  Ingenieur 
Otto  Jeserich. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redaction: 

Telephon  Nr.  3373.  Redisrirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

o 


Dio  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

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gen  und  Geldsendungen  an 
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deren  Abbestellung  nicht 
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neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
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zeile  berechnet.  Grössere 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  31.  Mai  1900 


Nr.  22. 


inSTHALT: 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  I.  medicinischan  Klinik  in  Wien  (Hofrath 
Nothnagel).  Zur  Kenntniss  der  agglutinirenden  Fähigkeiten 
des  menschlichen  Blutserums.  Von  Dr.  Julius  Donath, 
Assistent  an  der  I.  medicinischen  Klinik. 

2.  Aus  der  III.  chirurgischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien.  Beitrag  zur  Casuistik  der  Choledocho- 
tomie  und  Cholecystenteroanastomose.  Von  Dr.  Fritz  P  e  n  d  1, 
Assistent  und  zeitweiliger  Leiter  der  Abtheilung. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

3.  Notiz  über  die  Marieubader  Rudolfs-Quelle.  Von  Dr.  Al.  Grimm 
(Marienbad). 

II.  Referate:  Coxa  vara.  Sammelreferat  von  Dr.  Sigmund  E  r  d  h  e  i  m 
(Wien). 

III.  Therapeutische  Notizen. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  in  Wien  (Hofrath  Noth¬ 
nagel). 

Zur  Kenntniss  der  aggiutinirenden  Fähigkeiten 
des  menschlichen  Blutserums. 

Vou  Dr.  Julius  Donath,  Assistent  an  der  I.  medicinischen  Klinik. 

Ehrlich  und  Morgenroth  haben  in  j üngster  Zeit 
über  Versuche  berichtet,  in  welchen  experimentell  durch  Injec¬ 
tion  von  Blut  einer  Thierspecies  im  Blutserum  anderer  Indivi¬ 
duen  derselben  Species  hämolytische  Stoffe  erzeugt 
wurden.  Sie  erhielten  dabei  unter  Anderem  folgende  bemerkens- 
werthe  Ergebnisse:  Das  Serum  eines  mit  Ziegen blut  in  ent¬ 
sprechender  Weise  vorbehandelten  Ziegenbockes  zeigte  schon 
nach  wenigen  Tagen  ein  deutliches  L’ösungsvermögen  für 
Ziegenblut;  es  erwies  sich  gegenüber  der  Mehrzahl  von  neun 
Ziegen,  die  geprüft  wurden,  stark  wirksam,  gegenüber  einigen 
schwächer  wirksam  und  gegenüber  dem  Blute  einer  Ziege  war 
es  ganz  unwirksam.  Den  eigenen  Blutkörperchen  gegenüber 
war  das  Serum  vollkommen  unwirksam.  Bei  einer  zweiten 
ebenso  behandelten  Ziege  trat  erst  in  einem  späteren  Zeit¬ 
punkte  ein  Hämolysin  im  Serum  auf,  welches  sich  aber  von 
dem  des  ersten  Thieres  wesentlich  unterschied:  es  zeigte  sich, 
dass  das  Blut  einzelner  Thiere,  das  gegen  das  erste  Hämolysin 
sehr  empfindlich  war,  dem  zweiten  Hämolysin  gegenüber  sehr 
wenig  empfindlich  war,  und  umgekehrt.  Wieder  andere  Ver¬ 
hältnisse  zeigten  sich  bei  einem  dritten  ebenso  gewonnenen 
Hämolysin. 

Diese  Ergebnisse  sind  in  vollkommener  Ueberein- 
stimmung  mit  den  Erfahrungen,  die  bei  Injectionen  von  Blut 
einer  vom  Versuchsthiere  verschiedenen  Species  schon 
länger  bekannt  sind  und  von  Bordet,  Landsteiner, 
v.  Düngern  und  Ehrlich  und  Morgenroth  selbst  ge¬ 
nauer  studirt  wurden.  Während  es  sich  aber  dort  um 
Heterolysine  handelt,  haben  wir  es  bei  den  jüngsten  Ver- 

')  P.  Ehrlich  und  J.  Morgenroth,  Uober  Hämolysine.  Ber¬ 
liner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  21. 


suchen  von  Ehrlich  und  M  orgenroth  mit.  Isolysinen 
zu  thun.  Auf  die  weiteren,  theoretisch  besonders  interessanten 
Ausführungen  der  Arbeit  soll  hier  nicht  näher  eingegangen 
werden. 

Diese  Mittheilung  gibt  mir  Veranlassung,  im  Folgenden 
kurz  über  gewisse  Erscheinungen  zu  berichten,  die  ich  im 
Verlaufe  von  Untersuchungen  über  die  Blutkörperchen- 
agglutinirenden  Eigenschaften  menschlichen  Blut¬ 
serums  beobachten  konnte. 

Dass  menschliches  Blutserum  nicht  nur  auf  thierische, 
sondern  auch  auf  menschliche,  von  anderen  Individuen  stam¬ 
mende  Blutkörperchen  agglutinirend  wirkt,  wurde  in 
letzter  Zeit  schon  von  Landsteiner -)  hervorgehoben;  be¬ 
sonders  ausgeprägt  fand  er  dieses  Verhalten  bei  Blut,  welches 
von  Schwerkranken  herrührte,  aber  auch  öfters  bei  gesunden 
Individuen. 

Meine  Untersuchungen  betreffen  vorläufig  anämische 
Zustände,  und  zwar  Chlorosen  (28),  verschiedenartige  und 
verschieden  schwere  secundäre  Anämien  (20),  eine  Leukämie, 
eine  pernieiöse  Anämie.  Die  Prüfung  wurde  in  der  Weise  vor¬ 
genommen,  dass  das  Blut  einer  gesunden  Person  mit  0'85% 
NaCi  Lösung  verdünnt(gewöhnlich  im  Verhältnisse  0‘5 — 0'8: 100 
im  Melangeur  für  rothe  Blutkörperchen)  und  in  einem  Uhr¬ 
gläschen  mit  gemessenen  Mengen  (gewöhnlich  im  Verhältnis« 
1 : 1  oder  1 : 2)  des  zu  prüfenden  menschlichen  Blutserum  ver¬ 
mengt  wurde;  von  der  Mischung  wurde  dann  ein  hängender 
Tropfen  im  hohlen  Objectträger  in  verschiedenen  Zeitinter¬ 
vallen  untersucht. 

Das  Serum  aller  Fälle  wurde  bezüglich  seiner  aggiuti¬ 
nirenden  Fähigkeit  auf  mein  eigenes  Blut  (Blut  Ä)  geprüft; 
das  Serum  einer  Anzahl  dieser  Kranken  wurde  noch  bezüg¬ 
lich  seiner  Wirkung  auf  das  Blut  anderer  gesunder  Personen 
(Blut  B,  C,  D  etc.)  untersucht. 


")  K.  Landsteiner,  Zur  Kenntniss  der  antifermentativen,  lytischen 
und  aggiutinirenden  Wirklingen  des  Blutserums  und  der  Lymphe.  Central- 
blatt  für  Bacteriologie  etc.  1900,  Bd.  NX VII. 


498 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  22 


Die  Untersuchungen  wurden  in  den  meisten  Fällen 
mehrmals  und  zu  verschiedenen  Beobachtungszeiten  vorge¬ 
nommen;  auf  weitere  Einzelheiten  kann  an  dieser  Stelle  nicht 
eingegangen  werden. 

Es  ergab  sich,  dass  die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Chlorosen  auf  Blut  A  stärker  (18)  oder  schwächer  (3) 
agglutinirend  wirkte,  während  eine  zweite,  kleinere  Reihe  (7) 
keine  agglutinirende  Wirkung  auf  Blut  A  zeigte. 

Bei  den  secundären  Anämien  zeigte  sich  nur 
siebenmal  agglutinirende  Wirkung  auf  BlutA;  in  den  übrigen 
Fällen  fehlte  dieselbe. 

Eine  Leukämie  agglutinirte  Blut  A  sehr  stark. 

Eine  perniciöse  Anämie  hatte  keine  agglutinirende 
Wirkung. 

Dass  diese  Verhältnisse  nicht  blos  einfach  von  der  Art 
und  Schwere  der  untersuchten  Anämie  abhängen,  sondern  viel 
complicirter  und  derzeit  noch  unaufgeklärt  sind,  zeigte  mir  eine 
blosse  Betrachtung  der  Fälle. 

Die  Variabilität  der  Erscheinungen  geht  aber  noch 
weiter:  Es  fand  sich  mehrmals  ein  Anämieserum,  welches 
B  1  u  t  A  deutlich  und  rasch  agglutinirte,  sich  aber  für  das  Blut 
eines  anderen  gesunden  Individuums  (Blut  B ),  das  von 
mehreren  Seris  Anämischer  in  der  gleichen  Weise  beeinflusst 
wurde  wie  Blut  A,  unwirksam  erwies,  ein  anderes  Serum 
agglutinirte  B 1  u  t  A  und  B  1  u  t  B  nicht,  wohl  aber  Blut  0. 
Da  mir  nur  Blut  A  beliebig  oft  zur  Verfügung  stand,  konnte 
ich  nicht  alle  Versuche  mit  verschiedenen  Blutsorten  aus¬ 
führen;  weitere  Combinationen  hätten  sich  sonst  ergeben. 

Die  Blut  A  agglutinirenden  Blutsorten  von  Kranken 
wurden  mehrmals  auch  unter  einander  auf  Agglutinations¬ 
vermögen  geprüft,  ohne  dass  es  gelang,  bei  dieser  Combination 
Agglutination  zu  erzeugen. 

Das  Blut  gesunder  Individuen  wirkte  in  der  Regel 
nicht  agglutinirend;  bei  zwölf  gesunden  Individuen,  deren  Blut 
unter  einander  in  verschiedenen  Combinationen  auf  Agglutina¬ 
tion  geprüft  wurde,  konnte  nur  viermal  eine,  wenn  auch  ge¬ 
wöhnlich  schwache,  Agglutination  festgestellt  werden. 

Eine  genauere  Kenntniss  der  Bedingungen,  unter  welchen 
die  Blutkörperchen-agglutinirenden  Stoffe,  die  im  Sinne  Ehr¬ 
lich’s  als  Isoagglutinine  zu  bezeichnen  wären,  im  Blute  auf- 
treten,  werden  vielleicht  weitere  Untersuchungen  erbringen 
können. 


Aus  der  III.  chirurgischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allge¬ 
meinen  Krankenhauses  in  Wien. 

Beitrag  zur  Casuistik  der  Choledochotomie  und 
Cholecystenteroanastomose. 

Von  Dr.  Fritz  Pendl,  Assistent  und  zeitweiliger  Leiter  der  Abtheilung. 

Es  sei  mir  gestattet,  im  Folgenden  zwei  Fälle  von  Ver¬ 
schluss  des  Ductus  choledochus  zur  allgemeinen  Kenntniss  zu 
bringen ;  der  erste,  anfangs  durch  Steineinklemmung  bedingt, 
führte  nach  anscheinend  glücklich  verlaufener  Choledochotomie 
zum  narbigen  Verschlüsse  des  Ductus  choledochus,  erst  durch 
die  secundär  angeschlossene  Cholecystenteroanastomose  wurde 
die  Kranke  dauernd  geheilt. 

Der  Fall  beansprucht  allgemeines  Interesse,  da  der  nar¬ 
bige  Verschluss  des  Ductus  choledochus,  der  sich  nach  Extraction 
des  obturirenden  Steines  einstellte  und  zur  zweiten  Operation 
Veranlassung  gab,  gewiss  keine  häufige  Erscheinung  ist. 

Im  zweiten  Falle  war  die  Ursache  des  Verschlusses  ein 
Carcinom  des  Pankreaskopfes. 

Die  Krankengeschichte  des  ersten  Falles  ist  die  folgende: 

Marie  W.,  29  Jahre  alt,  wurde  am  15.  Mai  1899  an  die 
Klinik  des  Hofrathes  Neusser  aufgenommen. 

Anamnese:  Eltern  der  Patientin  sowie  zwei  Geschwister 
sind  gesund.  Kinderkrankheiten  will  Patientin  keine  überstanden 
haben. 

Geboren  hat  Patientin  viermal,  drei  Kinder  starben  bald  nach 
der  Geburt  an  Gedärmkatarrh,  eines  ist  am  Leben  und  gesund. 


Seit  November  1896  häufig  Herzklopfen  und  Kurzat Innigkeit,  Ende 
1896  überstand  Patientin  einen  Gelenksrheumalismus,  seither  Herz¬ 
klopfen  häufiger. 

Ihre  gegenwärtige  Erkrankung  begann  vor  sieben  Wochen; 
Patientin,  die  schon  früher  seit  ungefähr  vier  Jahren  an  zeitweisen 
Magenkrämpfen,  Aufstossen  und  Erbrechen  litt,  erkrankte  am 
28.  März  1.  J.  unter  sehr  heftigen  krampfartigen  Schmerzen  in  der 
Magengrube,  welche  unter  den  rechten  Rippenbogen  und  gegen  die 
rechte  Schulter  ausstrahlten. 

Die  Schmerzen  begannen  beiläufig  eine  halbe  Stunde  nach  dem 
Mittagessen  und  dauerten  bis  gegen  Mitternacht  in  unveränderter 
Stärke  an.  Gegen  Abend  stellte  sich  Schüttelfrost  und  Fieber  ein. 
Patientin  erinnert  sich  nicht,  sich  den  Magen  vorher  mit  etwas 
verdorben  zu  haben,  da  sie  schon  einige  Tage  vorher  an  Appetit¬ 
losigkeit  litt  und  in  Folge  dessen  nur  Milch  und  Suppe  zu 
sich  nahm. 

Am  anderen  Morgen  bemerkte  Patientin  eine  Gelbfärbung  in 
den  Augen  und  im  Gesichte,  welche  nach  zwei  Tagen  auf  die 
Haut  des  ganzen  Körpers  sich  erstreckte.  Die  Farbe  des  Stuhles 
wurde  weisslichgrau,  der  Harn  dunkelbraun. 

Dieser  Zustand  dauerte  durch  vier  Wochen  hindurch  an;  die 
Schmerzen  kamen  täglich,  und  zwar  manchmal  gleich  nach  dem 
Frühstück,  einige  Male  um  11  Uhr  Vormittags,  meistens  aber  bald 
nach  dem  Mittagessen. 

Regelmässig  zwischen  5  und  6  Uhr  Abends  wurde  Patientin 
von  Schüttelfrösten  befallen. 

Drei-  bis  viermal  während  der  Erkrankung  erbrach  Patientin 
eine  grünliche,  bitter  schmeckende  Flüssigkeit,  ohne  hierauf  Er¬ 
leichterung  zu  verspüren.  Patientin  trank  Karlsbader  Mühlbrunnen 
und  nahm  Pulver,  worauf  die  Beschwerden  nachliessen.  Seit  drei 
Wochen  fühlt  sich  die  Patientin  wesentlich  besser,  die  Schmerzen 
stellten  sich  nicht  mehr  ein  (Druckempfindlichkeit  in  der  Magen¬ 
grube  blieb  bestehen),  das  Fieber  blieb  aus.  Der  Appetit  besserte 
sich,  nur  die  Gelbfärbung  blieb  bestehen.  Dazu  gesellte  sich  leb¬ 
haftes  Hautjucken,  und  seit  den  letzten  acht  Tagen  Ohrensausen 
und  Abnahme  des  Hörvermögens.  Gelbsehen  beobachtete  Pa¬ 
tientin  nie. 

Der  Stuhl  blieb  andauernd  weisslichgrau,  der  Harn  dunkel 
gefärbt.  Lues  wird  negirt. 

Status  praesens  vom  16.  Mai:  Patientin  mittelgross, 
von  gracilem  Knochenbau,  schlaffer  Musculatur  und  geringem  Pan- 
niculus  adiposus.  Haut  des  ganzen  Körpers  ikterisch,  zahlreiche 
Blutpünktchen  in  Streifen  angeordnet  (Kratzeffecte)  aufweisend, 
elastisch,  feucht.  Conjunctiven  intensiv  gelb  gefärbt;  die  Augen  im 
Uebrigen  normal. 

An  Mund,  Rachen,  Hals  keine  wesentlichen  Veränderungen. 

Lungenbefund  normal,  an  der  Herzspitze  ein  systolisches 
Geräusch,  zweiter  Ton  an  der  Pulmonalis  laut  accentuirt. 

An  der  Haut  des  Abdomens  Schwangerschaftsnarben. 

Leber:  Percussion  ergibt  Beginn  der  Dämpfung  an  der  sechsten 
Rippe  in  der  Parasternallinie,  nach  abwärts  vier  Querfinger  unter 
der  Spitze  des  Processus  xiphoideus,  dann  in  der  Parasternallinie 
lappenförmig  vorspringend  circa  drei  Querfinger  unter  dem  Rippen¬ 
bogen,  in  der  Seite  unter  dem  Rippenbogen  verschwindend. 

Consistenz  nicht  erhöht,  Gallenblase  nicht  zu  tasten.  Milz 
nicht  vergrössert.  Keine  Oedeme. 

Im  Harne:  Nucleoalbumin  in  Spuren,  Gallenfarbstoff  -)-, 
Urobilin  -|-,  — ;  Therapie:  Karlsbader  Mühlbrunnen. 

18.  Mai.  Im  Status  keine  wesentliche  Aenderung  zu  bemerken. 
Ikterus  anhaltend.  Bei  radiographischer  Untersuchung 
wurden  Gallensteine  gefunden. 

Von  18.  bis  27.  Mai  änderte  sich  nichts  Wesentliches  im 
Zustande  der  Patientin. 

Am  27.  Mai  um  11  Uhr  Vormittags  stellten  sich  intensive 
drückende  Schmerzen  in  der  Magengrube  ein,  die  unter  den  rechten 
Rippenbogen  ausstrahlen. 

Dieselben  dauern  bis  '/27  Uhr  Abends  an,  zu  welcher  Zeit 
eine  Morphininjection  gemacht  wird.  Hierauf  Erbrechen  —  Er¬ 
leichterung. 

Temperatur  4  Uhr  p.  m.  36‘6 

6  Uhr  »  »  38-0 

[  8  Uhr  »  »  378. 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


499 


28.  Mai.  Morgentemperatur  37,  Puls  60,  Harn  intensiver 
gefärbt,  sonst  Wohlbefinden.  ,/212  Uhr  Mittags  neuerdings  Schmerzen 
bis  Abends  andauernd  —  wie  gestern. 

29.  Mai.  Ikterus  hat  zugenommen,  4  Uhr  Nachmittags 
Anfall,  Dauer  fünf  Stunden. 

1.  Juni.  Von  9  Uhr  Vormittags  bis  7  Uhr  Abends  ein 
Anfall,  von  4 — 6  Uhr  Nachmittags  geringe  Temperatursteigerung. 

2.  Juni.  Patientin  bekam  um  2  Uhr  Nachmittags  einen 
Anfall  mit  Schmerzen  im  rechten  Hypochondrium.  Temperatur  S8'2. 
Dauer  bis  7  Uhr  Abends;  zwei  Stühle,  in  denselben  keine  Con- 
cremente  auffindbar. 

3.  Juni.  Von  2 — 8  Uhr  Abends  Anfall,  höchste  Tem¬ 
peratur  39'2,  Ikterus  bedeutend  zugenommen. 

7.  Juni.  Seit  3.  Juni  kein  Anfall.  Ikterus  und  übriger  Zu¬ 
stand  im  Gleichen. 

Am  8.  Juni  wurde  die  Patientin  von  der  Klinik  N  e  u  s  s  e  r 
behufs  Operation  auf  die  III.  chirurgische  Abtheilung  transferirt. 

Am  13.  Juni  Vormittags  nahm  ich  die  Operation  vor.  Chloro¬ 
form-  Aether-Alkoholnarkose.  Schnitt  am  äusseren  Rande  des 
rechten  Musculus  rectus,  am  Rippenbogen  beginnend  und  10  cw 
nach  abwärts  verlaufend.  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  stellt 
sich  sofort  die  ganseigrosse,  prall  gespannte,  überall  freie  Gallen¬ 
blase  ein. 

In  der  Gallenblase  lassen  sich  Steine  tasten,  sie  wird  sowohl 
aus  diesem  Grunde  als  auch  wegen  der  durch  Fieber  und  Anfälle 
manifest  gewordenen  Infection  des  Gallentractes  eröftnet;  es  ent¬ 
leeren  sich  aus  ihr  mit  dickflüssiger  Galle  fünf  etwa  bohnengrosse 
Steine.  Hierauf  wird  die  Leber  sammt  der  Gallenblase  von  einem 
Assistenten  nach  aufwärts  unter  den  Rippenbogen  gedrängt  und 
nun  mit  dem  Zeigefinger  der  linken  Hand  in  das  Foramen  Wins- 
lowii  eingegangen.  Es  zeigte  sich  nun,  dass  der  gewählte  Längs¬ 
schnitt  eine  zu  geringe  Zugänglichkeit  gewährt,  und  er  wird  des¬ 
halb  durch  einen  den  Musculus  rectus  durchtrennenden,  vom  un¬ 
teren  Wundwinkel  quer  nach  innen  verlaufenden,  5  cm  langen 
Schnitt  ergänzt. 

Hierauf  wird  der  fingerdicke  Ductus  choledochus  aufgeladen; 
in  demselben  lassen  sich  viele  rosenkranzförmig  angeordnete,  gegen 
einander  etwas  bewegliche  Steinchen  tasten;  etwa  1cm  über  der 
Einmündung  des  Duodenums  befindet  sich  ein  Stein,  der  eingekeilt 
zu  sein  scheint. 

Ueber  demselben  wird  ein  etwa  1  ‘/2  cm  langer  Längsschnitt 
im  Ductus  choledochus  angelegt,  aus  welchem  reichlich  Galle 
strömt;  der  scheinbar  eingekeilte  Stein  lässt  sich  leicht  lösen, 
und  es  ergibt  sich  bei  weiterer  Untersuchung,  dass  unmittelbar 
hinter  der  V  a  t  e  r’schen  Papille  ein  Stein  in  doppelter  Bohnen¬ 
grösse  fest  eingekeilt  liegt;  derselbe  lässt  sich  nach  oben  drängen 
und  aus  der  Choledochuswunde  entwickeln;  während  dieser  Mani¬ 
pulationen  strömt  aus  der  durch  die  Umgebung  durch  Gazestreifen 
gesicherten  Choledochusöffnung  reichlich  Galle;  dieselbe  schwemmt 
erbsen-  bis  bohnengrosse  Steinchen  in  grosser  Zahl  heraus,  so  dass 
schliesslich,  nach  Herabholung  zweier  Steine  aus  dem  Ductus  hepa- 
ticus,  22  Steine  aus  der  Oeffnung  des  Ductus  choledochus  entfernt 
worden  waren.  Es  wird  nun  versucht,  mit  einer  breiten  Hohlsonde 
durch  den  Ductus  choledochus  in  das  Duodenum  einzudringen, 
was  anstandslos  und  ohne  Berührung  eines  Concrementes  gelingt. 
Hierauf  wird  der  Ductus  choledochus  durch  einen  Nelaton-Katheter, 
der  bei  seinem  Austritte  aus  der  Choledochuswunde  durch  eine 
Seidennaht  fixirt  wird,  nach  aussen  vor  die  Bauchwunde  drainirt, 
die  Wunde  im  Ductus  choledochus  dem  Katheter  entsprechend 
verkleinert;  die  Umgebung  der  drainirten  Oeffnung  wird  durch 
einen  umgelegten  Jodoformgazestreifen  geschützt.  Hierauf  wird  die 
Gallenblasenöffnung  in  das  Peritoneum  parietale  eingenäht  und  die 
Gallenblase  ebenfalls  nach  aussen  drainirt.  Schluss  der  Bauchwunde 
bis  auf  einen  für  die  beiden  Drainrohre  freigelassenen,  kleinen 
Raum. 

Sowohl  aus  dem  in  die  Gallenblase  als  aus  dem  in  den 
Ductus  choledochus  eingelegten  Drainrohr  entleert  sich  Galle  in 
ziemlich  reichlicher  Menge  —  mehr  jedoch  aus  der  Gallenblasen¬ 
öffnung.  Die  Galle  ist  im  Allgemeinen  klar,  hochgelb,  mit  einzelnen 
krümeligen  Trübungen.  Die  beiden  Drains  werden  verlängert  und  in 
ein  zur  Seite  des  Bettes  stehendes  Glasgefäss  geleitet. 

14.  Juni.  Geringes  Erbrechen,  die  Patientin  fühlt  sich  ziemlich 
wohl,  reichliche  Gallenentleerung,  Temperatur  normal. 


Am  15.  Juni.  Stuhlabgang  mit  leicht  choli scher  Färbung. 

16.  Juni.  Andauerndes  Wohlbefinden. 

19.  Juni.  Der  Katheter  aus  dem  Ductus  choledochus  wird 
entfernt,  die  Tampons  werden  aus  der  Wunde  gezogen;  die  Drai¬ 
nage  der  Gallenblase  bleibt  erhalten,  gegen  den  Ductus  choledochus 
wird  ein  kurzes  Drainrohr  eingelegt. 

23.  Juni.  Die  Gallenblasenfistel  secernirt  reichlich. 

Am  21.  und  22.  Juni  fanden  Entleerungen  gallig  gefärbter 
Fäces  statt.  Ikterus  bedeutend  geschwunden.  Esslust. 

I.  Juli  1899.  Die  Patientin  verlässt  das  Bett.  Gallenblasen¬ 
fistel  secernirt  reichlich,  die  Bauchwunde  im  Uebrigen  geschlossen. 
Gelbfärbung  der  Stühle  sehr  wechselnd. 

15.  Juli.  Patientin  hat  sich  sehr  erholt,  ist  nicht  mehr 
ikterisch;  aus  der  Fistel  entleert  sich  sehr  viel  Galle;  seit  etwa 
zehn  Tagen  die  Stühle  vollständig  acholisch. 

Die  Patientin  bleibt  bei  andauerndem  Wohlbefinden  in  weiterer 
Beobachtung. 

20.  August.  Es  wird  die  Gallenblasenfistel  mechanisch  ver¬ 
schlossen,  um  durch  Hebung  des  Secretionsdruckes  den  anscheinend 
neuerdings  verstopften  Ductus  choledochus  durchgängig  zu  machen. 
Es  gelingt  dies  ebensowenig,  als  durch  unter  mässigem  Drucke 
vorgenommene  Einspritzungen  von  aseptischer,  physiologischer 
Kochsalzlösung. 

Es  wird  der  Patientin  in  Folge  dessen  gerathen,  sich,  da  ein 
Steinrecidiv  vermuthet  wird,  neuerdings  einer  Operation  zu  unter¬ 
ziehen;  die  Patientin,  die  indessen  an  Körpergewicht  wesentlich  zu¬ 
genommen  hat  und  blühend  aussieht,  willigt  erst  nach  längerer 
Zeit  ein  und  wird  am 

10.  October  1899  neuerdings  operirt.  Operateur:  Dr.  Pen  dl. 
Chloroform-Aether- Alkoholnarkose.  Schnitt  in  der  sagittalen  Narbe; 
Ablösung  der  Gallenblasenfistel  von  der  vorderen  Bauchwand;  nach 
Lösung  der  Adhäsionen  wird  auf  den  Ductus  choledochus  einge¬ 
gangen,  in  demselben  kein  Stein,  sondern  das  untere  Ende  des 
Ductus  als  derber  Strang  gefühlt.  Da  also  eine  Wegsamkeit  des 
Ductus  choledochus  nicht  mehr  herzustellen  ist,  wird  beschlossen, 
die  Gallenblase  in  das  Duodenum  einzunähen,  ln  Folge  der  Ver¬ 
kleinerung  der  Leber  und  Fixation  des  Duodenums  ist  es  nicht 
möglich,  eine  andere  Stelle  der  Gallenblase,  als  die  früher  an  der 
Haut  adhärente  Fistel  an  das  Duodenum  heranzuziehen.  Diese 
Oeffnung  wird  nun  durch  Umschneidung  angefrischt  und  nun  mit 
doppelreihiger  Naht  in  einen  queren  Schlitz  des  Duodenums  ein¬ 
genäht;  Blutung  gering.  Da  die  Serosa  der  Gallenblase  wegen  breiter 
Anheftung  an  die  vordere  Bauchwand  in  weiter  Ausdehnung  binde¬ 
gewebig  verdickt  erscheint  und  ihr  in  Folge  dessen  nicht  die  nor¬ 
male  Verklebungsfähigkeit  zugesprochen  wird,  so  wird  die  ganze 
Nahtlinie  durch  eingelegte  Gazestreifen  gesichert.  Bauchnaht. 

II.  October.  Puls  84,  Temperatur  normal,  mehrmals  Er¬ 
brechen  von  mit  frischem  Blut  gemischtem  Mageninhalt. 

13.  October.  Abgang  schwarzer  Stühle.  Subjectives  Wohl¬ 
befinden. 

15.  October.  Entfernung  der  Gazestreifen.  Nach  der  Entfernung 
der  Streifen  fliesst  etwas  Galle  aus  der  Wunde. 

20.  October.  Stühle  gelb  gefärbt;  zeitweise  etwas  Gallenabfluss 
aus  der  Wunde. 

25.  October.  Der  Gallenabfluss  aus  der  Wunde  hat  aulgehört, 
die  Wunde  granulirt  gut. 

6.  November  wird  die  Patientin  mit  subjectivem  Wohlbefinden, 
vollkommen  geschlossener  Wunde  und  geregelter  Verdauung 
entlassen. 

Der  Fall  verlangt  nach  verschiedenen  Richtungen  nähere 
Erörterung  Die  Indication  zur  Operation  an  und  für  sich  war  wohl 
zweifellos  gegeben.  Sämmtliche  Autoren,  welche  sich  mit  diesem 
Gegenstände  beschäftigen,  seien  es  Internisten  oder  Chirurgen, 
und  schränken  sie  die  Operation  bei  Cholelithiasis  noch  so  sehr 
ein,  sind  darüber  einig,  dass  bei  chronischem  Choledochusver- 
schluss  durch  Stein  die  Operation  zu  empfehlen  sei  (Riedel, 
P  o  p  p  e  r  t,  Langenbuch,  Kehr,  Naunyn,  Loebker, 
Fergusson,  Petersen,  Quenn).  Von  Seite  der  Inter¬ 
nisten  (Naunyn)  wird  allerdings  empfohlen,  eine  Karlsbader 
Cur  durchmachen  zu  lassen,  und  erst  nach  ihrer  erfolgten  Be¬ 
endigung  zur  Operation  zu  schreiten.  Ein  Unterschied  in  den 
Auffassungen  der  Chirurgen  besteht  nur  darin,  ob  der  Ductus 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  22 


choledochus  eröffnet  werden  soll,  oder  die  Steine  aus  demselben 
in  die  Gallenblase  zurückgeschoben  werden  und  aus  letzterer 
entfernt  werden  sollen.  Die  Mehrzahl  der  Autoren  redet  der 
Eröffnung  des  Ductus  choledochus  das  Wort;  Rose  befür¬ 
wortet  auf  Grund  zweier  Fälle,  in  denen  es  ihm  gelungen  war, 
den  Choledochusstein  nach  der  Gallenblase  zurückzudrücken 
und  ihn  durch  Cholecystotomie  zu  entfernen,  diesen  Vorgang 
als  den  einfacheren  und  minder  gefährlichen  gegenüber  der 
Choledochotomie. 

Was  die  Technik  der  Choledochotomie  anlangt,  so  wurde 
im  Allgemeinen  den  von  Kehr  und  Langen  buch  aufge¬ 
stellten,  von  Baudouin,  Quenn,  Le  jars,  Paul  ides  etc. 
angenommenen  Regeln  gefolgt,  welche  nach  einem  Längs¬ 
schnitte  in  den  Ductus  choledochus  und  Extraction  des  Steines 
die  Wunde  des  Ductus  choledochus  drainiren  und  nicht  nähen. 
Andere  Autoren,  wie  Riedel,  Kocher,  Israel,  Michaux, 
F  enger,  befürworten  die  Naht,  während  Quenn  sich  in 
Folge  schlechter  Erfahrungen  bei  der  Naht  des  Ductus  chole¬ 
dochus  sehr  lebhaft  dagegen  ausspricht;  er  hat  in  drei  Fällen, 
in  denen  er  die  Choledochuswunde  durch  Naht  verschloss,  ein¬ 
mal  Exitus  eintreten  sehen  wegen  Verschluss  der  Gallenwege 
durch  Blut,  zweimal  musste  er  wegen  Obstruction  des  Chole¬ 
dochus  die  Wunde  wieder  öffnen  und  erzielte  noch  Heilung. 
In  einer  Discussion  über  einen  Vortrag  Lejars’,  der  die  Naht 
ebenfalls  verwirft,  berechnet  Quenn  die  Mortalität  der  Chole¬ 
dochotomie  bei  Naht  des  Choledochus  mit  35‘5%,  bei  Drainage 
desselben  mit  18T%>  Zahlen,  die,  wenn  sie  auch  vielleicht 
nicht  in  ihrer  ganzen  Schärfe  allgemein  giltig  sind,  doch  sehr 
zu  Gunsten  der  Drainage  sprechen. 

Ausser  der  Choledochotomie  auf  dem  sogenannten  hepati¬ 
schen  Wege  (Langenbuch),  das  ist  durch  Aufsuchung  des 
Ductus  choledochus  von  der  Leber  her,  durch  Verfolgung  des 
Ductus  cysticus,  wäre  in  unserem  Falle  gewiss  auch  der  in 
neuerer  Zeit  von  Langen  buch  so  sehr  empfohlene  soge¬ 
nannte  pylorische  Weg  offen  gestanden.  Die  Präparation  des 
Ductus  choledochus  gelang  jedoch  verhältnissmässig  leicht  und 
derselbe  war  so  sehr  von  Steinen  erfüllt,  dass  wir  den  directen 
Weg  wählen  zu  müssen  glaubten.  Ausserdem  glaubt  z.  B. 
Naunyn,  dass  das  Offenbleiben  der  Vater’schen  Papille 
schon  bei  dem  natürlichen  Abgänge  der  Steine  leicht  zu  einer 
Infection  des  Gallengangsystemes  führt;  diese  Gefahr  dürfte 
nach  Extraction  des  Steines  vom  Duodenum  aus  und  den 
nothgedrungen  dabei  gesetzten  Verletzungen  noch  erheblich 
grösser  sein. 

Was  den  weiteren  Verlauf  des  Falles  betrifft,  so  ist  zu 
erörtern,  worauf  der  Wiederverschluss  des  Ductus  choledochus 
zurückzuführen  ist.  Die  Annahme,  dass  es  sich  um  ein  Stein- 
recidiv  gehandelt  habe,  lässt  sich  mit  dem  Hinweise  auf  die 
gründliche  Ausräumung  der  Gallensteine  bei  der  Operation 
nicht  ohne  Weiteres  widerlegen;  es  muss  jedoch  auffallend  er¬ 
scheinen,  dass  weder  aus  der  drainirten  Gallenblase,  noch  aus 
dem  Ductus  choledochus  sich  ein  Stein  nach  aussen  entleert 
hat;  der  Befund  bei  der  zweiten  Operation  hat  aber  unwider¬ 
leglich  dargethan,  dass  es  sich  um  einen  narbigen  Verschluss 
des  Ductus  choledochus  gehandelt  hat;  der  Ductus  choledochus 
konnte  als  derber  Strang  gefühlt  werden,  ohne  dass  es  mög¬ 
lich  gewesen  wäre,  ein  Concrement  nachzuweisen.  Wenn  sich 
solche  narbige  Verschlüsse  des  Ductus  choledochus  nach  Stein¬ 
abgang  nicht  öfter  ereignen,  so  dürfte  sich  dies  durch  den  in 
anderen  Fällen,  bei  geschlossenem  Gallengangsystem  vorhan¬ 
denen  Secretionsdruck  erklären  lassen.  Das  Zustandekommen 
des  Verschlusses  in  unserem  Falle  wäre,  da  ja  der  Abfluss 
der  Galle  aus  der  Gallenblasenfistel  ungehindert  stattfand, 
gleichzusetzen  dem  gar  nicht  so  seltenen  narbigen  Verschlüsse 
des  Ductus  cysticus  (von  Quenn  erwähnt),  der  ja,  im  Uebri- 
gen  unter  ganz  ähnlichen  Verhältnissen  wie  der  Ductus  cho¬ 
ledochus,  nicht  dem  Drucke  frisch  nachströmender  Galle  aus 
gesetzt  ist. 

Kehr  berichtet  von  einem  Falle,  in  welchem  nach  zwei¬ 
maliger  Choledochotomie  wegen  Steinverschluss  in  einer  dritten 
Operation  eine  Cholecystenteroanastomose  angelegt,  werden 
musste.  Der  Ductus  choledochus  war  durch  Adhäsionen  derart 
verzogen,  dass  der  Gallenabfluss  ins  Duodenum  behindert  war. 


Die  zweite  Operation  erwies  sich  als  durchaus  noth- 
wendig,  da  ja  nichts  von  der  reichlich  producirten  Galle  der 
Verdauung  zu  Gute  kam  und  ausserdem  der  Patientin  die 
stark  secernirende  Fistel  sehr  lästig  fiel;  wie  schon  mehrfach 
erwähnt,  fanden  wir  das  dem  Darme  zugekehrte  Ende  des 
Ductus  choledochus  in  einen  narbigen  Strang  verwandelt  — 
es  blieb  also  nichts  übrig,  als  die  Galle  auf  eicem  anderen 
Wege  in  den  Darm  zu  leiten.  Das  Einfachste  und  Selbstver¬ 
ständliche  schien  eine  Anastomose  zwischen  Zwölffingerdarm 
und  Gallenblase,  ein  Vorgang,  wie  er  unter  Anderem  von  Lejars 
warm  empfohlen  wird. 

Der  Versuch,  einen  von  relativ  unveränderter  Serosa 
überzogenen  Theil  der  Gallenblase  in  das  Duodenum  herein¬ 
zuziehen,  scheiterte  an  der  geringen  Beweglichkeit  des  Darmes 
wie  der  Gallenblase;  es  blieb  in  Folge  dessen  nichts  Anderes 
übrig,  als  die  früher  nach  aussen  mündende  Fistel  in  den 
Darm  einzunähen.  Die  Fistel  wurde  angefrischt  und  mit 
doppelreihiger  Naht  in  einen  queren  Schlitz  des  Duodenums 
eingepflanzt.  Von  der  Anwendung  des  Murphy  Knopfes,  der 
für  diese  Operation  von  verschiedenen  Autoren  (Kocher, 
Fergusson,  Petersen)  empfohlen,  dessen  Zweckmässig¬ 
keit  aber  von  Riedel  in  Zweifel  gezogen  wird,  sahen  wir  in 
diesem  Falle  ab;  hauptsächlich  deshalb,  weil  wir  von  der  ver¬ 
dickten  und  durch  die  breite  Adhäsion  an  der  vorderen  Bauch¬ 
wand  ihres  Charakters  verlustig  gegangenen  Serosa  nicht  die 
Fähigkeit  des  raschen  Verklebens  und  Verwaehsens  erwarten 
konnten,  die  für  die  Wirksamkeit  des  Murphy-Knopfes  uner¬ 
lässlich  ist;  erfahrungsgemäss  gibt  die  Darm  Vereinigung  mittelst 
des  Murphy’schen  Knopfes  bei  verdickter  Darmwand  nicht 
immer  gute  Resultate. 

Die  gleiche  Eigenschaft  der  Serosa  war  für  uns  auch 
massgebend  für  die  Einlegung  von  Gazestreifen  zum  Schutze 
der  Naht;  der  mehrtägige  Abgang  von  Galle  aus  der  Wunde 
lässt  diese  Massregel  gerechtfertigt  erscheinen. 

Was  die  Gefahren  dieser  Operationsmethode  anlangt,  so 
muss  zugegeben  werden,  dass  bei  so  breiter  Anastomose  eine 
aufsteigende  Infection  der  Gallenwege  vom  Darme  aus  ebenso 
leicht  möglich  ist,  wie  sie  nach  Erschliessung  des  Gallengang¬ 
systemes  durch  Steinabgang  (siehe  oben)  vorkommt.  Ein 
solches  Vorkommniss  ist  von  Kehr  und  Dujardin- 
Beaumetz  erwähnt.  Unsere  Patientin  entging  dieser  Gefahr 
und  befindet  sich  heute,  fünf  Monate  nach  der  Operation,  voll¬ 
kommen  wohl. 

Der  zweite  Fall  sei  nur  kurz  beschrieben  als  ein  Beitrag 
zur  Indication  und  Technik  der  Cholecystenteroanastomose. 

C.  B.,  ein  an  chronischer  Lungentuberculose  leidender,  ziemlich 
schwächlicher  Mann  im  Alter  von  54  Jahren,  wurde  am  30.  De¬ 
cember  1899  wegen  Ikterus  und  Schmerzen  in  der  rechten  Ober¬ 
bauchgegend  an  die  medicinische  Abtheilung  des  Herrn  Hofrathes 
Dräsche  aufgenommen. 

Status  praesens  des  Abdomens:  Abdomen  im  Niveau 
des  Thorax;  in  der  rechten  Mamillarlinie  wölbt  sich  etwas  über 
Nabelhöhe  eine  etwa  apfelgrosse,  respiratorisch  verschiebliche  Ge¬ 
schwulst  vor  (Gallenblase);  die  Palpation  ist  an  dieser  Stelle  sehr 
schmerzhaft;  die  Geschwulst  ist  von  der  Leber  durch  eine  Furche 
getrennt;  die  Consistenz  der  Geschwulst  ist  wegen  der  grossen 
Schmerzhaftigkeit  nicht  gut  zu  prüfen.  Der  untere  Leberrand  lässt 
sich  percussorisch  in  der  Mitte  zwischen  Rippenbogen  und  Nabel¬ 
höhe  nachweisen. 

Während  des  Aufenthaltes  an  der  medicinischen  Abtheilung 
stellen  sich  bei  steigendem  Ikterus  wiederholt  Schmerzanfälle  im 
rechten  Epigastrium  mit  Ausstrahlung  in  die  rechte  Schulter  und 
in  die  rechte  Mamilla  ein,  welche  von  Schüttelfrösten  begleitet 
waren.  Der  Gallenblasentumor  wird  anscheinend  mehr  gespannt.  Da 
der  Patient  an  heftigen  Schmerzen  leidet,  wird  ihm  die  Operation 
vorgeschlagen,  auf  die  er  gerne  eingeht. 

Diagnose:  Choledochusverschluss  wahrscheinlich  durch 
Stein,  vielleicht  Tumor  mit  Cholecystitis. 

Am  11.  Januar  1900  nahm  ich  die  Operation  in  Chloroform- 
Aether-Alkoholnarkose  an  der  dritten  chirurgischen  Abtheilung  vor 
Längsschnitt  (wie  oben)  am  äusseren  Rande  des  rechten  Muse, 
rectus,  vom  Rippenbogen  beginnend,  10  cm  nach  abwärts.  Nach  Er- 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


501 


Öffnung  der  Bauchhöhle  stellt  sich  sofort  die  über  apfelgrosse,  hoch 
gespannte  Gallenblase  ein;  sie  ist  überallhin  frei,  der  Ductus  cysticus 
und  choledochus  dilatirl;  es  ist  nirgends  ein  Concrement  tastbar, 
wohl  aber  hinter  dem  Pylorus  und  dem  Anfangstheile  des  Duode¬ 
nums  ein  kindsfaustgrosser,  knolliger,  wenig  beweglicher  Tumor,  an 
den  das  Duodenum  angelöthet  ist;  der  Tumor  wird  als  Garcinom 
des  Pankreaskopfes  gedeutet  und  da  eine  Erzielung  der  Wegsamkeit 
des  Ductus  choledochus  unter  diesen  Umständen  nicht  möglich 
erscheint,  mittels  Murphy-Knopfes  eine  Anastomose  zwischen 
Gallenblase  und  oberstem  Jejunum  angelegt.  Das  Duodenum  ist 
wegen  seiner  Verlöthung  mit  dem  Tumor  nicht  zur  Anastomosen- 
bildung  heranzuziehen.  Die  Anastomose  wird,  wie  bei  der  Gastro- 
enterostomia  retrocolica,  um  das  Jejunum  möglichst  wenig  ver¬ 
lagern  zu  müssen,  durch  einen  Schlitz  des  Mesocolons 
hergestellt;  sie  gelingt  mit  Anwendung  des  M  u  r  p  h  y’schen  Knopfes 
äusserst  rasch. 

Der  Verlauf  war  glatt.  In  wenigen  Tagen  hatte  der  Ikterus 
merklich  abgenommen,  die  Stühle  enthielten  Galle,  der  Gehalt  des 
Harnes  an  Gallenfarbstoff  war  vermindert. 

Am  25.  Januar,  also  14  Tage  nach  der  Operation,  ging  der 
Murphy-Knopf  mit  dem  Stuhl  ab. 

Am  31.  Januar  wurde  der  Kranke  auf  die  Abtheilung  des 
Herrn  Hofrathes  Dräsche  rücklransferirt,  wo  er  sich  wiegen  seiner 
Lungenerkrankung  noch  in  Pflege  befindet.  Der  Patient  zeigt  derzeit 
keine  Spur  von  Ikterus,  im  Harn  ist  kein  Gallenfarbstoff  enthalten, 
der  Stuhl  ist  cholisch.*) 

Was  die  Diagnose  in  diesem  Falle  anlangt,  so  sei  darauf 
hingewiesen,  dass  wegen  der  wiederholten  Kolikanfälle,  trotz¬ 
dem  der  Aufnahme  ins  Krankenhaus  keine  Attaque  vorher¬ 
gegangen  war,  an  Obstruction  durch  Stein  gedacht  werden 
musste;  die  Thatsache,  dass  es  sich  um  Verschluss  durch 
Tumor  gehandelt  hat,  ist  ein  neuerlicher  Beweis  für  die  Rich¬ 
tigkeit  von  Riedel’s  Auffassung  des  Kolikanfalles;  die  Ver- 
grösserung  der  Gallenblase  hätte  im  Sinne  des  Courvoisier- 
schen  Gesetzes  für  carcinomatöse  Strictur  zu  sprechen  ;  wie 
jedoch  aus  dem  ersten  Falle  hervorgeht,  ist  die  Giltigkeit  dieser 
Regel  keine  allgemeine. 

In  Betreff  der  Operation  sei  Einiges  über  die  Geschichte 
der  Choleeystenterostornie  nachgetragen.  Nussbaum  hat  die 
Operation  zuerst  für  Fälle  von  Choledochusverschluss  em¬ 
pfohlen,  Winiwarter  hat  sie  1881  als  der  Erste  ausgeführt. 
In  diesem  ersten  Falte  waren  sechs  Operationen  nöthig,  um 
die  Anastomose  zwischen  der  Gallenblase  und  dem  Darme, 
diesmal  dem  Colon,  herzustellen. 

Erst  sechs  Jahre  später  hat  Kappe  ler  in  einzeitiger 
Operation  eine  Gallenblasen-Dünndarmfistel  angelegt ;  er  hat 
die  Operation,  die  er  ähnlich  der  vorderen  Gattroenterostomie 
ausführte,  genau  beschrieben.  Ihm  folgen  Monastyrski, 
S  o  c  i  n  und  F  r  i  t  z  sch  e,  später  Courvoisier  und  Robson. 
In  vier  dieser  Fälle  war  Carcinom  des  Pankreaskopfes,  in 
einem  Carcinom  der  Choledochusmündung  die  Ursache  des 
Verschlusses. 

Die  Indication  für  die  Choleeystenterostomie  stellt 
Courvoisier  (1890)  für  alle  Choledochusverschlüsse,  die 
nicht  durch  Stein  bedingt  sind;  später  wurde  die  Operation 
gemacht  von  Terrier,  Czerny,  Riedel,  Alex.  Fr  än  k  e  1, 
Kört  e,  Kehr  und  Anderen  meist  nach  der  von  Kappeier 
empfohlenen  Methode.  Murphy  hat  auf  dem  internationalen 
medicinischen  Congresse  in  Rom  (1894)  den  von  ihm  erfun¬ 
denen  Knopf  für  die  Ausführung  der  Anastomose  empfohlen, 

*)  Der  Kranke  ist  seither,  am  19.  April  d.  J.,  an  der  Abtheilung 
des  Herrn  Hofrathes  Dräsche  nach  Zunahme  seiner  pulmonalen  Krank¬ 
heitserscheinungen  gestorben.  Die  Obductionsdiagnose  (Obducent  Docent 
Dr.  G  h  o  n)  lautete:  »Chronische  TubercuL.se  der  Lungen  mit  Cavernen- 
bildung  in  den  Oberlappeu;  fibrinös  seröse  Pleuritis  linkerseits;  ringförmiges 
tuberculoses  Geschwür  in  der  Flexuia  sigmoidea;  walnussgrosses  Carcinom 
des  Pankreaskopfes  mit  Compression  des  Ductus  choledochus  und 
Erweiterung  desselben  hinter  der  Compressionsstelle,  sowie  des  Ductus 
cysticus  und  hepaticus;  weiche  Concremente  im  Ductus  choledochus  und 
hepaticus;  ausgeheilte  Cholecystenteroanastomosis.  (Die  Anastomose  ist  mit 
einer  Jejunumschlinge  circa  60  cm  unter  der  Flexura  duodenojejunalis  durch 
das  Mesocolon  des  Quercolons  angelegt  und  bei  der  Obduction  für  zwei 
Finger  durchgängig. 

Kein  Ikterus,  keine  makroskopisch  fühlbaren  Veränderungen  der 
Gallenwege  der  Leber,)< 


dabei  aber  die  Indication  zur  Operation  für  alle  Choledochus¬ 
verschlüsse,  also  wohl  zu  weit  gestellt.  Der  Knopf  wurde 
seither,  wie  oben  erwähnt,  von  Kocher,  Fergusson,  Pe¬ 
tersen  mit  gutem  Erfolge  angewendet. 

In  unserem  Falle  erforderte  die  Schwäche  des  Kranken 
rasche  Beendigung  der  Operation,  wir  griffen  deshalb  zum 
Knopfe. 

Die  von  Kehr  und  Anderen  erwähnte  und  gefürchtete 
aufsteigende  Cholangitis  ist  auch  in  diesem  Falle  ausge¬ 
blieben. 

Liter  at  ur  Verzeichnis  s. 

Kocher,  Beitrag  zur  Chirurgie  der  Gallenwege.  Deutsche  medi- 
cinische  Wochenschrift.  1890. 

Derselbe,  Operationslehre.  Discussion  zu  Langenbuch’s  Vortrag 
übt  r  die  Technik  der  Choledochotomie. 

Courvoisier,  Casuistisch-statistische  Beiträge  zur  Pathologie  und 
Chirurgie  der  Gallenwege.  Leipzig  1890. 

Riedel,  Zur  Pathogenese  und  Diagnose  des  Gallensteinkolikanfalles. 
Grenzgebiete.  1H,  2. 

Derselbe,  Chirurgische  Behandlung  der  Gallensteinkrankheit. 
Handbuch  der  speciellen  Therapie  der  inneren  Krankheiten.  IV,  6. 

P  o  p  p  e  r  t,  Zur  Frage  der  chirurgischen  Behandlung  der  Chole¬ 
lithiasis.  Zeitschrift  für  praktische  Aerzte.  15.  September  1898. 

Langenbuch,  Ueber  die  Technik  der  Choledochotomie.  Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  10.  November  1898. 

Derselbe,  Ueber  Operationen  am  Choledochus.  Centralblatt  für 
Chirurgie.*  1898,  Nr.  14. 

Kehr,  Die  Resultate  von  360  Gallensteinlaparotomien  unter 
besonderer  Berücksichtigung  der  in  den  letzten  'zwei  Jahren  ausgeführten 
151  Operationen. 

Derselbe,  Die  chirurgische  Behandlung  der  Gallensteinkrankheit. 
Berlin  1896.  Anleitung  zur  Erlernung  der  Diagnostik  der  einzelnen  Formen 
der  Gallensteinkrankheit.  Kehr,  Berlin  1899. 

N  a  u  n  y  n,  Referat  über  Cholelithiasis.  Münchener  medicinische 
Wachenschrift.  1898,  Nr.  40. 

L  o  e  b  k  e  r,  Erfahrungen  auf  den  Gebieten  der  Pathologie  und  der 
chirurgischen  Therapie  der  Cholelithiasis.  Münchener  Medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1898,  Nr.  40. 

Frank,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1891. 

Petersen,  Zur  Chirurgie  der  Leber  und  Gallenblase,  Verhand¬ 
lungen  des  27.  Chirurgen-Congresses  1898. 

Quenn,  Ictere  chronique  sans  calculs.  Bull,  et  Mem.  de  la  Soc. 
de  Chirurgie.  1898,  Nr.  18. 

Derselbe,  De  la  clioledocotomie  sans  sutures.  Bull,  et  Mem.  de 
la  Soc.  de  Chirurgie.  1898,  Nr.  22. 

Kupfernagel,  Ueber  die  Behandlung  der  Gallensteinerkrankungen 
in  der  chirurgischen  Klinik  zu  Halle.  Inaugural- Dissertation. 

Ewald,  Wiener  klinische  Rundschau.  1900. 

Winiwarter,  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1882.  Beiträge 
zur  Chirurgie.  Festschrift  für  Billroth.  1892. 

Kappeier,  Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1887 
und  1889. 

Alex.  Frankel,  Zur  Chirurgie  des  Gallensystems.  Centralblatt 
für  Chirurgie.  1892. 

Kürte,  Ueber  die  Chirurgie  der  Gallenwege  und  der  Leber.  In 
Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  1892. 

W  i  c  k  h  o  f  f,  Ein  Beitrag  zur  Gallenblasenchirurgie  (Operation  durch 
Frankel).  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1893,  Nr.  3. 

W  i  c  k  h  o  f  f  und  Angelberger,  Fall,  von  Gersuny  operirt. 
Wiener  klinische  Wochenschrift.  1893,  Nr.  18. 

Rose,  Die  Ausräumung  der  Gallenwege  an  Stelle  der  Exstirpation 
der  Gallenblase  und  der  Choledochotomie.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie. 
Bd.  XLIX,  Heft  6. 

Kümmel,  Die  äussere  ideale  Gallensteinoperation.  Deutsche  medi¬ 
cinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  35,  36,  37. 

B  a  u  d  o  u  i  n,  Les  operations  exceptionnelles  sur  le  choledoque.  Le 
Progres  medical.  1898,  Nr.  5  und  23. 

Lejars,  Des  indications  de  ^intervention  chirurgicale  dans  les 
icteres  chroniques.  Gazette  des  höpitaux.  1898,  Nr.  6. 

P  a  u  1  i  d  e  s,  Contribution  ä  la  Chirurgie  des  calculs  du  canal 
choledoque.  These  de  Lyon.  1898. 

H  a  a  s  1  e  r,  Ueber  Choledochotomie.  Verhandlungen  des  27.  Chi¬ 
rurgen  Congresses.  1898. 

F  e  n  g  e  r,  Surgery  of  the  bile  ducts.  Ann.  of.  Suvg.  1898,  June. 


Notiz  über  die  Marienbader  Rudolfs-Quelle. 

In  Nr.  1  der  „Berliner  klinischen  Wochenschrift“  vom  Jahre  1900 
erschien  unter  der  Spitzmarke:  „Aus  dem  pharmakologischen  Institute 
der  Universität  Breslau“,  nach  einem  auf  der  Naturforscherversammlung 
zu  München  1899  gehaltenen  Vortrage  von  Privatdocent  Dr.  H.  Kionka 
ein  Aufsatz  unter  dem  Titel :  „K  ü  n  s  1 1  i  c  h  e  Erzeugung  von 
Gicht“. 

Derselbe  Aufsatz  erschien,  nur  ausgedehnter,  in  Nr.  98  der 
„Allgemeinen  medicinischen  Centralzeitung“  vom  9.  December  1899 


502 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  22 


unter  dem  Titel:  „Zur  Pathologie  der  Gicht“  von  Dr.  Kionka,  Vor¬ 
trag,  gehalten  in  der  medicinischen  Section  der  schlesischen  Gesell¬ 
schaft  für  vaterländische  Cultur  am  27.  October  1899. 

Nachdem  der  Verfasser  seine  Experimente  und  Beobachtungen 
und  die  daraus  geschöpften  Erfahrungen  über  die  Entstehung  der  Gicht 
bei  Hühnern  durch  ausschliessliche  Fleischnahrung  schildert  und  auch 
die  Erfolge  von  der  Darreichung  von  Kalk  auf  den  Stoffwechsel  und 
die  Harnsäureausscheidung  bei  den  Versuchstieren  mittheilt,  zieht  er 
die  Schlüsse  daraus  auf  den  Einfluss  des  Kalkes  boi  der  Gicht  der 
Menschen  und  erwähnt  der  Kalktherapie  in  der  Form  der  Mineral- 
wassercuren  gegen  harnsaure  Diathese  und  Gicht,  die  von  Alters  her 
zur  Bezeichung  einer  gewissen  Gattung  von  Mineralwässern,  die  sich 
gegen  die  erwähnten  Krankheitszustände  als  besonders  wirksam  er¬ 
wiesen  haben,  mit  dem  Namen  der  „Gichtwässer“  gefühlt  hat. 

Er  stellt  in  drei  Tabellen  —  und  hauptsächlich  um  diesen 
letzteren  Theil  erscheint  der  Aufsatz  in  der  „Allgemeinen  medicinischen 
Centralzeitung“  gegen  jenen  in  der  „Berliner  klinischen  Wochen¬ 
schrift“  erweitert  —  die  sogenannten  Gichtwässer  als 

1.  alkalische  und  alkalisch-muriatische  Quellen, 

2.  als  glaubersalzhaltige, 

3.  als  Kochsalzquellen  und 

4.  als  erdige  Quellen  zusammen. 

Es  ist  ein  trauriges  Zeichen,  wie  wenig  gekannt  und  gewürdigt 
die  Marienbader  Rudolfs-Quelle  ist,  dass  dieselbe  weder  unter  den 
alkalischen  und  alkalisch-muriatischen,  noch  unter  den  erdigen  Quellen 
angeführt  erscheint,  wiewohl  dieselben  unter  den  ersteren  nach  ihrem 
Kalkgehalte  mit  0'3722  CaO  in  1000cm3  obenan  stehen  sollte,  und 
unter  den  erdigen  Quellen  als  die  drittstärkste,  also  nach  Lippspringe 
und  Wildungen  genannt  werden  müsste. 

Es  möge  mir  daher  gestattet  sein,  im  Nachfolgenden  die  Ergeb¬ 
nisse  der  Analyse  der  Marienbader  Rudolfs  Quelle  anzuführen,  wie  sie 
bei  der  im  Jahre  1899  vorgenommenen  chemischen  Untersuchung  von 
dem  Chemiker  des  Marienbader  Salzsudwerkes,  Herrn  Ludwig 
Redtenbacher,  gefunden  und  angegeben  worden  sind,  und  dann 
in  einer  Tabelle  die  von  Herrn  Dr.  Kionka  angeführten  und.  zu¬ 
sammengestellten,  als  sogenannte  „Gichtwässer“  eines  gewissen  Rufes 
sich  erfreuenden  Quellen  mit  der  Rudolfs  Quelle  zu  vergleichen.  Herr 
Redtenbacher  sagt  diesbezüglich  : 

Die  Proben  wurden  am  24.  September  1898  genommen;  die 
Temperatur  des  Mineralwassers  betrug  9'38°  C.  bei  gleichzeitiger 
Temperatur  der  Luft  von  5-8°C.  und  einem  Barometerstände  von  716,4mm. 

Die  Ergiebigkeit  der  Quelle  wurde  zu  rund  12  £  (1L943Z)  in 
der  Minute  gemessen. 

Die  chemische  Untersuchung  wurde  nach  bewährten  Methoden 
durchgeführt  und  ergab  als  Mittel  von  zwei  sehr  gut  übereinstimmenden 
Parallelbestimmungen  folgende  Resultate: 

Es  wird  aus  10.000 g  Mineralwasser  erhalten: 


Gramm 

Chlorkalium  . 

0-72303 

Chlornatrium 

222502 

Chlorlithium  . 

Spuren 

Calciumoxyd  . 

3-72203 

Magnesia  .... 

1-91258 

Eisenoxyd 

0-23322 

Thonerde  .... 

0-00040 

Manganoxyduh'xyd  . 

0  00242 

Strontiumoxyd 

0-00519 

Chlor . 

0  46523 

Schwefelsäureanhydr 

id  .  . 

0  90330 

Kieselsäure  . 

•  •  « 

0  98150 

Phosphorsäure 

•  •  • 

0  00055 

Gesammte  Kohlensäure 

32-46680. 

Berechnet  man  nach  üblichei 

Weise  aus  diesen  Ergebnissen 

gen  der  einzelnen  Salze  der  Quelle,  so  ergibt  sich: 

10.000  g  Mineralwasser  enthalten: 

b)  Carbonate  als 

a )  Carbonate 

als  wasserfreie 

einfache 

Bicarbonate 

berechnet 

berechnet 

G 

r  a  m  m 

Kaliumsulfat  .... 

0-84495 

0-84395 

Natriumsulfat  .... 

0  78631 

0-78631 

Chlornatrium  .... 

0-76773 

0-76773 

Kohlensaures  Natrium 

1-97720 

2-79715 

„  Lithium 

Spuren 

Spuren 

„  Calcium 

6 64648 

9-57093 

,.  Magnesium 

3-99765 

6-08272 

„  Strontium  . 

0  00660 

0  00080 

„  Eisen  . 

0  33816 

0-46643 

„  Mangan 

000516 

0  00713 

Phosphorsaure  Thonerde 

0  00094 

0  00094 

15-37118 

21-32509. 

In  den  Tabellen  des  Herrn  Dr.  K  i  o  n  k  e  würde  daher  die 
Rudolfs-Quelle  folgende  Plätze  einnehmen: 

CaO-Gehalt  in  Grammen  auf  1000  cm3. 

I.  Alkalische  und  alkalisch-muriatische  Quellen,  alphabetisch 


geordnet : 

Bilin  .  0-20335 

Cudova:  Golthold-Quelle  .  .  .  0-2544 

Elster:  Königs-Quelle  ....  0  0992 

Ems:  Kaiser  Quelle . 0"0881G 

Fachingen .  0  24317 

Giesshübl:  König  Otto  Quelle  .  .  0- 13372 

Gleichenberg:  Constautin-Quelle  .  0T9844 

Marienbad:  Rudolfs-Quelle  .  0-37220 

Neuenahr . 0T1537 

Preblau . 0T545 

Radein .  0  22351 

Salzbrunn:  Kronen-Quelle  .  .  .  0"24G40 

Pönisstein:  Heilbrunn  .  .  .  .  0T5721 

IV.  Erdige  Quellen. 

Lippspringe:  Arminius-Quelle  ....  0-5717 

Marienbad:  Rudolfs-Quelle  .  .  .  0-3722 

Wildungen:  Helenen-Quelle  ....  0"49388 

Wildungen:  Georg  Victor  Quelle  .  .  .  0-28464. 


Aus  dieser  Zusammenstellung  ist  zu  ersehen,  dass  die  Marien¬ 
bader  Rudolfs-Quelle  durch  den  hohen  Gehalt  an  Calciumoxyd  den 
ersten,  beziehungsweise  einen  der  ersten  Plätze  unter  den 
kalkhaltigen  Mineralwässern  ein  nimmt  und  es  ver¬ 
dient,  in  erster  Reihe  unter  den  sogenannten  „Gichtwässern“  genannt 
zu  werden,  als  welches  sie  wohl  den  Marienbad  besuchenden  Cur- 
gästen  —  dagegen  den  massgebenden  ärztlichen  Kreisen  leider  noch 
viel  zu  wenig  bekannt  ist. 

Die  Rudolfs-Quelle  liegt  unterhalb  der  Ferdinands-Quelle  in 
dem  im  Süden  unseres  Curortes  sich  ausbreitenden  Wiesenthale;  sie 
wurde  im  Jahre  1866  gefasst  und  von  Prof.  Lerch  aus  Prag 
analysirt;  die  Ergebnisse  dieser  Analyse  stimmen  ziemlich  genau  mit 
den  von  Redtenbach  er  gefundenen  Werthen  überein. 

In  einer  einzigen  Publication  von  Dr.  S.  Porges  aus  dem 
Jahre  1868  wird  die  Rudolfs-Quelle  selbstständig  abgehandelt,  ln 
derselben  sagt  Prof.  Lerch  im  Jahre  1866:  „Dieser  Zusammen¬ 
setzung  nach  ist  die  Quelle  unter  die  Säuerlinge  einzureihen.  Das 
Wasser  enthält  wohl  qualitativ  nur  die  in  den  Wässern  dieser  Familie 
gewöhnlich  vorkommenden  Bestandtheile  neben  grossen  Mengen 
Kohlensäure  Bezüglich  der  quantitativen  Verhältnisse  ergibt  sich  aber 
eine  eigenthümliche  Zusammensetzung  desselben. 

Es  ist  nämlich  ausgezeichnet  durch  den  grossen  Gehalt  an  Kalk 
und  Magnesia  Bicarbonat.  Diese  Eigenthümlicbkeit  reiht  die  Quelle 
weiters  unter  die  Kalk-Magnesia-Krenen  und  weist  ihr  unter  ihnen 
einen  der  ersten  Plätze  an.  In  dieser  Beziehung  kann  sie  nur  mit 
Wildungen  verglichen  werden,  überragt  aber  diese  Wässer  nicht  blos 
bezüglich  der  Summen  der  festen  Bestandtheile,  sondern  der  relativ 
günstigen  Verbal tnisszahlen  der  einzelnen  wesentlichen,  das  Wasser 
charakterisirenden  Elemente“. 

Als  Indication  für  den  Gebrauch  der  Rudolfs-Quelle  werden  in 
der  oben  angeführten  Brochure,  sowie  in  anderen  über  Marienbad  und 
seine  Quellen  erschienenen  baineologischen  Schriften,  unter  Anderem 
vorwiegend:  die  chronisch-katarrhalischen  Leiden  des  uropoetischen 
Systems,  als:  der  chronische  Blasenkatarrh,  die  Pyelitis  etc.  (bei  Ab¬ 
wesenheit  von  Reizerscheinungen);  Erkrankungen,  bei  welchen  eine 
reichliche  Diurese  erwünscht  erscheint,  angeführt;  weiters  die  Gicht 
und  die  harnsaure  Diathese,  Ueberschuss  von  harnsauren  Salzen  und 
von  Harnsäure  im  Harne  und  Schwerlöslichkeit  derselben;  sowie  denn 
auch  die  Rudolfs-Quelle  Diabetikern  nicht  nur  mit  Vorliebe,  sondern 
auch  mit  bekannt  gutem  Nutzen  und  Erfolge  empfohlen  wird. 

Aus  dem  Ganzen  erhellt,  dass  die  Marienbader  Rudolfs-Quelle 
ein  Heilfactor  ist,  der  es  verdient,  auch  in  weiteren  ärztlichen  Kreisen 
gekannt  und  gewürdigt  zu  werden,  und  Aveun  es  gelänge,  die  Auf¬ 
merksamkeit  derselben  auf  dieses  Stiefkind  unter  den  Marienbader 
Quellen  zu  richten,  so  wäre  der  Zweck  dieser  Notiz  erreicht. 

Dr.  Al.  Grimm  (Marienbad). 


REFERATE. 

Coxa  vara. 

Saminelreferat  von  Dr.  Sigmund  Erdheim  (Wien). 

Literatur. 

!)  Abbot,  A  case  of  bilateral  coxa  vara.  Clin.  Transact.  XXX I. 
Ref.  Virchow’s  Jahresbericht.  1898.  —  -)  A  1  b  e  r  t,  Zur  Lehre  der  soge¬ 
nannten  Coxa  vara  und  Coxa  valga.  Wien  1899.  —  3)  Alsberg,  Anato¬ 
mische  und  klinische  Betrachtungen  über  Coxa  vara.  Zeitschrift  für  ortho¬ 
pädische  Chirurgie.  Bd.  VI,  1899.  —  4)  Derselbe,  Zur  Theorie  und 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


503 


Differentialdiagnose  der  Coxa  vara.  Zeitschrift  für  orthopädische  Chirurgie. 
Bd.  VII,  1899.  —  5)  Bauer  F.,  On  Coxa  vara.  Hygiea.  Bd.  II.  Ref.  Cen¬ 
tralblatt  für  Chirurgie.  1896,  52.  —  6)  Bauer  K.,  Ein  Beitrag  zur  Casu- 
istik  der  Coxa  vara.  Dissertation.  Erlangen  1895.  —  7)  Bayer,  Zur  Thera¬ 
pie  der  Coxa  vara.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XLV,  1897.  — 

8)  Borchard,  Zur  Symptomatologie  und  Therapie  der  Coxa  vara.  Central¬ 
blatt  für  Chirurgie.  1897,  25.  —  9)  Brauer,  Heber  Coxa  vara  und  die 
begleitende  Muskelatrophie.  Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  für  Medicin 
und  Chirurgie.  Bd.  III.  —  l0)  Brun,  Un  cas  de  coxa  vara.  Revue  d’oitho- 
ped.  1898.  Ref.  Virchow’s  Jahresbericht.  1898.  —  n)  Brüh  1,  Ueber  Coxa 
vara.  Dissertation.  Bonn  1895.  —  12)  B  ü  d  i  n  g  e  r,  Lineare  Osteotomie  des 
Schenkelhalses.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1896,  32.  —  13)  C  h  a  r- 

p  e  n  t  i  e  r,  De  1’incurvation  du  col  femoral  attribute  au  rachitisme.  Paris 
1897.  Ref.  de  Quervain.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1898,  11.  — 
u)  Derselbe,  Etude  sur  le  coxa  vara.  Rev.  d’orthoped.  1898,  3.  — 

15)  Derselbe,  De  1’incurvation  du  col  femoral.  Rev.  d’orthoped.  1898,  4. 
Ref.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  5.  —  ’6)  C  h  e  y  n  e,  Two  cases  of 
coxa  vara.  Brit.  med.  Journ.  1899,  Februar.  —  !1)  Cooke,  A  case  of 

scissors  legs.  Brit.  Journ,  1898,  December.  Virchow’s  Jahresbericht.  1898. 

18)  D  i  s  t  e  r  w  e  g,  Inaugural-Dissertation.  Halle  1882.  Cit.  nach  Alsberg. 

—  ,9)  Fabrikant  M.  B.,  Ueber  Coxa  vara.  Annalen  der  russischen 
Chirurgie.  1897,  4.  Ref.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897,  40.  —  :o)  De  r- 
selbe,  Des  incurvations  du  col  de  femur  (Coxa  vara).  Rev.  de  ehir.  1898. 

—  21)  Firth,  On  incurvation  of  the  neck  of  the  femur  (Coxa  vara).  Brit. 

Journ.  1898,  November.  —  22)  Fiorani,  Sopra  uua  forma  speziale  di 
zoppicamento.  Cit.  nach  Müller.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897.  — 

23)  Frazier,  Curvature  of  the  neck  of  the  femur  sometimes  called  Coxa 
vara.  Annal.  of  Surgery.  1898.  Ref.  Virchow’s  Jahresbericht.  1898. 

24)  prey,  Demonstration  im  Medicinischen  Club.  Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1896,  20.  —  °5)  G  h  i  1 1  i  n  i,  Experimentelle  Knochendeformitäten. 

Langenbeck’s  Archiv.  Bd.  LII.  —  26)  Hendrix,  De  la  coxa  vara.  Journ. 
med.  de  Bruxelles.  1898,  47.  Ref.  Zeitschrift  für  Orthopädie.  Bd.  VI,  V  u  1- 
p  i  u  s.  —  27)  H  e  n  1  e,  Discussion  am  Chirurgencongress  1899.  Centralblatt 
für  Chirurgie.  1899.  Congressbericht.  —  28)  Herrmann,  Ueber  Coxa 
vara.  Nowiny  lek.  1897,  1 — 3.  —  29)  Hoffa,  Lehrbuch  der  orthopädischen 
Chirurgie.  —  3°)  Derselbe,  Die  Osteotomie  bei  der  Behandlung  der 

Hüftgelenksdeformitäten.  Würzburg  1899.  —  J1)  Hofmeister,  Coxa  vara. 
Eine  typische  Fotm  der  Schenkelhalsverbitgung.  Beiträge  zur  klinischen 
Chirurgie.  Bd.  XII.  —  32)  Derselbe,  Zur  Aetiologie  der  Coxa  vara.  Bei¬ 
träge  zur  klinischen  Cbituigie.  Bd.  XIII.  —  ’’3)  Derselbe,  Ueber  Coxa 

vara  auf  Grund  von  Röntgen- Aufnahmen.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897.  Be¬ 
richt  des  Chirurgencongresses.  —  34)  D  e  r  s  e  1  b  e,  Zur  Pathologie  und 

Therapie  der  Coxa  vara.  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XXI. 

35)  J  a  b  o  u  1  a  y,  Coxa  vara  et  les  angles  d’inclinaison  et  de  declinaison  de 
femur.  Lyon  med.  1898,  Mars.  —  36)  Derselbe,  La  hanehe  boto  et  son 
osteo-arthrite.  Lyon  med.  1898,  Dec.  —  37)  Joachimsthal,  Ueber 

Wesen  und  Behandlung  der  Coxa  vara.  Sammlung  klinischer  Vorträge. 
Nr.  215.  —  38)  Derselbe,  Ueber  Coxa  vara  traumat.  infantum.  Langen¬ 
beck’s  Archiv  Bd.  LX.  —  39)  K  e  1 1 1  e  y,  A  case  of  Rachitis  adolo^centium. 
Ill.  med.  News.  London  1888,  Vol.  I,  Nr.  7.  —  40)  K  i  m  u  r  a,  Histologische 
Untersuchungen  über  Knochenatrophie  und  deren  Folgen.  Beiträge  zur  pa¬ 
thologischen  Anatomie.  Bd.  XXVII,  Heft  2,  1900.  —  4I)  Kirmisson, 
L’affaissement  du  col  du  femur  sous  l’influence  du  rachitisme.  Rev.  d’orthop. 
1894,  Nr.  5.  Ref.  Vulpius.  Zeitschrift  für  orthopädische  Chirurgie. 
Bd.  VI.  —  42)  Derselbe,  Nouveaux  faits  k  servir  k  letude  de  l’incur- 
vation  rachitique  du  col  fern.  Coxa  vara  d’origine  congen.  Rev.  d’oithop. 
1897  ,  4.  —  43)  D  e  r  s  e  1  b  e,  Documents  pour  servir  k  l’etude  de  l’affaisse- 
ment  du  col.  femor  (Coxa  vara).  Rev.  d’orthop.  1898.  —  44)  Derselbe, 
Lehrbuch  der  chirurgischen  Krankheiten  angeborenen  Ursprunges.  Ueber- 
setzt  von  Deutschländer.  Stuttgait  1899.  —  4d)  Koche  r.  Coxa  vara, 
eine  Berufskrankheit  der  Wachsthumsperiode.  Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Bd.  XXXVIII.  —  46)  Derselbe,  Zur  Coxa  vara.  Deutsche 
Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XL.  —  41)  Derselbe,  Zusatz  zu  den  Be¬ 

merkungen  des  Herrn  Dr.  Müller.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie. 
Bd.  XLII.  —  4S)  Derselbe,  Bemerkungen  zu  einigen  wichtigen  Fracturen- 
formen.  —  49)  Koni  g,  Lehrbuch  der  speciellen  Chirurgie.  Bd.  III,  1900. 
—  50)  K  r  a  s  k  e,  Ueber  die  operative  Behandlung  der  statischen  Schenkel¬ 
halsverbiegung.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1896,  6.  —  51)  Krad  el,  Coxa 
vara  congen.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1896,  42.  —  5J)  Derselbe, 
Ueber  den  Zusammenhang  von  Trauma,  Epiphysenlösung  und  Coxa  vara. 
Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LIV.  —  53)  Küster,  Ueber  fibröse 
Ostitis.  Bericht  über  den  XXVI.  Chirurgencongress.  Centralblatt  für  Chirur¬ 
gie.  1897.  —  54)  L  a  u  e  ii  8  t  e  i  n,  Bemerkungen  zu  dem  Neigungswinkel 

des  Schenkelhalses.  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XL.  —  ;,:>)  Der¬ 

selbe,  Demonstration  im  Hamburger  Verein.  Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1897,  51.  —  &e)  L  e  u  s  s  e  r,  Ueber  Coxa  vara.  Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1896,  30.  —  57)  L  i  1 1 1  e,  Remarks  on  coxa 
vara.  Lancet.  1898,  November.  —  5S)  M  a  y  d  1,  Coxa  vara  und  Arthritis 

deform,  coxae.  Wiener  klinische  Rundschau.  1897,  10 — 12.  —  59)  Monks, 
A  case  of  unnsual  deformity  of  both  hip,  joints.  Boston  Med.  and  Surg. 
Journ.  1886,  November.  Cit.  nach  de  Quervain.  —  60)  M  o  1 1  a,  Coxa 
vara  (Coll.  fem.  tortum).  Acad,  de  medic,  di  Torino.  24.  December  1894 
(nach  de  Quervain.  —  01)  M  o  u  c  h  e  t,  De  la  coxa  vara  congcnit.  Gaz. 
liebdom.  1899,  41.  —  62)  Müller,  Ueber  die  Verbiegung  des  Schenkel¬ 
halses  im  Wachsthumsalter.  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  IV.  — 
63)  Derselbe,  Zur  Frage  der  Schenkelhalsverbiegung  (Coxa  vara).  Cen¬ 
tralblatt  für  Chirurgie.  1894,  35.  —  64)  Derselbe,  Zur  Coxa  vara. 
Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XLII.  —  65)  Derselbe,  Zur 

Frage  der  Coxa  vara.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897,  41.  —  ÜG)  Nasse, 
Discussion  am  XXVI.  Chirurgencongresse.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897. 
Bericht,  —  67)  Neuschmied,  Ueber  Coxa  vara.  Dissertation.  Kiel  1896. 


—  68)  Oberst,  Ueber  Knochenverbiegung  bei  acuter  Osteomyelitis.  Mün¬ 

chener  medicinische  Wochenschrift.  1890,  13.  —  ")  Ogston,  Coxa  vara. 
Practitioner.  1896.  Ref.  Lauen  stein,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1896, 
26.  —  70)  de  Quervain,  De  la  coxa  vara.  Sem.  medic.  1898.  —  71)  Ri¬ 
chardson,  Deformity  of  the  neck  of  the  thig  bone,  simulating  fracture 
with  ossific.  union.  Transact,  of  the  Philadelph.  Pathol.  Soc.  1857;  nach 
de  Quervain.  —  72)  Roeser,  Ueber  Morb.  coxarius.  Correspondenz- 
blatt  des  württembergischen  ärztlichen  Vereines.  1843.  —  '  )  Rosen¬ 

baum,  Aktinogramme  als  diagnostisches  Hilfsmittel  bei  Hüftgelenkser¬ 
krankungen.  Dissertation.  Erlangen  1887.  —  71)  Rotter,  Ein  Fall  von 

doppelseitiger  rachitischer  Verbiegung  des  Schenkelhalses.  Münchener  medi¬ 
cinische  Wochenschrift.  1890,  32.  —  75)  Schede  und  Stahl,  Zur  Kennt- 
niss  der  primären  infectiösen  Knochenmarksentzündung.  Mittheilung  aus  der 
chirurgischen  Abtheilung  des  Krankenhanses  am  Friedrichshain.  1878.  — 

7fi)  Schneider,  Ein  Fall  von  Coxa  vara.  Prager  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1897,  32.  —  77)  Schnitzler,  Demonstration  in  der  Gesellschaft 
der  Aerzte.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1894,46.  —  l8)  Schoemacker, 
Coxa  vara.  Ref.  Schmidt’s  Jahrbuch.  1898,  Nr.  260.  —  *9)  Sch  u  char  dt, 
Krankheiten  der  Knochen  und  Gelenke.  Deutsche  Chirurgie.  Lieferung  28. 

—  8Ü)  Schultz,  Zur  Casuistik  der  Verbiegung  des  Schenkelhalses.  Zeit¬ 
schrift  für  orthopädische  Chirurgie.  Bd.  I,  1891.  —  S1)  Soudeck,  Zur 

Anatomie  und  Aetiologie  der  Coxa  vara  adoloscent.  Langenbeck’s  Archiv. 
Bd.LIX,  und:  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899.  Congressbericht.  —  82)  Der¬ 
selbe,  Statische  Schenkelhalsverbiegung  nach  Trauma.  Centralblatt  für 
Chirurgie.  1899,  13.  —  83)  Sprengel,  Ueber  die  traumatische  Lösung 
der  Kopfepiphyse  des  Femur  und  ihr  Verhältniss  zur  Coxa  vara.  Langen¬ 
beck’s  Archiv.  Bd.  LVII.  —  84)  D  e  r  s  e  1  b  e,  Ueber  einen  operirten  und 
einen  nicht  operirten  Fall  von  Coxa  vara.  Langenbeck’s  Archiv.  Bd.  LIX, 
und:  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899.  Congressbericht.  —  85)  Stockes, 
Brit.  Journ.  1898,  Nr.  5.  Ref.  Virchow’s  Jahresbericht.  1898.  —  86)  Stru¬ 
bel,  Inaugural-Dissertation.  Heidelberg  1893.  —  8l)  Tliiem,  Handbuch 

der  Unfallkrankheiten.  1898.  —  8S)  Tillmans,  Lehrbuch  der  speciellen 
Chirurgie.  5.  Auflage.  —  ®9)  T  u  b  b  y,  Coxa  vara  or  deflection  of  the  neck 
of  the  femur.  Brit.  Journ.  1898,  July  23.  —  ")  Volkmann,  Die  Resec¬ 
tion  der  Gelenke.  Volkmaun’s  Sammlung.  Nr.  51.  —  91)  Whitman,  Ob¬ 
servations  on  binding  of  the  neck  of  the  femur  inadolescence.  The  New 
York.  med.  Journ.  1894.  Juni  23.  —  92)  Zehnder,  Ueber  Schenkelhals¬ 
verbiegung.  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897,  9.  —  93)  Z  e  i  s  s,  Beitrag  zur 
pathologischen  Anatomie  des  Hüftgelenkes.  Verhandlungen  der  kaiserlichen 
L-.opoldo-Carolinischen  Akademie  der  Naturforscher.  1851;  nach  de 
Quervain. 

Unter  »Coxa  vara«,  »Collum  varum«,  »Schenkelshalsverbie- 
gung«  versteht  man  eine  Deformität  des  oberen  Femurendes,  welche 
sich  darin  äussert,  dass  entweder  der  normaler  W  eise  mit  dem  Ober¬ 
schenkel  einen  Winkel  von  circa  128°  (Lauen  st  ein)  bildende 
Schenkelhals  hier  mehr  gestreckt  verläuft  (unter  rechtem  oder  sogar 
spitzem  Winkel,  M  ü  1 1  e  r),  oder  der  Hals  in  seinem  Verlaufe  bogen¬ 
förmig  oder  winkelig  nach  abwärts  und  hinten  gekrümmt  ist  (H  o  f- 
meiste  r),  oder  endlich  der  Kopf  in  der  Epiphysenlinie  nach  ab¬ 
wärts  abgeknickt  wird,  wobei  er  oft  noch  um  die  Achse  des  Halses 
nach  hinten  gedreht  erscheint  (Kocher).  Der  Schenkelhals  ist  in 
vielen  Fällen,  namentlich  an  seiner  oberen  Kante  verlängert,  als  ob 
»zum  normalen  Hals  noch  ein  Stück  neugebildeten  Halses  durch  Zug 
hinzugefügt  worden  wäre«  (Kocher). 

Dieser  Verkrümmung  des  Schenkelhalses  entspricht  eine  ab¬ 
norme  Stellung  des  betreffenden  Beines  in  Extension,  Adduction  und 
Auswärtsrotation  mit  gleichzeitiger  Verkürzung  des  Beines. 

Die  ersten  Andeutungen  über  Verkrümmungen  am  oberen 
Femurende  finden  sich  bei  Roeser,  welcher  von  einem  Patienten 
berichtet,  dessen  Bein  in  der  Hüfte  ankylosirt  war,  und  zwar  in 
Flexion,  Abduction  und  Innenrotation.  Bei  der  Obduction  land  man 
eine  Verkrümmung  zwischen  grossem  und  kleinem  Trochanter.  Später 
haben  Richardson,  Zeiss,  Fiorani,  Monks  theils  Präparate 
beschrieben,  theils  Fälle  mit  Verkrümmung  des  Schenkelhalses  beob¬ 
achtet;  Kettley  theilt  sogar  einen  operirten  Fall  mit  (subtrochant. 
Keilosteotomie  und  Tenotomie  der  Abductoren). 

Trotzdem  gebührt  Müller  das  Verdienst  auf  das  klinische 
Bild,  das  zum  pathologischen  Process  gehört,  als  Erster  hingewiesen 
zu  haben;  auf  Grund  von  vier  auf  der  Klinik  Bruns  beobachteten 
Fällen  schilderte  er  die  Symptomatologie  der  »Verbiegung  des 
Schenkelhalses  im  Wachsthumsalter«  und  lieferte  auf  Grund  eines 
von  einer  Resection  herrührenden  Präparates  einen  wichtigen  Beitrag 
zur  pathologischen  Anatomie  des  Leidens.  Einige  Zeit  darauf  erschien 
aus  derselben  Klinik  eine  grössere  Arbeit  von  Hofmeister,  welcher 
bereits  45  theils  eigene,  theils  in  der  Literatur  gesammelte  1  alle  zu 
Grunde  gelegt  sind  und  in  der  wir  zum  ersten  Male  den  Namen 
»Coxa  vara«  antreffen;  die  Abbiegung  des  Oberschenkels  im  Sinne 
der  Adduction  war  für  Hofmeister  massgebend,  diese  Deformität 
pei-  analogiam  mit  den  Verkrümmungen  an  anderen  Gelenken  so  zu 
benennen.  Unabhängig  von  H  o  f  in  e  i  s  t  e  r  schlug  Kocher  für  das 
Krankheitsbild  denselben  Namen  vor,  und  zwar  in  einer  Arbeit,  die 


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fast  gleichzeitig  mit  der  H  o  f  m  e  i  s  t  e  r’schen  erschien  und  in  der 
er  zwei  resecirte  Präparate  genau  beschreibt;  er  stellte  die  Krankheit 
in  Analogie  mit  Pes  varus  und  wählte  den  Namen  auf  Grund  der 
Streckstellung  mit  gleichzeitiger  Auswärtsrotation  und  geringer  Ad¬ 
duction. 

Zwei  Jahre  später  veröffentlichte  Kraske  eine  Arbeit,  in 
welcher  er  ein  neues  Operalionsverfahren  für  diese  Deformität  be¬ 
schreibt  und  darauf  hinweist,  dass  weder  die  Kocher’sche  noch 
die  II  o  f  m  e  i  s  t  e  r’sche  Begründung  des  Namens  »Coxa  vara«  für 
alle  Fälle  passe,  dass  allen  Fällen  blos  das  »statische  Moment«  ge¬ 
meinschaftlich  sei  und  er  schlug  daher  die  Benennung  »statische 
Schenkelhalsverbiegung«  vor. 

Endlich  bat  Albert,  der  verschiedenen  Localisation  der  Ver¬ 
krümmung  Rechnung  tragend,  die  Bezeichnung:  »Arthrocoxa  vara« 
für  die  Verschiebung  des  Kopfes  und  »Anchenoeoxa  vara«  für  die 
geänderte  Richtung  des  Schenkelhalses  in  Vorschlag  gebracht. 

Die  Zahl  der  Arbeiten  über  Coxa  vara  ist,  obwohl  die  Krank¬ 
heit  erst  kurze  Zeit  bekannt  ist,  ziemlich  rasch  angewachsen  (vide 
Literaturverzeichniss);  die  meisten  Arbeiten  sind  casuistischen  In¬ 
haltes,  die  anderen  befassen  sich  mit  der  Pathologie  oder  Therapie, 
welch  letztere  in  neuerer  Zeit  eine  gründliche  Aenderung  erfuhr. 

Vorkommen  und  Häufigkeit. 

Aus  dem  Umstande,  dass  die  Krankheit  erst  in  den  letzten 
Jahren  genauer  erkannt  wurde,  darf  man  nicht  den  Schluss  ziehen, 
als  ob  die  Krankheit  sehr  selten  wäre.  Nachdem  einmal  die  Aufmerk¬ 
samkeit  auf  die  Deformität  gelenkt  war,  gelang  es  Hofmeister 
anlässlich  einer  Nachuntersuchung  der  auf  der  Klinik  Bruns  be¬ 
handelten  Fälle  von  Coxitis,  darunter  eine  ganze  Anzahl  von  Fällen 
zu  finden,  welche  dem  Bilde  der  Coxa  vara  angehörten.  Es  waren 
dies  meistens  Fälle,  die  nicht  ganz  mit  der  üblichen  Symptomatologie 
der  Coxitis  stimmten,  die  aber  wegen  der  Häufigkeit  der  Coxitis 
ebenfalls  dafür  gehalten  wurden.  Albert  sagt  über  diese  Fälle: 
»Auffallend  waren  zwei  Momente:  Erstens  war  die  Stellung  nicht  die, 
in  welcher  Coxitis  auszuheilen  pflegt  und  zweitens  war  auffallend, 
dass  Beugung  und  Streckung  ohne  Mitbewegung  des  Beckens  möglich 
war.  Ueber  dieses  Symptom  schlüpfte  man  hinweg;  man  fand  es 
auffällig,  blieb  aber  bei  der  Diagnose  »Coxitis«.  Welche  Krankheit  sollte 
es  denn  sonst  sein?«  Wieder  andere  Fälle  von  Coxa  vara  wurden 
als  Subluxatio  anterior  beschrieben. 

Im  Verhältniss  zu  anderen  häufigen  Krankheiten  betrachtet, 
kann  die  Coxa  vara  ebensowenig  als  seltene  Erkrankung  gelten.  So 
fand  Hofmeister  auf  390  Fälle  tuberculöser  Coxitis,  einer  auf  den 
Kliniken  so  häufig  vorkommenden  Krankheit,  im  gleichen  Zeitraum 
21  Fälle  von  Coxa  vara.  Das  Verhältniss  zu  anderen  Belastungs¬ 
deformitäten,  z.  B.  zu  Genu  valgum,  fand  derselbe  Autor  mit  22  :  47. 
Die  Deformität  tritt  nach  der  Aussage  aller  Beobachter  viel  häufiger 
beim  männlichen  als  beim  weiblichen  Geschlechle  auf  (31  :  9);  der 
Grund  hiefür  dürfte  in  der  grösseren  Inanspruchnahme  des  männ¬ 
lichen  Geschlechtes  zu  schweren  Arbeiten  gelegen  sein.  Die  Krankheit 
kann  einseitig  und  doppelseitig  Vorkommen. 

In  Anbetracht  der  relativen  Häufigkeit  der  Deformität  ist  Hof¬ 
meister  der  Meinung,  dass  man  in  jedem  zweifelhaften  Falle  von 
Hüftgelenksaffection  immer  an  Coxa  vara  denken  müsse. 

Aetiologie  und  pathologische  Anatomie. 

Als  Müller  das  Krankheitsbild  und  dessen  Symptomatologie 
beschrieb,  machte  er  schon  darauf  aufmerksam,  dass  die  Veränderungen 
nicht  im  Gelenke  liegen  —  dasselbe  sei  im  Gegentheil  sowohl  in 
seinen  knöchernen,  als  bänderigen  Beslandtheilen  unverändert  — 
sondern  darin,  dass  der  V  inkel,  den  der  Schenkelhals  mit  dem  Schafte 
des  Oberschenkels  bilde,  verringert  sei.  Während  der  Winkel  bei  nor¬ 
malem  Schenkelhals  128°  betrage,  verringere  er  sich  hier  bis  zum 
rechten  oder  sogar  spitzen  Winkel.  Als  Ursache  dieser  Abflachung 
nahm  M  ü  11er  eine  Erweichung  des  Halses  an,  die  er,  trotzdem  er 
mikroskopisch  gar  keine  rachitischen  Veränderungen  vorfand,  den¬ 
noch  aui  lihachitis  bezog,  nachdem  er  entzündliche  Erweichung, 
Osteomalacie  und  Ostitis  deform,  ausschliessen  konnte.  Der  rhachitische 
Knochen  sollte  in  Folge  der  Erweichung  deform  werden. 

Bald  darauf  gelang  es  Lauen  stein,  am  Skelet  eines 
sechsjährigen  Kindes  mit  Coxa  vara  die  Rhachitis  an  der  Formation 
des  Knochens  sicher  nachzuweisen,  und  ausserdem  haben  später 
Leusser,  Rotter,  Brun,  O  g  s  t  o  n,  Zehnder  u.  A.  ihre  Fälle 
von  Coxa  vara  mit  der  Rhachitis  in  causalen  Zusammenhang  gebracht. 


Hingegen  hat  Kirmisson  anfangs  daran  gezweifelt,  dass  Rhachitis 
eine  Coxa  vara  erzeugen  könne,  da  er  trotz  der  grossen  Häufigkeit 
der  Rhachitis  in  Frankreich  nie  eine  Verkrümmung  des  Schenkelhalses 
sah,  er  hat  aber  später  seine  Ansicht  dahin  modificirt,  dass  bei  Kindern 
Rhachitis  eine  Coxa  vara  verursachen  könne,  nur  sei  dieselbe  nicht 
hochgradig,  die  Verkrümmung  gehe  höchstens  bis  zum  rechten 
Winkel.  Bei  höheren  Graden  von  Verkrümmungen,  wie  sie  bei  Coxa 
vara  adolescent,  vorzukommen  pflegen,  müsse  man  mit  der  Diagnose 
vorsichtig  sein;  hier  liegen  gewöhnlich  noch  andere  Gründe  für  die 
Deformität  vor  (Arthritis  deform,  etc.). 

Kirmisson ’s  Schüler  Charpenlier  hat  dann  mittelst 
R  ön  tgen-Strahlen  32  rhachitische  Kinder  untersucht  und  gefunden,  dass 
sechsmal  der  Neigungswinkel  verkleinert  war,  jedoch  verursache 
dieses  Symptom  keine  besonderen  Erscheinungen  und  könne  erst  bei 
genauer  Untersuchung  entdeckt  werden.  Ebenso  fand  Little  bei 
Untersuchungen  von  Rhachitischen  den  Neigungswinkel  des  Schenkel¬ 
halses  in  circa  3O'70  kleiner  als  90°. 

Hofmeister  liess  die  Rhachitis  als  ätiologisches  Moment  für 
die  Coxa  vara  der  Kinder  gelten,  hingegen  nahm  er  für  die  Coxa 
vara  des  Jünglingsalters  eine  statische  Ursache  an.  Die  Belastungs¬ 
verhältnisse  werden  zu  dieser  Zeit,  d.  i.  zur  Zeit  des  Ueberganges 
von  der  Schule  zum  Beruf,  ganz  andere;  an  den  Stützapparat  werden 
plötzlich  grössere  Anforderungen  gestellt.  Dieses  Moment  genügte 
ihm  jedoch  nicht  zur  Erklärung  aller  klinischen  Thatsachen  und  er 
nahm  daher  ausserdem  noch,  ähnlich  wie  es  Mikulicz  für  das 
Genu  valgum  that,  eine  Spätrhachitis  an,  welche  die  Resistenz 
des  Knochens  herabsetzte.  Den  Umstand,  dass  die  Coxa  vara  im  Ver¬ 
hältniss  zu  Genu  valgum  trotz  gleicher  Aetiologie  weniger  häufig  sei, 
erklärte  er  damit,  dass  der  Wachsthum  des  Knochens  an  der  unteren 
Epiphysenlinie  des  Femur  am  regsten  sei  und  daher  auch  die  De¬ 
formitäten  dort  am  häufigsten  Vorkommen.  Der  Beschäftigung  schrieb 
Hofmeister  keine  andere  Rolle  als  bei  Genu  valgum  zu.  Eine 
ähnliche  Annahme  machte  auch  Baye  r. 

Im  Gegensätze  zu  ihnen  weist  Kocher  der  Beschäftigung 
bei  der  Entstehung  der  Coxa  vara  einen  wichtigen  Platz  zu.  Zwei 
seiner  Patienten  waren  Käser  und  mussten  im  jugendlichen  Alter, 
zur  Zeit  des  regsten  Knochenwachsthums,  schwere  Arbeiten  leisten, 
indem  sie  schwere  grosse  Milchbutten  zu  tragen  gezwungen  waren 
und  dabei  sich  gewöhnten,  die  Füsse  stark  nach  auswärts  zu  drehen 
um  eine  breitere  Basis  zu  gewinnen.  Da  die  Individuen,  die  Coxa 
vara  bekommen,  grössten theils  eine  schwach  entwickelte  Musculatur 
haben  und  leicht  ermüden,  helfen  sie  sich  auf  diese  Weise,  dass  sie 
das  Gelenk  durch  Spannung  des  Lig.  Bertini  lixiren.  Wenn  nun  im 
Bereiche  der  Epiphyse  in  Folge  gewisser  Circulationsstörungen  und 
stärkerer  Wucherung  der  Knochen  erweicht  und  seine  Belastungs¬ 
resistenz  eine  Einbusse  erleidet,  so  wel*den  zwei  Einflüsse  bei  der 
Deformirung  des  Knochens  sich  geltend  machen:  1.  wird  durch  die 
Last  des  Körpers  der  Sehenkelkopf  nach  abwärts  gebogen  und  2.  wird 
durch  den  Zug  der  hinteren  Hüftgelenkmuskeln  der  Hals  sich  in  der 
Weise  krümmen,  dass  er  einen  nach  hinten  offenen  Winkel  bildet. 
Wie  wir  also  sehen,  verlegt  K  o  e  h  e  r  die  Krümmung  nicht  in  den 
Hals,  sondern  an  die  Grenze  zwischen  Kopf  und  Hals  und  weist  als 
Erster  scharf  auf  die  Krümmung  nach  hinten  hin.  Als  ätiologisches 
Moment  für  die  Erweichung  nimmt  Kocher  nicht  Rhachitis  an,  weil 
er  im  mikroskopischen  Bilde  keinen  Anhaltspunkt  dafür  fand,  sondern 
stützt  sich  auf  die  Untersuchung  der  Präparate  durch  Langhans, 
welcher  in  derselben  die  für  Osteomalacie  charakteristischen  kalklosen 
Zonen  und  Streifen  an  der  Oberfläche  der  Knochenbälkchen,  dann 
Hyperämie,  Reich thum  an  Markzellen  bei  gleichzeitigem  Mangel  von 
Osteoklasten  und  Osteoblasten  fand  und  nimmt  daher  juvenile 
Osteomalacie  als  Ursache  an.  Gleichzeitig  weist  er  auf  die  Er¬ 
nährung  der  Käser  hin,  welche  hauptsächlich  aus  Milch  besteht  und 
für  erwachsene  Leute  ungenügend  ist  (Verarmung  an  Eisensalzen),  ohne 
sich  genau  darüber  auszusprechen  ob  sie  zur  Entstehung  der  Coxa 
vara  mithilft;  ebenso  lässt  er  die  Frage  offen,  ob  die  gestörte  Ver¬ 
dauung  und  die  Milchsäurebildung  mitbeschuldigt  werden  können. 

In  ähnlicher  Weise  erklärt  Sud  eck  durch  das  statische 
Moment  die  Entstehung  der  Coxa  vara.  Auf  Grund  der  genauen 
Untersuchung  eines  eigenen  Falles  und  unter  Heranziehung  eines 
Falles  von  Lauen  stein  hat  er  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass 
gewöhnlich  ein  besonderes  Bälkchensystem  (der  sogenannte  Zugbogen) 
den  Schenkelhals  gegen  Verbiegung  nach  hinten  und  unten  schützt. 
Bei  Erwachsenen  wird  durch  Ablagerung  von  Knochensubstanz  im 


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Zugbogen  die  Zugfertigkeit  des  Schenkelhalses  erhöht,  bei  jugend¬ 
lichen  Individuen  fehlt  diese  Verstärkung  sammt  der  Knochenleiste, 
die  der  Ausdruck  derselben  ist.  Durch  relative  Ueberanstrengung 
des  Zugbogens,  z.  B.  dadurch,  dass  den  jugendlichen  Schenkel¬ 
hälsen  die  Function  der  erwachsenen  zugemuthet  wird,  kann  auch 
ohne  jede  pathologische  Veränderung  der  Zugbogen  insufficient  werden 
und  in  Folge  dessen  der  Schenkelhals  sich  nach  unten  und  hinten 
krümmen.  Hingegen  ist  König  trotz  Anerkennung  der  S  u  d  e  c  lo¬ 
schen  Befunde  nicht  der  Ansicht,  dass  ein  normales  Knochensystem 
sich  krümmen  könne  und  nimmt  daher  in  diesen  Fällen  Spät¬ 
rachitis  an. 

Ausser  diesen  Ursachen  fand  Hofmeister  in  der  Osteo- 
m  a  1  a  c  i  e  ein  weiteres  ätiologisches  Moment  für  die  Coxa  vara.  Er 
konnte  bei  einer  35jährigen  Frau  mit  puerperaler  Osteomalacie  eine 
Verkrümmung  des  Schenkelhalses  constatiren  (—  zugleich  der  erste 
Fall  von  Coxa  vara  bei  Erwachsenen)  und  einen  ähnlichen  Befund 
erhob  Joachimsthal  anlässlich  der  Obduction  eines  55jährigen 
Mannes  mit  hochgradiger  Osteomalacie.  Dass  die  Verkrümmungen  auf 
osteomalacischer  Grundlage  selten  sind,  hängt  mit  dem  Umstande 
zusammen,  dass  die  Schwerkranken,  bei  denen  die  Extremitäten¬ 
knochen  am  Processe  mitbetheiligt  sind,  nicht  herumgehen,  also  die 
Ursache  für  die  Verbiegung  fehlt. 

Die  vierte  Altersgruppe,  in  welcher  Coxa  vara  beobachtet  wurde, 
bilden  neugeborene  Kinder.  K  r  e  d  e  1  beobachtete  als  Erster  eine 
Coxa  vara  adnata  und  führte  dieselbe  auf  intrauterine  Druck¬ 
einflüsse  zurück.  Diese  Deformität  war  noch  mit  anderen  Ab¬ 
normitäten  (Genu  valga,  Pes  equino-var.,  Mangel  der  Patella)  combinirt. 

M  o  u  c  h  e  t  beschrieb  ebenfalls  zwei  Fälle,  die  er  für  ange¬ 
boren  hält,  als  deren  Ursache  er  aber  intrauterinen  mit  De¬ 
formität  geheilten  Schenkelbruch  annimmt. 

Weiters  hat  Kirmisson  auf  die  Fälle  hingewiesen,  wo  von 
Geburt  eine  starre  Haltung  des  Beines  in  Auswärtsrotation  vorhan¬ 
den  ist,  und  die  er  auf  Schrumpfung  der  hinteren  Kapsel¬ 
wand  bezieht.  Albert  beobachtete  ebenfalls  einen  solchen  Fall 
und  beschrieb  ausserdem  einen  zweiten  aus  dem  Wiener  pathologi¬ 
schen  Museum,  den  Kundrat  für  eine  Varietät  einer  angeborenen 
Luxation  hielt.  In  die  Gruppe  von  angeborener  Coxa  vara  gehören 
auch  die  von  Alsberg,  Charpentier,  Hoffa,  Albert  und 
Lorenz  beobachteten  Fälle  von  Combination  von  Coxa  vara  mit 
Luxat.  congen.  cox.  derselben  oder  der  anderen  Seite;  als  Ursache 
nimmt  Alsberg  an,  dass  der  intrauterine  Druck,  welcher  auf  der 
einen  Seite  die  Luxat.  congen.  erzeugte,  auf  der  anderen  die  Gerade¬ 
streckung  des  Halses  bewirkte,  oder  dass  die  Gelenkspfanne  nicht 
ganz  normal  war.  In  den  Hoff  a’schen  Fällen  war  die  die  Luxatio 
congen.  begleitende  Coxa  vara  so  hochgradig,  dass  nach  Einrichtung 
der  Luxation  die  Function  des  Beines  durch  die  Adductionsstellung 
behindert  war  und  durch  einen  neuerlichen  operativen  Eingriff  be¬ 
hoben  werden  musste. 

In  neuerer  Zeit  konnte  Kimura  auch  im  Greisenalter  eine 
Verkrümmung  des  Schenkelhalses  nachweisen  und  stellte  als  Ursache 
der  Verkrümmung  bei  der  86jährigen  Patientin  die  senile  Osteo¬ 
porose  fest:  die  Verminderung  der  Knochenresistenz  spiele  bei  der 
Entstehung  der  Deformität  die  Hauptrolle,  während  das  statische 
Moment  sich  nicht  besonders  verändert  hat.  Kimura  ist  der  An¬ 
sicht,  dass  die  Fälle  auch  im  Greisenalter  nicht  sehr  selten  sind,  und 
dass  viele  Fälle  von  Mal.  cox.  senil,  nach  den  klinischen  Symptomen 
der  Coxa  vara  zuzuzählen  sind.  Die  Coxa  vara  des  Greisenalters  ist 
beiderseitig. 

Die  Frage,  ob  das  Trauma  als  ätiologisches  Moment  heran¬ 
gezogen  werden  kann,  hat  von  Anfang  an  die  Beobachter  sehr  inter- 
essirt.  Während  Hofmeister  das  Trauma  nur  als  örtliche  Dispo¬ 
sition  auffasst  und  Bayer  ausser  der  Spätrachitis  traumatische  Ein¬ 
flüsse  für  den  Ausbruch  der  Krankheit  verantwortlich  macht,  sahen 
Bauer  und  Borchard  nach  Traumen,  welche  die  Schenkelhals¬ 
gegend  theils  direct,  theils  indirect  trafen,  eine  Verschlimmerung  des 
Leidens  eintreten. 

In  zwei  operirten  Fällen  wies  Sprengel  nach,  dass  die  Coxa 
vara  durch  eine  Epiphysenlösung  und  nachträgliche  Verwach¬ 
sung  mit  Verschiebung  entstanden  sei  (Coxa  vara  traumatica).  Das 
Trauma,  das  in  beiden  Fällen  vorausging,  war  so  geringfügig,  dass 
die  Patienten  dasselbe  anfangs  geleugnet  haben,  und  erst  als  die  ana¬ 
tomische  Untersuchung  des  Präparates  die  geheilte  Epiphysenlösung 
ergab,  dasselbe  Zugaben.  Da  der  anatomische  Befund  nicht  einer 


Spätrachitis  entsprach,  nahm  Verfasser  an,  dass  es  sich  um  eine 
physiologisch  nachgiebige  Stelle  (nicht  ganz  consolidirte  Epiphysen¬ 
linie)  handle,  die  durch  ein  Trauma  ganz  s  p  e  c  i  f  i  s  c  h  e  r  Rich¬ 
tung  getroffen  werde.  Die  Fracturenenden  weichen  nicht  ausein¬ 
ander,  weil  die  fibrös  knorpelige  Masse,  die  vom  Epiphysenknorpel 
auf  den  Hals  übergeht,  nur  zum  Theile  geplatzt  ist  und  daher  die 
Fracturenden  zum  Theile  Zusammenhalte.  Ebenso  wiesen  K  i  r- 
m  i  s  s  o  n  und  Royal  - Whitman  in  Fällen  von  Coxa  vara 
Epiphysenlösung  oder  Fracturen  nach,  die  nach  ihren  Unter¬ 
suchungen  auch  im  jugendlichen  Alter  nicht  so  selten  sein  sollen, 
als  man  bisher  annahm. 

Die  bis  jetzt  erwähnten  Fälle  von  Coxa  vara  traumatica  be¬ 
trafen  das  Pubertätsalter;  Joachimsthal  theilt  einen  Fall  mit,  wo 
ein  ganz  geringes  Trauma  (Sprung  durch  einen  Reifen)  bei  einem 
Kinde  eine  Epiphysenlösung  mit  den  Symptomen  einer  Coxa  vara 
erzeugt  hat  und  Kredel  konnte  trotz  nachgewiesener  Epiphysen¬ 
lösung  bei  einem  4'/2jährigen  Kinde  ein  Trauma  überhaupt  nicht 
finden,  so  dass  er  annimmt,  dass  die  Epiphyse  sich  auch  spontan 
oder  bei  minimalen  Traumen  lösen  könne  (ähnlich  wie  bei  Tabes  die 
Spontanfracturen  entstehen). 

Kocher  (Discussion  am  Chirurgencongresse  1899)  steht  auf 
dem  Standpunkte,  dass  eine  Coxa  vara  durch  subcapitale  Schenkel- 
halsfractur  allmälig  und  durch  Epiphysenlösung  plötzlich  entstehen 
könne.  Aber  auch  bei  erwachsenen  Leuten,  bei  denen  das  Knochen¬ 
wachsthum  bereits  vollendet  ist  und  daher  die  Epiphysenlinie  als 
locus  minoris  resistentiae  nicht  mehr  besteht,  kann  ein  Trauma  zu 
einer  Verkrümmung  führen,  wie  wir  dies  aus  Su  deck’s  Fall  er¬ 
sehen.  Es  handelte  sich  um  einen  38jährigen  Bahnarbeiter,  der  beim 
heftigen  Spreizen  der  Beine  plötzlich  Schmerzen  verspürte  und  durch 
10  Tage  bettlägerig  war  und  dann  wieder  seine  Arbeit  aufnahm. 
Vier  Monate  darauf  konnte  man  eine  Verkrümmung  des  Schenkel¬ 
halses  constatiren.  Sudeck  nimmt  an,  dass  das  Trauma  möglicher 
Weise  einen  Sprung  im  Schenkelhälse  erzeugte,  und  dass  der  Patient, 
noch  bevor  eine  gehörige  Ausheilung  da  war,  seine  Extremität  un¬ 
gehörig  belastete,  wodurch  die  Verkrümmung  eintrat.  Er  stellt  daher 
den  Fall  in  Analogie  mit  der  Kümmel’schen  Wirbelsäulenerkran¬ 
kung.  Auch  Thiem  vertritt  den  Standpunkt,  dass  Fractur  des 
Schenkelhalses  noch  nachträglich  zur  Verkrümmung  führen  könne, 
ein  Punkt,  welcher  mit  Rücksicht  auf  die  Unfallversicherung  eine 
besondere  Bedeutung  erhält. 

Auf  ein  anderes  ätiologisches  Moment  hat  May  dl  hingewiesen; 
er  beschrieb  zwei  Fälle  von  A  r  t  h  r  i  t.  deform,  der  Hüfte  bei 
jugendlichen  Individuen,  die  wegen  ihrer  grossen  klinischen  Aehn- 
lichkeit  von  Coxa  vara  schwer  zu  unterscheiden  waren;  die  Diagnose 
konnte  erst  während  der  Operation  gemacht  werden.  Aehnliche  Fälle 
sahen  auch  Charpentier  und  Kirmisso  n. 

Auch  im  Gefolge  von  Osteomyelitis  kann  sich  Coxa  vara 
ausbilden  (V  o  1  k  m  a  n  n,  Schede  und  Stahl,  Diester  weg, 
Oberst),  natürlich  ist  dies  nur  so  lange  möglich,  als  der  Process 
sich  im  acuten  Stadium  befindet.  Die  Prävalenz  der  Verkrümmung 
am  oberen  Femurende  erklärt  sich,  wenn  man  bedenkt,  dass  wohl 
nirgends  am  Skelet  eine  so  energische,  zur  Deformirung  eines  ab¬ 
norm  weichen  Knochens  geeignete  Muskelaction  stattfindet,  wie  hier. 
Begünstigt  wird  die  Entstehung  der  Verkrümmung,  wenn  die  osteo¬ 
myelitischen  Herde  zahlreich  sind  und  nahe  nebeneinander  liegen. 
Ebenso  kann  es  im  Verlaufe  einer  Tuberculose  des  oberen 
Femurendes  zu  einer  Verkrümmung  kommen,  wie  wir  aus  dem 
Falle  ersehen,  den  Alsberg  aus  der  Klinik  Hoffa  veröffentlicht 
hat,  und  wo  die  Deformirung  nur  den  Hals  betraf,  während  der  Kopf 
ganz  intact  war. 

Am  Chirurgencongresse  1897  referirte  Küster  über  einen 
Fall  von  Coxa  vara,  als  deren  Ursache  er  eine  Ostitis  fibrosa 
annahm.  Das  obere  Ende  des  Femur  war  wie  ein  Hirtenstab  ver¬ 
krümmt,  dabei  standen  Schenkelhals  und  Kopf  in  spitzem  Winkel 
nach  abwärts;  im  mikroskopischen  Bilde  sah  man  das  Fettmark 
stellenweise  durch  neugebildetes  Bindegewebe  verdrängt,  das  sich  an 
vielen  Stellen  in  Knochensubstanz  verwandelt,  während  an  anderen 
Stellen  Knochenresorption  durch  Riesenzellen  stattfand. 

Der  Fall  ist  insoferne  selten,  als  die  Veränderung  nur  aut  einen 
Knochen  beschränkt  war. 

Der  Vollständigkeit  wegen  müssen  wir  noch  einige  ätiologische 
Momente  erwähnen,  die,  wenn  auch  ziemlich  selten,  zur  Entstehung 
der  Coxa  vara  Anlass  geben  können: 


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Joachimsthal  hat  auf  Grund  eines  Präparates  nachge¬ 
wiesen,  dass  eine  Verkrümmung  des  Halses  auch  entstehen  könne 
bei  vollständig  gesundem  Knochen,  aus  rein  functionellen 
Gründen,  durch  veränderte  Inanspruchnahme  des  Knochens,  indem 
er  bei  einer  mit  Adduction  geheilten  Fractur  des  Oberschenkels  eine 
Verminderung  des  Neigungswinkels  bis  auf  90°  sah. 

Jabo  u  lay  wieder  meint,  dass  manche  Fälle  von  Coxa  vara 
verursacht  werden  durch  ungleiche  Länge  der  Beine.  Das  län¬ 
gere  Bein  wird  stärker  belastet,  dadurch  wird  entzündliche  Gelenks¬ 
reizung  verursacht,  die  die  Spasmen  und  die  Erweichung  erzeugt; 
in  Folge  letzterer  rücke  der  Schenkelkopf  nach  abwärts.  Bei  einer 
sitzenden,  wenig  anstrengenden  Lebensweise  käme  es  trotz  un¬ 
gleicher  Länge  der  Beine  nicht  zu  diesen  Folgen,  dieselben  stellen 
sich  erst  bei  schwerer  Arbeit  ein.  Eine  ähnliche  stärkere  Beanspru¬ 
chung  des  gesunden  Beines  nimmt  Albert  in  den  Fällen  an,  wo 
bei  einer  angeborenen  Luxat.  cox.  auf  der  einen  Seite,  eine  Coxa  vara 
auf  der  anderen  Seite  entsteht.  »Durch  die  starke  Beanspruchung 
wird  eine  wagrechte  Stellung  des  Halses  (eventuell  auch  Torsion) 
bewirkt.« 

Royal-Whitman  nahm  an,  dass  die  Coxa  vara  adolesc. 
nur  eine  excessive  Steigerung  eines  normalen  Pro¬ 
cesses  sei,  der  zur  Pubertätszeit  den  Schenkelhalswinkel  ein  wenig 
strecke.  Endlich  wäre  noch  zu  erwähnen,  dass  es  Ghillini  auf  ex¬ 
perimentellem  Wege  durch  Verletzung  des  Epiphysenknorpels 
am  oberen  Femurende  Coxa  vara  mit  dem  ganzen  Symptomencom- 
plex  (Verbiegung  des  Halses,  Verkürzung  des  Beines,  Ilochstand  und 
llervorstehen  des  Trochanter  maj.)  zu  erzeugen  gelungen  ist. 

Wie  wir  also  sehen,  kann  Coxa  vara  in  jedem  Alter  (ange¬ 
boren,  im  Kindesalter,  in  der  Pubertät,  bei  Erwachsenen  und  bei 
Greisen)  entstehen  und  durch  die  verschiedensten  Ursachen  hervor¬ 
gerufen  werden,  so  dass  in  neuerer  Zeit  der  Begriff  Coxa  vara  von 
Alsberg  und  anderen  Autoren  rein  anatomisch  aufgefasst  wird 
und  nicht,  wie  Kocher  es  vorschlug,  Coxa  vara  nur  jene  Fälle  von 
statischer  Verkrümmung  in  der  Pubertät  zu  nennen,  die  an  der 
Grenze  zwischen  Hals  und  Kopf  eine  Knickung  nach  unten  und 
hinten  zeigen. 

Von  pathologisch-anatomischen  Befunden  wäre  noch  Asymmetrie 
des  Beckens  im  Sinne  einer  verminderten  Querspannung  auf  der 
kranken  Seite  zu  erwähnen,  die  H  o  f  m  e  i  s  t  e  r  mittelst  Röntgen- 
Verfahrens  bei  Coxa  vara  fand,  welchen  Befund  er  mit  dem  coxalgi- 
schen  Becken  der  Geburtshelfer  in  Analogie  stellt. 

Ausser  den  grob-anatomischen  Veränderungen  fand  eine  An¬ 
zahl  Beobachter  noch  Veränderungen  in  der  inneren  Architektur  des 
Knochens.  Von  den  Befunden,  die  auf  Osteomalacie,  Rachitis  und 
Ostitis  iibrosa  schliessen  Hessen,  haben  wir  bereits  Erwähnung  ge- 
than.  Müller  und  Hofmeister  fanden  den  Ada  m’schen  Bogen 
verdickt  und  das  Stützbälkchensystem  verändert,  als  Zeichen  der  ge¬ 
änderten  Function  des  Knochens;  in  dem  Theile  des  Kopfes,  der 
ausser  der  directen  Druckrichtung  lag,  war  hingegen  eine  Lockerung 
der  Spongiosa  zu  constatiren.  Mittelst  des  Goch  t’schen  ')  Verfahrens 
(Röntgen-Photographie  von  Knochenscheiben  der  resecirten  Schenkel¬ 
hälse)  land  Hofmeister  ausser  der  früher  erwähnten  Verschie¬ 
bung  des  Knochenbälkchensystems  noch  eine  Veränderung  in  der 
Epiphysenlinie  in  der  Weise,  dass  sie  bei  Coxa  vara  eine  mondsichel¬ 
förmige  Durchschnittsfigur  gibt,  während  sie  sonst  mehr  gerade  ge¬ 
streckt  verläuft.  Aehnliche  Befunde  fand  Sprengel  in  seinen  Fällen 
von  Coxa  vara  traumat.  in  Folge  Epiphysenlösung. 

Symptome  und  Mechanik. 

Als  Beispiel  der  Coxa  vara  wollen  wir  einen  Fall  dieser  De- 
formität schildern,  wie  er  sich  im  Pubertätsalter  zu  entwickeln  pflegt. 

Bei  einem  jugendlichen  Individuum  mit  kräftigem  Knochenbau, 
das  im  Gegensätze  dazu  nur  schwach  entwickelte  Musculatur  besitzt 
und  oft  kalte  cyanotische  Extremitäten  zeigt  (Hofmeiste  r),  ent¬ 
stehen  —  manchmal  ohne  dass  die  Patienten  eine  Ursache  für  ihre 
Krankheit  angeben  können,  ein  anderes  Mal  wieder  auf  ein  directes 
oder  indirectes  Trauma  der  Hüfte  —  Ermüdbarkeit  bei  längerem 
Gehen,  sowie  Schmerzen  in  der  Hüfte  und  im  Knie  und  endlich  Hinken, 
das  sich  namentlich  nach  grösseren  Anstrengungen  einzustellen  pflegt. 
Die  Schmerzen  sind  oft  so  heftig,  dass  die  Patienten  für  Wochen 
bettlägerig  werden.  Die  Patienten  haben  gewöhnlich  früher  trotz  ihres 
jugendlichen  Alters  schwere  Arbeiten  verrichtet  (Landarbeiter,  Käser). 

')  Fortschritte  auf  dein  Gebiete  der  Könige  n-Strahlen.  13d  I. 


Wenn  man  um  diese  Zeit  dieLeute  untersucht, Findet  man  keine  Verände¬ 
rungen  bis  auf  leichte  Fixation  desllüftgelenkes  bei  brüskeren  Bewegun¬ 
gen.  Auf  Ruhe  bessert  sich  der  Zustand,  um  bei  Wiederaufnahme  der 
Arbeit  sich  wieder  zu  verschlimmern.  Wenn  man  einige  Monate  später 
untersucht,  findet  man  bereits  den  ausgebildeten  Symptomencomplex 
der  Coxa  vara.  Das  kranke  Bein  ist  gewöhnlich  kürzer,  der  Trochanter 
maj.  steht  über  der  Roser-Nelato  n’schen  Linie,  das  Bein  ist 
gestreckt,  adducirt  und  nach  aussen  rotirt;  Abduction  behindert,  Ad¬ 
duction  gewöhnlich  frei  (nur  in  schweren  Fällen  ebenfalls  behindert). 
Aussenrotation  möglich,  Innenrotation  gestört,  Flexion  gewöhnlich 
frei;  Druck  auf  die  Gelenksgegend  ist  nicht  schmerzhaft.  Nur  in 
seltenen  Fällen  steht  das  Bein  in  Innenrotation  und  Abduction.  Die 
Inspection  der  Gesässgegend  zeigt,  dass  dieselbe  auf  der  kranken 
Seite  abgeplattet  ist.  Der  Trochanter  maj.  steht  nach  aussen  vor. 

In  hochgradigen  Fällen  sind  noch  andere  interessante  Sym¬ 
ptome  zu  sehen:  Patient  kreuzt  die  Beine  beim  Gehen  und  kann 
entweder  gar  nicht  knieen  oder  nur  mit  gekreuzten  Beinen.  Ogston 
und  Hofmeister  haben  auf  ein  sehr  prägnantes  Symptom  hin¬ 
gewiesen:  Im  Stehen  des  Patienten  geht  die  Beugung  in  der  Hüfte 
normal  vor  sich,  bis  der  Fuss  die  Höhe  des  gesunden  Knies  erreicht, 
dann  dreht  sich  der  Oberschenkel  derart  in  der  Hüfte  nach  aussen, 
dass  der  Fuss  sich  rasch  über  das  gesunde  Knie  hinweg  nach  der 
anderen  Seite  stellt  und  daher  die  Steilung  bekommt,  wie  sie  die 
Schneider  bei  der  Arbeit  einnehmen.  Oft  kann  man  auch  das  Tren¬ 
del  e  n  b  u  r  g ’sehe  Symptom  wie  bei  einer  Luxat.  cox.  congen. 
beobachten:  Wenn  nämlich  der  Patient  auf  dem  kranken  Bein  stellt, 
sinkt  das  Becken  auf  der  gesunden  Seite  herunter  und  der  Patient 
ist  nicht  in  der  Lage,  das  Becken  zu  heben. 

Auf  Grund  dieser  Symptome  wird  man  gewöhnlich  in  der  Lage 
sein,  die  Diagnose  »Coxa  vara«  zu  stellen.  Es  fehlt  aber  auch  nicht  an 
Mitteln,  ein  Mass  für  die  Grösse  der  Varitas  zu  bestimmen.  So  weit 
dieselbe  durch  Veränderungen  am  proximalen  Femurabschnitt  gegeben 
ist,  lässt  sie  sich  anatomisch  am  Knochenpräparat  durch  den  von 
Alsberg  angegebenen  »Richtungswinkel«  bestimmen.  »Je  kleiner 
der  Winkel,  desto  grösser  die  Varusstellung.«  Im  Mittel  beträgt  der 
Winkel  4P5".  Diese  Methode  hat  den  Vorzug,  dass  sie  nicht  nur  am 
Knochenpräparat,  sondern  auch  am  Rön  tgen-Bild  angewendet  werden 
kann.  Will  man  hingegen  die  Varitas  klinisch  determiniren,  so 
kann  man  nach  dem  Vorschläge  Albe  rt’s  versuchen,  zu  bestimmen, 
um  wie  viel  und  in  welcher  Weise  der  Excursionskegel  des  Femur 
eingeschränkt  ist,  Unter  normalen  Verhältnissen  ist  der  Querschnitt 
des  Excursionskegels  einer  Ellipse  gleich,  bei  manchen  Formen  der 
Coxa  vara  bleibt  von  derselben  nur  ein  halbmondförmiger  Streifen 
des  Adductionsgebietes  zurück,  innerhalb  welchen  Streifens  die 
Beugung  und  Streckung  in  normalem  Masse  ausführbar  sind.  Albert 
versuchte  diese  Beschränkung  auf  Planiglobennetzen  graphisch  dar¬ 
zustellen,  während  Hübscher  sich  zur  Messung  des  Perimeters 
bedient  und  die  Befunde  auf  den  in  der  Augenheilkunde  zur  Ein- 
Zeichnung  perimetrischer  Befunde  angewendeten  Schemen  darstellt. 

Wenn  wir  die  interessanten  Symptome  der  Coxa  vara  erklären 
wollen,  müssen  wir  auf  pathologische  Anatomie  des  Processes  zurück¬ 
kommen.  Es  ist  klar,  dass  der  Hochstand  der  Trochanter  und  die 
reelle  Verkürzung  des  kranken  Beines  durch  die  Abflachung  des 
Schenkelhalses,  also  durch  die  Krümmung  nach  abwärts,  wodurch 
das  Bein  an  seiner  Gesammtlänge  einbüsst,  verursacht  wird  (M  ü  1 1  e  r, 
Hofmeister  u.  A.) 

Ogston,  der  sich  schon  vor  Hofmeister  mit  den  Ver¬ 
änderungen  am  Schenkelhälse  und  -köpfe  beschäftigt  hat,  macht 
darauf  aufmerksam,  dass  die  einfache  Bestimmung,  um  wieviel  Centi¬ 
meter  der  Trochanter  über  der  Roser-Nelaton ’sehen  Linie  stehe, 
nicht  genau  sei  und  dass  die  Bruyan  t’sche  Messung  diesbezüglich 
bessere  Resultate  liefere.  Wenn  man  bei  horizontaler  Lage  des 
Patienten  die  Spina  ant.  sup.  markirt  und  von  hier  mittelst  Loth  eine 
Verticale  nach  abwärts  zieht,  dann  den  Trochanter  markirt  und  von 
hier  eine  Linie  zieht,  die  die  frühere  unter  rechtem  Winkel  schneidet 
und  zuletzt  Spina  ant.  sup.  und  Trochanter  durch  eine  Linie  verbindet, 
entsteht  das  sogenannte  Bruyan  t  ’sehe  Dreieck,  das  bei  normaler 
Hüfte  ein  rechtwinkeliges  und  gleichschenkeliges  ist.  Wenn  der 
Trochanter  hinaufrückt,  oder  nach  auswärts  oder  einwärts  verschoben 
wird,  werden  die  Katheten  in  ihrer  Länge  verändert  und  das  Dreieck 
wird  ungleicharmig.  Hofmeister,  welcher  die  grössere  Genauig¬ 
keit  der  B  r  u  y  a  n  t’schen  Messung  zugibt,  zeigt  jedoch,  dass  die¬ 
selbe  keinen  Anspruch  auf  absolute  Sicherheit  erheben  könne,  da 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nicht  nur  die  Verschiebung  des  Trochanters  oder  der  Spina  das 
Dreieck  ungleicharmig  mache,  sondern  auch  jede  Aenderung  in  der 
Beckenneigung  dieselben  Folgen  erzeuge.  (Bei  Neigung  von  45°  ist 
das  Dreieck  gleichschenkelig.)  Jedenfalls  ist  diese  Messung  von  grosser 
Wichtigkeit  zum  Vergleiche  mit  der  gesunden  Seite.  Incongruenz  der 
Dreiecke  beider  Seiten  weist  auf  pathologische  Störungen  hin. 

Die  Behinderung  der  Abduction,  welche  eine  der  wichtigen 
Symptome  der  Coxa  vara  darstellt,  erklärt  sich  aus  der  Richtungs¬ 
änderung  des  Schenkelhalses,  mit  welcher  Hand  in  Hand  eine  Ver¬ 
schiebung  des  Schenkelkopfes  einhergeht  (Hofmeister),  »denn  der 
Gelenkskopf  steht  schon  bei  normaler  Stellung  (oder  bei  besonders 
hohen  Graden  der  Deformation,  sogar  bei  leichter  Adduction)  des 
Beines  an  der  äussersten  Grenze  der  Abduction,  es  ist  also  nach  dieser 
Richtung  die  Excursion  schon  vollständig  verbraucht,  wenn  der  Fuss 
sich  von  der  Mittellinie  noch  gar  nicht  entfernt  hat,  während  für  die 
entgegengesetzte  Bewegung  der  ganze  Umfang  des  Gelenkskopfes 
verfügbar  ist.« 

Die  Beschränkung  der  Adduction,  die  sich  bei  hochgradiger 
Coxa  vara  einstellen  kann,  wird  am  häufigsten  durch  directes  An- 
stossen  des  Trochanters  min.  am  Becken  erzeugt,  indem  der  Kopf  oft 
förmlich  abgeknickt  und  dem  kleinen  Trochanter  bis  auf  einen 
schmalen  Spalt  genähert  wird  unter  ganz  bedeutender  Ver¬ 
kürzung  der  unteren  Kante  des  Schenkelhalses. 

Die  Auswärtsrotation  und  Beschränkung  der  Innenrotation 
wird  ähnlich  wie  die  Abductionsbehinderung,  durch  die  Krümmung 
des  Schenkelhalses  nach  hinten  und  die  dadurch  bedingte  Ver¬ 
schiebung  der  Articulationstläche  im  Sinne  der  Aussenrotation  erklärt 
(Hofmeister)  und  da  der  Patient  in  der  Ruhe  instinctiv  das  Bein 
so  weit  nach  innen  dreht,  um  die  Patella  mehr  nach  vorne  zu  bringen, 
wird  durch  diese  Drehung  die  physiologische  Breite  der  Innenrotation 
eingeschränkt  oder  die  Bewegung  ganz  aufgehoben.  Die  Krümmung 
des  Schenkelhalses  nach  hinten  verursacht  auch  die  früher  erwähnte 
Kreuzung  der  Beine  bei  Beugung. 

Die  Drehung  des  Kopfes  um  die  Achse  des  Halses  erklärt 
endlich  die  Strecksteilung  und  die  manchmal  auftretende  Behinderung 
der  Flexion. 

Die  früher  erwähnten  ziemlich  seltenen,  hauptsächlich  von 
Hofmeister  und  Nasse  beschriebenen  Fälle  von  Coxa  vara,  die 
mit  Innenrotation  einhergehen,  sind  nach  ähnlichen  Principien  durch 
die  Krümmung  des  Halses  mit  der  Concavität  nach  vorne  zu  erklären. 
Wie  wir  also  sehen,  ist  es  immer  die  Verschiebung  der  Articulations- 
fläche  des  Kopfes,  der  viele  Autoren  die  wesentlichste  Einflussnahme 
auf  die  Einschränkung  der  Beweglichkeit  zuschreiben. 

Ein  anderer  Theil  der  Beobachter  (Kraske,  Borchard, 
Scho  e  mack  er)  sah  theils  auf  Ruhe  in  so  kurzer  Zeit  die  Beweg¬ 
lichkeit  sich  bedeutend  bessern,  theils  die  Bewegungshindernisse  in 
Narkose  plötzlich  ganz  verschwinden,  dass  sie  geneigt  sind,  die 
Hindernisse  entweder  in  einer  krankhaften  Muskelspannung  oder 
Dehnung  und  Zerrung  der  Bänder  zu  suchen.  Diese  Autoren  stellen 
die  Coxa  vara  in  Analogie  mit  dem  entzündlichen  fixirten  Platlfuss, 
ein  neuer  Beweis  für  die  Natur  der  Coxa  vara  als  Belastungsdeformität. 

Auch  Albert  ist  geneigt  die  Abductionsbehinderung  durch 
Muskelcöntractur  (der  Adductoren)  zu  erklären,  die  durch  das  Hinaus¬ 
gleiten  des  Kopfes  nach  unten  aus  der  Pfanne  und  den  damit  ver¬ 
bundenen  dauernden  Insult  der  unteren  Kapselpartien  durch  den  an¬ 
drängenden  Kopf  hervorgerufen  wird.  Ob  dabei  der  vom  Nervus 
obturator,  zur  Hüftgelenkskapsel  tretende  Nerv  in  Betracht  kommt 
ist  fraglich. 

Der  in  der  Narkose  zurückbleibende  Theil  der  Bewegungs¬ 
behinderung  muss  nicht  immer  in  toto  auf  Kosten  der  Knochen¬ 
deformität  gesetzt  werden,  sondern  kann  noch  die  Folge  sein  einer 
nutritiven  Verkürzung  der  Musculatur  (II  ofmeister)  und  als  Beweis 
können  die  Fälle  dienen,  wo  nach  der  Osteotomie  das  Bein  nicht  in 
die  Abductionsstellung  gebracht  werden  konnte,  bevor  die  Adductoren 
durchschnitten  wurden  (K  e  1 1 1  e  y,  Nasse). 

Andererseits  hat  II  e  n  1  e  in  der  Discussion  über  Coxa  vara 
am  Chirurgen-Congress  im  Jahre  1899  darauf  hingewiesen,  dass 
Mikulicz  in  vier  Fällen  von  Coxa  vara  bei  der  Operation  an  der 
oberen  Kante  des  Schenkelhalses  einen  Knochenrand  angetroflen  hat, 
der  in  Folge  Anstossens  am  Becken  bei  der  Abduction  ein  Hinderniss 
für  diese  Bewegung  abgab  und  ausserdem  einen  zweiten  Knochenrand, 
der  die  Innenrotation  hinderte.  Die  Abmeiselung  dieser  Vorsprünge 


hatte  jedes  Mal  den  gewünschten  Erfolg,  dass  die  Bewegungen  in  aus¬ 
giebigem  Masse  möglich  wurden. 

Das  Trendelcnburg’sche  Symptom  findet  nach  Als¬ 
berg  seine  Erklärung  in  dem  Umstande,  dass  in  Folge  des 
Trochanterhochstandes  und  noch  mehr  in  Folge  Riickwärtstretens 
desselben  das  Verhältniss  zwischen  Ursprung  und  Ansatzpunkt  der 
pelvitrochanteren  Muskeln  dahin  verändert  wird,  dass  in  allen 
Stellungen  die  abducirende  Componente  der  Beckenmuskeln  ver¬ 
ringert  wird  und  sogar  gleich  Null  werden  kann,  die  Adductoren 
daher  keine  Kraft  haben,  das  Becken  in  horizontaler  Lage  zu  erhalten. 

Diagnose. 

Die  Diagnose  der  Coxa  vara  wird  auf  Grund  der  classischen 
Symptome  (Verkürzung  des  Beines,  Streckung  in  Parallelstellung  oder 
Adduction  und  Aussenrotation)  gestellt,  jedoch  ist  eine  Verwechslung 
mit  anderen  Hüftgelenkskrankheiten  leicht. 

Wie  oft  eine  Verwechslung  mit  Coxitis  Vorkommen  kann,  sehen 
wir  aus  den  Warnungen  von  Hofmeister,  C  h  a  r  p  e  n  t  i  e  r, 
Kirmisson,  Albert  und  v.  A.  Von  Vortheil  für  die  Differential¬ 
diagnose  ist  manchmal  die  T  h  o  m  a  s’sche  Probe  (0  g  s  t  o  n),  die  als 
solche  wenig  bekannt  ist  und  öfters  Anwendung  finden  sollte.  Beugt 
man  bei  einem  auf  horizontaler  Matratze  liegenden  Patienten  den 
Gesunden  Oberschenkel  stark  in  der  Hüfte,  so  dass  auch  das  Knie- 
gelenk  stark  gebeugt  gehalten  wird  trnd  die  Wirbelsäule,  besonders 
der  Lendentheil,  der  Unterlage  stark  aufliegt,  so  kann  man  bei  vor¬ 
handener  Beugestellung  der  Hüfte,  wie  sie  in  der  Regel  bei  Coxitis 
besteht,  die  Kniekehle  des  kranken  Beines  nicht  mit  der  Unterlage 
in  Berührung  bringen.  Diese  unüberwindliche  Beugestellung  fehlt  bei 
Coxa  vara. 

May  dl  hat  auf  die  mögliche  Verwechslung  mit  Arthritis 
deformans  hingewiesen,  die  im  jugendlichen  Alter  nach  seinen  Er¬ 
fahrungen  nicht  so  selten  ist  und  mit  der  Coxa  vara  eine  Reihe  von 
Symptomen  gemeinschaftlich  hat  (Beginn  manchmal  traumatisch  im 
jugendlichen  Alter,  schmerzhaftes  Anfangsstadium,  Functionsbehinde¬ 
rung,  fehlerhafte  Stellung,  Verkürzung  des  Beines  und  Atrophie  der 
Musculatur).  Zur  Differentialdiagnose  kann  die  Messung  der  Hüften¬ 
peripherie  herangezogen  werden,  indem  dieselbe  eine  Verbreiterung 
im  ersten  Stadium  der  Coxa  vara  durch  Hinausrücken  des  Trochanters 
zeigt,  während  bei  Arthritis  deformans  die  Consumption  des  Kopfes 
als  Verkleinerung  der  Hüftenperipherie  in  Erscheinung  tritt.  Im  vor¬ 
geschrittenen  Stadium  weist  eine  Besserung  der  Function  auf  Coxa 
vara  hin,  während  hei  Arthritis  deformans  der  Zustand  kaum  je  spontan 
besser  werden  dürfte. 

Der  Hochstand  des  Trochanters  und  das  Vorhandensein  des 
Trend  elenbur  g’schen  Symptoms  sind  der  Grund,  dass  die  Coxa 
vara  mit  Luxat.  cox.  congen.  verwechselt  wurde  (C  h  a  r  p  e  n  t  i  e  r, 
Little,  Alsberg).  Kirmisson  räth,  in  Fällen,  die  diagnostisch 
nicht  ganz  klar  sind,  darauf  zu  achten,  dass  bei  Coxa  vara  trotz  des 
Trochanterhochstandes  das  Centrum  der  Bewegung  recht  deutlich  der 
Pfanne  entspricht,  was  bei  congenitaler  Luxation  nicht  der  Fall  ist. 
Als  sicheres  Hilfsmittel  zur  Diagnose  wird  in  neuerer  Zeit  die 
Röntgen-Photographie  herangezogen.  Hofmeister,  Rosenbaum, 
Sprengel,  II  o  f  f  a  u.  A.  berichten  über  Fälle,  wo  die  Vermuthungs- 
diagnose  Coxa  vara  nach  der  Durchleuchtung  mit  Röntgen- 
Strahlen  fallen  gelassen  wurde,  oder  andererseits  über  Fälle,  wo  erst 
auf  Grund  des  Rön  tge  mBildes  die  Diagnose  gestellt  werden  konnte. 

Ausserdem  erwähnt  Schneider  einen  Fall,  wo  die  Coxa 
vara  unter  dem  Bilde  eines  Rückenmarksleidens  (spastischer  Gang) 
verlief  und  von  demselben  unterschieden  werden  musste,  und  Brauer 
theilt  mit,  dass,  eine  Coxa  vara  unter  dem  Bilde  einer  Muskelatrophie 
verlief  und  dementsprechend  durch  zwei  Jahre  mit  Elektricität  be¬ 
handelt  wurde.  Die  Diagnose  wurde  erst  gestellt,  als  die  Verkürzung 
zum  Vorschein  kam. 

Derselbe  Autor  macht  auch  auf  die  Schwierigkeiten  aufmerksam, 
welche  die  Differentialdiagnose  zwischen  Coxa  vara  und  Coxalgia 
sec.  Wernher  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  I)  bieten  kann. 
Das.  Krankheitsbild  .der  Coxalgia  setzt  sich  aus  neuralgiformen 
Schmerzen,  permanenter  Reflexcontractur  in  einer  Muskelgruppe,  un¬ 
willkürlicher  Fixation  des  Gelenkes,  wie  bei  Ankylose  zusammen, 
wobei  noch  ein  Zurückbleiben  in  der  Entwicklung  in  Länge  und 
Dicke  der  Extremität  zu  bemerken  ist.  Die  Krankheit  hat  also. einige 
ähnliche  Symptome,  nur  treten  die  neuralgischen  Schmerzen  bei 
Coxa  vara  nicht  so  in  den  Vordergrund  wie  bei  Coxalgie.  Die  fixation 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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des  Gelenkes  ist  keine  so  absolute  und  die  Verkürzung  kommt  erst 
später  zu  Stande. 

Therapie. 

Das  therapeutische  Vorgehen  ist  ein  verschiedenes,  je  nach 
dem  Stadium,  in  welchem  sich  der  Process  befindet. 

Hei  manchen  Formen  der  Coxa  vara  kann  die  Prophylaxe 
Einiges  leisten  (A  1  s  b  e  r  g).  Schede  und  K  r  e  d  e  1  haben  darauf 
hin^e  wiesen,  dass  die  rachitischen  Kinder  im  Bett  mit  auswärts  ge- 
drehten  Beinen  liegen,  und  dass  diese  dauernde  Lage  bei  der  Weich¬ 
heit  der  Knochen  auf  den  Schenkelhals  form  verändernd  wirken 
könne.  Eine  Belehrung  der  Mütter  und  des  Wartepersonals,  dass 
diese  Lage  oft  zu  wechseln  ist,  könnte  von  Vortheil  sein.  Ebenso  ist 
auch  bei  Osteomalacie  durch  richtige  Lagerung  der  Beine  und  zeit¬ 
weise  Extension  eine  Krümmung  des  Schenkelhalses  hintanzuhalten. 
Auch  bei  Arthritis  deformans  kann  durch  Massage  und  Gymnastik, 
Spreizübungen,  erhöhte  Sohle  am  gesunden  Bein,  Schienenhülsen¬ 
apparat  am  kranken  Bein  zur  Entlastung  des  Gelenkes  mit  einer  Ab- 
ductionsvorrichtung  die  Adductionsstellung  verhindert  werden, 

Wenn  die  Krankheit  einmal  zum  Ausbruch  gekommen  ist,  hat 
man  im  acuten  Stadium  zweierlei  Indicationen  zu  erfüllen  (H  o  f- 
meister):  1.  Durch  Beseitigung  der  mechanischen  Schädlichkeiten 
die  Beschwerden  zu  lindern,  und  2.  durch  allgemeine  Massnahmen 
die  Ausheilung  des  supponirten  Knochenprocesses  (Rhachitis)  zu  unter¬ 
stützen.  Was  den  ersten  Punkt  anbetrifft,  ist  strenge  Bettruhe  und 
Extension  der  Extremität  entweder  den  ganzen  Tag  hindurch  oder 
während  der  Nacht  indicirt,  und  es  ist  oft  überraschend,  wie  schnell 
die  Schmerzen  und  das  Hinken  auf  diese  Therapie  schwinden 
(Schneider,  F  a  b  r  i  k  a  n  t  e).  Durch  diese  Ruhelage  wird  die  Ent¬ 
stehung  der  Verkrümmung  verhindert.  In  leichteren  Fällen  genügt 
zum  Zwecke  der  Hintanhaltung  der  Beschwerden  die  Schonung  des 
Beines;  man  empfiehlt  blos,  grosse  Märsche  oder  schwere  Arbeit  zu 
meiden.  Was  den  zweiten  Punkt,  die  Ausheilung  des  Knochenpro¬ 
cesses,  anbetrifft,  hat  sich  die  Besserung  der  hygienischen  Ver¬ 
hältnisse  und  kräftige  Kost  wirksam  erwiesen.  Ausserdem  wird  gegen 
die  Rhachitis  Phosphorleberthran  gereicht  und  Sool-  und  Salzbäder 
werden  ebenfalls  mit  Vortheil  angewendet. 

Gegen  die  secundäre  Atrophie  der  Oberschenkelmusculatur 
und  zur  Kräftigung  der  Adductoren,  deren  Schwäche  einen  Theil  der 
Beschwerden  verursacht,  wird  Massage  mit  gutem  Erfolge  ange¬ 
wendet;  dieselbe  hat  auch  den  Zweck,  die  contracte  Musculatur  zu 
entspannen.  Denselben  Zweck  verfolgen  auch  die  von  Alsberg 
empfohlenen  gymnastischen  Uebungen  am  Bock  und  das  von  Stokes 
vorgeschlagene  Reiten  auf  Eseln  und  Ponies.  Sehr  oft  wird  mit  gutem 
Erfolge  eine  T  homa  s’sche  Schiene  (v.  H  o  f  f  a,  Lehrbuch  der  ortho¬ 
pädischen  Chirurgie)  angewendet.  Wenn  diese  therapeutischen  Mass¬ 
nahmen  lange  Zeit  geübt  werden,  tritt  Heilung  des  Processes  ein. 
Fabrikante  und  Bayer  sahen  auf  Extensionsbehandlung  sogar 
den  bereits  ausgebildeten  Trochanterhochstand  sich  bessern;  dies  ist 
natürlich  nur  möglich,  so  lange  die  Erweichung  des  Knochens 
anhält. 

Wichtig  ist  die  Frage  der  Berufsänderung.  Wir  sehen,  dass 
die  Coxa  vara  im  Jünglingsalter  als  Belastungsdeformität  bei  Indivi¬ 
duen  sich  einzustellen  pflegt,  die  sehr  schwer  arbeiten  und  es  ist 
vorauszusetzen,  dass  nach  Ablauf  der  ersten  acuten  Erscheinungen 
bei  Wiederaufnahme  des  schweren  Berufes  die  Beschwerden  sich  er¬ 
neuern  werden  und  die  Verkrümmung  des  Schenkelhalses  fort¬ 
schreiten  wird.  Es  wäre  daher,  so  weit  es  die  socialen  Verhältnisse 
des  Patienten  erlauben,  eine  Aenderung  des  Berufes  zu  empfehlen 
und  eine  hauptsächlich  sitzende  Beschäftigung  zu  wählen.  Leider 
wird  man  diese  Indication  nur  sehr  selten  erfüllen  können. 

Auch  in  schweren  Fällen,  wo  die  Verkrümmung  bereits  aus¬ 
gebildet  ist  und  die  Beschwerden  grösstentheils  auf  Bänderzerrung 
zurückzuführen  sind,  hat  sich  Ruhe,  verbunden  mit  Extensionsbe¬ 
handlung,  bewährt,  indem  die  Leute  nach  einiger  Zeit,  trotz  bestehen¬ 
der  Verkrümmung  wieder  arbeitsfähig  werden.  Die  Extension  soll  in 
diesen  Fällen  bis  zu  20  Pfund  betragen  (Bayer)  und  es  soll  ausser¬ 
dem  am  oberen  Femurende  ein  Querzug  angebracht  werden,  der 
eine  Rotation  nach  aussen  bewirkt.  Für  die  Fälle  von  Coxa  vara 
contracta  hat  Bore  hard  ausser  Massage  Cocaininjectionen  em¬ 
pfohlen. 

Wenn  die  Deformität  sich  bereits  stabilisirt  hat,  kann  eine 
orthopädische  Correctur  versucht  werden.  Wenn  die  Verkürzung 
und  das  Hinken  die  einzigen  Beschwerden  sind,  genügt  oft  eine  er¬ 


höhte  Sohle  am  kranken  Bein,  um  den  Gang  normal  zu  machen.  Ist 
die  Verkürzung  sehr  gross  und  die  Sohle  daher  sehr  schwer,  kann 
man  eine  Abductionsschiene  anlegen  (Bayer)  und  durch  Becken¬ 
senkung  einen  Theil  der  Verkürzung  beheben.  S  c  h  u  1 1  z  schlägt 
vor,  bei  minder  starker  Verkürzung  dem  gesunden  Bein  eine  erhöhte 
Sohle  zu  geben,  um  das  kranke  Bein  zu  entlasten  und  vor  Druck  zu 
schützen.  Bore  hard  sah  davon  einmal  einen  Erfolg. 

Die  Beschwerden,  welche  die  Folge  der  Adductionscontractur 
sind,  trachtet  Vulpius  durch  forcirtes  Redressement  und,  wenn 
nothwendig,  durch  Tenotomie  der  Adductoren  zu  bessern  (vide  Als¬ 
berg). 

Wenn  die  Knochendeformität  sehr  hochgradig  ist,  genügt  die 
bisher  geschilderte  Therapie  nicht,  sondern  der  Knochen  selbst  muss 
den  Angriffspunkt  zur  Correctur  der  Stellung  abgeben.  Zwei  Ver¬ 
fahren  sind  es,  die  sich  hier  den  Rang  streitig  machten  und  auf  den 
letzten  Chirurgencongressen  oft  Anlass  zu  Debatten  gaben,  welches 
Verfahren  das  empfehlenswertere  sei,  es  ist  dies  die  Resection 
und  die  Osteotomie. 

Die  Resection  wurde  von  Kocher  für  schwere  Fälle  em¬ 
pfohlen  und  ist  zwölfmal  ausgeführt  worden  (Müller,  Kocher, 
Hoffa,  Herrmann-Rydygier,  May  dl,  Nasse,  Lauen¬ 
stein).  Während  Kocher  den  Kopf  und  Hals  sammt  Trochanter 
resecirt,  hat  Sprengel  die  Resection  mit  Zurücklassung  des  Troch. 
maj.  vorgeschlagen.  Hofmeister  hat  für  die  schweren  Fälle  eben¬ 
falls  die  Resection  in  Vorschlag  gebracht,  sonst  empfiehlt  er  die 
Osteotom,  subtrochanterica,  welche  es  ermöglicht,  dass  die 
Deformität  (Adduction  und  Aussenrotation)  behoben  werden  könne. 

Der  K  o  c  h  e  r’sche  Vorschlag  der  Resection  ist  nicht  ohne 
Widerspruch  geblieben.  Kraske  hielt  den  Eingriff  für  zu  gross  und 
ungerechtfertigt,  weil  das  Gelenk  vollständig  unverändert  ist,  und 
da  auch  die  Osteotom,  subtroch.  (Hofmeister)  die  pathologisch 
veränderte  Stelle  unberührt  lässt  und  auch  das  obere  Femurende, 
wo  die  Musculatur  sich  ansetzt,  in  seiner  Lage  unverändert  bleibt, 
daher  die  Operation  nur  eine  Compensation  der  Deformität  und  nicht 
eine  Correctur  derselben  bewirkt,  hat  er  statt  derselben  die  Osteo¬ 
tomie  am  Schenkelhals  mit  Herausmeisselung  eines  Keiles 
aus  dem  Halse  mit  der  Basis  vorne  oben  in  Vorschlag  gebracht  und 
auch  ausgeführt.  Kraske  selbst  hat  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  die  Operation  gewisse  Nachtheile  habe,  indem  dieselbe  nicht 
immer  extracapsulär  ausgeführt  werden  kann  und  daher  die  Gefahr 
der  Gelenksankylose  in  Folge  Eröffnung  der  Gelenkskapsel  bestehe. 
Durch  das  Röntgen-Verfahren  kann  man  sich  schon  vor  der  Operation 
überzeugen,  dass  in  vielen  Fällen  diese  Gefahr  besteht  (Hofmeister), 
da  der  Hals  oft  in  toto,  gewöhnlich  aber  an  der  unteren  Kante  so 
verkürzt  ist,  dass  es  unmöglich  ist,  hier  einen  Keil  herauszumeisseln, 
ohne  das  Gelenk  zu  eröffnen.  Die  Operation,  die  ausser  von  Kraske 
noch  von  Petersen,  Nasse,  Rydygier,  Bardenheuer, 
Bruns,  Hofmeister  ausgeführt  wurde,  weist  mehrere  Misserfolge, 
wie  Gelenksvereiterung  und  -Steifigkeit  auf. 

Um  daher  direct  die  kranke  Stelle  anzugreifen,  ohne  Gefahr 
zu  laufen,  das  Gelenk  zu  eröffnen,  hat  Büdinger  die  lineare 
Osteotomie  am  Schenkelhals  ohne  Keilresection  ausgeführt  und 
trachtete  dann,  das  periphere  Fragment  in  eine  der  Lage  des  cen¬ 
tralen  Fragmentes  entsprechende  Abductionsstellung  zu  bringen,  um 
es  in  dieser  Stellung  anheilen  zu  lassen. 

Um  einem  anderen  Nachtheil  des  Kraske’schen  Verfahrens, 
nämlich  der  Verschiebung  der  Fragmente  aneinander  vorzubeugen, 
hat  Hofmeister  die  Osteotom,  intertrochant.  (Abtren¬ 
nung  des  Halses  vom  Troch.  min.)  vorgeschlagen,  mit  Zurücklassung 
des  sehnig-periostalen  Ueberzuges  an  der  Aussenseite,  welcher  die 
Verschiebung  unmöglich  macht.  Um  keine  Splitterung  zu  erzeugen, 
welche  sich  beim  Kraske’schen  Verfahren  einige  Male  verhängnis¬ 
voll  erwiesen  hat,  benützt  er  zur  Osteotomie  die  Gigli’sche  Draht¬ 
säge.  Denselben  Zweck,  keine  Verschiebung  zu  gestatten,  verfolgte 
C  h  e  y  n  e,  indem  er  nach  der  Osteotomie  das  Bein  in  die  gewünschte 
Lage  brachte  und  die  Knochenfragmente  mit  einer  Aluminiumplatte 
übernagelte. 

Ogston  räth,  die  Deformität  durch  eine  schräge  Osteo¬ 
tomie  im  Troch.  maj.  oder  dicht  unterhalb  derselben  in  annähernd 
frontaler  Richtung  zu  beheben  oder  die  Fragmente  so  zu  gestalten, 
dass  eines  in  das  andere,  wie  ein  Keil  in  einen  Spalt  hineinpasst,  so 
dass  kein  Klaffen  der  Fragmente  nach  Beseitigung  der  Adduction 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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eintritt.  Das  Hauptgewicht  legt  er  auch  auf  die  Verwachsung  der 
Knochen  in  Abductionsstellung. 

H  o  f  f  a  empfiehlt  die  Osteotom,  subtroch.  obliq. 
(von  aussen  unten  nach  oben  innen)  mit  breitem  Meissei  und  hebt 
als  Vortheil  dieser  Methode  hervor,  dass  1.  die  Extension  dann  durch 
Verschiebung  der  Knochen  aneinander  die  reelle  Verkürzung  des 
Beines  aufhebt  oder  zum  Mindesten  verringert;  2.  die  Abduction  in 
beliebiger  Weise  ermöglicht  wird,  und  3.  das  Trendelenburg- 
sehe  Symptom  verschwindet,  indem  in  Folge  Tiefertretens  des  Troch. 
maj.  die  abducirende  Componente  der  Zugkraft  der  vom  Becken  zum 
Troch.  verlaufenden  Muskeln  vergrössert  wird. 

Einen  ganz  anderen  Angriffspunkt  für  die  Operation  wählte 
Jaboulay.  Er  stellte  sich  in  Opposition  zur  deutschen  Auffassung 
der  Coxa  vara  und  glaubt,  dass  die  Aussenrotalion  im  Bereiche  der 
Diaphyse,  also  einigermassen  eine  Uebertreibung  des  normalen  Ent¬ 
wicklungsvorganges,  das  Primäre  sei,  und  dass  dadurch  erst  die 
Stellungsanomalie  des  Halses  bedingt  werde.  Dementsprechend  geht 
seine  Ansicht  dahin,  dass  es  verkehrt  sei,  am  Hüftgelenk  zu  operiren, 
und  er  räth  daher  zur  Osteoklase  des  Femur  und  Correctur 
der  Stellung  auf  diese  Weise. 

Die  Abmeisselung  der  die  Abduction  und  Adduction  hindern¬ 
den  Knochenvorsprünge  durch  Mikulicz  (H  e  n  1  e)  haben  wir  be¬ 
reits  an  anderer  Stelle  gewürdigt. 

In  neuerer  Zeit  hat  sich  eine  gesunde  Reaction  gegen  das 
frühzeitige  und  radicale  Operiren  bei  Coxa  vara  geltend  gemacht. 
Schon  Hofmeister  rieth  am  Chirurgencongresse  im  Jahre  1897 
auch  bei  hochgradigen  Verkrümmungen  die  Indication  zur  Operation 
mit  Reserve  zu  stellen,  da  auch  noch  diese  Beschwerden  besserungs¬ 
fähig  sind.  Auch  Nasse  warf  unter  Hinweis  auf  die  ungünstigen 
Resultate  der  Operationen  die  Frage  auf,  ob  man  Coxa  vara  über¬ 
haupt  noch  operiren  soll.  Borchard  wieder  räth,  im  Hinweis 
darauf,  dass  die  Beschwerden  der  Coxa  vara-Kranken  zum  grössten 
Theil  nicht  von  der  Knochenveränderung  herrühren,  sondern  nur 
von  den  Muskelspasmen  und  im  weiteren  Hinweis  darauf,  dass  das 
Röntgen-Verfahren  nur  die  Knochenveränderung  und  nicht  die 
Muskelcontractur  anzeigt,  vor  jeder  Operation  längere  Zeit  mit 
Massage  und  Extension  zu  behandeln  und  erst  dann  zu  operiren, 
wenn  der  Erfolg  negativ  ist,  weil  man  erst  dann  sicher  sein  kann, 
dass  die  Ursachen  der  Beschwerden  in  der  Knochenveränderung 
liegen.  Charpentier  rieth  von  der  Operation  ab,  so  lange  der 
Knochen  weich  ist  und  die  Deformität  sich  nicht  stabilisirt  hat. 

Eine  wichtige  Bestätigung  ihrer  Richtigkeit  erhielten  diese  An¬ 
sichten  der  Anhänger  einer  mehr  conservativen  Therapie  bei  Coxa  vara 
durch  die  Befunde,  die  Hofmeister  anlässlich  der  Nachuntersuchung 
seiner  Coxa  vara-Patienten  im  Jahre  1898  erhob.  Er  constatirte  nämlich, 
dass  die  subjectiven  Beschwerden  nach  mehreren  Monaten  bis  zu 
einigen  Jahren  ganz  verschwanden  oder  so  unbedeutend  wurden, 
dass  die  Patienten  ihrem  früheren  Berufe  nachgehen  konnten,  und 
dass  dieses  günstige  Resultat  auch  ohne  jede  weitere  Therapie  nur 
bei  Meidung  der  das  Leiden  veranlassenden  Schädlichkeiten  sich  ein¬ 
stelle.  Auch  die  zur  Zeit  der  ersten  Untersuchung  vorhanden  ge¬ 
wesenen  Bewegungs-  und  Stellungsanomalien  besserten  sich  bedeu¬ 
tend,  namentlich  die  Flexion  und  Innenrotation  (weniger  die  Abduc¬ 
tion),  so  weit,  dass  sämmtliche  mit  frühzeitiger  Ankylose  behaftet 
gewesenen  Patienten  arbeitsfähig  wurden.  Ein  Patient,  der  im  An¬ 
fänge  der  Erkrankung  nur  mit  gekreuzten  Beinen  knien  konnte, 
kniete  bei  der  Nachuntersuchung  wie  ein  Mensch  mit  gesunden 
Beinen.  Die  Erklärung  für  die  Besserung  liegt  darin,  dass  die  früher 
activ  gespannte  und  nutritiv  verkürzte  Musculatur  (Kraske)  sich 
besserte,  möglich  wäre  aber  auch,  dass  der  Knochen  allmälig 
im  Laufe  der  Jahre  im  Sinne  der  Correction  sich  umformte;  diese 
letztere  Ansicht  stützt  Hofmeister  auf  Knochenpräparate  von 
Zeiss  und  May  dl.  Andererseits  stellte  Hofmeister  die  Opera¬ 
tionsresultate  der  bis  dahin  veröffentlichten  Fälle  zusammen  und 
fand  eine  Mortalität  von  7*4°/0,  was  in  Anbetracht  des  Umstandes, 
dass  die  Operation  die  Besserung  einer  mangelhaften  Function  zum 
Zwecke  hat,  als  ein  sehr  ungünstiges  Resultat  betrachtet  werden  kann. 

Hofmeister  stellt  daher  den  Grundsatz  auf,  dass  die 
Schmerzen  nicht  bestimmend  sein  dürfen  für  die  Operation,  weil  sie 
ganz  verschwinden.  Wenn  die  Untersuchung  in  Narkose  eine  bedeu¬ 
tende  Besserung  der  Stellung  ergibt,  dann  ist  es  für  die  Operation 
zu  frühe  (weil  dies  als  Zeichen  der  spastischen  Contractor  betrachtet 


werden  kann).  Im  Spätstadium  ist  die  Indication  zu  einer  eingreifen¬ 
den  Operation  selten  gegeben,  höchstens  nur  beiderseitige  Fülle  mit 
hochgradigen  Functionsstörungen  verfallen  der  Operation. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Nach  einem  Berichte  von  Dr.  K  i  n  d  1  e  r  hat  sich  an  der  Ab¬ 
theilung  von  Prof.  Goldscheider  am  Krankenhause  Moabit  fol¬ 
gende  Behandlung  der  Unterschenkelgeschwüre  ein¬ 
gebürgert:  Das  Geschwür  wird  aus  einem  2  m  hoch  hängenden  Irri¬ 
gator  täglich  ein-  bis  dreimal  mit  möglichst  heissem  Wasser  durch 
einen  Schlauch  ohne  jedes  Ansatzstück  berieselt,  dann  trocken  mit 
Jodoform  oder  Dermatol  verbunden.  Die  therapeutische  Wirkung  soll 
durch  eine  Beeinflussung  der  trophischen  Nerven  zu  Stande  kommen. 
—  (Fortschritte  der  Medicin.  1900,  Nr.  3.) 

* 

Die  Behandlung  des  chronischen  U  n  t  er¬ 
sehe  n  k  e  1  g  e  s  c  h  w  ü  r  e  s.  Von  H.  Baaz  (Graz).  Folgendes  Ver¬ 
fahren  hat  Autor  in  76  Fällen  und  immer  mit  Erfolg  angewendet, 
wenn  die  Patienten  mit  der  nöthigen  Ausdauer  sich  der  Behandlung 
unterzogen  hatten.  Fuss  und  Unterschenkel  wird  mit  Schmierseife 
und  warmem  Wasser  gründlich  gereinigt,  das  Geschwür  und  dessen 
Umgebung  mit  Sublimat  (10/oo)  desinficirt,  gut  abgetrocknet  und  das 
schmierig  belegte  Geschwür  mit  Jodoform,  oder  mit  Orthoform  und 
Jodoform  (1  :  4),  statt  letzterem  auch  mit  Europhen  bestäubt  und  zum 
Schutze  mit  Silkprotectiv  bedeckt.  Die  callöse,  narbig  veränderte  Um¬ 
gebung  des  Geschwüres  wird  mit  einer  dicken  Schichte  L  a  s  s  a  Fächer 
Paste  (Zinc,  oxyd.,  Amyli  puri  aa.  p.  1.  Vaselini  flav.  p.  2)  bedeckt 
und  über  die  lüste  kommt  eine  nach  der  Reichlichkeit  der  Secretion 
verschieden  dicke  Lage  von  steriler  Gaze  und  Brun  s’scher  Watte. 
Daiauf  wird  Mittelfuss  und  Unterschenkel  mit  Zinkleim  (Zinci  oxyd.,  Gelat. 
aa.  20'0,  Glycer.,  Aq.  dest.  aa.  80-0)  bestrichen  und  in  gleichem  Um¬ 
fange  mit  einer  zuerst  nassgemachten,  aber  gut  ausgedrückten,  appre- 
tirten  Organtinbinde  einmal  eiugewickelt;  darüber  kommt  wieder  eine 
Zinkleimschichte,  dann  wieder  Organtin  und  wieder  Zinkleim,  bei 
grossen  Geschwüren  etwa  vier  Lagen.  Zum  Schlüsse  eine  Calicotbinde. 
Mit  diesem  Verbände  kann  der  Patient  herumgehen.  Wird  der  Ver¬ 
band  nicht  mit  Secret  durchtränkt  oder  durch  Schmutz  verunreinigt, 
so  braucht  er  erst  nach  drei  Wochen  gewechselt  zu  werden.  Wenn 
das  Ulcus  bereits  zu  granuliren  beginnt,  verwendet  man  statt  Jodo¬ 
form  rothe  Präcipitatsalbe,  später  Borsalbe,  bei  zu  üppigen  Granula¬ 
tionen  Lapis.  Ist  das  Geschwür  geheilt,  verwendet  man  zur  Erzielung 
einer  festen  Narbe  den  Zinkleimverband  weiter,  später  genügt  eine 
einfache  Tricotbinde.  Besteht  anfangs  eine  erysipelatöse  Entzündung 
in  der  Geschwürsumgebung,  so  wird  diese  zuerst  bei  Ruhelage  des 
Beines  mit  essigsaurer  Thonerde  behandelt.  —  (Volkmann’s  Sammlung. 
1900,  Nr.  267.) 

* 

Das  Dormiol,  eine  Chloral-Amylenhydratverbindung,  wurde 
bis  jetzt  durch  drei  Vierteljahre  an  der  inneren  Abtheilung  des  Prof. 
Dinkier  am  Louisenhospital  in  Aachen  bei  den  verschiedensten 
Formen  von  Schlaflosigkeit,  und  zwar,  wie  Dr.  Peters  berichtet,  in 
den  meisten  Fällen  mit  gutem  Erfolge  angewendet;  es  soll  zum  min¬ 
desten  ebenso  gut  wirken  als  Trional,  ist  aber  billiger  als  dieses. 
Dormiol  ist  eine  ölige  Flüssigkeit  und  wird  in  Gaben  zu  0‘5,  DO, 
höchstens  2  0  in  Form  einer  10%igen  wässerigen  Lösung  in  Milch 
oder  Kapseln  verabreicht.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  14.) 

* 

(Aus  der  Universitätspoliklinik  in  München.)  Ueber  Oxy- 
kamphe  r.  Von  Dr.  Neumayer,  Das  Mittel  wurde  in  einer  grösseren 
Reihe  von  Füllen  von  Dyspnoe  jeder  Art  und  meistens  mit  sehr 
günstigem  Erfolge  verwendet.  Es  bietet  vor  den  sonst  angewendeten 
Narcoticis  den  Vortheil,  dass  es  eine  beruhigende  Wirkung  auf  das 
Athmungscentrum  besitzt,  ohne  gleichzeitig  irgendwie  auf  das  Herz 
oder  Nervensystem  schädigend  einzuwirken.  Die  Dosis  beträgt  40  Tropfen 
Oxaphor  (—  50%ige  alkoholische  Lösung  des  Oxykamphers)  =  lg 
Oxykampher  in  einer  nicht  zu  kleinen  Menge  Wasser  bei  nüchternem 
Magen.  Eine  andere  Form  der  Darreichung  wäre :  Oxykampher  1*0, 
Spirit,  vini  5  0,  Aq.  dest.  180'0,  Syr.  rub.  id.  20  0.  S.  Esslöffel¬ 
weise  zu  nehmen.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  11.) 

* 

Dr.  O  v  e  r  1  a  c  h  (Greiz)  empfiehlt  als  Antidiarrhoicum  eine 
Formaldehydverbindung  des  seinerzeit  in  gleicher  Weise  öfter  ange¬ 
wendeten  Cotoin,  das  For  to  in,  in  Dosen  von  dreimal  täglich  025 
für  Erwachsene.  —  (Centralblatt  für  innere  Medicin.  1900,  Nr.  10.) 

Pi. 


510 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  22 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Privatdocent  Dr.  Ilans  Ko  schier  zum  Vor¬ 
stände  der  laryngologischen  und  Privatdocent  Dr.  Eduard  Spieg- 
1  er  zum  Vorstande  der  dermatologischen  Abtheilung  an  der  allgemeinen 
Poliklinik  in  Wien.  —  Prof.  Karl  Hess  in  Marburg  zum  a.  o. 

Professor  der  Augenheilkunde  in  Würzburg. 

* 

In  Strass  bürg  wurde  für  das  Sommersemester  Professor 
Dr.  Ewald  mit  der  Stellvertretung  des  Directors  des  physiologischen 
Institutes,  Prof.  Goltz,  und  Privatdocent  Dr.  Manasse  mit  jener 

des  Directors  der  otiatrischen  Klinik,  Prof.  Kuhn,  beauftragt. 

* 

Verliehen:  Dem  Wundarzte  Alois  Furten  hach  Edlen 
v.  Schrcgenberg  u.  Levis  in  Wien,  sowie  dem  Gerichts¬ 
wundarzte  in  Korneuburg,  Jakob  Klausmann,  das  goldene 
Verdienstkreuz.  —  Dem  Regimentsarzte  Dr.  Karl  Wal  ln  er  das 
goldeno  Verdienstkreuz  mit  der  Krone.  —  Dem  Regimentsarzte  Dr. 
Ferdinand  Liebl  der  Stabsarztes-Character  ad  honores.  —  Dem 
Badearzte  in  W  i  1  d  b  a  d  -  G  a  s  t  e  i  n,  kaiserlicher  Rath  Dr.  Eduard 
Sch  id  er,  der  Character  eines  königlich  preussischen  Geheimen 
Sanitätsrathes.  —  Dem  Professor  Dr.  W.  F.  Löbisch  in  Inns¬ 
bruck  die  königlich  preussische  Erinnerungs-Medaille  an  Wilhelm  I. 

—  Dem  Privatdocenten  Dr.  Oskar  Samt  er  in  Königsberg 
das  Prädicat  Professor. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Schick  für  Ophthalmologie  in  II  a  1  1  e  a.  S. 

—  Dr.  Becco  für  topographische  Anatomie  und  operative  Medicin 
in  Genua.  —  Die  Doctoren  Guida  und  Somma  für  Pädiatrie  in 
Neapel. 

* 

Privatdocent  Dr.  G.  Klemperer  in  Strassburg  hat  auf 
die  Venia  legendi  verzichtet. 

* 

Gestorben:  Der  Professor  der  Psychiatrie  in  Moskau, 
Dr.  S.  K  ors  a  k  o  w.  —  Der  Gynäkologe  Dr.  G.  A  p  o  s  t  o  1  i  in 
Pari  s. 

* 

Am  22.  April  d.  J.  waren  es  zehn  Jahre,  dass  das  k.  k.  zahn¬ 
ärztliche  Institut  der  Wiener  Universität  eröffnet  wurde,  nachdem  die 
Leitung  desselben  den  damaligen  Privatdocenten  Dr.  Steinberger 
und  Dr.  Scheff  übergeben  worden  war.  Aus  der  Brochure, 
welche  aus  Anlass  dieses  zehnjährigen  Jubiläums  von  Prof.  Scheff 
herausgegeben  wurde,  ersieht  man  die  ausserordentliche  Entwicklung, 
welche  dieses  Institut  seit  seiner  Gründung  genommen  hat.  Die  Zahl 
der  Hörer  hat  während  dieses  Zeitraumes  1221,  jene  der  das  Institut 
frequentirenden  Patienten  71459  betragen. 

* 

Eine  Notiz  in  Nr.  G2  der  „Gaz  d.  osped.“  berichtet,  dass  im 
vergangenen  Jahre  ähnlich  wie  bereits  in  Leipzig,  Magdeburg,  Erfurt, 
Königsberg,  Nürnberg  u.  a.  0.  auch  in  Frankfurt  Schulärzte  auf- 
gestellt  wurden,  von  denen  jeder  alle  14  Tage  eine  ärztliche  Inspection 
der  Schulkinder  vorzunehmen  hat.  Jeder  neu  eintretende  Schüler  empfängt 
nach  vorgenommener  ärztlicher  Untersuchung  ein  Gesundheitsbuch  • 
wird  eine  Krankheit  festgestellt,  so  erfolgt  darüber  eine  Verständigung 
an  die  Eltern  und  der  Schüler  wird  je  nach  der  Nothwendigkeit  zeit¬ 
weilig  oder  gänzlich  vom  Schulbesuche  ausgeschlossen.  Wie  empfehlens- 
werth  die  Institution  der  Schulärzte  ist,  geht  z.  ß.  daraus  hervor, 
dass  von  547  in  zwei  Leipziger  Schulen  untersuchten  Kindern  2  mit 
Lungontuborculose,  1 1  mit  Herzfehlern  behaftet  waren,  10  Verkrüm¬ 
mungen  der  Wirbelsäule  aufwiesen,  63  an  adenoiden  Vegetationen, 
75  an  Gesichts-  und  10  an  Gehörstörungen  litten.  Der  Bericht  schliesst: 
„Wann  wird  einmal  auch  in  den  Schulen  Italiens  eine  ähnliche  Vor¬ 
kehrung  getroffen  werden?“ 

* 

Frauenarzt  Dr.  Otto  T  h.  L  i  n  d  e  n  t  h  a  1  wohnt:  IX.,  Günther¬ 
gasse  3. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  19.  Jahreswoche  (vom  6.  Mai 
bis  12.  Mai  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  678,  unehelich  335,  zusammen 
1013.  Todt  geboren:  ehelich  42.  unehelich  21,  zusammen  63.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  738  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
23  2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  168,  Blattern  0,  Masern  15, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  5,  Typhus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  42.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
88  (-|-  26),  Masern  311  (-(-  70),  Scharlach  45  ( —  5).  Typhus  abdominalis 
13  (-(-  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  27  ( —  4),  Croup  und 
Diphtherie  40  (-|-  2),  Pertussis  62  (-(-  13),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=1,  Puerperalfieber  2  ( —  D,  Trachom  2  ( —  12»,  Influenza  2  ( —  3). 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Runge.  Das  Weib  in  seiner  geschlechtlichen  Eigenart.  4.  Auflage.  Springer, 
Berlin.  Preis  M.  1. — . 

Hoffa,  Atlas  und  Grundriss  der  Verbandlehre.  2.  Auflage.  Lehmann, 
München.  Pieis  M.  7. — . 

Schaeffer.  Atlas  und  Grundriss  der  Lehre  vom  Geburtsact.  5.  Auflage. 
Ibidem.  Preis  M.  8. — . 

Bouchard,  Brissaild,  Traite  de  medecine.  Tome  IV.  Masson,  Paris. 
Heftier,  Le  traitement  balnco-mecanique  des  affections  chvoniques  du  eoeur. 
Doin,  Paris.  89  S, 

Goldman,  Die  Ankylostomiasis.  Braumüller,  Wien.  Preis  M.  1.40. 

Fritsch,  Die  Krankheiten  der  Frauen.  9.  Auflage.  Wreden,  Braunschweig. 
Preis  M.  13'60. 

Karutz,  Ueber  den  gegenwärtigen  Stand  der  Ohrenheilkunde.  Fischer,  Jena. 
Preis  M.  0.60, 

Hessler,  Witterung,  Sonnenscheindauer  und  Infectionskrankheiten.  Ibidem. 
Preis  M.  1.20. 

Bendix,  Säuglingsernährung.  (Berliner  Klinik  Nr.  141  )  Fischer,  Berlin. 
Preis  M.  1.20. 

Knopf.  Les  sanatoria.  Carre  &  Naud,  Paris.  495  S. 

Buschan,  Bibliographischer  Semesterbericht  der  Erscheinungen  auf  dem 
Gebiete  der  Neurologie  und  Psychiatrie.  5.  Jahrgang,  1.  Hälfte. 
Fischer  Jena.  Preis  M.  6. — . 

Wahleyer,  Die  Bildnisse  Friedrichs  des  Grossen.  Hirschwald,  Berlin. 
24  S. 

II neppe,  Der  moderne  Vegetarianismus.  Ibidem.  47.  S. 

Schwalbe,  Jahrbuch  der  praktischen  Medicin.  1900.  1.  Heft.  Enke,  Stutt¬ 
gart.  Preis  M.  3. — . 

Leyden  v.  und  Blumenthal,  Der  Tetanus.  (Specielle  Pathologie  und 
Therapie,  herausgegeben  von  Hofrath  Nothnagel.)  Holder,  Wien. 
Preis  M.  1.80. 

Noorden,  Die  Fettsucht.  Ibidem.  Preis  M.  3.60. 

Sternfeld.  Ueber  die  sogenannte  frühzeitige  Extraction  des  sechsjährigen 
Molaren.  Künast,  Wien.  63  S. 

Böl'kner,  Atlas  von  Beleuchtungsbildern  des  Trommelfells.  3.  Auflage. 
Fischer,  Jena.  Preis  M.  10.  — . 

Kölliker,  Die  Gypsdrahtschiene.  Vogel,  Leipzig.  Preis  M.  0.60. 

G  litt  mann,  Die  Augenkrankheiten  des  Kindesalters  und  ihre  Behandlung. 
Kornfeld  Berlin.  Preis  M.  3. — . 

Döllitz,  Bericht  über  die  Thätigkeit  des  k.  Institutes  für  Serum forschung 
und  Serumprüfung  zu  Steglitz.  Fischer,  Jena  Preis  M.  0.60. 
Bibliotheca  internationalis,  Bd.  I:  Lepra.  Barth,  Leipzig.  Preis 
M.  20.—. 

Matthaei.  Die  Schädlichkeit  massigen  Alkoholgenusses.  Tienken,  Leipzig. 
Preis  M.  0.50. 

Schönenberger,  Wegweiser  zur  Ausführung  ärztlicher  Curvorscbriften, 
Möller,  Berlin.  58  S. 

Trumpp,  Die  unblutige  operative  Behandlung  von  Larynxstenosen  mittelst 
der  Intubation.  Deuticke,  Wien.  Preis  M.  3. — . 

Peters,  Die  neuesten  Arzneimittel  und  ihre  Dosirung.  2.  Auflage.  Ibidem. 
Preis  M.  3.—. 

Schiile,  Ueber  die  Bedeutung  der  Oedeme  in  der  Diagnostik  und  Therapie 
innerer  Krankheiten.  Seitz  &  Schauer,  München.  8  S. 

Honigmann.  Zur  Pathologie  der  Erkrankungen  des  Wurmfortsatzes.  Ibidem. 
'  19  S. 

Hoffa  und  Lilienfeld,  Die  Prophylaxe  in  der  Chirurgie.  Ibidem.  50  S. 
Fischl,  Die  Prophylaxe  der  Krankheiten  des  Kindesalters.  Ibidem.  76  S. 
Blencke,  Ueber  orthopädische  Apparate.  Ibidem.  14  S. 

Frank,  Lehrbuch  der  Geburtshilfe  für  Hebammen.  Deuticke,  Wien. 
236  S. 

Adler  nnd  Krön  fehl,  Medicinisclie  Chronik  des  XIX.  Jahrhunderts.  Perles, 
Wien.  Preis  K  3.80. 

Orth.  Pathologisch-anatomische  Diagnostic.  6.  Auflage.  Hirschwald,  Berlin. 
730  S. 

Schoedel  und  Namverck,  Untersuchungen  über  die  M  ö  1 1  e  r- B  a  s  e  d  o  w* 
sehe  Krankheit.  Fischer,  Jena.  159  S. 

Giordano,  La  chirurgia  del  pericardio  e  del  cuore.  Sangiovanni, 
Napoli. 

Gallois,  La  scrofule  et  les  infections  adenoidennes.  Soc.  d’editions  scienti- 
fiqttes.  Paris.  313  S. 

Pagel,  Biographisches  Lexikon  hervorragender  Aerzte  des  XIX.  Jahrhunderts. 

Urban  &  Schwarzenberg.  1.  Lieferung. 

Sänger  und  v.  Herff,  Encyklopädie  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 
1.  Lieferung.  Vogel,  Leipzig. 

Strack,  Das  Blut  im  Glauben  und  Aberglauben  der  Menschheit.  5.  —  7.  Auf¬ 
lage.  Beck,  München.  Preis  M.  2.50. 

Allchin,  A  manual  of  medicine.  I.  Vol.  Macmillan,  London.  442  S. 

Hoffa,  Technik  der  Massage.  3.  Auflage.  Enke,  Stuttgart.  Preis  M.  3. — . 
Borehardt.  Grundriss  der  Physik.  Ibidem.  2.  Auflage.  Preis  M.  3.60. 
Ehlers,  Die  Sterblichkeit  im  Kiudbett  in  Berlin  und  in  Preussen  1877  bis 
1896.  Ibidem.  Preis  M.  5.  — . 

Obersteiner,  Arbeiten  aus  dem  Institute  für  Anatomie  und  Physiologie  des 
Centralnervensystems  an  der  Wiener  Universität.  Heft  7:  Mager, 
Ueber  Myelitis  acuta.  Dentüke,  Wien. 

Chrohak  und  Rosthorn,  Die  Erkrankungen  der  weiblichen  Geschlechts¬ 
organe.  I.  Theil.  Holder,  Wien,  Preis  M.  16.80. 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


511 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  25.  Mai  1900. 

Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien.  Sitzung  vom 
23.  Januar,  6.,  20.  und  27.  Februar,  13.  und  27.  März  1900. 
Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  9.  Mai  1900. 


Naturwissenschaftlich-medicinischer  Verein  in  Strassburg  i.  E.  Sitzung 
vom  12.  Januar,  16.  und  23.  Februar  1900. 

Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung  vom  1.  December  1899, 
12.,  19.  und  26.  Januar,  1.,  9.  und  23.  Februar  1900. 

2.  Oesterreicliischer  Balneologen-Congress  zu  Ragusa  und  Ilidze. 
(Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  25.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Czokor. 

Schriftführer :  Docent  Dr.  Alt. 

Der  Vorsitzende  begrüsst  als  Gast  den  Herrn  Geheimrath  Brieger 
aus  Berlin. 

Prof.  Weinlechner  stellt  einen  20jährigen  Eisendreher  vor, 
welcher  sich  am  31.  März  d.  J.  in  selbstmörderischer  Absicht  aus 
einem  9  «m-calibrigen  Revolver  eine  Kugel  in  die  rechte  Wange 
geschossen  hat.  Man  fand  eine  sternförmige  Einschussöffnung, 
schwarz  verfärbt  und  von  Pulverschmauch  umrandet,  je  3  cm  unten 
vom  rechten  Processus  zygomaticus  und  von  der  Ohrmuschel  entfernt. 
Mit  der  Sonde  fühlt  man  in  der  Tiefe  von  4  cm  einen  harten  Gegen¬ 
stand,  welchen  man  für  eine  Kugel  halten  konnte.  Nach  Erweite¬ 
rung  der  Wunde  durch  einen  4  cm  langen  Schnitt  gelangt  man  durch 
ein  für  die  Spitze  des  kleinen  Fingers  durchgängiges,  rundes  Loch  im 
aufsleigenden  Kieferaste  auf  mehrere  kleine  Knochenstücke,  welche 
mit  der  Kornzange  ausgezogen  wurden.  Hinter  dem  linken  Arcus  palato¬ 
glossus  fand  sich  ein  einfaches  gerissenes  Loch,  in  welches  man  mit 
der  Fingerspitze  eindringen  konnte.  Unter  dem  linken  Kieferwinkel 
etwa  4  cm  unter  dem  Warzenfortsatze  ist  der  Kranke  vor  und  hinter 
dem  Kopfnicker  gegen  Druck  empfindlich. 

Am  9.  April  wurde  durch  einen  4  cm  langen  und  ebenso  tiefen 
Schnitt  die  deformirte  Kugel  hinter  dem  Kopfnicker  nach  dem  von 
Dr.  Stöckel  angefertigten  Röntgen- Bilde  vorne  an  den  Querfort¬ 
sätzen  des  zweiten  und  dritten  Halswirbels  blosgelegt  und  mit  der 
Kornzange  entfernt.  Naht,  Drainage.  Heilung  per  primam.  Die  Ein¬ 
schussöffnung  ist  jetzt  nahezu  geheilt  und  führt  nach  oben  und  in  die 
Tiefe,  ohne  auf  rauhen  Knochen  zu  stossen.  Das  Röntgen-Bild  hat  beim 
Aufsuchen  der  Kugel  wesentliche  Dienste  geleistet.  Die  Oeffnung  in 
der  Gegend  des  Arcus  palatoglossus  war,  wie  erwähnt,  nur  einfach, 
und  ist  beim  Durchschlagen  der  Kugel  nach  links  und  unten  ent¬ 
standen,  indem  die  Schleimhaut  beim  Vorbeistreichen  einriss. 

Hierauf  demonstrii  te  Weinlechner  einen  20jährigen  Arbeiter, 
welcher  am  21.  April  von  einem  unbekannten  Tbäter  in  die  rechte 
Halsseite  gestochen  wurde.  Es  fand  sich  eine  21/2  cm  lange  Einstich¬ 
öffnung  hinter  dem  rechten  Unterkieferwinkel, 
gleichzeitig  war  die  rechte  Gesichtshälfte  gelähmt. 
Der  Kranke  blutete  stark,  und  da  auf  wiederholte  Tamponado  die 
Blutung  nicht  stand,  so  wurde  am  6.  Mai  die  Carotis  communis  ober 
dem  Omohyoideus  blossgelegt,  mit  einer  Klemme,  die  vorher  mit  Drain¬ 
röhrchen  überzogen  war,  provisorisch  comprimirt,  in  der  Absicht,  die 
Carotis  externa  aufzusuchen  und  zu  ligiren.  Da  nun  aber  während 
der  Compression  die  arterielle  Blutung  nicht  stand,  so  wurde  die  Ein- 
stichötfnung  bis  zur  Carotiswunde  erweitert,  die  aus  einem  kleinen  Loche 
spritzende  Maxillaris  interna  lospräparirt  und  doppelt  unterbunden, 
hierauf  die  Klemme  entfernt.  Die  Vermuthung,  dass  diese  Arterie 
angestochen  sei,  basirte  auf  der  gleichzeitigen  Lähmung  des  Facialis. 
Eine  vollständige  Trennung  dieser  Arterie  war  wegen  der  Frucht¬ 
losigkeit  der  wiederholten  Tamponade  ausgeschlossen.  Eine  schöne 
Aufgabe  wäre  os,  die  Facialisstümpfe  aufzusuchen  und  durch  die 
Naht  oder  eine  Neuroplastik  die  Lähmung  zu  beheben.  Vorläufig  ist 
der  Kranke  hiezu  nicht  entschlossen. 

Docent  Dr.  Hermann  Schlesinger  demonstrirt  einen  Fall  von 
spontan  ausgeheiltem  tuberculösem  Pneumothorax. 

Der  27jährige  Kranke  wurde  im  December  v.  J.  bei  ruhiger 
Comptoirarbeit  ohne  vorausgegangene  Beschwerden,  ohne  Hustenreiz 
oder  Trauma  von  einer  stetig  zunehmenden  Athemnoth  befallen,  welche 
so  heftig  wurde,  dass  Patient  in  den  nächsten  Stunden  an  Erstickungs¬ 
anfällen  litt  und  die  darauf  folgenden  Nächte  ausserhalb  des  Bettes 
zubringen  musste. 


Als  Vortragender  vier  Tage  nach  Krankheitsbeginn  pro  consilio 
mit  Dr.  Thaler  und  Dr.  Elsen  w  enger  den  Patienten  sah,  waren 
alle  classischen  Zeichen  eines  linksseitigen  Pneumothorax  vorhanden 
(Verlagerung  des  Herzens  nach  rechts,  hypersonorer  Percussionsschall 
auf  der  linken  Seite,  Vorwölbung  der  linken  Brusthälfte,  metallisch 
klingender  Schall  bei  Stäbchen-Plessimeterpercussion,  amphorisches 
Athmen,  metallischer  Nachklang  beim  Sprechen). 

Auffallender  Weise  fehlte  das  Succussionsgeräusch,  obgleich  das 
Geräusch  dos  fallenden  Tropfens  vorhanden  war.  Eine  Verwechslung 
mit  einer  anderen  Affection  (subphrenischer  Abscess,  enorm  ausgedehnter 
Magen)  konnte  ausgeschlossen  werden. 

Die  Erscheinungen  blieben  etwa  14  Tage  in  gleicher  Wtise 
besteben,  dann  verschwanden  die  metallischen  Phänomene.  Allmälig 
erfolgte  die  Resorption  der  ausgetretenen  Luft  und  Wiederausdehnung 
der  Lunge  und  circa  drei  Monate  nach  Krankheitsbeginn  war  das  Herz 
an  normaler  Stelle;  der  Percussionsschall  war  allenthalben  normal,  die 
Lungenränder  beiderseits  gleich  verschieblich,  allenthalben  vesiculäres 
Athmen. 

Der  Kranke  war  in  der  Zwischenzeit  wegen  einer  zweifellos 
specifisehen,  aber  nicht  weit  vorgeschrittenen  Lungenspitzenaffection 
einer  Luftliegecur  unterzogen  worden  und  hafte  sehr  erheblich  an 
Gewicht  zugenommen;  der  Lungenspitzenkatarrh  war  entschieden 
gebessert. 

Vortragender  erinnert  daran,  dass  er  vor  mehreren  Jahren  einen 
spontan  ausgeheilteu  Fall  von  Pneumothorax  nach  Durchbruch  eines 
jauchigen  Empyems  in  die  Lunge  vorgestellt  habe.  Der  heutige  Fall 
sei  gleich  dem  ersten  als  ungemein  selten  zu  bezeichnen  und  sind 
solche  Beobachtungen  erst  in  relativ  geringer  Zahl  mitgetheilt.  Auf¬ 
fallend  ist  auch  das  vollkommene  Fehlen  eines  Exsudates.  Der  Krank- 
lieitsverlauf  erinnert  hiedurch,  sowie  durch  die  relativ  rasche  Resorption 
der  Luft  am  ehesten  an  die  so  oft  günstig  verlaufeudenden  Beob¬ 
achtungen  von  traumatischem  Pneumothorax. 

Dr.  Latzko  stellt  eine  an  O  t  e  o  m  a  1  a  c  i  e  leidende  Kranke 
vor,  an  der  am  9.  October  1899  wegen  beiderseitiger  Adnextumoren 
die  vaginale  Radicaloperation  ausgeführt  wurde.  Das  linke  Ovarium 
konnte  nicht  im  Ganzen  exstirpirt  weiden,  so  dass  höchstwahrscheinlich 
ein  kleiner  Ovarialrest  zurückblieb.  Im  Anschlüsse  an  die  Operation 
trat  zunächst  eine  wesentliche  Verschlimmerung  der  osteomalacischen 
Beschwerden  auf  und  dauerte  es  mehrere  Monate,  bis  die  Patientin 
wenigstens  den  Status  quo  ante  erreichte.  Derzeit  befindet  sie  sich 
subjectiv  und  objectiv  um  nichts  besser  als  vor  der  Operation. 

Diese  Thatsache  könnte  in  Anbetracht  des  zurückgelassenen 
Ovarialrestes  selbstverständlich  erscheinen;  sie  ist  es  aber  keineswegs. 
So  wie  man  sieht,  dass  nach  Exstirpation  des  Uterus  trotz  Zurück¬ 
lassung  eines  Ovariums  Anfallserscheinuugen  auftreten,  dass  also  ge¬ 
wisse  Ovarialfunction  mehr  minder  rasch  nach  Entfernung  des  Uterus 
erlöschen  können,  so  kann  auch  die  Osteomalacie  nach  Entfernung 
des  Uterus  trotz  Zurücklassung  eines  Ovariums  ausheileu.  Nothwendige 
Voraussetzung  ist  in  einem  solchen  Falle  nur,  dass  jene  uns  unbe¬ 
kannte  Function  des  Ovariums,  welche  wir  als  hypothetische  Ursache 
der  Osteomalacie  betrachten,  nach  dem  Fortfall  des  Uterus  erlischt. 

Thatsächlich  hatte  die  erste  in  Wien  von  Spaeth  ausgeführte 
Por ro-Operation  trotz  Zurücklassung  der  Ovarien  vollständige  Heilung 
der  bestehenden  Osteomalacie  zur  Folge.  Der  Vortragende  hat  mehrere 
Male  bei  Totalexstirpationen  an  Osteomalacischen,  die  aus  verschie¬ 
denen  Indicationen  (Carcinom,  Myom  etc.)  ausgeführt  wurden,  experi- 
menti  causa  ein  Ovarium  zurückgelassen.  Während  einmal  der  Verlauf 
dem  des  vorgestellten  Falles  entsprach,  trat  in  dem  anderen  (Aether- 
narkose)  rasche  Besserung  und  endliche  Heilung  ganz  wie  bei  Castra¬ 
tion  ein. 

In  dem  vorgestellten  Falle  wird  nunmehr  die  Phosphortherapie 
mit  sicherer  Aussicht  auf  Erfolg  eingeleitet  werden. 


512 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  22 


Dr.  Emil  Kraus  bringt  eine  vorläufige  Mittheilung 
über  Gonococcenbefunde  im  Uterusgewebe.  (Erscheint 
demnächst  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Prof.  Englisch  beginnt  seinen  angekündigten  Vortrag:  Zur 
Hypertrophie  der  P  r  o  s  t  a  t  a. 


Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien. 

Sitzung  am  23.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fuchs. 

Herr  F.  Schar  dinger  (als  Gast)  demonstriit  die  Trans¬ 
formation  von  Amöben  in  Flagellaten. 

Die  diesbezügliche  Mittheilung  wird  in  den  Sitzungsberichten 
der  Wiener  Akademie  publicirt  werden. 

* 

Sitzung  am  6.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fuchs. 

Herr  J.  Breuer  hält  den  angekündigten  Vortrag:  „Ueber 
dio  Bogengangampullen“. 

* 

Sitzung  am  20.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fuchs. 

Herr  J.  Breue  r  beendigt  seinen  Vortrag :  „U  eher  die 
Bogengangampullen“. 

Vortragender  hält  es  für  wünschenswerth  und  möglich,  die 
Theorie  von  den  statischen  Functionen  des  Labyrinths  mehr  ins 
Einzelne  auszubilden,  als  bisher  geschehen  ist.  Sie  erklärt  befriedigend 
einige  Eigenthümlichkeiten  der  Bewegungs-,  in  specie  der  Drehungs¬ 
empfindungen  : 

1.  die  ausschliessliche  Wirkung  der  Beschleunigungen; 

2.  die,  bis  auf  die  Richtung,  identische  Empfindung  positiver 
und  negativer  Beschleunigung. 

Sie  lässt  aber  noch  unklar,  wodurch  die  lange  Nachdauer  der 
Drehungsempfindung  bedingt  ist,  welche  eine  wesentliche  Bedingung 
brauchbarer  Wahrnehmung  darstellt  bei  den  gewöhnlich  kurzen 
Drehungen  von  Kopf  und  Körper. 

Die  Bedingung  der  Nachempfindung  darf  wohl  in  dem  nicht 
nervösen  Theil  des  percipirenden  Apparates  gesucht  werden,  besonders 
in  dem  Verhalten  der  Epithelhaare  der  Ampullen,  welche  durch  den 
Stoss  der  Endolymphe  beeinflusst  werden  müssen.  Vortragender  zeigt 
an  Präparaten,  dass  —  wie  jetzt  fast  allgemein  anerkannt  —  die 
Haare  nicht  isolirt  in  die  Endolymphe  hineinragen,  sondern  durch  eine 
consistentere  Masse  zu  einem  constanten,  formbeständigen  Gebilde,  der 
Cupula  terminalis,  zusammengehalten  werden. 

Hieraus  folgt:  es  ist  unmöglich, 

1.  dass  die  einzelnen  Haare  durch  Schallschwingungen  be¬ 
einflusst  werden  und  etwa  durch  Mitschwingen  Gehörsempfindungen 
auslösen ; 

2.  dass  die  Haare  Cilienbewegungen  hätten  (Ewald),  wie  etwa 
die  Geissein  der  Flagellaten; 

3.  dass  sie  durch  den  Endolymjrhstoss  gebeugt  werden  und  ihre 
Formveränderung  die  Empfindung  der  Drehung  hervorruft  (Breuer), 
denn  die  Cupula  kann  nur  als  Ganzes  durch  den  Endolymphstoss  ver¬ 
schoben  werden. 

Die  Cupula  berührt  nirgends  die  Oberfläche  der  Crista;  zwischen 
beiden  besteht  ein  schmaler,  nur  von  Endolymphe  erfüllter  Raum, 
durch  welchen  die  Haare  von  ihren  Epithelzellen  zur  Cupula  ziehen. 
Je  nach  ihrer  Ursprungsstelle  auf  der  Crista  oder  auf  dem  Planum 
semilunare  verlaufen  sie  in  diesem  Interstitium  mehr  weniger  gerade 
oder  sind  gekrümmt;  letzteres  so  stark,  dass  das  Haar,  dessen  Ursprung 
normal  auf  der  Epithelfläche  steht,  vor  seinom  Eintritt  in  die  Cupula- 
masse  derselben  parallel  wird.  Wenn  die  Cupula,  welche,  von  den 
Zellhaaren  getragen,  über  der  Ciista  schwebt,  nach  einer  Seite  hin 
verschoben  wird,  muss  durch  die  Haare  auf  die  Epithelzellen  des 
einen  Cristaabhanges  ein  Zug  ausgeübt,  werden.  Dieser  erregt  nach 
Ansicht  des  Vortragenden  die  Nervenfaserchen,  welche  die  Epithel¬ 
zelle  umspinnen  (Retzius)  und  ruft  die  specifiscbe  Empfindung  der 
Ampullarnerven,  dio  Drehungsempfindung,  hervor.  Diese  Rotations- 
empfindung  dauert  so  lange,  als  der  durch  die  Haare  auf  die  Zellen 
ausgeübte  Zug  wirkt;  also  bis  die  durch  den  Endolymphstoss  ver¬ 
schobene  Cupula  wieder  in  ihre  Mittelstellung  zurückgekehrt  ist.  Daher 
die  lange  Nachdauer  der  Empfindung.  In  die  Ruhestellung  zurück¬ 
geführt  wird  die  Cupula  durch  die  Elasticität  der  Haare  und  durch 
die  Schleimstränge,  welche  sich  mindestens  in  den  Ampullen  der  Vögel 


in  starker  Entwicklung  vorfinden;  oder,  bei  kurzen  Drehungen,  durch 
den  Endolymphstoss,  welchen  das  Aufhören  der  Drehung  zur  Folge 
hat  und  welcher  dem  Anfangstoss  entgegengerichtet  ist. 

Die  Latitude  der  Cupulaverschiebung  ist  sehr  gering;  der 
Apparat  sehr  zart,  da  die  Verbindung  zwischen  der  Cupula  und  der 
Crista  nur  durch  die  feinen  Haare  selbst  hergestellt  wird.  Endolymph- 
stösse  von  grosser  Latitude  wären  daher  nicht  nutzbar  für  die  Em¬ 
pfindung,  solche  von  grosser  Intensität  aber  gefährlich  für  die  Inte¬ 
grität  des  Apparates.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wird  es  ver¬ 
ständlich,  dass  der  Canal  zur  Ampulle  erweitert  und  darin  die  Grösse 
der  Endolymphverschiebung  auf  einen  Bruchtheil  reducirt  wird  und 
dass  die  Cupula  auf  der  Crista  so  weit  in  die  Ampulle  hineingehoben 
ist.  Durch  die  Gestalt  des  Ampullenbodens  wird  die  Bewegung  der 
Endolymphe  dahin  verändert,  dass  sie  längs  der  Ampullen  wand  über 
der  Cupula  hinstreicht.  Hierdurch  wird  die  Sicherheit  des  Perceptions- 
apparates  gefördert. 

* 

Sitzung  am  27.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fuchs. 

Herr  II.  Winterberg  hält  den  angekündigten  Vortrag : 
„Ueber  die  Wirkung  des  Nicotins  auf  die  Athmung“. 

Die  Untersuchungen  sind  im  Archiv  für  experimentelle  Patho¬ 
logie  und  Pharmakologie,  XLIII,  pag.  400,  ausführlich  publicirt  worden. 

* 

Sitzung  am  13.  März  1900. 

Vorsitzender:  Herr  J.  Breuer. 

Schriftführer:  Herr  SiglU.  Fuchs. 

1.  Herr  S.  v.  Basch  demonstriit: 

1.  Ein  Spirometer,  dessen  Grundprincip  schon  in  seiner  Ab¬ 
handlung  über  die  Messung  des  Lungenvolums  und  der  Lungeuelasticität 
(Pflüger’s  Archiv,  LXXVI,  5/6,  pag.  356)  dargelegt  wurde.  Neu 
ist  au  demselben  nur,  dass  die  Lunge  mit  einem  grossen,  50  l  fassenden 
Gefässe  in  Verbindung  gesetzt  wird,  aus  dem  man  respiriren  lässt. 
Bei  dieser  Anordnung  entspricht  je  1  cm  Manometerdruck  100  cm 3 
Lungenerweiterung.  Bei  einem  durch  Inspiration  erzeugten  negativen 
Druck  von  200  mm  H2  O,  d.  i.  wirklichen  negativen  Druck  von 
400  mm  II2  O  —  an  der  Manometerscala  liest  man  nur  den  halben 
Druck  ab  —  wird  der  Lungenraum  um  2000  cm3  vergrössert. 

Die  Berechnung  ergibt  sieh  aus  der  Formel:  I  =  (V F) — ^ — . 

b  +  m 

I  ist  die  Erweiterung.  V  -(-  F  =  52.000  cm3.  Hiebei  ist  der  Lungen¬ 
luftraum  mit  2000  cm3  angenommen.  Das  Resultat  der  Rechnung  ist 

aber  wesentlich  von  dem  Factor  — ^ — ,  in  dem  m  den  abgelesenen 

b  +  m 

Manometerdruck  und  b  den  Barometerdi  uck  darstellt,  abhängig,  und 
es  ändert  wenig  an  dem  Resultate,  wenn  man  statt  V,  d.  i.  2000  cm3, 
einen  kleineren  oder  grösseren  Werth  einsetzt. 

II.  Einen  Apparat  zur  Messung  des  Capillar  druckes 
am  Menschen.  Derselbe  besteht  aus  einem  kleinen  Glastrichter,  dessen 
breite  Mündung  mit  einem  Deckgläschen  verschlossen  ist,  und  dessen 
schmale  abgeschliffene  Mündung  man,  wie  seinerzeit  v.  Kries  es  mit 
einem  durch  Gewichte  belasteten  Glasplättchen  that,  auf  die  Dorsal¬ 
fläche  eines  Nagelgliedes  aufsetzt,  nachdem  der  Rand  mit  Fischleim 
bestrichen  worden  ist.  Letzterer  bildet  einen  luftdichten  Abschluss. 
Der  so  über  einer  kleinen  Hautfläche  ruhende  Luftraum  wird  nun  mit 
einem  Manometer  und  einem  Kautschukballon  in  Verbindung  gebracht, 
was  dadurch  ermöglicht  ist,  dass  der  kleine  Glastrichter  in  ein  seit¬ 
liches  Röhrchen  ausmündet,  das  man  durch  ein  Kautschukrohr  mit 
einem  1-Rohr  verbindet,  von  dem  wieder  Verbindungen  zum  Mano¬ 
meter  und  zum  Kautschukballon  abgehen.  Nachdem  der  Fischleim 
trocken  geworden,  drückt  man  den  Ballon,  hierbei  wird  der  sichtbare 
Hautkreis  deutlich  blass.  Der  Druck,  unter  dem  das  Erblassen  erfolgt, 
wird  am  Manometer  abgelesen. 

Näheres  über  die  Resultate  der  Capillardruckmessungen,  die  in 
Verbindung  mit  Blutdruckmessungen  vorgenommen  werden  müssen, 
wird  Vortragender  später  mittheilen. 

2.  Herr  M.  Salz  mann  hält  den  angekündigten  Vortrag: 
„Zonula  ciliar  is  und  ihr  Verhält  nisszurUmgebun  g“. 

* 

Sitzung  am  27.  März  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  A.  Kx*eidl. 

Herr  M.  Salzmann  beendigt  seinen  Vortrag:  „Zonula  c  i- 
liaris  und  ihr  Verhältniss  zur  Umgebung“. 

Die  Zonula  geht  Verbindungen  mit  der  Pars  ciliaris  retinae,  der 
Linse  und  dem  Glaskörper  ein. 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


513 


Die  Pars  ciliaris  retinae  besteht  aus  zwei  Zellenschichten,  einer 
äusseren  pigmentirten  und  einer  inneren  pigmentlosen;  je  eine  Glas¬ 
haut  begrenzt  sie  gegen  die  Umgebung,  die  äussere  Glashaut  gegen 
den  Ciliarkörper,  die  innere  gegen  den  Glaskörper  hin.  Beide  Glas¬ 
häute  senden  Leisten  zwischen  die  Zellen  hinein,  doch  stehen  diese 
Leisten  nicht  miteinander  in  Verbindung,  sie  erreichen  überhaupt  die 
Grenze  der  beiden  Zellenschichten  nicht.  Auch  sind  die  beiden  Leisten¬ 
systeme  nicht  von  gleicher  Ausdehnung  und  Gestalt;  das  der  äusseren 
Glashaut,  das  Reticulum  Heinrich  M  ii  1 1  e  r’s,  erinnert  an  Pflanzenzellen, 
das  der  inneren  besteht  aus  radiär  gerichteten,  nicht  verzweigten  Falten. 
Ein  Gerüste,  das  die  ganze  Pars  ciliaris  retinae  durchsetzt,  besteht 
also  sicher  nicht. 

Die  Zonulafasern  verbinden  sich  nun  mit  der  inneren  Glashaut, 
und  zwar  theils  mit  ihrer  Innenfläche,  vorwiegend  aber  mit  den  Falten. 
Man  sieht  namentlich  an  Aequatorialschnitten,  wie  zwischen  den  ver¬ 
dickten  und  fest  miteinander  verkitteten  Faltenblättern  feinste  Zonula- 
faserquerschnitte  liegen. 

Auch  an  der  Linse  tritt  die  Zonula  nur  mit  der  Oberfläche  der 
Kapsel  in  Verbindung  und  hebt  häufig  die  äusserste  Lamelle  der 
Kapsel  (Zonulalamelle  Berge  r’s,  pericapsuläre  Membran  von  R  e  t  z  i  u  s) 
ab.  In  der  Flächenansicht  zeigt  diese  Lamelle  eine  feine  meiidionale 
Streifung,  so  weit  der  ganze  Ansatzgürtel  reicht.  Es  sind  die  letzten 
Ausläufer  der  Zonulafasern,  die  diese  Streifung  bilden.  Baumwurzel¬ 
förmige  Endigung,  wie  Schön  für  die  mittleren  Zonulabiindel  angibt, 
wurde  nicht  gefunden. 

Mit  dem  Glaskörper  geht  die  Zonula  zweierlei  Verbindungen 
ein,  solche,  die  als  Ursprünge  und  solche,  die  als  Endigungen  zu 
deuten  sind. 

Die  im  Bereiche  der  Netzhaut  vorhandene  Grenzhaut  zwischen 
Glaskörper  und  Netzhaut  (von  den  Autoren  theils  Hyaloidea,  theils 
Limitans  interna  retinae  benannt)  geht  an  der  Ora  serrata  in  die 
innere  Glashaut  der  Pars  ciliaris  retinae  über.  Die  der  Hyaloidea  an¬ 
liegende  Grenzschicht  (hintere  Grenzschicht)  des  Glaskörpers  ist  parallel 
zur  Oberfläche  äusserst  fein  lamellirt,  und  jede  Lamelle  besteht  wieder 
aus  einem  wirren,  flächenhaft  ausgebildeten,  auch  mit  den  stärksten 
Vergrösserungen  kaum  auflösbaren  Netze  äusserst  feiner  Fasern. 
Nach  innen  geht  diese  Schicht  ohne  scharfe  Grenze  in  das  Gewebe 
des  Glaskörperkernes  über,  das  gleichfalls  aus  Fasern,  aber  aus  etwas 
gröberen,  besteht,  die  sich  in  den  verschiedensten  Raumrichtungen 
durchflechten. 

Verfolgt  man  die  hintere  Grenzschicht  von  der  Ora  serrata  nach 
vorne  hin,  so  sieht  man  sie  immer  eng  an  die  innere  Glashaut  der 
Pars  ciliaris  angeschlossen  verlaufen,  dabei  immer  dünner  werden  und 
endlich  1*5  mm  vor  der  Ora  serrata  ganz  aufhören.  Auf  dieser  ganzen 
Strecke  gibt  sie  reichlich  wellige  Fasersysteme  an  den  Kern  ab,  wie 
überhaupt  diese  Stelle  als  der  gemeinsame  Ursprung  der  ganzen  Glas¬ 
körperfaserung  anzusehen  ist. 

Die  weiter  vorne  gelegenen  Glaskörperpartien  haben  auch  eine 
Grenzschicht  (vordere  Grenzschicht),  aber  diese  steht  mit  der  hinteren 
nicht  in  directem  Zusammenhänge,  sondern  entwickelt  sich  aus  den 
kernwärts  ausstrahlenden  Fasersystemen.  So  bleibt  zwischen  dem 
hinteren  Rande  der  vorderen  Grenzschicht  und  dem  vorderen  Rande 
der  hinteren  ein  Spalt,  der  mit  lockerem,  dem  Glaskörperkern  ähn¬ 
lichem  Gewebe  ausgefüllt  ist.  Durch  diesen  Spalt  kommen  feine  Zonula¬ 
fasern,  die  im  Glaskörper  selbst  in  der  Nähe  der  Ora  serrata  ihren 
Ursprung  haben,  heraus. 

Wo  die  vordere  Grenzschicht  den  Ciliarfortsätzen  anliegt,  kommen 
regelmässig,  wenn  auch  an  Zahl  und  Stärke  verschieden,  Endigungen 
von  Zonulafasern  in  der  Grenzschicht  selbst  vor.  Die  Fasern  zerfallen 
in  ihre  Einzellibrillen,  und  ein  grosser  Theil  dieser  biegt  in  die  circu- 
läre  Richtung  um  und  läuft  in  dieser  Richtung  in  der  vorderen  Grenz¬ 
schicht  über  weite  Strecken  hin. 

Ausserdem  sendet  die  vordere  Grenzschicht  in  den  Ciliarthälern 
je  ein  zartes  meridionales  Fasernetz  zur  Pars  ciliaris  retinae  (vielleicht 
identisch  mit  den  Ligaments  cordiformes  von  Campos). 

Wo  die  vordere  Grenzschicht  an  die  Linsenkapsel  herantritt, 
besitzt  sie  meistens  eine  ringförmige  Verdichtung  (Ligamentum 
hy  aloideo-capsulare,  Wieg  er),  und  von  diesem  Ringe  geht 
wieder  ein  zartes  Fasernetz,  wie  das  vorige  den  Charakter  des  Glas¬ 
körpergewebes  an  sich  tragend,  auf  die  Aussenfläche  der  Linsenkapsel 
über,  wo  es  sich  bis  zu  den  Ansätzen  der  vorderen  Zonulabiindel  ver¬ 
folgen  lässt.  Es  ist  vielleicht  als  ein  Ueberrest  der  embryonalen  gefäss- 
haltigen  Linsenkapsel  zu  deuten. 

Der  hintere  Theil  der  Zonula  liegt  somit  in  einem  spaltförmigen 
Raume  (dem  Orbicular  raume  Garnie  r’s),  der  aussen  von  der 
inneren  Glashaut  der  Pars  ciliaris,  innen  von  der  vorderen  Grenz¬ 
schicht  des  Glaskörpers  begrenzt  wird.  Das  hintere  Ende  dieses 
Raumes  geht  in  lockeres  Glaskörpergewebe  über.  Dieser  Umstand, 
sowie  die  Verbindungen,  welche  die  vordere  Grenzschicht  an  mehreren 
Stellen  mit  der  Pars  ciliaris  und  der  Linsenkapsel  zeigt,  berechtigen 
dazu,  den  Orbieularraum  noch  zum  Glaskörper  zu  rechnen  und  die 


Zonula  als  einen  modificirten  Theil  des  Glaskörpers  aufzufassen.  Wenn 
der  Glaskörper,  wie  Tornatola  und  Rabl  meinen,  ektodermaler 
Natur  ist,  wird  die  Sache  nur  vereinfacht.  Der  Orbieularraum  steht 
vorne  durch  die  Ciliartbäler  in  offener  Communication  mit  der  hinteren 
Kammer. 

Dio  Zonula  bildet  im  Orbicularraume  eine  ziemlich  gleichmässige 
Faserschicht,  weicht  aber  dann  den  Ciliarfortsätzen  aus  und  zieht  in 
den  Thälern  längs  der  Thalsohle  und  den  Seitenflächen  der  Fortsätze 
weiter;  blos  einige  feinere  Fasern  (die  hintersten  oder  innersten 
Fasern)  ziehen  durchwegs  der  vorderen  Grenzschicht  des  Glaskörpers 
entlang,  seichte  Rinnen  in  diese  drückend,  über  die  Firste  der  Ciliar¬ 
fortsätze  hinweg  zur  hinteren  Linsenkapsel.  Innerhalb  der  Ciliarthäler 
sondert  sich  die  Fasermasse  in  Bündel,  die  zur  vorderen  und  hinteren 
Linsenfläche  und  zum  Aequator  ziehen. 

Die  Bündel  zur  vorderen  Linsenfläche  streichen  der  Thalsohle 
entlang  und  ändern  im  ganzen  Verlaufe  ihre  Richtung  nicht,  wesent¬ 
lich.  Unter  Umständen  mögen  sie  ein  wenig  um  die  innere  Ciliar¬ 
körperkante  herum  biegen  und  dadurch  eine  leichte  Coneavität  nach 
vorne  bekommen,  wenn  auch  nicht  in  dem  Grade,  wie  sie  Schön 
beschreibt.  Im  Ganzen  ist  ihr  Verlauf  parallel  zur  Innenfläche  des 
Ciliarkörpers;  sie  treten  in  tangentialer  Richtung  an  die  Linse  heran. 

Die  hinteren  Bündel  erscheinen  im  Meridionalschnitte  als  Doppel¬ 
fächer,  da  auch  von  den  vorderen  Partien  der  Ciliarthäler  viele  Fasern 
zur  hinteren  Linsenfläche  ziehen.  Die  Hauptmasse  der  Fasern  bildet 
einen  nach  vorne  convexen  Bogen,  der  sich  der  Wölbung  des  Glas¬ 
körpers  am  Rande  der  tellerförmigen  Grube  innig  anschmiegt.  Die 
hintersten  Fasern  treten  gleichfalls  in  tangentialer  Richtung  an  die 
hintere  Linsenfläche  heran,  aber  diese  Richtung  steht  fast  senkrecht 
auf  der  Innenfläche  des  Ciliarkörpers. 

So  weit  die  Zonulafasern  den  Wänden  der  Ciliarthäler  entlang 
streichen,  sind  sie  durch  kurze  feine  Fibrillen  an  die  Pars  ciliaris  be¬ 
festigt.  Da  diese  alle  dieselbe  Richtung  einhalten,  so  werden  zwar 
keine  ausgiebigen  aber  doch  immerhin  geringfügige  Verschiebungen 
der  Zonula  gegen  die  Innenfläche  des  Ciliarkörpers  möglich  sein.  An 
der  Grenze  von  Corona  und  Orbiculus  ciliaris  aber  ziehen  solche 
Fibrillen  von  den  Zonulafasern  sowohl  nach  vorne  als  nach  hinten 
zur  Pars  ciliaris,  reichliche  Kreuzungen  bildend.  An  dieser  Stelle 
kann  sich  die  Zonula  nicht  wesentlich  gegen  den  Ciliarkörper  ver¬ 
schieben;  diese  Stelle  wird  für  die  Mechanik  der  Accommodation  als 
peripherer  Rand  der  Zonula  anzusehen  sein. 

Es  ist  auch  nicht  wahrscheinlich,  dass  sich  die  Zerrung  an  der 
Zonula  an  dieser  Stelle  nicht,  sondern  erst  an  dem  viel  weiter  hinten 
gelegenen  Netzhautrande  bemerkbar  macht,  wie  Schön  zur  Erklärung 
der  Ora  serrata  annimmt.  Uebrigens  ist  die  Oia  serrata  nach  T  errien 
an  der  nasalen  Seite  stärker  entwickelt,  und  die  eigenthümliche 
Zackenform  nicht  allein  auf  den  Netzhautrand  beschränkt,  sondern  in 
ausgeprägter  Weise  auch  an  der  Grossmaschenzone  des  Reticulum 
der  äusseren  Glashaut  und  an  der  hinteren  Grenze  der  ciliaren  Zonula- 
ursprünge  vorhanden.  Hier  aber  kann  sie  unmöglich  eine  Folge  von 
Zonulazug  sein. 

Der  Vortragende  gibt  sodann  eine  kritische  Uebersicht  über 
neuere  Arbeiten  und  Theorien  über  den  Accommodationsvorgang.  Als 
wirkliche  Bereicherung  unserer  Kenntnisse  über  diesen  Vorgang  sind 
anzuführen : 

Die  Veränderung  in  der  Gestalt  der  vorderen  Linsenfläche 
(Tsclierning):  Bei  der  Accommodation  wölbt  sich  nur  der  vordere 
Pol  stärker,  die  Peripherie  wird  abgeflacht. 

Die  mangelhafte  Befestigung  der  aecommodirten  Linse  (Hess): 
sie  folgt  der  Schwere  und  lässt  sich  leicht  in  Schlottern  versetzen. 

Die  Gestaltsveränderung  des  Ciliarkörpers  (L.  Müller  und 
Heine):  in  der  Ruhe  zeigt  er  den  sogenannten  myopischen  Typus, 
bei  der  Accommodation  den  sogenannten  hypermetropischen. 

Die  letzteren  Untersuchungen  zeigen,  dass  die  innere  Ciliar¬ 
körperkante  nicht,  wie  es  S  c  h  ö  n’s  Theorie  verlangt,  nach  innen  und 
hinten  rückt,  sondern  nach  innen  und  vorne,  und  dass  die  Innen¬ 
fläche  des  Ciliarkörpers  in  sich  selbst  gegen  die  Linse  gleitet.  Die 
vorderen  Zonulabündel  müssen  dieselbe  Bewegung  ausführen,  was 
aber  einem  Nachlassen  der  Zonula  gleichkommt.  Als  treibende 
Kraft  für  die  Gestaltung  der  vorderen  Linsenfläche  muss  man  nach 
Helmholtz  die  Elasticität  der  Linse  oder  vielmehr  ihrer  Kapsel 
voraussetzen.  Es  ist  auffallend,  wie  sehr  die  Veränderlichkeit  in  der 
Krümmung  der  Linsenfläche  mit  der  Kapseldicke  zusammenfällt.  Die 
Kapsel  ist  gerade  dort  am  dicksten,  wo  nach  Tscheruing  die  Ab¬ 
flachung  bei  der  Accommodation  eintritt. 

Die  Linse  hat,  sich  selbst  überlassen,  nicht  das  Bestreben,  kugelig 
zu  werden,  sondern  nur  ihre  vordere  Fläche  hypei'bolofdisch  zu 
krümmen.  Mit  dieser  Ergänzung  ist  die  Helmholtz  sehe  I  heoiie 
immer  noch  gütig. 


514 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  22 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  9.  Mai  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer:  Kreibieh. 

Mraöek  berichtet  über  seine  Erfahrungen  mit  Sapolan, 
einem  in  der  chemischen  Fabrik  Dr.  Jean  Z  i  b  e  1 1  in  Wien  her¬ 
gestellten  Producte,  das  sich  bei  verschiedenen  Erkrankungen  der 
Haut  vorzüglich,  oft  überraschend  bewährte  und  so  in  kurzer  Zeit  das 
Misstrauen  bannte,  das  gegenüber  dem  Anstürme  immer  neuer  chemi¬ 
scher  Fabrikserzeugnisse  mit  Recht  aufgetaucht  ist. 

Das  Sapolan  enthält  2V2  Theile  eines  besonders  extrahirten 
Naphthaproductes,  IV2  Theile  Lanolin  und  3  —  4 °/0  Seife. 

Dieses  gleichmässig  dunkelbraune  Product  von  Salbenconsistenz 
und  leicht  naphthaähnlichem  Gerüche  ist  vollkommen  säurefrei  und 
lässt  sich  gut  in  die  Haut  verreiben. 

Seine  Anwendung  betraf: 

1.  Fünf  acute,  auch  arteficielle  Knötchen-  und  Bläschen¬ 
ekzeme,  bei  denen  nicht  nur  iu  kürzester  Zeit  die  heftigen  sub- 
jeetiven  Beschwerden  des  Juckens  aufhörten,  sondern  auch  das  Ekzem 
in  einigen  Tagen  heilte. 

2.  Zwei  Fälle  von  hartnäckigen,  vergeblich  behandelten  chro¬ 
nischen  Ekzemen,  bei  denen  die  Haut  bald  weich  und  ge¬ 
schmeidig,  fast  vollkommen  normal  wurde. 

3.  Zwei  Fälle  von  schwerem  Pruritus  senilis,  in  denen 
das  Jucken  nach  zwei  bis  drei  Tagen  ganz  cessirte  und  auch  die  ob- 
jectiven  Symptome  nach  zwei-  bis  dreiwöchentlicher  Behandlung 
schwanden,  ohne  bisher  zu  reeidiviren. 

4.  Bei  Impetigo  contagiosa  und  Ecthymata. 

5.  In  vielen  Fällen  von  Scabies  zur  Nachbehandlung  von 
restirendem  Ekzem  oder  Dermatitis. 

6.  Bei  Urticaria. 

Kaposi  pflichtet  der  Mahnung  des  Vorredners  zur  Vorsicht 
gegenüber  der  Unzahl  der  modernen  chemisch-pharmaceutischen  Prä¬ 
parate  bei.  Doch  verdankt  man  den  Fabriken  auch  sehr  viel  Nütz¬ 
liches;  auch  der  angeführten  Fabrik  ein  gutes  Vaselinpräparat,  das 
Vaselinum  Gloria.  Angezeigter  sind  zunächst  Versuche  mit  einfachen, 
chemischen  Producten,  wie  z.  B.  dem  Epicarin,  da  selbst  isomere 
Körper  oft  eine  ganz  differente  Wirkung  haben,  wie  das  a-  und  ß-Naphthol. 
Das  Sapolan  ist  wohl  ein  zusammengesetztes  Product,  ein  Theerderivat, 
mit  Seife  gemischt;  aber  da  es  so  gefällig  hergestellt  ist  und  von 
Mraöek  mit  so  grossem  Erfolge  therapeutisch  angewendet  wurde, 
muss  man  es  überall  versuchen;  auch  an  seiner  Klinik  wolle  er  es 
beobachten. 

Krankendemonstrationen: 

Winkler  stellt  einen  54jährigen  Conducteur  vor,  bei  dem 
vor  zwei  Jahren  eine  kleine  Geschwulst  an  der  Rhaphe  des  harten 
Gaumens  entstand,  die  exulcerirte  und  nun  ein  eiterig  belegtes  Ge- 
schwürchen  zurückliess,  auf  dessen  Grund  die  Sonde  auf  rauhen 
Knochen  stösst.  Die  Untersuchung  auf  Tuberkelbacillen  blieb  bisher 
immer  negativ,  doch  ist  das  Geschwür  wohl  tuberculös. 

Mraöek  glaubt,  dass  ein  tuberculoses  Geschwür  an  einer  so 
stark  gereizten  Stelle  in  zwei  Jahren  grösseren  Umfang  angenommen 
hätte;  er  hält  es  für  luetisch  und  empfiehlt  Jodkali  in  grossen  Dosen. 

Kaposi  sah  noch  nie  eine  so  circumseripte  tuberculÖ3e  Caries 
des  harten  Gaumens;  auch  fehlen  dem  vorhandenen  Geschwüre  alle 
typischen  Zeichen  des  tuberculösen.  Es  handelt  sich  wahrscheinlich 
um  eine  besondere  Form  von  Knochengummen,  wie  sie  auch  an 
anderen  Gesichtsknochen,  z.  B.  dem  Stirnbein,  vorkomme  und  oft 
nach  Ausheilung  des  eigentlichen  gummösen  Herdes  zu  secundären 
Nekrosen  und  Betheiligung  der  Schleimhaut  führen  kann. 

Matzenauer  betont,  dass  eine  Betheiligung  der  Gaumen- 
und  Nasenknochen  bei  ausgedehntem  Schleimhautlupus  an  jugend¬ 
lichen  Personen  Vorkommen  kann,  und  demonstrirt  einen  solchen  Fall 
von  Perforation  des  harten  Gaumens  bei  Lupus,  die 
sich  bei  einem  achtjährigen  Mädchen  mit  exulcerirtem  Lupus  der  Nase 
und  ganzen  Mundschleimhaut  während  des  Spitalaufenthaltes  ent¬ 
wickelte. 

Kaposi  hält  aber  diesen  Fall,  dessen  Nase  mit  ihrer  un¬ 
veränderten  Oberfläche  wie  abgekappt,  eingezogen  und  eingesunken 
ist,  für  eine  Combination  von  hereditärer  Lues  mit  Lupus,  ähnlich 
dem  von  II  e  b  r  a  und  A  u  s  p  i  t  z  beschriebenen  Lupus  lueticus,  wie 
eben  ein  Lupuskranker  jederzeit  an  Lues  erkranken  kann  und  um¬ 
gekehrt. 

Lang  hat  selbst  wiederholt  Kranke  vorgestellt,  die  Lupus  und 
Syphilis  gleichzeitig  hatten.  Auch  wies  er  schon  in  der  ersten  Auflage 
seines  Buches  darauf  hin,  dass  in  rückgebildeten,  chronisch  verlaufenden 
Syphilisherden  nachträglich  Lupus  auftreten  könne,  was  in  den  letzten 
Jahren  durch  den  Nachweis  von  Tuberkelbacillen  in  früher  luetischen 
Herden  an  Neisser’s  Klinik  bestätigt  wurde. 


N  0  b  1  demonstrirt  einen  Fall  von  Lichen  scrophulosorum 
bei  einem  22jährigen,  tuberculösen  Mädchen;  der  Process  bot  in  diesem 
Falle  durch  die  abweichende  Localisation  im  Gesichte  und  an  den 
Beugeflächen  der  Extremitäten  besonders  differential  -  diagnostisches 
Interesse. 

Kaposi  zeigt  daran  anschliessend  ein  fünfjähriges  Kind  mit  einem 
über  den  Stamm  und  die  unteren  Gliedmassen  diffus  ausgebreiteten 
Lichen  scrophulosorum. 

Ferner  ein  haselnussgrosses,  exulcerirtes  und  eiterig  zerfallenes, 
Gumma  der  Oberlippe  bei  einer  vor  sieben  Monaten  vorgestellten 
Patientin.  Damals  war  die  circumseripte  Infiltration  und  oberflächliche 
Geschwürsbildung  erst  für  eine  Sklerose  und  nach  vergeblicher  (am¬ 
bulatorischer)  Behandlung  mit  grauem  Pflaster  für  traumatisch  gehalten 
worden.  Im  Spitale  heilte  nunmehr  die  Affection  prompt  auf  Empl. 
hydrarg. 

Spitzer  demonstrirt  aus  der  Abtheilung  Prof.  Lang’s: 

1.  Das  Resultat  einer  radicalen  Lupus  operation  durch 
Exstirpation  eines  handtellergrossen  Herdes  an  der  rechten  Wange 
und  Plastik  mittelst  eines  gestielten  Lappens  von  der  Halshaut; 

2.  eine  Sklerose  an  der  Bauchhaut. 

N  0  b  1  zeigt  eine  -Lappenplastik  der  Nase  nach  Lupus¬ 
exstirpation  bei  einer  50jährigen  Frau. 

Die  seit  Decennien  bestehende  Affection  hatte  zu  einer  gleich- 
massigen  Infiltration  der  Nasenspitze,  der  Flügel  des  häutigen  Septums, 
sowie  der  Schleimhautauskleidung  der  unteren  Nasenapertur  geführt. 
Vor  zwei  Monaten  exstirpirte  Nobl  unter  Localanästhesie  den  ge- 
sammten  Krankheitsherd,  wobei  nur  das  aus  den  alaren  und  trian¬ 
gulären  Knorpeln  gebildete  Gerüst  conservirt  werden  konnte.  Der  zur 
Deckung  des  Defectes  verwendete  Kraus  e’sche  stiellose  Hautlappen 
wurde  der  Beugefläche  des  rechten  Vorderarmes  entnommen  und  gleich¬ 
zeitig  auch  zur  Deckung  des  Schleimhautdefectes  verwendet.  Nach 
14  Tagen  war  die  überpflanzte  Haut  an  das  Wundlager  solid  an¬ 
geheilt.  Durch  das  Erhaltenbleiben  der  cartilaginösen  Stütze  sowie  der 
Verwendung  eines,  alle  Hautbestandtheile  aufweisenden  Hautlappens 
zur  plastischen  Deckung  war  es  möglich  geworden,  die  vorgezeigte, 
sowohl  kosmetisch  als  auch  functioneil  befriedigende  Reconstruction  der 
Nase  zu  erzielen. 

Matzenauer  demonstrirt: 

1.  Einen  26jährigen  Mann,  der  ebenso  wie  seine  auf  der  Klinik 
Neusser  befindliche  Mutter,  unter  starkem  Fieber  an  der  Lippen- 
und  Wangenschleimhaut  schrotkorn-  bis  linsengrosse,  seichte,  grauweiss 
belegte,  von  einem  schmalen,  rothen  Saume  umgebene  Geschwürchen 
bekam.  Aehnliche,  zum  Theil  auch  grössere  Epithelverluste  und  Auf¬ 
lagerungen  finden  sich  auch  am  Zungenrücken  und  Gaumen.  Zahnfleisch 
gelockert,  leicht  blutend.  Es  handelt  sich  um  eine  Stomatitis 
aphthosa,  die  bei  Frauen  oft  mit  ähnlichen  Processen  an  der  Vulva, 
Vagina  und  Portio,  bisweilen  auch  mit  einem  universellen  toxischen 
Erythem  einhergeht,  das  wie  im  letzthin  von  Neuman  n’s  Klinik  be¬ 
richteten  Falle  den  Charakter  des  Erythema  multiforme  und  nodosum 
zeigt.  Maul-  und  Klauenseuche  Hess  sich  in  keinem  Falle  nachweisen, 
auch  nicht,  in  zwei  Fällen  Winkle  r’s,  die  unter  influenzaähnlichen 
Symptomen  erkrankten  und  von  denen  der  zweite  nach  Genuss  von 
Landbutter  auftrat.  Auch  bestand  nie  eine  Nagelaffection  an  Händen 
oder  Füssen; 

2.  eine  Atrophia  cutis  idiopathica  progressiva. 
Der  47jährige  Mann  aus  Amerika  zeigt  am  ganzen  Körper  zerstreut 
ohne  bestimmte  Localisation  flachhandgrosse  und  noch  grössere 
schmutzig-rothbräunliche  Stellen,  über  denen  die  Haut  gefeldert,  fein 
gerunzelt  und  schmutzig,  fein  schuppend  erscheint.  Nirgends  Kratz¬ 
effecte  oder  Steigerung  des  Entzündungsprocesses  zu  Knötchen  oder 
Bläschen.  Die  Affection  besteht  angeblich  seit  vier  Jahren  unverändert 
fort.  Matzenauer  richtet  an  den  Vorsitzenden  noch  die  Frage,  ob 
diese  Affection  mit  der  Dermatitis  exfoliativa  Br  oeq  in 
Beziehung  gebracht  werden  kann,  da  eingesendete  Präparate  derselben 
ähnliche  histologische  Veränderungen  zeigen  wie  die  Atrophia  cutis. 

Kaposi  hebt  nachdrücklich  vor,  dass  dieser  Kranke  ganz 
unregelmässige  kleinere  und  grössere  Herde  zeige,  die  durch  voll¬ 
kommen  gesunde  Haut  umgeben  und  von  einander  getrennt  sind,  was 
bei  der  idiopathischen  Atrophie  nicht  vorkommt.  Auch  fehlt  jede  Be¬ 
theiligung  der  Gefässe.  Die  betonte  Runzelung  ist  nur  eine  ober¬ 
flächliche  Epidermisveränderung.  Die  blassen,  atonischen,  plaqueför¬ 
migen  Herde  sprechen  vielmehr  für  ein  anämisches  Ekzem, 
das  man  mit  Theer,  an  anderen  Stellen  mit  Leberthran  und  Theer 
behandeln  könne. 

Dem  gegenüber  biete  die  Dermatitis  exfoliativa  Brocq  das  Bild 
einer  acuten,  diffusen,  von  Fieber  und  schweren  Allgemeinerscheinungen 
begleiteten  Hauterkrankung. 

Lang  bemerkt,  dass  man  in  einzelnen  Fällen  die  Bezeichnung 
Dermatitis  exfoliativa  Brocq  gebrauche,  weil  ein  anderer  Ausdruck  fin¬ 
den  soeben  geschilderten  Process  nicht  besteht.  Er  selbst  hat  einmal 
einen  Fall  vorgestellt,  der  ähnlich  mit  mehr  acutem  Charakter  an  der 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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einen  Stelle,  mehr  chronischem  an  einer  anderen  verlief  und  von 
Anderen  auch  als  Pemphigus,  Psoriasis,  an  der  Breslauer  Klinik  als 
Ekzem  aufgefasst  wurde. 

Kaposi  demonstrirt  als  Parallelfall : 

1 .  Ein  Erythema  toxicum  desquamativum  uni¬ 
versale.  Der  22jälirige  Taglöhner  erkrankte  plötzlich  an  Fieber  und 
bemerkte,  dass  er  im  Gesichte  und  am  ganzen  Körper  rothe  Flecke 
bekam.  Bald  wurde  die  ganze  Haut  roth  und  begann  sich  mit  weissen 
Schuppen  zu  bedecken.  Die  Temperatur  betrug  bei  uns  seit  der  Auf¬ 
nahme  am  27.  April  bis  4.  Mai  38-5 — 39°.  Gastrointestinale  Störungen 
bestanden  nicht.  Die  gesammte  Körperhaut  vom  behaarten  Kopfe  bis 
zum  unteren  Drittel  der  Unterschenkel  ist  mit  einer  ununterbrochenen, 
grosslamellösen,  dünnblätterigen  Schuppenmasse  bedeckt,  die  sich  leicht 
abstreifen  lässt.  Die  Haut  darunter  diffus  geröthet,  nirgends  Knötchen 
oder-  Bläschen.  Am  untersten  Drittel  der  Unterschenkel  und  beiden 
Fussrücken  zahlreiche,  bis  linsengrosse,  hellrothe,  im  Centrum  auch 
bläuliche  Flecken  zu  sehen,  die  den  charakteristischen  Beginn  der 
Erkrankung  erkennen  lassen  und  ebenso  wie  das  Gesammtbild  die 
Diagnose  des  Falles  rechtfertigen,  der  zum  Theil  ähnlich  den  toxischen 
Erythemen  nach  Einnahme  von  Chinin,  Chloralhydrat  oder  nach  Fleisch¬ 
vergiftung  sich  andererseits  auch  der  Dermatitis  exfoliativa  nähert.  Im 
vorliegenden  Falle  konnte  eine  bestimmte  medicamentöse  oder  Auto¬ 
intoxication  nicht  nachgewiesen  werden; 

2.  eine  Psoriasis  universalis  bei  einem  55jährigen  Mann, 
seit  20  Jahren  bestehend. 

Matze  nauer  demonstrirt : 

1.  Ein  Serophuloderma  am  rechten  Vorderarm,  das  sich 
in  der  Umgebung  der  Operationsnarbe  nach  Enucleation  des  cariösen 
Zeigefingers  entwickelte  und  längs  eines  verdickten  Lymphstranges 
zu  weiteren,  exulcerirten  Knoten  führte  ; 

2.  einen  Lupus  verucosus  am  Dorsum  pedis,  von  dem  aus 
nach  oben  ein  Lymphstrang  tastbar  ist,  in  dessen  Richtung  ebenfalls 
mehrere  zerfallene  Knoten  liegen; 

3.  einen  Pemphigus  bei  einer  60jährigen  Frau,  der  angeb¬ 
lich  seit  drei  Monaten  besteht  und  jetzt  zu  einer  universellen  Blasen¬ 
eruption  geführt  hat,  neben  der  sich  allenthalben  Kratzeffecte,  Ex- 
coriationen  und  blutige  Borken  finden  als  Ausdruck  eines  Pemphi¬ 
gus  pruriginosus; 

4.  das  wiederholt  gezeigte  Kind  mit  Pemphigus  vegetans, 
der  jetzt  aussergewöhnliche,  über  centimeterhohe,  trockene  Vegetati¬ 
onen  und  besonders  an  Handtellern  und  Fusssohlen  schwammartige, 
ausserordentlich  grosse  Wucherungen  zeigt. 

Löwenbach  stellt  aus  Prof.  Neumann’s  Klinik  vor: 

1.  Einen  Lichen  ruber  planus,  der  bei  einer  28jährigen 
Frau  seit  16  Jahren  am  Oberschenkel  besteht  und  an  dieser  unge¬ 
wöhnlichen  Localisation  in  flachhandgrosser  Ausdehnung  persistirt; 

2.  eine  extragenitale  Sklerose  an  der  Oberlippe 
bei  einer  40jährigen  Hebamme,  die  einer  mit  einem  Ausschlag  behaf¬ 
teten  Wöchnerin  die  Brustwarze  aussog.  Beginnendes  Exanthem; 

3.  eine  zweite  Sklerose  an  der  Oberlippe  von  Nuss¬ 
grösse  bei  einer  26jährigen  Frau,  Submaxillardrüsen  beiderseits  ver- 
grössert.  Am  Kinne  und  an  der  Stirne,  spärlich  am  Stamme  ein 
papulo-pustulöses  Exanthem ; 

4.  eine  22jährige  Kranke  mit  einer  pigmentirten  Sklerosen¬ 
narbe  an  der  linken  Mamilla,  Lichen  syphiliticus 
am  Stamme,  Papeln  an  den  Tonsillen  und  einem  umschriebenen 
Lupusherd  an  der  Aussenseite  des  linken  Sprunggelenkes; 

5.  eine  7 1jährige  Frau  mit  Gumma  et  Hyperostosis 
ossis  frontalis  sinistri  und  Narben  nach  solchen  rechterseits. 
Vor  vier  Jahren  wurde  an  der  ebenso  erkrankten  Stirnseite  von  Prof, 
v.  Hacker  ein  nekrotischer  Sequester  entfernt,  später  wurde  dieselbe 
Stelle  von  Primarius  v.  T  ö  r  ö  k  und  Docent  U  1 1  m  a  n  n  excochleirt, 
der  Substanzverlust  dann  plastisch  gedeckt. 

Patientin,  seit  1862  verheiratet,  verlor  ein  Kind  von  fünf  Wochen, 
ein  zweites  durch  Abortus.  Syphilis  bisher  unbehandelt.  Rechts  an  der 
Stirne  eine  deforme,  am  Knochen  fixirte  Narbe,  links  eine  schmerz¬ 
hafte,  fluctuirende,  nussgrosse  Geschwulst  mit  derbem  Knochen¬ 
walle  ; 

6.  ein  Gumma  der  Scrotal  haut  bei  einem  27jährigen 
Manne,  der  vor  sieben  Jahren  Lues  acquirirte,  damals  eine  Einreibungs- 
cur  machte  und  bisher  ohne  Recidive  blieb; 

7.  einen  13jährigen  Knaben  mit  Lupus  papillaris  hyper¬ 
troph  i  c  u  s  an  Nase,  Lippen  und  Fussrücken  und  Lichen  scro- 
phulosorum.  Patient  wird  der  Röntgen-Therapie  zugeführt; 

8.  einen  40jährigen  Mann  mit  einem  exulcerirten  Gumma 
an  der  Haut  der  Nasenwurzel.  Ausserdem  bestehen  bei  ihm 
eine  Parese  des  linken  Armes,  ein  spastisch-paretischer  Gang,  gestei¬ 
gerte  Sehnenreflexe,  leicht  hesitirende  Sprache,  so  dass  zwischen  Lues 
cerebri  oder  einer  beginnenden  Paralysis  progressiva  noch  nicht  be¬ 
stimmt  entschieden  werden  kann.  Patient  war  1892  wegen  Lues  mit 
Einreibungen,  später  mit  Jodkali  und  Jodbädern  behandelt  worden. 


Kaposi  demonstrirt : 

1.  Ein  Sarcoma  cutis  idiopathicum  multiplex, 
das  sich  seit  zwei  Jahren  bei  einem  52jährigen  Manne  au  den  typi¬ 
schen  Stellen  entwickelt  hat.  An  beiden  Händen  sind  die  Finger,  vor¬ 
wiegend  in  den  Grundphalangeu,  deformirt,  spindelförmig  aufgetrieben 
durch  eine  leicht  elevirte  Infiltration  der  Haut,  die  blauroth  verfärbt, 
derb,  zum  Theil  kleinknötchenartig  ist  und  sich  beiderseits  auf  den 
Handrücken,  rechts  auch  auf  den  Ulnarrand  des  Handgelenkes  diffus 
erstreckt.  Neben  ihr  vier  münzengrosse,  deutlich  aus  kleinen,  flachen 
Knötchen  confluirte  Herde.  Inmitten  des  beschriebenen  Gebietes  liegen 
unregelmässig  zerstreut  stecknadelkopf-  bis  haselnussgrosse,  derbe, 
dunkelrothe  bis  blauschwarze,  zum  Theil  oberflächlich  exulcerirte 
knotige  Tumoren. 

Auch  beide  untere  Extremitäten  zeigen  im  Bereiche  der  Fuss- 
rücken  diese  eigenartige  Infiltrations-  und  Tumorbildung; 

2.  eine  ausgebreitete,  bisher  unbehandelte  schwere  Lues  gum¬ 
mosa  bei  einem  46jährigen  Tramwaykutscher,  der  auch  vom  Be¬ 
stehen  der  Sklerose  oder  eines  früheren  Exanthems  nichts  weiss.  Wegen 
eines  Tumor  testis  wurde  1892  der  rechte,  1896  der  linke  Hode  ent¬ 
fernt.  Die  jetzt  bestehenden  Geschwürsbildungen  begannen  erst  im 
December  1899  und  führten  zu  einer  Zerstörung  der  rechten  Nasen¬ 
hälfte  und  zu  diffus  ausgebreiteten,  eiterig  belegten  Geschwüren  an 
der  Stirne,  der  behaarten  Kopfhaut,  der  linken  Ilalsseite,  beiden 
Achseln,  den  Oberarmen,  am  Rücken  und  an  den  Unterschenkeln. 
Perforation  des  harten  Gaumens,  grosse  Geschwüre  an  beiden  Gaumen¬ 
bögen; 

3.  einen  Pemphigus  vulgaris,  der  sich  bei  einer  56jähri- 
gen  Frau  in  drei  Monaten  neben  einem  fast  universellen  fleckenförmigen, 
zum  Theil  auch  circinär  angeordneten  urtica  riellen  Erytheme 
entwickelte,  das  prodromal  schon  im  September  aufgetreten  war  und 
die  Basis  der  Pemphigusblasen  bildet; 

4.  ein  Scleroderma  circumscriptum  dispersum. 
Bei  einem  19jährigen  Mädchen  ist  der  ganze  linke  Unterschenkel  und 
Fuss  verschmächtigt.  Die  Haut  straff  anliegend,  weiss  glänzend,  nicht 
faltbar,  besonders  am  Fussrücken.  Die  Musculatur  darunter  atrophisch, 
Bewegungen  aber  alle  frei.  Daneben  einige  exulcerirte  Excoriationen. 
Ein  zweiter  central  atrophischer,  am  Rande  stark  pigmentirter  Herd 
von  Sklerodermie  zieht  in  einem  handbreiten  Streifen  entlang  dem 
linken  Rippenbogen; 

5.  eine  17jährige  Cassierin,  die  im  August  1899  an  Lues  er¬ 
krankte  und  damals  30  Einreibungen  machte.  Seit  acht  bis  zehn  Tagen 
hat  sie  nun  am  rechten  grossen  Labium  eine  umschriebene,  derb 
ödematöse  Infiltration  mit  einem  oberflächlichlichen,  seichten,  eiterig 
belegten  Geschwüre,  dessen  Ueberimpfung  auf  den  Arm  negativ  aus¬ 
fiel.  Es  könnte  vielleicht  also  eine  Reinfection  vorliegen. 

M  r  a  6  e  k  hält  es  nicht  für  wahrscheinlich,  dass  nach  so  kurzer 
Zeit  eine  Reinfection  erfolgt  sei.  Die  Diagnose  könne  sich  nicht  aut 
das  Geschwür,  das  auch  ein  mit  Lymphangoitis  complicirtes  veneri¬ 
sches  Ulcus  sein  kann,  allein  stützen,  sondern  auf  ein  eventuell  auf¬ 
tretendes  Primärexanthem ; 

6.  eine  Frau  mit  ausgebreitetem  Epithelioma  faciei,  das 
die  rechte  Wange  einnimmt  und  bis  hart  ans  untere  Augenlid  und 
fast  bis  an  den  Knochen  reicht. 


Naturwissenschaf tlich-medicinischer  Verein  in  Strass¬ 
burg  i.  E. 

Medicinische  Section. 

IV.  Sitzung  am  12.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Scliaer. 

Schriftführer :  Minkowski. 

Hoche  berichtet  über  Versuche  an  Enthaupteten.  (Ausführ¬ 
liche  Veröffentlichung  in  der  Berliner  klinischen  Wochenschrift.) 

* 

V.  Sitzung  am  16.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Iloche. 

Schriftführer :  Minkowski. 

Schmiedeberg  demonstrirt  die  Anwendung  des  epidia- 
skopischen  Projectionsapparates  von  C.  Zeiss  in  Jena. 

* 

VI.  Sitzung  am  23.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Schaer. 

Schriftführer :  Minkowski. 

v.  Recklinghausen  geht  in  seinem  ersten  Vortrage  über 
Einschlüsse  in  Harnsteinen  von  der  bekannten  'I  hatsaehe 
aus,  dass  sich  im  Centrum  der  Hippolithen  des  Darmes  Metallstücke 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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oder  sonstige  Fremdkörper  constant  nachweisen  lassen,  sowie  von  dem 
auch  durch  ihn  erhobenen  Refund,  dass  inmitten  der  eigentlichen 
Darmsteine  des  Menschen  Holzstückchen,  Obstkerne,  Entozoeneier  etc. 
vorhanden  und  als  Puncta  cristallisationis  diesei  Steinbildungen  zu 
betrachten  sind.  In  Speichelsteinen  sind  solche  eingeschlossene  Fremd¬ 
körper  wiederholt  nachgewiesen  worden.  Auch  in  Gallensteinen  scheinen 
Niederschläge,  namentlich  von  Bilirubinkalk,  den  ersten  Anstoss  zur 
Concrementbildung  geben  zu  können  (Bramson).  Seit  langei  Zeit 
bemüht,  auch  in  den  Nieren-  und  Ilarnblasensteinen  centrale  Ein¬ 
schlüsse,  die  von  dem  Hauptmaterial  verschieden,  aufzutinden,  kam 
der  Vortragende  dazu,  öfters  Blutklümpchen  oder  zusammengesintertes 
Hyalin,  aber  auch  richtige  Fremdkörper:  einen  Nagel,  ein  Geschoss, 
eine  Weidenruthe,  eine  Haarnadel,  einen  Messingdraht  etc.  nachzu¬ 
weisen.  Als  bisher  unbekannte  Arten  des  Vorkommens  derartiger 
Einschlüsse  in  Blasensteinen  bezeichnet  und  demonstrirt  v.  Reckling¬ 
hausen  folgende  zwei  Fälle: 

1.  Ein  linsenförmiger  Phosphatstein  enthält  in  seiner  centralen 
Höhle  ein  wie  Watte  aussehendes,  iu  Hufeisenform  gestaltetes  Ge¬ 
webe;  Dr.  Sick,  Oberarzt  des  neuen  allgemeinen  Krankenhauses  in 
Hamburg- Eppendorf  (vgl.  den  Bericht  des  Krankenhauses,  1894),  sah 
sich  durch  diese  Beobachtung  veranlasst,  den  Vortragenden  zur  ge¬ 
naueren  Untersuchung  des  merkwürdigen  Einschlusses  aufzufordern, 
und  diese  ergab  denselben  als  nekrotisches  Bindegewebe 
vom  Bau  der  Harnblasenschleimhaut;  die  Nekrose  scheint 
bei  dem  an  chronischer  Cystitis  leidenden  Manne  eine  Folge  der  Ent¬ 
zündung  gewesen  zu  sein.  Wenigstens  erinnerte  sich  v.  Reckling¬ 
hausen  eines  früher  gesehenen  Falles  von  noch  umfänglicherer, 
fast  totaler  Schleimhautnekrose  bei  einem  Manne  in  Pfalzburg 
(Dr.  Ed.  Schade). 

2.  In  einem  über  hühnereigrossen,  von  Prof.  Ledderhose  aus  der 
Harnblase  eines  20jährigen  Kaufmannes  durch  hohen  Schnitt  entnommenen 
Blasensteine  erregte,  als  er  im  pathologischen  Institute  durchschnitten, 
der  graugefärbte,  axial  gelegene  Kern  von  18mm  Durchmesser  die 
Aufmerksamkeit,  und  machte  sowohl  wegen  seiner  concentrischen 
Schichtung,  als  wegen  der  Brüchigkeit  der  Schichten  denselben  Ein¬ 
druck,  wie  ein  grösserer  Kothstein  des  Processus  vermiformis.  Diese 
Diagnose  durfte,  weil  sofort  darin  mikroskopisch  sowohl  Trichocephalen-, 
als  Ascarideneier,  ferner  Pflanzengewebe,  namentlich  auch  verkalkte 
Zellen  aus  Obst,  und  zwar  die  auffälligen  Kalkkörnchen  aus  dem 
Fleisch  der  Birne  nachgewiesen  werden  konnten,  als  gesichert  gelten; 
ein  richtiger  Kothstein  musste,  fertig  gewachsen  bis  zur  genannten 
Grösse  innerhalb  des  Darmes,  von  hier  aus  den  Weg  in  die  Harn¬ 
blase  gefunden  haben,  wegen  seiner  Grösse  unfähig,  die  Harnröhre  zu 
passiren.  Schon  im  elften  Lebensjahre  hatte  der  seitdem  dauernd 
schwer  leidende  Patient  zwei  Spulwürmer  mit  dem  Urin  per  urethram 
entleert,  zehn  Jahre  später  einen  dritten  Spulwurm  mit  wiederholten 
Schmerzanfällen  in  den  Lumbalgegenden,  namentlich  der  rechten.  Als 
zwei  Monate  nach  dem  Steinschnitt  wogen  urämischen  Erbrechens, 
Anurie  und  Vergrösserung  der  linken  Niere  diese  in  einer  zweiten 
Operation  blossgelegt  und  ihr  Becken  zwecks  der  Herausnahme  eines 
wie  eine  Zahnwurzel  gestalteten,  im  Ureter  eingeklemmten  Steinchens 
angeschnitten  worden  war,  trat  nach  2 Vs  Wochen  der  Tod  ein,  und 
nunmehr  konnte  Ledderhose  bei  der  Section  feststellen:  1.  zahl¬ 
reiche  Nekrosen  und  Herde  in  der  linken  Niere;  2.  einen  totalen 
Schwund  der  rechten  Niere,  Erweiterung  und  Hypertrophie  der  Harn¬ 
blase  und  des  rechten  Ureters ;  3.  eine  partielle  Aussackung  des  diffus 
erweiterten  Processus  vermiformis;  4.  eine  weit  offene  directe  Com¬ 
munication  dieses  dilatirten  Processusstückes  mit  dem  rechten  Ureter, 
und  an  diesem  eine  zunehmende  Erweiterung  bis  zur  Ausmündung,  so 
stark,  dass  trotz  der  erheblichen  Wandverdickung  ein  gewöhnlicher 
Katheter  bis  in  die  Harnblase  vorzuschieben  war.  Ob  noch  ein  zweiter 
Verbindungsweg  mit  dem  Darm  vorhanden  war,  etwa  mit  dem  Rectum, 
wonach  Led  der  hose  bei  der  ersten  Operation  wegen  des  kothigen  Ge¬ 
ruches  gesucht  hatte,  wurde  durch  die  beschleunigt  ausgeführte  Section 
nicht  festgestellt.  Jedenfalls  ist  aber  durch  diese  Beobachtung  thatsächlich 
der  seltene  Durchbruch  einer  Appendicitis  in  den  rechten  Ureter,  die 
mittelbare  Verbindung  mit  der  Harnblase  und  damit  der  Weg  nach¬ 
gewiesen,  auf  welchem  mehrere  Würmer,  wie  der  grosse  Kothstein  und 
schliesslich  kothige  Beimengungen  zum  Urin  in  die  Harnblase  gelangt 
waren  —  offenbar  schon  seit  vielen  Jahren  in  Anbetracht  des  con- 
secutiven  totalen  Unterganges  der  rechten  Niere  und  des  Volumens 
der  weissen  Phosphatschichten  der  Rinde  des  Steines,  der  im  Ganzen 
G  :  3  :  2  'Ucm  misst. 

Im  zweiten  Vortrage  schildert  v.  Recklinghausen  die 
Vortheile,  welche  ihm  bei  der  Untersuchung  rachitischer  Knochen, 
wenn  sie  mit  Formalin  nach  K  a  i  s  e  r  1  i  n  g’s  Vorschriften  gehärtet 
waren,  die  Färbung  der  Schnitte  mit  1.  Thionin,  2.  Phosphorwolfram¬ 
säure  (nach  der  zweiten  Methode  G.  Schmor  l’s)  und  die  Bettung 
in  Glycerin  geliefert  hatte.  Die  erzielten  bunten  und  so  lebhaften 
Farbentöne  gestatten,  in  den  rachitischen  Zonen  des  Knorpels,  wie 
des  Knochens,  die  mannigfaltigen  Uobergänge  und  Umwandlungen  der 


Gewebe,  die  Metamorphosen  ihrer  Zellen-  und  Grundsubstanz,  die 
Glykogenbildung  und  die  hyaline  Thrombose  der  capillären  Venen,  die 
Verbreitung  des  chondroiden  und  des  osteoiden  Gewebes,  endlich  den 
Knochenanbau  und  -Abbau  schärfer  zu  verfolgen,  wie  die  bisher  an¬ 
gewandten  Färbungen  mit  Carmin  oder  Anilinfai  bstoffen. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  1.  December  1899. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Dr.  L.  Neustadtl  demonstrirt  einen  Fall  von  Tendo¬ 
vaginitis  und  Ostitis  tuberculosa  der  linken  Hand 
bei  einem  25jährigen  Schuhmachergehilfen,  bei  dem  in  Folge  diffuser 
Ausbreitung  des  Processes  an  eine  radicale  Exstirpation  nicht  mehr 
gedacht  werden  konnte,  und  dem  daher  nach  erfolgloser  conservative!- 
Behandlung  sowohl  auf  der  Klinik  W  ö  1  f  1  e r’s,  als  auch  Maydl’s 
die  Amputation  der  Hand  in  Vorschlag  gebracht  wurde. 

Angeregt  durch  die  Arbeit  Buchner’s:  „Natürliche  Schutz¬ 
einrichtungen  des  Organismus  und  deren  Beeinflussung  zum  Zwecke 
der  Abwehr  von  Infectionsprocessen'1,  in  welcher  Buchner  den 
Alkohol  bei  der  Behandlung  fungöser  Processe  empfiehlt,  unterzog 
Dr.  Neustadtl  diesen  Fall  der  Alkoholbehandlung. 

Patient  bekam  durch  sechs  Wochen  einen  täglich  erneuerten 
Alkoholverband  (96%)  über  Hand  und  Vorderarm  bis  zum  Ellbogen¬ 
gelenk.  Der  Erfolg  war  schon  nach  kurzer  Zeit  ein  überraschender. 
Die  Schmerzen  hörten  vollständig  auf,  die  Weichtheilschwellung  ging 
gänzlich  zurück,  während  die  Knochenverdickungen  begreiflicher  Weise 
bestehen  blieben,  die  active  und  passive  Beweglichkeit  stellte  sich 
wieder  ein:  von  den  beiden  bestehenden  Fisteln  schloss  sich  eine  voll¬ 
ständig,  die  andere  entleerte  eine  kaum  nennenswerthe  Menge  Secret. 
Die  pathologische  Handstellung  in  ulnarer  Abduction  wurde  durch 
beiderseits  angelegte  Pappendeckelschienen  behoben. 

Patient,  der  früher  die  Hand  absolut  nicht  gebrauchen  konnte, 
war  nunmehr  im  Stande,  mit  derselben  leichtere  Arbeit  zu  verrichten. 

Prof.  W  ö  1  f  1  e  r  bemerkt,  dass  bei  diesem  Kranken  eine  voll¬ 
kommene  Heilung  noch  nicht  eingetreten  ist,  dass  also  eine  längere 
Beobachtung  noch  nothwendig  ist.  Bezüglich  der  Alkoholwirkung  auf 
das  Gewebe  hebt  Wölfl  er  hervor,  dass  Alkohol  oberflächlich  auf 
entzündete  Haut  günstig  einwirke,  dass  aber  eine  Tiefenwirkung  nur 
dann  erwartet  werden  könnte,  wenn  Alkoholinjectionen  gemacht 
werden  würden.  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  ebenso  wie  Jodtinetur 
auch  der  Alkohol  eine  nicht  eiterige  Entzündung  hervorrufe,  welche 
vielleicht  im  Stande  wäre,  die  Tuberkelherde  bindegewebig  einzu- 
schliessen. 

Prof.  Epstein  bemerkt,  dass  ein  einziger  Fall  noch  wenig 
beweise,  indem  schwer  zu  sagen  ist,  was  die  Naturheilung  und  was 
die  Behandlung  geleistet  hat.  Gerade  bei  jugendlichen  Individuen, 
speciell  bei  Kindern,  sehe  man  oft  tuberculöse  Herde  an  der  Mittel¬ 
hand  ausheilen.  Aber  hier  beanspruche  die  Heilung  sehr  lange  Zeit, 
zwei  Jahre  und  länger.  Das  Ueberraschende  sei  daher  in  diesem  Falle 
die  ausserordentlich  kurze  Zeit,  innerhalb  welcher  bei  vorhandener 
grosser  Deformität,  wegen  welcher  man  sich  zur  Amputation  ent¬ 
schlossen  hatte,  eine  solche  ausgesprochene  Besserung  eingetreten  ist. 

Dr.  Adler  fordert  die  Herren,  welche  Versuche  machen  wollen, 
auf,  sich  stricte  an  die  Angaben  B  u  c  h  n  e  r’s  zu  halten,  welcher 
nur  Alkoholumschläge  empfiehlt,  also  keine  Alkoholinjectionen  zu 
machen. 

Dr.  Hugo  Salus  bemerkt,  es  scheine  ihm  bei  Beurtheilung 
der  Ursachen  der  günstigen  Wirkung  des  Alkohols  wichtig,  darauf 
hinzuweisen,  dass  Alkohol  eine  stark  wasserentziehende  Flüssigkeit  ist, 
wodurch  er  bei  Entzündungen  die  gleichen  Wirkungen  und  Vortheile 
bieten  dürfte,  wie  das  Glycerin.  Durch  die  Wasserabgabe  verlieren  die 
Gewebe  die  entzündliche  Spannung,  die  Stase  höre  auf  und  die.  Cir¬ 
culation  werde  in  normaler  Weise  geregelt. 

Dr.  Schick:  Auch  in  der  Gynäkologie  hat  der  Alkohol 
therapeutische  Verwendung  gefunden.  So  empfahl  ihn  eist  in  der 
letzten  Zeit  Carossa  zur  Behandlung  der  septischen  Endometritis. 

Er  applicirte  den  Alkohol  permanent  auf  das  septisch  inficirte 
Endometrium  und  will  in  vielen  Fällen  sehr  günstige  Wirkungen  er¬ 
zielt  haben.  Auch  Ahlfeld  ist  überzeugt  von  der  antiseptischen 
Wirksamkeit  des  Alkohols.  Er  verwendet  ihn  sowohl  zur  subjectiven 
als  auch  zur  objectiven  Desinfection,  das  heisst  zur  Desinfection  der 
Hände  und  zu  intrauterinen  Auspülungen  (in  50%iger  Verdünnung) 
bei  puerperalen  Infectionen  des  Endometriums.  Vielleicht  kommt  in 
dem  von  dem  Herrn  Vortragenden  berichteten  Falle  weniger  die  durch 
den  Alkohol  hervorgerufene  Hyperämie  als  seine  antibacterielle  Wir¬ 
kung  zur  Geltung. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Hofrath  Chiari:  Die  Entscheidung  über  die  Art  der  heilenden 
Wirkung  des  Alkohols,  welche  nach  Buchner  darin  besteht,  dass 
eine  grössere  Entfaltung  der  bactericiden  Wirkung  des  Blutserums 
herbeigeführt  wird,  ist  eine  Frage  der  Zeit.  Betreffend  die  Angabe 
Buchne  r’s,  dass  bei  entsprechender  Alkoholbehandlung  cariöser 
Zähne  die  Caries  stillstelit  und  sogar  Dentin  neugebildet  werden  könne, 
weist  Chiari  auf  die  allseits  bekannte,  eine  Gewebswucherung  an¬ 
regende  Wirkung  des  Alkohols  hin,  welche  zur  Neubildung  eines 
kernarmen  Bindegewebes  führt.  So  könne  auch  der  Alkohol  nach 
seiner  Ansicht  eventuell  das  zellreiche  Tuberkelgewebe  in  faseriges 
cicatrisirendes  Gewebe  überführen. 

Prof.  Wölfl  er  hebt  noch  hervor,  dass  der  Alkohol  sicher 
kein  Specificum  sei  gegen  die  Tuberculose,  da  es  noch  andere  Me¬ 
thoden  gibt,  welche  eine  Heilung  der  Tuberculose  herbeiführen  können, 
wie  die  einfache  Eröffnung  der  Unterleibshöhle  beim  tuberculösen 
Ascites,  die  B  i  e  r’sche  Hyperämie,  die  Einwirkung  des  Jodoforms;  so 
sei  es  unbedingt  nothwendig,  alle  diese  Heilmethoden  von  einem  ein¬ 
heitlichen  Gesichtspunkte  aufzufassen. 

* 

Sitzung  vom  12.  Januar  1900. 

Vorsitzender  :  Prof.  Gael. 

Schriftführer:  Dr.  Schenk. 

Dr.  Schenk  hält  einen  Vortrag:  Ueber  frische  Atresia 
cervicis  et  vaginae  in  der  Schwangerschaft.  Es  handelte 
sich  um  eine  17jährige  ledige,  im  fünften  Monate  gravide  Fabriks- 
arbeiterin,  bei  welcher  behufs  Fruchtabtreibung  eine  Säure  in  die 
Vagina  eingespritzt  worden  war.  Nach  einigen  Tagen  erfolgte  unter 
hohem  Fieber  und  starken  Schmerzen  die  Ausstossung  eines  voll¬ 
ständigen  Abgusses  der  Portio  und  der  angrenzenden  Vaginalschleim¬ 
haut  (Demonstration  des  Präparates).  Die  Schwangerschaft  wurde  nicht 
unterbrochen,  die  Geburt  erfolgte  im  achten  Monate.  Es  hatte  sich 
eine  hochgradige  Stenose  der  Scheide  und  der  Cervix  entwickelt,  die 
Portio  fehlte  vollständig,  an  ihrer  Stelle  war  nichts  als  ein  halberbsen¬ 
grosser  Granulationspolyp  und  dahinter  eine  winzige  Oeffnung.  Die¬ 
selbe  wurde  im  Speculum  mittelst  seitlicher  Incisionen  so  weit  erweitert, 
dass  der  vorliegende  Fuss  herabgeholt  werden  konnte,  und  es  wurde 
vorsichtig  die  Extraction  des  vorzeitigen  Kindes  angcschlossen.  Der 
nachfolgende  Kopf  wurde  perforirt.  Das  Wochenbett  verlief  anfangs 
leicht  fieberhaft,  vom  22.  Tag  ab  ohne  Fieber.  Die  Patientin  wurde 
am  30.  Tage  mit  der  Weisung  entlassen,  sich  nach  drei  Monaten  be¬ 
hufs  Dilatation  der  neuerlich  entstandenen  Stenose  wieder  vorzustellen. 

Dr.  Nachod  demonstrirt  Membranen  aus  der  Nase  eines  nicht 
ganz  vier  Wochen  alten  Kindes.  Es  handelt  sich  um  einen  Fall  von 
sogenannter  Rhinitis  pseudomembranacea,  einer  Erkran¬ 
kung,  die  in  früheren  Jahren  häufig  beschrieben  wurde,  in  letzter 
Zeit  aber  äusserst  selten  geworden  ist,  da  es  in  den  meisten  Fällen 
durch  bacteriologische  Untersuchung  gelang,  die  Zugehörigkeit  dieser 
Processe  zur  Diphtherie  festzustellen;  aber  in  dem  vorliegenden  Falle, 
dessen  Krankengeschichte  Nachod  erörtert,  konnte  trotz  eingehender 
Untersuchung  der  Löffler’sche  Bacillus  nicht  nachgewiesen  werden. 
Für  den  Arzt  wird  es  sich  in  solchen  Fällen  vor  Allem  darum  handeln, 
die  Differentialdiagnose  zwischen  Nasendiphtherie  und  pseudomembranöser 
Rhinitis  zu  stellen,  und  da  lässt  sich  behaupten,  dass  nur  die  bacterio¬ 
logische  Untersuchung  die  Entscheidung  bringen  könne.  Nachod 
hält  es  dafür  angezeigt,  in  allen  Fällen,  wo  sich  Pseudomembrauen 
in  der  Nase  vorfinden  und  eine  genaue  bacteriologische  Untersuchung 
nicht  durchführbar  ist,  die  Serumtherapie  anzuwenden,  selbst  bei 
Fehlen  .schwerer  Allgemeinsymptome;  in  den  seltenen  Fällen  sicher 
nachgewiesener  Rhinitis  pseudomembranacea  wird  man  davon  Abstand 
nehmen,  was  auch  in  dem  vorliegenden  Falle  geschah,  der  zur  voll¬ 
ständigen  Genesung  führte. 

Dr.  Anton  Petr  ina:  Einiges  über  die  Pest  in  Bombay. 

Der  Vortragende,  der  vorigen  Jahres  einige  Zeit  in  Bombay 
weilte  und  daselbst  das  Arthur  Road  Hospital  täglich  besuchte,  be¬ 
nützt  als  Ausgangspunkt  zu  seinem  Vortrage  einige  Capitel  statistischer 
und  klinischer  Art  aus  dem  nur  wenig  bekannten  Rapport  des  Primar¬ 
arztes  des  Arthur  Road  Hospitales,  Dr.  Chohsy  (Report  of  Bubonic 
Plague.  Khan  B  ohadur  Chohsy,  Bombay  1897),  welcher  ein 
Material  von  939  beobachteten  Fällen  behandelt;  wobei  der  Vor¬ 
tragende  auch  einen  Theil  der  modernen  Literatur  berücksichtigt. 

Die  besser  lebenden  Volksclassen  haben  bessere  Chancen.  Das 
Fieber  ist  nicht  charakteristisch.  Es  gibt  unbestreitbar  eine  Facies 
pestica.  Ausserordentlich  wichtig  sind  die  fast  nie  fehlenden  Symptome 
von  Seiten  des  Nervensystemes.  So  die  fast  nie  fehlenden  Delirien, 
die  charakteristischen  Sprachstörungen,  dann  wieder  oft  Erscheinungen, 
die  sehr  an  Tetanus  erinnern.  Die  Incubationsdauer  beträgt  zehn  Tage. 
Nicht  unwichtig  sind  die  am  häufigsten  beim  Ansteigen  und  Abblassen 
einer  Epidemie  auftauchenden,  verschwommenen  leichten  Formen:  Pestis 
minor  und  Pestis  ambulans.  Bei  Pestisbubonen  ist  die  häufigste  Locali¬ 
sation  an  den  Drüsen  der  Inguinalgegend.  Axillar-  und  Cervicalbubonen 


sind  prognostisch  immer  sehr  ungünstig.  Am  ungünstigsten  ist  die 
Pestpneumonie,  doch  beobachtete  Chohsy  dieselbe  nur  in  8  /o  seinei 
939  Fälle.  Der  Tod  ist  am  häutigsten  ein  Herztod.  Das  Bild  und  der 
Eindruck  der  Kranken  ähnelt  gar  zu  oft  dem  Bilde  einer  Basilar- 
meningitis,  ohne  dass  jemals  die  anatomischen  Befunde  dies  postmoital 
bestätigen  würden.  Ein  grosser  Theil  der  Patienten  stiibt  in  dei 
Reconvalescenz.  Hier  tritt  als  häufiges  Symptom  Aphasie  und  Demenz 
auf.  Die  Patienten  gehen  zu  Grunde  unter  den  Erscheinungen  eines 
„Pestmarasmus“. 

Dass  allgemein  die  Exstirpation  des  primär  afficirten  Drüsen¬ 
paketes  (sobald  als  möglich!)  empfohlen  wird,  ist  bekannt.  Neuestens 
ergab  Lustig- Serum  sehr  gute  Resultate. 

* 

Sitzung  vom  19.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Mavgulies. 

Docent  Dr.  Wilhelm  Fischei  stellt  eine  an  inoperablem 
Carcinoma  uteri  et  vaginae  leidende  3b  Jahre  alte  1  lau  \  oi , 
nur  um  ihr  verhältnissmässig  gutes  und  frisches  Aussehen  zu  zeigen. 

Fischei  findet  den  Fall  interessant  als  Beispiel  des  nicht 
operativ  beeinflussten  Verlaufes  eines  Portio  cancroides  und  meint, 
dass  es  zweifelhaft  ist,  ob  Patientin  noch  in  so  gutem  Kräftezustand 
wäre,  wenn  etwa  vor  IG  Monaten  die  Totalexstirpation  des  Uteius 
vorgenommen  worden  wäre. 

Docent  Dr.  F  r  i  e  d  e  1  Pick:  Zur  Diagnostik  der 
Aortenerkrankungen.  (Ausführlich  mitgetheilt  in  der  Prager 
medicinischen  Wochenschrift.  1900,  Nr.  5  und  6.)  Dass  man  klinisch 
Aneurysma  und  Stenose  der  Aorta  verwechseln  könne,  kommt  ge¬ 
legentlich,  selbst  bei  längerer  genauer  Beobachtung,  vor.  Wie  der 
erste  von  Pick  mitgetheilte  Fall  beweist,  der  ein  29jähiiges  Mädchen 
betraf,  welches  im  zweiten  Intercostalraum,  rechts  vom  Steinum, 
Dämpfung,  starke  pulsatorische  Erhebung  und  tastbare  "V  ibiation  mit 
sehr  lautem,  sägendem  erstem  Geräusche  zeigte.  Dabei  der  Puls  mittel¬ 
kräftig.  Dieser  Zustand  blieb  durch  sechs  Jahre  ungeändert,  ohne 
irgendwelche  Progression  zu  zeigen.  Mit  Rücksicht  auf  die  Intensität 
des  systolischen  Schwirrens  in  der  Aortengegend  erschien  allen  Untei- 
suchern  immer  die  Diagnose  „Aneurysma  der  aufsteigenden  Aoita 
selbstverständlich,  nur  das  Fehlen  jeglicher  Progression  war  auffallend. 
Deswegen  behielt  Pick  die  Patientin  in  Beobachtung.  Eines  lages 
brach  sie  plötzlich  in  ihrem  Laden  zusammen  und  starb  nach  wenigen 
Stunden. 

Die  Section  ergab  hochgradigste  Stenosirung  der  Aorta  durch 
ein  ringförmiges  Diaphragma  mit  nur  11  mm  langer  und  5  mm  bieitei 
Lichtung.  Sonst  die  Aorta  intact,  das  Herz  enorm  hypertrophisch.  Es 
handelte  sich  also  um  eine  ziemlich  reine  Aortenstenose,  ein  an  und 
für  sich  ziemlich  seltener  Befund.  Pick  fand  unter  8843  in  den 
letzten  neun  Jahren  vorgenommeuen  Sectionen  des  hiesigen  Institutes 
nur  sechs  anatomisch  constatirte  Aortenstenosen,  davon  wai  nui  in 
einem  Falle  die  richtige  Diagnose  gestellt  worden.  In  der  Literatur 
findet  sich  ein  Hinweis  auf  eine  solche  Verwechslung  nur  im  Lein 
buche  von  Strümpell,  und  zwar  auf  Grund  eines  dem  eben  be¬ 
schriebenen  ganz  analogen  Falles,  dessen  Krankengeschichte  lick 
nach  einer  brieflichen  Mittheilung  Strümpells  wiedergibt.  Pick 
weist  sodann  darauf  hin,  dass  der  Fall  durch  die  enorme  Intensität 
der  palpatorischen  Erschütterung  in  der  Aortengegend  und  durch  das 
Fehlen  des  tarden  und  harten  Pulses  von  dem  schulgemässen  Bilde 
der  Aortenstenose  abweicht.  Pick  meint,  diese  Abweichungen  duicli 
die  Intensität  der  Herzatrophie  erklären  zu  können,  welche  das  Ilindei- 
niss  vollständig  überwand,  so  dass  am  Arterienpulse  die  charakte¬ 
ristischen  Folgen  gar  nicht  zur  Erscheinung  kamen  und  das  Anpressen 
der  Blutmasse  an  das  Diaphragma  zu  einem  stossartigen  Impuls  fühlte, 
der  eine  Pulsation  an  der  Thoraxwand  vortäuschte.  Der  Fall  spricht 
auch  dafür,  dass  die  Härte  des  Pulses  bei  Aortenstenose  nicht,  wie 
vielfach  angenommen  wird,  durch  Arteriosklerose  oder  die  Hypei- 
trophie  des  Ventrikels  bedingt  sei,  sondern  eher  für.  die  durch 
v.  Norden  vertretene  Anschauung  spricht,  die  als  seine  Ursache 
eine  compensatorische,  active  Zusammenziehung  der  Arterie  auf  geringere 
Lichtung  vermuthet.  Die  oben  erwähnte  Erklärung  der  Pulsation  in 
der  Aortengegend  durch  den  Anprall  des  Blutes  an  dem  stenosiienden 
Diaphragma  scheint  auch  eine  Deutung  für  jene  Fälle  zu  bieten,  wo 
bei  sehr  intensivem  Fremissement  nur  ein  schwaches  Geräusch  be¬ 
schrieben  wil  d,  eine  Erscheinung,  die  bei  der  jetzt  üblichen  Erkläiung 
der  Fi emissemeuts  aus  Wirbelbewegungen  des  durchgepressten  Blutes 
nicht  recht  verständlich  ist,  wogegen  es  ganz  gut  zu  verstehen  ist, 
dass  bei  sehr  hochgradiger  Stenose  nur  ein  wenig  lautes  Geräusch 
entsteht,  der  Stenosenanpi  all  des  Blutes  aber  zu  starkem  Fiemissement 
führt.  Pick  erörtert  sodann  die  Frage,  warum  in  einzelnen  Fallen 
von  Aortenstenosen  eine  so  enorme  Hypertrophie  des  Ventrikels  zu 
Stande  kommt,  in  ' anderen  nicht,  und  meint,  dass  die  Ursache  wohl 
in  dem  Einsetzen  des  Herzfehlers  in  dem  relativ  jugendlichen  .  tu 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  22 


51 S 


zu  suchen  sei.  Pick  erörtert  sodann  die  differentialdiagnostischen 
Symptome  und  theilt  noch  einen  zweiten  analogen  Fall  mit,  in  welchem 
er  auf  Grund  der  Erfahrungen  des  ersten  Falles  die  Diagnose  Aorten¬ 
stenose  stellte,  für  deren  Richtigkeit  auch  der  weitere  Verlauf  spricht. 
Er  betont  zum  Schlüsse,  dass  selbst  noch  so  starkes  systoli¬ 
sches  Schwirren  und  anscheinende  Pulsation  in  der 
Gegend  des  Aortenursprunges,  so  lange  Usur  der  Rippen 
fehlt,  allein  nicht  gestattet,  die  Diagnose  Aortenaneurysma  zu 
stellen,  sondern  immer  auch  noch  das  Bestehen  einer  Aorten¬ 
stenose  erwogen  werden  muss. 

Differentialdiagnostisch  kommen  neben  dem  Fehlen  sonstiger 
Aneurysmasymptome,  insbesondere  für  Aortenstenose,  in  Betracht: 
relativ  jugendliches  Alter  der  Patienten,  Angaben  über  längeres  Vor¬ 
handensein  von  Herzbeschwerden,  ungeändertes  Fortbestehen  der 
Krankheitserscheinungen  —  insbesondere  des  Schwirrens  — ,  durch 
mehrere  Jahre  relativ  wohlerhaltene  Arbeitsfähigkeit. 

* 

Sitzung  vom  26.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Dr.  v.  Ritter  bespricht  cystische  Lymphangiome 
des  Mesenteriums,  von  welcher  Geschwulstform  er  vier  Fälle, 
darunter  zwei  Fälle  aus  dem  Kindesalter,  untersuchte.  Die  wichtigsten 
Bestandtheile  in  der  Wand  der  Lymphangiomcysten  waren:  1.  das 
Endothel;  2.  eine  darauffolgende  zusammenhängende  Schichte  glatter 
Musculatur.  Diese  Bestandtheile  fanden  sich  nicht  nur  in  allen  unter¬ 
suchten  Fällen,  sondern  in  ganz  analoger  Anordnung  auch  in  der 
Wand  grösserer,  mesenterialer  Lymphgefässstämme,  woraus  sich  der 
genetische  Zusammenhang  beider  erschliessen  lässt. 

Bezüglich  der  Entstehungsart  spricht  sich  v.  Ritter  für  eine 
Entstehung  durch  active,  nach  Art  eines  Neoplasmas  vor  sich  gehende 
Wucherung  der  Lymphgefässe,  vielleicht  auch  Neubildung  derselben 
aus.  Die  Zeit  der  Entstehung  dürfte  in  sehr  vielen  Fällen  in  das 
früheste  Kindesalter  fallen,  ja  congenital  sein. 

Docent  Dr.  Friedei  Pick:  Zur  Kenntniss  der 
Muskelatrophien.  (Ausführliche  Publication  mit  Abbildungen  in 
der  deutschen  medicinischen  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  1900, 
Bd.  XVII,  pag.  1.) 

Die  anscheinend  so  scharf  begründete  Scheidung  der  primären 
seit  Erb  als  Dystrophie  zusammengefassten  Muskelatrophien  von  den 
spinalen  Amyotrophien  ist  in  letzter  Zeit  wieder  schwankend  geworden, 
indem  es  sich  gezeigt  hat,  dass  die  klinischen  Symptome,  die  man  als 
differentialdiagnostisch  für  die  eine  Form  sprechend  ansah,  bei  dieser 
fehlen  oder  bei  der  anderen  Vorkommen  können. 

Vortragender  berichtet  zunächst  über  einen  Fall,  der  klinisch 
(Beginn  im  45.  Lebensjahre  mit  Schmerzen  in  den  Beinen,  Atrophie 
der  Handmuskeln,  der  Sternocleidomastoidei  bei  relativ  intacten 
Cucullares,  Sprachstörung  u.  s.  w.)  die  Diagnose  einer  spinalen 
Muskelatrophie  nahelegte,  während  die  Section  Intactheit  des  Nerven¬ 
systems  (auch  bei  N  i  s  s  1  -  Färbung)  und  einen  der  Dystrophie  ent¬ 
sprechenden  Muskelbefund  ergab.  (Demonstration  von  Zeichnungen  der 
pathologischen  Muskeln  mit  Lipomatose,  Verschmälerung  der  Fasern, 
Spalten  in  den  Fasern.) 

In  den  höchst  atrophischen  Muskeln  waren  nur  noch  die  Muskel¬ 
fasern  in  den  sogenannten  Muskelspindeln  intact,  was  für  die 
Auffassung  der  letzteren  als  sensible  Organe  (Muskelsinn)  spricht.  In 
den  peripheren  Nerven  ausser  Vermehrung  des  interstitiellen  Fett¬ 
gewebes  nichts  Abnormes,  mit  Ausnahme  des  Accessorius,  der 
umschriebene  Faserdegeneration  zeigte,  dio  wohl  als  secundäre  Atrophie 
durch  totalen  Schwund  des  Sternocleidomastoideus  aufgefasst  werden 
muss.  In  einzelnen  Nerven  fanden  sich  Renan  t’sche  Körperchen. 

Die  Vertreter  der  neuropathischen  Genese  der  Dystrophie  haben 
nun  zur  Erklärung  des  Umstandes,  dass  die  Mehrzahl  der  Dystrophien 
einen  negativen  Befund  im  Nervensystem  ergeben,  die  Theorie  auf¬ 
gestellt,  das  mikroskopisch  nachweisbare  Veränderungen  in  der 
Peripherie  des  Neurons  sitzen  können.  Im  Hinblick  hierauf  vom  Vor¬ 
tragenden  vorgenommene  Untersuchungen  an  frischem  (Excisions-) 
Material  ergaben  an  den  motorischen  Nervenendigungen  keine  nach¬ 
weisbaren  Veränderungen. 

Da  nun  die  häufige  Familiarität  und  Beginn  in  frühester  Jugend 
für  die  Pathogenese  der  Dystrophie  eine  Störung  der  Keimanlage 
nahelegen,  erscheint  es  plausibler,  diese  in  einer  Störung  der 
Anlage  der  Muskeln,  nicht,  wie  es  jetzt  versucht  wird,  der 
Nerven,  zu  vermuthen  und  also  eine  primäre  myopathisehe  Genese  an¬ 
zunehmen.  Da  ferner  neuere  Untersuchungen  ergeben  haben,  dass  im 
Embryonalstadium  und  vielleicht  auch  nachher  fortwährend  ein  ziemlich 
reichliches  Zugrundegehen  von  Muskelfasern  stattfindet,  wirft  sich  die 
Frage  auf,  ob  der  dystrophische  Muskelschwund  nicht  vielleicht  nur 
als  eine  Steigerung  der  Fortdauer  normaler  Weise  schon  in  früheren 
Stadien  vorkommender  Processe  anzusehen  ist, 


Sitzung  am  1 .  Februar  1 900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Discussion:  Docent  Dr.  Münzer  ist  der  Ansicht,  dass 
die  Dystrophia  muscular  is  progressiva  nach  unseren 
heutigen  Kenntnissen  als  eine  primäre  Myopathie 
aufzufassen  sei. 

Prof.  A.  Pick  erklärt  angesichts  des  Befundes  im  Accessorius- 
stamm  sich  nur  dann  für  befriedigt,  wenn  der  Vortragende  ganz 
speciell  die  betreffenden  Abschnitte  des  Centralnervensystems  hin¬ 
sichtlich  des  Befundes  erläutert ;  er  sieht  weiter  seine  Zweifel  be¬ 
züglich  der  Intactheit  des  Centralnervensystems  gestützt  durch  die 
klinischen  Erscheinungen  von  Seite  der  bulbären  Region,  bezüglich 
deren  anatomischer  Basis  im  Vortrage  nichts  erwähnt  worden. 

Hofrath  C  h  i  a  r  i  bemerkt,  dass  ihm  vor  Allem  an  dem  vom 
Vortragenden  beschriebenen  Falle  der  Befund  am  Nervus  accessorius 
intereressire.  Aus  diesem  Befunde  leitet  sich  die  Anschauung  ab,  dass 
es  sich  in  dem  von  Pick  vorgestellten  Falle  nicht  um  eine 
rein  musculäre,  sondern  auch  um  eine  nervöse  Erkrankung  handeln 
dürfte. 

Docent  Dr.  Friedei  Pick  (Schlusswort):  Bezüglich  der  Be¬ 
merkung  des  Herrn  Ilofrathes  Chiari,  dass  bei  secundärer  Atrophie 
nicht  der  gesammte  Nervepquerschnitt  degenerirt  erscheine,  betont  er 
dass  es  sich  bei  den  Amputationen,  von  denen  Hofrath  Chiari 
sprach,  immer  um  gemischte  Nerven  handle,  während  hier  offenbar 
ein  rein  motorischer  Muskelnerv  vorliege,  ferner  entspricht  das 
circumscripte  Degenerationsfeld  eben  einem  gerade  da  abzweigenden 
degenerirten  Aste;  ob  weiter  oben  das  degenerirte  Feld  auch  so 
circumscript  wäre  oder  die  degenerirten  Fasern  nicht  diffus  über  den 
Querschnitt  vertheilt  wären,  ist  nicht  zu  entscheiden,  da  nur  ein  kurzes 
Stück  der  Nerven  zur  Untersuchung  vorlag.  Herrn  Prof.  Pick  wäre 
zu  erwidern,  dass  der  Accessoriuskern  genauest  an  Serienschnitten 
untersucht  wurde,  ohne  dass  irgendwelche  Veränderungen  nachweisbar 
waren.  Was  die  angebliche  Kritik  des  Muskelbefundes  auf  der  Mün¬ 
chener  Versammlung  betrifft,  so  hat  sich  diese  als  Missverständnis 
herausgestellt,  indem  der  betreffende  Herr  (Geheimrath  Hitzig)  von 
den  herumgereichten  Bildern  nur  die  des  normalen  Cucullaris  zu 
sehen  bekommen  hatte,  als  er  aber  dann  die  anderen  kennen  lernte, 
am  nächsten  Tage  seine  diesbezüglichen  Einwände  vollständig  zurück¬ 
zog,  wie  dies  auch  im  Sitzungsprotokolle  constatirt  ist.  Gegenüber  den 
Bemerkungen  des  Herrn  Collegen  M  ü  n  z  e  r  sei  hier  nur  betont,  dass 
in  dem  vorliegenden  Falle  Schwarzfärbung  bei  Marehi-Behandlung  nur 
in  einem  der  vielen  untersuchten  Muskeln,  und  zwar  innerhalb  sonst 
ganz  normal  aussehender  Muskelfasern  zu  constatiren  war.  Da  nun 
ferner  neuere  Untersuchungen  das  Vorkommen  von  reichlichen 
Körnchen  in  normalen  Muskelfasern  erwiesen  haben,  die  unter  den 
verschiedensten  Umständen  mit  Osmium  Schwarzfärburg  zeigen,  so 
erscheint  die  pathologische  Dignität  derartigen  Befunde  bei  Dystrophie 
zweifelhaft. 

* 

Sitzung  vom  9.  Februar  1899. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Schenk. 

Docent  Dr.  Wilhelm  Fisch  e  1 :  Ueber  einen  Fall 
von  Extrauteringravidität  bei  Uterus  unicornis. 

Derselbe  betrifft  eine  27  Jahre  alte  Frau,  die  bereits  zweimal 
lebende  Kinder  geboren  hatte.  Die  schweren  Symptome  innerer  Blutung 
machten  die  Köliotomie  nothwendig. 

Nach  Entfernung  der  linken  Tube,  die  an  ihrem  freien  Ende 
einen  unregelmässig  zerrissenen  hämorrhagischen  Sack  bildete,  und  des 
linken  Ovariums  stand  die  Blutung  und  die  Inspection  der  Becken¬ 
organe  ergab  nun  das  Vorhandensein  eines  Uterus  unicornis,  Fehlen 
von  Tube,  Ovarium,  Lig.  lat.  und  Lig.  rot. 

Der  Vortragende  bespricht  ferner  den  Ausgang  dieser  Extra¬ 
uteringravidität  zunächst  in  Hämatocelenbildung  mit  secundärer  Nach¬ 
blutung  und  führt  die  in  seinem  Falle  am  17.  Tage  nach  der  Ope¬ 
ration  nach  Entfernung  des  drainirenden  Tampons  aus  der  Douglas¬ 
tasche  einsetzende  eiterige  Perimetritis  auf  Infection  der  dem  Darme 
fest  adhärenten  Blutcoagula  zurück  und  spricht  sich  auf  Grund  dieses 
und  zweier  anderer  Fälle  gegen  die  Köliotomie  bei  uncomplicirten 
Hämatocelen  aus. 

* 

Sitzung  vom  23.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Docent  Dr.  Rudolf  Fischl  spricht  über  neuere  Heil¬ 
mittel  in  der  Pertussisbehandlung. 

Von  Antipyreticis  hat  Fischl  versucht: 

Tussol  (mandelsaures  Antipyrin),  Euch  inin  und  Lacto- 
p  h  e  n  i  n.  Als  Einreibung  wird  Antitussin  verwendet.  Pastorin, 


Nr.  22 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


519 


das  erst  am  Ende  der  Epidemie  zur  Verfügung  stand,  konnte  nur  in 
einigen  wenigen  Fällen  benützt  werden.  Antispasmin  und  Per¬ 
tussin  wurden  der  hohen  Kosten  wegen  nicht  angewendet.  Im 
Ganzen  handelte  es  sich  um  30  Fälle;  das  Resultat  möchte  Fisch  1 
mit  dem  Effecte  vergleichen,  welchen  man  mit  Antipyreticis  bei  Typhus 
erzielen  kann.  Ebenso  wie  bei  diesem  dann  der  Verlauf  nicht  abge¬ 
kürzt  wird,  aber  die  Temperaturcurve  sich  auf  einem  tieferen  Niveau 
hält,  so  erzielen  wir  auch  durch  die  Präparate  beim  Keuchhusten  eine 
Milderung  des  Verlaufes.  Dass  in  den  betreffenden  Fällen  eine  Wirkung 
des  Präparates  thatsächlich  vorliegt,  davon  hat  sich  F  i  s  c  h  1  dadurch 
überzeugt,  dass  beim  Aussetzen  des  Präparates  die  Zahl  der  Anfälle 
rasch  zunahm.  Von  einem  constanten  Effecte  kann  man  absolut  nicht 
sprechen,  oft  bleibt  jeder  Effect  aus  oder  sieht  man  anfangs  eine 
Serie  von  Effecten,  während  später  absolut  kein  Effect  mehr  erzielt 
werden  kann. 

Oft  hilft  das  eine  Mittel  gar  nicht,  während  ein  anderes  prompt 
hilft.  Auch  das  Erbrechen  wurde  nur  manchmal  dadurch  coupirt,  dass 
die  Anfälle  milder  wurden;  in  anderen  Fällen  tritt  umgekehrt  das  Er¬ 
brechen  erst  ein,  wenn  man  die  Mittel  zu  reichen  beginnt.  Tusso  1 
kann  wegen  seiner  Zersetzlichkeit  nicht  mit  Milch  gegeben  werden, 
am  besten  in  Form  von  Chocoladeplätzchen;  Säuglinge  nehmen  es 
also  schwer;  man  gibt  von  allen  den  Pulvern  soviel  Decigramm,  als 
das  Kind  Jahre  zählt,  drei  bis  vier  Dosen  täglich;  blieb  der  Erfolg 
aus,  so  stieg  F  i  s  c  h  1  rasch  auf  die  zwei-  bis  dreifache  Dosis.  Ist  die 
Therapie  bis  längstens  acht  Tage  trotz  grosser  Dosen,  die  man  nicht 
ohne  Gefahr  geben  kann,  erfolglos  geblieben,  so  versuche  man  lieber 
ein  anderes  Mittel. 

Die  Wirksamkeit  der  Antipyretica  ist  keine  specifische,  es  handelt 
sich  jedenfalls  um  eine  Herabsetzung  der  Erregbarkeit  der  Larynx- 
nerven  oder  der  Vasomotoren. 

Beim  Antitussin  (Valentine  r  und  Schwarz)  handelt 
es  sich  um  ein  äusserlieh  wirkendes  Princip  (so  wie  früher  Carbol- 
tücher  aufgehängt  oder  die  Kinder  in  die  Gasanstalten  geführt  wurden); 
Brust  oder  Rücken  des  Kindes  werden  mit  lauem  Wasser  gewaschen, 
abgewischt  und  roth  gerieben,  dann  wird  ein  haselnussgrosses  Stück 
des  Mittels  so  lange  eingerieben,  bis  das  Mittel  ganz  in  die  Haut  ein¬ 
gepresst  ist.  Die  Erfolge  schienen  manchmal  frappirend  und  führten 
zuweilen  fast  zu  einer  Coupirung  der  Anfälle;  in  anderen  Fällen 
freilich  blieb  die  Wirkung  entweder  ganz  aus,  oder  war  nur  sehr 
gering,  so  dass  F  i  s  c  h  1  das  günstige  Urtheil  von  Hein  (Düssel¬ 
dorf)  nicht  ganz  zu  bestätigen  im  Stande  ist,  doch  kann  das  Präparat 
besonders  bei  Säuglingen  empfohlen  werden. 

Das  Past  er  in  (bestehend  aus  3%  Codein,  97%  Allantwurzel- 
extraeten)  wird  am  besten  in  Form  von  Plätzchen  verschrieben,  wie  sie 
die  Fabrik  liefert.  Auch  dieses  Mittel  befriedigt  unsere  Erwar¬ 
tungen  nicht. 

Allen  bekannten  Mitteln  fehlt  also  eine  specifische  Wirksamkeit, 
die  sich  ja  in  einer  raschen  Coupirung  der  Anfälle  zeigen  müsste;  sie 
bewirken  aber  doch  eine  wesentliche  Milderung  des  Krankheitsverlaufes, 
was  man  jedenfalls  anerkennen  muss. 

Docent  Dr.  W.  F  i  s  c  h  e  1  demonstrirt  ein  Präparat  von  einem 
Falle  von  Uterussarkom,  den  er  vor  drei  Jahren  zum  ersten  Male 
sah.  Damals,  41  Jahre  alt,  war  Patient  durch  wochenlang  anhaltende 
Blutungen  stark  anämisch  geworden.  Im  hinteren  Vaginalgewölbe  fand 
sich  ein  Tumor,  der  den  Eingang  zum  Muttermund  verdeckte.  Diagnose 
unbestimnit.  Bei  der  Operation  konnte  man  nach  Incision  der  Schleim¬ 
haut  ein  Myom  ausschälen,  das  in  der  hinteren  Muttermundslippe  sass, 
dann  fand  man  einen  ebensogrossen  Tumor  im  Muttermund,  der  aus 
dem  Corpus  uteri  stammte.  Mikroskopisch  reines  Myom.  Nichts  Ver¬ 
dächtiges. 

Drei  Jahre  Wohlbefinden.  Heuer  im  Sommer  Schmerzen  im 
Unterleib  links,  objectiv  nichts  nachweisbar,  wahrscheinlich  Darm¬ 
schmerzen. 

Am  31.  Januar  grosse  Menge  Blut  (bis  dahin  regelmässig  men- 
struirt).  Untersuchung  ergab  einen  polypösen  Tumor  im  eröffneten 
Muttermund. 

Die  Operation  bot  insofern  Schwierigkeiten,  als  der  Tumor 
Stück  für  Stück  abriss,  woraus  man  schon  makroskopisch  erkannte, 
dass  es  sich  um  eine  weiche  sarkomatöse  Geschwulst  handle.  Zur 
Totalexstirpation  fehlte  einerseits  Assistenz,  andererseits  die  Erlaubniss 
der  Patientin,  so  dass  dieselbe  erst  14  Tage  später  vorgenommen 
wurde.  Der  Tumor  war  ungefähr  gänseeigross.  Mikroskopisch  ergab 
sich  kleinzelliges  Rundzellensarkom.  Bis  jetzt  geht  es  der  Patientin 
ganz  gut. 


2.  Oesterreichischer  Balneologen-Congress  zu  Ragusa 

und  Ilidze. 

(Fortsetzung.) 

Dr.  Wilhelm  D  e  g  r  e,  Chefarzt  in  Darkau :  Ueber  das 
Wesen  der  Scrophulose,  ihre  verschiedenen  Formen 
und  deren  Behandlung,  insbesondere  mit  Rücksicht 
auf  die  Sool-B  romquellen  in  Dar  kau. 

Dr.  J.  Hoisl:  Die  sociale  Stellung  der  Aerzte 
im  Allgemeinen,  speciell  der  Curärzte  gegenüber 
den  Cur  Verwaltungen. 

Vortragender,  Sanitätsrath  Dr.  J.  Hoisl,  gibt  einen  er¬ 
schöpfenden  Ueberblick  der  socialen  Stellung  der  Aerzte  im  Allge¬ 
meinen,  und  schildert  jene  der  Curärzte,  insbesondere  in  den  Privat- 
Curanstalteu,  welche  er  als  betrübende  bezeichnet,  da  ihnen  selbst 
Rechte  vorenthalten  werden,  die  naturgemäss  nur  dem  Arzte  zustehen. 
Dadurch  werde  nicht  nur  das  Ansehen  der  Aerzte,  sondern,  und  viel¬ 
leicht  noch  in  erhöhterem  Ausmasse,  jenes  der  Curorte  selbst,  sowie 
deren  materielle  Interessen  negativ  beeinflusst. 

Derlei  unnatürlichen  Zuständen  muss  mit  aller  Energie  entgegen¬ 
getreten  und  die  Autorität  des  Arztes  aufrecht  erhalten  werden.  Die 
beste  Handhabe  hiezu  ist  der  Erlass  des  k.  k.  Ministeriums  des  Innein 
vom  2.  März  1892,  Z.  14.498  ex  1891,  Absatz  5,  der  lautet: 

„Alle  Heilanstalten  und  Heilbäder  müssen  unter  der  Leitung  und 
verantwortlichen  Ueberwachung  eines  zur  Praxisausübung  berechtigten 
Arztes  stehen. u 

Die  Regierung  ist  zu  ersuchen,  unbeschadet  neuer  diesbezüglicher 
Verfügungen  diesem  Erlasse  mit  aller  Energie  vollste  Geltung  zu  ver¬ 
schaffen,  um  die  Bevormundung,  welche  die  Curärzte  als  akademische 
Bürger  oft  von  den  obscursten  Verwaltungen  zu  ertragen  haben,  ein 
für  allemal  aus  der  Welt  zu  schaffen. 

Prof.  Clar:  Ueber  Klima  und  Indication  des  öster¬ 
reichischen  Küstenlandes. 

Die  französisch-italienische  Riviera  und  das  österreichische  Küsten¬ 
land  stellen  in  analoger  Weise  zu  ihrem  grössten  Theile  steile  'Bruch¬ 
ränder  vor,  entstanden  durch  das  Absinken  früheren  Festlandes  in  die 
nun  vom  Meere  bedeckte  Tiefe,  aus  der  noch  einzelne  Bruchstücke  als 
Inseln  hervorragen.  So  ist  das  westlich  von  der  italienischen  Halbinsel 
im  Ligurischen  und  Tyrrhenischen  Meere,  z.  B.  mit  Corsica  und  den 
Inseln  des  Toscanischen  Archipels  der  Fall,  im  Adriatischen  Meere  aber 
erscheint  schon  Istrien  als  ein  Rest  ehemalig  grösseren  Festlandes  und 
weiterhin  wird  der  dinarische  Gebirgszug  von  einer  mehrfachen  Insel¬ 
reihe  begleitet.  Diese  Inseln  sind  Kämme  submariner  Höhenzüge  und 
ein  Ueberbleibsel  der  ehemaligen  Verbindung  Dalmatiens  mit  dem 
Monte  Gargano  in  Italien.  Der  Verlauf  der  Winterisothermen  steigt 
zu  beiden  Seiten  der  Halbinsel  schlingenförmig  auf  und  bezeichnet  so¬ 
wohl  die  Riviera  von  Genua  als  unser  Küstenland  als  Gebiete  höherer 
Winterwärme.  Beiderseits  fällt  der  höchste  Betrag  des  Wärmemittels 
den  Inseln  zu  und  an  der  dalmatinisch-istrianischen  Küste  sehen  wir 
sowohl  in  Quarnero  die  mittlere  Winterwärme  von  Abbazia  nach  Lussin 
als  im  Süden  von  Spalato  nach  Lesina  und  Lissa  um  einige  Grade 
zunehmen.  Gegen  die  vorgeschobensten  Inseln  bleiben  sogar  die  süd¬ 
lichsten  Küstenstrecken  Dalmatiens  noch  etwas  zurück.  Das  gegenüber 
liegende  italienische  Festland  erscheint  auf  seiner  Ostseite  aber  im 
Winter  viel  kälter  als  Dalmatien,  wie  es  umgekehrt  im  Sommer  be¬ 
deutend  höher  erwärmt  ist.  Ein  Theil  dieser  Erscheinung  beruht  auf 
dem  Verlust  an  Feuchtigkeit,  welchen  die  vom  Inlande  kommenden, 
das  Randgebirge  überschreitenden  Luftströmungen  erleiden,  wodurch 
latente  Wärme  frei  wird  und  die  am  marinen  Abhange  des  Gebirges 
herabsinkenden  Luftmassen  sich  in  einem  viel  höheren  Grade  wieder 
erwärmen,  als  sie  sich  beim  Aufsteigen  abkühlen  konnten.  Die  gün¬ 
stigen  Positionen  längs  des  Litorales  sind  Abbazia,  Lussin,  die  Gegend 
der  Sette  Castelli  zwischen  Trau  und  Spalato,  von  den  Spalato  vorge¬ 
lagerten  Inseln  vorzüglich  Lesina  und  Lissa,  ferner  Ragusa  und  die 
Lage  von  Castelnuovo  in  der  Bocclie  di  Cattaro.  Unter  den  Indiea- 
tionen  sind  vor  Allem  langsame  Reconvalescenz  und  alle  anämischen 
Zustände,  ferner  die  erethischen  Formen  der  Scrophulose  zu  nennen, 
bezüglich  des  Respirationstractes  die  Katarrhe  der  Luftwege  und  die 
Katarrhalpneumonie  in  ihrer  chronischen  Form,  besonders  für  die 
Inseln.  Weiter  Emphysem  und,  wie  Glax  in  Erfahrung  brachte,  trotz 
der  häufigen  feuchtwarmen  Luftströmungen  des  Scirocco  auch  Circu- 
lationsstörungen,  so  lange  die  Nieren  nicht  tief  geschädigt  sind.  Ausser¬ 
dem  können  die  für  Terraineur  eingerichteten  Küstenorte  zur  Wieder¬ 
entfaltung  der  Lunge  nach  pleuritischen  Exsudaten  benützt  werden. 
Endlich  wird  der  ausgedehnte  Freiluftgenuss  einer  grossen  Anzahl 
chronischer  Erkrankungen  zu  Statten  kommen,  doch  ist  immer  zu  be¬ 
rücksichtigen,  dass  während  des  Winters  ein  häufiger  Wechsel  von 
kühlen  und  trockenen  Luftströmungen  mit  warmen  und  feuchten  statt¬ 
findet,  wo  also  eine  von  beiden  allein  angezeigt  erscheint,  die  Küste 
weniger  angezeigt  erscheint  als  das  Inland  oder  die  Insel. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ei.  22 


520 


Prof.  Wilhelm  Winternitz  und  Dr.  Tschurtschen- 
thaler:  Einfluss  kalter  Seebäder  auf  die  Körper¬ 
temperatur  und  Wärmeregulation. 

Prof.  Winternitz  berichtet  über  Versuche,  die  er  er  im  Ver¬ 
eine  mit  Dr.  Tschurtschenthaler,  Leibarzt  der  bulgarischen 
Prinzen,  während  seines  Aufenthaltes  in  Abbazia  im  Januar  d.  J.  an- 
gostellt.  Dr.  Tschurtschenthaler  und  noch  ein  anderer  Herr 
badeten  täglich  im  Meere  bei  einer  Lufttemperatur  bis  6°  R.  und  bei 
einer  Wassertemperatur  von  5  5 — 7°  R.  in  der  Dauer  von  10 — 45  Mi 
nuten  und  es  wurden  über  20  Messungen  der  Körpertemperatur,  des 
Blutdruckes,  der  Pulsfrequenz,  des  Hämoglobingehaltes  vor  und  nach 
den  Bädern  vorgenommen,  ebenso  wurden  Sphygmogramme  vor  und 
nach  den  Bädern  angefertigt.  Das  Resultat  dieser  Untersuchungen, 
welche  Prof.  Winternitz  an  einer  zu  diesem  Zwecke  angefertigten 
graphischen  Darstellung  demonstrirte,  ergab,  dass  in  dem  kalten  Bade 
eine  mächtige  Steigerung  der  Körpertemperatur,  der  Pulsfrequenz,  des 
Blutdruckes,  des  Hämoglobingehaltes  stattfindet,  und  dass  Alles  darauf 
hindoutet,  dass  die  Beherrschung  der  Reactionsvorgänge  der  mächtigste 
Factor  für  die  willkürliche  Steigerung  und  Heiabsetzung  der  Stoff¬ 
wechselvorgänge  ist,  und  dass  daraus  die  weiten  Grenzen  der  Anwend¬ 
barkeit  thermischer  und  mechanischer  Einflüsse  bei  den  verschiedensten 
Ernährungsstörungen  in  physiologisch  verständlicher  Weise  abzu¬ 
leiten  sind. 

Kaiserlicher  Rath  Dr.  Arthur  L  o  e  b  e  I,  k.  k.  Bade-  und 
Brunnenarzt  in  Dorna:  Zur  Purpurabehandlung  m  i  t  T  r  i  n  k- 
und  Badecuren. 

L  o  eb  e  1  rühmt  in  erster  Reihe  die  Trinkeuren  mit  reinen  Eisen¬ 
säuerlingen  wegen  ihres  ausschliesslichen  Gehaltes  an  kohlensaurem 
Eisenoxydul,  wobei  das  Eisen  in  recht  verdünnter  Form  mit  der  Magen¬ 
wand  in  Berührung  tritt,  will  aber  deren  Benützung  wegen  ihrer  Kälte- 
und  Kohlensäurewirkung  erst  jenem  Momente  Vorbehalten  wissen, 
da  die  Blutaustritte  dauernd  zum  Stillstände  gekommen  sind.  Bei 
Nachschüben  in  unerheblichem  Grade,  bei  Complicationen  im  früheren 
Krankheitsverlaufe  mit  Bluterbrechen,  Blutabgängen  aus  dem  Darme 
soll  das  Mineralwasser  erwärmt  oder  mit  warmer  Milch  gemischt  wer¬ 
den,  um  die  Blutdrucksteigerung  im  Gefässsystem  zu  vermeiden,  in 
gebrochenen  Dosen  verordnet  werden,  um  der  Empfindlichkeit  des  Dige- 
stionstractes  entgegenzukommen  und  bei  Milz-  und  Leberschwellungen 
mit  Molke  gemengt  werden,  um  flüssige  Daimentleerungen  zu  fördern. 

Dr.  Ziffer  (Gleichenberg)  will  nachweisen,  indem  er  den 
respiratorischen  Gas  Wechsel  blos  auf  Grund  von  Span¬ 
nungsdifferenzen  der  Gase  für  unzureichend  erklärt,  dass 
eine  sec  reto  rische  Thätigkeit  der  Lungenwand,  durch 
welche  CO.,  activ  secernirt  und  0  activ  aufgenommen  wird,  be¬ 
steht.  Zu  diesem  Resultate  gelangte  er  durch  Untersuchungen,  mit 
welchen  er  die  vorhandene  Spannung  der  Blutgase  im 
strömenden  Blute  bestimmte  und  indem  er  gleichzeitig  die  Aus- 
athmungsluft  analysirte. 

Haben  wir  es  aber  mit  einem,  wenn  auch  den  secrotorischen 
Vorgängen  blos  ähnlichen  —  doch  wahrscheinlich  noch  complicirteren  — 
Vorgänge  zu  thun,  dann  muss  auch  an  eine  den  Gasaustausch  direct 
beeinflussende  Nerven  thätigkeit  gedacht  werden,  und  da  in 
diesem  Falle  Alveolen  und  deren  Capillarschlingen  das  secretorische 
Geschäft  zu  besorgen  hätten,  so  werden  diese  unter  den  Einfluss 
gewisser  Nervenbahnen  gestellt  werden  müssen. 

Der  Feuchtigkeitsgehalt  der  Atmosphäre  ist  in  erster 
Reihe  dazu  berufen,  die  Qualität  des  Klimas  zu  bestimmen. 

Marcel  hält  die  Vermehrung  der  CO,  -  A  u  s  s  c  h  e  i  d  u  n  g 
auf  Höhen  für  besonders  wichtig  bei  Erklärung  der  therapeutischen 
Wirkungen  und  begründet  dies  damit,  dass  im  Allgemeinen  auf  grossen 
Erhöhungen  über  dem  Meere  die  Ausscheidung  des  CO.,  erleichtert  ist. 
Zur  Vermehrung  der  rothen  Blutkörperchen  kann  sowohl  im  Hoch¬ 
gebirge,  wie  im  subalpinen  Klima  und  am  Seostrande  nach  Dr.  Ziffer 
der  hohe  Ozon  gehalt  der  Luft  beitragen.  Der  erfrischende 
und  stimulirende  Charakter  der  Seeluft  dürfte  vielleicht  hauptsächlich 
auf  den  grossen  Ozongehalt  derselben  zurückzuführen  sein. 

Dr.  Eduard  Weisz  (Bad  Pistyan)  beschäftigt  sich  mit  der 
Frage :  W  i  e  sollen  wir  Fälle  von  subacutem  Gelenks¬ 
rheumatismus  in  Bädern  behandeln? 

Dr.  Arthur  Schenk  (Sanatorium  „Helenenhöh“  bei  Kolberg 
a.  d.  Ostsee) :  Die  Hydrotherapie  des  Darmtractes 
mittelst  Enteroklyse. 

Preindlsborger:  Ueber  die  Beziehungen  dos 
Trinkwassers  zur  L  i  t  h  i  a  s  i  s. 

P  reindlsberge  r  erwähnt,  dass  Litbiasis  in  Bosnien  eine 
sehr  häufig  beobachtete  Erkrankung  darstellt  und  auch  vor  der  öster¬ 
reichisch-ungarischen  Occupation  Gegenstand  der  Behandlung  durch 
Volksärzte,  worüber  Preindlsberger  an  anderer  Stelle  berichtet 
hat,  war. 


Preindlsberger  hat  176  Fälle  von  Lithiasis-Beobachtungen 
im  Lande  gesammelt,  darunter  83  eigene  in  5'/2  Jahren. 

Preindlsberger  verfügt  über  141  Wasseruntorsuchungen 
aus  den  verschiedensten  Theilen  des  Landes,  wobei  die  zahlreichen 
Mineralquellen  des  Landes  nicht  berücksichtigt  sind.  Aus  diesen 
Untersuchungen  geht  hervor,  dass  es  sich  in  den  meisten  Fällen  um 
ausgesprochen  hartes  Trinkwasser  handelt,  nur  in  der  Hercegovina 
wiegt  das  vielfach  gebrauchte  Cisterneuwasser  als  weiches  Trinkwasser 
vor;  aus  der  Hercegovina  stammen  von  176  Fällen  nur  13  Be¬ 
obachtungen. 

Preindlsberger  hat  seine  Untersuchungen  noch  nicht  ab¬ 
geschlossen  und  will  diese  weiter  fortführen. 

Docent  Dr.  Otto  v.  Weiss,  Vorstand  der  geburtshilflich¬ 
gynäkologischen  Abtheilung  des  Landcsspitales  in  Sarajevo :  Ueber 
die  Wirkung  derTherme  von  Ilidze  bei  Erkrankungen 
der  weiblichen  Sexualorgane. 

Redner  bespricht  seine  im  Laufe  der  letzten  sechs  Jahre  an 
den  Kranken  der  geburtshilflich  -  gynäkologischen  Abtheilung  des 
bosnisch-hercegovinischen  Landesspitales  gemachten  Erfahrungen.  An¬ 
gewendet  wurden  Bäder  und  als  unterstützendes  Moment  auch  die 
Trinkcur. 

Als  Contraindicationen  gelten:  Degenerationszustände  des  Herzens 
und  der  G<  fässwaudungen,  Tuberculose,  Emphysem  und  Gravidität. 
Erfolgreich  angewendet  wurden  alternirend  Thermal-  und  Moorbäder 
bei  infectiösen  Katarrhen  der  Scheide  und  der  Cervix  uteri,  bei 
leichteren  Graden  der  Endometritis  corporis  und  auf  entzündlicher 
Basis  beruhender  Dysmenorrhoe.  Sehr  gute  Erfolge  wurden  nament¬ 
lich  mit  den  Moorbädern  erzielt  bei  ascendirender  Gonorrhoe  mit  ent¬ 
zündlicher  Adnexschwellung;  hier  bedurfte  es  aber  längerer,  meist  auf 
mehrere  Sommer  ausgedehnter  Moorbadbehandlung  bei  Wieder¬ 
aufnahme  der  poliklinischen  Loealbehandlung  im  Laufe  des  Winters. 

Die  Erfolge,  die  ja  bei  strenger  Badecur  jedenfalls  rascher  er¬ 
zielt  worden  wären,  waren  aber  auch  so  derart  günstig,  dass  Redner 
den  operativen  Eingriff  bei  chronischer  entzündlicher  Adnexaffection 
nur  als  ultima  ratio  betrachtet. 

Auch  bei  chronischer  Oophoritis  und  selbst  chronischer  Metritis 
in  ihrem  Frühstadium,  besonders  bei  Subinvolutio  uteri  p.  abort., 
respective  p.  p.  matur.,  wurden  gute  Erfolge  erzielt,  die  schönsten 
aber  bei  intraperitonealen,  respective  parametranen  Exsudaten,  die  unter 
dem  Einflüsse  länger  dauernder,  eventuell  wiederholter  Moorbad¬ 
behandlung  sehr  schön  zur  Resorption  gelangten.  Auch  in  der  Re- 
convalescenz  nach  grösseren  Operationen,  bei  Amenorrhoe  auf  chloroti- 
scher,  respective  anämischer  Basis  wurden,  hier  bei  Combination  mit 
internem  Gebrauche  der  Guber- Quelle,  stets  gute  Erfolge  erzielt. 

Gleichzeitige  Localbehandlung  fand  mit  Ausnahme  der  manuellen 
Dehnung  aller  parametranen,  respective  perimetranen  Schwielen  und 
den  Uterus  fixirenden  Narbenstränge  in  der  Regel  nicht  statt.  Ab¬ 
lehnend  verhält  sich  Redner  gegen  eine  Thermal-  und  Moorbehand- 
lung  bei  Uterusfibromen,  sobald  diese  durch  Blutung,  Grösse  oder 
Lage  Störungen  verursache.  Er  sieht  hier  in  der  baineotherapeutischen 
Behandlung  nur  eine  Verschiebung  der  doch  Erfolg  versprechenden 
Operation,  eine  Verschiebung,  die  angesichts  der  durch  die  lang¬ 
wierigen  Blutungen  häufig  eintretenden  Degenerationszustände  des 
Herzens  und  der  Gefässwandungen  nicht  gleichgiltig  ist,  ja  sogar  bei 
später  doch  noting  werdender  Myotomie  verhängnissvoll  werden  kann. 

(Fortnetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  1.  Juni  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Clll’obak 

stattfindeedon 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Hofrath  S.  Exncr:  Demonstration  eines  Mikrophons  zur  akustischen 
Beobachtung  der  Schallschwingungen  am  menschlichen  Gehörorgane. 

2.  Prof.  Englisch:  Zur  Hypertrophie  der  Prostata.  (Fortsetzung). 
Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren:  Prof.  Weinlecliner  und  Fein. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  7.  Juni  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  laryngologischen  Klinik  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Chiari 
stattfindenden  Sitzung. 

Demonstrationen. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumiiller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  I)r.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  7.  Juni  1900.  Hr.  23. 


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Verlagsbandlung  : 

Telephon  Nr.  6004. 


Oie  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
1X  3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagsbandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


TlSTJEBi^.  LT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Zur  Erkenntaiss  der  Embolie  in  der  Pulmonal¬ 

arterie.  Von  Prof.  Dr.  Dräsche,  Primararzt  des  Allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien. 

2.  Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  bosnisch-hercegovinischen 
Landesspitales  zu  Sarajevo.  Zur  operativen  Dislocation  des  Kropfes 
nach  W  ö  1  f  1  e  r.  Von  Dr.  Josef  Preindlsberger. 

3.  Aus  dem  Krankenhause  in  Villach.  Ein  Fall  von  Extrauterin¬ 
gravidität  (geheilt  durch  Laparotomie).  Mitgetheilt  von  Dr.  Hans 
Hock. 

4.  Aus  der  k.  k.  II.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des  Herrn 
Hofrathes  R.  Freih.  v.  Krafft-Ehing  in  Wien.  Hedonal,  ein 
Hypnoticum  der  Urethan  Gruppe.  Von  Dr.  Arthur  Schüller, 
Hospitanten  der  Klinik. 

II.  Referate:  I.  La  pesfe  et  son  microbe.  Par  le  Dr.  Netter.  II.  Bericht 
über  die  Thätigkeit  der  zur  Erforschung  der  Pest  im  Jahre  1897 
nach  Indien  entsendeten  Commission.  Von  Prof.  Dr,  Gaffky, 


Prof.  Dr.  Pfeiffer,  Prof.  Dr.  Sticker  und  Privatdocent 
Dr.  D  i  e  u  d  o  n  n  e.  III.  Sieroterapia  e  vaccinazioni  preventive 
contra  la  peste  bubonica.  Von  Prof.  Dr.  Alexander  Lustig. 
IV.  Schutzimpfung  und  Serumtherapie.  Von  Privatdocent  Dr. 
Adolf  Dieudonne.  V.  Ueber  die  Grenzen  der  Wirksamkeit 
des  Diphtherieheilserums.  Von  Prof.  W.  D  ö  n  i  t  z.  VI.  Ueber  die 
Gangrene  foudroyante.  Von  Dr.  F.  Hit  sch  mann  und  Dr.  O. 
L  i  n  d  e  n  t  h  a  1.  VII.  Recneil  de  travaux  du  laboratoire  Boer- 
liave.  Publie  par  Dr.  E.  Siegenbeck  van  Heukelom. 
VIII.  Le  cancer  (epitheliome,  carcinome,  sarcome)  maladie  infec- 
tieuse  ä  sporozoaires  (formes  microbiennes  et  cycliques).  Par  le 
Dr.  F.  J.  Bose.  IX.  I  batteri  patogeni  in  rapporto  di  disinfettenti. 
Von  Dr.  Donato  Ottolenghi.  Ref.  Dr.  R.  Kretz. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

|  V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Zur  Erkenntniss  der  Embolie  in  der  Pulmonal¬ 
arterie. 

Von  Prof.  Dr.  Dräsche,  Primararzt  des  Allgemeinen  Krankenhauses  in 

Wien. 

Die  Embolie  der  Pulmonalarterie  ist  allerdings  nicht 
selten,  wohl  aber  deren  Feststellung  am  Krankenbette.  Ent¬ 
weder  erfolgt  nach  dem  Eintritte  derselben  ganz  plötzlich  der  Tod, 
oder  die  Kranken  gelangen  zur  Zeit,  wo  die  Embolie  stattfindet 
und  das  Leben  derselben  nur  ganz  kurze  Zeit  anhält,  nicht 
zur  Beobachtung  und  Untersuchung.  In  den  Publicationen 
hierüber  findet  sich  kein  einziger  Fall  verzeichnet,  bei  welchem 
sogar  die  Passage  des  Thrombus  durch  das  rechte  venöse 
Ostium  mit  gleichzeitigem  momentanen  Verweilen  in  demselben 
am  Leben  sicher  zu  erkennen  gewesen  ist.  Die  Veröffentlichung 
einer  solchen  constatirten  Embolie,  hat  jedenfalls  ein  besonderes 
klinisches  Interesse. 

Vorerst  dürfte  ein  kurzes  Eingehen  auf  die  Erscheinungen 
und  den  Verlauf  der  Embolie  der  Pulmonalarterie,  hauptsäch¬ 
lich  deren  Stammes  und  beider  Aeste  zur  leichteren  Orien- 
tirung  angezeigt  sein.  Das  Krankheitsbild  derselben  ist  je 
nach  der  Grösse  des  in  das  Gefäss  gelangenden  Thrombus, 
dessen  Sitz  und  Verhalten  ein  sehr  verschiedenes.  Findet  durch 
einen  umfangreichen  Embolus  oder  durch  massenhaft  gleich¬ 
zeitig  in  die  Pulmonalarterie  geworfene  Gerinnsel  ein  totaler 
Verschluss  derselben  statt,  so  kann  auch  sofort  oder  doch  sehr 
rasch  unter  plötzlichem  bewusstlosem  Zusammenbrechen  der 
Kranken  der  Tod  erfolgen.  Kommt  es  hiebei  nur  zur  momen¬ 
tanen  Obturation  der  Pulmonalarterie,  so  kann  das  Leben  noch 
stunden-  oder  tagelang  bestehen.  Die  eine  solche  plötzliche 
Unterbrechung  oder  Hemmung  der  Circulation  begleitenden 


Erscheinungen  sind  äusserst  schwer  und  äussern  sich  durch 
Ohnmacht,  Vergehen  der  Sinne,  Bewusstlosigkeit,  convulsivische 
Zufälle,  grosse  Unruhe,  Todesangst,  Athemnoth,  unregelmässige 
Herzaction,  kleinen  oder  unfühlbaren  Puls,  verfallenes  blasses 
oder  cyanotisches  Gesicht,  klebrigen  Schweiss  und  kalte  Ex¬ 
tremitäten.  Dieser  Zustand  ändert  sich  aber  zuweilen  sehr 
bald,  wenn  das  betreffende  Gefässstück  sich  erweitert,  ganz 
oder  theilweise  wieder  wegsam  wird.  Das  Bewusstsein  kehrt 
dann  zurück,  der  Puls  wird  fühlbar  und  das  Athmen  freier. 
Wie  einerseits  das  Gefässrohr  der  Pulmonalarterie  oder  ihrer 
Iiauptäste  durch  einen  grossen  Thrombus  auf  einmal  verlegt 
werden  kann,  so  geschieht  dies  zuweilen  auch  ganz  allmälig 
durch  fortgesetzte  schichtenweise  Anlagerung  von  Thrombus- 
massen  oder  durch  Zustandekommen  von  Blutgerinnseln  an  der 
embolisclien  Stelle  des  Gefässes.  Der  Verlauf  solcher  Embolien 
ist  meist  ein  zu  kurzer,  als  dass  es  hei  denselben  ausser 
Hyperämie  und  Oedem  der  Lungen  auch  zu  deren  Infarcirung 
kommen  könnte. 

Die  Erkenntniss  der  Embolie  der  Pulmonalarterie  hat 
ihre  Grenzen  und  kann  eigentlich  nur  bezüglich  des  Stammes 
und  dessen  Hauptäste  unter  gewissen  Verhältnissen  mit  einem 
hohen  Grade  der  Wahrscheinlichkeit  begründet  werden.  Die 
Circulationsstörungen  in  Folge  der  Obturation  oder  Verengerung 
des  Strombettes  der  Pulmonalarterie  sind  -  allerdings  sehr 
charakteristisch,  können  aber  auch  durch  andere  Zustände  des 
Herzens  veranlasst  werden.  Treten  dieselben  aber  ganz  plötz¬ 
lich  auf,  oder  von  einem  bestimmten  Zeitpunkte  an  nachweis¬ 
bar,  so  gewinnt  die  Diagnose  umsomehr  Sicherheit,  wenn 
gleichzeitig  Thrombosen  an  den  peripheren  Venen  vorhanden 
sind.  Insofern  es  bei  der  Embolie  der  Pulmonalarterie  doch 
immer  auch  zu  Störungen  ihrer  Blutcirculation  kommen  muss, 


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522 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  23 


so  können  sich  dieselben  ebenfalls  durch  Erscheinungen  kund¬ 
geben,  wie  solche  nach  Stenosirungen  des  Herzens  oder  seiner 
grossen  Gelasse  zu  beobachten  sind.  Dieselben  aber  werden  je 
nach  dem  Sitze,  der  Grösse  und  Beschaffenheit  des  Embolus, 
sowie  nach  dem  Verhalten  des  betroffenen  Gefässstückes  sehr 
verschieden  sein.  So  weit  hierüber  einschlägige  Beobachtungen 
vorliegen,  ist  bei  der  Embolie  der  Pulmonalarterie  meist  ein 
systolisches  Schwirren  am  Sternum  zwischen  dem  zweiten  und 
dritten  Intercostalraume  fühlbar.  Gleichzeitig  können  hiemit 
auch  eigentümliche  akustische  Phänomene,  namentlich  wir¬ 
belnde,  die  Systole  überdauernde  Geräusche  Vorkommen.  Diese 
entstehen  hauptsächlich  durch  Wirbelbewegungen  des  zurück¬ 
strömenden  Blutes,  wenn  sich  der  Thrombus  im  Anfangsstücke 
der  Pulmonalarterie  befindet.  Ist  nur  ein  Ast  obturirt  oder 
verengert,  so  kann  die  gesammte  Blutmasse  ohne  wahrnehm¬ 
bare  Geräusche  in  den  noch  freien  Theil  strömen.  Liegen  die 
Thromben  in  der  Nähe  von  Klappen,  so  verhindern  sie  deren 
Entfaltung  und  es  können  statt  der  Töne  ebenfalls  verschie¬ 
denartige  Geräusche  gehört  werden.  Bei  freiem  Flottiren  der 
Thromben  oder  deren  Passiren  durch  die  Ostien  können  auch 
wirbelnde  Geräusche  entstehen.  Derartige  Geräusche  mit 
gleichzeitig  fühlbarem  Schwirren  erhalten  erst  durch  die  Plötz¬ 
lichkeit  ihres  Auftretens  die  richtige  Deutung. 

Der  zu  besprechende  Fall  einer  so  höchst  seltenen  Embolie 
der  Pulmonalarterie  betraf  ein  68jährige  Pfründnerin,  welche  am 
7.  März  auf  meiner  Abtheilung  im  Allgemeinen  Krankenhause  zur 
Behandlung  gekommen  war.  Dieselbe  litt  seit  einigen  Wochen  ohne 
vorausgegangene  erhebliche  Erkrankung  an  Herzklopfen,  Athemnoth 
und  war  acht  Tage  vor  ihrem  Spitalseintritte  nach  Anschwellung 
beider  Beine  bettlägerig  geworden.  Die  mittelgrosse,  ziemlich  gut 
erhaltene  und  noch  kräftige  Kranke  mit  sehr  stark  entwickeltem 
Panniculus  adiposus  ergab  bei  der  Aufnahme  folgenden  Befund: 
Puls  1(10,  arhythmisch,  mittelweit,  von  geringer  Spannung,  nicht 
rigid.  Die  Respiration  beschleunigt,  oberflächlich,  vorwaltend  costalen 
Charakters,  lieber  beiden  Lungen  allenthalben  voller  Schall,  stellen¬ 
weise  Pfeifen,  Schnurren  und  Rasselgeräusche.  Der  Herzimpuls  im 
fünften  Intercostalraume,  das  Herz  im  Breitendurchmesser  etwas 
vergrössert,  die  Töne  rein,  aber  dumpf.  Temperatur  normal.  Der 
Unterleib  etwas  aufgetrieben,  leicht  meteoristisch.  Leber  um  Geringes 
vergrössert.  Beide  untere  Extremitäten  stark  ödematös  geschwollen, 
druckempfindlich  mit  oberflächlichen  Venenausdehnungen.  Harnmenge 
spärlich,  mit  etwas  Eiweiss,  ohne  cylindrische  Gebilde.  Die  Kranke 
beklagte  sich  hauptsächlich  über  mangelnde  Esslust,  etwas-  Husten, 
erschwertes  Athmen,  das  Gefühl  starker  Spannung  der  Beine, 
namentlich  des  rechten. 

Bis  18.  März  war  im  Zustande  und  Befinden  der  Kranken 
keine  wesentliche  Veränderung  eingetreten.  Wiederholte  Untersuchung 
des  Herzens  ergab  immer  den  gleichen  Befund.  Dies  war  auch  bei 
der  Morgenvisite  genannten  Tages  der  Fall.  Unmittelbar  nach  Ver¬ 
lassen  des  betreffenden  Krankenzimmers  meldete  die  Wärterin  des¬ 
selben,  dass  bei  der  Patientin  plötzlich  ein  Erstickungsanfall  mit 
Röcheln,  Cyanose,  Convulsionen,  Zuckungen  der  Gesichtsmuskeln 
und  Verdrehen  der  Augen  unter  Bewusstlosigkeit  eingetreten  seien. 
Diese  Zufälle,  namentlich  die  Bewusstlosigkeit  und  die  Convulsionen, 
hielten  nur  ein  paar  Minuten  an.  Unmittelbar  darauf  erfolgte  die 
l  ntersuchung  der  Kranken.  Dieselbe  war  sich  des  eigentlichen  An¬ 
falles  nicht  bewusst,  aber  noch  stark  cyanotisch  und  verfallen  mit 
kaltem,  klebrigem  Schweiss  an  den  Extremitäten  und  angstvollem 
Gesichtsausdrucke,  die  Pupillenreaction  sehr  träge,  Puls  kaum  fühl¬ 
bar,  arhythmisch,  ungefähr  150.  Ueber  dem  Herzen  am  Sternum, 
entsprechend  den  zweiten  bis  dritten  Intercostalräumen,  ein  sehr 
starkes,  ausgebreitetes,  systolisches  Schwirren  fühlbar.  Daselbst  ein 
längeres,  rauhes,  eigenthümliches,  wirbelndes  Geräusch  hörbar,  das 
der  Systole  entsprach,  sich  aber  auch  selbst  in  die  Diastole  fort¬ 
setzte  und  manchmal  wie  getheilt  erschien.  Bei  der  hochgradigen 
Dyspnoe  war  eine  eingehendere  Beobachtung  dieses  Geräusches 
nicht  möglich.  Plötzlich  verschwanden  wieder  das  Geräusch  und 
gleichzeitig  auch  das  Schwirren  und  es  wurden  nur  dumpfe,  un¬ 
deutliche  Töne  wahrgenommen.  Zwei  Stunden  nach  dem  Anfalle 
hatte  sich  die  Patientin  schon  wieder  etwas  erholt,  klagte  nur  über 
hochgradige  Schwäche  und  Hinfälligkeit,  war  noch  etwas  cyanotisch, 
aber  nicht  mehr  dyspnoisch.  Die  Herzaction  sehr  unregelmässig, 


der  Puls  klein,  schwach,  120.  Wiederholt  war  auch  gallig-schleimiges 
Erbrechen  erfolgt.  Um  ’/.,11  Uhr  Nachts  trat  wieder  plötzlich  ein 
nur  mehrere  Minuten  dauernder  Erstickungsanfall  mit  hochgradiger 
Cyanose  ein.  Der  sogleich  herbeigerufene  Inspectionsarzt  fand  die 
Kranke  aber  bereits  verschieden.  Vom  ersten  Anfalle  Vormittags 
bis  zu  dem  Eintritte  des  Todes  waren  15  SLunden  verstrichen. 

Der  unmittelbar  nach  vorherigem  Wohlbefinden  unter  ausser¬ 
ordentlicher  Herzschwäche,  Dyspnoe  und  Verfall  aufgetretene  Er¬ 
stickungsanfall  musste  schon  im  ersten  Augenblicke  auf  eine  ganz 
plötzlich  stattgefundene  Circulationsstörung  himveisen.  Indem  diese 
so  schweren  Zufälle  fast  ebenso  schnell  sich  wieder  besserten  oder 
sogar  schwanden,  als  sie  sich  eingestellt  hatten,  so  konnten  die¬ 
selben  auch  nur  durch  eine  ganz  kurz  andauernde  Einwirkung 
hervorgerufen  worden  sein.  Das  Schwirren  und  wirbelnde  Herz¬ 
geräusch,  welche  auch  nur  vorübergehend  bestanden,  Hessen  an¬ 
nehmen,  dass  es  sich  um  Erscheinungen  handle,  wie  solche  bei 
Verengerung  der  Herz-Ostien  und  der  grossen  Gefässe  ebenfalls 
Vorkommen.  Bei  dem  gleichzeitigen  Bestände  der  ödematosen  An¬ 
schwellungen  der  unteren  Extremitäten  mit  Druckempfindlichkeit 
und  oberflächlichen  Venenerweiterungen  lag  es  wohl  am  nächsten, 
dass  von  den  in  diesen  vorhandenenen  Thromben  Gerinnsel  los¬ 
gerissen  worden  waren,  in  die  rechte  Vorkammer  und  von  dieser 
in  das  venöse  Ostium  gelangten,  aber  daselbst  beim  Passiren 
momentan  stecken  blieben  und  eine  vielleicht  nur  theilweise,  aber 
sehr  bald  vorübergehende  Obturation  desselben  veranlassten.  Der 
in  die  Pulmonalarterien  fortgeschwemmte  Embolus  war  jedenfalls 
nicht  so  gross,  um  deren  Lumen  zu  verstopfen  und  eine  Unter¬ 
brechung  der  Circulation  herbeizuführen.  Wohl  aber  war  es  wahr¬ 
scheinlich,  dass  der  Embolus  später  durch  Apposition  neuer 
Thrombusmassen  oder  durch  Blutgerinnsel  einen  die  Pulmonal¬ 
arterie  verschliessenden  Umfang  annahm,  in  Folge  dessen  die 
Kranke  15  Stunden  nach  dem  ersten  Erstickungsanfalle  in  einem 
gleichen  plötzlich  verschied. 

Von  dem  Sectionsbefunde  genügt,  das  Wesentlichste  mitzu- 
theilen:  Körper  mittelgross,  kräftig,  sehr  fettreich,  allgemeine  Decke 
blass,  Unterhautzellgewebe  über  dem  Abdomen  drei  Querfinger 
breit,  Musculatur  vom  Fette  stark  durchsetzt.  Gehirn  blutarm,  sein- 
feucht.  Schilddrüse  in  beiden  Lappen  vergrössert,  grob  gekörnt.  Die 
linke  Lunge  in  der  Spitze  angewachsen,  Unterlappen  dunkel  ge- 
röthet,  blutig  suffundirt,  in  der  hinteren  Periphere  mit  prominirenden, 
kaum  stecknadelkopfgrossen  Knötchen  besetzt,  über  welchen  die 
Pleura  getrübt  ist.  Das  Lungengewebe  luftarm,  sehr  blutreich, 
stellenweise  blutig  infarcirt.  Die  rechte  Lunge  frei,  stark  gedunsen, 
ziemlich  trocken,  in  einzelnen  Aesten  der  Pulmonalarterie  schwarz- 
rothe,  haftende  Gerinnsel.  Im  Herzbeutel  klares  Serum.  Das  Herz 
im  rechten  Ventrikel  etwas  dilatirt,  enthält  flüssiges  Blut.  Bicuspidalis 
etwas  gewulstet,  verdickt,  schliessungsfähig,  die  übrigen  Klappen 
zart.  Im  Stamme  der  Arteria  pulmonalis  ein  3  cm  im  Umfange 
haltender,  etwa  4  cm  langer,  dann  sich  (heilender  Thrombus,  welcher 
Verzweigungen  des  rechten  Astes  verlegt.  Im  linken  Aste  ein 
1  ^2  cm  im  Umfange  haltender,  zu  einem  Knäuel  zusammen¬ 
gewundener,  etwas  braunroth  gefärbter  Thrombus,  welcher  dessen 
Verzweigungen  vollständig  verlegt.  Die  rechte  Vena  iliaca  erfüllt 
von  einem  schwarzrothen,  in  die  Cava  reichenden  Gerinnsel, 
welches  daselbst  eine  etwas  zottige  Oberfläche  zeigt.  Das  Gerinnsel 
reicht  in  die  Hypogastrica  und  Iliaca  dextra  je  2  cm  weit  hinein. 
Dann  erscheinen  die  Iliaca  dextra  und  Femoralis  bis  zum  Adductoren- 
schlitze  erfüllt  von  einem  schwarzrothen,  leicht  haftenden  Gerinnsel, 
in  dessen  Mitte  sich  ein  wurmförmiges,  etwas  derberes  findet, 
welches  ähnlich  jenem  im  linken  Aste  der  Pulmonalarterie  ist. 

Nach  diesem  Befunde  betraf  die  Embolie  der  Pulmonal¬ 
arterie  zuerst  deren  linken  Ast.  Der  in  dieselbe  gelangte 
Thrombus  hatte  dieselbe  Beschaffenheit,  wie  die  in  der  Vena 
iliaca  und  femoralis  Vorgefundenen  Gerinnsel,  war  aber  nicht 
so  gross,  um  die  Lichtung  derselben  zu  verschliessen  und  die 
Circulation  gänzlich  zu  verhindern.  Wohl  aber  konnte  der¬ 
selbe  bei  der  Passage  durch  das  rechte  venöse  Ostium  ein 
momentanes  Hinderniss  für  die  Blutströmung  aus  dem 
Atrium  in  die  Kammer  sein.  Der  im  Stamme  der  Arteria  pulmo¬ 
nalis  vorhandene  und  sich  theilweise  auch  in  den  rechten  Ast 
erstreckende  Embolus  war  aber  so  umfangreich,  dass  er  eine 


Nr.  2.3 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


523 


Unterbrechung  der  Circulation  veranlassen  und  hiedurch 
plötzlich  den  Tod  herbeiführen  konnte. 

Die  am  Leben  der  Kranken  gestellte  Diagnose  betraf 
nicht  nur  den  Nachweis  einer  Embolie  der  Pulmonalarterie, 
sondern  constatirte  auch  den  Moment,  in  welchem  der  peri¬ 
pherische  Thrombus  in  das  rechte  venöse  Ostium  gelangte  und 
dann  dasselbe  passiite.  Mag  dies  auch  eine  mehr  zufällige  Be¬ 
obachtung  sein,  so  hat  dieselbe  doch  in  klinischer,  namentlich 
physikalischer  Beziehung  einen  gewissen  Werth.  Das  nur 
minutenlange  Verweilen  des  Thrombus  im  rechten  venösen 
Ostium  war  von  einer  plötzlichen  Veränderung  in  der  Blut¬ 
zufuhr  zum  Gehirne  begleitet,  Avas  sich  zuerst  durch  Stö¬ 
rungen  in  der  Grosshirnfunction  kund  gab.  Wie  der  Thrombus 
das  Ostium  passirt  hatte,  war  auch  die  Strombahn  für  das 
Blut  wieder  frei  und  die  schweren  Erscheinungen  der  Gehirn¬ 
anämie  schwanden  ebenso  schnell,  als  dieselben  gekommen 
waren.  Das  plötzliche  Auftreten  wie  Verschwinden  des 
Schwirrens  und  wirbelnden  Geräusches  am  Herzen  Hessen 
keine  andere  Erklärung  zu,  als  dass  von  den  peripherischen 
Thrombosen  losgerissene  Gerinnsel  ins  rechte  Herz  und 
namentlich  in  dessen  venöses  Ostium  gelangten  und  daselbst 
ganz  kurze  Zeit  eingezwängt  blieben.  Jedenfalls  war  die  hie¬ 
durch  zu  Stande  gekommene  Obturation  jener  keine  voll¬ 
ständige  und  durchströmte  dasselbe  immer  noch  etwas  Blut, 
Avelches  die  frei  beweglichen,  mehr  flottirenden  Gerinnsel  in 
fühl-  und  hörbare  Vibration  versetzen  konnte.  Dieselben 
waren  auch  nicht  so  umfangreich,  um  den  linken  Ast  der 
Pulmonalarterie  zu  verlegen,  daher  in  demselben  noch  eine 
Blutcirculation  stattfand.  Erst  durch  eine  neuerliche  An¬ 
lagerung  von  Thrombusmassen  und  frischen  Blutgerinnseln  kam 
es  zu  einem  fast  vollständigen  Verschlüsse  des  Stammes  der 
Pulmonalarterie  und  zu  plötzlichem  Tode.  Den  ersten  emboli- 
schen  Anfall  überlebte  die  Kranke  15  Stunden  bei  vollem 
Bewusstseine  und  erholte  sich  sogar  etwas,  was  ebenfalls  ein 
äusserst  seltenes  Vorkommniss  bei  der  Embolie  der  Pulmonal¬ 
arterie  oder  deren  beiden  Aeste  ist. 


Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  bosnisch-hercego- 
vinischen  Landesspitales  zu  Sarajevo. 

Zur  operativen  Dislocation  des  Kropfes  nach 

Wölfler. 

Von  Dr.  Josef  Preindlsberger. 

Nach  einem  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  am  27.  April  d.  J.  ge¬ 
haltenen  Vortrage. 

Wölfler  hat  mit  diesem  Namen  eine  Operation  be¬ 
zeichnet,  die,  wie  er  sagt,  den  Kranken,  ohne  ihn  den  Folgen 
einer  Totalexstirpation  der  Schilddrüse  auszusetzen,  von  den 
Gefahren  des  Kropfleidens  befreit.  Die  Dislocation  kommt  nur 
dann  in-  Frage,  wenn  die  Exstirpation  nicht  mehr  ausgeführt 
werden  darf. 

Der  Eingriff  besteht  darin,  dass  man  den  Kropf  aus  seinem 
Lager,  wo  er  functionelle  Störungen  hervorruft,  heraushebt  und 
ihn  unter  der  Haut  und  dem  Kopfnicker  und  wohl  auch  unter  den 
übrigen  Muskeln  an  einer  meist  höher  gelenenen  Stelle  fixirt, 
wo  er  voraussichtlich  die  Luftröhre,  den  Nervus  recurrens  und 
die  Speiseröhre  nicht  mehr  drücken  kann.  Wölfler  betrachtet 
als  Indication  zu  dieser  von  ihm  vorgeschlagenen  Operation  : 

1.  Kropfrecidiven,  deren  Exstirpation  ohne  die  Gefahr  der 
Kachexie  nicht  mehr  gestattet  ist,  obwohl  sie  zu  Compressions- 
erscheinungen  führen  können  ; 

2.  Bilaterale  Compression  der  Luftröhre  durch  beide 
Kropfhälften  (Exstirpation  der  einen  und  Dislocation  der 
anderen). 

Die  grosse  praktische  Bedeutung,  welche  die  von  Wölfler 
angegebene  Operationsmethode  bietet,  gestattet  vielleicht  die 
Mittheilung  eines  einzelnen  Falles,  bei  dem  die  Methode 
Wölfler’s  mit  einer  von  mir  gewählten  Modification  zur  An¬ 
wendung  gelangte. 

Die  K  rankengeschichtc  des  Falles  lautet  in  Kürze: 


Am  1.  März  d.  J.  gelangte  die  15jährige  Manda  A.  aus 
Vares  in  Bosnien  zur  Aufnahme  an  meine  Abtheilung.  Sie  war 
von  dem  Arzte  der  dortigen  Eisenwerke  an  mich  gewiesen  worden, 
weil  die  Erscheinungen  einer  Trachealstenose  sich  in  der  letzten 
Zeit  so  gesteigert  hatten,  dass  die  Patientin  fast  jede  Nacht  in 
äusserst  bedrohliche  Erstickungsgefahr  gerieth.  Die  Patientin  gab 
an,  dass  sie  seit  ihrer  Kindheit  einen  dickeren  Hals  gehabt  habe, 
dass  der  Umfang  desselben  in  den  letzten  Monaten  aber  rasch  zu¬ 
genommen  habe,  offenbar  gleichzeitig  mit  der  sexuellen  Entwicklung 
des  Mädchens.  Am  Tage  der  Aufnahme  war  die  Patientin  durch 
die  Reise  sehr  erschöpft  und  hot  das  Bild  einer  schweren 
Trachealstenose,  so  dass  sie  nur  sitzend  im  Bette  nach  Athem  rang. 

Die  laryngoskopische  Untersuchung  ergab  eine  deutliche  Vor- 
wölbung  der  linken  Trachealwand  ohne  Lähmungserscheinungen. 
Puls  frequent;  am  Herzen  ein  lautes  systolisches  Geräusch;  diffuse 
Bronchitis. 

Die  vordere  Seite  des  Halses  von  der  Gegend  des  Schild¬ 
knorpels  angefangen  bis  zum  Jugulum,  bis  zu  den  hinteren  Rändern 
der  Mastoidei,  zeigt  eine  diffuse  Vorwölbung,  die  bei  Schluek- 
bewegungen  deutlich  mitgeht.  In  der  Haut  einzelne  ektatische 
Venen.  Ausserdem  sieht  man  mehrere  ganz  seichte  oberflächliche 
Furchen,  ln  das  Juguium  kann  man  kaum  mit  der  Fingerspitze 
eindringen.  Die  Haut  über  der  Geschwulst  allenthalben  leicht  ver¬ 
schieblich  und  faltbar.  Umfang  des  Halses  in  der  Höhe  des  Schild¬ 
knorpels  33  cm,  zwischen  Schildknorpel  und  Jugulum  36  cm,  knapp 
über  dem  Jugulum  38  cm. 

Bei  der  Palpation  zeigt  sich  die  Hervorwölbung,  bedingt  durch 
eine  wenig  verschiebliche  Geschwulst,  die  offenbar  der  Schilddrüse 
angehört,  von  derber  und  kleinkörniger  Consistenz  (Struma  parenchy- 
matosa);  Pulsation  der  Gefässe  am  hinteren  Rand  der  Geschwulst 
hinter  dem  M.  sternocl.-mast.  deutlich  fühlbar. 

Bei  ganz  leichter  seitlicher  Compression  tritt  Athemnoth  auf. 

Unter  Bettruhe  und  Inhalationen  besserten  sich  die  Er¬ 
scheinungen  der  Stenose  ein  wenig,  aber  trotzdem  konnte  die  Patientin 
nur  in  sitzender  Stellung  mühsam  athmen. 

Am  3.  März  nahm  ich  mit  S  c  h  1  e  i  c  h’scher  Infiltrations- 
Anästhesie  die  Exstirpation  und  Dislocation  der  Struma  vor. 

Eine  Narkose  wäre  nicht  anwendbar  gewesen  und  die 
Operation  selbst  nahm  über  zwei  Stunden  in  Anspruch,  da  sie 
einerseits  durch  die  Unruhe  der  Patientin  verzögert,  anderer 
seits  durch  dabei  häutig  auftretendo  Erstickungsanfälle  ge 
stört  war. 

Schichtenweise  Durchtrennung  der  vor  der  Kropfkapsel  ge¬ 
legenen  Gewebe,  wobei  auch  die  Musculi  sternothyreohyoidei  durch¬ 
trennt  Averden  mussten.  Hierauf  wurde  der  rechte  Strumalappen  aus 
seinem  Bette  ausgelöst  und  dabei  zuerst  die  Art.  thyr.  super,  und 
dann  die  inferior  doppelt  unterbunden.  Beide  waren  gansfederkiel¬ 
dick.  Es  kam  nur  bei  der  Unterbindung  der  letzteren  Arterie  zu 
einer  ganz  geringen  Blutung  aus  dem  Strumaparenchym.  Hierauf 
wurde  noch  der  etava  pflaumengrosse  Mittellappen  ausgelöst  und 
nach  Unterbindung  der  zuführenden  Gefässe  exstirpirt.  Nach  Voll¬ 
endung  dieses  Operationsad.es  lag  der  Kehlkopf  und  die  rechte 
Seite  der  Trachea,  die  letztere  vollständig  in  der  Ausdehnung  von 
5  cm  von  den  Weichtheilen  entblösst,  vor. 

Darauf  Avurde,  nachdem  schon  vorher  die  Art.  thyr.  sup. 
sinistra  unterbunden  Avar,  auch  die  linke  Seite  der  Struma,  die 
ebenso  Avie  die  rechte  über  Mannsfaustgrösse  erreichte,  vollständig 
aus  ihrem  Bette  neben  und  hinter  der  Trachea  ausgelöst,  so  dass 
sie  nur  mit  einem  Stiele,  der  der  Breite  ihres  Unterhornes  ent¬ 
sprach,  mit  den  Weichtheilen  des  Halses  an  der  Stelle  des  Ein¬ 
trittes  der  Art.  thyr.  infer,  und  der  Vorderwand  der  Trachea  in  Ver¬ 
bindung  blieb. 

Dieser  letztere  Eingriff  wurde  deshalb  ausgeführt,  Aveil 
einerseits  die  ganze  Glandula  thyr.  nicht  exstirpirt  werden 
konnte,  andererseits  die  DLlocation  derselben  Avegen  des 
Druckes  auf  die  linke  Seite  der  Trachea  erforderlich  war.  Die 
dislocirte  linksseitige  Strumahälfte  lag  nach  Vollendung  der 
Operation  vor  der  Trachea,  nach  allen  Richtungen  leicht  ver¬ 
schieblich.  Die  Dislocation  hatte  zur  Folge,  dass  die  Haut- 
ränder  über  der  verlagerten  Struma  gerade  noch  vereinigt 


524 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  23 


werden  konnten  und  dass  an  dieser  Stelle  eine  stärkere  Hervor¬ 
wölbung  bestand  als  vor  der  Operation. 

Einführung  von  Drainagestreifen  und  Verband. 

Die  exstirpirte  rechte  Strumaseite  war  von  annähernd 
pyramidenförmiger  Gestalt,  10  cm  lang,  5 '/2  cm  breit  und  372  cm 
dick,  von  lappigem  Bau,  an  Durchschnitten  ziemlich  derb, 
grobkörnig,  mit  sichtbaren  colloiden  Drüsenkörnern. 

Der  Isthmus  war  etwa  walnussgross  von  gleicher  Be¬ 
schaffenheit. 

Die  linke  dislocirte  Strumahälfte  war  annähernd  ebenso, 
gross  wie  die  rechte  Seite. 

Am  Tage  der  Operation  bestand  noch  schwere  Tracheal¬ 
stenose,  offenbar  bedingt  durch  Schwellung  der  Trachealschleim- 
haut  in  Folge  der  Zerrungen,  denen  die  Trachea  bei  der  Ope¬ 
ration  ausgesetzt  war. 

Der  weitere  Verlauf  war  in  den  ersten  Tagen  gestört 
durch  eine  von  Temperatursteigerungen  begleitete  diffuse 
Bronchitis,  sonst  bis  auf  die  Abstossung  einiger  Ligaturen 
normal,  und  erholte  sich  die  Patientin,  deren  Respiration  ganz 
frei  war,  sichtlich. 

Bei  der  Entlassung  der  Patientin  am  8.  April  fand  sich 
bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  keine  Vorwölbung 
der  Trachealwand,  dagegen  eine  geringgradige  Parese  beider 
Stimmbänder.  Der  dislocirte  Strumaknoten  war  bedeutend  ge¬ 
schrumpft. 

In  diesem  Falle  wäre  ohne  Dislocation  der  Struma  die 
Patientin  nur  durch  eine  Totalexstirpation  oder  Resection  von 
ihrer  Trachealstenose  zu  befreien  gewesen. 

Die  Resection  einer  parenchymatösen  Struma  stellt  aber 
immer  mit  Rücksicht  auf  die  Blutstillung  einen  nicht  so  un¬ 
bedenklichen  Eingriff  dar. 

Die  Modification,  welche  ich  der  W  ö  1  f  1  e  r’sehen  Dis¬ 
location  hinzufügte,  bestand  in  der  Unterbindung  der  Art. 
thyr.  super.  de3  dislocirten  Strumalappens. 

Der  Lappen  war  sehr  gross,  und  ich  liess  mich  bei  der 
Unterbindung  der  Art.  thyr.  super,  von  der  Annahme  leiten, 
dass  dadurch  die  Ernährung  dieses  Lappens  so  weit  gestört  werden 
würde,  dass  er  allmälig  schrumpfen  werde,  durch  die  Erhaltung 
der  Art.  thyr.  infer,  aber  noch  genügend  mit  Blut  versorgt 
wäre,  um  nicht  der  Nekrose  zu  verfallen. 

Diese  Voraussetzung  scheint  gerechtfertigt  zu  sein,  da 
schon  während  der  Wundheilung  der  dislocirte  Lappen  sicht¬ 
lich  schrumpfte.  Es  handelte  sich  allerdings  um  eine  paren¬ 
chymatöse  Struma,  und  die  Unterbindung  der  ernährenden 
Arterie  beeinflusst  bekanntlich  nur  bei  dieser  Form  der  Schild- 
drüsenvergrösserung  jugendlicher  Individuen  das  Wachsthum 
derselben. 

Da  es  nun  gerade  häufig  bei  rasch  wachsender  Struma 
parenchymatosa  in  der  Pubertät  zu  Trachealstenose  kommt, 
so  könnte  bei  diesen  Fällen  mitunter  die  Combination  der  Dis¬ 
location  mit  Unterbindung  einer  Arterie  in  Frage  kommen. 

Ein  Verfahren,  das  bei  den  gleichen  Indicationen  wie  die 
Dislocation  empfohlen  wurde,  die  Exothyreopexie  (Jaboulet, 
Poncet,  B  6  r  a  r  d)  hat  wohl  eigentlich  den  Charakter  einer 
nicht  vollendeten  Operation. 

Ich  hatte  Gelegenheit,  einen  Fall  zu  beobachten,  der 
augenscheinlich  die  schweren  Nachtheile  dieser  Methode  illustrirt. 

Bei  einer  18jährigen  Patientin  wurde  von  einem  Arzte 
in  einer  benachbarten  Stadt  der  Versuch  einer  Strumaoperation 
vorgenommen,  dieselbe  aber  wegen  der  Blutung  unvollendet 
gelassen  und  die  Patientin  an  mich  gewiesen. 

Es  fand  sich  an  der  vorderen  Halsseite  eine  orangen- 

o 

grosse,  median  gelegene  Struma,  zur  Hälfte  ihrer  Oberfläche 
blossliegend  und  reichlichen  Eiter  absondernd.  Eine  mehr¬ 
wöchentliche  Erkrankung  verhinderte  mich  damals,  eine  Ope¬ 
ration  vorzunehmen,  und  ich  sah  die  Patientin,  die  inzwischen 
nach  Hause  gereist  Avar,  erst  fast  ein  Jahr  später. 

Die  Patientin  Avar  durch  die  fortwährende  Eiterung  sehr 
herabgekommen,  abgemagert  und  in  höchstem  Grade  anämisch, 
ohne  dass  die  noch  immer  blossliegende  Wundfläche  eine  be¬ 
ginnende  Ueberhäutung  zeigte;  die  Patientin  Aväre  geAviss  durch 
den  fortwährenden  Säfteverlust  zu  Grunde  gegangen.  Ich 
führte  die  Enucleation  der  Struma  aus;  nach  Umschneidung 


der  Hautränder  gelang  die  intracapsuläre  Ausschälung  ganz 
leicht,  ohne  nennenswerthe  Blutung  und  die  Patientin  Avurde 
bei  reactionslosem  Wundverlaufe  nach  20  Tagen  geheilt  ent¬ 
lassen. 

Die  Exothyreopexre  stellt  demnach  geAviss  einen  nicht 
zu  empfehlenden  Eingriff  dar,  während  die  Dislocation  nach 
W  öl  f  1  e  r  vor  Allem  auch  günstigere  Wundverhältnisse  schafft. 


Aus  dem  Krankenhause  in  Villach. 

Ein  Fall  von  Extrauteringravidität  (geheilt  durch 

Laparotomie). 

Mitgetheilt  von  Dr.  Hans  Hock. 

Obwohl  die  ektopischen  Schwangerschaften  nicht  zu  den 
Seltenheiten  in  der  geburtshilflichen  Praxis  gehören  (Fromme’s 
Jahresberichte  zählen  im  Jahre  1890  135,  im  Jahre  1891 
123  Fälle),  so  dürfte  es  doch  der  Mühe  werth  sein,  diesen 
einen  Fall  genauer  zu  besprechen,  weil  er  doch  wieder  eine 
Seltenheit  unter  den  ektopischen  Graviditäten  bildet.  Die  Frucht 
war  nämlich  in  diesem  Falle  vollkommen  ausgetragen  und 
hatte  bei  der  Operation  ein  Alter  von  1 1  '/2  Monaten. 

Bei  Kl  ein  Wächter  erreicht  die  Frucht  unter  60  be¬ 
obachteten  Fällen  nur  einmal  das  Alter  von  neun  Monaten. 
Er  beobachtete  Früchte  mit 


1  Monat  .  .  .  .  lomal 

2  Monaten  .  .  .  16  » 

3  »  ....11» 

4  »  ....  7  » 

5  »  ....  4  » 

6  »  ....  2  » 

7  »  ....  1  » 

8  »  ....  2  ■» 

9  »  ....  1  » 


60. 

Thorn  gibt  an,  dass  nicht  mehr  als  10%  der  extra¬ 
uterinen  Früchte  über  das  dritte  Monat  hinauskommen.  Meist 
tritt  früher  Ruptur  oder  Abortus  ein. 

Es  soll  dieser  Aufsatz  nichts  anderes  sein,  als  ein  Beitrag 
zur  Casuistik  der  ektopischen  Schwangerschaften.  Gerade  da¬ 
durch,  dass  alle  Fälle  von  allen  Seiten  bekannt  gemacht 
Averden,  wird  es  erst  möglich  sein,  ein  vollkommen  klares  Bild 
und  gewissermassen  einen  casuistischen  Ueberblick  über  diese 
Abnormität  der  Schwangerschaft  zu  geAvinnen.  Es  mehrt  sich 
von  Jahr  zu  Jahr  die  Zahl  der  ektopischen  Schwangerschaften, 
was  wohl  nicht  seinen  Grund  in  einer  fortschreitenden  Ver¬ 
änderung  der  Generationsorgane  der  Frauen  unserer  Zeit,  oder 
in  der  Zunahme  der  Bevölkerung  hat,  sondern  jedenfalls  nur 
darin,  dass  immer  mehr  und  mehr  Fälle  publicirt  und  dass 
durch  die  Verbesserung  der  Untersuchungsweise  und  der 
Laparotomietechnik  immer  mehr  Fälle  von  ektopischer 
Schwangerschaft  erkannt  Averden. 

Bevor  ich  auf  die  Beschreibung  des  vorliegenden  Falles  selbst 
eingehe,  Averde  ich  mir  erlauben,  in  Kürze  ein  Bild  von  der  Anstalt, 
in  Avelcher  die  Operation  gemacht  wurde,  zu  entwerfen. 

Das  Krankenhaus  in  Villach  Avurde  im  Jahre  1891  im 
Pavillonsystem  und  mit  allen  Einrichtungen  eines  modernen 
Krankenhauses  gebaut  und  umfasst  einen  Belegraum  von  120  Belten. 
An  der  Anstalt  sind  zA\rei  Aerzte,  der  Primarius  Herr  Dr.  Karl 
Mayer  und  ich  als  Secundarius  angestellt.  Es  gelangen  dortselbst 
alle  Krankheitsformen  zur  Aufnahme  und  Behandlung. 

Es  Averden  in  der  Anstalt  alle,  selbst  die  sclnvierigslen  Ope¬ 
rationen  vorgenommen,  laut  Jahresbericht  jährlich  vier  bis  sechs 
Laparotomien,  freilich  mit  einer  geringsten  Anzahl  von  ärztlichen 
Kräften.  Wird  auch  bei  grösseren  Operationen  ein  dritter  oder 
vierter  Arzt  des  Ortes  beigezogen,  so  obliegen  doch  viele  Ver¬ 
richtungen  bei  den  Operationen,  die  sonst  an  Kliniken  Assistenten 
ausführen,  dem  Wartepersonale.  Nichtsdestoweniger  sind  unsere 
Operationserfolge  und  Heilungsresultate  günstige. 


Nr.  2 '6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


525 


Barbara  R.,  31  Jahre  alt,  eine  schwächliche,  äusserst  schlecht 
genährte  Frau  mit  leidendem  Gesichtsausdruck,  wurde  am  7.  Februar 
1899  ins  Krankenhaus  aufgenommen  und  klagte  über  Schmerzen 
und  Beschwerden  im  Bauche. 

Die  Patientin  gibt  an.  von  gesunden  Eltern  abzustammen.  Sie 
seihst  sei  immer  gesund  gewesen.  Mit  16  Jahren  habe  sie  die 
Menses  bekommen  und  dieselben  immer  regelmässig  gehabt.  Im 
Alter  von  20  Jahren  gebar  sie  ein  gesundes  Kind,  welches  lebt 
und  jetzt  elf  Jahre  alt  ist.  Nach  der  Entbindung  habe  sie  wieder 
regelmässig  ihre  Menses  gehabt,  bis  selbe  im  April  1898  aus- 


Fig.  1. 


blieben;  am  9.  März  1898  hatte  sie  sie  das  letzte  Mal.  Von  da 
an  litt  Patientin  an  Lieblichkeiten  und  Erbrechen  und  fühlte,  dass 
sie  schwanger  sei.  Am  5.  Mai  bekam  sie  angeblich  eine  Bauch¬ 
fell-,  Rippenfell-  und  Gebärmutterentzündung,  wodurch  sie  fünf 
Wochen  ans  Bett  gefesselt  wurde.  Nach  dieser  Zeit  war  R.  wieder 
leidlich  gesund  bis  zum  29.  November.  Sie  bekam  Krämpfe  und 
Schmerzen  im  Bauche,  der  Bauch  schwoll  ungeheuer  auf,  sie  musste 
sich  wieder  zu  Bette  legen  und  wurde  wieder  wegen  Bauchfellent¬ 
zündung  behandelt.  Am  9.  December  hörten  die  Kindesbewegungen 
auf,  die  sie  seit  Anfangs  September  gespürt  batte.  R.’s  Befinden 
war  fortan  ein  schlechtes.  Am  24.  December  glaubte  sie  zu  ent¬ 
binden,  doch  kam  aus  der  Scheide  nur  ein  fleischiger  blutiger 
Klumpen  von  Faustgrösse,  welcher  von  der  Hebamme  gleich  bei 


Seite  geschafft  wurde.  Auf  diesen  Abgang  bin  sei  der  Bauch  um 
die  Hälfte  kleiner  geworden  und  sie  habe  sich  besser  gefühlt,  doch 
sei  sie  immer  noch  bettlägerig  gewesen  bis  zur  Aufnahme  ins 
Krankenhaus  am  7.  Februar  1899. 

Derzeit  klagt  die  Patientin  hauptsächlich  über  einen  drücken¬ 
den  Schmerz  und  ein  ungeheures  Vollsein  im  Bauche.  Sie  kann 
nicht  essen,  nicht  schlafen,  nicht  sitzen  und  auch  nicht  liegen  und 
macht  so  den  Eindruck  einer  schwer  Leidenden. 

Die  Zunge  ist  trocken,  der  Puls  klein  und  schwach.  Herz 
und  Lungen  sind  gesund.  Die  Temperatur  meist  unter  37°,  steigt 
Abends  oft  bis  auf  37'9°.  Das  Abdomen  ist  vergrössert,  Umfang 
92  cm. 

Die  Auftreibung  ist  eine  gleichmässige  mit  der  grössten  Pro¬ 
minenz  in  der  Mittellinie  und  der  höchsten  Erhebung  in  der  Nabel¬ 
gegend.  Der  Tumor  fühlt  sich  hart  und  fest,  mit  gleichmässiger 
ziemlich  glatter  Oberfläche  ohne  irgendwelche  Gliederung.  Der  Tumor 
ist  unbeweglich  und  zeigt  ganz  geringe  Fluctuation.  Die  Haut  ist 
sehr  gespannt,  mit  durchscheinenden  breiten  Venen,  scheint  am 
Tumor  fixirt,  besonders  in  der  Nabelgegend;  die  Verschieblichkeit 
der  Haut  über  den  Tumor  ist  allenthalben  eine  geringe.  Der  Per¬ 
cussionsschall  über  dem  Tumor  ist  leer.  Bei  der  inneren  Unter- 


# 


Fi g.  2. 


suchung  ergibt  sich,  dass  der  Uterus  und  dessen  Portio  nicht 
wesentlich  vergrössert  ist,  das  Orificium  nicht  einmal  für  die  Finger¬ 
kuppe  geöffnet  erscheint.  Der  Uterus  ist  etwas  nach  links  verzogen 
und  wenig  beweglich.  Die  Adnexe  sind  nicht  palpabel,  das  vordere 
Scheidengewölbe  ist  nach  abwärts  gewölbt.  Es  wurde  auch  noch 
eine  Probepunction  gemacht  und  mit  der  Pravaz’schen  Spritze 
eine  seröse  Flüssigkeit  aufgezogen.  Die  Mammae  waren  wenig  ver- 
m’össert,  entleerten  auf  Druck  etwas  Colostrum. 

Diagnose:  Graviditas  extrautenna. 

Operation  am  18.  Februar  1900  unter  Chloroformnarkose. 
In  der  Linea  alba  wurde  ein  1 5  cm  langer  Schnitt  gemacht.  Nach 
Durchtrennung  des  Peritoneums  lag  ein  weisslicher  häutiger  J  umor 
vor,  welcher  leicht  fluctuirte. 

Durch  die  Punction  entleert  sich  wenig  gelb-seröse  Flüssigkeit. 
Bei  Erweiterung  der  Punctionsöflnung  gelangte  man  aul  schmierige 
Smegmamessen.  Nach  Entfernung  derselben  fliesst  Mekonium  ab 
und  es  wird  der  Kopf  eines  Kindes  sichtbar.  Die  Oeffnung  wird 
noch  erweitert,  der  Fötus  extrahirt.  Die  vollkommen  obliterate 
Nabelschnur  wird  abgeschnitten  und  nun  an  die  Loslösung  des 
Fruchtsackes  gegangen,  der  sehr  mürbe  ist  und  bei  jedem  Zuge 
einreisst.  Die  Loslösung  des  Fruchtsackes  war  ausserordentlich 
schwierig,  denn  derselbe  war  mit  dem  Peritoneum,  mit  der  Harn¬ 
blase  und  mit  einigen  Schlingen  des  Ileums  innig  verwachsen.  Die 
nach  der  stumpfen,  äusserst  mühseligen  Loslösung  entstandenen 


52(5 


Nr.  23 


WIEN  Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Blutungen  waren  nicht  unbeträchtlich.  Dahei  war  der  Puls  sehr 
schwach  und  die  Athmung  sehr  hesorgnisserregend. 

Endlich  gelang  es  den  Stiel  zu  isoliren,  welcher  von  der 
linken  Tube  ausging  und  von  fingerdicken  Gelassen  durchsetzt 
war.  Die  Slielgefässe  waren  jedoch  last  vollständig  obliterirt,  in 
bindegewebige  Stränge  umgewandelt.  Der  Stiel  war  von  der  lube 
nicht  zu  trennen  und  so  wurde  die  linke  1  ube  und  das  linke 
Ovarium  mit  dem  Sacke  entfernt.  Die  Operation  dauerte  zwei 
Stunden. 

Der  Fruchlsack  (siehe  Fig.  2)  hat  ein  Gewicht  von  1750  <7. 
Am  unteren  Pole  trug  er  innen  eine  wohlausgebildete  Placenta  und 
hatte  an  einigen  Stellen  eine  Dicke  von  2  c/a,  an  den  schwächsten 
Stellen  '/.>  cm .  Das  faserige  Gewebe  des  Fruchtsackes  war  stark  in 
Mortification  begriffen. 

Der  zu  Tage  geförderte  Fötus  war  ein  vollkommen  ausge¬ 
tragenes  lebensfähiges  Kind  mit  Haarwuchs  und  ausgebildeten 
Finger-  und  Zehennägeln.  Da  die  letzten  Menses  am  9.  März  waren, 
so  sollte  der  Partus  am  15.  December  stattfinden.  Da  die  Patientin 
bis  zum  9.  December  die  Kindesbewegungen  spürte,  so  fehlten  also 
nur  einige  Tage  zum  normalen  Ende  der  Schwangerschaft.  Die 
Frucht  war  also  am  Tage  der  Operation  schon  über  zwei  Monate 
todt  in  der  Bauchhöhle.  Dafür  sprach  auch  die  starke  Maceration 
der  Haut  und  die  Beschaffenheit  des  Mekoniums.  Das  Kind  (siehe 
Fig.  1)  wog  27 10  7/  und  hatte  eine  Länge  von  40c?n.  Der  Frucht¬ 
sack  wog  1750  <7,  also  der  ganze  Tumor:  4460  g. 

Die  Patientin  erholte  sich  nach  der  Operation  auffallend  rasch, 
und  obwohl  grosse  wunde  Flächen  in  der  Bauchhöhle  vorhanden 
waren  und  sicher  etwas  Mekonium  bei  der  Operation  in  die  Bauch¬ 
höhle  gekommen  war,  traten  keine  peritoniti sehen  Erscheinungen 
auf  und  verlief  die  ganze  Heilung  fieberfrei.  Doch  am  dritten  Tage 
nach  der  Operation  trat  Erbrechen  auf,  welches  auch  durch 
Champagner  nicht  gestillt  werden  konnte.  Die  Patientin  fühlte  sich 
dabei  relativ  wohl  und  hatte  keine  Schmerzen. 

Am  siebenten  Tage  post  operationem  trat  Ileus  auf.  Es  gingen 
aber  trotzdem  Flatus  ab  und  konnten  durch  Irrigationen  auch 
spärliche  Stuhlentleerungen  erzielt  werden.  Das  Befinden  der  Ope- 
rirten  war  sehr  veränderlich.  Es  wechselten  Collapse  mit  Zeiten 
relativen  Wohlbefindens,  die  Zunge  war  stets  trocken,  der  Puls 
fadenförmig,  der  Bauch  massig  aufgetrieben  mit  grösserer  Resistenz 
und  Dämpfung  in  der  linken  Seite,  entsprechend  etwa  der  Stelle, 
wo  der  Darm  in  grösserer  Ausdehnung  durch  die  Lösung  der 
Adhäsionen  verwundet  worden  war.  Der  Dickdarm  nicht  gebläht, 
wohl  aber  der  Dünndarm.  Es  war  also  kein  Zweifel,  dass  in  Folge 
der  flächenhaften  Verwundung  des  Darmes  und  Peritoneums  sich 
durch  Adhäsionen  und  Narbenbildungen  eine  Knickung  oder  Achsen¬ 
drehunggebildet,  und  dadurch  die  Obstruction  eingetreten  war.  Es  wurde 
der  Patientin,  da  der  Ileus  immer  häufiger  wurde,  am  zehnten  Tage 
nach  der  Operation  der  Vorschlag  einer  neuen  Laparotomie  gemacht, 
um  das  Passagehinderniss  im  Darme  zu  beseitigen.  Patientin 
wollte  von  einer  neuerlichen  Operation  nichts  wissen.  Es  blieb  also 
nichts  übrig  als  abzuwarten  und  dem  Ileus  und  dem  Kräfteverfall 
zuzusehen.  Es  wurden  häufig  ausgiebige  Darm-Irrigationen  in  Knie- 
Ellbogenlage  gemacht  und  erfolgten  auch  öfters  Stühle,  ohne  dass 
das  Kothbrechen  aufhörte  —  doch  wurden  die  Stühle  häufiger,  der 
Ileus  seltener,  was  wohl  eine  mechanische  Dehnung  der  Adhäsionen 
durch  die  Irrigationsflüssigkeit  annehmen  lässt. 

Endlich  am  10.  März  hörte  das  Kothbrechen  auf  nachdem 
es  volle  drei  Wochen  gedauert  und  die  arme  Kranke  auf  das 
Mindestmass  von  Lebensfähigkeit  herabgesetzt  hatte.  Die  Bauch¬ 
wunde  war  am  achten  Tage  post  operationem  vollkommen  verheilt, 
und  nun  begann  die  Patientin  bei  einem  bis  zur  Gefrässigkeit  an¬ 
wachsenden  Appetite  sich  immer  mehr  zu  erholen,  konnte  bald 
das  Bett  verlassen  und  nahm  stets  an  Kräften  zu.  Am  16.  April  1899 
wurde  die  Reconvalescentin  vollkommen  gesund  und  mit  bestem 
Wohlbefinden  entlassen. 

Der  Operationsbefund  ergab  ganz  zweifellos,  dass  es  sich 
hier  um  eine  Graviditas  extrauterina,  und  zwar  jedenfalls  um 
eine  tubaria  handelte,  da  die  Tuba  völlig  im  Tumor,  bezüglich 
in  dessen  Stiel  aufgegangen  war,  während  das  Ovarium  nur 
am  1  umor  angelöthet  schien.  Es  ist  auch  kaum  anzunehmen, 
das  eine  ovaria  zu  solcher  Entwicklung  kommen  könnte.  Das 
Interessante  an  diesem  Falle  ist  jedenfalls  die  lange  Dauer 


der  ektopischen  Schwangerschaft,  ohne  dass  der  Tod  der 
Mutter  eintrat.  Es  scheinen  auch  gar  nicht  grössere  Blutungen 
weder  in  den  Sack  noch  in  die  Bauchhöhle  stattgefunden  zu 
haben;  es  waren  wenigstens  keine  Residuen  bei  der  Operation 
zu  tindeu.  Die  Adhäsionen  entstanden  wohl  entweder  durch 
entzündliche  Reizungen  oder  durch  Verlöthungen  in  Folge 
oberflächlicher  Einrisse  des  Fruchtsackes  bei  dessen  kolossalem 
Waehsthume.  Der  von  der  Patientin  erwähnte  Abgang  eines 
Blutklumpens,  welcher  mit  dem  normalem  Ende  der  Schwanger¬ 
schaft  und  dem  Absterben  des  Kindes  zusammenfallt,  erklärt 
sich  wohl  durch  die  Ausstossung  einer  im  Uterus  gebildeten 
Decidua  vera. 


Aus  der  k.  k.  II.  psychiatrischen  Universitätsklinik  des 
Herrn  Hofrathes  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing  in  Wien. 

Hedonal,  ein  Hypnoticum  der  Urethan-Gruppe. 

Von  Dr.  Arthur  Schiiller,  Hospitanten  der  Klinik. 

Paraldehyd,  Trional  und  Chloralhydrat  sind  zwar  vor¬ 
züglich  verwendbare,  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  schwerer 
Schlaflosigkeit  ausreichende  Hypnotica. 

Das  Bedürfnis  nach  neuen,  insbesondere  gegen  nervöse 
Agrypnie  wirksamen  Schlafmitteln  ist  gleichwohl  aus  mehr¬ 
fachen  Gründen  auch  jetzt  noch  vorhanden.  Diesem  Bediirf- 
niss  scheinen  zwei  neue  Hypnotica  entgegen  zu  kommen, 
Dormiol  und  Hedonal.  Ueber  das  letztere  seien  einige  Beob¬ 
achtungen  mitgetheilt. 

Die  Empfehlung  des  Hedonals  als  Schlafmittel  erfolgte  durch 
D  r  e  s  e  r  (»Ueber  ein  Hypnoticum  aus  der  Reihe  der  Urethane«). 
Im  Anschlüsse  an  die  Bemerkungen  Schmiedeber g’s,  der 
bei  Gelegenheit  der  Empfehlung  des  Aethyl-Urethans  als 
Hypnoticum  auch  hingewiesen  hatte  auf  die  intensivere 
Wirkung  der  durch  Einführung  höherer  Alkohol-Radieale 
entstandenen  Urethane,  hat  D  res  er  die  Verwendbarkeit  dieser 
letzteren  experimentell  geprüft.  Er  kam  zu  dem  Resultate, 
dass  die  höheren  Urethane  unter  Bewahrung  der  dem  Aethyl- 
Urethan  eigenthümliclien  guten  Eigenschaften  eine  stärkere 
Wirksamkeit  aufweisen,  wobei  jedoch  ihre  zunehmende  Schwer¬ 
löslichkeit  wieder  ein  Hemmniss  abgibt  für  das  Zustande¬ 
kommen  des  hypnotischen  Effectes  beim  Warmblüter. 

Die  besten  Erfolge  erzielte  Dreser  mit  dem  Methyl- Propyl- 
Carbinol-Urethan : 

/N  H2 

CO  /C  H, 

\0  -CH 

\C3  H; 

(»Hedonal«),  einer  weissen,  in  Nadeln  krystallisirenden 
Substanz. 

Im  Vergleiche  zu  Aethyl-Urethan  wirkte  es  an  Fischen 
und  Fröschen  zehnmal  stärker;  mit  Aethyläther  verglichen, 
nicht  nur  zehnmal  stärker,  sondern  auch  rascher  und  mit 
grösserer  Schonung  der  Athmung.  Im  Vergleiche  zu  Chloral¬ 
hydrat  war  an  Fröschen  etwa  ein  Drittel  zur  Erzielung  des 
gleichen  Effectes  nothwendig.  Bei  Kaninchen  bedurfte  es  etwa 
des  vierten  Theiles  der  wirksamen  Dosis  A  ethyl  Urethan  und 
etwa  der  Hälfte  der  von  Chloralhydrat.  Bei  Hunden  genügte 
zur  Erzielung  gleich  langen  Schlafes  die  halbe  Gewichtsmenge 
gegenüber  dem  Chloralhydrat. 

Die  Respirationsthätigkeit  war  im  Hedonalschlafe,  so  wie 
im  physiologischen  etwas  vermindert. 

Der  Blutdruck  war  nur  um  wenige  Millimeter  Queck¬ 
silber  niedriger  oder  auch  unverändert. 

Die  Temperatur  fiel  im  tiefen  Hedonalschlafe  um  1°. 

Die  Harnsecretion  war  vermehrt,  und  zwTar  wurde  durch 
Bestimmung  des  Gefrierpunktes  gefunden,  dass  die  im  Harne 
auszuscheidenden  Substanzen  in  der  4V2fachen  Menge  Wassers, 
verglichen  mit  der  Wassermenge  im  Normalzustände,  secernirt 
wurden. 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Durch  Messung  der  Latenzzeit  für  Reflexbewegungen 
(Anziehen  der  elektrisch  gereizten  Froschpfote)  wurde  eine 
Verlängerung  auf  das  Vier-  bis  Sechsfache  constatirt.  Daraus 
zieht  Dreser  den  Schluss,  dass  durch  das  Hedonal  die 
Leitung  der  Nervenzellen  träger,  ihre  Reaction  verlangsamt 
und  so  am  besten  die  Bedingungen  erfüllt  werden,  welche  den 
Schlaf  herbeiführen. 

Für  die  Anwendung  beim  Menschen  wurde  als  wirk¬ 
samste  Dosis  L25 — L5  Hedonal  empfohlen.  Als  Indicationen 
für  seine  Verordnung  wurden  »leichte,  auf  nervöser  Grund¬ 
lage  beruhende  Agrypnie  und  Aufregungszustände«  hingestellt, 
speciell  solche  bei  Neuraslhcnischen,  Hysterischen  und  Alko- 
holisten. 

Diese  Angaben  wurden  durch  unsere  Beobachtungen  im 
Wesentlichen  bestätigt.  Im  Ganzen  wurde  das  Mittel  bei 
21  Personen  (in  circa  70  Einzelfällen)  versucht.  Das  Pulver 
wurde  entweder  in  Substanz  (am  besten  in  Oblaten)  oder  in 
Lösung  gegeben,  und  zwar  in  wässerigen  Flüssigkeiten  (am 
besten  in  heissem  Pfefferminzthee  mit  Zucker)  oder  in  alko 
holischer  Lösung;  für  die  letztere  wurde,  da  das  Löslichkeits- 
verhältniss  des  Pulvers  in  Spiritus  dilutus  circa  1:5  beträgt, 
gewöhnlich  folgende  Form  angewendet: 

Rp:  Hedonali  6  0, 

Spiritus  vini  diluti, 

Syrupi  cinnamomi  aa.  30  0. 

Adde: 

Olei  Carvi  aetherei  gtt.  II. 

D.  S.  1  Esslöffel  (=  L5  Hedonal)  zu  nehmen. 

Da  in  den  flüssigen  •  Formen  der  recht  lästige  Nach¬ 
geschmack  des  Pulvers  nicht  vollständig  verdeckt  werden 
konnte,  musste  bei  empfindlichen  Patienten  die  Darreichung 
in  Oblaten  erfolgen. 

Die  gewöhnlich  verordnete  Dosis  betrug  l'öj  zuweilen 
wurde  blos  1# ,  andere  Male  wieder  2 g  verabreicht,  stets  in 
einmaliger  Gabe,  etwa  l]/2  Stunden  nach  der  Abend¬ 
mahlzeit. 

Casuistik: 

1.  Frau  L.  H.  Periodische  Dysthymie  von  monatelanger  Dauer. 
Behauptet,  ohne  Mittel  nicht  oder  sehr  unruhig  (von  peinlichen 
Träumen  belästigt)  zu  schlafen.  Die  Versuche  fallen  in  die  Zeit 
vorgeschrittener  Besserung  des  Zustandes.  Es  wurde  abwechselnd 
Trional  (0'75 — 15 g)  und  Hedonal  (L5 — 2g)  gegeben.  Beide  Mittel 
hatten  ungefähr  den  gleichen  Erfolg:  Patientin  schlief  meist  mit 
einstündiger  Unterbrechung  von  */29  Uhr  (eineinhalb  Stunden  nach 
Einnahme  der  Mittel)  bis  Früh.  Der  Schlaf  war  fast  stets  von 
Träumen  begleitet.  Im  Allgemeinen  nahm  Patientin  lieber  das  Trional, 
hauptsächlich  wegen  des  unangenehmen  Geschmackes  des  Hedonals; 
am  besten  nahm  sie  letzteres  in  heissem  Pfefferminzthee  oder  in 
Oblaten.  Es  wurde  ihr  im  Ganzen  elfmal  verabreicht.  Die  tägliche 
Harnmenge  betrug  durchschnittlich  1200  g.  Ueber  lästige  Symptome 
klagte  Patientin  niemals. 

2.  Frau  R.  F.  Periodische  Dysthymie.  Gongestionen;  Schlaf¬ 
losigkeit  in  Folge  von  Erregung.  Während  der  letzten  Tage  der 
Beobachtung  trat  Influenza  mit  starkem  Husten  auf,  der  die  Nacht¬ 
ruhe  störte.  Patientin  bekam  Hedonal  und  Trional  abwechselnd. 
Der  Erfolg  war  bei  beiden  Mitteln  im  Wesentlichen  der  gleiche; 
der  Schlaf  dauerte  zumeist  mit  circa  einstündiger  Unterbrechung 
von  8  Uhr  bis  gegen  Morgen.  Patientin  erhielt  siebenmal  Dosen  von 
1-5 — 2  g  Hedonal;  sie  nahm  es  gern,  behauptete,  darauf  angenehmer 
zu  schlafen,  als  auf  Trional  (10  —  P5#). 

3.  Frau  v.  H.  Melancholie.  Schläft  gewöhnlich  auf  Trional. 
Auf  2g  Hedonal  kein  Schlaf;  Herzklopfen.  Einmalige  Beobachtung. 

4.  Frau  F.  Hypochondrie.  Höchstgradige  Inanition.  Schmerzen 
in  Folge  von  Decubitus.  In  der  Nacht  unruhig,  vor  Schmerzen 
jammernd,  zuweilen  delirant.  Patientin  erhielt  Trional,  Bromidia, 
Hedonal,  Morphin  abwechselnd.  Bromidia  hatte  keinen  Effect,  auch 
Trional  blieb  ziemlich  erfolglos.  Auf  Hedonal  (U5 — 2  #),  im  Ganzen 
sechsmal  verabreicht,  erfolgte  meist  drei  bis  vierstündiger  Schlaf. 
Vorübergehend  wurde  Brom  und  Glühwein  versucht,  ohne  Erfolg. 
Die  beste  Wirkung  hatten  Morphininjectionen  (0'02 — 0'03  #). 


5.  Frau  P.  Angstneurose.  Beim  Anblick  von  Messern  An¬ 
fälle  von  Angst;  Phobie,  Jemanden  zu  verletzen.  In  der  Nacht 
ängstlich,  schlaflos.  Patientin  erhielt  Trional  und  Hedonal.  Auf  He- 
donal  (10 — 15  g)  ruhiger  Schlaf  die  ganze  Nacht  hindurch.  Auf 
Trional  (PO#)  behauptet  Patientin  weniger  gut  zu  schlafen.  Kurze 
Beobachtungsdauer. 

6.  Herr  Sch.  Neurasthenie;  Zwangsvorstellungen.  Erhielt,  da 
er  behauptete,  sehr  wenig  und  unruhig  zu  schlafen,  15  g  Hedonal. 
Der  Schlaf  daraufhin  nicht  besser  als  sonst;  doch  behauptete  Pa¬ 
tient  am  nächsten  Morgen,  das  Pulver  habe  zauberhaft  gewirkt, 
denn  alle  Zwangsgedanken  seien  geschwunden.  In  den  folgenden 
Tagen  (im  Ganzen  fünfmal)  war  die  schlafbringende  Wirkung  keines¬ 
wegs  deutlicher.  Die  sedative  wurde  jedoch  continuirlich  vom  Pa¬ 
tienten  angegeben.  Nach  Aussetzen  des  Mittels  alsbald  neuerliches 
Auftreten  von  Zwangsvorstellungen.  Ein  indifferentes  Pulver,  das 
als  »Hedonal«  gereicht  wurde,  hatte  wieder  sehr  günstigen  Erfolg. 

7.  Herr  B.  Zwangsvorstellungen.  Schlechter  Schlaf.  Hedonal 
(10  g  Abends)  ohne  Wirkung  auf  den  Schlaf.  Nach  Einnahme  von 
1  q  Hedonal  am  Tage  (als  Beruhigungsmittel  gegen  die  Zwangsvor¬ 
stellungen)  gegentheiliger  Erfolg.  Kurze  Beobachtung. 

8.  Fräulein  R.  Schlaflosigkeit  wegen  anstrengender  abend¬ 
licher  geistiger  Beschäftigung.  Patientin  versuchte  abwechselnd 
Trional,  Hedonal  und  Bier.  Auf  Trional  (PO#)  trat  regelmässig 
sehr  bald  nach  der  Einnahme  ein  achtstündiger,  traumloser,  fester 
Schlaf  ein;  am  Tage  darauf  bisweilen  noch  Schläfrigkeit.  Auf 
Hedonal  ( 1  \5  g)  erfolgte  kurze  Zeit  nach  der  Einnahme  ein  fünf-  bis 
siebenstündiger,  ruhiger  und  fester  Schlaf.  Bier  hatte  ebensowenig  wie 
ein  abendliches  warmes  Bad  guten  Erfolg. 

9.  Frau  J.  Aufregungszustand.  Behauptet,  nicht  einschlafen 
zu  können.  Auf  Hedonal  (1*5  g)  tritt  bald  Schlaf  ein,  dauert  mehrere 
Stunden  an.  Kurze  Beobachtungsdauer. 

10.  Frau  P.  Neurasthenie.  Behauptet,  seit  Jahren  schwer  ein¬ 
zuschlafen,  wenig  und  unruhig  zu  schlafen.  Auf  15#  Hedonal 
erfolgt  Schlaf  nach  zwei  Stunden,  baldiges  Erwachen  mit  Herz¬ 
klopfen  und  Beklemmung.  Die  gleichen  Erscheinungen,  nur  noch 
weniger  Schlaf,  nach  Verabreichung  eines  indifferenten  Pulvers. 
Kurze  Beobachtungsdauer. 

11.  Herr  St.  Neurasthenie.  Leidet  seit  zwei  Jahren  an  Schlaf¬ 
losigkeit,  behauptet,  während  dieser  Zeit  überhaupt  nie  geschlafen 
zu  haben.  Gleich  nach  der  ersten  Einnahme  von  10#  Hedonal 
Einschlafen  nach  Verlauf  einer  Viertelstunde;  mit  einmaliger  Unter¬ 
brechung  Schlaf  bis  Früh.  In  der  folgenden  Nacht  ohne  Mittel  kein 
Schlaf.  Am  nächsten  Abend  PO#  Hedonal:  Schlaf  mit  einmaliger 
Unterbrechung  bis  Früh.  In  den  darauffolgenden  zw^ei  Wochen  trat 
dann  Schlaf  ein  auch  ohne  jede  Medication. 

12.  Frau  Sch.  Neurasthenie,  Schlaflosigkeit.  Nach  2#  Hedonal 
sofortiges  Einschlafen;  Dauer  des  Schlafes  2 ‘/2  Stunden,  unruhig. 
Beim  Erwachen  Gürtelgefühl  um  den  Leib.  Einmalige  Beobachtung. 

13.  Herr  W.  Neurasthenie,  Schlaflosigkeit.  Nach  2#  Hedonal 
baldiges  Einschlafen.  Schlaf  mit  einmaliger  Unterbrechung  bis  Früh. 
Einmalige  Beobachtung. 

14.  Frau  H.  Neurasthenie,  Schlaflosigkeit.  Aul  2#  Hedonal 
Einschlafen  nach  zwei  Stunden.  Sodann  dreistündiger  Schlaf.  Hierauf 
leichter  Schlummer  bis  Früh.  Einmalige  Beobachtung. 

15.  Fräulein  S.  Hysterie,  Astasie,  Abasie.  Seit  Jahren  Schlaf¬ 

losigkeit.  Ohne  Mittel  schläft  Patientin  schwer  ein;  der  Schlaf  ist 
auch  meist  von  kurzer  Dauer.  Patientin  erhielt  abwechselnd  Par- 
aldehyd  und  Hedonal.  Auf  Paraldehyd  (6  0#)  schläft  Patientin  vom 
Abend  bis  Früh  ohne  Unterbrechung,  beklagt  sich  jedoch  über  den 
Geruch  und  Geschmack  des  Mittels.  Auf  Hedonal  (1  2g)  tritt  Schlaf 

meist  erst  nach  ein  bis  zwei  Stunden  auf,  dauert  gewöhnlich  blos 
fünf  Stunden;  der  Schlaf  ist  unruhig,  unterbrochen.  Morgens  Auf- 
stossen  mit  dem  Gerüche  des  Mittels.  Eine  vorübergehende  Magen¬ 
indisposition  wird  durch  das  Pulver  nicht  nachtheilig  beeinflusst. 

16.  Frau  K.  Alcoholismus  chronicus.  Neurasthenisches  Bild. 
Beginnende  Demenz.  Klagt,  Nachts  nicht  schlafen  zu  können.  Er¬ 
hält  abwechselnd  Trional  und  Hedonal.  Schläft  nach  beiden  Mitteln 
laut  Wärterinbericht  gut,  nach  eigener  Angabe  stets  schlecht;  be¬ 
hauptet,  jeden  Augenblick  wach  zu  werden.  Patientin  erhielt 
P5— 2  0  #  Hedonal. 

17.  Frau  K.  Dementia  senilis.  Seit  einem  halben  Jahre 
schlaflos,  in  der  Nacht  stets  unruhig.  Auf  iy2#  Hedonal  Schlaf 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nach  einer  Viertelstunde.  Im  Ganzen  2V2stündige  Dauer  des  Schlafes. 
Einmalige  Beobachtung. 

18.  Frau  B.  Dementia  senilis,  Schlaflosigkeit.  Auf  2  g  Iledonal 
kein  Schlaf.  Einmalige  Beobachtung. 

19.  Fräulein  Sch.  Dämmerzustand  mit  schreckhaften  nächt¬ 
lichen  Hallucinationen.  Ohne  Schlafmittel  ist  Patientin  die  ganze 
Nacht  hindurch  sehr  unruhig,  ängstlich,  hallucinirend.  Erhielt  ab¬ 
wechselnd  Iledonal,  Bromidia,  Trional  und  Morphininjectionen. 
Iledonal  wurde  zehnmal  verabreicht,  meist  1*5 — 2  g.  Patientin  schlief 
gewöhnlich  l'/.2  Stunden  darnach  ein,  schlief  dann  zumeist  wenig¬ 
stens  vier  Stunden  ruhig,  begann  hierauf  häufig  ängstlich  zu  hallu- 
ciniren,  um  Morgens  nochmals  einzuschlafen.  Auf  Bromidia  (zwei 
Kaffeelöffel)  erfolgte  anfangs  guter  Schlaf;  später  blieb  es  ohne 
Wirkung  und  wurde  von  Patientin  refusirt.  Trional  (PO  —  l'5y) 
erzeugte  fast  stets  gute  Wirkung.  Weigerte  sich  Patientin,  die  er¬ 
wähnten  Schlafmittel  zu  nehmen,  so  wurde  auf  ihren  dringenden 
Wunsch  Morphin  subcutan  injicirt,  zumeist  mit  unbefriedigendem 
Erfolg.  Patientin  nahm  das  Iledonal  lieber  als  alle  anderen  Hypnotica; 
klagte  nie  über  unangenehme  Nebenwirkungen. 

20.  Fräulein  St.  Acuter  Wahnsinn.  Auf  1*5  <7  Iledonal  kein 
Schlaf.  Auf  Trional  trat  Schlaf  ein.  Kurze  Beobachtung. 

21.  Frau  W.  Puerperaler  Wahnsinn;  Mastitis.  Auf  1  x/2g 
Iledonal  mehrstündiger  Schlaf.  Einmalige  Beobachtung. 

Die  vorliegenden  Fälle  lassen  sich  hinsichtlich  des  Erfolges 
in  drei  Gruppen  unterbringen,  eine  mit  negativem,  eine  zweite 
mit  zweifelhaftem,  eine  dritte  mit  positivem  Erfolge. 

ln  die  erste  Gruppe  (negativer  Erfolg)  gehören  die 
Fälle  3,  7,  10,  18,  20.  Es  sind  dies  zwei  Fälle  von  Neur¬ 
asthenie,  je  einer  von  Melancholie,  seniler  Schlaflosigkeit  und 
acutem  Wahnsinn. 

In  die  zweite  Gruppe  (zweifelhafter  Erfolg)  können  die 
Fälle  6,  9,  12,  14,  16,  17,  21  gerechnet  werden.  In  diesen 
konnte,  tlieils  wegen  zu  kurzer  Beobachtung,  theils  wegen  Un- 
genauigkeit  der  bezüglichen  Angaben,  schlechter,  beziehungs¬ 
weise  günstiger  Erfolg  nicht  mit  Sicherheit  auf  Rechnung  des 
Mittels  gesetzt  werden. 

Die  dritte  Gruppe  (guter  Erfolg)  wird  gebildet  durch 
die  Fälle  1,  2,  4,  5,  8,  11,  13,  15,  19.  Es  sind  dies  drei  Fälle 
von  Dysthymie  und  Hypochondrie,  zwei  Fälle  von  Neurasthenie, 
je  einer  von  Angstneurose,  Hysterie,  geistiger  Ueberanstrengung 
und  schreckhaften  Hallucinationen. 

Der  Eintritt  des  Schlafes  erfolgte  zuweilen  schon  nach 
einer  Viertelstunde,  zuweilen  erst  nach  \{/2  Stunden;  Diffe¬ 
renzen,  welchen  wir  auch  bei  den  anderen  Hypnoticis  begegnen. 
Besonders  massgebend  für  die  Raschheit  der  Wirkung  schien 
die  Form  zu  sein,  in  welcher  das  Iledonal  gereicht  wurde. 
Nach  Verabreichung  im  gelösten  Zustande  trat  die  Wirkung 
früher  ein. 

Die  Dauer  des  Schlafes  schwankte  zwischen  vier  bis 
neun  Stunden.  Dabei  war  der  Schlaf  nicht  verschieden  von 
dem  natürlichen,  bald  von  Träumen  begleitet,  bald  ruhig. 

Von  Nebenerscheinungen  wurde,  abgesehen  von  dem  zu¬ 
weilen  angegebenen  lästigen  Aufstossen  beim  Erwachen,  nichts 
Erwähnenswerthcs  beobachtet. 

Bei  agitirten  Geisteskranken  war  mit  Hedonal  keine  Be¬ 
ruhigung  zu  erzielen;  es  wurden  daher  nach  wenigen  Vor¬ 
versuchen  keine  weiteren  Beobachtungen  an  derartigen  Kranken 
gesammelt. 

Bei  seniler  Schlaflosigkeit  war  das  Mittel  keineswegs 
verlässlich.  Die  besten  Erfolge  wurden  bei  leichteren  Graden 
von  Agrypnie  erzielt,  insbesondere  solcher  bei  Depressions¬ 
zuständen,  bei  Neurasthenie,  Hysterie  und  bei  Schlaflosigkeit 
in  Folge  geistiger  Ueberanstrengung. 

ln  diesen  I  ällen  erwies  es  sich  namentlich  zweckmässig 
als  Ersatzmittel  für  Paraldehyd,  Bromidia  und  Trional,  mit 
denen  es  alternirend  gereicht  wurde.  Ein  Vorzug  des  Hedonals 
gegenüber  einigen  der  gebräuchlichen  Hypnotica  besteht  in 
seiner  vollkommenen  Unschädlichkeit,  die  es  mit  den  niederen 
1  rethanen  (Aethylurethan)  theilt.  Störend  wirkte  bei  einigen 
Patienten  der  penetrante,  nicht  gut  corrigirbare  Geschmack 
des  Pulvers. 


Zusammenfassend  lässt  sich  demnach  vorläufig  über  die 
Wirkungsweise  und  Anwendbarkeit  des  Hedonals  als  Schlaf¬ 
mittel  das  Folgende  aussagen: 

Hedonal  gehört  nicht  in  die  Reihe  der  nahezu  unbedingt 
verlässlichen  Hypnotica:  Paraldehyd,  Trional,  Chloralhydrat. 
Seiue  Wirksamkeit  beschränkt  sich  vielmehr  auf  Fälle  leichterer 
Agrypnie,  in  denen  »das  Bedtirfniss  nach  Ruhe  und  Schlaf 
vorhanden,  sein  Eintritt  dagegen  durch  Erregungszustände  im 
Gebiete  des  Grosshirnes  erschwert  ist«.  Auch  überall  dort, 
wo  der  Gobrauch  des  Paraldehyds  seines  Geruches  und 
Geschmackes  wegen,  der  des  Chloralhydrats  seiner  Wirkung 
auf  Herz,  Gefässe  und  Athmung  wegen  unstatthaft  ist,  lässt  sich 
Hedonal  alternirend  mit  Trional  erfolgreich,  selbst  auf  längere 
Zeit,  an  wenden. 

Die  Verabreichung  —  durchschnittlich  1  "5  <7  —  erfolgt 
am  besten  zwei  Stunden  nach  der  Abendmahlzeit,  stets  unter 
Wahrung  aller  den  Eintritt  des  Schlafes  begünstigenden 
äusseren  Momente. 


REFERATE. 

I.  La  peste  et  son  microbe. 

Par  le  Dr.  Netter. 

Paris  1900,  Georges  Carre  &  C.  N  a  u  d. 

II.  Bericht  über  die  Thätigkeit  der  zur  Erforschung 
der  Pest  im  Jahre  1897  nach  Indien  entsendeten  Com¬ 
mission. 

Erstattet  von  Prof.  Dr.  Gaffky,  Prof.  Dr.  Pfeiffer,  Prof.  Dr.  Sticker  und 

Privatdocent  Dr.  Dieudonnö. 

Nebst  einem  Anhänge :  Untersuchungen  über  die  Lepra. 

Von  Prof.  Dr.  Sticker. 

(Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte.  Bd.  XVI.) 
Berlin  1899.  Gustav  Springer. 

III.  Sieroterapia  e  vaccinazioni  preventive  contra  la  peste 

bubonica. 

Von  Prof.  Dr.  Alexander  Lustig. 

Torino  1899,  Rosenberg  &  Sellier.  , 

IV.  Schutzimpfung  und  Serumtherapie. 

Von  Privatdocent  Dr.  Adolf  Dieudonilö. 

Zweite,  gänzlich  umgearbeitete  Auflage. 

Leipzig  1900,  Johann  Ambrosius  Barth. 

V.  Ueber  die  Grenzen  der  Wirksamkeit  des  Diphtherie¬ 
heilserums. 

Von  Prof.  W.  Dönitz. 

VI.  Ueber  die  Gangrene  foudroyante. 

Von  Dr.  F.  Hitsclimann  und  Dr.  O.  Lindenthal. 

Mit  3  Tafeln. 

Aus  den  Sitzungsberichten  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in 

Wien. 

Mathematisch-naturwissenschaftliche  Classe.  1899,  Bd.  CVI1I,  3.  Abtheilung. 
In  Commission  bei  C.  G  e  r  o  1  d’s  Sohn. 

VII  Recueil  de  travaux  du  laboratoire  Boerhave. 

Public  par  Dr.  E.  Siegenbeck  van  Heukeloin. 

Tome  I  et  II. 

Leiden  1899,  E.  J.  Brill. 

VIII.  Le  cancer  (epitheliome,  carcinome,  sarcome) 
maladie  infectieuse  ä  sporozoaires  (formes  microbiennes 

et  cycliques). 

Par  le  Dr.  F.  J.  Bose. 

Avec  1 1  planches  et  34  figures  dans  le  texte. 

Paris  1898,  Georges  Carre  et  C.  Naud. 

IX.  I  batteri  patogeni  in  rapporto  di  disinfettenti. 

Von  Dr.  Donato  Ottolenghi. 

Torino  1 899,  Rosen  berg  &  Sellier. 

I.  Die  kleine  Monographie  über  die  Pest  von  Netter 
gibt  eine  kurze,  sehr  übersichtliche  Zusammenstellung  der  jüngsten 
Erfahrungen  über  diese  neuerdings  an  Ausbreitung  gewinnende 
Seuche;  geographische  Verbreitung,  Morphologie  und  Biologie  des 
Erregers,  wichtigste  klinische  und  anatomische  Merkmale  der  Pest 
bilden  den  ersten,  die  Grundzüge  der  Prophylaxe  und  Therapie 
den  zweiten  Theil  des  kleinen  Buches,  das  durch  sehr  gefällige 
Abbildungen  und  Diagramme  reich  illustrirt  ist  und  die  Literatur 
bis  Ende  1899  eingehend  berücksichtigt. 

* 


Nr.  23 


529 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


II.  Der  Bericht  der  de  ätschen  Pestcommission  gliedert  sich 
in  drei  Haupttheile,  in  eine  historisch-geographische  Schilderung 
der  bombayani sehen  Epidemie,  in  eine  klinisch-anatomische  und 
bacteriologische  Beschreibung  der  charakteristischen  Befunde  und 
in  eine  kritische  Berichterstattung  bis  dahin  vorliegender  Erfahrungen 
über  Pestprophylaxe  und  künstliche  Immunität.  Aus  dem  ersten 
Theile  des  Berichtes  bringen  insbesondere  die  Angaben  über  das 
Auftreten  der  ersten  Vorepidemien,  das  Vorkommen  kleiner,  herd¬ 
weiser,  localisirter  Erkrankungen  in  Mesopotamien  und  in  den  süd¬ 
lich  vom  Himalaya  gelegenen  Gebieten  neue  und  wichtige  epide¬ 
miologische  Beobachtungen  zur  allgemeinen  Kenntniss;  auch  die 
Nachweise  des  möglicher  Weise  sehr  wichtigen  Vorkommens 
einer  spontanen  Pest  unter  den  Nagethieren  in  diesen  genauen  Be¬ 
obachtungen  sehr  schwer  zugänglichen  Gebieten  werden  mitgetheilt. 
Die  Epidemie  in  Bombay  wird  nach  zeitlicher  und  örtlicher  Aus¬ 
breitung  detaillirt  beschrieben  und  der  Zusammenhang  zwischen 
socialen  und  Wohnungsverhältnissen  mit  der  Ausbreitung  der  Haupt- 
infectionsformen  besonders  betont,  lieber  200  Krankengeschichten, 
ergänzt  durch  eine  Reihe  von  pathologisch-anatomischen  Befunden, 
welche  die  Commission  durch  die  dankbar  anerkannte  Unterstützung 
der  österreichischen  Expedition  mitzubeobachten  Gelegenheit  hatte, 
bilden  das  Substrat  für  den  zweiten  Theil  des  Berichtes,  der  im 
Wesentlichen  naturgemäss  mit  den  Beobachtungen  und  Schlüssen 
der  ausführlicheren  Publication  der  österreichischen  Commission 
übereinstimmt.  Dem  schliessen  sich  die  bacteriologischen  Unter¬ 
suchungen  über  Morphologie  und  Biologie  des  Pestbacillus  an,  sowie 
die  Experimente  über  active  und  passive  Immunisirung  von  Thieren; 
eine  ausführliche  kritische  Besprechung  ist  den  Versuchen  der  Ver¬ 
wendung  activer  Immunisirung,  speciell  der  H  a  f  k  i  n  e’schen  Impfung 
gegen  die  Pest  gewidmet,  welche  ohne  eine  absolute  Sicherheit 
gegen  Infection  beim  Menschen  zu  erzeugen,  doch  die  Zahl  der 
an  Pest  Erkrankenden  und  der  Todesfälle  wesentlich  zu  vermindern 
scheint.  Ein  Resume  der  mitgetheilten  Erfahrungen  betont  die  Wichtig¬ 
keit  und  sicher  erfolgreiche  Möglichkeit  der  wirksamen  Bekämpfung 
der  Pest  auf  Grund  der  bisher  gewonnenen  Resultate;  strenge  ärztliche 
Controle  und  gewissenhafte  Durchführung  der  Isolirmassregeln  reichen 
hin,  um,  ohne  eine  den  Weltverkehr  unterbindende  Beschränkung  der 
Handelsbeziehungen,  die  Seuche  localisirt  zu  erhalten  und  bei  ein¬ 
zelnen  Pestfällen  auf  Schiffen  und  in  grossen  Handelsplätzen 
können  durch  energische  und  sachverständige  Massnahmen  die  Ge¬ 
fahren  der  Uebertragung  durch  Ansteckung  sicher  vermieden  werden; 
als  besonders  wichtig  bat  die  bacteriologische  Sicherstellung  solcher 
eventuell  atypisch  verlaufender  Fälle  zu  gelten  und  besondere  Vor¬ 
sicht  erfordern  die  pneumonischen  Pestinfectionen. 

Im  einem  Anhänge  zu  dem  Berichte  der  Commission  theilt 
Prof.  Sticker  seine  Untersuchungen  über  Lepra  mit;  er  fand  unter 
einer  grossen  Anzahl  von  Leprösen  sehr  häufig  lepröse  Nasen- 
affectionen  und  wurde  durch  diesen  Befund  zu  systematischen 
Untersuchungen  des  Nasenschleims  veranlasst,  der  sich  auch  in  den 
leichteren  und  frischen  Fällen  als  leprabacillenhältig  erwies. 
Sticker  leitet  daraus  den  Schluss  ab,  dass  für  die  Infection  mit 
Lepra  die  Nase  als  wichtigste  Invasionspforte  zu  betrachten  sei;  es 
scheint,  dass  sowohl  die  Bekämpfung  der  Ansteckung,  wie  in  vielen 
Fällen  die  Therapie  auf  Basis  dieser  Beobachtung  neue,  Erfolg  ver¬ 
sprechende  Wege  einzuschlagen  hat. 

* 

III.  Fussend  auf  den  experimentellen  Untersuchungen  Gal¬ 
le  o  1 1  i’s,  nach  denen  aus  den  Pestbacillen  ein  hochgradig  giftiger 
Körper  sich  darstellen  lässt,  der  specifische  Immunität  verleiht,  hat 
Lustig  für  seine  Methode  der  activen  und  passiven  Immunisirung 
gegen  die  Pest  sich  eines  Toxines  und  nicht  der  Pestbacillen  selbst 
bedient;  er  hat  dadurch  einen  grossen  Vortheil  für  die  Präparation 
des  Serums  gewonnen;  denn  ähnlich  wie  bei  der  Diphtherie-Immu- 
nisirung  der  Pferde  zum  Zwecke  der  Heilserumgewinnung  die  Ar¬ 
beiten  mit  dem  infectiösen  Bacterium  auf  das  Laboratorium  be¬ 
schränkt  werden  und  eine  Infectionsquelle  in  dem  zu  immunisirenden 
Thiere  nie  entstehen  kann,  gelingt  es  auch  hier,  bei  dem  Immuni- 
sirungsprocess  bei  grossen  Thieren  jede  Gefährdung  ihrer  Umgebung 
absolut  sicher  zu  vermeiden. 

Die  toxische  Substanz,  deren  sich  Lustig  bedient,  wird  auf 
folgende  Weise  gewonnen:  24  stündige  Agarculturen  eines  virulenten 
Pestbacillus  werden  in  verdünnter  Kalilauge  aufgeschwemmt;  aus 
dieser  Flüssigkeit  lässt  sich  nach  eintägigem  Stehen  bei  10  — 12° 


mittelst  verdünnter  Essigsäure  ein  Niederschlag  erzeugen,  der  in 
schwach  alkalischer  Sodalösung  bis  zur  Opalescenz  löslich  ist. 
Der  gelöste  Niederschlag  ist  in  ziemlich  hohem  Grade  giftig;  eine 
Menge,  entsprechend  1  mg  des  trockenen  weissen  Präcipitates,  tödtet 
sicher  100 g  Ratte  oder  Kaninchen;  subcutan  oder  intraperitoneal 
bewirkt  dieses  Toxin  keine  bedeutende  locale  Reaction;  höhere  und 
tödtliche  Dosen  setzen  die  Körpertemperatur  prompt  herab,  alteriren 
die  Herzreaction  schwer  und  bewirken  das  Auftreten  zahlreicher 
Ekchymosirungen  des  subserösen  und  subcutanen  Zellgewebes.  In 
Dosen  bis  zu  5  mg  ist  dieses  Gift  für  den  Menschen  unschädlich. 
Diese  Substanz  erzeugt  nun  bei  den  Thieren,  denen  sie  in  gerin¬ 
gerer,  nicht  tödtlicher  Menge  einverleibt  wird,  eine  grosse  Resistenz¬ 
vermehrung  gegen  die  Infection  mit  lebenden  virulenten  Pestbacillen. 
Dasselbe  Präparat  in  dosi  refracta  einem  Pferde  mehrfach  injicirt, 
veränderte  das  Serum  dieses  Thieres  so,  dass  (nach  Einverleibung 
einer  Gesammtmenge  von  1  g)  1  cm3  des  Serums  dieses  Thieres 
kleine  Versuchsthiere  vor  der  vier  Stunden  nachfolgenden  sicher 
tödtlichen  Infection  mit  lebendem  Pestmaterial  schützte. 

Im  Sommer  1898  hat  Lustig  seine  Versuche  in  Bombay 
wiederholt;  er  bediente  sich  zunächst  zur  Ueberprüfung  der  im 
Laboratorium  in  Florenz  gemachten  Erfahrung  als  Versuchsobjecte 
einer  hochempfindlichen  (in  Bombay  auch  spontan  erkrankenden) 
Affenart;  .eine  Reihe  von  Thieren  erhielten  mehrere  Injectionen  der 
toxischen  Substanz  in  kurzen  Intervallen  und  wurden  etwa  zwei 
Wochen  nachher  mit  einer  (Controlthiere  rapid  tödtenden)  Menge 
virulenter  Pestbacillen  inficirt;  alle  widerstanden  der  Infection.  Eine 
weitere  Anzahl  wurde  sechs  Stunden  post  infectionem  mit  Pest¬ 
bacillen  durch  Injection  von  5 — 10  cm3  des  Pestserums  vom  Pferde 
behandelt;  bis  auf  ein  intraperitoneal  inficirtes  Thier  genasen  alle, 
die  Controlaffen  gingen  prompt  zu  Grunde.  Durch  diese  Versuche 
ermuthigt,  versuchte  Lustig  mit  seinem  Serum  die  Behandlung 
pestkranker  Menschen;  von  zwölf  Injicirten  (die  meisten  erhielten 
mehrere  Dosen  zu  20 — 30  cm'1)  genasen  acht  und  starben  vier.  Das 
Serum  hatte  als  augenfälligste  klinische  Wirkung  prompte  Herab¬ 
setzung  der  hohen  Temperatur;  auch  die  Herzaction  wurde  günstig 
beeinflusst. 

Im  Aufträge  des  Gouvernements  von  Bombay  immunisirte 
Lustig,  nach  Florenz  zurückgekehrt,  einige  neue  Pferde  und 
sandte  im  Herbst  1898  seine  beiden  Assistenten  Dr.  G  a  1 1  e  o  1 1  i 
und  Dr.  V  ol  perin  i  mit  Serum  nach  Bombay;  sie  injicirten  im 
Ganzen  175  Kranke  mit  Pestserum;  die  Mittheilung  ihrer  Beob¬ 
achtungen  bildet  den  zweiten  Theil  der  Monographie  Lustig’s. 
Von  71  Kranken,  die  mit  Serum  eines  Pferdes  behandelt  wurden, 
starben  53,  18  genasen,  ein  minimaler  Effect,  der  mit  den  gleich¬ 
zeitigen  Versuchen  mit  H  a  f  k  i  n  e’schem  Serum  und  solchem  aus 
dem  Petersburger  Institute  vollkommen  übereinstimmt;  von  104 
mit  dem  Serum  anderer  Pferde  behandelten  Kranken  genasen  56 
und  starben  nur  48.  Die  Autoren  sehen  in  dieser  Differenz  einen 
Beweis  dafür,  dass  diese  anderen  Sera  in  der  That  therapeutische 
Effecte  erzielt  haben;  ein  Nachweis  derselben  Differenz  der  Wirk¬ 
samkeit  durch  Thierexperimente  der  betreffenden  Sera  ist  nicht  an¬ 
geführt;  vielleicht  ergänzen  spätere  Mittheilungen,  welche  in  Aussicht 
gestellt  sind,  diese  Lücke,  denn  die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes 
lässt  es  dringend  nothwendig  erscheinen,  dass  ein  klares,  sicher 
begründetes  Urtheil  über  den  Werth  der  verschiedenen  Behandlungs¬ 
methoden  aus  den  Beobachtungen  geschöpft  werden  kann. 

* 

IV.  Die  fortschreitenden  praktischen  Erfolge  der  angewandten 
Bacteriologie  lassen  es  für  den  praktischen  Arzt,  dem  es  unmög¬ 
lich  ist,  der  Entwicklung  der  neuen  Richtung  der  medicinischen 
Wissenschaft  in  den  zahlreichen  und  mannigfach  zerstreuten  Einzel- 
publicationen  rasch  zu  folgen,  sehr  wünschenswerth  erscheinen, 
eine  klare  und  kurze  Zusammenstellung  der  wichtigsten  rI  hatsachen 
aus  der  Lehre  von  der  activen  und  passiven,  der  antitoxischen 
und  antibacteriellen  Immunität  zu  besitzen.  Für  diesen  Zweck  ist 
die  zusammenfassende  Uebersicht  über  Schutzimpfung  und  Serum¬ 
therapie  von  Dieudonne  als  vollkommen  entsprechend  zu 
empfehlen. 

* 

V.  Die  für  die  Beurtheilung  der  therapeutischen  Wirksamkeit 
der  Serumtherapie  bei  Diphtherie  hochwichtige  Arbeit  geht  darau! 
aus,  zu  untersuchen,  bis  zu  welchem  Grade  antitoxisches  Serum 
im  Stande  sei,  ein  Thier  vor  dem  Tode  durch  Diphtheriegift  zu 


530 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  23 


retten;  Dönitz  injicirt,  um  von  der  giftbindenden  Wirkung  des 
Bindegewebes  beim  Meerschweinchen  absehen  zu  können,  Diphtherie¬ 
bouillon  und  Serum  ausschliesslich  intravenös;  es  ergibt  sich,  dass, 
während  bei  gleichzeitiger  Injection  von  Gift  und  Serum  die  Mengen 
innerhalb  sehr  weiter  Grenzen  auch  bei  intravenöser  Application 
genau  quantitativ  proportional  bleiben,  beim  Nachfolgen  der  Serum- 
injection  um  kurze  Zeitintervalle  der  Tod  des  Versuchstieres  auch 
bei  Anwendung  exorbitant  hoher  Serumdosen  eintritt;  je  mehr  die 
Giftmenge  die  einfache  Dosis  letalis  überschreitet,  desto  rascher 
tritt  die  Wirkungslosigkeit  des  Serums  zu  Tage;  vor  einer  7  V2  fac^ 
letalen  Giftdosis  schützt  eine  40  Minuten  nachfolgende  10  X^’/2ma' 
neutralisirende  Serummenge  nicht  mehr  vor  dem  Tode;  da  schon 
bei  15  Minuten  Intervall  die  blos  7 '/2  fache  Dosis  neutralisans  von 
Serum  den  lödtlichen  Ausgang  nicht  mehr  hindert,  schliesst 
Dönitz,  dass  schon  in  dieser  kurzen  Zeit  eine  Dosis  letalis  des 
Giftes  von  den  Körperzellen  gebunden  ist;  dass  diese  Bindung 
rasch  eine  sehr  feste,  durch  grosse  Ueberschiisse  an  Antitoxin  nicht 
lösbare  ist,  zeigt  die  bald  eintretende  Effectlosigkeit  der  nach¬ 
folgenden  Seruminjection. 

Diese  rasche  Giftbindung  bei  Diphtherie  ist  für  die  Praxis 
der  Serumtherapie  von  grossem  Interesse;  denn  dadurch,  dass  bei 
der  Diphtherie  von  den  Körperzellen  das  Gift  rasch  gebunden 
wird  und  das  gebundene  Gift  relativ  früh  Krankheitserscheinungen 
macht,  noch  vor  dem  Gebundensein  der  einfach  letalen  Giftdosis, 
hilft  die  Seruminjection  bei  manifester  Erkrankung,  trotzdem  das 
Antitoxin  das  gebundene  Gift  nicht  mehr  beeinflusst;  es  verhindert 
die  Bindung  des  durch  die  Krankheit  neu  zugeführten  Giftes,  noch 
ehe  es  überhaupt  zur  Fixirung  der  einfach  letalen  Dosis  gekommen 
ist  und  verhütet  darum  auch  bei  eingetretener  Krankheitserscheinung 
die  tödtliche  Wirkung  der  Vergiftung. 

* 

VI.  Hitschmann  und  Lindenthal  haben  in  sieben 
meist  tödtlich  endenden  Fällen  von  Gangrene  foudroyante  exacle 
bacteriologische  Untersuchungen  angestellt  und  kommen  auf  Grund 
derselben  dazu,  den  Process  ätiologisch  und  histologisch  von  den 
Phlegmonen  stricte  zu  trennen;  die  Gewebsveränderung  ist  locale 
Gewebsnekrose,  einhergehend  mit  Gasbildung,  die,  rasch  fort¬ 
schreitend,  durch  allgemeine  Infection  (toxämisch)  lödtet;  als  Ursache 
Finden  sich  die  Bacillen  des  malignen  Oedemes  (selten),  der  Bacillus 
emphysematosus  von  E.  Frankel,  ferner  der  Proteus  Hauser 
(nur  bei  Mischinfeclion  gefunden)  und  bei  Diabetikern  das  Bact, 
coli.  Die  klinische  Diagnose  der  Fälle  ist  durch  das  früh  auf¬ 
tretende  interstitielle  Emphysem  sicher  zu  stellen,  der  üble  Aus¬ 
gang,  auch  durch  frühzeitigen  chirurgischen  Eingriff  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  nicht  zu  vermeiden.  Drei  Tafeln  illustriren  die  histolo¬ 
gischen  und  bacteriologischen  Befunde. 

* 

VII.  Die  Wiedergabe  der  wichtigsten  pathologisch-anatomischen 
experimentellen  Arbeiten  des  B  o  e  r  h  a  v  e- Laboratoriums  aus  dem 
Jahre  1885 — 1897  in  französischer  Sprache,  macht  eine  Reihe 
werthvoller  Publicationen  leichter  zugänglich;  Sie  gen  beck  van 
Heukelom  hat  durch  diese  Zusammenfassung  namentlich  auch 
jener  Arbeiten  seines  Institutes  die  ursprünglich  in  holländischer  Sprache 
veröffentlicht  wurden,  den  vollgiltigen  Beweis  geliefert  für  die  neue 
rege  wissenschaftliche  Thätigkeit  an  der  altberühmten  medicinischen 
Schule  in  Leyden. 

Neben  einer  stattlichen  Reihe  casuistischer  Mittheilungen 
seien  speciell  die  Arbeiten  über  Herzhypertrophie  bei  Nierenkrank¬ 
heiten,  Entzündung  und  Leukocytose,  mehrere  Studien  über  Leber- 
cirrhose,  über  Histogenese  verschiedener  Tumoren  und  endlich  die 
Mittheilung  über  ein  junges  menschliches  Ei  erwähnt,  ein  Präparat, 
durch  dessen  Studium  Siegenbeck  van  Heukelom  zur  An¬ 
nahme  einer  Art  der  Placentation  des  menschlichen  Eies  gelangt, 
die  mit  der  Theorie,  welche  Peters  aus  dem  Studium  eines  noch 
jüngeren  Stadiums  ableitete,  fast  identisch  ist.  Dem  Werke  sind 
38  Tafeln  mit  vorzüglichen  Illustrationen  beigegeben. 

* 

VIII.  In  der  sehr  interessanten  und  inhaltreichen  Mono¬ 
graphie  von  Bose  Finden  zunächst  die  anatomisch-histologischen 
Befunde,  welche  in  den  malignen  Neoplasmen  auf  das  Vorkommen 
von  Parasiten  bezogen  werden  können,  eine  eingehende  und  kritische 
Beschreibung;  der  Autor  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  viel¬ 


gestaltige,  oft  durch  besondere  Furbenreactionen  ausgezeichnete, 
bald  als  Degenerationszeichen,  bald  als  Zelleinschlüsse  verschiedener 
Natur  gedeuteten  eigenthümlichen  Bildungen,  als  Erscheinungsform 
eigener  Arten  von  Parasiten  aus  der  Classe  der  Sporozoen  aufzu¬ 
fassen  seien;  er  nimmt  als  wesentlich  unterstützend  für  diese  Hypo¬ 
these  an,  dass  die  Vertheilung  wie  die  Variation  der  Form  dieser 
Bildungen  eine  doppelte  Gesetzmässigkeit  zeigt:  einmal  sind  diese 
Körperchen  so  vertheilt,  dass  ihre  Anhäufung  und  Verbreitung  mit 
der  Metamorphose  der  Zellen  von  dem  Centrum  zur  wachsenden 
Peripherie  des  Neoplasmas  übereinstimmt,  andererseits  sind  die 
Variationen  der  Formen  solche,  dass  aus  ihnen  eine  regelmässige 
Evolution  eines  Organismus  abgeleitet  werden  kann.  Eine  weitere 
eingehende  Würdigung  Finden  die  theilweise  gelungenen  Versuche 
der  Uebertragung  von  Neoplasmen  durch  Transplantation  und  In¬ 
oculation  von  isolirtem  (nicht  cultivirtem)  Sporozoenmateriale,  sowie 
die  Pathologie  der  Tumoren  an  Thieren.  Als  Vergleichsobjecte 
werden  die  Veränderungen  bei  anderen  sporozoitischen  Erkrankungen 
herangezogen,  speciell  die  Coccidieninfection  des  Kaninchens  (local i- 
sirter  und  generalisirter  Typus),  sowie  die  artiFiciellen  Veränderungen 
durch  Inoculation  von  Schneckenparasiten  auf  Warmblüter.  In  dem 
Capitel  über  die  Histogenese  der  malignen  Neoplasmen  wird  als 
Ursache  der  Homologie  der  Geschwulstzellen  eine  Assimilirung  der 
invadirten  Zellen  an  den  Typus  der  biologisch  verwandten,  primär 
befallenen  angenommen.  Bose  constatirt  ferner,  dass  auch  benigne 
Tumoren,  wie  Nasenpolypen  und  spitze  Papillome,  in  geringer  Menge 
die  gleichen  Parasiten  zeigen,  wie  die  Carcinome.  Der  Autor  schliesst 
aus  diesem  Vorkommen,  dass  maligne  und  benigne  Tumoren  die¬ 
selbe  Ursache  haben,  und  da  weder  histologische,  noch  ätiologische 
Kriterien  sie  durchgreifend  trennen,  nimmt  er  an,  dass  Art  und 
Vermehrungsfähigkeit  des  Parasiten  den  Ausgang  der  neoplastischen 
Wucherung  bedinge. 

Referent  kann  nicht  allen  Ausführungen  des  Autors  zu¬ 
stimmen  und  möchte  insbesondere  betonen,  dass  einerseits  die  Ana- 
logisirung  der  Coccidiose  mit  der  Neoplasie  im  engeren  Sinne  viel¬ 
fach  weniger  weit  geht,  als  der  Autor  annimmt  und  ebenso,  dass 
die  Aehnlichkeit  zwischen  kleinzelliger  InFiltration  der  epithelialen 
Neoplasmen  an  Haut-  und  Schleimhautoberflächen  (auch  bei  nicht 
exulcerirten  Tumoren)  nicht  ohne  Weiteres  einfach  als  Beweis  dafür 
herangezogen  werden  kann,  dass  die  Neoplasmabildung  ein  der  parasi¬ 
tären  Entzündung  ganz  analoger  Process  sei;  endlich  erscheint  auch 
die  IdentiFicirung  der  Inoculationseffecte  isolirter  Sporozoen  mit 
Neoplasmen  im  engeren  Sinne  durchaus  nicht  bewiesen.  Es  ist 
heute  für  eine  Reihe  von  Tumorfällen  der  parasitäre  Ursprung  sicher 
nachgewiesen,  aber  die  fortschreitende  Klärung  und  Neubegrenzung 
der  Krankheitstypen  erfordern  eine  strenge  Kritik  aller  Befunde,  um 
nicht  durch  vorzeitige  Generalisirung  den  gesicherten  Boden  der 
thatsächlichen  Erfahrungen  zu  verlassen. 

* 

IX.  Ottolenghi’s  Zusammenstellung  der  Resistenz  patho¬ 
gener  Bacterien  gegen  die  wichtigsten  Desinfectionsmittel  zeichnet 
sich  ebensosehr  durch  Uebersichtlichkeit,  als  Vollständigkeit  der  an¬ 
geführten  Daten  aus;  als  besonders  werlhvoll  muss  die  experimen¬ 
telle  Ueberprüfung  der  differirenden  Angaben  vieler  Autoren  an¬ 
gesehen  werden,  sie  gibt  den  Zahlenangaben  erst  ihre  wirkliche 
Verwerthbarkeit;  da  auch  die  Formalindesinfection  in  den  Bereich 
der  Untersuchungen  einbezogen  wurde,  ist  das  Buch  auch  für  den 
praktischen  Arzt,  der  ohne  specielle  bacteriologische  Schulung 
Wohnungsdesinfeclionen  vornehmen  soll,  ein  guter  und  verlässlicher 
Rathgeber.  Ein  sehr  ausführliches  Literaturverzeichniss  ermöglicht 
eine  bequeme  Informirung  über  alle  den  Tabellen  zu  Grunde 
liegenden  früheren  Arbeiten.  Dr.  R.  Kretz. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

149.  Krause  berichtet  im  Altonaor  ärztlichen  Vereine  über 
eine  totale  Exstirpation  der  Harnblase  wegen  Tumor¬ 
massen,  welche  die  obere  ganze  Innenfläche  mehr  oder  minder  ein¬ 
genommen  hatten.  Schwieriger  gestaltete  sich  nur  der  Schlussact, 
die  Abtrennung  der  provisorisch  ligirten  Ureteren  und  der  eintre¬ 
tenden  Gefässe.  Die  Samenblasen  wurden  zurückgelassen,  dann  der 
Blasenhals  am  oberen  Theile  der  Prostata  quer  durchtrennt  und 
damit  die  Exstirpation  beendet.  Die  Ureteren  Hessen  sich  nicht  ins 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Rectum  einnähen,  da  die  Umschlagsfalte  des  Peritoneums  sehr  tief 
unten  lag;  sie  wurden  daher  in  die  vordere  Wand  der  Flexur  ein¬ 
gefügt.  Der  Urin  kann  jetzt  durch  fünf  bis  sechs  Stunden  zurück- 
gehalten  werden.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  47.) 

* 

1 50.  Ueber  den  Einfluss  des  Schilddrüsenver¬ 
lustes  auf  die  Heilung  von  Knochenbrüchen.  Von 
Dr.  S  t  e  i  n  1  i  n  (St.  Gallen).  Kaninchen  wurde  die  Schilddrüse  ent¬ 
fernt  und  dann  an  ihnen,  nachdem  Kachexie  aufgetreten  war, 
Fracturen  gesetzt.  Die  Heilung  derselben,  beziehungsweise  die 
Bildung  und  Rückbildung  des  Gallus,  zeigte  sich  gegenüber  dem 
Normalen  um  Wochen  verzögert.  Aus  diesen  Versuchen  scheint 
ein  Einfluss  der  Thyreoidea  auf  die  Heilung  von  Knochenfracturen 
ersichtlich  und  eine  therapeutische  Verwendung  von  Schilddrüsen¬ 
präparaten  bei  schlecht  heilenden  Knochenbrüchen  wenigstens  eines 
Versuches  werth  zu  sein.  —  (Archiv  für  klinische  Chirurgie. 
Bd.  LX,  Heft  2.) 

* 

151.  Lebensgefährliche  Nasenblutung,  gestillt 
durch  örtliche  Gelatineeinspritzungen.  Von  Doctor 
Freudenthal  (Peine).  Die  üblichen  Mittel,  Terpentin,  Tampo¬ 
nade  ohne  und  mit  B  e  1 1  o  c  q  u  e’scher  Röhre  hatten  versagt  und 
die  68jährige  blutende  Dame  war  bereits  pulslos  geworden,  so  dass 
eine  Kochsalzinfusion  nothwendig  geworden  war.  Darauf  wurden 
20— 80  cm3  flüssiger  warmer  Gelatine  in  die  Nasenhöhle  einge¬ 
spritzt,  die  dort  schnell  erhärtete,  worauf  die  Blutung  sofort 
stand.  — ■  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  49.) 

* 

152.  (Aus  dem  Krankenhause  in  Bielefeld.)  Wirkung  des 
Formalins  bei  epithelialen  Erkrankungen.  Von 
Dr.  Daniel.  Die  Aetznng  mit  dem  gewöhnlichen  40%igen  Formal¬ 
dehyd  hat  sich  schon  bei  den  verschiedensten  llautaffectionen, 
Warzen,  Epitheliomen,  Lupus  gut  bewährt.  Daniel  berichtet  von 
einem  Fall  von  Sycosis  vulgaris,  der  durch  eine  dreimonat¬ 
liche  Spitalsbehandlung  nicht  geheilt  werden  konnte,  bis  schliesslich 
ein  Versuch  mit  Formalin  gemacht  wurde,  dessen  Application  im 
Gesichte  jedoch  in  Folge  der  Dämpfe,  die  auf  Augen  und  Respi- 
rationstract  wirken,  zu  einiger  Vorsicht  auffordert.  Nach  24  Stunden 
trat  eine  Dermatitis  mit  starker  Röthung  der  Haut  und  Brennen, 
nach  zwei  weiteren  Tagen  der  charakteristische  Schorf  auf,  unter 
dem  sich  eine  glatte,  reine  Epidermis  bildete.  —  (Deutsche  medi¬ 
cinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  49.) 

* 

153.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  Schul  tze  in  Bonn.)  Die 
klinische  Bedeutung  der  Ausscheidung  von  Fleisch¬ 
resten  mit  dem  Stuhlgange.  Von  Prof.  Schmid  t.  Nicht 
ganz  gar  gekochtes  Bindegewebe  wird  nur  vom  Magensaft,  Kern¬ 
substanz  nur  vom  Pankreas  verdaut.  Das  Erscheinen  von  makro¬ 
skopisch  erkennbaren  Bindegewebsresten  im  Stuhl  weist  also  auf 
eine  Störung  der  Magenverdauung  hin,  wobei  die  Art  der  Störung 
(Subacidität,  Verminderung  des  Pepsins,  zu  grosse  oder  zu  geringe 
motorische  Thätigkeit  des  Magens)  unentschieden  bleibt.  Gleichzeitig 
vorhandene  makroskopisch  erkennbare  Muskelreste  weisen  auf 
eine  Störung  der  Darmverdauung.  Werden  bei  einer  Aufnahme  von 
100  g  Hackfleisch  pro  die  sichtbare  Muskelfaserreste  ohne  Binde- 
gewebsflocken  entleert,  so  handelt  es  sich  um  eine  schwere  Schädi¬ 
gung  der  Darmverdauung,  wobei  es  unentschieden  bleibt,  ob  die¬ 
selbe  auf  einer  Störung  der  Secretion  oder  Resorption  beruht.  — 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  49.) 

* 

154.  Ueber  Immunität  gegen  M  a  1  a  r  i  a  i  n  f  e  c  t  i  on. 
Von  Dr.  Celli  (Rom).  Aus  den  angestellten  Untersuchungen  geht 
hervor,  dass  manche  Personen  gegen  Malaria  auch  in  den  ver¬ 
seuchtesten  Gegenden  immun  sind,  dass  diese  Immunität  sich  aber 
nicht  aus  jenen  Gründen  ableiten  lässt  (Bildung  von  Toxin  und 
Antitoxin),  welche  zur  Aufstellung  der  Serumtherapie  geführt  haben; 
diese  Immunität  liess  sich  bis  jetzt  künstlich  durch  keinerlei  orga¬ 
nische  Gewebssäfte,  sondern  einzig  und  allein  durch  Euchinin  und 
Methylenblau  erzielen.  —  (Centralblatt  für  Bacteriologie  und  Para¬ 
sitenkunde.  1900,  Nr.  3.) 

* 


155.  Myxom  yceten,  respective  Pias  modiop  hör  a 
Brassicae  Woron.  als  Erzeuger  der  Geschwülste 
bei  Thieren.  Von  Podwyssotzki  (Kiew).  Auf  verschiedenen 
erkrankten  Kohlarten  befindet  sich  ein  zur  Classe  der  Myxomyceten 
gehöriger,  von  W  o  r  o  n  i  n  entdeckter  Parasit :  Plasmodiophora 
brassicae,  der  mit  den  bekannten  Einschlüssen  in  Krebszellen  grosse 
Aehnlichkeit  hat.  Der  Verfasser  hat  nun  solche  durch  den  Parasiten 
krankhaft  veränderte  Pflanzentheile  Thieren,  z.  B.  Kaninchen  und  Meer¬ 
schweinchen  unter  die  Haut  gebracht  und  die  Folge  war  das  Auftreten  an¬ 
scheinend  bösartiger  Geschwülste  innerhalb  von  18  Tagen,  in  welchen 
der  genannte  Parasit  auch  nachgewiesen  werden  konnte.  Vorläufig 
scheint  festzustehen,  dass  dieser  Myxomycet  eine  Kernproliferation 
anzuregen  im  Stande  sei.  Weitere  Untersuchungen  sind  im  Zuge. 
—  (Centralblatt  für  Bacteriologie  und  Parasitenkunde.  1900,  Nr.  3.) 

* 

156.  Beitrag  zur  Racenimmunität.  Von  Prett- 
n  e  r  (Prag).  Im  Gegensätze  zu  den  Angaben  verschiedener  Autoren 
konnte  Verfasser  bei  3912  untersuchten  Büffeln  nicht  ein  einziges 
Mal  Tuberculose  feststellen.  Selbst  bei  intraperitonealer  und  intra¬ 
venöser  Injection  von  Tuberkelbacillenculturen,  die  an  zwei  Büffel¬ 
kälbern  vorgenommen  worden  waren,  konnte  bei  den  nach  fünf 
Wochen  getödteten  Thieren  keine  Tuberculose  beobachtet  werden, 
während  sie  bei  zwei  gleich  behandelten  gewöhnlichen  Kälbern  fest¬ 
gestellt  werden  konnte.  —  (Centralblatt  für  Bacteriologie  und 
Parasitenkunde.  1900,  Nr.  3.) 

* 

157.  (Aus  dem  Frankfurter  städtischen  Krankenhause.) 
Ueber  Hirndrucksymptome  beim  Typhus.  Von  Doctor 
Salomon.  Verfasser,  welcher  schon  öfters  ein  derartiges  Verhalten 
der  Sehnervenpapille  bei  Typhus  beobachtet  hatte,  welches  auf 
einen  gesteigerten  Hirndruck  schliessen  liess,  suchte  über  diesen 
mittelst  der  Q  u  i  n  c  k  e’schen  Lumbalpunction  nähere  Aufschlüsse 
zu  bekommen.  In  den  untersuchten  vier  mittelschwere  Typhusfällen 
erwies  sich  der  Druck  des  Liquor  cerebrospinalis  —  der  jedes  Mal 
steril  war  und  keine  agglutinirende  Eigenschaft  besass  — -  als  be¬ 
deutend  erhöht,  was  vielleicht  die  Folge  einer  im  Beginne  des 
Typhus  auftretenden  serösen  Meningitis  sein  kann.  Mit  dem  erhöhten 
Hirndruck  würde  die  bekanntlich  bei  Typhus  gewöhnlich  bestehende 
relative  Pulsverlangsamung  übereinstimmen.  Ausser  durch  die  intra- 
meningeale  Exsudation  mit  dem  anatomischen  Bilde  der  serösen 
Meningitis,  die  als  eine  Folge  der  Toxinwirkung  aufzufassen  ist, 
könnten  die  Hirnsymptome  bei  Typhus  noch  erklärt  werden  durch 
reine  Toxinwirkung  ohne  Exsudation  und  demgemäss  ohne  Druck¬ 
erhöhung,  weiters  durch  eine  gleichzeitig  bestehende  purulente 
Meningitis  mit  Typhusbacillen  im  Eiter,  wie  sie  schon  häufig  be¬ 
obachtet  worden  ist.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  6.) 

* 

158.  Ueber  die  Reaction  der  Leukocyten  auf 
Guajaktinctur.  Von  Dr.  Brandenburg  (Berlin).  1st  Blut 
im  Urin  enthalten,  so  färbt  sich  bei  der  bekannten  Van  Deen- 
schen  Probe  Guajaktinctur  blau,  wenn  Terpentinöl  zugesetzt  wird, 
welches  Sauerstoff  abgibt.  Eiter  in  einem  Secrete  färbt  Guajaktinctur 
blau,  ohne  dass  ein  weiteres  Mittel  noch  zugesetzt  wird.  Da  der 
Urin  reducirende  Substanzen  enthalten  kann,  ist  es  machmal  noth¬ 
wendig,  den  Urin  zu  filtriren  und  die  Reaction  auf  dem  Filter  an¬ 
zustellen.  Es  folgt  daraus,  dass  den  Eiterkörperchen  die  Eigen¬ 
schaft  zukommt,  Guajak  blau  zu  färben.  Weiters  konnte  festgestellt 
werden,  dass  diese  Eigenschaft  einem  Eiweisskörper  zukommt, 
welcher  wahrscheinlich  in  die  Classe  der  Nucleoproteide  gehört,  dass 
aber  die  Nucleoproteide  aus  Leber,  Milz  und  Thymus  diese  Eigen¬ 
schaft  nicht  besitzen,  sondern  dass  dass  diese  vielmehr  den  Leuko¬ 
cyten  des  Knochenmarkes  zukommt.  Weiters  wurde  beobachtet, 
dass  das  Blut  bei  der  Leukämie,  und  zwar  schon  in  den  kleinsten 
Mengen  in  ausgesprochenen  Fällen  Guajaktinctur  bläut.  Die  Probe 
wird  am  zweckmässigsten  in  der  Form  angestellt,  dass  zwei  bis 
drei  Tropfen  Blut  mit  etwas  Wasser  verdünnt,  dann  filtrirt,  hierauf 
mit  Wasser  gewaschen  werden.  Gibt  man  einige  Tropfen  Guajaktinctur 
dann  darauf,  so  färben  sich  die  mit  Blut  befeuchteten  Stellen  des 
Filters  intensiv  blau,  tu  einem  Falle  von  myelogener  Leukämie, 
war  noch  durch  0'Q4  cm6  Blut  eine  tiefblaue  Färbung  entstanden. 
—  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  6.)  Pi- 


Wien Eli  klinische  Wochenschrift.  1900. 


Nr.  23 


&32 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Von  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Wien:  Prof.  Dr.  Ferdinand  Ilochstätter  in  Innsbruck 
zum  correspondirenden  Mitgliede  und  Prof.  Ru  d.  Virchow  in 
Berlin  zum  Ehrenmitgliede.  —  Der  a.  o.  Prof.  Dr.  Karl  Kuffner 
zum  ordentlichen  Professor  der  Psychiatrie  und  Nervenpathologie  an 
der  böhmischen  Universität  in  P  r  a  g.  —  Prof.  Dr.  Max  "W  olff 
an  der  Poliklinik  in  Berlin  zum  Geheimen  Medicinalrath. 

* 

Verliehen:  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Albert  v.  Sölz  in 
Wien  der  Generalstabsarztes-Charakter  ad  honores  und  der  Orden 
der  Eisernen  Krone  III.  Gl. 

* 

Am  27.  Mai  d.  J.  feierte  die  Grazer  medicinische  Facultät  das 
25jährige  Professorenjubilänm  Hans  Eppinge  r’s.  Aus  diesem  An¬ 
lasse  bringen  die  „Mittheilungen  des  Vereines  der  Aerzte  in  Steiermark“ 
einen  von  Prof.  Fr.  Kraus  verfassten,  die  vielseitigen  Verdienste  des 
rühmlich  bekannten  Lehrers  der  pathologischen  Anatomie  warm  an¬ 
erkennenden  Begrüssungsartikel. 

* 

Die  innere,  etwa  600  Betten  umfassende  Abtheilung  des  ver¬ 
storbenen  Prof.  Leichten  stern  am  städtischen  Krankenhause  zu 
Köln  wurde  in  zwei  Stationen  zerlegt,  zu  deren  dirigirenden  Aerzten 
Dr.  Minkowski  in  Strassburg  und  Dr.  Hochhaus  in  Kiel  ge¬ 
wählt  worden  sind. 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrath  es  am 
26.  Mai  d.  J.  gelangten  nach  Mittheilung  verschiedener  Geschäfts 
Angelegenheiten  durch  den  Vorsitzenden,  Hofrath  v.  Vogl,  nach¬ 
stehende  Referate  zur  Erledigung:  1.  Gutachtliche  Aeusserung  über 
die  Qualification  der  Bewerber  um  die  erledigte  Stelle  eines  Ober¬ 
bezirksarztes  im  Küstenlande.  (Referent:  Sections-Chef  v.  Kusy.) 
2.  Referat  über  den  Entwurf  eines  neuen  Morbilitäts-Schemas  für 
Krankenanstalten.  (Referent:  Prof.  Weichselbaum  namens  des 
Speeialcomites.)  Schliesslich  gelangte  ein  Initiativantrag  des  Ober- 
sanitätsrathes  Prof.  Dr.  Wagner  v.  J  a  u  r  e  g  g,  betreffend  die  Ver¬ 
anlassung  therapeutischer  Massnahmen  zur  Bekämpfung  des  endemi¬ 
schen  Cretinismus  zur  Berathung,  und  wurde  der  Antragsteller  vom 
Obersten  Sanitätsrathe  mit  der  Erstattung  detaillirter  Anträge  betraut. 

* 

In  der  am  28.  Mai  d  J.  stattgefundenen  Sitzung  der  mathe¬ 
matisch-naturwissenschaftlichen  Classe  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  wurde  über  die  Zuerkennung  des  2000  K 
betragenden  Lieben-Preises  Beschluss  gefasst.  Derselbe  wurde 
zur  Hälfte  dem  Privatdocenten  der  vergleichenden  Physiologie  an  der 
medicinisclien  Facultät  in  Wien,  Dr.  Theodor  Beer,  für  seine 
Arbeit  über  die  vergleichende  Physiologie  der  Accommodation,  zur 
anderen  Hälfte  dem  Prof.  Dr.  Oskar  Zotli,  Assistenten  am  physio¬ 
logischen  Institute  in  Graz,  für  seine  Untersuchungen  über  die  schein¬ 
bar  verschiedenen  Grössen  der  Sonne  und  des  Mondes  in  der  Nähe  des 
Horizontes  und  der  Nähe  des  Zenithes  zugesprochen. 

* 

Der  Vorstand  der  Aerztekammer  für  Berlin-Branden¬ 
burg  hat  in  der  Sitzung  vom  26.  Mai  folgende  Anträge  ge¬ 
stellt:  „Die  Aerztekammer  für  die  Provinz  Brandenburg  und  den 
Stadtkreis  Berlin  erachtet  es  zur  Erhaltung  eines  leistungsfähigen 
Aerztestandes  für  erforderlich,  dass  1.  das  Zeugniss  der  Reife  von 
einem  humanistischen  Gymnasium  auch  fürderhin  alleinige  Vorbedin¬ 
gung  der  Zulassung  zu  den  ärztlichen  Prüfungen  bleibe;  2.  dass  aber, 
wenn  eine  Zulassung  der  Absolvirten  anderer  Mittelschulen  (Real¬ 
gymnasien  und  Realschulen)  zu  den  Universitätsstudien  nicht  zu  ver¬ 
hüten  sein  sollte,  wenigstens  aj  diese  Zulassung  sich  auf  a  1 1  e  Facul- 
täten  unserer  Hochschulen  erstrecke,  nicht  aber  auf  die  medicinische 
beschränke,  b)  vor  Inkrafttreten  dieser  Reformen  die  schon  jetzt 
nothwendige  Vermehrung  sämmtlicher  medicinischen,  insbesondere  der 
klinischen  Unterrichtsanstalten  in  ausgiebigstem  Umfange  ins  Werk 
gesetzt  werde.“  Die  Anträge  wurden  mit  grosser  Mehrheit  ange¬ 
nommen. 

* 

Alle  jene  Congresstheilnehmer,  welche  sich  für  die 
Dauer  ihres  Aufenthaltes  in  Paris  eine  Wohnung  sichern  wollen, 
werden  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  sie  sich  sofort  und  persönlich 
unmittelbar  mit  einer  der  nachgenannten  Agentien  in  Verbindung 
setzen  mögen:  Agence  Desroches  (Rue  du  Faubourg-Montmartre,  21), 
Agence  de  voyages  pratiques  (Rue  de  Rome,  9),  Agence  des  voyages 
modernes  (Rue  de  l’Echelle,  1),  Agence  Lubin  (Boulevard  Haussmann, 
36),  Societe  franyaise  des  voyages  Duchemin  (Rue  de  Grammont,  20). 
Weiters  stehen  noch  für  Congresstheilnehmer,  welche  ohne  Familie 
reisen,  800  Betten  in  den  Schlafzimmern  der  verschiedenen  Pariser 
Lyceen  in  der  Umgebung  des  Congressitzes  zur  Verfügung.  Preis  für 


Bett,  Frühstück  und  Bedienung  daselbst  Frcs.  5.50.  Jene  Mitglieder 
des  internationalen  medicinischen  Congresses,  welche  auf  die  Aufnahme 
ihrer  Vorträge  in  das  officielle  Congressprogramm  reflectiren,  werden 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Titel  der  Vorträge  bis  spätestens 
10.  Juni  dem  Congress-Bureau  gemeldet  sein  müssen.  Die  Er¬ 
klärung  zur  Congresstheilnahme  hat  bis  längstens  15.  Juli  zu  erfolgen. 
Die  Einschreibung  erfolgt  unter  Einsendung  einer  Visitkarte  mit  An¬ 
gabe  der  gewählten  Section,  sowie  einer  Postanweisung  von  25  Frcs. 
Mitgliederbeitrag  an  Dr.  Duflocq,  Rue  de  l’Ecole  de  Medecine,  21, 
Paris,  woselbst  auch  die  Vormerkungen  auf  Ileservirung  eines  Bettes 
in  den  Lyceen  entgegengenommen  werden.  —  Vom  23.  bis  28.  Juli 
d.  J.  wird  in  Paris  der  Erste  internationale  Congress 
für  ärztliche  Standesinteressen  stattfinden.  Jene  Aerzte, 
welche  Mitglieder  desselben  werden  wollen,  haben  15  Frcs.,  deren 
Frauen,  sowie  Studirende  der  Medicin,  welche  dem  Congresse  beiwohnen 
wollen,  16  Frcs.  Beitragsgebühr  zu  entrichten.  Nähere  Auskünfte 
ertheilt  Dr.  Jules  Glover,  Rue  du  Faubourg-Poissonniere,  37,  Paris. 

* 

Nr.  22  der  „Deutschen  medicinischen  Wochenschrift“  bringt  in 
Sachen  der  freien  Aerztewahl  in  Berlin  folgende  bemerkenswerthe 
Nachricht.  Der  Vorstand  der  neuen  etwa  9500  Mitglieder  zählenden 
Betriebskrankenkasse  der  Stadt  Berlin  hat  sich  in  seiner  ersten  Sitzung 
gleich  für  die  freie  Aerztewahl  entschieden  ;  in  gleicher  Weise  hatten 
sich  auch  die  Vertreter  des  Magistrates,  sowie  die  Aufsichtsbehörden 
dieser  Absicht  günstig  gegenübergestellt.  In  der  That  ist  ein  ent¬ 
sprechender  Vertrag  zwischen  der  obgenannten  Krankenkasse  und  dem 
Vereine  der  frei  gewählten  Kassenärzte  am  21.  Mai  zur  Zufriedenheit 
beider  Contrahenten  in  Kraft  getreten. 

* 

Im  Verlage  von  Vaudenhoeck  und  Ruprecht  in 
Göttingen  erscheint  seit  Mai  d.  J.  monatlich  zweimal  ein  von  Prof. 
Karl  v.  Noorden  in  Frankfurt  a.  M.  herausgegebenes  „Central¬ 
blatt  für  Stoffwechsel-  und  Verdauungskrank¬ 
heiten“.  Preis  eines  Jahrganges  Mark  20. 

* 

Das  von  Dr.  H.  Schlesinger  (Frankfurt  a.  M.)  im  Ver¬ 
lage  von  Deuerlich  in  Göttingen  herausgegebene  „Aerztliche 
Handbüchlein  für  hygienisch-diätetische,  hydro¬ 
therapeutische,  mechanische  und  andere  Verord¬ 
nungen“  ist  in  7.  Auflage  erschienen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  20.  Jahreswoche  (vom  13.  Mai 
bis  19.  Mai  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  637,  unehelich  308,  zusammen 
945.  Todt  geboren:  ehelich  45,  unehelich  26,  zusammen  71.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  704  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
22T  Todesfälle),  darunter  an  Tuber culose  143,  Blattern  0,  Masern  15, 
Scharlach  1,  Diphtherie  und^Croup  6,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  6,  Neu¬ 
bildungen  47.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
51  ( —  37),  Masern  260  ( —  51),  Scharlach  42  ( —  3),  Typhus  abdominalis 
8  ( —  5),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  25  ( —  2),  Croup  und 
Diphtherie  24  ( —  16).  Pertussis  29  (■ —  33),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
t=),  Puerperalfieber  1  ( —  1),  Trachom  2  (=\  Influenza  3  (-[-  1). 

Freie  Stellen. 

Directorsstell  e  an  der  öffentlichen  allgemeinen  Landeskranken- 
anstalt  in  Czernowitz,  Bukowina.  Jährlicher  Gehalt  4000  K  mit 
d.em  Vorrückungsrechte  in  die  höheren  Gehaltsstufen  von  4200  K  und 
4400  K  nach  je  fünf  Dienstjahren ;  Activitätszulage  720  K  und  Functions¬ 
zulage  800  K.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihren  Gesuchen  die  Nach¬ 
weise  über  die  österreichische  Staatsangehörigkeit,  das  Doctorat  der  gesamm- 
ten  Heilkunde,  falls  sie  nicht  bereits  in  Landesdiensten  sind,  über  das  nicht 
überschrittene  40.  Lebensjahr,  über  ihre  bisherige  Verwendung  und  über  die 
Kenntniss  der  Landessprachen  beizulegen.  Die  Competenzgesnche  sind 
bis  10.  Juni  1900,  und  zwar  von  solchen  Beweibern,  die  in  öffentlichen 
Diensten  stehen,  durch  die  Vorgesetzte  Dienstbehörde  beim  Bukowinaer 
Landesausschusse  zu  überreichen. 

Gemeinde  a  rztesstelle  in  der  1800  Einwohner  zählenden 
Sanitätsgemeindengruppe  Hollenburg  an  der  Donau,  politischer  Bezirk 
Krems,  Nied erösterr eich.  Fixe  Bezüge:  300  K  von  den  Gemeinden, 
900  K  Landessubvention,  100  K  Wohnungsbeitrag.  Haltung  einer  Haus¬ 
apotheke  erforderlich.  Bewerber  wollen  ihre  Zuschriften  an  die  Gemeinde¬ 
vorstehung  in  Hollenburg  an  der  Donau  richten. 

Gemeindearztesstelle  in  Aldein,  Bezirk  Bozen,  Tirol,  mit 
einem  jährlichen  Wartgelde  von  1400  K,  freier  Wohnung  und  freiem 
Holzbezuge.  Für  jede  Visite  ist  eine  Taxe  von  1  K  50  h  und  für  jede  Haus¬ 
ordination  eine  solche  von  60  h  festgesetzt  Der  Gemeindearzt  hat  eine 
Hausapotheke  zu  halten  und  den  Gemeindesanitätsdienst  im  Sinne  der 
Dienstesinstruction  für  Gemeindeärzte  zu  versehen.  Auch  bat  er  die 
Todtenbeschau  zu  besorgen,  wofür  er  jedoch  jedes  Mal  die  Gebühr  von  2  K 
aufrechnen  kann.  Die  Gemeindearmen  im  Gemeindespitale  sind  unentgeltlich 
zu  behandeln,  jedoch  wird  der  Ersatz  für  die  an  dieselben  verabfolgten  Medi- 
camente  vom  Ortsarmenfonde  geleistet.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre 
gehörig  belegten  Gesuche  sammt  Taufschein  bis  spätestens  1.  Juli  d.  J. 
bei  der  Gemeindevorstehung  in  Aldein  einzubringen 


Nr.  ‘23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


533 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  1.  Juni  1900. 

Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  vom  25.  Mai  1900. 


2.  Oesterreichischer  Balneologen-Congress  zu  Ragusa  und  Ilidze. 

(Schluss.) 

29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  (18.  bis 
21.  April.)  (Schluss.) 

18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden.  Vom  18.— 21.  April  1900. 
(Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  1.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Exner. 

Schriftführer :  R.  Paltauf. 

Erben  demonstrirt  Schüttelparoxysmen  bei  einem 
Kranken  mit  chronischem  Mercurialismus. 

Vor  zwei  Jahren  betrug  ihn  ein  College  wegen  eines  Kranken, 
der  eben  eine  energische  Schmierern*  hinter  sich  hatte  und  nun  über 
das  Auftreten  von  Zittern  klagte.  Da  das  Zittern  in  der  Ruhe  sistirte 
und  nur  bei  Bewegungen  hervortrat,  auch  Sprachstörungen  vorhanden 
waren,  lehnte  Erben  die  Diagnose  eines  Tremor  mercurialis  ab. 

An  diesen  Kranken  wurde  Erben  erinnert,  als  er  in  letzter 
Zeit  mehrere  Hutmacher  und  Vergolder  mit  streng  ausgeprägtem 
Intentionszittern  sah.  Der  anwesende  Kranke  ist  einer  jener 
Hutmacher  und  hat  seit  18  Jahren  seinen  constitutionellen  Mercuria¬ 
lismus.  Er  kann  gewöhnlich  mehrere  Jahre  hindurch  ungestört  arbeiten, 
bis  ihn  wieder  vier  bis  fünf  Monate  lang  die  Stomatitis  mit  der  grossen 
Mattigkeit  befällt;  wenn  letztere  weicht,  tritt  erst  der  Tremor  auf. 
Seinen  jetzigen  Zustand  hat  er  seit  circa  einem  halben  Jahre ;  er  bekam 
vertaubtes  Gefühl  in  den  Fingern  und  an  den  Schultern,  welches  nach 
vier  Wochen  verschwunden  war.  Dann  überfiel  ihn  eine  Schwere,  dass 
er  die  Arbeit  aussetzen  musste.  Sowie  die  Arme  leichter  wurden,  setzte 
Zittern  am  ganzen  Körper  ein;  am  meisten  zittern  die  Arme.  Wenn  er 
sich  anstrengte,  zitterte  auch  der  Kopf.  Kälte  und  Schnelligkeit  der 
Bewegungen  vermehren  den  Tremor.  Mit  Schlaf,  Stuhl  und  Appetit 
ist  er  zufrieden. 

Der  Körperbefund  zeigt  keinerlei  Symptome,  welche  für  eine 
Erkrankung  des  Centralnervensystems  sprächen.  Er  hat  eine  mässige 
Stomatitis,  besitzt  noch  viele  Zähne  trotz  seiner  63  Jahre,  hat  alkali¬ 
schen  Speichel  und  dementsprechend  harten  Zahnstein.  Seine  vorge¬ 
streckte  Zunge  zittert  nicht,  seine  Sprache  ist  nicht  bebend.  Die  Em¬ 
pfindung  ist  in  keiner  Qualität  beeinträchtigt.  Es  besteht  nirgends 
Muskelatrophie.  Bei  passiven  Bewegungen  der  Arme  will  er  keinen 
ansehnlichen  Widerstand  aufbringen  und  begründet  dies  mit  Schmerzen, 
die  hiebei  im  unteren  ßicepsansatz  und  an  der  brachialen  Deltoides- 
insertion  auftreten.  Die  Nervenstämme  an  den  Oberarmen  sind  nicht 
druckschmerzhaft,  dafür  die  Muskeln  (namentlich  an  ihren  Ansätzen). 
Kniereflexe  und  Tricepsreflexe  sind  normal,  der  Reflex  am  Biceps  und 
am  Stylus  radii  fehlt  beiderseits. 

Während  die  Arme  herabhängen,  sind  sie  regungslos;  wenn 
er  den  Arm  vor  sich  hinhält,  beginnt  ein  Zittern  —  ausgespro¬ 
chenes  Intentionszittern.  Das  Zittern  steigert  sich  nach 
wenigen  Secunden  bis  zum  heftigen  Schütteln,  ln  diesem  Moment  mahnt 
der  Kranke  an  Paralysis  agitans;  der  Unterschied  liegt  jedoch  darin, 
dass  hier  das  Schütteln  aus  dem  Handgelenk  heraus  erfolgt  und  die 
Finger  nicht  selbstständig  zittern,  während  sich  bei  der  Paralysis 
agitans  die  einzelnen  Finger  gegeneinander  bewegen  (Pillendrehen, 
Geldzählen).  Schütteln  ist  beim  alkoholischen,  saturninen,  essentiellen 
oder  B  a  s  e  d  o  w’schen  Tremor  niemals  anzutreffen,  nur  selten  beim 
Greisenzittern.  Die  genannten  Gattungen  des  Zitterns  haben  feinere  und 
raschere  (schwirrende)  Oscillationen,  die  übrigens  in  der  Ruhe  nicht 
cessiren. 

Lässt  man  die  Hand  länger  vor  sich  hinhalten,  so  schwächt 
sich  nach  einer  Minute  das  Schütteln  allmälig  ab  und  es  tritt  für  zehn 
und  mehr  Secunden  Ruhe  ein,  die  stufenweise  in  neuerliche  Agitationen 
übergeht;  das  geht  so  fort  und  kommen  immer  wieder  Schüttel¬ 
paroxysmen,  die  von  kurzen  Ruhepausen  unterbrochen  werden.  Der 
Kranke  gibt  an,  dass  das  jedesmalige  Abklingen  des  Schüttel- 
paroxysmus  von  starker  Ermüdung  begleitet  wird;  sobald  dieselbe  nach¬ 
lässt,  bricht  das  Schütteln  wieder  hervor. 


Gibt  man  ihm  einen  grossen  Gegenstand  in  die  Hand,  so  setzt 
gleichfalls  nach  einiger  Zeit  die  heftige  Agitation  aus  und  wenige 
Secunden  später  gleitet  ihm  der  Gegenstand  ans  der  Hand,  „da  ihn 
die  Kraft  der  Finger  verlasse“. 

Man  lasse  ihn  mit  dem  Zeigefinger  auf  die  Nase  greifen.  Den 
grössten  Theil  dieser  Bewegung  führt  er  ruhig  und  auf  kürzestem 
Wege  aus,  erst  im  letzten  Drittel,  nahe  am  Ziele,  setzt  eine  Unruhe 
ein  und  die  Hand  bewegt  sich  in  grossen,  relativ  langsamen,  trans¬ 
versalen  oder  longitudinalen  rhythmischen  Oscillationen  um  den  ange¬ 
strebten  Punkt,  die  Nasenspitze.  Wenn  er  den  Finger  von  der  Nase 
weg  zur  Ausgangsstellung  bringt,  wird  der  Tremor  nicht  stärker, 
sondern  hört  schon  vor  dem  Erreichen  der  letzteren  auf;  das  Empor¬ 
führen  zum  geplanten  Ziel  erfordert  mehr  Muskelthätigkeit,  als  das 
Aufgeben  der  intendirten  Haltung.  Der  Intentionstremor  bei  der  m  u  1- 
tiplen  Sklerose  hat  dieselben  Merkmale,  nur  mischt  sich  oft 
Ataxie  ein  und  die  Hand  fährt  dann  unter  ungleichmässigen  Zickzack¬ 
bewegungen  von  der  beabsichtigten  Richtung  aus. 

Auffällig  zeigen  sich  die  Schüttelparoxysmen,  wenn  er  die  beiden 
Fäuste  auf  die  Brust  legt;  dieselben  bewegen  sich  heftig  bald  mitein¬ 
ander,  bald  gegeneinander.  Speisen  in  den  Mund  führen,  zuknöpfen 
oder  binden  bringt  er  nicht  zu  Wege. 

Die  vorhin  angeführten  negativen  Nervenbefunde  lassen  eine 
Herdsklerose  ausschliessen.  Das  Intentionszittern  findet  sich  nicht  aus¬ 
schliesslich  bei  diesem  Krankheitsbilde  —  wie  es  vielfach  angenommen 
wird  — ,  sondern  gehört  auch  der  chronischen  Quecksilbervergiftung 
an.  Die  einschlägige  Literatur  verzeichnet  das  nicht,  aber  doch  konnte 
Erben  eine  Bemerkung  von  Strümpell  auffinden,  aus  der  hervor¬ 
geht,  dass  ihm  das  Phänomen  bei  Spiegelarbeitern  nicht  fremd  ge¬ 
blieben.  ‘)  So  bringt  die  heutige  Demonstration  eine  Bestätigung  hiezu 
und  wird  die  bis  nun  ignorirte  Beobachtung  von  Neuem  verbreiten. 

Intentionszittern  offenbarte  sich  neben  Ataxie  auch  in  einigen 
vereinzelten  Beobachtungen  von  Gowers,  Oppenheim  und  Brun  s; 
es  handelte  sich  da  um  Tumoren  im  Kleinhirn,  in  Pons,  respective 
Vierhügel. 

Um  zum  Ausgange  dieses  Vortrages  zu  kommen  :  Solche  Moti¬ 
litätsstörungen,  wie  sie  der  vorgestellte  Kranke  bietet,  sind  auch  bei 
Schmiercuren  eventuell  zu  erwarten,  zumal  Leyden  und  nach  ihm 
v.  Engel,  ebenso  v.  Jak  sch  über  Fälle  berichten,  wo  durch 
Schmiercuren  Polyneuritis  hervorgerufen  wurde. 

Dr.  Latzko  stellt  eine  Patientin  aus  seiner  Abtheilung  am 
Kaiser  Franz  Josef-Ambulatorium  vor,  an  der  er  vor  zwei  Monaten 
wegen  Carcinoma  cervicis  die  abdominelle  Radicaloperation  ausgeführt 
hat.  Nachdem  der  linke  Ureter  durch  einen  kirschengrossen  Carcinom- 
knoten  im  Parametrium  stricturirt  war,  wurde  er  oberhalb  der 
Strictur  im  kleinen  Becken  isolirt,  doppelt  unterbunden  und  durch¬ 
trennt.  Der  erwähnte  Knoten  wurde  im  Zusammenhänge  mit  dem 
Genitale  und  mit  einem  circa  3  cm  langen  Stück  des  Ureters  ex- 
stirpirt.  Das  centrale  Ende  des  resecirten  Ureters  wurde  in  die 
Blase  implantirt,  indem  es  durch  Fadenzügel  ungefähr  1  cm 
weit  in  die  eröffnete  Blase  gezogen  wurde.  Die  Fadenzügel  und  ein  in 
das  Nierenbecken  vorgeschobener  Ureterenkatheter  wurden  durch  die 
Urethra  nach  aussen  geleitet.  Die  Wand  des  Ureters  wurde  durch 
feine  Nähte  an  die  Blasenmuseulatur  geheftet,  darüber  eine  zweite  und 
dritte  Nahtreihe  gelegt,  die  periuterines  Gewebe  mit  Blasenwand  und 
hinteres  Peritonealblatt  mit  Blasenserosa  vereinigten.  Nunmehr  lag  der 
Ureter  und  die  gegen  die  Vagina  drainirte  Implantationsstelle  wieder 
vollkommen  retroperitoneal.  Nach  Auslösung  der  erreichbaren  Drüsen 
im  Bereiche  der  Iliacagabelung  wurde  die  Bauchhöhle  geschlossen. 
Dauer  der  Operation  2 a/4  Stunden. 

')  Die  drei  Kranken  mit  Quecksilberzittern,  welche  Charcot  an? 
22.  März  1888  vorstellte,  boten  selbst  in  der  Rübe  »intermittirendes 
Zittern«,  das  sich  bei  Bewegungen  zur  Agitation  steigerte;  unser  Kranker 
aber  zeigt  ausgeprägten  Intentions  tremor,  welcher  intermittirt. 


534 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  23 


Der  weitere  Verlauf  gestaltete  sieh  so  glatt,  dass  die  Patientin 
am  lü.  Tage  entlassen  werden  konnte. 

Der  vorgestellte  Fall  ist  der  fünfte,  bei  welchem  im  An¬ 
schlüsse  an  die  Exstirpation  des  carcinomatösen  Uterus  ein  Ureter 
resecirt  und  mit  Erfolg  in  die  Blase  implantirt 
wurde.  Die  übrigen  Fälle  stammen  von  Chalot,  Penrose, 
Polk  und  Westermark.  Uober  die  Prognose  der  Radicaloperation 
derartig  weit  vorgeschrittener  Fälle  in  Beziehung  auf  Dauerheilung 
wird  man  sich  wohl  erst  nach  Vorliegen  grösserer  Beobachtungsreiheu 
ein  klares  Bild  machen  können. 

Herr  Teleky  übernimmt  den  Vorsitz. 

Dr.  Sigm.  Exner:  Demonstration  eines  Mikrophons 
zur  akustischen  Beobachtung  der  Schallschwingun¬ 
gen  am  menschlichen  Gehörorgan. 

Da  die  Schwingungen  des  Trommelfelles  und  der  Gehörknöchel¬ 
chen  bei  Einwirkung  von  Schallwellen,  deren  Stärke  dem  Hören  des 
täglichen  Lebens  entspricht,  von  so  geringer  Elongation  sind,  dass 
auch  unsere  mikroskopischen  Vergrösserungen  nicht  ausreichen,  sie 
einem  genauen  Studium  zu  unterziehen,  so  hat  der  Vortragende  Herrn 
Dr.  L.  Mader  (derzeit  in  München)  vorgeschlagen,  die  Schall¬ 
schwingungen  im  Mittelohre  und  dessen  Umgebung  mit  Hilfe  des 
Mikrophons  zu  untersuchen.  Dr  Mader  war  im  verflossenen  Jahre 
im  Physiologischen  Institute  der  Wiener  Universität  mit  der  Aus¬ 
arbeitung  und  der  Anwendung  dieser  Methode  beschäftigt  und  hat 
seine  Resultate  in  einer  Arbeit  zusammengefasst,  welche  im  Februar  1.  J. 
der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  vorgelegt  worden  ist.  Bei 
dem  Interesse,  welches  die  Methode  beanspruchen  kann,  sieht  sich  der 
Vortragende  veranlasst,  das  Wesentliche  derselben  der  Gesellschaft  der 
Aerzte  vorzuführen,  und  wählt  dazu  den  Fall,  in  welchem  die  Schwin¬ 
gungen  der  Steigbügelplatte  unter  verschiedenen  Umständen  geprüft 
werden  sollen:  Das  Mikrophon  besteht  aus  einem  circa  10?am  langen, 
mit  Kohlenpulver  gefüllten  cylindrischen  Seidensäckchen,  welches  an 
den  basalen  Enden  durch  Metallplatten  geschlossen  ist.  Der  Strom 
eines  galvanischen  Elementes,  durch  einen  Rheostaten  in  seiner  Stärke 
variirbar,  durchsetzt  von  einer  der  Metallplatten  zur  anderen  das 
Kohlenpulver  und  passirt  die  primäre  Wickelung  einer  Inductionsrolle. 
Die  secundäre  Wickelung  derselben  geht  in  eine  Leitung  über,  die  zu  einem 
in  einem  entfernten  Raume  angebrachten  Telephon  führt.  Jede  Com¬ 
pression  des  Kohlenpulvers  im  Seidensäckchen  wird  demnach  dessen 
Widerstand  und  damit  die  Intensität  des  primären  Stromes  ändern, 
und  durch  Inductionswirkung  eine  entsprechende  Bewegung  der  Tele- 
phonplatte  hervorrufen.  Nun  ist  an  der  einen  Metallplatte  des  Mikro¬ 
phons,  senkrecht  auf  ihre  Fläche,  ein  Stift  aus  nicht  leitender  Substanz 
befestigt,  dessen  Spitze  an  die  Labyrinthfläche  der  Steigbügeljflatte 
eines  Leichenohres  angelegt  wird.  Zu  diesem  Behufe  ist  das  Felsenbein 
mit  seinem  Inhalte  und  dem  äusseren  Ohre  aus  einem  Schädel  heraus¬ 
gesägt  und  die  Steigbügelplatte  freigelegt.  Damit  dieses  Anlegen  mit 
genügender  Genauigkeit  und  nach  Wunsch  immer  mit  demselben 
Drucke  geschehe,  ist  das  Mikrophon  oder  der  Leichentheil  mittelst 
Mikrometerschrauben  verschiebbar,  und  eine  Umschaltvorrichtung  an 
der  primären  Leitung  angebracht,  welche  das  Mikrophon  in  einen  an¬ 
deren  Stromkreis  einschaltet,  in  welchem  eine  Bussole  und  eine  Com- 
pensationsvorrichtung  den  von  dem  Drucke  abhängigen  Widerstand 
des  Kohlenpulvers  immer  auf  die  gewünschte  Grösse  zu  bringen  gestattet. 

Mit  diesem  Instrumentchen  hat  Dr.  Mader  eine  Anzahl  von 
Versuchsreihen  durchgeführt.  Der  Vortragende  hebt  als  ein  Beispiel 
derselben  Folgendes  hervor:  Wenn  man  vor  dem  Leichenohre  in 
gegebener  Entfernung  einen  Ton  erzeugt,  die  so  entstandenen  Schwin¬ 
gungen  der  Steigbügelplatte  mikrophonisch  beobachtet,  und  nun  das 
Trommelfell  durch  einen  Circulärschnitt  durchtrennt,  um  es  ausser 
Function  zu  setzen,  so  nimmt  selbstverständlich  die  Elongation  der 
Steigbügelbewegungen  bedeutend  ab.  Hat  man  aber  den  Stift  des 
Mikrophons  an  die  Wandung  des  Vorhofes  hart  neben  der  Steigbügel- 
platte  angelegt,  und  wiederholt  diesen  Versuch,  so  bemerkt  man,  dass 
die  Schwingungen  der  Felsenbeinmasse  in  Folge  der  Trommelfell- 
durchschneidung  zunehmen. 

Es  ist  das  eine  schöne  Illustration  für  die  Function  des  Trommel¬ 
felles,  welches  die  lebendigen  Kräfte  der  einwirkenden  Luftwellen 
gleichsam  auf  die  Steigbügelplatte  concentrirt,  während  sich  diese 
Kräfte,  nach  \  ernichtung  des  Trommel  feiles  auf  die  Massen  des  Felsen¬ 
beines  vertheilen. 

Dass  man  sich  bei  Verwendung  dieser  Methode  vor  Fehler¬ 
quellen  sorgfältig  zu  hüten  hat,  ergibt  sich  von  selbst:  ist  doch  das 
Mikrophon  ein  so  feinfühliger  Apparat,  dass  Luftwellen,  welche  es 
direct  treffen,  auch  telephonische  Effecte  von  überaschender  Treue 
hervorrufen. 

Der  Vortragende  hatte  von  dem  Mikrophon,  das  mit  dem  Steig¬ 
bügel  des  Leichenohres  in  Berührung  war,  eine  Leitung  in  ein  ab¬ 
gelegenes  Zimmer  hergestellt,  und  daselbst  das  Telephon  angebracht. 
Die  A  nwesenden  konnten  sich  überzeugen,  dass  man  am  Telephon 


ganz  gut  versteht,  was  im  Sitzungssaale  gegen  das  Leichenohr  ge¬ 
sprochen  wurde. 

Wegen  vorgeschrittener  Zeit  wird  der  Vortrag  Prof.  Englisch 
auf  die  nächste  Sitzung  verschoben. 


Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  vom  25.  Mai  1900. 

Prof.  Englisch :  Zur  Prostatahypertrophie. 

Die  Prostata  entwickelt  sich  am  Ende  des  dritten  Embryonal¬ 
monates  am  Grunde  des  Sinus  urogenitalis  aus  Epithelialausstülpungen 
genau  so  wie  andere  acinöse  Drüsen,  und  zwar  seitlich  und  am 
Grunde  neben  der  Mittellinie.  Erstere  (20 — 2G)  Läppchen  bilden  die 
Seitenlappen  der  Prostata;  letztere  zwischen  Blasenwand  und  Samen¬ 
gängen  als  mittlerer  Lappen. 

Je  nach  der  Entwicklung  haben  wir  eine  Prostata 

1.  a )  nur  mit  den  zwei  seitlichen  Lappen, 

b)  mit  allen  drei  Lappen;  letztere  geben  eigent¬ 
lich  die  normalen  Verhältnisse  wieder. 

2.  Diese  Formen  finden  sich  a )  bei  Neuge¬ 
borenen; 

b)  weiters  in  jedem  Alter. 

Die  Pars  prostatica  urethrae  bildet  bei  der  ersten  Form  eine 
gleichmässige  Krümmung  von  grösserem  Halbmesser,  daher  für  jede 
Katheterart  durchgängig;  bei  letzterer  eine  winkelige  Form,  eignet 
sich  daher  für  Instrumente  mit  kurzer  Krümmung  (M  e  r  c  i  e  r’s 
Katheter).  Der  mittlere  Lappen  liegt  hoch  oben,  ohne  Knickung  des 
Harnrohres;  tiefer  unten  oder  ganz  nahe  den  Samengängen  mit 
winkeliger  Form  der  Harnröhre,  im  letzten  Falle  um  so  stärker. 

Dieselben  Formen  finden  sich  bei  Neugeborenen 
und  in  allen  Alter  stufen. 

3.  Die  Seiten  lappen  zeigen  drei  Formen:  a )  die 
flache,  b)  die  kugelige,  c )  die  höckerige. 

4.  Die  beiden  Seitenlappen  sind  a)  gleich,  b)  un¬ 
gleich,  und  zwar  der  rechte  oder  linke  grösser. 

5.  Bei  dreilappigen  stehen  a )  alle  drei  in  gleichem  Verhältnisse, 
b)  in  ungleichem  Verhältnisse;  der  mittlere  Lappen  über  wiegt  die 
Seitenlappen  oder  umgekehrt. 

Dieselben  Formen  finden  sich  beim  Neugeborenen 
und  Erwachsenen. 

Durch  diese  Verhältnisse  bilden  sich  die  manigfachsten  Formen 
der  Vorsteherdrüse. 

Alle  Angaben  wurden  durch  Präparate  Neugeborener  und  Er¬ 
wachsener  belegt. 

Discussion:  Prof.  v.  Frisch  fragt  den  Vortragenden  nach 
dem  Alter  jenes  Patienten,  von  dem  das  demonstrirte  Präparat  mit 
dem  vielgetheilten  Mittellappen  herrührt  und  ob  eine  mikroskopische 
Untersuchung  des  Tumors  gemacht  worden  sei. 

Prof.  Englisch  erwidert,  das  Alter  des  Patienten  nicht  an¬ 
geben  zu  können.  Eine  mikroskopische  Untersuchung  habe  er  bisher 
nicht  vorgenommen,  da  ihm  das  Präparat  zu  kostbar  sei  und  er  in 
seinen  heutigen  Ausführungen  nur  die  äussere  Form  der  Prostata 
ohne  Beziehung  auf  die  innere  Zusammensetzung  berücksichtigt  habe. 

Prof.  v.  Frisch:  Nachdem  der  Herr  Vortragende  so  ver¬ 
schiedenartige  Bildungen  als  Mittellappen  bezeichnet  hat,  wäre  es 
wünschenswerth,  diesen  Ausdruck  zu  präcisiren.  Ich  frage  daher, 
welche  Bildung  an  der  Prostata  Herr  Prof.  Englisch  als  Mittel¬ 
lappen  auffasst,  und  in  welcher  Beziehung  derselbe  zu  T  o  m  p  s  o  n’s 
„hinterer  Commissur  der  Prostata“  steht? 

Prof.  Englisch:  Ein  Prostatalappen,  auch  der  mittlere,  ist 
nur  der,  welcher  Prostatasubstanz  enthält.  Jene  Vorsprünge,  die  aus 
den  Fasern  des  Schlussmuskels  bestehen,  heisst  er  nie  Lappen,  sondern 
Volvula.  Die  hintere  Commisur  ist  die  Vereinigung  der  beiden  Seiten¬ 
lappen  in  der  Medianebene  hinter  der  Harnröhre. 


2.  Oesterreichischer  Balneologen-Congress  zu  Ragusa 

und  Ilidze. 

(Schluss.) 

Docent  Dr.  C.  Ullmann:  Lichtwirkungen  auf  normale 
und  pathologisch  veränderte  Haut. 

Verschiedene  Arten  der  Hautpigmentation  sind  zweifellos  Effecte 
der  kurzwelligen,  ultravioleletten  oder  noch  stärker  brechbaren  Theile 
des  Sonnenspectrums.  Sowohl  oberflächliche,  ekzemartige,  erythematöse 
oder  papulovesiculöse  Processe  (Eczema  solare,  Gletscherbrand),  als 
auch  tiefergreifende,  vesicolobullöse,  mit  narbiger  Destruction  aus¬ 
heilende  Ilautentzündundungen  erweisen  sich  durch  ihr  periodisches, 
an  die  heisse  Jahreszeit  gebundenes  Auftreten  auf  vom  Lichte  be- 


Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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schienenen  Körperstellen  als  zweifelloser  pathologischer  Effect  des 
Lichtstrahlenreizes.  Auch  für  die  Entstehung  des  von  Kaposi  zuerst 
beschriebenen  Xeroderma  pigmentosum,  von  ihm  selbst  bis  jetzt  als 
Neigung  zu  frühzeitiger  seniler  Involution  der  Haut  aufgefasst,  dürfte 
der  Reiz  des  Sonnenlichtes  eine  wesentliche  Rolle  spielen.  Aehnliehe 
Eigenschaften  sind  auch  für  andere  kurzwellige  Lichtstrahlen,  so  die 
Röntgen-  Strahlen,  nachgewiesen. 

Docent  Dr.  S.  Klein:  Ueber  die  Beziehungen 
zwischen  Augenheilkunde  und  Balneotherapie. 

Matzenaue  r  (Wien):  Indication  en  zur  Behand¬ 
lung  cli  ronischer  Dermatosen  und  inveterirter  Syphilis¬ 
formen  mit  den  Thermalquellen  von  Ilidze. 

In  Folge  des  hohen  Gehaltes  der  Thermen  von  Ilidze  an 
Glaubersalz,  Chloriden  und  Bicarbonaten  des  Calciums  und  Magnesiums 
entfalten  sie  eine  ähnliche  Wirkung  wie  Karlsbad. 

Die  Hydrotherapie  im  Allgemeinen  bildet  auch  in  der  Therapie 
der  Syphilis  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Adjuvans,  indem  sie  zur 
Hebung  des  Ernährungszustandes  und  Kräftigung  des  Organismus  in 
eminenter  Weise  beiträgt. 

Die  Hauptdomäue  in  der  Syphilistherapie  liegt  bei  den  Schwefel 
haltigen  Thermen  von  Ilidze,  und  zwar  für  die  veralteten  tertiären 
Formen.  „Bei  Erkrankungen  der  Gelenke,  des  Bandapparates,  der 
Sehnen  und  Muskeln  sind  Schwefelthermen  indicirt“  (Neumann). 
Desgleichen  eignen  sich  hiezu  Fälle  von  Visceralsyphilis,  die  mit  Er¬ 
krankungen  der  Leber  und  der  Nieren  einhergehen,  zumal  dabei  die 
cholagoge  und  diuretische  Wirkung  des  Sprudels  von  Ilidze  zur  Gel¬ 
tung  kommt.  Von  chronischen  Dermatosen  ist  es  namentlich  die 
chronisch  recidivirende  Urticaria  in  Folge  Autointoxication  von  Seite 
des  erkrankten  Magen-Darmtractus,  welche  Trinkeuren  mit  Sprudel¬ 
wasser  erheischt,  wobei  namentlich  die  schmerzstillende  Wirkung  bei 
chronischen  Magen-Darminfectiouen  (wahrscheinlich  durch  den  Gehalt 
an  Kohlensäure  und  Chlorcalcium)  und  die  abführende  Wirkung  (in 
Folge  des  Glaubersalzes),  sowie  die  schleimlösende  und  Gallenabsonde¬ 
rung  fördernde  Wirkung,  wie  bei  der  Karlsbader  Cur,  sich  geltend 
macht.  In  auffallend  günstiger  Weise  werden  auch  stark  juckende 
Dermatosen,  wie  Lichen  urticatus,  selbst  Prurigo  etc.,  bei  gleichzeitig 
interner  und  externer  Behandlung  beeinflusst  und  besonders  gewisse, 
trockene,  schuppende,  chronische  Ekzeme. 

Dr.  Wiek:  Zur  Frage  der  Acclimatisation. 

Die  Verschiedenheit  in  den  Gesundheitsverhältnissen  und  in  der 
Sterblichkeit  der  beiden  in  Wien  stationirten  bosnisch-hercegovinischen 
Regimenter  bietet  die  seltene  Gelegenheit,  Beobachtungen  über  den  Ein¬ 
fluss  desKlimawechsels  anstellen  zu  können.  DieThatsaehe,  dass  gerade  das 
aus  der  Hercegovina  stammende  Regiment  gegenüber  dem  aus  Bosnien 
stammenden  eine  um  Vieles  höhere  Morbidität  aufweist,  könnte  als 
Folge  des  Umstandes  gedeutet  werden,  dass  es  aus  einem  subtropischen 
Klima  in  das  rauhere  Winterklima  versetzt  ist,  während  das  bosnische 
Regiment  einen  derartigen  Klimawechsel  nicht  durchmacht,  da  Bosniens 
Klima  als  subalpines  Klima  angesprochen  werden  kann,  wenig  ver¬ 
schieden  von  dem  Niederösterreichs.  Um  hierüber  zu  einem  Urtheile 
zu  gelangen,  werden  die  Gesundheitsverhältnisse  der  Truppen  in  ver¬ 
schiedenen  Territorien  verglichen,  so  in  Ostgalizien  als  Repräsentanten 
eines  kälteren  Binnenklimas,  in  Dalmatien  als  Repräsentanten  des  sub¬ 
tropischen  Küstenklimas,  dann  in  den  dazwischen  liegenden  Territorien 
von  Wien,  Graz,  Pest.  Es  zeigt  sich  eine  Abnahme  der  tuberculösen 
Erkrankungen  im  Süden,  d.  h.  in  Dalmatien  und  Bosnien,  dagegen 
ein  Plus  an  Malaria  und  Erkrankungen  der  Athmungsorgane  in 
Dalmatien,  welches  indessen  nur  dem  einheimischen  Regiment  zur  Last 
fällt.  Verfolgt  man  die  Morbidität  bei  Wanderung  einer  Truppe  von 
Nord  nach  Süd,  so  bestätigt  sich  eine  Abnahme  der  tuberculösen 
Krankheiten.  Ein  Beispiel  für  die  Wirkung  des  entgegengesetzten 
Weges  bieten  die  bosnisch-hercegovinischen  Regimenter.  Die  dabei  zu 
Tage  tretende  höhere  Morbidität  häDgt  aber  weit  mehr  mit  anderen 
Factoren,  als  mit  dem  Klimawechsel  zusammen.  Diese  Factoren  sind 
die  Garnisonirung  in  der  Gi’ossstadt,  insbesondere  aber  die  nationale 
Disposition  und,  in  Bezug  auf  die  Tuberculose,  wohl  auch  die 
hereditäre  Belastung  und  die  vorausgegangene  Infection.  Der  Beweis 
hiefür  wird  geführt  theils  aus  der  Kenntniss  der  sanitären  Verhält¬ 
nisse  des  Occupationsgebietes,  theils  aus  der  der  Gesundheitsverhält¬ 
nisse  jener  stammesgleichen  Regimenter,  welche  aus  den  an  das 
Occupationsgebiet  angrenzenden  Ländern  stammen.  Nachdem  eben  diese 
gleichfalls  eine  höhere  Morbidität  nachweisen,  ohne  den  Süden  ver¬ 
lassen  zu  haben,  und  andererseits  auch  die  aus  Galizien  nach  Wien 
versetzten  Regimenter  eine  Verschlechterung  ihrer  Gesundheitsverhält¬ 
nisse  erlitten,  obgleich  sie  eher  in  wärmeres  Klima  kommen,  so  kann 
dem  Klimawechsel  in  den  in  Rede  stehenden  Erscheinungen  nur  eine 
untergeordnete  Rolle  zuerkannt  werden.  Die  Statistik  zeigt,  wie  die 
Morbidität  der  Truppen  parallel  geht  mit  der  Culturstufe  jener  Länder, 
aus  denen  sie  stammen.  Bezüglich  der  Prophylaxis  könnte  allenfalls 
von  einer  Versetzung  des  Regimentes  aus  der  Grossstadt  in  eine  süd¬ 
liche  oder  selbst  nur  kleinere  Station  eine  Besserung  der  Gesundheits- 


Verhältnisse  erwartet  werden,  der  Hauptnachdruck  muss  aber  auf 
Hebung  der  Constitution  der  Leute  und  auch  auf  Hebung  der  Cultur, 
insbesondere  der  Sanitätspflege  im  Occupationsgebiete,  gelegt  werden. 
Die  Heilquellen  Bosniens  können  diesem  Zwecke  dienstbar  gemacht 
werden. 

Dr.  Hermann  v.  C  o  1 1  e  1 1  i :  Der  Curort  Ilidze  und 
seine  Heilfactor  en. 

Der  grosse  Thermaisprudel  wurde  1892  erschlossen  und  besitzt 
eine  Temperatur  von  57-5°C.;  das  Wasser  riecht  nach  Schwefel¬ 
wasserstoff,  weist  einen  ausserordentlich  hohen  Mineralisations-Coeffi- 
cienten  auf  und  ist  besonders  reich  an  Glaubersalz,  Calcium-,  Natrium- 
und  Magnesiumbicarbonat,  sowie  an  freier  Kohlensäure;  es  ist  zu 
Trinkeuren  verwendbar.  Zu  Bädern  wird  die  Therme  in  allen  jenen 
Fällen  angewendet,  wo  ähnlich  Schwefelwässer  accreditirt  sind.  —  Ein 
zweiter  Heilfactor  ist  das  Moorbad;  die  hiezu  verwendete  Moorerde 
wird  in  Zepöe  au  der  Bosnabahn  gestochen.  —  Der  dritte  Heilfactor 
ist  die  Kaltwasseranstalt  nach  dem  Systeme  Winternitz.  —  Der 
Mannigfaltigkeit  der  zur  Verfügung  stehenden  Curmittel  entspricht 
auch  die  Curmethodik,  wonach  ganz  heterogene  Krankheitsformen  der 
Behandlung  unterzogen  werden. 


29.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

18.— 21.  April. 

(Schluss.) 

Referent:  Dr.  Heinz  Wohlgemuth  (Berlin). 

Zweiter  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

III.  Barth  (Danzig):  Zur  Frage  der  diagnostischen 
Nierenspaltung. 

Barth  möchte  in  dieser  Hinsicht  zur  Vorsicht  mahnen.  Er  hat 
nicht  nur  einmal  Nekrose  durch  Gefässverletzung  erlebt,  sondern  auch 
noch  eine  andere  böse  Erfahrung  gemacht,  nämlich  eine  Lungenembolie, 
wo  er  denn  —  er  hatte  wegen  Verdachtes  auf  Stein  gespalten,  doch 
eine  interstitielle  Nephritis  gefunden  - —  die  ganze  untere  Partie  der 
Niere  vollkommen  gangränös  fand.  Solches  Unheil,  glaubt  er,  werde 
auch  nicht  durch  den  Z  o  n  d  e  c  k’schen  Schnitt  verhütet.  Die  Unter¬ 
suchungen  von  Br  atz  haben  auch  gezeigt,  dass  das  spätere  Schicksal 
der  gespaltenen  Niere  nicht  immer  ein  gutes  ist.  B  r  a  t  z  hat  nach 
sieben  Jahren  hochgradige  Schrumpfung  beobachtet.  Also  ungefährlich 
ist  die  Aufschneidung  der  Niere  nicht  und  man  soll  es  sich  wohl 
überlegen,  da  man  bei  den  erkrankten  Nieren  fast  immer  chionisehe 
interstitielle  Processe  findet.  Die  Nephralgien  gehen  nach  seiner  Er¬ 
fahrung  durch  Aushiilsung  der  Niere  oft  zurück. 

Discussion:  Israel  (Berlin)  glaubt,  dass  Bart  h  eine 
Gangrän  der  Niere  nicht  wegen  der  Incision,  sondern  wahrscheinlich 
wegen  zu  fester  Naht  erlebt  habe.  Auch  die  ausgedehnten  Schrumpfungen, 
die  B  r  a  t  z  beobachtet  hat,  glaubt  er  nicht  auf  die  Incision 
beziehen  zu  müssen.  Die  Indieationen  zur  Spaltung  der  Niere  glaubt 
er  doch  nach  seinen  Erfahrungen  weiter  ziehen  zu  müssen,  als 
Herr  Bart  h. 

Brau  n  (Göttingen)  hält  die  Spaltung  der  Niere  oft  für  sehr 
schwer,  da  die  Auslösung  derselben  wegen  der  festen  Verwachsungen 
nicht  selten  unmöglich  ist.  Er  hat  auch  in  einem  Falle  von  Carcinom 
der  rechten  Niere  mit  Albuminurie  aus  jener  der  anderen  Seite  die  Ex¬ 
stirpation  gemacht.  Das  Befinden  war  zuerst  recht  schlecht,  sp>ärliche 
Urinsecretion,  schlechtes  Allgemeinbefinden.  Schliesslich  aber  trat 
Erholung  ein  und  reichliche  Secretion.  Der  betreffende  Patient  ist  nach 
einem  halben  Jahre  an  Influenzapneumonie  mit  urämischen  Erscheinungen 
gestorben. 

IV.  Krönlein  (Zürich) :  Demonstration  eines  sel¬ 
tenen  Nierentumors. 

Von  einer  Patientin,  die  er  auf  dem  vorjährigen  Congress  mit 
einem  ihr  entfernten  polyeystischen  Cystofibrom  gezeigt  hat,  berichtet 
der  Vortragende,  dass  sie  jetzt  l3/4  Jahre  gesund  ist,  obgleich  man 
doch  annimmt,  dass  die  Cystennieren  gewöhnlich  doppelseitig  sind. 
Heute  zeigt  er  einen  Cystentumor  der  rechten  Niere  einer  35jährigen 
Frau,  den  er  als  Carcinom  diagnosticirt  hatte,  der  nach  dem  Befunde 
jedoch  als  ein  Teratoid  der  Niere  angesehen  werden  musste. 

V.  Enderlein  (Marburg) :  Experimentelle  Blasen¬ 
plastik. 

Vortragender  berichtet  über  Versuche  von  Blasenplastik  mit  ein- 
gepflanztem  Dünndarm,  die  er  an  Hunden  angestellt  hat. 

VI.  Anschütz  (Breslau)  demonstrirt  einen  Fall  von 
Blasenektopie  bei  einen  jungen  Mann  von  1 8  Jahren,  welchem 
v.  Mikulicz  den  Defect  der  Blasenwand  durch  eine  Darmplastik 
gedeckt  hat.  Eine  12  cm  lange  Dünndarmschlinge  wurde  ausgeschaltet, 
das  Lumen  in  die  Bauchwand  eingeschlossen  um  zu  beobachten,  was 
aus  ihr  wird.  Nach  vier  Wochen  wurde  die  Peripherie  des  Darmlumens 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  23 


an  die  Peripherie  der  ektopischen  Blasenwand  genäht  und  schliesslich 
geschlossen.  Darauf  folgte  die  Harnröhrenplastik.  Der  Patient  trägt 
jetzt  eine  Penisquetsche,  mittelst  welcher  er  50  —  60  cm3  Urin  zu  halten 
vermag.  Die  Blase  fasst  100  cm3.  Der  Urin  ist  klar,  sauer  und  enthält 
Darmschleim. 

Discussion:  Trendelenburg  (Leipzig)  hat  keinen  Fall 
beobachtet,  wo  nicht  durch  directe  Vereinigung  der  Blasenspalte,  wenn 
die  Blase  auch  noch  so  klein  ist,  Continenz  bis  auf  zwei  Stunden  zu 
erzielen  gewesen  wäre.  Er  berichtet  über  zwei  Fälle,  Knaben,  die  zur 
Zeit  der  Operation  2%  und  3l/z  Jahre  alt  waren,  und  die  er  fast  voll¬ 
kommen  geheilt  hat,  ohne  Penisquetsche,  sondern  nur  mit  einer  Blasen- 
druckpelotte.  (Demonstration  der  Photographien.)  Der  Urin  bei  seinen 
Patienten  war  durch  eine  geeignete  Saugvorrichtung  während  der  Heilung 
tropfenweise  abgesaugt  worden;  mit  Unterstützung  eines  erheblichen 
Druckes  auf  die  Beckenschaufeln  heilt  so  auch  die  directe  Naht.  Ein 
Vortheil  dieser  Methode  war,  dass  die  Knaben  nicht  nass  wurden  und 
daher  auch  keinen  Decubitus  bekamen.  Die  Beckenschaufeln  gehen 
nachher  allerdings  wieder  auseinander.  Er  hat  daher  versucht,  um  diese 
Annäherung  zu  einer  dauernden  zu  machen,  an  Stelle  der  Durch¬ 
schneidung  der  Synchondrose  eine  kleine  Fractur  zum  Hervorrufen  eines 
Gallus  zu  machen. 

v.  Mikulicz  (Breslau)  glaubt,  dass  es  nicht  immer  möglich 
ist,  die  Blase  direct  zu  schliessen.  Auch  den  Fall  von  T  r  e  n  d  e  1  e  n- 
b  u  r  g,  den  er  gesehen,  hält  er  nicht  für  so  ideal  geheilt. 

It  o  h  n  (Frankfurt  a.  M.)  bemerkt,  dass  die  von  Herrn  M  i  k  u- 
licz  empfohlene  Penisplastik  von  Passavant  angegeben  ist. 

VII.  v.  Bergmann  (Riga):  Ueber  Darmausschal¬ 
tungen  beim  Volvulus. 

Vortragender  betont,  dass  beim  Ileus  meist  zu  spät  operirt  wird, 
dass  die  Opiumbehandlung  zu  lange  ausgedehnt  wird.  Die  Differential- 
diaguose  wird  häufig  sehr  schwer,  oft  erst  in  Narkose  nach  Aufhören 
der  Spannung  möglich  sein.  Die  Anamnese,  der  pathologische  Befund 
sind  oft  trügerisch.  Ein  Aufblähen  des  centralen  Endes  beim  Volvulus 
ist  nur  beim  Dickdarm  oft  zu  sehen.  Die  Diagnose  soll  durch  das 
W  a  h  l’sche  Symptom  geleitet  werden  mit  dem  Amendement  von 
Schlange.  Die  Darmanastomose  ist  oft  erfolgreich.  Er  hat  von 
81  Fällen  15  exspectativ  behandelt.  10  Fälle  gingen  gleich  zu  Grunde, 
von  46  operirten  sind  14  geheilt,  circa  25%  durch  Anastomose.  Je 
früher  die  Diagnose,  umso  besser  die  Resultate. 

VIII.  Credc  (Dresden) :  Die  Vereinfachung  der  Gastro- 
Entcrostomie. 

Credc  hat  eine  eigene  Methode  ausgebildet,  welche  es  er¬ 
möglicht,  die  hintere  Gastroenterostomie  auch  in  schlechten  Fällen  in 
gegen  früher  viel  gefahrloserer  Weise  auszuführen.  Es  wird  dies 
namentlich  dadurch  ermöglicht,  dass  alle  Proceduren  ausserhalb  der 
Bauchhöhle  vorgenommen  werden  könueu.  Redner  benützt  zu  seiucr 
Methode  drei  silberne  Platten,  von  dönen  zwei  mit  einer  dazwischen 
gelegten  Gummiplatte  in  den  Darm,  eine  in  den  Magen  zu  liegen 
kommen,  woselbst  alle  drei  durch  einen  Seidenfaden  fest  mit  einander 
verknüpft  werden.  Nach  etwa  5 — 8  Tagen  stossen  sich  die  Platten 
ab,  um  eine  Woche  später  auf  natürlichem  AVege  entleert  zu  werden. 
(Demonstration  des  Instrumentariums.)  Er  hat  18  Operationen  mit 
zwei  Todesfällen  ausgeführt. 

IX.  S  t  e  i  n  t  h  a  1  (Stuttgart) :  Zur  Resection  d  c  s  Vol¬ 
vulus  der  Flexura  sigmoidea. 

Redner  erinnert  an  den  Vorgang  von  v.  Eis  eis  borg,  der  den 
Volvulus  jedes  Mal  mit  einer  Resection  verbunden  wissen  wollte.  Er 
hat  einen  Fall  von  Volvulus,  bei  dem  er  anfangs  nicht  die  Radical- 
operation  machen  wollte,  entlassen.  Nach  14  Tagen  Recidiv,  welches 
auf  Oelklystiere  behoben  wurde.  Schliesslich  aber  nach  einigen  AVochen 
der  Beobachtung  musste  er  sich  doch  zur  Resection  entschliessen.  Der 
Fall  ist  jetzt  vollkommen  geheilt.  (Demonstration  des  Präparates.) 

X.  Sprengel  (Braunschweig)  hat  als  Ursache  einer  In¬ 
vagination  des  lleums  in  das  Coecum  eine  angeborene 
Cyste  der  Darm  wand  beobachtet,  deren  Inhalt  aus  Fett  und 
Cholesterin  bestand  und  die  entwicklungsgeschichtlich  als  ein  Ento- 
dermoid  angesprochen  werden  musste. 

XI.  K  e  h  r  (Halberstadt):  Dreimalige  Gastroenterosto¬ 
mie  an  einer  Kranke  n. 

Kehr  berichtet  über  drei  solcher  Fälle,  die  er  zu  operiren  ge- 
nöthigt  war.  Den  M  u  r  p  h  y  -  Knopf  empfiehlt  er  nicht  wegen  zu 
kleiner  Oeffnungen,  sondern  die  Naht. 

Derselbe  stellt  zwei  Kinder  vor  von  einem 
halben  Jahr  e,  an  denen  er  wegen  angeborener  P  y  1  o  r  u  s- 
steuose  die  Gastroenterostomie  ausgeführt  hat. 

Discussion:  Lindner  (Berlin)  lobt  die  Gastroenterostomie 
nach  AAr  ö  1  f  1  e  r  mit  Naht.  Gegen  den  Circulus  vitiosus  macht  er 
principiel  1  die  Enteroanastomose,  sie  schützt  zugleich  den  Magen  vor 
Eintritt  von  Darminhalt. 

K  r  ö  n  1  e  i  n  (Zürich)  hat  noch  nie  den  M  urphy  -  Knopf  an¬ 
gewendet.  Seine  Erfahrungen  mit  der  Naht  werden  je  länger  umso 


besser.  Die  Vereinfachung  der  Technik  scheint  ihm  eine  Gefährdung 
der  Sicherheit  zu  sein.  Auf  die  Länge  der  Operationsdauer  logt  er 
kein  allzu  grosses  Gewicht.  Früher  hat  er  ausschliesslich  die  Wölf- 
1  e  r’sche,  jetzt  nur  die  Hacker’sche  Methode  angeweudet. 

v.  Zöge-M  an  teuffei  (Dorpat)  macht  anatomische  Be¬ 
merkungen  zur  Resection  der  Flexura  sigmoidea,  wobei  er  betont, 
dass  es  nicht  zur  Drehung  kommen  kann,  wenn  dieselbe  ein  Mesen¬ 
terium  recti  hat. 

Hochcnegg  (AArien)  hat  ein  vierjähriges  Kind  mit  Ileus  ope¬ 
rirt,  als  dessen  Ursache  sich  eine  Cyste  zwischen  Ileum  und  Cöcum 
herausstellte,  die  die  Invagination  hervorgerufen  hatte.  Er  hat  die 
Cyste  exstirpirt  und  eine  Enteroanastomose  zwischen  Ileum  und  Cöcum 
angelegt.  Nach  zwei  Tagen  wieder  Ileus  mit  Exitus.  Die  Section  ergab 
eine  grosse  Invagination,  die  die  Anastomosenöffnung  durch  Vorlage¬ 
rung  geschlossen  hatte. 

XII.  v.  Eiseisberg  (Königsberg):  Zur  Therapie  der 
gutartigen  Pylorusstenosen  mit  besonderer  Berück¬ 
sichtigung  der  Aetzstricturen. 

v.  Eiseisberg  empfiehlt  die  Gastroenterostomie. 

Discussion:  Martens  (Berlin)  demonstrirt  die  Präparate 
von  zwei  Fällen  von  Darmstenose  bei  einem  sechs  Tage  alten  Kinde 
und  einem  17jährigen  Mädchen,  die  durch  Operation  gewonnen 
worden  sind. 

XII I.  Körte  (Berlin) :  Demonstration  eines  Ulcus 
p  e  p  t  i  c  u  m  jejuni  nach  Gastroenterostomie  wegen 
Magenulc  u  s. 

Das  Präparat  wurde  durch  die  Section  gewonnen.  Im  Ganzen 
sind  vier  solcher  Fälle  bekannt. 

XIV.  Steinthal  (Stuttgart) :  Multiple  perforirende 
Ulcer  a  des  Jejunums  nach  Gastroenterostomie. 

Steinthal  vermehrt  die  von  Körte  angegebenen  vier  Fälle 
um  einen  fiiuften,  der  schon  am  neunten  Tage  nach  der  Gastro¬ 
enterostomie  aufgetreten  war.  Es  fanden  sich  mehrere  Ulcera  um  den 
Murphy-Knopf  herum,  die  nach  seiner  Meinung  wegen  vorgeschrittener 
Atheromatose  so  früh  schon  aufgetreten  waren. 

XV.  Petersen  (Heidelberg):  Ueber  Darmverschlin¬ 
gung  nach  Gastroenterostomie. 

Redner  berichtet  über  drei  eigenartige  Fälle  von  Darmverschlin¬ 
gung  nach  Gastroenterostomia  retrocolica  (zweimal  posterior,  einmal 
anterior).  Der  nach  rechts  gelagerte  abführende  Schenkel  war  hinter 
den  zuführenden  nach  links  hindurchgeschlüpft  durch  den  Ring, 
welcher  gebildet  wurde  vom  Magen,  der  hinteren  Abdomiualwand  und 
dem  zuführenden  Darmschenkel.  Zweimal  hatte  die  durchgeschlüpfte 
Schlinge  fast  den  gesammten  Dünndarm  nach  sich  gezogen.  Die  hier¬ 
bei  erfolgte  starke  Torsion  und  Zerrung  des  Mesenteriums  hatte  zur 
Thrombose  von  Mesenterialvenen  und  zu  Darminfarct  geführt.  Nach 
seinen  Versuchen  an  der  Leiche  und  am  Thier  erklärt  Petersen 
diese  Darmverschlingung  auf  folgende  AVeise.  Die  drei  Operationen 
waren  mit  Murphy  Knopf  ausgeführt  werden.  In  dom  Augenblicke,  wo 
dessen  beide  Hälften  zusammengefügt  werden,  kann  der  Operateur 
leicht  die  vorher  parallel  zur  Frontalachse  des  Magens  gelagerte 
Anastomosenschlinge  verdrehen,  und  zwar  in  dem  Sinne,  dass  der  ab¬ 
führende  Schenkel  statt  nach  rechts  mehr  oder  weniger  nach  hinten 
gelagert  wird.  Es  ist  daher  beim  Zusammenpressen  des  Murphy-Knopfes 
streng  auf  die  richtige  Lage  des  abführenden  Schenkels  zu  achten. 
Der  zuführende  Schenkel  soll  möglichst  kurz  sein.  Die  Ausführungen 
wurden  durch  Tafeln  erläutert. 

Discussion:  Cauer  (Breslau)  glaubt,  dass  das  Cred  e’sche 
Verfahren  längere  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  als  bei  ihm  die  Naht. 
Auch  den  Circulus  vitiosus  hält  er  dadurch  nicht  für  vermieden.  In 
der  Breslauer  Klinik  wird  der  Murphy-Knopf  bei  gutartigen  A  ffectionen 
principiell  nicht  gebraucht,  bei  bösartigen  nur,  wenn  die  Operations¬ 
dauer  abgekürzt  werden  soll.  Ferner  hat  er  auch  einen  Fall  von  Ulcus 
pepticum  neben  der  Nahtstelle  beobachtet. 

v.  Hacker  (Innsbruck)  urgirt,  dass  eine  ganze  Reihe  von  in 
der  Literatur  niedergelegten  nach  „v.  Hacke  r“  gemachten  Gastro¬ 
enterostomien  nicht  genau  seiner  Methode  entsprechen.  Daher  glaubt 
er,  kommen  die  schlechten  Resultate.  Er  nimmt  stets  die  oberste 
Jejunumschlinge,  gelesen  aber  hat  er  einen  Fall,  wo  eine  „tiefe  Ileum- 
schlinge“  nach  v.  Hacker  genommen  worden  sei.  Die  Schlinge  soll 
nicht  zu  lang  und  nicht  zu  kurz  sein.  Eine  zu  kurze  zerrt,  eine  zu 
lange  comprimirt.  Ferner  macht  er  die  Incision  schräg,  4 — 5  cm  lang, 
damit  beide  Muskelschichten  durchtrennt  werden.  Die  Magenfistel  legt 
er  nahe  der  grossen  Curvatur  an. 

Löbker  (Bochum)  betont,  dass  wir  die  Diagnose  der  ange¬ 
borenen  Stenose  der  Säuglinge  jetzt  ganz  präcise  stellen  können. 
Zuerst  sind  die  Kinder  gut  entwickelt,  es  besteht  nur  eine  relative 
Stenose  ;  nach  AArochen  aber  wird  sie  complet,  es  tritt  Erbrechen  auf 
ohne  Galle,  es  erfolgt  keine  Nahrungsaufnahme,  kein  Stuhlgang.  Es 
sind  immer  röhrenförmige  Stenosen,  daher  ist  nur  ein  Verfahren  mög¬ 
lich,  die  Gastroenterostomie.  Er  hat  zwei  Kinder  operirt  in  der  zehnten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Lebenswoche  und  im  siebenten  Monat.  Die  Ernährung  besteht  zuerst 
nur  in  Klysmen,  reichlichen  Einläufen  von  Kochsalzlösung,  um  den 
Turgor  wiederherzustellen. 

P  r  e  t  z  (Königsberg)  glaubt  den  Gefässveränderungen  als  Ursache 
für  die  Ulcerationen  nach  Gastroenterostomie  grosse  Wichtigkeit  bei¬ 
messen  zu  sollen. 

Franke  (Braunschweig)  schlägt  vor,  um  bei  Invaginations- 
volvulus  eine  Reinvagination  zu  vermeiden,  das  Ileum  eine  kurze 
Strecke  weit  an  die  hintere  Bauchwand  anzunähen. 

Hadra  (Berlin)  zeigt  einen  Patienten,  dem  er  vor  einem  Jahre 
wegen  Pylorusstenose  die  Gastroenterostomie  g( macht  hat,  und  bei 
dem  sich  später  spontan  eine  Magenfistel  bildete,  welche  er  auf  ein 
Ulcus  pepticum  zurückführen  möchte. 

Petersen  (Heidelberg)  berichtet,  dass  von  180  Gastro¬ 
enterostomien,  von  denen  140  mit  Murphy-Knopf  gemacht  wurden,  die 
letzten  100  ohne  Circulus  vitiosus  heilten.  Auch  ist  kein  Unglücksfall 
auf  den  Knopf  zu  schieben  gewesen.  Bei  der  richtig  ausgeführten 
II  a  c  k  e  r’schen  Methode  geht  die  zuführende  Duodenalschlinge  stets 
gerade  von  oben  nach  unttn,  so  dass  ein  Aufhängen  nicht  weiter 
nüthig  ist. 

XVI.  Wallstein  (Halle)  demonstrirt  Präparate  von  experi¬ 
mentell  erzeugter  Skoliose  an  Händen,  um  die  Torsion  der  Wirbel¬ 
körper  zu  zeigen.  Ferner  einen  Redressionsapparat  tür  Skoliose  und 
Kyphose. 

XVII.  Grosse  (Halle)  stellt  in  Vertretung  von  v.  Bramann 
ein  Kind  mit  Tibiadefect  vor,  in  welchen  ein  durch  Amputation  ge¬ 
wonnenes,  präparirtes  und  ausgekochtes  Tibiastück  eingesetzt  wurde, 
und  welches  vollkommen  eingeheilt  und  organisirt  ist. 

XVIII.  Braun  (Göttingen):  Ueber  entzündliche  Ge¬ 
schwülste  des  Netzes. 

Häufig  entstehen  nach  Laparotomien  Geschwülste  im  Leibe, 
welche  wenig  verschieblich  sind,  weil  sie  bald  verwachsen,  und  deren 
Symptome  in  Schmerzen,  Stenosen  durch  Druck  auf  die  Därme, 
eventuell  Abscessen  ihren  Ausdruck  finden.  Manchmal  verschwinden 
diese  Geschwülste  bald,  manchmal  bleiben  sie  Monate  lang  bestehen. 
Das  sind  entzündliche  Geschwülste  des  Netzes,  die  man  leicht  mit 
malignen  Neubildungen  verwechseln  kann,  und  gegen  die  man  dann 
zu  früh  oder  unnützer  Weise  activ  vorgeht.  Prophylaktisch  soll  man, 
um  die  Geschwülste  nach  Möglichkeit  zu  verhindern,  beim  Abbinden 
des  Netzes  möglichst  wenig  in  die  Schlinge  nehmen,  entzündliche 
Massen  aber  gleich  mit  fortnehmen. 

XIX.  Friedrich  ^Leipzig) :  Zur  chirurgischen  Path o- 
logie  von  Netz  und  Mesenterium.  Experimentelle 
Studien  über  die  Folgen  von  Netzalterationen  für 
Leber  und  Magen  (Geschwürsbildung).  Ileus  inter- 
mittens,  bedingt  durch  Gummabildung  mit  mehr¬ 
facher  secundärer  Darmabknickung. 

Mehrfache  klinische  Beobachtungen  veranlassten  Friedrich, 
die  Folgewirkungen  ausgedehnter  oder  partieller  Netzabtragungen  an 
verschiedenen  Thierspecies  einer  experimentellen  Pi iifung  zu 
unterziehen.  Von  dem  fast  regelmässigen  Eintritt  schwerer  Erschei¬ 
nungen,  Nekrosen  in  der  Leber  und  Geschwürsbildung 
im  Magen,  bis  zu  ganz  negativen  Versuchsausfall  schwanken  die 
Ergebnisse  bei  den  verschiedenen  Thierspecies.  Nur  die  Gefässligirung 
als  solche  ist  (bei  zuverlässigem  Ausschluss  jeglicher  Infectionsmög- 
lichkeit)  für  die  Einleitung  der  Störungen  durch  Thrombenbildung  in 
den  Netzgefässen  verantwortlich  zu  machen. 

Im  zweiten  Theile  seiner  Ausführungen  bespricht  Friedrich 
die  klinischen  Erscheinungen  eines  intermittirenden,  durch  fast  ein 
halbes  Jahr  bestandenen  Ileus.  Ein  palpabler  Tumor  veianlasste  ihn 
zur  Darmresection.  Das  durch  die  Resection  gewonnene  Präparat  zeigt 
einen  eigrossen  Tumor  an  der  Anhefcungsstelle  des  mittleren  Jejunums 
und  eine  secundäre  doppelte  intensive  Abknickung  des  Darms  mit 
pathologischen  Klappenbildungen  an  der  Schleimbaut.  Die  mikrosko¬ 
pische  Untersuchung  lässt  keinen  Zweifel  darüber,  dass  der  Tumor 
ein  Gumma  ist.  Die  grosse  Seltenheit  dieses  Befundes  veranlasste 
Friedrich  zur  Demonstration  desselben  in  allen  seinen  Einzel¬ 
heiten. 

XX.  Krause  (Altona):  Zur  Behandlung  brandiger 
Brüche  und  einzelner  Formen  von  Ileus  mittelst 
Darmresection  benützt  Krause,  wenn  die  Resection  und  Naht 
der  Darmenden  nicht  ausführbar  ist,  nach  Anlegung  des  widernatür¬ 
lichen  Afters  eine  Anastomosenklemme  als  Spornquetsche,  um  eine 
baldige  Verbindung  zwischen  dem  oberen  und  unteren  Darmabschnitt 
herzustellen.  (Demonstration  des  Instrumentes.) 

Discussion:  Kausch  (Breslau)  bemerkt,  da-s  auch  in  der 
Breslauer  Klinik  Klemmen  angewendet  werden  mit, einem  elastischen 
Zuge.  (Beschreibung  und  Demonstration  derselben.) 

xxr.  Ste  i  n  t  h  a  1  (Stuttgart)  demonstrirt  ein  Präparat,  wo  er 
den  enter  oplastischen  Schluss  des  Anus  arteficialis 
nach  Braun  gemacht  hat. 


XXII.  Olshausen  (Berlin) :  Zur  conservativen  chirur¬ 
gischen  Behandlung  der  Uterusmyome. 

Vortragender  hat  es  sich  zur  Pflicht  gemacht,  bei  Amputatio 
uteri,  beziehungsweise  Myoma  stets  ein  Ovarium  zurückzulassen.  Aus 
den  gleichen  Erwägungen,  ob  man  nicht  bei  Myoma  cervicis  uteri  den 
ganzen  Uterus  mit  den  Ovarien  zuiücklassen  könnte,  operirfe  er  einen 
Fall,  ein  überstrausseneigrosses  Myom  der  Cervix,  und  nähte  das 
Corpus  uteri  auf  die  Scheide  auf.  Die  meisten  Gynäkologen  halten  die 
Enucleation  der  Myome  heute  nur  bei  solitärem  Tumor  für  berechtigt. 
Er  hat  189  7  — 1899  29  Enucleationen  gemacht  und  glaubt,  dass  die 
meisten  wohl  deshalb  von  dieser  Methode  algekommen  sind,  weil  die 
Amputatio  supravigii  alis  immer  gefahrloser  gt worden  ist.  Doch  möchte 
er  die  Indicationen  der  Enucleation  weiter  aufgefasst  wissen,  auch 
dort,  wo  mehrere  Myome  vorhanden  sind  und  wo  kleine  zuiückbleiben 
müssen,  wenn  er  sie  auch  auf  Flauen  beschränken  möchte,  die  bald 
in  der  Menopause  sind.  In  einzelnen  Fällen  hat  er  die  Enucleation 
auch  bei  jungen  Frauen  gemacht,  wenn  diese  die  Aussicht  auf  Familie 
durchaus  nicht  missen  wollten.  Nach  der  Enucleation  muss  das  un¬ 
regelmässige  Bett  der  Myome  sehr  sorgfältig  in  Etagennähten  mit 
Catgut  vernäht  werden.  In  Bezug  auf  die  Phage,  inwieweit  überhaupt 
Myome  einen  operativen  Eingriff  erfordern,  steht  er  auf  einem  wesent¬ 
lich  schonenderen  Standpunkt  als  die  meisten  Gynäkologen.  Er  hat 
nur  UF/V/o  operirt,  während  manche  41°/0  einer  chirurgischen  Be¬ 
handlung  unterworfen  haben. 

XXIII.  Lexer  (Berlin)  demonstrirt  einen  Patienten  mit  ange¬ 
borenen  Spaltbildungen  des  Gesichtes. 

XXIV.  Schultheiss  (Wildungen)  zeigt  die  Röntgen-  Bilder 
und  das  Präparat  eines  enormen  Blasensteines,  den  er  durch 
Sectio  alta  entfernt  hat,  nachdem  er  ihn  in  der  Blase  wegen  seiner 
enormen  Grösse  durch  einige  kräftige  Meisseischläge  erst  spalten 
musste.  Der  Stein  war  im  feuchten  Zustande  1  Pfund  schwer.  Mitten 
im  Kerne  fanden  sich  die  Reste  einer  ausgetrockneten  Feldbohne.  Auf 
dem  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bilde  war  genau  der  Mantel  von  dem  Kerne  zu 
unterscheiden. 

XXV.  Reisinger  (Mainz):  Zur  Behandlung  der  II  y  d  ro¬ 
ue  p  h  r  o  s  e. 

Redner  berichtet  über  einen  Fall  von  intermittirender  Hydro¬ 
nephrose,  bei  welchem  zum  ersten  Male  eine  directe  Anastomose 
zwischen  der  Blase  und  der  Hydronephrose,  eine  Nephrocystanastomose, 
angelegt  wurde.  Die  congenital  verlagerte,  hydronephrotische  Niere 
lag  auf  dem  Promontorium  und  der  vorderen  Kieuzbeinfläche  auf,  ihr 
unterer  Pol  war  von  dem  Vertex  der  mässig  gefüllten  Blase  etwa 
3  cm  entfernt.  Nach  vorheriger  Hydronephrose  Fistel  wurde  durch 
zwei  Nahtreihen,  von  denen  die  erste  nur  den  serösen  Ueberzug 
beider  Hohlorgane,  die  zweite  die  ganze  Blasenwandung  mit  der  etwa 
7  mm  dicken  Nierenwaudung  vereinigte,  die  Nepln  ocystanastomose  an¬ 
gelegt.  Der  vorher  durch  häufige  Schmerzanfälle,  Morphium  etc.  ganz 
arbeitsunfähige  Kranke  ist  seit  dem  Eingriffe  völlig  hergestellt  und 
als  Zimmermann  arbeitsfähig. 

XXVI.  Bessel  - Hagen  (Charlottenburg) :  Demonstration 
von  Patienten,  denen  d  i  e  M  i  1  z  exstirpirt  worden  ist, 
ein  Beitrag  zur  Splenektomie.  Bessel  bat  aus  der  Lite¬ 
ratur  247  Fälle  von  Milzexstirpation  zusammengestellt  miit  18% 
Mortalität. 

XXVII.  Brentano  (Berlin):  Vorstellung  eines  geheilten 
Falles  von  Pankreasnekrose,  den  er  mit  der  Diagnose  eines 
subphrenischen  Abscesses  per  pleuram  operirt  hat.  Die  Diagnose  ist  erst 
durch  die  Abstossuug  eines  grossen  Gewebsstückes,  welches  als  Pan¬ 
kreas  augesehen  werden  musste,  geklärt  worden.  Die  Patientin  hat 
noch  5  9%  Zucker  ohne  Polydipsie  oder  Polyurie. 

* 

Nachmittagssitzung. 

I.  Gluck  (Berlin)  demonstrirt  ein  Kind  mit  geheiltem  Ra- 
diusdefect  und  Klump  hand. 

II.  Bessel- Hagen  (Charlottenburg):  Zur  operativen 
Behandlung  der  Pankreascysten. 

Vortragender  hat  in  einem  Falle,  da  er  infolge  absoluter  Ver¬ 
wachsungen  sich  der  Cyste  von  keiner  Seite  nähern  konnte,  die  Er¬ 
öffnung  derselben  quer  durch  beide  Magenwände  vorgenommen  und 
Heilung  erzielt. 

III.  K  e  h  r  (Halberstadt) :  Wie  verhält  es  sich  mit  den 
Recidiven  nach  Gallensteinoperationen? 

Der  Vortragende  hat  bisher  491  Gallensteinoperatiouon  ausgeführt 
(darunter  202  Cystostomien,  104  Cystektomien  und  82  Choledochotomicn 
und  Hepaticusdrainagen)  mit  einer  Mortalität  von  3'4%.  Echte  Reci- 
dive  (Wiederwachsen  von  Steinen  nach  erfolgreicher  Operation)  hat  er 
bisher  noch  nicht  beobachtet.  Bei  den  unechten  Recidiven  unterscheidet 
er,  ob  die  auftretenden  Beschwerden  auf  zurückgelassenen  Steinen,  auf 
erneuter  Entzündung  in  der  Gallenblase  oder  auf  der  Bildung  von  Her- 


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Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


nien  oder  Adhäsionen  beruhen.  Steine  hat  Kehr  19mal  zurückgelassen, 
weil  er  in  den  meisten  Fällen  es  mit  den  weit  vorgeschrittenen  Formen 
der  Cholelithiasis  zu  tliun  hatte,  bei  welchen  ein  sicherer  Nachweis  der 
Steine  ganz  unmöglich  wird.  Ilernien  hat  er  nach  der  Choledochotomie 
und  Ektomie  öfters  beobachtet,  als  nach  der  Cystostomie;  auf  sämmt- 
liche  Operationen  kommen  7 %  Hernien.  Entzündungsrecidive  hat  er 
nur  nach  der  Cystostomie  beobachtet,  so  dass  er  diese  Operation  in 
neuester  Zeit  mehr  und  mehr  einschränkt.  Ebenso  sind  die  Adhäsions¬ 
beschwerden  bei  der  Cystostomie  häufiger  als  bei  der  Cystektomie 
(17%  gegen  1  ®/„). 

Das  häufige  Vorkommen  von  unechten  Recidiven  ist  eine 
Mahnung,  frühzeitig  bei  der  Cholelithiasis  zum  Messer  zu  greifen,  aber 
da  der  Patient  sich  nun  einmal  doch  dann  wohl  zur  Operation  ent- 
schliesst,  wenn  er  von  erheblicheren  Beschwerden  gequält  wird,  so  ist 
Kehr  zufrieden,  wenn  er  beim  acuten  und  chronischen  Hydrops  und 
Empyem  der  Gallenblase,  beim  chronischen  Choledochusverscbluss,  bei 
häufig  wiederkehrenden,  die  Lebensfreudigkeit  untergrabenden  Koliken 
operiren  kann. 

Am  Ende  seines  Vortrages  thoilt  Kehr  mit,  dass  er  bei  der 
acuten  Entzündung  der  Gallenblase  cystostomirt,  während  er  bei  der 
reeidivirenden  Form  der  Cholelithiasis  der  Ektomie,  eventuell  in  Ver¬ 
bindung  mit  der  Hepaticusdrainage  den  Vorzug  gibt.  Kehr  hat 
also  echte  Reeidive  bisher  gar  nicht,  unechte  in  15%  aller  Fälle 
beobachtet. 

Discussion:  Löbker  (Bochum):  Bei  dem  Bestreben,  in 
erster  Linie  die  Complication  zu  beseitigen,  schien  ihm  stets  die  Cyst¬ 
ektomie  den  Vorzug  zu  verdienen,  besonders  nachdem  er  frühzeitig 
die  Erfahrung  gemacht,  dass  die  primären  Carcinome  der  Gallenblase 
alle  auf  Grund  von  Steinen  gewachsen  seien.  Sie  müssen  nach  seiner 
Erfahrung  immer  als  eine  Folgeerscheinung  der  Gallensteine  aufgefasst 
werden.  Dagegen  will  er  die  allgemeine  Indication  zur  operativen  Be¬ 
handlung  erheblich  mehr  eingeschränkt  wissen.  Auch  er  hat  Reeidive 
erlebt,  doch  waren  es  meist  unechte  Reeidive,  meist  Folgeerscheinungen 
entzündlicher  Art.  Darum  soll  die  Gallenblase  entfernt  werden,  ebenso 
wie  der  Appendix  bei  der  Appendicitis.  Was  als  echte  Reeidive  ange¬ 
sprochen  wird,  sind  meist  Fälle  von  zurückgelassenen  Steinen  nicht 
blos  in  der  Gallenblase,  sondern  auch  im  Choledochus.  Er  hat  solche 
Fälle  trotz  Entfernung  der  Gallenblase  beobachtet,  bei  denen  ein  Cho¬ 
ledochusstein  in  Folge  des  aufgetretenen  Ikterus  als  sicher  anzunehmen 
war.  Diese  Steine  wandern  sogar  nicht  selten  nach  oben  bis  zur  Leber. 
Löbker  hat  unlängst  aus  dem  Hepaticus  und  den  erweiterten  Leber¬ 
gängen  einmal  acht,  ein  andermal  fünf  kleinere  und  grössere  Steine 
entfernt.  Daher  soll  mit  der  Cystektomie  eine  breite  Eröffnung  der 
Gallen wege,  Abtastung  derselben  und  Drainage  verbunden  werden.  Ad¬ 
häsionen  können  sicher  auch  Attaken  machen,  doch  kann  mau  sie 
durch  die  Art  der  Operation  nicht  beeinflussen.  Wenn  erforderlich, 
soll  man  die  Gastioenterostomie  anschliessen. 

Petersen  (Heidelberg):  Die  Erfahrungen  der  Heidelberger 
Klinik  stimmen  mit  denen  von  Kehr  und  Löbker  überein.  Die 
stets  entfernte  Gallenblase  beraubt  aber  der  Möglichkeit  einer  Cystentero- 
anastomose,  die  nöthig  sein  kann  und  in  einem  seiner  Fälle  dringend 
nöthig  war. 

Körte  (Berlin)  nimmt  jetzt  auch  die  entzündlich  veränderte 
Gallenblase  fort.  Schmerzen  nach  Gallensteinoperationen  und  Be¬ 
schwerden  kommen  oft  vor,  daher  sind  die  Patienten,  die  nur  wenig 
Beschwerden  von  Steinen  haben,  nach  der  Operation  nicht  besser  daran. 
Er  will  daher  die  Indication  etwas  eingeschränkt  wissen. 

F  ranz  König  (Berlin)  berichtet,  dass  er  selber  einmal  vor 
vielen  Jahren  sehr  starke  Beschwerden  von  Gallensteinen  gehabt  und 
dass  er,  wenn  damals  schon  die  Cystektomie  gemacht  worden  wäre, 
sicher  keine  Gallenblase  mehr  hätte.  Heute  ist  er  ohne  Operation  voll¬ 
kommen  heil. 

Tröge  (Braunschweig)  hält  auch  die  Cystektomie  in  vielen 
Fällen  für  dringend  nothwendig.  Bauchbruch  hat  er  unter  27  Fällen 
nur  einmal  erlebt. 

Rehn  (Frankfurt  a.  M.):  Er  ist  zwar  der  Erste  gewesen,  der 
die  Cystektomie  und  die  Choledochotomie  gemacht  hat,  doch  würde  er 
heute  die  Indication  einschränken. 

IV.  Freudenberg  (Berlin):  Zur  Statistik  und  Tech¬ 
nik  dor  B  o  1 1  i  n  i’s  c  h  e  n  Operation  bei  Prostatahyper¬ 
trophie  mit  Demonstration  eines  gemeinsam  mit 
Dr.  B  i  e  r  h  o  f  f  const  r  ui  r  ten  cy  stoskopischeu  Prostata¬ 
in  c  i  s  o  r  s. 

Redner,  der  die  B  o  1 1  i  n  i’sclie  Operation  jetzt  77mal  an  Gl  Pa¬ 
tienten  ausgeführt  hat,  hat  sein  früheres  günstiges  Urtheil  über  dieselbe 
bestätigt  gefunden,  wenn  die  Operation  auch  nicht  ganz  ungefährlich 
ist.  Eine  Zusammenstellung  von  G83  Fällen  der  Literatur  ergibt 
4  7a  —  572  °/o  Mortalität,  673  %  Misserfolge,  88%  „gute  Resultate“ 
(circa  zwei  Drittel  davon  Heilungen  und  ein  Drittel  Besserungen). 

Bezüglich  der  Technik  empfiehlt  Freudenberg  das  Operiren 
bei  mit  steriler  Luft  gefüllter  Blase,  Anwendung  von  nahezu  oder 


selbst  voller  Weissglut,  genaue  Controle  der  Lage  der  Schnabelspitze 
per  rectum  vor  Beginn  des  Schnittes  nach  hinten;  zur  Nachbehandlung 
Verweilkatheter  1.  bei  späteren  Blutungen,  2.  stark  eiterigem  Urin, 
3.  schwierigem  oder  sehr  häufigem  Katheterismus.  Freudenberg 
räth  ferner,  sich  nicht  mit  Misserfolgen  oder  halben  Erfolgen  zu  be¬ 
gnügen,  sondern  eventuell  die  Operation  zu  wiederholen.  Ursache  der 
Misserfolge  ist  fast  immer  nicht  genügende  Beseitigung  des  Mietions¬ 
hindernisses  in  Folge  zu  seichter  oder  nicht  zweckmässig  gelagerter 
oder  nicht  genügend  langer  Schnitte.  Er  hat  deswegen  seinen  Incisor 
so  eingerichtet,  dass  er  Schnitte  bis  zu  6%  cm  gestattet,  wenn  auch 
für  die  grösste  Zahl  der  Fälle  Schnitte  von  2% — 3%  cm  Länge  nicht 
nur  ausreichen,  sondern  grössere  wegen  eventueller  Verletzung  der 
Pars  membranacea  direct  gefährlich  werden  können.  Er  selbst  hat 
Schnitte  höchstens  bis  zu  4%  oder  5  cm  Länge  nöthig  gehabt.  Das 
Mass  gibt  die  Rectaluntersuchung  bei  eingeführtem  und  mit  dem 
Schenkel  nach  hinten  gerichtetem  Incisor.  Von  der  dabei  constatirten 
Länge  nimmt  Freudenberg  beim  Schnitt  nach  hinten  etwa  5/4  cm, 
bei  seitlichen  und  vorderen  Schnitten  etwa  %  —  1  cm  weniger.  Oft  wird 
die  Pars  prostatica  der  Harnröhre  durch  die  Prostata  vorgewölbt, 
ohne  dass  diese  selbst  mit  einem  Wulst  in  dio  Blase  hiueinragt.  Es 
hat  sich  daher  das  Bedürfnis  geltend  gemacht,  die  Incision  unter 
Leitung  des  Auges  zu  machen.  Er  hat  daher  ein  solches  Incisionscysto- 
skop  construirt,  welches  er  demonstrirt.  Vortragender  legt  dann  zwei 
Präparate  von  Patienten  vor,  die  38  Tage,  respective  13  Monate  nach 
erfolgreicher  B  o  1 1  i  n  i’scher  Operation  an  intercurrenten  Krankheiten 
zu  Grunde  gegangen  waren,  und  zeigt  zwei  Patienten,  bei  denen  die 
B  o  1 1  i  n  i’sche  Operation  vollkommene  Heilung  seit  2%,  beziehungs¬ 
weise  drei  Jahren  erzielt  hat,  von  denen  der  eine  vorher  ohne  Erfolg 
castrirt  worden  war. 

V.  Wossidlo  (Berlin)  demonstrirt  ebenfalls  ein  von  ihm  er¬ 
sonnenes  Incisionscystoskop  zur  Ausführung  der  B  o  1 1  i  n  i’schen  Ope¬ 
ration  unter  Leitung  des  Auges» 

Discussion:  v.  Frisch  (Wien)  glaubt,  dass  die  Resultate 
der  B  o  1 1  i  n  i’schen  Operation  doch  nicht  so  rosig  seien,  wie  sie  Herr 
Freudenberg  auffasst.  Die  Operation  ist  unzuverlässig  ;  man  weiss 
nie,  ob  sie  gelingen  wird  oder  nicht.  Nicht  zu  unterschätzen  ist  doch, 
dass  der  Sphinkter  durchtrennt  wird.  Er  theilt  die  Krankengeschichte 
eines  Patienten  mit,  der  durch  Sectio  alta  perinealis  etc.  von  Mittel¬ 
und  seitlichen  Prostatalappen  befreit  war  und  doch  nicht  uriniren  konnte. 
Als  er  dann  mit  dem  Incisor  einen  Schnitt  nach  vorne  machte, 
war  er  14  Tage  lang  vollkommen  incontinent,  dann  trat  aber 
Heilung  ein. 

J  a  f  f  e  (Posen)  und  T  r  o  j  e  (Braunschweig)  haben  gute  Resultate 
erzielt,  auch  Küm  mell  (Hamburg)  tritt  für  die  Operation  ein.  Da¬ 
gegen  hat  Zucke  rkandl  (Wien)  einen  Fall  von  Sectio  alta  gesehen, 
wo  Bottini  selbst  ein  Jahr  zuvor  seine  Operation  gemacht  hatte  und 
von  welcher  er  keine  Spur  mehr  nachweisen  konnte. 

Im  Schlusswort  empfiehlt  Freu  den  her  g  die  Operation  noch¬ 
mals  in  erster  Reihe  vor  allen  anderen  Methoden. 

* 

Dritter  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

I.  v.  A  n  g  e  l  e  r  (München)  :  Ueber  Operationen  wegen 
Unter  leibscontusionen. 

Redner  hat  in  den  letzten  vier  Jahren  neun  Fälle  von  Darm¬ 
ruptur  und  nur  zweimal  Heilung  gesehen.  Die  Prognose  ist  wesentlich 
beeinflusst  durch  die  Zeit,  die  zwischen  Verletzung  und  Operation  ver¬ 
strichen  ist.  Man  muss  sobald  als  möglich  operativ  Vorgehen  bei 
Schuss-  und  Stichwunden.  Ganz  andere  Erwägungen  greifen  bei  den 
subcutanen  Verletzungen  der  Bauchhöhle,  die  die  Niere,  Leber  etc. 
getroffen  haben,  Platz,  die  am  schlimmsten  mit  einer  subcutanen 
Darmruptur  einhergehen.  Einerseits  macht  die  Diagnose  grosse 
Schwierigkeiten,  andererseits  kann  auch  Spontanheilung  ohne  Ope¬ 
ration  eintreten.  Objective  und  subjective  Symptome  können  sehr 
täuschen  und  verändern  sich  in  24  Stunden  sehr.  Vielfach  täuschend 
sind  auch  die  unmittelbar  nach  der  Verletzung  noch  merkwürdig 
kraftvoll  sich  zeigenden  Lebensäusserungen.  Ein  Stoss  gegen  oder  mit 
einem  stumpfen  Gegenstände,  Deichselstoss,  Hufschlag  ist  erfahrungs- 
gemäss  sehr  gefährlich,  wenn  er  senkrecht  getroffen  hat.  Durch  den 
Druck  des  Darmes  gegen  die  Wirbelsäule  tritt  oft  eine  Ruptur  der 
Wand  ein,  wenn  die  Flüssigkeit  nicht  gleich  ausweichen  kann.  Der 
Shock  als  solcher  kann  diagnostisch  nicht  verwerthet  werden.  Hält  er 
aber  stundenlang  an,  dann  ist  er  nach  seinen  Erfahrungen  nicht 
mehr  ein  reiner  Shock,  sondern  es  hat  eine  Läsion  innerer  Organe  ndt 
fremdem  Bauchinhalt  stattgefunden.  Auch  der  Puls  ist  wenig  aus¬ 
schlaggebend.  Er  kst  oft  sehr  frequent,  dann  tritt  wieder  ein  Nachlass 
ein,  aber  mit  eintretender  Peritonitis  wird  er  wieder  hoch.  Zunahme 
der  Frequenz  und  Temperaturerhöhung  ist  ein  Beweis  für  septische 
Peritonitis.  Auch  auf  die  Athmungsfrequenz  und  die  Art  der  Ein- 
atbmung  ist  zu  achten.  Erbrechen  ist  oft  frühzeitig  und  anhaltend. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Bei  einfachen  Contusionen  darf  es  höchstens  ein-  bis  zweimal  auf- 
treten  und  muss  dann  aufhören.  Schmerzen  können  fehlen,  nimmt 
aber  der  Schmerz  zu,  dann  ist  Austritt  von  Darminhalt  wahrscheinlich. 
Durch  Morphium  wird  das  Bild  oft  verschleiert.  Frühzeitiges  Ver¬ 
schwinden  der  Leberdämpfung  ist  nur  dann  zu  erwarten,  wenn  die 
Ruptur  dicht  an  der  Leber  stattgefunden;  das  Bestehenbleiben  der 
Leberdämpfung  spricht  nicht  gegen  eine  Darmruptur.  Auch  Meteoris¬ 
mus  ist  in  den  ersten  sechs  Stunden  nicht  nöthig,  sondern  kann  erst 
nach  Erschlaffung  der  immer  zuerst  auftretenden  Contractionen  des 
Darmes  eintreten.  So  kann  auch  an  der  Einrissstelle  selbst  durch 
Muskelcontraction  die  Schleimhaut  ausgestülpt  werden  und  dadurch  in 
den  ersten  Stunden  den  Riss  verschliessen,  wie  es  Trendelenburg 
nach  9  Stunden  noch  beobachtet  hat.  Sogar  bei  querem  Abreissen  des 
Darmes  kann  grösserer  Austritt  so  oft  verhindert  werden  und  erst  bei 
Wiedereintritt  der  peristaltischen  Bewegungen  und  Lösung  der  Con¬ 
traction  auftreten.  Blutige  Stühle  machen  einen  Schleimhautriss  ohne 
Perforation  wahrscheinlich.  In  allen  zweifelhaften  Fällen  ist  jedoch 
die  Laparotomie  Pflicht,  denn  die  Statistik  zeigt,  dass  von  162  Fällen 
von  subcutaner  Darmruptur  nur  elf  gerettet  und  von  diesen  einige 
später  noch  an  Fisteln  behandelt  worden  sind.  Vor  keinem  Shock  soll 
man  zurückschrecken,  der  oft  ein  Zeichen  beginnender  Peritonitis  ist; 
die  Aethernarkose  ist  auch  dem  Shock  nicht  gefährlich;  durch  Zu¬ 
warten  jedoch,  bis  deutliche  Zeichen  von  Peritonitis  aufgetreten  sind, 
kommt  man  meist  zu  spät,  die  grösste  Zahl  stirbt  am  zweiten  oder 
dritten  Tage.  Der  Vorschlag  von  Mikulicz,  bei  ganz  zweifelhaften 
Fällen  kleine  Incisionen  in  der  Linea  alba  zu  machen,  um  zu  sehen,  ob 
Blut,  Luft  oder  anderer  Inhalt  entweicht,  ist  auch  nicht  immer  sicher. 
Eine  Verletzung  des  Darmes  kann  dabei  in  den  ersten  Stunden  doch 
übersehen  werden.  Daher  soll  man  den  Schnitt  grösser  anlegen,  damit 
man  das  Netz  mit  dem  Quercolon  nach  oben  schlagen  kann.  Reich¬ 
liche  Kochsalzinfusionen  sind  stets  nöthig.  Auch  zur  Desinfection  der 
Därme  benützt  er  literweise  sterilisirte  warme  Kochsalzlösung,  da¬ 
gegen  hält  er  vieles  Betupfen  für  schädlich.  Bei  septischem  Zustande 
soll  man  die  Därme  zur  besseren  Reinigung  eventriren.  Wegen  der 
oft  auftretenden  Verengerungen  der  Därme  sollen  grössere  Längsrisse 
quer  vereinigt  werden.  Bei  vollkommener  Trennung  eines  Darmes  ist 
zur  Vereinigung  der  Murphy- Knopf  vorzuziehen.  Die  Bauchwunde 
soll  offen  gehalten  werden. 

Discussion:  Rehn  (Frankfurt  a.  M.  operirte  einmal  neun 
Stunden  nach  der  Verletzung.  Alles  sprach  für  Perforation,  doch 
war  keine  zu  finden,  dagegen  fand  er  eine  tetanische  Contraction  der 
Därme. 

Stolper  (Breslau)  hat  eine  Beobachtung  von  überaus  schnell 
auftretendem  Meteorismus  auf  einen  Sturz  aus  grosser  Höhe  gemacht, 
und  zwar  ohne  Darmruptur. 

Eichel  (Strassburg)  hält  es  für  richtig,  bis  zur  vollkommen 
sicheren  Diagnose  bei  schweren  Bauchcontusionen  nichts  per  os 
oder  per  rectum  zu  geben,  und  zwar  wegen  der  Verschleierung 
des  Bildes  durch  subjective  Besserung.  Auf  den  Puls  legt  er  grossen 
Werth. 

S  z  u  m  a  n  n  (Thorn)  hat  einen  ähnlichen  Fall  wie  Rehn  beob¬ 
achtet,  von  strangförmiger  Contraction  des  Darmes. 

Hahn  (Berlin)  glaubt  in  jedem  Falle  von  Darmruptur  nach 
Contusion  eine  typische  Resection  machen  zu  müssen,  weil  man  die 
Schädigungen  des  Darmes  früh  nicht  übersehen  kann.  Die  ganze  blutig 
imbibirte  Stelle  soll  resecirt  werden. 

Lauenstein  (Hamburg):  Die  Kranken  mit  bereits  be¬ 
stehender  Peritonitis  vertragen  sehr  wenig,  sie  sind  meist  verloren. 
Deshalb  soll  man  früh  operiren.  Er  hat  zuerst  auch  abgewartet,  hat 
aber  trübe  Erfahrungen  gemacht,  dann  hat  er  primär  laparotomirt  und 
noch  schlechtere  Resultate  gehabt.  Daun  hat  er  in  einem  Falle 
wieder  abgewartet,  es  trat  Peritonitis  ein  mit  Abscessbildung  zwischen 
den  Därmen  und  nach  einer  Incision  glatte  Heilung.  Er  glaubt  daher 
wie  v.  Anger  er,  dass  in  vielen  Fällen  nur  eine  Quetschung  des 
Darmes  mit  Thrombosirung  der  Mesenterialgefässe  stattfindet.  Meteoris¬ 
mus  kommt  nach  seinen  Erfahrungen  bei  schweren  Bauchcontusionen 
nicht  vor. 

Perthes  (Leipzig)  hat  sechs  Fälle  von  Darmrujitur  mit 
Laparotomie  und  nur  zwei  Heilungen  aufzuweisen.  Ein  Patient  hatte 
schon  in  der  neunten  Stunde  peritonitische  Erscheinungen.  Daher  soll 
möglichst  schleunig  operirt  werden.  Die  Diagnose  der  Blutungen  ist 
oft  schwierig,  überhaupt  nur  mit  Sicherheit  möglich,  wenn  grosse 
Mengen  Blut,  mehr  als  1  l,  ausgetreten  sind.  Ein  Hilfsmittel  ist  die 
Messung  des  Blutdruckes. 

S  a  m  t  e  r  (Königsberg) :  Herr  Sprengel  (Braunschweig)  unter¬ 
scheidet)  aj  Fälle  ohne  Blutung,  b)  mit  Blutung  und  aseptischem, 
c)  mit  Blutung  und  septischem  Material  (Darminhalt).  Er  empfiehlt 
breite  Incisionen  und  hält  den  Shock  für  keine  Contraindication. 

Körte  (Berlin)  legt  in  Bezug  auf  die  Diagnose  grossen  Werth 
auf  die  einseitige  Spannung  der  Bauchmuskeln.  —  Ein  Schlechter¬ 


werden  des  Allgemeinbefindens  in  den  ersten  Stunden  verlangt  einen 
operativen  Eingriff. 

König  jun.  (Berlin)  hat  einen  Fall  sechs  Stunden  nach  der 
Verletzung  operirt  und  schon  Peritonitis  festgestellt. 

Perthes  fLeipzig)  bemerkt  noch,  dass  bei  Peritonitis  der  Blut¬ 
druck  gewöhnlich  nicht  gesunken  ist. 

II.  Körte  (Berlin) :  Hernia  obturator  ia  mit  De¬ 
monstration  eines  Präparates. 

Der  erste  Fall  betraf  eine  50jährige  Frau.  Die  Darmschlinge 
war  der  Gangrän  nahe,  die  Sehnürfurche  am  zuführenden  Schenkel 
wurde  übernäht,  die  Wunde  tamponirt.  Das  R  o  m  b  e  r  g’sche  Sym¬ 
ptom  war  nicht  deutlich.  Es  erfolgte  glatte  Heilung.  In  einem  zweiten 
Falle  bei  einer  72jährigen  Frau  fand  sich  bei  der  wegen  Darmver- 
sehluss  durch  Tumor  unternommenen  Operation  ein  torquirter  Ovarial¬ 
tumor  und  eine  gangränöse  Hernia  obturatoria  dextra.  Nach  Lösung 
derselben  wurde  die  Darmresection  gemacht  und  es  erfolgte  der  Tod 
im  Collaps.  Das  Becken  der  Patientin  zeigte  nicht  weniger  als  zwei 
Herniae  obturatoriae,  zwei  Herniae  inguinales  und  eine  Hernia 
cruralis  dextra.  Ferner  war  eine  sehr  tiefe  Fossa  ovarica  sinistra, 
ein  Recessus  intersigmoideus  und  ein  Recessus  duodeno  jejuualis 
vorhanden. 

Discussion:  Sprengel  (Braunschweig)  hat  auch  einen 
Fall  von  Hernia  obturatoria  bei  einer  Frau  beobachtet,  welcher  recidi- 
virte  und  durch  Darmocclusion  dann  zum  Tode  führte.  Er  empfiehlt 
daher,  das  Foramen  obturatorium  zu  schliessen. 

Eichel  (Strassburg)  hat  einen  Fall  von  Osteomyelitis  des 
Beckens  mit  Hernia  obturatoria  verwechselt. 

III.  G  o  e  p  e  1  (Leipzig) :  Ueber  die  V  er  Schliessung 
von  Bruchpforten  durch  Einholung  geflochtener 
fertiger  Silberdrahtnetze. 

Vortragender  demonstrirt  zwei  Patienten,  bei  denen  er  auf  diese 
Art  die  Bruchpforte  zum  Verschlüsse  gebracht  hat. 

IV.  Bessel  - Hagen  (Charlottenburg) :  Zur  Technik 
der  Operation  bei  Nabelbrüchen  und  Bauchwand- 
hernien. 

Bessel-Hagen  spaltet  die  Rectusscheide  in  Ausdehnung 
von  8 — 10  cm  und  näht  die  nach  der  Mitte  umgeklappten  Ränder 
zusammen. 

Discussion:  Rotter  (Berlin)  glaubt,  dass  man  nur  dann 
sich  entscliliesseu  soll,  Fremdkörper  in  die  Bruchpforte  einzuheilen, 
wenn  man  nicht  anders  kann.  Bei  seinen  nicht  mehr  als  300  Brüchen 
hat  er  stets  die  Bruchpforte  schliessen  können.  Wenn  man  den  M. 
obliquus  internus  und  die  Rectusscheide  spaltet,  dann  kann  man  auch 
die  grössten  Brüche  schliessen. 

* 

Vierter  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

I.  Gottstein  (Breslau) :  Pseudostimme  nach  Total¬ 
exstirpation  des  Larynx. 

Gottstein  zeigt  einen  Manu  von  48  Jahren,  dem  vor  einem 
Jahre  die  Totalexstirpation  des  Kehlkopfes  nach  der  Methode  von 
Gluck  und  Zeller  gemacht  worden  ist  mit  Einheilung  der  Trachea 
in  den  unteren  Wundwinkel.  Der  Patient  konnte  mit  dem  Pharynx 
eine  Pseudostimme  hervorbringen. 

II.  Gluck  stellt  vier  Patienten  mit  Totalexstirpation  des  Kehl¬ 
kopfes  vor,  und  demonstrirt  den  von  ihm  angegebenen  Phonations¬ 
apparat. 

III.  Friedrich  (Leipzig) :  Pseudo  phlegmon  e. 

Vorstellung  einer  Patientin  mit  45  Incisionen  in  den  Jahren  1891 

bis  heute.  1892  hatte  sie  sich  mit  einer  Fischgräte  am  Finger  ver¬ 
letzt.  Die  Incisionen  förderten  stets  nur  Blut,  nie  Eiter  zu  Tage.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  ergab  in  der  excidirten  Narbe  statt 
Narbengewebe  junges  Granulationsgewebe  mit  grösseren  Geläss- 
wucher  ungen. 

IV.  Derselbe:  Exostosen. 

Demonstration  zweier  Brüder  mit  multiplen  Exostosen,  bei  denen 
besonders  auffällig  war,  dass  sie  beide  einen  Ulnardefect  am  linken 
Arm  mit  Subluxation  des  grossen  Radius  aufwiesen.  Ausserdem 
zeigte  Friedrich  ein  24jähriges  Mädchen  mit  grossen  Geschwulst¬ 
bildungen  an  der  linken  Thoraxseite,  die  mikroskopisch  eine  ditluse 
Cystadenombildung  der  Schweissdriisen  darstellen.  Demonstration  der 
Präparate. 

V.  Wilms  (Leipzig)  zeigt  einen  Fall  von  operirte  m 
Beckenenchondrom.  Die  Patientin  geht  mit  einem  Stützcorset 
sehr  gut. 

VI.  v.  Bergmann  (Berlin)  zeigt  eine  Patientin,  der  vor  fünf 
Jahren  wegen  Carcinom  eine  sacrale  Mastdarmexstirpation 
gemacht  worden  war  und  glaubt,  dass  man  hier  von  einer  Dauer¬ 
heilung  sprechen  kann. 

VII.  Tietze  (Breslau)  demonstrirt  die  Photographien  und  das 
Präparat  eines  multiplen  Hautsarkoms  in  der  Mamma- 


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gegend,  welches  einen  Mamma  tumor  vor  täuschte. 
Die  Geschwulst  begann  im  zwölften  Lebensjahre  der  Patientin  aufzu¬ 
treten.  Sie  ist  1899  operirt  worden.  Es  waren  weder  Drüsenschwel¬ 
lungen,  noch  Metastasen  vorhanden. 

VIII.  L  e  x  e  r  (Berlin):  Ueber  teratoide  Geschwülste 
in  der  Bauchhöhle  und  deren  Operation. 

Nach  der  Eintheilung  in  einfache  und  complicirte 
Dermoidcysten,  unzweifelhafte  fötale  Inclusionen,  teratoide  Mischtumoren, 
werden  Herkunft  und  Sitz  der  einzelnen  Geschwulstgruppen  besprochen. 
Die  einfachen  Dermoidcysten,  durch  Abschnürung  von  der  Bauchspalte 
stammend,  sitzen  im  Netz  und  Mesenterium,  oder  retroperitoneal,  in 
der  Lendengegend  von  Entodermresten  des  Wolf  f’schen  Ganges  aus¬ 
gehend,  oder  sind  schliesslich  in  seltenen  Fällen  vom  retrorectalen 
Gewebe  aus  weit  nach  oben  in  die  Bauchhöhle  gewachsen.  Die  com- 
plieirten  Dermoidcysten  stammen  bei  weiblichen  Individuen  fast  immer 
vom  Ovarium  und  sind  durch  Lostrennung  vom  Uterus  in  die  freie 
Bauchhöhle  gelangt.  Ihre  Herkunft  ist,  abgesehen  von  den  W  i  1  m  s- 
schen  Merkmalen  der  Ovarialdermoide  durch  das  Fehlen  einos  Ovariums 
zu  erkennen.  Aehnliche  bei  Männern  beschriebene  Cysten  müssen  als 
fötale  Implantationen  betrachtet  werden.  In  der  Ileocöcalgegend  kann 
ein  verirrtes  Ovarialdermoid  unter  entzündlichen  Erscheinungen  eine 
Blinddarmentzündung  Vortäuschen,  wie  ein  Fall  aus  der  v.  Berg¬ 
man  n’schen  Klinik  zeigt.  Ein  sehr  seltener  Fall  von  einer  intra¬ 
peritoneal  gelegenen  mannskopfgrossen  Dermoidcyste  bei  einem 
60jährigen  Mann  ist  ebenfalls  hier  anzureihen,  da  der  im  linken 
Bauchraum  zurückgebliebene  Hoden  den  Ausgang  der  complicirt  ge¬ 
bauten  Cyste  bildet. 

Die  unzweifelhaften  Inclusionen,  welche  nach  Ahlfeld  auf  den 
Einschluss  einer  verkümmerten  Fruchtanlage,  nach  March  and  auf 
ein  umwachsenes,  befruchtetes  Richtungskörperchen  zurückzuführen 
sind,  liegen  am  häufigsten  zwischen  den  Blättern  des  Mesocolon  trans- 
versum,  in  der  Bursa  epiploica,  vereinzelte  im  Mesenterium  und  retro¬ 
peritoneal  links  von  der  Wirbelsäule.  Ihr  Sitz  ist  durch  Lageverände¬ 
rungen  im  Bauchraum  des  Fötus  bedingt.  Eine  glückliche  Operation 
des  vom  Mesenterium  umschlossenen  Bauchparasiten  ist  von  M  a  y  d  1 
beschrieben. 

Die  teratoiden  Mischgeschwülste  sind  solide  und  polycystische. 
Eine  Trennung  in  mono-  und  bigeminale  Teratome  ist  unmöglich  durch¬ 
zuführen.  In  den  bisher  bekannten  acht  Fällen  hat  man  parasitäre  Ein¬ 
schlüsse  angenommen,  da  Organanlagen  (Auge,  Genitalien,  Gehirn  etc.) 
vorgefundeu  wurden.  Die  Lage  dieser  Geschwülste,  welche  zweimal 
bösartig  degenerirt  waren,  stimmt  zum  Theile  mit  dem  Sitz  der  echten 
Inclusionen  überein.  Operationen  sind  nur  dreimal,  und  zwar  mit  tödt- 
lichem  Ausgange  ausgeführt  worden.  In  v.  Borgmann’s  Fall  dagegen 
ist  vollkommene  Heilung  eingetreten. 

(Demonstration  der  elfjährigen  Patientin.)  Die  zum  Theil  cystische, 
zum  Theil  solide  Geschwulst  zeigt  Abkömmlinge  aller  drei  Keimblätter 
und  ist  wegen  Nachbildung  der  Athmungswege  als  fötale  Implantation 
aufzufassen. 

IX.  Iloffa  (W  ürzburg)  stellt  drei  Patientinnen  vor,  denen  er 
den  Schiefhals  nach  v.  Mikulicz  mit  Exstirpation  des  Sterno- 
cleidomastoideus  geheilt  hat.  Er  will  diese  Methode  in  allen  schweren 
Fällen,  oder  wenn  sich  nach  anderen  Methoden  Schwierigkeiten  ein¬ 
stellen,  angewendet  wissen. 

Discussion:  Trendelenburg  (Leipzig)  urgirt  das  kos¬ 
metisch  schlechte  Resultat  der  M  i  k  u  1  i  c  z’schen  Operation  und  glaubt, 
dass  man  auch  vollkommene  Heilung  erzielt,  wenn  man  offen  operirt 
und  sorgfältig  auch  die  Fascie  durchschneidet. 

Franke  (Braunschweig)  hat  auch  nach  vollkommener  Exstir¬ 
pation  des  Muskels  Recidive  erlebt. 

Runge  (Königsberg)  bestätigt  dieses  Vorkommen  und 
glaubt,  dass  die  Recidive  auf  die  sklerotische  Narbe  zurückzu¬ 
führen  ist.  Heilung  wird  durch  Exstirpation  der  Narbe  und  der 
Fascie  erzielt. 

H  e 1 f  e  r i c  h  (K  iel)  macht  klar,  dass  der  „Kopfnicker“  ein 
I ixationsmuskel  des  Kopfes  ist,  dass  beim  Fehlen  desselben  die 
Patienten  sich  schwer  mit  dem  Kopf  langsam  aufrichten  und  hinlegen 
können. 

X.  S  a  r  w  e  y  (Tübingen)  :  Experimentale  Unters  u' 
chungen  über  Händedesinfection. 

Die  Methode  nach  Ahlfeld  mittelst  Heisswasser  und  Alkohol 
und  die  von  Mikulicz,  mittelst  Seifenspiritus  die  Hände  zur  Opera¬ 
tion  vorzubereiten,  zeigte  wenigstens  eine  starke  Verminderung  der 
darnach  noch  zurückbleibeuden  Keime,  während  die  Waschung  mit 
Schleie  h  scher  Marmorseife  den  Iveimgehalt  der  Haut  nur  ungenügend 
verringert.  Nach  der  Alkoholwaschung  soll  kein  Desinficiens  wieder 
angewendet  werden. 

XI.  Vollbrecht  (Breslau)  demonstrirt  einen  Seifen¬ 
spiritus  in  fester  Form  zur  Hände-  und  II  a  u  t  d  e  s  in¬ 
fect  i  o  n  ohne  Wassernothwendigkeit. 


Discussion:  Blumberg  (Leipzig)  tritt  für  Gummihand¬ 
schuhe  ein,  die  er  mit  rauhen  Handflächen  zum  besseren  Halten  der 
Instrumente  hat  versehen  lassen. 

Bunge  (Königsberg)  hat  mit  dem  Döder  lein -  Paul  s- 
schen  Verfahren  der  Händedesinfection  in  keinem  Falle  Sterilität  er¬ 
zielen  können.  Er  lobt  die  M  i  k  u  1  i  c  z’schen  Handschuhe. 

S  a  m  t  e  r  (Königsberg)  ist  gegen,  Sprengel  (Braunschweig) 
für  die  Gummihandschuhe. 

Krönig  (Leipzig)  ist  weder  mit  dem  A  h  1  f e  1  d’schen,  noch 
mit  dem  S  c  h  1  e  i  c  h’schen  Verfahren  zufiieden.  Er  hat  Versuche 
durch  Combination  der  meisten  Desinficientien  mit  Imprägnation  von 
Quecksilberpräparaten  angestellt,  die  zwar  noch  nicht  vollkommen  ab¬ 
geschlossen  sind,  aber  schon  gute  Resultate  ergeben  haben. 

XII.  Katzenstein  (Berlin):  Ueber  K  a  t  h  e  t  e  r  steri¬ 
lisation. 

Redner  demonstrirt  einen  Apparat  zur  Formaldehyddesinfection 
der  Katheter. 

Discussion:  Löwenhardt  (Breslau)  tritt  für  das  Kochen 
der  Katheter  ein,  Freudenberg  (Berlin)  für  Kochen  im  Dampf, 
während  Katzenstein  glaubt,  dass  das  Kochen  die  Katheter  zu 
sehr  angreift. 

Zur  Händedesinfection  spricht  noch  Kossmann  (Berlin),  der 
mit  einem  sterilen,  impermeablen  Ueberzug  von  einem  von  ihm  „Chirol“ 
genannten  Präparat  zu  bedecken  empfiehlt. 

XIII.  Poelchen  (Zeitz)  zeigt  einen  von  ihm  operirten  Fall 
von  Ventilverschluss  des  Schädels  bei  Epilepsie. 

XIV.  Sud  eck  (Hamburg)  demonstrirt  einen  Elektromotor  zur 
Trepanation. 

XV.  Riese-Britz  (Berlin) :  Trombophlebitis  der 
Sinus  durae  matris  seltenen  Ursprungs. 

Vortragender  glaubt,  dass  zwei  Drittel  aller  Sinusthrombosen 
vom  Ohre  ausgehen.  Er  hat  zwei  Fälle  nach  Zahncaries  erlebt,  die 
mit  Parotitis,  dann  Schwindel  und  Kopfschmerzen  sich  einleiteten. 
Er  glaubt,  dass  hier  die  Thrombose  auf  retrogradem  Wege  ent¬ 
standen  ist. 

XVI.  Bunge  (Königsberg):  Zur  Pathologie  und  Thera¬ 
pie  der  verschiedenen  Formen  der  Gangrän  an  den 
unteren  Extremitäten. 

Bunge  hat  bei  den  verschiedenen  Formen  der  Gangrän  Unter¬ 
suchungen  der  Blutgefässe  angestellt,  die  die  Ergebnisse  von  v.  Zöge- 
M  an  teuf  fei  bestätigten.  Er  hat  überall  Verdickungen  der  Intima, 
Sclerosa  gefunden,  mit  reichlicher  Neubildung  von  elastischen  Ele¬ 
menten.  Diese  Sklerosen  waren  zum  Theile  so  mächtig,  dass  man  von 
einer  Stenosirung,  oft  von  einem  Verschluss  der  Gefässe  sprechen 
konnte.  Da  diese  sklerotischen  Plaques  sich  mit  Vorliebe  an  den  Ab¬ 
zweigungsstellen  der  Gefässe  entwickeln,  wird  auch  der  Collate) al¬ 
kreislauf  gehindert,  und  es  entstehen  häufig  an  dieser  Stelle  Thromben. 
Schwierig  ist  die  Wahl  des  Zeitpunktes  zum  Eingreifen.  Jedenfalls 
soll  man  bei  einem  aufsteigenden  Process  nicht  im  Interesse  einer 
guten  Demarcation  zu  lange  warten.  Einzig  und  allein  soll  das  Jod 
eine  gute  Einwirkung  auch  in  den  Fällen  haben,  wo  von  Syphilis 
nicht  die  Rede  sein  kann.  Auch  Bäder,  Nauheim  z.  B.,  sollen  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  den  schon  geschwundenen  Puls  in  Combination  mit  Jod¬ 
behandlung  wieder  hergestellt  haben. 

XVII.  K  öl  lick  er  (Leipzig):  Demonstration  von  Am¬ 
putations-Neuromen. 

XVI II.  Payr  (Graz) :  Blutgefäss-  und  Nervennaht. 

Redner  berichtet  über  eine  von  ihm  an  Thieren  erprobte  neue 
technische  Methode  der  Gefässvereinigung  mit  einer  Prothese  und  Li¬ 
gatur  aus  einem  resorbirbaren  Metalle,  Magnesium.  Die  Resorptions¬ 
dauer  beträgt  bei  einer  Prothese  von  OT  g  circa  drei  Wochen. 

Discussion:  v.  Bergmann  (Berlin)  fragt,  ob  Pay  r  nie¬ 
mals  Thromben  bei  der  Prothese  gesehen  hat? 

Payr  hat  zuerst  Thromben  an  den  Rändern  der  Prothese  ge¬ 
funden,  als  er  dieselbe  in  das  Gefässlumen  hineingebracht  hatte,  doch 
nie  eine  Obliterirung  der  Gefässe.  Später  hat  er  die  Prothese  nur 
aussen  angebracht. 

Chlumsky  (Breslau)  :  Die  Kenntniss  der  Resorption  des 
Magnesiums  sei  nicht  neu.  Er  habe  Versuche  mit  solchen  Darm¬ 
knöpfen  angestellt,  die  jedoch  wegen  der  durch  dio  Resorption 
sich  bildenden  scharfen  Kanten  und  Splitter  nicht  zu  brauchen  ge¬ 
wesen  seien. 

XIX.  Bähr  (Hannover) :  Zur  Lehre  von  der  Coxa 
vara. 

Für  die  Entstehung  der  Coxa  vara  legt  Bähr  mehr  Gewicht 
auf  die  Belastung  des  Femurs  in  geneigter  Stellung  und  bringt  auch 
eine  anderweitige  Erklärung  für  die  Torsionserscheiuung.  Er  weist  auf 
die  Variationen  des  Schenkelhalses  in  der  Länge  hin,  welche  bald 
früher,  bald  später  zur  Hemmung  der  Gelenkbewegungen  führt.  Die 
Localisation  der  Verkürzung  zeigt  drei  Prädilectionsstellen :  1.  Die 

Ansatzstelle  in  der  Diaphyse,  weil  dort  der  Biegungseffect  am  grössten 


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st.  2.  Die  Epiphysenlinie,  weil  dort  eine  besondere  Nachgiebigkeit 
vorliegt.  3.  Die  Stelle  des  Halses  dicht  unter  der  Kopfkappe,  weil 
dort  der  Hals  am  schwächsten  ist. 

* 

Nachmittagssitzung. 

I.  V  u  1  p  i  u  s  (Heidelberg)  :Ueber  den  Werth  des  ortho¬ 
pädischen  St  iitzcor  sette  s. 

Den  Angriffen  von  Schulthess  auf  das  orthopädische  Corsett 
werden  die  Erfahrungen  entgegengestellt,  welche  Y  ulpius  an  800 
in  seiner  Anstalt  verwendeten  Stützapparaten  gesammelt  hat. 

Das  Corsett  kommt  in  Betracht  bei  Tabes,  Spondylitis,  Skoliose. 

Bei  der  Tabes  hat  es  unzweifelhaft  eine  stützende  Wirkung, 
ob  mehr,  ist  noch  nicht  genügend  bekannt. 

Bei  der  Spondylitis  ist  das  Corsett  erst  in  der  Periode  der 
Ausheilung  indicirt. 

Um  die  Erfolge  der  Anstaltsbehandlung  einer  Skoliose  zu 
sichern,  bedürfen  wir  des  Stützcorsettes.  Dasselbe  gestattet:  1.  Stützung 
des  Rückens.  2.  Festhaltung  der  Correcturstellung  der  Wirbelsäule. 
3.  Durch  dauernd  ausgeübten  Druck  ist  auch  eine  heilende  Wirkung 
möglich. 

Beziehentlich  der  Corsettformen  wird  das  starre  Corsett 
für  ernstere,  noch  wachsende  Skoliosen  vorgezogen,  in  leichteren 
Fällen  das  Stoffcorsett  mit  Stahlgerüst  gewählt. 

II.  Schanz  (Dresden):  Ueber  die  Eedression  schwerer 
Skoliosen. 

Vortragender  empfiehlt  den  B  e  e  1  y’schen  Rahmen  und  will  als 
Beweis  seines  Vorzuges  anführen,  dass  dabei  eine  auffällige  Verlän¬ 
gerung  des  Rumpfes  um  4 — 14  cm  stattfindet.  Dass  wir  schwere 
Skoliosen  nicht  vollständig  heilen  können,  liegt  daran,  dass  wir  nicht 
in  Uebercorrection  redressiren  können,  wie  z.  B.  an  den  Füssen.  Es 
folgt  die  Demonstration  von  Patienten. 

III.  Fr.  Rubinstein  (Berlin) :  Ueber  die  Form  der 
Knochenbrüche  durch  di  recte  Gewalt. 

Man  findet  regelmässig  aus  dem  verletzten  Knochen  ein  drei¬ 
eckiges  Stück  herausgesprengt.  Die  Brüche  kommen  in  diesen  Fällen 
meistens  so  zu  Stande,  dass  das  betreffende  Glied  gegen  eine  feste 
Unterlage  angedrückt  war,  während  die  Last  darauffiel  oder  darüber 
wegging.  Die  Kenntniss  dieser  regulären  Bruchform  ist  Rubinstein 
schon  einmal  praktisch  wichtig  geworden.  Einem  Pferdebahnschaffner 
sollte  die  Unfallsrente  entzogen  werden,  weil  angeblich  nach  einem 
Unfälle  keine  Fractuv  nacbzuweison  war.  Rubinstein  fand  aber 
die  eben  beschriebene  Bruchform  an  der  Basalphalanx  einer  grossen 
Zehe  in  Gestalt  eines  herausgesprengten,  dreieckigen  Knochenstückes 
und  zweifelt  nicht,  dass  dieser  Nachweis  den  Rentenanspruch  wirksam 
unterstützen  wird,  da  er  eine  schwere,  directe  Gewalteinwirkung  be¬ 
weist.  Vor  Anwendung  des  R  ö  n  t  g  e  n  -  Verfahrens  wurden  gerade 
diese  Fracturen,  die  häufig  nur  in  Form  von  Fissuren  die  Knochen¬ 
substanz  durchsetzen  und  oft  die  bekannten,  klinischen  Fractur- 
Symptome  vermissen  lassen,  nicht  selten  übersehen. 

IV.  Wohlgemuth  (Berlin) :  Zur  Pathologie  und 
Therapie  der  Fracturen  des  Tuberculum  majus 
humeri. 

Wohlgemuth  glaubt,  dass  viele  Fälle  von  andauernder 
Funcfionsbehinderung  des  Oberarmes,  die  besonders  in  Abductions- 
und  Rotationshemmung  und  im  Nachlassen  der  grossen  Kraft  bestehen, 
nach  Fractur  im  oberen  Abschnitte  des  Humerus  oder  nach  Luxation, 
nicht  selten  sogar  nach  einfacher  Contusion  der  Schulter  Zurückbleiben 
und  die  häufig  als  die  Folgen  von  Callusmassen,  Nervenläsionen  etc. 
angesehen  werden,  in  einer  Fractur  des  Tuberculum  majus  und  einer 
heterotopischen  Anheilung  desselben  ihren  Grund  haben. 

V.  Holländer  (Berlin) :  Ueber  Blutstillung  ohne 
Ligatur  (Angiopressur). 

Seine  Methode  beruht  auf  der  verschiedenen  Widerstandsfähigkeit 
der  einzelnen  Gefässhäute.  Er  fasst  die  blutenden  Gefässe,  wie  bisher, 
mit  den  alten  und  bequemen  Peans  und  Schiebern.  Statt  nun  zu 
unterbinden,  legt  er  an  die  Schieberenden  eine  Presszange  mit  seitlich 
abgebogenem  Maule  an  ;  ein  einmaliger  energischer  Druck  genügt 
vollkommen  zur  Erreichung  der  Blutstillung  für  kleinere  und  mittlere 
Gefässe.  Experimentell  hat  Holländer  das  Maximum  der  Leistungs¬ 
fähigkeit  der  Methode  am  Pferde  festgestellt  und  seit  einem  halben 
Jahre  bei  einer  Reihe  von  Operationen  mit  dieser  Methode  die  Blut¬ 
stillung  besorgt.  Blutungen  aus  Gefässen  bis  zum  Caliber  der  A.  maxil- 
Jaris  ext.,  A.  intercostalis,  peronea  und  Vena  saphena  stehen  prompt. 

VI.  Zabludowski  (Berlin) :  Ueber  Clavie  r  spiele  r- 
krankheit  in  der  chirurgischen  Praxis. 

In  der  grössten  Zahl  von  Fällen  hat  man  es  mit  einer  Neuritis 
des  einen  oder  des  anderen  Armnerven  zu  thun,  als  mit  einer  per  con- 
'tinuitatem  entstandenen  Entzündung. 


Die  Therapie  der  gewöhnlichen,  von  Trauma  herrührenden 
Clavierspielerkrankheit  besteht  in  Ruhe  und  nicht  reizenden  Massage¬ 
manipulationen.  Uebungen  sind  nur  im  Stadium  decrementi  des  Pro¬ 
cesses  und  nur  in  den  verschont  gebliebenen  Nachbargelenken  vorzu¬ 
nehmen.  Bei  den  selteneren,  den  paralytischen  und  den  Krampfformen 
werden  energische  Massage-,  Widerstands-  und  active  Bewegungen  an¬ 
gewandt. 

VII.  Samter  (Königsberg)  hat  Untersuchungen  über  die  Ur¬ 
sachen  der  habituellen  Schulterluxationen  unbestellt 
und  berichtet  über  einen  Fall,  den  er  durch  Verdoppelung  der  Gelenks¬ 
kapsel  an  der  Stelle  des  Risses  geheilt  hat. 

VIII.  Most  (Berlin):  Ueber  die  Topographie  der 
retropharyngealen  Drüsenabscesse.  • 

Most  hat  Untersuchungen  über  die  retropharyngealen  Lymph- 
driisen  und  über  die  Lymphgefässe  des  Nasen  Rachenraumes  angestellt 
und  an  den  verschiedenen  Stellen  constante  Lymphknoten,  die  zu 
den  Abscessen  Veranlassung  geben,  gefunden. 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden. 

Vom  18.  bis  21.  April  1900. 

Referent  Albil  (Berlin). 

(Fortsetzung.) 

III.  Sitzung. 

IV.  Aug,  Hoffmann  (Düsseldorf) :  Zur  Pathologie  der 
paroxysmalen  Tachycardie. 

Nach  Vortragendem  dürfte  es  sich  bei  den  plötzlich  auftretenden 
und  wieder  verschwindenden  Anfällen  von  ausserordentlich  erhöhter 
Frequenz  der  Herzaction  um  keine  einheitliche  Erkrankung  handeln. 
Genaue  Beobachtung  des  Verhaltens  der  Urinsecretion  (Polyurie  bei 
sinkendem  Blutdruck)  vor,  in  und  nach  dem  Anfall,  Berücksichtigung 
der  nervösen  Symptome,  Migräne,  Pupillendifferenz,  gastrische  Erschei¬ 
nungen,  zwingen  zur  Annahme  eines  centralen  Leidens  nach  Analogie 
der  Epilepsie,  dessen  Sitz  in  das  verlängerte  Mark  zu  verlegen  ist. 
Primäre  Herzdilatation  (M  a  r  t  i  u  s)  ist  schon  deshalb  auszuschliessen, 
weil  viele  Fälle  ohne  Dilatatio  cordis  einhergehen. 

Ueber  den  Mechanismus  der  Anfälle  gibt  die  Pulscurve  in 
solchen  Fällen,  welche  mit  Irregularität  nach  dem  Abfall  einhergehen, 
einigen  Aufschluss.  Die  Ausmessung  der  Curven  ergibt,  dass  Extra¬ 
systolen  die  Ursache  dieser  Irregularität  sind.  Der  Anfall  als  solcher 
ist  als  eine  continuirliche  Reihe  von  Extrasystolen  aufzufassen,  die 
durch  eine  vom  extracardialen  Herzcentrum  ausgehende  Erhöhung  der 
Erregbarkeit  des  Herzmuskels  oder  durch  von  diesem  ausgehende  Ver¬ 
stärkung  der  Bewegungsreize  hervorgerufen  werden.  Es  gibt  keine  paro¬ 
xysmale  Tachycardie,  sondern  tachyeardische  Paroxysmen  (Anfälle  von 
„Herzjagen“),  die  als  Complication  reflectorisch  erzeugt,  zu  den 
verschiedensten  Krankheitszuständen  hinzutreten  können. 

Smit  h  (Marbach):  Tachyeardische  Anfälle  beobachtet  man  auch 
bei  Zuständen  von  Herzschwäche  mit  Dilatation. 

Nothnagel  (Wien)  hält  die  paroxysmale  Tachycardie  für 
eine  Krankheit  sui  generis,  deren  Ausgangspunkt  die  Medulla 
oblongata  sei.  Dem  gegenüber  spielen  die  zahlreichen  Gelegenheits¬ 
ursachen  verschiedener  Art,  welche  den  Anfall  auslösen,  eine  unter¬ 
geordnete  Rolle. 

Rosenstein  (Leiden)  hat  einen  typischen  Anfall  von  paroxys¬ 
maler  Tachycardie  bei  einem  Patienten,  der  keine  Dilatation  hatte,  be¬ 
obachtet,  ohne  dass  äussere  Anstrengung  vorausgegangen  war.  Stellen 
auf  den  Kopf  brachte  sofort  Erleichterung.  Ferner  sah  Rosen  stein 
bei  einem  zwölfjährigen  Knaben  nach  dem  zweiten  Anfall,  der  mit 
sichtbarer  Erweiterung  des  Herzens  nach  rechts  einherging,  eine  Hemi¬ 
plegie  auftreten,  zweifellos  embolischen  Ursprungs.  Es  sind  also  ana¬ 
tomische  Veränderungen  zweifellos. 

Detter  mann  (St.  Blasien):  Gelegentlich  kann  wohl  auch  die 
abnorme  Beweglichkeit  des  Herzens  bei  Lageveränderung  des  Körpers 
die  Ursache  des  Anfalles  sein. 

V.  Vierer  dt  (Tübingen) :  Ueber  Cyanose. 

Hinsichtlich  der  Entstehung  der  „Blausucht“  der  Haut  verwirft 

Vortragender  die  bisher  zumeist  geltende  sogenannte  Mischungstheorie 
(vermehrte Kohlensäureaufnahme  in  das  sauerstoffhaltige  Blut),  sondern 
nimmt  mechanische  Ursachen  dafür  in  Anspruch.  Die  Dicke  der  Blut¬ 
schicht  und  der  überliegenden  Hautdecke  bedingen  die  blaue  Farbe. 
Sie  ist  nur  in  sehr  bedingter  Weise  als  Mass  für  die  Venosität  des 
Blutes  anzusehen. 

Stern  borg  (Wien)  widerspricht  der  Auffassung  des  Vor¬ 
tragenden. 

VI.  Minkowski  (Strassburg):  Ueber  eine  eigentüm¬ 
liche  hereditäre  Form  von  Splenomegalie  mit  chro¬ 
nischem  Ikterus. 


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Nr.  23 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Vortragender  hat  einen  eigentlichen  chronischen  Ikterus  bei  acht 
Mitgliedern  (mehrere  Erwachsene  und  deren  Kinder)  ein  und  derselben 
Familie  ermittelt.  Sie  hatten  sämmtlich  eine  fühlbare  grosse  Milz  und 
dunklen  Harn  seit  Kindheit.  Leber  war  nicht  vergrössert.  Im  Harn 
kein  Gallenfarbstoff,  aber  Urobilin.  Fiices  nicht  entfärbt.  Bei  einem 
42jährigen,  der  an  Influenzapneumonie  zu  Grunde  ging,  hatte  Min¬ 
kowski  Gelegenheit,  die  Section  zu  machen.  Leber  unverändert,  Milz 
stark  vergrössert,  in  den  gewundenen  Harncanälchen  der  Nieren  Ab¬ 
lagerung  eines  grünlichbraunen  Pigmentes,  das  die  Eisenreaction  gab. 
Der  Eisengehalt  der  Nieren  war  enorm,  aber  in  keiuem  anderen  Organe 
nachzu weisen.  Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  besondere  Anomalie 
im  Umsatz  des  Blutpigmentes. 

Senator  u'ud  Albu  (Berlin)  erwähnen  ähnliche  Beob¬ 
achtungen. 

VI 1.  Gump  recht  (Jena):  Ein  neuer  Bestandtheil 
der  normalen  Spinalflüssigkeit. 

Der  neue  Körper  ist  Cholin,  ein  Zerfallsproduet  des  Lecithins. 
Gump  recht  hat  es  in  zahlreichen  Fällen  nie  vermisst;  auch  im 
Gehirn  und  in  den  Nerven  ist  es  vorhanden,  stets  allerdings  nur  in 
Spuren.  Gumprecht’s  Material  beträgt  einige  20  normale  Spinal¬ 
flüssigkeiten,  10  Paralytiker,  8  Kinder  und  eine  Reihe  von  Meniugiten. 
Der  Abbau  des  Lecithins  ist  somit  ein  Ausdruck  für  den  physio¬ 
logischen  Stoffwechsel  der  Nervensubstanz.  In  der  Spinalflüssigkeit 
lassen  sich  nach  Gumprecht  auch  Producte  des  Eiweissstoffwechsels 
(Milchsäure)  nachweisen;  es  liegt  nach  alledem  die  Vorstellung  nahe, 
dass  der  Subarachnoidealraum  einen  grossen  Drainageraum  darstellt, 
der  zur  raschen  Abführung  der  Stoffwechselproducte  des  Nerven- 
systemes  dient. 

Riedl  (Wien)  schliesst  sich  letzterer  Auffassung  an.  Die  Menge 
des  Liq.  cerebrospinal,  ist  nicht  vou  physikalischen  Factoren  abhängig, 
sondern  auf  active  Zellthätigkeit  zurückzuführen. 

* 

IV.  Sitzung. 

I.  Born  stein  (Bad  Landeck):  Ueber  die  Methoden 
zur  Hebung  des  Eiweissbestandes  im  Organismus. 

Vortragender  wendet  rieh  gegen  die  forcirte  Ueberernährung 
bei  der  W  e  i  r  -  M  i  t  c  h  e  1  l’schen  Mastern*.  Er  tritt  dafür  ein,  zur 
Hebung  des  Eiweissbestandes  grössere  Mengen  —  30 — 50^  —  Rein- 
eiweiss,  speciell  Caseineiweiss,  in  Form  irgend  eines  der  Milcheiweiss¬ 
präparate  (Nutrose,  Plasmon,  Sanatogen,  Eulactol),  beizufügen.  Vor¬ 
tragender  glaubt,  dass  mit  dieser  Methode  der  einseitigen  Ueber¬ 
ernährung,  speciell  mit  Milcheiweiss,  in  leichtester  Weise  die  ge¬ 
wünschte  Hebung  des  Eiweissbestandes,  eine  „EiweissmasP1  erreicht 
wird,  die  in  fast  allen  Fällen  der  W  e  i  r  -  M  i  t  c  h  e  1  l’schen  Cur  vor¬ 
zuziehen  sei.  Nur  für  die  wenigen  Fälle,  wo  aus  mechanischen  Gründen 
( Wanderniere)  Fettmästung  zu  wünschen  ist,  sei  die  allgemeine  Mast 
angebracht. 

II.  Smith  (Schloss  Marbach) :  Ueber  einige  neue  Me¬ 
thoden  zur  Bestimmung  der  Herzgrenzen. 

Vortragender  bespricht  zunächst  die  Untersuchung  mittelst 
Röntgen-  Strahlen  und  die  von  B  i  a  n  c  h  i  angegebene  Frictions- 
methode  mittelst  des  verbesserten  Phonendoskops. 

Ausser  diesen  objectiven  Methoden  hat  Vortragender  noch  eine 
subjective  gefunden,  die  die  Angaben  des  Untersuchten  zur  Unterlage 
hat.  Wenn  man  nach  Anlegung  einer  indifferenten  Elektrode,  am 
besten  links  hinten,  die  knopfförmige  Elektrode  in  den  Bereich  der 
absoluten  Herzdämpfung  setzt  und  den  secundären  faradischen  Strom 
langsam  verstärkt,  so  wird  bald  ein  Moment  eintreten,  wo  die  Ver¬ 
suchsperson  deutlich  fühlt,  wie  der  vorher  nur  auf  der  Haut  em¬ 
pfundene  Strom  Erschütterungen  in  der  Tiefe  auslöst.  Dieses  Gefühl 
lässt  man  genau  merken  und  streicht  nun  nacheinander  von  allen 
Seiten  langsam  nach  dem  Herzen  zu.  Den  Augenblick,  in  dem  die 
Versuchsperson  zuerst  das  Gefühl  der  tiefen  Erschütterung  fühlt,  lässt 
man  sie  durch  einen  Ausruf  bezeichnen  und  markirt  den  Punkt,  auf 
dem  sich  die  Elektrode  zur  Zeit  des  Ausrufes  befindet.  Die  Ver¬ 
bindung  der  so  gefundenen  Punkte  ergibt  die  Grenzen  des  Herzens 
und  dieselben  stimmen  genau  mit  denen  nach  Bianchi  gefundenen 
oder  durch  Palpation  festzustellenden  überein. 

III.  J.  B  o  a  s  (Berlin):  Statistisch-klinische  Studien 
a  n  200  Fällen  von  Oesophagus-,  Magen-  und  Dar  m- 
carcinomeu. 

Redner  betont  zunächst  für  die  Intestinalcareinome  das  Ueber- 
wiegen  des  männlichen  über  das  weibliche  Geschlecht,  besonders  auf¬ 
fallend  erkennbar  beim  Oesophagus-  und  Magencarcinom.  Das  Alter 
betreffend,  so  standen  35%  in  der  dritten  bis  fünften  Dekade,  G0% 
gehörten  dem  Alter  von  50 — 70  Jahren  an.  Erblichkeit  wurde  nur  in 
9%  sicher  constatirt.  Redner  bezweifelt  daher  den  Einfluss  der  here¬ 
ditären  Belastung.  Wichtiger  dagegen  ist  das  familiäre  Vorkommen 
von  Krebs,  das  heisst  einmal  bei  Ehegatten,  sodann  bei  Geschwistern. 


Redner  hat  zusammen  22  Fälle  dieser  Kategorie  beobachtet,  darunter 
drei  Fälle  bei  Ehegatten  und  zwei  Fälle  bei  Geschwistern,  welche 
jahrelang  dauernd  zusammen  lebten.  Mit  Rücksicht  auf  ähnliche  Be¬ 
obachtungen  betont  Redner  die  Nothwendigkeit  prophylaktischer  Mass- 
regeln  bezüglich  der  Se-  und  Excrete  der  Carcinomatösen,  sowie  der 
Ess-,  Trink-  und  Pflegeutensilien. 

Die  Ernährungsart  der  Carcinomatösen  betreffend  hat  Redner 
zwar  ein  Ueberwiegen  der  Carcinome  bei  vorwiegend  animalisch  leben¬ 
den  Individuen  constatirt,  betont  aber,  dass  auch  die  vegetarisch 
lebende  Landbevölkerung  sich  keineswegs  immun  gegen  Carcinom 
verhält.  Besonders  auffallend  ist  der  begünstigende  Einfluss  des  Schnaps¬ 
genusses  für  Oesophaguscarcinome,  den  Redner  in  40%  dieser  Kategorie 
festgestellt  hat.  Auch  das  Trauma  wirkt  entschieden  fördernd  auf  das 
Wachsthum  des  Carcinoms. 

IV.  P  o  e  h  1  (St.  Petersburg) :  Die  organotherapeuti 
sehen  Mittel  bei  Autointoxicationeu. 

Die  Gewebsathmung,  respective  Intraorganoxydation,  wird  zum 
Theile  durch  ein  Ferment,  das  Spermin,  bedingt,  welches  nur  in  al¬ 
kalischem  Medium  wirksam  ist,  dagegen  in  saurem  Medium  inactiv 
wird.  Bei  Reizungen  der  Gewebe  tritt  unter  Umständen  eine  so  be¬ 
trächtliche  Milchsäurebildung  ein,  dass  das  Spermin  inactivirt  und  die 
Oxydationsprocesse  herabgesetzt  werden.  Dieses  sind  die  Momente, 
welche  die  Autointoxicationeu  einleiten.  Das  Spermin,  das  in  allen 
Diiisen  und  im  normalem  Blute  enthalten  ist,  wirkt  bei  seiner  thera¬ 
peutischen  Verwendung  als  Ferment  der  Gewebsathmung  direct  auf 
die  Ursache  der  Autointoxication  ein. 

V.  K  raus  (Prag) :  Züchtung  des  Typhusbacillus 
aus  dem  Stuhle. 

In  vier  Fällen  hat  er  ein  eigenes  neues  Verfahren  bewährt  ge 
funden,  das  in  der  Erkennung  der  Typhusculturen  durch  die  Gas¬ 
bildung  im  Centrum  der  Colonien  besteht,  welche  nur  diesem  Bacillus 
zukomme,  wie  Controluntersuchungen  mit  dem  Stuhl  Gesunder  und 
Kranker  bewiesen  haben.  Der  Nährboden  ist  Glycerinagar  mit  2%igen 
Traubenzucker.  Es  ist  eine  millionenfache  Verdünnung  der  Fäces  noth- 
wendig,  von  der  eine  Oese  übertragen  wird.  Nach  20 — 24  Stunden 
treten  60- — T00  gut  isolirte  Colonien  hervor,  unter  denen  sich  einige 
spärliche  mit  Gasbildung  befiuden.  Sie  lassen  sich  als  Typhusbacillen 
identificiren. 

Löwit  (Innsbruck)  hält  die  P  i  o  r  k  o  w  s  k  i’sche  Methode 
klinisch  für  zu  schwierig  auszuführen,  weil  der  Thermostat  stets  eine 
auf  einen  halben  Grad  genaue  Temperatur  haben  muss.  Uebrigens 
wächst  auch  das  Bacterium  alcali  sehr  ähnlich. 

Starke  (Heidelberg)  schliesst  sich  diesem  Bedenken  an.  Auch 
sei  es  zu  schwierig,  den  geeigneten  Harnnährboden  zu  finden.  Die 
Frühdiagnose  ist  zumeist  nicht  möglich,  die  Colonien  werden  oft  erst 
auf  der  dritten  oder  vierten  Platte  charakteristisch.  Die  Methode  hat 
aber  grossen  wissenschaftlichen  Werth. 

Michaelis  (Berlin):  Auf  der  L  e  y  d  e  n’schen  Klinik  ist 
Piorkowski’s  Methode  nach  den  Untersuchungen  von  Schütze  für  die 
Ueberzahl  der  Fälle  ausreichend  zur  Frühdiagnose,  sie  sei  allen  anderen 
bisherigen  Verfahren  überlegen. 

VI.  Queer  olo  (Pisa) :  Ein  neues  Verfahren  zur  Be¬ 
stimmung  der  Magengrenzen. 

Ueber  der  Spitze  einer  weiten  Magensonde  wird  ein  Condom 
aufgebunden  und  durch  einen  Gummischlauch  nur  mässig  aufgeblasen. 
Von  dem  oberen  Ende  der  Magensonde  führt  ein  zweiter  Magen¬ 
schlauch  zu  einem  Registrirapparat  mit  beweglichem  Hebel.  Percutirt 
man  nun  mittelst  Finger  nach  Einführung  der  Magensonde  das  Ab¬ 
domen,  so  erfolgt  eine  Hebung  des  Hebels  nur  innerhalb  der  Grenzen 
des  Magens. 

* 

% 

V.  Sitzung. 

I.  Litten  (Berlin):  Die  Endocarditis  und  ihre  Be¬ 
ziehungen  zu  anderen  Krankheiten. 

Die  Endocarditis  ist  mit  Ausnahme  der  atheromatösen  Form 
niemals  eine  selbstständige  Krankheit,  sondern  stellt  stets  eine  Com¬ 
plication  dar.  Sie  kommt  fast  ausschliesslich  im  Verlaufe  einer  In 
feetionski  ankheit  vor  und  wird,  abgesehen  von  der  atheromatösen  Form, 
durch  Mikroparasiten  bedingt. 

Klinisch  unterscheidet  Litten  eine  Endocarditis  benigna, 
und  maligna.  Da  aber  die  Entzündung  des  Endocards  nur  eine 
secundäre  Stellung  einnimmt,  so  muss  bei  Bezeichnung  der  Endo¬ 
carditis  stets  das  ätiologische  Moment  berücksichtigt 
werden.  Demgemäss  ist  die  Endocarditis  einzutheilen  in 

1.  Endocarditis  benigna,  und  zwar:  rheumatica,  peliotica, 
choreatica,  gonorrhoica,  scarlatinosa,  morbillosa,  variolosa,  diphtheritica, 
typhosa,  pneumonica,  tuberculosa,  e  Influenza  und  traumatica. 

2.  Endocarditis  maligna,  1.  non-apostematosa, 
und  zwar:  rheumatica,  choreatica  und  gonorrhoica;  2.  s  e  p  t  i  c  o- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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p  y  a  e  m  i  c  a,  apostematosa ;  primär  oder  secundär  aus  einer  der  vor¬ 
genannten  durch  Infection  mit  Eitererregern  hervorgehend. 

Die  Endocarditis  benigna  bewirkt  nur  geringfügige  Veränderungen 
an  den  Klappen,  die  keine  klinischen  Erscheinungen  hervorzurufen 
brauchen,  oder  sie  führt  zur  Bildung  von  chronischen  Klappenfehlern. 
Sie  betrifft  im  extrauterinen  Leben  stets  das  linke  Herz  und  führt, 
wenn  überhaupt,  nur  zu  blanden  anämischen  Infarcten  im 
grossen  Kreisläufe.  Finden  sich  daneben  Lungeninfarcte,  so  stammen 
diese,  da  die  aus  dem  linken  Herz  stammenden  Emboli  die  Capillaren 
nicht  durchwandern  können,  von  Venenthromben  oder  rechtsseitigen 
Herzgerinnseln. 

Die  maligne  Endocarditis  stellt  an  sich  unter  allen  Umständen 
eine  erhebliche  Gefahr  für  das  Leben  dar;  sie  findet  sich  sowohl 
im  linken,  wie  im  rechten  Herzen  und  kann  anatomisch  das 
Bild  der  verrucösen  und  ulcerösen  Form  darbieten.  Sie  führt  meist  zu 
Metastasen.  Je  nach  dem  Charakter  der  Grundkrankheit  (Rheumatismus, 
Chorea,  Gonorrhoe)  wirken  diese  nur  mechanisch,  oder  (Septico- 
Pyämie,  secundäre  und  Mischinfection)  infectiös;  die  ersteren  sind 
daher  stets  bl  and,  die  letzteren  stets  eiterig.  Demgemäss  ist  die 
Endocarditis  maligna  zu  trennen  in  eine  Form  m  i  t  Eiterung  und  eine 
ohne  Eiterung.  Die  Endocartis  maligna  non  apostematosa  ist  bisher 
nur  bei  Rheumatismus,  Chorea  und  Gonorrhoe  beobachtet  worden.  Bei 
der  letzteren  ist  die  Aetiologie  am  besten  erforscht;  es  ist  ausser 
Zweifel,  dass  diese  Endocarditis  durch  den  Gonococcus  hervorgerufen 
wird.  In  allen  beschriebenen  Fällen  wird  aber  auch  übereinstimmend 
mitgetheilt,  dass  die  in  den  verschiedenen  Organen  gefundenen  Infarcte 
blande  waren  und  nirgends  Eiterung  bestand.  Man  hat  es  aber  n  i  c  h  t 
mit  einer  pyämischen  Erkrankung  zu  thun,  bei  welcher  statt  der 
blanden  Infarcte  Eiterherde  gefunden  werden  müssten.  Bestehen 
letztere  tliatsächlich  bei  einer  mit  Endocarditis  complicirten  Gonorrhoe, 
so  bandelt  es  sich  um  eine  secundäre  Infection  mit  eitererregenden 
Baeterien.  Dem  Befund  bei  der  Endocarditis  maligna  gonorrhoica  ent¬ 
spricht  der  bei  der  rheumatica,  von  welcher  Litten  schon  vor 
20  Jahren  eine  Anzahl  von  Fällen  als  rheumatoide  ulceröae  beschrieben 
hat.  Inzwischen  hat  er  aus  den  angeführten  Gründen  die  Bezeichnung 
ulcerös  überhaupt  verworfen,  auch  für  die  alte  Form,  die  er  heute 
maligna  m  i  t  Eiterung  nennt. 

In  drei  Fällen  von  Endocarditis  maligna  rheumatica  hat  er 
neuerdings  in  den  Auflagerungen  an  den  Herzklappen  einen  be¬ 
stimmten,  wohlchai  akterisirten  Streptococcus  gefunden.  Er  kann  in¬ 
dessen  weder  diesen,  noch  irgend  einen  der  sonst  von  den  Autoren, 
besonders  von  Singer,  aufgeführten  Mikroorganismen  als  Erreger 
des  acuten  Gelenkrheumatismus  anerkennen. 

Da  in  Fällen  von  Endocarditis  gonorrhoica  benigna  vielfach  in 
gleichzeitig  betroffenen  Gelenken  der  Gonococcus  gefunden  wurde,  so 
darf  man  annehmen,  dass  derselbe  auch  die  Erscheinungen  am  Endocard 
hervorgerufen  hat,  und  dass  demgemäss  die  benigne  und  maligne  Form 
nur  graduell  verschieden  sind,  je  nach  der  geringeren  oder 
grösseren  Virulenz  des  Gonococcus.  Auch  für  den  acuten  Gelenk¬ 
rheumatismus  und  die  dadurch  bedingte  Endocarditis  ist  ein  be¬ 
stimmter  Krankheitserreger  anzunehmen,  dessen  Natur  noch  nicht  be¬ 
kannt  ist.  Anolog  den  Verhältnissen  bei  der  Endocarditis  gonorrhoica 
ist  anzunehmen,  dass  auch  die  benigne  und  maligne  Endocarditis 
rheumatica  durch  ein  und  denselben  Mikroorganismus  be¬ 
dingt  wird. 

An  der  Hand  eines  absolut  einwandfreien  Falles  aus  seiner  Beob¬ 
achtung  führt  Litten  aus,  dass  auch  durch  Traumen  eine  ent¬ 
zündliche  _  Erkrankung  des  Endocards  hervorgerufen  weiden  kann, 
welche  alle  Charaktere  der  Endocarditis  benigna  darbietet  und  zur 
Heilung  oder  zur  Bildung  von  Klappenfehlern  führt.  Auch  diese  Form 
kann  durch  secundäre  Infection  mit  Eitercoccen  in  eine  maligne,  septico- 
pyämische  übergehen. 

Discussion:  v.  J  ürgensen  (Tübingen):  Es  gibt  keine 
Endocarditis  als  eigene  Erkrankung.  Sie  geht  stets  mit  Myocarditis 
einher,  und  zwar  der  an  den  Klappen  ansetzenden  Muskelfasern.  Die 
Muskelerkrankung  ist  das  Entscheidende.  Die  häufigste  Ursache  der 
Endocarditis  ist  der  acute  Gelenkrheumatismus.  Aber  seit  Jahren 
bekommt  Jürgensen  die  typische  Form  desselben  nicht  mehr  zu 
sehen  und  die  Salicylsäure  entfaltet  ihre  Wirkung  nicht  mehr.  In 
wachsender  Häufigkeit  tritt  dagegen  eine  mehr  schleichende  Form  auf, 
die  zu  schwereren  Veränderungen  führt  und  schliesslich  nach  mehr¬ 
jährigem  Verlaufe  das  Leben  bedroht.  Die  Temperatur  ist  monatelang 
ganz  ungleichmässig  über  die  24stündige  Periode  vertheilt,  ohne  sich 
dabei  über  die  Norm  zu  erheben.  Das  Verhältniss  zwischen  Puls¬ 
frequenz  und  Athmung  ist  verringert  und  hat  dadurch  diagnostische 
Bedeutung.  Der  Blutstrom  ist  von  Anfang  verringert,  die  Herzkraft 
geschwächt,  aber  erst  der  Eintritt  der  Muskelerkrankung  liefert  die 
Entscheidung.  Ferner  ist  das  Auftreten  eigenthümlicher  nervöser 
Störungen  bemerkenswerth:  Chorea  und  Katalepsie,  namentlich  bei 
Kindern,  Störungen  der  Reflexerregbarkeit,  die  paradoxe  Contraction 


Westphal’s  und  auch  schwere  spinale  Störungen.  Therapeutisch 
empfiehlt  sich  vollkommene  Schonung  bis  zum  Wiederverschwinden 
aller  Erscheinungen.  Dann  bleibt  selten  etwas  an  den  Klappen 
zurück. 

Len  harts  (Leipzig)  hält  L  i  1 1  e  n’s  Unterscheidung  der  beiden 
Formen  der  malignen  Endocarditis  nicht  für  berechtigt.  Die  Ver¬ 
eiterung  der  embolischen  Infarcte  ist  kein  unterscheidendes  Merkmal, 
weil  sie  nicht  regelmässig  in  den  septischen  Fällen  auftritt.  Doch  in 
den  nichteiterigen  Fällen  findet  man  im  Blute  Baeterien  verschiedener 
Art.  Die  Selbstimmunisirung  der  Gewebssäfte  schützt  vor  der  Eiter¬ 
bildung.  Len  har  tz  berichtet  über  26  Fälle,  in  denen  Blutunter¬ 
suchungen  gemacht  worden  sind.  Detaillirte  Analyse  dieser  Fälle. 
Die  septische  Endocarditis  lässt  sich  durch  die  bacteriologische  Unter¬ 
suchung  des  lebenden  Blutes  klinisch  scharf  erkennen.  Anatomisch 
verläuft  sio  bald  mit,  bald  ohne  Vereiterung  der  Infarcte. 
Bei  der  rheumatischen  Endocarditis,  von  der  es  gelegentlich  auch  eine 
maligne  Form  gibt,  findet  man  niemals  Baeterien,  weil  wir  eben  den 
Erreger  der  Krankheit  noch  nicht  kennen. 

Schott  (Nauheim)  gibt  einige  Unterscheidungsmerkmale  der 
gonorrhoischen  Endocarditis  an. 

His  (Leipzig)  erwähnt  einen  Fall  einer  Verschlimmerung  einer 
schon  bestehenden  benignen  Endocarditis  durch  eine  hinzutretende 
Gonorrhoe. 

Michaelis  (Berlin)  hat  bei  Gelenkrheumatismus  niemals  Bac- 
terien  in  der  Gelenkflüssigkeit  oder  der  Gelenkkapsel  gefunden.  Der 
Nachweis  der  Baeterien  auf  den  Klappen  sei  schwierig.  In  sechs 
Fällen  von  rheumatischer  Endocarditis  hat  er  zarte  feine  Diplococcen 
gefunden,  die  auf  den  Nährböden  als  Streptococcen  wuchsen. 

v.  Leu  be  (Würzburg):  Auch  leichte  Infectionskrankheiten,  wie 
die  gewöhnliche  Angina  und  der  Muskelrheumatismus  können  Endo¬ 
carditis  nach  sich  ziehen  So  erklärt  sich  vielleicht  die  Entstehung 
mancher  kryptogenetischer  Fälle. 

Wassermann  (Berlin)  hat  in  einem  Falle  von  Chorea  post- 
rheuinatica  frische  Auflagerung  von  Streptococcen  auf  den  Klappen  ge¬ 
funden,  die,  auf  Kaninchen  überimpft,  multiple  Gelenkentzündungen 
erzeugten,  in  deren  Producten  sich  wieder  diese  Streptococcen  in  Rein- 
cultur  fanden.  In  älteren  Klappenwucherungen  finden  sich  selten 
lebende  Baeterien.  Alle  möglichen  Baeterienarten  machen  gelegentlich 
Endocarditis. 

Litten  (Schlusswort)  tritt  den  Behauptungen  L  e  n  h  a  r  t’s  ent¬ 
schieden  entgegen.  Wo  blande  Infarcte  sind,  finden  sich  niemals  Ab- 
scesse.  Deshalb  ist  die  Unterscheidung  der  beiden  Formen  maligner 
Endocarditis  nothwendig. 

II.  S  t  r  u  b  e  1 1  (Breslau^;  Eine  neue  MethodederUri  n- 
und  Blutunter  su  chu  ng. 

Vortragender  berichtet  über  Bestimmungen  des  Brechungsexpo¬ 
nenten  thierischer  Flüssigkeiten,  speciell  von  Urin  und  Blut,  mit  dem 
P  u  1  f  r  i  c  h’schen  Eintauchrefractometer,  das  bisher  noch  nicht  für 
medicinische  Zwecke  verwerthet  ist. 

Die  Resultate,  die  Vortragender  an  einfachen  Lösungen  von 
Kochsalz,  Harnstoff,  Zucker  u.  s.  w.,  sowie  die  Ergebnisse,  die  er  an 
normalen  und  pathologischen  Urinen  und  an  ihierischem  und  mensch¬ 
lichem  Blutserum  erhielt,  berechtigen  zu  der  Hoffnung,  dass  die  Me¬ 
thode  sowohl  pathologisch-klinische,  wie  physiologisch-chemische  Be¬ 
deutung  gewinnen  wird. 

Von  Wichtigkeit  ist  eine  Modification  der  Methode,  die  Vor¬ 
tragender  vorschlägt,  und  welche  gestattet,  auch  an  einem  einzigen 
Flüssigkeitstropfen  die  Bestimmung  auszuführen. 

III.  II  i  s  jun.  (Leipzig):  Verhalten  und  React  ionen 
der  Harnsäure  und  ihrerSalze  in  Lösungen  (gemeinsam 
mit  Prof.  Paul  (Tübingen ). 

Indem  H  i  s  und  Paul  die  Theorie  der  Lösungen  von  Harn¬ 
säure  und  ihren  Salzen  entwickeln,  zeigen  sie,  dass  viele  empirisch 
gefundene  Thatsachen  mit  Nothwendigkeit  aus  der  Theorie  hervor¬ 
gehen.  So  muss,  bei  Gegenwart  eines  anderen,  gleichviel  welchen 
Natronsalzes,  die  Löslichkeit  des  primären  harnsauren  Natrons  be¬ 
trächtlich  vermindert  werden,  wie  bereits  Roberts  gefunden  hat. 
Gegenwart  eines  Salzes  mit  anderem  Metalle,  z.  B.  Kalium  oder 
Lithium,  welche  an  sich  leichtlösliche  Urate  bilden,  können  die  Lös¬ 
lichkeit  des  sauren  Natronsalzes  ebenfalls  nicht  erhöhen;  denn  da  die 
Salze  nicht  als  solche,  sondern  dissociirt  (als  Ionen)  nebeneinander  in 
Lösung  sind,  fällt,  falls  dessen  Löslichkeitsgrenze  überschritten  wird, 
jeweilen  das  am  schwersten  lösliche  Salz  zuerst  aus,  respective 
wird  zuletzt  gelöst.  Es  ist  demnach  nicht  möglich,  gichtische 
Ablagerungen  durch  Kali-  oder  Lithionsalze  leichter  löslich  zu 
machen. 

Minkowski  (Strassburg)  erwähnt,  dass  er  gleichzeitig  mit 
Kossel  (Marburg)  jüngst  gefunden  hat,  dass  die  Harnsäure  natron¬ 
saure  Verbindungen  eingeht,  aus  denen  sie  mit  Salzsäure  nicht  gefällt 
werden  kann. 


544 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  23 


Moritz  (München)  hat  beobachtet,  dass  die  Harnsäurekrystalle 
selbst  im  reinen  Zustand  beim  Auflösen  einen  Schatten  hinterlassen, 
welcher  sich  mit  Methylenblau  färbt. 

* 

VI.  Sitzung. 

I.  Friedei  Pick  (Prag):  Eine  eigenartige  L  ä  h  m  u  n  gs- 
erscheinung  bei  Hysterie. 

Vortragender  beobachtete  einen  Hysteriker  mit  linksseitiger 
Hemianästhesie  und  vollständiger  linksseitiger  „Perfe  de  la  conscience 
musculaire“.  Die  linksseitigen  Extremitäten  zeigten  bei  offenen  Augen 
starke  Parese.  Bei  geschlossenen  Augen  konnte  der  Patient  gar  nichts 
bewegen  und  passive  Bewegungen  der  linken  Extremitäten  wurden  gar 
nicht  empfunden  oder  rechts  nachgeahmt.  Dagegen  wurden  passive 
Bewegungen  der  rechten  gesunden  Seite  auf  der  linken,  spontan  nicht 
bewegbaren  Seite  prompt  nachgeahmt.  Es  bestand  also  Unvermögen, 
willkürlich  zu  bewegen,  dagegen  wurden  passive  Bewegungen  der 
anderen  prompt  nachgeahmt.  Dieses  Phänomen,  das  man  „Parallelo- 
kinesie“  nennen  könnte,  ist  bisher  in  den  Lehr-  und  Handbüchern 
nirgends  beschrieben,  nur  Anton  in  Graz  sah  es  in  drei  Fällen  von 
Hirnherden  ausserhalb  der  motorischen  Zone,  betont  aber  ausdrücklich, 
dass  er  es  bei  Hysterischen  mit  analogen  Erscheinungen  vergebens 
gesucht  habe.  Dieses  Symptom  scheint  von  Interesse  für  die  Theorie 
der  motorischen  Lähmungen;  denn  es  entspricht  ganz  dem,  was 
man  unter  den  Aphasien  als  transcorticale  motorische  Aphasie  be¬ 
zeichnet. 

II.  Bickel  (Berlin):  Ueber  die  krampferregende 
Wirkung  der  Galle  und  der  gallensauren  Salze. 

Demonstration  von  Kaninchen,  bei  denen  durch  die  directe  Auf¬ 
tragung  geringerer  Mengen  gallensaurer  Salze  auf  die  Hirnrinde, 
respective  durch  Einspritzung  derartiger  Salzlösungen  in  die  Cerobro- 
spinalflüssigkeit  ein  eigenthümlielies  Krankheitsbild  experimentell 
erzeugt  wird,  das  durch  mannigfache  Symptome  seitens  des  Central¬ 
nervensystems,  wie  fallsweise  auftretende  tonische  und  klonische 
Kiämpfe,  Zwangsbewegungen,  maniakalische  Anfälle  u.  s.  w.  charak- 
terisirt  ist.  Diese  Versuche  zeigen,  dass  man  berechtigt  ist,  den 
gallensaueren  Salzen  eine  ätiologische  Bedeutung  für  die  Cholämie  zu¬ 
zusprechen. 

Biedl  (Wien)  hat  durch  subdurale  Injection  von  gallensauren 
Salzen  in  geringer  Menge  und  Concentration  das  typische  Krankheits¬ 
bild  der  Cholämie  bei  Thieren  erzeugt  und  hält  seine  Versuchsanord¬ 
nung  mehr  den  wirklichen  Verhältnissen  entsprechend.  Die  Wirkung 
erklärt  sich  durch  directe  Berührung  mit  den  Rindenzellen  des  Gross¬ 
hirns.  Neuerdings  hat  er  sie  bei  Verwendung  isoosmotischer  Lösungen 
bestätigt  gefunden. 

III.  A  g  e  r  o  n  (Hamburg) :  Diagnostische  und  thera¬ 
peutische  Bemerkungen  zum  chronischen  Magen¬ 
geschwür. 

IV.  Starke  (Berka):  Ueber  B  1  u  t  k  ö  r  p  e  r  c  h  e  n  Zahlung. 

In  der  Hämatologie  ist  in  den  letzten  Jahren  ein  Streit  über  die 

T  h  o  m  a  -  Z  e  i  8  s’sche  Zählkammer  entstanden.  Die  jüngere  Richtung 
behauptet,  dass  dieselbe  vom  äusseren  Luftdiucke  abhängig  und  die 
Annahme  über  die  Vermehrung  der  Blutkörperchen  im  Höhenklima 
hinfällig  seien,  die  ältere  Richtung  hält  an  den  bisherigen  Befunden 
und  Theorien  fest.  Vortragender  schliesst  sich  auf  Grund  eigener 
Untersuchungen  ersteren  an. 

V.  Weiss  (Basel) :  Die  Erfolge  der  Urosinbehand- 
1  u  n  g  bei  harnsaurer  Diathese. 

Urosin  ist  chinasaures  Lithium.  Die  Chinasäure  beschränkt  die 
Bildung  der  Harnsäure  im  Körper  nach  den  früher  mitgetheilten  Unter¬ 
suchungen  des  Vortragenden.  Man  gibt  etwa  zehn  Tabletten  täglich, 
entsprechend  5  g  Chinasäure.  Ohne  Aenderung  der  gewohnten  Lebens¬ 
und  Ernährungsweise  kann  man  mit  Urosin  bei  typischer  wie  atypi¬ 
scher  Gicht,  sowie  Fällen  abnormer  Ilarnsäureablagerung  und  -Aus¬ 
scheidung  subjective  und  objective  Besserungc  n  erzielen,  auch  bei  Blei¬ 
gicht.  Auch  günstige  prophylaktische  Wirkungen  berichtet.  Vortragender. 
Man  gibt  zu  diesem  Zweck  täglich  sechs  bis  acht  Tabletten  vier  bis 
sechs  Wochen  lang. 

VI.  Leo  Schwarz  (Prag) :  Ueber  Aceton  au  ssc  he  i- 
d  u  n  g. 

Die  absoluten  Mengen  Acetons,  die  ausgeathmet  werden,  sind 
oft  sehr  beträchtlich  (l'l  <7  im  Mittel  täglich).  Vom  leichten  Diabetiker 
werden  ungefähr  70%  des  Gesammtacetons  durch  die  Lungen  ausge¬ 
schieden,  beim  schweren  Diabetes  nur  circa  34%.  Diese  Unvollkommen¬ 
heit  der  Acetonabdunstung  durch  die  Lungen  erklärt  der  Vortragende 
dadurch,  dass  beim  schweren  Diabetes  ausser  Aceton  auch  ß  Oxybutter- 
säure  und  Acetessigsäure  im  Blute  kreist,  den  Lungen  daher  relativ 


weniger  Aceton  zur  Ausscheidung  zur  Verfügung  steht.  Seit  den  Unter¬ 
suchungen  von  Rosenfeld,  Hirschfeld  u.  A.  ist  bekannt,  dass 
Entziehung  der  Kohlehydrate  aus  der  Nahrung  vermehrte  Acetonaus¬ 
scheidung  im  Harn  im  Gefolge  hat.  Der  Acetongehalt  der  Ausathmungs- 
luft  nun  steigt  bei  Kohlehydratmangel  um  das  Zwei-  bis  Dreifache,  der 
des  Harnes  um  das  Acht-  bis  Zehnfache.  Bei  zwei  Fällen  von  schwerem 
Diabetes  hat  Schwarz  den  erwarteten  Anstieg  der  Acetoncurve  nach 
Kohlehydratentziehung  sowohl  im  Harne,  als  in  der  Ausathmungsluft 
vermisst.  In  allen  anderen  Fällen  aber,  wTo  der  Ausschluss  der  Kohle¬ 
hydrate  acetonvermehrend  gewirkt  hatte,  bewirkte  die  Zufuhr  von 
Traubenzucker  und  verwandter  Substanzen  eine  Verminderung  der 
Acetonausscheidung.  Von  solchen  hat  Schwarz  hauptsächlich  Glu- 
consäure  und  Zucker  säure,  die  beiden  ersten  Oxydationspro- 
ducte  des  Traubenzuckers,  untersucht.  Die  neueren  einschlägigen  Ar¬ 
beiten,  sowie  eigene  Beobachtungen  haben  Schwarz  zu  der  An¬ 
schauunggeführt,  dass  als  Mutter  Substanz  des  Acetons  das  Fett 
zu  betrachten  sei.  Er  konnte  bei  Diabetikern  nach  Fettfütterung,  ins¬ 
besondere  nach  Butter,  in  sieben  Versuchsreihen  sehr  bedeutende  Zu¬ 
nahme  der  Acetonausscheidung  constatiren.  Es  besteht  keine  directe 
Beziehung  zwischen  der  ausgeschiedenen  Aceton-  und  der  aufgenommenen 
Fettmenge,  sondern  je  höher  schon  vorher  die  Acetonausscheidung, 
ein  umso  grösserer  Antheil  des  Fettes  scheint  in  Aceton  umgesetzt 
zu  werden. 

Vortragender  resumirt,  dass  die  Acetonausscheidung  wohl  als 
Function  gesteigerten  Fettzerfalles  aufgefasst  werden  dürfe,  womit  die 
diabetische  Acetonurie  ihrer  Besonderheit  entkleidet  sei. 

VII.  Magnus-Levy  (Strassburg):  Ueber  den  Bence- 
Jones’s  c  h  e  n  Eiweisskörper. 

Es  ist  dem  Vortragenden  gelungen,  diesen  Eiweisskörper  in 
krystallinischer  Form  zu  erhalten.  Während  dessen  anscheinend  con- 
stantes  Auftreten  bei  Myelomen  in  den  bisher  beobachteten  Fällen 
von  „Bence-Jone  s’scher  Albuminurie“  die  Deutung  gefunden  hat, 
dass  dieser  Körper  in  jenen  Geschwülsten  entstehe,  zeigt  Vor¬ 
tragender,  dass  das  angesichts  der  grossen  täglichen  Ausscheidung,  die 
bis  auf  36  und  70  <7  ansteigen  kann,  unmöglich  ist.  Der  Körper  ent¬ 
steht  jedenfalls  an  anderen  Stellen,  vielleicht  in  der  Darmwand  oder 
in  der  Leber. 

v.  J  a  k  s  c  h  (Prag) :  Der  Nachweis  diems  Eiweisskörpers  gestattet 
keinen  sicheren  diagnostischen  Schluss,  da  er  bei  Knochenerkrankungen 
öfters  fehlt. 

Naunyn  (Strassburg) :  Der  positive  Befund  gestattet  doch 
einen  Rückschluss.  Er  ist  charakteristisch  nur  für  M3relome  des 
Rumpfes. 

Wassermann  (Berlin):  Die  Eiweisskörper  der  verschiedenen 
Thiergattungen  lassen  sich  von  einander  dadurch  genau  unterscheiden, 
dass  jedes  Blutserum  immer  nur  dem  ihm  eigenen  Eiweisskörper  gegen¬ 
über  specifische  agglutinirende  Wirkung  besitzt. 

F.  Blum  (Frankfurt  a.  M.)  hat  schon  früher  angegeben,  dass 
auch  eine  chemische  Methode,  die  Bestimmung  der  Jodzahl,  zur  Kenn¬ 
zeichnung  der  Eiweisskörper  Anhalt  bietet. 

Matth  es  (Jena):  Die  Albumose  wird  zuweilen  nur  periodisch 
im  Harn  ausgeschieden. 

An  der  weiteren  Discussion  betheiligten  sich  noch  die  Herren 
Senator  (Berlin),  v.  Jaksch  (Prag),  Naunyn  (Strassburg)  und 
Magnus-Levy  (Strassburg). 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am  , 

Freitag,  den  8.  Juni  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dom  Vorsitze  des  Herrn  Oberstabsarztes  Docent  Dr.  Habart 

Btattflndend  tn 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Englisch:  Zur  Hypertrophie  der  Prostata.  (Fortsetzung.) 

2.  Regimentsarzt  Dr.  J.  Fein:  Ueber  die  sogenannte  Cadaverstellung 
der  Stimmbänder. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien. 

Die  nächste  Wissenschaftliche  Sitzung  findet 

Dienstag,  den  12.  Juni  1900,  7  Uhr  Abends, 
im  Ilürsaale  der  II.  geburtshilflich-gynäkologischen  Klinik  statt. 

Halban,  Lihotzky, 

derzeit  Schriftführer.  derzeit  Präsident. 


Verantwortlicher  Redaeteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkand!. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Grussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  14.  Juni  1900.  Nr.  24. 


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Pie  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


ILTHA  JLjT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  des  Herrn  Pro¬ 
fessor  Dr.  F  r  i  e  d  r.  Schauta  in  Wien.  Agglutinationsversuche 
mit  mütterlichem  und  kindlichem  Blute,  Von  Dr.  Josef  Halban. 

2.  Ans  der  Proseetur  der  k.  k  Krankenanstalt  »Rudolf-Stiftung«  in 
Wien  (Prosector:  Prof.  R.  Paltauf).  Zur  Kenntuiss  des  Aktino- 
mycespilzes.  Von  Dr.  Carl  Sternberg,  Prosectursadjuncf. 

3.  Aus  der  Proseetur  der  k.  k.  Krankenanstalt  »Rudolf-Stiftung«  in 
Wien  (Prosector:  Prof.  E.  P  a  1 1  a  u  f).  Ein  anaerober  Strepto¬ 
coccus.  Von  Dr.  Carl  Sternberg,  Prosectursadjunct. 

4.  Ueber  das  Baden  Neugeborener.  Von  H.  Kowarski. 


II. 


III. 

IV. 
V. 


Referate:  I.  Die  eiterigen  Erkrankungen  des  Schläfebeines.  Von  Piof. 
Dr.  Otto  Körner.  H.  Ueber  Gewerbekrankbeiten  des  Obres. 
Von  Dr.  E.  Winkler.  III.  Zur  vergleichenden  Anatomie  und 
Physiologie  des  Gleichgewichtes  und  Gehörorganes.  Von  Dr. 
Rudolf  P  a  n  z  e,  IV.  Die  acute  Mittelohrentzündung  und  ihre 
Behandlung.  Von  Dr.  Gustav  Brülil.  Referent  Arthur 
Singer. 

Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

Vermischte  Nachrichten. 

Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Aus  der  Universitäts-Frauenklinik  des  Herrn  Professor 
Dr.  Friedr.  Schauta  in  Wien. 

Agglutinationsversuche  mit  mütterlichem  und 

kindlichem  Blute. 

Von  Dr.  Josef  Halban. 

Seit  der  weittragenden  Entdeckung  Gr  r  u  b  e  r’s  ’)  wurden 
über  die  merkwürdige  Erscheinung  der  Agglutination  reichliche 
Untersuchungen  angestellt.  Wir  wissen  heute,  dass  das  Phä¬ 
nomen  nicht  nur  bei  Bacterien,  sondern  auch  bei  anderen 
zeitigen  Elementen  beobachtet  werden  kann. 

Bordet2)  fand,  dass,  wenn  man  ein  Thier  durch  sub- 
cutane  Einspritzung  normalen  Blutes  einer  anderen  Species 
gegen  dieses  Blut  gleichsam  immunisirt,  das  Serum  des 
immunisirten  Thieres  schliesslich  die  rothen  Blutkörperchen 
des  anderen  agglutinirt. 

Landsteiner3)  fand  specilische  Immunitätsreactionen 
für  Spermatozoen,  v.  Düngern4)  für  Flimmerepithelien, 
Metschnikoff5)  für  Leukocyten. 

Wir  wissen  aber  ferner,  dass  nicht  nur  bei  immunisirten 
Thie  ren  specilische  Agglutinine  auftreten,  sondern  dass  Agglu- 
tinine  auch  schon  im  Blute  ganz  normaler  Thiere  und  Men¬ 
schen  Vorkommen.  So  ist  es  bekannt,  dass  zum  Beispiel  nor¬ 
males  Serum  Cholerabacillen  sehr  energisch  agglutinirt.  Hieher 
gehört  auch,  dass  das  normale  Serum  die  Molecularbewegung 
der  Bacterien  aufhebt  und  sogar  an  Sporen  Agglutinations¬ 
phänomene  hervorruft.  (Halban0),  Kraus  und  Löw7). 
Ebenso  wie  aber  schon  das  normale  Serum  im  Stande  ist, 
Bacterien  zu  agglutiniren,  so  besitzt  das  Serum  gewöhnlich 
schon  normaler  Weise  die  Fähigkeit,  rothe  Blutkörperchen  zu 
agglutiniren,  und  zwar  nicht  nur  die  Blutkörperchen  von 
einer  anderen  Species,  sondern  sogar  auch  von  anderen  Indi¬ 
viduen  derselben  Species  (Landsteiner15). 

Meine  Untersuchungen  waren  nun  darauf  gerichtet,  das 
Blut  der  Mutter  und  des  Fötus  auf  den  Gehalt  an  normalen 
Agglutininen  zu  prüfen  und  die  Ergebnisse  dieser  Unter¬ 


suchungen  lassen,  wie  wir  sehen  werden,  gewisse  Folge¬ 
rungen  zu. 

Technik  und  Versuche. 

Um  mütterliches  und  fötales  Blut  isolirt  zu  gewinnen,'  bin 
ich  in  der  einfachen  Weise  vorgegangen,  dass  ich  unmittelbar 
nach  der  Geburt  des  Kindes  abnabelte  und  das  fötale  Blut  aus 
dem  placentaren  Theile  der  Nabelschnur  unter  aseptischen  Cautelen 
entnahm.  Ich  gewann  dadurch  sicher  fötales  Blut. 

Die  Beschaffung  des  mütterlichen  Blutes  gelang  einfach  in 
der  Weise,  dass  ich  nach  Abgang  der  Placenta  eine  vorübergehende 
Atonie  des  Uterus,  wie  sie  so  häufig  vorkommt,  abwartete,  und 
dann  das  aus  dem  Uterus  ausfliessende  Blut  mit  einer  in  die 
Vagina  eingeführten,  sterilen  Eprouvette  auffing.  Ich  entnahm  aul 
diese  Weise  je  zwei  Eprouvetten  vom  fötalen  und  je  zwei  vom 
mütterlichen  Blute.  Während  ich  nun  die  eine  Eprouvette  zur  Ge¬ 
winnung  des  Serums  benützte,  defibrinirte  ich  das  Blut  der  anderen 
Eprouvette  und  ich  bekam  sowohl  vom  Fötus  als  von  der  Mutter 
je  eine  Eprouvette  mit  Serum  und  eine  mit  defibrinirtem  Blute. 
Ich  wiederholte  dies  bei  14  Gebärenden  und  stellte  nun  Agglu¬ 
tinationsversuche  in  verschiedenen  Combinationen  an.  Die  Proben 
wurden  entweder  im  hängenden  Tropfen  untersucht  oder  in  Eprou¬ 
vetten.  Bei  beiden  Methoden  ist  die  eingetretene  Wirkung  schon 
sehr  leicht  makroskopisch,  gewöhnlich  nach  wenigen  Minuten  zu 
beobachten. 

Bei  der  Prüfung  auf  hämolytische  Wirkung  wurden  die 
Proben  in  den  Brutschrank  gestellt. 

Es  ergaben  sich  nun  in  der  Regel  beträchtliche 
Unterschiede  in  der  Wirkung  des  mütterlichen 
und  fötalen  Blutes. 

Die  Versuche  wurden  in  verschiedenen  Reihen  an¬ 
gestellt. 

1.  Es  wurde  zunächst  die  Wirkung  sowohl  des  müttci- 
lichen  als  des  kindlichen  Serums  eines  Falles  auf  das  Kindes¬ 
blut  eines  anderen  Falles  geprüft.  Von  den  hallen  agglutinine 
das  mütterliche  Blut  sechsmal  stark,  viermal  schwach,  vennnl 


546 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  24 


gar  nicht.  Das  kindliche  Blut  agglutinirte  zweimal  stark,  drei¬ 
mal  wenig,  neunmal  gar  nicht. 


Fall  1 

Fall  2 

Fall  8 

|  Fall  4 

Fall  5 

Fall  G 

Fall  7 

Fall  8 

Fall  9 

Fall  10 

Fall  11 

i 

I 

Fall  12 

CO 

r—i 

Fall  14 

Mutterserum 

stark 

stark 

1 

stark 

Ad 

In 

X 

Um 

ei 

eo 

schwach 

1 

stark 

schwach 

schwach 

sehr 

schwach 

1 

1 

Kindesserum 

schwach 

1 

stark 

schwach 

schwach 

1 

1 

1 

1 

1 

i 

stark 

1 

1 

Es  folgt  daraus,  dass  das  mütterliche  Serum  öfters 
Agglutinationsvermögen  besitzt,  als  das  kindliche. 

Es  folgt  weiter,  dass  das  Agglutinationsvermögen 
des  Kindesblutes  nicht  abhängig  zu  sein  scheint 
von  dem  des  Mutterserums,  denn  es  gibt  sowohl  Fälle, 
wo  das  mütterliche  Blut  stark  agglutinirt,  das  kindliche  aber 
nicht,  als  auch  umgekehrt. 

2.  Derselbe  Erfolg  ergab  sich,  wenn  wir  die  Wirkung 
der  beiden  Sera  auf  mütterliches  Blut  eines  anderen  Falles 
prüften,  indem  sich  ebenfalls  die  gleichen  Differenzen  in  der 
Intensität  der  Wirkung  zeigten. 

3.  Die  gleichen  Unterschiede  traten  in  der  Regel  auf, 
wenn  wir  die  Sera  auf  Blutsorten  von  verschiedenen  anderen 
Individuen  einwirken  liessen. 

Im  Grossen  und  Ganzen  waren  die  Wirkungen  —  wenn 
auch  in  der  Intensität  kleine  Differenzen  sich  ergaben  — 
doch  immer  ziemlich  gleich,  ob  man  jetzt  dieses  oder  jenes 
Blut  agglutinirte. 

Nur  in  einem  Falle  kam  es  vor,  dass  das  kindliche 
Serum  eine  Blutprobe  gar  nicht,  eine  andere  sehr  stark  agglu¬ 
tinirte. 

Es  erhellt  daraus,  dass  es  doch  nicht  nur  auf 
das  Serum,  sondern  auch  auf  das  zu  agglu- 
t  i  n  i  r  e  n  d  e  Blut  ankommt,  das  heisst,  ein  Serum  kann 
sich  dem  Blute  des  einen  Individuums  gegenüber  positiv,  dem 
eines  anderen  gegenüber  aber  negativ  verhalten.  (Es  fehlen 
also  nach  Ehrlich  manches  Mal  die  »Receptoren«.) 

4.  Die  Sera  wurden  auch  zugleich  in  ihrem  Verhalten 
gegen  die  eigenen  Blutkörperchen  desselben  Individums  ge¬ 
prüft,  das  heisst  es  wurde  das  Serum  der  Mutter  auf  die 
eigenen  Blutkörperchen,  ebenso  das  Serum  des  Kindes  auf  die 
eigenen  kindlichen  Blutkörperchen  wirken  gelassen  und  stets 
—  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war  —  ein  vollkommen 
negativer  Erfog  erzielt. 

5.  In  einer  weiteren  Reihe  wurde  das  Serum  der  Mutter 
auf  das  Blut  des  Kindes,  das  Serum  des  Kindes  auf  das  Blut 
der  Mutter  einwirken  gelassen. 

Hiebei  ergab  sich,  dass  sich  die  beiden  Sera  so  verhielten, 
wie  von  zwei  ganz  verschiedenen  Individuen, 
indem  in  den  Fällen,  wo  das  mütterliche  Blut  ein  fremdes  agglu¬ 
tinirte,  es  auch  das  Blut  des  eigenen  Kindes  agglutinirte. 
Ebenso  agglutinirte  das  fötale  Blut  das  mütterliche,  wo  es 
überhaupt  Agglutinationsvermögen  besass. 

6.  Es  wurde  die  hämolytische  Wirkung  an  beiden  Sera 
geprüft  und  es  ergab  sich  in  einer  Reihe  von  Fällen,  dass 
dieselbe,  wenn  man  eine  entsprechende  Verdünnung  vornahm, 
in  der  Regel  ungefähr  dem  Agglutinationsvermögen  parallel 
ging  und  sich  also  die  Hämolysine  im  fötalen  und  mütterlichen 
Blute  ungefähr  analog,  wie  die  Agglutinine  verhalten. 

7.  Die  Agglutinationskraft  der  beiden  Sera  wurde  auch 
in  ihrem  Verhalten  auf  Bacterien  geprüft  (besonders  mit 
Choleraculturen)  und  es  zeigte  sich,  dass  ihre  Wirksamkeit 
diesen  gegenüber  ungefähr  die  gleiche  war,  wie  gegen  rothe 
Blutkörperchen. *) 

*)  Ich  zweifle  aber  nicht,  dass  sich  auch  da  gewisse  Schwankungen 
hei  ausgedehnten  Untersuchungen  ergeben  werden,  wie  ja  die  Agglutinations- 
phänome  überhaupt  niemals  einem  starren  Gesetze  unterliegen,  sondern 
sehr  bedeutende  individuelle  Schwankungen  aufweisen.  (So  z.  B.  die  Ziegen¬ 
versuche  von  Ehrlich  und  Morgenrot!).8) 


Es  besteht  also  eine  Differenz  im  Gehalte 
des  mütterlichen  und  fötalen  Blutes  an  Agglu- 
tininen  und  Lysine n,  und  es  dürften  sich  aus 
den  V  ersuchen  folgende  Schlüsse  ergeben: 

A.  Die  Thatsache,  dass  das  mütterliche  und  fötale  Blut 
zwei  ganz  getrennten  Kreisläufen  angehört,  ist  feststehend.  Es 
ist  weiterhin  bekannt,  dass  die  chemischen  Eigenschaften  der 
beiden  Blutsorten  verschieden  sind,  doch  wurden  darüber  nur 
spärliche  Untersuchungen  angestellt.  Krüger9)  fand,  dass  das 
fötale  Blut  nur  unbedeutend  mehr  feste  Bestandtheile  enthält, 
als  das  mütterliche.  Der  Fibringehalt  des  fötalen  Blutes  ist 
nach  ihm  wesentlich  geringer.  Scherenziss  l0)  stellte  fest, 
dass  das  specifische  Gewicht  des  fötalen  Blutes  etwas,  das 
des  Serums  erheblich  niedriger  ist  als  beim  Erwachsenen. 
Da  das  fötale  Blut  sich  als  hämoglobinarm  erwies,  so  müssen 
die  rothen  Blutkörperchen  sehr  stromareich  sein.  Er  fand 
ferner,  dass  die  rothen  Blutkörperchen  beim  Fötus  sehr  leicht 
zerstörbar  sind,  und  dass  der  Fibringehalt  ein  geringer  ist. 

Dagegen  ist  das  fötale  Blut  salzreicher,  als  das  Blut  Er¬ 
wachsener,  besonders  ist  der  grössere  Gehalt  an  unlöslichen 
Salzen  auffallend.  Ferner  ist  das  fötale  Blut  natriumreicher, 
aber  kaliumärmer,  und  die  Summe  des  an  Chlor  nicht  gebun¬ 
denen  Kaliums  und  Natriums  beträchtlich  kleiner,  als  im  Blute 
Erwachsener. 

Aehnliche  Resultate,  namentlich  im  Bezug  auf  den  Hämo¬ 
globingehalt,  erhielten  Do  ler  is  und  Quinquaud.  n) 

In  neuester  Zeit  beschäftigte  sich  J.  Veit12)  mit  diesem 
Gegenstände,  indem  er  Gefrierpunktsbestimmungen  des  fötalen 
und  mütterlichen  Blutes  vornahm.  Er  kam  nun  zu  dem  inter¬ 
essanten  Resultate,  dass  fast  constant  der  Gefrierpunkt  des 
fötalen  Blutes  tiefer  liege,  als  der  des  mütterlichen.  Er  fand 
im  Durchschnitt  für  das  kindliche  Blut  <\  =  —  579,  für  das 
mütterliche  A  =  —  551. 

Wenn  er  hieraus  die  Kochsalzlösung  bestimmte,  welche 
nach  Hamburger  dem  Blut  isotonisch  ist,  so  erhält  er  für 
das  kindliche  Blut  0'955%  und  für  das  mütterliche  Blut 
0  909 °/0,  also  eine  Differenz  von  0'045%  Na  CI. 

Diese  wenigen  Daten  sind  Alles,  was  wir  über  den  Unter¬ 
schied  zwischen  mütterlichem  und  kindlichem  Blute  wissen. 

Die  Thatsache,  -welche  nun  aus  meinen  Versuchen  erhellt, 
dass  nämlich  kindliches  und  mütterliches  Blut  einen  verschieden 
grossen  Gehalt  an  Agglutininen  besitzen,  ist  als  weiterer  Befund 
in  dieser  Richtung  anzusehen.  Es  ist  dies  vielleicht  auch  des¬ 
halb  von  Interesse,  weil,  während  die  früheren  Untersuchungen 
sich  hauptsächlich  auf  die  Salze  bezogen,  die  Agglutinine 
wahrscheinlich  als  Eiweisssubstanzen,  und  zwar  nach  den 
Untersuchungen  von  Winterberg 13),  Widal  und  S  i- 
card14),  L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r  25)  als  den  Globulinen  nahestehende 
Substanzen  aufzufassen  sind. 

B.  Es  würde  ferner  aus  dem  Befunde,  dass  das  mütter¬ 
liche  Blut  häufig  Agglutinine  enthielt,  während  im  kindlichen 
keine  Spur  davon  nachzuweisen  war,  hervorgehen,  dass  der 
Fötus,  welcher  sicherlich  Eiweisssubstanzen  vom  mütterlichen 
Blute  zum  Aufbau  seines  Körpers  beziehen  muss,  nicht  alle 
Eiweisssubstanzen  gleichmässig  aufnimmt,  sondern  eine  Aus¬ 
wahl  trifft. 

Es  wurden  bekanntlich  schon  vielfache  Versuche  darüber 
angestellt,  ob  Substanzen,  welche  dem  mütterlichen  Organismus 
einverleibt  werden,  in  das  Blut  des  Fötus  übergehen.  Diese 
Möglichkeit  ist  für  verschiedene  Substanzen  mit  Sicherheit  ex¬ 
perimentell  naebgewiesen  (Jodkali,  Salicylsäure),  ebenso  für 
gewisse  lösliche  Gifte  (Phosphor,  Quecksilber,  Blei,  Alkohol, 
Morphium)  und  namentlich  für  gasförmige  Substanzen  und 
Dämpfe  (Kohlenoxydgas,  Leuchtgas,  Ammoniak,  Chloroform, 
Aether). 

Mit  Eiweisskörpern  wurden  derartige  Experimente  aber 
nicht  unternommen. 

Da  aber  aus  den  Untersuchungen  der  früher  erwähnten 
Autoren  hervorgeht,  dass  die  Agglutinine  den  Globulinen  ver¬ 
wandte  Substanzen  darstellen,  so  scheinen  Versuche  mit  Agglu¬ 
tininen  in  dieser  Hinsicht  verwerthbar  zu  sein. 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


547 


Das  Nichtübergehen  der  Agglutinine  von  Mutter  auf 
Kind  spricht  für  eine  ausserordentlich  elective 
Resorption  von  Seiten  des  Chorionepithels, 
dessen  vitaler  Thätigkeit  im  Gegensatz  zu  der 
rein  physikalischen  Diffusion  sicherlich  eine 
höhere  Bedeutung  für  die  Nahrungsaufnahme 
des  Fötus  zu  kommt,  als  lange  angenommen  wurde. 

C.  Man  kann  bei  diesen  Versuchen  auch  der  Frage  der 
Herkunft  der  Agglutinine  näher  treten.  Wir  wollen  hier  selbst¬ 
verständlich  nicht  die  specifischen  Agglutinine,  sondern  die 
schon  normaler  Weise  im  Blute  vorkommenden  ins  Auge 
fassen.  Da  sich  die  Agglutinine  im  Blute  der  Mutter  auch  im 
nichtschwangeren  Zustande  vorfinden,  wäre  die  Möglichkeit  ge¬ 
geben,  dass  die  Agglutinine  des  fötalen  Blutes  einfach  von 
der  Mutter  auf  den  Fötus  übergegangen  sind.*) 

Dagegen  spricht  aber  die  Thatsache,  dass  es  Fälle  gibt, 
wo  sich  die  Agglutinine  wohl  im  fötalen,  nicht  aber  im  Blute 
der  Mutter  fanden. 

Wir  müssen  demnach  annehmen,  dass  diese  Substanzen 
angeboren  —  von  der  Mutter  unabhängig  —  Vor¬ 
kommen. 

Wir  werden  also  zwischen  angeborenen  und  er¬ 
worbenen  Agglutininen  und  Lysinen  unterscheiden  müssen. 
Diese  Unterscheidung  dürfte  umso  nöthiger  sein,  als  jüngst 
Ehrlich  und  Morgenroth8)  über  interessante  V ersuche 
berichteten,  welche  hier  berücksichtigt  werden  müssen. 

Ehrlich  und  Morgenroth  fanden  nämlich,  dass,  was 
schon  früher  Landsteiner  für  menschliches  Blut  angegeben 
hat  und  was  sich  auch  in  meinen  Versuchen  bestätigte,  das 
Serum  die  Fähigkeit  hat,  nicht  nur  Blut  einer  fremden  Species 
zu  agglutiniren,  respective  zu  lösen,  sondern  auch  das  von 
anderen  Individuen  derselben  Species. 

Während  Landsteiner  und  ich  diese  Eigenschaft  bei 
normalen  Verhältnissen  fanden,  berichten  Ehrlich  und 
Morgenroth,  dass  sie  die  Agglutinine,  respective  Hämo¬ 
lyse  hervorrufen  konnten,  wenn  sie  ein  Thier  mit  dem  Blute 
eines  anderen  Individuums  immunisirten.  Sie  spritzten  einem 
Ziegenbock  das  Blut  einer  Ziege  ein,  und  der  Ziegenbock 
bekam  dadurch  Hämolysine  für  das  Blut  der  Ziege.  Ehrlich 
und  Morgenroth  nennen  nun  derartige  Hämolysine,  welche 
durch  Immunisirung  mit  Blut  derselben  Species  entstanden 
sind,  Isolysine  zum  Unterschied  von  den  Heterolysinen,  welche 
nach  Immunisirung  mit  dem  Blut  einer  fremden  Species  auf- 
treten. 

Die  Isolysine  wirkten  aber  nicht  nur  specifisch  auf  die 
Ziege,  welcher  das  Blut  zur  Immunisirung  entnommen  wurde, 
sondern  auch  auf  eine  Reihe  anderer  Ziegen,  mit  Ausnahme 
eines  Thieres,  welches  fast  keine  Reaction  zeigte.  Auf  das  Blut 
des  Bockes  selbst  wirkten  die  Isolysine  absolut  nicht,  es  handelt 
sich  also  nach  Ehrlich  und  Morgenroth  hiebei  nicht  um 
Autolysine. 

Wenn  wir  diese  Erfahrungen  auf  meinen  Versuch  über¬ 
tragen,  so  sind  die  Agglutinine,  welche  im  Stande  sind,  das 
Blut  anderer  Menschen  zu  agglutiniren,  als  Isoagglutinine  zu 
bezeichnen.  Dieselben  finden  sich  aber  bereits  beim  Neu¬ 
geborenen  fertig  vor  und  man  muss  demnach  diese  ange¬ 
borenen  von  den  erworbenen  Isoagglutininen  trennen,  welche 
bei  den  Versuchen  von  Ehrlich  und  Morgenroth  erst 
nach  der  Immunisirung  mit  dem  Blute  der  betreffenden  Species 
aufgetreten  sind. 

Wir  wollen  die  ersteren  zur  Unterscheidung  als  I  d  i  o  i  s  o- 
agglutinine,  respective  als  I  d  i  o  isolysine  bezeichnen. 

*)  Bei  Typhus  von  Schwangeren  agglutinirt  das  mütterliche  Blut 
den  Typhusbacillus  sehr  starb,  während  das  fötale  in  der  Regel  nicht  agglu- 
tinirt.  (Nur  Chambrelent  und  S  a  i  n  t-  P  h  i  1  i  p  p  e  13),  Mose  und 
Dannie16)  haben  in  dieser  Hinsicht  positive  Resultate,  alle  Anderen, 
Plaue  hu  und  Galavardin  n),  Kasel  und  Mann18),  Dogliotti 19), 
Etienne50)  u.  A.  berichten  über  vollständig  negative  Gruber-Widal- 
sche  Reaction  beim  Fötus.)  Bei  Thieren  fanden  Remlinger  22),  D  i  en¬ 
do  n  n  e  23),  dass  das  fötale  Blut  von  Meerschweinchen  und  Kaninchen  nach 
Immunisirung  der  Mutter  mit  Typhus,  respective  mit  Cholera,  viel  schwächer 
agglutinirte,  als  das  mütterliche,  und  dass  die  Agglutinine  nach  einigen 
Monaten  verloren  gehen.  Aehnliche  Ergebnisse  hatten  schon  früher  Ehr¬ 
lich  und  H  ü  b  e  n  e  r  M)  bei  Immunisirung  mit  Giften  (Ricin,  Abrin,  Robin, 
Tetanus). 


Es  entsteht  nun  die  Frage,  woher  diese  Idioisoagglutinine 
stammen  und  es  lag  der  Gedanke  nahe  —  und  dies  war  auch 
der  Ausgangspunkt  meiner  Arbeit  — ,  ob  nicht  das  Auftreten 
der  Idioagglutinine  im  mütterlichen  und  fötalen  Blute  als  der 
Ausdruck  einer  wechselseitigen  Immunisirung  von 
Mutter  und  Frucht  aufzufassen  ist. 

Dadurch,  dass  constant  Blutzellen  im  Kreislauf  zu  Grunde 
gehen  und  ein  Austausch  der  Säfte  in  der  Placenta  stattfindet, 
wäre  eine  derartige  Immunisirung  der  beiden  Organismen 
gegeneinander  möglich  und  wir  müssten  in  diesem  Falle  die 
Idioisoagglutinine  und -Lysine  in  der  Weise  auffassen,  dass  sie 
nicht  von  Haus  aus  sich  im  Organismus  vorfinden,  sondern 
als  ein  wechselseitiges  Immunisirungsproduct  während  der 
Gestation  entstanden  sind.  Dass  sich  die  Agglutinine  im  mütter¬ 
lichen  Blute  häufiger  vorfinden,  als  im  fötalen,  wäre  vielleicht 
darauf  zurückzuführen,  dass  der  Fötus  auf  derartige  Immuni 
sirungen  weniger  energisch  in  Bezug  auf  die  Bildung  der 
Agglutinine  reagirt. 

Wenigstens  sind  solche  Analoga  vorhanden. 

So  fanden  Kasel  und  Mann18),  Courmont20),  dass 
Kinder  in  den  ersten  Lebensjahren  bei  Typhusinfectionen  im 
Allgemeinen  schwächere  Gruber-Wida  l’sche  Reaction  geben, 
als  ältere  Individuen.  Wir  wissen  zum  Beispiel  ferner,  dass 
Neugeborene  subcutane  Injectionen  von  so  grossen  Tuber- 
culindosen,  welche  bei  Erwachsenen  stets  hohes  Fieber  hervor- 
rufen,  ohne  jede  Reaction  vertragen  (Schreiber21). 

Es  wäre  also  denkbar,  dass  die  im  Allgemeinen  geringere 
Agglutinationskraft  des  fötalen  Blutes  auf  einer  geringen  Em¬ 
pfänglichkeit  des  fötalen  Organismus  für  derartige  Stoffe 
beruht. 

Aber  es  sprechen  doch  wieder  manche  Argumente  gegen 
die  Annahme,  dass  die  Idioagglutinine  aus  der  wechselseitigen 
Immunisirung  zwischen  Mutter  und  Kind  während  der 
Gestation  entstehen.  So  vor  Allem  der  Umstand,  dass  wir  die 
Agglutinine  auch  bei  Frauen  fanden,  welche  nie  geboren 
haben,  ebenso  bei  Männern.  Man  müsste  für  diese  Fälle  an¬ 
nehmen,  dass  sich  die  Substanzen  vom  embryonalen  Leben  her 
erhalten  haben.  Nun  sind  ja  allerdings  manche  Agglutinine, 
zum  Beispiel  nach  Typhusinfection,  sehr  beständig*),  aber  es 
hat  diese  Erklärung  doch  etwas  sehr  Gezwungenes  an  sich. 

Auch  die  Erklärung,  dass  die  im  normalen  Serum  vor¬ 
kommenden  Agglutinine  durch  die  fortwährende  Aufnahme 
von  verschiedenen  Bacterien  stoffen  in  den  Orga¬ 
nismus  (namentlich  von  Darmbacterien)  entstünden,  ist  nach 
meinen  Untersuchungen  von  der  Hand  zu  weisen,  da  sie  sich, 
wie  wir  gesehen  haben,  schon  beim  Neugeborenen,  dessen 
Körper  vollständig  bacterienfrei  ist,  vorfinden.**) 

Es  bleibt  also  unseres  Erachtens  nur  eine  Erklärung, 
welche  diese  Erscheinung  in  befriedigender  Weise  lösen  könnte, 
nämlich  dass  die  Agglutinationsfähigkeit  einfach  als  Eigen¬ 
schaft  irgend  welcher  schon  normaler  Weise  im  Blute  vor¬ 
kommender  Eiweissstoffe  anzusehen  ist.  Ob  diese  Eigenschaften 
schon  von  Haus  aus  an  die  bestehenden  Stoffe  (Globuline?) 
gebunden  sind  oder  ob  sie  vielleicht  durch  eine  Art  Selbst- 
immunisirung  durch  den  fortwährenden  Zerfall  von  rothen 
Blutkörperchen  entstehen,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Vielleicht 
werden  Versuche  im  Sinne  von  Ehrlich  und  Morgenroth 
einige  Klärung  verschaffen,  wenn  es  nämlich  gelingen  sollte, 
durch  Einspritzen  des  eigenen  Blutes  bei  einem  Thiere  die 
Isolysine,  respective  Isoagglutinine  zu  vermehren.  Der  eine 
derartige  Versuch,  von  dem  Ehrlich  und  M  orgenroth 
berichten,  fiel  allerdings  negativ  aus,  indem  es  ihnen  dabei 
nicht  gelang,  bei  einer  Ziege  durch  Einspritzen  des  eigenen 


*)  Dass  die  Agglutinine,  welche  der  Fötus  während  der  Schwanger¬ 
schaft  bei  Infection  der  Mutter  von  dieser  bezieht,  wieder  nach  einigen 
Monaten  verschwinden  (Remlinger,  Dieudonne),  würde  nicht  un¬ 
bedingt  dagegen  sprechen,  da  es  sich  hiebei  nur  um  von  der  Mutter  be¬ 
zogene  Stoffe,  also  um  eine  passive  Immunisirung  handelt,  was  schon 
Ehrlich 24)  hervorhebt,  während  bei  der  supponirten  Gestations- 
immunisirung  dieselbe  als  active  angesehen  werden  müsste. 

**)  Aus  einer  eben  erschienen  Arbeit  von  K  r  au  s  und  Clair  mont  -h) 
entnehme  ich,  dass  z.  B.  auch  das  Taubenserum  schon  bei  neuge¬ 
borenen  Thieren  sehr  kräftige  bacteriolytische  Eigenschaften 
besitzt. 


548 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  24 


Blutes  Isolysine  zu  erzeugen.  Selbst  wenn  aber  derartige  Ver¬ 
suche  positiv  ausfallen  sollten,  so  würden  sie  uns  erst  die  Ent¬ 
stehung  der  Hämolysine,  respective  -agglutinine  erklären. 
Nun  besitzen  wir  aber  in  unserem  Organismus  nicht  nur 
Idioiso-,  sondern  auch  Idioheteroagglutinine,  das  heisst  Stoffe, 
welche  zum  Beispiel  Cholerabacillen,  Bacterium  coli,  fremde 
Blutsorten  etc.  zu  agglutiniren  im  Stande  sind.  Ob  auch  diese 
durch  den  Zerfall  der  rothen  Blutkörperchen  erklärt  werden 
können,  ist  allerdings  zweifelhaft  und  es  könnte  dies  nur 
z.  B.  in  der  Weise  bewiesen  werden,  wenn  es  gelänge, 
durch  Einspritzen  von  eigenem  Blute  nicht  nur  die  Idioisi-, 
sondern  auch  die  Idioheteroagglutinine  zu  vermehren.  So 
lange  dies  nicht  der  Fall  ist,  bleibt  es  immerhin  noch  das 
Wahrscheinlichste,  dass  das  Agglutinations-,  respective  Lösungs¬ 
vermögen  des  normalen  Serums  als  eine  angeborene  Eigen¬ 
schaft  von  schon  normaler  Weise  im  Blute  vorkommenden 
Substanzen  aufzufassen  ist. 

Literatur. 

')  Gruber,  K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  Sitzung'  vom 
28.  Februar  1896. 

2)  Bordet,  Annales  de  l’Inst.  Pasteur.  1899. 

3)  Landsteiner,  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1899.  Bd.  I, 
pag.  546. 

4)  v.  Düngern,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  38. 

5)  Metschnikoff,  Annal.  de  l’Inst.  Pasteur.  1899.  October. 

6)  llalban,  Annales  de  l’Instit.  Pasteur.  1898. 

")  Kraus  und  L  8  w,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899. 

8)  Ehrlich  und  Morgen  roth,  Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1900. 

9)  Krüger,  Inaugural-Dissertation.  Dorpat  1886. 

10)  Scherenziss,  Inaugural-Dissertation.  Dorpat  1888. 

")  Doleris  und  Quinquaud,  citirt  nach  Runge’s  Lehrbuch 
der  Gebuitshilfe. 

12)  Veit,  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1900  Bd.  XLII, 
pag.  316. 

13)  W  i  n  t  e  r  b  e  r  g,  Zeitschrift  für  Hygiene.  Bd.  XXXII,  pag.  374. 

u)  Widal  und  S  i  c  a  r  d,  Ann.  de  l’Inst.  Pasteur.  1897,  pag.  353. 

15)  Mose  und  Dannie,  Soc.  de  Biolog.  27.  Februar  1897. 

16)  Plauchu  und  Galavar  di  n,  Lyon  med.  1898. 

*‘)  Kasel  und  Mann,  Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  18. 

18)  D  o  g  1  i  o  1 1  i,  Giorn.  di  med.  Torino.  1897. 

19)  Etienne,  Presse  med.  1896. 

20)  Courmon  t,  citirt  bei  Kasel  und  Mann.  Münchener  medi¬ 
cinische  Wochenschrift.  1899. 

21)  Schreiber,  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1891,  Nr.  8. 

-2)  R  e  m  1  i  n  g  e  r,  Annal.  de  lTust.  Pasteur.  1899. 

-3)  D  i  e  u  d  o  n  n  e,  Festschrift  der  physiologisch-medicinischen  Gesell¬ 

schaft.  Würzburg  1899. 

‘24)  Ehrlich  und  Hüben  er,  Archiv  für  Hygiene.  1894.  — 
Ehrlich,  Archiv  für  Hygiene.  1892. 

ib)  Landsteiner,  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1900.  Bd.  XXVII, 
pag.  357. 

2Ü)  K  r  a  u  s  und  C  1  a  i  r  m  o  n  t,  Zeitschrift  für  Hygiene.  1900. 


Aus  der  Prosectur  der  k.  k.  Krankenanstalt  > Rudolf- 
Stiftung«  in  Wien  (Prosector:  Prof.  R.  Paltauf). 

I.  Zur  Kenntniss  des  Aktinomycespilzes. 

Von  Dr.  Carl  Sternberg,  Prosectursadjunct. 

Nach  einer  in  der  Sitzung  am  4.  Mai  1900  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  gehaltenen  Demonstration. 

Im  Laufe  des  vorigen  Jahres  hatte  ich  Gelegenheit,  drei 
halle  von  Aktinomykose,  die  auf  der  II.  chirurgischen  Ab¬ 
theilung  des  k.  k.  Rudolf-Spitales  in  Behandlung  standen,  bac- 
teriologisch  zu  untersuchen.  In  zwei  Fällen  handelte  es  sich 
um  Ij  nterkieferaktinomykose,  in  einem  Falle  um  einen 
aktinomykotischen  Abscess  der  Inguinalgegend. 

In  dem  der  Prosectur  übersandten  Eiter  fanden  sich  in 
allen  drei  k  allen  reichlich  die  bekannten  gelben  Körnchen,  die 
sich  bei  mikroskopischer  Untersuchung  als  typische  Aktino- 
mycesdrusen  erwiesen,  indem  sie  aus  einem  dichten  Faden¬ 
gewirre  mit  radiär  gestellten,  kolbigen  oder  keulenförmigen 
Endauftreibungen  an  der  Peripherie  bestanden.  Von  einem  der 
Fälle  konnte  ich  auch  ein  kleines  Stückchen  ausgekratzten 
Granulationsgewebes  untersuchen.  Dasselbe  zeigte  bei  der  histo¬ 


logischen  Untersuchung  central  eine  kleine  Abscesshöhle,  in 
der  zwischen  polynucleären  Leukocyten  mehrere  typische 
Aktinomycesdrusen  lagen,  peripher  ein  gefässreiches  Granu¬ 
lationsgewebe,  das  gleichfalls  von  polynucleären  Leukocyten 
durchsetzt  war. 

Culturversuche,  die  in  allen  drei  Fällen  vorgenommen 
wurden,  ergaben  nun  ein  bemerkenswerthes  Resultat;  da  das 
Ergebniss  der  Untersuchung  in  sämmtlichen  Fällen  identisch 
war,  so  kann  über  dieselben  zusammenfassend  berichtet 
werden. 

Die  Körnchen  wurden  stets  in  sterilem  Wasser  sorgfältig  ab¬ 
gespült  und  dann  von  denselben  aerobe  Culturen  auf  den  gebräuch¬ 
lichen  Nährböden,  sowie  anaerobe  Culturen  in  überschichtetem  Zucker¬ 
agar  angelegt. 

In  den  aeroben  Culturen  (schräger  Agar,  Glycerinagar,  Kar¬ 
toffeln]  war  kein  Wachsthum  zu  beobachten;  nur  auf  Löfflci- 
schem  Serum  bemerkte  man,  dass  die  ausgesäeten  Körnchen  nach 
längerer  Zeit  etwas  breiter  und  grösser  wurden.  Versuche,  von  einer 
solchen  Cultur  auf  andere  Nährböden  (darunter  auch  Löffler- 
sches  Serum)  aerob  weiter  zu  impfen,  schlugen  stets  fehl.  In  Deck¬ 
glaspräparaten,  die  von  diesen  ersten  Culturen  auf  L  ö  f  f  1  e  r’schem 
Serum  angefertigt  wurden,  zeigte  sich  ein  nach  Gram  schwach 
färbbarer  körniger  Detritus,  an  dem  sich  keine  bestimmten  Formen 
ausnehmen  liessen. 

In  den  anaeroben  Culturen  in  hoch  überschichtetem  Zucker¬ 
agar  liess  sich  aber  stets  ein  ziemlich  rasches  Wachsthum  beobachten, 
indem  die  ausgesäeten  Körnchen  sich  sehr  beträchtlich  vergrösserten 
und  vermehrten.  Wurden  zwei  Körnchen  in  geringer  Entfernung 
von  einander  auf  den  Boden  eines  Zuckeragarröhrchens  gelegt,  so 
waren  dieselben  nach  einiger  Zeit  zu  einem  grossen  Korn  ver¬ 
schmolzen.  Uebertragungsversuche  solcher  anaerober  Culturen  auf 
andere  Nährböden  ohne  Sauerstoffabschluss  (auch  auf  L  ö  f  f  1  e  r’sches 
Serum)  schlugen  stets  fehl,  während  sie  sich  anaerob  auf  Zuckeragar 
constant  fortimpfen  liessen;  allerdings  müssen  die  Culturen  in 
ziemlich  kurzen  Pausen  überimpft  werden,  da  sie  sonst  nicht  mehr 
angehen. 

In  einer  anaeroben  Zuckeragarstichcultur  zeigte  sich  zunächst, 
meist  schon  am  zweiten  Tage,  eine  feine,  staubförmige  Trübung  im 
ganzen  Stichcanal  und  allmälig  entwickeln  sich  in  demselben  ein¬ 
zelne  Körner,  die  immer  grösser  werden,  so  dass  dieselben  an  ein¬ 
zelnen  Stellen  confluiren  und  grössere,  klumpige  Gebilde  darstellen; 
im  Allgemeinen  sind  die  Körner  weiss  oder  weissgelblich.  Bei  dem 
Ueberimpfen  ist  es  von  Wichtigkeit,  nicht  die  Körnchen  als  Ganzes 
zu  übertragen,  sondern  dieselben  nach  Möglichkeit  zu  zerdrücken;  es 
macht  dies  allerdings  oft  Schwierigkeit,  da  die  Körnchen  meist 
ziemlich  consistent  sind. 

Das  üppigste  Wachsthum  erhält  man  in  Zuckerbouillonculturen 
unter  Paraffinabschluss;  hier  kommt  es  bald  zu  einer  diffusen  Trü¬ 
bung  der  Bouillon,  namentlich  in  dem  unteren  Theile  des  Kolbens, 
während  am  Grunde  sich  ein  reichlicher  Niederschlag  bildet,  der  aus 
zahllosen  kleineren  und  grösseren  Körnchen  besteht;  oft  schlagen 
sich  die  Körner  zu  grösseren,  zusammenhängenden  Massen  am  Boden 
des  Kolbens  nieder. 

Auch  in  Zuckerbouillonkolben  ohne  Paraffindecke  erhält  man 
ein  Wachsthum;  hiebei  beobachtet  man  nur  am  Boden  des  Gefässes 
Entwicklung  von  kleineren  und  grösseren  Körnern,  während  die 
übrige  Bouillon  vollkommen  klar  bleibt. 

Bei  Aussäung  der  direct  aus  dem  Eiter  gewonnenen  und  ge¬ 
waschenen  Körnchen  in  Zuckerbouillonröhrchen  ist  häufig,  wenn 
auch  nicht  stets,  ein  Wachsthum  erkennbar. 

Während,  wie  früher  erwähnt,  die  erst  erhaltenen  Culturen 
auf  L  ö  f  f  1  e  r’schem  Serum  sich  unter  aeroben  Bedingungen  nicht 
weiterimpfen  liessen,  gelang  es  wohl,  dieselben  anaerob  in  Zucker- 
agarstichculturen  abzuimpfen. 

In  Deckglaspräparaten  aus  den  verschiedenen  Culturen  (Agar- 
und  Bouillonculturen)  fanden  sich  stets  nach  Gra  m  intensiv  färbbare, 
leicht  gebogene  Stäbchen  mit  keulenförmig  verdicktem  Ende,  die 
eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  Diphtheriebacillen  hatten,  oft  recht- 
öder  spitzwinkelig  zu  einander  gestellt  waren,  auch  deutliche  Ver¬ 
zweigungen  aufwiesen.  Daneben  fanden  sich  in  wesentlich  geringerer 
Anzahl  kürzere  und  längere,  schlanke,  oft  wellig  gekrümmte  oder 
schraubenartig  gewundene,  verzweigte  Fäden  und  spärliche,  coccen- 


Nr.  24 


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ähnliche  Gebilde.  Diese  verschiedenen  Formen  waren  in  den  ein¬ 
zelnen  Culturen  in  wechselnder  Zahl  vorhanden,  doch  wurde  die 
Hauptmasse  von  den  erwähnten  dipbtherieähnlichen  Stäbchen  ge¬ 
bildet,  ja  oft  waren  in  den  Culturen  ausschliesslich  diese  und  gar 
keine  längeren  Fäden  nachweisbar.  Die  Länge  dieser  Stäbchen  war 
in  den  verschiedenen  Culturen  ziemlich  ungleich,  meist  waren  sie 
länger  als  echte  Diphtheriebacillen,  bisweilen  sogar  bedeutend  länger. 
Auch  die  keulenförmigen  Endanschwellungen  waren  bisweilen  sehr 
gross  und  dick,  bimförmig  und  glichen  dann  den  Kolben,  wie  man 
sie  in  den  Aktinomycesdrusen  zu  sehen  gewohnt  ist. 

Aehnliche  Bilder  boten  Schnittpräparate  von  Agarculturen  oder 
von  einzelnen  Körnchen  aus  Bouillonculturen.  Diese  Präparate  zeigten 
in  schönster  Weise  die  schon  beschriebene  Zusammensetzung  der 
Culturen  aus  einzelnen  Körnchen,  die  aus  dicht  gedrängten  Bacterien- 
massen  bestanden.  An  den  Rändern  solcher  Körnchen,  wo  sich  ein¬ 
zelne  Individuen  ausnehmen  liessen,  sah  man  ebenfalls,  wie  in  den 
Deckglaspräparaten  von  Culturen,  lange,  wellig  gebogene,  verzweigte 
Fäden,  ferner  diphtherieähnliche  Stäbchen  und  coccenähnliche 
Gebilde. 

Zur  Bestimmung  der  Pathogenität  der  gefundenen  Pilze  wurden 
verschiedene  Mengen  üppig  gediehener,  junger  Bouillonculturen  an 
Kaninchen  und  Meerschweinchen  theils  subculan,  theils  intraperitoneal, 
llieils  subdural  verimpft.  Letzterer  Infectionsmodus  wurde  in  Anlehnung 
an  die  in  neuerer  Zeit,  erschienenen  Arbeiten  über  das  strahlenpilzartige 
Wachsthum  des  Tuberkelbacillus  gewählt.  Ausserdem  wurden  auch 
mehrere  Infectionsversuche  an  einem  Kalb  gemacht.  In  keinem  der 
angestellten  Thierversuche  gelang  es,  eine  wirkliche  Aktinomykose 
zu  erzeugen.  Die  Impfversuche  an  dem  Kalb  fielen  vollständig 
negativ  aus;  ebenso  war  bei  Kaninchen  und  Meerschweinchen  bei 
subduraler  und  intraperilonealer  Einimpfung  das  Resultat  vollkommen 
negativ;  bei  subcutaner  Verimpfung  zeigten  sich  die  Pilze  hingegen 
wohl  pathogen,  bildeten  aber,  wie  aus  den  folgenden  Versuchs¬ 
protokollen  hervorgeht,  keine  Aktinomycesdrusen  im  Thierkörper. 

Kaninchen  118.  Am  2.  November  1899  wird  dem  Thiere  in 
eine  Ilauttasche  am  Rücken  ein  mit  einer  Bouilloncultur  getränktes 
Fliesspapierstück  eingebracht.  Es  entwickelt  sich  an  der  Impfstelle 
ein  deutliches  Infiltrat,  das  am  9.  November  excidirt  wurde.  An 
Schnittpräparaten  sieht  man  in  der  Subcutis  die  Papierfäserchen  und 
zwischen  diesen  reichlich  polynucleäre  Leukocyten.  Gegen  die  Cutis 
ist  dieser  Herd  durch  ein  Granulationsgewebe  abgegrenzt,  das  in 
den  an  den  Abscess  angrenzenden  Schichten  etwas  dichter  und  mehr 
streifig  erscheint,  in  den  peripheren  Antheilen  gefässreicher  ist  und 
überaus  reichlich  eosinophile  Zellen  enthält,  die  sich,  wenngleich  in 
bedeutend  geringerer  Zahl,  auch  in  dem  central  gelegenen  Herde 
finden.  In  den  nach  Gram  gefärbten  Präparaten  findet  man  zwischen 
den  polynucleären  Leukocyten  ohne  bestimmte  Anordnung  einzeln 
und  in  kleinen  Gruppen  liegend  dieselben  diphtherieähnlichen, 
deutlich  verzweigten  Stäbchen  mit  dem  verdickten  Ende,  die  in  den 
Culturen  gefunden  wurden.  Pilzdrusen  waren  nicht  nachweisbar. 

Am  13.  November  erhielt  dasselbe  Kaninchen  subcutan  2  cm3 
Bouilloncultur  injicirt;  am  13.  December  ging  das  Thier  ein.  Der 
Obductionsbefund  war  im  Allgemeinen  negativ,  nur  entsprechend 
der  Injectionsstelle  fand  sich  subcutan  ein  ziemlich  grosser  mit  der 
Haut  und  den  Bauchdecken  verwachsener  Knoten.  Bei  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  desselben  fand  sich  central  ein  grosser, 
unregelmässig  begrenzter,  aus  dicht  gedrängten  Leukocyten  be¬ 
stehender  Abscess,  in  dessen  Umgebung  sich  ein  dichtes  streifiges 
Gewebe  und  daran  anschliessend  ein  zellreiches  Granulationsgewebe 
befand.  In  diesem,  sowie  unmittelbar  angrenzend  an  den  central 
gelegenen  Abscess  und  zwischen  den  Zügen  des  streifigen  Gewebes 
fanden  sich  reichlich  grosse  Zellen  mit  einem  relativ  kleinen,  con- 
centrisch  gelegenen,  meist  blassblau  gefärbten  Kern  und  einem 
grossen,  hellen  Protoplasma,  das  feinste  netzig-körnige,  mit  Eosin 
blassrosa  gefärbte  Massen  enthielt  und  dadurch  ein  wabenartiges 
Aussehen  bekam;  bisweilen  enthielt  es  auch  grössere  blau  gefärbte 
Körnchen.  Neben  diesen  Zellen  fanden  sich  reichlich  eosinophile 
Zellen  im  Granulationsgewebe.  Bei  der  G  r  a  m’schen  Färbung  sieht 
man  in  dem  Abscesse  meist  in  grösseren  Nestern  und  Zügen  ange¬ 
ordnet,  doch  auch  einzeln  liegend  und  diffus  vertheilt,  blass  gefärbte 
Bacillen,  deren  Stäbchenform  nur  schwer  zu  erkennen  ist,  die  viel¬ 
mehr  nur  eine  Gruppe  von  Körnchen  darstellen. 


Kaninchen  2u8.  Am  13.  November  1899  subcutan  injicirt  mit 
2  cm3  Bouilloncultur.  Auftreten  eines  Infiltrates;  am  25.  November 
Excision  desselben. 

Der  excidirte,  zwischen  Haut  und  Bauchmusculatur  gelegene 
Tumor  setzt  sich  bei  mikroskopischer  Untersuchung  aus  mehreren 
Knoten  zusammen.  Die  meisten  derselben  stellen  Abscesse  dar,  die 
von  einem  theilweise,  namentlich  in  den  peripheren  Antheilen  sehr 
zellreichen  Granulationsgewebe  umgeben  sind.  Einzelne  kleinere 
Knötchen  scheinen  fast  ausschliesslich  aus  einem  reichlich  cpilheloide 
Zellen  enthaltenden  Granulationsgewebe  zu  bestehen.  In  dem  die 
Knötchen  bildenden  oder  umgrenzenden  Granulationsgewebefinden  sich 
ebenso  wie  in  dem  dieselben  von  einander  trennenden  Bindegewebe 
der  Cutis  reichlich  eosinophile  Zellen.  Vereinzelt  finden  sich  auch 
im  Centrum  kleiner  Knötchen,  dieselben  fast  ganz  einnehmend, 
homogene,  hyaline  Schollen  oder  verkalkte,  unregelmässig  geformte 
Gebilde,  in  deren  Umgebung  sich  Riesenzellen  finden.  Im  Centrum 
der  Abscesse  finden  sich  bei  G  ranf scher  Färbung  grössere  Haufen 
und  Züge  blau  gefärbter,  diphtheriebacillenähnlicher  Stäbchen.  In  der 
Umgebung  solcher  Haufen  lassen  sich  die  Bacterien  noch  eine 
Strecke  weit,  diffus  vertheilt,  nach  weisen  und  finden  sich  hier  auch 
reichlich  Zellen,  die  mit  diesen  Stäbchen  vollgestopft  sind.  In  ein¬ 
zelnen  Präparaten  findet  man  die  Bacterien  überhaupt  nur  in  Zellen, 
nirgends  frei. 

Kaninchen  299.  2.  November  subcutane  Injection  von  2  cm 3 
Bouilloncultur;  am  13.  November  nochmalige  Injection  von  2  cm3 
Cultur;  am  31.  December  Exitus. 

Entsprechend  den  Injectionsstellen  fanden  sich  im  Zellgewebe 
Knoten,  die  mit  der  Bauchmusculatur  verwachsen  sind.  Bei  mikro¬ 
skopischer  Untersuchung  zeigten  sie  genau  dasselbe  Bild,  wie  es  in 
den  früheren  Versuchen  beschrieben  wurde,  nur  war  in  diesem 
Falle  der  Reichthum  des  die  Abscesse  begrenzenden  Granulations¬ 
gewebes  an  eosinophilen  Zellen  ganz  besonders  auffallend;  dieselben 
bildeten  stellenweise  grössere  Nester  oder  Züge.  Es  fanden  sich 
ferner  sowohl  im  Innern  der  Herde  als  in  dem  umgebenden  Granu- 
lationsgewebc  nicht  selten  unregelmässig  begrenzte,  schollige, 
homogene  Massen,  die  sich  1  Heils  mit  Hämalaun  intensiv  blauschwarz, 
theils  mit  Eosin  roth  färbten.  Bei  G  r  a  nf  scher  Färbung  findet  man 
im  Inneren  der  Abscesse  breite  Züge  von  Bacterien,  die  sich  aber 
nur  sehr  schwach  färbten,  kaum  mehr  Stäbchenform  erkennen 
lassen,  sondern  eigentlich  bloss  Gruppen  blauer  Körnchen  dar¬ 
stellen. 

Genau  der  gleiche  Befund  ergab  sich  in  einer  Anzahl  analoger 
Versuche.  Am  zweiten  oder  dritten  Tage  nach  der  Injection  trat  ein 
kleines  Knötchen  an  der  Injectionsstelle  auf,  das  in  den  nächsten 
Tagen  an  Grösse  zunahm  sich  körnig  anfühlte  und  bisweilen  eine 
ziemlich  beträchtliche  Grösse  erreichte.  Nach  längerer  Zeit  trat  dann 
eine  Rückbildung  ein,  so  dass  in  einzelnen  Fällen  diese  Knötchen 
schliesslich  vollkommen  verschwanden.  Bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  erwiesen  sich  diese  Knoten  als  Abscesse,  die  in  einem 
Granulationsgewebe  lagen.  Auch  hier  war  der  Reichthum  des 
letzteren  an  eosinophilen  Zellen  auffallend.  Im  Inneren  der  Abscesse 
liessen  sich  meist  noch  die  injicirten  Bacterien  nachweisen,  doch 
nahmen  sie  in  einzelnen  Fällen,  namentlich  in  älteren  Knoten,  die 
G  ramsche  Färbung  nur  mehr  schwach  an;  auch  ihre  Form  war 
dann  nicht  mehr  deutlich  oder  gar  nicht  zu  erkennen,  während  sie 
gewöhnlich  auch  in  diesen  Abscessen  das  gleiche  Aussehen  darboten 
wie  in  den  Culturen.  Niemals  waren  Aktinomycesdrusen  nach¬ 
weisbar. 

Fassen  wir  die  hier  mitgetheilten  Untersuchungsergebnisse 
zusammen,  so  wäre  hervorzuheben,  dass  es  in  drei  Fällen 
typischer  Aktinomykose  des  Menschen  gelungen  ist,  einen 
Pilz  zu  cultiviren,  der  fast  ausschliesslich  anaerob  *)  in  Form 
kleinerer  und  grösserer  gelblicher  Körnchen  wächst,  die  den 
im  aktinomykotisch^n  Eiter  gefundenen  gleichen,  und  in  den 
Culturen  dieselben  Formen  zeigt,  wie  sie  in  den  Aktinomyces¬ 
drusen  gefunden  werden,  der  bei  Kaninchen  und  Meer¬ 
schweinchen  bei  subcutaner  Injection  Abscesse  erzeugt,  in 
denen  aber  niemals  typische  Aktinomycesdrusen  gefunden 
wurden. 

Er  kann  nicht  als  obligater  Anaerobier  bezeichnet  werden,  da  er 
auch  in  Bouillonculturen  ohne  Paraffinabschluss  wächst. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  24 


Wenn  wir  die  in  der  Literatur  vorliegenden  Angaben 
über  die  Cultur  des  Aktinomycespilzes  überblicken,  so  linden 
sich  bei  den  einzelnen  Autoren  mannigfache  Widersprüche 
bezüglich  des  morphologischen  und  biologischen  Verhaltens 
derselben. 

Bostroem  züchtete  aus  Aktinomycesdrusen  einen  Pilz, 
der  auf  den  verschiedenen  gewöhnlichen  Nährböden,  insbeson¬ 
dere  auf  Blutserum  wuchs,  facultativ  anaerob  war,  besser 
aber  aerob  gedieh;  die  Culturen  hatten  eine  gelbe  oder  gelb- 
röthliche  bis  ziegelrothe  Farbe.  Alle  Versuche,  Aktinomyces¬ 
drusen  auf  Thiere  zu  überimpfen,  fielen  negativ  aus,  die 
Drusen  wurden  wie  Fremdkörper  einfach  eingekapselt.  Aul 
Grund  seiner  Erfahrungen  und  der  anderer  Autoren  hält 
Bostroem  eine  Uebertragung  der  Aktinomykose  vom 
Menschen  auf  das  Thier  nicht  für  möglich. 

Die  Angaben  Bostroem’s  fanden  in  den  Arbeiten 
mehrerer  Autoren  ihre  Bestätigung.  Ihnen  stehen  die  Befunde 
von  Wolff  und  Israel  gegenüber,  die  aus  zwei  Fällen 
menschlicher  Aktinomykose  einen  Pilz  cultivirten,  der  haupt¬ 
sächlich  anaerob  wuchs  und  in  dessen  Culturen  »die  vor¬ 
herrschende  und  am  meisten  in  die  Augen  springende  Er¬ 
scheinung  die  Bildung  isolirter  Knötchen  an  der  Oberfläche 
des  Agar«  war.  Aerob  war  das  Wachsthum  sehr  schlecht; 
desgleichen  war  in  alkalischer  Bouillon  kein  ergiebiges  Wachs¬ 
thum  zu  beobachten,  doch  gediehen  auch  hier  die  anaeroben 
Culturen  besser  als  die  aeroben.  Auf  Gelatine  bei  Zimmer¬ 
temperatur  fand  kein  Wachsthum  statt.  In  den  Culturen  sah 
man  »kurze  und  längere  Stäbchen,  solide  oder  gegliederte, 
einfache  oder  diehotomisch  getheilte  Fäden  von  gradlinig-ge¬ 
strecktem  oder  wellig-gebogenem  Verlauf,  deutlich  schrauben¬ 
artig  gewundene  Organismen  und  schliesslich  coccenartige 
Elemente«.  Die  Stäbchen  waren  meist  gerade,  öfter  auch 
kommaartig  gebogen  und  »an  einem  Ende  oft  deutlich  ange¬ 
schwollen,  mit  einer  kugeligen  oder  olivenförmigen  Anschwel¬ 
lung  versehen«.  Die  Verfasser  sahen  aber  auch  Culturen,  in 
denen  fast  sämmtliche  Stäbchen  mit  solchen  Endanschwellungen 
versehen  waren,  und  berichten  über  Culturen,  in  denen  auch 
bei  Fortimpfung  durch  Generationen  stets  nur  solche  Stäb¬ 
chen  auftraten.  Diese  Stäbchen  halten  sie  für  die  Grundform 
der  übrigen  Wuchsformen  des  Aktinomycespilzes.  Bei  Culturen 
in  Eiern  beobachteten  sie  sehr  gute  Entwicklung  und  zwar  im 
rohen  Ei  im  Eiweiss  und  Eidotter,  im  gekochten  Ei  an  der 
Grenzschichte  in  Form  weisser  Pünktchen  und  Klümpchen 
oder  in  Form  einer  trüben,  nasenschleimartigen,  bisweilen 
auch  schmierig-körnigen  Masse.  In  allen  Fällen  hatten  sich 
die  eingebrachten  plumpen  Kurzstäbchen  zu  prachtvollen 
Fadennetzen  entwickelt,  doch  fanden  sich  in  der  Mehrzahl  der 
untersuchten  Eier  neben  den  langen  Fäden  auch  kurze  Stäb¬ 
chen.  Bei  intraperitonealer  Einbringung  von  Stückchen  einer 
Agarcultur  bei  Thieren  fanden  sich  im  Peritoneum  bis  bohnen¬ 
grosse  Tumoren,  die  aus  einer  bindegewebigen  Hülle  und 
einer  in  derselben  gelegenen  talgartigen  Masse  bestanden.  In 
letzterer  fanden  sich  zwischen  polynucleären  Eiterkörperchen 
und  Fettkörnchenzellen  Aktinomycescolonien  mit  einem  Strahlen¬ 
kranz  von  Keulen  an  der  Peripherie.  Die  Verfasser  hatten  an 
23  Thieren  Versuche  angestellt,  und  zwar  wurden  22  mit 
Aktinomyoesculturen  inficirt,  einem  Thiere  wurden  zur  Con- 
trole  sterile  Agarstücke  in  die  Bauchhöhle  gebracht.  18  Thiere 
erhielten  intraperitoneal  Stücke  von  zerschnittenen  Agar- 
culturen,  ein  Thier  eine  in  Eigelb  gezüchtete  Cultur,  einem 
Thiere  wurde  eine  Aufschwemmung  einer  Agarcultur  in  Koch¬ 
salzlösung  in  die  Leber,  einem  anderen  eine  solche  Auf¬ 
schwemmung  vermengt  mit  Staphylococcen  gleichfalls  in  die 
Leber  eingespritzt  und  einem  Thiere  endlich  wurden  Stücke 
eines  durch  Thierimpfung  experimentell  erzeugten  Tumors  in 
die  Bauchhöhle  eingebracht.  Keines  der  Thiere  zeigte  intra 
vitam  auffallende  Krankheitserscheinungen,  18  Thiere  wurden 
nach  Ablaut  von  vier  bis  sieben  Wochen  getödtet,  vier  blieben 
am  Leben  und  befanden  sich  noch  sieben  bis  neun  Monate 
nach  der  Infection  ganz  wohl,  doch  waren  bei  ihnen  Tumoren 
durch  die  Bauchdecken  durchzufühlen.  Die  intraperitonealen 
Tumoren,  die  verschiedene  Grösse  auf  wiesen,  sassen  theils  der 
Bauchwand,  theils  den  Eingeweiden  auf  und  enthielten  mit 


einer  Ausnahme  in  allen  Fällen  typische  Aktinomycesdrusen. 
In  vier  von  sechs  untersuchten  Fällen  Hessen  sich  die  Pilze 
aus  diesen  Tumoren  wieder  herauszüchten,  in  zwei  Fällen  fiel 
der  Culturversuch  negativ  aus,  doch  wurde  eines  dieser  Thiere 
erst  sieben  Wochen  nach  der  Infection  getödtet,  wobei  sich 
zeigte,  dass  die  Aktinomycesdrusen  spärlicher  als  gewöhnlich 
vorhanden  waren,  während  das  zweite  Thier  mit  einer  zehn 
Monate  lang  fortgezüchteten  und  inzwischen  nicht  durch  den 
Thierkörper  passirten  Cultur  geimpft  worden  war.  In  einem 
Falle  wurde  auch  die  Uebertragbarkeit  der  experimentell  ge¬ 
wonnenen  Tumoren  auf  das  Thier  mit  positivem  Ergebniss  ge¬ 
prüft.  Aus  diesen  Versuchen  schliessen  die  Verfasser,  dass  sie 
mit  ihren  Culturen  thatsächlich  eine  Aktinomykose  bei  dem 
Thiere  erzeugen  konnten. 

Vergleichen  wir  unsere  Befunde  mit  den  Angaben 

Wolf  f’s  und  I  s  r  a  e  l’s,  so  ergibt  sich  bezüglich  des  morpho¬ 
logischen  und  culturellen  Verhaltens  volle  Uebereinstimmung, 
während  die  Thier  versuche  im  Vergleiche  mit  denen  der  ge¬ 
nannten  Autoren  negativ  ausfielen,  da  es  nie  gelang,  wirk¬ 
liche  Aktinomykose  bei  dem  Thiere  zu  erzeugen.  Immerhin 
glauben  wir  aber  auf  Grund  des  culturellen  Verhaltens  des 

von  uns  gefundenen  Pilzes  denselben  mit  dem  Wolff- 

Israel’schen  Aktinomyces  indentificiren  zu  können,  obschon 
er  im  Thierkörper  keine  Aktinomycesdrusen  bildet. 

Die  Angaben  Wolffs  und  Israel’s  fanden  erst  in 
jüngster  Zeit  Bestätigung. 

Aschoff  züchtete  aus  einem  Falle  von  primärer 

Lungenaktinomykose  einen  Pilz,  der  anaerob  am  besten  wuchs; 
doch  wurden  bei  weiterer  Fortimpfung  auch  aerobe  Culturen 
erzielt.  Mikroskopisch  fanden  sich  in  den  Culturen  die  be¬ 
kannten  verschiedenen  Formen  (Stäbchen  und  coccenähnliche 
Gebilde).  Vier  Wochen  alte  Culturen  der  vierten  Generation 
wurden  Kaninchen  in  die  Bauchhöhle  eingebracht;  die  Thiere 
wurden  nach  drei  Monaten  getödtet.  Bei  einem  derselben 
fanden  sich  im  Peritoneum,  Mesenterium  und  der  Leber  drei 
kleine,  erbsengrosse  Tumoren,  in  denen  Aktinomycesdrusen 
nicht  nachweisbar  waren.  Bei  dem  zweiten  Kauinchen  wurden 
an  der  Operationsstelle  im  Peritoneum  drei  etwas  derbe, 
linsengrosse  Knoten  gefunden,  in  deren  Centrum  Aktinomyces- 
körner  lagen,  die  jedoch  keine  Keulenformen  in  der  Peripherie 
erkennen  Hessen,  sondern  nur  eine  leichte,  zuweilen  sehr 
deutliche  radiäre  Streifung  zeigten,  während  das  Centrum  von 
einer  feinkörnigen  Masse  erfüllt  war. 

Urban  demonstrirte  im  Hamburger  ärztlichen  Vereine 
Präparate  und  Culturen  in  einem  Falle  menschlicher  Aktino- 
mykose;  in  dem  Sitzungsberichte  findet  sich  nur  die  Angabe, 
dass  die  vorgelegten  Culturen  denen  von  Wolff  und  Israel 
glichen. 

Levy  erwähnt  gelegentlich  einer  Mittheilung  über 
Befunde  bei  einem  Falle  von  Lepra,  dass  er  in  fünf  Fällen 
von  menschlicher  Aktinomykose  denselben  Strahlenpilz  wie 
Wolff  und  Israel  mit  genau  denselben  Charakteren  züch¬ 
tete  und  gibt  eine  Beschreibung  der  Formen  desselben  (län¬ 
gere  Fäden  mit  einem  keulenförmig  verdickten  und  einem 
peitschenschnurartig  zulaufenden  Ende,  ferner  theils  schlanke, 
theils  kolbige  oder  hantelartige  Stäbchen,  Verzweigungen  nur 
selten).  Sein  Strahlenpilz  unterschied  sich  von  dem  Wolffs 
und  Israel’s  nur  dadurch,  dass  er  streng  anaerob  wuchs 
und  sich  der  aeroben  Lebensweise  gar  nicht  anbequemen 
wollte. 

In  einer  zweiten  Mittheilung  betont  Levy  nochmals  die 
besondere  Bedeutung,  die  dem  anaeroben  Aktinomyces  in  der 
Aetiologie  der  menschlichen  Aktinomykose  zukomme,  und  be¬ 
richtet  über  einen  Befund  von  B.  Lange  und  P.  M  a  n  a  s  s  e, 
die  aus  eiteriger  Halsphlegmone  eines  Hundes  einen  Strahlen¬ 
pilz  herauszüchteten,  der  gleichfalls  mit  dem  W  o  1  f  f-I  s  r  a  e  1- 
schen  Aktinomyces  weitgehende  Aehnlichkeiten  darbot;  es  war 
jedoch  auf  den  gewöhnlichen  Nährböden  die  Fadenentwicklung 
stärker  ausgeprägt,  hie  und  da  an  diesen  Fäden  Verzweigung 
nachweisbar.  Durch  directe  Ueberimpfung  der  sorgfältig  ge¬ 
reinigten  Körnchen  in  das  Peritoneum  und  die  Hoden  von 
gesunden  Hunden  gelang  es,  wiederum  Aktinomykose  zu  er¬ 
zeugen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Levy  theilt  in  dieser  Arbeit  auch  mit,  dass  eine  Ueber- 
führung  des  aeroben  Aktinomyces  in  den  anaeroben  nicht 
gelang.  . 

Bruns  fand  in  einem  Falle  typischer  Aktinomykose 
einen  Pilz,  der  wohl  aerob  besser  als  anaerob  wuchs  und  der 
überhaupt  makroskopisch  mehr  dem  B  o  s  t  ro  e  m’schen 
Aktinomyces  glich,  mikroskopisch  aber  ganz  dem  Wolff- 
Israel’schen  entsprach.  Er  glaubt  diesen  Pilz  mit  keinem 
der  beiden  vollständig  identificiren  zu  können  und  Levy 
möchte  (in  der  schon  erwähnten  Arbeit)  in  ihm  eine  Zwischen¬ 
form  zwischen  beiden  genannten  Pilzen  erblicken. 

Auch  Krause  fand  bei  der  Untersuchung  eines  Falles 
von  Aktinomykose  einen  Pilz,  den  er  weder  mit  dem 
Bo  s  t  ro  e  m’schen,  noch  mit  dem  Wo  1  f  f- I  sr  a  e  l’schen 
Aktinomyces  identificiren  konnte,  von  dem  er  aber  glaubt,  dass 
er  dem  Israe l’schen  näherstehe. 

Endlich  wäre  noch  der  Mittheilungen  B  e  r  e  s  t  n  e  w’s  in 
Kürze  zu  gedenken. 

Derselbe  fand  in  einem  Falle  typischer  Aktinomykose 
(subperiostaler  Unterkieferabscess)  in  dem  Eiter  weisslichgelbe 
Körnchen  von  etwa  Mohngrösse,  die  aus  hie  und  da  ver¬ 
zweigten,  geraden  und  geschlängelten,  nach  Gram  färbbaren 
Fäden  mit  nach  dieser  Methode  nicht  gefärbten,  kolben¬ 
förmigen  Endauftreibungen  bestanden.  Aus  denselben  cultivirte 
er  einen  Pilz,  der  anaerob  besser  als  aerob  gedieh,  am  besten 
in  Bouillon  wuchs,  wo  sich  auf  dem  Boden  weissliche,  un¬ 
durchsichtige,  ziemlich  brüchige  Körnchen  bildeten*  die  Bouillon 
hatte  einen  unangenehmen  Geruch.  Auf  Gelatine  und  Kar¬ 
toffeln  wuchs  er  nicht.  Für  Kaninchen,  Meerschweinchen  und 
weisse  Mäuse  war  er  nicht  pathogen.  Berestnew  trennt 
auf  Grund  seiner  Befunde  diesen  Pilz  von  dem  echten 
Aktinomyces  und  will  daher  den  Krankheitsfall,  aus  dem  er 
gezüchtet  wurde,  als  Pseudoaktinomykose  bezeichnen,  wiewohl 
er  klinisch  vollkommen  dem  typischen  Bilde  der  echten  Aktino¬ 
mykose  entsprochen  hatte. 

In  einer  späteren  Mittheilung  berichtet  derselbe  Ver¬ 
fasser  über  das  Ergebniss  der  Untersuchung  eines  aktinomyko- 
tischen  Tumors  der  Bauchdecken.  In  dem  aus  demselben  ge¬ 
wonnenen  Eiter  fanden  sich  zahlreiche  annähernd  mohnkorn¬ 
grosse,  meistentheils  weisslichgelbe,  hie  und  da  aber  grüne 
Körner  von  ziemlich  reicher  Consistenz  *  es  wurden  von  ihnen 
aerobe  und  anaerobe  Culturen  angelegt.  In  den  anaeroben 
Culturen  erfolgte  wohl  ein  üppiges  Wachsthum,  doch  war 
dasselbe  hauptsächlich  auf  Rechnung  der  Entwicklung  eines 
nach  Gram  sich  nicht  färbenden,  langen  Bacillus  zu  setzen, 
der  auch  schon  bei  Untersuchung  der  Körnchen  selbst  ge¬ 
funden  wurde  und  der  bei  weiterem  Wachsthum  in  den  Cul¬ 
turen  die  sich  nach  Gram  färbenden  Fäden,  die  den  in  den 
Körnern  nachgewiesenen  entsprachen,  verdrängte.  In  den 
aeroben  Culturen  fand  nur  ein  sehr  spärliches  Wachsthum 
statt,  indem  sich  daselbst  kleine,  feine,  sandkornähnliche 
Körnchen  entwickelten;  auch  bei  weiteren  Uebertragungen  er¬ 
folgte  dasselbe  langsame  und  spärliche  Wachsthum,  so  dass 
Thierversuche  gar  nicht  ausgeführt  werden  konnten.  Verfasser 
hält  auch  diesen  Pilz  nicht  für  einen  echten  Aktinomyces, 
weil  keine  Verzweigungen  nachweisbar  waren,  die  Colonien 
nicht  den  für  den  echten  Aktinomyces  typischen  strahligen 
Bau  hatten,  keine  Fortsätze  in  die  Tiefe  des  Nährbodens 
schickten  und  keine  Luftfäden  bildeten.  Obwohl  sein  Tumor 
»alle  Merkmale  einer  aktinomykotischen  Geschwulst«  an  sich 
trug,  so  glaubt  Verfasser  doch,  »die  Identität  der  gezüchteten, 
nach  Gram  färbbaren  Mikrobien  mit  dem  echten  Strahlen¬ 
pilz,  wie  auch  die  echte  Aktinomycesnatur  des  Tumors  ver¬ 
neinen  zu  müssen  und  den  letzteren  blos  als  Pseudoaktino¬ 
mykose  anerkennen  zu  können. 

Dem  gegenüber  sei  aber  darauf  hingewiesen,  dass 
Bruns  in  seiner  schon  citirten  Arbeit  den  ersterwähnten 
Pilz  Berestn  e  w’s  mit  dem  von  ihm  selbst  gefundenen  für 
identisch  hält  und  im  Gegensatz  zu  diesem  Autor  meint,  dass 
man  bei  Vorhandensein  von  Körnchen,  die  strahlenartige  Fäden 
und  Keulen  aufweisen,  in  einem  klinisch  auch  sonst  als 
Aktinomykose  charakterisirten  Falle  von  Strahlenpilzkrankheit 


sprechen  solle.  »Wenn  dann  die  bacteriologische  Untersuchung 
keinen  der  bisher  bekannten  Erreger  ergibt,  so  geht  einfach 
daraus  hervor,  dass  mehrere  Mikrobien,  mehrere  Strahlenpilz- 
species  existiren,  die  ein  und  dasselbe  Krankheitsbild  hervor¬ 
zurufen  in  der  Lage  sind.« 

In  gleicher  Weise  zählt  auch  K  r  a  us  e  den  Berestnew- 
schen  Pseudoaktinomyces  in  dieselbe  Gruppe,  zu  der  der  von 
ihm  und  der  von  Bruns  gezüchtete  Pilz  gehören,  und  zieht 
eben  aus  diesen  Untersuchungen  die  Folgerung,  dass  die 
Aetiologie  der  Aktinomykose  keine  einheitliche  sei. 

Wie  vorstehende  Ausführungen  zeigen,  sind  wir  zu 
dieser  Schlussfolgerung  heute  thatsächlich  vollauf  berechtigt. 
Der  Bostroem’sche  und  der  W o  1  f  f - 1  s r  a e  l’sche  Aktino¬ 
myces  sind  jedenfalls  durch  ihr  culturelles  und  biologisches 
Verhalten  streng  von  einander  geschieden,  weshalb  Kruse 
in  dem  Flügge’schen  Lehrbuch  bereits  vor  längerer  Zeit  beide 
Arten  von  einander  getrennt  hat.  Bezüglich  der  übrigen  hier  er¬ 
wähnten  Pilze  mag  es  vorderhand  noch  unentschieden  bleiben, 
ob  sie  blos  Varietäten  einer  der  beiden  genannten  Arten 
bilden  oder  ob  auch  ihnen  eine  selbstständigere  Stellung  zu¬ 
kommt.  Jedenfalls  muss  aber  heute  bereits  die 
Thatsache  anerkannt  werden,  dass  der  me  n  sch¬ 
lich  en  Aktinomy  kose  mindestens  zwei,  in  ihrem 
culturellen  und  biologischen  Verhalten  ver¬ 
schiedene  Pilze  zu  Grunde  liegen,  die  aber  ein 
klinisch  und  anatomisch  vollkommen  identi¬ 
sches  Krankheitsbild  erzeugen. 

Literaturverzeichnis  s. 

Aschoff,  Ein  Fall  von  primärer  Lungenaktinomykose.  Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1895,  pag.  738. 

Berestnew,  Ueber  Pseudoaktinomykose.  Zeitschrift,  für  Hygiene. 
Bd.  XXIX,  pag.  94. 

Berestnew,  Zur  Aktinomykosefrage.  Prager  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  pag.  619. 

Bostroem,  Untersuchungen  über  die  Aktinomykose  des  Menschen. 
Ziegler's  Beiträge.  Bd.  IX,  pag.  1. 

B  r  u  n  s,  Zur  Morphologie  des  Aktinomyces.  Centralblatt  für  Bac- 
teriologie.  Bd.  XXVI,  pag.  11. 

Krause,  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Aktinomyces.  Centralblatt  für 
Bacteriologie.  Bd.  XXVI,  pag.  209. 

Kruse,  in  F  1  ü  g  g  e’s  Mikroorganismen. 

Levy,  Ein  neues,  aus  einem  Falle  von  Lepra  gezüchtetes  Bac¬ 
terium  u.  s.  w.  Archiv  für  Hygiene.  Bd.  XXX,  pag.  168. 

Levy,  Ueber  die  Aktinomycesgruppe  (Aktinomyceten)  und  die  ihr 
verwandten  Bacterien.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XXVI,  pag.  1. 

Urban,  Demonstration  in  der  biologischen  Abtheilung  des  ärztlichen 
Vereines  zu  Hamburg.  Sitzung  vom  10.  November  1896.  Münchener  medi¬ 
cinische  Wochenschrift.  1897,  pag.  124. 

Wolff  und  Israel,  Ueber  Reinculturen  des  Aktinomyces  und 
seine  Uebertragbarkeit  auf  Thiere.  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXXVI,  pag.  11. 


II.  Ein  anaerober  Streptococcus. 

Von  Dr.  Carl  Sternberg,  Prosectursadjunet. 

Nach  einer  in  der  Sitzung  vom  4.  Mai  1900  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  in  Wien  gehaltenen  Demonstration. 

Im  Folgenden  sei  in  Kurzem  ein  Streptococcus  be¬ 
schrieben,  der  aus  dem  Sputum  eines  Falles  von  Lungenaktino¬ 
mykose  stammt. 

In  den  Schleimflocken  des  Sputums  fanden  sich  mässig 
reichlich  weisslichgelbe  Körnchen,  die  sich  bei  mikroskopischer 
Untersuchung  als  typische  Aktinomycesdrusen  erwiesen  und 
insbesonders  schön  die  radiär  angeordneten  Keulen  an  der 
Peripherie  erkennen  Hessen.  Einige  dieser  Körnchen  wurden 
sorgfältig  in  sterilem  Wasser  gereinigt  und  anaerob  verimpft; 
jedoch  missglückte  die  Cultur,  indem  es  in  diesem  Falle  nicht 
gelang,  den  Aktinomycespilz  zu  cultiviren. 

Es  war  wohl  am  nächsten  Tage  in  den  beschickten 
Röhrchen  ein  sehr  üppiges  Wachsthum  zu  bemerken,  indem 
zahlreiche  weisse  oder  weissgelbe  Körnchen  auftraten,  die  an 
den '  folgenden  Tagen  an  Grösse  Zunahmen.  Als  aber  nach 
einigen  Tagen  Deckglaspräparate  von  solchen  Culturen  an¬ 
gefertigt  wurden,  zeigte  sich,  dass  alle  diese  Körnchen  aus  einem 


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Gewirr  ziemlich  langer  Ketten  bestanden,  die  sich  aus  ungleich 
grossen,  runden  oder  ovalen,  ziemlich  plumpen,  im  Allgemeinen 
an  Streptococcen  erinnernden,  nach  Gram  intensiv  färbbaren 
Gebilden  zusammensetzten. 

Von  den  anaeroben  Zuckeragarculturen  wurden  verschie¬ 
dene  Nährböden  beschickt: 

Auf  schrägem  Agar  bildete  sich  ein  zarter,  feiner  Belag,  der 
aus  ganz  kleinen,  distincten  Colonien  bestand. 

In  der  Agarstichcultur  erfolgte  gleichfalls  nur  spärliches 
Wachs  thum. 

Auf  einer  Zuckeragarplatte  kam  es  zur  Entwicklung  kleinster, 
kaum  Stecknadelkopfgrösse  erreichender  Colonien,  die  im  Mikroskop 
dunkelbraun  bis  schwarz  erschienen,  eine  unregelmässige  Oberlläche 
und  eben  solchen  Rand  hatten,  von  dem  allenthalben  wellige  Aus¬ 
läufer  sich  in  die  Umgebung  erstreckten. 

Auf  gewöhnlichen  Agarplatten  fand  nur  ein  spärliches  Wachs¬ 
thum  in  Form  kleiner,  im  Mikroskop  leicht  wellig  begrenzter,  ge¬ 
körnter  und  peripher  eine  Andeutung  einer  radiären  Streifung 
zeigender  Colonien  statt. 

Die  Bouillon  blieb  klar  und  bekam  einen  spärlichen 
Bodensatz 

In  Zuckerbouillon röhrchen  bildete  sich  ein  starker  Boden¬ 
satz:  kleine  Körnchen  schlugen  sich  auch  an  der  Wand  der  Eprou¬ 
vette  nieder. 

In  Gelatinestichculturen  kam  es  bei  Zimmertemperatur  nur 
im  Stichcanal  zur  Entwicklung  einer  feinen,  schleierartigen 
Trübung,  sowie  zur  Bildung  kleiner,  etwa  stecknadelkopfgrosser 
Körnchen. 

Auf  L  o  e  f  f  1  e  r’schem  Serum  entstanden  sehr  kleine,  höchstens 
stecknadelkopfgrosse,  dabei  leicht  erhabene  und  mässig  feuchte 
Colonien. 

Die  Kartoffel  (ohne  Sodazusatz,  also  schwach  sauer)  blieb  ent¬ 
weder  ganz  unverändert,  oder  es  traten  auf  ihrer  Oberfläche  sehr 
kleine,  weisse  Körnchen  auf.  Durch  Deckglaspräparate  konnte  man 
sich  aber  überzeugen,  dass  überall  auf  der  Kartoffel  ein  wenn  auch 
unsichtbares  Wachsthum  stattgefunden  hatte.  Auf  Kartoffelculturen 
blieben  die  Bacterien  am  längsten  lebensfähig  und  konnten  auch 
nach  vier  Wochen  noch  mit  Erfolg  überimpft  werden. 

Ein  üppiges  Wachsthum  erfolgte  nur  in  anaeroben  Zucker¬ 
agarstich-  und  Zuckerbouillonculturen.  In  ersteren  bildeten  sich  allent¬ 
halben  im  Stich  die  schon  beschriebenen  Körnchen,  in  letzteren  (unter 
I  ’araftinabschluss)  entwickelten  sich  bereits  nach  einem  Tage  massen¬ 
haft  kleine  Körnchen,  so  dass  der  Boden  des  Kolbens  bald  mit  einer 
ziemlich  hohen  Schichte  bedeckt  war,  von  der  an  der  Wand  des 
Kolbens  zahlreiche  Streifen  nach  aufwärts  zogen;  die  einzelnen 
Körnchen  waren  verschieden  gross,  erreichten  Hirsekorngrösse  und 
darüber,  bisweilen  bildeten  sich  auch  grössere  Körner,  die  aus 
mehreren  kleineren  bestanden. 

Ueberimpfte  man  eine  der  aeroben  Culturen  anaerob  auf  einen 
der  beiden  genannten  Nährböden,  so  erfolgte  stets  wieder  sehr  reich¬ 
liches  Wachsthum  (von  der  Kartoffelcultur,  wie  erwähnt,  auch  noch 
nach  vier  Wochen). 

In  Deckglaspräparaten,  die  von  den  verschiedenen  Culturen  an¬ 
gelegt  wurden,  fanden  sich  stets  nur  die  beschriebenen  Ketten;  die¬ 
selben  bestanden  aus  ungleich  grossen,  runden  oder  ovalen  Coccen, 
die  im  Allgemeinen  etwa  zwei-  bis  dreimal  so  gross  waren  wie  ge¬ 
wöhnliche  Streptococcen. 

Einem  Kaninchen  wurden  subcutan  1-5  cm3  einer  Bouilloncultur 
eingespritzt;  an  der  Injectionsstelle  entwickelte  sich  ein  Knoten,  der 
sich  bei  mikroskopischer  Untersuchung  als  ein  von  Granulations¬ 
gewebe  umschlossener  Abscess  erwies.  Von  hier  aus  erstreckten  sich 
allenthalben  Züge  polynucleärer  Leukocyten  zwischen  die  Muskel¬ 
bündel  der  Bauchmusculatur  hinein,  dieselben  auseinanderdrängend; 
diese  selbst  waren  hyalin  und  Hessen  keine  Querstreifung  erkennen. 
In  dem  umgebenden  Granulationsgewebe  fanden  sich  runde  oder 
oblonge,  meist  mit  Eosin  roth  gefärbte  schollige  Gebilde.  Im  Inneren 
des  Abscesses  fanden  sich  mehrere,  quer-  und  längs  getroffene,  an¬ 
scheinend  struclurlose,  mit  Eosin  blassrosa  gefärbte,  streifenförmige 
Herde,  die  sich  als  Nekrosen  erwiesen  und  in  denen  bei  Färbung 
nach  Gram  Anhäufungen  von  Coccen  sichtbar  sind.  Dieselben  sind 
jedoch  nur  in  den  Randparlien  solcher  Herde  deutlich  zu  erkennen, 
während  in  der  Mitte  nur  mehr  minder  zahlreich  blass  gefärbte 


Körnchen  liegen.  Wo  die  Bacterien  deutlich  erkennbar  sind,  ent¬ 
sprechen  sie  vollkommen  den  beschriebenen  Formen. 

Wie  aus  den  Ergebnissen  der  Untersuchung  liervorgeht. 
dürfte  der  beschriebene  Mikroorganismus  wohl  zu  den  Strepto¬ 
coccen  zu  zählen  sein,  allerdings  eine  besondere  Art  derselben 
darstellen,  die  durch  ihre  Grösse  und  durch  ihr  vorzugsweise 
anaerobes  Wachsthum  in  Form  kleinerer  und  grösserer  weiss¬ 
gelber  Körnchen  ausgezeichnet  ist. 

Soweit  ich  aus  der  einschlägigen  Literatur,  insbesondere 
aus  der  Zusammenstellung  der  verschiedenen  Streptococcen  in 
Migula’s  »System  der  Bacterien«  (Bd.  II)  entnehmen  kann, 
dürfte  der  hier  beschriebene  Streptococcus  mit  keiner  der 
bekannten  Arten  sich  vollkommen  identificiren  lassen. 


Ueber  das  Baden  Neugeborener. 

Vou  H.  Kowarski. 

Vortrag',  gehalten  in  der  raedicinisehen  Gesellschaft,  zu  Wilna. 

Bevor  ich  zu  den  eigenen  Beobachtungen  übergehe,  erlaube 
ich  mir,  eine  kurze  Uebersicht  der  Literatur,  diese  Frage  be 
treffend,  zu  geben. 

Dohm1)  schlug  1880  folgende  Nabelschnurbehandlung 
vor:  Der  Nabelschnurrest  wird  mit  2  V2°/o  igei'  Carbollösung 
gereinigt,  in  Wratte  gewickelt  und  mit  Pflaster  befestigt.  Das 
Kind  wird  nicht  gebadet.  Diese  Methode  wird  auf  Grund  von 
28  Beobachtungen  vorgeschlagen. 

Artemjeff1)  1887  lässt  das  Pflaster  weg.  Im  Uebrigen 
nach  Dohm. 

1888  rieth  Lwow1)  Bepuderung  mittelst  1  Jodof.:  10  Bism. 
subnitr.  an.  Das  Kind  wird  gebadet.  Aber  schon  1892  übt 
Lwow  folgenden  Modus:  Nach  dem  ersten  Bade  wird  der 
Nabelschnurrest  mittelst  Watte  getrocknet  und  in  mit  Gly¬ 
cerin  getränkte  Watte  gewickelt.  Das  Kind  wird  nicht 
gebadet. 

Doktor2),  angeregt  durch  Beobachtungen  von  E  ross, 
bei  welchem  45%  der  Neugeborenen  fieberten  (davon  circa 
die  Hälfte,  d.  h.  22%,  in  Folge  von  Infection  der  Nabel¬ 
schnur),  unternahm  eine  Reihe  von  Untersuchungen  mit  ver¬ 
schiedenen  Moditicationen  der  Nabelschnurbehandlung  und  kam 
zur  Ueberzeugung,  dass  die  beste  Methode  folgende  sei:  Kurzer 
Nabelrest,  permanenter  Verband,  kein  Bad.  Es  fieberten  dabei 
1 1  •  8 °/0  (davon  3'4%  durch  Nabelschnurinfection).  Abfall  des 
Nabelstranges  zwischen  dritten  und  sechsten  Tag  bei  65*78% 
der  Fälle.  Gewichtszunahme  der  Nichtgebadeten  war  grösser, 
als  die  der  Gebadeten  (bei  51%  statt  38*5% ;  bei  Nicht¬ 
gebadeten  Gewichtszunahme  durchschnittlich  75*0,  bei  Gebadeten 
Gewichtsabnahme  1*2). 

Keilmann3)  untersuchte  (im  Jahre  1895)  400  Kinder 
mit  folgendem  Resultat:  Es  fieberten  fünf  Kinder,  alle  von 
den  Gebadeten.  Gewichtsverlust  bei  den  Gebadeten  1%  grösser 
als  bei  Nichtgebadeten.  Der  Nabelschnurrest  fällt  bei  Nicht¬ 
gebadeten  später  ab.  Keilmann  räth  auf  Grund  dieser 
Thatsachen  an,  die  Kinder  nicht  zu  baden;  seiner  Meinung 
nach  sei  hiedurch  die  Frage  über  Behandlung  der  Nabelschnur 
erledigt. 

Gleicher  Ansicht  (nämlich  die  Kinder  nicht  zu  baden) 
ist  auch  Wain  stein4),  da  nach  ihm  der  Nabelschnurrest 
bei  solchen  Kindern  früher  mumificirt. 

Knapp  5)  1897  glaubt  hauptsächlich  das  Bad  bei  neu¬ 
geborenen  Mädchen  weglassen  zu  müssen,  um  die  Möglichkeit 
einer  Gonococceninfection  zu  vermeiden. 

Auf  Grund  von  Keilmann’s  und  D  o  k  t  o  r’s  Beob¬ 
achtungen  rieth  Cohn  6)  1897  nicht  zu  baden  und  Neu¬ 
mann7)  in  einem  Vortrage:  »Ueber  ein  Uebermass  bei  der 

fl  S.  Wainstein  im:  Journal  Akusclierstwa  in  schenskich  Bolesnei. 
1895,  Bd.  IX,  pag.  846. 

2)  Archiv  für  Gynäkologie.  1894. 

3)  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  21. 

4)  1.  c. 

5)  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1897. 

6)  W  ratsch.  1897. 

")  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  1. 


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Säuglingsbehandlung«  (1898)  erklärt  das  Baden  für  schädlich, 
ohne  eigene  Beobachtungen  anzuführen. 

Andere  Forscher  auf  diesem  Gebiete  wollen  nicht  diesen 
kategorischen  Schluss  von  Keilmann  und  Neumann  be¬ 
stätigen. 

So  fand  Anthes8)  bei  150  Beobachtungen  folgende 

Zahlen : 


Wie  viel  Kinder 
nahmen  zu?  und 
mittlere  Gewichts¬ 
zunahme  in  Gramm 
bis  zum  10.  Tage 

Wie  viel  Kinder 
nahmen  ab?  und 
mittlere  Gewichts¬ 
abnahme  in  Gramm 
bis  zum  10.  Tage 

Gewicht  ohne  Vor-  ; 

änderung  bei  wie 

vielen  ? 

Nabelschnur  mit 

üblem  Geruch  bei 

wie  vielen? 

Fieber  bei  wie 

vielen  ? 

Gebadet 

31 

34 

1 

1 

8 

(circa  132) 

(circa  166) 

Nicht  gebadet 

32 

34 

9 

8 

14 

(circa  140) 

(circa  ll5) 

Czerwenka9)  beobachtete  400  Kinder  mit  folgendem 
Resultat : 


Ich  gehe  jetzt  zu  eigenen  Beobachtungen,  die  von  mir 
im  Hospital  St.  Jakob  gemacht  wurden,  über. 

Es  wurde  folgendermassen  vorgegangen: 

Alle  Neugeborenen  bekamen  das  erste  Bad.  Nabelsehnurrest 
4 — 6  cm  lang,  wurde  mit  Gyps  (nach  Su tugin)  bepudert,  in 
hygroskopische  Watte  gewickelt  und  mittelst  Läppchen  befestigt. 
Darnach  wurden  die  Kinder  in  zwei  Gruppen  getheilt:  die  gerad¬ 
zahligen  wurden  gebadet,  die  anderen  nicht. 

Die  Kinder  wurden  von  mir  täglich  zwischen  1  und  2  Uhr 
Nachmittags  untersucht  und  in  recto  gemessen.  Dabei  machte  ich 
Notizen  auf  besonderen  Bogen  über  die  Stunde  der  Geburt  der 
Kinder,  Anfangsgewicht,  Temperatur,  Abfall  der  Nabelschnur  und 
etwaige  Complicationen.  Tägliche  Gewichtsbestimmungen  konnten 
leider  nicht  gemacht  werden.  Ich  untersuchte  auf  diese  Weise 
420  Kinder.  Indem  ich  aus  diesem  Materiale  Frühgeburten,  nicht 
genügend  genaue  Beobachtungen  etc.  ausschliesse,  bleiben  nun 
3G3  Kinder  übrig. 

Ich  theilte  das  Material  in  folgende  zwei  Gruppen: 

I.  Gruppe  aus  176  Kindern,  von  denen  ein  Theil  nicht 
gebadet  wurde,  der  andere  jeden  zweiten  Tag. 

II.  Gruppe  aus  187  Kindern,  von  denen  ein  Theil  nicht 
gebadet  wurde,  der  andere  täglich.  Meine  Resultate  waren 
folgende: 

8)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  Artikel  von  Schrader. 

9)  Wiener  klinische  Wochenschrift..  1898,  Nr  11. 


Abfall  der  Nabelschnur  in 

Stunden  (mittlerer  Werth) 

Spätester  Abfall  (in  Stunden) 

Frühester  Abfall  (in  Stunden) 

Procentmässiger  Abfall 

]  vor  140  Stunden  (zwischen 

5 — 6  Tagen) 

Fieberten 

Complicationen 

Ikterus  in  Procenten 

G  r 

II 

p  p  e  I. 

Gebadet 
(85  Kinder) 

111-56 

231 

49 

81-2 

1 

(38-7°) 

1  Herpes 

50-6 

Nicht  gebadet 
(91  Kinder) 

111-88 

209 

50 

84-6 

2 (davon 
ein  Exitus 
letalis) 

1  Pemphigus 
benign. 

2  geringe 
Blutungen. 

2  Wechsel  des 
Verbandes 

37-4 

G  r 

u  p  p  e 

II. 

Gebadet 
(88  Kinder) 

113-3 

200 

56 

85-2 

1 

(38-5° 

Dyspeps.) 

— 

63-9 

Nicht  gebadet 
(99  Kinder) 

115-3 

184 

57 

79-8 

1 

(37-8°) 

3mal  Wechsel 
des  Verbandes 

56-2 

Ausführliche  Tabelle  des  Nabelschnurabfalles 

(in  Stunde  n). 


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o 

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1 

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1 

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1 

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1 

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in  Stunden 

1 

7 

1 

7 

7 

7 

7 

1 1' 

7 

1 

7' 

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03 

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3 

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I. 

Gebadet  (85) 

1 

— 

3 

7 

11 

9 

l! 

10 

10 

7 

5 

2 

5 

— 

— 

2 

1—209 

1—231 

Nicht  gebadet  (91) 

— 

3 

1 

7 

6 

16 

17 

9 

9 

9 

2 

6 

3 

1 

1 

— 

1-203 

G 

r 

u 

P 

P 

e 

II 

Gebadet  (88) 

— 

1 

6 

5 

9 

8 

15 

13 

9 

7 

6 

2 

3 

1 

2 

1 

Nicht gebadet (99) 

— 

1 

1 

8 

ii 

9 

15 

13 

9 

12 

7 

6 

5 

1 

1 

— 

Der  Tod  de3  Kindes  in  Gruppe  I  von  den  Nichtgebadeten 
scheint  durch  Sepsis  verursacht  zu  sein.  Das  Kind  erkrankte 
einen  Tag  nach  dem  Abfalle  der  Nabelschnur;  Exitus  letalis 
im  Laufe  von  zwei  Tagen.  Bei  der  Obduction  fand  man  einen 
Abscess  in  der  rechten  Lunge,  der  in  die  Pleurahöhle  durch¬ 
brach;  eiterig-hämorrhagisches  Exsudat.  Die  Eingangspforte 
wurde  nicht  constatirt. 

Die  Nichtgebadeten  gaben  also  bessere  Resultate  nur  in 
Bezug  auf  Ikterus.  Zeit  des  Nabelschnurabfalles  spricht  eher 
zu  Gunsten  des  Bades,  obwohl  der  Unterschied  gering  ist.  Es 
fieberten  in  beiden  Gruppen  ungefähr  eine  gleiche  Anzahl 
(circa  1  %). 

Um  jetzt  die  Frage,  ob  Neugeborene  gebadet,  respective 
nicht  gebadet  werden  sollen,  zu  entscheiden,  müssen  wir 
genauer  die  Motive  der  Gegner  des  Badens  analysiren. 

Diese  sind  folgende: 

1.  Das  Nässen  der  Nabelschnur  beim  Baden  hindert  die 
Mumification. 

2.  Es  kann  eine  Nabelinfection  eintreten. 

.  3.  Die  Gebadeten  fiebern  häufiger. 

4.  Es  ist  beim  Baden  eine  Infection  durch  Gonococcen 
möglich  beim  Gebrauche  eines  Schwammes. 

5.  Schlechte  Gewichtszunahme  der  Gebadeten. 


554 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  24 


Schon  a  priori  konnte  man  behaupten,  dass  täglich  ein¬ 
maliges,  10  —  15  Minuten  dauerndes  Benässen  der  Nabelschnur 
mit  nachfolgendem  Abtrocknen  kaum  einen  merkbaren  Ein¬ 
fluss  auf  die  Mumification  haben  wird,  und  meine  Zahlen  be¬ 
stätigen  diese  Proposition. 

Sollte  aber  das  Bad  die  Mumification  hindern,  so  ist  ja 
doch  fraglich,  inwieferne  solcher  Erscheinung  entgegenzuarbeiten 
ist?  Denn  die  mumificirende  Nabelschnur  gewährt  ja  einen  ge¬ 
nügenden  Schutz  gegen  jegliche  Mikroben.  Auch  Keil  mann 
—  Gegner  des  Bades  — der  eine  Verlangsamung  des  Nabel¬ 
schnurabfalles  beim  Baden  beobachtete,  erklärt  dieselbe  als 
wiinschenswerth,  denn  dies  beweist  nach  Keilmann,  dass  bei 
Gebadeten  die  Nabelschnur  grösseren  Insulten  ausgesetzt  ist. 
Da  aber  eine  granulirende  Oberfläche  eben  so  gut  gegen  Mi¬ 
kroben  schützt,  wie  die  mumificirende,  so  scheint  der  Streit 
darüber  ganz  gleichgiltig  zu  sein.  Uebrigens  scheint  mir  die 
Discussion  über  die  Zeit  des  Nabelschnurabfalles  auf  Missver¬ 
ständnissen  zu  beruhen. 

Es  wurde  nämlich  die  Zeit  in  zu  allgemei  nen  Zügen  be¬ 
zeichnet:  so  »zwischen  drei  bis  sechs  Tagen«,  zwischen  fünf 
bis  sechs  Tagen«  etc.  Ich  notirte  die  Zeit  in  Stunden  und  fand 
ganz  geringe  Unterschiede  bei  beiden  Methoden:  111*5  gegen 
111*8  und  113*3  gegen  115*3. 

Die  Menge  der  Warton’schen  Sülze  und  die  Feuchtig¬ 
keit  der  Luft  scheinen  die  Hauptrolle  bei  der  Schnelligkeit 
des  Nabelschnurabfalles  zu  spielen.  Das  Gewicht  des  Kindes 
und  seine  Entwicklung  kommen  viel  weniger  in  Betracht. 

Nehmen  wir  aber  an,  dass  bei  beiden  Methoden  der 
Nabelschnurrest  zu  gleicher  Zeit  abfällt,  und  dass  weder  die 
mumificirende  Schnur,  noch  die  granulirende  Oberfläche  gün¬ 
stige  Bedingungen  für  die  Infection  bieten,  so  fällt  eo  ipso 
damit  die  Frage  über  die  Häufigkeit  des  Fiebers.  Und  in  der 
That  ist  die  Zahl  der  Fiebernden  bei  jeglicher  Methode,  wenn 
sie  sorgfältig  genug  geübt  wird,  eine  sehr  geringe  (circa  1%). 
Die  hohe  Zahl  der  Fiebernden  bei  Erüss  und  Doktor 
muss  entweder  durch  irgend  eine  Endemie  oder  durch  unge¬ 
nügende  Antiseptik  erklärt  werden,  da  bei  Eröss  z.  B.  die 
Nabelschnurbehandlung  den  Hebammen  überlassen  wurde. 

Was  die  Frage  über  Infection  mit  Gonococcen  anbetrifft, 
so  muss  doch  bewiesen  werden,  dass  dieselben  sich  auch  nach 
dem  ersten  Bade  auf  dem  Neugeborenen  in  lebensfähigem  Zu¬ 
stande  befinden  (was  sehr  zu  bezweifeln  ist),  und  das  erste 
Bad  wird  ja  auch  von  den  Gegnern  des  Bades  empfohlen. 
Sollten  aber  auch  einzelne  Coccen  auf  der  Hautoberfläche  des 
Kindes  bleiben  (der  Beweis  ist  noch  nicht  erbracht  worden), 
so  ist  ja  kaum  anzunehmen,  dass  schon  ein  Benässen  der  Con¬ 
junctiva  mit  dem  Gonococcen  enthaltenden  Wasser  genügt, 
um  eine  Infection  hervorzurufen.  Beim  Gebrauche  desselben 
Schwammes  für  den  Körper  und  das  Gesicht  können  vielleicht 
Gonococcen  in  die  Bindehaut  eingerieben  werden,  dasselbe 
Unglück  wird  aber  schon  ehereinem  Niehtgebadeten  passiren, 
da  ja  derselbe  ebenfalls  der  Reinheit  halber  abgewischt  werden 
muss,  und  so  ein  Schwamm  enthält  jedenfalls  Gonococcen  in 
concentrirterem  Zustande,  als  der  beim  Baden  gebrauchte.  Es 
ist  eher  anzunehmen,  dass  wenn  eine  Gonoeoceeninfection  ein- 
tritt,  dieselbe  durch  die  Unvorsichtigkeit  von  Seiten  der  Mutter 
hervorgerufen  wurde.  Uebrigens  könnte  man  vorsichtshalber 
die  Augen  des  Kindes  nach  dem  Bade  mit  gekochtem  Wasser 
abspülen. 

Was  die  Gewichtszunahme  anbetrifft,  so  fehlen  mir  eigene 
Beobachtungen.  Die  Zahlen  von  Doktor  und  Keil  mann 
stimmen  aber  nicht  mit  denen  von  An  t  lies  und  Czer- 
w  e  n  k  a. 

Ueber  den  Ikterus  sind  weitere  Beobachtungen  nöthig, 
umso  mehr,  als  Fuchs  und  Andere  zu  entgegengesetzter 
Ansicht  gelangt  sind,  obwohl  jene  an  geringerem  Materiale 
arbeiteten,  als  ich. 

Wir  kommen  also  zum  Schlüsse,  dass  die  bisher  er¬ 
brachten  Beweise  gegen  das  Bad  lange  nicht  so  stichhaltig 
sind,  dass  wir  den  alten  Usus,  Kinder  zu  baden,  über  Bord 
werfen  sollten. 

Dem  gegenüber  sprechen  rein  praktische  Gründe  für  das 
Bad.  Wir  sahen  aus  der  Tabelle,  dass  in  fünf  Fällen  die 


Watte  bei  den  Niehtgebadeten  gewechselt  wurde,  da  dieselbe 
stark  durchnässt,  ja  sogar  übelriechend  war.  In  mehreren  von 
mir  nicht  notirten  Fällen,  fand  ich  die  Watte  nass,  was  ja 
in  Folge  des  unvermeidlichen  Benässens  durch  Urin  etc.  selbst¬ 
verständlich  erscheint.  (Vielleicht  ist  der  —  zwar  geringe  — 
Unterschied  in  der  Zeit  des  Nabelschnurabfalles  dadurch  zu 
erklären,  dass  die  nasse  Watte  eine  feuchte,  die  Mumification 
hindernde  Atlnnosphäre  um  die  Nabelschnur  schafft.)  In  Privat¬ 
häusern  bei  wenig  Bemittelten,  wo  immer  Mangel  an  Warte¬ 
personal  zu  erwarten  ist,  muss  eo  ipso  eine  solche  Durch- 
nässung  öfters  stattfinden.  Es  ist  wohl  kaum  zu  bestreiten, 
dass  diese  Beschmutzung  von  jeglichem  Standpunkte  aus  zu 
vermeiden  ist.  Währenddessen  dürften  Hebammen,  denen  in 
der  Klinik  gelehrt  worden  ist,  die  Kinder  nicht  zu  baden, 
diese  Art  der  Kinderbeliandlung  in  das  Publicum  bringen, 
und  sie  wird  besonderen  Beifall  bei  der  ärmeren  Classe  finden, 
da  dabei  das  Kind  weniger  Sorgfalt  beansprucht.  Die  Ab¬ 
waschungen,  die  bestimmte  Uebung  fordern,  werden  sicherlich 
entweder  schlecht  oder  gar  nicht  geübt  werden.  Das  letzte  ist 
wahrscheinlicher,  da  das  weniger  intelligente  Publicum  ja 
nicht  im  Stande  ist,  die  Gründe  zu  begreifen,  warum  ein  Kind 
nicht  gebadet  werden  soll. 

Wain  stein  und  Andere  warnten  vor  der  Gefahr  der 
Ansteckung,  da  das  Kind  in  demselben  Bade  gebadet  wird, 
wo  schmutzige  Wäsche  gewaschen,  kranke  Wöchnerinnen  ge¬ 
badet  werden  etc.  Würde  nicht  viel  richtiger  sein,  diesem 
Uebel  entgegenzuarbeiten  indem  man  vernünftige  Ansichten 
über  Reinlichkeit,  richtige  Pflege  der  Wöchnerinnen,  der 
Neugeborenen,  speciell  des  Nabelstranges  zu  verbreiten  sich 
bemüht?  Derartige  Lehren  dürften  vom  Publicum  sehr  leicht 
verstanden  werden.  Vom  Standpunkte  der  Aseptik  und  Rein¬ 
lichkeit  ist  die  Popularisation  der  Idee  des  Nichtbadens  als 
Rückschritt  zu  betrachten. 

Und  da,  wie  wir  sahen,  keine  schlagenden  Beweise  gegen 
das  Baden  bis  jetzt  vorliegen,  so  sollten  wir,  nach  meiner 
Ansicht,  die  Kinder  auch  jetzt,  wie  früher,  ruhig  täglich 
baden. 


REFERATE. 

I.  Die  eiterigen  Erkrankungen  des  Schläfebeines. 

Von  Prof.  Dr.  Otto  Körner. 

Wiesbaden,  J.  F.  Bergman  n. 

II.  Ueber  Gewerbekrankheiten  des  Ohres. 

Von  Dr.  E.  Winkler  in  Bremen. 

Ueber  Fremdkörper  (Kupfermünzen)  im  Oesophagus  mit 

Radiographie. 

Von  Prof.  Dr.  L.  Bayer  in  Brüssel. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nasen-,  Ohren-, 
Mund-  und  Halskrankbeiten.  In  Rücksicht  auf  allgemeine  ärztliche  Gesichts¬ 
punkte  herausgegeben  von  Dr.  Maximilian  Bresgen  in  Wies¬ 
baden. 

III.  Band,  Heft  9  und  10. 

Halle  a.  S.,  Karl  M  a  r  h  o  1  d. 

III.  Zur  vergleichenden  Anatomie  und  Physiologie  des 

Gleichgewichtes  und  Gehörorganes. 

Von  Dr.  Rudolf  Panze. 

Klinische  Voi  träge  aus  dem  Gebiete  der  Otologie  und  Pharyngo-Rhinologie. 
Herausgegeben  von  Docent  Dr.  Haug  in  München. 

III.  Band,  Heft  6. 

Jena,  Gustav  Fischer. 

IV.  Die  acute  Mittelohrentzündung  und  ihre  Behandlung. 

Von  Dr.  Gustav  Brühl  in  Berlin. 

Berliner  Klinik,  Heft  198. 

F  i  s  c  h  e  r’s  medicinische  Buchhandlung  II.  Kornfeld. 

I.  Als  erster  Band  eines  voraussichtlich  sehr  umfangreichen 
Werkes:  »Die  Ohrenheilkunde  der  Gegenwart  und  ihre  Grenzgebiete 
in  Einzeldarstellungen«,  herausgegeben  von  Dr.  0  1 1  o  Körner,  er¬ 
scheint  diese  über  150  Seiten  starke  Arbeit  als  sehr  freudig  zu 
begrüssende  Einleitung.  Die  Chirurgie,  insbesondere  die  Operations¬ 
methoden  zur  Beseitigung  chronischer  Ohr-  und  Schläfebein- 
eiterungen  haben  durch  Zaufal  und  Stacke  in  den  letzten 
Jahren  einen  solch  bedeutenden  Aufschwung  genommen,  dass  eine 
neue,  svstematische  Bearbeitung  der  eiterigen  Erkrankungen  des 
Schläfeheines  sich  als  dringend  nothwendig  ergab.  Das  vorliegende, 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


555 


geradezu  meisterhaft  durchgeführte  Werk  ist  eine  aut  Durcharbeitung 
von  mehr  als  300  sorgfältig  geführten  Krankengeschichten  be¬ 
gründete  Darstellung  der  eigenen  klinischen  Erfahrungen  des  Ver¬ 
fassers.  Sie  zerfällt  in  einen  kleinen  allgemeinen  Theil,  der  die 
Wechselbeziehungen  zwischen  den  Krankheiten  des  Öhres  und  des 
Schläfebeines  behandelt,  einige  anatomische  Vormerkungen,  die  für 
das  Verständniss  der  Entstehung  und  Verbreitung  von  Krankheiten 
im  Schläfebein  wichtig  sind,  wiedergibt  und  Allgemeines  über  die 
Operationen  am  Warzenfortsatz  und  über  die  Technik  derselben 
ausführt.  Im  speciellen  Theile  werden  die  Erkrankungen  des 
Schläfebeines  durch  die  gewöhnlichen  Eitercoccen  eingetheilt  a)  in 
die  acute  Ostitis  und  Osteomyelitis,  b)  die  chronische  Ostitis  und 
c)  die  Periostitis  des  Schläfebeines. 

Der  Tuberculose  des  Schläfebeines  wird  mit  Recht  ein  grosser 
Rahmen  eingeräumt,  nur  mit  wenigen  Worten  das  äusserst  seltene 
Vorkommniss  der  Aktinomykose  des  Schläfebeines  berührt,  und  im 
Anhänge  werden  einige  differentialdiangostische  Bemerkungen,  die 
bösartigen  Geschwülste  des  Schläfebeines  und  hysterischen  Er¬ 
scheinungen,  die  eine  Erkrankung  des  Schläfebeines  Vortäuschen, 
wiedergegeben.  Die  Wichtigkeit  und  ganz  ausgezeichnete  Güte  des 
Buches  veranlassen  mich,  Einiges  aus  demselben  an  dieser  Stelle 
zu  erwähnen.  Die  Krankheiten  keines  anderen  Knochens  bringen 
so  viele  und  so  verschiedenartige  Gefahren  für  das  Leben  des  Be¬ 
fallenen,  wie  die  des  Schläfebeines.  Mit  zwei  seiner  grössten  Flächen 
liegt  es  dem  Schläfelappen  des  Grosshirns  und  dem  Kleinhirn  an; 
die  Blutleiter  der  harten  Hirnhaut  umgeben  es  allseitig.  Der  Nervus 
facialis  und  die  Carotis  durchqueren  es  auf  langer  Bahn.  Die  viel¬ 
fachen  Beziehungen  der  Krankheiten  des  Schläfebeines  zu  den 
Krankheiten  benachbarter  Theile  und  des  ganzen  Körpers  zwingen 
den  Arzt  in  jedem  Falle,  sorgfältig  auf  den  gesammten  Zustand 
des  Kranken,  nicht  nur  auf  das  befallene  Ohr  und  den  befallenen 
Knochen  zu  achten.  Denn  nicht  nur  die  Folgeerkrankungen  und 
Complicationen  müssen  frühzeitig  erkannt  werden,  auch  die  Er¬ 
krankung  im  Knochen  selbst  verräth  sich  oft  früher  durch  Aen- 
derungen  im  Allgemeinbefinden  als  durch  örtliche  Zeichen. 

Jede  acute  Mittelohrentzündung  kann  in  eine  Erkrankung  des 
Schläfebeines  übergehen  und  lebensgefährliche  Complicationen 
herbeiführen.  Darum  muss  sie  von  Beginn  an  als  eine  ernste  Er¬ 
krankung  aufgefasst  und  von  einem  sachverständigen  Arzte  behandelt 
werden.  Wer  den  Spontandurchbruch  des  Trommelfelles  abwartet, 
quält  und  gefährdet  den  Kranken.  —  Ausserordentlich  interessant  ist 
die  Zusammenfassung  der  Ansichten  über  das  Cholesteatom,  das  er 
in  zwei  von  einander  vollkommen  getrennte  Erkrankungen  scheidet. 
Die  eine  ist  die  Otitis  media  desquamativa,  das  Pseudo-Cholesteatom 
die  zweite  ist  das  wahre  Cholesteatom  des  Schläfebeines.  Bei 
jedem  mit  Eiterung  complicirten  Cholesteatom  im  Warzenfort¬ 
satze  ist  die  Radicaloperation  erforderlich  und  darl  nicht  lange 
aufgeschoben  werden,  auch  wenn  kein  gefahrdrohendes  Symptom 
besteht.  —  Die  Tuberculose  des  Schläfebeines  theilt  Verlasser 
ein  in:  1.  Tuberculose  Ohr-  und  Schädelbeineiterungen  im  End- 
stadium  der  Tuberculose;  2.  tuberculose  Ohr-  und  Schläfebein¬ 
eiterung  bei  stationärer  Lungentuberculose;  3.  tuberculose  Ohr-  und 
Schläfebeineiterung,  der  Lungentuberculose  vorangehend;  4.  atypische 
tuberculose  Ohreiterung  mit  Tuberculose  des  Schläfebeines.  5.  tuber¬ 
culose  Infection  der  Paukenhöhle  und  des  Schläfebeines  auf  dem 
Wege  der  Tuben,  von  einer  bestehenden  Nasentuberculose  aus¬ 
gehend;  6.  Tuberculose  des  Schläfenbeines  durch  Infection  auf  dem 
Wege  der  Blutbahn;  7.  Tumorform  der  Tuberculose  im  Ohr  und 
Schläfebein.  Ohne  viele  Worte  zu  machen,  sucht  er  durch  markante 
Krankengeschichten  das  Wesen  dieser  verschiedenen  Bilder  zu 
skizziren.  Wenn  wir  auch  in  manchen  Einzelheiten  nicht  überein¬ 
zustimmen  vermögen,  wie  in  der  Einschränkung  der  Indication  zur 
Radicaloperation  gegenüber  den  von  Stacke  und  anderen  Au¬ 
toren  aufgestellten,  so  erscheint  dennoch  dieses  Buch,  als  ganz 
ausserordentlich  empfehlenswerthes  jedem  Arzt,  der  sich  nur  halb¬ 
wegs  für  die  moderne  chirurgische  Otiatrie  interessirt. 

* 

II.  Der  ersten  Abhandlung  ist  nicht  die  gleiche  systematische 
Uebersicht  der  bereits  in  diesem  Blatte  erst  vor  kurzer  Zeit  be¬ 
sprochenen  gleichen  Zusammenstellung  Dr.  K  a  h  n’s  nachzurühmen. 
Dagegen  ist  die  Ausführlichkeit  der  Behandlung  dieses  Themas 
eine  grössere.  Bei  den  in  Gewerbetriebe  vorkommenden  Ohrafiec- 
tionen  ist  die  Erkältung  als  ätiologisches  Moment  nicht  zu  unter¬ 


schätzen.  Eine  Reihe  von  Berufen  ist  durch  ihre  Thätigkeit  im 
Freien  allen  Witterungseinflüssen  preisgegeben.  Grosser  Hitze  und 
strahlender  Wärme  setzen  sich  namentlich  die  Arbeiter  der  Hoch¬ 
öfen,  Heizer  und  Maschinisten  an  Dampfmaschinen,  die  Schmelzer, 
Giesser  und  Schmiede  aus.  Unter  deft  Witterungseinflüssen  haben 
durch  die  Arbeit  im  Freien  alle  Bauhandwerker,  Maurer,  Zimmer¬ 
leute  etc.,  Fischer,  Jäger  u.  s.  w.  zu  leiden.  Einen  weiteren  ge¬ 
sundheitlichen  Nachtheil  im  Gewerbebetriebe  bringt  die 
Staubbelästigung;  besonders  schädlich  ist  die  ätzende  Eigenschaft 
gewisser  Staubarten,  wie  sie  in  Kalk-  und  Cementmühlen  oder  in 
Chromfabriken  sich  entwickeln. 

Die  heftigen  plötzlichen  oder  die  nicht  gerade  sehr  intensiven, 
aber  doch  längere  Zeit  dauernden  Schalleinwirkungen  greifen  den 
schallempfindenden  Apparat  des  Gehörorganes  unmittelbar  an. 

Endlich  spielen  in  der  Aetiologie  der  professionellen  Ohren¬ 
erkrankungen  die  schnell  stattfindenden  Veränderungen  des 
Atmosphärendruckes  oder  längerer  Aufenthalt  unter  erhöhtem 
Atmosphärendrucke  eine  Rolle. 

Am  äusseren  Ohre  handelt  es  sich  vorzugsweise  um  chroni¬ 


sche  Ekzeme  oder  Furunculosis  des  äusseren  Gehörganges. 
Während  aber  die  Gewerbekrankheiten  des  äusseren  Ohres  in  der 
Regel  durch  eine  geeignete  Therapie  zur  Heilung  gebracht  werden 
können,  handelt  es  sich  bei  den  professionellen  Erkrankungen  des 
Mittelohres  und  des  schallempfindenden  Apparates  stets  um  be¬ 
trächtliche  dauernde  Herabsetzungen  des  Hörvermögens,  die  nur 
wenig  besserungsfähig  sind.  Die  stärksten  Schallreize  treffen  das 
Gehörorgan  der  in  der  metallurgischen  Industrie  beschäftigten  Ar¬ 
beiter,  die  zur  Kesselarbeitertaubheit  führen.  Nebst  der  I  aubheit 
der  Kesselschmiede  ist  von  den  professionellen  Ohrenerkrankungen 
die  der  Maschinisten  im  Eisenbahnbetriebe  die  häufigste.  Im  zweiten 
Theile  der  Arbeit  werden  wir  mit  den  allgemeinen  Schädigungen 
und  insbesondere  denen  des  Ohres  bei  den  Glasarbeitern,  lauchein, 
Caissonarbeitern  und  Diamantenschleifern  durch  ausführliche  Schil¬ 
derung  der  Beschäftigungsart  vertraut. 

Prof.  Bayer  berichtet  über  zwei  Fälle  von  Kupfermünzen 
im  Oesophagus,  von  denen  die  eine  mittelst  Münzenfüngers,  die 
andere  per  vias  naturales  zu  Tage  befördert  wurde. 

* 


111.  Das  auffallende  Moment,  dass  die  vergleichende  Anatomie 
und  Physiologie  unter  die  »Klinischen  Vorträge«  aufgenommen 
ist,  erklärt  der  Herausgeber  damit,  dass,  da  von  manchen  Ohren¬ 
ärzten  noch  immer  an  der  Bedeutung  der  einzelnen  Theile  des 
inneren  Ohres  für  das  Gleichgewicht  und  das  Hörvermögen  ge- 
zweifelt  wird,  andererseits  der  Schwindel  bei  den  verschiedensten 
Ohrenkrankheiten  eine  so  hervorragende  Rolle  spielt,  es  auch  Inr 
den  praktischen  Arzt  wichtig  sei,  sich  ein  unabhängiges  Urtheil  über  das 
Gleichgewichts-  und  Gehörorgan  aus  der  vergleichenden  Anatomie 
und  Physiologie  zu  bilden.  Während  der  Thierversuch  aul  den 
meisten  Gebieten  der  Physiologie  zu  grundlegenden  Kenntnissen 
und  andauernden  Fortschritten  verholfen  hat,  sind  in  dei  Leine 
von  den  Verrichtungen  der  Sinnesorgane,  besonders  des  Gehüi- 
organes  viele  Forscher  der  Versuchung  unterlegen,  menschliche 
Empfindungen  oder  die  Aeusserungen  von  solchen  mit  ähnlichen 
Erscheinungen  am  Thiere  für  eines  zu  erachten.  Besonders  er¬ 
schwerend  war  und  ist  für  die  Erkenntniss  der  Verrichtungen  des 
Gehörorganes  die  bei  den  meisten  Thieren  tief  versteckte  Lage  in 
dem  härtesten  Knochen  des  Körpers,  dazu  in  der  gefährlichen 
Nähe  lebenswichtiger  Organe,  so  dass  eine  reine  Ausschaltung 
einzelner  Theile  ohne  Nebenverletzung  des  ganzen  oder  von  Nach¬ 
barorganen  zu  den  allergrössten  Schwierigkeiten  gehört.  Es  war 
Breuer,  welcher  zum  ersten  Male  die  wunderbaren  Erscheinungen 
bei  Eingriffen  an  bestimmten  Thcilen  des  inneren  Ohres  in  einer 
so  scharfen  Weise  nach  physikalischen  Gesetzen  erklärte 

Er  stellte  für  alle  Versuche  folgende  Sätze  aut:  Druck¬ 
erhöhung  in  der  Endolymphe  ruft  in  allen  Canalen  Bewegungen 
des  Kopfes  in  der  Ebene  des  betroffenen  Ganges  und  '  in  der 
Richtung  vom  Canal  zur  Ampulle  hervor.  Mechanische  Insul  lining 
ruft  an  allen  Canälen  Bewegungen  in  der  Ebene  des  betrollem  en 
Ganges  -  und  nach  der  anderen  Seite  hervor  Ist  dabei  der 
häutige  Gang  eröffnet  worden,  so  wird  die  Richtung  der  Be¬ 
wegungen  nach  kurzer  Zeit  umgekehrt  und  sie  erfolgen  nach 
der  verletzten  Seite.  Ist  der  Vestibularapparat  der  anderen  beite 
exstirpirt,  so  bleibt  diese  Umkehrung  aus,  die  Bewegungen  er- 


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folgen  nur  nach  der  anderen,  der  Exstirpationsseite.  —  Eine 
werthvolle  Ergänzung  des  Thierversuches  bilden  die  Fälle,  wo 
hei  der  Freilegung  der  Miltelohrräume  heim  Menschen  cariöse 
Lücken  im  horizontalen  Bogengang  gefunden  wurden.  Beim  Tam- 
poniren  oder  heim  Sondendrhck  auf  diese  Stellen  treten  nystagmus- 
ähnliche  Bewegungen  der  Augen  und  Drehschwindel  derart  auf, 
dass  sich  das  Gesichtsfeld  in  wagrechter  Ebene  zu  bewegen 
scheint. 

Der  weitaus  grössere  Abschnitt  dieser  ausserordentlich  fleissi- 
gen  Arbeit  bietet  rein  specialistisches  Interesse  und  soll  hier  nicht 
weiter  besprochen  werden. 

* 

IV.  Die  acute  Mittelohrentzündung  beansprucht  das  besondere 
ärztliche  Interesse,  weil  gerade  die  Erkrankung  des  Ohres  bei  recht¬ 
zeitigem  Erkennen  und  sachgemässer  Behandlung  ein  therapeutisch 
dankbares  Feld  eröffnet.  Von  der  frühen  Diagnose  der  acuten 
Mittelohrentzündung  kann  die  Lebenszukunft  des  Erkrankten  ab- 
hängen;  ihr  Uebersehen  kann  Taubheit  und  Tod  herbeiführen. 

Die  im  Kindesalter  durch  Mittelohrentzündungen  hervor¬ 
gerufene  Schwerhörigkeit  oder  Taubheit  macht  die  Kinder  aus  ge¬ 
sunden  Individuen  zu  Taubstummen  und  zahlreiche  Insassen  der 
Taubstummenanstalten  sind  die  unglücklichen  Zeugen  einer  zu 
späten  Diagnose  und  Therapie. 

Es  gibt  auch  heute  noch  genug  Menschen,  welche  vor  einem 
Ohrenärzte  warnen.  Jeder,  der  solchen  Unverstand  gewährt,  ladet 
einen  Theil  von  Schuld  auf  sich.  Eine  unerlässliche  Forderung  ist 
es,  dass  der  Arzt  das  erkrankte  Ohr  eines  Kindes  nicht  nur  genau 
mit  Ohrentrichter  und  Reflector  untersucht,  wenn  das  Kind  Ohren¬ 
schmerzen  hat,  sondern,  dass  er  den  Verlauf  der  Ohrenkrankheit 
von  Anfang  an  bis  zur  vollendeten  Heilung  verfolgt,  aber  nicht  den 
Eltern  den  Trost  gibt,  mit  den  Jahren  werde  das  Ohrenleiden 
schon  gut  werden.  Jeder  Arzt  muss  sich  die  Kenntnisse,  welche 
zur  Untersuchung  und  Beurtheilung  des  Ohres  nöthig  sind,  ver¬ 
schaffen  und  sich  nicht  durch  das  Fehlen  der  Ohrenheilkunde 
unter  den  Examensfächern  über  die  Wichtigkeit  der  Ohrenkrank¬ 
heiten  hinwegtäuschen.  Die  acuten  Mittelohrentzündungen  sind  eine 
häufige  Erkrankung  des  Ohres.  Bis  78%  finden  sie  sich  bei  ins 
Krankenhaus  kommenden  Säuglingen. 

Wenn  aber  Verfasser  mit  der  Vornahme  der  Paracentese  bis 
zum  dritten  Tage  wartet,  sobald  trotz  Antiphlogose  Schmerzen  be¬ 
stehen  und  Fieber  vorhanden  ist,  so  dünkt  mir  dieser  Zeitraum 
doch  zu  lange,  wenn  durch  einen  kleinen  operativen  Eingriff  sofort 
abgeholfen  werden  kann;  sagt  doch  Dr.  Brühl  selbst:  »eine  zu 
früh  aseptisch  ausgeführte  Paracentese  schadet  nie«. 

Dr.  Arthur  Singer. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

159.  Die  Bedeutung  der  Tu  berculose  als  Ur¬ 
sache  des  vorzeitigen  Todes  bei  erwachsenen  Be¬ 
wohnern  des  Deutschen  Reiches.  Von  Dr.  R  a  h  t  s 
(Berlin).  Es  ist  ist  weniger  von  Bedeutung  festzustellen,  wie  viele 
Personen  überhaupt  von  tausend  Lebenden  an  einer  Krankheit  ge¬ 
storben  sind,  als  vielmehr  zu  beobachten,  wie  viele  Menschen  an 
einer  Krankheit  vorzeitig,  in  voller  Lebenskraft,  einer  bestimmten 
Krankheit  zum  Opfer  gefallen  sind.  In  dieser  Richtung  betrachtet, 
ergeben  sich  ganz  andere  Folgerungen,  als  sie  aus  den  sonst  üb¬ 
lichen  Statistiken  gezogen  werden.  Nach  einem  kürzlich  veröffent¬ 
lichten  Jahresberichte  starben  in  Preussen  an  Tuberculose:  in  den 
Landgemeinden  19.636,  in  den  Stadtgemeinden  18.234  Personen 
männlichen  Geschlechtes;  es  hätte  demnach  die  Tuberculose  unter 
der  Landbevölkerung  mehr  Opfer  gefordert,  als  unter  der  männlichen 
Stadtbevölkerung.  Das  erscheint  jedoch  in  einem  anderen  Lichte, 
wenn  man  das  Lebensalter  der  an  Schwindsucht  Gestorbenen  ver¬ 
gleicht.  Im  lebenskräftigsten  Alter  von  20—50  Jahren 
waren  der  Tuberculose  erlegen:  in  den  Landgemeinden  8977 
(45-7%),  in  den  Sladtgemeinden  10.499  (57'6%)  der  Gesammt- 
zahl.  Die  I  uberculose  als  Todesursache  hat  demnach  in  den  Städten 
eine  wesentlich  andere  Bedeutung,  als  auf  dem  Lande;  in  den 
Städten  rafft  sie  vorwiegend  Leute  in  der  vollen  Erwerbsthätigkeit 
dahin,  am  Lande  mehr  solche,  welche  schon  über  50  all  geworden. 
Aehnliche  Unterschiede  ergeben  sich,  wenn  man  die  verschiedenen 


Staaten  des  Deutschen  Reiches  in  Vergleich  zieht.  Bei  dieser  Be¬ 
trachtungsweise  corrigirt  sich  auch  die  Angabe,  dass  die  Tuber- 
culosesterbefälle  von  1893  — 1898  sich  stetig  verringert  haben.  Die 
Statistik  zeigt  nämlich,  dass  die  Zahl  der  überhaupt  im  mittleren 
Lebensalter  Gestorbenen  eine  kleinere  geworden  ist,  dass  die  Be¬ 
deutung  der  Tuberculose  als  Todesursache  in  den  letzten  Jahren 
noch  keineswegs  geringer,  sondern  etwas  grösser  als  einige  Jahre 
vorher  gewesen,  d.  h.  trotz  der  scheinbaren  Abnahme  der  Schwind¬ 
suchtstodesfälle  war  die  Tuberculose  als  Ursache  des  vor  Ablauf 
von  60  Lebensjahren  zu  erwartenden  Todes  erwachsener  Bewohner 
des  Reiches  im  Jahre  1897  mindestens  ebenso  wie  im  Jahre  1893 
zu  fürchten.  —  (Zeitschrift  für  Tuberculose  und  Heilstättenwesen. 
Bd.  1,  lieft  1.) 

* 

160.  Die  Tröpfcheninfection  der  Tuberculose 
und  ihre  Verhütung.  Von  Prof.  B.  Fraenkel  (Berlin). 
Masken  von  Mull,  welche  von  Schwindsüchtigen  durch  24  Stunden 
getragen  worden  waren,  wurden  selbst  dann,  wenn  sie  sich  makro¬ 
skopisch  als  ganz  rein  erwiesen,  mit  Tuberkelbacillen  inficirt  ge¬ 
funden.  Fraenkel  befürwortet  daher,  die  Masken  überall  da  ein¬ 
zuführen,  wo  Schwindsüchtige  mit  anderen  Menschen  in  demselben 
Raume  arbeiten  oder  schlafen,  ohne  mehr  wie  1  m  voneinander 
getrennt  zu  sein.  Unter  denselben  Voraussetzungen  empfiehlt  es 
sich  auch,  in  Krankenzimmern  oder  Liegehallen  die  einzelnen  Lager¬ 
stellen  durch  leicht  desinficirbare  Schirme  aus  Segeltuch  vonein¬ 
ander  zu  sondern.  —  (Zeitschrift  für  Tuberculose  und  Heilstätten¬ 
wesen.  Bd.  I,  Heft  1.) 

* 

161.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  zu  Strassburg.)  Sen¬ 
sorielle  Krisen  bei  Tabes  dorsalis.  Von  Dr.  Umber 
(Berlin).  Die  bei  Tabes  anfallsweise  auftretenden  Reizerscheinungen 
der  motorischen  und  sensiblen  Sphäre,  unter  diesen  besonders 
wieder  die  sogenannten  Crises  gastriques,  sind  allgemein  bekannt, 
weniger  jedoch  die  Störungen  im  Bereiche  der  Geruch-  und  Ge¬ 
schmacknerven.  Solche  fanden  sich  bei  einem  Tabiker,  welcher 
sich  1877  eine  Syphilisinfection  zugezogen.  1884  trat  die  erste 
Crise  gastrique  auf:  plötzlich  einsetzende  heftige  reissende  Krämpfe 
im  Magen  unter  starkem  Erbrechen;  ausserdem  in  den  folgenden 
Jahren  geradezu  abundante  Pollutionen.  Das  Interessante  lag  jedoch 
darin,  dass  programmässig  im  Anschlüsse  an  die  Magenkrisen,  so¬ 
bald  der  Patient  erschöpft  in  einen  Halbschlummer  fiel,  jedes  Mal 
Schwelkmgsgefühl  im  Halse  und  Schlunde  mit  profuser  Speichel- 
secretion,  ferner  eine  scheussliche  Geruchs-  und  Geschmacksempfin¬ 
dung  auftrat,  die  sofort  schwanden,  sobald  der  Patient  aus  dem 
Halbschlaf  erwacht  war  und  sich  über  seine  Umgebung  orientirt 
hatte.  —  (Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXIX,  Heft  5 
und  6.) 

* 

162.  ExperimentellerBeitrag  zur  Wirkung  und 
Nachwirkung  von  Schilddrüsengift.  Von  Dr.  Porges 
(Marienbad).  Bei  einem  Hunde,  der  mit  Schilddrüsen  gefüttert  wurde, 
zeigte  sich  neben  Fettverlust  und  Eiweisszerfall  noch  ein  weiteres 
Vergiftungssymptom,  nämlich  eine  recht  beträchtliche,  bis  zu  5% 
gehende  Ausscheidung  von  Zucker  (Lävulose),  welche  die  Schild- 
drüsenverfütterung  noch  um  eine  Reihe  von  Tagen  überdauerte.  Da 
bereits  auch  beim  Menschen  Glykosurie  während  der  Schilddrüsen¬ 
therapie  beschrieben  wurde,  bildet  dieser  Umstand  ein  neues,  zur 
Vorsicht  mahnendes  Moment  bei  der  Behandlung  der  Fettleibigkeit 
mit  Schilddrüsenpräparaten.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  14.) 

* 

163.  Ueber  einen  Fall  von  Aneurysma  der 
Aorta  descendens  mit  merkwürdigen  Krankheitserscheinungen 
berichtete  Lenzmann  (Duisburg)  in  der  Vereinigung  der  west¬ 
deutschen  Hals-  und  Ohrenärzte.  Ein  43jähriger  Gymnasiallehrer 
war  1894  unter  den  Symptomen  eines  Ulcus  ventriculi  erkrankt: 
Heftige  Schmerzen,  besonders  nach  dem  Essen,  Schmerz  bei  Druck 
in  der  Pylorusgegend,  Hyperacidität,  Erbrechen.  Theilweise  Besserung 
in  einer  Heilanstalt.  1897  entwickelte  sich  ein  diffuser  Bronchial- 
katarrh,  in  der  Folgezeit  ein  hochgradiges  Lungenemphysem,  eine 
immer  sich  steigernde  Alhenmoth  mit  deutlichem  Stridor  bei  Ab¬ 
schwächung  des  linksseitigen  Athmungsgeräusches.  Man  dachte  an 
eine  Stenosirung  des  linken  Bronchus  durch  ein  Sarkom  oder  tuber- 


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culös  erkrankte  Bronchialdrüsen.  Die  Radioskopie  hatte  im  Stich 
gelassen.  Bei  fortwährend  sich  steigernder  Athemnoth  ward  auch 
rechts  das  Athmungsgeräusch  schwächer,  in  letzterer  Zeit  gesellten 
sich  dazu  Erstickungsanfälle  beim  Schlucken  eines  festen  Bissens, 
sowie  blitzartig  auftretende  Schmerzen  in  den  Beinen.  Der  Tod 
erfolgte  unter  den  Symptomen  der  Erstickung.  Die  Obduction  ergab 
ein  bis  12  cm  im  Durchmesser  haltendes  Aneurysma  der  Aorta 
descendens,  das  zwischen  Herz  und  Wirbelsäule  eingeklemmt  war. 
Der  Magen  zeigte  keine  Veränderung,  der  rechte  und  noch  mehr 
der  linke  Bronchus  waren  bedeutend  comprimirt,  der  linke  Vagus 
zwischen  Bronchus  und  Geschwulst  ganz  zusammengedrückt.  Die 
Magenschmerzen  sowie  die  Hyperacidität  erklären  sich  aus  dem 
Reize,  den  der  noch  kleine  Tumor  auf  den  linken  Vagus  anfangs 
ausühte,  das  Zurückgehen  der  Magenbeschwerden  durch  die  allmälig 
eintretende  Lähmung  und  Functionsuntüchtigkeit  des  Nerven.  Der 
Bronchialkatarrh  war  ein  Stauungskatarrh  in  Folge  der  Compression 
der  Lungenvenen,  das  Emphysem  wird  durch  die  Verengerung  der 
Bronchien  erklärt.  Die  Erstickungsanfälle  beim  Schlucken  fester 
Bissen  kamen  in  folgender  Weise  zu  Stande:  Der  Oesophagus  war 
durch  den  Tumor  an  der  entsprechenden  Stelle  mehr  nach  rechts 
verlagert  und  geradezu  zwischen  Aneurysma,  welches  zum  grössten 
Theile  mit  festen  Fibringerinnseln  ausgefüllt  war,  und  rechtem 
Bronchus  eingeklemmt  worden.  Gelangte  nun  ein  Bissen  an  diese 
Stelle,  so  wurde  die  einzige  Passage  in  die  Lunge,  der  rechte 
Bronchus,  noch  mehr  zusammengedrückt.  Die  in  den  unteren  Ex¬ 
tremitäten  auftretenden  blitzartigen  Schmerzen  finden  ihre  Erklärung 
in  der  Reizung  der  hinteren  Rückenmarksstränge;  das  Aneurysma 
hatte  die  linke  Hälfte  der  Körper  des  dritten  und  vierten  Brust¬ 
wirbels  vollständig  bis  zum  Periost,  theilsweise  bis  zur  Pia  usurirt 
gehabt.  —  (Münchener  medicini sehe  Wochenschrift.  1900,  Nr.  15.) 

* 

164.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Berlin.)  Ueber 
den  Einfluss  des  Sonnenlichtes  auf  Bacterien. 
Von  Dr.  Kedzior.  Der  bereits  constatirte  Einfluss  des  Sonnen¬ 
lichtes  hat  auch  dann  statt,  wenn  die  Bacterien  gegen  Sauerstoff 
abgeschlossen  sind.  Milzbrandsporen  gingen  dabei  in  l3/4  Stunden 
zu  Grunde.  Muss  das  Sonnenlicht  zuerst  Wasser  passiren,  so  ist 
dessen  keimtödtende  Wirkung  geringer;  eine  1  mm  dicke  Erdschichte 
hemmt  die  bacterienfeindliche  Kraft  des  Lichtes  schon  recht  be¬ 
deutend;  immerhin  konnte  nach  fünf  Stunden  dauernder  Belichtung 
noch  eine  Verminderung  der  Keime  bis  auf  ein  Fünftel  beobachtet 

werden.  —  (Archiv  für  Hygiene.  Bd.  XXXVI,  Heft  3.) 

* 

165.  Aus  dem  kaiserlichen  Hebammeninstitute  in  Petersburg.) 
Ueber  die  Pathogenese  der  Eklampsie.  Von  Professor 
S  trog  an  off.  Verfasser  hatte  reichlich  Gelegenheit,  die  Eklampsie 
zu  beobachten;  in  den  letzten  vier  Jahren  war  dieselbe  in  82  Fällen 
im  Institute  aufgetreten,  wobei  zu  bemerken,  dass  dasselbe  all¬ 
jährlich  über  drei  Monate  geschlossen  ist.  Stroganoff  berechnet 
für  Russland  jährlich  5600  Fälle  von  Eklampsie,  d.  i.  auf  circa 
1000  Geburten  eine  Erkrankung.  Nach  ihm  liegt  die  Ursache  der 
Eklampsie  nicht,  wie  es  jetzt  ziemlich  allgemein  angenommen  wird, 
in  einer  .Intoxication,  sondern  in  einer  Infection  durch  ein  ziemlich 
flüchtiges  Contagium,  welches  durch  die  Lungen  in  den  Körper  der 
Frau  gelangen  soll.  Der  Krankheitskeim  besitzt  eine  schwache  Viru¬ 
lenz,  die  aber  in  Krankenhäusern  durch  etwa  drei  Wochen  anhält. 
Die  Incubationsdauer  soll  etwa  3 — 20  Stunden  betragen.  Für  den 
infectiösen  Charakter  der  Eklampsie  soll  nach  Stroganoff 
sprechen,  dass  dieselbe  eine  den  ganzen  Körper  betreffende,  acut 
auftretende,  mit  Fieber  einhergehende  Erkrankung  sei,  welche  sich 
zumeist  in  grösseren  Gebäranstalten,  seltener  in  kleinen  Orten 
zeige;  ganz  besonders  soll  für  die  Infectiosität  das  zu  Zeiten 
gehäufte  Auftreten  der  Eklampsie,  mit  nur  kleinen  zeitlichen  Inter¬ 
vallen  zwischen  den  einzelnen  Fällen  sprechen,  wofür  Stroganoff 
aus  den  Statistiken  der  Petersburger  Gebäranstalten  Belege  bringt. 
—  (Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXIX,  Heft  5  und  6.) 

* 

166.  Krankhafte  Blutungen  und  Ausfluss  im 
Klimakterium.  Von  Landau  (Berlin).  Es  besteht  bei  den 
Frauen  ganz  allgemein  der  gefährliche  Aberglaube,  dass  alle  un¬ 
regelmässigen  Blutungen  zur  Zeit  des  Klimakteriums  auf  nichts 
Anderes,  als  eben  auf  die  »Wechseljahre«  zu  beziehen  seien,  ob¬ 
wohl  gerade  jene  Jahre  den  Zeitpunkt  bedeuten,  in  welchem  die 


verhängnissvollsten  Erkrankungen  an  den  Genitalien  der  Frau  auf- 
treten.  Wie  es  bei  aufgeklärteren  Leuten  der  Brauch  ist,  dass  sie 
den  Zahnarzt  nicht  nur  dann  aufsuchen,  wenn  der  Zahn  cariös  ist 
oder  schmerzt,  sondern  durch  eine  regelmässige  Revision  des  Ge¬ 
bisses  weiteren  Schäden  vorzubeugen  suchen,  so  sollten  auch 
Klimakterische  ihre  Genitalien  einer  regelmässigen  Untersuchung 
unterziehen  lassen.  Die  Blutungen  im  Klimakterium  können  bedingt 
sein:  a)  durch  Erkrankungen,  wie  sie  in  jedem  Alter  Vorkommen, 
oder  sie  sind  b)  Folge  von  Alterserkrankungen.  In  die  erste  Gruppe 
gehören  die  Blutungen  in  Folge  von  Herzfehler,  Nierenentzündung, 
Stauungen  im  Pfortadersystem,  Gonorrhoe,  Gummen  an  der  Portio, 
Ovarialtumoren,  Prolapse,  Myome,  Carcinome,  Fremdkörper  in  der 
Scheide  etc.  In  die  zweite  Gruppe  gehören  der  Ausfluss,  beziehungs¬ 
weise  die  Blutungen  in  Folge  der  senilen  Katarrhe:  der  Kolpitis, 
beziehungsweise  Endometritis  cervicis  senilis  in  Folge  Cervixpolypen, 
Atheromatose,  Phlebektasien,  und  nur  in  einem  verhältnissmässig 
kleinen  Theile  hat  man  es  mit  wirklich  essentiellen  Blutungen  der 
Klimax  zu  thun.  Wie  selten  letztere  sind  und  wie  die  unregel¬ 
mässigen  Blutungen  der  Wechseljahre  meist  auf  eine  besondere 
Erkrankung  weisen,  geht  unter  Anderem  aus  einer  Veröffentlichung 
von  Milton  Duff  hervor,  welcher  187  blutende,  in  dem  Alter 
von  45 — 50  Jahren  stehende  Frauen  genauer  untersucht  hatte.  Von 
diesen  hatten  101  Tumoren  (darunter  48  maligne),  53  Myome,  und 
nur  31  waren  darunter,  bei  denen  ein  pathologischer  Befund  nicht 
aufzudecken  war.  Für  die  Praxis  geht  aus  den  Ausführungen 
Landau’s  hervor,  dass  jede  Frau  mit  Blutungen  und  Ausfluss  im 
Klimakterium  mit  einer  viel  grösseren  Wahrscheinlichkeit,  mit  gut- 
oder  bösartigen  Tumoren  behaftet  ist,  als  dass  sie  gar  keinen  Befund 
aufweise.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  4.) 

* 

167.  Ueber  Glasbläsermund  und  seine  Gornpli- 
cationen.  Von  Dr.  Scheele  (Wiesbaden).  Es  handelt  sich  um 
eine  Berufskrankheit,  um  eine  Folge  angestrengter,  jahrelang  aus¬ 
geübter  Glasbläserei.  Die  Mundhöhle  ist  bedeutend  erweitert,  die 
Backen  blähen  sich  im  aufgeblasenen  Zustande  ballonartig  auf, 
die  Wangenmusculatur  ist  rareficirt  und  in  einzelnen  Fällen  kommt 
es  vor,  dass  Luft  in  den  Ductus  Stenonianus  eindringt  und  dieser 
für  sich  noch  bedeutend  ausgedehnt  wird.  —  (Berliner  klinische 

Wochenschrift.  1900,  Nr.  10  und  11.) 

* 

168.  Ueber  eine  seltene  Ursache  von  Pylorus¬ 
stenose  konnte  Dr.  Meissei  im  Vereine  der  Freiburger  Aerzte 
berichten.  Bei  der  43jährigen  Patientin  mit  Magenschmerzen  und 
den  Symptomen  einer  Magenerweiterung  war  auf  Grund  eines  auf 
Kinderfaustgrösse  geschätzten  palpirten  Tumors  die  Diagnose  eines 
Pyloruscarcinoms  gestellt  worden.  Bei  der  Eröffnung  der  Bauchhöhle 
fand  man  zunächst  nichts  von  einem  Tumor;  erst  bei  weiterer 
Palpation  entdeckte  man  einen  grösseren  Fremdkörper  im  Anfangs- 
theile  des  Duodenums,  der  sich  als  ein  daselbst  eingekeilter  Gallen¬ 
stein  erwies.  Interessant  ist  in  diesem  Falle,  dass  der  Stein  gegen 
den  Magen  zu  den  Weg  genommen  hatte.  —  (Münchener  medici- 

nische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  7.) 

* 

169.  (Aus  der  Hl.  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Senator 
in  Berlin.)  Experimentelles  über  den  Aderlass  bei 
Urämie.  Von  Dr.  Richter.  Dass  der  Aderlass  bei  Urämie, 
namentlich  in  Combinatiou  mit  darauffolgender  Kochsalzinfusion, 
oft  von  vorzüglichem  Erfolge  ist,  ist  bekannt,  doch  wissen  wir 
nicht,  auf  welche  Weise  die  therapeutische  Beeinflussung  der  ur¬ 
ämischen  Zustände  durch  den  Aderlass  zu  Stande  kommt.  Man  ist 
geneigt,  zu  glauben,  dass  die  durch  die  Niereninsufficienz  bedingte 
Concentration  des  Blutes  die  Urämie  erzeuge;  Richter  konnte 
nachweisen,  dass  die  Concentration  des  Blutes  durch  den  Aderlass 
nicht  geändert  werde,  dass  demnach  die  Wirkung  der  Venaesectio 
nicht  nach  dieser  Richtung  hin  erklärt  werden  könne.  —  (Berliner 

klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  7.) 

* 

170.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  von  Prof.  May  dl  in 
Prag.)  Ueber  ausgedehnte  Darmresectionen.  Von  Doctor 
K  u  k  u  I  a.  Unter  fünf  Fällen  von  Darmresection  waren  zweimal 
über  2  ?/*,  einmal  wegen  eines  retroperitonealen  tuberculösen 
Lymphoms  237  cm  Dünndarm  resecirt  worden.  Die  Patientin  hatte 
nach  diesem  Eingriffe  noch  2  '/2  Jahre  ohne  besondere  Beschwerden 


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gelebt.  Der  zurückgebliebene  Dünndarm  halte,  wie  später  die  Ob- 
duction  erwies,  nur  eine  Länge  von  110  cm  gehabt.  Für  den 
Dauererfolg  einer  grösseren  Dünndarmresection  wird  die  primäre 
Darmvereinigung  als  unumgänglich  nothwendig  angesehen.  — 
(Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LX,  Heft  4.) 

* 

171.  (Aus  dem  Marien-Hospital  in  Stuttgart.)  Angina  mit 
Endocarditis.  Von  Dr.  Roeger.  Es  wurden  120  Fälle  von 
Angina  hinsichtlich  des  Auftretens  von  Herzgeräuschen  untersucht. 
Nicht  eingerechnet  sind  hier  Fälle,  welche  mit  einem  Exanthem 
verbunden  oder  auf  Diphtherie  verdächtig  waren.  Unter  den  ge¬ 
nannten  Fällen  waren  24  mit  Herzgeräuschen  —  meist  systolischen 
an  der  Herzspitze  —  complicirt  und  unter  diesen  waren  sie  zehn¬ 
mal  sicher  erst  während  der  Erkrankung  aufgetreten  und  in  eben- 
sovielcn  Fällen  hatte  das  Geräusch  fortbestanden,  während  es  in 
14  wieder  verschwand.  Dieser  nicht  geringe  Procentsatz  (8%)  der 
Fälle,  bei  denen  im  Verlauf  einer  Angina  ein  fortdauerndes  Herz¬ 
geräusch,  also  ein  »Herzfehler«  acquirirt  wurde,  scheint  dafür  zu 
sprechen,  dass  man  es  hier  mit  einer  echten  Entzündung  des 
Endocards,  beziehungsweise  Klappenapparates  zu  thun  hatte.  In 
13  der  24  Fälle  waren  an  den  Mandeln  oder  Gaumenbogen  grau¬ 
gelbe  Bläschen  aufgetreten,  fünfmal  war  gleichzeitig  Herpes  labialis 
vorhanden  gewesen.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  8.) 

* 

172.  Dr.  Jolly  demonstrirte  in  der  Gesellschaft  der  Gharite- 
ärzte  in  Berlin  einen  12jährigen  Knaben,  der  in  sehr  hohem  Grade 
die  Angewöhnung  des  Fingerlutsche  ns  halte;  derselbe  war 
auch  der  Onanie  ergeben.  Das  Eigenthümliche  dieses  Falles  lag 
darin,  dass  der  Knabe  durch  das  Kauen  seiner  Finger  Erectionen 
hervorrufen  konnte.  - —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 

1900,  Nr.  5.) 

* 

173.  Präventivimpfungen  gegen  die  Bubonen¬ 
pest.  Von  den  Prof.  Lustig  und  Galeotti  (Florenz).  Die  Ver¬ 
fasser  haben  aus  Pestbacillen  ein  Extract  hergestellt,  das  sie  seiner 
Zusammensetzung  nach  unter  die  Nucleo-Proteide  einreihen.  Den 
damit  angestelllen  Versuchen  zufolge  soll  es  Ratten,  Meerschwein¬ 
chen,  Affen  gegen  eine  Pestinfection  schützen  und  die  Injection 
desselben,  wie  vorläufig  festgestellt  wurde,  Menschen  ungefährlich 
sein.  —  (Brit.  med.  Journ.  10.  Februar  1900.) 

* 

174.  Ueber  vorzeitige  Unterbrechung  der 
Schwangerschaft  bei  abgestorbener  Frucht  durch 
Natrium  s  a  1  i  c  y  1  i  c  u  m.  Von  Dr.  H  u  r  w  i  t  z  (Memel).  Verfasser 
hatte  zufällig  einer  schwangeren  Frau  salicylsaures  Natron  verab¬ 
reicht.  Im  zeitlichen  Anschlüsse  daran  war  eine  Frühgeburt  einge¬ 
treten.  Daraufhin  wurde  einer  Frau,  deren  abgestorbener  Fötus  nicht 
abging,  absichtlich  neben  Scheidenspülungen  Natr.  salicyl.  verordnet, 
worauf  am  nächsten  Tage  die  Geburt  der  macerirten  Frucht  erfolgte. 
Bei  dem  Umstande,  als  angegeben  wird,  dass  Salicyl  Schwangeren 
unbedenklich  gegeben  werden  könnte,  ist  es  nicht  ohne  Bedeutung, 
testzustellen,  ob  dem  Präparate  eine  Bedeutung  im  gedachten 
Sinne  zukommt.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  2.) 

* 

175.  Einen  sehr  interessanten  Beitrag  zur  Nephritis 
bei  Kindern  lieferte  Dr.  Cassel  in  der  Berliner  inedicinischen 
Gesellschaft.  Cassel  hatte  in  den  letzten  Jahren  bei  neun  Kindern 
im  Alter  von  sechs  Wochen  bis  zwei  Jahren  folgende  Symptome 
beobachtet:  Ohne  Scharlach  oder  eine  chronische  Infectionskrankheit 
und  bei  inlactem  Herzen  war  Oedem  aufgetreten,  welches  bei  drei 
Kindern  mit  Ascites  verbunden  war.  Im  täglich  mehrmals  unter¬ 
suchten  Urin  waren  nie  Eiweiss  oder  Form  eie  mente 
nachzuweisen  gewesen.  Drei  dieser  Kinder  sind  gestorben.  Zwei 
bei  solchen  Kindern  ausgeführte  Obductionen  ergaben  das  deutliche 
Bild  einer  Nephritis.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  7.) 

* 

176.  Zur  V  erb  r  e  i  t  u  n  g  der  Tuberkel  pilze.  Von 
Dr.  Moeller.  Von  den  diesbezüglichen  Untersuchungen  des  Autors 
ist  unter  Anderem  hervorzuheben,  dass  die  Bacillen  bis  auf  lw 


Entfernung  ausgehustet  werden  können,  dass  es  ihm  jedoch  nie 
gelang,  in  der  Luft  von  Räumen,  die  mit  Tuberculösen  belegt 
waren,  Bacillen  nachzuweisen:  ebenso  war  auch  der  Staub  zumeist 
frei  von  Tuberkelbacillen,  wenn  derselbe  nicht  direct  mit  dem  Sputum 
vermengt  gewesen  war.  Für  die  Uebertragung  der  Bacillen  sollen 
besonders  die  Fliegen  anzuschuldigen  sein,  welche  mit  dem 
Sputum  in  Berührung  kommen.  —  (Zeitschrift  für  Hygiene  und 

Infectionskrankheiten.  Bd.  XXXII,  Heft  2.) 

* 

177.  (Aus  der  Abtheilung  des  Prof,  Dinkier  am  Louisen- 
Spitale  zu  Aachen.)  Ein  Fall  yon  Selbstbeschädigung 
auf  hysterischer  Grundlage.  Von  Dr.  Eversmann. 
Es  handelt  sich  um  einen  nicht  gar  so  seltenen  Fall  von  Selbst¬ 
beschädigung,  welche,  sowie  die  Vortäuschung  eines  Krankheits- 
symptomes,  manchmal  das  einzige  Zeichen  einer  ausgesprochenen 
Hysterie  sein  kann.  Bei  der  Patientin  waren  öfters  linsen-  bis 
taubeneigrosse  Blasen,  und  zwar  während  des  Spitalsaufenlhalles, 
immer  über  Nacht  aufgetreten.  Das  Allgemeinbefinden  war  dabei 
in  keiner  Weise  gestört.  Fortgesetzte  Beobachtungen  ergaben,  dass 
die  Patientin  diese  Blasen  sich  selbst  durch  Auflegen  eines  Kan¬ 
tharidenpflasters  beigebracht  hatte.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  9.) 

* 

178.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  in  Freiburg  i.  Br.) 
Studien  über  die  Functionen  des  menschlichen 
Mundspeichels.  Von  Dr.  Schüle.  Die  diastatische  Kraft  des 
Speichels  nimmt  gegen  Mittag  zu,  erreicht  in  der  Zeit  von  11  bis 
3  Uhr  ihre  grösste  Stärke  und  nimmt  von  da  an  wieder  ab.  Die 
gut  mit  Speiche]  durchmischte  Nahrung  regt  den  Magen  zur  reich¬ 
licheren  Salzsäure-  und  Pepsinabscheidung  an.  —  (Archiv  für  Ver¬ 
dauungskrankheiten.  Bd.  V.) 

* 

179.  Klinische  Beiträge  zur  Tuberculose.  Von 
Dr.  Henkel  (Hamburg).  Der  Verfasser  glaubt,  für  jene  Fälle,  in 
denen  die  klinische  Beurtheilung  einer  Lungenerkrankung  unklar 
bleibt  und  ein  Auswurf  fehlt,  die  Aspiration  von  Lungengewebssaft 
am  Orte  der  ausgesprochensten  physikalischen  Erscheinungen  mittelst 
einer  P  r  a  v  a  z-Spritze  zum  Zwecke  des  Bacillennachweises  em¬ 
pfehlen  zu  können.  Henkel  hat  bei  der  Punction  der 
Lunge  angeblich  nie  üblere  Zufälle  bemerken  können.  — 
(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  13.) 

* 

1 80.  Beitrag  zur  operativen  Freilegung  des 
Herzens  nach  Rotter  wegen  Schussverletzung. 
Von  Dr.  Stern  (Düsseldorf).  Rotter  hat  in  Nr.  3  der  »Mün¬ 
chener  medicinischen  Wochenschrift«  zur  Ausführung  der  Herznaht 
eine  Methode  der  Freilegung  des  Herzens  auf  Grund  von  Leichen¬ 
versuchen  empfohlen,  welche  von  Stern  bei  einem  Manne  wirk¬ 
lich  ausgeführt  wurde,  der  eine  Stunde  früher  sich  selbst  eine 
Schussverletzung  des  Herzens  beigebracht  hatte.  Stern  rühmt  die 
dadurch  erhaltene  sehr  gute  Uebersicht  des  Herzens,  welche  das 
Gelingen  einer  Naht  an  der  v  o  r  d  er  e  n  Herzwand  wohl  ermögliche. 
Die  Operation  war  in  diesem  Falle  vergeblich  unternommen  worden, 
da  das  Projectil  beide  Vorhöfe  durchschlagen  hatte.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  13.) 

* 

181.  Ueber  einen  Fall  von  doppelseitiger  Fa- 
cialislähmung.  Von  Prof.  Jolly  (Berlin).  Es  handelt  sich 
um  eine  traumatische  Entstehung  der  Lähmung  bei  einem  44jährigen 
Patienten,  der  von  einem  Schwungrade  fortgeschleudert,  mit  dem 
Gesichte  auf  einen  Kohlenhaufen  gefallen  war;  daraufhin  war  keine 
Bewusstlosigkeit,  nur  Benommenheit,  Kopfschmerz,  Nasenbluten 
und  Nackensteifigkeit  aufgetreten.  Die  Folge  war  eine  beider¬ 
seitige  Lähmung  des  Facialis;  die  Gaumenäste  waren  jedoch 
intact  geblieben,  die  Geschmacksfasern,  welche  die  vorderen  zwei 
Drittheile  der  Zunge  versorgen,  aber  mitbetroffen;  gleichzeitig 
Anästhesie  im  Gebiete  des  ersten  und  zweiten  Trigeminusastes. 
Jolly  schliesst  anf  eine  Läsion  des  Facialis  zwischen  Ganglion 
geniculi  und  Abgang  der  Chorda  tympani  in  Folge  einer  Querfissur 
der  Felsenbeine.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  11.) 

* 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


559 


182.  Eine  noch  nicht  beschriebene  Form  von 
Pestpneumonie.  Von  Dr.  Hossack.  Im  Gegensätze  zu  der 
schon  vom  Beginne  an  unter  dem  Bilde  einer  schweren  Krankheit 
verlaufenden  Pestpneumonie  gibt  es  nach  Autor  noch  andere  Fälle, 
in  welchen  die  Lungen  den  Hauptsitz  der  Erkrankung  darstellen, 
dabei  aber  nur  die  Symptome  einer  Bronchitis  oder  Broncho¬ 
pneumonie  auftreten.  Es  folgen  fünf  entsprechende  Krankenge¬ 
schichten.  —  (British  med.  Journ.  1900,  10.  Februar.) 

* 

183.  Prof.  Killian  (Freiburg  i.  Br.)  theilt  einen  Fall  mit, 
in  dem  ein  vier  Jahre  lang  tief  im  rechten  Haupt¬ 
bronchus  steckendes,  15  mm  langes  und  11mm  breites 
Knochenstück  bronchoskopisch  entdeckt  und  auf  natürlichem 
Wege  entfernt  worden  war.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  10.) 

* 

184.  Aus  einem  Berichte  der  indischen  Pestcommission  über 
die  Haffkine’schen  Schutzimpfungen  gegen  diePest 
(Brit.  med.  Journ.  24.  Februar)  erfahren  wir  die  Darstellung  des 
Pestserums,  weiters,  dass  die  Sterilität  desselben  zu  bemängeln  und 
dass  die  Höhe  des  Immunisirungswerthes  ungenau  angegeben  sei. 
Schädliche  Nebenwirkungen  wurden  bis  jetzt  von  den  Impfungen 
angeblich  nicht  beobachtet.  Hinsichtlich  der  Resultate  konnte  fest¬ 
gestellt  werden,  dass  von  den  Geimpften  weniger  erkranken,  als 
von  den  Nichtgeimpften,  dass  aber  ein  sicherer  Schutz  gegen  eine 
Pestinfection  selbst  durch  wiederholte  Immunisirung  nicht  erzielt 
werde.  Die  Immunisirung  wird  erst  nach  einigen  Tagen  erreicht  und 
hält  im  Allgemeinen  einige  Wochen,  vielleicht  auch  Monate  an. 
Hinsichtlich  der  Mortalität  konnte  festgestellt  werden,  dass  von  den 
mit  Serum  Vorbehandelten  um  zehnmal  weniger  starben,  als  von 
Nichtgeimpften. 

* 

185.  Zur  operativen  Spaltung  der  Niere.  Von 
Dr.  Braatz  (Königsberg).  Bei  der  30jährigen  Patientin  war  wegen 
heftiger  Kolikanfälle  die  Fixation  der  beweglichen  rechten  Niere 
vorgenommen  worden.  Als  bald  darauf  die  Schmerzen  wieder  auf- 
traten,  wurde  die  Niere  abermals  freigelegt,  gespalten,  aber  nichts 
Krankhaftes  in  ihr  gefunden.  Die  Schmerzen  blieben  nun  durch 
drei  Jahre  fort,  traten  dann  wieder  auf  und  machten  die  Exstir¬ 
pation  des  Organes  nothwendig.  Die  Untersuchung  der  Niere  recht¬ 
fertigt  folgenden  Gedankengang:  An  ihrem  unteren  Pole  hatte  ein 
tuberculöser  Herd  bestanden,  der  zwar  nicht  in  den  Bereich,  aber 
in  die  nächste  Nähe  des  Sectionsschniltes  gefallen  und  ausgeheilt 
worden  war.  Die  Schmerzen  blieben  darauf  durch  drei  Jahre  weg; 
dann  hatten  sich  aber  andere  tuberculöse  Abscesse  gebildet,  welche 
aufs  Neue  die  Schmerzanfälle  verursachten.  Verfasser  hält  die 
Nierenspaltung  für  einen  schwer  schädigenden  Eingriff,  da  durch 
die  Operation  viele  der  eigenthümlich  angeordneten  Gefässe  durch¬ 
trennt  werden,  was  eine,  vorzugsweise  ventrale  Atrophie  der  Niere 
leicht  zur  Folge  haben  kann.  —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  10.) 

* 

186.  Dr.  Burwinkel  (Bad  Nauheim)  berichtet  über  einen 
Fall  äusserer  Hämorrhoidalknoten  bei  einem  einen 
Monat  alten  Kinde,  die  augenscheinlich  durch  Kotheindickung 
und  Kothstauung  im  Rectum  entstanden  waren.  Durch  Regelung 
des  Stuhles  wurden  die  Knoten  bald  zum  Verschwinden  gebracht. 

—  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  12.) 

* 

187.  Eine  schwere  Gefahr  ungeeigneterTrip  per¬ 
spritzen.  (Autor  nicht  genannt.)  Da  die  Spritzenmündung  nicht 
genau  auf  die  Harnröhre  passte,  pflegte  der  Patient  das  stark 
phimotische  Präputium  an  die  Spritze  heranzuziehen  und  auch  den 
Präputialsack  mit  der  Injectionsflüssigkeil  anzufüllen,  wodurch  es 
zur  Verschleppung  von  Smegma  und  pathogenen  Keimen  in  die 
Harnröhre  kam.  Die  Folge  war  eine  Epididymitis,  Cystitis,  Prostatitis 
mit  folgender  Urethrorectalfistel,  ein  peritonealer  Abscess  mit  all 
den  subjectiven  Erscheinungen,  welche  die  genannten  Zustände 
begleiten.  Die  gonorrhoische  Affection  hatte  in  diesem  Falle  eine 
mehr  als  neun  Monate  dauernde  Erkrankung  zur  Folge  gehabt. 

—  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  12.) 

* 


188.  Ein  Fall  von  acuter  C  o  c  a  i  n  v  e  r  g  i  f  tu  ng. 
Von  Dr.  Bergman  n  (Wolfhagen).  Bei  einer  rechtsseitigen  Ischias 
waren  0  05  g  Cocain  in  die  Glutäalmuskeln  in  die  Umgebung  des 
Nerven  injicirt  worden,  worauf  der  Schmerz  sofort  beseitigt  war. 
Da  am  folgenden  Tage  im  Unterschenkel  noch  Schmerzen  verspürt 
wurden,  erfolgte  hier  eine  abermalige  Injection  von  0'03  cm3  Cocain; 
auf  das  hin  sofort  Ohnmacht,  beschleunigter  Puls,  vermehrte  Re¬ 
spiration  und  Krämpfe  in  sämmtlichen  Extremitäten  mit  Ausnahme 
der  rechten  unteren.  Nach  einer  halben  Stunde  waren  die  Er¬ 
scheinungen  geschwunden;  die  Ischias  blieb  bis  jetzt  beseitigt. 
Vielleicht  kann  in  dem  Falle  von  einer  cumulativen  Wirkung  die 
Rede  sein,  möglicher  Weise  war  beim  zweiten  Male  auch  in  eine 
Vene  injicirt  worden.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  12.) 

* 

189.  Ein  neues  Fadenbacterium,  eine  pseud  o- 
akti  nomykotische  Erkrankung  erzeugend.  Von 
Dr.  Cozzolino  (Neapel).  Aus  einem  Aktinomycesgeschwür  wurde 
vom  Autor  eine  Bacterienform  gezüchtet,  welche  mit  Eigenbewe¬ 
gung  ausgestattet  ist,  keinerlei  Verzweigungen  besitzt  und  am 
ehesten  in  die  Milzbrandgruppe  unterzuordnen  ist.  Er  zeigte  sich 
für  Meerschweinchen  und  Hausmäuse,  nicht  aber  für  weisse  Mäuse 
und  Kaninchen  pathogen.  —  (Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infections- 
krankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  1.) 

* 

190.  Beobachtungen  über  den  Brustkrebs.  Von 
W.  Banks  (Liverpool).  Eine  auf  33jähriger  chirurgischer  Thätigkeit 
gesammelte  Erfahrung  hat  Banks  die  Ueberzeugung  gebracht,  dass 
zweifellos  die  Zahl  der  Krebserkrankungen  im  Anwachsen  begriffen 
ist,  dass  an  dieser  Zunahme  die  Männer  mehr  als  die  Frauen  be¬ 
theiligt  sind,  dass  dieselbe  nicht  blos  auf  einer  besseren  Erkennt- 
niss  der  Krankheit,  einer  grösseren  Genauigkeit  in  der  Diagnosen¬ 
stellung,  in  der  grösseren  Zahl  von  Nekropsien  seine  Erklärung 
finde,  sondern,  dass  sie  eine  wirkliche,  nicht  nur  scheinbare  sei. 
Die  wirkliche  Ursache  der  Zunahme  der  Krebserkrankungen  beruht 
nach  Banks  darauf,  dass  viele  Menschen  jetzt  besser,  reichlicher 
und  namentlich  mehr  thierische  Nahrung  zu  essen  gewohnt  sind, 
als  früher;  nach  seinen  Erfahrungen  fordert  der  Krebs  unter  jenen 
Personen,  welche  sich  reichlicher  nähren,  mehr  Opfer,  als  unter 
der  anderen  Bevölkerungsclasse,  welche  sich  nicht  derartig  zu  nähren 
im  Stande  sei;  für  das  gehäuftere  Auftreten  von  Krebs  in  einzelnen 
Gegenden  sind  nicht  deren  geographische  Eigenschaften,  als  vielmehr 
die  daselbst  herrschenden  Ernährungsverhältnisse  massgebend.  Nicht 
die  Trunksucht,  Syphilis,  die  veränderten  hygienischen  Verhältnisse, 
nicht  die  Anforderungen,  welche  das  jetzige  Zeitalter  an  unser 
Nervensystem  gestellt,  sind  für  das  Anwachsen  der  Krebssterblich¬ 
keit  verantwortlich  zu  machen,  sondern  die  Ernährungsverhältnisse, 
welche  sich  bei  den  Völkern  wesentlich  geändert  haben.  Als 
äussere  Veranlassungsursache  kommt  sicher  dem  Trauma,  nament¬ 
lich  für  die  Entstehung  des  Brustkrebses,  eine  besondere  Bedeu¬ 
tung  zu.  —  (Brit.  med.  Journ.  10.  März  1900.) 

* 

191.  (Aus  dem  physiologischen  Institute  der  deutschen  Uni¬ 
versität  in  Prag.)  U  e  b  e  r  Todtenstarre  am  Herzen.  Von 
Dr.  R.  Fuchs.  Die  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  ein  voll¬ 
kommen  normales  Herz  unmittelbar  nach  dem  Tode  in  Folge  des 
fehlenden  Muskeltonus  so  erschlafft,  ist,  dass  die  Atrioventricular- 
klappen  insufficient  sind.  Das  ändert  sich  sobald  am  Herzen  die 
Todtenstarre  auftritt,  was  durchschnittlich  nach  drei  bis  fünf 
Stunden  der  Fall  ist;  in  diesem  Falle  ist  der  Klappenapparat 
wieder  völlig  schlussfähig  geworden.  Das  Herz  ist  nach  Fuchs 
der  erste  Muskel,  welcher  —  und  zwar  noch  vor  der  Skelet- 
musculatur  —  der  Todtenstarre  anheimfällt.  —  (Zeitschrift  für 
Heilkunde.  Bd.  XXI,  Heft  1.) 

* 

192.  Ueber  die  Bedeutung  desLymphganglion- 
systemes  für  die  moderne  Lehre  von  der  Infection 
und  Im  m  u  n  i  t  ä  t.  Von  Dr.  Manfred  i.  Unter  85  untersuchten 
Fällen  konnten  bei  normalen  Thieren  75mal  die  Lymphdrüsen  als 
bacterienhaltig  festgestellt  werden,  was  der  Anschauung  entspricht, 
dass  die  Lymphknoten  als  Filter  für  die  Bacterien  gelten.  Die 


560 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  24 


Bacterien  können  in  denselben  eine  Zeit  lang  lebensfähig  bleiben, 
doch  wird  deren  Virulenz  in  den  Lymphdrüsen  herabgesetzt  oder 
ganz  vernichtet.  —  (Virchow’s  Archiv.  Bd.  CLV,  Heft  2.) 

* 

1 93.  Myxödem  und  Hypophysis.  Von  E.  P  o  n  f  i  c  k 
(Breslau).  In  einem  zur  Obduction  gelangten  Falle  von  Myxödem 
wurde  als  auffälligster  Befund  gänzlicher  Schwund  des  drüsigen 
Theiles  der  auch  sonst  atrophischen  Hypophysis  festgestellt.  — 
(Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXVIII,  Heft  1.) 

* 

194.  Die  Erblichkeit  der  chronischen  Nephri¬ 
tis.  Von  Dr.  Pel  (Amsterdam).  Innerhalb  drei  Generationen  waren 
18  Fälle  von  Nephritis  vorgekommen,  eine  Beobachtung,  die  an  die 
Möglichkeit  einer  hereditären  Veranlagung  auch  bei  dieser  Krank¬ 
heit  denken  lässt.  —  (Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXVIII.) 

Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Unter  grosser  Feierlichkeit  und  Theilnakme  hoher  Vertreter  der 
Staats-  und  Landesregierung  sowie  Delegirter  mehrerer  auswärtiger  Uni¬ 
versitäten  wurde  in  diesen  Tagen  in  Krakau  das  500jährige 
Jubiläum  der  dortigen  Universität  begangen. 

* 

Ernannt:  Der  a.  o.  Professor  der  Augenheilkunde,  Doctor 
Julius  Hirschberg  in  Berlin  zum  ordentlichen  Honorar* 
profe  ssor. 

* 

Verliehen:  Dem  Privatdocenten  für  Krankheiten  der  Neu¬ 
geborenen  und  Säuglinge  an  der  böhmischen  Universität  in  Prag, 
Dr.  Franz  Scherer,  der  Titel  eines  ausserordentlichen  Universitäts¬ 
professors.  —  Dem  fürstlich  Schwarzenberg’schen  Herrschaftsarzte 
Wenzel  Heyberger  in  Protivin  das  goldene  Verdienstkreuz 
mit  der  Krone. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Adolf  Oswald  für  medicinische  Chemie 
in  Z  ü  r  i  c  h. 

* 

Gestorben:  Dr.  Theodor  M  a  t  z  a  1,  k.  k.  Oberstabsarzt 
d.  R.  in  Wien.  —  Dr.  Franz  R.  Reder  v.  Schellmann,  der 
Sohn  des  allverehrten  Päsidenteu  des  Wiener  medicinischen  Doctoren- 
Collegiums.  —  Dr.  Karl  Lange,  Professor  der  pathologischen  Ana¬ 
tomie  in  Kopenhagen.  —  Geheimer  Medicinalrath  Dr.  Karl 
Eigenbrodt  in  Darmstadt. 

* 

Internationale  Malariaconferenz  in  Liverpool. 
25. — 28.  Juli.  Auf  Anregung  seitens  der  School  of  tropical  medicine 
(University  College)  in  Liverpool  wird  vom  25. — 28.  Juli  d.  J.  eine 
internationale  Conferenz  über  die  Malaria  in  Liverpool  tagen.  Die  Prä¬ 
sidentschaft  des  Congresses  hat  Lord  Lister  übernommen.  Gegen¬ 
stand  der  Conferenz  werden  sämmtliche,  die  Malaria  betreffenden 
Fragen  bilden,  Demonstrationen  von  Präparaten,  Färbemethoden  und 
Untersuchungsbehelfen  sind  in  reicher  Auswahl  zu  gewärtigen.  Ganz 
besonders  sollen  jedoch  auf  Grund  unserer  bisherigen  Kenntnisse  über 
die  Malariainfection  die  Grundzüge  einer  rationellen  allgemeinen  und 
persönlichen  Prophylaxe  festgestellt  werden,  um  dann  dieselben 
den  massgebenden  Factoren  zur  Verfügung  zu  stellen.  Das  vielseitige 
Vorkommen  der  Malariakrankheiten  in  der  österreichisch-ungarischen 
Monarchie  lässt  die  Leitung  der  Conferenz  hoffen,  dass  auch  die  Aerzte 
unserer  Monarchie  dem  eminent  praktischen  und  zielbewussten  Unter¬ 
nehmen  Interesse  und  Förderung  widmen  werden.  Theilnehmer  an  der 
Conferenz  kann  jeder  Arzt  werden;  die  Theilnehmerschaft  ist  unent¬ 
geltlich.  Das  Comite  in  Liverpool  wird  die  fremden  Theilnehmer,  so¬ 
weit  als  möglich,  in  Privatwohnungen  unterbringen.  Anmeldungen 
bittet  der  Unterzeichnete  ehestens  an  seine  Adresse  gelangen  zu  lassen. 
Dr.  Mannaberg,  Vicepräsident  der  Conferenz  und  Secretär  für 
Oesterreich-Ungarn,  Wien,  I  1,  Opernring  15. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  21.  Jahreswoche  (vom  20.  Mai 
bis  26.  Mai  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  658,  unehelich  359,  zusammen 
1017.  Todt  geboren:  ehelich  30,  unehelich  23,  zusammen  53.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  7  8  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
22-5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  174,  Blattern  0,  Masern  18, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  7,  Typhus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicu8  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  5,  Neu¬ 
bildungen  40.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 


48  ( —  3),  Masern  350  (-)-  90),  Scharlach  56  (-J-  14),  Typhus  abdominalis 
4  ( —  4),  Typbus  exauthemaricus  0  (=),  Erysipel  34  (-{-  9),  Croup  und 
Diphtherie  49  (-(-25),  Pertussis  57  (-J-  28),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-j-  3),  Trachom  2  (=),  Influenza  2  ( —  1). 

Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Weiss  und  Schweiger,  Therapeutische  Indicationen  für  interne  Krankheiten. 

2.  Auflage.  Seitz  &  Schauer,  München.  320  S. 

Fuchs,  Die  Prophylaxe  in  der  Psychiatrie.  Ibidem.  52  S. 

Kisch,  Die  Prophylaxe  der  Sterilität.  Ibidem.  24  S. 

Andrae,  Ueber  die  Medicin  Thomas  Sydenham’s.  Inaugural-Disser¬ 
tation.  Fock,  Leipzig.  Preis  M.  1.50. 

Pfeiffer,  XVI.  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  und  Leistungen  auf 
dem  Gebiete  der  Hygiene.  Vieweg,  Braunschweig.  Preis  M.  9. — . 
Gerber,  Goethes  Beziehungen  zur  Medicin.  Karger,  Berlin.  87  S. 

Gerber,  Entstehung  und  Verhütung  der  Ohreiterungen.  Ibidem.  48  S. 
Gerber.  Massregeln  zur  Verhütung  der  Ohreiterungen.  Ibidem. 

Cornet,  Die  acute  allgemeine  Miliartuberculo.se.  (Specielle  Pathologie  und 
Therapie,  herausgegeben  von  Hofrath  Nothnagel.)  Holder,  Wien. 
Preis  M.  P50. 

Cornet,  Die  Scrophulose.  Ibidem.  Preis  M.  5.40. 

Jürgenseil  V.,  Erkrankungen  der  Kreislaufsorgane.  Endocarditis.  Ibidem. 
Preis  M.  6. — . 

Chrobak  und  Rostliorn,  Die  Erkrankungen  der  weiblichen  Geschlechts¬ 
organe.  I.  Theil,  2.  Hälfte.  Ibidem.  Preis  M.  9.60. 

Koeppe,  Die  physikalische  Chemie  in  der  Medicin.  Holder,  Wien.  Preis 
M.  3,60. 

Hughes,  Die  Mimik  des  Menschen.  Alt,  Frankfurt  a.  M.  423  S. 

LeilhartZ,  Mikroskopie  und  Chemie  am  Krankenbett.  3.  Auflage.  Springer, 
Berlin.  360  S. 

Röse,  Anleitung  zur  Zahn-  und  Mundpflege.  3.  Auflage.  Fischer,  Jena. 
61  S. 

Braun  uud  Mager,  Ueber  die  Wirkung  der  Digitaliskörper  auf  das 
isolirte  Säugethierhei  z.  (Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.) 
Gerold.  Wien  1899. 

Brailll  und  Mager,  Ueber  die  Wirkung  der  Galle  und  der  gallensaueren 
Salze  auf  das  isolirte  Säugethierherz.  Ibidem. 

Sachs,  Die  Kohlenoxydvergiftung.  Vieweg,  Braunschweig.  Preis  M.  4.  — . 
Bock,  Ueber  Trachom.  Öafar,  Wien,  Preis  K  1.80. 

Fehling.  Lehrbuch  der  Frauenkrankheiten.  Enke,  Stuttgart.  2.  Auflage. 
Preis  M.  11. — . 

Seegen.  Die  Zuckerbildung  im  Thierkörper.  2.  Auflage.  Hirschwald,  Berlin. 

282  S. 

Matthes,  Lehrbuch  der  klinischen  Hydrotherapie.  Fischer,  Jena.  Preis 
M.  8.—. 

Israel,  Elemente  der  pathologisch-anatomischen  Diagnose.  2.  Auflage.  Hirsch¬ 
wald,  Berlin.  132  S. 

Salkowski,  Practieum  der  physiologischen  und  pathologischen  Chemie. 
2.  Auflage.  Ibidem.  304  S. 

Uglietti,  Zwischen  Aerzten  und  Clienten.  Deutsch  von  G.  G  a  1 1  i.  2.  Auf¬ 
lage.  Braumüller,  Wien,  Preis  M.  3. — . 

Glaessner,  Die  Leitungsbahnen  des  Gehirns  und  Rückenmarkes.  Bergmann, 
Wiesbaden.  Preis  M.  3. — . 

Benda,  Nervenhygiene  und  Schule.  Coblentz,  Berlin.  Preis  M.  1. — . 
Rieger,  Die  Castration  in  rechtlicher,  socialer  und  vitaler  Hinsicht.  Fischer, 
Jena.  Preis  M.  3. — . 


Freie  Stellen. 

Gemeindearztesstelle  in  Zakopane  (Bezirk  Nowytarg), 
Galizien.  Bewerber  haben  den  Anforderungen  des  §  7  des  Laudesgesetzes 
vom  2.  Februar  1891,  Nr.  17,  zu  entsprechen.  Der  Gemeiudea>  zt  hat  sowohl 
die  Leichenbeschau,  als  auch  die  Vieh-  und  Fleischbeschau  zu  besorgen. 
Gehalt  1000  K  jährlich.  Gesuche  sind  bis  zum  30.  J  u  n  i  1.  J.  an  den  Ge¬ 
meindevorstand  in  Zakopane  einzusenden. 

Districtsarztesstelle  in  Ryglice,  Galizien.  Jährlicher  Gehalt 
1000  K  und  500  K  Reisepauschale.  Gesuche  sind  bis  zum  20.  Juni  1.  J. 
beim  Bezirksausschüsse  in  Tarnow  einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  in  Schiltern,  politischer  Bezirk  Znaim, 
Mähren.  Gehalt  600  K  jährlich  und  freie  Wohnung.  Bewerber  haben  ihre 
Gesuche  mit  den  Belegen  über  das  Alter,  die  österreichische  Staats¬ 
bürgerschaft,  wissenschaftliche  Befähigung,  sittliche  Unbescholtenheit,  bis¬ 
herige  Verwendung,  sowie  über  die  durch  ein  staatsärztliches  Zeugniss 
erwiesene  körperliche  Eignung  bis  Ende  Juli  1900  an  das  Gemeindeamt 
in  Schiltern,  politischer  Bezirk  Znaim,  einzusenden. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanitätsgemeindegruppe  Kirch- 
berg  an  der  Pielach-Loich,  politischer  Bezirk  St.  Pölten,  mit  dem  Sitze  in 
Kirchberg,  Niederösterreich.  Flächenausmass  der  Gruppe  88  hn“1. 
Einwohnerzahl  2600.  Fixe  Bezüge  420  K  von  den  Gemeinden,  700  K 
Landessubvention,  400  K  vom  Bezirksarmenrathe,  circa  1400  K  von  den 
Krankencassen.  Verpflichtung  zur  Führung  einer  Hausapotheke.  Bewerber 
um  diese  am  1.  August,  eventuell  sofort  anzutretende  Stelle  haben  ihre 
ordnungsmässig  instruirten  Gesuche  bei  dem  Obmanne  der  Gruppe,  dem 
Gemeindevorsteher  in  Kirchberg  a.  d.  Pielach,  bis  15.  Juni  19Ö0  einzu¬ 
bringen.  Persönliche  Vorstellung  erwünscht. 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


561 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


IXSTIÖ 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  8.  Juni  1900. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
22.  Mai  1900. 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden.  Vom  18.  -21.  April  1900. 
(Schluss.) 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  8.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Habart. 

Schriftführer :  Föderl. 

Prof.  Weinlechner  bringt  einen  Fall  von  Strangulatio 
penis  in  Erinnerung,  die  ein  Jüngling  mit  einer  stählernen 
Schraubenmutter  in  der  Länge  von  gut  2  V2  cm  und  einer  Lich¬ 
tung  von  2  cm  und  Dicke  von  7  mm  ausgeführt  hatte.  Vor  einigen 
Jahren  wurde  der  Fall  besprochen.  In  dem  Falle  konnte  Wein¬ 
lechner  den  Cylinder  nach  Unterschiebung  von  gut  befetteteu 
Leinwandstreifen  zwischen  Penis  und  Schraubengängen  ziemlich  leicht 
entfernen.  Anders  gestaltete  es  sich  bei  einem  ähnlichen  nun  an  seiner 
Abtheilung  befindlichen  15  Jahre  alten  Lehrjungen,  welcher  sich  acht 
Tage  vor  der  am  5.  Mai  d.  J.  erfolgten  Aufnahme  in  onanistischer 
Absicht  eine  stählerne  Schraubenmutter  in  der  Länge  von  3  cm,  3  mm 
Dicke  und  2  cm  Lichtung  bis  gegen  die  Wurzel  des  Penis  hinauf¬ 
geschoben  hatte.  Die  aufgetretenen  Schmerzen  veranlassten  ihn,  sein 
Leiden  bekannt  zu  geben,  worauf  Feilversuche  vergeblich  angestellt 
wurden.  Man  fand  den  peripher  gelegenen  Penistheil  stark  ödematös 
und  eyanotisch,  so  dass  die  Länge  desselben  8  cm,  der  Umfang  14  cm 
betrug.  Von  der  Länge  entfielen  5  cm  auf  das  Präputium,  in  welcher 
Tiefe  erst  die  Sonde  auf  die  Eichel  stiess.  Das  periphere  Ende  des 
Cylinders  hat  sich  unter  die  Haut  eiugegraben,  daher  sich,  abgesehen  von 
den  Schraubengängen,  das  Herunterziehen,  respective  Drehen  des  Cy¬ 
linders  über  vier  mit  Vaselin  bestrichene  fingerbreite  Leinwand¬ 
streifen  trotz  der  seitlichen  Incisionen  in  das  Präputium  und  des 
Ausdrückens  des  blutigen  Serums  recht  schwierig  erwies.  Da  die  Lein¬ 
wandstreifen  nicht  genug  widerstandskräftig  waren,  wurden  auch  zwei  Eleva¬ 
toren  zwischengeschoben.  Nach  der  Entfernung  des  Cylinders  sah  die 
Haut  an  der  Stelle,  wo  der  Cylinder  sass,  excoriirt  und  stellenweise 
eingerissen  aus.  Dieser  Hautantheil  ist  späterhin  fast  in  seiner  Gänze 
gangränös  geworden,  ist  jedoch  jetzt  nahezu  geheilt.  Vor  einigen 
Tagen  wurde  das  diftorme  Präputium  durch  Excision  von  Keilen  und 
Naht  besser  gestaltet.  An  der  Abtheilung  haben  sich  die  Aerzte  durch 
fast  zwei  Stunden  bemüht,  den  Cylinder  mit  der  G  i  g  1  i’schen  Säge 
durchzusägen,  was  ihnen  schliesslich  auf  eiuer  Seite  gelang,  für  die 
zweite  Seite  war  der  Vorrath  an  Drahtsägen  aufgebraucht  und  nächt¬ 
licherweile  kein  Ersatz  zu  schaffen. 

Sodann  stellt  Prof.  W  ein  lechner  einen  16  Jahre  alten  Bauern¬ 
burschen  aus  Eisenburg  in  Ungarn  vor,  welcher  bis  vor  fünf  Jahren 
stets  gesund  gewesen  sein  will.  Zu  dieser  Zeit  bemerkte  Patient  in  der 
Gegend  der  Schilddrüse  eine  hühnoreigrosse  Geschwulst,  welche  lang¬ 
sam  an  Grösse  zunahm,  in  der  letzten  Zeit  jedoch  rasch  gewachsen 
ist.  Bei  der  Aufnahme  am  11.  Mai  d.  J.  fand  man  den  für  sein  Alter 
wenig  entwickelten,  kleinen  Patienten  ziemlich  stark  anämisch.  Intel¬ 
lect  gut.  Die  ganze  vordere  und  die  seitlichen  Partien  des  Halses  von 
einer  über  kindskopfgrossen  Geschwulst  eingenommen,  aus  mehreren 
Knollen  bestehend,  welche  sieh  elastisch  anfühlt  und  entsprechend  den 
drei  Schilddrüsenlappen  äusserlich  eine  Theilung  in  drei  Partien  zeigt, 
die  durch  Hautfurchen  deutlich  geschieden  sind.  Am  voluminösesten 
ist  der  rechte,  darauf  kommt  der  linke  und  schliesslich  der  mittlere 
Antheil  der  Geschwulst.  Der  Kropf  reicht  mit  den  Seitentheilen  bis 
querfingerbreit  unter  den  Kieferiand,  der  mittlere  Knollen  lässt  das 
Zungenbein  und  die  mittlere  Partie  des  Kehlkopfes  frei  liegen.  Daselbst 
fühlt  man  rechts  wie  links  an  der  vorderen  Grenze  der  Seitenlappen 
die  convergirend  herabsteigenden  Arteriae  thyreoideae  superiores,  jede 
fast  von  der  Grösse  der  Carotis  communis.  Seitlich  ragt  der  Kropf 
bis  zu  einer  Senkrechten,  welche  man  hinter  dem  Ohre  herunterzieht; 
die  Kopfnicker  sind  nach  hinten  gedrängt,  hinter  derselben  die  Caro- 
tiden  deutlich  fühlbar.  Nach  unten  reicht  der  Kropf  bis  an  die  inneren 
Clavieularenden  und  füllt  die  Fossa  jugularis  aus.  Die  subcutanen 
\  enen  sind  enorm  ausgedehnt.  Der  Halsumfang  beträgt  50  cm,  Breiten¬ 
durchmesser  18  cm,  Höhendurchmesser  seitlich  genommen  10  cm, 


Dickenndurchmesser  von  vorne  nach  hinten  9  cm.  Die  Stimme  ist 
gedämpft,  das  Schlucken  fester  Substanzen  etwas  er¬ 
schwert.  Herz  normal. 

Am  17.  Mai  unterband  Weinlechner  die  ganz  deutlich 
fühlbaren  Thyreoideae  superiores.  Die  Isolirung  der  Arterien  war 
schwierig  wegen  der  innigen  Verbindung  mit  der  Umgebung.  Gleich 
nach  der  Unterbindung  dieser  Arterien  ging  der  Halsumfang  um 
1  cm  zurück.  In  der  ersten  und  zweiten  Woche  nahm  der  Ilalsumfang 
um  je  4  cm  ab,  ist  seitdem  constant  geblieben.  Dabei  haben  aber  auch 
der  Breitendurchmesser  um  4  cm,  Höhendurchmesser  um  1cm  und  die 
Dicke  um  3  cm  abgenommen.  Die  Furchung  zwischen  den  Lappen  hat 
bedeutend  zugenommen,  sie  sind  bedeutend  gelockert  und  das  Schlingen 
hat  sich  wesentlich  gebessert. 

Weinlechner  hat  vor  einigen  Jahren  eine  Frau  der  Gesell¬ 
schaft  vorgestellt,  bei  welcher  er  das  gleiche  Verfahren  einschlug  und 
durch  die  Unterbindung  der  Thyreoideae  superiores  eine  wesentliche 
Verkleinerung  erzielt  hat,  und  späterhin  hat  er  die  Schilddrüse  mit 
Hinterlassung  eines  kleinen  Restes  exstirpirt.  Nun  will  Weinlechner, 
nachdem  ein  Stillstand  in  der  Verkleinerung  eingetreten  ist,  in  ähn¬ 
licher  Weise  den  Kropf  exstirpiren,  was  nun  entschieden  leichter  mög¬ 
lich  sein  wird,  als  wenn  er  die  Exstirpation  ohne  vorläufige  Unter¬ 
bindung  der  genannten  Arterien  vorgenommen  hätte.  Zudem  hat  sich 
der  Kranke  wegen  des  leichteren  Sehlingens  etwas  erholt.  Jetzt  Hessen 
sich  auch  die  Arteriae  thyreoideae  inferiores  viel  leichter  als  vordem 
unterbinden,  doch  glaubt  er,  damit  kein  den  Kranken  vollständig  be¬ 
friedigendes  Resultat  zu  erzielen. 

Weiterhin  stellt  Weinlechner  ein  22jähriges  Mädchen  aus 
Meinetschlag  in  Böhmen  vor,  welches  im  Jahre  1894  mit  einem  Holz¬ 
schuh  einen  Schlag  auf  das  Kinn  erlitt.  In  Folge  dessen  entstand  eine 
Beule,  die  nach  einigen  Wochen  aufbrach  und  eiterte.  Die  erbsengrosse 
Aufbruchstelle  soll  sich  im  Laufe  der  nächsten  zwei  Jahre  wiederholt 
auf  einige  Wochen  geschlossen  haben  und  endlich  mit  Hinterlassung 
einer  kleinen  Narbe  geheilt  sein.  Mit  Ende  1895  gebrauchte  Patientiu 
die  Salbe  eines  Curpfuscbers,  worauf  eine  sofortige  Vergrösserung  der 
Wunde  mit  gleichzeitiger  Schwellung  auftrat.  Sie  Hess  sich  nun  am 
10.  April  1896  an  Weinlechner’s  Abtheilung  aufnehmen.  Die 
kräft  g  gebaute  und  übrigens  gesunde  Person  zeigte  am  Kinn  ein  fast 
kreisrundes,  6  cm  im  Durchmesser  betragendes  Geschwür,  das  mit  grau¬ 
braunen  Schorfen  vollständig  bedeckt  war,  der  Rand  des  Geschwüres 
war  stark  geröthet  und  die  Haut  I1/2  cm  im  Umkreise  infiltrirt.  Das 
Geschwür  und  die  entzündete  Umgebung  desselben  sassen  dem  Unter¬ 
kiefer  unverschieblich  auf.  Der  augenscheinliche  Schorf  bestand  aus 
mumificirten  Geweben,  der  Mundhöhlenboden  war  ebenfalls  derb  infil¬ 
trirt.  Die  Sondenuntersuchung  zeigte  den  Rand  minirt  und  gelangte 
nirgends  auf  rauhen  Knochen.  Der  kreisrunde,  wie  verschorft  aus¬ 
sehende  Substanzvei lust  hat  nach  allen  Riehtnngen  noch  um  1  cm 
zugenommen. 

Am  11.  April  1896  wurde  behufs  Begrenzung  des  einer  Noso¬ 
komialgangrän  sehr  ähnlichen  Geschwüres  das  G  1  ü  li  • 
eisen  sehr  energisch  angewendet.  Nun  war  dem  Fortsehreiten  des 
Processes  ein  Ende  gemacht.  Am  1.  Mai  1896  fiel  der  Schorf  ab  und 
an  dessen  Stelle  waren  schöne  Granulationen  getreten.  Der  Angulus 
mentalis  lag  nun  vollständig  bloss,  weissgrau  verfärbt  und  unbe¬ 
weglich. 

Am  3.  Juli  1896  verliess  die  Patientin  die  Abtheilung  mit  einem 
nierenförmigen,  zweiguldenstückgrossen  Hautdefect  am  Kinn,  aus  dessen 
Grund  der  nekrotische,  grau  gefärbte  Knochen  des  Angulus  fest  aut- 
sitzend  hervorragte.  Der  quere  Durchmesser  des  Defectes  betrug  6  cm, 
der  verticale  4  cm. 

Am  7.  April  1897  Hess  sie  sich  wieder  aufnehmen  mit  dem 
gleich  grossen  Hautdefecte,  wie  bei  der  früheren  Entlassung.  Der 
nekrotische  Knochen  aber  war  inzwischen  gelockert  und 
konnte  mit  Leichtigkeit  mittelst  einer  Zange  entfernt  werden, 
worauf  der  granulirende  Untergrund  zu  Tage  trat. 


562 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  24 


Am  16.  April  1897  war  der  Status  folgender:  Es  mangelte  das 
Kinn.  An  Stelle  desselben  war  eine  grubige  Vertiefung,  welche  nach 
nuten  benarbt  war,  nach  oben  noch  granulirte.  Der  Knochendefect 
misst  iu  querer  Richtung  2  cm,  in  sagittaler  8  cm  und  ist  über  1  cm 
tief.  Nach  oben  hin  sieht  man  fünf  Wurzelspitzen  der  vier 
Schneide-  und  des  linken  Eckzahnes  vorragend.  Die  entblösste  Grenze 
des  Defectes  bilden  seitlich  zwei  zackenförmige  Knochenvorsprünge, 
von  vascularisirter  Narbe  bedeckt.  Hautnarbe  und  Knochendefect  haben 
in  frontaler  Richtung  die  Länge  von  61/2  cm,  in  sagittaler  Richtung 
in  der  Mittellinie  von  4  cm. 

Am  17.  April  1897  wurde  eine  Plastik  gemacht,  bestehend 
in  zwei  seitlichen,  theils  dem  Unterkiefer,  theils  der  Halshaut 
entnommenen,  bogenförmig  verlaufenden  H  a  u  1 1  a  p  p  e  n  mit  der  Basis 
gegen  den  Hals  gerichtet,  convex  nach  oben,  concav  nach  unten.  Nach 
Absägung  der  zwei  Knochenvorsprünge  wurden  die  beiden  Lappen 
an  der  Spitze  untereinander  und  nach  oben  hin  mit  dem  angefrischten 
Rande  des  Defectes  vernäht.  Auf  diese  Art  wurden  die  Wurzelspitzen 
bedeckt,  der  Defect  blieb  jedoch  nach  unten  hin  theilweise  offen. 

Am  19.  August  1897  wurde  die  Kranke  entlassen.  In  der  Mitte 
der  Kinngegend  bestand  nach  unten  eine  linsengrosse  Fistelöffnung, 
aus  der  sich  Eiter  entleerte;  die  Oeffnung  entsprach  dem  unteren 
Winkel  der  vernähten  Seitenlappen.  Die  langwierige  Eiterung  wurde 
auf  die  nicht  eingeheilten  Wurzelspiitzen  bezogen,  obwohl  man  sie  mit 
der  Sonde  nicht  entdecken  konnte. 

Am  26.  Februar  1898  gelaugte  die  Patientin  zum  dritten  Male 
zur  Aufnahme;  es  wurden  zwei  vorhandene  Fistelöffnungen  gespalten, 
miteinander  verbunden  und  die  blossliegenden  fünf  Zahnwurzeln 
abgezwickt.  Trotzdem  und  ungeachtet  ausgiebiger  Desinfection 
trat  keine  Heilung  ein,  daher  wurden  zwei  Schneidezähne  extrahirt, 
worauf  wieder  zwei  Fisteln  zurückblieben,  welche  weniger  eiterten, 
aber  doch  nicht  zur  Heilung  kamen.  Mit  diesen  verliess  sie  am 
4.  Juni  1898  die  Abtheilung. 

Wegen  Nichtheilung  dieser  Fisteln  liess  sie  sich  am  31.  März 
1900  bei  unverändertem  Status  wieder  aufnehmen. 

Am  2.  April  1.  J.  wurde  nach  Erweiterung  der  Fisteln  wieder 
ein  Schneidezahn,  dessen  Wurzel  man  von  unten  fühlte,  ent¬ 
fernt.  Nun  will  die  Eiterung  noch  nicht  versiegen  und  es  wird  nichts 
Anderes  übrig  bleiben,  als  die  noch  übrig  bleibenden  zwei  Zähne,  einen 
Schneide-  und  einen  Eckzahn,  deren  Wurzelspitzen  von  Anbeginn  vor¬ 
ragten,  zu  entfernen. 

Professor  der  Zahnheilkunde  R.  v.  M  e  t  n  i  t  z,  welchen  W  e  in¬ 
lech  n  e  r  in  dieser  Angelegenheit  interpellirte,  hält  nach  seiner  Er¬ 
fahrung  gleichfalls  die  Extraction  der  Zähne  für  nothwendig  mit  nach¬ 
träglicher  Anfertigung  einer  Prothese. 

Was  nun  das  Resultat  der  Plastik  anbelangt,  mit  der  die 
Patientin  vollauf  zufrieden  ist,  so  kann  dasselbe  als  ein  recht  befrie¬ 
digendes  angesehen  werden,  indem  das  geringere  Vorspringen  des 
Kinnes  wenig  auffällig  ist. 

Die  Narben  aber  sind  etwas  hypertrophisch.  Unter  dem  Kinn, 
beziehungsweise  unter  den  Enden  der  Lappen,  besteht  eine  benarbte 
Vertiefung,  welche  nur  beim  Rückwärtsneigen  des  Kopfes  bemerk¬ 
bar  wird. 

Zum  Schlüsse  demonstrirt  Weinlechner  die  betreffende 
Zeichnung  des  Substanzverlustes,  den  Gypsabguss  mit  den  fünf  Wurzel¬ 
spitzen  und  endlich  den  nekrotischen  Knochen,  welcher  nur  an  der 
Kinnspitze  die  ganze  Dicke  des  Knochens  enthält. 

Docent  Dr.  E.  Spiegler :  Hochgeehrte  Versammlung!  Ich  beehre 
mich,  hiemit  zwei  Fälle  von  vollkommen  differenten  Krankheiten  zu 
demonstriren,  welche  geeignet  sind,  in  Bezug  auf  die  physiologische, 
beziehungsweise  therapeutische  Wirkung  der  chemisch  wirksamen  Licht¬ 
strahlen,  wie  sie  sowohl  im  natürlichen  Sonnenlichte,  als  auch  in  den 
Strahlen  elektrischer  Bogenlampen  enthalten  sind,  bestimmte  Thatsachen 
testzustellen.  So  verlockend  es  auch  erscheint,  bei  dieser  Gelegenheit 
das  reiche  ^Tatsachenmaterial,  welches  die  Beziehungen  allgemein  bio¬ 
logischer  Verhältnisse  zum  Lichte  betrifft,  auch  nur  ungefähr  zu  streifen, 
an  diesbezügliche  Thatsachen  aus  der  Physiologie  der  Pflanzen,  aus 
tier  Bacteriologie,  aus  der  allgemeinen  Stoffwechsellehre  zu  errinnern, 
will  ich  mich  doch  ausschliesslich  hier  auf  das  beschränken,  was  die 
beiden  zu  demonstrirenden  Fälle  unmittelbar  betrifft,  umsomehr,  als 
alle  hierauf  bezüglichen  Thatsachen  in  einer  jüngst  erschienen  aus¬ 
gezeichneten  Monographie  von  Magnus  Möller  ausführlich  mitge 
t hei  1 1  sind.*) 

Im  ersten  Falle  handelt  es  sich  um  einen  Lupus  vulgaris 
tumidus  et  exulcerans,  den  ich  vor  drei  Monaten  in  einem  Status 
wieder  sah,  welche  durch  die  hier  von  Dr.  Henning  trefflich  au¬ 
gefertigte  Moulage  wiedergegeben  wird.  Es  handelte  sich  bei  diesem 
20jährigen  jungen  Manne  um  einen  Lupusherd  von  2-3cm  Durch¬ 
messer,  der  seit  fünf  Jahren  besteht  und  während  dieser  Zeit  dreimal 


*)  Magnus  M  ö  1  I  e  r,  der  Einfluss  des  Lichtes  auf  die  Haut  im  ge¬ 
sunden  und  kranken  Zustande.  Bibliotheca  medica,  Heft  8. 


kauterisirt  wurde,  aber  immer  wieder  recidivirte,  und  der  keiner 
anderen  Methode  als  der  F  i  n  s  e  n  ’sehen  Belichtung  unter¬ 
zogen  worden  war.  Dieselbe  besteht  bekanntlich  darin,  dass  das  Licht 
einer  Bogenlampe,  welche  durch  einen  Strom  von  ungefähr  50  Volt  und 
80  Ampere  von  einer  Stärke  bis  40.000  Lichtkerzen,  durch  besondere  von 
Fi  n  sen  angegebene  Apparate,  deren  ich  Ihnen  einen  hier  demon- 
strire,  auf  die  zu  behandelnde  Hautpartie  concentrirt  wird.  Es  wird 
hiedurch  auf  der  betreffenden  Stelle  eine  ganz  enorme  Lichtstärke 
erzielt.  Diese  Behaudlungsweise  wurde  seit  Monaten  mit  der  durch¬ 
schnittlichen  Beleuchtungsdauer  von  einer  Stunde  durchgeführt,  in  der 
allerjüngsten  Zeit  wurde  der  Kranke  zumeist  durch  zwei  Stunden 
täglich  beleuchtet.  Wie  vorerwähnt,  fand  eine  andere  Behandlungs¬ 
methode  nicht  statt,  sondern  es  wurde  nur  der  Lupusherd  mit  einer 
l%igen  Borsalbe  verbunden,  um  die  Bildung  von  Krusten  und  die 
sich  hieran  knüpfenden  Consequenzen  zu  vermeiden.  Das  Resultat 
dieses  Verfahrens  wird  am  anschaulichsten,  wenn  man  die  Moulage, 
die  unmittelbar  vor  der  Behandlung  aufgenommen  wurde,  mit  dem 
gegenwärtigen  Status  vergleicht.  Während  der  Lupusherd  früher  über 
das  Hautniveau  um  2  —  3  mm  erhaben  und  exulcerirt  war,  ist  die  Stelle 
jetzt  vollkommen  im  Niveau  und  bis  auf  eine  circa  linsengrosse  Stelle 
überhäutet.  Das  weicho,  schlappe  Gewebe,  welches  beim  Lupus  dem 
tastenden  Finger  das  Gefühl  vermittelt,  man  könnte  die  ganze  Masse 
mit  dem  Fingernagel  auskratzen,  ist  geschwunden  und  fühlt  sich  die 
Stelle  nuntnehr  ziemlich  derb  an,  nur  am  Rande  sind  noch  einige 
Lupusknötchen  sichtbar.  Auch  an  der  noch  nicht  überhäuteten  Stelle 
liegt  statt  des  weichen,  schlappen,  leicht  blutenden  Gewebes  ein  an¬ 
scheinend  gesundes  Granulationsgewebe  vor.  Diese  Veränderungen  in 
der  Richtung  zur  Heilung  machen  nach  jeder  Belichtung  Fortschritte. 
Der  Fall  ist  zwar  noch  keineswegs  geheilt,  doch  zeigt  er  deutlich  den 
günstigen  Einfluss  dieser  Methode  auf  den  Lupus  und  hoffe  ich,  Ihnen 
denselben  nach  den  Ferien  ganz  geheilt  vorstellen  zu  können.  Ich 
zeige  denselben  indessen  heute  wegen  des  allgemein  medicinischen 
Interesses,  welches  dieser  neueren  therapeutischen  Richtung  entgegen¬ 
gebracht  wird  und  weil  die  hierauf  bezüglichen  Untersuchungen  hier 
noch  nicht  gezeigt  worden  sind.  In  Kopenhagen  hingegen  bestehen 
Einrichtungen,  welche  es  ermöglichen,  täglich  bei  200  Lupuskranke 
zu  behandeln  und  die  ganz  ausgezeichneten  Resultate,  von  denen  ich 
mich  daselbst  persönlich  überzeugen  konnte,  haben  mich  veranlasst, 
diese  Versuche  zu  wiederholen.  Namentlich  scheint  es,  dass  die  kos¬ 
metischen  Erfolge  dieser  Behandlungsmethode  besonders  günstige  sind, 
was  darauf  zurückzuführen  sein  dürfte,  dass  durch  die  Belichtung  blos 
neugebildetes  lupöses  Granulationsgewebe  zur  Involution  gelangt  unter 
Intacterlialtung  der  noch  vorhandenen  Reteschichten  und  der  feinen, 
dem  Corium  angehörenden  reticulären  Fasern,  welche  durch  Aetzungen 
und  Auskratzungen  zerstört  werden.  Ein  weiterer  Vortheil  dieser 
Methode  besteht  darin,  dass  die  gefürchteten  Gangränen  und  Derma- 
titiden  bei  diesem  Verfahren  absolut  ousgeschlossen  sind.  Die  dies¬ 
bezüglichen  Veränderungen  beziehen  sich  höchstens  auf  ganz  ober¬ 
flächliches  Lichterythem,  das  nach  wenigen  Tagen  wieder  spurlos 
verschwindet. 

Diese  Methode  hat  aber  auch  ihre  grossen  Nachtheile,  deren 
grösster  der  ist,  dass  sie,  wenn  auch  sicher,  so  doch  ausserordentlich 
langsam  wirkt,  so  dass  die  Heilung  eines  etwas  ausgebreiteteren  Lupus¬ 
herdes  mehrere  Monate,  ja  auch  ein  Jahr  und  darüber  in  Anspruch 
nehmen  kann,  wie  ich  mich  in  Kopenhagen  selbst  überzeugen  konnte. 
Hiezu  kommt  noch  der  Umstand,  dass  die  Methode,  da  zumeist  nicht 
directes  Sonnenlicht  zur  Verfügung  ist,  wegen  des  kolossalen  Ver¬ 
brauches  an  Elektricität  sehr  kostspielig  ist.  Es  wird  daher  wohl 
noch  für  die  nächste  Zeit  die  chirurgische  Behandlung  des  Lupus  für 
die  hiezu  geeigneten  Fälle  die  übliche  bleiben  und  die  F  i  n  s  e  n’sche 
Methode  hingegen  für  solche  Fälle  indicirt  sein,  wo  kleinere  Lupus¬ 
herde  durch  dazwischen  liegende  gesunde  Hautpartien  isolirt  werden. 

Worauf  die  Wirkung  des  concentrirten  Lichtes  auf  das  Lupus¬ 
gewebe  beruht,  kann  bis  jetzt  noch  nicht  mit  Sicherheit  ausgesprochen 
werden.  Die  Annahme,  dass  es  sich  lediglich  um  Involutionserschei¬ 
nungen  im  Anschlüsse  an  eine  Entzündung,  in  unserem  Falle  an  das 
durch  das  Licht  hervorgerufene  Erythem  handelt,  ist  deswegen  un¬ 
wahrscheinlich,  weil  viele  andere  Mittel,  die  viel  stärkere  Entzündungen 
erregen,  nicht  den  gleichen  Effect  haben.  Es  handelt  sich  hier  offenbar 
um  eine  specifische  Lichtwirkung.  Die  Annahme,  dass  dieselbe  in 
Bezug  auf  den  Erreger  des  Lupus  eine  bactericide,  also  eine  ätio¬ 
logische  sei,  müsste  zunächst  durch  einschlägige  Versuche  mit  Culturen 
von  Tuberkelbacillen,  welche  solchem  Lichte  ausgesetzt  werden,  er¬ 
wiesen  werden.  Doch  sei  hier  erwähnt,  dass  ein  solcher  Nachweis  mit 
anderen  Bacterienculturen,  wie  Pyocyaneus  oder  Typhus,  bereits  er¬ 
bracht  wurde. 

In  vieler  Beziehung  weit  interessanter  ist  der  zweite  Fall,  eine 
ausgebreitete  Alopecia  areata,  den  ich  mir  erlaube  zu  demonstriren. 

Während  wir  in  der  Anwendung  der  Röntgen-Strahlen  eine  Methode 
kennen,  welche  Haarausfall  erzeugen  kann,  haben  die  concentrirten 
Strahlen  des  elektrischen  Bogenlichtes,  dessen  ich  mich  in  der  früher 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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angegebenen  Weise  auch  hier  bedient  habe,  die  merkwürdige  Eigen¬ 
schaft,  bei  jener  ganz  bestimmten  Art  des  Haarausfalles  der  Alopecia 
areata  oder  Area  Celsi,  den  Haarwuchs  wieder  anzuregen.  Doch  gerade 
bei  dieser  Krankheit  ist,  um  sich  vor  Täuschungen  zu  bewahren,  strenge 
Selbstkritik  höchst  geboten.  Wir  wissen  nämlich,  dass  die  Alopecia 
areata  jüngerer  Individuen  in  den  meisten  Fällen  eine  gutaitige  Affection 
ist,  welche  entweder  spontan  oder  nach  irgend  einem  der  etwa  an¬ 
gewandten  Mittel  ausheilt.  Hie  und  da  kommen  aber  auch  bei  jüngeren 
Individuen  Fälle  vor,  welche  den  Betroffenen  zwingen,  den  Defect  für 
immer  oder  mindestens  für  sehr  lange  Zeit  durch  die  Perücke  zu  decken. 
Im  vorliegendem  Falle  bestand  die  Alopecie,  bevor  ich  sie  in  Behandlung 
nahm,  trotz  aller  Therapie  durch  zehn  Monate.  Sie  sehen  jetzt  noch,  wie 
gross  die  Ausdehnung  derselben  war,  indem  die  unregelmässigen  Felder 
von  dunklen  und  steifen  Haaren  zeigen,  eine  wie  kleine  Fläche,  höchstens 
ein  Vierttheil  der  ganzen  Oberfläche  des  Capillitiums  von  der  Krank¬ 
heit  verschont  geblieben  war.  Erwähnt  sei  noch,  dass  der  Haarausfall, 
als  die  Behandlung  begonnen  wurde,  noch  immer  progredient  war,  und 
zwar  in  der  Weise,  dass  sich  die  haarlose  Fläche  in  serpiginösen  Linien 
vom  Centrum  der  Krankheitsherde  gegen  die  Peripherie  immer  mehr 
ausbreitete. 

Die  Behandlung  bestand  nun  darin,  dass  jede  einzelne  Stelle  des 
Krankheitsherdes  in  Partien  von  nicht  viel  über  Guldenstückgrösse 
durch  je  eine  Stunde  der  Belichtung  ausgesetzt  wurde.  Da  es  sich  aber 
zunächst  darum  handelte,  der  weiteren  Vergrösserung  der  Krankheits¬ 
herde  Einhalt  zu  than,  wurde  an  der  Grenze  ties  Haarwuchses  zu  be¬ 
lichten  begonnen  und  die  übrigens  von  Finsen  angegebene  Vorsichts- 
massregel  beobachtet,  einen  circa  1  cm  breiten  Streifen  der  anscheinend 
noch  gesunden  Partie  zu  rasiren  und  in  die  Belichtung  einzubeziehen. 
Auf  diese  Weise  gelang  es  mir  denn  auch,  der  Vergrösserung  der 
Herde  zunächst  Einhalt  zu  thun. 

Während  der  Behandlung  etablirten  sich  aber  inmitten  der  stehen 
gebliebenen  Haare  neue  kleine  Herde,  an  denen  die  Haare  ausfielen; 
sobald  etwas  dergleichen  beobachtet  worden  war,  wurde  die  betreffende 
Stelle  sofort  rasirt  und  einer  einmaligen  einstündigen  Belichtung  aus¬ 
gesetzt.  Der  gewünschte  Erfolg  trat  mit  Regelmässigkeit  ein,  indem 
der  Haarausfall  daselbst  sistirte.  Wir  sehen  nun  aber  deutlich,  dass 
sich  an  den  belichteten  Stellen  der  Haarwuchs  wieder 
eingestellt  hat,  während  die  unbehandelten  nach  wie  vor 
kahl  geblieben  sind.  Die  Haarregeneration  stellt  sich  in  der 
Weise  ein,  dass  zunächst  unpigmentirte  Lanugohaare  wachsen,  die  lang¬ 
sam  stärker  werden  und  Pigment  aufnehmen. 

Die  Behandlung  bestand  nun  darin,  dass  die  zu  behandelnden 
Stellen  in  gleicher  Weise  wie  beim  Lupus  durch  je  eine  Stunde 
je  einmal  belichtet  wurden.  Bei  der  Ausdehnung  der  Krankheit,  die 
den  grössten  Tlieil  der  Kopfhaut  betrifft,  währte  dies  nur  drei  Monate. 

In  einem  zweiten  Falle  von  beginnender  progredienter  Alopecia 
areata  barbae  gelang  es,  durch  vier  Sitzungen  das  Vorschreiten  sofort  zum 
Stillstand  zu  bringen.  Nachwuchs  ist  noch  nicht  aufgetreten,  da  dies 
erst  einige  Tage  her  ist  und  die  Reactionszeit  zwischen  ein  bis  sechs 
Wochen  zu  schwanken  scheint.  Sieben  analoge  Fälle  mit  gleich  günstigem 
Resultate  sind  übrigens  von  J  e  r  s  i  1  d  *)  mitgetheilt  worden.  Ob  diese 
Erscheinungen  auf  die  Abtödtung  des  von  Sabouraud  supponirten 
Erregers  dieser  Krankheit  zu  beziehen  sind,  muss  dahingestellt  bleiben. 
Jedenfalls  aber  sind  die  hier  und  anderwärts  gewonnenen  praktischen 
Erfahrungen  so  ermuthigend,  dass  sie  zu  weiteren  Untersuchungen  auf¬ 
fordern. 

Prof.  Englisch  demonstrirt  an  einer  Reihe  von  Präparaten,  dass 
bei  Prostatahypertrophie  die  äussere  Form  derselben  bereits  in  der 
Anlage  -begründet  sei. 

Regimentarzt  Dr.  Job.  Fein  hält  seinen  augekündigten  Vortrag: 
Ueber  die  sogenannte  „Cadaver  Stellung“  d  e  r  Stimm¬ 
bänder. 

Seit  Z  i  e  m  s  s  e  n  wird  dieser  Ausdruck  für  eine  zwischen  tiefster 
Inspirations-  und  Phonationsstellung  die  Mitte  haltende  Position  der 
Stimmbänder  gebraucht,  welche  angeblich  bei  den  Leichen  gesehen  wird. 
Trotzdem  dieser  Ausdruck  nach  dem  Urtheil  vieler  Autoren  bereits 
genug  Verwirrung  verschuldet  hat  und  trotzdem  vereinzelte  Angaben 
auftauchten,  dass  bei  Leichen  auch  andere  Stimmbandstellungen  beob¬ 
achtet  wurden,  fehlten  bisher  systematisch  vorgenommene  Unter¬ 
suchungen  an  Leichen,  und  nur  die  ausgeschnittenen  Kehlköpfe  bil¬ 
deten  das  Object  der  Beobachtung. 

Der  Vortragende  hat  sich  für  seine  Untersuchungen  folgende 
Fragen  gestellt : 

Gibt  es  eine  bestimmte  Stellung  der  Stimmbänder  in  der 
Leiche  (Cadaverstellung)V 

Welche  Stellungen  nehmen  (falls  die  Antwort  auf  die  erste  Frage 
negativ  lautet)  die  Stimmbänder  in  der  Leiche  ein? 

Welches  sind  die  Ursachen  für  die  verschiedenen  Stellungen  der 
Stimmbänder  in  der  Leiche  (Leichenstarre  u.  s.  w.)  ? 


Nebenher  wurden  auch  die  Formen,  die  Weite  der  cadaverösen 
Glottis,  die  Beschaffenheit  der  Stimmbänder  u.  s.  w.  der  Beobachtung 
unterworfen. 

Es  wurden  50  Leichen  von  Erwachsenen  auf  dieselbe  Weise  der 
laryngoskopischen  Untersuchung  unterzogen,  wie  dies  bei  Lebenden 
üblich  ist.  Die  Untersuchung  wurde  in  liegender  und  sitzender  Position 
der  Leichen,  in  verschiedenen  Stadien  der  Todtenstarre  vorgenommen 
und  hiebei  die  Glottisweite  in  der  Höhe  der  Proc.  vocales  in  einem 
mit  einer  Millimetereintheilung  versehenen  Kehlkopfspiegel  gemessen. 

Die  Uutersuchungsergebnisse  wurden  in  einer  Tabelle  mit 
folgenden  Rubriken  eingetragen:  Namen,  Alter,  Todesursache,  Zeit  des 
Todes,  Zeit  der  Untersuchung,  Position  der  Leiche  vor  und  während 
der  Untersuchung,  Grad  der  Leichenstarre,  Form  und  Weite  der 
Glottis,  Beschaffenheit  der  Stimmbänder,  Anmerkung. 

Fein  gelangte  zu  folgenden  Schlüssen: 

Die  Stimmbänder  stehen  kurze  Zeit  nach  dem  Tode  in  der 
Mittellinie  oder  nahe  derselben. 

Die  Leichenstarre  entfernt  die  Stimmbänder  von  der  Mittel¬ 
linie  ;  mit  der  Zunahme  der  Leichenstarre  wird  die  Stimmritze  weiter. 

Die  Weite  der  Glottis  innerhalb  der  Leiche  ist  verschieden  von 
derjenigen  im  ausgeschnittenen  Kehlkopf. 

'  Nach  Ablauf  der  Starre  verbleiben  die  Stimmbänder  in  einer 
Zwischenstellung,  scheinen  sich  aber  eben  der  Mittellinie  wieder  etwas 
zu  nähern. 

Es  ist  unrichtig,  von  einer  „Form  der  cadaverösen  Glottis“  zu 
sprechen.  Dieselbe  ist  ebenso  vielgestaltig  wie  die  Form  der  Glottis  im 
Leben.  (Bei  88  Untersuchungen  fand  der  Vortragende  bereits  zehn  ver¬ 
schiedene  Formen.) 

Im  Zustande  vollkommenster  Erschlaffung  scheint  der  Dicken¬ 
durchmesser  der  Stimmbänder  zuzunehmen.  Vortragender  schlägt  als 
Ersatz  für  die  unrichtige  Bezeichnung  „Cadaverstellung“  das  Wort 
„Zwischenstellung“  vor,  da  auch  die  Ausdrücke  „Mittelstellung“ 
und  „ Adductionsstellung“  Missdeutungen  zulassen. 

Zur  Ergänzung  wurde  die  Stellung  der  Stimmbänder  an  zwei 
getödteten  Thieren  vom  Augenblick  des  Todes  angefangen  bis  zum 
nächsten  Tag  beobachtet  und  festgestellt,  dass  auch  hier  die  Stimm¬ 
bänder  unmittelbar  nach  dem  Tode  der  Mittellinie  am  nächsten  standen, 
um  bei  Beginn  der  Leichenstarre  sich  von  derselben  zu  entfernen. 

Endlich  wurde  eine  Anzahl  Neugeborener  laryngoskopirt,  welche 
todt  zur  Welt  gekommen  waren  und  weder  selbstständig  einen  Atlrem- 
zug  gemacht  hatten,  noch  auch  künstlich  geathmet  worden  waren.  Bei 
diesen  Objecten,  bei  welchen  die  Stimmbänder  nicht  der  geringsten 
stellungsverändernden  Wirkung  irgend  einer  Kraft  ausgesetzt  gewesen 
sein  konnten,  fand  Vortragender  die  Stimmbänder  in  der  Medianlinie 
stehend.  Er  behält  sich  für  die  Feststellung  dieser  letzteren  Beob¬ 
achtung,  welche  ja  auch  durch  die  Section  festzustellen  sein  muss,  um 
praktischen  Werth  zu  haben,  Untersuchungen  in  grösserem  Umfange 
vor,  da  sie  von  grosser  forensischer  Bedeutung  für  die  Frage,  sein 
kann,  ob  ein  neugeborenes  Kind  geathmet  hat  oder  nicht.  (Die  aus¬ 
führliche  Arbeit  wird  im  „Archiv  für  Laryngologie“  erscheinen). 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  22.  Mai  1900  (Jahresversammlung). 

Vorsitzender  :  Hofrath  v.  Krafft-Ebing. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Elzholz. 

Wissenschaftlicher  Th  eil: 

Dr.  RudolfNeurath  demonstrirt  einen  Fall  von  spinaler 
Kinderlähmung  mit  „E  1  o  n  g  a  t  i  o  n“  der  Knochen  der 
gelähmten  Extremität,  den  er  auf  der  Nervenabtheilung 
(Docent  Dr.  Redlich)  des  Kaiser  Franz  Josefs  -  Ambulatoriums 
beobachtet  hat. 

Es  handelt  sich  um  einen  2  ’/o  Jahre  alten  Knaben  mit  deut¬ 
lichen  Zeichen  einer  noch  floriden  Rachitis.  Seit  dem  sechsten  Monat 
bemerkt  die  Mutter,  dass  das  linke  gelähmte  Bein  länger  ist  als  das 
rechte  gesunde.  Ueber  den  Beginn  der  Lähmung  weiss  die  Mutter, 
die  ihr  Kind  während  der  ersten  Monate  fremder  Pflege  überlassen 
hatte,  nichts  anzugeben.  Das  linke  Bein  ist  cyanotisch  verfärbt,  kühl, 
schlaff,  gelähmt  und  zeigt  nur  in  Fuss-  und  Zehengelenken  geringe 
active  Beweglichkeit.  Der  Fuss  hängt  in  Planusstellung.  In  der  atrophi¬ 
schen  Musculatur  des  Oberschenkels  zeigen  sich  mitunter  fibrilläre 
Zuckungen.  Das  linke  Bein  ist  um  2  cm  länger  als  das  rechte,  Ober¬ 
und  Unterschenkel  participiren  in  gleichem  Masse  an  der  Differenz. 
Der  Oberschenkel  der  gelähmten  Seite  ist  um  3  cm,  der  Unterschenkel 
um  2  cm  dünner  als  rechts.  Auch  die  Glutäalmusculatur  ist  links 
schwächer  und  schlaffer  als  rechts.  In  der  Länge  der  Füsse  scheint 
keine  Differenz  zu  bestehen.  Der  Patellarsehnenreflex  ist  rechts  sein- 
deutlich,  links  nicht  auszulösen.  Die  Peronealmusculatur  ist  links 
faradisch  nicht  erregbar;  galvanisch  keine  Entavtungsreaetion. 


*)  Citirt  nach  Magnus  Möller,  1.  c.,  pag.  116. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1‘JOO. 


Nr.  24 


Die  Differenz  der  Extremitätenentwieklung  zu  Gunsten  der 
gelahmten  Seite  widerspricht  unseren  gewöhnlichen  Erfahrungen  von 
einem  bald  nach  Einsetzen  der  Lähmung  beginnenden  Zurückbleiben 
der  Knochenbildung  der  gelähmten  Extremität.  Aehnliche  Beobachtungen 
registrirt  S  e  e  1  i  g  m  ü  1  1  e  r  *),  der  über  zwei  solche  Fälle  berichtet. 

Für  die  Erklärung  der  selten  beobachteten  „Elongation“  der 
Knochen  auf  der  gelähmten  Seite  können  die  trophischen  Centren 
kaum  herangezogen  werden.  Man  kann  sich  kaum  vorstellen,  dass  die 
trophischen  liückenmarkscentren  für  die  Knochen  gereizt  und  gleich¬ 
zeitig  die  Centren  für  die  Musculatur  derselben  Extremität  gelähmt 
wären.  Gegen  die  Verwerthung  jener  Thierexperimente,  die  nach 
Ischiadicusdurchschneidung  eine  pathologische  Ueberentwicklung  der 
Knochen  ergeben  haben,  spricht  die  Seltenheit  des  vermehrten  Längen¬ 
wachsthums  der  Knochen  nach  Poliomyelitis.  Endlich  ist  auch  die 
Erklärung  S  e  e  1  i  g  m  ü  1  1  e  r’s,  dass  in  Folge  Erschlaffung  der  Ge¬ 
lenke  und  Bandapparate  der  normale  Wachsthumswiderstand,  den  die 
Gelenkskörper  einander  bieten,  wegfällt,  und  so  die  Knochen  intensiv 
wachsen,  kaum  acceptabel,  da  ja  diese  Drucktheorie  durch  neuere 
Arbeiten  widerlegt  erscheint. 

Ein  (von  Dr.  Kienböck  angefertigtes)  Röntgen-Bild  des 
demonstrirten  Falles  zeigt  nun  wichtige  Einzelheiten.  Zunächst  zeigen 
sich  die  Knochen  der  gesunden  Extremität  etwas  stärker  (rachitisch) 
gokrümmt  als  die  der  gelähmten,  jedoch  nicht  so  stark,  dass  die 
Krümmung  allein  eine  Differenz  von  2  cm  erklären  könnte.  Ausserdem 
aber  zeigt  das  Aktinogramm  mit  der  schönsten  Deutlichkeit  die 
typischen  rachitischen  Knochenveränderungen  an  den  Epiphysen  der 
gesunden  Seite,  während  die  Appositionszonen  der  gelähmten  Extremi¬ 
tät  fast  normal  erscheinen. 

Es  lassen  sich  nun  diese  Erscheinungen,  auf  deren  Verwerthbar- 
keit  Vortragenden  Prof.  Kolisko  in  liebenswürdiger  Weise  auf¬ 
merksam  gemacht  hat,  zur  Erklärung  der  Längendifferenz  der  Beine 
verwenden.  Functionelle  Inanspruchnahme  und  besondere  Belastung 
prädisponiren  die  Knochen  zur  Localisation  der  rachitischen  Erkran¬ 
kung.  Stärker  belastete  Körpertheile  und  Knochen  zeigen  immer 
stärker  ausgeprägte  rachitische  Veränderungen,  die  nicht  oder  wenig 
belasteten  Knochen  desselben  Individuums  fehlen  können.  Diese  Ver¬ 
änderungen  bestehen  in  der  Hauptsache  in  pathologischen  Processen 
an  den  Appositionsstellen  der  Knochen,  deren  Resultate  sich  in  Ver¬ 
bildungen  und  ausgesprochener  Wachsthumshemmung  der  Knochen 
erkennen  lassen. 

In  dem  demonstrirten  Falle  wurde  nun  seit  dem  Einsetzen  der 
Lähmung  fast  lediglich  das  gesunde  rechte  Bein  benützt.  Das  Kind 
steht  zwar  erst  seit  drei  bis  vier  Monaten,  die  mannigfachen  Be¬ 
wegungen,  Beugung  und  Streckung,  Aufstützen  gegen  feste  Gegen¬ 
stände  etc.  bildeten  sicher  Belastung  genug,  um  das  gesunde  Bein 
gegenüber  dem  schlaffen  für  die  Localisation  der  Rachitis  zu  dispouiren. 

Wie  kommt  es  nun,  dass  wir  bei  der  Häufigkeit  poliomyelitischer 
Monoplegien  so  selten  eine  Längendifferenz  zu  Gunsten  der  gelähmten 
Extremitäten  sehen?  Es  gehört  zu  einer  solchen  Beobachtung  das  Ein¬ 
setzen  der  Lähmung  zur  Zeit  einer  bestehenden  floridon  Rachitis,  das 
Befallensein  einer  unteren  Extremität  (mit  Rücksicht  auf  das  Be¬ 
lastungsmoment)  und  endlich  die  Untersuchung  des  Falles  zu  einer 
Zeit,  zu  der  derselbe  noch  relativ  frisch  ist.  Später  wird  die  selten 
ausbleibende  Atrophie  des  gelähmten  Beines  die  gehemmte  Entwick¬ 
lung  des  gesunden  Beines  mehr  als  aufwiegen. 

Wir  haben  also  nicht  eine  Elongation  des  gelähmten,  sondern 
eine  Entwicklungshemmung  des  gesunden  Beines  vor  uns,  eine  An¬ 
nahme,  die  auch  S  e  e  1  i  g  m  ü  1 1  e  r’s  Fälle  (ebenfalls  rachitische  Kinder 
betreffend)  erklären  könnte. 

Dr.  W.  v.  II  a  1  b  a  n  demonstrirt  einen  Fall  von  infantiler 
Pseudobulbärparalyse. 

Die  neun  Jahre  alte  Patientin  ist  das  siebente  Kind  gesunder, 
hereditär  nicht  belasteter  Eltern.  Von  ihren  sechs  Geschwistern  starb 
eines  im  Alter  von  drei  Monaten  an  einer  unbekannten  Krankheit. 
Die  anderen  fünf  Kinder  sind  ganz  gesund.  An  Vorkommnisse  während 
der  Schwangerschaft  mit  diesem  lviude,  die  eine  Beziehung  zur  Krankheit 
der  Patientin  hätten,  kann  sich  ihre  Mutter  nicht  erinnern. 

Die  Entbindung  war  rechtzeitig,  ging  leicht  vor  sich,  das  Kind 
kam  gut  entwickelt  zur  Welt  und  war  bis  zu  seinem  dritten  Lebens¬ 
jahre  ganz  gesund;  es  konnte  gut  gehen  und  sprechen. 

Zu  dieser  Zeit  stellte  sich  bei  ihr  ein  fieberhafter  Zustand  von 
achttägiger  Dauer  ein,  der  von  ziemlich  starken  Kopfschmerzen  be¬ 
gleitet  war.  Andere  Krankheitserscheinungen  wurden  an  ihr  nicht  be¬ 
obachtet.  Am  achten  Tage  bemerkte  die  Mutter,  dass  die  Sprache  des 
Kindes  gestört  sei.  Fast  zugleich  traten  bei  Patientin  anfallsweise 
Zuckungen,  die  alle  vier  Extremitäten  gleichmässig  betrafen,  auf.  Die 
Anfälle,  während  welcher  das  Bewusstsein  nicht  wesentlich  gestört 
war,  traten  14  Tage  hindurch  in  Pausen  von  einer  Viertel-  bis  einer 
halben  Stunde  auf.  Als  schon  die  Anfälle  seltener  wurden,  bemerkte 


die  Mutter,  dass  das  Kind  gelähmt  sei  und  die  Sprachstörung  noch 
zugenommen  habe,  so  dass  Patientin  fast  ganz  sprachlos  war.  Die 
Lähmung  der  rechten  Seite  soll  viel  stärker  gewesen  sein,  als  die  der 
linken,  die  unteren  Extremitäten  aber  wieder  viel  stärker  befallen,  als 
die  oberen.  Das  Kind  konnte  weder  stehen,  noch  sich  im  Bette  allein 
aufsetzen,  oder  überhaupt  ohne  Stütze  sitzen  bleiben.  Beim  Athmen 
war  ein  lautes  Schnarchen  und  Pfeifen  vernehmbar;  durch  den  halb 
offenen  Mund  ist  dem  Kinde  Speichel  herausgeionnen,  die  Nahrungs¬ 
aufnahme  war  sehr  erschwert  und  zwar  durch  eine  hochgradige  Kau- 
und  Schluckstörung. 

Es  fiel  auch  der  Mutter  auf,  dass  das  Kind  nach  der  Erkrankung 
sie  nicht  mehr  geküsst  hat. 

In  den  folgenden  zwei  Jahren  besserten  sich  alle  Beschwerden 
etwa  bis  zum  jetzigen  Zustand.  Nur  die  fast  gänzliche  Sprachlosigkeit 
begann  erst  nach  zwei  Jahren  zurüekzugehen ;  auch  jetzt  noch  soll, 
nach  Angabe  der  Mutter,  zwar  nur  allmälig,  die  Sprache  des  Kindes 
sich  bessern. 

Die  psychische  Entwicklung  des  Kindes  soll  aber  nicht  auf¬ 
fallend  gelitten  haben.  Die  Mutter  glaubt,  dass  das  Kind  geistig  nicht 
mehr  zurückgeblieben  ist,  als  es  der  fehlenden  Schulbildung  entspricht. 
Das  Kind  konnte  wegen  der  Lähmungen  nicht  in  die  Schule  geschickt 
werden.  Zu  Hause  hat  man  versucht,  ihr  einzelne  Buchstaben  beizu¬ 
bringen,  und  dies  soll  nicht  schwerer  gefallen  sein,  als  bei  anderen 
Kindern. 

Patientin  ist  artig,  nicht  boshaft  oder  jähzornig  und  spielt  gerne 
mit  anderen  Kindern,  sowie  es  auch  von  anderen  Kindern  gerne 
geduldet  wird. 

Epileptische  Anfälle  stellten  sich  nicht  ein. 

Patientin  ist  gut  genährt  und  für  ihr  Alter  gilt  entwickelt. 

Die  Untersuchung  der  inneren  Organe  ergibt  nicht  Bemerkens- 
werthes.  Puls  68.  Schädelumfang  47  cm.  Keine  besonderen  Degene¬ 
rationszeichen. 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  weist  beiderseits  hoch¬ 
gradige  Myopie,  beiderseits  Staphyloma  posticum  Scarpae  nach. 

Die  Pupillen  sind  ungleich,  links  )>  rechts;  ihie  Reaction 
ist  normal. 

Beim  Geradeaussehen  besteht  beim  Kinde  häufig  eine  Unruhe 
der  Augen,  die  sich  beim  Seitwärtssehen  zu  einem  horizontalen  Nystag¬ 
mus  steigert,  dessen  Intensität  jedoch  wechselt.  Dabei  ist  hervorznheben, 
dass,  wenn  man  das  nach  aussen  sehende  Auge  scbliesst,  das  andere 
Auge  viel  weniger  oder  gar  nicht  zittert.  Schliesst  man  das  nach  innen 
blickende  Auge,  so  steigert  sich  der  Nystagmus  des  nach  aussen 
sehenden  Auges.  Maximal  nach  links  lassen  sich  beide  Augen,  sowie 
auch  das  linke  allein  oft  überhaupt  nicht  einstellen. 

Conjunctival-  und  Cornealreflex  sind  vorhanden.  Gehör,  Geschmack 
und  Geruch  sind  normal;  die  Intelligenz  des  Kindes  genügt  gänzlich, 
um  trotz  der  hochgradigen  Sprachstörung  jede  Läsion  dieser  Sinne 
auszuschliessen. 

Das  Gesicht  des  Kindes  macht  einen  leicht  gespannten  Eindruck  ; 
in  Ruhe  besteht  keine  Facialisdifferenz.  Die  Nasolabialfurchen  sind 
seicht.  Der  Mund  ist  gewöhnlich  halb  offen,  wird  aber  auf  Aufforderung 
tadellos  geschlossen.  Das  rechte  Auge  vermag  Patientin  nicht  ganz  zu 
schliessen  ;  links  wird  der  Augenschluss  vollständig  ausgeführt,  bleibt 
aber  auch  hier  kraftlos.  Aufgefordert,  die  Augen  stärker  zuzudrücken, 
zieht  das  Kind  die  Nase,  sowie  die  Nasolabialfalte  leicht  empor,  ver¬ 
mag  aber  nicht,  dem  Wunsche  nachzukommen,  ebenso  wie  es  auch 
nicht  im  Stande  ist,  die  Stirne  willkürlich  zu  runzeln,  weder  in  hori¬ 
zontale,  noch  in  verticale  Falten  zu  legen.  Den  Mund  nach  den  Seiten 
verschieben  kann  Patientin  nicht;  alle  sonstigen  Bewegungen  mit  der 
Mundmusculatur,  wie  sie  beim  Zähnezeigen,  Pfeifen,  Spitzen  des 
Mundes,  Blasen,  Küssen,  ausgeführt  Averden,  gelingen  nur  theilweise; 
da  bemerkt  man,  dass  schon  bei  geringer  Anstrengung,  eine  dieser 
motorischen  Leistungen  zu  vollbringen,  eine  Hyperinnervation  des 
Mundfacialis  zu  Stande  kommt. 

Andauernder  Speichelfluss  besteht  nicht,  aber  beim  Lachen  rinnt 
der  Patientin  öfters  der  Speichel  aus  dem  Munde  heraus.  Mimisch 
wird  der  VII  beiderseits  tadellos  innervirt,  beim  Hiuaufsehen  die  Stirne 
ausgiebig  gerunzelt. 

Der  Unterkiefer  wird  dem  Oberkiefer  kräftig  genähert,  nie  aber 
nach  den  Seiten  verschoben.  Der  Masseterenreflex  ist  sehr  gesteigert. 
Die  Zunge  wird  gut  vorgestreckt;  es  gelingt  jedoch  nicht,  das  Kind 
dazu  zu  bringen,  die  Zunge  ssitwärts  zu  bewegen,  weder  in  der  Mund¬ 
höhle,  noch  ausserhalb  derselben.  Rachen-,  Gaumen-,  Ohren-  und 
Nasenreflex  nicht  gestört.  (Genauere  laryngologische  Untersuchung 
nicht  durchführbar.)  Die  Uvula  ist  nicht  nach  einer  Seite  verzogen 
und  ihre  Beweglichkeit  scheint  unbehindert. 

Die  Nahrungsaufnahme  des  Kindes  ist  nur  theilweise  gestört. 
Flüssigkeiten  werden  ziemlich  gut  genommen,  feste  Speisen  nur  mittelst 
der  Vorderzähne,  und  zwar  mit  grosser  Ungeschicklichkeit  gekaut  und 
dann  mit  gewisser  Mühe  geschluckt.  Auch  beim  Essen  bewegt  das 
Kind  nie  die  Zunge  nach  den  Seiten,  wodurch,  ebenso  wie  durch  das 


*)  Auch  K  o  1  i  s  c  h  e  r,  wie  Vortragenler  nachträglich  fand  (ein  Fall). 


Nr.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ausschliessliche  Kauen  mit  den  Schneidezähnen  das  Essen  sehr 
erschwert  wird. 

Bei  der  Sprache  ist  ausser  den  Störungen,  welche  die  beider¬ 
seitige  VHparese  bedingt  (das  Kind  kann  z.  B.  die  Buchstaben 
p,  b  gar  nicht  aussprechen),  noch  hochgradiges  Stottern  bemerkbar, 
das  jedoch  ohne  Krämpfe  in  der  Kehlkopf-  und  Halsmusculatur  vor 
sich  geht.  Bevor  das  Kind  ein  Wort  ausspricht,  führt  es  einige  rasche 
Mundbewegungen  aus,  wie  wenn  es  Luft  holen  wollte.  Der  Kopf  ist 
in  Ruhe  leicht  vorgeneigt;  die  Bewegungen  desselben  werden  nach 
beiden  Seiten  gleichmässig  ausgeführt;  eine  Störung  ist  nur  bemerkbar 
bei  der  Neigung  des  Kopfes  nach  den  Seiten;  sie  wird  schwach  aus¬ 
geführt  und  fast  nie  ohne  gleichzeitige  Rotation  des  Kopfes  nach  der 
entgegengesetzten  Seite.  Fibrilläre  Zuckungen  oder  Atrophien  wurden 
nirgends  gefunden.  Die  galvanische  und  faradische  Erregbarkeit  ist 
normal. 

Was  die  oberen  Extremitäten  anbelangt,  so  ist  die  motorische 
Kraft  derselben,  mit  Ausnahme  der  Streckung  im  Handgelenke,  nicht 
gestört.  Bei  der  Aufforderung,  die  Hand  zu  strecken,  sehen  wir,  dass 
diese  Bewegung  im  Handgelenke  nur  unvollständig  ausgeführt  wird, 
die  Finger  im  Metacarpo-Phalangealgelenke  aber  hyperextendirt  werden, 
wodurch  die  Hand  eine  bajonnetähnliche  Stellung  einnimmt.  Rigor 
besteht  nur  im  Handgelenke.  Die  Extremitäten  sind  leicht  cyanotisch 
und  fühlen  sich  etwas  kühler  an  als  der  übrige  Körper.  Die  tiefen 
Reflexe  sind  beiderseits  sehr  gesteigert.  Die  Sensibilität  ist  normal. 
Feinere  Handgriffe  werden  mit  beiden  Händen  sehr  schwer  oder  gar 
nicht  ausgeführt;  die  linke  Hand  ist  noch  ungeschickter  als  die  rechte. 

Die  Wirbelsäule  des  Kindes  ist  skoliotisch.  Es  besteht  keine 
Störung  der  Sphinkteren.  Die  Bauchdeckenreflexe  sind  beiderseits  leb¬ 
haft,  rechts  etwas  prompter  als  links.  Von  den  unteren  Extremitäten 
ist  die  linke  in  der  Entwicklung  leicht  zurückgeblieben  (links  unter 
dem  Knie  22  cm,  rechts  23  cm).  Die  Bewegungen  in  den  Hüft-  und 
Kniegelenken  sind  kräftig,  in  den  Fuss-  und  Zehengelenken  sehr  ein¬ 
geschränkt  und  kraftlos.  Es  besteht  beiderseits  Pes  valgus.  Die  Zehen 
sind  gespreizt  und  die  grossen  Zehen  hyperextendirt.  Patellar-  und 
Achillessehnenreflexe  beiderseits  sehr  gesteigert.  Auch  die  unteren 
Extremitäten  sind  leicht  cyanotisch;  die  Sensibilität  ungestört.  Das 
Kind  kann  nicht  allein  stehen  und  gehen;  geführt  zeigt  es  einen 
spastisch-paretischen  Gang. 

Die  geistige  Entwicklung  des  Kindes  ist  seinem  Alter  ent¬ 
sprechend;  sie  ist  nicht  stärker  zurückgeblieben,  als  durch  die  Läh¬ 
mungen  und  die  Sprachstörung  dies  absolut  bedingt  ist.  Das  Kind  be¬ 
nimmt  sich  während  der  Untersuchung  ruhig  und  leistet  allen  noch 
so  schwierigen  Anforderungen  Folge. 

Von  den  genannten  Symptomen  wäre  besonders  hervorzuheben 
der  eigenartige  Nystagmus,  die  Contractur  im  Mundfacialis  bei  inten- 
dirter  Bewegung  und  die  Intactheit  der  mimischen  Innervation  bei 
gleichzeitiger,  hochgradiger  Parese  beider  Faciales. 

Das  Verhalten  des  Mundfacialis,  die  spastische  Innervation  des¬ 
selben  im  Gegensätze  zum  Augenfacialis  scheint  bei  der  cerebralen 
Kinderlähmung  sehr  selten  vorzukommen.  Koenig  sah  unter 
35  Fällen,  in  welchen  der  VII  paretisch  war,  fünfmal  spastische 
Innervation  und  nur  einmal  ein  ungleichmässiges  Verhalten  des  Muud- 
und  Augenfacialis,  wie  bei  unserer  Patientin.  Ueber  das  Verhalten  der 
mimischen  Bewegungen  bei  bilateraler  Vllparese  der  diplegisehen 
Kinderlähmungen  liegen  nur  wenig  Befunde  vor.  Auch  in  dem  vom 
Vortragenden  vor  einem  Jahre  (Sitzung  vom  13.  Juni  1899)  vor¬ 
gestellten  Falle  war  die  mimische  Innervation  ziemlich  gut  erhalten. 
Der  Fall  unterschied  sich  vom  heutigen  dadurch,  dass  in  jenem  die 
Störungen  der  Extremitäten  ganz  gering  waren  und  in  den  Hinter¬ 
grund  traten  gegenüber  den  hochgradigen  Läsionen  der  Hirnnerven; 
auch  bestand  bei  dem  Kinde  Sprachlosigkeit.  Damals  wies  Vortragender 
auf  die  Möglichkeit  hin,  eine  Besserung  der  Sprache  zu  erzielen.  Das 
Kind  wurde  einem  Taubstummen-Institute  übergeben,  konnte  aber 
wegen  der  sich  häufenden  epileptischen  Insulte  nicht  lange  dort  ge¬ 
halten  werden.  Im  vorliegenden  Falle,  in  dem  keine  Sprachlosigkeit, 
nur  eine  hochgradige,  angeblich  noch  in  der  letzten  Zeit  sich  bessernde 
Sprachstörung  besteht,  ist  zu  hoffen,  dass  in  einer  Sprachschule  ein 
bedeutender  Erfolg  zu  erreichen  sein  wird. 

Aus  der  Anamnese  des  Falles  geht  hervor,  dass  die  diplegische 
Cerebrallähmung  eine  extrauterin  erworbene  sei;  die  acute,  fieberhafte 
Erkrankung  mit  anfallsweise  auftretenden  Krämpfen  im  dritten  Lebens¬ 
jahre  des  Kindes  ist  zweifelsohne  die  Ursache  der  Lähmung. 

Was  die  pathologische  Anatomie  dieser  Fälle  anbelangt,  so  liegt 
kein  Grund  vor,  andere  Processe  anzunehmen,  als  wie  sie  bei  anderen 
Formen  der  cerebralen  Kinderlähmung  Vorkommen;  es  dürfte  sich  wohl 
nur  um  Unterschiede  in  der  Localisation  handeln. 

Die  infantilen  Cerebrallähmungen  mit  bulbären  Symptomen 
dürften  nicht  allzu  selten  sein.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  die  Kinder 
in  Folge  der  fehlenden  Sprache  oder  der  hochgradigen  Sprachstörung, 
wie  auch  der  grossen  Ungeschicklichkeit  der  Extremitäten  theilweise 


in  Anstalten  für  schwachsinnige  oder  taubstumme  Kinder  untergebiaclit 
werden. 

Dr.  Zapp  er  t  stellt  einen  U/ajährigen  Knaben  vor,  der  vor 
neun  Tagen  plötzlich  ohne  Bewusstseinverlust  an  Aphasie  und 
rechtsseitiger  Hemiparese  (am  stärksten  unterer  Facialisast,  am 
schwächsten  Bein)  erkrankte.  Patient  konnte  damals  sofort  nach  dem 
Insult  gehen,  wurde  zu  Bett  gebracht.  In  den  nächsten  Tagen  bestanden 
nur  Kopfschmerzen  und  einige  Male  Erbrechen. 

Eine  rasche  Verschlechterung  hat  der  Zustand  seit  vier  Tagen 
erfahren.  Damals  bekam  Patient,  gerade  als  Vortragender  ihn  zum 
ersten  Male  sah,  einen  Anfall  von  rechtsseitigen  Krämpfen  mit 
Bewusstseins  Verlust. 

Seither  ist  der  Knabe  unruhig,  wimmert  bei  Berührungen,  ist 
verdrossen,  greift  sich  mit  dem  Ausdrucke  des  Schmerzes  nach  dem 
Kopfe.  Erbrechen,  Krämpfe  haben  sich  mehrfach  wiederholt. 

Ausserdem  besteht  jetzt  Pulsverlangsamung  (64),  geringe 
Nackensteifigkeit,  eingesunkenes  Abdomen,  die  Beine  sind  im  Knie 
gebeugt;  irgend  eine  Sprachäusserung  gibt  Patient  nicht  von  sich, 
doch  versteht  er,  was  man  zu  ihm  spricht.  Der  Augenhintergrund  ist, 
soweit  eine  Untersuchung  möglich  war,  normal. 

Vortragender  hält  den  Krankheitszustand  für  eine  t  u  ber¬ 
eu  1  ö  s  ©  Meningitis.  Der  Beginn  mit  Aphasie  wäre  der  Ausdruck 
einer  primären  Exsudation  an  der  linken  Grosshirnconvexität  (S  y  1  v  i- 
sche  Furche);  secundär  stellten  sich  jetzt  die  Symptome  der  basalen 
Meningitis  ein. 

Derartige  Fälle  sind  in  der  Literatur  vereinzelt  beschrieben 
(II  u  g  u  e  n  i  n)  und  schliessen  sich  an  die  vom  Vortragenden  seinerzeit 
bearbeiteten  Formen  der  Hemiplegie  bei  tuberculöser  Meningitis  an. 

Discussion:  Prof.  v.  F  rank  1-H  oehwart  fragt  den 

Vortragenden,  ob  in  den  vorgestellten  Fällen  Schwankungen  in  dem 
Verhalten  der  Aphasie  beobachtet  wurden. 

Dr.  Z  a  p  p  e  r  t  verneint  diese  Frage. 

Prof.  v.  F  rank  1-H  oehwart  weist  darauf  hin,  dass  wegen 
der  Wichtigkeit  der  Dififerentialdiagnose  der  mit  Aphasie  einsetzenden 
Meningitis  gegenüber  begrenzten  Herderkrankungen  die  Stellungnahme 
der  Versammlung  zu  der  Frage  einer  initialen  Aphasie  bei  Meningitis 
auf  Grund  eigener  Erfahrungen  erwünscht  wäre.  v.  F  rank  1-H  och- 
wart  hat  nur  zweimal  ein  Einsetzen  von  Meningitis  mit  Aphasie  be¬ 
obachtet;  das  relativ  häufige  Auftreten  der  Aphasie  im  Verlaufe  einer 
Meningitis  kommt  dabei  nicht  in  Frage.  In  beiden  vom  Redner  beob¬ 
achteten  Fällen  zeigte  nun  die  Aphasie  Eigenthümlichkeiten,  die  an 
die  aphasische  Sprachstörung  der  Paralyse  erinnerten,  ein  Kommen 
und  Gehen  der  Aphasie  innerhalb  von  Stunden  und  Tagen,  schliesslich 
eine  Stabilisirung  derselben.  In  dem  einen  Falle  führte  ein  gleich¬ 
zeitig  vorhandener  Spitzenkatarrh  zur  richtigen  Diagnose,  im  zweiten 
Falle,  bei  dem  eine  vorausgegangene  Lues  zu  erheben  war,  wurde  die 
Diagnose  nach  der  anfänglichen  Annahme  einer  Lues  cerebri,  be¬ 
ziehungsweise  progressiven  Paralyse  erst  durch  später  aufgetretenes 
Fieber  und  eine  nachweisbare  Spitzeninfiltration  gesichert. 

Docent  Schlesinger  erklärt  die  Aphasie  als  Frühsymptom 
einer  Meningitis  für  keine  seltene  Erscheinung;  er  erinnere  sich  an 
vier  oder  fünf  Fälle  bei  mit  Tuberculose  behaftet  gewesenen  Individuen; 
die  von  v.  Frank  1-H  oehwart  constatirten  Schwankungen  habe  er 
nicht  beobachtet;  bei  einem  an  der  Klinik  des  Hofrathes  Albert 
gesehenen  Falle  handelte  es  sich  um  eine  eintägige  Aphasie,  die  dann 
ganz  zurücktrat. 

Docent  Redlich  sah  Meningitisfälle  mit  initialer  Aphasie, 
die  dauernd  blieb.  Fälle,  die  mit  einer  Hemiplegie  einsetzten,  sind  in 
der  Literatur  mehrfach  verzeichnet.  Redlich  berichtet  ferner  über 
einen  Fall,  den  er  an  der  Ohrenklinik  sah  und  bei  dem  es  sich  um 
eine  sensorische  Aphasie  bei  einer  linksseitigen  Otitis  med.  supp, 
handelte.  Es  lag  nahe,  an  einem  Abscess  im  linken  Schläfelappen  zu 
denken.  Die  Annahme  stellte  sich  nach  operativem  Eingriffe  als  irr- 
thümlich  heraus,  was  unter  Rücksichtnahme  auf  die  später  erschienene 
Mittheilung  0  p  p  e  n  h  e  i  m’s,  wonach  die  von  Mittelohraffectionen  aus¬ 
gehenden  Abscesse  ihren  Sitz  in  den  tieferen  Schläfewindungen  haben, 
erklärlich  erscheint.  Die  Ursache  der  Aphasie  war  eine  Meningitis 
tuberculosa;  das  seltene  Vorkommniss  einer  sensorischen  Aphasie  bei 
einer  Meningitis  tuberculosa  hielt  der  Redner  der  Mittheilung  werth. 

Dr.  Z  a  p  p  e  r  t  betont,  dass  die  Aphasie  in  den  vorgestellten 
Fällen  als  in  innerer  Beziehung  mit  der  Hemiplegie  stehend  anzusehen 
sei.  Ein  Einsetzen  der  Meningitis  mit  Hemiplegie  habe  er  selbst  in 
zwei  Fällen  gesehen;  es  waren  dies  Fälle,  in  denen  Convulsionen  der 
Hemiplegie  vorausgegangen  sind.  Gestützt  auf  diese,  durch  Obductionen 
gesicherten  Erfahrungen  hat  er  auch  hier  die  Diagnose  einer  Meningitis 
tuberculosa  gestellt. 

Prof.  Obersteiner:  Demonstration  der  G  1  i  a  zellen 
in  der  Mol  ecularschichte  des  Grosshirnes. 

Färbt  man  die  Grosshirnrinde  erwachsener  Menschen  nach  der 
Methode  von  March  i,  so  sieht  man  bei  schwacher  Vergrösserung  in 
dem  äusseren  Drittel  der  Moleeularschichte  eine  grosse  Anzahl  schwarzer 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Pünktchen.  Bei  starker  Vergrösserung  überzeugt  man  sich,  dass  es 
sich  um  Gliazellen  handelt,  in  denen  sich  eine  Anzahl  kleinerer  oder 
grösserer  Fettkörnchen  abgelagert  haben.  Beim  172jährigen  Kinde  sind 
diese  Körnchen  noch  ungemein  selten,  beim  14jährigen  Kinde  sind 
sie  bereits  recht  deutlich  und  nehmen  nun  mit  fortschreitendem  Alter 
an  Grösse  und  Zahl  zu.  Zugleich  erhalten  sie  im  höheren  Alter  eine 
gelbbräunliche  Farbe.  Man  hat  daher  das  Auftreten  dieses  Fettes, 
respective  Pigmentes  in  den  Gliazellen  irriger  Weise  meist  für  den 
Ausdruck  des  Seniums,  oft  sogar  der  senilen  Demenz  gehalten. 

Ausserdem  treten  bereits  in  den  mittleren  Lebensaltern  helle, 
lichtbrechende  Körnchen  in  den  Gliazellen  auf,  die  im  höheren  Alter 
zu  grösseren  Kugeln  an  wachsen  und  mit  dem  Zei  falle  der  Zelle  wahr¬ 
scheinlich  die  Grundlage  der  Amyloidkörper  darstellen.  Letztere  ent¬ 
wickeln  sich  jedenfalls  aus  der  Glia  und  durchaus  nicht  aus  den 
Achsencylindern. 


18.  Congress  für  innere  Medicin  in  Wiesbaden. 

Vom  18.  bis  21.  April  1900. 

Referent  Albu  (Berlin). 

(Schluss.) 

VI.  Sitzung. 

VI II.  Michaelis  (Berlin):  Ueber  Sauerstofftherapie’ 

Diese  Therapie  wurde  in  Deutschland  schon  1774  geübt  und 
ist  wegen  ihrer  Wirkungslosigkeit  und  schädlichen  Nebenwirkungen 
immer  wieder  verworfen  worden.  Die  L  e  y  d  e  n’sche  Klinik  hat  sie 
wieder  aufgenommen,  nachdem  jetzt  besseres  Gas  zur  Einathmung  zur 
Verfügung  steht.  Es  enthält  60 — 63°/o  reinen  Sauerstoff.  Michaelis 
be  richtet  über  150  Beobachtungen  bei  Zuständen  von  Dyspnoe  in 
Folge  von  Lungen-  oder  Herzkrankheiten  und  Vergiftungen.  Bei  allen 
subjectives  Wohlbefinden.  Als  besonders  beweisend  führt  Vortragender 
einen  Fall  von  Morphiumintoxication  und  von  Herzschwäche  mit  Cyanose 
an,  wo  sich  nach  längerer  Einathmung  des  0  Puls  und  Athmung 
erheblich  besserten.  Bei  chronischen  Fällen  lässt  sich  diese  Wirkung 
stets  von  Neuem  erzielen.  Für  Blutgasvergiftung  erscheint  die  Behand¬ 
lung  eine  specifische.  Vortragender  demonstrirt  den  auf  der  Leyden- 
schen  Klinik  gebrauchten  Apparat.  Es  müssen  grosse  Mengen  einge- 
athmet  werden. 

v.  J  aksch  (Prag)  hat  mehrfach  auch  gute  Wirkungen  gesehen, 
so  kehrte  z.  B.  in  einem  Falle  vou  Coma  diabeticum  das  Bewusst¬ 
sein  wieder. 

Kobert  (Rostock)  hat  auch  bei  Phthisikern  vorübergehende 
Besserung  der  Dyspnoe  gesehen,  räth  aber  zur  Vorsicht. 

K  r  a  u  s  (Graz)  hat  keine  guten  Resultate  gehabt.  Die  Suggestion 
des  Kranken  thut  Vieles.  Die  Wirkung  lässt  sich  auch  theoretisch 
nicht  begründen.  Eine  vermehrte  Sauerstoffaufnahme  lässt  sich  nicht 
nachweisen. 

Merkel  (Nürnberg)  hat  bei  Zuständen  von  Athemnoth  nur 
vorübergehende  Linderung  gesehen,  dagegen  ist  die  Therapie  für 
Kohlenoxydgasvergiftung  u.  dgl.  sehr  brauchbar. 

Friedei  Pick  (Prag)  hat  weniger  günstige  Resultate 
gesehen. 

* 

VII.  Sitzung. 

I.  H  e  i  n  r  (Erlangen) :  Experimentelle  Untersuchun¬ 
gen  über  Digitaliswirkung. 

Die  absolute  Herzkraft  wird  durch  Digitalispräparate  nicht 
vermehrt.  Die  Herzarbeit  zeigt  sich  durch  Digitalis  infus 
u  m  40 — 250%  vermehr  t. 

Kobert  (Rostock):  Man  muss  bei  der  Digitalis  die  Einwirkung 
auf  das  Herz  und  ganz  unabhängig  davon  die  Wirkung  auf  die  Ge- 
fässe  unterscheiden. 

II.  Müller  (Leipzig):  Zur  Entstehung  der  Lungen¬ 
entzündungen. 

Vortragender  hat  im  Thierversuch  Vaguspneumonien  erzeugt 
und  die  Lungen  in  Serienschnitten  untersucht.  Die  Infection  verbreitet 
sich  darnach  nicht  auf  der  Oberfläche  der  Alveolen,  sondern  von  der 
Wand  derselben  aus  gleichzeitig  nach  allen  Richtungen,  dann  in  die 
Septa  und  die  Saftspalten  und  die  Lymphgefässe.  Die  Bacterien  ver¬ 
breiten  sich  also  auf  demselben  interstitiellen  Wege,  wie  der  Russ 
und  Staub.  Müller  hat  festgestellt,  dass  bei  der  Aspirations¬ 
pneumonie  der  Säuglinge  die  Infection  der  Lungen  in  der  gleichen 
Weise  vor  sich  geht.  Auch  für  die  croupöse  Pneumonie  ist  das  wahr¬ 
scheinlich. 

III.  Lennhoff  (Berlin)  gemeinsam  mit  W.  B  e  c  h  e  r  (Berlin): 
Weitere  Untersuchungen  über  die  Beziehungen 
zwischen  Körperform  und  Lage  der  Nieren. 


Stellt  man  den  von  uns  zur  Bestimmung  der  Körperform  gefun¬ 
denen  Index  in  Beziehung  zu  dem  F  ritzsch-Schmid  t’schen 
Canon,  so  ergibt  sich  eine  weitere  Bestätigung  für  die  Richtigkeit  des 
Index,  den  Lennhoff  und  Becher  auf  dem  vorjährigen  Congresse 
als  massgebend  für  die  Lage  der  Nieren  angegeben  haben.  Beim 
Uebergang  aus  horizontaler  Lagerung  in  aufgerichtete  Körperhaltung 
rücken  die  Nieren  allmälig  abwärts  und  liegen  beim  gerade  stehenden 
Menschen  am  tiefsten.  Um  Klarheit  über  die  Lage  der  Nieren  zu  er¬ 
halten,  ist  es  daher  nothwendig,  die  zu  untersuchenden  Individuen 
sowohl  in  horizontaler  Lage,  wie  auch  in  aufrechter  Stellung  zu  unter¬ 
suchen.  Ein  erhebliches  Moment  für  die  Erklärung  der  Thatsaehe, 
dass  bei  Frauen  die  Nieren  ungleich  häufiger  der  Palpation  zugänglich 
sind,  als  bei  Männern,  liegt  in  der  den  Frauen  eigenthiimliehen  Ein¬ 
ziehung  des  Rumpfes  in  der  Taille.  Diese  Einziehung  und  die  grössere 
Palpabilität  der  Nieren  sind  demgemäss  als  secundäre  Sexual- 
cliaraktere  des  weiblichen  Geschlechtes  anzusehen.  Die  Verschieden¬ 
heit  der  anatomischen  Angaben  über  die  Lage  der  Nieren  erklärt 
sich  aus  dem  Umstande,  dass  bei  der  Untersuchung  der  Verhältnisse 
an  der  Leiche  die  allgemeine  Körperform  bisher  nicht  berücksichtigt 
worden  ist. 

Rosen  stein  (Leiden)  hält  darnach  es  doch  nicht  für  aufge¬ 
klärt,  warum  gerade  die  rechte  Niere  häufiger  fühlbar  wird. 

Albu  (Berlin):  Ausser  der  vom  Vortragenden  angegebenen 
physiologischen  Disposition,  deren  Bedeutung  anerkannt  werden  müsste, 
kommen  für  die  Entstehung  der  sogenannten  Wanderniere  —  ein 
gänzlich  zu  perhorrescirender  Ausdruck  —  noch  eine  Reihe  pathologi¬ 
scher  Momente  in  Betracht,  wie  Nachlassen  des  allgemeinen  Gewebs- 
tonus,  Lockerung  der  Aufhängebänder,  Schwund  des  Fettes,  Sinken 
des  intraabdominellen  Druckes  u.  s.  w. 

Boas  (Berlin)  schliesst  sich  dem  an. 

Strauss  (Berlin)  macht  hauptsächlich  Constitutionsanomalien 
für  die  Veränderung  der  Lage  der  Nieren  verantwortlich.  Die  Form 
des  Abdomens  wurde  aus  der  runden  zu  einer  mehr  cylindrischen. 

Lennhoff  (Schlusswort):  Wenn  80%  aller  Nieren  fühlbar 
sind,  so  muss  das  eine  physiologische  Norm  sein.  Je  höher  der  Index, 
desto  mehr  wird  auch  die  linke  Niere  fühlbar. 

IV.  Strauss  (Berlin) :  Zur  Function  des  Magens. 

Vortragender  weist  nach,  dass  der  osmotische  Druck  des  Magen¬ 
inhaltes  unterhalb  desjenigen  des  Blutes  liegt.  Es  entspricht  meistens 
einer  Gefrierpunktserniedrigung  von  A  — —  0'38°  bis  A  = —  0'44°. 
Pathologische  Steigerungen  kommen  vor,  wenn  Milchsäure  im  Magen 
ist  (bis —  1  •  1 1  °).  Pathologische  Erniedrigungen  der  Gefrierpunktes  hat 
Vortragender  bei  einigen  Fällen  von  „larvirter  Hyperacidität“  beob¬ 
achtet  und  erklärt  das  Zustandekommen  derselben  durch  das  Vorhanden¬ 
sein  einer  „Hydrorrhoea  gastrica“.  Sobald  der  osmotische  Druck  des 
Magens  (D)  die  normale  Höbe  erreicht  hat,  bleibt  er  bis  zum  Schluss 
der  Verdauung  constant  und  bei  der  Zufuhr  von  gastrohypertonischen 
Lösungen  erscheint  freie  Salzsäure  erst,  w’enn  D  erreicht  ist.  D  steht 
in  Beziehung  zu  allen  drei  Functionen  des  Magens  (Secretion,  Resorp¬ 
tion  und  Motilität).  Die  Regulirung  des  osmotischen  Druckes  des 
Mageninhalts  dient  dem  Organismus  als  Schutzvorrichtung,  die 
einerseits  eine  Schädigung  des  Darmes,  andererseits  eine  plötzliche 
Steigerung  des  osmotischen  Druckes  in  den  Gewebssäften  zu  verhüten 
mag.  Diese  Schutzvorrichtung  hat  jedoch  eine  Grenze,  denn  es 
gelingt  im  Thierexperiment,  durch  Zufuhr  unmässiger  Quantitäten  von 
Kochsalz  eine  Steigerung  des  osmotischen  Druckes  des  Blutes  zu  er¬ 
zwingen.  Vortragender  meint,  dass  man  das  Zustandekommen  plötzlicher 
Steigerungen  des  osmotischen  Drucks  im  Blute  auf  dem  Ernährungs¬ 
wege  möglichst  verhüten  soll  und  zwar  ganz  besonders  bei  unge¬ 
nügender  Nierenfunction.  Lösungen  von  hoher  moleculärer  Concentration, 
z.  B.  concentrirte  Zuckerlösung,  alkoholische  Getränke  können  unter 
Umständen  zur  Verdünnung  des  Mageninhaltes  oder  zur  Verbesserung 
der  Resorption  Verwendung  finden,  doch  sind  sie  bei  motovischer  In- 
sufficienz  des  Magens  zu  vermeiden,  da  sie  durch  Vermehrung  des 
Flüssigkeitsgehaltes  des  Magens  die  Motilität  belasten.  Auch  für  die 
Beziehungen  gewisser  Mineralwässer  zum  Magen  verdient  der  osmotische 
Druck  neben  anderen  Momenten  Beachtung. 

V.  Wassermann  (Berlin) :  Ueber  neue  Versuche  auf 
dem  Gebiete  der  Serumtherapie. 

Ausgehend  von  den  Versuchen,  die  Ehrlich  in  Gemeinschaft 
mit  Morgen  roth  an  hämolytischen  Sera  gemacht  hat,  zeigt  Vor¬ 
tragender,  dass  auch  zum  Auflösen  von  lebenden  Bacterien  im  Organismus, 
also  zur  Heilung  einer  Infection  zwei  verschiedene  Substanzen  gehören. 
Diese  beiden  Substanzen,  welche  Ehrlich  bei  den  hämolytischen 
Serumarten  zuerst  studirt  hat,  sind  einerseits  der  sogenannte  Zwischen¬ 
oder  Immunkörper,  andererseits  das  sogenannte  Complement  oder  der  End¬ 
körper.  Der  Zwischenkörper  hat  nur  die  Aufgabe,  das  Complement, 
welches  das  die  lebenden  Bacterien  auflösende  Ferment  ist,  an  die 
Bacterien  zu  ketten.  —  Im  bactericiden  Immunserum  ist  fast  nur 
Zwischenkörper  vorhanden,  während  das  Complement  einen  Bestaud- 
tlieil  des  frischen  normalen  Serums  bildet.  Ehrlich  konnte  nun 


N  r.  24 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nachweisen,  dass  Zwischenkörper  und  Complement  wie  zwei  Zahnräder 
genau  in  einander  passen  müssen,  um  ihre  biologische  Wirkung  aus¬ 
zuüben.  Demnach  passt  nicht  jedes  frische  Serum  irgend  einer  Thier¬ 
art  auf  jedes  Immunserum,  es  müssen  vielmehr  die  passenden  End¬ 
körper  experimentell  gesucht  werden.  Vortragender  fand  nun,  dass  bei 
den  bisherigen  Heilversuchen  mit  bactericidem  Serum  stets  nur  Immun¬ 
serum,  also  Zwischenkörper,  dem  erkrankten  Organismus  zugeführt 
wurde.  Er  fügte  deshalb  demselben  noch  frisches  Rinderserum  hinzu 
und  in  der  That  konnte  er  nunmehr  bei  typhusinficirten  Meerschwein¬ 
chen  mit  dieser  neuen  Methode  eine  Infection  zum  Stillstände  bringen, 
die  mit  Immunserum  allein  nicht  mehr  beseitigt  werden  konnte. 
Wassermann  glaubt,  dass  die  Lehren  dieser  Experimente  vielleicht 
auch  für  die  Therapie  des  Menschen,  und  zwar  auch  bei  anderen  In- 
fectionen  (Cholera,  Pest  etc.)  nicht  unwichtig  sind. 

Ehrlich  (Frankfurt  a.  M.)  macht  einige  weitere  theoretische 
Auseinandersetzungen  über  das  vom  Vortragenden  berührte  Thema  und 
begrüsst  es  mit  Freuden,  dass  bereits  praktische  Erfolge  erreicht 
worden  sind. 

VI.  Biedl  und  Ko  lisch  (Wien):  Ueber  Phloridzin¬ 
diabetes. 

Die  Autoren  fanden  am  Hunde  und  Kaninchen  eine  Vermehrung 
des  Blutzuckergehaltes  im  gesammten  Gefässsystem  nach  Phloridzin¬ 
darreichung. 

In  einer  weiteren  Versuchsreihe  wurde  festgestellt,  dass  das 
Nierenvenenblut  in  vielen  Fällen  zuckerreicher  wurde,  als  das 
Arterienblut.  Ferner  zeigten  Versuche,  in  welchen  gleichzeitig 
Blut  aus  der  Arteria  femoralis  und  der  Vena  hepatica 
aufgefangen  wurde,  dass  unter  der  Einwirkung  von  Phloridzin  enorme 
Mengen  von  Zucker  aus  der  Leber  in  den  Kreislauf  gelangen. 

Biedl  und  Ko  lisch  fanden  Werthe  des  Zuckergehaltes  des 
Lebervenenblutes  bis  zu  0,8°/o. 

In  Versuchen,  bei  welchen  die  Harnsecretion  aufgehoben  war, 
erwiesen  sich  die  Nieren  nach  Darreichung  von  Phloridzin  immer 
stark  zuckerhaltig,  bis  zu  0‘5°/o.  Die  Durchblutung  der  ausgeschnittenen 
Niere  mit  Phloridzinblut  ergab  zuckerhaltigen  Urin.  Mit  Rücksicht  auf 
diese  Versuchsergebnisse  wenden  sich  die  Autoren  gegen  die  Elimi¬ 
nationstheorie  des  Phloridzindiabetes  und  erklären  die  Glykosurie  durch 
eine  Ueberschwemmung  des  Blutes  mit  Zucker.  Die  Versuche  erweisen 
als  Quellen  dieses  Zuckers  die  Leber  und  Nieren.  Es  ist  jedoch  nicht 
wahrscheinlich,  das3  noch  andere  Quellen  für  den  Zuckerzufluss  zum 
Blute  bestehen. 

K  o  1  i  s  c  h  wendet  sich  gegen  die  herrschende  Ansicht  von  de1’ 
Zuckerretention  in  der  Niere. 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen  über  den  Jecoringehalt  des 
Blutes  kommt  er  zu  der  Anschauung,  dass  Zucker,  wenn  er  im  Blute 
präformirt  vorkommt,  unter  allen  Umständen  ausgeschieden  werden 
muss,  dass  aber  de  norma  der  Zucker  gebunden  ist. 

Zucker,  welcher  dem  Blute  auch  ausserhalb  des  Körpers  zu¬ 
gesetzt  wird,  geht  in  eine  ätherlösliche  Verbindung  über.  In  dieser 
Verbindung  verliert  der  Zucker  auch  die  Fähigkeit,  Kupferoxyd  zu 
redueiren,  und  gewinnt  sie  erst  wieder  durch  Spaltung  der  Verbindung 
mit  Mineralsäuren,  ein  Beweis,  dass  der  Zucker  im  Blute  chemisch 
gebunden  wird. 

Friedei  Pick  (Prag)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  den 
Resultaten  des  Vortrages  die  Thatsache  entgegensteht,  dass  der 
Phloridzindiabetes  noch  zu  Stande  kommt,  wenn  die  Leber  glykogen¬ 
frei  gemacht  ist. 

VII.  E  d  1  e  s  s  e  n  (Kiel) :  Zum  Nachweis  des  Zuckers 
im  normalen  Harn. 

VIII.  Lenne  (Neuenahr):  Die  Eiweisszufuhr  in  der 
Diabetiker  diät. 

Wie  die  Nahrungszufuhr  im  Allgemeinen,  so  ist  auch  das  stick¬ 
stoffhaltige  Nährmaterial  dem  Diabetiker  im  Verhältniss  zu  seinem 
Körpergewichte  zuzumessen.  Diese  Menge  der  Eiweissnahrung  darf 
nicht  höher  gegriffen  werden,  als  einer  Harnstoffausscheidung  von 
0  37  g  pro  Kilogramm  Körpergewicht  und  pro  24  Stunden  bei  dem 
betreffenden  Individuum  entspricht.  Je  höher  der  Eiweissbedarf  des 
diabetischen  Organismus  ist  und  je  schwieriger  es  gelingt,  den  Eiweiss¬ 
umsatz  auf  diese  Grenze  herabzudrücken,  desto  schwerer  sind  die 
krankhaften  Veränderungen  des  diabetischen  Organismus,  umgekehrt 
weist  ein  niedriger  Eiweissbedarf  auf  eine  gut  erhaltene  normale 
Körperbeschaffenheit  hin. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  B  e  n  d  i  x  (Berlin). 

II.  Sitzung,  Dienstag,  den  19.  September  1899. 

Vorsitzender:  Heubner. 

4.  Bag  in  sky  (Berlin).  Nach  einem  kleinen  historischen  Apercu 
äussert  sich  Baginsky  dahin,  dass  nach  seiner  Meinung  ganz  sicher 
Laryngospasmus  ohne  Tetanie  existirt.  Das  Facialisphänomen  bei  Vor¬ 
handensein  von  Krämpfen  für  Tetanie  diagnostisch  zu  verwerthen  gegen¬ 
über  der  Meningitis,  wie  Es  eher  ich  vorschlägt,  möchte  er  nicht 
empfehlen,  da  auch  bei  Meningitis  das  Facialisphänomen  vorkommt. 
Der  Zusammenhang  des  Laryngospasmus  mit  Convulsionen  kann 
nicht  so  construirt  werden,  wie  man  physiologisch  gern  möchte,  dass 
aus  dem  Schlüsse  der  Rima  glottidis  her  Apnoe  schliesslich  Dilatatio 
cordis  und  Circulationsstörungen  im  Cerebrum  auftreten.  Der  Phosphor 
wirkt,  wenn  er  wirkt,  sicher  nicht  gegen  die  Rachitis  als  Ursache  der 
Krämpfe,  sondern  wahrscheinlich  als  Nervinum. 

5.  R.  Fisch  1  (Prag)  hält  Herrn  Th  im  ich  gegenüber  den 
C  h  e  a  d  1  e’schen  Satz  aufrecht,  den  er  für  vollkommen  logisch  hält, 
da  in  der  That  die  verschiedenen  Zustände  gleichzeitig  Vorkommen, 
wie  auch  in  einander  übergehen.  —  Auch  rascher  Temperaturabfall  kann 
Krämpfe  liervorrufen.  Sicher  existirt  Laryngospasmus  ohne  Tetanie.  Die 
Phosporeinwirkung  manifestirt  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  denn 
Fischl  hat  auf  den  Glottiskrampf  oft  einen  glänzenden  Einfluss  ge¬ 
sehen,  ohne  dass  allerdings  die  anderen  sonst  noch  vorhandenen  Latenz¬ 
erscheinungen  irgendwie  beeinflusst  wurden. 

6.  Ganghofner  (Prag)  hält  mit  E  s  c  h  e  r  i  c  h,  dem  gegen¬ 
über  er  betont,  dass  er  nicht  vom  Status  thymicus  sondern  vom  St. 
lymphaticus  gesprochen  —  den  Nachweis  von  Tetanie  bei  allgemeinen 
Convulsionen  insbesondere  auch  bezüglich  der  Frage,  ob  Meningitis 
vorliegt,  nach  eigener  Erfahrung  prognostisch  für  wichtig.  Gegenüber 
S  o  1 1  m  a  n  n  gibt  Ganghofner  das  Ilervorg'ehen  des  eklamptischen 
Anfalles  aus  dem  larygospastischen  zu,  doch  gibt  es  auch  Anfälle  von 
Eklampsie  ohne  Laryngospasmus.  Auch  kommt  Laryngospasmus  allein 
vor  ohne  Tetanie. 

7.  II  och  singer  (Wien)  hofft,  dass  der  Begriff  der  Tetanie 
durch  die  von  ihm  gemachte  Trennung  der  permanenten  Dauercontrac- 
turen  von  ihr  eine  Klärung  gewonnen  hat.  Das  vollkommene  Fehlen 
gerade  jeder  Uebererregbarkeit  des  Nervensystems  und  das  unvermin¬ 
derte  persistente  Bestehen  dieser  tonischen  Contracturen  ist  etwas  ganz 
anderes  als  Tetanie.  Der  gewählte  Name  der  Myotonie  der  Neugebo¬ 
renen  entspricht  den  Verhältnissen.  Auch  decken  sich  die  theoretischen 
Grundlehren  des  Redners  bezüglich  des  Muskeltonus  bei  Neugeborenen 
vollkommen  mit  den  Lehren  Soltmann’s  und  laufen  denselben  nicht, 
wie  Soltmann  meint,  zuwieder.  Laryngospasmus  und  Eklampsie  be¬ 
stehen  häufig  ohne  jede  Spur  von  Tetanie.  Die  Phosphorbehandlung 
hat  sicher  Erfolg,  wenn  auch  die  Theorien  über  die  Art  seiner  Wir¬ 
kung  auseinandergehen  mögen. 

8.  Sonnenberger  (Worms)  vermisst  in  den  Vorträgen  als 
ätiologisches  Moment  für  das  Entstehen  von  Krämpfen  im  Kindesalter 
die  Autoinfection. 

9.  Heubner  (Berlin).  Betreffs  der  Epilepsiefrage  stellt 
Heubner  sich  auf  die  Seite  H  e  n  o  c  h  s.  Er  stützt  sich  dabei  nicht 
auf  anamnestische  Daten,  sondern  auf  eine  Erfahrung,  die  durch  jahre¬ 
lange  Beobachtung  gewonnen  wurde,  nach  der  er  Fälle  von  scheinbarer 
Eklampsie  des  frühesten  Kindesalters  direct,  wenn  auch  allnnilig,  in 
zweifellose  Epilepsie  (mit  negativem  Sectionsbefund  nach  Tod  in  ge¬ 
häuften  Anfällen)  —  bei  Abstammung  aus  epileptisch  belasteter  Fa¬ 
milie  —  hat  übergehen  sehen.  Was  die  Tetanie  anbetrifft,  so  schliesst 
sich  Heubner  nur  mit  Vorbehalt  dem  Ausspruch  C  o  m  b  y’s  an. 
Möge  man  doch  in  v.  Frankl-Hochwart’s  schöner  Monographie 
darüber  nachlesen,  wie  Charcot  selbst  jahrelang  keine  Tetanie  ge¬ 
sehen  habe,  bis  er  auf  einmal  Gelegenheit  fand  sich  von  ihrem 
Vorkommen  zu  überzeugen.  Die  Tetanie  ist  eben  eine  in  örtlicher  und 
zeitlicher  Beziehung  intermittirende  Erkrankung.  Lieb  ist  es  Heubner, 
wahrzunehmen,  dass  der  Begriff  des  Laryngospasmus  der  Gefahr 
zu  einem  pathogenen  Begriff  gestempelt  zu  werden,  zu  entrinnen 
beginnt. 

10.  Lange  (Leipzig):  Schlusswort:  Lange  constatirt 
eine  erfreuliche  Uebereinstimmung  zwischen  T  h  i  e  m  i  c  h’s  und  seinem 
Referat  insofern,  als  die  Reflextheorie  zu  Gunsten  der  Autointoxicationen 
stark  .zurücktritt.  Zugleich  im  Sinne  seines  Correferenten  erwidert 
Lange  Herrn  Pott,  dass  sie  den  Einfluss  der  Heredität  bisher  für 
nicht  ausreichend  bewiesen  erachten,  zum  mindesten  sei  nicht  auszu- 
schliessen,  dass  gleiche  Ursachen  und  Verhältnisse  eine  grosse  Rolle 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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66S 


spielen,  umsomehr,  da  meist  ganze  Familien  als  Beweis  angeführt 
werden.  Gegenüber  B  a  g  i  n  s  k  y  hebt  Lange  hervor,  dass  die  An¬ 
schauung  der  steten  Combination  von  Spasmus  glottidis  mit  Zwerch¬ 
fellkrampf  nicht  neu  ist,  da  sich  bereits  Trousseau  in  diesem 
Sinne  klar  geäussert  hat.  Die  fast  „augenblickliche“  Wirkung  der 
Phosphortherapie,  speciell  auch  bei  nicht  rachitischen  Kindern,  glaubt 
Referent  genügend  betont  zu  haben.  Fischl,  Ganghofner,  Sonne¬ 
berger  habeu  dies  bestätigt. 

Der  Einfluss  des  rapiden  Fieberanstieges  —  mit  dem  Fieberabfall 
dürfte  es  sich  ähnlich  verhalten  - —  ist  nicht  bestritten  worden,  ist  in¬ 
dessen  durch  nichts  bewiesen. 

11.  T  h  i  e  m  i  c  h  (Breslau,  Sclilusswoi  t):lleubner  gegen¬ 
über  gibt  T  h  i  e  m  i  c  h  zu,  dass  er  nur  die  Häufigkeit  eines  Zusammen¬ 
hanges  zwischen  Eklampsie  und  Epilepsie  hat  bestreiten  wollen.  Fisch  1 
gegenüber  weist  Thiemich  nochmals  auf  die  Haltlosigkeit  des  Cheadle- 
schen  Satzes  hin.  Herrn  Esche  rieh  erwidert  er,  dass  genauere 
Angaben  für  die  „Stoffwechselanomalien“  nicht  in  das  Thema  gehören, 
dass  sie  aber  aus  der  Klinik  mitgetheilt  werden  sollen.  Von  einem 
Status  thymicus  habe  er  überhaupt  nicht  gesprochen.  In  Bezug  auf 
S  o  1  t  m  a  u  n’s  Ausführungen  weist  Thiemich  auf  die  Wichtigkeit 
der  Causa  pathologica  int.  hin,  für  welche  sich  aus  Soltmann’s 
Ausführungen  kein  Aufschluss  ergibt.  Durch  Untersuchung  des  Breslauer 
Kindermaterials  ist  Vortragender  zu  Resultaten  gekommen,  die  mit  den 
von  Ganghofner  berichteten  manche  Uebereinstimmung  zeigen.  Sie 
sollen  demnächst  im  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde  ausführlich  vor¬ 
gelegt  werden. 

V.  Finkeistein  (Berlin)  :  Referat  über  Sepsis  im 
frühen  Kindesalter. 

Vortragender  gruppirt  die  septischen  Erkrankungen  in  die  zwei 
Gruppen  der  Wund-  und  Schleimhautin fectionen.  Erstere  sind  unserem 
Verständniss  leicht  zugänglich,  bei  letzteren  bedarf  es  besonderer  Ver¬ 
hältnisse,  ehe  ein  Eindringen  von  Bacterien  in  die  Gewebe  stattfindet, 
z.  B.  katarrhalischer  Processe,  die  zu  Erosionen  führen  oder  conti- 
nuirliches  Tiefergreifen  u.  A.  In  ihrer  Dignität  sind  die  einzelnen 
Schleimhäute  verschieden;  an  der  Conjunctiva  sah  Referent  niemals, 
an  der  Nase  selten  Iufectionen,  wichtiger  ist  schon  das  Ohr,  bei  dem 
neuerliche  Befunde  auf  interessante  Beziehungen  zwischen  Bacterien- 
infection  de3  Spinalraums  und  cerebralen  Erscheinungen  schliessen 
lassen.  Von  den  Lungen  aus  sieht  man  entweder  Infection  der  Pleuren 
etc.  durch  Infection  ex  continuo,  oder  die  multiple  eiterige  Entzündung 
seröser  Häute  (Heubner’s).  Sehr  wichtig  ist  aufsteigende  Infection 
von  den  Harnwegen.  Eine  grosse  Bedeutung  hat  die  Lehre  von  den 
Wechselbeziehungen  zwischen  Darm  und  Sepsis  erlangt.  Die  An¬ 
schauungen  der  Forscher  werden  erörtert.  Es  kann  einmal  die  Sepsis 
mit  Darmerscheinungen  verlaufen,  und  zwar  dann,  wenn  die  Symptome 
der  Allgemeinintoxication  sehr  hochgradige*sind.  Anderseits  ist  zu  unter¬ 
suchen,  ob  die  Meinung  zu  Recht  besteht,  dass  die  Sepsis  ihren  einzigen 
Ausdruck  in  einer  Gastroenteritis  finden  kann  und  ob  ferner  die 
Complicationen  hämatogen  septischen  Ursprungs  sind.  Die  zahlreichen 
Untersuchungen  des  Referenten,  durch  bacteriologiselie  Blutdurch¬ 
forschung  angestellt,  ergeben  keinerlei  Anhaltspunkte  dafür,  Gastro¬ 
enteritiden,  die  nicht  schon  a  priori  als  besondere  Verlaufsart  der 
Sepsis  sich  documentiren,  als  Sepsis  aufzufassen.  Es  handelt  sich  viel¬ 
mehr  um  Complicationen,  die  einen  vorher  durch  Darmkrankheiten 
geschwächten,  respective  intoxicirten  Körper  befallen.  Gleiehwertliig  mit 
solchen  Organcomplicationen  kann  natürlich  auch  eine  secundäre  septi¬ 
sche  Infection  eintreten.  Es  ist  nun  zu  erörtern,  ob  diese  vom  Darm 
aus  stattfinden.  Die  Erfahrungen  des  Referenten  lassen  dies  sehr  un¬ 
wahrscheinlich  bleiben  und  tendiren  dahin,  zumeist  die  Haut,  respective 
andere  Körperoberflächen  anzuschuldigen;  ebenso  wie  auch  die  Provenienz 
der  vaginalen  Einwanderung  vom  Darm  recht  zweifelhaft  ist  und  zu 
Gunsten  der  Infection  von  der  Haut  an  Wichtigkeit  zurückbleibt.  Infection 
vom  Darm  findet  nur  statt  bei  sehr  seltenen  Fällen  pseudomembranöser 
Enteritis,  bei  der  auch  Peritonitis  vorhanden  war  (mit  Coli,  Proteus, 
Pyocyaneus,  Staphyloeoccen)  und  wahrscheinlich  bei  der  Escheric li¬ 
sch  en  Streptococcenenteritis.  Auch  für  die  Genesis  chronisch  atrophischer 
Zustände  ist  die  Rolle  septischer  Local-  oder  Allgemeinprocesse  höchstens 
eine  secundäre. 

VI.  Seiffert  (Correferent)  zerlegt  den  Begriff  Sepsis  in  Sepsis 
im  alten  Sinne,  Saprämie,  Septikämie,  Pyämie. 

Die  Sepsis  im  frühen  Kindesalter  findet  in  allen  drei  Gruppen 
Repräsentanten. 

Für  die  gegenwärtig  actuelle  „Darm-  und  Lungensepsis“  hält 
Seiffert  genügend  anatomische  Beweise  nicht  erbracht  und  glaubt 
er  solche  nur  von  einer  allgemein-pathologischen,  nicht  nur  baeterio- 
logischen  Auffassung  und  Bearbeitung  des  Gegenstandes  zu  erhoffen. 
Seine  eigenen  intravitalen  Blutuntersuchungen  ergaben  ihm  wie  auch 
anderen  in  der  Hauptsache  negative  Resultate.  Seiffert  fordert  des¬ 


halb  zur  kritischen  Verwerthung  der  Miki obenbefunde  im  Blut  und 
Harn  besonders  bei  den  Erkrankungen  des  Säuglingsalters  auf. 

VI L  Job.  II.  Spiegelberg  (München) :  Zur  Frage  der 
Entstehungswege  der  Lungenentzündungen  magen¬ 
darmkranker  und  septisch  erkrankter  Säuglinge. 

Entgegen  der  in  jüngster  Zeit  von  den  Franzosen  und  später 
auch  in  Deutschland  von  Czerny  und  Moser  und  verschiedenen 
Anderen  vertretenen  Anschauung  von  der  Allgemeininfection  vom 
Harne  aus  und  demzufolge  auch  der  Entstehung  der  Lungenentzün¬ 
dungen  gastroenteritisch  erkrankter,  kaohektischer  u.  s.  w.  Kinder  auf 
dem  Blut-,  beziehungsweise  Lymphwege  ist  Spiegelberg  auf 
Grund  ziemlich  ausgedehnter  histologischer  und  bacteriologischer 
Untersuchungen  magen-darmkranker  und  anderer  Säuglinge,  sowie 
durch  Untersuchung  eines  grossen  Theiles  der  übrigen  in  Frage 
kommenden  Organe  und  Gewebe  zu  der  Ueberzeugung  gelangt, 
dass  die  grosse  Mehrzahl  der  lobulären  Pneumonieu  im  Gefolge  von 
Magen-Darmerkrankungen  der  Säuglinge  im  Wesentlichen  broncho- 
gene  Infeetionen  bedingt  und,  begünstigt  durch  die  äusseren  und 
inneren  Krankheitszustände,  darstellen  ;  dass  sie  allerdings  im  un¬ 
günstigsten  Falle  selbst  zur  Quelle  einer  Sepsis  werden  können,  wie 
ja  alle  drei  Krankheitsbilder  in  wechselseitiger  Abhängigkeit  zu  ein¬ 
ander  stehen. 

Im  Uebrigen  sind  sie  aber  von  septischer  Erkrankung  vollständig 
zu  trennen  und  dürfen  vor  allen  Dingen  keineswegs  als  unmittelbare 
Theilerscheinung  einer  gastroenteritiseben  Allgemeininfection  ange¬ 
sprochen  werden. 

Discussion:  Fischl  (Prag)  drückt  seine  grosse  Befriedi¬ 
gung  über  die  so  ungemein  klaren  und  logischen  Ausführungen  von 
Fink  eiste  in  aus,  welche  zugleich  eine  vollkommene  Bestätigung 
eigener  Untersuchungsresultate  bringen.  Fischl  ist  mit  Seiffert 
nicht  darin  einverstanden,  auf  die  alten  Begriffe  und  Eintheilungs- 
principien  wieder  zurückzukommen,  er  hält  vielmehr  die  von  Kocher 
und  Tavel  vorgeschlagene  Nomenclatur  für  einen  guten  Fortschritt. 
Auch  hält  es  Fischl  nicht  für  oportun,  sogenannte  specifische  Mi¬ 
kroben  als  Erreger  der  Sepsis  zu  bezeichnen,  da  damit  der  ganze 
Begriff  der  parasitären  Specificität  aufgegeben  wird;  er  möchte  die 
Gruppe  der  Erreger  auf  jene  Mikroben  beschränken,  die  locale,  nicht 
specifische  Entzündungen  zu  erregen  vermögen.  Im  Uebrigen  hat  sich 
Seiffert  auch  F  i  s  c  h  l’s  Ausführungen  angeschlossen.  Bezüglich  der 
Ausführungen  von  Spiegelberg  bemerkt  Fischl,  dass  er  die 
Möglichkeit  einer  vom  Darm  ihren  Ausgang  nehmenden  Sepsis  nie 
geleugnet  hat,  und  in  der  von  Esche  rieh  beschriebenen  Strepto¬ 
coccenenteritis  ein  genügend  fundirtes  Beispiel  hiefür  sieht.  Die  meisten 
Pneumonien  bei  Gastroenteritis  sind  jedoch  secundärer  und  nicht  em- 
bolischer  Natur.  Fischl  vermisst  in  den  Befunden  S  p  i  e  g  e  1  b  e  r  g’s 
die  nach  seinem  Ermessen  wichtigen  Angaben  über  das  Verhalten  der 
Peribronchialdrüsen.  Interstitielle  Rundzelleninfiltration  der  Alveolen- 
septa  deutet  auf  septischen  Ursprung  der  Entzündung,  so  dass  Fischl 
die  bei  hereditärer  Lues  zu  machenden  derartigen  Befunde  in  diesem 
Sinne  deuten  möchte. 

Seiffert  (Schlusswort):  Die  allein  bacteriologische  Unter¬ 
suchung  kann  die  Frage  der  Sepsis  im  frühen  Kindesalter  nicht  weiter 
fördern.  Die  Ausseracbtlassung  anatomischer  und  allgemein  pathologi¬ 
scher  Gesichtspunkte  wird  die  Klärung  des  Begriffes  „Sepsis“  nicht 
fördern,  sondern  verhindern. 

VIII.  Rille  (Innsbruck):  Ueber  die  Behandlung  des 
Ekzems  im  Kindesalter. 

(Referat  unter  Hautkrankheiten  und  Syphilis.) 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  15.  Juni  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  Teleky 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Docent  Dr.  Schiff  und  Dr.  Freund:  Demonstration  einer  Reihe 
von  mit  R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen  behandelten  Patienten. 

2.  Dr.  Robert  Breuer:  Beitrag  zur  Aetiologie  der  B  a  s  e  d  o  w’schen 
Krankheit  und  des  Thyreoidismus. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redactenr:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Wiener  klinische  Wochenschrift 

unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuekerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gnssenhaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  21.  Juni  1900.  Nr.  25. 


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Oie  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlnng. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


I UNT  ZE3I  A.  IL,  T : 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  IV.  medicinischen  Abtheilung  des 
k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses  in  Wien.  Ein  Beitrag  zur 
Symptomatologie  der  Alterssklerose.  Ein  bemerkenswerthes  Phäno¬ 
men  bei  der  Auscultation  der  Aorta  descendens.  Von  Dr. 
Friedrich  F  r  i  e  d  m  a  n  n,  Secundararzt. 

2.  Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofratlies  Professor 
Nothnagel  in  Wien.  Zum  radiographischen  Verhalten  patho¬ 
logischer  Processe  der  Brustaorta.  Von  Dr.  G.  Holzknecht, 
Aspirant  der  Klinik. 

3.  Notiz  über  den  Thorax  der  Metalldrucker.  Von  Privatdocent  Dr. 

Maximilian  Sternberg,  Chefarzt  des  Verbandes  der 

Genossenschaftskrankencassen  Wiens. 

4.  Aus  der  Heilanstalt  Alland.  Einige  neue  Medicamente  in  der 
Phthiseotherapie.  Von  Dr.  Julius  P  o  1 1  a  k,  Hausarzt  der 
Heilanstalt. 


II.  Referate:  Die  Lepra  des  Auges.  Von  Dr.  Lyder  Börthen.  Ref. 
V.  H  a  n  k  e.  —  I.  Die  ekzematösen  (sorophulösen)  Augenerkran 
kungen.  Von  Dr.  Ludwig  Bach.  n.  Ueber  gichtische  Augen¬ 
erkrankungen.  Von  Dr.  Julius  Hirsch.  III.  Die  Durchblutung 
der  Hornhaut.  Von  Dr.  P.  Römer.  IV.  Sehprüfungen.  Von  Dr. 
A.  R  o  t  h.  V.  Ueber  Lidgangrän.  Von  Dr.  P.  Römer.  VI.  Ein  Bei¬ 
trag  zu  den  entzündlichen  Verletzungen  des  Auges.  Von  Dr.  G. 
Brandenburg.  VH.  Die  operative  Behandlung  der  hoch¬ 
gradigen  Kurzsichtigkeit.  Von  Dr.  Hübner.  VIII.  Die  Impf¬ 
erkrankungen  des  Auges.  Von  Prof.  Otto  Schirmer.  IX.  Ueber 
die  Vererbung  von  Augenleiden  mit  besonderer  Berücksichtigung 
von  Neuritis  optica  in  Folge  von  Heredität  und  congenitaler  An¬ 
lage  (Leber).  Von  Prof.  Dr.  A.  Vossius.  Ref.  R.  Hitsehmann. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Aus  der  IV.  medicinischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allge¬ 
meinen  Krankenhauses  in  Wien. 

Ein  Beitrag  zur  Symptomatologie  der  Alters¬ 
sklerose.  Ein  bemerkenswerthes  Phänomen  bei 
der  Auscultation  der  Aorta  descendens. 

Von  Dr.  Friedrich  Friedmann,  Secundararzt. 

Während  die  medicinischen  Bestrebungen  der  Gegenwart 
sich  hauptsächlich  der  Therapie  zuwenden,  tritt  die  Semiotik 
immer  mehr  in  den  Hintergrund,  da  es  bei  dem  grossen  Fort¬ 
schritte  unserer  Wissenschaft  zumeist  nur  weniger  Haupt- 
symptome  betraf,  um  die  Diagnose  festzustellen ;  doch  be¬ 
hauptet  erstere  mit  Recht  noch  dort  in  viel  geübter  Weise  ihr 
Feld,  wo  es  sich  um  die  Feststellung  der  Initialsymptome 
eines  Leidens  handelt,  gerade  um  dem  jüngsten  Kinde  der 
Iherapie,  der  Prophylaxe,  in  die  Hände  zu  arbeiten.  Natürlicher¬ 
weise  sind  hiebei  die  objectiven  Symptome  am  werthvollsten, 
da  sie  uns  von  den  uncontrolirbaren  Angaben  des  Patienten 
unabhängig  machen. 

Bei  der  Auswahl  jener  Erkrankungen,  welche  in  der 
angegebenen  Beziehung  unsere  Aufmerksamkeit  in  vollstem 
asse  zu  fesseln  beanspruchen  dürfen,  sind  nicht  nur  jene 
hervorzuheben,  welche  durch  den  hohen  Procentsatz  ihres 
or  ommens  oder  durch  die  Chronicität  ihres  Verlaufes  und 
1  're  Brogression  und  durch  die  damit  hervorgerufene  grössere 
oi  tali  tat  imponiren,  sondern  auch  jene,  welche  fast  physio- 
ogisc  i  in  innigem  Zusammenhänge  mit  der  involutiven 
egeneration  unseres  Organismus  sich  hervorbilden. 

Die  wichtigste  dieser  Erkrankungen  ist  unstreitig  die 
iteriosklerose,  sowohl  durch  die  Häufigkeit  ihres  Auf¬ 


tretens,  welches  nach  A.  Fraenkel1)  das  der  Klappenfehler  nicht 
nur  erreicht,  sondern  vielleicht  erheblich  Ubertrifft,  als  auch 
durch  den  Umstand,  dass  die  ausgesprochenen  Symptome  der¬ 
selben  bereits  auf  solch  irreparable  Veränderungen  im  Gefäss- 
systeme  hindeuten,  dass  die  therapeutischen  Eingriffe  nur 
problematischen  Werth  besitzen. 

Daher  ist  es  von  hohem  praktischem  Werthe,  eine  Früh¬ 
diagnose  zu  stellen,  zu  welcher  uns  eine  Anzahl  von  Initial¬ 
symptomen  leiten  werden. 

Zur  Erweiterung  unserer  Kenntnisse  von  der  Arterio¬ 
sklerose  und  besonders  ihrer  Initialsymptome  haben  Huch  ar  d  2) 
und  seine  Schüler  A.  W  e  b  e  r,  Tournier,  Faure-Miller, 
Kortz,  Blind,  Mercer eau,  Picard  beigetragen. 

Die  symptomatischen  Anzeichen  einer  beginnenden 
Krankheit  scheinen  nicht  gerade  häufig  direct  die  Störung 
des  betroffenen  Organes  zu  deelariren,  sondern  durch  consecutive 
Veränderungen  indirect  hervorgerufen  zu  werden,  und  so 
können  wir  die  Initialsymptome  der  Arteriosklerose  nach 
diesen  zwei  Gesichtspunkten  unterscheiden. 

Eines  der  auffallendsten  nnd  constantesten  Frühsymptome 
stellt  jedenfalls  die  auf  eine  Perturbation  im  Circulations- 
gebiete  hinweisende  arterielle  Druck  Steigerung  dar. 
Ja  sogar  ein  prä sklerotisches  Stadium  der  Erkrankung 
wird  von  französischen  Autoren  angenommenen,  welches  durch 
functioneile,  und  zwar  vasomotorische  Störungen  charakterisirt 
ist,  indem  die  spastischen  Contractionen  der  kleinen  Arterien 


')  Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  IV. 

~)  Ed  gren,  Die  Arteriosklerose,  pag.  21,  wo  die  ausführliche 
Literatur  angeführt  erscheint. 


570 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  25 


jenen  Factor  darstellen,  welcher  durch  Schaffung  des  ver¬ 
mehrten  peripheren  Widerstandes  den  Blutdruck  steigert. 3) 

Auch  v.  Basch4)  nimmt  eine  durch  erhöhten  arteriellen 
Druck  veranlasste  latente  Arteriosklerose  an,  die  er  mit  dem 
Namen  Angiorhigosis  bezeichnet. 

Das  Symptom  des  gesteigerten  Blutdruckes,  welcher  uns 
durch  tonometrische  Zahlenwerthe  in  ziemlich  exacter  Weise 
vor  Augen  geführt  werden  kann  (Weiss5),  macht  sich  dem 
Patienten  durch  Palpitationen  und  Schmerzen  bemerkbar  und 
bietet  objectiv  bekanntermassen  die  Zeichen  des  gespannten 
Radialpulses  und  der  Accentuation  des  zweiten  Aortentones. 

Die  indirecte  Symptomenreihe  zeigt  uns  die  gestörte 
Arbeitsleistung  der  einzelnen  Organe  an  und  bietet  die  grössten 
Verschiedenheiten  je  nach  der  Function  des  betroffenen 
Organes. 

Diese  functionelle  InsufHcienz,  von  französischen  Autoren 
mit  dem  Namen  Meiopragie  bezeichnet,  ist  besonders 
genau  am  Herzmuskel  studirt. 

In  Folge  der  durch  Erkrankung  seiner  Ernährungs- 
gefässe  erzeugten  Anämie  desselben  wird  er  in  der  Ruhe 
wohl  seine  Aufgabe  erfüllen,  bei  stärkerer  Inanspruchnahme 
jedoch  besonders  im  linken  Ventrikel  versagen,  wodurch  eine 
Stauung  im  Lungenkreisläufe  zu  Stande  kommt,  die  sich  sub- 
jectiv  durch  das  bekannte  Frühsymptom  der  Athemnoth  be¬ 
merkbar  macht. 

Aber  auch  die  objectiven  Zeichen  der  Ernährungs 
Störung,  die  veränderte  Scblagfolge  des  Herzens  (Arhythmie, 
Allorhythmie,  Hemisystolie)  und  die  Aenderung  der  Pulsquali¬ 
täten  und  der  Frequenz  desselben  (Pulsus  tardus,  Tachy-  und 
Bradycardie)  sind  recht  deutlich. 

Aequivalente  Störungen  machen  sich  auch  recht  häufig  in 
der  Niere  sehr  früh  geltend  (vermehrte  Harnmenge,  Albumi¬ 
nurie). 

Weniger  bekannt  dürfte  sein,  dass  gastrische  Störungen 
(nervöse  Dyspepsie)  schon  in  den  frühesten  Stadien  der  Arterio¬ 
sklerose  Vorkommen  (E  d  g  r  e  n). 

Die  Blutungen  in  den  Organen,  hauptsächlich  die  Nasen¬ 
blutungen  treten  als  Folge  der  Blutdrucksteigerung  schon  im 
präsklerotischen  Stadium  auf. 

Auch  leicht  recidivirende  Katarrhe  des  Respirations¬ 
systems  mit  verschiedenster  Localisation  (venöse  Stauung)  ge¬ 
hören  zu  den  Anfangserscheinungen  (A.  Fraenkel). 

Recht  früh  macht  sich  oft  dem  Patienten  die  verminderte 
geistige  Arbeitsfähigkeit  und  Abnahme  des  Gedächtnisses,  oft 
verbunden  mit  Congestionen  und  Schwindelanfällen,  bemerkbar, 
sowie  die  Meiopragie  der  einzelnen  Sinnesorgane.  Unter  diesen 
sei  insbesondere  des  verminderten  Sehvermögens,  sowie 
der  Veränderungen  des  Tastsinnes  (Parästhesien,  Hyper 
ästhesien)  gedacht. 

Auch  noch  nicht  genau  erklärte  Schmerzen  in  ver¬ 
schiedenen  Organen  (Angiospasmen,  vasculäre  Schmerzen  oder 
Neuritiden)  scheinen  frühzeitig  eine  grosse  Rolle  zu  spielen 
(Kopfschmerzen,  Angina  pectoris,  Schmerzen  im  Kreuze  und 
den  unteren  Extremitäten). 

Wir  haben  bereits  auf  die  Druckerhöhung  im  Circulations- 
system  als  auf  eines  der  werthvollsten  directen  Symptome  hin¬ 
gewiesen  und  auch  erwähnt,  dass  die  Pulsspannung  und  die 
Accentuation  des  zweiten  Aortentones  uns  im  Allgemeinen  auf 
jenes  aufmerksam  machen,  welche  Zeichen  speciell  die  Hyper¬ 
trophie  des  linken  Ventrikels  anzeigen.  Obwohl  nach  dem 
physikalischen  Gesetze  die  in  den  meisten  Fällen  gesteigerte 
Intensität  und  Höhe,  sowie  die  metallische  Klangfarbe  (bruit 
clangoreux  der  französischen  Autoren)  des  zweiten  Aortentones 
mit  der  Entfernung  von  der  normalen  Auscultationsstelle 
(zweiter  Intercostalraum  am  rechten  Sternalrande  oder  über 
dem  dritten  rechten  Rippenknorpel)  abnehmen  muss,  findet 
sich  gerade  bei  dieser  Erkrankung,  wie  Edgren 


*)  Huch  a  r  d,  Bull.  gen.  de  therapeutique.  Aoüt  et  sept.  1892. 
Citirt  nach  Edgren. 

4)  v.  Basch,  Wiener  medicinische  Presse.  1893  und  1896.  Citirt 
nach  Edgren. 

5)  Weiss,  Blutdruckmessungen  mit  Gartner’s  Tonometer. 
Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  3  und  4. 


hervorhebt,  die  merkwürdige  Erscheinung,  dass  die  Accen- 
tuirung  im  Sinne  des  Kreislaufes  nicht  nur  im  Jugulum, 
sondern  über  den  Carotiden,  ja  sogar  auch  am  Rücken  wahr¬ 
genommen  werden  kann.  Gewöhnlich  sei  dies  der  Fall  zwi¬ 
schen  den  Schulterblättern  in  der  Fossa  supraspinata. 
v.  Schrötter0)  nimmt  zur  Erklärung  ganz  besonders  gün¬ 
stige  Schallleitungsverhältnisse  an ;  aber  worin  diese  gelegen 
sind,  lasse  sich  nicht  leicht  entscheiden,  ebensowenig  wie  die 
Frage,  warum  man  unter  normalen  Verhältnissen  die  Herz¬ 
töne  am  Rücken  sowohl  links  wie  rechts  auffallend  laut  wahr¬ 
nimmt.  Er  bringt  diese  Erscheinung  eher  mit  der  Dilatatio 
aortae  als  mit  der  Sklerose  in  Zusammenhang. 

Bevor  wir  uns  näher  mit  der  Auscultation  der  Aorta 
descendens  beschäftigen,  müssen  wir  erst  jene  Factoren  ins 
Auge  fassen,  welche  die  Fortleitung  der  Schallphänomene  zu 
unserem  Ohre  zu  schwächen,  respective  zu  modificiren 
geeignet  sind. 

Von  diesem  Standpunkte  aus,  kann  man  mehr  oder 
weniger  akustisch  gebaute  Thoraxformen  ganz  im  Allgemeinen 
unterscheiden. 

Die  Form  der  Brust  des  Erwachsenen  ist  nach  Merkel7) 
mit  einem  Kegel  zu  vergleichen,  dessen  Querschnitte  in  ihrer 
Peripherie  nicht  kreisförmig,  sondern  von  hinten  nach  vorne 
plattgedrückt  erscheinen,  nach  Bardeleben8)  mit  einem 
Ovoid,  welches  sich  aus  der  conischen  Form  der  kindlichen 
Brust  durch  Senkung  der  seitlichen  Theile  der  Rippenränder 
hervorgebildet  hat. 

Schon  im  physiologischen  Sinne  sind  die  indivi¬ 
duellen  Abweichungen  von  der  künstlerisch  idealen  Thorax¬ 
form,  die  Woillez9 *)  unter  dem  Namen  der  physiologischen 
Heteromorphieen  (unter  anderen  Störungen  der  bilateralen  Sym¬ 
metrie  ,0])  zusammengefasst  hat,  je  nach  dem  Habitus,  der 
Körperlänge  und  Entwicklung  der  Musculatur,  sowie  des 
Panniculus  so  zahlreich,  dass  nach  genanntem  Autor  nur  in 
der  Minderzahl  von 6  */5  der  Gesunden  jene  Unregelmässigkeiten 
nicht  gefunden  werden. 

Obwohl  die  Geschlechtsverschiedenheiten,  welche  durch 
die  Kleinheit  der  Durchmesser  und  der  Peripherie,  sowie  durch 
die  mehr  cylindrische  (Merkel)  oder  fassförmige  (Barde¬ 
leben)  Gestalt  des  weiblichen  Thorax  markirt  sind,  nicht 
übersehen  werden  dürfen,  ist  es  klar,  dass  die  Altersinvolution 
des  Brustkorbes  unser  Interesse  in  Bezug  auf  unseren  Gegen¬ 
stand  am  meisten  zu  fesseln  geeignet  ei  scheint.  Das  Wachs¬ 
thum  desselben,  welches  insbesondere  beim  Manne  mit  einer 
Vergrösserung  seines  Umfanges,  sowie  der  Differenz  zwischen 
dem  obersten  und  untersten  Perimeter  verbunden  ist,  erscheint 
mit  dem  30.  Lebensjahre,  in  welchem  die  Epiphysen  der 
Rippen  verknöchern,  abgeschlossen  (Merkel11).  Im  vierten 
und  fünften,  bei  Senilitas  praecox  schon  im  dritten  Decennium, 
bildet  sich  allmälig  die  senile  Thoraxform  heraus,  und  zwar 
wesentlich  durch  Schwund  der  Wirbelsäule  und  der  ihre 
Haltung  bedingenden  Musculatur,  wodurch  sich  die  normale 
Krümmung  der  ersteren  zur  senilen  Kyphose  steigert. 

Diese  Form  ist  durch  die  Vergrösserung  des  sterno- 
vertebralen  Durchmessers  charakterisirt.  Doch  auch  die  untere 
Circumferenz  nimmt  mit  der  mittleren  im  Verhältnisse  zur 
oberen  immer  mehr  zu.  12) 

Ferner  bringt  es  der  Verlust  der  Elasticität  mit  sich, 
dass  der  Brustkorb  immer  mehr  in  Exspirationsstellung 
fixirt  wird. 

Unter  den  pathologischen  Thoraxformen  wird  uns 
naturgemäss  am  meisten  die  mit  einer  Vergrösserung  des 

6)  v.  Schrötter,  Erkrankungen  der  Gefässe.  Nothnagel’s  >Specielle 
Pathologie  und  Therapie«.  Bd.  XV,  pag.  105. 

’}  Merkel,  Handbuch  der  topographischen  Anatomie.  Bd.  II. 

8j  Bardeleben,  »Die  Brusthöhle«  in  Eulenburg’s  Realencyclopädie 
der  gesammten  Heilkunde 

9)  Citirt  in  Gerhardt’s  Lehrbuch  der  Auscultation  und  Percussion. 
3.  Auflage. 

luj  Die  rechte  Thoraxhälfte  ist  in  circa  80 der  Fälle  weiter  als  die 
linke,  in  10°/0  überwiegt,  die  linke  Seite,  während  in  gleichfalls  10°’0  beide 
Seiten  gleich  sind.  Cfr.  8). 

n)  Merkel,  Handbuch  der  topographischen  Anatomie.  Bd.  II. 

,2)  Cfr.  die  W  i  n  t  r  i  c  h’schen  Tabellen  der  Brustmessungen,  pag.  263. 
Ibidem. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


571 


sterneo  vertebralen  Durchmessers  verlaufende  emphysematose 
Form  interessiren,  weniger  die  paralytische  Form  Engel’s, 
während  jene  Thoraxdeformitäten,  welche  durch  Verkrümmung 
der  Wirbelsäule,  sowie  durch  Erkrankung  der  Brust-  und 
Baucheingeweide  entstehen,  für  unsere  Frage  gar  nicht  in 
Betracht  kommen. 

Nachdem  wir  mit  dieser  allgemeinen  Betrachtung  jene 
Momente  erwähnt  haben,  welche  zur  Modification  eines 
Schalleindruckes  beitragen  können  (Resonanz),  wollen  wir  auch 
jene  anführen,  welche  die  Fortleitung  desselben  von  der  Aorta 
descendens  zu  unserem  Ohre  erschweren,  das  sind  die 
Schichten  der  hinteren  Brustwand,  oder  der  Rückengegend. 
Die  Dicke  derselben  beträgt  nach  Bardeleben13)  4 — 5 cm 
am  Schulterblatt,  wovon  4'5  mm  auf  die  Haut  kommen,  und  ist 
abhängig  von  der  Ausbildung  der  Musculatur  und  des  Panni- 
culus.  Sie  nimmt  jedoch  durch  die  Erhebung  des  Armes  in 
Folge  der  Drehung  und  Erhebung  des  Schulterblattes  erheb¬ 
lich  ab,  welcher  Umstand  zur  auscultativen  Untersuchung  der 
Brustwand  von  rückwärts  benützt  werden  muss.  Die  dritte 
Schichte,  das  knöcherne  Brustskelet  mit  den  Intercostalmuskeln, 
sowie  die  vierte,  die  Fascia  endothoraciea,  sind  bezüglich  ihrer 
Stärke  schon  weniger  inconstant. 

Wo  werden  wir  die  absteigende  Aorta  am 
besten  auscultiren  können? 

Jedenfalls  dort,  wo  sie  am  oberflächlichsten  zu  liegen 
kommt,  da  ja  die  Verhältnisse  bei  der  Auscultation  der  Gelasse 
viel  einfacher  liegen,  als  bei  der  des  Herzens. 

Die  Aorta  stellt  ein  heberförmig  gekrümmtes  Gefässrohr 
dar  u),  dessen  vorderer  Schenkel  (A.  ascendens)  im  vorderen 
Mittelfellraume  hinter  dem  Sternum  (in  der  Höhe  des  zweiten 
In  tercostalra  umes  nach  Henke  oder  etwas  höher  nach 
L  u  s  c  h  k  a  liegt,  dessen  Bogen  (Arcus  a.)  von  rechts  vorne 
nach  links  hinten,  also  diagonal  über  dem  linken  Bronchus 
ungefähr  in  der  Mitte  des  geraden  Brustdurchmessers  sich  bis 
zur  Ebene  des  zweiten  Brustwirbelkörpers  erhebt,  während 
der  lange  hintere  Schenkel  (A.  descendens)  hinter  dem  linken 
Lungenstiel  vom  vierten  Brustwirbel  anfangs  an  der  linken 
Seite,  bald  aber  an  der  vorderen  Fläche  der  Wirbelsäule  im 
hinteren  Mittelfellraume  (d.  i.  bis  zum  neunten  Brustwirbel) 
herabsteigt. 

Aus  dem  Verlaufe  des  G  e  f  ä  s  s  e  s  ergibt  sich 
also,  dass  die  Auscultation  desselben  am  vor- 
theilhaftesten  in  der  linken  Hälfte  des  Inter- 
scapularraumes  vor  genommen  werden  kann. 
Dies  ist  auch  die  gewöhnliche  Stelle,  wo  Aneurysmen  der 
Brustaorta  nach  Usur  der  Rippen  die  Thoraxwand  hervor¬ 
wölben  können. 

Daselbst  werden  beim  gesunden  Menschen  zwei  Töne 
gehört,  deren  Folge  dem  Herzrhythmus  entspricht. 

Die  Ronane  t’sche  Entstehungstheone  der  Herztöne 
sammt  ihren  Modificationen  ist  bekannt;  doch  kommt  bei  der 
Auscultation  der  Gefässe  nicht  nur  die  Fortleitung  ersterer 
durch  die  Schwingungen  der  Blutsäule,  sondern  auch  die  selbst¬ 
ständige  Vibration  der  Gefässwand  in  Betracht.  So  kommt 
der  systolische  Ton  über  der  Carotis,  Subclavia,  Cruralis, 
Aorta  abdominalis,  bei  grösserer  Spannung  im  Gefässsystem 
auch  über  den  kleineren  Arterien,  autochthon  durch  die  in 
Folge  der  hineingeworfenen  Blutmenge  plötzliche  Wandan¬ 
spannung  zu  Stande  15),  und  ist  noch  wahrnehmbar,  wenn  der 
erste  Aortenton  durch  ein  Geräusch  ersetzt  ist,  während  der 
diastolische  Ton,  welcher  durch  die  Spannung  der  Semilunar¬ 
klappen  entsteht,  einfach  durch  die  Blutsäule  fortge¬ 
leitet  wird. 

Nach  den  Untersuchungen  P.  Guttmann’s  l6)  sind  bei 
der  Entstehung  des  ersten  Tones  über  der  Aorta  nur  in  sehr 
geringem  Masse  die  Atrioventricularklappen  betheiligt  und 
hauptsächlich  die  Schwingungen  der  Aortenwand,  während 
nach  der  Geigel’schen  Lehre  ersterer  nicht  Gefässton  sein 

,3)  Siehe  oben. 

u)  Langer,  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen. 

'■’)  Sahli,  Lehrbuch  der  klinischen  Untersuchungsmethoden. 

,(i)  P.  Guttmann,  »Auscultation«  in  Eulenbur  g’s  Realencyklo- 
pädie  der  gesammten  Heilkunde. 


soll.  Nach  dieser  kann  man  bei  der  successiven  Auscultation 
von  der  Carotis  bis  zur  Herzbasis  schon  im  ersten  Intercostal- 
raume  kurz  vor  dem  ersten  Carotiston  den  eigentlichen  ersten 
Ilerzton  auftauchen  hören,  welcher  nach  abwärts  deutlich  zu¬ 
nehmen  soll. 

Auch  die  Geräusche  werden  in  derselben  Weise  gebildet 
und  fortgeleitet,  wie  die  Töne. 

Das  bei  der  Insufflcienz  der  Aortenklappen  häufig  durch 
die  unregelmässigen  Schwingungen  der  ihrer  Elasticität  be¬ 
raubten  Wand  entstehende  systolische  Geräusch  wird  im  Sinne 
der  Blutwelle  sich  fortpflanzend  oft  deutlicher  über  den  grossen 
Gefässen  percipirt,  als  das  durch  die  centripetale  Regurgitation 
des  Blutes  entstehende  diastolische  Geräusch. 

In  ähnlicher  Weise  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Aus¬ 
cultation  der  Aorta  descendens.  Der  erste  Ton  ist  vasogen, 
der  zweite  cardiogen. 

Doch  ist  hier  ein  sehr  wichtiger  Umstand  mit  zu  be¬ 
rücksichtigen,  nämlich  die  di  recte  Fortleitung  der 
Herztöne  bis  zu  unserem  Ohre  (auch  die  Erschütte¬ 
rung  der  Brustwand  durch  den  Herzstoss).  Jeder  der  drei  er¬ 
wähnten  Factoren  spielt  seine  Rolle  bei  der  Perception  der 
Schalleindrücke,  und  os  werden  bei  pathologischen  Verände¬ 
rungen  im  Gebiete  derselben,  aber  auch  schon  bei  der  physio¬ 
logischen  Altersinvolution  gewisse  bemerkenswerthe 
Phänomene  auftreten. 

Schon  bezüglich  der  Intensität,  Höhe  und  Klangfarbe  der 
Töne  ist,  abgesehen  von  den  individuellen  Verschiedenheiten, 
die  Herzaction,  die  Beschaffenheit  der  Gefässe  (Alter)  und  der 
leitenden  Medien,  besonders  der  Lunge  (Infiltration,  Cavernen, 
Emphysem),  sowie  die  allgemeine  Thoraxbeschaffenheit  (siehe 
oben)  von  grosser  Wichtigkeit. 


Die  Zunahme  der  Zahl  der  Pfeile  deutet  in  der  betreffenden  Richtung'  die 
Verstärkung  des  Schalleindruckes  an.  —  Das  Zeichen  *  am  Scapularwinkel 
bedeutet,  die  Localisation  sowie  die  verstärkte  Sehallwahrnehmung  Lei  der 

Arteriosklerose. 

Indem  wir  die  erwähnten  Umstände  wohl  berücksichtigten, 
konnten  wir  nach  einer  Reihe  von  Untersuchungen  sowohl  an 
liegendem,  wie  ambulantem  Material  das  Gesetz  aufstellen, 
dass  der  Schwerpunkt  der  akustischen  Percep¬ 
tion  der  Töne  (Rückentöne)  in  verschiedenen 
Altersstufen  ungleich  liegt,  dass  er  vielmehr 
im  Sinne  der  Altersinvolution  im  linken  Inter- 
scapular  spatium  von  oben  nach  unten  rückt; 
ferner  ergab  es  sich,  dass  bei  der  Arteriosklerose 
unter  sonst  normalen  Umständen  die  Rücken- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


töne  in  der  Verbindungslinie  des  linken  Sca¬ 
pular  winkeis  und  des  siebenten  Brustwirbel- 
dorns  oder  darunter  am  lautesten  und  distinc- 
testen  wahrzunehmen  sind  (ab,  vgl.  die  Figur) . 

Zur  näheren  Illustration  diene  die  beistehende  schematische 
Figur.  17) 

Bei  der  Aufsuchung  des  Phänomens  sind  folgende  Punkte 
im  Auge  zu  behalten: 

Der  Patient  hat  die  Arme  vor  der  Brust  zu  kreuzen,  da 
durch  die  Drehung  und  Elevation  der  die  zweite  bis  siebente 
Rippe  bedeckenden  Scapula  nicht  nur  die  Auscultation  durch 
die  Verringerung  der  dazwischen  liegenden  Schichten  erleichtert, 
sondern  auch  der  linke  Interscapularraum  um  fast  die  Hälfte 
der  Schulterblattbreite  vergrössert  wird  (siehe  die  Figur). 

Ferner  muss  vermieden  werden,  dass  der  Patient  den 
Athem  anhält,  da  durch  die  naturgemäss  beobachtete  Inspira¬ 
tionsstellung  in  Folge  Vergrösserung  des  sagittalen  Brustdurch¬ 
messers  die  Bedingungen  für  die  Wahrnehmung  der  Rücken¬ 
töne  beeinträchtigt  werden. 

Im  Gegentheil  erscheint  es  opportun,  seine  Aufmerksam¬ 
keit  nicht  auf  die  Athmung  zu  lenken,  da  bei  normaler  ruhiger 
Respiration  am  leichtesten  von  dem  Athmungsgeräusch  abstra- 
hirt  werden  kann. 

Schliesslich  dürfen  die  physiologischen  Raumschwankungen 
des  Thorax  eben  durch  die  Respiration  nicht  vernachlässigt 
werden,  da  gerade  am  Ende  der  Exspiration  durch  Ver¬ 
kleinerung  des  Brustraumes  und  Verdichtung  der  Lunge  be¬ 
sonders  bei  der  d  i  r  e  c  t  e  n  (durch  Anlegen  des  Ohres) 
Auscultation  das  Ueberklingen  der  Töne  am  deutlichsten 
auftritt. 

Bei  der  Untersuchung  von  Individuen  unter  45 — 40 
Jahren  fanden  wir,  dass  die  Rückentöne  unter  normalen  Um¬ 
ständen  an  der  normirten  Auscultationsstelle  zwar  überall  doch 
nach  oben  hin  stärker  und  an  der  Spina  scapulae  und  in 
ihrer  Verlängerung  (sehr  oft  auch  oberhalb)  so  laut  wahrzu¬ 
nehmen  waren,  dass  der  akustische  Eindruck  (Dröhnen)  vom 
Ohre  unangenehm  empfunden  wurde  (c  d,  vgl.  die  Figur).  Bei 
Individuen  über  40 — 45  Jahren  verstärkt  sich  der  Eindruck 
nach  unten,  während  bei  der  Arteriosklerose  in  jeder  Alters¬ 
stufe  das  Dröhnen  am  Angulus  scapulae  und  in  der  Verbin¬ 
dungslinie  desselben  mit  dem  siebenten  Brustwirbeldorn  wahr¬ 
zunehmen  war  (vgl.  die  Figur). 

Wir  wollen  nun  versuchen,  eine  Erklärung  für  diese 
Erscheinungen  zu  finden. 

Beim  jugendlichen  knorpeligen  und  elastischen  Thorax 
werden  die  Bedingungen  für  die  directe  Wahrnehmung  der 
Herztöne  nicht  in  dem  Masse  vorhanden  sein,  wie  bei  dem 
älteren,  verknöcherten  und  starren;  zumindest  wird  dabei  die 
Fortleitung  derselben  durch  die  Aorta  descendens  mit  ihrer 
noch  elastischen  Gefässwand  auch  eine  Rolle  spielen ;  daher 
die  verstärkte  Perception  an  einer  Stelle,  die  dem  Herzen 
näher  liegt  und  wo  die  Aorta  descendens  nach  ihrem  oben 
angegebenen  Verlaufe  am  meisten  der  Auscultation  zugäng¬ 
lich  ist. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dass  mit  den  zunehmenden  Jahren 
das  Herz  nach  unten  und  links  sinkt,  wodurch  die  Brustquer¬ 
schnittssehne  für  die  directe  Wahrnehmung  der  Herztöne  sich 
noch  verkleinert,  so  werden  wir  die  Verstärkung  nach  abwärts 
erklärlich  finden.  Hier  sei  auch  erwähnt,  dass  in  der  jüngeren 
Altersstufe  die  Herzgeräusche  oft  nur  oben  deutlich  wahr¬ 
genommen  werden,  während  nach  unten  hin  nur  ganz  dumpfe 
1  öne  zu  hören  sind,  welches  Verhältniss  sich  bezüglich  der 
Localität  in  den  höheren  Jahren  umkehrt. 

Bei  der  Arteriosklerose,  insbesondere  der  Alterssklerose, 
werden  zumeist  auch  die  akustisch  günstigen,  senilen  Thorax¬ 
veränderungen  vorhanden  sein.  (Erwähnt  sei  hier,  dass  diese 
\  erhältnisse  beim  senilen  Emphysem  trotz  der  Vergrösserung 
des  geraden  Brustdurchmessers  meist  nicht  tangirt  werden,  da 
dieselbe  durch  die  Zuriickdrängung  des  Herzens  gerade  durch 
das  präcordiale  Emphysem  wieder  ausgeglichen  wird.) 

)  Nach  L  u  s  c  h  k  a  -  W  eil,  entnommen  dem  Lehrbuche  der  klini¬ 
schen  Untersuchungsmethoden  von  Sahli. 


Die  Fixation  in  Exspirationsstellung,  das  verlängerte  leise 
Exspirium,  sowie  die  kräftige  Thätigkeit  des  linken  Ventrikels 
mit  der  Intensitätsveränderung  des  zweiten  Aortentones  sind 
gleich  günstige  Verhältnisse  für  das  Zustandekommen  unseres 
Auscultationsbefundes.  Ob  und  inwieweit  Veränderungen  in  der 
Aortenwand  daran  betheiligt  sind,  wagen  wir  nicht  zu  be¬ 
haupten.  Nicht  von  der  Hand  zu  weisen  ist  die  Möglichkeit 
der  Entstehung  localer  Geräusche  in  der  Aorta  descendens 
analog  den  localen  Carotisgeräuschen  bei  der  Arterio¬ 
sklerose.  1S) 

Da  nun  die  Accentuation  des  zweiten  Aortentones  als 
Ausdruck  der  Drucksteigerung  im  Circulationssystem  ein  Früh¬ 
symptom  der  Arteriosklerose  darstellt,  so  können  wir  das 
Dröhnen  am  Angulus  scapulae,  als  mit  dem  erwähnten  innig 
verbunden,  mit  zu  den  directen  Initialsymptomen 
der  Gefässerkrankung  rechnen. 

Zum  Schlüsse  gestatten  wir  uns,  noch  einige  Beispiele 
anzuführen,  aus  denen  zu  entnehmen  ist,  dass  das  Phänomen 
nicht  nur  in  ausgesprochenen  Fällen  von  Arteriosklerose 
(Fall  1,  2,  3)  vorhanden  ist,  sondern  auch  im  Frühstadium 
der  Erkrankung  als  Unterstützungsmittel  der  Diagnose  gelten 
kann  (Fall  4). 

Ferner  zeigen  uns  die  Fälle  5  und  6  das  Vorhandensein 
desselben  bei  der  jugendlichen  (vorzeitigen)  Erkran¬ 
kung,  die  Fälle  7  und  8  das  Fehlen  desselben  auch  in 
höheren  Altersstufen  bei  nicht  nachgewiesener  Gefässer¬ 
krankung. 

Fall  1.  Rosa  W.,  83jährige  Hauerin,  hat  vor  Jahren  Abdo¬ 
minaltyphus  und  Gelenkrheumatismus  überstanden  und  sucht  wegen 
Kurzathmigkeit  und  Herzklopfen  das  Spital  auf.  Für  Potus  und  Lues 
sind  keine  Anhaltspunkte  vorhanden. 

Beide  Aa.  radial,  und  temporal,  sind  perl  schnurartig  verdickt, 
so  dass  der  Puls  nicht  getastet  werden  kann.  Der  Spitzenstoss  ist 
im  sechsten  Intercostalraum  in  der  hinteren  Axillarlinie  hebend  und 
resistent  zu  fühlen.  Daselbst  hört  man  ein  langes,  blasendes,  systo¬ 
lisches  Geräusch  und  einen  leisen  diastolischen  Ton.  Starke  Accen¬ 
tuation  des  zweiten  Tones  über  der  Aorta.  Rechts  hinten  unten 
Pleurit.  exsudat.  Im  Harn  Spuren  von  Albuinen.  Dröhnen  am  Sca- 
pularwinkel. 

Fall  2.  Josef  G.,  66jähriger  Hafnermeister,  sucht  wegen 
Schwellung  der  Füsse  das  Spital  auf.  Potus  wird  zugestanden. 

Die  zugänglichen  Arterien  zeigen  bedeutende  Rigidität.  Das 
Herz  ist  nach  links  hin  vergrössert.  Dämpfung  am  oberen  Sternum. 
Pulsation  im  Jugulum.  Bradycardie.  Leichte  Albuminurie.  In  der 
Linie  a  b  (vgl.  die  Figur)  deutliches  Ueberklingen  des  zweiten 
Tones. 

Fall  3.  N.  N.,  55jähriger  Bahnbeamter,  welcher  sechs  Jahre 
bei  der  Marine  gedient  hat,  sucht  wegen  leichter  Oedeme  das 
Spital  auf.  Derselbe  hat  in  Alexandrien  Malaria  durchgemacht. 

Deutliche  Zeichen  der  Arteriosklerose,  musikalisch  klingender 
zweiter  Aortenton.  Erweiterung  der  Aortenwurzel,  Albuminurie. 
Phänomen  deutlich. 

Fall  4.  Justina  F.,  59jährige  Schustersgattin,  hat  Typhus 
abdom.  überstanden.  Während  die  Aa.  radial,  keine  Rigidität  auf¬ 
weisen,  ist  der  zweite  Aortenton  in  Folge  des  stark  ausgeprägten 
Emphysems  nur  undeutlich  accentuirt  wahrzunehmen,  während  am 
Scapularwinkel  die  Intensitätsverstärkung  bereits  deutlich  zu  con- 
statiren  ist. 

Fall  5.  Ant.  D.,  34jähriger  Strasseneinräumer,  hat 
Gelenkrheumatismus  vor  zwölf  Jahren  überstanden;  Potus  und 
Lues  negirt. 

Der  Puls  ist  stark  rigid  und  gespannt,  die  Accentuation  des 
zweiten  Aortentones  ausgeprägt  vorhanden  und  die  Hypertrophie 
des  linken  Ventrikels  auch  percutorisch  nachweisbar.  Rückentöne 
in  der  erwähnten  Linie  (« b)  am  deutlichsten. 

Fall  6.  Einen  ähnlichen  Befund  bietet  die  32jährige 
Marie  S.,  welche  wegen  Magenkrebs  das  Spital  aufsucht. 

,8)  Nicht  zu  verwechseln  sind  diese  Geräusche  mit  den  arterioskleroti¬ 
schen  Druckgeräuschen,  wie  sie  bei  der  Carotis  und  Aorta  abdominalis  bei 
leichtem  Druck  des  Hörrohres  hervorgebracht  werden  und  bei  letzterer 
sogar  als  palpatorisches  Phänomen  unter  dem  Namen  des  »Spritzeus«  von 
Litten  beschrieben  wurden  (S  a  h  1  i). 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


5<3 


Fall  7.  Marie  S.,  60jährige  Wäscherin,  immer  gesund 
gewesen,  hustet  seit  zehn  Jahren.  Starkes  Emphysem  mit  diffuser 
Bronchitis. 

Die  Patientin,  welche  absolut  keine  Anzeichen  von  Arterio¬ 
sklerose  bietet,  lässt  auch  deutlich  das  beschriebene  Phänomen 
vermissen. 

Fall  8.  Ein  ähnlicher  Status  ist  bei  der  mit  Insufficientia 
valv.  mitr.  et  stenosis  behafteten  50jährigen  Marie  F.  zu  con- 
statiren. 

Meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Hofrath  Scholz, 
sage  ich  für  die  Ueberlassung  des  Krankenmateriales  herz¬ 
lichen  Dank. 


Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Pro¬ 
fessor  Nothnagel  in  Wien. 

Zum  radiographischen  Verhalten  pathologischer 
Processe  der  Brustaorta. 

Von  Dr.  G.  Holzknecht,  Aspirant  der  Klinik. 

In  einer  in  Nr.  10  dieser  Zeitschrift  veröffentlichten 
Arbeit  habe  ich  die  radiologischen  Bilder  der  normalen  Brust- 
aorta  und  ihre  Deutung  erörtert.  Die  Kenntniss  dieser  Ver¬ 
hältnisse  musste  ich  als  Grundlage  für  die  Deutung  der  Bilder 
bei  pathologischen  Zuständen  der  Aorta  ansehen.1) 

In  der  oben  citirten  Arbeit  ist  auseinandergesetzt,  dass  bei 
frontaler  (querer)  Diaskopie  des  Thorax  in  dem  sonst  dunklen  Bilde 
zwei  unscharf  begrenzte  helle  Räume,  ein  retrosternaler  und 
ein  retrocardialer,  sichtbar  sind  und  zur  Aorta  in  gewissen 
anatomisch  begründeten  Beziehungen  stehen.  Ferner  wurde 
erörtert,  dass  man  in  der  schräg  von  links  hinten  nach  rechts 
vorne  verlaufenden  Durchstrahlungsrichtung  die  Aorta  ascen- 
dens,  dann  die  vordere  und  hintere  Hälfte  des  Bogens  aufein¬ 
ander  projicirt  als  bandförmigen,  oben  blind  endenden  pul- 
sirenden  Schatten,  beiderseits  von  hellem  Lungengebiete  um¬ 
geben,  zur  Linken  des  Wirbelsäulenschattens  vom  Herz¬ 
schatten  aufwärts  steigen  sieht  (Fig.  3,  einfach  ausgezogene 
Contour).  Bei  der  radiologischen  Untersuchung  der  Aorta  wird 
man  daher  die  Durchleuchtung 2)  nicht  nur  in  den  beiden 
sagittalen  Richtungen,  sondern  auch  in  obiger  schräger  und 
in  der  frontalen  vornehmen  müssen.  Die  Anwendung  der  letz¬ 
teren  und  ihre  Ergebnisse  sind  im  Wesentlichen  neu.  Die 
Figur  1  stellt  das  sagittale  Bild  des  normalen  Mittelschattens 
des  Thorax  einer  jungen  muskelkräftigen  Person  dar.  Fig.  2 
zeigt  schematisch  eine  gewisse  häufig  wiederkehrende  patho¬ 
logische  Form  desselben,  bei  welcher  links  oben  in  der  Höhe 
des  zweiten  Intercostalraumes  (frontale  Projection)  ein  rund¬ 
licher,  scharf  begrenzter  pulsirender  Schatten  aus  dem  Mittel¬ 
schatten  austritt.  Es  ist  das  jenes  Gebilde,  das  so  oft  ungerecht¬ 
fertigter  Weise  zur  Diagnose  eines  beginnenden  Aorten¬ 
aneurysma  geführt  hat.  Ich  habe  es  circa  lOOmal  gesehen 
und  unter  diesen  Fällen  waren  nicht  mehr  als  sechs  beginnende 
Aneurysmen,  ein  Verhältniss,  das  auch  anderweitig  (Levy- 
Dorn,  Lichtheim  u.  A.)  hervorgehoben  wurde  und  zur 
Annahme  führte,  dass  dieser  Bildung  nur  die  Bedeutung  einer 
physiologischen  Varietät  zukomme.  Hier  muss  ich  noch  er¬ 
wähnen,  dass  ich,  aufmerksam  gemacht  durch  die  dankens- 
werthe  Arbeit  W  e  i  n  b  e  r  g  e  r’s  3),  gefunden  habe,  dass  bei 

')  Am  Schlüsse  des  Artikels  habe  ich  in  Aussicht  genommen,  dem¬ 
selben  einen  zweiten  folgen  zu  lassen,  der  sich  mit  dem  radiologischen  Ver¬ 
halten  der  pathologischen  Aorta  beschäftigt.  Aus  äusseren  Gründen  (der 
Unmöglichkeit  einer  ausreichenden  Illustration  und  dem  bedeutenden  Um¬ 
tange  der  Arbeit)  muss  ich  von  diesem  Vorhaben  an  dieser  Stelle  Umgang 
nehmen.  Im  Folgenden  sei  daher  ohne  systematische  Durchführung  nur 
derjenige  Theil  der  Arbeit  besprochen,  der  von  besonders  praktischer  Be¬ 
deutung  ist.  Ich  meine  die  Ergebnisse  der  Anwendung  der  frontalen  und 
einer  schrägen  Durchleuchtungsrichtung  des  Thorax  für  die  Diagnostik  der 
pathologischen  Aortenproeesse. 

')  graphische  Darstellung  bleibt  hier  durchaus  hinter  der  radio- 
skopischen  Untersuchung  (mit  Anwendung  der  Bleiblende  an  einer  ent¬ 
sprechenden  Aufhängevorrichtung)  zurück. 

3 )  Feber  die  Röntgenographie  des  normalen  Mediastinums ;  in  der 
Zeitschrift  fiir  Heilkunde.  1900,  1.  Heft,  gleichzeitig  mit  obiger  Arbeit  er¬ 
schienen. 


einer  Anzahl  magerer  muskelsch wacher  Leute  mit  normalem 
Circulationsapparat  besonders  auf  stark  exponirten  Platten 
aber  auch  am  Schirm  bilde  eine  Andeutung  einer  solchen  Vor¬ 
wölbung  oder  wenigstens  eine  eircumscripte  Randpulsation  des 
Mittelschattens  an  dieser  Stelle  besteht  und  so  gleichsam  obige 
pathologische  Bildung  schon  unter  normalen  Verhältnissen  in 
nuce  vorgebildet  ist.  Die  Untersuchung  der  erwähnten  circa 
100  Fälle  von  sagittal  sichtbarer,  links  obeu  austretender, 


Fig  1.  Schematische  Darstellung  des  normalen  radioskopischen  Mittel- 

schattens  des  Thorax. 

Fig.  2.  Schematische  Darstellung  des  Mittelschattens,  aus  dem  in  der  Höhe 
des  zweiten  Intercostalraumes  nach  links  ein  der  Aorta  angehöriger  pul¬ 
sirender  Vorsprung  austritt. 

pulsirender  Vorwölbung  ergaben  in  schräger  Durchleuchtungs¬ 
richtung  zwei  wesentlich  verschiedene  Arten  von  Bildern.  Die 
sechs  Fälle  beginnender  Aneurysmen  weichen  vom  normalen 
Bilde  der  Durchleuchtung  wesentlich  ab,  die  übrigen  nur 
in  geringem  Grade. 


Fig.  3.  Schematische  Darstellung  des  Thoraxbildes  bei  der  schrägen  Durch¬ 
leuchtung  (von  links  hinten  nach  rechts  vorne).  Einfach  ausgezogene  Con¬ 
tour:  Normale  Aorta;  ausgezogene  und  punktirte  Contour:  Allgemeine 
Aortendehnung;  die  übrigen  Contouren:  Beginnendes  Bogenaneuvysma. 

Beschäftigen  wir  uns  zunächst  mit  diesen  zahlreichen  Fällen, 
so  können  wir  constatiren,  dass  in  einer  Reihe  derselben  eine 
nennenswerthe  Abweichung  vom  normalen  Bilde  überhaupt  nicht 
bestanden  hat,  dass  das  vom  Herzen  aufsteigende  Aortenschatten¬ 
band  weder  einen  erkennbar  abnormen  Verlauf,  noch  eine  abnorme, 
allgemeine  oder  eircumscripte  Verbreiterung  zeigte  und  ferner, 
dass  der  links  austretende  pulsirende  Schatten  bei  allmäligem 
Uebergange  aus  der  sagittalen  in  die  schräge  Durchleuchtungs- 
richtuiig  (durch  Drehung  des  Patienten)  zum  obersten  Ende 
des  bandförmigen  Aortenschattens  wurde  und  sich  so  als 
Schatten  des  Aortenbogens  documentirte.  In  einer  zweiten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Reihe  von  Fällen  war  die  Verlaufsrichtung  ebenfalls  normal. 
Die  Breite  des  Bandes  zeigte  zwar  keine  circumscripte,  aber 
eine  allgemeine  Vermehrung  in  verschiedenem  Grade,  bis  zum 
1  ‘/2 fachen  Querschnitt  (Fig.  3.  ausgezogene  und  punktirte  Con¬ 
tour).  Dazu  kommt  oft  eine  Verlängerung  nach  oben  bis  in 
die  Nähe  der  Verbindungslinie  der  sternalen  Clavicularenden 
(bei  senkrechter  Projection  auf  die  Ebene  der  vorderen  Brust¬ 
wand).  In  letzteren  Fällen  war  dann  regelmässig  pulsatio  in 
jugulo  fühlbar. 

Als  Ursache  dieses  scheinbaren  Widerspruches  in  der 
Verlaufsrichtung  des  Aortenschattens  in  sagittaler  und  schräger 
Richtung  muss  eine  abnorm  grosse  Krümmung  und  Neigung 
des  Bogens  nach  aussen  und  vorne  angenommen  werden.  Die 
tiefere  Ursache  dieser  letzteren  war  nun  festzustellen.  In  einer 
Anzahl  von  Fällen,  Tumormassen,  Pneumothorax,  pleurale 
Ergüsse  der  rechten,  schrumpfende  Processe  der  Lunge  und 
der  Pleura  der  linken  Thoraxseite,  lag  sie  offenbar  in  einer 
Verdrängung,  respective  Verziehung  des  Aortenbogens  nach 
links.  Die  übrigen  Fälle  lassen  sich  auf  so  grob  mechanische 
Art  nicht  erklären.  Die  klinischen  Diagnosen  dieser  61  Fälle 
lauteten  :  Arteriosklerose  der  peripheren  Gefässe  (14mal),  Ne¬ 
phritis  chronica  cum  hypertrophia  cordis  (7),  Intoxicatio  satur- 
nina  chronica  (1),  Morbus  Basedow ii  (3),  Emphysema  pulmo¬ 
num  chronicum  (1),  Chlorose  (2),  überstandene  Lues  (3),  In- 
sufficientia  valv.  aortae  (10),  Insufficientia  valvul.  bicuspidalis  (7), 
Stenosis  ostii  venosi  sinistri  et  imufficientia  valvulae  bicuspi¬ 
dalis  (3),  Myodegeneratio  cordis  (2),  anscheinend  normale  In¬ 
dividuen  im  Alter  von  40 — 50  Jahren  (2),  über  50  (8). 
Zwanglos  lässt  sich  die  oben  besprochene  Erscheinung  bei 
diesen  Grundkrankheiten  dahin  erklären,  dass  dieselben  zu 
einer  diffusen,  ziemlich  gleichmässigen  Aorteudehnung  geführt 
haben,  welche  bald  durch  verminderte  Widerstandsfähigkeit 
der  Aortenwand,  bald  durch  vermehrten  Anprall  der  Blutwelle 
bei  gesteigerter  Herzaction,  bald  durch  beide  Momente  im 
Verein  bedingt  ist,  und  für  die  es  auch  in  einzelnen  hoch¬ 
gradigen  Fällen  nicht  an  klinischen  Anhaltspunkten  fehlte. 
Diese  führt  dann  bei  dem  schon  physiologisch  nach  links  und 
vorne  geneigten  Bogen  zu  einer  Vermehrung  dieser  Krümmung 
(wie  auch  zum  Hinaufrücken  des  Bogens).  Dieser  wird  daher 
in  sagittaler  Durchleuchtungsrichtung  links  vom  Wirbelsäulen¬ 
schatten  als  pulsirende  Vorwölbung  sichtbar,  während  er  in 
schräger  Diaskopie  in  die  Durchleuchtungsebene  fällt  und  so 
das  Schattenband  der  Aorta  geradlinig,  ohne  Krümmung,  er¬ 
scheinen  lässt. 

Die  schrägen  Durchleuchtungsbilder  bei  beginnendem 
Bogenaneurysma  verhalten  sich  wesentlich  auders.  Von  den 
acht  beginnenden  Bogcnaneuiysmen,  die  ich  in  der  beschrie¬ 
benen  Weise  untersuchen  konnte,  zeigten  zwei  wenig  sagende 
Bilder,  aus  denen  das  eine  (autoptisek  sichergestellt)  radio¬ 
logisch  nur  vermuthet  werden  konnte,  während  das  andere 
(klinisch  fast  sicher)  radiologisch  keinerlei  Symptome  machte. 
Die  übrigen  sechs  schon  früher  angezogenen  Fälle  zeigten  in 
sagittaler  Richtung  die  beschriebene,  links  oben  austretende, 
rundliche  pulsirende  Vorwölbung,  ln  schräger  Durchleuch¬ 
tung  s  r  i  c  h  t  u  n  g  (von  hinten  links  nach  vorne  rechts)  sah  man 
aber  nicht  wie  bei  der  allgemeinen  Aortendehnung  ein  annähernd 
normales  nur  etwas  verbreitertes,  eventuell  auch  verlängertes 
Aortenschattenband,  sondern  einen  halsartig  dem  Herzen  auf¬ 
sitzenden  keulenförmigen,  allseitig  oder  mehrseitig  pulsirenden 
Schatten,  dessen  Kopftheil  gerade  nach  oben  zeigte  (Fig.  3, 
punktirte  Contour),  oder  mehr  minder  nach  links  in  den  linken 
Lungenraum  (gestrichelte  Contour),  oder  nach  rechts  in  den 
Wirbelsäulenschatten  (punktirte  und  gestrichelte  Contour)  ge¬ 
neigt  war.  Mit  der  Grössenzunahme  verwischen  sich  diese  an¬ 
scheinend  typischen  Bilder  aus  begreiflichen  Gründen;  beson¬ 
ders  das  halsartige  Aufsitzen  des  pulsirenden  Tumors  auf  dem 
Herzschatten  verschwindet  bald.  1st  diese  Erscheinung, 
besonders  in  den  beiden  erstgenannten  Varian¬ 
ten,  vorhanden,  so  erlaubt  sie  mit  grosser 
Sicherheit  die  Annahme  eines  beginnenden 
Bogenaneurysmas;  der  negativeAusfall  spricht 
mit  minder  grosser  Sicherheit  (100:2,  siehe  oben) 
gegen  ein  solches. 


In  frontaler  Durchleuchtungsrichtung  bleibt  der  Retro¬ 
sternalraum  bei  einfacher  allgemeiner  Aortendilatation  hell, 
ebenso  bei  kleineren  (den  acht  obigen)  Bogenaneurysmen.  Hier 
treten  hauptsächlich  die  Aneurysmen  der  Aorta  ascendens  und 
die  spindelförmigen  »aneurysmatischen«  Erweiterungen  der¬ 
selben  in  Erscheinung,  indem  sie  den  genannten  Raum  zum 
Theil  oder  vollständig  verdunkeln. 

Von  einem  weiteren  Eingehen  auf  den  umfangreichen 
Stoff  muss  ich  aus  den  angeführten  Gründen  an  dieser  Stelle 
absehen. 


Notiz  über  den  Thorax  der  Metalldrucker. 

Von  Privatdocent  Dr.  Maximilian  Sternberg,  Chefarzt  des  Verbandes  der 
Genossensehaftskrankencassen  Wiens. 

Hofrath  Albert  hat  unlängst  auf  die  Nothwendigkeit 
hingewiesen1),  die  Deformitäten  des  Skeletes  bei 
den  einzelnen  Gewerben  gesondert  zu  studiren.  Die 
mechanischen  Verhältnisse,  die  Inanspruchnahme  des  Knochen¬ 
systems  durch  Zug  und  Druck  sind  in  der  That  bei  vielen 
Berufen  gauz  eigenartig.  Das  Verständniss  der  Veränderungen 
wird  wesentlich  gefördert  werden,  wenn  man  die  besondere  Art 
der  Arbeitsleistung  untersuchen  wird. 

Die  Berufsdeformitäten  des  Brustkorbes 
sind,  mit  Ausnahme  der  allbekannten  »Schusterbrust«,  bisher 
kaum  beachtet  worden.  Die  folgende  Mittheilung  soll  auf 
eine  noch  nicht  beschriebene  typische  Deformität  auf¬ 
merksam  machen,  den  Thorax  der  Metalldrucker. 
Sie  dürfte  durch  die  klare  Art  ihrer  Entstehung,  sowie  dadurch, 
dass  sie  eine  gewisse  diagnostische  und  differentialdiagnostische 
Bedeutung  besitzt,  nicht  uninteressant  sein. 

Die  Metalldruckerei  —  in  Norddeutschland  »Drückarbeit« 
genannt  —  wurde  Anfangs  des  XIX.  Jahrhunderts  in  Frankreich 
erfunden  und  j  824  in  Wien  von  Mayer  hofer  und  K  1  i  n  k  o  s  c  h 
zunächst  für  silberplattirte  Waaren  eingeführt.  Die  Technik  wurde 
lange  Zeit  als  Geheinmiss  bewahrt.  Die  Wiener  Drechslermeister, 
welche  für  Metallwaarenfirmen  lieferten,  arbeiteten  bei  versperrter 
Thüre.  Bis  in  die  Fünfziger-Jahre  galt  das  Gewerbe  als  ein  specifisch 
wienerisches. 

Die  Arbeit  besteht  darin,  dass  ein  entsprechend  zugeschnittenes, 
in  der  Regel  kreisrundes,  Stück  Blech  auf  ein  röhrendes  Modell 
(»Futter«)  au  fge  drückt  wird.  In  früheren  Jahrhunderten  wurden 
solche  Gegenstände  durch  Hämmern  (»getriebene  Arbeit«)  von 
Spenglern,  Kupferschmieden,  Silberschmieden  u.  s.  w.  hergestellt. 
Da  der  Metalldrucker  dasselbe  Stück  schneller  und  schöner  erzeugt, 
hat  seine  Technik  für  die  Herstellung  kleinerer  runder  und  ovaler 
Metallwaaren  (z.  B.  Leuchter,  Lampengestelle,  Klystierspritzen,  In¬ 
halationsapparate  u.  dgl.)  die  genannten  Gewerbe  verdrängt.  Auch 
grosse  Gegenstände,  z.  B.  Aufsätze  für  Locomotivschornsteine,  können 
vorn  Metalldrucker  ausgeführt  werden. 

Für  die  Massenproduction  ist  allerdings  in  den  letzten  De- 
cennicn  die  Erzeugung  durch  Stanzen  und  Pressen  an  die  Stelle 
der  Metalldruckerei  getreten.  Diese  ist  die  beliebte  Technik 
der  Kleinindustrie  in  Metallwaaren.  Sie  wird  in  Wien  theils  inner¬ 
halb  der  Fabriken,  theils  als  selbstständiges  Gewerbe  in  zahlreichen 
kleinen  Werkstätten  betrieben. 

Die  eigenartige  Arbeitsleistung  des  Metalldruckers  ist  aus 
der  Abbildung  Fig.  1  ersichtlich.  Er  presst  ein  rotirendes  kreis¬ 
rundes  Stück  Blech  auf  ein  Modell,  das  gleichfalls  in  die  Dreh¬ 
bank  eingespannt  ist.  Die  rechte  Hand  führt  den  »Druckstahl«, 
die  linke  hält  ein  kurzes  Stück  Holz  dem  sich  biegenden 
Bleche  entgegen.  Der  Druckstahl  gleitet  frei  auf  der  »Auf¬ 
lage«,  die  sich,  vom  Beschauer  gerechnet,  hinter  dem  Arbeits¬ 
stück  befindet  (man  sieht  von  ihr  in  der  Abbildung  nur  den 
Fusstheil).  Die  eigentliche  Fixirung  des  Werkzeuges,  welches 
den  mächtigen  Druck  zu  leisten  hat,  geschieht  dadurch,  dass 
der  Arbeiter  den  laugen  hölzernen  Griff  an  die  Seitenfläche 
seines  Brustkorbes  anpresst.  Es  sind  also  im  Wesentlichen  die 
Rippe  n,  welche  den  Druck  übernehmen.  Mit  anderen  kürzeren 

')  E.  Albert,  Die  seitlichen  Kniegelenksvei  kriimniungen  und  die 
compensatorischen  Fussformen.  Wien  1899. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


575 


Druckstählen  wird  das  gedrückte  Blech  dann  feiner  ausge¬ 
arbeitet. 

Der  Thorax  des  Metalldruckers  formt  sich  nun  ganz 
entsprechend  der  Arbeit, 


Fig.  1.  Metalldrucker  bei  der  Albeit. 


Die  rechte  Hälfte  des  Brustkorbes  ist  von 
der  fünften  Rippe  abwärts  vorne  und  in  der 
Seite  eingedrückt,  dafür  am  Rücken  stärker 
vor  gewölbt.  Die  rechte  Brustwarze  steht  ein 
wenig  tiefer  als  die  linke. 

Die  Muskeln  der  rechten  Körperhälfte,  ins¬ 
besondere  der  Latissimus  dors  i,  sind  stärker 
entwickelt. 

Die  Hypertrophie  des  letzteren  vermehrt  die  von  der 
Rippenkrtimmung  herrührende  Vorwölbung  der  rechten  Rücken¬ 
hälfte.  Der  tiefste  Punkt  der  seitlichen  Abflachung  entspricht 
meist  der  sechsten  Rippe,  die  Vorwölbung  am  Rücken  ist 
etwa  drei  Fingerbreiten  höher  am  stärksten. 


S 


Fig.  2.  Cyitometrische  Curve  in  der  Höhe  des  Sternalansatzes  der  sechsten 
Rippe.  —  S  =  Sternum,  W  =  Wirbelsäule.  1/5  der  natürlichen  Grösse. 

Die  Formveränderung  des  Thorax  sieht  man  am  deut¬ 
lichsten  ander  cyrto  met  rischen  Curve  (Fig.  2),  welche 
von  einem  30jährigen  Metalldrucker  in  der  Höhe  des  Sternal¬ 
ansatzes  der  sechsten  Rippe  aufgenommen  wurde. 

Bei  vielen  Metalldruckern  tritt  eine  leichte  linksseitige 
Skoliose  der  Brustwirbelsäule  mit  tieferem  Stand  der  rechten 
Schulter  hinzu,  bei  einigen  weicht  das  untere  Ende  des  Ster¬ 
nums  nach  links  ab.  Die  Hypertrophie  ist  meist  noch  an  den 
Lumbalmuskeln  der  rechten  Seite  zu  erkennen. 


Die  abgeflachte  oder  eingedrückte  rechte  Thoraxhälfte 
ist  eine  ganz  typische  Verbildung,  an  der  man  den  Metall¬ 
drucker  in  der  Regel  leicht  erkennt.  Sie  entsteht  schon  in  den 
Lehrlingsjahren,  tritt  aber  an  älteren  Arbeitern,  zum  Theile 
wegen  der  stärkeren  Ausbildung  der  Muskeln,  deutlicher 
hervor. 

Beziehungen  der  Thoraxverkrümmung  zur  Lunge  oder 
Leber  konnte  ich  klinisch  nicht  nachweisen.  Die  Tuber- 
culose  befällt  bei  diesen  Arbeitern  die  rechte  Lunge  nicht 
häufiger  oder  stärker  als  die  linke.  Die  Metalldrucker  er¬ 
kranken  übrigens  seltener  an  Lungentuberculose  als  die 
anderen  an  der  Drehbank  beschäftigten  Handwerker,  was  mit 
der  nur  wenig  Staub  (beim  Schleifen  und  Poliren)  erzeugen¬ 
den  Arbeit  und  den  verhältnissmässig  besseren  Löhnen  zu¬ 
sammenhängt. 

Die  Kenntniss  dieser  Berufsdeformität  ist  für  den  Inter¬ 
nisten  nicht  ohne  Werth.  Denn  die  Thoraxverbildung  kann 
unter  Umständen  zu  diagnostischen  Irrthümern  führen, 
beispielsweise  bei  einem  mittelgi  ossen,  pleuritischen  Ergüsse 
der  rechten  Seite  ohne  Compressionsathmen  zur  Annahme 
einer  pleuritischen  Schwarte  verleiten. 

Dem  Gerichtsarzte  kann  der  Metalldruckerthorax 
gelegentlich  für  die  Agnoscirung  eines  unbekannten  Häftlings 
oder  einer  Leiche  einen  brauchbaren  Anhaltspunkt  liefern. 


Aus  der  Heilanstalt  Alland. 

Einige  neue  Medicamente  in  der  Phthiseo- 

therapie.  ) 

Von  Dr.  Julius  Pollak,  Hausarzt  der  Heilanstalt. 

IV.  Fersan. 

Eine  wichtige  Rolle  kommt  sowohl  im  Beginne,  wie 
auch  im  Verlaufe  des  tuberculösen  Processes  dem  Blute  zu. 
Der  Tuberculöse  bietet  in  vielen  Fällen  schon  auf  den 
ersten  Blick  das  Bild  eines  Anämischen  dar.  In  den  vorge¬ 
schrittenen  Fällen  sind  die  blasse  Gesichtsfarbe,  die  grau 
scheinende  Haut,  die  bleichen  Lippen  beinahe  typisch. 

Desto  auffallender  muss  es  erscheinen,  dass  diesem  Bilde 
die  Veränderung  der  chemischen  und  morphologischen  Zu¬ 
sammensetzung  des  Blutes  keineswegs  parallel  geht.  In  den 
meisten  Fällen  steht  die  Zahl  der  rothen  und  weissen  Blut¬ 
körperchen,  der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  in  keinem  Ver¬ 
hältnisse  zu  dem  anscheinend  hochgradig  anämischen  Zustande 
des  Kranken.  Allerdings  ist  es  wohl  anzunehmen,  dass  wirk¬ 
lich  anämische  Individuen  schon  von  vorneherein  für  die 
Tuberculöse  mehr  disponirt  sind,  dass  sich  ihre  Anämie  dann 
durch  die  Acquisition  der  Tuberculöse  noch  mehr  verstärkt,  ist 
ja  zweifellos. 

Uebrigens  ist  schon  im  Anfangsstadium  der  Tuberculöse 
nach  Grawitz  und  Strasse r  die  Zahl  der  rothen  Blut¬ 
körperchen  weit  herabgesetzt,  die  der  weissen  unregelmässig, 
der  Hämoglobingehalt  des  Blutes  ein  geringer.  Von  dem 
Augenblicke  an,  in  welchem  sich  das  Allgemeinbefinden  des 
Tuberculösen  im  grossen  Ganzen  bessert,  das  heisst,  wenn  ei 
an  Gewicht  zunimmt,  sein  Lungenbefund  ebenfalls  ein  gün¬ 
stigerer  wird,  steigt  auch  zugleich  sowohl  die  Zahl  der  rothen 
Blutkörperchen,  wie  auch  dor  Hämoglobingehalt  des  Blutes. 
Diesen  Vorgang  zu  beschleunigen,  ist  eine  wichtige  Aufgabe 
der  Phthiseotherapie.  Tuberculösen  wurden  deshalb  schon  seit 
jeher  die  verschiedensten  Eisenpräparate  gereicht,  in  "vielen 
Fällen  auch  Arsen. 

Die  Wirkung  des  Arsens  ist  bei  Tuberculösen  nicht  besonders 
verlässlich.  Oft  lässt  das  Präparat  vollkommen  im  Stich,  in  anderen 
Fällen  sind  recht  schöne  Zunahmen  zu  verzeichnen,  jedoch  nui  so 
lange,  als  das  Arsen  genommen  wird.  Bald  nachdem  man  das  Medi¬ 
cament  aussetzt,  treten  in  den  meisten  Fällen  wieder  Abnahmen 
des  Körpergewichtes  ein. 

>)  Vide  diese  Wochenschrift.  19Q0.  Nr.  3. 


57fi 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


Die  meisten  Eisenpräparate  haben  ungünstige  Neben¬ 
wirkungen,  sie  belästigen  den  Magen,  wirken  reizend  auf  den 
Darm.  Bei  Tubereulösen  handelt  es  sich  in  erster  Linie  darum, 
nur  solche  Eisenquantitäten  zu  verabreichen,  die  leicht  resorbirt 
werden  können.  Wenn  man  sich  vor  Augen  hält,  dass  wir  für 
den  Menschen  höchstens  00479  Eisen  auf  1  kg  annehmen 
dürfen  (Bunge,  Lehrbuch  der  physiologischen  und  patholo¬ 
gischen  Chemie),  so  ist  es  einleuchtend,  wie  ausserordentlich 
wenig  Eisen  schon  zur  Erhöhung  des  Hämoglobingehaltes  des 
Blutes  genügt,  und  wie  unnöthig  es  ist,  blutarme  Individuen 
mit  grösseren  Eisenmengen  zu  quälen.  Der  grösste  Theil  des 
verabreichten  Eisens  geht  unverändert  mit  dem  Kothe  ab, 
nur  wirkt  diese  unresorbirte  Masse  häufig  sehr  unangenehm 
auf  die  Darmschleimhaut.  Grössere  Mengen  verderben  den 
Appetit  vollkommen.  Bei  Tuberculösen  ist  aber  gerade  die 
Erhaltung  des  guten  Appetites  eine  Hauptbedingung  für  den 
Erfolg. 

Appetiterregend  und  zugleich  eisen-  und  phosphorhältig 
ist  das  von  Dr.  A  d.  J  o  1 1  e  s  dargestellte  Präparat  F  ersan.  Laut 
.1  olles  ist  »dasselbe  eine  in  den  Erythrocyten  des  frischen 
Kinderblutes  enthaltene  Eisenverbindung,  welche  im  chemi¬ 
schen  Sinne  eine  eisenhaltige  Paranucleoproteid- Verbindung 
darstellt.  Es  wurde  in  aualoger  Weise,  wie  der  Eiweisskörper  der 
Leukocyten,  das  Nucleohiston,  in  die  Base  Histon  und  in  das 
saure  Leukonuclein  zerlegt  werden  kann,  der  Eiweisskörper 
der  Erythrocyten  gespalten,  und  zwar  in  eine  phosphorfreie 
Substanz,  die  in  Lösung  geht,  und  ähnliche  Eigenschaften 
zeigt,  wie  das  Histon  (Schulz,  Der  Ei  weisskörper  des  Hämo¬ 
globins)  und  in  einen  eisen-  und  phosphorhältigen  Eiweiss¬ 
körper,  welcher  in  seinem  Atomcomplex  keine  Alloxurbasen 
enthält  und  daher  durch  Behandlung  mit  Alkalien  auch  keine 
Nuclein  säuren  gibt.  Diese  Verbindung  (Fersan)  wird  im  Prin¬ 
cipe  in  der  Weise  gewonnen,  dass  man  auf  die  durch  Centri- 
fugirung  isolirten  Erythrocyten  Säuren  (am  besten  Salzsäure) 
unter  bestimmten  Bedingungen  einwirken  lässt. 

Der  hiebei  resultirende  Körper  enthält  das  gesammte 
Eisen  und  den  Phosphor  der  Erythrocyten  nur  in  organisch 
gebundener  Form  und  die  Eiweisssubstanzen  im  Wesentlichen 
als  Acidalbumine.« 

Das  Präparat  ist  im  Wasser  leicht  löslich,  coagulirt  beim 
Kochen  nicht,  und  ist  beinahe  geschmacklos. 

Ein  für  die  Phthiseotherapie  wichtiger  Vorzug  desselben 
ist,  dass  es  den  Magen  unverändert  passirt,  und  erst  im  Darme 
resorbirt  wird. 

In  vielen  Fällen,  besonders  im  Anfangsstadium,  ist  eine 
auffallende  Anorexie  bei  Tuberculösen  wahrnehmbar.  Zur  Be¬ 
kämpfung  derselben  müssen  wir  oft  zu  verschiedenen  Mitteln, 
wie  Acid,  hydrochloric.,  Tct.  chinae,  Tct.  nucis  vomicae  etc. 
greifen. 

Bei  Anwendung  des  Fersans  fällt  diese  Verabreichung 
weg,  dasselbe  scheint  an  die  Verdauungskraft  des  Magens 
keine  Anforderungen  zu  stellen  und  wird  selbst  bei  ziemlich 
schlechter  Verdauungsfähigkeit  des  Magens  gut  vertragen. 

Eine  specielle  Aufgabe  unserer  Therapie  ist  ausgiebige 
Ei  weisszufuhr.  Nach  Jolles  enthält  Fersan  90%  lös¬ 
liche  E  i  w  e  i  s  s  k  ö  r  p  e  r,  neben  dem  Eisen  wird  also  dem 
Kranken  auch  Eiweiss  in  nicht  zu  unterschätzender  Menge 
dargereicht. 

Das  Präparat  wurde  im  Ganzen  50  Patienten  gegeben. 
Als  Indication  dazu  galt:  Constatirte  Anämie,  auf¬ 
fallen  der  Appetitmangel,  in  manchen  Fällen  Kopf¬ 
schmerz,  als  dessen  Ursache  Anämie  anzunehmen  war. 

In  drei  Fällen  musste  gleich  nach  Beginn,  d.  h.  schon  nach 
zwei  bis  drei  lagen  mit  der  Verabreichung  des  Fersans  ausgesetzt 
werden:  bei  einer  Patientin  trat  nach  jedesmaligem  Einnehmen 
sofort  Erbrechen  ein,  in  den  anderen  zwei  Fällen  war  der  Wider¬ 
wille  gegen  das  Medicament  so  stark,  dass  ich  es  nicht  für  opportun 
hielt,  die  Patientin  zum  weiteren  Gebrauche  desselben  zu  zwingen. 

Bei  den  Uebrigen  zeigte  sich  Fersan  recht  brauchbar.  Besonders 
hervorzuheben  ist  die  ungewöhnlich  leichte  Assimilation  und  Resor- 
birbarkeit;  es  traten,  ausser  im  oberwähnten  Falle,  bei  keinem 
Patienten  irgend  welche  Verdauungsstörungen  ein.  Die  Verabreichungs¬ 


methode  war  anfänglich  folgende:  Ein  Kaffeelöffel  voll  Fersan  wurde 
in  einem  Glase  mit  etwas  Wasser  angerührt,  dann  das  Glas  mit 
kalter  (abgekochter)  Milch  angefüllt,  umgerührt  und  auf  einmal 
ausgetrunken.  Diese  Dosis  (circa  2  [/<l  g)  wurde  dreimal  täglich  eine 
halbe  Stunde  vor  jeder  Mahlzeit  gegeben,  im  Ganzen  also  circa 
7 — 8  g  pro  die.  Später  jedoch  wurde  die  wässerige  Fersanlösung 
direct  der  Suppe,  dem  Kaffee  oder  Cacao  zugesetzt,  und  auch  in 
dieser  Form  gerne  genommen  und  gut  vertragen.  Zur  näheren 
Charakterisirung  der  Wirkungsweise  will  ich  nur  zwei  beliebige  Fälle 
anführen: 

Patientin  H.,  17  Jahre  alt,  leidet  schon  seit  längerer  Zeit  an 
Gesichtsakne;  Lungenbefund  sehr  günstig,  das  Körpergewicht  blieb 
jedoch  Wochen  hindurch  stabil  48  kg.  Hämoglobingehalt  des  Blutes 
mit  Fleisch  l’schem  Apparat  gemessen  65. 

Am  3.  März  1900  wurde  mit  Verabreichung  von  Fersan 
begonnen.  Der  Appetit  besserte  sich  zusehends;  am  10.  März  Ge¬ 
wichtszunahme  160%,  am  17.  März  L30%,  am  24.  März  050%; 
dann  blieb  zwei  Wochen  unverändertes  Gewicht,  in  der  sechsten 
Woche  neuerliche  Zunahme  von  1  hg.  Hämoglobingehalt  75.  Patientin 
nimmt  seitdem  Fersan  fort,  die  Gesichtsakne  ist  wohl  noch  vor¬ 
handen,  jedoch  viel  geringer.  Hämoglobingehalt  am  22.  Mai  80%. 

Patientin  K.,  39  Jahre  alt,  klagte  seit  letzterer  Zeit  über 
Appetitlosigkeit,  häufigen  Kopfschmerz. 

16.  März.  Tuberculöse  Veränderungen,  auf  eine  Lungenspitze 
beschränkt.  Hämoglobingehalt  des  Blutes  Fl  ei  sc  hl  70.  Patientin 
nimmt  täglich  dreimal  Fersan. 

Am  23.  März  Gewichtszunahme  1  hg;  zwei  Wochen  hindurch 
keine  Zunahme,  in  der  dritten  Woche  Zunahme  0'90%;  Patientin 
nimmt  Fersan  fort;  mässige  aber  stetige  Gewichtszunahme. 

Am  17.  Mai  (zwei  Monate  später)  Fleischl  90. 

Diese  beiden  Fälle  können  als  Paradigmen  betrachtet 
werden;  denn  mit  wenigen  Ausnahmen  wurde  bei  sämmtliehen 
Kranken  schon  innerhalb  drei  bis  vier  Wochen  der  Hämo¬ 
globingehalt  des  Blutes  grösser,  in  den  meisten  Fällen  durch¬ 
schnittlich  um  10%,  nach  zweimonatlichem  Gebrauche  um 
15—20%.  Bei  besonders  anämischen  Kranken  ging  die  Er¬ 
höhung  des  Hämoglobingehaltes  noch  viel  rascher  vor  sieh, 
als  bei  weniger  anämischen.  Der  Appetit  besserte  sich  bei  den 
meisten  Kranken  schon  in  der  ersten  oder  zweiten  Woche. 
Auch  die  Gewichtszunahme  war  der  Besserung  des  Blut¬ 
befundes  parallel;  nur  bei  acht  Patienten  konnte  trotz  Fersan 
keine  Zunahme  des  Körpergewichtes  erzielt  werden.  Auf  die 
Zähne  übt  Fersan  keinerlei  schädliche  Wirkung  aus. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  bemerken,  dass  in  Folge 
der  hygienisch-diätetischen  Anstaltsbehandlung  an  und  für  sich 
sehr  schöne  Gewichtszunahmen  und  Besserung  aller  angedeuteten 
Beschwerden  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  beobachtet  werden, 
es  handelt  sich  hier,  wie  ausdrücklich  bemerkt  werden  soll, 
nur  um  solche  Kranke,  die  auf  die  gewöhnliche  »Allgemein¬ 
behandlung«  nicht  in  genügender  Weise  reagirt  haben,  so 
dass  die  Wirkung  thatsächlich  dem  Fersan  zugeschrieben 
werden  kann. 


REFERATE. 

Die  Lepra  des  Auges. 

Klinische  Studien  von  Dr.  Lyder  Börthen  ;  mit  pathologisch-anatomischen 
Untersuchungen  von  Dr.  P.  L  i  e. 

Leipzig  1899,  W.  Engelmann, 

Die  vorliegende  umfangreiche  Monographie  über  die  leprösen 
Erkrankungen  des  Auges  und  seiner  Adnexe  ist  das  Resultat  lang¬ 
jähriger  eigener  Beobachtungen  an  dem  zahlreichen  Krankenmateriale 
der  verschiedenen  Leprosenhäuser  Norwegens.  Mit  der  ausgedehnten 
Erfahrung,  welche  den  Verfassern  zur  Seite  steht,  verbindet  sich 
eine  grosse  Klarheit  der  Darstellung,  sowie  durchwegs  gleiche  Sorg¬ 
falt  und  Genauigkeit  in  der  Besprechung  der  einzelnen  Capitol  des 
Themas. 

An  der  Spitze  des  Werkes  steht  neben  einer  Uebersicht  über 
das  untersuchte  Material  eine  umfassende  Statistik,  welche  unter 
Anderem  auch  in  Form  von  Diagrammen  ein  sehr  übersichtliches 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


;>  ( i 


Bild  über  die  Beziehungen  der  Augenaffectionen  bei  den  ver¬ 
schiedenen  Formen  der  Lepra  sowohl  zu  den  Erkrankungen  der 
übrigen  Organe,  als  auch  rücksichtlich  des  Geschlechtes,  und  die 
Häufigkeit  des  Auftretens  der  leprösen  Augenkrankheiten  im  Ver¬ 
laufe  der  allgemeinen  Lepra  gibt. 

Als  zweiter  Haupttheil  folgt  eine  mit  zahlreichen  Kranken¬ 
geschichten  belegte,  durch  sehr  viele  ausgezeichnete  Lichtdruck- 
und  chromolithographische  Tafeln  illustrirte  klinische  Darstellung 
der  Veränderungen  der  Bulbusadnexe  und  einzelnen  Bulbustheile 
in  klarer  und  bei  aller  Kürze  doch  in  Details  durch  geführter  Weise. 
Und  zwar  sind  zunächst  allgemeine  Erörterungen  über  die  Er¬ 
scheinungsformen  der  Lepra,  sowie  anatomische  Bemerkungen  den 
einzelnen  Unterabtheilungen  vorausgeschickt. 

Den  dritten  Abschnitt  bilden  pathologisch-anatomische  Unter¬ 
suchungen  über  die  Veränderungen  der  einzelnen  Gewebe  des 
Auges  und  seiner  Umgebung  durch  die  verheerende  Infections- 
krankheit,  welchen  sehr  schöne  chromolithographische  Reproductionen 
histologischer  Präparate  beigegeben  sind. 

Druck  und  Ausstattung  des  Werkes  sind  tadellos,  so  dass 
es  als  eine  werthvolle  und  in  jeder  Beziehung  vollständig  ge¬ 
lungene  Bereicherung  der  Literatur  rückhaltslos  empfohlen 
werden  kann.  V.  Hanke. 


I  Die  ekzematösen  (scrophulösen)  Augenerkrankungen 

Von  Dr.  Ludwig  Bach. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Augenheil¬ 
kunde. 

Bd.  III,  Heft  1. 

Halle  1899,  C.  Mar  hold. 

II.  Ueber  gichtische  Augenerkrankungen. 

Von  Dr.  Julius  Hirsch,  Karlsbad. 

Bd.  Ill,  Heft  2. 

Ibidem,  1899. 

III.  Die  Durchblutung  der  Hornhaut. 

Von  Dr.  P.  Römer. 

Bd.  II,  Heft,  8, 

Ibidem,  1899. 

IV.  Sehprüfungen. 

Beispiele  nebst  Fragen  und  Anworten,  ein  Unterrichts-  und  Lernbehelf. 
Von  Dr.  A.  Roth.  Oberstabsarzt. 

II.  Auflage. 

Berlin  1 899,  Otto  Enslin. 

V.  Ueber  Lidgangrän. 

Von  Dr.  P.  Römer. 

VI.  Ein  Beitrag  tu  den  entzündlichen  Verletzungen  des 

Auges. 

Von  Dr.  G.  Brandenburg. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Augenheilkunde 

Bd.  m,  Heft  4. 

Halle  1899,  C.  Marhold. 

VII.  Die  operative  Behandlung  der  hochgradigen  Kurz¬ 

sichtigkeit. 

Von  Dr.  Hühner. 

Bd.  III,  Heft  3. 

Ibidem,  1899. 

VIII.  Die  Impferkrankungen  des  Auges. 

Von  Prof.  Otto  Schirmer. 

Bd.  III,  Heft  5. 

Ibidem,  1900. 

IX.  Ueber  die  Vererbung  von  Augenleiden  mit  besonderer 
Berücksichtigung  von  Neuritis  optica  in  Folge  von  Here¬ 
dität  und  congenitaler  Anlage  (Leber). 

Ven  Prof.  Dr.  A.  Vossilis. 

Bd.  III,  Heft.  6. 

Ibidem,  1900. 

I.  \  erfasset’  zieht  den  Namen  Ekzem  der  Bezeichnung  Kerato¬ 
conjunctivitis  phlyctaenulosa  vor,  weil  sich  ersterer  vielleicht  doch 
als  tichtig  erweist,  während  der  Name  »Phlyktäne«  bereits  fest¬ 
stehenden  Ibatsachen  nicht  gerecht  wird  und  sich  auf  Erkrankun¬ 
gen  der  Lidbaut  und  des  Lidrandes  nicht  gut  anwenden  lässt. 
JSach  der  Schilderung  des  klinischen  Bildes  des  Ekzems  des  Lides, 
Lid1  arides,  der  Bindehaut  und  Hornhaut,  sowie  der  Besprechung  der 
bishei  veröffentlichten  anatomischen,  bacteriologiscben  und  experi¬ 
mentellen  Untersuchungen,  wobei  auch  die  eigenen  des  Verfassers 
referirt  werden,  wendet  sich  Bach  den  Beziehungen  der  Krankheit 
zm  Scrophulose  zu.  Er  versteht  unter  diesem  Begriffe  eine  Krank¬ 


heit,  vorwiegend  der  Armuth  und  des  Kindesalters,  bei  welcher 
Vererbung  eine  grosse  Bolle  spielt  und  die  durch  eine  Ernährungs¬ 
störung,  welche  in  einem  verminderten  Stoffwechsel  besieht,  charak- 
terisirt  wird.  Hieraus  erklärt  sich  die  abnorme  Empfindlichkeit 
Scrophulöser  auf  äussere  Reize,  die  grosse  Neigung  zu  entzündlichen 
Vorgängen  von  eigenthümlichem  Charakter,  der  chronische  Verlauf, 
die  häufigen  Recidiven  und  die  geringe  Tendenz  zur  normalen  Ge- 
wehshildung,  die  geringe  Widerstandsfähigkeit  gegen  Infection,  also 
besonders  die  mit  Tuberkelbacillen.  Die  Scrophulose  spielt  sicher 
in  der  Genese  der  ekzematösen  Augenerkrankungen  eine  bedeutende 
Rolle;  dass  sie  dieselben  aber  auf  endogenem  Wege  erzeugt,  ist 
unwahrscheinlich,  sie  wirkt  nur  in  hohem  Grade  prüdisponirend. 
Bei  dem  Zustandekommen  der  Krankheit,  speciell  der  Effloresccnzen, 
wirken  äussere  Einflüsse  in  sehr  hohem  Grade  ein.  Die  bacterio- 
logische  und  besonders  experimentelle  Forschung  beim  Menschen 
und  Thierc  haben  die  ursächliche  Bedeutung  der  Bacterien  für  die 
Genese  der  Erkrankung  zwar  nicht  bewiesen,  aber  wahrscheinlich 
gemacht.  Am  wahrscheinlichsten  ist  es,  dass  es  sich  bei  dem  Ent¬ 
stehen  der  Efflorescenzen  um  eine  primäre  Epithelalleration  und 
dann  um  Einwirkung  von  Bacterien  oder  chemischen  Substanzen 
handelt.  Es  ist  ziemlich  gewiss,  dass  die  sogenannte  Phlyktäne  ge¬ 
wöhnlich  zunächst  ein  subepithelialcs  Knötchen  darstellt.  Die  Mög¬ 
lichkeit  einer  ektogenen  Genese  ist  bisher  durch  die  anatomischen 
Untersuchungen  nicht  widerlegt.  Dies  sind  die  bisherigen  Ergebnisse 
der  Forschung.  Als  die  weiteren  Ziele  bezeichnet  Bach  die  Unter¬ 
suchung  frischer  Efflorescenzen,  speciell  auf  Zeichen  von  Epithel- 
regeneration,  sowie  Experimente  zur  Beobachtung  der  Epithelrege¬ 
neration  hei  minimaler  Defectbildung  und  oberflächlicher  Hornhaut- 
infection.  Bei  bacteriologiscben  Untersuchungen  empfiehlt  es  sich, 
getrennte  Platten  von  den  Efflorescenzen,  dem  Bindehautsack  und 
den  Lidrand  anzulegen,  sowie  bei  einseitiger  Affection  auch  Lidrand 
und  Bindehautsack  des  gesunden  Auges  zu  untersuchen. 

Die  Therapie  hat  zunächst  die  Besserung  des  Allgemeinzu¬ 
standes  und  der  hygienischen  Verhältnisse  des  Patienten  anzu¬ 
streben.  Bei  der  localen  Therapie  der  Lidekzeme  kommt  die  Appli¬ 
cation  der  Medicamente  hauptsächlich  in  Salbenform  in  Betracht, 
daneben  ist  auf  Hintanhaltung  mechanischer,  überhaupt  äusserer 
Reize  möglichst  zu  achten,  sowie  auf  die  Behandlung  gleichzeitig 
vorhandener  Ekzeme  an  anderen  Körperstellen,  Katarrhen  der  Nase 
und  des  Ohres.  Bei  der  localen  Therapie  der  ekzematösen  Bindehaut- 
und  Hornhautaffectionen  ist  wieder  die  Fernhaltung  äusserer  Schäd¬ 
lichkeiten  sehr  wichtig,  besonders  des  Wischens  mit  schmutzigen 
Händen  und  Tüchern;  dadurch  wird  das  Abheilen  vorhandener  Ef¬ 
florescenzen  begünstigt  und  dem  Aufschiessen  neuer  durch  Rein¬ 
fection  der  Oberflächendefecte  vorgebeugt.  Das  local  allgemein  ange- 
wendele  Kalomel  wirkt  nach  B  a  c  h’s  Ansicht  nicht  nur  durch  Um¬ 
wandlung  im  Bindehautsack  zu  Sublimat  die  Keimzahl  herabmin¬ 
dernd,  sondern  hauptsächlich  durch  Vermehrung  der  Thränensecre- 
tion  rein  mechanisch  die  Bacterien  herausspülend.  Bei  Gebrauch 
von  Kalomel  und  Präcipitatsalbe  wird  vor  interner  Verabreichung 
von  Jod  gewarnt,  weil  sich  dann  im  Bindehautsack  das  stark 
reizende  Jodquecksilber  bildet,  aber  auch  vor  localer  Anwendung 
von  Cocain  zugleich  mit  nicht  sehr  fein  verriebener  Präcipitatsalbe, 
wobei  sich  stark  irritirende  Sublimatkörnchen  bilden  können.  Des 
Weiteren  bespricht  Bach  die  im  Allgemeinen  übliche  Therapie  der 
ekzematösen  Conjunctival-  und  Cornealaffectionen. 

* 

II.  Die  harnsaure  Diathese  ist  nicht  so  selten  Ursache  von 
Augenaffectionen.  Hirsch  schätzt  die  Zahl  der  uratischen  Augen¬ 
kranken  auf  2 °/0  der  Gesammturaliker.  Zu  den  Hauterkrankungen, 
die  das  Auge  in  Mitleidenschaft  ziehen  und  uratische  Grundlage 
haben,  gehören  Ekzeme  und  Psoriasis  der  Lidhaut  und  Brauen¬ 
gegend,  sowie  eine  eigenthümliche,  fettig  glänzende,  wulstige  Schwel¬ 
lung  der  Lidhaut.  In  den  Lidknorpeln  kommen  echte  Tophi  mit 
harnsauren  Concrementen  vor,  sie  können  sich  durch  Resorption 
verkleinern,  aber  auch  unter  heftigen  Entzündungserscheinungen 
vereitern.  Sie  ähneln  ganz  den  Chalazien.  Die  Conjunctiva  erkrankt 
in  der  Form  von  acuter  und  chronischer  Entzündung,  sowie  der 
von  plötzlich  vorübergehenden  Schwellungen  mit  starker  Hyper¬ 
ämie,-  Hitzegefühl  und  Thränenfluss;  ferner  kommen  Blutungen  in 
der  Conjunctiva  mit  prognostischer  Bedeutung  als  Zeugniss  für  die 
Brüchigkeit  der  Gefässwand  vor.  Die  Sklera  ist  manchmal  der  Silz 
echter  Tophi,  dann  der  oft  schweren,  auf  Aderhaut,  Netzhaut  und 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


578 


Iris  sich  ausbreitenden  Entzündungen,  welche  das  Sehorgan  aufs 
Höchste  gefährden,  und  der  gutartigen  Episcleritis  periodica  fugax 
(F  uch  s). 

Oberflächliche  Skleritiden  führen  hei  älteren  Uratikern  im 
Stadium  der  Gefässveränderungen  mitunter  zu  sklerosirender  Kera¬ 
titis.  Rasch  entstehende  und  ebenso  verschwindende,  randständige 
kleine  Hornhautgeschwüre,  welche  nie  perforiren,  aber  oft  recidi- 
viren,  sind  die  häufigste  gichtische  Augenerkrankung.  Als  sehr  seltene 
Hornhaulaffection  beobachtete  II  i  r  s  c  h  zwei  Fälle,  bei  denen  kleine 
bläschenartige  Efflorescenzen  am  Limbus  auftraten,  mit  Hinter¬ 
lassung  »weisser  Flecke«  (nicht  sicher  als  Narben  anzusprechen) 
heilten,  häufig  recidivirten  und  sich  dabei  flügelfellartig  immer  mehr 
gegen  das  Hornhautcentrum  vorschoben. 

Die  bekannteste  gichtische  Augenkrankheit  ist  die  Iritis.  Es 
werden  dann  die  von  B  e  r  g m  e  is  t  er  als  charakteristisch  für  Gicht 
beschriebenen  Fälle  von  feinen  Trübungen  am  hinteren  Linsenpol 
erwähnt,  dann  der  primären  Ilyalitis  mit  Ausgang  in  Netzhautab- 
ablösung  gedacht,  endlich  zu  den  eigentlichen  Augenhintergrundserkran¬ 
kungen  übergegangen,  die  alsFolgen  der  Gefässveränderungen  anzusehen 
sind  und  deren  einseitiges  Vorkommen  als  charakteristisch  für  Gicht 
Hirsch  anerkennt.  Solche  sind:  Süppchen  in  der  Macula,  Neuro- 
retinitis,  hämorrhagische  Retinitis.  Einen  Fall  von  Glaukom,  in  dem 
der  von  Manchen  behauptete  Zusammenhang  mit  Gicht  unzweifel¬ 
haft  gewesen  wäre,  hat  Hirsch  nie  gesehen. 

Als  diagnostisch  verwerthbare  Zeichen  werden  resumirt:  mehr 
minder  auffallende  Hartnäckigkeit,  Neigung  zu  Recidiven,  einseitiges 
Auftreten,  respective  seltene  Gleichzeitigkeit  bei  der  Erkrankung 
beider  Augen. 

* 

III.  Verfasser  referirt  über  fremde  und  eigene  Untersuchungen, 
betreffend  die  histologischen  Veränderungen  und  die  Genese  der 
als  »Durchblutung«  der  Hornhaut  bezeichneten  eigenthümlichen, 
scheibenförmigen,  centralen,  grünlichen  Verfärbung  der  Cornea, 
welche  mit  gleichzeitig  bestehenden,  traumatischen  oder  spontanen 
intraoeulären  Blutungen  beobachtet  wurde.  In  den  meisten  einschlä¬ 
gigen  Publicationen,  die  Verfasser  eingehend  bespricht,  werden  auf¬ 
fallend  stark  lichtbrechende  Körperchen  erwähnt,  die  jedoch  nicht 
die  Ursache  der  eigenthümlichen  Verfärbung  sein  können,  weil  sie 
nur  in  einer  Gruppe  von  solchen  Fällen  sich  finden.  Ueber  die 
Genese  und  Natur  der  Gebilde,  welche  für  Fibringerinnungen,  Pro- 
ducte  hyaliner  Degeneration,  Hämatoidin  gehalten  wurden,  stehen 
sich  die  Anschauungen  hart  gegenüber.  Römer  beobachtete  selbst 
vier  Fälle  und  untersuchte  davon  zwei  anatomisch;  in  dem  einen 
fehlten  die  Körperchen.  In  Uebereinstimmung  mit  den  bisherigen 
Untersuchern  fand  er  sie  gegen  starke  Säuren  und  Alkalien,  Aether, 
Alkohol  und  Chloroform  resistent,  die  W  e  i  g  e  r  t'sche  Fibrinfärbung 
gelang  nur  bei  intensivster  Ueberfärbung;  dies,  sowie  die  Unlöslich¬ 
keit  der  Körperchen  in  Neurin,  durch  welches  sie  aus  der  sich 
auflösenden  Cornea  als  runde  oder  ovale  Gebilde  isolirt  werden 
können,  beweist,  dass  man  es  nicht  mit  Fibringerinnungen  zu  thun 
hat  (wie  bei  der  Aspergillus-Keratitis),  auch  fehlen  die  charakte¬ 
ristischen  Zeichen  der  Entzündung.  R  ö  m  e  r  meint  nun,  dass  das 
Hämoglobin  in  verdünnter  Lösung  die  ganze  Cornea  durchdringe 
(dies  wird  durch  die  diffus  auftretende  Eisenreaction  bestätigt),  und 
durch  die  Gewebs-Kohlensäure  in  das  eisenhaltige  gefärbte  Hämatin 
und  seinen  farblosenEiweisskörperzerlegt  werde.  Die  Körperchen  könnten 
daun  als  Niederschläge  vom  Eiweisskörper  des  Hämoglobins  aufgefasst 
werden,  die  in  krystalloider  Form  aus  der  Hämoglobinlösung  aus¬ 
geschieden  werden.  Wo  die  Gewebskohlensäure  in  die  Nähe  der 
Resorptionssphäre  der  Gefässe  glangt,  kann  sie  das  Hämoglobin 
nicht  mehr  zerlegen,  daher  die  von  Körperchen  frei  gefundene 
Randzone  der  Hornhaut.  Die  Körnchen  zeigten  auch  chemische  und 
tinctorielle  Aehnlichkeit  mit  dem  künstlich  aus  Hämoglobin  herge- 
slcllten  Liweisskörper,  doch  wurde  letzterer  vom  Neurin  gelöst.  In 
Zukunft  wäre  an  frischen  Fällen  darauf  zu  achten,  ob  das  Hämatin 
als  Zerlegungsproduct  des  Hämoglobins  durch  sein  charakteristisches 
spectroskopisches  Verhalten  nachzuweisen  ist.  In  Römer’s  Fall 
fiel  die  Untersuchung,  da  das  Präparat  alt  war,  nicht  überzeugend 
aus.  Das  Photogramm  eines  gefärbten  Schnittes,  unter  starker  Ver- 
grösserung  angefertigt,  und  ein  Literaturverzeichniss  schliessen  die 
Arbeit. 

* 


IV.  Das  kleine  Heftchen  enthält  zunächst  Vorbemerkungen  ■ 
über  die  Stufen  des  Sehvermögens  und  den  Gang  der  Augenunter¬ 
suchung,  soweit  sie  durch  Sehstörungen  erforderlich  wird,  sowie 
über  die  Benützung  der  Sehprobentafeln.  Es  folgen  dann  Fragen 
zur  Prüfung  der  für  die  Vornahme  von  Sehproben  nöthigen  Vor¬ 
kenntnisse.  Den  Haupllheil  bilden  eine  Anzahl  von  Sehprüfungs¬ 
protokollen  mit  anschliessenden  Fragen  über  die  Details  derselben, 
und  die  aus  ihnen  zu  ziehenden  Folgerungen.  Den  Schluss  bilden 
die  Antworten  auf  die  vorher  gestellten  Fragen  nebst  kurzen  Er¬ 
klärungen.  Das  Heft  ist  ganz  praktisch  zur  Repetition  und  zur 
Prüfung  auf  Verständniss  und  Anwendung  des  anderweitig  Ge¬ 
lernten. 

* 

V.  Lidgangrän  im  pathologisch-anatomischen  Sinne,  als  Ein¬ 
schmelzung  unter  Zersetzung  und  Fäulniss  ist  eine  opthalmologisehe 
Seltenheit.  Die  anatomische  Beschaffenheit  der  Lidhaut,  dünnes 
Corium,  lockeres  subcutanes  Gewebe,  Feinheit  der  Gefässe  prädis- 
poniren  die  Region  zur  schnellen  Ausbreitung  der  Entzündung  und 
Ernährungsstörung  des  Gewebes.  Der  freie  Lidrand,  welcher  am 
reichlichsten  vascularisirt  ist,  bleibt  sammt  den  Cilien  meist  ver¬ 
schont,  die  grosse  Neigung  zur  Tiefenausdehnung  führt  bei  even¬ 
tueller  Heilung  Stellungsveränderung  des  Lides  herbei.  Klinisch  ist 
die  endogene,  metastatisch  entstandene  und  die  ektogene,  durch 
locale  Affection  entstandene  Gangrän  zu  unterscheiden.  Für  erstere 
kommen  als  Ursachen  hauptsächlich  Typhus,  Scharlach  und  Masern, 
aber  auch  Influenza,  besonders  in  der  Reconvalescenzperiode  in 
Betracht,  ferner  infectiöse  Embolie  hei  Pyämie  und  Sepsis,  endlich 
Diabetes  und  Alkoholismus.  Bei  der  ektogenen  Form  ist  die  primäre 
Liderkrankung  von  der  aus  der  Nachbarschaft  fortgeleiteten  zu 
trennen.  Secundäre  Lidnekrosen  sind  am  häufigsten  im  Anschlüsse 
an  Erysipelas  faciei  oder  an  inficirte  Erosionen  der  Umgebung,  ge¬ 
legentlich  auch  nach  Orbital-Periostitis  und  Oberkiefereiterungen. 
Als  primäre,  bisweilen  zu  Gangrän  führende  Liderkrankungen 
kommen  in  Betracht:  Milzbrand,  Variola,  Pusteln,  Eczema  impeti- 
ginosum,  schliesslich  Varicellen.  Einen  Fall  letzterer  Aeliologie, 
den  ersten  bisher  veröffentlichten,  theilt  Römer  nun  in  extenso 
mit.  Die  bacteriologische  Untersuchung  ergab  Streptococcen  und 
Proteus  vulgaris.  Für  die  Praxis  ergibt  sich  der  Wink,  dafür  zu 
sorgen,  dass  die  Kinder  sich  die  Pusteln  an  den  Lidern  nicht  auf¬ 
kratzen  und  inficiren  können. 

* 

VI.  Brandenburg  gibt  die  Krankengeschichte  eines  Falles 
von  Zündhütchen-Verletzung  des  Auges,  bei  welchem  es  nach  der 
Lage  der  vorhandenen  Wunden  zweifelhaft  war,  ob  ein  im  Lid 
Vorgefundener  Kupfersplitter  auch  die  perforirende  Hornhaut-  und 
Linsenverletzung  erzeugt  habe,  oder  ob  noch  ein  zweiter  in  das 
Augeninnere  eingedrungen  sei,  und  bespricht  die  sich  daraus  er¬ 
gebenden  Fragen  bezüglich  Diagnose  und  Prognose. 

* 

VII.  Zweck  der  Arbeit  ist,  dem  Praktiker  durch  eine  einfache 
Darlegung  der  bisher  gemachten  Erfahrungen  über  dieses  Capitel 
der  Augenchirurgie  ein  Urtheil  zu  ermöglichen.  Mit  Berücksichtigung 
des  selbst  beobachteten  Materiales  der  Kliniken  in  Halle  und 
Giessen,  sowie  der  gesammten  Literatur  kommt  Hübner  zu  fol¬ 
genden  Schlüssen: 

1.  Bei  der  Auswahl  von  für  die  Phakolyse  geeigneten  Fällen 
ist  nicht  nur  die  Höhe  der  Myopie,  sondern  auch  die  individuellen 
Verhältnisse  ausschlaggebend.  Im  Allgemeinen  ist  als  unterste 
Grenze  140  D  festzuhalten,  unter  besonderen  Umständen  (stark 
progressive  Myopien  des  Kindesalters,  hartnäckige,  nur  auf  die 
hochgradige  Kurzsichtigkeit  zurückzuführende  Beschwerden,  nament¬ 
lich  für  einen  Beruf  nicht  ausreichende  Arbeitsweite)  kann  bis  auf 
12  0  — 100  D  heruntergegangen  werden. 

2.  Bei  der  Ausführung  der  Operation  ist  alles  strengstens  zu 
vermeiden,  was  den  Verfall  und  etwaigen  Verlust  von  Glaskörper 
begünstigt.  Als  Operationsverfahren  empfiehlt  sich  die  Discission  mit 
nachfolgender  Linearextraction  in  geeigneten  Fällen  die  Extraction 
der  durchsichtigen  Linse. 

3.  Die  Operation  verschafft  den  hochgradig  Kurzsichtigen 
eine  bessere  Sehschärfe  für  die  Ferne  und  die  Möglichkeit,  in  der 
Nähe,  in  jeder  durch  einen  Beruf  nöthigen  Arbeitsentfernung  gut 
und  andauernd  zu  sehen.  In  der  bei  weitem  überwiegenden  Mehr¬ 
zahl  der  Fälle  kommt  die  Myopie  nach  Entfernung  der  Linse  zum 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1‘JOü. 


57!) 


Stillstand,  bezüglich  der  Verminderung  der  Gefahr  der  Netzhaut- 

J  o 

ablösung  ist  ein  abschliessendes  Urtheil  einstweilen  nicht  abzu¬ 
gehen  . 

* 

VIII.  Schirmer  skizzirt  zunächst  die  Krankengeschichte  eines 
Patienten,  der  von  einem  Impfarzte  durch  Unachtsamkeit  inficirt, 
mit  Bindehaut-  und  Hornhautgeschwür  in  seiner  Behandlung  stand 
und  bedeutende  Schwächung  des  Sehvermögens  davontrug,  um  auch 
Nichtspecialisten  auf  die  Gefahren  einer  Uebertragung  von  Vaccine 
aufs  Auge  aufmerksam  zu  machen. 

Die  Infection  geschieht  meist  an  Pflegepersonen,  seltener  an 
den  Geimpften  selbst,  bei  Impfung  an  den  bequemer  zu  erreichenden 
Oberschenkel  ist  Selbstinfection  geimpfter  Kinder  leichter,  daher 
Impfverband  rathsam. 

Es  wird  sodann  die  Vaccinola  des  Lidrandes  ge¬ 
schildert,  ihre  Aehnlichkeit  mit  den  gewöhnlichen  Impfblattern  und 
ihre  Unterschiede  von  denselben,  welche  zumeist  dem  zarten  Epithel 
des  Lidrandes,  der  Maceration  durch  Conjunctivalsecret  und  Thränen, 
sowie  der  mechanischen  Wirkung  des  Lidschlages  ihre  Entstehung 
verdanken,  geschildert.  Die  etwas  frappirende  Restitutio  ad  integrum 
der  anscheinend  bösartigen  Geschwürsbildung  erklärt  sich  nach 
Schirmer’s  mikroskopischen  Untersuchungen  daraus,  dass  der 
nekrotische  Process  den  Papillarkörper  nicht  erreicht.  Besonders 
erwähnt  wird  das  Aufschiessen  zahlreicher  Impferuptionen  secun- 
därer  Art,  entstanden  zum  Theil  durch  Contact  der  Lidränder  unter¬ 
einander  und  mit  dem  Bulbus,  zum  Theil  dadurch,  dass  der  In- 
fectionsstoff  nicht  wie  am  Arm  durch  die  Pusteldecke  eingeschlossen 
gehalten  wird,  sondern  von  dem  offenen  Geschwür  aus  sich  überall 
hin  leicht  ausbreiten  und  auf  dem  zarten,  stets  feuchten  Lidraijd- 
epithel  leicht  haften  kann.  Viel  seltener  als  auf  der  Lidhaut  ist  die 
primäre  Vaccineeruption  auf  der  Conjunctiva,  von  welcher 
Schirmer  eigene  Beobachtungen  mittheilt.  Sie  stimmt  ganz  mit 
der  am  Lidrande  überein  und  stellt  flache,  von  einem  weisslichen, 
abziehbaren  Belage  bedeckte  Substanzverluste  dar,  die  ohne  Narben¬ 
bildung  heilten.  Primäre  Impfinfection  der  Hornhaut  kam  nur 
einmal  durch  einen  unglücklichen  Zufall  auf  dem  Auge  des 
Arztes  zu  Stande,  wurde  aber  in  den  ersten  Stadien  nicht  beob¬ 
achtet,  es  ‘lässt  auch  daher  nicht  feststellen,  ob  die  darnach  aufge¬ 
tretene  Keratitis  mit  der  bei  Lidvaccinola  auftretenden  interstitiellen 
Keratitis  identisch  ist.  Diese  Complication  kann  für  das  Auge  ver- 
hängnissvoll  werden.  Die  Keratitis  profunda  postvacci- 
nolosa  entwickelt  sich,  nachdem  die  Lidvaccinola  ihren  Höhe¬ 
punkt  überschritten  hat,  unter  mässigon  Reizerscheinungen  als  zu¬ 
nächst  diffuse  Trübung  der  mittleren  Hornhautschichten,  hinter 
welchen  zunächst  ganz  unregelmässig  angeordnete,  hakenförmige 
oder  gabelige,  weissliche  Striche  liegen,  auf  die  schon  in  den 
tiefsten  Schichten,  also  unmittelbar  an  der  Descemet’schen  Membran 
kreislörmige  oder  ovale  graue  Trübungen  folgen.  Ob  diese  Keratitis 
von  der  Oberfläche  aus  entstanden,  oder  als  Metastase  aufzufassen 
sei;  ist  noch  strittig.  Schirmer  sieht  darin  eine  Infection  der 
Hornhaut  mit  dem  specifischen  Virus  der  Vaccine.  Die  andere 
Form  der  Complication  seitens  der  Hornhaut:  Infiltrate  und  Ge¬ 
schwüre,  unterscheiden  sich  nicht  von  den  sonst  bei  acuten  Con¬ 
junctivitiden  auftretenden  und  sind  schwerlich  als  Vaccineinfection 
der  Hornhaut  zu  betrachten. 

Zum  Schlüsse  werden  Differentialdiagnose  (Variola  vera, 
syphilitischer  Primäraffect,  weicher  Schanker,  Diphtherie),  Prognose, 
Therapie  und  Prophylaxe  besprochen. 

* 

IX.  In  der  Aetiologie  verschiedener  Augenleiden  (Glaukom, 
Katarakt,  Strabismus,  Farbenblindheit,  Hemeralopie,  Refractions- 
fehler,  speciell  Myopie  und  Astigmatismus,  congenitale  Anomalien) 
spielt  die  Erblichkeit  eine  Rolle.  Auffallend  ist  bei  einer  Reihe, 
dass  sie  in  einem  gewissen  Lebensalter  auftreten,  bei  anderen,  dass 
sie  nur  die  männlichen,  hei  anderen  nur  die  weiblichen  Familien¬ 
mitglieder  betreffen,  ln  der  Regel  wird  die  Affection  in  einer 
1  amilie  durch  die  Mutter  übertragen,  welche  dabei  ein  ganz  gesundes 
Sehorgan  haben  kann.  Eine  Eigentümlichkeit  hereditärer  Augen¬ 
leiden  ist,  dass  Generationen  davon  übersprungen  werden  können. 
Consanguinität  der  Ehen  kann  besonderen  Einfluss  haben.  Dass  es 
eine  auf  hereditärer  Grundlage  ganz  acut  auftretende  und  sich 
durch  Generationen  in  verschiedenen  Familien  sogar  um  bestimmte 
Lebenszeit  fast  regelmässig  wiederholende  retrobulbäre  Neu¬ 


ritis  optica  mit  Ausgang  in  partielle  oder  totale  Atrophie  der 
Papille  aber  ohne  zwingenden  Endausgang  in  absolute  Amaurose 
gibt,  lehrt  die  ältere  und  neuere  Literatur.  Im  klinischen  Bilde 
spielt  die  gewöhnlich  plötzlich  eintretende  und  bisweilen  schon  in 
wenigen  Tagen  bis  zu  fast  völliger  Erblindung  sich  steigernde  Ab¬ 
nahme  der  Sehschärfe  die  Hauptrolle. 

Die  Amblyopie  entwickelt  sich  gewöhnlich  nicht  an  beiden 
Augen  zugleich,  sondern  in  Intervallen  von  wenigen  Tagen  oder 
auch  in  längeren,  und  ist  nicht  immer  beiderseits  gleich  hoch¬ 
gradig,  doch  ist  das  Sehvermögen  in  der  Regel  bis  auf  excentrische 
Erkennung  von  Fingern  in  wenigen  Metern  Abstand  herabgesetzt, 
dabei  besteht  Nyktalopie.  Nach  zwei  bis  vier  Wochen  hat  die  Seh¬ 
störung  in  der  Regel  ihren  Höhepunkt  erreicht,  die  Kranken  können 
sich  oft  allein  schwer  zurecht  finden.  Es  besteht  ein  verschieden 
grosses  centrales  Skotom  für  weisse  und  farbige  Objecte,  besonders 
für  roth  und  grün.  Die  Gesichtsfeldperipherie  bleibt  in  der  Regel 
normal,  auch  für  Farben.  Die  centrale  Amblyopie  bleibt  gewöhnlich 
in  demselben  Grade  bestehen,  oder  bessert  sich  noch  etwas.  Oph¬ 
thalmoskopisch  findet  man  nur  unbedeutende  Veränderungen  der 
Papille,  mässige  Trübung  und  Hyperämie,  leichte  Verschleierung 
der  Grenzen  oder  normalen  Befund.  Innerhalb  zwei  bis  drei  Wochen 
entfärbt  sich  jedoch  die  Papille  manchmal  bis  zu  graugrüner  oder 
weisslicher  Farbe,  ohne  dass  dabei  Amaurose  besieht.  Manchmal 
gehen  ausser  Störung  des  Allgemeinbefindens  convulsivische  Zu¬ 
stände,  selbst  epileptische  Anfälle,  sowie  ataktische  Störungen 
voran.  In  überwiegender  Mehrzahl  erkranken  die  männlichen  Fa¬ 
milienmitglieder,  doch  wird  die  Krankheit  von  Familie  zu  Familie 
durch  die  Frauen  übertragen,  da  diese  heiraten,  während  sie  noch 
gesunde  Augen  haben,  aber  schon  den  Keim  auf  ihre  Nachkommen 
übertragen.  Der  Mann  aber  erblindet  schon,  bevor  er  an  die 
Gründung  einer  Familie  denken  kann.  Meist  fällt  die  Zeit  der  Er- 
krankung  in  die  Periode  zwischen  dem  17.  und  28.  Lebensjahre. 
Studien  über  den  Einfluss  der  Consanguinität  wären  sehr  wünschens- 
werth.  Die  hereditäre  Neuritis  tritt  meist  idiopathisch  bei  bis  dahin 
gesunden  Menschen  auf.  Gelegentlich  soll  in  der  Familie  Syphilis 
geherrscht  haben,  auch  Tabak-,  sowie  Alkoholmissbrauch  wurden 
als  Ursache  angeschuldigt.  Sectioncn  einschlägiger  Fälle  fehlen.  Ab¬ 
normitäten  im  Schädelwachsthum  können  vielleicht  durch  Anomalien 
im  Canalis  opticus,  die  den  Sehnerven  beeinträchtigen,  eine  ätio¬ 
logische  Rolle  spielen.  Therapeutisch  kommen  vorsichtige  Inunctions- 
cur,  Schwitzcur,  Blutentziehungen,  Galvanisation  des  Sympathicus 
und  Strychnineinspritzungen  in  Betracht.  Von  allen  diesen  Agentien 
werden  Erfolge  behauptet,  sogar  vom  Tragen  eines  Haarseiles  (!). 
V  o  s  s  i  u  s  bereichert  dann  die  Gasuistik  durch  die  Krankengeschichten 
dreier  Männer  (zweier  Brüder  und  eines  Vetters),  welche  einer 
bereits  von  Leber  erwähnten  Familie  angehören  und  in  seiner 
Beobachtung  standen.  Da  zwei  an  der  hereditären  Neuritis  leidende 
Mitglieder  dieser  Familie  eigenthümliche  Schädelbildung  zeigten, 
könnte  möglicher  Weise  eine  Anomalie  ähnlicher  Art  auch  im 
Canalis  opticus  aufgetreten  und  Ursache  für  die  Sehnervenerkran¬ 
kung  geworden  sein.  R.  H  i  t  s  c  h  m  a  n  n. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

195.  Eine  neue  Methode  der  Syphilisbehand¬ 
lung  durch  Inhalation.  Von  Dr.  K  u  t  n  e  r  (Berlin),  ln  einem 
geschlossenen  Kasten  wird  mittelst  einer  Vorrichtung  Quecksilber¬ 
salbe  verrieben  und  die  dabei  —  eventuell  durch  Erwärmung  des 
Kastens  gefördert  —  entstehenden  Dämpfe  werden  von  dem  Patienten 
mittelst  einer  Maske  und  eines  vom  Kasten  abgehenden  Schlauches 
in  dosirbarer  Menge  durch  eine  halbe  Stunde  täglich  eingeathmet. 
Vergiftungserscheinungen,  Stomatitis  wurden  nicht  beobachtet,  Queck¬ 
silber  im  Harn  nachgewiesen.  Die  therapeutischen  Resultate  sollen 
befriedigende  gewesen  sein.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift. 

1900,  Nr.  2.)  Pi- 

* 

196.  Zur  Lehre  von  der  sogenannten  trans- 
corticalen  motorischen  Aphasie.  Von  Prot.  Dr .  A.  Pick 
in  Prag.  Die  transcorticale  motorische  Aphasie  unterscheidet  sich 
von  der  corticalen  motorischen  Aphasie  dadurch,  dass  Nachsprechen, 
Dictatschreiben  und  Lautlesen  möglich  sind.  Die  Pathogenese 
dieser  Form  der  Aphasie  ist  noch  keineswegs  geklärt.  Im  lalle 


580 


WIEN Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHKiFT.  HXX). 


Nr.  25 


Pick's  handelt  es  sich  um  einen  51jährigen  Mann;  zwei  Brüder 
desselben  starben  plötzlich  an  Schlaganfall.  Drei  Jahre  vor  seiner 
Aufnahme  auf  die  Klinik  erkrankte  er  an  heftigen  anhaltenden 
Kopfschmerzen  und  Ohrenbeschwerden,  auch  wurde  er  vergesslich. 
Ein  Jahr  später  Schlaganfall,  darnach  Verlust  der  Sprache;  durch 
vier  Tage  konnte  er  nur  einzelne  Worte  Vorbringen.  In  den  letzten 
Wochen  vor  der  Aufnahme  psychische  Alienation,  Unruhe.  Patient 
suchte  zwecklos  herum,  wähnte  hinter  den  Bildern  Leute  versteckt, 
sein  Name  sei  vertauscht.  Die  Spontansprache  entsprach  mehr  dem 
Typus  der  Paraphasie  (reicher  Wortschatz,  Verwechseln  der  Worte, 
theilweiser  Mangel  an  Verständnis  dafür).  Patient  zeigte  namentlich 
anfangs  entschieden  etwas  Worttaubheit.  Dabei  beim  Spontan¬ 
sprechen  häufig  sich  wiederholender  Gebrauch  der  gleichen  Redens¬ 
art  an  Stelle  von  etwas  ganz  Anderem.  Mit  Rücksicht  auf  seinen 
Fall  neigt  Pick  zu  der  Ansicht,  dass  die  motorische,  wie  die 
sensible  Partie  des  Sprachfeldes  zu  der  transcorticalen  motorischen 
Aphasie  in  Beziehung  zu  bringen  sind.  Bei  der  Obduction  obigen 
Falles  fand  man  eine  chronische  Pachymeningitis  interna  hämor¬ 
rhagica  im  Gehirne,  jedoch  keine  Herderkrankung,  wohl  aber  eine 
verbreitete,  besonders  die  linke  Hemisphäre  betreffende  Atrophie 
der  Windungen,  mit  welcher  man  in  Bezug  auf  die  deutliche 
Atrophie  des  Stirnlappens,  respective  der  drei  Stirn-  und  einer 
Schläfenwindung  die  in  dem  Falle  vorhanden  gewesene  Sprach¬ 
störung  in  Beziehung  bringen  muss.  Der  Fall  beweist,  dass  der  als 
transcorticalo  motorische  Aphasie  beschriebene  Symptomencomplex 
durch  einen  diffusen  atrophischen  Process  der  Grosshirnrinde,  der 
ganz  besonders  das  ganze  linksseitige  Sprachgebiet  betrifft,  zu 
Stande  kommen  kann.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXlf, 

Heft  3.)  S. 

* 

1(J7.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  zu  Berlin.) 
Die  Grenzen  der  normale n  T emperatu r.  Von  Doctor 
Marx.  An  der  Hand  einer  sehr  grossen  Reihe  von  Messungen  in 
der  Achselhöhle  Gesunder  und  Kranker  kommt  Marx  zu  dem 
Schlüsse,  dass  die  seit  Wunderlich  bestehenden  Deutungen  der 
Wcrthe  der  Körpertemperatur  nicht  zu  Recht  bestünden.  Nach 
diesen  bedeuten  Temperaturen  unter  335°  letalen,  von  335 — 35° 
algiden  Collaps,  von  35 — 36°  mässigen  Collaps  ohne  Gefahr;  sub- 
normale  Temperatur  36 — 36‘5°,  sicher  normale  36  6  —  37-4°,  sub¬ 
febrile  37  5  38°  etc.  Nach  Verfasser  bewegt  sich  die  Temperatur 

des  Gesunden  normaler  Weise  unter  37°,  und  zwar  zwischen  36° 
und  37°.  Temperaturerhöhungen  bis  37  2°  werden  auch  bei  Gesunden 
beobachtet,  sind  aber  stets  auf  besondere  Ursachen,  z.  B.  Ver- 
dauungsfieber,  zurückzuführen.  Temperaturen  über  37‘2I)  liegen 
ausser  dem  Bereiche  des  Normalen,  andererseits  kommen  solche 
unter  36°  vor,  ohne  dass  es  sich  um  Collaps  handelt.  Es  gibt 
genug  Phthisiker  mit  noch  in  Gang  befindlichen,  rein  tuberculösen 
Processen,  deren  Temperatur  sich  innerhalb  dieser  normalen  Grenzen 
bewegt.  —  (Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische  Therapie. 
Bd.  Ill,  Heft  7.)  "  Pi. 

* 

198.  (Aus  der  psychiatrischen  Klinik  der  Universität  Jena 
[Prof.  Bin  sw  anger]).  Apop  lektische  r  Insult  in  Folge 
eines  Erweichungsherdes  in  der  Brücke  und  spä¬ 
tere  Dementia  paralytica.  Von  Dr.  Karl  Voll  and. 
37jährige  Frauensperson,  erblich  belastet  von  beiden  Eltern.  Im 
fünften  Lebensjahre  schwere  Affection  des  Centralnervensystems, 
mit  zehn  Jahren  eine  heftige  Geisteskrankheit,  über  deren  Natur 
Näheres  nicht  verlautet.  Patientin  hat  sich  langsam  entwickelt, 
schon  in  der  Schule  trat  Schwachsinn  zu  Tage,  später  Neigung  zu 
sexuellen  Ausschweifungen,  welche  die  Patientin  endlich  zur  Pro¬ 
stitution  veranlassten.  Im  18.  Lebensjahre  Lues.  Nach  einigen 
Jahren  apoplektischer  Insult,  Lähmung  der  linken  Körperhälfte. 
Patientin  veränderte  sich  auch  psychisch,  wurde  kindisch,  schwach¬ 
sinnig.  Seit  Sommer  1896  Incontinentia  urinae.  Zwei  bis  drei 
\\  ochen  total  verwirrt.  Bei  schweren,  nicht  geläufigen  Worten 
Häsitiren,  Wiederholen  von  Silben,  Abschwächung,  respective  Fehlen 
aller  Reflexe.  Gesichtsausdruck  und  Stimmung  dauernd  heiter, 
starke  Demenz.  Exitus  durch  Pneumonie.  Bei  der  Obduction  fand 
sich  in  der  Mitte  der  Brücke  dicht  neben  der  Rhaphe,  3  mm  unter 
der  Oberfläche  ein  über  erbsengrosser,  gezackter,  von  leicht  ge¬ 
färbter  W  and  umsäumter  Verflüssigungsherd.  Voll  a  n  d  macht  das 
prädisponirende  Moment  der  hereditären  Belastung,  dazu  die  lueti¬ 


sche  Infection  für  das  Entstehen  der  Krankheit  verantwortlich  und 
versucht  die  einestheils  durch  die  Dem.  paralytica,  anderentheils 
durch  den  Erweiehungsherd  in  der  Brücke  gesetzten  Veränderungen 
in  den  Fasersystemen  des  Pons,  der  Medulla  oblongata  und  des 
Rückenmarkes  zu  schildern.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXII, 

Heft  3)  ’S. 

* 

199.  Ueber  den  Cubitus  valgus  feminin  us.  Von 

Dr.  Hübscher  (Basel).  Der  Vorderarm  bildet,  wie  bekannt,  mit 
dem  Oberarm  in  Streckstellung  einen  nach  aussen  offenen  Winkel, 
einen  Cubitus  valgus.  Auf  Grund  von  Messungen  an  225  Armen 
konnte  im  Allgemeinen  festgestellt  werden,  dass  Männer  sowie 
Knaben,  Mädchen  jedoch  nur  bis  zum  12.  Lebensjahre,  also  bis 
zum  Beginne  der  Pubertät,  einen  mehr  oder  minder  geradlinigen 
Arm  besitzen.  Ueber  dem  13.  Jahre  tritt  beim  weiblichen  Geschlechte 
ein  immer  stärker  werdender  Cubitus  valgus  auf  und  zwar  befindet 
sich  die  Winkelspitze  eigentlich  nicht  im  Ellbogengelenke,  sondern 
am  Humerus,  und  zwar  am  Uebergange  des  mittleren  Drittels  in 
das  untere.  Die  Ursache  hiefür  soll  in  einer  Abdrängung  des  herab¬ 
hängenden  Vorderarmes  durch  das  in  die  Breite  wachsende  Becken, 
sowie  in  einer  Zugwirkung  der  Vorderarmbeuger  liegen.  In  chirur¬ 
gischer  Hinsicht  soll  dieser  Umstand  deshalb  von  Bedeutung  sein,  weil 
bei  den  Fracturen  am  unteren  Humerusende  eine  Neigung  zur  seit¬ 
lichen  Verschiebung  der  Fracturenden  besteht,  weshalb  Verfasser 
die  Fixation  in  Streckstellung  empfiehlt.  —  (Deutsche  Zeitschrift 
für  Chirurgie.  Bd.  LI1I,  Heft  5  und  6.)  Pi. 

* 

200.  Beitrag  zur  Lehre  von  der  chronischen 
Schwefelkohlenstoffvergiftung.  Von  Dr.  Georg 
Köster,  Docent  und  Assistent  in  Leipzig.  Die  umfangreiche 
Arbeit  Koste  r’s  zerfällt  in  einen  klinischen  und  experimentellen 
Theil.  Der  erstere  stützt  sich  auf  vier  Fälle,  deren  erster  alle  Symp¬ 
tome,  die  eine  C  S.2 -Neurose  überhaupt  aufweisen  kann,  in  deut¬ 
licher  Schärfe  zeigt;  im  Stadium  der  Excitation:  Kopfschmerzen, 
Schwindel,  Ameisenkriebeln,  Steigerung  der  Potenz,  Ohrensausen, 
Schmecken  und  Riechen  der  Speisen  nach  CS2,  Uebelkeiten, 
Appetitlosigkeit,  Stuhlunregelmässigkeiten,  Unruhe  und  Reizbarkeit; 
im  Stadium  des  Collapses:  Objective  Gefühlsvertaubung,  hoch¬ 
gradige  Schwäche,  unruhiger  Gang,  stockende  Sprache,  Erlöschen 
der  Potenz  und  psychische  Depression.  Der  experimentelle  Theil 
bezieht  sich  auf  Versuche  an  Kaninchen,  bei  welchen  durch 
wiederholte  acute  Vergiftungen  mit  CS.,  eine  chronische  Vergiftung 
erzeugt  wurde.  Die  histologische  Untersuchung  des  Centralnerven¬ 
systems  ergab  eine  in  Zell-  und  Markscheidendegenerationen  er¬ 
kennbare  Schädigung,  die  offenbar  den  schweren  somatischen,  wie 
psychischen  Nervenleiden  (deren  schwerstes  unheilbarer  Wahnsinn 
ist),  welche  der  Schwefelkohlenstoff  hervorruft,  zu  Grunde  liegt. 
Möglicher  Weise  ist  hier  ein  Weg  gefunden,  die  anatomische 
Natur  der  Psychosen,  insbesondere  die  Grundzüge  der  Paranoia 

chronica  aufzuklären.  S. 

* 

201.  Gottschalk  berichtete  in  der  Berliner  medicinischen 
Gesellschaft  über  einen  Fall  von  Metritis  dissecans,  bezie¬ 
hungsweise  partieller  Gangrän  eines  puerperalen 
Uterus.  Nach  der  trotz  drohender  Uterusruptur  ausgeführten 
Wendung  trat  typisches  Puerperalfieber  auf,  gegen  welches  vier  Tage 
später  eine  Uterusausspülung  mit  2 1  einer  l°/0igen  Lysollösung, 
sowie  ll/2^  einer  60%’»en  Alkohollösung  vorgenommen  wurde; 
am  sechsten  Tage  stündlich  eine  Kampherinjection  und  Abends  sub- 
cutane  Infusion  von  3/4 1  Kochsalzlösung.  Auf  das  hin  besserte  sich 
sofort  der  Zustand:  die  Schweisssecretion  kam  in  Gang,  die  Urin- 
menge,  welche  sehr  verringert  war,  stieg  innerhalb  24  Stunden  auf 
3000  <j.  Nachdem  am  15.  Tage  der  Ausfluss  übelriechend  geworden, 
ging  am  18.  Tage  ein  Gewebsstück  ab,  welches  ungefähr  die 
Gestalt  des  Uterus  hatte,  auch  thatsächlich  einen  nekrotisch 
gewordenen  Theil  der  Uteruswand  vorstellte,  der  ganz  und  gar  mit 
Streptococcen  durchsetzt  war.  Die  Kranke  ist  genesen.  Die  Ursache 
für  diese  Sequestrirung  der  Uleruswand  will  Gottschalk  in  dem 
Mangel  an  Blutzufluss  zum  Uterus  erblicken,  der  daraus  erschlossen 
werden  konnte,  dass  durch  24  Stunden  der  Puls  kaum  zu  fühlen 
war  und  der  wahrscheinlich  durch  die  grossen  Secalegaben,  die 
Eisblasen  am  Unterleibe,  die  ausgedehnten  Verstopfungen  der 
Lymphbalmen  und  Venen  bedingt  war;  vielleicht  hatte  auch  die 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


581 


Ausspülung  mit  Alkohol  ihren  Antheil  an  der  Nekrose  gehabt. 
(Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  2.)  Pi. 

* 

202.  Experimentelle  Beiträge  zur  Pathologie 
des  Rückenmarke  s.  Von  A.  H  oche  in  Strassburg.  Koche 
hat  seinen  Versuchsthieren  Bouillonculturen  von  Fraenkel’s 
Diplococcus  pneumoniae,  von  Staphylococcus  pyogenes  aureus  und 
von  Bacterium  coli  commune  arteriell  einverleibt  und  gleichzeitig 
mit  der  Bouilloncultur,  um  Gewebsverletzungen  zu  setzen  und 
damit  die  Ansiedlung  der  Mikroorganismen  zu  begünstigen,  feine 
verriebene  Porzellanerde,  die  später  durch  Lykopodium,  theils  auch 
durch  Maisstärke  ersetzt  wurde.  Dieses  Verfahren  soll  zum  Studium 
der  acuten  Myelitis  zweckmässiger  sein,  als  die  subcutane  und 
venöse  Impfung.  Die  Chance  der  Infection  wächst  mit  der  Zahl 
und  Ausdehnung  der  embolisch  erzeugten  Gewebsläsionen  im 
Rückenmarke.  Die  auf  diese  Weise  experimentell  erzeugten  Ver¬ 
änderungen  weisen  mit  denen  bei  den  acuten  infectiösen  spinalen 
Erkrankungen  der  Menschen  grosse  Aehnlichkeit  auf.  Es  erscheint 
auf  dem  von  Hoche  beschrittenen  Wege  möglich,  durch  die 
Combination  von  Embolie  körperlicher  Elemente  mit  Injection 
pathogener  Mikroorganismen  ausser  den  ischämischen  solche 
Rückenmarksveränderungen  zu  erzeugen,  die  als  »acute  intectiöse 
Myelitis«  zu  bezeichnen  sind.  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXlf, 
Heft  3.) 

* 

203.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  v.  Wagner  in  Wien.)  Zur 
Frage  der  retrograden  Degeneration.  Von  Dr.  Emil 
Rai  mann,  klinischer  Assistent.  Eine  Anzahl  von  Autoren  behaup¬ 
tete,  dass  ein  durch trennter  Nerv  nicht  nur  peripheriewärts,  sondern 
auch  central  von  der  Läsionsstelle  degenerire.  Diese  Degeneration 
nannte  man  »retrograde  Degeneration«.  Rai  mann  hat  bei  neun 
Versuchsthieren  (fünf  Hunden,  drei  Kaninchen,  einer  Katze)  vom 
Nervus  facialis  der  linken  Seite  ein  möglichst  grosses  Stück  rese- 
cirt.  Er  fand,  dass  es  an  motorischen  Hirnnerven  in  Folge  einer 
Zusammenhangstrennung  allein  nicht  zu  Degeneration  des  centralen 
Stumpfes  und  der  intracerebralen  Wurzelfasern  kommt,  und  dass 
die  von  anderen  Autoren  als  retrograde  Degeneration  gedeuteten 
Bilder  der  Ausdruck  atrophischer  oder  neuritischer  Processe,  zum 
Theil  auch  die  Folgewirkung  eines  schweren  Traumas,  der  Aus- 
reissung  oder  Zerrung  der  Nerven  sind.  Der  Ausdruck  »retrograde 
Degeneration«  sollte  fallen,  hingegen  wäre  dort,  wo  Nervenfasern 
einen  traumatischen  Zerfall  zeigen,  von  degenerative!-  Neuritis  zu 

sprechen.  —  (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XIX,  Heft  1.)  S. 

* 

204.  Der  elektrische  Mikroheissluftkauter. 
Von  Dr.  Holländer  (Berlin).  Derselbe  wird  mit  einem  Accumu¬ 
lator  und  einem  Gebläse  verbunden  und  functionirt  in  der  Weise, 
dass  er  einen  durch  ihn  ziehenden  Luftstrom  auf  300°  erhitzt, 
welcher  auf  die  zu  behandelnde  Stelle  bei  Lupus,  Angiomen  etc. 
geleitet  wird.  Der  Apparat  wird  bei  R  e  i  n  i  n  g  e  r,  G  e  b  b  e  r  t 
&  Schall  hergestellt.  —  (Dermatologische  Zeitschrift.  1899.) 

Pi. 

* 

205.  Hundert  Beobachtungen  von  hemi-  und 
diplegischen  infantilen  Cerebrallähmungen  (mit 
besonderer  Rücksicht  auf  nachfolgende  Epi¬ 
lepsie).  Von  Dr.  Alfred  Fuchs.  Verfasser  behandelt  an  der 
Hand  von  100  in  tabellarischer  Uebersicht  excerpirten  Fällen  in¬ 
fantiler  Cerebrallähmung  die  Frage  der  Aetiologie  und  insbesondere 
jene  der  consecutiven  Erscheinungen  dieser  Krankheit,  vornehmlich 
der  Epilepsie  und  Idiotie.  Epilepsie  fand  sich  als  wichtigste  Con- 
secutiverscheinung  in  seinen  Fällen  44mal.  Auffallend  ist  die  grosse 
Seltenheit  psychischer  Absenzen  in  solchen  Fällen  von  Epilepsie. 
Fuchs  ist  der  Ansicht,  dass  dort,  wo  die  epileptischen  Anfälle 
in  einer  anatomischen  Läsion  eine  Erklärung  finden,  die  Epilepsie 
nur  in  motorischen  Reizphänomenen  zum  Ausdruck  kommt, 
während  dort,  wo  eine  pathologisch-anatomische  Krankheitsursache 
nicht  greifbar  ist,  psychische  Aequivalente  häufiger  werden.  Auf 
letztere  Fälle  möchte  Fuchs  den  Namen  »genuine  Epilepsie«  be¬ 
schränken,  alle  anderen  Fälle  wären  auf  das  Gebiet  der  sympto¬ 
matischen  Epilepsie  zu  verweisen.  Die  epileptischen  Convulsionen 
des  Kindesalters,  die  Eklampsie,  stünden  dann  eigentlich  der  genuinen 
Epilepsie  näher,  als  der  symptomatischen,  insoferne  als  sie  durch 


Erkrankung  der  motorischen  Grosshirncentren  bei  vorausgegangener 
Affection  der  sensiblen  Primärelemente  des  Grosshirns  bedingt  sind. 
—  (Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XIX,  Heft  i.)  S. 

* 

206.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Nicol  ad  oni 
in  Graz.)  Melanom  des  Penis.  Von  Dr.  Payr.  Der  Fall  be¬ 
trifft  einen  63jährigen  Mann,  der  angeblich  früher  eine  »Warze« 
an  der  Eichel  gehabt  haben  soll,  nach  deren  Excision  ein  typisches 
Melanosarkom  am  gleichen  Orte  mit  bald  sich  einstellenden 
Metastasen  auftrat.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  1899.) 

Pi. 

* 

207.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  v.  Wagner  in  Wien.)  Zur 

Histologie  alter  Nervenstümpfe  in  amputirten 
Gliedern.  Von  Dr.  A.  Elzholz,  klinischer  Assistent,  ln  einer 
früheren  Arbeit,  die  sich  auf  die  Veränderungen  im  centralen 
Stumpfe  lädirter  gemischter  Nerven  bezog,  kam  Elzholz  zu  der 
Annahme,  dass  diese  Veränderungen  im  Wesentlichen  in  einer 
Atrophie  bestehen,  und  dass  die  spärlichen  Degenerationen  im  cen¬ 
tralen  Stumpfe  nicht  auf  der  Aufhebung  des  trophischen  Einflusses 
der  Mutterganglienzellen  beruhen.  Literaturangaben  über  Producte 
einer  Regeneration  in  verdickt  endigenden  alten  Nervenstümpfen 
Amputirter  veranlassten  Elzholz  zur  Klarstellung  der  an  der 
Markscheide  sich  abspielenden  Vorgänge  in  zwei  Fällen  von  Re- 
amputation  die  Nervenstümpfe  frisch  herauszupräpariren  und  zu 
untersuchen.  E  1  z  h  o  1  z  bespricht  ausführlich  die  Resultate  dieser 
Untersuchungen,  durch  welche  seine  in  der  oben  citirten  Arbeit 
vertretene  Auffassung  nicht  berührt  wird.  Umfangreichere  degene¬ 
rative  Vorgänge  in  den  Nervenstümpfen  amputirter  Glieder  könnten 
sich  nur  im  Anschlüsse  an  accidentelle  Momente  finden.  (Jahr¬ 
bücher  für  Psychiatrie.  Bd.  XIX,  Heft  1.)  S. 

* 

208.  Zur  Bro  in oformbehandlung  des  Keuch¬ 
hustens.  Von  Dr.  Feer  (Basel).  Der  Artikel  enthält  eine  wieder¬ 
holte  Anempfehlung  des  Bromoforms  gegen  Keuchhusten.  Man  ver¬ 
schreibt  5  g  Bromoform  in  dunklem  Tropfglas  und  gibt  bei  Kindern 
bis  zu  sechs  Monaten  dreimal  täglich  1 — 2  Tropfen,  von  sechs  bis 
zwölf  Monaten  dreimal  2  —  3  Tropfen;  im  Uebrigen  dreimal  täglich 
a-j-2  Tropfen,  wobei  a  die  Zahl  des  laufenden  Lebensjahres  be¬ 
deutet.  Nach  drei  Tagen  gibt  man  viermal  a-j-2  Tropfen  täglich. 
Werden  die  Anfälle  nach  einigen  Tagen  nicht  milder,  so  erhöht 
man  am  Anfänge  der  zweiten  Woche  die  Einzeldosis  um  einen 
Tropfen.  Kinder  von  zwei  bis  drei  Jahren  können  gegebenen  f  alles 
bis  28,  grössere  Kinder  bis  zu  50,  Erwachsene  bis  zu  l0  lropfen 
nehmen.  Sollte  Schlafsucht  eintreten,  so  ist  das  Mittel  auszusetzen. 
Die  Darreichung  geschieht  in  einem  Kaffeelöffel  Zuckerwasser  oder 
Milch.  Das  Medicament  muss  frisch  sein,  stark  riechen  und  dart 
keine  Rothfärbung  aufweisen.  Heilung  gewöhnlich  nach  vier 
Wochen  bei  uncomplicirten  Fällen.  Schädliche  Folgen,  Nebenwir¬ 
kungen  wurden  nicht  beobachtet.  Ein  Hauptvorzug  des  Bromoform 
soll  darin  bestehen,  dass  es  den  Appetit  anregt,  überhaupt  das  All¬ 
gemeinbefinden  hebt.  —  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte. 

1899,  Nr.  19.)  Pi- 

* 

209.  Ein  Beitrag  zur  Kenn  ln  iss  der  Pseudo¬ 

logia  phantastica.  Von  Dr.  J  o  h  a  n  n  R  e  d  1  i  c  h  in  Rothen¬ 
berg-Riga.  Die  pathologische  Lüge,  Pseudologia  phantastica,  hat  bei 
der  Häufigkeit,  mit  der  diese  Art  Lügner  mit  Gesetz  und  Gesell¬ 
schaft  in  Conflict  gerathen,  forensische  Bedeutung.  Sie  ist  durch 
eine  krankhafte  Sucht,  Dinge  zu  erfinden,  charakterisirt  und  findet 
sich  bei  den  verschiedensten  psychischen  Krankheitsbildern,  zumal 
bei  Hysterischen,  Alkoholikern,  Imbecillen  und  den  M  agn  a  n  sehen 
Degenerirten.  Gelegentlich  tritt  sie  bei  Degenerirten  so  sehr  hervor, 
während  andere  psychische  oder  physische  Degenerationszeichen 
mangeln,  dass  das  ganze  Krankheitsbild  als  Pseudologia  phantastica 
bezeichnet  werden  könnte.  Redlich  theilt  einen  hieher  gehörigen 
Fall  mit  und  berührt  im  Anschluss  an  die  Besprechung  desselben 
die  derzeit  noch  offene  Frage  nach  Behandlung  und  Bestrafung 
der  Grenzfälle  und  der  vermindert  Zurechnungsfähigen.  —  (Zeit¬ 
schrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LV1I,  Heft  1.)  8. 

* 

210.  Ueber  die  Behandlung  des  Eiterungs¬ 
stadiums  der  Variola  vera.  Von  Prof.  Kotowtschikoft 


582 


WIEN Eli  KLINISCHE  WOCHEN  SCH  lil  l'T.  1900 


Nr.  25 


(Kasan).  Verfasser  ist  der  Meinung,  dass  zweimal  täglich  wieder¬ 
holte  Impfungen,  sowohl  im  Prodromal-,  als  auch  im  Initialstadium, 
sogar  noch  Impfungen  am  ersten  und  zweiten  Tage  der  Eruption 
das  Eiterungsstadium  schwerer  Blatternfälle  merklich  leichter  ver¬ 
laufen  lassen.  Zum  Beweise  führt  Kotowtschikolf  drei  der¬ 
artig  von  ihm  behandelte  Variolafälle  mit  günstigem  Verlaufe  an. 
Die  Meinungen  über  den  Werth  dieser  schon  vor  Jahren  in  Vor¬ 
schlag  gebrachten  Therapie  sind  aber  nach  jeder  Richtung  hin  weit 
auseinandergehend.  Zu  bedenken  ist  dabei  freilich,  dass  viel  von 
der  Zeit,  in  welcher  die  Impfungen  vorgenommen  werden,  abhängen 
wird,  da  das  Incubalionssladium  der  Blattern  durchschnittlich 
14  Tage,  das  Initialstadium  drei  Tage  beträgt,  während  die  Unem¬ 
pfänglichkeit  in  Folge  der  Vaccine  erst  am  zehnten  oder  zwölften 
Tage  nach  regelrechter  Entwicklung  derselben  eintritt.  —  (Zeit¬ 
schrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXVIII,  lieft  1 — 3.)  Pi. 

* 

211.  ZurCasuislik  des  Irreseins  bei  Zwillingen. 

Von  Dr.  A.  Herfel  dt  in  Wern  eck.  Es  ist  naheliegend,  dass 
bei  der  innigen  geistigen  und  körperlichen  Verwandtschaft  von 
Zwillingen  im  Falle  der  Erkrankung  des  einen  Theiles  ceteris 
paribus  der  andere  stärker  zu  Geisteskrankheiten  disponirt  ist,  als 
eines  der  übrigen  Geschwister.  Von  einem  Zwillingsirresein  kann 
nur  dann  die  Rede  sein,  wenn  Zwillinge  unabhängig  von  einander 
an  der  gleichen  Form  psychischer  Störung  erkranken,  welche  bei 
beiden  im  weiteren  Verlauf  den  selbstständigen  Charakter  beibehält. 
Derartige  Fälle  sind  rar,  es  mögen  deren  nur  circa  20  in  der 
Literatur  bekannt  sein.  II  er  fei  dt  bereicherte  diese  spärliche  Lite¬ 
ratur  um  drei  weitere  Fälle.  Im  ersten  handelte  es  sich  um  periodi¬ 
sches  Irresein  bei  Zwillingsbrüdern  in  der  Form  von  maniakalischen 
Exaltationen  und  Verwirrungszuständen,  der  zweite  Fall  betrifft 
eine  bei  Zwillingsschwestern  beobachtete  Melancholie  mit  Ausgang 
in  Genesung,  im  dritten  Falle  findet  sich  bei  Zwillingsschwestern 
eine  angeborene  Geistesschärfe,  ferner  bei  beiden  erotische  Re¬ 
gungen  und  andere  identische  Merkmale.  —  (Zeitschrift  dür  Psy¬ 
chiatrie.  Bd.  LVR,  Heft  1.)  S. 

* 

212.  Die  Erblichkeit  derchronischenNephritis. 

Von  Prof.  Pel  (Amsterdam).  Verfasser  bringt  den  Stammbaum 
einer  Familie,  in  der  innerhalb  drei  Generationen  nicht  weniger  als 
18  Fälle  chronischer  Nephritis  Vorkommen.  Alle  diese  waren  jedoch 
erst  mit  Ausnahme  eines  einzigen  Individuums  in  einem  verhält- 
nissmässig  hohen  Alter  ihren  Leiden  erlegen.  Weiters  stellte  sich 
heraus,  dass  die  Krankheit  vom  Vater  nur  auf  die  Söhne,  von  der 
Mutter  nur  auf  die  Töchter  übergegangen  war.  Von  der  vierten 
Generation,  welche  (30  Enkelkinder  umfasst,  ist  kein  Nephritisfall 
bis  jetzt  bekannt,  wobei  jedoch  hervorzuheben  ist,  dass  alle  diese 
erst  in  einem  jüngeren  Aller  (2 — 37)  stehen.  —  (Zeitschrift  für 
klinische  Medicin.  Bd.  XXXVIII,  Heft  «1 — 3.)  Pi. 

* 

213.  Strafrecht  und  Heilkunde,  s  p  e  c  i  e  1 1  Psy¬ 

chiatrie.  Von  Dr.  Dees  in  Gabersee.  Die  Beziehungen  zwischen 
Strafrecht  und  Medicin  waren  in  den  letzten  Jahren  wiederholt 
Gegenstand  eingehender  Erörterung  und  es  exislirt  darüber  eine 
nicht  unbedeutende  Literatur.  Verfasser  versucht  in  seiner  Arbeit 
die  Resultate  aus  dieser  Literatur,  so  weit  sie  für  die  Psychiatrie 
von  V  ichtigkeit  sind,  darzustellen.  Am  wichtigsten  für  den  Irren¬ 
arzt  ist  die  Erörterung  der  Frage,  ob  ein  Arzt,  der  ohne  Zustimmung 
oder  gegen  den  V  illen  eines  Patienten  einen  Heileingriff  vornimmt, 
strafbar  sei.  Beim  entmündigten  Geisteskranken  ist  der  Wille  des 
Curators  massgebend,  dieser  ist  aber  oft  ferne,  während  ein  ope¬ 
rativer  Eingriff  an  seinem  Mündel  dringend  ist  u.  s.  w.  Die  An¬ 
sichten  der  Juristen  über  obige  Frage  sind  sehr  divergirend.  Dees 
schliesst  sich  der  Ansicht  von  Stoos  an,  dass  das  Wohl  des 
Patienten  die  Norm  für  die  ärztliche  Behandlung  sei,  deren  Grenzen 
dadurch  auch  bestimmt  sind.  Dees  illustrirt  schliesslich  letztere 
und  die  Verantwortlichkeit  des  Arztes  durch  einige  Citato.  — 
(Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft  1.)  S. 

* 

214.  lieber  die  Indicationen  der  Wasserbe¬ 
schränkung  bei  Enfettungscuren.  Von  C.  v.  Noorden 
(Frankfurt  a.  M.).  Die  Beschränkung  der  Flüssigkeitszufuhr  hei 
Entfettungscuren  wurde  zuerst  von  Oertel  empfohlen  und  durch 
Schweninger  populär  gemacht.  Beide  haben  auf  verschiedene 


Weise  die  Wirkung  dieser  therapeutischen  Handlungsweise  zu  be¬ 
gründen  versucht.  Nach  No  orden  soll  der  Werth  dieser  Cur  in 
folgender  Weise  veranschlagt  werden:  Die  Beschränkung  der  Ge- 
tränkezufuhr  im  Sinne  von  Oertel  und  Schweninger  hat 
nicht  den  geringsten  unmittelbaren  Einfluss  auf  die  Einschmelzung 
des  Körperfettes  oder  auf  die  Erhöhung  des  Fettumsatzes.  Dabei 
eintretende  Verminderung  des  Körpergewichtes  beruht  nur  auf 
Wasserverlusten  aus  Blut  und  Geweben;  hiedurch  wird  aber  das 
hei  Fettleibigen  oft  geschädigte  Herz  entlastet,  seine  Leistungs¬ 
fähigkeit  gehoben,  der  Stoffwechsel  und  damit  auch  der  Fettumsatz 
angeregt;  ist  jedoch  bei  dem  behandelten  Individuum  kein  Herz¬ 
fehler,  keine  Herzmuskelerkrankung,  Arteriosklerose,  Schrumpfniere 
vorhanden,  ist  der  Kreislauf  ein  normaler,  dann  ist  auch  keine 
Indication  vorhanden,  bei  der  Enlfettungscur  die  Flüssigkeitszufuhr 
zu  beschränken.  In  manchen  Fällen  hat  die  Wasserbeschränkung 
einen  suggestiven  Werth;  der  Patient  verliert  in  wenigen  Tagen  in 
Folge  Wasserverarmung  der  Gewebe  einige  Kilo  und  gewinnt  da¬ 
durch  Vertrauen  für  die  weitere  Cur;  ein  weiterer  Werth  liegt  in 
der  schweissbeschränkenden  Wirkung  der  zur  Hydrorrhoe  neigenden 
Patienten.  Der  Einfluss  der  Wasserbeschränkung  bei  Entfettungs¬ 
curen  ist  demnach  nur  ein  indirecter  und  kommt  nur  in  Betracht 
1.  wenn  dadurch  etwa  vorhandene  Kreislaufstörungen  ausgeglichen 
werden  und  dadurch  die  Möglichkeit  ausgiebiger,  die  Verbrennung 
des  Fettes  begünstigender  Muskelarbeit  gegeben  wird;  2.  wenn  da¬ 
durch  die  Aufnahmefähigkeit  des  Individuums  für  andere  fett- 
bildende  Kost  herabgesetzt  wird.  Diese  Folge  tritt  manchmal  in 
hohem,  häufiger  in  geringem  Grade,  manchmal  auch  gar  nicht  ein. 
Wenn  keine  besonderen  Indicationen  vorliegenden,  soll  bei  Fett¬ 
leibigen  die  Wasserzufuhr  nicht  beschränkt  werden,  da  man  ohne 
diese  Verordnung  ebensogut  zum  Ziele  kommt  und  die  Wasser¬ 
beschränkung  in  diesen  Fällen  nur  eine  unnöthige  Quälerei  be¬ 
deuten  würde.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  4.) 

Pi 

* 

215.  Stadtasyle  und  Irrenversorgung.  Von  Doctor 
Max  Fischer  in  lllenau.  Unter  Stadlasyl  versteht  man  ein  im 
Bereiche  eines  Stadtbildes  selbst  oder  in  dessen  unmittelbarer 
Nähe  errichtetes  Krankenhaus  für  Geisteskranke.  Fischer 
untersucht  in  seiner  Arbeit,  wie  sich  die  Institution  der  Stadtasyle 
in  eine  einheitliche  Organisation  der  Irrenversorgung  eines  Landes 
eingliedern  lasse  und  findet,  dass  die  Sonderstellung  der  Stadt¬ 
asyle  als  Anstalten  mit  vereinfachtem  Aufnahmsverfahren  einer  ein¬ 
heitlichen  Entwicklung  und  Ordnung  des  Irrenwesens  eher  hinderlich, 
als  förderlich  ist.  Es  ist  daher  für  eine  Trennung  zwischen  Anstalten 
für  acute  und  der  Aufnahme  dringend  bedürftiger  Geisteskranker 
mit  300 — 500  Betten  (Heilanstalten)  und  andererseits  Pflegeanstalten 
für  chronische  Kranke  mit  600 — 700  Betten.  Dadurch  würden 
Idioten-  und  Epileptikeranstalten  überflüssig.  In  eigenen  Pavillons 
der  Pflegeanstalten  könnten  die  chronischen  und  degenerirten  Alko¬ 
holiker  und  in  anderen  die  irren  Verbrecher  und  Verbrechernaturen 
untergebracht  werden.  Fälle,  die  einen  chronischen  Verlauf  nehmen, 
müssten  aus  den  Heil-  in  die  Pflegeanstalten  gebracht  werden.  — 

(Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft  1.)  S. 

* 

216.  Die  Syphilis  in  Finnland.  Fast  alle  Syphilis¬ 
fälle  werden  in  Finnland  in  den  Spitälern  behandelt.  Die  Behandlung 
geschieht  kostenlos  und  die  Behörden  haben  auch  die  Macht,  in 
verdächtigen  Fällen  die  ärztliche  Untersuchung  zwangsweise  durch¬ 
führen  zu  lassen.  Hiedurch  ist  es  möglich,  die  Zahl  der  Erkran¬ 
kungen  in  jeder  Stadt,  jeder  Provinz,  in  jedem  Jahre  genau  fest¬ 
zustellen.  Dabei  hat  sich  gezeigt,  dass  die  Syphilis  in  Finnland  in 
den  letzten  20  Jahren  (1877  — 1897)  bedeutend  abgenommen,  die 
Gonorrhoe  aber  zugenommen  hat.  Bei  den  Männern  ist  das  mcist- 
betroffendste  Alter  jenes  von  20—50,  bei  den  Frauen  das  von 
10 — 20  Jahren.  Die  Abnahme  ist  namentlich  seit  dem  Jahre  1895 
eine  bedeutende,  - —  (Brit.  med.  Journ.  10.  März  1900.)  Pi. 

* 

217.  Ueber  Erschöpfungspsychosen.  Von  Doctor 
Roecke  in  Frankfurt  a.  M.  So  lange  die  Erkenntniss  des  Wesens 
der  »Erschöpfung«  mangelt,  fehlt  der  Bezeichnung  »Erschöpfungs¬ 
psychose«  die  wünschenswerthe  Bestimmtheit,  und  dies  umsomehr, 
als  sich  auch  in  der  Anamnese  andersartiger  Geisteskrankheiten 
unter  Umständen  Erschöpfung  als  ätiologisches  Moment  finden  kann. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


583 


Roc  eke  hat  18  Fälle,  durchwegs  Individuen  im  Alter  zwischen 
20  und  30  Jahren,  und  zwar  vorwiegend  Frauen  betreffend,  beob¬ 
achtet,  in  denen  ein  bisher  anscheinend  rüstiges  Gehirn  durch  die 
Einwirkung  äusserer  schwächender  Momente  eine  schwere  Störung 
erlitten  hatte,  auf  welche  also  der  Ausdruck  »Erschöpfungspsychose« 
passte.  Roecke  fand,  dass  es  zwei  Gruppen  dieser  Psychose  gibt. 
Die  Fälle  der  einen  Gruppe  zeigen  einen  äusserst  stürmischen 
Verlauf,  die  der  anderen  entwickeln  sich  langsamer  und  erstrecken 
sich,  ohne  die  gleiche  Höhe  der  Erregung  zu  erreichen,  über  einen 
grösseren  Zeitraum.  In  beiden  Gruppen  zeigen  sich  die  drei  Sym¬ 
ptome  der  Rindenschwäche:  Zerfall  der  Associationen,  mangelhafte 
Apperception,  Auftreten  zahlreicher  Phantasmen.  Die  J  herapie  be¬ 
steht  in  der  Fernhaltung  aller  Gehirnreize  und  in  der  Hebung  des 
gesummten  Kräftezustandes.  Narcotica  sind  zu  vermeiden  und  sollen 
durch  protrahirte  Bäder  und  feuchte  Einpackungen  ersetzt  werden. 
—  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft  1.)  S. 

* 

218.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  Prof.  Dr.  Kocher  in 
Bern.)  Ueber  Complication  en  derCholethiasis.  Wann 
soll  man  b  e  i  Ch  o  1  e  1  i  t  h  i  a  s  is  operiren?  Von  A.  Kocher. 
Bei  jeder  Cholelithiasis  besteht  die  Gefahr  einer  entzündlichen  Ver¬ 
änderung  der  Gallenblase  und  ihrer  Umgebung,  des  Gallensteinileus 
und  schliesslich  die  Möglichkeit  des  Entstehens  eines  Gallenblasen¬ 
krebses.  Man  soll  daher  jedem  an  Gallensteinen  Leidenden  zur 
Operation  rathen,  und  zwar  so  frühzeitig  als  möglich,  so  lange 
noch  keine  Complicationen  vorhanden  sind;  in  diesem  Falle  ist  es 
auch  möglich,  das  schonendste  Operationsverfahren  anzuwenden, 
die  ideale  Gholecystotomie.  Aus  einer  der  vier  beigegebenen 
Krankengeschichten  ist  zu  erwähnen,  dass  der  in  Folge  des  Krebses 
der  Gallenblase  carcinomatös  gewordene  Theil  des  rechten  Leber¬ 
lappens  nach  einem  bisher  nicht  geübten  Verfahren  resecirt  wurde, 
indem  »eine  grosse  Kocher’sche  Magenzange  quer  angelegt  und 
die  Leber  unterhalb  abgetragen  wird«.  Die  Zange  wurde  bis  zum 
dritten  Tage  liegen  gelassen  und  die  Wunde  tamponirt.  Die  Pa¬ 
tientin  ist  übrigens  drei  Wochen  p.  op.  einer  Pneumonie  er¬ 
legen.  —  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1900,  Nr.  t .) 

Pi. 

* 

219.  Klinische  Erwägungen  aus  der  Beobach¬ 
tung  sensibler  Jackson-Fälle.  Von  Dr.  Alfred  luchs 
in  Purkersdorf-Wien.  Die  partiellen  Convulsionen  ohne  Bewusst¬ 
seinsstörung  waren  schon  vor  Jackson  bekannt.  Durch  ihn  wurde 
jedoch  auf  Grund  anatomischer  Untersuchungen  ein  Krankheits¬ 
typus  aufgestellt,  der  mit  Recht  seinen  Namen  trägt.  Jackson 
selbst  beschrieb  neben  der  convulsivischen  Form  des  nach  ihm 
benannten  Krankheitsbildes  Anfälle  sensorischer  Natur,  die  gleich¬ 
zeitig  mit  motorischen  Erscheinungen  oder  als  Aequivalent  derselben 
auftreten  können.  Später  fanden  sensible  Erscheinunge'n  im  Anfalle 
von  Rindenepilepsie  vielfach  Beachtung.  Fuchs  theilt  elf  ein¬ 
schlägige  Fälle  mit.  Nach  ihm  gelangt  das  Phänomen  des 
sensiblen  J  a  c  k  s  o  n  -  Anfalles  zur  Beobachtung,  und  zwar  in  den 
Prodromalstadien  der  progressiven  Paralyse,  ferner  bei  raumbe¬ 
schränkenden  Erkrankungen  des  Gehirnes  (Tumoren,  Abscessen, 
Cysten,  parasitären  Erkrankungen  und  exsudativen  Processen  der 
Meningen  etc.),  hei  der  Encephalomalacie  und  hei  der  Hemicrania 
symptomatica  Krafft-Ebing’s  (sensibler  J  a  ck  s  o  n  -  Anfall  mit 
tardiver  Migräne).  Immer  ist  der  sensible  J  a  c  k  s  o  n  -  Anfall  das 
Anzeichen  einer  anatomischen  Centralläsion.  — -  (Jahrbücher  für 
Psychiatrie.  Bd.  XIX,  Heft  I.)  S. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Hofrath  Carl  Toi  dt,  Professor  der  Anatomie,  wurde  für  das 
Studienjahr  1900/1901  zum  Decan  der  medicinischen  Facultät  in 
Wien  gewählt. 

* 

Ernannt:  Der  a.  o.  Professor  der  gerichtlichen  Medicin 
Dr.  Otto  Messerer  in  München  zum  ordentlichen  Honorarprofessor. 

* 

Verliehen:  Dem  Regimentsarzte  Dr.  Gustav  Lahmer 
der  Stabsarztenscharakter  ad  honoies. 


Habil  itirt:  Dr.  Buschke  in  Berlin  für  Haut-  und  Ge¬ 
schlechtskrankheiten. 

* 

Gestorben:  Dr.  II  e  r  m  a  n  n  B  e  n  e  d  i  k  t,  Sohn  des  gleich¬ 
namigen  Neurologen  in  Wien.  —  Geheimer  Rath  Prof.  Dr.  W  i  1  h  e  1  m 
Kühne,  Director  des  physiologischen  Institutes  zu  Heidelberg. 

Der  ehemalige  Professor  der  klinischen  Medicin  zu  Rom,  1  ommaso 
C  r  u  d  e  1  i. 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrathes  am 
9.  Juni  d.  J.  referirte  Sections  Chef  Dr.  R.  v.  Kusy  über  die  Ver¬ 
breitung  der  Pest  im  Auslande,  insbesondere  über  das  Auftreten 
mehrerer  Pesterkrankungui  in  Smyrna  und  die  aus  diesem  Anlassein 
sanitätspolizeilicher  Hinsicht  nothwendigen  Vorkehrungen.  Hierauf  ge¬ 
langten  nachstehende  Referate  zur  Berathung  und  Beschlussfassung  : 

1.  Festsetzung  eines  Nachtrages  zur  officiellen  Arzneitaxe  für  das 
Jahr  1900  mit  Rücksicht  auf  die  mit  1.  Juli  d.  J.  in  Wirksamkeit 
tretenden  Additamenta  zur  siebenten  Ausgabe  der  österreichischen 
Pharmakopoe.  (Referent:  Hofrath  v.  Vogl  namens  des  pharmaceuti- 
seben  Comb  es.)  2.  Gutachtliche  Aeusserung  über  die  Qualification  der 
Bewerber  um  die  neusystemisirte  Stelle  eines  Landes  SanitätsTnspectors 
für  Tirol  und  Vorarlberg.  (Referent:  Sections-Chef  v.  Kusy.)  3.  Re¬ 
ferat,  betreffend  die  Massnahmen  gegeu  die  Ausbreitung  des  Aether- 
genusses  in  Galizien  und  anderen  Ländern.  (Referent:  Professor 
M.  Gruber.)  4.  Gutachten  über  die  Massnahmen  gegen  den  Ver¬ 
brauch  fusolhaltigen  Branntweins  als  Genussmittel,  insbesondere  in 
Bezug  auf  die  Vorschreibung  der  technisch  durchführbaren  Reinigung 
des  Trinkbranntweins  von  Fuselöl,  welche  der  Oberste  Sanitätsrath  be¬ 
fürwortete.  (Referent:  Prof.  M.  Gruber.) 

* 

In  der  am  11.  Juni  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  Landes- 
Sanitätsrathes  von  Niederösterreich  wurden  folgende  Referate 
erstattet:  1.  Ueber  die  Errichtung  einer  neuen  Abtheilung  für  Ge¬ 

schlechts-  und  Hautkranke  im  Kaiser  Franz  Josef-Spitale  in  Wien; 

2.  über  die  in  den  communalen  Epidemie-Spitälern  vorzunehmenden 
Adaptirungen;  3.  über  ein  Ansuchen  um  die  Bewilligung  zur  Auf¬ 
stellung  von  Couveusen  mit  lebenden  Kindern  behufs  öffentlicher 
Schaustellung;  4.  über  die  Errichtung  einer  neuen  öffentlichen  Apotheke 
in  einer  Marktgemeinde  Niederösterreichs  und  5.  über  die  Verbesserung 
der  sanitären  Verhältnisse  in  einem  öffentlichen  Krankenhause 
in  Wien. 

* 

Rudolf  Virchow  hat  in  seiner  Eigenschaft  als  Heraus¬ 
geber  des  ,,  Archivs  für  pathologische  Anatomie  und  Physiologie“  im 
dritten  Hefte  des  Bd.  CLIX  folgenden  Mahnruf  an  die  Autoren 
ergehen  lassen,  der  uns  für  die  ganze  medieinische  Publicistik  von  so 
allgemeiner  Bedeutung  zu  sein  scheint,  dass  wir  ihm  die  weiteste  Ver¬ 
breitung  in  den  interessirten  Kreisen  wünschen.  Wir  bringen  den¬ 
selben  hiemit  grösstentheils  zum  Abdrucke. 

„Obgleich  ich  schon  viel  häufiger  als  mir  lieb  war,  Mahnungen 
an  die  schreibenden  Collegen  gerichtet  habe,  so  zwingen  mich  doch 
herbe  Erfahrungen  aus  neuerer  Zeit  zu  dem  nochmaligen  Versuche 
einer  bestimmenden  Einwirkung  in  Bezug  auf  Gewohnheiten  der  Schritt¬ 
steller,  welche  schädliche  Folgen  haben.  Blosse  Rechthaberei  liegt  mir 
gänzlich  ferne. 

Vorausschicken  will  ich  die  Erklärung,  dass  meine  Ansprache 
sich  nicht  an  solche  Collegen  wenden  soll,  welche  ein  Buch  oder  eine 
selbstständige  Brochure  oder  lose  Blätter  schreiben  ;  diese  mögen  ihren 
Gewohnheiten  nach  Belieben  nachgehen.  Meine  Warnungen  gelten  nur 
für  die  eigentliche  Journalistik,  vorzugsweise  für  Wochen-,  Monats¬ 
und  Vierteljahrs  Schriften,  welche  in  bestimmten  Zeiträumen  und  dann 
in  einer  gewissen  Stärke  erscheinen  und  für  einen  bestimmten  Preis 
abgegeben  werden.  Hier  ist  die  Rücksicht  auf  die  Abonnenten  ent¬ 
scheidend  für  den  Umfang  der  Publication  und  für  die  schnellere 
oder  langsamere  Folge  der  einzelnen  Hefte  (Lieferungen).  Darnach 
richtet  sich  wiederum  ein  grosser  Theil  des  Einflusses,  den  das  Journal 
erlangt. 

Wer  diese  Vordersätze  anerkennt,  wird  auch  die  Nothwondigkeit 
zugeben,  dass  nicht  blos  der  Redaeteur  und  Verleger  sich  bemühen 
müssen,  die  Abonnementspreise  und  die  Publicationszeiten  einzuhalten 
und  die  Stärke  der  einzelnen  Hefte,  Lieferungen  und  Bände  nicht  will¬ 
kürlich  zu  erweitern.  Daraus  folgt  auch  für  die  Mitarbeiter  der  Zwang, 
sich  einer  knappen  Schreibweise  zu  bedienen,  um  von 
dem  gegeben  und  nicht  wesentlich  zu  überschreitenden  Raum  nicht  einen 
ungebührlichen  Antheil  vorwegzunehmen.  Dabei  ist  Alles  zu  vermeiden, 
was  für  die  Darstellung  und  Beweisführung  entbehrlich  ist.  Das  ist  aber 
erfahrungegomäss  sehr  schwer  zu  erreichen.  Die  Details  der  Kran 
kengcschichten,  Sections-  und  \  ersuchsberichtc. 
werden  nicht  selten  in  einer  Ausdehnung  und  in  einer  Zahl  gegeben, 
welche  für  den  Zweck  der  Verdeutlichung  und  Beweisführung  nicht 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


584 


erforderlich  ist,  ja  welche  die  Lecture  nur  für  wenige  Leser  schmack¬ 
haft  oder  überhaupt  möglich  erscheinen  lässt.  Die  neuerlich  aufge¬ 
kommene  Sitte,  umfangreiche  und  zugleich  wenig  lehrreiche  Einzel¬ 
heiten  in  Tabellen  vorzuführen,  bringt  sowohl  für  den  Drucker, 
als  für  den  Leser  grosse  Schwierigkeiten.  Zusammenfassende  Ueber- 
sichten  würden  recht  häufig  genügen;  sie  lassen  sich  durch  genaue 
Zahlenangaben  so  beweisend  gestalten,  dass  man  auf  die  Details  jedes 
einzelnen  Falles  leicht  verzichten  kann,  zumal  wenn  einzelne,  be¬ 
sonders  illustrative  Beispiele  beigefügt  werden.  Grössere  Journale 
können  sich  vor  der  verschwenderischen  Consumption  von  Raum 
höchstens  dadurch  retten,  dass  sie  diese  Details  in  kleiner  Schrift 
geben,  aber  auch  das  betrachten  manche  Mitglieder,  namentlich  An¬ 
fänger,  als  eine  Zurücksetzung  und  verwahren  sich  gegen  eine 
Wiederholung. 

Dazu  kommen  die  für  unbetheiligte  Personen  so  schwer  zu  er¬ 
tragenden  Prioritäts-Streitigkeiten,  welche  so  leicht  zu 
vermeiden  wären,  wenn  jeder  Autor  sich  darauf  beschränkte,  die 
authentischen  Angaben  in  Substanz  mitzutheilen,  und  wenn  er  nicht 
die  Gelegenheit  benützte,  eine  in  der  Regel  höchst  unvollständige, 
nicht  selten  ungenaue  Musterung  der  Literatur,  selbst  nur  aus 
zweiter,  dritter  oder  noch  weiter  zurückliegender  Hand,  vorzunehmen. 
Wie  oft  wird  der  werthvolle  Raum  dazu  benützt,  um  Citate  zu 
häufen,  w'elche  zu  verificiren  der  Verfasser  nicht  einmal  für  noting 
erachtet  hat!  Und  doch  spricht  mancher  in  seinen  Citaten,  wrie  wenn 
er  die  Originalquellen  selbst  auf  das  Genaueste  studirt  hätte!  Dabei 
verschlechtert  sich  leicht  der  Ton  der  Schriftstücke,  statt  objectiv 
und  höflich  zu  sein,  zusehends,  bis  er  einen  verletzenden  Charakter 
angenommen  hat. 

Man  möge  diese  Klagen  eines  alten  und  viel  geplagten  Redacteurs 
mit  einiger  Geduld  aufnehmen  und  darin  den  Ausdruck  lange  zurück¬ 
gehaltener,  möglich  tief  begründeter  Erregung  erkennen.  Sie  haben 
nur  den  Zweck,  unsere  Journalistik  von  den  Auswüchsen  und  Ab¬ 
wegen  fernzuhalten,  die  uns  in  der  medicinischen  Fachpresse  immer 
häufiger  begegnen.  Solche  Auswüchse  sollten  beschnitten  werden;  sie 
haben  für  die  Gesammtheit  keinen  Werth,  sie  dienen  nur  der  Eigen¬ 
liebe  ihrer  Urheber.  J  e  m  e  h  r  wir  unsere  Elaborate  c  o  nden- 
siren,  je  sorgfältiger  wir  sie  auf  das  Objective, 
Thatsächliche,  und,  wenn  möglich,  Neue  beschränken, 
umsomehr  werden  sie  dazu  beitragen,  nicht  nur  den 
alten  Ruhm  unserer  Literatur  aufrecht  zu  erhalten, 
sondern  auch  den  einzelnen  Autoren  eine  allgemein 
anerkannte  Stellung  zu  sichern. 

Mein  heutiger  Wunsch  geht  also  dahin,  dass  die  Mitarbeiter  des 
Archives  sich  stets  vor  Augen  halten  möchten,  dass  sie  für  eine  Z  e  i  t- 
schrift  in  dem  eben  skizzirten  Sinne  schreiben,  und  dass  der 
Redaeteur  durch  äussere  Verhältnisse  gezwungen  ist,  gewisse  Be¬ 
schränkungen,  zumal  in  dem  für  die  einzelne  Arbeit  zu  bewilligenden 
Raum  eintreten  zu  lassen.“ 

* 

Officieller  Bericht  über  die  am  9.  Juni  1 900  abge- 
haltene  Centralausschusssitzung  der  Wiener  Aerzteorganisation. 

I.  Kammer  wählen.  Der  vom  Aerztekammer-Wahlcomite 
ausgearbeitete  Schlüssel  wird  vom  Plenum  mit  einer  kleinen  Modification 
angenommen.  Danach  werden  20  Mandate  auf  die  im  Verbände  ver¬ 
tretenen  Vereine  aufgetheilt,  während  neun  Mandate  dem  Central  , 
ausschusse  zur  Vergebung  reservirt  bleiben;  von  den  letzten  neun 
Mandaten  wird  eines  den  Hilfsärzten  der  Wiener  Spitäler  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt,  wenn  sich  dieselben  bis  zur  Wahlzeit  bereits 
organisirt  haben.  Von  den  Vereinsmandaten  erhalten  die  Vereine  im 
ersten,  zweiten  und  neunten  Bezirke,  sowie  der  Wiener  Aerzteverein 
je  zwei  Mandate,  die  übrigen  Bezirksvereine  und  die  beiden  Cassen- 
vereine  je  ein  Mandat,  die  zahnärztlichen  Vereine  (Wiener  und  öster- 
reichischiseher  Zahnärzteverein)  zusammen  ein  Mandat.  Die  ärzt¬ 
lichen  Vereine  norainiren  bis  zum  20.  J  uni  1 900  für  die 
ihnen  nach  dem  Schlüssel  zukommenden  Mandate  ihre  Candid  aten 
beim  Präsidenten  des  Verbandes,  können  aber  ausser 
diesen  noch  solche  Collegen  ihres  oder  eines  anderen  Vereines  namhaft 
machen,  welche  sie  zur  Vertretung  der  Standesinteressen  in  der  Kammer 
für  besonders  geeignet  halten,  und  aus  welchen  dann  das  Wahlcomite 
den  \  orschlag  über  die  dem  Centralausschusse  vorbehaltenen  Mandate 
zusammenzustellen  hat. 

II.  Honorir  ung  der  Unfallparere.  Es  wurde  über 
Anregung  des  Margarethener  Vereines  beschlossen,  das  Präsidium  des 
Verbandes  zu  beauftragen,  die  nachfolgenden  Punkte  mit  den  Ver¬ 
sicherungsgesellschaften  zu  vereinbaren:  a)  Die  ärztliche  Schaden¬ 
anzeige  und  das  Schlussattest  sind  in  Hinkunft  von  den  Unfall¬ 
versicherungsgesellschaften  den  Aerzten  dirccte  und  nicht  im  Wege 
der  Partei  abzuverlangen  und  von  den  Aerzten  —  als  vertrauliche 
Documente  —  direct  an  die  Gesellschaften  einztfschicken.  b)  Die 
Gesellschaften  haben  für  die  Atteste  einheitliche  Formularien  zu  ver¬ 
fassen.  c)  Die  Ausfertigung  der  Atteste  ist  von  den  Gesellschaften 


mit  mindestens  je  6  K  für  jedes  Attest  den  Aerzten  direct  zu 
honoriren. 

III.  Ambulatoriumfrage.  Um  die  grosse  Frage  der 
Ambulatorien  und  des  Zahlstockes  erschöpfend  zu  bearbeiten,  em¬ 
pfiehlt  der  Vorstand  die  Einberufung  einer  Enqueto,  in  welcher 
sämmtliche  betheiligte  Facforen  ihre  Meinung  abzugebtn  haben.  Bis 
zu  diesem  Momente  glaubt  der  Verband  mit  der  Durchführung  fol¬ 
gender  Massnahmen  den  dringendsten  Bedürfnissen  vorläufig  zu  ent¬ 
sprechen:  1.  Sämmtliche  Ambulatoriumärzte  sind  in  ge¬ 
eigneter  Fo  m  von  folgenden  Beschlüssen  des  Centralausschusses  zu 
verständigen,  n )  Um  dem  Missbrauche  der  Ambulatorien  seitens  des 
zahlungsfähigen  Publicums  zu  steuern,  werden  alle  Ambulatoriumloiter 
in  collegialster  Form  aufgefordert,  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  in 
allen  Ambulatoriumsräumen  deutlich  zu  ersehen  sei,  dass  der  Besuch 
des  Ambulatoriums  einzig  und  allein  Unbemittelten  ge¬ 
stattet  ist.  Dieselbe  Bemerkung  haben  sämmtliche  Recept- 
formulareundsonst  igenfür  die  Parteienbestimmten 
Druck  sorten  zu  tragen,  b)  Patienten,  welche  nicht  zweifel¬ 
los  zahlungsunfähig  sind,  haben  sich  beim  zweiten  Besuche 
des  Ambulatoriums  durch  irgend  ein  Attest  über  ihre  Mittellosigkeit 
auszuweisen.  2.  Die  Wiener  Aerzteorganisation  macht  sämmtliche 
Collegen  Wiens  und  der  Provinz  aufmerksam,  dass  die  Ambula¬ 
torien  einzig  und  allein  für  zahlungsunfähige  Pa¬ 
tienten  bestimmt  sind  und  ersucht  die  Collegen  bei  der  Zuweisung 
ihrer  Patienten  an  öffentliche  Ambulatorien  zum  Zwecke  von  special- 
ärztliclier  Behandlung  auch  auf  Zahlungsunfähigkeit  der  Kranken  ihr 
Augenmerk  zu  richten  (und  bemittelte  Kranke  den  Ambulatorien 
unter  keiner  Bedingung  zur  unentgeltlichen  Behandlung  über¬ 
weisen  zu  wollen). 

IV.  Leopoldstädter  Kinderambulatorium.  An¬ 
lässlich  der  durch  einen  eigenen  Verein  projectirten  Errichtung  eines 
Kinderambulatoriums  in  der  Leopoldstadt  ist  die  Statthalterei  in  ge¬ 
eigneter  Weise  zu  ersuchen,  die  Concession  zu  diesem  höchst  über¬ 
flüssigen  und  aus  sanitären  Gründen  unzulässigen  Privatambulatorium 
zurückzuziehen,  gleichzeitig  ist  der  Statthalterei  nahezulegen,  dass  sie 
in  Hinkunft  von  der  Bewilligung  der  Errichtung  von  Ambulatorien, 
falls  sie  nicht  im  Zusammenhänge  mit  e  i  n  e  m  S  p  i  t  a  1  e 
stehen,  überhaupt  gänzlich  absehon  und  in  derartigen  Angelegen¬ 
heiten  vor  ihrer  Entscheidung  immer  ein  Kammergutachten  abverlangon 
wolle.  Dem  Leopoldstädter  Verein  wird  vom  Vorstande  für  seine  die 
Standesinteressen  wahrende  Thätigkeit  der  Dank  votirt. 

V.  Sonstige  Mittheilungen.  Die  von  verschiedener 
Seite  eingelangten  Begriissungsschreiben  (Kammern,  Centralvereine) 
wurden  erwidert.  Die  Eingabe  des  Verbandes  bezüglich  der  Kranken¬ 
hausenquete  wurde  vom  Minister  Hartei  durch  sofortige  Einladung 
des  Präsidenten  freundliehst  beantwortet.  Das  Memorandum  in  An¬ 
gelegenheit  der  Zahnärzte  (Hintanhaltung  der  Erweiterung  der 
Concession  von  Zahntechnikern,  Verbot  der  ausländischen  Assistenten) 
wurde  dem  Ministerpräsidenten  Kör  her  überreicht  und  der  Deputation 
an  massgebender  Stelle  versichert,  dass  den  berechtigten  Wünschen 
der  Aerzte  Rechnung  getragen  werde. 

* 

Krankenverein  der  Aerzte  Wiens.  Die  Vereins¬ 
leitung  gibt  das  folgende  Verzeichn  iss  der  Beneficien,  die 
dem  Krankenvereine  bisher  von  Seite  der  österreichischen  Curorte- 
Verwaltungen  eingeräumt  wurden  und  in  dieser  Sommersaison  zur  Ver¬ 
fügung  stehen : 

Der  Curort  Giesshübl  bietet  den  Mitgliedern:  Kostenfreien 
Gebrauch  der  Curmittel,  Befreiung  von  der  Zahlung  der  Aufenthalts¬ 
kosten,  50%  Ermässigung  der  tarifmässigen  Wohnung^preise.  —  Der 
Curort  Gl  eichen  berg  bietet  den  Mitgliedern:  Kostenfreien  Ge¬ 
brauch  der  Curmittel,  Befreiung  von  Cur- und  Musiktaxe,  in  zwölf  Villen 
20%  Ermässigung  der  Zimmerpreise.  —  Der  Curort  Guttenbrunn 
(Dr.  G.  Laotin)  bietet  den  Mitgliedern:  Etmässigung  von  50%  der 
Curmittelpreise.  —  Der  Curort  Krapina-Töplitz  bietet  den  Mit¬ 
gliedern:  Befreiung  von  Cur-  und  Musiktaxe,  kostenlose  Benützung 
der  Bäder  und  Sodarier,  25%  Nachlass  bei  der  Wohnungsmiethe.  — 
Die  Wasserheilanstalt  Bad  Kreuzen  (Dr.  O.  Fleisch- 
h  an  der!)  bietet  den  Mitgliedern:  Freien  Curgebraueh,  halben  Preis 
der  Wohnung  (in  berücksichtigungswürdigen  Fällen  auch  mehr).  — 
Der  Curort  Krynica  bietet  den  Mitgliedern:  Für  Mitglieder  oder 
deren  Gemahlinnen  20  Mineral-  und  10  Mooi  bade  karten,  eventuell 
noch  eine  Anzahl  hydropathischer  Proceduren  unentgeltlich.  —  Der 
Curort  Gross-Ullersdorf  (Mähren)  bietet  den  Mitgliedern: 
Kostenfreien  Gebrauch  der  Bäder  während  der  ganzen  Saison,  Be¬ 
freiung  von  Cur-  und  Musiktaxe.  Vom  15.  Mai  bis  30.  Juni  und  vom 
20.  August  bis  30.  September  50%  Wohnungspreisermässigung.  — 
Die  Badegesellschaft  Sanger  her  g  (bei  Marienbad)  bietet 
den  Mitgliedern:  30%  Ermässigung  bei  Curanwendungen  und  Bädern. 
Enthebung  von  der  Curtaxe.  —  Der  Curort  Trencsin-Teplitz  bietet 
den  Mitgliedern:  Befreiung  von  der  Curtaxe,  freien  Gebrauch  der 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


585 


Bäder.  Vom  1.  Mai  bis  Ende  Juni  und  vom  16.  August  bis  Ende 
September  50%  Nachlass  bei  Wolinungspreisen.  —  Die  Wasser¬ 
heilanstalt  Paulin  enh  of,  Vorderbrühl  (Dr.  S  a  m  u  e  1  y)  bietet  den 
Mitgliedern:  Einen  Freiplatz.  —  Der  Curort  Bad  Hall,  Ober¬ 
österreich  (Jos.  Fuchs,  Marien-Hof)  bietet  den  Mitgliedern:  Vom 
1.  Mai  bis  Ende  Juni  und  vom  20.  August  bis  Ende  September  25% 
Nachlass  während  der  ganzen  Saison,  im  Restaurant  und  für  zwei 
Herren  Zimmer  zu  4  fl.  wöchentlich.  —  Der  Curort  Mittewaldbei 
Villach  bietet  den  Mitgliedern:  Freie  Benützung  der  Curmittel  und 
30%  Ermässigung  des  Miethpreises.  —  Der  Curort  T  ü  f  f  e  r,  Franz 
Josefs-Bad  (Theodor  Gunkl)  bietet  den  Mitgliedern :  Einen 
Freiplatz. 

Reflectirende  Herren  wollen  sich  an  den  Obmann  des  Vereines, 
Herrn  Dr.  Adolf  Klein,  III.,  Hauptstrasse  50,  wenden. 

* 


I.  Internationaler  Congress  für  ärztliche 
Standesinteressen  und  ärztliche  Pflichtenlehre 
23. — 28.  Juli  1900  zu  Paris.  Das  Pariser  Comite  dieses  Con¬ 
gresses  gibt  bekannt,  dass  den  Mitgliedern  dieses  Congresses  nebst  den 
früher  schon  erwähnten  Beneficien  auch  der  unentgeltliche  Eintritt  in 
die  Ausstellung  während  der  Dauer  des  Congresses  gewährt  wird. 
Ferner  theilt  das  Comite  mit,  dass  Vorträge  bis  zum  1.  Juli  1900  im 
Bureau  de3  Congresses,  120,  Boulevard  Saint-Germain,  Paris,  anzu¬ 
melden  sind.  Die  Mitgliedskarten,  Programme,  Berichte  etc.  können 
vom  15. — 23.  Juli  in  oberwähntem  Bureau  behoben  werden,  oder 
werden  auch  auf  Verlangen  zugesendet. 

* 

Anlässlich  des  in  Paris  stattfindenden  Congresses 
sind  die  Theilnehmer  desselben  sammt  ihren  Angehörigen  zu  folgenden 
Festen  geladen:  Am  2.  August  beim  Conseilspräsidenten,  am  3.  August 
beim  Präsidenten  des  Congresses;  am  5.  August  ist  Empfang  beim 
Präsidenten  der  Republik;  am  8.  August  wird  im  Senatspalais  und  im 
Jardin  du  Luxembourg  vom  Congresscomite  eine  Festlichkeit  ver¬ 
anstaltet  werden.  Eine  solche  steht  auch  von  Seiten  des  Municipiums 
in  Aussicht;  weitere  werden  von  einzelnen  Sectionen  veranstaltet 
werden . 

* 

Programm  der  Ferialcurse,  welche  in  den  Monaten 
August  und  September  1900  an  der  Wiener  medic  ini  sehen 
Facultät  gelesen  werden. 

(Die  Inscription  erfolgt  bei  den  betreffenden  Herren  Doceuten  und 
ist  das  Honorar  an  dieselben  direct  im  Vorhinein  zu  entrichten.) 

I.  August  Cyclus. 

Anatomie:  Gustav  Alexander,  Entwicklungsgeschichte  und 
Anatomie  des  Centralnervensystems.  —  Derselbe,  Anatomie  des  Gehör¬ 
organes. 

Pathologische  Anatomie  und  Bacteriologie:  Hein¬ 
rich  Albrecht,  Pathologisch-anatomischer  Demonstrationscurs.  — 
Richard  Kretz,  Ausgewählte  Capitel  aus  der  angewandten  Bacterio¬ 
logie.  Krankheit,  Ansteckung  und  Seuchenbekämpfung.  —  Oskar 
Stoerck,  Pathologische  Histologie.  —  Karl  Landsteiner,  Curs  über 
Bacteriologie. 

Medicinische  Chemie:  Sigmund  Fränltel,  Qualitative 
und  quantitative  Harnanalyse.  —  Richard  v.  Zeynek,  Chemie  der 
Verdauung.  —  Derselbe,  Harnanalyse. 

Pharmakognosie  und  Lebens  mitteluntersuchung: 
Josef  H  o  c  k  a  u  f ,  Anwendung  des  Mikroskopes  auf  die  offfcinellen 
Droguen,  Nahrungs-  und  Genussmittel  aus  dem  Pflanzenreiche. 

Interne  Medicin:  Ludwig  Braun,  Therapie  der  Herz¬ 
krankheiten  (mit  Krankendemonstationen).  —  Hermann  Schlesinger, 
Diagnostik  innerer  Krankheiten  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  physi¬ 
kalischen  Untersuchungsmethoden  (mit  Krankendemonstrationen).  —  Ernst 
v.  Czyhlarz,  Curs  über  Diagnostik  und  Therapie  innerer  Krankheiten 
(für  Aerzte). 

Neurologie  und  Psychiatrie:  Lothar  v.  Frankl- 
Hocli  wart,  Diagnostik  und  Therapie  der  Nervenkrankheiten  mit  beson¬ 
derer  Berücksichtigung  der  Elektrotherapie  und  Diagnostik.  —  Alexander 
P  i  1  c  z,  Klinik  der  Geisteskrankheiten. 

Chirurgie:  Karl  Ewald,  Chirurgische  Diagnostik.  —  Der¬ 
selbe,  Chirurgischer  Operationscurs.  —  Julius  Schnitzler,  Atypische 
Operationen  (Uebungen  am  Cadaver).  —  Oskar  Föderl,  Curs  über 
typische  Operationen  mit  Uebungen  an  der  Leiche.  —  Derselbe,  Curs  über 
atypische  Operationen  mit  Uebungen  an  der  Leiche. 

Augenheilkunde:  Karl  K  u  n  n,  Anomalien  der  Refraction 
und  Accommodation  des  Auges  nebst  praktischen  Uebungen  in  der  Brillen¬ 
wahl.  —  Leopold  Müller,  Operatiousübungen.  —  Hugo  Winter- 
feiner,  Ophthalmoskopie.  —  Derselbe,  Augenoperationen.  —  Derselbe, 
Pathologische  Histologie  des  meuschlichen  Auges.  —  Richard  Fröhlich, 
Diagnostik  und  Therapie  äusserer  und  innerer  Augenkrankheiten.  —  M  o  r  i  z 
Sachs,  Diagnostik  und  Therapie  der  äusseren  Augenkrankheiten.  —  Der¬ 
selbe,  Augenoperationen. 

Laryngologie  und  Rhinologie:  Michael  Gross¬ 
mann,  Curs  über  Laryngo-  und  Rhinologie.  —  Hans  Koschier, 
Laryngo-rhinologischer  Operationscurs  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 


Anatomie.  —  Leopold  Ret  hi,  Laryngo-  und  Rhinoskopie  mit  prak¬ 
tischen  Uebungen.  —  Leopold  Har  me  r,  Laryngo-  und  Rhinoskopie. 

—  Derselbe,  Laryngologische  und  rhinologische  Operationen  an  der 
Leiche. 

Ohrenheilkunde:  Ferdinand  Alt,  Ohrenheilkunde.  — 
Albert  Bing,  Praktischer  Cursus  über  Ohrenheilkunde. 

Dermatologie  und  Syphilidologie:  Karl  Ullmaun, 
Hautkrankheiten  und  Syphilis.  Pathologie  und  Therapie.  —  K  arl  Krei- 
b  i  c  h,  Diagnostik  und  Therapie  der  Hautkrankheiten  und  Syphilis.  — 
Rudolf  Matzenaue  r,  Curs  über  Dermatologie  und  Syphilis. 

Geburtshilfe  und  Gynäkologie:  Karl  August  Herzfeld, 
Geburtshilfliche  Operationslehre.  — -  Rudolf  Savor,  Geburtshilfliche  Dia¬ 
gnostik,  Therapie  und  Operationen.  —  Derselbe,  Gynäkologische  Diagnostik 
und  Therapie.  —  Adolf  Hink,  Geburtshilfliche  Diagnostik  und  Therapie. 

—  Waldstein,  Geburtshilfliche  Diagnostik  und  Therapie.  —  Derselbe, 
Geburtshilfliche  Operationslehre. 

Zahnheilkunde:  RudolfLoos,  Operative  und  conservirende 
Zahnheilkunde. 

* 

Vom  „Therapeutischen  J  a  h  r  b  u  c  h“,  herausgegeben  von 
Dr.  Nitz  einadel  bei  Deuticke  in  Wien  ist  der  zehnte  Jahr¬ 
gang  erschienen.  Derselbe  enthält  eine  Zusammenstellung  der  in  den 
deutschen  medicinischen  Zeitschriften  des  Jahres  1899  niedergelegten 
diagnostischen,  therapeutischen  und  pharmakologischen  Angaben. 

* 

Nach  dem  27.  Jahresberichte  des  St.  Ludwig- 
Kind  e  r  s  p  i  t  a  1  e  s  in  Krakau  (Vorstand  der  Kinderklinik:  Prof. 
J  a  k  u  b  o  w  s  k  i)  waren  daselbst  1899  334  Säuglinge  und  1 127  Kinder 
im  Alter  von  1  bis  12  Jahren  neu  aufgenommen  und  verpflegt,  5259 
ambulatorisch  behandelt  worden.  97  Kinder  waren  wegen  Scrophulose 
oder  Localtuberculose  nach  dem  Badeorte  Rabka  geschickt  worden. 

* 

Sani  tä  tsve  r  hältuissebeiderMannschaftdes  k.  u.  k.  Heer  es 
im  Monat  März  1900.  Mit  Ende  Februar  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1777,  in  Heilanstalten  7814  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  März  1900  20.054  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  72.  Im  Monat  März  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  8254  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopfstärke  30.  Im  Monat  März  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  19.906  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  18.033  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  906,  durch  Tod  80  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  4'02,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0-29.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
2049,  in  Heilanstalten  7690  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  22.  Jahreswoche  (vom  27.  Mai 
bis  2.  Juni  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  648,  unehelich  353,  zusammen 
1001.  Todt  geboren:  ehelich  40,  unehelich  14,  zusammen  54.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  683  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
2P4  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  140,  Blattern  0,  Masern  24, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  39.  Angezeigte  Infectionskraukheiten:  Blattern  l  (-J-  1),  Varicellen 
63  (-]-15),  Masern  311  ( —  39;,  Scharlach  41  ( —  15),  Typhus  abdominalis 
15  (4-  11),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  31  ( —  3),  Croup  und 
Diphtherie  29  ( —  20),  Pertussis  45  (—  12),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (=),  Trachom  3  (-[-  1),  Influenza  0  ( —  2). 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  1.  März  1900  (siehe 
Nr.  9,  1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

IST  r_  1. 

Geschenke  : 

a )  Von  Herrn  Ilofrath  Prof.  C  h  r  o  b  a  k. 

Specielle  Pathologie  und  Therapie.  Herausgegeben  von  Hofrath  Noth¬ 
nagel: 

Bd.  V/2 :  E.  v.  L  e  y  d  e  n  und  F.  B  1  u  m  e  n  t  h  a  1,  Der  Tetanus. 
Wien  1900.  8°. 

Bd.  V1I/4:  Noorden  K.  v.,  Die  Fettsucht.  Wien  1900.  8". 

Bd.  XIV/2,  2.  Abth.:  Cornet  G.,  Die  acute  allgemeine  Miliartuber- 
culose.  Wien  1900.  8°. 

Bd.  XIV/4:  Cornet  G.,  Die  Scrophulose.  Wien  1900.  8". 

Bd.  XV/ 1,  3.  Abth.:  Jürgensen  Theodor  v.,  Erkrankungen 
der  Kreislaufsorgane.  Endocarditis.  Wien  1900. 

Bd.  XX/1,  2.  Hälfte:  Chrobak  R.  und  A.  v.  Rosthorn,  Die 
Erkrankungen  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  I.  F  heil. 

Wien  1900. 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


5KK 


b)  Von  Herrn  Prof.  Lang: 

»Paracelsus-,  Neues  Privatkrankenhaus  und  Augenheilanstalt.  Zürich 

1S99.  8". 

Campana  R.,  Hei  morbi  sitilitici  e  venerei.  Genova  1889.  8". 

Report  of  tile  Leprosy  Commission  in  India.  Calcutta  1898.  8°. 

•T* 

c)  Verschiedene : 

Czermak  w.,  R.  v.  Jaksch,  M.  Saenger,  Der  Kaiser  Franz  Josef  Pavillon 
im  k.  k.  Allgemeinen  Krankenhause  zu  Prag.  Prag  1900.  Von  den 
Herausgebern. 

Goldman  H.  F..  Die  Ankylostomiasis.  Wien  und  Leipzig  1900.  8U.  Vom 
Autor. 

Untersuchungen  und  Studien  über  die  Levico-Arsen-Eisenwasser.  Berlin 

1899.  8°. 

Paschkis  H  ,  Agenda  therapeutica  1900.  Wien  1900.  8".  Vom  Autor. 

Report  of  the  Malaria-Expedition  of  the  Livervool  School  of  tropical  Medi¬ 
cine  and  Medical  Parasitology  by  Ronald  Ross,  II.  E.  Anne  t  t, 

E.  E.  A  n  s  t  e  n.  With  Supplementary  Reports  by  Major  G.  M.  j 
Giles  and  R.  Fielding-oul  d.  Liverpool  1900.  4".  F.  the 
Editors. 

Sandefjord.  Svovl  Solbad  in  Norge.  Christiania  1900.  8°.  Beilage  zu  No  sk 
Magazin.  1900.  Nr.  3. 

Obersteiner  H.,  Functionelle  und  organische  Nervenkrankheiten.  Wiesbaden 

1900.  8".  Vom  Autor. 

Orth  Johannes,  Pathologisch  anatomische  Diagnostik,  nebst  Anleitung  zur 
Ausführung  von  Obductionen,  sowie  von  pathologisch  histologischen 
Untersuchungen.  Sechste  durchgesehene  und  vermeinte  Auflage. 
Berlin  1900.  8°.  Vom  Autor. 

Azain,  Hypnotisme,  double  conscience  et  alterations  de  la  personnalite. 

Paris  1887.  8°.  Von  Herrn  Dr.  G  a  1  a  1 1  i. 

Haymerle  Franz  R.  V.,  Der  weibliche  Fachuntericht  und  dessen  Organi- 
sirung  mit  Rücksicht  auf  die  praktischen  Bedürfnisse  des  Lebens. 
Wien  1900.  8°.  Vom  Autor. 

Seegen  J Die  Zuckerbildung  im  Thierkörper,  ihr  Umfang  und  ihre  Be¬ 
deutung.  Berlin  1900.  8°.  Zweite  Auflage.  Vom  Autor. 

Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie  und  Bacterio- 
logie.  Aus  dem  pathologisch  anatomischen  Institute  zu  Tübingen. 
Herausgegeben  von  Paul  v.  Baumgarten.  Braunschweig  1899. 
8°.  Bd.  111,  Heft  1.  Vom  Herausgeber. 

Browicz  T.,  Bau  der  intereellulären  Gänge  und  ihr  Verhältniss  zu  den 
Blutcapillaren.  (Separat- Abdruck.)  Krakau  1900.  8°.  Vom  Autor. 
Chrobak  R.  und  A.  V.  Rosthorn,  Die  Erkrankungen  der  weiblichen  Ge¬ 
schlechtsorgane.  I.  Wien  1900.  8°.  Von  den  Autoren. 

Kisch  E  H.,  Die  Prophylaxe  der  Sterilität.  (Separat- Abdruck.)  München 
1900.  8°.  Vom  Autor. 

Lorenz  Adolf,  Ueher  die  Heilung  der  angeborenen  Hüftgelenksverrenkung 
durch  unblutige  Einrenkung  und  functionelle  Belastung.  Leipzig  und 
Wien  1900.  8°.  Vom  Autor. 

Die  therapeutischen  Leistungen  des  Jahres  1899.  (Jahrgang  XI.)  Wiesbaden 
1900.  8°.  Von  Herrn  Dr.  A.  Pollatsche  k. 

Report  of  the  Medical  Officer  for  1898—1899.  London  1900.  8".  Fr.  Medi¬ 
cal  Officer. 

Bericht  über  die  Entwicklung  und  Leistungen  des  k.  k.  zahnärztlichen 
Universitätsimtitutes  im  ersten  Decenuium  seines  Bestehens,  erstattet 
von  Dr.  Julius  Sch  eff.  Wien  1900.  8".  Vom  Verfasser. 

* 

Augekauft: 

Handbuch  der  Krankheiten  der  weiblichen  Adnexoigane.  Herausgegeben 
von  A.  M  a  r  t  i  n,  Leipzig  1895.  Enthält: 

Bd.  1,  Die  Krankheiten  der  Eileiter. 

Bd.  II,  Dio  Krankheiten  der  Eierstöcke  und  Nebeneierstöcke. 

Encyklopädie  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Herausgegeben  von  Pro¬ 
fessor  M.  8  ä  n  g  e  r  und  Prof.  Dr.  O.  v.  H  erf  f.  Leipzig  1900.  4°. 
ZiemsSfin  H.  V.,  Klinische  Vorträge.  26.  und  27.  Vortrag  :  Die  klinische 
Medicin  des  XIX.  Jahrhunderts.  Leipzig  1900.  8°. 

Lepra,  Bibliotheca  internationalis  opera  consociata  viroi um  ....  Pb.  Abra- 
h  a  m.  V.  Babes....  Edita  a  Ernest  Besnier,  Karl 
D  e  h  i  o,  Edvard  Ehler  s,  A  r  m  a  u  e  r  H  a  n  s  e  n,  Ja  m  e  s 
Nevins  Hyde,  Jonathan  Hutchinson,  Albert  Neisser. 
London,  Leipzig,  Paris  1900  ff.  8°. 

Transactions  ol  the  Pathological  Society  of  London.  London  1899  ff.  8". 
Beiträge  zur  experimentellen  Therapie.  Herausgegeben  von  Geheimen 
Medicinalrath  Prof.  Dr.  E.  Behring.  Berlin  und  Wien  1900  ff.  8°. 
Sammlung  klinischer  Abhandlungen  über  Pathologie  und  Therapie  der 
Stoffwechsel-  und  Ernährungsstörungen.  Herausgegeben  von  Pro¬ 
fessor  Dr.  Karl  v.  N  o  o  r  d  e  n.  Berlin  1900  ff.  8". 

Centralblatt  iiir  Stofiwechsel-  und  Verdauungskranklieiten.  Herausgegeben 
von  Prof.  Dr.  Karl  v.  N  o  o  r  d  e  n.  Güttingen  1900  ff.  8°. 

Wien,  im  Juni  1900.  U  n  g  e  r. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Loeweiifeld.  Somnambulismus  und  Spiritismus.  Ibidem.  Treis  M.  8.  — . 
klaussuer,  Ueber  Missbildungen  der  menschlichen  Gliedmassen.  Ibidem. 
Preis  M.  8. — . 

W  il brand  und  Saenger,  Die  Neurologie  des  Auges.  Bd.  I,  2.  Abtheilung. 
Preis  M.  8.-. 


Schede,  Atlas  der  normalen  und  pathologischen  Anatomie  in  typischen 
Röntgen  Bildern.  3.  Ergänzungsheft.  Gräte  &  Sillem,  Hamburg. 
Preis  M.  8. — . 

Thomson.  On  neuroma  neuro-fibromatosis.  Turnbull  &  Spears,  Edinburgh. 
168  S. 

Hoclie.  Die  Frühdiagnose  der  progressiven  Paralyse.  2.  Auflage.  Mai  hold, 
Halle  a.  S.  Preis  M.  1.80. 

Alf.  Allgemeines  Bauprogramm  für  ein  Landesasyl  zur  ausgedehnteren  Ein¬ 
führung  der  familiären  Irrenpfiege.  Ibidem.  Preis  M.  2. — . 
Ziegelroth,  Die  physikalisch-diätetische  Therapie  der  Syphilis.  Richter, 
Berlin.  266  S. 

Kiulak,  Die  subeutanen  Verletzungen  der  Muskeln.  (16.  Heft  der  Ver¬ 
öffentlichungen  aus  dem  Gebiete  des  Militär-Sanitäts wesens.)  Hirsch¬ 
wald,  Beiliu.  123  S. 

Groliniann.  Der  Schwachsinnige  und  seine  Stellung  in  der  Gesellschaft. 

Rascher,  Zürich.  Preis  M.  — .50. 

Grollmann,  Suggestion  durch  Briefe.  Ibidem.  Preis  M  1.50. 

Buxhamn,  Lehrbuch  der  Hydrotherapie.  Thieme,  Leipzig.  Preis  M.  8.  — . 
Enimert,  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Medicin.  Ibidem.  Preis  M.  14. — . 
FucllS,  Die  Prophylaxe  in  der  Psychiatrie.  Seitz  &  Schauer,  München. 
52  S. 

Kisch,  Die  Prophylaxe  der  Sterilität.  Ibidem.  24  S. 

Erl),  Wintereuren  im  Hochgebirge.  (Volkmann’s  Sammlung.)  Breitkopf 
&  Härtel,  Leipzig. 

Franke,  Die  chirurgische  Behandlung  des  Magengeschwüres.  Ibidem, 
(’hazan,  Die  spezifischen  Lebenserscheinungen  im  weiblichen  Organismus. 
Ibidem. 

Bresgen,  Ueber  die  Nothwendigkeit  örtlicher  Behandlung  frischen 
Schnupfens.  Leineweber,  Leipzig.  Preis  M.  1. — . 


Freie  Stellen. 

Distrietsarztesstelle  im  Sanitätsdistricte  Preschkau  (bestehend 
aus  den  Gemeinden  Ober-  und  Nieder-Preschkau,  mit  1797  Einwohnern), 
Böhmen.  Gehalt  800  K  und  54  K  Reisepauschale.  Die  Besetzung  dieser 
Distrietsarztesstelle,  mit  welcher  auch  die  unentgeltliche  Behandlung  der 
Ortsartneu  und  die  Vornahme  der  Todtenbeschau  verbunden  ist,  erfolgt 
zunächst  provisorisch  auf  ein  Jahr,  nach  dessen  Ablauf  dieselbe  definitiv 
verliehen  wird.  Gesuche  sind  an  das  Gemeindeamt  Ober-Presehkau,  politischer 
Bezirk  Tetschen,  zu  richteu. 

Gemeindearztesstelle  in  Gimiuo,  politischer  Bezirk  Mitterburg, 
Küstenlan  d.  Jahresgehalt  2000  K  in  monatlichen  Anticipativraten. 
Der  Arzt  ist  verpflichtet,  die  Armen  der  ganzen  Gemeinde  unentgeltlich 
zu  behandeln,  als  sanitäres  Gemeindeorgan  im  Sinne  des  Gesetzes  vom 
19.  März  1874,  L.  G.  u.  V.  Bl.  Nr.  8,  zu  fungiren  und  eine  Hausapotheke 
zu  halten.  lrür  Armenbesuehe  ausserhalb  des  Domicilortes,  wie  auch  für- 
sonstige  im  Aufträge  der  Gemeinde  unternommene  Dienstreisen  werden  die 
Reisekosten  vergütet.  Der  Dieustvertrag  wird  auf  drei  Jahre  geschlossen 
und  nach  Verlauf  dieser  Frist  von  Jahr  zu  Jahr  stillschweigend  erneuert, 
den  Fall  einer  gegenseitig  drei  Monate  vor  Ablauf  der  Jahresfrist  zu  er¬ 
folgenden  Kündigung  ausgenommen.  Die  Gesuche  mit  dem  ärztlichen 
Diplome,  den  Nachweisen  über  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  über  die 
Keuntniss  der  kroatischen  und  italienischen  Sprache  und  über  andere  all¬ 
fällige  Qualificationen  sind  beim  Gemeindeamte  in  Gimino  bis  längstens 
15.  Juli  1.  J.  einzubringen. 

Städtische  Bezirksarztesstelle  II.  Classe  in  der  VI.  Rangs- 
classe  mit  dem  Jahresgehalte  von  2600  K,  dem  Quartiergelde  von  800  K 
und  dem  Ansprüche  auf  zwei  Quadriennien  ä  200  K  im  Status  de)  Stadt- 
physieates  der  Stadt  Wien,  Niederösterreich.  Bewerber  um  diese 
Stelle  haben  den  Nachweis  des  an  einer  inländischen  Universität  erlangten 
Diplomes  eines  Doctors  der  gesammten  Heilkunde,  ferner  einer  mindestens 
zweijährigen  spitalärztlichen  Dienstleistung  nach  der  Promotion,  einer 
gründlichen,  in  allen  Zweigen  der  medicinischen  Wissenschaft  erworbenen 
Ausbildung,  eventuell  der  Verwendung  im  staatlichen  Sanitätsdienste  zu 
liefern  und  das  Zeugniss  über  die  zur  Anstellung  im  öffentlichen  Sanitäts¬ 
dienste  vorgesehriebene,  mit  gutem  Erfolge  abgelegte  Physicatsprüfuug 
beizubringen.  Bewerber,  welche  nicht  im  städtischen  Dienste  stehen,  haben 
dem  Gesuche  ausserdem  den  Taufschein  oder  ein  Geburtszeugniss  und  den 
Nachweis  der  österreichischen  Staatsbürgerschaft;  diejenigen,  w'elche  nicht 
in  Wien  wohnen,  auch  noch  ein  behördliches  Leumundszeugniss  und  ein 
von  einem  Amtsärzte  ausgestelltes  Zeugniss  über  die  körperliche  Eignung 
anzuschliessen.  Auf  diese  Anstellung  finden  die  §§  1 — 3  der  Dienstprag¬ 
matik  für  die  Gemeiudebeamten  der  Stadt  Wien  Anwendung.  Bemerkt  wird, 
dass  die  Ausschreibung  für  das  ganze  Gemeindegebiet  von  Wien  erfolgt, 
demnach  die  Competenz  für  einen  einzelnen  bestimmten  Bezirk  nicht  zu¬ 
lässig  ist.  Der  Dienst  ist  nach  der  Ernennung  sogleich  anzutreten.  Die  für 
jeden  Bogen  mit  einer  1  K  Stempelmarke  zu  versehenden  Gesuche  um 
diese  Stelle  sind  bis  längstens  30.  Juni  1900,  12  Uhr  Mittags,  im  Ein¬ 
reichungsprotokolle  des  Wiener  Magistrates  zu  überreichen.  Auf  später  ein¬ 
langende  Gesuche  wird  keine  Rücksicht  genommen. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanitätsgemeindengruppe  Neusiedl 
a.  d.  Zaya.  Beiträge  der  Gemeinden  Neusiedl,  Hauskirchen,  Dober- 
mannsdorf  und  Palterndorf  400  K-  Landessubvention  400  K.  Natural- 
wohnung,  Hausapotheke.  Bewerber  um  diese  am  1.  Juli  zu  besetzende  Stelle 
wollen  ihre  Gesuche  au  die  Gemeindevorstehung  in  Neusiedl  a.  d.  Zaya, 
Post  Palterndorf,  Niederösterreich,  richten. 

Distrietsarztesstelle  in  Drachenburg,  Sleiermark.  Fixe 
Bezüge  2000  K.  Hausapotheke  erforderlich.  Bewerber,  welche  der  sloveni- 
schen  oder  einer  anderen  slavischen  Sprache  mächtig  sind,  wollen  ihre 
belegten  Gesuche  ehestens  an  den  Bezirksausschuss  in  Drachenburg 
einsendeu. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


587 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


IMHALT: 


Officielle«  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  15.  Juni  1900. 

Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  vom  8.  Juni  1900. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  3.  Mai  1900. 

Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung  vom  2G.  Januar,  2.  und 
9.  Marz  1900. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17.  — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  15.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Teleky. 

Schriftführer :  Dr.  E.  Knauer. 

Der  Vorsitzende  macht  der  Gesellschaft  Mittheilung  von  dem 
Ableben  des  Mitgliedes  Dr.  Hermann  Benedikt.  (Die  Versam¬ 
melten  erheben  sich  zum  Zeichen  der  Trauer  von  ihren  Sitzen.) 

Prof.  Weinlecliner  demoustrirt  einen  15jährigen  Burschen,  über 
welchen  er  in  der  letzten  Sitzung  in  Betreff  der  Strangulatio 
penis  mit  einer  stählernen  Schraubenmutter  Mit¬ 
teilung  machte.  Die  durch  die  Strangulation  bedingte  Hautgangrän 
ist  nun  bis  auf  eiuen  kleinen  Theil  geheilt.  Ferner  referirt  er  über  den 
in  der  vorletzten  Sitzung  besprochenen  Fall  von  ungewöhnlich  grossem 
Echinococcus  der  Milz  und  Leber,  welcher  sich  einer 
Radicaloperation,  welche  zum  Mindesten  in  einer  Exstirpation  der  Milz 
bestünde,  nicht  entsehliessen  kann  und  daher  inzwischen  au  mehreren 
Stellen,  wo  Eckblasen  sassen,  punctirt  und  wenn  Flüssigkeit  entleert 
werden  konnte,  mit  je  20  <j  Jodtinetur  injicirt  wurde.  An  der  Milz¬ 
gegend  geschahen  vier  Functionen,  sie  ergaben  zweimal  eine  mehr  weniger 
klare  Flüssigkeit,  an  einer  Stelle  war  der  Inhalt  solid,  wahrscheinlich 
von  Membranen  erfüllt ;  in  der  Lebergegend  waren  zwei  Functionen  vor¬ 
geblich;  durch  eine  Wunde  wurde  seröse  Flüssigkeit  entfernt.  Die  Reaction 
war  eine  minimale.  Späterhin  wurde  an  der  Milz  an  einem  grösseren 
Höcker  mit  einem  Hydrocelentroikart  punctirt  und  derselbe  liegen  ge 
lassen  und  späterhin  durch  den  F  lour  a  n  t’schen  Troikart  und  end¬ 
lich  durch  ein  ziemlich  dickes  Drainrohr  ersetzt.  Tag  für  Tag  wurde 
die  Höhle,  in  welche  man  anfänglich  mit  der  Sonde  22  cm  tief  ein- 
dringeu  konnte,  mit  Kochsalzlösung  ausgespült,  worauf  sich  Unmassen 
von  Eehinococcushlasen  bis  zur  Walnussgrösse  entleerten.  Sie  zwängten 
sieh  durch  die  eingelegte  Röhre  langgestreckt  durch,  bekamen  dann 
die  rundliche  Form  wieder  oder  lagen,  wenn  zersprengt,  wie  leere 
Weinbeeren  in  der  Tasse.  Skolices  wurden  jetzt  keine  gefunden. 
Eine  Sammlung  (l4  l)  Echinococcusblasen,  welche  in  den  letzten  zwei 
Tagen  abgingen,  wurden  demonstrirt.  Schliesslich  wurde  das  Drainrohr 
während  des  Ausspritzens  der  Höhle  entfernt,  worauf  das  Heraus- 
kommen  der  Blasen  erleichtert  war. 

Endlich  kam  zur  Demonstration  ein  34jähriger  Monteur,  welcher 
im  September  1899  von  einer  Leiter  3  m  tief  auf  die  Knie,  besonders 
auf  das  linke  fiel.  Seit  dieser  Zeit  hat  er  Schmerzen  heim  Gehen,  be¬ 
sonders  Morgens,  im  Verlaufe  des  Tages  hörten  sie  auf.  Seit  sieben 
Wochen  ist  das  linke  Knie  geschwellt.  Bei  der  Aufnahme  am 
2.  Mai  1.  J.  Schwellung  des  Kniegelenkes  handbreit  Uber  der  Patella 
und  weniger  weit  über  die  Patella  sich  erstreckend.  Ballotement  der 
Patella.  Streckung  schmerzlos,  Beugung  nur  bis  zu  90°  ohne  Schmerzen 
möglich.  An  der  Innenseite  der  Patella  fühlt  man  einen  etwa  3 — 4  cm 
langen  Wulst  sich  vordräugen,  der,  wenn  man  mit  dem  Finger  darüber 
streicht  und  walkt,  beim  Verlassen  des  äussersten  Randes  sich  zum 
grossen  Theil  hinter  der  Patella  versteckt.  Der  Wulst  fühlt  sich  klein- 
höckerig  an  und  ist,  so  weit  man  ihn  tasten  kann,  2 — 3  cm  breit.  Eine  etwa 
zwetschkenkerngrosse  Geschwulst  nimmt  man  aussen  zwischen  Patella¬ 
spitze  und  äusserem  Rand  des  Ligamentum  patellare  proprium  wahr. 
Es  wurde  angenommen,  dass  beide  Geschwülste  unter  dem  Ligamentum 
proprium  miteinander  Zusammenhängen.  Nach  wiederholter  Unter¬ 
suchung  wurde  die  Diagnose  auf  Lipoma  aborescens  gestellt 
und  vermuthet,  dass  die  Geschwulst  unter  der  Spitze  der  Patella  in 
der  Gegend  des  Ligamentum  patellare  proprium  im  unteren  Knie- 
gelenksantheil  ihren  Sitz  habe. 

Am  7.  Mai  d.  J.  wurde  die  Geschwulst,  die  an  einem  kleinen 
Stiel  befestigt  war  und  sich  mit  den  Fingern  leicht  auslösen  liess, 
exstirpirt  und  das  hiebei  eröffnete  Gelenk,  in  dem  circa  V-i  ^  serös- 
hämorrhagischer  Flüssigkeit  sieh  befand,  wieder  ohne  Drainage  ver¬ 
näht.  Heilung  per  primarn. 


Das  Piäparat  war  nach  seiner  Structur  ein  Lipom  von  stark 
gelblich  rother  Färbung,  an  den  Rändern  lappig,  mit  einem  Dicken- 
durchmesser  von  1  '/2  cm,  1 1  cm  lang  und  41/ ■>  cm  breit.  Die  Geschwulst 
war  nach  unten  und  aussen  mit  der  Gelenkskapsel  locker  verwachsen 
und  konnte  bis  auf  einen  kleinen  Stiel,  dem  man  ligirte  oder  ab- 
schnitt,  stumpf  ahgelüst  weiden.  Es  hatte  den  Anschein,  als  oh  die 
Geschwulst  normaler  Weise  so  situirt  lag,  dass  der  äussere  Antheil 
fast  um  einen  rechten  Winkel  nach  abwärts  gedreht  war. 

Patient  kann  gut  gehen,  kann  das  Knie  vollkommen  strecken, 
aber  nur  bis  zu  einem  YVinkel  von  130°  beugen. 

W  ein  le  ebner  erwähnt,  dass  er  schon  mehrere,  bedeutend 
grössere  derartige  Lipome  untersucht,  aber  keine  operirt  habe.  Dagegen 
erinnert  er  sich,  eigenthümliehe,  gestielte,  am  köpf  förmigen 
Ende  verknöcherte  Wucherungen  aus  dem  Kniegelenke 
eines  jungen  Mädchens  durch  den  Schnitt  und  die  flachen  Wuche¬ 
rungen  mittelst  Thermokauter  mit  gutem  Erfolg  und  Brauchbarkeit  des 
Beines  entfernt  zu  haben. 

Von  drei  operirten  Gelenksmäusen  ist  ein  F all  zur 
septischen  Zeit  gestorben  (Schn  h),  eine  subaqual  (nach  Nussbaum) 
von  Zigmondy  operirte  und  eine  vor  einigen  Jahren  von  ihm 
aseptisch  entfernte  genesen.  Im  letzten  Falle  bei  einer  Köchin  musste 
man  die  Kranke  aus  der  Narkose  aufwachen  lassen,  um  die  versteckte 
Maus,  welche  für  Weinlecli  ne  r  unauffindbar  war,  wieder  an  die 
Oberfläche  zu  bringen. 

Endlich  stellt  Weinlecliner  einen  20  Jahre  alten  Knecht 
vor,  welcher  bereits  im  Jahre  1896  wegen  angeborenen,  beider¬ 
seitigen  Hallux  valgus  hei  W  einlech  ne r  in  operativer 
Behandlung  stand.  Seine  Schwester  und  seine  Tante  wollen  an  einer 
ähnlichen  Fussdifformität  gelitten  haben.  Beide  Füsse  waren  platt;  der 
Kopf  des  Sprungbeines  und  das  Kahnbein  standen  nach  innen  stark 
vor,  und  die  inneren  Fussränder  waren  stark  eoncav.  Der  Hallux 
valgus  war  links  stärker  ausgeprägt  als  rechts.  An  beiden  Füssen 
wurde  die  Resection  des  Köpfchens  des  Mittelfussknocliens  der  grossen 
Zehen  links  Anfangs  März  1896  in  der  Länge  von  gut  3  cm  und 
rechts  kaum  3  cm  Anfangs  Mai  vorgenommen.  Mitte  October  1896 
wurde  Patient  geheilt  entlassen.  Am  20.  April  1.  J.  liess  er  sich  wegen 
einer  beginnenden  rechtsseitigen  Leistenhernie 
wieder  aufnehmen.  Bei  dieser  Gelegenheit  fand  man  die  rechte  Zehe 
so  schön  geheilt  und  beweglich,  dass  Weinlecliner  die  da¬ 
selbst  vorgenommene  Operation  bezweifelte.  Die  linke  grosso  Zehe  war 
wider  Erwarten  verkürzt,  aber  frei  beweglich.  Die  Verkürzung  er¬ 
klärte  sieh  hei  genauer  Untersuchung  dadurch,  dass  die  erste  Phalanx 
neben  dem  resecirten  Mittelfussknocheu  nach  innen  und  rückwärts  ver¬ 
schoben  und  subluxirt  war.  Durch  Zug  liess  sie  sich  beträchtlich  ver¬ 
längern. 

In  der  rechten  Inguinalgegend  hatte  er  eine  interstitielle 
Hernie,  hei  welcher  Weinlecliner  die  Vorwölbung  am 
11.  Mai  1.  J.  nach  Witzei  durch  eine  fortlaufende  Silberdrahtnaht 
in  querer  Richtung  der  Pfeiler  vereinigte  und  durch  Anlegung  von 
parallel  mit  den  Pfeilern  verlaufenden  Nähten  ein  Silber  drahtgitter 
einfügte.  Durch  dieses  wird  bis  nun  jedwede  Vorwölbung  hintangehalten, 
ja  es  kommt,  wenn  sich  der  Patient  frei  ohne  Stütze  autsetzt,  sogar 
zu  einer  massigen  Einziehung  während  der  Wirkung  der  Bauchpresse 
an  dieser  Stelle.  Dieses  Gitter  genirte  den  Kranken,  als  er  aufstand, 
nur  durch  einige  Tage;  jetzt  ist  er  vollkommen  zufrieden. 

Zum  Schlüsse  stellte  Weinlecliner  einen  49  Jahre  alten 
Bauer,  wohnhaft  in  Paasdorf  in  Niederösterreich  vor,  welcher  am 
29.  November  vorigen  Jahres  von  einem  Wagen  überfahren  wurde, 
wobei  er  sieh  eine  offene  offene  Fractur  des  linken  Unter¬ 
schenkels  zuzog. 

Es  wurde  ein  Schienenverband  angelegt.  In  der  sechsten  V  oclie 
nach  dem  erlittenen  Unfälle  bemerkte  man  unter  dem  Verbände, 
welcher  heftiger  Schmerzen  wegen  abgenommen  wurde,  an  der  Bruch¬ 
stelle  eine  Geschwulst,  welche  von  wechselnder  Grösse  war.  Lei  der 
Aufnahme  am  9.  April  d.  J.  fand  man  den  linken  Unterschenkel  in 


588 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


toto  angosclnvollen,  in  der  Mitte  desselben  eine  bedeutende  Anschwel¬ 
lung  mit  glänzender,  fluctuirender  Hautdecke.  An  der  medialen  und 
lateralen  Seite  des  Unterschenkels,  entsprechend  der  Tibia  und  Fibula, 
war  ein  stark  entwickelter  Callus  zu  fühlen.  Zwischen  beiden  lag  die 
fluctuirende  Geschwulst,  und  2  cm  oberhalb  derselben  war  eine  2  cm 
lange,  quer  verlaufende  Narbe  zu  sehen.  Weinlechner  hielt  die 
Geselnvulst  für  einen  Abscess,  machte  eine  Incision,  worauf  sich  tlieils 
flüssiges,  tlieils  altes  coagulirtes  Blut  entleerte.  Nun  gelangte  er  zur 
Ueberzeugung,  dass  ein  diffuses  traumatisches  Aneurysma 
vorliege.  Sofort  wurde  ein  Gummischlauch  oberhalb  angelegt  und  die 
sehr  unregelmässig  begrenzte  Höhle  von  allen  Coagulis  gereinigt, 
worauf  man  die  stark  arrodirte  Tibia  und  Fibula,  und  zwischen  diesen 
Knochen  und  der  Wadenmusculatur  der  Fibula  angelagert,  die  A  r- 
teria  tibialis  antica  mit  einem  linsengrossen  Loche 
versehen  vorfand.  Beim  Lockern  des  Schlauches  sprang  hier  arterielles 
Blut  hervor.  Die  Arterie  wurde  ober-  und  unterhalb  der  Oeffnung 
ligirt  und  das  Mittelstück  durchtrennt.  Die  Höhle  wurde  mit  Jodoform¬ 
tanningaze  austamponirt  und  aus  der  Mitte  der  Wunde  herausgeleitet. 
Die  Ränder  der  Wunde  an  den  beiden  Enden  'vernäht.  Fieberloser 
Verlauf.  Die  Höhle  ist  jetzt  vollständig  geschlossen  und  die  äussere 
Wunde  bis  auf  einen  kleinen  Granulationsstreifen  geheilt.  Patient  geht 
herum,  es  besteht  keine  Verkürzung,  eher  eine  Verlängerung  um  1  cm. 
Der  Peroneus  profundus  mag,  sei  es  durch  die  Fractur,  sei  es  durch 
das  Aneurysma,  gelitten  haben,  da  die  Sensibilität  an  der  grossen  und 
zweiten  Zehe  herabgesetzt  ist. 

Es  scheint,  dass  das  Loch  durch  einen  spitzen  Knochen  erzeugt 
wurde.  Das  Aneurysma  hat  sich  erst  nach  sechs  Wochen  durch  die 
Schwellung  bemerkbar  gemacht.  Hätte  man  an  ein  Aneurysma  gedacht 
und  auscultirt,  so  hätte  man  dasselbe  vor  dem  Einschnitt  ohne  Zweifel 
nachweisen  können.  Wäre  die  Tibialis  antica  ganz  durchstossen  worden, 
und  hätte  sie  sich  gut  zurückziehen  können,  so  hätte  auch  Heilung 
ohne  Aneurysma  entstehen  können.  Indess  erinnert  sich  Wein¬ 
lechner  an  einen  Fall,  bei  welchem  bei  Durchreissung  einer  Unter- 
schcnkelarterie  sich  so  viel  Blut  ergoss,  dass  wegen  Mangel  der  Circu¬ 
lation  Gangrän  eintrat. 

Bei  der  gewaltsamen  Streckung  eines  ankylosirten  Kniegelenkes 
hat  We  inlechner  einmal  ein  Aneurysma  der  Arteria  poplitea  be¬ 
obachtet,  und  ein  anderes  Mal  ist  nach  unter  lautem  Gekrach  gelun¬ 
gener  Streckung  des  eontracten  Kniegelenkes  der  Unterschenkel  sofort 
leichenfarbig  geworden  und  es  musste  später  wegen  trockener 
Gangrän  der  Unterschenkel  amputirt  werden.  Diese  beiden  Fälle  sind 
genesen. 

In  dem  letzten  Falle  ist  die  Arteria  poplitea  gänzlich  durch- 
rissen  worden. 

Schiff  und  Freund  demonstriren  in  Dr.  E  Schiffs  Institut 
für  Radiographie  und  Radiotherapie  13  mit  Röntgen  behan¬ 
delte  Patienten,  und  zwar: 

2  Fälle  von  Favus, 

4  „  „  Lupus  vulgaris, 

3  „  „  Sykosis, 

1  Fall  „  Lupus  erythematodes, 

3  Fälle  „  Hypertrichosis. 

Seit  den  letzten  Mittheilungen  über  diesen  Gegenstand  lag  es 
in  der  Absicht  S  c  h  i  f  f’s  und  F  r  e  u  n  d’s,  weniger  neue  Indieationen 
für  die  Radiotherapie  aufzustellen,  als  vielmehr  die  bisherigen  Er¬ 
fahrungen  zu  vervollkommnen  und  auf  Grund  derselben  Verein¬ 
fachungen,  respective  Verbesserungen  der  Methodik  einzuführen.  Bei 
dem  gegenwärtigen  Stande  der  Beobachtungen  lässt  sich  Folgendes 
sagen  : 

Lupus  und  Hypertrichosis  sind  Affectionen,  die  mittelst  der 
Röntgen-  Bestrahlung  unzweifelhaft  radical  zu  beseitigen  sind, 
doch  erfordern  dieselben  eine  längere  (bei  Hypertrichosis  D/2  Jahre 
dauernde,  jedoch  intermittirende,  bei  Lupus  eiue  continuirliche)  metho¬ 
dische  Behandlung.  Bei  beiden  Affectionen  ist  aber  schon  nach  kurzer 
Zeit  ein  Effect  constatirbar,  der  dem  günstigen  Endresultate  vollkommen 
ähnelt. 

Dieser  ändert  sich  während  der  ganzen  übrigen  Behandlungs¬ 
dauer  bei  Consequonz  des  Patienten  nicht;  unterbricht  jedoch  der 
Patient  die  Behandlung,  so  treten  Recidiverscheinungen  auf.  Die  fort¬ 
gesetzte  monatelange  Bestrahlung  der  normalen  Haut  bringt  un¬ 
zweifelhaft  atrophische  Erscheinungen  in  derselben  hervor,  welche  sich 
durch  geringe  Unterschiede  in  der  Farbennuance  und  winzige  punkt¬ 
förmige  Depressionen  äussern. 

Diese  durchaus  nicht  auffälligen  Veränderungen  müssen  jedoch 
als  Folgeerscheinungen  der  Bestrahlung  aufgefasst  und  die  Patienten 
darüber  belehrt  werden,  dass  solche  eventuell  auftreten  können. 
Hervorgehoben  muss  werden,  dass  solche  atrophische  Veränderungen 
keineswegs  so  entstellend  wirken,  wie  die  durch  Elektrolyse  erzeugten 
Narben.  In  Anbetracht  des  letzteren  Umstandes,  sowie  der  Thatsache, 
dass  umfangreiche  Hautbezirke  in  kurzer  Zeit  bereits  enthaart  sein 
können  und  in  absehbarer  Zeit  ein  wirklich  definitives,  brauchbares 


Resultat  zu  erzielen  ist,  stellen  wir  folgende  Indication  bei  Hyper¬ 
trichosis:  Für  kleine  behaarte  Hautmäler,  Warzen  etc.  wäre  die  Elek¬ 
trolyse  vorzuziehen,  grosse  behaarte  Hautpartien  sind  unbedingt  mit 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen  zu  behandeln  und  dies  mit  Rücksicht  auf  die 
Schmerzlosigkeit,  das  unauffällige,  die  Patienten  nicht  in  ununter¬ 
brochener  Behandlung  haltende  und  wesentlich  kürzere  Verfahren  gegen¬ 
über  der  Elektrolyse.  (Demonstration  ven  Patienten.) 

Bei  Lupus  vulgaris  haben  wir  die  letzten  Fälle  mit  bedeutend 
weniger  Energie,  und  zwar  nur  mit  Sitzungen  von  fünf  bis  zehn  Minuten 
Dauer,  behandelt.  Unter  diesen  Verhältnissen  blieb  eine  entzündliche 
Reaction  fast  vollständig  aus,  nichtsdestoweniger  machte  sich  der 
günstige  Einfluss  der  Bestrahlung  ebenso  geltend,  wie  bei  der  früheren 
intensiven  Behandlung.  Als  Beweis  hiefür  wird  ein  Patient  aus  der 
Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Neumann  demonstrirt,  dessen 
Gesicht  zum  grössten  Theile  von  einem  exulcerirten  und  stark  infil- 
trirten  Lupusherde  eingenommen  war,  welcher  sich  auf  die  Nasen-  und 
Mundschleimhaut  fortsetzte  und  die  Functionen  dieser  Organe  stark 
beeinträchtigte.  Patient  war  für  die  Operation  und  Plastik  bestimmt, 
wurde  aber  hiefür  von  einer  Abtheilung  des  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  abgelehnt.  Der  Patient  wurde  uns  nun  vor  fünf  Wochen  zu¬ 
gewiesen.  Nachdem  die  frambösieformen  Wucherungen  an  den  Mund¬ 
winkeln  mit  dem  scharfen  Löffel  entfernt  worden,  wurde  Patient 
täglich  durch  fünf  Minuten  bestrahlt.  Wiewohl  der  Kranke  gegenwärtig 
noch  keineswegs  als  geheilt  zu  betrachten  ist,  und  man  noch  deutliche 
Lupusknötchen  bei  ihm  bemerken  kann,  ist  der  Unterschied  zwischen 
seinem  jetzigen  und  dem  ursprünglichen  Status,  wie  aus  der  Photo¬ 
graphie  zu  constatiren,  ein  auffälliger:  die  infiltrirten  Partien  zumeist 
abgeflacht,  der  ganze  Herd  von  zahlreichen,  flachen,  breiten  Narben¬ 
streifen  durchzogen,  die  Uebergänge  von  der  Haut  zu  den  Schleim¬ 
häuten  normal.  Ein  anderer  Fall  zeigt  nach  39  Sitzungen  ein  ähnliches 
günstiges  Resultat,  obzwar  keinerlei  operative  Eingriffe  vorgenommen 
wurden.  Derselbe  wurde  vor  einigen  Jahren  von  einem  Chirurgen 
schon  mittelst  Exstirpation  und  Transplantation  behandelt,  doch  traten 
in  dem  operirten  narbigen  Gebiete  sehr  umfangreiche  Recidiven  und 
Exulcerationen  auf  (Demonstration  von  Photographien).  Diese  Partien 
sind  gegenwärtig  nach  der  Röntgen-  Behandlung  vernarbt  und  wenn 
auch  in  denselben  noch  Knötchen  zu  constatiren,  so  muss  doch  immer¬ 
hin  das  gegenwärtige  Resultat  als  zufriedenstellend  betrachtet  werden; 
wir  zweifeln  nicht,  dass  eine  Fortsetzung  dieser  bisher  kurzen  Behand¬ 
lung  auch  die  gegenwärtig  noch  vorhandenen  kiaukbaften  Erscheinungen 
zum  Schwinden  bringen  werde. 

Gibt  die  Radiotherapie  bei  Lupus  und  Hypertrichosis  schon  so 
günstige  Erfolge,  so  müssen  wir  ihre  Resultate  bei  Sykosis  und  Favus 
als  überraschend  und  auf  das  Vortheilhafteste  sich  von  jenen  unter¬ 
scheidend,  die  mit  anderen  Methoden  erzielt  werden,  bezeichnen.  Wir 
konnten  bei  äusserst  chronischen,  Jahrzehnte  lang  dauernden  und 
wiederholt  von  verschiedenen  Seiten  behandelten  Processen  in  wenigen 
Wochen  eine  vollständige  Abheilung  beobachten.  Die  kranken  Haut¬ 
stellen  werden  in  der  gewöhnlichen  Weise  bestrahlt  und  nach  Ausfall 
der  Haare  mit  irgend  einer  Salbe  oder  einem  Fette  bestrichen.  (De¬ 
monstration  von  Kranken  aus  den  Ambulatorien  der  Hofräthe  Kaposi 
und  Neumann.)  Wir  können  nicht  umhin,  diese  Methode  nochmals 
besonders  für  jene  Gegenden  zu  empfehlen,  wo  mykotische  Affectionen 
des  Haarbodens  endemisch  Vorkommen. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  zweier  Erscheinungen  Erwähnung  gethan, 
die  wir  als  Folgen  sehr  intensiver  Bestrahlung  beobachteten.  Die  erste 
betrifft  ein  Fräulein,  das  in  Russland  im  Gesichte  röntgensirt  wurde 
und  eine  heftige  Dermatitis  davon  trug;  nach  Abheilung  der  letzteren 
bildete  sich  im  Gesichte  und  an  der  Brust  eine  grosse  Narbe,  in 
welcher  Gefässneubildungen  in  Form  zahlreicher  Teleangiektasien  auf¬ 
traten.  Das  zweite  auffällige  Symptom  constatirten  wir  bei  einem 
Kranken,  der  wegen  Lupus  im  Gesichte  bestrahlt  wurde  und  bei  dem 
an  einer  Schläfe  eine  accidentelle  Alopecie  auftrat.  Obgleich  hier 
sonst  keine  weiteren  Entzündungserscheinengen  bemerkbar  wurden, 
entwickelte  sich  eine  überaus  intensive  Pigmentation  an  dieser  Stelle. 
Wir  erinnern  übrigens,  dass  wir  schon  früher  auf  die  Alteration  des 
Pigmentes  in  der  Haut  und  in  den  Haaren  aufmerksam  gemacht 
haben.  Schiff  und  Freund  verweisen  zu  wiederholten  Malen 
darauf,  dass  bei  der  Röntgen-  Bestrahlung  jede  auffällige  Reaction 
vermeidbar  ist  und  Dermatitiden  unter  normalen  Verhältnissen  und  bei 
Einhaltung  der  richtigen  Methodik  nicht  mehr  befürchtet  zu  werden 
brauchen. 

Dr.  Robert  Breuer  hält  seinen  Vortrag:  Beitrag  zur 
Aetiologie  der  Basedo  w’schen  Krankheit  und  des 
Thyreoidismus.  (Der  Vortrag  erscheint  als  Originalmittheilung 
in  der  Wiener  klinischen  Wochenschrift.) 

Der  Vorsitzende  schliessf,  nachdem  sich  die  Mitglieder  durch 
Erheben  der  Hände  damit  einverstanden  erklärt  haben,  die  letzte 
Sitzung  vor  den  Ferien. 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


689 


Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  vom  8.  Juni  1900. 

Prof.  Dr.  Englisch:  (Fortsetzung  seines  Vortrages.) 

Wie  verhält  es  sich  nun  bei  vergrösserten  Vorsteherdrüsen? 
Wir  finden  genau  dieselben  Verhältnisse  vor. 

1.  Vorsteherdrüsen  mit  zwei  seitlichen  Lappen  ohne  Mittel¬ 
lappen, 

a)  von  gleicher  Grösse, 

b)  von  ungleicher  Grösse,  bald  der  rechte,  bald  der  linke 
grösser. 

Besonders  schön  lassen  sich  diese  Verhältnisse  an  rein  aus¬ 
geschälten  Vorsteherdrüsen  zeigen.  Sogar  jene  Form,  bei  welcher  sich  der 
eine  oder  beide  Lappen  gegen  den  Harnröhrencanal  vorwölben,  finden 
sich  vorgebildet.  Die  verschiedensten  Formen  finden  sich  aber  bei  Vor¬ 
steherdrüsen  mit  drei  Lappen  vor. 

Da  es  unmöglich  ist,  alle  an  Präparaten  darstellbaren  Formen 
in  der  Versammlung  vorzuführen,  da  dieses  viel  zu  viel  Zeit  in  An¬ 
spruch  nehmen  würde,  so  sollen  nur  die  vorzüglichsten  Formen  vor¬ 
gelegt  werden. 

Wir  unterscheiden: 

1.  Vergrösserung  des  mittleren  Lappens,  ohne  Vergrösserung 
der  beiden  Seitenlappen;  letztere  wieder  d)  gleich,  b)  ungleich. 

2.  Vergrösserung  beider  Seitenlappen  bei  kleinen  mittleren 
Lappen.  Seitenlappen  a )  gleich,  b)  ungleich. 

3.  Vergrösserung  aller  drei  Lappen: 

a )  alle  gleichmässig, 

b)  der  mittlere  Lappen  über  wiegt;  derselbe  ist  schon  an 
kleinen  Vorsteherdrüsen  deutlich  nachweisbar  und  bildet 

a)  einen  gestielten  Lappen,  d.  h.  einen  solchen,  welcher 
mit  schmaler  Basis  dem  hinteren  Umfange  der  inneren  Harnröhren- 
öffnung  aufsitzt  und  sich,  allmälig  an  Breite  abnehmend,  bis  zum 
Samenhügel  fortsetzt; 

ß)  der  mittlere  Lappen  bildet  eine  Art  Wall  um  die 
innere  Harnröhrenöflfnung,  und  zwar  beide  entweder  gleichmässig,  oder 
durch  Einschnitte  in  mehrere  Theile  gesondert. 

Alle  diese  Formen  lassen  sich  an  den  vorliegenden  Präparaten 
von  der  kleinsten  Vorsteherdrüse  mit  zur  weitgehendsten  Vergrösserung 
verfolgen,  so  dass  die  Präparate  eine  zusammenhängende  Kette 
bilden. 

Wenn  wir  demnach  das  Vorstehende  zusammenfassen,  so  er¬ 
gibt  sich  : 

1.  Die  verschiedensten  Formen  der  Vorsteherdrüse  finden  sich 
vom  Neugeborenen  durch  alle  Altersstufen. 

2.  Dieselben  Formen  finden  sich  in  kleinen  Vorsteherdrüsen  und 
vergrösserten. 

Die  äussere  Form  der  vergrösserten  Vorsteher¬ 
drüsen  findet  sich  schon  im  Neugeborenen  vor¬ 
gebildet,  d.  h.  die  äussere  Form  der  vergrösserten 
Vorsteherdrüsen  ist  in  der  Anlage  derselben  be¬ 
gründet. 

Selbst  die  excessivsten  Formen,  sowie  seltene  Formen,  zeigen 
dieselbe  Anlage. 

Zum  Beweise  der  Begründung  der  Form  in  der  Anlage  können 
jene  Präparate  angeführt  werden,  wo  sich  im  prostatischen  Theile  am 
Winkel  der  horizontalen  mit  dem  aufsteigenden  Theile  eine  nach  hinten 
gerichtete  Ausbuchtung  findet.  Diese  Ausbuchtung,  als  der  ver¬ 
grösserten  Vorsteherdrüse  angehörig  und  mit  der  Vergrösserung  ent¬ 
standen,  findet  sich  schon  bei  Neugeborenen. 

Was  Vergrösserung  in  ihren  grössten  Durchmessern  anlangt,  so 
gibt  die  Betrachtung  der  Präparate: 

1.  Dass  Vorsteherdrüsen  mit  blos  zwei  Lappen  keine  solche 
Grösse  erreichen,  als  dreilappige. 

2.  Jene  Vorsteherdrüsen  werden  umso  grösser,  in  welchen  die 
Drüsensubstanz  überwiegt.  Daher  die  adenoide  Form  die  grössten 
Exemplare  aufweist,  die  geringsten  Vergrösserungen  jene,  in  welchen 
die  Muskelmasse  überwiegt. 

Da  die  dreilappigen  Vorsteherdrüsen  ent¬ 
schieden  schon  in  der  Entwicklung  eine  grössere 
Vitalität  zeigen,  als  die  zweilappigen,  so  lässt  sich 
die  enorme  Grösse,  welche  dreilappige  Vorsteher¬ 
drüsen  erreichen  können,  aus  grösserer  Vitalität 
derselben  gegenüber  den  zweilappigen  erklären. 

In  einom  zweiten  Vortrage  werden  die  näheren  anatomischen 
Verhältnisse  in  Betrachtung  gezogen  werden,  sowie  jene  Umstände, 
welche  auf  die  Vitalität  Einfluss  nehmen  können. 

Dazu  kommen  noch  Formen,  die  in  einer  excessiven  Anlage  des 
einen  oder  anderen  Lappens  begründet  sind.  Auch  für  diese  Formen 
wurden  die  entsprechenden  Reihen  der  Präparate,  wie  für  alle  obigen 
Darstellungen,  vorgelegt. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  3.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Docent  Dr.  Rotli. 

Schriftführer  :  Dr.  Karl  AI  ülloi*. 

I.  Dr.  Ebstein  demon  strirt  ein  Compressorium 
für  Blutungen  nach  Tonsillotomie,  angegeben  von 
Dr,  Michele  Depangher  in  Triest. 

Das  vorliegende  Instrument  besteht  aus  zwei,  in  einem  Charnier 
beweglichen  flachen  Armen,  die  geschlossen  eine  langgestreckte  Huf¬ 
eisenform  haben.  An  der  Grenze  des  hinteren  und  mittleren  Drittels 
wird  die  (beim  Einfuhren  des  Instrumentes  zu  öffnende)  Verbindung 
zwischen  den  Armen  durch  eine  bewegliche  Flügelschraube  hergestellt, 
welche  nach  Einsenken  in  einen  Spalt  durch  Zuschrauben  die  Arme 
einander  nähert.  Am  vorderen  Ende  der  Arme  ist  je  ein  2  cm  langer 
Schlitz  angebracht,  der  die  Pelotten  trägt.  Beide  sind  dadurch  um 
diese  Distanz  gegeneinander  verschiebbar.  Die  äussere,  an  den  Kiefer¬ 
winkel  anzulegende,  ist  halbmondförmig  gebogen,  die  innere  ist  eine 
schräg  auf  dem  Führungsstab  aufsitzende  runde  Platte,  die  mit  Jodo¬ 
formgaze  zu  polstern  ist.  Durch  diese  geneigte  Stellung,  die  mittelst 
einer  Schraubenmutter  nach  verschiedenen  Richtungen  gewendet  werden 
kann,  soll  bezweckt  weiden,  dem  Orte  der  Blutung  das  Instrument 
genauestens  anzupassen.  Dies  soll  auch  dadurch  unterstützt  werden, 
dass  durch  geeignete  Fixirung  der  beiden  Pelotten  in  verschiedenen 
Frontalebenen  mit  Hilfe  der  beiden  Schlitze  eine  senkrechte  Druck¬ 
richtung  resultirt. 

Discussion:  Docent  Dr.  L.  R  e  t  h  i :  Bei  dem  vorgezeigten 
Apparate  sind  —  von  vornherein  wenigstens  —  die  grosse  Beweglich¬ 
keit  der  einzelnen  Theile  und  die  vielen  zum  Fixiren  bestimmten 
Schrauben  kein  Vorzug  gegenüber  dem  M  i  k  u  1  i  c  z’schen  Compressor. 
Bei  Instrumenten,  die  energisch  zugreifen  und  wirken  sollen,  ist  es 
besser,  wenn  sie  möglichst  aus  einem  Stücke  gearbeitet  sind.  Von 
Vortheil  könnte  wohl  die  excentrisch  angebrachte  und  nach  verschiedenen 
Richtungen  einstellbare  grösste  Convexität  der  Pelotte  sein,  aber  ob 
sie  auch  ganz  genau  auf  der  blutenden  Stelle  festgehalten  werden  kann, 
ist  fraglich;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so  geht  der  Vortheil  einer  ex¬ 
centrisch  angebrachten  Convexität  verloren  und  ist  eine  Pelotte  mit 
gleichmässig  convexer  Oberfläche  vorzuziehen. 

Docent  Dr.  M.  Hajek:  Ich  kann  natürlich  nicht  sagen,  ob  die 
von  Dr.  Ebstein  hervorgehobenen  Modifieationen  des  demonstrirten 
Instrumentes  sich  in  der  Praxis  als  Vortheile  erweisen  werden.  Ich 
möchte  nur  kurz  über  zwei  Fälle  von  Tonsillarblutung  referiren.  In 
einem  Falle  konnte  ich  die  Blutung  auch  durch  das  M  i  k  u  1  i  c  z’sche 
Compressorium  nicht  stillen;  trotz  zwölfstündigen  Verharrens  des  Com- 
pressoriums  sickerte  das  Blut  von  allen  Seiten  hervor.  Da  kam  mir 
die  Idee,  durch  Hervordrängen  der  Weichtheile  in  der  Submaxillar- 
gegend  der  blutenden  Seite  gegen  den  Pharynx  zu  die  blutenden 
Stellen  besser  zugänglich  zu  machen,  und  nach  Abtupfen  mittelst 
Peans  die  blutenden  Partien  en  masse  zu  fassen,  was  mir  auch 
gelang.  Nach  Verweilen  der  Peans  zwei  Stunden  hindurch  stand  die 
Blutung  vollkommen.  Auf  Grund  dieser  Erfahrung  wandte  ich  die 
beschriebene  Methode  in  noch  einem  Falle  an,  ebenfalls  mit  gutem 
Erfolge. 

Dr.  Weil  wendet  zur  Stillung  schwerer  Nachblutungen  nach 
Tonsillotomie  einen  sehr  einfachen,  und  wie  ihm  scheint,  wenig  be¬ 
kannten  Kunstgriff  an.  Er  stellt  aus  gewöhnlichem  weichem  Brennholz 
einen  Wattepinsel  her,  drückt  die  mit  Tannin  oder  Alaunpulver 
reichlich  bestreute  Watte  fest  gegen  die  blutende  Stelle  und  lässt  dann 
den  Kranken  kräftig  zusammenbeissen  und  so  den  Pinsel  an  seinem 
breiten,  mehr  spatelförmigen  äusseren  Ende  durch  die  Eck-  und 
Backenzähne  der  entgegengesetzten  Seite  fixiren;  er  hat  Operirte  bis 
zu  zwei  Stunden  so  sitzen  lassen  und  bisher  noch  niemals  noting 
gehabt,  ein  Compressorium  anzuwenden.  Zwischendurch  kann  man  auch 
Trichloressigsäure  appliciren,  die  in  mittelschweren  Fällen  allein 
ausreicht. 

Docent  Dr.  L.  R  e  t  h  i :  Das  Fassen  der  blutenden  Stelle  ist  in 
Fällen,  in  denen  eine  mehr  oder  weniger  vollständige  Entfernung  der 
Tonsille  vorgenommen  wurde,  nicht  leicht  möglich,  namentlich  dann, 
Avenn  die  Abtragung  in  der  Ebene  der  Kapsel  stattfand;  und  gerade 
in  diesen  Fällen  kann  es  zu  stärkeren  Blutungen  kommen,  weil  das 
Lumen  des  Gefässes,  wie  O.  Zuckerkandl  zeigte,  durch  die  straffe 
Kapsel  offen  erhalten  wird. 

Docent  Dr.  Hajek:  Die  Untersuchungen  Zuckerkand  l’s 
über  die  Tonsillarblutung  geben  Aufschluss  über  die  Ursache  und 
nicht  über  die  Stillung  der  Blutung.  Warum  die  Blutung  in  einzelnen 
Fällen  sehr  stark  ist,  lässt  sich  ja  gleich  nach  der  Tonsillotomie  selten 
feststellen,  und  es  eväre  auch  sehr  miissig,  darüber  Untersuchungen 
anzustellen,  da  man  ja  die  Blutung  stillen  soll.  Ob  die  Blutung  aus 
den  Tonsillenresten  oder  aus  der  verletzten  Kapsel  der  Tonsille  her¬ 
rührt,  ist,  w’enn  man  das  Gewebe  en  masse  fasst,  gleichgiltig.  Haupt¬ 
sache  ist  Compression  der  blutenden  Partien. 


590 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  25 


Dr.  Ebstein:  So  weit  ich  meinnr  Meinung  vor  einer  Erpro¬ 
bung  des  Instrumentes  Ausdruck  geben  darf,  möchte  ich  die  An¬ 
bringung  einer  in  verschiedener  Stellung  zu  fixirenden  und  zu  neigenden 
inneren  Pelotte  als  sehr  zweckmässig  betrachten.  Ein  Druck  nach 
einem  gewissen  Punkte  hin  erscheint  dadurch  gewiss  möglich.  Im 
Uebrigen  muss  natürlich  die  Erprobung  den  praktischen  Werth  er¬ 
weisen. 

II.  Dr.  Ebstein  berichtet  ferner  über  einen  Fall 
der  Klinik,  bei  dem  de  n  E  rscheinungen  eines  E  m- 
])  v  e  m  s  der  hinteren  Siebbeinzellen  und  Keilbein- 
höhle  eine  ausgebreitete  Caries  tuberculosa  des 
Keilbeines  zu  Grunde  lag. 

Der  25jährige  Patient,  der  seit  vier  Jahren  an  eiterigem  Aus¬ 
flüsse  aus  der  rechten  Nase  und  Kopfschmerzen  litt,  wiederholt 
anderwärts  operirt  worden  war,  kam  am  21.  Februar  zur  Aufnahme, 
und  bot,  abgesehen  von  Dämpfung  über  dem  linken  überlappen  der 
Lunge  und  Tuberkelbacillen  im  Sputum,  rec.hterseits  einen  Nasen¬ 
befund,  der  zur  Annahme  eines  hinteren  Siebbeinempyems,  eventuell 
mit  Keilbeinhöhlenempyem  verbunden,  berechtigte.  Das  vordere  Drittel 
der  mittleren  Concha  fehlte,  der  mittlere  Nasengang  vorne  mit  glatter 
Schleimhaut  überzogen. 

Hei  der  Rhinoscopia  posterior  war  ersichtlich,  dass  der  Strom 
des  Eiters  sich  aus  dem  oberen  Nasengang  herleitete. 

Die  eingeleitete  Therapie  bestand  zunächst  darin,  dass  die 
Granulationen  im  hinteren  Theile  des  mittleren  Nasenganges  und  der 
restliche  Theil  der  mittleren  Muschel  abgetragen  wurden.  Aus  den  er- 
öffneten  Siebbeinzellen  entleerte  sich  eine  Menge  Eiter;  auch  aus  der 
Keilbeinhöhle  liess  sich  eiteriges  Secret,  ausspritzen.  Auffallend  war 
schon  zu  dieser  Zeit  eine  Rauhigkeit  der  vorderen  Keilbeinfläche.  Das 
stinkende  Secret  entsprach  dem  bei  einer  Knochennekrose,  und  war 
sehr  reichlich.  Entsprechende  Nachbehandlung  in  der  Folge. 

Seit  Mitte  März  begann  Patient  unter  Verschlechterung  dos 
Lungenbefundes  heftig  zu  fiebern.  Gegen  Ende  März  konnte  ein  ge¬ 
lockertes  Knochenstück  in  der  Keilbeingegend  constatirt  werden, 
welches,  entfernt,  eine  Länge  von  2  cm,  Breite  lcm  zeigte.  Von  da  an 
nahm  Secret  und  Fötor  ab,  der  quälende  Kopfschmerz  verschwand 
vollständig. 

In  den  ersten  Tagen  des  April  klagte  Patient  über  Schmerzen 
in  der  Halswirbelsäule  und  Schwerbeweglichkeit  des  Kopfes.  Unter 
einer  Febris  continua  in  der  nächsten  Woche  rapider  Verfall  unter 
Zunahme  der  Schmerzen.  Der  Kranke  konnte  sich  ohne  Stützung  des 
Kopfes  überhaupt  kaum  bewegen.  Am  16.  April  trat  Regurgitiren  der 
Speisen  unter  grossen  Schmerzen  auf.  Die  Untersuchung  zeigte  damals 
eine  an  der  hinteren  Pharynxwand  bis  zum  Larynx  hinabreichende, 
düster  geröthete  Mucosa,  eine  convexe  Vorwölbung  von  teigig  weicher 
Consistenz  nebst  starker  Druckschmerzhaftigkeit.  Unter  den  Erschei¬ 
nungen  der  Herzparalyse  starb  Patient  am  19.  April. 

Die  Obduction  ergab  nekrotisirende  Caries  tuberculosa  des 
Keilbeines,  den  Körper  desselben  von  käsigen  Massen  durchsetzt, 
eiterig-jauchige  Affection  der  Keilbeinhöhle  und  der  Siebbeinzellen, 
absteigende  retropharyngeale  stinkende  Phlegmone.  Cariöse  Ver¬ 
änderungen  im  Epistropheus.  Beginnende  Pachymeningitis  in  der 
hinteren  Schädelgrube.  Im  Uebrigen  fanden  sich  tuberculöse  Erkran¬ 
kungen  in  den  Lungen,  den  Lymplidrüsen,  im  Darme. 

Von  grossem  Interesse  ist  bei  dem  Falle  der  Umstand,  dass  die 
Erscheinungen,  die  der  Patient  zunächst  bot,  die  eines  chronischen 
Empyems  waren,  und  dass  erst  der  weitere  Verlauf  einen  cariösen 
Process  auf  tuberculöser  Grundlage  erwies.  Nach  dem  Obductions- 
befunde  ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  Patient  beim  Fortschreiten  des 
Processes  an  einer  Meningitis  zu  Grunde  gegangen  wäre,  wenn  nicht 
die  absteigende  jauchige  Phlegmone  eingetreten  wäre. 

Discussion:  Docent  Dr.  M.  Ilajek:  Der  Fall  Ebstein’s 
ist  dadurch  besonders  bemerkenswert!),  dass  eine  tuberculöse  Erkran¬ 
kung  des  Knochens  und  der  Höhlenschleimhaut  vorliegt;  diese  Fälle 
sind  sehr  selten. 

Dr.  Weil  fragt,  ob  Vortragender  nicht  den  Eindruck  ge¬ 
wonnen  habe,  dass  die  Rachenphlegmone  und  Sepsis  unmittelbar  durch 
die  Sequesterextraction  und  die  damit  verbundenen  unvermeidlichen 
Verletzungen  hervorgerufen  worden  sei  und  ob  die  Section  nicht  be¬ 
stimmte  Anhaltspunkte  nach  dieser  Richtung  hin  geboten  habe. 

Dr.  Ebstein:  Auf  diese  Anfrage  kann  ich  erwidern,  dass  die 
vorderen  Siebbeinzellen  nicht  erkrankt  waren.  Auch  das  Vorkommen 
der  erwähnten  Granulationen  und  des  Eiters  hinten  im  mittleren 
Nasengange  spricht  nicht  dagegen,  weil  der  Eiter,  und  damit  die 
Granulationsbildung,  nicht  einen  streng  vorgezeichneten  Weg 
nehmen. 

Nachdem  es  sich  um  eine  tuberculöse  Caries  handelt,  ist  es 
wohl  ausgeschlossen,  dass  die  Lockerung  und  Extraction  des  Sequesters 
an  und  für  sich  ein  Fortschreiten  des  Processes  nach  abwärts  bewirkt 
haben  können. 


Docent  Dr.  Rethi  weist  auf  die  grosse  Seltenheit  der  Neben- 
höhlentubercuiose  hin;  es  sind  bisher  im  Ganzen  16  Fälle  bekannt 
geworden,  und  zwar  neunmal  Tuberculöse  der  Kieferhöhle  und  einmal 
der  Stirnhöhle.  In  sechs  Fällen,  von  denen  zwei  durch  Rethi  be¬ 
kannt  wurden,  war  eine  tuberculöse  Knochenaffection  vorhanden,  fünf¬ 
mal  mit  Empyem,  einmal  ohne  ein  solches;  in  drei  Fällen  bestand 
keine  nachweisbare  Knochenerkrankung,  doch  wurden  Tnberkel- 
bacillen  im  Eiter  gefunden.  Eine  tuberculöse  Keilbeinhöhlenerkrankung 
ist  bisher  nicht  bekannt  geworden. 

III.  Dr.  Karl  Müller  demonstrirt  eine  von  ihm  exstirpirte 
Dermoidgeschwulst,  die  vom  weichen  Gaumen  einer  37jährigen  Pa¬ 
tientin  stammt.  (Erscheint  demnächst  ausführlich.) 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  26.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Dr.  Scheib  beschreibt  einen  Fall  von  eiteriger  Meningitis,  die 
im  Anschluss  an  eine  beiderseitige  Otitis  media  suppurutiva  bei  einem 
8  Tage  alten  Mädchen  aufgetreten  war,  welcher  wegen  seines  bacterio- 
logischen  Befundes  besonderes  Interesse  in  Anspruch  nimmt.  Verfasser 
fand  sowohl  in  Ausstrichpräparaten  vom  Eiter  aus  den  beiden  Pauken¬ 
höhlen  wie  dem  Meningealeiter  eine  einzige  Art  von  kurzen,  an  den 
Enden  abgerundeten  Bacillen,  die  auch  in  mikroskopischen  Schnitten 
der  eiterig  infiltrirten  Meningen  in  reichlichster  Menge  vorhanden  waren; 
grösstentlieils  waren  dieselben  intracellular  gelagert  und  entfärbten 
sich  alle  nach  der  G  r  a  m’schen  Methode.  Behufs  Frage  der  Identi- 
ficirung  dieses  Mikroorganismus  konnte  durch  das  cult.urelle  Verfahren 
mit  Rücksicht  auf  die  absolute  Unbeweglichkeit  des  Bacillus,  das 
ausserordentlich  üppige  Wachsthum  auf  allen  Nährböden,  das  intensive 
Gährungsvermögen,  die  mangelnde  Indolreaction,  das  nagelförmige 
Wachsthum  in  Gelatinestichen  das  Bacterium  coli  commune  aus¬ 
geschlossen  werden.  Vom  Bacillus  pneumoniae  Friedländer  unter¬ 
schied  sich  der  in  Frage  stehende  Bacillus  durch  sein  üppiges  Gährungs- 
vormögen  und  die  fehlende  Braunfärbung  des  Nährbodens  in  alten 
Gelatinestichculturen. 

Daher  glaubt  Scheib  den  in  Reincultur  aus  dem  Meningealeiter 
gezüchteten  Bacillus  auf  Grund  der  erwähnten  Merkmale  und  seiner 
hochgradigen  Pathogenität  Mäusen,  Meerschweinchen  und  Kaninchen 
gegenüber  mit  dem  von  Esche  ric  h  zuerst  beschriebenen  Bacillus 
1  a  c  t.  i  s  aerogenes  identificiren  zu  müssen,  welcher  bisher  nur  als 
Erreger  von  Cystitis,  Pyelitis  und  Pyelonephritis  beschrieben  wurde. 

* 

Sitzung  vom  2.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Schenk. 

Dr.  P  i  e  r  in  g :  U  e  b  e  r  manuelle  Behandlung  (T  h  u  r  o 
H  r  a  ndt-Sc  h  a  u  t  a)  in  der  Gynäkologi  e.  Gegenüber  der 
Unterschätzung  und  sogar  der  directen  Ablehnung  seitens  einzelner 
neuerer  Autoren  (Olshauscn)  erscheint  es  wichtig,  von  Neuem  auf 
den  wirklich  hohen  Werth  und  die  grosse  praktische  Bedeutung  der 
manuellen  Behandlung  hinzuweisen.  Der  heilgymnastische  Theil  des 
B  r  a  n  d  t’schen  Verfahrens  ist  allmälig  eingeschränkt,  dann  fast,  ganz 
weggelassen  worden;  sowohl  die  physiologischen  Erklärungsversuche, 
als  die  klinische  Erfahrung  ergaben,  dass  die  Wirkung  der  manuellen 
Behandlung  durch  diese  Weglassung  (mit  wenigen  Ausnahmen)  nicht 
weiter  beeinträchtigt  wurde.  Die  Ausführung  der  Bewegungen  geschieht 
am  besten  in  einem  medico-mechanischen  Institute  (Sänger),  da 
privat  die  nöthige  Ausdauer  leicht  erlahmt.  Die  Technik  der  manuellen 
Behandlung  ist  heute  eine  feststehende,  die  mannigfachen  Aenderungen 
haben  sich  nicht  einzubürgern  vermocht,  nur  die  Zitterdrückung  (mit 
Uterushebung),  wie  sie  von  K  u  m  p  f  bei  Atonia  uteri  mit  so  grossem 
Erfolge  angewendet  wurde,  ist  eine  werthvolle  Bereicherung,  ebenso 
die  Sänge  r’sche  instrumentale  Zugmassage.  Das  Kriterium  für  die 
richtige  Ausführung  der  manuellen  Behandlung  ist,  dass  die  Patientin 
weder  während,  noch  nach  der  Behandlung  Schmerzen  haben  darf.  IJeble 
Folgen  oder  Schädigungen  sind  bei  richtiger  Auswahl  der  Fälle  und 
nach  gewisser  Ausführung  unbedingt  zu  vermeiden.  Absolute  Gegen¬ 
anzeigen  sind:  1.  alle  acuten  und  fieberhaften  Entzündungen  (frische 
Exudate);  2.  gonorrhoische  Infection  (ebenso  septische)  mit  Eitersaek- 
bildung;  3.  Allgemeinerkrankungen,  z.  B.  Tuberculöse  u.  s.  w. ; 
4.  Neoplasmen  (auch  extrauterine  Schwangerschaft);  5.  hochgradige 
Erregung  des  Nervensystemes  (Vaginismus).  Relative  Gegenanzeigen 
sind:  Gravidität  und  Menstruation.  Nur  bei  hartnäckigen  Fixationen 
ist  die  manuelle  Behandlung  gerade  während  der  Regel  von  Vortheil. 
Unzweifelhafte  Erfolge  gibt  die  manuelle  Behandlung  1.  bei  chronischer 
Entzündung  des  Beckenzellgewebes  mit  oder  ohne  Dislocation  des 


Nr.  25 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


591 


Uterus,  ältere  Parametritis  exsud.  Bei  Parametritis  exsud.  muss  das 
acute  Stadium  genügend  lange  vorüber  sein,  es  dürfen  keine  Tempe¬ 
ratursteigerungen  und  keine  Druckempfindliclikeit  mehr  vorhanden  sein, 
kein  Verdacht  eiterigen  Inhaltes.  In  veralteten  Fällen  muss  die  Behand¬ 
lung  genügend  lange  fortgesetzt  werden.  Auch  wenn  es  nicht  gelingt, 
die  Verwachsungen  zu  beseitigen,  ist  mit  der  Besserung  oder  Heilung  der 
Beschwerden  doch  das  Ziel  der  Behandlung  erreicht;  2.  Lageveränderungen 
des  Uterus.  Wenn  Kumpf  unter  82  fixirten  Retrodeviationen  GG, 
Hertzsch  unter  64  Fällen  sogar  62  Heilungen  erzielte,  so  sind  das 
Zahlen,  geeignet,  das  ungünstige  Urtheil  0  1  s  h  a  u  s  e  n’s  zu  entkräften. 
Jeder  Köliotomie  wegen  Retroflexio  muss  ein  rationelle  Massagebehand¬ 
lung  vorausgehen;  3.  Metritis  chronica;  4.  Dislocation  und  Fixation 
der  Ovarien.  Weniger  sicher  sind  die  Erfolge;  5.  bei  Hämatokelen, 
welche  erst  sehr  spät  in  Angriff  genommen  werden  dürfen;  6.  weiter 
ist  von  Werth  die  manuelle  Behandlung  bei  Erschlaffung  des  mus- 
culösen  Apparates  (Descensus,  Prolaps).  Hier  wurden  die  Erwartungen 
aber  am  wenigsten  erfüllt.  Sicher  ist  die  Wirkung  7.  bei  Sterilität 
in  geeigneten  Fällen,  und  8.  bei  Salpingitis,  jedoch  nur  in  Fällen,  wo 
leichte  Verdickungen  der  Tube,  jedenfalls  aber  keine  Eiteransammlung  vor¬ 
handen  ist  und  so  weder  die  Schwere  der  Symptome,  noch  die  sociale 
Stellung  der  Patientin  einen  Eingriff  erheischt.  Die  guten  Erfolge 
Schauta’s  in  solchen  Fällen  kannPiering  bestätigen,  doch  eignet 
sich  die  manuelle  Behandlung  in  diesen  Fällen  nicht  für  den  praktischen 
Arzt.  Genaue  Diagnose  ist  besonders  hier  unerlässliche  Vorbedingung.  Wählt 
man  die  Fälle  richtig  aus  und  hält  man  sich  streng  an  die  Vorschriften, 
so  wird  Jeder,  der  diese  Heilmethode  übt,  ihr  Erfolge  danken,  welche 
ihn  berechtigen,  den  Worten  Schauta’s  beizustimmen:  „Die  Massage 
ist  mir  selbst  bei  mehrjähriger  Anwendung  ein  unentbehrliches  thera¬ 
peutisches  Hilfsmittel  geworden,  und  ich  würde  heute  geradezu  eine 
Lücke  in  meinem  ärztlichen  Können  empönden,  müsste  ich  die  Massage 
entbehren.“ 

Dr.  Leo  Schwarz:  Vorstellung  eines  Falles  von  Syringomyelie. 
25jähriges  Mädchen.  Seit  12  Jahren  krank;  damals  fiel  sie  aus  einer 
Höhe  von  2 1j%m  auf  den  Boden,  fiel  mit  der  rechten  Schulter  auf, 
konnte  sofort  allein  aufstehen  und  ihrer  Beschäftigung  nachgehen.  Keine 
Schmerzen.  Erst  späterStechen  in  der  rechten  Schulter.  Einen  Monat  nach 
dem  Fall  bemerkt  die  Umgebung,  dass  die  rechte  Schulter  höher  und  ein 
rechtsseitiger  Rippenbuckel  vorhanden  ist,  welche  Veränderungen  nach 
einem  Jahre  die  jetzige  Ausbildung  erreichen.  Zwei  bis  drei  Monate  nach 
dem  Fall  Schwellungder  kleinen  Gelenke  der  rech  ten,  später  der  linken  Hand; 
nach  einem  Jahre  auch  die  Veränderungen  beider  Hände  voll  entwickelt. 
Erst  vor  D/2  Jahren  wieder  Gelenksschwellung  am  kleinen  Finger; 
nie  Schmerzen,  nur  leichte  Parästhesien  im  rechten  Arme.  Jetzt  be¬ 
steht  beiderseitige  hochgradige  Atrophie  sämmtliclier  kleinen  Hand¬ 
muskeln;  Atrophie  der  Vorder-  und  Oberarme  und  des  Schultergürtels 
besteht  nicht.  Steigerung  der  Patellarsehnenreflexe,  so  dass  beim  An¬ 
schlägen  der  einen  Sehne  auch  ein  Mitzucken  des  anderen  Fusses  er¬ 
folgt.  Die  linke  Pupille  ist  constant  etwas  weiter  als  die  rechte 
(1  —  D/a  mm  Differenz).  Ueber  dem  Rippenbuekel  eine  hühnereigrosse 
pigmentlose  Hautnarbe,  welche  von  einer  Verbrennung  herrührt,  die 
sich  Patientin  durch  Anlehnen  an  einen  heissen  Ofen  zuzog;  erst  als 
die  Kleider  brannten,  bemerkte  sie  den  Vorfall.  Im  Bereiche  der 
oberen  Extremitäten,  des  Rumpfes  bis  in  Nabelhöhe  Verminderung  der 
Wärme-  und  Kälteempfindung  und  Hypalgesie,  während  Tast-  und 
Drucksinn  normal  sind.  Leichte  Beugecontractur  der  Finger,  active 
Beugung  und  Streckung  nicht  möglich.  Elektrische  Untersuchung  der 
atrophischen  Theile  (an  denen  auch  fibrilläres  Jucken  beobachtet  wurde) 
ergibt  vollkommene  Unerregbarkeit;  die  Musculatur  ist  eben  ganz 
geschwunden. 

Es  handelt  sich  um  einen  Fall  von  Syringomyelie,  bei  dem  die 
Rückenmarksveränderungen  in  der  ganzen  Ausdehnung  vom  dritten  Cer- 
vicalsegmeut  bis  zum  zehnten  Dorsalsegment  zu  suchen  sind.  Interessant 
sind  in  diesem  Falle:  das  frühzeitige  Auftreten  der  Kypho-Skoliose,  die 
Pathogenese,  insoferne  als  das  Trauma  offenbar  eine  sehr  wichtige 
Rolle  in  diesem  Falle  spielt,  die  lange  Constanz,  das  so  lange  Jahre 
fast  unveränderte  Bestehen  der  Erscheinungen. 

* 

Sitzung  am  9.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Docent  Dr.  Münzer:  Ueber  langdauernde  Fieber- 
zustände  unklaren  Ursp  rungs  (Endocarditis  septic  a. 

Aufgabe  der  vorliegenden  Mittheilung  ist  es,  die  Aufmerksam¬ 
keit  der  Collegen  auf  die  in  der  Privatpraxis  gar  nicht  so  selten  zu 
beobachtenden,  langdauernden  unklaren  Fieberzustände  zu  lenken  und 
zu  erhöhtem  Studium  dieser  Fälle  anzuregen,  andererseits  eine  Gruppe 
dieser  Fälle,  die  Endocarditis  chronica  (recidivans)  septica  (Litten), 
speciell  hervorzuhebeu,  da  es  sich  hier  um  ein  wohlbekanntes,  nur  zu 
wenig  gewürdigtes  Krankheitsbild  handelt. 


Zunächst  sei  eine  Reihe  casuistischer  Beobachtungen  mitgetheilt, 
die  sich  kurz  folgendermassen  resumiren  lassen: 

1.  Fünfjähriger  Knabe  R.,  bisher  gesund;  Beginn  mit  leichtem 
Fieber,  Appetitlosigkeit  und  fortwährendem  Hustenreiz;  schliesslich 
ausserordentlich  gesteigerte  Athem-  und  Herzfrequenz,  starke  Cyanose; 
Exitus  nach  circa  dreimonatlicher  Krankheitsdauer  am  3.  März  1896. 
Im  Auswurfe  keine  Tuberkelbacillen.  Diagnose:  unklar;  Tuberculose 
unwahrscheinlich.  Gastrointestinale  S  e  p  s  i  s  ? 

2.  6  ljähriger  Herr  M.  erkrankt  Ende  October  1895  unter 
leichtem  Fieber  an  Husten  und  Schnupfen;  später  Blasenparalyse,  Ik¬ 
terus,  starke  Leberschwellung,  Entwicklung  kleiner  Ilautabscesso;  dann 
Schwindon  aller  Localsymptome  bei  andauernden 
abendlichen  Fieber  Steigerungen.  Allmäliger  Rückgang 
des  Fiebers,  vollständige  Heilung.  Dauer  der  Krankheit  über  fünf 
Monate.  Diagnose :  unsicher ;  pulmonale  Sepsis? 

3.  28jährige  Frau  F.  erkrankte  im  letzten  Monate  der  ersten 
Schwangerschaft  (December  1895)  an  einer  Pleuritis  diaphragmatica, 
deren  Symptome  auf  Salicyl  prompt  zurückgehen;  zweimal  auftretende 
leichte  Recidiven  schwinden  sofort  bei  neuerlicher  Darreichung  der 
Salicylpräparate.  Normale  Entbindung  und  Wochenbett.  Drei  Monate 
später  allgemeine  Gelenkschwellungen  und  Steifheit  der  Gelenke;  häu¬ 
fig  Fieber.  Alle  Versuche,  den  Rheumatismus  zu  bekämpfen,  sind  ver¬ 
geblich.  Juli  1896  Pericarditis  sicca,  die  rasch  abheilt.  Vom 
März  1897  an  ausserordentliche  Abmagerung,  schliesslich  nach  mehr 
als  zweijähriger  Krankheitsdauer  Exitus  an  Erschöpfung  am  16.  Fe¬ 
bruar  1898.  Im  Auswurfe  keine  Tuberkelbacillen.  Diagnose:  Rheu¬ 
matismus  febrilis  recidivans  (septicu  s?). 

Die  nun  folgenden  Fälle  bilden  eine  gemeinsame  Gruppe: 

4.  25jähriger  Herr  II.  Im  Jahre  1893  Polyarthritis  acuta 
mit  nachfolgender  Aorteninsuff  icienz;  October  1895  Schnupfen, 
Husten,  leichtes  Fieber;  Schmerzhaftigkeit  der  Fingergelenke.  Von  da 
an  langdauernder  Fieberzustand,  für  welchen  sich  kein  Grund  nach- 
weisen  liess ;  hie  und  da  Schüttelfrost.  Die  anfängliche  Diagnose  Ty¬ 
phus  wurde  bald  fallen  gelassen  und  eine  Endocarditis  chro¬ 
nica  recidivans  (septica)  angenommen;  endlich  trat  Leber-  und 
Milzschwellung  ein  und  Exitus  nach  achtmonatlicher  Krankheitsdauer. 

5.  28jähriger  Herr  II.  in  K.  1883  und  1891  acuter  Ge¬ 
lenkrheumatismus  mit  consecutiver  Aorteninsufdcienz ;  seit  1890 
Albuminurie.  3.  November  1896  Beginn  des  Fiebers,  von  da  an  täg¬ 
liche  abendliche  Fiebersteigerungen;  starke  Müdigkeit  in  den  Beinen; 
Schmerzen  bei  Beklopfen  der  Tibiae;  hie  und  da  vorübergehende  Ge¬ 
lenkschmerzen,  starke  Milzschwellung.  Im  Blute  keine  Leukocytose, 
keine  Malaria.  Tod  am  3.  April  1897  nach  siebenmonatlicher  Krank¬ 
heitsdauer.  Diagnose :  Endocarditis  chronica  recidivans 
(septica). 

6.  GOjähriger  Herr  B.  Im  Winter  1  898  Muskel  r  h  e  u  m  a  t  i  s- 
mus  (linksseitiger  Lumbago);  im  Anschluss  daran  Entwicklung  einer 
geringen  Endocarditis.  In  der  Sommerfrische  plötzlich  Eintreten  von 
Fieber,  sehr  bald  Schüttelfröste,  die  immer  wiederkehren;  dabei  der 
Körperbefund  ganz  negativ,  nur  im  Augenhintergrunde  des  rechten 
Auges  Netzhautblutung;  im  Blute  keine  Leukocytose;  keine 
Malaria  ;  schliesslich  Geräusche  in  der  Aorta.  Wenige  Tage  vor  dem 
Tode  Sopor,  schliesslich  tiefstes  Koma.  Diagnose:  Endocarditis 
(chronica)  septica. 

7.  28jähriger  Herr  Sch.  Seit  Kindheit  mit  Schüttelfrost  ein¬ 
setzende  Anfälle  paroxysmaler  Hämoglobinurie;  in  den 
letzten  zwei  Jahren  hie  und  da  Schüttelfröste  ohne  Hämoglobinurie 
und  anschliessend  mehrtägiges  Fieber,  so  vor  zwei  Jahren  (1897);  da¬ 
mals  wurde  anfangs  Typhus  vermuthet,  bis  das  plötzliche  Schwinden 
des  Fiebers  die  Diagnose  unsicher  machte,  dann  in  ähnlicher  V  eise 
im  nächsten  Jahre  (1898);  um  diese  Zeit  schon  etwas  unreiner  erster 
Herzton.  22.  September  1899  neuerdings  Fieber,  grosse  Mattigkeit. 
„Füsse  wie  Blei“.  Objectiver  Befund  negativ,  bis  auf  das  erste  Ge¬ 
räusch  an  der  Herzspitze,  das  jetzt  sicherer  war  als  früher.  Das  Fieber 
von  jetzt  ab  continuirlich,  nach  einigen  Wochen  beginnen  sich 
Schüttelfröste  einzustellen,  Schmerzen  in  den  Gelenken,  bald 
da,  bald  dort.  Die  anfängliche  Diagnose  schwankte  zwischen  Malaria, 
Typhus,  septischem  Rheumatismus.  Untersuchung  auf  Typhus  (Widal; 
Piorkowski,  im  Stuhle)  negativ;  dagegen  Malariaplasmodien  im 
Blute;  entsprechende  Chinintheiapie,  Arsen,  dann  Methylenblau:  kein 
Erfolg.  Die  Schüttelfröste  häufen  sich,  Milzinfarct,  pleurale 
Reizungen  treten  ein.  Die  Geräusche  an  der  Herzspitze  nehmen 
zu,  auch  an  der  Aorta  werden  solche  hörbar.  Nochmalige  Blutunter¬ 
suchung  ergibt  bezüglich  Malariaplasmodien  ein  negatives 
Resultat,  dagegen  wächst  in  allen  Culturen  der  Staphylococcus 
pyogenes  albus.  Exitus  am  17.  Januar  1900  nach  viermonatlicher 
Krankheitsdauer.  Diagnose:  Endocarditis  chronica  septic  a. 
Die  Zuletzt  mitgetheilten  vier  Fälle  zeigen,  dass  es  unter  den  ver¬ 
schiedenen  Formen  der  chronischen  fieberhaften  Erkrankungen  eine 
wohl  chavakterisirte  gibt,  die  wir  nach  dem  \  orschlage  Lit  tens  als 
Endocarditis  septica  bezeichnen  können,  ein  Krankheitsbild, 


592 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


>7 - S.'. 


Nr.  25 


das  vor  Allem  von  Litten,  dann  von  v.  Leyden  und  Heubner 
eingehend  beschrieben  wurde  und  bezüglich  dessen  wir  vor  Allem 
daran  festhalten  wollen,  dass  die  Endocarditis  höchst  wahr¬ 
scheinlich  nur  ein  Symptom  der  vorhandenen  S  epti- 
k  ä  m  i  e  dar  stellt. 

Es  zeigen  drei  der  mitgetheilten  Fälle  sicher  rheumatische 
Aetiologie  (oder  Combination)?,  bei  zweien  war  die  Endocarditis  nach 
acutem  Gelenksrheumatismus,  bei  einem  nach  Muskelrheuma  einge¬ 
treten  und  nur  in  einem,  dem  letzten  Falle,  fehlt  jede  diesbezügliche 
Angabe.  Es  kann  also  die  septische  Erkrankung  des 
Endocards  auch  ohne  Vermittlung  einer  Gelenks¬ 
erkrankung  e  i  n  t  r  e  t  e  n,  wie  das  Trousseau  (Medicinische 
Klinik.  III,  322)  für  die  rheumatische  Endocarditis 
betonte. 

Nochmals  sei  hervorgehoben,  dass  Herzerscheinungen  im  Be¬ 
ginne  der  Erkrankung  fast  regelmässig  fehlen;  man  darf  also  zur  Dia¬ 
gnose  diese  Affection  nicht  auf  Erscheinungen  gestörter  Herzaccommo- 
dation  rechnen;  die  Diagnose  stützt  sich  auf  den  Fieber  ver¬ 
lauf  (anfangs  abendliche  Fiebersteigerungen,  späterhin  erratische 
Schüttelfröste),  die  Milzschwellung  (Milzinfarct),  p  a  s  s  a- 
g  e  r  e  Gelenks-  und  Knochenschmerzen,  II  a  u  t  b  1  u  t  u  n- 
gen,  Netzhautblutungen.  Differentialdiagnostisch  kommt  anfangs  Ty¬ 
phus,  später  Tuberculose  und  Malaria  in  Frage;  es  wird  nicht  allzu 
schwer  sein,  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  diesbezüglich  zur 
Klarheit  zu  kommen.  Die  Prognose  ist  ernst,  aber  nicht  in  jeder 
Attaque  von  vorneherein  letal.  Bezüglich  der  Therapie  heisst  es 
vor  Allem,  alle  Erregungen  thunlichst  zu  vermeiden,  blande 
Diät  und  strenge  Bettruhe. 

Schliesslich  dürfte  die  Frage  des  Zusammenhanges  der  rheuma¬ 
tischen  Infection  mit  der  septischen  Endocarditis  interessiren.  Der 
Zusammenhang  zwischen  Rheumatismus  und  Endocarditis  ist  allgemein 
anerkannt;  dass  die  Endocarditis  rheumatica  bacteriellen  Ursprungs, 
entspricht  der  Ansicht  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Bearbeiter 
dieser  Frage;  die  gleichen  Mikroorganismen  als  bei  der  rheumatischen 
findet  man  auch  bei  der  septischen  Endocarditis.  Auch  klinisch  scheint 
es,  wenn  ein  Kranker  mit  Endocarditis  rheumatica  ein  fieberhaftes 
„Recidive“  bekommt,  unter  den  oben  mitgetheilten  Umständen  unmög¬ 
lich,  festzustellen,  wie  lange  wir  es  mit  einem  Recidiv  des  Rheuma 
zu  thun  haben,  respective  wann  der  Zustand  als  septische  Erkrankung 
aufzufassen  ist.  Es  bestehen  also  zweifellos  Ueb  ergänge 
der  rheumatischen  Infection  in  eine  solche  septi¬ 
schen  Charakters  und  demnach  hält  der  Autor  es  für  berech¬ 
tigt,  eine  gewisse  Zusammengehörigkeit  zwischen 
der  rheumatischen  und  der  septischen  Endocarditis 
anzunehmen. 

I.  Dr.  F.  Schl  eis  sn  er  demonstrirt  einen  typischen  Favus 
bei  einem  Neugeborenen,  bei  welchem  die  Erkrankung  am  achten 
Lebenstage  aufgetreten  und  innerhalb  einiger  Tage  sich  über  den 
ganzen  Kopf,  Gesicht,  Hals  und  Oberkörper  ausgebreitet  hat.  Bei 
näherer  Untersuchung  fand  man  bei  der  Mutter  des  Kindes  Favus  des 
behaarten  Kopfes,  der  aber  seit  Jahren  stationär  war.  Ein  zweiter 
Säugling,  der  nur  kurze  Zeit  mit  dem  erkrankten  in  demselben  Bett- 
chen  gelegen  hatte,  zeigte  sechs  Tage  später  dieselbe  Affection.  Soviel 
dem  Demonstrirenden  bekannt,  wurde  bisher  in  der  Literatur  Favus 
bei  Säuglingen  nicht  erwähnt.  Diese  sind,  offenbar  durch  die  Beschaffen¬ 
heit  ihrer  Haut,  sehr  disponirt,  wie  man  bei  beiden  Fällen  sieht,  wo 
die  Uebertragung  so  rasch  erfolgte,  während  bei  Erwachsenen  der 
Favus  für  sehr  schwer  übertragbar  gilt. 

II.  Dr.  Luk  sch  demonstrirt  Präparate  von  einem  Fall  von 
Hermaphroditismus  spurius  masculinus  internus. 

54  Jahre  altes  Individuum,  das  1880  in  die  Irrenanstalt  auf¬ 
genommen  worden  war.  Ein  kräftig  gebauter  Mann  mit  stark  ent¬ 
wickeltem  Barte,  Hals  und  Brust  männlich,  Penis,  Hodensack  normal. 
Links  im  llodensack  Hernie,  kein  Hode;  rechts  ein  bohnengrosser 
Körper  zu  tasten.  Paranoia  chronica,  starb  October  1899  an  Tuber¬ 
culose.  Section  zeigte  geräumigen  Kehlkopf,  gut  gewölbten  Thorax, 
llodensack  enthält  beiderseits  keinen  Hoden,  besonders  links  Hernien. 
Chronische  Tuberculose,  serös-eiterige  Peritonitis  durch  Perforation 
eines  tuberculösen  Darmgeschwüres.  Von  der  normalen  Prostata  auf¬ 
steigend  ein  2  cm  breites  Muskelbündel,  welches  1  cm  über  den  Blasen¬ 
scheitel  emporsteigt  und  ein  eigenes  Mesometrium  besitzt;  es  ist  10cm 
lang.  Dieses  Gebilde  entspricht  dem  Uterus,  beiderseits  entspringen 
demselben  die  Tuben;  die  linke  Tube  geht  in  den  Leistenbruch, 
wendet  sich  dann  oben  und  endet  ohne  Fibrien  und  ohne  abdominale 
Oeffnung;  etwas  kleiner  ist  die  rechte  Tube.  Hinter  den  Tuben,  vom 
Peritoneum  überzogen,  ein  hodenähnliches  Gebilde;  von  Ovarien  auch 
mikroskopisch  keine  Spur.  Neben  dem  Uterus,  parallel  mit  demselben 
und  unten  mit  ihm  zusammenfliessend,  jederseits  ein  Vas  deferens. 


Mikroskopisch  hochgradige  Hypoplasie  des  Hodens  wie  bei  fibröser 
Degeneration.  Der  Uterus  zeigt  ein  Lumen,  das  sich  vom  Utriculus 
prostaticus  aus  sondiren  lässt.  Aeussere  Genitalien,  ebenso  wie  Prostata 
und  C  o  w  p  e  r’sche  Drüsen  normal. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  Bend  ix  (Berlin). 

II.  Sitzung,  Dienstag,  den  19.  September  1899. 

Vorsitzender:  Heubner. 

IX.  Leo  (Bonn):  Ueber  Tympanitis  bei  Kindern. 

Gasauftreibungen  des  Abdomens  treten  bekanntlich  im  Säuglings¬ 
alter  häufiger  auf,  als  im  späteren  Kindesalter  und  bei  Erwachsenen. 
Zwei  Momente  kommen  als  Ursache  dieser  Erscheinung  in  Betracht. 
Erstens  die  geringere  Widerstandsfähigkeit  der  Wandung  des  Verdau- 
ungscanales  und  der  Bauchdecken,  und  zweitens  die  Quantität  und 
Qualität  der  den  Magen,  respective  Darm  ausfüllenden  Gase. 

Der  Vortragende  hat  sich  seit  längerer  Zeit  mit  der  Untersuchung 
der  aus  dem  kindlichen  Magen  direct  entnommenen  Gase  beschäftigt 
und  theilt  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  mit.  Bei  gesunden 
Kindern  findet  man  stets  Stickstoff  (im  Mittel  79’8°/o),  Sauerstoff  (im 
Mittel  1 8*22°/o),  und  Kohlensäure  (im  Mittel  4-19°/0).  Sonstige  Gase 
fehlen.  Es  handelt  sich  hiebei  offenbar  lediglich  um  verschluckte 
atmosphärische  Luft,  deren  hoher  Kohlensäuregehalt  durch  die  der  Ex¬ 
spirationsluft  beigemengte  Kohlensäure  bedingt  ist.  Die  Ursache,  dass 
auch  normale  Kinder  so  häufig  einen  stark  aufgetriebenen  Magen 
haben,  liegt  wohl  ausser  in  der  geringeren  Widerstandsfähigkeit  der 
Wandung  darin,  dass  sie  häufig  abnorm  viel  Luft  schlucken.  Dies  gilt 
besonders  für  Flaschenkinder. 

Die  bei  dyspeptischen  Kindern  gefundene  Gasmenge  kann  man 
in  mehrere  Gruppen  eintheilen. 

In  der  ersten  Gruppe  ist  die  Zusammensetzung  der  Magengase 
dieselbe  wie  bei  gesunden  Kindern,  es  handelt  sich  nur  um  verschluckte 
Luft.  In  den  hieher  gehörigen  Fällen  finden  also  keine  mit  Gasbildung 
verbundenen  Gährungen  im  Magen  statt.  Bei  der  zweiten  Gruppe  sind 
auch  nur  N,,  02  und  C02  im  Mageninhalt  vorhanden,  aber  der  Gehalt 
an  C02  ist  ausgesprochen  höher  als  normaler  Weise,  d.  h.  er  beträgt 
mehr  als  5 ’5%  (im  Maximum  17°/o)>  Hier  muss  C02  im  Magen  neu 
gebildet  sein,  offenbar  als  Folge  von  Ilefegährung.  Die  dritte  Gruppe 
umfasst  diejenigen  Fälle,  wo  ausser  den  drei  erwähnten  Gasarten  noch 
Wasserstoff  (im  Maximum  32'6G%)  oder  Sumpfgas  (im  Maximum 
9'48°/o)  oder  diese  beiden  Gase  gleichzeitig  vorhanden  sind.  Diese  Zu¬ 
sammensetzung  fand  sich  bei  Dyspepsien  acuter  und  chronischer  Art, 
die  mit  Atonie  des  Magens  und  Stagnation  seines  Inhaltes  einhergehen. 
Der  Vortragende  weist  schliesslich  auf  die  Bedeutung  dieses  Umstandes 
neben  der  bacteriellen  Infection  für  das  Entstehen  und  die  rationelle 
Bekämpfung  der  Gasgährungen  hin. 

X.  Wertheimber  (München)  spricht  über  die  Behand¬ 
lung  der  Scharlachnephritis. 

Er  hebt  insbesondere  ein  Verfahren  hervor,  auf  das  er  durch 
eine  zufällige  Beobachtung  hingeleitet  wurde  und  das  sich  ihm  in  der 
Folge  als  ein  schätzbares  Unterstützungsmittel  in  der  Behandlung  der 
genannten  Krankheitsform  erwiesen  hat.  Das  Verfahren  besteht  in 
der  methodischen  Anwendung  von  Eingiess  ungen 
schwacher  (physiologischer  Kochsalzlösungen  in 
den  Darm.  Wie  der  Vortragende  unter  Anführung  einschlägiger 
Krankheitsfälle  darlegt,  tritt  der  Erfolg  dieser  Darmirrigationen  am 
augenfälligsten  zu  Tage  in  solchen  Fällen,  wo  es  sich  darum  handelt, 
die  stark  verminderte  Harnabsonderung  zu  steigern,  beziehungsweise  die 
Anurie  zu  beseitigen,  odor  urämische  Erscheinungen  zu  bekämpfen.  Die 
weiteren  Erörterungen  des  Vortragenden  beziehen  sich  auf  die  Aus¬ 
führung  des  in  Rede  stehenden  Verfahrens,  sowie  auf  die  Art  seiner 
Wirkung,  die  wohl  vorwiegend,  aber  nicht  ausschliesslich  auf  der  An¬ 
regung  der  Diurese  beruht. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Oesterreichische  Otologische  Gesellschaft. 

Wissenschaftliche  Hauptversammlung  am  29.  Juni  1900. 
4  Uhr  nachmittags. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gaissenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  28.  Juni  1900.  Kr.  26. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  nnd  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  eine  erprobte  Trachealcanule.  Von  R. 

Gers  u  n  y. 

2.  Zur  blutigen  Behandlung  der  Luxatio  claviculae  acromialis  und 
der  Brüche  des  Nasenbeines.  Von  Dr.  Konrad  Büdinger. 

3.  Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  H  o  c  h  e  n  e  g- g  an 
der  Allgemeinen  Poliklinik.  Ein  Fall  von  Gallensteinwandel ung. 
Von  Robert  P  o  r  g  e  s,  Assistent  des  Prof.  H  o  c  h  e  n  e  g  g. 

If.  Feuilleton:  Materialien  zu  einer  Geschichte  der  Pharaoneiunedicin. 

VI.  Aegyptische  Pneumalehre  im  Auslände.  Von  Oefele. 

III.  Referate:  I.  La  maladie  de  Carrion  ou  la  Verruga  peruvienne.  Par 
Ernesto  0  d  r  i  o  z  o  1  a.  II.  Der  krankmachende  Einfluss  atmo¬ 
sphärischer  Luftdruckschwankungen  (barometrische  Minima).  Von 
Dr.  Heinrich  L  a  h  m  a  n  n.  III.  Die  Veränderungen  an  den 
inneren  Organen  bei  hochgradigen  Skoliosen  und  Kyphoskoliosen. 
Von  Dr.  M.  Bachmann.  IV.  Stereoskopisch-photographischer 


Atlas  der  pathologischen  Anatomie  des  Herzens  und  der  grösseren 
Blutgefässe.  Von  Sanitätsrath  Dr.  G.  Schm  or  1.  V.  Die  Immuni¬ 
sation  gegen  die  Rinderpest  nach  den  im  Institut  für  experimen¬ 
telle  Medicin  in  St.  Petersburg  und  auf  der  Station  »Iknewi«  im 
Gouvernement  Tiflis  gesammelten  Erfahrungen.  Von  M.  N  e  n  c  k  i, 
N.  Sieber  und  W.  Wyznikiewicz.  VI.  Technik  und 
Diagnostik  am  Sectionstische.  Von  Dr.  Richard  G  r  a  u  p  n  e  r 
und  Dr.  Felix  Zimmermann.  Referent  Dr.  R.  Kretz.  — 
I.  Vorfragen  der  Biologie.  Von  Eugen  Albrecht.  II.  Grundriss 
der  Physik  zum  Gebrauche  für  Mediciner.  Von  Dr.  Bruno 
Borchardt.  Referent  Paul  i. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbericlite. 


lieber  eine  erprobte  Tracheal  cars  is  S  e. 

Von  R.  Gersuny. 

Wenn  ich  an  dieser  Stelle  über  alte  Dinge  schreibe,  so 
bedarf  ich  einer  besonderen  Entschuldigung  und  einer  aus¬ 
reichenden  Motivirung  dafür. 

Im  Jahresberichte  des  Karolinen-Ivinderspitales  für  1881 
beschrieb  ich  eine  »neue«  Trachealcanule,  die  ich  construirt 
hatte  und  für  eine  Verbesserung  hielt;  in  den  vielen  Jahren, 
die  seither  verflossen  sind,  hatte  ich  reichlich  Gelegenheit, 
mich  von  den  Vorzügen  des  Instrumentes  zu  überzeugen  und 
gerade  der  Umstand,  dass  es  eine  so  lange  Probezeit  bestanden 
bat,  ohne  die  verdiente  Verbreitung  zu  Anden,  veranlasst  mich, 
nochmals  darüber  zu  sprechen,  an  einem  Orte,  minder  abseits 
von  der  Oeffentlichkeit,  als  ein  Kinderspitalsbericht. 

Die  1  rachealcanule,  welche  ich  wegen  ihrer  stark  co- 
nischen  Form  »Trichtercanule«  nennen  möchte,  fand  haupt¬ 
sächlich  bei  Kindern  und  nach  der  tiefen  Tracheotomie  Ver¬ 
wendung. 

Die  Tracheotomia  inferior  ist  in  den  Wiener  Kinder¬ 
spitälern  die  gewöhnlich  geübte  Methode  der  Eröffnung  der 
Respirationswege  bei  acuter  Kehlkopfstenose,  und,  wie  ich  glaube, 
mit  Recht;  sie  ist  bei  Kindern  (im  Gegensätze  zu  der  gleichen 
Jperation  bei  Erwachsenen)  ganz  einfach  und  gewiss  nicht 
sc  wieriger  als  die  Laryngotomie  oder  die  hohe  Tracheotomie. 
Ich  will  auf  die  detaillirte  Darlegung  ihrer  Vorzüge  hier 
”lc  iji ;  n^her  eingehen,  und  nur  zur  Illustration  ihrer  leichten 
usführbarkeit  anführen,  dass  während  der  letzten  Jahre 
meiner  Thätigkeit  am  Karolinen-Kinderspitale,  diese  Operation 
■son  den  jungen  Aerzten  des  Hauses,  oft  unter  der  Assistenz 
nui  Diner  Wärterin,  selbstständig  ausgeführt  wurde;  diese 


Aerzte  hatten  keine  specielle  chirurgische  Vorbildung  und  er¬ 
lernten  die  Operation  jeder  von  seinem  Vorgänger. 

Allerdings  halle  man  mich  anfangs  durch  mehrere  Jahre  zu 
jeder  Tracheotomie  geholt,  bis  durch  die  Verwendung  des  federnden 
Doppelhakens  die  Operationsteclmik  so  einfach  geworden  war, 
dass  die  jungen  Aerzte  die  Scheu  verloren,  sich  ohne  die  Assistenz 
eines  Erfahreneren  daran  zu  wagen. 

Der  federnde  Haken  ist  in  der  »Wiener  Medicinischen 
Wochenschrift«  (in  Nr.  52  des  Jahrganges  1887)  beschrieben  und 
abgebildet  und  ich  weise  hier  nochmals  darauf  hin,  weil  er  nur 
eine  geringe  Verbreitung  gefunden  hat,  obgleich  er  die  Ansprüche 
die  man  an  ein  solches  Instrument  stellen  kann,  weit  überbietet, 
indem  er  wirklich  einen  geschulten  Assistenten  ersetzt.  Ich  muss 
nur  bemerken,  dass  seine  Feder  nicht  zu  stark  sein  darf;  eine  zu 
starke  Feder  macht  ihn  unbrauchbar. 

Schon  nach  meinen  ersten  Tracheotomien  empfand  ich 
die  Nachtheile,  welche  die  Verwendung  der  üblichen  Tracheal¬ 
canule  im  Gefolge  hat;  die  Form  des  Kreisbogens,  welche 
diese  Canulen  haben,  ist  die  einfachste  Lösung  der  Aufgabe, 
eine  genau  passende  Doppelcanule  herzustellen  und  der 
Vortheil,  den  die  Innencanule  gewährt,  musste  so  hoch  ange¬ 
schlagen  weiden,  dass  man  die  Nachtheile,  welche  diese  Form 
bedingt,  in  den  Kauf  nahm. 

Diese  Naclitheile  sind  hauptsächlich  folgende:  Die  Canule 
braucht  wegen  der  Art  ihrer  Krümmung  so  viel  Raum  in  der 
Trachea,  dass  man  ihr  Caliber  verhältnissmässig  eng  wählen 
muss,-  dabei  liegt  ihr  unterer  Rand  der  vorderen  Tracheal- 
wand  an  und  verursacht  dort  durch  Druck  oder  Reibung 
leicht  Decubitus  mit  seinen  Folgen,  besonders  Blutungen, 
Granulationsgeschwülste.  Narbenstenosen;  endlich  ist  die  Länge 


594 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


des  Theiles  der  Canule,  welcher  in  der  Trachea  zu  liegen 
kommt,  im  Voraus  nicht  zu  bestimmen,  sie  hängt  von  der 
Dicke  der  Weichtheile  des  Halses  zwischen  Haut  und  Trachea  ab. 
Dadurch  kommt  es,  das3  die  Lage  des  Fensters  nicht  immer 
correct  ist,  und  dass  öfters  dessen  vorderer  Theil  innerhalb  des 
Wundcananales  (statt  in  der  Trachea)  liegt,  wodurch  die 
Bildung  von  Granulationspolypen  am  oberen  Ende  der  Tracheal- 
wunde  begünstigt  wird. 

Dieser  Umstand  veranlasste  häufig  spätere  Schwierig¬ 
keiten,  besonders  beim  Versuche,  die  Canule  wegzulassen. 

C.  Stoerk  wendete  darum  Canulen  an,  welche  an  der 
Stelle  des  Fensters  viele  kleine  Löcher  haben.  A.  Thost1) 
empfiehlt,  in  das  Fenster  ein  feines  Drahtsieb  einzusetzen. 

Auf  eine  bisher  nicht  beachtete  Folge  der  üblichen 
Canulen  macht  J.  Bodea'2)  aufmerksam,  nämlich  auf  die 
»Ventilstenose«,  die  dadurch  entsteht,  dass  oberhalb  der 
Trachealwunde  die  vordere  Wand  der  Trachea  durch  die  unter 
einem  spitzen  Winkel  zu  ihr  herantretende  Canule  so  einge¬ 
drückt  wird,  dass  sie  nach  dem  Entfernen  der  Canule  wie  ein 
Ventil,  das  nach  unten  zu  gerichtet  ist,  die  Inspiration  gestattet, 
die  Exspiration  durch  den  Kehlkopf  aber  verhindert. 

Die  nachtheiligen  Folgen  der  Canulen,  welche  ich  nach 
meinen  ersten  Operationen  selbst  beobachtet  batte,  veranlassten 
mich,  eine  Canulenform  zu  suchen,  durch  welche  jene  ver¬ 
mieden  würden,  ohne  dass  man  den  unersetzlichen  Vortheil, 
den  eine  gut  passende  Innencanule  gewährt,  aufgeben  müsste. 


Die  rationelle  Form:  ein  gerades  Rohr  in  der  Trachea, 
das  in  einem  kleinen  Bogen  durch  die  Wunde  nach  aussen 
zum  Schild  geht,  erlaubt  nur  dann  die  Verwendung  einer 
steifen,  gut  passenden  Innencanule,  wenn  man  die  Röhren 
von  unten  nach  oben  trichterförmig  sich  erweitern  lässt. 

Die  Anwendung  flexibler  Metallcanulen  (Koni  g’s  Spiral- 
canule  oder  die  »Krebsschwanzcanule«)  hat  immerhin  noch  gewisse 
Nachtheile:  Die  etwas  grössere  Wandstärke,  die  geringere  Festigkeit, 
den  Mangel  einer  glatten  Oberfläche. 

Der  gerade  Theil  des  Trichters,  welcher  in  der  Trachea 
zu  liegen  bestimmt  war,  sollte  nach  meiner  Absicht  in  seinem 
obersten  (der  Trachealwunde  angrenzenden)  Theil  das  ganze 
Lumen  der  Luftröhre  ausfüllen  und  sich  nach  unten,  gegen 
sein  freies  Ende,  etwas  verjüngen,  der  nach  aussen  führende, 
bogenförmige  Theil  hingegen  musste  sich  beträchtlich  er¬ 
weitern. 

Nach  meinen  Detailangaben  wurde  vom  Herrn  Instru¬ 
mentenfabrikanten  T hürriegl  in  Wien  die  Canule  angefertigt, 
welche  in  der  nebenstehenden  Abbildung  dargestellt  ist. 

b  ür  Kinder  verschiedenen  Alters  werden  natürlich  auch 
verschiedene  Caliber  verwendet.  Die  zweite  Abbildung  stellt 
einen  Durchschnitt  der  Canule  vor,  mit  einer  Andeutung  ihrer 
Lage  in  der  Trachea. 


')  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde.  30.  Jahrgang,  pag.  529. 
-)  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XLVI,  pag.  360. 


(Die  Entfernung  vom  Fenster  der  Canule  bis  zum 
Schild  ist  auffallend  gross,  aber  bei  tieferer  Lage  der  Trachea 
nothwendig,  bei  oberflächlicher  Lage  nicht  von  Nachtheil.) 

Das  Schild  der  Canule  ist  nicht,  wie  sonst,  in  der  Mitte 
mit  einem  Loch  versehen,  sondern  hat  einen  nach  unten 
offenen  Ausschnitt;  dadurch  fehlt  der  Theil  seines  Randes, 
welcher  leicht  Decubitus  an  der  Haut  macht  und  es  ist  somit 
überflüssig,  zwischen  Schild  und  Haut  Verbandzeug  zum 
Schutz  einzulegen. 

Beim  Gebrauche  bewährte  sich  diese  Canule  so  gut,  dass 
sie  auch  nach  meinem  Rücktritt  vom  Karolinen-Kinderspitale 
(seit  mehreren  Jahren)  dort  in  Verwendung  blieb. 

Die  Trichtercanule  zeigt  im  Gebrauch  folgende  Vorzüge: 
Ihr  weites  Caliber  gestattet  freie  Respiration;  ihr  tracheales 
Ende  liegt  nirgends  der  Wand  der  Luftröhre  an,  so  dass  man 
nicht  genöthigt  ist,  wie  zuweilen  bei  der  bisherigen  Form,  ab¬ 
wechselnd  längere  oder  kürzere  Röhren  einzulegen,  um  Decu¬ 
bitus  zu  verhüten,  oder,  wenn  er  entstanden  ist,  ihn  zur  Heilung 
zu  bringen. 

Das  Fenster  liegt  genau  an  der  richtigen  Stelle  in  der 
Achse  der  Luftröhre,  so  dass  niemals  Wundgranulationen 
hineinwachsen. 

Der  weiteste  Theil  des  in  der  Trachea  liegenden  Rohr¬ 
stückes  füllt  ihr  Lumen  vollständig  aus  und  verhindert  so  das 
Einfliessen  von  Blut,  von  Wundsecret  und  von  Secreten  aus 
dem  Kehlkopf  in  die  Luftröhre  und  erschwert  so  bei  Fällen 
von  Diphtheritis  ein  Weiterschreiten  des  Processes  nach 
abwärts. 

Die  Manipulation  mit  der  Canule  ist  einfach;  das  Wechseln 
der  Innencanule  erfordert  keine  geübte  Hand,  und  wenn  man 
die  ganze  Canule  herausgenommen  hat,  klafft  die  Wunde  so 
weit,  dass  die  Wiedereinführung  noch  nach  Stunden  leicht 
gelingt.  Man  braucht  also  nicht  eine  zweite  Canule  zum 
raschen  Wechseln  bereit  zu  haben  und  auch  das  definitive 
Entfernen  der  Canule  ist  erleichtert,  indem  die  Luftzufuhr 
durch  die  Halswunde  nur  ganz  allmälig  abnimmt.  Ein  kleiner, 
aber  nicht  zu  unterschätzender  Vortheil  besteht  darin,  dass  die 
Canule  leicht  zu  reinigen  ist. 

Als  Nachtheil  der  trichterförmigen  Canule  könnte  die 
grössere  Länge  des  Schnittes  in  der  Trachea,  die  zu  ihrer  Ein¬ 
führung  noting  ist,  angesehen  werden,  doch  habe  ich  davon 
nie  eine  üble  Folge  gesehen,  auch  wird  die  Operation  selbst 
nicht  erschwert,  denn  bei  grosser  Athemnoth  braucht  man  zu¬ 
nächst  die  Trachea  nur  an  einer  ganz  kleinen  Stelle  blosszu- 
legen  und  zu  eröffnen,  dann  wird  die  Respiration  sogleich 
ruhig  und  man  hat  bequem  Zeit,  die  Trachea  weiterhin  frei¬ 
zulegen  und  den  Schnitt  in  ihrer  vorderen  Wand  zu  ver¬ 
längern. 

Es  empfiehlt  sich,  die  Verlängerung  der  Oeffnung  in  der 
Trachea  nicht  nach  unten,  sondern  in  der  Richtung  nach  oben 
zu  machen,  denn  dadurch  erzielt  man  eine  festere  Lage  der 
eingeführten  Canule  zwischen  dem  unteren  Winkel  der  Tracheal¬ 
wunde  und  dem  oberen  Winkel  des  Hautschnittes.  Auch  kann 
bei  Verlängerung  des  Schnittes  nach  abwärts  bei  nicht  mehr 
überstrecktem  Hals  die  Trachealwunde  hinter  das  Sternum  zu 
liegen  kommen,  so  dass  die  Canule  herausgleitet,  weil  sie  zu 
kurz  wird. 

Ein  Nachtheil  der  Trichtercanule,  den  ich  übrigens  gering 
anschlage,  ist  der  Umstand,  dass  sie  aus  Metall  hergestellt 
werden  muss  und  dadurch  mehr  kostet,  als  die  Hartgummi- 
canulen.  Wenn  man  nur  in  einigen  Fällen  Hartgummicanulen  ver¬ 
wendet  hat,  findet  man  sie  wegen  ihrer  geringen  Dauerhaftig¬ 
keit  theurer,  als  solche  aus  Metall. 

Meine  eigenen  Erfahrungen  mit  der  Verwendung  der 
Trichtercanulen  datiren,  wie  schon  erwähnt,  seit  dem  Jahre  1881 
und  beziehen  sich  auf  mehr  als  200  Fälle;  die  oben  angeführten 
Vorzüge  der  Trichtercanule  waren  auch  der  Grund  für  ihre 
weitere  Verwendung  im  Karolinen-Kinderspitale  durch  meinen 
Nachfolger,  Herrn  Alex.  Fraenkel. 

In  Bezug  auf  einen  wichtigen  Punkt,  den  »Canulen- 
decubitus«,  steht  mir  ausser  der  klinischen  Beobachtung  noch 
das  besonders  schwerwiegende  Zeugniss  des  Anatomen  zu 
Gebote. 


Nr.  2fi 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


595 


Herr  Prof.  K  o  1  i  s  k  o,  welcher  durch  Jahre  alle  Sectionen 
für  das  Karolinen-Kinderspital  machte,  sagte  mir  auf  meine 
Frage,  er  habe  bei  den  dort  nach  der  Tracheotomie  gestorbenen 
Kindern  (im  Gegensatz  zu  seinen,  in  einem  anderen  Spitale 
gemachten  Beobachtungen)  k  e  i  n  e  n  Canulendecubitus  gesehen, 
und  gab  mir  die  Erlaubnis,  mich  auf  diesen  Ausspruch  zu 
berufen. 

Die  grosse  Weite  der  äusseren  OefFnung  der  Canule  ist 
beim  ersten  Anblick  befremdend,  hat  aber  ausser  den  oben 
angeführten  noch  andere  Vortheile:  dass  bei  Dampfinhalation 
mehr  von  den  Dampf  eingeathmet  wird,  dass  beim  Heraus¬ 
nehmen  des  Instrumentes  die  weitklaffende  Wunde  nicht  nur 
einigen  Einblick  in  die  Trachea  gestattet,  sondern  auch  die 
Einführung  von  Instrumenten  nach  oben  in  den  Kehlkopf 
ermöglicht;  in  einem  Falle  von  narbiger  Kehlkopfstenose  wurde 
dadurch  die  Behandlung  sehr  erleichtert. 


Zur  blutigen  Behandlung  der  Luxatio  claviculae 
acromialis  und  der  Brüche  des  Nasenbeines. 

Von  Dr.  Konrad  Büdinger. 

Die  blutige  Knochennaht  gilt  gegenwärtig  bei  den  Frac- 
turen  der  Patella  und  des  Olecranon  als  das  Normalverfahren, 
welches  der  Chirurg  in  jedem  derartigen  Falle  in  erster  Linie 
in  Vorschlag  bringen  muss.  In  gleicher  Weise  verdient  aber 
das  operative  Verfahren  bei  einigen  anderen  Verletzungen  am 
Knochensystem  zur  dominirenden  Methode  zu  werden,  von  der 
nur  auf  Grund  besonderer  Indicationen  abgegangen  werden 
sollte.  Dazu  gehören  die  acromialen  Luxationen  der  Clavicula 
und  einige  Formen  von  Fracturen  der  Nasenbeine,  für  welche 
viele  Methoden  der  Reposition  oder  Retention  ersonnen,  aber 
nur  die  blutigen  erfolgreich  und  des  heutigen  Standes  der 
Chirurgie  würdig  sind. 

I.  Die  Luxatio  claviculae  acromialis  ist  be¬ 
kanntlich  keine  gar  so  seltene  Verletzung;  sie  ist  schon  den 
Alten  bekannt  gewesen  und  macht  nach  Gurlt- Krönlein 
2  4  —  2'7 %,  nach  Defranceschi  6%;  nach  Albers  3% 
aller  Luxationen  aus.  Zu  ihrer  Heilung  ist  eine  imponirende 
Menge  von  Methoden  angegeben  worden,  ohne  dass  bisher 
eine  von  ihnen  allgemeinen  Anklang  gefunden  hätte. 

Es  soll  an  dieser  Stelle  nicht  auf  die  Aetiologie  und 
Symptomatologie  dieser  Verletzung  eingegangen  werden,  welche 
bereits  eine  eingehende  Würdigung  erfahren  hat  (Barden¬ 
heuer,  König,  Glück  etc.),  es  scheint  mir  aber  doch  von 
Wichtigkeit,  auf  die  Meinungsverschiedenheiten  hinzuweisen, 
welche  darüber  bestehen,  ob  die  Luxation  eine  functionelle 
Schädigung  verursacht  oder  nicht,  ob  die  Behandlung  nur  ein 
rein  kosmetisches  Interesse  verfolgt  oder  ein  für  den  Gebrauch 
der  Extremität  noth  wendiger  Eingriff  ist.  Von  einigen  Autoren 
wird  nämlich  angegeben,  dass  die  anfängliche  Functionsstörung 
nur  durch  den  Schmerz  bedingt  sei,  und  das  definitive  Resul¬ 
tat  fast  immer  auch  ohne  besondere  Behandlung  ein  sehr 
günstiges  werde. 

Dieser  Ansicht  ist  unter  Anderen  auch  T  h  i  e  m,  der 
ausdrücklich  sagt,  dass  »diese  Verletzungen  höchst  selten  eine 
wirkliche  Erwerbsbeschränkung  zur  Folge  haben«,  aber  auch 
hinzusetzt,  dass  die  Verunglückten  ihnen  eine  zu  grosse  Be¬ 
deutung  zuschreiben  und  »bei  der  nachweisbaren  objectiven 
Veränderung«  auch  eine  Rente  verlangen  und  erhalten.  Da 
sich  aus  dem  vorzüglichen  Lehrbuche  von  T  h  i  e  m  Tausende 
von  Unfallsärzten  Rath  holen,  ist  wohl  anzunehmen,  dass  das 
Gutachten  vor  den  Schiedsgerichten  meist  ähnlich  ausfallen 
wird.  Trotzdem  bekommen  die  Verunglückten  nach  Thiem 
10  1 5°/o,  also  selbst  bei  extrem  optimistischer  Betrachtung 

der  I  rage  kommt  unsere  modernste  Indication  —  der  Säckel 
der  Unfallscassen  —  hinzu,  um  eine  genaue  Behandlung  zu 
fordern. 

Die  Erfahrungen  anderer  Beobachter  über  die  Functions¬ 
fähigkeit  des  Armes  nach  der  Luxatio  acromialis  sind  weit 
ungünstiger  und  es  sind  Fälle  bekannt,  bei  denen  zu  Anfang 
eine  fast  normale  Beweglichkeit  bestand,  während  in  späterer 


Zeit  eine  sehr  beträchtliche  Störung  eintrat.  Betrachten  wir 
das  Schultergelenk  und  seine  Umgebung  bei  der  Lux.  clav. 
acr.,  so  ist  es  einleuchtend,  dass  die  ausgedehnte  Bänderzer- 
reissung  um  das  Gelenk  zwischen  Clavicula  und  Acromion 
sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auch  auf  den  bänderigen  Appa¬ 
rat  des  Schultergelenkes  fortsetzen  wird,  unter  allen  Um¬ 
ständen  aber  muss  die  Musculatur  eine  bedeutende  Einbusse 
erleiden,  welche  zur  partiellen  oder  ausgedehnten  Atrophie  führt. 
Dies  Schicksal  erleidet  vor  Allem  der  M.  deltoideus,  der  in 
der  Clavicularportion  stark  ausgezogen  wird,  wobei  es  selten 
ohne  ausgiebige  Muskelzerreissung  abgehen  dürfte,  besonders 
am  mittleren  acromialen  Theil  des  Muskels.  Dass  ältere  Leute 
nur  sehr  selten  in  der  Lage  sein  werden,  solche  Veränderungen 
zu  repariren,  ist  selbstverständlich. 

Ein  specieller  Nachtheil  erwächst  dem  Patienten  aus  dem 
Vorspringen  des  freien  Knochenendes  dann,  wenn  er  gezwungen 
ist,  die  Schulter  zum  Tragen,  Stemmen  zu  benützen.  Unter 
allen  Umständen  aber  ist  die  Haut  an  dieser  Stelle  mehr  als 
gewöhnlich  Insulten  ausgesetzt;  so  war  auch  bei  dem  Kranken, 
an  dem  die  blutige  Reposition  vorgenommen  wurde,  die  Haut 
über  dem  Acromialende  der  Clavicula  schon  nach  wenigen 
Tagen  in  der  Ausdehnung  eines  Guldenstückes  geröthet,  ge¬ 
spannt  und  sehr  empfindlich.  Es  scheint  mir  daher  auch,  dass 
die  Lux.  clav.  acr.  als  Unfallsverletzung  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  eine  andere  Beurtheilung  verdient,  als  ihr 
bisher  zu  Theil  geworden  sein  dürfte. 

So  ziemlich  alle  Autoren  geben  die  vollkommene  Unzu¬ 
verlässigkeit  der  Verbände  zu,  welche  mindesten  4 — 6  Wochen 
liegen  bleiben  müssten,  wenn  damit  der  gewünschte  Erfolg  er¬ 
zielt  werden  soll.  Erfüllt  aber  der  Verband  die  an  ihn  ge¬ 
stellten  Anforderungen,  indem  er  wirklich  fest  genug  einer¬ 
seits  gegen  die  Clavicula,  andererseits  gegen  das  Ellbogen¬ 
gelenk  drückt,  so  sind  Gangrän,  Decubitus  u.  dgl.  die  unver¬ 
meidlichen  Folgen.  Der  einzige  Fall,  bei  welchem  eine  Heilung 
auf  diesem  Wege  überliefert  ist,  ist  die  berühmte  Kranken¬ 
geschichte  Galen’s,  der  sich  angeblich  sechs  Wochen  lang  — 
mit  schliessliehem  Erfolg  —  in  einem  solchen  Schraubstock 
quälte.  Mir  erscheint  diese  oft  citirte  Krankengeschichte 
mit  Rücksicht  auf  die  nach  unseren  Begriffen  unmöglichen 
Zuthaten  ebenfalls  höchst  zweifelhaft. 

Die  ersten  Versuche,  die  Clavicula  auf  operativem  Wege 
an  Ort  und  Stelle  zu  halten,  rühren  von  Baum  und  Cooper 
her.  Ersterer  legte  eine  subcutane  Bändernaht  an,  indem  er 
durch  die  Reste  des  Ligamentum  acromio-claviculare  und 
coraco-claviculare  je  einen  Faden  von  carbolisirter  Seide  hin¬ 
durchzog,  die  Luxation  reponirte,  und  ähnlich  wie  bei  der 
V  o  1  k  m  a  n  n’schen  Patellarsehnennakt  die  Fäden  unter  einer 
aussen  liegenden  Heftpflasterrolle  oder  einem  Drain  stück 
knüpfte  (Hüter-Lossen).  Bardenheuer  empfahl  später 
für  Fälle,  in  denen  seine  Extensionsbehandlung  nicht  zum 
Ziele  führt,  die  Anwendung  der  M  a  1  g  a  i  g  n  e’schen  Klammer. 

Die  offene  Kuochennaht  wurde  zuerst  von  Cooper, 
später  von  Poirier  und  Rieffel,  Paci,  Albers,  LeBec 
angewendet,  von  Letzterem  in  Analogie  der  Arthrodese  mit 
Anfrischung  der  Enden  von  Clavicula  und  Acromion  bei  einem 
Fall  von  veralteter  beiderseitiger  Luxation,  auch  Tillmans 
empfiehlt  die  Naht  der  Ligamente  oder  der  Knochen.  In  den 
Fällen  von  Cooper,  Poirier  und  Rieffel,  Paci,  Al¬ 
bers,  Le  Bec  wurde  die  Naht  mit  Silberdrähten  ausgeführt, 
und  zwar  bedurften  sie  meist  dreier  Nähte,  welche  durch 
Acromion  und  Clavicula  gelegt  wurden. 

Gegen  die  Methode  der  Silberdrahtnaht  der  Knochen¬ 
enden  ist  Einiges  einzuwenden.  Zunächst  bedarf  es  mehrerer 
Nähte,  deren  Anlegung,  wie  man  sich  durch  den  Versuch  an 
der  Leiche  leicht  überzeugen  kann,  oft  genug  bedeutende 
Schwierigkeiten  macht,  bevor  die  genaue  Adaption  des  Ge¬ 
lenkes  erzielt  ist,  da  sich  die  Clavicula  ungeahnt  renitent 
zeigt.  Nebenbei  sei  nur  bemerkt,  dass  von  einer  Bändernaht 
allein  überhaupt  nichts  zu  erwarten  ist,  da  die  Ligamente 
knapp  an  der  Clavicula  reissen,  so  dass  diese  mit  ihrem  acro¬ 
mialen  Ende  förmlich  skeletirt  erscheint,  und  von  einem  ge¬ 
nügenden  Materiale  zur  Naht  gar  nicht  die  Rede  sein  kann. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


69ß 


Ausser  der  Schwierigkeit,  welche  die  Anlegung  der 
Knochennaht  in  manchen  Fällen  macht,  haben  die  Silberdrähte 
noch  einen  anderen  und  recht  wichtigen  Nachtheil,  der  auch 
von  Albers  angedeutet  wird  und  im  Falle  Le  Bec  wirk¬ 
lich  zu  Unannehmlichkeiten  führte.  Die  Nähte  liegen  sehr 
nahe  unter  der  Haut  und  können  daher  mit  dem  zusammen¬ 
gedrehten  Theil  leicht  Decubitus  machen ;  tritt  dies  ein, 
so  kann  man  sie  zwar,  wie  es  Le  Bec  that,  nachträglich 
wieder  herausnehmen,  was  aber  weder  für  den  Patienten,  noch 
für  den  Arzt  ein  Vergnügen  ist;  danach  entstehen  zudem  adhä- 
rente  und  empfindliche  Narben  an  einer  Stelle,  welche  vielen 
äusseren  Verletzungen  ausgesetzt  ist. 

In  dem  nachfolgenden  Falle  habe  ich  ein  Verfahren  ge¬ 
wählt,  welches  bisher  noch  nicht  angewendet  worden  sein 
dürfte,  und  von  dem  es  mir  scheint,  dass  es  recht  geeignet 
wäre,  als  Normalverfahren  bei  der  Behandlung  der  Luxatio 
elaviculae  acromialis  aufgenommen  zu  werden,  da  es  einfach 
und  leicht  ausführbar  ist  und  den  Vortheil  hat,  dass  keine 
Metallnähte  zurückgelassen  zu  werden  brauchen.  Das  Wesentliche 
besteht  darin,  dass  vom  äusseren  Ende  des  Acromion  ein  län¬ 
gerer  Drillbohrerstift  durch  dieses  und  weiter  eine  Strecke  weit 
in  die  Clavicula  der  Längsachse  derselben  entsprechend  ein¬ 
gebracht  wird.  Der  Stift  bleibt  eine  Zeit  lang,  circa  14  Tage 
liegen,  garantirt  unterdessen  die  solideste  Fixation  und  kann 
nachher  leicht  entfernt  werden.  Gerade  durch  den  Reiz  des 
Fremdkörpers  dürfte  die  definitive  Befestigung  schneller  vor 
sich  gehen  —  also  das  Princip  der  Güssen  baue  Eschen 
Klammern.  Ein  ähnlicher  Vorschlag  wird  von  König  theore¬ 
tisch  angedeutet:  »Bei  extremen  Fällen  würden  wir  doch  auch 
keinen  Anstoss  nehmen,  durch  eine  Incision  den  Arm  und  die 
Schulter  zu  heben,  Acromion  und  Schlüsselbein  sich  nahe  zu 
bringen  und  selbe  entweder  durch  Naht  oder  durch  Elfenbein¬ 
oder  Stahlstift  zu  vereinigen.« 

J.  K.,  Bahnwächter,  38  Jahre  alt,  wurde  am  21.  Februar  1900 
ins  St.  Rochus-Spital  gebracht. 

Ueber  den  Unfall,  der  ihn  betroffen,  weiss  Patient  nichts  aus¬ 
zusagen,  als  dass  er  beim  Ueberqueren  der  Geleise  plötzlich  von 
einem  Zuge  erfasst  und  niedergeworfen  wurde.  Er  fiel  in  Bewusst¬ 
losigkeit,  aus  der  er  nach  circa  einer  Stunde  erwachte,  ohne  aber 
bei  der  Ankunft  im  Spital  das  klare  Bewusstsein  wieder  gewonnen 
zu  haben. 

Status  praesens:  Patient  äusserst  blass,  theilnahmslos 
gegen  die  Umgebung,  Extremitäten  kühl,  Puls  klein,  frequent  (160), 
Temperatur  subnormal.  Fractur  der  neunten  und  zehnten  Rippe  in  der 
linken  vorderen  Axillarlinie,  enorme  Schmerzhaftigkeit  im  Epigastrium, 
sonst  nichts  Abnormes  in  Brust  und  Bauch  nachzuweisen.  Die 
linke  Schulter  zeigte  eine  auffallende  Veränderung  der  Gestalt,  ihre 
Wölbung  ist  verschwunden,  der  Contour  geht,  von  vorne  gesehen, 
in  beinahe  rechtem  Winkel,  der  Querdurchmesser  erscheint  ver¬ 
kürzt.  Nach  oben  springt  dicht  unter  der  stark  gespannten  Haut 
ein  ziemlich  scharfer  Vorsprung  vor,  der  sich  als  das  acromiale 
Schlüsselbeinende  erweist,  und  unter  welchem  sich  eine  tiefe  Grube 
befindet;  der  Abstand  zwischen  Clavicula  und  Acromion  beträgt 
circa  4  c/?i,  wobei  das  Schlüsselbein  auch  nach  hinten,  das  Acro¬ 
mion  nach  vorne  abgewichen  ist.  Das  freie  Ende  der  Clavicula  ist 
sehr  beweglich  und  lässt  sich  leicht  an  seine  normale  Stelle  bringen, 
wenn  man  gleichzeitig  die  Schulter  nach  rückwärts  zieht  und  das 
vorspringende  Knochenstück  niederdrückt.  Den  Arm  vermag  Patient 
im  Schulterblatt  activ  nur  wenig  zu  eleviren,  während  die  passive 
Beweglichkeit  nahezu  ganz  frei  ist. 

Zuerst  konnte  der  Schlüsselbeinverrenkung  nur  wenig  Auf¬ 
merksamkeit  geschenkt  werden,  da  die  übrigen  Symptome  zu  sehr 
im  Vordergrund  standen.  Erst  am  15.  Mai  wurde  zur  Operation  in 
Narkose  geschritten. 

Der  Schnitt  ist  etwa  4  cm  lang,  geht  bogenförmig  am  oberen 
Rande  der  Spina  scapulae  bis  zur  Spitze  des  Acromion.  Nachdem 
der  Lappen  nach  oben  zurückpräparirt  ist,  zeigt  sich  das  Ende  der 
Clavicula,  von  welchem  sämmtliche  Bänder  knapp  am  Periost  ab¬ 
gerissen  sind.  Nach  Reposition  der  Clavicula  wurde  der  Versuch 
gemacht,  die  Knochennaht  mit  starker  Seide  vorzunehmen  und  es 
wurden  daher  die  beiden  Knochenden  mit  dem  Drillbohrer  durch¬ 
löchert  und  durch  diese  Canäle  starke  Seidenfäden  gezogen.  Da 


aber  auf  diese  Weise  ein  genaues  Aneinanderfügen  der  Knochen 
nicht  gelingen  wollte,  wurde  der  längste  und  stärkste  Stift  in  den 
Drillbohrer  eingesetzt  und  mit  diesem,  während  die  Knochen  reponirt 
gehalten  wurden,  von  dem  äussersten  lateralen  Ende  des  Acromion 
beginnend,  dieses  quer  und  die  Clavicula  entsprechend  ihrer  Längs¬ 
achse  angebohrl,  so  dass  der  Bohrstift  fast  5  cm  tief  eindrang.  Die 
Bohrvorrichtung  wurde  dann  abgenommen,  der  Stift  aber  in  loco 
belassen.  Nun  waren  die  Knochen  tadellos  adaptirt.  Die  Bänder 
werden  mit  drei  Nähten  an  das  Periost  der  Clavicula  fixirt,  die 
übrige  Wunde  genau  verschlossen. 

Die  Heilung  erfolgte  per  primam,  der  Stift  wurde  am  5.  März 
entfernt,  war  also  18  Tage  liegen  geblieben;  am  12.  März  wurde 
Patient  geheilt  entlassen. 

* 

II.  Die  Fracturen  der  Nase  haben  erst  vor  Kurzem 
durch  E.  v.  Bergmann  in  Heymann’s  Handbuch  eine  so 
eingehende  Behandlung  erfahren,  dass  ich  mich  in  den  folgen¬ 
der  Zeilen,  welche  den  Zweck  haben,  für  bestimmte  Formen 
dieser  Verletzung  die  operative  Behandlung  als  principiell  zu 
empfehlen,  fast  ausschliesslich  auf  diesen  Artikel  berufen  kann. 
Bergmann  hat  in  vielen  Beziehungen  mit  alt  überlieferten 
Anschauungen  energisch  aufgeräumt.  Denn  selbst  in  einigen 
der  besten  Lehrbücher  findet  man  noch  immer  eine  ganze 
Menge  jener  Vorrichtungen  angeführt,  welche  sich  im  Laufe 
der  Zeit  aufgestapelt  haben,  trotzdem  sie  kaum  als  etwas 
Anderes,  als  eine  Spielerei  angesehen  werden  können,  bei 
anderen  Autoren  heisst  es  wieder  kurz,  dass  die  Deformität 
in  frischen  Fällen  durch  Eingehen  mit  einer  Kornzange  be¬ 
hoben  werden  kann. 

In  starkem  Contraste  hiezu  steht  die  Mahnung  Berg¬ 
man  n’s,  »dass  keine  schief  geheilte  Fractur  von  den  Patienten 
und  deren  Angehörigen  so  übel  dem  Arzte  vermerkt  wird, 
als  die  der  Nase,  wenn  sie  nach  Abfall  der  Schwellung  offen¬ 
kundig  geworden  ist«.  Die  Wichtigkeit  der  therapeutischen 
Indicationsstellung  wird  noch  dadurch  gesteigert,  dass  die  Re¬ 
position  der  Nasenfracturen  durchaus  nicht  vorwiegend  dem 
Chirurgen  von  Fach,  sondern  in  den  meisten  Fällen  dem 
praktischen  Arzte  zufällt.  Hoffentlich  wird  das  gewichtige 
Wort  Bergman  n’s  den  Erfolg  haben,  dass  alle  Apparate, 
welche  zur  Reposition  der  Fragmente  dienen  sollen,  besonders 
aber  die  ganz  ungenügenden  Vorrichtungen  aufgegeben  werden, 
welche  das  Gerüste  der  Nase  von  innen  oder  aussen  stützen 
sollen,  wie  Pflasterverbände,  Rhineurynter,  Pince-nez,  Durch¬ 
stechung  der  Nase  etc. 

Zu  der  Manipulation  bei  der  Reposition  der  Fragmente 
braucht  man  niemals  etwas  Anderes,  als  die  Finger,  eine  flache 
Korn-  oder  Polypenzange  und  eventuell  eine  Sonde,  zur  Stütze 
lange  Jodoformgazestreifen,  die  bis  weit  nach  hinten  eingeführt 
werden  und  sich  der  Form  der  Nasenhöhle  auf  das  Genaueste 
anpassen.  Damit  gelingt  es  wohl  ohne  Ausnahme,  die  typischen 
Querbrüche  im  unteren  Drittel  der  Nasenbeine  auszugleichen 
und  zu  tadelloser  Heilung  zu  bringen. 

Kommt  man  mit  den  Digital-  und  Instrumentalversuchen 
nicht  aus,  so  räth  Bergmann,  sofort  zur  Blosslegung  der 
Bruchstelle  überzugehen  und  die  Reposition  auf  blutigem  W ege 
vorzunehmen.  Die  Indication  zur  blutigen,  d.  h.  operativen 
Reposition  ist  unzweifelhaft  in  sämmtlichen  Fällen  gegeben, 
bei  welchen  anderweitige  Versuche  gescheitert  sind,  im  Spe- 
ciellen  lässt  sie  sich  aber  noch  für  eine  ziemlich  typische 
Form  der  Nasenbrüche  genauer  formuliren  und  ich  habe  ge¬ 
glaubt,  diese  Indication  hier  ausführlicher  besprechen  zu  sollen, 
weil  gerade  bei  dieser  Form  die  Operation  nicht  das  Ultimum 
refugium,  sondern  das  einzig  Mögliche  ist  und  es  auch  hie 
und  da  von  Uebel  sein  kann,  fruchtlose  Repositionsversuche 
voranzuschicken. 

Während  für  das  unter  Drittel  der  Nasenbeine  die  reine 
Querfractur  typisch  ist  (H  a  m  i  1 1  o  n),  tritt  bei  den  Brüchen, 
welche  mehr  frontalwärts  in  den  Nasenbeinen  zu  Stande 
kommen,  ihre  Combination  mit  Längsbrüchen  immer  mehr  und 
mehr  in  den  Vordergrund.  Zur  Erläuterung  dessen  sei  auch 
auf  die  Abbildungen  in  Zuckerkand  l’s  Anatomie  der 
Nasenhöhle  (Bd.  II,  Tafel  I  und  II)  verwiesen.  Da  das  Nasen¬ 
bein  von  oben  nach  unten  immer  dünner  wird  (seine  Dicke 


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beträgt  nach  Zucker  kan  dl  im  oberen  Antheile  2-5 — 7 ,  im 
unteren  0'5 — 15  mm),  wobei  sich  der  Durchschnitt  im  unteren 
Drittel  sehr  schnell  verjüngt,  so  sind  es  natürlich  die  schwereren 
Insulte,  bei  denen  die  oberen  Antheile  des  Knochens  frac- 
turiren. 

Ausserdem  ruhen  die  Nasenbeine  mit  mehr  als  ihrem 
oberen  Drittel  der  Spina  nasalis  ossis  front,  auf;  das  Ende 
dieses  Knochenfortsatzes  kann  man  als  den  Punkt  bezeichnen, 
bis  zu  welchem  die  Fractur  bei  den  mittelschweren  Fracturen 
geht  (Z  u  c  k  e  r  k  a  n  d  1,  Tafel  I,  Fig.  8,  9,  10),  und  erst  sehr 
starke  und  besonders  die  direct  einwirkenden  Insulte  führen 
auch  zur  Fractur  der  obersten  Theile  der  Nasen knochen.  In 
beiden  Fällen  verlaufen  die  Längsbrüche  entweder  in  Form 
von  Diastasen  in  den  Nähten  zwischen  Oberkieferfortsatz  und 
Nasenbeinen  einerseits,  zwischen  den  beiden  Nasenbeinen  an¬ 
dererseits,  wo  man  dann  mit  Longuet  von  einer  Luxation 
sprechen  kann,  oder  die  Sprünge  gehen  durch  den  Knochen  ; 
klinisch  bleibt  sich  das  übrigens  gleich. 

Bei  allen  Brüchen  dieser  Art,  welche  ich  gesehen  habe, 
seien  sie  nun  einseitig  oder  beiderseitig,  kommt  es  zu  einer 
Verschiebung  der  Fragmente  in  seitlicher  Richtung,  und  zwar 
am  häufigsten  nach  aussen  d.  h.  lateral  und  mit  Einwärts¬ 
drehung,  so  dass  sich  das  Fragment  unter  dem  Oberkiefer¬ 
fortsatz  verkeilt.  Dass  es  hiebei  niemals  ohne  Fractur  des 
Septums  abgehen  dürfte,  lehrt  ein  Blick  auf  die  Abbildungen 
von  Zuckerkand  1.  Die  Verschiebung  ist  am  unteren  Ende 
am  stärksten,  dafür  kann  aber,  wie  es  in  einem  meiner  Fälle 
zutraf,  die  Verkeilung  des  oberen  Stückes  eine  so  starke  sein, 
dass  es  sich  nur  schwer  auslösen  lässt. 

Diese  combinirten  Längs-  und  Querfracturen  der  Nasen 
beine,  welche  bis  über  das  Niveau  der  Spina  nas.  oss.  front, 
hinaufreichend,  mit  seitlicher  Dislocation  einhergehen,  sind  es 
nun,  für  welche  ich  unbedingt  die  operative  Reposition  in  An¬ 
spruch  nehmen  möchte.  In  diesen  Fällen  richtet  man  auf 
anderem  Wege  nichts  aus,  es  sollten  sogar  alle  Repositions¬ 
versuche  besser  unterbleiben.  Von  Manipulationen  mit  der 
Kornzange  ist  ohnehin  nichts  zu  erwarten,  und  mit  der  Sonde 
wird  man  höchstens  die  Schleimhautverletzungen  grösser 
machen  und  damit  den  Knochen  von  innen  her  entblossen. 
Schreitet  man  von  Anfang  an  zur  Operation,  so  ist  der  Erfolg 
ein  sicherer  und  man  vermeidet  die  Gefahren,  denen  man  den 
Patienten  durch  langes  Herumstöbern  in  der  Nase  aussetzt. 
Der  Schnitt  muss  genau  in  der  Mittellinie  geführt  werden, 
und  zwar  der  ganzen  Länge  der  Fractur  entsprechend  bis 
auf  den  Knochen.  Es  gelingt  dann  leicht,  mit  feinen  Hacken- 
pincetten,  kleinen  Raspatorien,  die  Fragmente  zu  fassen  und 
sie  zu  reponiren,  während  die  geknickte  Nasenscheidewand 
entweder  von  vorne  her  oder  von  oben  und  unten  zu  gleicher 
Zeit  aufgerichtet  wird.  Ich  habe  in  meinen  beiden  Fällen  die 
Fragmente  mit  einigen  Nähten  von  feinster  Seide  aneinander 
fixirt,  weil  sie  die  Tendenz  hatten,  im  Sinne  der  früheren 
pathologischen  Stellung  zurückzusinken.  Bergmann  räth, 
bei  der  Naht  zwischen  den  einzelnen  Nähten  kleine  Lücken 
zu  lassen,  damit  die  über  den  Wundspalt  gebreitete  Gaze 
durch  sie  die  zwischen  Haut  und  Knochen  sich  ansammelnden 
flüssigen  Wundproducte  ansammeln  kann;  in  meinen  Fällen 
wurde  dicht  genäht  und  kein  Verband  angelegt. 

In  kosmetischer  Beziehung  ist  das  Resultat  ein  sehr 
günstiges;  eine  mediale  Narbe  auf  dem  Nasenrücken,  welche 
die  Symmetrie  nicht  beeinflusst,  stört  so  gut  wie  gar  nicht ; 
übrigens  pflegt  sie  nach  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  zu  ver¬ 
schwinden. 

Von  den  beiden  Patienten,  welche  ich  in  der  geschil¬ 
derten  W eise  behandelt  habe,  war  dem  Einen  beim  Canalbau 
ein  schwerer  Pfosten  auf  die  Nase  gefallen.  Das  linke  Nasen¬ 
bein  war  knapp  unter  der  Naht  gegen  das  Os  frontale  und 
dicht  neben  dem  Oberkieferfortsatz  gebrochen,  beinahe  sym¬ 
metrisch  auch  das  rechte  Nasenbein.  Beide  Knochen  dehiscirten 
in  der  Mittelnaht,  die  Fragmente  waren,  und  zwar  links  stark, 
rechts  weniger  gedreht,  indem  besonders  ihre  distalen  Antheile 
lateral  verschoben  und  einwärts  gewendet  waren.  Im  zweiten 
Falle  erzeugte  ein  mächtiger  Faustschlag  eine  Fractur,  welche 
rechterseits  an  der  typischen  Stelle  im  unteren  Drittel  sass, 


links  aber  von  der  entsprechenden  Stelle  aufsteigend  etwas 
schief  nach  aussen  gegen  die  Mittellinie  verlief  und  bei  Lösung 
der  Seitennaht  zu  einem  tiefen  Einsinken  des  Knochens  mit 
Verkeilung  gegen  den  Proc.  nas.  max.  sup.  führte. 


Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  Hochenegg 
an  der  Allgemeinen  Poliklinik. 

Ein  Fall  von  Gallensteinwanderung. 

Von  Robert  Porges,  Assistent  des  Prof.  Hochenegg. 

Vor  ungefähr  einem  halben  Jahre  wurde  ich  von  einem 
hiesigen  Collegen  zu  seiner  Mutter  gebeten;  ich  fand  eine  gut 
genährte  Frau  von  47  Jahren,  welche  seit  circa  iy2  Jahren 
an  Fisteln  des  rechten  Oberschenkels  litt.  Ueber  die  Ent¬ 
stehungsgeschichte  derselben  erfuhr  ich  von  dem  Collegen 
folgende,  zum  Theil  erst  nach  der  Operation  ergänzte  Daten: 

Patientin  hat  fünfmal  normal  entbunden,  niemals  abqrtirt. 
Kinder  leben  und  sind  gesund.  Seit  ungefähr  20  Jahren  ist  sie 
magenleidend,  seit  acht  Jahren  leidet  sie  im  Anschluss  an  einen 
acuten  Magen- Darmkatarrh  an  anfallsweise  auftretenden  Schmerzen 
in  der  rechten  oberen  Bauchgegend,  die  gegen  den  Rücken  aus¬ 
strahlen.  Es  handelte  sich  um  schwere  Gallensteinkoliken,  die  in 
den  nächsten  sechs  Jahren  immer  häufiger  wiederkehrten,  so  dass 
Patientin  fast  beständig  Schmerzen  hatte  und  einige  Male  auch 
Wochen  lang  ans  Bett  gefesselt  war.  Während  dieser  Jahre  soll 
Ikterus  massigen  Grades  beständig  vorhanden  gewesen  sein.  Nach 
einer  Karlsbader  Cur  vor  vier  Jahren  nahmen  der  Ikterus  und  die 
Schmerzen  ab.  Dann  trat  eine  fieberhafte,  sieben  Wochen  dauernde 
Erkrankung  auf,  die  mit  lebhaften,  aber  mehr  constanten  Schmerzen 
in  der  Lebergegend  und  im  Rücken  einherging  (Cholecystitis?). 
Nach  Ablauf  dieser  Krankheit  bestanden  noch  durch  einige  Wochen 
Schmerzen  in  der  Cöcalgegend,  die  aber  später  nicht  wiederkehrten. 
Seither  machte  Patientin  jedes  Jahr  eine  Karlsbader  Cur  durch,  ob¬ 
wohl  sie  in  der  Zwischenzeit  nicht  an  Gallensteinkoliken  litt.  Im 
Jahre  1898  hatte  Patientin  (angeblich  nach  stärkerer,  körperlicher 
und  psychischer  Aufregung)  den  letzten,  circa  acht  Tage  andauern¬ 
den  Anfall  mit  exacerbirendem  Ikterus.  Darauf  traten  Schmerzen 
in  der  Gegend  hinter  und  ober  dem  rechten  Trochanter  auf,  die 
als  Ischias  gedeutet  und  behandelt  wurden.  Während  einer  neuer¬ 
lichen  Cur  in  Karlsbad  schwoll  der  rechte  Oberschenkel  in  der 
Gegend  des  Trochanters  an,  die  schmerzhafte  Geschwulst  nahm, 
nach  unten  fortschreitend,  an  Grösse  immer  mehr  zu,  so  dass  man, 
selbst  wenn  Patientin  vollständig  angekleidet  war,  eine  Ungleichheit 
der  Hüftgegend  bemerkte.  Unter  grossen  Schmerzen  brach  die  Ge¬ 
schwulst  an  der  Hinterseile  des  Oberschenkels,  ungefähr  in  der 
Mitte  desselben  spontan  auf,  wobei  sich  eine  grosse  Menge  Eiter 
entleerte.  Die  Schmerzen  haben  niemals  aufgehört  und  steigerten 
sich  in  letzter  Zeit  immer  mehr.  Im  Stuhle  bemerkte  Patientin  nie 
Gallensteine.  Seither  bestehen  am  Oberschenkel  zwei  Fisteln,  aus 
welchen  sich  in  wechselnder  Menge  ein  eiteriges  Secret  entleert. 
Knochen  oder  andere  feste  Bestandtheile  sind  aus  den  Fisteln  nie 
abgegangen. 

Status  praesens:  Patientin  mittelgross,  gut  genährt;  sehr 
starker  Panniculus  adiposus.  Die  Conjunctiven,  sowie  die  Haut 
normal  gefärbt.  Keine  Oedeme.  Temperatur,  Puls,  Respiration  normal. 
In  den  Lungen  kein  pathologischer  Befund.  Geringe  Adipositas 
cordis.  Sehr  dicke  Bauchdecken,  Abdomen  etwas  aufgetrieben. 
Leberdämpfung  nicht  vergrössert,  Leberrand  nicht  palpabel,  ebenso¬ 
wenig  die  Gallenblase.  Ungefähr  zwei  Querfmger  unter  dem  Rippen¬ 
bogen  in  der  Mamillarlinie  eine  ganz  circumscripte  Stelle,  die  auf 
Druck  schmerzhaft  ist;  daselbst  eine  kleine  Resistenz  tastbar.  Sonst 
ergibt  die  Palpation  des  Abdomens  ein  negatives  Resultat. 

An  der  Hinterseite  des  rechten  Oberschenkels,  ungefähr  in 
der  Mitte,  fand  ich  zwei  circa  linsengrosse  Fistelöffnungen,  deren 
Grund  speckig  belegt  war.  Die  Ränder  waren  etwas  gewulstet,  nicht 
unterminirt.  Durch  die  Oeffungen  konnte  man  mit  einer  gewöhn¬ 
lichen  Meisseisonde  nach  oben  gegen  den  Trochanter  Vordringen; 
die  Fistelwand  war  weich,  locker,  nicht  leicht  blutend.  Durch  die 
Oeffnungen  entleerte  sich  ein  grüngelbes,  fad  riechendes,  eiteriges 
Secret;  eine  Communication  zwischen  den  Fisteln  war  nicht  nach- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


weisbar.  Oberhalb  der  Fisteln  war  die  Haut  des  Oberschenkels  in 
einer  Ausdehnung  von  mindestens  zwei  Handtellern  glänzend, 
ödematös,  hart  und  die  darunter  gelegenen  Weichtheilpartien  prall 
infiltrirt,  auf  Druck  schmerzhaft;  die  infiltrirte  Zone  reichte  nach 
abwärts  über  die  Fisteln,  nach  oben  hin  in  die  Höhe  des 
Trochanters. 

Die  Patientin,  die  schon  viele  Aerzte  consultirt  hatte, 
hatte  bisher  nur  antiseptische  Verbände,  Umschläge  mit  essig¬ 
saurer  Thonerde  aufgelegt;  ein  Arzt  hatte  Emplastrum  cinereum 
angewendet,  aber  nur  durch  ganz  kurze  Zeit  und  ohne  Erfolg. 

Welche  Diagnose  war  nun  zu  stellen?  Die  Diagnose  auf 
Tuberculose,  welche  eigentlich  am  nächsten  lag,  war  bei  der 
Beschaffenheit  der  Fisteln  und  dem  guten  Aussehen  der 
Patientin  trotz  des  langen  Bestandes  der  Erkrankung  aus- 
zuschliessen ;  es  waren  keine  unterminirten  Ränder  da,  die 
Beschaffenheit  des  Secretes  sprach  dagegen,  die  Sonde  stiess 
nirgends  auf  rauhen  Knochen.  Ich  dachte  an  Aktinomykose; 
aber  eine  Untersuchung  des  Eiters  ergab  ein  negatives  Resultat. 
Am  meisten  schien  mir  trots  der  negativen  Anamnese  der 
Befund  für  Lues  zu  sprechen;  und  ich  dachte  hiebei  an  einen 
Fall  von  Myositis  luetica  des  Quadriceps  femoris,  den  ich  vor 
mehreren  Jahren  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte  und  bei  dem 
es  zur  Ausheilung  unter  Bildung  mehrerer  Fisteln  am  Ober¬ 
schenkel  kam.  Die  Beschaffenheit  der  Fisteln  sprach  in  unserem 
Falle  entschieden  für  den  luetischen  Charakter;  auf  Befragen 
gab  Patientin  an,  dass  die  Schmerzen  besonders  in  der  Nacht 
auftraten.  Ich  machte  daher  dem  Collegen  den  Vorschlag,  da 
meine  Diagnose  nur  eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  sei,  einen 
Dermatologen  zuzuziehen.  Da  ihm  jedoch  der  Gedanke  an 
eine  luetische  Erkrankung  seiner  Mutter  ein  qualvoller  war 
und  er  den  Zweifel  der  Unsicherheit  einer  positiven  Be¬ 
stätigung  vorzog,  entschlossen  wir  uns,  auf  Grund  der  ge¬ 
stellten  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  Jodnatrium  innerlich  zu 
geben  und  auf  die  Fisteln  und  das  Infiltrat  Empl.  einer,  zu 
legen.  Diese  Behandlungsweise  wurde  durch  sechs  Wochen 
ohne  den  geringsten  Erfolg  fortgesetzt.  Die  Schmerzen  blieben 
dieselben,  das  Infiltrat  breitete  sich  in  den  Partien  unterhalb 
der  Fistelöffnungen  noch  mehr  aus;  die  Schmerzen  waren 
qualvoll;  die  Secretion  wurde  noch  reichlicher  und  belästigte 
Patientin  so  sehr,  dass  sie  mich  vor  ungefähr  sieben  Wochen 
wieder  aufsuchte.  Ich  nahm  eine  neuerliche  Sondirung  der 
Fisteln  vor,  deren  Oeffnungen  sich  nicht  geändert  hatten.  Nach 
abwärts  konnte  ich  nicht  weit  Vordringen;  ich  fühlte  nur 
weichen  Widerstand,  keinen  Knochen.  Nach  oben  zu  konnte  ich 
mit  einer  25  cm  langen  Meisseisonde  bis  in  die  Gegend  ober¬ 
halb  des  Trochanters,  zwischen  diesem  und  Tuber  ossis  ischii 
eingehen,  immer  parallel  der  Hautoberfläche,  ohne  auf  festen 
Widerstand  oder  ein  Hinderniss  zu  stossen;  nach  vorne  zu 
ging  eine  Abzweigung,  in  die  ich  auch  tief  eindringen  konnte. 
Obwohl  ich  nun  über  die  Diagnose  auch  nicht  mehr  aufgeklärt 
war  als  vorher,  so  war  es  mir  doch  klar,  dass  hier  nur  eine 
Operation  helfen  könne.  Da  sowohl  die  Patientin,  als  auch 
ihr  Sohn  damit  einverstanden  waren,  nahm  ich  die  Kranke 
auf  die  Abtheilung  meines  Chefs,  Herrn  Proftssor  PI  o  eben  egg, 
in  der  Allgemeinen  Poliklinik  auf.  Vor  der  Operation  äusserte 
ich  dem  Collegen  gegenüber  den  Verdacht,  dass  es  sich  auch 
um  einen  Fremdkörper  handeln  könnte,  der  vom  Rectum, 
oder  von  der  Scheide,  oder  auch  direct  eingedrungen  sein 
und  die  langwierige  Eiterung  und  Fistelbildung  verursacht 
haben  konnte.  Von  einer  Durchleuchtung  mit  Röntgen-Strahlen 
nahm  ich  Abstand,  da  durch  ein  positives  oder  negatives 
Resultat  derselben  der  Entschluss,  die  Operation  vorzunehmen, 
nicht  mehr  beeinflusst  werden  konnte  und  die  Diagnose  am 
sichersten  bei  der  Operation  zu  stellen  sein  würde. 

Am  1.  Mai  wurde  die  Operation  in  Chloroformnarkose 
vorgenommen.  Ich  ging  mit  einer  Hohlsonde  in  die  Fistel 
ein,  spaltete  die  auf  dieselbe  aufgelagerte,  aus  Haut,  Unter¬ 
hautzellgewebe  und  I  ett  bestehende  Gewebapartie,  und  gelangte 
so,  die  Sonde  immer  weiter  vorschiebend,  bis  in  die  Gegend 
zwischen  Crista  ilei  und  Trochanter;  da  hörte  der  Fistelgang, 
der  überall  oberhalb  der  Fascie  lag,  auf.  Von  diesem  Haupt- 
gang  gingen  nun  eine  Reihe  von  Seitengängen  aus,  deren 


einer  die  Communication  mit  der  anderen  Fistelöffnung  her¬ 
stellte,  so  dass  die  ganze  Haut  des  Oberschenkels  auch  nach 
vorne  bis  gegen  die  Mitte  des  Oberschenkels  von  einem  Netz 
von  Hohlgängen  unterwühlt  war.  Indem  ich  nun  diesen 
Taschen  und  Gängen  nachging,  fand  ich  endlich  in  den 
untersten  Partien  dieses  Lacunennetzes  die  Ursache  des  Pro¬ 
cesses:  eine  grosse  Menge  von  Gallensteinen,  zum  Theile  in 
schönen  Tetraederformen,  zum  Theile  in  kleineren  oder  grösseren 
Stücken.  Die  einzelnen  Gänge  wurden  nun  freigelegt;  nach 
vorne  zu,  wo  eine  Tasche  bis  über  die  Mitte  des  Oberschenkels 
reichte,  wurde  eine  Gegenincision  gemacht  und  ein  starkes 
Drainrohr  eingeführt,  hierauf  dieganze  grosse  Wundfläche,  deren 
Längsdurchmesser  über  30  cm  betrug,  mit  Jodoformgaze  tam- 
ponirt  und  ein  grosser  Verband  darüber  angelegt.  Die  Heilung 
ging  glatt  von  statten;  jetzt,  nach  circa  sieben  Wochen,  ist 
bis  auf  eine  kleine,  schön  granulirende  Fläche  an  der  Hinter¬ 
seite  des  Oberschenkels  Alles  verheilt. 

Die  durch  Herrn  Regierungsrath  Professor  Mauthner 
vorgenommene  Untersuchung  der  Concremente  ergab  folgendes 
Resultat:  »Die  Concremente  sind  Gallensteine:  sie  bestehen 
der  Hauptmasse  nach  aus  Cholesterin  neben  Bilirubinkalk;  das 
Gesammtgewicht  beträgt  9'4y.«  (Ein  Theil  ist  bei  der  Operation 
verloren  gegangen.) 

Nach  diesem  überraschenden  Operationsbefunde  und  unter 
dem  Eindrücke  desselben  wurde  nun  die  oben  angeführte 
genaue  Krankengeschichte  aufgenommen,  durch  die  nach¬ 
träglich  mancher  bisher  dunkle  Punkt  aufgeklärt  wurde.  Vor 
der  Operation  hatte  ich  auf  die  Geschichte  der  Gallenstein¬ 
erkrankung  kein  Gewicht  gelegt;  es  ist  ja  verzeihlich,  wenn 
man  bei  einer  Fistel  am  Oberschenkel  nicht  an  einen  directen 
Zusammenhang  dieses  Leidens  mit  einem  Leberleiden  denkt. 
Alle  Collegen,  die  den  Fall  vor  mir  gesehen  haben,  haben 
denselben  Fehler  begangen,  und  die  Publication  dieser  seltenen 
Ausheilungsform  der  Cholelithiasis  dürfte  vielleicht  dazu  bei¬ 
tragen,  gerade  nach  dieser  Richtung  hin  die  Aufmerksamkeit 
der  Collegen  bei  ähnlichen  Fällen  in  die  richtige  Bahn  zu 
lenken. 

Aus  den  genauen  Daten  der  Anamnese  lässt  sich  der 
durch  die  Operation  erhobene  Befund  in  ungezwungener  Weise 
erklären.  Die  vor  längerer  Zeit  bestandene  fieberhafte  Er¬ 
krankung,  deren  Sitz  jedenfalls  die  Gallenblase  war,  hatte  zur 
Fixation  der  Gallenblase  mit  der  Umgebung  geführt.  Es  war 
zum  Durchbruch  der  Gallensteine  in  die  Umgebung  gekommen 
und  dieselben  waren  bei  der  länger  bestehenden  Rückenlage 
der  Patientin,  ihrer  eigenen  Schwere  folgend,  nach  rückwärts 
zu  bis  in  die  Fascia  dorso  lumbalis  vorgedrungen.  Inzwischen 
war  die  Cholecystitis  zur  Ausheilung  gekommen,  die  Patientin 
ist  aufgestanden  und  die  Gallensteine  senkten  sich  mit  dem 
sie  umspülenden  Eiter  längs  der  Fascie  nach  abwärts;  sie 
führten  nun  in  der  Gegend  des  Trochanters  zu  einer  einen 
kalten  Abscess  vortäuschenden  Erkrankung  und  waren  dann, 
immer  ihrer  eigenen  Schwere  folgend,  nach  Durchbruch  des 
Eiters  mehr  und  mehr  längs  der  Oberschenkelfascie  nach  ab¬ 
wärts  gedrungen. 

Es  sind  in  der  Literatur  mehrere  Fälle  von  Gallenstein¬ 
wanderung  angegeben.  Bei  einem  von  K  r  ö  n  1  e  i  n  mitgetheilten 
Fall  bildete  sich  eine  Gallenblasen-Harnblasenfistel  aus,  so  dass 
Gallensteine  durch  die  Harnröhre  abgingen.  Courvoisier 
gibt  in  einer  statistischen  Zusammenstellung  von  169  Fällen 
von  äusseren  Gallenfisteln  an,  dass  sich  die  Fistelöffnungen 
meist  einfach,  seltener  zwei-  oder  mehrfach  gebildet  hatten: 
Zehnmal  in  der  rechten  Regio  iliaca, 
zwölfmal  im  Nabel, 
elfmal  unter  dem  Nabel  und 
einmal  in  der  linken  Leiste. 

Bei  einem  interessanten  Fall,  den  v.  Bergmann  beobachtet 
hat,  fand  sich  eine  Fistelöffnung  am  Nabel.  Mit  der  Sonde 
stiess  man,  nach  der  Symphyse  hin  vordringend,  auf  Gallen¬ 
steine,  die  operativ  entfernt  wurden.  Der  Fistelgang  war  in 
diesem  Fall  —  es  handelte  sich  um  eine  ältere  Frau  —  vom 
offen  gebliebenen  Urachus  gebildet.  II  u  g  n  i  e  r  (citirt  von 
Courvoisier)  fand  einmal  multiple  Gallenfisteln  der  Bauch¬ 
wand,  welche  alle  durch  Gänge  untereinander  verbunden 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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waren.  Die  Fistelöffnungen  befanden  sich  am  Nabel,  im  mitt¬ 
leren  Hypogastrium,  am  Mons  Veneris  und  sogar  neben  der 
Clitoris.  Was  die  Aetiologie  betrifft,  war  in  diesem  merk¬ 
würdigen  Falle  ein  Trauma  der  Lebergegend  (Fall  auf  eine 
Kante)  vorausgegangen. 

Professor  Weinlechner  bat  einen  Fall  publicirt,  bei 
welchem  in  einem  periproktitischen  Abscess  ein  Gallenstein 
gefunden  wurde.  Herr  Dr.  Itzinger  theilt  mir  mit,  dass  er 
bei  einer  86jährigen  Frau  mit  einem  starken  Hängebauch  an 
der  tiefsten  Stelle  desselben,  ungefähr  zwischen  Nabel  und 
Symphyse,  in  einem  Abscess  einen  ungefähr  gänseeigrossen 
Gallenstein  fand,  nach  dessen  Entfernung  der  Abscess  spontan 
ausheilte.  Eine  so  weit  fortschreitende  Wanderung  von  Gallen¬ 
steinen,  wie  in  meinem  Fall,  habe  ich  bisher  nirgends  publicirt 
gefunden,  und  halte  mich  daher  berechtigt,  diesen  seltenen 
Fall  mitzutheilen. 


FEUILLETON. 

Materialien  zu  einer  Geschichte  der  Pharaonen- 

medicin. 

VI.  Aegyptische  Pneumalehre  im  Auslande. 

In  der  Pneumalehre  habe  ich  einen  Ueberblick  über  die 
Wichtigkeit  pneumatischer  Anschauungen  der  Alten  gegeben. 
Die  grössten  Schwierigkeiten  entstanden  in  geschichtlich-medi- 
cinischen  Arbeiten  für  Philologen,  welche  natürlich  nur  mit 
Mühe  in  moderner  Physiologie  sich  zu  recht  finden,  sich  im 
Geiste  in  uns  ganz  fernliegende  physiologische  Ansichten  hin¬ 
einzudenken.  Und  doch  ist  dies  noting  zum  Verständnisse  der 
alten  medicinischen  Autoren. 

Wir  dürfen  hier  nie  vergessen,  dass  es  ein  Anachronismus 
der  schlimmsten  und  verhängnissvollsten  Art  ist,  bei  den  Alten 
das  Hirn  als  Centrum  der  Nerventhätigkeit,  die  Lunge  als 
Hauptorgan  der  Athmung  und  das  Herz  als  Centralorgan  für 
die  Blutbewegung  anzusehen.  Es  lassen  sich  ja  Anklänge  an 
diese  Erkenntniss  nachweisen ;  aber  es  sind  dann  nur  immer 
ganz  vereinzelte  Stellen  einzelner  Autoren,  welche  nie  consequent 
diese  Lehre  durchführen.  Die  Keime  der  heutigen  Erkenntniss 
lassen  sich  in  den  Darlegungen  der  Alten  nachweisen,  aber 
nicht  die  ausgewachsene  Erkenntniss.  Es  wäre  auch  das  nieder- 
schlagendste  Armuthszeugniss,  wenn  seit  einigen  tausend  Jahren 
gar  kein  Schritt  vorwärts  gethan  wäre.  Wir  dürfen  die  Alten 
nicht  überschätzen.  Wir  dürfen  sie  auch  nicht  unterschätzen. 
In  dem,  was  damals  erreicht  war,  standen  sie  zeitenweise  sehr 
hoch.  Es  wäre  aber  auf  anderem  Gebiete  auch  ungereimt,  einen 
Aufsatz  schreiben  zu  wollen,  warum  Hannibal  den  Uebergang 
über  die  Alpen  nicht  mit  Lydditkanonen  erzwungen  hat.  Ganz 
curios  würde  ein  Aufsatz  wirken,  welcher  darthun  wollte,  dass 
vielleicht  Hannibal  doch  schon  die  Lydditwirkung  kannte,  aber 
die  Anwendung  für  unerlaubt  hielt.  Leider  sind  in  der  Be¬ 
handlung  der  Hippokrates-Frage  ähnliche  curiöse  Nebenfragen 
nicht  völlig  vermieden  worden.  Und  so  dürften  Einblicke  in 
die  Physiologie  der  Pneumatiker  in  ältester  Zeit  hier  ange¬ 
bracht  sein,  auch  ausserhalb  Aegyptens. 

Die  Physiologie  blieb  natürlich  im  Laufe  der  Jahr¬ 
tausende  nicht  unverändert.  Bald  wurde  hier,  bald  dort  ein 
Satz  bekämpft.  Aber  mehr  oder  weniger  kam  man  doch  immer 
wieder  auf  den  alten  Kern  zurück,  welchen  ich  hier  dar¬ 
bieten  will. 

Ich  habe  die  Zusammensetzung  des  Körpers  aus  Hart- 
theilen,  Weichtheilen,  Flüssigkeiten  und  Gasen  (Pneuma)  schon 
erwähnt.  Für  letztere  Bestandtheile  war  die  Gefahr  des  Ver¬ 
lustes  vorhanden.  Darum  scheiden  sich  in  den  Weichtheilen 
besondere  Bahnen  dafür  ab  als  Venen  und  Arterien,  und  über¬ 
zieht  sich  ausserdem  der  Körper  mit  einem  besonderen  Weich- 
theil:  der  Haut.  Das  Centralorgan  für  die  Athmung  ist  die 
Nase  (modern:  Lunge).  In  das  innere  Arteriensystem  gelangt 
das  Pneuma  durch  die  Herzohren,  wie  das  gesprochene  Wort 
durch  die  Ohren  des  Kopfes  geht.  Das  Herz  des  Alterthumes 
entspricht  in  der  Function  aber  modern  dem  Gehirne.  Und 


was  wir  als  Nerventhätigkeit  bezeichnen,  wurde  meist  den 
lufthaltigen  Arterien  zugeschrieben.  Das,  was  modern  dem 
Herzen  zukommt,  wurde  der  Leber  zugeschrieben.  Die  Leber 
ist  das  Centrum  der  Blutbereitung  und  der  Venen. 

Ueberall  erscheinen  die  späteren  vier  Grundflüssigkeiten 
von  Schleim,  gelber  Galle,  schwarzer  Galle  und  Blut.  Ursprüng¬ 
lich  können  auch  diese  oder  ihre  Ausgangspunkte  nur  einer 
objectiven  missverstandenen  Naturbeobachtung  entnommen  sein. 
Nach  meiner  Ueberzeugung  liegen  hier  Beobachtungen  bei 
der  Blutgerinnung  zu  Grunde.  Die  Spaltung  in  schwarzen 
Blutkuchen  und  überstellendes  gelbliches  Serum  ergab  die 
erste  Zweitheilung.  Die  Möglichkeit  der  Fibrinausrührung  im 
frischen  Blute  ergab  eine  weitere  Zweitheilung  des  Blutkuchens, 
in  das  Fibrin  und  in  die  färbende  Substanz.  Letztere  wurde 
für  identisch  mit  der  Galle  angesehen  und  mit  ihr  gleich  ge¬ 
nannt.  Die  Erhöhung  des  Fibringehaltes  des  Blutes  bei  allen 
entzündlichen  Processen  musste  bei  dem  hohen  Alter  des 
Aderlasses  eine  alte  medicinische  Beobachtung  sein.  Die  Con- 
fundiruDg  des  Fibrins  mit  Eiterung  lag  auch  sehr  nahe.  Es 
ergab  dies  den  sehr  verschwommenen  Begriff  des  Phlegma¬ 
schleimes.  Das  Blutserum  musste  später  gleichfalls  eine  dua¬ 
listische  Spaltung  erhalten.  Und  es  lag  nahe,  hier  einen  hellen 
Farbstoff,  nämlich  die  gelbe  Galle,  neben  Wasser  anzunehmen. 
Diese  Eintheilung  scheint  aber  in  einem  fortwährenden  Wechsel 
gelebt  zu  haben.  Nur  der  altägyptische  Hang  an  den  Zahlen 
2,  4,  8,  16  etc.  drückt  sich  auch  in  dem  Festhalten  von 
Griechen  und  Körnern  an  der  Vierzahl  der  Grundsäfte  aus. 

Im  dritten  Capitel  des  hippokratischen  de  genitura  sind 
die  vier  Flüssigkeiten:  Blut,  Galle,  Wasser  und  Schleim.  Hier 
muss  das  arterielle  Blut  als  Grundstoff  verstanden  werden, 
während  das  venöse  Blut  nur  als  Mischung  von  arteriellen 
Blute,  Galle,  Wasser  und  Schleim  gedacht  werden  kann. 
Arterielles  wie  venöses  Blut  sind  im  Geiste  jener  Zeit  im 
gleichen  Venensystem  enthalten,  so  dass  durch  eine  leicht  er¬ 
klärliche  Täuschung  in  der  Beobachtung  beim  Aderlässe  aus 
der  Vene  anfänglich  venöses  und  zum  Schlüsse  arterielles  Blut 
fliesst.  In  einer  Anmerkung  von  Robert  Fuchs  sah  ich 
nachträglich,  dass  Baum  hau  er  eine  ähnliche  Erklärung  der 
Grundstoffe  wie  ich  aufgestellt  hat.  Die  wegwerfende  Be¬ 
merkung  von  Fuchs  als  Philologen  über  eine  Sache,  welche 
man  mit  medicinischer  Selbstbeobachtung  gesehen  haben  muss, 
gegenüber  Baumhauer  ist  gänzlich  unangebracht  und  muss 
scharf  zurückgewiesen  werden,  da  Fuchs  sicherlich  noch 
keinen  Aderlass  mit  eigenen  Augen  zu  sehen  bekam. 

Genau  die  vier  gleichen  Grundflüssigkeiten,  wie  in  de 
genitura  sind  auch  im  ersten  Capitel  des  vierten  Buches  de 
morbis  angeführt.  Eine  Zusammenstellung  aller  Bücher  und 
Stellen  mit  gleichen  Ansichten  ist  hier  nicht  beabsichtigt.  Ich 
will  nur  Beispiele  anführen,  und  auch  diese  Entnahme  von 
Beispielen  aus  Hippokrates  findet  nicht  unmittelbar  im  Interesse 
der  Hi ppokrates-Forschung  statt,  sondern,  wie  schon  dieUeber- 
schrift  ergibt  zum  Verständniss  der  vorhippokratischen  Medicin, 
welche  natürlich  und  erweislich  in  der  hippokratischen  Medicin 
fortlebt. 

Am  weitesten  von  der  ursprünglichen  Aufstellung  ent¬ 
fernt  sich  der  Flüssigkeitsbestand,  wenn  er,  wie  im  vierten 
Capitel  de  natura  hominis  als  Blut,  Schleim,  gelbe  Galle  und 
schwarze  Galle  aufgestellt  wird.  Im  zweiten  Capitel  dieser 
Schrift  ist  weniger  consequent  nur  die  Dreitheilung  in  Blut, 
Galle  und  Schleim  aufgestellt. 

Ich  habe  schon  darauf  hingewiesen,  dass  die  Vierheit: 
Blut,  Schleim,  gelbe  Galle  und  schwarze  Galle  in  der  Ge¬ 
schichte  der  Medicin  unendliche  Male  zu  Tage  tritt.  Man 
kann  diese  Ausgestaltung  als  die  Grundlage  jedes  orthodoxen 
Humoralpathologen  annehmen.  Wenn  auch  Galen  os  der 
scheinbare  Gewährsmann  ist,  welcher  bis  in  das  späteste 
Mittelalter  diese  Vierheit  als  unantastbar  überliefert  hat,  so 
ist  dies  jenem  Arzte  weder  zum  Verdienste  noch  zum  Ver¬ 
brechen  aufzurechnen.  In  seiner  Zeit .  war  diese  Gestalt  der 
Humoralpathologie  schon  so  festgefügt,  dass  alle  Widersprüche 
dagegen  nur  Nadelstiche  waren.  Und  selbst  ein  Gale  no  s 
hätte  durch  Angriffe  dagegen  eher  seine  eigene  Autorität  ver¬ 
nichtet,  als  wirksame  Bresche  gelegt. 


600 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  26 


Ebenso  war  ein  alter  Bestand,  welchen  G  a  1  e  n  o  s  über¬ 
nehmen  musste,  die  Qualitätslehre  mit  den  Eigenschaften  des 
Warmen  und  Kalten,  des  Feuchten  und  Trockenen.  Dass 
schon  sofort  der  erste  Satz  in  de  prisca  medicina  von  diesen 
vier  Qualitäten  spricht,  beweist,  dass  die  Lehre  von  den¬ 
selben  auch  schon  der  Zeit  des  Hippokrates,  als  alt¬ 
überliefert  galt.  Auch  diese  Lehre  musste  von  Galenos  ohne 
Widerspruch  angenommen  und  bis  in  das  späteste  Mittelalter 
überliefert  werden. 

Die  ursprüngliche  Theilung  in  die  Vierheit  von  Fest, 
Weich,  Flüssig  und  Gasförmig  und  die  abermalige  Theilung 
der  Flüssigkeiten  in  die  Vierheit  von  Blut,  Galle,  Wasser  und 
Schleim  gibt  eigentlich  keinen  Raum  mehr  für  die  Viertheiluug 
der  Qualitäten  von  Warm  und  Kalt,  Feucht  und  Trocken. 
Die  hellenistische  Speculation,  welche  später  in  der  Religion 
den  widersinnigsten  Gnosticismus  hervorbringen  konnte,  fand 
es  auch  in  der  Medicin  für  geistreich,  widersprechende  Theorien 
in  die  gleiche  Wurst  zu  verarbeiten.  Sie  brachte  es  fertig 
zwei  Flüssigkeiten  für  feucht  und  zwei  F  1  ü  s  s  i  g  k  e  i  t  e  n  für 
trocken  zu  erklären. 

Das  sind  späte  Ausgeburten,  als  die  Medicin  schon 
anfing,  sich  von  directer,  wenn  auch  naiver  Naturbeobachtung 
zu  entfernen.  Gerade  diese  äusserlich  glänzende  Zeit  hat  uns 
aber  die  meisten  Literaturdenkmäler  überliefert,  so  dass  die 
künstlichen  Vermengungen  verschiedener  Viertelungstheorien 
literarisch  gut  belegbar  Objecte  philologischer  Forschungen 
sind,  während  natürlich  Reconstructionen  der  einzelnen  Be- 
standtheile  dieser  Vermengungen  zu  den  mühseligsten  und 
unsichersten  Arbeiten  gehören,  so  lange  wir  dafür  keine 
directen  Belege  haben.  Solche  directe  Belege  verspricht  aber 
die  Hieroglyphen-  und  Keilschriftmedicin  zu  liefern,  nachdem 
alle  bisherigen  Anzeichen  den  engen  Zusammenhang  mit  der 
griechischen  Medicin  ergeben  haben. 

Zu  der  Lehre  von  den  vier  Qualitäten  des  Trocken  und 
Feucht.  Warm  und  Kalt  kommt  die  Forderung  des  Tempera¬ 
mentes.  Jede  dieser  Qualitäten  besass  eine  Quantität.  Und  wenn 
die  Quantität  des  Warmen  so  ziemlich  der  Quantität  des  Kalten 
gleich  war,  so  waren  diese  Qualitäten  temperirt.  Das  Gleiche 
war  zwischen  trockener  und  feuchter  Qualität  der  Fall.  Zur 
Förderung  der  Gesundheit  des  menschlichen  Körpers  gehörte 
es,  dass  die  beiden  Qualitätspaare  temperirt  waren. 

Die  Wahrheit  dieser  Lehre  Hess  sich  im  Geiste  der 
Alten  auf  Schritt  und  Tritt  erweisen.  Das  Aderlassblut  des 
Fiebernden  gerinnt  in  Folge  des  höheren  Fibringehaltes  rascher 
als  das  Blut  beim  Gewohnheitsaderlasse  i m  Frühjahr.  Also 
musste  das  Blut  des  Fiebernden  zu  viele  Troekenbestandtheile 
enthalten.  Natürlich  war  hier  der  vermehrte  Durst;  denn  der 
Kranke  musste  zu  richtiger  Temperirung  mehr  Flüssigkeit 
aufnehmen.  So  sonderbar  uns  diese  Ansicht  erscheinen  mag, 
für  jeden  Satz  ergaben  sich  scheinbar  ebenso  stichhaltige 
demonstrirbare  Beweise,  so  dass  sich  die  Gesammtlehre  zu 
einem  festen  Bau  fügte,  der,  trotz  kleiner  Zutkaten  und  Weg¬ 
nahmen  im  Laufe  der  Zeit,  viele  Jahrtausende  überdauerte. 
Diese  Erfahrung  ist  so  recht  geeignet  auch  unser  heutiges 
Lehrgebäude  trotz  der  unendlichen  Ausarbeitung  und  Beweise 
nicht  als  die  endgültige  Erkenntniss  der  Wahrheit  erscheinen 
zu  lassen.  Die  Zukunft  wird  etwas  noch  Besseres  in  Jahr¬ 
tausenden  bringen. 

Ein  so  festes  Gefüge  der  Qualitätslehre  griff  aber  überall 
in  das  Alltagsleben  ein,  wie  es  heute  die  Antiseptik  thut.  Und 
auch  heute  noch  ist  unser  Leben  von  Atavismen  der  Qualitäts¬ 
lehre  durchsetzt.  Ich  will  statt  aller  anderen  Beispiele  nur  an 
den  gepfefferten  Gurkensalat  erinnern.  »Ungepfeflferter  Gurken¬ 
salat  ist  gesundheitsschädlich«  wird  an  jedem  Sommerabend 
von  Tausenden  von  Lippen  ausgesprochen.  So  sagte  schon  die 
Urgrossmutter,  so  sagt  heute  noch  die  Enkelin.  Der  Arzt  hört 
es  so  oft,  dass  er  es  glaubt,  ohne  sich  darüber  Rechenschaft 
zu  geben.  Durchsuchen  wir  unser  modernes  Lehrgebäude  nach 
Gründen,  so  tritt  uns  höchstens  die  Schwerverdaulichkeit  der 
unreifen  Frucht  Gurke  und  die  Anregung  der  Verdauungs- 
sätte  durch  das  Gewürz  entgegen.  Warum  lassen  wir  aber 
die  Gurke  nicht  völlig  reifen?  Solche  und  ähnliche  Fragen 
müssen  uns  aufstossen. 


Die  Lösung  ist  einfach.  Wir  haben  ein  altvererbtes,  in 
früheren  Zeiten  nach  medicinischen  Grundsätzen  in  die  Küche 
übergegangenes  »Temperament«  vor  uns.  Die  Gurke  ist  über¬ 
mässig  kalt  und  der  Pfeffer  ist  heiss.  Der  Pfeffer  bringt  daher 
auch  den  Mann  (als  heiss)  aufs  Pferd  und  die  Frau  (als  kalt) 
unter  die  Erd’.  Mit  Gurken  kann  man  sich  den  Magen  ver- 
kälten.  Auf  das  Pfund  Gurke  ein  halbes  Loth  Pfeffer  gibt  das 
nötkige  Temperament,  und  zwar  mit  einer  alten  Verhältniss- 
zahl  1  : 64.  Das  ist  atavistische  Hygiene,  gemäss  der  Qualitäts¬ 
lehre.  Es  wird  hier  der  gefürchteten  Schädigung  von  Seite 
der  Kälte  durch  genügende  Wärme  vorgebeugt. 

Auch  in  den  Qualitäten  spricht  sich  die  Vierzahl  aus, 
auf  welche  ich  schon  als  altägyptische  Zahlen  hingewiesen 
habe.  Wollen  wir  aber  einen  Sinn  in  die  Vierheit  von  Kalt 
und  Warm,  Feucht  und  Trocken  bringen  und  dem  gegenüber 
Blut,  Galle,  Wasser  und  Phlegma  corrigiren,  so  müssen  wir 
für  Blut  das  Pneuma  einsetzen.  Und  dies  dürfte  der  alt- 
ägyptischen  Lehre  entsprechen.  Das  Blut  müsste  dann  erst 
später  vor  Entstehung  der  entsprechenden  griechischen  Schule 
eingetreten  sein.  Hier  muss  ein  streng  hämatisches  Dogma 
die  Höhe  der  Pneumalehre  im  Allgemeinen  anerkannt  haben, 
aber  wegen  Aeusserlichkeiten  auch  nur  rein  äusserlich  das 
hämatische  Dogma  beibehalten  haben.  Hier  Beweise  zu 
bringen,  würde  zu  weit  führen.  Ich  will  es  darum  hier  einst¬ 
weilen  als  ganz  un gestützte  Theorie  geben,  wie  ich  mir  den 
ganzen  Zusammenhang  zurecht  gelegt  habe. 

Zwischen  Sardes  und  Aegypten  fand,  durch  Herodot 
mehrfach  belegt,  ein  reger  Verkehr  statt.  Sardes  war  aber,  wie 
mehrfach  zu  erweisen,  ursprünglich  streng  hämatisch.  Wie 
sehr  solche  hämatische  Lehre  in  die  Opfer,  die  Religion  und 
religiöse  Vorschriften  eingreifen  kann,  zeigt  das  mosaische 
Gesetz.  Für  Altlydien  war  dies  wohl  nicht  anders.  Wenn  zu 
irgend  einer  Zeit  die  pneumatische  Medicin  Aegyptens  nach 
Lydien  verpflanzt  wurde,  so  musste  dies  mit  den  entsprechenden 
Zugeständnissen  an  die  alte  heimische  Tradition  geschehen. 
Und  dies  Zugeständniss  war  eine  äusserliche  Ilämatisirung. 
Dass  diese  äusserliche  Ilämatisirung  einfach  für  die  vier  Grund¬ 
stoffe:  Pneuma,  Wasser,  Galle  und  Fibrin  die  vier  Flüssig¬ 
keiten:  Blut,  Wasser,  Galle  und  Schleim  einsetzte  und  damit 
ganz  sinnlos  zwei  Flüssigkeiten  als  trocken  erklären  musste, 
war  bei  solchen  Zwangsanpassungen,  wie  sich  solche  auch 
manche  Götter  gefallen  lassen  mussten,  etwas,  wobei  man  zwei 
Augen  zudrückte.  Die  älteste  Medicin  von  Kroton,  Knidos  und 
Kos  war  schon  nach  der  geographischen  Lage  ganz  abhängig 
von  Sardes.  So  kann  es  auch  gar  nicht  auffallen,  dass  in  die 
griechische  Medicin  der  alten  Blüthezeit  die  dialektisch  sehr  gut 
darlegbare  Lehre  von  den  vier  Flüssigkeiten:  Blut,  Wasser, 
Galle  und  Schleim  und  gleichzeitig  die  Qualitätslehre  kam, 
welche  empirisch  materiell  ein  widersinniger  Compromiss 
waren. 

Wir  dürfen  uns  aber  zum  Verständniss  dieser  seit  Harvey 
uns  sehr  ferne  liegenden  Lehren  nicht  philologisch  an  den 
Wortschall  in  den  hippokratischen  Schriften  klammern,  sondern 
müssen  mit  modern  wissenschaftlicher  Untersuchungsmethode 
die  Phylogenie  der  verschiedenen  medicinischen  Dogmen  zu 
ergründen  suchen.  Hier  ist  ein  Archäopteryx  von  grösserem 
Werthe  als  hundert  Pterodaktylenfunde.  Aber  es  zeigen  sich 
noch  mehr  Zwischenglieder,  wenn  wir  in  den  hippokratischen 
Schriften  nur  genau  zusehen.  Und  zwar  sind  dies  ganz 
gewichtige  Zwischenglieder. 

Im  zwölften  Capitel  de  arte  ist  die  Vierheit:  Feuer, 
Pneuma,  Phlegma  und  Wasser.  Auch  diese  Darstellung  dürfte 
auf  relativ  hohes  Alter  Anspruch  machen.  Gegen  die  eben 
besprochene  Vierheit  zeigt  sich  das  Feuer  an  Stelle  der  Galle, 
so  dass  nur  noch  an  Stelle  des  Phlegma  die  Erde  nötkig 
wäre,  um  eine  Aufzählung  der  Elemente  des  Empedokles  zu 
erhalten.  Wir  kommen  aber  damit  auf  einen  Standpunkt, 
welcher  nach  D  i  o  d  o  r  jener  der  ägyptischen  Physiologie  ist. 
Und  diese  möchte  ich  ja  nach  meiner  Ueberzeugung,  so  weit 
nicht  hämatische  Lehren  aus  dem  Osten  stammen,  als  Grund¬ 
lage  aller  dickotomirenden  Lehrgebäude  annehmen. 

Im  sogenannten  hippokratischen  Corpus  haben  die 
Alexandriner  Gelehrten  örtlich  und  zeitlich  sehr  Verschieden- 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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artiges  gesammelt.  Bei  dem  mir  unverkennbaren  Zusammen¬ 
hänge  des  Inhaltes  der  hippokratischen  Bücher  mit  der  alt- 
ägyptischen  Medicin  möchte  ich  hier  nochmals  eine  un¬ 
bewiesene  Hypothese  einführen.  Die  Alexandrinischen  Ge¬ 
lehrten  hielten  diese  gesammelten  Schriften  durchwegs  für 
Weiterbildungen  und  Verbesserungen  des  ägyptischen  Lehr¬ 
gutes  und  schrieben  sie  daher  dem  Verdienste  ihrer  Lands¬ 
leute  zu,  was  sich  zuletzt  auf  die  eine  Person  des  Hippokrates 
zusammendräDgte.  Darnach  müsste  die  ägyptische  Grundlage 
überall  verändert  oder  nur  fragmentarisch  eingestreut  in  dem 
überliefert  sein,  was  uns  als  Corpus  hippocraticum  erhalten 
blieb.  Werthvoll  zur  Reconstruction  bleiben  uns  auch  die 
Fragmente  neben  den  ägyptischen  Papyri. 

Trotz  des  Compromisses  dürfte  aber  auch  in  Sardes  die 
alte  Orthodoxie  nicht  die  Lehre  von  der  Vierheit  des  Blutes, 
des  Wassers,  der  Galle  und  des  Schleimes  angenommen  haben, 
sondern  dieselbe  blieb  auf  der  Einheit  des  Blutes  stehen. 
Althämatische  Schriften,  welche  ohne  »Wenn«  und  »Aber« 
nach  Art  verschiedener  biblischer  Stellen  aussprechen,  dass 
das  Blut  das  Leben  ist,  sind  von  den  Alexandrinern  nicht  in 
das  Corpus  hippocraticum  aufgenommen.  Im  Gegentheil,  es 
finden  sich  scharfe  Absagen  an  die  Monisten,  d.  h.  jene 
Physiologen,  welche  eine  einzige  Grundlage  für  das  Leben 
annahmen.  Und  die  gehasstesten  Monisten  waren  die  orthodoxen 
Hämatiker.  Der  alte  Gegensatz  zwischen  Aegypten  und  Meso¬ 
potamien  dauerte  ja  auch  in  der  Ptolemäerzeit  noch  fort.  Und 
wenn  für  Mesopotamien  zeitweise  Syrien  eintrat,  so  übernahm 
Syrien  die  politische  wie  medicinisch-toxologische  Erbschaft 
des  Zweistromlandes.  Iu  meinen  Aufsätzen  über  Keilschrift- 
medicin  habe  ich  noch  aus  der  späten  Zeit  der  Byzantiner 
in  Asien  ziemlich  reine  Reste  der  hämatischen  Medicin  nach- 
weisen  können. 

Ein  weiterer  Widerspruch  gegen  die  Compromissmedicin 
Kleinasiens  der  vier  galenischen  Grundsäfte  erhob  sich,  als 
die  Griechen  directen  Zutritt  zu  einzelnen  ägyptischen  Priester¬ 
schulen  erhielten,  z.  B.  Platon.  Damals  entstand  die  pneumatische 
Schule  in  Griechenland,  welche  als  pneumatische  Renaissance 
bezeichnet  werden  kann. 

Der  ursprüngliche  Ausgangspunkt  für  alle  folgenden 
medicinischen  Schulen  war  der  Gegensatz  der  Hämatiker  und 
Pneumatiker.  Und  hiefür  ergeben  sich  wieder  ethnographisch¬ 
religiöse  Grundlagen.  In  Aegypten  war  die  Fürsorge  für  die 
Leiche  eine  religiöse  Pflicht,  welche  eingehende  Kenntniss  der 
Leiche  nothwendig  machte.  In  Asien  war  jede  Berührung 
mit  Leichen  eine  Verunreinigung,  welche  gemieden  werden 
musste.  In  Aegypten  musste  also  die  Entdeckung  der  Blut¬ 
leere  der  Leichenarterie  beim  Menschen  in  frühester  Zeit  ge¬ 
macht  werden.  In  Asien  war  diese  Entdeckung  an  mensch¬ 
lichen  Leichen  ganz  unmöglich.  Es  musste  sich  nothwendig 
ein  Gegensatz  herausbilden.  Dem  Asiaten  war  der  Verblutungstod 
das  Urbild  des  Todes,  dem  Aegypter  der  Erstickungstod.  Dass 
augenscheinliche  Naturerscheinungen  von  beiden  anerkannt 
wurden,  ist  natürlich.  Aber  meritorisch  beurtheilten  sie  die¬ 
selben  verschieden.  Der  Asiate  war  Hämatiker  und  erkannte 
die  Athmung  an,  aber  mit  untergeordneter  Bedeutung.  Der 
Aegypter  war  Pneumatiker  und  erkannte  die  Wichtigkeit  des 
Blutes  an,  aber  im  Verhältnisse  zur  Athmung  doch  nur  als 
untergeordnet.  So  war  auch  dem  Hämatiker  die  Nase  der  Sitz 
der  Athmung.  Aber  die  Nase  war  damit  für  den  Hämatiker 
kein  Organ  erster  Ordnung.  Und  ebensowenig  war  die  Leber 
dein  Pneumatiker  ein  Organ  erster  Ordnung,  wenn  auch  dieser 
ebenso  wie  der  Hämatiker  vorhippokratischer  Zeiten  die  Leber 
als  Oentralorgan  des  Blutes  ansieht. 

Die  Träume  werden  im  Buche  de  flatibus  aus  dem  Ein¬ 
tritt  des  Schlafes  und  der  Eintritt  des  Schlafes  aus  einer  Ab¬ 
kühlung  des  Blutes  abgeleitet.  Es  findet  sich  diese  Darlegung 
im  letzten  Abschnitte  von  der  heiligen  Krankheit.  Wenn  selbst 
ein  ausgesprochener  Pneumatiker  in  dieser  Weise  die  Träume 
hämatisch  erklärt,  so  müssen  wir  die  Träumeverwerthung  im 
Alterthume  als  unbestrittenes  Gebiet  der  Hämatiker  annehmen. 
Der  Pneumatiker  leugnete  ja  das  Blut  nicht,  sondern  er 
leugnete  nur  dessen  ausschlaggebenden  Einfluss  auf  das  Leben 
im  Verhältnis  zum  Pneuma.  Ein  Einfluss  des  Blutes  und  der 


daraus  entstandenen  Träume  kann  darum  für  die  Kranken¬ 
behandlung  vom  Pneumatiker  nie  zugestanden  werden.  Es  ist 
diese  Feststellung  um  so  wichtiger,  als  uns  die  gelegentlichen 
Bemerkungen  von  Träumen  oder  von  absichtlichen  Tempel¬ 
träumen  einen  werthvollen  Fingerzeig  für  hämatische  Einflüsse 
abgeben. 

Dem  gegenüber  sind  epileptische  und  kataleptisehe  Zu¬ 
stände  nach  dem  Buche  de  flatibus  Krankheiten,  welche  der 
Pneumatiker  gerne  erwähnt,  da  er  sie  durch  das  Pneuma 
glaubte  erklären  zu  können. 

Krankheiten,  welche  aus  dem  Blute  stammen  sollten, 
waren  alle  Hautausschläge.  Auch  die  heutige  Volksmedicin 
erklärt  in  ererbter  Weise  diese  Krankheiten  noch  hämatisch. 
Ein  Lieblingsthema  der  Hämatiker  ist  zu  allen  Zeiten  der 
Aussatz. 

Das  pneumatische  Buch  de  flatibus  dagegen  leitet  zu¬ 
nächst  alle  wichtigen  Krankheiten  aus  einem  Zuviel  oder 
einem  Zuwenig  oder  aus  qualitativ  schlechtem  Pneuma  ab. 
Die  Gegenmittel  als  Räucherung  und  als  Mittel  zum  Erzeugen 
von  Flatus  und  Ructus  sind  schon  besprochen.  Sie  entsprechen 
völlig  der  therapeutischen  Forderung  zu  Beginn  des  Buches 
de  flatibus:  »Die  Heilkunst  besteht  nämlich  im  Hinzufügen 
und  Wegnehmen,  im  Wegnehmen  der  überflüssigen  und  im 
Zusetzen  der  fehlenden  Dinge.« 

Dann  wird  von  den  einzelnen  Krankheiten  ganz  in  dem 
Sinne  des  menonischen  Berichtes  erklärt,  dass  sie  vom  Pneuma 
hervorgerufen  werden.  Die  schwer  verständlichen  Darlegungen 
müssen  sich  aus  anderen  hippokratischen  Schriften  erklären. 
Im  zehnten  Capitel  de  arte  steht:  »Alle  Ivörpertheile  nämlich, 
welche  ringsum  sogenanntes  Muskelfleisch  haben,  besitzen  einen 
Hohlraum;  denn  Alles,  was  nicht  zusammengewachsen  ist, 
mag  es  nun  mit  Haut  oder  Fleisch  umkleidet  sein,  ist  hohl 
und  in  gesundem  Zustande  mit  Pneuma  gefüllt,  in  leidendem 
aber  mit  Ichor.  Solches  Fleisch  besitzen  die  Arme,  es  besitzeu’s 
die  Schenkel,  es  besitzend  auch  die  Waden;  es  ist  aber  aueh 
in  den  fleischlosen  Theilen  in  derselben  Form  vorhanden,  die 
bei  den  fleischigen  Theilen  nachgewiesen  wurde.« 

Zu  dem  Ichor  gehören  alle  krankhaften  flüssigen  Körper- 
producte,  vor  Allem  auch  die  Ascites-  und  Anasarkaflüssig- 
keiten.  So  wird  es  mit  kurzen  Worten  erklärlich,  was  im 
Buche  de  flatibus  sehr  lange  ausgeführt  wird,  dass  Wasser¬ 
sucht  eine  Pneumakrankheit  sei.  Eine  Modekrankheit  für  Bei¬ 
spiele,  Flüche  und  Aehnliches  bei  Anhängern  der  Pneumalelire 
wird  dadurch  die  Wassersucht,  wie  es  der  Aussatz  für  die 
Hämatiker  ist. 

Wo  ohne  zwingenden  Grund  so  zu  sagen  vom  Zaune 
gebrochen  im  Alterthume  die  Wassersucht  erwähnt  wird,  gibt 
dies  einen  Fingerzeig  für  pneumatische  Einflüsse.  Um  freilich 
eine  bewusst  pneumatische  Schule  annehmen  zu  können,  müssen 
noch  andere  Beweise  hinzutreten.  Dagegen  ist  eine  ausge¬ 
sprochene  hämatische  Schule  in  jeder  zeitlich  und  örtlich  be¬ 
grenzten  Cultur  sehr  fraglich,  iu  deren  Schriftdenkmälern  die 
Wassersucht  h  e  r  v  o  r  gehoben  wird. 

Natürlich  haben  in  einem  Laude  einzelne  Patienten  in 
demselben  Masse  an  Ascites  und  Anasarka  gelitten,  ob  die 
Ansichten  pneumatisch  oder  hämatisch  waren.  Aber  auch  heute 
braucht  man  nur  Arzt  in  verschiedenen  ländlichen  Bezirken 
gewesen  zu  sein,  um  die  Sucht  zu  kennen,  alle  Krankheits¬ 
fälle  so  weit  als  möglich  auf  einen  Krankheitsnamen  zu  be¬ 
ziehen.  Rheumatismus  articulorum  ist  in  der  einen  Gegend 
Gelenkgicht,  in  der  anderen  Gelenkwassersucht  und  in  der 
dritten  sind  es  Flüsse.  Durch  solche  willkürliche  Deutungen 
wird  es  natürlich  leicht  möglich,  dass  je  nach  Schule  irgend 
eine  Diagnose  überwiegt.  Und  in  diesem  Sinne  war  die  Wasser¬ 
sucht  die  Modekrankheit  der  alten  pneumatischen  Schule. 

Mit  der  Wassersucht  zusammen  ist  auch  die  Bildung 
der  Schweisse  nach  dem  zwölften  Capitel  de  arte  aus  Pneuma 
zu  erwähnen. 

Das  Buch  de  flatibus  erklärt  durch  pneumatische  Ein¬ 
flüsse  die  heilige  Krankheit,  welche  epilept'sche  und  kata- 
leptische  Zustände  umfasst,  dann  Fieber,  Ructus,  Kopfschmerz, 
Schläfeklopfen,  Phthisis  und  Apoplexie.  Bei  der  conservativen 
Natur  der  Pneumalehre  müssen  alle  diese  Krankheiten  be- 


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sonders  beliebte  Studienobjecte  der  Pneumatiker  aller  Zeiten 
gewesen  sein  und  können  darum  mit  Wahrscheinlichkeit  in 
pneumatischen  Schriften  gesucht  werden. 

Die  Pneumalehre  leistet  der  Verbreitung  der  Parfumirung 
grossen  Vorschub.  Im  ersten  Capitel  de  medico,  einem  Buche 
der  hippokratischen  Sammlung,  welches  durchaus  nicht  pneu¬ 
matische  Lehrmeinungen  verficht,  wird  vom  Arzte  verlangt, 
dass  er  sich  mit  wohlriechenden  Salben  parfumiren  soll. 
Fuchs  eitirt  dazu,  dass  schon  in  der  Ilias  (23,  186)  Rosen¬ 
salbe  erwähnt  wird.  In  Delos  wurden  berühmte  Salben  be¬ 
reitet,  in  Korinth  das  Irinum,  in  Rhodos  das  Crocinum,  in 
Adramyttos  das  Oenanthinum,  in  Kos  das  Amaracinum  und 
Melinum,  in  Cypern  und  in  Mytilene  das  Sampsuchinum.  Wie 
alt  diese  Parfumindustrie  war,  beweist,  dass  für  Alasia,  d.  h. 
Cypern.  schon  die  Keilschrifttafeln  von  Amarna  den  Export 
solcher  Salbe  nach  Aegypten  berichten.  Wie  sehr  diese  Wohl¬ 
gerüche  in  die  ärztliche  Kunst  eingriflen,  zeigt  der  breite 
Raum,  welchen  ihnen  Diosco  rides  widmet.  Wenn  auch  die 
Salbungen  als  alltägliches  Bedürfniss  galten,  so  wurde  bei 
Symposien  und  Hochzeiten  mit  ganz  besonderen  Aufwande 
diese  Salbungen  vorgenommen.  Im  zehnten  Capitel  der  hippo¬ 
kratischen  Präcepta  wird  der  junge  Arzt  gewarnt,  sich  durch 
zu  kostbare  Parfumirung  Patienten  verschaffen  zu  wollen. 
Fuchs  führt  als  Literatur  an:  Sigismund,  Die  Aromate 
in  ihrer  Bedeutung  für  Religion,  Sitten,  Gebräuche,  Handel 
und  Geographie  des  Alterthums.  Leipzig  1884,  und:  Othmar 
Lenz,  Botanik  der  alten  Griechen  und  Römer.  Gotha  1859. 

Für  den  vorliegenden  Artikel  konnte  ich  von  einer  Ein¬ 
sichtnahme  dieser  Literatur  Abstand  nehmen,  da  ich  lieber 
primäre  als  secundäre  Quellen  benütze. 

Wir  müssen  hier  den  übermässig  parfumirten  jungen 
Arzt  zu  verstehen  suchen.  Und  das  ist  gerade  in  unserem 
Zeitalter  sehr  begreiflich.  Wir  brauchen  nur  an  die  Bacillo- 
pliobie  einer  Hysterica  denken.  Das  Leben  und  Treiben  eines 
solchen  Musterexemplares  ist  mir  in  einer  Beamtentochter 
aus  Budapest  bekannt.  Sie  schliesst  ganze  Kategorien  von 
ihrem  persönlichen  Umgänge  aus,  darunter  auch  alle  Aerzte, 
weil  diese  mit  bacillentragenden  Patienten  in  Berührung 
kommen.  Kinder  und  Verwandte  von  Kindern  und  Aerzten 
sind  ausgeschlossen,  da  auch  Kinder  besonders  leicht  für 
Ungeziefer,  also  auch  für  Bacillen  empfänglich  sind.  Natürlich 
hat  sie  stets  Handschuhe  an.  Aber  auch  mit  Handschuhen 
will  sie  nichts  berühren,  was  Andere  berührt  haben  und  soll 
auch  die  unmittelbare  Dienerschaft  nichts  berühren,  was  Ba¬ 
cillen  enthalten  könnte.  So  werden  vor  Allem  die  Thürklinken 
gefürchtet  und  darf  daher  selbst  im  Winter  keine  Thüre 
völlig  geschlossen  werden,  um  das  Thiirklinkenberühren  ver¬ 
meiden  zu  können.  Als  eine  der  gefährlichsten  Personen  er¬ 
scheint  auch  der  Briefträger.  Alle  Hausbewohner  müssen  vor 
der  Oeffnung  eines  Briefes  die  Hände  waschen,  ein  Tuch  über 
den  Tisch  breiten  und  nun  das  Couvert  ohne  Berührung  des 
Briefes  vom  Brief  entfernen.  Dann  wird  sofort  jedes  bacillen- 
verdächtige  Couvert  den  Flammen  übergeben,  die  Hände  wieder 
gewaschen  und  der  Brief  unter  aller  Vorsicht  gelesen.  Wenn 
der  Brief  aufgehoben  werden  muss,  so  kommt  er  sofort  in 
eine  bacillendichte  Schublade. 

Diese  Narrheit  ist  weiter  verbreitet  als  man  denkt.  Ich 
hätte  auch  einen  Apotheker  schildern  können,  den  ich  kenne 
und  bei  welchem  die  Bacillophobie  sich  in  standesgemäss  ge¬ 
änderter  Form  äussert.  Dass  ein  Millionärskind  in  New  York 
mit  allen  Chicanen  der  Bacillophobie  erzogen  wird,  hat  erst 
in  den  letzten  Tagen  die  Presse  besprochen.  Narren,  welche 
nichts  zu  thun  haben,  als  ihren  Narrheiten  zu  leben,  gibt  es 
aber  immer  und  überall.  Dieselben  passen  sich  unverdauten 
modernen  Lehren  an  und  halten  sich  nun  für  Uebermenschen  der 
Weisheit.  Zur  Zeit  der  pneumatischen  Anschauungen  musste 
die  Miasmophobie  an  der  Tagesordnung  gewesen  sein.  Die 
Miasmophoben  bevorzugten  natürlich  jenen  Arzt,  welcher 
antimiastisch  von  ferne  nach  allen  Salben  roch.  Dass  diese 
Richtung  bis  zur  Fratze  getrieben  wurde,  selbst  bei  jungen 
Aerzten  —  wer  denkt  da  nicht  an  den  modernen  jungen 
Mediciner.  welcher  die  ganze  Strasse  entlang,  welche  er 
wandelt,  an  seinem  übertriebenen  Carbolgeruche  erkannt  wird, 


oder  wollen  wir  noch  moderner  Formaldehydduft  sagen  — 
ersehen  wir  aus  der  Warnung  in  den  Präcepta.  Dass  ein 
grosser  Meister  für  den  Standpunkt  seiner  Zeit  mit  der 
Pneumalehre  sogar  Praktisches  geleistet  hat,  können  wir  an¬ 
nehmen.  Aber  die  praktische  Ausführung  war,  wie  noch  heute, 
nicht  immer  gleich werthig. 

Eine  Theorie,  wie  die  Pneumalehre,  welche  Jahrtausende 
geherrscht  hat,  greift  gewaltig  in  die  Entwicklung  der  Medicin, 
wie  religiös- hygienischer  Gebräuche  ein.  Eine  zusammenfassende 
Darstellung  der  Pneumalehre  besitzen  wir  in  einem  schon  er¬ 
wähnten  Buche,  welches  sich  in  der  Summe  der  Bücher  mit 
dem  Namen  des  Hippokrates  findet.  Gerade  die  neuere 
kritische  Richtung  wollte  dieses  Buch  als  eines  hinstellen,  von 
dem  es  am  wenigsten  möglich  sei,  dass  es  Hippokrates 
geschrieben  habe.  Da  ergab  plötzlich  ein  griechischer  Papyrus¬ 
fund  des  Fajum  die  Noth wendigkeit  diese  negative  Kritik 
nochmals  zu  prüfen.  Es  sind  Excerpte  in  jenem  Papyrus  ent¬ 
halten,  welche  auf  eine  Geschichte  der  Medicin  von  Me  non, 
dem  Schüler  des  Aristoteles  zurückgehen,  also  mit  wenigen 
Jahren  Unterschied  fast  zeitgenössische  Berichte  mit  Hippo¬ 
krates  sind. 

Ich  will  hier  die  einschlägige  Stelle  in  der  Uebersetzung 
von  Beckh  und  Spät  geben: 

»Hippokrates  aber  sagt,  die  Ursachen  der  Krank¬ 
heiten  seien  die  Blähungen  (cpöaat),  wie  Aristoteles  von 
ihm  auseinander  gesetzt  hat.  Hippokrates  gibt  nämlich 
für  die  Entstehung  der  Krankheiten  folgende  Erklärung:  Ent¬ 
weder  in  Folge  der  zugeführten  Nahrung  oder  ihrer  Ungleich¬ 
artigkeit  oder  in  Folge  davon,  dass  die  zugeführte  Nahrung 
grob  und  schwer  zu  verarbeiten  ist,  enstünden  Perissomata 
(Ueberschiisse,  Schlacken)  und  wenn  das  Zugeführte  zu  viel  ist, 
so  wird  die,  die  Verdauung  bewirkende  Wärme  überwältigt 
von  Seiten  der  vielen  Speisen  und  befördert  nicht  mehr  die 
Verdauung.  Dadurch  aber,  dass  diese  gestört  ist,  entstehen 
Perissomata. 

Wenn  aber  die  Bestandtheile  der  zugeführten  Nahrung 
verschiedenartig  sind,  so  vertragen  sie  sich  im  Leibe  nicht 
miteinander  und  die  Folge  davon  ist,  die  Umwandlung  in 
Perissomata.  Wenn  endlich  die  genossenen  Speisen  recht  dick 
und  schwer  zu  verdauen  sind,  entsteht  auf  diese  Weise  eine 
Hemmung  der  Verdauung  durch  die  Schwierigkeit  der  Ver¬ 
arbeitung  und  so  eine  Umwandlung  in  Perissomata.  Aus  den 
Perissomata  aber  steigen  die  Blähungen  auf  und  führen  hie¬ 
durch  die  Krankheiten  herbei . und  von  der  Verschieden¬ 

heit  der  Blähungen  entstehen  die  Krankheiten.  Denn,  wenn 
sie  viele  sind,  machen  sie  krank,  wenn  aber  zu  wenige,  führen 
sie  wieder  Krankheiten  herbei.  Auch  die  Veränderung  der 
Blähungen  hat  Einfluss  auf  die  Art  der  Krankheiten:  sie 
verändern  sich  auf  zweierlei  Art,  entweder  zur  übermässigen 
Hitze  oder  zu  übermässiger  Kälte,  und  wie  die  Veränderung 
ausfällt,  so  auch  die  Krankheit,  welche  sie  herbeiführt.  Dies 
ist  das  Resume  des  Aristoteles  aus  Hippokrates«. 

Die  hier  dargelegte  Lehre  findet  sieh  gerade  in  Jtctio- 
%p dzooQ  TrspL  cfoawv,  so  dass  wir  hier  den  echten  Hippokrates 
besässen.  In  der  Uebersetzung  von  Grimm  werden  noch 
mehr  Belege  gegeben.  So  führen  auch  Erotian  und  Galen 
dieses  Buch  als  eine  echte  Schrift  des  Hippokrates  an  und 
auch  C  e  1  s  u  s  war  nach  seiner  Einleitung  der  gleichen  Meinung. 
Und  selbst  Foesius  zählte  noch  die  Abhandlung  zu  den 
echten  hippokratischen  Schriften.  Die  Neueren,  in  ihrem  Be¬ 
streben,  nur  das  für  echt  zu  halten,  was  mehr  oder  weniger 
mit  den  Ansichten  nach  über  zweitausend  Jahren  überein¬ 
stimmt,  hatten  das  Buch  aus  der  Reihe  der  echten  hippokra¬ 
tischen  Schriften  gestrichen.  Man  versuchte  durchwegs  die 
Schrift  nachhippokratisch  zu  erklären  und  hätte  Celsus  nicht 
Citate  daraus  entlehnt,  so  wäre  dieselbe  sicherlich  in  die  Zeit 
nach  Celsus,  in  die  römische  Kaiserzeit  verlegt  worden. 

Ich  habe  nach  Auffindung  des  griechischen  Papyrus  als 
Erster  erklärt,  dass  das  Bestreben  Hippokrates  möglichst 
ideal  erscheinen  zu  lassen,  kein  Grund  sein  darf,  ein  so  wich¬ 
tiges  Zeugnis,  wie  den  Menoniabericht  als  falsch  zu  bezeichnen. 
Die  Philologen  erkennen  diesen  Standpunkt  aber  nicht  an. 
Ich  halte  das  Buch  de  flatibus  auch  heute  noch  für  echt 


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hippokratisch.  In  meinen  Ausführungen  können  aber  auch  die 
Gegner  der  Echtheit  dieser  Schrift  mit  mir  übereinstimmen, 
da  diese  sich  gar  nicht,  um  die  Person  des  Hippo k rates, 
sondern  um  den  sachlichen  Inhalt  der  Schrift  drehen.  Und 
dieser  Inhalt  ist  sogar  viel  älter  wie  Hippok  rates,  da  sich 
unter  Anderem  ganz  ähnliche  Ansichten  wie  in  de  flatibus  im 
Papyrus  Ebers  und  in  Redensarten  des  jahvistischen  Theiles 
der  Genesis  finden. 

Ich  habe  auch  schon  gezeigt,  welche  Einwirkungen 
direct  auf  die  Athemluft  ausgeübt  wurden  und  auch  darin 
manchen  Beweispunkt  für  eine  Pneumalehre  längst  vor  Ilippo- 
krates  eingeflochten.  Jetzt  sollen  sozusagen  nur  die  an¬ 
geblichen  Ausgeburten  des  Pueuma  ihre  Besprechung  finden. 

In  mittelalterlichen  anatomischen  Tafeln,  welche  mir 
durch  Ritter  v.  T  ö  p  1  y  in  Photogramm  vorliegen  *),  beginnt 
das  Arteriensystem  mit  der  Trachea,  welche  als  »vocalis 
arteria,  per  quam  intrat  aer«,  bezeichnet  ist.  Wenn  somit  die 
Nase  als  Anfang  der  lebenswichtigsten  Function  betrachtet 
wird,  so  ist  es  nur  consequent,  wenn  wir  immer  und  immer 
wieder  ägyptische  Könige  dargestellt  sehen,  welchen  von  einem 
gütigen  Gotte  das  Lebenszeichen  unter  die  Nase  gehalten 
wird.  Der  Gott  kann  als  bestes  Geschenk  nur  immer  wieder 
Gesundheit  und  als  deren  erste  Grundlage  Lebensluft  natürlich 
für  die  Nase  schenken.  Amen  ophis  IV.,  welcher  als  schroffer 
Reformator  Alles  umstürzte,  lässt  sich  aber  auch  noch  in  der 
Weise  darstellen,  dass  ihm  sein  henotheistischer  Gott  »Sonnen¬ 
scheibe«  mit  Strahlenhand  das  »Leben«  an  die  Nase  hält. 

Nichts  kann  die  Festigkeit  der  Pneumalehre  in  der 
ägyptischen  Medicin  und  der  Nase  als  Athmungsorgan  so  dar- 
thun  als  diese  stillschweigende  Anerkennung  bei  Amen  ophis  IV. 

Das  hippokratische  Buch  de  anatomia,  ein  kleines 
Fragment,  gibt  einen  sehr  cursorischen,  aber  dennoch  äusserst 
werthvollen  Ueberblick  über  die  Anatomie  in  pneumatischem 
Geiste.  Die  ganze  Anordnung  erfolgt  nach  den  beiden  Röhren¬ 
systemen  der  Arterien  und  Venen.  Die  Betrachtung  des 
Ärteriensystemes  beginnt  mit  der  Trachea,  des  Venensystemes 
mit  dem  Oesophagus.  Dabei  erhält  das  Arteriensystem  den 
ersten  Platz  als  Ehrenplatz.  Leider  wird  dabei  nur  auf  innere 
Organe  eingegangen. 

In  ganz  merkwürdige  Beziehungen  zum  Adernsysteme 
brachte  das  Alterthum  Haare  und  Nägel.  Im  Hippokrates  oder 
vielmehr  den  Schriften,  welche  unter  seinem  Namen  gehen, 
ist  überall  schon  die  histologische  Einheit  von  Haaren  und 
Nägeln  eine  unbezweifelte  Lehre.  Nach  dem  Buche  de  natura 
pueri  stellen  die  Haare  und  Nägel  Gebilde  dar,  welche  lockere 
Epidermis  als  örtliche  Disposition  und  viele  Feuchtigkeit  als 
Nahrung  bedürfen.  Nach  der  ganzen  Darstellung  von  Oapitel  8 
und  9  ist  aber  wieder  das  Pneuma  das,  was  die  ganze  Neu¬ 
bildung  dieser  Organe  veranlasst,  übereinstimmend  mit  Papyrus 
Ebers,  Tafel  99. 

Bei  den  ägyptischen  Priestern  wurden  alle  Haare  gründlich 
entfernt,  so  dass  sie  aut  den  bildlichen  Darstellungen  kahl¬ 
köpfig  und  glatt  rasirt  erscheinen.  Bekannt  ist  auch  die  steife 
Haltung  der  ägyptischen  Darstellung  menschlicher  Körper, 
welche  mit  der  Pneumalehre  direct  nichts  zu  thun  hat.  Aber 
merkwürdig  zeigen  die  ältesten  Darstellungen  aus  Mesopotamien, 
welche  von  Paris  aus  veröffentlicht  wurden,  dieselbe  Haltung 
der  Personen,  wie  wir  sie  in  Aegypten  gewohnt  sind,  nämlich 
Gesicht  in  Profil,  Brust  en  face,  Bauch  in  Halbprofil  und  Beine 
in  Profil.  Aber  die  weitere  Merkwürdigkeit  ist  es,  dass  hier 
der  Priesterkönig  mit  seinen  Söhnen  ebenso  glattrasirt  erscheint 
und  ebenso  kahlgeschoren,  wie  die  ägyptischen  Priesterdar¬ 
stellungen.  Nur  die  archaistischen  Beischriften  in  Keilschrift 
zeigen  zweifellos,  dass  es  sich  um  Mesopotamien  handelt. 

Haare,  Nägel  und  wohl  auch  Präputium  müssen  als 
Perissomata  erschienen  sein.  Neben  Blutentziehung,  Ructus, 
I  latus,  Brechwirkung  und  Abführwirkung  war  das  Beschneiden 
von  Haaren,  Nägeln  und  Präputium  ein  geeignetes  Mittel  in 
d.en  Augen  des  Älterthums  die  Perissomata  zu  bekämpfen. 
Sicherlich  waren  dies  nicht  die  einzigen  massgebenden  Gründe. 

*)  ^  ür  Interessenten  sei  hier  erwähnt,  dass  diese  Bilder  im  Tausch¬ 
verein  tür  Abbildungen  zur  Geschichte  der  Medicin  und  Naturwissenschaften 
von  mir  erhalten  wurden. 


Unsere  modernen  Gründe  der  Antisepsis  und  der  Reinlichkeit 
dürfen  wir  aber  nicht  allzu  bewusst  beim  Alterthume  suchen, 
als  es  die  Beschneidung  von  Haaren,  Nägeln  und  Präputium 
einführte.  Dass  in  ganz  dunklen  Vorstellungen  diese  Ein¬ 
führungen  durch  die  Erfolge  der  Reinlichkeit  und  Antisepsis 
später  sich  zähe  erhielten,  muss  ich  noch  näher  ausführen. 

Die  Einführung  kann  auch  wesentlich  — -  da  wir  dies 
nicht  sicher  bisher  beweisen  können,  sage  ich  ausdrücklich 
»kann«  —  durch  die  Haararmuth  herrschender  Eroberer 
bedingt  sein.  Nach  der  Einführung  kann  die  Enthaarung  durch 
falsche  medicinische  Theorie  jener  Zeiten  gehalten  worden 
sein  und  der  ^tatsächliche  Nutzen  blieb  in  der  richtigen  Weise 
unerkannt. 

Die  Hypothese  haararmer  Träger  der  ursprünglichen 
Culturen  in  Aegypten  und  Mesopotamien  würde  zu  einem 
engen  Zusammenhänge  dieser  Culturen  mit  den  alten  Culturen 
in  Ostasien  hin  weisen.  Und  thatsächlich  ersehe  ich  aus  dem 
Literaturverzeichnisse  der  Zeitschrift  für  Assyriologie,  dass 
eine  nicht  unwidersprochene  Forschung  zu  diesem  Resultate 
gekommen  ist. 

Der  Ausgangspunkt  bleibt  hier  aber  gleichgültig.  Die  Ent¬ 
fernung  der  Haare  war  zu  irgend  einem  Zeitpunkte  vorhanden.  Da 
der  Mensch  bis  in  verhältnissmässig  neue  Zeit  die  Anwendung  von 
Quecksilber  bei  Parasiten  nicht  kannte,  so  war  er  besonders  den 
verschiedenen  Läusearten  gegenüber  sehr  ohnmächtig.  Richard 
Landau  hat  einige  Zusammenstellungen  geliefert,  welche  er¬ 
weisen,  dass  bis  in  das  späteste  Mittelalter  hinein  selbst  Ver¬ 
treter  der  besten  Gesellschaftskreise  sehr  unter  Läusen,  und 
selbst  unter  Läusen  in  den  Augenbrauen  zu  leiden  hatten. 
Wenn  im  Alterthume  selbst  Könige  von  Läusen  aufgefressen 
worden  sein  sollen,  so  biieb  die  Beschneiduug  und  völlige 
Entfernung  der  Haare  ein  ausgezeichnetes  Mittel  gegen  die 
Verbreitung  dieser  Parasiten,  welche  man  sich  aus  generatio 
aequivoca  entstanden  dachte.  Natürlich  spielte  auch  hier  das 
verdorbene  Pneuma  eine  Rolle  in  der  generatio  aequivoca  von 
Ungeziefer.  Dies  erhielt  den  Gebrauch  der  Entfernung  von 
Haar  und  Bart  unter  pneumatischer  Begründung.  Ebenso 
blieb  die  Entfernung  des  Präputiums,  welche  als  Präservativ 
gegen  Schanker  sich  bewährt  hatte,  mit  pneumatischer  Be¬ 
gründung.  Wie  sehr  sich  aber  für  eine  einmal  gefasste  Meinung 
Scheingründe  ergeben  können,  zeigt  sich  auch  hier  wieder. 
Ein  plötzlich  erweckter  Pneumatiker  würde  bei  der  modernen 
Therapie  wieder  jubeln.  Was  er  durch  Entfernung  der  pneu¬ 
matischen  Perissomata  d.  h.  Haare  und  Präputium  vorbeugte, 
wird  modern  einheitlich  mit  grauer  Salbe  behandelt.  Das 
müsste  wieder  ex  juvantibus  ein  herrlicher  Beweis  tür  die 
Richtigkeit  der  Pneumalehre  sein,  wenn  wir  nicht  die  Blut- 
haltigkeit  der  Arterien  während  des  Lebens  unbezweifelbar 
kennen  würden. 

Für  das  Alterthum  ist  schon  beachtenswert!),  dass  der 
Assyrerkönig  Asurbanipal,  welcher  durch  Gründung  der 
Aerzteschule  Ninive  zeitweise  der  Pneumalehre  auch  in  Meso¬ 
potamien).  zum  Uebergewicht  verhalf,  eine  ganz  besondere 
Vorliebe  dafür  hatte,  seine  Feinde  durch  Abziehen  der  Haut 
bei  lebendigem  Leibe  hinzurichten.  Es  war  dies  ein  Massen¬ 
experiment  eines  Henkers  auf  die  Ansicht,  der  Mensch  habe 
die  Haut  als  Schutz  gegen  abnorme  Pneumaverluste  nöthig. 
Natürlich  wurde  im  Geiste  jener  Zeit  die  Serumabgabe  des 
blossgelegten  hypodermalen  Bindegewebes  als  eine  vermehrte 
Schweissbildung,  condensirt  aus  dem  übermässig  ausströmenden 
Pneuma,  angesehen.  Es  ist  dies  Alles  Hypothese.  Aber  eine 
Stütze  erhält  d  eselbe  dadurch,  dass  ich  glaube,  Asurbanipal 
habe  ein  ganz  persönliches  Interesse  an  der  Erforschung  der 
Pneumalehre  gehabt. 

In  der  Bibliothek  des  Asurbanipal  sind  eine  Menge 
Krankheitsbeschwörungen  entdeckt  worden  und  ein  Theil 
davon  ist  veröffentlicht.  So  viel  mir  bis  jetzt  zu  Gesicht  ge¬ 
kommen  ist,  und  darin  allerdings  könnte  der  Zufall  eine  grosse 
Rolle  spielen,  nimmt  der  Kopfschmerz  eine  Häufigkeit  der  Er¬ 
wähnung  ein,  welche  in  gar  keinem  Verhältniss  zu  der  geringen 
medicinischen  Wichtigkeit  dieser  Krankheit  steht.  Im  orientali¬ 
schen  Geiste  liegt  es  sicher,  die  Ursache  für  diese  auffällige 
Erscheinung  in  der  Person  des  Königs  selbst  zu  suchen  und 


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ihn  an  Kopfschmerzen  leiden  zu  lassen.  Was  wir  von  seiner 
Person  wissen,  spricht  in  keiner  Weise  gegen  diese  Annahme. 
Kopfschmerz  und  Schläleklopfen  ist  schon  als  »Studienobject 
der  Pneumatiker  erwähnt.  Und  so  sind  diese  Massenhäutungen, 
welche  plötzlich  an  Stelle  von  Pfählung  etc.  treten,  untei 
Asurbanipal  unter  dieser  Hypothese  verständlich. 

Was  haben  wir  uns  dabei  aber  als  praktischen  Erfolg 
für  die  Therapie  zu  denken?  Ich  glaube,  dass  dadurch  bei 
Kopfschmerz  die  Nothwendigkeit  erwiesen  wurde,  in  der  Nähe 
local  die  Epidermis  zu  entfernen,  um  dem  Pneuma  als  Serum 
condensirt  ungehinderten  Abfluss  zu  gewähren.  Praktisch  mag 
hier  das  Kantharidenpflaster  hinter  dem  Ohre  oder  die  Moxe 
im  Nacken  für  Kopfschmerz  empfohlen  gewesen  sein,  um  dem 
zustrümendnn  schlechten  Pneuma  einen  Ausweg  zu  geben.  Das 
Experiment  der  Häutung  Verurtheilter  konnte  auch  zeigen, 
wie  weit  man  gehen  durfte  in  der  Legung  von  Kanthariden¬ 
pflastern  oder  Moxen,  ohne  das  Leben  zu  gefährden. 

Die  Erfahrung  der  Praxis  und  die  Theorie  des  Pneuma, 
welches  nach  Tafel  103  des  Papyrus  Ebers  durchs  rechte  Ohr 
als  Lebenspneuma  und  durchs  linke  Ohr  als  Todespneuma 
strömen  sollte,  schien  durch  die  Häufigkeit  der  linksseitigen 
Hemicranie  und  der  Seltenheit  der  rechtsseitigen  Hemicranie 
eine  Uebereinstimmung  zu  erhalten.  Ebenso  sprach  die  Apo¬ 
plexie  mit  Sprachstörungen,  wie  eine  solche  den  Elamiten- 
könig  M  inan  u  traf,  für  diese  Seite,  da  sie  häufiger  ist  als  die 
Apoplexie  in  der  rechten  Hirnseite. 

Wenn  ich  vielleicht  auch  mit  der  Hypothese  des  habi¬ 
tuellen  Kopfschmerzes  bei  Asurbanipal  auf  falscher  Fährte 
sein  sollte,  so  ergab  dies  doch  Gelegenheit,  einen  Einblick  zu 
geben,  wie  sich  falsche  Theorien  mit  thatsächlichen  Beob¬ 
achtungen  abfinden  konnten.  Es  ist  jedenfalls  sehr  wahrschein¬ 
lich,  dass  das  heute  noch  gebräuchliche  Blasenpflaster  hinter 
dem  Ohre  bei  Kopf-  und  Zahnschmerz  eine  vererbte  pneuma¬ 
tische  Grossmuttertherapie  ist.  Wir  w'enden  dies  Mittel  unter 
Umständen  heute  erfolgreich  an,  ohne  Pneumatiker  oder 
Methodiker  zu  sein,  sondern  als  eklektische  Empiriker  ohne 
sichere  Erklärung. 

Die  pneumatische  Circumcision  des  Präputiums  konnte 
im  Laufe  der  Zeit  sogar  zu  einer  Culthandlung  einer  Religion 
werden,  welche  in  ihren  späteren  Speise-  und  Opfervorschriften 
ausgesprochen  hämatischen  Ansichten  huldigt.  Und  so  wurde 
auch  diese  Folge  der  Pneumalehre  bis  heute  fortgeschleppt. 

Am  unverkennbarsten  ist  der  Einfluss  auf  die  Haarpflege 
bis  in  unsere  Tage.  Betrachten  wir  bartarme  Völker,  welche 
sicherlich  frei  vom  Einflüsse  pneumatischer  Lehre  blieben,  also 
z.  B.  ethnographische  Bilder  der  amerikanischen  Völker,  so 
zeigt  sich  häufig  auch  hier  das  Haupthaar  des  Weibes  etwas 
länger,  als  das  Haar  des  Mannes.  Die  starken  Unterschiede 
der  Geschlechter  wie  in  Europa  machen  sich  nirgends  geltend. 
Aber  auch  die  schwachen  Anklänge  an  Unterschiede  zeigen 
sich  meist  nur  bei  Völkern,  welche  auch  sonst  Spuren  euro¬ 
päischer  Cultur  angenommen  haben.  Bei  den  wirklich  natur¬ 
wüchsigen  Rothhäuten  ist  im  Haupthaar  von  Mann  und  Frau 
kein  Unterschied  zu  erkennen. 

Anders  in  der  alten  Welt.  Die  altägyptischen  Bilder 
zeigen  eine  verschiedene  Bedachtnahme  auf  das  Pneuma.  Hier 
werden  beim  Priester  und  später  daher  ziemlich  allgemein  in 
den  besseren  Ständen  beim  männlichen  Geschlechte  die  Haare 
als  Auswüchse  des  Pneuma  (Papyrus  Ebers,  Tafel  99)  mit  der 
Gefahr  von  Nestern  schlechten  Pneumas  gründlich  entfernt. 
Die  Frau  war  ja  der  Acquirirung  von  Läusen  weniger  aus¬ 
gesetzt.  Hier  sehen  wir  stets  eine  Blume  im  Haar  oder  einen 
Salbenstempel  über  der  Frisur.  Die  Frau  fand  also  in  der 
Haarpflege  und  der  Parfumirung  der  Haare  eine  genügende 
Bekämpfung  des  schlechten  Pneumas.  Beim  Mann  ergab  die 
Praxis  das  Ungenügende  dieser  Hygiene.  Beim  Manne  müssen 
darum  die  Haare  fallen.  Die  alte  Theorie  fand  auch  hiefür 
Gründe.  Bei  der  Frau  überwog  die  Feuchtigkeit  ein  wenig 
über  die  genaue  Temperirung  und  beim  Manne  die  Trocken¬ 
heit.  Der  Mann  musste  somit  mehr  Pneuma  und  weiter  auch 
mehr  schlechtes  Pneuma  haben.  Doch  genug  von  diesen 
Theorien!  Wir  sehen  beim  Aegypter  eine  Neigung  zur  Ent¬ 
haarung  und  bei  der  Aegypterin  eine  vicariirende  Parfumirung 


der  Haare.  Auch  das  bat  sich  durch  Länder  und  Zeiten  ver¬ 
erbt.  Und  wenn  wir  heute  Bauernburschen  und  Bauernmädchen 
vergleichen,  so  lässt  sich  in  atavistischem  Hochgefühl  der 
Bauernbursche  mit  Verachtung  von  Rosenöl  und  ähnlichen 
Wohlgerüchen  für  den  Kirchweihtanz  die  Haare  schneiden, 
während  er  es  für  sehr  schön  und  angebracht  hält,  dass  seine 
angebetete  Dorfschöne  sich  —  wollen  wir  sagen:  atavistisch¬ 
antiparasitisch  —  die  Haare  mit  Töpfen  Pomade  verklebt. 

Die  längst  aufgegebeue  und  vergessene  Pneumalehre 
spielt  somit  überall  noch  heute  in  Körperpflege  und  Hygiene 
des  Volkes  herein.  Wer  solche  wichtige  Lehren  aus  Aegypten 
nach  Hellas  verpflanzte  und  den  Grund  legte  für  die  Weiter¬ 
verbreitung  derselben  in  einer  Weise,  dass  wir  heute  noch  in 
der  ärztlichen  Praxis  beim  Verkehre  mit  Laien  auf  Schritt 
und  Tritt  über  pneumatische  Vererbungen  stolpern,  muss  in 
den  Augen  seiner  Landsleute  eine  Autorität  erlangt  haben, 
welche  ihn  als  Vater  der  Medicin  erscheinen  Hess.  Wenn  somit 
die  Griechen  den  Anfang  der  ärztlichen  Wissenschaft  auf 
Hippokrates  zurückführen  und  andererseits  alle  ärztlichen 
Schriften,  welche  sich  um  seine  Zeit  gruppiren,  mit  dem  bun¬ 
testen  Wechsel  von  Lehrmeinungen  auf  seinen  Namen  häufen 
und  drittens  Aristoteles- Mcnon  gerade  diesen  Hippo¬ 
krates  als  ausgesprochenen  und  ersten  griechischen  Pneuma¬ 
tiker  hinstellt,  so  kann  ich  darin  keinen  Widerspruch  finden. 
Den  Philologen,  welche  sich  dagegen  sträuben  wollen,  fehlen 
dazu  alle  Vorkenntnisse,  welche  sich  aus  der  Beobachtung  der 
Vererbungsreste  in  der  Volksmedicin  ergeben.  Dem  Philologen 
von  1880  ist  natürlich  jenes  H  i  pp  o  kr a  t  e  s -  Buch  das 
echteste,  in  welches  sich  antiseptische  Grundsätze  durch  kleine 
Buckstabenänderungen  hineinlegen  und  hineindeuten  lassen.  Im 
Jahre  1910  geht  es  in  gleicher  Weise  mit  Gewebssafttherapie. 
Nach  dieser  Art  erhält  jedes  Menschenalter  ein  anderes 
echtestes  Buch.  Daneben  ist  der  Philologe  geneigt,  die  hippo¬ 
kratischen  Schriften  danach  zu  beurtheilen,  in  welcher  die 
schönsten  und  consequentesten  Declinations-  und  Conjugations- 
formen  und  die  gewandtesten  syntaktischen  Phrasen  enthalten 
sind.  Auch  dies  gibt  eine  völlige  Verkennung  der  ärztlichen 
Wissenschaft. 

Der  ärztliche  Schriftsteller  schreibt  nie  nach  den  Regeln  der 
schönen  Literatur.  Die  Probe  kann  jeder  College  machen,  wie 
ich  sie  unwillkürlich  gemacht  hatte.  Ich  hatte  mich  in  dänische, 
in  holländische,  in  englische  medicinische  Fachblätter  eingelesen; 
aber  ich  sah,  dass  ich  trotz  vollen  Verständnisses  dieser  Fach¬ 
texte  nicht  im  Stande  war,  die  einfachste  Novelle  in  einer  dieser 
Sprachen  zu  verstehen.  Dasselbe  wiederholte  sich  bei  meinen 
Hieroglyphenstudien.  In  medicinischen  ägyptischen  Texten 
vermag  ich  mich  einigermassen  zurechtzufinden.  In  anderen 
Texten  könnte  ich  geradezu  glauben,  es  sei  gar  nicht  die 
gleiche  Sprache.  Umgekehrt  muss  es  aber  dem  Philologen 
gehen  und  ich  möchte  darum  hier  nachdrücklich  auf  diese 
Fehlerquellen  für  Philologen  und  ärztliche  Historiker,  welche 
auf  philologischen  Funden  weiterbauen,  Hinweisen,  und  zwar 
that  ich  das  an  dieser  Stelle,  da  ohne  genaue  Würdigung  der 
Pneumalehre  heute  die  Hippokrates  -  Frage  nicht  mehr 
behandelt  werden  kann. 

Aber  auch  auf  andere  Gebiete,  welche  uns  heute  noch 
interessiren,  greift  die  Pneumalehre  über.  Auf  die  Räucherungen 
mit  Weihrauch  kam  ich  schon  im  vorigen  Abschnitte  zu 
sprechen.  Als  das  Christenthum  entstand,  mussten  ganz  neue 
Symbole  und  Benennungen  gefunden  werden.  Die  Räucherung 
im  ägyptischen  Gottesdienste  ist  ursprünglich  ein  Todtenopfer 
einer  Religion  mit  Ahnendienst  im  pneumatischen  Geiste.  Zu 
Beginn  unserer  Zeitrechnung  muss  wohl  der  Weihrauch  schon 
vorübergehend  an  Stelle  älterer  Räuchermittel  getreten  gewiesen 
sein.  Für  den  von  den  Todten  erstandenen  Christus  war  das 
todtenerweckende  Räucheropfer  in  pneumatischer  An¬ 
schauung  sehr  sinnvoll.  Was  der  Christ  dabei  dachte,  ist  Sache 
der  Untersuchung  von  Theologen.  Aber  der  Ausgang  für  die 
Weibrauchverwendung  ergibt  sich  aus  der  Geschichte  der 
Medicin. 

Auch  die  Vorstellung  und  die  Kämpfe  über  die  gegen¬ 
seitige  Stellung  der  drei  Personen  in  der  Dreieinigkeit  in  der 
ersten  Zeit  haben  die  Theologen  zu  betrachten.  Der  Begriff 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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des  dreieinigen  Gottes  war  aber  etwas  völlig  Neues.  Die 
Sprache  bis  zu  jener  Zeit  batte  keine  Worte  dafür.  Es  musste 
darum  alten  Worten  eine  übertragene  Bedeutung  beigelegt 
werden.  Das  innige  Verhältniss  von  menschlichem  Vater  und 
Sohn  wurde  für  die  Bezeichnung  der  beiden  ersten  Personen 
gewählt.  Die  medicinische  Vorstellung  von  Pneuma,  das  den 
Körper  von  Vater  und  Sohn  durchdringen  muss,  um  nicht 
Vater  und  Sohn  als  Leichen  denken  zu  müssen,  wurde  hier 
auf  die  Gottheit  übertragen,  um  einen  Namen  der  dritten 
Person  in  menschlicher  Sprache  zu  erhalten.  Nur  der  Zusatz 
»heilig«  weist  auf  die  Gottheit  hin.  Ich  glaube,  dass  die  Leser 
bei  der  Wichtigkeit  der  Pneumalehre  mir  diese  Abschweifungen 
vom  rein  ägyptischen  Thema  verzeihen  und  die  allgemeine 
culturhistorische  Wichtigkeit  der  Geschichte  der  Nied icin  zu¬ 
gestehen  werden. 

Bad  Neuenahr,  Rhein  preussen. 

O  e  f  e  1  e. 


REFERATE. 

I.  La  maladie  de  Carrion  ou  la  Verruga  peruvienne 

Par  Ernesto  Odriozola. 

Paris  1898,  Georges  Carre  etC.  Naud. 

II.  Der  krankmachende  Einfluss  atmosphärischer  Luft¬ 

druckschwankungen  (barometrische  Minima). 

Von  Dr.  Heinrich  Lahmann. 

Stuttgart  1899,  A.  Zimer’s  Verlag  (Ernst  Mohrmann). 

III.  Die  Veränderungen  an  den  inneren  Organen  bei 

hochgradigen  Skoliosen  und  Kyphoskoliosen 

Von  Dr  M.  Bachmann. 

Mit  14  Tafeln. 

Bibliotheca  medica.  Abtheilung  Dl,  Heft  4. 

Stuttgart  1899,  Erwin  Nägele. 

IV.  Stereoskopisch  -  photographischer  Atlas  der  patho¬ 
logischen  Anatomie  des  Herzens  und  der  grösseren 

Blutgefässe. 

Von  Sanitätsrath  Dr.  G.  Schmorl. 

München  1899,  J.  F.  Lehmann. 

V.  Die  Immunisation  gegen  die  Rinderpest  nach  dem 
im  Institut  für  experimentelle  Medicin  in  St.  Petersburg 
und  auf  der  Station  »Iknewi«  im  Gouvernement  Tiflis 

gesammelten  Erfahrungen. 

Von  M.  Nencki,  N.  Sieber  und  W.  Wyznikiewicz. 
Separatabdrücke  aus:  Archives  internationales  de  Pharmacodynamic.  Vol.  V, 

fascicle  5  et  6. 

Gand,  Paris  1899,  H.  E  n  g  e  1  k  e,  O.  D  o  i  n. 

VI.  Technik  und  Diagnostik  am  Sectionstische. 

Von  Dr.  Richard  Graupner  und  Dr.  Felix  Zimmermann. 

Mit  65  Tafeln  in  Farbendruck  und  25  Abbildungen  im  Texte. 

2  Bände. 

Zwickau  (Sachsen)  1 899,  Förster  &  Bor  ries. 

I.  An  der  Westküste  Südamerikas  kommt  in  Thälern,  welche 
von  dem  steil  abfallenden  Gebirgszuge  der  Anden  zur  Küste  des 
paciüschen  Oceans  führen,  eine  eigenartige  Infectionskrankheit  vor, 
die  theils  als  malariaähnliche  Erkrankung,  theils  als  knötchen-  oder 
knotenbildende  Hauterkrankung  auftritt.  Diese  zwei  Erscheinungs¬ 
formen  der  Krankheit  wurden  ursprünglich  getrennt,  sie  sind  bisher 
als  Fieber  von  »Oriola«,  anämisches  Fieber,  Fieber  de  las  quadrebas 
für  die  eine,  als  Verruga  peruvienne,  Verruga  de  sang,  Verruga 
molle,  Verruga  andicola,  Verruga  de  Castille,  Verruga  de  quinua, 
und  Bouton  des  Andes  für  die  andere  Form  beschrieben  worden. 
Beiden  Krankheiten  ist  die  Localisation  auf  die  Mitteltheile  der 
Thalbildungen  gemeinsam,  im  Küstengebiet,  wie  im  Gebirge  selbst 
ist  die  Krankheit  nicht  bekannt;  sie  ist  anscheinend  durch  die 
Kranken  nicht  leicht  übertragbar,  wird  aber  ähnlich  der  Malaria  in 
gewissen  Districten  leicht  spontan  erworben.  Das  Leiden  ist  meist 
ein  ziemlich  ernstes,  namentlich  durch  das  Fieber,  aber  auch  bei 
der  disseminirten  Hautaffection  und  durch  secundäre  Wundinfection 
der  exulcerirten  weichen  Warzen  kann  der  Tod  eintreten.  Anläss¬ 
lich  der  Ausführung  von  Eisenbahnbauten  traten  unter  den  hiebei 
beschäftigten  Ingenieuren  und  Arbeitern  in  gewissen  Districten  zahl¬ 
reiche  Erkrankungen  auf  und  lenkte  die  Coincidenz  von  Fieber- 
und  Warzenfällen  neuerlich  zur  Annahme,  das  Fieber  und  die  in 
vielen  I  ällen  nachfolgende  Hautaffection  seien  Etappen  ein  und  des¬ 
selben  Processes.  Am  27.  August  1885  unternahm  der  Hörer  der 


Medicin  in  Lima  Daniel  A.  Carrion  an  sich  selbst  ein  Experi- 
mentum  crucis  für  diese  Theorie:  er  liess  sich  mit  Blut  von  einem 
Kranken  mit  Peruwarzen  impfen  und  erkrankte  nach  dreiwöchent¬ 
licher  Incubation  an  dem  typischen  Fieber  von  Oriozola,  dem  er 
am  5.  October  erlag.  Der  Infectionsstoff  der  Peruwarze  erzeugt  also 
auch  die  malariaartige  Erkrankung,  welche  mit  ihr  die  geographische 
Verbreitung  theilt  und  die  in  vielen  Fällen  der  Warzeneruption 
vorangeht;  zur  Erinnerung  an  G a r ri o n’s  Selbstaufopferung  für  die 
Wissenschaft  schlägt  Odriozola  für  die  Krankheit  den  Namen 
Maladie  de  Carrion  vor.  Als  Infectionserreger  wird  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  ein  dem  Tuberkelbacillus  ähnlicher 
Mikroorganismus  angesehen,  der  ein  gefäss-  und  transsudat¬ 
reiches,  n  i  e  verkäsendes  Granulationsgewebe  erzeugt.  Das  Buch  ist 
bei  manchen  Breiten  sehr  anschaulich  geschrieben  und  enthält 
nebst  einer  vollständigen  Geschichte  und  Geographie  der  Krankheit 
eine  ausführliche,  durch  zum  Theil  sehr  gute  Illustrationen  unter¬ 
stützte  Beschreibung  der  Klinik  der  Peruwarze  in  ihren  verschie¬ 
denen  Formen  und  Stadien;  eine  von  Letulle  in  Paris  verfasste 
Studie  über  die  Histologie  der  Hautaffection  ergänzt  die  Ausführungen 

über  die  Pathologie  dieser  interessanten  endemischen  Krankheit. 

* 

II.  Dr.  Lahmann  spricht  am  Schlüsse  seiner  Monographie 
den  Wunsch  aus,  man  möge  aus  seinen  Darlegungen  Einiges  lernen, 
»um  in  Zukunft  wenigstens  den  Frühjahrs-  und  Herbsterkrankungen 
und  der  Influenza  gegenüber  besser  gerüstet  zu  sein.«  Referent 
weiss  nicht,  ob  diese  Hoffnung  sich  erfüllen  wird,  ehe  die  Physio¬ 
logie  die  privaten  Meinungen  des  Autors,  die  eine  völlig  kritiklose 
Phantasie  aus  Gefühlsberichten  nervöser  Badegäste  ableitete,  zu 
den  ihren  macht. 

* 

III.  Die  Monographie  Bachmann’s  ist  durch  den  Tod  des 
Autors  vor  dem  gänzlichen  Abschluss  der  Publication  in  ihrem 
klinischen  Theile  unverhältnissmässig  weniger  ausführlich,  als  in 
dem  anatomischen;  die  Zusammenstellung  der  Literatur  ist  so  aus¬ 
führlich  (auch  ein  Theil  der  wichtigsten  Abbildungen  aus  früheren 
Arbeiten  ist  reproducirt),  dass  sie  für  sich  allein  schon  eine  werth¬ 
volle  Bereicherung  der  Arbeiten  über  das  vorliegende  Thema  bildet; 
der  Hauptwerth  liegt  in  den  Untersuchungen  über  die  Eingeweide¬ 
verlagerung  nach  einer  grossen  Anzahl  von  Sectionsbefunden  aus  dem 
Breslauer  pathologisch- anatomischen  Institute;  wenn  dadurch  auch  keine 
wesentlich  neuen  Thatsachen  gefunden  werden  konnten,  so  bildet 
doch  das  eingehend  und  klar  geschilderte  Untersuchungsmaterial 
eine  breite  und  gute  Unterlage  für  die  richtige  Beurtheilung  der 
häufigeren  und  selteneren  Abweichung  der  Topographie  der  Einge¬ 
weide  in  den  missstalteten  Körperhöhlen;  die  zahlreichen  dem 
Werke  beigegebenen  Tafeln  enthalten  die  Abbildungen  einer  Reihe 
von  Frontalschnitten  durch  einen  hochgradig  kyplioskoliolischen 
Thorax  und  Reproductionen  aus  den  Werken  älterer  Autoren,  wie 
B  a  r  k  o  w,  V  r  o  1  i  k,  B  o  u  v  i  e  r  u.  A.  m. 

* 

IV.  Die  50  Tafeln  des  stereoskopischen  Atlas  von  Schmorl 
sind,  Dank  ihrer  plastischen  Wirkung,  ausgezeichnet  geeignet,  als 
Unterrichtsbehelf  und  zum  Studium  der  pathologischen  Anatomie 
des  Circulationssystemes  zu  dienen;  die  Auswahl  der  Präparate, 
welche  alle  wichtigeren  pathologischen  Abweichungen  zur  An¬ 
schauung  bringen,  ist  ebenso  gelungen,  wie  die  Wahl  der  Präpa¬ 
rationsmethode  und  die  Schnittführung,  welche  eine  leichte  und 
sichere  Orientirung  im  Organe  jederzeit  ermöglicht;  die  Tafeln, 
(kleiner  als  die  des  N  e  i  s  s  e  Eschen  Atlas)  sind  in  den  Dimensionen 
so  gehalten,  dass  sie  in  die  gewöhnlichen  Stereoskopapparate  passen 
(8 1/2  X  18  cm  Cartongrösse). 

* 

V.  Nencki,  Sieber  und  W  y  z  n  i  k  ie  w  i  c  z  empfehlen  als 
beste  Methode  der  Immunisirung  gegen  die  Rinderpest  ein  com- 
binirtes  Verfahren,  das  sie  unabhängig  von  den  deutschen  Unter¬ 
suchern  in  Südafrika  gefunden  haben;  sie  injiciren  zuerst  0'2  cm3 
virulentes  Blut  und  zwei  Stunden  später  circa  20  «3  eines  Serums 
von  activ  inmiunisirten  Thieren;  diese  Methode  hat  vor  der  ein¬ 
fachen  Seruminjection  mit  passiver  Immunisirung  den  Vorzug  des 
längeren  Bestandes  der  activen  Immunität  und  ist  der  Gallenimpfung 
nach  ausgedehnten  Untersuchungen  durch  die  absolute  Ungefährlich¬ 
keit  und  grössere  Sicherheit  bei  Weitem  vorzuziehen. 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


606 


VI.  Die  Dreifarbendrucktafeln  in  der  »Technik  und  Diagnostik 
am  Sectionstische«  von  Grau  p n e  r  und  Zimmermann  sind 
in  der  Wiedergabe  des  farbigen  Bildes  pathologischer  Gewebs¬ 
veränderungen  so  ausgezeichnet,  dass  sie  neben  der  gewöhnlichen 
einfarbigen  Zeichnung  und  Photographie  als  Abbildung  betrachtet, 
den  weit  höheren  Werth  der  Anschaulichkeit  des  farbigen  Bildes 
als  Unterrichtsbehelf  aufs  Eindringlichste  documentiren;  einzelne 
Gruppen  von  pathologischen  Processen  sind  geradezu  glänzend 
vertreten  durch  die  reproducirten  Objecte:  die  verschiedenen  Formen 
von  Endocarditis,  Darmulcerationen,  Nierenkrankheiten,  die  Ver- 
älzungen;  bei  anderen  dürften  wohl  die  Abbildungen  ebenso  natur¬ 
getreu  sein,  aber  die  Objecto  waren  minder  typisch,  so  z.  B.  die 
eingerollte  Fibrinmembran  bei  Group,  die  ment,  die  gewöhnlichen 
lichtgraugelben  Farben  frischer  Exsudatmembranen  zeigt,  oder  der 
septische  Mi) ztumor,  der  neben  der  Typhusmilz  dieser  in  Farbenton  und 
dunkler  Röthe  zu  ähnlich  ist.  Doch  allen  Tafeln  gemeinsam  ist  die 
schon  erwähnte  ausserordentlich  zutreffende  Wiedergabe  der  Farben¬ 
charakteristik  des  individuellen  Objectes,  die  bei  der  Betrachtung 
der  Tafeln  bei  Tageslicht  das  Auge  sofort  gefangen  nimmt.  Die 
textlichen  Ausführungen  sind  übersichtlich  gruppirt  und  ohne  Weit¬ 
schweifigkeit  doch  ziemlich  ausführlich  gehalten.  Das  Buch  stammt 
aus  dem  Kreise  der  Schüler  B  i  r  ch  -  H  i  r  s  c  h  f  e  1  d's,  der  als  er¬ 
fahrener  akademischer  Lehrer  die  Mangelhaftigkeit  des  Farbensehens 
und  Farbenbeurtheilens  vieler  Mediciner  kennend,  die  Herausgabe 
farbenrichtiger  Bilder  mit  den  reichen  Mitteln  seines  Institutes 
unterstützte. 

Die  hohe  technische  Vollendung  des  Dreifarbendruckes  hat 
es  ermöglicht,  gerade  in  der  angestrebten  Richtung  einen  neuen 
Schritt  vorwärts  zu  kommen.  Kretz. 


I  Vorfragen  der  Biologie. 

Von  Eugen  Albrecht. 

Wiesbade  n  1899,  J.  Berg  m  a  n  n. 

II.  Grundriss  der  Physik  zum  Gebrauche  für  Mediciner. 

Von  Dr.  Bruno  Borchardt. 

Zweite,  neu  bearbeitete  Auflage. 

Stuttgart  1900,  F.  Enke. 

I.  Jene  mächpge  Gährung  der  Begriffe  in  den  Naturwissen¬ 
schaften,  welche  die  Arbeiten  Mach’s,  vor  Allem  seine  »Analyse 
der  Empfindungen«  eingeleitet  haben,  tritt  nun  immer  mehr  in  dem 
Bestreben  hervor,  die  einzelnen  Wissensgebiete  von  »Scheinpro¬ 
blemen«  zu  befreien.  In  die  Arbeiten  dieser  Richtung  fällt  auch 
die  vorliegende,  auf  deren  Inhalt  hier  nicht  näher  eingegangen 
werden  kann.  Es  ist  in  derselben  der  Versuch  gemacht,  die  Lehre 
vom  psychophysischen  Parallelismus  auf  die  Beziehungen  der  me¬ 
chanistischen  und  vitalistischen  Seite  der  Lebenserscheinungen  zu 
übertragen.  Die  kleine  Schrift  sei  hiemit  einem  weiteren  Kreise 
bestens  empfohlen,  doch  möchte  Referent  jedem  Leser  derselben 
die  soeben  erschienene  Umarbeitung  des  erwähnten  Mach’schen 
Werkes  als  Berather  bei  der  Lectüre  mitgeben. 

* 

II.  Eine  einfache  und  klare  Darstellungsweise,  elementare, 

auf  das  Nothwendigsle  beschränkte  Heranziehung  der  Mathematik, 
und  die  im  Rahmen  eines  Compendiums  mögliche  Darstellung  der 
neueren  Fortschritte  der  Physik  machen  das  Buch  für  seinen  Zweck 
durchaus  geeignet.  Die  Auffassung  der  Vorgänge  als  Bewegungs¬ 
erscheinungen  kann  wohl  nur  als  eine  unter  Umständen  nützliche 
Hypothese,  jedoch  nicht  als  eigentliche  Aufgabe  der  Physik  be¬ 
zeichnet  werden.  Pauli. 

THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

lgazol  ist  eine  pulverfürmige  Verbindung  von  Formaldehyd, 
Trioxymethylen  und  einem  Jodkörper,  in  welchem  Prof.  Cervello 
in  Parma  ein  hervorragendes  Unterstützungsmittel  bei  der 
Behandlung  der  Tuberculose  gefunden  haben  will.  Dasselbe  wird  im 
Krankenzimmer  durch  einen  vom  Genannten  hergestellten  Apparat 
verdampft  und  die  Dämpfe  vom  Patienten  eingeathmet.  Anfangs  ent¬ 
stehen  leichte  Reizerscheinungen.  Cervello  will  mit  seiner  neuen 
Behandlungsart  innerhalb  zwei  Monaten  von  26  Lungenkranken  zehn 
geheilt,  neun  fast  geheilt  und  zwei  bedeutend  gebessert  haben.  — 
(Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  6) 

* 


Das  C  h  i  r  o  1  wird  von  R.  Kossma  n  n  als  eine  gelbliche 
Flüssigkeit  beschrieben,  die  aus  einer  Lösung  verschiedener  Harze 
und  fetter  Oele  in  Aether  und  Alkohol  hergestellt  ist.  Die  einge¬ 
tauchte  Hand  bedeckt  sich  mit  einem  in  zwei  bis  drei  Minuten  trocken 
werdenden  Ueberzug,  der  durch  Sublimat  und  Formalin  nicht,  wohl 
aber  durch  Lösungen  mit  freien  Alkalien  und  Lysol  geschädigt  wird. 
Zur  Entfernung  des  Chirol  genügt  eine  Waschung  mit  Spiritus.  Koss¬ 
ma  n  n  empfiehlt  die  Verwendung  des  Chirol  zur  Sterilisiruug  der 
Hände  und  des  Operationsfeldes.  —  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900, 
Nr.  22.) 

* 

Zur  Trachombehandlung.  Von  Dr.  E  b  e  r  s  o  n  (Tarnow). 
Verfasser  unterscheidet  zwei  Formen  von  Trachom:  eine  leichte, 
trockene  und  eine  schwere,  succulente,  mit  starker  Röthung  der  Binde¬ 
haut,  Secretion  und  grossen  Körnern.  Bei  der  Thatsache,  dass  man 
bei  manchen  Trachomfällen  bei  Innehaltung  einer  Methode  oft 
schwer  oder  nie  zum  Ziele  kommt,  scheint  folgende,  nur  bei  der 
schweren  Form  angeblich  wirksame  Behandlung,  einer  besonderen  Be¬ 
achtung  werth  zu  sein.  Die  Conjunctiva  wird  nach  Umstülpung  des 
Lides  mit  20/001ger  Sublimatlösung  sehr  leicht  abgewischt  (Wattebausch), 
Schleim  und  Eiter  dadurch  entfernt  und  einige  Tropfen  reinen 
Ichthyols  gleichmässig  aufgetragen;  nach  kurzer  Zeit  hört  das 
entstandene  Brennen  auf,  worauf  das  Medicament  mit  reinem  Wasser 
weggewischt  wird.  Das  wird  täglich  wiederholt.  Subjectiv  zeigt  sich 
sofort  eine  bedeutende  Erleichterung,  objectiv  Vermehrung  der  Hyper¬ 
ämie  und  Secretion,  dann  Auftreten  von  hellgefärbten  Inseln,  die  sich 
vergrössern,  bis  die  ganze  Bindehaut  so  gefärbt  ist,  was  schon  nach 
einigen  Tagen  der  Fall  ist.  In  ungünstigen  Fällen  bleiben  rothe 
Stellen  zurück,  gegen  welche  einmal  wöchentlich  mit  dem  Cuprumstift 
vorgegangen  wird.  Vortheilhafter  ist  es.  anfangs  einige  Tage  blos  eine 
50%ige  Ichthyollösung  zu  benützen  und  dann  für  circa  acht  Tage 
reines  Ichthyol,  worauf  das  Leiden  vollständig  geschwunden  oder  in 
die  angegebsne  leichte  Form  mit  den  rothen  Inseln  umgewandelt  ist. 
—  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  6.) 

* 

Hämaturie  und  Gelatine.  Von  Dr.  Schwabe 
(Langensalza).  Carnot  hat  1896  und  nach  ihm  Dastre  und 
Floresco  in  Frankreich  die  blutstillende  Wirkung  der  Gelatine  er¬ 
kannt;  später  hat  Lance  reaux  die  Gelatine  zur  Behandlung  der 
Aneurysmen  verwendet.  Die  Nachprüfungen  dieser  Gelatinetherapie 
haben  bis  jetzt  so  günstige  Erfolge  ergeben,  dass  die  Indieations- 
grenzen  für  sie  immer  weiter  gesteckt  werden;  so  haben  sich  Gelatine- 
tamjmnaden  bei  localer  Blutstillung,  selbst  bei  Blutern,  als  sehr  ver¬ 
lässlich  erwiesen.  Schwabe  berichtet  einen  Fall  von  hämorrhagischer 
Nephritis,  in  dem  die  schweren  Nierenblutungen  in  nicht  zu  ver¬ 
kennender  Weise  durch  Gelatine  beeinflusst  wurden.  Er  hat  von  der 
in  üblicher  Weise  hergestellten  Gelatine  je  25  cmz  unterhalb  beide 
Schlüsselbeine  subcutan  eingespritzt;  ausserdem  liess  er  acht  Tage 
hintereinander  Us  l  einer  10%igen  Gelatinelösung  trinken.  Schon  am 
achten  Tage  waren  alle  rothen  Blutkörperchen  aus  dem  Urin  ver¬ 
schwunden.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  6.) 

* 

Leberthraninjeetiouen  bei  Tuberculose.  Von 
Dr.  Zeuner  (Berlin).  Eine  grosse  Mengo  leicht  resorbirbaren  Fettes 
kann  durch  folgendes  Nährklystier  dem  Körper  zugeführt 
werden  : 

Rp.  Pancreatini  puriss.  5  0, 

Fel.  tauri  inspissati  0  5, 

Natr.  chlorati  15. 

Solve  in  aq.  font.  50  0 
Diger  horas  2  cum 
Ol.  jecoris  aselli  citrin.  250  0. 

Adde 

Ol.  Eucalypt.  aeth.  gtts.  III. 

Von  dieser  etwas  erwärmten  und  umgeschüttelten  Leberthranemulsion 
werden  unter  sanftem  Drucke,  nachdem  etwa  eine  Stunde  vorher  ein 
Reinigungsklystier  gegeben  worden  ist,  60 — 100#  langsam  in  Knie- 
Ellenbogenlage  in  den  Darm  gebracht.  Eine  Untersuchung  hat  ergeben, 
dass  von  100  <7  derart  verabfolgter  Leberthranemulsion,  und  zwar 
ohne  dass  früher  ein  Reinigungsklystier  verabfolgt  w7orden  wäre, 
zehn  Stunden  später  nur  24#  ausgeschieden  worden  waren,  dass  75# 
Leberthran  dem  Kranken  demnach  zu  Gute  gekommen  sind.  Zeuner 
übte  diese  Methode  mit  sehr  gutem  Erfolge  bei  einem  in  Görbersdorf 
nicht  mehr  aufgenommenen  Phthisiker.  —  (Therapeutische  Monatshefte. 
1900,  Nr.  6.) 

* 

Ueber  die  therapeutische  Verwendbarkeit  des 
Ferratogen  (Eisennuclei  n).  Von  Dr.  C  1  0  e  1 1  a  (Zürich). 
Das  Präparat  v.rird  in  der  Weise  hergestellt,  dass  man  Hefe  auf  eisen¬ 
haltigen  Nährböden  cultivirt.  Es  hat  einen  Eisengehalt  von  1%, 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


607 


wurde  bei  Versuchen  von  Hunden  und  weissen  Mäusen  gut  resorbirt 
und  bei  ihnen  in  Leber  und  Milz  nachgewiesen.  Das  Mittel  unter¬ 
scheidet  sich  dadurch  von  allen  übrigen  Eisenpräparaten,  dass  es  im 
Magen  unlöslich  ist ;  demzufolge  dürfte  es  sich  besonders  bei  Chlorosen 
empfehlen,  überhaupt  da,  wo  sich  sonst  der  Magen  gegenüber  den 
Eisenpräparaten  sonst  als  intolerant  erweist.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  22.) 

* 

Ueber  das  lösliche  Silber  und  seinen  thera¬ 
peutischen  Werth.  Von  Dr.  Brunner.  Es  handelt  sich  um 
das  von  Crede  empfohlene  Präparat,  welchem  nach  den  Thierversuchen 
des  Verfassers  bei  allgemeinen  pyämischen  Processen  kein  therapeutischer 
Werth,  wohl  aber  bei  Abscessen  und  Furunkeln  zukommt.  - —  (Fortschritte 
der  Medicin.  1900,  Nr.  20.) 

* 

Ueber  Hetolbehandlung.  Von  C.  Ewald  (Berlin). 
Prof.  Länderer  hat  seinerzeit  zur  Behandlung  der  Phthise  Injec- 
tionen  von  Hetol  (zimmtsaurem  Natron)  empfohlen,  durch  welche  eine 
bindegewebige  Durch  Wucherung  der  tuberculösen  Herde  erreicht  werden 
sollte.  Ewald  hat  25  den  Forderungen  L  andere  r’s  gemäss  ausge¬ 
wählte  Fälle  genau  nach  der  Vorschrift  mit  Hetol  behandelt.  Vor 
Allem  Hessen  sich  zwei  Nebenwirkungen  beobachten :  eine  Neigung 
zu  Hämoptisen,  sowie  das  Auftreten  einer  auffallenden  Müdigkeit  und 
Neigung  zum  Schlafen  nach  den  Injectionen.  Auf  das  Verhalten  der 
Tuberkelbacillen,  der  Temperatur,  dem  Schweisse  konnte  kein  Einfluss 
bemerkt  werden.  Der  allgemeine  Eindruck  war  der,  dass  die  durch 
Hetolbehandlung  erzielten  Erfolge  zwar  den  Erwartungen  nicht  ent¬ 
sprachen,  dass  jedoch  dieses  Verfahren  einer  weiteren  Prüfung  werth 
sei.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  21.) 

* 

Die  Behandlung  der  puerperalen  Eklampsie 
mittelst  Injection  diuretisch  wirkender  Salze  in 
die  Gefässe  hat  R.  Jardine  versucht.  Von  22  Eklamptischen 
sind  bei  dieser  Behandlung  nur  vier  gestorben.  —  (Brit.  med.  Journ. 
26.  Mai  1900.) 

* 

Heisse  Bäderbehandlung  zur  Bekämpfung  der 
klimakterischen  Wallungen.  Von  Dr.  Gottschalk 
(Berlin).  Oophorinbehandlung  ist  kostspielig  und  nicht  selten  unsicher. 
Seit  drei  Jahren  verordnet  Verfasser  bei  klimakterischen  Wallungen 
„heisse  Bäder  von  32 — 33°  R.  und  20  Minuten  Dauer  allabendlich 
nach  1  1  Uhr“  zu  nehmen.  Meist  kommt  man  mit  26 — 28  Bädern  aus 
und  die  Wirkung  soll  sich  schon  nach  der  ersten  Woche  in  günstiger 
Weise  kund  thun.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  23.) 

* 

Bemerkungen  über  H  e  d  o  n  a  1.  Von  A.  Eulenburg. 
H  e  d  o  n  a  1,  ein  Urethanderivat,  wird  bei  ne ur asthenischer 
Schlaflosigkeit  als  Hypnoticum  empfohlen.  Am  besten  wird  es 
in  Pulverform  in  Dosen  von  10  (bei  leichten  Fällen),  oder  zu  L5  bis 
2  0,  oder  in  Combination  mit  Trional  (0  5:  1’0  Hedonal)  verabreicht, 
wobei  es  zweckdienlich  ist,  als  Geschmackscorrigens  einen  Theelöffel 
aromatisches  Zimmtwasser  mit  einigen  Tropfen  Orangenöles  nachtrinken 
zu  lassen.  Schädliche  Nebenwirkungen  wurden  keine  beobachtet.  — 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  23.) 

* 

Prof.  R  a  b  o  w  und  Prof.  Galli-V  alerio  haben  das  Ich- 
thoform.  geprüft  und  es  bei  den  entsprechenden  Darmaffectionen 
für  die  Praxis  als  empfehlenswerth  gefunden.  —  (Therapeutische 
Monatshefte.  1900,  Nr.  4.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Der  Oberbezirksarzt  Jur.  et  Med.  Dr.  Franz 
Ritter  v.  Hab  er  ler  zum  Landes-Sanitätsinspector  von  Tirol  und 
Vorarlberg.  Prof.  Harnack  in  Halle  zum  Geheimen  Medicinalrath. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Hof  mann  für  innere  Medicin  in  Halle, 
Dr.  Edwin  Faust  für  Pharmakologie  in  Strassburg. 

* 

In  der  Sitzung  des  nieder  österreichischen  Landes  - 
Sanitätsrathes  am  18.  Juni  d.  J.  wurde  das  Project  zur  Er¬ 
richtung  des  Kaiser  Franz  Josef-Regierungs-Jubiläums-Kinderspitales 
dei  Gemeinde  AVien  und  der  Georg  Keller  man  n’schen  Stiftung 
einer  eingehenden  Begutachtung  unterzogen,  und  wurden  über  Ein¬ 
ladung  der  Statthalterei  zwei  Mitglieder  des  Larrdes-Sanitätsrathes  als 
Vertreter  desselben  bei  der  Bauverhandlung  delegirt. 

* 


XIII.  Internationaler  medicinischer  Congress  in 
Paris.  Theilnehmer  haben  sich  mittelst  eines  Unterzeichnungszettels 
unter  Beilage  ihrer  Visitkarte  mit  genauer  Adresse  bei  dem  General 
secretär  und  Tresorier  des  österreichischen  Comites,  Prof.  Dr.  Adam 
Politzer  (Wien,  L,  Gonzagagasse  19),  zu  melden,  worauf  sie  die 
definitive  Mitgliedskarte  zugeschickt  erhalten.  Die  Fahrtbegürrstigung 
besteht  darin,  dass  die  Congressmitglieder  auf  den  französischen 
Bahnen  von  der  Grenzstation  bis  Paris  den  Preis  für  die  einfache 
Fahrt  zu  erlegen  haben,  der  gleichzeitig  zur  unentgeltlichen  Rückfahrt 
bis  an  die  französische  Grenze  berechtigt,  welche  aber  auf  derselben 
Route  erfolgen  muss.  Die  Congressmitglieder  erhalten  in  dem  Central¬ 
bureau  in  Paris  eine  Freikarte  zum  Besuche  der  Ausstellung  während 
der  Congresstage.  Alle  Auskünfte  über  AVohnungen  ertheilt  das 
Wohnungsbureau  des  Congresses  in  Paris,  21,  Rue  de  l’Eeole  de 
Medecine.  Ausserdem  hat  sich  eine  Reihe  von  Reisebureaux  zur  Aus¬ 
kunftsleistung  für  den  Reiseverkehr  nach  Paris  und  zur  Wohnungs¬ 
vermittlung  augeboten.  Diese  sind:  1.  Die  Agentie  der  Voyages 
modernes,  Rue  de  l’Echelle  1,  bietet  comfortabel  eingerichtete  Zimmer 
zum  Preise  von  6  Francs  pro  Tag,  sowie  die  ganze  Pension  zum 
Preise  von  15  Francs  an.  2.  Soeiete  fran9aiso  des  „Voyages 
Duchemin“,  Paris,  20,  Rue  de  Grammont.  Der  Pr»  is  eines  Zimmers 
sammt  ganzer  Arerpflcgung  beträgt  140 — 180  Francs  pro  AVoche,  der 
eines  Zimmers  ohne  Verpflegung  nur  mit  erstem  Frühstück  beträgt 
70- — 120  Francs  pro  AVoche.  3.  Voyages  pratiques,  9,  Rue  de  Rome, 
Paris.  Dieses  Reisebureau  ist  bereit,  unentgeltlich  alle  Auskünfte  an 
die  Comites  und  Mitglieder  des  Congresses  zu  ertheilen,  besonders 
was  die  Kosten  der  Reise,  die  Eundreisebillets,  die  Preise  in  den 
Hotels,  in  den  verschiedenen  Hauptstädten  und  den  Preis  des  Auf¬ 
enthaltes  in  Paris  betrifft.  Das  Bureau  vermittelt  Wohnungen  zum 
Preise  von  6  Francs  50  Centimes  pro  Tag  und  Person.  Das  Bureau 
übernimmt  auch  die  Besorgung  des  Gepäckes,  sowie  den  Transport 
der  Reisenden  vom  Bahnhofe  zu  dem  Absteigequartier  in  Paris.  Endlich 
werden  gemeinsame  Ausflüge  per  Post,  Bahn  und  Schiff  veranstaltet. 
4.  Agence  Desroches,  21,  Rue  du  Faubourg  Montmartre,  Paris.  Bei  der 
Ankunft  werden  die  Congressmitglieder  auf  dem  Bahnhofe  die  Agenten 
dieses  Bureaus  vorfinden,  welche  durch  ihre  rothe  Kopfbedeckung  er¬ 
kennbar  sind  und  den  Auftrag  haben,  die  Fremden  in  die  für  sie  vor¬ 
bereiteten  AVohnungen  zu  dirigiren.  Zimmer  10  Francs  pro  Tag,  in¬ 
begriffen  Beleuchtung  und  Service,  sowie  das  erste  Frühstück.  Der 
erste  Tag  kostet.  20  Francs,  wobei  inbegriffen  ist  der  Transport  des 
Gepäckes  und  die  Fahrt  vom  Bahnhofe  in’s  Absteigequartier. 
Der  letzte  Tag  kostet  aus  den  gleichen  Gründen  15  Francs.  Die 
Reisenden  werden  gebeten,  sich  acht  Tage  früher  bei  dem  Bureau 
zu  melden.  5.  Agence  Lu  bin,  36,  Boulevard  Haussmann,  Paris.  Diese 
Agentie  liefert  Zimmer  mit  einem  Bett  zu  12  Francs  pro  Tag  und 
Zimmer  für  zwei  Personen  zu  20  Francs  pro  Tag  (inbegriffen  Service 
und  Beleuchtung).  6.  Hotel  Schenker  in  Paris,  191,  Rue  de 
l’Universite.  Ein  Zimmer  mit  zwei  Betten  sammt  erstem  Frühstück 
32  Francs,  ein  Cabinet  mit  einem  Bett  sammt  erstem  Frühstück 
16  Francs.  7.  Hotel  Cecil  in  Paris,  119  bis  121,  Rue  Caulaincourt 
Zimmer  mit  ein  bis  zwei  Betten  (inclusive  Beleuchtung  und  Ser¬ 
vice)  sammt  erstem  Frühstück  und  Diner  pro  Person  zu  12  bis 
15  Francs. 

* 

Die  Herausgeber  des  „International  Directory  of  Laryngologists 
and  Otologists“  haben  zu  diesem  einen  Nachtrag  in  Vorbereitung,  zu 
welchem  Zwecke  alle  Laryngo-,  Rhino-  und  Otologen  ihre  Adressen 
an  das  genannte  Unternehmen  in  London,  AAL  C.  129,  Shaftesbury 
A  venire  einsenden  wollen. 

* 

Das  Organisationscomite  des  Congresses  für  Elektrologie 
und  medicinische  Radiologie  hat  für  seine  Mitglieder  auf 
verschiedenen  französischen  Bahnen  (Ouest,  Nord,  Est,  Paris-Lyon- 
Mediterranee,  Orleans  et  Etat)  eine  50°/0ige  und  auf  sämmtlichen 
italienischen  Bahnen  eine  30 — 50%igo  Fahrpreisermässigung  erwirkt. 
Nähere  Auskünfte  sind  noch  vor  1.  Juli  vom  Generalsecretär 
M.  Doumer,  57,  Rue  Nicolas-Leblanc  in  Lille  zu  erlangen. 

* 

Im  Folgenden  eine  Zusammenstellung  der  ärztlichen 
Congresse  in  Paris  während  der  Ausstellung:  Vom  23. — 28.  Juli 
für  ärztliche  Standesinteressen,  vom  2.- — 9.  August  der  XIII.  inter¬ 
nationale  medicinische  Congress,  vom  8.- — 14.  August  für  Zahnärzte, 
vom  12.  — 16.  August  für  Hypnotismus,  für  Elektro-  und  Radiologie. 

* 

Programm  der  Ferialcurse,  welche  in  den  Monaten 
August  und  September  1900  an  der  AVien  er  medicini  sehen 
Facultät  gelesen  werden. 

(Die  Inscription  erfolgt  bei  den  betreffenden  Herren  Docenten  und 
ist  das  Honorar  an  dieselben  direct  im  Vorhinein  zu  entrichten.) 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


608 


II.  September  Cyclns. 

Anatomie:  Julius  Tandler,  Topographische  Anatomie.  — 

Derselbe,  Anatomie  der  Nasenhöhle.  —  Derselbe,  Anatomie  des  weiblichen 
Genitales. 

Pathologische  Anatomie  und  Bacteriologie:  Hein¬ 
rich  Albrecht,  Pathologisch-anatomischer  Demonstrationscurs.  — 
Richard  Kretz,  Erworbene  Immunität  und  Serumtherapie  (mit  Demon¬ 
strationen  und  Experimenten).  —  Anton  Glion,  Bacteriologischer  Curs 
mit  praktischen  Uebungen.  —  Friedrich  Schlagenhaufe  r,  Prak¬ 
tisches  Arbeiten  in  der  pathologischen  Anatomie,  Histologie  und  Bac¬ 
teriologie. 

Experimentalpathologie:  Arthur  Biedl,  Experimentelle 
Methodik. 

Medicinische  Chemie:  Sigmund  Frankel,  Qualitative 
und  quantitative  Harnanalyse. 

Pharmakologie,  Pharmakognosie  und  Lebensmittel- 
Untersuchung:  Josef  H  o  c  k  a  u  f,  Anwendung  des  Mikroskopes 
auf  die  officinellen  Droguen,  Nahrungs-  und  Genussmittel  aus  dem  Pflanzen¬ 
reiche.  —  Wilhelm  Mitlacher,  Pharmakologie  und  Receptirkunde 
mit  Demonstration  der  Präparate.  —  Derselbe,  Pharmakognosie  mit  An¬ 
wendung  des  Mikroskopes  für  Physicatscandidaten. 

Interne  Medicin:  Jakob  Pal,  Diagnostik  innerer  Krank¬ 
heiten.  —  Julius  Donath,  Diagnostik  und  Therapie  innerer  Er¬ 
krankungen.  —  Alois  Strasser,  Hydrotherapie  innerer  Krankheiten  mit 
praktischen  Uebungen. 

Kinderkrankheiten:  Karl  Folger,  Ueber  Kinder¬ 

krankheiten. 

Neurologie  und  Psychiatrie:  Lothar  v.  Frankl- 
Hoch  wart,  Diagnostik  und  Therapie  der  Nervenkrankheiten  mit  beson¬ 
derer  Berücksichtigung  der  Elektrotherapie  und  Diagnostik.  —  Adolf 
E  1  z  h  o  1  z,  Klinik  und  Therapie  der  psychischen  Krankheiten. 

Chirurgie:  Konrad  B  ii  d  i  n  g  e  r,  Typischer  Operationscurs 

—  Derselbe,  Atypischer  Operationscurs.  —  Karl  Ewald,  Chirurgische 
Diagnostik.  —  Derselbe,  Chirurgischer  Operationscurs.  —  Alexander 
F  r  a  e  n  k  e  1,  Diagnose  und  Therapie  chirurgischer  Krankheiten  mit  prak¬ 
tischen  Uebungen.  —  Julius  Schnitzler,  Atypische  Operationen 
(Uebungen  am  Cadaver).  —  Friedrich  v.  Friedländer,  Abdominal¬ 
chirurgie  mit  Uebungen  an  der  Leiche.  —  Derselbe,  Chirurgische  Diagnostik 
für  Aerzte. 

Augenheilkunde:  Anton  Elschnig,  Diagnostik  und 

Therapie  der  äusseren  und  inneren  Augenkrankheiten.  —  Leopold 
Müller,  Ophthalmoskopie.  —  Hugo  Wintersteiner,  Ophthalmo¬ 
skopie.  —  Derselbe,  Augenoperationen.  —  Derselbe,  Pathologische  Histo¬ 
logie  des  menschlichen  Auges.  - —  Maximilian  Bondi,  Repetitorium 
der  praktischen  Augenheilkunde  (inclusive  Ophthalmoskopie.  —  Victor 
Hanke,  Diagnostik  und  Therapie  der  äusseren  Augenkrankheiten.  — 
Derselbe,  Augenoperationen. 

Laryngologie  und  Rhinologie:  Michael  Gross- 
man  n,  Curs  über  Laryngo-  und  Rhinologie.  —  Hans  Koschier, 
Laryngo  rhinologischer  Operationscurs  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Anatomie.  —  Leopold  Re  t  hi,  Laryngo-  und  Rhinoskopie  mit  prak¬ 
tischen  Uebungen.  —  Ludwig  Ebstein,  Curs  über  Laryngologie  und 
Rhinologie. 

Ohrenheilkunde:  Ferdinand  Alt,  Ohrenheilkunde.  — 
Albert  Bing,  Praktischer  Cursus  über  Ohrenheilkunde. 

Dermatologie  und  Syphilidologie:  Eduard  Spiegler, 
Hautkrankheiten  und  Syphilis  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Therapie. 

—  Karl  U  1  1  m  a  n  n,  Acute  und  chronische  Blennorrhoe  der  Sexualorgane, 
Pathologie  und  Therapie.  —  Rudolf  Matzenaue  r,  Curs  über  Dermato¬ 
logie  und  Syphilis.  —  Derselbe  und  Georg  Löwe  ubach,  Curs  über 
normale  und  pathologische  Histologie  der  Haut.  Laboratoriumsarbeiten 
während  des  ganzen  Tages. 

Geburtshilfe  und  Gynäkologie:  Egon  v.  Braun- 
Fernwald,  Gynäkologische  Diagnostik.  —  Leopold  v.  Dittel, 
Gynäkologischer  Operationscurs.  —  Emil  Knauer,  Geburtshilflich-dia¬ 
gnostischer  Curs.  —  Ludwig  Mandl,  Gynäkologischer  Operationscurs 
am  Phantom  und  am  Cadaver.  —  Julius  Neumann,  Gynäkologischer 
Operationscurs  am  Cadaver  mit  vorwiegender  Berücksichtigung  der  nicht 
peritonealen  gynäkologischen  Operationen.  —  Josef  Halban,  Geburtshilf¬ 
liche  Diagnostik  und  Therapie.  —  Derselbe,  Geburtshilflicher  Operationscurs.  —  ! 
Hugo  II  ii  b  1,  Geburtshilfliche  Diagnostik  und  Therapie.  —  Rudolf  Savor, 
Gynäkologische  Diagnostik  und  Therapie.  —  Heinrich  Schmit,  Gynäko¬ 
logische  Diagnostik  und  Therapie. 

Nachtrag:  Otto  Marburg,  Ueber  normale  Histologie  und 
topische  Durchsicht  des  Centralnervensystems.  —  Derselbe,  Pathologische 
Histologie  des  Centralnervensystems  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
klinischen  Symptomatologie. 

* 

Nach  dem  Jahresberichte  des  I.  Allgemeinen  St.  Annen- 
K  inderspitales  in  Wien  —  Director  Hofrath  Dr.  Herma  nn 
I  reihen-  v.  Widerhofer  —  sind  1899  im  genannten  Spitale 
30.420  Kinder  ambulatarisch  behandelt,  152  geimpft,  1698  im 
Spitale  selbst  verpflegt  worden.  Die  Wirksamkeit  des  Institutes  hatte 
sich  somit  im  vergangenen  Jahre  auf  32  270  Kinder  erstreckt,  von 
denen  164  unentgeltlich  verpflegt  und  30.420  unentgeltlich  ambula- 
torisch  behandelt  und  mit  Medicamenten,  beziehungsweise  Verbänden 
versehen  worden  waren. 

483  an  Diphtherie  erkrankte  Kinder  sind  mit  Heilserum  be¬ 
handelt  worden;  davon  starben  50,  das  ist  ein  Mortalitätsprocent  von 
10  35  gegen  11  36  im  Jahre  1898  und  gegen  13  63  im  Jahre  1897. 


Von  diesen  50  erlagen  fünf  an  Scharlach  und  fünf  in  den  ersten 
24  Stunden  nach  der  Aufnahme;  wenn  man  nun  von  diesen  zehn  ver¬ 
storbenen  Kindern  absieht,  so  erhält  man  ein  Mortalitätsprocent  von 
845.  Die  diphtheritische  Larynxstenose  wurde  bei  123  Kindern 
mittelst  Intubation  allein  behandelt,  neun  Kinder  gingen  mit  Tod  ab; 
und  zwar  acht  durch  Lungenentzündung,  eines  durch  Scharlach.  Bei 

49  Kindern  genügte  die  Intubation  nicht  und  es  musste  anschliessend 
an  dieselbe  die  Tracheotomie  ausgeführt  werden;  hievon  starben  20 
(davon  zwei  an  Scharlach).  16  Kinder  kamen  nahezu  sterbend  ins 
Spital,  so  dass  von  der  Intubation  abgesehen  und  nur  noch  die 
Tracheotomie  versucht  werden  konnte;  von  diesen  starben  zwölf  (davon 
zwei  an  Scharlach).  Es  wurde  also  die  diphtheritische  Larynxstenose 
bei  188  Kindern  theils  mit  der  Intubation  allein,  theils  mit  Intubation 
und  nachfolgender  Tracheotomie,  die  schwersten  Fälle  mit  der  pri¬ 
mären  Tracheotomie  behandelt,  von  welchen  188  Kindern  41  starben, 
was  ein  Mortalitätsprocent  von  2L8  ergibt. 

* 

„D  i  e  s  p  e  c  i  e  1  1  e  Chirurgie  in  60  Vorlesunge  n“, 
herausgegeben  bei  G.  Fischer,  Jena,  von  Prof.  Leser  (Halle)  ist 
in  vierter  Auflage  erschienen.  Abgesehen  von  einer  Aenderung  in  der 
Eintheilung  des  Materiales  hat  das  genannte  Werk  eine  wesentliche 
Bereicherung  um  das  Capitel  der  Röntgenographie  im  Hinblicke  auf 
die  Chirurgie  erfahren. 

* 

Von  dem  bekannten  Compendium:  „Die  typischen  Ope¬ 
rationen  und  ihreUebung  an  der  Leich  e“,  herausgegeben 
im  Verlage  von  Lehmann,  München,  von  Oberstabsarzt  Rotter, 
ist  die  sechste  Auflage  erschienen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  23.  Jahreswoche  (vom  3.  Juni 
bis  9,  Juni  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  618,  unehelich  317,  zusammen 
935.  Todt  geboren:  ehelich  48.  unehelich  16,  zusammen  64.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  683  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
214  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  131,  Blattern  0,  Masern  16, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  2,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  32.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  ( — 1),  Varicellen 

50  ( —  13),  Masern  297  ( —  14),  Scharlach  45  (-(-  4),  Typhus  abdominalis 
19  (-|-  4),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  22  ( —  9),  Croup  und 
Diphtherie  27  ( — 2),  Pertussis  49  (-|-  4),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  ( —  2),  Trachom  5  (-j-  2),  Influenza  0  (=). 


Freie  Stellen. 

Gemeindearzte  stelle  in  Tullnerbach,  politischer  Bezirk 
Hietzing-Umgebung,  Niederösterreich.  Fixe  Bezüge:  Gemeindebeiträge 
und  Subvention  aus  dem  Landesfonde  je  600  K.  Bewerber  um  diese  Stelle 
wollen  ihre  vorschriftsmässig  gestempelten,  mit  dem  Diplome,  dem  Alters¬ 
nachweise  (Tauf-  oder  Geburtsscheine),  einem  Gesundheitszeugnisse  und 
dem  Nachweise  über  ihre  bisherige  ärztliche  Thätigkeit  versehenen  Gesuche 
bis  längstens  30.  Juni  1900  bei  dem  Gemeindeamte  Tullnerbach  (Post 
Tullnerbach  II)  einbringen. 

Directorsstelle  im  k.  k.  Kaiserin  Elisabethspitale  in 
Wien.  Im  Status  der  Directoren  der  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten  ge¬ 
langt  mit  1.  August  1900  die  neusystemisirte  Stelle  eines  Directors  in  der 
VI.  Rangsclasse  mit  den  dieser  Rangsclasse  entsprechenden  Bezügen,  d.  i.  dem 
Gehalte  von  6400  K,  der  halben  Activitätszulage  von  800  K  jährlich  und  der 
Naturalwohnung,  sowie  dem  Ansprüche  auf  zwei  Quinquennalzulagen  von 
je  800  K  zur  Besetzung.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  mit  dem 
Tauf-  oder  Geburtsscheine,  dem  Heimatscheine,  den  Nachweisen  über  die 
Erfüllung  der  Stellungs-,  beziehungsweise  Wehrpflicht  und  sonstigen 
Personaldocumenten,  ferner  dem  Diplome  über  die  Erlangung  des  Doctorates 
der  gesammten  Heilkunde  an  einer  öffentlichen  Universität,  endlich  mit  den 
Zeugnissen  über  ihre  bisherige  Verwendung  belegten  Gesuche  längstens 
bis  10.  Juli  1900,  und  zwar  solche  Bewerber,  welche  bereits  in  einem  öffent¬ 
lichen  Dienste  stehen,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Dienstbehörde,  andere 
Bewerber  unmittelbar  beim  Präsidium  der  k.  k.  niederösterreichischen  Statt¬ 
halterei  in  Wien  einzubringen. 

Aspirantenstelle  an  der  gynäkologischen  Abtheilung  des 
St.  Elisabeth-Spitales,  Wien,  III.,  Hauptstrasse  Nr.  4,  ist  zu  besetzen.  Be¬ 
werber  mögen  sich  an  den  Abtheilungsvorstand  ebendort  wenden. 

Zweite  städtische  Polizeiarztesstelle  in  G^az,  Steiermark,  in 
der  IX.  Rangsclasse,  1.  Gehaltskategorie,  mit  3000  K  Gehalt,  700  K  Quar¬ 
tiergeld,  einer  in  die  Pension  nicht  einrechenbaren  Personalzulage  von 
lOüOA'und  dem  Ansprüche  auf  zwei  Quadriennalzulagen  ä  200  K.  Doctoren 
der  gesammten  Heilkunde,  welche  sich  um  diese  Stelle  bewerben  wollen, 
haben  ihre  ordnungsmässig  gestempelten,  mit  dem  Nachweise  des  Alters, 
der  Heimats-  und  Familienverhältnisse,  über  die  mit  Erfolg  abgelegte 
Physicatsprüfung  und  über  eine  allfällige  bisherige  dienstliche  Verwendung 
versehenen  Gesuche  bis  längstens  Samstag  den  30.  Juni  1900,  12  Uhr 

Mittags  im  Präsidial-Einreichungsprotokolle  des  Stadtrathes  in  Graz  (Rath¬ 
haus,  II.  Stock,  Thür  125),  die  bereits  in  öffentlicher  Stellung  Befindlichen 
durch  ihre  Vorgesetzte  Behörde  zu  überreichen.  Die  Dienstesinstruction  für 
die  städtischen  Polizeiärzte  kann  im  Bürgermeisteramte  eingesehen  werden. 
Bezüglich  der  Pensionsansprüche  der  Polizeiärzte  ist  die  Pensionsvorschrift  für 
die  Beamten  und  Diener  der  Stadtgemeinde  Graz  massgebend. 


Nr.  26 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


609 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


HN’HLAJL.T: 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung'  vom  16.  März  1900. 
Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien.  Sitzung  vom 
8.  und  22.  Mai  1900. 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  23.  Mai  1900. 


Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien.  Sitzung  vom 
23.  Januar  1900. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzto  in  München 

Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  16.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Gad. 

Schriftführer:  Dr.  Schenk. 

Schenk  und  Z  a  u  f  a  1  :  Bacteriologisches  zur 
mechanisch -  chemischen  Desinfection  der  Hände. 
(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  Nr.  15,  pag.  503.) 

Da  die  bis  jetzt  geübten  Verfahren  der  bacteriologischen  Prüfung 
bei  Desinfectionsversuchen  zum  grossen  Theile  unzureichend  erschienen, 
war  es  nothwendig,  eine  möglichst  einfache,  dabei  aber  auch  möglichst 
einwandfreie  Prüfungsmethode  in  Anwendung  zu  bringen.  Dieselbe 
bestand  darin,  dass  die  entsprechend  vorbereiteten  und  desinficirten 
Hände  in  eine  grössere  Doppelschale  mit  Bouillon  gehalten  und  unter 
sorgfältigem  und  energischem  Abschaben  der  Epidermis  der  ganzen 
Hand  mit  Bouillon  in  die  Schale  abgeschwemmt  wurden.  Zunächst 
wurde  die  erst  in  neuerer  Zeit  von  Sänger  und  Schleich  em¬ 
pfohlene  mechanische  Desinfection  mit  Sandseife  und  Marmorstaubseife, 
theils  für  sich  allein,  theils  in  Verbindung  mit  chemischen  Des- 
inficientien  einer  eingehenden  Prüfung  unterzogen. 

Des  Weiteren  wurde  auch  die  Sterilisation  und  Prüfung  des  Keim¬ 
gehaltes  der  Bürsten  durch  eine  grössere  Zahl  von  Versuchen  in  Angriff 
genommen. 

In  Kurzem  waren  die  Resultate,  welche  hiebei  erzielt  wurden, 
folgende : 

1.  Die  mechanische  Desinfection  mit  Sandseife  allein,  sei  63  die 
von  Schleich  empfohleue  complicirte  Marmorstaubceralseife,  welche 
den  ganzen  Desinfectionsvorgang  in  einen  Act  zusammenfassen  soll, 
sei  es  die  einfachere,  von  Sänger  empfohlene  Sandseife,  genügt 
nicht,  um  die  Haut  keimfrei  zu  machen,  denn  alle  diesbezüglichen  Ver¬ 
suche  lieferten  ein  auf  Bacterien  positives  Resultat. 

2.  Der  mechanischen  Desinfection  mit  Sandseife  muss  eine 
chemische  Desinfection  folgen.  Die  Untersucher  erhielten  bei  Desinfection 
mit  S  c  h  1  e  i  c  h’scher  Sandseife  und  Sublimat  in  73%  der  Versuche, 
bei  einer  solchen  mit  Sanger’s  Sandseife  in  80%  keimfreie  Hände. 
Betont  wird,  dass  die  zur  Waschung  benützten  Lösungen  möglichst 
heiss  verwendet  werden  müssen. 

3.  Auf  die  Bürsten  wurde  nicht  ganz  verzichtet,  sondern  die¬ 
selben  nach  zweimaliger  fractionirter  Sterilisation  theils  durch  gespannten 
Dampf,  theils  im  Trockenofen  zur  Bearbeitung  der  Nägel  und  Finger¬ 
kuppen  in  der  Sublimatlösung  verwendet. 

4.  Versuche  mit  anderen  chemischen  Desinficientien,  wie  Alkohol, 
Kaliumpermangat  und  Hydrargyrum  oxycyanatum  ergaben  für  die 
ersten  zwei  Präparate  ungünstige  Resultate,  während  bei  dem 
letzteren,  allerdings  in  einer  stärkeren  Concentration  als  der  gebräuch¬ 
lichen,  die  Resultate  ganz  gute  zu  nennen  waren.  Was  die  Desinfection 
nach  1  ürbringer  anlangt,  hat  es  sich  als  wahrscheinlich  heraus¬ 
gestellt,  dass  die  vielfach  berichteten  ungünstigen  Resultate  wohl  haupt¬ 
sächlich  auf  Rechnung  der  unreinen  Bürsten  zu  setzen  sind. 

Neben  der  unerlässlichen  chemischen  Desinfection  ist  aber  das 
Hanptgewicht  auf  eine  gründliche  mechanische  Desinfection  zu 
legen,  welche  durch  die  Sandseifen waschung  gewährleistet  wird  und 
gegenüber  den  bisher  geübten  Methoden  der  Händedesinfection  einen 
Fortschritt  bedeutet. 

Discussion:  Prof  Saenger:  Es  sei  erstaunlich,  wie  lauge 
es  gedauert,  bis  man  einigermassen  lernte,  sich  die  Hände  für  den 
Verkehr  mit  Wunden  zu  reinigen.  Erst  die  bacteriologischen  Fest¬ 
stellungen  haben  uns  die  Ursachen  für  die  ausserordentlichen  Schwierig¬ 
keiten  der  Aufgabe,  das  Hautorgan  völlig  keimfrei  zu  machen,  dar- 
get  an,  zugleich  als  Erklärung,  weshalb  die  Desinficientia,  die  im 
Reagenzglase  Alles  tödten,  auf  der  Haut  versagen. 

neue  Aera  von  der  Erkennung  des  Wesens  der  Puerperal- 
infection,  also  der  Wundinfection  durch  Semmel  weis,  setzte  auch 
gleich  mit  der  chemischen  Desinfection  ein  mittelst  Chlor. 


Auch  dies  war  ein  genialer  Griff,  das  stärkste  und  sicherste  Des- 
infectionsmittel  zu  wählen,  das  nur  wegen  seiner  schweren  Unanehm- 
lichkeiten  sich  nicht  erhalten  konnte,  aber  auch  heute  noch  vielfach 
(z.  B.  von  H  e  g  a  r)  verwendet  wird. 

Im  Gegensätze  zu  chemischer  Desinfection  erzielten  die  engli¬ 
schen  Bauchhöhlen-Chirurgen  (Th.  Keith,  Spencer  Wells, 
B  a  n  t  o  c  k,  Lawson-Tait)  bei  blosser  Seifenwaschung  der  Hände 
glänzende  Ergebnisse.  Sie  erhielten  sie  aber  nicht  durch  diese  höchst 
mangelhaften  Händewaschungen,  sondern  durch  die  Ueberlegenheit 
ihrer  neuen  Technik,  ihre  allgemeine  Reinlichkeit,  ihre  persönliche 
Geschicklichkeit. 

Mit  dem  Listerismus  kam  der  Ueberschwang  der  chemi¬ 
schen  Antisepsis,  welche  aber  doch  bald  nach  ihrer  wissenschaft¬ 
lichen  Begründung  durch  R.  Koch,  Kümmel,  in  Beschränkung  auf 
wenige  als  wirksamst  erprobte  Droguen  (Alkohol,  Sublimat,  Kali 
hypermang.)  in  glücklicher  Vereinigung  mit  der  physikalischen  Asepsis 
bisher  das  Feld  behauptete,  ohne  voll  zu  befriedigen. 

Bei  der  Unzulänglichkeit  der  chemischen  Desinfection  wurde  nun 
die  schon  längst  erkannte  Wichtigkeit  der  mechanischen  Des¬ 
infection  aufs  Neue  betont  und  für  eine  ausgedehntere  Anwendung 
derselben  in  der  Praxis  gewirkt.  Das  geeignetste  mechanische  Vehi- 
culum  in  Verbindung  mit  Seife  sei  der  Sand,  Quarzsand  oder  Marmor¬ 
sand.  Säen  g  er  bediene  sich  der  mechanischen  Sanddesinfection 
schon  seit  circa  zwölf  Jahren,  habe  sich  durch  Schüler  und  Aerzte 
weiter  verbreitet,  auch  in  einem  Werkchen  über  Asepsis  beschrieben. 
Mit  angeregt  durch  Schleich  sei  er  selbst  nun  bemüht,  dieser 
guten  Sache  der  mechanischen  Desinfection,  welcher  die  Zukunft  ge¬ 
hören  müsse,  weitere  Ausbreitung  zu  verschaffen,  wie  dies  durch  seine 
Antrittsvorlesung,  wie  durch  die  Arbeiten  seiner  Assistenten  ge¬ 
schehen  sei. 

Die  Herren  Schenk  und  Zaufal  würden  auf  dem  betretenen 
Wege  fortfahren,  die  bacteriologischen  Grandlagen  des  Verfahrens  fest¬ 
zustellen. 

Schon  jetzt  habe  sich  ergeben,  dass  wohl  die  mechanische  Sand¬ 
seifenwaschung  allein  für  eine  absolute  Desinfection  der  Haut  nicht 
ausreiche,  dass  aber  die  Hinzufügung  eines  einzigen  chemischen  Des- 
inficiens  dies  vollkommen  leiste. 

Docent  Dr.  A.  Kohn  spricht  über  innere  Secretion. 

Unter  Secretion  verstand  man  stets  die  Bereitung  und  Aus- 
stossung  gewisser  Stoffe  durch  bestimmte,  für  diese  Thätigkeit  be¬ 
sonders  differenzirte  Zellen  —  die  secretorischen  Zellen,  welche  das 
dieser  Thätigkeit  dienende  Rohmaterial  dem  strömenden  Blute  ent¬ 
nehmen.  Durch  diese  Definition  wird  der  Begriff  „Secretion“  ziemlich 
scharf  abgegrenzt  von  der  Function  des  Stoffwechsels,  welche  natürlich 
jeder  einzelnen  Zelle  zukommt.  Die  Secretion  ist  eine  äussere,  wenn 
sich  das  Secret  durch  einen  Ausführungsgang  nach  aussen  ergiesst 
(direct  oder  indirect),  oder  eine  innere,  wenn  die  Drüse  keinen  Aus¬ 
führungsgang  hat,  das  Secret  also  in  die  Lymph-  oder  Blutcirculation 
gebracht  wird.  Beispiel  einer  Drüse  mit  nur  innerer  Secretion  ist  die 
Schilddrüse,  welche  noch  Drüsenbau  hat,  oder  die  Epithelkörperchen 
der  Schilddrüse  und  Thymus,  welche  auch  keinen  Drüsenbau  mehr 
haben,  sondern  einfach  aus  Epithelbalken  mit  reichlich  eiugelagerten 
Gefässen  bestehen. 

Manche  Drüsen  vollziehen  beiderlei  Functionen,  haben  sowohl  eine 
äussere,  als  eine  innere  Secretion,  z.  B.  die  Leber,  welche  einerseits 
die  Galle  in  den  Darm  ergiesst,  andererseits  Glykogen  in  das  Blut 
abgibt.  Für  gewisse  Drüsen  ist  es  neuerdings  wahrscheinlich  gemacht, 
dass  sie  aus  zweierlei,  histologisch  sehr  deutlich  von  einander  unter¬ 
schiedenen  Formationen  bestehen,  welche  den  beiden  Functionen  vor¬ 
stehen.  So  ist  es  für  das  Pankreas  wahrscheinlich,  dass  die  äussere 
Secretion  an  das  typische  Drüsengewebe,  die  innere  Secretion  an  die 
sogenannten  intertabulären  Zellhaufen  gebunden  sind,  welche  dieselbe 
Formation  zeigen,  wie  die  oben  beschriebenen  Epithelkörperchen  der 
Schilddrüse  und  Thymus,  Epithelleisten  mit  dazwischen  liegenden  lllut- 
und  Lymphgefässen.  Der  Vortragende  kommt  dann  auf  die  moderne 


610 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


Substitutionstherapie  zu  sprechen,  deren  Berechtigung  und  Erfolge  er 
anerkannt,  so  lange  man  den  Ausfall  gewisser  Functionen  durch  die 
Extracte  der  entsprechenden  Organe  ersetzen  will.  Diejenige  Richtung 
der  Modicin  aber,  welche  ohne  Rücksicht  auf  die  Art  der  Erkrankung 
je  Je  Nierenaffection  mit  dem  Nephrin,  jede  Lungenerkrankung  mit 
Lungenextracten  etc.  behandeln  will,  darf  sich  absolut  nicht  auf  die 
innere  Secretion  als  wissenschaftliche  Basis  beziehen. 


Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien. 

Jahrgang  1899 — 1900. 

Sitzung  am  8.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fuchs. 

Herr  A.  Weiss  (a.  G.)  hält  den  angekündigten  Vortrag:  Ein 
postoccipitaler  Wirbelkörper  hei  Rattenemhryouen. 
(Vorläufige  Mittheilung.) 

Bei  Embryonen  der  weissen  Ratte  findet  sich  zwischen  Atlas 
und  Occipitalanlage,  im  Verlaufe  des  Ligamentum  Suspensorium  dentis, 
typisch  die  rudimentäre  Anlage  eines  Wirbelkörpers,  welche  später 
mit  der  Anlage  des  Atlaskörpers  verschmilzt  und  die  Spitze  des  Dens 
epistrophei  bildet.  Dieser  Befund  bietet  deshalb  grösseres  Interesse, 
da  bereits  seit  Langem  zwischen  Atlas  und  Occipitale  in  verschiedenen 
Thierclassen  Rudimente  eines  Wirbels  bekannt  sind.  Diese  Rudimente 
werden  von  den  vergleichenden  Anatomen  unter  dem  Namen 
„Proatlas“  zusammengefasst  und  sollen  dem  bei  Amnioten  aus¬ 
gefallenen  Atlas  der  Anamnier  entsprechen,  sei  es,  dass  derselbe  bei 
den  ersteren  thatsächlich  verloren  gegangen,  sei  es,  dass  er  beim 
„caudalen  Vorrücken  des  Schädels“  zum  Aufbau  desselben  aufge¬ 
braucht  würde. 

Der  Erste,  der  derartige  rudimentäre  Bildungen  zwischen  Atlas 
und  Occipitale  beschrieb,  war  R  a  t  h  k  e.  Derselbe  fand  Rudimente 
oberer  Bogen  bei  Krokodiliern,  die  den  oberen  Bogen  des  Atlas  cranial 
aufsitzen.  Es  wurden  in  der  Folge  noch  bei  einer  Reihe  von  Thieren 
Rudimente  eines  derartigen  Wirbels  gefunden,  und  zwar: 

Neuroapophysen  (obere  Bogen): 

a)  Als  constante  Rudimente  bei:  Rhynchocephalen,  Dinosauriern 
(fossil)  und  Lacertiliern. 

b)  als  accidentelle  atavistische  Rudimente  bei :  Marsupialiern, 
Inseetivoren,  Edentaten  und  Primaten. 

C  e  n  t  r  a  (W  i  r  beikörper):  bei  Lacertiliern,  Carnivoren  und 
Primaten. 

Neuere  Untersuchungen  B  a  u  r’s  ergaben  das  Vorhandensein 
oberer  Bogen  bei  einer  Schildkröte. 

Die  interessantesten  und  zu  vorliegendem  Befund  in  nächster 
Beziehung  stehenden  Beobachtungen  sind  die  Ergebnisse  der  makro¬ 
skopischen  Untersuchungen  Albrecht’s  und  D  o  1  1  o’s  bei  Primaten. 
Diese  fanden  Centra  eines  Proatlas  im  Verlaufe  des  Liga¬ 
mentum  Suspensorium  dentis  bei  einem  Macacus  (Albrecht),  bei 
einem  Macacus,  einem  Cynocephalus  und  einem  Hund  (Dollo).  Beide 
Autoren  halten  das  Knöchelchen  nach  seiner  Lage  und  Form  für  ein 
selbstständiges  Gebilde,  das  keineswegs  mit  der  cranialen  Atlasepiphyse 
identisch  ist.  Es  ist  bei  Macacus  und  beim  Hund  rundlich,  bei  Cyno¬ 
cephalus  trapezoidal  mit  abgerundeten  Ecken.  Die  Grösse  ist  3 — 5  mm 
im  grössten  Durchmesser.  Interessant  ist,  dass  bereits  H  e  n  1  o  und 
Luschka,  wie  es  den  betreffenden  Handbüchern  der  Anatomie  zu 
entnehmen  ist,  das  Vorhandensein  von  Knorpelstreifen  im  Innern  des 
fibrösen  Ligamentum  Suspensorium  gelegentlich  beobachtet  haben. 

Was  nun  meine  Beobachtungen  bei  der  weissen  Ratte  anlangt, 
so  gilt  Folgendes  :  Die  Entwicklungsverhältnisse  der  typischen  Wirbel 
sind  im  Princip  ebenso,  wie  sie  Froriep  bei  Rinds-  und  Hühnchen¬ 
embryoneu  beschrieben  hat,  wenn  die  Ratte  auch  im  Einzelnen  nicht 
unbedeutende  Abweichungen  bietet,  deren  ausführliche  Darstellung 
demnächst  erfolgen  wird.  Hier  möge  nur  das  Fehlen  der  hypoehordalen 
Spange,  abgesehen  vom  unteren  Bogen  des  Atlas,  Erwähnung  linden. 

Die  Region  zwischen  Atlas  und  Occipitale  aber  bietet  wohl  bei 
der  Ratte  wesentlich  andere  Verhältnisse  als  bei  Rindsembryonen. 

Die  Grenze  dieses  Bezirkes  bildet  cranial  ursprünglich  der 
Primitivwirbelbogen  des  Occipitalwirbels,  der  seine  Zugehörigkeit  zum 
Schädel  nur  durch  seine  Lage  cranial  von  der  Arteria  vertebralis 
documentirt,  und  dessen  Bogen  seitlich  der  Nervus  hypoglossus  als 
modificirter  Spinalnerv  durchsetzt.  Froriep  fand  nun  bei  Rinds¬ 
embryonen  in  dem  zum  Occipitalwirbel  gehörigen  Körperbezirk  die 
Anlage  eines  Knorpelherdes,  der  sich  seitlich  mit  den  Oecipitalwirbel- 
anlagen,  vorne  mit  dem  sogenannten  „scheinbar  ungegliederten  Ab¬ 
schnitt“,  der  auch  ein  selbstständiges  Knorpelcentrum  bildet,  verbindet. 

Bei  der  Ratte  sind  die  Verhältnisse  der  Bogen  völlig  überein¬ 
stimmend  mit  denen  beim  Rind.  Der  selbstständige  Knorpelherd 
jedoch,  den  Froriep  bei  Rindsembryonen  als  Occipitalkörper  be¬ 


schrieb,  der  bei  der  Ratte  ebenfalls  vorhanden  ist  und  ziemlich  lange 
gegen  den  scheinbar  ungegliederten  Abschnitt  durch  eine  Lücke,  die 
von  zwei  Venen  passirt  wird,  abgegrenzt  erscheint,  kann  hier  nicht 
als  Körper  gedeutet  werden,  da  die  Chorda  ihn  nicht  durchsetzt, 
sondern  seiner  cranialen  Fläche  aufsitzt.  Diese  Lage  besitzt  die  Chorda 
auch  im  Gebiete  des  scheinbar  ungegliederten  Abschnittes  bis  an  das 
Keilbein. 

Dadurch  erscheint  das  dem  Wirbelkörper  des  Occipitalwirbels 
bei  Rindsembryonen  entsprechende  Knorpelstück  als  ventrale  Ver¬ 
bindungsbrücke  der  Bogen.  In  dem  caudal  von  ihm  gelegenen  Körper¬ 
bezirke  zeigt  sich  nun  eine  eigenthümliche  Bildung.  Das  hier  befin- 
liche  vordere  Ende  der  Perichordalschicht,  die  längs  der  Chorda  der 
ganzen  Wirbelsäule  entlang  verläuft  und  aus  3  —  4  Zellreihen  besteht, 
zeigt  eine  deutliche,  aus  dicht  gedrängten  Zellen  bestehende  kugelige 
Anschwellung,  die  in  der  Folge  immer  mehr  und  mehr  an  Grösse  zu- 
nimmt,  und  in  deren  Centrum  schliesslich  Knorpel  auftritt,  wie  sich 
durch  die  deutliche  Reaction  auf  Hämatoxylin  nachweisen  lässt. 

Dieser  rundliche  Knorpelherd  verschmilzt  aber  schon  kurz  nach 
dem  Auftreten  von  typischem  Knorpel  in  der  Mitte  mit  dem  Körper 
des  Atlas  und  bildet  die  Spitze  des  Dens  epistrophei.  Seitlich  ist  die 
Grenze  zwischen  beiden  Anlagen  durch  mehrere,  noch  unverknorpelte 
Zellreihen  gegeben.  Aber  auch  nach  dem  völligen  Verschmelzen  beider 
Stücke  ist  eine  Grenze  zwischen  ihnen  leicht  kenntlich,  und  zwar 
einerseits  durch  die  Anordnung  der  Zellen,  die  um  zwei  verschiedene 
Centra  geordnet  sind,  andererseits  durch  eine  Einziehung  an  der 
dorsalen  Seite.  Uebrigens  findet  man  beim  neugeborenen  Thiere  an 
der  Grenze  eine  Chordaanschwellung,  wie  sie  sich  zwischen  zwei 
Wirbeln  bei  älteren  Embryonen  stets  findet.  Eigentliümlich  ist  auch 
die  Verschiebung,  die  die  Wirbelsäule  gegenüber  der  Schädelbasis  im 
Wachsthumsverlauf  erfährt,  wodurch  die  oben  beschriebene  rudimentäre 
Wirbelkörperanlage  immer  mehr  in  das  Foramen  occipitale 
magnum  hinaufgedrängt  wird.  Eine  Folge  dieser  Verschiebung  ist 
an  dem  Uebergang  der  Chorda  in  die  Schädelbasis  wabrzunehmen. 
Während  dieselbe  nämlich  an  jüngeren  Embryonen  in  gleichmässigem 
Bogen  auf  die  Schädelbasis  übergeht,  zeigt  dieselbe  an  älteren  Stadien, 
wo  die  Spitze  des  Zahnes  hoch  hinaufragt,  an  der  Uebergangsstelle 
eine  scharfe,  nahezu  rechtwinkelige  Knickung.  In  Folge  Hochstehens 
des  Zahnes  ist  auch  das  Ligamentum  Suspensorium  dentis  bei  der  Ratte 
sehr  kurz. 

Was  nun  die  morphologische  Dignität  des  Befundes  anlangt,  so 
halte  ich  es  für  unmöglich,  aus  dieser  Beobachtung  bei  einer  einzelnen 
Thiorspecies  eine  einheitliche  Deutung  geben  zu  sollen.  Sicher  ist 
diese  Bildung  die  rudimentäre  Anlage  eines  Wirbelkörpers  aus  zwei 
Gründen  :  Erstens  seinem  Auftreten  in  einem  Körperbezirk  nach,  und 
zweitens,  da  die  Chorda  ihn  durchsetzt. 

Seiner  Zugehörigkeit  nach  könnte  er  zwei  Bildungen  angehören: 

1.  Dem  „Proatlas“  als  rudimentärer  Körper,  dessen  zuge¬ 
hörige  Bogen  fehlen  ;  dafür  sprechen  Bogenfunde  zwischen  Atlas  und 
Hinterhaupt  bei  verschiedenen  Thieren.  Dann  wäre  die  ventrale  Ver¬ 
bindungsspange  des  Occipitalwirbels  identisch  mit  dem  Occipital  wirbel¬ 
körper  bei  Rindsembryonen,  trotzdem  die  Chorda  ihn  nicht  durchsetzt, 
wenn  man  eben  dabei  den  allgemein  bekannten  unregelmässigen  Verlauf 
derselben  berücksichtigt. 

2.  Dem  Hinterhaupte,  und  zwar  als  rudimentärer  Körper 
des  Occipitalwirbels,  der  sich  mit  dem  Körper  des  Atlas  verband, 
während  sich  die  zugehörigen  Bogen  selbstständig  ventral  vereinigten. 
Dafür  spricht :  1.  das  Auftreten  des  Körpers  im  Körperbezirke  des 
Occipitalwirbels  und  2.  die  eigenthümliche  Lage  der  Verbindungsspange 
der  Bogen,  ventral  von  der  Chorda. 

Zweifellos  aber  ist  diese  Bildung  mit  den  Befunden  Albrecht’s 
und  D  o  1  1  o’s  identisch,  die  von  ihnen  unter  dem  Namen  Centrum  des 
Proatlas  beschrieben  wurden. 

Die  vorliegenden  Untersuchungen  wurden  im  Institute  des  Herrn 
Hofrath  Zucker  kan  dl  ausgeführt. 

* 

Sitzung  am  22.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fachs. 

1.  Herr  E.  Zucke  rkandl  hält  den  angekündigten  Vortrag: 
Ueber  die  Entwickelung  des  Balkens  und  des  Ge¬ 
wölbes.  (Mit  Demonstrationen.) 

Das  Vorkommen  einer  dem  nasalen  Ende  des  Gewölbes  an¬ 
geschlossenen  Faserkreuzung  bei  den  Beutelthieren,  welche  ähnlich  dem 
Balken  aus  den  vorderen  Theilen  der  Hemisphären  Bündel  bezieht, 
veraulasste  mich,  die  Entwicklung  der  grossen  Gehirncommissurtn  zu 
studiren.  Ich  wollte  mich  darüber  orientiren,  ob  etwa  am  embryonalen 
Gehirn  placentaler  Thiere  ähnliche  Verhältnisse  vorliegen.  Ohne  hier 
auf  die  Literatur  des  Gegenstandes  eingehen  zu  wollen,  sei  erwähnt, 
dass  wir  weder  über  die  Stelle,  an  welcher  sich  der  Balken  entwickelt, 
noch  über  die  Frage,  ob  in  der  Anlage  der  Balken  als  Ganzes  ent- 


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halten  sei,  unterrichtet  sind;  ferner  ist  unbekannt,  in  welcher  Weise 
die  Balkenstrahlungen  beider  Hemisphären  in  der  Mitte  zur  Vereinigung 
kommen.  Einige  liessen  die  Balkenbündel  in  der  Lamina  terminalis  oder 
im  cranialen  Anschlüsse  an  diese  entstehen,  Andere  wieder  nehmen  an, 
dass  der  Bildung  des  Balkens  eine  Verwachsung  der  medialen  Hemi¬ 
sphärenwände  vorausgehe. 

Von  der  medialen  Hemisphären  wand  kommen  in  Bezug  auf  die 
Entwicklung  des  Balkens  und  des  Gewölbes  der  Randbogen  und  die 
Massa  commissuralis  in  Betracht.  Letztere  repräsentirt  eine  vor  dem 
Foramen  Monroi  befindliche,  dreieckig  begrenzte  Stelle,  welche  wulst¬ 
artig  gegen  den  Gauglienliügel  der  Seitenkammer  vorspringt.  Die  Be¬ 
zeichnung  Septum  pellucidum  für  die  erwähnte  Stelle  ist  schon  aus  dem 
Grunde  nicht  gut  gewählt,  weil  nur  ein  Theil  der  Massa  commissuralis 
zum  Aufbaue  des  späteren  Septum  pellucidum  verwendet  wird.  Das 
hintere  Ende  der  Massa  commissuralis  geht  in  den  Randbogen  über,  welcher 
am  embryonalen  Gehirne  der  Ratte,  auf  dessen  Verhalten  sich  meine 
Angaben  beziehen,  ktine  Gliederung  in  einen  äusseren  und  inneren 
Rand  bogen  zeigt.  Erst  wenn  der  Balken  gebildet  ist,  kann  von  einem 
äusseren  und  inneren  Randbogen  die  Rede  sein.  Auch  die  Bogenfurche 
fehlt  und  in  Folge  dessen  eine  Abgrenzung  des  Randbogens  gegen  die 
übrige  Hemisphärenwand. 

Die  erste  Andeutung  von  Commissurenbildung  beobachtete  ich 
in  der  Massa  commissuralis  eines  12  mm  langen  Rattenembryos.  Man 
findet  vor  der  Lamina  terminalis  zwei  übereinandergelagerte,  schmale, 
kurze,  aus  Zellen  aufgebaute  Verbindungsstränge  zwischen  den  medialen 
Hemisphärenwänden.  Im  Bereiche  der  Stränge  ist  die  Sichel  durch¬ 
brochen.  Da  die  Verbindungsbrücken  fertig  gebildet  sind,  ist  ihre  Ent¬ 
wicklung  aus  dem  vorliegenden  Falle  nicht  zu  ersehen.  Die  Unter¬ 
suchung  älterer  Stadien  wird  sowohl  über  dieses  Verhalten,  als  auch 
über  den  Schwund  der  Sichel  Aufklärung  geben.  Am  15  mm  langen 
Ratteuembryo  hat  die  Verwachsung  der  medialen  Hemisphärenwände 
Fortschritte  gemacht.  Neben  schmalen  Zellsträngen,  wie  im  früheren 
Stadium,  findet  man  Stellen,  an  welchen  die  medialen  Flächen  der 
Massa  commissuralis  enge  an  die  verschmälerte,  wie  comprimirt  aus¬ 
sehende  Sichel  herangeschoben  sind,  ferner  eine  breite  Verwachsung 
zwischen  der  Massa  commissuralis,  der  ents]3i  echend  die  Sichel  verkürzt 
erscheint.  In  der  breiten  Verwachsungsstelle  und  den  anschliessenden 
Theilen  der  Massa  commissuralis  hat  sich  überdies  eine  Faserfigur  aus¬ 
gebildet,  deren  Form  mit  der  der  grauen  Substanz  am  Querschnitte  des 
Rückenmarkes  eine  Aehnlichkeit  besitzt.  Die  vorderen  Hörner  der  Faser¬ 
figur  reichen  medial  bis  an  die  Sichel  und  nach  vorne  bis  an  die  ge¬ 
schichtete  Rinde.  Die  hinteren  Hörner  umschliessen  einen  noch  nicht 
differenzirten  Zellkeil  der  verwachsenen  Massa  commissuralis,  dessen 
Kante  nasalwärts  eingestellt  ist.  Eine  faserige  Verbindung  zwischen 
den  beiden  Hälften  der  Faserfigur  fehlt  noch,  da  der  eben  erwähnte 
Zellkeil,  die  beiden  Hälften  trennend,  sich  bis  an  den  freien  Sichel¬ 
rand  nach  vorne  erstreckt.  Die  vorderen,  gegen  die  geschichtete  Rinde 
verlaufenden  Hörner  der  Faserfigur  sind  Theile  der  Balkenstrahlen¬ 
anlage,  die  hinteren  sind  Theile  des  Gewölbes.  Ein  weiterer  Fortschritt 
besteht  darin,  dass  der  Verwachsungsprocess  der  medialen  Hemisphären¬ 
wände  sich  über  das  Foramen  Monroi  hinaus  aufwärts  bis  zur 
lateralen  Adergeflechtfalte  ausdehnt,  uud  an  dieser  Stelle  ist  es  möglich, 
die  Form  zu  studiren,  unter  welcher  sich  die  Verwachsung  der  medialen 
Hemisphärenwände  abwickelt.  Man  sieht,  dass  die  Zellschichten  der 
sonst  geradlinig  und  scharf  gegen  Sie  Sichel  begrenzten  Hemisphären¬ 
wände  wulstartige  Vorsprünge  einander  entgegen  wachsen  lassen,  denen 
entspiechend  die  Sichel  gebuchtete  Einschnitte  zeigt.  Die  Vorsprünge 
drängen  sich  förmlich  an  die  Sichel  heran,  beziehungsweise  in  das 
Sichelgewebe  hinein,  und  gleichzeitig  verwischt  sich  an  einzelnen  Punkten 
die  Grenzlinie  zwischen  den  beiden  Gewebsarten.  Zwischen  der  Stelle 
mit  den  Vorsprüngen  und  der  tiefer  gelegenen  mit  der  Faserfigur  be¬ 
gegnet  man  Schnitten,  in  welchen  die  Vorsprünge  der  medialen  Hemi¬ 
sphärenwände  schon  miteinander  verwachsen  sind  und  die  Sichel  von 
der  lela  chorioidea  superior  vollständig  abgetrennt  ist.  Am  17  mm 
langen  Rattenembryo  bietet  sich  ein  ähnliches  Bild  dar,  doch  lässt  sich 
ein  Fortschritt  in  der  Entwicklung  der  Commissuren  iusoferne  con- 
statiien,  als  das  vordere  Ende  des  Zellkeiles  sich  aufgelichtet  hat  und 
dadurch  die  Hälften  der  Faserfigur  bereits  durch  eine  Commissur  Zu¬ 
sammenhängen.  Am  19  mm  langen  Rattenembryo  ist  die  Commissur 
zwischen  den  Hälften  der  Faserfigur  viel  breiter  geworden  und  die  Ver¬ 
wachsung.  der  Massae  commissurales  so  weit  gediehen,  dass  der  auf 
diese  Region  entfallende  Antheil  der  Sichel  total  geschwunden  ist.  Im 
Bereiche  der  lateralen  Adergeflechtfalte  sind  die  in  den  früheren  Stadien 
gebildeten  Vorsprünge  der  medialen  Hemisphärenwände  zur  Verwachsung 
gekommen,  und  mehrere  solcher  Vorsprünge  haben  sich  hinter  den  älteren 
ausgebildet.  Noch  weiter  ist  der  geschilderte  Process  am  26  mm  langen 
Rattenembryo  fortgeschritten,  indem  die  Verwachsung  über  die  Gegend 
dei  lateralen  Adergeflechtfalte  hinaus  auf  den  Randbogen  (äusseren  der 
Autoren)  übergegriffen  hat. 

Ich  halte  es  für  überflüssig,  an  dieser  Stelle  den  Verwachsungs¬ 
process  der  medialen  Hemisphärenwände,  sowie  andere  Details  der 


Commissurenbildung  noch  weiter  zu  besprechen,  da  für  das,  was  ich 
darzulegen  beabsichtigte,  das  Vorgebrachte  genügt.  Es  erübrigt  viel¬ 
mehr  nur  noch,  die  Umwandlungen  der  entstandenen  Verwachsungen 
zwischen  den  medialen  Hemisphärenwänden,  sowie  den  Schwund  der 
Sichel  zu  besprechen.  Sobald  die  Vorsprünge  der  medialen  Hemi¬ 
sphärenwände  verwachsen  sind,  lockert  sich  die  Zellmasse  auf,  die 
Zellen  schwinden  zum  Theile  und  machen  einem  zellenarmen,  fein¬ 
faserigen  Gewebe  Platz,  dessen  Aussehen  an  das  Bild  erinnert,  welches 
W.  H  i  s  von  dem  der  Markbildung  vorausgehenden  Gliageriiste  ent¬ 
worfen  hat. 

In  Bezug  auf  das  Verhalten  der  Sichel  sei  Folgendes  bemerkt: 
Sie  muss  selbstverständlich  da,  wo  sieh  Verwachsungen  zwischen  den 
medialen  Hemisphärenwänden  ausbilden,  schwinden;  hiebei  handelt  es 
sieh  aber  nicht  etwa  um  ein  Durchwachsenwerden  der  intacten,  sich 
den  Veränderungen  der  medialen  Hemisphärenwände  gegenüber  passiv 
verhaltenden  Sichel;  es  handelt  sich  vielmehr  um  eine  der  Wand¬ 
verdickung  und  Verwachsung  parallel  laufende  Atrophie,  hinsichtlich 
der  ich  nicht  bestimmen  kann,  inwieweit  dabei  ein  von  den  Vorsprüngen 
ausgeübter  Druck  in  Betracht  kommt.  Vor  dem  Auftreten  von  Ver¬ 
wachsungen  ist  die  gefässhaltige  Sichel  breit  und  reichlich  mit  Zellen 
versehen,  deren  Fortsätze  untereinander  zusammenhängend  ein  relativ 
weitmaschiges  Netzwerk  bilden.  An  den  Stellen,  wo  die  medialen  Hemi¬ 
sphärenwände  durch  aufgetretene  Verdickungen  sich  aneinander  heran¬ 
drängen,  ist  die  Sichel  dünn,  zellenarm,  um  bei  eingetretener  Ver¬ 
wachsung  an  der  betreffenden  Stelle  vollständig  zu  schwinden. 

Die  geschilderten  Befunde  beantworten  die  Hauptfragen  über  die 
Balken-  und  Fornixentwicklung  in  nachstehender  Weise:  Die  erste  An¬ 
lage  der  genannten  Commissuren  findet  sich  in  den  Massae  commissu¬ 
rales;  von  hier  aus  greift  sie  auf  den  Randbogen  über.  Die  primitive 
Balkenanlage  repräsentitt  demnach  nicht  den  Balken  in  toto,  sondern 
nur  ein  ventronasales  Stück  desselben,  welches  der  Lamina  rostralis 
entsprechen  dürfte.  Der  der  Commissurenbildung  vorausgehende  Process 
beruht  auf  Verdickungen  der  medialen  Hemisphärenwände  (Massae 
commissurales,  Randbogen),  die  verschiedene  Formen  zeigen  und  zu 
Verwachsungen  der  Hemisphärenwände  führen,  denen  entsprechend  die 
Sichel  zu  Grunde  geht.  Die  Verwachsungsstellen  repräsentiren  die  Strasse, 
auf  welcher  die  Balken-  und  die  Commissurenfasern  des  Fornix  von 
einer  Hemisphäre  in  die  andere  gelangen. 

2.  Herr  Th.  Beer  hält  den  angekündigten  Vortrag:  Ueber 
primitive  Sehorgane.  (Mit  Demonstrationen.) 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  23.  Mai  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer :  Kreibich. 

Kreibich  stellt  im  Anschlüsse  an  den  in  einer  der  letzten 
Sitzungen  von  Kaposi  demonstrirten  Naevus  verucosus  hemilateralis 
einen  ähnlichen  Fall  von  Naevus  pigmentosus  verucosus 
vor;  bei  einem  20jährigen  Mädchen  zieht  dieser  zunächst  vom  Nabel  aus  in 
einem  dem  linken  Rippenbogen  parallelen,  braunen  Streifen,  der  sich  aus 
dicht  neben  einanderstehenden,  linsengrossen,  bräunlichen,  durch 
reichere  oberflächliche  Schuppung  schmutzig  grünlich  verfärbten, 
flachen,  warzenartigen  Erhebungen  zusammensetzt  und  halbgürtel¬ 
förmig  auf  den  Rücken  bis  handbreit  vor  die  Wirbelsäule  reicht.  Von 
ihm  aus  zieht  ein  kleinerer  Streifen  gegen  das  Kreuzbein,  ein  zweiter 
an  der  Hinterfläche  des  Oberschenkels  bis  in  die  Kniekehle.  Der 
letztere  löst  sich  in  drei  bis  vier  schmälere  Längsstreifen  auf,  die, 
durch  zahlreiche  Quer-  und  Schrägbalken  verbunden,  ein  mattbraunes 
Netz  darbieten.  Spärliche  Fortsätze  in  gleicher  Zusammensetzung  wie 
der  Streifen  am  Bauche  erblickt  man  au  der  vorderen  Tibiafläche  und 
am  Fussrücken. 

Ehr  mann  weist  auf  die  eigentlnimliche,  bestimmte  Verlaufs¬ 
weise  solcher  halbseitiger  Naevi  hin,  der  manche  Autoren,  zuletzt 
B  1  a  s  c  h  k  o  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Dr.  Okamura 
führt  auf  Grund  eigener  Injectionspräparate  diese  Curven  auf  das 
Wachsthum  der  Haare  und  die  Anordnung  der  Haarströme  zurück. 
Die  eigenthtimliche,  an  bestimmte  Linien  gebundene  Verlaufsweise 
findet  sich  ebenso  wie  bei  hypertrophischen  Processen  auch  bei  Pig¬ 
mentatrophien,  wie  die  Abbildung  von  Albinismus  bei  einer  Negerin 
in  Hutchinson’s  kleinem  Atlas  zeigt. 

Kaposi  weist  mit  Rücksicht  auf  den  von  Ehr  mann  er¬ 
wähnten  Erklärungsversuch  Okamura's  darauf  hin,  dass  er  in  jeder 
Auflage  seines  Lehrbuches  bei  Besprechung  der  Nervennaevi  und  der 
dieser  Bezeichnung  zu  Grunde  liegenden,  neueren  Auffassung  von 
trophoneurotischeu  Plautveränderungen  mit  grossem  Nachdrucke  die 
Lehren  Voigi’s  von  der  Entwicklung  der  Haut  uud  ihrer  Gebilde 
betont;  sie  zeigt,  dass  die  Haut  überhaupt,  ebenso  wie  Nerven,  Ge- 
fässe,  Bindegewebe  sich  in  bestimmter,  an  den  Extremitäten  in  Spiral- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


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richtung  entwickelt,  und  dass  daher  auch  jede  Anomalie  und  jeder 
Wachst  humsexcess,  möge  er  welchen  Bestandtheil  immer  betreffen,  ob 
Haar,  Pigment,  Gefässe  oder  llornschichte,  diese  Verlaufsweise  ein- 
seldägt.  Ehrmann’s  Erklärung  bedeutet  diesbezüglich  nur  die 
specielle  Anwendung  eines  Gliedes  der  allgemeinen  Entwicklungsreihe 
von  Voigt. 

E  hrmann  stellt  vor : 

1 .  Einen  Fall  von  gummöser  Infiltration  des  linken 
Unterschenkels  bei  einem  Patienten,  der  vor  Jahren  mit  Lues  be¬ 
handelt,  vor  drei  Monaten  die  Haut  des  Unterschenkels  verdickt, 
schmerzhaft  und  braunroth  verfärbt  zeigte. 

Wegen  bestehender  Venenektasien  wurde  zur  Feststellung  der 
Diagnose  zunächst  antiphlogistisch  behandelt,  ohne  Erfolg.  Erst  nach 
Jodkali  und  einer  Schmiereur  Heilung. 

Dieser  Fall  bestätigt,  wie  viele  andere,  die  Prädilection  gum¬ 
möser  Geschwürsbildung  an  Stellen,  die  durch  bestehende  Stauung 
einen  locus  minoris  resistentiae  bilden. 

2.  Ein  scharf  umschriebenes  Ekzem  der  Kniekehle, 
das  klinisch  dem  von  Anderen  beschriebenen  mykotischen  Ekzem 
gleicht,  ohne  dass  die  bactcriologische  Untersuchung  ein  positives 
Resultat  ergeben  hätte. 

3.  Einen  Patienten  mit  serpiginösem  Syphilid  am 
linken  Vorderarme  und  Symptomen  einer  beginnenden  Nervenerkran¬ 
kung,  wie  lancinirenden  Schmerzen  in  den  Beinen,  Crises  gastriques 
und  Intentionszittern.  W  e  s  t  p  h  a  1-  und  R  o  m  b  e  r  g’sches  Symptom 
nicht  ausgesprochen. 

Nobl  demonstrirt: 

1 .  Einen  operativ  geheilten  Fall  von  ausgebrei¬ 
tetem  Lupus  der  Nase  und  linken  Wange  bei  einer  42jäbrigen 
Frau.  Seit  der  Operation  sind  drei  Jahre  vergangen. 

2.  Aus  G  r  ü  n  f  e  1  d’s  Abtheilung  ein  tiefgreifendes 
gummöses  Syphilid.  Bei  der  50jährigen  Frau  finden  sich  ein 
bis  an  die  Fibula  reichendes,  ganseingrosses,  typisch  gummöses  Ge¬ 
schwür  über  dem  linken  Malleolus  externus,  zwei  ähnliche  Geschwüre 
am  Oberschenkel  und  über  dem  Kniegelenk.  Die  seit  21  Jahren  ver¬ 
heiratete  Frau  hat  zehnmal  geboren,  die  vierte  und  fünfte  Gebnrt 
war  ein  Abortus.  Frühere  Erkrankung  nicht  bekannt. 

Lang  zeigt  einen  vorwiegend  auf  den  unteren  Theil  des 
Stammes  bis  zum  Nabel  und  die  Streckseiten  der  Extremitäten  loca- 
lisirteu  Lichen  ruber  accuminatus. 

Kaposi  verweist  auf  einen  Fall  seiner  Klinik,  der  durch  die 
über  den  ganzen  Körper  ausgebreitete  starke  Schuppung  leicht  mit 
Psoriasis  universalis  verwechselt  werden  könnte,  am  Rande 
aber  deutliche  Knötchen  und  Knötchenreihen  zeigt. 

Schreiber  demonstrirt  aus  Lang’s  Abtheilung  zwei 
Fälle  von  ulcer  irten  Papeln  an  der  Conjunctiva 
bulbi. 

Die  erste  Patientin  mit  Papeln  am  Genitale,  dem  linken  Mund¬ 
winkel,  an  den  Nasenöffnungen  und  am  rechten  äusseren  Lidwinkel, 
wurde  zunächst  local  behandelt.  Sie  hatte  im  sechsten  Lebensjahre 
und  1S97  bereits  mehrwöchentliche  Augenerkrankungen  durchgemacht. 
Bald  nach  der  Spitalsaufnahme  bildete  sich  in  der  Nähe  des  inneren 
Cornealrandes  am  rechten  Auge  ein  knötchenartiges,  grauweisses  In¬ 
filtrat  mit  circumseripter  Injection ;  iu  rascher  Reihenfolge  schossen 
rings  um  den  Limbus  sieben  ähnliche,  hanfkorn-  bis  linsengrosse 
Knötchen  auf,  die  alle  zerfielen  und  graugelb  belegte,  sulzige  Geschwüre 
bildeten,  von  denen  das  grösste  am  äusseren  Cornealrand  1  mm  weit 
auf  die  Cornea  reichte.  Subjective  Beschwerden  in  Form  geringer 
Lichtscheu  und  eines  Fremdkörpergefühles  im  Auge.  Nach  der  am 
16.  Mai  eingeleiteten  Allgemeinbehandlung  mit  Injectionen  von  01. 
cinereum  gingen  die  geschwürigen  Infiltrate  rasch  zurück,  am  längsten 
persistirtfl  die  auf  die  Cornea  übergreifende  Papel  am  äusseren  Rande. 

Bei  der  zweiten  Patientin,  einer  45jährigen  Frau,  mit  einer 
gangränösen  Sklerose  am  linken  kleinen  Labium,  Papeln  am  Genitale 
und  After,  Plaques  an  den  Lippen  und  der  Zunge,  hatte  früher  nie 
eine  Augenerkrankung  bestanden.  Sie  verspürte  Ende  April  Brennen 
im  linken  Auge,  dessen  Conjunctiva  bulbi  eine  leichte  Gefässinjection 
zeigte.  An  dieser  Stelle  entstand  nun  ein  hirsekorngrosses,  bald 
exulcerirendes,  grauröthlieh  verfärbtes  Knötchen.  Am  16.  April  Beginn 
der  Allgemeintherapie.  Die  exuleerirte  Papel  ist  jetzt  fast  ganz 
resorbirt. 

A  on  beiden  Krankheitsformen  werden  von  Herrn  Docent 
Dr.  El  sehnig  verfertigte  stereoskojnsche  Bilder  herumgereicht. 

Kaposi  demonstrirt: 

1.  Einen  35jährigen  Mann,  der  seit  vielen  Jahren  an  Lupus 
erythematosus  beider  Wangen  leidet,  der  mit  Hinterlassung  zahl¬ 
reicher  atrophischer  Narben  abgeheilt  ist.  Im  Januar  wurde  beiderseits 
je  ein  Krankheitsherd  durch  Excision  entfernt.  Seit  zwei  Wochen  sind 
nun  daneben  und  an  der  Stirne,  dem  Kinn-  und  Kieferrande  mehrere 
linsen-  bis  hellergrosse  frische  Herde  von  Lupus  erythematodes 
entstanden. 


Lang  ergänzt  den  Fall  dahin,  dass  er  in  der  Discussion  über 
Ehrmann’s  Fall  von  Combination  des  Lupus  erythem.  mit  Lupus 
vulgaris  einen  solchen  Fall  aus  seiner  Erfahrung  erwähnt  habe.  Es 
sei  dies  der  vorgestellte  Patient,  bei  dem  zwei  Herde  von  Lupus  vul¬ 
garis  exstirpirt  und  auch  diesbezüglich  histologisch  geprüft  wurden. 

2.  Ein  Erythema  multiforme  vesiculosum,  das  bei 
einem  15jälirigen  Knaben  unter  Fieber  auftrat,  zu  einem  über  den 
ganzen  Körper  dicht  ausgebreiteten  papulösen  Erythem  führte,  dessen 
Efflorescenzen  fast  durchwegs  zu  centraler  Bläschenbildung  neigten. 

3.  Ein  hahnenkammartiges  Epitheliom  der  häutigen  Nasen- 
scheidewand. 

4.  Traumatische  eiterige  Geschwüre  an  der 
Glans  penis  bei  einem  69jährigen  Bauer.  Am  Dorsum  ein  über 
linsengrosses,  flaches,  am  Rande  überhäutendes,  central  eiterig  belegtes 
Geschwür,  das  nicht  so  sehr,  wie  das  tiefere  Glansgewebe  um  das 
Orificium  urethrae  grössere  Derbheit  zeigt.  An  der  unteren  Glansfläche 
mehrere  stecknadelkopfgrosse,  gelbe  Geschwürehen.  Drüsen  in  inguine 
nicht  vergrössert.  Beim  Alter  des  Patienten  ist  die  Differentialdiagnose 
gegenüber  einem  oberflächlichen  Careinom  nicht  unwichtig. 


Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien. 

Sitzung  am  23.  Januar  1900. 

Vorsitzender:  Lihotzky. 

Schriftführer:  Regnier. 

I.  Ludwig  stellt  vor: 

1.  Einen  Fall  von  vollständigem  Verschluss  der 
Corpushöhle  in  Folge  Tuberculose  des  Uterus, 
welche  bei  einer  25jähiigen  Patientin  gelegentlich  der  operativen  Be¬ 
seitigung  einer  Retroflexion  constatirt  wurde. 

Es  wurde  sofort  die  Totalexstirpation  des  Uterus  und  der 
rechten  Adnexe  angeschlossen.  Das  Corpus  uteri  ist  in  einen  compacten 
Tumor  ohne  Coipushöhle  umgewandelt;  das  Myometrium  ist  weisslich, 
wie  speckig  und  enthält  viele,  mit  käsigem  Eiter  erfüllte  Herde.  Die 
rechte  Tube  nur  3  cm  lang,  atretisch,  ihr  Lumen  mit  käsigen  Massen 
erfüllt. 

Im  Ovarium  dieser  Seite  keine  käsigen  Massen.  Der  Cervix 
4  7  cm  lang,  seine  Schleimhaut  von  normalem  Aussehen.  Die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  ergibt  vollkommenes  Fehlen  der  Corpus- 
schleimhaut,  spärliches  Vorhandensein  von  Tubeikeln  mit  epitheloiden 
und  Riesenzelltn  im  Myometrium,  die  Cervix  frei  von  Tuberculose, 
ebenso  das  exstirpirte  rechte  Ovarium. 

2.  Einen  Fall  von  Lostrennung  des  Corpus  uteri 
von  der  Portio  vaginalis  und  Dehiscenz  der  Cervix, 
bewirkt  durch  Zug  seitens  einer  hoch  liegenden 
Eier  stockgeschwulst. 

Bei  einem  zwölfjährigen  Kinde  fand  sich  bei  der  Laparotomie 
eine  dem  rechten  Ovarium  entsprechende,  kopfgrosse  Dermoidcyste, 
welche  mit  ihrem  unteren  Pole  bis  zur  Spina  ant.  sup.  herabreichte 
und  nach  oben  sich  bis  an  den  Leberrand  erstreckte.  Links  im  kleinen 
Becken  befand  sich  ein  Ovarium  und  eine  dünne,  sehr  lange  Tube, 
welche  sich  gegen  den  unteren  Geschwulstpol  hin  verfolgen  iiess.  Das 
Corpus  uteri,  welches  dem  Alter  entsprechend  entwickelt  ist  und  eine 
nach  unten  zu  blind  endigende  Höhle  besitzt,  lag  dem  Tumor  an  ; 
zwischen  dem  Scheidengewölbe  und  dem  Corpus  eine  dünne  Ligament¬ 
platte. 

Bei  der  Untersuchung  per  vaginam  sehen  Sie  eine  kleine  Portio 
mit  einem  circa  3  mm  tiefen  Orificium.  In  diesem  Falle  hat  also  eine 
vollkommene  Trennung  von  Uterus  und  Portio  mit  Dehiscenz  des 
Cervix  dadurch  stattgefunden,  dass  das  Corpus  von  einer  nach  oben 
zu  wachsenden  Cyste  aus  dem  kleinen  Becken  heraus  und  hoch 
hinauf  gezerrt  wurde. 

3.  Einen  Fall  von  Gynatresia  cervico-vaginalis. 

Eine  22jährige  Patientin,  Nullipara,  die  sich  an  keine  über¬ 
standene  Kinderkrankheit  erinnern  kann,  hatte  seit  ihrem  14.  Lebens¬ 
jahre  allmonatlich  durch  einige  Tage  heftige  kolikartige  Bauch¬ 
schmerzen.  Sie  hat  nie  einen  Blutabgang  aus  dem  Genitale  bemerkt. 
Die  Vagina  stellt  einen  auf  7  cm  einstülpbaren  Blindsack  dar,  an 
dessen  oberem  Ende  u’eder  ein  Muttermund,  noch  eine  Portio,  noch 
irgend  eine  Spur  einer  Narbe  sichtbar  ist. 

Eingedenk  der  Schwierigkeiten,  die  uns  bei  Eröffnung  von 
vaginalen  Adnexen  mit  einer  möglicher  Weise  vorhandenen  Hämatometra 
von  der  Vagina  aus  schon  einige  Male  begegnet  waren,  babe  ich  im 
Einverständnisse  mit  meinen  Chef  hier  von  vorneherein  auf  den  vagi¬ 
nalen  Weg  verzichtet  und  die  Laparotomie  ausgeführt.  Es  fand  sich 
ein  gut  entwickelter  Uteruskörper  in  Retroflexionsstellung,  mit  dem 
Fundus  mittelst  einiger  schwacher  Membranen  adbärent.  Zugleich  er¬ 
blickte  man  am  Beckenboden  einen  Esslöffel  voll  schwarzbraunen, 


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dickflüssigen  Blutes.  Beide  Tuben  und  Ovarien  waren 
vollkommen  frei,  die  ersteren  ziemlich  stark  geschlängelt. 

Es  wurde  nun  der  Uterus  aufgerichtet,  durch  einen  vorderen 
Längsschnitt  eröffnet  und  beide  Tuben  sondirt.  Sie  erwiesen  sich  als 
leicht  durchgängig.  Die  Corpusschleimhaut  stark  injicirt,  die  Corpus- 
höhle  klein,  die  Wanddicke  des  Uterus  2  cm.  Zwischen  dem  Corpus 
und  dem  Vaginalgewölbe  fühlt  man  einen  den  Cervix  substituirenden 
kleinfingerdicken  bindegewebigen  Strang  von  3 — 4  cm  Länge.  Unreine 
Communication  der  Corpushöhle  mit  der  Vagina  herzustellen  wurde 
ein  Troikart  durch  diesen  Strang  in  die  Vagina  hinabgestossen,  der 
Stachel  des  Troikarts  zurückgezogen  und  das  Rohr  liegen  gelassen. 
Darauf  Schluss  der  Uterus-  und  der  Bauchwunde. 

Der  Verlauf  war  bis  jetzt  ein  vollkommen  glatter.  Das  ätiolo¬ 
gische  Moment  für  die  Entstehung  der  Scheiden- Cervix- Atresie  muss 
hier,  trotz  negativer  Anamnese,  bei  dem  Umstande,  dass  es  sich  um 
ein  normal  gebildetes  Corpus  und  normale  Adnexe  handelt,  in  einer 
localen,  in  früher  Jugend,  jedenfalls,  da  die  Patientin  nie  durch  die 
Vagina  menstruirt  hat,  noch  vor  Eintritt  der  Pubertät  durchgemachten 
Entzündung  gesucht  werden.  Der  Mangel  jeglicher  Narbenbildung  in 
der  Vagina  kann  nicht  dagegen  sprechen;  wissen  wir  doch,  dass  selbst 
bei  Erwachsenen  im  Anschlüsse  an  Geburten  Scheidenatresien  ent¬ 
stehen  können,  die  nicht  eine  Spur  von  Narbenbilduug  später  er¬ 
kennen  lassen. 

Dass  sich  aber  seit  Jahren  das  Menstrualblut  in  die  Bauchhöhle 
ergoss,  dafür  sprechen  verschiedene  Momente:  Der  Mangel  jeglicher 
Ausdehnung  der  Corpushöhle  und  der  Tuben,  der  letzteren  vollkommene 
Durchgängigkeit,  die  allmonatlich  wiederkehreden  heftigen,  kolik¬ 
artigen  Schmerzen,  die  kräftige  Entwicklung  von  Uterus  und  Ovarien 
und  endlich  der  Befund  von  schwärzlichem  Blute  im  Cavum 
peritonei. 

Es  ist  ein  ähnlicher  Fall  von  L  a  n  d  a  u  beschrieben  worden, 
dem  allerdings  erst  R.  Meyer  die  richtige  Deutung  gegeben  hat. 
Ich  war  mir  im  Momente  der  Operation  der  Gefahren,  welche  der 
Patientin  im  Falle  einer  späteren  Gravidität  erwachsen  können,  voll¬ 
kommen  bewusst,  allein  ich  konnte  mich  nicht  entschliessen,  die 
jugendliche  Frau  ihrer  sonst  wohlentwickelten  inneren  Genitalien  ver¬ 
lustig  zu  machen.  Der  künstliche  Abortus,  beziehungsweise  die  Sectio 
caesarea  dürften  freilich  in  fast  sicherer  Aussicht  stehen. 

Discussion  ad  Fall  1:  Wertheim  weist  auf  ein  Operations¬ 
verfahren  bei  partieller  Obliteration  des  Uterus  hin,  das  er  vor  einigen 
Jahren  im  Centralblatte  für  Gynäkologie  angegeben  hatte.  Es  handelte 
sich  um  einen  Uterus,  der  nach  einer  rüde  vorgenommenen  Aus¬ 
kratzung,  und  zwar  im  Verlaufe  des  ganzen  Cervicalcanales  bis  über 
das  Orificium  internum  obliterirt  war.  Da  die  Eröffnung  von  unten 
mittelst  Sonden  nicht  möglich  war,  wurde  die  Blase  vom' Uterus  ab¬ 
gelöst  und  so  der  untere  Abschnitt  des  Corpus  an  der  vorderen 
Wand  freigelegt;  dann  wurde  mittelst  eines  sagittalen  Medianschnittes 
in  die  Tiefe  gedrungen  und  so  der  unterste  Theil  der  Corpushöhle 
zur  Eröffnung  gebracht.  Es  fanden  sich  einige  Kaffeelöffel  alten 
flüssigen  Blutes.  Dann  wurde  die  Schleimhaut  der  Körperhöhle  mit 
der  Vaginalschleimhaut  des  vorderen  Scheidengewölbes  fest  vernäht. 

Die  Frau  bekam  wieder  ihre  normale  Menstruation,  nachdem  sie 
vorher  die  heftigsten  Molimina  menstrualia  auszustehen  gehabt  hatte. 

Wertheim  glaubt,  dass  in  dem  von  Ludwig  vorgestellten 
Falle  eine  nachträgliche  Stricturirung  kaum  zu  vermeiden  sein  dürfte, 
wenn  es  nicht  gelingen  sollte,  den  durch  den  Troikart  geschaffenen 
Canal  mit  Schleimhaut  zu  überkleiden. 

Ludwig  bemerkt,  dass  bei  der  Unsicherheit  des  Befundes  an 
den  vaginalen  Weg  nicht  gedacht  werden  konnte. 

II.  Schmit:  Implantation  der  Tube  in  den  Uterus 
(Krankenvorstellung). 

Der  Vortragende  berichtet  über  eine  am  2.  Januar  1900  ausge¬ 
führte  Laparotomie,  bei  welcher  wegen  Tubargravidität  die  rechten 
Adnexe  exstirpirt  wurden.  Bei  der  Revision  der  linken  Adnexe  erwies 
sich  Tube  und  Ovarium  normal,  aber  gerade  an  der  Ansatzstelle  der 
Tube  fand  sich  ein  Myomknoten,  der  die  Tube  anscheinend  ganz  ver¬ 
drängte  und  comprimirte.  Da  nach  diesem  Befunde  entweder  Sterilität 
zu  erwarten  oder  eine  neuerliche  Tubargravidität  (auch  auf  der  linken 
Seite)  möglich  erschien,  nahm  der  Vortragende  die  Excision  dieses 
Knotens  vor  und  implantirte  nach  dem  Vorschläge  Prof.  Schauta’s 
die  abgetrennte  Tube  in  die  Uterushöhle,  womit  die  Möglichkeit  neuer¬ 
licher  Conception  gegeben  erscheint.  Der  Heilungsverlauf  war  voll¬ 
kommen  ungestört. 

III.  Halban:  Ein  Fall  von  completer  Uterus- 
l’upt  u  r. 

Halban  stellt  eine  Frau  vor,  bei  welcher  er  vor  zwölf  Tagen 
die  Totalexstirpation  des  Uterus  per  laparotomiam  ausführte, 
und  zwar  wegen  completer  Uterusruptur  intra  partum  und 
Austritt  der  Frucht  in  die  Bauchhöhle. 

Die  28jährigo  II  para  war  früher  stets  gesund.  Letzte  Menstrua¬ 
tion  am  5.  April  1899. 


Wehenbeginn  am  7.  Januar  um  8  Uhr  Abends;  die  ganze  Nacht 
starke  Wehen.  Um  6  Uhr  Früh  Blasensprung.  Um  8  Früh  hörten 
dann  die  Wehen  plötzlich  auf,  ohne  dass  die  Frau  um  diese  Zeit 
einen  besonderen  Schmerz,  der  auf  den  Eintritt  der  Ruptur  deuten 
Hesse,  verspürt  hätte.  Dagegen  trat  um  9  Uhr  Vormittags  eine  geringe 
Blutung  ein. 

Eine  Hebamme  untersuchte  die  Frau,  constatirte  einen 
Nabelschnurvorfall  und  wies  sie  an  die  Klinik. 

Die  um  10  Uhr  in  den  Kreisssaal  kommende  Frau  zeigte  ein 
frisches  Aussehen.  Temperatur  37'5°.  Puls  76.  Rachitisches  Skelet. 
Becken  allgemein  verengt,  rachitisch.  Uterustumor  längsoval,  Fundus 
einen  Finger  unter  dem  Proc.  xiph.  Schädel  beweglich  über  dem  Becken¬ 
eingang,  gegen  den  rechten  Darmbeinteller  abgewichen,  grössere  Resi¬ 
stenz  rechts,  Herztöne  nicht  zu  hören.  Da  keine  Wehen thätigkeit  be¬ 
stand,  auch  keine  Blutung  vorlag,  Puls  und  Temperatur  normal 
waren,  wurde  die  Frau  nur  flüchtig  vom  diensthabendem  Arzte  unter¬ 
sucht;  derselbe  fand,  dass  es  sich  um  Vorfall  einer  pulslosen  Nabel¬ 
schnurschlinge  und  um  Placenta  praevia  handle.  Da,  wie  erwähnt, 
keine  besondere  Indication  zum  Eingreifen  gegeben  war,  blieb  die 
Frau  ruhig  liegen  und  ich  kam  erst  Abends  nach  8  Uhr  dazu,  die 
Frau  selbst  zu  untersuchen,  wobei  sich  allerdings  ein  überraschender 
Befund  ergab. 

Die  Schlinge,  welche  als  Nabelschnur  imponirt  hatte,  erwies 
sich  als  die  quer  abgerissene,  nur  an  ihren  seitlichen  Theilen 
noch  mit  der  Portio  zusammenhängende  hintere  Muttermunds¬ 
lippe,  die  allerdings  bei  flüchtiger  Untersuchung  eine  kleine  Nabel¬ 
schnurschlinge  Vortäuschen  konnte.  Die  vordere  Muttermundslippe  war 
intact.  Beim  Eindringen  in  den  Cervicalcanal,  welcher  collabirt  und  auf 
ungefähr  drei  Finger  zu  spreizen  ist,  gelangt  man  auf  schwammiges  Gewebe, 
welches  im  ersten  Moment  für  Placenta  gehalten  werden  kann.  Bei 
genauerer  Untersuchung  zeigt  sich  aber,  dass  es  sich  um  einen 
tiefen  Riss  handelt,  welcher  in  der  Höhe  des  inneren  Mutter¬ 
mundes  quer  die  vordere  Gebärmuttergegend  durchläuft  und  mit 
seinem  Hauptantheile  gegen  das  rechte  Parametrium  zieht.  Wenn  man 
in  den  Riss  tiefer  eindringt,  gelangt  man  auf  den  Schädel,  welcher 
auf  dem  rechten  Darmbeinteller  liegt  und  sich  scheinbar  voll¬ 
ständig  in  der  Bauchhöhle  befindet. 

Vor  dem  Schädel  eine  Membran,  wie  eine  schlotternde  Frucht¬ 
blase,  möglicher  Weise  das  abgerissene  Peritoneum.  In  der  Narkose 
erweist  sich  die  Uterushöhle  als  leer,  der  Uteruskörper  contrahirt,  auch 
die  Placenta  ist  nicht  zu  finden. 

Ich  schritt  nun  sofort  zur  Laparotomie  (10  Uhr  Abends). 

Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle,  präsentirt  sich  sofort  die 
Frucht,  welche  frei  in  ihr  liegt,  und  zwar  in  Schädellage,  zweite  Po¬ 
sition.  Die  Frucht  wird  extrahirt,  desgleichen  die  Placenta,  welche 
ebenfalls  in  der  freien  Bauchhöhle  liegt.  Daselbst  auch  eine 
minimale  Blutmenge.  Der  Uterus  zeigt  einen  vollständigen  Riss 
in  der  vorderen  Wand  und  rechts,  und  zwar  in  der  Höhe  des  Blasen¬ 
scheitels.  Da  die  Möglichkeit  einer  Infection  vorlag  —  die  Frau  war 
auswärts  von  einer  Hebamme  untersucht  worden,  machte  ich  die 
Totalexstirpation  des  Uterus  und  der  Adnexe  mit  breiter  Drainage 
gegen  die  Scheide.  Die  Frucht  zeigte  Zeichen  frischer  Maceration; 
3400#,  50  cm.  Die  Frau  machte  einen  vollständig  fieberlosen,  unge¬ 
störten  Wund  verlauf  durch  und  wird  morgen  geheilt  entlassen. 

An  diesem  Falle  sind  mehrere  Momente  interessant.  Vor  Allem 
der  Umstand,  dass  offenbar  bereits  zwei  Stunden  nach  dem 
Blasensprunge  die  Ruptur  ein  getreten  ist.  Um  6  Uhr 
Früh  Blasensprung,  um  8  Uhr  Früh  vollständiges  Cessiren  der  bis 
dahin  sehr  kräftigen  Wehen,  Aufhören  der  Kindesbewegungen,  um 
9  Uhr  eine  allerdings  geringe  Blutung  nach  Aussen. 

Wir  können  kaum  fehlgehen,  wenn  wir  schon  nach  dieser 
Anamnese  annehmen,  dass  die  Ruptur  um  8  Uhr  ungefähr  erfolgt  ist. 
Dazu  kommt,  dass  schon  beim  Eintritt  der  Frau  in  unsere  Anstalt 
um  10  Uhr  Vormittags  der  Riss  offenbar  nach  dem  Touchirbefunde 
vorhanden  war. 

Der  Eintritt  einer  Ruptur  zwei  Stunden  nach  dem  Blasensprunge 
bei  einer  jungen  Il-para  ist  nun  sehr  auffallend.  Die  Besichtigung  des 
Präparates  ergab  aber  mit  Sicherheit,  dass  es  sich  dabei  nicht  um 
eine  frische  Verletzung  handeln  konnte,  da  der  Riss  nirgends  blutend, 
sondern  im  Gegentheil  übernarbt  war.  Es  muss  also  angenommen 
werden,  dass  diese  Verletzung  bei  der  ersten  Geburt  stattgefunden 
habe  und  damals  durch  eine  Usurirung  der  hinteren  Muttermundlippe, 
welche  lange  Zeit  zwischen  Schädel  und  Promontorium  gequetscht 
wurde,  entstanden  ist.  Thatsächlich  erwies  sich  das  Becken  als  hoch¬ 
gradig  verengt,  die  Conj.  diag.  betrug  10*1,  die  erste  Geburt  war 
von  langer  Dauer  und  musste  mit  Forceps  beendigt  werden. 

Wir  können  nun  ohne  Zwang  annehmen,  dass  bei  dieser  ersten 
Geburt  ebenso  wie  die  hintere  Cervicalwand,  auch  die  vordere  sein- 
stark  zwischen  Schädel  und  Symphyse  gequetscht  wurde,  und  dass  an 
dieser  Stelle  vielleicht  eine  Verdünnung  der  Uteruswand  zurückgeblieben 
ist,  welche  nunmehr  bei  der  zweiten  Geburt  leicht  einriss,  nachdem 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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die  Dehnung  des  unteren  Uterinsegmentes  grössere  Fortschritte 
gemacht  hat. 

Auffallend  an  diesem  Falle  ist  ferner  der  Umstand,  dass  die 
Frucht  sicher  14  Stunden  in  der  freien  Bauchhöhle  lag 
(  frische  Maceration),  ohne  dass  es  zu  irgendwelchen  peritonealen  lieiz- 
erscheinungen  oder  zu  einer  Infection  gekommen  wäre.  Die  Frau  klagte 
über  keinerlei  Schmerzen  und  fühlte  sich  —  wie  wiederholt  erwähnt 

_  vollständig  wohl.  Sie  wurde  offenbar  zu  ihrem  Glücke  nicht 

inficirt  und  hat  wohl  diesem  Umstande  den  günstigen  Ausgang  zu 
danken. 

Discussion:  R.  v.  Braun  fragt,  ob  die  Gebärende  ausser¬ 
halb  der  Klinik  untersucht  worden  sei. 

Hal  ban  erwidert,  dass  die  Patientin  nur  einmal  draussen  von 
der  Hebamme  untersucht  worden  ist. 

Schauta:  Die  Frage  R.  v.  Braun’s  sei  vollkommen  be¬ 
rechtigt.  Der  vorgestellte  Fall  ist  mit  zwei  gleichartigen  Fällen  an 
zwei  aneinanderfolgenden  Tagen  an  die  Klinik  gekommen ;  der  eine 
Fall  war  eine  incomplete  Ruptur,  das  Peritoneum  also  nicht  eröffnet, 
die  anderen  zwei  Fälle  (darunter  der  vorgestellte)  waren  complete 
Rupturen.  In  den  beiden  anderen  Fällen,  in  denen  das  Kind  noch 
nicht  aus  der  Uterushöhle  ausgetreten  war,  und  daher  auf  natürlichem 
Wege  entwickelt  werden  konnte,  wurde  tamponirt,  doch  gingen  beide 
Patientinnen  zu  Grunde. 

Dagegen  kam  dieser  Fall,  bei  dem  das  Kind  in  die  Bauchhöhle 
ausgetreten  war  und  daselbst  14  Stuuden  verblieb,  davon. 

In  den  beiden  letalen  Fällen  sind  Operationsversuche  voraus¬ 
gegangen,  Aerzte  und  Hebammen  haben  untersucht,  die  Frauen  wurden 
maltraitirt  und  inficirt,  während  dieser  Fall  nur  einmal  von  der  Heb¬ 
amme  untersucht,  nicht  inficirt  an  die  Klinik  kam  und  daher  auch 
günstig  verlief. 

R.  v.  Braun  hat  auch  an  der  Klinik  seines  Chefs  dieselben 
Erfahrungen  gemacht;  er  fragt,  ob  der  Fall  von  incompleter  Ruptur 
an  Sepsis  oder  an  Anämie  zu  Grunde  gegangen  sei. 

Schauta  erwidert,  dass  alle  Fälle  an  Sepsis  zu  Grunde  ge¬ 
gangen  seien.  Natürlich  spielt  die  Anämie  auch  eine  grosse  Rolle,  da 
anämische  Personen  leicht  septisch  werden.  An  reinem  Verblutungs¬ 
tode  ist  jedoch  keine  zu  Grunde  gegangen. 

D  i  1 1  e  1  fragt,  ob  bei  der  Totalexstirpation  der  Beckenboden 
geschlossen  oder  drainirt  wurde? 

H  a  1  b  a  n  :  Es  wurde  drainirt. 

Dittel:  Der  Grund  der  raschen  Ruptur  ist  allerdings  in  der 
Beckenverengerung  zu  suchen,  doch  wäre  es  rathsam,  in  diesem  Falle 
darnach  zu  forschen,  ob  nicht  ein  Mangel  an  elastischen  Fasern 
bestand. 

Hal  ban:  Die  histologische  Untersuchung  des  unteren  Uterin¬ 
segmentes  und  der  Cervix,  speciell  auf  elastische  Fasern,  ist  noch  nicht 
abgeschlossen. 

Schmit:  Seitdem  Prof.  Schauta  die  Klinik  leitet,  kamen 
19  Fälle  von  Uterusruptur  zur  Beobachtung,  und  zwar  9  incomplete, 
10  complete  mit  einer  Mortalität  von  9  Fällen,  i.  e.  52'6°/o  Heilung. 
Die  meisten  Fälle  waren  ausserhalb  untersucht  und  an  ihnen  oft  viel¬ 
fache  Eutbindungsversuche  vorgenommen  worden.  Von  den  an  der 
Klinik  entstandenen  Rupturen  ist  keine  Patientin  gestorben.  Alle  letal 
geendigten  Fälle  starben  an  Sepsis.  Bei  den  mit  Tamponade  Behan¬ 
delten  findet  sich  ein  Heilungsprocent  von  6L5,  bei  den  Operirten 
von  50.  Bei  dieser  Berechnung  zeigt  es  sich,  dass  mittelst  der  Tam¬ 
ponade  mehr  Frauen  du,-chgebracbt  wurden,  als  mittelst  der  Operation. 
Wenn  die  Anämie  nicht  so  hochgradig  ist,  dass  die  Patientin  von 
vornherein  an  derselben  stirbt  —  und  thatsächlich  sind  die  Fälle  von 
so  hochgradiger  Anämie  nicht  so  häufig,  da  ja  die  Blutung  meist  nach 
Uterusruptur  steht  —  so  hat  diese  Art  der  Behandlung  schon  theo¬ 
retisch  betrachtet  viel  Wahrscheinlichkeit  auf  günstigen  Erfolg  für 
sich.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  ein  Entbindungsverfahren,  bei 
dem  die  Bauchhöhle  weiterhin  nicht  mehr  mit  dem  inficirten  Organe 
und  Kinde  in  Berührung  gebracht  wird,  eher  ein  günstiges  Resultat 
geben  kann,  zudem  das  Wundbett  drainirt  wird  und  ein  dauerndes 
Antisepticum  acht  bis  zehn  Tage,  je  nach  den  Umständen  noch  länger 
liegen  bleibt.  Dieses  Verhältniss  zwischen  Tamponade  und  Operation 
stellt  sich,  wenn  man  die  Fälle  aus  der  Literatur  sammelt,  auch  hier 
zu  Gunsten  der  Tamponade,  respective  Drainage.  Von  83  aus  dem 
Materiale  verschiedener  Kliniken  gesammelten  Fällen  (einzelne 
casuistische  Mittheilungen  blieben  unberücksichtigt),  die  mit  Drainage 
behandelt  wurden,  starben  40,  was  51-8°/o  Heilung  ergibt;  bei  32 
operativ  behandelten  Fällen  betrug  das  Heilungsprocent  blos  25. 

R.  v.  B  r  a  u  n  bemerkt,  dass  auch  er  herausgebracht  habe,  dass 
die  incomplete  Ruptur  bei  der  Tamponade  eine  bessere  Prognose  gebe. 

Stern  (als  Gast)  berichtet  über  einen  Fall,  der  bei  Professor 
Winter  in  Königsberg  zur  Beobachtung  kam,  aber  nach  einer 
anderen  Methode  behandelt  wurde.  Es  handelte  sich  um  eine  Frau, 
bei  der  eine  totale  Uterusruptur  seit  12  Stunden  bestand,  und  wo  sich 
in  Folge  Diastase  der  Recti  das  Kind  unmittelbar  unter  der  Haut 


tasten  liess.  Es  wurde  die  Laparotomie  gemacht,  das  Kiud  sammt  der 
Placenta  extrahirt  und  sofort  der  Bauch  durch  Naht  geschlossen. 
Hierauf  wurde  die  Totalexstirpation  per  vaginam  angeschlossen.  Die 
ganze  Operation  dauerte  40  Minuten.  Die  Frau  wurde  vollständig 
geheilt.  Seines  Wissens  jedoch  wurde  diese  Methode  nicht  weiter 
verfolgt. 

R.  v.  Brau  n  erwidert,  es  sei  eine  bekannte  Thatsache,  dass 
Prof.  Winter  die  Extraction  des  Kindes  durch  die  Laparotomie  be¬ 
vorzugt  und  er  hat  schon  vor  einer  Reihe  von  Jahren  publicirt,  dass 
man  das  Kind  extrahiren  und  den  Uterus  in  Ruhe  lassen  solle, 
v.  Braun  möchte  Vorschlägen,  bei  schwerer  Ruptur  den  Uterus  per 
vaginam  und  dann  durch  die  so  geschaffene  Oeffnung  das  Kind  zu 
entfernen.  Er  selbst  habe  es  nicht  versucht,  hält  es  aber  für  technisch 
durchführbar  und  von  Werth. 

Wertheim  glaubt,  dass  die  Extraction  der  grossen  Frucht 
einen  ungünstigen  Einfluss  auf  die  Stümpfe  nehmen  würde;  es  könnten 
Zerreissungen  stattfinden,  Ligaturen  abiutschen;  das  ganze  Verfahren 
wäre  nicht  schonend  für  die  Wunde. 

R.  v.  Braun  erwidert,  es  müsse  nicht  immer  eine  grosse 
Frucht  vorhanden  sein  und  bezweifelt  ferner,  dass  die  nach  der  Total¬ 
exstirpation  zurückbleibende  Wunde  das  Kind  nicht  durchlassen  sollte. 
Man  könne  so  vorsichtig  operiren,  dass  keine  Ligaturen  abgleiten; 
höchstens,  dass  das  Peritoneum  einreisst,  und  so  eine  Blutung  entsteht. 
Wenn  der  frisch  entbundene  Uterus  durch  die  Vagina  durchgehe,  so 
werde  das  Kind  auch  durchgehen. 

Ludwig  glaubt,  dass  die  vaginale  Totalexstirpation  den 
Vortheil,  den  sie  bei  der  Entfernung  des  septisch  inficirten  Uterus 
bietet,  in  vielen  Fällen  durch  den  Nachtheil  aufgewogen  werde,  der 
durch  die  Complicirtheit  der  anatomischen'  Verhältnisse  bedingt  sei. 
Es  sind  nicht  immer  die  Wunden  des  Uterus,  welche  zu  schweren  se- 
cundären  Blutungen  und  Anämie  Veranlassung  geben,  sondern  auch 
die  paracervicalen  Gefässe,  die  Uterina  und  ihre  Verzweigungen 
machen  oft  schwere  Nachblutungen.  Die  Gefässe  ziehen  sich  oft  stark 
zurück  und  können  von  der  Vagina  aus  nicht  mit  Sicherheit  in 
Klemmen  gefasst  oder  umstochen  werden. 

Solche  Gefässe  können  oft  nach  Stunden,  ja  selbst  nach  Tagen, 
wo  die  Operirte  längst  für  gerettet  gehalten  wurde,  zu  Nachblutungen 
Veranlassirng  geben. 

R.  v.  Braun  bemerkt,  dass  er  selbst  seinerzeit  darauf  hinge¬ 
wiesen  habe,  dass  Abhebungen  des  Peritoneums  bis  zur  Niere  enorme 
Schwierigkeiten  bei  der  Blutstillung  machen.  Wo  die  Ruptur  nicht 
eine  quere  ist  oder  wo  die  Diagnose  nicht  sicher  zu  stellen  ist,  wird 
es  Braun  nicht  einfallen,  die  vaginale  Totalexstirpation  zu  machen, 
da  man  die  Gefässe  weder  sehen,  noch  ligiren  kann. 

IV.  Halban  demonstrirt  Harnröhren-  und  Blasensteine,  welche 
von  einer  79jährigen  Frau  stammen,  die  seit  25  Jahren  an  einem 
Prolapsus  uteri  et  vaginae  mit  bedeutender  Cystokele  leidet.  Seit 
sechs  Jahren  wiederholte  Harnverhaltung  oder  Harnträufeln.  Die 
Harnröhre  war  vollständig  mit  fünf  bohnen-  bis  über  haselnussgrossen 
Steinen  ausgefüllt,  von  denen  der  erste  bereits  aus  dem  Orific.  urethrae 
ext.  heraussah.  Nach  Entfernung  der  Steine  mittelst  einer  Kornzarge 
konnte  die  Blase  ganz  gut  mit  dem  Finger  ausgetastet  werden,  wobei 
sich  dieselbe  ebenfalls  als  mit  Steinen  ausgefüllt  erwies.  Auch  diese 
konnten,  trotzdem  einzelne  fast  nussgross  waren,  durch  die  stark  er¬ 
weiterte  Harnröhre  einfach  mit  einer  Kornzange  herausgezogen  werden. 
Die  Steine  (Harnsäureconcremente  mit  Phosphatmantel)  fanden  für 
ihre  Bildung  offenbar  einen  günstigen  Boden  in  der  so  lange  Zeit 
vernachlässigten  Cystokele. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  B  e  n  d  i  x  (Berlin). 

III.  Sitzungsfag:  Mittwoch,  den  20.  September  1899. 

I.  Escherich  (Graz) :  Studien  über  die  Morbidität 
der  Kinder  in  verschiedenen  Altersclassen. 

Im  Kindesalter,  bilden  nur  die  derselben  Alters¬ 
stufe  angeh  origen  Fälle  ein  vergleichbares  und  zu 
statistischer  Bearbeitung  verwendbares  Material. 

Ausgehend  von  diesem  Grundsätze  hat  der  Vortragende  die 
innerhalb  der  letzten  vier  Jahre  1895 — 1898  inclusive  im  Ambula¬ 
torium  des  Grazer  Anna  Kinderspitales  zur  Behandlung  gekommenen 
Erkrankungen  nach  einem  Schema  zusammengestellt,  welches  für  jeden 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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einzelnen  Fall  die  Gruppirung  nach  dem  Lebensalter  und  dem 
Jahresmonat,  in  welchem  er  beobachtet  wurde,  gestattet.  Bei  der  Be¬ 
arbeitung  dieses  35.000  Fälle  umfassenden  Zahlenmateriales  hatte  er 
sich  der  Mitarbeiterschaft  des  Statistikers  Prof.  E.  Mischler  und 
einer  Subvention  seitens  der  königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
erfreuen. 

Die  Zusammenstellung  geschah  nach  verschiedenen  Gesichts¬ 
punkten: 

a)  Sämmtliche  gleichartige  Fälle  wurden  addirt  und  daraus  eine 
Morbiditätscurve  des  Kindesalters  construirt. 

b)  Sämmtliche  Erkrankungen  wurden  nach  der  in  Lehrbüchern 
üblichen  Weise  in  natürliche  Gruppen  eingetheilt  und  die  Betheiligung 
jeder  Gruppe  an  der  Gesammtmorbidität  jedes  Lebensjahres  berechnet 
und  graphisch  dargestellt.  Es  ergab  sich  dabei  eine  gesetzmässig  fort¬ 
schreitende  Verschiebung  der  Gruppen  untereinander.  Noch  deutlicher 
sind  die  Unterschiede  bei  der  Auflösung  der  Gruppe  in  die  einzelnen 
dieselbe  zusammensetzenden  Erkrankungen. 

c)  Es  wurden  sämmtliche  beobachtete  Fälle  einer  Erkrankung 
addirt  und  der  Antheil,  welcher  auf  jedes  einzelne  Lebensjahr  entfällt, 
procentisch  berechnet.  Man  erhält  so  für  jede  Krankheit  eine  Alters- 
curve,  deren  Gipfel  auf  diejenigen  Jahre  fällt,  in  welchen  sie  am  häu¬ 
figsten  vorkommt.  Durch  Zusammenstellung  der  in  gleicher  Curve  ver¬ 
laufenden  Krankheiten  ergibt  sich  die  der  betreffenden  Altersstufe  zu¬ 
kommende  Krankheitsphysiognomie. 

d)  Es  wird  für  jede  Erkrankung  die  Monatscurve  festgestellt. 
Da,  wo  deutliche  und  constante  Unterschiede  vorhanden,  ergeben  sich 
wichtige  Fingerzeige  für  die  Aetiologie  und  Pathogenese. 

Die  Resultate  der  unter  1,  2  und  4  angeführten  Berechnungen 
werden  an  einer  Anzahl  farbiger  Tafeln  demonstrirt  und  die  wichtig¬ 
sten  Ergebnisse  in  folgenden  Schlusssätzen  zusammengefasst: 

1.  Das  Kindesalter  zeigt  eine  hohe,  vom  ersten  Lebensjahre  an 
rasch  abnehmende  Morbidität,  die  bezüglich  der  Art  und  des  Ver¬ 
laufes  der  vorherrschenden  Erkrankungen  einen  gesetzmässigen,  den 
Altersstufen  entsprechenden  Wechsel  erkennen  lässt.  Dieser  Wechsel 
ist  begründet  einestheils  in  den  physiologischen  Besonderheiten  des 
Organismus,  anderentheils  in  den  äusseren  Verhältnissen  und  Lebens¬ 
gewohnheiten  der  Kinder,  die  innerhalb  derselben  Alterstufe  eine 
sehr  viel  grössere  Gleichmässigkeit  aufweisen  als  diejenigen  der  Er¬ 
wachsenen. 

2.  In  der  Säuglingsperiode  äussert  sich  die  rückständige  Ent¬ 
wicklung  der  Organe  in  der  functioneilen  Schwäche  insbesondere  des 
Verdauungsapparates  und  in  ungenügender  Anpassungsfähigkeit  an  die 
Bedingungen  des  extrauterinen  Lebens.  Diese  werden  in  dem  Masse, 
in  welchem  sie  sich  von  dem  nur  mit  einem  gewissen  Aufwande  her¬ 
stellbaren  Optimum  entfernen,  von  der  zarten  äusseren  Decke  und  den 
reizbaren  Schleimhäuten  als  krankmachende  Schädigungen  empfunden. 
Dazu  kommt  der  Mangel  an  Schutzvorrichtungen  gegen  bacterielle  In¬ 
vasion  und  Toxine,  der  sich  beim  Neugeborenen  in  der  Häufigkeit  und 
Schwere  der  septischen  Erkrankungen,  beim  Säugling  in  Form  der  in- 
fectiösen  Schleimhautkatarrhe  äussert. 

3.  Schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  ersten  Lebensjahres  beginnen 
die  constitutionellen  Erkrankungen  und  ihre  Folgezustände,  welche  sich 
als  Störungen  in  dem  Aufbau  des  wachsenden  Organismus  charak- 
terisiren  (Rachitis,  Anämie,  Scrophulose).  Ihren  Höhepunkt  erreichen 
sie  im  zweiten  und  dritten  Lebensjahre  und  bestimmen  somit  das  Krank¬ 
heitsbild  der  Milchgebissperiode.  Dazu  kommen  als  Folge  der  unrein¬ 
lichen  Lebensgewohnheiten  der  Kinder  dieses  Alters  die  sogenannten 
Schmutz-  oder  Schnaierinfectionen  (Diphtherie,  Pertussis,  Localtuber- 
culose,  Stomatitis,  Helminthiasis  etc.). 

4.  Vom  fünften  Lebensjahre  (Pueritia)  an  treten  gleichzeitig  mit  dem 
Beginne  -des  Schulbesuches  die  acuten  Exantheme  mit  ihren  Folge¬ 
erkrankungen  an  Herz  und  Niere  an  die  erste  Stelle.  Ausserdem  haben 
die  gesteigerten  Anforderungen,  welche  jetzt  an  den  noch  im  Waclis- 
thume  begriffenen  Körper  und  die  sich  entwickelnden  Geisteskräfte  des 
Kindes  gestellt  werden,  functioneile  Schädigungen  (sogenannte  Schul¬ 
krankheiten)  zur  Folge,  die  den  Berufskrankheiten  des  späteren  Lebens 
vergleichbar  sind. 

Im  Uebrigen  nähert  sich  der  Krankheits-Charakter  dieser  Periode 
mehr  und  mehr  dem  des  Erwachsenen  (Rheumatismus  artic.,  Endo¬ 
carditis,  Typhus,  croupöse  Pneumonie,  Chorea,  functioneile  Neurosen, 
traumatische  Erkrankungen). 

5.  Von  den  chronischen  Infectionskrankheiten  zeigt  die  Lues 
eine  von  dem  Zeitpunkte  der  Geburt  an  rasch  abnehmende,  die  Tuber- 
culose  eine  mit  den  Jahren  stetig  zunehmende  Frequenz.  Während 
des  ganzen  Kindesalters  überwiegt  die  Neigung  zur  Localtubereulose, 
insbesondere  des  Lymphapparates,  der  auch  der  Ausgangspunkt  eines 
besonderen  Typus  der  Lungeninfection,  der  sogenannten  Hilusphthise 
wird.  Auch  die  miliaren  Formen  sind  bis  zum  vierten  Lebensjahre 
am  häufigsten. 

6.  Insofern  das  Ueberwinden  der  allmälig  wachsenden  Anforde¬ 
rungen  die  Leistungsfähigkeit  der  Organe  steigert  und  das  Uebersteben 


der  Infectionen  in  vielen  Fällen  einen  dauernden  Schutz  hinterlässt, 
stellt  sich  das  Kindesalter  vom  Standpunkte  des  Arztes  aus  betrachtet 
als  die  Vorbereitungszeit  dar,  in  deren  Verlauf  der  Organismus  durch 
die  Entwicklung  der  in  dem  Neugeborenen  schlummernden  Anlagen 
und  Schutzvorrichtungen  einerseits  die  wunderbare  Anpassungsfähig¬ 
keit  an  die  verschiedensten  Klimate  und  Lebensbedingungen,  anderer¬ 
seits  Schutz  gegenüber  den  gefährlichsten  Feinden  des  Menschenge¬ 
schlechtes  erwirbt,  um  dann  im  erwachsenen  Alter  den  Kampf  ums 
Dasein  mit  Erfolg  zu  überstehen.  Aufgabe  des  Arztes  ist  es,  diesen 
Acclimatisationsprocess  zu  überwachen  und  ein  Missverhältnis  zwischen 
den  einwirkenden  Schädlichkeiten  und  dem  jeweils  vorhandenen  Kräfte¬ 
zustand  hintanzuhalten. 

II.  Biedert  (Hagenau) :  Eine  Versuchsanstalt  für 
Ernährung,  eine  wissenschaftliche,  staatliche  und 
humanitäre  Noth  Wendigkeit. 

Auf  dem  Gebiet  der  Ernährungslehre  zeigen  sich  gegenwärtig 
Verwirrung  und  Widersprüche,  ein  Hinwegsehen  über  scheinbar  längst 
Feststehendes,  Verwerfen  von  Dingen  durch  den  Einen,  welche  der 
Andere  für  unumgänglich  hält  oder  als  äusserst  erfolgreich  in  der  Praxis 
schildert.  Das  ist  ein  bedauerlicher  Zustand  und  lässt  einen  alten  Vor¬ 
schlag  von  Biedert  als  dringend  wieder  auftauchen,  in  einer  wohl¬ 
eingerichteten  Versuchsanstalt  die  praktisch  wichtige  Lösung  solcher 
Fragen  zu  fördern.  Eine  gleichlaufende  Forderung  von  Harnaek  für 
Untersuchung  neuer  Arzneimittel  bestärkt  Biedert  jetzt  in  seinem 
Bestreben,  nur  ist  sein  Gegenstand  viel  dringender,  weil  Klarheit  über 
Ernährung  der  Gesunden  und  Kranken  viel  unentbehrlicher  ist,  als  eine 
solche  über  neue  Arzneien.  Zur  Begründung  seiner  Forderung  hat 
Biedert  ein  Schema  drucken  und  vertheilen  lassen,  in  dem  theils 
die  Widersprüche  und  das  Fragliche  bezüglich  der  Ernährungslehre 
beim  Kind  wie  beim  Erwachsenen,  direct  angegeben,  theils  einfach 
Behauptungen  aufgestellt  sind,  um  sie  sämmtlich  als  einer  weiteren 
Prüfung  bedürftig  hinzustellen.  Daraus  sei  nur  nur  das  Wichtigste  hervor¬ 
gehoben,  zunächst  mit  der 

Ernährung  des  Kindes  beginnend.  Wenn  hiefür  die 
Muttermilch  als  Muster  angenommen  wird,  kommt  deren  quantitative 
Zusammensetzung,  die  chemischen  Eigenthümlichkeiten  ihrer  einzelnen 
Stoffe  (Biedert,  E.  Pfeiffer,  Cam  er  er  und  Söldner,  Schloss¬ 
mann,  Siegfried,  Wroblewski,  Szontagh,  Knöpfe]  m  acher), 
ihre  verhältnissmässige  bacteriologische  Reinheit  in  Frage.  Für  die 
Kuhmilch  als  Ersatz  ist  die  Individualität  und  Gesundheit  des  Milch¬ 
viehs  insbesondere  die  noch  nicht  genügend  umrissene  Gefahr  der 
Tuberculose  Uebertragung,  die  Art  der  Fütterung,  und  zwar  die  zu¬ 
gleich  gute  und  doch  nicht  übertheuerte,  endlich  die  Milchbebandlung 
massgebend.  Noch  als  Ideal  steht  uns  für  letztere  die  aseptische  Milch¬ 
gewinnung  vor  Augen,  auf  Reinlichkeit,  thierärztliche  Viehcontrole 
(Tuberculin-Injection),  Benützung  der  letzten  Hälfte  des  Euterinhaltes, 
Eiskühlung  begründet.  Jetzt  wo  diese  infectionsfreie  Milch  noch  nicht 
gegeben  ist,  herrscht  die  Desinfection  derselben,  und  zwar  die  Pasteuri¬ 
sation,  welche  durch  längere  Einwirkung  von  circa  70°  pathogene  und 
Säurepilze  zerstört,  ohne  Geschmack  und  Eiweiss  zu  ändern,  und 
Sterilisation,  welche  mit  Kochtemperatur  und  darüber  auch  noch  sonst 
lebenbleibende  Fäulnissbacterien,  Coli  und  Proteus,  zerstört  (Flügge). 
Dies  ist  ein  Vortheil  der  Sterilisation,  während  für  irgend  einen  Vorzug 
der  Pasteurisation  ein  Nachweis  noch  nicht  unternommen  worden,  selbst 
im  Geschmack  gegen  sofort  gekühlte  Kochmilch  nicht  merkbar  ist. 
Zahlreiche  Modificationen  der  Sterilisation  sind  aber  noch  zu  erproben. 

In  den  Methoden  der  Säuglingsernährung  herrscht  jetzt  der  ge¬ 
waltigste  Zwiespalt:  Reine  Kuhmilch  ohne  jede  Veränderung  wfird  wieder 
der  altbewährten  Verdünnung  entgegengestellt,  ihr  schwer  verdauliches 
Casein  soll  auf  einmal  unbedenklich  sein  und  für  die  Nährwerthe  von 
Fett  und  Kohlehydrate  in  der  Muttermilch  eintreten  können;  Andere 
wieder  sehen  selbst  von  dem  vermeintlich  vollkommen  und  normal 
verdauten  Kuhcasein  im  Blut  erst  schwere  Nachtheile  (Säurevergiftung, 
irreguläre  Stoffe).  Dann  wird  das  Fett  als  Giftbringer  angeklagt  und 
an  seiner  Stelle  ein  ganz  bestimmtes  Kohlehydrat  (M  a  1  t  o  n)  entgegen 
dem  früher  empfohlenen  Milchzucker  gepriesen,  während  jenes  doch  in 
der  Muttermilch  tadellos  erscheint  und  auch  von  den  verschiedenen 
Fettmilcharten  die  bestechendsten  Resultate  berichtet  werden.  Derselbe 
Mangel  an  Uebereinstimmung  herrscht  in  der  Verabreichung  der 
Nahrung;  die  Einen  wollen  nur  eine  einzige  Mischung  für  die  ganze 
Säuglingszeit,  die  Anderen  steigende  Gewöhnung  an  Vollmilch;  das 
Volum,  die  Zahl  der  Mahlzeiten  werden  ganz  verschieden  regulirt,  und 
das  Nahrungsbedürfniss  zur  Erzielung  guten  Ergebnisses  hat  sich  bis 
jetzt  bei  einzelnen  Idividuen  sowohl  an  der  Brust  wie  bei  der  Flasche 
als  ganz  verschieden  herausgestellt.  Offenbar  ist  hier  bei  anscheinend 
guter  Resorption  die  Assimilirfähigkeit  der  Individuen  massgebend,  und 
das  weitere  Schicksal  noch  ganz  unsicher  (B  e  n  d  i  x  und  Anderer  Unter¬ 
suchungsergebnisse).  Insbesondere  ist  die  jetzt  hochbewerthete  Aus¬ 
nutzung  kein  unzweideutiges  Mass  der  Verdaulichkeit  und  des  Nutz¬ 
effectes.  Abgesehen  von  der  Untersuchung  auf  den  Nahrungsrest  sollten 
die  Stühle  mehr  als  seither  zur  Auskunft  herangezogen  werden:  prin- 


616 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  26 


cipiell  verschiedene  Reaction  bei  Menschen-  und  Kuhmilchstühlen, 
Nuclein  nach  Knöpfelmache  r,  Nachweis  der  Fäulniss  in  Kuh¬ 
milchstühlen  mit  A.  Schmidt’s  Methode  nach  Pusch,  abnorme 
Verdauungsrückstände. 

Für  Störungen  kann  Contaetinfection  der  Nahrung  und  Kinder 
und  Luftinfection  der  letzten  verantwortlich  sein  unter  Mitwirkung  des 
schädlichen  Nahrungsrestes.  Spitalschäden,  wohl  auf  beiden  beruhend, 
sind  durch  scharfe  Prüfung  in  den  Anstalten  klarzustellen. 

Nach  einigen  Bemerkungen  über  Beinahrung  und  über  Ernährung 
älterer  Kinder  geht  Biedert  zur  Ernährung  Erwachsene  r, 
insbesondere  kranker  Erwachsener  über.  Es  herrschen  hier  zwei  For¬ 
men:  die  Hypopepsie  und  llyperpepsie.  Bei  Hypopepsie  ist  eben  aus¬ 
reichende  leichte  Ernährung  am  Platze.  Werth  der  Fabricate  zweifel¬ 
haft;  die  peptonisirte  wegen  Darmreizung  bedenklich  (V  o  i  t),  löslich 
gemachte  bleiben  nicht  zuverlässig  löslich  gegenüber  der  Salzsäure  im 
Magen  (Biedert),  und  bei  Allen  ist  der  Nachweis  ihres  Nutzeffectes 
bis  jetzt  noch  durchaus  ungenügend  (P  r  a  u  s  s  n  i  t  z).  Die  Salzsäure 
wird  empfohlen  bei  llyp-  und  Anacidität:  Säurevergiftung  und  Ent¬ 
ziehung  von  Körperalkalien  (Limbec  k)  hier  wahrscheinlich  nicht  zu 
fürchten,  da  nur  der  Defect  gedeckt  wird;  eher  bei  Hyperacidität,  wo 
indess  Amoniak  schützend  eintritt.  Bei  llyperpepsie  wird  zu  viel  Salz¬ 
säure  abgesondert,  als  für  die  zugeführte  Nahrung  nöthig  wäre;  bei 
den  larvirten  Formen  zeigt  sieh  nach  dem  Probefrühstück  einmal  ge¬ 
ringe,  dann  nach  Fleischnahrung  übermässige  Salzsäure,  ein  andermal 
bei  jener  mässige,  bei  dieser  ungenügende  Absonderung.  Es  ist  deshalb 
jeder  Kranke  nach  dem  Genüsse  verschiedener  Speisen  zu  untersuchen 
und  dann  nach  dem  Ergebniss  zu  behandeln;  so  löst  sich  vielleicht 
der  Streit  über  Ernährung  der  Hyperaciden ;  für  ihre  Behandlung 
empfiehlt  Biedert  Nachspülung  von  Tanninlösung  und  Magnesia,  be¬ 
sonders  günstig  vor  dem  Schlafengehen.  Frühspülung  hat  lediglich 
diagnostischen  Werth.  Flüssigkeit  ist  nur  bei  Dilatation  zu  beschränken; 
ein  allgemeines  Verbot  bei  Verdauungsstörungen  hat  keinen  Sinn, 
allenfalls  noch  bei  Hypopepsie,  im  Gegensatz  zur  Apepsie,  wo  alle 
Saftabsonderung  fehlt  und  bei  den  Mahlzeiten,  auch  Flüssigkeiten 
eventuell  mit  Salzsäure  zuzführen  sind. 

Wenn  neben  dem  Gesagten  noch  eine  grössere  Zahl  von  Ein¬ 
griffen  und  Massnahmen  für  Lebensweise  und  Lebensführung  zur  Dis¬ 
cussion  gestellt  worden,  .so  sollen  nur  die  wichtigsten  Aufgaben  für  eine 
systematische  Untersuchung  angedeutet  sein. 

Die  Nothwendigkeit  einer  reich  ausgestatteten  Anstalt  ist  durch 
die  aufgezählte  Menge  der  Untersuchungsobjecte  ebenso  bewiesen,  wie 
durch  das  Bedürfniss,  an  einheitlichem  Material  von  Kranken  und  Ge¬ 
sunden,  unter  gleich  gearteten  Verhältnissen  und  mit  gleich werthigem 
Nährmaterial  und  gleichgeordneter  Methode  Prüfungen  vorzunehmen. 
Die  Urmaterialien  und  die  Bearbeitung  der  Nahrung  sind  an  verschie¬ 
denen  Orten  und  aus  verschiedenen  Stellen  so  verschieden,  die  Ergeb¬ 
nisse  an  verschiedenen  Anstalten,  sogar  in  einer  gleich  grossen  Stadt, 
durch  äussere  Umstände  u.  s.  w.  so  abweichend,  dass  nur  die  ver¬ 
langte  Anstalt  die  nüthigen  langgedehnten  und  umfassenden  systema¬ 
tischen  Beobachtungen  zu  machen  und  prompte  Ergebnisse  in  dieser 
wirklichen  Lebensfrage  zu  liefern  im  Stande  ist. 

Es  ist  Pflicht  des  Staates  und  der  Wissenschaft,  eine  tadellose 
und  auch  nicht  zu  theuere  Lieferung  von  Nahrungsmitteln  für  Gesunde 
und  Kranke  vorzuschreiben  und  ins  Werk  zu  setzen.  Dies  gilt  von 
der  Production  guter  Kuhmilch  wie  auch  von  den  feinsten  technischen 
Fabricaten  der  Ernährungsindustrie. 

Sonach  haben  Wissenschaft,  Staat  und  die  Humanität,  der  das 
Wohl  des  Einzelnen  am  Herzen  liegt,  gleiches  Interesse  an  der  zu 
begründenden  Anstalt.  Jene  hat  als  Einrichtung  klinische  Stationen, 
verschwenderisch  mit  llilfs-  und  Pflegepersonal  und  allen  Isolirvor- 
richtungen  ausgcstattot,  eigene  poliklinische  Abtheilung,  physiologisch¬ 
chemische  und  bacteriologische  Laboratorien,  eigene  Milchwirtschaft 
zu  verlangen.  Zu  den  ständigen  Leitern  und  Hilfsarbeitern  muss  es 
jedem  befähigten  wissenschaftlichen  Forscher  gestattet  sein,  behufs 
Mitbeobachtung  oder  nach  Möglichkeit  eigener  Arbeit  sich  zu  gesellen; 
auch  selbst  geschäftlichen  Interessenten,  eventuell  gegen  Platzgebühr. 

Diese  Vorschläge  werden  den  Fachgenossen  zur  Beurteilung 
unterbreitet  und  je  nachdem  Zustimmung  oder  Abstimmung  überwiegt, 
wird  der  Plan  fallen,  oder  Staaten,  Städten  und  menschenfreundlichen 
Gemüthern  zur  Ausführung  nahegebracht  werden. 

Discussion  zum  Vortrage  Biedert’s: 

1.  Ranke  befürwortet,  wie  alle  folgenden  Redner,  die  Gründung 
einer  solchen  von  Biedert  vorgeschlagenen  Versuchsanstalt,  nur  be¬ 
zweifelt  derselbe,  dass  augenblicklich  der  günstige  Zeitpunkt  für  die 
Erlangung  der  dazu  nöthigen  Geldmittel  da  sei. 

2.  S  t  o  o  s  s  (Bern)  greift  unter  den  vielen  von  Biedert  namhaft 
gemachten  Divergenzen  eine  heraus,  den  Einfluss  der  steril isirten  Milch 
auf  das  Entstehen  gewisser  Krankheiten,  wie  Anämie  und  Barlow- 


scher  Krankheit;  Stooss  hat  nur  zwei  Fälle  von  der  letzten  Krank¬ 
heit  gesehen  und  zwar  nach  G  ä  r  t  n  e  r’scher  Fettmilch,  sonst  nie, 
trotzdem  alle  Kinder  mit  sterilisirter  Milch  ernährt  wurden.  Vielleicht 
werden  die  Nachtheile  der  sterilisirten  Milch  in  dieser  Beziehung  über¬ 
schätzt.  Vielleicht  sollte  mehr  Gewicht  auf  die  Kuhfütterungsfrage 
gelegt  werden. 

3.  Cam  er  er  (Urach)  hält  die  Gründung  von  einer  Centrale 
z.  B.  in  Berlin,  an  der  ein  tüchtiger  Chemiker,  Bacteriologe,  Pathologe 
und  Kinderarzt  gemeinsam  wirken,  vorläufig  für  aussichtsvoller  als  die 
Errichtung  grosser  Anstalten. 

4.  Schlossmann  (Dresden):  Da  z.  B.  im  Königreich  Sachsen 
die  Kuhmilchfrage  augenblicklich  sehr  im  Vordergrund  stehe,  an  der 
naturgemäss  die  gesammte  Landwirthschaft  grosses  Interesse  habe,  so 
wäre  es  immerhin  nicht  ganz  ausgeschlossen,  weite  Kreise  für  die 
B  i  e  d  e  r  t’schen  Ideen  und  Pläne  zu  gewinnen  lind  sie  auch  zur  Ver¬ 
wirklichung  zu  bringen. 

5.  Mein  er  t  (Dresden)  hält  die  Gründung  von  Versuchs¬ 
anstalten  für  dringend  nothwendig  und  auch  die  Verwirklichung  des 
Planes  für  aussichtsvoll,  wenn  man  handelte.  Mein  er  t  schlägt  die 
Bildung  einer  Commission,  die  sich  an  die  medicinischen  Körperschaften 
und  nach  Sammlung  von  genügend  Unterschriften  an  die  massgebenden 
Behörden  wendet,  vor. 

6.  Esche  rieh  (Graz) :  Man  brauche  nur  an  das  Staats¬ 
institut  zur  Controle  des  B  e  h  r  i  n  g’schen  Heilserums  zu  denken,  um 
einzusehen,  dass  derartige  Anstalten  zu  erreichen  möglich  sind. 
Esch  er  ich  hat  einmal  trotz  vieler  Versuche  mit  G  ä  r  t  n  e  r’scher 
Fettmilch  darnach  eine  B  a  r  1  o  w’sche  '  Krankheit  auftreten  sehen, 
und  meint  nicht,  dass  die  zwei  von  Stooss  beobachteten  Fälle  dieser 
Krankheit  mit  dieser  Ernährung  in  Zusammenhang  gebracht  werden 
können. 

7.  Biedert  (Schlusswort)  hält  das  von  Mein  er  t  vorge¬ 
schlagene  Vorgehen  für  das  Fördenidste. 

III.  Jules  Co  m  b  y  (Paris) :  Lithiase  renale  chez  les 
nourrissona. 

Les  calculs  du  rein  sont  tres  frequents  chez  les  enfants  en  bas 
äge.  Sans  parier  de  ces  raies  jaunes  des  pyramides  (infarctus  uriques) 
qui  se  montrent  ä  la  coupe  des  reins  de  beaucoup  de  nouveau-nes, 
on  trouve  chez  les  enfants  de  quelques  mois,  mal  nourris,  athrepsies, 
de  veritables  pierres  dans  les  calices,  bassinets,  ureteres.  Com  by  a 
observe  48  de  ces  cas  ä  l’höpital  des  enfants  malades,  dans  l’espace 
de  deux  aus.  La  lithiase  renale  est  done  ties  commune,  quand  on  veut 
bien  la  chercher  dans  les  autopsies  d’enfants  morts  ä  l’höpital.  Cette 
lithiase  coincide  le  plus  souvent  avec  la  deshydratation,  l’amaigrissement, 
l’atrophie.  Elle  ne  se  voit  pas  chez  l’enfant  bien  nurri,  allaite  par 
sa  mere  ou  par  uno  bonne  nourrice.  Elle  n’est  pas  hereiitaire,  mais 
acquise;  eile  peut  done  etre  evitee.  Elle  resulte  de  la  concentration 
des  urines  par  les  pertes  abor.dantes  et  non  reparees  de  l’enfant.  L’acide 
urique  se  precipite  sous  forme  d’urate  de  soude  ou  de  ammoniaque  et 
on  trouve  des  graniers  arrondis  ou  irreguliers,  durs  capables  parfois 
d’obstruer  les  ureteres,  d’amener  l’hydronephrose,  de  determiner  la 
colique  nephretique.  Plus  tard  les  calculs  peuvent  se  fixer  dans  la 
vessie,  augmenter  de  volume  par  des  apports  nouveaux,  et  eutrainer 
tons  les  desordres  du  calcul  vesical. 

La  Symptomatologie  propre  ä  la  lithiase  renale  est  obscure  ä 
cause  du  jeune  äge  des  enfants,  qui  ne  savent  rien  dire  et  ne  peuvent 
renseigner  sur  leurs  souffrances.  On  ne  peut  que  soup^onner  le  mal 
pendant  la  vie  et  la  lithiase  renale  est  bien  souvent  une  trouvaille 
d’autopsie.  Le  pronostic  est  reserve.  Si  les  enfants  survivent,  la  lithiase 
peut  persister  et  donner  plus  tard  les  accidents;  les  calculs  du  rein, 
de  la  vessie  constates  ä  l’äge  adulte  ne  remontent-ils  pas  h  la  pre¬ 
miere  enfanc?  On  peut  l’admettre  dans  plusieurs  cas. 

Le  prophylaxie  et  le  traitement  consistent  a  bien  nouirir  les 
enfants  en  bas  äge,  ä  leur  assurer  la  quantite  de  lait  qui  est  neeessaire 
au  bon  equilibre  do  leur  nutrition.  Ils  doivent  boire  beaucoup  afin  do 
laver  leurs  tissus,  de  diluer  leurs  urines,  etc.  L’allaitement  naturel 
me  parait  le  plus  sür  preservatif  en  meine  temps  que  le  meilleur  trai¬ 
tement  hygienique. 

Discussion:  1.  Ranke  (München)  ist  der  Meinung,  dass 
die  Steinbildung  bei  jungen  Kindern  mit  dem  Harnsäureinfarct  des 
Neugeborenen  Zusammenhänge. 

2.  Heubner’s  (Berlin)  Fragen,  wie  alt  die  diesbezüglichen 
Kinder  und  welchem  Material  sie  entstammen,  erwidert  C  o  m  b  y, 
dass  die  Kinder  2,  3,  6  und  0  Monate  waren  und  der  Poliklinik  an¬ 
gehörten. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Red&ctenr:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Recligirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  5.  Juli  1900.  Nr.  27. 


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Telephon  Nr.  6004. 


Die  „Wiener  klinische 


Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX, 3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


X  INT  JBC  _A_  T : 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Ueber  die  Gasteiner  Thermen.  Von  Prof.  E.  L  u  d-  | 
w  i  g  nnd  Dr.  Th.  Panzer. 

2.  Aus  der  neurologischen  Klinik  in  Wien  (Vorstand  Prof.  Freiherr 
v.  Krafft-Ebin  g).  Basedow’sche  Krankheit  mit  Myxödemsyni- 
ptomen.  Von  Docent  Dr.  Josef  A,  Hirschl,  klinischem  Assistenten,  j 

3.  Ueber  Kolikschmerzen.  Von  Dr.med.  Robert  Lucke  in  Altenburg.  | 


II.  Referate:  I.  Ueber  die  Indicationen  der  Entfettungseuren.  II.  Die  1  ett- 

sucht.  Von  Karl  v.  Noorden.  Referent  Ortn  er.  —  Anleitung 
zur  Zahn-  und  Mundpflege.  Von  C.  Böse.  Referent  W.  Roux. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Ueber  die  Gasteiner  Thermen. 

Von  Prof.  E.  Ludwig  und  Dr.  Th.  Panzer. 

Der  Curort  Bad  Gastein  mit  seinen  weltberühmten 
Thermen  liegt  im  Herzogthume  Salzburg  am  Nordabhange 
des  Hauptzuges  der  norischen  Alpen  unter  47°  6' 54"  nörd¬ 
licher  Breite  und  30°48'8"  östlicher  Länge  (von  Ferro) 
1023  m  über  der  Meeresfläche.  Man  erreicht  denselben  von 
der  Station  Lend  der  k.  k.  österreichischen  Staatsbahnen 
nach  ungefähr  vierstündiger  Wagenfahrt,  während  welcher 
sich  dem  Reisenden  in  der  grossartigen,  wechselnden  Scenerie 
reicher  Naturgenuss  darbietet,  der  am  Reiseziele,  nämlich  in 
dem  Curorte  selbst,  durch  den  von  der  Gasteiner  Ache 
gebildeten  204  m  hohen  Wasserfall  aufs  Höchste  gesteigert  wird. 

Die  Geschichte  von  Bad  Gastein  ist  wiederholt  bearbeitet 
worden  und  es  liegen  mehrere  diesbezügliche  Publicationen 
vor,  so  von  Koch- Sternfeld,  Much  er,  Vierthaler. 
Kurze  Darstellungen  der  Geschichte  und  Entwicklung  des 
Curortes  findet  man  in  dem  Buche  von  Reissacher1),  so¬ 
wie  in’den  Badeschriften  von  Dr.  C.  Gager2),  Dr.  E.  Sclii- 
d  e  r  3),  Dr.  A.  Was  sing4)  und  Dr.  L.  Wiek5 6).  Die  Bade¬ 
schrift  von  Dr.  v.  Hönigsberg0)  enthält  eine  Zusammen¬ 
stellung  der  Literatur  über  Bad  Gastein. 

Das  Gasteiner  Thermal wasser  hat  schon  vor  sehr  langer 
Zeit  das  Interesse  der  Chemiker  auf  sich  gelenkt  und  sich 

’)  Der  Curort  Wildbad  Gastein.  Mit  besonderer  Rücksicht  auf  die 
Thermalquellen.  Von  Karl  Reissacher,  k.  k.  Bergverwalter.  Salzburg 
1865,  Mayrische  Buchhandlung. 

2)  Bad  Gastein.  Nach  den  neuesten  Hilfsquellen  bearbeitet  von 
Dr.  Karl  Gager.  Berlin  1897,  Verlag  von  A.  Hirscliwald. 

3)  Gastein.  Für  Curgäste  und  Touristen.  Zehnte  Auflage.  Von 
Dr.  Eduard  S  c  h  i  d  e  r.  Salzburg  1899,  Mayrische  Buch-  und  Kunst¬ 
handlung. 

4)  Der  Curort  Wildbad  Gastein.  Von  Dr.  Ant.  W  a  s  s  i  n  g.  Zweite 
Auflage.  Wien  und  Leipzig  1899,  Wilhelm  Braumüller. 

5)  Die  warmen  Quellen  Gasteins.  Von  Dr.  Ludwig  Wiek.  Zweite 
Auflage.  Wien  und  Leipzig  1897,  Wilhelm  Braumüller. 

6)  Wildhad  Gastein  im  Jahre  1856.  Von  Dr.  Benedikt  Edlen,  v. 

Hönigsberg.  Besonders  abgedruckt  aus  der  Zeitschrift  der  k.  k.  Ge¬ 
sellschaft  der  Aerzte.  Wien  1857,  Karl  Gerold’s  Sohn. 


dasselbe  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten.  So  haben  schon 
Theophrastus  Paracelsus,  Leonhard  T h u r n ei s s e r 
und  Taber naemontanus  über  dasselbe  geschrieben.  Das 
Badebüchlein 7)  des  berühmten  Iatrochemikers  enthält  dies¬ 
bezüglich  Folgendes : 

Von  dem  Bad  Castein. 

»Das  sibendt  Capitel. 

Das  Bad  in  Castein  im  Saltzburger  Fürstentlmmb  — 
nimpt  seyn  Ursprung  auß  dem  kalch  der  Margazichen  — 
Antimony  und  deß  selbigen  salniters  —  laufft  auß  dem  sechsten 
theil  der  Globel  on  ander  einfallende  wasser  —  seyn  gang 
ist  durch  die  matrices  der  wilden  roten  Granate  auch  der 
göldischen  kisigen  Granaten  mit  vil  anhangendem  ärtz  deß 
silbers  und  unzeytigen  golds  —  behalt  seyn  tilgend  und 
krafft  biß  an  den  tag  —  auch  den  grad  der  hitz  am  letsten 
wie  am  ersten  —  hat  auch  ein  zugaeg  unnd  sterckung  auß 
dem  kupfferischen  vitriol  —  unnd  zeucht  auß  den  mineralibus 
den  arsenic  und  das  auripiginent  —  schumpt  auch  von  jm 
ein  schwebel  fix  und  unfix. 

Seyn  tugend  vergleichen  sich  den  tugenden  Pfäfers  — 
aber  mit  sorglicherem  grad  —  auß  ursach  —  seyn  art  ist 
das  alle  die  Geschwür  im  leib  sich  in  diesem  bad  eröffnen 
unnd  brechen  mit  gewalt  —  darumb  solchen  kranclcen  leuten 
so  an  geschwäre  brestbafftig  weren  das  bad  Castein  nicht 
tüglich  ist  —  es  hat  ein  krafft  an  jm  —  das  es  im  dritten 
jar  genügsam  ist  zuheilen  die  offnen  Schäden  —  mit  der 
correction  wie  nachuolget.  Dergleichen  im  vierdten  jar  ist  es 
gnügsam  zuuertreiben  die  contractur  —  mit  sampt  seiner 
correction.  Solche  art  nimpts  auß  dem  wachsen  des  zufallenden 
salniters  —  der  in  das  fünfft  jahr  seyn  augmentum  gibt  — 
Der  arsenic  im  vierdten  jar  —  Auripigmentum  im  dritten  jar. 

7)  Baderbücblin.  Sechs  köstliche  Tractat  —  armen  und  reychen 
nuczlich  und  notwendig'  — -  von  wasserbädern.  Durch  den  hocherfarnen 
Herren  T  h  e  o  p  h  r  a  s  t  u  m  Paracels  um.  Mit  Fleyß  und  miie  \ 
Doctor  Adams  von  Boden  stein  —  zu  einem  guten  neuwen  j#ir 
publicirt.  Gedruckt  zu  Mülhausen  —  im  oberen  Elsaß  —  durch  1  eter 
Schmid.  1562. 


618 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


Auß  diesen  dreyen  het  es  die  beraelt  tilgend  und  krafft.  Die 
art  deß  zerbrechens  der  gesell  wären  nimpt  es  auß  den 
Margazichen  —  welcher  gleich  ist  in  der  wirckung  der 
selbigen  —  weiter  von  seinen  tagenden  — •  vergleicht  es  sich 
den  andren  bederen  unnd  warmem  wasser  —  sonderlich  im 
grien  zuuertreiben  —  mit  sampt  der  zugehörenden  correction.« 

Im  XIX.  Jahrhunderte  ist,  soweit  man  dies  aus  der 
Literatur  ersehen  kann,  das  Gasteiner  Thermalwasser  viermal 
analysirt  worden,  und  zwar  von  Hiihnefeld  (1828),  von 
Holtmann  (1836),  von  Wolf  (1845)  und  von  F.  Ullik 
(1863).  Auf  die  Ergebnisse  dieser  Analysen  werden  wir  noch 
später  zurückkommen. 

Dermalen  tritt  das  Thermalwasser  in  Bad  Gastein  an 
18  verschiedenen  Stellen  zu  Tage,  das  heisst  es  bestehen  da¬ 
selbst  18  Thermalquellen,  von  denen  15  am  rechten  Ufer, 
drei  am  linken  Ufer  der  Gasteiner  Ache  liegen. 

Diese  18  Quellen  liefern,  nach  Reis  sache  Fs  Messun¬ 
gen,  zusammen  132.824  Cubikfuss  =  41.946///  Thermal¬ 
wasser  in  24  Stunden.  Ungefähr  zwei  Drittel  dieser  Wasser¬ 
menge  liefert  die  Haupt  quelle,  auch  Elisabeth-Quelle 
genannt,  welche  mittelst  eines  47  m  langen  Stollens  aufge¬ 
schlossen  wurde,  aus  dem  das  Thermalwasser  in  einer  Leitung 
aus  Thonröhren  den  Badehäusern  zufliesst,  während  ein  Theil 
desselben  in  Holzröhren  nach  Hof  Gastein  geleitet  wird.  Das 
Thermal  wasser  hat  nicht  in  allen  18  Quellen  dieselbe  Tem¬ 
peratur,  es  bestehen  vielmehr  bedeutende  Temperatur¬ 
differenzen.  Die  niederste  Quellentemperatur  beträgt  19  5°  R. 
(24  4°  C.),  die  höchste  39  5°  R.  (49‘4°  C.);  die  Temperatur  der 
Elisabeth-Quelle  beträgt  491°  C. 8). 

Ueber  die  geologischen  Verhältnisse  von  Bad  Gastein 
hat  uns  Herr  Prof.  Dr.  Fr.  Be  r  wertli  die  folgenden  werth¬ 
vollen  Mittheilungen  zukommen  lassen,  für  welche  wir  ihm 
unseren  besten  Dank  sagen: 

»Die  weltbekannten  Gasteiner  Thermen  gehören  zu  den 
merkwürdigsten  geologischen  Erscheinungen  in  den  Ostalpen. 
Im  ganzen  weiten  Gebiete  derselben  treten  nirgend  anderswo 
heisse  oder  warme  Quellen  unter  den  gleichen  örtlichen  Ver¬ 
hältnissen  und  zugleich  von  derselben  Beschaffenheit  zu  Tage, 
wie  die  Gasteiner  Quellen.  Die  warmen  Quellen  von  Bormio, 
die  warme  Brennerbadquelle  und  die  warme  Kaiserbrunnquelle 
im  Tuxer-Thal  lassen  sich  mit  den  warmen  Quellen  von  Gastein 
nicht  unmittelbar  parallelisiren.  Angeblich  soll  auch  im 
Rauriser-Thal  und  im  Grossartthal  je  eine  warme  Quelle  vor¬ 
handen  sein,  über  deren  Auftreten,  wie  es  scheint,  bisher 
keine  verlässlichen  Nachrichten  bekannt  geworden  sind.  Die 
Quellen  von  Bormio  haben  ihren  Ursprung  im  Kalkgebirge, 
die  Tuxer  Quelle  entspringt  in  Kalk,  der  auf  Gneiss  lagert 
und  die  Brennerbadquelle  fliesst  aus  phyllitischen  Gesteins¬ 
lagen.  Die  Thermen  von  Gastein  entströmen  dagegen  dem 
Gneisse  der  Centralkette  und  sind  nebst  ihrer  sonstigen  Be¬ 
schaffenheit  durch  die  Lage  des  Ursprungsortes  auch  in  geolo¬ 
gischer  Beziehung  das  alleinige  Vorkommniss  dieser  Art  in 
den  Ostalpen. 

Eine  geologische  Darlegung  des  Quellenterrains  in  Bad 
Gastein  erheischt  eine  kurze  Bekanntmachung  mit  der  weiteren 
Gebirgsumgebung.  Der  auf  einen  verhältnissmässig  kleinen 
Flächenraum  beschränkte  Ursprungsort  der  Thermen  in  Bad 
Gastein  liegt  an  der  nördlichen  Abdachung  des  Gasteiner 
Gneissgebirges,  das  in  den  beiden  Gipfeln  des  Rathhausberges, 
dem  Kreuz-  und  dem  Rathhauskogel  seine  Culminationspunkte 
besitzt.  Das  Gasteiner  Gneissgebirge  fügt  sich  als  ein  Glied 
in  die  Centralmasse  des  östlichsten  Flügels  der  Hohen  Tauern 
ein,  der  seine  natürliche  geologische  Abgrenzung  im  Westen 
in  der  Einsenkung  westlich  des  Sonnblick  im  Hochthor  und 
im  Osten  bei  Gmünd  im  Lieserthal  besitzt.  Dieser  Abschnitt 
der  Hohen  Tauern,  dessen  Eckpfeiler  der  Hohe  Sonnblick 
und  die  Hochalmspitze  bilden,  ist  ein  geologisch  für  sich  ab¬ 
geschlossener  einheitlicher  Theil  der  Hohen  Tauernkette,  der 
in  seiner  Mittellage  oder  in  seinem  Kerne  aus  Gneiss  besteht 
und  in  seiner  Gesammtheit  nach  allen  Himmelsrichtungen  von 
glimmerigen  und  kalkigen  Schiefern  der  sogenannten  »Schiefer- 

8)  Nach  Reissache  r’s  Messungen. 


hülle«  mantelförmig  umlagert  ist.  In  ihrer  architektonischen 
Gliederung  zerfällt  die  genannte Tauerngneissmasse  in  drei  von 
einander  an  der  Oberfläche  getrennte  Gneisskörper.  Die 
Trennung  wird  von  zwei  Zügen  krystalliner  Schiefer  herbei¬ 
geführt;  der  eine  geht  aus  dem  Seebachthal  über  das  Ebeneck 
und  die  Grubenkaarscharte  gegen  Nordosten  und  der  zweite 
Nordwest  streichende  Schieferzug,  aus  phyllitischen  Glimmer¬ 
und  Kalkschiefern  bestehend,  zieht  aus  dem  unteren  Möllthale 
herauf,  setzt  die  Lonza,  die  Goiselspitze  und  das  Schareck 
zusammen,  streicht  über  die  Riffelscharte  in  die  Rauris  und 
bildet  mit  seinen  tieferen  Gliedern  den  Fuss  des  Sonnblick 
und  des  Hochnarr.  Der  erstere  Schieferzug  trennt  die  Hochalm¬ 
masse  von  der  Rathhaus-  Gamskaarlmasse  und  der  zweite 
Schieferzug  scheidet  die  letztere  mittlere  Gneissmasse  von  der 
Sonnblickgneissmasse.  Von  Süden  herüber  legt  sich  auch  über 
die  Woisgenköpfe  ein  Schieferlappen  in  den  Rathhausberg, 
über  dessen  Vorhandensein  in  der  Tiefe  des  Berges  nur  die 
bevorstehenden  Tunnelbohrungen  Aufschluss  geben  werden. 
Wird  auf  der  Nordsüd-Linie  des  Gasteiner  Thaies  eine  Querung 
des  Centralkammes  von  Norden  gegen  Süden  oder  auch  um¬ 
gekehrt  vorgenommen,  so  überschreitet  man  auf  beiden  Seiten 
zuerst  die  Gesteine  der  Schieferhülle  und  gelangt  dann  in  das 
Mittelglied  des  Gebirges,  den  Gneiss.  Die  Gesteinsbänke  der 
phyllitischen  Schieferhülle  sind  im  Süden  des  Gebirgszuges 
bei  Ober-Vellach  im  Möllthal  und  im  Norden  des  Schiefer¬ 
zuges  in  der  Gasteiner  Klamm  steil  aufgerichtet,  auf  der  Nord¬ 
seite  gegen  Norden  und  im  Süden  gegen  Süden  einfallend. 

Der  nördliche  Schieferflügel,  im  Allgemeinen  ein  Streichen 
in  Nordwesten  einhaltend,  reicht  von  Lend  bis  nahe  unterhalb 
Bad  Gastein  und  ist  somit  die  ganze  Hof-Gasteiner  Thalstufe 
quer  in  dieses  Schichtensystem  eingeschnitten.  Von  Norden  nach 
Süden  gehend,  trifft  man  am  untersten  Gasteiner  Wasserfall 
bei  Lend  triadische  Rauchwacke,  in  der  Klamm  dunkle 
thonige,  wenig  krystalline  und  holzscheitartig  brechende  Kalk- 
phyllite.  Darauf  folgen  von  Dorf  Gastein  aufwärts  bis  nach 
Remsach  plattige  Kalkglimmerschiefer  in  mächtiger  Entwick¬ 
lung  mit  concordanten  Einlagen  von  sericitischen  und  Grün¬ 
schiefern  (Felsnase  von  Hof-Gastein,  Pyrkershöhe).  Am  Ingelsberg 
bei  Hof- Gastein  steckt  auch  ein  kleiner  Stock  von  dunklem 
Serpentin  zwischen  Grünschiefer  und  Kalkglimmerschiefer. 

Je  näher  man  zum  Gneisskerne  des  Gebirges  herangeht, 
iindet  man  eine  allmälig  eintretende  flachere  Lagerung  der 
Schieferschichten,  deren  südlicher  Flügel  auf  den  aus  Kalk¬ 
glimmerschiefern  bestehenden  Gipfeln  des  Centralkammes  eine 
Neigung  von  circa  25°  gegen  Süden  einhalten,  während  der 
nördliche  Flügel  unterhalb  Bad  Gastein  sich  mit  einer  Neigung 
von  15°  gegen  Norden  concordant  an  den  Gneiss  der  Rath¬ 
hausberger  Masse  auflagert.  Aus  diesen  Lagerungsverhältnissen 
der  Schieferhülle  zum  Gneiss  ist  der  domtörmige  Aufbau  des 
Ostflügels  der  Hohen  Tauern  untrüglich  zu  erkennen,  von 
dessen  Gewölbe  heute  nur  die  beiden  Nord-  und  Südschenkel 
erhalten  sind.  Prüft  man  weiterhin  die  mineralogische  Zu¬ 
sammensetzung  und  Textur  des  Gneisses,  so  erkennt  man  in 
demselben  einen  Abkömmling  granitischer  Massen  oder  einen 
Granitgneiss.  Durch  den  petrographischen  Befund  und  die 
Lagerungsverhältnisse  zum  Schiefer  ist  der  Granit  als  eine 
echte  Intrus  i  vmasse  und  insbesondere  als  Batholith 
charakterisirt,  der  von  unten  nach  oben  Keile  in  die  Schichten 
der  Schieferhülle  getrieben  hat.  Contactzonen  und  verästelte 
Injectionen  von  Gneiss  in  Schiefer  wurden  bisher  nicht  auf¬ 
gefunden  und  scheinen  hier  vollständig  zu  fehlen.  Die  intru¬ 
sive  Natur  des  Gneisses  gegenüber  dem  Schiefer  ist  jedoch  in 
den  Grenzzonen  durch  Einlagerung  von  Gneissbänken  zwischen 
die  Schiefer  gut  gekennzeichnet.  Diese  Erscheinung  lässt  sich 
gerade  in  der  Nähe  von  Bad  Gastein  oberhalb  des  Cafb 
Gamskaar  (ehemaliger  Lutherhof)  an  der  Bergnase,  die  vom 
wunderbaren  Aussichtsgipfel  des  Gamskaar  nach  Kötschach 
herunterzieht,  in  trefflicher  Weise  beobachten.  Verlässt  man 
an  dieser  Stelle  das  Hauptmassiv  des  Gneisses,  so  überschreitet 
man  viermal  Lagerbänke  von  Gneiss  zwischen  weissem  Marmor 
und  Schiefern.  Eine  Gneissbank  in  Kalkglimmerschiefer  trifft 
man  auch  hoch  oben  auf  der  Felskante,  die  vom  Gipfel  des 
Schareck  in  das  Nassfeld  abfällt. 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Wir  wollen  nun  kurz  das  Gneissmassiv  etwas  genauer 
betrachten,  aus  dem  die  Heilbrunnen  bekanntermassen  seit  un¬ 
gezählten  Jahren  in  gleichbleibender  unerschöpflicher  Fülle 
fliessen. 

Das  Gebiet  des  Rathhausberger  Gneissmassivs  lässt  sich 
auf  die  zugänglichste  Weise  umgrenzen,  wenn  wir  statt  auf 
den  Höhen  in  den  Thälern  wandern  und  dabei  erfahren,  dass 
das  Angerthal,  das  Kötschachthal,  das  Thal  oberhalb  Bad 
Gastein  bis  in  das  Nassfeld,  das  Anlaufthal,  das  Weissenbach- 
thal,  das  Nassfeld  und  auch  der  unterste  Theil  des  Siglitz- 
thales  in  das  Massiv  des  Rathhausberger  Gneisses  eingeschnitten 
sind.  An  der  mineralogischen  Zusammensetzung  der  Gasteiner 
Gneisse  betheiligen  sich  folgende  Gemengtheile  geordnet  in 
eine  Reihe  nach  absteigendem  Mengenverhältnisse:  Feldspathe 
(Mikroklin,  Mikroklinperthit,  Albit),  Quarz,  Muscovit  (Sericit), 
Biotit,  Epidot  (Klinozoisit),  Chlorit,  Calcit,  Granat,  Titanit, 
Rutil  auch  Orthit.  Alle  genannten  Minerale  sind  nicht  in  allen 
Gneissen  vorhanden.  Als  wesentliche  Gemengtheile  in  allen 
Abarten  erscheinen  die  genannten  Feldspathe,  Quarz,  Muscovit, 
Biotit,  Epidot,  in  der  Regel  auch  Chlorit. 

Aus  verschiedenen  Eruptivgebieten  ist  uns  bekannt,  dass 
ein  geologisch  einheitlicher  Gesteinskörper  in  seinen  einzelnen 
Theilen  chemisch  verschieden  zusammengesetzt  und  petro- 
graphisch  verschiedenartig  ausgebildet  sein  kann.  Auch  das 
Gasteiner  Gneissmassiv  lässt  eine  chemische  Differenzirung  des 
ursprünglichen  Magmas  und  eine  verschiedenartige  petro- 
graphische  Ausbildung  erkenneu.  Die  Kerntheile  der  Gneiss- 
masse  haben  eine  mehr  basische  Natur  und  entsprechen  einem 
Granodiorit  (körniges  Gestein  der  Asten),  während  die  Rand- 
theile  einen  ausgesprochen  sauren  Charakter  tragen  und 
einem  echten  Granit  entsprechen.  Ueber  die  petrographische 
Ausbildung  ist  zu  bemerken,  dass  der  Kern  eines  eruptiven 
Gesteinskörpers  von  den  gebirgsbildenden  Kräften  schwächer 
beeinflusst  wird,  als  die  Randzonen  und  dementsprechend  sich 
im  Allgemeinen,  wenn  sonst  keine  Störungen  in  der  Gesteins¬ 
lagerung  vorliegen,  von  Aussen  nach  Innen  vorschreitend  ver¬ 
schiedene  Ausbildungsweisen  ergeben  werden.  Die  Asten  oder 
das  Nassfelderthal,  der  schlauchartige  Durchbruch  der  Gasteiner 
Ache  zwischen  Nassfeld  und  Böckstein  ist  der  tiefste  Einschnitt 
in  die  Kernmasse  des  Gneisses.  Hier  liegen  am  Wege  zwischen 
dem  Kesselfall  und  Bärenfall  hellfarbige  Gesteinsblöcke  von 
granitisch-körniger  Ausbildung,  auf  deren  lichtem  Grunde  sich 
dunkle  Glimmeraggregate  abheben,  die  meist  ganz  deutliche, 
scharf  begrenzte  Umrisse  erkennen  lassen.  Es  sind  die  schon 
von  Tschermak  erkannten  Pseudomorphosen  von  Biotit 
nach  Hornblende.  Dasselbe  schöne  Gestein  habe  ich  auch  im 
obersten  Hierkaar  angetroffen.  In  höheren  Niveaux  trifft  man 
körnigflaserige  und  sehr  stark  grobflaserige  Gneisse  mit  Aus¬ 
scheidungen  von  grossen  Feldspathen  (Augengneisse)  an.  In 
dieser  Ausbildungsform  macht  sich  mehr  als  in  anderen  Arten 
eine  deutliche  Kataklase  bemerkbar,  wofür  die  Gneisse  des 
Kötschacbthales  und  des  Graukogels  gute  Beispiele  liefern.  In 
den  obersten  Zonen  stellt  sich  schieferige  Textur  ein  und  der 
Gneiss  wird  dem  Glimmerschiefer  sehr  ähnlich.  Solche 
schieferige  Varietäten  erscheinen  in  typischer  Ausbildung  im 
Angerthaie  und  bei  Remsach. 

Eine  Veränderung  im  Typus  des  normalen  Gesteines 
wird  auch  durch  den  Wechsel  in  der  Mineralführung  herbei¬ 
geführt.  Es  geschieht  dies  im  Gasteiner  Gneissgebiete  insbe¬ 
sondere  durch  das  Zurücktreten  des  Biotits,  wodurch  sehr  helle 
Gneisse  zu  Stande  kommen,  in  denen  von  den  Glimmern  der 
Muscovit  (Sericit)  vorherrscht.  Solche  zonenweise  auftretende 
helle  Gneisse  bezeichnen  wir  als  aplitische  Gneisse.  Wir 
treffen  solche  in  typischer  Entwicklung  am  Felsriegel  in  Bad 
Gastein,  am  Feuerseng  und  im  unteren  Anlaufthal.  Echte 
Aplite  als  Linsen  und  Adern  im  Gneiss  sind  vielfach  vorhanden, 
zu  denen  z.  B.  das  zuckerkörnig  ausgebildete  weisse  Gestein 
gehört,  das  man  am  Fuss-  und  Fahrwege  zu  den  Werks¬ 
gebäuden  am  Rathhausberge  anstehend  findet.  Ein  reiches 
Aplitgeäder  im  Gneiss  ist  auch  unmittelbar  oberhalb  dem 
Kesselfall  im  Flussbette  vorzüglich  zu  beobachten. 

Was  nun  die  Schichtenstellung  und  die  Structur  dieses 
mächtigen  Gneissgebirges  anbelangt,  so  sei  hier  mitgetheilt, 


dass  in  der  nächsten  Umgebung  Bad  Gasteins  die  Gneiss- 
schichten  ein  Streichen  von  Ostwest  einhalten  und  nach 
Norden  einfallen.  Gegen  Westen  wendet  sich  das  Gesteins¬ 
streichen  allmälig  in  die  Nordost-  bis  Süd  west- Richtung  und 
erreicht  in  der  Bockartgegend  ein  Streichen  in  Nordsüd  mit 
Einfallen  in  Westen.  In  den  hohen  Felswänden,  die  das  Nass¬ 
feld  nach  Süden  abgrenzen,  besteht  der  Sockel  aus  Gneiss  und 
hat  ein  Streichen  von  Südost  bis  Nordwest,  Fallen  Südwest. 
In  den  mittleren  Partien  des  Gneisskörpers  compliciren  sich 
die  Lagerverhältnisse  und  können  hier  nicht  erörtert  werden  ; 
es  sei  nur  hervorgehoben,  dass  ein  nördliches  Zusitzen  des 
Schmelzwassers  zu  dem  Thermengebiete  auf  Schichtflächen  aus 
den  höchsten  Gebirgslagen  nicht  angenommen  werden  kann. 
Ueber  die  Structur  des  Gneisses  ist  anzuführen,  dass  er 
parallel  der  Schichtung  mächtige  Bänke  bildet,  die  durch  je 
zwei  auf  der  Bankung  senkrecht  stehende  Flächenpaare  in 
parallelopipedische  Felsstücke  oder  Cuboide  zerlegt  werden. 
Diese  regelmässige  Zerklüftung  ist  auf  dem  Steinmeere,  ober¬ 
halb  der  Reedalpe  in  grossartiger  Weise  blossgelegt.  Die 
Richtung  dieser  Klüfte  ändert  sich  natürlich  mit  dem  Wechsel 
der  Streichrichtung.  Bei  Bad  Gastein  haben  dieselben  einen 
Verlauf  von  Ostwest  und  Nordsüd.  Mit  der  Thalbildung  steht 
diese  regelmässige  Zerklüftung  im  innigen  Zusammenhänge. 

Der  Ursprungsort  der  Gasteiner  Thermen  liegt,  vom 
Nordrande  der  Gneismasse  gemessen,  ungefähr  1  hn  tief  im 
Gneisskörper.  Von  den  heute  bekannten  18  Quellen  entspringen 
16  auf  der  rechten  und  2  auf  der  linken  Seite  des  Bad 
Gasteiner  Wasserfalles  am  sogenannten  Badberge,  einem  Fels¬ 
riegel,  welcher  die  unterste  Hof- Gasteiner  Thalstufe  von  der 
Böcksteiner  Tlialebnung  trennt.  In  früherer  Zeit  war  die 
Doctorquelle  als  die  einzige  bekannt,  die  sichtbar  aus  dem 
festen  Gestein  entspringt.  Heute  sind  sieben  Quellen  im  festen 
Gestein  bekannt,  wovon  fünf  durch  Stollenbau  gefasst  sind, 
alle  übrigen  finden  ihren  Ausgang  in  angeschwemmtem  Schutt. 
Ich  habe  die  Quellen  im  Franz  Josef-Stollen,  Rudolf  Stollen, 
Elisabeth-Stollen,  Chorinski-Stollen,  die  offen  austretende 
Fledermaus-Quelle  und  jene  unter  dem  Speisesaale  des  Hotel 
Straubinger  frei  entspringende  Quelle  besichtigt. 

Im  60  m  tiefen  Franz  Josef-Stollen  sind  durch  Reiss- 
acher  zwei  Quellen  freigelegt  worden,  deren  Wasser  um 
einige  Temperaturgrade  von  einander  verschieden  sind.  Die 
Spalte  der  Quelle  mit  Wasser  höherer  Temperatur  streicht 
Ostwest  mit  geringer  Abweichung  gegen  Südnord  und  ist  fünf 
Schritte  von  der  Zwillingsspalte  entfernt.  Die  Spalte  bildet 
mit  dem  Streichen  des  festen  Gesteins  und  dem  Spalt  der 
Zwillingsquelle  einen  sehr  spitzen  Winkel.  Die  Spalten  dieser 
beiden  Quellen  setzen  in  aplitischem  Gneiss  mit  breiten,  grün¬ 
lich  schimmernden  Flasern  von  schuppigem  Sericit  auf.  Er 
besteht  aus  Mikroklin,  Albit,  Quarz,  Muscovit  (Sericit),  wenig 
Chlorit,  Epidotkörnchen,  Rutilfasern  in  Chlorit  und  führt  kleine 
Würfelchen  und  Körnchen  von  Schwefelkies. 

Die  Quellspalte  im  Rudolf-Stollen  hat  ein  Streichen  von 
Ostwest  mit  geringer  Abweichung  gegen  Südnord,  in 
ihrem  Verlauf  übereinstimmend  mit  der  weniger  heisses  Wasser 
liefernden  Quellspalte  des  Franz  Josef-Stollens.  Eine  von  der 
Decke  der  Quellhöhle  genommene  Gesteinsprobe  ist  ein  körnig- 
flasiger,  durch  Biotit  dunkel  gefleckter,  Kataklase  zeigender 
Gneiss,  bestehend  aus  Mikroklinperthit  (die  grossen  Individuen), 
Albit,  Quarz,  Chloritpseudomorphosen  nach  Biotit,  wenig 
Muscovit,  Epidot  (auch  Orthit),  Titanit  und  Schwefelkies¬ 
körnchen.  Die  Probe  gleicht  dem  Gneiss  des  Rathhausberges 
und  ich  halte  es  für  möglich,  dass  sie  nicht  dem  anstehenden 
Fels  angehört. 

Die  Quellen  im  Elisabeth- Stollen  und  Chorinski-Stollen 
sind  vollständig  mit  Mauerwerk  verkleidet  und  für  eine 
genauere  Beobachtung  der  Quellenspalten  unzugänglich. 

Die  unmittelbar  unter  dem  Speisesaal  des  Hotel  Strau¬ 
binger  entspringende  und  ungefasste  Quelle  tritt  aus  einer 
Felsspalte  aus,  die  eine  Streichrichtung  von  Siidostost  nach 
Nordnordwest  hat  und  im  selben  aplitischen  Gneiss  aufsitzt, 
wie  die  Quellen  im  Franz  Josef-Stollen.  Stellenweise  sind  die 
Wände  der  Spalte  mit  einer  dünnen  Kruste  von  Kalksinter 
überzogen. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


P.20 


Die  Fledermausquelle  rieselt  aus  einem  mannshohen 
offenen  Höhlenraum  hervor,  dessen  Ausweitung  seinerzeit 
künstlich  hergestellt  wurde.  Im  Streichen  des  Höhlenganges 
begleitet  die  Spalte  ein  an  der  Decke  auftretender,  1  m  mäch¬ 
tiger  weisser  Gang  von  Quarz  mit  einer  Streichrichtung  von 
Nordnordost  nach  Südsüdwest.  Das  Nebengestein  ist  ebenfalls 
kieselhaltiger,  aplitischer  Gneiss. 

Die  sachkundigsten  Beobachtungen  im  Quellenterrain 
hat  Reissacher  angestellt.  Seine  Aufzeichnungen  stimmen 
mit  den  obigen  nahe  überein.  Zieht  man  auch  dessen  Auf¬ 
zeichnungen  über  die  Grabenbäckerquelle  und  die  Wasserfall¬ 
quelle  zum  Vergleiche  heran  und  stellt  man  alle  an  den  Spalt¬ 
öffnungen  bestimmten  Streichrichtungen  zusammen,  so  ergibt 
sich  die  Thatsache,  dass  die  Quellspalten  zwei  Spaltensystemen 
angehören,  von  denen  das  eine  an  der  Ostwestlinie  und  das 
andere  an  der  Nordsüdlinie  sich  zusammenschaart.  Beide  Spal¬ 
tensysteme  gehen  einander  ins  Kreuz.  Diese  beiden  Richtungen 
fallen  mit  den  Kluftflächen  zusammen,  nach  denen  die  Gneiss- 
bänke  sich  in  parallelopipedische  Stücke  absondern.  Man 
könnte  also  diese  Klüfte  als  die  wahrscheinlichen  Rinnen  be¬ 
zeichnen,  auf  denen  das  Wasser  den  Quellen  zufliesst.  Es  ist 
aber  gewiss  nicht  wahr,  dass  das  Thermalwasser  von  weit  her 
auf  diesen  Kluftrichtungen  andringt.  Die  Bankung  und  die 
erwähnte  regelmässige  Zerklüftung  des  Gneisses  ist  mehr  eine 
Function  an  der  Oberfläche  des  Gesteins  und  kann  nicht  in 
ungemessene  Tiefen  hinabgreifen.  Cotta  hat  die  Quellen  von 
Gastein  ebenfalls  besucht  und  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass 
das  Hervortreten  der  heissen  Quellen  in  Bad  Gastein  nach 
Art  der  communicirenden  Röhren  zu  erklären  sei,  wobei  er 
an  das  Zusitzen  der  Gewässer  aus  den  höher  gelegenen  Gebirgs- 
theilen  dachte.  Erst  vor  kurzer  Zeit  hat  auch  Geheimrath 
v.  Gümbel  gelegentlich  des  Studiums  der  Quellenverhält¬ 
nisse  von  Bormio  die  Ansicht  ausgesprochen,  »es  sei  auch  für 
die  Thermen  von  Gastein  wahrscheinlich,  dass  einfach 
ein  Niedersinken  von  Schmelzwasser  auf  den  benachbarten 
höchsten  Gebirgstheilen  der  Tauernkette  in  das  Innere  des 
Gebirgsmassivs  bis  auf  das  Niveau  von  Gastein  genügt,  um 
dem  Wasser  den  hohen  Wärmegrad  zu  ertheilen,  mit  dem  es 
zu  Gastein  gleichfalls  ohne  irgend  beträchtlichen  Druck  wahr¬ 
nehmen  zu  lassen,  zu  Tage  tritt.«  Ich  habe  schon  oben  er¬ 
wähnt,  dass  die  Tektonik  des  Rathhausberger  Gneissmassivs 
für  diese  Anschauung  über  die  Entstehung  der  Quellen  un¬ 
günstig  ist. 

Reissacher  hält  für  das  Andringen  der  Quellen  die 
Trennungsflächen  des  Gneisses  für  massgebend.  Es  muss  nun 
zugegeben  werden,  dass  die  Trennungsflächen  des  Gneisses  für 
das  Andringen  des  The. mal wassers  in  der  Nähe  der  Ober¬ 
fläche  entschieden  von  Bedeutung  ist.  Bei  der  Vertheilung  von 
18  Quellen  auf  einem  Flächenraum  von  nicht  mehr  als  200  m2 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  Wasserzufluss  auf  eine  einzige 
Urquelle  zurückzuführen  ist,  die  auf  einem  Risse  in  der  Tiefe 
des  Gneisses  aufsteigt  und  sich  erst  in  der  Nähe  der  Gneiss- 
oberfläehe  nach  den  Kluftflächen  des  Gneisses  verzweigt. 
Solche  Erscheinungen  kann  ein  Erdbeben  hervorrufen.  Ein 
durch  ein  Erdbeben  in  Bewegung  gebrachter  Gneisskörper 
wird  sich  an  der  Oberfläche  unbedingt  nach  seinen  Kluftflächen 
theilen  und  parallele  Spalten  werfen.  Ein  Auseinandersitzen 
der  Felsen  nach  Kluftflächen  kann  man  in  schichtigen  Hoch¬ 
gebirgen  vielerorts  sehen.  Man  dürfte  der  Wahrheit  am 
nächsten  kommen,  wenn  man  die  Entstehung  der  Gasteiner 
Quellen  mit  einem  tektonischen  Vorgänge,  der  sich  an  der 
Nordgrenze  des  Gneissgebirges  abgespielt  hat,  in  Verbindung 
bringt. 

Der  älteste  kenntnisreiche  Schilderet'  des  Gasteiner  Ge¬ 
birges,  Rus  segge  r,  äussert  eine  ähnliche  Anschauung  und 
»setzt  die  Entstehung  der  Quellen  in  die  Zeit  jener  zer¬ 
störenden  Katastrophe,  die  den  Einsturz  des  Stuhlgebirges  und 
des  Graukogels  bewirkte,  eine  Periode,  in  die  vielleicht  auch 
die  Geburt  der  benachbarten  Mineralquellen  in  Rauris,  Fusch 
und  Grossari  fällt«.  Ergänzend  fügt  er  hinzu:  »Eine  ähnliche 
Erscheinung  kann  sie  auch  wieder  verschwinden  machen, 
denn  Erdbeben  sind  in  der  Centralkette  keineswegs  fremd  « 

O 

* 


Die  letzte  Analyse  des  Gasteiner  Thermalwassers  stammt 
aus  dem  Jahre  1863;  seither  sind  also  nahezu  vier  Decennien 
verflossen  und  die  Curcommission  in  Bad  Gastein  hielt  es 
daher  für  angemessen,  eine  neue  Analyse  zu  veranlassen.  Wir 
haben  dem  an  uns  ergangenen  Ansuchen  entsprochen  und  das 
Wasser  der  Hauptquelle  (oder  Elisabeth-Quelle)  aualysirt.  Die 
erforderlichen  Vorarbeiten  haben  wir  am  5.  September  1899 
an  der  Quelle  vorgenommen  und  am  selben  Tage  die  für  die 
Analvse  nöthige  Wassermenge  in  Flaschen  gefüllt,  die  dann, 
gut  verkorkt,  ins  Laboratorium  transportirt  wurden. 

Für  die  physikalische  Untersuchung  des  Wassers  haben 
wir  dasselbe  an  der  Quelle  in  Flaschen  aus  geeignetem  Glase 
und  in  einer  Flasche  aus  Platin  aufgefangen;  diese  Flaschen 
wurden  vollständig  mit  dem  Wasser  gefüllt  und  mit  gut 
passenden  Glasstöpseln,  respective  mit  eingeschliffenem  Platin¬ 
stöpsel  dicht  verschlossen. 

Das  frisch  geschöpfte  Thermalwasser  ist  vollkommen 
klar,  farblos,  geruchlos  und  ohne  auffallenden  Geschmack;  es 
reagirt  neutral.  Bei  längerer  Berührung  mit  der  Luft  scheidet 
sich  ein  spärlicher  weisser  Niederschlag  ab,  der  sich  in  ver¬ 
dünnter  Salzsäure  löst,  rasch  erfolgt  diese  Ausscheidung,  wenn 
das  Wasser  gekocht  wird. 

Nach  dem  Ergebniss  der  qualitativen  Analyse  sind  in 
dem  Thermalwasser  folgende  Bestandtheile  gelöst:  Kalium, 
Cäsium,  Rubidium,  Natrium,  Lithium,  Calcium,  Strontium, 
Magnesium,  Eisen,  Aluminium,  Mangan,  Arsen,  Chlor,  Fluor, 
Schwefelsäure,  Borsäure,  Kieselsäure,  Phosphorsäure,  Titan¬ 
säure,  Kohlensäure,  flüchtige  organische  Säuren. 

Cäsium,  Rubidium,  Aluminium,  Arsen,  Titansäure  und 
die  flüchtigen  organischen  Säuren  finden  sich  in  dem  Wasser 
nur  spurenweise  vor,  sie  wurden  daher  nur  qualitativ  nach¬ 
gewiesen,  alle  übrigen  gelösten  Bestandtheile  wurden  quanti¬ 
tativ  bestimmt. 

Diese  Bestimmungen  ergaben  folgende  Mittelwerthe  für 
10.000  Gewiehtstheile  des  Thermalwassers: 

Kaliumoxyd . 

Natrium  oxyd . 

Lithiumoxyd . 

Calciumoxyd . 

Strontiumoxyd . 

Magnesiumoxyd . 

Eisenoxyd . 

Manganoxyduloxyd . 

Schwefelsäureanhydrid . 

Borsäureanhydrid . 

Kieselsäureanhydrid . 

Kohlensäureanhydrid . 

Phosphorsäureanhydrid . 

Chlor . 

Fluor  . 

Organische  Substanz . 

Cäsium,  Rubidium,  Aluminium,  Arsen,  \ 

Titansäure,  flüchtige  organische  Säuren  j 

Controlsulfate  gefunden . 3'312 

Controlsulfate  berechnet . 3"291 

Specifisches  Gewicht . 1 '000367 

Quellentemperatur . 491°  C. 

Wenn  man  diese  Bestandtheile  zu  Salzen  gruppirt, 
so  erhält  man  für  10.000  Gewiehtstheile  Wasser  folgende 
Zahlen: 


Schwefelsaures  Kalium . 0'067 

Schwefelsaures  Natrium . L859 

Borsaures  Natrium .  0  059 

Phosphorsaures  Natrium .  0  002 

Chlornatrium . 0  416 

Fluornatrium . 0012 

Fluorlithium .  0007 

Fluorcalcium .  0030 

Kohlensaures  Calcium . 0'496 9) 


0036 
1061 
0004 
0-299 
0-006 
0007 
0020 
0  002 
1078 
0  041 
0410 
0507 
0001 
0  252 
0025 
0  008 

Spuren 


9)  Entspricht  0'804  Calciumbicarbonat. 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


621 


Kohlensaures  Strontium .  0009’°) 

Kohlensaures  Magnesium . 0015  u) 

Kohlensaures  Eisen .  0  029  12) 

Kohlensaures  Mangan .  0  004  l3) 

Kieselsäureanhydrid . 0410 

Organische  Substanz . 0‘008 

Cäsium,  Rubidium,  Aluminium,  Arsen,}  g  en 
Titansäure,  flüchtige  organische  Säuren )  1 

Kohlensäure,  halb  gebunden . 0"242 

Kohlensäure,  frei . 0023 

Summe  der  festen  Bestandtheile  .  .  .  3"415. 


Wenn  man  nach  dem  Vorschläge  von  C.  v.  Than  die 
chemische  Zusammensetzung  des  Gasteiner  Thermalwassers  in 
Aequivalentprocenten  der  Bestandtheile  ausdrückt,  so  ergibt 
sich  die  folgende  Darstellung: 


Quelle  einerseits  in  einer  Platinflasche,  andererseits  in  Glas¬ 
flaschen  aufgefangen  ,0).  Der  Widerstand  dieses  Wassers  wurde 
in  einem  Gefässchen,  dessen  Widerstandscapacität  P2455  '  10 
betrug,  bei  verschiedenen  Temperaturen  ermittelt.  Dabei 
wurden  folgende  Werthe  für  das  in  der  Platinflasche  verwahrte 
Wasser  erhalten: 


Temperatur  in 

Leitvermögen  in 

Graden  Celsius 

reciproken  Ohms 

45-7 

0-6851  •  IO-7 

455 

0-6797  •  IO-7 

44-4 

0-6675  •  IO-7 

40-2 

0  6186  •  10  7 

230 

0-4409  •  IO-7 

200 

0-4152  •  10~7 

7  0 

0-3006  •  10  -7 

5-2 

0-2826  •  10-  7 

K  . 
Na  . 
Li  . 

y2  Ca 
V2Sr 
Va  Mg 
V2  Fe 
v2  Mn 


y2  &  o.j  . 

V‘2  B4  O7 
CO3H  . 
CI  .  . 
Fl  .  . 


C02 

Si  09 


1-636 
72-849 
0-616 
22-796 
0234 
0701 
1062 
0  106 


57  340 
1-253 
23-476 
15148 
2783 


1-126 

14-531. 


100 


100 


* 

Die  in  dem  Thermalwasser  absorbirten  Gase  wurden 
durch  Auskochen  unter  Anwendung  einer  G  e  i  s  s  1  e  r’schen 
Quecksilber-Luftpumpe  gewonnen.  Dabei  erhielt  man  aus  1 1 
Wasser  33-84cm31t)  eines  Gasgemenges,  welches  bei  der  Ana¬ 
lyse  folgende  Zusammensetzung  zeigte: 


Kohlensäureanhydrid  10"9% 
Sauerstoff  ....  15"3% 

Stickstoff  ....  73”8% 

100-0. 


Frei  aufsteigende  Quellengase  wurden  an  keiner  Stelle 
des  Stollens  der  Elisabeth  Quelle  beobachtet,  dagegen  zeigen 
sich  in  der  Grabenbäcker  Quelle  ab  und  zu  Gasblasen,  die  aus 
Gesteinsspalten  am  Boden  des  Quellbeckens  austreten. 

Mit  Aufwand  von  viel  Geduld  ist  es  gelungen,  im  Ver¬ 
laufe  von  zwei  Tagen  ungefähr  20  cm*  von  diesem  Gase  auf¬ 
zusammeln.  Die  Analyse  desselben  ergab: 

Kohlensäureanhydrid  2-86% 

Sauerstoff  ....  2  "36% 

Stickstoff  ....  94-78%  15). 


Ein  brennbares  Gas  ist  weder  in  dem  durch  Auskochen 
aus  dem  Thermalwasser  gewonnenen  Gasgemische,  noch  in 
dem  Quellengas  der  Grabenbäckerquelle  enthalten. 

* 

Zur  Bestimmung  des  elektrolytischen  Leitvermögens 
wurde,  wie  schon  früher  erwähnt,  das  Thermalwasser  an  der 


lu)  Entspricht  0'013  Strontiumbicavbonat. 
n)  Entspricht  0’026  Magnesiumbicarbonat. 

13)  Entspricht  0  045  Eisenbicarbonat. 

13)  Entspricht  0  006  Manganbicarbonat. 

,4)  Auf  0°  und  1  Atmosphäre  berechnet. 

15)  Uie  Prüfung  auf  Argon  war  wegen  der  kleinen  Menge  des  zu)- 
Verfügung  stehenden  Gases  nicht  auszuführen, 


Analoge  Bestimmungen  wurden  mit  dem  in  Glasflaschen 
verwahrten  Thermalwasser  ausgeführt;  das  Leitvermögen  dieser 
Wasserproben  wurde  regelmässig  etwas  grösser  gefunden,  wie 
die  folgenden  Zahlen  zeigen: 


Temperatur  in 
Graden  Celsius 

455 

4P2 

16-6 

16-4 


Leitvermögen  in 
reciproken  Ohms 

0-6920  •  10  7 
0-6374  •  10  7 
0  3913  •  IO-7 
0  3940  •  IO-7. 


Wiener  Hochquellenwasser  gab  bei  solchen  Bestim¬ 
mungen  : 


Temperatur  in 
Graden  Celsius 


15-0 
15  1 


Leitvermögen  in 
reciproken  Ohms 

0-2417  •  10  7 
0-2422  •  IO-7. 


Vor  ungefähr  15  Jahren  hat  A.  v.  Waltenhofen17) 
die  Leitfähigkeit  des  Gasteiner  Thermalwassers  aus  neun 
Quellen  bestimmt.  Zwischen  den  Resultaten  dieser  Bestim¬ 
mungen  und  den  hier  verzeichneten  bestehen  keine  erheblichen 
Differenzen. 

Die  Gefrierpunktsdepression  wurde  für  das  Thermal¬ 
wasser  der  Elisabeth  Quelle  im  Mittel  aus  drei  A  ersuchen  zu 
0'012°  C.  gefunden.  18) 

Gasteiner  Trink wasser  aus  der  Schachenleitung  zeigte 
keine  wahrnehmbare  Depression  des  Gefrierpunktes,  seilte 
Leitfähigkeit  wurde  gefunden : 


Temperatur  in 
Graden  Celsius 
110 
10-6 


Leitvermögen  in 
reciproken  Ohms 

5-211  •  10~9 
5-121  •  IO-9. 


Die  Frage,  ob  die  chemische  Zusammensetzung  des 
Gasteiner  Thermalwassers  im  Laufe  der  Zeit  unverändert 
geblieben  ist,  lässt  sich  nur  mit  Hilfe  der  Resultate  solcliei 
Analysen  erörtern,  welche  nach  verlässlichen  Methoden  aus¬ 
geführt  sind;  als  solche  können  erst  die  Analysen  aus  dem 
XIX.  Jahrhunderte  gelten,  deren  Ergebnisse  in  der  folgenden 
Tabelle  zusammengestellt  sind. 

Aus  den  Untersuchungen  von  A.  v.  Waltenhofen 
über  das  elektrolytische  Leitvermögen,  welches  sich  auf  das 
Thermalwasser  von  neun  Gasteiner  Quellen  erstrecken,  kann 
in  Folge  der  übereinstimmenden  Resultate  geschlossen  werden, 
dass  das  Wasser  dieser  neun  Quellen  gleich  oder  doch  nahezu 


leich  zusammengesetzt  ist. 


'0  Diese  Bestimmungen,  sowie  die  Ermittlung  des  Gefrierpunktes  bat 

err  Dr.  R.  v.  Z  e  y  n  e  k  ausgeführt. 

17)  A.  v.  Waltenhofen,  lieber  die  Thermen  von 
tzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften 

.  Abtheilung,  Bd.  XCII.  .  •> 

iq  V.  Ko  stk  e  wie*  fand  die  Gefrierpunktsermedrigung  des 

hermalwassers  0  010°;  siehe:  Therapeutische  Monatshefte.  1899,  Hett  11. 


m 


Gastein. 
Wien. 


622 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


P 


1828 

1836 

1845 

1863 

1900 

Kaliumoxyd  .... 

0T15 

0-038 

0008 

0-073 

0036 

Natriumoxyd 

1086 

1085 

1-146 

1137 

1061 

Lithiumoxyd 

— 

— 

— 

0009 

0-004 

Calciumoxyd 

0247 

0-289 

0-265 

0109 

0-299 

Strontiumoxyd  .  .  . 

— 

Spur 

Spur 

Spur 

0  006 

Magnesiumoxyd 

0006 

0  021 

0017 

0-008 

0007 

Eisenoxyd  .... 

0  043 

0-019 

0046 

0  004 

0-020 

Aluminiumoxyd 

0016 

0027 

0022 

0003 

Spur 

Manganoxyduloxyd  . 

0011 

Spur 

0017 

Spur 

0002 

Schwefelsäureanhydrid 

1051 

1129 

1-118 

1-236 

1-078 

Borsäureanhydrid  . 

— 

— 

— 

— 

0041 

Phosphorsäureanhydrid 

0022 

0038 

0031 

0-004 

0001 

Kieselsäureanhydrid  . 

0-431 

0  263 

0314 

0-496 

0-410 

Kohlensäureanhydrid  . 

0-526 

0  524 

0-351 

0-502 

0-507 

Chlor . 

0-311 

0-268 

0-289 

0283 

0251 

Fluor  . 

Spur 

— 

Spur 

Spur 

0025 

Cäsium,  Rubidium,  | 
Arsen,  Titan  säure  | 
Organische  Substanz  . 

Spuren 

Spuren 

— 

Spur 

Spur 

— 

0-008 ,9) 

Summe  der  festen  Be- 

standtheile 

3539 

3380 

3490 

3-899 

3-415. 

Diese  tabellarische  Zusammensetzung  lehrt  zunächst,  dass 
die  zu  verschiedenen  Zeiten  ausgeführten  Analysen  gleich- 
bleibende  Concentration  des  Gasteiner  Thermalwassers  nach¬ 
gewiesen  haben,  denn  die  vorhandenen  Differenzen  liegen  in 
den  Grenzen  der  Versuchsfehler,  zumal,  wenn  man  erwägt, 
dass  die  Zahlen  nach  verschiedenen  Methoden  und  von  ver¬ 
schiedenen  Analytikern  gewonnen  wurden.  Auch  bezüglich 
der  einzelnen  Bestandteile,  soweit  dieselben  quantitativ  be¬ 
stimmt  wurden,  herrscht  genügende  Uebereinstimmung.  Grosse 
Sorgfalt  hat  F.  U  1 1  i  k  auf  die  Analyse  verwendet,  wie  dem 
Einen  von  uns20)  aus  eigener  Anschauung  bekannt  ist;  wenn 
gleichwohl  zwischen  den  Resultaten  von  Ul lik’s  Analyse  und  den 
unseren  in  manchen  Stücken,  wie  z.  B.  in  der  Kalkbestim¬ 
mung,  erheblichere  Unterschiede  bestehen,  so  dürfte  dies 
darauf  zurückzuführen  sein,  dass  Ullik  zu  den  meisten  Be¬ 
stimmungen  leider  den  Abdampfrückstand  verwendete,  welcher 
in  Gastein  durch  Abdampfen  von  Thermalwasser  in  einer 
Porzellan  schale  dargestellt  worden  war. 

Was  die  durch  unsere  Analyse  erlangten  Fortschritte  in 
der  Kenntniss  der  Zusammensetzung  des  Gasteiner  Thermal¬ 
wassers  betrifft,  so  ist  vor  Allem  hervorzuheben,  dass  wir  die 
Borsäure  als  Bestandtheil  desselben  nachgewiesen  haben,  ferner 
dass  wir  zuerst  Strontium,  Mangan,  Fluor  und  die  organische 
Subst  anz  quantitativ  bestimmt  haben.  In  keiner  der  älteren 
Analysen  wurde  die  Borsäure  aufgefunden  und  die  vier 
genannten  Bestandteile  sind  früher  nur  qualitativ  nachgewiesen 
worden. 

Die  Gasteiner  Thermen,  welche  zu  den  Akratothermen 
gezählt  werden,  gehören  zweifellos  zu  den  interessantesten 
Mineralquellen,  deren  chemische  Zusammensetzung  wir  kennen; 
das  W  asser  derselben,  relativ  arm  an  festen  Stoffen,  ist  durch 
die  grosse  Mannigfaltigkeit  derselben  ausgezeichnet,  ja  in 
dieser  Hinsicht  ein  Unicum.  Während  die  Gesammtmenge  der 
festen  Bestandteile  nicht  mehr  beträgt,  als  in  einem  gewöhn¬ 
lichen,  etwas  härteren  Quell-  oder  Brunnenwasser,  finden  sich 
in  quantitativ  bestimmbarer  Menge  Lithium,  Strontium,  Mangan, 
Bors  äure,  Phosphorsäure,  Fluor,  und  überdies  qualitativ 
deutlich  nachweisbar:  Cäsium,  Rubidium,  Arsen,  Titan¬ 
säure.  Alle  diese  Bestandtheile  kommen  bekanntlich  in  Mineral¬ 
wässern  gewöhnlich  nur  neben  grossen  Quantitäten 
von  Salzen  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  vor. 

* 

l9)  Inclusive  flüchtige  organische  Säuren. 

'")  Ich  habe  gleichzeitig  mit  U 1 1  i  k  in  den  Sechziger-Jahren  im 
Laboratorium  von  Jos.  Redtenbacher  gearbeitet.  E.  Ludwig. 


Zum  Schlüsse  wollen  wir  noch  die  Resultate  der  Unter¬ 
suchung  von  zwei  Trinkwässern  anftihren,  mit  welchen  durch 
zwei  Leitungen,  Schachenleitung  und  Kohlgrubenleitung,  Bad 
Gastein  versorgt  wird. 

Das  Wasser  aus  beiden  Leitungen  ist  klar,  farblos, 
geruchlos  und  geschmacklos;  aus  demselben  scheidet  sich  selbst 
nach  monatelangem  Stehen  in  verkorkten  Flaschen  kein  Boden¬ 
satz  ab.  Durch  die  qualitative  Analyse  wurde  die  Abwesenheit 
von  Ammoniak,  salpetriger  Säure  und  Salpetersäure,  sowie  das 
nur  spuren  weise  Vorhandensein  von  Chloriden  und  Sulfaten 
festgestellt. 


Die  quantitative  Analyse 

ergab  für  1  l 

Wasser: 

Schachen- 

Kohlgruben- 

leitung 

leitung 

Summe  der  festen  Bestandtheile  00510*7 

0  0270*7 

Kieselsäureanhydrid 

.  .  0  0038*7 

0  0017*7 

Calciumoxyd . 

.  .  0-0179  g 

0  0047  <7 

Magnesiumoxyd  .... 

.  .  0  0010^ 

0-0006  g 

Organische  Substanz  .  . 

.  .  00026  t/ 

0-0056y. 

Bemerkenswerth  ist  die  geringe  Härte  dieser  beiden 
Wässer,  besonders  die  des  Wassers  der  Kohlgrubenleitung, 
welche  nur  05  deutsche  Härtegrade  beträgt. 


Aus  der  neurologischen  Klinik  in  Wien  (Vorstand:  Prof. 

Freiherr  v.  Krafft-Ebing). 

Basedow’sche  Krankheit  mit  Myxödem- 

symptomen. 

Yon  Docent  Dr.  Josef  A.  Hil'SChl,  klinischem  Assistenten. 

Nach  einer  Demonstration  im  Vereine  für  Psychiatrie  und  Neurologie  am 
14.  November  1899.  Siebe:  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Bd.  XII, 

pag.  1271. 

Kowalewsky  beobachtete  im  Jahre  1890  bei  einer 
Basedow-  Kranken  Myxödemsymptome.  Seither  ist  über  eine 
Reihe  von  ähnlichen  Fällen  in  der  Literatur  berichtet  worden. 
Diese  Fälle  sind  nicht  sehr  zahlreich.  Sie  lassen  sich  im  Allge¬ 
meinen  in  zwei  Gruppen  sondern. 

Die  erste  Gruppe  umfasst  Fälle,  in  denen  zunächst  eine 
Erkrankung  an  Morbus  Basedowii  sich  constatiren  liess,  nach¬ 
her  die  Symptome  der  B  a  s  e  d  o  w’sehen  Krankheit  z  trück- 
traten,  und  nach  dem  Zurücktreten  der  B  as  e d o  w’schen 
Krankheit  sich  ein  typisches  Myxödem  entwickelte.  Solche 
Fälle  veröffentlichten  Joffroy  und  Achard,  H.  Williams, 
J.  Put  n  a  m  und  W.  W.  Bald  w  i  n. 

In  die  zweite  Gruppe  gehören  die  Fälle  von  P.  Sol  Her 
und  v.  Jak  sch,  in  denen  im  Verlaufe  eines  Morbus  Base¬ 
dowii  einzelne  Symptome  des  Myxödems  auftraten.  Solche 
Einzelsymptome  waren  meist  Symptome  von  Seite  der  Haut; 
im  Falle  von  v.  Jaksch  kam  zu  den  myxödematösen  Ver¬ 
änderungen  der  Haut  noch  eine  sehr  wichtige  Erscheinung 
hinzu:  die  Steigerung  der  mechanischen  Erregbarkeit  des 
Nervus  facialis. 

Die  eben  citirten  Fälle  standen  P.  J.  Möbius1)  zur 
Verfügung,  als  er  1896  seine  Monographie  Uber  den  Morbus 
Basedowii  veröffentlichte. 

Möbius  vertritt  in  dieser  Arbeit  folgenden  Standpunkt: 
Die  B  a  s  e  d  ow’sche  Krankheit  ist  eine  Vergiftung  des  Körpers 
durch  krankhafte  Thätigkeit  der  Schilddrüse.  Der  Drüsen¬ 
erkrankung  folgt  nicht  nur  eine  Hyperthyroidisation,  sondern 
auch  eine  Dysthyroidisation ;  es  wird  also  nicht  nur  zuviel, 
sondern  auch  schlechter  Drüsensaft  geliefert.  An  die  Base- 
d  o  w’schen  Veränderungen  der  Schilddrüse  kann  sich  Schwund 
des  Drüsenparenchyms  anschliessen,  daher  können  Myxödem¬ 
symptome  zu  denen  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krankheit  hinzu¬ 
treten  oder  ihnen  folgen.  Den  Beweis  dieses  letzteren  Satzes 
sucht  Möbius  durch  die  oben  erwähnten  Fälle  der  Literatur 
zu  erbringen. 

!)  P.  J.  Möbius,  Die  Basedow’sche  Krankheit.  Wien  1896, 
Holder.  Bd.  XXII  der  8peciellen  Pathologie  und  Therapie,  herausgegeben  von 
Nothnagel. 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


623 


Beobachtungen,  welche  geeignet  sind,  das  Verhältniss 
zwischen  Myxödem  und  Morbus  Basedowii  zu  klären,  sind  seit 
dem  Erscheinen  des  Möbius’schen  Buches  nur  in  geringer 
Zahl  gemacht  worden. 

L.  Gautier2)  berichtet  einen  Fall,  indem  ein  typischer 
Morbus  Basedowii  von  einem  typischen  Myxödem  abgelöst 
wurde,  Mackenzie3)  und  Loew4)  veröffentlichten  Fälle 
von  Bas  edow’scher  Krankheit,  in  welchen  Hautverände¬ 
rungen  an  den  unteren  Extremitäten  beobachtet  wurden,  die 
an  Myxödem  erinnerten. 

Erwähnenswerth  ist,  dass  die  Hautveränderungen  im  Falle 
von  Mackenzie,  nicht  eindrückbare  Schwellungen  an  den 
unteren  Extremitäten,  durch  Thyreoidinbehandlung  nicht  be¬ 
einflussbar  waren. 

Der  folgende  Fall,  der  sich  den  ziemlich  spärlichen  Be¬ 
obachtungen  der  zweiten  Gruppe  anreiht,  wurde  an  der  Wiener 
Nervenklinik  beobachtet: 

Emma  M.,  33  Jahre  alt,  Kellnersfrau  aus  Lemberg,  wurde  am 
13.  November  1899  in  die  Klinik  aufgenommen. 

Der  Vater  der  Kranken  starb  im  Alter  von  54  Jahren  an 
Wassersucht.  Die  Mutter  ist  gegenwärtig  70  Jahre  alt  und  vollkommen 
gesund.  Drei  Geschwister  leben  und  sind  ebenfalls  gesund.  Keiner 
der  Verwandten  der  Kranken  litt  jemals  an  einer  Nerven-  oder 
Geisteskrankheit. 

Die  Kranke  ist  seit  dem  Jahre  1891  verheiratet,  hat  vier 
Kinder  im  Alter  zwischen  sieben  und  drei  Jahren.  Die  Kinder  sind 
vollkommen  gesund.  Im  December  1898  abortirte  die  Kranke  in  der 
sechsten  Graviditätswoche  ohne  bekannte  Veranlassung. 

Lotus  wird  negirt.  Für  Lues  findet  sich  kein  Anhaltspunkt. 

Im  Januar  1899  erkrankte  Frau  M.  an  Typhus  abdominalis.  Sie 
war  durch  zwei  Monate  ans  Bett  gefesselt  und  konnte  sich  seither 
nicht  mehr  recht  erholen. 

Anfangs  August  1899  fiel  die  Kranke  über  eine  Treppe,  stürzte 
einen  Halbstock  herunter,  ohne  sich  zu  verletzen  und  ohne  bewusstlos 
zu  werden,  erschrak  aber  dabei  sehr  heftig.  Im  Anschluss  an  diesen 
Schrecken  entwickelte  sich  allmälig  ein  Krankheitsbild,  bestehend  in 
starkem  Herzklopfen,  Vergrösserung  der  Schilddrüse,  Exophthalmus, 
auffallend  häufigen  Stuhlentleerungen  meist  diarrhoischen  Cha¬ 
rakters. 

Die  Kranke  wurde  leichter  erregbar  und  häufig  zornig. 

Ende  October  1899  Hessen  die  Herzpalpitationen  etwas  nach, 
die  Struma  wurde  härter,  esentwickelte  sich  eine  psychische  Störung, 
bestehend  in  Vergesslichkeit,  es  schwoll  an  den  unteren  Extremi¬ 
täten  die  Haut  an,  wurde  hart,  gleichzeitig  trat  eine  Verdickung  der 
Gesichtshaut  auf,  die  Haut  wurde  »für  das  Gesicht  zu  gross«,  so  dass 
über  den  unteren  Rand  des  Unterkiefers  zu  beiden  Seifen  ein  Haut- 
säckchen  herabhing,  während  das  Gesicht  früher  vollkommen 
glatt  war. 

Die  Menses,  welche  das  erste  Mal  im  14.  Lebensjahre  aufge¬ 
treten  waren,  erschienen  bis  zum  Zeitpunkte  der  Typhuserkrankung, 
von  den  Graviditätsanomalien  abgesehen,  vollkommen  regelmässig  in 
vierwöchentlichen  Lausen,  drei  bis  fünf  Tage  dauernd,  mässig  reich¬ 
lich,  gut  gefärbt.  Nach  dem  Typhus  traten  sie  nur  noch  im  August 
und  September  in  ihrer  gewöhnlichen  Form  auf  und  sind  seither 
(mehr  als  zwei  Monate)  ausgeblieben. 

Status  praesens,  aufgenommen  am  13.  November  1899: 

Mittelgross,  graciler  Knochenbau,  Cranium  hydrocephal,  mit 
blasiger  Vorwölbung  der  Seitenwandbeine  und  Lrotuberanz  der 
Tubera  frontalia,  Horizontalumfang  530  mm. 

Lanniculus  adiposus  ziemlich  reichlich,  Musculatur  im  Allge¬ 
meinen  kräftig,  die  Hautdecke  blass,  trocken,  die  sichtbaren  Schleim¬ 
häute  blass. 

Im  Gesichte  am  unteren  Rande  des  Unterkiefers  beiderseits 
ist  die  Haut  wulstartig  verdickt,  die  Haut  daselbst  zeigt  keine  siclit- 

2)  Gautier  Leon,  Symptomes  de  myxoedeme  ä  debut  cliez  une 
femme  anterieurement  atteinte  de  goitre  exoplithalmique.  Rev.  mod.  de 
la  Suisse  rom.  Nr.  11.  Referirt  im:  Jahresbericht  für  Neurologie  und  Psy¬ 
chiatrie.  1898,  pag.  899. 

3)  Mackenzie  H.,  On  oedema  iu  Graves’  disease.  Edinb.  med. 
Journal.  April  1897.  Referirt  im:  Jahresbericht  für  Neurologie  und  Psy¬ 
chiatrie.  1897,  pag.  933. 

4)  Loew  J.,  Ueber  das  Auftreten  von  Oedemen  bei  Morbus  Basedo¬ 
wii.  Wiener  medicinische  Presse.  1897,  Bd.  XXXVIII,  pag.  721. 


bare  Veränderung,  beim  Tasten  zeigt  sich  eine  teigige  Consistenz 
des  verdickten  Unterhautzellgewebes. 

Der  linke  Unterschenkel  erscheint  insbesondere  im  Antheile 
der  Diaphyse  stark  verbreitert.  Die  Verbreiterung  entspricht  einer 
Verdickung  der  Haut  und  des  Unterhautzellgewebes.  Die  Haut  er¬ 
scheint  rothbraun  verfärbt,  glanzlos,  wie  schmutzig,  vollkommen 
faltenlos,  an  manchen  Stellen  abschilfernd,  mit  erweiterten  Follikel¬ 
öffnungen,  in  denen  die  Haare  meist  fehlen.  Beim  Anfühlen  erweist 
sich  die  veränderte  Haut  als  deutlich  kälter  als  die  umgebenden 
Hautstellen,  sie  ist  trocken,  hart,  straff  gespannt,  die  Faltenbildung 
ist  unmöglich,  die  Haut  ist  nur  mit  der  Musculatur  über  dem  Knochen 
verschiebbar;  durch  Fingerdruck  ist  die  Haut  nicht  eindrückbar,  auch 
die  braunrothe  Verfärbung  wird  nur  an  manchen  Stellen  bei  Druck 
um  eine  Nuance  blässer.  Diese  Hautverdickung  setzt  sich  gegen  die 
normale  Haut  über  dem  Fussgelenke  ringförmig  ziemlich  scharf, 
geradezu  stufenförmig  ab,  während  die  Uebergänge  in  die  normale 
Haut  über  dem  Kniegelenke  ganz  allmälige  sind.  An  der  Haut  des 
Fusses  ist  kein  Oedem  nachweisbar.  Die  grösste  Circumferenz  des 
linken  Unterschenkels  beträgt  355  mm,  die  Circumferenz  in  der  Mitte 
desselben  335mm  und  die  Circumferenz  in  der  Supramalleolargegend 
242  mm.  Die  Sensibilität  der  veränderten  Haut  ist  nicht  gestört. 

An  der  rechten  unteren  Extremität  besteht  in  geringerer  Aus¬ 
dehnung  eine  ähnliche  Veränderung  mit  derselben  Localisation. 
Hier  lässt  sich  die  Haut  noch  in  Falten  legen,  wenn  auch  diese  sehr 
breit  sind.  Die  grösste  Circumferenz  dieses  Unterschenkels  beträgt 
gleichfalls  355mm,  der  Umfang  in  der  Mitte  345  mm  und  der  in  der 
Supramalleolargegend  225  mm.  Die  Sensibilität  über  den  veränderten 
Hautstellen  ist  intact. 

Die  Kranke  hat  einen  beiderseits  gleichmässig  ausgeprägten 
starken  Exophthalmus,  die  Augenbewegungen  sind  prompt,  das 
Gr  aefe’sche  Symptom  fehlt,  es  besteht  Insufficienz  der  Musculi 
interni,  im  Verlaufe  einer  Minute  werden  vier  Lidschläge  gezählt. 

Es  besteht  Struma,  der  rechte  Schilddrüsenlappen  ist  apfel¬ 
gross,  der  linke  ist  über  walnussgross,  die  Struma  ist  ziemlich  con¬ 
sistent,  fibrös;  an  der  Struma  hört  man  laute,  blasende,  systolische 
Geräusche  neben  der  Carotidenpulsation. 

Luis  96,  beim  Aufsetzen  108,  ohne  Besonderheiten;  Herzpalpi¬ 
tationen  gegenwärtig  fast  vollkommen  fehlend,  jedenfalls  geringer 
als  früher. 

Herzdämpfung  in  normalen  Grenzen;  die  Auscultation  des 
Herzens  ergibt  normale  Verhältnisse. 

Feinwelliger  Tremor  der  Finger. 

Die  Reflexe  sind  normal,  keine  gesteigerte  Erregbarkeit  des 
Nervus  facialis,  die  Latellarsehnenretlexe  lebhaft. 

Der  Uterus  ist  klein,  derb,  in  Anteversion,  frei  beweglich  (nach 
der  Begutachtung  durch  die  Klinik  Schauta  ist  der  Uterus 
atrophisch). 

Harnmenge  1400,  speciflsches  Gewicht  1020,  kein  Eiweiss,  kein 
Zucker  im  Harn;  alimentäre  Glykosurie  besteht  nicht:  nach  Ein¬ 
führung  von  150  (j  chemisch  reinen  Traubenzuckers  nach  dem  Er¬ 
wachen  beträgt  die  Harnmenge  1110#,  specitisches  Gewicht  1023,  die 
T  r  o  m  m  e  r’sche  Lrobe  fällt  negativ  aus. 

Bei  der  Kranken  ist  objectiv  eine  psychische  Störung  nicht 
festzustellen,  die  Intelligenz  der  Latientin  ist  eine  mässige,  die  Merk¬ 
fähigkeit  erscheint  nicht  auffallend  gestört.  Dies  steht  jedoch  im 
Widerspruche  mit  der  Angabe  der  Latientin,  dass  in  der  letzten  Zeit 
ihr  Gedächtniss  schlechter  geworden  sei.  Die  Kranke  ist  meist  traurig 
gestimmt,  motivirt  diese  Stimmung  mit  der  Kränkung  über  ihr 
Leiden. 

16.  November.  Luisfrequenz  144,  sonst  Status  idem. 

22.  November.  Luisfrequenz  152;  die  Sehwellung  der  Haut  an 
den  unteren  Extremitäten  scheint  etwas  abgenommen  zu  haben,  die 
Consistenz  der  Haut  ist  jedenfalls  eine  etwas  geringere,  bei  Finger¬ 
druck  wird  die  röthliche  Verfärbung  an  mehr  Stellen  blässer,  als  es 
zu  Anfang  der  Beobachtung  der  Fall  war,  jedoch  ist  die  Abnahme 
der  Verfärbung  nur  eine  geringe. 

Latientin  wird  am  22.  November  aus  der  Klinik  entlassen, 
eine  projectirt  gewesene  Thyreoidinbehandlung  musste  deshalb 
unterbleiben. 

Wiederholen  wir  aus  dieser  Krankheitsskizze  das  Wesent¬ 
lichste,  so  erhalten  wir  folgendes  Bild: 

Eine  unbelastete  Frau  erkrankt  an  Typhus  a  b  d  o- 
mi'nalis;  sie  wird  durch  diese  Erkrankung  geschwächt,  ein 


624 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


psychisches  Trauma  leitet  die  Entwicklung  einer  typi¬ 
schen  Basededow’schen  Krankheit  ein. 

Nach  kurzer  Zeit,  circa  zwei  Monaten,  lassen  die 
Herzpalpitationen  nach  —  ein  Ausdruck  des  Zurück¬ 
gehens  des  typischen  Morbus  Basedowii  —  und  es  entwickelt 
sich  nun  eine  Erkrankung  der  Gesichtshaut  und 
derHaut  der  unteren  Extremitäten,  eineUterus- 
atrophie  und  eine  allerdings  nur  der  Kranken  wahrnehm¬ 
bare  Vergesslichkeit. 

Die  Struma  ist  nunmehr  als  eine  vergrösserte 
fibröse  Schilddrüse  zu  tasten. 

Es  entsprechen  diese  Symptome  einem  Krankheitsbilde, 
welches  als  Uebergang  der  Basedo  w’s  chen  Krank¬ 
heit  in  das  Myxödem  mehrmals  beschrieben  worden  ist. 

Die  Veränderung  derHaut  im  Gesichte  ist 
wohl  der  des  Myxödems  in  den  Anfangsstadien  gleichzustellen, 
die  Hautveränderungen  an  den  unteren  Extre¬ 
mitäten  entsprechen  zwar  nicht  vollkommen  jenen  Ver¬ 
änderungen  der  Haut,  die  beim  Myxödem  beschrieben  worden 
sind,  doch  sind  einzelne  Veränderungen  an  der  Haut  der 
unteren  Extremitäten,  die  beim  Uebergange  des  Morbus  Base¬ 
dowii  in  Myxödem  beobachtet  wurden,  mit  unserem  Befunde 
fast  congruent. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  das  Auftreten  der  Genital- 
at  r  o  p  hie  im  Verlaufe  unseres  Falles.  Während  einige  Autoren5) 
die  Atrophie  der  Genitalien  als  eine  häufige  Erscheinung  bei 
Morbus  Basedowii  bezeichnen,  gehört  sie  nach  den  Unter¬ 
suchungen  von  Busch  an6)  und  Möbius7)  nicht  zum 
Krankheitsbilde  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krankheit.  Möbius 
hält  die  Genitalatrophie,  wenn  sie  beim  Morbus  Basedowii  auf- 
tritt,  direct  für  ein  Myxödemsymptom.  Ist  diese  Anschauung 
richtig,  dann  hätten  wir  ein  zweites  Symptom  des  Myxödems 
in  unserem  Falle. 

Als  ein  drittes  Symptom  des  Myxödems,  freilich  ein 
wenig  ausgesprochenes,  kann  vielleicht  die  psychische 
Veränderung  gelten,  welche  allerdings  objectiv  nicht  nach¬ 
weisbar  war. 

Von  grossem  Interesse  ist  das  Fehlen  einer  Reihe  von 
Erscheinungen,  die  wir  gewohnt  sind,  beim  Morbus  Basedowii 
zu  sehen;  ein  Theil  dieser  Erscheinungen  war  früher  gewiss 
vorhanden  und  ist  nunmehr  zurückgetreten,  ein  Zeichen  für 
das  Abklingen  des  Morbus  Basedowii. 

Es  ist  das  zunächst  das  Fehlen  der  Herzpalpi¬ 
tationen,  und  im  Anschluss  daran  die  für  einen  Morbus 
Basedowii  niedrige  Pulsfrequenz. 

Interessant  ist  die  Beobachtung,  dass  sich  schliesslich  an 
der  veränderten  Haut  des  Unterschenkels  mit  einer  Steigerung 
der  Frequenz  eine  wenn  auch  geringe,  doch  sichere  Consistenz- 
verminderung  feststellen  liess.  Es  ist  möglich,  dass  die  Bezie¬ 
hung  zwischen  Pulsfrequenz  und  Hautveränderung  wenigstens 
für  den  Anfang  einer  derartigen  Krankheit  constant  ist. 

Die  allgemeine  Hautdecke  zeigte  in  unserem 
F  alle  eine  auffallende  Trockenheit,  es  traten  bei  der 
Kranken  während  ihres  Aufenthaltes  in  der  Klinik  keine 
Schweisse  auf.  Die  Struma,  die  vordem  vasculös  gewesen 
sein  mag,  war  zur  Zeit  der  Beobachtung  hart,  fibrös. 

Es  möge  noch  hervorgehoben  werden,  dass  in  unserem 
F  alle  keine  alimentäre  Glykosurie  zu  consta- 
tiren  war. 

Kraus  und  Ludwig8),  sowie  C  h  v  o  s  t  e  k  9)  consta- 
tirten  bei  Morbus  Basedowii  alimentäre  Glykosurie;  Chvostek 
bezeichnete  diese  Glykosurie  als  ein  pathognomonisches  Sym¬ 
ptom  der  Basedowschen  Krankheit,  weil  er  sie  in  nahezu 
70%  der  untersuchten  Basedow-Fälle  nachweisen  konnte. 

5)  Friedrich  P  i  n  e  1  e  s,  Die  Beziehungen  der  Akromegalie  zum 
Myxödem  und  zu  anderen  Blutdrüsenerkrankuugen.  V  o  1  k  m  a  u  n's  Samm¬ 
lung  klinischer  Vorträge.  1899,  Neue  Folge.  Nr.  242,  pag.  1445. 

fi)  B  u  s  c  h  a  n,  Die  Basedo  w’sche  Krankheit.  Leipzig-  und 
Wien  1894,  Deuticke. 

")  Möbius,  1.  c.,  pag.  64. 

8)  Kraus  und  Ludwig,  Klinische  Beiträge  zur  alimentären  Gly¬ 

kosurie.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1891,  IV,  pag.  855. 

°)  Chvostek,  Ueber  alimentäre  Glykosurie  bei  Morbus  Basedowii. 

Wiener  klinische  Wochenschrift.  1892,  V,  pag.  251. 


Dieser  Befund  würde  sehr  gut  mit  einer  später  gemachten 
Erfahrung  stimmen;  es  gelang  nämlich,  bei  mit  Thyreoidea 
gefütterten  Individuen  gleichfalls  alimentäre  Glykosurie  nach¬ 
zuweisen.  Die  alimentäre  Glykosurie  erschien  somit  einfach  als 
ein  klinisches  Zeichen  der  Hyperthyreoidisation. 

Hermann  Strauss10),  welcher  die  Verhältnisse  bei 
Morbus  Basedowii  nachuntersuchte,  fand  jedoch  unter  19  Fällen 
nur  bei  drei  alimentäre  Glykosurie,  ein  Befund,  der  zu  den 
Befunden  von  K raus  und  Ludwig,  sowie  von  Chvostek 
eiuen  auffallenden  Gegensatz  bildet. 

Da  die  Krankengeschichten  von  Chvostek,  sowie  die 
von  Kraus  und  Ludwig  nicht  erkennen  lassen,  ob  es  sich 
in  ihren  Fällen  um  ein  florides  Stadium  des  Morbus  Basedowii 
handelte,  oder  ob  die  Erkrankung  nicht  einfach  ein  sehr 
chronischer  nervöser  Zustand  war,  welcher  durch  residuäre 
B  a  s  e  d  o  w  -  Symptome  complicirt  wurde;  da  ferner  bei 
Strauss  Krankengeschichten  überhaupt  nicht  publieirt  sind, 
so  ist  nicht  festzustellen,  ob  nicht  vielleicht  die  alimentäre 
Glykosurie  einem  gewissen  Stadium  des  Morbus  Basedowii 
entspricht.  Vielleicht  werden  weitere  Untersuchungen  lehren, 
dass  die  acut  sich  entwickelnde  Basedo  w’sche  Krankheit 
auf  der  Höhe  der  Erkrankung  stets  das  Symptom  der  alimen¬ 
tären  Glykosurie  zeigt,  während  im  Ablaufe  des  Morbus  Base¬ 
dowii,  namentlich  beim  Uebergange  zur  Genesung,  die  ali¬ 
mentäre  Glykosurie  nicht  mehr  nachzuweisen  ist. 

Verhält  sich  die  alimentäre  Glykosurie  beim  Morbus 
Basedowii  wirklich  in  dieser  Weise,  dann  entspricht  dieses 
Verhalten  vollkommen  den  Befunden  der  alimentären  Gly¬ 
kosurie  bei  Thyreoideaverftitterung  und  der  Theorie  des  Morbus 
Basedowii  von  Möbius.  In  diesem  Falle  würde  auch  das 
Fehlen  der  alimentären  Glykosurie  bei  unserer  Kranken  dem 
Abklingen  des  Morbus  Basedowii  entsprechen. 

Für  jene  Gruppe  von  Fällen,  an  welche  sich  unser  Fall 
anreiht,  hat  Möbius11)  folgende  Erklärung : 

»Man  muss  wohl  annehmen,  dass  die  Schilddrüse  in 
solchen  Fällen  zu  einem  Theile  atrophisch  ist,  während  in 
einem  anderen  Theile  noch  die  Basedo  w’sche  Veränderung 
besteht.« 

Es  könnte  nun  folgende  Frage  gestellt  werden:  Wäre 
nicht  zu  erwarten,  dass  der  Athyreoidisation,  welche  von  Myx¬ 
ödemveränderung  der  Schilddrüse  veranlasst  ist,  entgegengewirkt 
wird  durch  die  Hypersecretion  des  wenn  auch  schlechtes 
Secret  secernirenden  Drüsentheiles,  der  noch  die  Basedow- 
Veränderungen  zeigt? 

Gleichgiltig,  ob  diese  Frage  berechtigt  ist  oder  nicht, 
könnte  man  in  Anlehnung  an  ältere  Anschauungen  sich  Fol¬ 
gendes  vorstellen:  Die  Hyper-  und  Parasecretion  der  Schild¬ 
drüse  erzeugt  eine  Reihe  von  Symptomen  dadurch,  dass  zunächst 
gewisse  Veränderungen  an  bestimmten  Stellen  des  Nerven- 
systemes  hervorgerufen  werden. 

Diese  Veränderungen  im  Nervensystem  —  und  mit 
ihnen  die  entsprechende  Reihe  von  B  a  s  e  d  o  w  -  Symptomen 
—  könnten  noch  fortbestehen,  wenn  die  Hypersecretion  der 
Schilddrüse  bereits  zu  existiren  aufgehört  hat;  klinisch  ent¬ 
spräche  diesem  Zustande  eine  Heilung  des  Processes  mit 
Zurückbleiben  von  B  a  s  e  d  o  w  -  Symptomen. 

Diese  Veränderungen  im  Nervensysteme  könnten  dann 
auch  jenen  Zeitpunkt  überdauern,  in  welchem  die  Hyper¬ 
trophie  der  Schilddrüse  bereits  durch  ihre  Atrophie  abgelöst 
wird.  In  diesem  Sinne  gedeutet  ist  das  Vorkommen  von 
Basedow-  und  Myxödemsymptomen  bei  einem  Individuum 
verständlich. 


Ueber  Kolikschmerzen. 

Von  Dr.  med.  Robert  Lucke  in  Altenburg. 

Unter  Kolikschmerzen  verstehen  wir  nur  von  Organen 
der  Bauchhöhle  einschliesslich  des  Harnapparates  ausgelöste, 

I0)  Strauss  Hermann,  Zur  Lehre  von  der  neurogenen  und 
der  thyreogenen  Glykosurie.  Deutsche  medicinisclie  Wochenschrift.  1897, 
pag.  275. 

n)  Möbius,  1.  c.,  pag.  64. 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


625 


oder  iü  die  Bauchhöhle  projicirte  krampfartige,  mehr  oder 
weniger  starke,  anfallsweise  auftretende  Schmerzen.  Falls  der 
Charakter  der  Schmerzen  nicht  krampfartig  ist,  sprechen  wir 
nicht  von  Kolikschmerzen,  also  z.  B.  sind  die  beim  Durch¬ 
bruche  eines  Hohlorganes  in  die  freie  Bauchhöhle  auftretenden 
Schmerzen  nicht  Kolikschmerzen.  Kolikschmerzen  kommen 
vor  bei  Erkrankungen  des  Magen-Darmcanales,  der  grossen 
Bauchdrüsen  (Pankreas,  Niere)  und  ihrer  Ausführungswege  ’); 
ferner  ist  es  möglich,  dass  dieselben  Schmerzen  entstehen  nur 
von  den  diese  Organe  versorgenden  Nerven  aus,  ohne  dass 
die  Organe  selbst  nachweisbar  erkrankt  sind,  endlich  können 
sie  entstehen  nur  durch  abnorme  Vorgänge  im  Centralnerven¬ 
system  selbst.  Diese  beiden  letzteren  Kategorien  sollen  hier 
unberücksichtigt  bleiben;  von  den  dann  noch  in  Etage  kom¬ 
menden  Krankheiten  seien  genannt  Verengerungen  des  Pylorus, 
Darmkatarrhe,  Darmstenosen,  Darmverschluss,  Gallenstein¬ 
krankheit,  Nierenentzündungen,  Harnsteinkrankbeit,  Pankreas¬ 
entzündungen  und  Geschwülste,  Pankreassteinkrankheit. 

Haben  die  Organe,  von  denen  Kolikschmerzen  ausgehen 
können,  etwas  Gemeinsames,  was  zur  Erklärung  der  Schmerzen 
herangezogen  werden  könnte?  Allen  gemeinsam  ist  nur  die 
Beziehung  zum  Bauchfell,  mit  dieser  aber  ist  für  die  Er¬ 
klärung,  wie  die  Schmerzen  zu  Stande  kommen,  nichts  anzu¬ 
fangen;  eine  Gruppe  der  Organe  sind  Drüsen,  die  andere  ent¬ 
hält  musculäre  Wände.  Von  Alters  her  hat  man  gemeint,  dass 
Kolikschmerzen  durch  krampfhafte  Muskelcontractionen  ver¬ 
ursacht  werden.  Sollte  damit  nicht  eine  Erklärungsmöglichkeit 
gegeben  sein?  Nun,  auf  alle  Fälle  können  damit  nur  die  von 
den  Hohlorganen  ausgehenden  Schmerzen  erklärt  werden,  da 
z.  B.  Kolikschmerzen  bei  Nephritis  auf  diese  Weise  wohl 
kaum  erklärt  werden  können.  Zunächst  aber  müssen  wir  ver¬ 
suchen,  eine  gemeinsame  Ursache  für  die  Kolikschmerzen  zu 
finden,  und  nur  wenn  dies  nicht  gelingt,  müssten  wir  uns  zu 
der  Annahme  bequemen,  verschiedene  Entstehungsursachen  für 
die  Kolikschmerzen  zuzulassen. 

Vielleicht  kommen  wir  weiter,  wenn  wir  auf  anderem 
Wege  an  die  Frage  herangehlen!  Setzen  wir  den  Fall,  eine  an¬ 
geblich  bisher  ganz  gesunde  Frau,  Mitte  der  Dreissiger  Jahre,  die 
drei  normale  Geburten  gehabt  hat,  wird  um  Mitternacht 
plötzlich  von  einer  sehr  heftigen  Kolik  befallen,  deren  Sitz 
das  Epigastrium,  wie  die  Kranke  meint,  der  Magen  ist.  Der 
Schmerz  strahlt  in  den  Rücken,  zumal  in  die  rechte  Schulter 
aus.  Der  Patientin  ist  furchtbar  übel,  sie  muss  erbrechen  und 
fürchtet  zu  Grunde  zu  gehen.  Man  schickt  zum  Hausarzte, 
der  die  Frau  mit  erhöhter  Temperatur  und  kleinem,  beschleu¬ 
nigtem  Puls  stark  mitgenommen  findet.  Der  Leib  ist  hart 
gespannt,  gegen  jede  Berührung  sehr  empfindlich,  anscheinend 
mehr  in  der  rechten  Hälfte;  Näheres  lässt  sieh  nicht  fest¬ 
stellen.  Blähungen  sollen  nicht  abgehen,  die  Kranke  würgt 
heftig  und  erbricht  einige  Male  gallige  Flüssigkeit.  Patientin 
hat  das  Unglück  gehabt  in  die  Hände  eines  Arztes  zu 
fallen,  der  mit  dem  Morphium  zurückhaltend  ist,  und  jeden¬ 
falls,  ehe  er  sich  entschlösse  es  zu  geben,  die  Dia¬ 
gnose  gestellt  haben  möchte.  Seine  Verordnungen  sind  heisse 
Umschläge  auf  den  Bauch  und  Enthaltung  jeglicher  Aufnahme 
von  Speise  und  Trank.  Am  anderen  Morgen  sieht  der  Arzt 
wieder  nach,  er  trifft  die  Kranke  im  Allgemeinen  kaum  ver¬ 
ändert,  nur  sind  die  Schmerzen  zur  Zeit  etwas  geringer,  Ikterus 
besteht  nicht.  Es  gelingt  jetzt  festzustellen,  dass  hinter  der 
rechten  vorderen  Bauchwand  ein  Tumor  liegt,  seine  untere 
Grenze  liegt  etwas  oberhalb  der  Verbindungslinie  beider 
Spinae  sup.  ant.,  seine  Gestalt  ist  annähernd  gurkenförmig, 
nach  dem  Rippenbogen  zu  wird  er  breiter  und  lässt  sich  von 
der  Leber  nicht  abgrenzen;  respiratorische  Verschieblichkeit 
ist  vorhanden,  aber  in  wenig  ausgesprochener  Weise,  der  Tu¬ 
mor  liegt  unter  dem  Muscul.  rectus  und  ist  sehr  druck¬ 
empfindlich.  Der  Arzt  hält  die  Geschwulst  für  die  vergrösserte 
Gallenblase. 

Wegen  der  immer  noch  schweren  Erscheinungen  zieht 
er  einen  Chirurgen  hinzu,  der  sich  der  Meinung  des  Collegen 

])  Von  den  weiblichen  Genitalorganen  ausgehende,  sogenannte  Ko¬ 
liken  bleiben  hier  unberücksichtigt,  ausserdem  die  duicli  Gifte  (Blei, 
Veratrin,  Physostigmin)  hrrvorgerufpueji  Koliken. 


anschliesst  und  zur  Operation  räth.  Gegen  Abend,  also  noch 
nicht  24  Stunden  nach  Beginn  der  Erkrankung,  wird  die 
Operation  gemacht.  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  —  die 
Geschwulst  war  streckenweise  mit  dem  Parietalperitoneum 
verklebt  —  tritt  sogleich  die  sehr  vergrösserte  dunkelblau- 
rothe  Gallenblase  zu  Tage;  sie  ist  zum  Platzen  prall  gespannt 
und  mit  Netz  und  Colon  ebenfalls  verklebt.  Nach  Lösung  der 
frischen  Adhäsionen  wird  sie  aus  der  Bauchhöhle  herausge¬ 
hoben,  sie  überragt  den  Leberrand,  der  zungenförmig  ausge¬ 
zogen  ist,  um  4  oder  5  cm. 

Der  Inhalt  der  Blase,  deren  Wand  sehr  verdickt  ist,  ist 
tiübe  seröse  Flüssigkeit  —  mindestens  100cm:i  werden  ent¬ 
leert  —  ferner  eine  grosse  Zahl  grösserer  und  kleinerer  Maul¬ 
beersteine;  nachdem  nicht  ohne  Mühe  ein  grosser,  festsitzender 
Stein  aus  dem  Blasenhals  hervorgezogen  ist,  fliesst  Galle,  und 
durch  Palpation  sind  weitere  Concremente  nicht  nachweisbar. 
Die  Blase  wird  eingenäht  und  durch  ein  Gummirohr  drainirt 
etc.  Während  der  Nachbehandlung  wird  die  Blase  bei  jedem 
Verbandwechsel  gehörig  ausgespült  und  dabei  wird  jedes  Mal 
die  Beobachtung  gemacht,  dass  die  Patientin  bei  der  Anfüllung 
der  Blase  mit  der  Spülflüssigkeit  eine  Kolik  bekommt,  genau 
gleich  denjenigen,  welche  sie  in  ihrer  Erkrankung  hatte.  So¬ 
bald  die  Katheterspritze  entfernt  wird,  hört  auch  der  Schmerz 
auf.  Diese  experimentelle  Kolik  kann  nur  hervorgerufen  sein 
durch  die  acute  Spannung  der  Blasenwände  in  Folge  der 
schnellen  Zunahme  des  Innendruckes.2)  Der  Flüssigkeits¬ 
zufluss  geschieht  so  schnell,  dass  wenn  wirklich  etwas  Flüssig¬ 
keit  durch  den  Cysticus  abläuft,  doch  in  ganz  kurzer  Zeit 
der  Innendruck  über  die  Norm  wächst.  Genau  dieselbe  Beob¬ 
achtung  kann  man  an  operativ  angelegten  Hepaticus-  und 
Choledochusfisteln  machen.  Es  ist  klar,  dass  nichts  näher  liegt, 
als  auf  dieselbe  Art  den  Kolikschmerz  bei  der  natürlichen 
Kolik  auch  zu  erklären. 

Der  Abfluss  weg,  also  der  Ductus  cysticus  war  bei 
obigem  Beispiel  durch  den  Stein  im  Blasenhals  verlegt,  die 
schnelle  Flüssigkeitsvermehrung  in  der  Blase  und  damit  die 
schnelle  Zunahme  des  I unendruckes  ist  auf  die  entzündliche 
Secretion  der  Blasenschleimhaut  zurückzuführen,  dadurch  über¬ 
schritt  ganz  acut  die  Spannung  der  Blasenwand  die  Norm,  es 
wurde  der  acute  Spannungsschinerz  hervorgebracht,  der  sich 
als  Kolik  äusserte. 

Dass  die  Flüssigkeitsvermehrung  das  Product  entzünd¬ 
licher  Vorgänge  ist,  das  geht  wohl  aus  der  Krankengeschichte 
genügend  deutlich  hervor. 3)  Ist  zum  Zustandekommen  der 
abnorm  grossen  Spannung  Muskelwirkung  noting?  Bei  der 
experimentellen  Kolik  gewiss  nicht,  und  bei  der  natürlichen 
sind  wir  überzeugt,  dass  eine  Muskel  Wirkung  nicht  besteht; 
Jeder,  der  eine  acut  entzündete  Gallenblase  auch  nur  einmal 
in  vivo  gesehen  hat,  wird  nicht  zweifeln,  dass  bei  einer  derart 
entzündlich  veränderten  Blase  die  Musculatur,  deren  Stärke 
an  der  Gallenblase  überhaupt  nicht  hervorragend  ist,  leistungsun¬ 
fähig  ist. 

Die  Gallensteine  spielen  also  beim  Zustandekommen  der 
Kolik  eine  ganz  mechanische  Rolle;  durch  den  wachsenden 
Flüssigkeitsdruck  in  der  Blase  werden  sie  in  den  Blasenhals 
oder  auch  weiter  gedrängt  und  bleiben  dann  eingekeilt 
stecken,  wenn  sie  an  einem  Punkte  angelangt  sind,  wo  das 
Missverhältniss  zwischen  Umfang  des  Steines  und  Lichtung 
des  Ganges  zu  gross  ist,  als  dass  es  von  der  Vis  a  tergo,  d.  h. 
dem  Druck  in  der  Blase  noch  überwunden  werden  könnte. 
Wir  glauben  nicht,  dass  sich  der  Gang  bei  der  Einkeilung 
der  Steine  anders  als  passiv  verhielte;  unter  keinen  Umständen 
ist  die  Annahme  plausibel,  dass  die  Contraction  der  Musculatur 
der  Gänge  im  Stande  sein  sollte,  den  Stein  auf-  oder  gar  fest¬ 
zuhalten,  gegenüber  der  so  mächtigen  treibenden  Kraft  in 
Gestalt  des  in  der  Blase  herrschenden  Druckes.  Die  Möglich¬ 
keit,  dass  durch  die  Eiukeilung  eines  Steines  Einkeilungs- 
schmerzen  entstehen,  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  aber 
bei  der  Gallensteinkolik  spielt  diese  Möglichkeit  kaum  eine 

2)  Für  diese  Beobachtung,  siehe:  Kehr,  Diagnostik  der  Gallensteiu- 
kraukheit.  Pag.  12,  pag.  9. 

a)  siehe  darüber  übrigens:  Riedel,  Erfahrungen  über  die  Gallen- 
steinki  ankheit  und  au  anderen  Orten. 


626 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


Rolle  gegenüber  dem  acuten  Spannungsschmerz;  durchaus  kein 
Beweis  liegt  vor,  dass  derartige  Schmerzen  den  Charakter  von 
Kolikschmerzen  haben.  Es  sei  übrigens  erwähnt,  dass  acute 
Cholecystitiden  mit  den  heftigsten  Koliken  Vorkommen,  ohne 
dass  Steine  vorhanden  wären.  ')  Damit  ist  wohl  die  Entbehr¬ 
lichkeit  der  Annahme  des  durch  Steinincarceration  hervor¬ 
gerufenen  Kolikschinerzes  erwiesen.  Ist  das  Verhältnis  der 
austreibenden  Kraft  zu  den  Widerständen  derart,  dass  letztere 
überwindbar  sind,  mit  anderen  Worten,  sind  die  Steine  klein 
genug,  um  die,  wenn  auch  erst  gedehnten  Gänge  passiren  zu 
können,  so  gehen  Steine  ab. 

Andere  erklären  den  typischen  Gallensteinkolikanfall 
anders;  so  sagt  z.  B.  L  e  i  c  h  t  e  n  s  t  e  r  n  5)  :  » Der  typische 
Gallensteinkolikanfall  hat  ganz  zweifellos  seinen  Grund  in  der 
Einklemmung  des  wandernden  Steines  in  irgend 
einem  Abschnitte  der  engen  Canäle.«  Die  Wanderlust  des 
Steines  entpuppt  sich  bei  näherer  Betrachtung  vielmehr  als 
die  Angst  des  verfolgten  Verbrechers,  der  Mühe  hat,  seine 
umfangreiche  Person  durch  enge  Canäle  zu  flüchten. 

Zum  Zustandekommen  des  abnormen  Innendruckes  ist 
bei  allen  Hohlorganen  eine  mehr  oder  weniger  vollkommene 
Verlegung  der  Abführungswege  Voraussetzung,  und  das  trifft 
auch  in  der  That  zu,  nur  kann  diese  Verlegung  auf  sehr  ver¬ 
schiedene  W  eise  bewirkt  werden,  nämlich  durch  Steine,  be¬ 
ziehungsweise  Fremdkörper,  spastische  Contraction,  Lähmung 
der  Musculatur  auf  eine  gewisse  Strecke,  entzündliche  Pro- 
cesse,  Narben,  Neubildungen,  Druck  von  aussen  etc. 

Welch  es  sind  bei  den  Hohlorganen  die  Ursachen  des 
acuten  Ansteigens  des  Innendruckes,  abgesehen  von  der  Ver¬ 
legung  der  Abführungswege? 

Besteht  überhaupt  eine  einheitliche  Ursache? 

Um  diese  Fragen  zu  beantworten,  müssen  wir  die  ein¬ 
zelnen  Organe  betrachten. 

Bei  der  Gallenblase  haben  wir  als  Ursache  eine  auf  ent¬ 
zündliche  Vorgänge  zurückzuführende  schnelle  Flüssigkeits¬ 
zunahme  gefunden;  dieselbe  Ursache  gilt  auch  für  Hepaticus 
und  Choledochus. 

Wir  müssen  auch  hier  entzündliche  Processe  annehmen 
und  können  uns  nicht  mit  der  einfachen  Zunahme  des  Druckes 
durch  die  weiter  dauernde  Gallensecretion  zufrieden  geben. 

In  derselben  Weise  können  wir  eine  Nierensteinkolik  er¬ 
klären,  wrenn  auch  wohl  im  Einzelnen  die  Analogie  nicht  voll¬ 
kommen  ist.  Jedenfalls  ist  der  Kolikschmerz  auch  hier  acuter 
Spannungsschmerz. 

Wie  aber  ist  die  Zunahme  des  Innendruckes  bei 
einer  Darmkolik  zu  erklären?  Hier  müssen  wir  wohl  an¬ 
nehmen,  dass  nicht  allein  die  Zunahme  der  Fltissigkeits-  und 
besonders  der  Gasmenge,  die  ja  aus  entzündlichen  Vorgängen 
in  der  Darmschleimhaut  und  Gährungsvorgängen,  die  sich  im 
Inhalt  abspielen,  verständlich  ist,  die  Ursache  für  die  Zunahme 
des  Innendruckes  abgibt,  sondern  auch  die  Contraction  der 
Ringmusculatur  (oberhalb  des  Hindernisses)  zur  Vermehrung 
des  Druckes  beiträgt. 

Möglicher  Weise  wirken  locale  entzündliche  oder  chemische 
Reize  auf  die  Ringmusculatur  ein,  aber  auch  mechanische 
scheinen  nicht  ausgeschlossen,  indem  sich  der  Darm  gewisser- 
massen  gegen  eine  Ueberdehnung  in  Folge  Zunahme  der  Gas¬ 
menge  durch  Contraction  seiner  Ringmusculatur  wehrt.  Es  ist 
bekannt,  dass  man  durch  Entfernung  der  Darmgase  Darm¬ 
koliken  beseitigen  kann,  andererseits  verschwinden  Koliken, 
wenn  die  Darmmusculatur  gelähmt  wird,  wie  bei  Peritonitis. 

Es  kann  vermuthet  werden,  dass  die  Musculatur  eines 
Hohlorganes  eine  in  dem  Masse  grössere  Rolle  bei  der  Ent¬ 
stehung  der  Kolikschmerzen  spielt,  als  sie  kräftiger  ent¬ 
wickelt  ist. 

Wenn  wir  so  auch  den  Kolikschmerz  als  acuten  Span¬ 
nungsschmerz  in  Folge  abnorm  gesteigerten  Innendruckes  bei 
den  Hohlorganen  erklären  können,  so  ist  doch  nicht  ohne 
Weiteres  ersichtlich,  wie  dieselbe  Erklärung  für  nephritische 

D  Vergl.:  Langenbueli,  Chirurgie  der  Leber  und  Gallenblase. 
Tlieil  II,  pag.  178. 

5)  Pentzoldt  &  S  t i  n  t  z  i  n  g,  Handbuch  der  Therapie.  2.  Aufl. 
Bd.  IV,  pag.  815. 


Nierenkoliken  Geltung  haben  soll.  Die  in  diesem  Falle  be¬ 
stehenden  Schwierigkeiten  sind  durch  eine  Veröffentlichung 
Israel’s0)  in  glücklicher  Weise  aus  dem  Wege  geräumt 
worden.  Ich  kann  auf  die  Arbeit  verweisen  un  1  führe  hier 
nur  folgende  Sätze  wörtlich  an:  »Man  muss  die  bisher  von 
den  Meisten  festgehaltene  irrige  Ansicht  aufgeben,  dass  Nieren¬ 
koliken  nur  durch  plötzliche  Unterbrechung  des  Harnabflusses 
in  Folge  von  Occlusion  des  Ureters  hervorgerufen  werden 
können.  Vielmehr  hat  uns  eine  vielfältige  Erfahrung  gelehrt, 
dass  alle  Momente,  welche  zu  einer  plötzlichen  Drucksteigerung 
im  Nierenparenchym  selbst,  bei  völliger  Intaetbeit  der  Abfluss¬ 
wege  führen,  einen  Kolikanfall  hervorrufen  können.  So  erklären 
sich  manche  Koliken  bei  Torsionen  des  Gefässstieles  beweg¬ 
licher  Nieren  ohne  Ureterverschluss,  so  die  bei  plötzlicher  Con¬ 
gestion  maligner  gefassreieher  Tumoren  ohne  Hämaturie  auf¬ 
tretenden  Koliken  etc.«  Die  feste  fibröse  Kapsel  ermöglicht 
erst  recht  eine  acute  congestive  Spannungszunahme  der  Niere. 

Nach  Art  der  Gallenstein-  und  nephritiseben  Koliken 
dürfen  wir  uns  wohl  auch  die  Pankreaskoliken  erklären. 

Damit  hätten  wir  einen  einheitlichen  Erklärungsversuch 
für  die  Kolikschmerzen  gegeben ;  er  lautet :  Kolik  schmerz 
ist  acuter  S  p  a  n  u  u  n  g  s  s  c  h  m  e  r  z. 

Wenn  die  Drucksteigerung  so  allmälig  erfolgt,  dass  eir.e 
Anpassung  möglich  ist,  bleiben  Kolikschmerzen  aus.  Das  be¬ 
weisen  die  ohne  Kolikschmerzen  sich  entwickelnden  Fälle  von 
Hydrops  der  Gallenblase. 

Für  die  Therapie  der  Kolikschmerzen  gewinnen  wir  aus 
den  beiden  Ursachen  der  acuten  Drucksteigerung  Anhalts¬ 
punkte. 

In  Fällen,  wo  wir  Aussicht  haben,  die  Verlegung  der 
Abflusswege  aufzulieben,  wo  also  die  spastische  Contraction 
eine  Rolle  spielt,  nach  obiger  Vermuthung  bei  den  Hohlorganen 
mit  stärker  entwickelter  Ringmusculatur,  wären  krampflösende 
Mittel  am  Platze,  in  anderen  Fällen,  wo  eine  Muskelwirkung 
unwesentlich  ist,  aber  die  schnelle  Drucksteigerung  die  Folge 
entzündlicher  Vorgänge  ist,  müssten  wir  versuchen,  auf  den 
Rückgang  derselben  einzuwirken,  also  vielleicht  die  entzünd¬ 
liche  Hyperämie  durch  ableitende  Mittel  verringern.  Wenn  es 
uns  gelingt,  auf  diese  Weise  die  Kolikschmerzen  aufzuheben, 
so  dürfen  wir  doch  nicht  vergessen,  dass  wir  in  den  letzt¬ 
genannten  Fällen  vorwärts  getriebenen  Fremdkörpern  die 
treibende  Kraft  rauben,  also  einen  Heilversuch  der  Natur  ver¬ 
eiteln.  Falls  dieser  Heilversuch  von  vorneherein  aussichtslos  ist, 
also  in  Fällen,  wo  die  austreibenden  Kräfte  durchaus  unfähig 
sind,  die  entgegenstehenden  Widerstände  zu  überwinden,  wäre 
unsere  Therapie  an  sich  rationell,  nicht  aber  in  den  für  den 
Heilversuch  der  Natur  aussichtsreichen  Fällen.  Ob  aber  nicht 
für  die  Therapie  andere  Gesichtspunkte  als  nur  die  Beseitigung 
der  Kolikschmerzen  öfters  ausschlaggebend  sein  müssen,  soll 
jetzt  nicht  erörtert  werden. 


REFERATE. 

I.  Ueber  die  Indicationen  der  Entfettungscuren. 

Von  Karl  v.  Noorden. 

Sammlung  klinischer  Abhandlungen  über  Pathologie  uml  Therapie  der  Stoff¬ 
wechsel-  und  Ernährungsstörungen.  Herausgegeben  von  Prot’.  Dr.  K  a  r  1 

v.  Noorden.  1.  lieft. 

Berlin  1 900,  Hirsch  w  aid. 

II.  Die  Fettsucht. 

Von  Prof.  Dr.  K.  v.  Noorden  in  Frankfurt  a.  M. 
Nothnagel’a  Specielle  Pathologie  und  Therapie.  Bd.  VII,  4.  Theil. 

Wien  1900,  Holder. 

I.  Das  vorliegende  Heft,  welches  einen  Cyklus  zwanglos  er¬ 
scheinender  »Aufsätze  über  praktisch  wichtige  Fragen  aus  dem 
Gebiete  der  Stoffwechsel-  und  Ernährungsstörungen«  aus  der  Feder 
des  Verfassers,  respective  seiner  Assistenten  und  Schüler  eröffnet, 
entnimmt  seinen  Inhalt  v.  Noorden’s  Monographie  über  »Fett¬ 
sucht«  (Noth  n age l’s  Specielle  Pathologie  und  Therapie). 

v.  Noorden  beantwortet  in  dem  Heftchen  zwei  Hauptfragen, 
die  eine,  wann  eine  Entfeltungscur  bei  fettleibigen,  sonst  gesunden 

6)  Mittheilungeu  aus  den  Grenzgebieten  der  Mtdicin  und  Chirurgie. 
Bd.  V,  lieft  3,  pag.  471,  besonders  475,  506. 


Nr.  2? 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Personen  vorzunehmen  ist,  und  die  zweite,  wann  Enlfettungscuren 
bei  anderweitig  ccmplicirler  Fettleibigkeit  (Complication  mit  Erkran¬ 
kungen  des  Girculationsapparates,  der  Nieren,  der  Lungen,  chroni¬ 
schem  Gelenkrheumatismus,  Gicht,  sonstigen  Erkrankungen  des  Be¬ 
wegungsapparates,  des  Nervensystems,  Diabetes  mellitus,  Lungen- 
tuberculose)  indicirt  sind.  Hervorgehoben  sei,  dass  v.  Noorden 
sich  vor  Allem  mit  Nachdruck  gegen  das  schablonenhafte  Vorgehen 
bei  Enlfettungscuren  (ausschliessliche  Befolgung  der  Vorschriften 
etwa  Banting’s  oder  Ebstein’s  etc.)  wendet.  Nur  eine  dem 
Einzelkranken  angepasste  Curvorschrift  kann  am  Platze  sein.  Er 
verweist  weiter  darauf,  wie  wenig  begreiflicher  Weise  in  vielen 
Fällen  eine  einmalige  oder  von  Jahr  zu  Jahr  einmal  wiederholte 
Badecur  (Homburg,  Kissingen,  Marienbad  etc.)  zu  nützen  vermag, 
da  nach  derselben  der  Kranke  oft  nur  zu  rasch  wieder  in  seine 
alte  fehlerhafte  Ernährungsweise  zurückfällt;  er  verweist  auf  die 
grosse  Bedeutung  der  von  geschulten  Aerzten  geleiteten  Sanatorien, 
ihren  grossen  erziehlichen  Einfluss  auf  den  Kranken. 

v.  Noorden  betont,  wie  Entfettung  auch  bei  Menschen  des 
Oefteren  angezeigt  ist,  welche  an  sich  nicht  zu  fettreich  genannt 
werden  können,  bei  denen  aber  Fettreduction  in  Folge  Complicativ- 
erkrankung  (z.  B.  im  Circulations-  oder  Bewegungsapparate)  vollauf 
begründet  ist. 

Vorzügliches  Augenmerk  lenkt  v.  Noorden  auf  den  Werth 
der  Fiüssigkeitsentziehung  bei  Enlfettungscuren,  die  volle  Beachtung 
bei  complicirenden  Erkrankungszuständen  des  Herzens  und  der 
Niere  (Schrumpfniere)  verdient,  zu  Beginn  einer  Entfettungscur  auch 
bei  nicht  complicirter  Fettleibigkeit  durcbgeführt  werden  mag,  sonst 
aber  keine  wissenschaftliche  Berechtigung  besitzt. 

Der  Verfasser  wendet  sich  weiters  gegen  den  Abusus,  bei 
Kranken  mit  Lungenluberculose  die  grösstmögliche  Fetlmästung  er¬ 
reichen  zu  wollen.  Hier  nütze  maximaler  Fettansatz  ohne  gleich¬ 
zeitige  Muskelzunahme  lange  nicht,  was  mittlerer  Fettansatz  bei 
gekräfligler  Musculatur  fruchtet.  Ersterer  kann  sogar  Schaden 
stiften  :  aus  dem  Tuberculösen  wird  ein  leistungsunfähiger  Fettling 
gemacht,  dessen  Widerstandskraft  äusserst  gering  ist. 

Noch  viele  ansprechende  Gedanken  stecken  in  dem  kleinen 
Büchlein.  Gar  mancher  Leser  wird  es  aber  trotzdem  nicht  ganz 
befriedigt  durchblättert  haben:  sein  bei  der  Lecture  vielfach  er¬ 
wachter  Wunsch,  zu  wissen,  wie  v.  Noorden  entfettet,  was  er 
unter  schneller  und  langsamer  Entfettungscur  versteht,  bleibt  un¬ 
erfüllt.  Kein  Vorwurf  für  v.  Noorden,  der  sich  strenge,  fast 
möchte  ich  sagen  zu  strenge,  an  sein  Thema  gehalten  hat.  Wer 
von  den  Lesern  mehr  wünscht,  lese  v.  Noorden’s  schöne  Mono¬ 
graphie  über  Fettsucht;  keine  Frage  bleibt  ohne  klärende  Antwort. 

* 

II.  Ich  kenne  nicht  viele  Bücher  medicinischen  Inhaltes, 
welche  ich  mit  solcher  Freude  und  solchem  Gewinne  gelesen  habe, 
wie  v.  Noorden’s  Monographie  über  die  Fettsucht.  In  ihr  spricht 
allenthalben  der  wissenschaftlich  hochstehende  und  hochstrebende 
Forscher,  der  gewiegte  Kliniker  und  Chemiker,  respective  Stoff¬ 
wechselpathologe  ebenso  vernehmlich  und  klar,  wie  der  umsichtige 
Praktiker.  Nicht  blos  den  gegenwärtigen  Wissensstandpunkt  von 
der  Lehre  der  Fettsucht  verkündet  die  Arbeit,  sondern  sie  erzählt 
uns  in  der  anschaulichsten  und  bestbegründeten  Form,  wie  der 
Autor  persönlich  über  die  vorliegende  Erkrankung  denkt  und 
wie  seinem  vielfach  selbst  gewonnenen  Einblicke  in  das  Wesen 
der  Erkrankung  selbslentwickelte  therapeutische  Actionen  entsprungen 
sind,  welche  das  gesteckte  Ziel  mit  Sicherheit  zu  erreichen  ver¬ 
mögen.  Eigene  reichlichste  Erfahrung  klingt  aus  jedem  Satze  wieder, 
eigenes,  selbsterrungenes,  feststehendes  Urtheil. 

Ich  möchte,  wie  ich  glaube  mit  vollem  Hechte,  v.  Noorden’s 
Buch  eines  der  allerbesten  aus  Noth  nage l’s  Sammelwerke  nennen. 

0  r  t  n  e  r. 


Anleitung  zur  Zahn-  und  Mundpflege. 

Von  C.  Röse. 

Dritte,  völlig  umgeai beitete  Auflage.  59  Seiten.  38  Figuren  im  Text. 

Ladenpreis  60  Pfennige. 

Jena,  Gustav  Fischer. 

Die  gesammte  Heilkunde  steht  heutzutage  im  Zeichen  der 
Hygiene.  Doch  ein  wichtiges  Gebiet  der  individuellen  Hygiene  erfreut 
sich  wohl  selbst  bei  manchen  Aerzten  noch  nicht  der  Beachtung, 
die  ihm  gebührt,  die  Zahn-  und  Mundpflege.  Es  wird  vielfach  nicht 


genügend  gewürdigt,  in  wie  engem  Zusammenhänge  manche  Krank¬ 
heiten,  wie  Blutarmuth,  Nervosität,  Magenbeschwerden  etc.  zu  kranken 
Zähnen  stehen. 

Es  ist  das  Verdienst  einiger  hervorragender  Zahnärzte,  das 
allgemeine  Interesse  an  der  Zahn-  und  Mundpflege  geweckt  und 
wachgehalten  zu  haben.  Insbesondere  hat  Böse  im  Laufe  des 
letzten  Jahrzehntes  das  ganze  Gebiet  der  Mund-  und  Zahnhygiene 
systematischer  bearbeitet.  Im  vorliegenden  Heftchen  legt  der  auf 
anatomischem  Gebiete  in  Folge  seiner  bedeutenden  Untersuchungen 
hochangesehene  Autor  einen  knappen  Auszug  seiner  zahnhygienischen 
Arbeiten  der  Allgemeinheit  vor. 

R  ö  s  e’s  Brochure  ist  in  erster  Linie  für  das  grosse  Publicum 
bestimmt  und  daher  populär  gehalten,  und  zwar  im  guten  Sinne. 
Aber  auch  wohl  der  Arzt  und  der  Zahnarzt  wird  mancherlei  An¬ 
regungen  streng  wissenschaftlichen  Charakters  darin  finden;  anderer¬ 
seits  ist  auch  jeder  gebildete  Laie  im  Stande,  der  klaren  Darstel¬ 
lung  des  Autors  ohne  Schwierigkeit  zu  folgen.  Die  38  vorzüglichen 
Abbildungen  erleichtern  wesentlich  das  Verständniss. 

Einem  kurzen  Gapitel  über  den  Zweck  der  Zähne  folgt  eine 
Darstellung  des  anatomischen  Baues  der  Mundorgane.  Es  folgen 
übersichtlich  gehaltene  Abschnitte  über  die  directen  und  indirecten 
Ursachen  der  Zahnverderbniss,  über  Schleimhauterkrankungen,  Zahn¬ 
stein  u.  s.  w.  Den  grössten  Raum  nimmt  der  Abschnitt  über  künst¬ 
liche  Zahnpflege  ein.  Der  Autor  setzt  zunächst  auseinander,  warum  die 
natürlichen  Mundreinigungsvorrichtungen  bei  den  Culturmenschen 
nicht  mehr  ausreichen,  warum  wir  genöthigt  sind,  zur  künstlichen 
Zahnpflege  unsere  Zuflucht  zu  nehmen. 

Sehr  eingehend  ist  daher  das  Capitol  der  mechanischen 
Mundpflege  behandelt.  Röse  legt  mit  Recht  den  allergrössten 
Werth  auf  die  mechanische  Reinigung  der  Mundhöhle  und  hat  zu 
dem  Zwecke  eine  neue,  den  anatomischen  Verhält¬ 
nissen  sehr  gut  angepasste  Zahnbürste  construirt, 
für  deren  gute  und  zugleich  billige  Herstellung  aber  leider  noch 
kein  geeigneter  Unternehmer  gefunden  werden  konnte. 

Die  Art  und  Weise,  wie  die  Zähne  am  besten  mechanisch 
frereiniat  werden,  ist  an  der  Hand  mehrerer  Abbildungen  Übersicht- 

o  O  7  CJ 

lieh  dargestellt. 

Von  den  antiseptischen  Mundwässern  verlangt  R  ö  s  e  in  erster 
Linie,  dass  sie  unschädlich  sind.  »Die  Wirkung  der  in  der 
Mundhöhle  anwendbaren  Antiseptica  ist  nicht  so  bedeutend,  dass 
wir  ihretwegen  auch  nur  die  geringste  schädliche  Nebenwirkung 
mit  in  Kauf  nehmen  dürften.«  Weitaus  die  meisten  der  gebräuch¬ 
lichen  Mundwässer  haben  irgend  eine  schädliche  Nebenwirkung.  Ent¬ 
weder  sie  sind  giftig,  oder  sie  entkalken  die  Zähne,  oder  sie  ätzen 
die  Mundschleimhaut,  wie  z.  B.  Sublimat,  Formaldehyd  (Kosmin), 
Seife.  Als  beste  Mundwässer  für  den  täglichen  Gebrauch  empfiehlt 
Röse  physiologische  Kochsalzlösung  und,  »trotz  der 
damit  getriebenen  übermässigen  Reclame«,  das  Handelspräparat  Odol. 

Ein  weiterer  kurzer  Abschnitt  ist  der  Mundpflege  bei  Schwer¬ 
kranken  gewidmet.  In  dem  Capitel  über  zahnärztliche  Behandlung 
sucht  der  Autor  die  Laienwelt  darüber  aufzuklären,  welcher  Art  die 
Behandlung  sein  soll,  die  sie  bei  einem  gewissenhaften  Zahnarzte 
zu  erwarten  haben.  Es  wird  aber  andererseits  auch  eindringlich 
darauf  hingewiesen,  dass  das  Publicum  in  Folge  von  mangelhafter 
Selbstzucht  geradezu  darauf  hinarbeitet,  die  Pfuscherei  auf  zahn¬ 
ärztlichem  Gebiete  gross  zu  ziehen. 

Im  sechsten  Abschnitte  wird  angedeutet,  wie  durch  zweck¬ 
mässige  Ernährung  im  jugendlichen  Alter  der  histologische  Bau 
der  Zähne  verbessert  werden  kann.  »Das  beste  Beförderungsmittel 
für  einen  guten  Zahnbau  des  Kindes  ist  und  bleibt  die  natürliche 
Muttermilch«. 

Nach  Einschaltung  von  zehn  Grundregeln  der  Zahn-  und 
Mundpflege  folgt  ein  Schlusscapitel,  in  dem  die  staatlichen  und 
städtischen  Behörden,  sowie  die  private  Wohlthätigkeit  auf  die 
Nothwendigkeit  der  Zahnbehandlung  bei  armen  Kindern  hinge- 
wiesen  wird. 

Der  dem  Gemeinwohle  dienenden  und  in  Rücksicht  auf  die 
erstrebte  ausgedehnte  Wirkung  überaus  billig  abgegebenen  und 
trotzdem  buchhändlerisch  sehr  gut  ausgestatteten  Schrift  ist  die 
weiteste  Verbreitung  zu  wünschen,  weshalb  den  Herren  Aerzten  die 
Weiterempfehlung  an  das  Publicum  ans  Herz  gelegt  sei. 

W.  R  o  u  x. 


628 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  2? 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

220.  (Aus  dem  Laboratorium  der  niederösterreichischen 

Landes-Irrenanstalt  in  Wien.)  Beitrag  zur  Lehre  von  der 
sensorischen  Aphasie  nebst  Bemerkungen  über 
die  Symptomatik  doppelseitiger  Schläfelappen¬ 
erkrankung.  Von  Dr.  E.  Bi  sch  off.  Bi  sch  off  beschreibt 
zwei  Fälle,  in  deren  ersterem  anatomisch  Atrophie  beider  Schläfe¬ 
lappen  (links  stärker  als  rechts),  klinisch  transcorticale  Wort¬ 
taubheit  vorhanden  war,  diese  jedoch  nicht  rein,  indem  das  Wort- 
verständniss  nicht  erloschen,  sondern  nur  schwer  gestört  war  und 
das  Nachsprechen  eine  Störung  leichten  Grades  anfwies.  Im 
zweiten  Falle  bestand  eine  Läsion,  die  sich  auf  einen  Tlieil  der 
Ilörstrahlung,  auf  nahezu  das  ganze  Mark  der  Insel  und  die 
dritte  llinterhauptswindung  links,  den  Grund  der  zweiten  Schläfen¬ 
furche  und  den  Lohns  lingualis  rechts  bezog.  Hier  bestand  ein 
ähnliches  Krankheitsbild,  doch  war  hier  das  Wortverständniss  er¬ 
loschen.  Patient  zeigte  herabgesetzte  Aufmerksamkeit  für  akustische 
und  optische  Eindrücke,  ohne  dass  grobe  Hör-  und  Sehstörungen 
bestanden  hätten.  Im  Anhänge  wird  noch  ein  Fall  doppelseitiger 
Schläfelappenatrophie  mitgetheilt,  der  sich  jedoch  in  Folge  vor¬ 
handener  Complicationen  klinisch  anders  äusserte,  als  die  obigen 
Fälle.  Bisch  off  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  sich  bei  doppel¬ 
seitiger  Schläfelappenerkrankung  bald  »transcorticale«  Worttaubheit, 
das  Anzeichen  partieller  Läsion  des  acustisehen  Sp rachcentrums 
oder  seiner  associativen  Verbindungen,  bald  »subcorticale«  (reine) 
Worttaubheit  findet,  bald  fehlt  es  völlig  an  Anhaltspunkten  zur 
Annahme  einer  sensorischen  Sprachstörung.  —  (Archiv  für  Psy¬ 
chiatrie.  Bd.  XXXIf,  Heft  3.)  S.  J 

* 

221.  Ueber  chronischen  Gelenkrheumatismus 
und  Arthritis  deformans  im  Kindesalter.  Von 
Prof.  Johan  nessen  (Christiania).  Die  drei  ausführlich  beschrie¬ 
benen,  mit  Photographie  und  Röntgenogrammen  belegten  Fälle,  be¬ 
trafen  Kinder  im  Alter  von  vier,  fünf  und  neun  Jahren.  —  (Zeit¬ 
schrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXIX,  Heft  3  und  4.)  Pi. 

•ft 

222.  lieber  einen  Fall  genuiner  Epilepsie  mit 

sich  daran  anschliessender  Dementia  paralytica. 
Von  Dr.  0.  Wattenberg  in  Lübeck.  In  dem  von  Watten¬ 
berg  mitgetheilten  Falle  finden  sich  tliessende  Uebergangs- 
erscheinungen  von  genuiner  Epilepsie  zur  progressiven  Paralyse. 
Weder  Trauma,  noch  Potus  oder  Lues  können  in  diesem  Falle  als 
ursächliche  oder  auslösende  Momente  augenommen  werden,  so  dass 
ein  pathogenetischer  Zusammenhang  zwischen  Epilepsie  und  pro¬ 
gressiver  Paralyse  nicht  von  der  Hand  zu  weisen  ist.  Der  Fall 
beweist,  dass  die  genuine  Epilepsie  der  progressiven  Paralyse 
vorangehen  und  fiiessend  in  sie  übergehen  kann,  dass  ferner 
letztere  nicht  an  vorausgegangene  Lues  gebunden  ist.,  und  legt  die 
Vermuthung  nahe,  dass  es  sich  bei  der  genuinen  Epilepsie  und  bei 
der  progressiven  Paralyse  um  pathogenetisch  nahe  verwandle  Stoff¬ 
wechselerkrankungen  handle,  die  in  einem  ab  origine  dazu  dis- 
ponirlen  Körper  auftreten.  S. 

* 

223.  Ueber  die  Aufnahme  und  Ausscheidung 
des  Eisens  der  Eisensomatose  im  thierischen  Or¬ 
ganismus.  Von  Dr.  Nathan  (Eberfeld).  Bei  mehrtägiger  Ver- 
fülterung  von  Eisensomatose  an  Mäuse  konnte  durch  mikroskopische 
Untersuchung  fesfgeslelll  werden,  dass  eine  sehr  starke  Eisen¬ 
resorption  im  Dünndarme  statlfindet.  Das  von  den  Zotten  auf¬ 
genommene  Eisen  wird  durch  deren  Centralcanal  dem  Lymphgefäss- 
svstem  zugeführt.  Im  Dickdarme  wurde  eine  deutliche  Eisenaus¬ 
scheidung  durch  die  Leukocyten  beobachtet.  Die  in  der  Praxis 
constatirten  klinischen  Erfolge  der  Eisensomatose,  über  welche 
auch  in  diesen  Blättern  (Nr.  10,  1898)  schon  berichtet  worden 
ist.  scheinen  demnach  nicht  blos  der  appetitanregenden  Wirkung 
der  Somatose,  sondern  der  Eisenresorption  zuzuschreiben  sein. 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  8.) 

* 

224.  Bacteriologische  Untersuchungen  über 
den  Keim  ge  halt  und  die  Sterilisirbarkeit  der 
Bürste  n.  Von  Prof.  W  i  n  t  e  r  n  i  t  z  (Tübingen).  Gegenüber 


Schleich,  welcher  die  Bürsten  als  Universallabyrinth  für  Schmutz 
und  Schmieren  bezeichnet,  das  auf  keine  Weise  sicher  sterilisirl 
werden  kann,  stellt  Winternitz  fest,  dass  es  möglich  ist,  eine 
Bürste,  auch  wenn  sie  infieirt  ist,  durch  zehn  Minuten  langes  Aus¬ 
kochen  in  einer  l°/0igen  Sodalösung  keimfrei  zu  machen,  was  die 
Bürsten  beliebig  lange  Zeit  aushalten  können.  Hiebei  ist  jedoch 
vorauszusetzen,  dass  keine  Keime  in  ihnen  Vorkommen,  die  durch 
so  langes  Kochen  überhaupt  nicht  abgelödlet  werden  können,  was 
unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  kaum  der  Fall  ist.  Ausgekochte 
Bürsten  bleiben  in  l°/oo  Sublimat  aufbewahrt,  steril.  —  (Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  9.) 

* 

225.  Zur  Gasuisik  der  Sehnenzerrciss  ungen. 
Von  O.  Vulpius  (Heidelberg!.  Von  sieben  in  den  letzten  drei 
Jahren  beobachteten  Fällen  bieten  einige  ein  ganz  besonderes  In¬ 
teresse.  Ein  Fall  betrifft  den  Abriss  der  langen  Sehne  des  Biceps 
oberhalb  des  Muskelbauches.  Die  Verletzung  war  ohne  bekannte 
Ursache  entstanden  und  hat  keine  functionelle  Störung  hinterlassen. 
Eine  weitere  Beobachtung  betraf  einen  Riss  des  Latissimus  dorsi, 
der  bei  einer  Hebung  (Kippe)  am  Barren  entstanden  war.  Auch 
hier  hatte  der  Unfall  keine  nennenswerthe  Störung  zur  Folge  ge¬ 
habt,  In  einem  dritten  Falle  war  die  Quadricepssehne  am  oberen 
Rande  der  Patella  anlässlich  eines  unbedeutenden  Fehltrittes  ein¬ 
gerissen  und  fünf  Jahre  später  war  dasselbe  am  anderen  Fusse 
beim  ruhigen  Gehen  auf  glattem  Boden  geschehen.  Die  Unter¬ 
suchung  ergab  eine  sehr  erhebliche  fettige  Degeneration  der  Sehne 
bei  einem  Individuum,  welches  seine  Beinmusculatur  jahrelang 
ausserordentlich  anzustrengen  bemüssigt  war.  Die  ausgeführte 
Sehnennaht  hat  vollständig  gehalten  und  die  Function  wieder  zu 
einer  normalen  gemacht.  In  einem  weiteren  Falle  war  die  Abreissung 
des  Ligamentum  patellae  proprium  sammt  der  Tuberositas  tibiae 
durch  ein  den  Knochen  substituirendes  myelogenes  Riesenzellen¬ 
sarkom  bedingt  worden.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  17.) 

* 

220.  Ueber  die  Transplantation  d  e  s  N  e  t  z  e  s  auf 
Blasen  defect  e.  Von  Prof.  E  n  d  e  r  1  e  n  (Marburg).  Eine  Reihe 
von  Thierexperimenten  ergab,  dass  es  möglich  sei,  Blasen- 
defecte  mit  Netz  zu  decken.  Das  Blasenepithel  überzieht  in  kurzer 
Zeit  das  Iransplantirte  Stück,  welches  selber  aber  der  Schrumpfung 
anheimfällt.  Mehrfache  Ueberlegungen  aber  ergeben,  dass  diese  Me¬ 
thode,  einen  Blasendefect.  zu  decken,  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  in 
Erwägung  gezogen  werden  könnte.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Bd.  LV.)  Pi. 

* 

227.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  zu  Tübingen  (Professor 
S  i  e  m  e  r  1  i  n  g).  Beitrag  zur  K  e  n  n  l  n  i  s  s  der  acut  ent¬ 
standenen  Psychosen  und  der  katatonischen  Zu¬ 
stände.  Von  Dr.  E.  Meyer,  Assistenzarzt.  Meyer  hat  in  der 
vorliegenden  Arbeit  aus  dem  Material  der  Tübinger  Klinik  eine 
grössere  Zahl  acut  entstandener  Psychosen  (mit  Ausnahme  von 
Manie  und  Melancholie)  zusammengestellt  und  hiebei,  was  sich 
durch  die  Häufigkeit  der  sogenannten  katatonischen  Erscheinungen 
im  Verlaufe  acut  entstandener  Psychosen  erklärt,  diesen  Erschei¬ 
nungen  seine  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Um  die  Bedeutung  der 
letzteren  besser  würdigen  zu  können,  finden  sieb  in  der  Arbeit 
auch  Fälle,  die  strenge  genommen  nicht  zu  den  acut  entstandenen 
gehören.  Unter  katatonischen  Erscheinungen  versteht  Meyer 
Stupor  verschiedenen  Grades,  stereotype  Haltungen  und  Bewegungen. 
Flexibilitas  cerea  und  verwandte  Erscheinungen.  Er  bespricht  vor¬ 
wiegend  die  stuporösen  Zustände.  Unter  Stupor  versteht  er  die 
durch  psychische  Störungen  bedingte  mehr  oder  weniger  hoch¬ 
gradige  Bewegungungs-  und  Regungslosigkeit  auf  psychischem,  wie 
motorischem  Gebiete.  In  manchen  Fällen  sind  die  stereotypen  Be¬ 
wegungen,  Haltungen,  Manieren,  Tics  durch  bestimmte  Empfindungen 
und  Vorstellungen  hervorgerufen,  wie  sich  auch  der  Negativismus 
in  seinen  verschiedenen  Ausdrucksformen,  die  sogenannte  Befehls- 
automatie  und  verwandle  Erscheinungen  ohne  primäre  Störung  der 
Willensantriebe  blos  mit  dem  Bewusstseinsinhalte  in  Einklang 
bringen  lassen.  In  anderen  Fällen  dürfte  eine  Störung  des  Wollens 
mit  sehr  früh  einsetzender  geistiger  Schwäche  die  Grundlage  der 
gesummten  oben  angeführten  Erscheinungen  sein.  Acut  entstandene 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


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Psychosen  mit  katatonischen  Erscheinungen  verlaufen  relativ  un¬ 
günstiger  als  die  ohne  solche,  kommen  jedoch  zu  weitgehender 
Besserung,  respective  Wiederherstellung.  Die  ungünstig  verlaufenden 
dieser  Fälle  von  den  günstig  endenden  auf  Grund  gewisser  Grund¬ 
züge  zu  trennen,  erscheint  Meyer  nicht  möglich.  Bezüglich  der 
weiteren  Ausführungen  der  umfangreichen  Arbeit,  muss  auf  das 
Original  verwiesen  werden.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXII, 

Heft  3.)  S. 

* 

228.  In  der  Freien  Vereinigung  der  Chirurgen  Berlins  konnte 
Langenbuch  das  Präparat  eines  ausserordentlich  er¬ 
weiterten  Ductus  choledoch  us  vorweisen.  Dasselbe 
stammte  von  einer  Frau,  bei  welcher  regelrecht  die  Cholecyslomie 
ausgeführt  worden  war.  Bei  der  Section  stellte  es  sich  heraus,  dass 
nicht  die  Gallenblase,  sondern  der  Choledochus  eröffnet  worden 
war,  dessen  Verschluss  und  Erweiterung  ein  Darmcareinom 
bedingt  hatte.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  10.) 

229.  Spontane  Aufsaugung  seniler  S t a a r e  in 
geschlossener  Kapsel.  Von  Prof.  v.  Reuss  (Wien).  Autor 
beobachtete  abermals  einen  Fall,  in  welchem  eine  Kapselkatarakt 
bestanden,  welche  bis  auf  kleine  Reste  resorbirt  worden  war,  ohne 
dass  eine  Verletzung  der  Linsenkapsel  vorausgegangen  wäre.  Viel¬ 
leicht  besteht  ein  Zusammenhang  zwischen  dieser  Linsenresorption 
und  einem  Glaukomanfall,  der  ein  Jahr  zuvor  aufgetreten  war.  Von 
den  34  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Fällen  spontan  verschwin¬ 
dender  Staare  (darunter  zwei  Eigenbeobachtungen  von  Professor 
v.  Reuss)  waren  15  theils  durch  Glaukom,  theils  mit  Er¬ 
krankungen  der  Iris  und  des  übrigen  Uvealtractus  complicirt  ge¬ 
wesen.  —  (Centralblatt  für  praktische  Augenheilkunde.  Februar  1900.) 

* 

230.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Kocher  in 
Bern.)  Eine  Methode  früher  Radicaloperation  bei 
Perityphlitis.  Von  A.  Kocher.  Zuerst  wird  die  Eröffnung 
des  Abscesses  ausgeführt,  die  Abscesshöhlc  ausgespült,  eventuell 
mit  Lysol  desinficirt;  die  Entfernung  des  Appendix  wird  erst  am 
nächsten  oder  zweitnächsten  Tage  vorgenommen.  Die  Abscesshöhle 
wird  mit  Jodoformgaze  tamponirt  und  für  die  Dauer  der  folgenden 
Operation  provisorisch  vernäht,  die  Nahtlinie  mit  sterilem  Tuch 
bedeckt.  Hierauf  erst  wird  die  Haut  gereinigt,  am  Rectusrand 
schräg  incidirt,  das  Peritoneum  eröffnet  und  auf  den  Wurmfortsatz 
vorgedrungen.  Die  Hautwunde  wird  erst  am  zweiten  Tage  secundär 
geschlossen.  —  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1900,  Nr.  8.) 

* 

231.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  M  a  r  a  g  1  i  a  n  o 
in  Genua.)  lieber  den  pyogenen  Ursprung  der  Chorea 
rheumatic  a  und  der  rheumatischen  Process  e.  Von 
Prof.  Mircoli.  Anlässlich  einer  Controverse  über  den  ätiologischen 
Zusammenhang  zwischen  Chorea  und  polyarticulärem  Gelenk¬ 
rheumatismus  betont  Mircoli,  dass  nach  seiner  Ueberzeugung 
beide  genannten  Krankheiten  durch  Staphylococcen,  beziehungs¬ 
weise  Streptococcen  bedingt,  demnach  pyogener  Natur  und  als  ab¬ 
geschwächte  Pyämie  aufzufassen  sind.  Die  Gelenkserscheinungen 
sind  zwar  bei  der  einen  Erkrankungsform  das  auffälligste  Symptom, 
aber  weit  mehr  fällt  ins  Gewicht,  dass  auch  ebenso  gut  die  inneren 
Organe,  vor  Allem  das  Herz  aber  auch  Nieren  und  Gehirn  von  der 
Infection  betroffen  sein  können.  - — -  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  14.) 

* 

232.  Bemerkungen  über  den  üblen  Geruch  aus 
dem  Munde.  Von  B.  Fraenkel  (Berlin).  Zunächst  ist  festzu¬ 
stellen,  dass  wirklich  der  Mund  und  nicht  die  Nase  die  Quelle  des 
Geruches  ist ;  zu  diesem  Zwecke  wird  die  Nase  fest  zugehalten 
und  der  Mundathem  auf  den  Geruch  hin  geprüft.  Welche  Stelle 
im  Munde  für  den  Fötor  verantwortlich  zu  machen  ist,  erfährt 
man,  wenn  man  die  verdächtigen  Stellen  mit  Watte  betupft  und 
diese  dann  beriecht.  Die  häufigte  Ursache  sind  cariöse  Zähne, 
dann  folgen  die  Tonsillen  mit  den  Pröpfen  und  käsigen  Abscessen 
in  ihnen,  in  welchem  Falle  Abtragung  der  Mandeln,  Incision,  be¬ 
ziehungsweise  Behandlung  mit  Lugol’scher  Lösung  in  Frage 


kommt.  In  dritter  Linie  zählt  die  Plica  tonsillaris  und  der  Recess  us 
tonsillaris  zu  denen,  wo  sich  nicht  selten  sich  zersetzendes  Secret 
befindet.  Lassen  sich  die  genannten  Orte  nicht  als  die  Quelle  des 
üblen  Geruches  feststellen,  sind  ferner  Oesophagus  und  dietieferen  Re- 
spirationenswege  auszuschalten,  dann  ist  das  Secret  der  ganzen 
Schleimhaut  als  in  stinkender  Zersetzung  begriffen,  anzusehen;  in 
diesem  Falle  sind  Spülungen  mit  Desodorantien  am  Platze.  In 
manchen  Fällen  hat  blos  der  Kranke  das  Gefühl,  dass  seine  Athmungs- 
luft  übel  rieche,  während  objectiv  davon  nichts  wahrzunehmen  ist, 
ein  Zustand,  der  manchmal  als  erstes  Krankheitssymptom  einer 
Hypochondrie  oder  Paranoia  auftritt.  —  (Archiv  für  Laryngologie 
und  Rhinologie.  Bd.  X,  Heft  1.) 

* 

233.  Sollen  lungenkranke  Aerz  te  Schiffsdienst 
nehmen?  Von  Dr.  Freund  (Prag).  Die  Gepflogenheit  junger 
Aerzte,  sobald  sie  an  sich  die  Spuren  einer  Lungenerkrankung  be¬ 
merken,  als  Schiffsärzle  zu  dienen,  hat  schon  oft  zu  Missgriffen  ge¬ 
führt.  Dieser  Dienst  ist  entschieden  zu  widerrathen,  wenn  die 
Phthise  bereits  vorgeschritten  ist;  leichte  Grade  derselben  und 
chronischer  Bronchialkatarrh  könnten  günstig  beeinflusst  werden, 
wenn  gewisse  im  Original  näher  geschilderte,  ungünstige  Fahrten 
vermieden  werden  könnten.  Das  ist  bei  dem  Dienste  eines  Schiffs¬ 
arztes  nicht  leicht  möglich,  und  so  kann  es  geschehen,  dass  der 
der  Schonung  und  Erholung  bedürftige  brustkranke  Schiffsarzt  oft 
Reisen  mitmachen  muss,  von  denen  selbst  der  Robuste  geschwächt 
und  meist  mit  starkem  Körpergewichtsverluste  zurückkehrt.  - 
(Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische  Therapie.  Bd.  IV, 
Heft  1.) 

234.  Die  klinische  Bedeutung  und  experimen¬ 
telle  Erzeugung  körniger  Degenerationen  in  den 
r  o  t  h  e  n  Blutkörperchen.  Von  Prof.  G  r  a  w  i  t  z  (Charlotten- 
burg).  ln  neuerer  Zeit  ist  über  das  Auftreten  basophiler  Körnchen 
in  den  rothen  Blutkörperchen  berichtet  worden,  welche  von 
Grawitz  nicht  als  Zerfallsproducte  des  Kernes  der  Erythrocyten, 
sondern  als  degenerative  Erscheinungen  in  Folge  der  Einwirkung 
von  Blutgiften  gedeutet  werden.  Sie  wurden  in  reichlicher 
Weise  bei  pernieiöser  Anämie,  Krebskranken,  Leukämie,  Bleiver¬ 
giftung,  nicht  aber,  was  unter  Umständen  diagnostisch  wichtig  sein 
könnte,  bei  Chlorose,  Lungentuberculose,  Syphilis,  parenchymatöser 
Nephritis  und  Schrumpfniere  gefunden.  Sie  bilden  manchmal  ein 
frühzeitiges  Symptom  beginnender  Blutarmuth.  - —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  9.) 

* 

235.  (Aus  dem  städtischen  Krankenhause  in  Kiel.)  Ueber 
die  Glykosurio  der  Vaganten.  Von  G.  II  o  p  p  e  -  S  e  y  1  e  r. 
Es  wurde  bei  Leuten  Glykosurie  beobachtet,  welche  längere  Zeit 
ein  unstetes  unregelmässiges  Leben  geführt,  und  dabei  häufig  wohl 
auf  schlecht  zubereitete,  ungenügende,  schwer  verdauliche  Nahrung 
angewiesen  waren,  sowie  sich  verschiedenen  Schädlichkeiten  aus¬ 
zusetzen  gezwungen  waren.  In  den  beobachteten  Fällen  war  allen 
gemeinsam:  Glykosurie  bei  der  Aufnahme  ins  Spital,  rasches  Ver¬ 
schwinden  derselben  bei  gemischter,  kohlehydratreicher  Kost,  ferner 
dass  dieselbe  auch  dann  nicht  wieder  auftrat,  wenn  Traubenzucker 
(100 — 200 g)  nüchtern  gegeben  wurden.  Diese  Glykosurie  konnte 
weder  auf  Störungen  in  der  Medulla,  noch  auf  latenten  Diabetes 
zurückgeführt  werden,  dagegen  lag  es  nahe,  Störungen  im  Bereiche 
der  Verdauungsorgane,  der  Leber,  des  Pankreas,  überhaupt  die 
Unterernährung  des  Körpers  mit  ihren  Folgen  zur  Vaganten-Glyko- 
surie  in  ursächlichen  Zusammenhang  zu  bringen.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenscheift.  1900,  Nr.  IG.) 

* 

236.  Auf  Grund  der  Erfahrungen,  die  Prof.  Robson  bei 
den  von  ihm  operirten  34  Fällen  von  Magengeschwür  zu 
machen  Gelegenheit  hatte,  sowie  nach  Allem,  was  bis  jetzt  darüber 
bekannt  geworden  ist,  ist  es  besser,  die  Fälle  mit  acuter  Hiimorrhagie 
(64'2%  Mortalität  bei  der  operativen  Behandlung)  der  internen 
Medication  zuzuweisen  (5 — 10%);  bei  chronischen  Blutungen  je¬ 
doch  und  bei  Silz  des  Geschwüres  am  Pylorus  wird  die  Gastro¬ 
enterostomie  nach  allen  Richtungen  hin  die  Beschwerden  beheben. 
—  (Brit.  med.  Journ.  10.  März  1900-) 

* 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  2? 


630 


21-57.  Dr.  Stoen  berichtet  über  eine  33jährige  Frau,  welche, 
während  sie  an  einer  Diphtherie  krank  lag,  von  einem  Kinde  ent¬ 
bunden  wurde,  nachdem  sie  zwei  Inge  vorher  loOO  Antitoxin¬ 
einheilen  injicirt  erhalten  hatte.  Als  das  Kind  vier  Tage  alt  war, 
wurde  bei  demselben  ebenfalls  Diphtherie  constatirt,  worauf  es 
zuerst  350  und  am  folgenden  Tage  1000  Einheiten  eingespritzt 
erhielt.  Es  wurden  keinerlei  üble  Nebenwirkungen  beobachtet.  — 
(Brif.  med.  Journ.  10.  März  1000.) 

* 

238.  Dr.  Bärri  (Jonen)  erwähnt  einen  Fall,  in  welchem  eine 
5  cm  lange,  mit  einem  erbsengrossen  Kopfe  versehene  Nadel  in 
die  Luftröhre  aspirirt  und  daselbst  einen  Monat  später  mittelst 
R  ön  tg  e  n  -  Strahlen  feslgestellt  wurde;  zwei  Monate  darauf  wurde 
die  Fnlfernung  der  bereits  in  den  linken  Hauptbronchus  einge- 
wanderlen  Nadel  jedoch  vergeblich  versucht,  obwohl  deren  nach 
oben  gerichtete  Spitze  nach  vorausgeschickter  Tracheotomia  inferior 
gefasst  werden  konnte;  angeblich  war  der  Knopf  im  Bronchus  fest- 
gewachsen.  Tod  darauf  durch  eine  Pneumonie.  —  (Correspondenzblatt 
für  Schweizer  Aerzle.  1900,  Nr.  7.) 

* 

239.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  von  Prof.  v.  Leyden 

zu  Berlin.)  lieber  Sidonal  (chinasaures  Piperazin). 
Von  Blumenthal  und  Lew  in.  Was  einzig  und  allein  bis  jetzt 
in  der  Pathologie  der  Gicht  unbestritten  dasteht,  sind  die  Ab¬ 
lagerungen  von  Harnsäure.  Gegen  diese  hat  sich  zumeist  auch  in 
medicamentöser  Hinsicht  das  therapeutische  Handeln  gerichtet. 
Durch  Versuche  konnte  an  der  Ley  de  n'schen  Klinik  festgestellt 
werden,  dass  das  Sidonal,  beziehungsweise  die  Chinasäure  die  in¬ 
teressante  Eigenschaft  besitzt,  bei  Darreichung  von  täglich  etwa 
zehnmal  0‘5  die  Bildung  der  Harnsäure  im  Organismus  zu  hemmen 
und  dafür  Hippursäure  zu  bilden.  Ein  günstiger  Einfluss  dos 
Sidonal  s  auf  die  harnsaure  Diathese  ist  schon  von  mehreren 
Seiten  berichtet  worden.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900, 
Nr.  4.)  _ 

VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  Cullen  und  Dr.  Kussel  zu  Professoren 
der  Gynäkologie  an  der  John  II  o  p  k  i  n  s- Universität  zu  Baltimore; 
Dr.  Roncoroni  zum  a.  o.  Professor  der  Psychiatrie  in  Cagliari, 
Dr.  Calmette  zum  Professor  der  Hygiene  und  Bacteriologie  in 
Lille,  Dr.  Bose  zum  Professor  der  pathologischen  Anatomie  in 
Montpellier. 

* 

Verliehen:  Dem  Stabsarzte  Dr.  F  ranz  Ebert  in  Ragusa 
der  Oberstabsarztens-Charakter  ad  honores  und  das  Ritterkreuz  des 
Franz  Joseph-Ordens.  —  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  August  Som¬ 
mer  in  Franzensbad  das  Ritterkreuz  des  Franz  Joseph-Ordens.  — 
Hofrath  Prof.  Rudolf  Chrobak  in  Wien  das  Comthurkreuz  II.  CI. 
des  königlich  sächsischen  Albrechts-Ordens.  —  Dem  praktischen  Arzte 
Dr.  Wilhelm  L  i  e  b  1  e  i  n  in  Graz  der  königlich  preussische  Rothe 
Adler-Orden  IV.  CI. 

* 

Habil  itirt:  Der  Privatdocent  Dr.  Tchermak  in  Leipzig 
für  Physiologie  in  Halle.  —  Die  Doctoren  :  Patel  lani  für  Geburts¬ 
hilfe  und  Gynäkologie  und  Codi  villa  für  Chirurgie  in  Bologna, 
Secchi  für  Dermatologie  und  Syphilidologie  in  Cagliari,  Jamma 
für  Pädiatrie  in  Genua,  Gangitano  für  chirurgische  Pathologie  in 
Messina,  Graziani  für  medicinische  Pathologie  in  Neapel,  A  r  s  1  a  n 
für  Laryngologie  in  Padua  und  For  tu  na  to  für  Ophthalmologie  in 
Palermo. 

* 

Gestorben:  Privatdocent  Dr.  Hofmann  in  Halle  und  der 
Professor  für  die  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane  in 
New  York,  F.  N.  Otis. 

* 

Dr.  Arthur  Schiff,  gewesener  Assistent  der  III.  medicini¬ 
schen  Klinik,  wohnt  vom  1.  Juli  1900  an:  IX.,  Wasagasse  4 
(Ecke  Kolingasse). 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  24.  Jahreswoche  (vom  10.  Juni 
bis  16.  Juni  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  620,  unehelich  296,  zusammen 
916.  Todt  geboren:  ehelich  30,  unehelich  27,  zusammen  57.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  680  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
2P3  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  125,  Blattern  0,  Masern  21, 


Scharlach  1,  Diphtherie  und  Croup  2,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  3, 
Typbus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  45.  Angezeigte  Infectionskrankbeiten :  Blattern  1  (-(-1),  Varicellen 
42  ( —  8),  Masern  253  ( —  44),  Scharlach  29  ( —  16),  Typhus  abdominalis 
8  ( —  11),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  29  (-f-  7),  Croup  und 
Diphtherie  19  ( —  8),  Pertussis  45  ( —  4),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (-j-  1),  Trachom  1  ( —  4),  Influenza  0  (=)■ 

Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Ebstein  und  Schwalbe,  Handbuch  der  praktischen  Medicin.  Lieferung 
14  —  22.  Enke,  Stuttgart. 

Pciper,  Fliegenlarven  als  gelegentliche  Parasiten  des  Menschen.  Marcus, 
Berlin.  76  S. 

Joseph  und  Loewenbacll,  Dermato-histologisehe  Technik.  Ibidem.  2.  Auf¬ 
lage.  Preis  M.  3. — . 

Schütz  und  Huppert,  Ueber  einige  quantitative  Verhältnisse  bei  der 
Pepsinverdaunng.  Separatabdruck  aus  dem  Archive  für  die  gesummte 
Physiologie. 

Gerhardt,  Lehrbuch  der  Auscultaiion  und  Percussion.  6.  Auflage.  Laupp, 
Tübingen.  381  S. 

Rotter,  Die  typischen  Operationen.  6.  Auflage.  Lehmann  München.  Preis 
M.  8.—  . 

Neustiitter,  Schattenprobe.  Ibidem.  Preis  M.  1.20. 

Annnann,  Die  Begutachtung  der  Erwerbsfähigkeit  nach  Unfall  Verletzungen 
des  Sehorganes.  Ibidem.  Preis  M.  2.  — . 

Hertoghe,  Die  Rolle  der  Schilddrüse.  Deutsch  von  Spiegelberg. 
Ibidem.  Preis  M.  2,  — . 

II aab,  Atlas  und  Grundriss  der  Ophthalmoskopie.  3.  Auflage.  Ibidem. 
Preis  M.  10.  — . 

Leser,  D  e  specielle  Chirurgie  in  60  Vorlesungen.  Fischer,  Jena.  4.  Auflage. 
Preis  M.  20. — . 

Friedmann.  Die  Pflege  und  Ernährung  des  Säuglings.  Bergmann,  Wies¬ 
baden.  Preis  M.  2. — . 

Pollatscliek,  Die  therapeutischen  Leistungen  des  Jahres  1899.  Ibidem. 
Preis  M.  8.—. 

Pfeiffer,  Verhandlungen  der  16.  Vei Sammlung  der  Gesellschaft  für  Kinder¬ 
heilkunde.  Preis  M.  8. — . 

Krautz.  Diagnose  und  Therapie  der  nervö.-en  Frauenkrankheiten  in  Folge 
gestörter  Mechanik  der  Sexualorgane.  Ibidem.  Preis  M.  2.80. 
Obersteiner,  Functionelle  und  organische  Nervenkrankheiten.  Ibidem. 
Preis  M.  1. — . 

MöbillS,  Ueber  Entartung.  Ibidem.  Preis  M.  1. — . 

Pflüger,  Die  operative  Beseitigung  der  durchsichtigen  Linse.  Ibidem.  Preis 
M.  7.60. 

Brascll,  Die  anorganischen  Salze  im  menschlichen  Organismus.  Ibidem. 
Preis  M.  2.40. 

Franke,  Der  Pemphigus  und  die  essentielle  Schrumpfung  der  Bindehaut 
des  Auges.  Ibidem.  Preis  M.  3.60. 

David,  Grundriss  der  orthopädischen  Chirurgie.  Karger,  Betliu.  Preis 
M.  4.60. 

Kalischer,  Die  Urogenitalmusculatur  des  Dammes.  Ibidem.  Preis 
M.  13.40. 

Niessen,  Beiträge  zur  Sypliilisforschung.  Selbstverlag. 

Arbeiten  aus  dem  neurologischen  Institute  der  Wiener  Universität. 
Herausgegeben  von  Prof.  Obersteiner.  7.  Heft.  Danticke,  Wien. 
316  S. 

Neuburger,  Die  Anschauungen  über  den  Mechanismus  der  specifischen 
Ernährung.  Ibidem.  105  S. 

Bottazzi,  Physiologische  Chemie.  1.  Lieferung.  Deutsch  von  Boruttau. 
Ibidem. 

Benda,  Intermittirende  Gelenkwassersucht.  Coblentz,  Berlin.  Preis  M.  2.  — . 
Ziehen.  Leitfaden  der  physiologischen  Psychologie.  5.  Auflage.  Fischer, 
Jena,  267  S. 

Marcuse,  Die  Hydrotherapie  im  Alterthume.  Enke,  Stuttgart.  Preis 
M.  2.  —  . 

Baginsky  und  Janke,  Handbuch  der  Schulhygiene.  3.  Auflage.  II.  Bd. 
Ibidem.  Preis  M.  10. — . 

Bergmann,  Bruns  und  Mikulicz,  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie. 
Lieferung  11  — 15.  Ibidem. 


Freie  Ktelleu. 

Zur  Wiederbesetzung  der  erledigten  Stelle  eines  Secundararzte» 
der  Landes-Irrenanstalt  Valduna  bei  R  a  n  k  w  e  i  1  in  Vor¬ 
arlberg  wird  hiemit  die  Bewerbung  ausgeschrieben  und  liiefür  ein  Fach¬ 
mann  gefordert,  der  in  der  Anstalt  zu  wohnen  hat.  Der  Jahresgehalt  beti  ägt 
2000  K  und  wird  in  monatlichen  Anticipandoraten  ausbezahlf.  Gleichzeitig 
stehen  dem  Secundararzte  eine  Wohnung  und  freie  Station  zur  Verfügung. 
Im  Uebrigen  wird  sich  auf  die  bestehenden  Statuten  und  die  Instruct  ion  berufen 
und  nur  noch  bemerkt,  dass  dem  Secundararzte  jederzeit  ein  sechsmonat¬ 
liches  Kündigungsrecht  zusteht.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  Gesuche 
mit  den  ärztlichen  und  chirurgischen  Diplomen,  den  Belegen  über  Alter, 
Stand,  Sprachenkenntnisse  und  bisherige  Verwendung,  insbesondere  über  ihre 
bisherige  Dienstleis’ung  in  Ii ren Anstalten  h  i  s  31.  J  u  1  i  d.  J.  heim  gefertigten 
Landesausschusse  zu  überreichen. 

Bregen  z,  am  13.  Juni  1900. 

Für  den  Landesausschuss  in  Vorarlberg  der  Landeshauptmann: 

Adolf  Rhomberg. 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


631 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


INHALT: 


Greifswaldei*  medicinisclier  Verein.  Sitzung  vom  10.  Mürz  und  5.  Mai  1900. 
Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien.  Sitzung  vom 
12.  Juni  1900. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  7.  Juni  1900. 

71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München 
Vom  17. — 22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


Greifswalder  medicinischer  Verein. 

Sitzung  vom  10.  März  1900. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer:  Russe. 

I.  R  i  e  c  k  spricht  über  eine  neue,  in  der  M  a  r  t  i  n’schen 
Klinik  angewandte  Methode  von  Nabel  Versorgung  bei  Neugeborenen. 
Die  Nabelschnur  wird  dicht  am  Nabelring  mit  einem  Seidenfaden 
unterbunden  und  etwas  oberhalb  der  Ligatur  mit  einer  glühend  ge¬ 
machten  Brennscheere  abgebrannt.  Der  Vortheil  besteht  in  der  Her¬ 
stellung  eines  sehr  kleinen  trockenen  Nabelsclinurstumpfes,  in  einer 
Verkürzung  des  Heilungsproeesses  auf  drei  bis  vier  Tage  und  Herab¬ 
setzung  der  Infectionsgefahr.  Die  bisher  an  52  so  behandelten  Fällen 
gewonnenen  Erfahrungen  werden  mifgetheilt  und  10  Säuglinge  aus 
den  verschiedensten  Stadien  der  Nabelheilung  demonstrirt. 

II.  A .  Martin  demonstrirt  eine  Frau,  an  welcher  er  vor  neun 
Tagen  aus  relativer  Indication  den  Kaiserschnitt  ausgeführt  hat.  Es 
handelt  sich  dabei  um  eine  36jährige  Primipara,  bei  der  am  Ende  des 
nennten  Schwangerschaftsmonates  ohne  Prodromalerscheinungen  Eklamp¬ 
sie  eintrat.  Es  bestand  Orthopnoe  und  hochgradige  Nephritis,  ln  An¬ 
betracht  der  rapiden  Verschlechterung  des  Allgemeinbefindens  schien 
die  Entbindung  dringend  geboten,  und  diese  wurde  durch  den  Kaiser¬ 
schnitt  nach  F  r  i  t  s  c  h  ausgeführt.  Das  Koma  ist  erst  am  vierten  Tage 
ganz  geschwunden.  Die  Heilung  verläuft  glatt. 

III.  Bier  demonstrirt  einen  Empyemkranken,  der  nach 
dem  von  Delorme  angegebenen  Verfahren  operirt  und 
ohne  seitliche  Verkrümmungen  geheilt  ist. 

IV.  Löffler  gibt  einen  erschöpfenden  zusammenfassenden 
Bericht  über  den  Stand  der  Malariaforschung  und  besonders 
die  durch  die  K  o  c  h’schen  Untersuchungen  gewonnenen  Fortschritte. 

* 

Sitzung  vom  5.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer:  Busse. 

I.  Busse:  Ueber  die  Geschwülste  der  grossen  Harnwege: 
Busse  gibt  unter  Demonstration  von  zahlreichen  Präparaten  eine 
Uebersicht  über  die  Gestalt,  den  histologischen  Bau  und  das  Vor¬ 
kommen  von  Geschwülsten  in  den  grossen  Harnwegen  und  betont  be¬ 
sonders,  dass  aus  der  Gestalt  und  Structur  der  Zotten  kein  Rück¬ 
schluss  auf  den  Bau  und  die  Gutartigkeit  der  Geschwülste  gemacht 
werden  könne.  Die  Zotten  zeigen  bei  Sarkomen,  Carcinomen  und  Fi¬ 
bromen  gewöhnlich  ganz  gleiches  Aussehen,  entscheidend  ist  die  Unter¬ 
suchung  des  Geschwulstbodens.  Zwei  ganz  besonders  interessante  Fälle 
von  Geschwulstentwicklung  in  den  grossen  Harnwegen  geben  Veran¬ 
lassung  zu  diesem  Vortrag. 

Es  handelt  sich  bei  beiden  Fällen  um  Männer  von  etwa  55  Jahren, 
bei  denen  die  ersten  Symptome  der  Erkrankung  20,  bezüglich  7  Jahre 
zurüekzuverfolgeu  sind.  Die  periodisch  auftretenden  Blutbeimengungen 
des  Urins  nahmen  in  den  letzten  Jahren  zu,  Druckbeschwerden  in  der 
rechten,  im  anderen  Falle  in  der  linken  Nierengegend  führten  sie  ins 
Krankenhaus.  Hier  wurde  dann  in  beiden  Fällen  ein  mächtiger  Tumor 
festgestellt,  der  sich  bei  der  Exstirpation  als  riesenhafte  Hydronephrose 
auswies.  Die  Innenfläche  des  ungeheuer  erweiterten  und  stark  ver¬ 
dickten  Nierenbeckens  war  mit  zahllosen  papillären  Erhebungen  besetzt 
und  als  die  Patienten  einige  Zeit  (vier  Wochen  in  einem,  fünf  Monate 
im  anderen  Fall)  nach  der  Operation  starben,  zeigte  sich  in  beiden 
Fällen  auch  der  ganze  Ureter  mit  Zottengeschwülsten  angefüllt  und 
ebenso  ein  Theil  der  Blase,  und  zwar  war  in  dem  einen  Fall  die  Er¬ 
krankung  auf  die  rechte  Hälfte  beschränkt,  so  dass  also  Nierenbecken, 
Harnleiter  der  einen  Seite  und  der  zugehörige  Theil  der  Harnblase 
von  grossen,  aber  gutartigen  Zottengewächsen  eingenommen  waren. 
In  dem  anderen  Falle  waren  die  Geschwülste  im  linken  Nierenbecken 
und  Harnleiter  auch  gutartig,  in  der  Blase  dagegen  fand  sich  Krebs¬ 
infiltration  der  Wand.  Hier  war  auch  die  Geschwulstentwicklung  nicht 
auf  eine  Hälfte  beschränkt,  sondern  hatte  den  grössten  Theil  der  Harn¬ 


blase  ergriffen.  Eine  derartige  Gesell wulstentartung  der  gesammten 
grossen  Harnwege  auf  einer  Seite  ist  durchaus  ungewöhnlich. 

II.  S  o  1  g  e  r  spricht  über  den  Schenkelsporn 
(Merkel)  und  die  Involution  der  Spongiosa  des 
Femurhalses.  Er  sieht  in  dem  Schenkelsporn  ein  Stück  der 
hinteren  Wand  des  Halses  des  Femur,  das  beim  Längenwachsthum  in 
das  Innere  des  Schaftes  aufgenommen  wurde.  Die  Involution  der 
Spongiosa  beginnt  in  der  Regel  in  dem  ventral  vom  Sporn  gelegenen 
Spongiosagebiet  im  Bereiche  des  schon  bei  jüngeren  Individuen  durch 
zarte  Knochenbälkchen  ausgezeichneten  W  a  r  d’schen  Dreiecks,  die 
aber  mit  dem  Verlaufe  von  Druck-  und  Zugcurven  zusammenfallen. 
Die  Communication  dieser  Resorptionslücke  mit  der  Markhöhle  der 
Diaphyse  ist  eine  secundäre  Erscheinung.  Die  Krahuentheorie  des 
Femurhalses  ist,  wie  kürzlich,  auf  andere  Gründe  gestützt  auch 
E.  Albert  hervorhob,  nicht  mehr  aufrecht  zu  erhalten.  Der  Vortrag 
wird  in  den  „Anatomischen  Heften*1  erscheinen. 

III.  Grawitz:  Ueber  Regeneration  derKehlkopf- 
s  c  h  1  e  i  in  h  a  u  t.  Bei  einem  dreijährigen  Mädchen  war  nach  derCricotomie 
ein  grösserer  Defect  im  Kehlkopf  entstanden,  der  durch  Einpflanzen  von 
einem  Knorpelknochenstückchen  aus  dem  Brustbein  durch  Herrn  Professor 
Bier  gedeckt  wurde.  Bei  dem  etwa  sechs  Wochen  nach  der  Plastik  er¬ 
folgenden  Tode  fand  sich  zwischen  den  beiden  Schenkeln  des  vorne  aus- 
einandersteheuden  Ringknorpels  ein  6  — 10  mm  breites  Stückchen  derbes 
Narbengewebe,  in  dem  noch  Reste  des  implantirten  Knorpels  zu  er¬ 
kennen  sind.  Innen  ist  das  NarbeDgewebe  mit  einer  meist  nur  ein¬ 
fachen  Lage  cubischer  Epithelien  bedeckt,  von  der  eine  Anlage  neuer 
Schleimdrüsen  ausgeht.  Es  tritt  von  Strecke  zu  Strecke  unter  dem 
Epithel  durch  Zellenwucherung  eine  Auflockerung  des  derben  Binde¬ 
gewebes  ein.  In  dieses  weichere  Gewebe  sendet  das  Epithel  kleine 
Sprossen,  welche  schräg  nahe  der  Innendecke  Vordringen,  sich  gabeln 
und  schlängeln.  Je  näher  der  alten  Schleimhaut,  desto  weiter  sind  die 
Drüsen  und  Zellen  entwickelt.  Dieser  Fall  weist  den  Weg,  wie  man 
zweckmässig  Regeneration  von  Ephithel  und  Schleimdrüsen  unter¬ 
suchen  kann,  weil  man  hier  ganz  sicher  ist,  dass  die  Regeneration 
wirklich  von  der  Oberfläche  her  und  nicht  von  den  in  der  Tiefe  er¬ 
halten  gebliebenen  Fundustheilen  der  Drüsen  aus,  wie  z.  B.  bei 
Decubitalgeschwüren  des  Darmes  oder  nach  Curettement  deä  Uterus 
vor  sich  geht. 


Verhandlungen  des  Physiologischen  Clubs  zu  Wien. 

Jahrgang  1899 — 1900. 

Sitzung  vom  12.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Herr  Sigm.  Exner. 

Schriftführer:  Herr  Sigm.  Fuchs. 

I.  Herr  L.  Rethi  hält  den  angekündigten  Vortrag:  Ex¬ 
perimentelle  Untersuchungen  über  die  Luftströmung 
in  der  normalen  Nase,  sowie  bei  pathologischen  \  er- 
änder  ungen  derselben  und  des  Nasen  -  R  ac  h  enraume  s. l) 

Vortragender  führt  das  bisher  durch  Versuche  über  die  Luft¬ 
strömung  in  der  Nase  bekaunt  Gewordene  in  Kürze  an  und  theil t  die 
Resultate  seiner  Untersuchungen  mit,  die  er  im  physiologischen  In¬ 
stitute  der  Wiener  Universität  ausgeführt  hat.  Die  Versuche  wurden 
an  Köpfen  von  menschlichen  Leichen  vorgenommen,  und  zwar  theils  an 
frischen,  theils  an  Trockenpräparaten,  weil  an  letzteren  die  pathologi¬ 
schen  Veränderungen  in  der  Nase,  im  Nasen-Kacheuraume  und  an  der 
äusseren  Nase  durch  Wachsmodellirung  leicht  naebgeahmt  werden 
können.  An  dem  in  der  Mittellinie  durchsägten  Schädel  wurde  die 
äussere  Nasenwand  mit  Lakmuspapier  belegt  und,  nach  Verschluss  von 
innen  her  durch  eine  Glasplatte,  theils  Ammoniakdämpfe,  theils  I  abak¬ 
rauch  durchgeleitet  —  aspirirt  oder  im  Sinne  der  Exspiration  heraus- 

i)  Die  ausführliche  Publication  erfolgt  in  den  Sitzungsber.  d.  kais. 
Akad.  d.  Wissenscb.  in  Wien. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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getrieben,  so  dass  der  Weg  der  Luft  durch  die  Bläuung  des  Lakmus- 
papieres  constatirt,  beziehungsweise  direct  verfolgt  werden  konnte. 

Die  Resultate  dieser  Untersuchungen  sind  folgende:  In  der 
normalen  Nase  dringt  d  i  o  Luft  bei  der  Inspiration 
senkrecht  auf  die  Ebene  der  äusseren  N  a  s  o  n  ö  f  f  n  u  n- 
g  e  n  ein,  prallt  am  Septum  an  und  strömt  im  Bogen 
am  vorderen  Ende  der  mittleren  Muschel  vorbei, 
nach  innen  von  derselben  zum  T  h  e  i  1  e  über,  zu  m 
T  h  e i 1 e  unter  derselben  fast  bis  zur  oberen  Fläche 
der  unteren  Muschel  hauptsächlich  durch  den  mitt¬ 
leren  N  a  s  e  n  g  a  n  g  nach  hinten  in  den  Nasen-ßachen- 
raum.  Am  geringsten  ist  die  Luftbewegung  unter  dem  Naseudache. 
Ebenso  ist  die  Luftströmung  bei  der  Exspiration.  Bei  Stumpfuase  flacht 
sich  der  Bogen  ab.  Die  Weite  der  Nase  und  der  inneihalb  normaler 
Grenzen  verbleibende  Turgor  der  Schleimhaut  hat  keinen  merkbaren 
Einfluss  auf  die  Richtung  des  Luftstromes. 

W  as  die  Nebenhöhlen  betrifft,  so  hängt  die  Luftbewegung  in 
denselben  von  der  Stärke  und  dem  Wechsel  der  Luft¬ 
strömung,  der  Grösse  der  Oeffnung,  der  Art  der 
Einmündung  und  der  Configuration  der  nächsten 
Umgebung  ab. 

Pathologische  Veränderungen,  partielle  oder  totale  Verdickungen 
der  Muscheln,  Polypen,  Auswüchse  des  Septum,  adenoide  Vegetationen 
etc.  wurden  durch  Wachsmodelliiung  künstlich  nachgeahmt.  Es  zeigte 
sich,  dass  die  Luft  entsprechend  den  sich  entgegen¬ 
stellenden  Hindernissen  abgelenkt  wird,  aber  stets 
die  Tendenz  hat,  die  normale  Richtung  b  e  i  z  u  be¬ 
halten.  Bei  Hypertrophie  der  mittleien  Muschel  z.  B.  strömt  die 
Luft  hauptsächlich  unter,  nur  zum  Tlieile  über  derselben  nach  hinten. 
Bei  Vorhandensein  von  adenoiden  Vegetationen  fällt  der  Luftstrom 
hinten  steil  gegen  den  Nasen  Rachem  aum  ab.  Bei  Hypertrophie  der 
unteren  Muschel  in  ihrer  Mitte  strömt  die  Luft,  wie 
in  der  normalen  Nase;  durch  bedeutend  vergrösserte 
Enden  jedoch  wird  sie  in  ihrer  Strömung  abgelenkt. 
Resection  dieser  Muschel  ändert  nichts  Wesent¬ 
liches,  und  der  Luftstrom  erreicht  nicht  die  R  e  s  e  e- 
tionsstelle. 

Eine  Berührung  der  Luft  mit  der  unteren  Muschel  kommt 
also  nur  bei  beti  äehtlichcn  pathologischen  Veiänderungen,  be¬ 
deutenden  Hypertrophien  der  Muschelenden  oder  oberhalb  dieser 
Muschel  vor. 

Diese  Ergebnisse  stimmen  mit  den  klinischen  Erfahrungen  voll¬ 
kommen  überein,  denn  man  sieht  oft  bedeutende,  den  ganzen  unteren 
Nasengang  ausfüllende  Hypertrophien  der  unteren  Muschel  ohne  sub- 
jeetives  Gefühl  der  Nasenstenose  und  andererseits  bedeutende  Nasen¬ 
stenose  bei  freiem  unteren  Nasengang,  wenn  nämlich  die  mittlere 
Muschel  verdeckt,  adenoide  Vegetationen  oder  Hypertrophie  der  Enden 
der  mittleren  Muschel  vorhanden  sind. 

Demnach  kann  die  Schleimhaut  der  unteren  Muschel 
auf  die  Beschaffenheit  der  du  ich  strömenden  Luft 
keinen  wesentlichen  Einfluss  üben  und  diese  weder 
wesentlich  erwärmen,  noch  befeuchten,  und  eine  Ab¬ 
tragung  derselben  wird  in  dieser  Richtung  keine 
nennenswerthen  Veränderungen  zur  Folge  haben; 
in  der  That  geben  fast  alle  Autoren  an,  nach  mehr  oder  minder 
vollständiger  Resection  der  unteren  Muschel  keine  nachtheiligen 
Folgen,  etwa  Trockenheit  des  Rachens  oder  Kehlkopfes,  gesehen  zu 
haben . 

II.  Herr  P.  Dömcuy  (a.  G.)  hält  den  angekündigten  Vor¬ 
trag  :  Die  Resultate  der  M  a  r  c  h  i  -  F  ä  r  bung  n  ach  D  u  r  c  Il¬ 
se  hneidungsver  suchen  am  Olfactorius. 

Experimentelle  Untersuchungen  am  Olfactorius  sind  weniger  an¬ 
gestellt  worden  als  an  anderen  Gehirnnerven.  Die  Marchi’sehe 
Methode  wurde  hier  im  Jahre  1897  von  Löwenbach  angewendet. 
Er  stellte  auf  Edinger’s  Anregung  an  Kaninchen  und  Meer¬ 
schweinchen  Durchschneidungsversuche  au  und  studirte  die  danach 
in  den  cortico-olfactiven  Bahnen  auftretenden  Degenerationen  mittelst 
der  Osmiummethode.  Er  kappte  den  Bulbus  olfactorius  vom  Tractus 
ab,  in  einigen  Fällen  trennte  er  den  Tractus  vom  Lobus  pyriformis. 
Die  Resultate  seiner  Versuche  fasst  er  in  folgenden  Worten  zu¬ 
sammen:  „Es  degeneriren  die  Fasern  des  Tractus  olfactorius  lateralis. 
Dies  ist  die  Gesammtheit  der  grossen  Pinsel-  oder  Mitralzellenaehsen- 
cyliuder.  Die  Fasern  der  medialen  Seite  degeneriren  bedeutend 
weniger.  ln  der  Nähe  des  Ventriculus  olfactorius  degeneriren  einige 
Fasern  vor  der  Schnittfläche.  Dies  scheinen  Fasern  zu  sein,  die 
durch  das  mediale  Riechbündel  Zuckerkand  i’s  nach  hinten  und 
durch  die  Commisura  anterior  wieder  nach  vorne  ziehen,  also  centri- 
fugale  Fasern. 

Wäh  rend  K  ö  1  1  i  k  e  r  noch  ebenso  wie  frühere  Autoren  im 
Gyrus  fornicatus  gleichfalls  eine  Endslätte  des  medialen  Riechbündels 
vermuthet,  ist  es  Edingcr  zweifelhaft  gewoiden,  ob  der  Gyrus  fon  i- 


eatus  zum  Riechapparate  gehört.  Da  ich  in  demselben  keine  Degenei  a- 
tionen  gefunden  habe,  muss  ich  mich  dahin  aussprechen,  dass  wenig¬ 
stens  von  der  Spitze  des  Lobus  olfactorius  keine  direete  Verbindung 
zum  Gyrus  fornicatus  besteht.  Wird  die  Spitze  des  Lobus  pyriformis 
verletzt,  so  degeneriren  sowohl  Bulbus-  als  auch  Tractusfasern :  also 
der  Tractus  lateralis,  der  Tractus  medialis  oder  das  sogenannte  tiefe 
Riechmark  Edinger’s;  von  diesem  begibt  sich  ein  Theil  der  Fasern 
in  die  Rinde  des  Lobus  pyriformis,  dann  ein  Theil  in  der  Bahn  des 
Alveus  zum  Subiculum  und  zur  Fascia  dentata.  Was  die  Degenera¬ 
tionen  in  der  Commissura  anterior  anbetrifft,  ergeben  dieselben  be¬ 
züglich  der  Kreuzungsverhältnisse  kein  klares  Bild:  Wahrscheinlich 
geht  vom  medialen  Riechbündel  eine  Baliu  durch  das  Septum  pellucidum 
zum  Ammonshorn  der  anderen  Seite.“ 

So  weit  Löwenbach.  Meine  Resultate  bestätigen  seine  Be¬ 
funde;  auch  bin  ich  in  der  Lage,  einiges  Neue  hinzuzufügen.  Ich  habe 
im  Verlaufe  der  letzten  zwei  Jahre  an  Ratten  nach  Trepanation  des 
Seitenwand-  und  Stirnbeines  einseitig  den  Bulbus  und  theilweise  den 
Tractus  olfactorius  mit  der  Sonde  zerstört  und  die  Thiere  nach  10  bis 
20  Tagen  mit  der  M  a  r  c  h  i  -  Methode  untersucht. 

Aehnliche  Versuche  sind,  wie  ich  aus  Landois'  Lehrbuch  der 
Physiologie  entnehme,  von  Biffi  zu  physiologischen  Zwecken  an  jungen 
Hunden  doppelseitig  ausgefühlt  worden.  Seine  Resultate  sind  nicht, 
weiter  erwähnt,  v.  Bechterew  citirt  iu  der  Neuauflage  seiner  „Leitungs¬ 
bahnen“  Untersuchungen  über  dasselbe  Thema  von  Ponjatowski. 
Dieselben  blieben  in  Bezug  auf  die  Degeneration  der  jenseits  des 
Tractus  olfactorius  gelegenen  Tlieile  resultatslos.  Meine  Thiere  über¬ 
lebten  die  Operation  recht  gut,  und  in  ihren  Functionen  konnte  ich 
weiter  keine  auffällige  Veränderung  wahrnehmen.  Der  mikroskopische 
Befund  war  verschieden  ergiebig,  doch  immer  constant,  und  ich  erlaube 
wir,  zwei  solche  Hirne,  welche  gut  gelungenen  Experimenten  ent¬ 
sprechen,  zu  demonstriren.  An  denselben  lassen  sich  die  hauptsäch¬ 
lichsten  Veränderungen  nach  einseitiger  Zerstörung  des  Olfactoris 
zeigen.  Uebereinstimmend  mit  den  Untersuchungen  Zuckerkaudl’s, 
Edinger’s  u.  A.  sind  die  meisten  mit  dem  Olfactorius  in  Verbindung 
stehenden  Bahnen  degenerirt.  Nach  jeder  Verletzung  auch  nur  eines 
Olfactorius  treten  Degenerationen  in  beiden  Cerebralhälften  auf,  was 
durch  die  vorhandenen  zahlreichen  Commissuren  sich  unschwer  er¬ 
klären  lässt.  Schreiten  wir  in  der  Beobachtung  von  vorne  nach  hinten 
an  der  Hand  des  E  d  i  n  g  e  r’schen  idealen  Sagittalschnittes  vor,  so 
finden  wir  zerfallen:  Den  vorderen  Schenkel  der  Commissura 

anterior,  den  medialen  und  lateralen  Riechstreif  der  gesunden  Seite, 
letzteren  stärker  betroffen  als  erster«. n.  Die  absteigenden  Riechbündel 
im  Septum  pellucidum,  welche  sich  zur  Substantia  perforata  aut.  be¬ 
geben,  sind  auf  der  operirten  Seite  besonders  in  ihrem  lateralen  Antheile, 
der  den  Streifenhügelkopf  durchsetzt,  stark  zerfallen.  Auch  die  queren 
Fasern  im  Septum  pellucidum,  von  Löwenbach  u.  A.  nur  vermuthet, 
aber  nicht  nachgewiesen,  zeigen  sehr  schön  ausgebildete  Degenerationen. 
Im  Alveus  und  in  der  Columna  fornieis  gelang  es  mir  anfangs  schwer, 
Degenerationen  zu  erzeugen,  in  letzter  Zeit  habe  ich  sie  leicht  nacli- 
weisen  können.  Um  sie  in  ausgiebiger  Weise  zu  erhalten,  sind  um¬ 
fängliche  Verletzungen  des  Lobus  pyriformis  nötliig,  welche  fast  immer 
letal  enden.  Doch  sind  sie  auch  nach  reiner  Olfactoriusverletzung  gut 
nachzuweisen.  Von  grossem  Interesse  ist  die  Degeneration  der  Stria 
medullaris  thalami  optici  der  operirten  Seite  und  der  Commissura  habenulae 
(der  Commissura  posterior).  Dadurch,  dass  diese  Degeneration  nach 
Verletzung  der  Olfactoriusbahnen  erster  und  zweiter  Ordnung  entstand, 
gewinnt  die  Ansicht  L  oth  eis  sen’s,  dass  sie  durch  oberflächliche,  im 
Cingulum  verlaufende  Stiänge  mit  dem  Olfactorius  verbunden  werden, 
eine  Stütze.  Erwähnt  sei  endlich  eine  sehr  constante  doppelseitige, 
bis  jetzt  nicht  erklärte  Degeneration  im  Corpus  geniculatum  laterale 
und  die  Degeneration  von  Hirnschenkel  fasern,  welche  wohl  auf  bei  der 
Operation  unvermeidliche,  kleine  Läsionen  des  Stirnhirns  zurückzu¬ 
führen  ist. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  7.  Juni  19UÜ. 

Vorsitzender:  Prof.  O.  Cliiari. 

Schriftführer:  Regimentsarzt  Dr.  Riehl. 

I.  Dr.  Falb  als  Gast  demoustrirt  einen  Fall  von  Zungen- 
Gan  men  -  Kehlkopflähmung. 

Der  57jährige  Patient,  Feldarbeiter,  war  früher  stets  gesund, 
hat  keine  lnfectionskrankheiten  und  angeblich  auch  keine  Lues  Über¬ 
stunden.  Kein  Potus,  kein  Trauma.  Für  chronische  Intoxication  mit 
Blei  und  anderen  Giften  keine  Anhaltspunkte.  Vor  vier  Jahren  Ver¬ 
schlechterung  des  Gehörs  am  rechten  Ohr  und  Verlust  des  Geruch¬ 
vermögens.  Vor  l’/2  Jahren  Verschlechterung  der  Sprache  und  zu¬ 
nehmende  Unbehilflichkeit  der  Zunge.  Damals  traten  auch  halbseitige 
Kopfschmerzen  links  auf,  die  vor  drei  Monaten  fast  ganz  aufhörten 
und  nun  nur  manchmal  Nachts  bei  linker  Seitenlage  wiederkehren. 


Nr.  27 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Dafür  gesellten  sich  aber  vor  drei  Monaten  Schlingbeschwerden  und 
eine  Woche  später  Heiserkeit  zu  seinem  Leiden. 

Da  keine  Besserung  des  Zustandes  auftrat,  liess  sich  Patient 
am  14.  Mai  1900  auf  die  Klinik  des  Prof.  Chiari  aufnehmen. 

Bei  Aufnahme  des  Status  praesens  fällt  ein  Eingesunkensein  des 
Nasenrückens  auf.  Nach  Angabe  des  Kranken  soll  das  jedoch  stets  so 
gewesen  sein,  er  könne  sich  keines  Nasenleidens  entsinnen.  Die  rhino- 
logische  Untersuchung  ergibt  deutliche  Atrophie  der  Nasenschleimhaut 
auf  beiden  Seiten.  Ausserdem  fand  sich  rechts  in  der  Gegend  der 
mittleren  Muschel  eine  kleinnussgrosse  Geschwulst,  die  sich  nach  der 
Entfernung  mit  der  kalten  Schlinge  als  eine  derbe  Hypertrophie  mit 
einzelnen  ödematösen  Partien  erwies. 

Beim  Oeffnen  des  Mundes  fällt  sofort  eine  starke  Atrophie  der 
linken  Zungenhälfte  auf  und  bei  Betastung  fühlt  sich  dieselbe  viel 
schlaffer  und  dünner  an.  Die  Zunge  kann  nur  wenig  vorgestreckt  und 
seitlich  blos  nach  rechts  bewegt  werden.  Fibrilläre  Zuckungen  fehlen. 

Im  Rachen  zeigt  sich  ein  Tieferstehen  der  linken  Hälfte  des 
weichen  Gaumens.  Beim  Phoniren  bleibt  diese  Hälfte  unbeweglich. 

Im  Nasen-Rachenraum  nichts  Besonderes. 

Am  Larynx  ist  äusserlich  nichts  Besonderes  zu  bemerken, 
Kehlkopf  median,  keine  seitliche  Verschiebung  beim  Schlucken.  Bei 
Untersuchung  mit  dem  Spiegel  finden  sich  gewöhnlich  zwischen  Kehl¬ 
kopfdeckel  und  Zunge  Speichel,  nach  Mahlzeiten  Speisereste.  Epiglottis 
hängt  links  etwas  herab.  Linker  Aryknorpel  und  linkes  Stimmband 
vollkommen  unbeweglich,  letzteres  stark  excavirt,  etwas  ausserhalb  der 
Medianstellung.  Rechtes  Stimmband  in  Folge  leichter  Atrophie  in  ge¬ 
ringem  Grade  excavirt,  bewegt  sich  frei  zwischen  Median-  und  Inspi¬ 
rationsstellung.  Eine  Bewegung  über  die  Mittellinie  nach  links  findet 
nicht  statt  und  daher  auch  kein  Glottisschluss  beim  PhonireD.  Deshalb 
spricht  Patient  rauh,  heiser,  mit  Luftverschwendung. 

Es  handelt  sich  also  um  eine  linksseitige  Recurrens- 
1  ä  h  m  u  n  g.  Die  Sensibilität  erweist  sich  bei  Sondenberührung 
beiderseits,  namentlich  aber  links  herabgesetzt,  und  zwar  ist  der  Kehl¬ 
decker  schwächer  als  das  Kehlkopfinnere  betroffen.  Wir  finden  also 
eine  Hypästhesie  im  Gebiete  beider  Nn.  laryng.  sup. 

In  der  Trachea  nichts  Besonderes. 

Bezüglich  der  Nervenfunctionen  im  Speciellen  fehlen 
psychische  Störungen.  Der  Kranke  ist  zwar  von  geringer 
Intelligenz,  doch  soll  seit  seiner  Erkrankung  keine  Verschlimmerung 
eingetreten  sein. 

Die  Sprache  ist  näselnd,  undeutlich.  Von  den  Vocalen  wird 
blos  a  deutlich  ausgesprochen. 

Die  Zungenbuchstaben  werden  sehr  schlecht,  etwas  besser  die 
Gaumenlaute,  relativ  am  besten  die  Lippenlaute  ausgesprochen. 

Die  einzelnen  Gehirnnerven  betreffend,  fehlt  beiderseits  der 
Geruch.  Die  Anosmie  ist  aber  möglicher  Weise  auf  die  atrophische 
Rhinitis  zurückzuführen. 

Sehschärfe,  Augenmuskelfunction  und  Augenhintergrund  nach 
Angabe  der  Klinik  Fuchs  normal. 

Im  Gebiete  des  Trigeminus  die  Hautsensibilität  intact.  In  Nase, 
Mund  und  Rachen  werden  Berührungen  gleichfalls  prompt  empfunden, 
nur  sind  die  Nasen-  und  Rachenreflexe  kaum  auszulösen.  Ein  Befund, 
aus  dem  wir  keineswegs  mit  Sicherheit  auf  eine  Affection  des  Trige¬ 
minus  schliessen  dürfen,  da  das  Verschwinden  dieser  Reflexe  von 
geringer  Bedeutung  ist  und  wir  speciell  bezüglich  der  Rachenreflexe 
nicht  genau  wissen,  inwieweit  bei  denselben  der  Trigeminus  eine  Rolle 
spielt.  Motorische  Portion  des  Trigeminus  intact. 

Bezüglich  des  Facialis  ist  zu  erwähnen,  dass  Patient  weder 
pfeifen  noch  blasen  kann,  doch  dürfte  hieran  auch  die  Unbehilflichkeit 
der  Zunge  Schuld  tragen,  und  was  die  Gaumenlähmung  anbetrifft, 
kann  sie.  nach  den  jetzt  herrschenden  Ansichten  nicht  auf  den  Facialis 
zurückgeführt  werden. 

Dasselbe  gilt  für  das  ab  und  zu  vorkommende  Herausfliessen 
von  Speichel  aus  dem  Munde,  woran  wohl  hauptsächlich  die  Schluck¬ 
störung  Schuld  tragen  wird,  da  der  Lippenschluss  ein  ziemlich  prompter. 
Doch  fällt  beim  Zeigen  der  Zähne  eine  gewisse  Schwäche  der  Ober¬ 
lippe  auf  und  werden  die  Lippenbuchstaben  nicht  ganz  gut  ausge¬ 
sprochen,  so  dass  eine  leichte  Affection  des  Facialis  auf  beiden  Seiten 
möglich  ist.  Die  sonstigen  Functionen  des  Facialis  ungestört,  keine 
Atrophie  der  Gesichtsmusculatur,  speciell  der  Lippen. 

Die  elektrische  Untersuchung  ergibt  normale  Verhältnisse. 

Die  Schwerhörigkeit  am  rechten  Ohr  hängt  mit  einer  Trommel¬ 
fellnarbe  und  mit  keiner  Acusticusaffection  zusammen,  wie 
uns  von  Seite  der  Klinik  Politzer  mitgetheilt  wurde. 

Entschieden  erkrankt  ist  der  Glossopharyngeo-V  agus. 
Es  besteht  eine  einseitige  Velumparalyse,  wreshalb  die  Speisen  und 
Flüssigkeiten  leicht  in  die  Nase  gelangen.  Der  Schluckact  ist  sehr 
erschwert,  der  Würgreflex  kaum  auszulösen,  endlich  finden  wir  eine 
linksseitige  Recurrenslähmung  und  eine  Herabsetzung  der  Sensibilität 
im  Gebiete  beider  Nn.  laryng.  sup.  Patient  gibt  auch  an,  sich  öfters 
zu  verschlucken.  Puls  leicht  arhythmisch,  bietet  sonst  ebenso  wie  die 


Respiration  nichts  Besonderes.  Das  Gesell  mack  vei  mögen  ist  entschieden 
ein  schlechtes,  da  das  aber  dem  Patienten  selbst  nicht  aufgefallen,  ist 
möglicher  Weise  sein  Geschmack  nie  besser  gewesen. 

Die  Mm.  sternocl.  et  cucullar.  functioniren  beiderseits  prompt. 
Am  Accessorius  daher  keine  Störung,  vorausgesetzt,  dass  er 
wirklich  mit  der  motorischen  Kehlkopfinnei  vation  nichts  zu  thun  habe, 
wie  das  in  neuerer  Zeit  angenommen  wird. 

Die  Motilitätsstörungen  der  einseitig  atrophischen  Zunge,  die 
Sprach-  und  Schluckbeschwerden  sind  so  bedeutend,  dass  wir  eine 
doppelseitige  Hypoglossuserkrankung  wohl  annehmen 
müssen.  Eine  Betheiligung  der  durch  die  Ansa  hypoglossi  von  den 
Cervicalnerven  aus  innervirten  Unterzungenbeinmuskeln  lässt  sich  nicht 
erweisen. 

V  asomoto  rische  und  sec  reto  rische  Störungen  nirgends 
zu  constatiren. 

Die  Untersuchung  des  spinalen  Nervensystems  ergab 
ausser  einer  sehr  starken  Abschwächung  der  Kniereflexe  nichts 
Besonderes.  Dieselben  sind  blos  mit  Zuhilfenahme  besonderer  Kunst¬ 
griffe  auslösbar  und  auch  dann  kaum  wahlzunehmen.  Allerdings  be¬ 
nimmt  sich  Patient  bei  der  Prüfung  äusserst  ungeschickt  und  muss 
deshalb  dieses  Symptom  mit  einer  gewissen  Reserve  verwerthet  werden. 

Die  Untersuchung  der  Brust-  und  Bauchorgane,  sowie  des  Urins 
ergab  keine  Besonderheiten.  Im  Gefässsysteme  Arteriosklerose  mitt¬ 
leren  Grades. 

Wenn  wir  nun  von  der  Anosmie  absehen,  finden  wir  eine  un¬ 
bedeutende  Betheiligung  des  Facialis  und  eine  stärkere  des  Glosso- 
pharingeo-Vagus  und  Hypoglossus  auf  beiden  Seiten  mit  vorwiegendem 
Ergriffensein  der  linken  Hälfte. 

Das  Ganze  weist  uns  auf  einen  sich  in  der  hinteren  Schädel¬ 
grube  abspielenden  Process,  der  entweder  die  aus  der  Medulla  oblong, 
entspringenden  Nervenwurzeln  oder  die  Medulla  selbst  mit  ihren 
Kernen  oder  aber  beides  zugleich  betrifft. 

Bezüglich  der  Natur  des  Processes  haben  wir  aber  leider  keinen 
sicheren  Anhaltspunkt.  Gegen  progressive  amyotrophische 
B  ulbär  paralyse  spricht  die  vorwiegende  Einseitigkeit  des  Pro¬ 
cesses,  das  Vorhandensein  sensibler  Störungen  und  die  ausserordentlich 
geringe  Betheiligung  des  Facialis.  Von  vorneherein  ausgeschlossen  sind 
alle  acut  einsetzenden  Formen  der  Bulbär paralyse, 
erzeugt  durch  Embolie  oder  Thrombose,  Myelitis  bulbi,  acute  Neuritis 
u.  s.  w.  wegen  des  schleichenden  Verlaufes  in  unserem  Falle.  Bulbär- 
paralyse  ohne  anatomischen  Befund  kommt  nicht  in  Be¬ 
tracht,  da  Ptosis,  Schwäche  der  Nackenmuskeln  und  die  für  diese 
Erkrankung  charakteristische  leichte  Ermüdbarkeit  der  Muskeln 
fehlen. 

Pseudobulbärparalyse,  wo  die  bulbären  Symptome 
durch  eine  Grosshirnaffection  bedingt  sind,  ist  bei  dem  vollkommenen 
Mangel  an  Grosshirnsymptomen  nicht  anzunehmen.  Auch  haben  wir 
es  ja  mit  einer  degenerativen  zu  Atrophie  (Hypoglossus)  führenden 
Lähmung  zu  thun,  die  gegen  einen  supranucleären  Sitz  der  Erkrankung 
spricht.  Nicht  zu  denken  ist  ferner  an  die  mit  bulbären  Symptomen 
einhergehenden  Rückenmarkserkrankungen,  wie  Tabes, 
amyotrophische  Lateralsklerose,  disseminirte  Sklerose,  Syringomyelie 
etc.,  da  eben  nichts  für  ein  Rückenmarksleiden  spricht.  Möglicher 
Weise  könnte  es  sich  um  einen  tubercu  lösen  Process  in  der 
hinteren  Schädelgrube,  um  eine  chronisch  tuberculöse  Meningitis  oder 
Tuberkelbildung  handeln,  allein  es  fehlt  jeder  Hinweis  auf  Tuberculöse. 
Patient  hat  kein  Fieber,  keine  Affection  der  Knochen  oder  Lyrnph- 
drüsen  etc.  Auch  ein  Tumor  cerebri  könnte  uns  die  Erscheinun¬ 
gen  erklären  und  spräche  das  Fehlen  von  Stauungspapille  nicht  sehr 
dagegen,  da  gerade  so  weit  hinten  sitzende  Tumoren  oft  ohne  eine 
solche  verlaufen.  Trotz  der  negativen  Anamnese  dürfen  wir  auch  die 
Möglichkeit  eines  luetischen  Processes,  sei  es  Gummabildung 
oder  Meningitis  luet.  oder  beides,  nicht  von  der  Hand  weisen.  Der 
Kranke  bekommt  daher  seit  einer  Woche  Jodkali.  Doch  ist  einst¬ 
weilen  noch  keine  Aenderung  des  Zustandes  eingetreten.  Endlich  wäre 
noch  die  Möglichkeit  eines  sich  langsam  entwickelnden  Aneurysmas 
der  Vertebrales  oder  Basilar  is  zu  erwägen,  da  Patient 
an  Arteriosklerose  leidet. 

Zum  Schlüsse  noch  einige  Worte  über  die  schwachen,  vielleicht 
im  Verschwinden  begriffenen  Kniereflexe.  Ist  das  Folge  derselben  Er¬ 
krankung  und  wollen  wir  auch  diese  Störung  in  die  hintere  Schädel¬ 
grube  verlegen,  müssen  wir  eine  Kleinhirnaffection  annehmen,  da  eine 
solche  nach  den  Beobachtungen  von  Gowers,  Knapp,  Mendel 
und  Anderen  zum  Auftreten  de3  Kniepbänomens  führen  kann.  Allein 
es  fehlen  sonstige  Kleinhirnsymptome. 

Man  wäre  daher  versucht,  auch  an  einen  spinalen  Process  zu 
denken,  da,  vorausgesetzt,  dass  das  Ganze  auf  Lues  beruhte,  cs  sich 
sehr  gut  um  eine  Mitbetheiligung  des  Rückenmarkes,  respective  der 
Rückenmai  ksliäute  handeln  könnte.  Es  sind  nämlich  von  S  i  e  m  e  r- 
ling  Fälle  beobachtet  worden,  wo  bei  Lues  cerebri  aus  dem  isolirten 
Fehlen  der  Kniereflexe  eine  gleichseitige  Meningitis  spinalis 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


luetica  diagnosticirt  wurde  und  die  Autopsie  die  Diagnose  be¬ 
stätigte.  Um  etwas  Aehnliclies  könnte  es  sich  daher  auch  in  unserem 
Falle  handeln.  Für  die  Annahme  eines  anderen  spinalen  Processes 
haben  wir  jedoch  keine  Anhaltspunkte. 

II.  Prof.  Chiari  demonstrirt  zwei  flache,  scheibenartige  Knöpfe 
von  etwas  über  1  cm  Durchmesser,  welche  er  am  29.  Mai  aus  beiden 
Nasenhöhlen  eines  fünfjährigen  Knaben  entfernte.  Das  Kind  wurde 
von  dem  Vater  gebracht,  weil  es  seit  einem  halben  Jahre  stinkenden 
Ausfluss  aus  der  Nase  hatte.  Die  Extraction  gelang  mit  Hilfe  einer 
Polypenzange. 

Die  Knöpfe  waren  nicht  zu  sehen,  sondern  nur  zu  fühlen.  Be¬ 
merkenswerth  ist  nur,  dass  das  Kind  in  beide  Nasenhöhlen  diese 
Knöpfe  steckte.  Dass  sich  eine  Art  Ozaena  durch  das  lange  Verweilen 
der  Fremdkörper  entwickelt,  ist  schon  lange  bekannt.  Den  Tag 
vorher  hatte  Chiari  bei  einem  31/2jährigen  Mädchen  aus  der 
rechten  Nasenhöhle  einen  runden  stinkenden  Fremdkörper  entfernt, 
der,  daselbst  seit  Monaten  verweilend,  ebenfalls  stinkenden  Ausfluss 
und  Blutung  veranlasst  hatte.  Er  hatte  das  Aussehen  eines  Maiskornes, 
Die  histologische  Untersuchung  wies  auch  wirklich  Pflanzenzellen 
nach.  Natürlich  wussten  in  beiden  Fällen  weder  Kinder  noch  Eltern 
etwas  von  den  Fremdkörpern.  Gewöhnlich  finden  sich  von  Kindern 
eingebrachte  Fremdkörper  nur  in  einer  Nasenhöhle,  wodurch  die  Dia¬ 
gnose  erleichtert  wird.  Dass  aber  Ausnahmen  Vorkommen,  beweist  der 
erste  Fall. 

III.  Prof.  Chiari  empfiehlt  die  Vornahme  der  Laryngofissur 
behufs  Entfernung  von  Neubildungen  und  Infiltraten  mit  Hilfe  der 
Schleie  h’schen  Localanästhesie.  Er  führte  diese  bisher  in  zwei 
Fällen  aus  und  überzeugte  sich,  dass  der  Eingriff  sehr  leicht  auszu- 
führeu  ist  und  dem  Patienten  nur  wenig  Schmerz  macht.  Ein  Vortheil 
ist  auch  darin  zu  finden,  dass  der  Patient  auf  Verlangen  Bewegungen 
der  Stimmbänder  ausfiihren  kann,  so  dass  man  sich  leichter  orientirt. 
Endlich  ist  die  Gefahr  einer  Schluckpneumonie  geringer,  welche  bei 
Chloroformnarkose  trotz  Anwendung  der  Tamponcanule  manchmal  sich 
einstellt. 

IV.  Dr.  Weil  demonstrirt  das  anatomische  und  das  mikro¬ 
skopische  Präparat  eines  gestielten  Epithelialcar  cinoms 
der  Nase.  Der  etwa  pflaumengrosse  Tumor  ging  mit  einem  dünnen 
schmalen  Stiele  vom  hintersten  Theile  des  oberen  Nasenganges 
aus  und  war  von  butterweicher  Consistenz.  Als  einige 
Monate  später  Recidive  auftrat,  weigerte  sich  Patient,  einen  radicalen 
Eingriff  zu  gestatten  und  soll  später  unter  den  Erscheinungen  eines 
Carcinoms  des  Rachendaches  zu  Grunde  gegangen  sein. 

Dr.  Weil  wird  den  interessanten  Fall  im  Zusammenhänge  mit 
anderen  Fällen  von  seltenen  Tumoren  der  Nase  und  des  Rachens  aus¬ 
führlich  publiciren. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  B.  B  e  n  d  i  x  (Berlin). 

III.  Sitzungstag:  Mittwoch,  den  20.  September  1899. 

3.  Fink  eist  ein  (Berlin)  hat  auch  in  Berlin  Concremente  im 
Nierenbecken  bei  Sectionen  gar  nicht  selten  beobachtet.  Dieselben 
haben  mit  dem  Ilarnsäureeinfarct  (auch  nach  V  i  r  c  h  o  w’s  Ausspruch) 
nichts  zu  thun;  sie  entstehen  vielmehr  bei  Gewebszerfall  (z.  B.  bei 
acuten  Darmerkrankungen),  wo  eine  vermehrte  Harnsäureabsonderung 
statthat.  Auch  bei  älteren  Kindern  —  nicht  nur  bei  Säuglingen  — 
ist  dies  beobachtet,  wie  Mittheilungen  von  E  i  c  h  h  o  r  s  t,  z.  B.  an 
seinem  eigenen  Kinde,  darthun. 

4.  Sol  t  mann  (Leipzig)  bestätigt  auch  einerseits  die  nicht  so 
seltene  Beobachtung  von  Concrementen  der  Nieren  im  Säuglingsalter 
nach  profusen  Säfteverlusten. 

5.  Meinert  (Dresden)  meint,  dass  die  Steinchen  im  Urin  ge¬ 
funden  werden  unter  Verhältnissen,  wo  derselbe  stark  eingedickt  ist. 

6.  Fischl  (Prag)  hält  die  Steinbildung  für  eine  Folge  der 
künstlichen  Ernährung,  indem  vielleicht  die  Sterilisation,  die  Salze  etc. 
das  Ihrige  dazu  thun. 

* 

IV.  Sitzungstag:  21.  September  1899. 

I.  Concetti  (Rom) :  S  u  r  uncassingulier  de  l'adenom 
maligne  de  la  vessie  cliez  une  petite  fille  de  11  mois. 


II.  0.  Heubne  r  (Berlin) :  Ueber  Prophylaxe  der 
Tuberculose  im  Kindesalter,  Heimstätten  und 
Heilstätten. 

Nach  einem  kurzen  Hinweis  auf  den  jüngst  stattgehabten  Tuber- 
ctilose-Congress  zu  Berlin  und  auf  das  immer  reger  werdende  Interesse 
für  die  Abwehr  dieser  so  verheerenden  Krankeit  in  allen  Volks¬ 
schichten,  indem  sich  gleichsam  zu  einem  „modernen  Kreuzzuge“ 
Länder,  Städte  und  Berufe  zusammen  gethan  haben,  betont  Vor¬ 
tragender  das  Naheliegende  der  Betheiligung  vor  Allem  der  Kinderärzte 
an  dem  Kampfe  gegen  die  Tuberculose.  Ihnen  müsste  noch  mehr  als 
das  therapeutische  Vorgehen  gegen  diese  Krankheit,  die  Prophylaxe 
gegen  dieselbe  im  Herzen  liegen,  da  im  Kindesalter  sicherlich  erst 
die  meisten  Infectionen  mit  Tuberculose  zu  Stande  kommen.  Auf 
diese  Weise  würden  nicht  blos  die  Kinder  gerettet,  sondern  ganze 
Menschengeschlechter  vor  dem  Verderben  bewahrt.  —  Die  Heredität 
tritt  mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund,  dagegen  erschliessen  sich  die 
Eintrittspforten  (auf  dem  Wege  der  Einathmung,  vom  Verdauungs¬ 
canal,  von  der  Haut  etc.  aus)  des  Tuberkelvirus  immer  weiter,  wo¬ 
durch  der  Weg  erfolgreicher  Prophylaxe  vorgezeichnet  sei. 

Heubner  wünscht  nun  im  Sinne  der  Prophylaxe  die  Errichtung 
von  H  e  i  mstätten  für  gesunde  Kinder  (nicht  H  e  i  lstätten  für 
kranke  Kinder). 

In  diesem  Sinne  sollen  gesunde  Kinder  aus  dem  Eltern¬ 
hause  entfernt  und  in  den  Heimstätten  Aufnahme  finden,  uud 
zwar  solche  : 

1.  deren  Fltern  oder  Familienangehörige  tuberculös  krank  sind  ; 

2.  Kinder  gesunder  Eltern,  bei  denen  eine  gewisse  Disposition 
für  Tuberculose  durch  Constitutionsanomalien  (zum  Beispiel  Lues) 
vorliegt; 

3.  scrophulöse  Kinder; 

4.  Kinder,  welche  acute  Infectionskrankheiten  (wTie  Masern, 
Diphtherie,  Keuchhusten,  Scharlach)  durchgemacht  haben,  widerstands¬ 
los  geworden  und  nun  aus  dem  Spitale  in  die  durch  gewisse  Factoren 
(dunkle,  luftleere,  feuchte  Wohnung  etc.)  gefährliche  Häuslichkeit  zu¬ 
rückkehren  sollen. 

Heubner  denkt  sich  diese  Heimstätten  in  der  Nähe  grosser 
Städte,  grosser  Bevölkerungscomplexe,  in  gesunder  waldreicher  Gegend 
angelegt.  Das  Anlagecapital  dürfte  nicht  zu  gross  sein,  w7ohl  aber  würden 
die  Unterhaltungs  und  Verpflegskosten  sich  sehr  hoch  belaufen,  da  die 
Kinder  Monate  und  Jahre  Aufnahme  finden  müssten,  die  Ernährung 
ausserordentlich  gut  und  für  Schul-  und  Turnunterricht  gesorgt 
sein  müsste. 

Discussion:  1 .  Soltmaun  (Leipzig)  hält  die  Heubne  lo¬ 
schen  Vorschläge  für  ausserordentlich  gesund.  Aehnliche  Bestrebungen 
und  Einrichtungen  existiren  bereits  in  der  Schweiz  und  Oberitalien 
(zum  Beispiel  in  Davos),  wenn  auch  nicht  genau  in  dem  Sinne,  wie  sie 
Heubner  befürwortet.  Die  Gefahren  der  Hausinfection  können  gar 
nicht  hoch  genug  angeschlagen  werden.  Ganz  besonders  wichtig  und 
ein  neuer  Gedanke  Heubner’s  sei  es,  zu  verlangen,  dass  nicht  blos 
erblich  belastete  Kinder  in  diesen  Heilstätten  Aufnahme  finden  sollten, 
sondern  ganz  gesunde,  w7ie  sie  Heubner  genauer  bezeichnet  habe. 
Es  sei  die  Pflicht  der  Kinderärzte,  den  Heubne  r’schen  Gedanken 
recht  ausgiebig  in  die  grosse  Masse  hineinzutragen  und  für  seine  weite 
Verbreitung  zu  sorgen. 

2.  Pott  (Halle  a.  S.)  macht  die  Mittheilung,  dass  in  Halle 
seit  drei  Jahren  eine  Einrichtung  im  Sinne  Heubner’s  existire,  das 
Reconvalescentenbeim.  Im  Sommer  wTaren  die  Erfolge  gute,  im  Winter 
jedoch  hatten  die  Anstaltsärzte  vor  Allem  damit  zu  thun,  dafür  zu 
sorgen,  dass  die  Einschleppung  acuter  Infectionskrankheiten  verhindert 
wurde. 

3.  Bagin  sky  (Berlin)  hat  bereits  auf  dem  Tuberculose- 
congress  für  die  Errichtung  einer  Heilstätte  für  tuberculose  Kinder 
plaidirt.  Doch  müsste  solchen  Einrichtungen  gegenüber  Vorsicht  geübt 
werden,  erstens  weil  man  dadurch  mit  den  bereits  für  ähnliche  Zwecke 
eingerichteten  Seehospizen  in  Conflict  kommt,  und  zweitens,  weil  die 
Kinder  jahrelang  dort  Aufnahme  finden  müssten.  Es  ist  demnach  dort 
auch  für  die  besthygienischen  Einrichtungen  des  Schulunterrichtes  zu 
sorgen. 

4.  Heubner  (Schlusswort)  betont  B  a  g  i  n  s  k  y  gegen¬ 
über,  dass  er  ausdrücklich  nicht  über  Heil-,  sondern  über  Heim¬ 
stätten  habe  sprechen  wollen.  In  diese  könnten  die  bereits  bestehen¬ 
den  Seehospitze  mit  eingeschlossen  werden,  wenngleich  man  bekennen 
müsse,  dass  mit  Ausnahme  einer  einzigen  Mittheilung  sichere  statisti¬ 
sche  Daten  über  die  Heilungserfolge  in  den  Hospizen  bis  jetzt  nicht 
vorlägen. 

III.  Tr  u  mp  p  (München):  Die  Intubation  in  der  Privat- 
25  r  a  x  i  s. 

T  r  u  m  p  p  veranstaltete  eine  internationale  Sammelforschung, 
um  festzustellen:  a)  welche  Verbreitung  die  ausserklinische  Intubation 


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bisher  gefunden,  b)  welche  Resultate  sie  ergeben  hat,  c )  unter  welchen 
Bedingungen  sie  geübt  wird,  d)  welche  Massnahmen  von  den  Autoren 
angegeben  werden,  um  die  bekannten  Missstände  der  Intubation 
thunlichst  zu  beseitigen.  Die  von  Trum  pp  gestellten  Fragen  wurden 
von  89  europäischen  und  amerikanischen  Klinikern  und  praktischen 
Aerzten  beantwortet.  Unter  denselben  haben  55  zusammen  5468 
Hausintubationen  ausgeführt.  Durchschnittliches  Heilresultat  in  der 
Vorserumperiode  356  %,  unter  Serumbehandlung  81*98  °/o  -  Auto- 
extubationen  wurden  ziemlich  häufig  beobachtet  (zehn  Todesfälle). 
Tubusverstopfung  selten^  (zwei  Todesfälle).  Plötzliche  Suffocation  nach 
Extraction  der  Tube  ein  Todesfall.  Ständige  Ueberwachung  der  Intu- 
birten  durch  den  Operateur  oder  dessen  —  in  der  Intubation  geübten  — 
Stellvertreter  wird  von  15  Autoren  unter  allen  Umständen,  von  sechs 
nur  bedingunsweise  gefordert;  43  Autoren  erachten  die  Beaufsichtigung 
durch  geschulte  Wärterinnen,  im  Nothfalle  durch  intelligente  Laien  für 
genügend. 

T  r  u  m  p  p  kommt  auf  Grund  des  gesammelten  Materiales  zum 
Schlüsse,  dass  die  Intubation  auch  in  der  Privatpraxis  in  vielen 
Fällen  an  Stelle  der  Tracheotomie  treten  darf,  und  unter  Umständen 
bei  Beachtung  gewisser  Vorsichtsmassregeln  selbst  ohne  die  Einrichtung 
ärztlichen  Permanenzdienstes  durchführbar  ist. 

Discussion:  l.Ganghofner  (Prag)  betont  ganz  besonders, 
wenn  die  Einführung  der  Intubation  in  der  Privatpraxis  durch  die 
praktischen  Aerzte  grössere  Verbreitung  finden  sollte  als  bisher,  was 
gewiss  zu  befürworten  sei,  so  müsse  vor  Allem  den  Aerzten  Gelegen¬ 
heit  geboten  werden,  sich  mit  dieser  Operation  genügend  vertraut  zu 
machen.  Die  ständige  Beobachtung  durch  einen  Arzt  hält  er  für  noth- 
wendig. 

2.  v.  Ranke  (München)  hält  die  Verbreitung  der  Intubation 
in  der  Privatpraxis  für  ausserordentlich  wichtig,  umsomehr  da,  wenn 
Gefahr  vorhanden,  der  Arzt  —  falls  nicht  sehr  geübt  —  sich  zur 
Intubation  leichter  entschliessen  möchte  als  zur  Tracheotomie. 

3.  Soltmann  (Leipzig)  erklärt  sich  im  Ganzen  mit  den 
T  r  u  m  p  p’schen  Thesen  einverstanden,  hält  indessen  die  Beibehaltung 
des  ärztlichen  Permanenzdienstes  für  absolut  nothwendig,  im  anderen 
Falle  müsste  nothwendiger  Weise  die  sonst  so  schöne  und  erfolgreiche 
Operation  wie  einst  die  Tracheotomie  durch  Misserfolge  in  Misscredit 
gerathen. 

4.  Carstens  (Leipzig)  hält  die  Indication  der  Intubation  im 
Hause  nur  am  Platze,  wenn  die  Tracheotomie  oder  die  Aufnahme  in 
ein  Spital  von  den  Angehörigen  verweigert  wird.  In  diesem  Falle  muss 
aber  der  Arzt  die  Technik  der  Intubation  vollständig  beherrschen, 
und  das  kann  nur  der,  der  es  im  Laufe  von  Monateu  und  Jahren  im 
Spital  gelernt  hat. 

5.  Galat  ti  (Wien)  hat  bei  seinen  Intubationen  —  25,  darunter 
auch  solche  ohne  dauernde  ärztliche  Bewachung  —  niemals  etwas 
Unangenehmes  gesehen.  Den  Faden  lässt  er  nie  liegen,  um  sich  un¬ 
angenehme  Zufälle  zu  ersparen,  z.  B.  Herausziehen  der  Tube  durch 
unberufene  Personen. 

6.  Esch  er  ich  (Graz)  wünscht  die  Verwendung  der  Intubation 
in  der  Privatpraxis  auch  bei  anderen  Erkrankungen  als  bei  Diphtherie. 
Die  ärztliche  Sitzwache  ist  wünschenswerth,  aber  da,  wo  Spitaltransport 
verweigert  und  die  Operation  nothwendig  wird,  nicht  unbedingt  zu 
fordern.  Schlimme  Zufälle  sind  natürlich  möglich,  kommen  aber  auch 
im  Spitale  vor.  Es  ist  das  Verdienst  des  Vortragenden,  durch  die  aus 
eigener  Initiative  durchgeführte  Sammelforschung  gezeigt  zu  haben, 
dass  die  schlimmen  Zufälle  bei  der  Intubation  viel  seltener  sind,  als 
man  lange  Zeit  glaubte  und  als  man  bei  theoretischer  Ueberlegung 
erwarten  möchte. 

•7.  Trumpp  (Schlusswort)  bemerkt  auch  seinerseits,  dass  auch 
im  Spital  mancher  Unglücksfall  bei  der  Intubation  vorkommt,  und 
dass  demnach  nicht  in  der  Privatpraxis  jede  Unannehmlickeit  auf  das 
Fehlen  des  Arztes  zu  beziehen  sei.  Wunsch  und  Hoffnung  des  Vor¬ 
tragenden  ist  es,  möglichst  bald  den  Permanenzdienst  in  der  Privat¬ 
praxis  bei  der  Intubation  aufgehoben  zu  sehen. 

IV.  R.  F  i  s  c  h  1  (Prag):  Ueber  chronisch  recidivir  ende 
exsudative  Anginen  im  Kindesalter. 

Es  handelt  sich  um  in  Intervallen  von  Wochen  bis  Monaten 
auftretende  in  der  Regel  mit  hohem  Fieber  verlaufende  lacunäre  oder 
auf  die  ganze  Tonsillaroberfläche  sich  erstreckende  exsudative  Anginen, 
die  in  hygienisch  schlecht  bestellten  Städten  besonders  häufig  sind. 
Es  besteht  entschiedene  familiäre  Disposition  in  der  Regel  mit  Ver¬ 
erbung  von  mütterlicher  Seite,  wobei  alle  oder  nur  ein  Theil  der 
Kinder  ergriffen  werden.  Daneben  kommen  Gelegenheitsursachen  in 
Betracht,  unter  denen  Redner  besonders  das  Vorhandensein  von  Stal¬ 
lungen  im  Hause,  sowie  gewisse  Wetterperioden  hervorhebt,  während 
er  den  Erkältungseinflüssen  keine  wichtige  Rolle  zuweist.  Erreger 
sind  die  gewöhnlichen  Mundbacterien,  vor  Allem  pyogene  Strepto-  und 
Staphylococcen,  sowie  der  Diplococcus  pneumoniae.  Man  gewinnt  den 


Eindruck,  dass  die  Mundhöhle  solcher  Kinder  auf  eine  gewisse  Flora 
eingestellt  sei,  deren  Virulenz  sich  von  Zeit  zu  Zeit  regenerirt  und 
dann  die  entzündlichen  Producte  hervorbringt.  Eine  Immunisirung  tritt 
im  Verlaufe  der  Erkrankung  nicht  ein,  man  beobachtet  im  Gegentheil 
nicht  selten  stetig  zunehmende  Heftigkeit  der  Einzelattaquen,  die  oft 
erst  mit  Eintritt  der  Pubertät  seltener  werden,  was  wohl  mit  gewissen 
Aenderungen  im  Gebiete  der  Rachengebilde  zusammenbängt.  Hyper¬ 
trophie  der  Tonsillen  ist  in  solchen  Fällen  durchaus  nicht  so  häufig, 
als  gemeinhin  angenommen  wird,  man  vermisst  sie  vielmehr  bei  reich¬ 
lich  der  Hälfte  der  Beobachtungen.  Die  einzelnen  Attaquen  gleichen 
sich  nicht,  sondern  zeigen  einen  bunten  Wechsel  der  Erscheinungsweise. 
Als  besondere  Verlaufsarten  hebt  Fischl  hervor:  das  Wiederaufflackern 
des  Processes  nach  Schwund  der  ersten  Beläge  und  bei  noch  andauern¬ 
dem  Fieber,  verspätetes  Hervorkommen  der  Exsudatpfröpfe  nach  sechs- 
bis  siebentägiger  Temperaturerhöhung,  subnormale  Morgentemperaturen 
bei  noch  durch  mehrere  Tage  sich  einstellender  abendlicher  Exacerbation, 
Dinge  von  diagnostischer  und  prognostischer  Bedeutung.  Bemerkens¬ 
werth  sind  die  direct  als  Angina  gastrica  zu  bezeichnenden  Formen,  bei 
welchen  sich  an  jede  Attaque  lang  dauernde  und  schwere  Verdauungs¬ 
störungen  anschliessen,  welche  die  Patienten  sehr  herunterbringen.  Die 
Infectiosität  ist  zweifellos,  doch  genügt  eine  nicht  allzustrenge  Isolirung, 
da  Uebertragung  durch  dritte  Personen  zweifelhaft.  Der  Verlauf  des 
Einzelanfalles  ist  in  der  Regel  rasch  und  günstig,  nur  selten  sieht  man 
schwere  Formen  mit  Allgemeininfection;  unangenehm  ist  die  stete 
Wiederkehr  des  Processes  und  die  dadurch  bedingte  Schädigung  der 
Kinder  in  Bezug  auf  ihren  Ernährungszustand  und  im  Bereiche  der 
nervösen  Sphäre.  Leider  ist  gegen  die  Disposition  als  solche  nicht 
viel  zu  machen;  die  Nutzlosigkeit  operativer  Eingriffe  der  verschiedensten 
Art  hat  Fischl  allmälig  von  der  Anwendung  aggressiver  Methoden 
abgebracht,  und  beschränkt  er  sich  jetzt  auf  klimatische  Behandlung, 
die  wenigstens  in  einem  Theil  der  Fälle  unter  wiederholtem  Gebrauche 
von  See-  und  Soolbädern  den  gewünschten  Erfolg  hatte. 

Discussion:  1.  Pott  (Halle)  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  der  Grund  für  die  häufig  recidivii  enden  chronischen  Anginen  in 
nur  mangelhafter  Athmung  durch  die  Nase  zu  suchen  ist. 
Eintropfungen  von  Glycerin  in  die  Nase,  in  verzweifelten  Fällen 
Aetzungen  der  Nase  mit  rauchender  Salpetersäure  sind  eventuell  in 
Anwendung  zu  bringen. 

2.  Seitz  (München)  macht  Mittheilungen  über  recidivirende 
Anginen  gerade  bei  kräftigen  abgehärteten  Knaben.  Der  bacteriologische 
Befund  bestand  meist  in  Streptococcen.  Seitz  glaubt  von  L  u  g  o  1- 
scher  Lösung  Erfolge  gesehen  zu  haben. 

3.  Hochsinger  (Wien)  empfiehlt  als  locale  Behandlung  der 
recidivirenden  exsudativen  Tonsillitiden  zwei  bis  dreimal  wöchentlich  vor¬ 
zunehmende  Aetzung  mit  Arg.  nitr.  in  Substanz;  diese  Therapie  hat  in 
den  anfallsfreien  Zeiten,  zumal  während  der  Sommermonate,  zu  ge¬ 
schehen.  Während  des  Anfalls  empfiehlt  sich  die  Anwendung  von 
sogenannten  Anginapastillen.  Gurgeln  hat  keinen  Nutzen. 

4.  R  e  y  (Aachen)  hält  das  häufige  Recidiviren  der  folliculären 
Angina  bedingt  durch  den  Bau  der  Tonsillaroberfläche  der  befallenen 
Kinder.  Dieselbe  ist  sehr  uneben  und  von  zahlreichen  mehr  weniger 
tiefen  Höhlen  unterbrochen.  In  diesen  Höhlen  bleiben  Reste  des  in- 
fectiösen  Agens  zurück,  die  bei  gegebener  Gelegenheit  (z.  B.  Erkältung) 
zum  Recidiv  führen.  Die  Behandlung  besteht  in  vollständiger  Glättung 
der  Tonsillenoberfläche  durch  Durchziehen  aller  Brücken  und  Ver¬ 
tiefungen  mit  stumpfen  Schieihaken.  Gelingt  dies  vollständig,  so  bleiben 
Recidive  aus. 

5.  Mein  er  t  (Dresden)  hält  die  betonte  vorhandene  familiäre 
Disposition  für  vorwiegend  neuropathischer  Natur;  hauptsächlich  in 
Familien,  wo  durch  Generationen  hindurch  Hysterie  und  Migräne  unter 
den  weiblichen  Mitgliedern  aufgetreten  war. 

6.  Fischl  (Schlusswort)  betont  gegenüber  Herrn  Pott,  dass 
er  nie  primäre  Erkrankungen  der  Nase  gesehen  hat,  wohl  aber  häufig 
in  schweren  Fällen  secundäre  und  wohl  auch  membranüse  Nasen 
affectionen.  So  günstige  Resultate  wie  Hoch  singer  hat  Fischl 
nicht  zu  verzeichnen,  er  empfiehlt  Durchspülungen  des  Rachens  mit 
lauwarmer  Borlösung.  Schlitzungen  der  Follikel,  wie  es  Rey  empfiehlt, 
hat  auch  Fischl  nach  dem  S  c  h  m  i  d  t’schen  Verfahren  mehrmals, 
aber  auch  ohne  Effect  vorgenommen. 

V.  Hirschsprung:  Erweiterung  und  Hypertrophie 
des  Dickdarms.  (Mit  Demonstration.) 

Hirschsprung  hatte  in  II  enoc  h’s  Festschrift  1890  drei 
Fälle  von  angeborener  Hypertrophie  und  Dilatation  des  Colons  mit- 
getlieilt,  die  alle  mit  dem  Tode  endeten,  ehe  die  Kinder  das  erste 
Lebensjahr  vollendet  hatten.  Schon  damals  wurde  es  aber  als  wahr¬ 
scheinlich  hingestellt,  dass  ein  früh  eintretender  Tod  nothwendiger  Weise 
der  Ausgang  des  angeborenen  Zustandes  sein  müsste;  und  spätere  Er¬ 
fahrungen  haben  diese  Vermuthung  bestätigt,  wodurch  die  Krankheit 
ein  grösseres  klinisches  Interesse  gewinnt.  Redner  verfügt  jetzt  über 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


8  eigene  und  9  aus  der  Literatur  zusainmengestellte  Fälle,  15  Knaben, 
2  Mädchen.  Von  diesen  17  starben  8  im  ersten,  1  im  zweiten,  1  im 
vierten,  1  im  zwölften  und  einer  im  dreizehnten  Jahre.  1  wurde  23  Jahre 
alt.  In  allen  Fällen,  die  mit  dem  Tode  endeten,  wurde  die  Diagnose 
durch  die  Section  bestätigt,  und  es  geht  mithin  mit  voller  Sicherheit 
hervor,  dass  ein  Kind  mit  angeborener  Hypertrophie  und  Dilatation 
des  Colons  bis  weit  hinauf  in  das  zweite  Kindesalter,  ja  sogar  ins  Mannes- 
alter  hinein,  leben  kann. 

Neben  dem  öfters  enorm  aufgetriebenen  Unterleib  findet  sich  als 
hervortretendes  Symptom  die  ausbleibende  Evacuatio  alvi.  Alle  Be 
Strebungen  sind  dann  bei  den  Kindern  darauf  gerichtet  gewesen,  durch 
Abführmittel  und  tägliche  Wassereingiessungen  Entleerung  hervor¬ 
zurufen.  Später  ist  die  Elektricität  in  Anwendung  gebracht  worden 
nach  Lennander  (Upsala).  Die  Methode  scheint  rationell;  man 
könnte  hoffen,  durch  Hebung  des  Tonus  auf  den  kranken  Darm  ein¬ 
zuwirken,  seine  Weite  zu  mindern  und  Verhältnisse  herzustellen,  welche 
sich  den  natürlichen  nähern. 

Indessen  erzielte  Hochsinger  bei  zwei  Kindern  dasselbe 
gute  Resultat,  spontane  Oeflnung,  bei  denen  nie  eine  andere  Behand¬ 
lung  in  Anwendung  gebracht  worden  ist,  als  tägliche  Wassereiu- 
spritzung.  Nach  der  Anschauung  des  Redners  wird  man  also  schwer¬ 
lich  der  elektrischen  Behandlung  eine  andere  Bedeutung  beilegen 
können,  als  eine  wesentlich  ausleerende.  Redner  stellt  hin,  ob  es  nicht 
denkbar  wäre,  dass  die  eintretende  Besserung  in  Verbindung  gesetzt 
werden  könnte  mit  physiologischen  Wachsthumsverhältnissen  im  Colon 
des  Kindes. 

Discussion:  1.  Concetti  (Rom)  theilt  gleichfalls  zwei 
Fälle  von  congenitaler  Dilatation  mit  Hypertrophie  des  Colons  mit; 
das  eine  Kind  kam  mit  3V2  Jahren  zur  Section,  das  andere  war 
10  Jahre  alt. 

2.  Meiner  t  (Dresden)  hält  nur  die  Verlagerung  und  Ver¬ 
längerung  des  Colons  für  angeboren,  die  Erweiterung  und  Hyper¬ 
trophie  hält  Mein  er  t  für  secundär,  weil  sie  seines  Wissens  noch 
niemals  bei  den  Autopsien  Neugeborener  gefunden  wurde. 

3.  Finkeistein  (Berlin)  weist  auf  die  scheinbar  wenig 
bekannte  einschlägige  Besprechung  dieses  Gegenstandes  von  Göppert 
aus  der  Breslauer  Kinderklinik  hin. 

VI.  F.  Theodor  (Königsberg  i.  P.) :  Ueber  einen  Fall 
von  essentieller  progressiver  perniciöser  Anämie 
im  Kindesalter. 

Nach  einer  Einleitung  über  die  verschiedenen  Formen  von  Anämien 
bespricht  Theodor  die  im  Kindesalter  äusserst  seltene  essentielle 
progressive  perniciöse  Anämie,  und  speciell  einen  von  ihm  beobachteten 
Fall,  der  sich  durch  einen  ganz  eigenartigen,  ungemein  interessanten 
Blutbefund  von  den  bisher  beobachteten  Fällen  wesentlich  unter¬ 
scheidet. 

Otto  Sch.,  elf  Jahre  alt,  erkrankte  Anfang  Herbst  1898  an  den 
typischen  Erscheinungen  der  perniciösen  Anämie;  sowohl  die  Blut-  wie 
Augenuntersuchung,  als  auch  der  rapide  Verlauf  der  Krankheit,  be¬ 
stätigten  die  Diagnose  im  vollsten  Masse.  Nach  vierwöchentlicher 
Behandlungsdauer  kam  der  Patient  ad  exiturn. 

Verfasser  gibt  eine  ausführliche  Würdigung  des  Blutbefundes. 
Verminderung  der  rothen  Blutkörperchen.  Der  Hämoglobingehalt  ist 
verringert,  die  Dellen  stark  verbreitert,  dementsprechend  der  gefärbte 
Randsaum  verkleinert;  einzelne  Scheiben  zeigen  erhöhten  Ilämoglobin- 
gehalt;  ferner  zeigte  sich  der  Degenerationsprocess  in  der  ungemein 
stark  ausgeprägten  Poikilocytose,  dem  Auftreten  vom  Riesenblut¬ 
scheiben,  Megalocyten,  sowie  in  der  nachweisbaren  anämischen 
oder  polychromatischen  Degeneration  an  den  rothen  Blutkörperchen. 
Auch  die  Vermehrung  der  Blutplättchen  deutet  Verfasser  im  degenera- 
tivem  Sinne. 

Als  Regenerationserscheinungen  ist  das  Auftreten 
kernhaltiger  rother  Blutkörperchen,  der  Erythroblasten,  der  Vorstufen 
der  Erythrocyten,  zu  bezeichnen,  die  hier  namentlich  in  solcher  Massen- 
haftigkeit,  wie  bisher  nie  beobachtet,  angetroffen  wurden.  Zu  Beginn  der 
Behandlung  finden  sich  2’4 °/0,  drei  Tage  vor  dem  Tode  0'3%  kernhaltige 
rothe  Blutkörperchen.  Nachdem  in  Anlehnung  an  die  S  c  h  m  a  u  s’scheu 
Studien  über  Kerndegeneration,  Pappen  heim  und  Israel  am 
embryonalen  Blut,  Bettmann  am  arsenvergifteten  Knoche  n- 
rnark  die  Umwandlung  der  Erythroblasten  zu  Erythrocyten  studirt 
haben,  versucht  Verfasser  es  an  einem  dritten  Fundort  der  kern¬ 
haltigen  rothen  Blutkörperchen,  am  Blut  der  essentiellen 
progressiven  perniciösen  Anämie  obige  Ansichten  zu  er¬ 
läutern  und  zu  vergleichen.  Er  kommt  ebenfalls  zu  der  Ueberzeugung, 
dass  die  Umwandlung  meist  durch  intracellulären  Kernschwund  zu 
Stande  kommt,  auch  bei  den  Normoblasten ;  auch  tritt  der  Ver¬ 
fasser  der  Definition  Pappenheim’s  über  die  Normo-  und  Megalo¬ 
blasten  bei,  indem  er  ihre  Unterschiede  nicht  in  der  Grösse  der 
Zellen,  sondern  in  der  Form,  Structur  und  Färbbarkeit  des  Kernes 


sieht.  Die  auf  den  Blutbildern  auftretenden  freien  Kerne  sondert  er  in 
drei  Gruppen: 

a )  in  altersdegenerirte  pyknotische, 

b )  in  jugendliche  Kerne,  zur  Weiterentwicklung  fähige, 

c )  in  Folge  Labilität  des  Blutes  entstandene. 

Was  nun  die  klinische  Würdigung  seiner  Beobachtungen  betriflt, 
so  fiudet  Theodor  es  auffallend,  dass  man  den  Megaloblasten  die 
schlimmste  prognostische  Bedeutung  zuschreibt,  da  in  seinem  Falle 
mit  der  Verschlechterung  des  Falles  die  Megaloblasten  sich  bedeutend 
verminderten,  die  Normoblasten  dagegen  sich  stark  vermehrten. 
Während  auf  den  ersten  Präparaten  circa  30%  der  kernhaltigen 
Scheiben  Megaloblasten  waren,  sind  auf  den  letzten  Präparaten  nur 
noch  2%.  Der  auffallendste  Befund  bei  der  Arbeit  war  jedoch  eine 
förmliche  Ueberschwemmung  des  Blutes  mit  Normoblasten,  die  mit 
der  Verschlechterung  des  Falles  Hand  in  Hand  gingen  und 
bis  auf  10%  der  kernlosen  Scheiben  anstieg.  Solche  Vermehrung 
kommt  sonst  nur  bei  den  Blutkrisen  v.  N  0  0  r  d  e  n’s  vor,  um  die  es 
sich  ja  hier  nicht  handeln  konnte.  Verfasser  sucht  schliesslich  die 
Frage  zu  beantworten,  warum  ein  so  maligner  Verlauf  in  seinem  Fall 
trotz  intensivster  regenerativer  Thätigkeit  des  Knochenmarks  einge¬ 
treten  ist,  und  fordert  zu  weiteren  sorgfältigen  Blutuntersuchungen 
bei  perniciöser  Anämie  speciell  im  kindlichen  Alter  auf. 

Eine  grössere  Reihe  von  Abbildungen  erläutern  den  Text. 

VII.  Soltmann  (Leipzig)  :Ueber  Landr  y’sche  Paralyse. 

Soltmann  schildert  das  Bild  der  acuten  fast  apoplektiform 
entstehenden  aufsteigenden  extenso-progressiven  Lähmung,  die  in  kurzer 
Zeit  durch  Uebergreifen  auf  die  centralen  Centren  unter  bulbären  Er¬ 
scheinungen  zum  Tode  führt,  ohne  dass  anatomische  Veränderungen 
im  Rückenmark  gefunden  wurden.  Erst  in  den  Siebziger-Jahren  fand 
dieselbe  Beachtung  (G  o  m  b  a  u  1 1,  P  e  t  i  t  f  i  1  s,  E  i  s  e  n  1  0  h  r, 
Westphal,  Strümpell,  Kahler,  Pick  und  namentlich 
v.  Leyden).  Soltmann  geht  auf  die  historische  Entwicklung  der 
Erkrankung  ein,  deren  Stellung  im  System  erst  durch  die  Lehre  von 
der  Polyneuritis  (Leyden)  einigermassen  fixirt  ist.  Soltmann 
bespricht  ferner  ihre  Beziehungen  zu  den  Infectionskrankheiten 
(Tuberculose,  Influenza,  Typhus,  Milzbrand,  Beriberi- Kake)  und  be¬ 
schreibt  einen  Fall  au  eiuem  12jährigen  Mädchen,  das  foudroyant 
unter  Sehmerzen  in  14  Tagen  vollständig,  mit  Beginn  der  Lähmung 
in  den  Beinen,  am  ganzen  Körper  gelähmt  wurde.  Scheinbar  spontaner 
Beginn  ohne  hereditäre  Belastung,  ohne  vorhergehende  Infections- 
krankheit  mitten  in  blühender  Gesundheit,  Blase  und  Mastdarm 
intact,  Sehnenreflexe  aufgehoben,  Oedeme,  Erytheme,  Salivation  und 
Hydronephrosis.  Nach  Schmiercur  Besserung:  Bewegungsfähigkeit 
beginnt;  nach  Unterbrechung  der  Schmiercur  in  14  Tagen  Ver¬ 
schlimmerung:  bulbäre  Erscheinungen  neben  völliger  Lähmung,  Vagus- 
erscheiuungen,  Zwerchfellslähmung,  Embryocardie,  Dyspnoe,  Cyanose, 
Kopf  pendelnd. 

Zweite  Schmiercur:  Auffallende  Besserung,  Beine  können  ange 
zogen,  Schultern  gehoben  werden,  mimische  Bewegungen  treten  hervor, 
Oedeme  und  Erytheme  schwinden  mehr,  Bauchdeckenreflexe  treten 
hervor.  Pause:  Euphorie. 

Dritte  Schmiercur:  Fortschreitende  Besserung,  keine  bulbäre 
Erscheinung  wieder,  Möglichkeit,  Beine  im  rechten  Winkel  anzuziehen, 
in  der  Hüfte  beweglich,  Arme  bis  Schulterhöhe  gehoben,  Oedeme  und 
Erytheme  ganz  verschwunden.  Elektrische  Erregbarkeit  stark  herab¬ 
gesetzt,  partielle  Entartungs  reaction  im  Peroneus,  leichte  Beuge- 
contractur  im  Ellbogengelenk. 

Die  Krankheit  zeigt  trotz  acutestem  Beginn  doch  protrahirten 
Verlauf,  Stillstand  und  trotz  bulbärem  Erscheinungen  erfolgte  der  Exitus 
letalis  nicht.  Die  Eintheilung  Jolly’s  1.  in  Landr  y’sche  Paralyse 
als  Polyneuritis,  2.  als  Myelitis,  3.  ohne  anatomische  Veränderung  sind 
nach  Soltmann  nur  graduelle  Verschiedenheiten.  Die  acuteste  Form 
ist  die  ohne  anatomische  Veränderungen;  die  Kranken  sterben,  ehe  es 
zu  Degenerationen  kommt;  die  subacute  Form  klinisch  und  anatomisch 
der  Polyneuritis  entsprechend,  die  chronische  einer  Myelitis.  Im  ersten 
Falle  keine  Veränderung  der  elektrischen  Erregbarkeit  und  keine 
Atrophie,  in  letzterem  zunehmende  bis  zur  Entartungsreaction  etc.  Es 
handelt  sich  um  eine  Neuronerkrankung,  wo  centrale  und  periphere 
Theile  des  gleichen  Neurons  coindicirt  entzündlich  degenerativ  er¬ 
kranken,  wie  Goldschneider  und  M  0  x  t  e  s  auch  bei  der  Poly¬ 
neuritis  annehmen.  Damit  ist  die  Stellung  im  System  begründet. 

Discussion:  1.  Hoch  sing  er  (Wien)  berichtet  im  An¬ 
schluss  an  den  Vortrag  von  Soltmann  von  einerschlaffen,  in  hyper- 
acuter  Weise  zu  Stande  gekommenen,  Lähmung  der  unteren  Extremitäten 
bei  einem  3 '/3  Jahre  alten  Kinde,  welche  Hochsinger  für  eine 
acute  Polyneuritis  hält.  Nach  zweimonatlicher  interner  Anwendung 
von  Hydrargyr.  tannicum  oxydulatum  wurde  vollkommene  Heilung  mit 
intacter  Locomotionsfähigkeit  erzielt. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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2.  Fritsche  (Leipzig)  beriehtet  über  sein  eigenes  Kind,  das 
im  Anschluss  an  eine  Influenza  an  einer  schnell  aufsteigenden  schlaffen 
Lähmung  erkrankte,  die  in  kurzer  Zeit  die  Musculatur  der  Beine,  des 
Stammes  und  der  oberen  Extremitäten  ergriff.  Der  anfänglich  für  acute 
Landry’sche  Parese  gehaltene  Fall  wurde  im  Verlauf  als  Poly¬ 
neuritis  acuta  aufgefasst  und  ging  gleichfalls  zurück  nach  einer  syste¬ 
matischen  Schmiercur. 

3.  Rau  eh  fuss  (Petersburg)  berichtet,  dass  er  die  energische 
Schmiercur  seit  42  Jahren,  seit  Beginn  seiner  Praxis,  bei  Meningitis, 
im  Beginn  der  Poliomyelitis  acuta  und  vor  der  Serumtherapie  auch 
bei  Croup  und  Diphtherie  durch  Anregung  seines  Lehrers  Eck  ange¬ 
wendet  habe.  Rauchfass  hat  oft  eelatante  Erfolge  gesehen,  und 
glaubt  sich  der  Ansicht  Soltmann’s  anschliessen  zu  müssen,  dass 
die  Erfolge  des  Quecksilbers  hier  wesentlich  oder  zum  Theil  wenigstens 
der  Beeinflussung  der  Toxine  zuzuschreiben  sind. 

4.  Soltmann  (Schlusswort)  kennt  den  Fritze’sclien  Fall, 
bei  dem  es  sich  um  eine  echte  infectiöse  Polyneuritis  (ascendens)  mit 
Wurzelsymptomen  handelte.  Die  von  Soltmann  eingeleitete  Schmier¬ 
cur  war  von  vorzüglichem  Erfolge  begleitet.  Zu  fast  gleicher  Zeit  mit 
diesem  Fall  beobachtete  Soltmann  sechs  Fälle  in  der  Privatpraxis 
und  zwei  Fälle  im  Krankenhaus,  wo  es  gar  nicht  zu  ausgedehnter 
Entwicklung  kam,  da  auch  hier  unter  der  Inunctionscur  schnelle 
Besserung  eintrat.  Soltmann  empfiehlt  daher  diese  Behandlung  aufs 
Wärmste. 

VIII.  Rille  (Innsbruck) :  C  reaping  disease. 

Diese  durch  eine  bisher  nicht  genauer  specificirte  Dipterenart 
veranlasste  sehr  seltene  Hautaffection  kommt  vorzugsweise  im  Kindes¬ 
alter  zur  Beobachtung.  An  der  Hand  eines  Wachsabdruckes  erörtert 
der  Vortragende  die  klinischen  Symptome  derselben. 

IX.  Rille  (Innsbruck)  :  Dermatitis  exfoliativa 
Rittershain. 

Demonstration  der  Abbildung  eines  typischen  Falles  dieser 
Affection  bei  einem  am  siebenten  Lebeustage  erkrankten  und  am 
zwölften  Tage  verstorbenen  Kinde. 

Discussion:  1.  Fischl  (Prag)  hat  seinerzeit  im  Findel¬ 
hause  zu  Prag  eine  Serie  derselben  Infectionsquelle  entstammender 
Fälle  gesehen,  in  denen  zu  Beginn  grosse  schlaffe  Blasen,  mit  Serum 
gefüllt,  auftraten,  nach  deren  Platzen  sich  ausgedehnte  und  progressive 
Exfoliation  der  Haut  einstellte.  Fischl  fragt  Rille,  ob  er  diese 
Fälle  als  Dermatitis  exfoliativa  oder  als  Pemphigus  foliaceus  be¬ 
zeichnen  würde. 

2.  H  o  c  h  s  i  n  g  e  r*  (Wien)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  die 
Dermatitis  exfoliativa  R  i  1 1  e’s  eine  ganz  specifische  Erkrankungsform 
ist,  welche  mit  diffusem  Erythem  an  den  vorspringenden  Körperstellen 
beginnt,  worauf  eine  Abhebung  der  Epidermis  stattfindet.  In  der  Lite¬ 
ratur  wird  die  Ichthyosis  sebacea  Kaposi,  Intertrigo  universalis  und 
Pemphigus  zusammengeworfen.  Vom  Pemphigus  der  Neugeborenen 
unterscheidet  sich  die  Dermatitis  exfoliativa  R  i  1  1  e’s  im  Beginne,  später 
können  analoge  Bilder  bei  Pemphigus  und  Dermatitis  vorliegen.  Die 
Prognose  ist,  wenn  ausgedehnte  Exfoliation  stattfindet,  bei  beiden 
Affectionen  sehr  schlecht. 

3.  Finkeistein  (Berlin)  meint,  dass  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Dermatitis  und  Pemphigus  gegeben  ist  dadurch,  dass  bei 
ersterer  eine  ganz  diffuse  Abhebung  der  Haut  stattfindet,  deren  end- 
giltig  Ablösung  durch  mechanische  Insulte  bedingt  wird,  während  der 
Pemphigus  circumscripte  Blasen  macht.  Durch  die  auf  der  Heubner- 
sehen  Klinik  geübte  Trockenbehandlung  ist  die  Affection  meist  günstig 
zu  beeinflussen,  indessen  sind  trotzdem  alle  Kinder  zumeist  an  secun- 
dären  septischen  Infectionen  zu  Grunde  gegangen. 

4.  Bagin  sky  (Berlin):  Die  Fälle  von  Dermatitis  exfoliativa 
kommen  auf  der  Berliner  Klinik,  wie  gleichfalls  Finkeistein 
beobachtet  hat,  in  Gruppen  vor.  Differentialdiagnostisch  hebt  B  a- 
g  i  n  s  k  y  hervor,  dass  auch  bei  der  Dermatitis  im  Anfang  Blasen  auf- 
treten  können,  dass  dann  allerdings  die  Abschuppung  der  Haut  rapid 
und  ausgedehnt  vor  sich  geht.  Bisher  war  die  Aussicht  auf  Erfolg  in 
der  Behandlung  stets  ungünstig,  so  lange  Bagin  sky  die  Salbenbe¬ 
handlung  angewendet  hat.  Seit  Abänderung  der  Therapie  in  Trocken¬ 
behandlung  und  Verwendung  von  Tanninbädern  hat  Bagin  sky  zwei 
Heilungsfälle  beobachtet. 

5.  Soltmann  (Leipzig)  hat  stets  Eichelrindebädef  angewendet 
(später  mit  Zusatz  von  Liquor  alum,  acet.)  und  hat  darnach  Heilungen 
gesehen;  allerdings  gingen  die  Kinder  nach  der  Abheilung  doch  an 
anderen  Affectionen,  die  sich  hinzugesellten,  zu  Grunde. 

X.  A.  Hecker  (München):  Demonstration  eines 
Ventilharnfängers  für  Säuglinge  beiderlei  Ge¬ 
schlechtes. 

Der  Apparat  hat  je  ein  mit  einem  regulirbaren  Luftkissen  ver¬ 
sehenes  Ansatzstück  für  Mädchen  und  Knaben.  Er  verhindert  das 


Zurückfliessen  des  einmal  in  das  Glas  gelangten  Urins  durch  Ein¬ 
schaltung  eines  Lippenventils.  Der  Apparat  ist  durch  ein  einfaches 
Bracherium  am  Körper  befestigt.  Sein  Inhalt  kann  im  Bett,  ohne  Ab¬ 
nehmen  des  Apparates  durch  eine  einfache  Drehung  des  Glases  ent¬ 
leert  werden.  Er  ist  vorzüglich  zur  Privat-  und  poliklinischen  Praxis 
geeignet.  Die  Herstellung  hat  die  Firma  M  e  t  z  e  1  e  s  &  Comp,  in 
München. 

Discussion:  1.  Bendix  (Berlin):  Der  von  Hecker  de¬ 
monstrate  kleine  Apparat  ist  gewiss  für  das  Auffangen  von  Urin  zur 
qualitativen  Bestimmung  gut  zu  verwerthen,  wenngleich  man  für  diesen 
Zweck  auch  ohne  besondere  Apparate  auskommt  (Katheterisiren  oder 
Abhalten  des  Kindes).  Die  Nachtheile,  welche  dem  Recipienten  an¬ 
haften,  sind  die  Länge  des  Gummistückes,  welches  leicht  abknickt, 
auch  den  Harn  zurückfliessen  lässt  und  ihn  leicht  ammoniakalisch 
werden  lässt.  Die  Pneumatik  an  dem  abschliessenden  Ring  hat  Ben- 
d  i  x  früher  auch  versucht,  aber  ohne  damit  zufrieden  gewesen  zu 
sein.  Bendix  bedient  sich  für  Stoffwechseluntersuchungen  jetzt  einer 
grossen  Glasretorte,  die  zwischen  den  Beinen  des  Säuglings  ruht,  auf 
der  ein  ganz  kurzer,  ziemlich  weiter  Gummihut  sitzt,  welcher  eigent¬ 
lich  nur  das  Mittel  zur  Befestigung  abgibt,  denn  der  Penis  hängt 
direct  in  den  Glasrecipienten  hinein.  Dieser  kleine  Apparat  hat  sich 
bei  mit  Finkeis  tein  gemeinschaftlich  ausgeführten  Versuchen  ausser¬ 
ordentlich  bewährt. 

2.  J.  Lange  (Leipzig)  demonstrirt  einen  in  Turkestan  von  der 
Bevölkerung  (Sarten)  wohl  seit  Jahrhunderten  benützten  kleinen  Apparat 
für  Knaben  und  Mädchen  zum  Harnablassen.  Eine  kurze  Beschreibung 
mit  Abbildung  wird  demnächst  erscheinen. 

XI.  Hecker  (München) :  Neueres  zur  Pathologie  der 
congenitalen  Syphilis. 

Die  Schwierigkeit  der  pathologisch-histologischen  Untersuchungen 
liegt  zum  Theil  darin,  dass  wir  über  die  normalen  Zustände  beim 
älteren  Fötus  und  beim  Neugeborenen  zu  wenig  unterrichtet  sind. 
Heck  er  hat  daher  zur  Controle  ein  zahlreiches,  sicher  nicht  syphili¬ 
tisches  Vergleichsmaterial  gesammelt.  Die  Untersuchungen  sind  eine 
Fortsetzung  der  im  Jahre  1898  veröffentlichten.  Heute  ergibt  sich 
Folgendes:  Die  Niere  ist  wegen  der  später  eintretenden  Maceration  ein 
dankbareres  Object  zur  Untersuchung,  als  die  Leber.  Sie  ist  auch  viel 
regelmässiger  an  der  congenitalen  Syphilis  betheiligt,  als  die  Leber.  Die 
Nierensyphilis  des  Fötus  äussert  sich  durch  Wucherungsvorgänge  am 
Bindegewebe  und  den  Gefässen;  die  des  Säuglings  dagegen  durch 
atrophische  und  degenerative  Processe  am  Epithel.  Sie  ist  klinisch  in 
allen  Fällen  durch  Albuminurie  und  Cylinder  manifest.  Die  structurelle 
Entwicklung  der  Niere  ist  zur  Zeit  der  Geburt  noch  nicht  abge¬ 
schlossen.  Der  Nachweis  der  charakteristischen  Wachsthumszone  an  der 
Peripherie  der  Niere  ist  also  nicht,  wie  von  verschiedenen  Seiten  be¬ 
hauptet  wurde,  etwas  für  Syphilis  Charakteristisches.  Auch  die  Ent¬ 
wicklung  der  Leber  ist  zur  Zeit  der  Geburt  noch  nicht  beendigt.  Ihre 
Hauptfunction  zur  Fötalzeit  besteht  in  der  Blutbildung,  welche  Thätig- 
keit  sie  auch  noch  eine  kurze  Zeit  lang  nach  der  Geburt  beibehält. 

Es  ist  wichtig,  in  zweifelhaften  Fällen  lebend  Geborener  bei  vor¬ 
handener  elterlicher  Syphilis  die  Nabelschnur  sofort  nach  der  Geburt 
zu  untersuchen,  da  man  aus  ihr  allein  oft  eine  zweifellose  Diagnose 
der  Syphilis  erhält. 

XII.  Schlossmann  (Dresden)  :  Zur  pathologischen 
Anatomie  der  Lues  hereditaria. 

Vortragender  berichtet  über  Untersuchungen,  die  sich  alle  auf 
Kinder,  die  mehr  oder  weniger  lange  gelebt  haben  (zehn  Tage  bis 
neun  Monate)  beziehen.  Bei  allen  diesen  Kindern  fanden  sich  mehr 
oder  weniger  schwere  Veränderungen  an  den  Nieren.  Diese  erkranken 
vorzugsweise  bei  der  Lues  hereditaria.  Anatomisch  kann  man  drei 
Classen  unterscheiden  :  1.  Parenchymatöse  Veränderungen,  2.  paren¬ 

chymatöse  und  interstitielle  Veränderungen,  3.  vorzugsweise  interstitielle 
Processe  mit  Schrumpfung.  Alle  parenchymatösen  Processe  und  die¬ 
jenigen  Formen,  bei  denen  sich  geringe  secundäre  Veränderungen 
finden,  ist  Vortragender  geneigt,  nicht  der  Lues  als  solcher,  sondern 
als  zu  Gastroenteritiden  prädisponirendem  Moment  zuzuschreiben.  Da¬ 
gegen  sind  die  rein  interstitiellen  Formen  als  specifisch  luetische  auf¬ 
zufassen.  In  allen  Fällen  liess  sich  intra  vitam  die  Nephritis  nach- 
weisen  ;  letztere  dürfte  man  überhaupt  bei  syphilitischen  Kindern  zu 
irgend  einer  Zeit  finden.  Die  regelmässige  Urinuntersuchung  kranker 
Säuglinge  ist  daher  eine  unerlässliche  und  wohl  durchzuführende 
Forderung. 

Discussion:  1.  Hochsinger  (Wien)  bemerkt,  dass  er 
nicht  eine  generelle  Wachsthumshemmung  der  Niere  durch  Syphilis  an¬ 
nimmt,  sondern  dass  er  stets  nur  Abschnürungen  von  embryonalen 
Parenchympartien  durch  neu  gebildetes  Bindegewebe  als  Ursache  dieser 
Entwicklungsstörungen  angenommen  hat.  Im  Uebrigen  betont  er  die 
volle  Harmonie  zwischen  seiner  und  Hecke  r’s,  sowie  Schloss- 
m  a  n  n’s  Angaben. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


2.  Soltmann  (Leipzig)  mahnt  zur  Vorsicht,  den  gegebenen 
Nierenbefund  auf  Lues  zu  beziehen.  Säuglinge,  zumal  luetische,  leiden 
oft  an  dyspeptischen  Magen-Darmaffectionen,  die  zu  parenchymatöser 
Nephritis  mit  Albuminurie  führen  (toxische  Nephritis);  die  in  den  demon- 
strirten  Präparaten  (Uecker)  vorhandene  interstitielle  Nephritis  ist, 
wenn  vorhanden,  sehr  unbedeutend.  Was  die  Knochenaffectionen  an¬ 
langt,  so  findet  man  sie  bei  älteren  verstorbenen  luetischen  Säuglingen 
sehr  selten,  wohl  aber  findet  man  die  Osteochondritis  fast  regelmässig 
bei  neugeborenen  syphilitischen  Kindern. 

3.  Fisch  1  (Prag):  Die  Divergenz  zwischen  klinischen  und  ana¬ 
tomischen  Befunden  bei  hereditäter  Lues  ist  weiter  nicht  merkwürdig, 
da  syphilitische  Kinder  oft  an  intercurrenten  Krankheiten  sterben,  ohne 
dass  die  syphilitischen  Haut-  und  Schleimhautmanifestationen  auf 
innere  Organe  fortschreiten  müssen,  zumal  ja  eine  entsprechende 
Therapie  eingeleitet  wird.  In  der  Deutung  interstitieller  Entzündungen 
ist  grosse  Vorsicht  am  Platze,  da  solche  auch  septischer  Natur  sein 
können.  Unbedingt  specifisch  sind  ja  doch  nur  die  gummösen  und  zu 
Bindegewebsneubildung  führenden  Veränderungen. 

4.  Hecker  (München):  Schlusswort:  Die  Specificität  der 
parenchymatösen  Erkrankungen  ist  auch  nach  Hecke  r's  Ansicht,  wie 
bereits  im  Vortrage  betont,  durchaus  nicht  erwiesen.  Auffallend  ist 
nur  die  Thatsaehe,  dass  wirklich  parenchymatöse  Nephritis  fast  nur 
bei  syphilitischen  Säuglingen  vorkommt.  Dass  man,  wie  Soltmann 
und  Schlossmann  hervorheben,  bei  älteren  Kindern  fast  nie  mehr 
Knochenerkrankungen  findet,  liegt  wohl  daran,  dass  eben  nur 
leichtere  Fälle  zum  Leben  kommen,  die  schwereren  vorher  absterben. 
Das  Vorkommen  von  Granulationsgewebe  in  der  „neogenen“  Zone  ist 
nichts  Pathologisches,  da  eine  Unterscheidung  desselben  von  dem  nor¬ 
malen  fötalen  Gewebe  in  der  Zone  kaum  zu  machen  ist.  Eine 
generelle  Einwirkung  des  Syphilisgiftes  auf  die  Wachsthumsverhältnisse 
speciell  in  der  Niere  ist,  soweit  sie  nicht  rein  mechanischer  Natur  sind 
(Abschnürung  ganzer  Bezirke  durch  gewuchertes  Bindegewebe,  Gefäss- 
compression  und  Verstopfung)  noch  in  keiner  Weise  erwiesen,  und 
kann  Hecker  in  dieser  Hinsicht  auch  den  Befund  H  o  c  h  s  i  n  g  e  r’s 
von  dem  persistirenden  cubischen  Epithel  in  den  Glomerulis  nicht 
bestätigen. 

XIII.  Rommel  (München) :  Beitrag  zur  Behandlung 
frühgeborener  Kinder. 

Während  die  Mortalitätsstatistik  des  ersten  Lebenshalbjahres 
durch  die  Todesfälle  an  Magen  Darmerkrankungen  beherrscht  wird, 
tritt  in  den  ersten  Lebenswochen  noch  in  beträchtlicher  Procentzahl 
als  Todesursache  die  angeborene  Lebensschwäche  meist  mit  Früh¬ 
geburt  identisch  oder  doch  durch  sie  hervorgerufen  hinzu.  Mehr  als 
ein  Drittel  aller  im  ersten  Lebensmonate  gestorbenen  Kinder  starb, 
wie  ich  aus  den  Todtenscheinen  zweier  Jahrgänge  in  München  ersehen 
konnte,  an  Lebensschwäche,  respective  Frühgeburt.  Wenn  dies  den 
Kinderärzten  noch  zu  wrenig  bekannt  ist,  so  liegt  das  theils  daran, 
dass  die  Kinder  zu  dieser  Zeit  noch  dem  Forum  der  Geburtshelfer 
unterstehen,  theils  daran,  dass  über  50 °/0  nicht  ärztlich  behandelt 
wurden ! 

Ich  hatte  im  vorigen  und  diesem  Jahre  die  ärztliche  Leitung 
über  die  Kinderbrutanstalt,  welche  hier  gelegentlich  der  vorjährigen 
und  diesjährigen  Ausstellung  gezeigt  wurde.  In  Anwendung  standen 
die  von  Lion  construirten  Couveusen.  Es  wurden  im  Ganzen 
16  frühgeborene  Kinder  behandelt;  9  im  vorigen  Jahre,  7  heuer. 
1 1  davon  hatten  ein  Anfangsgewicht  unter  2000  g  —  das  kleinste 
wog  1300  g.  Fünf  waren  über  2000  g  und  wurden  zu  Anfang  aus 
Mangel  an  Material  und  auf  besonderen  Wunsch  der  Eltern  genommen. 
Die  Kinder  zeigten  bei  ihrer  Aufnahme  sämmtlich  subnormale  Tem¬ 
peratur,  die  jedoch  bald  zur  Norm  in  den  Couveusen  anstieg,  worauf 
dann  auch  Gewichtszunahme  eintrat.  Die  Ernährung  wurde  auf  das 
Peinlichste  überwacht.  Anfänglich  nur  Ammenbrust,  wobei  auf  die  ge¬ 
ringen  getrunkenen  Mengen  als  Einzelmahlzeit  hingewiesen  sei,  10 
bis  30  g  bei  zweistündiger  Pause.  Wenn  die  Kinder  1800  <7  erreicht 
hatten,  wurde  bei  guter  Verdauung  Beinahrung  gegeben,  und  zwar 
wurde  verdünnte  Kuhmilch  (1:3)  und  verdünnte  G  ä  r  t  n  e  r’sche  Fett- 
milch  genommen,  mit  beiden  kam  ich  gut  zum  Ziel  bei  vorsichtigster 
Dosirung  der  Einzelmahlzeit.  Die  Behandlungsdauer  betrug  durch¬ 
schnittlich  41  Tage.  Von  den  16  behandelten  Kindern  starben  vier, 
drei  an  Eklampsie,  eines  an  Miliartuberculose.  Die  durchschnittlichen 
täglichen  Zunahmen  betrugen  17  c/.  Die  erzielten  Resultate  sind  als 
günstige  zu  bezeichnen  und  ist  eine  weitere  Verbreitung  und  An¬ 
wendung  der  Apparate  zu  empfehlen. 

* 

V.  Sitzungstag,  Freitag  den  22.  September  1899. 

I .  Schmorl  (Dresden) :  Ueber  Störung  des  Knochen- 
wachsthums  bei  Barlo  w’scher  Krankheit. 

Bei  sechs  Fällen  von  Barlo  w’scher  Krankheit,  die  der  Vor¬ 
tragende  auf  dem  Sectionstische  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt 


hat,  war  der  grobe  anatomische  Befund  in  allen  Fällen  der  von 
Barlow  in  seiner  classischen  Arbeit  beschriebene.  Ein  Fall  war  un- 
complicirt,  bei  zwei  Fällen  lag  zugleich  eine  zum  Stillstand  gekommene 
Rachitis  vor,  bei  drei  Fällen  concurrirte  eine  floride  Rachitis  mässigen 
Grades. 

Den  mikroskopischen  Befunden  liegen  die  drei  zuerst  erwähnten 
Fälle  zu  Grunde.  Die  Knochenveränderungen  sind  hier  vorwiegend  da¬ 
durch  charakterisirt,  dass  einerseits  der  Knochen  selbst  eine  Verän¬ 
derung  gegen  die  Norm  erfährt  und  dass  andererseits  das  Knochenmark 
in  den  peripheren  Enden  der  langen  Röhrenknochen,  und  in  den  Epi¬ 
physenkernen  seinen  lymphoiden  Charakter  verliert,  und  dass  endlich 
periostale  und  endostale  Blutungen  eintreten. 

Die  Verminderung  der  Knochensubstanz  ist  durch  mangelhafte 
Apposition  und  Resorption  bedingt,  die  in  den  einzelnen  Fällen  ver¬ 
schiedene  Intensitätsgrade  erreichen  und  besonders  im  Gebiet  der 
endochondralen  Ossification  zu  Veränderungen  Veranlassung  geben, 
welche  für  das  Eintreten  der  bei  Morbus  Barlowii  so  ausserordentlich 
häufigen  Fracturen  in  der  Nähe  der  Epiphysenlinie  von  grosser  Bedeu¬ 
tung  sind. 

An  den  Diaphysen  führen  die  genannten  Vorgänge  zu  Osteoporose. 
Das  Knochenmark  hat  seinen  lymphoiden  Charakter  eingebüsst  und  ist 
in  ein  feinfaseriges  zell-  und  gefässarmes  Gewebe  umgewandelt.  Osteo¬ 
blasten  finden  sich  in  ihm  sehr  spärlich.  Blutungen  sind  meist  sehr 
zahlreich  vorhanden;  bei  Knochen,  an  denen  Fracturen  und  Infractionen 
vorhanden  waren,  wurde  häufig  eine  Erfüllung  der  Markräume  mit 
fibrinösen  Massen  gefunden. 

Die  subperiostalen  Blutungen  in  den  langen  Röhrenknochen  sind, 
wie  Schmorl  glaubt,  vorwiegend  auf  die  Fracturen  und  Infractionen 
zurückzuführen.  Die  Ansicht  Barlow’s,  dass  die  Blutungen  die 
primären  Veränderungen  darstellen,  von  denen  der  Schwund  des 
Knochengewebes  abhängig  ist,  fand  Schmorl  nach  seinen  Unter¬ 
suchungen  nicht  bestätigt,  im  Gegentheil  spricht  der  Umstand,  dass 
dort,  wo  subperiostale  Blutungen  vorhanden  sind,  eine  reichliche 
Umbildung  von  Knochensubstanz  statthat,  gegen  die  B  a  r  1  o  w’sche 
Ansicht. 

Zwar  combinirt  sich  M.  Barlowii  häufig  mit  Rachitis,  indessen 
kann  die  Erkrankung  auch  ganz  unabhängig  von  der  Rachitis  zur  Ent¬ 
wicklung  gelangen  (N  a  e  g  e  1  i,  Schmorl).  Ob  M.  Barlowii  dem 
Scorbut  zuzurechnen  ist,  lässt  sich  zur  Zeit  noch  nicht  entscheiden,  da 
Untersuchungen  über  die  beim  Scorbut  vorkommenden  Knochenerkran¬ 
kungen  noch  nicht  vorliegen.  Für  die  Annahme,  dass  die  Barlow- 
sche  Krankheit  infectiösen  Ursprunges  ist,  hat  Schmorl  keine  An¬ 
haltspunkte  gefunden. 

Discussion  zu  dem  Vortrage  Schmor  l’s. 

1.  Soltmann  (Leipzig):  Die  schönen  Präparate  Schmorl’s 
und  die  Erläuterungen  dazu  machen  es  klar,  dass  B  a  r  1  o  w’sche 
Krankheit  keine  Rachitis  ist,  dass  die  Blutungen  und  Fracturen  nur 
secundär  sind.  Soltmann  betont,  dass  die  Blutungen  aber  nicht  nur 
subperiostal,  sondern  auch  subcutan  und  intramusculär,  und  die  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Erythema  nodosum  zumal  Anfangs  enoim  ist.  Die 
Callusbildung  sowohl  als  auch  die  Fractur  sind  bei  Rachitis  und 
Barlo  w’scher  Krankheit  ganz  verschieden,  bei  ersterer  stets 
diaphysär  (meist  Infraction),  bei  letzterer  nur  epiphysär.  Durch  die 
Callusbildungen  bei  den  meist  auf  mechanischem  Wege  mit  Blutungen 
zu  Stande  kommenden  Infractionen  kann  ein  rachitisches  Bild  vor¬ 
getäuscht  werden,  wie  das  bei  dem  von  Schmorl  vorliegendem 
Sternum  Rippenpräparat  ganz  ersichtlich  ist.  Man  könnte  demnach  von 
pseudo  rachitischen  Knochenveränderungen  bei 
B  a  r  1  o  w’scher  Krankheit  reden.  Aetiologisch  ist  wohl  sicher 
eine  Infection  respective  Intoxication  (deletäre  Wirkung  giftiger  Stoff- 
wechselproducte)  anzunehmen.  Mit  den  Spontanluxationen  verhält  es 
sich  ähnlich  wie  bei  Lues.  Bei  den  Phosphorversuchen  (grosse  Dosen) 
von  Kassowitz  scheinen  bezüglich  der  Blutungen  andere  Momente 
vorzuliegen;  die  vermehrte  Markraumbildung,  die  strotzende  Blutfülle 
spricht  dagegen,  dass  es  sich  um  ähnliche  Veränderungen,  wrie  beim 
Barlow  handelt. 

2.  Baginsky  (Berlin)  betont  die  Schwierigkeit  der  Differential¬ 
diagnose  zwischen  Barlow  und  Rachitis  in  einzelnen  Fällen.  Ba¬ 
ginsky  hat  in  seinem  Krankenhause  Fälle  beobachtet,  welche  mit 
einer  Weichheit  und  Biegsamkeit  der  Knochen  einhergingen,  dass 
man  an  Osteomalaeie  denken  konnte  und  bei  denen  nebenher  Ver¬ 
dickungen  an  der  Diaphyse  zu  Stande  kamen  mit  hämorrhagischem 
Charakter;  ein  Fall  zeichnete  sich  durch  eine  ganz  ausserordentliche 
Verdickung  des  Periosts  aus  neben  Knochenschwund.  Es  gibt  also 
Fälle,  welche  ein  eigenartiges  Mischbild  zum  Mindesten  zwischen  Ra¬ 
chitis  und  Barlow’scher  Krankheit,  vielleicht  auch  zwischen  beiden  und 
der  Osteomalaeie  bieten.  Weitere  Belege  über  diese  Fälle  wird  dem¬ 
nächst  der  Assistent  des  Herrn  Baginsky,  Dr.  W  eissenberg, 
veröffentlichen. 

Bezüglich  der  Aetiologie  führt  Baginsky  zwei  Beobachtungen 
mit  absoluter  Sicherheit  auf  den  länger  dauernden  Genuss  von  steri- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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lisirier  Milch  aus  einer  Curanstalt  zurück,  dagegen  hat  Baginsky 
keinen  Fall  von  B  a  r  1  o  w’scher  Krankheit  gesehen  nach  dem  Genuss 
von  nach  S  o  x  h  1  e  t’s  Priucip  im  Haushalt  sterilisirter  Milch.  B  a- 
g  i  n  s  k  y  glaubt,  dass  es  die  Lagerung  der  sterilisirten  Milch  ist, 
welche  derselben  die  Schädlichkeit  gibt. 

3.  Heubner  (Berlin)  hebt  hervor,  dass  bezüglich  der  Bezie¬ 
hungen  des  Barlow  zum  Scorbut  und  zur  Rachitis  auch  Herr  S  c  h  m  o  r  1 
sich  heute  noch  nicht  anders  äussert,  wie  Ileubne  r  es  vorsichtiger 
Weise  in  seiner  ersten  Mittheilung  über  die  Barlow’sche  Krankheit 
getlian,  welche  die  Affection  zuerst  in  Deutschland  bekannt  gemacht 
hat  („scorbutartige  Erkrankung  rachitischer  Säuglinge“,  1893).  Eine 
wichtige  Rolle  spielt  hier  offenbar  die  Atrophie,  die  Osteoporose. 
Heubner  vermisst  —  das  mechanische  Moment  zugegeben  —  das 
Bindeglied  zwischen  Infraction  oder  Fractur  und  Blutungen,  sowie 
periostalen  Schwellungen.  Heubner  berichtet  noch  über  eine  Beob¬ 
achtung  von  Barlo  w’scher  Krankheit,  wo  eine  Schwellung  von  so 
unerhörter  Grösse  vorlag,  dass  von  einem  ersten  Chirurgen  die  Dia¬ 
gnose  eines  Osteosarkoms  gestellt  wurde.  Der  Fall  ist  geheilt.  Eine 
derartige  Ausdehnung  von  Blutungen  und  Schwellungen  bemerkt  man 
doch  nicht  einmal  bei  Fracturen  Erwachsener,  die  durch  ganz  andere 
Gewalt  entstehen  als  die  Spontanfracturen,  wie  sie  hier  vorliegen. 

4.  Schmorl  (Schlusswort)  hebt  hervor,  dass  es  ihm  zunächst 
daran  lag,  den  wesentlichen  Befund  festzustellen,  verallgemeinert  möchte 
er  seine  Beobachtungen  nicht  wissen.  Bezüglich  der  Rachitis  steht 
Schmorl  streng  auf  dem  Standpunkt  Pommer's.  Wenn  bei  den 
im  Verlauf  der  Rachitis  eintretenden  Infractionen  oder  Fracturen  aus¬ 
gedehnte  Blutungen  nicht  Vorkommen,  so  möchte  dies  darauf  zurück¬ 
zuführen  sein,  dass  diese  Veränderungen  sich  bei  Rachitis  am 
weichen  Knochen  entwickeln,  und  es  in  Folge  dieser  Weichheit 
mehr  zu  Verbiegungen  und  Einknickungen  als  zu  echten  Fracturen 
kommt;  es  werden  dabei  Blutgefässe  weniger  leicht  verletzt  als  bei 
uncomplicirten  Fällen  von  Barlo  w’scher  Krankheit,  wo  der  Knochen 
hart  ist  und  die  spitzen  Fragmentenden  reichlich  Blutgefässe  zerreissen. 
Bei  Barlo  w’scher  Krankheit  kommt  es  ausserdem  nicht  selten  zu 
Einspiessungen  der  Diaphyse  in  die  Epiphyse  (so  dass  die  Epiphyse 
wie  ein  Pilz  auf  der  Diaphyse  aufsitzt),  was  bei  Rachitis  nie  beob¬ 
achtet  wurde. 

II.  Sonnenberger:  «)  Ueber  eine  bisher  nicht 
genügend  beachtete  Ursache  hoher  Säuglings¬ 
sterblichkeit. 

Die  Verdauungskrankheiten  der  kleinen  Kinder  sind  als  Intoxi 
cationen  in  den  allermeisten  Fällen  aufzufassen.  Dieselben  sind  theils 
secundärer  Natur,  theils  primärer  —  bacterielle  Intoxication  —  und 
sind  in  letzterem  Falle  durch  mit  der  Nahrung  und  speciell  mit  der 
Thiermilch  eingeführte  chemische  Gifte  veranlasst.  Derartige  Milch- 
intoxicationen  ereignen  sich  sehr  häufig  im  Säuglingsalter  und  sind  als 
Krankbeits-  und  Todesursache  bis  jetzt  sehr  unterschätzt  worden.  Die 
Gifte  sind  sehr  oft  im  Viehfutter  enthalten  und  gehören  in  die  Classe 
der  Alkaloide,  Glykoside,  Amide,  Enzyme  etc.  Sie  können  sowohl  im 
Grünfutter  enthalten  sein  (durch  giftige  Unkräuter,  wie  solche  that- 
sächlich  auf  vielen  Wiesen  und  Kleeäckern  Deutschlands  und  Oester¬ 
reichs  Vorkommen;  dann  Fütterung  mit  Hopfen-,  Reb-,  Kartoffelkraut) 
als  auch  im  Trockenfutter  (mit  Unkrautsamen  verunreinigte  Kleie, 
Schlempe,  Oelkuchen  etc.).  Gelangen  diese  Gifte  durch  die  Milch  in 
den  Organismus  des  gegen  chemische  Noxen  sehr  empfindlichen  Säug¬ 
lings,  so  veranlassen  sie  Verdauungsaffectionen  oft  sehr  schwerer  Art, 
auch  können  daneben  die  specifischen  Symptome  des  eingeführten 
Giftes  Vorkommen.  Die  Fütterung  müsste  auf  dem  Grundsatz  basiren: 
Fernhaltung  aller  Gifte  und  Giftproducenten  (der  bisherige  Grundsatz: 
gleicbmässige  Zusammensetzung  der  Milch  ist,  in  Kürze  nachgewiesen, 
nicht  rationell),  also  vor  Allem  reines  Futter,  welches  unter  den 
jetzigen  landwirtschaftlichen  Verhältnissen  in  einem  grossen  Theile 
Deutschlands  allerdings  nur  durch  ausgewählte  Trockenfütterung  zu  er¬ 
reichen  ist.  Der  zunehmenden  Verunkrautung  der  Wiesen  und  Kleeäcker 
ist  durch  Aufklärung  der  Landwirthe,  eventuell  durch  gesetzgeberische 
Massnahmen  entgegenzuarbeiten. 

II.  Sonnenberger:  b)  Ueber  Kinder  milch. 

Die  Kindermilchfrage,  d.  h.  die  Frage,  was  wir  unter  „Kinder¬ 
milch“  zu  verstehen  haben,  ist  eine  eminent  wichtige,  denn  die  hohe 
Säuglingssterblichkeit  in  einem  grossen  Theile  Deutschlands  hängt  in 
erster  Linie  von  der  schlechten  Beschaffenheit  der  in  vielen  Fällen  zur 
künstlichen  Säuglingsernährung  verwendeten  Milch  ab.  Es  ist,  um 
eine  Besserung  zu  erreichen,  das  Volk  überall  darüber  aufzuklären, 
was  wir  unter  „Kindermilch“  zu  verstehen  haben  und  dass  mit  der 
Sterilisirung  allein  eine  Milch  nicht  gut  gemacht  werden  kann  und  der 
Zweck  der  Säuglingsernährung  nicht  erreicht  wird,  wenn  sie  nicht  nach 
richtigen  Principien  producirt  worden  ist.  Pflicht  der  einzelnen  Com- 
munen  ist  es,  für  die  Zwecke  der  Säuglings-  und  Krankenernährung 
ihrer  Bevölkerung  eine  geeignete  Milch  zu  Preisen,  die  auch  den 
Minderbemittelten  die  Beschaffung  derselben  ermöglichen,  zu  verschaffen. 


Die  Städte  haben  in  ihren  Bestimmungen  über  den  Vertrieb  von  Milch 
vor  Allem  die  Kindermilch  im  Auge  zu  behalten.  Die  Rechtsprechung 
soll  sich  nicht  allein  mit  den  sogenannten  Milchfälschungen  befassen, 
sondern  auch  darauf  achten,  dass,  was  unter  der  Bezeichnung 
„Kindermilch“  verkauft  wird,  auch  wirklich  eine  solche  ist.  Obgleich 
die  jetzige  Gesetzgebung  zwingende  Handhaben  hiefür  gibt,  so  wäre 
doch  eine  authentische  Regelung  dieser  Frage  —  vielleicht  auf  dem 
Wege  eines  Nachtrages  zum  Nahrungsmittelgesetz  —  sehr  wiinschens- 
werth. 

Discussion  zu  den  Vorträgen  des  Herrn  Sonnenberger. 

1.  Pfaundler  (Strassburg)  referirt  über  einen  neuen  in  der 
Milch  von  Wroblewski  gefundenen  Eiweisskörper,  das  Opalisin. 
Dasselbe  ist  in  der  Kuhmilch  in  weit  geringeren  Mengen  als  in  der 
Frauenmilch  vorhanden  und  scheint  durch  seine  Eigenschaften  im 
Stande  zu  sein,  die  zwischen  den  G’aseinen  beider  Milchen  vorhandenen 
Differenzen  aufzuklären.  Wenn  sich  die  Untersuchungen  Wroblewski’s 
bestätigen,  so  wäre  hier  ein  Weg  gezeigt,  durch  Zusatz  von  Opalisin 
zur  Kuhmilch  die  vorhandenen  Differenzen  zwischen  ihr  und  der 
Frauenmilch  auszugleichen. 

2.  Schlossmann  (Dresden):  In  einigen  Städten  existiren 
bereits  genaue  Bestimmungen  darüber,  welche  Milch  unter  dem 
Namen  „K  i  n  d  e  r  m  i  1  c  h“  in  den  Handel  kommen  darf;  in  Dresden 
werden  zur  Zeit  solche  Bestimmungen  ausgearbeitet,  die  äusserst  scharf 
den  Begriff  „K  i  n  d  e  r  m  i  1  c  h“  definiren  und  für  ihren  Vertrieb  die 
Concession  verlangen. 

3.  Baginsky  (Berlin):  Die  Bestrebungen,  gute  Kindermilch 
zu  gewinnen,  gehen  in  Berlin  unter  dem  Einfluss  der  Behörden  einen 
guten  Weg,  indem  durch  ein  Gutachten,  das  auf  Veranlassung  der 
Ministerien  von  einer  Commission  abgegeben,  fixirt  worden  ist,  was 
man  unter  Kindermilch  zu  verstehen  babe.  Im  Wesentlichen  handelt  es 
sich  dabei  um  eine  Milch  von  cuberculin  geimpften  Thieren,  um  die 
Fixirung  der  Zeitdauer  von  der  Gewinnung  der  Milch  bis  zum  Ver¬ 
brauch  (12  Stunden)  und  um  ihre  Temperatur  (10° R.).  Baginsky 
ist  ausserdem  in  der  glücklichen  Lage,  über  einen  Musterstall  für  sein 
Krankenhaus  in  Berlin  zu  verfügen,  wo  jede  Fütterung  des  Viehes,  die 
Reinigung  des  Stalles  und  dreimalige  tägliche  Milchlieferung  in  be¬ 
stimmter  Weise  festgesetzt  sind.  Auch  steht  die  Milch  unter  strengster 
chemischer  und  bacteriologhcher  Controle  durch  Dr.  Sommerfeld, 
dem  Assistenten  von  Baginsky.  Die  Vortheile,  die  dem  Lieferanten 
des  Krankenhauses  auch  sonst  erwachsen,  haben  dazu  geführt,  dass 
sich  auch  andere  Stallbesitzer  zu  der  Controle  des  Krankenhauses 
herandrängen.  So  verbessere  man  durch  die  Praxis  die  städtischen 
Milch  Verhältnisse. 

4.  Conra  d  (Essen  a.  d.Ruhr)  hält  die  bisher  üblichen  Controlen  der 
Milch  auf  Fettgehalt  und  Verdünnung,  beziehungsweise  Verfälschungen 
für  unzureichend  und  verlangt  —  wenigstens  für  die  „Iv  inder¬ 
milch“  —  die  allgemeine  Einführung  einer  polizeilichen  Controle  des 
Schmutzgehaltes  (nach  Renk),  sowie  des  Säuregehaltes  der  Milch  vor 
und  nach  einstiindiger  Aufbewahrung  im  Brutschrank. 

5.  Sonnenberger  (Schlusswort)  betont  wiederum,  dass  man 
in  der  Milchfrage  nicht  pessimistisch  genug  denken  könne,  man  müsse 
durch  Belehrung  des  Publicums,  durch  polizeiliche  Festsetzungen  über 
den  Begriff  „Kindermilch“,  durch  Anregung  bei  der  Gesetzgebung  da¬ 
hin  streben,  dass  die  in  dieser  Beziehung  meist  sehr  schlechten  Ver¬ 
hältnisse  gebessert  würden. 

III.  A.  Baginsky  (Berlin):  Ein  Beitrag  zu  den  secun- 
dären  Infectionen  der  Kinder. 

Baginsky  bittet  zu  entschuldigen,  wenn  er  zu  verspäteter 
Stunde,  allerdings  nicht  ohne  den  ausdrücklichen  Wunsch  der  Gesell¬ 
schaft,  und  weil  Unwohlsein  ihn  bisher  abhielt,  einige  Fälle  zum  Vor¬ 
trag  bringe,  welche  zweckmässiger  im  Anschlüsse  an  die  Referate  zu 
den  septischen  Processen  der  Kinder  mitgetheilt  worden  wären.  Die 
Fälle,  nicht  allein  an  sich  interessant,  haben  auch  nach  der  Richtung 
hin  bestimmte  Bedeutung,  dass  sie  den  Nachweis  erbringen,  wie  man 
wirklich  septische  Processe  bei  Kindern  nicht  übersieht,  sondern  sehr 
wohl  bei  einiger  Aufmerksamkeit  zu  entdecken  vermag.  Dass  Kinder, 
besonders  der  jüngsten  Altersstufen,  leicht  septischen  Processen  anheim¬ 
fallen,  wird  kein  verständiger  und  erfahrener  Beobachter  leugnen.  Auf 
der  anderen  Seite  ist  es  aber  ein  grosser  Fehler,  auf  Grund  nicht  ge¬ 
sicherter  Verhältnisse,  etwa  nur  auf  Grund  statistischer  Zahlenzusam¬ 
menstellungen  infectiöse  und  septische  Processe  herzuleiten,  wo  solche 
nicht  vorhanden  sind,  wo  vielmehr  Vermuthungen  an  die  Stelle  von 
Thatsachen  treten. 

1.  Der  erste  Fall,  am  12.  Februar  1899  ins  Kinderkrankenhaus 
eingebracht,  betrifft  ein  1  Jahr,  4  Monate  altes  Kind,  Erna  Kuring. 
Baginsky  gibt  nur  ganz  kurz  die  charakteristischen  Daten,  behält 
sich  das  Weitere,  wie  auch  für  die  übrigen  Fälle,  für  eine  ausgiebige 
Publication  im  Archiv  für  Kinderheilkunde  vor. 

Das  Kind  sieht  schwer  leidend  aus,  die  physikalische  Diagnostik 
erweist  eine  rechtsseitige  Pneumonie,  nebenher  Otitis  media.  39'4°C. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  27 


Temperatur,  leichte  Albuminurie.  Starke  Absonderung  aus  der  Nase 
In  dem  Secret  keine  charakteristischen  Bacterien,  insbesondere  keine 
Löffler-  Bacillen. 

In  den  nächsten  Tagen  zeigt  sich  an  der  linken  Seite  der  Nase 
eine  kleine  Schrunde  mit  bläulicher  Verfärbung  der  infiltrirteu  Um¬ 
gebung.  Pneumonie  weiter  verbreitet.  Elendes  septisches  Aussehen  des 
Kindes.  Temperaturen  schwanken  bis  40°  C.  Albuminurie.  Auf  der 
Haut  des  Rückens  sind  vereinzelte,  bis  linsengrosse,  grauweisse, 
flache  Erhebungen  aufgetreten,  die  von  einem  rothen  Hofe  um¬ 
geben  sind. 

6.  März.  Die  kleinen  Hautefflorescenzen  haben  sich  zu  höchst 
eigenthümlichen  Gebilden  entwickelt.  Auf  der  linken  Scapula  befinden 
sich  drei  groschongrosse,  kreisrunde  Stellen,  die  8förmig  ineinander, 
fliessen.  Die  Mitte  dellenartig  eingesunken,  scharf  umrandet.  Um  den 
centralen,  eingesunkenen,  gelbgrauen  Kreis  zieht  eine  rothe  Zone  mit 
freigelegtem  Corium,  etwa  in  der  Breite  von  2 — 3  mm.  Die  Umgebung 
der  ganzen  Efflorescenz  stark  infiltrirt,  dick. 

Derartige  Efflorescenzen  treten  in  der  Folge  noch  an  den  ver¬ 
schiedensten  Körperstellen  vielfach  auf,  die  älteren  Efflorescenzen 
breiten  sich  intensiv  aus.  Die  Infiltration  um  die  glänzende  und  ge¬ 
schwollene  Nase  hat  intensiv  zugenommen.  Das  Secret  ist  reichlich. 
Rascher  Verfall  der  Kräfte.  Diarrhoische  Stühle.  Pneumonie  fort¬ 
schreitend. 

Harn,  Blut,  Nasensecret  werden  zur  bacteriologiscben  Unter¬ 
suchung  entnommen,  und  aus  allen  Proben,  ebenso  wie  aus  den  noch 
frischen  Efflorescenzen  ist  mit  voller  Sicherheit  der  Bacillus  pyocyaneus 
nachzuweisen  und  rein  zu  cultiviren.  Das  Kind  stirbt  unter  Convul- 
sionen  am  8.  März.  Section  sofort  post  mortem.  Aus  dem  Sections- 
befund  sei  nur  erwähnt,  dass  sich  embolische  Herde  in  den  Nieren  vor¬ 
fanden,  und  davon  ebenfalls  der  B.  pyocyaneus  —  ebenso  wie  aus 
den  meisten  anderen  Organen  —  nur  nicht  aus  der  Leber,  cultiviren 
liess,  in  einzelnen  Organen  zunächst  von  Coccen  begleitet;  auch  im 
anatomischen  Präparate  sind  die  Bacterienherde  nachweisbar. 

Der  Fall  fügt  sich  den  neuerdings  mehrfach  als  Ecthyma  gangrae¬ 
nosum  beschriebenen  Pyocyaneusinvasionen  an.  Baginsky  hat  auf 
die  Infectionsgefahr  durch  Pyocyaneus  vor  einiger  Zeit  schon,  gelegent¬ 
lich  seiner  neueren  Studien  zu  den  Kinderdiarrhöen,  hingewiesen.  Hier 
handelt  es  sich  also  um  eine  volle  septikämische  Invasion,  die  wohl 
sicher  von  der  Nase  ausging. 

2.  Der  zweite  Fall  betrifft  ein  sieben  Monate  altes  Kind,  Frida 
Gläsel.  Das  Kind  erkrankte  plötzlich  an  Erbrechen  und  zeigte  alsbald 
duukelblauröthliche  Flecken  auf  der  Haut.  Am  5.  Mai  1897  auf¬ 
genommen. 

Schwer  erkrankt  aussehend,  gut  genährt.  Auf  der  Haut  zahl¬ 
reiche  rothblaue,  kleine,  bis  erbsengrosse  Flecken,  an  blutunterlaufenen 
Stellen,  kreisrund.  Am  Gesäss  bis  markstückgrosse,  augenscheinlich 
hämorrhagische  Stellen;  ebenso  am  Oberschenkel.  Mundschleimhaut 
cyanotisch,  keine  hämorrhagische  Suffusion.  Temperatur  38‘6. 

Rapider  Kräfte  verfall  mit  Ausbreitung  der  Efflorescenzen.  Tod 
am  7.  Mai.  —  Section  sofort  post  mortem.  Blutentnahme  durch  Herz- 
punction.  Sectionsbefund  wenig  charakteristisch.  Nachweis  von  Strep¬ 
tococcen  und  einem  Bacillus,  der  sich  bei  genauer  Untersuchung  als 
Proteus  charakterisirt.  Die  Infection  scheint  von  der  Lunge  aus¬ 
gangen  zu  sein. 

3.  Elf  Monate  altes  Kind,  Ernst  Grossmann,  am  20.  Mai  1899 
aufgenommen.  Vor  14  Tagen  an  einer  Otitis  media  erkrankt;  es  soll 
sofort  dabei  eine  Lähmung  einer  Gesichtshälfte  bestanden  haben,  die 
sich  zurückbildete.  Anschwellung  des  linken  Fussgelenkes,  der  linken 
Schulter  und  des  rechten  Knies  sollen  gleichzeitig  entstanden  sein. 
Auch  dies  bildete  sich  zurück,  bis  auf  die  Schwellung  der  Schulter, 
die  bei  der  Aufnahme  noch  besteht.  Lues,  so  weit  nachweisbar,  aus¬ 
geschlossen.  Gut  genährtes,  aber  tief  bleiches  Kind  und  schwer  leidend 
aussehend.  Beide  Arme  hängen  regungslos  herab.  Schenkel  nach  aussen 
rotirt.  Kniegelenke  leicht  flectirt.  Jede  Bewegung  schmerzhaft.  Hohes 
Fieber,  indess  schwankend  zwischen  40°  und  38°  C.  Im  Verlaufe 
Ikterus.  Schwere  Dyspnoe.  Auftreten  von  pemphigusähnlichen  Blasen 
auf  der  Haut.  Eiteransammlung  im  Schultergelenk,  durch  Punction 
entleert.  Tod  im  Collaps.  Section  sofort  post  mortem. 

Section  ergibt  neben  parenchymatösen  Veränderungen  der 
Organe  und  eiteriger  Ansammlung  im  linken  Schultergelenk  eiterige 
Infiltration  des  rechten  Felsenbeines.  Sinus  frei.  Die  bacteriologische 
Untersuchung  des  frisch  puuctirten  Herzblutes  ergibt  Strepto-  und 
Diplococcen.  Die  Organe  sind  zum  Theil  frei  von  Bacterien,  indess 
finden  sich  Coccenherde  in  der  Leber  und  in  den  Nieren.  Dieselben 
sind  in  mächtigen  Haufen  angesammelt  und  haben  das  Gewebe  viel¬ 
fach  zur  Nekrose  gebracht. 

4.  Paul  Dubog,  1 3/4  Jahre  alt,  am  13.  Mai  1899  aufgenommen. 
Typischer  Scharlach.  Schwerer  septischer  Verlauf.  Am  21.  Mai 


Temperatur  416°  C.,  Puls  152,  Respiration  52.  Sensorium  benommen- 
Ueber  den  ganzen  Körper  hin  zerstreute  isolirt  stehende  rothe  Flecken, 
scharf  umgrenzt,  linsen-  bis  pfennigstückgross.  Am  rechten  Unter¬ 
schenkel  ein  etwa  thalergrosser,  erhabener,  rother  Fleck.  Aus  diesem 
wird  zur  bacteriologiscben  Untersuchung  Blut  entnommen. 

Tod  am  22.  Mai.  Sofort  post  mortem  Herzpunction  und  Blut¬ 
entnahme.  Sectionsbefund  sonst  wenig  charakteristisch.  Die  bacterio¬ 
logische  Untersuchung  sowohl  des  noch  in  vivo,  wie  des  post  mortem 
entnommenen  Blutes  ergibt  einen  Diplococcus,  der  meist  in  kleinen, 
runden  Colonien  wächst,  sich  hochvirulent  für  Mäuse  erweist.  Immer 
;n  Diplococcen  auftretend,  ordnet  er  sich  nach  Kettchen. 

5.  Gertrud  Hering,  elf  Monate  alt;  am  22.  März  aufgenommen, 
leidet  seit  längerer  Zeit  an  Tussis  convulsiva.  Im  Ganzen  gut  genährt 
und  kräftig.  Am  7.  Mai  im  Hospital  mit  Morbillen  erkrankt.  (Während 
bis  dahin  Morbillen  und  Keuchhusten,  zwar  getrennt  gehalten  waren, 
aber  in  einer  Barake,  gab  dieser  Infectionsfalls  Anlass  zu  einer 
Trennung  der  beiden  Krankheitsformen  in  zwei  verschiedenen  Häusern.) 
Schwerer  Verlauf  bei  noch  bestehenden  schweren  Keuchhusten¬ 
attaquen. 

Am  11.  Mai  bei  noch  hohem  Fieber,  40°  C.,  Cyanose  und 
Dyspnoe.  Am  Rücken  sind  erbsengrosse,  mit  trübem  Serum  gefüllte, 
mit  lividem  Rande  umgebene  Blasen  aufgetreten.  Aehnliche  an  den 
Nates.  Die  bacteriologische  Cultur  aus  den  intacten  Blasen  ergibt 
einen  Diplococcus.  Die  Blasen  entwickeln  sich  weiter  zu  tief  gehenden, 
wie  mit  einem  Locheisen  geschlagenen  Ulcera. 

Das  Kind  stirbt  am  16.  Mai.  Die  Section  ergibt  Pleuritis,  Media 
stinitis  und  Pericarditis  purulenta,  neben  Pneumonia  duplex. 

Sofort  nach  dem  Tode  wurde  die  Herzpunction  gemacht.  Aus 
dem  Blute,  ebenso  wie  aus  dem  Blaseneiter  war  ein  Diplococcus  nach¬ 
zuweisen,  der  sich  als  liochvilurent  erwies.  Die  anatomische  Unter¬ 
suchung  der  Haut  erweist  dieselbe  in  der  Umgebung  der  Ulcera  mit 
demselben  Coccus  durchsetzt. 

6.  Francisca  Unger,  U/2  Jahre  alt.  Am  5.  August  1899  auf¬ 
genommen.  Das  Kind  ist  vor  17  Tagen  an  Morbillen  erkrankt  und 
zeigt  seit  acht  Tagen,  nach  Abblassen  des  Exanthems,  einen  blasen¬ 
bildenden  Ausschlag,  über  den  ganzen  Körper  verbreitet.  Das  Kind 
sieht  schwer  erkrankt  aus,  hoch  fieberhaft.  Temperatur  40'0°  C.  Blasen 
von  verschiedener  Grösse,  mit  klarem  oder  leicht  getrübtem  Inhalt 
über  den  ganzen  Körper,  besonders  am  Rücken  verbreitet.  Auch 
Reste  von  Blasen,  am  Fusse  Stellen  mit  freigelegtem  Corium,  zusammen¬ 
getrockneten  Epidermisfetzen.  Bronchitis  diffusa.  Geringe  Albuminurie. 
Im  Verlaufe  schwere  Stomatitis  mit,  den  confluirenden  Bednar- 
schen  Aphthen  ähnlichen  Efflorescenzen,  spontan  entstanden.  (Keine 
Diphtherie,  keine  L  ö  f  fl  e  r  -  Bacillen.  (Allmäliger  Collaps  bei  schwan¬ 
kendem,  im  Ganzen  hohem  Fieber.  Temperaturen  in  den  letzten  Tagen 
bis  41°  C.;  indess  auch  absinkend  bis  37°  C.  Aus  den  frischen 
Blasen  entnommener  Inhalt  ergibt  bei  bacteriologischer  Prüfung 
Streptococcen  ohne  culturelle  Besonderheiten ;  auch  für  Mäuse  nicht 
virulent. 

Letaler  Ausgang  unter  Convulsionen  am  17.  August  1899.  Herz 
punction  sofort  post  mortem.  Section  ergibt  Otitis  media  duplex. 
Thrombosis  sinus  longitudinalis.  Thrombophlebitis.  Meningitis. 

Aus  dem  Herzblut  Streptococcen,  mit  dem,  dem  Stic,  pyogenes 
eigenen  Verhalten.  Hochvirulent.  Aus  den  Organen  gezüchtete  Strepto¬ 
coccen  der  gleichen  Art,  indess  nicht  von  gleicher  Virulenz. 

Man  sieht  aus  diesen  kurzen  Auszügen  der  bemerkenswerthesten 
Angaben  über  die  beobachteten  Fälle,  dass  man  bei  einiger  Aufmerk¬ 
samkeit  septische  Infection  bei  Kindern  wohl  entdecken,  verfolgen  und 
charakterisiren  kann.  Aber  gerade  derartigen  Thatsachen  sollten  davon 
abhalten,  ohne  sichere  Grundlage  von  septischen  Infeetionen  der 
Kinder  in  Krankenanstalten  zu  sprechen,  und  durch  Mittheilung  nicht 
gehörig  fundirter  und  gesicherter  Angaben  Aerzten,  Behörden  und 
Publicum  einen  nicht  zu  rechtfertigenden  Schrecken  vor  den  Kinder¬ 
pflegeanstalten,  welcher  Art  dieselben  auch  seien,  ob  Krippe  oder 
Findelanstalt  oder  Krankenhaus,  einzuimpfen. 

Discussion:  1.  Escherisch  (Graz)  hat  sich  durch 

systematische,  rasch  nach  dem  Tode  vorgeuommene  Herzpunction  von 
der  überraschenden  Häufigkeit  der  septischen  Erkrankungen  bei  Neu¬ 
geborenen  und  künstlich  genährten  Säuglingen  überzeugt  und  empfiehlt 
diese  Methode. 

2.  Baginsky  (Schlusswort)  erwähnt  bezüglich  der  Herz¬ 
punction,  dass  man  sich  davor  hüten  muss,  die  Lunge  zu  punctiren, 
dies  gibt  eine  Fehlerquelle  ab,  die  vermieden  werden  muss.  Gehäufte 
Fälle  von  Sepsis  kleiner  Kinder  wird  man  nur  in  schlecht  ausge¬ 
statteten  Anstalten  finden,  und  dies  kann  vermieden  werden. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüiler  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Pal  tauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gnssenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Red i girt  von  Di*.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  12.  Juli  1900.  Nr.  28. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX;3,  Maximilianplatz, 
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gen  und  Geldsendungen  an 
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INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  der  I.  medicinisehen  Klinik  iu  Wien  (Hofratli 
N  o  t  h  n  a  g  e  1).  Beitrag  zur  Aetiologie  der  B  a  s  e  d  o  w’schen 
Krankheit  und  des  Thyreoidisraus.  Von  Dr.  Robert  Breuer, 
Assistenten. 

2.  Aus  der  III.  medicinisehen  Universitätsklinik  in  Wien.  Beitrag 
zur  Kenntniss  der  recurrirenden  Tetania  gravidarum.  Von  Dr.  C. 
Hödlmoser,  klinischem  Assistenten. 

3.  Ueber  den  Ischler  Salzbergschlamm.  Von  Dr.  E.  Wiener. 

4.  Bemerkung  zum  Aufsatze  in  Nr.  25  dieser  Wochenschrift:  G. 
Holzknecht,  Zum  radiographischen  Verhalten  pathologischer 
Processe  der  Brustaorta.  Von  Dr.  Maximilian  Wein¬ 
berger,  Assistenten  an  der  III.  medicinisehen  Klinik. 

5.  Gegenbemerkung  zu  Obigem.  Von  Dr.  G.  Holzknech  t,  Aspi¬ 
ranten  der  Klinik  Nothnagel. 

II.  Feuilleton :  Wilhelm  Kühne  f .  Von  Alois  K  r  e  i  d  I. 


III.  Referate:  I.  Die  paroxysmale  Tachycardie  (Anfälle  von  Herzjagen). 

Von  Dr.  August  Hoffmann.  II.  Heart  Disease:  With 
Special  Reference  to  Prognosis  and  Treatment.  By  Sir  William 
H.  Broadbent  and  F.  H.  J.  Broadbent.  Ref.  Dr.  Rudolf 
Schmidt.  —  I.  Zur  Mechanik  und  Physiologie  der  Nahrungs¬ 
aufnahme  der  Neugeborenen.  Von  H.  Cramer.  II.  Die  Versuchs¬ 
anstalt  für  Ernährung,  eine  wissenschaftliche,  statliche  und  huma¬ 
nitäre  Nothwendigkeit.  Von  P  h.  Biedert.  III.  Ueber  Zer- 
reissungen  des  Nabelstranges  und  ihre  Folgen  für  den  Neugebo¬ 
renen.  Von  J.  Bayer.  IV.  Säuglingsernährung.  Von  B,  Bendix. 
Ref.  Knoepf  elmacher, 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Therapeutische  Notizen. 

VI.  Vermischte  Nachrichten. 

VII.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  der  I.  medicinisehen  Klinik  in  Wien  (Hofrath  Noth¬ 
nagel). 

Beitrag  zur  Aetiologie  der  Basedowschen  Krank¬ 
heit  und  des  Thyreoidismus. 

Von  Dr.  Robert  Breuer,  Assistenten. 

Nach  einem  am  15.  Juni  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  gehaltenen  Vortrage. 

I. 

Die  Anschauungen  über  die  Pathogenese  des  Morbus 
Basedowii  und  seine  Stellung  im  pathologischen  System  haben 
in  den  letzten  15  Jahren  eine  gründliche  Aenderung  erfahren. 
Bis  zur  Mitte  der  Achtziger- Jahre  wurde  die  Basedow’sche 
Krankheit  (welche  ja  ursprünglich  als  eigenthümliche  Herz- 
affection  gegolten  hatte)  den  Neurosen  ohne  anatomischen  Be¬ 
fund  zugezählt;  als  diejenige  Stelle  des  Nervensystems,  deren 
functionelle  Erkrankung  den  B  a  s  e  d  o  w’schen  Symptomen- 
complex  erzeugen  sollte,  wurde  —  aus  im  Ganzen  recht  wenig 
stichhältigen  Gründen  —  bald  der  Sympathicus,  bald  der  eine 
oder  andere  Hirntheil  bezeichnet. 

Heute  steht  wohl  die  grosse  Mehrzahl  der  Aerzte  im 
Lager  Möbius’  und  betrachtet  mit  ihm  den  Morbus  Basedowii 
als  das  Resultat  einer  Autointoxication  durch  krankhafte 
Thätigkeit  der  Schilddrüse. 

Die  F ormulirung  der  »Schilddrüsentheorie«  durch 
Möbius  im  Jahre  1886  hatte  die  Aerzte  nicht  vollkommen 
unvorbereitet  getroffen.  Die  chirurgischen  Erfolge  der  Base¬ 
dow  -  Behandlung  durch  Eingriffe  an  der  Schilddrüse  einer¬ 
seits  und  die  Erfahrungen  über  das  spontane  und  operative 
Myxödem  auf  der  anderen  Seite  hatten  ja  einer  solchen  Auf¬ 
fassung  den  Boden  bereits  geebnet,  und  es  war  daher  begreif¬ 


lich,  dass  die  neue  Anschauung  sich  sofort  eine  grosse  Zahl 
von  Anhängern  zu  verschaffen  wusste,  vor  Allem  aus  den 
Reihen  der  Chirurgen.  Allerdings  machte  sich  sofort  auch  eine 
lebhafte  Opposition,  namentlich  von  neurologischer  Seite,  gel¬ 
tend.  Doch  liess  sich  nicht  verkennen,  dass  die  Zahl  Derjenigen, 
welche  die  »Neurosentheorie«  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krankheit 
in  ihrem  alten  Umfang  vertheidigten,  wenigstens  in  Deutsch¬ 
land,  rasch  zusammenschmolz.  Und  als  die  Erfahrungen  über 
den  Thyreoidismus  bekannt  wurden,  d.  i.  denjenigen  Complex 
von  Vergiftungserscheinungen,  welcher  durch  Einfuhr  von 
Schilddrüsensubstanz  in  den  Körper  experimentell  erzeugt 
wird,  da  sahen  sich  auch  die  überzeugtesten  Anhänger  der 
Neurosentheorie  bewogen,  Zugeständnisse  zu  machen.  Sie 
concedirten,  dass  es  neben  dem  echten,  primären  Morbus 
Basedowii,  welcher  von  ihnen  nach  wie  vor  aut  eine 
primäre  functionelle  Neurose  eines  Theiles  des  Centralnerven¬ 
systems  zurückgeführt  wird,  und  als  dessen  Typus  die  Fälle 
von  Basedow  nach  Schreck  gelten,  einen  secundären, 
symptomatischen  Basedow  gebe,  d.  h.  eine  Affection, 
bei  welcher  zu  einer  schon  längere  Zeit  bestehenden  Schild- 
drüsenaffection  (Struma)  B  a  s  e  d  o  w  -  Symptome  in  mehr  oder 
weniger  grosser  Zahl  hinzutreten. 

Dieser  Dualismus  wurde  von  Möbius  vom  Anfang  an  aut 
das  Schärfste  bekämpft.  Möbius  steht  auf  dem  Standpunkte, 
dass  es  nicht  angelie,  hei  zwei  Kranken,  welche  sich  durch 
nichts  unterscheiden,  als  dass  bei  dem  einen  die  Struma  zu¬ 
gleich  mit  den  übrigen  B  a  s  e  d  o  w  -  Erscheinungen  aufgetreten 
ist,  während  sie  hei  dem  anderen  schon  längere  Zeit  vorher 
bestanden  hat,  von  ganz  differenten  Aftectionen  zu  sprechen 
und  bei  dem  einen  eine  functionelle  centrale  Neurose,  hei  dem 
anderen  eine  Vergiftung  anzunehmen.  In  beiden  fällen  handle 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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es  sich  um  dieselbe  Affection,  welche  thyreogen,  d.  h.  durch 
Vergiftung  von  der  Schilddrüse  aus  entstanden  sei.  Nur  sei  in 
dem  einen  Falle  eine  Schilddrüsenveränderung  schon  vor  dem 
Ausbruch  der  B  a  s  e  d  o  w  -  Erscheinungen  klinisch  nachweisbar; 
im  anderen  Fall  (genuiner,  echter  Morbus  Basedowii  der 
Autoren),  in  welchem  sich  die  Krankheit  bei  scheinbar  vorher 
gesunder  Schilddrüse  entwickle,  lägen,  allerdings  für  die 
klinische  Beobachtung  nicht  erkennbar,  gleichfalls  schon  Schild¬ 
drüsenveränderungen  vor,  welche  durch  ein  auslösendes  Agens 
(Schreck,  körperliche  Anstrengung  etc.)  plötzlich  erst  manifest 
werden. 

Es  ist  nur  eine  Consequenz  dieser  unistischen  Auffassung 
der  Basedow-  Erkrankung,  dass  Möbius,  und  ihm  folgend 
andere  Autoren,  auch  jenen  oben  erwähnten  Symptomencomplex, 
welcher  durch  experimentelle  oder  therapeutische  Einfuhr  von 
Schilddrüsensubstanz  hervorgerufen  werden  kann  und  der  unter 
dem  Namen  des  Thyreoidismus  bekannt  ist,  in  eine  innige 
Beziehung  zum  echten  Morbus  Basedowii  bringen.  Besteht 
doch  dieser  Thyreoidismus  aus  einer  Anzahl  von  Symptomen, 
welche  auch  dem  typischen  Morbus  Basedowii  angehören 
(Tachycardie,  Zittern,  psychische  Erregung,  Stoffwechsel¬ 
störungen  etc.).  Zwischen  diesem  Thyreoidismus,  den  mannig¬ 
fachen  Formes  frustes  des  Basedow  und  der  vollentwickelten 
Krankheit  findet  Möbius  eine  Reihe  fliessender  Uebergänge, 
nirgends  scharfe  Grenzen  und  principielle  Unterschiede. 

Die  Discussion  über  diese  Fragen  ist  in  der  Literatur 
der  letzten  Jahre  mit  grosser  Lebhaftigkeit  geführt  worden, 
eine  grosse  Menge  vielleicht  etwas  verfrühter  Detailhypothesen 
sind  ersonnen  worden,  um  in  einzelnen  Differenzpunkten  die 
streitenden  Meinungen  zu  versöhnen,  und  wenn  sich  auch  nicht 
gerade  allzuviele  Autoren  der  extrem  scharfen  Formulirung 
Möbius'  ausdrücklich  angeschlossen  haben,  so  scheint  sie  doch 
immer  mehr  an  Boden  zu  gewinnen. 

Nur  wenige  Autoren  widersetzen  sich  der  Möbius- 
schen  Lehre  in  ihren  principiellen  Sätzen;  so  ist  Kraus  in 
der  neuesten  zusammenfassenden  Behandlung  des  Gegenstandes 
(Die  Erkrankungen  der  Schilddrüse  in  E  b  s  t  e  i  n  -  S  c  h  w  a  1  b  e’s 
Handbuch  der  praktischen  Medicin.  1898)  der  Auffassung  von 
dem  rein  thyreogenen  Ursprung  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krank¬ 
heit  und  ihren  nahen  Beziehungen  zum  Thyreoidismus  mit 
Entschiedenheit  entgegengetreten. 

Kraus  anerkennt  im  Bilde  des  Morbus  Basedowii  eine 
Reihe  offenbar  thyreogener  Symptome;  trotzdem  hält  er  die 
Auffassung  der  Krankheit  als  einer  rein  thyreogenen  Affection 
für  undurchführbar.  Er  findet  neben  den  thyreogenen  Sym¬ 
ptomen  in  dem  Krankheitsbild  andere,  welche  ihm  zweifellos 
auf  einer  anderen  (nervös  cardio-vasculären)  Grundlage  er¬ 
wachsen  scheinen;  unter  diesen  vor  Allem  den  Exophthal¬ 
mus,  das  eigenartigste,  fast  pathognomonische,  nebenbei  auch 
beständigste  Symptom  des  Morbus  Basedowii.  Dieser  sei 
kein  thyreogenes  Symptom,  komme  auch  dem  experimentellen 
Thyreoidismus  nicht  zu,  daher  sei  dieser  letztere  vom  Morbus 
Basedowii  streng  zu  trennen.  Kraus  spricht  sich  ent¬ 
schieden  gegen  die  Erweiterung  des  klinischen  Begriffes  »Morbus 
Basedowii«  aus;  er  leugnet  den  fliessenden  Uebergang  von 
diesem  zum  einfachen  Thyreoidismus.  Er  will  die  Basedow¬ 
sche  Krankheit  reinlich  geschieden  wissen  von  den  Formes 
frustes  ohne  Exophthalmus,  von  dem  »secundären  B  as  e  d  o  w«, 
der  in  Gestalt  einzelner  Symptome  zu  einer  bestehenden  Struma 
hinzutritt,  und  ebenso  auch  von  jenem  Syndrom,  welches  er 
selbst  unter  dem  Namen  des  Kropfherzens  als  häufige  Er¬ 
scheinung  bei  Strumösen  geschildert  hat.  Er  anerkennt  zwar 
eine  Scliilddriisenintoxication  als  die  Ursache  einer  Reihe  von 
Symptomen  der  echten  B  as  e  d  o  w’schen  Krankheit,  aber  ihm 
ist  nicht  die  Erkrankung  der  Schilddrüse  die  erste  Ursache 
dieser  Affection,  vielmehr  erblickt  er  das  Priinum  in  einer  cardio- 
vascu  1  ären  Neurose,  einer  abnorm  starken,  vielleicht  auch  quali¬ 
tativ  abweichenden  Erregbarkeit  des  Gefässsystemes.  Diese  er¬ 
zeuge  unter  der  Wirkung  gewisser  Schädlichkeiten  einerseits 
den  Exophthalmus,  andererseits  (und  ihm  coordinirt)  eine  Schild¬ 
drüsenveränderung,  welch  letztere  dann  ihrerseits  die  thyreo¬ 
genen  Symptome  hervorruft. 


Die  Differenz  dieser  priucipiell  verschiedenen  Anschau¬ 
ungen  scheint  mir  hauptsächlich  zu  beruhen  auf  der  ver¬ 
schiedenen  Auffassung  des  Exophthalmus  sowie 
der  anderen  Augensymptome  (G  r  a  e  f  e’s  Zeichen)  und  der  Streit 
dreht  sich  wohl  hauptsächlich  darum,  ob  es  möglich  sei,  in 
diesem  Cardinalzeichen  ein  thyreogenes  Symptom  zu  erblicken. 

Es  ist,  wie  ich  glaube,  bei  dem  heutigen  Stande  unserer 
Kenntnisse  noch  so  schwierig,  detaillirtere  Vorstellungen  über 
die  Pathogenese  der  einzelnen  Basedow-  Zeichen  ausreichend 
zu  begründen,  dass  es  mir  werthvoll  erscheint,  wenn  Beobach¬ 
tungen  bekannt  werden,  in  welchen  uns,  zunächst  nur  für  ge¬ 
wisse  Fälle,  der  Entstehungsmechanismus  der  B  a  s  e  d  o  w’schen 
Krankheit  klarer  wird,  als  in  der  grossen  Masse  der  alltäg¬ 
lichen  Beobachtungen. 

Einige  derartige  Krankheitsfälle  sollen  im  Folgenden  mit- 
getheilt  werden.  Ich  beginne  mit  einem  Falle,  der  mir  deshalb 
von  Wichtigkeit  zu  sein  scheint,  weil  in  ihm  die  Frage  nach 
dem  thyreogenen  Ursprung  des  Symptomencomplexes  sich  ein¬ 
deutig  beantworten  lässt. 

Der  48jährige  Schneider  L.  Gl.  wurde  am  7.  December  1899 
in  die  Klinik  aufgenommen.  Der  sehr  intelligente  Kranke,  in  dessen 
Familie  weder  Nervenkrankheiten  noch  Struma  vorgekommen  sein 
sollen,  gab  an,  in  jungen  Jahren  manchmal  an  halbseitigen  Kopf¬ 
schmerzen  gelitten  zu  haben;  sonst  sei  er  stets  gesund  gewesen. 
Insbesondere  habe  bei  ihm  nie  auch  nur  »die  Ahnung  eines  dicken 
Halses«  bestanden;  nie  hatte  er  an  Herzklopfen,  Zittern  etc.  zu 
leiden,  war  gar  nicht  »nervös«. 

Anfangs  Juni  1899  erkrankte  er  ganz  acut  in  der  Weise, 
dass  er  eines  Nachts  mit  heftigen  Schmerzen  in  der  linken  Hals¬ 
seile  in  der  Höhe  des  Kehlkopfes  erwachte.  Am  nächsten  Morgen 
bemerkte  er  eine  mächtige  schmerzhafte  Anschwellung  der  linken 
Halsseite;  zu  den  heftigen  Schmerzen  an  dieser  Stelle  gesellten 
sich  Reissen  in  der  linken  Kopfhälfte  und  grosse  Mattigkeit;  das 
Schlucken  selbst  flüssiger  Nahrung  war  äusserst  schmerzhaft.  Ob 
Fieber  bestand,  weiss  Patient  nicht.  Nach  vier  bis  fünf  Tagen 
nahmen  die  Schmerzen  und  Schluckbeschwerden  ab,  die  An¬ 
schwellung  der  linken  Halsseite  ging  rasch  zurück  und  verlor  sich, 
wie  Patient  meint,  fast  vollständig.  In  den  folgenden  Wochen  war 
der  Kranke  im  Ganzen  beschwerdefrei,  nur  bemerkte  er,  dass  er, 
obwohl  der  Appetit  wiedergekehrt  war,  abmagere,  matt  und  auf¬ 
geregt  werde  und  häufig,  auch  in  der  Ruhe,  Herzklopfen  be¬ 
komme. 

Anfangs  Juli  wurde  das  Herzklopfen  stärker  und  belästigt 
seitdem  den  Kranken  stark. 

Er  magerte  nun  trotz  reichlicher  Nahrung  und  guten  Appetites 
immer  rascher  ab. 

Ende  August  bemerkte  er,  dass  der  Hals,  aber  ohne  Schmerzen, 
neuerdings  anschwelle,  und  zwar  beiderseits,  rechts  stärker  als  links; 
gleichzeitig  wurden  die  Augen  grösser.  Nun  stellten  sich  auch 
Hitzegefühl,  Unruhe,  Schlaflosigkeit  ein;  Patient  begann  an 
Händen  und  Füssen  zu  zittern. 

Seit  Mitte  September  bestehen  Schweisse,  stärkerer  Durst 
und  vermehrte  Harnmenge.  Zeitweise  Heisshunger;  der  Stuhlgang 
breiig  oder  flüssig,  drei  bis  vier  Entleerungen  täglich.  In  der 
letzten  Zeit  soll  die  Hautfarbe  dunkler  geworden  sein;  der  Hals 
sei  seit  dem  Sommer  nicht  mehr  gewachsen. 

Bei  der  Aufnahme  zeigte  der  Kranke  das  Bild  eines 
typischen  Morbus  Basedowii  mit  reich  entwickeltem 
Symptomenbild.  Starke  Abmagerung;  Körpergewicht  48 hg. 

Pulsfrequenz  zwischen  90  und  100,  leichte  Arhythmie.  Herzaction 
sehr  lebhaft,  Herzgrösse  anscheinend  nicht  verändert,  reine  Töne. 
Starker  doppelseitiger  Exophthalmus  mit  deutlichem 
Graefe’schen  und  Stell wag’schen  Zeichen;  Insufficienz  der 
Convergenz  angedeutet.  Keine  Veränderungen  der  Pupillen.  Massig 
grosse,  auffallend  gleichmässig  harte  Struma,  der  rechte  Lappen 
bedeutend  grösser  als  der  linke:  im  unteren  Ende  des  linken 
Lappens  eine  etwa  haselnussgrosse  knotige  Anschwellung,  lieber 
die  Struma  ziehen  einige  erweiterte,  stark  schwirrende  Gefässe.  Die 
Drüsen  an  beiden  Unterkieferwinkeln  leicht  geschwollen.  Haut 
heiss,  feucht;  der  Oberkörper  auffallend  dunkel  pigment irt, 
besonders  Gesicht,  Hals  und  Hände.  Starker,  rascher,  kleinwelliger 


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Tremor  der  Hände.  Harnmenge  circa  2  l.  Kein  Eiweiss,  kein  Zucker. 
Stühle  dünnbreiig,  hell,  enthalten  etwas  Schleim. 

Therapie:  Brom,  Galvanisation. 

Der  Verlauf  während  des  Aufenthaltes  in  der  Klinik  bot 
zunächst  keine  Besonderheiten  dar.  Der  Kranke  magerte  trotz 
guten  Appetites  und  völlig  ausreichender  Nahrungsaufnahme  weiter 
ab.  Stimmung  sehr  gedrückt;  Schlaflosigkeit. 

Mitte  December  brachte  eine  leichte  fieberhafte  katarrhalische 
Angina  Pulsfrequenzen  von  120—130  und  starke  Arhythmie,  sehr 
heftiges  Herzklopfen.  Nach  leichter  Besserung  wurde  am  26.  De¬ 
cember  Patient  sehr  aufgeregt,  unruhig,  die  Schlaflosigkeit  ausser¬ 
ordentlich  hartnäckig;  geringe  Nahrungsaufnahme. 

Am  28.  December  schon  tagsüber  hochgradige  Verwirrtheit 
und  Unruhe.  In  der  Nacht  ängstliche  Hallucinationen  von  Dieben 
etc.;  der  Kranke  spricht  fortwährend  laut,  ist  nicht  im  Bett  zu 
halten,  zeitlich  und  örtlich  desorientirt. 

Am  29.  December  Transferirung  auf  die  psychiatrische  Klinik. 
Dort  bot  der  Kranke  das  Bild  der  Amentia  dar,  bekam  am  29.  De¬ 
cember  Abends  obne  erkennbaren  Grund  einen  Temperaturanstieg 
bis  39°;  war  schlaflos,  verweigerte  die  Nahrungsaufnahme. 

Am  30.  December  fieberfrei;  Pulsfrequenz  hoch,  zunehmende 
Schwäche. 

Am  1.  Januar  erfolgte  unter  Temperaturanstieg  bis  40°  der 
Exitus. 

Die  Obductionsdiagnose  (Prof.  W  eichseibau  m) 
lautete:  Induration  der  Schilddrüse  und  Höhlen¬ 
bildung  im  linken  Seitenlappen  nach  acuter 
(abscedirender)  Thyreoiditis.  Schwellung  der 
beiderseitigen  oberen  Cervicaldrüsen.  Morbus 
Basedowii. 

Acute  Enterititis.  Hochgradige  parenchymatöse  und  fettige 
Degeneration  der  Leber,  parenchymatöse  Degeneration  der  Nieren. 
Atrophie  des  Herzens.  Beiderseitige  frische  Lobulärpneumonie. 

Aus  dem  Obductionsprotokolle  möchte  ich  noch 
folgende  Details  hervorheben. 

Die  oberen  Cervicaldrüsen  beiderseits  vergrössert  und 
namentlich  links  succulenter  und  röthlichgrau.  Die  Thymus  nicht 
nachweisbar.  Kein  Druck  der  Struma  oder  der  Drüsen  auf  die 
Nervenstämme  am  Halse. 

Der  linke  Schilddrüsenlappen  ist  6cm,  der  rechte 
7  cm  lang,  die  grösste  Breite  beträgt  rechts  2 1/2  cm,  die  Dicke  2  cm, 
links  ist  Breite  und  Dicke  etwas  geringer;  der  Isthmus  3  cm  lang. 
Die  Substanz  der  Drüse  ist  derb,  ziemlich  fein  granulirt  von  blass¬ 
brauner  Farbe;  das  Stroma  in  Form  weisslicher  Züge  deutlich 
sichtbar. 

In  der  unteren  Hälfte  des  linken  Schilddrüsenlappens  ein 
unregelmässiger,  i/2  cm  langer,  1  cm  breiter,  buchtiger  Hob  lraum 
mit  einem  sehr  dicklichen,  schmutziggrauen  Inhalt  und  dünner, 
bindegewebartiger  Wand. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  erwies  sich  der  Inhalt 
dieses  Hohlraumes  als  eingedickter  Eiter;  Herr  Assistent 
Dr.  S  t  o  e  r  k,  der  so  freundlich  war,  bei  der  Obduction  davon  abzu¬ 
impfen,  konnte  durch  Cultivirung  Staphylococcus  albus  darin 
nachweisen,  welcher  aut  Agar  sehr  kräftig  wuchs. 

Ich  habe  dann  die  mikroskopische  Untersuchung  einiger  Or¬ 
gane  vorgenommen  und  dabei  Folgendes  gefunden:  Die  Schild¬ 
drüse  bot  in  allen  ihren  Theilen  das  Bild  der  tubulären 
Hyperplasie,  wie  es  in  den  meisten  Fällen  »primärer«  Basedow- 
Struma  gefunden  worden  ist.  Die  Acini  sehr  langgestreckt,  im 
Lumen  nirgends  Colloid,  sondern  eine  durch  Eosin  nicht  färbbare, 
mit  leicht  körnigem  Detritus  und  abgestossenen  Epithelien  unter¬ 
mischte  Masse.  Das  Bindegewebe  zwischen  den  Läppchen  stark 
vermehrt,  die  Vascularisation  des  Organs  eher  gering. 

Die  Hypophysis  (äusserlich  nicht  verändert)  ausserordent¬ 
lich  blutreich. 

Im  Pankreas  eine  grosse  Anzahl  kleiner  nekrotischer 

Herde. 

Die  Vagi  und  Sympathici  zeigten  bei  der  Untersuchung 
nach  Marchi  keine  Veränderungen. 

Fassen  wir  das  Wesentlichste  aus  der  vorstehenden  Kranken¬ 
geschichte  zusammen,  so  handelt  es  sich  um  einen  43jährigen, 
vorher  gesunden,  nicht  nervösen  Mann  aus  gesunder  Familie, 


bei  welchem  sich  im  Anschlüsse  an  eine  acute, 
durch  Staph ylococcen  bedingte  abscedirende 
Thyreoiditis  ein  typischer  schwerer  Morbus 
Basedowii  mit  wohl  ausgebildeten  Augensymp¬ 
tomen  entwickelt  hat.  Die  Krankheit  führte  nach  circa 
einem  halben  Jahre,  zuletzt  unter  dem  Bilde  einer  acuten 
Psychose,  zum  Tode.  Bei  der  Autopsie  fand  sich  in  der 
Schilddrüse  ausser  den  Resten  des  Abscesses  eine  diffuse 
Hyperplasie  des  Organes  mit  leichten  sklerotischen 
Veränderungen.  Die  parenchymatösen  Organe  zeigten  die 
degenerativen  Veränderungen,  wie  sie  einer  schweren  Intoxica¬ 
tion,  respective  Infection  zukommen. 

Derartige  Fälle  scheinen  selten  zu  sein.  Man  weiss  allerdings 
seit  Langem,  dass  sich  die  Basedow’sche  Krankheit  manchmal  im 
Anschlüsse  an  acute  Infectionskrankheiten  entwickelt,  und  Möbius 
spricht  die  Vermuthung  aus,  dass  in  solchen  Fällen  öfters  eine 
infectiöse  Thyreoiditis  das  Bindeglied  zwischen  den  beiden  aufein¬ 
ander  folgenden  Affectionen  bilden  möge.  Von  Beobachtungen,  in  denen 
dieser  Zusammenhang  sichergestellt  wäre,  sind  mir  aus  der  Literatur 
nur  ganz  wenige  bekannt  geworden. 

Fall  von  Reinhold1):  Anschwellung  der  Schilddrüse  im 
Verlaufe  einer  Influenza.  Rascher  Rückgang  der  Schwellung.  Nach 
zwei  Monaten  typischer  Basedow. 

Fall  von  Gilbert  und  Castaigne2):  Anschwellung  der 
Schilddrüse  in  der  Reconvalescenz  eines  Abdominalthyphus  bei 
einem  17jährigen  Mädchen.  Einen  Monat  später  glänzende  und 
starre  Augen.  Nach  zwei  Jahren  findet  sich  classischer  Basedow. 

Die  beiden  anderen  von  Gilbert  und  Castaigne  kurz 
mitgetheilten  Fälle  lassen  wohl  auch  eine  andere  Deutung  zu. 

So  wenig  es  im  Allgemeinen  angeht,  aus  einer  einzelnen 
Beobachtung  weitreichende  Schlüsse  aut  die  Pathogenese  von 
Krankheiten  zu  ziehen,  so  scheint  mir  der  mitgetheilte  Fall 
doch  in  mehrfacher  Beziehung  lehrreich  zu  sein.  Handelt  es 
sich  hier  doch  um  einen  typischen  Morbus  Basedowii, 
dessen  sämmtliche  Symptome  (auch  der  Exophthalmus  und  die 
anderen  Augenveränderungen,  deren  Pathogenese,  wie  früher 
erwähnt,  den  Kernpunkt  vielfacher  Controversen  bildet), 
zweifellos  als  thyreogen  zu  betrachten  sind.  Der  Modus,  durch 
welchen  hier  die  Schilddrüsenveränderung  zum  Exophthalmus 
führte,  ist  dabei  selbstverständlich  im  Einzelnen  ebensowenig 
klar,  wie  die  Entstehung  anderer,  zweifellos  thyreogener  Sym¬ 
ptome,  wie  Zittern,  psychische  Veränderungen,  Schweisse  etc. 
Aber  deshalb  wird  man  in  diesem  Falle  doch  nicht  geneigt 
sein,  für  den  Exophthalmus  eine  besondere  Ursache  ausser 
der  Schilddrüsenerkrankung  anzunehmen,  mit  Kraus  etwa 
eine  » cardio vasculäre  Neurose«  als  primäre  Ursache  der  ganzen 
Krankheit  vorauszusetzen;  —  dafür  findet  sich  im  ganzen 
Verlauf  des  Falles  nicht  der  mindeste  Anhaltspunkt. 

Wenn  Kraus  also  behauptet,  dass  das  Bild  des  echten 
Basedow  nur  auf  Grund  einer  eigentümlichen  Neurose  ent¬ 
stehen  könne,  so  zeigt  sich,  dass  diese  Auffassung  keine 
zwingende  ist;  man  sieht,  auch  der  Exophthalmus  kann 
thyreogen  entstehen. 

Die  Behauptung,  dass  der  Exophthalmus  kein  thyreogenes 
Symptom  sei,  bildet  von  jeher  eine  der  Hauptwaffen  der  Gegner 
der  *  Schilddrüsen  theorie«.  Sie  suchen  diese  Behauptung  damit  zu 
erweisen,  dass  das  Bild  des  experimentellen  und  therapeutischen 
Thyreoidismus  den  Exophthalmus  nicht  enthalte.  Möbius  hat,  wie 
eingangs  erwähnt,  diesem  Schlüsse  die  Beweiskraft  abgesprochen 
und  ihm  von  Anfang  an  den  Einwand  entgegengesetzt,  dass  der 
Basedow  - Exophthalmus  auf  einer  chronischen  Erkrankung  der 
Orbitalgefässe  beruhe,  und  dass  man  nicht  erwarten  könne,  eine 
solche  werde  sich  durch  die  Einfuhr  von  Schilddrüsensubstanz  so 
ohne  Weiteres  hervorrufen  lassen.  Dieser  Einwand  scheint  mir 
nicht  sehr  glücklich  zu  sein,  denn  es  sind  genug  Fälle  bekannt, 
in  denen  zufolge  eines  Schreckes,  einer  physischen  Ueberanstrengung 
(Tanzen)  etc.  das  ganze  Symptomenbild  des  Basedow  sich  acut 
entwickelte  und  auch  der  Exophthalmus  binnen  weniger  Tage 
auftrat.  Da  in  solchen  Fällen  wohl  Niemand  einen  Grund 
sehen  kann,  eine  schon  früher  bestehende  anatomische  Ei- 


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krankung  der  Orbital  ge  Pässe  vorauszusetzen,  so  entsteht  hier  that- 
sächlich  der  Exophthalmus  »aus  freier  Hand«.  Aber  ist  es  denn 
nothwendig,  die  immer  wiederholte  Exemplification  auf  den  ex¬ 
perimentellen  Thyreoidismus  überhaupt  zu  acceptiren?  Ich  wenig¬ 
stens  kann  keinen  vernünftigen  Grund  einsehen,  warum  ein  Sym¬ 
ptom  nicht  thyreogen  sein,  das  heisst  in  einer  krankhaften  Thätig- 
keit  der  Schilddrüse  begründet  sein  kann,  obwohl  es  nicht 
ohne  Weiteres  gelingt,  durch  Verfüttern  fremder  (thierischer)  Schild¬ 
drüsensubstanz  das  Symptom  zu  imitiren. 

Ilebrigens  haben  einige  neuere  Beobachtungen,  vor  Allem  die 
von  v.  Notthaft3),  den  Beweis  erbracht,  dass  durch  reichlichen 
Schilddrüsengenuss  auch  Exophthalmus  hervorgerufen  werden  kann. 

Sind  solche  Fälle  wie  der  oben  mitgetheilte  auch  Ausnahms 
fälle,  so  ergibt  sich  aus  ihnen  doch  wohl  die  Berechtigung, 
auch  für  die  gewöhnlichen  Fälle  von  Morbus  Basedowii, 
die  in  Folge  von  Schreck,  Anstrengungen,  während  der  Ent¬ 
bindung,  im  Klimakterium  etc.  sich  entwickeln,  an  eine 
rein  thyreogene  Verursachung  des  ganzen  Symptomencomplexes 
zu  denken. 

Der  Zusammenhang  der  Erscheinungen  in  dem  geschil¬ 
derten  Falle  ist  doch  wohl  am  ehesten  in  der  Weise  zu  ver¬ 
stehen,  dass  die  acute  eiterige  Entzündung  in  dem  einen  Theil 
der  Schilddrüse  zur  congestiven  Hyperämie  des  ganzen  Or¬ 
ganes  geführt  habe,  und  dass  sich  auf  diese  Weise  die 
»B  a  s  e  d  o  w  -  Veränderung«  und  damit  die  Basedow- Sym¬ 
ptome  entwickelt  haben. 

Es  erscheint  nun  wohl  möglich,  dass  die  so  oft  beob¬ 
achteten  banalen  Momente,  die  wir  in  der  Leidensgeschichte 
der  Basedow-Kranken  antreffen  (psychische  Erregung,  An¬ 
strengungen  etc.)  in  ähnlicher  Weise  zu  congestiven  Ver¬ 
änderungen  der  Schilddrüse  führen  können,  da  ja  das 
Organ  vermöge  seiner  Lage,  seines  Gefässreiclithums  und, 
wie  es  scheint,  auch  seiner  Nervenverbindungen  wesent¬ 
lichen  Schwankungen  seines  Blutgehaltes  ausgesetzt  ist.  Ist 
doch  ein  plötzliches  An  schwellen  der  Drüse  im  Schreck,  im 
Aerger,  während  der  Entbindung  etc.  eine  bei  vielen  Menschen 
beobachtete  Thatsache,  der  sogar  von  manchen  älteren  und 
neueren  Autoren  (Waldeyer,  v.  Cyon)  grosse  Wichtigkeit 
für  die  Regulirung  der  Blutcirculation  im  Gehirn  zugeschrieben 
wird.  Diese  primäre  Congestion  könnte  dann  ganz  wohl  die 
B  a  s  e  d  ow  -  Veränderung  im  Gefolge  haben. 

Selbstverständlich  mag  für  die  Leichtigkeit,  mit  welcher 
die  genannten  banalen  Veranlassungen  eine  Congestion  der 
Schilddrüse  erzeugen  und  damit  zur  Basedow-  Veränderung 
und  so  zu  den  Symptomen  der  Krankheit  führen,  eine 
gewisse  Disposition  massgebend  sein,  deren  Annahme  wir  ja 
zum  Verständniss  kaum  irgend  eines  pathogenetischen  Vor¬ 
ganges  entbehren  können.  Ob  diese  Veranlagung  vielleicht  in 
einer  abnorm  leichten  Erregbarkeit  des  cardiovasculären 
Systems  gelegen  ist,  wie  sie  Kraus  (namentlich  mit  Bezie¬ 
hung  auf  die  Arbeiten  v.  Cyon’s)  annimmt,  ist  vorläufig 
schwer  zu  entscheiden.  Aber  das  ist  eine  Frage  der  Dis¬ 
position,  nicht  der  Aetiologie. 

Ob  es  nothwendig  ist,  mit  Möbius  die  Annahme  zu 
machen,  dass  die  bestimmte,  vorläufig  noch  unbekannte  »Base¬ 
dow-Veränderung«  in  jedem  Falle  den  ersten  Symptomen  der 
Krankheit  zeitlich  vorhergehe,  das  scheint  mir  fraglich.  Ich  bin 
der  Meinung,  dass  man  z.  B.  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen 
ein  psychisches  Trauma  bei  einem  klinisch  vollkommen  gesunden 
Menschen  einen  Basedow  zur  Folge  hat,  vielleicht  auch  ohne 
die  Annahme  auskommen  kann,  es  habe  schon  vor  der  Einwirkung 
des  Schrecks,  der  plötzlichen  Angst  etc.  die  Basedow-Ver¬ 
änderung  in  der  Schilddrüse  vollkommen  latent  bestanden.  Davon 
wird  im  Anschlüsse  an  die  Mittheilung  einiger  weiterer  Beobach¬ 
tungen  noch  die  Rede  sein. 

(Schluss  folgt.) 


Aus  der  III.  medicinischen  Universitätsklinik  in  Wien. 

Beitrag  zur  Kenntniss  der  recurrirenden  Tetania 

gravidarum. 

Von  Dr.  C.  Hödlinoser,  klinischem  Assistenten. 

Wenn  auch  schon  eine  ziemliche  Reihe  von  Fällen  dieser 
Erkrankung  bekannt  ist,  so  möge  doch  die  Mittheilung  des 
folgenden  Falles  von  Tetania  gravidarum  gestattet  sein,  weil 
derselbe  durch  das  häufige  Recidiviren  der  Tetanie 
ausgezeichnet  ist. 

Ich  will  im  Folgenden  kurz  einen  Auszug  aus  der  Kranken¬ 
geschichte  der  Patientin  geben,  die  allerdings  leider  nur  sehr 
kurz  auf  unserer  Klinik  verweilte,  weshalb  die  Aufnahme  des 
Nervenstatus  in  einigen  Punkten  sich  nicht  ganz  vollständig 
gestaltete.  Speciell  die  Resultate  der  Prüfung  der  elektrischen 
Erregbarkeit  muss  ich  aus  diesem  Grunde  übergehen,  weil  die¬ 
selbe  nicht  genau  vorgenommen  werden  konnte. 

Dagegen  war,  wie  aus  der  Krankengeschichte  zu  ent¬ 
nehmen  ist,  der  übrige  Symptomencomplex  der  Tetanie  in 
unserem  Falle  so  deutlich  ausgesprochen,  dass  ein  Zweifel  an 
der  Diagnose  wohl  nicht  bestehen  konnte. 

Kranken  geschieh  te. 

F.  A.,  33  Jahre  alt,  verheiratet,  Maurersgattin,  gebürtig  aus 
Hadres  in  Niederösterreich,  auf  der  Klinik  in  Behandlung  vom  16.  Mai 
bis  19.  Mai  1900  Früh. 

Anamnese:  Der  Vater  der  Patientin  starb  im  60.  Lebens¬ 
jahre  an  einer  Lungenkrankheit,  die  Mutter  lebt  und  soll  magen¬ 
leidend  sein.  Sechs  Geschwister  starben  in  verschiedenem  Alter  an 
der  Patientin  unbekannten  Krankheiten,  zwei  lebende  Geschwister 
sind  gesund.  Patientin  soll  bis  zu  ihrem  sechsten  Lebensjahre  immer 
gesund  gewesen  sein.  Damals  überstand  sie  bald  nach  einander 
Masern  und  Blattern,  genas  jedoch  wieder  vollständig.  In  ihrem 
14.  Lebensjahre  wurde  sie  angeblich  von  Krämpfen  befallen,  welche 
nach  ihrer  in  Folge  geringer  Intelligenz  allerdings  nicht  verlässlichen 
Angabe  plötzlich  mit  einer  krampfartigen  Zusammenziehung  der 
Finger  der  rechten  Hand  begannen  und  sehr  schmerzhaft  waren. 
Patientin  konnte  die  Hände  und  Finger  nicht  bewegen.  Der  Krampf 
ging  dann  auf  das  Ellbogengelenk  desselben  Armes  über  und  dann 
in  derselben  Reihenfolge  auch  auf  den  linken  Arm.  Bald  darauf 
wurden  auch  eine  oder  beide  Gesichtshälften  vom  Krampfe  befallen, 
des  Oefteren  auch  die  unteren  Extremitäten. 

Das  Bewusstsein  war  dabei  nie  getrübt. 

Derartige  Krämpfe  wiederholten  sich  drei-  bis  viermal  im 
Jahre  und  dauerten  gewöhnlich  drei  bis  vier  Stunden.  Mit  dem 
Eintritte  der  ersten  Menstruation  im  17.  Lebensjahre  der  Patientin 
hörten  die  Krämpfe  auf  und  erst  um  die  Mitte  der  ersten  Gravi¬ 
dität,  welche  in  das  20.  Jahr  der  Patientin  fiel,  stellten  sich  die 
Krämpfe  wieder  ein,  um  nahezu  alle  14  Tage  bis  ans  Ende  der 
Gravidität  aufzutreten. 

Von  da  an  wiederholte  sich  regelmässig  um  die  Mitte  jeder 
der  sieben  folgenden  Graviditäten  derselbe  Zustand,  immer  zur  Zeit, 
in  der  Patientin  die  ersten  Kindesbewegungen  verspürte.  Patientin, 
welche  sich  gegenwärtig  im  sechsten  Monate  ihrer  siebenten  Gravi¬ 
dität  befindet,  leidet  seit  wenigen  Tagen  wieder  an  denselben 
Krämpfen  in  den  oberen  und  unteren  Extremitäten.  Sie  klagt  dabei 
auch  über  starke  ziehende  Schmerzen  in  der  Haut  der  befallenen 
Theile. 

Vor  vier  Jahren  soll  Patientin  »Bauchtyphus«  überstanden 
haben  und  durch  mehrere  Monate  zu  Bette  gelegen  sein. 

Sie  wurde  mit  17  Jahren  das  erste  Mal  menstruirt,  die  Menses 
waren  mitunter  unregelmässig  und  mit  Schmerzen  verbunden. 

Patientin  wurde  wegen  ihrer  jetzigen  Krämpfe  von  ihrem 
Arzte  auf  die  Frauenklinik  des  Prof.  Chrobak  in  Wien  geschickt, 
woselbst  sie  wieder  einen  sehr  heftigen  Krampfanfall  bekam.  Da 
der  Zustand  der  Geburtswege  für  die  nächste  Zeit  die  Entbindung 
nicht  erwarten  liess,  wurde  sie  auf  die  III.  medicinische  Klinik 
transferirt. 

Daselbst  wurde  am  16.  Mai  1900  folgender  Status  prae¬ 
sens  erhoben : 

Kleine  Patientin  von  mittelstarkem  Knochenbau,  mittelmässig 
entwickelter  Musculatur  und  geringem  Panniculus  adiposus.  Tem- 


Farbenfabriken  vorm,  friedr.  Bayer  &  Co.,  Elberfeld. 

Abtlieiliing  für  ptiai'niac<MiciH<'hc  I'roducte. 


Can  nt  gen. 


C\ 


Einige  neuere  Urtheile 

über  den 

Werth  des  TANNIGEN’s  als  Darmadstringens, 


Das  TANNIGEN  ist  eine  Acetylverbindung  des  Tannins.  Es 
bildet  ein  gelblich-graues,  geruch-  und  geschmackloses,  trockenes 
Pulver  und  ist  in  Wasser  und  sauren  Flüssigkeiten  unlöslich.  Pis 
wandert  daher  unverändert  durch  den  Magen  und  wird  erst  im  alkali¬ 
schen  Darmsaft  gelöst  und  gespalten,  worauf  es  im  Darmkanal  seine 
adstringirende  Wirkung  entfaltet.  Hierdurch  unterscheidet  es  sich 
vorteilhaft  vor  dem  Tannin,  welches  infolge  seiner  gerbenden  Wirkung 
die  Magenwände  angreift  und  die  Thätigkeit  des  Magens  stört. 

Um  das  Zusammenballen  des  Pulvers  in  Berührung  mit  Fiüssm- 
keit  zu  verhindern,  wird  das  TANNIGEN  zweckmässig  mit  gleichen 
Tb  eilen  Milchzucker  gemischt  und  entweder  als  Schachtelpulver  zur 
messerspitzweisen  Verabreichung  oder  in  abgetheilten  Pulvern  gegeben. 
Man  lässt  etwas  Wasser  nachtrinken  oder  verrührt  das  Pulver  in  einem 
Löffel  Wasser  oder  Milch  und  lässt  dann  nach  der  Einnahme  etwas 
Wasser  nachtrinken.  Die  Verabreichung  in  Oblaten  ist  unzweckmässig. 

Uebereinstimmend  wird  das  TANNIGEN  als  eines  der  besten 
der  vorhandenen  Antidiarrhoica,  als  eine  wirkliche  Bereicherung  des 
Arzneischatzes  und  als  ein  Mittel  bezeichnet,  das  namentlich  in  der 
Kinderpraxis  geradezu  unentbehrlich  ist. 


I 


m 


TANNIGEN  wird  daher  am  vortheilhaftesten  einige  Zeit  nach  der 
Mahlzeit,  wo  die  Magensäureentwicklung  am  intensivsten  ist,  oder 
in  Verbindung  mit  Salzsäure  gegeben. 

(Die  ärztliche  Praxis  1897,  Nr.  15;  Aerztl.  Ceutr. -Anzeiger  1897,  Nr.  25). 

Dr.  Schippers,  Amsterdam,  stützt  seine  günstigen  Erfah¬ 
rungen  mit  TANNIGEN  auf  die  Beobachtung  von  über  30  Fällen 
subacuter,  resp.  chronischer  Darmkatarrhe.  Das  Mittel  wurde  auch  von 
kleinen  Kindern  stets  ohne  jede  störende  Nebenwirkung  gut  vertragen 
und  war  von  zuverlässiger  und  prompter  Wirkung  selbst  in  den  Fällen, 
wo  andere  Adstringentien  im  Stiche  Hessen.  Zur  Behandlung  kamen: 
1.  subacute  Diarrhöen,  2.  chronische  Diarrhöen,  ausgehend  vom 
Dünndarm  ;  3.  chronische  Diarrhöen,  ausgehend  vom  Dünn-  und 
Dickdarm.  Die  Resultate  stimmen  alle  darin  überein,  dass  bei  den 
aufgeführten  Gruppen  das  TANNIGEN  mehr  leistet  als  andere  Ad¬ 
stringentien.  Man  soll  bei  Kindern  bis  zu  einem  Jahre  mehr¬ 
mals  täglieh  0,1  grm  bis  0,2  grm  geben,  bei  älteren  Kindern 
entsprechend  mehr.  Sind  die  Durchfälle  geschwunden,  so  lasse  man 
die  Patienten  trotzdem  noch  kurze  Zeit  das  TANNIGEN  weiter 
nehmen,  damit  keine  Rückfälle  eintreten. 

(Weekblad  van  het  Nederl.  Tijdschr.  v.  Geneesk.  1897,  Nr.  9). 

Dr.  Xi.  Poussie,  Onzain,  berichtet  über  42  Fälle,  wo  das 
TANNIGEN  bei  der  Behandlung  acuter  und  chronischer  Kinder¬ 
diarrhöen  ausnahmslos  gut  gewirkt  hat,  so  dass  es  als  ein  durchaus 
zuverlässiges  Antidiarrhoicuni  zu  bezeichnen  ist.  Das  TANNIGEN 
wird  von  den  Kindern  gut  vertragen  und  verursacht  niemals  gastro¬ 
intestinale  Störungen.  In  Verbindung  mit  strenger  Diät  wirkt  das 
TANNIGEN  bei  Kinderdiarrhöen  sehr  rasch.  Auch  nach  erzieltem 
Heilelfect  ist  es  rathsam,  das  Mittel  noch  einige  Zeit  lang  nehmen 
zu  lassen.  Die  Dosis  ist  je  nach  dem  Alter  0,10—0,30  gr.,  6—8 

mal  täglich.  (Gaz.  M6dicale  1897,  Nr  11). 


Den  Herren  Aerzten  stehen  Versuclismengen  kostenlos 

zur  Verfügung. 


Nr.  28 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


645 


peratur  36'9°,  Puls  88,  Respiration  24.  Die  äusseren  Hautdecken 
von  leicht  bräunlichem  Colorit,  die  sichtbaren  Schleimhäute  normal 
roth  gefärbt.  An  den  Unterschenkeln  reichliche  Varicositäten. 
Leichtes  Knöchelödem. 

Der  Befund  an  den  inneren  Organen  normal.  Aeusserliche 
Zeichen  der  Gravidität.  Mammae  Colostrum  entleerend.  Uterus  bis 
zum  Nabel  reichend,  deutlich  kleine  Kindestheile  zu  palpiren. 

Patientin  befindet  sich  sitzend  im  Bette,  Gesichtsausdruck 
schmerzlich,  sie  stöhnt  fast  ununterbrochen  und  krümmt  stellen¬ 
weise  ihren  Körper  zusammen. 

Beide  Hände  befinden  sich  in  Geburtshelferstellung,  der 
Daumen  in  extendirler  Stellung  stark  opponirt.  Die  Patientin  äussert 
sich  dahin,  dass  sie  in  den  Händen  lebhafte  Schmerzen  empfinde, 
es  ist  unmöglich,  die  Finger  in  eine  andere  Stellung  zu  bringen, 
und  bei  jedem  derartigen  Versuche  gibt  Patientin  lebhafte  Schmerzes¬ 
äusserungen  von  sich.  In  den  unteren  Extremitäten  nur  geringe 
Plantarflexion  beider  Füsse.  Ellbogengelenke  beiderseits  gleichfalls 
in  leichter  Beugestellung  fixirt,  die  übrigen  Muskelgebiete  des  Körpers 
in  leichtem  Hypertonus. 

Der  nach  Ablauf  des  Anfalles  erhobene  Nerven  status 
ergab  von  Seiten  der  Hirnnerven  keine  Störung.  Das  C  h  v  o  s  t  e  k- 
sche  Phänomen  an  beiden  Nervi  faciales  in  deutlichster  Weise  vor¬ 
handen.  Die  Motilität  in  den  oberen  und  unteren  Extremitäten 
intact,  das  Troussea u’sche  Phänomen  an  beiden  Plexus  brachiales 
gleichfalls  exquisit  auslösbar.  Schon  hei  relativ  geringem  Druck 
erfolgt  ein  langsames  Uebergehen  der  entsprechenden  Hand  in  die 
Geburtshelferstellung.  An  den  Händen  geringer,  kleinwelliger  Tremor, 
keine  Ataxie,  Sehnen-  und  Periostreflexe  annähernd  normal.  Die 
Sensibilität  ist  gleichfalls  intact  in  ihren  sämmtlichen  Qualitäten,  es 
bestehen  keine  sensiblen  Reizerscheinungen.  Eine  genaue  Prüfung 
der  elektrischen  und  mechanischen  Erregbarkeit  konnte,  wie  eingangs 
erwähnt,  leider  nicht  vorgenommen  werden.  Hysterische  Stigmen 
bestehen  nicht. 

Decursus:  Der  Anfall  dauerte  trotz  Verabreichung  von 
Narcoticis  ungefähr  drei  Stunden,  dann  nahmen  die  Krampfzustände 
langsam  ab,  und  am  nächsten  Tage  befand  sich  die  Patientin  fast 
vollständig  wohl. 

Die  Behandlung  bestand  am  folgenden  Tage  in  einem  lauen 
Bade  mit  kühler  Uebergiessung.  Der  ziemlich  hohe  Grad  von  De¬ 
menz,  welcher  bei  der  Patientin  bestand,  erschwerte  die  Untersuchung 
beträchtlich. 

Auch  am  18.  Mai  kehrte  kein  Anfall  wieder  und  am  19.  Mai 
Früh  erklärte  die  Patientin  plötzlich,  die  Klinik  verlassen  zu 
wollen. 

Die  Tetanie,  welche  im  Zusammenhänge  mit  der  Gravi¬ 
dität  auftritt,  ist  nach  allen  vorliegenden  Berichten  zweifellos 
bei  säugenden  Frauen  häufiger  als  bei  graviden  und  im 
Wochenbette  befindlichen. 

Frankl-Hochwart1),  wohl  einer  der  besten  Kenner 
der  Tetanie,  fand  unter  49  derartigen  Fällen,  welche  er  der 
Literatur  entnommen  hat  und  denen  er  aus  seinen  eigenen 
Beobachtungen  in  den  Jahren  1886 — 1896  zwölf  hinzufügte, 
23  Gravide,  zehnmal  setzte  die  Krankheit  nach  dem  Geburts¬ 
acte  ein,  28mal  trat  sie  bei  säugenden  Frauen  auf.  Bei  nicht 
säugenden  Frauen  soll  nach  v.  Frankl  die  Tetanie  bedeutend 
seltener  sein. 

Was  nun  speciell  die  Tetanie  der  Schwangeren  betrifft, 
so  veröffentlichte  im  Jahre  1895  Schauta  aus  der  Klinik 
Neumann2)  zwei  hieher  gehörige  Fälle,  von  welchen  der 
eine  dadurch  bemerkenswerth  war,  dass  bei  demselben  sub 
partu  eine  Coincidenz  von  Uteruscontractionen  mit  Tetanie¬ 
krämpfen  bestand.  In  dieser  Arbeit  betont  Neumann  die 
grosse  Seltenheit  der  Tetanie  bei  Graviden,  indem  er  erwähnt, 
dass  die  zwei  von  ihm  publicirten  Fälle  trotz  der  3000  weit 
überragenden  Zahl  von  Geburten,  welche  alljährlich  an  der 
Klinik  Schauta  vor  sich  gehen,  seit  langer  Zeit  die  einzigen 
dieser  Art  an  der  Klinik  seien. 

Neumann  gibt  auch  eine  Uebersicht  über  die  Fälle 
von  Tetanie  bei  Graviden,  welche  er  in  der  Literatur  auf¬ 
finden  konnte;  er  fand  im  Ganzen  nur  zwölf  Fälle  von  Tetania 
gravidarum,  und  zwar  von  Trousseau,  Gauche  t, 


Burresi,  Weiss,  Meine  r  t,  Löbach,  Delpech,  Hoff¬ 
mann  und  P.  Müller,  sowie  die  Fälle  von  v.  Frankl. 

Die  Zahl  der  Fälle  von  Tetania  gravidarum,  welche 
letzterer  Autor  in  seinem  letzten  ausgezeichneten  Werke  er¬ 
wähnt,  beträgt,  wie  erwähnt  23,  wobei  er  jedoch  nicht  angibt, 
wie  viele  dieser  Fälle  seinen  eigenen  Beobachtungen  ent¬ 
stammen. 

Zweifellos  ist  also  auch  nach  dieser  Zusammenstellung 
die  Tetanie  bei  Graviden  eine  seltene  Erkrankung.  Vollends 
aber  eine  derartige  häufig  recidivir  ende  Tetanie,  wie 
sie  in  unserem  Falle  besteht,  muss  nach  allen  vorliegenden 
Berichten  als  ein  sehr  seltener  Zustand  bezeichnet  werden. 

v.  Frankl  bemerkt  zwar,  dass  Recidiven  der  Tetanie 
bei  neuerlichen  Graviditäten  uicht  ganz  selten  zu  sein  scheinen. 
Er  sah  eine  Gravide,  welche  das  zweite  Mal  schwanger  war, 
und  auch  in  dieser  zweiten  Gravidität  eine  Tetanie  durch¬ 
machte,  bei  einen  zweiten  Falle  war  unter  zwölf  Graviditäten 
zweimal  Tetanie  aufgetreten  und  bei  einer  dritten  Frau  unter 
sechs  Schwangerschaften  dreimal.  Löbach3)  sah  eine  Frau 
bei  wiederholter  Gravidität  jedes  Mal  an  Tetanie  erkranken. 

Auch  Delpech4)  erwähnt  einer  Frau,  bei  der  wieder¬ 
holte  Graviditäten  zu  jedesmaligem  Aufreten  von  Tetanie 
geführt  haben.  Unter  den  Fällen  von  v.  Jak  sch5)  finden 
sich  drei  Beobachtungen,  in  welchen  am  Ende  der  Gravidität 
sich  derartige  Anfälle  einstellten  und  nach  dem  Puerperium 
verschwanden.  Jedoch  ist  nicht  gesagt,  ob  bei  den  betreffenden 
Patientinnen  in  jeder  Gravidität  die  Tetanie  aufgetreten  sei. 

Ein  derartig  häufiges  Recidiviren  wie  bei  unserer  Pa¬ 
tientin  konnte  ich  jedoch  in  der  mir  zugänglichen  Literatur 
nirgends  finden. 

Es  wäre  nun  noch  die  Frage  zu  erwägen,  ob  in  unserem 
Falle  gegen  die  Diagnose  »Tetania  g  r  a  v  i  d  a  ru  m«  keine  Ein¬ 
wendung  zu  erheben  sei. 

Die  Anamnese  der  Patientin  erwähnt,  dass  die  Kranke 
in  ihrer  früheren  Jugend  öfters  Anfälle  hatte,  welche  nach 
ihrer  Beschreibung  der  Tetanie  sehr  ähnlich  waren,  und  die 
mit  dem  Eintritte  der  ersten  Menstruation  verschwanden. 

Es  ist  nun  nicht  anzunehmen,  dass  es  sich  bei  diesen 
Anfällen  um  Hysterie  gehandelt  haben  dürfte,  indem  alle 
sonstigen  anamnestischen  Symptome,  welche  für  Hysterie  zu 
verwerthen  gewesen  wäreD,  absolut  fehlten;  bei  dieser  Ge¬ 
legenheit  möchte  ich  an  die  von  v.  Frankl  citirte  Beob¬ 
achtung  Tonelle’s  erinnern,  welcher  bei  drei  jungen  Mäd¬ 
chen  Tetanie  beobachtete,  die  mit  Eintritt  der  ersten  Men¬ 
struation  geheilt  wurde. 

Auch  sonst  werden  in  v.  Frankls  Buch  mehrfache 
Beobachtungen  mitgetheilt,  welche  auf  einen  Zusammenhang 
zwischen  Tetanie  und  Vorgängen  des  weiblichen  sexuellen 
Lebens  hinweisen,  so  Eintritt  der  Tetanie  im  Klimakterium, 
und  bei  Erkrankungen  des  weiblichen  Genitales,  ja  von  frü¬ 
heren  Autoren,  wie  von  Imbert-Gourbeyre,  wurde 
sogar  ein  Zusammenhang  zwischen  vorausgegangener  Onanie 
und  dem  Eintritte  der  Tetanie  behauptet. 

Ob  es  sich  nun  in  unserem  Falle  um  ein  Recidiviren 
einer  schon  vorher  bestandenen  Tetanie  oder  um  das  Auf¬ 
treten  einer  neuen  derartigen  Erkrankung  bei  dieser  Frau 
handelte,  wage  ich  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden.  Zweifel¬ 
los  besteht  ein  ätiologischer  Zusammenhang  mit  den  Gravi¬ 
ditäten. 

Und  ich  möchte,  was  gleichfalls  in  diesem  Falle  interes¬ 
sant  sein  dürfte,  besonders  hervorheben,  dass  bei  einem  Indi¬ 
viduum,  das  anscheinend  schon  an  Tetanie  gelitten  hatte,  das 
also  gewissermassen  schon  für  diese  Erkrankung  prä- 
disponirt  war,  die  Gravidität  ein  auslösendes 
Moment  für  ein  neuerliches  Einsetzen  der  Anfälle  bildet. 

So  trat  auch  in  einem  Falle  von  J.  Hoffmann6)  bei 
einer  Frau,  welche  ihren  ersten  Anfall  im  Wochenbette  über¬ 
standen  hatte,  im  nächsten  Jahre  ein  Recidiv  durch  Kälte¬ 
einfluss  und  ein  Jahr  später  ein  solches  im  Wochenbette  mit¬ 
gemacht  hatte,  erst  wieder  nach  sechs  Jahren  während  einer 
Gravidität  ein  Anfall  auf. 

Gerade  für  solche  Fälle  von  Tetanie  nun,  in  welchen 
I  es  zu  durch  grössere  Zwischenräume  getrennten  Anfällen  der 


646 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


Krankheit  mit  Intervallen  vollständiger  Heilung  kommt,  möchte 
ich  eher  von  einer  recurrir  enden,  als  von  einer 
recidivir  enden  Tetanie  sprechen,  ebenso  wie  es  S  h  e  r- 
wood  auf  Vorschlag  Eichhorst’s  und  Sorgo7)  in  ähnlich 
sich  verhaltenden  Fällen  von  Polyneuritis  empfohlen  haben. 

Dass  bei  unserer  Patientin  wirklich  Tetanie  bestanden 
hat.  ist  wohl  nach  dem  Krankheitsverlaufe  zweifellos. 

Bekanntlich  kommt  in  differentialdiagnostischer  Hinsicht 
vorwiegend  Hysterie  in  Betracht.  Es  wurden  unter  Anderen 
von  Nikolajevic  (bei  diesem  auch  eine  Beobachtung  von 
Schlesinger)  und  von  B  1  a  z  i  c  e  k  aus  der  v.  Schrotte r- 
schen  Klinik  Fälle  publicirt,  in  welchen  es  sich  um  einen 
tetanieartigen  Symptomencomplex  auf  Grund  von  Hysterie 
handelte. 

Abgesehen  nun  von  dem  Fehlen  sämmtlicher  hysterischer 
Stigmen  bei  unserer  Patientin,  welche  hingegen  in  den  eben 
erwähnten  Fällen  zum  Theile  vorhanden  waren,  bot  eben 
unsere  Patientin  den  typischen  Symptomencomplex  der  Tetanie 
dar,  wenngleich  auch  die  Prüfung  der  elektrischen  Erreg¬ 
barkeit  der  motorischen  und  sensiblen  Nerven  leider  fehlt, 
v.  Frankl  legt  besonders  auf  das  T  r  o  u  s  s  e  a  u’sche  Phä¬ 
nomen  bezüglich  der  Differentialdiagnose  Werth,  indem 
er  behauptet,  in  Fällen  von  Hysterie  das  Phänomen  nie  in 
typischer  Weise  eintreten  gesehen  zu  haben.  Er  betont  be¬ 
sonders  das  langsame  Eintreten  der  Contractur  bei  Tetanus, 
während  bei  Hysterie,  wie  z.  B.  auch  in  dem  Falle  von  Bla- 
ziöek  die  Contractur  auf  Druck  gegen  den  Plexus  brachialis 
plötzlich  auftrat. 

Das  Facialisphänomen  nach  Chvostek,  respec¬ 
tive  die  mechanische  Uebererregbarkeit  der  Nerven,  welches 
unsere  Patientin  auch  in  hervorragendem  Masse  darbot,  ist 
bekanntlich  von  geringerem  diagnostischem  Werthe,  indem  es 
auch  bei  einer  Anzahl  anderweitig  nervöser  Individuen  beob¬ 
achtet  wurde. 

Die  Krämpfe,  die  Stellung  der  Hände  während  des  An¬ 
falles  waren  bei  unserer  Patientin  so  typisch  beschaffen,  dass 
wohl  meiner  Ansicht  nach  an  der  Diagnose  der  Tetanie  nicht 
zu  zweifeln  ist. 

Am  Schlüsse  dieser  Mittheilung  erlaube  ich  mir,  meinem 
hochverehrten  Chef,  Herrn  Hofrath  v.  Schrotte  r,  meinen 
besten  Dank  für  die  Ueberlassung  des  Falles  auszusprechen. 

Literatu  rverzeichniss. 

')  v.  Frankl-Hochwart,  Die  nervösen  Erkrankungen  des 
Geschmacks  und  Geruchs,  die  Tetanie.  In  Nothnagel’s  Specielle  Patho¬ 
logie  und  Therapie.  Daselbst  auch  die  meisten  der  übrigen  Literatur¬ 
angaben. 

2)  NeumanD,  Zwei  Fälle  von  Tetania  gravidarum.  Archiv  für 
Gynäkologie.  Bd.  XLVI1I,  pag.  499. 

3)  Löbach,  citirt  nach  v.  Frankl-Hochwart,  Die  Tetanie. 
Berlin  1891. 

4)  Citirt  nach  v.  Frankl-Hochwart. 

5)  v.  Jaksch,  Klinische  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Tetanie.  Zeit¬ 
schrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XVII,  pag.  144. 

c)  J.  Hoffmann,  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin. 
Bd.  XLIII,  pag.  115. 

7)  Sorgo,  Beitrag  zur  Kenntniss  der  recurrirenden  Polyneuritis. 
Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXII,  Suppl.  Daselbst  auch  Sher¬ 
wood  citirt. 


lieber  den  Ischler  Salzbergschlamm. 

Von  Dr.  E.  Wiener. 

Im  Salzberge  zu  P  e  r  n  e  c  k  bei  Ischl  wird  ein  Schlamm 
gewonnen,  welcher  schon  seit  längerer  Zeit  zu  therapeutischen 
Zwecken  verwendet  wird  ')  und  neuerlich  eine  Anwendungs¬ 
weise  erfahren  hat,  welche  geeignet  erscheint,  demselben  ein 
gewisses  Absatzgebiet  zu  eröffnen. 

Der  Ischler  Salzberg,  seiner  Formation  nach  Hasel¬ 
gebirge,  enthält  ein  mächtiges  Soolenlager  von  einigen  1000  m 2 
Ausdehnung  und  beträchtlicher  Tiefe.  Durch  nachhaltiges 

')  Schon  in  den  Fünfziger-Jahren  hat  Dr.  P  o  1 1  a  k  diesen  Schlamm 
als  Zusatz  zu  Bädern  verwendet,  welchem  Beispiele  eine  grössere  Anzahl 
von  Ischler  Curärzten,  unter  Anderen  die  Doctoren  Stieger,  Mayer, 
Prochaska  folgten, 


Auslaugen  gewinnt  man  eine  Flüssigkeit  von  hohem  Salz¬ 
gehalt,  die  Soole.  Das  Soolenlager  selbst  enthält  selbstverständ¬ 
lich  nicht  nur  Chlornatrium,  sondern  auch  die  anderen  Bestand- 
theile  des  Salzberges  beigemengt,  demnach  hauptsächlich  Thon 
und  Gips,  welche  sich  bei  Abfluss  der  Soole  über  weite 
Strecken  in  den  natürlich  vorhandenen  oder  künstlich  herge¬ 
stellten  Gruben  und  Vertiefungen  absetzen.  Dieses  Gemenge 
bildet  den  sogenannten  Leist  oder  Wehr  leist,  welcher 
dann  mit  Haspeln  zu  Tage  gefördert,  getrocknet,  gepocht  und 
zum  Schlüsse  gemahlen  wird. 2) 

Die  chemische  Analyse,  welche  im  Laboratorium  für 
medicinische  Chemie  an  der  Wiener  Universität  ausgeführt 
wurde,  ergab  bei  der  qualitativen  Untersuchung  auch  dem¬ 
gemäss  als  Hauptbestandtheile :  Kieselsäure,  Calcium¬ 
oxyd,  Magnesiumoxyd,  Natrium  oxyd,  Kalium¬ 
oxyd,  Eisenoxyd,  Aluminiumoxyd,  Schwefel¬ 
säure  und  Chlor. 

Bei  der  quantitativen  Analyse  wurden  folgende  Werthe 
erhalten: 


A. 

Bestimmungen  aus  dem  G 

e  sammtschlamm. 

Trockensubstanz . 

97-038% 

Wasser  bei  135°  abspaltbar  . 

2-962% 

Gesammtkohlensäure  . 

1151% 

Organischer  Kohlenstoff3)  . 

0-336% 

Schwefel . 

0-275% 

Chlor 4) . 

3-778% 

B. 

Bestimmungen  aus  dem 

Theile. 

wasserlöslichen 

34‘2748  Schlamm  wurden  erschöpfend  mit  Wasser  ex- 

trahirt;  die  Analyse  des  wässerigen  Auszuges  ergab,  auf  luft- 

trockenen  Schlamm  berechnet 5) : 

Kieselsäureanhydrid 

3  314% 

Calciumoxyd  . 

4  130% 

Magnesiumoxyd  .  .  .  . 

0-366% 

Natriumoxyd  . 

3-411% 

Kaliumoxyd . 

0-496% 

Schwefelsäureanhydt  id 

6-980% 

Chlor . 

3  778% 

Organische  Substanzen  .  . 

0-027% 

G. 

Bestimmungen  aus  dem 

Theile. 

säurelöslichen 

Der  Rückstand  des  wässerigen 

Auszuges  wurde  mit 

l%iger  kalter  Salzsäure  durch  vier  Wochen  extrahirt. 

Die  filtrirte  klare,  saure  Lösung  ergab  bei  der  Analyse, 
auf  lufttrockenen  Schlamm  berechnet: 


Kieselsäureanhydrid  .  .  .  l’391°/o 

Eisenoxyd . 3T68% 

Aluminiumoxyd .  2,887% 

Calciumoxyd  .  P745°/o 

Magnesiumoxyd  ....  1T520/0 

Natriumoxyd .  0  328% 

Kaliumoxyd . 0817% 

Schwefelsäureanhydrid  .  .  0  957% 


Als  wasser-  und  säureunlöslicher  Rückstand  nach  dem 
Trocknen  an  der  Luft  wurden  0212%  gefunden.  Der  unlös¬ 
liche  Rückstand  besteht  aus  Silicaten  und  einer  geringen 
Gipsmenge,  welche  trotz  eingehenden,  mehrwöchentlichen  Aus¬ 
ziehens  mit  Wasser  nicht  in  Lösung  ging. (i) 

•)  Gütige  Mittheilung  des  Herrn  Bergrathes  S  c  h  e  d  1. 

3)  Nach  Frankland-Armstrong  bestimmt. 

4)  Brom  und  Jod  fehlen;  zur  Untersuchung  auf  diese  beiden  wurde 
1  P4992  Substanz  verwendet. 

3)  Lithium  war  aus  1 8’3 1 80,  Borsäure  aus  92'9428  Substanz 
in  Spuren  nachweisbar. 

6)  Nach  einer  von  M  e  i  x  n  e  r  herrührenden  Analyse  des  Schlammes 
fanden  sich  in  100  Theilen: 


Schwefel  .... 

.  .  56  20 

Kieselerde  .... 

.  .  2688 

Thonerde  .... 

.  .  4-17 

Kalk . 

.  .  3*09 

Bittererde  .... 

.  .  0-84 

Eisenoxydul 

.  .  2-50 

Bituminöse  Theile 

.  .  6-32. 

Nr.  28 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


617 


Herr  Prof.  Becke  hatte  die  Güte,  mir  bei  Untersuchung  der 
Formelemente  des  Schlammes  behilflich  zu  sein.  Der  nicht  ge¬ 
trocknete,  eben  entnommene  Schlamm  zeigte  erdige,  bald  nach  dem 
Trocknen  krümelige  Beschaffenheit,  ziemlich  homogene,  nur  spär¬ 
lich  von  rothen  Partien  unterbrochene  Erdfärbe.  Diese  rothen 
Partien  wurden  als  Eisenocker  erkannt,  welchem  grosse  Quarz- 
und  Anhydridkrystalle  beigemengt  waren.  Die  anderen  Roh¬ 
partien  zeigten  doppeltbrechende  Körnchen ;  die  starke  Doppelt¬ 
brechung  Hess  nun  die  Deutung  auf  Carbonate  —  feinste 
Kalkspatpartikel  —  zu  und  erzeugte  unter  dem  Mikroskop 
bei  verdunkeltem  Gesichtsfelde  das  Bild  des  gestirnten 
Himmels. 

Der  zu  therapeutischen  Zwecken  getrocknete,  gereinigte 
und  fein  gepulverte  Schlamm  lässt  zumeist  drei  Formelemente 
erkennen,  und  zwar: 

1.  Quarzkrystalle  verschiedener  Grösse;  es  sind  dies 

sechsseitige  Prismen  mit  der  Pyramide,  lichtbrechend, 

optisch  einachsig.  Die  kleinsten  0  027  mm  lang,  0  008  mm  breit, 
die  grössten  0T17?nm  lang,  0  035  mm  breit. 

2.  Sehr  stark  lichtbrechende  Körnchen,  welche  mit  den 
in  dem  Rohschlamm  gefundenen  identisch  sind  und  ebenfalls, 
wie  in  diesem  auf  Salzsäurebehandlung  verschwinden.  Eine 
Verwechslung  dieser  Körnchen  mit  Kalkspat  ist  aus  dem 
Grunde  ausgeschlossen,  weil  sie  bei  Einbettung  in  Canada- 
balsam  in  allen  Stellungen  stärker  lichtbrechend  erscheinen, 
während  Kalkspatpartikel  in  gewissen  Stellungen  schwächer 
lichtbrechend  erscheinen  müssten. 

3.  Anhydridkrystalle,  welche  durch  den  Nicol  doppelt¬ 
brechend  erscheinen  und  zumeist  sehr  schöne  Parallelepipede 
von  gerader  Auslöschung  zeigen. 

Selbstverständlich  sind  nicht  alle  Formen  intact;  man 
tindet  auch  solche  mit  muscheligem  Bruch,  zackigen  Kanten 
und  Spitzen,  ferner  amorphe  Thonerdesilicate  in  Flockenform, 
endlich  auch  doppeltbrechende  Körnchen  und  Schüppchen, 
welche  als  Silicate  gedeutet  werden  können. 

Herrn  Prof.  v.  Vogl  war  so  gütig,  den  Schlamm  auf 
seinen  Gehalt  an  organischen  Substanzen  zu  prüfen; 
diese  Untersuchung  ergab  ein  negatives  Resultat. 

Nach  dieser  Analyse  ist  der  Ischler  Salzbergschlamm 
vermöge  seines  beträchtlichen  Gehaltes  an  Kochsalz,  schwefel¬ 
sauren  Alkalien  und  Erden  unter  die  salinischen  Mineral¬ 
moore  einzureihen. 

Ueber  die  chemische  Wirkung  der  Moorerden  auf  den 
Organismus,  wenn  dieselben  in  grösseren  oder  geringeren 
Mengen  Wannenbädern  zugesetzt  werden,  haben  Cas  t  e  1  i  e  r  i, 
Kisch  u.  A.  eingehende  physiologische  Experimente  durch¬ 
geführt  und  ist  Kisch")  zu  dem  Resultate  gekommen,  dass 
kleine  Mengen  von  Salzsäuresolutionen  durch  die  Schweiss¬ 
und  Talgdrüsen  Aufnahme  finden  können,  ein  Resultat,  welches 
mit  den  von  Guttmann  und  W  i  1 1  i  c  h  8),  ferner  von 
Wollenstei  n <J)  au  Fröschen  vorgenommenen  überein¬ 
stimmen. 

Kisch  wies  überdies  nach,  dass  Moorbäder  von  41  bis 
46°  die  Körpertemperatur  um  ll/2 — 3 1  /2 0  G.  steigern  können, 
dass  durch  dieselben  die  Menge  des  ausgeschiedenen  Harnstoffes 
vermehrt,  dagegen  die  der  phosphorsauren  Salze  vermindert 
wird.  Diese  Wirkung  heisser  Moorbäder  auf  den  Stoffwechsel 
ist  indess  durchaus  nicht  der  specifischen  Wirkung  des  Moor¬ 
zusatzes  zuzuschreiben,  sondern  blos  der  länger  dauernden 
Einwirkung  heissen  Wassers  auf  den  Körper,  beziehungsweise 
der  beträchtlichen  Wärmezufuhr,  wie  Winternitz  10)  und 
seine  Schüler  Pospischill,  S  t  r  a  s  s  e  r  1 ')  in  höchst  genauen 
Arbeiten  gezeigt  haben.  Winternitz  und  Pospischill 
haben  auch  nachgewiesen,  dass  durch  warme  Bäder  die  Quan¬ 
tität  der  Kohlensäure  in  der  Exspirationsluft  gesteigert,  die  des 
Sauerstoffes  hingegen  vermindert  wird.  Schleich'2).  Nau- 

7)  Realencyklopädie.  Bd.  II. 

8)  1.  c. 

9)  1.  c. 

10)  Blätter  für  klinische  Hydrotherapie.  III.  Jahrgang,  1893,  Nr.  15. 

n)  Festschrift.  Wien  1897,  Urban  &  Schwarzenberg. 

l2)  Ueber  das  Verhalten  der  Harnstoffproduction  bei  künstlich  gestei¬ 
gerter  Körpertemperatur.  Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und  Pharma¬ 
kologie.  Bd.  IV,  pag.  88  ff. 


nyn13)  sind  bei  Application  einfacher  heisser  Bäder  zu  eben 
demselben  Resultat  gekommen,  wie  Kisch  bei  Moorbädern, 
sie  fanden  bedeutend  gesteigerte  Stickstoffausscheidung. 

Dass  die  Einwirkung  heissen  Schlammes  curative  Wirkung 
aut  den  Körper  ausüben  könne,  war  schon  im  Alterthum  be¬ 
kannt.  Plinius  sagt:  »Mueus  qui  in  aqua  fuerit,  podagris 
illitus  prodest«.  Dioseorides  schreibt  demselben  auHösende, 
zertheilende  Wirkung  zu:  »Strigmenta,  quae  in  balneis  de- 
stringuntur  calfaciendi,  molliendi,  discutiendique  vim  haben t.« 
Galen  empfiehlt  Einreibungen  mit  Schlamm  bei  chronischen 
Entzündungen,  ödematösen  Geschwülsten,  besonders  auch  bei 
starken  Hämorrhoidalflüssen  und  festsitzenden  Schmerzen. 
Joannes  des  Dondis  Hess  den  aus  den  Thermen  bei 
Padua  gewonnenen  Schlamm  einreiben  und  nun  den  Patienten 
in  die  Sonne  legen,  bis  der  Schlamm  auf  dem  Körper  eingc- 
trocknet  war.  Eine  Art  Schlammumschläge  verordnete  Savo¬ 
na  r  o  1  a,  indem  er  den  Schlamm  mit  heissem  Wasser  ver¬ 
dünnen  und  denselben  bei  Gelenkgeschwülsten  in  Form  von 
Einreibungen  und  Umschlägen  appliciren  Hess.  Guilielmus 
Gratariolus  ging  ähnlich  vor  wie  Joannes  de  Dondis; 
auch  er  Hess  chronisch  Kranke  aller  Art  mit  fettem,  altem 
Schlamm  bestreichen,  an  die  Sonne  stellen  und  nach  dem 
Eintrocknen  mit  warmem  Wasser  abspülen. 

Eine  sehr  genaue  Studie  über  die  physiologische  Wirkung 
heissen  Schlammes  auf  den  Körper  aus  jüngster  Zeit  ist  die 
Arbeit  von  Maggi  or  a  und  Levi14)  Diese  Autoren  führten 
ihre  Versuche  mit  dem  74r'igen  Wasser  der  Therme  »la  Bol- 
lente«  in  Acqui  (Stabilimento  Nuove  Terme)  aus.  Sie  appli- 
cirten  den  Schlamm  auf  den  zu  untersuchenden  Körpertheil  in 
einer  6  cm  hohen  Schichte,  wobei  die  Erfahrung  gemacht 
wurde,  dass  Anfangstemperaturen  von  52°  C.  sowohl  von 
kräftigen,  als  auch  schwächlichen  Individuen  durch  eine  halbe 
Stunde  ganz  gut  vertragen  wurden,  während  dieselben  Indi¬ 
viduen  Vollbäder  von  41 — 42°  C.  höchstens  durch  fünf  bis 
zehn  Minuten  vertrugen,  eine  Erfahrung,  welche  mit  der  von 
Mo  sso15)  und  von  L.  M.  Patrizi16)  so  ziemlich  überein¬ 
stimmt. 

Die  Ursache  der  grösseren  Toleranz  des  Organismus  für 
die  Schlammeinpackungen  liegt  in  rein  physikalischen 
Verhältnissen.  Die  Wärmezufuhr,  welche  der  in  41  bis 
42niges  Wasser  getauchte  Körper  erfährt,  ist  nämlich  viel 
grösser,  als  die  des  mit  52°igem  Schlamme  umgebenen.  Dies 
Hegt  zunächst  in  der  rascheren  Abkühlung  des  Schlammes, 
welche  wiederum  in  dessen  geringerer  specifischen  Wärme  und 
in  dessen  geringerer  Wärmeleitungsfähigkeit  zu  suchen  ist; 
hiedurch  tritt  die  Aequilibrirung  zwischen  der  Wärme  des 
Körpers  und  der  ihm  unmittelbar  umgebenden  Schlammschichte 
leichter  ein.  Bei  dem  in  heisses  Wasser  getauchten  Körper  liegen 
die  Verhältnisse  anders;  hier  wird  nämlich  das  denselben  um¬ 
gebende  Wasser  durch  Ab-  und  Zuströmen  fortwährend  er¬ 
neuert,  und  dadurch  fortwährend  neue  Wärmemengen  zu¬ 
geführt. 

In  diesen  physikalischen  Verhältnissen  Hegen  demnach, 
wie  auch  Maggiora  und  Levi17)  hervorheben,  die  physio¬ 
logischen  Wirkungen  heisser  Schlammeinpackungen ;  auch  die 
Erfahrungen  Davidsohn’s  18,  lü),  welcher  im  Berliner  Fango¬ 
institut  über  eine  Anzahl  von  Beobachtungen  verfügte,  lassen 
keine  andere  Deutung  zu  und  schliessen  eine  specifische 
Einwirkung,  wie  etwa  durch  Resorption  chemischer  Bestand- 
theile  aus.  Wenn  eine  derartige  Resorption  stattfinden  sollte, 
wie  ja  dies  von  manchen  Autoren  angenommen  wird  (siehe 
weiter  oben),  so  ist  der  Effect  derselben  gegenüber  dem  der 
länger  dauernden  Einwirkung  hoher  Temperaturgrade  sicher¬ 
lich  ein  recht  geringer. 

13)  Beiträge  zur  Fieberlehro.  Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie. 
1870,  pag.  159  ff. 

u)  Untersuchungen  über  die  physiologische  Wirkung  der  Schlamm¬ 
bäder.  Archiv  für  Hygiene.  Bd.  XXVI. 

ir’)  Atti  della  K.  Acad,  delle  Scienze  di  Torino.  1889,  Vol.  XXIX. 

1U)  Giornale  della  Riunione  Academia  di  Mediciua  di  Torino.  1892, 
Bd.  XL. 

17)  1.  c. 

18)  Fangobehandlung.  Berlin  1898. 

19)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  13. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


Dieser  physikalische  Effect  lasst  sieh  aber  nicht  nur  mit 
dem  aus  heissen  Quellen  gewonnenen  Schlamme,  sondern  mit 
jedem  anderen  erzielen,  wenn  die  Applicationsweise  eine  ent¬ 
sprechende  ist,  wie  dies  meine  Versuche  mit  dem  Ischl  er 
Salzbergschlamm  beweisen20),  welche  in  ähnlicher 
Weise  vorgenommen  wurden,  wie  die  von  Maggi  or  a  und 
Levi,  und  in  den  meisten  Fällen  auch  den 
gleichen  Effect  hatten. 

Dieser  äusserte  sich  in  rascherer  und  viel  höherer 
arterieller  Diastole,  langsamerem  Uebergang  von  der  Diastole 
zur  arteriellen  Systole,  welch  letztere  rascher  und  kräftiger 
wird,  Frequenzvermehrung  und  Verminderung  der  Härte  des 
Pulses.  Schon  nach  wenige  Minuten  dauernden  Einwirkung  ist 
Rötlning  der  betreffenden  Hautpartie  bemerkbar,  welche  zum 
Theile  auch  auf  den  Reiz,  welchen  die  Spitzen  und  Kanten 
der  im  Schlamme  enthaltenen  Krystalle  ausüben,  zurückzu- 
führen  ist. 

Die  Methode  der  Application  ist  sehr  einfach;  zunächst 
ist  es  vorteilhaft,  eine  grössere  Menge  des  trockenen  Schlam¬ 
mes  auf  55  —  60°  zu  erwärmen  und  erst  unmittelbar  vor  dem 
Gebrauche  Wasser  von  derselben  Temperatur  so  lange  zuzu¬ 
setzen  bis  das  Gemenge  die  Consistenz  eines  zähen  Breies 
erhält;  sodann  geht  man  ungefähr  in  gleicher  Weise  vor  wie 
Maggiora  und  Lev  i;  man  beschmiert  den  kranken  Körper¬ 
teil  und  dessen  Umgebung  mit  einer  5 — 6  cm  hohen  Schichte 
des  Breies,  lässt  den  Patienten  auf  ein  bereit  stehendes  Ruhe¬ 
bett  legen  und  zunächst  in  ein  Leintuch,  dann  in  Gummibett¬ 
stoff  oder  Billroth-Batist,  endlich  in  eine  dicke  Flanelldecke 
fest  einhüllen  und  in  ruhiger  Lage  ungefähr  eine  halbe  Stunde 
verweilen,  hernach  mit  warmem  Wasser  abspülen. 

Am  Schlüsse  dieser  Arbeit  ist  es  mir  eine  angenehme 
Pflicht,  den  Herien  Hofrath  E.  L  u d  w  i  g,  Hofrath  A.  v.  Vogl, 
Prof.  F.  Becke,  Docent  Dr.  v.  Zeynek  für  die  liebens¬ 
würdige  Unterstützung  bei  dieser  Arbeit  meinen  ergebensten 
Dank  abzustatten. 


Bemerkung  zum  Aufsatze  in  Nr.  25  dieser  Wochen¬ 
schrift:  G.  Holzknecht,  »Zum  radiographischen 
Verhalten  pathologischer  Processe  der  Brust¬ 
aorta«. 

Von  Dr.  Maximilian  Weinberger,  Assistenten  an  der  III.  medicinischen 

Klinik. 

In  diesem  Aufsatze  bespricht  Holzknecht  eine  häufig  wieder- 
kehrende  pathologische  Form  des  Mittelschattens,  bei  welcher  links 
oben  in  der  Höhe  des  zweiten  Intercostalraumes  ein  rundlicher, 
scharf  begrenzter,  pulsirender  Schatten  aus  dem  Mittelschatten  heraus- 
treto.  Es  sei  das  jenes  Gebilde,  das  oft  ungerechtfertigter  Weise  zur 
Diagnose  eines  beginnenden  Aortenaneurysma  geführt  habe.  Im  An- 
schlu-se  daran  fährt  Holz  kn  echt  fort: 

„Hier  muss  ich  noch  erwähnen,  dass  ich,  aufmerksam  gemacht 
durch  die  dankenswerthe  Arbeit  Weinberger’s  (Ueber  die  Rönt¬ 
gt  nographie  des  normalen  Mediastinum.  Zeitschi  ift  für  Heilkunde. 
1900,  Heft  1)  gefunden  habe,  dass  bei  einer  Anzahl  magerer  muskel- 
schwacher  Leute  mit  normalem  Circulationsapparat,  besonders  auf  stark 
exponirten  Platten,  aber  auch  am  Schirmbilde,  eine  Andeutung  einer 
solchen  Vorwölbung,  oder  wenigstens  eine  circumscripte  Randpulsation 
des  Mittelschattens  an  dieser  Stelle  besteht  und  so  gleichsam  obige 
pathologische  Bildung  schon  unter  normalen  Verhältnissen  in  nuce  vor¬ 
gebildet  ist.“ 

Dem  gegenüber  verweise  ich  auf  die  Resultate  meiner  Arbeit, 
aus  welcher  hervorgeht: 

Bei  Durchstrahlung  des  Thorax  gesunder  Personen  sowohl  von 
hinten  nach  vorne  (dorsoventral),  als  von  vorne  nach  hinten  (ventro¬ 
dorsal),  wobei  die  Person  aufrecht  sitzt  und  die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Röhre 
mit  verticalem  Platinspiegel  in  jener  horizontalen  und  verticalen  Ebene 
eingestellt  wird,  welche  die  Region  zwischen  erster  und  dritter  Rippe 
vorne  (der  die  grossen  Gefässe  entsprechen)  in  gleiche  Hälften  theilt, 
entsteht  auf  der  der  Thoraxwand  angelegten  photographischen  Platte 
ein  medianer,  folgendermassen  beschaffener  Schatten: 

■")  Hierüber  wird  anderen  Ortes  berichtet  werden. 


Er  zeigt  einen  mittleren  dunkelsten  Antheil,  den  centralen 
Schatten,  und  hellere  Seitentheile,  periphere  Schatten.  Der  peri¬ 
phere  Schatten  ist  entsprechend  der  Höhe  des  ersten  Intercostal- 
raumes  links  von  einer  lateral  convexen  B  o  g  e  n  1  i  n  i  e  con- 
tourirt,  welche  eine  ziemlich  starke  Krümmung  hat  und  scharf  ab 
gesetzt  ist.  Am  Schirm  ist  Pulsation  dieser  Bogencontour  zu 
constatiren. 

Aus  dem  Studium  der  anatomischen  Verhältnisse 
auf  Gefrier  horizontalschnitten  konnte  ich  ableiten,  dass 
der  centrale  Schatten  von  der  Wirbelsäule,  dem  Sternum  und  dem 
dazwischen  gelegenen  Theile  des  Mediastinums  gebildet  ist,  während 
der  linke  periphere  Schatten  vou  der  Aorta,  und  zwar  vom  Arcus 
a  o  r  t  a  o  und  der  Aorta  deseendens  h  e  r  r  ü  h  r  t.  Die  linke 
oberste  Bogencontour  ist  also  Seite  neon  tour  der 
Aorta;  die  rhythmische  Pulsation  ist  Pulsation  der 
Aorta. 

Ich  kann  nur  hinzufügen,  dass  der  oben  beschriebene  periphere 
Scliattenantheil  (links  im  ersten  Intercostalraum)  bei  allen  bisher 
untersuchten  normalen  Menschen  im  Röntge  nogram  me  zu  sehen 
war,  ob  sie  nun  muskelschwach  oder  muskelstark  waren ;  dass  er 
höchstens  dann  minder  deutlich  und  scharf  contourirt  erscheint,  wenn 
die  Platte  zu  stark  exponirt  ist,  wodann  die  Schatten  der 
knöchernen  Theile  stärker  zu  Ungunsten  der  Weichtheilschatten  hervor¬ 
treten,  und  dass  er  demnach  auch  bei  der  Schirmuntersuchung 
nicht  fehlen  kann,  welche  der  Vollkommenheit,  vor  Allem  aber  der 
Objectivität  und  Beweiskraft  einer  Photographie 
durchaus  entbehrt. 

Der  oben  beschriebene  periphere  Scliattenantheil  ist  in  den 
topischen  Verhältnisse: n  der  anatomischen  Präparate  begründet, 
welche  lehren,  dass  die  im  Bereiche  des  ersten  Intercostal¬ 
raumes  links  im  Mediastinum  gelogene  Aorta  bei 
normalen  Menschen  die  Mittellinie  beträchtlich  mehr 
überschreitet,  als  der  schattengebende  Theil  der 
W  irbelkörpe  r. 

Mit  diesen  Ausführungen  erscheint  für  mich  die  Angelegenheit 
erledigt. 


Gegenbemerkung  zu  Obigem. 

Von  Dr.  G.  Holzkneollt,  Aspiranten  der  Klinik  Nothnagel. 

Als  Gegenbeweis  der  obigen  Behauptung  Herrn  Dr.  W  e  i  n- 
berge  r’s,  dass  jene  pulsirende  Vorwölbnng  dos  Mittelschattens  auch 
bei  völlig  Gesunden  constant  sei,  würde  ein  einziges  gutes  Radio¬ 
gramm,  auf  dem  sie  fehlt,  genügen.  Ich  verfüge  aber  über  eine  Reihe 
solcher,  die  Herrn  Dr.  Weinberger  bei  mir  einzusehen  jederzeit 
frei  steht.  Bezüglich  der  Details  der  Sache  werde  ich  mich  in  der 
„Radiologischen  Diagnostik  der  Erkrankungen  der  Thoraxeingeweide“, 
enthalten  in  dem  von  der  „Redaction  der  Fortschritte  auf  dem  Gebiete 
der  Röntgen-  Strahlen“  herausgegebenen  Sammelwerke  auszusprechen 
Gelegenheit  haben. 


FEUILLETON. 

Wilhelm  Kühne  f. 

Ein  bedeutender  Mensch  gleicht  auf  seinem  Wege  durch  das 
Leben  in  Bezug  auf  die  Fortentwicklung  der  Menschheit  und  der 
Wissenschaft  dem  leuchtenden  Gestirn,  das  in  flüchtigen  Stunden 
seine  Bahn  durchläuft.  Die  kurze  Spanne  Zeit,  die  für  uns  einen 
Tag  bedeutet,  sie  ist  ein  Augenblick  nur  in  der  Unendlichkeit  und 
das  Leben  eines  Einzelnen  gleicht  einem  flüchtigen  Auftauchen  im 
ewig  währenden  Process  alles  Werdens  und  Vergehens.  Und  doch, 
so  wie  die  Sonne  selbst  während  dieses  Augenblickes  unvergängliche 
Spuren  ihres  Wirkens  hinterlässt,  ehe  sie  hinter  dem  Horizonte  ver¬ 
schwindet,  ebenso  prägt  sich  auch  das  Walten  hervorragender  Menschen 
während  ihres  Lebenslaufes  in  den  Entwicklungsgang  der  Menschheit 
und  der  Wissenschaft  ein. 

Dem  kritischen  und  unparteiischen  Geschichtsforscher,  vor  dessen 
geistigem  Auge  die  Resultate  dieses  Wirkens  zur  klaren  Form  kry- 
stallisiren,  bleibt  es  Vorbehalten,  diese  an  passender  Stelle  in  das 
gewaltige  Gebäude  einzufügen,  zu  welchem  die  Wissenschaft  sich 
erhebt. 

Die  Beurtheilung  der  wahren  Grösse  eines  Menschen,  sozusagen 
im  Angesichte  und  unter  dem  unmittelbaren  Eindruck  des  Todes,  bleibt 
stets  nur  eine  unvollkommene,  weil  sie  durch  eine  Reihe  von  Um¬ 
ständen  getrübt  wird.  Wenn  der  Versuch  doch  unternommen  wird,  im 
Rahmen  eines  Nachrufes  die  Bedeutung  eines  grossen  Todten  hervor- 


Nr.  28 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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zubeben,  so  geschieht  es  einerseits,  um  dem  schmerzlichen  Ver¬ 
luste  Ausdruck  zu  verleihen,  der  die  Wissenschaft  betroffen,  andeier- 
seits  um  die  hohe  Bewunderung,  die  der  Verstorbene  in  Fach-  und 
Gelehrtenkreisen  genossen,  für  weite  Kreise  hin  zu  begründen. 

Dieses  Bild  von  dem  Werdegang  und  der  Grösse  kann  insbesondere 
da  nur  in  flüchtiger  Skizze  gegeben  werden,  wo  man  es  mit  den 
geistigen  Schöpfungen  eines  vielseitigen  und  unermüdlichen  Forschers 
zu  thun  hat. 

Und  ein  solcher  war  W  i  1  h  e  1  m  K  ü  h  n  e,  dem  die  Universität 
Heidelberg  die  letzten  Ehren  erwiesen  hat,  in  jener  Stadt,  die  ihm  zur 
zweiten  Heimat  geworden  ist  und  zu  deren  Glanz  und  Ruhm  er  nicht 
wenig  beigetragen  hat. 

Wilhelm  Kühne  ist  am  28.  März  1837  zu  Hamburg 
geboren;  er  studirte  an  den  Universitäten  in  Göttingen,  Jena,  Berlin, 
Baris  und  Wien  und  wurde  im  Jahre  185(5  zum  Doctor  der  Philosophie 
promovirt;  im  Jahre  1 8 G 1  wurde  er  Assistent  am  pathologischen  In¬ 
stitute  in  Berlin  und  bereits  ein  Jahr  darauf  wegen  seines  damals 
bereits  guten  wissenschaftlichen  Namens  zum  Ehrendoctor  der  Medicin 
an  der  Universität  in  Jena  ernannt.  Im  Jahre  1868  kam  er  als  Pro¬ 
fessor  der  Physiologie  an  die  Universität  nach  Amsterdam  und  im 
Jahre  1871  wurde  ihm  die  durch  die  Berufung  v.  Helmholtz' 
nach  Berlin  frei  gewordene  Lehrkanzel  der  Physiologie  in  Heidelberg 
auf  Empfehlung  v.  Helmholtz’  selbst  übertragen.  An  dieser  Stätte 
hat  er  durch  fast  30  Jahre  rastlos  gewirkt  und  geai beitet;  während 
dieser  langen  Zeit  hat  er  auch  die  Universität,  sein  Institut  und 
Heidelberg  so  lieb  gewonnen,  dass  er  einem  an  ihn  ergangenen  Rufe, 
an  Stelle  Du  Bois-Reymond’a  nach  Berlin  zu  gehen,  keine  Folge 
geleistet  hat.  Während  dieser  seiner  30jährigen  Lehrtliäiigkeit  sind 
ihm  auch  so  manche  Ehren  zu  Theil  geworden;  so  wurde  ihm  ins¬ 
besondere  aus  Anlass  seines  25jährigen  Professorenjubiläums  eine  Fest¬ 
schrift  von  seinen  Schülern  gewidmet. 

Im  letzten  Halbjahre  zwang  ihn  eine  schwere  Erkrankung,  seine 
Lehrthätigkeit  aufzugeben  und  am  10.  Juni  ist  er,  nicht  ganz  64  Jahre 
alt,  dieser  zum  Opfer  gefallen. 

Kühn  e’s  Lehrjahre  fallen  in  jene  Zeit,  wo  die  als  exacte 
Naturwissenschaft  sich  neu  gestaltende  Physiologie  im  weiteren  Sinne 
des  Wortes  ihre  glänzendsten  Vertreter  aufzuweisen  hatte,  von  denen 
jeder  mehr  oder  weniger  eine  bestimmte  Richtung  in  der  Physiologie 
repräsentirte ;  ich  nenne  nur  Wilhelm  Weber,  R.  Wagner, 
Claude  Bernard,  E.  Brücke,  C.  Ludwi  g,  D  u  Bois- 
Reymond.  Diese  alle  zählte  er  neben  Henle  und  den  berühmten 
Chemikern  Wühler  und  C.  G.  Lehmann  zu  seinen  Lehrern. 

Bei  allen  diesen  ist  Kühne  zum  Theil  als  Student,  zum  Theil 
als  junger  Doctor,  und,  wie  die  Folge  gezeigt  hat,  mit  glänzendem 
Erfolge  in  die  Schule  gegangen. 

In  den  ersten  wissenschaftlichen  Ai  beiten  kommt  besonders  sein 
Interesse  für  chemische  Fragen  zum  Ausdruck,  ein  Interesse,  das  sich 
immer  mehr  verdichtete  und  das  ihm  zeitlebens  erhalten  blieb;  in  fast 
allen  seinen  Arbeiten  ist  der  glänzende  Chemiker  wiederzufinden  ;  doch 
blieb  die  jdiysiologische  Chemie  nicht  sein  einziges  Arbeitsgebiet,  wie 
eine  flüchtige  Uebersicht  über  seine  zahlreichen  Veröffentlichungen 
ergibt.  Vor  mir  liegen  mehr  als  hundert  Einzelschriften  und  zusammen¬ 
fassende  Darstellungen,  von  denen  38  der  Nerven-  und  Muskelphysio¬ 
logie,  17  der  physiologischen  Chemie,  5  der  allgemeinen  Physiologie, 
15  der  Physiologie  der  Verdauung  und  32  der  physiologischen  Optik 
angehören. 

Diese  Anzahl  lässt  zugleich  ersehen,  von  welcher  Rastlosigkeit 
und  von  welcher  zähen  Ausdauer  K  ü  h  ne  war;  als  er  in  den  Sechziger- 
Jahren  in  dem  nunmehr  verwaisten  physiologischen  Institutsgebäude  in 
Wien,  das  bald  einem  Neubau  weichen  wird,  unter  B  r  ü  c  k  e’s  Leitung 
über  Protoplasmabewegung“  arbeitete,  bewunderte  Brücke,  wie 
ich  erfahren  habe,  die  unermüdliche  Arbeitskraft  des  jungen  Forschers,  der 
ohne  Unterbrechung  vom  frühen  Morgen  bis  zum  späten  Abend  über  dem 
Objecte  seiner  Studien  sass,  um  dann  erst  in  froher  Laune  sich  dem 
vollen  Genüsse  des  Wiener  Lebens  zu  ergeben. 

Neben  den  ersten  chemischen  Arbeiten  sehen  wir  ihn  schon  mit 
Fragen  aus  dem  Gebiete  der  Nerven-  und  Muskelphysiologie  beschäftigt, 
auf  die  er  sich  mit  der  vollen  Kraft  und  der  Siegeszuversicht  eines 
Eroberers  wirft.  In  den  Jahren  1857  — 1803  hat  er  bereits  eine  Reihe 
der  bedeutendsten  Entdeckungen  auf  diesem  Gebiete  zu  verzeichnen, 
so  unter  Andeien,  dass  die  Muskelsubstanz  direct  erregbar  ist  (am 
nervenfreien  Endstück  des  Sartorius),  dass  es  chemische  Agentien  gibt, 
die  blos  den  Muskel  (Ammoniak),  andere,  die  blos  den  Nerven  erregen, 
dass  im  Muskel  zwei  Eiweisskörper  sind,  von  denen  der  eine,  den  er 
Muskelplasma  nennt,  unter  den  Bedingungen  gerinnt,  unter  welchen 
der  Muskel  todtenstarr  wird,  während  der  andere  erst  bei  45°  gerinnt, 
dass  der  Nerv  ein  doppelsinniges  Leitungsvermögen  besitzt. 

Haben  ihn  diese  Arbeiten  schon  in  die  erste  Reihe  der  jungen 
Physiologen  gestellt,  so  waren  es  noch  mehr  die  gleichzeitigen 
Veröffentlichungen  seiner  bahnbrechenden  histologischen  Untersuchungen 
über  die  Endigungsweise  der  Nerven  in  den  Muskeln,  welchen  wir 


unsere  Kcnntniss  über  den  feinen  Bau  der  Endplatten  und  des 
Doyere’schen  Hügels  verdanken,  seine  Beobachtung,  dass  der  Inhalt 
der  Muskelfaser  flüssig  ist.  In  diese  Zeit  fällt  auch  eine  schöne  Unter¬ 
suchung  über  „Protoplasma  und  Contractilität“,  in  welcher  er  über 
Bewegungserseheinungen  an  Amöben,  über  elektrische  Reizversuche  an 
Rhizopoden,  Myxomyceten  und  über  das  Verhalten  des  reizbaren  und 
contractilen  Protoplasmas  in  den  Zellen  der  Staubfädenhaare  von  Tra- 
descantia  berichtet. 

In  die  folgenden  Jahre  fallen  seine  Untersuchungen:  „Ueber 
Ozon  im  Blute“,  „Ueber  das  Vorkommen  und  die  Ausscheidung  des 
Hämoglobulins  aus  dem  Blute“,  „Ueber  den  Farbstoff  der  Muskeln“  und 
die  Veröffentlichung  des  classiseh  geschriebenen  „Lehrbuches  der  physio¬ 
logischen  Chemie“,  dessen  Vollendung  im  Jahre  1867  erfolgte.  Im 
Jahre  1868  erschien  ein  zusammenfassender  Artikel  über  seine  histo¬ 
logischen  Arbeiten  über  Nerven  und  Muskelfasern  in  Strieker’s 
„Handbuch  der  Gewebelehre“. 

Im  Jahre  1875  — 1876  überraschte  er  die  wissenschaftliche  Welt 
wieder  mit  einer  Reihe  hochbedeutsamer  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete 
der  Physiologie  der  Verdauung.  Mit  Lea  beobachtete  er  das  Pankreas 
am  lebenden  Kaninchen  während  der  Verdauung,  zeigte,  dass  bei  der 
Trypsin  Verdauung  das  Bindegewebe  nicht  afficirt  wird,  empfahl  diese 
Thatsache  zur  Verwendung  für  histologische  Zwecke  —  er  selbst  wies 
mit  Ewald  auf  diese  Weise  die  Neurokeratinhülle  der  markhaltigen 
Nerven  nach  —  und  lehrte  das  Verhalten  des  Trypsins,  mit  welchem 
Namen  er  das  Verdauungsferment  des  Pankreas  belegte,  sowie  ver¬ 
schiedener  organisirter  und  sogenannter  ungeformter  Fermente,  für  welche 
erden  Namen  Enzyme  einfuhrt,  kennen,  und  stellt  endlich  die  wichtigsten 
Grundsätze  der  chemischen  Veränderungen  der  Albumine  bei  der  Ver¬ 
dauung  fest. 

Das  glänzendste  Zeugniss  von  seinem  durchdringenden  Geiste 
und  von  dem  richtigen  Erfassen  bedeutsamer  Entdeckungen  geben  die 
Aibeiten,  die  sich  au  die  geniale  Entdeckung  B  o  1 1 ’s  über  das  Sehroth 
knüpfen,  die  in  den  folgenden  Jahren,  1877 — 1882,  erschienen  und  das 
Erstaunen  der  Mitwelt  erregten.  Erst  unter  seinen  Händen,  durch 
seinen  Scharfsinn  und  seine  glänzende  Methodik  und  Experimentirkunst, 
ist  aus  der  Beobachtung  Boll’s,  die  er  in  richtiger  Erkenntniss  ihrer 
Tragweite  aufgriff,  ein  wohlgefügtes  Ganzes  auski  ystallisirt,  und  mit 
Recht  knüpft  sich  daher  für  die  Nachwelt  die  Entdeckung  des  Seh¬ 
purpurs,  wie  er  diese  Substanz  nannte,  an  seinen  Namen. 

In  nicht  weniger  als  25  Arbeiten,  die  in  den  Jahren  187  7 
bis  1879,  theils  von  ihm  allein,  theils  mit  seinem  Mitarbeiter  E  w  a  1  d 
in  den  „Untersuchungen  aus  dem  physiologischen  Institute  der  Uni¬ 
versität  in  Heidelberg“  veröffentlicht  wurden  und  die  von  ihm  noch  ein¬ 
mal  zusammengefasst  im  Hermann’schen  Handbuch  erschienen  sind,  hat 
er  das  Verhalten  des  Sehpurpurs  am  lebenden  Auge,  sowie  an  isolirten 
Netzhäuten  behandelt,  gezeigt,  dass  die  Stäbchenfarbe  im  Leben  wie  im 
Tode  nur  vom  Licht  allein  gebleicht  wird,  dass  die  Färbung  der 
Netzhaut  einer  selbstständigen  chemischen  Substanz  zuzuschreiben  ist, 
hat  Lösungsmittel  für  diesen  Farbstoff  angegeben  und  weiters  demon- 
strirt,  dass  man  auf  der  Netzhaut  photographiren  und  diese  „Opto- 
gramme“  fixiren  kann. 

Weiter  hat  er  in  diesen  Arbeiten  die  wichtigen  Befunde  nieder¬ 
gelegt,  dass  in  der  Fovea  centralis  kein  Purpur  vorkommt,  und  dass 
er  bei  vielen  Thieren  fehlt. 

Auf  Grund  dieser  und  noch  vieler  anderer  einschlägiger  Beob¬ 
achtungen  hat  er  seine  „optochemische  Hypothese“  aufgestellt,  nach 
welcher,  wie  er  selbst  schreibt,  „die  Sehzellen  als  1  räger  photo- 
chemisch  zersetzlicher  Stoffe  angesehen  werden,  welchen  letzteren,  so 
lange  sie  unzersetzt  bleiben,  keine  Fähigkeit  zukommt,  den  irritablen 
Theil  der  Sehzellen,  welcher  durch  das  Protoplasma  des  Innengliedes 
vorgestellt  wird,  chemisch  zu  erregen.  Dagegen  schreibt  die  Hypo¬ 
these  den  Zersetzungsproducten,  deren  Auftreten  mit  dem  Zugänge  des 
Lichtes  begonnen,  das  Vermögen  zu,  Sehzellenprotoplasma  chemisch  zu 
erregen,  und  bezeichnet  jene  Producte  als  Sehreger.  Sehpurpurist  dem¬ 
nach  ein  solcher  Sehstoff,  dessen  Sehreger  Sehgelb  und  Sehwoiss  sind." 

Ausser  diesen  epochemachenden  Untersuchungen  hat  er  im  An¬ 
schlüsse  an  die  Arbeit  von  Holmgreen  gemeinsam  mit  Steiner 
das  elektrische  Verhalten  der  Retina  und  des  Nervus  opticus  im  Licht 
und  Dunkel  untersucht,  sowie  ebenfalls  gemeinsam  mit  dem  genannten 
Forscher  den  Nervenstrom  am  marklost n  Nervus  olfactorius  studirt. 

Vom  Jahre  1882  an  nahm  er  wieder,  zusammen  mit  Lea  und 
insbesondere  mit  Chittenden,  seine  Arbeiten  über  die  Verdauung 
des  Pankreas  und  über  die  Chemie  der  Eiweisskörper  und  der  Verdauungs- 
produete  auf,  welche  ihn  bis  zum  Jahre  1893  beschäftigten. 

In  diesen  Arbeiten,  welche  einen  weiteren  Ausbau  seiner  früheren 
bedeuten,  hat  er  die  grundlegenden  Anschauungen  über  die  ^  erdauungs- 
producte  der  Albumine  festgelegt,  die  auch  heute  noch  mehr  odei 
weniger  die  Summe  unseres  diesbezüglichen  "Wissens  repiäsentimn. 
Hieher  gehört  der  Nachweis,  dass  die  Eiweisskörpei  bei  der  Spaltung 
in  zwei  Gruppen  von  Derivaten  zerfallen  die  Anti-  und  Hemigi  uppen, 
welche  letztere  bei  der  Trypsin  Verdauung  zerfallen,  während  dm  Anti 


G50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ni.  28 


körper  bei  der  Magenverdauung  in  Antipeptone  übergehen;  hieher 
gehören  die  classischen  Untersuchungen  über  die  Eintheilung  der  Albu- 
mosen  in  Proto-,  Hetero-,  Dys-  und  Deuteroalbumosen. 

Daneben  sehen  wir  ihn  unermüdlich  mit  der  Erforschung  der 
Nervenendigung  im  Muskel  beschäftigt,  in  welcher  er  sich  als  ebenso 
bedeutender  llistologe  wie  in  den  vorgenannten  als  Chemiker  erweist. 

Speciell  in  der  histologischen  Technik  macht  er  sich  eine  Reihe 
neu  erstandener  Untersuchungsmethoden  eigen  und  zeigt,  mit  welchem 
Interesse  er  allen  diesen  Fragen  zu  folgen  im  Stande  ist. 

Aus  dieser  Zeit  stammen  noch  einige  Arbeiten  aus  der  Muskel¬ 
physiologie,  so  eine:  „Ueber  das  doppelsinnige  Leitungsvermögen“,  in 
welcher  er  seinen  bekannten  Zweizipfelversuch  ausbildet  und  durch 
Uebertragung  auf  den  Gracilis  des  Frosches  zu  einer  augenfälligen 
Erscheinung  entwickelt,  ferner  eine:  „Ueber  die  Wirkung  des  Pfeil¬ 
giftes  auf  die  Nervenstämme“,  „Ueber  secundäre  Erregung  von 
Muskel  zu  Muskel“  und  andere  mehr.  In  diese  Zeit  fällt  noch  das 
Erscheinen  einer  Schrift:  „Ueber  Darwinismus  und  Medicin“. 

In  den  letzten  Jahren  1897  — 1898  veröffentlichte  er  in  der 
„Zeitschrift  für  Biologie“,  deren  Begründer  er  war  und  die  er  gemein¬ 
sam  mit  V  o  i  t  herausgab,  und  in  'welcher  auch  bereits  die  Mehrzahl 
der  Publicationen  der  letzteren  Zeit  erschienen  waren,  eine  Arbeit: 
„Ueber  die  Bedeutung  des  Sauerstoffes  für  die  vitale  Bewegung“  in 
zwei  Mittheilungen.  Diese  Untersuchungen  betreffen  die  Bedeutung  des 
Sauerstoffes  für  die  Protoplasmabewegung  in  den  Staubfadenhaaren 
von  Tradescantia  und  in  den  chlorophyllhaltigen  Pflanzenzellen 
(Sprossen  von  Characeen,  Nitella- Arten)  ohne  und  mit  Einwirkung  des 
Lichtes,  welches  zu  innerer  Sauerstoffentwicklung  durch  das  Chlorophyll 
führt.  Es  gelang  ihm,  festzustellen,  dass  die  Bewegung  im  Dunklen 
erlischt  und  sowohl  durch  Sauerstoffzutritt  als  auch  durch  eigene 
Sauerstoffentwicklung  im  Lichte  wiederhergestellt  wird. 

Diese  Arbeit,  die  seine  letzte  werden  sollte,  lässt  so  recht  sein 
nicht  ermüdendes  Interesse  für  chemische  und  biologische  Probleme 
erkennen,  die  ihn  zeitlebens  beschäftigten  und  ihn  zu  einem  der  be¬ 
deutendsten  physiologischen  Chemiker  stempelten. 

Ausgestattet  mit  einem  unermüdlichen  Fleisse  und  mit  dem 
Scharfsinne,  die  Probleme  richtig  zu  erfassen  und  in  glänzender 
Weise  auch  experimentell  anzugreifen,  ist  es  ihm  möglich  geworden, 
diese  Fülle  von  geistigen  Schöpfungen  zu  produciren,  bei  welchen 
ihm  jetzt  der  Tod  Halt  geboten  hat. 

Neben  den  ihn  speciell  beschäftigenden  Fragen  hatte  er  auch 
für  alle  übrigen  bedeutenden  Entdeckungen  ein  hohes  Interesse,  was 
sich  auch  darin  zeigte,  dass  er  stets  gerne  die  Versammlungen  des 
Physiologencongresses  besuchte;  auf  diesen  zeigte  er  sich  als  der  ge¬ 
wandte  Redner  im  wissenschaftlichen,  und  liebenswürdigen  Erzähler 
im  heiteren  Kreise. 

Dass  ein  solcher  Mann  Schüler  aus  weiten  Kreisen  an  sich 
gezogen  hat,  darf  uns  nicht  Wunder  nehmen;  die  Namen  jener 
Männer,  die  ihm  aus  Anlass  seines  25jährigen  Professoren- Jubiläums 
eine  Festschrift  überreicht  haben,  beweisen,  dass  er  auch  in  Bezug  auf 
seine  Lehrthätigkeit  glänzende  Erfolge  aufzuweisen  hat. 

Und  so  sehen  wir  nun  ein  Leben,  reich  an  Ehren  und  Erfolgen, 
abgeschlossen;  die  Früchte  dieses  Leben  werden  noch  in  kommenden 
Geschlechtern  fortwirken. 

Den  stolzen  Hoffnungen,  die  man  in  Kühne  gesetzt  hat,  als 
man  ihm  das  Erbe  des  grössten  deutschen  Physiologen  übertrug,  ist 
er  zum  Ruhme  der  Stadt  und  Universität  Heidelberg  vollauf  gerecht 
geworden. 

Wien,  den  7.  Juli  1900.  Alois  K  r  e  i  d  1. 


REFERATE. 

I.  Die  paroxysmale  Tachycardie  (Anfälle  von  Herzjagen). 

Von  Dr.  August  Hoffmann. 

Wiesbaden  1900,  J.  F.  Bergmann. 

II  Heart  Disease:  With  Special  Reference  to  Prognosis 

and  Treatment. 

By  Sir  William  H.  Broadbent  and  F.  H.  J.  Broadbent. 

Third  Edition. 

London  1900,  B  a  i  1 1  e  r  e,  Tindall  &  Co. 

I.  An  der  Hand  eigener  Beobachtungen  (fünf  Fälle)  gibt  der 
Autor  unter  eingehender  Berücksichtigung  der  diesbezüglichen  Lite¬ 
ratur  und  kritischer  Würdigung  der  klinischen  Beobachtung  eine 
übersichtliche  Darstellung  unserer  gegenwärtigen  Kenntnisse  in  diesem 
noch  vielfach  dunklen  Capitel  der  Herzpathologie.  Auf  Grund 
eigener  Beobachtungen  weist  der  Autor  mit  besonderem  Nachdruck 
auf  den  Befund  abnormer  Herzmobilität  hin,  welchem  er  ätiologische 
Bedeutung  beizumessen  geneigt  zu  sein  scheint.  Auch  konnte  er 
sich  nicht  von  der  Regelmässigkeit  einer  Herzdilatation  im  Anfall 
überzeugen  und  wendet  sich  daher  gegen  die  Auffassung  der  Dila¬ 


tation  als  ätiologischen  Factors.  Das  die  Anfälle  auslösende  Moment 
sieht  der  Autor  auch  nicht  in  einem  Vasomotorenkrampf  (Jacob), 
hält  dieselben  vielmehr  für  central  bedingt.  Besonders  wird  auf 
das  Verhalten  der  Harnsecretion  im  Anfalle  (Polyurie)  hingewiesen. 

Der  Autor  fasst  die  paroxysmale  Tachycardie  nicht  als 
»Entile  morbide«,  sondern  als  Symptomencomplex  auf,  und  schlägt 
daher  den  Namen:  tachycardischer  Paroxysmus  oder  Anfall  von 
llerzjagen  vor.  Widerspruch  dürfte  die  Behauptung  finden,  dass, 
wäre  eine  Vagusaffection  im  Spiele,  die  Herzbeschleunigung  constant 
sein  müsste.  Es  ist  eine  in  der  Neuropathologie  oft  anzulreffende 
Erscheinung,  dass  dauernde  Läsionen  intermittirende  Symptome 
setzen. 

Therapeutisch  wird  besonders  Galvanisation  am  Halse  em¬ 
pfohlen. 

Die  persönliche  Erfahrung  des  Autors,  sowie  die  gründliche 
kritische  Vertiefung  in  das  Thema,  welches  erschöpfende  Behand¬ 
lung  erfährt,  gestalten  die  Lecture  der  vorliegenden  Monographie 
ebenso  anregend  als  lehrreich. 

* 

if.  In  diesem  vortrefflichen  Werke  erfährt  das  Thema  der 
Herzkrankheiten  eine  ebenso  erschöpfende  als  anziehende  Bearbeitung. 
Ueberall  tritt  die  reiche  persönliche  Erfahrung  am  Krankenbette, 
über  welche  der  Autor  nach  langjähriger,  in  wissenschaftlichem 
Geiste  ausgeübter  Praxis  in  reichlichstem  Masse  verfügt,  klar  zu 
Tage.  Die  Sprache  ist  einfach,  schlicht,  die  Darsiellungsweise  von 
fesselnder  Lebendigkeit.  So  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  dass 
das  Werk,  Ende  1897  erschienen,  bereits  in  dritter  Auflage 
vorliegt. 

Es  ist  aus  der  Lehrthätigkeit  des  Autors  hervorgegangen  und 
im  Anschlüsse  an  Vorlesungen  für  Aerzte  niedergeschrieben.  Der 
Autor  berücksichtigt  auch  in  der  That  ganz  besonders  die  Bedürf¬ 
nisse  des  praktisch  thätigen  Diagnostikers,  doch  ohne  dass  das 
wissenschaftliche  Gepräge  des  Werkes  darunter  zu  leiden  hätte. 

Die  Prognose  und  Therapie  im  Allgemeinen  und  Besonderen 
werden  mit  besonderer  Liebe  und  Sorgfalt  besprochen  und  tritt  auch 
liier  überall  die  eigene,  durch  Empirik  und  theoretische  Ueberlegungen 
gestützte  Anschauung  des  Autors  deutlicli  hervor.  Moderne  Mechano- 
und  Balneotherapie  wird  eingehend  besprochen,  ihre  grosse  Bedeu¬ 
tung  gewürdigt,  doch  ebenso  entschieden  vor  übertriebenem  Enthu¬ 
siasmus  gewarnt  und  strenge  Individualisirung  empfohlen.  Gegen 
die  vielfach  beliebte  übertriebene  Aengstlichkoit  bezüglich  körper¬ 
licher  Anstrengung  bei  compensirten  Klappenläsionen  wird  energisch 
Steilung  genommen.  Die  wichtigen  Beziehungen  zwischen  Psyche 
und  cardio-vasculären  Störungen  werden  eingehend  besprochen,  wie 
überhaupt  moderne  Zeit-  und  Streitfragen  auf  dem  Gebiete  der 
Herzpathologie  ausführlich  erörtert  werden. 

Eine  gewisse  Emancipation  von  der  früher  beliebten  einseitigen, 
allzu  mechanisch  fundirten,  pathologisch-anatomischen  Anschauung 
und  das  Hervortreten  einer  mehr  lebendigen,  auf  klinischer  Beob¬ 
achtung  hissenden  ernsten  und  nüchternen  biologischen  Auffassung 
bilden  die  Hauptmerkmale  des  vorliegenden  Werkes,  Momente, 
welche  die  Lecture  des  Buches  äussersl  anregend  gestalten.  Es 
liegt,  hier  zweifellos  eines  der  besten  literarischen  Producte  auf 
dem  Gebiete  der  Herzkrankheiten  vor,  wofür  übrigens  der  Name 
des  Autors  von  vorneherein  bürgt.  Dr.  Rudolf  Schmid. 


I.  Zur  Mechanik  und  Physiologie  der  Nahrungsaufnahme 

der  Neugeborenen. 

Von  H.  Cramer. 

Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  1900,  Nr.  263. 

II.  Die  Versuchsanstalt  für  Ernährung,  eine  wissen¬ 
schaftliche,  staatliche  und  humanitäre  Nothwendigkeit. 

Von  Pli.  Biedert. 

München  1 899,  Seitz  &  Schauer. 

III.  Ueber  Zerreissungen  des  Nabelstranges  und  ihre 

Folgen  für  den  Neugeborenen. 

Von  J.  Bayer. 

Volkmann’s  Sammlung.  1900,  Nr.  265. 

IV.  Säuglingsernährung. 

Von  B.  Bemlix. 

Berliner  Klinik.  1900,  Heft  141. 

I.  Cramer  beschäftigt  sich  in  seiner  Arbeit  vorwiegend  mit 

ö  Ö 

zwei  Fragen.  Zuerst  will  er  das  Nahrungsminiinmn  feststellen,  bei 


Nr.  28 


wiener  klinische  Wochenschrift.  1900. 


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dessen  Aufnahme  der  Neugeborene  die  verhältnissmässig  grösste 
Gewichtszunahme  zeigt.  Es  hat  sich  hiebei  gezeigt,  dass  der  Neu¬ 
geborene  im  günstigsten  Falle  um  18°/0  des  Gewichtes  der  zuge¬ 
führten  Nahrung  an  Körpergewicht  zunimmt.  Bei  der  gewöhnlichen 
Nahrung  an  der  Brust  ist  der  »Nährquotient«  bis  zum  zehnten 
Lebenstage  circa  10°/o- 

Den  zweiten  Punkt  in  der  Arbeit  bildet  die  Bestimmung  der 
zur  Nahrungsaufnahme  nothwendigen  Aspirationskraft  des  Brust¬ 
kindes.  Herz  und  Basch  bestimmten  den  Saugdruck  mit  4  bis 
14  cm3  Wasser.  Verfasser  zeigt,  dass  diese  Zahl  wohl  dem  bei 
einer  einzelne  n  Saugbewegung  hervorgebrachten  negativen 
Drucke  entspricht,  dass  aber  durch  wiederholte  Saugbewegungen 
das  Kind  einen  negativen  Druck  von  58- — 140  cm3  Wasser  zu  er¬ 
zeugen  vermag.  Der  für  den  Austritt  der  Milch  aus  der  Brust  noth- 
wendige  Druck  war  in  jedem  Falle  geringer  als  der  vom  Kinde  aul¬ 
gebrachte  Saugdruck*  er  schwankte  in  neun  Versuchen  zwischen 
13  und  69  cm3  Wasser.  Je  geringer  der  für  den  Austritt  der  Milch 
nothwendige  Druck  war,  desto  reicher  an  Milch  war  die  Brustdrüse. 
Die  Compression  des  Warzenhofes  ist  für  den  Austritt  der  Milch 
erst  in  zweiter  Linie  wichtig. 

* 

II.  Biedert  hat  in  einem  am  Naturforschertage  zu  Mün¬ 
chen  gehaltenen  Vortrage  die  Aufforderung  zur  Errichtung  einer 
»Versuchsanstalt  für  Ernährung«  als  einer  »wissenschaftlichen, 
staatlichen  und  humanitären  Nothwendigkeit«  ergehen  lassen.  In 
der  vorliegenden  Broschüre  wird  der  Zweck  einer  solchen  Anstalt 
eingehend  begründet,  zugleich  auch  ein  vollständiges  Programm  für 
die  Leitung  der  Anstalt  entworfen.  Bei  der  immensen  Bedeutung, 
welche  die  Physiologie  der  Ernährung  im  Allgemeinen  und  ganz 
besonders  für  das  Säuglingsalter  hat,  ist  solch  ein  Vorschlag  aufs 
Wärmste  zu  begrüssen. 

* 

III.  J.  Bayer  berichtet  über  einen  Geburtsfall:  Eine  Primi¬ 
para  war  angeblich  von  der  Entbindung  überrascht,  am  Ende  der¬ 
selben  bewusstlos  aufgefunden  worden.  Das  Kind  lag  mit  zerrissener 
Nabelschnur  und  todt  zwischen  den  Beinen  der  Mutter,  es  hatte 
mehrfache  Schädel-  und  Leberverletzungen. 

Obzwar  der  Obductionsbefund  es  für  ganz  sicher  erklärte, 
dass  die  Verletzungen  des  Kindes  am  Schädel  und  an  der  Leber 
durch  äussere  Gewalteinwirkung  post  partum  herbeigeführt  worden 
sind  (Avohl  auch  die  Nabelschnurzerreissung?),  bespricht  Verfasser 
die  Literatur  über  Festigkeit  und  spontane  Zerreissungen  der 
Nabelschnur,  über  die  Verblutung  Aron  Kindern  aus  der  Nabelschnur, 
über  die  Möglichkeit  von  Schädel-  und  Leberverletzungen  durch 
den  Geburtsact. 

* 

IV.  B.  B  e  n  d  i  x  erörtert  in  einem  kleinen  Heft  die  gegen¬ 

wärtig  in  Geltung  stehenden  Ansichten  über  die  Säuglingsernähr  ung. 
Bei  dem  Umstande,  dass  dieses  Thema  seit  den  letzten  Decennien 
stark  discutirt  und  vielfach  wissenschaftlich  bearbeitet  worden  ist, 
ist  es  von  Interesse  und  für  jeden  Arzt  lehrreich,  den  bisher 
zurückgelegten  Weg  zu  kennen.  Bendixs  Broschüre  vermittelt 
dies  in  angenehmer  Weise.  Sie  ist  fliessend  geschrieben,  berührt 
alle  die  wichtigsten  Punkte  der  Säuglingsernährung  und  hat  noch 
dadurch,  einen  besonderen  Werth,  als  sie  die  Anschauungen  der 
H  e  u  b  n  e  r’schen  Schule  wiedergibt.  Knoepfelmacher. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

240.  II  e  b  e  r  die  Beweglichkeit  des  Herzens  bei 
Lageveränderungen  des  Körpers.  Von  Dr.  Deter- 
mann  (St.  Blasien).  Bei  Gesunden  fand  sich  bei  linker  Seitenlage 
eine  Verschiebung  des  Herzens  durchschnittlich  um  2  ’/2  cm  nach 
links  und  1  cm  nach  oben;  in  rechter  Seitenlage  um  1  '/2 cm  nacP 
rechts  und  V2  cm  nach  oben;  jedoch  bestand  bei  manchen  Ge¬ 
sunden  Verschieblichkeit  bis  6  ’/2  cm  nach  links  und  4  cm  nach 
rechts.  Selbstverständlich  hat  auch  die  Füllung  des  Magens,  Meteo¬ 
rismus,  der  Ernährungszustand  einen  beträchtlichen  Einfluss  aut 
die  Lagerung  des  Herzens.  Bei  Chlorotischen  und  Neurasthenikern 
war  meistens  die  Herzbeweglichkeit  eine  grössere  als  normal.  Die 
Folgen  bei  einer  grösseren  Herzverschiebbarkeit  können  sieb  als 
Herzklopfen,  Angstempfindungen,  Schmerzen  in  der  Herzgegend  etc. 


in  Folge  mechanischer  Behinderung  der  Circulation,  »Organempfind¬ 
lichkeit«  u.  s.  w.  äussern.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  15.) 

* 

241 .  (Aus  dem  Stadtlazareth  zu  Danzig.)  Zwei  praktisch 
wichtige  Fälle  von  Hysterie.  Von  Dr.  Fuerst.  Bei  einer 
Hysterischen  sollte  wegen  galligen  Erbrechens  eine  Magenspülung 
vorgenommen  werden.  Dabei  Avurde  der  43  cm  weit  eingeführte 
Magenschlauch  in  Folge  eines  Oesophaguskrampfes  so  fest  einge¬ 
klemmt,  dass  er  trotz  grosser  Morphiumdosen  nicht  mehr  heraus¬ 
zubringen  war,  sondern  sich  dabei  eher  beträchtlich  in  die  Länge 
ziehen  liess.  Die  Herausnahme  gelang  erst  während  einer  nach  einer 
halben  Stunde  eingeleiteten  tiefen  Chloroformnarkose.  Der  zweite 
veröffentlichte  Fall  einer  traumatischen  Neurose  ist  ein  Beweis  lür 
die  Existenz  eines  hysterischen  Fiebers,  beziehungsweise  für  die 
Möglichkeit  einer  psychogenen  Temperatursteigerung.  Der  im  Ver¬ 
dachte  einer  Tuberculose  stehende  Patient  hatte  —  jedoch  unter 
eigenthümlichen  Erscheinungen  —  auf  eine  Tuberculininjection 
prompt  reagirt.  Die  Temperatursteigerung  trat  auch  ein,  als  blos 
reines  Wasser,  nachher  sogar  als  nur  die  Canule  eingestochen  und 
gar  nichts  injicirt  wurde.  Der  Patient  wusste,  dass  nach  jeder  In¬ 
jection  mit  seiner  Temperatur  etwas  Vorgehen  müsse.  Diese  Vor¬ 
stellung  genügte,  um  bei  der  abnormen  Erregbarkeit  der  wärme- 
regulirenden  Centren  des  Patienten  auch  objectiv  eine  Temperatur¬ 
erhöhung  eintreten  zu  lassen.  — -  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  14.) 

* 

242.  Spastischer  Verschluss  der  Speiseröhre 
als  Symptom  von  Harninfectio  n.  Von  Dr.  G  r  o  s.g  1  i  k 
(Warschau).  Der  Patient  konnte  plötzlich  weder  feste  noch  flüssige 
Nahrung  hinunterschlucken.  Die  Untersuchung  mit  der  Sonde  er¬ 
gab  ein  Hinderniss  im  unteren  Theil  der  Speiseröhre,  die  auf  eine 
daselbst  befindliche,  wahrscheinlich  bösartige  Stenose  deutete.  Da 
gleichzeitig  complete  Harnverhaltung  in  Folge  einer  Prostatahyper¬ 
trophie  bestand,  wurde  die  Blase  local  behandelt,  worauf  die  Stenose 
der  Speiseröhre  sich  zurückbildete  und  als  eine  spastische  erwiesen 
Avurde.  —  (Central blatt  für  die  Krankheiten  der  Harn-  und  Sexual¬ 
organe.  Bd.  XI,  Heft  2.) 

* 

243.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  v.  Leyden 
in  Berlin.)  Zur  Serodiagnose  der  Tuberculose.  Von 
Dr.  B  e  n  d  i  x.  Die  Ergebnisse  der  angestellten  Untersuchungen  be¬ 
rechtigen  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Serumreaction  für  die  Früh¬ 
diagnose  der  Tuberculose  von  grösstem  Werthe  sein  kann.  Es 
wurde  in  nahezu  allen  Fällen  gefunden,  dass  das  Blutserum  I  uber- 
culöser  Tuberkelbacillen,  manchmal  sogar  noch  in  einer  Verdün¬ 
nung  von  1:50  zu  agglutiniren  im  Stande  war;  je  florider  die 
Phthise  war,  desto  geringer  war  die  Agglutinationskraft  des  Serums, 
ja  in  einigen  Fällen  mit  Aveitgehenden  Lungenzerstörungen  war 
überhaupt  keine  Agglutination  mehr  zu  bekommen.  Diese  Abnahme 
des  Agglutinationswerthes  des  Serums  bei  schweren  progressiven 
Phthisen  scheint  mit  der  Abnahme  der  Widerstandskraft  des  Orga¬ 
nismus  in  Parallele  zu  stehen.  —  (Deutsche  medicinische  V  ochen- 

schrift.  1900,  Nr.  14.)  Pi* 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Nach  den  Berichten  der  „Comptes  rendus“  konnte  Leprince 
als  wirksamen  Bestandtheil  der  Rinde  von  Cascara  sagrada  das  C  a  s- 
carin  herstellen,  das  gleichzeitig  als  Cholagogum  und  Laxans  wirkt. 
Die  Anwendung  erfolgt  in  Form  von  Pillen  (Leprince)  a  01  Gascaiin 
oder  von  „Elixir  Leprince“  auch  zu  0  1  Cascarin  im  Esslöffel. 
Dosis  01  —  0  3  pro  die  für  Erwachsene,  0  01 — 0*05  für  Kinder  über 
zwei  Jahren. 

* 

Ueber  den  Heilwerth  des  Urotropins.  Von  Doctor 
Grosglik  (Warschau).  Das  Urotropin,  ein  in  neuerer  Zeit  bei  in- 
fectiösen  Erkrankungen  der  Blase  häufig  angowendetes  und  \iel  g< 
rühmtes  Mittel,  ist  eine  Ammoniak-Formaldehyd  Verbindung,  von 
welcher  vermuthet  wird,  dass  es  im  Haine,  wo  es  schon  eine  hälfe 
Stunde  nach  der  Einverleibung  nachzuweisen  ist,  Formaldehyd  a  j- 
spalte  und  dadurch  stark  antiseptisch  wirke.  G  r  o  s  g  1 1  k  konnte  bei 
den  in  30  Fällen  angestellten  Untersuchungen  niemals  Formaldehyd 
im  Urin  nachweisen  und  kommt  daher  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  von 


«52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


anderer  Seite  behauptete  Spaltung  des  Urotropins  im  Organismus  sehr 
zweifelhaft  sei,  dass  es  ferner  keine  bactericiden  Wirkungen  im  Urin 
entfalte.  Es  besitzt  die  Eigenschaft,  für  sehr  kurze  Zeit  die  Entwick¬ 
lung  der  Bacterien  zu  hemmen;  in  dieser  Beziehung  besitzt  es  keinen 
Vorzug  vor  anderen  Mitteln,  wie  Salol,  salicylsaures  Natron,  Borsäure 
u.  s.  w.  Was  endlich  dessen  therapeutische  Wirkung  anbelangt,  ist 
Grosglik  nach  häufiger  und  langdauernder  Anwendung  des  Uro¬ 
tropins  zu  dem  Schlüsse  gekommen,  dass  die  verbreitete  Ansicht  über 
den  günstigen  Einfluss  des  Mittels  bei  infectiösen  Processen  in  den 
Harnorganen  eine  falsche  sei.  Dasselbe  hat  keinen  Vorzug  vor  den 
bisher  angewendeten  sogenannten  antiseptischen  Mitteln  und  erweist 
sich  gleich  ihnen  vollkommen  als  nutzlos,  wenn  es  sieh  um  chronische 
Processe  handelt.  —  (Centralblatt  für  die  Krankheiten  der  Harn-  und 
Sexualorgane.  Bd.  XI,  Heft  5.) 

* 

Das  J  o  d  a  1  b  a  c  i  d  in  der  heutigen  Therapie.  Von 
Prof.  Fasan  o  (Neapel).  Das  Mittel  wurde  manchmal  durch  Monate 
in  Tagesdosen  von  PO  —  P5  ohne  die  geringsten  Nebenerscheinungen 
und,  wie  Verfasser  versichert,  bei  Gicht,  Fettleibigkeit,  Arthritis  nodosa, 
Ischias,  Angina  pectoris,  Tachycardie,  Aneurysma,  Kropf  und  Syphilis 
mit  sehr  günstigem  Erfolge  verabreicht.  —  (Archivio  internazionale 
di  Medicina  e  Chirurgia.  Februar-März  1900.) 

* 

Ueber  die  Behandlung  rheumatischer  Affec- 
tionen  mit  jodsaurem  Natron.  Von  Dr.  Otto  (Aisleben). 
Verfasser  hat  00 — 70  Fälle  von  acutem  und  chronischem  Rheumatis¬ 
mus  mit  subcutaner  Injection  von  0  05  —  0  1  Natr.  jodic.  und  zwar 
angeblich  jedes  Mal  mit  Erfolg  behandelt.  Meist  genügte  eine  einzige 
Injection.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  4.) 

* 

Kreisphysicus  Bach  mann  (Ilfeld)  hat  gegen  Unterschen¬ 
kelgeschwüre  und  -ekzeme  den  Dy  e  s’schen  Aderlass 
und,  wie  aus  den  angeführten  13  Fällen  hervorgeht,  jede?  Mal  mit 
Erfolg  angewendet.  Gewöhnlich  wurden  150— 180  cm3,  aber  auch  mehr 
Blut  abeglassen.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  4.)  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Anlässlich  des  25jährigen  Professoren-Jubiläums  des  Vorstandes 
der  einen  der  beiden  Wiener  Kliniken  für  Dermatologie  und  Syphilis, 
Hofrath  Prof.  I.  Neumann’s,  veranstalteten  dessen  engere  Schüler 
eine  Feier  im  klinischen  Hörsaale,  der  zahlreiche  Studenten,  Aerzte, 
Vertreter  der  Behörden  und  Abordnungen  verschiedener  ärztlicher 
Vereine  beiwohnten.  Dem  Jubilar  wurde  eine  Festschrift  überreicht. 
Auf  die  vielfachen  Ansprachen  erwiderte  schliesslich  Hofrath  N  e  u- 
m  a  n  n  in  längerer  Rede  mit  einem  Rückblick  auf  die  Entwicklung 
der  von  ihm  vertretenen  Fächer:  Lehre  und  Forschung  seit  v.  Heb  ra 
und  seinem  Amtsvorgänger  v.  S  i  g  m  u  n  d. 

* 

Ernannt:  Tm  Stande  der  Wienor  Polizeidirection  die  Polizei 
bezirksärzte  Dr.  Sebastian  Deimel  und  kaiserlicher  Rath 
Dr.  Anton  Merta  zu  Polizei-Oberbezirksärzten.  - —  Prof.  Litten 
zum  a.  o.  Professor  mit  einem  Lehrauftrage  für  innere  Medicin  und 
Unfallerkrankungen.  —  E.  R  o  b  e  r  t  s  in  London  zum  Professor  der 
medicinischen  Klinik.  —  Dr.  Tri  com  i  zum  o.  Professor  der  chirur¬ 
gischen  Klinik  in  Messina.  —  In  Chicago:  Dr.  Brower  zum 
Professor  der  Neurologie  und  Psychiatrie  und  Dr.  W  e  1  c  h  zum  Pro¬ 
fessor  der  Therapeutik  und  Materiae  medica. 

* 

Verliehen:  Dem  Landes-Sanitäts-Inspector  in  Triest  Doctor 
Emil  Meer  aus,  dem  See-Sanitätsarzte  Dr.  Wilhelm  Strasser 
und  dem  Stadtphysicus-Stellvertreter  der  Gemeinde  Triest  Dr.  Hadrian 
Mer  lato  das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef  Ordens.  —  Dem  gewesenen 
Lloydarzte  Dr.  Hans  Dittrich  das  goldene  Verdienstkreuz  mit 
der  Krone.  —  Dem  praktischen  Arzte  in  Graz  Dr.  J  ohann  E  r  1 1 
der  Titel  eines  kaiserlichen  Rathes. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Orecchia  in  Genua  für  Chirurgie.  —  In 
Petersburg:  Dr.  Blumen  au  für  innere  Medicin  und  Dr.  Oleini- 
k  o  w  für  Bacteriologie. 

* 

In  der  am  2.  Juli  d.  J.  abgehaltenen  Sitzui  g  des  nieder- 
österreichischen  Landes-Sanitäts  rathes  wurden  Ile 
ferate  erstattet :  1 .  Ueber  das  Auftreten  der  Hunds  w  u  t  h  i  n 

Nieder  Österreich  und  speciell  in  Wien,  sowie  über  die  aus 
diesem  Anlasse  bereits  getroffenen  und  noch  zu  treifenden  Massnahmen. 
2.  Ueber  die  Errichtung  eines  Asyl  es  für  verkrüppelte 


Kinder  in  einem  zu  diesem  Zwecke  zu  adaptirenden  Schlosse  in 
Niederösterreich.  3.  Ueber  die  Errichtung  eines  Blinden¬ 
heims  in  einer  Stadtgemeiude  ausserhalb  Wiens.  4.  Ueber  die 
Einrichtung  von  Pflegerin  neue  ursen  im  k.  k.  Allge¬ 
meinen  Krankenhause  in  W  i  e  n.  5.  Ueber  die  in  einem  Wiener 
Privatspitale  vorzunehmenden  Adaptirungen.  G.  Ueber  die  Errichtung 
einer  neuen  öffentlichen  Apotheke  in  einer  Gemeinde 
Niederösterreichs. 

* 

Die  Vorarbeiten  für  die  72.  Versammlung  Deutscher 
Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  sind  jetzt  schon  so 
weit  gediehen,  dass  das  allgemeine  wissenschaftliche  Programm  fest- 
steht.  Montag,  den  17.  September  findet  eine  allgemeine  Sitzung  statt, 
in  welcher  ein  Uoberblick  über  die  Fortschritte  der  Naturwissen¬ 
schaften  und  der  Medicin  im  XIX.  Jahrhundert  von  hervorragenden 
Vertretern  der  Einzelfächer  gegeben  wird.  —  Es  werden  sprechen: 

1.  van  t'H  o  f  f  (Berlin).  Ueber  die  anorganischen  Naturwissenschaften. 

—  2.  O.  11  er  twig  (Berlin).  Ueber  die  Entwicklung  der  Biologie.  — 
3.  Naunyn  (Strassburg).  Ueber  die  innere  Medicin  einschliesslich 
Bacteriologie  und  Hygiene.  —  4.  C  h  i  a  r  i  (Prag).  Ueber  die  patho¬ 
logische  Anatomie  mit  Berücksichtigung  der  äusseren  Medicin.  — 
Eine  zweite  allgemeine  Sitzung  findet  Freitag,  den  21.  September 
statt,  in  welcher  einige  zur  Zeit  die  wissenschaftliche  Welt 
bewegende  Fragen  besprochen  werden :  1 .  Julius  Wolff 

(Berlin).  Ueber  die  Wechselbeziehungen  zwischen  Form  und  Function 
der  einzelnen  Gebilde  des  Organismus  (mit  Demonstrationen). 

2.  E.  v.  Drygalski  (Berlin).  Plan  und  Aufgaben  der  deutschen 

Südpolarexpedition.  —  3.  D.  Hanse  mann  (Berlin).  Einige  Zell¬ 

probleme  und  ihre  Bedeutung  für  die  wissenschaftliche  Begründung 
der  Organtherapie.  —  4.  Holzapfel  (Aachen).  Ausdehnung  und 

Zusammenhang  der  deutschen  Steinkohlenfelder.  —  Mittwoch,  den 
19.  September  tagen  die  medieinische  und  die  naturwissenschaftliche 
Hauptgruppe  getrennt.  In  der  medicinischen  Hauptgruppe  wird  über 
der  heutigen  Stand  der  „Neuronenlehre“  in  anatomischer,  physiologi¬ 
scher  und  pathologischer  Beziehung  von  den  Herren  V  er  worn  (Jena) 
und  Nissl  (Heidelberg)  ausführlich  referirt.  In  der  naturwissen¬ 
schaftlichen  Hauptgruppe  werden  folgende  Vorträge  gehalten: 

1.  M.  W.  Beyer  ink  (Delft).  Der  Kreislauf  des  Stickstoffes  im  or¬ 
ganischen  Leben.  —  2.  E.  F.  Dürre  (Aachen).  Die  neuesten  For¬ 

schungen  auf  dem  Gebiete  des  Stahles.  —  3.  P  i  e  tz  k  e  r  (Nordhauson). 
Sprachunterricht  und  Fachunterricht  (vom  naturwissenschaftlichen 
Standpunkt).  —  Die  übrige  Zeit  ist  der  Arbeit  in  den  38  Abtheilun¬ 
gen  Vorbehalten.  Es  sind  schon  über  300  Vorträge  dazu  angemeldet. 
Gleichzeitig  tagt  eine  Reihe  wissenschaftlicher  Vereine:  Die  fünfte 
Jahresversammlung  des  Vereines  abstinenter  Aerzte,  der  Verein  für 
Schulhygiene  und  andere.  In  Verbindung  mit  der  Naturforscher¬ 
versammlung  findet  eine  Ausstellung  physikalischer,  chemischer 
und  medicinischer  Präparate  und  Apparate  statt. 

AE. 

Mit  Bezug  auf  die  in  Paris  anlässlich  des  Congresses  statt¬ 
findenden  Festlichkeiten,  deren  bereits  pag.  585  dieser  Wochenschrift 
Erwähnung  gethan  wurde,  sind  folgende  Veränderungen  nachzutragen: 

2.  August  Empfang  beim  Conseilspi  äsidenten,  am  3.  August  beim 
Präsidenten  des  Congresses,  am  5.  August  eine  vom  Congresscomite 
veranstaltete  Festlichkeit,  am  7.  August  Empfang  von  Seite  des  Ge- 
meinderathe3  und  am  9.  August  Empfang  beim  Präsidenten  der  Re¬ 
publik  im  Palais  del  Elysee. 

* 

Im  Verlage  von  L  a  u  p  p  in  Tübingen  ist  von  den  „Schemata 
zum  Einschreiben  von  Befunden  für  Untersuchun¬ 
gen  am  menschlichen  Körper“  das  zweite  Heft  erschienen.  Das¬ 
selbe  enthält  die  üblichen  Schemata  ohne  eingezeichnetes  Skelet;  ein 
drittes  Heft:  „Nerven  Schemata“  ist  in  Vorbereitung.  Preis  M.  — .40 

* 

Die  vom  Professor  der  pathologischen  Anatomie  Dr.  F.  Mar¬ 
ch  a  n  d  in  Leipzig  im  Mai  d.  J.  gehaltenen  Antrittsvorlesung  „U  eher 
die  natürlichen  Schutzmittel  des  Organismus“  ist 
bei  A.  Barth  in  Leipzig  in  Form  einer  Broschüre  erschienen. 
Preis  M.  1. — . 

* 

Unter  dem  Titel  „Pharmacopoea  Policlinices 
B  a  s  i  1  i  e  n  s  i  s“  hat  Prof.  M  a  s  s  i  n  i  im  .Verlage  von  Schwabe  in 
Basel  eine  Zusammenstellung  der  nach  der  schweizerischen  Pharma¬ 
kopoe  gebi äuchlichsten  Heilmittel  heraufgegeben  und  den  einzelnen 
Mitteln  die  Angabe  einer  billigen  Verordnungsweise  beigefügt. 


Nr.  28 


("53 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München.  Vom  17.  -22.  September  1899.  (Fortsetzung.) 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Fortsetzung.) 

Section  für  Dermatologie  und  Syphilis. 

Sitzung  am  20.  September  1899  Morgens. 

Vorsitzender:  Kollmann  (Leipzig). 

V.  S  i  e  b  e  r  t  (München) :  U  e  b  e  r  Syphilis  infantilis. 
(Fortsetzung.) 

Welander  wandte  ursprünglich  die  graue  Salbe  an,  in  letzter 
Zeit  wurden  von  seinen  Schülern  Versuche  mit  Mercuriol,  einem 
Quecksilberamalgam,  veröffentlicht. 

Da  ich  glaubte,  dass  aus  einem  trockenen  Substrat  das  Queck¬ 
silber  besser  verdunste,  als  aus  einem  fetten,  so  wandte  ich  statt  der 
Quecksilbersalbe  Hydrargyrum  cum  Creta  an,  welches  eine  Zusammen¬ 
reibung  von  40  Quecksilber  zu  60  Kreide  darstellt.  Wir  gaben  den 
Müttern  einfach  ein  Stück  Lint  mit,  circa  20mal  40  cm,  das  einfach 
zusammengefaltet  wurde,  mit  der  Mullseite  nach  aussen  und  der  Woll- 
seite  nach  innen.  Der  Apotheker  streicht  dann  zwischen  die  beiden 
Blätter  6 — 10#  Hydiargyrum  cum  Creta,  das  von  den  Wollfäserchen 
in  feiner  Vertbeilung  erhalten  wird. 

Die  Mütter  werden  dann  angewiesen,  das  Säckchen  an  den  drei 
offenen  Seiten  zuzunähen. 

Das  Säckchen  wird  alle  vier  bis  sechs  Tage  gewechselt.  Längere  Zeit 
das  Säckchen  tragen  zu  lassen,  empfiehlt  sich  nicht,  weil  nach  einigen 
Tagen  sich  das  Quecksilber  doch  zusammenballt  und  in  Form  von 
Kügelchen  zwischen  den  Fadenzügen  zum  Vorschein  kommt.  Sie  sehen, 
die  Medication  ist  eine  äusserst  einfache. 

Dass  mit  dieser  Methode  wirklich  Quecksilber  dem  Körper  ein¬ 
verleibt  wird,  hat  Welander  schon  durch  seine  Versuche  nachge¬ 
wiesen ;  ich  glaubte  deshalb  auf  Urinuntersuchungen  verzichten  zu 
dürfen.  Man  bekommt  von  der  Wavteperson  unter  poliklinischen  Ver¬ 
hältnissen  zu  unregelmässig  Urin  geliefert  und  in  der  Poliklinik  selbst 
Säuglinge  zu  katheterisiren,  halte  ich  für  eineu  Eingriff,  den  man 
nicht  ohne  zwingende  Gründe  machen  soll. 

Dass  Quecksilber  auf  diese  Weise  resorbirt  wird,  zeigte  auch 
das  Auftreten  von  Stomatitis  mercurialis,  von  der  wir  einige  typische 
Fälle  beobachtet  haben. 

Im  Ganzen  haben  wir  21  Kinder  mit  W  e  1  a  n  d  e  r’schen  Säck¬ 
eln  n  behandelt,  darunter  zwrei  ältere  mit  erworbener  Syphilis.  4  im 
ersten  Monat,  61  im  zweiten  Monat,  4  im  dritten  Monat,  4  im  vierten 
Monat,  eins  war  D/2  Jahre  alt. 

7  wurden  geheilt  entlassen,  davon  wurden  5  nach  einem  Zeit¬ 
raum  von  mindestens  einem  Vierteljahr  wieder  vorgestellt  ohne  neue  Er¬ 
scheinungen  von  Lues.  Bei  drei  Kindern  wurde  in  der  Kranken¬ 
geschichte  bedeutende  Besseiung  verzeichnet,  aber  sie  warteten  die 
definitive  Heilung  nicht  ab. 

7  .Fälle  entzogen  sich  so  früh  der  Behandlung,  dass  sie  nicht 
verwerthet  werden  können. 

4  sind  noch  in  Behandlung,  aber  bedeutend  gebessert. 

Zwei  Todesfälle,  der  eine  innerhalb  einer  unvollendeten  Behand¬ 
lung,  welche  Besserung  erzielte,  der  andere  drei  Monate  nach  Heilung 
an  Pneumonie  und  Gastroenteritis. 

Bei  den  geheilten  Fällen  fünfmal  Koiyza.  Infiltration  der  Lippe 
und  Rhagaden.  Diffuses  Palmar-  und  Plantarsyphilid  dreimal.  Parony¬ 
chien  einmal.  Papulöses  Syphilid  am  Körper  und  Extremitäten  dreimal. 
Papulöses  Syphilid  an  den  Fusssohlen  einmal.  Rupia  einmal.  Papeln 
in  der  Analgegend  zweimal.  Die  Fälle,  die  geheilt  wurden,  waren  drei 
bis  sechs  Wochen  in  Behandlung;  Redner  Hess  aber  noch  weitere 
14  Tage  die  Säckchen  tragen.  In  keinem  dieser  Fälle  Hess  sich  Er¬ 
nährung  durch  Muttermilch  durchsetzen. 

Das  Resultat  der  Untersuchungen  war  folgendes:  Die  \\  e  1  a  n- 
der’sche  Methode  ist  bei  Kindern  eine  äusserst  praktische  und  ein¬ 
fache,  sie  ist  zweitens  eine  sehr  wirksame  Cur,  wenn  sie  auch  au 
Heilungsdauer  der  Schmierern-  nachsteht,  sie  ist  drittens  eir.e  verhält- 
nissmässig  milde  Cur. 

Die  Prognose  für  hereditär  luetische  Kinder  wird  durch  die 
Behandlung  mit  der  W  e  1  a  n  d  e  r’schen  Methode  nicht  wesentlich  ge¬ 


ändert.  Seit  den  Veröffentlichungen  II  o  c  h  s  i  n  g  e  r’s  ist  man  ja  von 
dem  Pessimismus,  der  früher  herrschte,  abgekommen.  Unsere  Todes¬ 
fälle  bilden  für  die  Statistik  keinen  Anhalt,  da  man  nicht  weiss,  wie 
viel  unter  den  Kindern,  von  denen  wir  keine  Nachricht  bekommen 
konnten,  gestorben  sind. 

Barlow  (München)  hat  in  einer  kleinen  Anzahl  Fälle,  welche 
er  nach  der  W  e  1  a  n  d  e  r’schen  Methode  behandelt  hat  (Erwachsene), 
kein  Quecksilber  im  Urin  nach  mehrwöchentlichem  ’Fragen  des  Säck¬ 
chens  nachweisen  können.  Auch  ein  therapeutischer  Erfolg  wurde  nicht 
erzielt. 

* 

Section  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Bulin). 

IV.  Sitzungstag. 

Gemeinschaftliche  Sitzung  mit  der  Section  für 

Gynäkologie. 

Vorsitzender:  Braun  (Göttingen). 

S  a  r  \v  e  y  (Tübingen) :  Ueber  Händedesinfections- 
v  er  sue  he.  (Fortsetzung.) 

Vorstehende  Ergebnisse  lassen  sich  dahin  zusammenfassen: 

Normale  mit  zahlreichen  Keimen  behaftete 
Tages  bände  erleiden  durch  die  Ileisswasser-Alko- 
hol-Desinfectiom  (nach  A  h  1  f  e  1  d's  Angaben)  eine  der¬ 
artige  Aenderung  in  ihrer  bacteriolog  Ischen  Be¬ 
schaffenheit,  dass  ihnen  im  Vergleiche  zu  vorher 
nur  sehr  wenige  Keime  mit  harten  Hölzchen  ent¬ 
nommen  werden  können.  Nach  längerem  Aufenthalte 
der  Hände  im  warmem  Wasser  und  wiederholter 
mechanischer  Bearbeitung  wird  die  Abnahme  von 
mehr  oder  weniger  zahlreichen  Keimen  in  allen 
Fällen  ermöglicht.  (Autoreferat.) 

Discussion:  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  (Tübingen)  hat  dasselbe  Resultat 
wie  mit  Sublimat- Alkohol  auch  mit  Permanganat-Salzsäure  erreicht. 
Nach  anfänglich  oberflächlicher  Sterilität  kamen  die  Keime  aus  der 
Tiefe  beim  Abschilfern  der  Hände  wieder  herauf.  In  der  liefe  werden 
wir  immer  Keime  haben,  die  wir  mit  den  üblichen  Methoden  nicht 
wrerden  beseitigen  können.  Hiergegen  bieten  nur  die  Operations- 
Handschuhe  Schutz,  aber  nicht  die  Tricotbandschuhe,  die  eher  eine 
Einwucherung  und  Ansammlung  begünstigen  und  eine  Verschlech¬ 
terung  der  Asepsis  bedeuten,  sondern  nur  die  impermeablen  Gummi¬ 
handschuhe. 

K  r  ö  n  i  g  (Leipzig)  hat  dieselben  Resultate  mit  ganz  bestimmten 
Bacterienarten  schon  vor  einigen  Jahren  publieiit.  Die  Ergebnisse 
der  Versuche  von  S  a  r  w  e  y  und  Paul  scheinen  ihm  höchst  zweifel¬ 
haft  zu  sein,  einmal  wegen  verschiedener  Zufälligkeiten,  die  dabei  ein- 
treten  können,  dann  aber  auch  wegen  des  Materiales.  Ausserdem  sind 
diese  Versuche  nicht  zuerst  von  Ahlfeld,  sondern  von  Reinecke 
gemacht  und  von  ihm  zuerst  nachgeprüft  worden.  Die  Desinfection 
mit  Alkohol  ist  nur  eine  Scheindesiufection,  weil  nach  der  Ileisswassei- 
behandlung  wieder  viel  Bacterien  an  die  Oberfläche  kommen.  Auch 
die  F  ü  r  b  r  i  n  g  e  r’sche  Heisswasser-Alkohol-Sublimatdesinfection  ist 
nicht  im  Stande,  zu  sterilisiren.  Er  ist  dafür,  lieber  den  Alkohol  fort¬ 
zulassen  und  mit  heissem  Wasser  und  Seife,  dann  mit  Sublimat  zu 
desinficiren. 

Reinbach  (Breslau)  betont,  dass  seit  Anwendung  der  in  der 
Breslauer  Klinik  üblichen  Zwirnhandschuhe  die  Resultate  der  Operationen 
sich  erheblich  gebessert  haben. 

Kümmel  (Hamburg)  hält  den  Gebrauch  der  Zwirnhandschuhe 
für  einen  Rückschritt,  glaubt  aber  in  den  Gummihandschuhen  einen 
wesentlichen  Vortheil  zu  erblicken. 

v.  Eiseisberg  (Königsberg)  glaubt  ebenfalls,  dass  mit 
heissem  Wasser  und  Alkohol  keine  Sterilität  erreicht  werden  könne, 
aber  mit  nachfolgendem  Sublimat.  Er  habe  auch  die  Erfahrung 
gemacht,  dass  von  den  behandschuhten  Fingern  mehr  Keime  auf¬ 
gegangen  sind. 

.  * 


654 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


Abtheil  ungssitzung. 

Vorsitzender:  Braun  (Göttingen). 

V.  Reinbach  (Breslau):  Erfahrungen  über  die 
Therapie  des  Kropfes  in  der  M  i  k  u  1  i  c  z’s  c  h  e  n  Klinik. 

Nach  einem  Hinweis  auf  den  Standpunkt  der  Klinik  in  der 
Frage  der  Ge\vebssaftthera2)ic  berichtet  Vortragender  kurz  über  die 
chirurgische  Behandlung  der  Strumen. 

Seitdem  Mikulicz  die  Breslauer  Klinik  leitet,  sind  162  gut¬ 
artige  Kröpfe  operirt  worden;  158  geheilt,  4  gestorben.  Dazu  kommen 
18  Basedow-Kröpfe  mit  einem  Todesfall;  das  Material  setzt  sich 
aus  Fällen  zusammen,  die  meist  schwer  sind,  speciell  Compressions- 
erscheinungen  der  Luftwege  und  secundäre  Veränderungen  zeigen. 
31  Fälle  waren  retrosternale,  beziehungsweise  intrathoracische  Strumen, 
2  retrovisceral. 

Die  Function  mit  folgender  Injection,  die  Arterienunterbindung 
sind  aufgegeben.  Stets  werden  Drüsentheile  selbst  entfernt.  Bei  dem 
heutigen  Stand  der  Technik  ist  die  Operation  auch  aus  kosmetischen 
Rücksichten  unbedingt  indicirt.  Die  S  c  h  1  e  i  c  h’sche  Infiltrations¬ 
anästhesie  wird  in  den  schwersten  Fällen  principiell  angewendet,  in 
leichten  wird  auf  ihrer  Anwendung  nicht  bestanden.  Bei  leichten  ein¬ 
seitigen  Operationen,  besonders  Enucleationen  werden  Längsschnitte 
und  Schrägschnitte  noch  angewendet,  bei  Operat'onen  an  beiden  Lappen 
der  Kocher’sche  Kragenschnitt  bevorzugt.  Es  entstehen  schöne 
Narben,  welche  sich  später  noch  nach  unten  retrahiren.  Die  Kropf¬ 
wunden  werden  vollständig  geschlossen,  die  Enucleation 
(S  o  c  i  n)  wird  als  das  souveräne  Verfahren  bei  isolirten  Knoten 
und  Cysten  betrachtet.  Mortalität  von  62  Fällen  0n/o  (nach  Rever- 
d  i  n’s  Sammelstatistik  0'78%).  Bei  multiplen  Knoten  ist  die  Re¬ 
section  nach  Mikulicz  vorzuziehen.  Dieses  Verfahren  wird  prin¬ 
cipiell  in  allen  Fällen  angewendet,  wTo  nicht  die  Enucleation 
indicirt  ist;  es  kann  nur  nochmals  auf  das  Wärmste  empfohlen 
werden.  Vortragender  erinnert  kurz  an  die  Technik  dieser  Methode, 
deren  letzter  Act,  die  eigentliche  Resection,  seit  fünf  Jahren  so 
ausgeführt  wird,  dass  ein  mittlerer  Keil  aus  dem  Drüsenlappen 
entfernt  wird  und  die  zurückbleibenden  Seitenflügel  sofort  durch 
tiefe  Parenchymnähte  zu  einer  gleichsam  primären  Vereinigung  gebracht 
werden. 

Stets  werden  beide  kropfig  entartete  Lappen  resecirt. 

Vortragender  erläutert  die  Vorzüge  der  Resection  nach 
Mikulicz  und  weist  vor  Allem  auf  die  Vortheile  des  Verfahrens 
gegenüber  der  halbseitigen  Exstirpation  hin. 

Die  Mortalität  beträgt  auf  80  Resectionen  der  Klinik  3-75°o 
(nach  Re  ver  din’s  Sammelstatistik  6'6nn  bei  Hinzurechnung  der  12 
sehr  schweren  Enucleationsresectionen,  die  nun  alle  geheilt  sind, 
nur  3'2%.  Die  Resultate  der  halbseitigen  Excisionen  nach  der 
jüngsten  Statistik  der  C  z  e  r  n  y’schen  Klinik  zeigen  fast  die  gleichen 
Zahlen  (3%). 

Vortragender  erwähnt  noch  kurz  einiges  von  den  unmittelbaren 
Folgen  der  Operation,  erinnert  an  das  eigenartige  Verhalten  der  Tem¬ 
peratur  nach  Kropfoperationen  und  geht  zum  Schluss  noch  auf  die 
Enderfolge  ein.  In  keinem  Falle  trat  Tetanie  oder  Myxödem  ein, 
nur  in  einem  Falle  (CreFnismus)  ein  sicheres  Recidiv. 

VI.  Helfe  rieh  (Kiel) :  U  e  b  e  r  Operationen  an  der 
Kniescheibe. 

II  elf  er  ich  beschränkt  sich  wregen  der  Kürze  derZeit  auf  zwei 
kleine  Mittheilungen: 

1 .  Operatives  Verfahren  bei  älteren  Patellar- 
fracturen  mit  erheblicher  Trennung  der  Bruch¬ 
stücke.  Eine  bessere  Annäherung  der  Fragmente  ist  nach  breiter 
Eröffnung  des  Kniegelenkes  immer  möglich;  aber  eine  völlige  Ver¬ 
einigung  ist  nur  möglich  durch  Annäherung  der  Ansatzpunkte 
des  Ligamentum  patellare  (Abmeisselung  und  Verschiebung  der 
Tuberosae  tibiae)  oder  des  Quadriceps  (theorelisch  möglich  durch  Re¬ 
section  eines  Stückes  aus  der  Femurdiaphyse),  oder  durch  eine 
Knochenplastik  an  der  Patella  selbst.  Letztere  ist  kürzlich  in  Form  der 
Bildung  eines  kleinen  Knochenlappens  empfohlen  worden.  Helfe  rieh 
hat  schon  vor  zwei  Jahren  zwei  Fälle  so  operirt,  dass  er  steri lisirte 
spongiöse  Knochenscheiben  von  angemessener  Form  und  Grösse  in  den 
Spalt,  respective  Defect,  zwischen  die  Patellarfragmente  implantirte  und 
dann  die  Silberdrahtnähte  darüber  vereinigte.  An  drei  Gelenkeu  orzielte 
Helfer  ich  auf  diese  Weise,  bei  aseptischem  Verlauf,  recht  befrie¬ 
digende  Resultate. 

2 .  Ein  V  o  r  s  c  h  1  a  g  zur  Behandlung  der  durch 
knöcherne  Verwachsung  der  Patella  verursachten 
Kniegelenksankylosen. 

Bei  Fällen  dieser  Art  kann  eine  vorhandene  ganz  geringe  Be¬ 
weglichkeit  den  Beweis  dafür  liefern,  dass  in  der  That  das  Kniegelenk 
im  Uebrigen  seine  Bewegungsfähigkeit  nicht  eingebiisst  hat.  Wenn 
durch  das  unblutige,  mechanische  Behandlungsverfahren  nichts  zu  er¬ 
reichen  ist,  die  einfache  Absprengung  der  Patella  nicht  genügt,  so 


könnte  eine  Interposition  von  Muskelsubstanz  in  der  Weise  herbei¬ 
geführt  werden,  dass  eine  Schichte  des  M.  vastus  internus  mit  der 
Basis  des  Lappens  gegen  die  Kniescheibe  abpräparirt  und  breit 
zwischen  Patella  und  Femur  gelagert  würde.  An  der  Hand  von  ana¬ 
tomischen  Abbildungen  wird  die  technische  Möglichkeit  des  Verfahrens 
dargethan.  Helfe  rieh  stützt  sich  hier  auf  seine  Erfahrung  mit  künst¬ 
licher  Muskelinterposition  bei  reiner  knöcherner  Kiefergelenkankylose, 
welche  in  seinem  Falle  ein  dauernd  gutes  Resultat  ergeben  und  auch 
in  seitdem  nach  gleichem  Princip  operirten  Fällen  sich  nützlich  er¬ 
wiesen  hat. 

Discussion:  Müller  (Aachen)  glaubt,  dass  da,  wo  die  Patella 
angewachsen  ist,  auch  das  Knie  steif  ist,  dass  also  eine  Interposition 
von  Muskeln  überflüssig  erscheint. 

VII.  S  t  e  i  n  t  h  a  1  (Stuttgart) :  Zur  Nachbehandlung 
schwerer  Unterleibsoperationen. 

Steinthal  empfiehlt  bei  allen  jenen  Zuständen,  welche  auf 
Herzschwäche  beruhen,  in  erster  Linie  methodische  Kochsalzinfusionen. 
Er  macht  deshalb  bei  allen  jenen  Kranken,  welche  doch  meist  ziemlich 
elend  zur  Gastroenterostomie  kommen,  entweder  schon  vor,  jedenfalls 
aber  unmittelbar  nach  der  Operation  eine  intravenöse  Infusion  von 
1 — 1  'l2 1  und  wiederholt  dieselbe  in  den  ersten  vier  bis  sechs  Tagen 
zweimal  täglich,  ein  Eingriff,  der  weitere  Schwierigkeiten  nicht  macht, 
weil  die  Vene  immer  nur  durch  eine  Ligatur  in  Schleifenform  ge¬ 
schlossen  wird.  Die  intravenöse  Infusion  wird  der  subcutanen,  respec¬ 
tive  Rectalinfusion  vorgezogen,  weil  gleichzeitig  in  den  ersten  drei 
Tagen  nach  der  Operation  zweimal  täglich  je  40  cj  sterilisirtes  Olivenöl 
nach  dem  Vorgänge  Leube’s  unter  die  Haut  gespritzt  und  daneben 
öfter  Nährklystiere  (’/gZ  Milch  mit  30  g  Pepton,  respective  30  g  Amv- 
lum)  verabfolgt  werden.  Die  methodischen  Salzwasserinfusionen  sind  des 
weiteren  bei  allen  ausgebluteten  Kranken  (Uteruscarcinome,  Uterus- 
myomo),  die  zur  Operation  kommen,  in  prophylaktischer  Weise  dringend 
zu  empfehlen,  auch  ohne  dass  bedrohliche  Erscheinungen  auftreten.  Bei 
acutesten  Anämien  wie  bei  geplatzter  Tubengravidität  verstehen  sie  sich 
von  selbst.  Diese  Grundsätze  wurden  seit  IV2  Jahren  am  Stuttgarter 
Diaconissenhaus  befolgt  und  haben  sich  an  einem  Krankenmaterial  von 
130  peritonealen  Operationen  (die  Herniotomien  nicht  mit  eingerechnet) 
sehr  gut  bewährt. 

Discussion:  Lau  enstein  (Hamburg)  empfiehlt  dringend 
gegenüber  der  intravenösen  Infusion,  die  auch  er  in  der  Cholerazeit 
erprobt  hat,  die  subcutane  Infusion  wegen  der  weit  geringeren  Gefähr¬ 
lichkeit  zu  machen. 

Braun  (Göttingen)  macht  ebenfalls  Infusionen  von  Kochsalz 
und  Oel  in  die  Gegend  der  Clavicula  und  in  den  Oberschenkel.  Die 
Todesfälle,  die  er  beobachtet  hat,  haben  nicht  Herzschwäche,  sondern 
meistens  Lungenaffectionen  als  Ursache  gehabt. 

Steinthal  (Stuttgart)  demonstrirt  noch  zwei  Präparate. 

VIII.  Alberti  (Potsdam) :  Ueber  rasch  ungen  bei 
Operationen  der  Perityphlitis. 

Bei  einer  Patientiu,  deren  Ileuserscheinungen  nach  zwei  Tagen 
geschwunden  waren,  blieb  ein  Tumor  rechts  unten  bestehen.  In  der 
Annahme,  dass  ein  perityphlitischer  Abscess  vorlag,  wurde  die  Lapa¬ 
rotomie  gemacht,  und  es  stellte  sich  heraus,  dass  es  sich  um  eine 
typhöse  Schwellung  der  Darmschleimhaut  handelte.  In  einem  anderen 
Falle,  wo  nach  Entfernung  des  Appendix  noch  wochenlange  Be¬ 
schwerden  bestanden,- fand  er  bei  erneuter  Laparotomie,  dass  diese,  die 
dieselben  Erscheinungen  wie  die  Appendicitisbeschwerden  machten,  von 
einem  Diverticulum  ilei  ausgingen. 

Discussion:  Lauenstein  (Hamburg)  beanständet  die  Be¬ 
zeichnung  :  Perityphlitis-Operationen.  Es  ist  in  diesen  Fällen  keine 
Perityphlitis  dagewesen. 

* 

V.  Sitzungstag. 

Vorsitzender:  Lauensteill  (Hamburg). 

I .  Emmerich  (Nürnberg) :  Anregung  zur  Schaffung 
eines  Museums  der  Heilkunde  für  das  Germanische 
Museum  in  Nürnbe  r  g. 

II.  K  e  1 1  i  n  g  (Dresden) :  Beitrag  zur  Gastrostomie 
und  Jejunostomie. 

Redner  empfiehlt,  in  Fällen,  bei  welchen  der  Magen,  respective 
Darm  stark  contrahirt  ist,  denselben  erst  durch  Aufblasen  mit  Luft  zu 
entfalten  und  dann  die  Fistel  nach  Witzei  anzulegen.  Ein  Netz¬ 
zipfel  wird  als  Schutzdecke  darauf  genäht  und  der  Magen,  respective 
Darm  nur  mit  vier  Nähten  um  den  Drain  herum  an  die  Bauchdecke 
befestigt.  Die  Schrägcanäle  werden  im  Laufe  der  Zeit  gerade  durch 
die  Drucksteigerungen  de3  Mageninhaltes  beim  Anwenden  der  Bauch 
presse.  Um  dies  zu  vermeiden,  wird  empfohlen,  statt  der  gewöhnlichen 
Drains  einfache  Ventilcanulen  zu  verwenden. 


Nr.  28 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


655 


III.  Kelling:  Resorbir  barer  Dar'mknopf. 

Dieser  Knopf  besteht  aus  leicht  resorbirbarem  Material  und  ist 
so  construirt,  dass  er  vor  der  Einwirkung  der  Verdauungssäfte 
gänzlich  geschützt  ist,  so  lange  die  zwischen  den  Knopfbälften 
gequetschte  Darmwand  nicht  nekrotisch  geworden  und  der  Knopf  ab¬ 
gefallen  ist. 

IV.  Braun  (Göttingen) :  Die  diagnostische  Bedeu¬ 
tung  acuter  Ergüsse  in  die  Bauchhöhle. 

Braun  hält  den  Erguss  in  die  Bauchhöhle  für  ein  werthvolles 
Kennzeichen  von  Abschnürungen  und  Einklemmungen.  Er  berichtet 
über  die  Literatur  dieser  Fälle  und  der  experimentellen  Unter¬ 
suchungen,  durch  Abschnürung  Flüssigkeit  in  der  Bauchhöhle  zu  er¬ 
zeugen.  Er  selbst  hat  dieses  Symptom  4mal  bei  Achsendrehung, 
2mal  bei  Umschnürung  durch  ein  Hecke  l’sches  Divertikel,  2mal  bei 
Adhäsionen,  lmal  bei  Invagination  beobachtet.  Das  Symptom  kann 
ausbleiben,  wenn  die  Umschnürung  entweder  zu  lose  ist,  so  dass  der 
Abfluss  nicht  ganz  gehemmt  wird,  oder  zu  fest,  wenn  Vene  und  Arterie 
abgeschnürt  werden.  Dies  hat  er  z.  B.  in  einem  Falle  beobachtet,  wo 
der  ganze  Darm  torquirt  war.  Das  Aussehen  des  Ergusses  bei  voll¬ 
kommener  Einklemmung  ist  blutig,  serös  bei  unvollkommener  Ab¬ 
schnürung  (eingeklemmte  Hernie).  Das  Auftreten  des  Ergusses  ist 
nicht  ganz  constant,  wenn  er  aber  vorhanden  ist,  dann  ist  er  ein 
werthvolles  diagnostisches  Zeichen  für  eine  Abschnürung  und  indicirt 
die  Laparotomie.  Bei  sanguinolentem  Erguss  muss  das  Hinderniss  un¬ 
bedingt  aufgesucht,  nicht,  wie  Czerny  will,  nur  ein  künstlicher  After 
angelegt  werden. 

V.  T  o  n  t  a  (Mailand) :  Multiple  Divertikel  des 
Colons. 

T  o  n  t  a  hat  einen  Fall  von  multiplen  Darmdivertikeln  bei  einem 
70  Jahre  alten  Mann  beobachtet,  auf  Grund  dessen  er  zu  dem  Schluss 
kommt,  dass  kein  Unterschied  zwischen  wahren  oder  falschen  Diver¬ 
tikeln  hier  gemacht  werden  könne,  sondern  dass  auch  die  mikrosko¬ 
pischen  Divertikel  wahre  Divertikel  sein  müssen.  Seine  Beobachtungen 
des  Falles  fasst  er  folgendermassen  zusammen  : 

Anatomische  Diagnose  :  Kleinknotige  Tuberculose  der  Lunge  mit 
käsiger  Pneumonie.  Adhäsive  Pleuritis.  Nebenbefunde  :  Multiple  Diver¬ 
tikel  im  Dickdarm,  Miliartuberculose  des  Darms.  An  den  unteren 
Seiten  des  Colon  transversum  zeigen  sich  divertikelartige  Ausstülpungen, 
die  dunkel  gefärbt  sind,  ungefähr  acht.  Zwischen  Netz  und  Cöcum 
eine  dünne  Spange.  Unterer  Theil  des  Cöcums  derb  mit  Knötchen 
bedeckt;  Wurmfortsatz  klein,  adhärent.  Im  kleinen  Becken  eine  geringe 
Menge  seröser  Flüssigkeit. 

Im  Colon  transversum  und  descendens  zeigen  sich  umschriebene 
flache  Blutungen  in  der  Serosa.  An  der  Innenfläche  solcher  Stellen 
zeigt  sich  bei  Ausspannung  des  Darms  eine  leichte,  flache  Vertiefung. 
Darmwand  daselbst  deutlich  verdünnt.  Dieses  Verhalten  wiederholt 
sich  an  sämmtlichen  der  erwähnten  Stellen ;  die  letzteren  sind  fünf¬ 
pfennigstückgross.  Im  Colon  transversum  an  mehreren  Stellen  bis 
zwanzigpfennigstückgrosse,  am  Rande  unterminirte,  am  Grund  braun- 
roth  verfärbte  Geschwüre.  An  diesen  Stellen  keine  Ausbuchtung,  da¬ 
gegen  zeigen  sich  ähnliche  Ausstülpungen  neben  und  zwischen  den 
Geschwüren.  Beim  Auftreiben  des  Dickdarms  mit  Wasser  zeigen  sich 
sämmtliche  dunkle  Stellen  stark  vorgetrieben.  Die  dunklen  Flecken  an 
der  Serosa  sind  meistens  schmutzigbraun  gefärbt,  stellenweise  sind  sie 
auch  braunroth  von  frischen,  kleinen  Blutungen  durchsetzt.  Auch  an 
den  letzteren  Stellen  ist  die  Darmwand  stark  verdünnt,  nirgends  ist 
an  derselben  Stelle  eine  Narbe  oder  Rest  eines  Geschwüres  nachweis¬ 
bar.  Die  Wand  des  Cöcums  von  zackigen,  theils  unregelmässigen, 
theils  gerade  verlaufenden,  stecknadelkopf-  bis  zehnpfennigstück¬ 
grossen  Geschwüren  durchsetzt,  ebenso  auch  der  unterste  Theil  des 
Ileums.  • 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  circulären  und  longitudi¬ 
nalen  Schnitte  des  Divertikels  hat  Folgendes  ergeben: 

Verschmälerung  der  Submucosa  an  einzelnen  Stellen.  An  diesen 
Stellen  ist  das  Gewebe  dicker  mit  sehr  wenigen  Gefässen.  D  i  e 
Stelle  zeigt  das  Aussehen  einer  Narbe.  An  diesen 
Stellen  ist  auch  die  Muecularis  etwas  verdünnt.  Man  kann  an¬ 
nehmen,  dass  die  Narbe  ausgebuchtet  wurde  und  so 
die  Divertikel  entstanden  sind.  Die  leichte  Verschmälerung 
der  Muscularis  ist  auf  eine  passive  Dehnung  zurückzuführen.  Durch  die¬ 
selbe  ist  auch  eine  Zerreissung  von  Blutgefässen  entstanden  und  in 
Folge  dessen  auch  die  vielfach  vorhandenen  Blutungen.  (Selbstbericht.) 

VI.  V  u  1  p  i  u  s  (Heidelberg) :  Altes  und  Neues  in  der 
Behandlung  der  seitlichen  Rückgratsverkrümmung. 

Das  gewaltsame  Redressement  der  Skoliose  mit  nachfolgendem 
Gypsverband  erscheint  zunächst  nicht  oder  nur  in  Ausnahmsfällen  be¬ 
rechtigt. 

Noch  weniger  erlaubt  sind  blutige  Eingriffe  wie  die  Rippen- 
resection. 

Wir  sind  also,  wenn  wir  in  der  Skoliosentherapie  vorwärts 
wollen,  darauf  angewiesen,  alte  Methoden  zu  verbessern. 


Ein  sehr  wichtiges  Mittel  ist  bekanntlich  die  Extension,  die  als 
vertieale  Suspension  allerorts  verwendet  wird.  Die  horizontale 
Extension  aber  ist  in  der  Form  des  Streckbettes  früher  viel  aus¬ 
geführt,  mit  dem  Aufkommen  der  Gymnastik  verpönt  worden. 

V  u  1  p  i  u  s  ist  zu  derselben  zurückgekehrt,  allerdings  in  modi- 
ficirter  Weise.  In  seiner  orthopädischen  Anstalt  wird  der  Tag  aus- 
giebigst  zu  mobilisirender  und  gymnastischer  Behandlung  ausgenützt, 
die  Nacht  aber  zu  horizontaler  Extension  verwendet. 

Der  Gewichtszug  wirkt  vom  Becken  aus,  der  Kopf  ist  am  oberen 
Ende  des  Extensionsbettes  befestigt.  Der  Patient  liegt  dabei  in  einem 
Gypsbett,  das  an  dem  stark  extendirten  Körper  hergestellt  wird  und 
zugleich  redressirende,  detorquirende  Wirkung  hat. 

Um  die  Reibung  auf  der  Unterlage  zu  beseitigen,  steht  das  Gyps¬ 
bett  auf  einem  Gleitrahmen.  Indem  man  das  Gypsbett  quer  theil t  und 
nur  die  untere  Hälfte  gleiten  lässt,  kann  man  das  Maximum  des  Zuges 
an  den  Krümmungsscheitel  localisiren. 

Die  Resultate  dieser  energischen,  combinirten  Behandlung  sind 
durchwegs  befriedigende. 

Was  die  Nachbehandlung  anlangt,  hält  Vulpius  ein  Stütz- 
corset  für  unbedingt  erforderlich. 

Prognostisch  ernste  Fälle  erhalten  ein  Detorsionscorset  aus 
starrem  Material,  Cellulose  oder  Hornhaut,  die  übrigen  das  Bügel- 
corset,  dessen  Wirksamkeit  Vulpius  durch  stärkere  Construction  des 
Rückentheiles  —  verstellbare  Verbindungsscbienen  —  erhöht. 

Der  Einwurf,  dass  die  Herstellung  eines  gut  sitzenden  und  richtig 
wirkenden  Corsets  unmöglich  sei,  ist  durch  die  alltägliche  Erfahrung 
zu  widerlegen.  Man  kann  zum  Mindesten  die  gerade  gerichtete  Wirbel¬ 
säule  in  dieser  Position  festhalten  und  einen  geeigneten  Druck  auf  den 
Rippenbuckel  ausüben. 

Von  einem  schädlichen  Einfluss  der  Corsets  ist  —  richtige  Technik 
vorausgesetzt  — -  nichts  wahrzunehmen.  Ohne  Corset  würden  wir  die 
Resultate  unserer  Behandlung  preisgeben. 

VII.  Schultheas  (Zürich) :  Wirkungen  der  Corset- 
behandlung  in  der  Skoliosentherapie.  Vortragender  be¬ 
leuchtet  die  allgemeinen  und  localen  schädigenden  Wirkungen  des 
Corsets,  die  in  Atrophie  des  Panniculus  adiposus  der  Haut,  der 
Muskeln,  in  Anämie  etc.  bestehen  und  die  umso  grösser  sind,  je  mehr 
das  Corset  eine  redressirende  Wirkung  entfaltet.  Es  könne  sogar  die 
Annahme  bestehen,  dass  auch  die  Knochen  beschädigt  werden.  Die 
Intensität  der  schädlichen  Wirkungen  hängt  von  der  Art  der  Con¬ 
struction,  dem  Material,  der  Zeitdauer  des  Tragens  und  anderen  Um¬ 
ständen  ab.  Das  orthopädische  Corset  soll  daher  nur  dann  angewendet 
werden,  wenn  man  ohne  andere  Mittel  nicht  auskommt.  Nach  seinen 
klinischen  Versuchen  ist  das  Resultat  sehr  zu  Ungunsten  der  Corset- 
behandlung  ausgefallen.  Vor  allen  Dingen  soll  man  alle  leichten  Fälle 
von  derselben  ausschliessen.  Redner  plaidirt  des  Längeren  für  Anstalts¬ 
behandlung  und  will  Volksheilstätten  für  arme  Skoliotische  einge¬ 
richtet  wissen. 

Discussion:  Lange  (München)  ist  der  Meinung,  dass  Alles, 
was  man  in  der  Skoliosentherapie  erreicht,  nur  durch  active,  redressirende 
Uebungen  geschehen  kann,  das  Corset  aber  nicht  zu  umgehen  ist, 
weil  die  Kinder  nicht  immer  in  der  Anstalt  sein  können,  die  Schule 
besuchen  etc. 

Hoffa  (Würzburg),  steht  zwar  auch  auf  dem  Schulthess- 
schen  Standpunkt,  glaubt  aber  doch  das  Corset  nicht  ganz  entbehren 
zu  können,  wreil  es  das  erhalten  soll,  was  man  durch  Uebungen  er¬ 
reicht  hat. 

Joachimsthal  (Berlin),  stimmt,  was  die  beginnenden 
Formen  der  Rückgratsverkrümmungen  betrifft,  mit  Schulthess  in 
Bezug  auf  die  Verbannung  des  Corsets  überein.  Bei  den  ausge¬ 
sprochenen  Abweichungen  der  Wirbelsäule  bedürfe  indess  die  gymna- 
stisch-redressirenden  Behandlung  schon  deshalb  einer  Unterstützung 
durch  portative  Apparate,  weil  die  Schwerkraft  ständig  im  Sinne  einer 
Vermehrung  der  Verbiegungen  wirkt,  und  eine  geübte  Musculatur 
wohl  vorübergehend,  keineswegs  aber  dauernd  —  dieser  Kraft  ent¬ 
gegenzuarbeiten  vermöge.  Schulthess’  Vorwürfe  sind  für  die  Banda- 
gistencorsets,  welche  mittelst  Zug  und  Druck  den  Rippenbuckel  fort¬ 
schaffen  sollen,  berechtigt,  treffen  indess  nicht  die  vom  Arzte  selbst 
nach  Sayr  e’scher  Manier  gefertigten  Mieder,  die  durch  Einwirkung 
auf  den  gesammten  Rumpf  die  statischen  Verhältnisse  des  Skelets 
günstiger  zu  gestalten  suchen. 

Dreesmann  (Köln),  empfiehlt  sein  Corset,  bei  welchem  eine 
Muskelatrophie  nicht  eintreten  kann. 

Tausch  (München)  glaubt,  dass  das  Corset,  bei  der  heutigen 
Kleidermode  für  Mädchen  nothwendig  sei. 

Köllicker  (Leipzig)  will  Corsetbehandlung  erst  dann  ein¬ 
treten  lassen,  wenn  die  fixirte  Skoliose  mobilisirt  ist,  oder  wenn  Neural¬ 
gien  vorbanden  sind.  Gegen  die  Torsion  soll  ferner  keine  horizontale, 
sondern  vertieale  Extension  angewendet  werden. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


VIII.  s  c  h  u  1  z  e  (Duisburg)  demonstrirt  einen  Apparat  zur 
Behandlung  des  jugendlichen  Klump  fusses,  dessen 
Hauptziel  auf  die  Ausmodellirung  des  Sinus  tarsi  gerichtet  ist. 

IX.  Schulz  (Hamburg-Eppendorf)  demonstrirt  Photographien 
und  Röntgen-Bilder  zweier  Fälle  von  vollständigem  De¬ 
fect  von  Hand  und  Fuss  bei  sonst  normal  ent¬ 
wickelten  Personen. 

Derartige  Missbildungen  gehören  zu  den  allergrössten  Selten¬ 
heiten.  In  der  Literatur  war  nur  ein  einziger  Fall  von  völligem  Fehlen 
des  Fusses  aufzufinden,  derselbe  wurde  in  der  Tübinger  Klinik  1892 
behandelt.  Fehlen  einer  Hand  ist  bisher  nicht  beschrieben.  Das  erste 
Bild  stammt  von  einem  46jäbrigen  Manne,  bei  dem  sich  in  Hinsicht 
auf  Missbildungen  für  Heredität  kein  Anhalt  fand. 

Derselbe  zeigte  bei  sonst  normalen  Extremitäten  statt  des 
rechten  Fusses  einen  Stumpf,  der  einem  C  h  o  p  a  r  t’schen  Amputations¬ 
stumpfe  auf  den  ersten  Blick  sehr  ähnlich  sab.  Bei  genauerer  Unter¬ 
suchung  des  Stumpfes  fühlte  man  vor  den  Unterschenkelknochen  zwei 
Knochenrudimente,  die  durch  das  Röntgen-Bild  als  verkümmerte  Fuss- 
wurzelknochen,  wahrscheinlich  Talus  und  Calcaneus,  sichtbar  gemacht 
wurden. 

Der  zweite  Fall  betrifft  ein  16jähriges  Mädchen,  das  wegen  einer 
Spina  ventosa  eines  Metacarpus  der  linken  Hand  aufgenommen  wurde. 
Die  rechte  Hand  fehlt  vollständig;  der  rechte  Vorderarm, 
der  etwa  um  3  cm  gegen  den  linken  normal  entwickelten  verkürzt  ist, 
zeigt  auch  hier  das  Aussehen  eines  Amputationsstumpfes.  Auch  hier 
gibt  uns  das  Röntgen-Bild  den  interessanten  Aufschluss  über  die 
Knochenentwicklung  am  Stumpfende.  Es  finden  sich  ebenfalls  vor  dem 
Ende  der  Vorderarmknochen  zwei  Rudimente  von  Handwurzelknochen. 
Schulze  geht  auf  die  entwicklungsgeschichtliche  Erklärung  vor¬ 
liegender  Missbildungen  nicht  ein,  er  nimmt  aber  an,  dass  es  sich  hier 
um  Hemmungsmissbildungen  handelt.  Die  vorhandenen  rudimentären 
Hand-  und  Fusswurzelknochen  scheinen  nämlich  gegen  eine  Spontan¬ 
amputation  zu  sprechen. 

X.  Tausch  (München) :  Ueber  den  angeborenen 
Defect  der  Fibula. 

Vortragender  demonstrirt  eine  kleine  Patientin  und  deren  Gang 
mit  einem  Apparat.  In  seinen  Ausführungen  tritt  er  der  intrauterinen 
Fracturtherapie  entgegen.  Was  die  Behandlung  dieser  Fälle  anlangt, 
glaubt  er  eine  conservative  orthopädische  Therapie  im  Gegensatz  zu 
der  Bardenheue  r’schen  Operation,  Spaltung  der  Tibia  und  Ein- 
pflanzen  des  Talus  in  die  Gabel  empfehlen  zu  können. 

XI.  Kronacher  (München) :  Heteroplastische  Er¬ 
fahrungen. 

Unter  Hinweis  auf  bereits  früher  publicirte  Fälle  von  Hetero¬ 
plastik  wird  zunächst  ein  Fall  erwähnt,  der  vor  3 '/o  Jahren  operirt 
wurde,  und  dauernd  geheilt  ist. 

Es  handelt  sich  um  einen  damals  53jährigen  Schneider,  bei  dem 
wegen  Nekrose  der  ersten  Phalanx  des  Zeigefingers  dieser  Knochen 
resecirt  wurde. 

Vom  Kopftheil  der  Phalanx  war  ein  6  mm  langes,  vom  basalen 
Theil  ein  2  mm  langes  Stück  gesunden  Knochens  erhalten  geblieben. 
Es  wurde  nun  ein  3’8  cm  langes  Kalbsknochenstück  implantirt,  das 
dauernd  einheilte. 

Die  Bewegungen  werden  im  Metacarpophalangealgelenk  ausge¬ 
führt.  Patient  benützt  seine  Finger  wieder  zum  Nähen. 

Der  zweite  Fall  betrifft  einen  damals  sechsjährigen  Knaben,  dem 
wegen  Spina  ventosa  der  ersten  Phalanx  des  rechten  Zeigefingers  dieser 
Knochen  bis  auf  die  beiden  3  mm  langen  Enden  gesunden  Gewebes 
resecirt  wurde. 

Implantation  eines  2 V2cm  langen  Kalbsknochenstückes  in  die 
restirenden  Phalangentheile.  Nach  Jahresfrist  wurde  die  Prothese  eli- 
minirt,  nachdem  sich  bereits  eine  neue  Phalanx  von  genügender  Stärke 
entwickelt  hatte.  Zwei  Jahre  nach  dem  operativen  Eingriff  ist  Alles 
geheilt,  die  Function  des  ganzen  Fingers  normal,  die  interphalangealen 
Bewegungen  werden  gut  ausgeführt. 

Aus  den  von  Zeit  zu  Zeit  aufgenommenen  Radiogrammen  ist  er¬ 
sichtlich,  dass  sich  radialwärts  des  implantirten  Kalbsknochenstückes 
bereits  3 1/2  Monate  post  operationem  neuer  Knochen  gebildet  hatte, 
der  jedoch  nicht  an  die  Prothese  heranwuchs,  sondern  durch  einen 
deutlichen  Zwischenraum,  bogenförmig  gestaltet  von  derselben  getrennt 
war.  Dieser  neugebildete  Knochen  verdickte  sich  allmälig,  und  hat  zur 
Zeit  Form  und  Stärke  einer  gewöhnlichen  Phalanx  angenommen.  Beide 
Patienten  w'erden  vorgestellt. 

Der  folgende  Fall  betrifft  einen  sechs  Monate  alten  Knaben  mit 
angeborener  Fractur  beider  Uuterschenkelknochen  rechterseits.  Das 
Kind  war  bisher  mit  Gypsverbänden,  Friction,  Nageln  und  Anfrischung 
der  Fragmente  erfolglos  behandelt  worden.  Es  wurden  nun  zum  Zwecke 
der  Implantation  die  durch  die  verschiedenen  Eingriffe  bereits  erheblich 
verkürzten  Fragmente  der  Fibula  und  Tibia  angefrischt  und  in  dieselben 
je  ein  3  cm  langes  Elfenbeinstück  invaginirt.  Die  Prothesen  blieben 
zwar  in  Continuität  mit  den  Knochen,  doch  kam  es  zwei  Jahre  lang 


nicht  zur  Ossification;  erst  nach  dieser  Zeit  bildete  sich  neuer  Knochen. 
Nach  circa  2 1/2  Jahren  war  die  Regeneration  der  Fibula  manuell  als 
sehr  wahrscheinlich  nacbzuweisen,  auch  die  Tibia  zeigte  deutlich  Knochen¬ 
neubildung  und  geringere  Beweglichkeit.  Die  von  Zeit  zu  Zeit  aufge- 
nommenen  Radiogramme  zeigen  nach  2'/j  Jahren,  dass  die  Fibula  neu¬ 
gebildet  war,  der  Elfenbeinstab  befindet  sich  in  Elimination  begriffen; 
ebenso  haben  sich  die  Enden  der  Tibia  bedeutend  einander  genähert, 
es  ist  deutliche  Knochenwucherung  vorhanden.  Der  Knabe  steht  fest 
auf  dem  erkrankten  Beine. 

Seit  mehr  als  einem  Jahre  wurde  das  Kind  nicht  mehr  untersucht, 
da  die  Eltern  sich  vor  einem  etwaigen  neuen  operativen  Eingriffe 
fürchten.  Doch  ergaben  die  vor  Kurzem  gepflogenen  Recherchen,  dass 
der  Knabe  gut  auf  seinem  kranken  Unterschenkel  steht. 

Die  Elfenbeinprothese  der  Fibula  ist  unterdessen,  also  nach 
3V2  Jahren,  eliminirt  wrorden.  Aus  der  von  den  anderen  etwas  abweichen¬ 
den  Technik  sei  besonders  hervorgehoben,  dass  Verfasser  einen  grossen 
Werth  auf  eine  möglichst  lange  Immobilisation  des  operirten  Gliedes 
legt,  von  ihr  hängt  zum  guten  Theil  das  Gelingen  der  Heteroplastik 
an  den  Diaphysen  ab. 

XII.  Lange  (München):  Ueber  periostale  Sehnen¬ 
verpflanzungen. 

Lange  sieht  bei  der  Sehnenverpflanzung  von  der  Benützung 
des  gelähmten  Muskels  völlig  ab,  wreil  die  atrophische  Sehne  sich  unter 
dem  Einfluss  der  Contractionen  verlängern  kann,  und  vernäht  statt  dessen 
die  abgespaltene  Sehne  direct  mit  dem  Periost.  Für  die  Wahl  des 
neuen  Ansatzpunktes  am  Skelet  ist  die  Aufgabe  massgebend,  welche 
der  neue  Muskel  zu  erfüllen  hat. 

An  drei  Kranken  wird  der  Erfolg  der  Operation  demonstrirt: 

1.  Bei  einem  siebenjährigen  Knaben,  der  in  Folge  Lähmung  des 
Extensor  digitor.  commun.  und  der  beiden  Peronei  einen  Klumpfuss 
bekommen  hatte,  ist  die  laterale  Hälfte  der  Sehne  vom  Tibial.  ant. 
unter  der  Haut  des  Fussrückens  lateralwärts  verschoben  und  mit  dem 
Periost  des  Cuboideum  vernäht  worden. 

2.  Bei  einem  13jährigen  Knaben  ist  die  gleiche  Operation  aus 
der  gleichen  Ursache  ausgeführt  worden. 

3.  Bei  einem  12jährigen  Mädchen,  das  in  Folge  einer  Lähmung 
der  Wadenmusculatur  und  einer  Parese  des  Tibial.  ant.  an  einem  hoch¬ 
gradigen  Pes  calcaneo-valgus  litt,  ist  der  Peroneus  longus  an  das 
hintere  Ende  des  Calcaneus  geführt  und  medial  vom  Ansatz  der  Achilles¬ 
sehne  mit  dem  Periost  vernäht  worden. 

* 

Section  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Referent  Dr.  Edmund  Falk  (Berlin). 

Nachmittagssitzung  am  21.  September. 

Vorsitzender:  Schatz. 

I.  Graf  S  p  e  e  demonstrirt  wunderbar  schön  ausgeführte  Präparate 
von  der  Entwicklung  des  Eies  bei  Meerschweinchen 
(7.  Tag),  welche  beweisen,  dass  das  Ei  das  Epithel  durchbohrt  und 
im  Bindegewebe  eingelagert,  sich  entwickelt.  Das  Bindegewebe  ent¬ 
wickelt  sich  in  dieser  Zeit  so,  dass  die  Bindegewebskerne  sehr  gross 
W'erden,  in  diesem  Bindegewebe  entsteht  bald  eine  Atrophie,  es  kommt 
schliesslich  zur  Auflösung  des  Gewebes  um  das  Ei,  so  dass  sich  hier 
ein  Hohlraum  findet.  Eine  Zwischensubstanz  an  dem  Bindegewebe  in 
den  tieferen  Schichten  findet  sich  nicht.  Die  in  den  Präparaten  erzielte 
histologische  Differenzirung  wurde  durch  eine  neugefundene  Methode, 
die  Nachbehandlung  des  mit  Sublimatlösung  durch  die  Gefässe  in- 
jicirten  Uterus  mit  1%  Ueberosmiumsäurelösung  erreicht.  Diese 
Methode  ist  die  einzige,  welche  eine  gleichmässige  Durchosmirung 
grösserer  Präparate  herbeiführt,  zugleich  alle  histologischen  Details  in 
präcisester  Weise  hervortreten  lässt. 

II.  Winternitz  (Tübingen) :  Die  Entstehung  und  Er¬ 
kennung  des  Puerperalfiebers. 

Das  Puerperalfieber  ist  mit  Olshausen  als  eine  von  den 
Genitalien  einer  Wöchnerin  ausgehende  Wundinfection  anzusehen.  Die 
häufigsten  Infeetionserreger  sind  die  Streptococcen,  aber  auch  andere 
den  Wunden  gefährliche  Keime  können  Fieber  im  Wochenbett  er¬ 
zeugen,  gonorrhoische  Processe  können  in  Puerperium  wieder  auf¬ 
flackern.  Nicht  alle  diese  bacteriell  verschiedenen  puerperalen  Krank¬ 
heitsformen  sind  durch  bestimmte  klinische  Bilder  gekennzeichnet;  man 
muss  daher  die  Secrete  der  Uterushöhle,  die  Lochien,  bacteriologisch 
untersuchen.  Dö  der  lein  fand  1887  nun  die  überraschende  That- 
sache,  dass  die  Uterushöhle  der  normalen  Wöchnerin  in  der  Regel 
keimfrei  ist.  Da  die  Richtigkeit  dieses  Befundes  von  Burckhardt 
angezweifelt  worden,  hat  W  inter  nitz  an  einem  umfangreichen 
Material  Nachprüfungen  angestellt. 

Er  untersuchte  200  fieberfreie  Wöchnerinnen  an  verschiedenen 
Tagen  des  Wochenbettes,  ganz  besonders  auch  in  der  zweiten  Woche, 
und  fand,  dass  das  Lochialsecret 


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164mal  steril  war . d.  i.  =  82  0% 

lOmal  sind  auf  allen  Nährböden  Keime  gewachsen,  d.  i.  =  8% 

20raal  sind  nur  obligat  anaerobe  Keime  aufgegangen,  d.  i.  =  10%. 

Es  folgt  hieraus  also,  dass  die  normale  puerperale  Uterushöhle 
in  der  Regel  keimfrei  ist;  fanden  sich  Keime  ( 1 8°/0),  so  waren  es  vor¬ 
wiegend  nicht  pathogene;  trotzdem  konnte  die  Thatsache  festgestellt 
werden,  dass  sich  bei  diesen  Fällen  häufiger  leichte  febrile  Tempera¬ 
turen  (bis  38°)  fanden,  als  bei  den  keimfreien,  auch  die  Lochien  waren 
reichlicher  und  hatten  bisweilen  rein  eiterigen  Charakter.  Es  ergibt  sich 
also  aus  diesen  Gegenüberstellungen  die  bemerkenswerthe  Thatsache, 
dass  das  feinste  Reagens,  das  Thermometer,  auch  bei  klinisch  harm¬ 
losen  Uterusinfectionen,  welche  das  subjective  Befinden  nicht  be¬ 
einflussen,  einen  eben  bemerkbaren,  klinisch  aber  belanglosen  Ausschlag 
gibt.  Den  Unterschied  gegen  Burckhard  t’s  Untersuchungen  erklärt 
Winternitz  aus  dem  Gebrauch  verschiedener  Nährböden,  er  impfte 
auf  festen  Nährböden  und  hält  diese  für  zweckmässiger,  als  die  von 
Burckhardt  verwandten  flüssigen,  bei  denen  Zufälligkeiten  leicht 
das  Resultat  trüben  können. 

Ausser  den  200  normalen  Wöchnerinnen  hatte  Winter nitz 
Gelegenheit,  51  Fiebernde  zu  untersuchen. 

Bei  18  von  diesen  war  der  Uterus  keimfrei. 

Bezeichnender  Weise  war  aber  hier  nicht  etwa  eine  andere 
Stelle  des  Genitalrohres  Eingangspforte  für  Bacterien,  sondern  es  war 
überhaupt  keine  puerperale  Infection  als  Ursache  des  Fiebers  vor¬ 
handen.  Es  handelte  sich  vielmehr: 

9mal  um  Mastitis, 

2 mal  um  Angina, 

lmal  um  Gelenkrheumatismus, 

2mal  um  Pneumonie, 

2mal  um  Herpes, 
lmal  um  Tuberculose, 
lmal  um  Influenza. 

Es  waren  dies  also  wegen  anderweitiger  Erkrankungen  im  Puer¬ 
perium  fiebernde,  aber  nicht  Puerperalfieberkranke. 

33mal  waren  Keime  im  Uterus  vorhanden,  und  zwar: 

18mal  Streptococcen, 
lmal  Staphylococcen, 

2mal  Bacterium  coli, 

2mal  Gonococcen, 

2mal  anaerobe  Keime, 

2 mal  Diplococcen, 

6mal  Misehinfection. 

Auf  Grund  der  bacteriologischen  Untersuchung,  aber  lediglich 
auf  Grund  dieser  ist  in  diesen  Fällen  somit  die  frühzeitige  Diagnose 
„puerperale  Endometritis“  gestellt  worden. 

Diese  33  als  krank  anzusehenden  Wöchnerinnen  vertheilen  sich 
auf  eine  Anzahl  von  608  fortlaufenden  Geburten,  d.  i.  5  4%. 

Bei  keiner  einzigen,  puerperalkranken  Wöchnerin  fand  sich  das 
Endometrium  keimfrei,  so  dass  sich  daraus  ergibt,  dass  bei  Puerperal¬ 
kranken  der  Uterus  ausnahmslos  inficirt  ist  und  andere  Infections- 
stellen  des  Genitalcanales  nicht  oder  nur  höchst  selten  in  Betracht 
kommen. 

Die  wesentlichste  Schlussfolgerung  aus  diesen  Untersuchungen 
scheint  nun  diejenige  zu  sein,  dass  wir  in  der  bacteriologischen  B  e- 
schaffenheit  der  Uteruslochien  die  wichtigsten  diagnostischen  An¬ 
haltspunkte  zur  Erkennung  des  Puerperalfiebers  überhaupt,  besonders 
aber  auch  zur  frühzeitigen  Erkennung  desselben  haben. 

Finden  wir  bei  einer  fiebernden  Wöchnerin  die  Uteruslochien 
keimfrei,  so  muss  sie  aus  anderen  Ursachen  fiebern,  ist  also  nicht 
puerperalkrank  —  und  umgekehrt:  Sind  bei  einer  fiebernden  Wöchnerin 
Bacterien  besonders  pathogener  Art,  wie  die  leicht  nachweisbaren 
Streptococcen,  im  Uterus  vorhanden,  so  besteht  kein  Zweifel  darüber, 
dass  sie  als  puerperalkrank  zu  betrachten  ist. 

In  Anstalten  wird  somit  die  bacteriologische  Untersuchung  des 
Uterusinnern  bei  jeder  kranken  Wöchnerin  ein  unbedingtes  Desi¬ 
derat  zur  Stellung  der  Diagnose  werden,  wie  dies  in  Tübingen  seit  zwei 
Jahren  gehandhabt  wird. 

III.  Döderlein  (Tübingen) :  Verhütung  und  Behand¬ 
lung  des  Puerperalfiebers. 

Für  eine  Prophylaxe  des  Puerperalfiebers  ergeben  sich  aus  den 
Ausführungen  von  Winter  nitz  sehr  wichtige  Grundsätze ;  vermeiden 
wir  das  Hinaufgelangen  von  Streptococcen  in  den  Uterus,  so  werden 
wir  sofort  die  Morbiditätsziffer  herabsetzen.  Die  übrigen  puerperalen 
Erkrankungen  durch  Gonococcen,  Diplococcen  sind  bacteriologiseh  und 
klinisch  gutartig.  Viel  ist  gewonnen,  wenn  wir  die  Infection  mit 
Streptococcen  eliminiren.  Diese  wird  aber  fast  stets  durch  unsere  Hände 
veranlasst.  Daher  glaubt  Döderlein,  dass  durch  Verwendung  von 
impermeablen  Gummihandschuhen  zur  Untersuchung  die  Morbiditäts¬ 
ziffer  wesentlich  vermindert  werden  kann.  Die  Handschuhe  sind  aus 
starkem  Gummi  mit  zwei  dünnen  Fingern  gefertigt.  Das  Anziehen  der 
Gummihandschuhe  wird  durch  Einreiben  der  Hände  mit  sterilem 


Vaselin  wesentlich  erleichtert.  Der  Gummihandschuh  verträgt  das 
wiederholte  Auskochen  von  zehn  Minuten  in  Sodalösung. 

Die  Scheide  der  normalen  Kreissenden  desinficirt  Döder¬ 
lein  nicht. 

Für  die  Behandlung  des  Puerperalfiebers  hält  D  ö  d  e  r  1  e  i  n  die 
Thatsache  von  Bedeutung,  dass  der  Keimgehalt  der  Lochien  an  Bac¬ 
terien  stets  eine  Störung  bedeutet,  auch  wenn  noch  kein  Fieber  oder 
klinische  Symptome  vorhanden  sind;  da  ferner  ein  Fieber  sich  nur  auf 
Grund  der  Untersuchung  des  Lochialsecrets  sicher  deuten  lässt,  sollte 
diese  bei  fiebernden  Kranken  stets  vorgenommen  werden.  Finden  wir 
Streptococcen  im  Uterus,  so  ist  unsere  Haupttherapie  der  Angriff 
dieser  Streptococcen.  Wir  müssen  unter  allen  Umständen  alsdann  den 
Uterus  ausspülen.  Wir  haben  allerdings  bis  jetzt  kein  Mittel,  das 
local  genügend  günstig  wirkt.  Döderlein  versucht  z.  Z.  den 
96%igen  Alkohol  zur  Ausspülung. 

Für  das  Streptococcen-Puerperalfieber  soll  das  Serum  vollkommen 
unwirksam  sein;  dem  widerspricht  Döderlein.  Er  spritzt  Wöchne¬ 
rinnen  Serum  nur  ein  an  den  ersten  Tagen  des  Fiebers,  wenn  sie 
Streptococcen  im  Uterus  haben,  denn  nur  gegen  Streptococcen  kann  es 
wirken,  und  nur  dann,  wenn  dieselben  noch  keinen  deletären  Einfluss 
im  Körper  erzeugt  haben.  Die  Totalexstirpation  wird  in  einer  Reihe 
von  Fällen  den  Eintritt  des  tödtlichen  Ausganges  verhindern  können. 

IV.  Burckhardt  (Basel):  Zur  Streptococcenfrage. 

Die  Vorredner  halten  seine  Ansicht  über  den  Keimgehalt  der 

Uterushöhle  für  unrichtig,  und  zwar  glauben  sie  ihm  technische  Fehler 
im  Verfahren  der  bacteriologischen  Forschung  nachweisen  zu  können. 
Dem  gegenüber  bemerkt  Burckhardt,  dass  er  die  Uterushöhle  keim¬ 
haltig  fand  blos  an  späteren  Tagen  des  Wochenbettes,  während  die 
anderen  Autoren  dieselben  Untersuchungen  im  Beginne,  in  den  ersten 
Tagen  des  Wochenbettes  Vornahmen;  dass  die  Wahl  der  Bouillon  an 
dem  Unterschied  schuld  sei,  will  er  Winternitz  gern  zugeben,  aber 
nicht  in  dem  Sinne,  dass  er  damit  85%  Versuchsfehler  gemacht  hätte, 
sondern  dass  sie  eben  für  die  in  Frage  kommenden  Keime  ein  besserer 
Nährboden  ist.  —  Im  Beginne  des  Wochenbettes  fand  auch  er  den 
Uterusinhalt  keimfrei  bei  Culturen  mit  derselben  Bouillon.  Ferner 
konnte  er  Keime  nachweisen  an  excochleirten  Deciduastückchen,  was 
jeden  technischen  Fehler  ausschliesst. 

Unter  den  Keimen  der  puerperalen  Uterushöhle  sind  besonders 
auffallend  die  Streptococcen.  Burckhardt  konnte  sie  in  circa  10% 
nachweisen;  biologisch  und  morphologisch  sind  dieselben  von  den 
pathogenen  verschieden.  Er  möchte  sie  al3  Streptococcen  saprogenes 
bezeichnen  und  sie  der  Classe  der  Fäulnisserreger  zuzählen.  —  Der 
Befund  solcher  Keime  mahnt  zu  grosser  Vorsicht  bei  der  Beurtheilung 
eines  mikroskopisch-bacteriologischen  Befundes;  gerade  bei  der 
puerperalen  Störung  sollte  dem  Gesagten  nach  die  Diagnose  auf 
septische  Infection  erst  dann  gestellt  werden,  wenn  die  Identi- 
ficirung  des  gefundenen  Streptococcus  im  concreten  Falle  durch¬ 
geführt  ist. 

V.  Schücking  (Pyrmont):  Mittheilung  über  neue 
Infusions-Lösungen. 

Die  Thatsache,  dass  die  physiologische  Kochsalzlösung  keine 
für  das  Herz  indifferente  Lösung  darstellt,  die  weitere  Annahme,  dass 
die  bei  den  Verblutenden  eintretende  Herzlähmung  durch  die  An¬ 
häufung  von  Kohlensäure  in  den  Geweben  verschuldet  wird,  bewogen 
Schücking  nach  einer  Verbindung  zu  suchen,  welche  im  Stande 
ist,  das  Kohlendioxyd  zu  fixiren.  Im  Blute  fällt  normaler  Weise  die 
Aufgabe,  die  Kohlensäure  fortzuschaffen,  den  Serumglobulin-Alkali¬ 
verbindungen  zu.  Schücking  glaubt  nun,  dass  das  Natriumsaccharat 
im  Stande  ist,  die  Rolle  der  Serumglobulinalkaliverbindungen  zu  über¬ 
nehmen,  indem  das  Natriumsaccharat  durch  Kohlensäure  in  Zucker 
und  kohlensaures  Natron  gespalten  wird  und  so  die  Kohlensäure 
fixirt.  Er  benützte  das  Natriumsaccharat  in  Form  einer  subcutanen 
0‘03%igen  Injection  unter  Zusatz  von  06%  Kochsalz.  Nachdem  er  bereits 
in  der  Berliner  medicinischen  Gesellschaft  über  die  günstigen  Er¬ 
folge  dieser  Injectionen  berichtet  hatte,  referirt  er  über  einen  Fall 
schwerster  Puerperalerkrankung,  in  dem  die  Injection  von  250# 
lebensrettend  wirkte,  nachdem  eine  alkalische  Kochsalzlösung  ohne 
Effect  geblieben  vor.  Zum  Schlüsse  berichtet  Schücking  über  den 
inneren  Gebrauch  des  Natriumsaccharats  an  Stelle  der  bisher  ge¬ 
bräuchlichen  Alkalien. 

VI.  F  r  anq  u  e  (Würzburg):  S  a  1  p  i  n  g  i  t  i  s  nodosa  isthmica 
und  Adenomyoma  t  u  b  a  e. 

In  einem  Falle  der  Würzburger  Frauenklinik  wurde  bei  einer 
22jährigen  Frau  wegen  Retroflexio  uteri  fixata  das  Abdomen  zweimal 
eröffnet,  das  erste  Mal  durch  Colpotomia;  dabei  erwiesen  sich  die 
Tuben  als  vollständig  normal;  19  Monate  später  wegen  Recidivs  der 
Retroflexio  vom  Abdomen  aus;  jetzt  boten  beide  Tuben  makro-  und 
mikroskopisch  das  typische  Bild  der  Salpingitis  nodosa  isthmica  einer¬ 
seits,  des  Tubenwinkeladenomyoms  andererseits  dar;  alle  durch 
v.  Re  cklinghausen  beschriebenen  Eigentümlichkeiten  des  letz¬ 
teren  waren  vorhanden;  in  Serienschnitten  wurden  nun  beiderseits 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


Spuren  einer  in  Ablauf  begriffenen  Tuberculose  gefunden,  ferner  aber 
multiple  Communicationen  des  Tubenlumens  durch  drüsige 
Ausstülpungen  mit  den  adenomatösen  Gebilden,  welche  die  Tuben 
rings  umgaben. 

Es  wird  daraus  geschlossen,  dass  die  fraglichen  Gebilde  nicht 
congenital  angelegte  Neoplasmen  im  engeren  Sinne  des  Wortes  sind, 
sondern  auf  Grund  entzündlicher  Reizung  von  der  Tubenschleimhaut 
aus  gebildet  wurden. 

In  einem  zweiten  Falle,  einem  Tubenwinkeladenom  in  einem 
wegen  Cancroids  total  exstirpirten  schwangeren  Uterus,  liessen  sich  eben¬ 
falls  mehrfache  Verbindungen  mit  dem  Tubenlumen  nachweisen,  ohne 
dass  von  Tuberculose  eine  Spur  vorhanden  war. 

Da  in  diesem  Falle  alle  v.  Recklinghausen  für  die  von 
den  Urnieren  stammenden  „Adenomyome“  als  charakteristisch  angege¬ 
benen  Merkmale  trotz  der  sicher  schleimhäutigen  und  postembryonalen 
Entstehung  vorhanden  waren,  können  diese  Merkmale  nicht  mehr  als 
stichhaltig  betrachtet  werden.  (Ausführliche  Veröffentlichung  in  der 
Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.) 

VII.  Schatz  (Rostock) :  Die  erste  Menstruation  nach 
der  Geburt. 

In  der  Literatur  ist  über  die  erste  Menstruation  nach  der  Geburt 
gewöhnlich  nichts  oder  nur  die  Bemerkung  zu  finden,  dass  sie  bei 
Nichtstillenden  sechs  oder  auch  nur  vier  Wochen  nach  der  Entbindung 
eintritt,  bei  Stillenden  meist  erst  später.  Menstruationsähnliche  Blut¬ 
abgänge  im  Wochenbett  haben  Schatz  aber  schon  vor  etwa  20  Jahren 
zweifeln  lassen,  dass  diese  Angaben  richtig  sind,  weil  für  solche  Blut¬ 
abgänge  sehr  häufig  kein  .ersichtlicher  Grund  vorlag.  Als  er  dann  die 
Blutabgänge  genauer  controlirte  und  besonders  als  er  die  Unter¬ 
suchung  über  die  typischen  Schwangei'schaftswehen  vorgenommen  hatte, 
stellte  sich  heraus,  dass  die  Blutabgänge  typische  Zeiten  ganz  ähnlich 
einhielten,  wie  die  Schwangerschaftswehen  und  er  überzeugte  sich 
schliesslich,  dass  sie  wirkliche  Menstruationen  darstellen.  Sie  kommen 
gerade  auch  bei  Stillenden  und  vielleicht  bei  diesen  sogar  häufiger  als 
bei  Nichtstillenden  vor  und  wie  bei  den  Schwangerschaftswehen  finden 
sich  zwei  Typen,  ein  sechs-  und  ein  vierwöchentlicher.  Beide  theilen 
sich  in  der  Hälfte,  sind  also  auch  drei-,  respective  zweiwöchentlich,  und 
diese  Hälften  theilen  sich  nicht  selten  sogar  noch  einmal.  Man  findet 
also  die  erste  Regel  nach  der  Geburt  nicht  nur  am  42.  oder  28.  Tage 
eintreten,  sondern  auch  am  21.  oder  14.,  nicht  ganz  selten  schon  am 
10.  bis  11.  Tage  und  vielleicht  sogar  auch  am  7.  Tage.  Dass  man 
diese  Blutabgänge  in  den  ersten  drei  Wochen  bisher  nicht  als  Men¬ 
struationen  angesehen  hat,  liegt  sicher  daran,  dass  man  sie  für  Blu¬ 
tungen  aus  anderen  Ursachen  ansah  und  besonders  sind  gerade  die 
Blutungen  zwischen  dem  7.  und  14.  Tage  gewöhnlich  als  Folge  des 
ersten  Aufstehens  oder  anderer  Bewegungen  oder  von  Lösung  von 
Blutthromben  etc.  angesehen  worden.  Da  Vortragender  die  Sache  früher 
durchwegs  ebenso  ansah,  hat  er  sehr  wohl  darauf  geachtet,  bei  der 
Beobachtung  diese  Fehlerquellen  zu  vermeiden  und  ist  doch  zu  der 
Ueberzeugung  gekommen,  dass  diese  frühen  Menstruationen  sehr  häufig, 
wenn  nicht  gar  ganz  regelmässig  sind.  Von  den  Frauen  erfährt  man 
darüber  so  gut  wie  nichts.  Da  die  erste  so  frühe  Periode  in  die  Zeit 
des  Wochenflusses  fällt,  wird  sie  mit  diesem  zusammengeworfen 
und  nicht  darauf  geachtet,  ob  er  eine  Zeit  lang  mehr  oder  weniger 
blutig  ist. 

Als  Prüfstein,  ob  es  sich  wirklich  um  Menstruation  handelt,  wird 
man  die  etwaige  Ovulation  respective  Conception  betrachten  müssen.  Im 
letzten  Jahre  hat  ein  früherer  Assistent  von  Schatz,  Dr.  Koc  h,  einen 
Abort  beobachtet  am  29.  Tage  nach  dem  Tage,  wo  er  vorher  (auch 
wegen  Abort)  die  Ausräumung  des  Uterus  vorgenommen  hatte.  Der 
Embryo  des  letzten  Abortes  ist  vom  embryologischen  Fachmann  auf 
17  Tage  alt  geschätzt,  ist  also  am  11.  oder  12.  Tage  nach  der  Aus¬ 
schabung  des  Uterus  concipirt  worden.  Die  zugehörige  Menstruation 
und  Ovulation  gehörte  also  zum  sechswöchentlichen  Typus  und  war 
schon  nach  dem  ersten  Viertel  dieses  Typus,  l'/2  Wochen  nach  der 
Geburt  eingetreten. 

Wir  wissen,  dass  bei  manchen  Thieren  die  Conception  fast  un¬ 
mittelbar  nach  der  Geburt  eintritt.  Die  Pferdezüchter  sehen  den  neunton 
Tag  nach  der  Geburt  des  Fohlens  als  denjenigen  Zeitpunkt  an,  an 
welchem  die  Stute  am  sichersten  wieder  concipirt  und  deshalb  gerade 
an  diesem  Tage  zum  Hengst  geführt  werden  muss.  In  der  letzten  Zeit 
haben  die  Untersuchungen  von  Cosentino  (Monatsschrift  für  Geburtshilfe 
und  Gynäkologie,  V.  Ergänzungsheft,  pag.  195)  erneut  ergeben,  dass 
die  G  r  a  a  f’schen  Follikel  auch  bei  der  Frau  während  der  Schwanger¬ 
schaft  reifen  und  bersten  können.  So  sprechen  denn  alle  Umstände 
dafür,  dass  auch  beim  menschlichen  Weibe  Menstruation  und  Ovulation 
nicht  nur  vier  oder  sechs  Wochen,  sondern  auch  viel  früher,  zwei  oder 
drei,  ja  sogar  eine  oder  l1  >  Wochen  nach  der  Geburt  eintreten  kann. 
Das  Nähren  des  Kindes  scheint,  wie  cs  die  Rückbildung  der  Genitalien 
beschleunigt,  so  auch  den  frühen  Eintritt  der  Menstruation  zu  begün¬ 
stigen,  während  es  später  ja  die  Menstruation  meist  unterdrückt  oder 
wenigstens  beschränkt. 


Schatz  wird  das  Material,  welches  er  in  dieser  Hinsicht  hat 
ansammeln  können,  in  einer  Dissertation  veröffentlichen  lassen.  Er 
bemerkt  dabei,  dass  diese  Menstruationsperioden  ebenso  wie  die  ge¬ 
wöhnlichen  Menstruationsperioden  leicht  etwras  ante-  oder  post- 
poniren.  Diese  Abweichungen  können  aber  gegen  den  Charakter  als 
Menstruation  ebensowenig  beweisen,  wie  die  Tage  der  Abweichung  bei 
der  gewöhnlichen  Menstruation. 

* 

Vormittagssitzung  vom  22.  September. 

Vorsitzender  Döderlein. 

I.  A.  v.  Guerard  (Düsseldorf):  Herzfehler  und 
Schwangerschaf t.  v.  Guerard  berichtet  über  Beobachtungen 
an  einer  grösseren  Anzahl  herzkranker  Frauen  aus  der  Privatpraxis, 
um  zum  Schlüsse  einen  Vergleich  zwischen  den  Erfolgen  der  Privatpraxis 
und  denen  der  poliklinischen  zu  ziehen.  B  i  s  w  e  i  1  e  n  sind  die  Ge¬ 
räusche  in  der  Schwangerschaft  deutlicher  zu  hören 
als  in  der  Zeit  der  Nichtgravidität,  einmal  waren  sogar 
während  des  Tragens  deutliche  Geräusche  zu  hören,  die  in  der  Zeit, 
wo  die  Frau  nicht  schwanger  war,  überhaupt  nicht  zu  hören  waren. 
Es  handelt  sich  hier  bestimmt  nicht  um  accidentelle  Geräusche, 
sondern  um  ganz  geringe  Schädigungen  des  Klappenapparates,  W'elche 
sich  nur  bei  erhöhter  Inanspruchnahme  des  Herzens  bemerkbar  machen. 
Eine  Hypertrophie  des  Herzens  sicher  nachzuweisen  gelang  nicht, 
doch  ist  in  den  erwähnten  Fällen  eine  solche  leicht  theoretisch 
herzuleiten. 

Um  die  deletäre  Wirkung  der  Schwangerschaft  auf  herzkranke 
Frauen  zu  erklären,  stellt  Spiel  b  erg  die  Behauptung  auf:  Der 
Druck  in  der  Aorta  sinkt  durch  Ausschaltung  des  Placentarkreislaufes, 
er  steigt  in  den  Venen,  und  hierdurch  sowfie  durch  erhöhte  Excursions- 
fähigkeit  des  Zwerchfells  findet  gleich  nach  der  Geburt  ein  verhängniss- 
voll  starkes  Zuströmen  vom  Blut  zum  rechten  Herzen  und  den  Lungen 
statt.  Fritsch  dagegen  nimmt  ein  Sinken  des  venösen  Druckes  durch 
Ansammlung  von  Blut  in  den  Unterleibsvenen,  dadurch  einen  Mangel 
an  Blut  im  rechten  Herzen  an.  Bei  der  Section  einer  gleich  nach  der 
Geburt  verstorbenen  Frau  fand  Vortragender  als  einzige  Todesursache 
ein  schweres  Vitium  cordis  mit  weicher,  schlaffer  Musculatur  der  Ven¬ 
trikel,  dagegen  eine  sehr  starke  Füllung  und  fast  blauschwarze  Färbung 
der  Venen  des  Ligamentum  latum  der  Genitalien,  ein  Beweis  für  die 
Annahme,  dass  der  venöse  Druck  im  vorliegenden  Falle  kein  erhöhter 
gewesen  sein  kann.  Statt  einer  Zunahme  des  arteriellen  Druckes  muss 
dagegen  ein  Sinken  auch  dieses  angenommen  werden,  denn  bei  gleich- 
mässig  vorhandener  Arbeitsfähigkeit  des  Herzens  ist  die  Blutmenge 
eine  geringere.  Beim  gesunden  Herzen  lässt  sich  hiedurch  mit  der 
langsame  Puls  der  Wöchnerinnen  erklären,  beim  kranken  Herzen  wird 
das  Sinken  oft  ein  zu  grosses,  es  tritt  entweder  alsbald  eine  direct  zu 
kleine  Versorgung  des  Körpers  mit  sauerstoffhaltigem  Blute  ein,  oder 
das  stärker  arbeitende  Herz  erleidet  weitere  bisweilen  sehr  schwere 
Schädigungen.  Sinken  des  venösen  und  arteriellen  Blutdruckes  werden 
also  verhängnissvoll. 

Therapeutisch  ist  vor  Allem  das  Heiratsverbot  bei  schwer  herz¬ 
kranken  Mädchen  zu  erwähnen,  eine  Massregel  die  zum  Schaden  der 
Betroffenen  noch  immer  zu  wenig  ergriffen  wird.  Zur  Warnung  wird 
ein  typischer  Fall  angeführt,  wo  der  Hausarzt,  wie  eine  specialistische 
Autorität  trotz  neun  Jahre  lang  genau  beobachteten  schweren  Herz¬ 
fehlers  die  Heirat  unbedingt  erlaubten  und  die  junge  Frau  nach  dem 
ersten  Wochenbette  langsam  den  Compensationsstürungen  erlag. 

Ist  aber  in  solch  schwerem  Falle  Schwangerschaft  eingetreten, 
so  ist  der  Abortus  artificialis  einzuleiten;  v.  Guerard  kennt  weder 
aus  der  Literatur  noch  aus  der  Praxis  einen  Fall,  wo  die  Schwanger¬ 
schaft  ein  günstiges  Ende  erreichte,  wenn  bereits  in  den  ersten  Wochen 
oder  Monaten  Compensationsstürungen  eintraten.  Am  leichtesten  aus¬ 
zuführen  ist  der  künstliche  Abort  durch  Laminariadilatation  mit  nach- 
heriger  digitaler  Ausräumung.  Um  der  trotz  Cöitusverbot  stets  wieder 
eintietenden  Schwangerschaft  vorzubeugen,  wurde  in  einem  Falle  sogar 
die  Castration  ausgeführt.  Derartige  Fälle  sind  aber  sehr  selten.  Be¬ 
sonders  muss  man  sich  hüten,  allzu  pessimistisch  zu  denken,  wenn 
man  die  Patientin  nur  während  der  Geburt  untersucht  hat.  Hier  ist 
ein  Irrthum  leicht  möglich.  Es  heisst  dann,  die  Geburt  schnell  und 
schonend  zu  beenden  und  dann  öffnet  sich  der  Privatpraxis  ein  weites, 
der  poliklinischen  Thätigkeit  verschlossenes  Feld,  die  Pflege  in  der  Zeit 
der  Nichtgravidität,  sowie  w’ährend  der  neun  Monate  der  Schwanger¬ 
schaft.  So  konnte  v.  Guerard  bei  einer  Frau,  deren  erster  Partus 
durch  Perforation  des  lebenden  Kindes,  indicirt  durch  Vitium  cordis 
beendigt,  worden  war,  später  zweimal  ein  lebendiges  Kind  erzielen 
bei  ganz  leidlichem  Befinden  der  Frau.  Den  Statistiken  der  bisher  er¬ 
schienenen  Veröffentlichungen  mit  circa  34 — 100 °/0  Todesfällen  gegen¬ 
über,  hat  v.  Guerard  unter  28  Entbindungen  bei  19  Frauen  zwei 
Todesfälle  registrirt.  Werden  aber  die  nur  systematischen  Unter¬ 
suchungen  zu  verdankenden  Fälle,  wrelche  poliklinisch  wohl  kaum  zur 


Nr.  28 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Beobachtang  gelangt  wären,  abgezogen,  so  ergeben  sich  auf  sieben 
Fälle  zwei  mit  letalem  Ausgange  =  circa  30%  Todesfälle. 

II.  Brünings  (München)  demonstrirt  mikroskopische  Bilder 
eines  haselnussgrossen  Polypen,  der  vom  Tabenwinkel  aus¬ 
ging;  in  demselben  findet  sich  ein  Gebilde,  das  Brünings  als  ein 
Haar  anspricht,  und  das  Markschicht,  innere  und  äussere  Wurzel¬ 
scheide  unterscheiden  lässt.  Es  handelt  sich  um  einen  versprengten 
Keim,  der  wahrscheinlich  einen  Reiz  auf  die  Uteruswand  ausgeübt 
hat.  Der  Tumor  ist  vielleicht  den  Teratomen  anzureihen. 

III.  A.  Müller  (München)  demonstrirt: 

1.  Eine  Radfahrertasche  für  Geburtshilfe; 

2.  einen  Dilatator  und  unelastischen  Ballon  zur 
Erweiterung  des  Cervicalcanals  am  Ende  der  Schwangerschaft; 

3.  recht  zweckmässige  Bein  halter  für  die  geburtshilfliche 
Praxis; 

4.  geburtshilfliches  Demonstrations-  und  1  a- 
scheuphantom. 

Die  Construction  dieses  Phantoms,  welches  in  natürlicher  Grösse 
und  in  ein  Drittel  natürlicher  Grösse  geliefert  wird  (Lehman  n’s 
Verlag),  beruht  auf  der  Anschauung  des  Verfassers  über  den  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  Kopfform  und  Geburtsmechanismus. 

Auf  eine  Platte,  welche  die  Zeichnnng  des  sagittalen  Durch¬ 
schnittes  eines  weiblichen  Beckens  trägt,  ist  der  Durchschnitt  des 
Kreuzbeines  und  der  Sympyhse  erhaben  aufgetragen.  Am  Kreuzbeins 
sind  Federn  befestigt,  welche  die  Wirkung  der  Beckenweicktheile  und 
des  Dammes  veranschaulichen.  Profile  von  Kinderköpten  in  der  den 
verschiedenen  Lagen  entsprechenden  Configuration,  aus  Holz  und  Pappe 
gefertigt,  gleiten,  durch  das  flache  „Becken11  geschoben,  genau  in  der 
dem  natürlichem  Verlaufe  dieser  „Lagen“  entsprechenden  Weise 
durch  das  Becken.  Das  dem  kleinen  Phantome  beigegebene  Modell 
einer  Zange  erleichtert  das  Verständniss  für  die  Wichtigkeit  der  Zug¬ 
richtung; 

5.  Assistenzapparat  für  gynäkologische  Ope¬ 
rationen; 

6.  ein  Phantom  des  Beckenausganges. 

IV.  Fraenkel  (München) :  Mittheilung  über  Chorion- 
epithel,  das  im  Anfang  der  Schwangerschaft  bekanntlich  zwei¬ 
schichtig  ist.  Er  geht  auf  die  Frage  ein,  ob  das  Syncytium  mütter¬ 
lichen  oder  fötalen  Ursprunges  ist. 

V.  Koetschau  demonstrirt  einen  graviden  Uterus,  der 
circa  14  Tage  vor  der  Geburt  Avegen  Carcinom  auf  vaginalem  Wege 
nach  Entbindung  des  Kindes  durch  den  sogenannten  vaginalen  Kaiser¬ 
schnitt  exstirpirt  wurde. 

VI.  L.  Fürst  (Berlin)  demonstrirt  seine  von  ihm  angegebene, 
in  der  „Deutschen  Medicinal-Zeitung“  (1899,  Nr.  60)  ausführlich, 
beschriebene  Thermophor  -  Couveuse  für  zu  früh  geborene  oder 
bei  der  Geburt  lebensschwache  Kinder,  bei  der  eine  Dauererwärmung 
des  Kindes  ohne  Wasser  erreicht  wird.  In  ein  Körbchen  mit  doppeltem 
Boden  werden  drei  sogenannte  Thermophorplatten  durch  eine  seitliche 
Oeffnung  zwischen  beide  Böden  eingeschoben.  Diese  doppelten,  überall 
hermetisch  geschlossenen,  mit  Handgriffen  versehenen  Platten  aus  kräf¬ 
tigem  Blech  enthalten  ein  krystallinisches  Salz,  welches  beim  Kochen 
im  eigenen  Krystallwasser  schmilzt,  dann  aber  nur  langsam  wieder  aus- 
krystallisirt  und  hiebei  viele  Stunden  lang  Wärme  abgibt.  Diese 
steigt  rings  um  das  Kind  empor  und  umgibt  es,  da  sie  in  Folge  eines 
mit  Mousselin  überspannten,  gewölbten  Deckels  nur  Avenig  entweicht, 
mit  einer  lang  anhaltenden,  ziemlich  constanten  Temperatur  bis  zu 
27°  R.  (34°  C.).  Eine  Berührung  der  Platten  mit  dem  Kinde  und 
irgend  welche  Schwierigkeit  der  Beobachtung  desselben  ist  völlig  aus¬ 
geschlossen. 

Die  Thermophor-Couveuse  ist  einfach  und  handlich.  Ihre  Be¬ 
dienung  ist  sehr  leicht,  denn  die  Platten  brauchen  nur  alle  sechs  bis 
acht  Stunden  ausgewechselt  zu  werden. 

Da  solche  Fälle,  in  denen  frühgeborene  oder  schwächliche 
Kinder  einer  künstlichen  Erwärmung  (Nachbrütung)  zur  Verhütung 
von  Collaps,  Sklerem  etc.  bedürfen,  meist  unerwartet  eintreten  und 
derartige  Apparate  ohne  Zeitverlust  in  Action  kommen  müssen,  wird 
es  sich  empfehlen,  dass  solche  Thermophor-Couveusen  in  jedem 
Physicatsbezirke  an  geeigneten  Stellen  vorrätliig  gehalten  und  jeder¬ 
zeit  gegen  mässige  Wochenmiethe  dem  Publicum  leihweise  über¬ 
lassen  Averden. 

Dieser  Modus  empfiehlt  sich,  weil  die  künstliche  Erwärmung  ge¬ 
wöhnlich  nur  einige  Wochen  lang  nöthig  ist.  Da  die  Vorrichtung 
binnen  einer  Viertelstunde  in  Wirksamkeit,  gesetzt  werden  kann, 
dürfte  es  möglich  sein,  manches  kindliche  Individuum,  das  sonst  in 
Folge  von  Wärmeverlusten  durch  Haut  und  Lungen  verloren  wäre, 
zu  erhalten. 

Herstellung  und  Vertrieb  der  Thermopher-Couveuse  hat  die 
Deutsche  Thermophor-Gesellschaft  übernommen. 

VII.  v.  Guerard:  D  e  c  i  d  u  o  m  a  malign  um  der  Portio 
nach  Blasenmole  bei  freibleibendem  Corpus. 


Das  vorliegende  Präparat  lässt  auch  makroskopisch  an  der 
malignen  Natur  des  Tumors  keinen  Zweifel,  überall  geht  der  Tumor 
ganz  diffus  in  das  ihn  umgebende  Gewebe  über.  Die  mikroskopischen 
Bilder  zeigen  ebenfalls,  dass  das  Gewebe  überall  mit  Geschwulstelementen 
durchsetzt  ist,  neben  arrodirten  Gefässen  sieht  man  mitten  im  gesunden 
Gewebe  Inseln  der  Geschwulstmasse.  Im  Uebrigen  erkennt  man  bei 
genauer  Durchsicht  der  Präparate  die  Bilder,  welche  March  and  in 
seiner  Arbeit  abgebildet  hat,  in  typischer  Weise  wieder.  An  den 
Randstellen  sind  theilweise  in  die  Tiefe  dringende  Defecte  zu  sehen, 
deren  Umgebung  mit  zahlreicher  Zelleninfiitration  versehen  ist  und  in 
die  hinein  sich  sehr  grosse  syncytiale  Massen  destruirend  einsenken. 
Vortragender  deutet  dieses  als  die  Stellen  der  ehemaligen  Erosionen, 
und  glaubt,  dass  die  Geschwulst  hievon  ihren  Ausgang  genommen 
hat.  Aus  der  Anamuese  ist  zu  erwähnen,  dass  die  Frau  im  Januar  1899 
von  einer  Blasenmole  entbunden  wurde;  schon  damals  fand  sich  an  der 
vorderen  Muttermundslippe  eine  Erosion,  welche  trotz  Aviederholter 
Aetzung  nicht  ausheilte;  aus  dieser  Erosion  bildete  sich  die  haselnuss¬ 
grosse  Geschwulst,  Avelclie  im  Mai  1899  die  Totalexstirpation  erforder¬ 
lich  machte. 

VIII.  J.  A.  Amann  jr.  (München) :  Ueber  Bildung  von 
Ureiern  und  primär  follikelähnlichen  Gebilden  im 
senilen  Ovarium. 

Beim  Menschen  und  höheren  Säugethiere  findet  die  Bildung  von 
Ureiern  nur  im  fötalen  Leben,  eventuell  noch  in  den  ersten  Lebens¬ 
jahren  statt.  Die  vereinzelten  Untersuchungsergebnisse  von  Ureier-, 
respective  Follikelbildung  im  geschlechtsreifen  Alter  scheinen  sich 
auf  atypische,  pathologische  Verhältnisse  zu  beziehen:  im  senilen 
Ovarium  Averden  von  allen  Untersuchern  nur  regressive  Vorgänge  be¬ 
schrieben. 

Bei  einer  63jährigen  Frau  exstirpirte  Amann  wegen 
Carcinoma  cervicis  den  Uterus  mit  seinen  Adnexen  auf  vaginalem  Wege; 
die  Heilung  verlief  glatt.  Die  histologische  Untersuchung  der  makro¬ 
skopisch  etwas  cystisch  degenerirten,  sonst  kaum  veränderten  Ovarien 
ergab  nun  folgenden  auffallenden  Befund. 

Die  cystischen  Hohlräume  sind  mit  Cylinder  epithel  aus¬ 
gekleidet,  das  an  einzelnen  Stellen  eine  grössere  Anzahl  sofort  auf¬ 
fallender  sehr  grosskerniger  Zellen  aufAveist,  welche  von 
flach  spindeligen,  intensiv  gefärbten  Zellen  um¬ 
schlossen  sind.  Nahe  der  Oberfläche  liegen  kleine  Epithel¬ 
schläuche,  zum  Theil  mit  cystischen  Sprossungen  versehen,  welche 
noch  deutlicher  die  beiden  Zellarten  (je  eine  auffallend  grosskernige 
Epithelzelle  ist  umschlossen  von  circa  sechs  flachspindeligen  Mantel¬ 
zellen)  aufweisen. 

Die  feineren  histologischen  Details  dieser  Zellen  entsprechen 
vollkommen  dem  Verhalten  der  Ureier,  wie  sie  im  Ovarium  des 
Neugeborenen  vorhanden  sind,  desgleichen  entsprechen  die  Mantel¬ 
zellen  morphologisch  vollkommen  den  Epithelien  der  Primärfollikel 
jener  Zeit. 

Die  grossen  Zellen  sind  als  Ureier  und  die  Combination  der¬ 
selben  mit  den  anliegenden  Mantelzellen  als  primärfollikelähn- 
liche  Gebilde  in  morphologischem  Sinne  aufzufassen,  eine  Auf¬ 
fassung,  die  auch  von  embryologischer  Seite  getheilt  wurde. 

Die  Herkunft  der  Epithelcysten  und  Schläuche  kann  mit  Sicher¬ 
heit  auf  das  Keimepithel  zurückgeführt  werden  und  durch  Serien¬ 
schnitte  bewiesen  werden.  In  den  Keimepitheleinstülpungen  finden  sich 
vielfach  Mitosen. 

Nur  an  einer  Stelle  dringt  das  Keimepithel  in  Form  unregel¬ 
mässiger  Stränge,  das  Stroma  durchziehend,  tiefer  hinein,  auch  hier 
finden  sich  an  einzelnen  Stellen  zahlreiche  Ureier. 

Bisher  wurden  nur  von  Aconcci,  Emanuel,  Verfasser  und 
Neumann  in  vorgeschrittenen  papillären  oder  papillär-carcinomatösen 
Ovarialtumoren  ureierähnliche  Zellen  beschrieben.  Doch  muss  hier  auf 
die  Schwierigkeit  der  Diagnose  solcher  Befunde  in  vorgeschrittenen 
Neubildungen  hingewiesen  werden.  Einzig  in  seiner  Art  ist  demnach 
der  oben  beschriebene  Fall,  da  hier  eine  beginnende,  vom  Keim¬ 
epithel  ausgehende  Cystadenombildung  vorliegt  und  ferner  da  nicht 
allein  Ureier,  sondern  auch  primär  follikelähnliche  Gebilde 
vorhanden  sind. 

Dieser  Fall  stützt  auch  wieder  die  immer  mehr  angenommene 
Anschauung,  dass  die  Cystadenome  vom  Keimepithel  und  nicht  vom 
Follikelepithel  abstammen.  Es  ist  staunensAverth,  zu  erkennen,  wie  das 
Keimepithel  eines  senilen  Ovariums  noch  in  so  hohem  Alter  die  Fähig¬ 
keit  beibehalten  kann,  Wucherungsvorgänge  der  beschriebenen  Art  zu 
zeigen  und  zwar  mit  der  denselben  specifischen  Eigenschaft  der  Ureier- 
und  Primärfollikelbildung,  wenn  auch  in  etwas  atypischer  pathologi¬ 
scher  Art. 

IX.  S  t  r  a  t  z  (den  Haag)  betont,  dass  bei  chronischen  Adnex- 
affectionen  die  conservativen  Methoden  die  besten  Resultate  ergeben. 
Besonders  die  Amvendung  von  Heisswasserinjectionen  ist  zu  empfehlen. 
Zur  Ermöglichung  von  Amvendung  höherer  Temperaturen  hat  Stratz 
ein  Hartgummispeculum  construirt,  das  gestattet,  ohne 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  28 


660 


Verbrühung  der  äusseren  Theile  die  heisse  Temperatur  allein  auf 
die  Scheide  einwirken  zu  lassen  (Demonstration  desselben.  Be¬ 
schrieben  im  Centralblatt  für  Gynäkologie).  Zur  Erzielung  einer 
schnellen  Heilung  ist  aber  die  klinische  Behandlung  der  poliklinischen 
vorzuziehen.  Die  Ausspülungen  müssen  mit  Wasser  von  48°  gemacht 
werden  und  circa  6  — 11  müssen  täglich  zur  Ausspülung  gebraucht 
werden.  Ausserdem  wendet  Stratz  Einreibungen  von  Ichthyol- 
Lanolin  in  Verbindung  mit  P  r  i  e  s  s  n  i  t  z’schen  Umschlägen  und 
Scheidentampons  an.  Bei  tuberculösen  Affectionen  hingegen  ist  die  An¬ 
wendung  der  Heisswasserinjectionen  contraindicirt.  Ist  ein  operativer 
Eingriff  von  der  Scheide  aus  nothwendig,  so  glaubt  Stratz,  dass  eine 
AngrifFnahme  der  Tumoren,  respective  die  Entleerung  des  Eiters  bei 
Pyosalpinx,  häufig  leichter  durch  eine  Colpotomia  lateralis  als  durch 
eine  anterior,  respective  posterior  stattfinden  kann.  Bei  der  Colpotomia 
lateralis  wird  mit  Vermeidung  der  Arteria  uterina  das  Parametrium 
eröffnet. 

Stratz  betont  mit  Recht,  dass  bei  Adnexoperationen  viel  zu 
viel  operirt  wird,  da  durch  chronische  Affectionen  nie  eine  directe 
Lebensgefahr  entsteht. 

X.  Ludwig  P  i  n  c  u  s  (Danzig) :  Zur  Belastungslag  e- 
r  u  n  g. 

1.  Die  Behandlung  der  entzündlichen,  speciell  exsudativen  Pro- 
cesse  in  der  Umgebung  und  den  Anhängen  der  Gebärmutter,  d.  li.  also 
sowohl  in  den  Parametrien,  als  auch  in  der  Beckenserosa  und  in  den 
Tuben,  kann  und  muss  in  der  Privatpraxis  in  erster  Linie  eine  durch¬ 
aus  nichtoperative  sein.  Die  Operation,  als  Ultimum  refugium,  muss, 
wenn  irgend  möglich,  eine  conservative,  die  Function  erhaltende  sein. 
In  der  klinischen  und  poliklinischen  Praxis  bildet  vielfach  schon  Arbeits¬ 
unfähigkeit  die  Indication  zur  Operation. 

2.  Sowohl  im  acuteD,  als  auch  im  subacuten  und  chronischen 
Stadium  der  genannten  Affectionen  ist  das  wichtigste  Erforderniss 
einer  rationellen  Therapie :  die  Fürsorge  für  eine  thunlichst  aus¬ 
giebige  Entlastung  der  Organe  des  Beckens  im  chirurgischen  Sinne. 

3.  Einer  schnellen  Resorption  und  energischeren  Eliminirung  der 
Infectionserreger  weiden  wir  in  der  Praxis  auf  exacte  und  dabei  relativ 
bequeme  Weise  mittelst  der  „Belastungslagerung“  gerecht. 

4.  Das  Planum  inclinatum  und  die  Compression  bilden  das  Cha- 
racteristicum  der  Belastungslagerung. 

5.  Das  Planum  inclinatum  wird  hergestellt  durch  Erhöhung  des 
Fussendes  des  Bettes  oder  des  Fussendes  einer  festen  Matratze  um 
15  cm  (Minimum)  bis  35  cm  (Maximum).  Höhere  Erhebungen  sind 
nur  ausnahmsweise  und  stets  nur  zu  vorübergehendem  Gebrauche  zu¬ 
lässig.  Zur  Behandlung  frischer,  puerperaler  Affectionen  wird  die 
schiefe  Ebene  hergestellt  durch  eine  aus  Drillich  oder  Segelleinen 
gefertigte,  in  einem  Holzrahmen  von  der  Breite  des  Bettgestells 
ruhende  Hängematte,  welche,  mittelst  einer  Schnur  am  Fussende  des 
Bettes  jederseits  über  eine  Rolle  laufend,  in  jeder  beliebigen  Höhe 
festgestellt  werden  kann  und  eine  bequeme  intermittirende  Anwendung 
ermöglicht. 

6.  Das  Planum  inclinatum  wird  im  Allgemeinen  permanent,  nur 
bei  frischen,  puerperalen  Affectionen,  wegen  des  Lochialsecretes  und 
der  etwa  nothwendigen  Vaginalinjectionen  intermittirend  angewandt. 

7.  Die  Compression  wird  entweder  von  den  Bauchdecken  oder 
der  Scheide  aus,  oder  aber  am  besten  von  beiden  gleichzeitig  ange¬ 
wendet.  Die  vaginale  Compression  nimmt  nur  bei  ausgesprochen 
chronischen  Formen  den  Charakter  eines  activen  Druckes  an,  gleicht 
im  Uebrigen  mehr  einem  eingeschalteten  Widerstande  zur  Ruhigstelluug 
der  Organe. 

a)  Compression  von  aussen:  Elastische  Binden,  Heftpflaster,  Schrot¬ 
sack,  feuchter  Töpferton.  Gewicht  1  —  5  leg. 

1)  Compression  von  der  Vagina  aus:  G  a  r  i  e  l’sches  Luftpessar, 
Kolpeurynter,  Schrotsack,  antiphlogistische  „Staffeltamponade“.  Strenge 
Asepsis  und  Antisepsis;  steriles,  trockenes  Material. 

8.  Die  Compression  ist  intermittirend  oder  permanent.  Dauer  und 
Intensität  ist  individuell  verschieden.  Sie  ist  im  acuten  Stadium  nur 
bei  gleichzeitiger  Anwendung  des  Planum  inclinatum  erlaubt,  und  wenn 
Fieber  und  Schmerz,  wenn  auch  nur  vorübergehend,  durch  sie  ver¬ 
ringert  werden.  Im  chronischen  Stadium  darf  sie  permanent  sein,  wenn 
die  Kranke  schmerz-  und  fieberfrei  bleibt ;  sie  darf  nur  intermittirend 
sein,  wenn  Schmerzen  oder  Fieber  (Abends  messen)  auftreten.  Die 
gynäkologische  Massage  wirkt  im  chronischen  Stadium  vielfach  unter¬ 
stützend. 

9.  Das  Planum  inclinatum  und  mehr  noch  die  typische  Belastungs¬ 
lagerung  bewährt  sich  bei  allen  mit  Hyperämie  einhergehenden  Affec¬ 
tionen  der  Generationsorgane,  zur  Lockerung  von  Adhäsionen,  zur 
Lageverbesserung  des  Uterus  und  der  Ovarien  etc.  Ihre  eigentliche 
Domäne  sind  ausgesprochen  chronische  Beckenexsudate.  Doch  auch  bei 
sehr  vielen  Fällen  acuter  Entzündung  leistet  sie  vortreffliche  Dienste. 
Contraindicirt  ist  sie  bei  peritonitischen  Reizungszuständen  (Meteorismus, 


Hochstand  des  Zwerchfells).  Die  Dauer  der  Behandlung  schwankt 
zwischen  wenigen  Tagen  und  mehreren  Monaten. 

10.  Die  Behandlung  im  chronischen  Stadium  muss,  wenn  irgend 
möglich,  eine  ambulante  sein.  Dies  Ziel  ist  erreichbar  durch  vaginale 
Compression  und  elastische  Leibbinden.  Als  Adjuvans  betrachten  wir 
in  jedem  Falle  die  Benützung  des  Planum  inclinatum,  am  Tage  inter¬ 
mittirend  während  weniger  Stunden,  in  der  Nacht  permanent. 

11.  Wird  trotz  Anwendung  der  typischen  Belastungslagerung  ein 
Exsudat  nicht  kleiner  —  es  gilt  namentlich  von  der  puerperalen  Peri- 
Parametritis  —  und  tritt  selbst  nur  bei  geringfügigen  Fieberbewe¬ 
gungen  ein  sichtlicher  Kräfteverfall  ein,  so  ist  nicht  nur  Eiter  im  Ex¬ 
sudat  zugegen,  sondern  es  bereitet  sich  höchstwahrscheinlich  auch  eine 
Perforation  vor,  welcher  man  nach  vorausgeschickter  Probepunction 
durch  präparatorische  Incision  zuvorkommen  muss. 

Discussion:  v.  H  e  r  f  f  vertritt  gleichfalls,  wie  Stratz,  den 
conservativen  Standpunkt,  eine  grosse  Anzahl  von  Adnexerkrankungen 
gelangt  zur  Heilung,  respective  zu  einem  Stillstand.  Heisswasser¬ 
behandlung  ist  sehr  werthvoll,  hingegen  sah  er  von  Ichthyol  keinen 
Erfolg. 

XI.  Knorr  (Berlin)  hält  seinen  Vortrag  über  Irritable 
Bladder  bei  der  Frau. 

Er  berichtet  über  63  Fälle,  bei  denen  der  Symptomencomplex 
der  reizbaren  Blase  bestand,  die  er  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  B  i  er¬ 
hoff  (New  York)  cystoskopisch  und  urologisch  untersucht  hat.  Eine 
rein  nervöse  Form  fand  sich  in  keinem  Falle,  wohl  aber  waren  jedes¬ 
mal  pathologische  Zustände  der  Blase  vorhanden. 

Die  Ursachen  des  Leidens  waren: 

30mal  Cystitis  colli  chron.,  davon 

9mal  mit  Pericystitis, 

1  „  „  Fissur  am  Sphinct.  int., 

2  „  „  Uretritis  gon.  cat., 

1  „  „  Ulcerationen  der  Blase, 

3  „  „  papillären  Wucherungen. 

Gmal  bestand  Hyperämie  des  Blasenbodens, 

4  „  Phlebektasien, 

1  „  bullöses  Oedem  bei  Carcinoro.  parametrii, 

4  „  Texturveränderung  der  Wand  bei  Carcinom.  uteri, 

13  „  Pericystitis, 

2  „  narbige  Verdickung  der  Blase, 

2  „  Cystocele, 

1  „  Bacteriurie. 

Somit  erscheint  das  Vorkommen  rein  nervöser  Irritable  bladder 
ein  recht  seltenes  zu  sein.  Die  Therapie  war  eine  locale,  in  den 
meisten  Fällen  erfolgreiche. 

Vortragender  empfiehlt  den  Frauenärzten  das  Studium  der  Blasen¬ 
krankheiten,  sowie  die  Anwendung  des  Cystoskops  aufs  Wärmste. 

XII.  Franz  (Halle) :  Klinische  Beiträge  zur  Kennt- 
niss  der  Eileiterschwangerschaft. 

In  den  letzten  fünf  Jahren  wurden  in  der  Hallenser  Frauen¬ 
klinik  70  Fälle  von  Extrauteringravidität  operirt.  Darunter  sind 
43  Aborte,  18  Rupturen,  4  ungeplatzte  Tubargraviditäten,  5  unbe¬ 
stimmt.  Diese  Fälle  wurden  statistisch  zusammengestellt  nach  ihrem 
klinischen  Verhalten  in  Bezug  auf  Aetiologie,  Diagnose  und  Therapie. 
Aetiologisch  wurde  für  manche  Fälle  die  Annahme  einer  Tuben¬ 
entzündung  dann  wahrscheinlich,  wenn  man  bei  der  Operation  die 
anderen  Adnexe  entzündlich  verändert  fand,  und  zwar  scheint  es,  dass 
hauptsächlich  abgelaufene,  in  Heilung  begriffene  Erkrankungen  der 
Tuben  zur  Entstehung  der  Eileiterschwangerschaft  prädisponiren.  Die 
Diagnose  hat  zwischen  ungeplatzter  Tubargravidität,  Ruptur  und 
Abort  zu  unterscheiden.  Allen  drei  Zuständen  gemeinsam  sollten  die 
anamnestischen  und  localen  Schwangerschaftszeichen  an  Brüsten, 
Scheidenschleimhaut  und  Uterus  sein.  Die  Regel  war  aber  nur  in 
46  Fällen  ausgeblieben.  Constautere  Zeichen  der  Extrauteringravidität 
sind  bei  der  Störung  der  Schwangerschaft  Blutungen  und  Schmerzen. 
Blutungen  wurden  bei  66  Fällen  von  gestörter  Extrauteringravidität 
nur  viermal  vermisst.  Die  Art  der  Schmelzen  ist  bei  ungeplatzter 
Tubargravidität,  bei  Ruptur  und  Abort  verschieden.  Dieser  Umstand 
hilft  zu  der  nothwendigen  Trennung  dieser  drei  Zustände,  die  natür¬ 
lich  zunächst  durch  den  Palpationsbefund  vorgenommen  werden  muss. 
Bei  der  nicht  geplatzten  Tubarschwangerschaft  findet  man  nur  dann 
Schmerzen,  wenn  Blutungen  in  die  Tube  stattgefunden  haben,  sie 
haben  dann  einen  kolikartigen  Charakter,  wie  in  einem  Falle  beob¬ 
achtet  worden  ist.  Die  plötzliche  Ruptur  zeichnet  sich  durch  einen 
plötzlichen  Schmerz  im  Abdomen  aus.  Die  ausgesprochenen  Fälle  von 
Ruptur  mit  Collapserscheinungen,  bedingt  durch  innere  Blutung,  sind 
nicht  sehr  häufig.  Bei  18  Rupturen  wurden  sie  fünfmal  beobachtet. 

(Schluss  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


■4» 


Die  „Wiener  klinische 
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erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
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unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Emst  Fuchs,  Karl  Güssen!)  auer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Sehrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

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Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel.  Telephon  Nr.  6094. 


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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  19.  Juli  1900. 


Kr.  29. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  Neusser) 
in  Wien.  Ein  Fall  von  Abdominaltyphus  mit  posttyphöser  Schild¬ 
drüsenvereiterung.  Bacteriologisch-hämatologische  Betrachtungen. 
Von  Dr.  Anton  Schudmak,  Aspiranten  der  H.  medicinischen 
Klinik,  und  Dr.  J.  A  c  b.  V  1  a  c  h  o  s,  Hospitanten  der  n.  medi¬ 
cinischen  Klinik. 

2.  Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  und  dem  neurologischen  Institute 
an  der  Wiener  Universität.  Zur  Kenntniss  der  mit  schweren 


Anämien  verbundenen  Rückenmarksafff ctionen.  Von  Dr.  Otto 
Marburg,  Assistenten  am  neurologischen  Institute. 

3.  Aus  der  I.  medicinischen  Klinik  in  Wien  (Hofrath  Nothnagel). 
Beitrag  zur  Aetiologie  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krankheit  und  des 
Thyreoidismus.  Von  Dr.  Robert  Breuer,  Assistenten.  (Schluss.) 
II.  Referate:  Das  Breslauer  Hallenschwimmbad.  Von  Dr.  K  a  b  i  e  r  s  k  e. 

Ref.  Hinterberger.  —  Ueber  Wesen  und  Ursache  der 
Zuckerkrankheit.  Von  Dr.  med.  et  phil.  Hans  Leo.  Ref.  0  ff  e  r. 
II  [.  Vermischte  Nachrichten. 


Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  Neusser) 

in  Wien. 

Ein  Fall  von  Abdominaltyphus  mit  posttyphöser 
Schilddrüsenvereiterung. 

Bacteriologisch-hämatologische  Betrachtungen. 

Von  Dr.  Allton  Schudmak,  Aspiranten  der  II.  medicinischen  Klinik,  und 
Dr.  J.  Ach.  Vlaclios,  Hospitanten  der  II.  medicinischen  Klinik. 

Seitdem  der  Erreger  des  menschlichen  Abdominaltyphus 
durch  E  berth  gefunden,  und  von  Gaffky  in  Reinculturen 
gezüchtet  wurde,  gab  es  eine  grosse  Menge  Forscher,  die 
diesem  Mikroorganismus  ihre  grösste  Aufmerksamkeit  schenkten, 
und  die  biologischen  Eigenschaften  dieser  so  wichtigen  Bacillen 
genau  studirten.  In  kurzer  Zeit  häufte  sieh  eine  beträchtliche 
Literatur  über  die  Eigenschaften,  Lebensbedingungen  und 
Fortpflanzung  dieser  so  wichtigen  Gebilde  auf. 

Die  widersprechendsten  Dinge  wurden  als  Thatsachen 
hingestellt  und  dann  widerrufen,  bis  sich  endlich  die  Sache 
etwas  klärte  und  festeren  Boden  zu  gewinnen  begann. 

So  ging  es  auch  lange  Zeit  mit  einer  Eigenschaft,  die 
diesen  Bacillen  manchmal  zukommen  soll,  id  est  mit  der 
Eiterbildung. 

Während  es  früher  eine  langeZeit  fast  als  ausgemachte  Sache 
galt,  dass  sämmtliche  bei  Typhus  auftretenden  Complicationen 
mit  eiterigen  Herden  auf  secundärer  Infection  beruhen,  gelang 
es  zahlreichen  Autoren,  aufs  Unzweideutigste  zu  beweisen,  dass 
die  Typhusbacillen  manchmal  ihre  Eigenschaften  derart  ändern 
können,  dass  sie  in  verschiedenen  Organen  Abscesse  oder 
purulente  Entzündungen  verursachen.  Freilich  ist  dieser  Um¬ 
schlag  in  eiterbildende  Eigenschaft  selten,  aber  dass  eine  solche 
Möglichkeit  existirt,  beweist  nicht  nur  das  Thierexperiment, 


sondern  auch  die  Beobachtung  am  Krankenbett.  Das  Verdienst, 
auf  diese  Thatsache  hingewiesen  zu  haben,  gebührt  in  erster 
Linie  A.  Fränkel,  dessen  Fall  einen  abgesackteu  Eiterherd 
im  Peritoneum  betraf. 

Auch  die  Beziehungen,  die  diese  in  ihrem  eigentlichen 
Wesen  so  wenig  gekannten  Bacterien,  respective  Toxine  zu 
den  blutbildenden  Organen  haben,  bilden  noch  immer  ein 
Räthsel  für  Diejenigen,  die  sich  intensiv  mit  dieser  Frage  be¬ 
schäftigen.  Auch  hier  finden  wir  Widersprüche  und  stossen 
auf  grosse  Schwierigkeiten,  sobald  wir  dieser  b  rage  etwas 
näher  treten. 

Der  Grund,  der  uns  bestimmte,  diese  oben  erwähnte 
Eigenschaften  der  Typhusbaeillen  näher  zu  studiren,  bildet 
folgender  Fall,  den  wir  auf  der  Klinik  des  Holratkes  Neusser 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatten.  Am  2.  Mai  1899  wurde 
der  30jährige  Maurergehilfe  J,  M.  aus  Böhmen  auf  die  Klinik 
gebracht. 

Anamnese:  Patient  ist  erblich  nicht  belastet.  An  über¬ 
standene  Kinderkrankheiten  kann  sich  Patient  nicht  erinnern.  Bis 
zum  Ausbruche  der  jetzigen  Krankheit,  die  am  23.  oder  24.  April 
d.  J.  erfolgte,  soll  Patient  ganz  gesund  gewesen  sein. 

Vor  Beginn  derselben  soll  in  seinem  Heimatsorte  in  Böhmen 
eine  fieberhafte  Krankheit  epidemisch  aufgetreten  sein,  die  der 
dortige  Arzt  als  Typhus  bezeichnet  hatte.  In  den  lagen  vom  23-  bis 
26.  April  hatte  Patient  mehrmals  Frösteln,  danach  wieder  Hitze¬ 
gefühl;  er  fühlte  sich  überhaupt  matt  und  musste  demzutolge  die 
Arbeit  aufgeben  und  sich  niederlegen,  ln  den  folgenden  Tagen 
hatte  er  keinen  Frost,  wohl  aber  starkes  Hitzegefühl,  das  ihm 
Vormittags  weniger  Beschwerden  machte,  Abends  aber  sehr  staik 
war.  Er  hatte  während  dieser  Zeit  massige  Kopl schmerzen  und 
wenig  Husten.  Patient  hatte  damals  ein  bis  zwei  dünnbreiige  Stühle 
täglich. 


662 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  29 


Am  BO.  April  bekam  Patient  zweimal  Nasenbluten  und  soll 
dabei  circa  Blut  verloren  haben.  Directe  Schmerzen  gibt  Pa¬ 
tient  nicht  an,  nur  fühlt  er  sich  im  Ganzen  schwach  und  abge¬ 
schlagen. 

Polus  in  massigem  Grade  wird  zugestanden,  irgend  welche 
venerische  Affection  negirt. 

Status  praesens:  Patient  nimmt  eine  active  Rückenlage 
ein.  Sensorium  etwas  benommen.  Schädel  normal  gebaut.  Haut¬ 
farbe  blass. 

Patient  ist  mittelgross,  von  kräftigem  Knochenbau  und  massig 
entwickelter  Musculatur.  Haut  zeitweise  von  Schweiss  bedeckt. 
Pupillen  normal.  Gesichtsnerven  intact.  Lippen  leicht  cyanotisch. 
Zunge  feucht,  in  der  Mille  belegt.  Gaumen  und  Rachen  leicht  ge- 
üthet.  Hals  lang,  mager.  Die  Schilddrüse  leicht  ver grösser t. 
Im  Bereiche  der  Lungen  lassen  sich  sowohl  percutorisch,  wie  aus- 
cultatorisch  ganz  normale  Verhältnisse  nachweisen.  Das  Herz  eben¬ 
falls  normal.  Puls  von  geringer  Spannung.  Auf  der  Haut  des 
Thorax  und  der  Gegend  des  Epigastriums  sind  kleine  hellrothe 
Flecke  bemerkbar,  die  auf  Druck  abblassen;  ebenso  am  Rücken  und 
in  der  Lendengegend. 

Das  Abdomen  ist  flach.  Die  Untersuchung  der  Leber  ergibt 
die  normalen  Grenzen  dieses  Organes,  dasselbe  ist  auch  nicht  palpabel. 
Die  Milzdämpfung  beginnt  im  achten  Intercostalraume,  sie  reicht 
nach  vorne  bis  zur  Mamillarlinie  und  nach  unten  bis  etwa  drei 
Querfinger  unterhalb  des  Rippenbogens;  an  dieser  Stelle  ist  sie 
auch  als  mittelweicher  Tumor  zu  palpiren.  Im  Bereiche  der 
lleocöcalgegend  Gurren;  dieselbe  ist  auch  leicht  aufgetrieben  und 
auf  Druck  empfindlich.  Am  Oberschenkel,  an  der  Streckseite  des 
Knies  spärliche  Roseolen.  Die  Wadenmusculatur,  wie  auch  die  Musculi 
recti  abdom.  nicht  schmerzhaft. 

Stuhl:  Flüssig,  mit  einzelnen  festen  Bröckelchen  von  gelber 
Farbe.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergibt  Schleim,  phosphor- 
saure  Ammoniakmagnesia  und  zahllose  Bacterien. 

Harn:  Specifisches  Gewicht  1024.  Farbe  röthl ichgelb.  Reac¬ 
tion  sauer.  Nucleo-  und  Serumalb.  schwach  positiv.  Urobilin  positiv, 
Diazoreaction  positiv,  sonst  normaler  Befund. 

Blut:  Nativpräparat:  Geldrollenbildung  normal.  Keine 
Grössen-  oder  Form  unterschiede  in  den  Erythrocyten,  wenig  Blut¬ 
plättchen,  kein  Fibrinnetz.  Fleischl  70%-  Zahl  der  rothen  4,750.000, 
Zahl  der  weissen  4200.  Färbeindex  075. 

Trockenpräparat:  Rothe  Blutzellen  unverändert,  weisse 
deutlich  vermindert,  eosinophile  Zellen  nicht  auffindbar,  sonst 
schätzungsweise  normale  Verhältnisse,  n  u  r  di  e  L  y  m  phocyten 
erscheinen  relativ  vermehrt! 


12.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38°,  Abends  39  5°,  Puls  96. 
Respiration  24.  Kein  Stuhl.  Im  Urin  nur  Nucleoalbumin  positiv. 
Serumalbumin  kaum  nachweisbar,  sonst  normaler  Befund. 

13.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37",  Abends  39-3°,  Puls  98. 
Respiration  24.  Ein  Stuhl. 

14.  Mai.  Temperatur  Vormittags  36'9°,  Abends  38‘9°.  Puls 
und  Respiration  wie  oben.  Im  Urin  nur  noch  Nucleoalbumin  in 
Spuren.  Diazoreaction  negativ.  Ein  Stuhl. 

15.  Mai.  Temperatur  zwischen  374°  und  38'5°.  Puls  und 
Respiration  wie  bisher.  Urinbefund  derselbe. 

10.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37°,  Abends  39°.  Puls  94. 
Respiration  22.  Kein  Stuhl.  Im  Urin  derselbe  Befund.  Blutbefund: 
Nativpräparat:  Normale  Geldrollenbildung.  Blutplättchen  normal. 
Kein  Fibrinnetz.  Zahl  der  rothen  4,900.000,  Zahl  der 
weissen  4800.  Fleischl  75%.  Trockenpräparate:  Normale  Verhält¬ 
nisse  der  Erythrocyten.  Keine  Eosinophilen  auffindbar. 

17.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37'8°,  Abends  394.  Puls  96. 
Respiration  24.  Ein  Stuhl.  Milz  scheint  etwas  zurück  gegangen  zu 
sein,  sonst  derselbe  Befund. 

18.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37'7°,  Abends  39-5°. 
Puls  102.  Respiration  dieselbe.  Ein  Stuhl.  Urinbefund  unver¬ 
ändert. 

19.  und  20.  Mai.  Derselbe  Befund. 

21.  Mai.  Temperatur  zwischen  37’4°  und  39'4°.  Puls  1 02- 
Respiration  22.  Milzschwellung  deutlich  zurückgegangen.  Dieselbe 
ist  nur  einen  Querfinger  unter  dem  Rippenbogen  palpabel. 

22.  Mai.  Temperatur,  Puls  und  Respiration  wie  oben.  Ein 
Stuhl.  Harnanalyse  unverändert.  Patient  hatte  bisher  jeden  Schmerz 
negirt,  heute  ist  die  —  wie  im  Status  angegeben  —  etwas  ver- 
grösserte  Schilddrüse  druckempfindlich,  sonst  nichts  Abnormes. 

23.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38‘4°,  Abends  3930. 
Puls  104.  Respiration  24.  Ein  Stuhl.  Der  Harnbefund  derselbe. 
Zahl  der  weissen  8800.  lieber  der  Struma  ist  die  Haut  leicht 
geröthet.  Die  Schwellung  der  Schilddrüse  hat  zugenommen,  sie  ist 
auch  auf  Druck  schmerzhaft.  Hire  Consistenz  ist  elastisch. 

2  4.  Mai.  Status  idem. 

25.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37'5°,  Abends  39°.  Puls  100. 
Respiration  24.  Kein  Stuhl.  Struma  nimmt  an  Grösse  zu  und 
ist  heute  mehr  schmerzhaft.  Keine  Fluctuation. 

26.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38",  Abends  38’4°.  Puls  92. 
Respiration  24.  Ein  Stuhl.  Die  Blutuntersuchung  ergibt:  Zahl  der 
rothen  4,610.000,  Zahl  der  weissen  13.100.  Fleischl  73.  Das  Ver- 
hältniss  der  weissen  normal,  und  zwar: 


Decursus  morbi.  5.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38\3°, 
Abends  38‘8°.  Puls  90.  Respiration  24.  Zwei  flüssige  Stühle.  Im 
Stuhle  phosphorsaure  Ammoniakmagnesia.  Kein  Schleim. 

6.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38'6°,  Abends  39'8°.  Puls  1 14. 
Respiration  24.  Ein  Stuhl.  Im  Urin  Nucleoalbumin  negativ.  Serum¬ 
albumin  positiv.  Diazoreaction  negativ. 

7.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38'3Ö,  Abends  40°.  Puls  98. 
Respiration  26.  Ein  Stuhl.  Im  Urin  Serumalbumin.  Diazoreaction 
positiv. 

8.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38'4°,  Abends  39  4°.  Puls  92. 
Respiration  26.  Ein  Stuhl.  Im  Urin  Nucleo-  und  Serumalbumin 
positiv.  Diazoreaction  ebenfalls  positiv.  Blutbild:  Im  Nativ¬ 
präparate  normale  Geldrollenbildung  der  Erythrocyten.  Kein  Fibrin- 
netz  und  spärliche  Blutplättchen.  Zahl  der  rothen  4,750.000.  Zahl 
der  weissen  4200.  Fleischl  70%. 

9.  Mai.  Temperatur  Vormittags  38'3°,  2  Uhr  Nachmittags  39°, 
Abends  38'8°.  Puls  92.  Respiration  24°.  Die  Widal’sche  Reac¬ 
tion  in  Verdünnung  1:30  und  1:50  positiv. 

10.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37  4“,  Abends  39  4°.  Puls  94, 
etwas  dikrot.  Respiration  24.  Kein  Stuhl.  Im  Urin  Nucleo-  und 
Sei  umalbumin  schwach  positiv.  Diazoreaction  negativ.  Sensorium 
ganz  frei.  Patient  klagt  über  gar  keine  Schmerzen. 

11.  Mai.  Temperatur  37'2°,  Abends  38'9°.  Puls  90.  Respira¬ 
tion  dieselbe.  Zwei  Stühle.  Im  Urin  derselbe  Befund  wie  oben. 
Dasselbe  im  allgemeinem  Befinden  des  Patienten. 


Polynucleär-neutrophile 

77-5% 

Eosinophile  .... 

0-3% 

Uebergangsformen  . 

34% 

Grosse  mononucleäre 

Leukocyten 

1-1% 

Lymphocyten 

18-0% 

Erythrocyten  unverändert.  Keine  kernhaltigen  Erythrocyten.  Der  Zu¬ 
stand  des  Patienten  wie  gestern. 

27.  Mai.  Temperatur  376 — 38'4°.  Zustand  derselbe. 

28.  Mai.  Temperatur  Vormittags  37' 1  Abends  37'8°.  Puls  94- 
Respiration  221  Zustand  derselbe. 

29.  Mai.  Patient  ist  heute  fieberfrei.  Puls  92.  Respiration  24. 
Ein  Stuhl.  Im  Urin  nur  Nucleoalbumin  in  Spuren. 

30.  Mai.  Vormittags  normale  Temperatur,  Abends  38’ 1°. 
Puls  92.  Respiration  24.  Ein  Stuhl.  Zahl  der  weissen  Blutkörper¬ 
chen  12.108. 

31.  Mai.  Vormittags  normale  Temperatur,  gegen  Abend  37’8°. 
Kein  Stuhl.  In  der  Struma  lässt  sich  geringe  Fluctuation  consta- 
tiren.  Dieselbe  wurde  punctirt  und  die  Function  ergab  Eiter. 

1.  Juni.  Normale  Temperatur.  Ein  Stuhl.  Die  bacteriologische 
Untersuchung  des  Eiters  ergibt  Typhusbacillen. 

Bis  zum  4.  Juni  nur  leichte,  bis  zu  38°  steigende  Temperatur¬ 
erhöhung;  am  3.  Juni  Zahl  der  weissen  14.200. 

4.  und  5.  Juni  normale  Temperatur.  Befund  derselbe. 


Nr.  29 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


GO  3 


6.  Juni  normale  Temperatur.  Heute  wurde  die  Struma  auf  der 
Klinik  des  Hofrathos  Albert  incidirt,  der  Eiter  entleert  und  die 
Wunde  drainirt. 

7.  Juni  normale  Temperatur.  Der  Verband  wurde  gewechselt, 
das  Drainrohr  belassen. 

8.  Juni.  Nach  dem  Verbandwechsel  leichte  Temperatursteige¬ 
rung,  die  aber  nach  einer  Stunde  wieder  zur  Norm  zurückkehrte. 
Zahl  der  weissen  11.200. 

9.  — 13.  Juni  normale  Temperatur.  Zahl  der  weissen  11.400. 
Subjectives  Befinden  wohl. 

14. —  22.  Juni  normale  Temperatur.  Blutbefund  vom  15.  Juni 
normal.  Die  Wunde  verheilte  ganz  unter  entsprechender  Behand¬ 
lung.  Befinden  subjectiv  und  objectiv  wohl. 

23.  Juni.  Patient  wird  geheilt  entlassen. 

Wenn  wir  nun  unseren  Fall  näher  betrachten,  so  ergeben 
sich  die  Hauptfragen,  die  in  Betracht  zu  ziehen  wären,  von  selbst. 
Vor  Allem  galt  es,  die  Natur  der  in  der  Thyreoidea  aufgetretenen 
Geschwulst  zu  eruiren.  Zu  diesem  Zwecke  führten  wir  eine  Probe- 
punction  aus.  die  nun  Folgendes  ergab:  Man  bekam  eine  volle 
P  r  a  v  az-Spritze  gelblichen,  trüben  Eiters,  der  einen  leichten  Stich 
ins  Röthliche  aufwies.  Mikroskopisch  untersucht,  konnten  wir  im 
ungefärbten  Präparate  fast  ausschliesslich  Eiterzellen  mit  theilweise 
noch  gut  erhaltenen,  theilweise  schon  zerfallenen  Kernen  sehen; 
sonst  liessen  sich  gar  keine  Gebilde  in  Bezug  auf  ßacterien  con- 
statiren.  Die  Färbung  mit  Anilinfarbstoffen  erwies  jedoch  bald,  dass 
ausser  den  Leukocyten  noch  Bacterien  vorhanden  waren,  und  zwar 
Stäbchen,  die  in  Bezug  auf  Länge  ungefähr  der  Hälfte  eines  rothen 
Blutkörperchens  entsprachen,  und  etwa  zweimal  so  lang  wie  breit 
waren.  Ausser  diesen  Stäbchen  waren  gar  keine  anderen  Bacterien 
vorhanden.  Da  die  Färbung  nach  G  r  a  m  negativ  ausfiel,  liess  sich 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  vermuthen,  dass  wir  es  hier  mit 
einem  der  Coligruppe  ungehörigen  Bacterium  zu  thun  haben  und 
zwar  entweder  mit  dem  Typhusbacillus  selbst,  oder  mit  dem  Bac¬ 
terium  coli  commune. 

Fis  wurden  nun  sechs  Agarplatten-  und  zwei  Gelatineplatten- 
culturen  von  dem  Eiter  angelegt,  und  schon  nach  12 — 14  Stunden 
bekamen  wir  auf  den  Agarplatten  einen  grauweissen,  transparenten, 
nicht  besonders  dicken  Belag,  ln  den  Präparaten  des  hängenden 
Tropfens,  die  wir  von  diesen  Agarculturen  anfertigten,  zeigte  sich 
eine  schlangenartige,  sehr  rasche  Beweglichkeit  dieser  Bacillen. 

Auf  den  Gelatineplatten  war  um  diese  Zeit  noch  nichts 
gewachsen,  was  den  Verdacht  auf  Typhusbacillen  erwecken  musste, 
da  bekanntlich  derselbe  im  Gegensatz  zum  Bact.  coli  ein  lang¬ 
sameres  Wachsthum  besitzt  und  erst  nach  ungefähr  48  Stunden 
auf  diesem  Nährboden  sieb  entwickelt.  Demzufolge  führten  wir 
auch  genaue  Differentialproben  durch,  die  sämmtlich  zu  Gunsten 
des  Typhusbacillus  ausfielen,  denn  es  zeigte  sich,  dass  auf  Zusatz 
dieser  Culturen  zur  Milch  dieselbe  keine  Gerinnung  aufwies,  dass 
in  Bouillon  eine  deutliche  Trübung  entstand,  dass  auf  Schüttel¬ 
zuckeragar  überimpft,  keine  Gährung  zu  Stande  kam,  dass  im 
Peptonwasser  nach  Zusatz  von  lern3  Kali  nitr.  und  3  gtt.  Acid, 
sulfur,  keine  Färbung,  mithin  kein  Indol  entstand,  und  dass  end¬ 
lich  die  Kartoffelcultur,  welche  lege  artis  in  der  nach  Gaffky 
beschriebenen  Weise  ausgeführt,  deutliche  Merkmale  des  Typhus¬ 
bacillus  aufwies. 

Auch  die  W  i  d  a  1  -  Gr  u  b  e  r’sche  Probe,  die  wir  mit  diesen 
Culturen  und  mit  dem  von  demselben  Patienten  stammenden  Serum 
veranstalteten,  fiel  positiv  aus,  denn  in  einer  Verdünnung  1  :  30 
und  1  :  50  konnten  wir  schon  nach  15 — 20  Minuten  unter  dem 
Mikroskop  beobachten,  wie  die  anfangs  sehr  lebhafte  Beweglichkeit 
dieser  Bacterien  allmälig  abnahm,  um  zahlreichen  Agglutinations¬ 
herden  Platz  zu  machen. 

Diese  Proben  bewiesen  also  aufs  Entschiedenste,  dass  wir  es 
in  unserem  Falle  mit  einer  Eiterung  zu  thun  hatten,  die  mit  der 
primären  Krankheit,  i.  e.  mit  dem  Abdominaltyphus  im  innigsten 
Zusammenhänge  stand.  Nebenbei  wollen  wir  noch  bemerken,  dass 
wir  auch  bemüht  waren,  den  Weg  dieser  metastatischen  Infection 
nachzuweisen  und  zu  diesem  Zwecke  auch  vom  Blut  und  Harn 
Agarplatten  anlegten,  die  aber  ohne  Erfolg  waren,  denn  die  Platten 
blieben  steril. 

Zahlreiche  Fälle  in  der  Literatur  beweisen,  dass  der 
4  ypktisbacillus  als  Eitererreger  eine  grosse  Rolle,  spielte.  Fast 


alle  die  Fälle  beziehen  sich,  abgesehen  von  ganz  geringen  Aus¬ 
nahmen,  auf  posttyphöse  Erkrankungen  und  gaben  demzufolge 
zu  verschiedenen  Meinungen  Anlass. 

Wenn  wir  nun  die  Ansichten  der  hervorragendsten 
Forscher  in  Betracht  ziehen,  und  auch  auf  unseren  hall  aus¬ 
dehnen  wollen,  so  wäre  zunächst  diejenige  hervorzuheben,  die 
Baumgarten  vertritt.  Nach  ihm  soll  dem  Typhusbacillus 
als  solchem  gar  keine  pyogene  Eigenschaft  zukommen,  denn 
sämmtliche  bei  Typhus  vorkommende  Eiterungen  sollen  als 
Mischinfection  mit  anderen  Coccen  oder  pyogenen  Bacterien 
aufgefasst  werden;  und  wenn  man  auch  in  einem  gewöhnlich 
ziemlich  spät  sich  entwickelnden  posttyphösen  Abscesse  nur 
Typhusbacillen  findet,  so  ist  doch  die  Möglichkeit  nicht  aus¬ 
geschlossen,  dass  die  anfangs  reichlich  vorhandenen  eigentlichen 
Eitererreger  durch  die  später  eingedrungenen  Typhusbacillen 
überwuchert  und  zum  Absterben  gebracht  wurden,  mithin  nicht 
nachgewiesen  werden  konnten. 

Entgegen  dieser  Annahme  müssen  wir  doch  hervorheben, 
dass  diese  Auffassung  nicht  immer  zutrifft.  Speciell  in  unserem 
Falle,  wo  wir  doch  den  Eiter  ziemlich  früh  untersuchten,  und 
wo  die  Eiterung  als  solche  auch  nicht  spät  auftrat,  müsste  es 
doch  sonderbar  sein,  wenn  wir  noch  anderen  Bacterien  ausser 
dem  allein  gefundenen  Typhusbacillus  irgend  welche  Rolle  zu¬ 
schreiben  wollten.  In  dieser  Hinsicht  können  wir  auch  auf  Ex¬ 
perimente  hinweisen,  die  Burci  anstellte.  Diesem  Autor  ist 
es  nämlich  gelungen,  durch  Impfversuche  mit  Gemischen  ver¬ 
schiedener  pyogener  Bacterien  und  Typhusbacillen  nachzu¬ 
weisen,  dass  sich  der  Typhusbacillus  im  Thierköiper  doch  nicht 
so  resistent  verhält,  wie  Baum  garten  meint,  denn  es 
stellte  sich  heraus,  dass  von  den  subcutan  injicirten  Misch- 
culturen  der  Typhusbacillus  vom  Abscesseiter  ziemlich  früh 
verschwand,  während  die  übrigen  Formen  ganz  gut  prospe- 
rirten.  Es  fehlt  übrigens  nicht  an  zahlreichen  Experimenten, 
die  von  den  hervorragendsten  Autoren  angestellt  wurden  und 
die  aufs  Deutlichste  beweisen,  dass  man  durch  Impfung  von 
Typhusbacillen  allein  Eiterung  hervorrufen  kann. 

Auch  uns  ist  es  gelungen,  durch  Impfung  dieses  Typhus¬ 
bacillus  auf  Kaninchen  Abscesse  nicht  nur  an  den  Injections- 
stellen,  sondern  auch  an  entlegenen  Organen  hervorzurufen, 
und  zwar  nicht  allein  durch  Impfung  mit  den  Bacillen,  die 
wir  von  der  Strumitis  rein  cultivirt  haben,  und  die  vielleicht 
als  der  abgeschwächte  Bacillus  betrachtet  werden  dürften, 
sondern  auch  mit  den  verstärkten. 

Wenn  wir  nun  zu  der  auf  Grund  von  Experimenten 
von  Buchner  aufgestellten  Theorie  übergehen  wollen,  mit  der 
auch  14  i  n  t  z  e  die  eitererregende  Wirkung  zu  erklären  sucht, 
so  würde  sich  ein  Unterschied  dadurch  erweisen,  als  doch 
Buchner,  wie  wir  noch  übrigens  unten  Gelegenheit  haben 
werden,  dies  näher  zu  betrachten,  beweisen  will,  dass  nur  der 
abgeschwächte  Bacillus  eine  eitererregende  Wirkung  besitzt. 
Diese  B  u  c  h  n  e  r’sche  Theorie  würde  uns  vielleicht  Aufklärung 
darüber  geben  können,  warum  die  Eiterungen  beim  Typhus 
für  gewöhnlich  spät  auftreten,  manchmal  sogar  nach  vollstän¬ 
digem  Abklingen  der  primären  Erscheinungen;  dass  es  aber 
auch  Fälle  gibt,  in  welchen  die  Eiterung  im  Höhestadium  der 
Krankheit  aufgetreten  ist,  d.  i.  in  dem  Momente,  wo  der 
Typhusbacillus  sich  in  seiner  höchsten  Virulenz  befindet,  wo 
also  nach  Buchner’s  Theorie  diese  Eigenschaft  gegenüber 
ihrer  allgemeinen  Wirkung  zurücktreten  sollte,  wie  dies  z.  B. 
der  Fall  von  Je  an  sole  me  beweist,  wo  die  Schilddrüse  schon 
am  15.  Krankheitstage  zu  schwellen  begann  und  dann  in 
Eiterung  überging,  dies  lässt  sich  nicht  in  Einklang  bringen 
mit  dem,  was  oben  bemerkt  wurde.  Umsoweniger  können  wir 
dies  daher  in  Einklang  bringen  mit  unseren  Resulaten,  die  wir 
aus  den  mit  verstärkten  Typlmsbacillen  ausgeführten  Experi¬ 
menten  bekommen  haben.  Wenn  wir  jedoch  die  Experimente 
von  Dmochowski  und  Janowski  zu  Rathe  ziehen,  dann 
dürfte  das  Resultat  stimmen.  Diese  Autoren  haben  nämlich 
bewiesen,  dass  auch  der  stark  virulente  Typhusbacillus,  der 
Allgemeinerscheinungen  zu  erzeugen  im  Stande  ist,  auch  ört¬ 
liche  Eiterung  hervorrufen  kann,  und  nur  dann,  wenn  die  Allgemein¬ 
wirkung  sehr  bedeutend  ist,  tritt  der  Tod  schon  zu  einer  Zeit 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  29 


ein,  bevor  noch  überhaupt  an  die  Möglichkeit  einer  Eiterent¬ 
wicklung  zu  denken  ist.  Und  was  nun  die  Frage  betrifft, 
warum  sich  manchmal  Typhusbacillen  in  anderen  Organen, 
als  in  denen  ihres  eigentlichen  Wirkungsortes  iocalisiren.  so 
sind  wir  der  Ansicht,  dass  sich  die  Typhusbacillen  im  Ver¬ 
laufe  eines  Abdominaltyphus  hauptsächlich  dort  ansiedeln,  wo 
ein  locus  minoris  resistentiae  gegeben  ist,  wie  es  hier  die  ver- 
grösserte  und  wahrscheinlich  in  ihrem  histologischen  Baue  ver¬ 
änderte  Schilddrüse  gewesen.  Ein  solch  verändertes  Organ  ist 
nicht  immer  im  Stande,  den  eingedrungenen  Bacterien  Wider¬ 
stand  zu  leisten  und  dieselben  nehmen  nun  überhand.  Da  sie 
aber  hier  auf  ganz  andere  Verhältnisse  stossen,  als  in  den  Ab¬ 
dominalorganen,  sind  auch  die  äusseren  Erscheinungen, 

i.  e.  das  Krankheitsbild,  ein  anderes,  als  gewöhnlich  ihrer 
Thätigkeit  entspricht. 

Und  da  muss  vor  Allem  auffallen,  dass,  obwohl  die 
Schilddrüse  sehr  häufig  verändert  ist,  es  dennoch  so  selten  zu 
Eiterung  in  diesem  Organe  bei  Typhus  kommt  (die  Zahl  der 
bis  jetzt  veröffentlichten  Fälle  von  Strumitis  typhica  dürfte 
nicht  mehr  als  10  — 12  ausmachen).  Die  Bedingungen  zur  Ent¬ 
wicklung  von  Mikroorganismen  in  diesem  Organe  sind  ja 
gegeben,  denn  dieses  Organ  ist  nicht  nur  sehr  stark 
vascularisirt,  es  besitzt  auch  im  Degenerationszustande  einen 
guten  Nährboden  für  Bacterien,  indem  die  Degeneration 
meistens  eine  colloide  ist  und  das  Colloid  sehr  geeignet  für 
Entwicklung  von  Bacterien  erscheint.  Und  wenn  es  trotzdem 
so  selten  zu  eiterigen  Entzündungen  kommt,  so  ist  es  vielleicht 
dem  Umstande  zuzuschreiben,  dass  die  Thyroidea  wahrschein¬ 
lich  irgend  welche  Substanzen  producirt,  die  mit  den  Toxinen 
der  eingedrungenen  Mikroorganismen  sich  binden  und  zu  un¬ 
schädlichen  Substanzen  werden. 

Dass  ein  locus  minoris  resistentiae  nicht  nur  durch  histo¬ 
logische  Läsion,  sondern  auch  durch  chemische  oder  mechani¬ 
sche  Schädigung  für  die  eitererregende  Wirkung  des  Typhus¬ 
bacillus  von  grosser  Wichtigkeit  ist,  beweisst  folgender  von 
Latkowski  veröffentlichter  Fall.  Bei  einer  Patientin,  die 
mit  der  Diagnose  Sepsis  puerper.  in  die  Abtheilung  des  Pro¬ 
fessors  Parenski  in  Krakau  gebracht  und  dementsprechend 
mit  Terpentininjectionen  behandelt  wurde,  traten  im  weiteren 
Verlaufe  der  Krankheit  Abscesse  an  den  Stellen  auf,  wo  die  Injec- 
tionen  gemacht  worden  waren ;  die  bacteriologische  Untersuchung 
des  Eiters  ergab  jedoch  Typhusbacillen.  In  diesem  Falle  also 
handelte  es  sich  offenbar  nicht  um  Sepsis,  sondern  um  Typhus, 
den  man  aus  den  durch  denselben  Bacillus  hervorgerufenen 
Abscessen  mit  Sicherheit  diagnosticiren  konnte,  und  die  chemi¬ 
sche  oder  vielleicht  auch  noch  mechanische  Läsion  der  Ge¬ 
webe  an  den  Injectionstellen  war  hier  das  prädisponirende 
Moment  für  das  Zustandekommen  der  Eiterung. 

Die  zweite  Frage,  die  wir  nun  zu  besprechen  hätten, 
steht  mit  der  ersten  in  einem  innigen  Zusammenhänge. 

Warum  sollte  während  des  ganzen  Verlaufes  der  Krank¬ 
heit,  so  lange  sich  dieselbe  im  Abdomen  abspielte,  das  Blut¬ 
bild  eine  Verminderung  der  farblosen  Elemente  aufweisen, 
während  dasselbe  mit  einer  Vermehrung  einherging,  sobald 
dasselbe  Agens  peripher  wirkte? 

Was  nun  diese  Frage  betrifft,  so  sind  diesbezüglich 
verschiedene  Theorien  aufgestellt  worden.  Ohne  auf  das  eigent¬ 
liche  W esen  der  Leukocytose,  respective  Leukopenie  näher 
einzugehen,  wollen  wir  kurz  die  plausibelsten  Ansichten  der 
Autoren  erwähnen,  die  zur  Erklärung  so  der  Vennehrung  wie 
der  \  ermindernng  der  Leukocyten  im  Blute  dienen  sollten. 

Die  Leukocytose  soll  bei  Infectionskrankheiten  nichts 
Anderes  sein,  als  der  Ausdruck  eines  Reizes,  welchen  die  im 
menschlichen  Körper  angehäuften  Bacterien,  respective  Toxine 
auf  die  Hauptstätten  der  weissen  Blutkörperchen,  und  zwar 
sämmtlicher  lymphatischer  Apparate  ausüben.  So  lange  diese 
Noxe  angehäuft  ist,  so  lange  trachtet  der  Organismus  sich  der¬ 
selben  zu  entledigen,  und  zwar  durch  Auswanderung  weisser 
Zellen,  die  nun  als  Wall  den  Krankheitsherd  umgeben,  die 
Toxine  auf  saugen  und  aus  dem  Körper  eliminiren. 


Dieser  Theorie,  welche  von  Metschnikoff  aufgestellt 
wurde,  schlossen  sich  auch  andere  Autoren  mit  geringen  Modi- 
ficationen  an. 

Diese  Theorie  musste  aber  auch  einer  anderen  Erschei¬ 
nung  gerecht  werden,  die  im  Verlaufe  mancher  Infections¬ 
krankheiten  beobachtet  wird,  und  zwar  der  Leukopenie,  die 
vornehmlich  den  Typhus  charakterisirt.  Diese  Thatsache,  die  mit 
der  Annahme  von  der  reizenden  Wirkung  der  Bacterien, 
respective  Toxine  nicht  in  Einklang  steht,  trachtete  man  da¬ 
durch  zu  erledigen,  indem  man  annahm,  dass  es  auch  Toxine 
gebe,  welche  sich  conträr  verhalten,  indem  sie  eine  abstossende 
Wirkung  auf  die  weissen  Blutzellen  zeigen.  Da  nun  die 
Typhustoxine  eine  negative  Chemotaxis  besitzen  sollen,  müsste 
auch  das  Blutbild,  welches  durch  dieselben  beeinflusst  wird, 
eine  Leukopenie  als  Endresultat  aufweisen. 

Und  was  nun  die  Frage  betrifft,  warum  dieselbe  Toxine, 
wTenn  das  Krankheitsbild  ein  verändertes  ist,  indem  sich  der 
ganze  Process  an  einem  anderen  Orte  als  in  abdomine  ab¬ 
spielt,  und  mit  Eiterung  einhergeht,  eine  Leukocytose  hervor¬ 
ruft,  so  könnte  man  dies  ja  dadurch  erklären,  dass  schon  die 
Eiterung  als  solche  auf  eine  Aenderung  des  Agens  hinweist, 
indem  diese  Eigenschaft  nur  abgeschwächten  Bacterien  zu¬ 
kommen  soll,  mithin  würden  auch  die  von  ihnen  gebildeten 
Toxine  eine  andere  Wirkung  besitzen.  Als  Beleg  hiefür  sollte 
auch  die  Pneumonie  dienen,  die,  wenn  sie  mit  Leukopenie 
einhergeht,  prognostisch  sich  viel  ungünstiger  gestalten  soll, 
indem  sie  auf  die  grosse  Giftigkeit  der  Pneumococcen  hin¬ 
weist.  Die  Experimente,  die  Buchner  mit  verschiedenen 
Proteinen  anstellte,  bewiesen  bald,  dass  es  diesbezüglich  keine 
Ausnahme  gibt,  dass  vielmehr  sämmtlichen  Proteineu  eine  und 
dieselbe  Eigenschaft  in  Bezug  auf  die  Wirkung  auf  weisse  Zellen 
zukommt,  indem  dieselben  immer  eine  Vermehrung  dieser  farb¬ 
losen  Gebilde  hervorrufen,  wobei  es  sich  auch,  nebenbei  be¬ 
merkt,  herausstellte,  dass  von  allen  Proteinen  die  des  Typhus¬ 
bacillus  am  intensivsten  heranlockend  wirkten.  Trotzdem  er¬ 
klärt  Buchner,  gestützt  auf  die  Experimente  von  Ga- 
bri  t  s  ch  e  w sk y,  dem  es  gelungen  ist,  bei  Kaninchen  mit 
jungen,  24  Stunden  alten  Culturen  eine  negative  Chemotaxis 
hervorzurufen,  die  typhöse  Leukopenie  dadurch,  dass  in 
den  jungen  vollkräftigen  Culturen  eines  hochvirulenten  In- 
fectionserregers  kein  Untergang,  keine  Involution  von  Bac- 
terienzellen,  daher  auch  keine  Ausscheidung  von  Zellinhalt 
und  keine  Anlockung  stattfindet,  während  in  älteren  und  in 
bei  120°  C.  z.  B.  sterilisirten  Culturen  dies  stattfindet.  In  den 
jungen  Culturen  mag  vielmehr  die  abstossende,  lähmende 
Wirkung  der  gebildeten  Toxine  auf  die  Leukocyten  über¬ 
wiegen. 

Diese  Theorie  hat  thatsächlich  viel  Bestechendes  für  sich, 
denn  sie  könnte  uns  so  die  Eiterung,  wie  die  mit  derselben 
verbundene  Leukocytose  mit  einem  Schlage  erklären  in  dem 
Sinne,  als  wir  annehmen  würden,  dass  die  Eiterung  durch  ab¬ 
geschwächte  Typhusbacillen  zu  Stande  kam  und  den  von 
involvirten  Bacillen  stammenden,  schwachen  Toxinen  eine 
lenkocytotische  Wirkung  zukäme.  Trotzdem  konnten  wir  doch 
nicht  den  Gedanken  verwerfen,  der  sich  unwillkürlich  auf¬ 
drängte,  ob  nicht  auch  der  Localisation  eine  Rolle  zuzu¬ 
schreiben  wäre  in  Bezug  auf  Leukocytose  und  Leukopenie. 

Um  uns  daher  gewisse  Klarheit  diesbezüglich  zu  ver¬ 
schaffen,  stellten  wir  Experimente  an,  die  uns  diese  Fragen 
beantworten  sollten. 

Wir  theilten  unsere  Experimente  in  drei  Hauptgruppen 
ein,  und  zwar: 

1.  Wir  injieirten  zuerst  Kaninchen  subcutan  gleiche 
Mengen  einer  frischen  24stündigen  Cultur,  welche  vom  Eiter 
des  Patienten  herrührte. 

2.  Wir  experimentirten  weiter  in  gleicher  Weise  mit 
denselben,  aber  verstärkten  Bacterien.  Die  Virulenz  derselben 
erhöhten  wir  in  der  Weise,  dass  wir  obige  Bouillonculturen, 
durch  mehrere  Kaninchen  nacheinander  durchschickten  und 
zuletzt  diese  so  verstärkte  Culturen  anderen  Kaninchen  in- 
jicirten. 

3.  Wir  überimpften  zuletzt  reine  Toxine,  die  wir  durch 
Filtriren  im  Bacterienfilter  erhielten. 


Nr.  29 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


665 


I.  Experimente  *)  (schwache  Bacterien). 

Kaninchen  A. 


Datum 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zatil  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

Anmerku  ng 

10.  Juni 

1160 

9.500 

Intraperitoneale  Injection  von  T5cm3 
einer  mit  dem  Strumaeiter  angelegten 
24stündliclien  Cultur. 

12.  Juni 

1150 

12.500 

Esslust  vermindert.  An  der  Injectionsstelle 
nichts  zu  finden. 

13.  Juni 

1129 

15.000 

Kaninchen  frisst  wenig.  Injectionsstelle 
normal. 

14.  Juni 

— 

— 

Wird  getödtet. 

14.  Juni.  Section:  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  sieht 
man  an  der  Serosa  der  Gedärme  bohnengrosse,  weisse  Auflagerun¬ 
gen,  in  welchen  Eiter  enthalten  ist;  dasselbe  im  Omentum  majus. 
Innere  Organe  hyperämisch,  sonst  intact.  Gedärme  injicirt.  Follikel 
und  Plaques  normal.  Drüsen  normal.  Milz  etwas  weicher.  Gultur 
der  Abscesse.  15.  Juni  Bacterium  coli! 


Kaninchen  B. 


Datum 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zahl  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

/ 

Anmerkung* 

10. 

Juni 

1120 

12.000 

Subcutane  Injection  von  T5  cm3  derselben 
Cultur  unter  die  Haut  der  Dorsalgegend. 

12. 

Juni 

1112 

16.800 

An  der  Injectionsstelle  deutliche  Ge¬ 
schwulst  zu  fühlen.  Auf  Druck  reagirt 
das  Kaninchen  mit  Abwehrbewegungen. 

13. 

Juni 

1098 

17.100 

Geschwulst  etwas  zugenommen. 

14. 

Juni 

1102 

17.000 

Status  idem. 

16.  Juni.  Section:  Innere  Organe  normal.  An  der  Injections- 
stelle  eine  über  pflaumengrosse  Geschwulst  mit  weisslichgelbem 
Eiter  gefüllt:  Culturen  17.  Juni  Typhusbacillen.  (Differentialdiagno¬ 
stisch  identificirt.) 


Kaninchen  C. 


Datum 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zahl  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

Anmerkung 

10.  Juni 

925 

8.000 

Intraperitoneale  Injection  wie  bei  Kanin¬ 
chen  A. 

12.  Juni 

918 

13.700 

Keine  Geschwulst.  Kaninchen  unver¬ 
ändert. 

14.  Juni 

918 

14.100 

Dasselbe. 

17.  Juni.  Zahl  der  weissen  vor  der  Section  13.200.  Die 
Section  ergab  einen  negativen  Befund  der  inneren  Organe.  An  der 
Injectionsstelle  am  Peritoneum  parietale  eine  kleine  umschriebene 
Geschwulst.  Nach  Eröffnung  derselben  Eiter.  Culturen  Typhusbacillen. 
(Differentialdiagnose  positiv.) 

')  Anmerkung:  1.  Wir  wählten  zu  unseren  Experimenten  Ka¬ 
ninchen  aus  dem  Grunde,  weil  bei  ihnen  die  Schwankungen  in  der  Leuko- 
cytenzahl  gering  sind,  obwohl  sich  dieses  Thier  für  Typhusexperimente  nicht 
am  besten  eignet;  die  Zahl  der  Leukocyten  beträgt  normal  8000 — 12.000. 
2.  Um  eine  Verdauungsleukocytose  ausschliessen  zu  können,  Hessen  wir  von 
der  Zählung  und  letzten  Nahrungsaufnahme  mindestens  l'/2  —  2  Stunden 
verstreichen.  3.  Wir  nahmen  nur  einige  Zählungen  vor,  weil  sich  die 
Abscesse  ziemlich  rasch  resorbiren.  4.  Wir  geben  hier  nur  die  positiven 
Resultate  an. 


II.  Verstärkte  Bacillen. 


Kaninchen  A. 


Datum 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zahl  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

Anmerkung 

5.  Juli 

1195 

11.500 

Subcutane  Injection  von  1  g  Bouillon- 
cultur,  welche  vorher  durch  drei  Kanin¬ 
chen  durchgeschickt  wurde.  Ort :  Dorsal¬ 
gegend. 

6.  Juli 

1187 

13.200 

Injectionsstelle  geschwollen. 

8.  Juli 

1184 

15.100 

Geschwulst  etwas  grösser,  schmerzhaft. 

12.  Juli 

1180 

14.600 

Geschwulst  dieselbe. 

13.  Juli.  Section.  An  der  Injectionsstelle  diffus  ausgebreitete 
Entzündung  des  Unterbautzellgewebes  mit  eiterigem  Belag.  Innere 
Organe  normal.  Cultur  Typhusbacillus. 


Kaninchen  B. 


Datum 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zahl  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

Anmerkung 

5.  Juli 

1080 

12.000 

Intraperitoneale  Injection  von  1  g  Bouillon- 
cultur,  welche  vorher  durch  drei  Kanin- 

7  j 

eben  durchgeschickt  wurde.  Oit:  Dorsal¬ 
gegend. 

7.  Juli 

1081 

9.000 

Nichts  Abnormes. 

9.  Juli 

1075 

6.200 

Etwas  abgemagert.  Keine  Fresslust.  Ver¬ 
hält  sich  passiv. 

12.  Juli 

1060 

5.000 

Dieselben  Erscheinungen,  aber  in  höherem 
Grade. 

14.  Juli 

1047 

4.600 

Dasselbe. 

15.  Juli.  Section:  Innere  Organe  hyperämisch.  Peritonealdrüsen 
geschwollen,  nirgends  Injectionsstelle  sichtbar.  Gedärme  mit  flüssigem, 
schleimig-klebrigem  Inhalt  gefüllt.  Dünndarm  injicirt.  Cöcum  und 
Dickdarm  mit  geschwollenen  Plaques.  An  einzelnen  Stellen  erhabene 
erbsengrosse  Infiltrate.  Eines  davon  mit  einem  schorfartigem  Belage; 
nirgends  Substanzverluste. 

Culturen  aus  dem  Darminhalte:  Bact.  coli  (Differentialdiagnose 
negativ). 

Culturen  von  der  mit  schorfartigem  Belage  infiltrirten  Stelle: 
Typhusbacillen  (Differentialdiagnose  positiv). 


Toxine. 

Kaninchen  A. 


Datum 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zahl  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

Anmerkung 

18.  Juli 

1250 

7.000 

Injection  mit  2  g  Toxin  einer  eintägigen 
Cultur  subcutan  in  die  Dorsalgegend. 

20.  Juli 

1246 

1 1 .300 

Kaninchen  verhält  sich  normal.  An  der 
Injectionsstelle  eine  Resistenz  fühlbar. 

23.  Juli 

1243 

13.100 

Dasselbe. 

24.  Juli.  Section:  An  der  Injectionsstelle  Anhäufung  weisser 
Zellen  in  Form  eines  ziemlich  dicken  Belages,  sonst  normaler 
Befund. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  29 


606 


K  a  n  inch  e  n  B. 


«-*■ 

Gewicht 

in 

Grammen 

Zahl  der 
weissen 
Blutkör¬ 
perchen 

Anmerkung 

18.  Juli  967 

9.300 

Injection  mit  2  g  Toxin  einer  eintägigen 

verstärkten  Cultur  intraperitoneal. 

21.  Juli  96  t 

10.100 

Nichts  Auffälliges. 

23.  Juli  971 

10.600 

Nichts  Auffälliges. 

25.  Juli.  Section:  Vollkommen  negativer  Befund. 

Anf  Grund  unserer  Experimente  ergibt  sich  vor  Allem 
die  Thatsache,  dass  die  eitererregende  Wirkung  ebenso  den 
abgeschwächten,  wie  den  vollkräftigen  Typbusbacillen  zukommt. 
Dieser  Befund  ist  übrigens,  wie  wir  schon  eingehend  bemerkt 
haben,  nicht  neu;  er  geht  auch  aus  den  Experimenten,  die 
im  ausgedehnten  Masse  Dmochowski  und  Jano  wski  an¬ 
stellten,  hervor. 

Auch  diese  Autoren  beweisen,  dass  der  Typhuserreger 
wenigstens  bei  Thieren,  mit  Ausnahme  der  sehr  hochvirulenten 
Bacterien,  eine  Eiterung  erregen  könne.  Dass  diese  Eigen¬ 
schaft  den  mit  sehr  starken  Toxinen  ausgestatteten  Bacterien 
nicht  zukommt,  findet  vielleicht  hierin  ihren  Grund,  dass  die 
Thiere  unter  Allgemeinerscheinungen  so  rasch  zu  Grunde 
gehen,  dass  eine  Eiterung  überhaupt  sich  gar  nicht  ent¬ 
wickeln  kann. 

Und  wenn  wir  nun  zu  einem  concreten  Schlüsse  gelangen 
wollen,  so  müssen  wir  zunächst  hervorheben,  dass  die  Theorie, 
welche  unsere  Frage  auf  specifisch-toxische  Wirkung  zu  be¬ 
antworten  sucht,  absolut  nicht  zutrifft.  Dieselbe  spricht  von 
einer  positiven  und  negativen  Chemotaxis  und  stützt  sieh  auch 
hie  und  da  auf  Beobachtungen,  die  man  in  prognostischer 
Hinsicht  wahrnehmen  sollte,  dass,  je  grösser  die  Leukocytose, 
desto  besser  die  Prognose,  mithin  auf  den  innigen  Zusammen¬ 
hang  zwischen  Blutbefund  und  Virus. 

Wenn  somit  die  Leukocytose,  respective  Leukopenie  beim 
Typhus  nicht  vom  Virus  abhängen  sollte,  so  muss  es  denn 
andere  Momente  liiefür  geben. 

In  den  oben  angeführten  Experimenten  muss  es  auf¬ 
fallen,  dass  wir  mit  Ausnahme  eines  Falles  (Kaninchen  B , 
verstärkte  Bacillen)  immer  eine  Leukocytose  als  Effect  der 
Impfung  bekamen,  obwohl  wir  sowohl  mit  schwachen,  wie  mit 
starken  Bacterien  arbeiteten. 

Und  wenn  wir  uns  auch  auf  die  Meinung  Virchow’s 
stützen,  wonach  jede  bedeutende  acute  Drüsenreizung  eine 
schnelle  Zunahme  der  Lymphkörperchen  im  Blute  zur  Folge 
hat,  jede  Krankheit,  welche  Drüsenreizung  mit  sich  bringt, 
auch  den  Effect  haben  wird,  das  Blut  mit  grösseren  Mengen 
von  farblosen  Blutkörperchen  zu  versorgen,  mit  anderen 
Worten  einen  leukocytotischen  Zustand  zu  setzen,  und  wenn 
wir  dies  mit  den  Angaben  Buchne  r’s  und  unseren  Experi¬ 
menten  verbinden,  wonach  die  Typhusbacillen  und  deren 
Toxine  absolut  reizend  wirken,  so  wäre  das  Ausbleiben  dieses 
Effectes  nur  dem  Umstande  zuzuschreiben,  dass  die  Drüsen 
beim  Abdominaltyphus,  so  lange  derselbe  sich  unterhalb  dem 
Diaphragma,  i.  e.  in  den  Mesenterialdrüsen,  Follikeln  und 
Plaques  abspielt,  in  ihrem  Wesen  derart  geschädigt  werden, 
dass  sie  diesem  Reize  keine  Folge  leisten  und  somit  das  Blut 
mit  ihren  Producten  nicht  mehr  versehen  können.  Denn  nur 
so  wäre  es  zu  erklären,  warum  bei  demselben  Patienten,  so 
lange  sich  der  Process  in  abdomine  abspielte,  das  Blut  eine 
-  Leukopenie  aufwies,  während  dieselbe  sich  in  eine  Leukocytose 
verwandelte,  sobald  derselbe  Bacillus  in  der  Schilddrüse  seine 
Thätigkeit  entwickelte. 

Auch  der  Verlauf  gibt  uns  diesbezüglich  manchen  Auf¬ 
schluss.  Es  handelte  sich  ja  um  eine  Eiterung,  die  zur  Zeit 
auftrat,  als  wir  ja  annehmen  konnten,  dass  sich  beim  Patienten  der 
Darmtractus  von  seiner  Krankheit  erholt  hatte,  dass  somit,  um 
mit  Tum  as  zu  sprechen,  der  ausgebreitete  Eiterungsprocess 


der  Schilddrüse  zum  Herd  der  Versorgung  der  Blutgefässe 
mit  Leukocyten  werden  konnte,  Dank  der  schon  reizungs¬ 
fähigen  Drüsen.  Und  wenn  wir  das  Blutbild  näher  betrachten, 
so  erfahren  wir  auch  hier,  dass  die  Leukopenie,  die  bei  unserem 
Patienten  bestand,  zur  Zeit,  als  noch  keine  Eiterung  vorhanden 
war,  hauptsächlich  die  neutrophilen  betraf.  Dies  würde  auch 
den  Befunden,  die  Biegaiiski  anführt,  genau  entsprechen, 
indem  er  constant  beim  Typhus  eine  Verminderung  der  neu¬ 
trophilen  beobachtete,  die  manchmal  sogar  bis  20%  reichen 
sollte.  Auch  T  ü  r  k  bestätigt  diese  Befunde  und  nimmt  daher 
an,  dass  die  Typhustoxine  eine  hemmende  Wirkung  sowohl  auf  die 
Production  neuer,  wie  auf  die  Weiterentwicklung  circulirender 
Lymphocyten  zu  polynucleären  haben  sollen. 

Wenn  wir  nun  annehmen,  dass  die  neutrophilen  Leuko¬ 
cyten  in  der  Blutbahn  aus  den  Lymphocyten  gebildet  werden, 
so  bedarf  es  doch  einer  kolossalen  Leistung  der  Lymphdi  iisen, 
um  nicht  nur  diesen  Verlust  auszugleichen,  sondern  auch  noch 
das  Blut  mit  überzähligen  Producten  zu  versehen,  um  eine 
Leukocytose  zu  bewerkstelligen,  was  wohl  bei  intacten  Drüsen 
möglich  ist,  nicht  aber  bei  krankhaft  veränderten.  Daher 
glauben  wir  auch,  dass  hier  bei  der  relativen  Lymphocytose 
eine  hemmende  Wirkung  nicht  eintritt;  im  Gegentheil,  es 
kommt,  wie  bei  den  anderen  Toxinen,  zu  einer  Reizung,  die 
jedoch  nur  insoweit  befolgt  werden  kann,  als  die  Drüsen  nicht 
geschädigt  sind.  Denn  nur  so  könnten  wir  vielleicht  einer 
anderen  Auffassung  auch  gerecht  werden,  vermöge  welcher 
die  neutrophilen  als  Knochenmarksproducte  angesehen  werden. 

In  diesem  Falle  also  könnten  wir  annehmen,  dass  die 
neutrophilen  im  circulirenden  Blute  erst  zu  Grunde  gehen, 
wofür  sogar  manche  Autoren  die  sogenannten  Schatten  dieser 
Zellen  als  Beweis  anführen  wollten,  während  die  Lymphocyten 
als  Producte  anderer  Provenienz  dies,  wie  oben  bemerkt,  aus¬ 
zugleichen  suchen  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  es  auch 
erreichen.  Da  jedoch  der  Untergang  der  neutrophilen  grösser 
ist,  als  die  Production  der  Lymphocyten,  resultirt  daraus  eine 
Leukopenie,  die  natürlich  nicht  bestehen  würde,  wenn  die 
Drüsen  im  physiologischen  Gleichgewichte  stiindeD. 

Dies  erinnert  uns  doch  an  einen  Fall,  der  in  der  Klinik 
Nothnagel  beobachtet  wurde,  und  wo  im  Verlaufe  einer 
fieberhaften  Krankheit,  die  anfangs  keine  bestimmte  Sym¬ 
ptome  machte,  metastatische  Abscesse  auftraten,  die  auf 
Staphylococceninfection  beruhten.  In  diesem  Falle  wurde  auf 
Grund  der  bacteriologischen  Untersuchung  und  der  negativ 
ausgefallenen  Widal-Grube Eschen  Probe  trotz  der  beste¬ 
henden  Leukopenie  die  Diagnose  >Sepsis«  gestellt.  Man  konnte 
doch,  gestützt  auf  den  Zusammenhang  zwischen  Virus  und 
Blutbefund,  die  Leukopenie  ganz  gut  erklären,  wenn  man  an¬ 
nimmt,  dass,  je  stärker  das  Virus,  desto  geringer  die  Leuko- 
cytenzahl,  umsomehr,  als  der  Fall  wirklich  letal  verlief. 

Was  stellte  sich  aber  bei  der  Autopsie  heraus?  Es  war 
eine  Sepsis,  welche  sich  an  einen  Typhus  mit  hochgradig  ver¬ 
änderten  Mesenterialdrüsen  anschloss. 

Nun  ist  es  auch  kar,  warum  wir  in  unseren  Experimenten 
immer  eine  Leukocytose  bekamen,  obwohl  wir  Bacterien  von 
verschiedener  Virulenz  injicirten.  Waren  doch  die  Drüsen  der 
zum  Experimente  gebrauchten  Thiere  intact  und  sie  konnten 
somit  auf  den  Reiz  reagiren,  mit  Ausnahme  dieses  einen  Falles, 
wo  es  uns  gelang,  die  Krankheit  aufs  Abdomen  zu  beschränken 
und  das  anatomische  Bild  eines  Typhus  mit  veränderten  Drüsen 
aber  ohne  Complicationen,  zu  erzeugen;  hier  blieb  auch  der 
Effect  nicht  aus,  denn  wir  bekamen,  Dank  der  Veränderung 
im  lymphatischen  Apparate,  eine  Leukopenie. 

An  der  Hand  dieser  Theorie  glauben  wir  obige  Frage 
beantwortet  zu  haben,  und  wir  können  dieselbe  nicht  schliessen, 
ohne  erwähnt  zu  haben,  dass  man  in  letzter  Zeit  auf  unserer 
Klinik  den  Drüsen  grosse  Aufmerksamkeit  schenkte  und  nicht 
nur  die  Leukopenie  beim  Typhus,  sondern  auch  bei  anderen 
Krankheiten  auf  Grund  dieser  Theorie  zu  erklären  suchte. 
Blum  machte  auf  die  Möglichkeit  dieses  Umstandes  zuerst 
aufmerksam  und  wies  darauf  hin,  dass  die  Leukopenie  auch 
anderen  Krankheiten  eigen  ist,  sobald  dieselben  mit  Verän 
derungen  der  abdominellen  Lymphapparate  einhergehen.  So 
soll  z.  B.  auch  bei  Influenza  eine  Verminderung  der  weissen 


Nr.  29 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


667 


Zellen  auftreten,  sobald  dieselbe  auf  den  Magen-Darmtractus 
sich  beschränkt,  obwohl  der  Iufluenzabacillus  sonst  Leuko- 
cytose  hervorruft,  und  demzufolge  keine  negativ-chemotaktische 
Wirkung  besitzt.  Dieselbe  Regel  lässt  sich  auch  für  die  Tuber- 
culose  aufstellen,  die,  sobald  sie  als  Darmtuberculose  auftritt, 
eine  Leukopenie  verursacht.  Gestützt  also  auf  diese  Behaup¬ 
tungen  wollten  wir  nur  experimentell  das  begründen,  was  schon 
vorher  theoretisch  einleuchten  musste,  und  dies  glauben  wir 
auch  erreicht  zu  haben. 

Nur  durch  Zufall  sahen  wir  uns  genöthigt,  noch  eine 
Frage  in  Erwägung  zu  ziehen,  wie  dies  aus  den  Experimenten 
ersichtlich. 

Als  wir  mit  Typhusbacillen  experimentirten,  dieselben 
mit  verschiedenen  Kaninchen  injicirten,  um  Eiterung  hervor¬ 
zurufen,  und  den  aus  diesen  Abscessen  stammenden  Eiter 
bacteriologisch  untersuchten,  da  stellte  es  sich  in  einem  Falle 
heraus,  dass,  obwohl  in  diesem  Experimente  Typhusculturen 
injicirt  wurden,  der  Abscesseiter  das  Bact.  coli  enthielt  und 
zwar  ohne  Beimischung  vom  eigentlichen  Abscesserreger,  i.  e. 
vom  Typhusbacillus  (Kaninchen  A7  schwache  Bacillen). 

Eine  Möglichkeit  konnte  in  diesem  interessanten  Befunde 
nicht  ausgeschlossen  werden.  Wie  oben  ersichtlich,  handelte  es 
sich  um  Abscesse,  die  in  der  Bauchhöhle  entstanden  und  durch 
schwächere  Bacillen,  wie  wir  in  der  Prämisse  annahmen,  her¬ 
vorgerufen  wurden.  Es  ist  daher  annehmbar,  dass  diese  Ab¬ 
scesse  nicht  durch  lebende  Typhusbacillen,  sondern  durch  im 
Thiere  abgestorbene  entstanden  sind,  ähnlich  wie  wir  es  bei 
Tuberkelbacillen  haben,  die,  wenn  sie  abgetödtet  sind,  Eiterung 
hervorrufen  können. 

In  solche  Abscesse  können  nun  andere  Bacterien  ein¬ 
wandern,  in  erster  Linie  das  Bacterium  coli,  denn  dieses  Bac¬ 
terium  ist  immer  im  Abdomen  in  Bereitschaft.  Wir  fanden 
daher  das  eingedrungene  Bacterium  coli,  nicht  aber  den  auf¬ 
gelösten  Typhusbacillus. 

Da  aber  die  Lyoner  Schule  sich  auf  die  Experimente 
von  Rodet  und  Roux  stützt  und  den  Typhusbacillus  für 
eine  Modification  des  Bacterium  coli  betrachtet,  indem  sie 
annimmt,  dass  unter  Umständen  das  eine  Bacterium  in  das 
andere  durch  Aenderungen  seiner  Eigenschaften  übergehen 
kann,  so  wäre  vielleicht  die  Möglichkeit  vorhanden,  dass  sich 
in  diesem  Falle  etwas  im  Thierkörper  oder  im  künstlichen 
Nährboden  vollzog,  was  eine  solche  Modification  verursachte. 

Kurz  zusammengefasst  ergeben  sich  mithin  folgende 
Schlüsse : 

1.  Allem  Anscheine  nach  kommt  die  eitererregende 
Eigenschaft  dem  Typhusbacillus  als  solchem  zu,  und  ist  von 
seiner  Virulenz  nicht  abhängig,  mit  Ausnahme  der  allzuviru¬ 
lenten  Formen,  die  in  Folge  der  stürmischen  Erscheinungen 
die  Eiterbildung  nicht  zulassen. 

2.  Die  Leukopenie  beim  Abdominaltyphus  scheint  die 
Folge  der  Localisation  dieser  Krankheit  in  den  Hauptapparaten 
der  Leukocytenbildung  zu  sein  und  steht  zum  Virus  der  Typhus¬ 
bacillen  in  gar  keinem  Verhältnisse,  da  dasselbe,  absolut 
peripher  sich  localisirend,  eine  Leukocytose  verursacht. 

Nunmehr  erfüllen  wir  die  angenehme  Pflicht,  unserem 
hochverehrten  Chef,  Herrn  Hofrath  Prof.  Neusser,  für  das 
uns  zur  Verfügung  gestellte  Material,  und  dem  geehrten  Herrn 
Assistenten  Dr.  Ritter  v.  S  t  ej  s  k  a  1  für  die  Anregung  zu 
dieser  Arbeit  und  die  allseitige  Unterstützung  unseren  besten 
Dank  auszudrücken. 

Benützte  Literatur. 

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beiten.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  15. 

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Aus  der  I  medicinischen  Klinik  und  dem  neurologischen 
Institute  an  der  Wiener  Universität. 

Zur  Kenntniss  der  mit  schweren  Anämien  ver¬ 
bundenen  RückenmarksafTectionen. 

Von  Dr.  Otto  Marburg,  Assistenten  am  neurologischen  Institute. 

So  mannigfach  die  klinischen  Bilder  bei  mit  schweren 
oder  —  wie  Nonne  sie  nennt  —  »letalen«  Anämien  einher¬ 
gehenden  Rückenmarksaffectionen  sind,  von  völliger  Symptomen- 
losigkeit  bis  zu  tabiformen  Erscheinungen,  so  gleichartig  ist 
ihre  pathologisch-anatomische  Grundlage.  Gleichartig  in  dem 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRiFT.  1900. 


Nr.  29 


Sinne,  dass  es  sieh  stets  um  nacheinander  aufschiessende,  sich 
streng  an  die  Gefässe  haltende  Herde  von  myelomalacischem 
Charakter  handelt,  die  durch  Confluenz  grössere  Plaques 
bilden  und  die  Tendenz  zeigen,  vorwiegend  die  Rückenmarks¬ 
hinterstränge  zu  befallen,  wobei  ein  stärkeres  Ergriffensein 
des  Halsmarkes  unverkennbar  ist. 

Die  Fälle,  die  einen  derartigen  Befund  gegeben  haben, 
waren  jedoch  meist  von  kürzerer  Dauer;  ein  bis  zwei  Jahre, 
selten  drei  bis  vier,  und  nur  v.  Voss  theilt  eine  Beobachtung 
mit,  bei  der  die  Anämie,  die  erst  zuletzt  perniciös  wurde,  acht 
Jahre  währte,  spinale  Symptome  aber  erst  vier  Jahre  ante 
mortem  auftraten. 

Es  erscheint  darum  berechtigt,  die  Untersuchung  eines 
Falles  mitzutheilen,  der  durch  zehn  Jahre  spinale  Erscheinun¬ 
gen  zeigte  und  während  seines  Aufenthaltes  an  der  Klinik 
den  Blutbefund  einer  schweren  Anämie  darbot. 

Der  Fall,  der  mir  von  der  Klinik  Hofrath  Nothnagel 
gütigst  überlassen  wurde,  wofür  ich  an  dieser  Stelle  meinen 
tiefgefühltesten  Dank  ausspreche,  hat  folgende  Krankheits 
geschickte,  die  ich  auszugsweise  wiedergebe. 

Der  00  Jahre  alte  Schauspieler  B.,  der  hereditär  unbelastet 
ist  und  sich  stets  wohl  befunden  hat,  obwohl  er  mehrere  Feldzüge, 
zuletzt  den  im  Jahre  1870/71,  mitgemacht  und  ausserdem  noch 
viele  Strapazen  erduldet  hatte,  merkte  schon  seit  1889,  dass  bei 
längerem  Stehen  eine  Ermüdung  ausschliesslich  des  rechten  Beines 
auftrat.  Doch  schenkte  er  diesem  Leiden  keine  Aufmerksamkeit,  erst 
als  im  Juli  1899  auch  das  linke  Bein  ergriffen  wurde  und  die 
Mattigkeit  zunahm,  dazu  sich  unter  Frost-  und  Hitzegefühl,  das 
14  Tage  anhielt,  typische  lancinirende  Schmerzen  beider  Unter¬ 
extremitäten  gesellten,  wurde  Patient  beunruhigt;  trotzdem  ging  er 
seiner  Beschäftigung  nach,  wenn  ihn  nicht  ein  besonders  nach  An¬ 
strengungen  auftretendes  Anschwellen  bald  des  rechten,  bald  des 
linken  Beines  zur  Ruhe  zwang,  wonach  die  Schwellung  nach  zwei¬ 
tes  dreitägiger  Dauer  zurückging.  Auch  Parästhesien  der  Beine, 
sowie  Gürtelgefühl  bestanden.  Die  Parese  der  Beine  nahm  derart 
zu,  dass  Patient  seit  Ende  October  das  Bett  hüten  muss. 

Die  lancinirenden  Schmerzen  schwanden,  doch  traten  Mitte 
October  Parästhesien  der  Hände  auf.  Ausser  Obstipation  keine 
Blasen-  und  Mastdarmstörungen.  Patient,  der  äusserst  intelligent  ist, 
leugnet  Potus  und  Lues  entschiedenst;  von  seinen  zwei  Kindern 
kam  das  eine  nach  sieben,  das  andere  nach  acht  Monaten  zur  Welt 
und  starben  kurz  nach  der  Geburt. 

Bei  der  Aufnahme  am  26.  December  1899  fiel  besonders  die 
Blässe  der  Haut  und  Schleimhäute  auf.  Dem  entsprach  ein  Hämo¬ 
globingehalt  von  80%  (Fleischl),  im  nativen  Präparate  machte  sich 
starke  Poikylocytose  geltend,  im  gefärbten  vereinzelte,  kernhaltige, 
rolbe  Blutkörperchen  (Normoblasten)  keine  Megaloblasten  und  starke 
Poikylocytose,  keine  Leukocytose. 

Aus  dem  übrigen  Status  liebe  ich  nur  hervor,  dass  die  grobe 
Kraft  der  oberen,  sowie  besonders  der  unteren  Extremitäten  stark 
heraligesetzt  war,  die  Motilität  oben  frei,  Stehen  und  Gehen  aber 
war  unmöglich;  die  Sensibilität  hatte  nicht  gelitten,  nur  die  tiefe 
scheint  in  den  unteren  Extremitäten  abgestumpft.  Von  den  Reflexen 
fehlten  Bauchdecken  und  Cremasterreflexe  völlig,  desgleichen  auch 
Patellar-  und  Achillessehnenphänome.  Die  anderen  waren  leicht 
auslösbar.  Blasen-  und  Mastdarmstörungen  wurden  vermisst. 

Patient,  der  an  völliger  Appetitlosigkeit  leidet,  verfällt 
sichtlich.  Es  tritt  Temperatursteigerung  auf,  die  schliesslich  kurz 
ante  mortem  40°  erreicht.  Der  Tod  erscheint  in  letzter  Linie  durch 
Herzinsufficienz  herbeigeführt. 

Der  klinischen  Diagnose:  Anaemia  gravis,  Degeneration 
der  parenchymatösen  Organe,  Degenerationes  in  medulla 
spinaliex  anaemia,  Pneumonia  terminalis,  entsprach  der  anatomi¬ 
sche  Befund:  Hochgradige  allgemeine  Anämie  mit  fettiger 
Degeneration  des  Herzmuskels,  der  Leber  und  Nieren.  Acutes 
Lungenödem.  Atrophie  der  Magenschleimhaut. 

Dem  möchte  ich  nun  noch  den  Befund  im  Rückenmarke, 
Gehirn  und  peripheren  Nerven  hinzufügen,  zuvor  jedoch  kurz 
den  Fall  nach  der  klinischen  Seite  besprechen. 

Er  zeigt  in  keinerlei  Weise  eine  Incongruenz  mit  den 
anderen  derartigen  Beobachtungen;  Paresen  und  Parästhesien 


sind  die  stetigen  Frühsymptome,  sie  bleiben  oft  allein,  oder 
werden,  wie  im  vorliegenden  Falle,  durch  Verluste  der  Re¬ 
flexe  complicirt. 

Immer  aber  bleibt  auffällig,  wie  gering  im  Verhältnis  zu 
dem  ausgebreiteten  anatomischen  Processe  die  klinischen  Symp¬ 
tome  sind.  Selbst  eine  so  lange  Daner,  wie  die  der  in  Rede 
stehenden  Beobachtung,  eine  —  wie  ich  des  Weiteren  aus¬ 
führen  werde  —  so  verbreitete  Veränderung  im  Rückenmarke 

—  war  nicht  im  Stande,  einen  anderen  Symptomencomplex 
zu  erzeugen  als  in  jenen  Fällen,  deren  Dauer  kaum  ein  bis 
zwei  Jahre  beträgt.  Dass  darin  ein  besonderes  diagnostisch 
verwerthbares  Merkmal  liegt,  wurde  schon  von  den  ersten 
Beobachtern  hervorgehoben.  Eine  Incongruenz  der  Symptome 
mit  den  anatomischen  Läsionen  lässt  sich  jedoch  nicht 
finden. 

Ich  erhielt  die  Präparate  in  Mülle  r’scher  Flüssigkeit  und 
fand  bei  Betrachtung  verschiedener  Rückenmarksquerschnitte, 
in  den  Hintersträngen  am  deutlichsten,  jedoch  auch  in  den 
Seitensträngen  des  Halsmarkes  eine  beträchtliche  Aufhellung 
gegenüber  der  Umgebung;  dieselbe  liess  sich  leicht  durch 
Farbenunterschiede  als  aus  kleinen  Herden  zusammengesetzt 
erkennen. 

Zwecks  mikroskopischer  Untersuchung  wurden  etwa 
20  Höhen  dem  Rückenmarke  entnommen  und  nach  Marclii 
behandelt,  andere  nach  den  gebräuchlichen  Methoden 
(W  e i  g  e  r  t  Pal,  Nachfärbung  mit  Alaun-Cochenille  nach 
Czokor,  Hämalaun,  van  G  i  e  s  o  n)  gefärbt,  desgleichen  der 
Hirnstamm. 

Um  die  Theile,  welche  negative  Befunde  ergaben,  vor¬ 
wegzunehmen,  erwähne  ich  nur,  dass  die  peripheren  Nerven 
Isehiadicus,  Cruralis,  Vagus  sowohl  im  Zupfer,  als  im  Schnitt 
sich  frei  von  Degenerationen  zeigten,  was  sich  ja  mit  den  von 
Anderen  erhobenen  Befunden  mit  Ausnahme  des  v.  No  o  r  d  e  n- 
schen  deckt.  Desgleichen  fand  sich  im  Gehirn  nur  in  der 
Medulla  oblongata  eine  Degeneration,  die  jedoch  nur  bis  ans 
Ende  der  Hinterstrangskerne  zu  verfolgen  ist,  wenn  man  von 
den  einzelnen  degenerirten  Fasern  im  Strickkörper  absieht, 
die  von  den  tiefer  liegenden  Herden  herrühren. 

Auch  fällt  ein  oviformes,  zwischen  der  spinalen  Acusticus- 
wurzel  und  dem  Corpus  restiforme  gelegenes  Bündel  auf,  das 
von  schwarzen  Körnchen  durchsetzt,  hart  am  Rande  des 
Nucleus  cuneatus  —  dort  wo  er  sein  cerebrales  Ende  findet 

—  eine  Strecke  weit  zu  verfolgen  ist,  hier  lateral- ventral  um¬ 
biegt,  um  bis  etwa  zur  Mitte  des  Strickkörperquerschnittes  zu 
ziehen,  von  wo  es  nicht  weiter  zu  verfolgen  ist.  Es  könnten 
dies  die  als  Fibrae  arcuatae  externae  posteriores  bezeichneten 
ungekreuzten  Verbindungen  des  Keilstrangkernes  zum  hinteren 
Kleinhirnstiel  sein,  die  nach  Blumenbach  aus  den  grossen 
Zellen  des  Keilstrangkernes  ihren  Ursprung  nehmen.  Mehr 
Wahrscheinlichkeit  hat  jedoch  die  Ansicht  für  sich,  dass 
dieses  Bündel  die  directen  Hinterstrangsfasern  zum  Kleinhirn 
enthält,  da  die  Herde,  welche  die  Degeneration  zur  Folge 
haben  konnten,  sich  erst  in  der  Gegend  der  Pyramiden¬ 
kreuzung  vorfinden. 

In  tieferen  Ebenen  erscheinen  die  Hinterstränge  diffus 
schwarz  gekörnt,  einzelne  Körnchen  in  der  Kleinhirnseiten¬ 
strangbahn,  den  Fasern,  die  um  die  spinale  Trigeminuswurzel 
ziehen,  um  das  Corpus  restiforme  zu  bilden,  in  diesem  letzteren 
selbst.  Erst  in  der  Gegend  der  Pyramidenkreuzung  tritt  un¬ 
gefähr  in  der  Mitte  des  B  u  rdach’schen  Stranges  ein  mässig 
grosser  Herd  auf.  Um  ein  fast  central  gelegenes  Gefäss,  das 
dicht  mit  Fettkörnchenzellen  besetzt  ist,  schliesst  sich  ein 
grossmaschiges,  lückiges  Gewebe  an  —  Lückenfeld,  wie 
Mager  es  nennt  —  durchsetzt  von  Fettkörnchenzellen  und 
M  arc  h  i  -  Schollen,  eingeschlossen  von  der  diffus  schwarzen 
Körnung  des  übrigen  Stranges.  Der  Charakter  der  meisten 
Herde  ist  im  ganzen  Rückenmarke  der  gleiche,  nur  dass  die 
Lückenbildung  Intensitätsunterschiede  zeigt.  Daneben  findet 
sich  noch  eine  zweite  Art,  die  sich  in  M  a  r  c  h  i  -  Präparaten 7 
als  heller  gelb,  dichter  gefügt,  und  fast  ohne  Schwärzung  wie 
ein  homogenes  Gewebe  repräsentirt. 

Neben  der  diffus  schwarzen  Körnung  im  Goll-  und 
B  u  r  d  a  c  h’schen  Strange  finden  sich  im  oberen  Halsmarke 


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vereinzelte  Körnchen  im  ventralen  Hinterstiangsfeld,  Heide 
erster  Art  im  Goll,  und  zwar  der  Fissura  longit.  posterior  an¬ 
liegend  einer  dorsal,  der  zweite  ungefähr  der  Mitte  des 
Septum  entsprechend;  desgleichen  sind  das  hintere  äussere 
Feld,  die  mittlere  Wurzelzone  Flechsig’s,  das  Schul  tze- 
sche  Komma  ganz  in  derartigen  Herden  aufgegangen,  ohne 
jedoch  beträchtliche  Lückenbildung  zu  zeigen.  Herde  zweiter 
Art  sind  hier  zwar  vorhanden,  aber  äusserst  klein;  sie  liegen 
den  ersteren  an.  Die  hinteren  Wurzeln  sind  nur  von  verein¬ 
zelten  groben  schwarzen  Schollen  bedeckt,  die  auch  die  an¬ 
grenzende  Pia  mater  besetzen.  Die  Bo  gen  fasern  jedoch 
zeigen ,  längs  ihres  Verlaufes  aber  stets  nur  von  der  Stelle,  an 
der  sie  aus  einem  Herd  auftauchen,  einen  schwarzen  Nieder¬ 
schlag.  Es  ist  dieses  Verhalten  durch  das  ganze  Rückenmark 
zu  verfolgen.  Ungefähr  der  Mitte  der  Seitenstrangsperipherie 
entsprechend  liegt  ein  dreieckiger  Herd  im  Kleinhirnseiten¬ 
strang.  Unverkennbar  tritt  schon  hier  der  Zusammenhang  der 
Herde  mit  Gefässen  hervor,  ein  Zusammenhang,  den  die  fast 
völlige  Symmetrie  der  Affection  auf  beiden  Seiten  noch  ei- 
härtet. 

Etwa  in  der  Mitte  des  vierten  Cervicalis  bis  zur  Hals¬ 
anschwellung,  diese  zum  Theile  noch  einschliessend  erreicht  dei 
Process  seine  grösste  Ausdehnung.  Zu  den  beiden  Herden  im  Goll- 
schen  Strang  ist  ein  dritter,  im  ventralen  Hinterstrangsfeld  ge¬ 
legener,  getreten;  die  Herde  im  Bur  dach  sehen  Strang,  was  die 
Localisation  anlangt  gegen  die  früheren  unverändert,  zeigen  den 
Charakter  der  Herde  zweiter  Art,  nur  die  laterale  1  artie  des 
hinteren  äusseren  Feldes  wurde  zum  Lückenfeld,  das  auf  die 
Lissauer’sche  Randzone  übergreift,  dabei  auch  eine  eintretende 
Wurzel  trifft,  die  an  dieser  Stelle  eine  Aufhellung  und  vereinzelte 
Fettkörnchenzellen  aufweist;  die  von  hier  weiter  ins  Rücken¬ 
mark  ziehenden  Wurzelfasern  erscheinen  schwarz  gekörnt. 
Vereinzelten  Herden  in  den  Seitensträngen,  längs  der  Septen, 
schliesst  sich  ein  die  Mitte  des  Vorderstranges  betreffendes, 
an  der  Fissura  longitudinalis  anterior  gelegenes  Lückenfeld  an, 
an  dem  ich  dieselbe  Form  wiederfinden  konnte,  die  nach 
Mager  der  Ausbreitung  einer  peripheren  Arterie  entspricht. 
Auch  die  Höhe  des  Herdes  konnte  ich  aus  Serienschnitten  be 
rechnen  —  sie  beträgt  ungefähr  1  6 mm. 

In  der  Umgebung  des  Vorderhornes  bis  zur  Basis  des 
Hinterhornes  fanden  sich  im  \  orderseitenstrange  vereinzelte 
schwarze  Ringe,  die  Markscheiden  entsprechen.  Die  vordere 
Commissur  erscheint  frei. 

Nach  abwärts  nimmt  die  Intensität  des  Processes  ab. 
Während  im  oberen  Brustmarke  die  Seitenstrangherde,  wenn 
auch  weniger  zahlreich,  noch  vorhanden  sind,  fehlen  sie  bereits 
im  mittleren.  Lückenfelder  weist  das  hintere  äussere  F eld  aut. 
Die  schwarze  Körnung  des  Gol Ischen  Stranges,  die  zum 
grossen  Theile  auf  Fettkörnchenzellen  zurückzuführen  ist,  die 
im  B  u  r  d  a  c  h’schen  Strang  —  der  mittleren  Wurzelzone  ent¬ 
sprechend  * —  wird  hier  vermehrt  durch  eine  das  ventrale 
Hinterstrangsfeld  betreffende,  die  reichlicher  ist  als  die  im 
Halsmarke  oberhalb  des  vorerwähnten  Herdes  in  diesem  Feld. 
Die  Fasern,  welche  die  Clarke’schen  Säulen  umspinnen,  sind 
von  schwarzen  Körnchen  durchsetzt. 

Im  untersten  Brust-  und  oberen  Lendenmarke  nimmt  die 
Intensität  des  Processes  wieder  zu;  die  Localisation  der  Herde, 
ihr  Charakter  ist  der  gleiche;  nur  fehlen  die  Herde  in  Seiten- 
und  Vorderstrang,  sowie  die  diffuse  schwarze  Körnung  des 
medialen  Hinterstrangsgebietes  besonders  in  seinen  dorsaleren 
Antheilen.  Die  hinteren  Wurzeln  sind  frei  —  abgesehen  von 
den  im  Halsmarke  erwähnten,  groben  Schollen  —  die  Bogen¬ 
fasern  degenerirt. 

Nach  abwärts  gegen  die  Mitte  des  Lendenmarkes  klingt 
der  Process  aber  bald  wieder  ab,  so  zwar,  dass  ein  massig 
grosser  Herd  im  Hinterstrang  rings  von  unverändertem  Ge¬ 
webe  umgeben  erscheint.  Auch  hier  sind  die  Wurzeln  nicht 
afficirt,  nur  einseitig  erscheinen  sie  mitunter  von  gröberen 
Schollen  bedeckt;  im  untersten  Lendenmark  sind  diese  aber 
etwas  feiner,  beiderseitig,  jedoch  nicht  derart  gelagert,  dass  sie 
sich  genau  an  den  Verlauf  der  Fasern  hielten;  im  mittleren 
Sacralmark  fand  ich  keinerlei  Veränderungen  mehr. 


Bevor  ich  diese  Befunde,  die  ich  an  March i-Präparaten 
gewonnen,  mit  denen  nach  anderen  Methoden  gefärbten  ver¬ 
gleiche,  möchte  ich  auf  eine  Ansicht  Nonne’s  eingehen,  die 
sich  mit  den  M  a  r  c  h  i- Veränderungen  bei  gewissen  Rücken- 
marksaffectionen  beschäftigt  —  ein  Umstand,  der  die  Ausführ¬ 
lichkeit  meiner  bisherigen  Darstellung  entschuldigen  mag. 

Nonne  sagt  unter  Anderem,  »dass  die  Marchi- 
Degenerationen  uns  nur  den  Schluss  erlauben  auf  das  Bestehen 
einer  trophischen  Alteration,  nicht  aber  einer  Functionsschädi¬ 
gung  der  Nervenelemente«;  er  führt  als  Beweis  diffuse  Schollen, 
die  in  den  hinteren  Wurzeln  bei  an  Miliartuberculose,  Endo¬ 
carditis  ulcerosa  Verstorbenen  an,  die  ähnlich  denen  sind,  die 
er  bei  dem  in  Frage  stehenden  Processe  gefunden  hat  und  die 
nichts  beweisen,  als  dass  die  Trophik  des  Rückenmarkes 
leidet. 

Nun  haben  schon  Singer  und  Münzer,  wie  ich 
o-elegentlich  einer  vergleichend  anatomischen  Arbeit  über  den 
Opticus  fand,  beobachtet,  dass  Opticus  und  Chiasma  zu  den 
Organen  gehören,  in  welchen  Niederschläge  selten  und  spärlich 
auftreten;  sie  haben  jedoch  gefunden,  dass  derartige  Nieder¬ 
schläge  normaler  Weise  in  den  hinteren  Wurzeln  zu  finden 
sind,  was  auch  Petren  Kirchgässer  gegenüber  hervor¬ 
hebt.  Nonne  zieht  auch  die  Fälle  von  Hirntumoren  mit  Dege¬ 
nerationen  der  hinteren  Wurzeln  herbei,  um  eine  Erklärung 
dafür  zu  finden,  dass  gerade  in  den  hinteren  Wurzeln  sich  die 
Niederschläge  linden,  und  citirt  die  Meinung  Hoc  lie’s  und 
Kirch  gässer’s,  die  dahin  geht,  dass  mechanische  Verhält¬ 
nisse  des  Baues  und  der  Lagerung  der  einstrahlenden  hinteren 
Wurzeln  diese  zur  Degeneration  prädisponiren. 

Diese  mechanischen  Verhältnisse  sind  bereits  im  Jahre  1894 
von  Prof.  Ober  st  ein  er  im  Vereine  mit  Redlich  darge¬ 
stellt  und  zur  Genese  der  Tabes  in  Beziehung  gebracht  worden, 
was  ja  auch  Nonne  in  seiner  zweiten  Arbeit  anführt.  »An 
der  Stelle«  —  ich  citire  wörtlich  Lehrbuch  pag.  252  —  »wo 
die  Wurzel  die  Pia  mater  und  die  Rindenschichte  durchsetzt, 
erfährt  sie  eine  mitunter  hochgradige  Einschnürung.  Die  Ein¬ 
busse,  welche  ihr*  Umfang  hier  erfährt,  geschieht  nur  auf 
Kosten  der  Markscheide,  und  es  kann  daher  geschehen,  dass 
die  Wurzel  an  dieser  Stelle  bei  der  Weigert- Färbung  ganz 
blass  bleibt.« 

Nun  werden  aber  von  diesen  mechanischen  Verhältnissen, 
die  zur  Schädigung  prädisponiren,  in  erster  Linie  die  Lis- 
s  a  u  e  r’schen  Fasern  betroffen,  und  gerade  bei  den  Fällen  von 
Rückenmarksaffection  bei  Anämie  ist  die  Lissauersche 
Randzone  stets  frei  von  aufsteigender  Degeneration.  Wo  Wurzel¬ 
fasern  in  dem  vorliegenden  Fall  degenerirt  waren,  fand  sich, 
wie  im  Halsmarke,  ein  deutlicher  Herd  von  ähnlichem  Aus¬ 
sehen,  wie  der  im  Rückenmark  selbst;  und  wenn  sich  auch  an 
einzelnen  gröbere  und  feinere  Schollen  wie  im  Lendenmarke 
zeigten,  so  war  ihre  Form,  ihre  Anordnung  eine  derartige, 
dass  sie  im  Zusammenhalt  mit  dem  oft  nur  einseitigen  Auf¬ 
treten  derselben  nur  als  Verunreinigung  zu  deuten  waren;  ein 
guter  Theil  derselben  weicht  auch  einer  Differenzirung  nach 
P  41.  Das  charakteristische  Verhalten  der  Bogenfasern,  die  nur 
dann  degenerirt  erscheinen,  wenn  sie  einen  Herd  durchziehen, 

spricht  mit  für  diese  Ansicht. 

Für  den  vorliegenden  Fall  lassen  sich  demnach  die  Mehr¬ 
zahl  der  auftretenden  schwarzen  Schollen  als  secundäre  Dege¬ 
nerationen,  bedingt  durch  die  Herde  im  Rückenmai k  selbst, 
erklären,  und  für  die  so  unregelmässig  in  Bezug  auf  Form, 
Grösse  und  Anordnung,  bald  zwischen  den  Fasern,  bald  nur 
einseitig  in  den  hinteren  Wurzeln  befindlichen,  kann  man  wohl 
ohne  Bedenken  Verunreinigung  als  Ursache  gelten  lassen.  Ls 
ist  übrigens  interessant,  dass  schon  Bikeles  in  einem  Fall 
von  Facialisparalyse  nach  Caries  des  Felsenbeines  bei  einem 
Phthisiker  in  der  Medulla  oblongata  auf  der  erkrankten  Seite 
mächtige  schwarze  Schollen  fand,  die  er  als  »geringe  Li- 
nährungsstörung«  zu  deuten  gezwungen  war,  eine  Ansu  it, 

die  Rai  mann  widerlegte.  . 

Wenn  ich  noch  kurz  die  Befunde  an  A\  eigert-  un 
van  G  i  e  s  o  n-Präparaten  erwähne,  so  ergab  eine  Durchsic  it 
derselben  entsprechend  den  Lückenfeldern  baseiausa  ,  ent 
sprechend  den  Herden  zweiter  Art  beträchliche  Gliawucherung. 


670 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  29 


In  den  Maschen  der  Lückenfelder  finden  sich  vereinzelt 
besonders  im  Halsmark  eigenthümliche  Zellen  von  blasigem 
Charakter,  die,  nach  van  Gieson  gefärbt,  eine  blassviolette 
Grundsubstanz  besitzen,  in  der  bald  central,  bald  excentrisch 
ein  mehr  oder  minder  intensiv  gefärbter  Kern  sichtbar  ist, 
welch  letzterer  mitunter  auch  fehlt.  Ich  glaube,  dass  dies  die¬ 
selben  Zellen  sind,  die  von  Mager  als  Fettkörnchenzellen 
gedeutet  werden,  trotz  ihres  mehr  epithelioiden  Charakters;  die 
Ursache  hiefiir  liegt,  wie  auch  Schmaus  annimmt,  in  der 
Behandlung  mit  Alkohol,  die  derartige  »Kunstproducte  erzeugt«. 
Dieselben  Zellen  —  und  es  ist  kein  Zweifel,  dass  es  dieselben 
sind,  fasst  man  nur  ihre  Lage  in  den  Lücken  und  den  peri- 
vasculären  Räumen  ins  Auge  —  bezeichnen  B  öd  ec  leer  und 
Juliusburger  als  Gitterzellen,  weil  sich  in  ihnen  ein 
»feines  Netz  oder  Gitterwerk«  befindet,  mit  fünfeckigen,  stets 
aber  polygonalen  Maschen.  Auch  Einschlüsse  enthielten  diese 
Zellen,  unter  anderen  »eine  rothe  Masse  von  unregelmässiger 
Contour,  von  der  varicös  verdickte  Fortsäze  ausliefen«.  Das 
Gitterwerk  in  solchen  Zellen  war  in  Zerfall  begriffen.  Anderer¬ 
seits  fanden  sie  Spinnenzellen  mit  eben  angedeutetem  Gitter¬ 
werk,  so  dass  man  die  Vermuthung  hegen  könnte,  »die  Gitter¬ 
zellen  könnten  die  Rolle  der  Mutterzellen  in  der  Genese  der 
Spinnenzellen  spielen.« 

Diese  letzten  Befunde,  die  man  unter  der  Immersion 
ganz  deutlich  wahrzunehmen  im  Stande  ist,  kann  ich  nur  be¬ 
stätigen,  ihrer  Deutung  jedoch  mich  keineswegs  anschliessen. 

Wie  schon  vorerwähnt,  spricht  besonders  die  Lage,  des 
Weiteren  die  mannigfachen  Einschlüsse  für  die  Mager’sehe 
Auffassung.  Die  feine  Structur  könnte  man  sich  vielleicht  in 
folgender  Weise  entstanden  denken.  Mit  dem  rapiden  Zerfall 
des  Gewebes  konnte  die  Reaction  darauf,  die  Bildung  der 
W  randerzellen,  nicht  Schritt  halten,  so  dass  die  wenigen  anfangs 
vorhandenen  mit  Fetttröpfchen  vollgepfropft  wurden,  die  ihrer¬ 
seits  sich  gegenseitig  abplatteten  und  polygonale  Formen  an- 
nahmen;  die  Vacuolen,  die  in  einzelnen  Zellen  beschrieben 
werden,  entsprächen  grösseren  Fetttröpfchen,  die  Einschlüsse 
anderweitigem  Gewebsdctritus,  in  dem  sich  ganz  gut  auch  eine 
zu  Grunde  gegangene  Spinnenzelle  befinden  kann.  Vom  Alko¬ 
hol  ausgelaugt  zeigt  sich  dann  die  beschriebene  feine  Structur. 
Wird  eine  solche  Zelle  vom  Saftstrom  nicht  fortgeschleppt, 
so  verfällt  sie  eben  —  in  dem  Maschennetz  zurückgehalten  — 
wie  dieses  dem  Untergang;  und  das  erklärt,  dass  einzelne  blass, 
ohne  Kern,  ohne  Structur,  nur  hie  und  da  eine  Vacuole  zeigend, 
sich  im  Gewebe  finden. 

Von  den  anderen  Gewebselementen  sind  die  Piasepten 
der  erkrankten  Partien  von  Fettkörnchenzellen  bedeckt; 
während  im  gesunden  Theile  die  Gliazellen  normales  Verhalten 
zeigen,  sind  sie  gegen  die  Lückenfelder  hin  geschwollen,  der 
Kern  undeutlich,  und  ihre  gleichfalls  geschwollenen  Fortsätze 
bilden  die  Grenzen  der  Maschen,  die  von  Gewebsdetritus  tlieil- 
weise  erfüllt  sind.  Die  Achsencylinder  sind  theilweise  ge¬ 
schwollen,  theilweise  ihrer  Markscheide  beraubt;  am  meisten 
jedoch  scheinen  die  Gefässe  gelitten  zu  haben,  die  den  Cha¬ 
rakter  einer  chronischen  Entzündung  aufweisen. 

Die  Intima  ist  vielfach  breiter  als  normal,  was  hier  für 
alle  Gefässe  von  den  Capillaren  bis  zu  den  grossen  Gefässen 
in  den  Furchen  Geltung  hat. 

Mächtige  Verdickungen  zeigt  die  Media,  die  oft  homogen, 
hyalin  erscheint,  die  Adventitia  hat  durch  neugebildetes  Gewebe 
fast  um  das  Doppelte  zugenommen;  dabei  machen  die  jungen 
Bindegewebszellen  der  Peripherie  bei  schwachen  Vergrüsserungen 
oft  den  Eindruck  kleinzelliger  Infiltration,  so  gehäuft  er¬ 
scheinen  sie. 

Die  Elastica  weist,  wie  Orceinpräparate  zeigen,  keine 
Veränderungen  auf. 

Kleinzellige  Infiltration  selbst  vermochte  ich  nirgends 
nachzuweisen.  Hingegen  fanden  sich  besonders  im  Halsmark 
um  die  Vorderhornzellen,  in  der  Gegend  der  Mittelzellen,  wie 
auch  im  Körper  des  Hinterhornes  kleinste  Blutaustritte:  die¬ 
selben  zur  Genese  dieses  so  ausgebreiteten  Processes  in  Be¬ 
ziehung  zu  bringen,  wie  dies  Teichmüller  versucht  hat, 
will  ich  unterlassen,  da  es  viel  wahrscheinlicher  ist,  dass  die¬ 


selben  mit  der  terminalen,  infectiösen  Temperatursteigerung  in 
Zusammenhang  stehen. 

Wie  erwähnt,  fand  sich  nirgends  kleinzellige  Infiltration, 
und  auch  die  so  stark  veränderten  Gefässe  Hessen  dieselben 
vermissen. 

Damit  wäre  die  nosologische  Stellung  dieses  Processes, 
der  bald  als  Myelomalacie,  wie  jüngst  erst  von  Dana,  bald 
als  Myelitis  gedeutet  wird,  zu  Gunsten  der  ersteren  entschieden, 
wenn  man  nach  Mager  die  kleinzellige  Infiltration  der  Gefäss- 
wand  und  perivasculären  Räume  als  Kriterium  der  Entzündung 
gelten  lässt.  Nun  hat  Binz  seinerzeit  betont,  welche  Bedeu¬ 
tung  dem  Sauerstoff  für  die  Emigration  der  weissen  Blutkörper¬ 
chen  zukomme,  dabei  auch  die  Ansicht  Kühne’s  erwähnt, 
dass  der  Sauerstoff  des  Hämoglobins  ebenso  wirkt,  wie  der 
unserer  Atmosphäre.  Er  kommt  zu  dem  Schlüsse:  »Immer 
aber  muss  zuerst  ein  relativ  ventilirtes  Blut  da  sein;  ohne 
dieses  ist  die  filtrirende  Wirkung  des  Druckes  für  die  farb¬ 
losen  Zellen  fast  Null.«  Dasselbe  gilt  auch  für  die  Gifte,  welche 
die  Sauerstoffaufnahme  hindern. 

Wo  hätten  diese  Ansichten  mehr  Grund,  beachtet  zu 
werden,  als  in  den  Fällen  von  Anämie  mit  Rückenmai'ksver- 
änderungen,  bei  denen  der  Hämoglobingehalt  Werthe  wie 
10%  Fleischl,  (Nonne  Fall  12  der  dritten  Abhandlung) 
20%  (Minnich  Fall  3  und  5)  oder  im  vorliegenden  Falle 
30%  erreicht?  Man  kann  hier  demnach  das  Fehlen  der  In¬ 
filtration  nicht  herbeiziehen,  um  den  Charakter  des  Krankheits- 
processes  zu  bestimmen,  denn  trotz  desselben  sprechen  die 
Gefässveränderungen  im  Zusammenhang  mit  den  B  i  n  z’schen 
Ansichten  sehr  zu  Gunsten  der  Entzündung.  Abgesehen  von 
der  Media,  die  ihr  Aussehen  ebenfalls  dem  bestehenden  Senium 
verdanken  könnte,  obwohl  Nonne  auch  bei  jüngeren  Indivi¬ 
duen  ein  ähnliches  gefunden  hat,  spricht  die  lebhafte  Wuche¬ 
rung  des  adventitiellen  Gewebes  sehr  gegen  einen  degenerativen 
Process;  ein  sicherer  Schluss  ist  jedoch  nicht  gestattet. 

Viel  leichter  lässt  sich  hingegen  der  von  Rothman  n 
zuerst  vertretenen  Ansicht,  als  seien  die  Rückenmarksaffectionen 
sogenannte  combinirte  Systemerkrankungen  —  einer  Ansicht, 
der  auch  v.  Voss  gestützt  auf  Flechsig’s  gewichtiges  Ur- 
theil  für  gewisse  Fälle  beitritt  —  entgegentreten,  besonders 
wenn  man  jene  Fälle  von  combinirter  Systemerkrankung  aus¬ 
schaltet,  in  deren  Verlauf  sich  Anämie  dazugesellte  (Fälle  von 
Werner  und  Müller,  mitgetheilt  von  Nonne  in  seiner 
dritten  Abhandlung).  Es  kann  hier  nur  die  Auffassung 
Nonne’s  der  bezüglich  der  vorliegenden  Affection  wohl  über 
die  meiste  Erfahrung  verfügt  und  die  eingehendsten  Unter¬ 
suchungen  nach  jeder  Richtung  angestellt  hat,  Geltung  haben, 
die  dahin  geht,  dass  es  sich  um  eine  intraspinale,  durch  die 
Gefässe  vermittelte  Affection  handle,  ein  Gedanke,  der  von 
G  ö  b  e  1  an  der  Hand  einer  grösseren  Anzahl  von  Fällen  Be¬ 
stätigung  fand.  Die  Lage  der  einzelnen  Herde  an  gefässführen- 
der  Septen,  oder  um  ein  centrales  Gefäss  in  den  Seitensträngen 
besonders  hervortretend  und  hier  bald  in  der  Pyramidenbahn, 
bald  in  der  Kleinhirnseitenstrangbahn  zu  finden,  ohne  dabei 
Vorderstrang-  und  Seitenstranggrundbündel  zu  schonen,  das 
vorwiegende  Befallensein  der  Seitenstränge  des  Halsmarkes, 
während  diese  vom  mittleren  Brustmarke  an  frei  sind,  dürften 
in  diesem  Falle  genugsam  beweisend  sein.  Aber  auch  die  Art 
des  Zustandekommens  der  Veränderungen,  oder  vielmehr  die 
Ursache  ihrer  Localisation  lässt  sich  aus  dem  mikroskopischen 
Bilde  herauslesen.  Allenthalben  wird  das  auffällige  Befallensein 
des  Halsmarkes  betont,  das,  wie  die  Frühfälle  Nonne’s  be¬ 
weisen,  auch  primär  erkrankt.  Nun  gehören  die  erkrankten 
Partien  dem  Gefässgebiet  der  Arteria  vertebrospinalis  posterior 
an,  die  ihre  Endverästelungen,  oder  besser  gesagt,  ihre  Ver¬ 
einigung  mit  den  Intercostalarterien  unter  Bildung  des  Tractus 
arteriosus  posterolateralis  in  der  Höhe  der  vierten  oder  fünften 
Cervicalwurzel  hat.  Diese  Arterie  liegt  von  sämmtlichen  Rücken- 
marksgefässen  dem  Herzen  am  nächsten,  so  dass  im  Blute 
circulirende  Schädlichkeiten  die  von  ihr  versorgten  Gebiete 
zunächst  schädigen  müssten. 

Aber  gerade  die  Frühfälle  Nonne’s  bewiesen  mir  die 
Unhaltbarkeit  dieser  Ansicht. 


Nr.  29 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


671 


In  den  Fallen  6 — 10  der  dritten  Publication  zum  Beispiel  1 
finden  sich  stets  neben  Affection  des  Halsmarkes  eine  solche 
des  unteren  Brust-  und  oberen  Lendenmarks.  Und  doch  ist  in 
der  Gefassvertheilung  die  Ursache  der  Localisation  zu  suchen; 
denn  die  erwähnten  beiden  Gebiete  sind  die  mit  Blut  bestver¬ 
sorgten,  insoferne  als  das  Haismark  betreffend  hier  die  Spinalis 
mit  den  Intercostales  zur  Plexusbildung  Zusammentritt,  im 
Lendenmark  und  unteren  Brustmark  fällt  das  stärkere  Er¬ 
griffensein  des  Querschnittes  mit  dem  Auftreten  von  Plexus¬ 
bildungen  im  Gebiete  der  Arteria  spinalis  magna  zusammen. 

Eine  Erklärung  für  dieses  Verhalten  zu  finden,  ohne 
hypothetisch  zu  werden,  war  mir  nicht  möglich;  und  doch 
scheint  mir  die  Bedeutung  der  Gefässe  für  den  Process  darin 
zu  liegen,  nicht  in  den  Veränderungen  ihrer  Wandung,  die 
durch  die  Allgemeinaffection  bedingt  sind  und  sich,  wie  in  den 
Fällen  von  A  r  n  i  n  g,  Burr,  Rothman  n,  Jacob,  M  o  x  t  e  r 
u.  A.  nicht  finden  brauchen.  Dass  der  Einfluss  der  Gefässver- 
theilung  auch  bei  anderen  Affectionen  sich  vorfindet,  dafür  ist 
ein  ziemlich  gutes  Beispiel  in  jenen  perivasculären  Sklerosen 
gegeben,  die  von  Redlich  bei  Paralysis  agitans  im  Halsmark 
in  der  Gegend  der  Anschwellung  und  im  Lendenmark  hier 
an  der  gleichen  Stelle  beschrieben  wurden.  Dass  individuelle 
Verschiedenheiten  die  Localisation  zu  verschieben  im  Stande 
sind,  liegt  auf  der  Hand.  Desgleichen  lässt  sich  die  Propagation 
des  Processes  für  diesen  Fall  leicht  durch  seine  lange  Dauer 
erklären,  das  Befallensein  der  Hinterstränge  jedoch  wieder 
dadurch,  dass  die  Blutversorgung  hier  für  die  einzelnen  Seg¬ 
mente  eine  gewisse  Selbstständigkeit  gegenüber  der  anderer 
Partien  besitzt,  insoferne,  als  fast  jedem  Segment  eine  Inter- 
costalarterie  entspricht. 

Ich  möchte  daher  aus  den  erörterten  Fragen  folgende 
Schlüsse  ziehen: 

Die  bei  Marchi-Färbung  auftretenden  Degenerationen 
finden  ihre  Erklärung  in  den  Herden  de3  Rückenmarkes;  die 
vereinzelte  Schollen bildung  in  der  Gegend  der  hinteren  Wurzeln 
möchte  ich  als  Verunreinigung  ansehen. 

Die  nosologische  Stellung  dieses  Processes  ist  nicht  sicher 
bestimmbar;  doch  könnte  man  ihn  hauptsächlich  wegen  der 
Gefässveränderungen  und  mit  der  B  i  n  z’schen  Ansicht,  die 
Leukocytenauswanderung  werde  durch  Vorhandensein  genü¬ 
gender  Mengen  Sauerstoffs  bedingt,  als  Grundlage  eher  der 
Myelitis  zurechnen. 

Die  Localisation  ist  bedingt  durch  die  Gefässanordnung; 
ihre  Tendenz  geht  dahin,  die  mit  Blut  bestversorgten  Gebiete 
primär  zu  befallen. 

Für  die  Fülle  von  Anregungen  und  die  gütige  Unter¬ 
stützung  meiner  Arbeit  fühle  ich  mich  meinem  verehrten  Chef, 
Herrn  Professor  Obersteiner,  zu  tiefstem  Danke  ver¬ 
pflichtet. 

Citirte  Arbeiten. 

Obersteiner,  Anleitung-  beim  Studium  des  Baues  der  nervösen 
Centralorgane  im  gesunden  und  kranken  Zustande. 

H.  Obersteiner  und  E.  Redlich,  Ueber  Wesen  der  Patho¬ 
genese  der  tabischen  Hinterstrangsdegeneratiou.  Vorläufige  Mittheilung. 
Arbeiten  aus  dem  Institute  für  Anatomie  und  Physiologie  des  Centralnerven¬ 
systems  an  der  Wiener  Universität.  Heft  2. 

M.  Non  n  e,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  im  Verlaufe  der  perniciösen 
Anämie  beobachteten  Spinalerkranklingen.  Archiv  für  Psychiatrie  und 
Neurologie.  1893,  pag.  421  ff. 

Derselbe,  Weitere  Beiträge  zur  Kenntniss  der  im  Verlaufe  letaler 
Anämien  beobachteten  Spinalerkrankungen.  Aus  dem  Vereins-Hospitale  in 
Hamburg.  Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  1895.  pag.  313  ff. 

Derselbe,  Rückenmarksuntersuchungen  in  Fällen  von  perniciöser 
Anämie,  von  Sepsis  und  Senium  nebst  Bemerkungen  über  Marchi- 
Veränderungen  bei  acut  verlaufenden  Processen.  Aus  dem  allgemeinen 
Krankenhause  in  Hamburg-Eppendorf. 

W.  M  i  n  n  i  c  h,  Zur  Kenntniss  der  im  Verlaufe  der  perniciösen 
Anämie  beobachteten  Spinalerkrankungen.  Zeitschrift  für  klinische  Medicin. 
Bd.  XXI,  pag.  25  und  264  ff.  Bd.  XXII,  pag.  20  ff. 

v.  Noorden,  Charite-Annalen.  91. 

Singer  und  Münzer,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Sehnerven¬ 
kreuzung.  Denkschriften  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften. 
1889,  Bd.  LV. 

Karl  Petren,  Mittheilung  über  eine  besondere  Veränderung  der 
Nervenfasern  des  Rückenmarkes,  welche  einer  klinischen  Bedeutung  ent¬ 
behrt,  nämlich  die  von  Min  n  ich  sogenannte  hydropische  Veränderung. 
Deutsche  Zeitschrift  für  Nervenheilkunde.  Bd.  XV,  pag.  88,  Anmerkung. 


B  i  k  e  1  e  s,  citirt  nach  ßaimann,  Jahrbücher  für  Psychiatrie  und 
Neurologie.  Bd.  XIX,  Heft  1,  pag.  59. 

W.  Mager,  Ueber  Myelitis  acuta.  Arbeiten  aus  dem  Institute  für 
Anatomie  und  Physiologie  des  Centralnervensystems  an  der  Wiener  Univer¬ 
sität.  1900,  Heft  7. 

Boedecker  und  J  u  1  i  u  s  b  u  r  g  e  r,  Casuistischer  Beitrag  zur 
Kenntniss  der  anatomischen  Befunde  bei  spinalen  Erkrankungen  mit  pro¬ 
gressiver  Anämie.  Aus  der  Irrenanstalt  der  Stadt  Berlin  Herzberge  zu 
Lichtenberg,  Berlin.  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  1898. 
pag.  372  ff. 

C.  Binz,  Der  Antheil  des  Sauerstoffs  an  der  Eiterbildung.  Virchow’s 
Archiv.  Bd.  LIX,  pag.  293  ff. 

Derselbe,  Zweite  Abhandlung.  Virchow’s  Archiv.  Bd.  LXXI, 
pag.  181  ff. 

Max  Roth  mann,  Die  primären  combinirten  Systemerkrankungen 
des  Rückenmaikes  (combinirte  Systemerkrankungen).  Deutsche  Zeiiscl  rift 
für  Nervenheilkunde.  1895,  pag.  171. 

v.  Voss,  Anatomische  und  experimentelle  Untersuchungen  über  die 
Rückenmarks  Veränderungen  bei  Anämie.  Deutsches  Archiv  für  klinische 
Medicin.  1897,  pag.  498  ff. 

A  r  n  i  n  g,  Ein  Fall  von  perniciöser  Anämie  mit  schwerer  Erkran¬ 
kung  des  Rückenmarkes.  Inaugural-Dissertation.  Göttingen  1891. 

Burr,  citirt  nach  Teich  müller. 

Jacob  und  M  o  x  t  e  r,  Ueber  Rückenmarkserkrankungen  und  -Ver¬ 
änderungen  bei  tödtlich  verlaufenden  Anämien.  Archiv  für  Psychiatrie. 
1899,  Heft  1,  pag.  169. 

E.  Redlich,  Beitrag  zur  Kenntniss  der  pathologischen  Anatomie 
der  Paralysis  agitans  und  deren  Beziehungen  zu  gewissen  Nervenkrank¬ 
heiten  des  Greiseualteis.  Pag.  384  ff. 

W.  Teichmüller,  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  im  Verlaufe 
der  perniciösen  Anämie  beobachteten  Spinalerkrankungen.  Deutsche  Zeit¬ 
schrift  für  Nervenheilkunde.  1896,  pag.  385  ff. 

W.  Goebel,  Rückenmarksveränderungen  bei  perniciöser  Anämie. 
Mittheilungen  aus  den  Hamburgischen  Staatskrankenanstalten.  1898. 

Charles  L.  Dana  (New  York),  Subacute  ataxic  paralysis  and 
combined  sclerosis,  a  form  of  spinal  disease  associated  with  lethal  anaemia 
and  toxaemia.  The  Medic.  Rec.  24.  Juni  1899.  Referat:  Centralblatt  für 
Nervenheilkunde  und  Psychiatrie.  1900.  Nr.  123/124,  pag.  212. 


Aus  der  I  medicinischen  Klinik  in  Wien  (Hofrath  Noth¬ 
nagel). 

Beitrag  zur  Aetioiogie  der  Basedowschen  Krank¬ 
heit  und  des  Thyreoidismus. 

Von  Dr.  Robert  Breuer,  Assistenten. 

Nach  einem  am  15.  Juni  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  gehaltenen  Vorträge. 

(Schluss.) 

II. 

Mit  dem  oben  mitgetlieilten  Fall  von  Morbus  Basedowii 
nach  Thyreoiditis  haben  eine  Anzahl  von  Beobachtungen,  über 
die  ich  nun  berichten  möchte,  Eines  gemein:  auch  hier  wurde 
die  Basedowsche  Krankheit  oder  ein  dieser  nahestehender 
Symptomencomplex  erzeugt,  respective  provocirt  durch  ein 
Agens,  dessen  Angriffspunkt  in  der  Schilddrüse  zu  suchen  ist. 

Es  handelt  sich  nämlich  um  Fälle  von  Basedow,  re¬ 
spective  Thyreoidismus  nach  therapeutischem 
Jodgebrauch. 

Ich  verdanke  meine  erste  Kenntniss  davon,  welche  Rolle 
das  Jod  in  der  Aetioiogie  mancher  Fälle  von  Basedow 
spielt,  meinem  Vater,  Dr.  Josef  Breuer,  der  im  Laufe  der 
Jahre  eine  Anzahl  derartiger  Fälle  beobachtet  hat. 

Mir  sind  dann  während  meiner  Thätigkeit  an  der  Klinik 
ähnliche  Fälle  begegnet,  aber  immerhin  in  so  geringer  Zahl, 
dass  ich  nicht  den  Eindruck  gewann,  es  handle  sich  um 
häufige  und  praktisch  wichtige  Vorkommnisse.  Erst  im  Früh¬ 
jahr  1.  J.  bestimmten  mich  die  rasch  aufeinanderfolgenden  Be¬ 
obachtungen  zweier  einschlägiger  Fälle  dazu,  der  Angelegen¬ 
heit  nachzugehen,  und  ich  habe  dann  von  Ende  April  bis 
Mitte  Juni  hei  allen  Kranken,  die  sich  mit  Basedow  oder 
B  a  s  e  do  w  •  ähnlichen  Erscheinungen  an  der  Klinik  einfanden, 
systematisch  nach  einer  eventuellen  Jodätiologie  geforscht. 

Dabei  hat  sich  das  für  mich  überraschende  Resultat  er¬ 
geben,  dass  ich  in  dieser  relativ  kurzen  Zeit  neun  nach  allen 
Richtungen  einwandfreie  derartige  Beobachtungen  sammeln 
konnte.  Bevor  ich  über  diese  berichte,  scheint  es  mir  noth- 
wendig,  in  Kürze  zu  resumiren,  was  ich  über  die  Beziehungen 


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Nr.  29 


zwischen  .lodgebrauch  und  dem  Auftreten  Basedo  w-ähnlicher 
Zustände  in  der  Literatur  vorgefunden  habe. 

Schon  bald  nach  der  Einführung  des  Jods  in  die  Therapie 
(Coin  de  t  in  Genf,  1820)  waren  mannigfaltige  unangenehme 
Nebenwirkungen  bekannt  geworden.  Aus  der  Reihe  dieser 
wurde  namentlich  durch  Genfer  Autoren  (C  o  i  n  d  e  t,  G  a  u  t  i  e  r, 
d’E  spine,  Rilliet  u.  A.)  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahr¬ 
hunderts  ein  bestimmter  Symptomencomplex  unter  dem  Namen 
des  chronischen  constitutionellen  Jodismus 
herausgehoben  und  von  den  Symptomen  der  acuten  Jodver¬ 
giftung  (Haut-  und  Schleimhautaffectionen,  Jodakne,  Ka¬ 
tarrhe  etc.)  streng  geschieden.  Dieser  constitutioneile  Jodismus 
sollte  aus  einer  Reihe  von  vorwiegend  nervösen  Symptomen 
(Herzklopfen,  Zittern,  Schlaflosigkeit,  psychische  Alteration, 
Heisshunger)  bestehen  und  sich  mit  rapider  Abmagerung  und 
Kräfteverfall  verbinden;  seine  Symptome  sollten  die  Anwendung 
des  Jods  noch  monatelang  überdauern;  der  Zustand  sollte  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  mit  allmäliger  Genesung,  sehr  selten 
mit  zunehmender  Kachexie  und  dem  Tode  endigen.  Auffallend 
war  von  Anfang  an,  dass  fast  ausschliesslich  strumöse  Per¬ 
sonen  von  diesen  üblen  Zufällen  betroffen  wurden,  deren  Schild¬ 
drüse  sich  unter  Jodgebrauch  rasch  verkleinerte;  bevorzugt 
waren  ältere  Individuen. 

Dagegen  schienen  nicht  nur  die  Anwendungsweise, 
sondern  auch  die  Quantität  des  benützten  Jodpräparates  ver- 
hältnissmässig  irrelevant  zu  sein;  von  verschiedenen  Seiten 
wurde  sogar  die  relativ  bedeutende  Schädlichkeit  kleiner,  ja 
fast  homöopathischer  Joddosen  bei  längerer  Anwendung  aus¬ 
drücklich  betont. 

Dieser  constitutionelle  Jodismus,  der  seine  ausführlichste 
Darstellung  in  der  Monographie  von  Rilliet4)  gefunden 
hat,  wurde  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  lebhaft  erörtert; 
einschlägige  Beobachtungen  wurden  in  grosser  Zahl  aus 
gewissen  Kropfgegenden  (vor  Allem  der  französischen  Schweiz, 
dann  aus  Würtemberg  etc.)  bekannt,  während  aus  kropffreien 
Ländern  (Norddeutschland,  grossen  Theilen  von  Frankreich  und 
England),  dann  aber  auffallender  Weise  auch  aus  ausge¬ 
sprochenen  Kropfdistricten  bestätigende  Meldungen  nur  in  ge¬ 
ringer  Zahl  oder  gar  nicht  einliefen. 

Was  die  theoretische  Auffassung  des  Zustandes  angeht, 
wurden  schon  frühzeitig  Stimmen  laut,  welche  den  chronischen 
Jodismus  in  der  Weise  deuteten,  dass  es  sich  nicht  eigentlich 
um  eine  giftige  Wirkung  des  Jods  selbst  handle,  vielmehr 
liege  eine  Intoxication  durch  Stoffe  vor,  welche  bei 
der  raschen  Resorption  einer  Struma  in  den  Kreis¬ 
lauf  gelangen.  [Roeser5),  Lebert6)  u.  A.] 

Die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  des  constitutio¬ 
nellen  Jodismus  als  Thyreoidismus  leuchtet  heute 
ohne  Weiteres  ein,  wenn  man  die  Identität  des  Symptomen- 
complexes  mit  den  Vergiftungserscheinungen  nach  Einfuhr  von 
Schilddrüsenpräparaten  in  Betracht  zieht. 

Interessant  ist  nun,  dass  in  jüngster  Zeit  auch  einige 
Beobachtungen  mitgetheilt  worden  sind,  in  denen  sich  nach 
Jodgebrauch  nicht  nur  »Jodismus«,  sondern  vollkommener 
Morbus  Basedowii  (mit  Exophthalmus,  Graefe’s  Zeichen  etc.) 
eingestellt  hat.  Denn  solche  Fälle  waren  geeignet,  die  Er- 
kenntniss  der  Pathogenese  des  Morbus  Basedowii  ent¬ 
schieden  zu  fördern.  Ueber  einen  solchen  Fall  berichtet 
Rendu')  aus  Paris  (bei  einem  jungen  Mädchen  trat  im  Ver¬ 
laufe  einer  wegen  »Aortitis«  eingeleiteten  Jodbehandlung  Ba¬ 
sedow  auf).  Ortner8)  erwähnt  drei  derartige  Fälle,  und  in 
jüngster  Zeit  haben  Jaunin9)  und  Gau  tier10)  in  zwei  sehr 
interessanten  Publicationen  aus  der  alten  Heimat  des  Jod- 
Thyreoidismus  (Genf)  eine  Anzahl  ähnlicher  Erfahrungen  mit¬ 
getheilt.  Immerhin  handelt  es  sich  nur  um  spärliche  Beob¬ 
achtungen. 

Von  dem  einfachen  Jod-Thyreoidismus  (constitutioneller 
Jodismus)  vollends  ist  es  seit  Jahrzehnten  ganz  still  ge¬ 
worden.  Die  meisten  Handbücher  der  Toxikologie  und  Arznei¬ 
mittellehre  erwähnen  ihn  nur  nebenbei  als  ehemals  beobachtetes 
Curiosum,  oder  als  äusserst  seltenes  Vorkommniss,  oder  sie 
confundiren  ihn  gar  mit  den  Erscheinungen  der  acuten  Jod- 
intoxication.  Nur  in  Genf  scheint  die  Kenntniss  dieser  Jod¬ 


wirkung  nie  verloren  gegangen  zu  sein,  Jaunin  und 
Gautier  erwähnen  in  ihren  oben  citirten  Publicationen  einige 
Fälle  dieser  Art.  Im  Ganzen  aber  gewinnt  man  aus  der  neueren 
Literatur  mit  Rücksicht  auf  die  ganz  universelle  Anwendung 
des  Jods  den  Eindruck,  dass  es  sich  sowohl  bei  dem  »Jod- 
Thyreoidismus«,  als  bei  dem  »Jod-Basedow«  um  seltene  Aus¬ 
nahmsfälle  handle,  um  gelegentliche  Idiosynkrasien,  wie  sie 
auch  bei  anderen  Mitteln  hie  und  da  beobachtet  werden. 

Nach  meiner  Beobachtung  ist  das  nun,  wenigstens  für 
Wien,  nicht  der  Fall.  Ich  habe,  wie  schon  erwähnt,  in  der 
kurzen  Zeit  von  wenigen  Wochen  neun  sichere  derartige  Fälle 
beobachtet,  und  zwar  vier  Fälle  von  durch  Jod  erzeugtem 
Thyreoidismus  (constitutioneller  Jodismus  der  älteren  Autoren), 
und  fünf,  denen  nach  jeder  Richtung  die  Bezeichnung  Morbus 
Basedowii  gebührt. 

Die  auffällig  grosse  Zahl  dieser  Beobachtungen  in  so  kurzer 
Zeit  legt  die  Vermuthung  nahe,  dass  es  sich  um  eine  ausser- 
gewöhnliche  und  zufällige  Häufung  derartiger  Fälle  in  unserem 
klinischen  Material  handelt.  Eine  solche  Möglichkeit  muss  natürlich 
zunächst  zugegeben  werden,  wenn  es  mir  auch  wahrscheinlich  ist, 
dass  ich  die  Fälle  deswegen  in  so  grosser  Zahl  gesehen  habe, 
weil  ich  nach  ihnen  gesucht  hatte.  Dagegen  möchte  ich  mich 
von  dem  Verdacht  reinigen,  dass  ich  bei  der  Bewerthung  eines 
ätiologischen  Factors,  der  ja  in  den  meisten  Fällen  nur  anamnestisch 
erhoben  werden  konnte  (nur  in  zwei  Fällen  sind  die  Patienten  vor 
und  nach  der  Joddarreichung  klinisch  beobachtet  worden)  unvor¬ 
sichtig  vorgegangen  sei.  Bei  der  bekannten  Neigung  Unseres  Spitals- 
publicums,  eine  Aenderung  des  Befindens,  irgend  einem  angewen¬ 
deten  Medicament  zur  Last  zu  legen,  sind  ja  derartige  Anamnesen 
durchaus  nicht  ohne  grosse  Vorsicht  zu  benützen.  Ich  habe  des¬ 
halb  in  die  folgende  Zusammenstellung  nur  solche  Fälle  aufgenommen, 
in  welchen  der  zeitliche  Zusammenhang  zwischen  Jodmedication 
und  der  Erkrankung  sicher  (fast  immer  durch  Vorlage  der  da- 
tirten  Recepte)  nachgewiesen  werden  konnte.  Eine  Anzahl  von 
Fällen,  in  denen  der  fragliche  Nexus  mit  Wahrscheinlichkeit  ange¬ 
nommen  werden  konnte,  mussten  deshalb  beiseite  gelassen  werden, 
weil  der  Kranke  nicht  genau  nachweisen  konnte,  was  oder  wann 
er  etwas  angewendet  hatte.  Desgleichen  fehlen  im  Folgenden  Fälle, 
die  ich  gleichfalls  während  der  angegebenen  Zeit  beobachtete,  in 
welchen  das  Jod  nur  geringfügige  Erscheinungen  (leichte  Ab¬ 
magerung  und  etwas  Herzklopfen)  hervorgerufen  hatte;  auch  einige 
einfache  Verschlimmerungen  des  Zustandes  von  Basedow-Kranken 
durch  Jod,  wie  sie  seit  Langem  als  Regel  beim  Morbus  Basedowii 
bekannt  sind,  wurden  nicht  aufgenommen;  nur  einen  besonders 
instructively  derartigen  Fall  möchte  ich  anhangsweise  erwähnen. 

A.  Thyreoidismus  (constitutioneller  Jodismus)  nach  Jod¬ 
gebrauch. 

Beobachtung  1.  56jährige  Frau.  Vater  und  Schwestern 
Tabes.  Seit  Kindheit  Kopfschmerzen.  Während  eines  Partus  (1872) 
entstand  eine  Struma,  die  in  einigen  Wochen  ziemlich  gross  wurde, 
dann  stationär  blieb,  nie  Beschwerden  machte.  Nie  besonders 
nervös,  hei  körperlichen  Anstrengungen  seit  einigen  Jahren  ganz 
leichtes  Herzklopfen.  Sonst  nie  Erscheinungen  des  Thyreoidismus. 

Patientin  suchte  am  13.  März  die  Klinik  auf  wegen  ihrer 
Kopfschmerzen  und  leichter,  ziehender  Schmerzen  in  den  Beinen. 
Es  wurde  Arteriosklerose  und  ein  leises  diastolisches  Geräusch  über 
dem  Sternum  ohne  weitere  Erscheinungen  der  Aorteninsufficienz 
gefunden.  Grosse,  ziemlich  weiche  Struma.  Die  Frau  war  ruhig, 
nicht  aufgeregt,  relativ  wohlgenährt.  Kein  Zittern,  Puls  nicht  be¬ 
schleunigt. 

Verordnung:  Jodnatrium. 

Die  Kranke  nahm  vom  17.— 23.  März  täglich  circa  0  9  Natr. 
jodatum.  Dann  vom  2. — 8.  April  dasselbe.  Schon  am  Ende  der 
ersten  Jodperiode  rapide  Abnahme  der  Struma;  gleichzeitig  grosse 
Unruhe,  heftiges  Zittern;  heftiges,  anfallsweise  auftretendes  Herz¬ 
klopfen;  Hitzegefühl,  besonders  hei  Nacht;  rapide  Abmagerung  trotz 
guten  Appetites.  Der  Stuhl  war  sonst  stets  leicht  angehalten  ge¬ 
wesen;  seit  dem  Beginne  der  Erscheinungen  erschienen  dreimal 
Anfälle  von  unmotivirt  auftretenden,  schmerzlosen,  wässerigen  Durch¬ 
fällen  (bis  20  Stühle  täglich).  Die  Diarrhöen  hielten  zweimal  je 
einen,  einmal  zwei  Tage  an,  cessirten  plötzlich  wieder. 


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Der  ganze  Zustand  dauert  an,  obwohl  die  Kranke  seit  dem 
8.  April  kein  Jod  mehr  nimmt. 

Am  28.  April  ergibt  sich  folgender  Befund:  Patientin  seit 
der  letzten  Untersuchung  bedeutend  abgemagert;  sehr  auf- 
£  erect.  Excessiver  Tremor  der  Extremitäten.  Haut  heiss 
(kein  Fieber),  Pulsfrequenz  120  in  der  Ruhe.  Herzbefund  wie 
das  erste  Mal,  aber  auffallend  lebhafter  Herzstoss. 

Struma  viel  kleiner;  im  linken  Lappen  fühlt  man 
jetzt  einen  haselnussgrossen  Knoten. 

Kein  Exophthalmus.  Kein  Graefe.  Lidschlag 
auffallend  selten.  Blick  etwas  starr. 

Harnbefund  negativ. 

Therapie:  Natr.  hromat.  Milchdiät. 

Nach  zehn  Tagen:  Im  grossen  Ganzen  status  idem.  Herz¬ 
klopfen  und  Zittern  etwas  geringer. 

Nach  weiteren  acht  Tagen  leichte  Besserung.  Patientin  schläft 
besser.  Puls  100.  Schwäche  und  Unruhe  haben  nachgelassen. 
Körpergewicht  unverändert. 

Der  angeführte  Fall  kann  als  typisch  für  den  sogenannten 
»constitutioneilen  Jodismus«  gelten.  Es  handelt  sich  um  eine 
ältere  Person  mit  lange  bestehender  Struma,  aber  ohne  alle 
Zeichen  der  B  a  s  e  d  o  w’schen  Krankheit  (respective  des  »Kropf¬ 
herzens«),  bei  welcher  sich  schon  nach  Gebrauch  tveniger  Gramme 
Jodnatrium  ein  Krankheitsbild  entwickelt,  das  sich  aus  hochgra¬ 
diger  Abmagerung  trotz  reichlicher  Nahrungsaufnahme,  Zittern, 
Herzklopfen,  psychischer  Erregung  und  Schlaflosigkeit  zu¬ 
sammensetzt. 

Mit  dem  Beginn  der  Erscheinungen  fällt  rapide  Ver¬ 
kleinerung  der  Struma  zusammen.  Der  Zustand  überdauert 
die  Joddarreichung  wochenlang. 

Interessant  ist  in  diesem  Falle  (wie  in  einigen  der  fol¬ 
genden)  das  Auftreten  von  Durchfällen,  welche  nach  jeder 
Richtung  den  bekannten  Basedow-Diarrhöen  gleichep. 

Aehnlich  wie  dieser  erste  verlief  der  folgende  Fall, 
welcher  ein  männliches  Individuum  betrifft. 

Beobachtung  2.  69jähriger  Mann.  Stets  gesund.  Seit  der 
Jugend  starke  Struma,  die  nie  Beschwerden  machte.  Stets  gut  ge¬ 
nährt;  keine  B  a  se  d  ow- Zeichen. 

Seit  einigen  Monaten  wurde  ganz  leichte  Abmagerung  be¬ 
merkt,  dabei  guter  Appetit,  viel  Durst,  viel  Urin;  in  jüngster  Zeit 
trat  Doppeltsehen  auf. 

Am  8.  März  wird  an  der  Klinik  Diabetes  leichten  Grades 
und  Abducensparese  links  constatirt. 

Im  Status  sonst  ausser  einer  grossen  Struma  und  Arterio¬ 
sklerose  mässigen  Grades  nichts  Abnormes.  Kein  Zittern,  keine 
Tachycardie,  nichts  Auffallendes  an  den  Augen  oder  im  Blick.  Unter 
mässig  strenger  Diät  schwand  der  Zucker  sehr  rasch :  die  Abducens¬ 
parese  ging  langsam  zurück.  Körpergewicht  hielt  sich  vom  8.  März 
bis  26.  April  constant  auf  82  hg.  Subjectives  Wohlbfinden. 

Vom  26.  April  an  nahm  Patient  Jodnatrium,  und  zwar 
durch  eine  Woche  ly,  durch  eine  weitere  Woche  2y  pro  die, 
dann  noch  durch  einige  Tage  täglich  3  y,  im  Ganzen  bis  zum 
15.  Mai  30  y.  In  der  dritten  Woche  der  Jodnatriumdarreichung 
beginnt  der  Kropf  rasc'h  abzunehmen.  Gleichzeitig  stellen 
sich  Unruhe,  grosse  Erregbarkeit,  Zittern,  Schwäche¬ 
gefühl,  Appetitlosigkeit,  Schlaflosigkeit  ein; 
Patient  bemerkt,  dass  er  rasch  abmagert. 

Am  15.  Mai  kam  der  Kranke  wieder  an  die  Klinik.  Das 
Körpergewicht  hatte  um  1  hg  ab  genommen.  Grosse 
Unruhe;  starker  feinschlägiger  T  r  e  m  o  r.  Puls  110.  An  den  Augen 
kein  Exophthalmus,  wohl  aber  ganz  auffallend  weit  ge¬ 
öffnete  Lidspalten,  starrer  Blick.  Deutlicher 
Graefe.  Ausgesprochenes  S  t  e  1 1  w  a  g ’sches  Zeichen.  Keine  Pu¬ 
pillenveränderungen.  Hemdkragen  um  3  cm  zu  weit. 

In  der  nächsten  Woche  nahm,  trotzdem  der  Appetit  wieder¬ 
gekehrt  war,  das  Körpergewicht  neuerdings  um  2  hg  ab.  Dabei  war 
Patient  andauernd  zuckerfrei.  Tremor  geringer,  Augensymptome  un¬ 
verändert.  Schwächegefühl  hat  nachgelassen;  subjectives  Befinden 
besser. 

Im  Verlaufe  eines  weiteren  Monates  nimmt  Patient  allmälig 
noch  um  2  hg  ab.  Bei  der  Untersuchung  am  3.  Juli  fühlt  sich 
Patient  etwas  matt,  sonst  wohl,  schläft  gut.  Tremor  und  Gr  ae  fe¬ 


sches  Zeichen  sind  immer  noch  deutlich.  Körpergewicht 
69  V2  hg  (gegen  82  vor  <ier  J  o  d  th  e  r  a  p  i  e).  Patient  ist  bei 
recht  reichlicher  Milchzufuhr  andauernd  zuckerfrei. 

Einen  dritten  und  vierten  Fall  führe  ich,  da  sie  im 
Wesentlichen  den  eben  mitgetheilten  gleichen,  nur  in  Kürze  an: 

Beobachtung  3.  58jährige  Frau.  Alte  Struma.  Nie  B  a  s  e- 
d  o  w-Zeichen.  Nimmt  wegen  Gelenkschmerzen  circa  löy  Jodkalium 
binnen  einer  Woche,  dann  muss  dasselbe  wegen  Kopfschmerzen 
und  grosser  Mattigkeit  ausgesetzt  werden. 

Unter  leichter  Verkleinerung  der  Struma  (es  handelte 
sich  um  einen  Kropf,  der  zum  grössten  Theil  aus  einer  grossen 
Cyste  im  Mittellappen  bestand)  entwickelte  sich  eine  »unerklärliche« 
hochgradigste  Schwäche,  Verstimmung,  heftiges  Zittern, 
Herzklopf eüi,  rapide  Abmagerung  (insbesondere  sollen  die 
Mammae  rasch  geschwunden  sein).  Häufige  schmerzlose  D  u  r  c  h- 
fälle.  Bei  der  Untersuchung  wurden  ausserdem  auffallend  starrer 
Blick,  weite  Lidspalten,  seltener  Lidschlag  und  deutlicher 
Graefe  constatirt.  Keine  Protrusio  b  u  1  b  o  r  u  m.  Puls  100. 

Einen  Monat  nach  dem  Aussetzen  des  Jods  beginnt  ganz 
langsame  Erholung.. 

Beobachtung  4.  52jährige  Frau.  Hat  angeblich  nie  einen 
Kropf,  höchstens  einen  »etwas  runden  Hals«  gehabt.  Stets  gesund. 

Nahm  durch  zwei  Monate  mit  zwei  je  einwöchentlichen  Pausen 
Jodnatrium  (0-8  pro  die),  das  ihr  wegen  eines  Augenleidens 
von  einem  Augenarzt  verordnet  worden  war.  Nach  zwei  Monaten 
setzt  plötzlich  rapide  Abmagerung,  excessive  Schwäche  und  Hin¬ 
fälligkeit  ein,  rasches  Schwinden  derBrüste.  Zugleich  werden 
alle  Kragen  um  fast  2  cm  zu  weit.  Zittern,  II  erz¬ 
klopfen,  starke  Hitze  bei  Nacht,  reichliche  Schweisse;  an 
manchen  Tagen  zahlreiche  diarrhoische  Stühle,  dann  wieder 
regelmässiger  Stuhl.  Appetit  gut,  zeitweise  Heisshunger. 

Der  Status  praesens  einen  Monat  nach  Aussetzen  des 
Jods  ergab:  Hals  ganz  mager,  Schilddrüse  nicht  zu  finden. 
Heisse,  feuchte,  bräunliche,  fettlose  Haut.  Im  Gesichte  ausgesprochene 
kachektische  Färbung.  134  Pulse.  Sehr  starker  T  r  e  m  o  r. 
Etwas  starrer  Blick,  seltener  Lidschiag.  Graefe’sches  und 
Möbius’sches  Zeichen  fehlen,  ebenso  Prominenz  der  Bulbi. 

Nach  weiteren  vierzehn  Tagen  Status  idem.  Drei  Wochen 
später  hat  unter  Milchdiät  und  indifferenter  medicamentöser  Be¬ 
handlung  das  Körpergewicht  um  2  {j-1  hg  zugenommen.  Zittern  und 
Herzklopfen  sehr  gering.  Patientin  beginnt  sich  wohler  zu  fühlen. 

Jetzt,  drei  Monate  nach  Aussetzen  der  Jodbehandlung,  an 
Heilung  grenzende  Besserung. 

Den  mitgetheilten  vier  Beobachtungen  ist  gemeinsam,  dass 
es  sich  durchwegs  um  ältere  Personen  mit  alter  Struma  handelt, 
bei  denen  vor  der  Jodtherapie  keinerlei  Symptome  von  Basedow, 
Thyreoidismus  oder  Kropf  herz  (Kraus)  bestanden  hatten.  Bei 
allen  entwickelte  sich  unter  mässiger*)  Joddarreichung  der 
geschilderte,  als  Thyreoidismus  aufzufassende  Symptomencomplex, 
während  die  Struma  rasch  abnahm.  Von  einem  classischen 
Basedow  unterschied  sich  das  Krankheitsbild  durch  das 
Fehlen  eines  ausgesprochenen  Exophthalmus;  dagegen  ist  es 
bemerkenswert!!,  dass  sich  bei  drei  Kranken  (Beobachtung  2, 
3,  4)  eine  deutlich  weitere  Lidspalte  mit  eigentliümlich  starrem 
Blick  und  S  t  e  1 1  w  a  g’schem  Zeichen,  bei  zwei  Patienten  (Be¬ 
obachtung  2  und  3)  auch  deutliches  Graefe’sches  Phänomen 
nachweisen  Hess.  Im  Centrum  des  Krankheitsbildes  stand  in 
allen  Fällen  die  rapide,  hochgradige  Abmagerung. 

B.  Basedow’sche  Krankheit  nach  Jodgebrauch. 

In  den  nun  mitzutheilenden  fünf  Fällen  folgte  aut 
die  Joddarreichung  die  Entwicklung  eines 
classischen  Basedow  mit  wohl  ausgeprägten  Augen¬ 
symptomen  (Exophthalmus,  Graefe,  S  t  e  1 1  w  a  g).  Unter  diesen 
Fällen  linden  sich  zunächst  drei,  bei  welchen  vorher  alle 
Symptome  eines  Basedow  vollkommen  gefehlt  hatten.  Nur 
eine  anscheinend  gewöhnliche,  ganz  unverdächtige  Struma 
hatte  seit  längerer  Zeit  bestanden. 

*)  Die  Jodgaben  waren  in  vielen  Beobachtungen  (meines  \  aters,  von 
Genfer  Aerzten)  unvergleichlich  kleiner  als  in  meinen  lallen,  oit  fast 
homöopathisch  (jodhaltige  Mineralwässer  etc.). 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  29 


13 eobacli l u ng  5.  37jährige,  stets  gesunde,  nicht  nervöse  Frau, 
hatte  seit  der  Pubertätszeit  einen  dickeren  Hals,  der  seit  dem  ersten 
Auftreten  nicht  grösser  wurde,  nie  Beschwerden  machte. 

Im  November  1899  erkrankte  sie  an  Husten  (angeblich 
Inlluenza)  und  litt  den  ganzen  Winter  über  mit  geringen  Unter¬ 
brechungen  an  Katarrhen  und  Heiserkeit,  die  ohne  viel  Erfolg  in 
der  verschiedensten  Weise  behandelt  wurden.  Ende  Januar  1900 
bezeichnele  ein  Arzt  ihren  »Blähhals«  (der  sich  gar  nicht  ver¬ 
ändert  hatte)  als  mögliche  Ursache  der  hartnäckigen  Katarrhe  und 
verschrieb  ihr  eine  J  o  d  s  a  1  b  e.  (Bis  dahin  waren  absolut  keine 
B  a  s  e  d  o  w- Beschwerden  aufgetreten,  kein  Herzklopfen,  kein 
Zittern,  keine  Abmagerung;  Patientin  fühlte  sich  bis  auf  ihren 
Husten  wohl.)  Die  Kranke  machte  einige  (drei  bis  vier) 
Einreibungen  des  Halses  mit  der  Jodsalbe,  musste  aber  dann 
pausiren,  da  ein  heftiger  Schnupfen  mit  Stirnkopfschmerz  auftrat 
und  sie  sehr  erregt  wurde.  Nach  wenigen  Tagen  machte  sich  Herz¬ 
klopfen  bemerkbar,  das  sich  von  da  an  stets  steigerte.  Schon 
nach  kurzer  Zeit  (angeblich  nach  vierzehn  Tagen)  war  die  Kranke 
stark  abgemagert  und  braun  im  Gesicht  geworden.  In 
rascher  Folge  stellten  sich  nun  Schmerzen  in  den  Augen, 
heftiges  Zittern,  »Fieber«,  Schweisse  ein.  Drei  Wochen  nach 
der  letzten  Jodeinreibung  hatte  sich  eine  starke  Anschwellung 
des  Halses  entwickelt,  die  der  Kranken  nach  kurzem  Bestehen 
Athemnoth  verursachte.  Patientin  wurde  immer  erregter,  schlaflos; 
der  Appetit  wechselnd :  bald  Appetitlosigkeit,  dann  wieder  quälender 
Heisshunger. 

In  dieser  Weise  dauerte  der  Zustand  unter  fortwährend  zu¬ 
nehmendem,  schwerem  Krankheitsgefühl  an.  Seit  Mitte  April  bestehen 
heftige  Diarrhöen;  in  den  letzten  Tagen  sind  an  den  Unter¬ 
schenkeln  stark  juckende  rot  he  Flecken  aufgetreten.  Der 
Gewichtsverlust  seit  Ende  Januar  beträgt  angeblich  1 7  hg. 

Status  praesens  vom  1 .  Mai :  Typischer  schwerer 
B  a  s  e  d  o  w.  Hochgradige  Magerkeit,  Gewicht  43  hg.  Aufgeregtes, 
fahriges  Wesen.  Excessiver  Tremor  des  ganzen  Körpers.  Haut 
heiss,  feucht,  Temperatur  373.  Braune  Pigmentation  im  Ge¬ 
sicht  und  am  Halse.  An  der  rechten  Tibia  ein  halbhandteller¬ 
grosser  juckender  Erythemfleck.  (Wurde  von  einem  Dermatologen, 
der  die  Kranke  untersuchte,  für  ein  typisches  toxisches 
Erythem  erklärt.) 

Puls  weich,  gross:  Frequenz  zwischen  120  und  160 
Leichte  Arhythmie.  Herzaction  stürmisch,  erschütternd.  Spitzenstoss 
im  fünften  Intercostalraum  ausserhalb  der  Mammillarlinie.  Reine  Töne. 

Grosse,  stark  schwirrende,  weiche  Struma.  Am  stärksten  ist 
der  rechte  Lappen  vergrössert;  an  seinem  äusseren  Rande  ein  hasel¬ 
nussgrosser  Knoten. 

Starker  doppelseitiger  Exophthalmus,  rechts  stärker  als  links, 
rechte  Pupille  weiter  als  die  linke;  St  ell  wag’s,  Graefe’s  und 
Möbius’  Zeichen  stark  entwickelt.  Conjunctiven  stark  injicirt. 
Heber  den  Lungen  mässige  diffuse  Bronchitis.  Im  Harn  weder 
Eiweiss  noch  Zucker. 

Verlauf.  Unter  Brom  und  Galvanisation  änderte  sich  der 
Zustand  während  der  nächsten  vier  Wochen  kaum  wesentlich. 
Häufig  Anfälle  erschöpfender  Diarrhöen.  Körpergewicht  trotz  sehr 
guten  Appetits  unverändert.  Die  juckenden  Erythemflecken  an  den 
Tibien  treten  stets  von  Neuem  auf. 

Im.  Juni  unter  Natrium  phosphoric,  und  Galvanisation  leichte 
Besserung.  Herzklopfen  etwas  geringer,  Schlaf  ruhiger,  keine  Diarrhöen. 
Aber  selbst  Ende  Juni  objectiv  ausser  leichter  Verminderung  der 
Tachycardie  noch  keine  Aenderung  des  Zustandes. 

Beobachtung  6.  30jährige  Frau.  Seit  der  Jugend  dicker  Hals. 
Nie  auffallend  nervös,  stets  gesund.  Nie  Herzklopfen,  ausser  bei 
starken  körperlichen  Anstrengungen.  Gar  keine  Basedow- 
Symptome.  Körpergewicht  vor  der  Erkrankung  59  hg. 

Patientin  wünschte  aus  ästhetischen  Rücksichten  ihren  Hals 
(l  infang  38cwj)  zu  verkleinern  und  nahm  auf  ärztliche  Anordnung 
vom  12.  Februar  durch  vier  Wochen  täglich  eine  Thyreoidin- 
tablelte.  Keine  schädlichen  Folgen,  aber  auch  keine  Verkleinerung 
des  Halsumfanges.  Nun  rieb  sie  vom  13.  März  bis  25.  April  den 
Hals  mit  Jod-Jodkaliumsalbe  ein;  eine  Einreibung  täglich.  Während 
der  Cur  mässige  Abnahme  der  Struma,  aber  gleichzeitig  starke 
Abmagerung.  Unruhe,  Herzklopfen  auch  in  der  Ruhe. 


Seit  dem  25.  April  keine  Jodeinreibungen  mehr;  trotzdem 
halten  die  genannten  Symptome  an.  Dazu  hat  sich  noch  Hitzegefühl, 
Polyurie  und  starke  Mattigkeit  gesellt. 

Patientin  schwitzt  leicht,  hat  guten  Appetit,  zeitweise  lästigen 
Heisshunger.  Stuhlgang  regelmässig. 

Status  praesens  vom  15.  Mai.  Körpergewicht  53 hg. 
Halsumfang  361/2CWi  (früher  59  hg,  respective  38  cm).  Struma 
parenchymatosa,  zwei  kleine  Knötchen  im  linken  Lappen.  Der 
Kropf  zeigt  leichtes  Schwirren.  Puls  104.  Herzbefund  normal. 
Deutlicher  aber  geringer  Exophthalmus  beiderseits.  Graefe 
und  S  t  e  1 1  w  a  g  deutlich  positiv.  Mässiger,  feinschlägiger  Tremor 
der  Hände.  Haut  feucht.  Im  Harne  nichts  Pathologisches. 

Beobachtung  7.  35jährige  Frau.  Seit  der  Kindheit  Blähhals. 
Seit  Jahren  häufig  verstopfte  Nase,  viel  Schnupfen.  Nie  Herzklopfen 
oder  andere  Basedow  - Symptome. 

Im  Alter  von  20  Jahren  rieb  sie  durch  wenige  Tage  eine 
Jodsalbe  in  die  Haut  des  Halses.  Geringe  Abnahme  der  Struma, 
keine  unangenehmen  Nebenwirkungen. 

Im  Januar  1898  begann  wegen  stärkerer  Nasenbeschwerden 
eine  Localbehandlung,  welche  in  Pinselungen  mit  Jod¬ 
glycerin  in  Nase  und  Rachen  bestand.  Schon  nach  kurzer 
Zeit  Uebelbefinden,  Zittern,  Schlaflosigkeit,  Hitze, 
Unruhe,  Herzklopfen,  ziemlich  starke  Abmagerung,  An¬ 
schwellen  der  Struma.  Diese  Beschwerden  schwanden  einige 
Zeit  nach  dem  Ausetzen  der  Behandlung,  um  im  December,  als  die 
Pinselungen  mit  Jodglycerin  wieder  aufgenommen  wurden,  in  ver¬ 
stärktem  Masse  aufzutreten. 

Während  des  Jahres  1899  fand  keine  Nasenbehandlung  statt 
und  Patientin  befand  sich  während  dieses  Jahres  bis  auf  gelegent¬ 
lich  auftretendes  Herzklopfen  und  ziemlich  starke  »Nervosität« 
recht  wohl. 

Während  des  Januars  1900  wurden  neuerdings  Pinselungen 
des  Rachens  mit  Jodglycerin  wegen  stärkerer  katarrhalischer  Be¬ 
schwerden  vorgenommen. 

Seit  Anfang  Februar  bemerkt  Patientin  wieder  stärkeres 
Zittern,  Schweisse,  fühlt  sich  schwach.  Mässiges  Herzklopfen, 
Polyurie,  zeitweise  Diarrhöen.  Die  Struma  ist  seit  Ende  Januar 
wieder  deutlich  angeschwollen;  stärkere  Abmagerung  am  Körper 
ist  diesmal  nicht  aufgetreten. 

Seit  April  befindet  sich  die  Kranke  wieder  besser. 

Am  15.  Mai  fand  ich  bei  der  sehr  aufgeregten  Patientin  eine 
grosse,  leichte  schwirrende  Struma  mit  einem  harten,  nussgrossen 
Knoten  im  linken  Lappen.  Mässige  Trachealstenose  mit  Stridor. 
104  regelmässige  Pulse.  Geringer  aber  deutlicher  Exophthalmus, 
links  etwas  stärker  als  rechts;  die  linke  Pupille  etwas  weiter  als 
die  rechte.  St  ell  wag’s  Zeichen  deutlich,  Graefe  angedeutet. 
Heisse,  stark  schwitzende  Haut.  Lungen  und  Herz  normal.  Chroni¬ 
sche  Pharyngitis. 

An  diese  Fälle  schliessen  sich  zwei  weitere  an,  in  denen 
vor  Einleitung  der  Jodtherapie  bei  Fehlen  aller  anderen  Ba¬ 
sedow-Symptome  durch  längere  Zeit  Herzklopfen  be¬ 
standen  hatte,  das  eventuell  als  Zeichen  eines  bereits  latenten 
Basedow  gedeutet  werden  kann.  Die  Jodtherapie  rief  dann 
das  ganze  Krankheitsbild  acut  in  die  Erscheinung. 

Beobachtung  8.  35jährige  Frau.  Im  22.  Jahre  trat  während 
einer  Entbindung  eine  Struma  auf,  die  seither  nicht  wuchs.  Stets 
gesund,  nicht  nervös,  keine  B  as  e  d  o  w -Zeichen. 

Im  Sommer  1898  heftiger  Schreck;  darnach  durch  mehrere 
Tage  heftiges  Herzklopfen,  das  aber  wieder  schwand,  und  nur  hie 
und  da  bei  starken  Erregungen  auftrat.  Im  Herbste  1898  einige 
Einreibungen  des  Halses  mit  Jodsalbe  ohne  Schaden,  aber  auch, 
ohne  dass  der  Hals  kleiner  wurde.  1899  hie  und  da  etwas  Herz¬ 
klopfen,  sonst  vollkommen  wohl. 

Anfangs  Januar  1900  wieder  Einreibungen  mit  Jodsalbe 
durch  14  Tage. 

Die  Struma  nahm  etwas  an  Grösse  ab. 

Gegen  Ende  der  Einreibungen  heftiges  Herzklopfen,  Un¬ 
ruhe,  Stimmungswechsel,  Diarrhöen. 

Seit  Mitte  Januar  kein  Jod  mehr,  trotzdem  zunehmend 
schlechtes  Befinden.  Die  Struma  wuchs  in  14  Tagen  angeblich 
um  das  Doppelte. 


Nr.  29 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Rapide  Abmagerung,  Zittern,  »Fieber«,  veränderter 
Gesichtsausdruck;  Bulimie  und  Polydipsie. 

Von  Mitte  Februar  bis  Anfangs  Mai  wurde  der  Zustand  immer 
schlechter. 

Seit  Anfangs  Mai  Struma  etwas  kleiner;  Allgemeinzustand 
besser,  Herzklopfen  geringer. 

1 2.  Mai  1900.  Status  praesens:  Ausgesprochener 
Basedow.  Grosse,  weiche,  schwirrende  Struma. 
Starker,  doppelseitiger  Exophthalmus  mit  starkem  G  r  a  e  f  e, 
Stell  wag  und  Möbius.  Heisse,  schwitzende  Haut.  Im  Gesichte 
starke,  dunkle  Pigmentation  (hatte  früher  angeblich  nicht  be¬ 
standen).  Herz  etwas  dilatirt,  stürmische  Action,  120  Pulse. 
Systolisches  Geräusch  über  allen  Ostien.  —  Leichtes  Knöchel¬ 
ödem.  Im  Harne  Albumen  in  Spuren;  kein  Zucker. 

Der  folgende  Fall  ist  dadurch  bemerkenswert!],  dass  in 
ihm  vor  der  Jodbehandlung  keine  Struma  be¬ 
standen  haben  soll,  dass  es  sich  also  nach  der  üblichen  Ter¬ 
minologie  um  einen  »primären,  genuinen«  Basedow  handeln 
würde. 

Beobachtung  9.  43  Jahre  alle  Frau. 

Stets  gesund.  Angeblich  weder  als  Kind  noch  später  Struma, 
nie  Herzklopfen,  stets  gut  genährt. 

1893  stellten  sich  ziemlich  schwere  Migräneanfälle  ein, 
namentlich  zur  Zeit  der  Menses;  die  halbseitigen  Kopfschmerzen 
kamen  auch  in  den  folgenden  Jahren,  aber  seltener  und  leichter. 
1894  einmal  nach  einem  an  Aufregungen  sehr  reichen  Tag  Abends 
nach  dem  Einschlafen  Aufschrecken  aus  dem  Schlaf,  Gefühl  von 
Lähmung  und  Herzstillstand;  darauf  durch  eine  halbe  Stunde  heftige 
Erregung  und  Herzklopfen,  dann  wieder  vollkommene  Ge¬ 
sundheit. 

Seit  1897  Periode  unregelmässig;  manchmal  sehr  stark,  seit 
derselben  Zeit  viel  Wallungen,  häufig  Schwindelgefühl. 

Im  October  1899  viel  Kopfschmerzen.  Einmal  nach  raschem 
Genuss  von  ^  Z  braunen  Bieres  heftiges,  durch  eine  halbe  Stunde 
währendes  Herzklopfen.  Wegen  der  häufigen  Wallungen  zum 
Kopfe  und  weil  sie  sehr  unter  Kopfschmerzen  litt,  ging  Patientin 
im  November  zu  einem  Arzte  und  nahm  auf  seine  Anordnung 
durch  vier  Wochen  eine  Medicin,  die  »nichts  nutzte  und  nichts 
schadete«. 

Vom  15.  December  bis  20.  Januar  nahm  sie  auf  Anordnung 
eines  anderen  Gollegen,  angeblich  gegen  die  Wallungen  und  die 
Kopfschmerzen,  Pillen  mit  Kal.  j  o  d  a  t.  (jede  Pille  ä  01  Kal. 
jod.,  zwei  Pillen  täglich)  durch  etwa  sechs  Wochen. 

Während  des  Jodgebrauches  litt  sie  weniger  an  Kopf¬ 
schmerzen  als  früher;  aber  die  »fliegende  Hitze«  quälte  sie  sehr 
und  häufig  trat  Herzklopfen  auf.  Sie  blieb  jedoch  auf  ihrem 
gewöhnlichen  Körpergewicht  (Mitte  Januar  G8  kg),  hatte  kein  Zittern, 
war  im  Allgemeinen  nicht  erregt.  Schlaf,  Appetit,  Durst  waren 
normal. 

Immer  noch  keine  Struma,  keine  Veränderung  des  Gesichts¬ 
ausdruckes  etc. 

Kein  schweres  Krankheitsgefühl. 

Vom  12.  Februar  an  nahm  (nach  dreiwöchentlicher  Pause) 
Patientin  wieder  J  o  d  p  i  1 1  e  n,  und  zwar  wieder  Pillen  ä  04, 
täglich  zwei  Stück,  bis  in  den  März  hinein.  Schon  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Februar  traten  in  rascher  Aufeinanderfolge  Augen¬ 
schmerzen,  Schwellungen  der  Lider,  Vorstehen 
der  Augäpfel  auf. 

Ende  Februar  entwickelte  sich  plötzlich  eine  Anschwel¬ 
lung  des  Halses,  die  rasch  zunahm  und  starke  Athembeschwerden 
verursachte. 

Stets  zunehmendes  Herzklopfen  auch  in  vollkommener 
körperlicher  Ruhe.  Zittern,  Unr  u  h  e,  Sch  weisse,  Durs  t, 
schlechter  Schlaf. 

Vom  1.  März  an  bemerkte  sie  rapide  Abmagerung 
(anfangs  1  kg,  später  2  kg  in  der  Woche). 

Vom  15.  März  angefangen  wurden  auf  ärztliche  Anordnung  die 
Jodkaliumpillen  ausgesetzt  (der  Arzt  sagte  ihr,  »sie  scheine  das 
Jod  plötzlich  nicht  mehr  zu  vertragen«);  sie  nimmt  seitdem 
Eisenpillen. 

Seit  Ende  März  hat  das  Herzklopfen  etwas  nachgelassen  und 
die  Struma  ist  wieder  bedeutend  zurückgegangen,  auch  die  Athem- 


noth  hat  aufgehört.  Aber  sonst  keine  Aenderung  zum  Besseren. 
Patientin  klagt  gegenwärtig  hauptsächlich  über  starke  Aufregung, 
grosse  Schwäche,  viel  Durst,  wenig  Appetit,  die  Abmagerung  schreitet 
noch  immer  fort.  Stuhlgang  fest,  keine  Diarrhöen.  In  den  letzten 
Tagen  Knöchelödem. 

2.  Mai  1900.  Status  praesens:  Stark  abgemagert, 
Gewicht  54 kg  (gegen  68kg  vor  der  Erkrankung).  Exquisites 
Basedow -Aussehen.  Sehr  aufgeregt  und  fahrig. 

Mässig  starker  beiderseitiger  E  xop  h  t  h  a  I  m  u  s  mit  deutlichem 
S  t  e  1 1  w  a  g  und  G  r  a  e  f  e.  O  e  d  e  m  der  Lider,  inj  icirte  Con- 
junctiven.  Mässige,  besonders  im  Mittellappen  grosse,  stark  s  ch  w  i  r- 
rende  Struma.  Nirgends  ein  Knoten  fühlbar.  Halsumfang 
37  cm.  Ausserordentlich  starkes  Zittern. 

Herz  nach  beiden  Seiten  etwas  dilatirt;  s  t  ü  r  m  i  s  c  h  e  Ilerz- 
action,  120  Pulse  in  der  Minute  nach  längerer  Ruhe.  Systolisches 
Blasen  über  der  Herzbasis. 

Leichte  Oedeme  an  Knöcheln  und  Tibien.  Lungen  normal. 
Im  Harn  weder  Eiweiss,  noch  Zucker. 

Verlauf.  Therapie:  Bromnatrium,  später  Natr.  phosphoricum. 
Galvanisation. 

2G.  Mai  1900.  Die  Abmagerung  ist  noch  weiter  fortgeschritten 
(52  hg).  Struma  etwas  kleiner.  Halsumfang  3G  cm.  Sonst  objectiv 
status  idem. 

Subjeetiv  fühlt  sich  Patientin  etwas  besser.  Appetit  ist  jetzt 
gut.  Sehr  viel  Durst,  starkes  Schwitzen,  wenig  Urin.  Im  Harn  nichts 
Pathologisches. 

4.  Juli  1900.  Patientin  fühlt  sich  im  Ganzen  entschieden 
besser,  ist  ruhiger,  hat  in  lelzler  Zeit  viel  weniger  Herzklopfen, 
schwitzt  und  zittert  weniger.  Appetit  und  Schlaf  recht  gut. 

Objectiv  nicht  viel  Veränderung.  Nur  ist  die  Tachycardie 
geringer  (100 — 110).  Die  Kranke  macht  einen  ruhigeren  Eindruck. 
Körpergewicht  50Y2  kg.  Die  Struma  bedeutend  härter 
als  bei  der  letzten  Untersuchung,  gleichmässig  derb,  ohne  distincte 
Knoten. 

Anschliessend  referire  ich  noch  kurz  über  einen  Fall  von 
altem  Basedow,  der  »geheilt«  war,  und  bei  dem  eine  mini¬ 
male  Jodresorption  prompt  ein  schweres  Recidiv  provocirte. 

Beobachtung  10.  27jähriges  Mädchen,  stand  vor  acht  Jahren 
wegen  classischen  Morbus  Basedowii,  welcher  zu  jener  Zeit  nach 
langsamer  Entwicklung  seine  Akme  erreicht  hatte,  an  der  Klinik  in 
Pflege.  Es  trat  damals  unter  Bromtherapie,  Bettruhe  und  Galvani¬ 
sation  rasch  Besserung  ein;  Patientin  verliess  nach  einigen  Wochen 
in  gutem  Zustande  die  Klinik;  die  Besserung  schritt  dann  so  rasch 
fort,  dass  sich  Patientin  vom  Jahre  1893  an  für  gesund  hielt, 
zwar  waren  leichter  Exophthalmus  und  geringe  Struma  bestehen 
geblieben,  aber  alle  anderen  Beschwerden  (Herzklopfen  etc.)  waren 
geschwunden;  Patientin  war  bis  zum  Frühjahr  1900  vollkommen 
arbeitsfähig,  fühlte  sich  ganz  gesund  und  leistete  sogar  schwere 
körperliche  Arbeit. 

Im  Februar  1900  entstand  eine  traumatische  Bursitis  prae- 
patellaris.  Auf  ärztliche  Anordnung  Pinselungen  mit  Jod- 
t i  n  c t  u r  am  Knie. 

Nach  zehn  bis  zwölf  Pinselungen  heftiges  Herzklopfen, 
Zittern,  rapide  Abmagerung.  Patientin  verlor  in  14  Tagen 
circa  10  kg  an  Gewicht  und  nun  traten  in  rascher  Folge  auch  wieder 
alle  anderen  alten  Erscheinungen  ihres  Basedow  auf.  (Pigmen- 
tirung  des  Gesichts,  starke  Protrusion  der  Bulbi  mit  Graefe  und 
Stell  wag,  Diarrhöen  etc.).  Die  Struma  war  im  Beginn  der  Jod¬ 
pinselungen  angeblich  zunächst  etwas  kleiner  geworden,  dann  aber 
rasch  stark  angeschwollen. 

Nach  mehrwöchentlicher  Spitalsbehandlung  ist  jetzt  wieder 
deutlicher  Nachlass  der  Symptome  zu  constatiren.  Struma  kleiner, 
Exophthalmus  zurückgegangen,  Graefe  undeutlich,  geringe  Gewichts¬ 
zunahme;  Herzklopfen  und  Zittern  geringer. 

Es  zeigt  diese  Beobachtung,  wie  minimale  Jodmengen 
bei  anscheinend  geheilten  B  a  s  e  d  o  w- Kranken  genügen 
können,  um  das  ganze  Krankheitsbild  neu  hervorzurufen. 

Ueberbliekt  man  die  angeführten  Fälle  von  durch  Jod 
hervorgerufenem  Morbus  Basedowii,  so  fällt  auf,  dass  es  sich 
im  Gegensätze  zu  den  vier  Fällen  von  Jod-Thyreoidismus  fast 
durchwegs  um  jüngere  und  zwar  weibliche  Individuen 
handelt.  Bei  zweien  bestand  schon  vor  der  Jodeinwirkung 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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durch  einige  Zeit  Herzklopfen,  das  vielleicht  als  Zeichen  eines 
bereits  imminenten  Basedow  gedeutet  werden  könnte. 
Immerhin  kann  wohl  auch  bei  diesen  Fällen  im  klinischen 
Sinne  von  einer  Erzeugung  des  Basedow  durch  das  Jod 
gesprochen  werden.  In  den  drei  anderen  Fällen  war  vor  dem 
Jodgebrauch  von  irgend  welchen  einschlägigen  Symptomen 
nicht  die  Rede.  Nur  eine  anscheinend  ganz  gewöhnliche,  un¬ 
verdächtige  Struma  hatte  jahrelang  vorher  bestanden. 

Bedient  man  sich  der  üblichen  Unterscheidung  zwischen 
primärem  und  secundärem  Basedow,  so  sind  Fall  5 — 8  als 
secundäre,  Fall  9  als  genuiner,  primärer  Basedow  zu  be¬ 
zeichnen. 

Es  mag  auffallend  erscheinen,  wenn  im  Vorstehenden  die  zwei 
Gruppen  des  Thyreoidismus  (constitulionellen  Jodismus)  und  des 
Basedow  nach  Jodgebrauch  getrennt  besprochen  wurden,  obwohl 
es  sich  um  Dinge  handelt,  die  im  Wesen  doch  zum  Mindesten  sehr 
nahe  mit  einander  verwandt  sind  und  von  Vielen  unbedenklich  als 
Forme  fruste,  respective  als  gut  ausgebildete,  symptomenreiche 
Form  eines  Jod-B  a  s  e  d  o  w  bezeichnet  werden  würden.  Mir  scheint  es 
aber  nicht  unpassend,  bei  aller  Anerkennung  des  nahen  Zusammen¬ 
hanges  der  beiden  Zustände  schon  durch  den  Namen  zu  unter¬ 
scheiden:  den  Jodismus  der  älteren  Leute  mit  seinem  zeitlich  be¬ 
grenzten  Verlauf  und  seinem  relativ  einförmigen  Symptomenbild,  in 
dessen  Centrum  die  Stoffwechselstörungen  stehen  und  in  welchen 
ein  secundäres  Anschwellen  der  Schilddrüse  fehlt,  und  andererseits 
die  mehr  stabilisirte  Form  der  symptomenreichen  Fälle  von 
Basedow  nach  Jod  mit  dem  secundären  Anwachsen  der  Struma. 
Diese  klinische  Unterscheidung  der  beiden  Symptomenbilder  scheint 
mir  auf  jeden  Fall  praktisch.  Die  Frage  der  Identität  des  Wesens 
beider  Formen  wird  unten  noch  berührt  werden. 

III. 

Ehe  ich  mich  einer  kurzen  Erörterung  der  theoretischen 
Fragen  zuwende,  welche  sich  angesichts  der  mitgetheilten  und 
analoger  fremder  Beobachtungen  aufdrängen,  möchte  ich  mit 
einigen  Worten  der,  wie  ich  meine,  ganz  erheblichen 
praktischen  Bedeutung  gedenken,  welche  solchen  Er¬ 
fahrungen  zukommt. 

Wenn  es  feststeht,  dass  die  Anwendung  von  Jodpräparaten 
in  der  allgemein  üblichen  Art  und,  wie  aus  mehrfachen  Be¬ 
obachtungen  hervorgeht,  auch  bei  ganz  minimaler  Dosirung 
so  schwere  und  langdauernde  Folgen  nach  sich  ziehen  kann, 
dann  wird  weitgehende  Vorsicht  wohl  am  Platze  sein.  Man 
wird  nicht  blos,  wie  bisher  bei  manifesten  Basedow- 
Kranken  das  Jod  in  jeder  Form  mit  grösster  Vorsicht  an¬ 
wenden  und  Kranke,  welche  über  »nervöses  Herzklopfen« 
klagen  (vgl.  die  Beobachtung  8  und  9)  nur  unter  allen  Cautelen 
'einer  Jodmedication  unterwerfen  dürfen.  Es  wird  sich  auch 
empfehlen,  bei  allen  älteren  strumösen  Individuen  und  ausserdem 
bei  Frauen  jedes  Alters,  welche  mit  Strumen  behaftet  sind, 
Jod  nicht  ohne  fortwährende  ärztliche  Beaufsichtigung  nehmen 
zu  lassen  und  bei  dem  ersten  Auftreten  irgend  welcher  Sym¬ 
ptome  von  Thyreoidismus  die  Medication  sofort  zu  unterbrechen. 
Künftige  Erfahrungen  werden  zeigen,  ob  derartige  Cautelen 
nur  unter  den  localen  Wiener  Verhältnissen  am  Platze  sind. 
Hier  in  Wien  aber  möchte  ich  nach  meinen  Erfahrungen  die 
ambulatorische  Verordnung  von  Jodpräparaten  auf  längere 
Zeiträume  hinaus  im  Allgemeinen  für  unstatthaft  erklären; 
zum  Mindesten  wird  mau  die  Kranken  von  vorneherein  nicht 
nur  aut  die  Symptome  einer  acuten  Jodvergiftung  (Schnupfen 
etc.),  sondern  auch  auf  die  ersten  Zeichen  des  Jod-Thyreoidis- 
mus  und  Jod -Basedow,  Zittern,  Herzklopfen,  Abmagerung 
aufmerksam  machen  müssen. 

Vielen  dürfte  die  Bedeutung  dieser  Verhältnisse  hier  über¬ 
trieben  erscheinen.  Man  wird  vielleicht  geltend  machen,  es  sei  doch 
nicht  wohl  möglich,  dass  derartige  Dinge  nicht  allgemein  bekannt 
und  beachtet  seien,  wenn  sie  nicht  zu  den  grössten  Ausnahmen 
gehören.  Dem  gegenüber  muss  bemerkt  werden,  dass  man  hier  wie 
auf  anderen  Gebieten  doch  nur  das  häufiger  sieht,  was  man  kennt, 
Insbesondere  die  Diagnose  des  Jod-Thyreoidismus  der  alten  Leute 
wird  gewiss  selten  richtig  gestellt,  wenn  der  Arzt  nicht  von  dem 


Vorkommen  solcher  Fälle  im  Vorhinein  Kenntniss 
hat.  Mehrere  Umstände  erschweren  auch  besonders  die  richtige 
Deutung  des  Zustandes.  Erstens  die  Schwierigkeit,  die  es  in  vielen 
Fällen  hat,  das  Vorausgehen  einer  Jodbehandlung  zu  eruiren,  ins¬ 
besondere  bei  ungebildeten  Leuten,  welche  die  von  einem  Arzt 
verordneten  Medicinen,  Pulver,  Pillen  nehmen,  ohne  sich  darum  zu 
kümmern,  was  dieselben  enthalten.  In  den  Beobachtungen  3,  4  und  7 
z.  B.  musste  ich  eindringlich  inquiriren;  den  Kranken  ist  der  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  ihrem  gegenwärtigen  Schwächezustand  und 
der  Medicin,  die  sie  z.  B.  vor  Wochen  ihrer  Augen  wegen  ge¬ 
nommen  haben,  natürlich  vollkommen  unklar  und  erst  eingehendes 
Befragen  und  die  genaue  Constatirung  des  zeitlichen  Zusammen¬ 
treffens  lässt  dann  den  Causalnexus  deutlich  hervortreten.  Kranke, 
die  ihr  Jod  von  einem  Specialisten  erhalten  haben,  suchen  dann 
mit  ihrem  Thyreoidismus  in  Unkenntniss  des  Zusammenhanges 
häufig  einen  anderen  Arzt  auf  etc.  Vor  Allem  aber  wird  die  richtige 
Deutung  der  Verhältnisse  erschwert  durch  die  eigenthümliche 
lange  Dauer  des  »chronischen  Jodismus«,  welcher  das  Aussetzen  des 
Mittels  oft  wochen-  und  monatelang  überdauert.  Dass  Abmagerung, 
Zittern  etc*  welche  seit  drei  Monaten  bestehen,  ihren  Ursprung  in 
einer  Jodmedication  haben  können,  welche  seit  einem  Vierteljahr 
nicht  mehr  angewendet  wird,  und  an  die  der  Kranke  selbst  längst 
vergessen  hat,  das  muss  der  Arzt  wissen;  er  muss  direct  nachdem 
vorausgegangenen  Jodgebrauch  forschen,  sonst  wird  er  die  Fälle 
nicht  richtig  deuten  können.  Nebenbei  möchte  ich  die  Frage  auf¬ 
werfen,  ob  nicht  auch  das  Jodoform  ebenso  wie  andere,  anorgani¬ 
sche  Jodverbindungen  gelegentlich  bei  längerer  Anwendung  in  ähn¬ 
licher  Weise  schädlich  wirken  mag.  Die  bekannte  »Intoleranz« 
mancher,  namentlich  älterer  Individuen  gegen  das  Jodoform  und  die 
Aehnlichkeit  gewisser  Symptome  der  Jodoformvergiftung  mit  dem 
Thyreoidismus  lassen  daran  denken.  Vielleicht  möchte  auch  das 
Jodoform,  wenn  es  local  bei  Schilddrüsenoperationen  angewendet 
wird,  in  manchen  Fällen  zum  Eintritt  des  eigenthümlichen  »Thyreoidea¬ 
todes«  beitragen,  welcher  ja  von  vielen  Seiten  auf  eine  plötzliche 
Resorption  von  Schilddrüsenmasse  bezogen  wird.  Das  Jodoform,  mit 
dem  nach  einer  Schilddrüsenresection  die  Wunde  oder  etwa  ein 
zurückgebliebener  Kropfrest  bestreut  wird,  könnte  manchen  Kranken 
durch  die  Anregung  zur  Resorption  der  Drüse  vielleicht  verhängnis¬ 
voll  werden. 

Auf  jeden  Fall  glaube  ich,  dass  die  Beobachtungen  von 
Jod-Thyreoidismus  sich  bedeutend  vermehren  werden,  wenn 
man  sich  gewöhnt  haben  wird,  in  jedem  Falle  nach  dem  Jod 
als  ätiologischem  Factor  zu  suchen.  Auch  bei  den  ausgespro¬ 
chenen  Basedow-  Fällen,  deren  Diagnose  ja  viel  weniger 
Schwierigkeiten  macht,  wird  sich  ein  Causalnexus  mit  einer 
Jodmedication  vielleicht  recht  häufig  feststellen  lassen,  wenn 
man  direct  daraufhin  inquirirt  und  sich  nicht  mit  der  vom 
Kranken  spontan  gelieferten  Anamnese  begnügt. 

Künftige  Erfahrungen  werden  zeigen  müssen,  ob  sich  derartige 
Beobachtungen,  wie  sie  mein  Vater,  dann  Ortner,  ich  hier  in  Wien, 
wie  sie  eine  grosse  Anzahl  von  Aerzten  in  der  französischen 
Schweiz  gemacht  haben,  möglicher  Weise  nur  in  ganz  bestimmten 
Gegenden  machen  lassen. 

Es  ist  ja  auffallend,  welche  Aehnlichkeiten  die  Wiener  Be¬ 
völkerung  mit  der  Genfer  bietet,  wenn  man  die  Verbreitung  des 
Kropfes  und  die  Art  der  Kropfformen  in  beiden  Städten  vergleicht. 
Hier  wie  in  Genf  eine  Kropfgegend,  aber  nicht  in  dem  Sinne,  dass 
grosse  degenerative  Kröpfe  eben  sehr  häufig  wären ;  der  Strumis- 
mus  der  Bevölkerung  zeigt  sieh  mehr  in  der  weiten  Verbreitung 
kleiner  weicher  Strumen,  »Blähhals«,  bei  einem  sehr  grossen  Theil 
namentlich  der  weiblichen  Bevölkerung,  ferner  in  dem  häufigen 
familiären  Auftreten  von  Strumen  in  alten  Genfer,  respective  Wiener 
Familien,  d.  h.  solchen,  die  seit  Generationen  in  der  Stadt  ansässig 
sind.  Hier  wie  in  Genf  acquiriren  ortsfremde,  kropffreie  Personen, 
welche  sich  hier  ansiedelten,  häufig  nach  einigem. Aufenthalt  kleine 
Strumen  (mir  ist  wiederholt  von  fremden  Aerzten  versichert  worden, 
dass  sie  nach  mehrmonatlichem  Aufenthalt  in  Wien  ein  leichtes 
Dickerwerden  des  Halses  am  Hemdkragen  bemerkt  hätten).  Vielleicht 
handelt  es  sich  nun  in  Wien  wie  in  Genf  um  eine  bestimmte  Art 
von  Strumen,  die  zu  den  schädlichen  Jodfolgen  disponirt.  (Siehe 
unten.)  (Dass  nicht  jede  Kropfgegend  in  dieser  Hinsicht  gleich- 
werthig  ist,  zeigt  unter  Anderem  die  Beobachtung  von  Kraus, 


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dass  »chronischer  Jodismus«  in  der  Steiermark  sehr  selten  ist; 
eben  so  wie  dort  nach  dem  Zeugniss  von  Kraus  auch  ausge¬ 
sprochener  Basedow  selten  vorkommt.) 

Interessant  ist  übrigens,  dass  eine  gewisse  Ivenntniss  von  der 
Neigung  der  Wiener  zum  Thyreoidismus  unter  der  Bevölkerung 
verbreitet  ist;  ich  habe  wenigstens  mehrere  Male  von  Frauen  aus 
dem  Volk  die  Aeusserung  gehört,  »man  dürfe  doch  den  Blähhals 
nicht  vertreiben,  weil  man  sonst  abmagere  und  die  Brüste 
verliere«. 

Es  würde  natürlich  wichtig  sein,  aus  verschiedenen  Gegenden 
Europas  systematische  Nachrichten  über  das  Vorkommen  von  Jod- 
thyreoidismus  und  Jod-Basedow  zu  bekommen,  vergleichen  zu 
können,  wie  sich  die  verschiedenen  Kropfdistricte  in  dieser  Be¬ 
ziehung  verhalten,  wie  sich  die  kropffreie  aber  zum  sporadischen 
Myxödem  neigende  Bevölkerung  Englands  und  Frankreichs  in 
dieser  Beziehung  verhält  u.  s.  w.  Aeltere  französische  Beobachter 
(Trousseau)  leugnen  das  Vorkommen  des  »constitutioneilen 
Jodismus«  ganz  entschieden.  (Siehe  unten.) 

Aber  auch  für  die  Wiener  (und  Genfer)  Verhältnisse  bleibt 
noch  eine  Reihe  von  Fragen  ungelöst.  Vor  Allem  die,  woher  es 
kommt,  dass  unter  dieser  »disponirten«  Bevölkerung  doch  immer 
nur  ein  Theil  an  den  geschilderten  Folgen  des  Jodgebrauches  er¬ 
krankt,  dass  man  z.  B.  bei  den  Tausenden  von  Männern  jüngeren 
Alters,  die  wegen  Lues  mit  Jod  behandelt  werden,  kaum  jemals 
Basedow  und  Thyreoidismus  beobachtet.  (Dass  auch  bei  jüngeren 
Männern  solche  Jodfolgen  Vorkommen,  ist  sicher;  der  erste  Fall 
von  Jod-Basedow,  den  ich  vor  fünf  Jahren  beobachtete,  betraf 
einen  etwa  30jährigen  Mann  ohne  alle  Basedow-Erscheinungen, 
aber  mit  einem  mässigen,  seit  der  Pubertät  bestehenden  »Bläh¬ 
hals«,  der  während  einer,  wegen  Syphilis  unternommenen  Jodcur 
an  classischem  Basedow  erkrankte.)  Die  Beantwortung  dieser 
Frage  ist  derzeit  noch  unmöglich,  sie  fällt  wohl  mit  jener  anderen 
zusammen,  woher  denn  überhaupt  die  grössere  Disposition  des 
weiblichen  Geschlechtes  zu  allen  Schilddrüsenerkrankungen  rühre 
(Struma,  Myxödem,  Basedow  etc.) 

Wenn  ich  mich  nun  der  Frage  zuwende,  was  denn  etwa 
aus  der  Kenntniss  der  Rolle,  die  das  Jod  in  der  Pathogenese 
des  Basedow  und  des  Thyreoidismus  spielen  kann,  für  das  Ver¬ 
ständnis  der  Basedow-  Genese  im  Allgemeinen  zu  gewinnen 
sei,  so  wird  zuerst  die  Vorfrage  zu  erledigen  sein,  wie  man 
sich  denn  die  Rolle  des  Jods  bei  der  Erzeugung  von  Base- 
d  o  w-ähnlichen  Zuständen  überhaupt  zu  denken  habe. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  man  versuchen  wird,  hier  an 
die  modernen  Erfahrungen  über  den  Jodgehalt  der  Schilddrüse, 
über  das  Jodothyrin  anzuknüpfen;  die  Differenz  im  Jodgehalte 
der  Drüsen  an  verschiedenen  Standorten,  dann  den  Jodreich¬ 
thum  der  Drüse  nach  Jodeinfuhr  in  den  Körper  sowie  ander¬ 
seits  die  mehrmals  nachgewiesene  Jodarmuth  der  »Basedow- 
Strumen«  heranzuziehen,  endlich  gewisse  neuere  Funde  der 
Physiologen  auf  dem  Gebiete  der  »physiologischen  Herzgifte« 
(Cyon,  Barbera)  zur  Erklärung  zu  benützen. 

Alle  solchen  Versuche  scheinen  mir  bei  dem  dem  gegen¬ 
wärtigen  Stande  unserer  Kenntnisse  mit  ihren  vielen  Lücken 
und  Widersprüchen  noch  wenig  aussichtsreich.  Das  Einzige, 
was  hier  klinisch  sicher  feststeht,  ist  die  ganze  merkwürdige 
und  in  ihrem  feineren  Mechanismus  unerklärte  »resorbirende« 
Wirkung  des  Jods  auf  Schilddrüsengewebe,  welche  dazu 
führen  muss,  dass  plötzlich  und  rasch  eine  grössere  Menge 
von  Schilddrüsensubstanz  in  die  allgemeine  Circulation 
gelangt. 

An  diese  resorbirende  Wirkung  wird  man  sich  zunächst 
halten  müssen,  wenn  man  versucht,  die  pathogenetische  Rolle 
des  Jods  in  Fällen  zu  erklären,  wie  sie  oben  mitgetheilt 
wurden. 

Man  wird  annehmen,  dass  die  durch  Jod  angeregte 
Schilddrüsenresorption  die  Ursache  des  Jod-Thyreoidismus  und 
Jod-Basedow  ist,  welche  beide  als  zwei  dem  Symptomen- 
reichthum  nach  verschiedene  Grade  der  Intoxication  zu  be¬ 
trachten  wären.  Es  erhebt  sich  dann  zunächst  die  Frage, 
warum  die  Vergiftungserscheinungen  nur  bei  einer  gewissen 
Zahl  von  Menschen  auftreten;  dann  die  weitere,  warum  sie  da 
bei  dem  Einen  das  Bild  des  Thyreoidismus,  bei  dem  Anderen 


das  reichere  des  Basedow  annehmen,  bei  den  einen  Menschen 
nach  kürzerer  Zeit  schwinden,  bei  den  anderen  sich  stabi¬ 
leren. 

Möbius,  welcher  der  Production  eines  typischen  Morbus 
Basedowii  durch  Jod  in  seiner  Monographie  noch  keine  Erwäh¬ 
nung  tliut,  erwähnt  den  »constitutionellen  Jodismus«  Rilliet’s. 
Er  schliesst  sich  der  alten  Troussea  u’schen  Meinung  an . 
Trousseau  hatte  nach  seinen  Erfahrungen  in  Paris  be¬ 
hauptet,  es  gebe  keinen  constitutionellen  Jodismus,  es  handle 
sich  in  diesen  Fällen  immer  um  B  a  s  e  d  o  w  -  Kranke,  deren 
Zustand  durch  Jod  verschlimmert  worden  sei.  Möbius  meint, 
jedenfalls  trete  der  Jodismus  nur  bei  solchen  Menschen  auf, 
in  deren  Schilddrüse  die  »B  a  se  d  o  w  -  Veränderung«  bestände. 
Bezüglich  der  Fälle  von  vollem  Basedow  nach  Jod,  wie  sie 
oben  referirt  wurden,  dürfte  Möbius  wohl  mit  noch  grösserer 
Bestimmtheit  eine  präexistente  B  a  s  e  d  ow  -  Veränderung  der 
Drüse  annehmen. 

Ich  weiss  nicht,  ob  man  ihm,  namentlich  für  den  »con¬ 
stitutionellen  Jodismus«  der  alten  Strumösen,  hierin  gerne  bei¬ 
pflichten  wird.  Der  Ausdruck  »Basedow-  Veränderung«  ist 
allerdings  von  Möbius  von  Anfang  an  mit  bewunderungs¬ 
würdiger  Besonnenheit  und  Vorsicht  so  unbestimmt  gefasst 
worden,  dass  in  dieser  Materie,  wo  noch  so  Vieles  unklar  ist, 
möglichst  wenig  präjudicirt  wird,  und  die  Abwesenheit  der 
»Veränderung«  lässt  sich  darum  vorläufig  gewiss  nie  be¬ 
weisen.  Trotzdem  aber  wird  man  sich  vielleicht  scheuen, 
bei  alten  Leuten,  deren  Struma  in  allen  körperlichen  und 
seelischen  Anstrengungen  des  Lebens  nie  Basedow- Er¬ 
scheinungen  producirt  hat,  von  einer  latenten  »Basedow- 
Veränderung«  zu  sprechen,  weil  sie  etwa  in  ihrem  60.  Jahre, 
während  sich  ihr  Kropf  durch  Jod  rasch  resorbirt,  die  Er¬ 
scheinungen  des  Thyreoidismus  bekommen,  um  später,  nachdem 
diese  abgeklungen  und  nachdem  die  Struma  wieder  gross  ge¬ 
worden,  wieder  dauernd  gesund  zu  sein. 

Unter  den  vagen,  ganz  allgemeinen  Ausdruck  Basedow- 
Veränderung  könnte  man  ja  freilich  auch  subsumiren,  dass 
die  auf  Jod  pathologisch  reagirenden  Strumösen  etwa  eine 
abnorm  zusammengesetzte,  vielleicht  abnorm  giftige  Schild¬ 
drüsensubstanz  aufgestapelt  haben,  deren  Resorption  leicht  zum 
Thyreoidismus  führt,  oder  man  könnte  etwa  an  abnorm  vor¬ 
gebildete  Resorptionswege  innerhalb  der  Drüsen  denken,  — 
Alles  das  lässt  sich  unter  den  Ausdruck  »präexistente 
B  a  s  e  d  o  w- Veränderung  der  Schilddrüse«  subsumiren,  findet 
sich  aber  dann  wohl  bei  vielen  alten  Strumösen,  die  nie 
B  a  s  e  d  o  w-Erscheinungen  bekommen. 

Es  erscheint  mir  aber  auch  eine  andere  Erklärung  für 
das  differente  Verhalten  verschiedener  Individuen  der  Jod¬ 
einfuhr  gegenüber  möglich.  Vielleicht  ist  letzteres  gar  nicht  in 
der  An-  oder  Abwesenheit  einer  bestimmten  noch  unbekannten 
Veränderung  der  Schilddrüse,  vielmehr  in  einer  sehr  ver¬ 
schieden  grossen  Empfindlichkeit  des  Organismus  gegenüber  der 
Ueberschwemmung  mit  Schilddrüsensecret  überhaupt  begründet. 
Wissen  wir  doch,  wie  verschieden  Individuen  auf  therapeuti¬ 
sche  oder  experimentelle  Schilddriisenzutuhr  mit  Stoflwechsel- 
störungen,  nervösen  Symptomen  etc.  reagiren;  wie  bei  den 
Einen  grosse  Mengen  Schilddrüsensubstanz  ohne  alle  Folge¬ 
erscheinungen  vertragen  werden  (man  vergleiche  Buschans 
bekannten  Selbstversuch),  während  bei  anderen,  und  gerade 
alten  Personen  relativ  kleine  Dosen  zu  ausgesprochenen 
Symptomen  führen. 

Dass  die  Strumen,  um  die  es  sich  beim  »constitutioneflen 
Jodismus«  handelt,  meist  gross  sind  und  daher  bei  der  Re¬ 
sorption  eine  erhebliche  Menge  »Thyreoidin«  liefern,  würde, 
scheint  mir,  vollends  dazu  beitragen,  um  diese  einfache  Er¬ 
klärung  plausibel  erscheinen  zu  lassen.  Was  die  lange  Nach¬ 
dauer  der  Vergiftung  nach  dem  Aussetzen  des  Jods  betrifft, 
so  kann  man  wohl  auf  die  Erfahrungen  beim  therapeutischen 
Thyreoidismus  recurriren,  nach  welchen  die  Intoxications- 
symptome,  besonders  die  Stoffwechsel  Veränderungen,  die  Einfuhi 
des  Mittels  lange  überdauern. 

Die  auffallende  Thatsache  nun,  dass  die  Intoxication  nach 
Jodgebrauch  bei  den  älteren  Individuen  unter  meinen  I  allen  die 
Form  des  einfachen  Thyreoidismus,  bei  den  jüngeren  die  des 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


Nr.  29 


Basedow  angenommen  hat,  würde  ihre  Analogie  finden  in 
dem  anderen  Factum,  dass  ältere  Individuen  zur  Erkrankung 
an  ausgesprochenem  Basedow  überhaupt  nicht  incliniren. 
Hypothesen  darüber  aufzustellen,  warum  das  so  ist,  warum 
es  bei  den  älteren  Individuen  bei  der  einfachen  symptomen- 
armen  Vergiftung  bleibt,  welche  relativ  rasch  abklingt,  während 
sich  bei  jüngeren  der  Symptomencomplex  reichhaltig  gestaltet 
und  gewissermassen  für  längere  Zeit  oder  immer  stabil isi rt, 
—  das  scheint  mir  ja  allerdings  möglich. 

Auch  beim  .Jod-Basedow  erzeugt  das  Jod  vielleicht 
zunächst  nur  einfach  Resorption  von  Schilddrüsenmasse  und 
damit  Thyreoidismus,  wobei  die  Schilddrüse  von  vorneherein 
nicht  besonders  abnorm  gebaut  oder  chemisch  zusammengesetzt 
zu  sein,  sich  von  anderen  Drüsen  durch  keine  besondere  prä¬ 
existente  »Veränderung«  zu  unterscheiden  braucht.  (Vergrösserte 
Drüsen  geben  bei  der  Resorption  wohl  mehr  Gift;  daher  viel¬ 
leicht  die  grosse  Häufigkeit  des  »secundären  Based  o  w«.)  Die 
besondere  Reactionsfähigkeit  des  Individuums  könnte  es  aber  hier 
mit  sich  bringen  (und  hier  könnte  man  an  eine  cardio- vasculäre 
Prädisposition  etwa  in  dem  Sinne  von  Kraus  denken), 
dass  gewisse  Theile  des  Vergiftungsbildes,  die  vasomotorischen, 
besonders  stark  in  die  Erscheinung  träten,  so  dass  z.  B.  leicht 
und  rasch  Exophthalmus  entstände.  Die  starke  Betheiligung 
des  Gefässsystems  möchte  aber  dann  wieder  auf  die  Schild¬ 
drüse  wirken,  neuerdings  Resorption  hervorbringen  u.  s.  w. 
Kurz,  es  würde  sich  auf  diese  Weise  ein  circulus  vitiosus  heraus¬ 
bilden,  der  das  Krankheitsbild  stets  neu  erzeugte,  es  chronisch 
progressiv  machte.  Sehen  wir  doch  bei  der  einfachen  klinischen 
Beobachtung  eines  Basedow-Kranken,  wie  seine  Krankheit 
Neigung  zu  seelischen  Erregungen,  zu  vasomotorischen  Zu¬ 
ständen  (Herzklopfen,  Congestionen)  schafft  und  wie  jede  solche 
Erregung  den  ganzen  Symptomencomplex  dann  wieder  steigert; 
wie  die  einzigen  bewährten  Mittel,  die  wir  bis  jetzt  gegen  den 
Basedow  kennen,  Sorge  für  möglichste  körperliche  und 
geistige  Ruhe,  eventuell  die  Bromtherapie  sind,  Massnahmen, 
die  geeignet  sind,  den  fatalen  Cirkel  zu  unterbrechen.  Dauern 
die  Erscheinungen  an,  so  mögen  sich  dann  wirkliche  anato¬ 
mische  und  physiologische  Abnormitäten  in  der  Schilddrüse 
herausbilden  (functionelle  Hyperplasien,  falsche  Abflusswege 
des  Secrets  (Renau  t),  fehlerhaft  zusammengesetztes  Secret  etc.), 
welche  die  Erscheinungen  noch  mehr  stabi lisiren . 

So,  meine  ich,  könnte  man  auch  für  den  Jod-Basedow 
(und  vielleicht  auch  für  den  anderen  Ursprungs)  unter  voller 
Aufrechthaltung  der  thyreogenen  Aetiologie  die  Annahme  der 
»präexistenten  Basedow-Veränderung«  entbehren,  bis  etwa 
ihre  Realität  durch  positive  Gründe  bewiesen  würde. 

Lassen  sich  nun  aus  der  Kenntniss  des  Jod-Basedow 
Schlüsse  ableiten  auf  die  Pathogenese  des  Basedow  über¬ 
haupt  ? 

Insofern  gewiss,  dass  es  sich  hier  ebenso  wie  bei  dem  im 
Antang  dieser  Arbeit  referirten  Fall  von  Basedow  nach 
Schilddrüsenentzündung  um  rein  thyreogene  Erkrankungen 
handelt;  denn  an  einen  anderen  Angriffspunkt  für  das  Jod  als 
die  Schilddrüse  lässt  sich  bei  diesen  Formen  der  Jod  Wirkung 
wohl  nicht  denken.  Das  Symptomenbild  des  Jod-Basedow 
(wie  des  nach  Thyreoiditis  entstandenen)  deckt  sich  vollkommen 
mit  dem  der  typischen  Fälle  von  Basedow  anderen  Ur¬ 
sprungs;  so  liegt  denn  die  Berechtigung  vor,  auch  bei  diesen 
einen  rein  thyreogenen  Ursprung  anzuerkennen. 

Beim  Jod-Basedow  liegt  nun  aber  auch  der  M echan ismu  s 
des  Krankheitsbeginns  am  deutlichsten  zu  Tage:  Resorption 
von  Schilddrüsensubstanz  und  Vergiftung  durch  dieselbe. 

Bei  dem  Basedow  auf  Grund  von  Thyreoiditis  glaubte 
ich  in  der  entzündlichen,  congestiven  Hyperämie  ein  Moment 
erblicken  zu  können,  welches  in  analoger  Weise  durch  Re¬ 
sorption  von  Drüsensubstanz  die  Krankheit  einleitet. 

Den  Mechanismus,  durch  welchen  die  mannigfachen  Ur¬ 
sachen  in  den  gewöhnlichen  Fällen  von  Basedow  auslösend 
wirken,  möchte  ich  mir  hypothetisch  so  vorstellen,  dass  auch 
hier  eine  plötzliche  Resorption  von  Schilddrüsensubstanz  als 
Beginn  der  Erkrankung  angesehen  werden  kann.  Diese  plötz¬ 
liche  Resorption  mag  auch  hier  ihre  unmittelbare  Ursache  in 
Starken  congestiven  Hyperämien  der  Drüse  haben,  zu  denen  ja 


alle  jene  banalen  Ursachen  (z.  B.  Schreck,  körperliche  An¬ 
strengung,  Partus,  Klimakterium  etc.)  leicht  zu  führen  vermögen. 

In  allen  Fällen  also  wäre  der  Krankheitsbeginn  in  einer 
Resorption  von  Schilddrüsensubstanz  und  einer  Ueberschwem- 
mung  des  Organismus  mit  solcher  zu  sehen,  welche  eiue  Reihe 
von  Vergiftungserscheinungen  erzeugt  (Tachycardie,  Erreg¬ 
barkeit,  vasomotorische  Phänomene  etc.).  Während  diese  Ver¬ 
giftungserscheinungen  nun  manchmal  rasch  vorübergehen,  weil 
entweder  die  Resorption  keine  ausgiebige  oder  die  Empfindlich¬ 
keit  des  Individuums  keine  grosse  war,  stabilisiren  sie  sich  in 
anderen  Fällen  dadurch,  dass  sie  selbst  zu  Quellen  immer 
neuer  Congestionen  der  Drüse  werden.  So  mag  sich  ein  circulus 
vitiosus  ausbilden,  als  dessen  Product  wir  den  chronisch  ge¬ 
wordenen  Thyreoidismus,  den  Morbus  Basedowii  zu  betrachten 
haben. 

Literatur. 

’)  R  ei  n  h  o  1  d,  Münchner  medieinische  Wochenschrift.  1894,  Bd.  XLI, 

Nr.  23. 

•)  Gilbert  und  Castaign  e,  Comptes  rendus  de  la  Soc.  de  biol. 
1899,  pag.  463. 

:i)  v.  N  o  1 1  h  a  f  t,  Centi  alblatt  für  innere  Mediein.  1898,  Nr.  15. 

4)  F.  R  i  1  1  i  e  t,  Memoire  sur  l’iodisme  constitutionnel.  Paris  1860. 
(Hier  findet  sich  auch  die  ganze  ältere  Literatur  über  Jodismus  besprochen). 

5)  Roes  er,  Archiv  für  physologische  Heilkunde.  1859,  pag.  494. 

6)  Lebert,  Die  Krankheiten  der  Schilddrüse.  Breslau  1862. 

7)  Rendu,  Gaz.  hebdomadaire.  1888,  Nr.  20. 

b)  0  r  t  n  e  r,  Vorlesungen  über  Therapie  innerer  Krankheiten.  Wien 
1898,  Bd.  I,  pag.  251. 

9)  P.  J  au  n  i  n,  Rev.  medicale  de  la  Suisse  Romande.  1899,  Bd.  XIX, 
Heft  5,  pag.  301.  Referirt  in  Schmidt’s  Jahrbücher.  Bd.  CCLXIV,  pag.  21. 

10)  L.  G  a  u  t  i  e  r,  Rev.  med.  de  la  Suisse  Rom.  1899,  Bd.  XIX, 
Heft  10,  pag.  618.  Referirt  in  Schmidt’s  Jahrbücher.  Bd.  CCLXV,  pag.  28. 

Vergleiche  ausserdem  die  bekannten  Monographien  über  Basedow, 
insbesondere  die  von  Möbius,  und  des  Letzteren  Sammelreferate  und 
Kritiken  in  Schmidt’s  Jahrbüchern. 

REFERATE. 

Das  Breslauer  Hallenschwimmbad. 

Von  Dr.  Kabierske. 

Breslau  1 898,  K  o  r  n. 

Interessant  für  Jedermann  ist  die  das  erste  Drittel  des 
Buches  einnehmende,  mit  mehreren  Illustrationen  antikes  Badeleben 
veranschaulichende  und  bis  zur  neuesten  Zeit  heranreichende  Ge- 
schiehte  der  Entwicklung  des  Badewesens  und  des  Schwimmens. 
Dieser  schliesst  sich  eine  Beschreibung  des  Hallenschwimmbades  in 
Breslau  an,  welche  zahlreiche  nachahmenswerthe  Details  dieser  An¬ 
stalt  enthält.  Möge  die  löbliche  Absicht  des  Verfassers,  durch  das 
Werk  beim  Baue  gleicher  Anstalten  nützliche  Anhaltspunkte  zu 
geben,  von  Unternehmern  und  Architekten  gewürdigt  werden,  ebenso 
wie  es  Aerzte  bei  Beurtheilung  von  Plänen  solcher  Anstalten  nicht 
versäumen  mögen,  aus  der  Beschreibung  dieses  Bades  Nutzen  zu 
ziehen. 

So  sehr  der  Referent  so  manches  Neuere  aus  den  geschil¬ 
derten  Einrichtungen  lobend  anerkennen  muss,  beispielsweise  die 
Begehbarkeit  der  Luftzuführungscanäle  im  Interesse  deren  Rein¬ 
haltung,  die  getrennten  Zugänge  zu  den  Radecabinen  für  An-  und 
Ausgekleidete,  die  Brausebäder  zur  Reinigung  vor  Betreten  des 
Bassins,  die  Spuckbecken  mit  Wasserspülung,  so  kann  sich  derselbe 
doch  nicht  der  Bemerkung  entschlagen,  dass  die  Halle  für  das  grosse 
Bassin  zu  viel  Mauer-  und  zu  wenig  Fensterfläche  haben  dürfte. 
Referent  meint,  dass  bei  Anlage  einer  Schwimmhalle  diese  mit 
ihrer  Längsachse  von  Nord  nach  Süd  orientirt  werden  sollte,  und 
dass  Eisen  und  Glas  an  der  Decke  und  der  Südseite  der  Halle  als 
Baumaterial  fast  ausschliesslich  verwendet  sein  sollten  und  auch 
die  Fussböden  der  Galerien  vorwiegend  aus  Eisen  und  Glas  her- 
gestellt  werden  sollten,  damit  auch  im  Winter,  bei  tiefstehender 
Sonne  möglichst  viel  Plätze  einer  solchen  Halle  möglichst  lange  Zeit 
im  directen  Sonnenlichte  sich  befinden. 

Die  Sonne  ist  ein  vorzügliches  entwicklungshemmendes  Mittel 
gegen  Mikrobien  und  könnte  dadurch  den  unangenehmen  keller¬ 
artigen  Geruch,  der  uns  in  geschlossenen  Schwimmhallen  belästigt 
und  der  auch  in  der  hier  beschriebenen  Schwimmhalle  mindestens 
mit  der  Zeit  sich  entwickeln  dürfte,  vielleicht  hintanhalten,  sobald 
sie  in  jeden  Winkel  einer  solchen  Halle,  in  jede  Cabine  hinein¬ 
scheinen  kann,  wie  cs  eine  mit  der  Längsachse  von  Nord  nach 
Süd  orientirte,  gegen  Süden  freistehende,  oben  und  an  der  Südseite 
fast  ganz  verglaste  Schwimmhalle  erlauben  würde. 


Nr.  29 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


6'<9 


Um  wie  viel  angenehmer  es  sieh  in  einem  Wasser  schwimmt, 
das  im  Sonnenlichte  glitzert,  als  in  einem  beschatteten,  weiss 
Jedermann;  dass  es  kaum  ein  wohligeres  Gefühl  gibt,  als  nach 
dem  Bade  sich  zu  sonnen,  wird  kaum  Jemand  in  Abrede  stellen 
wollen.  Dass  aber  geschlossene  oder  gar  gewölbte  Hallen,  die  nur 
durch  Fenster  und  Oberlichte  besonnt  sind,  meist  einen  frostigen 
ungemüthlichen  Eindruck  machen,  meist  nur  von  Badebedürftigen 
aufgesucht  werden,  die  nicht  die  Zeit  und  die  Mittel  haben,  um  im 
Freien  und  in  der  Sonne  baden  zu  können,  ist  ebenso  bekannt. 
Folglich  sollte  man  danach  streben,  Hallenschwimmbäder  so  zu 
bauen,  dass  sie  die  freie  Natur  nachahmen,  soll  ihnen  also  vor  Allem 
Sonnenlicht  in  weitestgehender  Weise  zuführen. 

Das  letzte  Drittel  des  Buches  bietet  eine  Abhandlung  über 
das  Schwimmen  in  Bezug  auf  seinen  hygienischen  Werth.  »Duuehen 
ist  gut,  Baden  ist  besser,  das  Beste  aber  ist  Schwimmen;  es  ist  die 
Krone  aller  Wasscran Wendungen.«  Dieser  Satz  ist  gewiss  richtig, 
die  Betonung  des  Schwimmens  als  prophylaktisches  Mittel  gegen 
Tuberculose  ebenso;  ob  aber,  wie  der  Verfasser  des  Buches  angibt, 
Emphysem  durch  Schwimmen  wirkungsvoll  bekämpft  werden  kann, 
ob  man  bei  Chlorose  Schwimmen  empfehlen  darf,  erscheint  dem 
Referenten  fraglich. 

Die  Abschnitte  über  das  griechische,  russische  und  besonders 
über  das  deutsche  Schwitzbad  bieten  jedem  Leser  manches  Inter¬ 
essante;  für  Unternehmer  und  Architekten  wird  der  gegen  die  be¬ 
sprochenen  Abtheilungen  an  Umfang  bedeutend  zurückstehende 
Theil,  welcher  Finanzielles  und  Administratives  enthält,  werthvoll 
sein.  Der  Preis  des  Buches  ist  ein  niederer  zu  nennen,  da  die  Aus¬ 
stattung  und  der  Inhalt  einen  höheren  Preis  rechtfertigen  könnten. 

H  i  n  t  e  r  b  e  r  g  e  r. 


Ueber  Wesen  und  Ursache  der  Zuckerkrankheit. 

Von  Dr.  med.  et  pkil.  Hans  Leo. 

Berlin  1900,  II  irschwal  d. 

Bereits  die  vorläufige  Mittheilung  (Deutsche  medicinisehe 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  43)  hat  berechtigtes  Staunen  und  Inter¬ 
esse  erregt.  Das  vorliegende  Buch  bringt  die  ausführliche  Mit¬ 
theilung  der  Versuche,  welche  zu  den  vom  Autor  aufgestellten 
Theorien  die  Grundlage  bilden. 

Im  Vorworte  sagt  Verfasser:  »Ich  bin  mir  wohl  bewusst,  dass 
ich  dabei  der  Auffassung  vieler  Facbgenossen  nicht  entsprechen 
werde;  ich  hoffe  aber,  dass  meine  auf  kritischer  und  experimenteller 
Basis  beruhenden  Ausführung  sich  Anerkennung  schaffen  werden.« 

Wir  müssen  diesem  Ausspruche  entschieden  beistimmen, 
denn  es  fehlte  jegliche  Analogie,  um  gerade  für  den  Diabetes 
diese  Theorie,  selbst  wenn  sie  durch  Versuche  eines  Einzelnen  be¬ 
stätigt  erscheinen,  annehmbar  zu  machen.  In  nicht  zu  weiter  Ferne 
werden  gewiss  Versuche  von  anderen  Forschern  in  dieser  Frage 
veröffentlicht  werden,  welche  der  Kritik  wesentlich  zu  Hilfe  kommen 
würden. 

Der  erste  Theil  der  Schrift  behandelt  in  zusammen¬ 
fassender  Weise  das  Wesen  der  Zuckerkrankheit;  er  bringt  nicht 
viel  Neues  bis  zu  jenem  Gapitel,  woes  heisst:  Meine  Theorie. 

Diese  lautet:  »Man  kann  sich  vorstellen,  dass  (in  den  Fällen, 
in  denen  uns  die  Einsicht  in  die  Entstehungsweise  der  diabetischen 
Hyperglykämie  verschlossen  ist)  die  Insufficienz  der  Zuckerver¬ 
brennung  in  den  Geweben  und  Säften  dadurch  veranlasst  ist,  dass 
ein  toxisches  Agens  im  Körper  circulirt,  welches  auf  die  zum  Ver¬ 
brauche  des  Zuckers  nothwendige  Function  hemmend  einwirkt.« 
Es  folgen  nun  die  Gründe  für  das  Vorkommen  bisher  unbekannter 
toxischer  Substanzen  bei  Diabetikern. 

Die  experimentelle  Prüfung  der  Theorie  ging  von  folgender 
Erwägung  aus:  Es  ist  anzunehmen,  dass  das  toxische  Agens,  selbst 
wenn  es  seine  Wirkung  nur  in  der  Zelle  ausübt,  im  Blute  circulirt. 
Wenn  dies  der  Fall  ist,  so  darf  erwartet  werden,  dass  man  durch 
Uebertragung  des  Blutes,  respective  der  Säfte  des  Diabetikers  auf 
ein  Thier  auch  innerhalb  des  thierischen  Organismus  eine  Störung 
des  Zuckerverbrauches  (Glykosurie)  bewirken  kann.  Möglicher 
Weise  gelangt  das  fragliche  Agens  im  Urin  der  Diabetiker  zur 
Ausscheidung. 

Die  Einverleibung  des  diabetischen  Urins  geschah  theils  per  os 
durch  die  Schlundsonde,  theils  durch  subcutane  Injection.  Statt  des 
Harnes  wurde  auch  ein  daraus  bereitetes  Extract  verwendet.  Hunde 
waren  die  Versuchsthiere. 


Die  Methode  der  Untersuchung  des  Hundeharnes  verdient 
noch  erwähnt  zu  werden,  denn  es  scheinen  gerade  hiebei  sich 
einige  Bedenken  zu  ergeben.  Als  Reductionsprobe  wurde  die  mit 
Ny  lander’s  Reagens  angewendet  und  nur  Schwarzfärbung  beachtet. 
(Hundeharn  färbt  gewöhnlich  Nylander  schwarz.  Referent.)  Ferner 
wurde  Gährungs-  und  Phenylhydrazinprobe  angestellt  und  in  der 
Regel  wurde  die  quantitative  Bestimmung  durch  Polarisation  und 
Titrirung  vorgenommen. 

Betrachtet  man  die  wiedergegebenen  Versuchsprotokolle,  so  ist 
die  Incongruenz  zwischen  Titrationsresultaten,  Bestimmung  durch 
Polarisation  oder  Gährung  oft  so  gross,  dass  man  sich  über  die 
wahren  Ausscheidungsverhältnisse  des  Zuckers  kein  klares  Bild 
machen  kann.  Die  einzelnen  Ergebnisse  hier  anzuführen,  würde  zu 
weit  führen  und  wird  daher  nur  auf  die  Tabellen  verwiesen,  in 
denen  in  der  letzten  Colonne  die  quantitativen  Bestimmungen  an¬ 
geführt  erscheinen,  ln  manchen  Fällen  beträgt  die  Differenz  bis  zu 
2%  Zucker  zwischen  den  einzelnen  Bestimmungsmethoden. 

Darnach  erscheint  es  wohl  gerechtfertigt,  die  Richtigkeit  der 
Versuchsergebnisse  in  Frage  zu  stellen. 

Aus  den  Versuchsergebnissen  zieht  Autor  den  Schluss,  dass 
es  bewiesen  sei,  es  gäbe  Fälle  von  Diabetes  mellitus,  deren  Urin 
durch  Einverleibung  in  den  thierischen  Organismus  Glykosurie 
erzeuge. 

Der  zweite  Theil  beschäftigt  sich  mit  den  Ursachen  der 
Zuckerkrankheit.  Auch  hier  finden  wir  eine  neue  Theorie,  welche 
sich  auf  Versuche  stützt.  Es  ist  die  durch  Producte  der  Hefe- 
gährung  veranlasste  Melliturie.  Da  durch  die  Hefegährung  Stoff- 
wechselproducte  der  Hcfezellen  entstehen,  welche  die  Wirkung  der 
Hefezellen  beeinträchtigen,  sollte  die  experimentelle  Prüfung  zeigen, 
ob  diese  Producte  auch  bei  Einverleibung  in  den  thierischen  Or¬ 
ganismus  einen  hemmenden  Einfluss  auf  die  den  Zuckerverbrauch 
daselbst  beherrschenden  Functionen  ausüben. 

Durch  die  Einverleibung  der  zuckerfreien,  vergohrenen 
Flüssigkeit  per  os  konnte  keine  Glykosurie  erzeugt  werden,  hin¬ 
gegen  durch  subcutane  Injection  derselben;  es  mussten  aber  grosse 
Mengen  injieirt  werden.  Die  gleichzeitige  Einverleibung  von  Gährungs- 
flüssigkeit  und  Traubenzucker  zeigte,  dass  selbst  grosse  Mengen 
davon  keine  Glykosurie  erzeugten,  wenn  sie  per  os  gegeben  wurden, 
dass  hingegen  bei  subcutaner  Injection  Glykosurie  auftrat.  Es 
waren  80V  cnv\  respective  114  5  cm:i  der  vergohrenen  Flüssigkeit 
pro  Kilo  Thier  nothwendig,  um  bei  Hunden  Dextroseausscheidung 
zu  bewirken.  Wurde  Milchzucker  statt  Traubenzucker  zur  Gährungs- 
flüssigkeit  hinzugefügt,  genügten  viel  geringere  Mengen  zur  Er¬ 
zeugung  von  Melliturie,  und  trat  diese  schon  bei  Darreichung 
per  os  ein. 

Auch  bei  diesen  Versuchen  scheinen  die  daraus  gezogenen 
Schlüsse  in  Anbetracht  der  grossen  Differenzen  in  den  Versuchs¬ 
ergebnissen  zu  apodiktisch  gezogen  zu  sein. 

Zum  Schlüsse  sind  einige  Versuche  über  Uebertragung  des 
Blutes  und  der  Gewebe  von  Diabetikern,  sowie  von  Darminhalt 
angeführt,  welche  zu  negativen  Resultaten  führten.  Auch  die 
Isolirung  von  Ptomainen  aus  diabetischem  Harn  misslang. 

Die  Richtigkeit  der  Versuchsergebnisse  und  die  Stichhaltigkeit 
der  daraus  abgeleiteten  Theorien  können  nur  eingehende  Nach¬ 
prüfungen  mit  einwandfreien  Resultaten  darthun,  die  erst  das  ent¬ 
scheidende  Wort  über  diese  Theorien  sprechen  sollen.  Offer. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Prof.  Adam  Politzer,  Vorstand  der  Klinik 
für  Ohrenkranke  in  Wien,  zum  Ehrenmitgliede  der  otiatrischen  Gesell¬ 
schaft  in  London.  —  Prof.  Dr.  Franz  Mraiek,  k.  k.  Primararzt 
in  Wien,  zum  Ehrenbürger  von  Bad  Hall  iu  Oberösterreich.  —  Dr. 
Kirchne  r,  Vortragender  Rath  in  der  Medicinalabtheilung  des  Cultus- 

ministeriums  in  Berlin,  zum  a.  o.  Professor. 

* 

Gestorben:  Der  k.  k.  Statthaltereirath  und  Landes-Sanitäts- 

rath  Dr.  R.  v.  K  i  s  s  1  i  n  g  in  Linz. 

* 

In  der  am  7.  Juli  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  Obersten 
Sanitätsrathes  gelangten  nach  Mittheilungen  über  verschiedene 
Verhandlungsgegenstände,  sowie  über  die  Verbreitung  der  Beulenpest 
im  Orient  nachstehende  Referate  zur  Beratliung  und  bchlussfassung  : 
1.  Entwurf  eines  Organisationsstatutes  für  die  V  iener  k.  k.  Kranken- 


680 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  29 


anstalten  (Referent  Prof.  K  ratsch  m  er  namens  des  Specialcomites 
für  Krankenhausangelegenheiten).  2.  Besetzungsvorschläge  für  einige  im 
Status  der  Aerzte  der  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten  erledigte  Primar¬ 
arztesstellen  (Referent  Prof.  Weichselbaum  namens  des  ad  hoc 
gewählten  Specialcomites).  3.  Vorschläge  zur  versuchsweisen  thera¬ 
peutischen  Behandlung  des  Cretinismus  (Referent  Prof.  v.  Wagner). 
4.  Gutachtliche  Aeusserung  über  eine  zum  Gebrauche  in  Volksschulen 
bestimmte  Gesundheitsfibel  (Referent  Hofrath  Einer).  5.  Gutachten 
in  Angelegenheit  des  Recurses  einer  Ortsgemeinde  in  Böhmen  wegen 
Nichtgenehmigung  der  Einleitung  eines  Canales  in  den  Ortsbach  (Re¬ 
ferent  Director  M  u  c  h  a).  6.  Gutachtliche  Aeusserung  über  Leprafälle 
in  Dalmatien  (Referent  Hofrath  Dräsche  im  Einvernehmen  mit  den 
Hofräthen  Kaposi  und  Neumann).  7.  Initiativantrag  des  Ober- 
sanitätsrathes  Hofrathes  C  h  r  o  b  a  k,  betreflend  die  Ergänzung  des  ärzt¬ 
lichen  Unterrichtes  in  der  Receptirkunde.  Dieser  Antrag  wurde  dem 
erweiterten  pharmaeeutischen  Comite  des  Obersten  Sanitätsrathes  zur 
Vorberathung  überwiesen. 

* 

In  der  Sitzung  des  nieder  österreichischen  Landes  • 
Sanitätsrathes  am  9.  Juli  d.  J.  wurden  Referate  erstattet: 
1.  über  Adaptirungen  in  einer  Wiener  k.  k.  Krankenanstalt,  2.  über 
die  Errichtung  eines  Wöchnerinnenheims  und  3.  eines  Röntgen 
Institutes  in  Wien,  sowie  4.  einer  Kaltwasserheilanstalt  in  einer  Ge¬ 
meinde  Niederösterreichs. 

* 

In  der  Sitzung  des  Wiener  Stadtrathes  vom  11.  Juli  wurden 
die  Pläne  für  das  neue  in  Ottakring  zu  errichtende  Kinder¬ 
spital  genehmigt.  Der  Bauplatz  befindet  sich  am  Südabhange  des 
Galizinberges  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  die  Area  des  bereits 
bestehenden  Wilhelminen-Spitales.  Das  neue  Spital,  zu  dessen  Er¬ 
richtung  die  Gemeinde  Wien  einen  Beitrag  von  zwei  Millionen  Kronen 
gewidmet  hat  und  das  die  strengsten  Anforderungen  an  ein  solches 
Werk  befriedigen  soll,  wird  dem  bereits  bestehenden  Wilhelminen- 
Spital  mit  seinem  Belegraume  von  106  Betten  zwei  weitere  Abtheilungen 
anfügen:  ein  Spital  für  Infectionskrankheiten  der  Kinder  mit  19  Pa¬ 
villons  und  einem  Belegraum  von  188  Betten  (Stiftung  der  Gemeinde 
Wien)  und  das  Kinderspital  für  interne  und  chirurgische  Fälle  mit 
zwei  Pavillons  zu  je  42  Betten  (Stiftung  Ke  Hermann). 

* 

In  London  wird  vom  25.  bis  27.  Juli  die  Feier  des 
hundertjährigen  Bestandes  des  Royal  College  of 
Surgeons  begangen.  Dem  am  Abend  des  26.  Juli  stattfindenden 
Festdiners  wird  auch  der  Prinz  von  Wales  beiwohnen.  Für  Mittwoch 
ist  eine  Vereinigung  der  Festgäste  im  Gebäude  des  Royal  College  und 
am  Freitag  ein  Empfang  beim  Lord  Mayor  im  Mansion-Hause  in 
Aussicht  genommen. 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift  vom  Wiener  Apotheker-Haupt¬ 
gremium  :  Pharmakopöemässige  Kranken  weine.  Da  in 
den  mit  1.  Juli  1.  J.  in  Kraft  getretenen  Additamentis  zur  öster¬ 
reichischen  Pharmakopoe  nun  auch  Weiss-  und  Rothwein,  sowie  Mar¬ 
salawein  für  Heilzwecke  vorgeschriebeu  sind,  hat  das  Wiener  Apo¬ 
theker  Ilauptgremium  beschlossen,  specielle  Weinmarken  für  diese 
Zwecke  in  den  Apotheken  einzuführen.  Das  Gremium  war  dabei  von 
dem  Bestreben  geleitet,  die  Kranken  mit  gleichförmigen,  guten  und 
den  Forderungen  der  Pharmakopoe  entsprechenden  Weinsorten  zu  ver¬ 
sorgen  und  so  den  Herren  Aerzten  und  dem  Publicum  die  Sicherheit 
zu  bieten,  dass  die  Weine  in  vollkommen  gleicher  und  guter  Qualität 
aus  jeder  beliebigen  Apotheke  verordnet,  beziehungsweise  bezogen 
werden  können.  Zu  diesem  Zwecke  hat  das  Gremium  eine  Gremial- 
marke  von  Weiss-  und  Rothwein  in  Flaschen  zu  2  K  und  liv30A 
eingeführt  und  sind  die  Flaschen  mit  der  Schutzmarke  des  Gremiums 
und  ausserdem  mit  der  Controlmarke  der  „Oesterreichischen  chemischen 
Controle“  versehen.  Ebenso  ist  auch  von  Marsalawein  eine  eigene 
Gremialmarke  in  den  Apotheken  eingeführt. 

* 

In  Ergänzung  der  Notiz  in  Nr.  26  dieser  Wochenschrift  über 
den  XIII.  Internationalen  Congress  in  Paris  wird  noch 
bemerkt,  dass  die  Theilnehmerkarten  gegen  den  Erlag  von  24  K  von 
Prof.  Dr.  Adam  Politzer  (Wien,  L,  Gonzagagasse  19)  ausgefolgt 
werden,  dass  jedoch  die  Inscriptionen  in  Wien  am  28.  d.  M.  abge¬ 
schlossen  werden.  Von  da  an  werden  die  Anmeldungen  nur  mehr  beim 
Generalsecretariat,  Paris  21,  Rue  de  l’Ecole  de  Medecine,  angenommen. 
Während  des  Congresses  wird  am  Sitzungsorte  ein  Post-  und  Telegraphen¬ 
bureau  functioniren.  Die  Congresstheilnehmer  können  ihre  Correspon- 
denzen  sich  unter  der  einfachen  Adresse:  N.  N.,  Membre  du  Xllle 
Congies  International  de  Medecine,  Paris,  zusenden  lassen. 

* 


Bei  der  immer  mehr  zunehmenden  Bedeutung,  welche  der  Photo¬ 
graphie  unter  den  Hilfswissenschaften  der  theoretischen  und  praktischen 
Medicin  zukommt,  ist  es  am  Platze,  auf  den  eben  erschienenen  14.  Jahr¬ 
gang  (1900)  des  vom  Director  der  k.  k.  graphischen  Lehr-  und  Ver¬ 
suchsanstalt  in  Wien,  Hofrath  Dr.  Eder,  im  Verlage  von  W.  Knapp 
in  Halle  a.  S.  herausgegebenen  Jahrbuches  für  Photographie 
und  Eeproductionstechnik  aufmerksam  zu  machen.  Ein 
Ueberblick  über  die  wichtigsten  Fortschritte  der  neuesten  Zeit  auf  dem 
Gebiete  der  Photographie,  Photochemie  und  -Mechanik  führt  die  Ver¬ 
besserungen  der  Apparate,  der  Technik  beim  Photographiren  und  Ent¬ 
wickeln  der  Bilder,  die  Leistungsfähigkeit  des  photographischen  Farben¬ 
druckes  u.  s  wr.  vor.  Neben  etwa  80  Originalbeiträgen,  dem  Jahres¬ 
berichte,  enthält  das  Werk  260  Abbildungen  und  34  Kunstbeilagen. 
Preis  M.  8.—. 

* 

SanitätsverhältnissebeiderMannschaftdesk.u.k.  Heeres 
im  Monat  April  1900.  Mit  Ende  März  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  2049,  in  Heilanstalten  7690  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  April  1900  15.970  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  55.  Im  Monat  April  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  7700  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopt'stärke  26.  Im  Monat  April  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  16.517  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  14.193  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  859,  durch  Tod  85  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  5U4,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0-29.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1738,  in  Heilanstalten  7454  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  25.  Jahreswoche  (vom  17.  Juni 
bis  23.  Juni  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  565,  unehelich  291,  zusammen 
856.  Todt  geboren:  ehelich  52,  unehelich  22,  zusammen  74.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  641  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18’9  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  120,  Blattern  0,  Masern  8, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  53.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (• —  1),  Varicellen 
34  ( —  8),  Masern  203  ( —  50),  Scharlach  47  (-j-  18),  Typhus  abdominalis 
16  (-)-  8),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  34  (-j-  5),  Croup  und 
Diphtherie  27  (— j—  8),  Pertussis  58  (-f-  13),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-(-  1),  Trachom  1  (=),  Influenza  1  (-{-  1). 


Freie  Stelle«. 

Districts a rztesstelle  für  den  Sanitätsdistrict  »Oberes  Lesach- 
thal«  mit  dem  Wohnsitze  in  Liesing,  Kärnten.  Mit  derselben  ist  eine 
Jahresremuneration  von  1400  K ,  und  zwar  600  K  aus  dem 
Landesfonde  und  800  K  von  den  betreffenden  Gemeinden  verbunden, 
sowie  für  Dienstreisen,  Durchführung  der  öffentlichen  Impfung  und  Vor¬ 
nahme  der  Todtenbeschau  der  Bezug  der  normirten  Gebühren.  Auch  stellt 
die  Gemeinde  Liesing  dem  Districtsarzte  eine  passende  Wohnung  mit  vier 
Zimmern  und  Zugehör  um  einen  Jahresmiethzins  von  100  K  zur  Ver¬ 
fügung.  Die  gegenseitige  Kündigungsfrist  beträgt  zwei  Monate.  —  Der 
Districtsarzt  hat  die  Verpflichtung,  eine  Hausapotheke  zu  führen,  und  je 
einmal  in  der  Woche  an  vorher  bestimmten  Tagen  in  den  Gemeinden 
Birnbaum  und  Luggau  Berufsamtstage  abzuhalteu  und  dort  zu  ordinireu. 
Die  Bewerber  um  diese  Stelle  werden  eingeladen,  ihre  vorschriftsmässig 
belegten  Gesuche  bis  längstens  Ende  Juli  1.  J.  bei  der  k.  k.  Bezirks- 
hauptmannscbaft  Hermagor  zu  überreichen. 

Zwei  Secundararztesstellen  an  den  kärntnerischen  Landeswohl- 
tbätigkeitsanstalten  (Krankenhaus,  Irrenanstalt)  in  Klagen furt.  Bewerber 
um  diesen  Dienstposten,  mit  welchem  nebst  freier,  beheizter  und  beleuch¬ 
teter  Wohnung  eine  jährliche  Remuneration  von  600  fl.  verbunden  ist, 
haben  ihre  gehörig  belegten  Gesuche,  in  welchen  auch  der  Nachweis  der 
geleisteten  Militärdienstpflicht  zu  erbringen  ist,  bis  22.  Juli  1900  bei  der 
Direction  der  kärntnerischen  Landeswohlthätigkeitsanstalten  in  Klagenfurt 
einzubringen. 

Landes-Sanitätsreferentenstelle  in  Linz,  Oberösterreich, 
mit  den  systemmässigen  Bezügen  der  VI.  Raugsclasse.  Bewerber  um  diese 
Stelle  haben  ihre  mit  den  erforderlichen  Belegen  versehenen  Gesuche  im 
Wege  der  Vorgesetzten  Behörde  bis  15.  August  1900  bei  dem  k.  k.  Statt- 
haltereipräsidium  in  Linz  einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  in  der  aus  den  Gemeinden  Jageubach, 
Rieggers,  Dorf  Rosenau  und  Schloss  Rosenau  bestehenden,  circa  1900  Ein¬ 
wohner  zählenden  Sanitätsgemeindengruppe  Jagenbach,  Niederöster¬ 
reich.  Entschädigung  für  den  Sanitätsdienst  nach  Uebereinkommen.  Eine 
Subvention  jährlicher  800  K  aus  dem  Landesfonde  in  Aussicht  gestellt. 
Führung  einer  Hausapotheke  erforderlich.  Bewerber  um  diese  durch  die 
Zurücklegung  der  Praxis  seitens  des  bisherigen,  durch  25  Jahre  in  den  ge¬ 
nannten  Gemeinden  tliätig  gewesenen  Gemeindearztes  in  Erledigung  gelan¬ 
gende  Stelle  wollen  sich  an  den  Obmann  der  Sanitätsgruppe,  Johann  Murth 
in  Jagenbach,  wenden. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Wiener  klinische  Wochenschrift 

unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuekerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 11/1,  Wickenburggasse  13. 

XIXI.  Jahrgang.  Wien,  26.  Juli  1900.  ££r.  30. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


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Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


IlSTHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  dem  hygienischen  Institute  der  k.  k.  Uni¬ 
versität  Innsbruck  (Prof.  A.  L  o  d  e).  Ueber  Glycerin  als  Constituens 
für  Autiseptica.  Von  Dr.  Oscar  v.  Wunsch  heim,  Assistenten 
am  Institute. 

2.  Aus  der  geburtshilflich-gynäkologischen  Klinik  (Prof.  E  h  r  en¬ 
do  r  f  e  r)  in  Innsbruck.  Bericht  über  22  Fälle  von  künstlicher 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft.  Von  Dr.  Josef  v.  Braiten- 
h  e  r  g,  Assistenten  der  Klinik. 

3.  Ueber  Ferropyrin  als  Hämostaticum.  Von  Dr.  E.  T  o  f  f,  Frauenarzt 
in  Braila  (Rumänien). 

II.  Referate:  I.  Neue  Methoden  der  Wandheilung.  Von  Dr.  C.  L. 

Schleich.  II.  Allgemeine  Chirurgie  und  Operationslehre.  Von 
Dr.  Arno  Krüc  h  e.  III.  Verbandlehre.  V<  n  A.  H  o  f  f  a.  IV.  Die 
Osteotomie  bei  der  Behandlung  der  Hüftgelenksdeformitäten.  Von 


Prof.  Dr.  A.  Hoffa.  V.  Technik  der  Massage.  Von  Prof.  Dr.  A. 
II  o  f  f  a.  VI.  Die  Prophylaxe  in  der  Chirurgie.  Von  Prof.  Dr.  A. 
Hoffa  und  Dr.  A.  Lilienfeld.  VII.  Zur  Pathologie  der 
Erkrankungen  des  Wurmfortsatzes.  Von  Dr.  G.  H  o  n  i  g  m  a  n  n. 
VIII.  La  Chirurgia  del  Perieardio  e  del  Cuore.  Dal  Prof.  Errico 
Giordano.  Ref.  K.  B  ü  d  i  n  g  e  r.  —  I.  Die  Krankheiten  der 
Eierstöcke  und  Nebeneierstöcke.  Von  A.  Martin.  H.  Die  Krauk- 
heiten  der  Frauen.  Von  H.  Fritsch.  III.  Die  Steibliehkeit  »im 
Kindbett«  in  Berlin  und  in  Preussen  1877 — 1896.  Von  Pb.  Ehlers. 
Ref.  H.  Ludwig. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  dem  hygienischen  Institute  der  k.  k.  Universität 

Innsbruck  (Prof.  A.  Lode). 

Ueber  Glycerin  als  Constituens  für  Antiseptica.) 

Von  Dr.  Oscar  v.  Wunschheim,  Assistenten  am  Institute. 

Da  Glycerin  in  der  Heilkunde  als  Lösungsmittel  und  als 
Träger  für  antiseptisch  wirkende  Arzneistoffe  vielfach  in  Ver¬ 
wendung  steht  —  wir  erwähnen  als  bekannte  Beispiele  Tannin¬ 
glycerin,  Carholglycerin  u.  s.  f.  —  schien  die  Frage  einer 
Untersuchung  werth,  ob  nicht  in  den  angeführten  und  in  ähn¬ 
lichen  Fällen  das  Antisepticum  derart  modificirt  würde,  dass 
die  Wirkung  des  Mittels  eingeschränkt  oder  völlig  aufgehoben 
erscheinen  könne. 

Diese  Frage  war  nunmehr  einer  experimentellen  Bear¬ 
beitung  würdig,  als  ja  durch  neuere  Arbeiten  bezüglich  des 
Alkohols  als  Lösungsmittel  für  Antiseptica  eine  Reihe  merk¬ 
würdiger  und  beachtenswerther  Resultate  gefördert  worden 
waren. 2) 

Als  Ausgangspunkt  für  die  Wirkung  der  in  Unter¬ 
suchung  genommen  Antiseptica  dienten  Lösungen  der  betreffenden 
Substanzen  in  Wasser;  analog  diesen  wurden  die  Lösungen 
der  Antiseptica  in  Glycerin  hergestellt. 

Ehe  wir  an  die  Beantwortung  unserer  Frage  herantreten 
konnten,  war  zu  ermitteln,  ob  nicht  das  Glycerin  an  und  für 
sich  bacterientödtende  oder  entwicklungshemmende  Eigen¬ 
schaften  besässe.  Dass  hiebei  nur  Proben  von  reinem  Glycerin 

')  Kurze  Mittheilung'  nach  einem  am  10.  März  1900  in  der  wissen¬ 
schaftlichen  AerztegesellscLalt  zu  Innsbruck  gehaltenen  Vortrage.  Die  aus¬ 
führliche  Arbeit  erscheint  im  Archiv  für  Hygiene. 

•)  Ferdinand  Epstein,  Zur  Frage  der  Alkoholdesinfection. 
Zeitschrift  für  Hygiene.  1897,  und  Rafael  Minervini,  Ueber  bac¬ 
tericide  Wirkung  des  Alkohols.  Ebenda.  1898. 


oder  wenigstens  solche  von  sehr  hohem  Glyceringehalt  irgend 
einen  bactericiden  Einfluss  versprechen  konnten,  war  von 
vorneherein  sicher. 

Verwenden  wir  ja  doch  das  Glycerin  in  geringen  Pro¬ 
centsätzen  als  Zusatz  zu  verschiedenen  Nährmedien,  um  den 
Werth  derselben  für  die  Züchtung  zu  erhöhen. 

Ohne  die  diesbezügliche,  übrigens  nicht  übereinstimmende 
Literatur  zu  besprechen,  will  ich  meine  eigenen  Erfahrungen 
ihrem  wesentlichen  Inhalte  nach  mittheilen. 

Die  Versuche  wurden  in  der  Weise  ausgeführt,  dass 
bacterienreiche  Aufschwemmungen  von  Bact.  coli,  Staphy¬ 
lococcus  pyogenes  aureus  und  des  Cholera  vibrio  in  reines 
käufliches  Glycerin,  sowie  in  Glycerinwassermischungen  von 
70,  50  und  30%  Glyeeringehalt  eingetragen  wurden.  Durch 
eine  Reihe  von  Tagen  wurden  aus  den  bei  22°  C.  gehaltenen 
Proben  kleine  Mengen  mittelst  der  Oese  entnommen  und  in 
Bouillon  übertragen. 

Beim  Versuche  mit  Cholera  (Berlin),  einem  durch  mehr 
als  ein  Decennium  im  Laboratorium  fortgezüchteten  Stamme, 
zeigte  sich,  dass  nach  24stündigem  Einwirken  die  in  höher 
concentrirtes  Glycerin  eingebraeht  gewesenen  Vibrionen  abge¬ 
storben  waren,  während  nur  die  in  30°/oigem  Glycerin  auf¬ 
bewahrten  noch  Wachsthum  erkennen  Hessen.  Jedoch  auch  in 
dieser  Verdünnung  waren  dieselben  nach  48  Stunden  abge- 
tödtet  wordeD.  Vibrionen  des  Stammes  Cholera  (Krakau) 
waren  schon  nach  24  Stunden  in  allen  Proben  vernichtet. 

Wenn  man  nun  bedenkt,  dass  der  Choleravibrio  sich  in 
der  Probe  am  längsten  lebensfähig  erwies,  welche  am  meisten 
Wasser  enthielt,  andererseits  die  wasserentziehende  Wirkung 
des  Glycerins  im  Allgemeinen  in  Rechnung  zieht,  so  liegt  der 
Gedanke  wohl  nahe,  dass  es  diese  Wirkung  des  Glycerins  sei, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


682 


welche  den  gegen  Wasserverluste  ohnehin  empfindlichen  Vibrio 
geschädigt  habe. 

Ein  individuell  gänzlich  verschiedenes  Verhalten  gegen¬ 
über  den  wässerigen  Verdünnungen  des  Glycerins  zeigten 
Bact.  coli  und  Staphylococcus.  Ersteres  war  im  reinen  Glycerin 
nach  wenigen  Tagen  abgestorben,  zeigte  sich  aber  in  der  70, 
f>0  und  30%igen  Verdünnung  längere  Zeit  noch  lebensfähig. 
Letzteres  war  in  der  50,  70%igeu  Verdünnung  früher  abge¬ 
storben  als  im  reinen  Glycerin,  erhielt  sich  jedoch  längere 
Zeit  im  30%igen  Glycerin. 

Eine  beiden  Bacterienarten,  sowie  dem  Cholera  vibrio 
gemeinsame  Erscheinung  lag  darin,  dass  die  genannten  Mikro¬ 
organismen  in  der  am  wenigsten  Glycerin  enthaltenden  Mischung 
am  längsten  sich  erhalten  konnten. 

Wenn  wir  in  dem  angeführten  Versuchen  von  reinem 
Glycerin  gesprochen  haben,  so  ist  dies  in  dem  Sinne  gemeint, 
dass  das  aus  bester  Quelle  bezogene  Präparat  ohne  Wasser¬ 
zusatz  verwendet  wurde.  Vollständig  wasserfrei  war  dasselbe 
übrigens  nicht,  wie  uns  Wägungen  aliquoter  im  Dampfschranke 
getrockneter  Proben  lehrten.  Der  Wassergehalt  betrug  nach 
diesen  Ermittlungen  5-6%,  so  dass  sowohl  die  procentualischen 
Angaben  bezüglich  der  Versuche  mit  Glycerin  allein,  als  auch 
die  über  Lösungen  der  Antiseptica  im  Glycerin  mit  diesem, 
übrigens  durch  Rechnung  leicht  eliminirbaren  Fehler  behaftet 
sind.  Zu  diesem  Fehler  gesellt  sich  bezüglich  des  Wasser¬ 
gehaltes  noch  ein  weiterer,  der  durch  die  Technik  der  Des- 
infectionsversuche  gegeben  war.  Versuche  mit  Carboiglycerin 
hatten  nämlich  schon  ergeben,  dass  bei  höherem  Wassergehalt 
des  Glycerins  die  Wirkung  des  darin  gelösten  Antisepticums 
eine  wesentlich  andere  ist,  als  beim  reinen  Glycerin.  In  Folge 
dessen  wurde  von  der  üblichen  Methode,  das  doppelt  so  stark 
concentrirte  Desinficiens  durch  Vermischen  mit  der  wässerigen 
Bacteriensuspension  ana  partes  auf  die  gewünschte  Concen¬ 
tration  zu  bringen,  abgegangen.  Es  wurden  im  Reagensröhrchen 
zu  5  cm3  des  zu  prüfenden  Desinficiens  0'lcm3  Bacterien- 
emulsion  hinzugefügt,  wodurch  der  eben  erwähnte  Fehler,  eine 
weitere  Steigerung  des  Wassergehaltes  um  2%  unvermeidlich 
gegeben  war.  Nach  dem  Zusatze  der  Bacterienaufschwemmung 
zum  Desinficiens  wurde  kräftig  geschüttelt,  um  eine  möglichst 
gleichmässige  Vertheilung  der  Bacterien  zu  erzielen.  In  ent¬ 
sprechenden  Intervallen  wurden  sodann  jedes  Mal  drei  Oesen 
der  Mischung  entnommen  und  in  ein  Fleischpeptonbouillon¬ 
röhrchen  übertragen. 

Da  aber  durch  das  IJebertragen  des  Antisepticums  im 
ersten  Röhrchen  möglicher  Weise  eine  Entwicklungshemmung 
Platz  greifen  und  eine  Abtödtung  der  Bacterien  vorgetäuscht 
werden  könnte,  wurde  jedes  Mal  aus  dem  ersten  Röhrchen  eine 
zweite  Verdünnung  angelegt,  eine  Methode  auf  deren  Zweck¬ 
mässigkeit  unter  Anderen  M.  Gruber  mit  Nachdruck  hinge¬ 
wiesen  hat. 

Die  Röhrchen  wurden  sogleich  in  den  Thermostaten 
von  37°  C.  gebracht  und  durch  mindestens  acht  Tage  beob¬ 
achtet. 

In  der  Literatur  konnten  wir  ausser  Angaben,  welche 
die  Einwirkung  von  reinem  Glycerin  und  reinen  wässerigen 
Verdünnungen  auf  Bacterien  erörtern,  keinerlei  Mittheilungen 
über  den  Einfluss  von  glyceringelösten  Antisepticis  auffinden. 
Jedoch  hat  Koch  das  Verhalten  der  in  Oel  oder  Alkohol  ge¬ 
lösten  Carbolsäure  geprüft.  Er  sagt  in  seiner  epochemachenden 
und  grundlegende  Thatsachen  feststellenden  Arbeit  »Ueber 
Desinfection«  3):  »in  Oel  oder  Alkohol  gelöst,  äusserte  Carbol¬ 
säure  auch  nicht  die  geringste  desinficirende  Wirkung«.  Er 
bemerkt  ferner,  dass  dieselbe  Erscheinung  sich  auch  bei 
Salicylsäure,  Thymol  und  vermuthlich  auch  noch  bei  vielen 
anderen  wiederholt.  Wir  wollen  gleich  hier  bemerken,  dass 
wir  in  der  Koch'schen  Arbeit  vergeblich  nach  Angaben  über 
das  Verhältniss  zwischen  Glycerin  und  Carbol  gesucht  haben; 
umso  befremdender  musste  das  Citat  von  Hammer  in  seiner 


3)  Mittheilungen  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte,  Berlin. 
1881,  Bd.  I. 


Arbeit  »Ueber  die  desinficirende  Wirkung  der  Kresole  und 
die  Herstellung  neutraler  wässeriger  Kresollösungen «  4)  auf¬ 
fallen:  »Allerdings  besitzt  nur  die  wässerige  Lösung  der 
Carbolsäure  desinficirende  Eigenschaften,  während  die  Lösung 
derselben  in  Alkohol,  Glycerin  oder  Oel,  wie  Koch  ermittelt 
hatte,  fast  gar  keine  desinficirende  Wirkung  äussert«.  Wir 
konnten,  wie  gesagt,  keine  diesbezüglichen  Angaben  in  der 
erwähnten  Arbeit  Koch’s  finden.  Auch  sonst  gelang  es  uns 
nicht,  in  der  zugänglichen  Literatur  über  die  bacterientödtende 
Wirkung  von  Lösungen  der  Antiseptica  in  Glycerin  Anhalts¬ 
punkte  zu  gewinnen. 

Ein  Beweis,  dass  man  wohl  kaum  angenommen  hatte, 
dass  wenigstens  niedrig  procentuirte  Carboiglycerinlösungen 
innerhalb  gewisser  Zeiten  nicht  desinficiren,  dürfte  auch  darin 
gesehen  werden,  dass  Carboiglycerin,  nachdem  auf  dieKoch- 
sche  Arbeit  hin  Carbolöl  in  Misscredit  gerathen  war,  neben 
höher  procentuirten  antiseptisch  wirkenden  Concentrationen  in 
Lehrbüchern  auch  in  solchen  niedrigen  Concentrationen  an¬ 
empfohlen  wird,  von  denen  unsere  Versuche  eben  zeigen,  dass 
sie  innerhalb  der  beobachteten  Zeiten  gar  nicht  oder  doch  nur 
ganz  ausnahmsweise,  wenn  nämlich  der  Wassergehalt  des 
»reinen«  Glycerins  ein  sehr  beträchtlicher  ist,  wirken. 

So  sagt  T  i  1 1  m  a  n  n  s  5)  »5%iges  Carboiglycerin  oder 
Carboivaseline  benützen  wir  nur  zum  Bestreichen  der  Finger 
bei  Untersuchungen  der  Vagina,  des  Rectums  u.  s.  w.« 

Auch  nach  neuesten  therapeutischen  Literaturangaben 
—  wir  erwähnen  die  eben  erschienene  Auflage  des  Recept- 
taschenbuches  von  Landesmann6)  —  wird  Carboiglycerin 
in  niedrigen  Concentrationen  empfohlen.  So  werden  nach 
Landesma  n  n  auf  der  Klinik  Albert  Spritzen,  Silberdraht 
in  (Rp.  1070) 

Acidi  carbolici  15'0, 

Glycerini  3000. 

S.  5%iges  Carbolgiycerin 

aufbewahrt.  In  dem  der  Therapie  auf  der  Klinik  Neumann 
gewidmeten  Abschnitte  desselben  Buches  lesen  wir  pag.  535 
»die  Blase  wird  vermittelst  eines  N  6  1  a  t  o  n  -  Katheters  ent¬ 
leert,  der  stets  in  50%iger  Carbolglyeerinlösung  aufzubewahren 
ist  und  vor  der  Einführung  gut  abgetrocknet  und  bestrichen 
wird«  mit  (Rp.  1693) 

Acidi  carbolici  0'5 — 10, 

Ol.  olivar.  100. 

S.  Carbolöl. 

Die  Verantwortung  für  die  Richtigkeit  dieser  Angaben 
müssen  wir  natürlich  dem  erwähnten  Autor  überlassen. 

Die  angeführten  Beispiele  dienen  als  Beleg,  dass  noch 
heute  Lösungen  von  Antisepticis  in  Glycerin,  speciell  aber  von 
Phenol  in  Glycerin  in  einem  gerade  unter  Praktikern  ver¬ 
breiteten  Buche  als  Antiseptica  empfohlen  werden. 

Was  nun  die  Wirkung  von  Antiseptica,  in  Glycerin  ge¬ 
löst,  anbelangt,  so  wurde  das  Verhalten  von  Glycerin  mit 
Säuren,  mit  Alkalien,  mit  Phenolen  und  Kresolen,  einigen 
anderen  Körpern,  und  endlich  das  Verhalten  von  Antisepticis, 
Glycerinseifenlösungen  zugesetzt,  dem  Staphylococcus  pyogenes 
aureus  gegenüber  untersucht.  Bei  allen  untersuchten  Körpern, 
mit  nur  drei  Ausnahmen,  erwies  sich  die  bacterientödtende 
Kraft  der  in  Glycerin  gelösten  Antiseptica  gegenüber  dem 
Staphylococcus  aureus  und  bezogen  auf  unsere  Versuchszeiten 
von  einer  Stunde  geringer  als  die  gleichen  Concentrationen  in 
wässeriger  Lösung. 

Tabelle  I  fasst  die  diesbezüglichen  Ergebnisse  zu¬ 
sammen. 


4)  Archiv  für  Hygiene.  Bd.  XII,  pag.  359. 

5)  Lehrbuch  der  allgemeinen  Chirurgie.  Dritte  Auflage.  1893, 
pag.  137. 

6)  Die  Therapie  an  den  Wiener  Kliniken.  1900. 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


683 


Tabelle  I. 

Staphylococcus  pyogenes  aureus  M. 
-(-  Wachsthum,  —  Sterilität. 


Minuten 

5 

10 

15 

30 

45 

60 

Glycerin  .  . 

+ 

4- 

4- 

4- 

4- 

+ 

Wasser  -  . 

Glycerin  .  . 

4- 

+ 

4- 

4- 

— 

— 

Wasser  .  . 

+ 

+ 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

+ 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

+ 

— 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

+ 

4- 

4- 

4- 

4- 

+ 

Glycerin  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Wasser  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4" 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

— 

— 

— • 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

+ 

4- 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

4- 

+ 

4- 

4~ 

Wasser  .  . 

Glycerin  .  . 

4- 

+ 

4- 

4- 

4- 

+ 

Wasser  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

+ 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

4- 

4- 

+ 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

4- 

4- 

+ 

4- 

Wasser  .  . 

Glycerin  .  . 
Wasser  .  . 

4- 

4- 

4- 

4- 

+ 

4~ 

4- 

+ 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

+ 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

+ 

4- 

— 

— 

— 

Wasser  .  . 

4- 

— 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

4- 

4- 

4~ 

+ 

Wasser  .  . 

4- 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

+ 

+ 

4- 

4- 

4- 

Wasser  .  . 

— 

l'89°/n  Oxalsäure  . 


13-32%  Na,  COn 


10°/0  Carbol 


iy'/ 
°  Io 


J/2 °/0  Orthokresol  .  . 
1 1 2  °/o  Parakresol  .  .  . 


/2n/o  Metakresul  . 


9  0/ 

^  10 

Creolin  . 

2°/o 

Lysol 

2% 

Saprol  . 

90/ 

^  10 

Formol  . 

1 0°' 
iu  ;c 

,  Tannin 

1  0/ 

1  Oü 

Thymol 

Die  erwähnten  Ausnahmen  zeigten  sich  bei  den  Ver¬ 
suchen  mit  Essigsäure -,  Salzsäure-  und  Acetonglycerin. 

Während  bei  der  Essigsäure  der  Desinfectionswerth  so¬ 
wohl  beim  Eisessigglycerin,  als  beim  Eisessigwasser  der  gleiche 
war,  fanden  wir  beim  Salzsäuveglycerin  und  Acetonglycerin 
eine  Steigerung  der  bactericiden  Kraft  gegenüber  der  wässeri¬ 
gen  Lösung  (Tabelle  II). 


Tabelle  II. 

Staphylococcus  pyogenes  aureus  M. 
Wachsthum,  —  Sterilität. 


20%  Aceton 


Minuten 

5 

10 

15 

30 

45 

60 

Glycerin  .  . 

4- 

4- 

_ 

_ 

_ 

_ 

Wasser  .  . 

4- 

4- 

— 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

+ 

— 

— 

— 

— 

— 

Wasser  .  . 

4- 

4- 

+ 

— 

— 

— 

Glycerin  .  . 

4- 

+ 

4- 

+ 

— 

— 

Wasser  .  . 

4- 

4- 

4- 

4~ 

4- 

4- 

Antiseptica,  zu  Glycerinseifenlösungen  zugesetzt,  verloren 
ebenfalls  an  Desinfectionswerth.  Diese  Glycerinseifenlösungen 
waren  so  hergestellt,  dass  10%  Kaliseife  in  reinem  Glycerin 
gelöst  wurden,  worauf  der  Zusatz  des  Antisepticums  erfolgte. 
Bei  den  controlirenden  Parallelversuchen  wurde  an  Stelle  des 
Glycerins  Wasser  verwendet. 

Hiebei  zeigte  sich,  dass  5%iges  Carboiseifenglycerin  erst 
nach  30'  die  Vernichtung  des  Staphylococcus  aureus  bewerk¬ 
stelligt  hatte,  während  dies  beim  5%igen  Carboiseifenwasser 


schon  nach  5'  geschehen  war.  2%iges  Orthokresolseifen- 
glycerin  vermochte  den  Staphylococcus  innerhalb  einer  Stunde 
nicht  abzutödten,  während  2%iges  Orthokresolseifenwasser 
nach  5'  Einwirkungszeit  schon  desinficirend  gewirkt  hatte. 

Ganz  ähnliche  Verhältnisse  fanden  sich  beim  Lysol-  und 
Creolinseifenglycerin. 

Mit  Rücksicht,  auf  die  oben  erwähnten  Literaturangaben 
und  die  praktische  Bedeutung  des  Carboiglycerins  wurde  das¬ 
selbe  am  eingehendsten  studirt. 

Es  sei  nun  im  Folgenden  gestattet,  die  diesbezüglichen 
Versuchsergebnisse  genauer  zu  erörtern. 

Wie  wir  aus  Tabelle  I  ersehen,  desinficirt  nur  die 
10%ige  Carbolglycerinlösung  (der  Procentgehalt  stets  auf 
Phenol  bezogen),  während  weder  die  5%me  noch  die  2 '/2%ige 
Phenolglycerinlösung  innerhalb  der  angeführten  Zeiten  sich 
wirksam  erweist.  Derselbe,  allerdings  nicht  besonders  wider¬ 
standsfähige  Staphylococcus  aureus  wurde  im  Controlversuche 
nicht  nur  in  21/2%iger,  sondern  auch  in  P5%iger  wässeriger 
Carbollösung  innerhalb  von  5'  vernichtet. 

Um  zu  erkennen  ob  durch  Wasserzusatz  die  5%ige 
Carbolglycerinlösung,  die  unwirksam  sich  zeigte,  nicht  wirk¬ 
sam  gemacht  werden  könnte,  wurde  dieselbe  mit  Wasser  so 
weit  verdünnt,  dass  eine  2  72%ige>  Glycerin  und  Wasser  zu 
annähernd  gleichen  Theilen  enthaltende  Phenollösung  entstand. 
Diese  Lösung  zeigte  sich  nun  merkwürdiger  Weise  im  Des- 
infectionsversuche  wirksam,  ebenso  wie  die  auf  die  Hälfte  mit 
Wasser  verdünnte  10%'ge  Carbolglycerinlösung.  Brachte  man 
jedoch  die  10%ige  Carbolglycerinlösung,  anstatt  sie  mit  Wasser 
zu  verdünnen,  durch  Glycerinzusatz  auf  eine  Concentration  von 
5%>  oder  die  5%ige  Carbolglycerinlösung  ebenso  auf  2,/2% 
Phenol,  so  war  nichts  mehr  von  einer  bactericiden  Wirkung 
innerhalb  der  Versuchsdauer  zu  bemerken. 

Man  sieht  also,  dass  dem  Wassergehalt  bei  niedrigen 
Carboiconcentrationen  eine  entscheidende  Rolle  zukommt.  Den¬ 
selben  jedoch  als  Grundbedingung  für  das  Eintreten  eines 
Desinfectionseffectes  verantwortlich  zu  machen,  geht  wegen  der 
Wirksamkeit  der  10%igen  Carbolglycerinlösung  nicht  an. 
Allerdings  ist  auch  hier  zu  bedenken,  dass  nicht  völlig  wasser¬ 
freies  Glycerin  im  Versuche  stand,  und  dass  der  AVassergehalt 
im  10%igen  Carboiglycerinversuch  immerhin  8%  betrug.  Wir 
kommen  bei  der  Erörterung  der  Ergebnisse  abermals  auf  diese 
Verhältnisse  zurück. 


Tabelle  III. 


-f-  Wachsthum,  ■ —  Sterilität. 


Einwirkungsdauer  in  Minuten 

Ver¬ 

dün¬ 

nung 

5 

10 

15 

30 

45 

60 

Roines  Glycerin . 

I 

4- 

4- 

+ 

4- 

+ 

4- 

-f  2-5%  Carhol . 

11 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

98°/n  Glycerin . 

I 

4- 

4- 

+ 

4- 

4- 

4- 

+  2-5 %  Carbol . 

11 

4- 

+ 

4- 

+ 

4- 

4- 

96°/o  Glycerin . 

I 

4- 

4- 

4- 

+ 

4- 

4- 

-f  2-5%  Carbol . 

11 

4~ 

+ 

4- 

4- 

4- 

— 

94%  Glycerin . 

I 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

+ 

4-  2‘5%  Carbol . 

II 

+ 

4- 

+ 

4- 

— 

— 

90n/0  Glycerin . 

I 

4- 

4- 

4- 

4- 

4- 

4~ 

4-  2-5%  Carbol . 

II 

4- 

4- 

+ 

— 

— 

— 

80n/o  Glycerin . 

I 

4- 

4- 

— 

— 

— 

— 

-j-  Z’5 °/0  Carbol . 

11 

+ 

— 

— 

— 

— 

— 

70°  n  Glycerin  . 

I 

+ 

— 

— 

— 

— 

— 

4-  2  ö°/0  Carbol . 

II 

— 

— 

— 

— 

— 

60"/0  Glycerin . 

I 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

+  2*5°/0  Carbol  ....... 

II 

Dass  dem  Wassergehalte  eine  entscheidende  Rolle  zu¬ 
kommt,  zeigt  uns  der  in  Tabelle  III  veranschaulichte  A  ersuch. 
Wir  sehen  hier,  dass  mit  steigendem  Wassergehalte  die  Des- 
infectionskraft  des  Carbois  wächst;  ferner,  dass  ein  A\  assergehalt 
von  10%  noch  nicht  genügt,  um  eine  Desinfectionswirkung  des 


684 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


Carbols  hervorzubringen,  selbst  angenommen,  dass  unser  »reines 
Glycerin«  wirklich  vollwerthig  wäre  und  wir  durch  den  Zu¬ 
satz  der  wässerigen  Bacterienemulsion  nicht  auch  noch  Wasser 
hinzubringen  würden.  Die  oben  erwähnten  diesbezüglichen  Er¬ 
mittlungen  müssen  hier  nun  in  Rechnung  gezogen  werden. 
Wir  haben  die  auf  »reines  Glycerin«  bezogenen  Zahlen  der 
Tabelle  III  dahin  zu  corrigiren,  dass  wir  in  jedem  Falle 
einem  um  8%  höheren  Wassergehalt  anzunehmen  haben,  da 
die  Tabelle  nur  die  experimentell  zugesetzten  Wassermengen 
verzeichnet.  Es  stellen  sich  also  die  Zahlen  so,  dass  wir  bei 

10  (18)%  Wasser  noch  keinen  Desinfectionseffect  des  Carbol- 
glycerins  verzeichnen,  bei  20  (28)%  und  30  (38)%  Wasser 
schon  eine  bedeutende  Üesinfectionswirkung  erreichen,  erst  bei 
50%  Wasser  aber  den  einer  wässerigen  Carbollösung  gleicher 
Concentration  gleichwerthigen  Desinfectionseffect  erzielen. 

Setzen  wir  zu  einer  wässerigen  Lösung  von  Carbol 
Eisenchlorid  hinzu,  so  sehen  wir  eine  charakteristische  Blau¬ 
färbung  auftreten,  die  Phenolreaction.  Wie  bekannt,  geht  die 
Reaction  mit  Eisenchlorid  in  alkoholischer  Lösung  nicht  vor 
siel».  In  ganz  analoger  Weise  verhält  sich  Glycerin;  wir  er¬ 
halten  auf  Zusatz  von  Eisenchlorid  in  Carboiglycerin  keine 
Blaufärbung,  sondern  olivgrüne  und  gelbliche  Töne. 

Es  drängt  sich  nun  naturgemäss  die  Frage  auf,  warum 
wohl  das  Carboiglycerin  —  in  gewissen  Concentrationen  wenig¬ 
stens  und  bezogen  auf  gewisse  Zeiten,  in  unseren  Versuchen 
also  eine  Stunde  —  nicht  bacterientödtend  wirkt,  während 
den  gleichen  Concentrationen  wässeriger  Lösung  diese  Eigen¬ 
schaft  zukommt. 

Man  könnte  vielleicht  annehmen,  dass  es  die  hohe 
Viscosität,  die  Zähflüssigkeit  des  Glycerins  sei,  die,  eine  gute 
Vertheilung  des  Phenols  im  Glycerin  erschwerend,  einzelne 
Bacterien  vor  der  Desinfection  schützt. 

Um  diesen  Einwand  zu  beseitigen,  war  es  nothwendig, 
eine  Flüssigkeit  zu  besitzen,  die  bei  gleichem  Carbolgehalt 
mindestens  denselben  Viscositätsgrad  haben  musste  als  unser 
beim  Versuche  angewendetes  Carboiglycerin. 

Diesen  Bedingungen  entsprach  eine  eingedickte  Gummi¬ 
lösung,  welche  mit  Carbolsäure  versetzt  wurde.  Der  Viscositäts¬ 
grad  dieser  Gummilösung,  sowie  jener  der  zum  Parallelversuch 
verwendeten  gleich  procentuirten  Carbolglycerinlösung  wurde 
vor  dem  Desinfectionsversuch  festgestellt 

Unter  Viscositätsgrad  oder  specifischer  Viscosität  ver¬ 
stehen  wir  jene  Verhältnisszahl,  welche  uns  angibt,  wie  viel 
Male  mehr  Zeit  eine  Flüssigkeit  braucht,  um  aus  einer  Oeff- 
nung  auszufliessen,  als  eine  gleich  grosse  Menge  Wasser.  Es 
sind  zur  Bestimmung  dieser  Zahl  Apparate  der  verschiedensten 
Construction  angegeben  worden,  welche  unter  genauer  Berück¬ 
sichtigung  der  Temperatur  und  vorgeschriebenen  Ausfluss¬ 
grössen  die  Bestimmung  vorzunehmen  gestatten. 

Uns  stand  ein  derartiges  Instrument  nicht  zur  Ver¬ 
fügung,  wir  konnten  uns  jedoch  mit  einem  improvisirten  voll¬ 
ständig  zufrieden  geben,  da  es  sich  ja  nicht  um  Bestimmung 
absoluter  Grössen,  sondern  nur  um  Gewinnung  von  Vergleichs¬ 
zahlen  handelte.  Um  gegen  uns  zu  experimentiren,  wählten 
wir  absichtlich  einen  Viscositätsgrad,  der  den  des  Carboiglycerins 
um  ein  Beträchtliches  übertraf.  Die  mit  unserem  Instrumente 
vorgenommene  auf  Wasser  als  Einheit  bezogene  Viscositäts- 
gradbestimmung  ergab  für  das  Carboiglycerin  25  66,  für  die 
Gummilösung  105'66°,  also  übertraf  der  Viscositätsgrad  letzterer 
den  des  Carboiglycerins  um  mehr  als  das  Vierfache.  Dessen¬ 
ungeachtet  war  im  2'/2%igen  Carbolgummi  unser  Staphy¬ 
lococcus  nach  5'  abgetödtet,  während  er  im  2’/2%igen  Carbol- 
glycerin  sich  noch  nach  einer  Stunde  als  lebensfähig  erwies. 

Die  Gummilösung  ohne  Carbolzusatz  wirkte  nicht  bac- 
tericid. 

Es  konnte  also  nicht  der  Viscositätsgrad  sein,  der  den 
Aureus  vor  der  Vernichtung  bewahrte. 

Eine  andere  mögliche  Annahme  wäre  nun  des  Weiteren 
die,  dass  durch  das  Glycerin  vermöge  seiner  wasserentziehenden 

11  ähigkeit  die  Membranen  von  Bacterien,  welch  letztere  gegen 
Wasserentziehung  natürlich  nicht  so  empfindlich  sein  dürfen 
als  es  der  Choleravibrio  ist,  in  einen  Zustand  der  Härtung 
oder  Schrumpfung  übergeführt  würden,  welcher  das  Eindringen 


von  chemischen  Agentien  im  Vergleiche  zum  normalen,  ge¬ 
quollenen  Zustande  erschwert.  Es  wird  nicht  leicht  sein,  dieser 
Frage  experimentell  näher  zu  treten,  da  man  bei  Wasser¬ 
zusatz  immer  wird  dem  Einwand  Rechnung  tragen  müssen, 
dass  nun  eben  durch  den  Wasserzusatz  der  Zustand  der 
Härtung  oder  Schrumpfung  so  weit  aufgehoben  werden  kann, 
dass  das  Eindringen  des  Desinficiens  wieder  möglich  ge¬ 
worden  ist. 

Für  die  analogen  Ergebnisse  mit  Oel  und  Alkohol  fand 
Koch  in  seiner  oben  citirten  Arbeit  auch  keine  befriedigende 
Erklärung.  Die  Quellung  der  Membranen  hält  er  für  das 
Desinficiens  nicht  für  nothwendig,  nachdem  auch  Carbol- 
därnpfe  selbst  bei  55°  C.  auf  trockene  Sporen  abtödtend 
wirkten.  Allerdings  ist  hiebei  als  weiterer  Factor  die  Wärme 
eingeschaltet,  und  vorzügliche  Arbeiten  —  wir  citiren  hier  nur 
die  schönen  Untersuchungen  PI  e  i  d  e  r’s  in  Grube  r’s  Labora¬ 
torium  —  haben  zur  Genüge  bewiesen,  dass  die  Einwirkungs¬ 
temperatur  die  Wirkung  der  Antiseptica  ausserordentlich  er¬ 
höhen  kann. 

Vielleicht  liegt  übrigens  in  der  lakonischen  Fassung  der 
Ergebnisse  Koch’s  der  Kernpunkt  der  Frage.  Koch  sagt: 
»In  Oel  oder  Alkohol  gelöst,  äusserte  die  Carbolsäure  auch 
nicht  die  geringste  desinficirende  Wirkung«.  Wie  Koch  selbst 
hervorhebt,  handelt  es  sich  dabei  um  wasserfreie  Lösungs¬ 
mittel,  eine  Angabe,  welche  wir  bezüglich  des  Oeles  selbst 
bestätigen  können  und  die  bezüglich  des  Alkohols  in  der 
Literatur  wiederholt  nachgeprüft  und  als  richtig  befunden 
wurde. 

Im  Sinne  der  neueren  Anschaungen  über  die  Bedingungen 
des  Eintretens  der  Desinfectionswirkung  haben  wir  uns  nach 
Krönig  und  Paul7)  vorzustellen,  dass  die  bactericide  Wir¬ 
kung,  welcher  der  Charakter  einer  Reaction  zukommt,  nur 
dann  zu  Stande  kommt,  wenn  das  Antisepticum  im  Lösungs¬ 
mittel  in  einem  Zustande  der  Dissociation  sich  befindet,  wenn 
also  der  zu  lösende  Körper  im  betreffenden  Lösungsmittel 
ganz  oder  theilweise  in  seine  Jonen  gespalten  werden  kann. 
Nach  Krönig  und  Paul  sind  Metallsalze,  in  Aether,  Alkohol 
oder  ähnlichen  Lösungsmitteln  gelöst,  ausserordentlich  wenig 
dissociirt,  demgemäss  ist  auch  ihre  Wirkung  auf  Bacterien 
nur  gering.  Ist  es  gezwungen,  das  Gleiche  auch  bezüglich  der 
Carbolglycerinlösung  anzunehmen?  Erst  nach  reichlichem 
Wasserzusatze,  das  heisst  erst  dann,  wenn  ein  Lösungsmittel 
zugesetzt  wurde,  welches  die  Dissociation  ermöglicht,  tritt  die 
Wirkung  ein. 

Auch  dem  Gedanken  an  eine  directe  chemische  Ver¬ 
änderung  des  Phenols  durch  das  Glycerin  müsste  man  Raum 

geben. 8) 

Wir  sind  also  zur  Annahme  hingedrängt,  dass  sowohl 
in  der  5%igen,  als  auch  in  der  2'/2%igen  Carbolglycerinlösung 
Processe  vor  sich  gegangen  sind,  welche  —  seien  dieselben 
nun  chemischer  oder  molecularphysikalischer  Natur  —  die  in 
Frage  kommenden  Substanzen  derart  modificirt  haben,  dass  ein 
Desinfectionseffect  nicht  zu  erhalten  war.  Dass  hiebei  die  Ab¬ 
wesenheit  von  nennenswerten  Wassermengen  eine  Rolle  spielt, 
geht  daraus  hervor,  dass  wir  durch  Verdünnung  mit  Wasser 
aus  der  nicht  desinffeirenden  5%igen  Carbolglycerinlösung 
eine  2'/2%ige  Carboiglycerinwasserlösung  herstellen  können, 
welche  wieder  desinficirend  wirkt. 

7)  Zeitschrift  für  Hygiene.  1897,  Bd.  XXV. 

8)  Prof.  Loebisch  bemerkt  in  der  dem  Vortrage  folgenden  D  i  s- 
c  u  s  s  i  o  n,  dass  das  Verhalten  von  Eisenchlorid  zu  Carbolsäure  einen 
Einzelfall  der  sogenannten  Phenolreaction  bildet;  es  geben  nämlich  die 
Phenole  mit  Eisenchlorid  bald  violette,  bald  grüne,  bald  röthliche  Lösun¬ 
gen.  Aber  diese  Phenolreaction  hört  auf,  wenn  in  der  O  H-Gruppe  des 
Phenols  das  Wasserstoftatom  durch  ein  Alkoholradical  ersetzt  ist;  so  gibt 
z.  B.  weder  das  Anisol  C0  H5  .  O  .  C  H3  —  Phenylmethyläther  noch  das 
Phenetol  C6  H5  .  O  C2  H5  =  Phenyläthyläther  die  Violettfärbung  mit  Eisen¬ 
chlorid. 

Auch  die  toxische  Wirkung  der  O  H-Gruppe  wird  durch  solche  Sub¬ 
stitutionen  beeinflusst,  wie  zahlreiche  Beispiele  der  synthetischen  Darstellung 
von  Antipyreticis  lehren.  Demgemäss  darf  man  wohl  auch  in  diesem  Falle, 
wo  durch  die  Gegenwart  von  Glycerin  die  autiseplische  Wirkung  des 
Phenols  aufgehoben  wird,  annehmen,  dass  hier  eine  ätherartige  Bindung 
stattgefunden  hat,  umsomehr  als  beide  Körper  sehr  verbindungsfähige  Sub¬ 
stanzen  darstellen,  wie  dies  die  leichte  Entstehung  der  Glycerinphosphor¬ 
säure,  Glycerinschwefelsäure  namentlich  für  das  Glycerin  beweist. 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


685 


Für  die  Praxis  wird  sich  empfehlen,  Carbol  in  Ver¬ 
bindung  mit  Glycerin  als  Antisepticum  nur  so  zu  verwenden, 
dass  man,  wenn  Carbol  in  reinem,  das  heisst  unverdünntem 
Glycerin  gelöst  wird,  Concentrationen  von  mindestens  10%  in 
Anwendung  bringt,  bei  niedrigeren  Concentrationen,  z.  B.  5%> 
aber  das  Glycerin  ana  partes  mit  Wasser  zu  verdünnen  hätte. 
In  diesem  Falle  ist  der  Desinfectionswerth  dem  der  rein 
wässerigen  Lösung  vollkommen  gleich,  während  sich  der¬ 
selbe  bei  über  50%  steigendem  Glyceringehalte  proportional 
ungünstiger  gestaltet. 


Aus  der  geburtshilflich-gynäkologischen  Klinik  (Professor 
Ehrendorfer)  in  Innsbruck. 

Bericht  über  22  Fälle  von  künstlicher  Unter¬ 
brechung  der  Schwangerschaft. 

Von  Dr.  Josef  V.  Braitenberg,  Assistent  der  Klinik. 

Die  künstliche  Unterbrechung  der  Schwangerschaft,  um 
gleichzeitig  bestehende  und  lebensbedrohliche,  nicht  anders  zu  be¬ 
seitigende  Krankheitserscheinungen  der  Mutter  zu  beheben, 
ist  schon  seit  längerer  Zeit  als  ein  vollberechtigter  Eingriff 
anerkannt  worden.  Nicht  so  verhält  es  sich  mit  der  künst¬ 
lichen  Einleitung  der  Frühgeburt,  welche  zur 
Rettung  des  kindlichen  Lebens  in  Fällen  unternommen 
wird,  wo  man  entweder  von  vornherein  nach  dem  aufgenom¬ 
menen  Befunde,  oder  nach  den  bei  vorausgegaugenen  Geburten 
gemachten  Erfahrungen  annehmen  muss,  dass  das  Kind  am 
normalen  Schwangerschaftsende  nur  höchst  unwahrscheinlich 
lebend  zur  Welt  gebracht  werden  kann.  Während  in  dem 
ersten  Falle  kein  anderes  Verfahren  gewählt  werden  kann, 
stellt  im  letzteren  die  künstliche  Frühgeburt  eine  Concurrenz- 
operation  zur  Sectio  caesarea  und  (seit  den  letzten  Jahren)  zu 
der  schon  einmal  fast  verschollenen  Symphyseotomie  vor, 
welche  beide  Operationen  zwar  eine  bessere  Prognose  für  das 
Leben  der  Kinder,  hingegen  eine  schlechtere  für  das  der 
Mütter  geben.  Da  bei  diesen  Operationen  zwei  Leben  in  Frage 
kommen  und  heute,  sowohl  in  ärztlichen  Kreisen,  wie  auch 
bei  Laien,  dem  mütterlichen  Leben  wohl  allgemein  eine  höhere 
Werthschätzung  zu  Theil  wird,  als  dem  kindlichen,  so  wird 
man  zur  Beurtheilung  der  Zweckmässigkeit  eines’  derartigen 
Verfahrens  die  erzielten  Resultate  der  einen  Operation  mit 
denen  der  anderen  sorgfältig  vergleichen  müssen,  wozu  die 
Heranziehung  eines  möglichst  grossen  statistischen  Materiales 
nöthig  ist.  Deshalb  hat  die  Mittheilung  selbst  einer  relativ 
kleinen  Anzahl  von  Fällen  schon  in  dieser  Richtung  einen 
bestimmten  Werth. 

Die  Mortalität  der  Mütter  nach  Fhnleitung  der  künst¬ 
lichen  Frühgeburt  betrug  nach  einer  Zusammenstellung  von 
Kehrer  (1891)  im  Durchschnitt  14‘2%,  indem  selbe  zwischen 
0 — 50%  schwankte.  Dabei  entfiel  ein  grosser  Theil  der  zu¬ 
sammengestellten  Fälle  auf  die  vorantiseptische  Zeit.  Heute 
bewegt  sich  die  Mortalität  um  2%- 

Die  Mortalität  der  Mütter  nach  dem  conservativen  Kaiser¬ 
schnitt  war  noch  vor  Sänger  eine  fast  absolute,  aber  auch 
heute  schwankt  sie  noch  zwischen  8 — 10%-  Nach  Grusdew’s 
Angabe  beträgt  die  Mortalität  für  die  Symphyseotomie  nach 
einem  ziemlich  grossen  statistischen  Materiale  über  11%.  Sie 
ist  also  noch  höher,  als  die  der  Sectio  caesarea,  welche  doch 
mehr  leistet  und  eine  universellere  Anwendbarkeit  hat. 

Soviel  steht  übrigens  fest,  dass  zahlreiche  Geburtshelfer, 
welche  sich  mit  warmem  Interesse  der  Symphyseotomie  ange¬ 
nommen  hatten,  dieselbe  nach  schlechten  Erfahrungen  wieder 
aufgegeben  haben.  Dazu  kommt  noch,  dass  die  Bedingungen 
und  Indicationen  dieser  Operation  einen  verhältnissmässig  be¬ 
schränkten  Wirkungskreis  derselben  gestatten.  An  der  hiesigen 
Klinik  wurde  seit  deren  Leitung  durch  Herrn  Ehrendorfer 
die  Symphyseotomie  nur  einmal,  und  zwar  mit  gutem  Erfolge 
für  Mutter  und  Kind,  ausgeführt.  Doch  wählen  wir  bei  Miss- 
verhältniss  zwischen  Kopf  und  Becken  fast  immer  nur  zwischen 
Einleitung  der  Frühgeburt  und  Sectio  caesarea  am  normalen 
Schwangerschaftsende. 


Der  Procentsatz  der  Kinder,  welche  nach  Einleitung  der 
Frühgeburt  lebend  mit  den  Müttern  die  Anstalten  verlassen, 
wäre  im  Vergleich  zu  den  Resultaten,  die  beim  Sichselbstüber- 
lassen  solcher  Fälle  herauskommen,  ein  hoher  zu  nennen, 
bleibt  jedoch  natürlich  gegenüber  den  Erfolgen  nach  Kaiser¬ 
schnitt  erheblich  zurück.  Würde  man  (wie  Skorscheban) 
Erkundigungen  über  das  weitere  Schicksal  solcher  Kinder  ein¬ 
ziehen,  so  käme  man  zu  recht  traurigen  Erfahrungen.  Es  wäre 
jedoch  unrecht,  dies  Alles  der  Methode  zur  Last  zu  legen. 
Wir  dürfen  nicht  vergessen,  aus  welchen  socialen  Kreisen  sich 
die  Hauptmasse  unseres  Beobachtungsmateriales  zusammen¬ 
setzt,  sondern  müssen  bedenken,  dass  auch  eine  grosse  Zahl 
von  reif  und  spontan  zur  Welt  gekommenen  Kindern  durch 
Sorglosigkeit  der  Mütter  und  Pflegerinnen  zu  Grunde  gehen. 

Im  Ganzen  haben  wir,  wie  sich  aus  beifolgender  Tabelle 
ergibt,  über  22  Fälle  von  künstlicher  Unterbrechung  der 
Schwangerschaft  zu  berichten.  Diese  vertheilen  sich  auf 
7472  Geburten  (Juli  1887  bis  heute).  Die  Gesammtfrequenz 
dieses  Eingriffes  beträgt  somit  0'29%. 

Ali t  besonderer  Berücksichtigung  des  mütterlichen 
Lebens  wurde  die  Schwangerschaft  in  acht  Fällen  unterbrochen, 
und  zwar  bei  drei  Erst-,  zwei  Zweit-,  einer  Viert-,  einer 
Neunt-  und  einer  Zehntgeschwängerten.  Drei  Wochenbetten 
verliefen  afebril,  bei  fünf  war  es  febril.  Von  den  Wöchnerinnen 
starb  eine  an  septischer  Peritonitis  sieben  Tage  post  partum, 
eine  andere  zwei  Monate  später  auf  der  medicinischen  Klinik 
an  Lungentuberculose.  Zweimal  wurde  die  Schwangerschaft 
mittelst  Cervixtamponade,  zweimal  mit  Bougies  und  viermal 
mittelst  Eihautstiches  unterbrochen,  und  zwar  einmal  in  der  25., 
zweimal  in  der  26.,  dreimal  in  der  28.  und  zweimal  in  der 
32.  Schwangerschaftswoche. 

Mit  besonderer  Berücksichtigung  des  kindlichen 
Lebens  wurde  in  14  Fällen  die  Schwangerschaft  unterbrochen, 
also  die  künstliche  Frühgeburt  eingeleitet,  und  zwar  in  vier 
Fällen  von  einfach  plattem  Becken  mit  einer  Conju- 
gata  vera  von  7'2 — 8  (im  Durchschnitt  7'7),  dann  in  vier 
Fällen  von  allgemein  verengtem,  platt- rachiti¬ 
schem  Becken  mit  einer  C.  v.  von  6  7 — 9  (im  Durchschnitt 
7-57),  in  fünf  Fällen  von  allgemein  gleichmässig 
verengtem  Becken  mit  einer  C.  v.  von  7'7 — 8'8  (im 
Durchschnitt  8*06),  endlich  in  einem  Falle  von  habituellem 
Absterben  der  Frucht.  Es  handelte  sich  ferner  um  vier 
Erst-,  fünf  Zweit-,  vier  Dritt-  und  eine  Sechstgeschwängerte. 
Bei  im  Ganzen  16  vorausgegangenen  Geburten  (einmal 
fehlten  nähere  Angaben  diesbezüglich)  waren  14  todte  (87‘5%) 
und  zwei  lebende  Kinder  (12’5%)  zur  Welt  gekommen.  Unter 
diesen  zwei  lebenden  Kindern  ist  jedoch  eines,  welches  durch 
Einleitung  der  Frühgeburt  ausserhalb  der  Anstalt  zur  Welt 
kam.  Rechnen  wir  dieses  ab,  so  entfallen  auf  die  früheren  15 
sich  selbst  überlassenen  Geburten  93%  todte  und  7%  lebende 
Kinder.  Bei  den  von  uns  vorgenommenen  Einleitungen  der 
Frühgeburt  wurden  acht  Kinder  (57%)  lebend  geboren,  von 
welchen  sieben  Kinder  (50%)  am  13. — 21.  Tage  post  partum 
lebend  mit  den  Müttern  die  Anstalt  verliessen.  Die  Chancen 
der  Kinder  bei  spontaner  und  bei  künstlicher  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft  würden  sich  also  verhalten  wie  7  :  50 
oder  1  :  7.  Die  Wochenbetten  waren  elfmal  afebril,  dreimal 
(21’5%)  febril.  Sämmtliche  Mütter  genasen,  Mortalität  0%. 
Elfmal  waren  zu  Beginn  der  Geburt  Kopflagen  (78'5%),  drei¬ 
mal  Beckenendlagen  (215%)  vorhanden.  Sechs  Geburten  er¬ 
folgten  spontan  (42-8%),  bei  acht  waren  operative  Eingriffe 
(57'2%)  nöthig.  Eingeleitet  wurde  die  Frühgeburt  zweimal 
durch  Bäder,  viermal  durch  Cervixtamponade,  einmal  durch 
Kolpeuryse,  zweimal  durch  Bougirung  und  fünfmal  durch  den 
Eihautstich.  Die  Geburt  selbst  erfolgte  zweimal  in  der  35., 
viermal  in  der  36.,  zweimal  in  der  37.,  dreimal  in  der  38., 
einmal  in  der  39.  und  zweimal  in  der  40.  Schwangerschafts¬ 
woche. 

Bei  der  Bestimmung  der  Schwange  r  schaft  s- 
zeit  berücksichtigten  wir  stets  die  anamnestischen  Daten, 
wenn  sich  dieselben  in  Uebereinstimmung  mit  dem  objectiven 
Befunde  (Stand  des  Uterus,  Grösse  und  Form  des  Bauches, 
Verhältnisse  der  Portio  vaginalis)  bringen  liessen.  Der  Messung 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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der  Frucht  nach  Ahlfeld  sowie  dem  Miiller’schen  Im¬ 
pressionsverfahren  legen  wir  keinen  wesentlichen  Werth  bei. 
Wohl  aber  wurde  neben  genauer  Messung  und  Austastung 
des  Beckens  der  Eindruck  von  der  Grösse  und  Härte  des 
Kopfes,  den  wir  schätzungsweise  bei  der  Palpation  von  aussen 
und  bei  bimanueller  Abtastung  gewannen,  prognostisch  ver- 
werthet,  ein  Verfahren,  welches  bei  Schwangeren  häutig  geübt, 
das  Urtheil  des  Geburtshelfers  mit  der  Zeit  wesentlich  in  dieser 
Richtung  schärft. 

Bezüglich  des  Werth  es  der  hauptsächlichsten 
und  seit  längerer  Zeit  geübten  einleitenden  Methoden  — 
des  Blasenstiches,  der  Bougirung,  sowie  der  vaginalen  und  intra¬ 
uterinen  Kolpeuryse  —  herrschen  noch  vielfach  differente 
Meinungen.  Sicher  ist  es,  dass  eine  Methode  allein  nicht  in 
allen  Fällen  zum  Ziele  führt,  und  man  vielfach  andere 
Methoden  zur  Unterstützung  heranziehen  muss.  Darum  wurden 
auch  in  der  letzten  Zeit  neue  Mittel  ersonnen,  sowie  alte 
Methoden  wieder  aufgegriffen.  Nach  unseren  eigenen  Erfah¬ 
rungen  möchten  wir  die  Krause’sche  Methode  der  Ein¬ 
führung  von  Bougies  bei  ungleichmässig  verengtem  Becken¬ 
eingang  für  die  beste  halten.  Den  Eihautstich  halten  wir  für 
das  allgemein  gleichmässig  verengte  sowie  auch  bei  normalem 
Becken  für  angezeigt,  wenn  der  vorliegende  Fruchttheil  vor¬ 
aussichtlich  den  Beckeneingang  so  abzuschliessen  vermag,  dass 
ein  Vorfall  der  Nabelschnur  nicht  zu  besorgen  ist.  Dabei  legen 
wir  Gewicht  darauf,  dass  die  Eröffnung  der  Blase,  die  wir  mit 
einer  langen  und  feinen,  etwas  gekrümmten  Korn¬ 
zange  oder  Hakenpincette  vornehmen,  wenn  möglich 
etwas  ober  dem  Bereiche  des  Muttermundes  erfolge,  wonach 
öfters  durch  einige  Zeit-  noch  eine  Fruchtblase  erhalten  bleibt. 
Ebenso  empfehlen  wir  den  Blasenstich  für  alle  Indicationen 
wegen  Lebensgefahr  der  Mutter,  nicht  nur  in  Berücksichtigung 
der  eigenen,  sondern  auch  der  Resultate  der  Wiener  Schule, 
nachdem  derselbe  mit  geringerer  Gefahr  für  die  Mutter  ver¬ 
bunden  ist  und  ihm  eine  sicherere  Wirksamkeit  zukommt,  als 
anderen  Methoden.  Den  Kolpeurynter  lassen  wir  intrauterin 
unterstützend  einwirken,  wenn  wir  mit  einer  der  beiden  vorigen 
Methoden  nicht  schnell  genug  zum  Ziele  kommen  und  würden 
ihn  gleich  von  vornherein  in  Anwendung  bringen  in  Fällen 
von  Blutungen  bei  Tiefsitzen  der  Placenta,  sowie  bei  Eklampsie. 
Ueber  die  Krause’sche  Methode  spricht  sich  neuerdings  auch 
B  i  e  r  m  e  r  sehr  lobend  aus,  während  K 1  e  i  n  h  a  n  s  und 
Schulz  die  Anwendung  des  Kolpeurynters  warm  befürworten. 
Als  vorbereitende  Methoden  wurden  Voll-  und  Sitzbäder,  Vagi- 
naldouchen,  Tamponade  der  Vagina,  sowie  vielfach  die  Glycerin- 
Jodoformgazetamponade  des  Cervix  geübt,  welche  in  verein¬ 
zelten  Fällen  allein  genügten,  um  Wehen  anzuregen. 

Die  Indicationen  zur  künstlichen  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft  zerfallen  in  zwei  Gruppen: 

1.  Anzeigen  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  mütter¬ 
lichen  Lebens  (Fall  1 — 8), 

2.  Anzeigen  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  kind¬ 
lichen  Lebens  (Fall  9 — 22). 

Bei  den  unter  1  zu  subsumirenden  Fällen,  die  sich  meist 
mit  der  Einleitung  der  künstlichen  Fehlgeburt 
identiticiren,  handelte  es  sich  zweimal  um  ein  absolut  verengtes 
Becken,  beide  Male  bei  derselben  Person,  welche  den  in  Aussicht 
gestellten  Kaiserschnitt  verweigert  hatte,  wobei  sie  leider  das  zweite 
Mal  einer  septischen  Endometritis-Peritonitis  zum  Opfer  fiel. 

Vielleicht  wäre  in  diesem  Falle  die  Infection  ausgeblieben, 
wenn  damals,  unseren  jetzigen,  oben  entwickelten  Principien  gemäss, 
nachdem  man  auf  das  Kind  keine  Rücksicht  zu  nehmen  brauchte, 
statt  der  Einführung  der  wahrscheinlich  nicht  hinlänglich  desinficir- 
ten  Bougies  der  Eihautstich  gewählt  worden  wäre.  Interessant  auch 
in  forensischer  Hinsicht  ist  das  in  diesem  Falle  von  der  Frucht  ge¬ 
wonnene  Präparat,  welches  noch  im  hiesigen  gerichtlich-medicinischen 
Institute  aufbewahrt  ist  und  mir  von  Herrn  Prof.  Ipsen  freund¬ 
licher  Weise  mit  erläuternden  Bemerkungen  demonstrirt  wurde.  Es 
befand  sich  nämlich  am  linken  Scheitelbein,  circa  1  ein  links  von  der 
Pfeil-  und  fast  ebenso  weit  von  der  Kranznaht  entfernt,  in  der  Haut 
ein  circa  erbsengrosser,  von  unregelmässigen  Rändern  umgrenzter 
Substan/.verlust,  der  bis  aufsPeriost  reicht;  die  Hautränder  sind  von 


einem  nekrotischen  Saum  umgeben.  Eine  ähnliche  Stelle  findet  sich 
noch  über  der  grossen  Fontanelle,  jedoch  weniger  ausgeprägt.  Diese 
an  den  zarten  Weichtheilen  des  fötalen  Schädels 
augenscheinlich  durch  Druck  erzeugten  Verän- 
d  erun  g  enwaren  d  u  rch  j  e  e  i  n  e  an  zwei  aufeinanderfolgenden 
Tagen  eingeführte  Bougie  hervorgebrac  li  t,  von  welchen  die 
erste  18  und  die  zweite  7  Stunden  gelegen  war. 

Die  Bougies  waren,  wie  man  schon  aus  diesem  Befunde  an¬ 
nehmen  kann  und  wie  es  auch  aus  dem  betreffenden  Journal  hervor¬ 
geht,  bei  erster  Schädellage  nach  hinten  zu  eingeführt  worden, 
konnten  jedoch,  wie  dort  vermerkt  ist,  nur  soweit  ohne  Gewalt  vor¬ 
geschoben  werden,  dass  noch  ein  10  cm  langes  Stück  aus  der  Vagina 
herausragte. 

Die  ziemlich  dicke  Bougie  musste  nun  bei  dem  an  sich  schon 
absolut  verengten  Becken  die  Conjugata  vera  noch  um  mehrere 
Millimeter  verkürzen  und  hat,  nachdem  sie  zwischen  Kopf  und 
Promontorium  zu  liegen  kam,  durch  Usur  und  nachfolgende  Nekrose 
die  beiden  Substanzverluste  hervorgebracht. 

Einmal  (Fall  3)  war  Hydramnion  bei  eineiigen  Zwillin¬ 
gen  mit  hochgradigen  Respirations-  und  Circulationsbe- 
schwerden  der  Grund  zur  Einleitung  der  Fehlgeburt.  In  drei  Fällen 
(Fall  4,  5  und  6)  handelte  es  sich  um  schwere  Nephritis 
gravidaru  m.  In  einem  dieser  Fälle  complicirte  ein  E  r  y  s  i  p  e  1, 
ausgehend  von  einem  scarilicirten  ödematösen  Labium,  das  Wochen¬ 
bett,  war  jedoch  in  14  Tagen  geheilt,  doch  wurde  die  Nephritis  trotz 
weiterer  mehrmonatlicher  Behandlung  auf  der  medicinischen  Klinik 
nur  zur  Besserung  gebracht.  Der  nächste  Fall  war  mit  Lungen- 
tuberculose  complicirt,  welcher  die  Person  zwei  Monate  nach 
der  Geburt  ausserhalb  unserer  Anstalt  erlag.  Im  dritten  Falle  erfolgte 
post  partum,  bei  afebrilem  Wochenbett,  gänzliche  Heilung  der 
Nephritis  mit  ihrem  subjectiven  und  objectiven  Erscheinungen. 

Einmal  (Fall  7)  war  wegen  unstillbarer  Blutungen 
die  Frühgeburt  eingeleitet  worden.  Die  Blutverluste  hatten  vier 
Wochen  gedauert  und  waren  auf  andere  Weise  nicht  zu  stillen  ge¬ 
wesen.  Dieser  Fall  ist  durch  besonders  hartnäckige  Wehen- 
losigkeit  bemerkenswerth,  da  auch  nach  combinirter  Wendung 
und  zwölfstündigem  Gewichtszug  am  herabgeholten  Fusse  noch 
immer  keine  Wehen  eingetreten  waren,  so  dass  nach  vergeblichen 
Extractionsversuchen  bei  für  kaum  mehr  als  einem  Finger  offenem 
Muttermunde  die  Embryotomie  mittelst  der  B  o  e  r’schen 
Knochenzange  ausgeführt  werden  musste. 

Die  Ursache  der  Blutungen  war  bei  der  stückweise  entfernten 
Frucht  und  Nachgeburt  nicht  sicher  nachzuweisen,  doch  nahmen  wir 
vermuthungsweise  vorzeitige  Placentalösung  an.  Die  Blutverluste 
haben  hierauf  nach  afebrilem  Wochenbett  vollständig  aufgehört. 

Ein  besonderes  Interesse  dürfte  Fall  8  wegen  seiner  »Seltenheit 
bieten.  In  der  mir  zugänglichen  geburtshilflichen  Literatur,  bei  deren 
Durchmusterung  ich  mich  mehrfach  mit  Referaten  begnügen  musste, 
konnte  ich  keinen  ähnlichen  Fall  entdecken.  Es  handelte  sich 
nämlich  um  eine  36jährige,  verheiratete  Zweitgeschwängerte,  die 
auf  der  hiesigen  dermatologischen  Klinik  wegen  Psoriasis  uni¬ 
versalis  mit  10%iger  Pyrogallussalbe  behandelt  worden 
war.  Die  der  Inunction  vorausgeschickte  Entfernung  der  Schuppen 
war  keineswegs  eine  so  exacte  gewesen,  dass  ausgedehnte  Substanz¬ 
verluste  und  blutende  Stellen  resultirt  hätten,  auch  war  die  ganze 
Menge  der  verwendeten  Salbe  eine  relativ  nicht  sehr  grosse  ge¬ 
wesen,  es  war  im  Gegentheil  davon  weniger  als  bei  den  meisten 
anderen  Kranken  verwendet  worden.  Trotzdem  erkrankte  die  Person 
unter  der  Behandlung  am  3.  April  plötzlich  unter  sehr 
schweren  Erscheinungen,  die  wohl  kaum  auf  etwas 
Anderes  als  auf  Pyrogallussäu  re  Vergiftung  zurückgeführt 
werden  können.  Die  Symptome,  welche  so  unmittelbar  lebens¬ 
bedrohend  waren,  dass  eine  Wiedergenesung  unwahrscheinlich 
erschien,  bestanden  in  getrübtem  Sensorium,  aschfahler  Verfärbung 
der  Haut  mit  einem  Stich  ins  Gelbliche  —  auch  an  den  »Skleren  be¬ 
merkbar  (kein  Ikterus)  — ;  hochgradiger  Cyanose  und  Dyspnoe,  keine 
Krämpfe,  Puls  klein,  120.  Harn  schwarzbraun,  sauer,  specifischcs  Ge¬ 
wicht  1013,  enthält  etwas  Albumen,  aber  nicht  so  viel,  dass  im  Esbach 
ein  Niederschlag  entstünde;  keine  Cylinder,  keine  rothen  Blut¬ 
körperchen,  aber  reichliche  Plattenepithelien ;  keine  Hämoglobinurie. 
Herrn  Prof.  Rille,  der  mir  über  die  Kranke  eine  Reihe  von  Angaben 
in  liebenswürdigster  Weise  gemacht  hat,  bin  ich  zu  Dank  verpilichtet. 
Die  weitere,  im  hiesigen  chemischen  Institute  von  Herrn  Prof. 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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M  a  1  f  a  1 1  i  vorgenommene  Untersuchung  des  Harnes  ergab,  dass 
sich  Pyrogallussäure  selbst  in  ihm  nicht  nachweisen  liess,  und  war 
auch  die  Vermehrung  der  Aetherschwefelsäuren  gegenüber  der 
Sulfatschwefelsäure  keine  nennenswerthe.  Da  die  Erscheinungen,  wie 
schon  erwähnt,  äusserst  schwere  waren,  wurde  versucht,  dieselben, 
umsomehr  als  keine  kindlichen  Herztöne  mehr  nachweisbar  waren, 
vielleicht  durch  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  und  Entleerung 
des  Uterus  im  günstigen  Sinne  zu  beeini'lussen.  Die  Frau  wurde  auf 
die  gynäkologische  Klinik  transferirt,  dortselbst  wurde  am  nämlichen 
Tage  um  8  Uhr  Abends  der  noch  ganz  geschlossene  Cervix  mit 
Sänge  r’schen  Metallstiften  erweitert  und  die  Blase  gesprengt.  Am 
folgenden  Tage  um  4  Uhr  Morgens  setzten  die  Wehen  ein,  und  vier 
Stunden  später  erfolgte  die  spontane  Geburt  einer  weiblichen,  43  cm 
langen  macerirten  Frucht.  Die  Nachgeburt  musste  zwei  Stunden  post 
partum  manuell  gelöst  werden.  Nach  Entleerung  desUterus  trat  in  uner¬ 
wartet  rascher  Weise  Besserung  ein,  das  volle  Bewusstsein 
kehrte  wieder,  die  Cyanose  schwand  und  die  Athmung  wurde  wieder 
frei,  so  dass  die  Frau  bald  ausser  Lebensgefahr  war.  Das  Wochen¬ 
bett  wurde  durch  eine  kurz  dauernde  Endometritis  (Maximaltem¬ 
peratur  39,5°,  Puls  90)  complicirt,  die  Kranke  konnte  jedoch  nach 
14  Tagen  das  Bett  verlassen  und  suchte  zur  weiteren  Behandlung 
ihrer  Psoriasis  wieder  die  dermatologische  Klinik  auf.  Eine  nach¬ 
trägliche  (drei  Wochen  post  partum)  dort  vorgenommene  Unter¬ 
suchung  auf  Lues  fiel  vollständig  negativ  aus,  der  Urin  war  klar, 
hellgelb  und  frei  von  Eiweiss.  Die  Obduction  (Herr  Prof.  Pommer) 
der  Frucht  und  der  Nachgeburt  hatte  ergeben:  Obturirender,  zum 
Theile  ziemlich  fest  haftender  Thrombus  in  der  Nabelstrangvene  nahe 
der  Placentarinsertion,  äusseres  Kephalhämatom  am  rechten 
Scheitelbein,  zahlreiche  Hämorrhagien  unter  der  Pleura  der  beiden 
stark  hyperämischen  und  ödeinatösen,  stellenweise  auch  mehr  starr 
infiltrirten  Lungen.  Im  Herzen  dünnbreiige,  auffallend  Scharlach  rot  he 
Blutmassen.  Im  Uebrigen  bietet  die  Frucht  die  Zeichen  der  Maceration 
mässigen  Grades;  weder  an  ihr  noch  an  der  Nachgeburt  Anzeichen 
von  Lues. 

Wenn  wir  diesen  Fall  näher  betrachten,  so  fällt  uns  zu¬ 
nächst  die  schwere  Erkrankung  unter  einem  eigenthümlichen 
Symptomencomplex,  den  wir  kaum  auf  etwas  Anderes  als  auf  die 
Application  von  Pyrogallussäure  beziehen  können,  auf,  dann  scheint 
uns  nicht  minder  bemerkenswerth  der  prompte  Abfall  aller  Be¬ 
schwerden  nach  Entleerung  des  Uterus.  Die  Annahme,  dass  diese 
Symptome  durch  die  Maceration  der  Frucht  hervorgerufen  wurden, 
steht  mit  der  Höhe  der  Erscheinungen  in  gar  keinem  Einklänge. 

Wenngleich  die  Untersuchung  des  Harnes  keinen  positiven 
Nachweis  der  in  Frage  kommenden  Substanz  liefern  konnte,  was  ja 
keinen  Gegenbeweis  bildet,  so  sprach  schon  die  Erkrankung  im 
Laufe  der  Behandlung,  sowie  das  ganze  Krankheitsbild  für  eine  Ver¬ 
giftung.  Dass  gerade  diese  Frau  so  schwer  erkrankte,  während  ähn¬ 
liche  Erscheinungen  bei  anderen  an  Psoriasis  Erkrankten,  die  mit 
noch  grösseren  Quantitäten  der  Salbe  behandelt  worden  waren,  nicht 
auftraten,  vermag  vielleicht  die  gleichzeitig  bestehende1  Gravidität  zu 
erklären,  in  Folge  deren  man  an  erhöhte  Resorptionsfähigkeit  der 
Gewebe  einerseits  und  an  erschwerte  Ausscheidung  auf  renalem 
Wege  andererseits  (durch  Druck  des  schwangeren  Uterus  auf  die 
Ureteren)  denken  muss.  Oder  man  könnte  auch  eine  für  die 
Schwangerschaft  specifische  Intoleranz  gegen  das  Medicament  an¬ 
nehmen.  Man  kommt  gerade  in  diesem  Falle  in  Versuchung,  eine 
Parallele  zu  ziehen  mit  der  Schwangerschaftseklampsie,  die  ja,  wenn¬ 
gleich  ihr  Wesen  keineswegs  ganz  aufgeklärt  ist,  auch  vielfach  alseine 
Vergiftung  durch  nicht  zur  Ausscheidung  gelangte,  im  Blute  aufge¬ 
stapelte  schädliche  Substanzen  aufgefasst  wird.  Auch  hier  wird  man 
zu  dieser  Auflassung  gedrängt  durch  die  Beobachtung  von  dem  auf¬ 
fallend  raschen  Verschwinden  der  Krämpfe  nach  Beendigung  der 
Geburt. 

Die  Unterbrechung  der  Schwangerschaft  mit  besonderer  Be¬ 
rücksichtigung  des  kindlichen  Lebens,  also  die  eigentliche  »Ein¬ 
leitung  der  künstlichenFrühgeburt«,  wurde  in  14  Fällen 
(Fall  9—22)  ausgeführt.  13mal  war  die  Indication  enges  Becken 
(Fall  9  —  21).  Methoden  und  Erfolge  bieten  hier  nichts  Besonderes,  von 
den  durchschnittlichen  Erfahrungen  Anderer  Abweichendes,  und  er¬ 
gibt  sich  das  Nähere  ohne  Weiteres  aus  der  oben  berechneten 
Statistik,  sowie  aus  den  Aufzeichnungen  in  der  Tabelle.  Auch  wir 
können  constatiren,  dass  die  Fälle,  welche  nach  der  Einleitung  der 
Frühgeburt  nicht  spontan  beendet  werden  und  operative,  besonders 


intrauterine  Eingriffe  noting  machen,  für  die  Kinder  eine  auffallend 
schlechtere  Prognose  geben.  Ganz  speciell  sagt  auch  Chrobak’ 
dass  z.  B.  die  AVendung  in  Combination  mit  Frühgeburt  die  un¬ 
günstigsten  Resultate  gebe.  Hingegen  behauptet  P.  Müller,  bei  der 
wegen  Wehenschwäche  prophylaktisch,  und  zwar  bei  Mehrgebärenden 
mit  platt  verengtem  Becken  ausgeführten  Wendung  (nach  Braxton 
Hicks)  zufriedenstellende  Resultate  gehabt  zu  haben,  ln  einem 
Falle  (Fall  22)  führten  wir  die  Einleitung  der  Frühgeburt  wegen 
habituellen  Absterbens  der  Früchte  aus.  Es  handelte 
sich  um  eine  28jährige  Zimmermannsfrau,  die  das  sechste  Mal 
schwanger  war.  Bei  allen  fünf  vorausgegangenen  Geburten  waren 
ohne  äussere  Veranlassung  die  Früchte  um  die  36.-38.  Woche  intra¬ 
uterin  abgestorben,  und  bald  darauf  macerirt  geboren  worden.  Jedes 
Mal,  auch  jetzt,  war  sie  vom  selben  Mann  schwanger.  Weder  am 
Manne,  der  sich  selbst  in  der  Anstalt  vorstellte,  noch  an  der  Frau 
sind  anamnestisch  oder  nach  dem  Befunde  Zeichen  von  Lues  zu  er¬ 
heben.  Die  Frau  selbst  ist  seit  dem  16.  Lebensjahre  menstruirt  und 
bemerkte  seit  dieser  Zeit  »weissen  Fluss«.  Keine  Gonorrhoe.  Im 
Uebrigen  sieht  sie  gesund  aus  und  hat  ein  normales  Becken.  Harn 
eiweissfrei.  Keine  Oedeme.  Letzte  Menses  Anfangs  Juli  1899.  Erste 
Kindesbewegungen  am  12.  November.  Sic  ist  seit  22.  Februar  1900 
zur  Beobachtung  in  der  Anstalt,  welche  sie  diesmal  aufsuchte,  mit 
dem  Wunsche,  ein  lebendes  KimLzu  bekommen. 

Am  7.  März  gibt  sie  an,  dass  die  Kindesbewegungen  seit 
einigen  Tagen  schwächer  werden.  Dabei  sind  die  Herztöne  deutlich 
hörbar,  nur  bei  der  tagsüber  mehrmals  vorgenommenen  Auscultation 
weisen  sie  verschiedene  Intensität  auf,  ohne  dass  eine 
Layeveränderung  der  Frucht  zu  constatiren  gewesen  wäre.  Es  wird 
nun  am  8.  März  der  Blasenstich  vorgenommen,  worauf  nach 
38  Stunden  die  spontane  Geburt  eines  lebenden,  relativ  kräftigen 
Knaben  erfolgte,  der  ausser  den  Zeichen  der  Frühreife  keine  Ab¬ 
normitäten  zeigte,  ebensowenig  lässt  sich  an  der  Nachgeburt  mit 
freiem  Auge  etwas  Pathologisches  erkennen.  Das  Fruchtwasser  ver¬ 
mehrt,  rein.  Das  Kind  gedieh  an  der  Brust  einer  anderen  Wöch¬ 
nerin  (die  Mutter  hatte  Hohlwarzen)  sehr  gut,  verliess  lebend  mit  der 
Mutter  die  Anstalt,  und  befand  sich  auch  vier  Wochen  post  partum 
nach  der  damaligen  Angabe  des  Mannes  ganz  wohl.  Die  Unter¬ 
brechung  der  Schwangerschaft  wurde  in  der  38.  Woche  vorge¬ 
nommen. 

Wenn  wir  uns  in  eine  kurze  Epikrise  dieses  bemerkens- 
werthen  Falles  einlassen,  so  müssen  wir  zunächst  die  verschie¬ 
denen  möglichen  ätiologischen  Momente  in  Betracht  ziehen. 
Beim  habituellen  Absterben  der  Früchte  in  der  Früh  zeit 
der  Schwangerschaft  oder  sogenannten  »habituellen 
Abort«  ist  uns  das  Verständniss  für  Ursache  und  Wirkung 
leichter,  als  in  der  Spätzeit  der  Schwangerschaft.  V  on  der  ver¬ 
breitetsten  Ursache,  der  Syphilis,  sowie  auch  von  Traumen  ab¬ 
gesehen,  kommen  hier  ätiologische  Missbildungen,  Uterusdevia¬ 
tionen,  Wachsthumsbehinderungen  durch  Tumoren  oder  ander¬ 
weitige  Krankheiten  des  Uterus  oder  der  Nachbarorgane, 
hauptsächlich  Endometritis  chronica,  nach  Charpentier 
auch  Congestionen  sowie  Läsionen  des  Collum  und  Corpus 
uteri  in  Betracht.  Als  prädisponirendes  Moment  führt  ßöm- 
held  chronische  Obstipation  an.  Die  meisten  dieser  Ursachen 
werden  schon  eine  sehr  frühzeitige  Unterbrechung  der  Schwan¬ 
gerschaft  bewirken,  wenn  überhaupt  eine  solche  zu  Stande 
gekommen  ist.  Unklarer  ist  uns  das  Spätabsterben  nicht 
luetischer  Früchte,  das  meist  kurzweg  »habituelles  Ab¬ 
sterben  der  Frucht«  genannt  wird.  Simpson  führt 
unter  anderen  Ursachen  an;  von  Seiten  der  Mutter  chronische 
Nephritis,  acute  und  chronische  Krankheiten  der  verschieden¬ 
sten  Art,  Vergiftungen;  von  Seite  der  Placenta  Neubildungen 
in  derselben,  Entzündung  mit  Erkrankung  der  Gefässe  und 
des  Zwischengewebes,  Blutungen  in  die  Placenta.  Ganz  speciell 
macht  F  e  hl  i  n  g  darauf  aufmerksam,  dass  Nierenerkrankungen 
intrauterines  Absterben  der  Frucht  und  vorzeitige  Ausstossung 
des  Fötus,  ja  sogar  eine  Wiederholung  dieses  Vorganges  in 
verschiedenen  Schwangerschaften  zur  Folge  haben  können. 
Doch  stimmen  Mehrere  darin  überein,  dass  manchmal  keine 
Ursache  nachzuweisen  ist.  Vielleicht  ist  es  nicht  unzutreffend, 
an  dieser  Stelle  darauf  hinzuweisen,  dass  die  Bedeutung  des 
Fruchtwassers  für  das  Gedeihen  der  Frucht  in  qualitativer 


688 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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Verlauf  früherer 
Geburten 


Letzte  Regel, 
Empfängniss, 
erste  Kindes¬ 
bewegungen 


Frühere  Krankheiten  und  Befinden 
während  der  Schwangerschaft 


Indication  zur  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft 


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1 

30  Jahre 

1 

Ende  Mai 

lernte  erst  mit  sechs  Jahren  gehen,  und 

absolut  verengtes  Becken 

14  Dec. 

B  M. 

ledig 

Anfangs  Juni 

zwar  mit  Krücken,  später  ohne  selbe. 

(allgemein  verengtes,  pattes, 

641 

Magd 

? 

rachitisches),  25  5,  25,  30,  12; 

1892 

C.  d.  7,ö.  C.  v.  57.  Körper- 

19.  Dec. 

länge  101  cm\ 

2 

33  Jahre 

II 

erste  Geburt  ;Einleitung  der 

Anfangs  Nov. 

siehe  oben 

siehe  oben 

30.  Mai 

B.  M. 

ledig 

künstlichen  Fehlgeburt 

13.  November 

31.  Mai 

270 

Ladnerin 

(siehe  vorigen  Fall) 

? 

1895 

3 

37  Jahre 

IV 

erste  Geburt  Forceps  und 

25. — 28.  Dec. 

stets  gesund.  Seit  Mitte  April  rasches 

acutes  Hydramnion 

16.  Mai 

B.  J. 

verh. 

Placentalösung 

? 

Anwachsen  des  Bauches,  dabei  hoch- 

(Zwillinge)  mit  Respirations- 

284 

Bauers- 

zweite  und  dritte  Geburt 

? 

gradige  Athembeschwerden  und  Cyanose 

behinderung 

17.  Mai 

1898 

frau 

spontan,  Kinder  reif,  leben 

9  Uhr 
Vorm. 

4 

21  Jahre 

I 

— 

Mitte  Mai 

früher  gesund.  Seit  October  Anschwellen 

Nephritis  gravidarum 

13.  Dec. 

P.  M. 

ledig 

? 

des  Bauches,  Diarrhöen,  Oedeme, 

547 

Magd 

? 

Anasarka,  Hydrops  Ascites,  Albuminurie. 

1892 

Im  Harne  Cylinder  und  Blut 

16.  Dec. 

5 

37  Jahre 

IX 

achtmal  spontan  entbunden 

14.  — 17.  Oct. 

vor  20  Jahren  Rothlauf.  Wegen  Tuber- 

Nephritis  gravidarum 

27.  April 

F.  C. 

verh. 

? 

culose  des  rechten  Fusses  war  vor 

und 

256 

Schnei- 

? 

mehreren  Jahren  derselbe  bis  zur  Mitte 

28.  April 

1894 

dersgattin 

des  Unterschenkels  amputirt,  worden. 
Jetzt  verminderte  Urinmenge,  viel  Al- 

bumen  und  Cylinder  im  Harne. 

6 

22  Jahre 

1 

_ 

# 

Mitte  Juli 

vor  einem  Jahre  Gliedersucht  durch 

Nephritis  gravidarum 

9.  Februar 

B.  A. 

ledig 

? 

vier  Wochen,  hierauf  öfters  Athemnoth. 

42 

Tag- 

P 

Seit  Weihnachten  Anschwellen  der  Fiisse 

1900 

löhnerin 

und  des  Gesichtes,  sowie  unverhältniss- 

Gynäk. 

mässig  rasches  Wachsthum  des  Bauches. 

Klinik. 

Oedeme,  Ascites,  Anasarka,  1 0°/u0  Al- 

10.  Febr. 

bumen,  viele  Cylinder,  Harnmenge  stark 

11  Uhr 

vermindert 

Vorm. 

7 

37  Jahre 

X 

alle  neun  Geburten  spontan 

Ende  Oct. 

am  1.  Januar  Abgang  von  l  Flüssig- 

unstillbare  Blutungen 

3.  April 

Sch.M 

verh. 

und  normal.  Die  Kinder 

? 

keit  ähnlich  wie  bei  einer  Geburt.  Am 

178 

Bahn- 

leben  alle  bis  auf  eines 

Ende  Fehl-. 

28.  Februar  geringe  Blutung,  welche 

1900 

Wächters- 

sich  täglich  wiederholte,  und  auch  in 

gattin 

der  Anstalt,  wo  die  Frau  seit  20.  März 
ist,  trotz  Bettruhe,  Tamponade  etc.  nicht 

zu  beseitigen  sind 

4.  April 

5.  April 

8 

36  J  fibre 

II 

erste  Geburtspontan,  reifes 

? 

schon  vor  der  Schwangerschaft  an 

Pyrogallussäurevergif- 

3.  April 

P.  R. 

verb. 

Kind,  das  später  gestorben 

erste  Kindes- 

Psoriasis  gelitten,  welche  sich  während 

tung:  Aschfahle  Verfärbung  der 

8  Uhr 

99 

Magd 

bewegungen 

derselben  bedeutend  verschlimmerte. 

Haut,  trübes  Sensorium,  hoch- 

Abends 

1900 

am  10.  Febr.? 

War  auf  der  dermatologischen  Klinik 

gradige  Cyanose  und  Dyspnoe, 

Gynäk. 

? 

mit  I0°/Oiger  Pyrogallussalbe  behandelt 

Albuminurie  geringen  Grades. 

Klinik. 

worden 

Puls  klein,  120 

9 

34  Jahre 

III 

Nähere  Angaben  fehlen 

27.  August  bis 

? 

einfach  plattes  Becken.  Masse: 

22.  Juni 

Sch.  K. 

ledig 

1.  September 

27,  29-5,  33,  16  25;  C.  d.  94. 

316 

Köchin 

Mitte  Sept. 

C.  v.  7  6.  Körperläuge  144  ctu! 

1898 

Ende  Januar 

10 

27  Jahre 

11 

erste  Geburt  spontan. 

? 

angeblich  keine 

einfach  plattes  (rachitisches?) 

11.  Januar 

C.  M. 

ledig 

Sehr  grosses  Kind,  das 

? 

Becken .  27,  28,  32. 19*5 ;  C.  d .  9*8. 

553 

Tag- 

einige  Minuten  post  partum 

? 

C.  v.  8-0. 

1892 

löhnerin 

starb 

f  r.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


6S9 


Dauer  bis 

Geburtsverlauf, 
Kindeslage, 
Zeitpunkt  der  Geburt 
(?  Woche) 

Ausgang  für 

Methode 

zum  Wehen¬ 
beginne 

zum  Blasen¬ 
sprung 

zur 

Geburt 

die  Mutter 

das  Kind:  lebend? 
scheintodt?  todt? 
gestorben  ? 
Geschlecht?  Länge? 
Gewicht? 

Erweiterung  des  Cervix 
mit  Hegar  Stiften  und 
Cervixtamponade. 

1  Bougie 

wenige  Stunden  nach 
Einführung  der 
Bougie 

kurz  vor  der 
Geburt 

21.  Dec. 

zweite  Schädellage  spontan. 
28  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Mädchen,  lebend, 
nicht  lebensfähig, 

36  5  an,  829  g 

1  Bougie  18  Stunden, 

31.  Mai  10  Uhr 

1.  Juni  2  Uhr 

1.  Juni 

erste  Schädellage  spontan. 

an  septischer  Peritonitis 

Mädchen,  lebend, 

1  Bougie  7  Stunden 

Abends 

15  Minuten 
Nachmittags 
spontan 

2  Uhr 

15  Min. 
Nachm. 

26  Wochen. 

Schon  am  31.  Mai  begann 
intra  partum  das  Puerperal¬ 
fieber 

gestorben  am  7.  Juni 

nicht  lebensfähig, 
starb  nach  zwei 
Stunden.  35  cm, 

785  g 

Vollbäder,  Scheideutampo- 
nade, 

Blasenstich 

16.  Mai  7  Uhi- 
Abends 

17.  Mai 

5  Uln- 
Abends 

beide  Früchte  in  zweiter 
Schädellage  spontan;  erste 
Frucht  mit  Oligohydramnie 
circa  200  g,  zweite  Frucht 
mit  Polyhydramnie  circa 

7 'Ll,  eineiige  Zwillinge. 

25  Wochen 

Wochenbett  febril.  8  Tage 
dauernde  leichte  Parame¬ 
tritis.  Maximaltemp.  38-8° 

zwei  lebende,  nicht 
lebensfähige  Knaben. 
Erster  Knabe  27  cm, 
410 g-,  zweiter 
Knabe  26'5  an,  440 g 

Erweiterung  des  Cervix 
mit  Hegar-Stiften,  Tam¬ 
ponade  des  Cervix. 
Tampons  entfernt.  Von  nun 
ab  dreimal  täglich 
Scheidendouehen 

2 1 .  December 

21.  December 
8  Uhr  Abends 

21.  Dec. 

8  Uhr 

25  Min. 

zweite  einfache  Steisslage 
spontan. 

Kind  hochgradig  macerirt. 
32  Wochen  (Frucht  wahr¬ 
scheinlich  mit  28  Wochen 
abgestorben) 

Erysipel,  von  einem  scari- 
ficirten  Labium  pudendum 
ausgehend,  welches  am 
4.  Januar  geheilt  war.  Die 
Nephritis  besteht  jedoch 
fort  und  wurde  Patientin 
am  1.  April  1893  gebessert 
von  der  medicinischen  Klinik 
aus  entlassen 

Knabe,  macerirt, 

36  an,  775  g 

Tamponade  der  Vagina 

1.  Mai 

2.  Mai  9  Uhr 
Abends 
künstlich  bei 
fast  ver¬ 
strichenem 
Muttermund 

2.  Mai 

10  Uhi- 
Abends 

erste  Schädellage.  Vorfall 
des  rechten  Fusses  neben 
dem  Kopfe  während  der 
Blasensprengung.  Wendung 
und  Extraction. 

28  Wochen 

am  9.  Tage  Scliwerath- 
migkeit,  Husten  und  reich¬ 
licher  Auswurf.  2  Monate 
später  auf  der  internen 
Klinik  an  Lungentuber- 
culose  gestorben 

Knabe  lebend,  36  cm\ 
1020  g,  starb  am 
nächsten  Tage  an 
Lebensschwäche 

Punction  der  doppeltfaust- 

nach  circa  5  Stunden 

— 

10.  Febr. 

Steisslage,  Manualhilfe. 

afebriles  Wochenbett 

Knabe  lebend,  35  cm  j 

grossen  ödematösen  Labien 
mit  dem  Capillartroikart. 
von  Soil  they. 
Laminariadilatation 
Blasenspreugung 


Erweiterung  des  Cer  rix 
mit  H  e  gar-Stiften  und 
Blasensprengung, 
wobei  circa  300 — 400  g 
blutig  gefärbter  Flüssigkeit 
abgehen.  Abends  Tampo¬ 
nade  d.  Cervix  u.  d.  Vagina. 
Neuerliche  Dilatation 
und  innere  Wendung  auf 
den  Fuss  in  Narkose  bei  nur 
für  einen  Finger  durch¬ 
gängigem  Cervix.  Constan- 
ter  Gewichtszug. 

W egen  absoluter  Iner¬ 
tia  uteri  nach  vergeb¬ 
lichen  Extractions¬ 
versuchen  Embryoto- 
m  i  e. 

Erweiterung  des  Cer¬ 
vix  mit  Sänger’schen 
Stiften,  dann  Blasen- 
spr  engung 


Blasensprengung 


6  Uhr 
Abends 


keine  Wehen  ein¬ 
getreten 


28  Wochen 


nach  vorausgegangenen 
täglichen  Vollbädern  vom 
11.  Januar  ab  Vaginal- 
douchen  und  Tampons 
täglich  bis  14.  Januar 


5.  April 
8  Uhr 
30  Min. 
Morgens 


April  4  Uhi- 
Morgens 


wenige  Stunden 
darauf,  dann  wieder 
aussetzend.  Starke 
Wehen  erst  am 
25.  April  Morgens 

Januar  9  Uhr 
Vormittags 


14. 


14.  Januar 
12  Uhr  Mittags 


4.  April 
8  Uhr 
45  Min. 
Morgens 


25.  Juni 
10  Uhr 
35  Min. 
Vorm. 

15.  Januar 
12  Uhr 
Nachts 


Kopflage,  innere  Wendung 
auf  den  Fuss,  Embryotom ie 
an  der  seit  zwei  Tagen  als 
todt  angenommenen  Frucht. 
Als  Ursache  der  Blutungen 
wird  vorzeitige  Lösung 
eines  Theiles  der  Placenta 
angenommen. 

26  Wochen 


970y,  gestorben 
nach  zwei  Tagen 


afebriles  Wochenbett 


embryotomirte 
Frucht  aus  dem 
sechsten  Lunar¬ 
monate 


zweite  Schädellage,  spontan, 
32  Wochen 


Kopflage;  äussere  Wendung 
auf  den  Steiss,  Extraction, 
Perforation  am  nachfolgen¬ 
den  Kopfe 
38  Wochen 

zweite  einfache  Steisslage, 
spontan  bis  zur  Schulter, 
dann  Manualhilfe. 

40  Wochen 


die  Vergiftungserscheinun- 
gen  gehen  post  partum 
prompt  zurück.  Im  Wochen¬ 
bett  Endometritis.  Maximal¬ 
temperatur  39'5°,  Puls  90. 
Nach  14  Tagen  geheilt 
entlassen 

afebriles  Wochenbett 


afebriles  Wochenbett 


Mädchen,  macerirt, 
43  an.  Obductions- 
befund  (vide  im 
Texte) 


Knabe,  todt,  54  an, 
2650  200  g 


Mädchen,  lebend, 

51  an,  3480 g.  Hat 

lebend  die  Anstalt 
verlassen 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


690 


t-l 

5  o  ^ 

c  j*  * 

5  2  ^ 
£  £  £ 

2  -  ^ 
~  o»  c 

g  c 

-2  Ä  » 

Alter,  Stand,  Beruf 

Gravidität 

Verlauf  früherer 

Geburten 

Letzte  Regel, 
Empfängniss, 
erste  Kindes¬ 
bewegungen 

Frühere  Krankheiten  und  Befinden 
während  der  Schwangerschaft 

Indication  zur  Unterbrechung 
der  Schwangerschaft 

Datum  der  Ein¬ 

leitung 

li 

1  35  Jahre 

11 

erste  Geburt  vor  einem 

Mitte  Mai 

hat  englische  Krankheit  gehabt  und 

plattes,  rachitisches  Becken. 

14. Januar 

W.  A. 

25 

1900 

verh. 

Bäuerin 

Jahre.  Kopflage,  Nabel¬ 
schnurverfall,  Perfora¬ 
tion  am  abgestorbenen 
Kinde 

Ende  Mai 

? 

erst  mit  vier  Jahren  gehen  gelernt 

29,  29-5,  34,  18  5.  C.  d.  9  2. 
C.  v.  7‘2.  Körperlänge  151  cm 

16. Januar 

1 8.  Januar 
5  Uhi- 
Abends 

12 

P.  A. 
297 
1898 

41  Jahre 
ledig 
Schnitze¬ 
rin 

III 

erste  Geburt  1883,  Per¬ 
foration 

:  zweite  Geburt  1889  Ein¬ 
leitung  der  Frühgeburt 
mit  36  Wochen.  Kind 
lebend,  46  cm,  2400  <7 

12—14.  Sept. 
24.  September 
Februar 

Masern.  Hat  erst  mit  zwei  Jahren  gehen 
gelernt 

einfach  plattes  Becken.  26-75, 
28,  30-25,  17-75.  C.  d.  10  0. 
C.  v.  S  O.  Körperlänge  148-5  cm 

5.  April 
11  Uhr 
30  Min. 
Vorm. 

13 

30  Jahre 

II 

erste  Geburt  vor  einem  Jahr 

19.  — 24.  März 

hat  erst  mit  sechs  Jahren  gehen  gelernt, 

allgemein  verengtes,  plattes, 

18.  Nov. 

T.  E. 
458 
1891 

verh. 

Maurers- 

fran 

in  der  Anstalt  (Nabel- 
schnurvorfall,  todtes  Kind, 
drohende  Uterusruptur, 
Perforation) 

? 

sonst  stets  gesund 

rachitisches  Becken.  26*5,  27-5, 
29,  17-25;  C.  d.  9.  C.  v.  7  2. 
Körperlänge  135-5  cm 

19.  Nov. 
21.  Nov. 
23.  Nov. 

14 

21  Jahre 

n 

erste  Geburtvor  1 '/,  Jahren, 

27.— 30.  Ja- 

als  Kind  Masern,  dann  bis  zum  sie- 

allgemein  verengtes  (nicht  rachi- 

20.  Oct. 

N.  M. 

verh. 

Perforation  eines  le- 

nuar 

benten  Lebensjahre  multiple  Abscesse 

tisches)  Becken.  21,  24,  28,  18"5; 

bis 

510 

1894 

Feilen¬ 

hauers¬ 

gattin 

benden,  reifen  Kindes 
ausserhalb  der  Anstalt 

? 

? 

am  Hals,  Gesäss,  Kreuzbein  etc. 

C.  d.  11  2.  C.  v.  9  4. 

26.  Oct. 

15 

R.  M. 

|  449 
1897 

30  Jahre 
verh. 

Schusters- 

frau 

II 

erste  Geburt  vor  einem 
Jahre.  Perforation 
am  abgestorbenen  reifen 
Kinde 

?  October 
? 

? 

hat  erst  mit  vier  Jahren  gehen  gelernt 

allgemein  verengtes,  platt  rachi¬ 
tisches  Becken.  25,  27,  29-75, 
15-25;  C.  d.  8-8.  C.  v.  7  0 

16.  Sept. 
und 

18.  Sept. 

2 1 .  Sept. 
23.  Sept. 

16 

40  Jahre 

m 

erste  Geburt:  Macerirtes 

12.  — 14.  Nov. 

hat  erst  mit  fünf  Jahren  gehen  gelernt. 

allgemein  verengtes,  platt-rachi- 

21.  Juli 

T.  M. 

verh. 

Kind,  das  schon  zwei 

? 

Chronisch  recidivirender  Bronchial- 

tisches  Becken.  26,  27-25,  30, 

8  Uhr 

!  371 
1898 

1 

Schusters¬ 

frau 

Wochen  keine  Bewegungen 
mehrgemacht  hatte.  Ueber 
die  Ursache  der  Frucht¬ 
todes  nichts  bekannt; 
zweite  Geburt:  reifes  Kind 
perforirt 

Ende  März 

katarrh 

15*5;  C.  d.  8  5.  C.  v.  6"7.  Körper¬ 
länge  145  cvi 

Abends 

17 

P.  G. 
99 
1894 

29  Jahre 
ledig 
Magd 

i 

10. — 15.  Juni 
25.  Juni 
Mitte  October 

Masern  vor  zwei  Jahren 

allgemein  gleichmässig  verengtes 
Becken.  23,  26,  28-5,  17-5; 

C.  d.  9-5.  C.  v.  7-7 

23.  Febr. 
bis 

26.  Febr. 
täglich 

18 

38  Jahre 

ui 

erste  Geburt:  Forceps.  Kind 

Ende  Februar 

Bleichsucht  mit  18  Jahren,  Rheumatis- 

allgemein  gleichmässig  verengtes 

30.  Oct. 

K.  K. 
494 
1894 

verh. 

Salzarbei¬ 

tersfrau 

reif,  starb  eine  Viertel¬ 
stunde  post  partum ; 
zweite  spontane  Geburt 
eines  lebenden,  nicht  sehr 
grossen  Kindes 

? 

? 

mus  und  Gliedersucht  mit  19  Jahren 

Becken.  23,26,31,  18;  C.  d.  94. 

C.  v.  7  "6.  Genua  valga 

bis 

8.  Nov. 

10.  Nov. 

1 1.  Nov. 

19 

IM.  R. 

354 

1  1895 

25  Jahre 
ledig 
zu  Hause 

i 

16.-18.  Ja¬ 
nuar 

Ende  Januar 
Mitte  Juni 

hat  erst  mit  zwei  Jahren  gehen  gelernt 

allgemein  gleichmässig  verengtes 
Becken.  22,  25,  26,  16-5;  C.  d.9  5. 

C.  v.  7-7 

nicht 

angegeben 

20 

B.  V. 
552 
1895 

25  Jahre 
ledig 
Magd 

i 

— 

9 

? 

? 

als  Kind  stets  kränklich  gewesen 

allgemein  gleichmässig  verengtes 
Becken  21  5,  24  5,  27,  16-5; 

C.  d.  10  o.  C.  v.  8'a 

29.  Dec.  j 
bis 

9.  Januar 

21 

P.  E. 
537 
1896 

30  Jahre 
ledig 
Privat 

i 

" 

? 

? 

? 

Idiotie 

allgemein  gleichmässig  verengtes 
Becken  (infantil).  23'5,  25"5, 

27-5,  16;  C.  d.  10  8.  C.  v.  8\S. 
Körperlänge  136  cm 

8.  Januar 

^2  28  .Jahre 

II.  A.  verh. 

1 13  Zimmer- 
1900  mannsfrau 

VI 

bei  allen  fünf  vorausge¬ 
gangenen  spontanen  Ge¬ 
burten  kamen  8 — Sl/2  (so-  ' 
lar-)  monatliche  Früchte 

Anfangs  Juli 
? 

12.  November 

seit  Beginn  der  Menses  im  16.  Jahre 
weisser  Fluor.  Keine  Zeichen  von  Lues 
weder  an  der  Mutter  noch  am  Manne 

habituelles  Absterben  1 
d  er  Fr  i'i  c  h  t  e. 

7.  März 

8.  März 

9.  März 

macerirt  zur  Welt. 

Alle  Kinder  auch  das  I 
jetzige  vom  gleichen  Manne 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


691 


Dauer  bis 

Geburtsverlauf, 
Kindeslage, 
Zeitpunkt  der  Geburt 
(?  Woche) 

Ausgang 

für 

Methode 

zum  Wehen- 
begiune 

zum  Blasen- 
sprung 

zur 

Geburt 

die  Mutter 

das  Kind;  lebend? 
scheintodt?  todt? 
gestorben? 
Geschlecht?  Länge? 
Gewicht  ? 

1  Bougie  durch  12  Stunden 

19.  October 

19.  Januar 

19.  Januar 

vollkommen  gedoppelte 

afebriles  Wochenbett 

Knabe  todt,  46-5  cm, 

Intrauterine  Kolpeuryse 

12  Stunden 

3  Bougies,  16  Stunden 

12  Uhr  30  Minuten 
Nachmittags 

12  Uhr  30  Min. 

5  Uhr 

45  Min. 

Steisslage,  Herabholen  eines 
Fusses,  Manualhilfe. 

36  Wochen 

2130  g 

Vollbäder,  Yaginaldouchen 
und  Seheideneervixtampo- 
nade 

Blasensprengurg 

5.  Juni 

12  Uhr  30  Minuten 
Nachmittags 

5.  Juni 

9  Uhr 

35  Min. 
Abends 

erste  Schädellage,  spontan, 
38  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Knabe,  lebend, 
49  cm,  2450  g. 
Verliess  lebend  die 
Anstalt 

Scheidencervixtamponade 

21.  November 

25.  November 
spontan  vor¬ 
zeitig 

27.  Nov. 

zweite  einfache  Steisslage, 
Manualhilfe. 

36  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Knabe,  lebend, 
44  cvi,  1950  g. 
Verliess  lebend  die 
Anstalt 

fünfmal  Glycerin- Jodoform- 

27.  October,  6  Uhr 

27.  October 

29.  Oct, 

erste  Schädellage,  Forceps 

febriles  Wochenbett.  Gan- 

Knabe,  scheintodt, 

gazetamponade  des  Cervix 

Abends 

6  Uhr  30  Min. 
Abends  vor¬ 
zeitig 

12  Uhi- 
Mittags 

am  hochstehenden  Kopfe 
wegen  Lebensgefahr  des 
Kindes. 

39  Wochen 

graena  cervicis.  Geheilt 
nach  3  Wochen 

nicht  wiederbelebt, 
54  cm,  30^0  y 

Scheidencervixtamponade, 

1  Bougie  durch  12  Stunden 
Blasensprengung 

namhafte  Wehen, 
während  die  Tam¬ 
pons  lagen,  dann 
ausgesetzt.  3  Stunden 
nach  der  Bougierung 
Wehen  begonnen, 
nach  Entfernung  der 
Bougie  wieder  aus¬ 
gesetzt.  3  Stunden 
nach  der  Blasen¬ 
sprengung  Wehen 
eingetreten 

23.  Sept. 

1  Uhr 

35  Min. 
Nachm. 

erste  Schädellage.  Der 
Kopf  kann  nicht  eintreten. 
Wendungsversuch  verge¬ 
bens,  Perforation  des 
lebenden  Kindes. 

40  Wochen. 

Der  Kaiserschnitt  war  ver¬ 
weigert  worden,  wurde  je¬ 
doch  am  Ende  der  nächsten 
Gravidität,  18.  März  1899, 
mit  Erfolg  für  Mutter  und 
Kind  ausgeführt 

afebriles  Wochenbett 

Mädchen,  perforirt, 
51  cm,  2410  -f-  330  y 

nach  wiederholt  voraus- 

21.  Juli  3  Uhr 

— 

28.  Juli 

zweite  Schädellage,  spontan 

leichtes  Resorptionsfieber, 

Mädchen,  lebend, 

gegangenen  Sitzbädern  und 
Scheidentamponade  am 
21.  Juli,  Blasensprengung 

Nachmittags 

2  Uhr 

40  Min. 
Früh 

36  Wochen 

Maximaltemperatur  38-2°. 
Steht  am  11.  Tage  auf 

48  cm,  2170  g,  starb 
nach  zwei  Stunden 
an  Atelectasis  pulm. 

Vollbad  und  Cervixtam- 

26.  Februar,  8  Uhr 

26.  Februar 

27.  Febr. 

erste  Schädellage,  spontan. 

afebriles  Wochenbett 

Knabe,  scheintodt, 

ponade 

Abends 

3  Uhr  Nachm. 

8  Uhi- 
Morgens 

35  Wochen 

wiederbelebt,  47  cm, 
2370  g.  Hat  lebend 
die  Anstalt  ver¬ 
lassen 

nach  öfterer  Cervixtampo¬ 
nade  am  10.  Februar  Kol- 
peurynter  durch  16  Stunden. 

Blasensprengung 

9.  November,  9  Uhr 
Abends 

_ 

11.  Nov. 

1  Uhr 
Nachts 

erste  Schädellage,  spontan. 
37  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Knabe,  lebend, 
48  cm,  2590  g.  Hat 
lebend  die  Anstalt 
verlassen 

6  Sitz-,  2  Vollbäder 

27.  August  Nachts 

27.  August 
Nachts 

29.  Aug. 

erste  Schädellage.  Perfo¬ 
ration  am  hochstehenden 
Kopfe  wegen  Fieber  der 
Mutter  intra  partum.  Tem¬ 
peratur  39-0° 

36  Wochen 

febriles  Wochenbett.  Para¬ 
metritis  dextra,  nach 
mehreren  Wochen  geheilt 

Knabe,  todt,  44  cm, 
1850  g 

7  warme  Vollbäder 

10.  Januar,  1  Uhr 
Nachts 

10.  Januar 

11  Uhr  50  Mi¬ 
nuten  Nachts 

11.  Januar 
12  Uhr 
40  Min. 
Nachts 

erste  Schädellage,  spontan. 
35  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Knabe,  lebend, 

46  cm,  2195  g. 
Verliess  lebend  die 
Anstalt 

nach  öfterer  Cervixtampo¬ 
nade  am  8.  Januar  eine 
Bougie  durch  7  Stunden 

nach  2  Stunden 

9.  Januar 

9  Uhr  Vorm. 

9. Januar 

8  Uhr 

10  Min. 
Abends 

zweite  Schädellage.  Zangen¬ 
versuch,  Perforation  des 
lebenden  Kindes. 

38  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Mädchen,  perforirt, 
47  c»»,  1900  g 

heisses  Sitzbad  und  Wechsel- 
douche 

Blasensprengung 
heisses  Vollbad 

9.  März,  6  Uhr 
Abends 

9.  März 
11  Uhr 
35  Min. 
Nachts 

zweite  Schädellage,  spontan. 
Die  Frucht  zeigt  ausser 
den  Zeichen  der  Frühreife 
nichts  Abnormes,  ebenso¬ 
wenig  lässt  sich  an  der 
Nachgeburt  makroskopisch 
eine  Abnormität  naehweisen 
38  Wochen 

afebriles  Wochenbett 

Knabe,  lebend, 
50  cm,  2620  g. 
Verliess  lebend  die 
Anstalt 

WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


092 


Hinsicht  noch  nicht  allgemein  genügende  Würdigung  erfahren 
hat,  obwohl  die  Mehrzahl  neuerer  Forscher,  welche  sich  ein¬ 
gehend  mit  dieser  Frage  beschäftigt  haben,  die  Bedeutung  des¬ 
selben  als  Nahrungsmittel  der  Frucht  hervorheben.  So  citirt 
Ahlfeld  in  diesem  Sinne  den  von  M  ek  u  s  beobachteten  Fall, 
wo  eine  Frucht  mit  unwegsamem  Oesophagus  weniger  ent¬ 
wickelt  zur  Welt  kam,  während  gleichzeitig  das  Fruchtwasser 
bedeutend  vermehrt  war.  Wenn  nun  dem  Fruchtwasser  schon 
überhaupt  ein  Werth  als  Nahrungsmittel  zukommt,  so  könnte 
man  auch  daran  denken,  dass  ab  und  zu  einmal  seine  Zu¬ 
sammensetzung  nicht  den  Bedürfnissen  der  Frucht  entspricht  oder 
ihr  mit  der  Zeit  vielleicht  sogar  schädlich  wird.  Was  in  unserem 
Falle  das  habituelle  Absterben  der  früheren  Früchte  bewirkt 
hatte,  liess  sich  nicht  ermitteln,  doch  scheint  es  uns  fast  sicher, 
dass  es  auch  in  dieser  Schwangerschaft  ohne  unser  Eingreifen 
zum  Fruchttod  gekommen  wäre,  worauf  die  Angabe  der  Mutter 
von  dem  Schwächerwerden  der  Kindesbewegungen  und  die 
Beobachtung  der  wechselnden  Intensität  der  Herztöne  hinzu¬ 
weisen  scheinen. 

Bei  der  Frage  der  Behandlung  des  habituellen  Absterbens 
ist  vor  Allem  nach  Möglichkeit  das  ätiologische  Moment  aus¬ 
zuforschen,  aus  dessen  Ermittlung  sich  meist  die  Prognose  er¬ 
gibt.  Abgesehen  von  eventuell  noth  wendigen  Operationen 
werden  dann  mitunter  Vorschriften  und  Regeln  für  Diät  und 
Lebensweise  nüthig  sein.  Zeitweise  wurden  medicamentöse 
Specitica  als  Verhütungsmittel  angepriesen.  So  wurde  seiner¬ 
zeit  gegen  habituelles  Absterben  der  flüssige  Extract  der 
Schwarzdornrinde  (B  e  v  i  1 1),  oder  ein  Aufguss  derselben  em¬ 
pfohlen,  Andere  wollen  mit  dem  von  L  a  f  e  r  t  a  vorgeschlagenen 
Stinkasant,  Asa  foetida,  schöne  Erfolge  erzielt  haben  (Turazza). 
Es  erscheint  von  vorneherein  einleuchtend,  dass,  wenn  die 
Ursache  des  habituellen  Absterbens  nicht  in  der  Frucht  selbst, 
sondern  in  dem  Ei  oder  Brutorgan,  beziehungsweise  der  Trä¬ 
gerin  desselben  liegt  und  die  Frucht  bereits  ein  Alter  erreicht 
hat,  in  welchem  sie  extrauterin  lebensfähig  ist,  man  einen  Er¬ 
folg  vielleicht  erwarten  kann,  wenn  man  sie  rechtzeitig  den 
Gefahren,  welchen  sie  im  weiteren  intrauterinen  Leben  ent¬ 
gegenläuft,  entreisst.  Man  setzt  sie  eben  unter  relativ  günstigere 
Verhältnisse  dadurch,  dass  man  die  Schwangerschaft  unter¬ 
bricht.  In  diesem  Sinne  drückt  sich  auch  Simpson  aus, 
wenn  er  sagt:  »endlich  kann  die  künstliche  Frühgeburt  lebens¬ 
rettend  für  den  Fötus  werden,  wenn  in  vorausgegangenen 
Schwangerschaften  das  Absterben  nahe  dem  Ende  der  Schwanger¬ 
schaft  beobachtet  wurde«. 

Zum  Schlüsse  obliegt  mir  noch  die  angenehme  Pflicht, 
meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Prof.  Ehrendorfer,  für 
die  Anregung  zu  dieser  Arbeit,  sowie  für  die  gütige  Ueber- 
lassung  des  Materiales  zu  danken. 

Angabe  der  benützten  Literatur. 

K  ehre  r,  Lehrbuch  der  Geburtshilfe.  1891. 

Grusdew,  Zur  Casuistik  der  künstlichen  Frühgeburt.  Centralblatt 
für  Gynäkologie.  1900,  pag.  441. 

Skorscheba  n,  44  Fälle  künstlicher  Frühgeburt  und  deren  End- 
erfolge.  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Bd.  XI,  pag.  323. 

Ahlfeld,  Lehrbuch  der  Geburtshilfe.  1898,  II.  Auflage. 

Beuttner,  Zur  Frage  der  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt 
bei  Beckenenge.  Archiv  für  Gynäkologie.  B  1.  XLVIH. 

P.  Mülle  r,  Handbuch  der  Geburtshilfe.  Bd.  III. 

B  i  er  m  e  r,  Der  Kolpeurynter,  seine  Geschichte  und  Anwendung  in 
der  Geburtshilfe.  Wiesbaden  1899. 

Kl  ein  bans,  Zur  intrauterinen  Anwendung  des  Kolpeurynters. 
Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Bd.  VII,  pag.  167. 

Schulz,  71  Fälle  von  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt, 
lieferirt  im  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1898,  pag.  104. 

C  h  r  o  b  a  k,  Berichte  aus  der  H.  geburtshilflich-gynäkologischen 
Klinik  in  Wien.  1897. 

Char  pen  tier,  Ueber  habituellen  Abort.  Centralblatt  für  Gynäko¬ 
logie.  1898,  pag.  198  (Referat). 

Eoemheld,  Ueber  Ursachen  und  Behandlung  der  habituellen  Früh- 
und  Fehlgeburten.  Centralblatt.  1895,  pag.  1051  (Referat). 

Simpso  n,  Sitzungsbericht  in  Schmidt’s  Jahrbüchern.  Bd.  CCXXII, 
pag.  1 55. 

Fehling,  Ueber  habituelles  Absterben  der  Frucht  bei  Nieren¬ 
erkrankungen  der  Mutter.  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1885,  pag.  647. 

M  e  k  u  s,  Eine  seltene  Missbildung.  Centralblatt  für  Gynäkologie. 
1888,  pag.  686. 


B  e  v  i  1 1,  Anwendung  des  Schwarzdorns  bei  habituellem  Abort  und 
anderen  Uteruserkrankungen.  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1887,  pag.  364 
(Referat). 

Turazz  a,  Asa  foetida  gegen  habituellen  Abortus.  Centralblatt  für 
Gynäkologie.  1892,  pag.  164  (Referat). 

Leopold,  Arbeiten  aus  der  Frauenklinik.  1893. 


Ueber  Ferropyrin  als  Häniostaticum. 

Von  Dr.  E.  Toff,  Frauenarzt  in  Braila  (Rumänien). 

Die  Erfordernisse  der  täglichen  Praxis  lehren  uns,  dass  trotz 
aller  Fortschritte  der  Chirurgie  die  medicamentösen  Ilämostatica 
noch  immer  nicht  ohne  Weiteres  in  die  Rumpelkammer  der  Vergessen¬ 
heit  geworfen  werden  können.  Nicht  immer  sind  wir  im  Stande,  radi- 
cale  Eingriffe  vorzunehmen,  um  eine  oft  bedrohliche  Blutung  momentan 
oder  definitiv  zu  stillen,  und  in  solchen  Fällen  leisten  uns  Präparate 
wie  das  F  er  ropy  rin  (Syn.:  Ferripyrin)  erhebliche  Dienste. 

Wie  wohl  allgemein  bekannt  sein  dürfte,  ist  Ferropyrin  eine 
Doppelverbindung  von  Eisenchlorid  und  A  n  t  i  p  y  r  i  n.  Dasselbe 
wird  als  orangerothes,  feines  Pulver  in  den  Handel  gebracht  und  ist 
in  fünf  Theilen  kalten  Wassers  leicht  mit  dunkelblutrother  Farbe 
löslich. 

Es  hat  dieselben  hämostatischen  Eigenschaften  wie  das  Eisen- 
chlorid,  aber  ohne  dessen  Aetzwirkung,  so  dass  man  es  sorglos  in 
Substanz  auf  jede  Schleimhaut  oder  zarte  Hautfläche  auftragen 
kann,  ohne  etwas  Anderes  als  eine  dunkelbraune,  oberflächliche  Fär¬ 
bung  und  intensive  Trockenheit  der  betreffenden  Stelle  hervorzurufen. 
Eine  Verschorfung,  oder  irgendwie  geartete  reactive  Entzündung,  wird 
nie  beobachtet. 

In  Folge  der  Empfehlungen  von  H  e  d  d  e  r  i  c  h  *),  Cubasch3 4), 
Froh  m  a  n  n  3)  und  Schaeffe *r1),  habe  ich  dieses  Präparat  seit 
1896  bei  mannigfacher  Gelegenheit  in  Anwendung  gebracht  und  kann 
die  erzielten  Resultate  als  im  Allgemeinen  sehr  gute  bezeichnen. 

So  habe  ich  dasselbe  oft  in  Substanz  bei  heftigen  Nasen¬ 
blutungen,  grossen  Schnittwunden  mit  parenchymatöser  Blutung  und 
bei  unstillbaren  Hämorrhagien  nach  ritueller  Circumcision, 
benützt  und  hat  mich  dasselbe  nie  im  Stiche  gelassen.  Namentlich  die 
letzteren  (sechs)  Fälle  waren  deshalb  interessant,  weil  immer  stunden¬ 
lang  zuvor,  sowohl  von  den  verschiedenen  Hebammen,  als  auch  von 
Aerzten,  die  mannigfachsten  Ilämostatica  erfolglos  in  Anwendung  ge¬ 
bracht  worden  waren  und  die  Blutung  durch  Ferropyrin  prompt  gestillt 
werden  konnte. 

Am  häufigsten  hatte  ich  Gelegenheit,  Ferropyrin  in  gynäkologi¬ 
schen  und  geburtshilflichen  Fällen  anzuwenden  und  habe  ich,  der 
Uebersicht  halber,  die  erzielten  Erfolge  in  nachfolgender  Tabelle  ver¬ 
zeichnet. 


Krankheit 

Zahl 

der 

Fälle 

Erfolg 

Miss¬ 

erfolg 

Blutungen  im  Wochenbette 

4 

3 

1 

Curettirung, 

Blutungen  nach  Abortus 

18 

15 

3 

Curettirung. 

Endometritis . 

20 

19 

1 

Curettirung. 

Profuse  Menstruation  .... 

19 

19 

— 

— 

Fibromyome . 

3 

2 

1 

— 

Carcinom  des  Collum  .... 

1 

1 

— 

— 

Summe 

65 

59 

6 

Aus  Obigem  ist  leicht  ersichtlich,  dass  die  Fälle,  wo  die  Blu¬ 
tung  durch  Ferropyrin  gestillt  werden  konnte,  bei  Weitem  überwiegen 
(90  7o/0). 

Selbstverständlich  darf  man  vom  Ferropyrin  nicht  mehr  ver¬ 
langen,  als  ein  Stypticum  zu  leisten  im  Stande  ist,  und  wie  Schaeffer  ') 
ganz  zichtig  bemerkt,  ist  meist  von  dem  Mittel  eine  Heilung  des 
Grund  leide  ns  nicht  zu  erwarten.  Man  wird  also  Placentarreste, 
Fibromyome,  Carcinome  und  Anderes,  operativ  entfernen  müssen,  um 
den  Blutungen  definitiv  vorzubeugen.  Nichtsdestoweniger,  bleibt  aber 
das  Ferropyrin  ein  werthvolles  Mittel  gegen  das  Symptom  „B 1  u- 
t  u  n  g“  als  solches,  denn,  wie  eingangs  erwähnt,  ist  ein  operativer 
Eingriff  nicht  immer  und  nicht  an  jedem  Orte  durchführbar. 

Ich  habe  aber  in  zahlreichen  Fällen  beobachten  können,  dass 
durch  Ferropyrin  nicht  nur  die  Blutung  gestillt,  sondern  auch  das 


’)  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  1. 

4)  Wiener  medicinische  Presse.  1895,  Nr.  7. 

3)  Therapeutische  Monatshefte.  1895,  Nr.  7. 

4)  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  53. 
b)  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1896,  Nr.  48. 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


093 


Grundleiden  günstig  beeinflusst  wurde;  so  namentlich  bei  hämorrhagi¬ 
scher  Endometritis,  wo  man  durch  consequente,  locale  Anwendung  des 
Ferropyrins  oft  auffallende  Besserungen  erzielt. 

Für  gynäkologische  Fälle  benütze  ich  das  Mittel  in  15  —  20%iger 
Lösung  und  applicire  es  mittelst  der  Brau  n’schen  Spritze.  Es  ist 
dieser  Modus  der  bei  weitem  praktischeste,  da  er  immer  und  überall 
anwendbar  ist,  während  der  Einführung  von  armirten  Sonden  oder 
Wattetampons,  die  Enge  des  Cervicalcanals  oft  erheblichen  Wider¬ 
stand  entgegensetzt. 

In  seltenen  Fällen  sind  die  Einspritzungen  von  schmerzhaften 
Contractionen  gefolgt  und  es  ist  daher  anzurathen,  bei  empfindlichen 
Patientinnen,  anfangs  nur  wenige  Tropfen  der  Ferropyrinlösung  einzu¬ 
spritzen.  Meist  wird  aber  der  Inhalt  der  vollen  Spritze  (1  cm3)  gut 
vertragen  und  werden  leichte  Blutungen  durch  eine  oder  mehrere, 
täglich  vorzunehmende  Injectionen  sicher  zum  Stillstände  gebracht’ 
ohne  dass  es  nothwendig  wäre,  nebenbei  Ergotin  oder  andere  interne 
Hämostatica  anzuwenden. 

Handelt  es  sich  aber  um  ernste  Hämorrbagien,  so  wird  man 
auch  der  übrigen  therapeutischen  Hilfsmittel,  wie  Tamponade, 
Ruhe,  Eisbeutel,  Ergotin,  Hydrastis  canadensis  und  Anderes,  nicht  ent- 
rathen  können.  Ich  muss  aber  ausdrücklich  hervorheben,  dass  uterine 
Blutungen,  welche  durch  die  erwähnten  Mittel  nicht  gestillt  werden 
konnten,  binnen  wenigen  Tagen  definitiv  versiegten,  wenn  zugleich  auch 
Ferropyrininjectionen  mit  in  Anwendung  gebracht  wurden. 

Ich  will  hier  nicht  durch  lange  Krankengeschichten  ermüden, 
sondern  nur  drei  ganz  charakteristische  Fälle  von  Ferropyrinw'irkung 
kurz  erw'ähnen. 

I.  25.  September  1897.  F.  Gr.,  32jährige  Tapezierersgattin, 
hat  bereits  fünfmal  normal  entbunden  und  war  früher  im  Wochen¬ 
bette  immer  gesund.  Auch  die  letzte  Entbindung  verlief  normal,  aber 
obwohl  bereits  acht  Wochen  seither  verflossen  sind,  dauert  die  Blutung 
ununterbrochen  an.  Zeitweilig  treten  wahre  Blutstürze  ein  und  es 
werden  grosse  Stücke  coagulirten  Blutes  aus  den  Genitalien  entleert. 
Patientin  ist  bettlägerig,  leidet  an  fortwährenden  Ohnmachtsanwand¬ 
lungen  und  bietet  das  Bild  hochgradiger  Blutleere.  Sie  wurde  bereits 
von  anderer  Seite  mehrfach  tamponirt,  hat  heisse  und  kalte  Ein¬ 
spritzungen  gemacht,  Ergotin  und  Hydrastis  genommen,  aber  Alles 
ohne  jeden  Erfolg. 

Bei  der  Untersuchung  erwies  sich  die  Gebärmutter  gross,  etwas 
weich,  der  Muttermund  (nach  Erweiterung)  für  einen  Finger  durch¬ 
gängig,  Gebärmutterhöhle  leer,  keine  Placentarreste ;  in  den  Adnexen 
nichts  Abnormes  zu  fühlen.  Die  übrigen  Organe  sind  gesund. 

Nach  einer  Einspritzung  von  1  cm"  20°/oiger  Ferropyrinlösung 
und  Tamponade  mit  Xeroformgaze  und  feuchten  Wattebauschen,  stand 
die  an  jenem  Tage  besonders  heftige  Blutung.  In  der  Nacht  blutete 
es  etwas  durch,  so  dass  am  zweiten  Tage  dieselbe  Behandlung  wieder¬ 
holt  wurde;  ebenso  am  dritten  und  vierten  Tage.  Nun  war  die 
Blutung  definitiv  gestillt;  es  wurden  keine  Tampons  mehr  ein¬ 
gelegt  und  Patientin  konnte  nach  acht  Tagen  das  Bett  verlassen. 
Seither  ist  keine  abnorme  Blutung  aufgetreten  und  die  Menstruation 
ist  regelmässig  wiedergekehrt. 

II.  30.  Juni  1898.  M.  H.,  22jährige  Kaufmannsgattin,  hat  vor 
einem  Jahre  normal  geboren  und  vor  drei  Wochen  nach  21/2monat- 
licher  Schwangerschaft  abortirt.  Das  Ei  soll  in  toto  abgegangen 
sein.  Seither  fast  ununterbrochene  Blutung,  welche  namentlich  in  der 
Bettruhe  sich  steigert.  Es  wurde  bereits  mehrfach  Tamponade  und 
Ergotin  ohne  Erfolg  angewendet. 

Da  der  Verdacht  auf  zurückgebliebene  Eireste  bestand,  wurde 
Curettirung  vorgeschlagen,  zu  welcher  sich  aber  die  sehr  ängstliche 
Kranke  nicht  entschlossen  wollte.  Es  wurde  daher  die  Ferropyrin- 
behandlung  versuchsweise  eingeleitet.  Nach  zwei  intrauterinen  Ein¬ 
spritzungen  von  18%iger  Ferropyrinlösung  und  nachfolgender  Vaginal¬ 
tamponade  mit  Xeroformgaze  stand  die  Blutung  und  die  Patientin 
erfreute  sich  hierauf  des  besten  Wohlseins.  Seither  ist  wieder  Schwanger- 
schaft  eingetreten. 

III.  8.  August  1899.  A.  Sch.,  40jährige  Kaufmannsgattin,  Nulli¬ 
para,  leidet  an  einem  faustgrossen  Fibromyom  der  vorderen  Uterin¬ 
wand,  welches  zeitweilig  hartnäckige  Blutungen  verursacht.  Im  ver¬ 
flossenen  Jahre  dauerten  dieselben  unter  ärztlicher  Behandlung  fünf 
Wochen.  Diesmal  bestehen  sie  seit  acht  Tagen.  Es  wird  gleich  Ferro- 
pyrin  (20%)  eingespritzt  und  tamponirt,  worauf  die  Hämorrhagie 
stand  und  seither  nicht  mehr  wiederkehrte.  Die  Menses  sind  reichlich, 
bieten  aber  sonst  nichts  Abnormes. 

Ich  will  noch  erwähuen,  dass  ich  auf  die  Empfehlung  von 
D  e  g  1  e 6)  hin  das  Ferropyrin  auch  intern  angewendet  und  ge¬ 
funden  habe,  dass  es  bei  Cephalalgien  und  Neuralgien,  in 
Folge  von  Chlorose  und  Anämie,  sehr  günstig  wirkt,  was  wohl  auch 
aut  die  gleichzeitige  Antipyrinwirkung  zurückzuführen  sein 
dürfte. 


6)  Wiener  medicinische  Presse.  1895,  Nr.  38. 


Wenn  ich  nun  meine  fast  fünfjährigen  Erfahrungen  mit  Ferro- 
pyriu  zusammenfasse,  muss  ich  sagen,  dass  wir  in  demselben  ein 
w  er  t  h  volles  Ilämostaticum  besitzen,  welches  neben  der 
prompten  Wirkung  auch  die  besonders  werth volle  Eigenschaft  besitzt, 
ganz  frei  von  jeder  Aetz-  oder  sonstigen  Reiz 
Wirkung  zu  sein. 


REFERATE. 

I.  Neue  Methoden  der  Wundheilung. 

Von  Dr.  C.  L.  Schleich. 

2.  Auflage.  Berlin  1900,  Springer. 

II.  Allgemeine  Chirurgie  und  Operationslehre. 

Von  Dr.  Arno  Krüche. 

7.  Auflage.  Leipzig  1900,  Barth. 

III.  Verbandlehre. 

Von  A.  Hoffa. 

2.  Auflage.  München  1900,  Lehmann. 

IV.  Die  Osteotomie  bei  der  Behandlung  der  Hüftgelenks¬ 
deformitäten. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Hoffa. 

Separatabdruck  aus  der  Festschrift  der  physiologisch-medicinischen  Ge¬ 
sellschaft. 

W  ü  r  z  b  u  r  g  1899,  Stüber. 

V.  Technik  der  Massage. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Hoffa. 

3.  Auflage.  Stuttgart  1900,  E  n  k  e. 

VI.  Die  Prophylaxe  in  der  Chirurgie. 

Von  Prof.  Dr,  A  Hoffa  und  Dr.  A.  Lilienfeld. 

N  obiling-Jankau’s  Handbuch  der  Prophylaxe.  4.  Abtheilung. 

München  1900,  Seitz  und  Schauer. 

VII.  Zur  Pathologie  der  Erkrankungen  des  Wurmfort¬ 
satzes. 

Von  Dr.  G.  Honiginanii.  Ibidem. 

VIII.  La  Chirurgia  del  Pericardio  e  del  Cuore. 

Dal  Prof.  Errico  Giordano. 

Napoli  1900,  Sangiovanni. 

I.  Die  mit  einem  geharnischten  Vorwort  gegen  »jenen  Criticus 
des  Centralblattes  für  Chirurgie«  ausgestattete  zweite  Auflage  des 
Buches  von  Schleich  ist  der  ersten  sehr  schnell  gefolgt.  Die 
Ansichten  S  c  h  1  e  i  c  h’s  sind  in  vieler  Beziehung  sehr  originell 
und  speciell  seine  Auffassung  von  der  Entstehung  der  Eiterungs- 
procecesse,  der  chemischen  Bedingungen  für  das  Zustandekommen 
bestimmter  Formen  von  Infectionen  haben  viel  Bestechendes  in 
sich;  die  wissenschaftlichen  Beweise  fehlen  allerdings  für  viele  von 
seinen  Hypothesen,  doch  ist  schon  in  der  eigenartigen  Gruppirung 
dieser  Processe  ein  zweifelloser  Fortschritt  zu  sehen.  Ueber  die 
Ansichten  Sch  leie  h’s  betreffs  der  Desinfection  der  Hände,  werden 
bekanntlich  lebhafte  Debatten  geführt,  bei  denen  gegenwärtig  das 
Urtheil  der  Fachchirurgen  nicht  besonders  günstig  für  Schleich 
lautet.  Thatsache  ist  jedenfalls,  dass  die  Marmorstaubseife  für  die 
Hände  sehr  angenehm  ist,  und  wenn  sie  sich  auch  nicht  als  obli¬ 
gatorisches  und  einziges  Reinigungs-,  respective  Desinfectionsmittel 
einbürgern  dürfte,  so  wird  sie  doch  an  vielen  chirurgischen 
Stationen  als  werthvolle  Errungenschaft  einen  Platz  finden. 

* 

II.  »Ein  kurzes  Lehrbuch  für  Studirende  und  Aerzte«.  Mit 
dem  Zusatze  »für  Aerzte«  kann  sich  Referent  keineswegs  einver¬ 
standen  erklären,  denn  man  sollte  glauben,  dass  sich  ein  Arzt 
nicht  in  einem  kurzen  Repetitorium  Raths  erholen  wird,  wenn  auch 
in  dem  Büchlein  an  einigen  Stellen  sehr  realistisch  gehaltene 
»praktische«  Bemerkungen  eingestreut  sind.  Ueber  einen  Sorgen¬ 
brecher  für  das  Rigorosum  erhebt  sich  das  Lehrbuch  im  Uebrigen 
nur  wenig,  es  enthält  aber  einige  Stellen,  über  deren  Beurlheilung 
man  keine  Worte  zu  verlieren  braucht:  »Erwägt  man,  dass  bei 

jeder  Tamponade  die  Gefahr  der  Zersetzung  droht . «. 

»Zweitens  kommen  Krebse  vor,  welche  aus  Schleimhaut  mit 
Cylinderepithel  hervorgehen.  Die  meisten  derselben  liegen  im  Ver- 
dauungstractus  und  gehören  deshalb  dem  Gebiete  der 
inneren  M  e  d  i  c  i  n  an.  Für  den  Chirurgen  wichtig  ist  aber  der 

Mastdarmkrebs . «  Die  rigorosirende  Jugend  findet,  dass  die 

Kürze  dieses  Witzes  Seele  ist!  Daher  siebente  Auflage. 

* 

III.  Die  zweite  Auflage  der  vorzüglichen  Verbandlehre  von 
Hoffa  ist  bald  nach  der  ersten  erschienen.  Die  neuen  Zusätze 
reihen  sieh  würdig  dem  älteren  Theile  an,  indem  die  modernen 


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Errungenschaften  in  Wort  und  Bild  hinzugekommen  sind,  einige 
Tafeln  auch  Lücken  der  früheren  Auflage  ausfüllen.  Die  Zusätze 
betreffen:  die  Bier'sche  Stauung,  die  Clavicularverbände  nach 
B  ii  ng  n  e  r,  die  Aluminiumschienen  und  ihre  Technik,  die  Extensions¬ 
apparate  nach  Schede  und  Heuser,  Extensions-  und  Gehver¬ 
bünde.  Die  misshandelte  Phrase:  »Das  Buch  sollte  in  der  Biblio¬ 
thek  keines  Arztes  fehlen« —  besteht  hier  einmal  zu  Recht. 

* 

IV.  An  der  Hand  einer  grossen  Zahl  von  Krankengeschichten, 
die  vielfach  durch  gelungene  Photographien  erläutert  sind,  empfiehlt 
Hoffa  bei  coxitischen  Deformitäten  behufs  Erzielung  eines  be¬ 
weglichen  Gelenkes  bei  knöcherner  Ankylose  die  Meisselresection 
des  Gelenkes  bei  beiderseitiger  Erkrankung  mindestens  auf  einer 
Seite;  wenn  der  Schenkelschaft  hoch  am  Becken  in  die  Höhe  ge¬ 
rückt  ist,  und  zwischen  beiden  nur  eine  brückenartige  Verwach¬ 
sung  besteht,  ist  die  Osteotomia  pelvitrochanterica  am  Platze.  Die 
einfache  subtrochantere  Osteotomie  wird  bei  annähernd  normalem 
oberem  Femurende  zur  Ausgleichung  von  Abductious-  und  Adduc- 
tions-Contracturen,  die  schiefe  subtrochantere  Osteotomie  zur  Be¬ 
hebung  von  Verkürzungen  (bis  5  cm  lassen  sich  corrigiren)  ver¬ 
wendet.  Dieselbe  Operation  wendet  Hoffa  auch  an,  um  bei  Per¬ 
sonen  über  zehn  Jahren,  welche  an  angeborener  Hüftluxation  leiden, 
die  Stellung  zu  verbessern,  und  ebenso  zieht  er  sie  auch  bei  der 
Coxa  vara  den  anderen  Operationsmethoden  vor. 

* 

V.  Hoff  a's  Lehrbuch  der  Massage  hat  sich  von  Anfang  an 
wegen  der  kurzen  und  doch  erschöpfenden,  besonders  aber  streng 
wissenschaftlichen  Darstellung  grosser  Beliebtheit  erfreut.  So  wird 
es  auch  mit  der  neuen  Auflage  sein,  welche  abermals  vermehrt 
erscheint,  auch  eine  Reihe  neuer  Abbildungen  enthält,  welche  die 
Lagerung  der  zu  massirenden  Körpertheile  wiedergeben.  Mit  Recht 
meint  Hoffa,  dass  das  Büchlein  unser  heutiges  Können  auf  diesem 
Gebiete  getreu  wiederspiegelt. 

* 

VI.  Es  ist  gewiss  sehr  schwierig,  in  der  Chirurgie  die  Grenze 
zwischen  Prophylaxe  und  Therapie  zu  ziehen,  die  so  vielfach  in- 
einandergreifen.  So  kommt  es,  dass  Mancher  finden  wird,  dass 
die  Autoren  bei  der  Behandlung  dieses  recht  undankbaren  Stoffes 
die  Grenzsteine  hie  und  da  verschoben  haben.  Zweifellos  sind 
Narkose,  Wundbehandlung  im  engeren  Sinne  etc.  prophylaktische 
Massnahmen,  aber  es  widerstrebt  unserem  Empfinden,  sie  aus  dem 
engsten  Kreise  der  Therapie  losgelöst  zu  sehen.  Die  Besprechung 
dieser  beiden  Capitel  ist  im  ersten  Abschnitt,  der  als  allgemeine 
Prophylaxe  bezeichnet  ist,  abgehandelt.  Bei  der  speciellen  Prophy¬ 
laxe  finden  sich  die  Capitel:  Prophylaxe  bei  der  Behandlung  der 
Fracturen  und  Luxationen  (wobei  besonders  die  Spontan fractur  und 
die  modernen  Verbände  besprochen  werden),  Prophylaxe  bei  der 
Behandlung  von  Luxationen,  Prophylaxe  bei  Unfallverletzungen 
(wobei  einer  zweck mässigeren  und  einheitlichen  ärztlichen  lleber- 
wachung  das  Wort  geredet  wird),  Prophylaxe  bei  der  Behandlung 
der  Deformitäten,  Prophylaxe  bei  der  Behandlung  der  Geschwülste. 
Die  beiden  letzten  Capitel  wären  vielleicht  am  meisten  zu  einer 
eingehenden  Besprechung  geeignet  gewesen,  sind  aber  im  Verhältniss 
zu  anderen  etwas  kurz  ausgefallen. 

Das  Buch  ist  durchaus  auf  der  Höhe  der  Wissenschaft,  bietet 
viele  neue  Gesichtspunkte;  ob  sich  der  Stoff  zu  einer  gesonderten 
Besprechung  sonderlich  eignet,  möchte  Referent  dahingestellt  sein 
lassen. 

* 

VH.  Der  im  ärztlichen  Verein  zu  Wiesbaden  gehaltene  Vor¬ 
trag  behandelt  einen  letal  abgegangenen  Fall,  bei  dem  nach  einer 
Kolik  des  Wurmfortsatzes  eiterige  Infiltration  eines  Leberstückes 
aufgetreten  sein  dürfte,  ohne  dass  an  einer  von  beiden  Stellen 
Eiter  zu  finden  war.  Da  keine  Obduction  erfolgte,  ist  der  Fall  nicht 
vollständig  aufgeklärt.  Die  angeknüpften  Bemerkungen  bieten  in 
keiner  Richtung  etwas  wesentlich  Neues. 

* 

\  III.  Die  Chirurgie  des  Herzens  und  Herzbeutels  ist  bereits 
den  Kinderschuhen  entwachsen  und  ihre  systematische  Besprechung 
höchst  zeitgemäss.  Die  vortreffliche  Monographie  Giordano's 
erfüllt  diese  Aufgabe  vollkommen,  indem  sie  in  drei  Abschnitten 
zuerst  die  Anatomie  der  Herzgegend,  dann  die  Chirurgie  des  Herz¬ 
beutels  und  schliesslich  die  des  Herzens  abhandelt.  Es  ist  kaum 


möglich,  aus  der  Fülle  der  Einzelheiten  Details  herauszugreifen. 
Gewiss  wird  das  Büchlein  jedem  Arbeiter  auf  diesem  Gebiete  un¬ 
entbehrlich  sein,  da  es  auch  eine  ziemlich  vollständige  Uebersicht 
über  das  bisher  Geleistete  bringt.  Nur  die  Abbildungen  könnten 
deutlicher  sein,  sie  geben  kein  klareres  Bild  als  die  Beschrei¬ 
bungen.  Für  den  deutschen  Leser  ist  es  überraschend,  volle  17  Fälle 
von  Herznaht  zusammengestellt  zu  finden,  unter  denen  14  aus 
Italien  stammen  (eine  vom  Autor  ausgeführt).  Darunter  finden  sich 
sieben  Heilungen,  und,  was  besonders  erfreulich  ist,  in  allen  Fällen, 
welche  erst  später  zum  Tode  führten,  hatte  die  Herznaht  gehalten. 

K.  B  ü  d  i  n  g  e  r. 


I.  Die  Krankheiten  der  Eierstöcke  und  Nebeneierstöcke. 

Herau^gegeben  von  A.  Martin. 

Leipzig  1899,  Georg  i. 

II.  Die  Krankheiten  der  Frauen. 

Für  Aerzte  und  Studirende  dargestellt  von  H.  Fritsch. 

Neunte  Auflage. 

Braun  schweig  1 900,  W  r  e  d  e  n. 

III.  Die  Sterblichkeit  »im  Kindbett«  in  Berlin  und  in 

Preussen  1877 — 1896. 

Von  Pli.  Ehlers. 

Mit  einem  Vorwort  von  Geheimrath  Prof.  Dr.  L  ö  h  1  e  i  n  in  Giessen. 

Stuttgart  1 900,  Enke. 

1.  Die  zweite  Hälfte  des  Martin'schen  »Handbuches  der 
Krankheiten  der  Adnexorgane«  schliesst  sich  dem  vorangegangenen 
ersten  Bande,  in  welchem  die  Krankheiten  der  Tuben  abgebandelt 
sind,  was  Vollständigkeit  und  Reichhaltigkeit  von  Darstellung  und 
Inhalt,  streng  wissenschaftliche  Behandlung  der  Materie,  umfang¬ 
reiche  Berücksichtigung  der  einschlägigen  Literatur  und  Vorzüglich¬ 
keit  der  Abbildungen  anbelangt,  ebenbürtig  an.  Aus  Martin's 
Feder  stammen  die  Capitel  über  die  Anatomie  (hier  finden  wir  eine 
Wiedergabe  der  W  a  1  d  e  y  e  r'schen  Forschungsergebnisse  über  die 
topographische  Anatomie  der  Ovarien),  die  Frequenz  und  Sympto¬ 
matologie  der  Eierstockserkrankungen  im  Allgemeinen  und  jene  der 
Neubildungen,  dann  über  der  letzteren  Stielbildung,  Wandern,  Gom- 
plicationen,  Symptome,  Diagnose,  Prognose  und  Therapie.  Was  die 
Lectüre  dieser  meisterhaften  Abhandlungen  besonders  anregend 
macht,  sind  die  immer  wiederkehrenden  Belege  und  Erfah¬ 
rungen  aus  dem  eigenen,  wie  allgemein  bekannt,  sehr  reichhal¬ 
tigen  Materiale.  W  e  n  d  e  1  e  r  verdanken  wir  eine  in  Bezug  auf 
Deutlichkeit  und  Anschaulichkeit  der  Darstellung  hervorragende, 
seine  reichen  eigenen  Forschungsergebnisse  enthaltende  kritische 
Bearbeitung  der  Entwicklungsgeschichte  und  Physiologie  der 
Ovarien,  ferner  der  Histogenese  und  Metastasirung  der  Eierstocks¬ 
tumoren. 

Die  pathologische  Anatomie  der  Orarialneubildungen  ist  von 
S  t  o  e  c  k  1  i  n,  Heinrichs,  Wilms,  H  e  r  t  e  r,  Orthmann 
bearbeitet  worden.  W  i  1  m  s,  der  bekanntlich  schon  in  früheren 
grundlegenden  Arbeiten  Licht  in  die  verworrenen  Fragen  der  Histo¬ 
genese  der  Dermoide  und  Teratome  der  Ovarien  gebracht  hatte, 
zeigt  wiederum  durch  seine  Bearbeitung  der  Histogenese  der  »Ovarial- 
embryome«,  dass  er  ganz  besonders  dazu  berufen  war.  Die  übrigen 
der  genannten  Autoren,  in  der  Eintheilung  der  Ovarialtumoren  der 
von  Waldeyer  vorgeschlagenen  — -  die  in  Bälde  wrohl  allgemein 
acceptirt  sein  wird  —  in  epitheliale,  desmoide  und  Mischgeschwülste 
folgend,  geben  in  ihren  musterhaften,  mit  vielen  guten  Abbildungen 
versehenen  Darlegungen  einen  vollkommenen  Einblick  in  den  gegen¬ 
wärtigen  Stand  wissenschaftlicher  Forschung  auf  dem  Gebiete  der 
pathologischen  Anatomie  der  Eierstockgeschwülste. 

Auf  gleicher  Höhe  stehen  die  Abhandlungen  von  Orth  mann 
über  die  Ovarialschwangerschaft,  die  infectiösen  Granulome,  und 
(mit  Martin  zusammen  abgefasst)  über  die  Cireulationsstörungen 
und  Entzündungen  der  Ovarien,  von  Kossmann  über  Mangel, 
Ueberzahl,  Verlagerung  der  Eierstöcke  und  über  die  Anatomie  und 
Pathologie  der  Nebeneierstöcke,  von  Sänger  über  die  klinischen 
Verhältnisse  der  Embryome  und  von  Kippenberg  über  das 
spätere  Verhalten  der  Ovariotomirten. 

Wird  auch  das  gross  angelegte  M  a  r  t  i  n’sche  Werk,  ein  neuer 
Zeuge  der  grossen  Leistungen  deutscher  Wissenschaft  in  neuer  und 
neuester  Zeit,  vorwiegend  und  in  ganz  besonderem  Masse  den 
wissenschaftlichen  Interessen  specieller  fachlicher  Kreise  dienen,  so 
muss  es  doch  auch  der  ärztlichen  Allgemeinheit  wärmstens  em- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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pfohlen  werden,  denn  der  Praktiker  wird  im  Einzelfalle  in  jeder 
Hinsicht  reichliche  Belehrung  daraus  schöpfen  können. 

* 

11.  Fritsclrs  Lehrbuch  hat  seit  seinem  Bestehen  zu  den 
verbreitetsten  und  beliebtesten  gynäkologischen  Lehr-  und  Lern¬ 
behelfen  gezählt.  Entsprechend  den  zahlreichen  wissenschaftlichen 
Errungenschaften  der  neueren  Zeit  wurde  das  Buch  etwas  umfang¬ 
reicher;  ein  Capitel  über  Antisepsis  in  der  Gynäkologie  und  ein 
Capitel  über  Nachbehandlung  und  Nachkrankheiten  nach  Laparoto¬ 
mien  wurden  neu  hinzugefügt,  die  meisten  anderen  Capitel  wesent¬ 
lich  umgestaltet,  sowie  eine  bedeutende  Anzahl  neuer  Abbildungen 
beigegeben.  Die  lebendige,  auch  schwer  verständliche  und  trockene 
Themen  dem  Verständnisse  des  Lesers  leicht  nahebringende  Schreib¬ 
weise  des  Autors  sind  allbekannt;  nicht  minder  wird  der  in  diesem 
Lehrbuche  niedergelegte  reiche  Schatz  persönlicher  Erfahrung  vom 
Lernenden  dankbar  gewürdigt  werden. 

* 

1H.  Die  statistische  Arbeit  Boehr’s  aus  dem  Jahre  1878 
»Untersuchungen  über  die  Häufigkeit  des  Todes  im  Wochenbett  in 
Preussen«  hatte  der  Allgemeinheit  zum  Bewusstsein  gebracht, 
welche  Rolle  das  Puerperalfieber  in  der  Gesammtsterblichkeit  spielt. 
Gleichzeitig  feierte  die  Antisepsis  ihre  ersten  Triumphe  in  den  Ent¬ 
bindungsanstalten  und  im  Verlauf  der  Achtziger- Jahre  traten  ihre 
Segnungen  immer  deutlicher  hervor.  Ehlers  hat  nun  schon  im 
Jahre  1889  sich  der  dankenswerthen  und  mühevollen  Aufgabe  unter¬ 
zogen,  auf  Grund  einer  neuerlichen  Prüfung  des  seit  dem  Erscheinen 
der  Boehr’schen  Publication  angesammelten  statistischen  Materiales 
die  Frage  zu  beantworten,  inwieweit  eine  Herabsetzung  der  Sterb¬ 
lichkeit  im  Wochenbette  in  Folge  der  Antisepsis  eingetreten  sei. 
Gleiche  Zwecke  verfolgt  die  wiederum  ein  Jahrzehnt  später  er¬ 
schienene  vorliegende  Arbeit.  Diese  hat  nun  die  erfreuliche  That- 
sac-he  festgestellt,  dass  es  auch  in  der  Gesammtbevölkerung 
mit  der  Wöchnerinnensterblichkeit  besser  geworden  ist.  Die  Ab¬ 
nahme  der  Sterblichkeit  ist  grösser  in  den  Stadt-  als  in  den  Land¬ 
gemeinden,  grösser  in  Berlin,  als  auf  dem  Lande.  Weitere  Besserung 
erwartet  der  Verfasser  von  der  besseren  Ausbildung  der  Aerzte  und 
Hebammen  und  der  Anstellung  gut  besoldeter  Bezirkshebannnen  in 
den  dünn  bevölkerten  Gegenden.  H.  L  u  d  w  i  g. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

244.  Die  Behandlung  der  Retropharyngeal- 
abscesse.  Von  Dr.  Schmidt  (Hannover).  Um  den  Eintritt  von 
Eiter  in  die  Luftröhre,  beziehungsweise  Speiseröhre  mit  seinen 
Folgen  zu  vermeiden,  hat  B  u  r  ck  har  dt  die  Eröffnung  der  Abscesse 
von  der  Seite  des  Halses  her  empfohlen.  Er  selber  legte  den  Haut¬ 
schnitt  am  vorderen  Rande  des  Kopfnickers  an  und  präparirte  vor 
der  Carotis,  Kr  edel  in  15  Fällen  hinter  der  Vena  jugularis 
in  die  Tiefe.  Ganz  ungefährlich  ist  dieser  Vorgang  jedoch  nicht, 
da  bereits  ein  Fall  bekannt  ist,  in  dem  in  Folge  der  Arrosion  der 
Vene  durch  das  Drainrohr  eine  tödtliche  Blutung  entstanden 

war.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  März  1900.) 

* 

245.  U  e  b  e  r  die  Beziehungen  epileptischer  An¬ 
fälle  'zur  Harnsäureausscheidung.  Von  Dr.  Caro 
(Posen).  Von  Krainski  wurde  constatirt,  dass  24 — 48  Stunden 
vor  dem  epileptischen  Anfall  die  Harnsäure  im  Urin  vermindert 
sei,  und  zwar  so  regelmässig,  dass  er  bei  einem  bestimmten 
Tiefstände  der  Harnsäureausscheidung  einen  Anfall  Vorhersagen 
konnte.  Diese  Harnsäureverminderung  soll  die  Folge  einer  Gift- 
wirkung  sein,  welche  bei  einer  bestimmten  Intensität  die  Anfälle 
auslöst,  welch  letztere  wieder  das  'Gift  zerstören  sollen,  und  zwar 
soll  es  sich  hiebei  um  carbaminsaures  Ammoniak,  beziehungsweise 
um  das  daraus  freiwerdende  Ammoniak  handeln.  Caro  hat  in 
einem  Falle  dieses  Verhalten  der  Harnsäure  nachgeprüft  und  die 
Angaben  K  rain  ski's  von  der  auffälligen  Verminderung  jener  vor 
einem  Anfalle  bestätigen  können.  —  (Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  19.) 

* 

246.  Aneurysma  der  Carotis  interna  nach  Ton- 
sillarabseess.  Von  Dr.  Wulff  (Hamburg.)  Das  achtjährige 
Mädchen  war  an  einer  Angina  follicularis  erkrankt.  Nach  acht 


Tagen  wurde  ein  Tonsillarabscess  diagnosticirt,  behufs  dessen 
Spaltung  der  Rachen  zuvor  mit  einem  Stieltupfer  zur  Entfernung 
des  Schleimes  ausgewischt  wurde,  bei  welcher  Gelegenheit  eine 
äusserst  heftige  Blutung  entstand.  Das  Geschwür  hatte  allem  An¬ 
scheine  nach  zur  Arrosion  eines  grösseren  Gefässes  geführt  gehabt, 
ln  weiterer  Folge  hatte  sich  an  der  gleichen  Stelle  eine  pulsirende 
Geschwulst  entwickelt,  die  als  Aneurysma  erkannt  wurde.  Wegen 
der  vorliegenden  Gefahr  des  Berstens  des  schon  sehr  verdünnten 
Aneurysmasackes  wurde  die  Ligatur  der  Carotis  communis  aus¬ 
geführt,  die  zur  Schrumpfung  der  Geschwulst  und  nach  einer  den 
Verlauf  complicirenden  Vereiterung  derselben  zur  vollständigen 
Heilung  führte.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  20.) 

* 

247.  Die  stetige  Zunahme  der  Krebserkrankun¬ 
gen  in  den  letzten  Jahren.  Von  Dr.  Maeder  (Breslau). 
Gleichwie  bereits  für  andere  Länder  der  Nachweis  der  vermehrten 
Krebssterblichkeit  versucht  worden  ist,  führt  M  a  e  d  e  r  denselben- 
Nachweis  für  Preussen,  Sachsen  und  Baden;  und  zwar  fand  er  die 
Krebssterblichkeit  grösser  unter  den  Bewohnern  der  Städte  als 
unter  jenen  des  Landes,  grösser  unter  Frauen  als  unter 
Männern,  sowie  gewisse  Gegenden  mehr  davon  heimgesucht  als 
andere.  —  (Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infectionskrankheiten. 
Bd.  XXXIT,  Heft  2.) 

* 

248.  Acute  Herzdila  tion  und  Cor  mobile.  Von  Dr. 
Hoffmann  (Düsseldorf).  Die  Lehre  von  der  acuten  Herzdilatation 
hat  namentlich  in  letzterer  Zeit,  und  zwar  durch  die  Untersuchungen 
von  Henschen  dadurch  eine  Bedeutung  erlangt,  dass  er  sie 
ganz  ungewöhnlich  häufig  bei  Chlorose  und  Anämie,  Scharlach, 
Nephritis,  beim  Alkohol-  und  Greisenherz,  bei  Infectionskrankheiten, 
Rheumatismus,  Klappenfehlern,  aber  auch  bei  Gesunden  nach 
starker  körperlicher  Anstrengung  beobachtet  haben  will.  Demgegen¬ 
über  betonen  wieder  andere  Autoren,  dass  es  sich  hier  nur  um 
scheinbare,  durch  Hochstand  des  Zwerchfelles  und  Retraction  der 
Lungen  bedingte  Vergrösserung  der  Herzdämpfung  handle.  Hoff¬ 
mann  bemerkt,  dass  eine  Vergrösserung  des  Herzens  besonders 
dann  vorgetäuscht  werden  kann,  wenn  zwei  Bedingungen  vorhanden 
sind:  Hochstand  des  Zwerchfelles,  wie  er  bei  Chlorose  häufig  ist 
und  ein  sehr  bewegliches  Herz,  wie  es  auch  bei  Chlorose  und 
ausserdem  bei  Nervosität  nicht  selten  anzutreffen  ist.  Ein  solches 
Cor  mobile  kann  unter  Umsänden  ganz  lebhafte  Beschwerden 
machen.  Solche  hatten  in  einem  von  Hoffmann  näher  ange¬ 
führten  Falle  bestanden.  Der  Schlaf  war  schlecht,  ausser  Kopf¬ 
druck,  Unruhe  und  sonstigen  neurasthenischen  Symptomen,  zeit¬ 
weilig  heftiges  Herzklopfen,  namentlich  Nachts,  Angstanfälle  mit 
Beklemmungen,  niemals  jedoch  eigentliche  Dyspnoe.  Bei  der  Unter¬ 
suchung  wurde  der  Spitzenstoss  2  cm  ausserhalb  der  Mammillar- 
linie  gefunden,  sonst  am  Herzen  nichts  Abnormes.  Bei  Lagerung 
nach  links  wanderte  die  Herzspitze  um  weitere  5  cm  nach  aussen, 
blieb  aber  im  fünften  Intercostalraume.  Dabei  tympanitischer  Schall 
über  dem  ganzen  Abdomen.  Zwei  Tage  später  nach  Abführmitteln 
und  reizloser  Kost,  begann  die  Leberdämpfung  erst  an  der  sechsten 
und  nicht  wie  früher  am  unteren  Rande  der  fünften  Rippe,  und 
der  Spitzenstoss  war  innerhalb  der  Mamillarlinie  fühlbar. 

(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  19.) 

* 

249.  Zur  Diagnose  des  Cöeumcarcinoms  und 
der  Cöcumtuberculose.  Von  Prof.  Obrastzow  (Kiew). 
Das  diagnostische  Hauptmerkmal  zwischen  den  beiden  genannten 
Erkrankungen  soll  darin  liegen,  dass  beim  Carcinom  die  Palpation 
nichts  mehr  von  einem  Darm,  sondern  nur  einen  Tumor  erkennen 
lässt,  während  bei  der  Tuberculose  zumeist  der  Darm  als  solcher, 
wenn  auch  mit  verdickter  Wand  erkannt  werden  kann.  Nach  Ver¬ 
fasser  sprechen  frühzeitig  auftretende  Stenosenerscheinungen  für 
Carcinom,  spät  auftretende  für  Tuberculose.  —  (Archiv  für  Ver¬ 
dauungskrankheiten.  Bd.  VI,  Heft  1.) 

* 

250.  Cohnheim  empfahl  im  Vereine  für  innere  Medicin  in 
Berlin  zur  Behandlung  gewisser  Formen  von  Magen¬ 
erweiterung  die  Einführung  grosser  Oeldosen  in 
den  Magen.  Alle  vier  Fälle,  in  denen  diese  Behandlung  ange¬ 
wendet  worden  war,  hatten  das  Gemeinsame,  dass  den  Symptomen 


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nach  —  vier  bis  fünf  Stunden  nach  dem  Essen  auffretende 
krampfartige  Schmerzen  im  Epigastrium  —  die  Magenerweiterung 
als  Folge  eines  Pyloruskrampfes  anzusehen  war.  Während  die 
übliche  Magenausspülung  sonst  wochenlang  vorgenommen  werden 
musste,  genügte  es  in  den  näher  beschriebenen  vier  Fällen,  nach 
gründlicher  Entleerung  des  Magens  einige  Male  J/s  —  */4 1  leicht  er¬ 
wärmtes  Olivenöl  durch  den  Magenschlauch  einzuführen,  um  die 
Beschwerden  zu  beheben  und  die  Patienten  fähig  zu  machen, 
selbst  schwer  verdauliche  Speisen  wieder  gemessen  zu  können. 

(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  0.) 

* 

251.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  von  Prof.  Senator 

zu  Berlin.)  lieber  Beobachtungen  bei  der  therapeuti¬ 
schen  Verwendung  des  Dionin.  Von  Dr.  Bornikoel. 
Es  wird  die  reizmildernde  Wirkung  des  Mittels  hervorgehoben;  der 
Husten  wird  beseitigt,  ohne  dass  die  Secretion  beschränkt  würde; 
ebenso  konnte  die  schmerzstillende  Wirkung  bei  den  verschiedensten 
Anlässen  —  auch  bei  den  gastrischen  Krisen  der  Tabiker  — 
ebenso  auch  eine  hypnotische  Wirkung  beobachtet  werden.  Im  All¬ 
gemeinen  war  0015  002  pro  dosi  in  Pulver  oder  Lösung  ver¬ 

abreicht  worden.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  4.) 

* 

252.  Kossmann  in  Berlin  theilt  einen  Fall  von 
Schwangerschaft  bei  einer  Frau  mit,  bei  welcher  l1/.,  Jahre 
zuvor  wegen  beiderseitiger  Oophoritis  die  Ovarien  exstirpirt 
worden  waren,  wobei  von  ihnen  nur  so  viel  zurückgelassen  wurde, 
als  nothwendig  war,  um  das  Abgleiten  der  Catgutfäden  zu  ver¬ 
hindern.  Die  Conception  lässt  sich  nur  dadurch  erklären,  dass  die 
Ligaturen  zwar  die  Blutung  gestillt,  aber  dennoch  nicht  die  Er¬ 
nährung  der  zurückgebliebenen  Eierstoekreste  vollständig  gestört 
haben,  lieber  die  Bedeutung  des  Mekoniumabganges 
schliesst  sich  Kossmann  der  Meinung  Olshau  sen's  an, 
welcher  sagt,  dass  Mekonium  abgehen  könne,  ohne  dass  der 
Fötus  in  Lebensgefahr  sei,  eine  Anschauung,  der  vielfach  entgegen¬ 
getreten  wurde.  Kossmann  beschreibt  einen  Fall,  in  dem 
während  eines  ganzen  Tages  bei  einem  in  erster  Schädel¬ 
lage  befindlichen  Kinde  Mekonium  neben  der  Kopfgeschwulst  hervor¬ 
quoll,  sobald  der  Finger  auch  nur  zur  Hälfte  eingeführt  wurde. 
Die  sehr  häufig  vorgenommene  Controle  der  Herztöne  hatte  niemals 
eine  Störung  der  Frequenz  ergeben.  Dabei  war  das  jedes  Mal 
hervorquellende  Mekonium  so  dickflüssig  und  dunkel,  dass  es  für 
frisch  aus  dem  Mastdarm  entleert  gelten  und  sicherlich  nicht  bei 
noch  stehender  Blase  dem  Fruchtwasser  beigemengt  sein  konnte. 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  10.) 

* 

253.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Lichtheim 
in  Königsberg.)  U e  b  e  r  L  y  m p  h  ä  mie  ohne  L  y  m p h  d  r  ü  s  e  n- 
Schwellung.  Von  Dr.  Pappenheim.  Im  Gegensätze  zur 
Pseudoleukämie  versteht  man  unter  Leukämie  ein  Krankheitsbild, 
in  dem  eine  Vergrösserung  der  Lymphdrüsen  oder  Milz  oder  beider 
mit  einem  charakteristischen  Blutbefund  verknüpft  ist.  Nach 
Ehrlich -Lazar us  gibt  aber  das  Blutbild  den  eigentlichen  Ei n- 
theilungsgrund  ab  und  je  nachdem  dasselbe  vorzüglich  granulations¬ 
lose  unbewegliche  Lymphkörperchen  aufweist,  oder  granulirte, 
amöboide  Knochenmarkszellen,  pflegt  man  eine  »lymphatische« 
Leukämie  (Lymphämie)  odereine  »myelogene«  Leukämie  (Myelämie) 
zu  unterscheiden,  wobei  man  sich  in  dem  einen  Falle  die  Lymph¬ 
drüsen,  in  dem  anderen  das  Knochenmark  als  primär  erkrankt 
denkt,  während  der  Milztumor,  sowie  die  bei  myelogener  Leukämie 
auftretenden  Drüsenpakete  als  durch  secundäre  Metastasen  lympha¬ 
tischen  Gewebes  bedingt,  aufgefasst  werden.  Nun  sind  aber  Fälle 
von  Leukämie  bekannt  geworden,  in  welchen  der  Obductionsbefund 
hinsichtlich  von  Lymphombildung  ein  vollständig  negativer  war. 
Auf  Grund  derselben,  sowie  zweier  eigener  beobachteter  Fälle,  stellt 
sich  der  Autor  auf  Seite  Neumann’s,  dessen  Lehre  hinsichtlich 
der  Entstehung  der  Leukämie  kurz  folgende  ist:  Befällt  ein  patho¬ 
logischer  Wachsthumsreiz  primär  die  Milz  oder  Lymphdrüsen, 
deren  dehnbare  Kapsel  mitwächst,  dann  entsteht  blos  eine  Pseudo¬ 
leukämie;  wird  in  gleicher  Weise  das  Knochenmark  ergriffen  und 
zur  Hyperplasie  gebracht,  dann  entsteht  immer  eine  Leukämie. 
Nach  Verfasser  ist  also  jede  Leukämie,  auch  die  lymphatische, 
die  Folge  .einer  hyperplastischen  Knochenmarkswucherung.  — 
(Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXIX,  Heft  3  und  4.) 


254.  (25.  Wanderversammlung  der  südwestdeutschen  Neuro¬ 
logen  und  Irrenärzte.)  Monakow  (Zürich)  berichtete  über  einen 
Fall,  welcher  ein  seit  der  Geburt  blindes,  mit  75  Jahren  verstor¬ 
benes  Individuum  betraf.  Es  stellte  sich  der  Befund  heraus,  dass 
die  als  Sehstrahlung  bezeichneten  Bahnen  unentwickelt,  zum  Theil 
jedoch  vollständig  erhalten  waren.  Dieser  von  Monakow  als 
Thalamusstiel  des  Corpus  geniculatum  externum  bezeichnete  Theil 

ist  offenbar  functioneil  different  von  der  übrigen  Sehbahn. 

* 

255.  Ueber  die  Durchgängigkeit  der  unver¬ 
sehrt  e  n  II  a  u  t  des  W  a  r  m  b  1  ü  t  e  r  s.  Von  Dr.  Vogel.  Von  den 
am  Kaninchen  angestelllen  Versuchen  seien  einige  der  Ergebnisse 
angeführt.  Nach  denselben  soll  Kohlenoxydgas  gar  nicht,  Schwefel¬ 
wasserstoff  sehr  schnell  in  die  Haut  eindringen  und  binnen  Kurzem 
eine  Vergiftung  setzen.  Aether  und  Chloral  in  Aether  dringen 
schnell  durch,  letzteres  aber  nicht,  wenn  es  mit  Alkohol  oder 
Wasser  gemengt  ist.  Aelherdämpfe  dringen  bei  höherer  Temperatur 
sehr  leicht  durch  die  Haut;  in  Aether  gelöste  und  mit  Paraffinsalbe 
verriebene  Salicylsäure  tritt,  kräftig  eingerieben,  in  die  Haut  ein  und 

kommt  zur  Resorption.  —  (Virchow’s  Archiv.  Bd.  CLVI,  Heft  3.) 

* 

256.  Ein  Fall  von  erheblicher  Schädelver- 
lctzung  ohne  nachweisbare  Functionsstörungen. 
Von  Dr.  Gut  mann  (Emmendingen).  Der  zwölfjährige  Knabe  war 
mit  seinem  Kopfe  zwischen  die  Räder  zweier  aneinander  langsam 
vorüberfahrender  Wagen  gekommen.  Die  Folge  war  eine  Wunde 
an  der  rechten  Schläfe,  aus  der  am  nächsten  Tage  ein  walnuss¬ 
grosses  Stück  Gehirn  ausgestossen  wurde.  Einen  Monat  nach  dem 
Unfall  war  der  Knabe  ohne  jeden  psychischen  oder  functioneilen 
Defect  wieder  vollkommen  hergestellt.  —  (Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  22.) 

* 

257.  Ueber  individuelle  Schwangerschafts¬ 
zeichen  nebst  einer  Bemerkung  über  die  anatomi¬ 
schen  Verhältnisse  des  Orificium  e  x  t.  urethrae. 
Von  Dr.  Naegeli  (Ermatingen).  Einige  Frauen  verspüren  in  den 
ersten  Schwangerschaftswochen  ein  Jucken  am  Körper;  bei  vielen 
Frauen  traten  frühzeitig  nach  der  Conception  abnorme  Sensationen 
und  Schmerzen  in  Körpertheilen  auf,  die  während  einer  früheren 
Schwangerschaft  oder  im  Wochenbette  erkrankt  gewesen  waren. 
Frauen,  die  an  einer  Phlebitis  oder  Thrombose  gelitten  haben, 
empfinden  bald  an  denselben  Stellen  häufig  Schmerzen,  desgleichen 
an  der  Stelle  einer  ehemaligen  Parametritis,  Mastitis  etc.  Naegeli 
hat  gefunden,  dass  die  jungfräuliche  Harnröhre  durch  eine  zwei¬ 
zipfelige  Klappe  geschlossen  sei,  deren  Intactheit  darauf  hindeutet, 
dass  keine  Masturbation  stattgefunden  habe.  Nach  einer  solchen 
oder  nach  Cohabitationen  wird  die  Klappe  zu  dem  bekannten 
Wulst  um  die  Urethralmündung.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  24.) 

* 

• 

258.  Zur  Symptomatologie  der  hysterischen 
T  a  u  b  h  e  i  t.  Von  Dr.  Barth  (Brieg).  Bei  einem  erblich  nicht  be¬ 
lasteten,  intelligenten,  elfjährigen  Mädchen  war  durch  einen  Schreck 
doppelseitige  absolute  Taubheit  aufgetreten.  Bezeichnend  für  die 
hysterische  Natur  der  Erkrankung  war,  dass  das  Kind  dessenun¬ 
geachtet  vollkommen  richtig  und  rein  singen  konnte,  ja  es  sang 
sogar  das  Lied  in  der  Tonart,  welche  am  Clavier  angegeben  wurde. 
Diese  Beeinflussung,  welche  eine  unbewusste  akustische  Perception 
zur  Folge  hatte,  fand  nur  am  Beginne  des  Singens  statt.  Während 
desselben  Hess  das  Mädchen  sich  durch  keinen  weiteren  Ton,  durch 
keine  Dissonanzen  mehr  beeinflussen.  Das  Gehör  stellte  sich  plötz¬ 
lich  nach  einer  Hypnose  wieder  ein.  —  (Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  22.) 

* 

259.  Partielle  Nephrektomie.  Von  Verhoogen 

(Brüssel).  Verfasser  hat  in  einem  Falle  den  zwei  grössere  Cavernen 
enthaltenen  Theil  einer  Niere  resecirt,  darnach  die  Wunde  mit 
Catgut  vernäht;  das  Resultat  war  ein  durchaus  schlechtes.  Sechs 
Wochen  später  musste  die  nun  vollständig  von  Tuberkeln  durch¬ 
setzte  Niere  gänzlich  entfernt  werden.  —  (Centralblatt  für  Krank¬ 
heiten  der  Harn-  und  Sexualorgane.  Bd.  XI,  Heft  6.)  Pi. 


Nr.  HO 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


697 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Es  kann  nur  begrüsst  werden,  wenn  nach  Analogie  anderer 
öffentlicher  Anstalten  auch  in  den  k.  k.  Krankenhäusern  eine  Ver¬ 
lautbarung  erfolgt,  durch  welche  das  Publicum  auf  sein  Beschwerde¬ 
recht  aufmerksam  gemacht  wird.  Solcher  Brauch  bekräftigt  jeden 
Einzelnen,  der  die  Anstalt  aufsucht,  in  seinem  guten  Rechte  auf  ein 
gewisses  Mass  von  natürlichen  Ansprüchen  und  verschafft  von  vorno¬ 
herein  ein  beruhigendes  Gefühl  von  Schutz  und  Sicherheit.  Je  ein¬ 
facher  und  allgemeiner  solche  Verlautbarungen  gehalten  sind,  umso 
besser  erfüllen  sie  ihren  Zweck.  Nach  der  gewöhnlichen  fast  typischen 
Stylisirung  wird  sonst  nur  im  Allgemeinen  darauf  hingewiesen,  an 
welcher  Stelle  Beschwerden  vorgebracht  werden  können.  Die  Statt¬ 
halterei  hat  es  für  gut  befunden  in  der  von  ihr  seit  einigen  Tagen 
in  den  k.  k.  Krankenhäusern  angebrachten  Verlautbarung  von  einem 
solchen  allgemein  gehaltenen  Hinweis  auf  das  Beschwerderecht  der 
Patienten  abzugehen  und  hat  eine  Reihe  von  besonders  qualificirten 
Beschwerdepunkten  noch  besonders  namhaft  gemacht.  Es  ist  dabei  sehr 
zu  bedauern,  dass  durch  die  nicht  ganz  glückliche  Lösung  des  neuen 
stylistischen  Problems  sich  leicht  recht  unliebsame  Missverständnisse 
ergeben  könnten.  Dies  gilt  namentlich  im  Hinblick  auf  den  an  die 
Spitze  der  Verlautbarung  gestellten  Beschwerdepunkt:  „Nicht  ent¬ 
sprechende  Behandlung“.  In  einem  Krankenhause  versteht 
man  unter  „Behandlung“  wohl  zunächst:  „Therapie“.  Ob  die  Therapie 
eine  „entsprechende“  oder  nicht  „entsprechende“  ist,  darüber  kann 
doch  in  einem  öffentlichen  Krankenhause  unmöglich  der  Kranke  zum 
Richter  aufgerufen  werden.  Man  will  ja  nicht  durch  derlei  behörd¬ 
liche  Massregeln  zugleich  mit  dem  Vertrauen  die  Autorität  des  nach 
wissenschaftlichen  Principien  behandelnden  Arztes  von  vorneherein 
untergraben  und  gleichsam  behördlich  dem  Kranken  das  Recht  Vor¬ 
behalten,  sich  die  Therapie  eventuell  auch  selber  vorzuschreiben.  Dem 
Kranken  soll  sein  Recht  in  keiner  Weise  verkürzt  werden,  aber  es 
darf  ihm,  auch  nicht  scheinbar,  die  Handhabe  gegeben  sein,  dieses 
Recht  auch  auf  Gebiete  auszudehnen,  die  seiner  Beurtheilung  sich 
naturgemäss  vollkommen  entziehen.  Es  darf  ihm  auch  nicht  der 
leiseste  Zweifel  darüber  aufkommen,  dass  in  einem  staa  tlichen 
Krankenhause  Aerzte  angestellt  wären,  die  den  Kranken  eine  andere 
als  „entsprechende“,  das  heisst  eine  auf  der  Höhe  der  Zeit  stehende, 
auf  wissenschaftlicher  Ueberzeugung  gegründete  Therapie  zu  Theil 
werden  Hessen.  Es  kann  und  soll  gewdss  kein  Kranker  zu  einem  be¬ 
stimmten  Behandlungsverfahren  gezwungen  werden  und  so  wde  es  dem 
Privatkranken  freisteht,  sich  durch  den  Wechsel  des  Arztes  auf  eigene 
Verantwortung  und  Gefahr  einer  ihm  nicht  zusagenden  Behandlungs¬ 
methode  zu  entziehen,  so  bleibt  auch  dem  Spitalskranken  durch  frei¬ 
willigen  Austritt  aus  dem  Krankenhause  —  eventuell  gegen  Revers  — 
auch  in  diesem  Punkte  das  freie  Bestimmungsrecht  gewahrt.  Wohin 
es  aber  führen  würde,  wenn  die  Spitalskranken  unter  Berufung  auf 
die  Verlautbarung  der  Statthalterei  ein  Richteramt  über  die  ärztliche 
Therapie  sich  anmassen  würden,  das  kann  in  seinen,  jede  wirksame 
spitalsärztliche  Thätigkeit  geradezu  lahmlegenden  Folgen  leicht  be- 
urtheilt  werden.  Es  bedarf  wohl  nur  eines  Hinweises  auf  die  gewiss 
auch  der  Statthalterei  unerwünschten  Consequenzen  eines  Lapsus 
calami  —  denn  nur  an  einen  solchen  können  wir  glauben  —  um 
einer  einsichtsvollen  Aenderung  der  Stylisirung  dieser  jüngsten  Verlaut¬ 
barung  gewärtig  zu  sein.  '  A.  F. 

* 

Anlässlich  der  Centennarfeier  des  Bestandes  des  „Royal 
College  of  surgeons  of  England“  wurden  zu  Ehren¬ 
mitgliedern  dieser  Gesellschaft  unter  Anderen  folgende  Chirurgen 
ernannt:  Eduard  Albert  (Wien),  Ed.  B  a  s  s  i  n  i  (Padua),  Ernst 
v.  Bergmann  (Berlin),  Oskar  Bloch  (Kopenhagen),  Enrico 
B  o  t  ti  n  i  (Pavia),  F  r  i  e  dr.  v.  Esmarch  (Kiel),  Theodor  Kocher 
(Bern),  Franz  König  ( Berlin),  Ernst  Küster  (Marburg^ 
Gustav  Lennander  (Upsala),  Samuel  Pozzi  und  Paul 
T  i  1 1  a  u  x  (Paris). 

* 

Ernannt:  Privatdocent  Dr.  Alois  Kr  ei  dl  zum  a.  o. 
Piofessor  der  Physiologie  in  Wien.  —  Geheimer  Rath  Prof.  Czerny 
in  Heidelberg  zum  correspoudirenden  Mitgliede  der  Akademie  der 
Wissenschaften  in  Paris.  —  Dr.  S.  Kaestner  zum  a.  o.  Professor 
für  Anatomie  in  Leipzig.  —  Prof.  Dr.  Oskar  Eversb  lisch  in  Er¬ 
langen  zum  o.  Professor  der  Augenheilkunde  und  Vorstand  der  ophthalmo- 
logischen  Klinik  und  Poliklinik  in  München.  —  Die  Privatdocenten 
Di .  Benno  Schmidt  und  Dr.  Dietrich  Gerhardt  in  Strassburg 
zu  a.  o.  Professoren.  —  Der  a.  o.  Prof.  Dr.  Ludwig  M  e  d  i  c  u  s 
zum  o.  Professor  der  Pharmacie  und  angewandten  Chemie  in  Würzburg. 

* 

Verliehen:  Dem.  o.  Professor  Hofrath  Dr.  Rudolf 
Clirobak  in  Wien  das  Ritterkreuz  dos  Leopold  Ordens.  - —  Prof. 
Di.  Friedrich  Schauta  in  Wien  der  Titel  eines  Hofrathes. 


—  Dem  Privatdocenten  Dr.  Sa  r  way  in  Tübingen  der  Titel  eines  a.  o. 
Professors. 

* 

ITabilitirt:  Dr.  Paul  Jensen  für  Physiologie  in  Jena, 
Dr.  Philipp  Jung  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  in  Greifswald, 
Dr.  II  e  n  s  e  n  für  innere  Medicin  in  Kiel. 

* 

Gestorben:  Der  dänische  Chemiker  Prof.  Dr.  Johann 
Kjeldahl,  der  Erfinder  der  heute  allgemein  angewendeten  Methode 
der  Stickstoffbestimmung. 

* 

Der  Ministerpräsident  als  Leiter  des  Ministeriums  des  Innern  hat 
aus  Anlass  des  Beginnes  einer  neuen  dreijährigen  Functionsperiode  des 
Obersten  Sanitäter  athes  die  bisherigen  ordentlichen  Mit¬ 
glieder  dieses  Fachrathos:  die  Hofräthe  Eduard  Albert,  Gustav 
Braun,  Rudolf  C  h  r  o  b  a  k,  Anton  Dräsche,  Reichsraths¬ 
und  Landtags-Abgeordneten  Dr.  Johann  Dvofiik,  Hofrath  S  i  g- 
m  u  n  d  E  x  n  e  r,  Prof.  Max  Grube  r,  P  rof.  Florian  Kratsch- 
mer,  Hofrath  Ernst  Ludwig,  Director  des  Allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  Dr.  Victor  M  u  c  h  a,  Professor  am  Militär-Thierarznei-Institute 
Stanislaus  P  o  1  a  n  s  k  y,  Hofrath  August  R.  Vogl  v.  F  e  r  n- 
h  e  i  m,  Prof.  Julius  R.  Wagner  v.  Jaureg  g,  Prof.  Anton 
W  eichseibau  m,  Hofrath  H  e  r  m  a  n  n  Freiherrn  v.  Wider¬ 
hofer,  sowie  den  Professor  der  internen  Medicin  in  Prag  Doctor 
Rudolf  R.  J  a  k  s  c  h  v.  Wartenhorst  zu  ordentlichen  Mit¬ 
gliedern  des  Obersten  Sanitätsrathesj  ferner  die  bisherigen  ausser¬ 
ordentlichen  Mitglieder  desselben:  Ministerialrath  Josef  Daimer, 
Hofrath  Architekten  Franz  R.  v.  Gruber,  Apotheker  und  Vor¬ 
stand  des  Wiener  Apotheker-Hauptgremiums,  Pharm.  Mag.  kaiserlichen 
Rath  Robert  Grüner,  Apotheker  Dr.  Alois  H  e  1 1  m  a  n  n,  Sec- 
tions-Chef  Dr.  Karl  T  h  e  o  d  o  r  v.  Inama-Sternegg,  Apotheker 
Pharm.  Mag.  Alois  Kremei  und  den  Ministerialrath  und  Veterinär- 
Referenten  im  Ministerium  des  Innern  Bernhard  Sperk,  dann 
den  Sectionsrath  im  Handelsministerium  Alexander  Freiherrn  v. 
Koller  und  den  Central- Gewerbe- Inspector,  Hofrath  Friedrich 
Muhl,  zu  ausserordentlichen  Mitgliedern  des  Obersten  Sanitätsrathes 
für  das  nächste  Trienniu  m  ernannt. 

* 

In  der  am  16.  Juli  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  nieder¬ 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  wurde  1 .  der 
Besetzungsvorschlag  für  die  Stelle  eines  Directors  einer  k.  k.  Kranken¬ 
anstalt  in  Wien  erstattet.  Ferner  wurden  Gutachten  abgegeben:  2.  Ueber 
die  Versorgung  mehrerer  Häuser  in  einer  Gemeinde  Niederösterreichs 
mit  Trinkwasser.  3.  Ueber  die  Errichtung  von  ärztlichen  Röntgen¬ 
instituten  und  4.  über  die  Herstellung  eines  bacteriologischen  Labora¬ 
toriums  in  einer  Wiener  k.  k.  Krankenanstalt. 

* 

Das  Erzherzogin  Sophien-Spital  in  der  Kaiserstrasse, 
das  bisher  seinen  Belegraum  von  80  Betten  für  die  Krankenpflege  in 
Wien  nicht  auszunützen  vermochte,  weil  es  das  Oeffentlichkeitsrecht 
nicht  besass  und  zur  Bestreitung  der  Betriebsauslagen  fast  aus¬ 
schliesslich  auf  die  hiefür  nicht  ausreichenden  Einkünfte  seiner 
Stiftungs-Capitalien  angewiesen  war,  wird  nunmehr,  wie  die  „Corr. 
Willi.“  meldet,  auf  Grund  Allerhöchster  Entschliessung  Sr.  Majestät 
des  Kaisers  den  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten  ein¬ 
gereiht  und  künftighin  den  Namen  „K.  k.  Krankenanstalt  Erzher¬ 
zogin  Sophien- Spitals-Stiftung“  führen.  Mit  1.  August  1900  wird  die 
k.  k.  niederösterreichische  Statthalterei  namens  des  Wiener  k.  k. 
Krankenanstaltsfonds  den  Betrieb  und  die  Verwaltung  übernehmen. 
Der  bisher  einzige  Pavillon  erhält  den  Namen  „Kenyon-Kranken- 
pavillon“  zur  Erinnerung  an  Frau  Louise  Kenyon,  welche  durch  die 
letzwillige  Zuwendung  ihres  Vermögens  seinerzeit  die  Errichtung  des 
Spitales  ermöglichte,  und  soll  alsbald  durch  einen  Aufbau  um  zwei 
Krankenzimmer  zu  je  zehn  Betten  vergrössert  werden.  Sodann  wird 
ein  zweiter  chirurgischer  Pavillon  erbaut  werden,  der  mit  Aller¬ 
höchster  Bewilligung  zur  Erinnerung  an  den  verewigen  Protector  der 
Anstalt,  weiland  Se.  k.  und  k.  Hoheit  Erzherzog  Karl  L  udwi  g, 
den  Namen  „Erzherzog  Karl  Ludwig-Pavillon“  führen  wird.  Gegen¬ 
wärtig  hat  die  Anstalt  eine  chirurgische  und  eine  medicinische  Ab¬ 
theilung,  die  bis  auf  Weiteres  gemeinsam  von  dem  bisherigen  Vor¬ 
stande  der  chirurgischen  Abtheilung,  Dr.  G  u  i  d  o  v.  T  ö  r  ö  k,  geleitet 
werden.  Dieser  Letztere  wurde  zum  Primarärzte  erster  Classe  ernannt 
und  bleibt  bis  auf  Weiteres  auch  mit  der  Leitung  der  Anstalt  betraut. 
(Wiener  Zeitung  vom  21.  Juli.) 

* 

Die  internationale  Malaria-Conferenz  in  Liverpool 
ist  in  Folge  der  Centennarfeier  des  „Royal  College  of  Surgeons“ 
vertagt  worden.  Der  neuerliche  Termin  wird  später  bekanntgegeben 
werden. 

* 


698 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


XIII.  Internationaler  medicinischer  Congress 
in  Paris.  Theilnekmer  haben  sich  mittelst  eines  Unterzeichnungs¬ 
zettels  unter  Beilage  ihrer  Visitkarte  mit  genauer  Adresse  bei  dem 
Generalsecretär  und  Tresorier  des  österreichischen  Comites,  Professor 
Dr.  Adam  Politzer  (Wien,  I.,  Gonzagagasse  19)  zu  melden, 
worauf  sie  von  ihm  gegen  Erlag  von  24  K  die  definitive  Mitgliedskarte 
zugeschickt  erhalten.  Die  Fahrtbegünstigung  besteht  darin,  dass  die 
Congressmitglieder  auf  den  französischen  Bahnen  von  der  Grenzstation 
bis  Paris  den  Preis  für  die  einfache  Fahrt  zu  erlegen  haben,  der  gleich¬ 
zeitig  zur  unentgeltlichen  Rückfahrt  bis  an  die  französische  Grenze 
berechtigt,  welche  aber  auf  derselben  Route  erfolgen  muss.  Jedes 
Congressmitglied  erhält  ein  eigenes  Eisenbahncer  tificat, 
welches  an  der  Grenzstation  vorgezeigt  und  abgestempelt  werden  muss, 
um  die  Giltigkeit  zur  unentgeltlichen  Rückfahrt  zu  erlangen.  Die 
Fahrtbegünstigung  auf  den  französischen  Bahnen  dauert  vom 
20.  Juli  bis  20.  August.  Die  Congressmitglieder  erhalten  in  dem  Central¬ 
bureau  in  Paris  eine  Freikarte  zum  Besuche  der  Ausstellung  während 
der  Congresstage.  Alle  Auskünfte  über  Wohnungen  ertheilt  das 
Wohnungsbureau  des  Congresses  in  Paris,  21,  Rue  de  l’Ecole  de 
Medecine.  Ausserdem  hat  sich  eine  Reihe  von  Reisebureaux  zur  Aus- 
kunffsleistung  für  den  Reiseverkehr  nach  Paris  und  zur  Wohnungs¬ 
vermittlung  angeboten.  Diese  sind:  1.  Die  Agentie  der  Voyages 
modernes,  Rue  de  l’Echelle  1,  bietet  comfortabel  eingerichtete  Zimmer 
zum  Preise  von  6  Francs  pro  Tag,  sowie  die  ganze  Pension  zum 
Preise  von  15  Francs  an.  2.  Societe  fran^aise  des  „Voyages 
Duchemin“,  Paris,  20,  Rue  de  Grammont.  Der  Preis  eines  Zimmers 
sammt  ganzer  Verpflegung  beträgt  140 — 180  Francs  pro  Woche,  der 
eines  Zimmers  ohne  Verpflegung  nur  mit  erstem  Frühstück  beträgt 
70- — 120  Francs  pro  Woche.  3.  Voyages  pratiques,  9,  Rue  de  Rome, 
Paris.  Dieses  Reisebureau  ist  bereit,  unentgeltlich  alle  Auskünfte  an 
die  Comites  und  Mitglieder  des  Congresses  zu  ertheilen,  besonders 
was  die  Kosten  der  Reise,  die  Kundreisebillets,  die  Preise  in  den 
Hotels,  in  den  verschiedenen  Hauptstädten  und  den  Preis  des  Auf¬ 
enthaltes  in  Paris  betrifft.  Das  Bureau  vermittelt  Wohnungen  zum 
Preise  von  6  Francs  50  Centimes  pro  Tag  und  Person.  Das  Bureau 
übernimmt  auch  die  Besorgung  des  Gepäckes,  sowie  den  Transport 
der  Reisenden  vom  Bahnhofe  zu  dem  Absteigequartier  in  Paris.  Endlich 
werden  gemeinsame  Ausflüge  per  Post,  Bahn  und  Schiff  veranstaltet. 
4.  Agence  Desroches,  21,  Rue  du  Faubourg  Montmartre,  Paris.  Bei  der 
Ankunft  werden  die  Congressmitglieder  auf  dem  Bahnhofe  die  Agenten 
dieses  Bureaus  vorfinden,  welche  durch  ihre  rothe  Kopfbedeckung  er¬ 
kennbar  sind  und  den  Auftrag  haben,  die  Fremden  in  die  für  sie  vor¬ 
bereiteten  Wohnungen  zu  dirigiren.  Zimmer  10  Francs  pro  Tag,  in¬ 
begriffen  Beleuchtung  und  Service,  sowie  das  erste  Frühstück.  Der 
erste  Tag  kostet  20  Francs,  wobei  inbegriffen  ist  der  Transport  des 
Gepäckes  und  die  Fahrt  vom  Bahnhofe  in’s  Absteigequartier. 
Der  letzte  Tag  kostet  aus  den  gleichen  Gründen  15  Francs.  Die 
Reisenden  werden  gebeten,  sich  acht  Tage  früher  bei  dem  Bureau 
zu  melden.  5.  AgenceLubin,  36,  Boulevard  Haussmann,  Paris.  Diese 
Agentie  liefeit  Zimmer  mit  einem  Bett  zu  12  Francs  pro  Tag  und 
Zimmer  für  zwei  Personen  zu  20  Francs  pro  Tag  (inbegriffen  Service 
und  Beleuchtung).  6.  Hotel  Schenker  in  Paris,  191,  Rue  de 
l'Universite.  Ein  Zimmer  mit  zwei  Betten  sammt  erstem  Frühstück 
32  Francs,  ein  Cabinet  mit  einem  Bett  sammt  erstem  Frühstück 
16  Francs.  7.  Hotel  Cecil  in  Paris,  119  bis  121,  Rue  Caulaincourt. 
Zimmer  mit  ein  bis  zwei  Betten  (inclusive  Beleuchtung  und  Ser¬ 
vice)  sammt  erstem  Frühstück  und  Diner  pro  Person  zu  12  bis 
15  Francs.  8.  Der  Unterrichtsminister  stellt  für  die  Dauer  des  Con¬ 
gresses  in  den  den  Congressräumlichkeiten  nahe  gelegenen  Lyceen 
800  Betten  für  Einzelmitglieder  (ohne  Familie)  zur  Verfügung  zum 
Preise  von  5'50  Francs  für  ein  Bett  inclusive  Bedienung  und  erstes 
Frühstück.  Aufträge  übernimmt  das  Comite  de  logement,  21,  Rue  de 
1  ecole  de  Medicine.  —  Ein  Damencomite  unter  Führung  der 
Damen  Lannelongue  und  Brouai  del  wird  den  Damen  der 
Congressmitglieder  in  einem  Saale  der  Faculte  de  Medecine  zur  Ver¬ 
fügung  stehen.  Die  Frauen,  Töchter  und  Schwestern  der  Congress¬ 
mitglieder  nehmen  an  allen  Festlichkeiten  theil.  Die  Inscriptionen 
werden  in  W  ien  am  28.  d.  M.  geschlossen  und  können  von  da  an 
Anmeldungen  nur  mehr  beim  Generalsecretariat,  Paris,  21,  Rue  de 
l’Ecole  de  Medecine,  geschehen. 

* 

Die  französische  Akademie  der  Wissenschaften  hat  die  Einfuhrs¬ 
bewilligung  nach  Frankreich  für  das  „Lithionwasser“  die  „Franzens¬ 
bader  Nataliequelle“  ertheilt. 

•3 fr 

Gelegentlich  seiner  vom  9.  bis  12.  September  1.  J.  in  Trier 
stattfindenden  25.  Jahresversammlung  veranstaltet  der  Deutsche 
Verein  für  öffentliche  Gesundheitspflege  eine  A  u  s- 
stellung,  welche  vom  7.  bis  16.  September  dauern  soll.  Dem 
Comito  gehören  die  Spitzen  der  Behörden,  Vorsitzende  der  einschlägigen 
Vereine  etc.  an.  Die  Ausstellung  wird  in  folgende  Gruppen  zerfallen: 


1.  Wissenschaftliche  Hygiene;  2.  Städtehygiene,  Bauwesen  und  Schul¬ 
hygiene;  3.  Ernährung  und  Bekleidung;  4.  Wohnungen  und  Badewesen ; 
5.  Krankenpflege;  6.  Gewerbehygiene  und  Unfallschutz;  7.  Wohlfahrts¬ 
einrichtungen.  Das  Bureau  der  Ausstellung  befindet  sich  in  Trier, 
Rothes  Haus. 

* 

Von  Hofrath  Drasch  e’s  „Bibliothek  der  gesammten 
medicinischen  W  i  ssenschafteif1,  herausgegeben  bei  P  r  o- 
chaska,  Wien,  sind  die  Lieferungen  194 — 199  erschienen.  Dieselben 
bilden  das  sechste  und  siebente  Heft  der  Abtheilung  Chirurgie  (Ex¬ 
tremitäten  —  Genu  valgum)  und  die  Schlusshefte  16 — 19  des  Bandes 
„Venerische  und  Hautkrankheiten“  (Schanker  —  Zuugensyphilis). 

* 

Von  Schwalb  e’s  bei  F.  Enke  in  Stuttgart  herausgegebeuem 
„Jahrbuch  der  praktischen  Me  di  ein“,  Jahrgang  1900, 
sind  die  Hefte  3  —  6  erschienen  Sie  enthalten  die  Referate  über 
Constitutions-  uud  Blutkrankheiten  von  Dr.  M.  Sternberg  (Wien), 
Chirurgie  von  Dr.  P.  Wagner  (Leipzig),  Geburtshilfe  und  Gynä¬ 
kologie  von  Dr,  P.  Strass  mann  (Berlin),  Augenkrankheiten  von 
Prof.  Horstmann  (Berlin),  Ohrenkrankheiten  von  Dr.  Schwa¬ 
bach  (Berlin),  Krankheiten  der  Nase,  des  Mundes,  Kehlkopfes,  der 
Luftröhre  von  Prof.  Jurasz  (Heidelberg),  Haut-  und  venerische 
Krankheiten  von  Dr.  M.  Joseph  (Berlin),  Kinderkrankheiten  von 
Dr.  H.  Neumann  (Berlin),  Klimatologie  etc.  von  Prof.  Clar 
(Wien),  Arzneimittellehre  und  Toxikologie  von  Prof.  Gott  lieb 
(Heidelberg),  Gerichtliche  Medicin  von  Dr.  G.  Puppe  (Berlin)  und 
Oefl’entliches  Gesundheitswesen  von  Prof.  Gärtner  (Jena). 

* 

Nach  dem  Vorbilde  der  verschiedenen  deutschen  Jahrbücher, 
welche  in  referirender  Weise  einen  Ueberblick  über  die  Gesammtlite- 
ratur  eines  Faches  geben,  wird  jetzt  im  Verlage  von  Lam  artin  in 
Brüssel  unter  dem  Titel  „L’annee  chirurgicale“  von  Dr.  D  e- 
p  a  g  e  eine  derartige  Revue  über  die  chirurgische  Literatur  des  ver¬ 
gangenen  Jahres  in  französischer  Sprache  herausgegeben. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  26.  Jahreswoche  (vom  24.  Juni 
bis  30.  Juni  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  682,  unehelich  282,  zusammen 
964.  Todt  geboren:  ehelich  51,  unehelich  14,  zusammen  65.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  601  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18'9  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  136,  Blattern  0,  Masern  9, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  39.  Angezeigfe  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
13  ( —  21),  Maseru  225  (— (—  22),  Scharlach  42  ( — 5),  Typhus  abdominalis 
11  ( — 5),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  22  ( —  12),  Croup  und 
Diphtherie  25  ( —  2),  Pertussis  52  ( —  6),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  2  ( —  2),  Trachom  3  (-[-  2),  Influenza  0  ( —  1). 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  27.  Jahreswoche  (vom  1.  Juli 
bis  7.  Juli  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  607,  unehelich  297,  zusammen 
886.  Todt  geboren:  ehelich  47,  unehelich  23,  zusammen  70.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  585  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18'4  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  90,  Blattern  0,  Masern  12, 
Scharlach  1,  Diphtherie  und  Croup  2,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  43.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
13  (=),  Masern  175  ( —  50),  Scharlach  30  ( —  12),  Typhus  abdominalis 
17  (-j-  6),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  23  (-)-  1),  Croup  und 
Diphtherie  19  ( — 6),  Pertussis  60  (-f-  8),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (-[-  1),  Trachom  1  ( —  2),  Influenza  1  (=)• 

Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Brennecke,  Kritische  Bemeikungen  zu  den  Verhandlungen  der  16.  Haupt¬ 
versammlung  des  preussischen  Medicinal  beamten  verein  es  über  die  Reform 
des  Hebammen wesens.  Marhold,  Halle  a.  S.  42  S. 

Graefe,  Ueber  Hyperemesis  gravidarum.  Ibidem.  Preis  M.  — .80. 
Heermanil,  Die  Syphilis  in  ihren  Beziehungen  zum  Gehörsorgane.  Ibidem. 
53  S. 

Hocke,  Die  Aufgaben  des  Arztes  bei  der  Einweisung  Geisteskranker  in  die 
Irrrenanstalt.  Ibidem.  Preis  M.  1. — . 

Ischreyt,  Ueber  septische  Netzhautveränderuugen.  Ibidem.  Preis  M.  — "80. 
Kafemann.  Lebensversicherung  und  sogenannte  primäre  Kehlkopftuberculose. 
Ibidem.  15  S. 

Kröllig,  Ueber  Cystoskopie  beim  Weibe.  Ibidem.  Preis  M.  — .80. 

Müller,  Naturwissenschaftliche  Seelenforschung.  Bd.  111:  Wille,  Hypnose, 
Zweck.  Strauch,  Leipzig.  Preis  M.  8. — . 

Schlesinger,  Aerztliches  Handbüchlein.  7.  Auflage.  Deuerlicb,  Göttingen. 
206  S. 

Nitzelnadel,  Therapeutisches  Jahrbuch.  10.  Jahrgang.  Deuticke,  Wien 
Preis  M.  4. — . 

Stölir,  Binoculare  Figurenmischung  und  Pseudoskopie.  Ibidem.  Preis 
M,  3.—. 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


699 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck.  Sitzung  vom 
20.  Januar,  10.  Februar,  10.  März,  18.  Mai  und  15.  Juni  1900. 
Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien.  Sitzung  vom 
20.  Februar,  27.  März  und  8.  Mai  1900. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  München. 

Vom  17. — 22.  September  1899.  (Scdduss.) 


Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck. 

Sitzung  vom  20.  Januar  1900. 

Vorsitzender  :  Hofrath  Prof.  y.  Vintsehgau. 

Schriftführer  :  Docent  Dr.  I’osselt. 

Prof.  v.  Hacker  stellt  zwei  Patienten  vor  : 

1.  Einen  Patienten,  bei  welchem  er  ein  neues  Verfahren 
der  partiellen  Rhinoplastik  mit  sehr  gutem  Erfolge 
anwandte. 

Es  handelte  sich  um  eine  Verbrennung  des  Gesichtes,  nach 
welcher  ein  Defect  der  Nase  und  Ektropien  der  beiden 
Nasenflügel  entstanden  waren.  Die  hoch  hinaufgezogenen  Nasen¬ 
flügel  wurden  beiderseits  so  abgetrennt,  dass  sie  nur  mehr  eine  Brücke 
an  der  Wange  hatten,  und  an  das  angefrischte  Septum  herabgenäht. 
Beiderseits  entstand  dadurch  ober  diesen  Flügeln  ein  dreieckiger,  in 
die  Nasenhöhle  penetrirender  Defect.  Die  Deckung  desselben  geschah 
durch  einen  in  der  Richtung  der  Nasolabialfalte  ausgeschnittenen 
Wangenlappen,  der  mit  der  Hautseite  nach  innen  gelegt  wurde  und 
dessen  Wundseite  von  selbst  vernarbte.  Von  dem  von  dem  Vor¬ 
tragenden  früher  in  Bruns’  Beiträgen  angegebenen  Verfahren  der 
Nasenflügelbildung  unterscheidet  sich  die  hier  geübte  Methode  durch 
die  Bildung  einer  Brücke,  welche  später  durchtrennt  wird,  während 
bei  jenem  der  Lappen  dicht  am  Defectrande  umgeschlagen  wurde  und 
seine  Brücke  gex-ade  zum  Ersatz  der  natürlichen  Uebergangsstelle  der 
Wange  in  den  Nasenflügel  Verwendung  fand. 

2.  Einen  46jährigen  Bauern,  bei  welchem  er  wegen  einer 
hochgradigen  traumatischen  Strictur  der  Urethra 
die  Resection  und  circuläre  Naht  der  Harnröhre 
mit  vorzüglichem  Erfolge  ausgeführt  hat. 

Der  Mann  war  am  9.  October  1899  rittlings  auf  eine  Leiter¬ 
sprosse  gefallen,  und  hatte  sich  dadurch  eine  Zerreissung  der  Harn¬ 
röhre  mit  nachfolgender  Harninfiltration  zugezogen.  Der  Arzt,  der  ihm 
am  Tage  nach  dev  Verletzung  den  Katheter  einführte,  kam  nur  bis 
zum  Bulbus,  aber  nicht  weiter. 

Es  floss  jedoch  viel  blutiger  Harn  durch  den  Katheter  ab.  Nach 
drei  Wochen  öffnete  sich  von  selbst  ein  Abscess  am  Scrotum,  der  auf 
Kindskopfgrösse  angeschwollen  war.  Es  entleerte  sich  viel  Eiter 
und  Urin. 

Der  letztere  floss  eine  Woche  lang  nur  durch  die  entstandene 
listel,  dann  wieder  durch  die  Harnröhre  ab.  Das  Uriniren  aber  wurde 
immer  schwieriger.  Bei  der  Aufnahme  auf  die  Klinik  konnte  der 
Patient  nur  mehr  tropfenweise  uriniren;  bei  Nacht  und  beim  Herum¬ 
gehen  bestand  Incontinenz.  Die  feinste  Sonde  passirte  die  Strictur 
nicht  mehr. 

Bei  der  Operation  wurde  in  dem  callösen  Narbengewebe  der 
Zerreissungsstelle  der  Urethra,  das  völlig  exstirpirt  wurde,  keine  deut¬ 
liche  Schleimhaut  gefunden.  Nach  vieler  Mühe  wurde  ein  anfangs  für 
ein  Venenlumen  imponirender  Spalt  durch  den  auf  einen  Druck  auf 
die  Blasengegend  erfolgten  Urinabfluss  als  das  proximale  Harnröhren¬ 
ende  erkannt.  Es  wurden  hierauf  beide  Enden  der  Harnröhre  durch 
Lospräpariren  mobilisirt.  Das  mit  den  Narben  entfernte  Mittelstück 
betrug  etwa  2  cm.  Die  Harnröhrenenden  liessen  sich  sodann  gut  ver¬ 
ziehen  und  ohne  Spannung  durch  circuläre  Catgutnähte  vereinigen. 
Au  der  unteren  Wand  entstand  eine  vorübergehende  Fistel,  dann  folgte 
vollkommene  Heilung.  Der  Kranke  hat  völlige  Continenz,  keine  Be¬ 
schwerden  beim  Uriniren.  Die  Harnröhrenbougie  Nr.  22  gleitet  ohne 
jedes  Hinderniss,  wie  bei  jedem  normalen  Individuum  in  die  Blase. 

Prof.  v.  Hacker  demonstrirt  noch  im  Anschluss  an  diesen 
lall  ein  Präparat  einer  Harnröhre  eines  vor  einigen  Tagen 
an  seiner  Klinik  verstorbenen  Patienten,  der  nebenbei  an  Carcinom 
des  Magens,  an  Prostatahypertrophie  und  Pyonephrose  gelitten  hatte. 
Auch  hier  hatte  eine  vor  vielen  Jahren  durch  Rittlingsverletzung  ent¬ 
standene  Zerreissung  der  Harnröhre  mit  folgender  Urininfiltration  eine 
callöse  Strictur  zur  Folge  gehabt;  es  war  im  Jahre  1885  und  dann 
nochmals  1889  an  der  Innsbrucker  Klinik  die  äussere  Urethrotomie 
ausgeführt  worden,  da  die  Strictur  bei  dem  Kranken,  der  die  regel¬ 
mässige  Bougierung  unterliess,  immer  wiederkehrte.  An  dem  Präparat 
sieht  man  die  narbige  Harnröhre  an  der  Verletzungsstelle  gegenwärtig 


vollkommen  erweitert,  aber  von  massigem,  callösen,  periurethralen 
Narbengewebe  umkleidet.  Das  Präparat  zeigt  im  Vergleich  zu  dem 
eben  vorgestellten  Patienten  deutlich  den  Unterschied  der  Resultate 
nach  der  Resection  und  Naht  und  nach  der  blossen  äusseren 
Urethrotomie. 

Prof.  Rille  demonstrirt  einen  Mann  mit  zahlreichen  Ke  1  o  i  d  en, 
ein  Mädchen  mit  schwerster  tertiärer  Lues,  eine  Frau  mit 
Defect  am  harten  Gaumen. 

* 

Sitzung  vom  10.  Februar  1900. 

Vorsitzender :  Prof.  Dr.  Eliremlorfer. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Posselt. 

Prof.  Ehrendorfe  r  demonstrirt  Kranke,  die  nach  modifi- 
cirter  A  1  e  x  a  n  d  e  r’scher  Methode  mit  Erfolg  operirt  worden  sind  und 
schliesst  daran  einen  kurzen  Vortrag  über  den  Werth  und  die  Technik 
solcher  Operationen.  (Bereits  ausführlich  in  diesem  Blatte  erschienen.) 

Discussion:  Prof.  v.  Hacke  r  hat  am  Sophien-Spitale  in 
Wien  mehrmals  A  1  e  x  a  n  d  e  r  -  Operationen  vorgenommen  und  auch 
Untersuchungen  an  Leichen  angestellt. 

Prof.  Ehrendorfer  demonstrirt  die  Vortheile  des  neuen 
geburtshilflichen  Phantoms  nach  Seil  heim  und  zeigt  im  Anschluss 
daran  das  recht  brauchbare  E  n  g  e  1  m  a  n  n’sche  Beckenmodell,  weiters 
das  für  den  häuslichen  Anschauungsunterricht  sehr  verwerthbare  und 
billige  geburtshilfliche  Taschenphantom  von  A.  Müller,  speciell  zur 
Darstellung  des  Beckenausgangsmechariismus,  endlich  auch  das  ältere 
Taschenphantom  von  S  h  i  b  a  t  a  zur  Darstellung  der  verschiedenen 
Lagen,  Stellungen  und  Haltungen  der  Frucht. 

Prof.  v.  Hacker  stellt  einen  fünfjährigen  Knaben  vor,  bei 
welchem  er  wegen  einer  schlecht  geheilten  supracond  y- 
1  ä  r  e  n  Humerusfractu  r  das  über  der  Ellenbeuge  vorstehende 
obere  Bruchstück  abtrug  und  dann  die  supracondy- 
läre  Osteotomie  mit  Erfolg  ausführte.  Einen  zweiten 
ganz  ähnlichen  Fall  eines  achtjährigen  Mädchens  operirte  v.  Hacker 
October  1898  blos  durch  schiefes  Abtragen  des  vorragenden  oberen 
Bruchstückes.  Diese  Art  der  fehlerhaften  Heilung  in 
der  pathognomonischen  Dislocationsstellung  der 
supracondylären  Extensionsfractur  des  Humerus 
stellt  demnach  einen  Typus  vor,  über  dessen  häufigeres 
Vorkommen  und  Behandlung  v.  Hacker  auch  in  den  classischen 
Beiträgen  von  Kocher  nichts  erwähnt  fand. 

Charakteristisch  ist  der  Knochenvorsprung  in  der  Ellenbeuge, 
der  in  die  Diaphyse  des  Humerus  nach  aufwärts  sich  fortsetzt,  das 
fersenartige  der  Ellbogenspitze,  die  Beschränkung  der  Beugung  durch 
directes  Anstossen  der  Vorderarmknochen,  sowie  eine  nicht  bedeutende 
Verkürzung  des  Oberarmes  (von  1  —  2  cm). 

Aus  den  Röntgen-  Photographien  beider  Fälle  vor  und  nach 
der  Operation  geht  hervor,  dass  bei  dem  Mädchen  mehr  das  vor¬ 
stehende  obere  Bruchstück  das  Hinderniss  der  Beugung  bildete,  während 
bei  dem  Knaben  das  untere  mit  dem  oberen  Bruchstück  des  Humerus 
einen  so  stark  nach  vorne  vorspringenden  Winkel  bildete,  dass  nur 
durch  die  Osteotomie  die  Möglichkeit  einer  stärkeren  Beugung  erreicht 
werden  konnte.  Die  Bilder  zeigen  auch,  dass  bei  dieser  Verletzung 
bei  Kindern  offenbar  an  der  Rückseite  des  Humerus  das  Periost  nicht 
durehreisst,  wodurch  die  Bruchstücke  in  einer  Winkelstellung  ver¬ 
bleiben  und  keine  stärkere  Dislocatio  ad  longitudinem  und  ad  latus 
entsteht. 

Prof.  Rille  stellt  einen  Fall  von  Pellagra  bei  einem 
62jährigen  Feldarbeiter  vor. 

Prof.  Dimmer  demonstrirt  einen  interessanten  Fall  von  F  r  ii  h- 
jahrskatarrh  bei  einem  14jährigen  Knaben  aus  Südtirol.  Derselbe 
zeichnet  sich  durch  den  Mangel  jeglicher  Veränderung  der  Conjunctiva 
palpebrarum,  ferner  ganz  besonders  durch  eine  vollständig  ringförmige, 
gelbliche,  gerontoxonähnliche  Trübung  der  Cornea  aus. 

Ferner  zeigt  Prof.  Dimmer  eine  Patientin,  die  von  ihm  an 
beiden  Augen  wegen  hochgradiger  Myopie  operirt  wurde  und  be¬ 
spricht  bei  diesem  Anlasse  dio  von  ihm  in  einem  41/2jährigen  Zeit¬ 
räume  in  Innsbruck  vorgenommenen  Myopieoperationen. 


7(0 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


Es  wurden  von  einem  Gesammtmateriale  von  lO.SOO  Patienten 
bei  acht  Fällen  operirt,  und  zwar  in  vier  Fällen  doppelseitig,  so  dass 
zwölf  Augen  dieser  Behandlung  unterworfen  wurden.  Drei  Kranke 
waren  Weiber  im  Alter  von  21,  22  und  31  Jahren  (eine  Magd,  eine 
Fabriksarbeiterin,  eine  Private).  Die  Männer  standen  im  Alter  von  11, 
20,  29,  34  und  45  Jahren  und  waren  Taglöhner  und  Hüttenarbeiter, 
der  eine  ein  Schuster.  Die  Myopie  betrug  bei  dem  elfjährigen  Knaben 
nur  12  D,  sonst  13  —  20  D.  Die  Methode  der  Operation  war  stets 
eine  ausgiebige  Discission  mit  nachfolgender  ein-  oder  mehrmaliger 
Function,  eventuell  später  eine  Discission  einer  Membran. 

Glaskörperverlust  kam  nicht  vor.  Die  Erfolge  waren,  trotz  in 
einigen  Fällen  vorhandener  massiger  chorioiditischer  Veränderungen,  sein- 
gute,  die  erzielten  Sehschärfen  5/18 — c  !2 ?  Die  höchste  beobachtete  Ver¬ 
besserung  des  Visus  betrug  6/,2?  gegen  G/24.  Bei  einem  Kranken  wurde 
das  eine  Auge  operirt,  obwmhl  das  andere  in  Folge  von  centraler 
Chorioiditis  nur  Finger  auf  3  m  zählte.  Es  geschah  dies  aber  nur  des¬ 
halb,  weil  dem  Kranken  die  Operation  von  einem  sehr  namhaften 
Oculisten  Deutschlands  angerathen  w'orden  war.  Jedenfalls  möchte  der 
Vortragende,  w-enngleich  das  Resultat  sehr  gut  und  für  den  Betreffen¬ 
den,  einen  Sehuster,  sehr  werthvoll  war,  in  einem  ähnlichen  Falle  die 
Operation  nicht  wieder  vornehmen. 

Prof.  Hochstetter  demonstrirt  einen  Fall  von  Canalisa- 
tionsstörung  des  untersten  Ile  ums,  bedingt  durch 
Strangulation  dieses  Darmabschnittes  durch  einen  eigenartigen 
Strang,  der  sich,  wie  der  Vortragende  nachwies,  aus  der  Umrandung 
der  Bruchpforte  einer  früher  bestandenen  Hernia  retroperitonealis  ent¬ 
wickelt  hatte,  nachdem  die  vordere  Wand  des  Bruchsackes  dieser 
Hernie  dehiscent  geworden  war. 

* 

Sitzung  vom  10.  März  1900. 

Vorsitzender:  Hofratli  Prof.  y.  Vintscligau. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Posselt. 

Docent  Dr.  Lot  heissen  stellt  einen  Knaben  vor,  der  vor 
vier  Jahren  wegen  einer  angeborenen  Blasenspalte  die 
chirurgische  Klinik  aufsuchte  und  durch  operative  Behandlung 
von  seinem  quälenden  Leiden  befreit  wurde.  Er  wurde  die  Blase  nach 
Czerny  vernäht,  die  gespaltene  Urethra  durch  Naht  der  Schleimhaut 
und  einige  plastische  Operationen  geschlossen.  Heilung  mit  Continenz. 
Gleichzeitig  berichtet  Lotheissen  über  einen  gleichen  Fall,  den 
Prof.  v.  Flacker  nach  Schlange  operirt  hat  und  der  ebenfalls 
geheilt  wurde.  (Ein  ausführlicher  Bericht  über  beide  Fälle  erscheint  an 
anderem  Orte.) 

Prof.  Rille  demonstrirt  ein  Kind  mit  Lobulärpneumonie  und 
Ecthyma  cachecticorum. 

Der  Bacillus  pyoeyaneus  spielt  bei  dieser  Affection  eine  Rolle. 

An  der  Di  scussion  betheiligen  sich  Prof.  L  ö  w  i  t,  Lode 
und  Rille. 

Prof.  L  ö  wT  i  t  bemerkt,  dass  es  ihm  nicht  gelungen  ist,  aus  dem 
Bläscheninhalt  dieses  Falles  den  Bacillus  pyoeyaneus  zu  erhalten. 

Ferner  zeigt  Prof.  Rille  einen  Mann  mit  Combination  von 
Lichen  ruber  planus  und  acuminatus. 

Hierauf  hält  Dr.  O.  v.  Wunsehheim  seinen  angekündigten 
Vortrag :  Ueber  Glycerin  als  Constituens  für  Anti- 
s  e  p  t  i  c  a.  (Siehe  Originalmittheilung  in  dieser  Nummer.) 

Prof.  Juf finger  stellt  ein  Mädchen  mit  eigenartigen 
M  e  m  b  r  a  n  b  i  1  d  ungen  in  Folge  einer  Otitis  mycotica  i  m 
äusseren  Gehör  gang  vor.  Auf  Behandlung  mit  Borsäure-Alkohol 
gingen  die  Krankheitserscheinungen  in  48  Stunden  zurück. 

Prof.  Lode  berichtet,  dass  in  dem  ihm  von  Prof.  Juffinger 
übergebenen  gelblichw-eissen  Partikelchen  mikroskopisch  ein  Flechtwerk 
von  dicken  Fäden  mit  reichlicher  Vacuolenbildung,  jedoch  w-eder 
Conidien,  noch  irgend  welche  Fructiffcationsorgane  constatirt  werden 
konnten.  Nachdem  aus  dem  Aussehen  der  Fäden  auf  das  Bestehen  einer 
Schimmelpilzmykose  geschlossen  werden  konnte,  wurden  Culturen  auf 
Bier  würzeagar,  auf  Brotbrei  und  auf  gewöhnlichem,  leicht  alkalischem 
Fleisch wasserpeptonagar  angelegt. 

Die  Culturen  wurden  theils  bei  37°  C.,  theils  im  Vegetations¬ 
schranke  bei  20 — 22°  C.  bewahrt.  Schon  am  nächsten  Tage  zeigten 
die  bei  37°  gehaltenen  Würzeculturen  einen  vreissen  ausgebreiteten 
Mycelrasen,  welcher  nach  weiteren  24  Stunden  griiulichblaue  Köpfchen 
erkennen  Hess.  Aus  der  Grösse  der  Conidien,  der  Form  der  Conidien- 
träger,  der  optimalen  Wachsthumstemperatur  von  circa  37°  C.,  aus 
dem  Aussehen  der  Culturen  und  der  unverzweigten  Sterigmen  konnte 
die  Diagnose  auf  den  häufigsten  Erreger  mykotischer  Erkrankungen 
des  äusseren  Gehörganges,  den  Aspergillus  fumigatus  gestellt  wrerden. 
Die  Cultur  auf  gewöhnlichem  Agar  zeigte  selbst  am  vierten  Tage  noch 
ein  spärliches  Wachsthum  —  vermuthlich  wegen  der  auf  diesem  Nähr¬ 
boden  stark  wuchernden  Bacterieneolonien.  Auf  den  Wiirzenährböden 
kamen  lediglich  die  Schimmelpilze  zur  Entwicklung.  Es  stellt  also  die 
Würze  einen  überaus  geeigneten  Nährboden  für  den  erwähnten  Pilz 


dar,  welcher  die  Diagnose  früher  und  sicherer  ermöglicht,  als  gewöhn¬ 
liches  Agar.  Die  intravenöse  Einverleibung  von  Sporen  des  gezüch¬ 
teten  Pilzes  erzeugte  bei  einem  Kaninchen  keine  Krankheitser¬ 
scheinungen. 

* 

Sitzung  vom  18.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Prof.  v.  Vintscligau. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Posselt. 

Prof.  Rille  stellt  eine  Reihe  von  Psoriasisfällen  vor 
und  bespricht  die  bei  denselben  in  Anwendung  gekommenen  ver¬ 
schiedenen  Behandlungsmethoden. 

An  der  Discussion  betheiligt  sich  Prof.  Ehrendorfe r. 

Weiterhin  gelangt  zur  Demonstration  ein  Mann  mit  Alopecia 
universalis. 

Docent  Dr.  P  o  s  s  e  1 1  stellt  einen  I8V2  Jahre  alten  Patienten 
mit  Zwergwuchs  bei  Vitium  cordis  (Insuff.  valv.  b  i- 
c  u  s  p  i  d  a  1  i  s)  vor. 

Der  kleine  Kranke  zeigt  eine  Körperhöhe  von  nur  123  cm. 
Keinerlei  rachitische  Zeichen;  kein  Cretinismus,  an  der  Schilddrüse 
nichts  Auffälliges  wahrnehmbar. 

Alle  Symptome  einer  Insufficient^  valvulae  bieuspidalis.  Patient 
übevstand  an  der  Klinik  einen  Anfall  acuter  Herzschwäche  mit  hämor¬ 
rhagischem  Infarct  der  Lunge. 

Vortragender  glaubt,  das  in  der  frühesten  Jugend  erworbene 
Vitium  cordis  für  das  Zurückbleiben  im  Wachsthum,  den  Zwergwuchs, 
beschuldigen  zu  können. 

An  der  Discussion  betheiligten  sich  Prof.  L  ö  w  i  t  und 
v.  Hacker.  Prof.  Löwit  bemerkt,  dass  ihm  der  Zusammenhang 
des  Zwergwuchses  mit  dem  Vitium  cordis  nicht  erwiesen,  ja  kaum 
wahrscheinlich  erscheine. 

Docent  Dr.  Posselt  stellt  ferner  einen  51jährigen  Mann  mit 
angeborener  Trichterbrust  vor. 

Bei  demselben  lassen  sich  keinerlei  hereditäre  Mo¬ 
mente  feststellen.  Auf  Heredität  weisen  unter  Anderem  Beobachtungen 
von  Vetlesen,  Smith  und  Herbst  hin.  Letzterer  berichtet  sogar 
über  fünf  Fälle  von  familiärer  Trichterbrust,  alle  männliche  Indivi¬ 
duen  betreffend. 

Am  Skelet  des  Mannes  nicht )  die  geringste  Andeutung  von 
Rachitismus;  keinerlei  Spaltbildungen. 

Vortragender  skizzirt  in  Kürze  die  Historik  der  E  b  s  t  e  i  n’schen 
Trichterbrust. 

Das  Gemeinsame  bei  allen  Beobachtungen  lässt  sich  dahin  fest¬ 
stellen,  dass  die  Trichterbrust  nur  bei  männlichen  Indi¬ 
viduen  gesehen  wurde ;  dieselben  zeigten  eine  merkwürdige  Ueber- 
einstimmung,  was  Ort,  Art  und  Ausdehnung  der  Verbildung  betrifft. 
Immer  lässt  sieh  dabei  eine  Zunahme  des  Querdurch¬ 
messers  am  Thorax  constatiren. 

Nachstehende  Masse  veranschaulichen  die  Thoraxverhältnisse : 

Umfang  in  Papillenhöhe  bei  Inspiration  96,  bei  Exspiration 
9 2 -5  cm. 

Papillardistanz  21cm. 

Sternum  vom  Jugulum  bis  zur  trichterförmigen  Einziehung 

14-5  cm. 

Trichterförmige  Einziehung  6-5  cm  breit,  8’5  cm  lang  und 
4-5  cm  tief. 

Antero  postero-Durchmesser  oben  in  der  Höhe  der  dritten  Rippe 

16  cm. 

Antero-postero-Durchmesser  an  der  tiefsten  Stelle  des  Trichters 
11-5  cm. 

Querdurchmesser  in  der  Axilla  31  cm,  in  Papillen¬ 
höhe  32  5  cm. 

Es  besteht  zumeist  mässige  Tachycardie. 

Auffällig  ist  die  Verlangsamung  des  Pulses  beim  Vorwärtsbeugen. 
Während  in  aufrechter  Stellung  die  Pulsfrequenz  94  beträgt,  geht  sie 
beim  Beugen  des  Rumpfes  nach  vorwärts  auf  72  und  darunter  herab. 

Doeent  Dr.  Posselt  demonstrirt  dann  einen  34jährigen  Mann, 
V.  W.  aus  Erlangen,  mit  Fissur  a  sterni  congenita,  der  zu 
wiederholten  Malen  (Jahn,  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin. 
Bd.  XVI;  Penzoldt,  ibidem.  Bd.  XXIV)  beschrieben  und  an  ver¬ 
schiedenen  Kliniken  demonstrirt  wurde. 

In  entwicklungsgeschichtlicher  Hinsicht  macht  Vortragender  auf 
R  u  g  e’s  Untersuchungen  über  Entwicklungsvorgänge  am  Biustbein 
und  an  den  Sternoclavicularverbindurgen  des  Menschen  (Morphologi¬ 
sches  Jahrbuch.  1880,  VI)  aufmerksam. 

Der  Bildungsfehler  macht  dem  Manne  nur  bei  angestrengterem 
Arbeiten,  vorzüglich  beim  Heben  von  schweren  Gegenständen,  Be¬ 
schwerden;  er  bekommt  sodann  heftiges  Herzklopfen  und  starke  Pul¬ 
sation,  so  dass  er  unwillkürlich  die  Hände  auf  die  Brustspalte  drückt. 

Brustumfang  in  Papillenhöhe  bei  tiefster  Inspiration  89‘5  cm, 
bei  tiefster  Exspiration  82  cm.  Bei  ruhiger  Athmung  beträgt  die 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Distanz  beider  Papillen  25'5  cm.  Die  Sternalspalte  misst  entsprechend 
dem  Sternoclaviculargelenk  5 3/4  cm ,  zwischen  zweiter  und  dritter  Rippe 
beträgt  diese  Distanz  33/4  cm. 

Die  Länge  der  Spalte  beträgt  vom  oberen  Rande  der  Clavicula 
bis  zu  einer  querziehenden  Knochenspange  13  cm.  Die  Sternalleisten 
sind  gut  zu  fühlen.  Auffällig  und  abweichend  von  den  gewöhnlichen 
Entwicklungsverhältnissen  ist  die  proximal  zunehmende  Breite  der 
Spalte. 

Bei  tiefer  Einathmung  verengt  sie  sich  auf  21/a  cm  und  erlangt 
eine  Tiefe  von  2  cm. 

Bei  forcirter  Ausathmung  wölbt  sich  in  der  Gegend  der  Fissur 
eine  mächtige  wulstartige  Erhebung  vor. 

Beim  Schluckacte  tritt  die  Musculatur,  welche  am  Kehlkopf  und 
Zungenbein  entspringt  und  nach  abwärts  ziehend  sich  erst  zwischen 
zweitem  und  drittem  Rippenknorpel  inserirt,  als  deutlicher  Wulst  hervor. 

Der  Vortragende  demonstrirt  die  Verhältnisse  der  Herzpulsa¬ 
tionen,  ihre  Beeinflussung  durch  Lageveränderungen,  Athembewegungen, 
die  Verhältnisse  des  Pulses  bei  verschiedenen  Körperlagen. 

An  der  Discussion  betheiligt  sich  Prof.  L  ö  w  i  t.  Er  macht 
auf  einige  schon  mit  blossem  Auge  erkennbare  Eigenheiten  der 
Pulsation,  ferner  auf  Erscheinungen  der  cardiopneumatischen  Bewegung 
aufmerksam,  und  fordert  auf,  den  Kranken  mit  graphischer  Methode 
genau  zu  untersuchen. 

* 

Sitzung  vom  15.  Juni  1900. 

Vorsitzender  :  Hofrath  Prof.  R.  v.  Vilitscllgail. 

Schriftführer:  Docent  Dr.  Posselt. 

Dr.  Donati  demonstrirt  das  neue  Instrumentarium  zur  Atrno- 
kausis  und  Zestokausis  nach  Dr.  P  i  n  c  u  s,  welches  bei  der  Firma 
Hahn  und  L  o  e  c  h  e  1  in  Danzig  angeschafft  wurde  und  auf  der 
Frauenklinik  des  Prof.  Ehrendorfer  angewendet  wird.  Verfasser 
wird  später  über  die  gemachten  Erfahrungen  und  Resultate  berichten. 

Docent  Dr.  Lotheissen  stellt  zuerst  einen  Patienten  vor,  der 
wegen  einer  Dupuytre  n’schen  Contractur  der  linken  Hand  die 
chirurgische  Klinik  aufsuchte,  und  den  er  nach  einer  neuen 
Methode  o  p  e  r  i  r  t  hat. 

Da  es  bekannt  ist,  dass  diese  Krankheit  in  einer  entzündlichen 
Schrumpfung  der  Palmaraponeurose  besteht,  kann  nur  eine  Exstirpation 
der  Narbenstränge  Hilfe  bringen.  Die  Behandlung  durch  Massage  und 
die  in  England  allgemein  übliche  subcutane  Durchtrennung  der  sich 
spannenden  Stränge  nach  Adams  setzt  immer  wieder  neue  Narben 
in  der  Fascie,  die  zu  stärkerer  Schrumpfung  führen.  Lange  Zeit  war 
das  Verfahren  von  Busch  fast  allein  in  Gebrauch.  Bei  demselben 
wird  durch  einen  V-förmigen  Schnitt  ein  Lappen  der  Haut  sammt  der 
Aponeurose  gebildet  und  nun  der  Finger  gestreckt.  Darnach  entsteht 
ein  Y-förmige  Narbe.  Meist  stirbt  das  Läppchen  ab  und  die  Narben¬ 
schrumpfung  führt  zu  neuerlicher  Contractur.  Gersuny,  Kocher 
u.  A.  haben  deshalb  Längsschnitte  direct  über  den  Strängen  gemacht 
und  nun  diese  sorgfältig  exstirpirt.  Dabei  waren  die  Resultate  besser. 
Da  aber  die  Hautnarbe  über  die  Sehnen  fällt,  hat  man  auch  da  öfters 
neuerliche  Conti-acturen  entstehen  sehen. 

Diese  Erwägungen  veranlassten  den  Vortragenden,  bei  diesem 
Kranken  anders  vorzugehen.  Es  handelte  sich  darum,  den  Schnitt  so 
zu  führen,  dass  er  1.  nicht  über  die  Sehnen  zu  liegen  käme,  und  dass 
2.  ein  bei  der  Streckung  etwa  entstehender  Hautdefect  nicht  zu  neuer 
Narbencontractur  führen  könne. 

Da  nun  die  Dupuytre  n’sche  Contractur  in  der  Regel  den 
fünften  und  vierten  Finger  betrifft,  muss  der  Schnitt  seitlich  an 
einer  Stelle  geführt  werden,  die  bei  Beugung  und  Streckung  im  Meta- 
carpophalangealgelenk  sich  nicht  viel  verschiebt,  also  am  ulnaren 
Rand  über  den  Ligamenta  lateralia,  er  muss  etwa  bis  zum  ersten 
Inter  phalangealgelenk  hinab  reichen  und  zieht  dann 
proximalwärts  am  ulnaren  Rand  des  Antithenar  bis 
etwa  zur  Höhe  des  Lig.  carpi  tr  ans  vers,  volare,  wo 
er  im  Bogen  zum  Thenar  hinübergeht.  Dieser  Lappen 
wird  nun  vorsichtig  abpräparirt,  so  zwar,  dass  man  die  Palmarapo¬ 
neurose  von  der  Haut  und  von  der  Unterlage  abtlägt.  Es  ist  hier 
leicht  gelungen,  auch  sämmtliche  für  den  dritten  (noch  nicht  con- 
tracten)  Finger  bestimmten  Theile  der  Palmaraponeurose  (prophylaktisch) 
mitzuentfernen. 

Die  Operation  wird  unter  localer  Anämie  nach  Esmarch  ge¬ 
macht.  Wichtig  ist  exacte  Blutstillung,  da  sowohl  durch  die  Bildung 
eines  Hämatoms  unter  der  Haut,  als  auch  die  Anlegung  eines  Com- 
pressivverbandes  die  Ernährung  des  Hautlappens  leiden  müsste.  Selbst 
wenn  aber  eine  partielle  Gangrän  des  Lappens  eintritt,  handelt  es  sich 
um  eine  Randgangrän,  wie  es  hier  der  Fall  war,  und  die  Narbe  fällt 
auf  den  musculösen  Theil,  den  Antithenar,  so  dass  die  Beweglichkeit 
der  Finger  dadurch  nicht  beeinträchtigt  wird. 


Ferner  demonstrirt  er  einen  18jährigen  Burschen,  bei  dem  er 
wegen  einer  Pseu  darthrose  am  Oberschenkel  eine 
Osteoplastik  ausführte. 

Der  Patient  kam  wegen  Nekrose  des  Oberschenkels  nach  acuter 
Osteomyelitis  im  September  1899  auf  die  chirurgische  Klinik.  Es  be¬ 
stand  gleichzeitig  Spontanfractur.  Bei  der  Nekrotomie  zeigte  sich,  dass 
Totalnekrose  der  Diaphyse  bestand  und  die  Todtenlade  höchst  unvoll¬ 
kommen  gebildet  war.  An  der  medialen  Seite  war  eine  kaum  centi- 
meterdicke  Spange,  in  der  die  Fractur  sich  fand.  Hier  wurde  Silber¬ 
drahtnaht  gemacht  und  ein  Gipsverband  angelegt.  Trotz  monatelanger 
Behandlung  trat  keine  Callusbildung  auf,  es  blieb  eine  Pseudarthrose 
bestehen. 

Um  diese  zur  Heilung  zu  bringen,  blieb  nur  die  blutige  Behand¬ 
lung  übrig.  Bei  einer  Resection  der  Bruchenden  und  directer  Ver¬ 
einigung  wäre  eine  Verkürzung  von  15  cm  entstanden.  Es  war  daher 
vorzuziehen,  ein  8  cm  langes  Knochenstück  dazwischen  e  i  n- 
zu  sc  halten,  so  dass  die  Verkürzung  nur  mehr  7  cm  beträgt.  Da 
hier  noch  Eiterung  bestand,  musste  ein  gestielter  Haut  Periost- Knoehen- 
lappen  verwendet  werden.  Eine  derartige  Operation  wurde  bisher,  stets 
an  der  Tibia,  fünfmal  ausgeführt  (W.  Müller,  v.  Eiseisberg). 

Abweichend  von  den  bisher  üblichen  Verfahren  hat  der  Vor¬ 
tragende  zuerst  die  Pseudarthrose  mit  einem  Lappen¬ 
schnittfreigelegt,  darnach  den  nach  der  anderen 
Seite  gestielten  Knochen  lappen  gebildet,  und  endlich  durch 
Vertauschen  der  Lappen  den  Defect  gedeckt.  Am  Ober¬ 
schenkel  wurde  eine  ähnliche  Operation  bisher 
noch  nicht  ausgeführt.  Der  Kranke  konnte  drei  Monate  nach 
der  Operation  schon  hei  umgehen,  er  tiägt  nur  einen  Stiefel  mit  7  cm 
höherer  Sohle. 


Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien. 

Sitzung  am  20.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Lihotzky. 

Schriftführer:  Regnier. 

I.  Waldstein:  a)  Endresultate  der  operativen 
Behandlung  des  Gebär  mutter  kr  ebses;  mit  Krankenvor¬ 
stellung.  (Erscheint  ausführlich  im  Archiv  für  Gynäkologie.) 

D  i  s  c  u  s  i  o  n  :  W  e  r  t  h  e  i  m  erwähnt,  dass  er  seit  circa  zwei 
Jahren  in  allen  Fällen  die  regionären  Drüsen  bis  zur  Aorta  hinauf 
und  die  beiden  Parametrien  möglichst  vollständig  mitexstirpire. 

Die  Operationstechnik  gestaltet  sich,  wie  folgt:  1.  Freilegung 
beider  Ureteren  bis  zum  Eintritte  in  die  Blase  und  Abpräpariren  der 
letzteren  bis  unter  das  Scheidengewölbe.  2.  Ligatur  und  Durchtrennung 
der  Ligamenta  infundibulo-pelvica  und  rotunda,  und  der  Arteria  uterina. 
3.  Excision  des  Uterus  sammt  möglichst  viel  anhängendem  Zellgewebe 
und  Scheide.  4.  Herauspräpariren  der  Drüsen,  wobei  naturgemäss  alle 
Gefässe  des  Beckens  blossgelegt  werden  müssen.  5.  Drainage  der  Vagina 
und  darüber  vollständiger  peritonealer  Abschluss,  wodurch  auch  die 
Ureteren  und  die  Gefässe  wieder  von  Peritoneum  gedeckt  sind.  Ope¬ 
rationsdauer  früher  circa  2 !/2  Stunden,  jetzt  in  Fällen  mit  wenig  Fett 
4/4 — r/4  Stunden. 

Die  histologische  Untersuchung  der  Drüsen  hat  sehr  bemerkens- 
werthe  Resultate  ergeben.  Während  in  manchen  sehr  weit  vorgeschrittenen 
Fällen  die  Drüsen  frei  von  Carcinom  befunden  wurden,  waren  anderer¬ 
seits  gerade  bei  erst  beginnenden  Fällen  selbst  sehr  entlegene  Drüsen 
bereits  carcinomatös.  In  Bezug  auf  die  Parametrien  dürfte  die  histo¬ 
logische  Untersuchung  ergeben,  dass  die  Palpation  (auch  vom  Rectum 
her)  unverlässlich  sei;  sehr  harte  und  massige  Parametrien,  die  zur 
ausgesprochenen  Fixirung  des  Uterus  an  der  Beckenwand  geführt  hatten, 
und  die  man  nach  der  herrschenden  Anschauung  für  carcinomatös 
halten  musste,  hatten  sich  als  carcinomfrei  erwiesen,  und  umgekehrt 
konnten  in  scheinbar  ganz  freien,  vollständig  nachgiebigen  weichen 
Parametrien  mit  Carcinom  erfüllte  Lymphbahneu  festgestellt  werden. 
W  e  r  t  h  e  i  m  glaubt  auf  Grund  seiner  bisherigen  Erfahrungen  schon 
jetzt  auf  eine  Modification  der  Indicationsstellung  dringen  zu  sollen. 
Man  habe  in  erster  Linie  den  Kräftezustand  der  Patientinnen  abzu¬ 
wägen,  nämlich  ob  er  für  eine  wirklich  radicale  Operation  ausreicht. 
In  zweiter  Linie  müsse  natürlich  der  locale  Befund  in  Betracht  kommen, 
wobei  man  aber  —  wenn  nur  der  Kräftezustand  ein  günstiger  ist,  sich 
nicht  allzu  enge  Grenzen  zu  stecken  brauche. 

Ob  er  nun  in  Zukunft  immer  abdominal  Vorgehen  und  die  vagi¬ 
nale  Uterusexstirpation  bei  Carcinom  ganz  aufgegeben  werde,  könne 
er  heute  noch  nicht  entscheiden.  Wert  heim  meint,  dass  es  vielleicht 
gelingen  werde,  diesbezüglich  eine  genauere  Scheidung  etwa  auf  Grund 
der  histologischen  Untersuchung  vorher  zur  Probe  excidirter  Carcinom- 
partikelchen  durchzuführen,  so  dass  man  dann  einzelne  Fälle  der 
abdominalen,  andere  der  vaginalen  Methode  unterwerfen  könnte. 


702 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


W  a  1  d  s  t  e  i  n  bemerkt,  dass  speciell  die  abdominale  Total¬ 
exstirpation  am  Amsterdamer  Congresse  und  wiederholt  in  der  Pariser 
chirurgischen  Gesellschaft  zur  Discussion  gelangt  sei.  Aus  den  dies¬ 
bezüglichen  Referaten  konnte  Wert  heim  01  Fälle  von  abdominaler 
Totalexstirpation  mit  Ausräumung  des  Beckens  und  genauerer  Angaben 
des  Befundes  in  Erfahrung  bringen.  Die  Operationsresultate  sind  zu 
weiteren  Schlüssen  nicht  verwerthbar,  da  die  Indicationsstellung  der 
einzelnen  Operateure  weit  divergirt.  So  hat  Terrier  15  Fälle  operirt, 
davon  starben  3  im  Anschlüsse  an  die  Operation,  9  an  Recidive. 
Andererseits  verlor  Jakobs  von  23  Fällen  nur  einen  an  den  Folgen 
der  Operation,  kein  einziger  starb  im  Verlaufe  von  18  Monaten  an 
Recidive. 

Für  die  Bewerthung  der  abdominellen  Operation  bildet  heute, 
da  Dauerresultate  noch  nicht  vorliegen,  jedenfalls  die  sicherste  Basis 
eine  sorgfältige  Untersuchung  der  Lymphdrüsen,  wie  sie  von  den 
Franzosen,  Deutschen  und  Belgiern  ausgeführt  wurde,  und  zwar  mit 
ähnlichen  Ergebnissen,  wie  von  Wertheim. 

Waldstein:  h)  Demonstration  histologischer 

Präparate. 

W  a  1  d  s  t  e  i  n  demonstrirt  histologische  Präparate,  der  Portio 
vaginalis  einer  Sechstgebärenden  enstammend.  Die  betreffende  Frau 
wurde  am  15.  Januar  1900  gebärend  auf  die  Klinik  des  Prof.  Schauta 
aufgenommen.  Es  wurden  an  ihr  Zwillinge,  von  denen  sich  der  erste 
in  Querlage  erster  Position  und  der  zweite  in  Beckenendlage  zweiter 
Position  befand,  diagnosticirt.  Der  Blasensprung  erfolgte  drei  Stunden 
vor  ihrer  Aufnahme  in  die  Anstalt.  Am  15.  Januar  um  3/4 1 2  Uhr 
Nachts  wurde  die  Wendung  der  ersten  Frucht  durch  combinirte  Hand¬ 
griffe  ausgeführt  und  wegen  Lebensgefahr  der  Frucht  die  Extraction 
angeschlossen.  Nach  der  Extraction  mässig  starke  Blutung.  Dieselbe 
erschien  durch  den  tiefen  Lateralsitz  der  Placenta  von  dem  man  sich 
gelegentlich  der  Wendung  überzeugen  konnte,  erklärt,  und  so  wurde 
durch  Herabholen  eines  Fusses  und  Einleiten  des  Steisses  der  zweiten 
Frucht  dieselbe  gestillt.  Durch  zwei  Wehen  wurde  die  Frucht  bis  zum 
Steisse  geboren,  worauf  Manualhilfe  geleistet  wurde.  Spontaner  Abgang 
zweier  Placenten.  Der  Uterus  gut  contrahirt,  doch  hielt  eine  mässig 
starke  Blutung  weiter  an.  Behufs  Revision  des  Muttermundsaumes 
wurde  derselbe  durch  Spateln  eingestellt  und  einerseits  ein  kurzer  ver- 
hältnissmässig  aber  stark  blutender  Cervixriss  nach  links  hinten  constatirt, 
andererseits  erschien  der  Muttermundsaum  auf  seiner  vaginalen  Fläche 
eigenthümlich  höckerig,  von  weissen  Plaques  bedeckt.  Behufs  histo¬ 
logischer  Untersuchung  des  Portiogewebes  wurde  eine  Probeexcision 
aus  dem  vorderen  Antheile  des  Muttermundsaumes  gemacht.  Verschluss 
der  Excisions-,  beziehungsweise  Risswunde  durch  mehrere  Knopfnähte. 
Au  histologischen  Schnitten  durch  das  excidirte  Gewebe  gewinnt  man 
das  typische  Bild  einer  in  Ausheilung  begriffenen  Erosion.  Die  plaque¬ 
förmigen  Erhabenheiten  erweisen  sich  als  Plattenepithelinseln,  von  denen 
der  Ausheilungsprocess  ausging.  Das  Wesentliche  des  Falles  besteht 
aber  darin,  dass  man  in  grösseren  und  kleineren  Nestern  decidual 
umgewandeltes  Stromagewebe  in  der  Umgebung  des  äusseren  Mutter¬ 
mundes  an  seiner  cervicalen  Oberfläche  und  weiterhin  unter  der 
„erodirten  Fläche“  der  Portio  vaginalis  constatiren  kann,  und  zwar 
sind  es  gerade  die  oberflächlichsten  Schichten  des  Stroma,  die  diese 
Umwandlung  aufweisen.  Nach  Franque  konnten  derartige  deciduale 
Veränderungen  an  der  Cervicalschleimhaut  —  in  unserem  Falle  nicht 
nur  im  Bereiche  der  Cervicalschleimhaut,  sondern  auch  im  vaginalen 
Antheile  der  Portio  vaginalis  uteri  —  nur  in  zwei  Fällen  mit  Sicherheit 
nachgewiesen  werden. 

Als  dritter  Fall  ist  der  von  v.  W  e  i  s  s  (Placenta  cervicalis),  und 
als  vierter  der  unserige  den  Fällen  von  Deeiduabildung  im  Cervix 
anzufügen.  Hiebei  muss  aber  besonders  hervorgehoben  werden,  dass 
es  in  den  Fällen  von  Franque  und  in  dem  unseligen  nicht  zur 
Bildung  einer  Membrana  deciduae  gekommen  ist,  sondern  nur  zu 
herdförmig  umschriebenen  Umwandlungen  von  einzelnen  Stellen  des 
Cervix.  Es  steht  diese  Umwandlung  des  Stromagewrebes  in  Decidual- 
gewrebe  auf  gleicher  Höhe  mit  den  Befunden  von  Mandl,  G  ö  b  e  1, 
Veit,  die  Deeiduabildung  in  den  Tuben  bei  Intrauteringravidität  con¬ 
statiren  konnten,  ebenso  wie  Webster  bei  Gravidität  der  einen  Seite 
deciduale  Umwandlung  in  den  Tuben  fand  als  Ausdruck  einer  Fern- 
wirkung  des  Graviditätreizes,  wie  wir  ihn  bei  Extrauteringravidität 
hinsichtlich  der  Deeiduabildung  im  Uterus  regelmässig  zu  finden  gewohnt 
sind.  Mit  Rücksicht  auf  den  Umstand,  dass  es  in  den  F  r  a  n  q  u  e’schen 
Fällen,  sow'ie  in  dem  unserigen  nicht  zur  Bildung  einer  Membrana 
decidua  cervicalis  gekommen  ist,  sind  diese  Befunde  gewiss  nicht 
geeignet,  die  jüngst  von  W  i  1  h  e  1  m  P  o  n  f  i  c  k  aufgestellte  Behauptung, 
dass  jede  Placenta  praevia  eine  Placenta  cervicalis  im  weitesten  Sinne 
wäre,  zu  unterstützen.  Wohl  scheint  aber  die  hochgradige  Vasculari- 
sation  des  Cervix  —  in  unserem  Falle  war  die  Sache  durch  den  tiefen 
Lateralsitz  der  Placenta  begründet  —  so  wie  es  auch  Franque 
annimmt,  mit  der  decidualen  Umwandlung  des  Cervixgewebes  in  ätio¬ 
logischem  Zusammenhang  zu  stehen. 


Gersuny:  Demonstration  eines  excidirten  Magen 
geschwüres. 

Die  jetzt  38jährige  Kranke  hatte  seit  13  Jahren  sehr  häufiges 
Erbrechen  und  Magenschmerz  und  besonders  Schmerzen  in  der  unteren 
Bauchgegeud,  zurZeit  der  Menstruation  steigerten  sich  die  Beschwerden, 
erlitten  aber  einmal  eine  mehrmonatliche  Unterbrechung,  als  die 
Patientin  eine  schwer  kranke  Verwandte  pflegte.  Diese  Umstände  Hessen 
auf  eine  hysterische  Grundlage  des  Leidens  schliessen  und  berechtigten 
zu  der  Annahme,  dass  die  beschriebenen  Reflexe  von  den  scheinbar  ver- 
grösserten  und  druckempfindlichen  Ovarien  abhängig  seien.  Bei  der 
vor  vier  Jahren  vorgenommenen  Laparotomie  fand  der  Operirende  beide 
Ovarien  (besonders  dicht  das  rechte)  von  Pseudomembranen  umhüllt. 
Die  Exstirpation  beider  Ovarien  hatte  keinen  Erfolg.  Die  Schmerzen 
in  der  unteren  Bauchgegend  dauerten  fort.  Das  Erbrechen  wurde  noch 
häufiger,  so  dass  die  Kranke  arbeitsunfähig  wurde  und  auf  das 
Aeusserste  abmagerte.  Als  Gersuny  sie  (vor  drei  Monaten)  kennen 
lernte,  hatte  sie  einen  fast  hühuereigrossen  Tumor  im  linken  Epi¬ 
gastrium  und  grosse  Druckempfindlichkeit  an  symmetrischen  Stellen  in 
der  Cöcal-  und  in  der  Flexurgegend. 

Die  Laparotomie  (November  1899)  ergab  fadenförmige  Netz¬ 
adhäsionen  am  Beckenboden  und  an  der  vorderen  Bauch  wand,  eine 
fadenförmige  Adhäsion  des  untersten  Ileum  am  Beckenboden,  Pseudo¬ 
membranen  am  Cöcum  und  Appendix,  welcher  zwei  Kothsteine 
enthielt,  Pseudomembranen  an  der  Flexur:  eine  Verwachsung  mit  dem 
linken  Ligamentum  latum  und  die  von  Gersuny  als  typisch  be¬ 
schriebene  Adhäsion  am  proximalen  Schenkel  der  Flexur.  Nach  Lösung 
dieser  Verwachsungen  und  Aufrichtung  des  retrovertirten  Uterus  durch 
Faltung  der  Ligamenta  rotunda  wrurde  der  Bauchschnitt  über  den 
Nabel  hinauf  verlängert  und  der  Tumor  im  linken  Epigastrium  unter¬ 
sucht;  dieser  war  von  der  schwielig  verdickten  vorderen  Wand  des 
Magens  gebildet  und  mit  dem  Peritoneum  parietale  innig  verwachsen. 

Die  Excision  des  kranken  Theiles  der  Magenwand  schien  eine 
zu  starke  Zumuthung  an  die  Kräfte  der  Kranken,  es  wurde  deshalb 
die  Gastroenterostomie  gemacht,  nachdem  man  sieh  überzeugt  hatte, 
dass  der  Magen  durch  das  Geschwür  nicht  allzusehr  verengert  war. 
Um  den  therapeutischen  Erfolg  in  Bezug  auf  das  Ulcus  zu  sichern, 
wurde  (nach  Witzel’s  Vorschlag)  ein  Drain  durch  die  Anastomose 
im  Jejunum  gelegt  und  durch  eine  Oeffnung  in  der  vorderen  Wand 
des  Magens  nach  aussen  geführt.  Durch  dieses  Drain  wuirden  der 
Kranken  vier  Wochen  lang  die  Nahrungsmittel  direct  in  das  Jejunum 
eingegossen.  Als  die  Ernährung  wieder  durch  den  Mund  stattfand, 
dauerte  das  Wohlbefinden  noch  etwa  einen  Monat  lang  an,  dann  begann 
wieder  das  Erbrechen,  zu  dem  sich  heftige  Magenschmerzen  gesellten. 
Das  Erbrochene  bestand  meist  nur  aus  Schleim.  Die  dem  Ulcus  ent¬ 
sprechende  Geschwulst,  welche  in  der  Zeit  der  Besserung  kleiner  ge¬ 
worden  war,  nahm  wieder  zu  und  wurde  druckempfindlich,  so  dass  der 
Kranken  endlich  die  Excision  des  Geschwürs  vorgeschlagen  wurde.  Bei 
der  am  13.  Februar  1900  vorgenommenen  Operation  (der  dritten 
Laparotomie  an  der  Kranken)  wurde  der  Tumor  von  der  vorderen 
Bauchwand  abgelöst,  dann  wurde  nach  präventiven  Umstechungs¬ 
ligaturen  in  einem  Theil  des  Umkreises  der  harten  Stelle  die  Excision 
zwischen  der  Geschwulstgrenze  und  den  Ligaturen  begonnen,  und  nach 
dem  Abklemmen  des  Magens  an  dem  hinter  dem  Ulcus  gelegenen 
Theile  des  Magens  vollendet.  Nun  ergab  sich,  dass  nach  der  Excision 
des,  wie  das  Präparat  zeigt,  nicht  sehr  grosseu  Stückes  zwei  grosse 
Magenquerschnitte  Vorlagen,  dass  also  seit  der  Operation  im  November 
die  Verengerung  des  Magens  durch  das  Geschwür  einen  beträchtlichen 
Grad  erreicht  hatte,  dass  ein  Sauduhrmagen  sich  entwickelt  hatte.  Das 
untere  Lumen  führte  zur  grossen  Curvatur,  und  zu  der  für  den  Zeige¬ 
finger  leicht  durchgängigen,  scharfrandigen  Anastomose,  durch  das 
obere  Lumen  gelangte  der  Finger  in  den  weiten  Fundus  ventriculi.  Es 
wurde  wieder  ein  Drain  in  das  Jejunum  gelegt  und  durch  den  Magen 
herausgeleitet,  dann  wTurden  die  Mageuhälften  vereinigt  und  die  Bauch¬ 
wunde  geschlossen.  Der  Verlauf  ist  bisher —  es  sind  seit  der  Operation 
acht  Tage  verflossen  —  ein  günstiger  und  man  darf  nun  wohl  auf 
dauernde  vollständige  Heilung  hoffen. 

Diese  Krankengeschichte  ist  besonders  belehrend,  indem  sie 
zeigt,  welche  diagnostischen  Schwierigkeiten  dadurch  entstehen  können, 
dass  secundäre  Symptome  das  ganze  Krankheitsbild  beherrschen. 

Anfangs  deuteten  die  Erscheinungen  auf  eine  Genitalaffection; 
dann  fand  man  (während  der  zweiten  Operation)  den  Appendix  erkrankt 
und  unmittelbar  darnach  ergab  sich  ein  Ulcus  ventriculi  als  die  Quelle 
aller  Leiden.  Gersuny  legte  besonderes  Gewicht  darauf,  dass  der 
Fall  auch  die  Art  der  Entstehung  und  der  Gründe  für  die  Localisation 
von  peritonealen  Adhäsionen  illustrirt  und  seine  Anschauungen  darüber 
(siehe:  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  L1X,  Heft  1)  zu  stützen 
scheint. 

Dr.  Hitschmann  demonstrirt  ein  Myom,  das  einer 
52jährigen  seit  zwei  Jahren  in  der  Menopause  stehenden  Frau  ent¬ 
stammt.  Dieselbe  w'ar,  von  Kinderkrankheiten  abgesehen,  bis  in  die 
letzte  Zeit  gesund  gewesen,  hatte  eine  vollständig  regelmässige  Periode 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


703 


von  vierwöchentlichem  Typus  und  achttägiger  Dauer.  Die  Blutung  war 
eine  massige,  keine  Schmerzen.  Seit  zwei  Jahren  cessiren  die  Menses. 
Acht  spontane  Entbindungen  am  normalen  Ende,  Wochenbetten  zumeist 
febril.  Ein  Jahr  nach  dem  Cessiren  der  Menses  traten  zum  ersten  Mal 
krampfartige  Schmerzen  im  Bauche  auf,  die  anfangs  nur  selten,  später 
aber  häufiger  kamen  und  seit  dem  27.  Jänner  fast  ohne  Unterbrechung 
andauern,  wehenartigen  Charakter  besitzen  und  in  das  Kreuz  und  die 
Unterbauchgegend  ausstrahlen.  Ausfluss  bestand  nie,  Blutungon  kehrten 
seit  der  Menopause  nicht  mehr  wieder.  Seit  einem  Jahre  magerte 
Patientin  beträchtlich  ab;  vor  vier  Wochen  bemerkte  sie  eine  Geschwulst 
im  Bauche,  die  in  der  letzten  Zeit  ziemlich  rasch  gewachsen  sein  soll. 

Die  Untersuchung  ergab  die  inneren  Organe  intact  und  folgenden 
Genitalbefuud :  Ein  kindskopfgrosser  Tumor  steigt  aus  dem  kleinen 
Becken  bis  zum  Nabel  hinauf.  Der  Tumor  ist  im  Allgemeinen  derb, 
nur  an  einzelnen  Stellen  scheint  Fluctuation  zu  bestehen.  Er  ist  rechter- 
seits  etwas,  linkerseits  wenig  beweglich.  Die  beiden  Ligamenta  rotunda 
sind  vorne  zu  tasten.  Innerer  Befund:  Portio  plump  und  derb,  wenig 
beweglich,  geht  breit  in  den  Tumor  über  und  macht  theilweise  die 
Bewegungen  desselben  mit.  Aeusserer  Muttermund  für  die  Fingerkuppe 
einlegbar.  Cervix  geschlossen.  Adnexa  nicht  zu  tasten.  Nach  diesem 
Befunde  wurde  die  Diagnose  auf  Myoma  uteri,  ausgehend  von  der 
hinteren  Uteruswand,  gestellt:  man  nahm  weiters  an,  dass  der  myoma- 
töse  Tumor  sich  in  maligner  Degeneration  befinde. 

Bei  der  Laparotomie,  die  Herr  Prof.  Schauta  am  5.  Februar 
machte,  zeigte  sich  aber,  dass  das  1500  g  schwere  intermural  sitzende 
Myom  nur  Oedem  mit  beginnender  Verflüssigung  und  ausgebreitete 
Nekrose,  aber  keine  maligne  Degeneration  zeigte. 

Es  ist  also  bemerkenswerth,  dass  das  Myom,  das  doch  zweifellos 
schon  längere  Zeit  bestand,  erst  im  Klimakterium  Beschwerden  machte 
und  zwar  solcher  Art,  wie  wir  sie  sonst  bei  maligner  Degeneration 
gewohnt  sind. 

Wir  werden  kaum  fehlgehen,  wenn  wir  die  Ursache  für  die  in 
diesem  Falle  so  spät  auftretenden  Myombeschwerden  und  auch  für  das 
rasche  Wachsthum  des  Tumors  in  dem  Oedem  und  der  Nekrose  suchen. 

Unerklärt  bleibt  aber  die  Kachexie  der  Patientin,  da  sich  weder 
im  gynäkologischen  noch  im  sonstigen  körperlichen  Befunde  ein  Anhalts¬ 
punkt  dafür  findet. 

Discussion:  Gersuny  bemerkt,  dass  Alle  darin  überein¬ 
stimmen,  dass  in  der  Regel  nach  dem  Klimax  die  Myome  schrumpfen. 
Es  habe  ihn  sehr  überrascht,  in  dem  Lehrbuche  von  Pean  eine  Angabe 
zu  finden,  die  dem  zu  widersprechen  scheine,  dass  er  nämlich  fast 
ebensoviele  nach  dem  Klimax  weiter  wachsende  Myome  operirt  habe 
als  solche  vor  dem  Klimax.  Es  ist  dies  eine  Beobachtung,  die  ziemlich 
vereinzelt  dasteht.  Gersuny  hat  oft  die  Beobachtung  gemacht,  dass 
zwischen  Kachexie  und  mikroskopischem  Baue  einer  Geschwulst  kein 
Zusammenhang  bestehe.  Bei  nicht  ulcerirtem  Carcinom  und  Sarkom 
sieht  man  dies  häufig.  Wenn  man  die  einzelnen  Symptome,  aus  denen 
sich  die  Kachexie  zusammensetzt,  analysirt,  so  sieht  man,  dass  sie 
theils  der  Sepsis,  theils  der  Anämie  in  Folge  der  Blutungen  angehören. 
Gersuny  kennt  Fälle  von  Mammacarcinom,  bei  denen  nicht  lange 
nach  der  Operation  Recidiven  mit  rapidem  Wachsthum  auftreten,  die 
Patientinnen  aber  blühend  aussehen.  Gersuny  hat  ferner  vor  sechs 
Jahren  bei  einem  Patienten,  bei  dem  eine  Communication  von  S  ro- 
manum  und  der  Blase  bestand,  die  Laparotomie  gemacht  und  sich  dabei 
überzeugt,  dass  es  sich  um  ein  Carcinom  handle.  Es  wurde  die  Kolo-  , 
stomie  ausgeführt  und  das  Carcinom  unberührt  gelassen.  Dieser  Mann 
befindet  sich  seit  sechs  Jahren  tadellos  wohl  und  consultirte  Gersuny 
wegen  Fettleibigkeit.  Kürzlich  starb  er  plötzlich  an  Hirnapoplexie. 
Gersuny  hält  nach  seinen  Erfahrungen  für  die  häufigsten  wenn  auch 
durchaus  nicht  für  die  einzigen  Ursachen  der  Kachexie:  Anämie  durch 
Blutungen  oder  chronische  Sepsis  durch  einen  ulcerösen  Process  oder 
beides  zusammen;  schliesst  aber  aus  kacliektischen  Aussehen  nicht  auf 
ein  Neoplasma  von  bestimmtem  mikroskopischen  Bau. 

Schauta:  Was  die  Frage  der  Beziehungen  des  Klimakteriums 
zum  Myom  anbelangt,  so  hat  der  eine  und  der  Andere  Recht.  Im  All¬ 
gemeinen  kann  man  sagen,  dass  Myome  im  Klimakterium  zu  wachsen 
und  Erscheinungen  zu  machen  aufhören.  Doch  kommt  es  auch  darauf 
an,  was  man  unter  Klimakterium  versteht.  Anatomisch  ist  es  das  Auf¬ 
hören  der  ovariellen  Function,  das  aber  nicht  mit  dem  Aufhören  der 
Blutungen  einhergehen  muss.  Bei  unseren  Frauen  in  unseren  Klimaten 
tritt  im  Allgemeinen  das  Klimakterium  mit  48  Jahren  ein.  Bei  Myomen 
gehört  es  fast  zur  Regel,  dass  die  Blutungen  erst  mit  53  Jahren  oder 
noch  später  aufhören.  'Es  fragt  sich  nun,  ob  es  sich,  wenn  in  Myom¬ 
fällen  in  den  Fünfziger-Jahren  Blutungen  vorhanden  sind,  um  menstruelle 
oder  pathologische  Blutungen  handelt?  Es  gibt  Myome,  bei  denen 
Blutungen  überhaupt  nicht  aufhören,  da  kann  man  beliebig  lange  auf 
auf  den  Wechsel  warten,  die  Tumoren  wachsen  und  die  Blutungen 
werden  immer  stärker;  e3  sind  das  eben  Myomblutungen.  Wenn  daher 
Pean  sagt,  dass  auch  im  Klimakterium  die  Myome  weiter  wachsen, 
so  kommt  es  hier  eben  auf  die  Definition  des  Klimakteriums  an.  Der 
zweite  Punkt,  über  den  zu  discutiren  wäre,  wäre  die  Frage  der  Kachexie 


und  da  müsse  Schauta  bei  Stellung  der  Diagnose  ein  grosses  Gewicht 
legen  auf  das  Allgemeinbefinden  und  das  Aussehen  der  Frauen.  Richtig 
ist  es,  dass  in  den  Fällen,  in  denen  es  sich  um  ein  malignes  Neoplasma 
handelt  und  bei  welchen  auch  Blutungen  und  Anämie  bestehen,  diese 
das  schlechte  Aussehen  verursachen  und  es  muss  auch  zugegeben 
werden,  dass  in  vielen  Fällen  die  Kranken  septisch  sind.  Aber  es  gibt 
wiederum  gewisse  Fälle,  wo  weder  Anämie  noch  Sepsis  vorhanden  ist, 
aber  doch  das  Aussehen  so  ist,  dass  man  auf  den  ersten  Anblick  hin 
sagen  muss,  dass  es  sich  um  ein  Neoplasma  malignum  handeln  dürfte. 
Auf  Schauta  hat  es  stets  den  Eindruck  gemacht,  als  wenn  durch 
ein  solches  maliges  Neoplasma  ein  chemisch  wirkendes  Gift  producirt 
würde,  das  den  Körper  so  herunterbringt.  Schauta  hat  ferner  den 
Eindruck,  dass  man  es  einer  Person  oft  auf  den  ersten  Blick  ansieht, 
ob  eine  maligne  oder  benigne  Geschwulst  vorhanden  ist.  Vortragender  er¬ 
innert  sich  an  eine  Frau,  bei  der  von  mehreren  hervorragenden  Aerzten 
ein  malignes  Neoplasma  diagnosticirt  worden  war,  und  bei  welcher  er 
beim  ersten  Besuche  in  der  Sprechstunde  nach  dem  Aussehen  der  Frau 
sofort  den  gegenteiligen  Eindruck  gewann.  Bei  der  Operation  fand 
sich  auch  ein  multiloculäres  gutartiges  Kystom. 

Gersuny  bemerkt,  dass  er  nicht  gesagt  haben  wollte,  dass 
man  auf  die  Kachexie  kein  Gewicht  zu  legen  brauche.  Ausser  der 
Anämie  und  der  Sepsis  gibt  es  noch  andere  Ursachen,  die  zur  Kachexie 
führen.  Einen  Beweis,  dass  die  Kachexie  nicht  von  der  mikroskopischen 
Structur  einer  Neubildung  abhängt,  liefern  die  Gynäkologen  oft  durch 
ihre  Erfolge  bei  der  Behandlung  nicht  exstirpirbarer  Uteruscarcinome: 
wenn  nach  der  Excochleation  das  Geschwür  aseptisch  erhalten  wird, 
bessert  sich  der  Ernährungszustand  der  Kranken.  Gersuny  wollte 
nur  gegen  die  sehr  verbreitete,  nach  seiner  Meinung  irrige  Ansicht 
Stellung  nehmen,  dass  die  „Kachexie“  bei  der  Diagnose  „maligner“ 
Tumoren  ein  werthvolles  oder  gar  entscheidendes  Symptom  sei. 

Hühl:  D  emonst  ration  einer  Missbildung  (erscheint 
später  ausführlich). 

* 

Sitzung  am  27.  März  1900. 

Vorsitzender:  Lihotzky. 

Schriftführer:  Regnier. 

I.  Wertheim  demonstrirt  drei  Fälle  von  beginnen¬ 
dem  Carcinom  der  Portio,  respective  der  Cervix,  in 
welchen  die  regionären  Drüsen  bereits  krebsig  in- 
filtrirt  waren  und  bei  der  Operation  mit  entfernt 
wurden. 

II.  Fleisch  mann:  a)  Demonstration  eines  Ovarial- 
f  i  b  r  o  m  e  s. 

Der  kolossale,  \0  kg  schwere  Tumor  entstammt  der  48jährigen 
Frau  Anna  W.,  welche  nie  geboren  oder  abortirt  hat;  vor  drei  Jahren 
sistirten  die  bis  dahin  ziemlich  regelmässigen  Menses.  Vor  elf  Jahren 
erkrankte  sie  angeblich  an  Peritonitis  und  damals  wurde  von  den 
Herren  Karl  v.  Bra  u  n  und  v.  M  o  s  e  t  i  g  ein  grosser,  harter  Abdo¬ 
minaltumor  bei  ihr  vorgefunden,  der  als  Uterusfibrom  gedeutet  wurde. 

Am  2.  März  d.  J.  fand  ich  bei  der  blassen,  mageren  aber 
kräftigen  Kranken  einen  vom  Becken  bis  nahe  zum  Schwertfortsatz 
reichenden,  derben,  knolligen,  seitlich  etwas  beweglichen  Tumor,  der 
sich  nach  links  und  hinten  bis  zur  hinteren  Axillarlinie  erstreckte, 
während  in  der  rechtsseitigen  hinteren  Abdominalgegend  tympanitischer 
Percussionsschall  nachweisbar  war.  Die  kleine  Vaginalportion  war 
hoch  hinaufgezogen  und  nach  rechts  hinter  das  Schambein  verdrängt 
durch  einen  tief  ins  Becken  reichenden,  derben,  knolligen  Tumoran- 
theil;  das  Corpus  uteri  liess  sich  nicht  deutlich  tasten.  Der  Tumor 
machte  mir  den  Eindruck  eines  grossen  Uterusfibroms,  dessen  Gut¬ 
artigkeit  mit  Rücksicht  auf  das  etwa  21/2  Jahre  nach  der  Menopause 
beobachtete  Auftreten  eines  mässigen  Oedems  der  Bauchhaut  oberhalb 
der  Symphyse  bezweifelt  werden  musste.  Ascites  konnte  ich  nicht  nach- 
weisen,  im  Harn  waren  minimale  Eiweissspuren. 

Am  7.  März  schritt  ich  zur  Operation.  Der  Tumor  hing  mit  dem 
seiner  vorderen  Fläche  aufsitzenden  Uterus  einerseits  durch  einen  vom 
oberen  Antheil  de3  linken  Ligamentum  latum  gebildeten  kurzen, 
breiten  Stiel,  andererseits  durch  zahlreiche  strangförmige  Adhäsionen 
mit  der  hinteren  Uteruswand  zusammen.  Der  Stiel  und  die  gefäss- 
reichen  Adhäsionen  wurden  ligirt  und  durchtrennt,  der  Tumor  entfernt. 
Der  zu  einem  Bande  breitgezogene  Uterus  nahm  nun  rasch  die  gewöhn¬ 
liche  Form  an.  Ein  rechts  am  Fundus  uteri  sitzendes,  kastaniengrosses 
subseröses  Fibrom  wurde  excidirt  und  die  Wunde  vernäht.  Die  rechte 
Tube  erwies  sich  als  normal,  ebenso  das  leicht  vergrösserte  Ovarium. 
Links  fehlte  das  Ovar  und  der  grösste  Theil  der  mit  dem  Tumor 
entfernten  Tube,  so  dass  die  Geschwulst  schon  nach  diesem  Verhalten 
als  dem  linken  Eierstock  angehörend  betrachtet  werden  musste. 

Schluss  der  Bauchwunde. 

Nach  einem  ungestörten  Wund  verlaufe  wurde  die  Kranke  heute 
aus  der  Anstalt  entlassen. 


704 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  30 


Die  mikroskopische  Untersuchung  zweier  von  der  Oberfläche  des 
Tumors  entnommenen  Gewebstheile  ergab  den  Befund  eines  reinen, 
ziemlich  zellreichen  Fibroms  (Dr.  Landsteiner).  Erwähnens werth 
erscheint  mir  noch,  dass  sehr  wenig  Ascites  vorhanden  war. 

Discussion:  Lihotzky:  Wenn  schon  Ovarialfibrome  über¬ 
haupt  nicht  zu  den  häufigen  Tumoren  gehören,  so  ist  ein  so  kolossaler 
Tumor  wie  der  vorliegende,  unter  den  Ovarialtumoren  eine  besondere 
Seltenheit.  Erwähnenswert h  ist  das  Fehlen  von  Ascites  in  diesem  Falle. 
Der  Grund  für  den  Ascites  wird  von  verschiedenen  Autoren  ver¬ 
schieden  angegeben.  Ols  hausen  meint,  der  Ascites  werde  hervor¬ 
gerufen  durch  die  mechanische  Reizung  der  zumeist  beweglichen 
Tumoren.  Schauta  glaubt,  dass  es  sich  um  Stauungen  im  Ligamen¬ 
tum  latum  handle,  während  Pfannenstiel  den  Grund  für  den 
Ascites  in  einem  veränderten  Chemismus  sucht,  den  er  auf  Stoffwechsel- 
producte  des  Tumors  zurückführt.  Lihotzky  erwähnt  einen  interes¬ 
santen  Fall  von  Ovarialfibrom,  der  vor  Jahren  auf  der  Schrötter- 
schen  Klinik  wegen  hochgradigem  Ascites  zur  Aufnahme  kam,  ohne 
dass  man  damals  die  Diagnose  sofort  zu  machen  im  Stande  gewesen 
wäre.  Im  Verlaufe  von  D/2  Tagen  wuchs  nun  der  Ascites  ins  Unge¬ 
messene  an,  so  dass  lebensbedrohliche  Erscheinungen  auftraten  und  die 
Frau  an  die  Klinik  Chrobak  transferirt  wurde,  wo  sofort  aus 
vitaler  Indication  die  Laparotomie  ausgeführt  wurde.  Beim  Einschneiden 
quollen  mehr  als  20  l  Wasser  hervor.  Der  Tumor  erwies  sich  als  ein 
vom  linken  Ovarium  ausgehendes  Fibrom  von  Die  Frau  wurde 

auch  geheilt.  Der  Fall  ist  deshalb  interessant,  weil  bei  ihm  ein  geradezu 
acuter  Ascites  entstanden  war.  Lihotzky  glaubt  daher,  dass  es 
sich  eher  um  eine  Combination  der  Meinungen  von  Olshausen  und 
Schauta  handeln  dürfte. 

Fleischmann:  l)  Demonstration  stereoskopi¬ 

scher  Bilder  zur  Darstellung  des  Geburtsmecha¬ 
nismus  und  geburtshilflicher  Operationen. 

Docent  Knapp  in  Prag  hat  eine  Reihe  gelungener  photographi¬ 
scher  Aufnahmen  gemacht,  um  mit  Hilfe  des  S  e  1  1  h  ei  m’schen 
Phantoms  den  Geburtsmechanismus  und  geburtshilfliche  Eingriffe  zur 
Darstellung  zu  bringen.  Im  Stereoskop  betrachtet  treten  die  zu  demon- 
strirenden  Verhältnisse  so  plastisch  hervor,  dass  Knapp  in  den  Ab¬ 
bildungen  eine  wesentliche  Bereicherung  des  geburtshilflichen  An¬ 
schauungsunterrichtes  erblickt,  eine  Auffassung,  der  sich  die  Herren, 
wie  ich  hoffe,  voll  anschliessen  werden. 

III.  Savor:  Myom  und  Ext  raute  rinschwanger- 
8  c  h  a  ft. 

Savor  demonstrirt  einen  Uterus  myomatosus  mit  Tubargravi- 
dität.  Die  linke  Tube,  welche  Sitz  der  Schwangerschaft  war,  verläuft 
eine  ziemliche  Strecke  im  Muskelmantel  eines  den  isthmischen  Theil 
einnehmenden  Myoms.  Savor  stellt  einen  ätiologischen  Zusammenhang 
zwischen  dem  Sitze  des  Myoms  und  der  Extrauteringravidität  als  wahr¬ 
scheinlich  hin.  (Erscheint  ausführlich  in  der  Monatsschrift  für  Geburts¬ 
hilfe  und  Gynäkologie.) 

Discussion:  G.  Braun  bemerkt,  dass  er  an  seiner  Klinik 
im  Museum  ein  Präparat  besitze,  welches  einen  mehr  als  mannskopf¬ 
grossen  Uterus  myomatosus  gravidus  darstelle.  Dasselbe  stammt  von 
einer  Frau,  die  ungefähr  Ende  der  Achtziger- Jahre  zur  Beobachtung 
kam.  Sie  zeigte  alle  Erscheinungen  der  Schwangerschaft  und  in  Anbetracht 
der  Grösse  des  Tumors  wurde  zur  Exstirpation  desselben  geschritten. 
Das  Ei  hatte  sich  innerhalb  des  Uterus  entwickelt  und  ist  dasselbe 
am  Präparat  noch  zu  sehen.  Die  Hälfte  des  12  cm  laugen  Fötus  ragt 
aus  der  Schnittwunde  des  Uterus  heraus.  Das  Ei  konnte  also  bis  in 
Uterushöhle  Vordringen. 

IV.  H.  Ludwig  demonstrirt:  a )  einen  Uterus  myoma¬ 
tosus  gravidus,  ein  durch  abdominelle  Totalexstirpation  gewon¬ 
nenes  Präparat. 

Bei  der  Untersuchung  fand  sich  ein  vergrössertes  anteponirtes 
und  etwas  elevirtes  Corpus  und  nach  hinten  davon,  fast  bis  zum 
Beckenausgang  herabreichend,  eine  kindskopfgrosse,  undeutlich  fluc- 
tuirende  Geschwulst.  In  der  Annahme  einer  ektopischen  Schwanger¬ 
schaft  wurde  die  Laparotomie  gemacht.  Es  war  unmöglich,  das  im 
kleinen  Becken  eingekeilte  Myom  emporzuheben,  daher  wurde  zuerst 
der  Uterus  gespalten  und  die  Frucht  extrahirt.  Es  handelte  sich  um 
ein  von  der  hinteren  unteren  Coipushöhle  ausgehendes,  ziemlich  weiches 
Myom  und  gleichzeitige  Gravidität  von  circa  18  Wochen. 

l>)  Einen  Uterus  myomatosus  mit  Adenocarcinom 
der  C  0  r  p  u  s  s  c  h  1  e  i  m  h  a  u  t. 

* 

Sitzung  vom  8.  Mai  1900. 

Vorsitzender:  Lihotzky. 

Schriftführer:  Haiban. 

I.  Schauta:  Occlusio  vaginae  bei  inoperablem 
Carcinoma  vaginae. 

Es  ist  bekannt,  dass  vor  kurzer  Zeit  Ivüstner  in  Breslau 
empfohlen  hat,  in  Fällen  von  inoperablem  Carcinom  nach  vorherge¬ 


gangener  Excochleation  und  Paquelinisirung  des  Careinoms,  die  Occlusio 
vaginae  auszuführen;  vorher  ist  aber  eine  Communication  der  Scheide 
mit  dem  Rectum  herzustellen,  damit  Blut  und  Jauche  von  dort  in  das 
Rectum  geleitet  und  hier  unter  dem  Einflüsse  des  Sphinkter  die  Se- 
und  Excrete  zurückgehalteu,  respective  ausgeschieden  werden. 

Das  wichtigste  Bedenken,  das  diesem  Verfahren  gegenübersteht, 
ist  das,  dass  die  Frau  zu  ihren  Jauchungen  noch  eine  Rectovaginal- 
fistel  hinzubekommt,  falls  die  Prima  intentio,  wie  dies  in  solchen  Fällen 
nicht  selten  vorkommt,  ausbleibt. 

Ich  bekam  vor  kurzer  Zeit  eine  Frau  an  meine  Klinik,  bei 
welcher  ich  mich  in  Folge  der  Sachlage  des  Falles  über  diese  Be¬ 
denken  hinwegsetzen  konnte.  Der  Fall  betraf  eine  27jährige  Person 
mit  weit  vorgeschrittenem  Carcinom  der  hinteren  Vaginalwand, 
das  schon  auf  die  Umgebung  übergegriffen  hatte,  und  zwar  auf  das 
Rectum,  in  das  Perforation  eingetreten  war.  Die  Resection  des  Rectum 
konnte  nicht  vorgenommen  werden,  da  das  paravaginale  und  para- 
cervicale  Zellgewebe  bereits  infiltrirt  war.  Der  Fall  galt  daher  als 
inoperabel  und  ich  schritt  nun  zur  Ausführung  der  K  ü  s  t  n  e  r’schen 
Idee,  da  ich  der  Mühe  überhoben  war,  die  künstliche  Communication 
der  Scheide  mit  dem  Rectum  vorzunehmen. 

Das  Carcinom  wurde  ausgelöffelt,  paquelinisirt,  ein  Tampon  auf  den 
Carcinomkrater  aufgelegt,  um  das  Secret  von  dem  unteren  Theile  der 
Scheide  abzuhalten,  der  Tampon  mittelst  Fadens  durch  das  Rectum 
herausgeleitet  und  nun  die  Occlusio  vaginae  ausgeführt,  und  zwar 
circulär  am  Uebergange  des  mittleren  zum  unteren  Drittel  der  Scheide; 
Naht  in  zwei  Etagen.  Die  Prima  intentio  war  nicht  vollständig  zu 
Stande  gekommen,  aber  in  Folge  von  Narbenconstriction  wurde  die 
Oeffnung  so  enge,  dass  man  nur  mittelst  einer  gewöhnlichen  Sonde 
durchkommt.  Secret  geht  nur  selten  und  dann  nur  in  geringer  Menge, 
Intestinalinhalt  gar  nicht  ab.  Ich  glaube,  dass  sich  in  nächster  Zeit 
durch  Narbenconstriction  die  kleine  Fistel  noch  weiter  schliessen  wird. 

Discussion:  Chrobak  bemerkt,  dass  er  dieser  von 
K  ü  s  t  n  e  r  vorgeschlagenen  Methode  nicht  besonders  freundlich  gegen¬ 
überstehe.  Der  einzige  Vortheil  bei  derselben  sei  der,  dass  nicht  ein 
fortwährender  Ausfluss  aus  der  Vagina  stattfinde;  doch  jaucht  es  aus 
dem  Rectum  heraus;  dieser  Vortheil  sei  kein  grosser.  Wenn  man  aber 
bedenkt,  dass  man  die  Jauchung  verhältnissmässig  gut  beschränken 
kann,  wenn  man  von  der  Vagina  gut  dazu  kommt,  dann  werde  sich 
diese  Methode  keiner  übermässigen  Anwendung  erfreuen.  Es  sei  eine 
bekannte  Thatsache,  dass  sich  Carcinome,  wenn  man  sie  auslöffelt  und 
ätzt,  langsamer  ausbreiten  und  weniger  Beschwerden  machen.  C  h  r  o- 
b  a  k  macht  auf  die  Uebernähung  ausgekratzter  Carcinome  aufmerksam, 
mit  deren  Erfolgen  er  nicht  unzufrieden  war.  An  seiner  Klinik  wurde 
zweimal  der  Versuch  gemacht,  die  Scheide  zu  verschliessen,  allerdings 
nicht  bei  vorhergegangener  Perforation  ins  Rectum.  C  h  robak  glaubt, 
dass  mit  dieser  Opei-ation  kein  Vortheil  gewonnen  sei,  denn  bei  ver¬ 
schlossener  Scheide  bildeten  sich  Recessus,  die  sich  mit  Jauche  füllen 
und  erst  recht  einen  unerträglichen  Zustand  herbeiführen. 

Gersuny  :  In  dem  Falle  von  Schauta  ist  gewiss  die  Indi¬ 
cation  für  einen  Eingriff  gegeben,  aber  in  einem  ganz  anderen  Sinne, 
wie  der  ursprüngliche  Vorschlag  gelautet.  Der  ursprüngliche  Vorschlag 
hatte  den  Zweck,  die  Secrete  durch  den  Sphinkter  zurückhalten  zu 
lassen,  er  hat  aber  die  Consequenz,  dass  sich  der  Zustand  der  Kranken 
verschlechtert,  indem  man  das  Carcinom  der  Behandlung  entzieht  und 
noch  die  Fistel  hinzufügt,  durch  die  umgekehrt  auch  Inhalt  aus  dem 
Rectum  in  die  Vagina  fliessen  kann.  Es  hätte  in  dem  vorgestellten 
Falle  höchstens  die  Wahl  bestehen  können  zwischen  der  gemachten 
Operation  und  der  Colostomie.  Die  herrschende  Anschauung  bei  den 
Chirurgen  sei  die,  dass  man  beim  Durchbruch  des  Carcinoms  in  ein 
Nachbarorgan  die  Colostomie  machen  solle.  Da  beim  Mann  der  Durch¬ 
bruch  gewöhnlich  in  die  Blase  stattfindet  und  die  Beschwerden  uner¬ 
träglich  werden,  verlangen  die  Patienten  dringend  nach  der  Operation. 

Schauta  wiederholt,  dass  er  sehr  schwere  Bedenken  gegen 
die  Küstne  r’sche  Operation  hege,  da  man  nicht  sicher  auf  prima 
intentio  rechnen  könne.  Schauta  hätte  diese  Operation  nur  deswegen 
gemacht,  da  er  in  diesem  Falle  durch  die  schon  bestehende  Fistel  ge¬ 
wisser  Bedenken  bezüglich  der  Aulegung  einer  künstlichen  Verbindung 
zwischen  Scheide  und  Mastdarm  überhoben  war.  Doch  ist  der  Vortheil 
nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen.  Denn  es  ist  ganz  etwas  Anderes, 
wenn  die  Jauchung  ins  Rectum  erfolge  und  mit  dem  Stuhl  entleert 
werde,  als  wenn  die  Jauchung  spontan  und  fortwährend  durch  die 
Vagina  stattfinde.  Das  fortwährende  Nasssein,  das  unter  der  Einwir¬ 
kung  des  Sphinkter  wegfalle,  sei  für  die  Frau  sehr  belästigend. 
Schauta  hat  sich  auch  das  Bedenken  vor  Augen  gehalten,  dass 
man  mit  dieser  Operation  das  Carcinom  der  Nachbehandlung  entziehe; 
diese  Nachbehandlung  übe  er,  seitdem  er  Gynäkolog  sei  und  sei  mit 
den  ausgezeichneten  Erfolgen  derselben  zufrieden.  Doch  entziehen  sich 
derselben  die  meisten  Frauen  sowie  die  Aerzte  draussen,  und  Erstere 
beschränken  sich  dann  nur  auf  Ausspritzungen.  Die  Uebernähung  des 
Carcinoms  sei  zwar  eine  rationelle  Methode,  aber  da  eine  Prima  intentio 
entweder  gar  nicht,  oder  nur  schwer  zu  Stande  kommt,  weil  sich  die 


Nr.  30 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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Jauche  ansammelt  und  die  Zusammenbringung  der  Ränder  eines  solchen 
Carcinomkraters  bei  der  starren  Infiltration  sehr  schwer  ist,  wird  diese 
Methode  nicht  viele  Nachahmer  finden,  aber  in  exceptionellen  Fällen 
könnte  man  doch  an  sie  denken. 

II.  Halban:  Ein  Fall  von  Naegele’s  ehern  Becken. 

Hal  bau  stellt  eine  20jährige  Fr, au  vor,  bei  weicher  er  sub 
partu  ein  N  a  e  g  e  1  e’s  c  h  e  s  Becken  constatirte. 

Die  Frau  war  früher  stets  gesund,  hat  als  Kind  nie  gehinkt 
oder  Schmerzen  in  der  rechten  Hüfte  gehabt.  Dagegen  gibt  sie  an, 
dass  sie  seit  einem  Jahre  im  rechten  Hüftgelenk  Schmerzen  verspüre 
und  in  Folge  dessen  bei  längerem  Gehen  hinke.  Die  Frau  ist  136  cm 
lang,  hat  Zeichen  von  überstandener  Schädelrachitis.  Das  übrige  Skelet 
normal.  Lungen  vollständig  gesund,  am  Körper  nirgends  Narben.  Bei 
aufrechter  Stellung  zeigt  sich  eine  Asymmetrie  des  ganzen  Körpers, 
und  zwar  eine  leichte  Dorsalskoliose  nach  links,  Lumbalskoliose  nach 
rechts.  Die  Crena  ani  zieht  ziemlich  stark  schräg  von  rechts  oben  nach 
links  unten.  Die  rechte  Glutealfalte  steht  tiefer  als  die  linke.  Das 
Taillendreieck  links  tiefer  als  rechts.  Die  Spina  ossis  ilei  post,  ist 
rechts  etwas  höher  als  links,  die  rechte  Darmbeinschaufel  steht  im 
hinteren  Antheile  höher  als  die  symmetrische  Partie  der  linken,  der 
vordere  Antheil  steht  aber  rechts  tiefer  als  links,  so  dass  die  Crista 
von  rechts  oben  hinten  stark  nach  links  vorne  unten  verläuft. 

Während  die  Crista  links  ungefähr  normal  gekrümmt  ist,  biegt 
die  rechte  Crista  von  ihrem  äussersten  Punkte  nach  vorne  um  und 
nimmt  einen  gegen  die  Spina  ilei  aut.  suj).  zu  gestreckten  Verlauf. 

Während  der  linke  Trochanter  major  ziemlich  stark  nach  aussen 
vorspringt,  tritt  der  rechte  zurück  und  steht  tiefer  als  der  linke. 

Die  innere  Austastung  des  Beckens  in  Narkose  ergibt, 
dass  es  sich  um  ein  schräg  verengtes  Becken  handelt,  was  dadurch 
zu  erklären  ist,  dass  der  rechte  Kreuzbeinflügel  nur  rudimentär  ent¬ 
wickelt  ist.  Die  rechte  Linea  terminalis  verläuft  ganz  gestreckt  nach 
vorne  zur  Symphyse,  wolche  extramedian  gegen  die  gesunde  Seite  ver¬ 
schoben  ist.  Die  linke  seitliche  Beckenwand  und  Linea  terminalis  hin¬ 
gegen  haben  eine  annähernd  normale  Configuration.  Das  Kreuzbein 
selbst  ist  der  Symphyse  in  toto  stark  genähert  und  steht  mit  seiner 
Front  um  eine  verticals  Achse  nach  links  gedreht.  Die  Conjugata 
diagonalis  =  105.  Die  quere  Verengerung  ist  eine  bedeutende  und 
zwar  besonders  im  Beckenausgange.  Namentlich  sind  die  Spinae  ossis 
ischii  einander  so  stark  genähert,  dass  ihre  Distanz  kaum  auf  mehr 
als  6  cm  geschätzt  werden  kann.  Der  quere  Durchmesser  des  Becken¬ 
ausganges  beträgt  nach  Breisky  7‘5  cm,  der  gerade  8 ’5  cm. 

Der  quere  Durchmesser  des  Beckeneinganges  nach  S  k  u  t  s  c  h 
gemessen  =  9'5  cm. 

Ls  handelt  sich  also  um  ein  allgemein  verengtes  Nae- 
gele'sches  Becken. 

Die  Verengerung  war  so  hochgradig,  dass  der  Schädel  den 
Beckeneingang  nicht  überwinden  konnte  und  es  wurde,  da  die  Frucht 
abgestorben  war,  die  Craniotomie  ausgeführt. 

Discussion:  G.  Braun  fragt,  wie  sich  die  einzelnen  Durch¬ 
messer  verhalten? 

Halban:  Sp.  =  23, 

Cr.  =  24, 

Tr.  =  27. 

Die  schrägen  Durchmesser  wurden  nicht  gemessen,  weil  die  Frau 
bereits  während  der  Geburt  zur  Beobachtung  kam  und  derzeit  erst 
acht  läge  nach  der  Geburt  ist.  (Die  nachträglich  aufgenommenen 
Maasse  der  schrägen  äusseren  Durchmesser  ergeben  eine  Differenz  von 
2 — 3  cm.  Anmerkung  bei  der  Correctur.) 

Hink  zeigt  im  Anschlüsse  an  diese  Demonstration  eine  Rönt¬ 
gen-  Aufnahme  eines  N  a  e  g  e  1  e’schen  Beckens,  die  bei  einer  22jährigen 
Erstgebärenden,  bei  der  die  Geburt  schliesslich  mittelst  Forceps  be¬ 
endigt  werden  musste,  aufgenommen  wurde.  Die  schrägen  Masse  diffe- 
riren  um  2 — 3  cm. 

HI.  H.  Hübl:  Ueber  Dyspygie. 

Ein  dyspygisches  Becken  kommt  nur  äusserst  selten  vor.  Bei 
Erwachsenen  sind  blos  zwei  Fälle  von  H.  L  i  t  z  m  a  n  n  und  Albrecht 
bekannt.  Breus  und  K  o  1  i  s  k  o  tbeilen  einen  Fall  von  Dyspygie 
beim  Neugeborenen  mit  und  sind  der  Meinung,  dass  die  beiden  von 
Hohl  und  Graf  beschriebenen  Becken  hieher  zu  zählen  seien. 

Auch  diese  Missbildung  ist  eine  Dyspygie,  welche  Docent 
Albrecht  genauestens  zu  seciren  die  Freundlichkeit  hatte. 

Die  Frucht  war  45  cm  lang  und  starb  wenige  Minuten  nach 
der  Geburt.  Wir  haben  von  dem  Kinde  diese  zwei  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bilder 
anfertigen  lassen,  an  welchen  namentlich  die  Beckendifformität  deutlich 
zu  erkennen  ist. 

Bei  der  Section  fand  man  eine  Hasenscharte,  einen  Wolfs¬ 
rachen,  eine  linksseitige  Zwerchfellshernie,  dann  sind  beide  Füsse  im 
Hüft-  und  Kniegelenke  gebeugt.  Die  Musculatur  an  den  unteren  Ex¬ 
tremitäten  ist  durch  Fett  substituirt,  und  von  der  Beugeseite  der 
Oberschenkel  zieht  zur  Beugeseite  der  Unterschenkel  eine  strafte 
Hautbrücke. 


Im  Wiener  pathologisch-anatomischen  Museum  ist  ein  gleiches 
Präparat.  Im  Protokoll  ist  dasselbe  bezeichnet  als  Contractin'  im  Knie¬ 
gelenke  ex  angustitate  cutis.“ 

Die  genaue  Untersuchung  unseres  Falles  deutet  darauf  hin,  dass 
die  Contractur  in  den  Beinen  centralen  Ursprunges  sei.  Darauf 
komme  ich  später  zu  sprechen. 

Bei  der  Besichtigung  der  Wirbelsäule  fand  man  statt 
sieben  nur  vier  Halswirbel,  und  statt  zwölf  waren  blos  zehn  Brust¬ 
wirbel  vorhanden.  Der  vierte  Wirbelkörper  ist  verkümmert  und  von 
demselben  geht  nur  links  eine  kleine  Rippe  ab.  Sonst  trägt  jeder  Brust¬ 
wirbel  seine  Rippen. 

Das  Ende  der  Wirbelsäule  ist  sehr  mangelhaft  ausgebildet,  man 
findet  unter  den  Brustwirbeln  nur  mehr  vier  Wirbelkörper  —  das 
Kreuzbein  fehlt. 

Dieses  Fehlen  des  Kreuzbeines  bedingt  das  dyspygische 
Becken  mit  folgenden  Merkmalen: 

1.  Dasselbe  ist  in  querer  Richtung  bedeutend  verengt,  weil  die 
beiden  Seitenbeckenknochen  auch  hinten  direct  zusammenstossen. 

2.  Die  Darmbeinteller  schauen  fast  gerade  nach  aufwärts,  und 
in  die  Fuge  zwischen  dem  direct  zusammenstossenden  rechten  und 
linken  Hüftbein  ist  das  rudimentäre  Wirbelsäulenende  eingefügt. 

3.  Die  Beckenneigung  ist  bedeutend  vermindert. 

Das  Rückenmark  war  nicht,  wie  in  den  Fällen,  die  R  e  c  k- 
linghausen  erwähnt,  in  seinem  Läugenwachsthum  regelmässig, 
sondern  zeigt  folgende  Abnormitäten: 

1.  Dasselbe  ist  zu  kurz;  es  reicht  nur  bis  zum  siebenten  Brust¬ 
wirbel  herab  und  schneidet  dort  scharf  ab.  Es  finden  sich  also  keine 
Schleifen  und  keine  Myelocystocele. 

2.  Es  fehlt  die  Lumbalschwellung,  während  die  Cervicalschwellung, 
deutlich  ausgebildet  ist. 

Indem  die  regelmässige  Beschaffenseit  der  Cervical-  und  Lumbal¬ 
schwellung  mit  der  normalen  Entwicklung  der  oberen  und  unteren 
Extremitäten  zusammenhängt,  bringe  ich  in  diesem  Falle  die  oben  be¬ 
schriebene  Abnormität  an  den  unteren  Gliedmassen  mit  der  Kürze  des 
Rückenmarkes  und  dem  Fehlen  der  Lumbalschwellung  in  Zu¬ 
sammenhang. 

IV.  Hitschmann  demonstrirt  einen  Fall  von  chronischer, 
diffuser,  hyperplasirender  Endometritis,  welche  dadurch  bemerkens- 
werth  erscheint,  dass  die  hyperplastischen  Vorgänge  einen  besonders 
excessiven  Grad  erreicht  haben. 

Gynäkologischer  Status  :  Das  Abdomen  ist  durch  zwei  kugelige 
Tumoren  vorgewölbt;  der  linke  reicht  bis  zum  Rippenbogen,  der  rechte 
etwas  über  den  Nabel ;  beide  Tumoren  sind  von  einander  durch  eine 
handbreite  Furche  getrennt.  Die  Cervix  ausserordentlich  lang  und 
dünn,  geht  in  den  rechts  gelegenen  Tumor  gleichmässig  über.  Dieser 
hat  eine  glatte  Oberfläche  und  eine  mässig  derbe  Consistenz.  Der  links 
gelegene  Tumor  wölbt  das  hintere  Scheidengewölbe  stark  vor,  lässt 
sich  von  der  hinteren  Fläche  des  rechts  gelegenen  Tumors  (Uterus) 
nicht  isoliren  und  füllt  das  kleine  Becken  vollständig  aus.  Adnexe 
nicht  zu  tasten. 

Nach  diesem  Befunde  wurden  Myome  diagnosticirt,  und  zwar 
der  rechte  Tumor  als  ein  infiltrirendes  interstitielles,  der  linke  Tumor 
als  ein  subseröses  gedeutet. 

Am  5.  Juni  1899  machte  Herr  Prof.  Schauta  die 
Laparotomie. 

Der  linke  Tumor  entpuppte  sich  als  ein  Ovarialsarkom,  der  rechts 
als  der  bedeutend  vergrösserte  Uterus,  der  circa  20  cm  lang  und  unter 
dem  Tubenansatze  12  cm  breit  war.  Seine  Wand  ist  bis  3  cm  dick, 
derb,  seine  ganze  Höhle  bis  herab  zum  Orificium  internum  ist  aus¬ 
gefüllt  mit  gelblichen,  weichen,  zottigen  Massen,  die  sich  aber  von  der 
Muskelwand  scharf  absetzen. 

Die  Schleimhautwucherung  erreicht  stellen¬ 
weise  eine  Dicke  von  3 — 4cm(!)  und  dies  macht  den  Fall  zu 
einem  seltenen. 

Dass  es  sich  wirklich  nur  um  eine  hyperplasirende  Endometritis 
handelt,  zeigt  Ihnen  das  Mikroskop.  Wir  haben  es  also  mit  einem 
Falle  von  typischer,  aber  ausserordentlich  mächtiger  Wucherung  des 
Endometriums  zu  thun,  wie  sie  seinerzeit  Olshausen  als  diffuse 
hyperplasirende  Endometritis  beschrieben  hat.  (Erscheint  ausführlich.) 

Discussion:  Fabrieius  findet  bei  Besichtigung  des  Prä¬ 
parates,  dass  es  Aehnlichkeit  habe  mit  jenem,  das  einmal  von  Doctor 
Czerwenka  demonstrirt  wurde.  Dasselbe  entstammte  einer  Kranken, 
die  wegen  Blutungen  ausgekratzt  wurde.  P  a  1 1  a  u  f  fand  ein  zotten¬ 
artiges  Gebilde,  das  mit  einschichtigem  Epithel  ausgekleidet  war.  Es 
wurde  damals  die  Totalexstirpation  des  Uterus  vorgenommen  und  beim 
Aufschneiden  desselben  fand  sich  links  oben  im  Fundus  ein  kleiner 
Tumor  in  der  Grösse  einer  Walnuss;  an  der  Uebergangsstelle  der 
Schleimhaut  in  den  Tumor  war  das  Endometrium  sehr  verdickt  und 
durchsetzt  von  zahlreichen  Drüsen.  Es  fanden  sich  hier  zahlreiche 
cystische  Hohlräume,  wie  wenn  hier  villöse  Zotten  miteinander  ver¬ 
wachsen  und  Schleimansammlungen  vorhanden  gewesen  wären.  Man 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


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hatte  den  Eindruck,  dass  dieser  Tumor  auch  aus  einer  Endometritis 
fungosa  her  vorgegangen  war. 

II  it  sch  mann  bemerkt,  dass  die  Aehnlichkeit  nur  eine  theil- 
weise  sei;  in  seinem  Falle  sei  die  Verdickung  eine  vollständig  gleich- 
massige,  in  dem  anderen  aber  vollständig  cireumscripte.  Auch  fehle  jede 
Cystenbildung. 

V.  J.  Sternberg:  Demonstration  multipler  E  c  h  i- 
nococcen  aus  der  Bauchhöhle. 

Das  Präparat  ist  heute  von  Herrn  Gersuny  im  Rudolfinerhause 
bei  der  Operation  eines  20jährigen  Mädchen  gewonnen  worden.  Die 
Kranke  gab  an,  dass  sie  seit  etwa  zwei  Jahren  von  einer  Geschwulst 
im  Bauche  rechts  unter  dem  Nabel  wisse,  welche  allmälig  grösser 
geworden  ist.  Menses  normal.  Die  Untersuchung  ergab,  dass  diese 
Geschwulst  frei  beweglich,  über  kindskopfgross,  glatt  und  rund,  fluc- 
tuirend,  dem  rechten  Eierstock  zuzuschreiben  war;  ferner  lag  im 
Douglas  eine  unbewegliche,  deutlich  fluctuirende  Geschwulst,  die  mit 
ihrer  glatten  runden  Kuppe  weit  über  die  Linea  innominata  ragte; 
diese  wurde  als  zum  linken  Eierstock  gehörig  erkannt.  Ausserdem 
konnte  man  eine  etwa  faustgrosse,  runde,  derbe,  leicht  höckerige 
Geschwulst  in  der  linken  Bauchhälfte  nach  allen  Seiten  frei  verschieben; 
sie  schien  einen  Stiel  in  der  Gegend  der  linken  Niere  zu  besitzen. 
Die  Niere  selbst  konnte  exact  an  der  normalen  Stelle  getastet 
werden. 

Die  Diagnose  lautete  auf  Dermoidcysten  beider 
Ovarien.  Echinococcus  kam  natürlich  auch  in  Frage,  die  Angaben 
des  Mädchens  waren  aber  in  dieser  Beziehung  durchaus  gegen¬ 
standslos. 

Bei  der  Operation  gelang  es  leicht,  den  Tumor  aus  dem  Ovarium 
der  rechten  Seite  hervorzuholen.  Schwieriger  war  es,  die  Cyste  aus 
dem  Cavum  retrouterinum  zu  entbinden.  Auch  hier  war  das  Ovarium 
ein  Theil  der  Hülle  der  Geschwulst.  Die  Ausschälung  gelang  sehr 
leicht  und  hiebei  fiel  in  erster  Linie  die  innere  Oberfläche  der  Ge¬ 
schwulsthülle  auf,  welche  vollkommen  den  haarlosen  Epidermispartien 
einer  Dermoidcyste  glich;  ferner  der  vollständige  Mangel  von  Ernährungs- 
gefässen  der  noch  supponirten  Cyste.  Der  Operateur  nahm  daher  die 
Diagnose  auf  Echinococcen  wieder  auf.  Diese  wurde  durch  den 
weiteren  Befund  von  etwa  zehn  Cysten  von  etwa  Daumenglied-  bis 
Faustgrösse  im  Netz,  zum  Theil  prall  gespannt,  zum  Theil  geschrumpft, 
verificirt.  Weitere  Cystchen  lagen  unter  dem  Mesenteriolum  des  Pro¬ 
cessus  vermiformis,  sowie  schliesslich  zwei  sehr  grosse  im  rechten 
Leberlappen,  welch  letztere  alle  reactiven  Erscheinungen  vorhergegan¬ 
gener  Vereiterung  des  Ehinococcus  zeigte.  Diese  Cysten  sind  wohl 
als  der  Ausgangspunkt  der  ganzen  Aussaat  anzusehen.  Die  Aussaat 
im  Netze  wurde  sorgfältig  ausgeschält,  eine  der  Cysten  in  der  Leber 
eröffnet,  entleert,  und  nach  Eingiessen  von  Jodoformglycerinemulsion 
geschlossen.  Die  Blasen  enthielten  zum  Theil  klare  Flüssigkeit  und 
zahllose  Scolices,  zum  Theil  käsigen  Brei,  zum  Theil  gut  entwickelte 
Tochterblasen  mit  klarem  oder  trübem  Inhalt.  Die  Prognose  muss  mit 
aller  Reserve  gestellt  werden,  da  wir  ja  nichts  über  das  Vorhanden¬ 
sein  weiterer  Blasen  in  anderen  lebenswichtigen  Organen  wissen 
(F.  A.  Martin,  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1889,  Nr.  9). 

Patientin  befindet  sich  ganz  wohl,  die  Bauchwunde  ist  geschlossen 
(29.  Mai).  Neisser  (Die  Echinococcenkrankheit.  Berlin  1877)  gibt 
die  Häufigkeit  des  Vorkommens  des  unilocular  en  Echinococcus 
im  kleinen  Becken  und  weiblichen  Genitale  auf  80  (36  -j-  44)  von 
900  Fällen  an  (=  9%),  Frey  auf  8%  (4,5%  3-5°/0).  Doch  ist  das 

Ovarium  nur  mit  verschwindenden  Zahlen  daran  betheiligt.  Von  be¬ 
sonderem  Interesse  erschien  die  Art  der  Einbettung  der 
Blasen  im  Ovariu  m.  Das  eigenthümliche,  makroskopisch  erkenn¬ 
bare  Verhalten  ist  früher  erwähnt  worden.  Man  konnte  daran  denken, 
dass  sich  etwa  um  die  Cysten  eine  Epidermisirung  der  Hülle  vollzogen 
hätte.  Es  wurden  aus  der  Blasenhülle  Schnitte  angefertigt,  welche  aber 
keinerlei  Besonderheiten  gegenüber  den  Hüllen  der  Echinococcen  in 
anderen  Organen  ergaben:  Es  war  eine  ziemlich  gleichmässige  Schichte 
mässig  derben  Bindegewebes,  mit  reichlicher,  kleinzelliger  Infiltration 
nach  aussen  hin.  Auch  auf  den  Flächenschnitten  war  nichts  Besonderes 
zu  entdecken.  In  der  Literatur  ist  über  diese  Frage  kein  Aufschluss 
zu  erhalten. 

Anatomisch  wären  also  die  demonstrirten  Blasen  aus  den  Ovarien 
und  dem  Netze  einer  Invasion  ins  Beckenbindegewebe  zuzuschreiben, 
wie  sie  z.  B.  Chrobak  (Centralblatt  für  Gynäkologie.  1899)  mit- 
getheilt  hat. 

Discussion:  Chrobak  fragt,  woher  die  Frau  sei  ? 

Sternberg:  Aus  Raab. 

Chrobak  bemerkt,  dass  es  in  Ungarn  Bezirke  gebe,  in  denen 
der  Echinococcus  häufig  vorkomme;  ein  solcher  Bezirk  sei  z.  B. 
Kanizsa,  und  auch  in  Dalmatien  gäbe  es  solche,  wie  aus  der  Publication 
von  v.  Lattich  hervorgehe. 


71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 

in  München. 

Vom  17.  bis  22.  September  1899. 

(Schluss.) 

Section  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Referent :  Dr.  Edmund  Falk  (Berlin). 

Vormittagssitzung  vom  22.  September. 

Vorsitzender  Döderleiii. 

XIII.  v.  II  e  r  f  f :  Zur  Behandlung  inoperabler 

Uteruscarcinome. 

Auch  bei  inoperablem  Carcinom  hält  v.  Her  ff  die  Totalexstir¬ 
pation  für  das  beste  palliative  Mittel.  Ist  die  Totalexstirpation  nicht 
mehr  ausführbar,  so  kommt  die  Thermokauterisation  der  Cervix  nach 
Sänger  in  Betracht.  Zu  bekämpfen  sind  besonders  Blutung  und 
Jauchung,  am  besten  ist  dieses  durch  Auslöffelung  und  Verschorfung 
zu  erreichen.  Aber  auch  ohne  Verschorfung  erreicht  man  durch  die 
Auslöffelung  allein  in  vielen  Fällen  mindestens  gleich  gute  Resultate. 
Sehr  wichtig  ist  die  nachfolgende  Anwendung  von  Kauterien,  am  besten 
ist  das  Chlorzink,  die  Aetzung  wird  am  dritten  oder  vierten  Tage  nach 
der  Auslöffelung  ausgeführt.  Die  Vorwürfe,  die  der  Kauterisation  ge¬ 
macht  werden,  Blutungen,  Schmerzen,  Eröffnung  von  Nachbarhöhlen, 
lassen  sich  vermeiden.  Sehr  wuchtig  ist  eine  zw'eckmässige  Nach¬ 
behandlung,  und  zwar  Pinselungen  der  Wundhöhlo  mit  Tinct.  jodi 
fort,  zwei-  bis  dreimal  wöchentlich.  Auch  trockene  oder  Pulver¬ 
verbände  kann  man  verwerthen.  In  letzter  Zeit  ist  wieder  der  Thon 
empfohlen  und  bewährt  sich  gut,  die  Blutungen  treten  bei  dieser  Be¬ 
handlung  seltener  ein.  Eisenchlorid  ist  möglichst  zu  vermeiden.  Ein 
gutes  Mittel  zur  Blutstillung  ist  die  5°/0ige  formolisirte  Gelatinelösung 
(ster ilisirbar),  in  die  man  Wattestückchen  taucht.  Das  beste  Mittel 
zur  dauernden  Blutstillung  ist  die  Acetylenbehandlung;  bei  ihr  wirkt 
die  Entstehung  des  Calcium-Hydroxyd  in  statu  nascendi.  Dasselbe  hat 
adstringirende,  leicht  anätzende  Eigenschaften.  Nach  der  Desinfection 
wird  die  Wundhöhle  getrocknet  und  darauf  w'erden  Stückchen  von 
Calciumcarbid  eingeführt  und  durch  eine  leichte  Tamponade  fest¬ 
gehalten.  Nach  zwei  bis  drei  Tagen  wird  der  Verband  entfernt,  die 
Scheide  gereinigt,  und  diese  Behandlung  eine  Zeit  lang  fortgesetzt. 
Das  Carcinom  wird  hiedurch  ganz  fest  und  hart,  die  Neigung  zu 
Blutungen  wird  beschränkt,  ln  manchen  Fällen  beseitigt  die  Methode 
gleichzeitig  die  Schmerzen,  falls  es  sich  nämlich  um  neuritische 
Schmerzen  handelt.  Schmerzen,  welche  durch  Compression  erzeugt 
werden,  können  natürlich  hiedurch  nicht  gebessert  werden. 

Discussion:  Schlutius:  Die  Wirkung  des  Calciumcarbids 
ist  wahrscheinlich  durch  die  Hitze  zu  erklären.  Das  Gleiche  erreicht 
man  durch  die  Vaporisation. 

XIV.  v.  Steinbüchel  (Graz)  :  Chronischer  Rheu¬ 
matismus  und  dessen  differentialdiagnostische  und 
therapeutische  Bedeutung  in  der  Gynäkologie. 

v.  Steinbüchel  sah  über  1000  Fälle  von  chronischem  Rheu¬ 
matismus,  welche  gewisse  Beziehungen  zu  Genitalerkrankungen  hatten. 
Viele  auf  eine  Retroflexio  bezogene  Schmerzen  (Kreuzschmerzen  und 
nach  den  Oberschenkeln  ausstrahlende  Schmerzen)  sind  durch  Rheuma¬ 
tismus  bedingt.  Besonders  wird  auch  weisser  Fluss  häufig  für  die 
Beschwerden  angeschuldigt,  für  welche  rheumatische  Affectionen  allein 
verantwortlich  zu  machen  sind. 

Durch  Behandlung  des  Rheumatismus  erreicht  man  bald 
Heilung.  Charakteristisch  für  die  rheumatische  Affection  sind  linsen- 
oder  erbsengrosse  bis  taubeneigrosse  Knoten  in  der  Sacral- und  Lumbal¬ 
gegend.  Dem  Rheumatismus  liegt  meistens  eine  Diathese  zu  Grunde. 
Die  Schmerzen  werden  zu  verschiedener  Zeit  verschieden  localisirt, 
hingegen  wird  nie  ein  Wandern  der  Knoten  bemerkt;  die  Knoten  sind 
stets  localisirt  und  bilden  sich  bei  geeigneter  Behandlung  zurück.  Die 
Krankheit  kann  jahrelang  latent  sein.  Grosse  oberflächliche  Knoten 
sind  häufig  schon  äusserlich  wahrnehmbar;  tiefeie,  in  der  Musculatur 
gelegene  hingegen  sind  schwer  zu  erkennen.  Erkältung  ist  wahrschein¬ 
lich  eine  häufige  äussere  Ursache,  Schwellungen  der  Knoten  treten 
durch  sie  ein,  und  so  treten  die  Symptome  des  Rheumatismus  hervor. 
Die  Prognose  der  Krankheit  ist  nicht  sehr  gut.  Therapie:  Massage  und 
Bäderbehandlung. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


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Mitte  vongen  Monates  an  die  gesammte  akademische  Med i ein  der  Nachbar¬ 
staaten  von  der  General-Direction  der  Curanstalt  Levico- Vetriolo  der  Ruf 
erging,  an  der  Einweihungsfeier  der  neuen,  auf  alter  Basis  gegründeten 
Unternehmung  theilzunehmen,  da  folgte  die  stattliche  Zahl  von  mehr  als 
anderthalb  hundert  diesem  Rufe.  An  ihrer  Spitze  der  Altmeister,  Excellenz 
Esmarch  mit  seiner  fürstlichen  Gemahlin,  verherrlichten  sie  ein  Fest,  bei 
dem  sich  Nord  und  Süd,  Ost  und  West,  die  Hände  reichten.  Eine  deutsche 
Gesellschaft  gründete  in  Oesterreich  im  italienischen  Sprachgebiete  ihr  Unter¬ 
nehmen,  das  halb  der  Wissenschaft,  halb  der  Industrie  dient,  und  deutsche 
Thatkraft  und  italienische  Arbeit  hebt  die  Schätze  des  österreichischen 
Bodens  an  dieser  Stelle.  Alle  drei  Nationalitäten  hatten  ihre  Vertreter,  er¬ 
leuchtete,  wissenschaftliche  Grössen,  entsendet  und  das  Fest  verrauschte 
nur  zur  schnell  unter  der  abwechslungsreichen  Folge  von  wissenschaftlichen 
Arbeiten  und  frohen  Banketten.  Das  Festmahl  begann,  der  schönsten  aller 
Sitten  nach,  mit  dem  Trinkspruche  auf  Seine  Majestät  den  Kaiser  von 
Oesterreich,  dem  sich  Toaste  auf  seine  erhabenen  Freunde,  Kaiser  Wilhelm 
und  König  Humbert  anschlossen.  Höher  und  höher  gingen  die  Fluten 
der  Begeisterung,  der  Verbrüderung  der  Nationen  und  als  aus  der  Ver¬ 
sammlung  heraus  der  Antrag  gestellt  wurde,  den  drei  Majestäten  Huldigungs- 
Telegramme  zu  senden,  konnte  sich  der  General-Director  eines  ebenso  er¬ 
hebenden,  wie  angenehmen  Auftrages  entledigen.  Auf  die  Anregung  der 
Herzogin  von  Schleswig  Holstein  schloss  sich  ein  ähnliches  Telegramm  an 
Ihre  Majestät  die  Kaiserin  Friedrich,  die  erhabene  Freundin  unseres  para¬ 
diesischen  Trentinos,  an.  Schon  Tags  darauf  konnte  die  General-Direction 
den  huldvollen  Dank  der  hohen  Frau  den  noch  anwesenden  Gästen  mit¬ 
theilen  und  nach  Ablauf  kurzer  Zeit  langten,  zum  Theil  direct  und  tele¬ 
graphisch,  zum  Theil  auf  dem  weiten  officiellen  Umwege  durch  die  Bot¬ 
schafter  huldvolle  Dankschreiben  im  Aufträge  der  Souveräne  ein.  Mit  Stolz 
blickt  die  General-Direction  auf  ihr  erstes  Tagewerk  zurück,  das  durch 
kaiserlichen  und  königlichen  Dank  gekrönt,  ein  noch  erfreulich  gutes  Omen 
für  die  Zukunft  bildet. 


cf ließt ig  er  Jlrzt 

der  über  Capital  von  80  000 — 100.000  K  verfügt,  findet  Gelegenheit,  als  Com- 
pagnon  in  blühendes  ärztlich.  Unternehmen,  bekannte  Curanstalt,  einzntreten. 

Anträge  befördert  unter :  »Wahrheit  6285«  Rudolf  Messe,  Wien  I. 
Seilerstätte  2.  (241) 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 
erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  yon  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G,  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

.  .  _  _  Verlagshandlung : 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel.  Telephon  Nr.  6<m. 


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neuert.  —  Inserate  werden 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  2.  August  1900. 


Bär.  31. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn 

Hofrathes  Prof.  C.  N  i  c  o  1  a  d  o  n  i  in  Graz.  Beiträge  zur  Frage 
der  »totalen  Darmausschaltung«.  Von  Dr.  Erwin  Payr,  Docent 
für  Chirurgie  und  Assistent  der  Klinik. 

2.  Ein  Fall  von  Paraphenylendiaminvergiftung.  Von  Frauenarzt  Dr. 
Emil  P  o  1 1  a  k. 

3.  Heber  Behandlung  der  nekrotisirenden  Akne  mit  Meersalzlösung. 
Von  Dr  Friedrich  L  u  i  t  h  1  e  n,  Wien. 

II.  Referate:  I.  Neueres  über  Taubstummheit  und  Taubstummenbildung. 

Von  Dr.  Hermann  G  u  t  z  m  a  n  n.  II.  Die  frischen  Entzündungen 
der  Rachenhöhle  und  des  lymphatischen  Rachenringes  (mit  Aus¬ 
schluss  der  Diphtherie),  ihre  Ursachen  und  ihre  Behandlung.  Von 


Dr.  Maximilian  B  r  e  s  g  e  n.  III.  Die  Missbildungen  des 
Gaumens  und  ihr  Zusammenhang  mit  Nase,  Auge  und  Ohr.  Von 
Dr.  Fritz  Danziger.  IV.  Die  Ohrenheilkunde  im  Kreise 
der  medicinischen  Wissenschaften.  Von  Prof.  Dr.  C.  Bloch. 
V.  Encyklopädie  der  Ohrenheilkunde.  Von  Dr.  Louis  Blau. 
Ref.  Arthur  Singer.  —  I.  Zahnheilkunde.  Von  Jul.  Par- 
r  e  i  d  t.  H.  Cursus  der  Zahnheilkunde.  Von  Dr.  med.  Konrad 
Cohn.  Ref.  M  e  t  n  i  t  z. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschx*iften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 
Prof.  C.  Nicoladoni  in  Graz. 

Beiträge  zur  Frage  der  »totalen  Darmaus¬ 
schaltung«. 

Von  Dr.  Erwin  Payr,  Docent  für  Chirurg'e  und  Assistent  der  Klinik. 

Der  Streit  um  die  Berechtigung  der  totalen  Darmaus¬ 
schaltung  mit  völligem  Verschluss  und  Versenkung  der  Enden 
des  ausgesclialteten  Darmstückes  ist  ausgefochten. 

Selbst  jene,  die  das  Verfahren  am  Menschen  angewendet, 
tiir  erlaubt  und  empfehlenswerth  erklärt  hatten  und  sich  zu 
wiederholten  Malen  in  lebhafte  Discussion  über  die  Frage  eiu- 
liessen,  sind  theils  durch  spätere  klinische  Erfahrungen  an 
ihren  operirten  Patienten,  theils  durch  neuerdings  aufgenommene 
umfangreiche  Thierversuche  völlig  davon  überzeugt  worden, 
dass  man  keinen  Abschnitt  des  t  hierischen  oder 
menschlichen  Magen-Darmcanales  völlig  ausschalten 
und  verschliessen  darf,  ohne  auf  die  gefährlichsten  Compli- 
cationen  unter  Umständen  gefasst  sein  zu  müssen. 

Als  nicht  völlig  geklärt  und  abgeschlossen  zu  betrachten 
sind  kragen,  die  Technik  der  Ausschaltung,  die  Indi- 
cationslehre  betreffend;  ferner  das  Verhalten  von  aus¬ 
geschalteten  Darmtheilen,  die  durch  eine  mehr  minder  grosse 
k  istel  mit  der  Körperoberfläche  in  Verbindung  standen, 
schliesslich  aber  durch  Verschluss  der  Fistel  total  occludirt 
woiden  sind;  endlich  aber  sind  es  die  pathologisch-anatomischen 
\  oigänge,  die  sich  theils  im  Darmcanale,  theils  in  seiner  Um¬ 
gebung  abspielen,  die  unser  Interesse  wachrufen,  besonders 
aus  dem  Grunde,  weil  aus  ihnen  sich  tiefgreifende  Unter¬ 
schiede  für  das  Verhalten  von  gesundem  und 
krankem  ausgeschalteten  Darm  entwickeln. 

Im  Verlaufe  des  vergangenen  Jahres  hatte  ich  Gelegen¬ 
heit,  an  der  Grazer  chirurgischen  Klinik  einen  Fall  zu  beob¬ 


achten  und  zu  operiren,  der  in  mehrfacher  Hinsicht  durch 
Verlauf  und  Endausgang  interessant  erscheint  und  vielleicht 
für  obige  Fragen  brauchbare  Beiträge  bringt. 

Vorerst  die  Krankengeschichte  des  merkwürdigen  Falles: 

E.  S.,  16  Jahre  alt,  Bauernsohn  aus  Lankowitz. 

Anamnese:  Mit  zwei  Jahren  hatte  Patient  Fraisen;  sonst 
ist  Patient  immer  gesund  gewesen.  Hereditär  nicht  belastet. 

Vor  sieben  Wochen  bekam  Patient  Schmerzen  im  rechten 
Beine,  sowie  in  der  rechten  Hüfte;  nach  einigen  Tagen  localisirten 
sich  diese  Schmerzen  im  »Bauch«,  und  zwar  insbesondere  in  der 
Höhe  der  Nabelgegend.  Seit  sechs  Wochen  ist  der  Kranke  bett¬ 
lägerig  und  Hatte  er  nicht  nur  heftige  Schmerzen  im  Abdomen, 
sondern  auch  im  Rücken,  besonders  gegen  das  Kreuz  hin. 
Sehr  heftig  sollen  die  Schmerzen  in  der  Lendengegend,  rechts  von 
der  Mitte  der  Wirbelsäule,  dem  unteren  Ende  der  Lendenwirbel¬ 
säule  entsprechend,  gewesen  sein. 

Seit  fünf  Wochen  kann  der  Kranke  das  rechte  Bein  im  Hüft¬ 
gelenk  nicht  mehr  strecken  und  entwickelte  sich  von  Tag  zu  Tag 
eine  stärker  ausgeprägte  Beugestellung  daselbst.  Der  herbeigerulene 
Arzt  constatirt  eine  Geschwulst  in  der  rechten  Unterbauchgegend. 
Der  Stuhl  war  angehalten;  nur  jeden  driften  bis  vierten  Tag  erfolgte 
spontan  Stuhlentleerung.  Die  Schmerzen  dauerten  seit  jener  Zeit 
fort,  wurden  aber  besonders  in  den  Nachtstunden  heftiger;  in  letzter 
Zeit  ist  Patient  sehr  stark  abgemagert,  wenn  er  auch  zugibt,  schon 
früher  schwächlich  gewesen  zu  sein.  Er  localisirt  die  Schmerzen 
jetzt  an  die  Innenseite  seiner  rechten  Darmheinschaufel  und  von 
da  gegen  das  Kreuz  ausstrahlend. 

Status  praesens:  Ziemlich  grosser,  stark  abgemagerter 
Kranker. 

Ueber  beiden  Lungenspitzen  hört  man  verschärftes  Athmeq 
und  vereinzelte  Rasselgeräusche.  Der  Percussionsschall  über  der 
linken  Lungenspitze  ist  vorzugsweise  verkürzt.  Die  Herzdämplung 


708 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  ;n 


ist  normal.  Auscultatorisch  ist  am  Herzen  nichts  Abnormes  nach¬ 
zuweisen. 

Die  Leberdämpfung  ist  nicht  vergrössert,  ebensowenig  ist 
eine  Vergrösserung  der  Milzdämpfung  nachzuweisen. 

Im  Harn  Finden  sich  Spuren  von  Eiweiss,  im  Sediment  jedoch 
weder  Hlut,  noch  Cylinder. 

Das  Abdomen  des  Patienten  ist  etwas  aufgetrieben  und  sieht 
man  über  dem  rechten  Po  u  part's  che  n  Bande  eine 
grosse  Geschwulst,  die  über  die  Spina  ant.  sup.  hinaufreicht 
und  halbmondförmig  mit  der  Concavität  gegen  die  Medianlinie  ge¬ 
richtet  abfällt,  so  dass  man  sie  mit  den  Händen  wie  eine  Kuppe 
um  greifen  kann.  Die  Geschwulst  hält  sich  vornehmlich  an  die 
Grenzen  des  Darmbeines  und  wölbt  sich  am  stärksten  in  der  late¬ 
ralen  Hälfte  des  Pouparfschen  Bandes  vor.  Dieser  sichtbaren 
Geschwulst  entsprechend,  fühlt  man  eine  prall-elastische  Resistenz, 
den  oben  geschilderten  Grenzen  entsprechend,  und  lässt  sich  die 
Geschwulst  in  keiner  Richtung  verschieben  und  macht  es  den  Ein¬ 
druck,  dass  sie  dem  Darmbein  fest  aufsitzt.  Ueber  der  Resi¬ 
stenz  ist  überall  vollkommen  gedämpfter  Percussionsschall  nach¬ 
zuweisen.  Auf  Druck  ist  die  Geschwulst  überall  leicht  empfindlich, 
insbesondere  gegen  das  P  o  u  p  a  r  t’sche  Band  zu.  Compression  des 
Beckens  durch  Druck  auf  beide  Spinae  ant.  sup.  wird  sehr  schmerz¬ 
haft  empfunden,  ebenso  Zug  an  den  Spinae.  Auch  anteroposteriorer 
Druck  am  Becken  von  der  Symphyse  aus  ist  recht  schmerzhaft, 
ebenso  die  Gegend  der  rechten  Synchondrosis  sacroiliaca. 

Das  rechte  Bein  des  Kranken  ist  im  Hüftgelenke  nahezu 
rechtwinkelig  gebeugt,  etwas  aussen  rotirt  und  kann  activ  wie 
passiv  nur  im  Ausmasse  von  wenigen  Winkelgraden  gestreckt 
werden. 

Bei  einem  Versuche,  das  Bein  stärker  zu  strecken,  findet  eine 
Neigung  des  Beckens  statt.  Dagegen  sind  bei  stark  gebeugtem  Hüft¬ 
gelenke  sowohl  Adduction,  als  Abduction,  als  auch  die  Rotations¬ 
bewegungen  des  Hüftgelenkes  frei. 

Die  bis  über  das  P  o  u  p  a  r  f  sehe  Band  herunterreichende 
Geschwulst  ergibt  deutlich  das  Gefühl  der  Fluctuation. 

An  der  Vorderfläche  des  rechten  Oberschenkels,  drei  Quer¬ 
finger  unter  dem  P  o  u  p  a  r  f  sehen  Bande,  etwas  nach  innen  vom 
medialen  Rande  des  Muscul.  sartorius  ist  eine  ganz  flache  Vor¬ 
wölbung  zu  sehen,  die  nur  undeutlich  fluctuirt,  aber  bei  Druck  auf 
die  oberhalb  des  P  o  u  p  a  r  f  sehen  Bandes  gelegene  Geschwulst 
praller  wird. 

Der  Patient  fiebert  ziemlich  stark,  bis  zu  39'5°,  und  ist  die 
Haut  über  dem  Darmbeinkamme,  sowie  gegen  das  P  o  u  p  a  r  fsche 
Band  zu  leicht  ödematös. 

Diagnose:  Iliacusabscess  mit  gleichzeitigem  Psoas- 
abscess,  wahrscheinlich  bedingt  durch  einen  tuberculösen  Herd  an 
der  Innenfläche  der  Darmbeinschaufel,  oder  an  der  rechten  Syn¬ 
chondrosis  sacroiliaca. 

Da  eine  mögliche  Auffindung  und  Entfernung  des  primären 
Krankheitsherdes  als  sehr  wünschenswert!)  erschien  und  der  Kranke 
fieberte,  ein  Durchbruch  sich  also  vorbereitete,  wurde  die  breite 
Eröffnung  dieses  Iliacusabscesses  (König1)  beabsichtigt. 

Erste  Operation  am  12.  Juli  1899  in  ruhiger  Chloroform- 
Narkose. 

Es  wurde  der  Hautschnitt  von  der  Mitte  des  Poupart- 
schen  Bandes  am  Darmbeinkamme  entlang  über  die  Spina  anterior 
superior  bis  nach  hinten  in  der  Richtung  zur  Spina  posterior  sup. 
geführt  (Fig.  1).  An  der  Innenseite  der  rechten  Darmbeinschaufel 
wird  eingegangen  und  kommt  man  bald  auf  die  stark  vorgewölbte 
Fascia  iliaca,  die  eine  grosse,  bis  zum  P  o  u  p  a  r  t’schen  Band 
reichende,  fluctuirende  Geschwulst  bedeckt.  Die  Bauchdecken,  das 
lockere  Bindegewebe  zwischen  den  einzelnen  Schichten,  sowie  die 
Muskeln  sind  ödematös  und  infiltrirt. 

Die  Fascia  iliaca  wird  breit  eingeschnitten  und  entleert  sich 
eine  grosse  Menge  (circa  2  /)  dünnen,  flockigen,  geruchlosen  Eiters; 
die  in  die  umfangreiche,  vielgestaltige  Abscesshöhle  eingeführte 
Hand  findet,  dass  sie  sich  bis  in  die  Gegend  der  rechten  Synchon¬ 
drosis  sacro-iliaca  und  noch  über  diese  hinaus  erstreckt;  ein 
Knochenherd  ist  nirgends  sicher  zu  tasten,  doch  ist  sowohl  nach 
dem  topographischen  Verhalten  des  Abscesses,  als  auch  dessen 
Ausdehnung  ein  Herd  am  Darmbein  oder  Svnchondrose  sicher  an¬ 
zunehmen. 


Da  das  Allgemeinbefinden  des  Patienten  kein  gutes  war  und 
nach  der  Entleerung  des  Eiters  der  Puls  sehr  klein  und  frequent 
geworden  war,  wurde  von  der  Aufsuchung  des  Knochenherdes  Ab¬ 
stand  genommen  und  die  ganze  grosse  Wundhöhle  mit  einem 
M  i  k  u  1  i  c  z  -  Schleier  ausgekleidet,  mit  sterilen  Gazerollen  gefüllt, 
die  Hautwunde  durch  Nähte  verkleinert  und  ein  aseptischer  Occlu- 
sionsverband  angelegt. 

Am  IG.  Juli  wird  der  M  i  k  u  1  i  c  z  -  Schleier  seines  Inhaltes 
entledigt  und  ist  die  Abscesshöhle  etwas  verkleinert.  Wegen  überaus 
reichlicher  Secretion  von  dünnflüssigem  Eiter  wird  täglich  zweimal 
der  Verband  gewechselt.  Die  Temperatur  ist  fast  normal  geworden. 

Am  19.  Juli,  also  acht  Tage  nach  der  Operation,  bemerkt 
man  beim  nachmittägigen  Verbandswechsel  Kothmassen  (Dick¬ 
darminhalt)  auf  dem  Verbandstoffe. 

An  der  vorderen  Abscesswand  hat  sich,  ungefähr  dem  unteren 
Ende  des  Cöcums  entsprechend,  nahe  am  unteren  Wundwinkel 
der  Operationswunde  eine  kleine  Darmfistel  gebildet. 


1  =  Schnitt  zur  Eröffnung'  des  Psoasabscesses. 

2  =  Erste  Laparotomie  (Ileocolostomie). 

3  Zweite  Laparotomie  (totale  Ausschaltung). 

4  =  Contraincision  am  Oberschenkel. 

Vollkommen  normal  aussehende  Darmschleimhaut  stülpte  sich 
vor.  Die  Fistelöffnung  hat  einen  Durchmesser  von  circa  :V4  cm.  Das 
mit  der  Fascia  iliaca  verklebte  Peritoneum  in  der  Nähe  dieser 
Fistel  ist  medialwärts  infiltrirt  und  sehr  verdickt,  und  hat  man 
den  Eindruck,  lateral  von  ihr  die  hintere,  von  Bauchfell  unbeklei¬ 
dete  Cöcalwand  vor  sich  zu  haben,  an  der  sich  entweder  durch 
einen  Einschmelzungsprocess,  durch  die  bedeutenden  vorhandenen 
Eitermengen,  oder  durch  Ernährungsstörungen,  die  durch 
die  Ablösung  von  der  hinteren  Bauchwand  bedingt  waren,  eine 
Perforation  gebildet  hat. 

Da  dies  Ereigniss  der  Darmperforation  in  den  Abscess  als 
ein  höchst  betrübendes  und  gefährliches  angesehen  werden  musste, 
so  wird  die  Fistel  sofort  mit  klebender  Jodoformgaze  verstopft  und 
hierauf  die  Höhle  des  Iliacus-Psoasabscesses  *)  wieder  tamponirt. 

21.  Juli.  Um  eine  möglichst  freie  Zugänglichkeit  des  Abscesses, 
der  dem  M.  ilio-psoas  entlang  bis  an  die  Vorderfläche  des  Ober- 

*)  Um  im  Ausdrucke  kürzer  zu  sein,  gebrauchen  wir  in  Zukunft  für 
diesen  Abscess  und  die  schliesslich  resultirende,  zu  ihm  führende  Fistel 
das  kürzere  Wort  »Psoasabscess«  und  »Psoasfistel«,  obwohl  der  Genese 
und  Topographie  nach  es  ein  Iliacusabscess  mit  Psoasabscess  com* 
binirt  war. 


fr  r.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


703 


Tabaftsdeu  t  elna  7i , 


f  7leoco2osZo?n  re 


(foe cum  - 
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Tsoasabcess 


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/H  Tdhaeszim  en  ■ 


f>c?ien7celfis  i  e  2 


Fig.  2. 

Erste  Laparotomie. 


Schenkels  sich  erstreckte,  herzustellen,  wird  nach  aussen  von  den 
Schenkelgefässen  ein  Einschnitt  gemacht  und  unter  dem  Poupart- 
schen  Bande  ein  starkes  Drainrohr  nach  der  Tiefe  des  Psoas- 
abscesses  geleitet  und  die  ganze  Partie  der  Abscesshöhle,  in  welche 
die  Darmfistel  mündet,  mit  klebender  Jodoformgaze  tamponirt.  Durch 
längere  Zeit  ändert  sich  im  Befinden  des  Patienten  wenig.  Die 
Abscesshöhle  wird  immer  sorgfältigst  tamponirt  und  es  gelingt,  durch 
zwei-  bis  dreimaligen  täglichen  Verbandwechsel  eine  schwere  Infec¬ 
tion  derselben  durch  den  austretenden  Darminhalt  zu  verhüten. 
Patient  ist  nahezu  fieberfrei.  Da  aber  eine  derartige  Infection  den¬ 
noch  leicht  möglich  ist,  und  bei  der  Ausdehnung  der  Abscesshöhle 
und  bei  dem  an  schwer  zugänglicher  Stelle  gelegenen  tuberculösen 
Herde  als  bedenklich  erscheint,  machte  ich  einen  Versuch,  wenigstens 
den  Austritt  von  Koth  in  die  Abscesshöhle  durch  einen  Eingriff  zu 
beseitigen. 

Am  21.  September  war  man  in  der  Lage,  folgenden  Befund 
zu  erheben:  In  die  Operationswunde  am  rechten  Darmbein  und 
P  ou  par  fischen  Band  münden  zwei  Fisteln  nebeneinander:  eine 
führt  gegen  den  Darm  und  entleert  sich  aus  derselben  Koth  in 
bald  grösserer,  bald  geringerer  Menge.  Eine  zweite  führt  senkrecht 
in  die  Tiefe  gegen  das  Becken  und  entleert  sich  aus  ihr  reichlich 
Eiter.  Dieser  zweiten  Fistel  entspricht  ein  Hohlraum  von  bedeutendem 
Umfange.  Eine  dritte  Fistel  ist  an  der  Vorderseite  des  rechten 
Oberschenkels  nach  innen  vom  Sartorius,  nach  aussen  von  den 
Schenkelgefässen  und  entleert  sich  durch  sie  ebenfalls  flockiger, 
jedoch  nicht  mehr  dünnflüssiger  Eiter.  Diese  dritte  Fistel  steht 
mit  der  zweiten,  in  den  Psoasabscess  führenden,  noch  in  Ver¬ 
bindung,  wie  Injectionen  mit  Jodoformglycerin  ergaben. 


Am  11.  October  zweite  Operation. 

Hautschnitt  am  lat.  Rande  des  rechten  M.  rectus  (siehe  Fig.  1). 
Doppelte  Unterbindung  von  Art.  und  V.  epigastricae  inf.  Durchtrennung 
der  Fascie,  des  Peritoneums  und  Freilegung  der  beiden  zur  Darm¬ 
fistel  führenden  Schenkel  des  Darmrohres;  das  zuführende  Darm¬ 
stück  erweist  sich  als  unteres  Ileu  m,  das  abführende  als 
Colon  ascendens. 

Des  elenden  Zustandes  des  Patienten  halber  entschloss  ich 
mich  zu  folgendem  Vorgehen:  Ich  legte  nach  K  o  c  h  er’scher  Naht¬ 
methode  drei  Finger  medialwärts  von  der  Flexura  coli  dextr.  eine 
breite  Ileocolostomie*)  an.  Zum  Verschluss  des  zu-  und  abführen¬ 
den  Stückes  des  ausgeschalteten  Darmantheiles  legte  ich  nach  einem 
bereits  mehrfach  bekannten  Vorgänge  eine  am  Mesenterialansatze 
des  Darmes  beginnende  und  daselbst  wieder  endigende  circuläre 
seromusculäre  Ringnaht  an,  die  den  Darm  in  eine  Anzahl  von 
Längsfalten  legt,  wenn  sie  geknüpft  wird.  Nach  Anlegung  dieser 
beiden  tabakbeutelartigen  Nähte  erscheinen  zu-  und  abführendes 
Stück  der  ausgeschalteten  Darmpartie  vom  übrigen  Darmtractus 
abgeschnürt  und  gelingt  es  leicht,  die  Inhaltsmassen  aus  dem  Ileum 
in  das  Colon  transversum  durch  die  breite  Ileocolostomieöffnung 
durchzustreichen. 

Dreifache  Etagennaht  der  Bauchwunde  mit  Seide,  darauf 
Collodiumverband,  um  sicher  eine  Infection  der  Laparotomiewunde 
vom  Psoasabscess  aus  zu  vermeiden. 

*)  Die  Ileocolostomie  wurde,  wie  aus  Fig.  2  ersichtlich,  nicht  in  iso-, 
sondern  in  antiperistaltischem  Sinne  angelegt,  da  das  vei dickte  Mesenterium 
keine  bequeme  Drehung  der  Schlinge  erlaubte  und  ausserdem  ein  \  erschluss 
der  zur  Fistel  führenden  Theile  beabsichtigt  wurde. 


710 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  31 


In  derselben  Narkose  versuchte  man,  das  rechte  Knie-  und 
Hüftgelenk  zu  strecken,  was  ohne  besondere  Mühe  gelang;  Dauer 
der  Operation  circa  50  Minuten. 

Der  durch  seine  Krankheit  sehr  heruntergekommene  Patient 
hat  etwas  beschleunigten  Puls  und  erhält  daher  gleich  nach  der 
Operation  500  cm:i  physiologischer  Kochsalzlösung  subcutan  injicirt. 

Am  12.  October  erster  dünner  Stuhl. 

Am  13.  October  Verbandwechsel  der  Psoasabscessfistel.  Ein¬ 
spritzung  von  Jodoformglycerin;  feste  Tamponade  mit  Jodo¬ 

formgaze. 

Am  14.  October  massige  Secretion  aus  dem  Abscesse;  aus 

der  Darmfistel  entleert  sich  nur  eine  geringe  Menge  eines  zähen, 

glasigen  Schleimes. 

Der  Patient  kann  seine  Zehen  nicht  bewegen.  Es  wird  daher 
der  Volk  m  a  n  n’sche  Stiefel,  der  nach  der  Streckung  der  Knie- 
contractur  angelegt  worden  war,  entfernt,  und  findet  nun  eine 
Anästhesie  des  ganzen  Unterschenkels  von  den  Zehenspitzen  bis  zum 
Knie  und  Lähmung  aller  vom  N.  tibialis  und  peroneus  versorgten 
Muskeln. 

Bei  der  Streckung  der  schweren  Contracturen,  die  jedoch 

mit  geringem  Kraftaufwand  gelungen  war,  waren  offenbar  in 
der  Kniekehle  die  beiden  Nerven  oder  höher  der  N.  ischiadicus 
gezerrt  und  beschädigt,  und  eine  Blutung  in  die  Scheide,  die  die 
Leitung  aufhob,  erzeugt  worden. 

Zur  Verhütung  einer  Spitzfussstellung  wird  ein  kurzer  Or- 
gantinbindenverband  in  rechtwinkeliger  Stellung  des  Fusses  ange¬ 
legt;  auch  mit  Massage  und  Faradisation  der  unteren  Extremität 
wird  begonnen. 

Am  17.  October  entleert  sich  aus  der  bisdaher 
nur  mehr  Schleim  secernirenden  Darmfistel 
neuerdings  etwas  K  o  t  h,  reichlich  mit  glasigem  Schleim 
vermischt. 


Es  wäre  möglich,  dass  die  geringe  Menge  von  Fäcalmassen 
noch  aus  dem  ausgeschalteten  Darmstücke  herrührt. 

Am  18.  October  entleert  sich  aus  der  Höhle  des  Ileopsoas- 
abscesses  viel  weniger  Eiter  als  früher. 

Die  Sensibilitätsstörung  am  Beine  geht  entschieden  zurück. 

Am  19.  October,  also  acht  Tage  nach  der  Ileocolostomie  und 
beabsichtigten  totalen  Darmausschaltung,  entleert  sich  aus  dem  aus¬ 
geschalteten  Darmstücke  eine  bedeutende  Menge  Kothes. 
Die  Ausschaltung  war  also  nur  eine  partielle  —  die  Ringnähte 
hatten  ihre  Schuldigkeit  nicht  gethan. 

20.  October.  Es  besteht  wieder  reichliche  Eiterenlleerung 
aus  dem  Psoasabscesse. 

Am  22.  October  entleert  sich  viel  Koth  und  ein  Ascaris 
lumbrieoides  aus  der  Darmfistel,  in  die  mit  Jodtinctur  getränkte 
Gazestreifen  eingelegt  werden. 

25.  October.  Wegen  starker  Kothentleerung  und  der  Besorg- 
niss  einer  schweren  Infection  des  Psoasabscesses  wird  wieder  täglich 
zweimal  verbunden. 

28.  October.  Die  sorgfältigste  Tamponade  des  Psoasabscesses 
mit  Jodoformgaze  bewirkt,  dass  die  Eiterabsonderung  aus  diesem 
eine  äusserst  geringe  geworden  ist.  Dafür  aber  fliesst  aus  der 
Darmfistel  constant  eine  beträchtliche  Menge  dünnbreiigen  Kothes 
ab.  Trotzdem  die  grösste  Masse  der  Faces  per  anum  abgeht  und 
täglich  zweimalige  Stuhlentleerung  erfolgt,  geht  doch  ein  beträcht¬ 
licher  Antheil  des  Kothes  trotz  der  Ileocolostomie  durch  die  Darm¬ 
fistel  in  die  Psoasabscesswunde.  Da  sich  aber  trotzdem  der  Pa¬ 
tient  in  den  letzten  14  Tagen  erheblich  erholt  hat,  so  entschloss 
ich  mich  zu  einem  dritten  Eingriff,  zur  Durchtrennung  des 
zu-  und  abführenden  Endes  des  partiell  ausge¬ 
schalteten  Darm  stückes  mit  blinder  Vereinigung  der  vier 
Enden  und  beabsichtigte  ich  durch  diese  Operation  endgiltig  ein 
Ausfliessen  von  Koth  in  den  Psoasabscess  zu  vermeiden  und  eine 


^leocol  OS  i 079216 


Friede  Ye  re  1721- 

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C'olonslück 


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Psoasfislel 


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(Jleujnscücfc 


Scherz  frei 


Fig.  3. 

Zweite  Laparotomie. 


Nr.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


711 


totale  Darmausschaltung  mit  einem  Sicherheitsventil, 
der  jetzt  bestehenden  Darmfistel,  anzulegen. 

Dritte  Operation  am  31.  October  in  ruhiger  Aethernarkose 
ohne  Zwischenfall  (siehe  Fig.  3).  Es  wird  abermals  am  äusseren 
Rectusrande  rechterseits  laparotomirt  neben  der  früheren  Narbe. 
Nach  Eröffnung  des  Peritoneums  findet  man  über  der  Ileocolostomie- 
stelle  das  Netz  in  Form  einer  Kappe  gelagert.  Die  Anastomose 
selbst  erweist  sich  als  völlig  reactionslos.  Sie  war  bequem  für 
einen  Finger  durchgängig  und  sind  aussen  am  Peritoneum  keine 
entzündlichen  Erscheinungen  nachzuweisen.  Ein  Stück  weit  von 
der  Anastomose  gegen  die  Darmfistel  zu  sieht  man  zarte,  frische 
Adhäsionen  sowohl  am  Colon,  als  auch  am  Ileum.  Nach  der 
Durch trennung  einiger  Verwachsungen  wird  das  Colon  an  der 
Flexura  hepatica,  das  Ileum  circa  12  cm  distalwärts  von  der  Ileo- 
colostomieöffnung  mit  G  u  s  s  e  n  b  a  u  e  r’schen  Darmklemmen  ver¬ 
schlossen  und  mit  der  Scheere  durchtrennt.  Dadurch  erscheint  ein 
Stück  Darm  von  ungefähr  40— 45  cm  Länge,  bestehend  aus  dem 
ganzen  Colon  ascend.,  dem  Cöcum,  Wurmfortsatz  und  20 — 25  cm 
Ileum  aus  der  Circulation  ausgeschlossen. 

Sowohl  das  Ileum,  als  das  Colonende  des  ausgeschalteten 
Stückes  werden  in  sich  selbst  durch  doppelreihige  fortlaufende 
Naht  verschlossen.  Dagegen  wird  das  Colon  transversum  und  cen¬ 
trale  Ileumstück,  benachbart  der  Enteroanastomose,  nicht  gesondert 
vereinigt,  sondern  eine  axiale  Vereinigung  zwischen 
diesen  beiden  Darmtheilen  vor  genommen,  so  dass 
nunmehr  der  Darminhalt  einen  doppelten  Weg,  1.  die  axiale  Ver¬ 
einigung  vom  unteren  Ileum  mit  Colon  transversum  und  2.  die  bei 
der  früheren  Operation  angelegte  Ileocolostomie  zur  Benützung 
vorfindet.  Die  in  diesem  Falle  vorgenommene  Darmarrs  Schal¬ 
tung  ist  im  Sinne  Salzer’s2)  eine  totale,  und  ist  die  in 
den  Psoasabscess  mündende  Fistel  ein  offengelassenes  Sicherheits¬ 
ventil  für  den  ausgeschalteten  Darmantheil. 

Wieder  wird  die  Bauchhöhle  in  dreifacher  Etagennaht  solid 
verschlossen.  Der  nach  einstündiger  Operation  etwas  collabirte  Pa¬ 
tient  bekommt  600  cm3  Kochsalzlösung  subcutan.  Am  Nachmittag 
ist  der  Puls  140,  die  Temperatur  37'5°.  In  die  Darmfistel  einge- 
spritzte  physiologische  Kochsalzlösung  fliesst  sogleich  vollkommen 
rein  ab. 

1.  November.  Temperatur  36‘7°;  Puls  120. 

Mehrmaliges  Erbrechen.  Aussehen  gut.  500  cm3  Kochsalzlösung 
subcutan  verabfolgt. 

3.  November.  Aus  der  Darmfistel  entleert  sich  keine  Spur 
von  Koth,  sondern  nur  sehr  wenig  zäher  Schleim;  aus  der  Psoas- 
abscesswunde  nur  wenig  Eiter. 

Am  6.  November  ist  die  Eiterentleerung  aus  dem  Psoas- 
abscesse  sehr  gering.  Aus  dem  ausgeschalteten  Darmstücke  findet 
nur  eine  geradezu  minimale  Schleimsecretion  statt. 

Die  Eiterabsonderung  aus  dem  Psoasabscesse  wird  unter 
Jodoformglycerinbehandlung  im  Verlaufe  der  nächsten  zwei 
Wochen  immer  geringer.  Die  Fistel  am  Oberschenkel  schliesst  sich 
sehr  rasch. 

Dem  Vorgänge  Narath’s3)  folgend,  versuchte  man  die  ge¬ 
ringe  Secretion  der  Darmschleimhaut  noch  zu  vermindern  durch 
Einführen  von  in  Argent,  nitric.,  in  Chlorzink,  in  Jodtinctur  und  in 
l%ige  Formalinlösung  getauchten  Gazestreifen. 

Nach  jedesmaliger  solcher  Behandlung  secernirte  die  Darm¬ 
fistel  etwas  mehr;  schliesslich  trat  aber  eine  dauernde  bedeutende 
Verminderung  der  Secretion  und  schliesslich  ein  völliger  Verschluss 
der  Fistel  ein. 

26.  November.  Die  Höhle  des  Psoasabscesses  hat  sich  unge¬ 
mein  verkleinert,  so  dass  nur  mehr  eine  schmale  Fistel  in  der 
Richtung  nach  hinten  und  abwärts  zum  Becken  führt.  Einführung 
von  Hetokresol-Jodoformstäbchen.  *) 

Am  5.  December.  Die  Sensibilität  im  Bereiche  des  ganzen 
Unterschenkels  ist  zurückgekehrt,  zum  Theile  auch  die  Motilität.  Es 
werden  heisse  Umschläge  in  der  Kniekehle,  B  i  e  r’sche  Stauungs¬ 
hyperämie,  sowie  Faradisation  angewendet. 

7.  December.  Patient  sieht  täglich  besser  aus  und  nimmt  be¬ 
deutend  an  Gewicht  zu.  Sowohl  die  Psoas-,  als  auch  die  Schenkel- 
fistel  werden  mit  Jodoform-Hetokresolstäbchen  behandelt.  In  die  nur 

*)  Das  von  Länderer  4)  empfohlene  II  e  t  o  k  r  e  s  o  1  verwenden 
wir  seit  längerer  Zeit  an  der  Klinik  zur  Behandlung  tuberculöser  Local- 
affectionen  —  manchmal  mit  sehr  gutem  Erfolge. 


ab  und  zu  einige  Tropfen  Schleimes  secernirende  Darmfistel  werden 
bald  in  Jodtinctur,  bald  in  Lapislösung  getauchte  Streifen  von  Jodo¬ 
formgaze  eingeführt. 

9.  December.  Der  Patient  sieht  täglich  besser  aus.  Es  wird 
das  ganze  Bein  massirt  und  am  Oberschenkel  täglich  B  i  e  Esche 
Stauungshyperämie  angewendet.  Die  Darmfistel  ist  solid 
geschlossen.  In  den  Psoasabscess  und  die  Schenkelfistel 
werden  täglich  Jodoformstäbchen  eingeführt,  und  besteht  nur  mehr 
eine  minimale  Secretion  aus  beiden. 

Am  15.  December  wird  eine  kleine  schwappende  Stelle  unter 
der  Schenkelfistel  in  der  Narbe  gespalten,  etwas  Eiter  entleert  und 
die  Höhle  mit  Jodoformgaze  tamponirt. 

Am  23.  December.  Die  Psoasfistel  ist  nur  mehr  2 — -‘6  mm 
gross,  und  dringt  die  Sonde  in  der  Richtung  der  ehemaligen  Darm¬ 
fistel  etwa  2  cm  tief  ein.  Die  Psoasabscesshöhle  ist  ganz  klein  und 
ebenfalls  viel  seichter  geworden  und  secernirt  nur  mehr  minimal. 
Die  Schenkelfistel  hat  sich  völlig  geschlossen,  die  neulich  incidirte 
Stelle  granulirt  gut. 

Am  7.  Januar  hat  sich  die  Fistel  für  den  Psoasabscess  so 
weit  verengert,  dass  sie  nur  mehr  für  eine  dünne  Sonde  durch¬ 
gängig  ist. 

A m  30.  Januar  sind  die  Fisteln  völlig  zuge¬ 
heilt.  Auch  die  Laparotomiewunde,  aus  der  sich  einige  Fascien- 
nähte  ausgestossen  hatten,  ist  vollkommen  verheilt,  und  erhält  der 
Patient  eine  Bauchbinde.  Es  bestehen  keinerlei  Schmerzen  mehr 
im  Becken  des  Patienten  und  hat  der  Kranke  in  der  Zwischenzeit 
einen  sehr  guten  Appetit  entwickelt  und  an  Körpergewicht  um  ein 
Beträchtliches  zugenommen. 

Am  20.  Februar  erhält  der  Patient  einen  Blaubindenwasser¬ 
glasverband  in  rechtwinkliger  Stellung  für  den  Fuss  und  wird  zur 
weiteren  Behandlung  auf  die  chirurgische  Abtheilung  transferirt. 

28.  Februar.  Es  besteht  nur  noch  in  der  Gegend  der 
Laparolomiewunde  eine  2  cm  lange  granulirende  Stelle,  die  mit 
Lapissalbe  behandelt  wird.  Der  Patient  ist  im  Stande,  mit  seinem 
Blaubindenverband  sehr  gut  herumzugehen,  hat  nicht  die  geringsten 
Beschwerden  und  hat  an  Gewicht  in  den  letzten  zwei  Monaten  um 
circa  15%  zugenommen. 

Die  Lähmung  im  Gebiete  des  N.  tibialis  ist  nahezu  voll¬ 
kommen  verschwunden,  während  im  Gebiete  des  N.  peroneus  eine 
solche  noch  zu  constatiren  ist. 

Und  so  erhält  der  Patient  bei  seiner  Entlassung  am  3.  Januar 
einen  kleinen  Schienenhülsenapparat,  der  sein  Bein  in  normaler 
Stellung  fixirt  und  das  Entstehen  einer  Spitzfussstellung  verhütet. 

Im  Juni  1.  J.  stellt  sich  der  Patient  Sch.  auf  unsere 
Aufforderung  im  Krankenhause  vor,  und  so  konnten  wir  fol¬ 
genden  erfreulichen  Befund  feststellen: 

Patient  hat  runde  Wangen,  Fettansatz,  sieht  sehr  gesund  und 
kräftig  aus.  Er  kann  Alles  essen  und  trinken,  kann  stundenlang 
herumgehen,  ohne  zu  ermüden,  kann  in  seinem  Elternhause  alle 
von  ihm  als  Bauernsohn  geforderte  Arbeit  leisten.  Sein  Gang  ist 
noch  etwas  hinkend,  der  vorhandenen  Peroneuslähmung,  welche 
derzeit  noch  nicht  vollständig  behoben  ist,  entsprechend.  Doch  geht 
er  schön  und  sicher  ohne  Beihilfe  eines  Stockes  etc. 

Das  Abdomen  ist  nicht  aufgetrieben;  er  trägt  eine  Bauch¬ 
binde,  und  man  sieht  eine  etwa  20  cm  lange  Narbe  (siehe  Fig.  1). 
Zwei  Querfinger  breit  nach  rechts  von  der  Mittellinie  eine  zweite 
parallel  dem  Po  u  par  fischen  Bande,  ebenfalls  20  cm  lang,  und 
eine  dritte  an  der  Vorderfläche  des  rechten  Oberschenkels,  etwa 
10  cm  lang,  dem  Innenrande  des  M.  sartorius  entsprechend.  Beim 
Husten  wölben  sich  die  Narben  ein  wenig  vor,  nirgends  aber  be¬ 
steht  eine  Hernia  ventralis.  Der  Bauch  ist  ganz  weich  und  k  a  n  n 
man  nirgends  einen  wurstförmigen  Tumor,  oder 
auch  nur  eine  Resistenz  am  Abdomen  des  Patienten 
fühlen. 

Etwas  unter  Nabelhöhle,  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  der 
Narbe,  die  parallel  zum  Rectus  verläuft,  und  jener,  die  dem  Darm¬ 
bein  folgt,  fühlt  man  bei  ruhiger  Rückenlage  und  vollständig  er¬ 
schlafften  Bauchdecken  eine  kugelige,  sich  etwas  elastisch  anlühlendc 
Geschwulst  von  etwa  Kleinapfelgrösse,  dieselbe  ist  nicht  vei- 
schieblich,  auf  Druck  durchaus  nicht  schmerzhaft,  und  lässt  sich 
bei  stärkerem  Drucke  etwas  verkleinern.  In  inguine  sind  rechter¬ 
seits  einige  geschwellte  Lymphdrüscn  vorhanden.  Die  Laparotomie- 


712 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  31 


wunde  ist  linear  vereinigt,  die  Wunde,  dem  Darmbeinkamm  und 
P  o  u  p  a  r  t’schen  Bande  folgend,  sowie  jene  an  der  Vorderfläche 
des  Oberschenkels  sind  strahlig  und  sehr  verbreitert.  Die  Unter¬ 
suchung  der  inneren  Organe  ergibt  im  Uebrigen  jetzt  nichts  Ab¬ 
normes.  Die  Percussion  des  Abdomens  ergibt  bei  ihm  folgende 
Verhältnisse:  In  der  Oberbauchgegend  überall  hellen,  hohen,  tym- 
panitischen  Schall,  in  der  Unterbauchgegend  auf  beiden  Seiten 
gleichmässig  einen  gedämpften,  tympanitischen  Schall. 

Musculatur  des  Oberschenkels  und  Unterschenkels  rechts 
atrophisch,  besonders  am  Unterschenkel.  An  der  Ferse  findet  sich 
noch  ein  leichter  Decubitus,  vom  unteren  Drittel  des  Unter¬ 
schenkels  angefangen  bis  nach  abwärts  ist  ein  eigenthümliches, 
speckig  sich  anfühlendes  Oedein  vorhanden. 

Dorsal-  und  Plantarflexion  des  Fusses  sind  derzeit  noch  nicht 
in  grösserem  Ausmasse  möglich.  Pro-  und  Supination  gar  nicht. 
Beugung  und  Streckung  im  Kniegelenke  frei,  ebenso  die  Bewegungen 
im  rechten  Hüftgelenke. 

Die  so  erfreuliche  Besserung  des  Allgemeinzustandes  und 
Lungenbefundes  ist  wohl  auf  die  sehr  reichliche  Ernährung 
und  die  möglichst  weit  durchgeführte  Freiluftbehandlung  zurück¬ 
zuführen. 

Patient  wird  angewiesen,  bei  den  ersten  Erscheinungen 
von  Seite  seiner  Bauchorgane  sich  an  die  Klinik  zu  begeben, 
da  auch  bei  ganz  gesundem  versenktem  Darm  späterhin  Störungen 
Vorkommen  können.  (Schluss  folgt.) 


Ein  Fall  von  Paraphenylendiaminvergiftung. 

Von  Frauenarzt  Dr.  Emil  Poliak. 

Das  zur  Neige  gehende  Jahrhundert  hat  mit  seinen  Be¬ 
strebungen,  auf  allen  Gebieten  möglichst  Vollkommenes  zu 
leisten,  auch  den  Markt  mit  kosmetischen  Mitteln  überschwemmt. 
Das  Ergrauen  der  Haare  durch  harmlose  und  bewährte  Mittel, 
wie  Argent,  nitric.,  Acid,  pyrogallic.,  und  Andere  mehr  zu  ver¬ 
decken,  genügt  dem  verfeinerten  Geschmack  nicht  mehr.  Auf 
der  Suche  nach  Neuem  »und  schon  deshalb  Besserem«  verfielen 
unsere  Kosmetiker  auf  Mittel,  die  zu  wiederholten  Malen 
Toxikologen  Gelegenheit  boten,  ihre  warnende  Stimme  gegen 
allzu  ausgiebigen  Gebrauch  dieser  Präparate  zu  erheben.  Eines 
der  gefährlichsten  dieser  Giftstoffe  jedoch  ist  das  Paraphenylen¬ 
diamin,  ein  in  seinem  Eärbungscoeffieienten  geradezu  unüber¬ 
trefflicher  Körper,  der  erst  vor  wenigen  Jahren  wegen  einer 
unterlaufenen  Intoxication  Anlass  bot,  in  einer  von  Puppe 
aus  der  Unterrichtsanstalt  für  Staatsarzneikunde  in  Berlin 
hervorgegangenen  Publication  des  Näheren  gewürdigt  zu 
werden. 

Eine  neuerdings  von  mir  beobachtete  Vergiftung  dieser 
Art  lässt  mich  dem  Wunsche  des  Autors  der  erwähnten 
Arbeit  nach  Veröffentlichung  gleichartiger  Vergiftungen 
näher  treten. 

Am  4.  April  1900  wurde  ich  Nachts  zu  der  in  meiner 
gynäkologischen  Behandlung  stehenden  Patientin  Frau  M.  B.  geholt. 
Dieselbe  klagte  über  heftiges  Brennen  am  Kopfe,  auf  der 
Stirne  und  im  Nacken,  sowie  über  brennende  Schmerzen  in  den 
Augen. 

Die  nähere  Besichtigung  ergab  eine  über  den  gesammten  be¬ 
haarten  Theil  des  Kopfes  ausgedehnte  und  sich  einerseits  auf  die 
Stirne  bis  zur  Nasenwurzel,  andererseits  auf  den  Nacken  bis  in 
die  Hegend  des  siebenten  Halswirbels  ersteckende  ekzematöse  Ent¬ 
zündung  der  Haut,  die  an  einzelnen  Stellen,  so  namentlich  an  der 
vorderen  Haargrenze,  bis  zur  Bildung  kleinerbsengrosser  Pusteln, 
respective  entsprechend  grosser  Geschwürsflächen  gediehen  war. 
Zerstreute  derartige  Erosionen  auf  der  innerhalb  dieses  ganzen  Be¬ 
reiches  diffus  geschwellten  und  gerötheten  Haut  waren  überdies 
am  Nacken  mit  Leichtigkeit  nachweisbar.  Auffallend  an  der  im 
Bette  liegenden  Patientin  war  ein  ausgesprochener  Exophthalmus, 
vergesellschaftet  mit  hochgradigem  Thränenfluss.  Die  Conjunctiva 
bulbi  war  entzündlich  geröthet,  jene  der  Augenlider  ödematös,  so 
dass  ein  ziemlich  bedeutender  Grad  von  Chemosis  bestand,  die 
Lider  beider  Augen  stark  geschwollen.  Temperatur  376,  Puls  82. 


Der  Harn,  den  ich  sofort  einer  Prüfung  auf  Eiweiss  unter¬ 
zog,  liess  sowohl  bei  der  Kochprobe,  als  auch  bei  der  Ferro-Gyan- 
wasserstoffprobe  Gehalt  an  Albumen  nicht  erkennen. 

Die  Intensität  der  Hautaffeclion,  die  im  Bereiche  der  be¬ 
haarten  Schädeldecke  ihren  höchsten  Grad  erreichte,  einerseits  — 
die  stark  ergrauten,  sonst  tiefdunkel  schwarzen  Haare  des  Toupets, 
in  diesem  Falle  der  Diagnose  erwünschte  Verräther  andererseits, 
Hessen  den  Verdacht  zur  Gewissheit  reifen,  dass  es  sich  wohl  im 
vorliegenden  Falle  um  den  Effect  eines  zur  Schwarzfärbung  des 
Stirnhaares  angewandten  kosmetischen  Präparates  handle. 

Erst  die  der  Patientin  gemachten  Vorstellungen  bezüglich  der 
Bekanntgabe  des  angewandten  Mittels  gaben  ihr  die  Sprache  wieder 
und  nun  konnte  ich  noch  folgenden  Nachtrag  zur  Anamnese  er¬ 
heben: 

Am  11.  October  wandte  die  Dame  zur  Färbung  ihres  er¬ 
grauten  Stirnhaares  das  von  einem  Wiener  Friseur  erzeugte  und  in 
den  Reclame-Inseraten  unserer  Tagesblätter  als  »vollkommen  un¬ 
schädlich«  gepriesene  Haarfärbemittel  »Phoenix«  an. 

Ungefähr  sechs  Wochen  später,  also  Ende  November,  wieder¬ 
holte  sie  diese  Procedur  —  auch  diesmal  ohne  irgend  welches 
Accidens. 

Zum  dritten  Male  wandte  sie  »Phoenix«  am  3.  April  Vor¬ 
mittags  um  1 1  Uhr  an.  Bereits  am  Abend  dieses  Tages  verspürte 
Patientin  Brennen  und  Jucken  am  behaarten  Theile  des  Kopfes, 
der  Stirne  und  des  Nackens. 

Am  4.  April  Morgens  fiel  der  Umgebung  der  Frau  die  »wie 
aufgebrannte  Haut«  an  der  Stirne  und  im  Nacken  auf,  die  bereits 
zu  dieser  Zeit  deutlich  geschwellt  gewesen  sein  soll.  Patientin,  die 
am  Nachmittage  dieses  Tages  gesellschaftlichen  Verpflichtungen 
naehkommen  wollte,  applicirte  während  des  Vormittages  kalte  Um¬ 
schläge  und  verdeckte  sodann  die  entzündeten  Hautpartien  mittelst 
Aufträgen  von  Puder.  Schon  in  den  ersten  Nachmittagsstunden 
jedoch  begann  die  Entwicklung  des  Oedems  an  den  Augenlidern, 
welches  nunmehr  bis  zum  Abend  rapid  zunahm  und  den  unmittel¬ 
baren  Anlass  zu  meiner  Consultation  gab. 

Ich  leitete  nun  sofort  eine  energische  Schwitzcur  ein  und 
steigerte  durch  Darreichung  von  Fol.  uvae  ursi  und  Herb,  cochlear, 
armor,  die  Diurese. 

5.  April  Bei  der  Morgenvisite  wies  die  in  profusen  Schweiss 
gebadete  Patientin  einen  deutlich  merklichen  Rückgang  der  Haut- 
affection  auf,  wogegen  die  Oedeme  der  Augenlider  in  gleicher 
Intensität  fortbestanden.  Die  unteren  Augenlider  beider  Seiten 
hingen  wie  schlaffe  Säcke  herab  und  verliehen  zugleich  mit  dem 
hochgradigen  Thränenfluss  und  der  Chemosis  der  Patientin  einen 
für  die  Angehörigen  beängstigenden  Anblick.  Temperatur  37'4°, 
Puls  80.  Die  Diurese  bedeutend.  Das  Allgemeinbefinden  vollkommen 
ungestört. 

Ich  verordnete  nunmehr  die  Application  eines  Streupulvers 
auf  die  erkrankten  Hautpartien  und  Excitantia. 

Von  dem  vorhandenen  Harne  wurden  circa  200  cm3  mit  dem 
Ersuchen  um  gefällige  Analyse  an  das  k.  k.  pathologisch-chemische 
Institut  übersandt. 

Am  Abende  desselben  Tages  waren  im  Anschlüsse  an  eine 
neuerlich  eingeleitete  Schwitzcur  die  Oedeme  an  den  Augenlidern 
um  ein  Bedeutendes  zurückgegangen,  die  Chemosis  war  nahezu 
vollkommen  geschwunden.  Die  entleerte  24stündige  Harnmenge 
betrug  über  3  l.  Patientin  fühlte  sich,  ausgenommen  eine  nicht  er¬ 
hebliche  Schwäche,  vollkommen  wohl.  Temperatur  37’8°,  Puls  86. 

6.  April.  Die  oben  geschilderten  Bläschen  der  ekzematösen 
Hautpartien  erscheinen  vollständig  eingetrocknet,  die  Geschwürs¬ 
flüchen  gereinigt,  die  immer  noch  leicht  geröthete  Haut  zeigt  unter 
Behandlung  mit  Streupulver  deutliche  Abschuppung.  Die  Lidödeme 
sind  bis  auf  geringe  Reste  vollständig  zurückgegangen,  die  Chemosis 
ist  geschwunden;  nur  leichte  Injection  der  Gefässe  an  der  Conjunct, 
bulbi  et  palpebrarum  deutet  auf  die  bestandenen  Veränderungen 
hin.  Patientin  befindet  sich  subjectiv  wohl,  doch  in  Folge  der 
energischen  Schwitzcuren  ziemlich  geschwächt.  Temperatur  und 
Puls  normal. 

7.  April.  Patientin  verliess  nach  Rückgang  sämmtlicher  Er¬ 
scheinungen  das  Bett. 

Das  zur  Verwendung  gelangte  Haarfärbemittel  »Phoenix«  be¬ 
steht  aus  zwei  gleich  grossen,  in  einem  gemeinsamen  Carton  sus- 
pendirten  Flacons,  deren  eines  (A)  den  Farbstoff,  eine  undurch- 


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sichtige,  tiefdunkelbraune,  in  dünnerer  Lösung  und  bei  Luftzutritt 
dunkelviolett  nachfärbende  Flüssigkeit  von  scharf  ammoniakalischem 
Gerüche,  deren  anderes  (B)  das  Fixativ,  eine  wasserklare  Flüssig¬ 
keit,  wahrscheinlich  Wasserstoffsuperoxyd,  enthält. 

Eine  diesbezügliche  Mittheilung  des  Herrn  Apothekers 
C.  K 1  e  m  e  n  s  über  unsere  modernen  Haarfärbemittel  liess  den 
Verdacht  in  mir  entstehen,  es  handle  sich  im  vorliegenden  Falle 
um  eine  Vergiftung  mit  Paraphenylendiamin.  Thatsächlich  konnte 
ich  ohne  besondere  Schwierigkeit  mittelst  der  noch  des  Näheren 
zu  schildernden  Laut  h’sehen  Reaction  die  Anwesenheit  von  Para¬ 
phenylendiamin  in  unserem  Farbstoffe  nachweisen,  so  dass  der 
überaus  positive  Ausfall  jener  charakteristischen  Reaction  eine 
spätere  private  Miltheilung  des  Erzeugers,  zufolge  deren  es  sich 
beim  »Phoenix«  im  Wesentlichen  um  eine  6%ige  Paraphenylen¬ 
diaminlösung  handle,  leicht  entbehrlich  gemacht  hätte. 

Habe  ich  somit  einerseits  im  Paraphenylendiamin  jenen 
Körper  ermittelt,  dessen  Existenz  unserer  Kenntniss  gemäss  dem 
»Phoenix«-Farbstoffe  toxische  Eigenschaften  zu  verleihen  geeignet 
ist,  so  musste  ich  noch  andererseits,  um  einwandfrei  den  ursäch- 
sichen  Zusammenhang  zwischen  der  Haarfarbe  und  der  Toxikose 
zu  beweisen,  den  Nachweis  erbringen,  dass  die  an  meiner  Patientin 
geschilderten  Erscheinungen  thatsächlich  durch  die  Gegenwart  des 
Paraphenylendiamin  hervorgerufen  sind.  Dieser  Nachweis,  den  ich 
selbstverständlich  nur  am  Versuchsthiere  führen  konnte,  lässt  nun 
in  der  Analogie  der  Vergiftungsbilder  keinen  Zweifel  zu  und  stellt 
dadurch  die  Diagnose  der  Paraphenylendiaminvergiftung  auf 
sichere  Basis. 

Thierversuche. 

I.  Weisses  Kaninchen.  Gewicht  400  g. 

a )  8.  Mai  12  Uhr  Mittag.  Enthaarung  der  rechtsseitigen 
Schädelhälfte  mittelst  Auripigment.  Scarification  mit  nachfolgender 
Einreibung  von  »Phoenix«. 

4  Uhr  Nachmittags.  Die  nächste  Umgebung  der  schwarzbraun 
gefärbten  Inunetionsslelle  zeigt  geschwellte  Ränder  und  fühlt  sich 
im  Vergleich  zur  linken  Schädelhälfte  bedeutend  wärmer  an.  Sonst 
keinerlei  Reaction. 

h)  9.  Mai  10  Uhr  Vormittags.  Enthaarung  des  linken  Löffels. 
Subcutane  Injection  von  lg  »Phoenix«  (=0'06</  Paraphenylen¬ 
diamin)  in  das  untere  Drittel  dieses  Löffels.  Im  Anschlüsse  an  die 
Injection  tritt  die  von  der  Imbibirung  herrührende  Schwellung  auf. 

liy2  Uhr  Vormittags.  Starkes  Oedem  der  linken  Stirnhälfte. 
Protrusio  bulbi  bei  starker  Abgeschlagenbeil.  Die  ödematöse  Partie 
zeigt  deutlich  erhöhte  Temperatur.  Die  Stelle  der  Injection  selbst 
und  deren  nächste  Umgebung  zeigen  die  für  »Phoenix«  charakte¬ 
ristische  Färbung. 

12V2  Uhr  Nachmittags.  Ausgesprochen  komatöser  Zustand. 
Eine  Viertelstunde  später  erfolgt  nach  einem  Streckkrampf  der  ge¬ 
summten  Körpermusculatur  der  Tod. 

Bei  der  Section  konnte  ich  ausser  dunkelbrauner  Verfärbung 
des  subcutanen  Zellgewebes  im  weiteren  Umkreise  der  Einstich¬ 
stelle,  sowie  starker  Blähung  des  gesummten  Darmschlauches  nichts 
Auffälliges  finden.  Niere  und  Leber  fand  ich  vollständig  normal. 
Auch  gelang  es  mir,  weder  am  Endocard  noch  an  der  Pleura  Ek- 
chymosen  nachzuweisen. 

II.  Weisses  Kaninchen.  Gewicht  350  g. 

a )  10.  Mai  103/4  Uhr  Vormittags.  Enthaarung  des  Nackens, 
Subcutane  Injection  von  0  018  g  reinem  p-Phenylendiamin.  Im  An¬ 
schlüsse  an  die  Injection  tritt  Steigerung  der  Athmungsfre- 
quenz  auf. 

4  Uhr  Nachmittags.  Die  Umgebung  der  Injectionsslelle  er¬ 
scheint  dunkelviolett  verfärbt.  Leichte  Protrusio  bulbi,  keine  Che¬ 
mosis  bei  ausgezeichnetem  Allgemeinbefinden. 

b)  11.  Mai  10  Uhr  Vormittags.  Subcutane  Injection  von 
004  <7  p-Phenylendiamin  in  wässeriger  Lösung  unter  die  Rücken¬ 
haut.  Im  Anschlüsse  an  die  Injection  tritt  starke  Fluxionshyper- 
ämie  zu  den  Auricularästen  ein,  in  Folge  deren  sich  die  Löffel 
äusserst  heiss  anfühlen. 

10y2  Uhr.  Beginnende  Protrusio  bulbi. 

1  Uhr  Nachmittags.  Hochgradige  Steigerung  der  Athmungs- 
frequenz.  Ausgesprochenes  Glotzauge.  Die  Bulbi  selbst  von  steinharter 
Consistenz.  Die  Pupillarreaction  erhalten.  In  Folge  tonischen  Krampfes 
der  Kaumuskeln  hängt  die  durch  die  Nagezähne  incarcerirte  Zunge 


als  livide  und  unförmliche  Masse  permanent  aus  der  Mundhöhle 
hinaus.  Das  Thier  verkriecht  sich  in  seinen  Ruhewinkel  und  reagirt 
auf  äussere  Reize. 

2  Uhr  Nachmittags.  Die  Abwehrbewegungen  auf  äussere  Reize 
sind  bedeutend  herabgesetzt. 

3  Uhr  Nachmittags.  Komatöser  Zustand.  Die  Alhmung  ver¬ 
langsamt  und  oberflächlich.  Die  Protrusio  bulbi  ist  geschwunden. 
Die  Pupillen  sind  nun  maximal  dilatirt,  reagiren  jedoch  schwach. 
Der  Tonus  des  Bulbus  stark  herabgesetzt. 

7  Uhr  Abends.  Der  komatöse  Zustand  etwas  gebessert,  das 
Thier  reagirt  wieder  lebhafter  auf  äussere  Reize. 

11  Uhr  Nachts.  Grössere  Agilität  mit  lebhaften  Abwehrbewe¬ 
gungen.  Pupillen  noch  immer  maximal  dilatirt;  die  Iris  zeigt  starke 
Gefässinjection.  Die  Corneae  besitzen  wieder  ihren  früheren  Glanz. 
Die  rechte  Lidspalte  normal  weit,  die  linke  verengt;  die  Conjunc¬ 
tiva  bulbi  dieser  Seite  erscheint  stark  injicirt. 

Hochgradiger  Thränenfluss  an  beiden  Augen.  Die  Zunge  noch 
in  gleicher  Weise  incarcerirt. 

12.  Mai  7  Uhr  Morgens.  Das  Thier  wird  am  Morgen  circa 
8  m  von  seinem  allseits  hoch  eingefriedeten  Käfig  entfernt  gefunden. 
Es  ist  scheinbar  bei  bestem  Wohlbefinden. 

8  y2  Uhr  Morgens.  Nach  einer  kurzen  Folge  plötzlich  einge¬ 
tretener  klonischer  Krämpfe  tritt  neuerdings  Koma  ein. 

10  Uhr  Vormittags.  Tiefes  Koma  mit  oberflächlicher  Athmung, 
das  um  12  Uhr  mit  Exitus  letalis  endet. 

Section:  Die  Injection  der  Conjunct,  bulbi  ist  geschwunden. 
Die  Thränendrüse  beiderseits  macht  den  Eindruck  der  Schwellung, 
Pigmenlirung  derselben  konnte  ich  nicht  finden. 

Die  Lungen  weisen  an  zwei  Stellen  subpleurale  Ekchymosen 
auf;  das  Herz  in  seinen  Räumen  blutleer. 

Die  Leber  zeigt  das  Bild  der  Stauung,  sie  erweist  sich  gross 
und  blutreich;  die  cenlralen  Partien  der  Acini  erscheinen  dunkel 
livid,  die  peripheren  hell. 

Die  Milz  bietet  nichts  Besonderes  dar. 

Die  Nieren  zeigen  beiderseits  das  Bild  der  trüben  Schwellung. 
Die  prall  gefüllte  Blase  enthält  hellen,  nicht  bluthaltigen  Harn. 

Die  Reaction  des  Versuchsthieres  auf  die  subcutane  Ein¬ 
fuhr  des  »Phoenix« -Farbstoffes  und  später  der  wässerigen 
Lösung  von  reinem  Paraphenylendiamin,  sowie  deren  Analogie 
mit  den  geschilderten  Ausfallserscheinungen  an  meiner  Patientin 
sind  derart  charakteristisch,  dass  der  negative  Befund  unserer 
Base  oder  deren  Spaltungsproducte  im  entleerten  Harn  gegen¬ 
über  der  Wucht  der  überzeugenden  Beweismomente  ebenso 
nur  von  nebensächlicher  Bedeutung  sein  kann,  wie  im  ent¬ 
gegengesetzten  Falle  der  positive  Befund  kaum  die  Beweis¬ 
kraft  der  Untersuchungsresultate  wesentlich  zu  stützen  ver¬ 
mocht  hätte. 

Die  Analyse  des  an  das  k.  k.  pathologisch-chemische 
Institut  geleiteten  Harnes,  für  deren  Vornahme  Herrn  Hofrath 
Prof.  Dr.  Ludwig  an  dieser  Stelle  meinen  ergebensten 
Dank  auszusprechen  mir  eine  angenehme  Pflicht  ist,  besagt: 

»Der  Harn  hat  ein  specifisches  Gewicht  von  P026,  ist  von 
rein  gelber  Farbe  und  getrübter  Durchsichtigkeit.  Seine  Reaction 
auf  Lakmus  ist  sauer. 

Das  in  mässiger  Menge  sich  bildende  Sediment  besteht  aus 
sehr  zahlreichen  Kryslallen  von  oxalsaurem  Kalk,  Lymphkörperchen, 
Plattenepithelzellen  und  spärlichen  hyalinen  Cylindern.  Der  Gehalt 
an  Indican  ist  nicht  vermehrt,  die  übrigen  Normalstoffe  in  Mengen¬ 
verhältnissen  eines  etwas  concentrirten  Harnes.  Albumen  in  mini¬ 
malsten  Spuren,  quantitativ  nicht  bestimmbar. 

Urate,  kohlensaures  Ammoniak,  Knochenerde,  Gallenfarbstoffe, 
Tyrosin  und  Leucin,  Aceton,  Acetessigsäure  fehlen.  Blutfarbstoff 
fehlt,  Zucker  in  minimalen  Spuren,  quantitativ  nicht  bestimmbar. 
Spaltungsproducte  von  Paraphenylendiamin  waren  nicht  auffindbar. 

Das  Paraphenylendiamin,  auch  Paradiamidobenzol  (Cc  H, 
[N  H2]2)  ist,  wie  der  Name  besagt,  ein  Abkömmling  des  Benzol¬ 
kernes,  dessen  beide  entsprechend  der  »Para«-stellung  einander 
gegenüberstehenden  H-Atome  der  C  H-Gruppe  durch  die  Amid¬ 
gruppe  substituirt  sind: 


714 


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CH 

C  H /\ C  H 
CH^CH 
CH 

Eigenschaften  :  »Es  ist  etwas  in  Wasser,  leichter  in  Wein¬ 
geist  und  Aether  löslich,  krystallisirt  aus  letzterem  in  Tafeln, 
welche  bei  140°  schmelzen,  in  Blättchen  sublimiren  und  bei 
267°  sieden.« 

Entstehung:  »Phenylenhydrazin,  mit  HCl  behandelt, 
liefert  neben  wenig  Ammoniak  und  Anilin  ein  Chlorhydrat, 
dessen  Base  nach  dem  Umkrystallisiren  bei  140°  schmilzt. 
Durch  die  Lauth’sche  und  die  ludaminreaction  wurde  die¬ 
selbe  weiterhin  als  Paraphenylendiamin  charakterisirt. « 

Reaction:  »Durch  Oxydation  von  Paraphenylendiamin  in 
saurer,  schwefelwasserstoffhältiger  Lösung  mit  Eisenchlorid 
entsteht  Laut  li’s  Violett,  ein  schwarzgrünes,  metallisch-glän¬ 
zendes  Pulver,  das  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  kochendem 
hingegen  leicht  mit  violetter  Farbe  löslich  ist.« 

Das  Paraphenylendiamin  ist  nach  einem  am  26.  Oc¬ 
tober  1888  von  Dr.  Hugo  Erdmann  erwirkten  reichs- 
deutschen  Patente  als  Färbungsmittel  für  Haare  und  Federn 
bei  nachheriger  Behandlung  der  durchtränkten  Stellen  mit 
einem  Oxydationsmittel  in  Deutschland  gesetzlich  geschützt.  ^ 

Nach  Kobert  erzeugt  Paraphenylendiamin  »Schwellung 
und  ödematöse  Infiltration  des  subcutanen  Gewebes,  die  am 
Auge  bis  zum  Unsichtbarwerden  des  Bulbus  sich  steigern 
kann,  um  später  wieder  vollkommen  zu  verschwinden.« 

Dubois  und  Vignon  berichten  über  die  Ausfallser¬ 
scheinungen: 

»Elle  produit  pen  apres  son  introduction  dans  l’organisme 
par  injection  souscutanee  dans  un  point  quelconque  du  corps 
une  exophthalmie  extraordinaire.  L’oeil  sort  peu  a  pen  de 
l’orbite;  la  conjonctive  pale  et  oedematiee  forme  une  chGnosis 
enorme,  qui  masque  presque  completement  la  cornee.  Tout  le 
tissu  intraorbitaire  est  infiltrA « 

Die  beiden  eben  genannten  Autoren  heben  die  auf  Oxy¬ 
dation  des  Paraphenylendiamins  beruhende  Braunfärbung  der 
Gewebe  und  des  Blutes  hervor,  die  namentlich  am  Zahnfleische 
und  an  der  Zunge  deutlich  erkennbar  ist.  Eine  vollständige 
Zersetzung  findet  nicht  statt,  da  die  Base  unzersetzt  in  Nasen¬ 
schleim,  Speichel  und  Harn  übergehen  soll. 

Die  Ivenntniss  der  specifischen  Wirkung  des  Para¬ 
phenylendiamin  verdanken  wir  den  einschlägigen  Arbeiten 
Kober  t’s  und  der  bereits  oben  citirten  Publication  Pupp  e’s. 
Hieraus  ergibt  sich,  dass  wir  im  Paraphenylendiamin  ein  Gift 
mit  specifischer  Wirkung  auf  die  rothen  Blutkörperchen  und 
deren  Farbstoff  besitzen.. 

Schon  Kobert  hebt  in  seiner  citirten  Arbeit  hervor, 
dass  bei  der  Mischung  eines  der  drei  Phenylendiamine  (Ortho-, 
Meta-  und  Paraphenylendiamin)  mit  Blut  extra  corpus  Braun¬ 
färbung  und  Bildung  von  Methämoglobin  erfolge.  Im  Orga¬ 
nismus  erfolge  auch  Braunfärbung,  aber  Methämoglobinbildung 
tritt  hier  nicht  oder  nur  in  geringem  Grade  ein.  Diese  speci- 
flsche  Einwirkung  auf  das  Blut  seitens  des  Paraphenylendiamin 
tritt  sowohl  bei  makro-,  als  auch  mikro-,  hauptsächlich  aber 
spectroskopischer  Untersuchung  hervor. 

Aus  der  ausführlichen  Arbeit  Pupp  e’s  über  den  Ein¬ 
fluss  dieses  Giftstoffes  auf  das  Blut  entnehmen  wir,  dass  eine 
geringe  Blutmenge,  im  Reagensglas  mit  einer  circa  20%igen 
Paraphenylendiaminlösung  versetzt,  sich  sofort  verändert,  indem 
einerseits  ein  Farbenumschlag  ins  Schwarzbraune,  andererseits 
prompte  Coagulation  des  Blutes  eintritt,  so  dass  das  coagulirte 
Blut  beim  vollständigen  Umdrehen  des  Reagensglases  am 
Boden  haften  bleibt.  Wird  dieses  Blutcoagulum  durch  Zusatz 
von  Wasser  unter  kräftigem  Schütteln  verdünnt,  so  erhält 
man  eine  braune  Flüssigkeit,  in  der  unregelmässig  gestaltete 
Fetzen  suspendirt  sind.  Die  so  gewonnene  Lösung  zeigt  nun 
bei  spectralanalytischer  Untersuchung  ein  ungemein  charakte- 

')  Das  ertheilte  Patent  soll  jedoch  inzwischen  bezüglich  der  Behand¬ 
lung  »lebender  Haare«  wieder  rückgängig  gemacht  worden  sein. 


C— N  H, 

C  H /\ C  H 
CH  x/CH 
C-N  H, 


ristisches  Verhalten:  »Am  äussersten  Ende  von  Roth  (zwischen 
den  Frauen  hofe  Eschen  Linien  A  und  B}  näher  gegen  B 
zu  beginnend)  erscheint  ein  breiter,  dunkler  Streifen,  der  bis 
an  die  Gegend  des  Metbämoglobinstreifens  (zwischen  C  und  D 
näher  zu  C  gelegen)  heranreicht,  zugleich  tritt  eine  Ver¬ 
dunkelung  des  rechtsseitigen  Spectralendes  in  »Grün«  ein.  Bei 
Zusatz  von  Schwefelammonium  zu  dieser  Paraphenylendiamin- 
Blutlösung  verändert  sich  dieser  Befund,  indem  jetzt  das 
Spectrum  zweitheilig,  identisch  dem  Hämochromogenspectrum 
wird  (ein  schmälerer  Absorptionsstreifen  zwischen  B  und  E 
und  ein  etwas  breiterer,  hellerer  Absorptionsstreifen  an  Stelle 
der  Fr  a  unhofe  Eschen  Linien  E  und  b).« 

Das  geschilderte  spectroskopische  Verhalten  veranlasst 
nun  Puppe,  der  Behauptung  Kober  t’s,  der  das  Resultat  der 
Einwirkung  des  Paraphenylendiamin  auf  Blut  in  einer  Um¬ 
wandlung  des  Oxyhämoglobins  in  Methämoglobin  ersieht,  ent¬ 
gegenzutreten  und  die  Umsetzung  des  Hämoglobins  in  saueres 
Hämatin  als  den  viel  häufigeren  Effect  jener  toxischen  Eigen¬ 
schaften  des  Paraphenylendiamins  hinzustellen. 

Aber  auch  der  mikroskopische  Befund  des  Blutes  zeigt 
die  deletäre  Wirkung  dieses  Blutgiftes.  Die  Giftwirkung 
äussert  sich  hier  in  einer  allmälig  zunehmenden  Entfärbung 
der  rothen  Blutkörperchen.  Die  weiterschreitende  Degeneration 
der  Erythrocyten  ist  in  beginnender  Ballenbildung  mit  blass- 
röthliehem  Colorit  und  schliesslichem  Zerfall  in  Pigmentschollen 
mit  Bildung  von  nadelförmigen  Krystallen  deutlich  erkennbar. 
Und  wie  steht  es  nun  mit  der  Wirkung  dieses  Giftes  an  Ort 
und  Stelle?  Wir  müssen  hier  entsprechend  den  von  Puppe 
und  mir  an  Thieren  angestellten  Versuchen  hervorheben,  dass 
bei  der  beobachteten  Verschiedenheit  in  der  Application  des 
Giftes  je  nach  subcutaner,  epi-  oder  endermatischer  und 
schliesslich  intravenöser  Einfuhr  in  den  Organismus  die  toxi¬ 
sche  Eigenschaft  des  Paraphenylendiamin  bei  ersterer  Appli- 
cationsart  am  stürmischesten  verlief  —  doch  zeigt  der  dieser 
Arbeit  zu  Grunde  liegende  Fall,  dass  auch  die  epidermatisclie 
Aufnahme  zu  den  bereits  oben  geschilderten  Ausfallsei*- 
scheinungen  führt. 

Ich  habe  früher  dem  Berichte  über  die  angestellten  Thier¬ 
versuche  keinerlei  Commentar  hinzugefügt,  sondern  mich  an 
jener  Stelle  begnügt,  einfach  die  nackten  Thatsachen  zu  regi- 
striren.  Ehe  ich  jedoch  auf  die  Schilderung  der  klinischen 
Vergiftungsbilder  näher  eingehe,  sei  es  mir  hier  gestattet,  die 
Resultate  der  Beobachtung  meiner  Versuchsthiere  in  Kürze 
zu  resumiren. 

«)  Die  epi-  und  endermatische  Application  des  Gift¬ 
stoffes,  respective  seines  Vehikels,  führt  beim  Versuchsthiere, 
offenbar  wegen  zur  Resorption  gelangter  allzu  geringer  Menge, 
dementsprechend  nur  zu  geringer  Reaction,  die  möglicher  Weise 
bei  wiederholten  gleichartigen  Applicationen  in  ihrer  Intensität 
steigeruugsfähig  wäre. 

b )  Die  subcutane  Injection  des  Giftes  in  einer  Quantität, 
die  mehr  oder  minder  bedeutend  unter  dem  toxischen 
Schwellenwerthe  liegt,  führt  diesbezüglich  auch  nur  zu  ge¬ 
ringeren  Ausfallserscheinungen,  unter  denen  übrigens  das 
Glotzauge  am  promptesten  aufzutreten  scheint.  Ueberschreitet 
man  nun  die  weiter  noch  des  Näheren  zu  erörternde  Giftdosis 
nur  um  ein  Geringes,  gleichviel  ob  in  Form  der  wässerigen 
Lösung  des  reinen  Giftes  oder  sub  forma  des  betreffenden  kos¬ 
metischen  Präparates,  stellen  sich  alsbald  Ausfallserscheinungen 
ein,  deren  früheste  und  verlässlichste  wieder  die  Protrusio  bulbi 
neben  Steigerung  des  intraoeulären  Druckes  zu  sein  scheint. 
Formes  frustes  bezüglich  des  Ausbleibens  stärkerer  Oedeme 
der  Conjunctiva  und  der  Augenlider  können  die  Regel  nicht 
stürzen. 

In  weiterer  Folge  nun  führen  die  eben  geschilderten  Er¬ 
scheinungen,  je  nach  bedeutenderem  oder  geringerem  Ueber- 
schreiten  des  toxischen  Schwellen  werthes,  in  entsprechend 
kürzerer  oder  längerer  Zeit,  meist  in  protrahirtem  Koma,  zum 
Tode  des  Versuchsthieres. 

Aus  P  u  p  p  e’s  Versuchen  geht  nun  hervor,  dass  ein 
noch  weiterer  Anstieg  über  die  toxische  Dosis  rasch  zu  über¬ 
aus  stürmischen  Ausfallserscheinungen  führt.  Diese  nun  sind 
von  den  oben  geschilderten,  scharf  auf  das  Gewebe  der  Orbita 


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localisirten,  vollständig  different;  denn  die  Giftwirkung  tritt 
hier  unter  dem  klinischen  Bilde  einer  Allgemeinvergiftung 
auf  mit  parenchymatöser  Degeneration  der  Nieren,  der  Leber 
und  des  Myocards.  Diese  bis  nun  wohl  nur  am  Versuchsthiere 
beobachtete  und  von  Puppe  näher  gewürdigte  Form  der 
Paraphenylendiaminvergiftung  führt  stets  den  Tod  des  Thieres 
herbei.  Das  klinische  Bild  dieser  Allgemeinvergiftung  verläuft 
unter  Hämaturie,  Diarrhöen  und  Erbrechen  und  führt,  wie 
bereits  erwähnt,  unter  klonischen  oder  tonischen  Krämpfen 
zum  letalen  Exitus. 

Puppe  trennt  in  seiner  Arbeit  diese  beiden  klinischen 
Formen  der  Toxikose  strenge  von  einander,  da  nach  seinen 
Erfahrungen  am  Versuchsthiere  bei  der  eben  geschilderten 
Form  Augenerscheinungen  stets  fehlen. 

Fassen  wir  also  in  Kürze  nochmals  die  beiden  Formen 
der  Paraphenylendiaminvergiftung  zusammen,  so  beobachten 
wir  bei  Einfuhr  einer  gewissen  Quantität  des  Giftes  zunächst 
die  locale  und  specifische  Giftwirkung,  id  est  ekzematöse  Ent¬ 
zündung  der  Haut  und  die  geschilderten  Erscheinungen  am 
Bulbus,  an  der  Conjunctiva  bulbi  et  palpebrarum  und  schliess¬ 
lich  an  den  Augenlidern  selbst.  Diese  Erscheinungen  können 
binnen  kurzer  Zeit  zurückgehen  ohne  das  Allgemeinbefinden 
zu  alteriren,  oder  aber  es  treten  in  weiterer  Folge  Allgemein¬ 
erscheinungen  auf,  die,  wie  die  Beobachtungen  an  meinen 
Versuchsthieren  erweisen,  binnen  wenigen  Stunden  zum  Tode 
führen.  Die  zweite  und  schwerere  Form  der  Vergiftung  setzt 
schon  kurze  Zeit  nach  Einfuhr  des  Giftes  mit  Erbrechen, 
Diarrhöen  und  Hämaturie  ein,  hiezu  gesellen  sich  in  weiterer 
Folge  bald  klonische,  respective  tonische  Krämpfe,  die  durch 
ein  kürzer  oder  länger  dauerndes  Koma  in  den  Tod  hinüber¬ 
leiten. 

Ueber  dass  Ergebniss  der  Section  dieser  letzteren  Fälle 
äussert  sich  Puppe: 

»Die  Section  ergibt  eine  schwarzbraune  Tingirung  des 
subcutanen  Gewebes  um  die  Einstichstelle  herum,  theilweise 
wohl  vom  Hämatin,  theilweise  aber  auch  von  der  ursprüng¬ 
lichen  Tinction  des  Paraphenylendiamins  selbst  herrührend. 
Weiter  zeigen  sich  in  der  Tiefe  unter  der  Fascie  die  Muskel¬ 
venen  mit  thrombotischen  Massen  in  ziemlich  erheblicher  Aus¬ 
dehnung  erfüllt. 

Das  Conjunctivalödem  kann  gänzlich  geschwunden  sein, 
ebenso  die  anderen  Erscheinungen  von  Seite  der  Augen. 

Das  Gehirn  bietet  nichts  Besonderes  dar.  Die  Lungen 
zeigen  zuweilen  subpleurale  Ekchymosen,  das  Herz  selbst  sub¬ 
endocardial  gelegene.  Wesentlich  ist  aber  dabei  die  evidente 
trübe  Schwellung,  die  zumal  an  Myocard  und  Niere  in  der 
Regel  vorhanden  ist,  und  auch  in  der  Leber  zuweilen  beob¬ 
achtet  wird.  Braunfärbung  der  Milz  haben  wir  nicht  gesehen. 
Das  Blut  zeigt  stets  eine  rothe  Farbe  und  zeichnet  sich  durch 
starke  Gerinnung  aus.  Die  grossen  Körpervenen,  das  rechte 
Herz  sind  meist  strotzend  gefüllt.  Die  Farbe  der  thrombotischen 
Massen  in  der  Rückenmusculatur  ist  eine  schwarzbraune.  Was 
ihr  spectrales  Verhalten  anlangt,  unterscheiden  sie  sieh  dadurch 
vom  Körperblut,  dass  sie  den  im  äussersten  Roth  liegenden 
Hämatinstreifen  zeigen,  der  ihre  Provenienz  zur  Genüge  er¬ 
weist,  während  das  übrige  Körperblut  stets  die  Oxyhämoglobin¬ 
streifen  aufwies,  post  mortem  sowohl,  wie  intra  vitam  auf  der 
Höhe  der  Intoxication  serscheinungen,  im  Beginne  und  im 
Nachlassstadium. « 

Die  toxische  Dosis  liegt  nun,  wie  schon  aus  den  ein¬ 
schlägigen  experimentellen  Untersuchungen  Dubois’  und 
Vignon’s  hervorgeht,  annähernd  um  OT g  pro  1  kg  Thier¬ 
gewicht. 

Ein  Vergleich  meiner  Krankengeschichte  mit  der  in 
Pupp  e’s  Arbeit  deponirten  ergibt  nun  die  interessante  That- 
sache,  dass  in  beiden  Fällen  die  Vergiftungserscheinungen 
merkwürdiger  Weise  erst  nach  wiederholter  (in  beiden  Fällen 
dreimaliger)  Anwendung  des  Färbemittels,  dann  allerdings 
ziemlich  prompt  eintraten. 

Auffallend  bleibt  immerhin  der  Umstand  ferner,  dass  bei 
dem  gewiss  ausgedehnten  Gebrauche  paraphenylendiaminhältiger 
Haarfärbemittel  Vergiftungen,  nach  den  äusserst  seltenen  Be¬ 
schreibungen  zu  schliessen,  zu  Raritäten  gehören.  Sollte  hierin 


eine  Analogie  zu  dem  relativ  geringen  Procentsatz  der  an 
erythematösen  Hautaffectionen  erkrankten  Arbeiter  in  den 
Anilinfarbfabriken  zu  finden  sein?  Möglicherweise.  In  diesem 
Falle  aber  wäre  das  Moment  der  Idiosynkrasie  einzelner  In¬ 
dividuen  gegen  diesen  Giftstoff  wohl  ausser  Zweifel  gestellt. 

Liegt  nun  in  dieser  Idiosynkrasie  der  Grund  der  so 
selten  zum  Ausdruck  kommenden  Giftwirkung,  so  bleibt  immer¬ 
hin  noch  die  bereits  oben  aufgeworfene  Frage  offen,  warum 
es  selbst  bei  diesen  mit  geringerer  Widerstandskraft  gegen 
unser  Gift  ausgerüsteten  Individuen  mehrmaliger,  also  ge¬ 
häufter  Application  des  Mittels  bedarf,  ehe  die  nun  bekannten 
Ausfallserscheinungen  zur  Entfaltung  kommen.  Das  Moment 
der  Cumulirung  des  Giftes  im  Organismus,  respective  die  ge¬ 
steigerte  Empfänglichkeit  durch  wiederholte  Anwendung  wäre 
wohl  nicht  ohne  Weiteres  von  der  Hand  zu  weisen. 

Ziehe  ich  nun  zum  Schlüsse  das  Resume  der  Arbeit,  so 
möchte  ich  deren  wichtigste  Momente  in  folgenden  Punkten 
zusammenfassen : 

1.  Stellt  sich  nach  Anwendung  eines  Haarfärbemittels, 
das  Haare  heller  Couleur  in  dunkelbraune,  respective  schwarze 
überführen  soll,  unter  dem  Gefühle  von  Jucken  oder  Brennen 
der  behaarten  Schädeldecke,  der  Stirne  oder  des  Nackens  eine 
ekzematöse  Entzündung  der  Haut  im  genannten  Bereiche  ein 
und  gesellt  sich  zu  diesen  Erscheinungen  im  späteren  Verlaufe 
Exophthalmus  geringeren  oder  höheren  Grades,  verbunden  mit 
Thränenfluss,  Schwellung  der  Conjunctiva  und  der  Augenlider, 
so  liegt  der  Verdacht  einer  Vergiftung  durch  Paraphenylen¬ 
diamin  vor. 

2.  Das  in  den  uns  bisher  beschäftigenden  Haarfärbemitteln 
»Juvenia«,  »Phoenix«,  Nussextract  enthaltene  Paraphenylendia¬ 
min  ist  ein  äusserst  giftiger  Körper  mit  specifischer  Wirkung  auf 
das  Blut.  Er  bewirkt  beim  Contacte  mit  demselben  Coagulirung 
und  Braunfärbung,  welche  auf  der  Umwandlung  von  Oxy¬ 
hämoglobin  in  saures  Hämatin  beruht,  das  jederzeit  durch  Zu¬ 
satz  von  Schwefelammonium  in  Hämochromogen  reducirbar 
ist,  und  er  führt  in  weiterer  Folge  zum  scliliesslichen  Zerfalle 
der  Erythrocyten  in  Pigmentschollen. 

3.  Die  toxische  Dosis  dieses  Körpers  beginnt  nach  Du¬ 
bois  und  Vignon  bei  01  g  pro  1  hg  Thiergewicht  und  führt 
bei  Darreichung  um  ein  Geringes  unter  diesem  Schwellen- 
werthe  zu  den  oben  geschilderten  Augenerscheinungen,  die  in 
kurzer  Zeit  vollständig  zurückgehen;  bei  bedeutenderem  Ueber- 
schreiten  der  toxischen  Dosis  kommt  es  zu  schwerer  Allgemein¬ 
vergiftung,  die  unter  den  Folgeerscheinungen  der  Degeneration 
der  parenchymatösen  Organe  und  unter  Krämpfen  den  letalen 
Exitus  herbeiführt. 

4.  Die  durch  epi-,  respective  endodermatische  Aufnahme 
dieses  Giftstoffes  hervorgerufenen  Ausfallserscheinungen  müssen 
nicht  bedingungslos  bei  der  erstmaligen  Verwendung  dieses 
Mittels  zum  Ausdruck  kommen,  sondern  können,  möglicher 
Weise  durch  erfolgte  Cumulirung  nach  wiederholter  Anwendung 
in  ihrer  deletären  Wirkung  hervortreten. 

5.  Da  einerseits  ein  gewiss  ansehnlicher  Theil  des  Laien- 
publicums  in  gutem  Glauben  au  die  auf  der  Etiquette  des 
Präparates  angepriesene  Unschädlichkeit  den  ausgiebigsten  Ge¬ 
brauch  von  diesen  und  anderen  ähnlichen  kosmetischen  Erzeug¬ 
nissen  macht,  andererseits  Vergiftungserscheinungen  gewiss 
häufiger  Vorkommen  und  deren  Anzeige  seitens  der  Betroffenen 
aus  nahe  liegenden  Gründen  unterlassen  werden  möge,  wäre 
es  nun  an  der  Zeit,  sanitätspolizeiliche  Massnahmen  gegen 
diese  »vollkommen  unschädlichen«  Präparate  zu  verfügen. 

Literatur. 

R.  v.  Jak  scli,  Die  Vergiftungen.  Nothnagel’s  Handbuch.  Wien, 
Alfred  Holder.  Bd.  I,  pag.  338. 

Puppe,  Vierteljahrssclirift  für  gerichtliche  Medicin  und  öllentliches 
Sanitätswesen.  Dritte  Folge.  Bd.  XII,  pag.  116. 

Dubois  et  Vignon,  Sur  Faction  phys.  de  la  para-  et  de  la  nieta- 
phenylendiamine.  Coropte  rend.  1888,  T.  CVH. 

Robert,  Lehrbuch  der  Intoxicationen.  Stuttgart  1893. 

Roscoe  und  Schorlemmer,  Lehrbuch  der  Chemie.  2.  1  Heil, 
pag.  216. 

Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft.  Bd.  II,  pag.  1539. 

■  Schulz  und  Julius,  Tabellarische  Uebersicht  der  künstlichen 
organischen  Farbstoffe.  Be  lin  1891,  pag.  102. 


716 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  31 


Ueber  Behandlung  der  nekrotisirenden  Akne  mit 

Meersalzlösung. 

Von  Dr.  Friedrich  Luithlen,  Wien. 

Es  handelt  sich  um  jene  Form  von  Akne,  bei  der  im 
chronischem  Verlaufe,  häufig  recidivirend,  knotenförmige  In¬ 
filtrate  der  Haut  auftreten,  an  denen  es  entweder  nur  im 
Centrum  oder  der  ganzen  Ausbreitung  nach  zur  Bildung  einer 
dunklen,  festen,  harten,  pergamentartigen  Kruste  kommt,  die 
im  Niveau  des  Knotens  liegt;  dieser  nekrotische  Theil  wird 
dann  entweder  abgestossen  oder  durch  mechanische  Momente 
entfernt,  worauf  ein  ziemlich  tiefer,  jedenfalls  die  Oborhaut 
ganz  durchsetzender  und  in  die  Tiefe  des  Coriums  reichender, 
runder  oder  unregelmässig  geformter,  mit  schmierigem  Secrete 
bedeckter,  stark  nässender  oder  eiternder  Substanzverlust  zu 
Tage  tritt;  wird  die  Borke  nicht  frühzeitig  abgestossen,  bleibt 
dieselbe  länger  haften,  so  tritt  durch  Unterwachsung  derselben 
mit  Oberhautepithel  Ueberhäutung  des  darunterliegenden 
Substanzverlustes  auf  und  beim  schliesslichen  Abfalle  des 
nekrotischen  Theiles  bleibt  eine  stark  eingesunkene  Narbe 
zurück. 

Die  Affection  tritt  besonders  im  Gesichte  auf;  in  meinen 
Fällen  war  die  Affection  im  Barte  an  der  Kopfhaargrenze, 
aber  auch  an  unbehaarten  Stellen,  z.  B.  den  Ohren  bis  in  den 
äusseren  Gehörgang  hineingreifend  localisirt  und  war  dieselbe 
besonders  in  meinem  dritten  Falle  auffallend  symmetrisch  an¬ 
geordnet. 

Die  Affection  bildet  durch  ihre  häufigen  Recidiven,  ihre 
Schmerzhaftigkeit,  ihren  entstellenden,  in  manchen  Fällen  für 
den  Nichtfachmann  als  Manifestation  der  Syphilis  imponirenden 
Anblick,  sowie  die  nach  der  Abheilung  zurückbleibenden  tiefen 
Narben  eine  grosse  Belästigung  und  Entstellung  der  damit  be¬ 
hafteten  Personen.4 

Da  keines  der  bisher  angewendeten,  in  der  Literatur  an¬ 
gegebenen  Mittel  im  Stande  ist,  die  Affection  vollkommen  aus¬ 
zuheilen  und  es  besonders  bisher  nicht  gelungen  ist,  die  Ne¬ 
krose  der  einzelnen  Efflorescenzen  aufzuhalten  und  so  die 
zurückbleibenden  entstellenden  Narben  zu  vermeiden,  möchte 
ich  über  einige  Erfahrungen  berichten,  die  ich  bei  Behandlung 
der  Affection  mit  Meersolzlösung  an  zwei  Patienten  meiner 
Privatpraxis  gemacht  habe. 

Auf  die  Idee,  Meerwasser  bei  der  Behandlung  dieser  Affection 
anzuwenden,  wurde  ich  durch  einen  Fall  gebracht,  der  sich  mir 
im  Jahre  1898  in  meiner  Ordination  vorslellle.  Derselbe  betraf 
einen  Herrn  aus  dem  Küstenlande,  der  mich  wegen  der  beim  ihm 
sehr  ausgebreiteten,  die  Haut  der  Stirne  und  Nase  einnehmenden 
Affection  consultirte. 

Bei  Besprechung  seiner  Krankheitsgeschichte  theilte  er  mir 
mit,  dass  die  Affection  im  Sommer  fast  vollkommen  ausheilte,  um 
erst  im  Herbste  zu  recidiviren.  Auf  meine  diesbezügliche  Frage 
gab  er  an,  dass  er  im  Sommer  fleissig  im  Meere  bade;  ausser  den 
gewöhnlichen  Rathschlägen,  Pflasterbehandlung  etc.,  gab  ich  ihm 
den  Rath,  auch  im  Winter  Meerbäder  zu  nehmen;  doch  kann  ich 
über  den  weiteren  Verlauf  dieses  Falles  nichts  Sicheres  berichten, 
da  er  in  Folge  der  Entfernung  seines  Domiciles  sich  einer  fortge- 
setzen  Beobachtung  entziehen  musste. 

Einige  Zeit  darauf  consultirte  mich  ein  älterer  College  wegen 
einer  schon  seit  vielen  Jahren  bestehenden  solchen  Affection.  Die¬ 
selbe  war  bei  ihm  im  Barte  von  der  Kopfhaargrenze  bis  zum  An¬ 
sätze  der  Ohrmuschel,  wie  übergreifend  vom  Barte  auf  diese,  im 
Inneren  des  äusseren  Gehörganges,  sowie  auf  der  Stirne  zum  Theile 
auf  die  Kopfhaut  übergreifend  localisirt.  An  diesen  Stellen  waren 
zum  Theile  rundliche,  zum  Theile  unregelmässig  geformte,  tiefe, 
stark  eiternde  Substanzverluste  mit  steil  abfallenden  Rändern  oder 
Knoten,  die  eine  harte,  dunkle,  nekrotische  Borke  trugen.  Tiefe, 
entsprechend  geformte  Narben  waren  die  Reste  früherer  Erup¬ 
tionen. 

Der  betreffende  Herr  war  schon  lange  von  anderen  Collegen 
ohne  jeden  Erfolg  behandelt  worden:  als  er  mich  über  seine 
Affection  befragte,  sagte  ich  ihm,  dass  ich  auch  keine  anderen 
Mittel  wüsste  als  die  ihn  bisher  behandelnden  Collegen  und  machte 
ihm  im  Anschlüsse  an  die  Erzählung  des  früher  erwähnten  Falles 


den  Vorschlag,  es  einmal  mit  Meerwasser  zu  versuchen.  Schon  bei 
der  Miltheilung  dieser  Beobachtung,  sowie  der  daran  geknüpften 
Schlussfolgerung,  ob  nicht  das  Meerwasser  eine  besondere  Wirk¬ 
samkeit  habe,  theilte  er  mir  mit,  dass  er  sich  jetzt  auch  erinnere, 
dass  nach  Meerbädern  (in  Venedig)  die  Substanzverluste  sich  so¬ 
fort  gereinigt  hätten,  sowie  dass  zur  Zeit  eines  solchen  Aufent¬ 
haltes  am  Meere  seine  Affection  stets  besser  gewesen  sei. 

Die  von  mir  versuchsweise  vorgeschlagene  Behandlung  mit 
Meersalz,  auf  welche  er  bereitwillig  einging,  wurde  in  folgender 
Weise  durchgeführt:  Auf  die  erkrankten  Hautpartien  wurden  über 
Nacht  Umschläge  mit  Meerwasser  gemacht,  und  zwar  wurde  als 
solches  eine  L2n/()*»e  Lösung  des  im  Handel  vorkommenden  Meer¬ 
salzes  verwendet,  während  am  Tage  eine  Lanolinsalbe  eingerieben 
wurde,  welche  in  derselben  Stärke  (L2°  ,,)  Meersalz  enthielt.  Zu¬ 
gleich  wurden,  da  es  ja  gar  nicht  sicher  war,  welcher  Factor 
eigentlich  in  Betracht  kommen  könnte,  Vollbäder  mit  Zusatz  von 
Meersalz  genommen. 

Unter  dieser  Behandlung  besserte  sich  das  Hautleiden  wesent¬ 
lich;  die  Substanzverluste  reinigten  sich  in  kürzester  Zeit  und  ver¬ 
heilten  sehr  schön;  besonders  auffallend  war,  wie  die  sehr  schmerz¬ 
haften  Efflorescenzen  im  äusseren  Gehörgange  sich  rückbildeten; 
auch  neue  Efflorescenzen  kamen,  so  lange  die  Behandlung  durch¬ 
geführt  wurde,  nicht  und  die  schon  bestandenen  zeigten  keine 
Nekrosen. 

Doch  ist  auch  dieser  Fall  zur  Entscheidung,  inwieweit  und 
wieso  das  Meerwasser  eine  Wirkung  entfaltet  habe,  nicht  zu  ver¬ 
wenden,  da  die  Behandlung  nur  so  lange  vorgenommen  wurde, 
bis  die  Affection  recht  gut  durch  Bart  und  Haare  verdeckt  war. 
Immerhin  zeigte  es  sich,  dass  durch  die  Behandlung  die  Substanz¬ 
verluste  sehr  schön  verheilten,  die  Nekrose  der  schon  bestehenden 
Knoten  hintangehalten  wurde,  sowie  dass  während  der  Behandlung 
keine  neuen  Efflorescenzen  auftraten. 

Am  21.  November  1899  suchte  mich  der  Bruder  eines  Freundes 
und  Collegen  in  der  Ordination  auf;  bei  demselben  bestand  die 
gleiche  Affection  seit  längerer  Zeit  beiderseits  im  Barte,  von  der 
Kopfhaargrenze  angefangen  bis  unter  den  Ansatz  des  Ohrläppchens 
herabreichend.  Mit  Pausen  von  höchstens  ein  paar  Wochen  traten 
auf  dieser  Partie  kleinerbsen-  bis  halbbohnengrosse,  rothe,  knoten¬ 
förmige,  harte  Infiltrate  auf,  die  in  kurzer  Zeit  auf  ihrer  Oberfläche 
zu  einer  harten,  dunklen,  nekrotischen  Borke  sich  umwandelten, 
nach  deren  Abfallen  tiefe  Substanzverluste  zurückblieben,  welche 
mit  tiefen  Narben  ausheilten.  Als  Patient  mich  aufsuchte,  nachdem 
alle  bisherigen  Behandlungsmethoden  erfolglos  geblieben  waren,  be¬ 
standen  gerade  zahlreiche  frische  Knötchen,  sowie  einzelne  Substanz¬ 
verluste,  während  zahlreiche  Narben  die  Residuen  der  vorherge¬ 
gangenen  Eruptionen  bildeten. 

Ich  gab  ihm  den  Rath,  so  fleissig  als  möglich  Meersalzwasser¬ 
umschläge  zu  machen.  Als  er  mich  vier  Tage  später  (25.  November) 
aufsuchte,  war  die  Schwellung  der  Haut  fast  geschwunden,  die 
Substanzverluste  fast  verheilt;  an  keinem  der  frischen  Knötchen 
war  es  mehr  zur  Nekrose  gekommen. 

Seit  diesem  Tage  bis  jetzt  (Mitte  Juli  1900),  also  während 
einer  Beobachtungsdauer  von  über  sieben  Monaten  ist  keine  neue 
Efflorescenz  erschienen  und  ist  die  Affection  seit  Weihnachten 
vorigen  Jahres  scheinbar  geheilt. 

Der  Patient  hat  nur  während  kurzer  Zeit  durch  das  Pflaster, 
das  er  des  Tages  über  trug,  um  die  Affection  zu  verdecken,  ein 
paar  Mal  Folliculitiden  gehabt,  die  aber  nicht  zur  Nekrose  der  Haut 
führten,  sondern  glatt  abheilten,  als  kein  Pflaster  mehr  getragen 
wurde.  In  der  letzten  Zeit  der  Behandlung  hatten  sich  einzelne 
kleine,  cystische  Gebilde  entwickelt,  oder  vielleicht  wurden  dieselben 
erst  bemerkt,  nachdem  die  Haut  ganz  normal  geworden  war,  aus 
welchen  sich  beim  Eröffnen  mit  der  galvanokaustischen  Nadel  Talg 
und  atheromähnlicher  Brei  entleerten  und  welche  glatt  abheilten. 

Aus  diesen  Beobachtungen  ergibt  sich,  dass  Umschläge 
mit  Meerwasser,  beziehungsweise  einer  L20/0igen  wässerigen 
Lösung  von  Meersalz  im  Stande  sind,  die  Nekrose  bei  dieser 
Form  der  Akne  hintanzuhalten,  die  bestehenden  Efflorescenzen 
zur  Abheilung  zu  bringen,  sowie  das  Neuauftreten  derselben 
während  der  Behandlung  zu  verhindern;  ob  eine  vollständige 
Heilung  der  Affection  auf  diese  Art  zu  erzielen,  kann  ich 


Nr.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


717 


natürlich  nicht  entscheiden,  doch  spricht  die  lange  Beobach¬ 
tungsdauer  im  letzten  Falle  dafür. 

Da  in  diesem  Falle  keine  Bäder  genommen  wurden,  ist 
ein  Einfluss  auf  den  Gesammtorganismus  auszusch Hessen  und 
handelt  es  sich  um  eine  locale  Wirkung  des  Meersalzes,  wenn 
auch  nicht  geleugnet  werden  soll,  dass  Bäder  vom  günstigem 
Einfluss  sein  könnten. 

Welcher  Theil  des  Meersalzes,  und  in  welcher  Weise  der¬ 
selbe  eine  Wirkung  entfaltet,  kann  umsoweniger  entschieden 
werden,  als  meines  Wissens  über  eine  therapeutische  Ver¬ 
wendung  desselben  in  dieser  Art  keine  Beobachtungen  vor¬ 
liegen.  Bei  dem  minimalen  Jodgehalte  des  Meersalzes  aus  der 
Adria,  welches  in  meinen  Fällen  verwendet  wurde,  ist  eine 
Jodwirkung  nicht  anzunehmen,  umsoweniger  als  stark  jod¬ 
haltige  Wässer  keine  solche  Wirkung  entfalten;  dass  die  Um¬ 
schläge  als  solche  nicht  den  Effect  gehabt  haben,  ergibt  sich 
daraus,  dass  bei  anderen  Umschlägen  nicht  derselbe  Erfolg 
erzielt  wurde. 

Jedenfalls  dürfte  es  sich  empfehlen,  diese  Behandlung  in 
den  Fällen  von  nekrotisirender  Akne  anzuwenden,  umsomehr 
da  dieselbe  sehr  einfach  ist  und  den  Patienten  vor  den  ent¬ 
stellenden  Residuen  der  Erkrankung  behütet. 

Die  zwei  Erscheinungen  bei  Meersalzumschlägen,  Ver¬ 
hindern  der  Hautnekrose,  sowie  die  schnell  eintretende  Reini¬ 
gung  und  Verheilung  der  Substanzverluste  empfehlen  es  auch, 
das  Meersalz  bei  anderen  Affectionen  zu  versuchen;  vielleicht 
könnten  Umschläge  mit  demselben  auch  in  anderen  Fällen 
gute  Dienste  leisten. 


REFERATE. 

I.  Neueres  über  Taubstummheit  und  Taubstummen 

bildung. 

Von  Dr.  Hermann  Gutzmann,  Berlin. 

Berliner  Klinik,  Heft  142. 

Berlin,  Fischer. 

II.  Die  frischen  Entzündungen  der  Rachenhöhle  und  des 
lymphatischen  Rachenringes  (mit  Ausschluss  der  Diph¬ 
therie),  ihre  Ursachen  und  ihre  Behandlung. 

Von  Dr.  Maximilian  Bresgen  in  Wiesbaden. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nasen-, 
Ohren-,  Mund-  und  Halskrankheiten. 

Herausgegeben  von  Dr.  Maximilian  Bresgen  in  Wiesbaden. 

Bd.  IH,  Heft  8. 

Halle  a.  S.,  Karl  Marhold. 

III.  Die  Missbildungen  des  Gaumens  und  ihr  Zusammen¬ 

hang  mit  Nase,  Auge  und  Ohr. 

Von  Dr.  Fritz  Danziger,  Ohrenarzt  in  Beuthen  (O.  S.). 

Mit  13  Abbildungen  im  Texte  und  20  Figuren  arrf  Lichtdrucktafeln. 
Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann. 

IV.  Die  Ohrenheilkunde  im  Kreise  der  medicinischen 

Wissenschaften 

Von  Prof.  Dr.  C.  Bloch  in  Freiburg  im  Breisgau. 

Jena,  Gustav  Fischer. 

V.  Encyklopädie  der  Ohrenheilkunde. 

Herausgegeben  von  Dr.  Louis  Blau  in  Berlin. 

Leipzig,  F.  C.  W.  Vogel. 

I.  Der  Taubstumme  besitzt  zwei  wichtige  Wege  zur  Percep¬ 
tion  des  Gesprochenen:  erstens  das  Auge  und  in  zweiter  Linie  das 
Gefühl,  und  einen  wichtigen  Weg  zur  Gontrole  der  eigenen  Sprache: 
das  Muskelgefühl. 

Bei  einer  grossen  Anzahl  der  in  einer  Taubstummenanstalt 
befindlichen  Kinder  finden  wir  noch  einen  mehr  oder  weniger 
guten  Hörrest.  Dieser  muss  zur  Entwicklung  der  Sprache  sorg- 
fältigst  benützt  werden.  In  neuerer  Zeit  hat  Urbantschitsch 
den  Gedanken  wieder  aufgenommen,  durch  Hörübungen  den 
schlummernden  Gehörnerv  zu  erwecken  und  die  Hörreste  der 
Kinder  zu  stärken.  Die  Erwartungen,  die  sich  daran  knüpften, 
haben  sich  nach  des  Autors  Ansicht  nicht  erfüllt.  In  seiner  Polemik 
gegen  Urbantschitsch  mögen  zwei  Sätze,  die  hintereinander 
stehen,  hier  angeführt  werden.  Diejenige  Taubstummenanstalt  Wiens, 
an  der  Urbantschitsch  seine  ersten  Versuche  anstellte,  die 
Anstalt  Döbling  nämlich,  hat  die  Hörübungen  als  zwecklos  wieder 
aulgegeben.  So  ganz  zwecklos  sind  diese  Uebungen  allerdings  nicht, 
und  ich  glaube,  dass  man  in  jener  Anstalt  durch  diese  schroffe 


Ablehnung  nach  so  glänzenden,  vielversprechenden  ersten  Erfolgen 
das  Kind  mit  dem  Bade  ausschüttet.  Die  Erage  der  Hörübungen, 
ihre  Zweckmässigkeit  und  das,  was  durch  sie  im  einzelnen  Falle 
erreicht  werden  kann,  ist  zur  Zeit  noch  nicht  gelöst. 

Daraus  geht  doch  ganz  deutlich  das  nur  ungern  allgegebene 
Geständniss  hervor,  welch  grosse  Verdienste  sich  Urbantschitsch 

durch  die  Anregung  dieser  Frage  erworben  hat. 

* 

II.  Für  die  Entzündung  der  Rachenschleimhaut,  durch  die  so¬ 
genannte  Erkältung  hervorgerufen,  wird  als  ursächliches  Moment 
das  daselbst  reichlich  vorhandene  drüsige  Gewebe  angegeben. 

Die  Angina  follicularis  und  lacunaris,  die  Pilzerkrankungen 
der  Rachenhöhle,  die  Aphten,  der  peritonsilläre  und  retropharyngeale 
Abscess,  die  bei  frischen  Ansteckungskrankheiten  wie  Masern, 
Rötheln,  Scharlach,  Pocken,  Unterleibstyphus,  Flecktyphus,  Rotz 
und  Milzbrand  sich  darbietenden  Entzündungserscheinungen  der 
Rachenhöhle  werden  auslührlichst  nach  diagnostischer  und  thera¬ 
peutischer  Hinsicht  behandelt. 

* 

III.  Die  in  den  bisherigen  Arbeiten,  bei  denen  die  Miss¬ 
bildungen  der  Kiefer  und  besonders  die  Form  und  Ursache  dieser 
Abnormitäten  behandelt  wurden,  niedergelegten  Befunde  stehen  im 
Widerspruche  mit  den  Resultaten,  welche  Autor  auf  Grund  eigener 
Beobachtungen  gewonnen  hat.  Eine  reiche  Casuistik,  äusserst  an¬ 
schauliche  Abbildungen,  ausführlichste  Literaturangaben  finden  sich 
in  diesem  sehr  interessanten  Buche.  Nicht  allgemeiner  Zustimmung 
dürfte  sich  folgende  Ansicht  des  Verfassers  erfreuen. 

Als  Ursache  der  Gaumenverbildung  die  adenoiden  Vegetationen, 
respective  die  Folgezustände  dieser  Wucherungen,  nämlich  die 
Mundathmung,  hinzustellen,  lässt  er  nicht  zu.  Nicht  die  adenoiden 
Wucherungen  seien  primär  die  Ursache  der  Mundathmung  und 
dadurch  der  Gaumenmissbildung,  sondern  in  Folge  der  Gaumen¬ 
verbildung  sind  die  adenoiden  Wucherungen  secundär  an  der 
Mundathmung  schuld,  in  allererster  Reihe  aber  sei  die  Gaumen¬ 
bildung  die  Ursache,  nicht  die  Folge  dieses  Symptomes.  Denn 
durch  einen  hohen  Gaumen  werde  die  Nasenhöhle,  durch  einen 
langen  der  Nasen-Rachenraum  eingeengt;  daher  haben  Individuen 
mit  abnormem  Hochstand  des  Gaumens  einen  kleinen  Nasenrachen 
und  eine  niedrige  Nasenhöhle,  so  dass  schon  geringe  pathologische 
Veränderungen  in  diesen  Räumen  der  Athmung  hinderlich  seien. 

* 

IV.  Bevor  Bloch  auf  das  Ergebniss  der  Entwicklung  der 
modernen  '  Otologie  eingeht,  gedenkt  er  der  mannigfaltigen  Unter¬ 
stützungen,  deren  sich  diese  Wissenschaft  seitens  anderer  medicini- 
sehen  Fächer  zu  erfreuen  hatte.  In  erster  Reihe  der  beiden  grund¬ 
legenden  Gebiete  der  gesummten  Medicin,  der  Anatomie  und  der 
Physiologie,  deren  grösste  Meister  Eustachi o,  Fallopius, 
Glaser,  Meckel,  C  o  r  t  i,  Johannes  Müller  und  II  e  1  m- 
holtz  waren.  Die  pathologisch-anatomische  Grundlage  bauten 
Joseph  Toynbee,  Anton  v.  Tröltsch  und  Wendt  auf. 
Aber  alle  bereits  errungenen  und  noch  in  Aussicht  stehenden  Er¬ 
gebnisse  auf  den  mehr  theoretischen  Gebieten  dieses  Faches  treten 
völlig  in  den  Schatten  vor  den  praktischen  Erfolgen  in  der  Be¬ 
handlung  der  Ohrenkrankheiten.  Einen  guten  Theil  derselben  ver¬ 
dankt  die  moderne  Otiatrie  dem  gewaltigen  Aufschwünge,  welchen 
die  Chirurgie  genommen  hat.  Chronische  Ohreiterungen  mit  ihren 
zerstörenden  Wirkungen  auf  die  schallleitenden  Theile  und  auf  das 
Schläfebein  selbst  mit  ihren  fatalen  Folgen  für  die  wichtigen  Gebilde 
in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Krankheitsherdes,  Zustände,  welche 
man  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten  einfach  ihrem  Schicksal  über¬ 
lassen  musste,  werden  jetzt  mit  grosser  Sicherheit  und  endgiltig 

durch  operative  Eingriffe  beseitigt. 

* 

V.  Ein  ganz  vortreffliches  Werk,  das  seinen  Stoff  lexikalisch 
geordnet  in  zahlreichen  Einzelabhandlungen  bringt,  das  so  die  Vor¬ 
theile  eines  Nachschlagehuches  bietet,  in  dem  jedes  Thema  leicht 
zu  finden  ist  und  ohne  Beziehungen  zu  Früherem  oder  Späterem  ge¬ 
lesen  werden  kann.  Allerdings  werden  die  Vortheile  dieses  zu  be¬ 
gutachtenden  Werkes  gerade  für  den  praktischen  Arzt  insbesondere 
hervorgehoben.  Doch  füllt  einen  grossen  Theil  dieses  Huches  die 
Besprechung  der  makroskopischen  und  mikroskopischen  Anatomie 
des  Ohres,  die  vergleichende  Anatomie  (nach  den  1  hierclassen  und 
Organen  geordnet),  die  Entwicklung,  endlich  die  Geschichte  dei 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  31 


Ohrenheilkunde  aus,  Themen,  die  doch  alle  mehr  den  Specialisten 
interessiren;  daher  hätten  meiner  Ansicht  nach  auch  die  Literatur¬ 
angaben  verzeichnet  werden  sollen,  wie  dies  ja  bei  allen 
Encyklopädien  geschieht,  damit  dieses  Buch  als  wirkliches  Nach¬ 
schlagewerk  zu  Studienzwecken  diene.  Ist  doch  der  Umfang  von 
4f)2  Seiten  für  ein  encyklopädisches  Werk  kein  allzu  grosser.  Be¬ 
sonders  zu  loben  ist  die  vorzügliche  Ausstattung,  sowie  das  hand¬ 
liche  Format.  Arthur  Singer. 


I.  Zahnheilkunde. 

Ein  kurzes  Lehrbuch  für  S  tu  di  rend  e  und  Aerzte. 

Von  Jul.  Parreidt,  praktischer  Zahnarzt  in  Leipzig. 

Dritte  Auflage.  Mit  80  Abbildungen. 

Leipzig  1900,  Johann  Ambrosius  Barth. 

II.  Cursus  der  Zahnheilkunde. 

Ein  H  i  1  f  s  b  u  c  h  für  Studirende  und  Zahnärzte. 

Von  Dr.  med.  Konrad  Colin.  Zahnarzt  in  Berlin. 

Zweite  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  Mit  97  Abbildungen  im  Text. 

Berlin  1 900,  Ko  r  n  f  e  1  d . 

I.  Der  Autor  hatte  bei  Abfassung  des  Buches  vorzugsweise  das 
Bedürfniss  des  praktischen  Arztes  im  Auge,  ohne  darüber  desjenigen 
des  Studirenden  der  Zahnheilkunde  zu  vergessen.  In  der  That  ent¬ 
hält  das  Werkchen,  wenn  auch  in  gedrängter  Kürze,  die  Ergebnisse 
der  neuesten  Forschungen  über  die  Zahngewebe,  wie  deren  Ent- 
wicklung.  Die  Krankheiten  der  Zahngewebe,  der  Kieferknochen,  der 
Mundschleimhaut  u.  s.  w.  sind  alle  eingehend  behandelt.  Im  Ab¬ 
schnitte  über  das  Füllen  der  Zähne  fällt  der  Mangel  an  Illustra¬ 
tionen  auf,  namentlich  im  Hinblicke  auf  die  Verwendung  des 
Buches  durch  den  praktischen  Arzt. 

Die  Zahnextraction  ist  erschöpfend  behandelt.  Stiefmütterlich 
bedacht  ist  die  Prothese ;  doch  ist  dies  dem  Autor  zu  verzeihen, 
hat  er  doch  selbst  eines  der  besten  Werke  über  Zahntechnik 
geschrieben. 

Format,  Ausstattung  und  Druck  verdienen  Lob. 

* 

II.  Das  Buch  enthält  die  Nachschreibungen  der  Vorlesungen  jener 
Fächer  der  Medicin,  welche  der  Studirende  an  einer  zahnärztlichen 
Schule  des  Deutschen  Reiches  hören  und  über  'welche  er  Prüfung 
ablegen  muss.  Um  zum  »Zahnarzt«  promovirt  zu  werden,  braucht 
man  heute  im  Deutschen  Reiche  nicht  Mediciner  zu  sein,  ja  auch 
nicht  einmal  die  Maturitätsprüfung  bestanden  zu  haben.  Gut  besuchte 
»Repetitionseurse«,  welche  der  Verfasser  für  Candidateu  der  Zahn¬ 
heilkunde  hielt,  veranlassten  ihn  zur  Herausgabe  der  schriftlichen 
Ausarbeitung  des  Curses  in  Buchform. 

Die  Prüfungscandidaten  mögen  dem  Herausgeber  dankbar 
sein,  die  Fachwissenschaft  hat  er  nicht  bereichert.  Metnitz. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

2(30.  Drei  Fälle  von  tödtlich  er  parenchyma¬ 
töser  Magenblutung.  Von  Dr.  Rei  chard  (Berlin).  Im 
ersten  Falle  war  die  Blutung  sechs  Tage  nach  einer  Gallenblasen¬ 
operation  aufgetreten,  in  den  beiden  anderen  Fällen  waren  die 
Blutungen  hei  der  26-,  beziehungsweise  34jährigen  Frau  die  Ur¬ 
sache  zur  Ueberführung  ins  Spital  geworden.  In  keinem  dieser 
Fälle  konnte  die  Section  eine  Ursache  für  die  Blutungen 
aufdecken.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  20.) 

* 

261.  Geschwür  am  Boden  der  Nasenhöhle  durch 
periostilisch  erkrankten  Zahn  hervorgerufen.  Von 
Dr.  B  ruba eher  (München).  Das  durch  zwei  Jahre  bestandene 
Geschwür  heilte  nach  Lxtraction  des  periostitisch  erkrankten  ersten 
Schneidezahnes,  dessen  V  urzel  sehr  lang  war.  Eine  Sonde  konnte 
nachher  durch  die  Alveole  in  die  Nasenhöhle  geführt  werden.  — 
(Deutsche  Monatsschrift  für  Zahnheilkunde.  1900,  Heft  4.) 

* 

262.  lieber  traumatische  Muskelverknöcherung. 
Von  Dr.  Rammstedt  (Halle).  In  Folge  eines  Traumas,  welches 
den  Vastus  internus  betroffen  hatte,  war  es  zur  Bildung  eines 
Tumors  gekommen,  aus  dem  sich  allmälig  eine  Cyste  mit  voll¬ 
ständig  knöcherner  Wand  gebildet  hatte,  deren  Hohlraum  mit  einer 
zarten  Membran  ausgekleidet  war  und  etwa  100  cm3  einer  roth- 


gelben  Flüssigkeit  enthielt.  Die  genauere  Untersuchung  ergab,  dass 
die  zu  der  mit  dem  Femur  verwachsenen  Cyste  ziehenden  Muskeln 
allmälig  Bindegewebe  Platz  machten,  das  gegen  die  Neubildung  zu 
immer  zellreicher  wurde,  ja  in  einen  Saum  von  Osteoblasten  um 
die  knöcherne  Cystenwand  herum  überging.  Verfasser  meint  daher, 
dass  es  sich  hier  nicht  um  das  Product  einer  Entzündung,  sondern 
um  ein  wirkliches  Osteom  gehandelt  habe,  dessen  Entstehung  so 
zu  erklären  wäre,  dass  der  Bluterguss  zur  Bildung  von  Bindegewebe 
und  im  Weiteren  zur  Knochenneubildung  geführt  habe.  —  (Archiv 
für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LXf,  Heft  1.) 

* 

263.  (Niederrheinische  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde.) 
Ausscheidung  von  Salolconcrementen  durch  die 
Fäces.  Von  Dr.  Leo.  Ein  Patient  mit  Enteritis,  bei  dem  auch 
die  Möglichkeit  von  Pankreassteinen  nicht  ausgeschlossen  ist,  be¬ 
kam  mehrmals  täglich  1  g  Salol  verordnet.  Nach  einigen  Wochen 
gingen  mit  den  Fäces  Concremenle  ab,  die  als  Salol  erkannt 
wurden.  Dass  das  Salol  Concremente  bildet,  beruht,  zum  Theil 
wenigstens,  gewiss  auf  dessen  niederen  Schmelzpunkt.  Derselbe  liegt 
bei  43°,  doch  sintert  es  schon  bei  37 — 38°  zusammen  und  haftet 
an  den  Gefässen.  Von  besonderem  Interesse  ist  aber  Folgendes:  Salol 
soll  sich  im  Darm  unter  Einwirkung  des  Pankreassaftes  und 
der  Darmmikroben  in  Salicylsäure  und  Phenol  spalten.  Entweder 
ist  demnach  die  zersetzbare  Salolmenge  eine  begrenzte,  oder  es 
hat  sich  im  vorliegenden  Falle  doch  um  eine  Pankreaserkrankung 
mit  zeitweiligem  Abschlüsse  des  Pankreassecretes  gegen  den  Darm 
gehandelt.  Bei  der  grossen  Schwierigkeit,  welche  die  Diagnose  der 
Pankreaserkrankungen  häufig  bereitet,  wäre  eine  Entscheidung  in 
dieser  Frage  von  Wichtigkeit.  —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  21.) 

* 

264.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Ebstein  in 
Göttingen.)  Ein  Fall  von  Rotz.  Von  Dr.  Zaudy.  Der  innerhalb 
einiger  Wochen  tödtlich  verlaufene  Fall  zeichnet  sich,  abgesehen  durch 
seinen  anfangs  ganz  atypischen  Verlauf,  dadurch  aus,  dass  die  Ein¬ 
gangspforte  für  die  Infection  in  keiner  Weise  festzustellen  war, 
und  dass  erst  die  an  der  Klinik  gestellte  Diagnose  auf  das  Be¬ 
stehen  von  Rotz  unter  den  Pferden  eines  Gutes  aufmerksam  machte. 
—  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  21.) 

* 

265.  Die  Gastroenterostomosis,  Gastrost  o- 
mosis  und  ihre  Verbindung  zur  Gastroenterosto¬ 
mosis  externa.  Von  Prof.  Witzei  und  Dr.  Hofmann 
(Bonn).  Der  in  die  vordere  Magenwand  nach  ausgeführter  Witzel¬ 
scher  Gastrostomie  eingenähte  Schlauch  verläuft  quer  durch  den 
Magen,  passirt  die  an  dessen  Hinterwand  angelegte  Anastomose  und 
endigt  im  abführenden  Jejunumschenkel.  Eine  in  den  Schlauch 
gegossene  Flüssigkeit  gelangt  mit  Umgehung  des  Magens  und  Duo¬ 
denums  gleich  ins  Jejunum.  Diese  Methode  ermöglicht  1.  den  ab¬ 
führenden  Schenkel  sofort  nach  Schluss  der  Wunde  aufzublähen, 
beziehungsweise  anzufüllen,  und  so  die  Weiterbeförderung  der  Galle 
und  des  Pankreassaftes  zu  sichern;  2.  dass  der  Mageninhalt  nicht 
nur  anfangs  dem  Schlauche  entlang,  sondern  auch  später  auf  dem 
durch  äussere  Verwachsungen  in  günstiger  Richtung  fixirten  Wege 
in  den  abführenden  Schenkel  gelangt;  3.  dass  sofort  eine  reichliche 
Ernährung  stattfinden  kann.  - —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  19—21.) 

* 

266.  Experimentelle  Beiträge  zur  Therapie 
des  Tetanus.  Von  Primarius  Dr.  v.  Török  (Wien).  Die  zahl¬ 
reichen  Versuche  waren  an  Mäusen,  Meerschweinchen  und  be¬ 
sonders  an  Kaninchen  ausgeführt  worden.  Die  dabei  gewonnenen 
Erfahrungen  haben  Verfasser  zu  folgenden  Schlüssen  geführt:  Die 
Serumtherapie  ist  im  Stande,  einen  Tetanus  günstig  zu  beeinflussen; 
bei  präventiver  und  gleichzeitiger  Anwendung  genügen  schon  ver- 
hältnissmässig  kleine  Dosen  von  Antitoxin  um  die  Thiere  am 
Leben  zu  erhalten  oder  den  Ausbruch  der  Krankheit  zu  verhüten. 
Auch  schwerer  Tetanus  kann  durch  die  Serumtherapie  noch  ge¬ 
rettet  werden,  wenn  das  Antitoxin  frühzeitig  und  in  genügend 
grossen  Gaben  injicirl  wird.  Ueberhaupt  hat  die  Applicationsweise 
des  Serums  die  allergrösste  Bedeutung.  Subcut  a  ne  Injectionen 
haben  in  genügend  grossen  Dosen  zumeist  nur  bei  präventiver  Be- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Handlung  einen  Erfolg;  günstiger  wirken  schon  die  intravenösen, 
noch  mehr  die  sub  duralen,  beziehungsweise  spinalen.  Die 
grösste  Wirksamkeit  entfalten  jedoch  die  cerebralen  Injectionen, 
die  freilich  wie  die  subduralen  ein  steriles  Serum  voraussetzen. 
Specifisch  schädliche  Nebenwirkungen  wurden  bei  dieser  Therapie 
nicht  beobachtet.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  ferner,  dass  das 
Serum  ein  hochwerthiges  sei.  Bei  rascher  Vergiftung  des  Körpers 
mit  grossen  Toxinmengen  ist  jede  Serumtherapie  machtlos.  Eine 
locale  Behandlung  der  Infectionsstelle  ist  immer  dringend  geboten. 
Das  Serum  ist  nicht  im  Stande,  die  durch  das  Gift  gesetzten  Ver¬ 
änderungen  in  den  Ganglienzellen  der  motorischen  Kerne  wieder 
rückgängig  zu  machen.  Bleiben  die  Thiere  am  Leben,  so  dauern 
die  Contracturen  noch  durch  Wochen  und  Monate  an.  —  (Zeit¬ 
schrift  für  Heilkunde.  1900,  Heft  3.) 

* 

267.  Zwei  Fälle  von  syphilitischen  Primär¬ 
aff  e  c  t  e  n  mit  abnormem  Sitz,  beziehungsweise 
Verlauf.  Von  Prof.  Köbner  (Berlin).  An  der  Stelle,  an  welcher 
vor  zwei  Monaten  am  Oberschenkel  eines  27jährigen  Manneseine 
Furunkel  bestanden  hatte,  welche  incidirt  worden  war,  hatte  sich 
eine  Affection  entwickelt,  welche  von  Köbner  als  syphilitischer 
Primäraffect,  von  einem  anderen  Syphilidologen  jedoch  als  nicht 
specifisch,  von  einem  hervorragenden  Chirurgen  als  scrophulöser 
Natur  angesehen  wurde.  Dementsprechend  wurde  auch  der  bevor¬ 
stehenden  Verehelichung  des  Mannes  kein  Hinderniss  in  den  Weg 
gelegt.  Ausschlaggebend  für  die  Zurückweisung  der  Diagnose  auf 
Syphilis  war  besonders  der  Umstand,  dass  eine  gleichzeitig  am 
rechten  Scheitelbein  vorhandene  Beule  wegen  der  Kürze  der  Zeit 
gegen  eine  syphilitische  Periostitis  zu  sprechen  schien.  Dieser  Fall, 
welcher  sich  nachträglich  ganz  entschieden  als  eine  luetische  Affec¬ 
tion  erwiesen  hatte,  ist  also  durch  den  sehr  seltenen  Sitz  des 
Primäraffectes  am  Oberschenkel  —  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
durch  eine  Infection  mit  der  incidirenden  Lancette  hervorgerufen 
—  ferner  dadurch  von  besonderem  Interesse,  dass  am  Ende  des 
zweiten  Monates  bei  noch  vorhandenem  Primäraffecte  schon 
ein  »tertiäres«  Symptom,  die  Periostitis,  aufgetreten  war,  während 
der  Ausbruch  des  Syphilides  nicht  früher  als  zwischen  Mitte  und 
Ende  des  vierten  Monates  erfolgte.  Patient  hatte  sich  ein  Jahr  nach 
der  Infection,  Ende  März,  verheiratet.  Am  21.  December  Geburt 
eines  »gesunden«  Jungen,  welcher  nach  einigen  Wochen,  während 
er  von  der  Mutter  gesäugt  wurde,  gleich  dieser  manifeste  Syphilis¬ 
symptome  darbot,  kachektisch  wurde  und  Anfangs  März  starb.  — 
Der  zweite  veröffentlichte  Fall  betrifft  das  Eintreten  einer  consti¬ 
tutioneilen  Syphilis  nach  zwei  nicht  indurirten  Primär¬ 
geschwüren.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  14.) 

* 

268.  PlastischeDeckungvonTrachealdefecten. 

Von  Dr.  Aue  (Petersburg).  Dieselbe  war  im  vorliegenden  Falle, 
der  einen  über  fünf  Trachealringe  sich  erstreckenden  Defect  betroffen 
hatte,  mit  gutem  Erfolge  durch  einen  vom  Sternum  genommenen 
Hautknochenlappen  ausgeführt  worden.  —  (Archiv  für  klinische 
Chirurgie.  Bd.  LXI,  Heft  1.)  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  Bittner  zum  Arzte  an  der  Nathaniel  Freih. 
v.  Rothschild’scben  Stiftung  für  invalide  k.  u.  k.  Officiere  in  Reichenau. 
—  Dr.  Richard  Steen  zum  a.  o.  Professor  in  Breslau. 

# 

Habilitirt:  Dr.  W  e  n  d  e  1  für  Chirurgie  in  Marburg. 

* 

Am  21.  Juli  1900  fand  unter  dem  Vorsitze  Sr.  Excellenz  des 
Herrn  Ministerpräsidenten  als  Leiter  des  Ministeriums  des 
Innern  die  constituirende  Sitzung  des  Obersten 
Sanitäts  rat  lies  für  das  kommende  Triennium  statt.  Der  Herr 
Ministerpräsident  sprach  den  neuerlich  berufenen  Mitgliedern  des 
Obersten  Sanitätsrathes  für  ihre  bisherige  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete 
des  öffentlichen  Sanitätswesens  den  Dank  und  die  Anerkennung  aus 
und  fügte  die  Versicherung  bei,  dass  er  jederzeit  bestrebt  sein  werde, 
den  wertlivolien  Anregungen  dieses  Fachrathes  die  praktische  Durch¬ 
führung  zu  sichern.  Bei  der  hierauf  vorgenommenen  Wahl  des  Piä- 
sidiums  wurde  Hofrath  Prof.  Dr.  August  R.  Vogl  v.  Fern¬ 
heim  als  Vorsitzender  und  Hofrath  Prof.  Dr.  Ernst  Ludwig  als 


Vorsitzender-Stellvertreter  einhellig  wiedergewählt.  Nachdem  der  neu¬ 
gewählte  Vorsitzende  Sr.  Excellenz  dem  Herrn  Ministerpräsidenten 
namens  des  Obersten  Sanitätsrathes  für  dessen  persönliches  Erscheinen 
im  Obersten  Sanitätsrathe  und  die  denselben  ehrende  Begrüssung 
gedankt  hatte  wurden  nachstehende  Verhandlungs-Gegenstände  in  Be- 
rathung  gezogen:  Besetzungsvorschlag  für  eine  im  Status  der  landes¬ 
fürstlichen  Aerzte  in  Galizien  erledigte  Oberbezirksarztesstelle  (Referent: 
Sections-Chef  Dr.  R.  v.  Kusy);  Gutachten,  betreffend  die  Evidenz¬ 
haltung  und  sanitäts-statistische  Berichterstattung  über  Bresthafte  (Re¬ 
ferent:  Ministerialrath  D  a  i  m  e  r) ;  gutächtliche  Aeusserung  betreffend 
die  vom  Ministerium  für  Cultus  und  Unterricht  angeregte  Zulassung 
von  Frauen  zu  den  medicinischen  und  pharmaceutischen  Universitäts- 
Studien,  beziehungsweise  zum  ärztlichen  und  pharmaceutischen  Berufe 
(Referent:  v.  Kus^);  Gutachten  über  das  sanitäre  Erforderniss  der 
Regulirung  eines  Bachlaufes  in  Mähren  (Referent:  Prof.  M.  Gruber); 
gutächtliche  Aeusserung  über  in  Beschwerde  gezogene  Uebelstände 
der  Ableitung  von  Abwässern  einer  Zuckerfabrik  in  ein  öffentliches 
Gerinne  in  Mähren  (Referent:  Prof.  Kr  at  schm  er);  Gutachten  über 
die  Ableitung  der  Abwässer  eines  Kaolin-Werkes  und  einer  Dampf¬ 
schlemmerei  in  Böhmen  (Referent:  Ilofrath  Ludwig);  Gutachten 
über  Gesuche  um  Bewilligung  zur  Benützung,  beziehungsweise  Er¬ 
weiterung  je  einer  Gruft  in  Tirol  und  in  Niederösterreich  (Referent : 
Prof.  W  eichseibau  m).  Zum  Schlüsse  erstattete.  Obersanitätsrath 
Dr.  Dvof  a  k  Bericht  über  die  Ausstellungsobjecte  aus  Oesterreich  in 
der  Pariser  Weltausstellung  auf  dem  Gebiete  des  Sanitätswesens,  der 
Socialökonomie  und  Hygiene. 

* 

Instructionscurse  für  Amtsärzte.)  Das  k.  k.  Mini¬ 
sterium  des  Innern  hat  die  Einrichtung  von  Instructionscursen  für 
Amtsärzte  an  den  Wiener  medicinischen  Instituten  in  Aussicht  ge¬ 
nommen,  um  den  Amtsärzten  Gelegenheit  zu  bieten,  sich  mit  den  für 
die  Handhabung  des  öffentlichen  Sanitätsdienstes  wichtigen  Fortschritten 
der  Wissenschaft  vertraut  zu  machen,  in  den  neueren  Untersuchungs- 
Methoden  der  pathologischen  und  bacteriologischen  Diagnostik,  sowie 
der  Nahrungsmittel-Controle  einzuüben,  die  Hilfsmittel  der  Serotherapie 
und  die  Impftechnik  eingehend  kennen  zu  lernen,  endlich  für  die  Be- 
urtheilung  der  sanitätspolizeilichen  Anforderungen  bei  verschiedenen 
gewerblichen  Anlagen  unter  Anleitung  bewährter  Fachmänner  praktische 
Erfahrungen  zu  sammeln.  Der  erste  dieser  Curse,  in  der  Dauer  von 
sechs  Wochen,  wird  laut  eines  Erlasses  des  genannten  Ministeriums 
an  die  politischen  Landesbehörden  vom  19.  d.  M.  Mitte  October  d.  J. 
beginnen.  Für  denselben  ist  folgendes  Programm  in  Aussicht  ge¬ 
nommen:  1.  Vorträge  über  ausgewählte  Capitel  aus  der  Hygiene,  Des- 
infectionslehre,  praktische  Uebungen  im  hygienischen  Universitäts¬ 
institute,  Demonstrationen  und  Excursionen  zur  Besichtigung  hygienisch 
besonders  wichtiger  Anlagen  und  Etablissements;  2.  Lebensmittel- 
Coutrole,  Vorträge  und  Uebungen  in  der  k.  k.  Lebensmittel-Unter¬ 
suchungsstation;  3.  Epidemiologie,  Heilserumtherapie,  Vorträge, 
Demonstrationen  und  Uebungen  im  staatlichen  serotherapeutischen 
Institute;  Impfwesen,  Demonstration  der  Technik  der  Impfstoff  - 
gewinnung,  Aufbewahrung,  Uebungen  in  der  Impftechnik  in  der  staat¬ 
lichen  Impfstoffgewinnungs- Anstalt;  4.  Bacteriologie,  Uebungen  in  den 
Untersuchungs-Methoden  und  in  der  Technik  der  Herstellung  von 
Präparaten  mit  Rücksicht  auf  die  Infectionskrankheiten ;  5.  Vorträge 

über  Sanitäts-Organisation  und  Sanitäts-Gesetzkunde.  Ausserdem  werden 
die  Theilnehmer  der  Instructionscurse  zu  einzelnen  scientifischen  Ar¬ 
beiten  im  hierortlichen  Sanitäts-Departement  herangezogen  werden.  Zu 
dem  ersten  Curse  können  nur  höchstens  zwölf  auserhalb  Wien 
wohnende  Amtsärzte  zugelassen  werden,  welche  für  die  Dauer  des 
Curses  zu  beurlauben  und  durch  Amtsärzte  benachbarter  Bezirke  oder 
durch  eventuell  besonders  zuzuweisende  Sanitätsorgane  zu  vertreten 
sind.  Die  ausserhalb  Wien  wohnenden  Amtsärzte,  welche  zum  Besuche 
der  Curse  zugelassen  werden,  erhalten  ausser  den  ihrer  Rangclasse 
entsprechenden  normalmässigen  Gebühren  für  die  Reise  vom  Amtssitze 
nach  Wien  und  zurück  während  der  Dauer  ihres  hiesigen  Aufenthaltes 
ohne  Rücksicht  auf  ihre  Rangsclasse  je  einen  Subsistenzbeitrag  von 
10  K  täglich,  welcher  beim  Ministerial  Zahlamte  flüssig  gemacht  wird. 
Den  Städten  mit  eigenem  Statute  bleibt  es  anheimgestellt,  um  Zu¬ 
lassung  von  sanitären  Amtsorganen  zu  diesen  Cursen  anzusuchen,  denen 
nach  Massgabe  der  Verhältnisse  die  Theilnahme  auf  eigene  Kosten 
gestattet  werden  kann.  Die  Curstheilnehmer  haben  sich  nach  ihrem 
Eintreffen  in  Wien  im  Sanitätsdepartement  des  Ministeriums  des  Innern 
vorzustellen  und  dort  die  weiteren  Weisungen  entgegenzunehmen. 

* 

Um  die  Ergänzung  des  landwehrärztlichen  Officierscorps  in  ent¬ 
sprechender  Weise  zu  fördern,  werden  Doctoren  der  gesammten  Heil¬ 
kunde  und  Studirenden  der  Medicin,  welche  sich  zu  einer  mindestens 
sechsjährigen  Dienstleistung  als  Berufsärzte  im  Activstaude  der  k.  k. 
Landwehr  verpflichten,  nachstehende  Begünstigungen  seitens  des  Mini¬ 
steriums  für  Landesvertheidigung  zugesichert:  A.  Doctoren  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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gesanimten  Heilkunde,  welche  den  Bedingungen  des  §  2  der 
„Vorschrift  über  die  Ernennungen,  Beförderungen  etc.  im  k.  k.  landwehr¬ 
ärztlichen  Officierscorps“  (Verordnungsblatt  für  die  k.  k.  Landwehr 
Nr.  10  ex  1890)  entsprechen,  erhalten,  wenn  sie  durch  eine  specielle 
drei-  bis  sechsmonatliche  Erprobung  ihre  Eignung  zu  Berufsärzten  der 
k.  k.  Landwehr  nachgewiesen  haben,  nach  der  Uebernahme  in  den 
Activstand  einen  „Studienkostenersatz“  in  der  Höhe  von  0000  K,  und 
zwar  eine  Hälfte  dieses  Betrages  (erste  Rate)  bei  der  Ernennung  zum 
Oberarzt,  die  andere  Hälfte  (zweite  Rate)  bei  der  Beförderung  zum 
Regimentsarzt  II.  CI.  Bewerber  haben  ihre  gemäss  dem  §  2  der  oben 
citirten  Vorschrift,  ausserdem  mit  einem  legalisirten  Revers  nach  an¬ 
geschlossenem  Muster  und  mit.  den  Nachweisen  über  ihre  ärztliche  Ver¬ 
wendung  und  Ausbildung  nach  der  Promotion  instruirten  Gesuche  im 
Sinne  des  §  3  der  genannten  Vorschrift  an  das  Ministerium  für  Landes- 
vertheidigung  zu  leiten.  Die  zur  Erprobung  einberufenen  Aspiranten 
erhalten  während  der  Probedienstleistung,  wenn  sie  eine  Officierscharge 
bekleiden,  die  chargemässigen,  sonst  die  im  20  der  Gebührenvor¬ 
schrift  für  das  k.  und  k.  Heer,  I.  Theil,  festgesetzten  Gebühren. 
Ji.  Studirende  der  Medicin,  welche  dem  Land  wehr  ver¬ 
band  angehören,  erhalten  zur  Beendigung  ihrer  Studien  Stipendien 
in  der  Höhe  von  jährlichen  1 000  K  —  in  monatlichen  Raten  von  84  K, 
beziehungsweise  während  der  Ferienmonate  August  und  September  von 
80  A"  - —  dann  die  zur  Bestreitung  der  Rigorosen-  und  Promotionstaxen 
erforderlichen  Mittel,  endlich,  wenn  sie  nach  Erlangen  des  Grades  eines 
Doctors  der  gesummten  Heilkunde  durch  eine  sechsmonatliche  Erpro¬ 
bung  als  Assistenzarzt-Stellvertreter  —  mit  den  im  §  20  der  Gebiihren- 
vorschrift  für  das  k.  und  k.  Heer,  I.  Theil,  festgesetzten  Gebühren 
—  ihre  Eignung  zu  Berufsärzten  der  k.  k.  Landwehr  nachgewiesen 
haben,  nach  der  Uebernahme  in  den  Activstand  noch  den  nach  Abzug 
der  bezogenen  Stipendien,  Rigorosen-  und  Promotionstaxen  auf  G000  A' 
fehlenden  Betrag  zu  den  unter  A  angeführten  Zeitpunkten.  Bewerber 
haben  die  mit  dem  Tauf  (Geburts-)Schein,  Heimatsschein,  Landwehr¬ 
pass,  dem  Nachweis  des  ledigen  Standes,  des  tadellosen  Vorlebens  und 
der  zurückgelegten  Studien  und  abgelegten  Prüfungen  instruirten,  an 
das  Ministerium  für  Landesvertheidigung  gerichteten  Gesuche  beim 
Decanate  der  medicinischen  Facultät  der  betreffenden  Universität  ein¬ 
zureichen. 

* 

Programm  der  Hauptversammlungen  des  Con¬ 
gresses  in  Paris.  Die  erste  allgemeine  Versammlung  findet  den 
2.  August  im  Festsaale  der  Ausstellung  unter  dem  Vorsitze  dos  Präsi¬ 
denten  der  Republik  statt.  Nach  den  üblichen  Begrüssungsansprachen 
folgt  der  wissenschaftliche  Theil  mit  einem  Vortrage  Virchow’s: 
Ueber  Trauma  und  Infection,  und  v.  Pa  w  low’s:  Die  experimentelle 
Therapie,  eine  empfehlenswerthe  Methode  für  die  physiologische 
Forschung.  Die  zweite  allgemeine  Versammlung  bringt  die  Vorträge 
von  Prof.  Bacelli:  Ueber  die  Tetanusbehandlung  mit  subcutanea 
Carbolinjectionen ;  Sanderson:  Einige  pathologische  Probleme  von 
heute;  Jacobi:  Die  Medicin  in  den  Vereinigten  Staaten;  Albert: 
Ueber  den  Bau  menschlicher  und  thierischer  Knochen.  Bei  der  dritten 
allgemeinen  Versammlung  am  9.  August,  welche  wie  die  zweite  im 
Amphitheater  der  grossen  Sorbonne  abgehalten  wird,  findet  die  Zuer¬ 
kennung  des  1897  von  der  Stadt  Moskau  gestifteten  Preises  und  die 
Bekanntgabe  des  nächsten  Congressortes  statt. 


Freie  Stellen. 

Salinenarztesstelle  II.  Kategorie  bei  der  k.  k.  Salinen¬ 
verwaltung  in  Kaczyka,  Bukowina.  Mit  dieser  Stelle  ist  die  Ver¬ 
pflichtung  zur  Ausübung  des  ärztlichen  Dienstes  in  dem  die  Ortschaften 
Kaczyka,  Ober-Pertestie  und  Unter-Pertestie  sammt  Attinenz  Bukowetz  um¬ 
fassenden  Curbeziike  der  k.  k.  Salinenverwaltung  in  Kaczyka  unter  Beob¬ 
achtung  der  hiefür  vom  k.  k.  Finanzministerium  erlassenen  Instruction 
verbunden.  Diese  Instruction,  sowie  die  sonstigen  Bestimmungen  über  die 
Ausübung  des  ärztlichen  Dienstes  bei  den  k.  k.  Salinenverwaltungen 
können  bei  diesen  letzteren,  sowie  auch  bei  der  k.  k.  Finanz-Landesdirection 
in  Lemberg  und  bei  dem  k.  k.  Finanzministerium  in  Wien  eingesehen 
werden.  Mit  der  Stelle  eines  Salinenarztes  zweiter  Kategorie  ist  der  An¬ 
spruch  auf  ein  Jahreshonorar  im  Ausmasse  des  Gehaltes  eines  Civil- 
staatsbeamten  der  X.  Rangsclasse,  einschliesslich  der  Quadriennien  und 
Dienstalters-Personalzulagen,  jedoch  ohne  die  den  Civilstaatsbeamten  zu¬ 
stehende  Activitätszulage  verbunden.  Ausser  dem  vorbezeichneten  Honorar 
bezieht  der  Salinenarzt  II.  Kategorie  bei  der  k.  k.  Salinenverwaltung  in 
Kaczyka  das  Brennmateriale  um  den  ermässigten  Preis  und  ein  Salzdeputat 
nach  den  für  die  Salinenbeamten  der  entsprechenden  Rangsclasse  geltenden 
Bestimmungen.  Endlich  wird  ihm  eine  Naturalwohnung  unentgeltlich  über¬ 
lassen.  Hinsichtlich  der  Versorgungsgenüsse  werden  die  Salinenärzte  und 
deren  Familien  nach  dem  Gesetze  vom  14.  Mai  1896,  R.  G.  Bl.  Nr.  74, 
gleich  den  Civilstaatsbeamten  auf  Grund  ihrer  staatlichen  Bezüge, 
beziehungsweise  der  gesetzlich  normirten  Ausmasse  gegen  die  Verpflichtung 
zur  Zahlung  des  im  §  15  dieses  Gesetzes  normirten  Jahresbeitrages  von 
3%  des  jährlichen  Honorars  behandelt.  Für  den  Fall,  als  das  Vertrags- 
verhältniss  ohne  Verschulden  des  Salinenarztes  von  Seite  des  Staates  gelöst 
werden  und  dem  Arzte  ein  Anspruch  auf  eine  Ruhegebühr  noch  nicht  zu¬ 


kommen  sollte,  wird  ihm  die  Zurückstellung  der  eingezahlten  3°/0igen  Jahres¬ 
beiträge  ohne  Ersatz  der  Zinsen  zugesichert.  Das  Vertragsverhältniss,  auf 
welchem  die  Bestellung  eines  Salinenarztes  durch  den  Staat  erfolgt,  ist  von 
beiden  Theilen  mit  dreimonatlicher  Frist  kündbar.  Bewerber  um  die  aus¬ 
geschriebene  Stelle,  welche  Doctoren  der  Medicin,  Chirurgie  und  Geburts¬ 
hilfe,  beziehungsweise  Doctoren  der  gesammteu  Heilkunde  sein  müssen, 
haben  ihre  vorschriftsmässig  gestempelten  und  belegten  Gesuche  bis  läng¬ 
stens  10.  August  1900  bei  der  k.  k.  Finanz-Landesdirection  in  Lemberg 
zu  überreichen.  Diesem  Gesuche  muss  insbesondere  angeschlossen  sein: 
1.  die  Altersnachweisung;  2.  der  Nachweis  über  den  erlangten  Doctorgrad; 
3.  über  die  Staatsangehörigkeit  und  4.  über  das  untadelhafte  staatsbür¬ 
gerliche  Verhalten;  5.  ein  amtsärztliches  Zeugniss  über  die  physische 
Eignung;  6.  ein  Nachweis  der  bisher  zurückgelegten  ärztlichen  Thätigkeit 
und  7.  Nachweis  der  Kenntniss  der  Landessprachen.  In  dem  Gesuche  haben 
die  Bewerber  auch  anzugeben,  ob  sie  in  der  Lage  sind,  nach  Verständigung 
über  die  erfolgte  Verleihung  der  Salinenarztesstella  ihren  Dienst  sofort 
anzutreten  oder  binnen  welcher  Frist  dies  zuversichtlich  geschehen  kann. 
Bewerber,  welche  eine  besondere  Ausbildung  in  der  operativen  Chirurgie 
und  Geburtshilfe  nachzuweisen  im  Stande  sind,  erhalten  den  Vorzug  vor 
anderen. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Hankö  V..  Die  Bäder  und  Mineralwässer  der  siebenbürgischen  Landestheile 
Ungarns.  Erdelyi  Kärpät-Egyesülfet.  Preis  M.  4.  — . 

Baumgarten,  Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie  und 
Bacteriologie.  Bd.  III,  Heft  1.  Harald  Bruhn,  Braunschweig  1899. 
Preis  M.  8.  — . 

Goldschmidt,  Zur  Geschichte  der  Prophylaxe.  Seitz  &  Schauer,  München. 
42  S. 

Greve,  Die  Prophylaxe  der  Zahn-  und  Mundkrankheiten.  Ibidem.  26  S. 
Jonas,  Heilbarkeit  der  Kurzsichtigkeit  und  ihre  Behandlung.  Seyffartb, 
Liegnitz.  Preis  M.  — '50. 

Jessner,  Compendium  der  Hautkrankheiten,  einschliesslich  der  Syphilide 
und  einer  kurzen  Kosmetik.  2.  Airflage.  Thomas  &  Oppermannn, 
Königsberg  i.  Pr.  Preis  M.  6.  — . 

Liebreich.  Encyklopädie  der  Therapie.  Bd.  III.  Hirschwald,  Berlin. 
Delpeuch,  La  goutte  et  le  rheumatisme.  Carre  &  Naud,  Paris.  678  S. 
Hirtll,  Ideen  zu  einer  Enquete  über  die  Unersetzlichkeit  der  Mutterbrust. 
G.  Hirtb,  München.  64  S. 

Ponfick.  Verhandlungen  der  Deutschen  pathologischen  Gesellschaft.  Zweite 
Tagung.  Reimer,  Berlin.  Preis  M.  15. — . 

Jessner,  Pathologie  und  Therapie  des  Hautjuckens.  2.  Theil.  Stüber, 
Würzburg.  Preis  M.  1. — . 

Strauch.  Das  Myom  in  der  Fortpflanzungsperiode.  (Sammlung  klinischer 
Vorträge.)  Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig.  Preis  M.  0.75. 

Gottschalk,  Zur  Aetiologie  der  Uterusorgane.  Ibidem.  Preis  M.  0.75. 
Vulpins,  Ueber  den  Werth  des  Stützcorsettes.  Preis  M.  0.75. 

Schwalbe,  Beiträge  zur  Malariafrage.  Salle,  Berlin.  Heft  2.  Preis 
M.  1.—. 

Schemata  zum  Einschreiben  von  Befunden  für  Untersuchungen  am  mensch¬ 
lichen  Körper.  Heft  2  und  3.  Schemata  für  die  Unfallversicherung. 
Laupp,  Tübingen.  Preis  M.  0.40  und  0.30. 

Abt,  Ueber  Extremitätenfracturen  inter  partum.  Inaugural  Dissertation. 
Kreis,  Basel. 

Massini,  Pharmakopoea  Policlinices  Basiliensis.  Schwabe,  Basel.  Preis 
M.  3.20. 

Ilaegler,  Händereinigung  —  Desinfection  und  Händeschutz.  Ibidem. 
210  S. 

Marchand,  Ueber  die  natürlichen  Schutzmittel  des  Organismus.  Barth, 
Leipzig.  Preis  M.  1. — . 

Schott,  Die  Ileilfactoren  Bad  Nauheims.  Bergmann,  Wiesbaden.  58  S. 
Elschnig,  Pathologische  Anatomie  des  Sehnerveneintrittes.  19.  Heft  der 
ärztlichen  Unterrichtstafeln  von  Prof.  Magnus.  Kern,  Breslau. 
Preis  M.  8.— 

Magnus,  Die  Anatomie  des  Auges  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung. 
Ibidem.  Heft  20.  Preis  M.  8. — . 

Eder,  Jahrbuch  für  Photographie  und  Reproductionstechnik  (1900). 

14.  Jahrgang.  Knapp,  Halle  a.  S.  Preis  M.  8. — . 

Albrecht  und  Glion,  Die  Beulenpe.st  in  Bombay.  2.  Theil  des  Berichtes: 
Bacteriologische  Untersuchungen  über  den  Peslbacillus.  Hof-  und 
Staatsdruckerei  Wien. 

Boyce  und  Sherrington,  The  Thompson  Yates  Laboratories  Report.  Bd.  II. 
University  Press  of  Liverpool. 

Lessner,  Encyclopädie  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  Vogel, 
Leipzig.  Preis  M.  30. — . 

Feldegg,  Beiträge  zur  Philosophie  des  Gefühls.  Barth,  Leipzig.  Preis 

M.  2.50. 

Giessler,  Die  Gemüthsbewegungen  und  ihre  Beherrschung.  Ibidem. 
Preis  M.  1.20. 

Pfister,  Entmündigung  internirter  Geisteskranker.  Marhold,  Halle  a.  S. 
20  S. 

Fischer.  Ueber  Frauenleiden.  Deren  Heilung  unter  Verwendung  der 
Salzungersoole.  Ibidem.  Preis  M.  2.  — . 

Schenk.  Die  Hydrotherapie  des  Darmtractes  mittelst  Elektrolyse.  Ibidem. 
Preis  M.  1. — . 

Schütze,  Die  Verhütung  der  Tuberculose  unter  den  Kindern.  Ibidem.  Preis 
M.  1.—. 

Wedekind,  Junge  oder  Mädchen?  Wedekind,  Berlin.  Preis  M.  0.50. 


Nr.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


721 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Verein  der  Aerzte  in  Steiermark.  Monatsversammlung  am  5.  und 
12.  März  1900. 

Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
12.  Juni  1900. 


Oesterreichische  otologisclie  Gesellschaft.  Sitzung  vom  26.  März  1900. 

Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  u.  k.  Militärärzte  der  Garnison 
Wien.  Sitzung  vom  10.  und  24.  Februar,  3.  und  17.  März  1900. 


Verein  der  Aerzte  in  Steiermark. 

III.  Monatsversammlung  am  5.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Escherich. 

Schriftführer:  Dr,  Willi.  Scholz. 

Dr.  A.  W  i  1 1  e  k  demonstrirt  einen  durch  Calo  t’sches  Redres¬ 
sement  geheilten  Fall  spondylitischer  Lähmung.  Es  handelt  sich  um 
ein  73/„  Jahre  altes  Mädchen,  welches  im  Sommer  1897  über  Schmerzen 
in  den  seitlichen  Thoraxpartien  zu  klagen  beginnt  und  seither  jede 
raschere  Bewegung  vermeidet.  Bei  einer  schnellen  Umdrehung  im  Bette 
(October  desselben  Jahres)  schreit  die  Patientin  plötzlich  laut  auf, 
klagt  über  heftige  stechende  Schmerzen  im  Rücken  und  die  Mutter 
findet  bei  genauerer  Untersuchung  einen  spitzwinkeligen  Vorsprung  im 
Brusttheile  der  Wirbelsäule.  Das  Kind  konnte  sich  auch  aus  der 
Rückenlage  nicht  mehr  allein  aufsetzen.  Weiterhin  besserte  sich  der 
Zustand  wieder  etwas  bis  im  Februar  1898  neuerdings  heftige  Schmerzen 
auftraten.  Die  Patientin  tritt  in  ärztliche  Behandlung  und  eihält  ein 
Gypsmieder,  welches  jedoch  von  der  Muttei  wegen  anhaltender  Schmerzen 
nach  sechs  Wochen  wieder  entfernt  wird.  Im  Juli  treten  leichte 
Lähmungserscheinungen  im  linken  Beine  auf,  im  December  sind  bereits 
beide  Beine  gelähmt  und  Incontinentia  urinae  et  alvi  tritt  ein. 

Die  Wirbelsäule  des  stark  abgemagerten,  anämischen  Kindes 
zeigt  im  Bereiche  des  siebenten  bis  zehnten  Brustwirbels  einen  spitz¬ 
winkeligen  Gibbus  und  erscheint  gleichzeitig  skoliotisch  nach  links 
verschoben.  Beide  Beine  sind  vollkommen  gelähmt  beide  Füsse  in 
Peroneusstellung,  die  Patellarreflexe  gesteigert,  beiderseits  Fussklonus 
und  sehr  lebhafte  Plantarrefltxe.  Zeitweilig,  insbesondere  bei  Berührung 
Spasmen  in  beiden  Beinen.  Blase  und  Mastdarm  sind  insufficient.  Im 
weiteren  Verlaufe  treten  noch  stärkere  Sensibilitätsstörungen  auf.  Am 
15.  April  1898  wurde  auf  der  chirurgischen  Klinik  in  mässiger  Ex¬ 
tension  ein  C  a  1  o  t’scher  Mumienverband  angelegt.  Bereits  am  17.  d.  M. 
tritt  etwas  Beweglichkeit  der  Zehen  ein,  die  Urinentleerung  wird 
wieder  beherrscht. 

In  wenigen  Tagen  verliert  sich  auch  die  Incontinentia  alvi  und 
am  26.  Juni  wurde  unter  stetig  fortschreitender  Besserung  das  Gehen 
mit  Unterstützung  möglich.  Nach  dreimaligen  Verbandwechsel  zeigt 
sich  bis  November  1899  bedeutender  Fortschritt  im  Gehvermögen. 
Hierauf  erhält  die  Kleine  ein  Ledermieder  mit  elastischer  Kopfstütze 
nach  Hessing. 

In  demselben  fühlt  sich  die  Patientin  wohl,  und  geht  grosse 
Strecken  ohne  Ermüdung.  Der  Gibbus  ist  kleiner  geworden,  aber 
nicht  völlig  verschwunden.  Im  Anschlüsse  an  diese  Demonstration  erläutert 
der  Vortragende  das  Calot’sche  Verfahren. 

Dr.  Stolz  bespricht  einen  Fall  geheilter  Uterusruptur 
und  stellt  die  Patientin  vor.  Dieselbe  ist  28  Jahre  alt,  IV-para  und 
wurde  am  2.  Februar  1900,  6  Uhr  Abends  mit  dem  Rettungswagen 
ins  Gebä-rhaus  bebracht.  .Sie  war  seit  18  Stunden  gebärend,  die 
Wehentbätigkeit  Anfangs  gut.  Wegen  angeblich  verstrichenem  Mutter¬ 
mund  sprengte  eine  Hebamme  um  8  Uhr  Früh  die  Blase,  doch  machte 
die  Geburt  keine  Fortschritte. 

Die  Kranke  war  unruhig  und  klagte  über  Schmerzen  im  Unter¬ 
bauche.  Temperatur  38'2°,  Puls  84,  Harn  eiweisshaltig.  Uterus  gleieh- 
mässig  contrahirt,  der  Fundus  zwei  Querfinger  unter  dem  Proc.  xiph. 
Das  untere  Uterussegment  gedehnt,  B  a  n  d  l’sche  Furche  nicht  sicht¬ 
bar,  die  Lig.  rot.  nicht  zu  tasten.  Fötale  Herztöne  normal.  Orificium 
ext.  verstrichen,  der  Schädel  in  erster  Gesichtslage  am  Beckenboden. 
Mau  constatirt  ein  Palatum  fissum  und  Missbildungen  an  den  Ohren. 
Beim  Anlegen  des  Forceps  lief  etwas  wässerige  Flüssigkeit  aus  der 
Scheide.  Die  Zange  wurde  daraufhin  wieder  abgenommen  und  eine 
Untersuchung  ausgeführt.  Neben  dem  Hinterhaupte  lag  ein  PJacentar- 
lappen,  auf  dem  eingeführten  Finger  sah  man  gehirnähnliche  Massen. 
Beim  Versuche  der  Perforation  verschwand  der  Schädel  spurlos  im 
Abdomen.  Links  vorne  wurde  ein  Gebärmutterriss  constatirt. 

Es  wurde  sofort  die  Laparotomie  gemacht,  das  Kind  entwickelt 
und  der  Uterus  zugleich  entfernt.  An  seiner  vorderen  Fläche  verlief 
ein  13  cm  langer  Riss  im  unteren  Uterinsegment.  Drainage  der  para- 
metranen  Wundfläche  mittelst  zwei  durch  die  Vagina  herausgeleiteter 
Jodoformgazestreifen,  über  denen  das  Peritoneum  der  Plica  vesico-uterina 


durch  drei  Situationsnähte  an  das  Peritoneum  der  Plica  Douglasi  ge¬ 
lagert  wurde.  Hierauf  Infusion  von  Kochsalzlösung  zur  Hebung  der 
Ilerzthätigkeit.  Trotz  gutem  Allgemeinbefinden  leichtes  Erbrechen,  am 
dritten  Tage  sogar  Kothbreehen.  Magenspülung.  Durch  vier  Tage 
Fieber  in  Folge  eines  Infiltrates  in  der  rechten  Fossa  iliaca.  Dieses 
verkleinerte  sich  spontan.  Von  da  an  glatte  Convalescenz.  Am 
25.  Tage  post  op.  wurde  die  Frau  entlassen.  Anschliessend  bespricht 
der  Vortragende  die  Ursache,  den  Mechanismus,  den  Ausgang,  die 
Prognose  und  die  Therapie  der  Uterusruptur. 

Prof.  Dr.  v.  Rosthorn  erwähnt  in  der  Discussion  eines 
früher  beobachteten  Falles  von  Uterusruptur,  in  welchem  das  bekannte 
Symptomenbild  der  Ruptur  völlig  fehlte,  und  kritisirt  die  conservative 
und  radicale  Behandlung  der  completen  und  incompleten  Uterus¬ 
ruptur. 

Prof.  Dr.  Kraus  berichtet  über  den  gegenwärtigen  Stand  der 
Lehre  von  der  Splanchnoptose.  Er  skizzirt  kurz  das  bekannte 
Symptomenbild  und  stellte  eine  directe  Abhängigkeit  der  nervösen  Be¬ 
schwerden  von  der  Enteroptose  in  Abrede.  Es  gibt  auch  eine  „nervöse“ 
Dyspepsie  ohne  Prolaps  der  Baucheingeweide.  Die  Chlorose  ist  keine 
„enteroptosische  Krise“.  Auf  Grund  der  Symptomatologie  werden  zwei 
Gruppen  von  Splanchnoptose  aufgestellt,  ein  Typus  mit  Hängebauch 
und  ein  zweiter  mit  straffer  Bauchwand,  welcher  mit  einer  gewissen 
Wuchsform  des  Gesammtkörpers  verknüpft  erscheint.  Gegenwärtig 
handelt  es  sich  um  eine  Analyse  der  Symptome  aus  den  speciellen 
Gesichtspunkten  des  normalen  intraabdominellen  Gleichgewichtes.  Die 
Splanchnoptose  ist  im  Wesentlichen  eine  Lageverändei  ung  möglichst 
vieler  Baucheingeweide.  Ein  Emporrücken  derselben  ist  seltener  als 
eine  Ptosc. 

Speciell  erörtert  wild  das  Verhältniss  zwischen  Ilineinseukung 
und  Tiefstellung  des  Magens.  Die  Erhaltung  der  Baucheingeweide  in 
ihrer  Lage  wurde  früher  einfach  den  Bändern  des  Bauchfelles  zuge¬ 
schrieben. 

Ein  Fixationsvermögen  ist  nicht  zu  bezweifeln,  doch  ist  Glenard 
im  Schematismen  zu  w7eit  gegangen,  wenn  er  die  Enteroptose  einfach 
als  Prolaps  des  Darmcanals  in  Folge  Erschlaffung  des  stützenden 
Bauchfelles  ansieht  und  die  Darmsenkung  erst  secundär  auf  Magen, 
Nieren  etc.  übergehen  lässt.  Experimentell-anatomisch  wurde  nach¬ 
gewiesen,  dass  die  Lage  der  Eingeweide  gestört  wird,  wenn  die  Bauch¬ 
höhle  eröffnet  oder  die  Bauchwand  bei  intact  bleibendem  Peritoneum 
verschmächtigt  wird.  Der  obere  Meniscus  eines  z.  B.  ins  Rectum  ein¬ 
geführten,  mit  Wasser  gefüllten  Manometers  stellt  sich  bei  den  ver¬ 
schiedensten  Körperstellungen  in  annähernd  gleiche  Höhe  mit  dem 
jeweilig  höchsten  Punkt  der  Bauchhöhle.  Dieses  Verhalten  beweist, 
dass  die  Eingeweide  von  den  unterliegenden  Organen  (Bauchwand) 
gestützt  werden.  Die  Bänder  spielen  nur  eine  geringfügige  Rolle  als 
Träger.  Die  Berücksichtigung  des  im  Abdomen  herrschenden  Druckes 
hat  die  Lehre  von  der  Splanchnoptose  weiter  nicht  wesentlich  ge¬ 
fördert.  Der  Ilermetismus  der  Bauchhöhle  führt  am  leichtesten  zu 
einen  Verständniss  der  beiden  Haupttypen  der  Splanchnoptose.  Der 
Inhalt  des  Peritonealsackes  stellt  ein  nicht  dissociirbares  Ganzes  dar 
und  bildet  eine  Art  elastischer  Pelotte  für  die  Nieren;  dabei  ist  die 
Bauchwand  die  Bandage.  Nimmt  die  Füllung  der  Pelotte  zu,  erschlafft 
die  Bandage.  Lässt  hingegen  zuerst  die  Bandage  Dach,  vermag  nicht 
immer  gleich  gut  die  Pelotte  zu  compensiren.  Auch  bei  straffer 
Bandage  ist  ein  Herabhebeln  der  Niere  durch  den  Druck  einer  ent¬ 
sprechend  geformten  Leber  im  engen  oberen  Bauchhöhlenraume  von 
vorneherein  ganz  gut  möglich.  Die  Aenderung  der  Straffheit  der 
Bauchwand  ist  auf  die  Lage  der  Nieren  von  grösserem  Einfluss  als 
auf  die  Lage  der  einzelnen  Eingeweide  des  Bauchfellsackes.  Die  Lage 
der  Nieren  ist  also  ein  Index  des  intraabdominellen  Gleichgewichtes. 
Es  sind  passive  oder  anatomische  und  active  oder  physiologische  Fac- 
toien  der  Fixation  der  Baucheingeweide  am  normalen  Orte  anzunehmen. 
Die  anatomischen  Ursachen  einer  abnormen  Eingeweidebeweglichkeit 
sind  congenital  constitutionelle  Anomalien  oder  Insuff ieienzen  localer 
Apparate.  Die  höchste  Bedeutung  für  die  Befestigung  der  Baueh- 
organe  hat  die  Bauchpresse,  sie  hält  den  Inhalt  der  Abdominalhöhle 
zusammen  durch  ihre  Widerstandskraft  und  ihr  Contractionsvermögen. 
Ihre  Schwächung  stellt  das  wesentliche  ursächliche  Moment  der  zahl- 


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Nr.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


reichsten  Splanchnoptosegruppe  dar.  Der  \  erlust  der  Elasticität  und 
Contractilität  der  Bauchmusculatur  ist  etwas  Erworbenes  und  wird  bei 
beliebiger  Wuchsform  des  Gesammtkörpers  hervorgerufen  durch 
allgemeine  Ernährungsstörungen,  insbesondere  durch  wiederholte 
Steigerung  des  Bauchumfanges  (am  häufigsten  bei  Multipara),  sowie 
durch  schwere  körperliche  Anstrengungen.  Demgegenüber  bilden  die 
an  eine  bestimmte  anatomische  Constitution  geknüpften  Fälle  von 
Splanchnoptose  mit  gut  entwickelten,  beziehungsweise  straffer  Bauch¬ 
musculatur  entschieden  eine  Minorität.  Das  Stille  r  sehe  Zeichen,  die 
Costa  fluctuans  decima,  rechnet  der  Vortragende  nicht  zu  den  ein¬ 
schlägigen,  constitutionellen  Merkmalen. 

Die  wesentlichen  Eigenthümlichkeiten  der  erwähnten  M  uchs¬ 
form  sind:  Gradier  Körperbau,  enger  Thorax  mit  schmaler  Apertura 
inferior,  zarte  Haut,  dürftiger  Panniculus,  schmächtige  Muskelbäuche 
mit  geringem  Tonus,  Neigung  zur  Anämie.  Der  Vortragende  bespricht 
hier  besonders  den  Körpertypus  von  Lennhoff  und  die  von 
W  o  1  k  o  w  und  D  e  1  i  t  z  i  n  untersuchte  abweichende  Beschaffenheit 
der  hinteren  Bauchwand  an  deren  Vorderfläche,  sowie  in  Hinsicht  des 
Lendenprofiles.  Grösseres  Gewicht  muss  auf  die  von  Hertz  genauer 
studirte  Leberform  gelegt  werden.  Nach  dem  Vortragenden  ist  nicht 
so  sehr  der  Schnürdruck,  als  vielmehr  das  Ausbleiben  des  Wachsthums 
der  unteren  Thoraxhälfte  im  frontalen  Durchmesser  die  Ursache  der 
von  Hertz  sogenannten  „kurzen,  emporgepressten  Leber“.  Die 
Plasticität  einer  grossen,  ausgiebig  wachsenden  Leber  im  relativ  zu 
kleinen  oberen  Bauchhöhlenraume  ist  das  Bedingende  dieser  Leber¬ 
form,  von  welchen  Hertz  gezeigt  hat,  dass  durch  sie  die  rechte 
Niere  aus  der  paravertebralen  Nische  herausgehebelt  und  nach  abwärts 
dislocirt  wird.  Die  Folge  ist  nicht  blos  Nephroptose,  sondern  Prolaps 
aller  (vieler)  Eingeweide  des  oberen  Bauchhöhlenraumes.  Trotz  der 
Einwände  von  Wolkow  und  Delitzin  hält  also  der  Vortragende 
für  die  wesentliche  Ursache  der  Splanchnoptose  bei  schlankem  Körper 
oder  straffer  Bauchpresse  den  sogenannten  engen  Thorax.  Eine  zu  hohe 
Umgiirtung  vermag  natürlich  auch  für  sich  die  Niere  nach  abwärts 
zu  verschieben.  Der  Einfluss  des  Corsetts  ist  aber  immer  stark  über¬ 
schätzt  wurden.  Zum  engen  Thorax  kann  sich  natürlich  ein  Hänge¬ 
bauch  hinzugesellen. 

* 

IV.  Monatsversammlung,  am  12.  März  1900. 

Prof.  Dr.  v.  Iiosthorn  zeigt  ein  Kind  mit  doppeltem 
Cephalhämatom.  Ueber  den  Scheitelbeinen  sind  hohe  Prominenzen, 
entsprechend  der  Pfeilnaht  eine  tiefe  Einsenkung.  Es  handelt  sich  um 
eine  subperiostale  Blutansammlung,  welche  sich  genau  auf  das  Scheitel¬ 
bein  beschränkt.  Das  Kind  wurde  in  erster  Schädellage  geboren.  Die 
spontane  Geburt  dauerte  bei  der  Erstgebärenden  kaum  20  Minuten. 
Post  partum  zeigte  der  Kindesschädel  keine  Veränderung,  erst  am 
zweiten  Tage  wurde  die  Blutgeschwulst  entdeckt,  welche  langsam 
aber  stetig  wuchs.  Das  Kind  (3820  g)  verlor  Anfangs  an  Gewicht,  erst 
nach  einer  Woche,  bei  künstlicher  Ernährung,  begann  es  zuzunehmen. 

Am  zehnten  Tage  konnte  ein  Gleichbleiben  des  Hämatoms  con- 
statirt  werden.  Doppelseitige  Cephalhämatome  sind  wiederholt  beob¬ 
achtet  worden,  immerhin  aber  eine  Seltenheit.  Als  Ursache  bezeichnet 
der  Vortragende,  entsprechend  der  Anschauung  von  Fritsch,  ein 
Zerroissen  kleiner,  periostaler  Gefässe  in  Folge  extremer  Verschiebung 
zwischen  Schädeldach  und  Kopfschwarte.  Weiterhin  demonstrirt  Pro¬ 
fessor  v.  Rosthorn  den  Durchschnitt  eines  solchen  Hämatoms. 
Nach  ausgeführter  Formalinhärtung  wurde  ein  Frontalschnitt  durch 
den  Schädel  gelegt.  Es  fand  sich  hier  auch  eine  innere  Blutung,  der 
das  Kind  erlegen  war.  Die  Grosshirnhemisphäre  der  beschädigten  Seite 
ist  schwer  geschädigt,  von  einem  Ventrikel  nichts  mehr  zu  sehen  und  statt 
einerConvexität  der  Gehirnoberfläche  zeigt  sich  eine  Concavität.  Die  Aus¬ 
dehnung  der  inneren  Blutung  entspricht  nicht  der  äusseren.  Der  Fall 
war  auch  im  Leben  durch  Dr.  Zinger  le  untersucht  worden.  Es 
fanden  sich  Symptome  einer  bestehenden  intracraniellen  Drucksteigerung 
(Koma,  tonische  Muskelstarre  mit  zeitweisen  klonischen  Krämpfen,  ge¬ 
steigerte  Reflexerregbarkeit),  Compression  der  venösen  Sinus  (Oedem 
der  Lider  links)  mit  consecutiven  Störungen  in  den  Abflusswegen  des 
Liquor  cerebrospinalis  (Hydrocephalus  internus,  Spannung  der  grossen 
Fontanelle,  Fehlen  der  pulsatorischen  Hirnbewegung  daselbst)  und 
Facialiscontractur,  Abducensparese  und  Pupillenstarre  links.  Ueber  den 
Geburtsfall  ist  wenig  zu  berichten:  Erstlingsgeburt;  Geburtsdauer 
14  Stunden;  normale  Entbindung  in  zweiter  Hinterhauptslage;  Becken 
normal.  Das  männliche  Kind  ist  3270  g  schwer  und  zeigt  eine  leichte 
Kopfgeschwulst  links.  Am  vierten  Tage  entstand  das  Cephalhämatom 
und  unter  Hirndruckerscheinungen  trat  am  18.  Tage  der  Tod  ein. 

Prof.  Dr.  Anton  macht  aufmerksam  auf  die  verschiedene  Lage 
des  inneren  und  äusseren  Cephalhämatoms.  Aehnliches  findet  sich 
auch  bei  Schädelverletzungen  Erwachsener.  Als  Todesursache  im  vor¬ 
liegenden  Falle  wäre  die  beträchtliche  Zunahme  des  Druckes  im 
Schädelinnern  heranzuziehen,  nicht  aber  die  Zerstörung  der  Grosshii  n- 
theile . 


Prof.  Dr.  Escherich  zeigt  einige  Gegenstände,  welche  für 
die  wissenschaftliche  Abtheilung  der  Pariser  Weltausstellung  be¬ 
stimmt  sind. 

Prof.  Dr.  E  p  p  i  n  g  e  r  demonstrirt  eine  angeborene  Lagerungs¬ 
anomalie  des  Darmcanales,  die  er  jüngst  bei  einem  sechsjährigen 
Knaben  gefunden  hatte.  Die  Anomalie  ist  eine  solche,  welche  man  als 
gemeinschaftliches  freies  Mesenterium  des  Dünn-  und  Dickdarmes  mit 
unvollendeter  Aufstellung  desselben  zu  bezeichnen  pflegt,  wobei  der 
Dünndarm  in  der  rechten,  der  Dickdarm  in  der  linken  Bauchhöhle 
gelagert  erscheint.  Die  Beschreibung  des  Präparates  und  die  Erläuterung 
des  Falles  durch  den  Vortragenden  lässt  sich  nicht  in  ein  kurzes 
Referat  zusammenfassen  und  erscheint  als  Originalarbeit. 

Hierauf  wird  die  Discussion  über  den  Vortrag  des  Prof.  K raus 
„Ueber  Splanchnoptose“  eröffnet. 

Prof.  Dr.  E  p  p  i  n  g  e  r  macht  kurze  Bemerkungen  über 
Enteroptose  vom  pathologisch-anatomischen  Standpunkte  aus. 

Prof.  Dr.  v.  Rosthorn  begründet  das  Interesse  der  Frauen¬ 
ärzte  an  der  Enteroptose  durch  die  auffallend  prävalirende  Häufigkeit 
derselben  bei  weiblichen  Individuen,  begrüsst  aber  als  grossen  Fort¬ 
schritt,  dass  die  Lageanomalien  der  Baucheingeweide  nicht  mehr  ein¬ 
seitig  von  Internisten,  Chirurgen  oder  Gynäkologen  beachtet,  sondern 
nunmehr  als  wohlgekanntes  Symptomenbild  zusammengefasst  werden. 
Den  Frauenärzten  war  anfangs  nur  der  Hängebauch  mit  den  durch 
ihn  bedingten  Beschwerden  geläufig;  erst  spät  wurden  die  Formen  bei 
virginellen  Individuen  mit  straffen  Bauchdecken  und  dislocirter  Niere 
bekannt.  Bei  der  Form  der  Splanchnoptose  mit  Erschlaffung  der 
vorderen  Bauehwand  findet  sich  auch  eine  durch  wiederholte  Ueber- 
debnung  herbeigeführte  Erschlaffung  des  Beckenbodens  und  die  ent¬ 
sprechende  Entwicklung  von  Hernien  der  Beckenorgane.  Die  Be¬ 
ziehungen  des  Vorkommens  der  reinen  Retroflexio  uteri  zur  Enteroptose 
sind  noch  nicht  genügend  controlirt.  Die  Retroflexio  ist  keineswegs 
eine  regelmässige  Begleiterscheinung  der  Wanderniere,  denn  Knapp 
fand  unter  100  Fällen  85mal  den  Uterus  in  anteflectirter  Stellung. 

Zum  Schlüsse  demonstrirt  noch  Dr.  Mahnert  eine  Frau  mit 
Splanchnoptose. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  12.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Obersteiner. 

Schriftführer:  Dr.  v.  Sölder. 

I.  Dr.  Zap  pert  berichtet  über  den  weiteren  Verlauf  des  in 
dev  vorigen  Sitzung  vorgestellten  Meningitisfalles  mit  initialer  Aphasie. 

Das  Kind  lebte  noch  17  Tage  und  bot  das  typische  Bild  der 
tuberculösen  Meningitis;  Anfangs  mit  cerebralen  Druckerseheinungen, 
dann  mit  Lähmungssymptomen  und  einem  langen  Agonalstadium.  Un¬ 
gefähr  eine  Woche  vor  dem  Tode  traten  gehäufte  Krämpfe  vorwiegend 
im  linkenFacialis  und  Arme  auf.  Die  rechtsseitige  Hemiparese 
wurde  gegen  Schluss  des  Lebens  undeutlicher,  die  Aphasie  blieb  im 
Wesentlichen  unverändert,  doch  gelangte  das  Kind  noch  in  den 
Besitz  einzelner  Worte  wie  „Ja“  und  „Mutter“.  Im  Ganzen  dauerte 
die  Krankheit  23  Tage.  Die  Obduction  ergab,  wie  intra  vitam  dia- 
gnosticirt  worden  war,  eine  subacute  tuberculöse  Meningitis  in  der 
Gegend  der  linken  S  y  1  v  i’schen  Furche,  mit  Tuberkelknötchen  bis 
Ilanfkorngrösse  auf  der  rrnteren  Stirnwindung,  ferner  ein  frischeres, 
charakteristisches  Exsudat  an  der  Basis  und  eine  allgemeine  Hyperämie 
der  Meningen  mit  Hirnödem  und  ganz  vereinzelten  kleinen  Knötchen 
auf  der  rechten  Grosshirnhemisphäre;  ausserdem  bestand  Lungen-, 
Bronchialdrüsen-,  Pleura-  und  Peritouealtuberculose.  Auffallend  sind  in 
dieser  Krankengeschichte  ausser  der  Aphasie  die  Krämpfe,  welche 
sich  im  Beginne  nur  auf  die  rechte,  gegen  Schluss  der  Krankheit  vor¬ 
wiegend  auf  die  linke  Seite  erstreckten. 

Vortragender  glaubt  auf  Grund  einer  früheren  ähnlichen  Beob¬ 
achtung,  diese  Erscheinung  so  deuten  zu  können,  dass  die  gegen 
Schluss  der  Basalmeningitis  auf  die  Convexität  übergreifende  Hyper¬ 
ämie,  respective  frische  Tuberkeleruption,  welche  als  Ursache  der  bei 
der  kindlichen  Meningitis  so  häufigen  terminalen  Convulsionen  ange¬ 
sehen  wird,  die  bereits  mit  älterem  Exsudat  überzogenen  Gehirn¬ 
partien  nicht  mehr  zu  schädigen  vermag,  so  dass  nur  die  bisher  ge¬ 
sunde  Hemisphäre  auf  den  gesetzten  Reiz  mit  halbseitigen  Convulsionen 
reagirt. 

II.  Dr.  Zap  pert  stellt  einen  zehnjährigen  Knaben  mit  einer 
Muskelatrophie  vor.  Bei  demselben  wurde  Mitte  December  1899,  an¬ 
geblich  nach  einer  acuten  Erkrankung,  eine  geringgradige  Gehstörung 
im  linken  Bein  beobachtet.  Zu  dieser  trat  im  Verlaufe  weniger 
Wochen  auch  eine  Schwäche  des  rechten  Fusses  hiezu  und  ausserdem 
konnte  vom  Vortragenden  eine  Parese  und  Atrophie  beider  Hände 
constatirt  werden,  von  deren  Existenz  der  Patient  nichts  gewusst  hatte. 
Die  Erscheinungen  sind  seither  langsam  progredient. 


Nr.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


723 


Der  sonst  gesunde,  kräftige  Knabe  bietet  derzeit  nur  eine  deut¬ 
liche,  mit  geringer  Atrophie  einhergehende  Parese  beider  Peroneal- 
muskelgruppen,  sowie  eine  recht  ausgesprochene  Abmagerung  und 
Functionsschwäche  des  Thenar,  Antithenar  und  der  Interossei  beider 
Hände  dar;  links  sind  die  Erscheinungen  deutlicher  als  rechts. 
Sensibilitätsstörungen  fehlen  vollkommen  (im  Beginne  sollen,  wie  Vor¬ 
tragender  später  erfährt,  Schmerzen  in  den  Beinen  vorhanden  ge¬ 
wesen  sein);  eine  Druckempfindlichkeit  der  Nervenstämme  existirt 
nicht.  Der  Patellarreflex  wurde  zuerst  links,  dann  rechts  schwächer, 
ist  jetzt  vorhanden,  aber  nicht  leicht  auslösbar.  Der  Achillessehnen¬ 
reflex  fehlt  beiderseits.  Die  elektrische  Untersuchung  ergab  normale 
Erregbarkeit  sämmtlicher  Muskeln,  auch  der  Peronei.  Zur  Hervor- 
rufung  von  Zuckungen  in  den  atrophischen  Handmuskeln  sind  ent¬ 
sprechend  stärkere  Ströme  noth  wendig.  Ebenso  sind  auch  die  Nerven 
normal  erregbar;  doch  bedarf  der  Nervus  ulnaris  und  namentlich  der 
Nervus  peroneus  einer  Stromstärke,  welche  gegenüber  der  gewöhnlich 
sehr  leichten  Erregbarkeit  dieser  Nerven  als  eine  erhöhte  bezeichnet 
werden  muss. 

Vortragender  kommt  nach  differentialdiagnostischen  Erwägungen 
zu  der  Annahme  einer  neuralen  Muskelatrophie  (Hoff¬ 
mann).  Dafür  spricht  die  charakteristische  Localisation  der  Krank¬ 
heit,  die  Reflexherabsetzung  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die 
elektrischen  Reizungsverhältnisse;  nicht  ganz  typisch  ist  das  Fehlen 
der  Familiarität  und  die  anscheinend  ungestörte  subjective  und  objective 
Sensibilität. 

III.  Dr.  E.  R  a  i  m  a  n  n  berichtet  aus  der  Klinik  Professor 
v.  Wagner’s  über  die  bisherigen  Erfahrungen  mit  He  do  nal. 

Um  zu  sehen,  ob  das  neue  Hypnoticum  so  weit  unschädlich  und 
ungefährlich  sei,  dass  eine  eventuell  unwirksame  kleine  Dosis  ohne 
Risico  gesteigert  werden  könne,  ging  Redner  zunächst  daran,  die 
Dosis  toxica,  respective  letalis  zu  bestimmen.  Er  stellte  zu  diesem  Be- 
hufe  eine  Reihe  von  Thierversuchen  an  und  verabfolgte  einer  Katze, 
zwei  Hunden,  einer  Serie  von  Kaninchen  steigende  Quantitäten  von 
Hedonal,  theils  per  os,  theils  subcutan;  dabei  wurden  die  Intoxications- 
erscheinungen  studirt  und  protokollarisch  verzeichnet.  Kurz  resumirend 
berichtet  der  Vortragende,  dass  bei  allen  Thieren  Schlaf  zu  erzwingen 
war,  der  mehr  oder  minder  tief  selbst  27  Stixnden  dauern  konnte.  In 
allen  Fällen  erfolgte  eine  Herabsetzung  der  Puls-  und  Athemfrequenz, 
sowie  ein  Absinken  der  Körpertemperatur.  War  die  Hedonalgabe 
letal  gewesen,  so  sank  die  Körpertemperatur  immer  tiefer  (bei  einem 
Kaninchen  im  Rectum  bis  28-7°  C.),  der  Puls  wurde  unfühlbar,  die 
Athemzüge  immer  langsamer,  flacher  und  hörten  endlich  ganz  auf.  In 
guter  Uebereinstimmung  erschien  bei  allen  drei  Thierspecies  die  Dosis 
letalis  als  ungefähr  l'O#  Hedonal  pro  1%  Thier.  Wenn  auch  diese 
Zahl  nicht  ohne  Weiteres  auf  den  Menschen  übertragen  werden  kann, 
so  war  doch  nachgewiesen,  dass  wTir  ein  ziemlich  ungefährliches  Prä¬ 
parat  vor  uns  haben. 

Nun  begannen  die  Versuche  am  Menschen,  und  zwar  mit  der 
von  Dreser  als  wirksam  angegebenen  Dosis  von  PO#.  Wir  ver¬ 
abreichten  dieselbe  entweder  in  Lösung  (PO#  Hedonal :  15  cm3  ab¬ 
soluten  Alkohol  -j-  35  cm3  Wasser)  und  Hessen  etwas  Wasser  nach¬ 
trinken,  oder  wir  gaben  das  Hedonal  als  Substanz  in  Oblaten.  Wir 
verfügen  nach  dreimonatlicher  Beobachtungsdauer  bis  heute  über 
87  Versuche  an  34  klinischen  Patienten,  ausschliesslich  psychisch 
Kranken;  und  zwar  wählten  wir  Vertreter  der  verschiedensten 
Psychosen.  Einer  gewissen  Beschränkung  unterliegt  die  Anwendung 
von  Hedonal  insofern,  als  bei  höchstgradigen  Aufregungszuständen 
dieses  Schlafmittel  ebenso  schwer  beizubringen  ist,  wie  etwa  Paral- 
dehyd  oder  Chloralhydrat.  Weiters  ist  es  unmöglich,  eine  Substanz, 
die  so  intensiv  riecht  und  schmeckt  wie  Hedonal,  inscio  aegroto  zu 
geben.  In  der  Regel  aber  begegnete  die  Aufnahme  des  Medicamentes 
keinen  Schwierigkeiten.  Die  Patienten  wurden  sowohl  bezüglich  der 
beabsichtigten  Hauptwirkung,  als  auch  aller  Nebenerscheinungen  fort¬ 
dauernd  ärztlich  controlirt,  speciell  wurde  das  Verhalten  des  Pulses-, 
der  Respiration,  des  Blutdruckes,  des  Harnes  festgestellt.  Bei  der 
noch  nicht  ausreichenden  Zahl  von  Beobachtungen  verzichtet  der  Vor¬ 
tragende  darauf,  die  Wirkungsweise  mit  Rücksicht  auf  die  verschie¬ 
denen  Krankheitsprocesse  zusammenzustellen;  er  will  nur  eine  vor¬ 
läufige  Uebersicht  geben.  Wenn  man  als  positiv  (-(-)  die  Fälle  rechnet, 
wo  der  grössere  Theil  der  Nacht,  eventuell  mit  kurzen  Unter¬ 
brechungen,  durchschlafen  wurde;  als  zweifelhaft  (?)  jene,  wo  der 
Schlaf  sehr  spät  eintrat,  kurz  dauerte,  wiederholt  unterbrochen  war ; 
als  negativ  ( — )  diejenigen,  wo  weniger  als  zwei  Stunden  durch¬ 
schlafen  wurden,  so  lässt  sich  folgende  Aufstellung  machen: 

PO#  Hedonal  in  weingeistiger  Lösung.  5  Versuche  bei 
5  Männern:  lmal  — ,  4mal  ?;  35  Versuche  bei  18  Weibern  :  2mal  — , 
11  mal  ?,  22mal  -j-. 

PO#  Hedonol  in  Substanz.  20  Versuche  an  9  Männern:  lmal  — , 
8mal  ?,  llmal  -j-;  16  Versuche  an  9  Weibern:  2mal  — ,  14mal  -j-. 

Schon  diese  Zahlen  mussten  den  Gedanken  nahelegen,  dass  die 
Dosis  von  PO#  Hedonal  für  männliche  Individuen  zu  klein  gewählt 


war  und  die  Darreichung  in  flüssiger  Form,  wahrscheinlich  zufolge 
überrascher  Resorption  keine  genügend  nachhaltige  Wirksamkeit 
sichere.  Auf  Grund  unserer  Thierversuche,  sowie  der  Ergebnisse  einer 
genauen  Controle  aller  Erscheinungen  bei  unseren  klinischen  Patienten 
glaubten  wir,  mit  der  Dosis  ohne  Risico  steigen  zu  dürfen. 

Wir  gaben  je  2-0#  Hedonal  in  11  Versuchen  an  7  Männern: 
lmal  — ,  3mal  ?,  7mal  -f-. 

Der  einzige  negative  und  zwei  der  zweifelhaften  Ausfälle  betreffen 
einen  an  hartnäckigster  Schlaflosigkeit  und  gleichzeitig  an  Kopfschmerzen 
leidenden  Paranoiker,  bei  dem  8-0  #  Paraldehyd  auch  nicht  selten  ver¬ 
sagen.  Am  bedeutendsten  wurde  durch  diese  Dosis  von  2#  in  einzelnen 
Fällen  die  Körpertemperatur  alterirt  (bis  35‘6°  C.  um  5  Uhr  Morgens 
in  der  Achselhöhle  gemessen).  Nach  kürzester  Zeit  war  diese  Störung 
indess  wieder  ausgeglichen  ;  irgendwelche  unangenehmen  Neben-  oder 
Nachwirkungen  wurden  in  keinem  Falle  beobachtet.  Wir  sind  nun 
daran,  die  Wirksamkeit  grösserer  Dosen  auszuprüfen;  die  Zahlen  der 
obigen  kleinen  Statistik  ermuntern  zu  einer  Fortsetzung  der  Versuche 
in  dieser  Richtung.  Ein  abschliessendes  Urtheil  über  die  Wirksamkeit 
des  Hedonal  abzugeben,  ist  vor  der  Hand  wohl  noch  unmöglich. 
Ebenso  können  wir  über  das  Verhalten  der  Patienten  gegen  länger 
fortgesetzten  Gebrauch  des  Mittels  keine  Angaben  machen. 

Anhangsweise  bespricht  der  Vortragende  ganz  allgemein,  wie 
schwierig  es  ist,  über  die  hypnotische  Wirksamkeit  eines  Medicamentes 
ins  Klare  zu  kommen.  Selbst  bei  den  unter  möglichst  gleichmässigen 
äusseren  Verhältnissen  lebenden  klinischen  Patienten  schwanken  Dauer 
und  Intensität  des  Schlafes  von  Nacht  zu  Nacht.  Hinwieder  tritt  spon¬ 
taner  Schlaf  ein  bei  einem  Kranken,  der  ein  anderes  Mal  auch  auf 
grosse  Dosen  eines  sonst  sicher  wirkenden  Mittels  nicht  schläft.  Ein 
zufälliger  Factor  fälscht  also  jede  Statistik.  Dieser  Factor  dürfte  aber 
durch  sehr  grosse  Beobachtungsreihen  und  immer  wiederholte  Ver¬ 
suche  zu  eliminiren  sein  Dass  Wärterrapporte  und  ebenso  die  Angaben 
aus  der  Umgebung  ambulanter  Kranker  unzuverlässig  sind,  muss 
gleichfalls  berücksichtigt  werden.  Ausserordentlich  wichtig  aber,  weil 
einseitig  die  Resultate  fälschend,  ist  die  Suggestivwirkung  eines 
neu  empfohlenen  Schlafmittels  bei  besonnenen  Kranken.  Jeder,  der 
einmal  Gelegenheit  hatte,  die  suggestiv-hypnotische  Wirkung  ganz 
indifferenter  Substanzen  bei  Neurosen  zu  beobachten,  wird  gerne  zu¬ 
geben,  dass  jede  solche  Statistik  zu  günstig  ausfallen  dürfte.  Um  die 
rein  chemisch-physikalische  Wirkung  eines  Schlafmittels  zu  beurtheilen, 
sind  Psychosen  wohl  das  einwandfreieste  Versuchsmaterial.  Sollte  sich 
das  Hedonal  hier  bewähren,  so  wird  es  bei  anderen  Fällen  von  Schlaf¬ 
losigkeit  gewiss  nicht  versagen. 

(Eine  ausführlichere  Mittheilung  wird  seinerzeit  erscheinen). 

Discussion:  Prof.  Obersteiner  hat  in  seiner  Anstalt 
Versuche  mit  Hedonal  gemacht,  ohne  zu  einem  abschliessenden 
Urtheile  gelangt  zu  sein;  Obersteiner  selbst,  der  an  neurastheni- 
scher  Schlaflosigkeit  leidet  und  mit  1 — 3#  Amylenliydrat  Schlaf 
erzielt,  schlief  auf  0-5#  Hedonal  nicht,  wohl  aber  auf  PO#. 

Dr.  Schüller  findet  Hedonal  bei  Neurasthenikern  indicirt ; 
weniger  als  PO#  wirke  nicht.  Die  Darreichung  in  Oblaten  sei  schon 
wegen  des  Geschmackes  die  allein  zweckmässige. 

IV.  Prof.  v.  Frankl-Hochwart  und  Dr.  Alfred 
Fröhlich:  Ueber  Tonus  und  Innervation  der 

Sphinkteren  des  Anus. 

Vortragende  sind  auf  Grund  ihrer  im  Institute  von  Ilofrath 
Zucker  kan  dl  gemachten  anatomischen  Untersuchungen  und  auf 
Grund  von  95  Vivisectionsversuchen  am  Hunde  im  Institute  von 
Prof.  v.  Basch  zu  folgenden  Resultaten  gekommen: 

Der  elastische  Verschluss  ist  wenigstens  für  flüssigen  Darm¬ 
inhalt  nicht  sufficient.  Wir  brauchen  zur  Aufrechterhaltung  der 
Continenz  einen  permanenten,  vom  Willen  unabhängigen,  vom  Nerven¬ 
system  aber  abhängigen  Muskelverschluss.  An  diesem  perma¬ 
nenten  Muskelverschluss  betheiligt  sich  nicht  nur  der  glatte  Sphincter 
internus,  sondern  auch  der  quergestreifte  externus,  welch  letzterer  sich 
in  seinen  Reactionen  merkwürdiger  Weise  den  glatten  Muskeln  nähert. 
Er  entartet  nicht  nach  Nervendurchschneidung,  seine  Zuckungseurve 
ist  ähnlich  wie  bei  den  glatten  Muskeln,  er  widersteht  auffallend 
lange  dem  Curare.  Wie  man  durch  Messungen  zeigen  kann,  gebührt 
ihm  !/3 — !/2  der  tonuserhaltenden  Kraft. 

Der  periphere  Nerv,  welcher  die  Constriction  erzeugt,  ist  beim 
Hunde  der  Erigens,  der  dilatirende  Nerv  ist  der  Hypo¬ 
gas  t  r  i  c  u  s.  Im  Rücken  marke  ist  eine  Vorrichtung  für  die 
Constriction  vorhanden,  indem  man  reflectorisch  von  der  Medulla 
leicht  Erhöhung  des  Tonus  erzielen  kann.  Wenn  man  die  Constrictions- 
fasern  resecirt  hat,  gelingt  es  auch,  reflectorisch  Dilatation  zu 
erzeugen.  Im  Erigens  und  Hypogastrieus  lassen  sich  durch  anatomische 
Untersuchungen,  sowie  durch  das  Experiment  auch  centripetale  Fasern 
von  genügender  Kraft  nachweisen.  Das  Rückenmark  ist  aber  nicht 
das  einzige  Tonuscent  rum;  selbst  wenn  es  total  zerstört  ist, 
gelingt  es  noch,  Constriction  und  Dilatation  zu  erzielen,  als  deren 
Centralapparat  wohl  das  Ganglion  mesentericum 


724 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  31 


i  n  f  e  r  i  u  s  anzusehen  ist;  dass  wir  aber  damit  noch  nicht  alle  Stationen 
erschöpft  haben,  geht  daraus  hervor,  dass  nach  Zerstörung  des 
R  ü  c  k  e  n  m  a  r  k  o  s,  des  Ganglion  mesentericum  i  n  f  e  r  i  u  s 
und  sämmtlicher  Rectalnerven  durch  Musearin  noch 
immer  Constriction  erzielt  wird,  die  durch  Atropin  wieder  aufge¬ 
hoben  wird. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Officielles  Protokoll  der  Sitzung  vom  26.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Politzer. 

Schriftführer:  Dr.  Hugo  Frey. 

Einlauf:  Die  Herren  Doctoren  Victor  Pick  (Wien)  und 
Rudolf  L  ö  w  y  (Mödling)  suchen  um  Aufnahme  als  ordentliche  Mit¬ 
glieder  nach. 

Dieselben  werden  einstimmig  aufgenommen. 

Demonstrationen: 

I.  Gomperz  berichtet  über  einen  gelungenen  Versuch,  durch 
Schleie  h’sche  Infiltration  Anästhesie  des  Trommelfells  zum  Zweck 
der  Ilammerexcision  herbeizuführen.  Die  Injection  wurde  circa  1  cm 
nach  aussen  von  der  Trommelfellperipherie  in  die  hintere  und  obere 
Gehörgangswand  gegen  den  die  Nerven  und  Gefässe  führenden  Cutis¬ 
abschnitt  hin  ausgeführt,  was  mit  unbedeutendem  Schmerz  verbunden 
war.  Nach  fünf  Minuten  wurden  die  Trommelfellschnitte,  die  Tenotomie 
und  Hammerextraction  mit.  der  Schlinge  vorgenommen,  wobei  eine  be¬ 
deutende,  wenn  auch  nicht  absolute  Unempfindlichkeit  sicher  constatirt 
werden  konnte.  Der  Vortragende  bittet  die  Herren  Collegen,  welche 
über  ein  grösseres  Material  verfügen,  in  geeigneten  Fällen  die  Methode 
nachzuprüfen,  da  dieselbe  berufen  sein  könnte,  die  Nothwendigkeit  der 
Narkose  bei  der  Excision  der  Gehörknöchelchen  bedeutend  einzu¬ 
schränken. 

Nach  Anlegung  des  Trommelfelllappens  könnte  durch  Auftupfen 
stärkerer  Cocainlösung  auf  die  Mucosa  die  Wirkung  vervollständigt 
werden. 

Gomperz  infiltrirte  mit  der  l%o'gen  Lösung  Nr.  II,  möchte 
aber  künftig  lieber  die  2°/00ige  Lösung  Nr.  I  verwenden. 

Zur  Ausführung  der  Infiltrationsanästhesie  bediente  er  sich  einer 
Canute,  welche  nach  seiner  Angabe  von  Reiner  (Wien)  gefertigt 
wurde.  Dieselbe  ist  auf  den  Spritzenconus  passend,  circa  1 1/%  mm  dick, 
7  cm  lang,  winkelig  abgebogen,  aus  Neusilber  und  trägt  am  Ende  die 
1  cm  lange,  sehr  dünne  Injectionsnadel  angelöthet.  Dieselbe  kann 
gerade  oder  leicht  nach  abwärts  gekrümmt  sein. 

Discussion:  Politzer  fragt,  ob  nicht  derselbe  Effect  auch 
durch  Einträufelung  von  Cocain  hätte  erzielt  werden  können. 

Gomperz  erwidert,  es  habe  sich  seiner  Meinung  nach  haupt¬ 
sächlich  um  die  Wirkung  der  Infiltration  gehandelt. 

II.  Hamm  er  schlag:  Fall  von  gleichzeitiger  Er¬ 
krankung  des  Acusticus,  Facialis  und  der  Augen¬ 
mus  k  e  1  n  e  r  v  e  n.  (Wird  an  anderem  Orte  ausführlicher  publicirt 
werden.) 

Hamraerscblag  stellt  eine  Patientin  aus  der  Klinik  Politzer 
vor.  Hei  derselben  besteht  seit  mehreren  Jahren  eine  chronische,  linksseitige 
Mittelobreiterung.  Im  Verlaufe  der  letzten  Monate  nun  hatte  sich  bei 
dieser  Patientin  eine  Parese  sämmtlicher  Facialisäste,  eine  Parese 
sowohl  im  sensiblen,  als  auch  motorischen  Trigeminusgebiet  und  eine, 
mit  Ausnahme  des  nur  paretischen  Trochlearis,  complete  äussere  und 
innere  Ophthalmoplegie  entwickelt.  Bei  der  Aufnahme  der  Patientin  auf 
die  Klinik  bestand  ausserdem  hohes  Fieber,  welches  indessen  auf  einen 
peritonsillären  Abscess  zurückzuführen  war.  Ein  Causalnexus  zwischen 
der  bestehenden  Mittelohreiterung  und  dem  allmälig  und  fieberlos 
auftretenden  Symptomencomplex  von  Seiten  der  Nerven  liess  sieb  mit 
Sicherheit  ausschliessen.  Als  Ursache  desselben  wurden  luetische  Ver¬ 
änderungen  an  den  Meningen  angenommen,  obzwar  die  Anamnese 
keinerlei  Anhaltspunkte  dafür  ergab.  Die  Patientin  ist  Mutter  von 
sieben  gesunden,  lebenden  Kindern.  (Seither  wurde  Patientin  mit  Ein¬ 
reibungen  von  Unguent,  colloid.  Crede  und  grossen  Gaben  Jodkali 
behandelt,  und  die  Erscheinungen  sind  theilweise  zurückgegangen,  und 
zwar  die  Facialislähmung  vollständig,  die  Trigeminuslähmung  bis  auf 
eine  minimale  Parese  ;  der  Augapfel  konnte  bei  der  Entlassung  aus  der 
Klinik  in  mässigem  Umfange  nach  allen  Richtungen  bewegt  werden, 
die  im  Beginn  hochgradig  erweiterte  und  starre  Pupille  reagirt  ziemlich 
deutlich  auf  Licht.) 

III.  Docent  Dr.  F.  A  1  t  demonstrirt  einen  53jälirigen  Mann 
mit  tuberculöser,  chronisch-eiteriger  Mittelohrentzündung  und  Labyrinth¬ 
nekrose  des  linken  Ohres.  Es  besteht  sehr  profuse,  jauchige  Otorrhoe, 
der  Gehörgang  ist  weit,  die  Promontorialwand  vollständig  zerstört, 
ebenso  ein  grosser  Theil  der  hinteren  oberen  knöchernen  Gehör¬ 
gangswand  mit  dem  Canalis  facialis,  so  dass  man  in  eine  ganz  unge¬ 
wöhnliche  Tiefe  sehen  und  das  nekrotisirte  innere  Ohr  mit  der  Sonde 
untersuchen  kann.  Auch  das  Jochbein  ist  von  dem  tuberculösen  Pro¬ 


cess  mitbegriffen,  und  ein  Abscess  über  demselben  machte  eine 
Incision  erforderlich.  Es  besteht  links  complete  Lähmung  des  Nervus 
facialis ;  der  Zustand  entwickelte  sich  ohne  stürmische  Reizerscbei- 
nungen  seitens  des  Labyrinths,  kein  Schwindel,  kein  Erbrechen,  und 
erträgt  der  Kranke  seinen  Zustand  relativ  gut.  Mit  Rücksicht  auf  die 
bestehende  Lungenphthise  wurde  von  einem  grösseren  operativen  Ein¬ 
griffe  abgesehen. 

IV.  Prof.  A.  Politzer  demonstrirt  das  anatomische  Präparat 
eines  Felsenbeines,  an  welchem  bei  annähernd  normaler  Weite  des 
Antrum  mastoideum  der  Aditus  ad  antrum  nur  für  eine  feine  Borste 
durchgängig  ist. 

Die  Versammlung  beschliesst,  wegen  der  bevorstehenden  Oster¬ 
feiertage  die  nächste  Sitzung  Ende  Mai  abzuhalten.  Im  Monat  Juni 
wird  anstatt  des  Otologentages  eine  Hauptversammlung  der  Gesellschaft 
stattfinden. 


Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  und  k.  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  am  10.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Kratsclimei*. 

Regimentsarzt  Dr.  Wiek  hält  den  angekündigten  Vortrag: 
Ueber  traumatische  Hysterie.  (Derselbe  erscheint  anderen 
Ortes  ausführlich.) 

Sodann  bespricht  Oberstabsarzt  Dr.  Kirchenberger  in 
längerer  Rede  an  der  Hand  ausführlicher  Tabellen  die  Morbid  i- 
tätsverliältnisse  bei  den  Truppen  der  europäischen 
Grossmächte  im  Jahre  1898.  (Der  Vortrag  erscheint  ebenfalls 
ausführlich.) 

* 

Sitzung  am  24.  Februar  1900. 

Vorsitzender:  Generalstabsarzt  Dr.  J.  Uriel. 

Oberarzt  Dr.  Doerr  demonstrirt  ein  primäres  Melano- 
sarkom  des  linken  Bulbus  mit  ausgedehnter  Metastasenbildung 
in  allen  Organen. 

Es  hatte  sieb  in  diesem  Falle  eine  secundäre  diffuse  Melano- 
sarkomatose  der  Leber  entwickelt,  durch  welche  das  Organ  kolossale 
Dimensionen  angenommen  batte.  Ferner  waren  zahlreiche  Metastasen 
im  Knochenmark  und  in  der  Corticalis  der  Röhrenknochen  vorhanden. 
Im  linken  Ureter  sass  eine  5  cm  lange,  gestielte  Metastase  in  Form 
eines  walzenförmigen,  den  Ureter  verschliessenden,  schwarzen  Polypen, 
die  eine  Hydronephrose  der  linken  Niere  nach  sich  zog. 

Ferner  demonstrirte  der  Vortragende  mehrere  Präpaiate  von 
Herzklappenerkrankungen.  Darunter  ein  durch  seine 
Grösse  auffallendes  Aneurysma  der  Bicuspidalklappe  und  einen 
Klappenfehler  der  Aorta,  der  functionell  ausgeheilt  war;  zwei  sonst 
zarte  Aortenklappen  waren  an  der  Commissur  verwachsen  und  die 
Verwachsung  secundär  eingerissen,  so  dass  nunmehr  ein  schlussfähiger, 
aus  zwei  Taschenklappen  bestehender  Apparat  vorhanden  war. 

Endlich  eine  Endaortitis  mit  weichen,  schleimig  entarteten 
Plaques  an  der  Aortenintima,  welche  auch  die  Aortenklappen  er¬ 
griffen  hatte.  An  diesen  waren  nur  die  Lunulae  läppchenartig  verdickt, 
gallertig  weich  und  nach  abwärts  ungekrämpt,  so  dass  sich  eine  be¬ 
deutende  Insufficienz  bei  sonst  erhaltener  Foinr  und  Lage  der  Klappen 
entwickelt  hatte. 

Regimentsarzt  Dr.  Brosch  hält  sodann  unter  Vorzeigung 
zahlreicher  Zeichnungen  und  Präparate  einen  ausführlichen  Vortrag 
über  „D  ivertikel  der  Speiseröhre“.  (Derselbe  erscheint  aus¬ 
führlich  im  Archive  für  klinische  Medicin.) 

* 

Sitzung  am  3.  März  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Kratschmer. 

Regimentsarzt  Dr.  Karl  Franz  stellt  einen  Unterofficier  vor> 
bei  welchem  eine  hochgradige  Tricuspidalinsufficienz,  die 
im  Anschlüsse  an  dieselbe  Affection  der  Mitralklappe  sich  entwickelte, 
im  Vordergründe  steht.  Von  Weitem  fällt  schon  die  starke  positive 
Pulsation  der  Jugularvenen  auf,  weiters  findet  man  Lebervenenpuls 
und  Andeutung  des  Cruralvenenpulses.  Herz  nach  allen  Richtungen 
bedeutend  vergrössert,  namentlich  nach  rechts.  Puls  der  Arterien 
relativ  noch  gut  gefüllt,  regelmässig.  Kurzes  systolisches  Geräusch  an 
der 'Mitralis,  Accentuirung  des  zweiten  Pulmonaltones,  im  geringeren 
Grade  auch  des  zweiten  Aortatones.  Auffallend  ist  jedoch,  dass  an  der 
Auscultationsstelle  der  Tricuspidalis  keine  Geräusche,  sondern  reine, 
klappende  Töne  zu  hören  sind. 

Des  Weiteren  führt  derselbe  einen  Fall  von  Neuritis  der 
rechten  oberen  Extremität  vor,  die  sich  bei  einem  Sträfling 
im  Verlaufe  einer  chronischen  Lungentubereulose  einstellte.  Es  be- 


Nr.  31 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


725 


stehen  lebhafte  Sehmerzen,  nameutlieh  bei  Druck  auf  Nervenstämme 
und  Muskeln ;  letztere  sind  an  der  ganzen  Extremität  atrophisch  mit 
hochgradiger  Herabsetzung  der  motorischen  Functionen,  dabei  keine 
wesentlicheren  Sensibilitätsstörungen  und  iutacter  Temperatursinn. 

Der  Vortragende  bespricht  dann  im  Allgemeinen  die  Aetiologie, 
die  er  im  vorliegenden  Falle  mit  Tuberculose  in  Zusammenhang  bringt, 
macht  insbesondere  auch  auf  die  bei  Soldaten  nach  Bivouakiren  am 
nassen  Boden  öfters  vorkommenden  multiplen  Neuritiden  aufmerksam 
und  hebt  schliesslich  differentialdiagnostische  Momente  in  Bezug  auf 
einzelne  hier  in  Betracht  kommende  Rückenmarkserkrankungen 
hervor. 

Regimentsarzt  Dr.  Kapper  hält  sodann  einen  Vortrag:  Ueber 
neuere  Behandlungsmethoden  des  Gelenksrheuma¬ 
tismus.  (Mit  Demonst  ration  vonHeissluftapp  ar  a  te  n.) 

In  der  Einleitung  betont  Vortragender,  wie  häufig  der  Rheuma¬ 
tismus  eigentlich  zu  den  intraitablen  Krankheiten  gehöre,  und  wie  oft 
ASectionen  nervösen  Ursprunges,  z.  B.  neuritische  Processe,  tabisclie 
Arthropathien  u.  dgl.  unter  der  Flagge  „Rheumatismus“  einmal  in 
ätiologischem,  ein  anderes  Mal  in  klinischem,  oder  endlich  in  patho¬ 
logisch-anatomischem  Sinne  gebraucht  erscheinen. 

Hinsichtlich  der  Aetiologie  wird  darauf  hingewiesen,  dass 
seitens  zahlreicher  Forscher  heute  der  Standpunkt  eingenommen  wird, 
der  Rheumatismus  besitze  keine  einheitliche  bacteriologische  Aetiologie, 
wie  etwa  der  Typhus,  die  Tuberculose,  Diphtherie  oder  Cholera,  sondern 
er  werde  ähnlich  wie  die  Angina  oder  Pyämie  durch  die  verschie¬ 
denartigsten  Mikroben  erzeugt. 

Die  Wechselbeziehungen  zwischen  Angina  und  Rheumatismus, 
welche  schon  Hippo  kr  ates  nicht  unbekannt  waren,  später  wieder¬ 
holt  in  Vergessenheit  gerathen,  und  erst  von  Trousseau  neuerdings 
mit  Nachdruck  betont  wurden,  werden  ebenso  gewürdigt  wie  die  That- 
sache,  dass  der  Rheumatismus  auch  im  Gefolge  der  verschiedensten 
infectiösen  Processe,  nach  Typhus,  Morbillen,  Scarlatina,  Erysipel, 
Dysenterie  etc.,  nach  Gerhardt  bei  bronchiektatischen  Erkrankungen 
und  nach  Verneuil  im  Anschlüsse  an  Trauma  verschiedensten 
Sitzes  aufzutreten  pflegt. 

Uebergehend  auf  die  seit  1875  geübte  Therapie,  bespricht  der 
Vortragende  die  Wirkung  der  verschiedenen  Salycilpräparate  mit  be¬ 
sonderer  Hervorhebung  ihrer  störenden  Nebenwirkungen  und  allfälligen 
Intoxicationserscheinungen.  In  den  letzten  Monaten  brachte  er  syste¬ 
matisch  das  Aspirin  zur  Anwendung  und  fand,  dass  es  den  Magen  nie 
belästige,  wesentlich  lieber  als  die  anderen  Salycilpräparate  genommen 
wurde  und  bei  prompter  Salycilwirkung  keinerlei  üble  Begleiterschei¬ 
nungen  aufzuweisen  batte.  In  einer  Beobachtung  von  acutem  Gelenk¬ 
rheumatismus  war  die  rasche  Entfieberung  und  das  anschliessende 
Auftreten  einer  hochgradigen  Bradycardie  (postinfectiös)  auffallend. 

Er  empfiehlt  darum,  gestützt  auf  eine  grössere  Beobachtungs¬ 
reihe,  4 — 5  (j  Aspirin  pro  die  in  eingrammigen  Dosen,  womöglich  auf  die 
Nachmittagsstunden  veitheilt. 

Vortragender  würdigt  nun  den  therapeutischen  Werth  der  ver¬ 
schiedenen  indifferenten  Thermal-,  Sool-,  Schwefel  ,  Moor-,  Schlamm¬ 
bäder  etc.,  bei  welchen  jedoch  das  für  den  Heileffect  massgebendste 
Moment  nach  übereinstimmenden  neuesten  Anschauungen  nur  in  der 
Höhe  der  angewandten  Temperatur  zu  suchen  sei,  wobei  die  nebenbei 
auch  wirksamen  mechanischen  oder  specifischen  Factoren  der  Soole,  des 
Schlammes  u.  s.  w.  gar  nicht  in  Abrede  gestellt  werden  sollen. 

Aus  diesem  Grunde  hatte  a  priori  die  1891  von  Clado 
und,  unabhängig  von  ihm,  von  Bier  empfohlene  locale  Heissluft¬ 
anwendung,  welche  ursprünglich  bei  tuberculösen  Gelenkserkrankungen 
zur  Benützung  gelangte,  sehr  viel  für  sich. 

Naeh  Darlegung  einer  kurzen  Entwicklungsgeschichte  der  be¬ 
züglichen  Apparate,  dann  der  Leistungen  Tatter  man  n’s,  Linde- 
m  a  n  n’s,  Bier’s  und  Anderer  auf  diesem  Gebiete,  gelangt  eine  Suite 
von  Heissluftapparaten,  die  seitens  des  Zander-  Institutes  des  Herrn 
Dr.  Roth  in  Wien  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  waren,  zur 
Demonstration. 

Redner  hatte  im  Garnisousspitale  Nr.  1  Fälle  von  echter  Gicht 
und  multiplem  chronischem  Gelenkrheumatismus  mit  diesen  Apparaten 
zu  behandeln  Gelegenheit  und  konnte  ausnahmslos  ein  rasches  Nach¬ 
lassen  der  Schmerzhaftigkeit  und  grössere  Beweglichkeit  der  afficirten 
Gelenke  constatiren. 

Insbesondere  wurde  ein  Fall  betont,  der  durch  geraume  Zeit  in 
Baden  ohne  nennenswerthen  Erfolg  behandelt,  beim  Spitalseintritte 
sich  nur  mühsam  auf  zwei  Stecken  gestützt,  einige  Schritte  weit  fort¬ 
bewegen  konnte  und  nach  nur  viermaliger  Application  des  Heissluft¬ 
apparates,  ohne  jede  weitere  Stütze,  relativ  gut  wieder  gehen  konnte. 
Die  Temperatur,  welche  bei  diesen  Apparaten  erzielt  und  auch 
anstandslos  ertragen  wnrde,  schwankte  zwischen  100°  und  140°  C. 
und  betrug  in  einem  Falle  sogar  200°  C.  Die  eminente  Wirksamkeit 
dieser  Temperaturen  auf  die  afficirten  Gelenke  lässt  sich  durch  die 
mächtige  Erweiterung  und  Erschlaffung  der  oberflächlich  gelegenen 
Gefässe,  deren  gesteigerte  Blutfüllung  und  consecutive  Entlastung  der 


tieferen  Lagen  erklären,  indem  diese  Schwankungen  zu  einer  leb¬ 
hafteren  Bewegung  des  Venenblutes  und  der  Lymphe  in  der  Tiefe 
und  zu  einer  mächtigen  Anregung  der  Resorptionsvorgänge  führen 
müssen.  Der  Umstand,  dass  so  hohe  Temperaturgrade  überhaupt  er¬ 
tragen  werden,  lässt  sich  nur  so  erklären,  dass  die  starke  Respiration 
aut  der  Oberfläche  der  Haut  eine  kältere,  schützende  Luftschichte 
lagern  lässt,  wofür  auch  noch  das  Moment  spricht,  dass  die  Temperatur 
an  der  Oberfläche  des  dem  Ileissluftstrom  exponirten  Gliedes  die 
Normaltemperatur  nur  um  einige  Zehntelgrade  zu  übersteigen  pflegt. 
Die  demonstrirten  Apparate  besitzen  noch  weiters  den  Vorzug,  dass 
sie  einfach,  sauber,  regulirbar  und  verhältnissnrässig  billig  sind,  so 
dass  deren  Einführung  in  die  Militär-Heilanstalten  wärmstens  zu  be- 
grüssen  wäre. 

* 

Sitzung  am  17.  März  1900. 

Vorsitzender :  Generalstabsarzt  Dr.  Josef  Uriel. 

Stabsarzt  Dr.  Haas  demonstrirt  einen  Infanteristen  mit  c  o  n- 
jugirter  Deviation  beider  Augen  nach  links  auf  hysterischer 
Basis.  Die  Krankengeschichte  ist  kurz  folgende: 

Infanterist  F.  M.  des  k.  uud  k.  Infanterie  Regimentes  Nr.  25 
ist  am  17.  Januar  d.  J.  zur  Constatirung  seines  Sehvermögens  der 
Abtheilung  zugewachsen. 

Die  Anamnese  ist  recht  dürftig.  Vater  vor  Jahren  an  unbe¬ 
kannter  Krankheit  gestorben,  Mutter  und  drei  Geschwister  leben; 
erstere  soll  kränklich  sein. 

Er  selbst  war  immer  gesund.  Seit  seiner  Jugend  sei  er  schwach¬ 
sichtig;  mit  dem  linken  Auge  allein  sehe  er  leidlich,  bei  Zuhilfenahme 
des  rechten  Auges  treten  jedoch  zeitweilig  Doppelbilder  auf.  Wie 
lange  er  schielt,  weiss  er  nicht.  Im  October  1899  eingerückt,  machte 
er  die  Rekrutenabrichtung  mit  Mühe  und  Noth  durch;  erst  die  Störun¬ 
gen  anlässlich  des  Scheibenschiessens  waren  die  Ursache  seiner  Abgabe 
in  das  hierortige  Spital. 

Die  Untersuchung  ergab:  Strabismus  convergens  oculi  dextri; 
beide  Pupillen  mittelweit,  reagiren  aufs  Licht  direct  und  consensuell 
prompt,  ebenfalls  auf  Accommodation;  hochgradige  concenfrische  Ein¬ 
schränkung  des  Gesichtsfeldes  beiderseits.  Rechtes  Auge  V  =  zählt 
Finger  in  30  cm,  Gläser  bessern  nicht.  Linkes  Auge  V  —  6/24,  Gläser 
bessern  nicht.  Medien  rein;  beiderseits  emmetropische  Einstellung. 
Fundus  normal. 

Als  das  auffallendste  Symptom  zeigte  der  Mann  —  wir  haben 
die  Untersuchung  beim  fixirten  Kopfe  vorgenommen  —  eine  voll¬ 
ständige  Unbeweglichkeit  der  Augen  nach  allen  Richtungen;  also,  da 
die  Binnenmuskeln  des  Auges  —  Pupille  und  Accommodation  —  intact 
sind,  eine  Ophthalmoplegia  externa. 

Diese  ist  fast  immer  nucleären  Ursprunges  und  auf  eine  chroni¬ 
sche  Polioencephalitis  superior  zurückzuführen. 

Diese  Diagnose  erwies  sich  indes  im  Verlaufe  der  Zeit  als  hin¬ 
fällig.  Bei  nicht  fixirtem  Kopfe  bleiben  wohl  die  seitlichen  Excursionen 
der  Bulbi  unbedingt  aus;  bewregt  man  aber  ein  Object  aus  der  Hori¬ 
zontalen  schnell  nach  aufwärts  und  dann  abwäits,  so  dreht  der  Mann 
den  Kopf  nach  oben  und  nach  unten,  oder  sehr  ausgiebig  auch  die 
Augen,  so  dass  die  Unmöglichkeit,  die  Augen  bei  fixirtem  Kopfe  nach 
oben  und  unten  zu  drehen,  mehr  der  Ungeschicklichkeit  des  Mannes 
zuzuschreiben  ist.  Man  sieht  also,  dass  eine  vollständige  Einschränkung 
der  Beweglichkeit  nur  nach  rechts  und  links  vorliegt. 

Aber  auch  der  Umstand,  dass  die  Augenachsen  nicht  gerade 
nach  vorne,  sondern  beide  nach  links  gerichtet  sind  —  dies  auch  die 
Ursache,  warum  der  Kopf  stets  nach  rechts  gedreht  ist  —  schliesst 
schon  von  vorneherein  eine  Ophthalmoplegia  externa  aus;  denn  wie 
wäre  bei  einer  solchen  die  Deviation  der  Augenachsen  zu  erklären? 

Es  handelt  sich  vielmehr  um  eine  Affection  der  Associations- 
centren;  eine  Affection,  die  wir  als  conjugirte  Augenablenkung  nach 
links  bezeichnen. 

Beruht  die  hier  auf  einer  anatomischen  Läsion  etwa?  Diese 
Supposition  wird  durch  folgende  Untersuchung  ad  absurdum  geführt. 

Wenn  man  den  Mann  krampfhaft  die  Lider  schliessen  lässt, 
und  dann  die  Lidspalte  gewaltsam  öffnet,  so  kann ’man  die  Bulbi  ge¬ 
wöhnlich  in  der  Mitte  und  extrem  nach  oben  gerollt  sehen,  sein- 
häufig  aber  steht  das  linke  Auge  ganz  im  inneren  Augenwinkel  mit 
der  Hornhaut  neben  der  Carunkel.  Das  schliesst  also  eine  anatomische 
Läsion  unbedingt  aus  und  es  kann  nur  eine  funotionelle  Störung  vor¬ 
liegen. 

Da  nebstbei  Symptome  sehr  stark  ausgeprägt  sind,  und  zwar 
die  hochgradige  concentrische  Gesichtsfeldeinschränkung  beiderseits 
und  die  monoculäre  Diplopie  rechterseits  —  letztere  haben  wir  immer 
constatirt  —  die  man  als  prägnante  hysterische  Symptome  kennt, 
muss  man  diese  functioneile  Störung  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit 
als  auf  hysterischer  Basis  beruhend  auffassen.  Unterstützt  wird  diese 
Diagnose  durch  andere  Stigmata,  die  auf  eine  functionelle  Störung  des 
Nervensystems  hinweisen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  31 


Die  diesbezüglich  vorgenommene  Untersuchung  auf  der  VI.  Ab¬ 
theilung  des  Garnison8spitales  ergab  folgenden  Befund: 

Schädel  im  Hinterhaupte  leicht  gestuft.  Ohren  abstehend, 
Cornealreflexe  beiderseits  prompt,  desgleichen  der  Pharynxreflex.  In 
der  Ruhe  erscheint  die  rechte  Kinngegend  glatter  als  die  linke,  beim  Stirn¬ 
runzeln  wird  der  linke  Stirnast  des  N.  facialis  besser  iunervirt  als  der 
rechte  und  zeigt  sich  ein  ziemlich  rasches  Abnehmen  der  Innervations¬ 
kraft  dieser  Seite.  Tricepsreflex  beiderseits  kaum  auslösbar,  Patellar- 
Sehnenreflexe  beiderseits  lebhaft,  links  mehr  als  rechts,  Plantar-, 
Cremaster-,  Bauchdeckenreflexe  gut  auslösbar,  links  besser  als  rechts. 
Soweit  bei  der  Beschränktheit  des  Mannes  eine  genaue  Sensibilitäts¬ 
prüfung  möglich  ist,  ergibt  sich  eine  die  ganze  rechte  Körperhälfte 
betreffende  deutliche  Herabsetzung  für  Gefühls-  und  Schmerzeindrücke; 
ausgeprägter  Dermographismus;  keine  Störung  der  motorischen  Kraft 
der  beiderseitigen  Gliedmassen. 

Ob  diese  conjugirte  Deviation  auf  einer  Lähmung  der  Rechts¬ 
wender,  combinirt  mit  einer  Contractur  der  paretischen  Linkswender 
beruht  oder  ob  ein  einfacher  hysterischer  Krampfzustand  der  Rechts¬ 
und  Linkswender  mit  Ueberwiegen  des  Krampfes  in  den  Linkswendern 
die  Ursache  der  Ablenkung  ist,  lässt  sich  schwer  entscheiden.  Für  die 
zweite  Annahme  spricht  der  Umstand,  dass  die  hysterischen  Augen¬ 
muskellähmungen  überhaupt  sehr  selten  sind;  die  bis  jetzt  beobachteten 
Fälle  sind  nach  Schmidt-Rimpler  alle  nicht  unanfechtbar; 
Charcot  ebenso  wie  Moebius  zweifeln  an  deren  Vorkommen. 
Ob  das  zugleich  bestehende  convergirende  Schielen  rechts  eine  Muskel¬ 
anomalie,  die  in  dem  hysterischen  Zustande  fortdauert  —  wofür  die 
höhergradige  Amblyopie  des  rechten  Auges  spricht  —  oder  ob  der 
hysterische  Krampf  auch  diese  Anomalie  der  Stellung  bedingt,  ist 
wohl  unmöglich  zu  constatiren,  so  lange  nicht  andere  ähnliche  Beob¬ 
achtungen  mit  genaueren  anamnestischen  Daten  zur  Verfügung 
stehen. 

Die  Diagnose,  nach  mehrwöehentlicher  gründlicher  Beobachtung 
und  Untersuchung  auf  unserer  und  der  VI.  Abtheilung  des  Garnisons- 
spitales  gestellt,  ist  auch  von  competenten  Autoritäten  auf  dem  Gebiete 
der  Neurologie  als  die  wahrscheinlichste  bezeichnet  worden. 

Oberstabsartzt  Dr.  J.  Hab  art  führt  einen  geheilten  Fall  von 
Autolapara  tomie  vor,  welcher  einen  Reserve-Feldwebel  be¬ 
trifft,  der  sich  im  Juli  1899  anlässlich  einer  Feldübung  im  Prater 
in  einem  Anfalle  momentaner  Geistesverwirrung  mittelst  eines  Taschen¬ 
messers  zu  entleiben  versuchte,  indem  er  sich  den  Bauch  in  der  Mitte 
oberhalb  des  Nabels  in  der  Länge  von  8  cm  und  in  der  Quere  von 
5  cm  aufschlitzte,  so  dass  das  grosse  Netz  vorgefallen  ist  und  die 
Schlitzöffnung  verstopfte.  Gleichzeitig  durchschnitt  er  sämmtliche 
Weichtheile  an  der  Beugeseite  beider  Handgelenke  mit  Eröffnung  der 
Arterien  und  Durchtrennung  der  Nerven,  so  dass  linkerseits  zehn, 
rechterseits  zwölf  Sehnenstümpfe  blosslagen.  Nachdem  die  Rettungs¬ 
gesellschaft  den  Nothverband  angelegt  hatte,  wurde  er  in  sterbendem 
Zustande  dem  Garnisonsspitale  Nr.  2  überbracht,  woselbst  Habart 
zuerst  die  Arteriae  radiales  und  ulnares  unterbunden  hat  und  das  vor¬ 
gefallene  Netz,  welches  in  der  Mitte  durchstochen  war  und  stark 
blutete,  durch  acht  Ligaturen  unterband  und  mittelst  Paquelin 
resecirte.  Hierauf  wurden  die  dünnen  Gedärme  durchsucht,  mit  steriler 
physiologischer  Kochsalzlösung  gereinigt  und  die  durchti  ennten  Bauch¬ 
schichten  durch  eine  dreireihige  Etagennaht  vereinigt.  Die  Rectus- 
scheide  wurde  drainirt,  da  sie  mit  Erde  verunreinigt  war.  Es  erfolgte 
sodann  die  langwierige  Nerven-  und  Sehnennaht,  welche  grosse 
Schwierigkeiten  bereitete,  da  einzelne  Sehnen  doppelt  durchschnitten 
waren.  Die  Heilung  der  Bauchwunde  war  binnen  15  Tagen  voll¬ 
endet;  die  Vereinigung  der  Sehnen  gestaltete  sich  etwas  langwieriger 
und  der  Mann  (ein  Lehrer)  kann  gegenwärtig  Clavierübungen  machen. 
Die  Beugung  der  Finger  ist  jedoch  theilweise  eingeschränkt,  da  er 
sich  auf  Drängen  seiner  Frau  zu  frühzeitig  der  meclrano-therapeutischen 
Nachbehandlung  entzogen  hatte. 

Derselbe  führt  ferner  vier  Fälle  von  radical  o  p  e  r  i  r- 
ten  Leistenbrüchen  vor,  welche  dadurch  bemerkenswerth  sind, 
dass  sie  vier  verschiedene  Typen  (äusserer  freier  Leistenbruch,  innerer 
freier  Leistenbruch,  äusserer  angewachsener  Leistenbruch  complieirt 
mit  wandständiger  Samenwandcyste,  und  angeborener  Leistenbruch) 
darstellen  und  Soldaten  betreffen,  welche  sich  der  Operation  unterzogen 
haben  um  freiwillig  in  das  Heer  eintreten  zu  können  oder  weiter  im 
1  leeresverbande  verbleiben  zu  können  und  endlich,  um  von  den  Be¬ 
schwerden  für  immer  befreit  zu  werden.  Drei  Fälle  wurden  nach 
Bassini,  ein  Fall  nach  Kocher  operirt.  Sämmtliche  vier  Fälle 
heilten  nach  13  Tagen  unter  einem  Verbände  in  ideal  aseptischer 
Weise. 

Der  Vortragende  verweist  auf  seinen  am  22.  November  1890  in 
dem  Vereine  gehaltenen  Vortrag:  „Ueber  die  Radicalbehandlung  von 
Leistenhernien  mit  Würdigung  des  Verfahrens  von  Prof.  Bassini“ 


und  bemerkt,  dass  er  nach  wie  vor  die  Vorzüge  der  Bassin  i’schen 
Methode  anerkenne,  je  loch  dem  Vorgänge  des  Stabsarztes  Dr.  Link 
vollständig  beipflichle  und  auch  der  K  o  c  h  e  r’schen  Methode  ihre  Vor¬ 
züge  nicht  absprechen  will,  weshalb  er  auch  dieselbe  ausgeführt  habe 
und  der  vorgeführte  Fall  (angeborener  Leistenbruch)  sei  der  am  besten 
gelungene.  Er  modilicirt  die  Koche  r’sche  Methode  in  der  Art,  dass 
er  die  Aponeurose  des  M.  obliquus  externus  spaltet,  um  einerseits  auch 
grössere  Bruchsäckc  isoliren  zu  können  und  andererseits  die  Canalnaht 
im  Sinne  von  Lucas  Ghampionni&re  und  die  laterale  Ver¬ 
lagerung  des  Bruchsackes  nach  Kocher  sicherer  und  leichter  durch¬ 
führen  zu  können,  was  er  an  zwei  von  Oberarzt  Dr.  Kf  estan  schön 
ausgeführten  Zeichnungen  demonstrirt.  Anknüpfend  au  diese  Fälle 
hebt  II  abart  hervor,  dass  heutzutage  der  Kernpunkt  der  chirur¬ 
gischen  Leistungsfähigkeit  in  dem  Gelingen  der  Aseptik  gelegen 
sei  und  diesbezüglich  speciell  in  der  Armeecbirurgie  oft  ganz  einfache 
Vorbedingungen  genügen,  wenn  nur  der  Contact-  oder  Im- 
plantationsinfection  vorgebeugt  wird.  Die  M  i  k  u  1  i  c  z’sche 
Klinik  in  Breslau  verfügt  über  palastartige  Räume  und  munificent 
eingerichtete  Laboratorien  und  nichtsdestoweniger  gelangen  gerade  von 
dort  aus  Klagen  über  Misslingen  der  Aseptik  in  die  Oefientlichkeit, 
wie  die  Verhandlungen  des  Congresses  deutscher  Chirurgen  bezeugen. 
Operationshandschuhe,  eigenes  Operationseostume,  geschulte  Hilfsärzte, 
vorzügliche  Technik  u.  dgl.  m.  vermögen  nicht  immer  den  Erfolg  zu 
sichern.  B  r  u  n  n  e  r’s  lehrreiche  Studie  lässt  gleichfalls  die  noch  vor¬ 
handenen  Lücken  der  Aseptik  durchblicken. 

II  ab  art  hegt  Misstrauen  gegen  die  Handbürsten  zur  Reinigung 
der  Hände  und  lobt  die  Verlässlichkeit  der  sterilisirten  Holz¬ 
wolle,  indem  dieselbe  die  mechanische  Reinigung  der  Hände  und 
des  Operationsfeldes  viel  sicherer  bewirkt.  Ferner  bewährte  sich  von 
einer  gewissen  Höhe  (Wasserreservoir!)  herabfliessendes,  warmes  (vor 
dem  Gebrauche  gekochtes!)  Wasser,  anstatt  der  Waschbecken, 
dann  die  Steiilisirung  mit  Aether  alkohol  uud  während  der  Ope¬ 
ration  sterile  physiologische  Kochsalzlösung  (beziehungsweise  Tavel- 
sche  Lösung). 

Regimentsarzt  Dr.  Scheidl  stellt  gleichfalls  von  der  chirur¬ 
gischen  Abtheilung  des  Garnisonsspitales  Nr.  2  vor: 

1 .  Einen  nach  Schädeltrepanation  und  Hetero¬ 
plastik  geheilten  Dragoner,  welcher  am  7.  Januar  durch  Hufschlag 
einen  offenen  Schädelbruch  der  linken  Stirnseite  (Impressions- 
fractur)  mit  Druckerscheinungen  (Bewusstlosigkeit  und  Krämpfe  er¬ 
litten  hatte,  am  11.  Januar  vom  Truppenspitale  in  Göding  zutrans- 
ferirt  und  am  12.  Januar  in  Chloroformnarkose  von  ihm  trepanirt 
wurde,  wobei  mehrere  3 — 5  cm  lange  und  1 — 3  cm  breite  eingedrückte 
Knochensplitter  nebst  Resten  von  Stroh  aus  der  Schädelhöhle  entfernt 
wurden.  Die  zerrissenen  Gehirnhäute  wurden  mittelst  Scheere  uud 
scharfem  Löffel  gereinigt,  die  Wundhöhle  mittelst  steriler  Kochsalz¬ 
lösung  abgetupft  und  sodann  mit  steriler  Jodoformgaze  locker  tam- 
ponirt.  Der  Defect  im  Knochen  war  5'5  cm  lang  und  3  cm  breit.  Erster 
Verbandwechsel  am  23.  Januar  in  Chloroformnarkose.  Einlegen  einer 
Celluloidplatte  nach  A.  Fränkel,  nachdem  die  Gehiruwunde  noch¬ 
mals  mit  scharfem  Löffel  von  dem  Detritus  befreit  worden  ist,  lockere 
Naht  der  Weichtheile.  Am  2.  Februar  zweiter  Verbandwechsel,  wobei 
die  stark  gespannten  Wundländer  in  der  Mitte  klaffend  vorgefunden 
wurden  ;  am  7.  Februar  abermals  in  Narkose  Anfrischung  derselben 
im  Bereiche  der  klaffenden  Lücke  und  Anlegung  von  zwei  langen 
Entspannungsschnitten,  worauf  die  Annäherung  derselben  leicht  gelingt. 
Vollständige  Heilung  bei  aseptischem  Verlaufe  mit 
Ende  Februar  vollendet. 

2.  Einen  Kanonier  mit  geheiltem  Beckenbruch,  in  dessen 
G  efolge  innere  Blutungen  und  Blutharnen  beobachtet 
wurde,  und  mit  durch  Knochennaht  geheiltem  S  p  1  i  1 1  e  r  b  r  u  c  h  des 
rechten  Olecranon,  durch  Sturz  vom  zwmiten  Stockwerke 
herbeigeführt.  Nachdem  die  bedenklichen  Erscheinungen  der  inneren 
Blutungen  durch  intravenöse  und  subcutane  Kochsalzinfusion  behoben 
waren,  und  der  rechte  Arm  in  gestreckte  Stellung  gebracht  worden 
ist,  wurden  Eisblasen  am  Becken  applicirt.  Mit  Ende  der  dritten  Woche 
war  der  Splitterbruch  des  Olecranon  noch  ganz  beweglich,  weshalb 
in  der  Narkose  derselbe  durch  den  Langen  bec  k’schen  Längs¬ 
schnitt  blossgelegt  und  nach  sorgfältiger  Reinigung  und  Entfernung 
der  zwischen  den  Knochensplittern  eiugelagerten  Blutgeriunst  1  und 
knochensandartigen  Detritusmassen  durch  eine  Schnürnaht  von 
Platindraht  vereinigt  wurdo.  Durch  diese  mechanische  Reinigung 
wurde  das  Hindeiniss  der  Knochenvereinigung  beseitigt,  welche  nun¬ 
mehr  binnen  14  Tagen  in  vollständiger  Weise  bei  aseptischem  Ver¬ 
laufe  erfolgte.  Durch  orthopädische  Nachbehandlung  ist  die  Bewegungs¬ 
fähigkeit  des  Ellbogengelenkes  ganz  restituirt  worden.  In  Folge 
difformer  Callusmassen  an  den  gebrochenen  Aesten  des  rechten  Scham¬ 
beines  blieb  mässiges  Hinken  des  rechten  Beines  zurück. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenjourggasse  13. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
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Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  9.  August  1900. 


Nr.  32. 


iisrs:^.nLT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Orijjinalartikel :  1.  Von  der  Abtheilung  für  interne  Krankheiten  (I.  B) 
des  Landesspitales  zum  heiligen  Lazar  in  Krakau.  Weitere  Fälle 
von  Tetanus  traumaticus,  welche  mit  subcutanen  Injectionen  von 
Gehirnemulsion  behandelt  wurden.  Von  Primararzt  Dr.  Anton 
Krokiewicz. 

2.  Ueber  die  Therme  von  Monfalcone.  Von  Prof.  E.  Ludwig  und 
Dr.  Th.  P  a  n  z  e  r. 

3.  Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof. 
C.  Nicoladoni  in  Graz.  Beiträge  zur  Frage  der  »totalen 
Darmausschaltung«.  Von  Dr  Erwin  Payr,  Docent  für  Chirurgie 
und  Assistent  der  Klinik.  (Schluss.) 


II.  Referate:  I.  Leitfaden  der  physiologischen  Psychologie  in  15  Vor- 

lesungen.  Von  Th.  Ziehen.  II.  Die  Mimik  des  Menschen  auf 
Grund  voluntarischer  Psychologie.  Von  H.  Hughes.  III.  Die 
Leitungsbahnen  des  Gehirnes  und  des  Rückenmarkes  nebst,  voll¬ 
ständiger  Darstellung  des  Verlaufes  und  der  Verzweigung  der 
Hirn-  und  Rückenmarksnerven.  Von  Rudolf  Glaessner. 
Ref.  Ohersteiner. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Von  der  Abtheilung  für  interne  Krankheiten  (I.  B)  des 

Landesspitales  zum  heiligen  Lazar  in  Krakau. 

Weitere  Fälle  von  Tetanus  traumaticus,  welche 
mit  subcutanen  Injectionen  von  Gehirnemulsion 

behandelt  wurden. 

Von  Primararzt  Dr.  Anton  Krokiewicz. 

Die  Erfolge  der  Serumtherapie  bei  Tetanus  traumaticus 
sind  bisher  nicht  besonders  zufriedenstellend,  w7enn  nach  der 
diesbezüglichen  Statistik  Holsti’s  (Zeitschrift  für  klinische 
Medicin.  1899,  Bd.  XXXVII,  Heft  5  und  6)  von  171  über¬ 
haupt  mit  Serum  behandelten  Fällen  74,  d.  i.  43&/o>  mit  dem 
Tode  abgingen.  Deshalb  wandte  ich  im  Jahre  1898  (Wiener 
klinische  Wochenschrift.  Nr.  84)  zum  ersten  Male,  dann  im 
Jahre  1899  (Wiener  klinische  Wochenschrift.  Nr.  28)  angeregt 
durch  W  assermau  n’s  und  T  a  k  a  k  i’s  Thierversuche,  bei 
Tetanus  traumaticus  bei  Menschen  Injectionen  von  thierischer 
Gehirnemulsion  an.  Von  da  ab  begegnen  wir  in  der  Literatur 
den  casuistischen  Beobachtungen  Schramm’s  (ein  Fall, 
Przeglad  lekarski.  1899,  Nr.  3),  Kadyi’s  (drei  Fälle,  Przeglad 
lekarski.  1899,  Nr.  39  und  47),  Zupnik’s  aus  der  Klinik 
Prof.  Pribram  in  Prag  (ein  Fall,  Prager  medicinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  24  und  25),  Schuster’s  aus  der 
Klinik  Prof.  M  e  ndel  in  Berlin  (ein  Fall,  Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  47 ;  Sitzung  der  Berliner  medicini- 
schen  Gesellschaft  vom  1.  November).  Alle  diese  Fälle  hatten 
einen  günstigen  Ablauf;  einzig  allein  trat  im  Falle  Zupnik’s 
von  Tetanus  bei  einer  Wöchnerin,  nach  vorübergehender  auffallen¬ 
der  Besserung  der  Tod  ein;  die  Krankheit  endete  jedoch  unter 
Symptomen  einer  Störung  im  Urogenitalapparat  und  die  Section 
wies  einen  ungewöhnlich  grossen,  im  rechten  Harnleiter  ein¬ 
geklemmten  Stein  nach,  ferner  Ruptur  der  Gebärmutter  und 


so  schwere  pathologische  Nierenveränderungen,  dass  ihnen  die 
Kranke,  auch  wenn  keine  andere  Affection  hinzugetreten  wäre, 
in  kurzer  Zeit  erliegen  müsste. 

Gegenwärtig  führe  ich  weitere  Ergebnisse  der  Behand¬ 
lung  mit  subcutanen  Injectionen  von  Gehirnemulsion  in  zwei 
Fällen  von  Tetanus  traumaticus  an. 

1.  Dr.  A.  K.,  33  Jahre  alt,  k.  k.  Sanitätsassistent  in  Grybow 
(Bezirk  Grybow)  verwundete  sieh  am  Zeigefinger  der  rechten  Hand 
bei  einer  Section  einer  nach  vier  Tagen  exhumirten  Leiche  in  der 
Ortschaft  Polna  (Bezirk  Grybow).  Die  Wunde  wurde  oberflächlich 
gewaschen  und  mit  Argent,  nitr.  touchirt. 

Anfänglich  fühlte  sich  der  Kranke  wohl;  doch  schon  in  kurzer 
Zeit,  denn  kaum  nach  20  Stunden,  traten  in  der  oberen  rechten 
Extremität  Tetanussymptome  auf,  die  von  Anfang  kurz  dauerten 
und  geringe  Intensität  hatten.  Erst  in  der  Nacht  vom  11.  auf  den 
12.  April  stellte  sich  ein  heftiger,  mehrere  Stunden  währender 
Starrkrampf  ein,  tourweise  sämmtliche  Muskelgruppen  ergreifend. 
Von  da  ab  nahmen  die  Tetanusanfälle  einen  drohenden  Charakter 
an.  Als  alle  am  Orte  angewandten  Heilmittel  sich  unwirksam  er¬ 
wiesen  und  dem  Patienten  in  Folge  der  andauernden  Anfälle  der 
Tod  drohte,  wurde  ich  am  13.  April  telegraphisch  zu  ihm  beruien. 
Dort  an  demselben  Tage  gegen  4  Uhr  Nachmittags  angekommen, 
fand  ich  den  Kranken  in  einem  allgemeinen,  seit  einigen  Stunden 
anhaltenden  Starrkrampfe.  Sich  seines  Zustandes  bewusst,  empfing 
er  die  letzten  Tröstungen  der  Religion  und  verabschiedete  sich  von 
der  Familie.  Vorderhand  war  jede  Untersuchung  unmöglich.  Erst 
nach  einer  Injection  von  0  015  Morph,  hydrochloric,  und  nach 
Verabreichung  einer  halben  Flasche  Champagner  konnte  im  Masse 
des  Aufhörens  der  Krämpfe  nachfolgender  Status  praesens  constatirt 
werden:  Ein  mittelgrosses  Individuum,  schwach  genährt.  Die  Haut 
mit  Schweiss  bedeckt,  im  Gesicht  Cyanose;  Körperwärme  in  der 
linken  Achselhöhle  38°  C.  In  den  inneren  Organen  keine  Verände¬ 
rungen;  32  Athmungen;  der  Puls  fadenförmig,  kaum  tühlbar.  Der 


728 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ni  32 


Harn  wasserhell,  enthält  keine  pathologischen  Bestandtheile.  Bedeu¬ 
tende  Entkräftung  des  Patienten.  Nach  näheren  Erkundigungen 
wurde  die  Wunde  am  Zeigefinger  des  Kranken  am  dritten  Tage 
von  dem  dortigen  Arzte  Dr.  Jakubowsk  i,  trotz  ihres  normalen 
Aussehens,  durch  einen  tiefen  Schnitt  erweitert  und  nach  allen 
Regeln  der  Antiseptik  verbunden. 

Nach  kurzer  Berathung  mit  dem  anwesenden  Collegen  Doctor 
Jakubowski  und  der  Familie  beschloss  ich,  den  Kranken  mit 
dem  nächsten  Zuge  nach  Krakau  zu  überführen  und  ihn  behufs 
Vornahme  von  Injectionen  mit  Gehirnemulsion  in  meiner  Abtheilung 
des  St.  Lazarus-Spitales  unterzubringen.  Dies  wurde  auch  mit  nicht 
geringen  Schwierigkeiten  vollzogen  unter  Anwendung  von  anregen¬ 
den  und  narkotischen  Mitteln  (der  Kranke  trank  während  der  fünf¬ 
stündigen  Reise  fast  zwei  ganze  Flaschen  Champagner  aus).  In  An¬ 
betracht  des  allgemeinen  Kräfteverfalles  war  meinerseits  die  Pro¬ 
gnose  in  diesem  Falle  keine  günstige. 

Unmittelbar  nach  Ankunft  des  Kranken  in  der  Heilanstalt,  d.  i. 
nach  10  Uhr  Nachts  am  13.  April,  wurden  ihm  0  5  g  Jod-  und 
Bromkali  eingegeben  und  001  Morphium  injicirt;  daraufhin  schlief 
derselbe  ein.  Erst  gegen  4  Uhr  Früh  trat  heftiger  Tetanus  ein  und 
hielt  trotz  Aetherinhalation  und  Morphiuminjectionen  3'/2  Stunden 
an;  er  äusserte  sich  hauptsächlich  im  Gebiete  der  Muskeln  des 
Brustkorbes,  der  oberen  und  unteren  Extremitäten. 

172  Stunden  nach  Rücktritt  des  Starrkrampfes  wurde  an 
demselben  Tage  zum  ersten  Male  eine  nicht  colirte  Emulsion  aus 
einem  ganzen  Kaninchenhirn  subcutan  injicirt  und  wmrde  dieselbe 
Procedur  hierauf  am  16.  und  18.  April  Vormittags  wiederholt.  Der 
Kranke  fühlte  schon  nach  der  ersten  Injection  eine  bedeutende 
Erleichterung;  der  Puls  betrug  84,  die  Temperatur  variirte  zwischen 
37'4  und  37'6°  C.  und  Athmungen  wurden  16 — 18  in  der  Minute 
gezählt;  nur  zeitweilig  hatte  er  in  einzelnen  Muskelgruppen  ein 
Gefühl  von  Starre  und  Schauder,  die  Möglichkeit  eines  Tetanus¬ 
anfalles  fortwährend  befürchtend;  dieser  Zustand  hielt  durch  drei 
Wochen  mit  verschiedener  Intensität  an.  Seit  Applicirung  der  ersten 
Injection  stellte  sich  der  Starrkrampf  nicht  mehr  ein  und  obwohl 
der  Patient  ob  der  derart  günstigen  Wirkung  eine  vierte  Injection 
mit  Gehirnemulsion  verlangte,  so  wurde  dieselbe  nicht  mehr  aus¬ 
geführt. 

Ausser  den  Gehirnemulsionsinjectionen  wurden  im  gegebenen 
Falle  in  dem  Masse,  als  Symptome  von  Schlaflosigkeit,  allgemeiner 
Entkräftung,  Verfall  der  Herzthätigkeit  u.  s.  w.  auftraten,  Chloral- 
hydrat,  Sulfonal,  Jod-  und  Bromkali,  wie  auch  Herzmittel,  wie 
Strophanthus,  Coffein,  Digitalis  und  Valeriana  verabreicht.  Ueberhaupt 
muss  hervorgehoben  werden,  dass  sich  beim  Kranken  während 
dessen  ganzen  32  tägigen  Spitalsaufenthaltes,  vom  Zeitpunkte  des 
Rücktrittes  des  Tetanus  Hyperästhesie  der  Nervenstämme  bald  in 
höherem,  bald  in  geringerem  Grade  erhielt.  Das  Fieber  hörte  nach 
der  ersten  Injection  auf  und  zeigte  sich  später  nicht  mehr,  trotz¬ 
dem,  dass  sich  an  der  dritten  Injectionsstelle  ein  aseptischer  Ab¬ 
scess  bildete,  welcher  nach  Incision  rasch  (in  acht  Tagen)  vollständig 
heilte,  eine  schlaffe  Narbe  zurücklassend.  Patient  verliess  im  Zu¬ 
stande  grosser  Entkräftung  die  Anstalt  und  begab  sich  nach  Kry- 
nica,  einem  klimatischen,  an  Eisensäuerlingen  reichen  Curort  in 
Galizien,  woselbst  er  nach  entsprechender  Behandlung  seine  Lebens¬ 
kräfte  vollkommen  wieder  erlangte. 

2.  A.  R.  aus  Os wi^cim  in  Galizien,  Händlersgattin,  35  Jahre 
all;  sie  kam  mit  Tetanussymptomen  am  13.  November  1899  nach 
Krakau.  Laut  Erkundigungen  stiess  sie  sich  in  den  grossen  Finger 
der  rechten  Hand  einen  Splitter,  worauf  in  sechs  Tagen  ein  bedeu¬ 
tender  Trismus,  Behinderung  beim  Schlucken  und  Sprechen,  wie 
auch  Athembeklemmung  eintraten.  Kurz  darauf  stellten  sich  kurz 
dauernde,  aber  immer  häufigere  Anfälle  von  allgemeinem  Tetanus 
ein.  Als  sich  dieselben  bei  gewöhnlicher  Behandlung  nicht  verrin¬ 
gerten,  erschien  Patientin  am  neunten  Krankheitstage  bei  mir  und 
unterzog  sich  auf  meiner  Abtheilung  der  Behandlung  durch  sub- 
cutane  Injectionen  mit  Kaninchenhirnemulsion. 

Das  Untersuchungsergebniss  am  Aufnahmstage  war  folgendes: 
Körperbau  und  Nährzustand  ziemlich  gut;  das  Knochengerüst  normal 
entwickelt.  Die  Haut  blass,  elastisch;  schwache  Fettunterlage.  Die 
Lippenschleimhaut  blass;  die  Körpertemperatur  in  der  Achsel¬ 
höhle  377°  C. 

Andauernder  Trismus,  gesteigerte  Muskelreizbarkeit.  Nach 
leichtem  Schlag  verfallen  ganze  Muskelgruppen,  besonders  die 


Muskeln  des  Rückgrates,  in  Krampf.  Die  Nacken-  und  Rumpf¬ 
muskeln  stark  gespannt,  so  dass  die  Patientin  in  Folge  der  allge¬ 
meinen  Gelenkstarre  nicht  gehoben,  sondern  nur  aufgestellt  werden 
kann.  Im  Tastgefühl  keine  Veränderung. 

Die  inneren  Organe  weisen  keine  Abweichungen  auf.  Die 
Athemzahl  beträgt  26  in  der  Minute;  der  Puls  gut  gespannt,  regel¬ 
mässig,  70  Schläge  in  der  Minute.  Harn  und  Fäces  werden  normal 
entleert.  Abends  Körperwärme  in  der  Achselhöhle  38°  C. 

14.  September.  Temperatur  Früh  37‘7°  C. ;  Pulsfrequenz  84, 
regelmässig;  die  Nacht  unruhig.  Andauernder  Trismus,  Opisthotonus, 
wie  auch  Tetanuskrämpfe  im  Gebiete  der  unteren  und  oberen  Ex¬ 
tremitäten.  Gegen  Mittag  wurde  in  das  Unterhautbindegewebe  am 
Brustkörbe  rechterseils  eine  Emulsion  von  einem  Kaninchenhirn 
eingespritzt. 

Tagsüber  häufige,  aber  schwächere  Anfälle  des  allgemeinen 
Starrkrampfes;  zweimal  nur  mit  ziemlich  heftiger  Intensität.  Gegen 
772  Uhr  Abends  fühlte  sich  die  Kranke  freier,  schluckte  zum  ersten 
Male  und  sprach  deutlich.  Der  Tetanus  trat  in  den  unteren  und 
oberen  Extremitäten  zurück  und  beschränkte  sich  blos  auf  den 
Trismus  und  Opisthotonus;  doch  fühlt  Patientin  dauernd  eine  Er¬ 
leichterung  und  gibt  an,  das  erste  Mal  den  Kopf  und  Nacken 
leichter,  nicht  so  stark  wie  vorher,  gespannt  zu  haben.  Der  Puls 
ist  regelmässig,  76;  die  Temperatur  37,6°  C.;  Athembewegungen  24. 
In  Folge  des  Trismus  kann  sie  den  Mund  nicht  öffnen.  Abends 
wurden  ihr  zwei  Löffel  voll  Infus.  Sennae  comp,  eingegeben. 

15.  September.  Früh  Körperwärme  37'4°  C.,  der  Puls  72, 
regelmässig,  normal  gespannt.  Die  Kranke  schlief  die  Nacht  hindurch 
vortrefflich;  die  Tetanusanfälle  sind  vorübergehend,  schwach,  in  den 
unteren  Extremitäten;  die  oberen  Extremitäten  und  die  Bauch¬ 
muskeln  sind  frei.  Von  Zeit  zu  Zeit  klagt  Patientin  über  Krämpfe 
in  der  Luftröhre.  Zuweilen  öffnet  sie  den  Mund  zuerst  auf  5  mm. 

Die  Nackenstarre  ist  geringer;  unbedeutende  Schweissabson- 
derung;  die  Kranke  ist  freier. 

Von  10  Uhr  Vormittags  bis  3  Uhr  Nachmittags  ist  Patientin 
frei  von  Tetanusanfällen.  Nach  3  Uhr  besuchten  sie  verwandte 
jüdische  Glaubensgenossen  und  zwangen  sie  aus  religiösen  Motiven 
mit  allen  Mitteln  zum  Aufstehen  und  Herumgehen;  es  war  der  Tag 
des  Versöhnungsfestes.  Bei  diesem  Anlasse  stellten  sich  ziemlich 
heftige  Nervenkrampfanfälle  in  den  unteren  Extremitäten  ein,  und 
als  hierauf  die  fanatischen  Glaubensgenossen  die  Kranke  trotz  des 
strengen  Verbotes  seitens  des  herbeigerufenen  Inspectionsarztes 
durch  mehr  als  20  Minuten  in  stehender  Haltung  erhielten  und  sie 
zum  Herumgehen  zwangen,  da  bekam  sie  neuerlich  einen  allge¬ 
meinen  Tetanusanfall  und  beruhigte  sich  erst  gegen  6  Uhr  Abends. 

Um  8  Uhr  Abends  stieg  die  Temperatur  auf  38’6°  C.;  der 
Puls  regelmässig,  90  in  der  Minute,  von  ziemlich  guter  Spannung. 
Massiger  Opisthotonus;  die  Kranke  öffnet  den  Mund  auf  6  mm;  sie 
ist  bei  Besinnung. 

In  der  Nacbt  unbedeutende  Tetanusanfälle,  die  Patientin 
schlief  vorwiegend.  Erst  gegen  6  Uhr  Früh  stellte  sich  ein  geringer 
Tetanusfall  ein.  Die  Kranke  rief  auf  die  Nachbarin,  um  Darreichung 
von  Trinkwasser  bittend,  und  mit  dem  Aufschrei:  »Es  wird  mir 
übel,  das  Herz  drückt  mir!«  starb  sie  plötzlich. 

Die  am  16.  September  im  anatomisch-pathologischen  Univer¬ 
sitätsinstitute  vollzogene  Leichenobduction  wies  folgenden  Be¬ 
fund  nach: 

Bronchitis  catarrhahs  diff.  Lipomatosis  cordis  dextri  parvi 
gradus.  Ecchymoses  subpleurales,  subpericardiales  et  musculorum 
recti  abdominis,  ileopsoatis  dextri.  Hyperaemia  passiva  recens  cerebri, 
hepatis,  lienis,  renum.  Paronychia  purulenta. 

Im  linken  geraden  Bauchmuskel  wie  auch  an  der  Oberfläche 
des  rechten  Muskels  Ileopsoas  und  in  dessen  Nähe  befinden  sich 
unter  dem  Bauchfell  sehr  bedeutende  Extravasate. 

Das  Pericard  und  Epicard  dünn,  glatt,  schillernd;  unter  dem 
Epicard  auf  der  hinteren  Herzwand  einige  punktförmige  Ecchy- 
mosen.  Das  Herz  der  Grösse  der  Faust  des  Individuums  ent¬ 
sprechend;  dessen  linke  Kammer  im  Zustande  der  Systole  und  ent¬ 
hält  eine  geringe  Menge  schlaffes,  postmortales,  rothes  Gerinnsel. 

Bei  näherer  Betrachtung  der  obangefiihrten  Fälle  müssen 
wir  zu  der  Ueberzeugung  gelangen,  dass  beide  eine  starke 
Intensität  zeigten.  In  beiden  Fällen  wurden  pharmaceutische 
Präparate  wirkungslos  verabreicht.  Der  günstige  Ablauf  im 


Nr.  32 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


729 


ersten  Falle  (Dr.  Kurzyniec)  ist  auf  das  entsprechende  Ver¬ 
halten  des  Kranken,  ebenso  wie  auf  die  Vollziehung  der  In¬ 
jection  von  Gehirnemulsion  am  sechsten  Krankheitstage  und 
am  zweiten  Tage  des  Auftretens  heftiger  Tetanusanfälle  zurück¬ 
zuführen.  In  diesem  Falle  war  der  Heilerfolg  der  subcutanen 
Injectionen  geradezu  staunenerregend,  die  lange  Reconvalescenz 
ist  der  beste  Beweis  für  die  starke  Intensität  des  Krankheits- 
processes  trotz  aller  günstigen  Vorbedingungen. 

Im  zweiten  Falle  (Ritter)  ist,  obwohl  der  Ausgang  mit 
dem  Tode  erfolgte,  eine  bedeutende  Besserung  nach  der  In¬ 
jection  von  Gehirnemulsion  zu  notiren.  Dem  klinischen  Verlaufe 
nach  urtheilend,  wäre  es  gewiss  zur  Heilung  gekommen, 
wenn  die  Gehirnemulsion  früher  injicirt  und  die  Kranke  in 
vollständiger  Ruhe  belassen  worden,  nicht  aber  von  anwesenden, 
von  Vorurtheilen  befangenen  Verwandten  zum  Stehen  und 
Herumgehen  gezwungen  worden  wäre. 

Die  bisherigen  Resultate  von  Injectionen  der  Gehirn¬ 
emulsion  bei  Tetanusfällen  resumirend,  sind  auf  die  Gesammt- 
zahl  von  zehn  Fällen,  acht  von  Genesung  und  zwei  Todesfälle 
zu  verzeichnen.  Aber  auch  in  diesen  zwei  Fällen  mit  letalem 
Ausgang  war  eine  vorübergehende  auffallende  Besserung  vor¬ 
handen.  In  allen  diesen  Fällen  Hessen  die  pharmaceutischen 
Präparate  in  Stich  und  in  dem  Falle  Schuster’s  aus  der 
M  e  n  d  l’schen  Klinik  in  Berlin  auch  eine  zweimalige,  nach 
Jacob’s  Methode  unter  die  Hirnhaut  vorgenommene  Injection 
von  Antitetanusserum.  Unter  den  acht  geheilten  Fällen  hatten 
fünf  (zwei  meine,  zwei  Kadyi’s,  einer  Schuster’s)  einen 
klinischen  Verlauf  mit  heftiger  Intensität.  In  Anbetracht  dessen 
glauben  wir,  dass  die  Injectionen  der  Gehirnemulsion  bei  Tetanus 
traumaticus  eine  breitere  Anwendung  gewinnen  sollten  und 
uns  die  Behauptungen  Zupnik’s  und  Schütze’s  (Zeitschrift 
für  klinische  Medicin.  Bd.  XXXVI)  als  allzu  verfrüht  dünken, 
wenn  der  Erste  den  Injectionen  von  Gehirnemulsion  bei  Tetanus 
traumaticus  kaum  nur  prophylaktische,  schützende  Eigen¬ 
schaften  zuerkennt,  der  Zweite  ihnen  selbst  diese  versagt. 


Uebör  die  Therme  von  Monfalcone. 

Von  Prof.  E.  Ludwig  und  Dr.  Th.  Panzer. 

An  der  Fahrstrasse,  welche  von  Triest  nach  der  Stadt 
Monfalcone  führt,  ungefähr  eine  halbe  Wegstunde  von 
dieser  Stadt  entfernt,  entspringt  eine  Therme,  die  schon  den 
Römern  bekannt  war  und  von  ihnen  auch  benützt  wurde. 

Im  dritten  Buche  der  Historia  naturalis  von  Plinius, 
Cap.  XXVI,  findet  sich  die  folgende,  darauf  bezügliche  Stelle: 

» Insulae  in  Ausonio  mari  praeter  iam  dictas  memoratu 
dignae  nullae,  in  Jonio  paucae.  Calabro  litore  ante  Brundusium 
quarum  obiectu  portus  efficitur,  contra  Apulum  litus  Diomedia 
conspicua  monumento  Diomedis  et  altera  eodem  nomine  a  qui- 
busdam  Teutria  appellata.  Illyrici  ora  mille  amplius  insulis 
frequentatur,  natura  vadoso  mari  aestuariisque  tenui  alveo 
intercursantibus.  Ciarae  ante  ostia  Timavi  calidorum  fontium 
cum  aestu  maris  crescentium,  iuxta  Histrorum  agrum  Cissa, 
Pullaria  et  Absyrtides  Grais  dictae  a  fratre  Medeae  ibi  interfecto 
Absyrto.«  !) 

Mit  dem  Verfalle  des  römischen  Reiches  kam  diese 
Therme  in  Vergessenheit  und  wurde  erst  im  Jahre  1433 
wieder  benützbar  gemacht,  nachdem  sie  der  damalige  Podesta 
von  Monfalcone,  F  r a n  c  e  s  c  o  Nani,  wieder  gefunden  und  in 
geeigneter  Weise  hatte  fassen  lassen.  Die  Inschrift  auf  einer 
aus  jener  Zeit  stammenden  Steintafel  gibt  davon  Kunde;  die¬ 
selbe  lautet: 

»Magnificius  praetor  Nani  Franciscus  amator  justitiae 
que  bonis  et  amarus  et  hostis  iniquis  justos  dilexit  cunctos 
dulcissime  rexit  Falconis  Montis  portum  renovando  salutis  hic 
fundavit  opus  felix  memorabile  cunctis  mundavit  foveam 
studiose  fere  corruptam  balnea  construxit  jam  perdita  digne 

reduxit  unde  parit  fructus  splendens  sua  maxima  virtus . 

milesimo  quadringentesimo  trigesimo  tertio«. 


Seither  ist  die  Therme  von  Monfalcone  ohne  Unter¬ 
brechung  von  der  leidenden  Menschheit  aufgesucht  worden. 

Im  Jahre  1840  wurde  über  der  Therme  ein  ziemlich 
umfängliches  Badehaus  aus  Stein  erbaut,  in  welchem  etwa 
20  Badecabinen  mit  Marmorwannen  untergebracht  sind.  Für 
die  Unterkunft  der  Badegäste  ist  in  den  benachbarten  Orten 
Monfalcone  einerseits,  Duino  und  Sistiana  andererseits  gesorgt; 
die  Bodenverhältnisse  in  der  Umgebung  der  Therme  sind  für 
die  Errichtung  von  Wohngebäuden  ganz  ungeeignet;  wenn  die 
Curgäste  in  unmittelbarer  Nähe  der  Therme  untergebracht 
werden  sollten,  müsste  das  Terrain  vorerst  entwässert 
werden. 

Die  Therme  ist  ungefähr  1500  m  vom  Meere  entfernt, 
die  dazwischen  lagernden  Kalke,  aus  denen  die  Therme  ent¬ 
springt,  gehören  der  Kreideformation  an. 

Nach  den  Angaben  von  Karl  R.  v.  Hauer2)  sind 
diese  Kalke  theils  hell  gefärbt,  theils  fast  schwarz,  insbesondere 
die  Letzteren  zeigen  auf  frischem  Bruche  bituminösen  und  an 
Schwefelwasserstoff  erinnernden  Geruch. 

An  der  Therme  von  Monfalcone  besteht  kein  sichtbarer 
Abfluss.  Das  Wasser  erfüllt  eine  natürliche,  fast  rechtwinkelige 
Vertiefung  im  Kalkfelsen,  die  einen  Flächenraum  von  ungefähr 
77-9 tri1  einnimmt. 

Aus  der  tiefsten,  nahezu  im  Mittelpunkte  dieses  natür¬ 
lichen  Basins  gelegenen  Stelle  wird  das  Thermalwasser  für  die 
Bäder  mit  einer  Dampfpumpe  emporgehoben.  In  dem  Masse, 
als  Thermalwasser  herausgepumpt  wird,  strömt  alsbald  neues 
nach,  und  nach  langjährigen  Beobachtungen  ist  die  Therme 
im  Stande,  einen  grossen  Bedarf  zu  decken.  Sehr  interessant 
ist  die  Aenderung  des  Niveaus  der  Therme  mit  der  Fluth 
und  Ebbe  des  Meeres,  welche  auch  wir  zu  beobachten  Ge¬ 
legenheit  hatten. 

Das  Thermalwasser  von  Monfalcone  ist  wiederholt 
chemisch  untersucht  worden,  so  von  dem  Apotheker  G  i  o. 
Antonio  Vidali  in  Venedig3),  von  Cenedella4) 
1848,  von  Chiozza  im  Jahre  1856,  endlich  von  Karl 
v.  Hauer  5). 

Der  gegenwärtige  Besitzer  der  Therme,  Se.  Durchlaucht 
Alexander  Fürst  von  Thurn  und  Taxis,  hat  vor  Kurzem  die 
innere  Einrichtung  des  Badehauses  reconstruirt  und  dadurch 
die  Benützung  der  Therme  der  in  den  letzten  Jahren  grösser 
gewordenen  Frequenz  an  gepasst. 

Se.  Durchlaucht  hat  auch  veranlasst,  dass  wir  eine  neue 
Analyse  des  Thermalwassers  Vornahmen.  Wir  haben  uns 
Anfangs  Februar  d.  J.  an  Ort  und  Stelle  begeben,  die  Vor¬ 
arbeiten  an  der  Quelle  besorgt  und  die  erforderliche  Wasser¬ 
menge  in  geeigneter  Weise  in  Flaschen  gefüllt.  Dabei  wurde 
unter  Anderem  auch  Rücksicht  darauf  genommen,  für  die 
Analyse  Wasser  bei  verschiedenem  Niveau  der  Quelle  zu  ent¬ 
nehmen,  nämlich  zur  Zeit  der  Fluth  und  zur  Zeit  der  Ebbe 
des  Meeres. 

Das  Wasser  ist,  frisch  geschöpft,  vollkommen  klar  und 
farblos,  es  riecht  sehr  schwach  nach  Schwefelwasserstoff, 
schmeckt  salzig,  zugleich  etwas  bitter  und  reagirt  schwach 
sauer.  Bleibt  das  Wasser  in  einem  offenen  Gefässe  mit  der 
Luft  in  Berührung,  so  verschwindet  bald  der  Schwefelwasser¬ 
stoffgeruch,  und  es  ist  dann  geruchlos.  Einen  bituminösen 
Geruch  konnten  wir  absolut  nicht  wahrnehmer.  Wird  das 
Wasser  zum  Kochen  erhitzt,  so  scheidet  sich  ein  geringfügiger 
weisser  Niederschlag  ab,  welcher  aus  Carbonaten  besteht. 

Der  Gehalt  an  Schwefelwasserstoff  ist  ein  minimaler.  Wir 
haben  denselben  ausser  durch  den  Geruch  auch  noch  durch 
die  Reaction  auf  ein  mit  Bleiacetatlösung  getränktes  Papier 
nachgewiesen,  indem  wir  eine  Literflasche  zu  drei  Viertel  mit 
dem  Wasser  füllten  und  über  dem  Wasser  das  Probepapier 
aufhängten.  Dasselbe  nahm  nur  eine  blassbräunlichgelbe 
Färbung  an. 

2)  Jahrbuch  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt.  1858,  9.  Jahrgang, 
pag.  497. 

3)  Notizie  ed  analisi  chimica  delle  acque  termali  di  Monfalcone  di 
Gio.  Antonio  Vidali.  Venezia  1810. 

4)  Analisi  chimica  dell’  acqua  termale  di  Monfalcone  del  Dr.  Gia¬ 
como  A tt.il io  Cenedella.  Udine  1832. 

5)  1.  c. 


')  C.  Plinii  secundi  naturalis  historiae  liber  III,  cap.  XXVI. 


730 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  32 


Die  Temperatur  der  Therme  haben  wir  am  2.  lebruar 
d.  J.  mit  einem  corrigirten  Thermometer  an  verschiedenen 
Stellen  gemessen.  Sie  betrug  37'9°  C.  (die  Temperatur  der 
Luft  war  91°  C.).  Messungen  bei  Ebbe  und  Fluth  ergaben 
keine  Temperaturdifferenz. 

Als  Bestandtheile  des  Thermalwassers  wurden  durch  die 
qualitative  Prüfung  nachgewiesen: 


Kalium 

Chlor 

Natrium 

Brom 

Lithium 

Jod 

Ammoniak 

Schwefelsäure 

Calciu  m 

Borsäure 

Strontium 

Phosphorsäure 

Baryum 

Kohlensäure 

Magnesium 

Kieselsäure 

Eisen 

Schwefelsäure 

Aluminium 

Flüchtige  organische  Säuren. 

Lithium,  Ammoniak,  Baryum,  Jod,  Schwefelwasserstoff 
und  flüchtige  organische  Säuren  konnten  nur  qualitativ  nach 
gewiesen  werden,  weil  sie  sich  nur  spurenweise  in  dem 
Thermal  wasser  finden;  alle  übrigen  Bestandtheile  wurden 
quantitativ  bestimmt  und  dabei  folgende  Mittelwerthe  für 
10.000  Gewichtstheile  des  Thermalwassers  erhalten: 


Kaliumoxyd 
Natriumoxyd  . 
Calciumoxvd  . 
Strontiumoxyd 
Magnesiumoxytl 
Eisenoxyd  . 
Aluminiumoxyd 
Chlor  .  .  . 

Brom 

Schwefelsäureanhydrid 
Phosphorsäureanhydrid 
Borsäureanhydrid 
Kohlensäureanhydrid 
Kieselsäureanhydrid 


Organischer  Kohlenstoff  .... 
Ammoniak,  Lithium,  Baryum,  Jod, Sc 
Wasserstoff,  flüchtige  organische 
Controlsulfate  gefunden  .  .  . 

Controlsulfate  berechnet  .... 

Specifisches  Gewicht . 

Quellen  temperatur . 


.  L626 

.  50  729 
.  4-615 
.  0-058 
.  6920 

.  0-005 
.  0002 
.  67  687 
.  0-204 
.  9-750 
.  0001 
.  0  065 
.  P278 

.  .  0229 

.  .  0130 

hwefel-  1  _ 
Säuren  f  SPuren 
.  .  152206 
.  .  15P475 
.  .  L00986 

.  .  37-9°  C. 


Werden  diese  Bestandtheile  zu  Salzen  gruppirt,  so  erhält 
man  für  10.000  Gewichtstheile  des  Thermalwassers: 


Schwefelsaures  Kalium  . 
Schwefelsaures  Strontium 
Schwefelsaures  Calcium  . 
Schwefelsaures  Natrium  . 
Borsaures  Natrium . 
Phosphorsaures  Natrium  . 
Chlornatrium . 


Chlormagnesium 
Brommagnesium 
Kohlensaures  Magnesium 
Kohlensaures  Eisen  .  . 

Aluminiumoxyd 
Kieselsäureanhydrid  . 

Organischer  Kohlenstoff  . 

Ammoniak,  Lithium,  Baryum,  Jod,  Schwefel 
Wasserstoff,  flüchtige  organische  Säuren 
Kohlensäure,  halb  gebunden 
Kohlensäure,  frei  .... 

Summe  der  festen  Bestandtheile  .  .  .  1 


3-007 
0-103 
11;213 
3-064 
0-095 
0-002 
93  026 
15-123 
0-235 
1039°) 
0007 7) 
0-002 
0229 
0130 

Spuren 

0-547 

0485 

27-145. 


6)  Entsprechend  1’806<7  Magnesiumhydroeai  bonat. 
')  Entsprechend  0  010«;  Eisenbydrocarbonat. 


Die  folgende  Tabelle  enthält  eine  Darstellung  der  Zu¬ 
sammensetzung  des  Thermalwassers  in  Aequivalentprocenten 
seiner  Bestandtheile  nach  dem  Vorgänge  von  C.  v.  Than. 


K  .  . 

....  1-581 

Na  .  . 

....  74-941 

%Ca  . 

....  7556 

V2  Sr 

....  0051 

'/2  Mg  . 

....  15-865 

%Fe  . 

....  0  006 

* 

CI  .  . 

....  87531 

Br  .  . 

....  0-117 

V2so.  . 

....  1P168 

'/2  B4  o7 

....  0043 

C  03 11  . 

....  1-141 

* 


CO, 
Si  o. 


100 


100 


0-188 

0-175 


* 

Die  bereits  erwähnten  Niveauänderungen,  welche  die 
Monfalconer  Therme  unter  dem  Einflüsse  der  Ebbe  und 
Fluth  des  benachbarten  Meeres  erfährt,  haben  schon  früher 
Veranlassung  gegeben,  zu  prüfen,  ob  die  Zusammensetzung 
des  Thermalwassers  durch  diese  Vorgänge  Aenderungen 
erfährt.  Die  darauf  abzielenden  älteren  Untersuchungen 
haben  ergeben,  dass  eine  solche  Aenderung  nicht  eintritt. 
Auch  wir  haben  Thermalwasser  zur  Zeit  der  Ebbe  einerseits 
und  zur  Zeit  der  Fluth  andererseits  untersucht  und  in  Ueber- 
einstimmung  mit  den  älteren  Angaben  constatiren  können, 
dass  die  Zusammensetzung  des  Thermalwassers  bei  Ebbe  und 
Fluth  gleichbleibt. 

So  erhielten  wir  bei  der  Fällung  mit  Silbernitrat  an 
Chlorsilber  und  Bromsilber  zusammen  für  1 0.000g  Wasser 


zur  Zeit  der  Ebbe  .  .  .  274"206g 

zur  Zeit  der  Fluth  .  .  .  274  094g. 

Die  Menge  des  durch  Abdampfen  des  Thermalwassers 
mit  Schwefelsäure  erhaltenen  Sulfatrüekstandes  betrug  für 
10.000  g  Thermalwasser 

zur  Zeit  der  Ebbe  .  .  .  152  206  g 

zur  Zeit  der  Fluth  .  .  .  152-131  g. 

An  keiner  der  zugänglichen  Stellen  der  Therme  Hessen 
sich  frei  aufsteigende  Gase  wahrnehmen,  es  wurde  uns  auch 
von  Personen,  die  seit  vielen  Jahren  in  dem  Thermalbade  be¬ 
schäftigt  sind,  bestätigt,  dass  sie  niemals  Gasblasen  in  dem 
Bassin  der  Therme  beobachtet  haben. 

Das  in  dem  Thermalwasser  absorbirte  Gas  haben  wir 
durch  Auskochen  unter  Anwendung  einer  G  e  i  s  s  1  e  r’schen 
Quecksilherluftpumpe  gewonnen;  1 1  Wasser  lieferte  31*27  cw?3 
Gas.  8) 

Die  Analyse  dieses  Gasgemenges  ergab  folgende  Zu¬ 
sammensetzung: 


Kohlensäureanhydrid  .  .  .  33-01% 

Sauerstoff . 9' 17% 

Stickstoff .  57-82% 

Die  Bestimmung  des  Gefrierpunktes  und  der  elektrolyti¬ 
schen  Leitfähigkeit  des  Wassers  der  Monfalconer  Therme  hat 
Herr  Dr.  R.  v.  Zeynek  ausgeführt;  er  ist  zu  den  folgenden 
Resultaten  gelangt: 

Die  Depression  des  Gefrierpunktes  des  Wassers  der 
Therme  von  Monfalcone  gegen  den  Gefrierpunkt  von  reinem 
Wasser  wurde  im  Mittel  aus  drei  Versuchen  zu  0  726°  ge¬ 
funden. 

Die  elektrolytische  Leitfähigkeit  wurde  nach  der  Kohl¬ 
rau  sc h’schen  Methode  unter  Verwendung  zweier  Gefätse 
bestimmt,  deren  Wiederstandscapacitäten  P4585  X  10“ 5  und 

8)  Bei  01  C.  und  einer  Atmosphäre, 


Nr.  32 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


731 


1-2862  X  10-3  betrugen.  Als  specifische  Leitfähigkeit  K  des 
Thermalwassers  wurden  folgende  Werthe,  bezogen  auf  reciproke 
Ohms,  erhalten: 


Temperatur  in  Graden  K  X  10 — 

16- 4  ....  1-8815 

16-5  ....  1-8821 

17- 5  ....  19215 

87  2  ....  2-7976 

17  0  ....  1-9038 

18- 2  ....  1-9318 

37-2  ....  2-8021 

37-8  ....  2  8216 
382  ....  28407 
39-8  ....  2-9133 

40  0  ....  29199 


Die  auf  reciproke  Ohms  bezogene  Leitfähigkeit  des 
Thermal wassers  von  Monfalcone  bei  18"0°,  aus  den  Werthen 
berechnet,  die  zwischen  16"4  und  18"2°  gefunden  wurden, 
ergibt  sich  zu  1932  X  IO-6. 

Aus  der  Gefrierpunktsdepression  —  0-726°  ergibt  sich  die 
Zahl  der  Gramm-Molen  und  -Jonen  im  Liter  durch  Division 
d»  r  Gefrierpunktsdepression  durch  1 85.  Das  Thermalwasser 
enthält  demnach  0  3924  Gramm-Molen  und  -Jonen  im  Liter. 
Sein  osmotischer  Druck  berechnet  sich  zu  12"!  X  0  726  =  8*78 
Atmosphären. 

Wie  es  nothwendig  wurde,  die  Analysenwerthe  bei 
Mineralwasseranalysen  nicht  in  Form  von  Salzen  gruppirt, 
sondern  Basen  und  Säuren  geirennt  in  Aequivalenten  zu 
schreiben,  sobald  man  sich  der  Willkür  der  ersten  Darstellungs¬ 
art  bewusst  war,  so  verlangt  der  Fortschritt  unseres  Wissens 
über  die  Constitution  der  Salze  in  wässerigen  Lösungen  nun 
auf  die  Dissociation  der  Salze  Rücksicht  zu  nehmen. 

Man  hatte  mehrfach,  unter  Anderem  bei  Studien  über 
den  osmotischen  Druck,  respective  die  Gefrierpunktserniedrigung, 
an  Salzlösungen  beobachtet,  dass  die  gefundenen  Werthe  be¬ 
deutend  grösser  waren,  als  der  Anzahl  Molecüle  entsprechen 
konnte  und  war  durch  diese  Thatsachen  genöthigt,  einen 
theilweisen  Zerfall  —  Dissociation  —  der  Salzmolecüle  in  ihre 
Componenten  —  Jonen  —  anzunehmen.  Nach  den  modernen 
Anschauungen  sind  diese  Jonen  als  Atome  oder  Atomcomplexe 
aufzufassen,  welche  mit  sehr  beträchtlicher  elektrischer  Ladung 
versehen  sind  und  sich  eben  durch  diese  von  den  Atomen  etc. 
im  »status  nascens«  unterscheiden.  Chlorjonen  z.  B.  dürfen 
durchaus  nicht  mit  freiem,  elektrisch  neutralem  Chlor  ver¬ 
wechselt  werden;  die  Kräfte  welche  die  ersteren  zu  den  etwa 
zugehörigen  Metalljonen  hindrängen,  sind  enorm  grosse.  Bei 
der  Gefrierpunktserniedrigung  wirken  jedoch  die  Jonen  selbst¬ 
ständig,  wie  die  noch  unzersetzten  Molecüle 

Nicht  nur  bei  anorganischen  Salzen,  sondern  auch  bei 
organischen  Salzen  und  auch  anderen  Verbindungen  wurde 
eine,  allerdings  meist  wesentlich  geringere,  Dissociation  in 
ihren  wässerigen  Lösungen  beobachtet. 

Von  Wichtigkeit  ist,  dass  nur  diese  dissociirten  Antheile 
der  gelösten  Stoffe  den  elektrischen  Strom  leiten.  Durch  die 
Bestimmung  der  Leitfähigkeit  einer  Lösung  für  den  elektrischen 
Strom  kann  man  daher  ermitteln,  wie  gross  der  Grad  der 
Dissociation  einer  Flüssigkeit  ist. 

Für  wässerige  Lösungen,  welche  nur  einen  dissociirten 
Bestandtheil  enthalten,  sind  solche  Bestimmungen  auch  viel¬ 
fach  mit  grosser  Präcision  ausgeführt  worden;  auf  deren 
Details  kann  hier  natürlich  nicht  eingegangen  werden.  Diese 
Bestimmungen  haben  ergeben,  dass  sowohl  der  Dissociations 
grad  als  auch  die  Leitfähigkeit  für  die  verschiedenen  Jonen- 
complexe  verschieden  gross  ist.  Complicirt  und  der  Rechnung 
bisher  nicht  vollkommen  zugänglich  sind  jene  Fälle,  wo 
mehrere  Salze  nebeneinander  in  Wasser  gelöst  werden ;  die 
Leitfähigkeit  dieser  Gemische  erwies  sich  meist  grösser  als 
erwartet. 

Bei  der  physikalisch-chemischen  Untersuchung  von 
Mineralwässern  kommt  eine  weitere  Schwierigkeit  hinzu,  dass 
man  ja  die  einzelnen  Salze  der  Mineralwässer  nicht  kennt, 


sondern,  wie  eingangs  erwähnt,  diesbezüglich  auf  Vermuthungen 
angewiesen  ist.  Bei  der  Mineralwasseranalyse  wird  jeder  Be¬ 
standtheil  separat  bestimmt;  ein  Auskrystallisiren  von  Salzen, 
etwa  durch  Eindampfen,  ist  keineswegs  beweisend  für  deren 
Gegenwart  in  dem  noch  nicht  so  weit  concentrirten  Mineral¬ 
wasser.  Aus  alledem  mag  zu  ersehen  sein1'),  dass  die  folgende 
Rechnung  nur  ein  annäherndes  Bild  von  der  Zusammen¬ 
setzung  des  Thermalwassers  von  Monfalcone  im  Lichte  der 
modernen  Anschauungen  über  Lösungen  geben  kann,  während 
die  mitgetheilten  Zahlen  für  Leitfähigkeit  und  Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung  den  Werth  von  Constanten  für  das  be¬ 
treffende  Wasser  haben. 

Als  Concentrationseinheit  wird  bei  physikalisch-chemischen 
Rechnungen  der  Gehalt  eines  Moleculargewichtes,  respective 
Jonge  wichtes  in  Grammen  in  1 1  Lösung  ange¬ 
nommen. 

Die  specifische  Leitfähigkeit  des  Thermalwassers 
(K=  1-932  X  10~6  reciproken  Ohms 9  10)  entspricht  der  Leit¬ 
fähigkeit  einer  Chlornatriumlösung,  welche  im  Liter 
0"22  Grammmolecüle  Chlornatrium  enthält;  der  Dissociations- 
grad  einer  solchen  Lösung  ist  0"784  (1 — 0"784  wären  un- 
dissociirte  Molen).  Da  im  vorliegenden  Falle  mehrere  stärker 
dissociirte  Salze  (speciell  Chlormagnesium)  vorhanden  sein 
müssen,  können  wir  rund  0"80  als  Dissociatiousgrad  annehmen. 
Unter  dieser  Voraussetzung  bestünde  die  aus  der  Gefrierpunkts¬ 
depression  berechnete  Summe  der  nicht  dissociirten  Molen  und 
der  Jonen  aus 

0  314  Gramm- Jonen  im  Liter 

0078  nicht  dissociirten  Gramm- Molen, 

0  392  zusammen,  nicht  dissociirte  Molen  und  Jonen. 

Zur  Vereinfachung  der  Anäherungsrechnung  seien  die 
Ergebnisse  der  chemischen  Analyse  etwas  zusammengezogen, 
indem  Natrium  und  Kalium  als  Chlornatrium,  Calcium  und 
Strontium  als  Calciumsulfat,  ein  Theil  des  Magnesiums  mit 
den  in  kleinen  Mengen  vorhandenen  Substanzen  als  Magnesium¬ 
sulfat  in  Rechnung  gebracht  werden.  Der  dadurch  verursachte 
Fehler  ist  jedenfalls  zu  vernachlässigen  gegenüber  der  Un¬ 
sicherheit  in  der  Berechnung  des  Dissociationsgrades. 

In  dieser  Darstellungsart  enthielte  1  l  des  Thermal¬ 
wassers: 


Molen,  wenn 
von  der  Dis¬ 
sociation 
abgesehen  ist 

i 

Cß 

O 

4-3  , - - 

&  ^ 

-  * 

O  hß 
u. 

K 

Q 

Dissociirte 

Bestandteile 

(Jonen) 

1 

,  i  © 

W  £0  7Z 

©  = 

5 'S 

^  OS 

(/. 

Na  CI . 

01673 

0-80 

0-2677 

00335 

Mg  CI., . 

0  0121 

0  85 

0-0309 

0-00  8 

Ca  SO) . 

0-0083 

0  85 

0-0141 

00012 

Mg  SO, . 

0-0052 

0-70 

0-0073 

00016 

Si  o„  CO.,,  c . 

0-0019 

— 

00019 

0  1948 

— 

0-3200 

0  0400 

1 

Ein  Vergleich  dieser  Zahlen  mit  den  aus  der  Gefrier¬ 
punktsdepression  berechneten  zeigt  den  Grad  der  Ueberein- 
stimmung  zwischen  der  physikalisch-chemischen  und  der 
chemischen  Analyse.  Worauf  die  Differenz  im  Molengehalt 
zurückzuführen  ist,  lässt  sich  dermalen  nicht  sagen. 

* 

Wenn  man  die  vorliegenden  Resultate  unserer  Analyse 
mit  denen  der  älteren  Analysen  vergleicht,  so  ergibt  sich  zu¬ 
nächst  in  qualitativer  Hinsicht,  dass  wir  Strontium,  Baryurn, 
Borsäure,  Phosphorsäure,  Ammoniak,  Lithium  und  fluchtige 

9)  Vgl.  diesbezüglich  noch  die  Publication  II  J  a  h  n’s,  Zeitschrift 
für  physikalische  Chemie.  Bd.  XXXIII,  5,  pag.  545  fl. 

10)  Bisweilen  wird  die  Leitfähigkeit  nicht  aut  das  Ohm,  d.  i.  den 
Widerstand  einer  Quecksilbersäule  von  1  mm-  Querschnitt  ur:d  1  (  ■  >n 
Läno-e  bei  0°,  sondern  auf  den  Widerstand  einer  solchen  von  1  cm  Quer¬ 
schnitt  und  1-063  cm  Länge  bezogen;  die  hier  erhaltenen  Werthe  sind  tur 
diesen  Fall  mit  10 4  zu  multipliciren. 


732 


Nr.  32 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


organische  Säuren  als  neue  Bestandtheile  des  W  assers  nach¬ 
gewiesen  haben,  welche  von  den  früheren  Analytikern  wohl 
zum  Theil  wegen  Mangelhaftigkeit  der  Methoden  übersehen 
worden  sind. 

Von  bituminösen  Substanzen,  deren  in  älteren  Analysen 
Erwähnung  gethan  wird,  konnten  wir  absolut  nichts  con- 
statiren. 

Die  Ergebnisse  aller  älteren  quantitativen  Analysen 
haben  wir  mit  den  Resultaten  unserer  Analyse,  um  einen 
Vergleich  zu  ermöglichen,  in  der  folgenden  Tabelle  zusammen¬ 
gestellt. 


u. 

o 

®  CO 

CS 

N  CO 

CD 

5  co 

1900 

^  CO 

CD  CC 

.2  CO 

'O 
►U  CO 

*  rH 
►> 

r* 

ja  r“ 

1 

<D 

o 

O 

Kaliumoxyd . 

0-225 

1-32 

1-31 

1-626 

Natriumoxyd . 

58-367 

48637 

53-71 

54-23 

50-729 

Calciumoxyd  ..... 

6882 

5-093 

3-87 

4-32 

4-615 

Strontiumoxyd  .  ... 

— 

— 

— 

— 

0058 

Magnesiumoxyd  .... 

9-357 

14-108 

7-38 

5-76 

6-920 

Eisenoxyd . 

Aluminiumoxyd  .... 

— 

0  090 
0080 

0-02 

0  07 

0-003 

0  002 

Chlor . 

78-507 

67-546 

67-62 

69-74 

67-687 

Brom . 

— 

0-206 

0  19 

— 

0  204 

Jod . 

— 

0-703 

— 

— 

Spur 

Scbwefelsäureanhydrid  .  . 

9-477 

8-862 

9  99 

994 

9-750 

Phosphorsäureanhydrid 

— 

— 

— 

— 

0001 

Borsäureanhydrid  .... 

— 

— 

— 

— 

0-065 

Kohlensäureanhydrid  .  . 

3-178 

5  813 

3-49 

3-48 

1-278 

Kieselsäureanhydrid  .  .  . 

— 

2-570 

018 

0  14 

0229 

Schwefelwasserstoff  .  . 
Ammoniak  und  Lithium, 

— 

0  154 

Spur 

Spur 

Baryum,  flüchtige  orga¬ 
nische  Säuren  .... 

_ 

Spuren 

Organische  Substanz  .  . 

— 

1.600 

— 

— 

0-130*) 

Naphtha . 

— 

0-620 

— 

— 

— 

Kohlenwasserstoffe  .  .  . 
Stimme  der  festen  Bestand- 

— 

0-072 

— 

theile . 

148-054 

140-492 

1 

126  99 

131-54 

127  145 

*)  Als  organischer  Kohlenstoff  berechnet. 

Die  Ergebnisse  der  drei  letzten  Analysen,  nämlich  jener 
von  Chiozza  (1856),  K.  v.  Hauer  (1858)  uud  uns  zeigen 
eine  bemerkenswerthe  Uebereinstimmung  in  der  Concentration 
des  Thermalwassers,  d.  h.  in  seinem  Gehalt  an  gelösten  festen 
Bestandteilen ;  denn  die  geringen,  aus  der  Tabelle  ersicht¬ 
lichen  Differenzen  sind  nicht  grösser,  als  sie  den  unvermeid¬ 
lichen  Versuchsfeldern  entsprechen,  zumal  wenn  die  Analysen 
nicht  von  einem  Analytiker  und  nicht  nach  denselben  Methoden 
ausgeführt  werden.  Erheblicher  sind  die  Unterschiede,  welche 
zwischen  den  Ergebnissen  der  bereits  genannten  drei  letzten 
Analysen  und  jenen  der  Analysen  von  Vidali  und  Cene- 
della  bestehen.  Erwägt  man,  dass  die  Analyse  von  Vidali 
im  Jahre  1810  gemacht  wurde,  also  zu  einer  Zeit,  in  welcher 
tüchtige  Analytiker  noch  sehr  dünn  gesäet  waren  und  die 
analytischen  Methoden  in  Bezug  auf  ihre  Verlässlichkeit  noch 
weit  hinter  den  heutigen  zurückstanden;  unterwirft  man  ferner 
die  Methoden,  welche  Cenedella11)  bei  seiner  Analyse  ver¬ 
wendet  hat,  einer  sachgemässen  Kritik,  so  wird  man  zu  der 
Ansicht  gedrängt,  dass  die  beträchtlichen  Unterschiede  in  den 
Resultaten  der  Analysen  lediglich  in  den  Analytikern  und 
nicht  etwa  darin  zu  suchen  sind,  dass  das  Thermalwasser  von 
Monfalcone  im  Laufe  der  Zeit  seine  Zusammensetzung  wesent¬ 
lich  geändert  hätte. 

Man  wird  vielmehr  anzunehmen  haben,  dass  die  Concen¬ 
tration  des  Wassers  erhebliche  Aenderungen  nicht  erfahren 
hat.  Dafür  sprechen  ganz  besonders  die  drei  letzten  Analysen. 

* 

Die  Therme  von  Monfalcone  gehört,  wie  aus  dem  Resul¬ 
tate  der  chemischen  Untersuchung  ihres  Wassers  hervorgeht, 

")  Diese  Methoden  sind  in  der  bereits  eiiirten  Abhandlung  von 
Cenedella  genau  beschrieben. 


zu  den  Kochsalzthermen  und  nimmt  unter  denselben,  -wie  die 
folgende  Tabelle  lehrt,  einen  hervorragenden  Platz  ein. 

Die  zum  Vergleich  herangezogenen  Thermen  sind  in 
dieser  Tabelle  alphabetisch  angeordnet.1'2) 


Temperatur 
in  Graden 
Celsius 

i 

Summe  der 
festen 

i  Bestandtheile 

Kochsalz 

Kohlensäure 

Baden-Baden,  Brühquelle  .  . 

68-36 

30-014 

22-266 

0-607 

»  Fettquelle  .  . 

63  90 

28-971 

22-105 

— 

»  Judenquelle 

68-3 

29-089 

21-849 

0-469 

»  Ursprung  .  . 

68-63 

28  767 

21-511 

0-485 

»  Höllenquelle  . 

65-1 

28-937 

21101 

0-932 

»  Ungemachquelle 

— 

29-514 

20-834 

0560 

»  Mui  quelle  .  . 

56  0 

27-657 

19-428 

— 

»  Büttquelle  .  . 

44-4 

27-585 

18-988 

0-638 

Battaglia  . 

58-5-7T2 

23-670 

15-770 

— 

Bourbonne-les-bains  .... 

58—66 

76-79 

58-00 

— 

Kissingen,  Schönboi  nsprudel 

20T-20-4 

158-470 

117-194 

26  209 

Mondorff  . 

24-75 

143-794 

87-212 

0651 

Monfalcone . 

37-9 

127145 

93-026 

1-278 

Nauheim,  Curbrunnen  .  .  . 

21-4 

186-828 

154-251 

19-558 

»  Friedrich  Wilhelm- 

Sprudel . 

35-3 

353-573 

292-940 

11-376 

»  Grosser  Sprudel  .  . 

31-6 

263539 

218-245 

14  015 

»  Kleiner  Sprudel  . 

27-56 

211-663 

171-388 

15-599 

Oeynhausen-Rehme,  Thermal- 

soole  ...  . 

31-6 

395-504 

303-51 

14-811 

Oeynhausen-Rehme,  Bohrloch 

kr.  II . 

27-6 

407  024 

312-75 

14-376 

Oeynhausen-Rehme,  Bohrloch 

Nr.  III  . 

27-3 

322-843 

247-12 

12*043 

Oeynhausen -Rehme,  Biilow- 

Brunntn,  leichte  Soole  .  . 

— 

420-294 

358  12 

— 

Oeynhausen -Rehme,  Biilow- 

Brunnen,  schwere  Soole 

— 

970-103 

856-37 

— 

Soden,  Milchbrut. nen  .... 

24-38 

33-990 

24-255 

18-698 

»  Warmbrunnen  .  .  . 

22-69 

47-817 

34-258 

19  957 

»  Schlangenbadquelle 

18-9-19-7 

6033 

2-988 

1-409 

»  Soolbrunnen  .... 

2D55 

169-259 

142-328 

16-608 

»  Soolsprudel . 

30-5 

168-674 

145-500 

14-857 

Wiesbaden,  Spiegelquelle  .  . 

66-1 

81- 

68-24 

4-89 

»  Gemeindequelle  . 

49  5 

64- 

52-64 

4-009 

»  Kochbrunnen  .  . 

68-75 

82-627 

68-357 

3-940 

Aus  der  k.  k.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 
Prof.  C  Nicoladoni  in  Graz. 

Beiträge  zur  Frage  der  »totalen  Darmaus¬ 
schaltung«. 

Von  Dr.  Erwin  Payr,  Docent  für  Chirurgie  und  Assistent  der  Klinik. 

(Schluss.) 

Die  Frage  der  totalen  Darmausschaltung  steht  heute  viel¬ 
leicht  nicht  mehr  so  im  Vordergründe  des  Interesses,  wie  dies 
vor  fünf  bis  sechs  Jahren  der  Fall  war.  Es  sind  ja  die  An¬ 
schauungen  über  die  technische  Ausführung  des  Eingriffes,  über 
die  Indicationen  und  die  Berechtigung  viel  geklärter  als  damals. 

Heute  ist  die  totale  Darmausschaltung  ein  verhältniss- 
mässig  seltener  Eingriff,  da  ja  die  partielle,  die  Entero- 
anastomose  M  a  i  s  o  n  n  e  u  v  e’s,  mit  all’  ihren  späteren  Ver¬ 
besserungen  sehr  leistungsfähig,  ebenso  sicher  und  vor  Allem 
technisch  viel  leichter  ausführbar  ist.  v.  Hacker5)  ist  Der¬ 
jenige,  der  durch  moderne  Technik  und  präcise  Indications- 
stellung  letzteres  Verfahren  auf  die  hohe  Stufe  von  heute  brachte. 

Es  gibt  aber  gewisse  Fälle,  in  denen  die  totale  Darm¬ 
ausschaltung  den  einzigen  Weg  dar  stellt,  um 
einen  halbwegs  erträglichen  Zustand  für  den 
Patienten  herbeizuführen;  es  gilt  entweder  einen 
widernatürlichen  After,  der  sich  durch  spontane  Fistelbildung 
etablirt  hat,  zu  verschliessen  oder  dem  Patienten,  der  mit  Darm¬ 
stenose  behaftet  ist,  die  Anlegung  eines  solchen  zu  ersparen. 

,2)  Die  Zahlen  dieser  Tabelle  sind  dem  Handbuche  der  allgemeinen 
und  speciellen  Balneotherapie  von  Hofrath  Dr.  Tb.  Valentiner 
entnommen. 


Nr.  32 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


733 


Salzer  (1.  c.)  gebührt  das  grosse  Verdienst,  der  geistige 
Urheber  dieses  Operationsverfahrens  zu  sein,  wenn  er  auch 
nicht  der  Erste  war,  der  den  Vorschlag  machte  oder  zur  Aus¬ 
führung  brachte.*)  Die  erste  totale  Darmausschaltung  mit  gleich¬ 
zeitiger  völliger  Versenkung  des  ausgeschalteten  Stückes  ohne 
Sicherheitsventil  wurde  von  Trendelenburg0)  schon  im 
Jahre  1885  ausgeführt.  Diese  Operation  hatte  aber  nicht  ein 
Weiterrollen  der  Frage  bedingt  (Becker,  Ueber  Darm- 
resection.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XXXIX). 

Dielndicationen,  die  Salzer  für  das  Verfahren 
aufgestellt  hat,  sind  in  weiter  Voraussicht  der  Grenzen  der 
technischen  Durchführbarkeit  des  Eingriffes  gestellt  und  hat 
Salzer,  obwohl  damals  nur  auf  Thierversuche  und  noch  auf 
keine  eigenen  Erfahrungen  am  Menschen  gestützt,  mit  grosser 
Uebersicht  das  Indicationsgebiet  entwickelt. 

Es  gab  in  der  Frage  der  Darmausschaltung  ein  sonst 
seltenes  Zusammentreffen,  von  Versuchsreihen,  von  physio¬ 
logischer  Seite  angestellt,  um  über  das  Wesen  der  Darmsecretion 
Aufschluss  zu  gewinnen,  und  von  Ideen,  bestimmt,  die  an  Thier¬ 
versuchen  gewonnenen  Erfahrungen  in  der  praktischen  Chirurgie 
mit  Nutzen  zu  verwenden. 

Die  Geschichte  der  Entwicklung  der  Darmausschaltung 
von  ihren  ersten  Anfängen  an,  von  der  T  h  i  r  y  7)  -V  e  1 1  a’schen 8) 
Fistel,  den  Versuchen  Hermann’s9)  und  seiner  Schüler  bis 
zur  praktischen  Nutzanwendung  am  Menschen  kann  in  ihren 
hauptsächlichen  Zügen  als  bekannt  vorausgesetzt  werden;  auf 
einzelne  Punkte  im  Entwicklungsgänge  der  Frage  kommen  wir 
ohnedies  später  zurück. 

Ein  besonderes  Interesse  erheischt  die  Frage  der 
Indicationsstellung  für  die  totale  Darmausschaltung, 
auf  die  wir  mit  einigen  Worten  eingehen  müssen,  obwohl 
Salzer  (1.  c.)  in  seiner  zweiten  Publication  bereits  dieses 
Capitel  in  eingehender  Weise  erörtert  hat. 

Salzer  stellt  als  Indication  mehrere  Gruppen  von  Er¬ 
krankungen  auf,  die  sich  vortheilhaft  in  drei  Kategorien  ein- 
theilen  lassen : 

1.  Kotheiterfisteln  nach  Verletzungen,  acuten  und  chro¬ 
nischen  Krankheiten  des  Darmes. 

2.  Darmfisteln  nach  Durchbruch  inoperabler  Geschwülste, 
nach  Arrosion  des  Darmes  in  Folge  tiefer  Eiterungsprocesse 
im  Bauchraume  und  bei  Communication  zwischen  Blase  und 
Darm;  dazu  ist  seither  die  Behandlung  von  Darm-Genitalfisteln 
durch  totale  Ausschaltung  (N  a  r  a  t  h)  (1.  c.)  und  die  Pylorus- 
ausschaltung  gekommen  (v.  Eiseisberg  10).  Letzterem  Autor 
verdankt  die  totale  Darmausschaltung  den  Hauptantheil  ihrer 
praktischen  Entwicklung  und  ist  dieses  Verfahren  von  v.  Eiseis¬ 
berg  in  hervorragendstem  Masse  gepflegt  und  gefördert  worden. 
Endlich  hat  man  ausgeschaltete  Darmstücke  zu  plastischen 
Zwecken  (Blase)  verwendet. 

3.  Stenotische  Processe  im  und  am  Darme,  neoplastischer 
oder  chronisch-entzündlicher  Natur;  die  Ausschaltung  bezweckt 
entweder  die  Vermeidung  eines  Anus  praeternaturalis,  oder  die 
Ermöglichung  einer  Therapie  für  den  erkrankten  Darmantheil 
oder  endlich  das  spätere  Möglich  werden  der  Exstirpation;  immer 
vorausgesetzt,  dass  eine  primäre  Resection  der  Darmpartie 
nicht  möglich  ist. 

Unser  Fall  gehört  nun  zweifellos  in  die  zweite  Kategorie 
der  Indicationen :  Arrosion  des  Darmes  in  F  olge  eines 
tiefen  Eiter ungsprocesses  im  Bauchraume.  Nach 
genauer  Durchsicht  der  Literatur  konnten  wir  keinen  Fall 
finden,  in  dem  diese  Indication,  die  theoretisch  aufgestellt,  sich 
praktisch  ergeben  hätte  und  ist  unser  Fall  somit  der  erste,  der 
den  praktischen  Beweis  der  Richtigkeit  für  dieselbe  ergibt. 

Ein  Fall,  der  der  Indicationsstellung  nach  mit  unserem 
wenigstens  verwandt  ist,  ist  einer  jener,  durch  welche  S  a  1  z  e  r 
zum  Theil  wenigstens  die  Anregung  zum  Suchen  nach  einer 
anderen  Behandlung  von  Darmleiden,  als  dies  Resectio  intestini 
und  Enteroanastomosis  sind,  erhielt. 

Ein  Bauchschuss  in  der  rechten  Inguinalgegend  erzeugt 
eine  Darmfistel. 


*)  v-  Hacker  (1.  c.)  entwickelte  die  fragliche  Idee  als  Vorschlag 
in  seiner  Arbeit  über  die  Anastomosenbildung  am  Darme. 


Es  entwickelt  sich  secundäre  Osteomyelitis  chronica  ossis 
ilei  (wahrscheinlich  tuberculöser  Natur  nach  Infection  vomDarm- 
tractus  aus);  es  entsteht  ein  Congestionsabscess  am  rechten 
Oberschenkel.  Die  Ausschneidung  des  Projectils  nach  Spaltung 
des  Abscesses,  die  ausgedehnten  Hautplastiken  auf  die  Darm¬ 
fistel,  der  Versuch  der  Freilegung  des  pathologisch  veränderten 
Intestinums  inmitten  des  Schwielengewebes  —  Alles  war  erfolglos. 
Der  Kranke  musste  nach  Monaten  aus  der  Spitalspflege  ent¬ 
lassen  werden,  um  ungeheilt  nach  Hause  zu  gehen. 

In  unserem  Falle  war  die  Arrosion  des  Darmes  ein  Er¬ 
eigniss,  das  unbedingt  zu  einem  operativen  Vorgehen  zwang. 

Das  Einfliessen  von  Darminhalt  in  eine  ungeheure,  nach 
hinten  zu  bis  zur  Synchondrosis  sacro-iliaca  und  gegen  die  Lenden¬ 
wirbelsäule  reichende  Psoasabscessliöhle  musste  schwerste  In¬ 
fection  sgefahren  für  den  Patienten  heraufbeschwören.  Ist  es  ja 
doch  bekannt,  dass  grosse  kalte  Abscesse  im  Becken  unter 
den  peinlichsten  aseptischen  Cautelen  be¬ 
handelt  werden  müssen,  um  acute  Infectionen  sicher  zu 
verhüten. 

Wenn  es  auch  durch  einige  Zeit  hindurch  möglich  war, 
durch  festes  Verstopfen  der  Darmfistel  ein  Einfliessen  in  die 
Abscesshöhle  hintanzuhalten,  so  ist  dies  für  längere  Zeit  doch 
unthunlich  gewesen. 

Unsere  erste,  zur  Beseitigung  der  Darmfistel  vorgenommene 
Operation  bezweckte,  auf  irgend  eine  Weise  einen  Ver¬ 
schluss  der  Communication  zwischen  Cöcum 
und  Abscesshöhle  zu  erzielen. 

Eine  Lospräparirung  des  Cöcums  von  der  Abscesswand 
wäre  nach  der  Verdünnung,  die  daselbst  bestand,  wohl  kaum 
möglich  gewesen  und  hätte  ausserdem  eine  breite,  nicht  zu  ver- 
schliessende  Communication  zwischen  Abscesshöhle  und  freier 
Bauchhöhle  gesetzt,  kam  daher  überhaupt  nicht  in  Betracht. 

Wenn  der  Zustand  des  Kranken  nicht  ein  so  elender  ge¬ 
wesen  wäre,  dass  er  einen  irgendwie  länger  dauernden  Ein¬ 
griff  mir  damals  unbedingt  unthunlich  erscheinen  liess,  so  wäre 
natürlich  die  totale  Darmausschaltung  mit  blinder 
Vernäkung  der  vier  Enden  schon  damals  das  Richtige  gewesen. 
So  aber  musste  ich  mich  nach  Anlegung  der  lateralen  Ileo- 
colostomie  begnügen,  durch  eine  circulär  angelegte  seromusculäre 
Scknürnaht  das  zu-  und  abführende  Darmlumen  versuchs¬ 
halber  zu  verschliessen  und  dachte  ich,  dass  vielleicht  die 
Fäcalmassen  ihren  Weg  durch  die  Ileocolostomie  nehmen  würden, 
da  dieselbe  sehr  breit  angelegt  war  und  an  der  Stelle  der  an¬ 
gelegten  Schnürnaht  derzeit  wenigstens  das  Darmlumen  nach 
der  Fistel  sowohl  im  proximalen  als  im  distalen  Schenkel  auf¬ 
gehoben  erschien.  Die  nach  acht  Tagen  beobachtete  Wieder¬ 
kehr  des  Ausfliessens  von  Darminhalt  aus  der  Darmfistel  bewies 
mir  am  besten,  dass  mein  allerdings  nur  durch  die  Verhältnisse 
aufgezwungenes  Verfahren  des  Verschlusses  seinen  Zweck  nicht 
erfüllte. 

Ich  halte  es  für  angezeigt,  über  diese  Sache  einige  Be¬ 
merkungen  anzuschliessen. 

Es  ist  schon  zu  verschiedenen  Malen  versucht  worden, 
durch  Anlegung  von  Nähten,  Ligaturen  u.  s.  w.,  Darmlumina 
bei  Anastomosen  und  Ausschaltungen  von  Darm  theilen  einen 
dauernden  Verschluss  herbeizuführen. 

Ich  erinnere  dabei  nur  an  die  Publication  von  v.  Hacker 
(1.  c.)  aus  dem  Jahre  1888  über  die  Bedeutung  der  Anastomosen¬ 
bildung  im  Darm. 

In  einem  Falle  von  Ileocolostomie  wird  mitgetheilt:  »um 
eine  Ansammlung  von  Darminhalt  in  der  jetzt  ausgeschalteten 
Darmpartie  möglichst  zu  vermeiden,  wird  das  Ileum  in  seinem, 
von  der  Communicationsöffnung  her  gegen  den  Tumor  ziehenden 
Stücke  durch  Einstülpung  der  Wand  in  Längsfalten  und  An¬ 
legung  die  Faltenhöhen  vereinigender  Nähte  verengt«.  In 
diesem  Falle  liess  es  sich  nicht  entscheiden,  ob  die  angelegten 
Faltennähte  ihren  Zweck  erfüllt  haben  oder  nicht. 

Indess  ist  der  Gedanke  ja  naheliegend,  durch  derartige 
Nahtanlegung  dem  Darminhalte  eine  bestimmte  Richtung  zu 
geben. 

W.  Körte11)  machte  anlässlich  eines  Falles  von  Darm- 
tuberculose  eine  Reihe  von  Eingriffen,  unter  Anderem  auch  die 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  32 


Ausschaltung  eines  bedeutenden  Stückes  de3  Dick-  und  Dünn¬ 
darmes. 

Um  dem  Darminhalte  den  rückläufigen  Weg  durch  Colon 
descendens  und  transversum  zur  Darmfistel  zu  versperren,  legte 
Körte  (1.  c.)  Faltennähte  sehr  enge  nebeneinander  durch 
Serosa  und  Muscularis  an,  um  das  Colon  zu  verschliesscn 
(13.  Mai  1893). 

Am  26.  Mai,  also  nach  14  Tagen,  entleerte  sich  wieder 
ein  Theil  des  Darminhaltes  bei  der  Fistel  —  »offenbar  hatten 
die  Faltennähte  nicht  gehalten«  sagt  Körte  selbst. 

Ganz  ähnlich  also,  wie  in  unserem  Falle  war  es  nach 
einigen  Tagen  scheinbar  gelungenen  Verschlusses  des  Darmes 
zu  einer  Wiederherstellung  des  Lumens  gekommen. 

Es  ist  daher  die  Anlegung  von  Faltennähten 
oder  auch  von  einer  seromusculären  Tabaks¬ 
beutelnaht  oder  endlich  von  Ligaturen  bei  der 
Darmausschaltung  zur  Ver  sch  lies  sung  eines 
Darmabschnittes  eine  höchst  unsichere  Methode 
Es  liegen  nach  unseren  heutigen  Kenntnissen  auch  die  Ur¬ 
sachen  für  die  Unsicherheit  sehr  nahe. 

Ich  erinnere  dabei  nur  an  die  sich  immer  öfter  wieder¬ 
holenden  Mittheilungen  über  das  Hineingelangen  von  Fremd¬ 
körpern  in  den  Darm;  der  vorjährige  Chirurgencongress  brachte 
interessante  Mittheilungen  über  diesen  Gegenstand;  besonderes 
Interesse  verdienen  die  Beobachtungen,  die  Kader12)  bei 
Thierexperimenten  über  die  Ursache  innerer  Darmeinklem¬ 
mungen  machte.  Es  wurden  Darmschlingen  durch  Gummi¬ 
bänder  und  Schnüre  massig  strangulirt.  Einige  Hunde  vertrugen 


diesen  Eingriff  anstandslos  und  fand  man  die  Schnur  bisweilen 
frei  im  Darminnern  und  manchmal  per  anum  entleert;  in  anderen 
Fällen  fand  sich  die  Gummischnur  frei  in  der  Bauchhöhle, 
nach  Durchschneidung  des  Darmes;  das  Lumen  des  Darmes 
aber  fand  sich  in  allen  diesen  Fällen,  wenn  auch  verengt,  so 
doch  wieder  hergestellt.  Es  fanden  sich  bisweilen  auch  mehrere 
Enteroanastomosen  zwischen  den  Schlingen. 

Es  ist  also  nichts  wahrscheinlicher,  als  dass  derartige 
Schniirnähte,  wenn  sie  an  der  Höhe  der  Convexität  der  Falten 
angelegt  sind,  durchschneiden  und  vom  Peritoneum  abgekapselt 
werden;  wenn  sie  den  Darm  circular  umspannen,  durch¬ 
schneiden  und  in  das  Darminnere  gelangen  und 
so  nach  kurzer  Zeit  die  versperrte  Passage  wieder  freigeben. 

Ein  Verfahren,  das  von  v.  M  o  s  e  t  ig  - M  o  o  r  h  o  f  13)  für 
die  Technik  der  Colotomie  mit  Ausschaltung  des  distalen  Dick¬ 
darmabschnittes  angegeben  ist,  basirt  eigentlich  auf  derselben 
Grundlage;  es  wird  der  hervorgezogene  Darm  an  einer  Stelle 
mittelst  eines  dünnen  Seidenfadens  einfach  unterbunden;  der 
durch  das  Mesocolon  durchgezogene  Faden  wird  fest  geschnürt; 
es  wölbt  sich  nun  die  Darmwand  zu  beiden  Seiten  der  Ligatur 
stark  in  die  Höhe  und  werden  die  Darmwände  durch  sero- 
musculäre  Ringnähte  in  zwei  Etagen  miteinander  vereinigt; 
v.  Mosetig  nennt  diese  Methode  »Colotomie  mit 
querem  Doppelwandverschluss«;  v.  Mosetig  war 
in  einigen  bisher  operirten  Fällen  mit  dem  Erfolge  zufrieden; 
trotzdem  liegt  nach  den  sonstigen  gemachten  Erfahrungen  die 
Vermuthung  nahe,  dass  die  Ligaturfadenschlinge  einmal  durch¬ 
schneiden  kann  und  die  Doppelwandbildung  insufficient  wird, 
so  dass  wir  auch  dieses  Verfahren,  dass  ja  für  viele  Darm¬ 
ausschaltungen  passen  würde  —  als  nicht  genügend  sicher  be¬ 
trachten  können. 


Was  die  technische  Seite  des  blinden  Verschlusses  der 
Enden  des  ausgeschalteten  Darmstückes  anlangt,  so  würden 
wir  uns  in  Zukunft  nur  des  Doy  en’schen  14)  Schnürverschlusses 
mit  den  von  v.  Miculicz15)  angegebenen  Modificationen  mit 
dem  Enterotrib  bedienen;  Sicherheit  des  Verschlusses,  Schnellig¬ 
keit  der  Ausführung  sind  die  Vortheile  des  Verfahrens. 

Die  Entscheidung,  welches  das  zuführende  und  welches 
das  abführende  Stück  an  einer  Darmpartie  ist,  ist  bei  den 
complicirten  Verhältnissen,  die  man  in  der  Bauchhöhle  bis¬ 
weilen  findet,  sehr  schwer  und  in  einer  Reihe  von  Fällen  hat 
die  Unmöglichkeit,  diese  Frage  sicher  zu  beantworten,  zu  einem 
wesentlich  anderen  Vorgehen  geführt. 

Mehrmals  findet  sich  in  den  Operationsberichten  die  An¬ 
gabe,  dass  es  unmöglich  war,  der  Verwachsungen  wegen  das 
zu-  und  abführende  Stück  als  solches  zu  erkennen,  und  dass 
aus  diesem  Grunde  von  einer  totalen  Darmausschaltung  abge¬ 
sehen  werden  musste,  so  dass  man  sich  genöthigt  sah,  sich  mit 
einer  seitlichen  lleocolostomie  zu  begnügen,  oder  manchmal 
sogar  die  Operation  zu  unterbrechen  (v.  Eiseisberg  [1.  c ] 
Frank  16)  und  Andere). 

In  einem  Falle  von  Bier17),  Nr.  3,  waren  die  Ver¬ 
hältnisse  so  complicirt,  dass  das  zuführende  Dünndarmende 
verschlossen  wurde;  es  kam  zu  Ileus  und  musste  nach  vier 
Tagen  abermals  die  Bauchhöhle  geöffnet  werden. 

Bei  Stenosen  des  Darmtractus  leistet  ja  auch  die  laterale 
Anastomose  ohne  totale  Darmausschaltung  ausgezeichnete 
Dienste;  aber  gerade  bei  der  Behandlung  von  Koth- 
fisteln,  insbesondere  von  jenen  des  Dünndarmes 
ist  meist  nur  durch  die  totaleAusschaltungdie 
Sistirung  des  Kothab  fl  usses  zu  erzielen  und 
darum  ein  Verfahren  ungemein  wünschenswert!],  das  ermög¬ 
licht,  sicherin  jedem  Falle  das  zu- und  abführende 
Darm  stück  zu  erkennen.  Von  ganz  besonderer  Wich¬ 
tigkeit  kann  dies  auch  bei  chronisch-entzündlichen  Processen 
im  Bauchraume  in  der  Umgebung  des  Cöcums,  der  Gallen¬ 
blase,  des  Duodenums  sein. 

Es  scheint  nun  ein  Verfahren  gefunden  zu  sein,  das  im 
Stande  ist,  in  schwierigen  Fällen  die  Entscheidung  zu  treffen, 
ob  man  das  zu-  oder  abführende  Darmstück  vor  sich  hat. 
Buchbinder18)  hat  in  einer  äusserst  lesenswerthen  und 
interessanten  Arbeit  über  Versuche  am  lebenden  Thier-  und 
Menschendarm  berichtet,  die  das  Verhalten  des  Darmes  gegen 
den  elektrischen  Strom,  sowohl  den  galvanischen  als  auch  den 
faradischen  untersuchten. 

Er  fand,  das  der  normale  Menschendarm,  ebenso  wie 
Thierdarm,  auf  den  faradischen  Reiz  in  einer  typischen 
und  leicht  kenntlichen  Weise  reagirte,  deren  Charakter  darin 
bestand,  dass  besonders  an  der  Anode  eine  starke  locale 
Ringcontr action  entstand,  der  sich  eine  auf¬ 
wärts-,  das  ist  magenwärtsgeh ende,  das  Darm¬ 
lumen  circa  2  cm  weit  vollkommen  ver  sch  Mes¬ 
sende  Constriction  anschloss. 

Indem  Buchbinder  diese  typische  Reaction  am 
Menschendarme  fand,  entdeckte  er  zugleich  eine  einfache, 
absolut  gefahrlose  Methode,  am  normalen  Daune  jederzeit  die 
Richtung  desselben  sicher  erkennen  zu  können. 

Buchbinder  (1.  c.)  hält  insbesondere  bei  der  Behand¬ 
lung  von  Hernien  zur  Erkennung  des  zu-  und  abführenden 
Rohres  das  Verfahren  für  brauchbar  und  wichtig;  unseres  Er¬ 
achtens  ist  dies  vollkommen  richtig,  wenngleich  gerade  bei 
Hernien  wegen  des  verschieden  turgescenten  Zustandes  der 
zu-  und  abführenden  Schlinge  die  Unterscheidung  oft  recht 
leicht  ist;  insbesondere  aber  halten  wir  dafür,  dass  bei  jenen 
chronisch -  entzündlichen  Erkrankungen  im 
Bauch  rau  me,  bei  denen  grosse  Dar  m  schlinge  n- 
convo  lute  zusammengebacken  sind,  wo  es  sich 
um  Resectionen,  besonders  aber  um  Ausschal¬ 
tungen  handelt,  von  geradezu  ausschlaggebender 
Wichtigkeit  sein  kann,  durch  das  neue  Verfahren  zu  und 
abführendes  Stück  zu  erkennen. 

Zwei  kugelförmige,  1  cm  im  Durchmesser  haltende 
Metallansätze,  die  sammt  den  in  Gummischläuche  eingehüllten 
Drähten  ausgekocht  werden  können,  sowie  ein  gewöhnlicher 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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farad ischer  Schlittenapparat  sind  das  technische  Erforderniss 
für  diese  Methode.  Es  stellt  sich  eine  das  Lumen  vollkommen 
verschliessende  Constriction  des  Darmes  ein. 

Man  kann  eigentlich  nicht  sagen,  dass  heute  noch  grosse 
Meinungsverschiedenheiten  bezüglich  der  Berechtigung 
der  totalen  Darmausschaltung  mit  totaler  Ver¬ 
senkung  beider  Enden  des  ausgeschalteten  Darmstückes  be¬ 
stehen.  Die  beiden  Plauptvertreter  der  Lehre,  dass  die  totale 
Occlusion  erlaubt  sei,  haben,  theils  auf  Grundlage  eigener  übler 
Erfahrungen  an  vorher  anscheinend  glatt  verlaufenen  Fällen 
(O  b  a  1  i  n  s  k  i 19),  theils  nach  zahlreichen  sorgfältigen  Thier¬ 
versuchen  (v.  Baracz20)  die  frühere  Lehre  zurückgezogen 
und  stellen  sich  vollständig  auf  den  Standpunkt  Jener,  die  die 
völlige  Versenkung  eines  Darmabschnittes  für  gefährlich  be¬ 
zeichnen,  v.  Eiseisberg  (1.  c.),  Fran  k  (1.  c.),  Reichel21), 
H  o  c  h  e  n  e  g  g  22),  N  a  r  a  t  h  (1.  c.)  u.  A. 

Besonders  v.  Baracz  (1.  c.),  hat  in  seiner  letzten  Arbeit 
hochwichtige  experimentelle  Beiträge  zur  Frage  der  totalen 
Darmausschaltung  mit  Verschluss  der  ausgeschalteten  Schlinge 
gebracht;  die  Gefahren,  die  dieser  Vorgang  nach  sich  zieht, 
sind  mehrfacher  Art: 

1.  Gefahr  der  Infection  der  Peritonealhöhle  bei  der 
Operation. 

2.  Gefahr  eines  inneren  Darmverschlusses;  es  ist  schon 
mehrfach  eine  innere  Einklemmung  von  Schlingen  in  dem  offen 
gelassenen  Mesenterialschlitz  beobachtet. 

3.  Die  Gefahren,  welche  von  der  ausgeschalteten  Schlinge 
ausgehen;  es  wurde  da  Gangrän  des  Schlingenrandes,  Platzen 
der  Schlinge  in  Folge  von  Ansammlung  von  Secret  und  Gasen, 
Blutunterlaufungen,  Gangrän  und  Geschwüre  der  Wand  der 
ausgeschalteten  Schlinge  mit  nachfolgender  Peritonitis  beob¬ 
achtet. 

Manche  Thiere  können  selbst  bei  Vorhandensein  eines 
fäealen  Inhaltes  lange  Zeit  am  Leben  und  dabei  völlig  gesund 
bleiben. 

Stets  wurde  in  den  ausgeschalteten  Darmschlingen  reich¬ 
licher  Bacterieninhalt  gefunden;  chronischer  Katarrh  und  Hyper¬ 
trophie  der  Wandung  geboren  zu  den  regelmässigen  Befunden. 

v.  Baracz  (1.  c.)  nennt  jetzt  selbst  die  Fistel  des  aus¬ 
geschalteten  Darmtheiles  »das  Sicherheitsventil«. 

Mit  diesen  Erklärungen  des  hauptsächlichsten  Fürsprechers 
der  totalen  Occlusion  und  dem  Zusammenhalte  mit  den  Er¬ 
fahrungen  0  b  a  1  i  n  s  k  i's  l9),  in  dessen  Falle  27  Monate  nach 
der  totalen  Occlusion  ein  Durchbruch  des  Darmstückes  nach 
den  Bauchdecken  zu  sich  entwickelte  und  eiterig-jauchige,  nach 
Koth  riechende  Füssigkeit  ausströmte,  kann  man  wohl  die 
völlige  Versenkung  eines  Darmstückes  —  sei  es  gesund  oder 
krank  —  als  eine  abgethane  Sache  bezeichnen,  und  dürfte  dieser 
Eingriff  aus  der  Liste  der  erlaubten  Operationen  gestrichen 
werden. 

Ausser  den  drei  Fällen,  Baracz,  Obalinski,  Friele 23), 
von  denen  der  zweite  durch  den  späteren  Durchbruch  in  der 
Reihe  der  totalen  Ausschaltungen  eine  Rolle  spielt,  und  der 
dritte  von  Friele  (1.  c.)  nach  einer  ausserordentlich  kurzen 
Beobachtungszeit  zu  Grunde  ging,  sind  noch  Fälle  vorhanden, 
die  in  der  ganzen  Frage  eine  Mittelstellung  einnehmen:  das 
sind  jene  Fälle,  in  denen  die  ursprünglich  vorhandene  Oeffnung 
des  ausgeschalteten  Darmstückes  gegen  die  Körperoberfläche 
entweder  durch  Kunsthilfe  oder  spontan  zum  Verschlüsse  kam. 

Im  Falle  von  Wie  singer24)  wurde  5  4/2  Wochen  nach 
der  ersten  Operation  die  wenig  secernirende  Fistel  geschlossen. 
In  fünf  Fällen  von  v.  Eiseisberg  verschwand  die  Secretion 
der  Fistel  längere  oder  kürzere  Zeit  nach  der  Operation;  in 
unserem  Falle  endlich  ist  es  nach  sehr  kurzer  Zeit  —  aller¬ 
dings  bei  Behandlung  des  ausgeschalteten  Darmstückes  —  zu 
einem  spontanen  Verschlüsse  gekommen,  in  der¬ 
selben  Zeit,  in  der  im  Falle  von  Wie  singer  (1.  c.)  der  künst¬ 
liche  Verschluss  der  Fistel  gemacht  wurde. 

Diese  Frage  muss  uns  nach  den  Erfahrungen  der  Thier¬ 
experimente  und  der  am  Menschen  beobachteten  Thatsachen 
(ein  Fall  von  Funke25)  u.  A.)  zur  Ueberlegung  führen,  als 
was  man  den  spontanen  Verschluss  einer  be¬ 
stehenden  Fistel  anzusehen  hat,  und  ob  es  unter 


Umständen  erlaubt  ist,  zum  Verschlüsse  einer  bestehenden  Fistel 
in  irgend  einer  Weise  etwas  beizutragen. 

Die  Secretion  aus  dem  ausgeschaltetem  Darmstücke  ver¬ 
hält  sich  ungemein  verschieden;  man  wollte  Unterschiede 
zwischen  ausgeschaltetem  Dünndarm  und  Dickdarm  heraus¬ 
finden  und  darauf  Lehren  für  das  Erlaubtsein  der  Ausschaltung 
gewisser  Darmpartien  aufstellen. 

Es  steht  nur  so  viel  fest,  dass  die  Secretionsmengen 
enorm  wechseln  können,  dass  manchmal  die  Menge  des  aus¬ 
geschiedenen  Secretes  durch  lange  Zeit  nahezu  constant  bleibt, 
während  sie  in  anderen  Fällen  nach  kurzer  Zeit  abnimmt  und 
auf  geringer  Höhe  bleibt,  in  wieder  anderen  Fällen  gänzlich 
zum  Versiegen  kommt. 

Ferner  kann  man  aus  den  Operationsberichten  entnehmen, 
dass  die  Fälle,  in  denen  es  zum  spontanen  Versiegen  der  Fistel 
kommt,  weder  Tuberculose  noch  Neoplasmen  betreffen,  sondern 
chronische  Entzündungen  oder  Fistelbildungen,  die  durch  in- 
carcerirte  Hernien,  Durchbrechen  von  ausserhalb  des  Darmes 
gelegenen  Processen  in  diesen  u.  s.  w.  hervorgerufen  werden. 

Auch  in  unserem  Falle,  in  dem  sowohl  Dickdarm  circa  20  cm, 
als  auch  unteres  Ileum  circa  20 — 25  cm  ausgeschaltet  worden 
waren,  handelt  es  sich  um  einen  Durchbruch  eines  ausserhalb 
des  Darmes  gelegenen  Eiterungsprocesses  in  denselben  und 
nicht  um  eine  speci  fische  Erkrankung  des  Darmes. 

Es  wäre  nun  von  grossem  Interesse,  über  die  Fälle,  bei 
denen  sich  die  Fisteln  spontan  schliessen,  nach  längerer  Zeit 
etwas  zu  erfahren;  es  ist  nach  den  derzeit  darüber  zu  Gebote 
stehenden  Kenntnissen  keineswegs  über  allen  Zweifel 
erhaben,  dass  solche  spontan  oder  durch  Bei¬ 
hilfe  verschlossene  Fistelöffnungen  für  ein 
weiteres  ruhiges  Verhalten  derausgeschalteten 
Darm  schlinge  garantiren. 

Dass  eifriges  Ausspiilen  mit  desinficirenden  und  ad- 
stringirenden  Flüssigkeiten  die  Secretion  einer  ausgeschalteten 
Darmpartie  erheblich  vermindert  und  einen  äusserst  wohl- 
thätigen  Einfluss  auf  die  Beschaffenheit  des  Secretes  bei  localen 
Erkrankungen  des  Darmes  hat,  ist  wohl  verständlich  und  nahe¬ 
liegend. 

Es  ist  ferner  verständlich,  dass  durch  Aetzungen  der 
Darmschleimhaut  mit  Höllenstein,  Salpetersäure,  Carbolsäure, 
durch  Bepinseln  mit  Jodtinctur,  Formalinlösungen,  dieselbe  ent¬ 
weder  völlig  zerstört  oder  in  einen  so  atrophischen  Zustand 
versetzt  wird,  dass  die  Secretion  aus  dem  ausgeschalteten,  so 
behandelten  Stücke  völlig  versiegt. 

Nicht  ganz  klar  aber  sind  jene  Fälle,  in  denen  ohne 
Aetzungen  und  eine  ernstliche  medicamentöse  Behandlung  der 
Darmschleimhaut  die  Secretion  völlig  sistirt. 

Unseres  Erachtens  handelt  es  sich  nicht  um  ein  »Auf¬ 
hören«  der  Secretion,  sondern  um  ein  Ver¬ 
schlossenwerden  der  Fistel,  die  bei  der  vorher  minimal 
bestehenden  Secretion  immer  kleiner  und  enger  wurde  und 
schliesslich  durch  rasch  wachsendes  Granulationsgewebe  provi¬ 
sorisch,  durch  Narbengewebe  endlich  definitiv  verschlossen  wird. 

Allerdings  scheint  auch  bei  längerem  Ausgeschaltetsein 
eines  gesunden  Darmstückes  eine  Art  von  Inactivitätsatrophie 
aufzutreten,  die  es  bedingt,  dass  die  Menge  des  ausgeschiedenen 
Secretes  eine  minimale  ist.  Fast  in  allen  jenen  Fällen,  in  denen 
es  sich  um  chronische  Erkrankungen  der  Darmwand  handelt, 
wissen  wir  von  reichlicher,  oft  der  Qualität  nach  sehr  'ver¬ 
schiedener  Secretion. 

Es  erscheint  also  nach  den  bisherigen  Beobachtungen 
der  Schluss  gerechtfertigt,  dass  ganz  gesunder,  ausgeschalteter 
Darm  nach  längerer  Zeit  nur  mehr  sehr  wenig  Schleim 
secernirt,  so  dass  die  Fistel  spontan  oder  durch  geringe  Kunst¬ 
hilfe  zum  Verschlüsse  kommt. 

Es  ist  naheliegend,  zu  folgender  Anschauung  zu  kommen: 

Wenn  es  sich  um  einen  sicher  in  seinen  Wandungen 
völlig  gesunden  ausgeschalteten  Darm  handelt,  so  mag  man 
dem  spontanen  Verschlüsse  der  Fistel  kein  Hinderniss  entgegen¬ 
setzen;  sollte  es  sich  aber  um  einen  Darm  handeln,  dessen 
Wandung  man  erkrankt  weiss,  z.  B.  Tuberculose,  Aktino- 
mykose,  Carcinom,  so  ist  ein  Verschluss  der  I  istel  durch 
Kunsthilfe  selbstverständlich  zu  unterlassen,  aber  auch  ein 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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spontaner,  eventuell  sich  ausbildender  Verschluss  zu  verhüten, 
wohl  am  besten  durch  Einlegung  eines  Drainrohres  in  den 
ausgeschalteten  Darm. 

Aber  auch  jene  Individuen  mit  gesundem,  ausge¬ 
schaltetem  Darm  mit  spontanem  Fistelver¬ 
schluss  tragen  eine  gewisse  Gefahr  mit  sich 
d  a  u  e  r  nd  herum;  die  Thierexperimente  haben  ergeben, 
dass  Darmschlingen  lange  Zeit  ohne  Erscheinungen  zu  machen, 
in  maximal  gefülltem  Zustande  in  der  Bauchhöhle  liegen 
können;  es  bleibt  immerhin  die  Möglichkeit  vorhanden,  dass 
die  ausgeschaltete  Schlinge  später  einmal  stark  secernirt  und 
dann  erkrankt. 

Es  ist  daher  nicht  zu  empfehlen,  auch  in  den  harm¬ 
losesten  Fällen  allzuviel  Mühe  auf  einen  späteren  Verschluss 
der  Fistel,  des  Sicherheitsventils,  zu  verwenden,  wenn  es  nicht 
vorher  gelungen  ist,  durch  operative  Eingriffe,  wie  Exstirpation 
der  Mucosa  oder  Aetzungen  die  Schleimhaut  zum  grössten 
Tlieile  in  der  ausgeschalteten  Schlinge  zu  entfernen.  In  manchen 
Fällen  ist  die  s  e  c  u  n  d  ä  r  e  E  x  s  t  i  r  p  a  t  i  o  n  der  ausgeschalteten 
Schlinge  möglich,  und  sind  damit  alle  Schwierigkeiten  beseitigt. 
Die  Exstirpation  der  Schleimhaut  als  zusammenhängender  Cylinder 
(A  1  b  e  r  t  25).  N  a  r  a  t  h)  ist  da,  wo  ersteres  unmöglich,  natürlich 
das  ideale  Verfahren,  findet  aber  technisch  bald  seine  Grenzen, 
während  die  Aetzungen  mit  Mineralsäuren,  Carbolsäure  u.  s.  w. 
bei  schwer  zugänglichen  Fisteln  angewendet  werden  können,  aber 
keine  Controle  der  Ausdehnung  der  Wirkung  erlauben  und 
doch  gewisse  Gefahren  (Perforation)  bedingen  können.  Ueber 
die  Art  und  Weise  der  Einwirkung  der  Jodtinctur,  die  auf 
Jodoformgazestreifen  in  das  ausgeschaltete  Darmstück  in 
unserem  Falle  eingeführt  wurde,  ist  derzeit  wohl  nichts 
bekannt. 

Auch  das  Formalin  haben  wir  in  l%iger  Lösung  auf 
Gazestreifen  in  die  Darmfistel  eingeführt;  eine  secretionsver- 
mindernde  Wirkung  kommt  dem  Formol  sicher  zu. 

In  manchem  Falle  ist  das  totale  blinde  Ver 
schlossensein  eines  Darm  stück  es  nur  vor  ge¬ 
täuscht;  Naratb  (1.  c.)  spricht  die  Ansicht  aus,  dass  s  e- 
cundäre  Communicationen  der  ausgeschalteten  Darm¬ 
partie  mit  dem  Hauptdarme  entstehen  und  man  bei  solchem 
Vorkommniss  sich  nicht  wundern  darf,  wenn  das  versenkte 
Darmrohr  ohne  beunruhigende  Erscheinungen  sich  ruhig 
verhält. 

Gerade  zwei  Fälle,  einer  von  v.  Eiseisberg  und  der 
von  v.  Baracz  (1.  c.)  lassen  aus  ihren  Krankengeschichten 
die  Vermuthung  entstehen,  dass  eine  solche  Communication 
sich  hergestellt  hat;  meist  liegt  ja  die  eine  Occlusionsnaht  in 
der  nächsten  Nähe  der  Nahtstellen  am  llauptdarm  und  kann 
sich  wohl  der  Inhalt  der  Schlinge  in  diesen  entleeren. 

Gerade  durch  eine  Beobachtung  in  einem  nicht  total 
verschlossenen,  ausgeschalteten  Darmstücke  ist  es  sichergestellt, 
dass  selbst  längere  Zeit  nach  der  Isolirung  fistulöse  Communi¬ 
cationen  mit  dem  Hauptdarmrohre  entstehen  können;  in  einem 
Falle  Höchen  egg’s  (1.  c.)  kam  es  14  Monate  nach  der 
Operation  plötzlich  zu  einem  massenhaften  Ausströmen  von 
Koth  aus  der  ausgeschalteten  Schlinge  und  wurde  durch 
Autopsie  in  vivo  die  Communication  sichergestellt. 

Den  absoluten  Beweis  für  das  reactionslose  Versenkt¬ 
bleiben  eines  ausgeschalteten  Darmstückes  kann  nur  die 
Autopsie  in  vivo  nach  längerer  Zeit  und  in  noch  voll¬ 
kommenerem  Masse  die  Section  erbringen. 

^  on  den  bisher  angeführten  circa  30  totalen  Darmaus¬ 
schaltungen  sind  nur  zwei  im  Anschluss  an  die  Operation 
gestorben;  der  einzige  Fall  von  Friele  (1.  c.*),  bei  dem  das 
ausgeschaltete  Stück  blind  verschlossen  wurde,  kam  zur  Ob- 
duction,  doch  ist  für  diesen  Fall  die  Beobachtungszeit  viel  zu 
kurz  (circa  fünf  Wochen). 

O  b  a  1  i  n  s  k  i  |!)  d)  hatte  Gelegenheit,  bei  der  Operation 
eines  Bauchbruches  nach  14  Monaten  die  von  ihm  ausge¬ 
schaltete  Darmschlinge  anzusehen;  er  fand  die  ausgeschaltete 

*)  Im  Falle  Trendelenburg’s  (1.  c )  erfolgte  der  Tod  sechs 
Tage  nach  der  Operation.  Bei  der  Section  wurde  auf  das  Verhalten  der 
ausgeschalteten  Darmschlinge  nicht  geachtet  und  ist  über  sie  nichts  be¬ 
richtet. 


Schlinge  des  Colon  ascendens  eingefallen  und  in  einen  dünnen 
Strang  verwandelt,  ohne  Zusammenhang  mit  dem  übrigen  In- 
testinaltracte. 

Völlig  glatten  Verlauf  bot  eigentlich  nur  der  Fall  von 
Wiesinger  (1.  c.),  wo  fünf  Wochen  nach  der  totalen  Aus¬ 
schaltung  die  Fistel  bei  noch  bestehender  geringer  Secretion 
geschlossen  wurde;  an  ihn  schliesst  sich  indirect  unser  Fall, 
wo  bei  in  seinen  Wandungen  gesundem  Darme  unter  Anwen¬ 
dung  von  leichtem  Aetzungsverfahren  die  ein  über  40  cm 
langes  Dünn- Dickdarmstück  mit  der  Körperoberfläche  verbin¬ 
dende  Fistel  sich  schloss;  die  übrigen  spontanen 
Fistelverschlüsse  gehören  ebenfalls  hiebe  r. 

Endlich  möge  es  mir  noch  gestattet  sein,  zur  weiteren 
Stütze  für  den  heute  allgemein  anerkannten  Satz,  dass  es 
bedenklich  ist,  ein  gesundes,  im  höchsten  Grade 
gefährlich,  ein  krankes  Darmstück  völlig  ver- 
schlossenzu  versenken,  einen  pathologisch-anatomischen 
Vergleich  heranzuziehen. 

Auf  dem  noch  nicht  allzusehr  entwickelten  Gebiete  der 
Pathologie  der  Darmdivei tikel  hat  Graser26)  durch  seine 
Mittheilungen  auf  dem  27.  und  28.  Congresse  der  Deutschen 
Gesellschaft  für  Chirurgie  sehr  werthvolle  Bereicherungen 
unseres  Wissens  gebracht.  Er  fand  im  Darme,  besonders  häufig 
an  der  Flexura  sigmoidea,  insbesondere  bei  Individuen,  in 
deren  Abdominalorganen  seit  längerer  Zeit  eine  stärkere 
Stauung  besteht,  Divertikelbildungen,  die  zwar  vorher  schon 
theilweise  bekannt  waren,  deren  Entstehung,  pathologische 
Anatomie  und  klinische  Bedeutung  Graser  wesentlich  er¬ 
weiterte  und  vertiefte. 

Es  handelt  sich  dabei  um  Ausstülpungen  der  Schleim¬ 
haut  durch  Gefässlücken  der  Musculatur;  der  verbindende 
Canal  ist  meist  sehr  enge  oder  kann  auch  ganz  ver¬ 
schlossen  sein. 

In  diesen  kleinen  Schleimhauthernien  findet  man  sehr 
häufig  eine  Druckatrophie  der  Darmschleimhaut;  die  tubu- 
lösen  Drüsen  werden  niedrig,  die  Abstände  zwischen  den 
Drüsenschichten  gross;  Rundzelleninfiltration  tritt  auf;  schliess¬ 
lich  entwickelt  sich  eine  Art  von  Narbengewebe,  auf  dem  oft¬ 
mals  das  Epithel  zu  Grunde  geht.  Oefters  findet  man  Koth- 
steine  oder  grosse  Kothklumpen,  anderweitige  schwere  Verän¬ 
derungen  der  Schleimhaut,  Druckgeschwüre,  Durchbruch  von 
den  Divertikeln  in  das  umgebende  Gewebe ;  der  Koth  ist  oft 
verhärtet;  es  können  Koth  und  Mikroorganismen  in  die  lockeren 
Gewebsschickten  eindringen  und  es  entstehen  Entzündungs¬ 
herde,  welche  auf  dem  Wege  der  Lymphbahn  sich  weiter  ver¬ 
breiten,  so  dass  man  in  der  Umgebung  eines  solchen  Durch¬ 
bruches  oftmals  kleine  Abscesse  und  Entzündungsherde  nach- 
weisen  kann.  Der  Durchbruch  findet  meist  in  fetthaltiges  Ge¬ 
webe  statt,  oftmals  in  Appendices  epiploicae  hinein.  Die  Ent¬ 
zündungserscheinungen  sind  daher  oft  nicht  sehr  stürmisch: 

Man  findet  die  Serosa  schwielig  verdickt,  narbig  ge¬ 
schrumpft,  mit  derben,  fibrösen  Pseudomembranen  überkleidet 
und  durch  die  narbige  Schrumpfung  der  Darm  in  pathologi¬ 
scher  Weise  verzerrt.  Bisweilen  ist  die  Mesenterialserosa  in 
sehnenartiges  Gewebe  verwandelt. 

Diese  Darmdivertikel,  die  sich  oft  in  sehr  bedeutender 
Anzahl  vorfinden,  stellen  eigentlich  oftmals  ein  total  aus¬ 
geschaltetes  Darmstück  im  Kleinen  vor,  wenn  auch  die  Ver¬ 
hältnisse  in  manchen  Punkten  wesentlich  differiren.  Immerhin 
aber  handelt  es  sich  um  eine  kleine,  mit  Darm  sch  leim¬ 
haut  ausgekleidete  Höhle,  deren  Wandungen  unter 
normalen  Ernährungsverhältnissen  sich  befinden. 

Bei  Verschluss  der  meist  sehr  engen  Communication  mit 
dem  Hauptdarm  treten  die  Folgen  der  Rentention  in  deut¬ 
lichster  Weise  hervor;  in  manchen  Fällen  erinnert  die  Be¬ 
schreibung  des  Inhaltes  sehr  an  das,  was  bei  den  Thierexperi¬ 
menten  über  totale  Darmauschaltung  von  physiologischer  Seite 
(H  ermann  (1.  c.),  B  1  i  t  s  t  e  i  n  27),  Ehrenthal 28),  Bere  n- 
stein  29)  und  Anderen),  sowie  von  Chirurgen,  wie  S  a  1  z  e  r  (1.  c.), 
Reichel,  Klecki30),  v.  Baracz  (l.  c.)  und  Anderen  ge¬ 
funden  wurde. 

Die  mit  grosser  Regelmässigkeit  beobachteten  Entzün¬ 
dungserscheinungen  in  und  um  solche  abgeschlossene  Schleim- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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hautpartien  sprechen  doch  auch  gewiss  dafür,  dass  blind 
geschlossen  eDarmtheileVeranlassungzu  patho¬ 
logischen  Vorgängen  geben. 

Es  ist  hiehergehörig,  an  die  Pathologie  des  Processus 
vermiformis  und  des  Meckel’schen  Divertikels  zu  erinnern. 

Selbst  die  äussere  Haut  producirt,  von  der  Körperober¬ 
fläche  entfernt  und  in  andere,  tiefer  liegende  Gewebsschichten 
verlagert,  ihre  physiologischen  Secrete  und  entstehen  dadurch 
die  sogenannten  E  p  i  t  h  e  1  cy  s  t  e  n,  von  denen  ein  grosser 
Theil  traumatischen  Ursprunges  ist.  Es  genügen  ganz  kleine 
Hautstückchen  zur  Entstehung  solcher  Cystenbildungen 
(Kaufmann31),  Schwenninger 32),  Reverdin33), 
Garr  e. 34) 

Eine  Gelegenheit  zur  Anstellung  von  physiologischen 
Experimenten  an  der  Darmfistel  war  in  unserem  F alle 
nicht  vorhanden;  die  Secretion  war  von  Anfang  an  so  minimal, 
dass  wir  Versuche,  die  sich  an  jene  Narath’s  anlehnten, 
nach  kurzer  Zeit  als  resultatlos  aufgaben. 

Die  wenigen  Beobachtungen,  die  ich  in  dieser  Hinsicht 
machen  konnte,  betrafen  Folgendes: 

Eine  Steigerung  der  Secretion  nach  Nahrungsaufnahme 
konnte  ich  nicht  finden.  Nach  Reizungen  des  Darmes,  wie 
Sondirung,  Einführung  von  Gazestreifen  konnte  man  etwas 
stärkere  Secretion  beobachten;  es  entleerte  sich  ein  dicker, 
trüber  Schleim.  Besonders  stark  war  die  Secretion  nach 
Aetzungen  mit  Argentum  nitricum,  viel  geringer  nach  Ein¬ 
führung  von  in  Jodtinctur  getauchten  Streifen. 

Ueber  die  Peristaltik  am  ausgeschaltetem  Stücke  konnte 
ich  keine  Beobachtungen  machen,  da  es  nur  durch  eine  relativ 
enge  Fistel  mit  der  Aussenwelt  in  Verbindung  stand  und 
daher  ein  Einblick  nicht  möglich  war,  wohl  aber  konnte  ich 
feststellen,  dass  die  Darmschleimhaut  völlig  empfindungslos  so¬ 
wohl  gegen  Argentum  nitricum  und  Jodtincturätzungen,  als 
auch  gegen  Einführung  von  in  l°/0iges  Formalin  getauchten 
Gazestreifen;  letzteres  Mittel  wandte  ich  einige  Male  in  Rück¬ 
sicht  auf  die  bekannte  schweisskemmende  Wirkung  des 
Formaldehyds  bei  Anwendung  auf  der  äusseren  Haut  an. 

Literaturverzeichnis  s. 

*)  König,  Leinbuch  der  speciellen  Chirurgie.  7.  Auflage.  Bd.  III, 
pag.  402  ff. 

-)  Salzer,  a)  Ein  Vorschlag  zur  Modification  der  Enteroanastomose 
durch  völlige  Ausschaltung  des  kranken  Darmkeiles.  Centralblatt  für 
Chirurgie.  1891.  Nr.  26,  und;  Verhandlungen  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
Chirurgie.  1891. 

b)  Ueber  Darmausschaltung.  Beiträge  zur  Chirurgie.  Festschrift  für 
Billroth.  1892. 

3)  Naratb,  Die  operative  Behandlung  der  Dünndarm-Genitalfisteln 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  »Darmausschaltung«.  Archiv  für  klini¬ 
sche  Chirurgie.  Bd.  LII,  330  ff. 

4)  Länderer,  Bie  Behandlung  der  Tuberculose  mit  Zimmtsäure. 
Leipzig  1898. 

5)  v.  II  acke  r  a)  Ueber  Bedeutung  der  Anastomosenbildung  am 
Darme  etc.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1888,  Nr.  17  und  18. 

b)  Zur  Operation  der  Darmanastomose.  Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1892,  Nr.  1. 

6)  Trendelenburg,  siehe  Becker,  Ueber  Darmresection. 
Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XXXIX. 

7)  T  h  i  r  y,  Ueber  eine  neue  Methode,  den  Dünndarm  zu  isoliren. 
Sitzungsberichte  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien.  1864, 
Bd.  L,  pag.  77. 

8)  Vella,  Neues  Verfahren  zur  Gewinnung  reinen  Dannsaftes  etc. 
Untersuchungen  zur  Naturlehre  von  S.  M  o  1  e  s  c  h  o  1 1.  1882,  Bd.  XIII, 
pag.  40. 

9)  Hermann,  Ein  Versuch  zur  Physiologie  des  Darmcanales. 
Archiv  für  Physiologie.  1900,  Nr.  46,  pag.  93. 

10)  v.  E  i  s  e  1  s  b  e  r  g,  a )  Zur  Casuistik  der  Darmausschaltung 
Wiener  klinische  Wochenschrift.  1893,  Nr.  8. 

b)  Over  Darmausschaltung.  Ned.  Tijdschrift  voor  Geneeskunde.  1896, 
Deel  1,  Nr.  8. 

c)  Weitere  Beiträge  zur  Casuistik  der  Darmausschaltung.  Wiener 
klinische  Wochenschrift.  1896,  Nr.  12. 

d)  Ueber  die  Behandlung  von  Kothfisteln  und  Stricturen  des  Daim- 
canales  mittelst  totaler  Darmausschaltung.  Langenbeck’s  Archiv.  Bd.  LVI, 
pag.  281  ff. 

")  W.  Körte,  Ausgedehnte  Darmresection  wegen  Tuberculose,  ge¬ 
heilt  durch  Implantation  des  lleums  in  das  Colon  etc.  Archiv  für  klinische 
Chirurgie.  1894,  Bd.  XLVIII,  pag.  715. 

'-)  Kader,  Beitrag  zu  den  Beobachtungen  über  die  bei  der  Laparo¬ 
tomie  in  der  Bauchhöhle  vergessenen  Fremdkörper.  Discussion  über  den 


Vortrag  von  R  e  h  n.  Verhandlungen  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirur¬ 
gie.  1899,  1.  Theil,  pag.  92  ff. 

1 !)  v.  Mosetig-Moorhof,  Colostomie  mit  querem  Doppelwand¬ 
verschluss.  Wiener  medicinische  Presse.  1898,  Nr.  3.  Handbuch  der  chirur¬ 
gischen  Technik.  4.  Auflage,  pag.  599. 

,4)  Doyen,  Eine  neue  Methode  der  Pylorus-  und  Darmresection. 
Verhandlungen  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie.  1898,  Bd.  1, 
pag.  200. 

15)  v.  Mikulicz,  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie.  Bd.  IU, 
pag.  173,  174. 

,e)  R.  Fran  k,  Einige  Darmoperationen  mit  Bemerkungen  über  die 
Darmnaht.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1892.  Nr.  27,  pag.  390. 

17)  Bie  r,  Ueber  Darmausschaltung.  Protokoll  des  physiologischen 
Vereines  in  Kiel.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  51, 
pag.  1197. 

18)  Buchbinder,  Experimentelle  Untersuchungen  am  lebenden 
Thier-  und  Menschendarm  etc.  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LV, 
pag.  458  ff. 

19)  O  b  a  1  i  n  s  k  i,  a )  Zur  totalen  Darmausschaltung.  Centralblatt  für 
Chirurgie.  1894,  Nr.  49. 

b)  Zur  Berechtigung  der  Darmausschaltung  etc.  Centralblatt  für 
Chirurgie.  1895,  Nr.  6. 

c)  Noch  einmal  zur  totalen  Darmausschaltung  etc.  Centralblatt  für 
Chirurgie.  1896,  Nr.  34. 

d )  Ein  weitorer  Beitrag  zur  totalen  Darmausschaltung.  Wiener  medi¬ 
cinische  Presse.  1897,  Nr.  35. 

20)  v.  B  a  r  a  c  z,  «)  Ueber  die  totale  Darmausschaltung  etc.  Cential- 
blatt  für  Chirurgie.  1894,  Nr.  27. 

b)  Zur  Frage  der  Berechtigung  der  totalen  Darmausschaltung  etc. 
Centralblatt  für  Chirurgie.  1895,  Nr.  28. 

c )  Centralblatt  für  Chirurgie.  1897,  Nr.  13. 

d )  Experimenteller  Beitrag  zur  Frage  der  totalen  Dar mausschaltting 
etc.  Langenbeck’s  Archiv  Bd.  LVIII,  Heft  1. 

21)  Reichel,  Ueber  die  Berechtigung  der  Darmausschaltung  u.  s.  w. 
Centralblatt  für  Chirurgie.  1895,  Nr.  2. 

Hochenegg,  Chirurgische  Eingriffe  der  Blinddarmerkrankun- 
gen.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  16,  17,  18  und  20. 

23)  F  r  i  e  1  e,  Ueber  Eliminatio  intestini.  Medicinische  Revue.  Referirt 
in:  Fortschritte  in  der  Chirurgie.  1895,  Bd.  I. 

24)  W  i  e  s  i  n  g  e  r,  Ein  Fall  von  totaler  Darmausschaltung  mit 
totaler  Occulsion.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1895,  pag.  1183. 

25)  Albert,  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  24.  November  1893.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1893, 
Nr.  48,  pag.  869. 

26)  Graser,  a)  Verhandlungen  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
Chirurgie.  1898. 

b )  Das  falsche  Darmdivertikel.  Verhandlungen  der  deutschen  Gesell¬ 
schaft  für  Chirurgie.  1899,  2.  Theil,  pag.  480. 

27)  B  1  i  t  s  t  e  i  n,  Zur  Physiologie  der  Kotlibildung.  Inaugural- 
Dissertation.  Königsberg  1890. 

2S)  Ehrenthal,  Neuere  Versuche  zur  Physiologie  des  Darmcanales. 
Archiv  für  Physiologie.  1891,  Bd.  XLVm,  pag.  47. 

29)  Ber  enstein,  Ein  Beitrag  zur  experimentellen  Physiologie  des 
Dünndarmes.  Archiv  für  Physiologie.  1893,  'Bd.  LIII. 

3°)  Klecki,  Ueber  Dannausschaltung.  Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1894,  Nr.  25,  pag.  457. 

31)  Kaufmann,  Ueber  Enkatarrapliie  von-  Epithel.  Virchow’s 
Archiv.  1884,  Bd.  XCVII. 

32)  Schweninger,  Beitrag  zur  experimentellen  Erzeugung  von 
Hautgeschwülsten.  Charite-Annalen.  1886,  pag.  462  ff. 

33)  Reverdin,  Rev.  med.  de  la  Suisse.  1887. 

34)  Garre,  Ueber  traumatische  Epithelcysten.  Beiträge  zur  klini¬ 
schen  Chirurgie.  Bd.  XI. 


REFERATE. 

I.  Leitfaden  der  physiologischen  Psychologie  in  15  Vor¬ 

lesungen. 

Von  Th.  Ziehen. 

Fünfte,  theilweise  umgearbeitete  Auflage.  267  Seiten. 

J  e  n  a  1 900,  G.  Fischer. 

II.  Die  Mimik  des  Menschen  auf  Grund  voluntarischer 

Psychologie. 

Von  H.  Hughes. 

421  Seiten,  119  Abbildungen. 

Frankfurt  a.  M.  1900,  Job.  Alt. 

III.  Die  Leitungsbahnen  des  Gehirnes  und  des  Rücken¬ 
markes  nebst  vollständiger  Darstellung  des  Verlaufes 
und  der  Verzweigung  der  Hirn-  und  Rückenmarksnerven. 

Von  Rudolf  Glaessner. 

61  Seiten.  7  farbige  Tafeln. 

Wiesbaden  1900,  J.  F.  Bergmann, 

I.  Wenn  es  ein  Lehrbuch  der  Psychologie  im  Verlaufe  von 
zehn  Jahren  zu  fünf  Auflagen  bringt,  kann  wohl  über  dessen  V  or- 
trefflichkeit  kein  Zweifel  mehr  bestehen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  32 


Obwohl  der  Verfasser  zunächst  die  Absicht  hatte,  nur  die  Be¬ 
dürfnisse  des  Psychiaters  zu  berücksichtigen,  so  ist  das  Buch  in 
seiner  vorliegenden  Form  doch  für  den  Arzt,  überhaupt  für  jeden 
» Naturwissenschaftler «  bestimmt. 

Die  ungemein  leicht  verständliche  Form  der  Darstellung  lässt 
die  Lecture  dieses  Buches,  zum  Unterschiede  von  so  vielen  anderen 
psychologischen  Werken,  nicht  als  Anstrengung,  sondern  als  Ver¬ 
einigen  erscheinen. 

Dass  immer  der  rein  naturwissenschaftliche,  empirische  Stand¬ 
punkt  festgchalten  wird,  ergibt  sich  schon  aus  der  Stellung  des 
Autors. 

* 

II.  Der  Verfasser  gibt  eine  ausführliche  Darstellung  und  Er¬ 
klärung  der  mimischen  Ausdrucksbewegungen  »auf  Grund  volun- 
tarischer  Psychologie«  (Voluntas  im  Gegensätze  zu  Intellect). 

Nachdem  die  psychologischen  Grundlagen  der  Mimik  mit 
Einschluss  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung  und  ihrer  Beziehungen 
zur  Kunst  abgehandelt  wurden,  wird  auf  die  einzelnen  mimischen 
Bewegungen  und  zwar  begreiflicher  Weise  vor  Allem  des  Gesichtes, 
dann  aber  auch  der  anderen  Körpertheile  eingegangen.  Dabei  dreht 
es  sich  immer  auch  um  die  Frage,  wie  die  natürliche  Inslinct- 
bewegung  sich  zur  symbolischen  Ausdrucksbewegung  umge¬ 
wandelt  hat. 

Etwa  die  Hälfte  des  Buches  wird  durch  eine  systematische 
Classification  aller  Affectäusserungen  eingenommen. 

* 

III.  Eine  kurze,  klare  Uebersicht  über  den  inneren  Bau  des 
Centralnervensystems  und  den  Verlauf  der  Nervenbahnen,  die 
hauptsächlich  als  compilatorisch  und  nicht  als  auf  autoptischen 
Untersuchungen  beruhend  angesehen  werden  will,  daher  auch 
kaum  einer  Einzelkritik  unterzogen  werden  kann. 

Recht  nützlich  wird  sich  für  den  praktischen  Arzt  auch 
insbesondere  der  zweite  Theil  erweisen,  welcher  die  Topographie 
der  Gehirn-  und  Rückenmarksnerven  in  tabellarischer  Form  bringt. 

Bei  den  Rückenmarksnerven  sind  hauptsächlich  die  motori¬ 
schen  Aesle  berücksichtigt;  in  den  Tabellen  sind  die  Muskeln,  ihre 
Ansätze,  Function  und  Innervation  gnt  zusammengestellt. 

Obersteiner. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

269.  Die  Messung  der  Stärke  der  Herztöne,  ein 
diagnostisches  Hilfsmittel.  Von  Dr.  Bock  (München). 
Ein  für  beide  Ohren  zum  Auscultiren  eingerichtetes  Stethoskop  ist 
mit  einem  Spalt  versehen,  der  bis  zum  vollständigen  Verschwinden 
eines  beobachteten  Herztones  verengert  werden  kann;  eine  Scala 
gibt  die  Weite  des  Spaltes  an.  Bock  hat  nun  mit  diesem  vom 
verstorbenen  Prof.  Oertel  seinerzeit  construirten  Instrumente  ge- 
funden,  dass  die  einzelnen  Herztöne  beim  gesunden  Menschen  hin¬ 
sichtlich  ihrer  Stärke  in  einem  constanten  Verhältnisse  zu 
einander  stehen,  und  zwar  dass  der  erste  Mitralton  beim  Auscultiren 
mit  dem  genannten  Instrumente  bei  40,  der  zweite  Pulmonalton  bei  18, 
der  zweite  Aortenton  bei  einer  Spaltweite,  welche  dem  Thoilstriche  20  der 
Scala  entspricht,  verschwindet.  Das  normale  Verhältniss  der  Tonstärken 
zu  einander  ist:  1  M:2  P:2  A  =  40: 18:  20.  Der  zweite  Aorten¬ 
ion  ist  also  halb  so  stark,  wie  der  erste  Mitralton.  Zur  Beur- 
theilung  einer  Herzkraft  muss  man  sich  vor  Augen  halten,  dass 
der  erste  Mitralton  über  die  Kraft  des  linken  Ventrikels,  mit 
welcher  er  den  grossen  Kreislauf  besorgt,  beziehungsweise  Hinder¬ 
nisse  in  diesen  überwindet,  Aufschluss  gibt,  der  zweite  Pulmonal¬ 
ton  über  die  Kraft  des  rechten  Ventrikels,  beziehungsweise  über 
die  Widerstände  im  kleinen  Kreislauf,  der  zweite  Aortenton  über 
die  Widerstände  im  arteriellen  Gefässsystem,  die  Beschaffenheit  der 
Gefässe  und  deren  Tonus.  Sechs  Krankengeschichten  erläutern  die 
Deutung  der  Befunde.  Besonders  lehrreich  ist  folgende:  Ein  39jäh- 
riger  Mann  empfindet  schwere  Athemnoth  beim  Gehen.  Jede 
Therapie  war  bisher  vergeblich  gewesen.  Herzfigur  kaum  nachweis¬ 
bar  vergrössert,  Töne  rein,  aber  dumpf.  Tonstärken:  M  12,  P  18, 
A  24  (normal  die  Hälfte  von  M);  Deutung:  Schwacher,  linker 
Ventrikel,  Stauung  im  rechten  und  starke  Spannung  in  den 
Gefässe  n.  Diagnose:  Allgemeine  Arteriosklerose.  Auf  Jod  bedeu¬ 
tende  Besserung,  nachdem  das  Verhältniss  der  Tonstärken  acht 


Wochen  später  folgendes  geworden  ist:  M  20,  P  14,  A  16. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  23.)  Pi. 

* 

270.  (Königliche  Akademie  Pelorilana  in  Messina.)  Vinci 
Gaetano:  Einfluss  des  Nervensystems  auf  die  Harn¬ 
absonderung.  Nach  Einigen  soll  die  Durchschneidung  des  Hals¬ 
markes,  nach  Anderen  die  Läsion  bestimmter  specifiseher  Nerven¬ 
bündel  die  Urinsecretion  beeinflussen.  Vinci  Gaetano  narkoli- 
sirte  Hunde,  durchschnitt  das  Halsmark  in  verschiedener  Höhe, 
leitete  künstliche  Athmung  ein  und  inj  icirte  Diuretica  in  die 
Jugularvene.  Er  erzielte  bei  diesen  Versuchen  eine  das  Normale 
20fach  übersteigende  Diurese,  jedoch  ausgenommen  den  Fall,  wenn 
das  Halsmark  in  der  Gegend  zwischen  dem  dritten  und  vierten 
Wirbel  durchschnitten  wurde.  Dann  trat  complete  Anurie  ein. 
Vinci  Gaetano  resumirt,  dass  diese  Portion  für  die  Urin- 
secretion  noth  wendig  sei  und  hier  ein  Innervationscentrum  für  die¬ 
selbe  bestehen  müsse.  —  (La  Riforma  Medica.  27.  Juni  1900.)  Sp. 

* 

271.  (Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  in  Wien.)  Beiträge 

zur  Physiologie  und  Pathologie  der  Pepsinsecre- 
tion  und  zur  medica  mentösen  Beeinflussbark  eit 
der  Magensaftsecretion  durch  Atropin  und  Pilo¬ 
carpin.  Von  Dr.  Schiff.  Durch  iy2  Jahre  fortgeführte  Beob¬ 
achtungen  am  Materiale  der  genannten  Klinik  haben  zu  folgenden 
Erfahrungen  geführt:  Wir  haben  im  Magen  eine  dreifache  Secretions- 
thätigkeit:  Die  Abscheidung  reiner  Flüssigkeit  (Verdiinnungssecretion), 
von  Pepsin  und  von  Salzsäure.  Allen  dreien  entspricht  ein  ver¬ 
schiedener  Grad  der  functioneilen  Erregbarkeit.  Die  Verdünnungs- 
secretion  ist  die  beständigste  Function  und  findet  sich  häufig  noch 
wenn  die  beiden  anderen  fehlen;  sie  wird  durch  Pilocarpin  in 
ganz  besonderer  Weise  angeregt.  An  zweiter  Stelle  hinsichtlich  der 
Auslösbarkeit  steht  die  Pepsinsecretion.  Diese,  sowie  die  erstere 
fehlen  nur  bei  totaler  Schleimhautatrophie  und  in  manchen  Fällen 
von  Achylia  gastrica.  Die  Secretion  des  Pepsins,  welches  als 
fertiges  Product  in  den  Drüsenzellen  liegt,  erfolgt  mit  Leichtigkeit 
und  scheint  einfach  von  der  Energie  des  Flüssigkeitsstromes  hei 
der  Secretion  abzuhängen.  Am  schwersten  auszulösen  ist  die  Ab¬ 
scheidung  der  Salzsäure,  die  nicht  fertig  vorhanden  ist,  sondern 
erst  bei  der  Secretion  gebildet  wird.  Die  Salzsäureabscheidung  ist 
als  die  empfindlichste  Function  der  Magendrüsen  zu  betrachten, 
die  nicht  nur  in  vielen  pathologischen  Fällen  vermindert  oder  auf¬ 
gehoben  ist,  während  die  Pepsin-  und  Verdünnungssecretion  vor¬ 
handen  ist,  sondern  die  auch  künstlich  durch  eine  Herabsetzung 
der  nervösen  Erregbarkeit  (Atropin)  vermindert  oder  zum  Schwinden 
gebracht  werden  kann.  Eine  Steigerung  der  Salzsäureabscheidung 
durch  Pilocarpin  gelingt  in  der  Regel  nicht.  —  (Archiv  für  Ver¬ 
dauungskrankheiten.  Bd.  VI,  Heft  2.)  Pi. 

* 

272.  Mignon:  Multiple  Echinococcen.  Der  24jährige 
Kranke  wurde  wegen  enormer  Hydatidencyste  in  der  Bauchhöhle 
laparotomirt.  Es  fanden  sich  viele  kleine  Cysten  im  subperitonealen 
Bindegewebe.  Nach  einem  Monate  Operation  eines  Leber- 
Echinococcus.  Exitus.  Bei  der  Autopsie  fanden  sich  Echinococcen 
in  Milz,  Leber,  Netz,  Zwerchfell,  Nieren.  —  (Societe  de  Chirurgie. 

Paris,  13.  Juni  1900.)  Sp. 

* 

273.  (Aus  der  Universitäts-Kinderklinik  zu  Breslau.)  Ueber 
einen  bei  innerlicher  Anwendung  von  Pyramidon 
im  Harne  auftretenden  rothen  Farbstoff.  Von  Doctor 
Gregor.  Derselbe  wurde  in  einigen  Fällen  beobachtet  und  war 
mit  Bestimmtheit  auf  die  Darreichung  des  Pvramidon  zu  beziehen. 
Er  lässt  sich  leicht  in  grösserer  Menge  darstellen.  Spektroskopisch 
zeigt  er  keine  Absorptionszeichen.  Bekannt  ist,  dass  manchmal 
auch  nach  Antipyrin  eine  Rothfärbung  des  Urins  auftritt.  — 

(Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  6.)  Pi. 

* 

274.  N  e  1  a  t  o  n:  A  c  ti  nom  y  k  o  s  e  der  Brustdrüse.  Bei 
der  Eröffnung  des  Brustdrüsenahscesses  fanden  sich  die  charakteristi¬ 
schen  Elemente.  Nelaton  hat  vor  vier  Jahren  dieselbe  Frau  an 
einem  perinephrilischen  Abscesse  operirt,  der  ebenfalls  durch 
Actinomykose  entstanden  war.  —  (Societe  de  Chirurgie.  Paris, 

13.  Juni  1900.)  Sp. 

* 


Nr.  32 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


739 


275.  Neue  Theorie  der  Gonorrhoetherapie.  Von 
Dr.  Jooss  (München).  Bei  der  jetzigen  Gonorrhoetherapie  behandelt 
man,  wie  Verfasser  sich  ausdrückt,  die  Harnröhre  als  Reagensgläs, 
giesst  in  sie  alle  möglichen  Lösungen,  um  sie  zu  desinficiren.  Der 
Erfolg  ist  bis  heute  kein  glänzender,  trotz  der  Menge  der  Specifica 
gegen  die  Gonorrhoe.  Die  Gonococcen  dringen  in  kürzester  Zeit 
so  weit  in  die  Tiefe,  dass  sie  kein  Mittel  mehr  erreicht.  Dort  be¬ 
dingen  sie  durch  ihre  Stoffwechselproducte  eine  Lähmung  der 
Gefässwand  und  damit  eine  Erweiterung  der  Gefässe.  Adstringentien 
bringen  hier  keine  vollständige  Hilfe.  Wichtig  ist  es,  mit  der  An¬ 
wendung  derselben  eine  Massage  der  Harnröhre  zu  verbinden,  die 
durch  eine  im  Laufe  der  Behandlung  zunehmende  Dehnung  der 
Harnröhre  erreicht  wird;  letztere  wird  dadurch  erzielt,  dass  man 
von  den  üblichen  adslringirenden  Mitteln  so  viel  injicirt,  bis  in  der 
Harnröhre  ein  Gefühl  der  Spannung  erzeugt  wird.  Der  Werth  der 
Desinfection  ist  nach  der  Meinung  des  Verfassers  nicht  hoch  anzu¬ 
schlagen.  Durch  die  Massage  der  Urethra  wird  die  Circulation  in 
derselben  wieder  eine  normale  und  damit  ist  auch  die  Heilung  von 
der  Infection  erreicht.  Dieselbe  ist  eingetreten,  wenn  1.  die  letzte 
Dehnung  keine  diffuse  Trübung  der  ersten  Harnporlion  mehr  ver¬ 
ursacht;  2.  die  Prostata  weich,  nicht  mehr  vergrössert  ist  und  ihr 
Secret  keine  Gelbfärbung  mehr  zeigt;  3.  der  Ausfluss  völlig  ge¬ 
schwunden  und  die  Harnröhre  trocken  ist;  4.  der  Urin  in  beiden 
Portionen  klar  ist.  —  (Centralblatt  für  Krankheiten  der  Harn-  und 
Sexual organe.  Bd.  XI,  Heft  6.) 

* 

276.  Die  Gefahren  der  Scheidenirrigationen. 
Von  Dr.  Theilhaber  (München).  Verfasser  führt  fünf  Fälle  an, 
in  denen  die  mittelst  Irrigator  von  den  Frauen  selbst  ausgeführten 
Scheidenspülungen  von  üblen  Zufällen  begleitet  waren.  In  einem 
derselben  war  während  der  Irrigation  unter  heftigen  Schmerzen 
Ueblichkeit  und  Erbrechen  eingetreten;  bei  der  Untersuchung  war 
der  Puls  klein  und  frequent,  weiter  zeigten  sich  die  Erscheinungen 
einer  leichten  acuten  Beckenperitonitis.  Schädigungen  durch  vaginale 
Einspritzungen  können  zu  Stande  kommen  durch  zu  kalte  oder 
heisse  Flüssigkeiten,  wodurch  Erscheinungen  von  Shock,  Ohnmacht, 
Frost  auftreten  können;  bei  acuter  Reizung  des  Peritoneums  kann 
die  Ausdehnung'  der  Vagina  während  der  Irrigation  eine  Verschlim¬ 
merung  bewirken;  in  einem  Falle  von  Vaginalcarcinom  war  Flüs¬ 
sigkeit  in  offene  Venen  eingedrungen.  Gelangt  das  Rohr  gar  in  die 
Cervix,  so  kann  es  zur  ballonartigen  Auftreibung  des  Uterus 
kommen,  ja  es  ist  sogar  ein  Eindringen  der  Flüssigkeit  in  Tuben 
und  Bauchhöhle  möglich.  Diese  Gefahren  werden  am  ehesten 
dadurch  verhindert,  wenn  das  Vaginalrohr  blos  seitliche  Oeffnungen 

besitzt.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  24.) 

* 

277.  Beitrag  zur  operativen  Behandlung  des 
Magen-  und  Duodenalgeschwüres.  Von  Dr.  Kiefer 
(Mannheim).  Im  ersteren  Falle,  der  ein  perforirendes  Magenulcus 
betraf,  wurde  ein  schon  wiederholt  beschriebenes  Symptom  im 
Augenblicke  der  Perforation  abermals  beobachtet,  nämlich  Schmerzen 
in  Schulter  und  Arm,  sowie  eine  acut  einsetzende  Dyspnoe.  Das 
Gefühl,  als  »rinne  der  Patientin  etwas  im  Leib  herunter«,  war  auch 
hier  mit  Deutlichkeit  verspürt  worden.  Bemerkenswerth  war  in 
diesem  Falle  die  Wirkung  einer  verabreichten  Morphiumdosis, 
welche  über  die  Nothwendigkeit  eines  Eingriffes  zu  einer  Täuschung 
Veranlassung  gab.  Während  der  Vorbereitung  zur  Operation  bes¬ 
serte  sich  das  Befinden  der  Patientin  in  einer  solchen  Weise,  dass 
von  der  Operation  Abstand  genommen  und  erst  zwölf  Stunden 
später  ausgeführt  wurde.  Die  Therapie  hatte  in  der  Excision  des 
Ulcus  bestanden.  —  Im  zweiten  Falle  war  es  in  Folge  von  Gallen¬ 
steinen  zur  Cholecystitis,  zu  Verwachsungen  mit  dem  Duodenum 
und,  wahrscheinlich  in  Folge  des  Druckes  von  Seiten  der  Steine, 
zu  einem  Duodenalulcus  gekommen.  Die  Diagnose  war  irrthümlich 
auf  ein  Magengeschwür  gestellt  worden.  Das  Geschwür  wurde  Um¬ 
schnitten,  der  Defect  vernäht  und  darüber  noch  eine  kleine  Netzpartie 
befestigt.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  24.) 

* 

278.  In  der  Sitzung  der  Berliner  medicinischen  Gesellschaft 
vom  16.  Mai  sprach  Dr.  Benda  über  die  morphologische 
Bedeutung  der  Aktinomyceskolben.  Die  Bedeutung  der¬ 
selben  ist  noch  nicht  klar;  sie  werden  von  den  Einen  für  Sporen,  von 
Anderen  für  gequollene  Theile  der  Mycelfäden  gehalten.  Da  neuestens 


auch  bei  den  Tuberkelbacillen  kolbige  Anschwellungen  gefunden 
wurden  hielt  man  jene  auch  für  Ausscheidungsproducte  der  Mycel¬ 
fäden.  Benda  ist  der  Ansicht,  dass  die  Kolben  eine  Beziehung 
zu  den  Leukocyten  haben,  indem  diese  die  Enden  der  Mycelfäden 
umgeben  und  dann  dcgeneriren  sollen.  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

(Aus  dem  Kaiser  und  Kaiserin  Friedrich-Krankenhause  in  Berlin.) 
Therapeutische  Mittheilungen.  Von  Adolf  B  a  g  i  n  s  k  y. 

Anwendung  des  Ung.  Argenti  colloidalis  Crede 
bei  schwerem  Scharlach.  Das  Mittel  wurde  genau  nach  den 
Angaben  Credo’s  in  13  Fällen  gehandhabt,  ohne  dass  dadurch  ein 
Erfolg  gesehen  werden  konnte. 

Anwendung  von  Sozojodoln  atrium  bei  s  c  a  r  la¬ 
tino  s  e  r  Angina.  Seit  Jahren  wird  von  B  a  g  i  n  s  k  y  bei  den 
schweren  Anginen  eine  Mischung  von  Hydrarg.  bichlorati  corros.  0  05, 
Ammonii  sulfoichthyolici  5  :  100  als  Tupfmittel  verwendet.  Besser  be¬ 
währte  sich  jedoch  das  in  letzterer  Zeit  angewendete  Sozojodolnatrium 
mit  Flores  sulfuris  ana,  welche  Mischung  mehrmals  täglich  mit  einem 
Pulverbläser  zur  Anwendung  gebracht  wurde.  Nur  wo  diese  Application 
zum  Erbrechen  reizte,  wurde  Sozojodol  in  Lösung  dreimal  täglich  ein 
halber  Theelöffel  innerlich  verabreicht.  Die  Wirkung  zeigte  sieh  schon 
in  zwei  bis  drei  Tagen,  indem  die  schmierigen  Beläge  sich  abstiessen 
und  die  Schleimhaut  rein  roth  wurde.  Verfasser  sieht  in  der  örtlichen 
Anwendung  der  Sozojodolpräparate  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Unter¬ 
stützungsmittel  bei  der  Behandlung  schwerer  geschwüriger  Processe  der 
Pharynxorgane  beim  Scharlach. 

Zur  Behandlung  der  Dermatitis  exfoliativa  s. 
Pemphigus  malignus  (foliaceus).  Das  Wesentliche  in  der 
Behandlung,  welche  bei  einigen  sehr  schweren  Fällen  von  Erfolg  war, 
bestand  im  Gebrauche  von  Eichenrindenabkochungen  zum  Bade  (1  /.v/ 
auf  ein  Bad).  Temperatur  des  Bades  27 — 28°  C.,  Dauer  6 — 8  Minuten. 
Nach  dem  Bade  folgt  vorsichtiges  Abtrocknen  mit  Watte  und  mehr¬ 
maliges  tägliches  Einpudern  mit  reichlich  Zinci  oxyd.,  Tale.  ana.  Ein¬ 
packung  in  Watte.  Jede  Anwendung  von  Salben  ist  verpönt. 

Gehirnmassein  jection  bei  einem  Falle  von 
Tetanus  neonatorum.  Der  Fall  war  ein  sehr  schwerer  und 
endete  tödtlich,  hatte  aber  auf  die  ausgeführten  Injectionen  hin  immer 
eine  überraschende  Besserung  der  Symptome  gezeigt.  Es  waren  täglich 
2'5  cm 3  einer  Kaninchenhirnemulsion  subcutan  am  Schenkel  injicirt 

worden.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  6.) 

* 

Eine  Methode,  um  beim  Röntgen -  Verfahren  aus 
dem  Schattenbilde  eines  Gegenstandes  dessen  wahre 
Grösse  zu  ermitteln  (Orthodiagraphie)  und  die 
exacte  Bestimmung  der  Herzgrösse  nach  diesem 
Verfahren.  Von  Prof.  Moritz  (München).  Um  die  Grösse  eines 
z.  B.  intrathoracal  gelegenen  Organes  oder  Fremdkörpers  zu  bestimmen, 
hat  man  nöthig,  aus  dem  ganzen  Strahlenbündel,  das  von  der  Anti¬ 
kathode  ausgeht,  den  senkrecht  den  Projectionsschirm  treffenden  Strahl 
kenntlich  zu  machen,  diesen  (durch  Verschiebung  der  Röntgen- 
Röhre)  längs  des  Umrisses  des  Körpers  zu  führen  und  denselben  am 
Schirme  zu  bezeichnen.  Der  ganze  Apparat  —  von  der  Firma  „Volt- 
ohm-Elektricitäts  Actiengesellschaft  in  München“  hergestellt  —  besteht 
aus  dem  Durchleuchtungstisch,  auf  den  der  Patient  zu  liegen  kommt, 
einem  beweglichen  Rahmen,  an  welchem  ein  Bleiring  befestigt  ist,  der 
senkrecht  über  der  Antikathode  eingestellt  ist,  so  dass  dessen  Schatten 
die  jeweilige  Lage  des  senkrechten  Strahles  angibt.  —  (Münchener 

medicinische  Wochenschrift  1900,  Nr.  29.) 

* 

Paraformcollodium  zur  Behandlung  der  Haut- 
saprophyten.  Von  Unna.  Gegen  die  hartnäckigen  Formen  von 
Erythrasma  und  Pityriasis  wird  die  Bepinselung  mit  folgender  Com¬ 
position  empfohlen: 

Rp.  Paraformii  2'0, 

F.  pulv.  subtiliss.  contere  c. 

Spiritus  aetherei  2  0. 

Adde  Collodii  ricinati  160. 

M.  D.  Pinsel  im  Kork. 

(Monatshefte  für  praktische  Dermatologie.  Bd.  XXXI,  Nr.  1.) 

* 

Ueber  Moment-Röntgen-Aufnahmen.  Von  Professor 
Rieder  und  Dr.  Rosenthal  (München).  Mittheilung  von  zwei 
Fällen  mit  beigegebenen  Bildern,  von  welchen  das  eine  ein  in  der 
Nähe  des  rechten  Herzrandes  röntgenographisch  festgestelltes  Projectil, 
das  andere  Lungenbefunde  zeigt,  die  von  den  Verfassern  als  tuber- 
culöso  Herde  erklärt  werden.  Zur  Herstellung  dieser  Bilder  wurde  ein 
von  der  bekannten  „  Voltohm-Elektricitäts-Actiengesellschaft  in  München“ 


740 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  32 


hergestellter  R  ö  n  t  g  e  n  -  Apparat  mit  einer  Funkenlänge  von  GO  cm 
benützt.  —  (Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen. 
Bd.  III.) 

* 

Praktische  Erfahrungen  bei  der  Behandlung 
chronischer  Mittelohreiterungen.  Von  Dr.  Gross- 
kopff  (Osnabrück).  In  sehr  vielen  Fällen  ist  es  nothwendig,  mit  dem 
Medicament  zu  wechseln.  Als  vorzügliche  und  manchmal  direct  heilende 
Methode  erweist  sich  namentlich  bei  Kindern  die  Behandlung  mit  Bor¬ 
säure  nach  Bezold;  in  vorsichtiger  Weise  angewendet,  bringt  diese 
Behandlung  keine  Nachtheile.  Um  Granulationen  zum  Schrumpfen  zu 
bringen,  empfiehlt  sich  besonders  der  Spir.  vini  rectif.  Trockene  Per¬ 
forationen  werden  zweckmässig  mit  Trichloressigsäure  behandelt;  die 
Behandlung  ist  aber  sehr  schmerzhaft  und  die  in  einzelnen  Fällen  im 
Anschlüsse  an  die  Aetzung  auftretende  Eiterung  ein  Nachtheil.  Etwaige 
pathologische  Veränderungen  in  der  Nase  und  dem  Nasen-Rachenraum 
sind  zu  beseitigen.  Operative  Eingriffe  werden  zweckmässig  in  der 
Bromäthylnarkose  ausgeführt,  die  bei  vorsichtiger  Anwendung  unge¬ 
fährlich  ist  und  bei  Kindern  nach  etwa  zwei,  bei  Erwachsenen  nach 
drei  bis  vier  Minuten  eintritt.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900, 
Nr.  7.) 

* 

Die  Arzneibehandlung  der  Neurasthenie.  Von 
Dr.  Dornblüth  (Frankfurt  a.  M.).  Nicht  selten  liegt  die  Ursache 
der  Neurasthenie  in  mangelhafter  Blutbeschaffenheit.  Anorganische 
Eisenpräparate  scheinen  hier  weniger  zu  wirken,  besser  die  Krewel- 
schen  Sanguinalpillen  dreimal  täglich  zwei  Pillen,  die  nächsten  Wochen 
dreimal  drei,  dann  wieder  absteigend,  bis  300  Pillen  verbraucht  sind; 
weiters  kommen  in  Betracht  Arsen,  Brom  und  besonders  das  Codein. 
Letzteres  kommt  besonders  bei  solchen  Neurasthenikern  in  Betracht, 
welche  an  einer  unüberwindlichen  Schläfrigkeit  leiden,  die  jede  geistige 
Arbeit  erschwert;  oft  sind  da  dreimal  täglich  0.01  Codein  Knoll 
und  nach  vier  bis  fünf  Tagen  fünf-  bis  sechsmal  dieselbe  Dosis  ein 
vorzügliches  Anregungsmittel.  Oft  gelingt  es,  mit  Codoin  einzelne  Fälle 
ganz  zur  Heilung  zu  bringen.  Je  nach  den  einzelnen  Fällen  muss  man 
dann  die  genannten  Dosen  allmälig  auf  fünfmal  0’02  Codein  steigern, 
durch  vier  bis  sechs  Wochen  geben  und  dann  wieder  damit  herab¬ 
gehen.  Weiters  muss  mit  den  üblichen  Mitteln  eine  Regelung  der 
Lebensweise,  Hydrotherapie,  Elektricität  verbunden  werden.  —  (Thera¬ 
peutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  7.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Der  mit  dem  Titel  eines  a.  o.  Universitäts-Professors 
ausgezeichnete  Privatdocent  an  der  Universität  in  Wien  Dr.  Norbert 
O  r  t  n  e  r,  sowie  der  Privatdocent  an  derselben  Universität  Dr.  Karl 
Ewald  zu  Primarärzten  zweiter  Classe  im  Stande  der  Aerzte  der 
Wiener  k.  k.  Krankenanstalten.  —  Geheimer  Rath  Prof.  Czerny  in 
Heidelberg  zum  correspondirenden  Mitgliede  der  Academie  de  Medecine 
in  Paris.  —  Dr.  Nagel  zum  a.  o.  Professor  der  Physiologie  in  Frei¬ 
burg.  —  Dr.  Wyllie  zum  Professor  der  medicinischen  Klinik  in  Edin¬ 
burgh.  ■ —  Dr.  T  o  n  n  i  n  i  zum  a.  o.  Professor  der  Psychiatrie  in 
Messina.  —  Dr.  Romano  zum  a.  o.  Professor  für  Orthopädie  in 
Neapel.  —  Dr.  Dodson  zum  Professor  der  Pädiatrie  in  Chicago. 

* 

V  e  r  1  i  e  h  e  n  :  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Ferdinand  Treu  tier 
der  Generalstabsarztes-Charakter  ad  honores  und  der  Orden  der 
Eisernen  Krone  III.  CI.  —  Dem  Regimentsarzte  Dr.  Michael 
Stern  schuss  der  fürstlich  montenegrinische  Danilo-Orden  IV.  CI. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Friedr.  Weleminsky  für  Hygiene  an  der 
deutschen  Universität  in  Prag.  —  In  Heidelberg:  Dr.  Schwalbe 
für  pathologische  Anatomie  und  Dr.  M  a  gnus  für  Pharmakologie. 

* 

G  estorben  :  Dr.  Franz  Michl,  a.  o.  Professor  der  Chirurgie 
an  der  böhmischen  Universität  in  Prag.  —  Der  Professor  der  Thera- 
peutik  in  Manchester,  Dr.  J.  Leech. 

* 

Am  2.  August  wurde  im  Festsaale  der  Weltausstellung  der 
XIII.  internationale  medicinische  Congress  zu  Paris 
eröflnet.  Nach  den  otficiellon  Ansprachen  fand  die  erste  wissen¬ 
schaftliche  Hauptversammlung  statt,  welche  einen  Vortrag  Virchow’s 
„Trauma  und  Infection“  zum  Gegenstände  hatte.  Hernach  hatte  ein 
Empfang  beim  Präsidenten  L  o  u  b  e  t  stattgefuuden. 

* 

Primararzt  Dr.  Ludwig  Winternitz  wohnt  jetzt :  I.,  Franz 
Josefs-Quai  Nr.  15;  Dr.  Otto  Poliak:  L,  Grillparzer¬ 
strasse  14. 

* 


Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  29.  Jahreswoche  (vom  15.  Juli 
bis  21.  Juli  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  686,  unehelich  278,  zusammen 
914.  Todt  geboren:  ehelich  43,  unehelich  24,  zusammen  67.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  631  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19  8  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  107,  Blattern  0,  Masern  6, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  6,  Typbus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  43.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
12  ( —  2),  Masern  1C4  ( —  86),  Scharlach  24  ( —  2),  Typbus  abdominalis 
16  (-}-  4),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  20  (-f-  3),  Croup  und 
Diphtherie  23  ( — 3),  Pertussis  55  (-)-  6),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (=),  Trachom  2  ( —  3),  Influenza  0  (=). 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Schwalbe,  Jahrbuch  der  praktischen  Medicin.  Heft  3 — 6.  Enke,  Stuttgart. 
Posselt,  Die  geographische  Verbreitung  des  Blasenwurmleidens.  Ibidem. 
Preis  M.  12. — . 

Robert,  Arzneiverordnungslehre.  3.  Auflage.  Ibidem.  Preis  M.  9.  — . 
Pfeiffer,  Taschenbuch  der  Krankenpflege.  3.  Auflage.  Böhlaus,  Weimar. 
Preis  M.  5. — . 

Zweifel,  Aetiologie,  Prophylaxis  und  Therapie  der  Rachitis.  Hirzel, 
Leipzig. 

Bottazzi  und  Boruttau,  Physiologische  Chemie.  Lieferung  1.  Deuticke, 
AVien.  Preis  M.  2. — . 

Grellepois,  Die  Grundformen  im  österreichischen  Apothekerwesen.  Ibidem. 
Preis  M.  1-60. 

Lorenz,  lieber  die  Heilung  der  angeborenen  Hüfcgelenksverrenkung 
durch  unblutige  Einrenkung  und  fuuctionelle  Belastung.  Ibidem. 
Preis  M.  10. — . 

Schenck  und  Gärber,  Leitfaden  der  Physiologie  des  Menschen.  2.  Auf¬ 
lage.  Enke,  Stuttgart.  Preis  M.  5.60. 

Freund,  Die  Beziehungen  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  zu  anderen 
Organen.  (Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.)  Breitkopf 
&  Hättet,  Leipzig. 


Freie  Stellen. 

Districtsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrict  F 1  ey h - G eorge n- 
dorf  im  Duxer  Vertretungsbezirke,  Böhmen,  vorläufig  in  provisorischer 
Eigenschaft  wieder  zu  besetzen.  Der  rein  deutsche  Sanitätsdistrict  umfasst 
die  Ortschaften  Fleyh,  Langewiese,  Motzdorf,  Willersdorf  und  Georgendorf 
mit  dem  Jagdschlösse  Lichtenwald  mit  zusammen  2169  Einwohnern.  Mit 
der  ausgeschriebenen  Stelle  ist  ein  Dienstbezug  von  1600  A  an  Gehalt 
und  220  K  an  Reisepauschale  verbunden.  Die  Bezirkskrankencasse  Dux 
zahlt  ausserdem  dem  im  gedachten  Bezirke  wirkenden  Amtsärzte  für 
die  Behandlung  ihrer  Mitglieder  ein  Jahrespauschale  von  300  K.  Die  Be¬ 
dingungen  zur  Haltung  einer  Hausapotheke  sind  vorhanden.  Bewerber  um 
diese  Stelle,  welche  der  deutschen  Nationalität  angehören  müssen,  wollen 
ihre  mit  den  Nachweisen  ihrer  Befähigung  und  ihrer  bisherigen  Ver¬ 
wendung  belegten  Ansuchen  bei  dem  Bezirksausschüsse  in  Dux  bis 
15.  August  1.  J.  einbringen.  Aerzte  mit  Doctordiplom  haben  vor  anderen 
Bewerbern  den  Vorzug.  Nach  entsprechender  Verwendung  des  Bestellten 
erfolgt  spätestens  nach  Jahresfrist  dessen  definitive  Anstellung. 

Districtsarztesstelle  in  dem  1614  Einwohner  zählenden  Sanitäts- 
districte  Vöttau,  Mähren,  politischer  Bezirk  Znaim.  Gehalt  und  Fahr¬ 
pauschale  724  K.  Von  der  Herrschaft  Vöttau  überdies  800  K  jährlich, 
freie  Wohnung  und  24  Raummeter  Brennholz.  Die  mit  den  Nach  Weisungen 
über  das  Alter,  die  wissenschaftliche  Befähigung,  die  bisherige  Verwendung, 
die  Wohlverhaltenheit,  die  Heimatberechtigung  und  über  die  Kenntniss 
beider  Landessprachen,  sowie  mit  einem  staatsärztlichen  Gesundheitszeugnisse 
belegten  Gesuche  sind  bis  20.  August  d.  J.  an  den  Obmann  der  Delegirten- 
versammlung,  Johann  Bayer  in  Vöttau,  einzusenden. 

Gemeindearztesstelle  in  St.  Veit  a.  d.  Gölsen,  politischer 
Bezirk  Lilienfeld,  Niederösterreich.  St.  Veit  zählt  3101  Einwohner  und 
ist  eine  beliebte  Sommerfrischstation.  Hausapotheke.  Fixe  Bezüge  1100  K, 
und  zwar  400  K  Landessubvention,  400  K  von  der  Gemeinde  für  die 
Vorsehung  des  gemeindeärztlichen  Dienstes,  300  K  für  Armenbehandlung. 
Fixe  Bezüge  seitens  der  Krankencassen  im  Betrage  von  1200  K  stehen  in 
Aussicht.  Die  gehörig  instruirten  an  den  niederösterreichischen  Landes¬ 
ausschuss  •  zu  richtenden  Gesuche  sind  bis  15.  August  d.  J.  bei  dem 
Gemeindeamte  St.  Veit  a.  d.  Gölsen  einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  Sanitätsgemeindegruppe  Schwarzau 
im  Gebirge  und  Rohr  im  Gebirge  (politischer  Bezirk  Wr.-Neustadt) 
Nieder  Österreich,  mit  1.  October  1900  zu  besetzen.  Mit  dieser  Stelle 
sind  fixe  Bezüge  von  den  Gemeinden  und  dem  niederösterreichischen 
Landesausschusse  zusammen  1560  K  und  Bezüge  von  mehreren  Krankencassen 
im  Gesammtbetrage  von  circa  2477  K  nebst  Privatpraxis  verbunden.  Ausser¬ 
dem  kann  eine  vollständig  eingerichtete  Hausapotheke  von  dem  gegen¬ 
wärtigen  Gemeindearzte  abgelöst  werden.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben 
ihre  im  Sinne  des  Gesetzes  vom  21.  December  1888,  L.  G.  und  V.  Bl. 
Nr.  2  ex  1889,  mit  dem  Nachweise  der  österreichischen  Staatsbürgerschaft, 
der  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  in  Oesterreich,  der 
physischen  Tauglichkeit  und  sittlichen  Unbescholtenheit,  sowie  dem  legalen 
Geburtsnachweise  versehenen  gestempelten  Gesuche  bis  längstens  30.  August 
1900  beim  Gemeindeamte  Schwarzau  im  Gebirge  zu  überreichen.  Auskünfte 
werden  daselbst,  sowie  bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  Wr.-Neustadt 
ertheilt. 


Nr.  32 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


741 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  13.  Juni  1900. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August  1900.) 


Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  13.  Juni  1900. 

Vorsitzender  :  Kaposi. 

Schriftführer:  Kreihich. 

Weiss  stellt  aus  dem  Karolinen-Kinderspitale  ein  12jähriges 
Mädchen  mit  einer  über  den  ganzen  Körper  ausgebreiteten  Sklero¬ 
dermie  vor. 

Im  Anschlüsse  an  einen  plötzlich  aufgetretetenen  Frieselauschlag 
entstand  seit  drei  Monaten  allmälig  eine  Verhärtung  der  Haut,  die  fast 
den  ganzen  Körper  ergriff. 

Das  Gesicht  zeigt  das  typische  starre  Aussehen,  das  sich  beim 
Lachen  nur  wenig  ändert.  Seine  Haut  ist  ebenso  wie  die  des  ganzen 
übrigen  Körpers  bretthart,  gleichmässig  dick  und  blass-weiss.  Nur  an 
einzelnen  Stellen,  wie  am  Olecranon,  den  Handgelenken  und  den 
beugeflächen  der  unteren  Extremitäten  finden  sich  noch  weiche 
Partien. 

Besonders  erwähnenswerth  ist  die  Betheiligung  der  Zunge,  die 
in  ihrer  vorderen  Hälfte  verdickt,  derb  und  wenig  beweglich 
erscheint. 

Die  Anwendung  des  Tbyreojodins  in  diesem  Falle  führte  inso¬ 
weit  zu  einem  Erfolge,  als  das  Kind  jetzt  die  Hände  über  den  Kopf 
erheben  und  die  Zabnreihen  auf  2  cm  entfernen  kann. 

Kaposi  glaubt,  dass  man  trotz  der  universellen  Erkrankung 
beim  Mangel  jedweder  atrophischen  Veränderung  noch  an  eine  Restitutio 
denken  kann. 

K  reib  ich  demonstrirt  bei  einem  30jährigen  Lehrer  eine 
eigenartige  Form  vonAlopecie.  Besonders  am  Hinterhaupte 
und  der  Halsgrenze  sind  zahlreiche,  über  hellergrosse,  verschieden  ge- 
foimte,  haarlose  Flecken,  nicht  rund  wie  bei  Alopecia  areata  und 
ganz  glatt  mit  leichter  atrophischer  Einsenkung. 

Man  könnte  daher  an  eine  Alopecia  nach  Lupus 
erythemosus  denken,  wofür  aber  kein  directer  Anhaltspunkt  vor- 
üegt,  da  sonst  keine  Herde  vorhanden  sind  mit  Ausnahme  eines 
rothen,  leicht  eingesunkenen  Fleckes  an  der  Oberlippe. 

Kaposi  möchte  sich  umsoweniger  direct  für  diese  Annahme 
entscheiden,  als  an  den  Flecken  keine  Veränderungen  in  dieser  Be¬ 
ziehung  zu  sehen  sind,  auch  nicht  erweiterte  Follikelmündungen. 
Vielleicht  handle  es  sich  um  die  von  den  Franzosen  beschriebene 
Alopecia  atrophicans;  auch  nach  Impetigo  contagiosa  könnte  eine 
solche  Form  Vorkommen. 

Kaposi  stellt  noch  vor: 

1.  Zwei  extragenitale  Sklerosen  an  der  Unterlippe  bei 
zwei  Frauen,  von  denen  eine  ein  beginnendes,  die  andere  ein  aus¬ 
gebildetes  Exanthem  zeigt. 

2.  Ein  Erythema  papula  tum,  das  in  seiner  Form  von 
differentialdiagnostischem  Interesse  ist. 

Bei  der  24jährigen  Frau  sind  am  ganzen  Körper  zerstreut,  be¬ 
sonders  dicht  am  Halse  und  den  Gelenksbeugen  stecknadelkopf-  bis 
linsengrosse,  blass -gelblichbraune,  flache,  feinschuppende,  zum  Theile 
auch  mehr  glänzende  papulöse  Efflorescenzen.  Das  Bild  ist  daher  sehr 
dem  eines  papulösen  Syphilides  ähnlich,  doch  sind  die  Knötchen  nicht 
scharf  und  rund  begrenzt,  sondern  am  Rande  fein  gezackt.  Gegen¬ 
über  einem  Herpes  tonsurans  fehlt  jedes  periphere  Wachsthum  und 
Bilden  grösserer  Herde. 

Der  Ausschlag  ging  in  der  Folge  bei  indifferenter  Behandlung 
mit  Zinkpasfe  in  zwei  bis  drei  Tagen  zurück.  Die  auffallende  Acuität 
des  Auftretens  und  Verlaufes  lassen  daher  den  Schluss  zu,  dass  es 

sich  um  eine  ganz  ungewöhnliche  Form  von  Erythema  papulatum 
handelt.  1  ^ 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

Abtheilung  für  allgemeine  Pathologie. 

L  v.  Leube:  Ueber  extrabuccale  Ernährung. 

Eine  extrabuccale  Ernährung  kann  durch  den  Mastdarm  und 
duich  die  Haut  bewerkstelligt  werden. 


A.  Ernährung  per  rectum. 

1.  Von  Eiweissstoffen  eignen  sich  dazu  Peptonpräparate 
(G0  #  in  300  Flüssigkeit  [Milch]),  ferner  rohe  Eier  (3  Eier  -|-  3  #  Koch¬ 
salz).  Bei  Benützung  beider  Stoffe  treten  Eiweiss  oder  Albumosen  im 
Urin  auf.  Dagegen  stellt  sich  bei  längerem  Gebrauch  derselben  Proktitis 
ein,  weswegen  der  Injection  stets  Reinigungsklystiere  voranzugehen  haben. 

2.  Kohlehydrate:  Zucker  15—20#  auf  300  Flüssigkeit 
empfehlens werth.  Noch  besser  ist  die  Verwendung  von  Amylum, 
weil  dasselbe  im  Rectum  zum  grössten  Theil  allmälig  in  Zucker  ver¬ 
wandelt  wird  und  den  Darm  weniger  reizt.  Als  Dosis  sind  bis  100# 
auf  300  Wasser  oder  Milch  anzuwenden. 

3.  Fett  ist  als  Ingrediens  der  Nährklystiere,  weil  es  nur  zum 
allerkleinsten  Theile  resorbirt  wird,  ungeeignet. 

4.  Pankreasklystiere  bestehend  aus  Fett  (40),  Fleisch 
(100)  und  Pankreasmasse  sind  neben  den  oben  genannten  Klystieren 
zu  empfehlen.  Als  Menstruum  für  die  Nährklystiere  überhaupt  passt 
300  Milch  mit  einem  Nährwerth  von  150  Calorien.  Mit  jeder  dieser 
Klystiercompositionen  werden  circa  300  bis  450  Calorien  in  den  Körper 
eingeführt.  Unter  allen  Umständen  können  zwei  solcher  Nährklystiere 
am  Tage  verabreicht  werden. 

B.  Subcutane  Ernährung. 

1.  Peptone  und  Albumosen  eignen  sich  nach  den  bis  jetzt 
gemachten  Erfahrungen  nicht  als  Stoffe  zu  subcutanen  Injectionen, 
ebensowenig  andere  Eiweissstoffe. 

2.  Von  Kohlehydraten  ist  der  Zucker  als  Ingrediens 
cubcutaner  Nährinjeetionen  nicht  empfehlenswert h,  weil  der¬ 
selbe  in  schwachen  Lösungen  zu  wenig  Nährstoff  repräsentirt,  bei 
stärkeren  Lösungen  aber  unfehlbar  die  Haut  reizt  und  Schmerz  und 
Fieber  macht.  Ebensowenig  eignet  sich  das  Dextrin,  weil  es  unverbrannt 
mit  dem  Urin  ausgeschieden  wird.  Eher  ist  vielleicht  von  Glykogen¬ 
lösungen  Erfolg  zu  erwarten. 

3.  Fett  eignet  sich  vorzüglich  zu  den  sub¬ 
cutanen  Injectionen,  und  zwar  in  einer  Menge  von  50 — 100#. 
Dasselbe,  langsam  eingespritzt,  macht,  wenn  überhaupt,  jedenfalls  nur 
eine  ganz  geringe  Spannung  der  Haut  und  wird  gut  resorbirt. 

C.  Eine  Combination  von  Nähr  klystieren  und 
subcutanen  Fettinfusionen  istim  Stande,  demKörper 
die  zur  Erhaltung  seines  Stoffbestandes  nöthige 
Calorienmenge  zuzuführen  (2  Klystiere  ä  550  Calorien  = 
1100  Calorien;  1  Fettinfusion  =  circa  930  Calorien;  im  Ganzen  also 
wenigstens  2000  Calorien).  Die  Menge  des  injicirten  Fettes  kann  im 
Nothfall  über  100  gesteigert  werden.  Es  ist  zu  hoffen,  dass  mit  gleich¬ 
zeitig  angewendeten  Nährklystieren  und  subcutanen  Fettinjectionen  die 
volle  Ernährung  von  Kranken,  denen  auf  gewöhnlichem  Wege  keine 
Nahrung  mehr  beizubringen  ist,  erzwungen,  und  damit  der  Organismus 
vor  dem  Tode  durch  Inanition  geschützt  werden  kann,  das  heisst  das 
Ziel  der  künstlichen  Ernährung  erreichbar  ist. 

II.  S  e  e  g  e  n  (Wien):  G  1  y  k  ämieundDiabetesmellitus. 

1.  Das  Blut  enthält  Traubenzucker  als  einen 
normalen  Bestandtheil,  und  Glykämie  ist  die  Be¬ 
dingung  für  das  gesunde  Leben.  Der  Zuckergehalt  des  Blutes 
bewegt  sich  in  ziemlich  engen  Grenzen.  Ich  habe  das  Blut  von  10  ge¬ 
sunden  Menschen  verschiedener  Berufsclassen  zwischen  20  und  30  Jahren 
stehend  untersucht;  der  Zuckergehalt  schwankte  zwischen  0'160  bis 
OT80°/o-  Dieser  normalen  Glykämie  steht  die  Hyperglykämie  gegen¬ 
über.  Nach  Bernard  liegt  die  Grenze  zwischen  beiden  bei 
0'250"  o-  Jenseits  dieser  Grenze  wird  ein  Theil  des  Blutzuckers 
durch  die  Nieren  amsgeschieden.  Hyperglykämie  wird  als 
nothwendige  Vorbedingung  für  Glykosurie  ange¬ 
sehen.  Ueber  das  Entstehen  der  Hyperglykämie  schwanken  die  An¬ 
schauungen.  Berna  rd  bezog  dieselbe  auf  mangelhafte  Umsetzung  des 
Blutzuckers,  und  dieser  Ansicht  waren  die  meisten  Diabetesforscher. 
Chauveau  und  Kaufmann  glauben,  dass  eine  Ueberproduction 
von  Zucker  die  Ursache  der  Hyperglykämie  und  der  durch  diese  ver- 
anlassten  Glykosurie  sei.  Ihre  Beweisführung  gipfelt  darin,  dass  beim 
diabetisch  gemachten  Thiere  der  Unterschied  zwischen  arteriellem  und 
venösem  Blute  ebenso  gross  sei,  wie  beim  gesunden  Thiere,  dass  also 
die  Zuckerumsetzung  im  Capillarsysteme  nicht  gestört  sei.  Aber  ich 
habe  nachgewiesen,  dass  die  von  den  genannten  Forschern  ermittelte 
Differenz  zwischen  dem  Zuckergehalte  des  arteriellen  und  des  venösen 


742 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Nr.  32 


Blutes  so  gering  ist,  dass  sie  noch  innerhalb  der  Fehlergrenzen  liJgt. 
Die  aus  dieser  Differenz  gezogenen  Schlüsse  über  den  Umsatz  des 
Zuckers  sind  hinfällig,  und  damit  entfällt  auch  die  Grundlage  für  den 
Schluss,  den  Chauveau  und  Kaufmann  aus  der  unveränderten 
Differenz  im  Zuckergehalte  diabetisch  gemachter  Thiere  auf  die  un¬ 
veränderte  Zuckerumsetzung  ziehen.  Ich  halte  es  für  zweifellos, 
dass  Hyperglykämie  nicht  durch  Ueber  production, 
sondern  nur  durch  gestörte  Zucker  Umfassung  ver¬ 
anlasst  ist.  Den  kräftigsten  Beweis  für  diese  Anschauung  bieten 
die  zahllosen  Beobachtungen  an  Diabeteskranken.  Bei  den  schweren 
Fällen  dieser  Erkraakung,  und  nur  bei  diesen  wird  Hyperglykämie 
beobachtet,  ist  die  Energie  aller  Lebensfunctionen  beträchtlich  herab¬ 
gesetzt,  es  ist  vor  Allem  die  Leistungsfähigkeit  der  Muskeln  sehr 
reducirt  und  die  Wärmebildung  vermindert.  Es  wäre  unfasslich,  dass 
gerade  bei  diesen  Kranken  eine  so  wichtige  Function  wie  die  Zucker¬ 
bildung  in  der  Leber  in  hohem  Grade  gesteigert  sein  sollte.  Es  liegt 
weit  mehr  im  Wesen  des  ganzen  Krankheitsprocesses,  dass  die  Zucker¬ 
umsetzung,  welche  mit  der  Lebensarbeit  parallel  geht,  herabgesetzt  ist 
und  dass  in  Folge  dieser  Herabsetzung  der  Zucker  sich  im  Blute  an¬ 
häuft.  Ich  habe  ferner  auf  experimentellem  Wege  festgestellt,  dass  bei 
Thieren,  welche  durch  Chloroform  oder  durch  Morphiuminjection 
anästhesirt  oder  bei  Thieren,  welche  curarisirt  waren,  der  Zuckergehalt 
des  Blutes  beträchtlich  ansteigt,  dass  mit  der  Dauer  der  Einwirkung 
des  Giftes  der  Zuckergehalt  selbst  bis  über  die  von  Bernard  für 
normale  Glykämie  festgestellte  Grenze  ansteigt.  Als  Beispiel  führe  ich 
an,  dass  bei  einem  Thiere  der  Zuckergehalt  des  Blutes  0'103°/o  betrug; 
es  wurde  chloroformirt:  nach  3  Minuten  betrug  der  Zuckergehalt 
0,122°/0,  uach  20  Minuten  0'175%,  und  als  das  Thier  50  Minuten 
chloroformirt  war,  war  der  Zuckergehalt  auf  0  333%  gestiegen.  In 
einer  zweiten  Serie  von  Versuchen  wurde  an  anästhosirten  oder  curari- 
sirten  Thieren  der  Zuckergehalt  des  Leber venenblutes  mit  dem  des 
Pfortaderblutes  verglichen  und  die  Vermehrung  des  Zuckergehaltes  des 
L°bervenenblutes  weit  unter  dem  Mittel  gefunden,  welche  bei  nicht 
anästhesirten  Thieren  nachgewiesen  wurde.  Die  Erscheinungen  bei  den 
anästhesirten  und  curarisirten  Thieren  gaben  ein  Bild  im  Kleinen  von 
jenen,  die  wir  beim  Diabetes  beobachten. 

2.  Ich  habe  ferner  durch  Bestimmung  des  Zuckergehaltes  im 
Blute  von  Diabeteskranken  festgestellt,  dass  eine  beträchtliche 
Glykosurie  vorhanden  sein  kann,  ohne  dass  eine 
Hyperglykämie  besteht.  Nur  bei  Fällen,  die  der  schweren 
Form  des  Diabetes  angehörten,  d.  h.  solchen,  die  trotz  absoluten  Aus 
Schlusses  von  Amylaceis  fortbestanden,  war  der  Zuckergehalt  des  Blutes 
bedeutend  gesteigert  und  betrug  0  3 — 0'4%.  Bei  Diabeteskranken  der 
leichten  Form  war  der  Zuckergehalt  oft  tief  unter  der  von 
Bernard  festgestellten  Grenze  und  erreichte  nie  02%,  selbst  wenn 
durch  den  Harn  2 — 3%  Zucker  ausgeschieden  wurden.  Wenn  in  solchen 
Fällen  die  Amylacea  ausgeschlossen  wurden,  sank  die  Glykosurie  sehr 
rasch,  der  Blutzucker  blieb  unverändert,  er  nahm  auch  erst  zu,  wenn 
durch  Einfuhr  von  Amylaceis  die  Zuckerausscheidung  durch  den  Harn 
beträchtlich  angestiegen  war. 

III.  Ewald  (Berlin) :  Ueber  extrabuccale  Ernäh¬ 
rung. 

1.  Die  extrabuccale  Ernährung  ist  kein  vollwerthiger  Ersatz  der 
Ernährung  per  os,  und  kann  die  Ansprüche  des  Stoffwechsels  auf  die 
Dauer  nicht  bestreiten,  vielmehr  tritt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  bei 
ausschliesslicher  extrabuccaler  Ernährung  von  Anfang  an  eine  Unter¬ 
ernährung  ein.  Eine  Ausnahme  machen  nur  diejenigen  Fälle  von 
Magenfisteln,  welche  wegen  einer  benignen  Strictur  der  Speiseröhre 
angelegt  sind. 

2.  Auf  kurze  Zeit  kann  die  extrabuccale  Ernährung  aber  bei  ge¬ 
schwächten  Personen  mit  darniederliegendem  Stoffwechsel  den  Stickstoff¬ 
umsatz  steigern  und  selbst  einen  Ansatz  von  stickstoffhaltiger  Substanz 
und  Fett  bewirken. 

3.  Sie  hat  die  besten  Erfolge,  wenn  es  sich  um  einen  vorüber¬ 
gehenden  Ersatz  der  Nahrungsaufnahme  per  os  handelt,  oder  wo  sie 
in  Verbindung  mit  der  letzteren  als  Ergänzung  derselben  eintritt. 

4.  Die  Nährklysmata  sind  den  subcutanen  Injectionen  von  Nähr¬ 
stoffen  in  den  meisten  Fällen  vorzuziehen.  Letzteren  kommt  mehr  die 
Bedeutung  eines  vereinzelten  Versuches  zu,  als  eines  Verfahrens,  welches 
eine  breite  Verwendung  in  der  Praxis  finden  kann. 

* 

Abtheilung  für  Bacteriologie. 

I.  Buchner:  Ueber  Immunität. 

a)  Natürliche  Resistenz.  Die  Bezeichnung  „natürliche 
Resistenz“  scheint  vorzüglicher  als  die  sonst  gebräuchliche  „natürliche 
Immunität“,  weil  es  werthvoll  ist,  den  Begriff  „Immunität“  ausschliesslich 
für  den  specifischen  Zustand  zu  reser viren,  der  in  seinem  inneren 
Wesen  eigenartig  und  von  der  natürlichen  Resistenz  durchaus  ver¬ 
schieden  ist. 


Natürliche  Resistenz  besteht  —  abgesehen  von  den 
Fällen  angeborener  Giftunempfindlichkeit  —  hauptsächlich  in  den 
mikrobiciden  Wirkungen  der  Säfte  und  gewisser  Zellen  des 
Organismus,  in  ihrem  Gehalt  an  Alexinen.  Dies  gilt  namentlich 
auch  für  die  Heilung  von  bereits  in  Gang  befindlichen,  den  Körper 
bedrohenden  Infectionsprocessen,  soferne  dabei  nicht  erworbene  spe- 
eifische  Immunität  eine  Rolle  spielt.  Zum  Beispiel  bei  Sfaphylococcen- 
infectionen  (Furunkel,  Abseesse  u.  s.  w.)  scheint  die  Heilung  durch 
eine  locale  allgemeine  Steigerung  der  natürlichenResistenz, 
nicht  durch  eintretende  specifische  Immunisirung  bedingt  zu  sein. 

Eine  rein  humorale  Theorie  der  natürlichen  Resistenz 
konnte  nie  aufgestellt  wrerden  und  ist  thatsächlich  nie  aufgestellt 
worden,  ausser  von  Seite  der  Gegner,  welche  dieselbe  bekämpfen 
wrollten.  Mit  den  Alexinen  der  blossen  Sera  —  ohne  Zellen  —  können 
die  Resistenzerscheinungen  nur  in  einzelnen  Fällen  genügend  erklärt 
werden.  Trotzdem  durfte  nicht  von  vorneherein  auf  die  nähere  Erforschung 
der  Serumalexine  verzichtet  werden.  Denn  es  war  klar,  dass  ihre 
Existenz  eine  gewisse  Einschränkung  der  Phagocytentheorie  bedeutete. 
Seit  aber  die  Abstammung  der  Alexine  aus  den  Leukocyten  1894 
nachgewiesen  ist,  haben  sich  die  Forschungen  über  Phagocyten  und 
jene  über  Alexinwirkungen  in  ihrem  Endergebniss  immer  mehr  ange¬ 
nähert,  und  es  ist  eigentlich  nur  noch  ein  einziger  Punkt,  der 
bisher  unentschieden  blieb. 

Metschnikoff  und  Bordet  haben  nämlich  seit  mehreren 
Jahren  selbst  constatirt,  dass  die  Alexine  der  Sera  zum  grossen  Theil 
den  Leukocyten  entstammen.  Aber  sie  sind  der  Meinung,  dass  es  sich 
nicht  um  eine  Secretion  der  lebenden  Zellen,  sondern  um  einen  Ueber- 
gang  der  Alexine  ins  Serum  aus  den  getödteten,  aufgelösten  Leukocyten 
handelt.  Dies  eben  ist  der  Differenzpunkt,  der  aber  experimentell  ent¬ 
schieden  werden  kann. 

Laschtschenko  hat  in  meinem  Laboratorium  nachgewiesen, 
dass  aus  Kaninchenleukocyten  durch  eine  ganze  Reihe  von  Serumarten, 
welche  man  vorher  auf  60°  erhitzt  und  dadurch  inactivirt  hat, 
bactericide  Alexine  ohne  Untergang  der  Leukocyten  extrahirt  werden 
können.  Hier  haben  wir  also  Secretion  ohne  Tödtung  der  Zellen. 
Ueberhaupt  können  die  Leukocyten  gar  nicht  so  leicht  getödtet  werden. 
Nach  Beobachtungen  von  Nakanishi  in  meinem  Laboratorium 
bleiben  Leukocyten  der  verschiedensten  Blutsorten  im  Eisschrank  ein 
bis  vier  Wochen  lang  nicht  nur  in  ihrer  Form  erhalten,  sondern 
lebend;  im  destillirten  Wasser  tritt  zwar  der  Tod  rasch  ein,  aber 
die  Auflösung  geht  ziemlich  langsam  vor  sich,  so  dass  nach  24  Stunden 
noch  sehr  viele  Leukocyten  gut  in  ihrer  Form  erhalten  sind. 

Hienach  scheinen  die  Alexine  in  der  Regel  von  lebenden 
Leukocyten  secernirt  zu  werden,  und  dann  ist  für  Erklärung  der 
Phagocytose  die  Annahme  am  wahrscheinlichsten,  dass  die  Bacterien 
vor  dem  Gefressenwerden  meistens  schon  eine  chemische  Schädigung 
erlitten  haben.  Allerdings  wurde  vielfach  constatirt,  dass  auch  lebende 
und  virulente  Bacterien  von  Leukocyten  gefressen  -werden  können. 
Diese  Thatsache  soll  nicht  bestritten  werden,  aber  es  gibt  bei  den 
Mikrobien  auch  Zustände  latenten  Lebens,  in  denen  die  Lebens¬ 
äusserungen  für  eine  Zeit  lang  unterbrochen  sind,  um  nachher  wieder 
aufgenommen  zu  werden.  Wenn  also  in  Folge  äusserer  schädlicher 
Einwirkungen  Stoffwechsel  und  Vermehrung  zeitweilig  stille  stehen,  so 
braucht  der  Mikroorganismus  deshalb  noch  nicht  getödtet  oder  dauernd 
geschädigt  zu  sein. 

Der  Hauptgrund  ferner  gegen  das  allgemeine  Princip  der 
Phagocytose  liegt  in  der  Thatsache,  dass  innerhalb  des  Körpers, 
in  Exsudaten  u.  s.  w.  auch  ohne  Anwesenheit  von  Leuko¬ 
cyten  Bacterien  zu  Grunde  gehen  können.  Man  wird 
also  in  anderen  Fällen,  wo  thatsächlich  Phagocytose  stattfindet,  nie 
beweisen  können,  dass  hier  keine  primäre  chemische  Schädigung 
vor  dem  Auffressen  stattgefunden  hat.  Das  Mikroskop  kann  diese 
Frage  nicht  entscheiden  und  sie  wird  voraussichtlich  noch  lange  Zeit 
controvers  bleiben. 

Sicher  ist,  dass  die  Phagocytose  zum  Untergang  der  Infections- 
erreger  nicht  immer  gefordert  wird.  Zur  richtigen  allgemeinen  Be- 
urtheilung  der  Rolle  der  Leukocyten  darf  ferner  nie  vergessen  werden, 
dass  dieselben  nicht  nur  durch  lebende,  sondern  auch  durch  todte 
Bacterien,  durch  Bacterienproteine,  durch  GlutencasA'n  u.  s.  w. 
chemotaktisch  angelockt  werden.  Das  beweist,  dass  ihr  eigentlicher 
Charakter  derjenige  von  Resorptionszellen  ist.  Die  Bildung 
und  Ausscheidung  der  Alexine  scheint  hiemit  übereinzustimmen,  in- 
soferne  letztere  als  histoly  tische  Enzyme  im  Sinne  Th.  Leber’s 
aufgefasst  werden  müssen,  Enzyme,  welche  Gewebselemente  aufzulösen 
vermögen  (z.  B.  bei  der  Erweichung  von  Abscessen  oder  bei  Injection 
von  Leukocyten  anlockenden  Mitteln,  wie  Perubalsam).  Dieselbe 
histolytische,  auflösende  Wirkung  kann  sich  auch  auf  pathologische 
Gewebsneubildungen  erstrecken  (Einschmelzung  von  Tuberkeln),  und 
ferner  auf  die  Infectionserreger  selbst  (bactericide  Wirkung).  Die 
Phagocytose,  das  Aufgelöstwerden  im  Innern  der  Leukocyten  durch 
die  nämlichen  histolytischen  Enzyme,  erscheint  dann  nur  als  ein 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


743 


specieller  Fall,  gegenüber  dem  allgemeinen  Fall  von  Auflösung  ausser¬ 
halb  der  Leukocyten. 

b)  Specifische  Immunität.  Zu  unterscheiden  sind  haupt¬ 
sächlich  : 

1.  specifisch  antitoxische, 

2.  specifisch  bactericide  und 

3.  specifisch  hämolytische  Immunität. 

Diese  drei  Hauptfälle  von  specifischer  Immunität  werden  erzeugt 
durch  Vorbehandlung  mit  : 

ad  1.  specifischen  Toxinen  oder  ungiftigen  Modifieationen  von 
Toxinen, 

ad  2.  specifischen  Bacterien,  lebend  oder  getödtet, 

ad  3.  specifischen  Erythrocyten,  unverändert  oder  bis  60°  erhitzt. 

In  allen  drei  Fällen  erscheint  im  Blut  und  Serum  des  vor¬ 
behandelten  Thieres  ein  specifischer  Antikörper,  welcher  bei  65°  C. 
nicht  zerstört  wird.  Im  Falle  1  ist  dies  das  bekannte  Antitoxin,  welches 
dem  Diphtherie  ,  Tetanus-  u.  s.  w.  Heilserum  zu  Grunde  liegt.  Im 
Falle  2  und  3  besitzt  der  jeweilige  specifische  Antikörper  keine  un¬ 
mittelbar  wahrnehmbare  Wirkung,  sondern  er  wirkt  erst  in  Combination 
mit  den  normalen  nicht  specifischen  Alexinen.  Es  gibt  keine  einheit¬ 
lichen  specifisch  bactericiden  oder  specifisch  hämolytischen  S  u  b- 
stanzen,  sondern  in  beiden  Fällen  handelt  es  sich  um  combinirte 
Effecte,  indem  durch  die  specifischen  Antikörper  die  Bacterien,  respective 
Erythrocyten  prädisponirt  werden  für  die  Wirkung  der  normalen 
Alexine.  Dabei  ist  es  gleichgiltig,  ob  diese  Alexine  von  der  nämlichen 
Thierspecies  stammen,  bei  welcher  durch  Vorbehandlung  der  Antikörper 
gewonnen  wurde,  oder  von  anderen. 

Die  prädisponirende  Wirkung  besteht,  wie  sich  nach  weisen  lässt, 
bei  der  specifisch  hämolytischen  Immunität  in  einer  Anziehung  und 
lockeren  Bindung  des  Antikörpers  an  die  specifischen  Erythrocyten, 
iu  Folge  deren  dieselben  durch  normale  Alexine  leichter  gelöst  werden. 
Wahrscheinlich  ist  es  ebenso  bei  der  specifisch  bactericiden  Wirkung. 
Dass  die  Gegenwirkung  der  Antitoxine  gegen  die  specifischen  Toxine 
durch  gegenseitige  Bindung  zu  Stande  kommt,  darf  als  sichergestellt 
gelten. 

Nach  diesen  Ergebnissen  beruht  das  eigentliche  Princip 
der  specifischen  Immunität  immer  und  in  allen 
Fällen  auf  der  eigentümlichen  Anziehung  und 
Bindung  zwischen  Antikörper  und  specifischem 
Reactionsobject  (Toxin,  Bacterien,  Erythrocyten  u.  s.  w.).  Das 
der  Zukunft  vorbehaltene  Räthsel  liegt  also  hauptsächlich  nur  in  der 
Natur  der  zwischen  Antitoxin  und  Toxin,  Antikörper  und  Reactions¬ 
object  eintretenden  specifischen  Bindung. 

„Natürliche  Resistenz“  und  „specifische  Immunität“  sind  im 
Princip  Gegensätze.  Erstere  ist  charakterisirt  durch  die  Alexine,  letztere 
durch  die  specifischen  Antikörper.  Die  Alexine  werden  bei  60°  zerstört, 
sind  different  je  nach  der  erzeugenden  Thierspecies,  zeigen  keine 
Anziehung  zum  Reactionsobject.  Die  Antikörper  sind  bei  65°  haltbar, 
sind  different  nicht  nach  der  Thierspecies,  sondern  nach  dem  zur 
Vorbehandlung  verwendeten  Reactionsobject  und  zeigen  zu  letzterem 
eine  specifische  Anziehung,  werden  von  diesem  gebunden. 

Alexine  und  Antikörper  wirken  im  lebenden  Körper  gleichzeitig, 
oft  in  Combination.  Natürliche  Resistenz  und  specifische  Immunität 
können  im  gleichen  Organismus  vereint  zur  Geltung  kommen.  Zum 
Beispiel  die  Heilung  eines  Abdominaltyphus  kann  durch  gleichzeitige 
Steigerung  der  natürlichen  Resistenz,  in  Combination  mit  Bildung 
specifischer  Antikörper  zu  Stande  kommen.  Aufgabe  der  klinischen 
Medicin  ist  es,  diese  einzelnen  Zustände  und  Veränderungen  zu 
diagnosticiren  und  auseinander  zu  halten. 

II.  Ehrlich:  Ueber  Toxine  und  Antitoxine. 

Durch  Behring’s  Entdeckung  der  Antitoxine  hat  das  Studium 
der  Toxine  eine  ausserordentliche  praktische  Bedeutung  und  grosses 
theoretisches  Interesse  gewonnen.  Ein  möglichst  erschöpfendes  Studium 
der  Toxine  und  Antitoxine  bildet  auch  heute  noch  die  Grundlage  der 
gesammten  Immunitätslehre.  Für  den  Fortschritt  unserer  Erkenntniss 
waren  folgende  Momente  besonders  fruchtbringend: 

aj  Die  Erforschung  der  Beziehungen  zwischen  Toxin  und  Anti¬ 
toxin  nach  allgemein  physikalischen  und  chemischen  Principien. 

Reagensglasversuche  (partielle  Sättigung). 

b)  Die  Ausdehnung  der  stereochemischen  Betrachtungsweise, 
wie  sie  von  E.  Fischer  bereits  für  die  Fermente  angewandt  war, 
auf  die  Toxine. 

c)  Das  Studium  der  Vertheilungsgesetze,  welchen  fremde,  ins¬ 
besondere  toxische  Substanzen  im  Organismus  unterliegen  und  die  Er¬ 
forschung  der  besonderen  chemischen  und  physikalischen  Beziehungen 
dieser  Substanzen  zu  den  Geweben.  Es  ergeben  sich  hieraus  folgende 
Anschauungen: 

1,  Die  Toxine  sind  äusserst  labile  Substanzen,  die  als  Secretions- 
producte  pflanzlichen  oder  auch  thierischen  Ursprunges  auftreten. 

2.  Eine  chemische  Charakteristik  sämmtlicher  oder  auch  ein¬ 
zelner  Toxine  ist  vorläufig  unmöglich,  da  ihrer  Reindarstellung  in  aus¬ 


reichender  Menge  vor  Allem  die  leichte  Zersetzlichkeit  im  Wege  steht, 
und  die  Trennung  von  gewissen,  den  Toxinen  chemisch  sehr  nahe 
stehenden  Modifieationen  (Toxoide)  kaum  durchzuführen  sein  dürften. 

3.  Die  einzigen  Kriterien  für  die  Toxinnatur  einer  Substanz  sind 
biologischer  Art;  die  eigenartige  Giftwirkung  und  die  Fähigkeit,  in 
geeigneterWeise  in  den  thierischen  Organismus  eingeführt,  die  Bildung 
specifischer  Antitoxine  zu  veranlassen.  Die  letztere  Eigenschaft  theilen 
die  Toxine  mit  gewissen  Enzymen,  worauf  schon  Roux  für  das 
Diphtheriegift  aufmerksam  gemacht  hat. 

4.  Die  Giftwirkung  der  meisten  Toxine  ist  im  Gegensatz  zu  der 
Wirkung  der  chemisch  definirten  Gifte  charakterisirt  durch  die  Incu- 
bationszeit,  die  durch  keine  Vergrösserung  der  Dosis  aufzuheben  ist. 
Einige  Substanzen,  die  ohne  Incubationszeit  wirken  (Schlangengift, 
giftige  Substanzen  des  Serums)  erweisen  sich  als  zu  den  Toxinen 
gehörig  in  erster  Linie  durch  die  Fähigkeit  der  Antitoxinbildung,  in 
zweiter  Linie  erst  durch  die  höhere  Labilität. 

5.  Die  Fähigkeit  der  Antitoxinbildung  kommt  keinem  der  chemisch 
definirten  Gifte  zu.  Die  Angaben  über  antitoxische  Sera,  welche  gegen 
organische  Gifte,  Glykoside  oder  Alkaloide  wirken  sollen,  beruhen  auf 
Irrtbum. 

6.  Aus  diesen  Besonderheiten  der  Toxine  ist  zu  schliessen,  dass 
ihre  Wirkung  im  Organismus  wesentlich  verschieden  sein  muss  von 
der  Wirkung  der  übrigen  Gifte.  Die  Thatsachen  zwingen,  für  die 
Toxine  als  Grundbedingung  der  Giftwirkung  eine  specifisch-chemische 
Bindung  an  das  Protoplasma  gewisser  Zellbezirke  anzunehmen.  Für 
die  anderen  Gifte,  die  Alkaloide  z.  B.,  gelten  gleichfalls  bestimmte 
Gesetze  der  Vertheilung  im  Organismus,  jedoch  beruht  die  Beziehung 
zu  dem  Parenchym  nicht  auf  chemischer  Bindung,  sondern  auf  Vor¬ 
gängen  fester  Lösungen  oder  lockerer  Salzbildung. 

7.  Der  specifische  Charakter  der  chemischen  Bindung  der  Toxine 
beruht  auf  der  Anwesenheit  einer  besonderen  Gruppe  des  Toxin- 
molecrils,  der  haptophoren  Gruppe.  Die  Giftwirkung  der  Toxine  findet 
jedoch  in  der  Bindung  derselben  an  die  Organe  vermittelst  der  hapto¬ 
phoren  Gruppe  noch  keine  ausreichende  Erklärung,  sondern  hat  zur 
Voraussetzung  die  Anwesenheit  einer  zweiten  Gruppe  im  Toxinmolecül, 
der  toxophoren  Gruppe,  deren  Einfluss  das  Protoplasma  durch  die 
Bindung  der  haptophoren  Gruppe  unterwarfen  wird. 

8.  Die  Wirkungen  der  haptophoren  und  toxophoren  Gruppe 
lassen  sich  in  gewissen  Fällen  experimentell  von  einander  trennen.  So 
hat  Morgen  roth  nachgewiesen,  dass  bei  Kaltblütern  die  baptopbore 
Gruppe  des  Tetanusgiftes  schon  in  der  Kälte,  die  toxophore  aber  erst 
in  der  Wärme  auf  die  Zellen  einwirkt  (Erklärung  des  Courmont- 
schen  Versuches).  Durch  den  zeitlichen  Unterschied  in  der  Wirkung 
der  haptophoren  und  toxophoren  Gruppe  findet  auch  die  Incubations- 
periode,  welche  fast  allen  Toxinen  zukommt,  eine  ausreichende  Er¬ 
klärung,  nachdem  von  Dönitz  und  Hey  mans  nach  principled  ver¬ 
schiedenen  Methoden  die  rapid  erfolgende  Bindung  des  Tetanus-  und 
Diphtherietoxins  erwiesen  ist. 

9.  Zur  Bindung  der  haptophoren  Gruppe  der  Toxine  dienen 
gewisse  Seitenketten  des  Protoplasmas,  die  als  Receptoren  bezeichnet 
werden.  Die  Receptoren  dienen  im  normalen  Leben  des  Protoplasmas 
der  Ernährung  desselben  durch  Verankerung  von  Nahrungsstoffen.  Es 
müssen  demnach  die  Toxine  die  haptophore  Gruppe  mit  gewissen 
Nahrungsstoffen  gemeinsam  haben.  Thatsächlich  kann  man  auch  mit 
bestimmten  Nahrungsstoffen  typisehe  Antikörper,  z.  B.  Coaguline 
(Bordet)  erzeugen. 

10.  Die  Receptoren  sind  bald  nur  in  einem  einzigen  Gewebe 
vorhanden,  bald  über  eine  grössere  Zahl  von  Organen  verbreitet. 

(Tetanusgift  gegenüber  Meerschweinchen  einerseits,  Kaninchen 
andererseits.) 

11.  Das  Fehlen  von  Receptoren  bei  gewissen  Thierspecies  kann 
eine  Ursache  der  natürlichen  Immunität  sein.  Andererseits  kann  das 
Vorhandensein  zahlreicher  Receptoren  in  minder  lebenswichtigen  Organen 
durch  Ablenkung  des  eingeführten  Toxins  zu  einer  Verringerung  der 
Giftempfindlichkeit  führen.  Die  Receptoren  des  Organismus  sind 
nicht  für  die  Gesammtheit  der  Gifte  constant,  sondern  können  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  (Crotin,  Hämolysine)  sehr  erheblichen  Schwankungen 
unterliegen. 

12.  Die  Besetzung  von  Receptoren  des  Protoplasmas  durch  die 
haptophore  Gruppe  der  Toxine  bedingt  für  das  Leben,  besonders  die 
Ernährung  der  Zelle  einen  Defect.  Dieser  Defect  löst  Regenerations¬ 
erscheinungen  aus,  derart,  dass  die  durch  die  Besetzung  ihrer  natür¬ 
lichen  Function  entzogenen  Receptoren  neugebildet  werden.  Einem  von 
Weigert  erkannten  biologischen  Gesetz  folgend,  bleibt  die  Neubil¬ 
dung  nicht  auf  den  Ersatz  des  Defectes  beschränkt,  sondern  es  erfolgt 
eine  Ueberregeneration.  Die  Ueberregeneration  kann  durch  fortgesetzte 
Toxinzufuhr  so  gesteigert  werden,  dass  endlich  eine  Abstossung  der 
übermässig  gebildeten  Receptoren  in  den  Kreislauf  erfolgt. 

13.  Die  f  r  ei  circuli  r  enden  Receptoren  des  Proto¬ 
plasmas  sind  die  Antitoxine.  Sie  haben  ihre  ursprüngliche 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Eigenschaft,  die  haptophore  Gruppe  des  entsprechenden  Toxins  chemisch 
zu  binden,  bewahrt. 

14.  Diese  Theorie  der  Antitoxinbildung  ist  im  Stande,  die  ausser¬ 
ordentliche  Mannigfaltigkeit  der  Antitoxine  und  ihren  specifischen  Cha¬ 
rakter  auf  der  Basis  physiologischer  Vorgänge  zu  erklären,  ohne  dass 
man  dem  Organismus  eine  völlig  räthselhafte,  gleichsam  erfinderische 
Thätigkeit  zuschreiben  muss. 

15.  Ihrer  Entstehung  entprechend  sind  die  Beziehungen  der  Anti¬ 
toxine  zu  den  Toxinen  rein  chemischer  Natur.  Beide  Körper  verbinden 
sich  zu  einer  neuen,  für  den  Thierkörper  indifferenten  Verbindung, 
wie  durch  Fraser,  Ehrlich,  Cherry  und  Martin  sicher 
erwiesen  ist. 

16.  Das  eingehende  Studium  der  Neutralisationsverhältnisse 
zeigt  eine  ausserordentlich  complicirte  Zusammensetzung  der  aus  den 
Culturen  gewonnenen  Gifte,  die  besonders  am  Diphtheriegift  unter¬ 
sucht  ist. 

17.  Der  Diphtheriebacillus  producirt  zwei  Arten  Substanzen: 
1.  Toxine,  2.  Toxone,  die  beide  den  specifischen  Antikörper  binden  und 
mithin  dieselbe  haptophore  Gruppe  besitzen.  Dagegen  ist  der  toxophore 
Complex  des  Toxons  von  schwächerer  und  andersartiger  Wirkung 
(Fehlen  der  nekrotisirenden  Wirkung,  Erzeugung  von  spät  eintretender 
Lähmung  [M  a  d  s  e  n,  E  h  r  1  i  c  h]). 

18.  Weiterhin  finden  sich  in  jeder  Diphtheriebouillon  ungiftige 
Modificationen  des  Toxins,  die  noch  den  Antikörper  binden  und  als 
Toxoide  bezeichnet  werden.  Die  Entstehung  der  Toxoide  begründet  sich 
darin,  dass  der  toxophore  Complex  weit  labiler  ist,  als  der  haptophore, 
und  zerstörenden  Einflüssen  thermischer  oder  chemischer  Art  leichter 
unterliegt.  Besonders  beweisend  sind  hiefür  fortlaufende  Beobachtungen 
über  die  spontane  Abschwächung  der  flüssigen  Gifte,  die  zeigen,  dass 
der  Giftwerth  der  Bouillon  sich  erheblich  vermindert,  der  Neutralisations¬ 
werth  aber  vollkommen  erhalten  bleibt.  Es  liegt  aber  hier  eine  quan¬ 
titativ  verlaufende  Umwandlung  vor. 

19.  Entsprechend  den  verschiedenen  Entstehungsarten  sind  ver¬ 
schiedene  Arten  von  Toxoiden  anzunehmen.  Manche  Thatsachen  weisen 
darauf  hin,  dass  entsprechend  dem  complicirten  Bau  der  toxophoren 
Gruppe  die  vollkommene  Entgiftung  etappenweise  verlaufen  kann  und 
dass  schonende  Behandlungsarten  zu  Toxoiden  führen,  die  noch  partielle 
Giftwirkung  besitzen. 

20.  Es  folgt  hieraus,  dass  man  die  specifischen  Antitoxine  nicht 
nur  mit  den  Toxinen,  sondern  auch  mit  den  Toxoiden  erzeugen  kann. 
Können  doch  hochempfindliche  Thiere  (Mäuse,  Meerschweinchen)  gegen 
Tetanus  nur  mit  Hilfe  von  Toxoiden  in  leichter  und  schneller  Weise 
immunisirt  werden. 

Wo  es  sich  also  darum  handelt,  kranke  und  daher  überempfind¬ 
liche  Indviduen  in  schonender  Weise  zu  immunisiren,  werden  an 
erster  Stelle  Toxoide  in  Frage  kommen. 

21.  Weitere  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  die  Annahme 
zweier  functionirenden  Gruppen  nicht  nur  für  die  Toxine,  sondern  auch 
für  gewisse  Fermente  zutrifft.  Die  von  Morgenrot!)  gemachte  An¬ 
nahme,  dass  das  Labferment  eine  haptophore  und  zymophore  Gruppe 
besitzt,  ist  neuerdings  von  Myers  und  Bashford  durch  den  Nach¬ 
weis  von  Zymoiden  sicher  erwiesen. 

22.  Die  so  wichtige  Classe  der  Bacterio-,  Hämo-  und  Cystolysine 
(Pfeiffer,  Metschnikow,  Bordet,  Landsteiner, 
v.  D  u  n  g  e  r  n)  sind  complete  Gifte.  Nach  den  Anschauungen  von  E  h  r- 
licli  und  Morgenroth  vereinigt  sich  der  specifische  Immunkörper 
mit  dem  nicht  specifischen  Complement  (Alexin,  Bordet)  zu  dem 
toxischen  Agens,  das  gewissermassen  ein  aus  zwei  Theilstücken  be¬ 
stehendes  Toxin  darstellt.  In  dem  einen  Theilstück  (dem  Immunkörper) 
ist  die  haptophore  Gruppe  enthalten,  während  der  toxophore  Complex 
durch  das  Complement  repräsentirt  wird. 

23.  Die  Thatsache,  dass  der  Immunkörper  eine  specifische  Ver¬ 
wandtschaft  zu  den  betreffenden  Zellen  und  zu  dem  Complement  bat, 
lässt  sich  nach  der  Seitenkettentheorie  durch  die  Annahme  von  Recep- 
toren,  welche  zwei  verschiedene  bindende  Gruppen  enthalten,  unge¬ 
zwungen  erklären. 

Der  Zusammenhang  zwischen  der  Bacterienimmunität  einerseits 
und  der  Antitoxinimmunität  andererseits  findet  so  in  einfacher  Weise 
seine  Erklärung. 

* 

A  b  t  h  e  i  1  u  n  g  für  Neurologie  und  Psychiatrie. 

I.  Pick  (Prag):  Ueber  die  Bedeutung  des  akusti¬ 
schen  Sprachencent  rums  als  Hemmungsorgan  des 
Sprachmechanismus. 

Seitdem  man  den  Hemmungsmechanismus  im  Gebiete  der  Herz¬ 
nerven  kennen  gelernt,  lag  es  nahe,  die  Erfahrung  auch  auf  die 
höheren  cerebralen  Vorgänge  anzuwenden;  aber  man  kann  nicht  ver¬ 
kennen,  dass  diese  auch  auf  die  Pathologie  übertragenen  Versuche  bis 
in  die  neue  Zeit  alle  eigentlich  mehr  auf  eine  Analogisirung  hinaus¬ 
liefen;  und  trotzdem  neuestens  auch  bezüglich  intracerebraler  Erschei¬ 


nungen  Hemmungsmechanismen  nachgewiesen  worden  sind,  ist  es, 
namentlich  in  Folge  der  Complicirtheit  der  dabei  in  Betracht  kommen¬ 
den  Erscheinungen  nicht  gelungen,  echte  Hemmungsvorgänge  und  deren 
Störungen  auf  dem  Gebiete  der  psychischen  oder  der  ihnen  nahe 
stehenden  Vorgänge  nachzu weisen. 

Erst  mit  dem  Zeitpunkte,  als  die  vertiefte  Erforschung  des 
Sprachmechanismus  Gelegenheit  bot,  wenigstens  von  einer  Seite  her  mit 
Aussicht  einem  Verständniss  jener  Vorgänge  sich  zu  nähern,  eröffnet 
sich  uns  die  Kenntniss  eines  echten  Hemmungsmechanismus  auch  auf 
diesem  Gebiete. 

Während  zunächst  Hugh  lings  Jackson  im  Rahmen  der 
Lehre  von  der  Evolution  und  Dissolution  auch  die  ganze  Lehre  von 
den  Aphasien  im  Allgemeinen  aus  einem  System  von  Hemmungs¬ 
mechanismen  und  Störungen  derselben  zu  erklären  versuchte,  haben 
Wernicke  und  Broadbent  in  klinischer  Feststellung  gezeigt, 
dass  die  Functionen  des  motorischen  Sprachcentrums  unter  Führung 
deä  acustischen  Sprachcentrums  sich  vollziehen.  Es  ergibt  sich  jedoch 
aus  der  Beobachtung  entsprechender  Fälle,  dass  nicht  blos  die  akusti¬ 
schen  Functionen  des  akustischen  Sprachcentrums  in  seiner  Beziehung 
zum  motorischen  in  Betracht  kommen,  aus  deren  Störung  von  jenen 
Autoren  bekanntlich  die  Paraphasie  erklärt  wird;  vielmehr  zeigt  sich, 
dass  das  akustische  Wortcentrum  thatsächlich  ein  echtes  Hemmungs¬ 
centrum  für  das  motorische  ist,  dessen  Functionen  nach  Zerstörung 
oder  bei  Fortfall  der  Function  des  erster en,  für  einige  Zeit  wenigstens, 
jeder  Hemmung  ledig  ablaufen;  es  ist  die  bekannte  Erscheinung,  dass 
Kranke  mit  plötzlich  eingetretener  Worttaubheit  ausser  der  Paraphasie 
eine  eigenthümliche  formale  Störung  de3  Sprechens  zeigen,  eine 
Logorrhoe,  indem  sie  entweder  spontan  durch  längere  Zeit  unauf¬ 
haltsam  vor  sich  hinplappern,  oder  bei  jeder,  z.  B.  durch  eine  Frage 
gegebenen  Anregung  des  Sprachmechanismus  neuerlich  in  dieser  Weise 
reagiren. 

Man  könnte  diese  Erscheinung  in  zweierlei  Weise  deuten:  zu¬ 
nächst  wurde  ein  Reizzustand  im  motorischen  Sprachcentrum  ange¬ 
nommen;  zieht  man  jedoch  in  Betracht,  dass  die  Erscheinung  jedesmal 
nur  eintrat  bei  ausschliesslicher  Läsion  des  akustischen  Sprachcentrums 
oder  bei  Mitbetheiligung  desselben,  niemals  bei  isolirter  Läsion  des 
motorischen  Sprachcentrums  selbst,  so  wird  schon  dadurch  allein  die 
Reiztheorie  beseitigt  und  eine  andere  Deutung  nahe  gelegt,  dass  nämlich 
die  Logorrhoe  die  Folge  der  Ausschaltung  einer  dem  akustischen  Wort¬ 
centrum  zugefallenen  Hemmungsfunction  darstellt.  Die  wenigen  Autoren, 
die  sich  mit  dieser  Erscheinung  befassen,  neigen  wohl  dieser  Ansicht 
zu,  aber  im  Allgemeinen  ist  diese  principiell  bedeutsame  Thatsache 
noch  nicht  genügend  gewürdigt. 

Es  lässt  sich  nun  nachweisen,  dass  nicht  blos  die  Form  der  Er¬ 
scheinung  und  deren  Ablauf  am  besten  durch  die  hier  gegebene  Deutung 
sich  verstehen  lassen,  sondern  auch  die  relative  Seltenheit  der  Erschei¬ 
nung  aus  den  Wirkungen  bestimmter  Erkrankungen  und  deren 
Einwirkung  auf  das  akustische  Sprachcentrum  und  dessen  Umgebung 
verständlich  wird;  weiter  lässt  sich  zeigen,  dass  auch  andere,  zum 
Tbeil  functionelle  Störungen  ähnlicher  Art,  gewisse  Formen  der  Echo- 
lalie,  paraphasische  Logorrhoe  im  Petit  mal  und  bei  der  Hemicrania 
concomitata,  durch  eine  solche  Erklärung  nicht  blos  besser  verständlich 
werden,  sondern  auch  in  einem  richtigeren  Zusammenhang  mit  anderen 
sie  begleitenden  Symptomen  gebracht  erscheinen. 

Die  principielle  Bedeutung  dieser  Feststellung  liegt  aber  vor 
Allem  darin,  dass  damit  der  erste  sichere  Nachweis  geliefert  erscheint, 
dass  auch  im  Gebiete  der  höheren  psychischen  Vorgänge  ebensolche 
Hemmungsmechanismen  thätig  sind,  wie  sie  bezüglich  der  niederen 
nervösen  Functionen  jetzt  immer  zahlreicher  nachgewiesen  werden;  und 
damit  erhalten  die  bisherigen  Versuche,  bei  der  Deutung  psychischer 
und  psychopathischer  Erscheinungen  Hemmungsmechanismen  in  An¬ 
wendung  zu  ziehen,  eine  gesicherte  Unterlage. 

II.  Flechsig  (Leipzig):  Die  Projections-  und  Asso¬ 
ciation  scent  ren  des  menschlichen  Gehirnes. 

Die  von  mir  beschriebene  Gliederung  der  Grosshirnrinde  in 
Sinnessphären  (Sinnescentren)  und  Associationscentren  (Coagitations- 
centren  oder  Denkorgane)  tritt  in  voller  Schärfe  nur  beim  menschlichen 
Fötus  und  jungen  Kind  hervor  ;  meine  Eintheilung  gründet  sich  somit 
auf  die  Anwendung  der  entwicklungsgeschichtlichen  (myelogenetischen) 
Untersuchungsmethode  des  centralen  Faserverlaufes.  Es  ist  demgemäss 
zur  Würdigung  meiner  Beweisführung  vor  Allem  nothwendig,  die 
Tragweite,  beziehungsweise  Zuverlässigkeit  dieser  Methode  festzustellen. 

Das  allgemeine  Gesetz,  dass  gleichwertbige  (d.  h.  in  gleicher 
Weise  eingeschaltete)  Nervenfasern  annähernd  gleichzeitig  Markscheiden 
erhalten,  verschiedenwerthige  Elemente  zu  verschiedenen  Zeiten  in 
gesetzmässiger  Reihenfolge,  tritt  mit  besonderer  Prägnanz  an  den 
Fasermassen  der  Grosshirnhemisphären  zu  Tage.  In  Folge  der  succes- 
siven  Ausbildung,  z.  B.  der  verschiedenen  Siunesleitungen.  der  zuge¬ 
hörigen  motorischen  Bahnen,  der  kurzen  und  der  langen  Associations¬ 
systeme  u.  s.  w.  kommt  es  auch  zu  einer  Flächengliederung  der  Gross¬ 
hirnrinde,  zur  Abgrenzung  entwicklungsgeschichtlicher,  beziehungsweise 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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myelogenetiseher  Rindenfelder,  d.  h.  von  Rindenabschnitten,  welche 
bei  gleichalterigen  Individuen  gleich  gross  und  gleich  gelagert  sind, 
also  gesetzmässige  Bildungen  nicht  zufällige  Befunde  darstellen.  Auf 
Grund  meiner  fortgesetzten  Untersuchungen,  welche  sich  gegenwärtig 
auf  41  Entwicklungsstufen  erstrecken,  habe  ich  die  Zahl  dieser 
Felder  auf  circa  40  angegeben  (Neurologisches  Cntralblatt. 
1898,  Nr.  21)  und  sie  der  Uebersichtlichkeit  halber  rein  chrono¬ 
logisch  in  drei  Gruppen  getheilt:  frühreifende  (Primordialgebiete), 
spätreifende  (Terminalgebiete)  und  solche,  welche  eine  Mittelstellung 
einnehmen  (Intermediärgebiete).  Diese  Eintheilung  ist  keineswegs  be¬ 
stimmt,  meine  ältere  Unterscheidung  von  Sinnes-  und  Associations- 
centren  zu  reetificiren,  beziehungsweise  zu  ersetzen;  das  Eiutheilungs- 
princip  ist  hier  ein  wesentlich  anderes,  als  dort.  Aus  den  allge¬ 
meinen  Erfahrungen  über  die  Entwicklungsfolge  der  Nervenfasern 
folgt  ja  allerdings,  dass  die  Primordialgebiete,  welche  theil weise  vier 
Monate  früher  markhaltige  Fasern  führen  als  die  Terminalgebiete, 
auch  eine  wesentlich  andere  Stellung  im  Gesammtsystem  einnehmen 
müssen.  Indess  kann  nur  durch  die  specielle  Analyse  jedes  einzelnen 
myelogenetischen  Rindenfeldes  die  Besonderheit  seiner  Stellung  dar¬ 
gelegt  werden.  Es  kann  diese  Analyse  aber  mit  Aussicht  auf  Erfolg 
nur  an  der  Hand  von  Methoden  vorgenommen  werden,  welche 
direct  am  menschlichen  Gehirn  ansetzen.  Die  ver¬ 
gleichend-anatomischen  Methoden  versagen,  wie  schon  aus  der  ein¬ 
fachen  Thatsache  hervorgeht,  dass  der  Hund  etwa  nur  die  Hälfte 
der  entwicklungsgeschichtlichen  Rinde'nfelder  zeigt  (Dö  liken)  wie 
der  Mensch;  18 — 20  Felder  des  Menschen  sind  beim  Hund  überhaupt 
nicht  nachweisbar  —  mittelst  der  allein  hier  anwendbaren  myelogene¬ 
tischen  Methode ;  die  Behauptung,  dass  sie  trotzdem  vorhanden  sind, 
würde  jeder  thatsächlichen  Grundlage  entbehren.  Er  bleiben  so  neben 
der  Anatomie  nur  die  pathologischen  Erfahrungen  am  Menschen 
übrig,  um  die  Bedeutung  der  entwicklungsgeschichtlichen  Rindenfelder 
festzustellen. 

Die  Anatomie  des  ausgebildeten  intacten  Gehirnes  gibt 
nur  wenig  sichere  Aufschlüsse,  umsomehr  die  Anatomie  des  Fötus  und 
Neugeborenen.  Hier  lassen  sich  vor  Allem  nach  einer  Richtung 
hin  Unterschiede  zwischen  einer  Anzahl  von  Rindenfeldern  feststellen. 

1.  Es  gibt  18 — 20  myelogenetische  Felder,  welche  mit  einem 
wolilausgebildeten,  leicht  zu  demonstrir  enden  Stabkranz  aus¬ 
gestattet  sind,  und  solche,  wo  der  Nachweis  einer  Couronne  ravonnante 
weder  am  Kind,  noch  am  Erwachsenen  gelingt,  wo  sich  der  Stabkranz 
also  auch  nicht  später  bildet,  sondern  niemals  zur  Entwicklung 
gelangt. 

2.  Diese  stabkranzfreien  Gebiete  sind  reich  an  langen  Asso¬ 
ciationssystemen,  während  diese  Systeme  in  den  stabkranzreiehen 
Gebieten  nur  in  geringer  Menge  Vorkommen. 

3.  Man  kann  demgemäss  vom  rein  anatomischen  Standpunkte 
aus  die  Rindenfelder  eintheilen  in  Projections-  und  Associationseentren. 
Das  Vorkommen  vereinzelter  Projectionsfasern  in  den  Assoeiations- 
centren  macht  diese  Eintheilung  nicht  hinfällig,  da  die  Benennung 
a  fortiori  erfolgt.  Nur  der  Nachweis,  dass  in  beiden  Feldergruppen 
die  langen  Associationssysteme  und  die  Projectionssysteme  in  annähernd 
gleichen  Proportionen  vertreten  sind,  würde  jene  Eintheilung  unhaltbar 
machen.  Für  zahlreiche  Felder  ist  aber  bisher  auch  mittelst  der  secun- 
dären  Degenerationen  der  exacte  Nachweis  vereinzelter  Projections¬ 
fasern  nicht  geführt,  geschweige  denn  der  Nachweis  eines  Kranzes 
geschlossener  Faserbündel,  welche  die  Hirnrinde  mit  peripheren  End¬ 
organen  verbinden  (Begriff  der  Projectionsfasern).  Alle  bisher  publi- 
cirten  Angaben  entgegengesetzter  Art  lassen  Fehlerquellen  ausser  Acht, 
welche  ihnen  jede  Beweiskraft  rauben. 

Projectionscentren  habe  ich  früher  (vgl. :  Die  Lo¬ 
calisation  der  geistigen  Vorgänge  etc.  Leipzig  1896, 
Tafel)  vier  unterschieden;  Körperfühlsphäre,  Sehsphäre,  Hörsphäre, 
Riech-  und  Schmecksphäre.  Diese  Sphären  sind  nach  meinen  neueren 
Befunden  mit  Ausnahme  der  Ilörsphäre  aus  einer  grösseren  Zahl  myelo- 
genetischer  Rindenfelder  zusammengesetzt,  die  Körperfühlsphäre  aus 
acht,  die  anderen  aus  je  drei.  Auch  ist  die  Körperfühlsphäre  (Tactil- 
Gemeingefühl)  etwas  grösser,  als  ich  es  früher  dargestellt,  indem  sie 
im  Gebiet  der  ersten  Frontalwindung  um  einige  Centimeter  weiter 
nach  vorn  reicht  und  auch  der  vorderste  (circa  2  cm  lange)  Abschnitt 
des  Gyrus  supramarginalis  ihr  zuzurechnen  ist.  Hiezu  kommt  als  ein 
weiteres  später  von  mir  erkanntes  Projectionsfeld  der  Gyrus  subangu- 
laris  (S.  a.  a.  0.).  Jedes  Sinnescentrum  zeigt  Besonderheiten  im  Bau 
der  Rinde. 

Associationseentren  habe  ich  zuerst  vier  unterschieden, 
ein  frontales,  parietales,  temporales  und  insuläres.  Später  habe  ich  das 
parietale  und  temporale  als  hinteres  grosses  Associationscentrum  zu¬ 
sammengefasst.  Durch  den  Nachweis,  dass  im  Gyrus  subangularis  ein 
Projectionsfeld  enthalten  ist,  reducirt  sich  die  Verbindung  beider 
auf  den  hinteren  Theil  der  ersten  und  zweiten  Schläfenwindung;  sie 
fliessen  also  nicht  in  ganzer  Breite  zusammen,  und  man  könnte  inso¬ 


fern  auch  die  alte  Eintheilung  in  ein  temporales  und  parietales  Centrum 
beibehalten. 

Am  parietalen  und  temporalen  Centrum  tritt  ganz  besonders 
deutlich  eine  Gliederung  in  früher  reifende  „Randzonen“  und  spät¬ 
reifende  „Centralgebiete“  hervor.  Am  frontalen  Associationscentrum  ist 
diese  Gliederung  gleichfalls  angedeutet,  aber  complicirter  gestaltet.  Die 
Randzonen  liegen  den  Sinnescentren  an  und  sind  mit  jeder  derselben 
durch  zahlreiche  Fibrae  arcuatae  verbunden.  Insel  und  Präcuneus 
scheinen  nur  aus  Randzonen  zu  bestehen.  Vielleicht  bilden  die 
Randzonen  insgemein  Uebergangsformationen  zwischen  stabkranz¬ 
reichen  und  stabkranzfreien  Gebieten.  Gelegentlich,  wenn  auch  sehr 
selten,  findet  man  in  ihnen  atypische  Stabkranzbündel,  welche 
aberrirte  Projectionsfasern  der  Sinnescentren  darstellen.  Einzelbefunde 
dieser  Art  beweisen  aber  keineswegs  das  allgemeine  und  gesetzmässige 
Vorkommen  von  Stabkranzbündeln  in  den  Randzonen. 

Die  Centralgebiete  der  Associationseentren  (besonders  das 
Mittelstück  des  Gyrus  angularis,  die  dritte  Temporal  Windung,  die 
vordere  Hälfte  der  zweiten  Stirnwindung)  sind  allem  Anscheine  nach 
Knotenpunkte  langer  Associationssysteme,  während  die  Randzonen  solche 
spärlicher  erkennen  lassen.  Die  Centralgebiete  sind  sämmtlich  Terminal¬ 
gebiete  und  am  meisten  für  das  menschliche  Gehirn  charakteristisch. 
Ihre  isolirte  Zerstörung  ist  nie  von  sensiblen  oder  motorischen  Aus¬ 
fallserscheinungen  gefolgt.  Reizungserscheinungen  motorischer  Art 
können  auch  von  ihnen  ausgehen,  sind  aber  als  Fernwirkungen  auf¬ 
zufassen. 

Die  Centralgebiete  der  Associationseentren  sind  Centren,  welche 
je  mit  mehreren,  zum  Theil  mit  allen  Sinnessphären  in  mehr  weniger 
directer  Verbindung  stehen  und  deren  Thätigkeit  vermuthlich  ver¬ 
knüpfen  (associiren).  Bei  doppelseitiger  Zerstörung  zeigen  sich  stets 
Intelligenzdefecte,  besonders  Associationsstörungen.  Die  Centralgebiete 
sind  demgemäss  allem  Anscheine  nach  von  Bedeutung  für  das  Zu¬ 
standekommen  geistiger  Thätigkeiten,  für  den  Aufbau  geistiger  Gebilde, 
an  welchen  mehrere  Sinnesqualitäten  betheiligt  sind,  z.  B.  Benennen 
von  Objecten,  Lesen  und  dergleichen  mehr.  Indem  diese  Leistungen 
besonders  regelmässig  bei  Erkrankung  der  hinteren  Associationseentren 
leiden,  bestätigt  auch  die  klinische  Beobachtung  die  Richtigkeit  meiner 
Eintheilung  der  Grosshirnrinde  in  Sinnes-(Projeetions-)  und  Associa- 
tionscentren. 

III.  Hitzig  (Halle):  Ueber  die  Projections-  und 
Associationseentren  des  menschlichen  Grosshirns. 

Die  Lehre  des  Herrn  Flechsig  über  die  Existenz  von  Pro¬ 
jections-  und  Associationseentren,  die  auf  der  Grosshirnrinde  eine  ver¬ 
schiedene  Function  haben  sollen,  gründet  sich  auf  Folgendes: 

1.  Auf  die  behauptete  Existenz  von  Projectionsfasern  in  den 
ersteren,  die  Abwesenheit  von  Projectionsfasern  in  den  letzteren. 

Diese  Behauptung  kann  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nicht  auf¬ 
recht  erhalten  werden,  in  Anbetracht  dessen,  dass  Herr  Flechsig 
sie  selbst  für  einen  Theil  seiner  Associationseentren  aufgegeben  hat, 
und  dass  andere  Forscher  angeben,  auch  in  dem  Rest  der  Associations- 
centren  Projectionsfasern  gefunden  zu  haben.  Aber  es  scheint  sicher, 
dass  bestimmte  Gebiete  der  Hirnrinde  eine  weit  geringere  Anzahl  von 
Projectionsfasern  besitzen  als  die  anderen.  Diese  letzteren  sind  in  mehr 
oder  weniger  directer  Verbindung  mit  den  Endigungen  der  sensiblen 
oder  der  Sinnesnerven. 

2.  Auf  die  gesetzmässige  chronologische  Markscheidenentwicklung 
der  Projections-  und  Associationseentren  ebenso  wie  die  der  ver¬ 
schiedenen  Projectionscentren  im  Besonderen. 

Diese  Behauptung  kann  ebensowenig  in  ihrer  ganzen  Aus¬ 
dehnung  aufrecht  erhalten  werden,  in  Anbetracht  dessen,  dass  Herr 
Flechsig  selbst  individuelle  Verschiedenheiten  gefunden  hat,  die  er 
allerdings  pathologischen  Einflüssen  zuschreibt,  während  seine  Gegner 
sie  mit  demselben  Recht  noch  in  das  physiologische  Gebiet  rechnen. 

Es  folgt  daraus,  dass  dieses  entwicklungsgeschichtliche  Gesetz 
zwar  in  seinen  grossen  Zügen  wohlbegründet  ist,  aber  auch  zu  un¬ 
bedingt  aufgestellt  wurde. 

3.  Auf  die  Verschiedenheit  der  anatomischen  Structur  der 
Projectionscentren  unter  einander  und  gegenüber  den  Associations- 
centren. 

Die  Ansichten  der  verschiedenen  Forscher  über  diese  Thatsachen 
sind  so  widersprechend,  dass  es  unmöglich  ist,  sich  über  sie  eine 
abschliessende  Meinung  zu  bilden. 

Die  Aufgabe  der  Sinnescentren  sucht  Herr  Flechsig  in  der 
Wahrnehmung  der  Reize,  die  von  den  verschiedenen  Sinnesflächen 
ausgehen  und  der  Association  derselben  zu  geistigen  Bildern.  Er  be¬ 
weist  diesen  Satz  durch  Schlüsse  aus  pathologischen  Beobachtungen, 
wie  die  Tactlähmung,  die  sensorische  Aphasie  etc.  Diese  Ansichten 
entsprechen  im  Allgemeinen  den  unserigen. 

Die  Aufgabe  der  Associationseentren  findet  Herr  Flechsig  in 
der  Bewahrung  der  Erinnerungsbilder,  ferner  in  der  Reproduction  und 
Association  derselben,  sei  es  durch  Erregung  benachbarten  Sinnes¬ 
centren,  sei  es  vielleicht  durch  Erregung  der  anderen  Associations. 


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centn  n.  Er  sieht  sie  also  als  die  eigentlichen  geistigen  Centren  und 
Denkorgane  an. 

Die  Ansichten  des  Herrn  Flechsig  über  diesen  Gegenstand 
erscheinen  für  den  Augenblick  hypothetisch.  Die  Hypothese  von 
Erinnerungsbildern,  die  in  bestimmten  Zellgmppen  localisirt  sein  sollen, 
ist  völlig  unbewiesen. 

Abgesehen  von  den  erwähnten  Vorbehalten  müssen  die  Arbeiten 
des  Herrn  Flechsig  und  seine  hauptsächlichen  Ideen  zweifellos  als 
ein  wesentlicher  Fortschritt  in  der  Erkenntniss  der  Structur  und  der 
Functionen  des  Denkorganes  anerkannt  werden.  Es  würde  dies  noch 
in  weit  höherem  Grade  der  Fall  sein,  wenn  er  sich  mit  mehr  Zurück¬ 
haltung  und  weniger  absolut  ausgesprochen  hätte. 

IV.  Monakow  (Zürich):  Ueber  die  Projections-  und 
die  Associationscent  ren. 

Die  Lehre  F  1  e  c  h  s  i  g’s  von  den  Associations-  und  den  Pro- 
jectionscentren  aus  dem  Jahre  1895  ist  durch  die  neueren  Mittheilungen 
desselben  Forschers  (Neurologisches  Centralblatt.  1898)  wesentlich 
inodificirt  und  erweitert  worden.  In  dieser  neuen  Arbeit,  die  einen 
entschiedenen  Fortschritt  in  entwicklungsgeschichtlicher  Beziehung 
bedeutet,  theilt  Flechsig  die  Grosshirnoberfläche  in  circa  40  zeitlich 
verschieden  sich  mit  Mark  umhüllende  Felder  ein,  auch  gibt  er  hier 
manche  bei  ihm  früher  verfochtene  Anschauungen  wieder  frei.  Die 
principiellen  anatomischen  Unterschiede  zwischen  den  Projections-  und 
den  Associationscentren  erscheinen  nur  etwas  verwischt  (zwischen  diese 
beiden  schieben  sich  die  sogenannten  Intermediärgebiete  ein,  welche 
eine  Zwischenstellung  einnehmen),  und  die  anatomische  Fragestellung 
gewinnt  nunmehr  die  Fassung:  Treten  die  Projectionsfasern  gegenüber 
den  Associationsfasern  in  den  Associationscentren  um  vieles  mehr 
zurück  als  in  den  Sinnescentren  ?  Die  Primordialgebiete  zeigen  nach 
Flechsig  auch  eine  besondere  Rindenstructur. 

Die  Resultate,  zu  denen  Referent  gelangt  ist,  sind  folgende  : 

Die  Summe  der  im  Stabkranz  vereinigten  Projectionsfasern,  auf 
die  ganze  Grosshirnfläehe  vertheilt,  lässt  von  vorneherein  directe  Ver¬ 
bindungen  nur  mit  einer  relativ  kleinen  Anzahl  von  corticalen  Punkten 
zu.  In  allen  Windungen  bilden  die  Componenten  der  Projectionsfasern 
einen  nur  kleinen  Bruchtheil  der  gesammten  Fasermasse  der  Mark¬ 
substanz.  Es  sind  daher  projectionsfaserlose  Strecken  an  der  ganzen 
Hirnoberfläche  (von  verschieden  grosser  Circumferenz  und  in  einander 
übergehend),  in  Hülle  und  Fülle  vorhanden.  Man  kann  die  Gesammt- 
summe  der  projectionsfaserlosen  Rindenpartien  als  Asscciationseentren 
bezeichnen  im  Gegensatz  zu  den  zerstreut  liegenden  Projections- 
sammelpunkten  (Loci),  eine  halbwegs  scharfe  Abgrenzung  zwischen 
den  an  Projectionsfasern  armen  und  reichen  Territorien  ist  aber  nicht 
durchführbar,  auch  konnte  sich  Referent  ebensowenig  wie  andere 
Forscher  von  grundsätzlichen  anatomischen  Differenzen  zwischen  den 
beiden  Hemisphärenterritorieu  überzeugen.  Uebrigens  sind  projections- 
faserarme  Partien,  wenn  auch  geringeren  Umfanges,  in  anderen  Hirn- 
t heilen  (centrales  Höhlengrau)  in  denen  es  bisher  nicht  üblich  war 
Projections-  und  Associationscentren  zu  unterscheiden,  vorhanden. 

Die  Art  der  Gliederung  der  Fasern  im  Grosshirnmark  ist  sicher 
keine  ganz  einheitliche  ;  die  Eintheilung  nach  Flechsig,  welche  von 
den  Projectionsfasern  nur  die  der  Sinnesleitungen  näheren  berücksichtigt, 
trägt  aber  den  vielfachen  anatomischen  Postulaten  in  der  Organisation 
des  Grosshirns  zu  wenig  Rechnung.  Referent  vermisst  in  ihr  die  Re¬ 
präsentation  des  Kleinhirns,  der  Substantia  nigra,  des  rothen  Kerns, 
mancher  Abschnitte  des  Sehhügels  (Pulvinar)  etc.,  deren  Einstrahlungs¬ 
zonen  mehrfach  in  die  von  Flechsig  zu  eng  begrenzten  Sinnes¬ 
sphären  übergreifen.  Der  Localisation  nach  embryologischen  Gesichts¬ 
punkten  ist  die  Localisation  nach  Repräsentation),  der  infracorticalen 
Kerne  (der  sogenannten  „Grosshirnantheile“  des  Referenten)  deren 
Projectionsfasern  vielfach  in  die  Associationscentren  (von  Flechsig) 
mit  hiueiustrahlen,  an  die  Seite  zu  stellen.  Die  Vertheilungs weise  der 
Projectionsfasern  im  Cortex  ist  eine  sehr  verschiedene  und  unterliegt 
individuellen  Schwankungen.  In  den  Primordialgebieten  liegen  die 
Projectionsbiindel  höchst  wahrscheinlich  viel  dichter  als  in  anderen 
Rindengebieten  (Flechsig). 

Die  Methode  des  Studiums  der  Markscheidenbildung  reicht,  so 
blendend  ihre  Resultate  auf  den  ersten  Blick  auch  sind,  bei  Weitem 
nicht  aus,  um  das  Problem  der  feineren  Organisation  der  Neurone  im 
Grosshirn  nach  physiologischen  Gesichtspunkten  zu  lösen.  Bei  den 
zahlreichen  individuellen  Schwankungen  in  der  zeitlichen  Reihenfolge 
der  Markreifung  ist  das  bis  jetzt  vorliegende  Beobachtungsmaterial  zu 
dürftig,  um  (über  den  richtigen  Grundgedanken,  dass  die  Entwicklung 
der  Sinnescentren  im  Allgemeinen  derjenigen  der  dem  Intellect  zur  Grund¬ 
lage  dienenden  Riudenabschnitte  vorausgehe,  hinaus)  eigentliche  Gesetze, 
die  der  feineren  Entwicklung  der  Bahnen  und  Ceutren  zu  Grunde 
liegen,  abzuleiten.  Die  Annahme,  dass  die  höheren  seelischen  Functionen 
vorwiegend  in  besonders  abgetrenuten  Rindeniuseln  constigmatischer 
Stiuctur  ( Verstandescentren)  sich  abspielen,  ist  nicht  haltbar,  man  muss 


sich  vielmehr  die  der  geistigen  Arbeit  dienenden  Elemente  über  die 
ganze  Rinde  ausgebreitet  denken.  Es  gibt  aber  sicher  für  die  geistige 
Arbeit  nothwendige  anatomische  und  architektonische  Vorbedingungen 
(complicate  Zusammenfassungen  nach  noch  unbekannten  Ordnungen), 
deren  Structuren  bald  in  diesen  bald  in  jenen  Windungen  dominiren. 

Referent  möchte  der  F  1  e  c  h  s  i  g’schen  Theorie,  nach  welcher 
sämmtliche  Projectionsfasern  einer  corticalen  Sinuesleitung  ungefähr 
gleichzeitig  sich  mit  Mark  umhüllen,  eine  andere  Betrachtungsweise 
bezüglich  der  Reihenfolge  in  der  Reifung  und  des  Ausbaues  der  ver¬ 
schiedenen  Bahnen  und  Centren  gegenüberstellen,  eine  Betrachtungs¬ 
weise,  die  den  Neuronencomplex  zur  architektonischen  Einheit  hat.  Es 
wäre  denkbar,  dass  die  Markentwicklung  von  einem  gewissen  Stadium 
aus  neuronencomplcxweise  erfolgen  würde,  immerhin  aber  so,  dass  die 
einzelnen  Componenten  innerhalb  des  Neuronencomplexes  von  anderen 
überholt  würden.  Unter  Neuronencomplex  versteht  Referent  die  Summe, 
der  sich  gliedartig  (im  Sinne  der  Meyner  t’schen  Projectionsordnungen) 
aneinander  reihenden  und  corticalwärts  progressiv  an  Zahl  zunehmenden, 
reicher  ausgestalteten  Neuronenindividuen  (Projections-  und  Associations- 
zellen),  die  beim  Erwachsenen  für  das  Zustandekommen  einer  nervösen 
Action  (z  B.  Lichtemptindung  im  Minimum)  nothwendig  sind.  Eine 
Sinnesbahn  setzt  sich  aus  einer  grossen  Summe  von  in-  und  aneinander 
gefügten  gleichartigen  Neuronencomplexen  zusammen,  deren  am  meisten 
central  gelegenen  zuerst,  die  mehr  in  der  Peripherie  gelegenen  später 
mit  Mark  sich  umhüllen. 

V.  Neiaser  (Leubus) :  Ueber  Irrenbehandlung. 

Die  Einführung  der  Bettbehandlung  bedeutet 
den  letzten  und  definitiven  Schritt  in  der  Beur- 
theilung  und  Behandlung  der  Irren  als  Kranker.  In 
unzweideutigerWeise  wird  durch  dieselbe  der  Kran¬ 
kenhauscharakter  der  Irrenanstalt  auch  äusser- 
lich  aufgeprägt,  eine  wirklich  sachgemässe  Kran¬ 
kenpflege  gewährleistet  und  in  der  Therapie  (na¬ 
mentlich  der  acuten  Psychosen)  den  physiologischen 
Gesichtspunkten  Rechnung  getragen. 

Es  empfiehlt  sich  gesondert  zu  behandeln  die  Bettbehand¬ 
lung  als  therapeutische  Einzelanordnung  und  d  i  e 
Bettbehandlung  als  Anstaltsregime.  Ueber  letztere  möge 
zuerst  gehandelt  werden,  da  zwar  das  Regime  sich  aus  der  Gesammt- 
heit  der  Einzelacordnungen  zusammensetzt,  die  Bettbehandlung  des 
Einzelnen  aber  in  der  Durchführung  von  der  Gestaltung  des  Anstalts¬ 
ganzen  im  Wesentlichen  abhängig  ist. 

a )  Die  Bettbehandlung  als  Anstaltsregime. 

1.  Das  allgemeine  Princip  möchte  ich,  sowie  früher,  dahin  formu- 
liren,  dass  alle  Elemente,  deren  Haltung  und  äusseres  Benehmen  un¬ 
geordnet,  erregt  oder  überhaupt  auffällig  ist,  mögen  sie  melancholisch, 
maniakalisch,  hallueinatorisch  verwirrt,  Paranoiker,  Epileptiker,  Para¬ 
lytiker,  oder  einfach  Demente  sein,  am  besten  im  Bett  aufgehoben 
sind.  Sie  mögen,  wenn  der  Arzt  es  für  angezeigt  hält,  zur 
Theilnahme  an  Arbeit  und  Zerstreuungen,  zum  Gartenbesuch  oder  viel¬ 
leicht  zum  Essen  das  Bett  verlassen,  aber  ihr  stumpfes  Umherhocken 
oder  ungeregeltes  Durcheinanderwirbeln  auf  Corridoren  und  in  den 
Aufenthaltsräumen  ist  unbedingt  zu  verpönen  und  durch  die  Bettruhe 
zu  ersetzen. *) 

2.  Die  Bettbehandlung  beginnt  unmittelbar  nach  der  Aufnahme 
des  Kranken  in  die  Anstalt,  beziehungsweise  nach  dem  sich  daran  an¬ 
schliessenden  Bade.  Da  auf  alle  Fälle  für  die  genaue  Untersuchung 
des  Arztes  bei  der  Visite  der  Kranke  zu  Bett  liegen  muss,  so  bedarf 
es  für  diese  erste  Anordnung  keiner  besonderen  therapeutischen  Indi¬ 
cation.  Mit  anderen  Worten:  Die  Bettbehandlung  ist  das  zunächst 
selbstverständliche  Anstaltsregime,  ihre  Unterbrechung  für  Zeit  oder 
ihre  Aufhebung  im  Einzellfall  bedarf  der  besonderen  Anordnung  des 
Arztes. 

3.  Da  durch  die  Bettbehandlung  die  nothwendige  Aufsicht  und 
Pflege  erleichtert,  in  vielen  Fällen  sogar  erst  ermöglicht  wird,  so  k  a  n  n 
ihre  Anwendung  aus  diesen  curativen  Gesichtspunkten  und  im  Interesse 
des  Ganzen  auch  bei  solchen  Kranken  geboten  sein,  wo  eine  directe 
therapeutische  Einwirkung  nicht  oder  nicht  mehr  zu  erhoffen  ist. 

(Fortsetzung  folgt.) 

’)  Gewisse  Angriffe  zwingen  mich  zu  einer  persönlichen  Anmerkung: 
Niemals  habe  ich  die  Meinung  zu  erwecken  gesucht,  als  stamme  die  thera¬ 
peutische  Anwendung  der  Bettruhe  bei  psychischen  Erregungszuständen  von 
mir  her.  Im  Gegeutheil  habe  ich  in  meinen  Publicationen  mit  Wärme  Die¬ 
jenigen  gefeiert,  welchen  diese  segensreiche  Therapie  zu  verdanken  ist.  Was 
ich  aber  ausser  der,  zu  meiner  Freude  erfolgreichen  Propaganda  und  ab¬ 
gesehen  von  verschiedenen  Einzelheiten  unbedingt  für  mich  in  An¬ 
spruchnehmen  muss,  das  ist:  die  Bettbehandlung  als 
durchgreifendes  Anstalts  regime  aufgestellt  und  ge¬ 
zeigt  zu  haben,  dass  dasselbe  auch  in  Anstalten  alten 
Styles  in  vollstem  Umfange  irnd  mit  einem  Schlage 
durchführbar  ist. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien, 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Yogi, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuekerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  derAerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 


9 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 
erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  yon  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
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XIII.  Jahrgang. 


Wien,  16.  August  1900. 


Nr.  33. 


XnSTHC^l^T: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  dem  Spitale  der  Allgemeinen  Poliklinik  in 
Wien.  Zur  Lehre  vom  pulsirenden  Exophthalmus.  Von  Dr.  Ro¬ 
muald  Keschmann,  chirurgischem  Spitalsassistenten. 

2.  Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Athen  (Director  Prof. 
M  a  n  g  h  i  n  a  s).  Zur  Casuistik  der  Echinococcusgeschwülste.  Von 
Docent  Dr.  D.  Ko  kor  is,  Assistenten  der  Klinik. 

II.  Referate:  I.  Das  Sanitätswesen  während  des  spanisch-amerikanischen 
Krieges  im  Jahre  1898.  Von  Dr.  Johann  Steiner.  II.  Ver¬ 
öffentlichungen  aus  dem  Gebiete  des  Militärsanitätswesens.  Von  Dr. 
Knaak.  Ref.  Habart.  —  I.  Ueber  die  therapeutische  Beeinflussung 
der  Expectoration  durch  die  Heilmittel  der  Hypurgie.  Von  Prof.  Dr. 


Martin  Mendelsohn.  II.  Die  geschichtliche  Entwicklung 
der  wissenschaftlichen  Krankenpflege.  Von  Dr.  Iwan  Bloch. 

III.  Untersuchungen  über  das  Schlucken  in  verschiedenen  Körper¬ 
lagen  und  seine  Bedeutung  für  die  Krankenpflege.  Von  Martin 
Mendelsohn  und  Hermann  Gutzmann.  Ref.  Hinter¬ 
berger. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 


IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  dem  Spitale  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien. 

Zur  Lehre  vom  pulsirenden  Exophthalmus. 

Von  Dr.  Romuald  Keschmann,  chirurgischem  Spitalsassistenten. 

Seit  Travers  im  Jahre  1813  einen  Fall  von  pulsiren- 
dem  Exophthalmus  beschrieb,  erschienen  hie  und  da  Berichte 
über  einschlägige  Fälle  aus  allen  Ländern,  so  dass  Sa 1 1 1  er1) 
im  Jahre  1880  im  Stande  war,  in  einer  sehr  ausführlichen 
Arbeit  (» Pulsirender  Exophthalmus«)  im  Graefe-Saemisch- 
schen  Handbuch  eine  Tabelle  über  106  Fälle  zu  veröffent¬ 
lichen.  Bedenkt  man  aber,  dass  diese  Fälle  aus  den  Jahren 
1813  — 1880  und  zwar  aus  allen  Ländern  umfasste,  in  denen  es 
eine  medicinische  Literatur  gibt,  so  muss  man  zugeben,  dass 
die  in  Rede  stehende  Erkrankung  eine  recht  seltene  ist.  Es  ist 
daher  auch  erklärlich,  dass  die  Lehre  von  der  Aetiologie  und 
Therapie  des  pulsirenden  Exophthalmus  viele  Wandlungen 
durchmachte,  und  auch  jetzt  noch  manche  Symptome  nicht 
völlig  klargestellt  sind. 

Die  Annahme  Travers’,  dass  es  sich  um  ein  »Aneu¬ 
rysma  per  anastomosin«  (Aneurysma  cirsoideum  oder  arteriale 
racemosum  nach  der  neueren  Nomenclatur)  handle,  wich  bald 
der  Lehre  von  Bus  k,  der  die  Hauptrolle  in  der  Pathogenese 
den  wahren  Aneurysmen  der  Arteria  ophthalmica  —  einem 
äusserst  seltenen  Vorkommniss  —  zuschrieb.  Auf  Grund  von 
vier  von  ihm  selbst  beobachteten  Fällen  lehrte  Nunneley, 
dass  der  pulsirende  Exophthalmus  theils  durch  Aneurysmen 
der  Arteria  ophthalmica,  theils  durch  Ruptur  der  Carotis  in¬ 
terna  im  Sinus  cavernosus  entstehe.  Er  gab  aber  später  (1864) 
zu,  dass  die  Ursache  meist  intercraniell  sitze.  Später  folgten 
die  Arbeiten  von  Rovington,  N  ela  ton  und  Schläfke2) 
und  schliesslich  die  Arbeit  Sattle  r’s,  die  immer  mehr  der 
Lehre  zum  Durchbruche  verhalfen,  dass  die  häufigste 
Ursache  des  pulsirenden  Exophthalmus  eine 


Ruptur  der  Carotis  interna  innerhalb  des  Sinus 
cavernosus  sei,  und  dass  dieser  gegenüber  alle  anderen 
anatomischen  Befunde  als  Raritäten  anzusehen  seien. 

Seit  dem  Jahre  1880  liegen  wieder  mehrere  Berichte 
über  diese  Erkrankung  vor;  wenn  ich  nun  einen  kürzlich  be¬ 
obachteten  Fall  veröffentliche,  so  geschieht  dies  einerseits,  weil 
Beobachtungen  von  pulsirendem  Exophthalmus  hierzulande 
überhaupt  sehr  selten  zu  sein  scheinen,  andererseits,  weil  unser 
Fall  durch  das  Zusammentreffen  mehrerer  seltener  Symptome 
zu  einem  ganz  singulären  gemacht  wird. 

Unter  den  bei  Sattler  erwähnten  sechs  Fällen  be¬ 
fanden  sich: 

25  Fälle  aus  England, 

21  »  »  Frankreich, 

16  »  »  Nordamerika  und 

13  »  »  Deutschland. 

Oesterreichische  Publicationen  über  dieses  Thema  finde 
ich  aus  der  Periode  1813—1880  überhaupt  nicht  angegeben. 
Seit  1880  wurde  offenbar  das  Interesse,  das  man  in  deutschen 
Ländern  diesem  Krankheits-  oder  richtiger  Symptomenbild  ent¬ 
gegenbrachte,  viel  reger,  denn  unter  88  Fällen  der  zwei  letzten 
Decennien  befinden  sich  30  aus  Deutschland,  aber  nur  sechs  *) 
aus  Oesterreich.  Es  ist  daher  wohl  berechtigt,  wieder  einen 
Fall  trotz  der  bereits  reichhaltigen  Literatur  zu  puhliciren, 
selbst  wenn  er  nicht  in  so  vielen  Symptomen  von  den  Schul¬ 
fällen  sich  unterscheiden  würde,  wie  der  folgende: 

Anamnese:  K.  H.,  14  Jahre  alt,  wird  zur  Operation 
(wegen  Entstellung  des  Gesichtes)  am  20.  Juni  1900  in  das  Spital 
gebracht  (Abtheilung  des  Herrn  Docenten  A.  F  raenke  1). 

*)  Der  am  6.  April  d.  J.  von  Herrn  Dr.  K  a  r  p  1  u  s  in  der  hiesigen 
Gesellschaft  der  Aerzte  demonstrirte  Fall  gehört  nicht  dazu;  es  fehlte  vor 
Allem  das  Symptom  der  Pulsation  des  Bulbus.  u) 


748 


WIENER  KLINISCHE  WOCH  ENSCH  RIET.  1900. 


Nr.  83 


Vor  zwölf  Jahren  —  also  im  Alter  von  zwei  Jahren  — 
stürzte  der  Knabe  aus  dem  Fenster  auf  die  Stiasse  (Fallhöhe  über 
2  m)  und  schlug  dabei  mit  der  rechten  Kopfseite  gegen  das  Pflaster 
an.  Angeblich  entstand  keine  äussere  Verletzung,  auch  traten  keine 
Symptome  von  Gehirnerschütterung  oder  einer  schweren  Störung 
des  Allgemeinzustandes  auf.  Der  Knabe  soll  sich  wenige  Minuten 
nach  dem  Sturz  ganz  wohl  befunden,  und  erst  eine  Woche  später 
»zwei  Tage  lang  gefiebert  und  phantasirt«  haben. 

Schon  nach  einigen  Monaten  fiel  dem  Vater  die  Verdickung 
des  rechten  oberen  Augenlides  auf,  welches  allmälig  immer  tiefer 
herabhing;  im  Verlaufe  der  folgenden  Jahre  wurde  er  auch  auf  die 
immer  ausgeprägter  werdende  Asymmetrie  des 
Gesichtes  aufmerksam. 

Seit  dem  Trauma  soll  das  Kind  stets  gesund  gewesen  sein, 
nie  an  Krämpfen  oder  Schwindel  gelitten  haben;  es  blieb  aber  in 
seiner  geistigen  Entwicklung  etwas  zurück  (absolvirte  während  des 
schulpflichtigen  Alters  nur  zwei  Volksschulclassen).  Patient  klagte 
nie  über  ein  Sausen  oder  Zischen  im  Kopfe;  der 
einzige  Grund,  warum  der  Vater  ärztliche  Hilfe  sucht,  ist  die  Ent¬ 
stellung  des  Gesichtes  durch  die  Ptosis  des  rechten  oberen 
Augenlides. 

Status  praesens  vom  25.  Juni  1900:  Schwächlicher, 
für  sein  Alter  kleiner  Junge;  afebril;  klagt  weder  über  Schmerzen, 
noch  über  Sausen  im  Kopfe. 

Zunächst  fällt  die  Asymmetrie  des  Kopfes  und  be¬ 
sonders  die  des  Gesichtes  auf.  Das  rechte  Scheitelbein  ist 
in  seinem  vorderen  Antheile  weniger  gewölbt,  als  das  linke;  das 
rechte  Stirnbein  ist  vorne  flacher,  zeigt  aber  nach  der  Seite  zu 
eine  1  */2  cm  nach  aussen  vom  äusseren  Augenwinkel  und  1  '/2  cm 
oberhalb  desselben  beginnende  Prominenz,  die  bei  einem  Durch¬ 
messer  von  circa  3  cm  die  Umgebung  an  ihrem  höchsten  Punkte 
um  Y|  cm  überragt.  Sie  ist  knochenhart,  höckerig,  und  gehört  nebst 
dem  Stirnbein  auch  dem  Scheitel-  und  Schläfen(?)bein  an. 

Unter  dieser  Hervorragung  palpirt  man  durch  die  unverändert 
scheinenden  Weichtheile  eine  Grube  von  Dreieckform;  die  untere 
Begrenzung  wird  vom  Joclibogen  gebildet,  nach  innen  zu  begrenzt 
sich  die  Grube  mit  einer  etwa  2  cm  langen  Knochenleiste  (hinterer 
Rand  des  Processus  zygomaticus  ossis  frontis,  respective  des  Pro¬ 
cessus  frontalis  ossis  zygomatici).  Die  obere,  mit  der  unteren  vor 
dem  Ohre  zusammentreffende  knöcherne  Grenze  erweist  sich  als 
eine  nach  innen  unten  eingezogene  Knochenplatte.  Jn  dieser  Grube, 
die  vorne  am  tiefsten  zu  sein  scheint,  ist  nirgends  eine  Pulsation 
zu  fühlen. 

Die  Untersuchung  mit  Röntgen-Strahlen  ergab,  dass 
die  beschriebene  Protuberanz  nur  dem  Knochen  angehört  und  in 
das  Schädelinnere  nicht  hineinragt. 

Der  Abstand  des  Margo  supraorbitatis  vom  Margo  infraorbi- 
talis  ist  rechts  um  Y2  cm  grösser,  als  links. 

Auf  den  ersten  Blick  erscheint  die  rechte  Wange  voller  als 
die  linke,  was  auf  einer  stark  ausgebildeten  Asymmetrie  des 
Unterkiefers  beruht.  Die  Entfernung  der  Protuberantia  men¬ 
talis  vom  linken  Angulus  mandibulae  beträgt  9c»i,  die  vom  rechten 
nur  7‘/2c»i;  auch  scheint  der  Körper  des  Unterkiefers  rechts  etwas 
dünner  zu  sein,  als  links.  Rechts  sind  weder  oben,  noch  unten 
Mahlzähne  entwickelt,  auch  stehen  die  Zähne  rechts  oben  unregel- 
massig  angeordnet. 

Die  untere  Zahnreihe  ist  gegen  die  obere  um 
Y.i  cm  nach  rechts  verschoben.  Der  Patient  kann  den  Unter¬ 
kiefer  leicht  nach  rechts,  kaum  aber  nach  links  bewegen.  Die  Zunge 
wird  gerade  vorgestreckt,  ihre  linke  Hälfte  ist  dicker  als  die  rechte, 
welche  —  in  geringem  Grade  —  hypästhetisch  ist.  Gaumenreflex 
beiderseits  vorhanden,  gleich  stark. 

Der  rechte  Musculus  temporalis  ist  schwächer,  als  der  linke; 
in  noch  höherem  Grade  tritt  die  Atrophie  des  rechten 
Masseter  hervor. 

Bei  Kaubewegungen  und  bei  elektrischer  Reizung  contrahiren 
sich  beide  Muskeln,  bei  letzterer  muss  aber  der  Strom  für  die 
rechte  Seite  verstärkt  werden.  Keine  Entartungsreaction  der  atrophi¬ 
schen  Muskeln.  Alle  Aeste  des  Facialis  frei.  Die  Sensibilität  ist  bei 
tactiler  und  elektrischer  Prüfung  auf  beiden  Seiten  gleich,  bis  auf 
eine  geringe,  nicht  constante  Ilypalgesie  der  rechten  Wange  und 
die  erwähnte  Hypästhesie  der  rechten  Zungenhälfte.  (Vornahme  der 
elektrischen  Untersuchung  durch  Herrn  Docenten  Mannaberg.) 


Bei  der  Betrachtung  des  Gesichtes  fällt  ferner  auf,  dass  der 
Canlhus  internus  rechts  etwas  tiefer  liegt,  als  links;  die  Verbindungs¬ 
linie  des  inneren  und  des  äusseren  Augenwinkels  verläuft  rechts 
schräg  nach  aussen  unten. 

Das  rechte  Auge  erscheint  nach  vorne  und 
unten  verdi’  ä  n  g  t,  seine  Beweglichkeit  beim  Blick  nach  aussen 
und  nach  oben  eingeschränkt. 

Der  Bulbus  ragt  um  circa  3  mm  weiter  vor,  als 
der  linke,  und  pulsirt  synchron  mit  dem  Radialis- 
puls.  Die  Pulsation  wird  bei  tiefer  Exspiration  stärker,  bei  Com¬ 
pression  der  rechten  Carotis  schwächer,  ohne  ganz  aufzuhören; 
beim  Vornüberneigen  des  Kopfes  ändert  sich  die  Pulsation  nicht. 
Bei  der  Auscultation  der  Umgebung  des  rechten  Bulbus  hört 
man  nirgends  ein  Sausen  oder  Blasen. 

Die  Tarsoorbitalfalte  ist  verstrichen;  das  auffallend  stark 
braun  pigmentirte  obere  Augenlid  ist  stark  verdickt 
und  hängt,  namentlich  in  seinem  lateralen  Antheile,  tief 
herab.  Die  Conjunctiva  ist  mächtig  verdickt,  diffus  injicirt,  und 
ist  als  länglicher  Wulst,  der  nach  innen  zu  rasch  abnimmt,  vor¬ 
gestülpt.  Die  Lidspalte  ist  nur  in  ihrem  medialen  Theile  offen,  da 
der  beschriebene  Wulst  der  Conjunctiva  palpebr.  sup.  einen  Theil 
der  Palpebr.  inf.  bedeckt.  Das  untere  Augenlid  ist  diffus,  aber 
mässig  verdickt,  so  dass  der  Margo  infraorbitalis  in  der  Gesichts- 
configuration  nicht  zum  Ausdruck  kommt. 

Die  Lidspalte  kann  leicht  vollkommen  geschlossen  werden, 
auch  kann  Patient  rechts  die  Lider  fast  ebenso  fest  zusanunen- 
kneifen,  wie  links.  Durch  die  Verdickung  des  oberen  Lides  wird 
die  mediale  Vereinigungsstelle  beider  Lider  so  weit  nach  aussen 
gezogen,  dass  der  Uebergang  des  oberen  in  das  untere  Lid  in  einer 
bogenförmigen  Hautfalte  erfolgt,  welche  die  Caruncula  lacrymalis 
und  die  Plica  semilunaris  bedeckt. 

Die  Conjunctiva  palpebrarum  gerüthet  und  — besonders 
oben  —  geschwollen. 

Die  Conjunctiva  bulbi  zeigt  conjunctivale  und  ciliare  In¬ 
jection. 

Die  Cornea  ebenso  gross  wie  links,  normal  gewölbt,  glatt, 
glänzend  und  durchsichtig.  Cornealreflex  gegen  links  nicht  wesent¬ 
lich  herabgesetzt. 

Auffallend  ist  ferner,  dass  die  Pupille  rechts  um  die 
Hälfte  weiter  ist,  als  links;  beide  Pupillen  reagiren,  die  rechte 
etwas  langsamer,  auf  Licht  und  Accommodation. 

Tension  beider  Augen  gleich. 

Rechts  besteht  (Untersuchung  durch  Herrn  Prof.  v.  Reuss) 
Myopie  von  20  D;  Fingerzählenin  2  m.  Medien  rein;  die  Papille 
von  einer  ringförmigen  atrophischen  Partie  der  Chorioidea  umgeben. 
Arterien  dünner  als  links;  Papille  vielleicht  etwas 
blässer,  keine  Erweiterung  oder  Pulsation  der 
Netzhautgefässe  sichtbar. 

Ohrenbefund  ( Dr.  Arthur  Singer):  Sowohl  die  Unter¬ 
suchung  des  Trommelfells,  als  auch  die  Hörprüfung  ergeben  voll¬ 
kommen  normale  Verhältnisse. 

Die  wesentlichsten  Symptome  dieses  Falles  sind  also: 

1.  Die  partielle  Verdickung  des  Stirn-  und  Schläfen¬ 
beines,  die  Abflachung  des  ersteren  und  die  über  dem  Joch¬ 
beine  gelegene  Einziehung  des  Schädelgerüstes. 

2.  Die  Abflachung  des  Stirnbeines  und  die  Verkürzung 
des  rechten  Theiles  des  Unterkiefers. 

3.  Parese  des  M.  pterygoideus  internus  dexter  und 
Atrophie  des  M.  temporalis  und  Masseter  derselben  Seite; 
Atrophie  und  Hypästhesie  der  rechten  Zungenhälfte. 

4.  Pulsirender  Exophthalmus  ohne  subjective  oder  objec¬ 
tive  Geräusche;  die  Pulsation  wird  durch  Compression  der 
Carotis  communis  abgeschwächt,  aber  nicht  aufgehoben. 

5.  Tiefstand  des  rechten  Auges. 

6.  Ptosis  und  Ektropium  des  oberen  Augenlides;  Parese 
des  Musculus  rectus  superior  und  externus. 

7.  Hochgradige  Myopie  des  rechten  Auges. 

8.  Fehlen  der  gewöhnlich  bei  pulsirendem  Exophthalmus 
vorkommenden  Veränderungen  am  Äugenhintergrund,  der  hier 
nur  die  bei  typischer  Myopie  vorkommenden  Erscheinungen 
darbietet. 

Gewöhnlich  werden  als  Cardinalsymptome  des 
pulsirenden  Exophthalmus  angegeben : 


N  r.  33 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


749 


Protrusion  des  Bulbus,  Pulsation  desselben  und 
in  der  Umgebung  des  Auges  hörbare,  mit  dem  Puls  synchrone 
oder  intermittirende  Geräusche.  Das  letzte  Symptom 
kann  —  und  das  macht  unseren  Fall  besonders  interessant 
—  auch  fehlen.  Unter  106  Fällen,  die  S  a  1 1 1  e  r  zusammen¬ 
stellte,  befinden  sich  nur  fünf,  in  welchen  die  Patienten  über 
das  höchst  lästige  Sausen  im  Kopfe  nicht  klagten,  obwohl  von 
den  Beobachtern  (N  61  a  ton,  T  hi  baut,  Oettingen, 
Schmidt-Rimpler  und  Landsdowne)  objecti v  hörbare 
Geräusche  angegeben  wurden.  In  einem  einzigen  von  Sattler 
selbst  beobachteten  Falle  waren  weder  subjective,  noch  ob¬ 
jective  Geräusche  vorhanden.  Unter  den  91  Fällen  der  Jahre 
1880  — 1900,  über  welche  mir  Berichte  zur  Verfügung  standen, 
war  nur  einmal  angemerkt,  dass  keine  Geräusche  hörbar  waren, 
der  Patient  aber  über  ein  schwaches  Sausen  im  Kopfe  klagte 
(Graefe3);  in  einem  Falle  (BullerJ)  finde  ich  angegeben, 
dass  weder  subjective,  noch  objective  Geräusche  vorhanden 
waren. 

Sattler  bezog  in  seinem  Falle  die  Erkrankung  auf  ein 
Angiom  der  Orbita,  während  die  zwei  letztgenannten  Autoren 
sich  über  die  anatomische  Ursache  nicht  aussprechen.  Fast 
vollkommen  übereinstimmend  mit  dem  beschrie¬ 
benen  Falle  erscheint  ein  von  Israel5)  im  Jahre 
1891  vorgestellter,  indem  er  auch  eine  bedeutende  trophi- 
sche  Störung  in  Form  einer  completen  halbseitigen  Gesichts¬ 
atrophie  zeigte ;  doch  waren  in  diesem,  sowie  in  einem  zweiten 
Falle  Israel’s:  1.  in  der  Umgebung  des  Bulbus  Stränge  zu 
fühlen,  die  als  Ausläufer  eines  blutreichen,  pulsirenden  Tumors 
angesehen  werden  müssen,  und  2.  viele  kleine  Naevi  und  An- 
giome  über  den  ganzen  Körper  vertheilt,  so  dass  die  Diagnose 
und  auch  der  congenitale  Ursprung  der  Krankheit  mit  Sicher¬ 
heit  ausgesprochen  werden  konnte. 

Von  vornherein  muss  man  bei  einem  von  dem  gewöhn¬ 
lichen  so  sehr  verschiedenen  Symptomenbild  daran  denken, 
dass  nicht  die  gewöhnliche  anatomische  Grundlage  vorliegen 
werde;  das  wurde  denn  auch  in  einigen  Fällen  bestätigt. 

Bei  einem  Aneurysma  arterio- venosum  im 
Sinus  cavernosus,  entstanden  durch  Ruptur  der 
Carotis  interna  innerhalb  dieses  Blutleiters  (der  häufigsten 
Ursache  des  pulsirenden  Exophthalmus  auch  nach  den  Er¬ 
fahrungen  der  letzten  Jahre),  oder  bei  einem  echten  Aneu¬ 
rysma  d'erArteria  ophthalmica  innerhalb  oder  hinter 
der  Orbita  werden  wohl  stets  laute  oder  leise,  beständig  oder 
intermittirend  auftretende  Geräusche  hörbar  sein  oder  vom 
Patienten  empfunden  werden.  Auch  ist  in  diesen  Fällen  der 
Erfolg  der  Carotiscompression  grösser,  als  in  unserem  Falle. 
Ich  glaube  daher  diese  zwei  Ursachen  hier  ausschliessen  zu 
müssen.  *) 

Von  anderen  Ursachen  wurden  angeführt:  Zerreis- 
s  u  n  g  der  Art.  ophthalmica  im  Canalis  opticus 
als  Folge  einer  Schädelbasisfractur  (in  einem  solchen  Falle 
müssten  sich  alle  Symptome  rasch  und  unter  schwerer  Störung 
de3  Allgemeinbefindens  entwickeln);  ferner  vasomotorische 
Störungen,  die  wohl  die  anatomische,  respective  functionelle 
Ursache  jener  Fälle  gewesen  sein  mögen,  bei  denen  nach 
psychischen  Insulten  Spontanheilung  eintrat,  oder  bei  jenen,  in 
welchen  die  Pulsation  intermittirend  auftrat. 

Weiters  wurden  beobachtet,  respective  durch  Obductionen 
klargestellt,  Fälle  von  Aneurysmata  cirsoidea  in  der 
Orbita,  »encephaloiden  Tumoren«,  cavernösen 
oder  plexiformen  Angiomen  der  Orbita  und  schliess¬ 
lich  Fälle  von  pulsirenden  Encephalocelen. 

Unter  der  etwas  unklaren  Bezeichnung  »encephaloide 
lumoren«  verstand  man  meist  blutreiche  Sarkome;  bei  der 
langen  Dauer  der  Erscheinungen  (zwölf  Jahre)  ohne  irgend 
welche  Zeichen  eines  malignen  Tumors  kann  man  ein  solches 
hier  nicht  annehmen. 

Bei  einem  Aneurysma  cirsoicleum  müsste  man  in  der  Um¬ 
gebung  des  Bulbus  in  der  Orbita  Stränge  oder  weiche  Tumoren 

*)  ®’n  echtes  Aneurysma  der  Carotis  int.  im  Sinus  cavernosus  war 
wiederholt  zufälliger  Sectionsbefund;  bei  den  betreffenden  Patienten  bestand 
niemals  pulsirender  Exophthalmus.  Die  Thrombose  des  Sinus  cavernosus 
mit  nur  einfachen  (nicht  pulsirenden)  Exophthalmus  hervor. 


tasten  können,  was  bei  unserem  Patienten  selbst  in  Narkose 
(bei  der  am  26.  Juni  an  ihm  vorgenommenen  Operation)  nicht 
gelang.*) 

Per  exclusionem  muss  man  wohl  die  Dia¬ 
gnose  stellen:  Retrobulbäres  Angiom  oder  pul- 
s i r e n d e  Encephalocele  der  Orbita.  Bei  letzterer  wäre 
wohl  auch  kein  Geräusch  zu  hören,  würde  die  Pulsation  bei 
Compression  der  Carotis  einer  Seite  nicht  aufhören,  sondern 
kaum  schwächer  werden;  trotzdem  ist  diese  Ursache  aus 
mehreren  Gründen  auszuschliessen: 

1.  Eine  angeborene  Encephalocele  ist  hier  wegen  des 
offenbaren  Zusammenhanges  der  Erkrankung  mit  einem  im 
zweiten  Lebensjahre  erlittenen  Trauma,  sowie  auch  deshalb 
nicht  anzunehmen,  weil  die  angeborenen  Exophthalocelen  der 
Orbita  sich  fast  immer  in  der  Umgebung  der  Thränenbeines 
entwickeln. 

2.  Eine  traumatische  pulsirende  Encephalocele  dürfte 
aussen  hinten  in  der  Orbita  —  dorthin  müssen  wir  wohl  den 
Sitz  des  Tumors  verlegen  —  selten  Vorkommen;  auch  ver¬ 
lieren  diese  Geschwülste  immer  im  Laufe  der  Zeit  die  Pul¬ 
sation,  die  übrigens  bei  Encephalocelen  auch  vom  Anfang  an 
fehlen  kann. 

3.  In  unserem  Falle  treten  bei  Zurückdrängung  des 
Bulbus  in  die  Orbita  weder  Schmerz,  noch  Zeichen  von  Hirn¬ 
druck  auf. 

4.  Ist  der  Erfolg  der  Carotiscompression  bei  einem  Pro¬ 
lapsus  cerebri  gewiss  noch  geringer,  als  bei  unserem  Pa¬ 
tienten. 

Ich  glaube,  dass  die  Annahme  eines  retrobulbären  Angioms 
die  einzige  ist,  die  bei  der  Erklärung  der  Symptome  unseres 
Falles  möglich  ist. 

Die  Frage,  ob  Angiome  der  Orbita  Vorkommen,  welche 
pulsirenden  Exophthalmus  hervorrufen,  ist  nach  mehreren  Be¬ 
obachtungen,  darunter  der  Fall  von  F  r  o  t  hr  i  n  gai  n  6)  (mit 
Obduction)  entschieden  zu  bejahen.  Aus  den  letzten  Jahren 
liegen  Beobachtungen  von  (zum  Theile  traumatischen) 
Angiomen  der  Orbita  von  G  u  s  s  e  n  b  a  u  e  r  7),  Fialkowski 
u.  A.  vor. 

Von  den  früher  unter  1  —  8  aufgezählten  wichtigsten 
Symptomen  wären  die  Veränderungen  der  Schädelform  und 
die  Deformität  der  Gesichtsknochen  theils  als  directe  Folge 
des  Traumas,  theils  vielleicht  als  trophische  Störung  anzusehen. 
Die  Atrophie  des  Masseter,  des  M.  temporalis  und  der  rechten 
Zungenhälfte,  sowie  die  geringe  Herabsetzung  der  Sensibilität 
müssen  von  einer  Läsion  des  zweiten  Astes  des 
Trigeminus  abhängig  sein.  Die  unter  4—6  aufgezählten 
Symptome  werden  durch  den  Druck  des  Angioms  auf 
die  entsprechenden  Nerven  und  Gefässe  (N.  ab  du  eens, 
Ramus  superior,  Nervi  oculomotor ii  und  Vena 
ophthalmica)  hervorgerufen. 

Auffallend  ist  die  hochgradige  Myopie  des  rechten  Auges; 
Störungen  des  Sehvermögens  kommen  bei  pulsirendem  Exoph¬ 
thalmus  sehr  oft  vor,  seltener  Anomalien  der  Accommodation, 
und  zwar  wurde  in  den  wenigen  derartigen  Fällen  Hyper¬ 
metropic  —  bedingt  durch  den  Druck  des  Angioms  oder 
Aneurysmas  auf  den  Bulbus  und  Verkürzung  der  Augenachse 
—  beobachtet.  Bei  unserem  Patienten  bleibt  wohl  nichts  übrig, 
als  wegen  der  hochgradigen  Myopie  des  rechten  Auges  eine 
Achsenverlängerung  des  Auges  durch  Zerrung 
des  Sehnerven  anzunehmen.  Diese  wäre  möglich,  wenn 
das  Angiom  an  der  Spitze  der  Orbita,  knapp  beim  Foramen 
opticum,  oder  hinter  der  Orbita  liegen  würde. 

Die  letztere  Annahme  würde  auch  die  weiteren  Erschei¬ 
nungen  von  Seiten  des  zweiten  Trigeminusastes  leichter  er¬ 
klären,  als  die  Annahme  eines  noch  in  der  Orbita  liegenden 
Angioms.  Trotzdem  ist  die  letztere  Diagnose  wahrscheinlicher, 
da  ein  retroorbitales,  kleines  Angiom  kaum  eine  Pulsation  des 
Bulbus  bewirken  könnte. 

Durch  die  Fractur  der  Gesichts  ,  respective  Schädel¬ 
knochen  und  die  erfahrungsgemäss  an  solche  sich  anschliessen- 

*)  Auf  ein  Aneurysma  arterioso-venosum  traumaticum  in  der  Orbita 
möchte,  ich  die  Erscheinungen  nicht  beziehen,  weil  bei  solchen  »Aneurys¬ 
men«  bisher  niemals  pulsirender  Exophthalmus  beobachtet  wurde. 


7f)0 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  33 


den  Fissuren  und  Fracturen  der  Orbita  und  der  kleinen  Keil¬ 
beinflügel  wurde  vermuthlich  sowohl  die  Bildung  eines  orbi¬ 
talen  Angioras  begünstigt,  als  auch  —  durch  den  abgebrochenen 
Proc.  clinoideus  anticus?  —  der  Ramus  supramaxillaris  lädirt. 

Die  Diagnose  lautet  also:  Cavernöses  Angiom  in 
der  Nähe  des  Foramen  opticum  und  der  Fissura 
orbitalis  superior;  Läsion  des  zweiten  Trig  e- 
minusastes  durch  einen  Knochensplitter  oder 
durch  eine  Fissur  in  der  Wand  des  Foramen  ro¬ 
tund  u  m. 

Da  der  Effect  der  Compression  der  rechten  Carotis  com¬ 
munis  ein  deutlicher,  aber  doch  geringer  war,  und  auch  in 
früheren  Fällen  die  Unterbindung  der  Carotis  bei  Angiomen 
wenig  Nutzen  brachte,  die  Sehstörung  nach  so  langer  Zeit 
und  unterdessen  eingetretener  Sehnervenatrophie  durch  die 
Operation  gewiss  nicht  behoben  werden  könnte,  und  endlich 
der  Patient  keine  Beschwerden  durch  sein  so  interessantes 
Leiden  hat,  wurde  von  einer  Unterbindung  der 
Carotis  communis  abgesehen  und,  entsprechend  dem 
Wunsche  des  Vaters  unseres  Patienten,  nur  an  die  operative 
Beseitigung  der  Ptosis  und  des  Ektropiums  gegangen. 

Am  26.  Juni  wurde  der  Knabe  in  Narkose  von 
Herrn  Docenten  A.  Fraenkel  operirt;  zunächst  wurde 
durch  Excision  eines  grossen  Theiles  der  verdickten  und  um¬ 
gestülpten  Conjunctiva  palpebrae  superioris  das  Ektropium 
behoben  und  auch  eine  Verminderung  der  Ptosis  bezweckt, 
die  auch  nachher  eintrat.  Da  man  an  eine  durch  die  Fractur¬ 
en  den  bedingte  Circulationsstörung  denken  musste,  welche  bald 
ein  Recidiv  hervorrufen  könnte,  wrurde  die  Gegend  der  Fractur 
durch  einen  horizontal  über  dem  Jochbogen  geführten  Haut¬ 
schnitt  blossgelegt.  Da  sich  der  grosse  Keilbeinflügel  und  die 
angrenzenden  Theile  des  Stirn-  und  Schläfenbeines  tief  nach 
innen  eingezogen  erweisen  und  diese  Knochenplatte  erst  auf- 
gemeisselt  werden  müsste,  um  etwaige  Knochensplitter  in  der 
lädirten  Region  bloszulegen  —  eine  Operation,  deren  Schwierig¬ 
keiten  und  eventuelle  Folgen  in  keinem  Verhältniss  zu  dem 
zu  erwartenden  Erfolg  stehen  — ,  wurde  die  Operation  durch 
Vernähung  des  Hautschnittes  beendigt. 

Das  Ektropium  ist  nun  (vier  Wochen  nach  der 
Operation)  vollkommen  behoben,  das  obere  Augen¬ 
lid  hängt  nicht  mehr  herab  und  die  Lidspalte 
kann  vollkommen  geschlossen  werden.  Die  erste 
Klage  des  Patienten  beim  Verbandwechsel  war,  dass  er  jetzt 
doppelt  sehe  (Doppelbilder  beim  Blick  nach  oben  und  aussen). 

Doppelbilder  hat  Patient  früher  nie  gehabt,  weil  das 
rechte  Auge  immer  fast  vollkommen  geschlossen  war  und  die 
Lidspalte  nur  innen  etwas  offen  stand.  Seither  sind  nun  drei 
Wochen  vergangen  und  der  Knabe  klagt  nicht  mehr  über 
Doppeltsehcn,  weil  er  theils  durch  Bewegungen  des  Kopfes  eine 
Kreuzung  der  Augenachsen  vermeidet,  theils  auch  das  gewiss 
sehr  undeutliche,  im  rechten  Auge  entstehende  Bild  unter¬ 
drückt.  Die  Pulsation  des  Bulbus  und  die  anderen  Symptome 
bestehen  natürlich  unverändert. 

Seit  1880  sind  mehrere  Zusammenstellungen  der  seit 
diesem  Jahre  publicirten  Fälle  im  Anschluss  an  Beobachtungen 
von  verschiedenen  Autoren  (John  Ecker  lein8)  [1880  bis 
1886],  Keller9)  [  L880  — 1898]  u.  A.)  erschienen.  Da  diese 
Arbeiten  aber  meist  als  Dissertationen  keinem  grösseren  Leser¬ 
kreise  zu  Gute  kamen,  glaube  ich  gut  zu  thun,  wenn  ich  die 
Resultate,  die  ich  bei  der  Durchmusterung  des  mir  erreichbaren 
Materiales  der  letzten  zwei  Decennien  fand,  hier  kurz  mit¬ 
theile.  Vorausschicken  muss  ich  nur,  dass  ich  eine  kleinere 
Zahl  fand  als  Andere  (z.  B.  Keller),  weil  manche  Fälle  aus 
verschiedenen  Gründen  wohl  auszuscheiden  sind,  manche  Fälle 
von  mir  auch  übersehen  werden  konnten. 

Diese  Differenzen  treten  übrigens  auch  in  den  Arbeiten, 
die  bisher  erschienen,  hervor.  Von  1880 — 1886  wurden  z.  B. 
nach  drei  verschiedenen  Autoren  11,  21  und  33  Fälle  beob¬ 
achtet.  Keller  fand  bis  1898  118  Fälle,  während  ich  nur  91 
sammeln  konnte. 

Unter  diesen  trat  die  Krankheit  achtmal  beiderseits  auf 
(nach  Sattler  unter  106  Fällen  nur  viermal). 


In  3  Fällen  war  die  Krankheit  congenitalen,  in  60  Fällen 
traumatischen  Ursprunges,  und  22mal  trat  sie  angeblich  spontan 
auf.  (Sattler  erwähnt  59  traumatische  gegen  32  idiopathi¬ 
sche  ;  es  nimmt  also  die  Zahl  der  auf  Traumen  zu¬ 
rückgeführten  Fälle  zu.) 

In  5  Fällen  trat  der  pulsirende  Exophthalmus  rechts  auf, 
nachdem  ein  Trauma  auf  die  linke  Körperhälfte  eingewirkt 
hatte;  das  umgekehrte  Verhalten  fand  ich  nicht. 

Während  früher  die  unblutigen  Methoden  (Compression 
des  Bulbus,  Digitalcompression  der  Carotis  communis,  Elektro- 
punctur  etc.)  vorgezogen  wurden,  wurde  in  den  letzten 
Jahren  die  Unterbindung  häufiger  gemacht. 
Unter  den  91  Fällen,  die  ich  sammelte,  war  nur  in  58  die 
Therapie  und  das  Endresultat  (von  einigen  auch  nach  längerer, 
späterer  Beobachtung)  angegeben;  viele  Publicationen  erschienen 
nämlich  gleich  nach  der  Demonstration  des  Kranken  vor  der 
Operation ;  diese  Fälle,  sowie  die,  über  welche  mir  keine 
genauen  Berichte  Vorlagen,  muss  ich  ausscheiden. 

Es  wurde  die  Unterbindung 

einer  Carotis  communis  37  mal, 
beider  Carotiden  .  .  .  4  » 
der  Carotis  interna  .  .  1  » 

zusammen  42 

Unterbindungen  in  58  Fällen  vorgenommen. 

Bevor  ich  über  die  Resultate  referire,  möchte  ich  eine 
Bemerkung  vorausschicken:  Was  bedeutet  »geheilt«  und  »ge¬ 
bessert«  ? 

Die  verschiedene  Auffassung  des  Begriffes  »geheilt«  muss 
es  mit  sich  bringen,  dass  man  nicht  alle  von  den  betreffenden 
Autoren  angegebenen  Heilungen  als  solche  gelten  lassen  kann, 
obwohl  man  bei  Beurtheilung  der  Wirksamkeit  verschiedener 
therapeutischer  Methoden  diesen  Begriff  auch  nicht  ganz  genau, 
d.  h.  als  Behebung  aller  Störungen  anatomischer  und  functio- 
neller  Natur,  nehmen  kann. 

Auf  einen  Theil  dieser  Forderung  will  ich  verzichten: 
auf  die  Wiederherstellung  des  Sehvermögens,  obwohl  es  doch 
sehr  eigenthiimlich  klingt,  wenn  man  liest,  dass  ein  Patient, 
der  durch  ein  Trauma  Erblindung  eines  Auges  und  unerträg¬ 
liches  Sausen  im  Kopfe  davongetragen  hat,  nach  der  Operation 
nur  den  letzteren  Theil  seiner  Beschwerden  verliert,  aber 
»geheilt«  entlassen  wird. 

Sattler  fand  in  77  Fällen  nähere  Angaben  über  das 
Sehvermögen;  darunter  war  dieses  in  19  Fällen  gar  nicht,  in 
27  nicht  erheblich  gestört;  8mal  war  die  Störung  hochgradig, 
9mal  bestand  nur  quantitatives  Sehen,  14mal  war  nicht  einmal 
Lichtempfindung  vorhanden.  Ich  finde  in  38  Fällen  diesbezüg¬ 
liche  Angaben:  6mal  war  keine,  3mal  eine  geringe,  18mal 
eine  schwere  Sehstörung  vorhanden  und  11  mal  trat  Erblin¬ 
dung  ein.  4 

Die  Frage,  welchen  Effect  die  Operation 
quoad  visum  habe,  möchte  ich  mehr  in  den  Vordergrund 
treten  lassen.  Ich  finde  einen  einzigen  Fall  von  normalem  Seh¬ 
vermögen  nach  der  Operation  (in  diesem  Falle  war  nur  eine 
geringe  Sehstörung  —  als  solche  rechne  ich  noch  S  =  3/c  vor¬ 
handen  gewesen)  und  wenige  von  Besserung  des  Sehvermögens. 
Meist  hat  die  Operation  auf  das  Sehvermögen  des  einmal  ge¬ 
schädigten  Auges  keinen  Einfluss  mehr,  doch  ist  das  weniger 
der  Methode,  als  dem  Umstande  zuzuschreiben,  dass  ein  grosser 
Theil  der  Patienten  erst  nach  lauger  Dauer  der  Krankheit  und 
nachdem  schon  Sehnervenatrophie  eingetreten  ist,  ärztliche  Hilfe 
aufsuchte. 

Lassen  wir  die  Forderung  nach  Besserung  des  Sehver¬ 
mögens  fallen,  so  müssen  wir  als  Leistungsminimum  der 
Operation  verlangen,  dass  die  Protrusion  und  Pulsation,  be¬ 
sonders  aber  die  lästigen  Kopfgeräusche  behoben  werden.  In 
diesem  Sinne  wurden  als  Resultat  der  37  mal  vorge¬ 
nommenen  Unterbindung  einer  Carotis  com¬ 
munis  angegeben : 

21mal  »geheilt«  2mal  »ungeheilt« 

12  »  »gebessert«  2  »  »gestorben«. 


Nr.  33 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


751 


In  zwei  Fällen  von  »Heilung«  trat  bald  Recidive  ein; 
in  zwei  Fällen  musste  man  später  noch  die  Gefässe  im  inneren 
Augenwinkel  unterbinden  und  in  einem  blieb  noch  leises 
Sausen  zurück;  der  letzte  Fall  kann  wohl  nur  als  »gebessert« 
angesehen  werden.  Von  den  zwölf  Fällen,  die  ursprünglich  als 
gebessert  bezeichnet  wurden,  musste  zweimal  noch  die  Enuclea¬ 
tion,  einmal  die  Unterbindung  der  Vena  ophtkalmica  gemacht 
werden.  Als  Resultate  der  Unterbindung  allein  sind 
also  zu  verzeichnen: 

lömal  »geheilt«  2 mal  »gestorben« 

10  »  »gebessert«  9  »  »ungeheilt«, 

also  70%  Erfolge  der  Operation.  Nach  den  weiteren  opera¬ 
tiven  Eingriffen  erhalten  wir  folgende  Endresultate: 

18mal  Heilung  4mal  keinen  Erfolg 

13  »  Besserung  2  »  Tod. 

Einmal  wurde  (von  Prof.  Gussenbauer  im  Falle 
Weiss10)  die  U  n  t  e  r  b  i  n  d  u  n  g  der  Carotis  interna 
gemacht  und  Besserung  geringen  Grades  erzielt.  Viermal 
wurde  die  Unterbindung  beider  Carotiden  vorge¬ 
nommen  und  dreimal  Heilung,  einmal  geringe  Besserung  er¬ 
zielt.  Die  Resultate  sind  besser,  als  die  von  Sattler  für 
die  früheren  Fälle  berechneten,  was  gewiss  hauptsächlich  davon 
abhängt,  dass  der  grösste  Theil  dieser  Fälle  in  die  voranti¬ 
septische  Zeit  fällt. 

Die  Digitalcompression  wurde  13mal  längere  Zeit 
angewendet;  es  wurden  dreimal  Heilung,  zweimal  Besserung, 
in  zwei  Fällen  kein  Erfolg  erzielt,  sechsmal  griff  man  zu 
anderen  Methoden;  also  fünfmal  Erfolg. 

Die  di  recte  Compression  des  Bulbus  wurde 
zweimal  geübt;  einmal  erfolglos,  einmal  erzielte  man  (nach 
neun  Monaten)  Heilung.11) 

Einmal  (Köhler12)  wurde  die  Carotis  comm.  mit  einem 
Apparat  comprimirt;  es  trat  nach  fast  ein  Jahr  lang  geübter 
Behandlung  Besserung  ein.  Einmal  wurde  der  Bulbus  primär 
»wegen  Gangrän«  enucleirt. 

Zweimal  wurde  die  Galvano  pu  net  ur  angewendet 
und  Heilung  erreicht. 

Einmal  trat  Spontanheilung  13)  (nach  heftigem  Erschrecken) 
ein;  einmal  wurden  Ergotininjectionen  in  den  fühlbaren  Tumor 
ohne  Erfolg  gemacht. 

Als  Thesen  für  die  Therapie  des  pulsirenden  Exophthal¬ 
mus  möchte  ich  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  aufstellen: 

1.  In  allen  Fällen  von  Beobachtungen 
frischer  —  traumatisch  oder  spontan  entstandener  —  Er¬ 
krankungen  dieser  Art  ist  wegen  der  drohenden  Gefahr  für 
das  Auge  die  Therapie  sofort  zu  beginnen. 

2.  Zunächst  wäre  die  Digitalcompression  der 
Carotis  communis,  dann  die  Unterbindung  der  Carotis 
anzuwenden.  Mit  letzterer  warte  man  nicht  allzu¬ 
lange,  besonders  wenn  die  Sehstörung  während  der  Behand¬ 
lung  zunimmt! 

3.  Ausgenommen  sind  die  pulsirenden  orbitalen  Angiome, 
die,  wenn  sie  erreichbar  sind,  am  besten  wohl  mittelst  der 
Galvanopunctur  zum  Rückgang  gebracht  werden;  ferner  die 
pulsirenden  Encephalocelen. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir,  meinem  geehrten  Vor¬ 
stande,  Herrn  Docenten  A.  Fraenkel,  für  die  Ueberlassung 
des  Falles  und  wiederholte  Rathschläge  bei  der  Abfassung  dieser 
Arbeit  meinen  wärmsten  Dank  auszusprechen. 

Literaturverzeichnis  s. 

Da  in  den  erwähnten  Monographien  über  pulsirenden  Exophthalmus 
auch  ausführliche  Literaturarigaben  gebracht  wurden,  so  sei  hier  auf  diese 
hingewiesen;  von  der  grossen  Zahl  der  Publicationen  seien  hier  nur  die 
erwähnt,  auf  welche  ich  mich  im  Texte  bezogen  habe. 

H.  Sattler,  Pulsirender  Exophthalmus.  Handbuch  der  gesammten 
Augenheilkunde  von  Graefe-Saemisch.  Bd.  VI,  4.  Theil,  pag.  745 — 940. 

-)  Schlaefke,  Die  Aetiologie  des  pulsirenden  Exophthalmus. 
Graefe’s  Archiv.  Bd.  XXV,  4.  Theil,  pag.  112. 

3)  A.  Graefe,  Ophthalmologische  Mittheilung.  Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1898,  Nr.  40. 

4)  B  u  1 1  e  r,  A  case  of  pulsation  of  the  orbit.  British  medic.  Journal. 
1891,  pag.  597. 

5)  Israel,  Pulsirender  Exophthalmus.  Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift,  1891,  Nr.  51. 


6)  Citirt  bei  Sattler. 

7)  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1883,  Nr.  9. 

8)  E  c  k  e  r  1  e  i  n  J.,  Ein  Fall  von  pulsirendem  Exophthalmus  beider 
Augen.  Inaugurations  Dissertation.  Königsberg,  1887. 

9)  Keller,  Beitrag  zur  Casuistik  des  pulsirenden  Exophthalmus. 
Inaugurations-Dissertation.  Zürich  1898. 

10)  Hugo  Weiss,  Zur  Lehre  von  den  subjectiven  Kopfgeräuschen. 
Wiener  klinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  47. 

n)  D  e  s  p  a  g  n  e  t,  Exophthalmus  pulsatile.  Recueil  d’Ophthalm. 
1893,  pag.  262. 

,2)  Kohle  r,  Ein  Fall  von  pulsirendem  Exophthalmus.  Berliner  kli¬ 
nische  Wochenschrift.  XXIII,  pag.  550. 

,3)  W  a  1  c  k  e  r,  Pulsating  exophthalmos.  Ophth.  Review.  1887, 
pag.  209. 

14)  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  15. 


Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Athen 
(Director  Prof.  Manghinas). 

Zur  Casuistik  der  Echinococcusgeschwülste. 

Von  Docent  Dr.  D.  Kokoris,  Assistenten  der  Klinik. 

Wir  theilen  im  Folgenden  zwei  Fälle  von  Echinococcus¬ 
geschwülsten  mit,  die  wohl  besonders  wegen  ihrer  ziemlich 
seltenen  Localisation  etwas  Interesse  beanspruchen  dürften. 

I.  Echinococcus  des  Halses. 

K.  A.,  26  Jahre  alt,  Hausfrau  aus  Lamia.  Hereditär  nicht 
belastet.  Die  Menses  traten  erst  im  Alter  von  16  Jahren  ein,  waren 
stets  regelmässig,  vier  bis  fünf  Tage  dauernd.  Mit  22  Jahren  ver¬ 
heiratet,  wurde  Patientin  nie  schwanger.  Vor  drei  Jahren  litt  sie 
an  Malariafieber,  wovon  sie  durch  Chiningebrauch  befreit  wurde. 

Seit  einem  Jahre  verspürte  Patientin  an  der  rechten  Supra- 
claviculargegend  einen  stechenden  Schmerz,  der  auf  die  ganze  rechte 
obere  Extremität  ausstrahlte,  zudem  hatte  sie  ein  Gefühl  von  Taub¬ 
sein  an  der  rechten  Hand.  Durch  Bäder,  die  ihr  ein  Arzt  verord- 
nete,  wurde  ihr  Zustand  angeblich  wesentlich  gebessert.  Bald  darauf 
aber,  vor  ungefähr  elf  Monaten,  bemerkte  sie  auf  der  rechten  Seite 
des  Halses  eine  circa  mandelgrosse,  schmerzlose  Geschwulst,  ohne 
irgend  welche  Alteration  der  darüberliegenden  Haut.  Ein  Arzt  ver- 
ordnete  ihr  innerlich  verschiedene  Mittel,  jedoch  ohne  jeden  Erfolg; 
die  Geschwulst  wuchs  immer  mehr. 

S  t  a  t  u  s  p  r  a  e  s  e  n  s  am  10.  März  1900:  Mittelgrosse,  schlecht 
genährte  Frau,  sehr  anämisch.  Auf  der  rechten  Seite  des  Halses 
liegt  ein  faustgrosser,  kugelförmiger  Tumor  mit  glatter  Oberfläche, 
von  elastischer  Consistenz,  deutlich  fluctuirend.  Die  Geschwulst  er¬ 
streckt  sich  senkrecht  vom  oberen  Rande  der  Glavicula  bis  auf 
die  Höhe  des  unteren  Randes  der  Gartilago  thyroides,  seitlich  ragt 
sie,  1 — 2  cm  rechts  von  der  Mittellinie  anfangend,  bis  zu  einer 
Senkrechten,  die  man  einen  Querfinger  vor  dem  vorderen  Rande 
des  M.  cucullaris  herunterzieht.  Der  Sternocleidomastoideus  liegt 
über  der  Geschwulst  und  erzeugt  auf  ihrer  Oberfläche  eine  seichte 
Furche.  Die  Haut  oberhalb  der  Geschwulst,  etwas  stärker  pigmentirt 
als  normal,  ist  mit  letzterer  nicht  verwachsen  und  zeigt  sonst 
keine  Veränderung.  Transparenz  lässt  sich  am  Tumor  nicht  nach- 
weisen. 

Die  Patientin  neigt  immer  den  Kopf  etwas  nach  der  rechten 
Seite  hin. 

Sämmtliche  vom  rechten  Plexus  brachialis  innervirte  Muskeln 
(Deltoides  und  die  übrigen  Schultermuskeln,  Pectoralis  major,  Latis- 
simus  dorsi,  Rhomboides  etc.,  die  Muskeln  des  Oberarmes,  des 
Vorderarmes  und  der  Hand)  sind  sehr  atrophisch;  der  Umfang  der 
rechten  oberen  Extremität  ist  um  2% — ‘5l/.2cm  geringer,  als  der 
linken.  Am  deutlichsten  ist  die  Atrophie  der  Muskeln  vom  I  henar 
und  Hypothenar  und  der  Interossei.  Die  Muskelkraft  und  die  will¬ 
kürliche  Beweglichkeit  der  Extremität  ist  überhaupt  vermindert, 
entsprechend  dem  Grade  der  Muskelatrophie;  die  Finger  bewegen 
sich  nur  in  beschränktem  Masse,  zumal  die  Beugung  des  Zeige- 
und  des  Mittelfingers  ist  sehr  schwach,  am  schwächsten  jedoch 
vollziehen  sich  die  Bewegungen  des  Daumens.  Die  Sehnenreflexe 
an  der  rechten  oberen  Extremität  sind  etwas  gesteigert.  Auf  den 
faradischen  Strom  reagiren  die  Muskeln  der  Beugeseite  nur  schwach, 
diejenigen  der  Streckseite  ziemlich  gut.  Auf  der  ganzen  Oberfläche 
der  rechten  Schultergegend  und  der  rechten  oberen  Extremität  lässt 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


.Nt.  33 


sich  eine  deutliche  Hyperästhesie  nach  weisen;  die  leichteste  Berührung 
wird  als  Schmerzgefühl  empfunden. 

Die  rechte  Pupille  ist  enger  als  die  linke. 

Probepunction  ergab  eine  dünne,  wasserklare  Flüssigkeit. 

Operation  am  20.  März  1900  (Prof.  Mang  hin  as). 
Durch  einen  6  c?»  langen,  hinter  dem  Sternocleidomastoideus  etwas 
schräg  nach  unten  aussen  verlaufenden  Schnitt  wurde  die  Cyste  auf- 
gedeckt;  nach  Spaltung  derselben  entleerte  sich  der  wasserklare  Inhalt 
und  endlich  wurde  die  Cvstenwand  von  der  Umgebung  ausgelösl,  was 
ziemlich  leicht,  und  zwar  grösstenlheils  mit  den  Fingern,  ausgeführt 
werden  konnte,  und  so  der  ganze  Sack  entfernt.  Der  in  die  so 
entstandene  Höhle  eingeführte  Finger  konnte  nach  innen  die  seit¬ 
liche  Fläche  der  vierten,  fünften,  sechsten  und  siebenten  Halswirbel¬ 
körper  abtasten,  nach  unten,  hinter  der  Clavicula,  reichte  er  bis 
auf  die  obere  Kuppe  des  Rippenfells;  nach  oben  und  nach  aussen 
erstreckte  sich  die  Höhle  nicht  weit.  Drückte  man  mit  dem  Finger 
innerhalb  der  Wundhöhle  seitwärts  von  den  Wirbelkörpern,  ver¬ 
langsamte  sich  sofort  der  Puls  deutlich  (Druck  des  Sympathicus). 

Die  Wunde  wurde  nicht  genäht,  sondern  durch  einige  in  die 
Höhle  eingeführte  Gazestreifen  tamponirt;  die  Heilung  vollzog  sich 
ohne  Zwischenfall  und  Anfangs  Mai  war  die  Wunde  vollkommen 
geschlossen. 

Unmittelbar  nach  der  Operation  war  die  Bewegungsfähigkeit 
der  rechten  oberen  Extremität  stark  herabgesetzt;  die  Patientin 
konnte  weder  mehr,  wie  früher,  den  Vorderarm  beugen,  noch  den 
Arm  erheben.  Allmälig  aber,  durch  regelmässige  Faradisation  der 
Muskeln,  wurden  die  Bewegungen  immer  stärker,  so  dass  am 
12.  Mai,  als  wir  zum  letzten  Male  die  Patientin  sahen,  die  Be¬ 
wegungsfähigkeit  fast  auf  den  früheren  Zustand  schon  zurück¬ 
gekehrt  war.  Die  Myosis  am  rechten  Auge  war  nicht  mehr  zu  be¬ 
merken. 

Die  Ilydatiden  des  Halses  sind  sehr  selten.  Die  Statistik 
von  Giit  er  bock  (1893)  enthält  im  Ganzen  nur  26  Fälle. 

Die  interessanteste  Erscheinung  im  vorliegenden  Falle 
ist  wohl  der  Druck  auf  den  Plexus  brachialis,  der  ohne 
Weiteres  durch  die  oben  beschriebenen  topographischen  Ver¬ 
hältnisse  der  Geschwulst  leicht  erklärt  wird;  seitens  des  Plexus 
cervicalis  ist  im  Gegentheile  kein  Druckphänomen  beobachtet 
worden.  Der  auf  den  Plexus  brachialis  ausgeübte  Druck 
äusserte  sich  im  Anfang  durch  stechende  Schmerzen  mit  Taub- 
seingeftihl  an  der  rechten  Hand;  später,  als  die  Geschwulst 
sich  vergrösserte  und  die  Nerven  immer  mehr  comprimirt 
wurden,  trat  Parese  mit  zunehmender  Atrophie  der  vom  Plexus 
brachialis  innervirten  Muskeln  auf;  am  stärksten  wurden  die  vom 
N.  medianus  und  vom  N.  ulnaris  versorgten  Muskeln  (Flexoren 
der  Hand  und  der  Finger,  Muskeln  des  Thenars,  des  Hypo- 
thenars  und  Interossei)  befallen. 

Ein  anderes  bemerkenswerthes  Phänomen  ist  die  Myosis, 
die  wahrscheinlich  auf  den  durch  die  Geschwulst  bedingten 
Druck  auf  den  Sympathicus  zurückgeführt  werden  soll. 

Die  nach  der  Operation  aufgetretene  Steigerung  der 
paretischen  Erscheinungen  war  vorübergehend,  vielleicht  bedingt 
durch  die  Zerrung  der  Nerven  während  der  Auslösung  der 
Cystenwand,  obwohl  letztere  sehr  vorsichtig  ausgeführt  wurde 
und  ohne  Schwierigkeiten  gelang;  in  der  nächsten  Zeit  besserte 
sich  die  Bewegungsfähigkeit  allmälig.  Sehr  zweifelhaft  ist  es 
aber,  ob  eine  nahezu  physiologische  Beweglichkeit  der  Extre¬ 
mität  noch  zu  erwarten  ist;  vielmehr  ist  wegen  der  sehr  fort¬ 
geschrittenen  Muskelatrophie  zu  vermuthen,  dass  schon  be¬ 
trächtliche  neuritische  Veränderungen  eingetreten  sind,  die 
eine  Wiederherstellung  der  normalen  Motilität  unmöglich 
machen. 

Was  die  Diagnose  betrifft,  hätte  man  hier  wegen  des 
verhältnissmässig  raschen  Wachsthums  des  Tumors  (innerhalb 
eines  Jahres)  an  ein  weiches  Sarkom  denken  können;  die  ganz 
gleichmässige  Consistenz  wies  aber  eher  auf  eine  cystische 
Bildung  bin,  was  auch  die  Probepunction  bestätigte.  Wenn 
auch  keine  Häkchen,  noch  Scolices  in  der  wasserklaren  Flüs¬ 
sigkeit  aufgedeckt  wurden,  liess  die  charakteristische  Structur 
der  W  and  keinen  Zweifel,  dass  es  sich  wohl  um  keine  (etwa) 
andere  Halscyste,  sondern  um  einen  Echinococcus  gehandelt 
hatte. 


Zur  Behandlung  konnte  man  hier  die  radicalste  Methode 
anwenden,  nämlich  die  totale  Exstirpation  der  Cyste;  da  nach 
derselben  eine  grosse  Höhle  zurückblieb,  wurde  die  Wunde 
nicht  genäht,  sondern  sicherheitshalber  tamponirt.  Die  Heilung 
erfolgte  in  verhältnissmässig  kurzer  Frist. 

II.  Multiple  Echinococcusgeschwülste  der  Peritoneal¬ 
höhle. 

Z.  M.,  25  Jahre  alt,  ledig,  aus  Domoko.  Keine  hereditäre 
Belastung;  Menstruation  seit  dem  15.  Lebensjahre,  immer  regel¬ 
mässig  bis  jetzt. 

Vor  vier  Jahren  war  Patientin  mit  Malariafieber  behaftet. 
Das  Fieber  batte  zuerst  den  Typus  einer  quotidiana,  späterhin  war 
es  ganz  unregelmässig;  der  Anfall  trat  immer  Nachmittags  mit  Frost 
und  Kopfschmerz  ein  und  endete  mit  profusen  Schweissen.  Das 
Chinin  half  nur  vorübergehend,  so  dass  Patientin  mit  kleinen  Inter¬ 
vallen  volle  drei  Jahre  an  der  Krankheit  litt.  Zu  gleicher  Zeit  ver¬ 
spürte  Patientin  einen  Schmerz  an  der  Lebergegend,  der  bei  Druck 
heftiger  war  und  auf  die  rechte  Schulter  ausstrahlte. 

Vor  einem  Jahre  bemerkte  sie,  dass  ihr  Bauch  allmälig 
grösser  wurde,  sie  fühlte  auch  Schmerzen  an  demselben,  die  anfalls¬ 
weise  äusserst  heftig  wurden;  ausserdem  magerte  sie  ab  und  fühlte 
sich  sehr  matt,  manchmal  wurde  sie  von  Schwindel  und  Ohnmacht 
ergriffen.  Deshalb  suchte  sie  am  17.  Juni  1897  unsere  Klinik  auf. 

Status  praesens  am  17.  Juni  1897:  Mittelgrosses 
Mädchen  von  blassem  Aussehen  und  schlechtem  Ernährungszu¬ 
stände.  Kein  Appetit;  grosse  Mattigkeit. 

Der  Bauch  ist  fassförmig  aufgetrieben;  sein  grösster  Umfang 
befindet  sich  bei  Rückenlage  auf  der  Nabelböhe  und  ist  circa 
100  cm\  wenn  Patientin  sich  aufsetzt,  verlagert  er  sich  um  3  cm 
unterhalb  des  Nabels,  wo  er  dann  103  c?»  misst. 

Die  Bauchdecken  sind  mässig  gespannt.  Keine  Striae,  keine 
erweiterten  Venen  auf  der  Haut  des  Bauches. 

Durch  die  Palpation  fühlt  man  im  Innern  des  Abdomens,  an 
verschiedenen  Stellen,  mehrere  elastisch-feste,  nicht  fluctuirende 
Geschwülste  mit  glatter  Oberfläche,  mehr  weniger  beweglich,  bei 
der  Percussion  einen  dumpf-tympanitischen  Schall  gebend.  Die 
grössten  von  diesen  Tumoren  sind  hühnerei-  bis  über  faustgross, 
die  kleinsten  nuss-  oder  haselnussgross;  einige  davon  sind  kugel- 
förmig,  andere  mehr  abgeplattet,  bei  Druck  sind  sie  etwas 
empfindlich. 

Solche  Geschwülste  trifft  man,  wie  gesagt,  überall  in  der 
Bauchhöhle,  theils  treten  sie  vereinzelt  vor,  grösstentheils  aber  zu 
Gruppen  aus  mehreren  zusammen.  Die  bedeutendsten  dieser  Gruppen, 
worin  die  einzelnen  Tumoren  mehr  oder  weniger  deutlich  abzu¬ 
grenzen  sind,  findet  man  an  folgenden  Stellen  des  Bauches:  eine 
unmittelbar  unterhalb  des  rechten  Rippenbogens,  wo  sie  von  der 
Leber  sowohl  durch  die  Percussion,  als  durch  die  Palpation  deut¬ 
lich  zu  trennen  ist,  fast  bis  zum  Nabel  hinabreichend;  zwei  findet 
man  zwischen  dem  Nabel  und  dem  linken  Rippenbogen;  eine  ober¬ 
halb  des  Nabels,  unter  dem  Epigastrium;  drei  unterhalb  des  Nabels, 
und  zwar  eine  in  der  Mittellinie,  eine  rechts  und  eine  links  von 
derselben;  eine  über  dem  rechten  Inguinalbogen,  in  der  Nähe  der 
Symphyse;  eine  in  der  linken  Fossa  iliaca;  vom  Rectum  aus  fühlt 
man  ebenfalls  eine  fäustgrosse,  kugelförmige  Geschwulst  in  der 
Excavatio  recto-uterina.  In  der  Tiefe  der  Bauchhöhle  fühlt  man 
etwas  weniger  deutlich  eine  Menge  ähnlicher  Tumoren. 

Da  man  sofort  an  Echinococcuscysten  dachte,  machte  man 
an  einer  von  diesen  Geschwülsten  eine  Probepunction,  die  diese 
Diagnose  bestätigte,  indem  sie  eine  wasserklare  Flüssigkeit  mit  den 
charakteristischen  Häkchen  herausförderte. 

Freie  Flüssigkeit  wird  in  der  Bauchhöhle  nicht  constatirt. 

Respirations-,  Circulations-,  Harnorgane,  sowie  alle  übrigen 
Systeme  normal. 

Hymen  intact. 

Patientin  ist  stets  fieberlos.  Sie  klagt  über  Schmerzen  im 
Bauche,  die  anfallsweise  sehr  heftig  werden.  Einmal  trat  Durchfall 
ein,  der  aber  am  folgenden  Tage  aufhörte. 

Am  2.  Juli  1897  Laparotomie  (Prof.  Manghinas). 
Schnitt  in  der  Medianlinie  zwischen  Nabel  und  Symphyse,  10c??i 
lang.  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  präsentirte  sich  eine  eigrosse, 
cystische  Geschwulst,  nach  Spaltung  derselben  lief  eine  wasserklare 


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Flüssigkeit  aus  und  zugleich  sprang  eine  Menge  kleinerer  (Tochter-) 
Blasen  heraus.  Die  Geschwulst,  die  mit  breiter  Basis  an  das  Netz 
lest  adhärirte,  wurde  nach  Abbindung  derselben  mit  dem  Thermo¬ 
kauter  abgetrennt.  Rings  herum  waren  die  Peritonealverwachsungen 
so  stark,  dass  man  in  die  eigentliche  Peritonealhöhle  nicht  ein- 
dringen  konnte.  Deshalb  wurde  die  Entfernung  der  übrigen  Ge¬ 
schwülste  vorläufig  aufgeschoben  und  die  Bauchwand  durch  Etagen¬ 
naht  geschlossen.  Der  Eingriff  wurde  so  einigermassen  auf  eine 
Probelaparotomie  beschränkt.  Die  Wunde  heilte,  nachdem  am  unteren 
Theile  derselben  eine  oberflächliche  Eiterung,  von  den  Stichcanälen 
der  Nähte  ausgegangen,  aufgetreten  war,  innerhalb  ungefähr  drei 
Wochen  vollständig. 

Nach  der  Operation  erholte  sich  die  Kranke  ein  wenig;  ihr 
Appetit  wurde  besser,  die  Schmerzen  im  Bauche  linderten  sich. 

Am  20.  October  1897  zweite  Laparotomie.  Um  die 
ganze  Peritonealhöhle  zugänglich  zu  machen,  wurde  ein  grösserer 
Schnitt  angelegt  und  so  wurden  im  Ganzen  26  verschieden  grosse 
Cysten  entfernt.  Einige  derselben  hatten  ziemlich  starke  Verwach¬ 
sungen  mit  dem  Netz  und  dem  Parietalblatte  des  Peritoneums;  die 
meisten  aber  sassen  locker  innerhalb  der  Bauchhöhle.  Die  Auslösung 
wurde  grösstentheils  mit  den  Fingern  ausgeführt,  ab  und  zu  musste 
man  die  Geschwülste  stielen  und  nach  Abbindung  des  Stieles  mit 
dem  Thermokauter  abtrennen.  Die  Wunde  heilte  per  primam. 

Im  Bauche  fühlte  man  aber  noch  eine  sehr  grosse  Menge 
von  Geschwülsten,  die  allmälig  mächtiger  wurden  und  den  Leib, 
zumal  am  Hypogastrium,  stark  ausdehnten;  Patientin  litt  sehr  an 
Kurzathmigkeit. 

18.  Februar  1898  dritte  Laparot  omie.  10  cm  langer 
Schnitt  unterhalb  des  Nabels,  rechts  von  der  Mittellinie.  Es  wurden 
15  bis  hühnereigrosse  Hydatidencysten  entfernt,  die  in  der  Bauch¬ 
höhle  theils  oberflächlich,  theils  in  der  Tiefe  lagen.  An  einigen 
Stellen  musste  man  mit  der  Cystenwand  einen  Theil  des  Netzes 
mit  entfernen,  der  mit  derselben  stark  verwachsen  oder  selbst  ver¬ 
ändert  war.  Heilung  der  Wunde  per  primam. 

Am  10.  April  wurde  eine  vierte  Laparotomie  aus¬ 
geführt,  wodurch  sieben  grosse  Hydatiden  entfernt  wurden,  deren 
eine  mit  dem  Uterus  und  den  Adnexen  verwachsen  war. 

Endlich,  20.  November  1898,  fünfte  Laparotomie,  bei 
welcher  noch  etliche  Hydatiden  herausgefördert  wurden.  Aber  es 
entwickelte  sich  eine  Peritonitis  und  am  29.  November  trat  Exitus 
letalis  ein. 

Autopsie  wurde  von  den  Angehörigen  der  Patientin  nicht 
gestattet. 

In  diesem  Falle  bot  die  Diagnose  ziemlich  grosse  Schwierig¬ 
keiten.  Eine  carcinomatöse  Erkrankung  konnte  man  ja  sowohl  aus 
dem  Krankheitsverlauf,  als  auch  aus  der  Beschaffenheit  der  Ge¬ 
schwülste  mit  Sicherheit  ausschliessen.  Aber  sehr  gut  hätte  man, 
mit  Rücksicht  auf  den  sehr  schlechten  Ernährungszustand  der 
Kranken  und  die  Schmerzhaftigkeit  des  Bauches,  verbunden  mit 
dem  Vorhandensein  zahlreicher  Tumoren  in  demselben,  an  eine 
Bauchfelltuberculose  denken  können.  Der  Mangel  jeder  hereditären 
oder  persönlichen  Prädisposition,  die  Fieberlosigkeit  und  die  Ab¬ 
wesenheit-  von  Erscheinungen  aus  anderen  Organen  und  besonders 
der  Pleura,  die  wohl  so  häufig  bei  Bauchfelltuberculose  auftreten, 
waren  keine  sicheren  Beweise  gegen  die  Annahme  dieser  Krankheit. 
W  as  aber  vorwiegend  auf  die  Diagnose  von  Echinococcencysten 
hinwies,  war  die  mehr  minder  kugelförmige  Gestalt  der  einzelnen 
Geschwülste,  ihre  glatte  Oberfläche  und  ihre  elastische  Gonsistenz, 
ohwohl  nirgends  Fluctuation  nachgewiesen  werden  konnte. 

Endlich  hatte  die  Probepunction  die  Frage  definitiv  ent¬ 
schieden. 

Die  Zahl  der  Echinococcencysten  war  eine  ungeheuer  grosse. 
Vielleicht  gab  es  im  Anfang  nur  eine  solche,  die  später  platzte, 
und  so  erfolgte  eine  Aussaat  von  Echinococcen  in  die  Bauchhöhle. 
Wo  aber  diese  primäre  Cyste  gesessen  haben  dürfte,  das  kann  man 
nicht  sagen.  Soll  man  die  damaligen  Beschwerden  in  der  Lebergegend 
auf  eine  solche  primäre  Geschwulst  in  der  Leber  zurückführen? 

Obwohl  die  sehr  grosse  Zahl  der  Geschwülste  vom  Anfang 
an  den  Eingriff  wenig  verlockend  machte,  führte  man  doch  im 
Ganzen  fünf  Laparotomien  aus,  durch  welche  sehr  viele  Cysten 


entfernt  wurden.  Leider  wuchsen  die  zurückbleibenden  immer  mehr, 
weil  ihnen  nach  Entfernung  der  anderen  mehr  Raum  zur  Aus¬ 
breitung  gegeben  war,  und  so  gestaltete  sich  das  chirurgische 
Handeln  zu  einer,  sozusagen,  Sisyphusarbeit,  bis  endlich  nach  der 
fünften  Laparotomie  die  Patientin  erlag. 


REFERATE. 

I.  Das  Sanitätswesen  während  des  spanisch-amerika¬ 

nischen  Krieges  im  Jahre  1898. 

Von  Dr.  Johann  Steiner,  k.  und  k.  Regiments-  und  Gardearzt. 

Streffleur’s  Oesterreichische  Militär-Zeitschrift.  1900. 

II.  Veröffentlichungen  aus  dem  Gebiete  des  Militär¬ 

sanitätswesens. 

Herausgegeben  von  der  Medicinalabtheilung  des  königlich  preussischen 

Kriegsministeriums. 

Heft  16:  Die  subcutanen  Verletzungen  der  Muskeln. 

Von  Dr.  K  n  a  a  k,  Stabs-  und  Bataillonsarzt  des  II.  Bataillons,  Infanterie- 

Regiment  Nr.  175. 

123  Seiten. 

Berlin  1 900,  August  Hirschfeld. 

I.  Die  in  verschiedenen  Zeitschriften  zerstreut  vorliegenden  Be¬ 
richte  über  den  spannenden  Krieg  zwischen  Spanien  und  Amerika 
vom  Jahre  1898  wurden  zu  einem  schönen  Gesammtbilde  über 
das  Militär-Sanitätswesen  zusammengetragen  und  kritisch  gesichtet. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung  skizzirt  der  Verfasser  die  militär¬ 
sanitätsgeographischen  Verhältnisse  der  in  Betracht  kommenden 
Kriegsschauplätze  auf  Cuba,  Portorico  und  den  Philippinen.  Sodann 
wird  die  Organisation  der  Streitkräfte  überhaupt,  sowie  des  Sanitäts¬ 
wesens  insbesondere  bei  beiden  kriegführenden  Parteien  eingehend 
besprochen.  Die  folgenden  Capitel  behandeln  den  Verlauf  der 
kriegerischen  Ereignisse  und  den  Sanitätsdienst  im  Anschlüsse 
daran,  sowie  jenen  im  Rücken  der  Feldarmeen,  d.  i.  zur  See  und 
in  den  grossen  amerikanischen  Uebungslagern.  Die  Thätigkeit  der 
Vereine  vom  Rothen  Kreuz  erfährt  gleichfalls  besondere  Er¬ 
wähnung. 

Im  Schlussworte  wird  versucht,  die  Erfahrungen  und  Lehren 
des  Krieges  in  Bezug  auf  die  einzelnen  Zweige  des  Heeres-Sanitäts- 
wesens,  wie  Kriegschirurgie,  Kriegshygiene,  Sanilätstaktik,  Kranken¬ 
transportdienst  zur  See  u.  s.  w.  kurz  zusammenzufassen.  Als  Haupt¬ 
lehre  ergab  sich  die  Wichtigkeit  einer  gründlichen  und  allseitigen 
Vorbereitung  im  Frieden,  die  sowohl  bei  den  Amerikanern,  wie  bei 
den  Spaniern  gefehlt  hatte. 

Bei  dem  grossen  Interesse,  welches  das  Militär-Sanitätswesen 
gerade  in  den  letzten  Jahren  beansprucht,  ist  vorliegende  Arbeit 
von  doppeltem  Werth,  indem  sie  uns  Lücken  selbst  auf  Seiten  der 
Amerikaner  vor  Augen  führt,  bei  denen  im  Secessionskriege  (1861 
bis  1865)  der  Apparat  des  Feldsanitätsdienstes  so  vortrefflich  func- 
tionirte.  Steiner  gebührt  das  Verdienst,  den  Militärärzten  gezeigt 
zu  haben,  wie  man  als  Sanitätsofficier  zu  arbeiten  hat,  um  sich 
auch  in  jenen  Kreisen  Achtung  und  Anerkennung  zu  erwerben, 
welche  dem  Sanitätswesen  im  Felde  fremd  gegenüber  stehen.  Sein 
Princip  verdient  Nachahmung  und  allseitige  Unterstützung. 

* 

II.  Nach  einer  kurzen  Einleitung,  in  welcher  Verfasser  den  Grund 
des  häufigeren  Vorkommens  von  Muskelverletzungen  beim  Militär 
als  in  den  mannigfachen  Insulten  bei  den  ungewohnten  militäri¬ 
schen  Uebungen  gelegen,  auseinandersetzt,  entwirft  er  eine  Ein- 
theilung  der  Muskelverletzungen  in  Brüche,  Zerreissungen,  an  welche 
er  das  Auftreten  von  Verknöcherung  der  Muskeln  (Reit-  und  Exercier- 
knochen,  Myositis  ossificans  progressiva  multiplex)  anschliesst, 
Quetschungen  und  Verrenkungen.  Jedem  einzelnen  dieser  Abschnitte 
sendet  der  Verfasser  einen  kurzen  historischen  Abriss  voraus,  in 
welchem  in  erster  Linie  die  Literatur  der  Franzosen  angeführt 
erscheint.  An  der  Hand  von  42  Krankengeschichten,  welche  dem 
Verfasser  von  verschiedenen  Militärärzten  eingesandt  wurden,  sowie 
an  der  Hand  mehrerer  in  der  Literatur  beschriebener  Fälle  bespricht 
er  eingehend  die  Entstehungsursachen,  die  Symptomatologie  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  differentialdiagnostischen  Momente, 
die  Prognose  und  Therapie,  bei  der  Verknöcherung  speciell  auch 
die  pathologische  Anatomie.  Verfasser  kommt  zu  dem  Schlüsse, 
dass  die  operative  Therapie  (die  einzelnen  Methoden  der  Operationen 
sind  bei  jedem  einzelnen  Abschnitte  genauer  beschrieben)  bei  den 


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Muskelbrüchen  für  d;is  Militärwesen  ungünstige  Resultate  ergibt 
(von  67  Fällen  waren  55  als  »invalide  zu  entlassen«  classificirt), 
bei  Muskelzerreissungen,  -Quetschungen  und  -Verrenkungen  sehr 
günstige  Resultate  aufweist.  Bei  den  Operationen  von  Reit-  und 
Exercierknochen  stellt  sich  das  Verhältniss  der  Heilung  in  der 
Weise,  dass  ungefähr  die  Hälfte  ungeheilt,  je  ein  Viertel  gebessert 
und  geheilt  in  Abgang  kamen.  Am  Schlüsse  des  Buches  bietet 
Verfasser  eine  genaue  Uebersicht  der  Quellen  und  Literatur  obiger 
Erkrankungen.  II  a  b  a  r  t. 


I.  Ueber  die  therapeutische  Beeinflussung  der  Expecto¬ 

ration  durch  die  Heilmittel  der  Hypurgie. 

Von  Prof.  Dr.  Martin  Mendelsohn  in  Berlin. 

Berliner  Klinik,  Heft  133. 

II.  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  wissenschaftlichen 

Krankenpflege. 

Von  Dr.  Iwan  Bloch  in  Berlin. 

Berliner  Klinik,  Heft  136. 

III.  Untersuchungen  über  das  Schlucken  in  verschiedenen 
Körperlagen  und  seine  Bedeutung  für  die  Krankenpflege. 

Von  Martin  Mendelsohn  und  Hermann  Gutzmann. 

Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  44 — 47  (Separatabdruck). 

I.  Die  Abhandlung  bespricht  die  Erleichterung  des  Hustens 
durch  die  Mittel  der  Krankenpflege,  durch  die  » Politik  der  kleinen 
Mittel«  in  der  Medicin,  in  einer  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes 
entsprechenden,  erschöpfenden  Weise.  Der  Hustenact  kann  nur  auf 
die  jenseits  der  Mitte  der  grossen  Bronchien  befindlichen  Secret- 
massen  Einfluss  haben.  Bis  zu  dieser  Stelle  wird  das  Secret  zu¬ 
meist  durch  die  Thätigkeit  der  Flimmerepithelien  geschafft.  Will 
man  diese  Arbeit  den  Flimmerepithelien  erleichtern,  so  kann  man 
die  Schwere  der  Secrete  als  Hilfsmittel  heranziehen,  indem  man 
bei  halbseitigen  Erkrankungen  (z.  B.  einseitige  Bronchiektasie  oder 
Lungengangrän)  den  Kranken  auf  dessen  gesunde  Seite  legt.  Ger¬ 
hardt  erklärt,  dass  dabei  für  die  gesunde  Lunge  nur  ausnahms¬ 
weise  Gefahr  besteht,  durch  herüberfliessendes  Secret  aus  der 
kranken  Lunge  zu  erkranken.  Bei  Bronchiektasien  in  den  Unter¬ 
lappen  kann  sogar  eine  zeitweise  Hebung  des  Fussendes  des  Bettes 
bei  flacher  Lage  des  Kranken  von  Nutzen  sein.  Die  Bauchlage 
nach  Gerhardt,  der  Vorschlag  Schillin  g’s,  Schultz  e’sche 
Schwingungen  bei  lungenkranken  Kindern  zu  machen,  sowie 
Reusner's  Handgriff  zur  Unterstützung  der  Zwerchfellaction  bei 
hustenden  Myelitikern  werden  in  Kürze  erwähnt,  worauf  die  zweite 
Phase  der  Expectoration,  die  Expulsion  der  Sputa  in  die  Mund¬ 
höhle,  besprochen  wird.  Für  diese  Phase  wird  aufrechte  Stellung 
des  Kranken  und  Vermeidung  jeder,  die  Inspiration  hemmenden 
Compression  des  Thorax  von  Wichtigkeit  sein.  Die  dritte  Phase 
der  Expectoration,  die  Elimination  der  Sputa  aus  der  Mundhöhle, 
ist  durch  bequeme  Speigefässe  und  gehörige  Wartung  des  Kranken 
zu  unterstützen,  um  das  mitunter  bedenkliche  Schlucken  der  Sputa 
hintanzuhalten.  Um  durch  erhöhten  Flüssigkeitsgehalt  der  Sputa 
deren  Expectoration  zu  erleichtern,  empfiehlt  Mendelsohn  die 
Anwendung  von  Luftanfeuchtern  und  Verdunstungsapparaten. 

Zum  Schlüsse  wird  in  der  Abhandlung  noch  Einiges  betreffs 
Hintanbaltung  zu  häufigen  oder  zu  heftigen  Hustens  durch  hypurgische 
Hilfsmittel  (Abhaltung  reflexauslösender  Reize,  beispielsweise  par¬ 
tieller  Abkühlung  des  Körpers,  Vermeidung  von  Staub  etc.)  erwähnt. 

* 

II.  Nach  einer  etwas  breit  gehaltenen  Einleitung,  in  welcher  der 
Verfasser  das  Wesen  der  Hypurgie,  der  wissenschaftlichen  Kranken¬ 
pflege,  gegenüber  der  Krankenversorgung  und  Krankenwartung  prä- 
cisirt,  wird  Einiges  über  indische  und  altjüdische  hypurgische 
Massnahmen  erwähnt  und  dann  die  Geschichte  der  Hypurgie  im 
Occident  in  Angriff  genommen.  Man  erfährt,  welche  Sorgfalt  schon 
im  classischen  Alterthum  auf  eine  correcte  Bettung  des  Kranken 
und  die  Lage,  Temperirung  und  Ausschmückung  seines  Zimmers 
verwendet  wurde,  liest  manches  Interessante  und  auch  Erheiternde 
über  Schlafen  und  Wachen  und  findet  einige  culinarische  Fein¬ 
heiten  (z.  B.  den  Vorrang  des  Gerstenschleimes  gegenüber  dem 
Reisschleime)  als  Beispiele  aus  den  antiken  Autoren  angegeben. 

Des  Weiteren  wird  Einiges  über  Byzantiner,  Araber  (Hospital 
in  el-Kähira)  und  die  Hypurgie  des  Mittelalters  gesagt,  worauf  der 
Autor  auf  die  Hypurgie  des  XIX.  Jahrhundertes  und  deren  eifrigen 


Vertreter  Mendelsohn  in  Form  eines  kurzen  Referates  der  be¬ 
kanntesten  hypurgischen  Schriften  dieses  Autors  übergeht.  Etwas 
bezwungen  erscheint  dem  Referenten  die  im  Schlüsse  hervor- 
gehobene  Trennung  der  Begriffe  »Krankenpflege«,  als  einer  Diseiplin 
für  Krankenpflegende,  und  »Hypurgie«,  als  einer  Diseiplin  für 
Mediciner. 

Da  der  Aufsatz  »Die  geschichtliche  Entwicklung  der  wissen¬ 
schaftlichen  Krankenpflege«  betitelt  ist,  sollte  neben  Anderen  doch 
wohl  auch  der  Name  des  Verfassers  des  bekannten  Buches:  »Die 
Krankenpflege  im  Hause  und  im  Hospitale«,  der  Name  Billroth’s 
darin  nicht  fehlen. 

Der  Praktiker  wird  aus  der  Abhandlung  kaum  einen  Nutzen 
ziehen  können,  da  die  wenigen,  heute  eventuell  anwendbaren 
historischen  Daten  über  Krankenpflege,  die  der  Verfasser  als  zur 
Hypurgie,  zur  Wissenschaft  der  »Dynamik  der  Krankenpflege- 
Heilmittel«  gehörige  angeführt  hat,  ohnedies  bekannt  sind.  Der 
Historiker  wird  vielleicht  Manches  daraus  verwerthen  können. 

* 

III.  Das  Verschlucken  kann  in  mehrfacher  Weise  Kranken  und 
Gesunden  gefährlich  werden.  Es  kann  verminderte  Nahrungs¬ 
aufnahme  bei  häufigerem  Eintreten  des  Uebels  bedingen,  es  kann 
als  Folge  des  Eintrittes  von  Fremdkörpern  in  die  Luftwege  Er¬ 
stickungsanfälle  und  wirkliches  Ersticken,  Entstehen  von  putrider 
Bronchitis,  von  Schluckpneumonien  hervorrufen,  es  können  als 
Folge  der  Blutdrucksteigerung  Kopfschmerzen,  Herzstillstand  bei 
stark  insufficientem  Herzen,  Hirnblutungen,  Hämoptoen,  überhaupt 
Gefässrupturen  eintreten,  es  kann  endlich  die  fortwährende  über¬ 
mässige  Dehnung  des  Lungengewebes  Ursache  von  Elasticitäts- 
verlusten  der  Lungen  werden. 

Die  Empirie  in  der  Krankenpflege  schreibt  Aufrichten  des 
Kranken  oder  wenigstens  des  Kopfes  des  Kranken  beim  Schlucken 
vor.  Um  nun  diese  empirisch  gewonnene  Massregel  auch  wissen¬ 
schaftlich  zu  erklären,  wurde  der  Mechanismus  des  Schlingactes, 
und  besonders  die  Absehlussraechanismen  der  sich  kreuzenden 
Wege  des  Respirations-  und  Digestionstractes,  in  verschiedenen 
Körperlagen  experimentell  untersucht,  und  dabei  gefunden,  dass 
der  Abschluss  in  der  Norm  stets  ein  fester  ist  und  von  der 
Körperhaltung  in  keiner  Weise  beeinflusst  wird.  Versuche  mit 
Röntgen  -  Strahlen  zeigten,  dass  die  Bewegungen  der  Gaumen¬ 
segel  und  der  hinteren  Rachenwand  in  jeder  Körperlage  gleich 
verlaufend  und  gleich  intensiv  sind,  so  dass  der  Bissen  durch  sie 
»blitzartig  in  den  Oesophagus  geschleudert  wird«,  gleichgiltig,  ob 
der  Schluckende  aufrecht  oder  auf  dem  Kopfe  steht.  Desgleichen 
findet  stets  ein  gleich  vollständiger  Verschluss  der  Luftwege  durch 
die  Epiglottis  statt,  welche  vom  Zungengrund  nach  abwärts  ge¬ 
drückt  wird. 

Diese  Versuche  beweisen,  dass  es  ein  primäres  Verschlucken 
in  Folge  der  Körperlage  allein  bei  normaler  Bildung  und  Function 
der  Organe  nicht  gibt.  Von  primärem  Verschlucken  kann  man 
sohin  beispielsweise  bei  Gaumensegellähmungen,  B ulbärparalysen 
oder  Gaumenspalten  etc.  sprechen,  primäres  Verschlucken  kann  bei 
Oeffnung  der  Luftwege  durch  Inspiration  oder  Exspiration  während 
des  Schlingactes  eintreten;  als  secundäres  Verschlucken  dagegen 
ist  jenes  zu  bezeichnen,  welches  in  Folge  eines  zuvor  reflectorisch 
ausgelösten  Hustenstosses  erfolgt.  Um  primäres  Verschlucken  zu 
verhüten,  soll  der  Kranke  in  aufrechter  Stellung,  nicht  zu  rasch 
und  nicht  durch  Ansprechen  u.  dgl.  gestört,  essen.  Bewusstlosen 
Kranken  soll  die  Nahrung  auf  der  Höhe  der  Inspiration,  wo  dann 
der  Kranke  automatisch  zu  schlucken  pflegt,  gegeben  werden. 

In  Bezug  auf  das  secundäre  Verschlucken,  das  reflectorisch 
ausgelöste  Verschlucken,  ergab  sich  das  Gesetz,  dass  dies  nicht 
geschieht,  wenn  die  Ingesta  beim  Schlucken  die  Medianebene  des 
Körpers  nicht  verlassen,  da  die  Gebilde  des  Rachens  in  der  Median¬ 
ebene  weniger  erregbar  sind,  als  die  seitlichen  Abschnitte.  Besonders 
die  seitlichen  hinteren  Rachenwände  lösen  leicht  Würge-  und 
Inspirationsreflexe  aus,  die  dann  secundäres  Verschlucken  erzeugen 
können.  Je  mehr  der  Körper  beim  Schlucken  aufrecht  gehalten 
wird,  je  eher  wird  eine  Berührung  dieser  Partien  durch  die  Speisen 
vermieden.  Seitliche  Lage  des  Kranken  ist  selbstredend  besonders 
unzweckmässig  für  einen  correcten  Schlingact. 

Der  zweite  Theil  der  Abhandlung  beschreibt  eine  Reihe  von 
experimentellen  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete  des  Sehlingactes, 
und  zwar  an  einer  operirten  Kranken  mit  freiliegendem  Gaumen, 


Nr.  33 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ferner  an  Gesunden  mit  Röntgen-  Strahlen  (wobei  Bismuthum 
subnitricum  als  Schattenbildner  wirkte)  und  durch  Verschlucken 
von  Methylenblaulösung  zur  Ersichtlichmachung  des  Weges  der 
Bissen.  Dieser  Theil  der  Arbeit  bietet  dem  Theoretiker  viel  Inter¬ 
essantes,  der  erste  Theil  enthält  manches  Werthvolle  für  den 
Praktiker.  Hinterberger. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

279.  Hygienische  Anordnungen  für  die  Lan¬ 
dungstruppen  in  China.  Der  französische  Marineminister 
de  Lanessan  hat  am  3.  Juli  d.  J.  einen  Erlass  hinausgegeben, 
welcher  sich  mit  den  Producten,  Hilfsquellen  und  dem  Klima  des 
nördlichen  China,  speciell  mit  dem  Landstriche  zwischen  Tien-Tsin 
und  Peking,  ausführlich  beschäftigt.  Regen,  Südwinde  und  hohe 
Temperaturen  von  Juni  bis  October;  strenge  Kälte,  Nordwinde, 
Staub-  und  Eisstürme  von  Mitte  December  bis  Ende  Januar.  In 
der  Regenzeit  treten  die  Wasserläufe  aus,  das  Terrain  wird  inundirt, 
die  schlecht  gehaltenen  Strassen  werden  unpassirbar.  Im  Winter 
bedeckt  sich  der  Boden  mit  eisiger  Staubschichte,  in  welcher  die 
Wagen  versinken  und  nur  mit  grosser  Schwierigkeit  vorwärts 
kommen.  Das  Trinkwasser  ist  schlecht,  daher  die  endemischen  und 
schweren  Darmkatarrhe;  auf  den  Stationsschiffen  in  China  wird  seit 
Jahren  nur  destillirtes  Wasser  getrunken.  Den  Marschcolonnen  kann 
weder  destillirtes,  noch  sterilisirtes  Wasser  nachgeführt  werden; 
die  Apparate  hiefür  müssen  für  die  Spitäler  und  stabilen  Land- 
Etablissements  reservirt  bleiben.  Selbst  die  Abgabe  von  gekochtem 
Wasser  wäre  mit  den  grössten  Schwierigkeiten  verbunden.  Man 
halte  sich  demnach,  wie  die  Chinesen,  an  den  Thee,  kalt  oder 
warm  genossen,  der  bei  mässigem  Gebrauche  keine  Inconvenienzen 
hat  und  nebstbei  ein  vortheilhaftes  Aliment  d’epargne  ist.  Zur 
Befreiung  des  Wassers  von  inficirenden  Keimen  werden  an  die 
Truppen  Taschenfilter  (System  Lapeyrere)  mit  übermangan¬ 
saurem  Kali  abgegeben  werden.  Für  die  Desinfection  der  in  China 
stets  verunreinigten  Abtritte  ist  ebenfalls  übermangansaures  Kali 
oder  Kalk  zu  verwenden.  Der  Preis  ist  gering.  5 — 10  g  des  ersteren 
auf  einen  Liter  Wasser,  gemischt  mit  einem  Viertel  gepulverter 
Holzkohle  und  drei  Viertel  feinem  Sande  sind  von  bester  Wirkung. 
Den  Soldaten  ist  Abstinenz,  mindestens  grösste  Massigkeit  in 
Alcoholicis  zu  empfehlen.  Wiewohl  der  Erfinder  des  Alkohols  der 
Sage  nach  mit  dem  Tode  bestraft  wurde,  werden  seit  4000  Jahren 
enorme  Alkoholmengen  in  China  consumirt.  So  wird  aus  Sorgo 
(Moorhirse,  Holcus  sorghum)  ein  höchst  billiger  Branntwein,  der 
Liter  zu  30  —  50  Centimes,  von  empyreuinatischem  Geschmacke 
erzeugt,  dessen  Fälschung  durch  die  grelle  Färbung  evident  ist. 
Auch  der  Kornbranntwein  wird  durchgehends  gefälscht.  —  Wegen 

o  <D  o 

Trichinose  sind  Schweinefleisch  und  wegen  excessiver  Verunreini¬ 
gung  der  Gewässer  Flussfische,  Krebse  etc.  zu  meiden.  Die  Pro¬ 
phylaxe  des  im  Becken  des  Pei-Ho  in  der  heissen  Jahreszeit 
wüthenden  Sumpffiebers  (Paludisme)  wird  nach  älteren  Er¬ 
lässen  und  durch  specielle  Massnahmen  zu  regeln  sein.  Hitzschlag, 
Sonnenstiche,  Lebercongestionen  sind  in  China  häufig;  neben  und 
mit  dem  Sumpffieber  werden  die  schwersten  Gomplicationen  von 
Darmkatarrhen  beobachtet.  Daher  ist  selbst  die  gutartigste 
Diarrhöe  energisch  zu  bekämpfen,  da  selbe  zum  Ausgangspunkte 
der  so  häufigen  Cholera  werden  kann.  Im  Winter  sind  Petechial¬ 
typhus  und  Diphtherie  nicht  selten.  Unter  den  Chinesen  wüthet 
beständig  die  Variola;  vaccinirt  wird  nur  in  den  Centren,  wo 
europäische  Niederlassungen  sind;  daher  Revaccination  der  Truppen 
dringlich.  Bezüglich  der  Kleidung  sind  Sommeranzüge,  Flanell¬ 
binden,  Casques  (runde  Helme),  ferner  Kautschukdecken  auf  der 
leuchten  Erde,  Mosquitonetze  möglichst  zu  verwenden;  im  Winter 
Tuchkleider,  Wollstrümpfe,  Tricots  und  Pelzwesten.  —  (Gazette 
medicale  de  Paris.  14.  Juli  1900,  Nr.  28.)  Sp. 

* 

280.  (Aus  dem  Institute  für  Infection skrankheiten  in  Berlin.) 
Ueber  die  Werth  igkeit  des  Alkohols  als  Desinfec- 
tionsmittel  und  zur  Theorie  seiner  Wirkung.  Von 
Dr.  Salz  wedel  und  Dr.  Elsner.  Die  Aufgabe  bestand  darin, 
festzustellen,  welche  bacterientödlende  Kraft  dem  Alkohol  im  Ver¬ 
gleiche  zu  den  sonst  gebräuchlichen  Desinfectionsmitteln  zukomme. 
Zu  diesem  Zwecke  wurden  Fäden,  an  denen  sich  Eiter  oder  Eiter¬ 


blut  befand,  noch  feucht  oder  in  einem  verschiedenen  Grade 
trocken  geworden,  der  Desinfectionsflüssigkeit  ausgesetzt.  Das  Ver¬ 
halten  des  Alkohols  hatte  hiebei  die  grösste  Achnlichkeit  mit  dem¬ 
jenigen,  welches  er  gegen  seinen  Erzeuger,  die  Hefe,  übt.  Es  ist 
bekannt,  dass  die  gewöhnlichen  Hefen  einen  ganz  bestimmten 
Alkoholgrad  erzeugen  und  dann  zu  gähren  aufhören;  gewöhnlich 
hört  bei  13%igen  Alkoholgehalt  das  Wachsthum  der  Hefe,  bei 
14%igen  die  Gährung  auf,  während  bei  65%igen  die  Hefe  abge- 
tödtet  wird.  Das  allgemeine  Ergebniss  obiger  Versuche  war,  dass 
an  Seidenfäden  angetrocknete  Staphylococcen  am  sichersten  durch 
einen  etwa  55%igen  (Gewicht)  Spiritus  bei  -(-  19°  C.  abgetödtet 
wurden.  Lysol  und  auch  der  Liq.  creosoli  saponatus  blieb  in  l°/0iger 
Lösung  stets  weit  hinter  Sublimat,  Alkohol  und  Carbolsäure  zurück. 
Aber  auch  schwächerer  Alkohol  übt  schon  auf  Bacterien  einen 
schädigenden  Einfluss  aus.  Die  Entwicklung  der  Staphylococcen 
wird  schon  gehemmt,  wenn  man  den  Nährflüssigkeiten  sieben 
Volumprocent  Alkohol  zusetzt.  Die  desinficirende  Kraft  des  55%’gen 
Spiritus  erreicht  im  Allgemeinen  nicht  ganz  die  der  l0/noigen 
wässerigen  Sublimatlösung,  ist  aber  der  3%igen  Carbollösung 
mindestens  gleichwertig.  Diese  Wirkung  ist  aber  von  verschie¬ 
denen  Verhältnissen  abhängig.  Stark  ein  getrockneter  Eiter 
setzt  der  Desinfectionswirkung  des  Spiritus,  sowie  aller  anderen 
Desinficientien  einen  starken  Widerstand  entgegen.  Ganz  feuchte 
Eiterfäden  konnten  schon  durch  absoluten  kalten  Alkohol  nach 
sechs  bis  acht  Minuten  desinficirt  sein;  etwas  ein  getrocknete 
Fäden  wurden  von  diesem  nicht  mehr,  wohl  aber  durch  80%igen 
Alkohol  desinficirt.  Für  die  Wirkung  der  Desinficientien  ist  ferner 
die  Reaction  des  Eiters  in  Betracht  zu  ziehen.  Ist  der  Eiter 
alkalisch,  wie  er  es  wird,  wenn  er  längere  Zeit  in  Fisteln  oder 
Höhlen  dem  Zutritte  der  Luft  ausgesetzt  ist,  so  wird  die  Wirkung 
des  Spiritus  und  auch  die  des  Sublimates  gelegentlich  geringer;  es 
muss  dann  die  Desinfectionsflüssigkeit  —  bei  Carbol  nicht  noth- 
wendig  —  mit  Bor-,  Essig-  oder  Salzsäure  angesäuert  werden.  Da 
der  Eiter  oft  auch  durch  die  Seifenwaschung  alkalisch  wird,  so 
empfiehlt  sich  nach  den  Untersuchungen  der  beiden  Autoren  zur 
Hände-  und  Hautdesinfection  für  alle  Fälle  einen  80%igen  a  n  ge¬ 
säuerten  Spiritus  zu  verwenden.  Zur  Erklärung  für  die  Des¬ 
infectionswirkung  des  Alkohols  nehmen  die  Verfasser  ausser  der 
austrocknenden  noch  eine  Giftwirkung  des  Alkohols  an.  — 
(Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  23.)  Pi- 

281.  (Aus  dem  Spitale  S.  S.  Giovanni  e  Paolo,  Venedig.) 
Cavazzani:  Chirurgische  Casuistik. 

1.  Bei  einem  Falle  von  ausgebreiteter  Nekrose  der  Tibia 
erzielte  der  Verfasser  schmerzlosen  Verlauf  der  Operation  durch 
Injection  einer  salzsauren  Cocainlösung  (1  cg  auf  1cm3  sterilisirtes 
Wasser)  in  den  Meningealsack  zwischen  dem  dritten  und  vierten 
Lendenwirbel.  Vorher  werden  einige  Tropfen  Flüssigkeit  abgelassen, 
um  sich  vom  Eindringen  der  Spritze  in  die  Höhle  zu  überzeugen. 
(Verfahren  von  Bier.) 

2.  Neuralgie  des  rechten  Trigeminus  in  allen  Aesten 
— -  epileptiformo  Neuralgie  nach  Trousseau.  70 — 80  Anfälle  im 
Tage  mit  einer  Aura  in  den  Zähnen  und  Alveolen,  begleitet  von 
angioparalytischer  Hyperämie  und  mimischen  Krämpfen.  Dauer  zwei 
bis  drei  Minuten.  Rechterseits  Ausgleichung  der  Gesichtsfalten, 
Dermatosen,  Haarausfall.  Cavazzani  resecirte  das  obere  Ganglion 
des  Halssympaticus,  woselbst  spontane  und  auf  Druck  erhöhte 
Sensibilität  bestanden.  Vollständige  Heilung.  Im  Falle  eines  Miss¬ 
erfolges  wäre  die  Resection  des  Ganglion  Gasseri  nachgefolgt. 

3.  Fractur  desletzten  Rückenwirbels  durch  Sturz.  Com¬ 
plete  sensorielle  und  motorische  Paralyse  einschliesslich  der  Empfindung 
für  Gewichte,  Wärme  etc.  Alle  Reflexe  erloschen,  Permanente 
Extension  auf  Planum  inclinatum,  Fixirung  von  Schultern  und 
Brustkorb.  Nekroskopie:  Stauung  in  den  encephalitischen  Venen, 
enormer  seröser  Erguss  in  den  Meningen  mit  Compression  der 
Hirnmasse.  Das  Rückenmark  in  der  Gegend  des  zwölften  Brust- 
und  ersten  Lendenwirbels  erweicht,  syrupartig  zerfliessend,  Fractur 
des  zwölften  Brustwirbels. 

4.  Koprostase  bei  einem  vierjährigen  Kinde  seit  frühester 
Zeit  bestehend.  Tympanismus  bis  zum  dritten  Intercostalraum 
reichend,  wurmförmige  Bewegungen  der  Darmschlingen,  Entleerungen 
nur  durch  die  stärksten  Purgantia.  Laparotomie:  Enorme  Hyper¬ 
trophie  aller  Schichten  des  Dickdarms  vom  Cöcum  bis  zur  F  lexura, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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18  cm  im  Durchmesser.  Resection  des  hypertrophischen  Trades, 
Vereinigung  des  Cöcum  mit  der  Flexura.  Exitus. 

5.  Leukoplasie  der  Schleimhaut  der  linken  Wange  und 
der  linken  Rachenpartie  mit  Schmerzen  beim  Kauen  und  Schlingen; 
weisse,  gekochtem  Eiweiss  gleichende  Plaques  an  der  den  Massetter 
und  die  Kronenapophyse  des  Unterkiefers  bedeckenden  Schleimhaut, 
Ränder  scharf,  Oberfläche  rauh,  mehrfache  Zerklüftung.  Diese  auch 
Leukoplakie,  Tylosis  Vidal,  Hyperkeratose  etc.  benannte  Krankheit 
soll  durch  Traumen,  ätzenden  Tabaksaft  entstehen;  das  Epithel 
verhornt,  schliesslich  auch  Transformation  in  Krebs.  Die  Dichtig¬ 
keit  der  Schichten  beträgt  oft  mehrere  Millimeter.  Das  Leiden 
wurde  in  der  Mund-  und  Rachenschleimhaut,  in  der  Nase,  Binde- 
haut,  im  Gehörgang  und  in  der  Schleimhaut  des  Urogenitalapparates 
vorgefunden.  Es  kommt  hei  Leukoplasie  der  Blasenschleimhaut  zur 
Cystitis  mit  pulverartigem  Sediment,  welches  aus  polygonen  ver¬ 
hornten  Zellen  besteht.  Injectionen  von  Silbersalzen  in  die  Blase. 
In  der  Mundhöhle  müssen  tiefe  Abkratzungen,  Excisionen,  Kauteri¬ 
sationen  vorgenommen  werden.  —  (Gazetta  degli  Ospedali.  8.  Juli 

1900,  Nr.  81.)  Sp. 

* 

282.  (Aus  der  militär-medicinischen  Akademie  in  Petersburg.) 
Ueber  die  Anwendung  des  Calcium -  Car  bids  in  der 
gynäkologischen  Praxis.  Von  Dr.  Grusdew.  Das  vom 
französischen  Chemiker  Mo  iss  an  entdeckte  Calcium-Carbid  ist 
eine  Calcium-Kohlenstoffverbindung,  die  durch  Wasser  in  Acetylen 
und  ungelöschten  Kalk  zerlegt  wird.  Letztere  Eigenschaft  hat  den 
französischen  Arzt  G  u  i  n  a  r  d  bewogen,  das  Carbid  als  palliatives 
Mittel  beim  inoperablen  Uteruscarcinom  und,  wie  sich  herausstellte, 
mit  Erfolg  zu  verwenden;  Grusdew  erklärt  es  als  das  beste  der 
aus  diesem  Anlasse  gebrauchten  Mittel.  Die  von  ihm  befolgte 
Technik  ist  folgende:  Die  Kranke  wird  in  Steinschnittlage  gebracht, 
die  Genitalien  werden  desinficirt,  die  Portio  mittelst  Speculum  frei¬ 
gelegt,  Scheide  und  Geschwür  gut  abgetrocknet;  dann  wird  auf  die 
zerfallende  Neubildung,  je  nachdem  ein  Krater  oder  ein  flacher 
Substanzverlust  vorhanden  ist,  ein  längliches,  haselnussgrosses  oder 
plattenförmiges  Stückchen  Carbid  gelegt,  mit  einem  Tampon  dort 
festgehalten  und  zur  Sicherung  die  Scheide  leicht  austamponirt. 
Die  gesunde  Scheidenschleimhaut  muss  vor  dem  sich  bildenden 
Kalk  auf  diese  Weise  geschützt  werden.  Nach  ein  bis  drei  Tagen 
wird  das  Ganze  herausgenommen,  die  Scheide  desinficirt  und  erst 
bei  neuauftretendem  übelriechenden  Fluor  oder  Blutungen  diese 
Therapie  wiederholt.  Die  Blutungen  kommen  dadurch  zum  Still¬ 
stand,  die  Schmerzen  werden  zumeist  verringert.  Während  das 
Carbid  auf  den  Geschwulstmassen  liegt,  sind  die  übelriechenden 
Ausscheidungen  nicht  selten  verstärkt.  Um  die  heftige  Entwicklung 
von  Acetylen,  beziehungsweise  eine  Explosion  zu  verhindern,  ist 
die  Scheide  gut  auszutrocknen,  auch  darf  keine  gleichzeitige  Be¬ 
handlung  des  Tumors  mit  dem  Thermokauter  stattfinden.  In  ein¬ 
zelnen  Fällen  war  die  Anwendung  des  Carbids  als  schmerzlich 
empfunden  worden.  Grusdew  empfiehlt  dieses  Verfahren  be¬ 
sonders  für  die  ambulatorische  Praxis,  weiters  für  die  gutartigen 
Ulcerationen  der  Scheide.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  24.)  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

(Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  des  Hofruthes 
Flechsig  in  Leipzig.)  Ueber  einige  neuere  Arznei¬ 
mittel  und  Methoden  zur  Epilepsiebehandlung.  Von 
Dr.  Laudenhei  m  e  r.  Die  antiepileptischen  Eigenschaften  der  Brom¬ 
salze  beruhen  wahrscheinlich  darauf,  dass  diese  die  Fähigkeit  haben, 
die  Erregbarkeit  der  eorticomotorischen  Centren,  vielleicht  auch  der 
peripheren  Nervensubstanz  herabzusetzen,  ja  sogar  zu  lähmen. 
Letzteres  bringt  die  als  Bromismus  bekannten  schädlichen  Neben¬ 
wirkungen  zum  Ausdrucke,  und  zwar  ist  dabei  weniger  die  Einzel¬ 
dosis,  als  vielmehr  die  cumulative  Wirkung  zu  fürchten.  Es  steht 
jetzt  fest,  dass  der  Organismus  in  den  ersten  Wochen  weniger  Brom 
ausscheidet  als  er  einnimmt,  bis  eines  Tages  die  Sättigung  mit 
Brom  erreicht  und  die  Ausfuhr  gleich  der  Einfuhr  ist.  Ist  dieser 
Sättigungspunkt  erreicht  worden,  ohne  dass  Zeichen  einer  Brom¬ 
vergiftung  aufgetreten  sind,  dann  ist  eine  dauernde  Toleranz  zu  er¬ 
warten.  Diese  Ueberlegung  deckt  sich  mit  der  Erfahrung,  dass  der 
Bromismus  häufig  in  den  ersten  Wochen  einer  Cur  eintritt.  Aus  dem 
Gesagten  ist  zu  entnehmen,  dass  bei  grossen  Tagesdosen  anfänglich 


ganz  bedeutende  Brommengen  aufgespeichert  werden,  weshalb  die 
Zeichen  der  ausgebildeten  Bromvergiftung  (Benommenheit,  Ataxie, 
Tremor,  Sprachstörung,  Herzschwäche,  Kachexie)  wochenlang  fort- 
bestehen  können.  Die  leichteren  Erscheinungen  des  Bromismus 
(mässige  Akne,  Müdigkeit,  Verdauungsstörungen)  sind  im  Allgemeinen 
keine  Gegenanzeige  für  die  Fortsetzung  der  Cur.  Nach  Ziehen  ist 
zwei  Tage  hintereinander  fehlender  Cornealreflex  das  Signal  für  die 
Unterbrechung  der  Cur.  Hinsichtlich  der  Dosis  soll  man  nicht  mit 
unter  dreimal  2  g  Bromkali  (mit  mindestens  der  50fachen  Flüssigkeits¬ 
menge  verdünnt)  beginnen.  Die  Thatsache,  dass  nur  ein  Theil  der 
Epilepsiefälle  mit  Brom  geheilt  wird,  hat  zur  Anwendung  verschiedener 
Präparate  und  Methoden  geführt.  Für  Bromnatrium  (mit  78%  Brom) 
ist  Bromalin  mit  nur  32%  Bromgehalt  empfohlen  worden,  ferner 
das  Br  omipin  zu  vier  Esslöffel  pro  die.  Dieses  Präparat  kann  auch 
subcutan  einverleibt  werden.  Von  den  Methoden  sind  die  bekanntesten 
die  Brom-Opiummethode  von  Flechsig,  über  welche  in 
dieser  Wochenschrift  bereits  ausführlich  berichtet  wurde;  ferner  die 
Brom-Atropinmethode  von  M  o  e  1  i.  Bechterew  hat  vor¬ 
geschlagen  die  monatelange  Darreichung  von:  Rp.  Infus,  adon.  vern. 
2-0— 3-5,  Natr.  brom.  8— 12  0,  Aq.  d.  ad  200  0.  S.  4—8  Esslöffel 
täglich;  Gowers  die  Combination  mit  Digitalis,  Seguin  jene  mit 
Chloral.  Zu  den  Bromsurrogaten  gehören  das  Fluidextract  der 
Piscidia  erythrina  zu  5 — 15  Theelöffeln  pro  die  und  das  Amylenhydrat 
bei  den  zu  Koma  führenden  serienweisen  Anfällen.  —  (Die  Therapie 
der  Gegenwart.  1900,  Nr.  7.) 

* 

(Aus  der  Kiuderpoliklinik  in  Berlin.)  Tannin  und  Silber¬ 
präparate  bei  dem  Darmkatarrh  der  Kinder.  Von 
Dr.  Cohn.  In  60  Fällen  von  acutem  Darmkatarrh  wurde  Protargol, 
und  zwar  0  05  :  50'0  Aq.  bei  ganz  kleinen,  0  1  :  50  0  Aq.  bei  einigen 
Monaten  alten  Kindern,  stündlich  ein  Theelöffel,  verordnet.  Es  ist  an¬ 
geblich  gelungen,  dadurch  Darmkatarrhe  zu  stopfen,  die  auf  keine 
andere  Weise  zu  beseitigen  waren.  Für  das  dyspeptische  Stadium 
eines  Darmkatarrhes  empfiehlt  Verfasser  die  Tanninpräparate,  und 
zwar  besonders  das  T  anno  form  zu  0'25  pro  dosi.  —  (Therapie 
der  Gegenwart.  1900,  Nr.  7.) 

* 

Der  in  Bezug  auf  Thier  und  Mensch  zu  Tage  tretende  Unter¬ 
schied  in  der  Wirkung  der  Morphiumderivate,  besonders  des  D  i  o  n  i  n, 
hat  zu  einer  Meinungsverschiedenheit  über  den  Werth  der  einzelnen 
Präparate  geführt.  Winter  nitz  (Monatsschrift  für  Psychiatrie  und 
Neurologie.  1900)  tritt  dafür  ein,  dass  Codein  und  Di  on  in  die 
Reizbarkeit  der  Luftwege  herabsetzen,  ohne  die  Athemthätigkeit  zu 
beschränken,  und  dass  sie  die  Expectoration  begünstigen.  Wo  sie 
versagen,  wird  Morphium  am  Platze  sein,  welches  durch  Heroin  kaum 
wird  vertreten  werden  können. 

* 

(Aus  der  Abtheilung  des  Hofrathes  Stadelmann  im  Kranken¬ 
hause  am  Urban  in  Berlin.)  Klinische  Erfahrungen  über 
Salacetol  bei  rheumatischen  Erkrankungen.  Von 
Dr.  Lasker.  Salacetol,  ein  weisses,  in  Wasser  schwer  lösliches 
Pulver  von  bitterem  Geschmack,  ist  eine  Salicylsäure-Acetol-Ver- 
bindung,  die  erst  im  Darm  in  ihre  Componenten  gespalten  wird.  Die 
Wirkungen  sind  ungefähr  die  der  Salicylsäure,  doch  sollen  Intoxications- 
erscheinungen  bei  jenem  Präparate  seltener  und  milder  auftreten.  An¬ 
fängliche  Tagesdosis  6 — 8  g.  —  (Deutsche  Aerztezeitung.  1900, 
Nr.  12.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  ln  Budapest:  Der  Privatdocent  für  innere 
Medicin  Dr.  A.  v.  K  oranyi  und  der  Privatdocent  für  Augenheil¬ 
kunde  Dr.  v.  Grosz  zu  a.  o.  Professoren.  —  Dr.  Constantin 
S  a  v  a  s,  Leibarzt  des  Königs  von  Griechenland,  zum  o.  Professor  der 
Hygiene  und  Bacteriologie  zu  Athen.  —  Dr.  D  e  b  o  v  e  zum  Pro¬ 
fessor  der  medicinischen  Klinik  in  Paris. 

* 

Verliehen:  Der  Stabsarztescharakter  ad  honores  den  Regiments¬ 
ärzten  Dr.  Anton  Kaiser  und  Dr.  Ignaz  Kemeny  des  Ruhe¬ 
standes.  —  Dem  Privatdocenten  für  Ohrenheilkunde  Dr.  Grün  er  t 
in  Halle  das  Prädicat  Universitätsprofessor.  —  Dem  Privatdocenten 
für  Physiologie  Dr.  Klein  in  Kiel  der  Professortitel. 

* 

Habilitirt:  In  Genua:  Dr.  B  a  d  a  n  o  und  Dr.  C  u  n  e  o 
für  innere  Medicin.  —  Dr.  Frey  er  in  Lausanne  für  innere 
Pathologie. 

* 

Gestorben:  Dr.  F  a  1  c  o  n  i,  ehemaliger  Professor  der  Ana¬ 
tomie  zu  Cagliari. 


Nr.  33 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


757 


Der  XIV.  internationale  medicinische  Congress  soll,  den  Pariser 
Beschlüssen  zufolge,  1901  in  Brüssel  abgehalten  werden. 

* 

72.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte  in  Aachen  vom  16.  bis  22.  September  1900. 

Allgemein  eTagesordnung:  Sonntag  den  16.  Sep¬ 
tem  b  e  r.  Vormittags  10  Uhr:  Sitzung  des  Vorstandes  der  Gesell¬ 
schaft,  Technische  Hochschule.  Vormittags  11  Uhr:  Sitzung  des  wissen¬ 
schaftlichen  Ausschusses,  ebendaselbst  Vormittags  12  Uhr:  Gemein¬ 
same  Sitzung  des  Vorstandes  der  naturwissenschaftlichen  Hauptgruppe 
und  der  einführenden  Vorsitzenden  der  zugehörigen  Abtheilungen. 
Mittags  12  Uhr:  Gemeinsame  Sitzung  des  Vorstandes  der  medi- 
cinischen  Hauptgruppe  und  der  einführenden  Vorsitzenden  der  zu 
gehörigen  Abtheilungen.  Nachmittags  3  Uhr:  Gemeinsames  Mittag¬ 
essen  der  Mitglieder  des  Vorstandes  und  des  Ausschusses  der  Gesell¬ 
schaft,  der  einführenden  Vorsitzenden  der  Abtheilungen  und  der  Mit¬ 
glieder  der  Aachener  Ortsausschüsse  im  Curhaus  auf  der  Curbrunnen- 
strasse  (Gedeck  3  M.).  Abends  8  Uhr:  Empfang  der  Gäste  im  Cur- 
hause  auf  der  Comphausbadstrasse. 

Montag  den  17.  September.  Vormittags  9^2  Uhr :  Erste 
allgemeine  Sitzung  im  Curhause  auf  der  Comphausbadstrasse.  Dieselbe 
ist  bestimmt,  nach  der  Eröffnung  der  Versammlung  und  den  sich 
daran  schliessenden  Begriissungsansprachen  einen  Rückblick  auf  die 
Entwicklung  der  Naturwissenschaften  und  der  Medicin  im  XIX.  Jahr¬ 
hundert  zu  geben.  Es  werden  reden:  Prof.  Dr.  J.  H.  van  t’H  o  f  f 
(Berlin):  Ueber  die  Entwicklung  der  exacteu  Naturwissenschaften 
(Physik,  Chemie  und  der  sich  daran  schliessenden  Zweige).  Professor 
Dr.  G.  Her  twig  (Berlin):  Ueber  die  Entwicklung  der  Biologie. 
Prof.  Dr.  N  a  u  n  y  n  (Strassburg)  :  Ueber  die  Entwicklung  der  inneren 
Medicin  mit  Bacteriologie  und  Hygiene.  Hofrath  C  h  i  a  r  i  (Prag)  : 
Ueber  die  Entwicklung  der  Pathologie  mit  Berücksichtigung  der 
äusseren  Medicin.  Nachmittags  4  Uhr  :  Bildung  und  Eröffnung  der  Ab¬ 
theilungen. 

Dienstag  den  18.  September.  Vormittags  9  Uhr  und 
Nachmittags  3  Uhr:  Sitzungen  der  Abtheilungen.  Abends  G1/^  Uhr: 
Festmahl  im  städtischen  ^ Curhause  (Preis  des  Gedeckes  5  M.). 

Mittwoch  den  19.  September.  Vormittags  8  Uhr:  Ge¬ 
schäftssitzung  der  Gesellschaft  in  der  Aula  der  königl.  Technischen 
Hochschule.  Vorläufige  Tagesordnung:  1.  Wahl  des  Versammlungsortes 
für  1901.  2.  Wahl  der  Geschäftsführer  für  1901.  3.  Neuwahlen  in 
den  Vorstand.  4.  Neuwahlen  in  den  wissenschaftlichen  Ausschuss  auf 
Grund  der  im  Tageblatt  zu  veröffentlichenden  Vorschläge  des  bisherigen 
wissenschaftlichen  Ausschusses.  5.  Cassenbericht.  Vormittags  10  Uhr  : 
Gemeinsame  Sitzung  der  naturwissenschaftlichen 
Hauptgruppe  unter  dem  Vorsitze  des  Prof.  Dr.  van  t’H  o  f  f 
(Berlin)  in  der  Aula  der  kgl.  Technischen  Hochschule.  Vorträge  der  Herren  : 
Prof.  M.  Beyerink  (Delft):  Der  Kreislauf  des  Stickstoffs  im  orga¬ 
nischen  Leben.  Prof.  E.  F.  Dürre  (Aachen):  Die  neuesten  Forschun¬ 
gen  auf  dem  Gebiete  des  Stahles.  Prof.  P  i  e  t  z  k  e  r  (Nordhausen) : 
Sprachunterricht  und  Sachunterricht  (vom  naturwissenschaftlichen  Stand¬ 
punkte).  Vormittags  1 1  Uhr:  Gemeinsame  Sitzung  der  medi¬ 
cin  i  s  c  h  e  n  Hauptgruppe  unter  dem  Vorsitze  des  Geheimrathes 
Prof.  Dr.  v.  W  i  n  c  k  e  1  (München)  in  der  Aula  der  städtischen  Ober¬ 
realschule.  Vorträge  der  Herren:  Prof.  Dr.  V  er  worn  (Jena)  und 
Privatdocent  Dr.  Nissl  (Heidelberg):  Der  heutige  Stand  der  Neuronen¬ 
lehre.  Nachmittags  von  2  Uhr  ab:  Ausflüge  zur  Besichtigung  indu¬ 
strieller  Werke.  Abends  von  8  Uhr  ab:  Zwanglose  Zusammenkunft 
im  Belvedere  des  Lousberges. 

Donnerstag  den  20.  September.  Vormittags  9  Uhr 
und  Nachmittags  3  Uhr:  Sitzungen  der  Abtheilungen.  Abends  7  Uhr: 
Festconcert  im  grossen  Concertsaale  des  städtischen  Curhauses. 

Freitag  den  21.  September.  Vormittags  Uhr : 

Zweite  allgemeine  Sitzung.  Vorträge  der  Herren:  Professor 
Dr.  Julius  Wolff  (Berlin) :  Ueber  die  Wechselbeziehungen  zwischen 
Form  und  Function  der  einzelnen  Gebilde  des  Organismus  (mit  Demon¬ 
strationen).  Prof.  Holzapfel  (Aachen):  Ausdehnung  und  Zusammen¬ 
hang  der  deutschen  Steinkohlenfelder.  Prof.  Hansemanu  (Berlin)  : 
Einige  Zellprobleme  und  ihre  Bedeutung  für  die  wissenschaftliche  Be¬ 
gründung  der  Organtherapie.  Prof.  Dr.  Erich  v.  Drygalski 
(Berlin):  Plan  und  Aufgaben  der  deutschen  Südpolarexpedition.  Schluss¬ 
reden.  Nachmittags  3  Uhr:  Sitzungen  der  Abtheilungen.  Abends  6  Uhr: 
Concert  am  Elisen orunoen.  Abends  8 1/2  Uhr:  Abschiedsfest  in  den 
Räumen  des  Curhauses,  dargeboten  von  der  Stadt  Aachen. 

Samstag  den  22.  September.  Ausflüge  in  die  Eifel  unter 
ortskundiger  Führung.  Es  sind  in  Aussicht  genommen:  Ausflug  nach 
Montjoie,  Ausflug  nach  Niedeggen. 

Erläuterungen  zur  Organisation  der  Gesell 
schaft  und  zur  Tagesordnung  der  Aachener  Ver¬ 
sammlung.  Mitglieder  der  Gesellschaft  können  alle  Die¬ 


jenigen  werden,  welche  sich  wissenschaftlich  mit  Naturforschung  und 
Medicin  beschäftigen.  Anmeldungen  zur  Mitgliedschaft 
haben  schriftlich  beim  Schatzmeister  der  Gesellschaft,  Dr.  Karl 
Lampe-Vischer  in  Leipzig  (an  der  Bürgerschule  2)  zu  er¬ 
folgen.  Von  Sonntag  den  16.  September  Mittags  bis  Dienstag  den 
18.  September  Abends  werden  die  Anmeldungen  auch  in  Aachen  im 
Empfangsbureau  in  der  unteren  Halle  der  Erholung,  Friedrich  Wilhelm- 
Platz  Nr.  22,  gegenüber  dem  Elisenbrunnen,  entgegengenömmen,  ebenso 
von  Sonntag  den  16.  September  bis  Freitag  den  21.  September,  Mittags, 
in  der  Hauptgeschäftsstelle  der  Versammlung  in  der  Technischen  Hoch¬ 
schule. 

Die  Mitglieder  haben,  so  weit  sie  an  der  Versammlung  theil 
nehmen,  einen  Versammlungsbeitrag  von  M.  15. —  zu 
zahlen.  Durch  die  Zahlung  dieses  Versammlungsbeitrages  erwerben 
die  Mitglieder  zugleich  das  Recht  auf  unentgeltliche  Zusendung  der 
„Verhandlungen“.  Für  diejenigen  Mitglieder,  welche  das  Entgelt  fin¬ 
den  Bezug  der  Verhandlungen  bereits  an  den  Schatzmeister  bezahlt 
haben,  ermässigt  sich  der  Versammlungsbeitrag  auf  M.  9. — .  Wer  auf 
der  Versammlung  als  Mitglied  bei t ritt,  hat  ausserdem  noch  den  Mit¬ 
gliedsbeitrag  für  das  laufende  Jahr  mit  M.  5. — ,  somit  im  Ganzen 
M.  20. —  zu  bezahlen.  Die  Mitgliedskarte  und  eventuell  die  Quittung 
des  Schatzmeisters  über  den  bereits  gezahlten  Betrag  für  die  Verhand¬ 
lungen  ist  mitzubriiigen. 

Theilnehmer  an  der  Versammlung  kann,  auch  ohne 
Mitglied  der  Gesellschaft  zu  sein,  Jeder  werden,  der  sich  für  Natur¬ 
wissenschaften  interessirt.  Die  Theilnehmer  an  der  Versammlung  haben 
einen  Versammlungsbeitrag  von  M.  20. —  zu  entrichten.  Zur 
Ausweisung  während  der  Versammlung  dient  für  alle  Mitglieder  und 
Theilnehmer  die  Theilnehmer  karte.  Diese  berechtigt  zum  Bezüge 
des  Festabzeichens,  des  in  fünf  Nummern  erscheinenden  Tageblattes, 
der  Festgaben  und  sonstigen,  für  die  Theilnehmer  bestimmten  Druck¬ 
sachen,  sowie  zur  Theilnahme  an  den  Festlichkeiten  und  wissenschaft¬ 
lichen  Sitzungen  (nicht  zugleich  auch  an  der  Geschäftssitzung  der  Ge¬ 
sellschaft,  für  welche  die  Mitgliedskarte  als  Ausweisung  dient),  und 
ferner  zur  Entnahme  von  Damenkarten  zum  Preise  von 
je  M.  6.—. 

Eine  Inte  rims-Theilnehmer  karte,  welche  auf  der 
Versammlung  in  dem  Empfangsbureau  der  Erholungsgesellsehaft  oder  in 
der  Hauptgeschäftsstelle  (Technische  Hochschule)  gegen  eine  endgiltige 
umgetauscht  werden  muss,  ist  von  jetzt  ab  gegen  Einsendung  von 
M.  20. —  an  die  Direction  der  Aachener  Disconto- 
Gesellschaft  in  Aachen,  Theater  platz,  zu  erhalten.  Die 
von  Seiten  der  Gesellschaft  herausgegebenen  „Verhandlungen“  werden 
den  Mitgliedern  der  Gesellschaft,  soweit  dieselben  darauf  abonnirt  oder 
an  der  Versammlung  theilgenommen  haben,  unentgeltlich  zugestellt. 
Theilnehmer,  welche  nicht  Mitglieder  der  Gesellschaft  sind,  erhalten 
die  „Verhandlungen“  gegen  besondere  Zahlung  von  M.  6.  — ,  wenn  sie 
sich  in  eine  in  der  Hauptgeschäftsstelle  (Technische  Hochschule)  auf¬ 
liegende  Liste  einzeichnen.  Der  allgemeine  Theil  der  Verhand¬ 
lungen  (die  Reden  und  Vorträge  der  beiden  allgemeinen  Sitzungen  ent¬ 
haltend)  wird  a  1 1  e  n  Theilnehmeru  unentgeltlich  von  der  Gesell¬ 
schaft  zugesandt.  Die  Stadt  Aachen  bietet  den  Theilnehmern  der 
Versammlung  zum  Willkommgruss  eine  Festschrift  dar,  in  welcher 
eine  Reihe  von  Abhandlungen  über  Geschichte,  Lage,  Klima,  Bau¬ 
wesen,  Theimen,  Cur-  und  Badeleben,  Wasser-  und  Nahrungsversor¬ 
gung,  Entwässerung,  Beleuchtung,  Verkehrs-  und  Unterrichtswesen, 
sowie  Vereine  und  Anstalten  für  Wissenschaft  und  Kunst,  Volkswohl¬ 
fahrt,  Armen-  und  Krankenpflege  von  Aachen  niedergelegt  sind.  Von 

Seiten  der  Geschäftsführung  wird  ein  illustrirter  Führer  durch  Aachen 
dargeboten.  In  den  Dienst  der  die  Versammlung  besuchenden  Damen 
wird  sich  ein  aus  Damen  und  Herren  bestehender  Ausschuss  stellen, 
dessen  Bureau  sich  während  der  Festwoche  in  dt  m  Aachener  Curhause 

befindet  und  dessen  besondere  Aufgabe  es  sein  wird,  den  Theil- 

nehmerinnen  während  der  fachwissenschaftlichen  Sitzungen  eine  an¬ 
regende  Unterhaltung  zu  bieten.  Zu  diesem  Zwecke  ist  seitens  des 
Ausschusses  bereits  ein  eingehendes  Programm  zur  gruppenweisen  Be¬ 
sichtigung  der  Sehenswürdigkeiten  der  Stadt  und  Umgebung  unter 
sachkundiger  Führung  ausgearbt  itet.  Die  Damen  erhallen  ihr  Festab¬ 
zeichen  und  können  an  allen  programmmässigen  Festlichkeiten,  an  den 
allgemeinen  Sitzungen,  Besichtigungen  und  Ausflügen  gegen  Vorzeigen 
ihrer  Damenkarte,  beziehungsweise  der  auf  Grund  derselben  vorher  aus¬ 
zugebenden  Sonderkarten  theilnehmen. 

V  o  r  a  u  s  b  e  s  t  e  1  1  u  n  g  e  n  von  Wohnungen  in  den 
Gasthöfen,  sowie  in  Privathäusern  nimmt  der  W  o  h  n  u  n  g  s- 
ausschuss,  Technische  Hochschule,  Zimmer  22,  von  jetzt 
ab  entgegen.  Man  wolle  Anmeldungen  thuulichst  beschleunigen, 
damit  bei  dem  an  sich  schon  starken  Besuche  der  Gasthöfe 
im  Monat  September  die  angemessene  Unterbringung  unserer 
Gäste  ,  keine  Schwierigkeiten  bereitet.  Der  Wohnungsausschuss  hat  in 
der  unteren  Halle  der  Erholungsgesellschaft,  Friedrich  Wilhelm-Platz 


75« 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  33 


Nr.  7,  gegenüber  dem  Elisenbrunnen,  von  Samstag  den  15.  September 
Mittags  bis  Montag  den  17.  September  Abends,  während  der  Tages¬ 
stunden  und  Abends  nach  Ankunft  der  Schnellzüge,  ein  Empfangs¬ 
und  Auskunftsbureau  eingerichtet.  Dort  werden  Einzeichnungeu  in  die 
Präsenzliste  und  Anmeldungen  zur  Mitgliedschaft  der  Gesellschaft  an¬ 
genommen.  Daselbst  erfolgt  auch  an  den  genannten  Tagen  Samstag  am 
Nachmittage  von  3 — 8,  Sonntag  und  Montag  Vormittags  8  —  1  und 
Nachmittags  3  —  8  Uhr  die  Ausgabe  der  Theilnehmer-  etc.  Karten,  der 
Damenkarten,  der  ersten  Nummer  des  Tageblattes,  der  Festgabe  etc. 
Die  Erledigung  dieser  geschäftlichen  Dinge  erfolgt  am  16.  und 
17.  September  gleichzeitig  und  von  da  ab  ausschliesslich  in  der  Haupt¬ 
geschäftsstelle  in  der  Technischen  Hochschule,  wo  also  auch  gegen 
Vermerk  auf  den  Theilnehmer-,  beziehungsweise  Damenkarten  die  Fest¬ 
gaben,  Drucksachen  und  späteren  Nummern  des  Tageblattes  ausgegeben 
werden.  Die  Abtheilungssitzungen  finden  der  grossen  Mehrzahl  nach 
in  den  Räumen  der  Technischen  Hochschule,  in  den  gewerblichen 
Fachschulen  in  der  Martinstrasse,  und  zum  Theil  auch  in  der  Ober¬ 
realsehule  (Vincenzstrasse)  statt.  Das  Geschäftszimmer  befindet  sich 
in  der  Technischen  Hochschule,  ebenso  ist  für  den  Vorstand  ein 
Zimmer  in  der  Technischen  Hochschule  reservirt.  Desgleichen  wird  in 
der  Technischen  Hochschule  von  Morgens  bis  Abends  ein  Postamt  zur 
Annahme  und  Ausgabe  von  gewöhnlichen  Briefschaften,  sowie  von 
Telegrammen  und  zum  Verkaufe  von  Postwerthzeichen  geöffnet  sein  ; 
postlagernde  Sendungen  sind  dahin  unter  dem  Vormerk  „Postamt 
Technische  Hochschule“  zu  richten.  Neben  einem  allgemeinen 
Schreibzimmer  wird  ferner  ein  besonderes  für  die  Vertreter  der  Presse 
in  der  Technischen  Hochschule  reservirt  sein.  Die  näheren  dies¬ 
bezüglichen  Angaben,  sowie  alle  weiteren  Hinweise,  die  für  die  Ver¬ 
sammlungsbesucher  von  praktischer  Wichtigkeit  sind,  werden  im 
Tageblatt  veröffentlicht,  das  täglich  Morgens  von  8  Uhr  ab  in 
der  Technischen  Hochschule  zur  Ausgabe  gelangen  soll.  Dasselbe  wird 
ausserdem  in  seiner  ersten  Nummer  die  neuen  Satzungen  und  die 
Geschäftsordnung  der  Gesellschaft  und  weiterhin  täglich  das  Programm 
des  betreffenden  Tages,  eine  Aufzählung  der  am  vorhergehenden  Tage 
gehaltenen  Vorträge  unter  Nennung  des  Vortragenden  und  des  Gegen¬ 
standes  seines  Vortrages,  sowie  ein  möglichst  vollständiges 
Verzeichniss  der  Theilnehmer  und  ihrer  Wohnungen 
enthalten.  Zur  Ermöglichung  dieser  unbedingt  not  h- 
w  endigen  Vollständigkeit  ergeht  an  alle  Theil¬ 
nehmer  die  dringende  Bitte,  bei  Lösung  der  Theil- 
neh  merk  arte,  beziehungsweise  Umtausch  der  In¬ 
terimskarte  Namen,  Wohnort  und  h  i  e  s  i  ge  Wohnung, 
sowie  später  etwa  eintretende  Veränderungen  der 
letzteren  in  die  im  Empfangsbureau  oder  der  Haupt¬ 
geschäftsstelle  aufliegende  Präsenzliste  mit  deut¬ 
licher  Schrift  einzutragen.  —  Mit  der  Versammlung  ver¬ 
bunden,  aber  finanziell  nach  den  diesbezüglichen  Bestimmungen  der 
neuen  Satzungen  auf  sich  selbst  angewiesen  und  deshalb  zur  Bean¬ 
spruchung  eines  besonderen  Eintrittsgeldes  gezwungen,  wird  eine 
Ausstellung  naturwissenschaftlicher  Gegenstände 
und  medicinischer  Apparate  und  Instrumente  in  der 
Turnhalle  der  gewerblichen  Fachschulen  in  der  Martinsstrasse  ver¬ 
anstaltet  werden.  Der  Preis  einer  Karte  zum  beliebig  häufigen  Be¬ 
suche  der  Ausstellung  ist  auf  M.  1. —  festgesetzt.  Unmittelbar  vor  dem 
Beginne  der  Versammlung,  am  Sonntag  den  16.  September,  Nach¬ 
mittags  3  Uhr,  wird  der  Verein  abstinenter  Aerzte  des 
deutschen  Sprachgebietes  im  Sitzungssaale  der  Abtheilung  für 
Psychiatrie  seine  fünfte  Jahresversammlung  halten,  zu  der  sämmtliche 
Theilnehmer  der  Naturforscher-Versammlung  freundliehst  eingeladen 
sind.  Die  Sehenswürdigkeiten  Aachens,  unter  Anderem  das  Rathhaus, 
Museum  etc.  werden  für  die  Theilnehmer  der  Versammlung  täglich 
zugänglich  sein.  Die  Anmeldungen  für  das  Festmahl  (Dienstag) 
werden  bis  spätestens  Montag  Mittag  erbeten.  Diejenigen  Herren 
^  orstands-  und  Ausschussmitglieder,  die  sich  an  dem  am  Sonntag 
Nachmittag  stattfindenden  Mittagessen  zu  betheiligen  ge¬ 
denken,  wollen  dies  gütigst  bis  Samstag  den  15.  September,  Mittags, 
durch  Postkarte  an  das  Bureau  der  Geschäftsführung  (Technische 
Hochschule)  melden. 

Für  die  am  Mittwoch  den  19.  September,  Nach¬ 
mittags,  in  Aussicht  genommenen  technischen  Excursionen  ist  nach¬ 
folgendes  Programm  entworfen:  Besuch  verschiedener  Tuchfabriken 
und  Nadel fabriken  in  Aachen,  des  Aachener  Hütten- Actien-Vereines  zu 
Rothe  Erde  bei  Aachen;  Besichtigungen:  Eisenwalzwerk,  Martinöfen, 
1  homas  Gilchrist-\  erfahren,  Mahlen  der  Thomas  Schlacken,  Verladen  durch 
Hebevorrichtung  mit  elektrischem  Antrieb,  Laboratoriumseinrichtung. 
Ausflug  nach  Kohlscheid.  Besichtigung  der  Anlagen  der  Vereinigungs- 
Gesellschaft  für  Steinkohlen  im  Wurmrevier  und  Vorführung  der  Ver¬ 
suche  von  Kohlenstaubexplosionen  in  der  hiefür  auf  Grube  „Maria“  an¬ 
gelegten  Versuchsstrecke.  Ausflug  nach  Stolberg  und  Eschweiler.  Da¬ 
selbst  können  besichtigt  werden:  Glashütten,  Walzwerk,  Hochofen¬ 
anlage,  Steinkohlengrube  Nothberg  des  Eschweiler  Bergwerksvereines, 


woselbst  Coaksofenanlago  mit  Gewinnung  der  Nebenproducte 
(Ammoniak,  Theer,  Benzol),  Zinkhütte  der  Rheinisch-Nassauischen 
Gesellschaft,  Bleihütte  der  Stolberger  Gesellschaft,  Chemische  Fabrik 
„Rhenania“.  Ausflug  nach  Rheydt  zur  Besichtigung  des  Kabelwerkes. 
Das  genaue  Programm  der  Ausflüge,  sowie  das  Nähere  über  die  An¬ 
meldungstermine  wird  den  Theünehmern  in  Aachen  bekannt  gegeben 
werden. 

Zwei  Tagesausflüge  am  Samstag  den  22.  September  1900  in 
die  Eifel.  1.  Wenig  anstrengende  Wanderung  ab  Station  Montjoie. 
Zu  Fuss  IV2 — 13/4  Stunden.  2.  Wanderung  für  geübtere  Fussgänger 
nach  Forsthaus  „Mausauel“  und  „Niedeggen“.  (Fortsetzung  folgt ) 

* 

S  an  itäts  ver  häl  tn  isse  bei  der  Mannschaft  d  es  k.u.k.  Heer  es 
im  Monat  Mai  1900.  Mit  Ende  April  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1738,  in  Heilanstalten  7454  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  Mai  1900  17.283  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  51.  Im  Monat  Mai  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  8423  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopi'stärke  25.  Im  Monat  Mai  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  17.607  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  14.948  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  849,  durch  Tod  79  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  4"48,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0-23.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1546,  in  Heilanstalten  7322  Mann. 

* 

A  u  8  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  28.  Jahreswoche  (vom  8.  Juli 
bis  14,  Juli  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  646,  unehelich  255,  zusammen 
901.  Todt  geboren:  ehelich  44.  unehelich  18,  zusammen  62.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  604  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18‘9  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  109,  Blattern  0,  Masern  15, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  6,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  4,  Neu¬ 
bildungen  44.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  VaricelleD 
14  (-)-  1),  Masern  190  (-j-  15),  Scharlach  26  ( —  4),  Typhus  abdominalis 
12  ( —  5),  Typbus  exanthematicus  0  (=0,  Erysipel  17  ( —  6),  Croup  und 
Diphtherie  26  (-j-  7),  Pertussis  49  ( —  111,  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (=),  Trachom  5  (-f-  4),  Influenza  0  (=)• 


Freie  Stellen. 

Districtsarztesstelle  für  den  District  Schwaderbach,  mit  dem 
Amtssitze  daselbst,  im  politischen  Bezirke  Graslitz,  Böhmen.  Zu  diesem 
Districte  gehören  die  Ortschaften:  Eibenberg,  Grünberg,  Markhausen  und 
Schwaderbach  mit  circa  6500  Einwohnern.  Gehalt  800  K,  Reisepauschale 
400  K,  Zulage  von  der  Gemeinde  Schwaderbach  200  K.  Bewerber  deutscher 
Nationalität  werden  eingeladen,  ihre  im  Sinne  des  §  5  des  Gesetzes  vom 
23.  Februar  1888,  Nr.  9,  belegten  Gesuche  bis  20.  August  1900  bei  dem 
Bezirksausschüsse  in  Graslitz  einzubriugen. 

Gemeindearztesstelle  für  die  in  einen  Sanitätsdistrict  vereinigten 
Gemeinden  Castel  Vitturi  und  Castel  Sui5urac,  Dalmatien,  be¬ 
stehend  aus  vier  Ortschaften  (4000  Einwohner),  welche  längs  der  Reichs¬ 
strasse  an  der  Küste  in  einer  Ausdehnung  von  5  hm  gelegen  sind.  Jahres¬ 
gehalt  3200  K,  zahlbar  in  monatlichen,  und  Reisepauschale  800  K,  zahlbar 
in  dreimonatlichen  Anticipativraten  beim  k.  k.  Hauptsteueramte  in  Spalato. 
Verpflichtung:  Einmaliger  Besuch  der  Kranken  täglich  in  sämmtlichen  Ort¬ 
schaften  und  Verseilung  des  Sanitätsdienstes  im  Sinne  des  Landesgesetzes 
vom  27.  Februar  1874,  L.  G.  und  V.  Bl.  Nr.  10.  Bewerber  haben  beizu- 
briugen:  1.  Das  Diplom;  2.  den  Taufschein;  3.  den  Nachweis  der  Heimats¬ 
zuständigkeit;  4.  den  Nachweis  über  die  Kenntniss  der  croatischeu 
Sprache. 

Gemeindearztesstelle  in  Leogang  hei  Saalfelden,  Salzburg. 
Die  fixen  Bezüge  belaufen  sich  auf  2120  K.  Haltung  einer  Hausapotheke 
erforderlich.  Bewerber  um  diese  im  September  d.  J.  zu  besetzende  Stelle 
wollen  sich  an  die  Gemeindevorstehung  in  Leogang  wenden. 

Stipendium  für  einen  Arzt  zur  Ausbildung  in  der 
Psychiatrie.  Zur  Ausbildung  in  der  Psychiatrie  hat  der  Bukowinaer 
Landtag  ein  Stipendium  von  3200  K  für  einen  aller  drei  Landessprachen 
mächtigen  Arzt  unter  der  Bedingung  bewilligt,  dass  der  betreffende 
Stipendist  sich  mittelst  Reverses  verpflichtet,  in  der  neu  zu  errichtenden 
Landes-Irrenanstalt  in  Czernowitz  sich  verwenden  zu  lassen.  Derselbe  ist 
■verhalten,  die  Zeit  vom  1.  October  1900  bis  31.  December  1901  der  fachlichen 
Ausbildung  zu  widmen;  hievon  hat  er  das  Wintersemester  1900 — 1901 
auf  den  Wiener  psychiatrischen  Kliniken  zuzubringen  und  in  den  darauf¬ 
folgenden  Monaten  April  bis  Juni  1901  in  der  niederösterreichischen 
Landes-Irrenanstalt  Kierling-GuggingVolontärdienst.e  zu  leisten;  endlich  ist  die 
Zeit  von  Juli  bis  November  1901  zum  Besuche  und  zu  Studien  in  mehreren 
näher  bezeichneten  in-  und  ausländischen  Irrenanstalten  zu  verwenden.  Ueber 
den  Besuch  der  Irrenanstalten  und  der  Kliniken  hat  sich  der  Stipendist 
durch  Verwendungs-,  beziehungsweise  Colloquienzeugnisse  auszuweisen. 
Gesuche  sind  bis  18.  August  1900  an  den  Bukowinaer  Landesausschuss  zu 
richten. 


Nr  33 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


759 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  u.  k.  Militärärzte  der  Garnison 
Wien.  Sitzung-  vom  24.  und  31.  März  1900. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.  -9.  August  1900.) 
(Fortsetzung.) 


Wissenschaftlicher  Verein  der  k.  und  k.  Militärärzte  der 

Garnison  Wien. 

Sitzung  am  24.  März  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Prof.  Dr.  Kratschmer. 

Regimentsarzt  Dr.  Wiek  hält  einen  Vortrag:  Ueber  die 
klimatischen  Einflüsse  auf  Morbidität  und  Mortali¬ 
tät  unter  der  Truppe.  (Derselbe  erscheint  an  anderer  Stelle 
ausführlich.) 

* 

Sitzung  am  31.  März  1900. 

Vorsitzender:  Generalstabsarzt  Dr.  Nagy  R.  V.  RotllkreilZ. 

Stabsarzt  Dr.  Huber  bespricht  zuerst  seine  Erfolge  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Bubonen,  sodann  in  längerer  Rede  die  Erkrankungen 
der  menschlichen  Haut,  welche  durch  Fliegenlarven  verursacht  werden 
und  von  Hope  mit  dem  Namen  Myiasis  (Tse  tse)  bezeichnet  wurden. 

Sodann  stellt  Regimentsarzt  Dr.  Franz  einen  seltenen,  nicht 
auf  parasitärer  Basis  beruhenden  Fall  von  Chylurie  bei  einem 
23jälirigen  Wachsoldaten  vor.  Der  Vortragende  bespricht  auf  Grund 
der  in  der  Literatur  angeführten  Fälle  im  Allgemeinen  das  Wesen 
und  die  Ursachen  der  Chylurie  und  geht  dann  zu  dem  speciellen 
Falle  über.  Bei  diesem  wurden  in  Verbindung  mit  Doctor 
K.  R.  v.  Stejskal  und  Dr.  Erber  die  eingehendsten  Unter¬ 
suchungen  durchgeführt,  die  in  einer  gemeinschaftlichen  Arbeit  zur 
Publication  gelangen  werden. 

Hierauf  hält  Regimentsarzt  Dr.  Weil  einen  Vortrag  über 
„Stottern“. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2—9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Neurologie  und  Psychiatrie. 

V.  N  e  i  s  s  e  r  (Leubus)  :  Ueber  Irrenbehandlung. 
(Fortsetzung.) 

b)  Die  Bettbehandlung  als  therapeutisches  Ver¬ 
fahren. 

• 

1.  Die  Bettbehandlung  ist  kein  specifisches  Heilmittel  für  Psy¬ 
chosen,  ebensowenig  wie  sie  dies  für  fieberhafte  oder  andere  eon- 
sumirende  Krankheiten  ist.  Sie  ist  nur  ein  Hilfsmittel  der  Therapie, 
welche  im  Uebrigen  völlig  indivuduell  von  Fall  zu  Fall  zu  gestalten 
ist.  Dass  die  Bettbehandlung,  diese  einfachste,  nächstliegende  und 
populärste  Massnahme  jedes  Arztes,  in  ihrer  Ausdehnung  auf  Geistes¬ 
kranke  fast  wie  ein  neues  und  eigenartiges  System  wirkt,  was  sie  nicht 
ist  und  ihrer  ganzen  Natur  nach  nicht  sein  kann,  ist  nur  im  Hinblick 
auf  die  historische  Entwicklung  der  Psychiatrie  verständlich. 

2.  Die  Bettbehandlung  erfüllt  nur  eine  einzige  d  i  r  e  c  t  e  thera¬ 
peutische  Indication:  Sie  erzeugt  Gehirnruhe.  (Es  ist  Werth 
zu  legen  auf  die  physiologische  Fassung  dieses  Ausdruckes  im 
Gegensatz  zu  den  Versuchen  psychischer  Einwirkung!) 

3.  Sie  ist  also  überall  indicirt,  wo  es  gilt,  Reizsym¬ 
ptomen  entgegen  zu  wirken,  in  erster  Linie  also  bei  allen 
Erkrankungsformen  acuten  Charakters. 

4.  Dem  psychischen  Zustande  im  Einzelnen  ist  dabei  hauptsächlich 
durch  geeignete  Unterbringung  und  Gruppirung  der  Kranken  Rechnung 
zu  tragen.  (Bettbehandlung  fh  einem  der  gemeinsamen  Krankensäle, 
Bettbehandlung  im  Einzelzimmer,  mit  offener,  mit  geschlossener  Thüre, 
aber  selbstverständlich  bei  dauernder  Wartung  u.  s.  w.)  Weitgehendste 
lndividualisirung  ist  in  allen  diesen  Fragen  dringendes  Erforderniss. 

5.  Ist  einerseits,  so  lange  ein  florider  Krankheitsprocess  besteht, 
die  therapeutische  Hauptaufgabe,  physische  Ruhe,  Ruhe  für 
das  erkrankte  Organ  zu  schaffen,  so  ist  andererseits,  sobald  die 
acuten  Erscheinungen  zu  schwinden  beginnen  und  bei  fehlender  Heilungs¬ 
tendenz  die  therapeutische  Aufgabe :  Erhaltung  und  Belebung 
der  Reste  der  psychischen  Persönlichkeit  durch 
adäquate  Bethätigung. 


Die  Schwierigkeit  ist,  den  richtigen  Zeitpunkt  abzupassen;  wird 
derselbe  versäumt,  so  bildet  sich  leicht  physisch  und  psychisch  un¬ 
günstig  wirkende  Bettsucht  heraus,  welche  schwer  zu  bekämpfen  ist. 

Nicht  selten  empfiehlt  es  sich,  noch  während  des  acuten  Stadiums 
Bettbehandlung,  Arbeit  und  Bewegung  in  frischer  Luft  zu  combiniren, 
was  in  verschiedener  Weise  geschehen  kann.  („Bettbeschäftigung“, 
Systeme  mixte  [T  o  u  1  o  u  s  ej). 

Namentlich  bei  den  Psychosenformen  des  Jugendalters  darf  die 
Bettbehandlung  nicht  zu  lange  ausgedehnt  werden. 

c)  Modificationen  in  der  Organisation  der  Anstalten 
durch  die  Bettbehandlung. 

1.  Die  Bettbehandlung  lässt  sich  ohne  irgend  erhebliche  bauliche 
Modificationen  auch  in  alten  Anstalten  durchführen.  (Demonstration  der 
Pläne  von  Leubus.) 

2.  Gesonderte  Zellenabtheilungen  müssen  endgiltig  verschwinden 
(ausser  in  Verbrecherasylen). 

3.  Möglichst  viele  und  in  der  Anlage  im  Einzelnen  variirte,  nicht 
grosse  Abtheilungen  sind  für  Bettbehandlung  wünschenswerth.  Bei 
Durchschnittsverhältnissen  mittelgrosser  gemischter  Heil-  und  Pflege¬ 
anstalten  dürften  für  je  100  Kranke  etwa  zwei  bis  drei  solcher  Ab¬ 
theilungen  zu  etwa  20  Kranken  erforderlich  sein.  Jede  dieser  Ab¬ 
theilungen  möge  aus  drei  bis  vier  freundlich  eingerichteten,  verschieden 
grossen  Räumen  für  gemeinschaftlich  Bettlägerige,  einen  gemeinschaft¬ 
lichen  Aufenthaltsraum  und  ein  bis  zwei  Einzelzimmern  bestehen.  Die 
Räume  sollen  so  angeordnet  sein,  dass  eine  genügende  Aufsicht  durch 
wenige  Wartepersonen  (mindestens  müssen  aber  jederzeit  zwei  für  jede 
Abtheilung  anwesend  sein)  geleistet  werden  kann. 

4.  In  jeder  Abtheilung  ist  für  möglichst  reichliche  Badegelegen¬ 
heit  Sorge  zu  tragen. 

5.  Mehr  als  100  bis  höchstens  200  Kranke  sollten  auf  den  ein¬ 
zelnen  Arzt  —  auch  bei  mässigem  Wechsel  des  Bestandes  —  nicht 
gerechnet  werden.  Andernfalls  ist  die  Bettbehandlung  schwer  durch¬ 
führbar  —  aber  auch  überhaupt  jede  Art  ärztlicher  Behandlung! 

6.  Eine  Vermehrung  des  Wartepersonals  wird  durch  die 
Bettbehandlung  nur  insofern  bedingt,  als  kürzere  Dienstzeit  und  somit 
reichlichere  Ablösung  geboten  ist.  Es  ist  klar,  dass  wirkliche  Kranken¬ 
pflege  anstrengender  ist  als  die  Beaufsichtigung  von  in  Zellen  ein¬ 
gesperrten  oder  gar  gefesselten  Menschen. 

7.  Das  Wartepersonal  muss  unbedingt  dem  Arzte  unterstellt  sein 
und  durch  ihn  seine  Unterweisung  empfangen. 

8.  Bei  Einführung  der  Bettbehandlung  wird  durch  Wegfall  ge¬ 
sonderter  Sehlafräume  für  eine  Anzahl  von  Kranken  Platz  gespart. 

9.  Nach  den  in  der  Anstalt  Leubus  gemachten  Zusammenstellungen 
bedingt  die  Bettbehandlung  auch  in  wirthschaftlicher  Hinsicht  (Be¬ 
kleidungstitel  !)  eine  nicht  unerhebliche  Ersparnis s. 

VI.  Krafft-Ebing  (Wien) :  Ueber  sexuelle  Perver¬ 
sionen,  welche,  in  Gestalt  von  Zwangsvorstellungen 
und  Zwangshandlungen  sich  äussernd,  gerichtlich- 
medicinisch  von  Bedeutung  sind. 

Zwangsvorstellungen  und  Zwangshandlungen,  gleichwie  Per¬ 
versionen  der  Vita  sexualis  finden  sich  ausschliesslich  auf  dem  Boden 
psychischer  Entartung,  und  zwar  fast  nur  der  hereditär  vermittelten. 

Sie  lassen  sich  als  Stigmata  dieser  bezeichnen. 

Die  Häufigkeit  von  Zwangsvorstellungen  mit  sexualem  Inhalt 
bei  Degeuerirten  erklärt  sieb  aus  der  Häufigkeit  sexualer  Hyperästhesie 
bei  solchen  und  daraus  entstehenden  emotiven  Zuständen,  bis  zu 
lebhaften  Sexualaffecten. 

In  Uebereinstimmung  mit  der  Schule  von  St.  Anne  bezeichne 
ich  als  Zwangsvorstellnug  „eine  Thätigkeitsäusserung  des  Gehirns,  bei 
welcher  ein  Wort,  eine  Idee,  ein  Bild  sich  dem  Bewusstsein  aufdrängt 
und  von  einer  peinlichen  Angst  begleitet  ist,  welche  diese  Idee  (oft) 
unwiderstehlich  macht.“  (Magna  n). 

Unter  Zwangshandlung  verstehe  ich  „jeden  innerhalb  der  Sphäre 
des  Bewusstsein  vollzogenen  Act,  den  zu  verhindern  der  Wille  ohn¬ 
mächtig  war.“  (Legrain.)  Zu  den  Begriffen  der  Zwangsvorstellung 
und  der  Zwangshandlung  gehören  die  Merkmale  des  Vollbewusstseins, 
des  Ankämpfens  gegen  die  nöthigende  Idee,  der  ängstlicher  ver¬ 
zweifelnden  Gemüthslage  in  der  Erkenntniss  des  Versagens  gegnerischer 
Kräfte  (Associationsenergie,  Wille)  gegen  die  zur  Ausführung  drängende 


760 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  33 


Idee,  von  welcher  psychischen  Zwangs-  und  Xothlage  nur  die  Kealisirung 
der  betreffenden  Idee  erlösen  kann. 

Abzutrennen  vom  Gebiet  der  Zwangsvorstellungen  sind  dem¬ 
gemäss  : 

1.  Die  sexuellen  Acte,  begangen  von  Defectmenschen,  bei 
welchen  der  Antrieb  auf  Grund  ihrer  intellectuellen  und  ethischen 
Insufficient,  ohne  Gemüthsaffect,  ohne  Widerstreit  ethischer  Gefühle 
und  Vorstellungen,  somit  ohne  Kampf,  sofort  Befriedigung  in  einer 
adäquaten  sexuellen  Handlung  findet. 

2.  Impulsive  sexuelle  Acte  Entarteter  mit  sexueller  Hyperästhesie, 
bei  welchen  plötzlich  und  übermächtig  sich  erhebende  Sexualaffecte, 
selbst  mit  Ausschaltung  der  Willens-  und  Bewusstseinssphäre,  ohne 
sich  zu  einer  deutlich  bewussten  Vorstellung  zu  erheben,  unmittelbar, 
psychisch  reflectorisch,  quasi  in  Form  einer  psychischen  Convulsion, 
sich  in  einen  sexuellen  Gewaltaet  (meist  Nothzucht)  umsetzen. 

3.  Die  sexuellen  Acte  in  episodischen  psychischen  Ausnahms¬ 
zuständen  bei  Alkoholismus,  Hysterie,  Epilepsie  u.  s.  w.,  auf  traum¬ 
hafter  Stufe  des  Bewusstseins,  mit  entsprechenden  Erinnerungsdefecten. 

4.  Die  Erscheinungen  der  sogenannten  conträren  Sexualempfindung, 
welche  nur  ein  Aequivalent  der  normalen  Geschlechtsempfindung  ist  und 
ebensowenig  als  diese  an  und  für  sich  als  Zwangsvorstellung  gedeutet 
werden  kann,  ausser  in  Ausnahmefällen,  in  welchen  abnorme  Intensität 
und  Dauer  des  Sexualaffeetes,  perverse  Triebrichtung  hinsichtlich  der 
Art,  des  Ortes  oder  der  Person  weitere  Complicationen  im  Sinne  der 
Perversion  und  der  Obsession  schaffen. 

Eine  wichtige  Rolle  spielt  bei  den  wirklichen  Perversionen,  bei 
sexueller  Hyperästhesie  als  emotiver  Grundlage,  die  mangelhafte 
Potentia  eoeundi.  Die  perverse  Triebrichtung  erscheint  hier  als  Aequi¬ 
valent  eines  aus  irgend  einem  Grunde  nicht  möglichen  Coitus  und  die 
Ausführung  der  Idee  als  befreiende  Handlung  von  einem  unerträglichen 
Sexualaffect. 

Hierher  gehören  in  erster  Linie  die  sadistischen  und  zum  Theil 
auch  fetischistischen  Gruppen  der  Mädchenstecher,  der  Beschädiget- 
von  Damentoiletten,  der  Frotteurs,  der  Exhibitionisten,  der  Zopf¬ 
abschneider,  der  Diebe  von  Frauenwäsche,  Schürzen,  Taschentüchern, 
Frauenschuhen  u.  s.  w.,  ferner  gewisse  Falle  von  Bestialität,  Pädo- 
philia  erotica.  Für  die  Diagnose  ist  das  vermuthliche  Bestehen  von 
Zwangsvorstellung  und  von  sexueller  Perversion  vorerst  nur  ein  Hinweis 
auf  eine  vorhandene  psychische  Degeneration.  Erst  der  Nachweis  dieser 
gibt  die  sichere  klinisch  forensische  Grundlage  für  die  Geltendmachung 
jener  als  Syndrome  dieser.  Ist  die  Entartung,  ihre  Art  und  ihr  Grad 
festgestellt,  so  mag  die  concrete  Handlung,  ihr  Hergang  und  Mechanismus 
untersucht  werden. 

Die  Perversion  als  solche,  ihre  Zurückführung  auf  tiefgreifende 
Störungen  der  Vita  sexualis  wird  wichtig  sein. 

Die  genaue  Ermittelung  des  Herganges  im  Bewusstsein  und  des 
Mechanismus  der  Handlung  wird  die  Coincidenz  mit  einer  Zwangsvor¬ 
stellung  und  die  That  als  Zwangshandlung  feststellen  lassen.  Eventuell 
können  frühere  identische  Acte  selbst  unter  identischen  Bedingungen 
(Alkoholexess,  Menstruation  u.  s.  w.)  von  grosser  Bedeutung  werden. 

Es  gibt  übrigens  seltene  Fälle,  in  welchen,  im  Uebergang  zu 
den  impulsiven,  der  Kampf  ein  sehr  kurzer  war.  Auch  kann  auf  der 
Höhe  der  Krise  die  Klarheit  des  Bewusstseins  eine  momentane  Trübung 
erfahren  haben. 

Da  die  Zwangsvorstellung  nur  ausnahmsweise  in  ein  Zwangs¬ 
handeln  übergeht,  genügt  nicht  der  Nachweis  jener  zum  Freispruch  — 
es  muss  vielmehr  der  Nachweis  der  Unwiderstehlichkeit  im  concreten 
Falle  geliefert,  beziehungsweise  es  müssen  die  Gründe  ermittelt  werden, 
welche  überhaupt  oder  gerade  diesmal,  den  Zwang  bewirkten.  Dies 
kann  der  Fall  sein  durch  ethische  und  intellectuelle  Minderwerthigkeit 
(Uebergangsfälle  zur  Gruppe  der  geistig  defecten  Sexualverbrecher), 
temporär  durch  übermässig  starken  Sexualaffect  (ex  Abstinentia, 
Menses  u.  s.  w.),  wodurch  eine  Uebereompensation  des  mit  der  Zwangs¬ 
vorstellung  verbundenen  Angstaffectes  durch  einen  Wollustaffect  möglich 
war.  Besonders  häufig  ist  die  erogen  wirkende  und  gleichzeitig  die 
sittliche  Widerstandsfähigkeit  herabsetzende  Wirkung  des  Alkohols 
anzuschuldigen. 

Bezüglich  der  Zurechnungsfähigkeit  ist  geltend  zu  machen,  dass 
bei  nachgewiesener  ZwangUiandlung  Verantwortlichkeit  dem  Thäter 
nicht  zugesprochen  werden  kann.  Will  man  seinen  Zustand  tempore 
delicti  nicht  als  Geisteskrankheit  anerkennen,  so  passt  er  jedenfalls 
unter  den  des  unwiderstehlichen  Zwanges  (Art.  04,  Frankreich;  §  52, 
Deutschland;  §  2,  lit.  g,  Oesterreich). 

Ist  der  psychische  Zwang  nicht  nachweisbar,  so  bleibt  immerhin 
geltend  zu  machen,  dass  der  Thäter  ein  Entarteter  ist,  dem  die  weitest 
gehenden  Milderungsgründe  der  Strafe  vermöge  seiner  unverschuldeten 
psychischen  Degeneration  zuzubilligen  sind. 

VII.  Ziehen  (Jena):  Die  Pubertätspsychosen. 

Auf  Grund  von  etwa  400  Fällen,  in  welchen  der  Krankheits¬ 
ausbruch  in  die  Pubertät,  das  heisst  im  Allgemeinen  in  das  13.  bis 
21.  Lebensjahr  fiel,  bin  ich  zu  folgenden  Schlüssen  gelangt: 


1.  Die  Morbiditätscurve  der  Psychosen  zeigt  in  der  Pubertät 
eines  ihrer  Maxima.  Bei  erblich  Belasteten  sind  Pubertätspsychosen  etwas 
häufiger  als  bei  Unbelasteten.  Ausser  der  erblichen  Belastung  sind 
ätiologisch  besonders  wichtig  :  Die  Chlorose,  die  geistige  und  körper¬ 
liche  Erschöpfung,  die  acuten  Infectionskrankheiten  und  sexuelle 
Excesse. 

2.  Fast  alle  Psychosen  kommen  auch  in  der  Pubertät  vor.  Die 
letztere  übt  einen  speeiellen  Einfluss  nur  insofern,  als  sie  das  Auftreten 
bestimmter  Psychosen  begünstigt  und  oft  —  nicht  immer  —  die 
Psj'chosen  bezüglich  des  Verlaufes  und  der  Symptome  in  bestimmter 
Weise  modificirt  (hebephrene  Modification).  Die  Annahme  eines  speeiellen 
Pubertätsirreseins,  welches  die  grosse  Mehrzahl  der  Pubertätspsychosen 
umfassen  sollte,  ist  nicht  haltbar.  Die  einzige  Psychose,  welche  fast 
ausschliesslich  in  der  Pubertät  vorkommt,  ist  die  Dementia  hebephrenica 
oder  Hebephrenie  K  a  h  1  b  a  u  m’s,  aber  diese  liefert  zur  grossen  Zahl 
der  Pubertätspsychosen  nur  einen  relativ  kleinen  Beitrag. 

3.  Die  Psychosen,  welche  in  der  Pubertät  besonders  häufig  auf- 
treten,  sind  ausser  der  Hebephrenie  die  Manie,  die  Melancholie,  das 
cireuläre  Irresein,  die  acute  hallucinatorische  Paranoia  (Amentia  mancher 
Autoren)  und  bestimmte  hysterische  und  epileptische  Psychosen. 

4.  Die  -wichtigsten  Modificationen,  welche  die  Pubertät  hervorruft, 
sind  folgende  :  Gesteigerte  Labilität  der  Affectstörungen,  Incongruenz 
der  mimischen  Reaction  und  der  Affectstörungen,  Incohärenz  des 
normalen  Vorstellungsablaufes  und  der  Wahnbildung,  Neigung  zu 
mimischen,  verbalen  und  so  weiter  Stereotypien,  unlogischer,  alberner, 
phantastischer  Inhalt  der  Wahnstellungen  und  Tendenz  zu  circulärem 
Verlauf  einerseits  und  zu  progressiver  Demenz  andererseits.  Alle  diese 
Modificationen  sind  bei  einigen  Pubertätspsychosen  häufiger  als  bei 
anderen. 

5.  Die  Prognose  ist  im  Allgemeinen  ernster,  und  zwar  namentlich 
in  Anbetracht  der  letzterwähnten  Modificationen. 

6.  Die  Behandlung  deckt  sich  im  Wesentlichen  mit  derjenigen 
der  Psychosen  des  erwachsenen  Alters.  Nur  ist  eine  vollständige  Bett¬ 
ruhe  - —  abgesehen  von  Fällen  schwerer  Erschöpfung  —  nicht  räthlich. 
Von  grosser  Bedeutung  ist  in  den  meisten  Fällen  eine  regelmässige, 
stundenplanmässig  geregelte  körperliche  und  geistige  Beschäftigung. 

Die  Anwendung  narkotischer  Mittel  ist  möglichst  einzuschränken. 
Das  Zusammensein  mit  erwachsenen  Geisteskranken  ist  nur  mit  grosser 
Vorsicht  und  Auswahl  zulässig. 

VIII.  Prof.  Marro  (Turin):  Psychosen  der  Mannbar¬ 
keit.  (Ref.  Dr.  Sp.) 

In  der  Pubertätsperiode  haben  wir  bei  beiden  Geschlechtern 
ein  ganz  besonderes  Zusammentreffen  von  Verhältnissen,  welche  man 
sonst  in  keiner  anderen  Lebensperiode  vorfindet.  Verzeichnen  wir 
körperlich  das  ausnahmsweise  rapide  Wachsthum  der  Gestalt, 
welches  die  Entwicklung  der  vorher  fast  atrophischen  essentiellen 
Zeugungsorgane  begleitet;  das  Erscheinen  der  secundären  sexuellen 
Charaktere,  Veränderungen  in  den  Dimensionen  des  Stimmorganes,  die 
Entwicklung  der  Sehamhaare  und  beim  Manne  des  Muskelsystems  und 
Bartes;  Abrundung  der  Formen  durch  Fettansatz  mit  Entwicklung  der 
Brüste  beim  Weibe; 

von  biologischen  Bedingungen  die  sich  entwickelnde 
Zeugungsfähigkeit,  durch  specifische  Zeichen  markirt;  bei  dem  Weibe 
von  Erscheinen  der  Menstruation,  von  Hemmung  der  mit  der  Respi¬ 
ration  ausgeschiedenen  Kohlensäure  und  des  mit  der  Ilarnsecretion 
eliminirten  Harnstoffes  begleitet;  bei  dem  jungen  Manne  mit  Steigerung 
der  Lebenskraft; 

von  Seite  des  Nervensystems  bei  beiden  Geschlechtern  das  Auf¬ 
treten  von  Erregungswellen  im  Gehirne,  welche  von  den  Zeugungs¬ 
organen  mit  wachsender  Excitation,  der  Entwicklung  instinctiver  Impulse 
und  neuer  Affecte  ihren  Ursprung  nehmen. 

Die  unmittelbare  Consequenz  dieses  Standes  der  Dinge  ist  eine 
Umwandlung,  indem  Eiweiss  und  Salze,  welche  zur  allgemeinen  Ent¬ 
wicklung  verwendet  werden,  aus  der  Circulation  rasch  verschwinden, 
mit  gesteigerter  Arbeit  der  Organe,  welche  jene  bereiten  und  ver¬ 
theilen  müssen  und  mit  temporärer  Verminderung  der  lebendigen  Wider¬ 
standskraft,  die  sich  im  Allgemeinbefinden  als  grössere  Morbiditäts¬ 
neigung  kundgibt;  ferner  eine  Umwandlung  in  dem  psychischen  Ver¬ 
halten,  Störungen  im  Benehmen  und  moralischen  Leben  der  jungen 
Leute,  die  umso  schwerer  sind,  wenn  eine  vorhergehende  Schwäche 
in  Folge  hereditärer  Krankheitsanlage  oder  auch  erworbene  Krank¬ 
heiten  den  Organismus  weniger  widerstandsfähig  gestalten. 

Die  Wirkungen  der  sexuellen  Impulse,  welche  in  dieser  Epoche 
erwachen,  und  der  Nichtbestand  inhibirender  Kräfte  sind  folgerichtig 
mehr  gefährlich,  können  sich  verbinden,  um  die  Gefahren  und  die 
Wirkungen  anderer  prädisponirender  Ursachen  zu  steigern  und  an  und 
für  sich  Bedingungen  zu  schaffen,  welche  auf  das  künftige  Leben  des 
Individuums  von  Einfluss  sind. 

So  kommt  es,  dass  angeborene  krankhafte  Zustände  in  diesem 
Zeiträume  eine  Intensität  und  Schwere  erlangen,  die  sie  früher  nicht 
besessen;  dass  sich  der  Ausblick  auf  Psychosen  eröffnet,  welche  den 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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früheren  Altersstufen  gänzlich  oder  fast  ganz  erspart  blieben,  und 
dass  wir  unter  den  Psychosen  dieses  Alters  solche  mit  specifischen 
Charakteren  gewahren,  welche  das  Ensemble  der  Zustände  dieser 
Epoche  an  sich  tragen,  sei  es  nun  in  Bezug  auf  Aetiologie,  oder  be¬ 
sondere  krankhafte  Zeichen,  welche  sie  darbieten ;  und  so  kommt  es, 
dass  von  diesem  Alter  viele  Dispositionen,  welche  auf  das  ganze  übrige 
Leben  des  Individuums  von  Einfluss  sind,  ihren  Ursprung  nehmen; 
und  dass  uns  die  rationellsten  Indicationen  der  Prophylaxe  und  der 
Behandlung  der  psychischen  Krankheiten  der  Pubertätsperiode  daraus 
erwachsen. 

Uusere  Studien  und  Beobachtungen  führten  zu  folgenden  Schluss¬ 
folgerungen  : 

1.  Die  Pubertät  hat  einen  bemerkenswerthen  Einfluss  auf  das 
psychische  Leben,  welcher  sich  darin  kundgibt,  dass  präexistirende 
Deukstörungen  Eigenschaften  annehmen,  welche  dieselben  früher  nicht 
besassen,  oder  die  im  minderen  Grade  voihanden  waren,  oder  dass 
sich  der  Ausblick  auf  Invasion  von  Psychosen  eröffnet. 

2.  Unter  den  Psychosen,  von  welchen  in  der  Pubertät  junge 
Männer  und  Mädchen  befallen  werden,  gibt  es  eine  ganz  eigen tlnim- 
liche,  die  Hebephrenie  von  Heike  r,  die  man  als  specifisch  be¬ 
trachten  kann,  und  deren  Besonderheit  in  dem  Zusammentreffen  ver¬ 
schiedener  Charaktere  liegt,  welche  sie  wohl  mit  anderen  Psychosen 
theilt,  die  aber  nur  bei  derselben  allein  sich  vereinigt  befinden. 

3.  Die  krankhaften  Zeichen  dieser  ganz  eigenthümlichen  Psychose 
—  Hebephrenie  —  und  die  bei  Nekroskopien  constatirten 
Störungen  beweisen,  dass  die  Gehirnrinde  uud  die  Meningen  der  Sitz 
eines  pathologisch-anatomischen  Processes  sind.  Die  Invasionssympfome 
scheinen  den  Beweis  zu  liefern,  dass  man  mit  einer  gewissen  Wahr¬ 
scheinlichkeit  die  Quelle  der  Erkrankung  von  einer  durch  gastrische 
Störungen  erzeugten  Autointoxication  ableiten  kann. 

4.  Von  der  Pubertätsepoche  und  dem  vorzeitigen  abnormen  Ge¬ 
brauche  der  Zeugungsthätigkeit  entspringen  andere  Krankheitserschei¬ 
nungen,  deren  Einfluss  dem  Charakter  des  Individuums  ein  besonderes, 
bleibendes  Gepräge  verleiht,  wenn  auch  das  Alter  und  günstige  Lebens¬ 
bedingungen  dessen  Evidenz  verwischen  können. 

5.  Die  Prophylaxe  der  Geistesstörungen  erfordert,  dass  man  die 
grösste  Aufmerksamkeit  der  Verhütung  aller  schwächenden  Einflüsse 
widme,  welche  die  Entwicklung  der  physischen  und  geistigen  Organi¬ 
sation  in  dieser  so  wichtigen  Lebensf  poche  zu  stören  im  Stande  sind; 
hieher  gehören  übermässige  körperliche  und  geistige  Ueberanstrengungen 
und  vor  Allem  der  vorzeitige  und  abnorme  Gebrauch  der  sexuellen 
Thätigkeit. 

IX.  Jules  V  o  i  s  i  n  (Paris):  Psychosen  der  Mann¬ 
barkeit.  (Ref.  Dr.  Sp.) 

Alle  Autoren  haben  die  Pubertät  als  eine  wichtige  Ursache  des 
Irrsinns  bezeichnet.  P  i  n  e  1,  E  s  q  u  i  r  o  1,  Marc,  Spurzheim 
haben  ganz  besonders  die  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Gegenstand 
gelenkt;  aber  nach  diesen  Autoren  bilden  die  Pubertätspsychosen  keine 
krankhafte  Wesenheit  für  sich. 

Kahlbaum  (1863)  und  sein  Schüler  Hecker  (1871)  be¬ 
schrieben  als  Erste  unter  dem  Namen  Hebephrenie  oder  Irresein  der 
Jugend  eine  essentielle  Affection  mit  eigenem  Bestände  und  Verlaufe, 
sie  reihten  dieselbe  in  die  Kategorie  der  Paraphrenien,  nämlich  der 
an  eine  Phase  der  physiologischen  Entwicklung  gebundenen 
Psychosen. 

Bald  erkannten  diese  Autoren,  dass  die  Hebephrenie  zwrei  ver¬ 
schiedene  Modalitäten  darbiete •.  eine  schwere  Form,  für  welche  sie  den 
Namen  Hebephrenie  beibehielten,  und  welche  in  einen  Zustand  tiefer 
Dementia  abläuft;  ferner  eine  leichte  Form,  die  sie  Heboid  oder 
Heboidophrenie  benannten,  die  mit  einem  Hemmnisse  der  intelec- 
tuellen  Entwicklung,  welches  dem  Schwachsinne  nahesteht,  ihr  Ende 
findet. 

Sowohl  in  Frankreich,  wie  im  Auslande  erschienen  hierüber 
zahlreiche  Arbeiten.  Während  Kahlbaum  die  Hebephrenie  als  von 
hereditärer  Belastung  unabhängig  betrachtete,  haben  Krafft-Ebing, 
Sterz,  Fink,  Kowalewsky,  Thomas  Clonston,  M  a  i  c  h- 
1  i  n  e,  Serbsky,  Morel,  Magnan,  Legrand  du  Saulle, 
F  a  i  r  e  t,  Regis,  J  o  f  f  r  o  y  und  Andere  die  Krankheit  entweder 
als  Folgezustand  belasteter  Heredität  oder  als  Ausgang  acuter 
Psychosen  in  der  Kindheit  angesehen. 

Fast  alle  diese  Autoren  constatirten,  dass  die  Mehrzahl  der 
während  der  Pubertät  und  besonders  in  deren  Beginne  entstandenen 
Psychosen  ohne  Spuren  verheilten,  und  dass  unter  den  dementieilen 
Psychosen  es  eine  Dementia  gab,  die  in  jedem  Punkte  der  allgemeinen 
progressiven  Paralyse  der  Erwachsenen  glich.  Man  musste  daher  ver¬ 
schiedene  Arten  der  Pubertätspsychosen  und  nicht  blos  eine  einzige 
zugeben.  Die  Pubertät  ist  nicht  die  einzige  Ursache.  Ob  man  nun  die 
Theorie  der  cerebralen  Reflexerregung  oder  die  Theorie  der  Drüsen¬ 
absonderung  anrief,  sicher  ist,  dass  andere  Elemente  mitwirken.  Was 
ist  die  Pubertät?  Welches  sind  die  Grenzen  der  Pubertätsperiode? 
Untersuchen  wir,  ob  sie  nicht  aus  anderen  Elementen  gebildet  ist,  wie 


die  Sexualität?  Die  Pubertät  ist  nicht  blos  durch  die  geschlechtliche 
Reife,  sondern  auch  durch  die  Entwicklung  des  Körpers  (Wachsthum), 
die  Entwicklung  der  Intelligenz  und  durch  das  Erscheinen  neuer  mit 
der  geschlechtlichen  Reife  in  Verbindung  stehender  Empfindungen  ge¬ 
kennzeichnet. 

Die  Pubertätsperiode,  die  sich  von  12  — 14  Jahren,  je  nach 
Geschlecht,  Race  und  Klima,  bis  zum  22.  Jahre  ausdehnt,  ist  mit 
verschiedenen  physiologischen  Zuständen  ausgefüllt,  welche  in  ihrer 
Entwicklung  gehemmt,  gestört  oder  verkehrt  (pervers)  sein  können 
durch  eine  unendliche  Reihe  physischer  oder  pathologischer  Zustände. 
Diese  Ursachen  haben  einen  umso  stärkeren  Einfluss,  sobald  sie  auf 
ein  prädisponirtes  Individuum  einwiiken.  Schmerzhafte  Menstruationen, 
welche  das  Nervensystem  erschüttern,  abundante  Menstruationen, 
welche  die  Oekonomie  unterdrücken,  ein  zu  schnelles  Wachsthum, 
mangelhafte  oder  ungenügende  Nahrung,  übermässige  physische  oder 
geistige  Arbeit,  eine  Infectionskrankheit,  moralische  oder  physische 
Traumen  —  spielen  die  Hauptrolle,  indem  dieselben  die  über¬ 
wiegende  Zahl  der  Fälle  umfassen.  Dies  bekunden  viele  Autoren 
(B  i  n  s  w  a  n  g  e  r,  Christian,  Wille  und  Andere).  Die  schweren 
Zustände,  die  Wahnsinnszustände  scheinen  viel  eher  durch  die  ge¬ 
nannten  Ursachen,  als  durch  die  sexuelle  Entwicklung  bedingt 
zu  sein. 

Marro  macht  überdies  auf  den  Unterschied  der  Schwere 
zwischen  den  Psychosen  im  Beginne  der  sich  einstellenden  Menstruation 
und  jenen  am  Ende  der  Pubertät  aufmerksam.  Diese  Markirung  ist 
sehr  begründet. 

Das  Erscheinen  der  Regeln  bei  der  Mehrzahl  der  jungen 
Mädchen  bleibt  unbemerkt,  ohne  irgend  eine  Geistesverwirrung 
hervorzurufen.  Tritt  eine  solche  ein,  so  ist  sie  zumeist  von  kurzer 
Dauer  und  zeigt  sich  blos  bei  hereditär  belasteten  Individuen.  Das 
Terrain  muss  eben  für  den  Ausbruch  der  Psychose  vorbereitet  sein. 
Diese  Terrainfrage  werden  wir  für  alle  schwächenden  Ursachen,  die 
wir  bereits  angeführt  haben,  wiedei  finden ;  sie  wirken  eben  nur  bei 
prädisponirten  Individuen.  Alle  Personen,  die  physisch  oder  intellectuell 
einen  Ueberschuss  haben,  deliriren  nicht. 

Somit  ist  also  das  unentbehrliche  Element  zum  Ausbruche  dieser 
Psychosen  —  die  Heredität;  die  Pubertät,  alle  schwächenden  Ur¬ 
sachen  oder  Krankheiten  dieser  Epoche,  sind  nur  begünstigende, 
gelegenheitliche  Momente. 

Das  Ensemble  der  Symptome  der  Pubertätspsychosen  ist  noch 
ein  Beweis  der  wichtigen  Rolle  der  Heredität  bei  diesen  Aftectionen; 
wechselnde  Erregung  und  Depression,  Periodicität  der  Symptome, 
impulsive  Anfälle.  Diese  Störungen  sind  sehr  verschieden,  sie  haben 
manchmal  die  Form  einer  reinen  Psychose,  manchmal  eines  Rück¬ 
schrittes  im  Denken,  manchmal  einer  geistigen  Degeneration  oder 
die  Form  einer  Neuropsychose  oder  eines  toxischen  Deliriums.  Diese 
Classification  haben  wir  für  den  Schlussbericht  adoptirt,  um  die  Be¬ 
schreibung  dieser  Geistesstörungen  zu  erleichtern.  Wir  haben  jede 
dieser  Varietäten  beschrieben  und  beenden  unsere  Arbeit  mit  einigen 
Bemerkungen  über  gerichtliche  Medicin  und  über  die  Behandlung. 

Hiemit  geben  wir  den  Plan  dieser  Eintheilung  und  die  Schlüsse, 
zu  denen  wir  gelangt  sind. 

Classification. 

I.  Reine  Psychosen  der  Pubertät: 

Einfache,  passive  Melancholie. 

Melancholie  mit  Excitation,  activ. 

Melancholie  mit  Stupor,  Katatonie. 

Einfache,  typische  Form  der  Manie,  selten  in  der  Adolescenz. 

Reizbare  Manie. 

Einfache,  choreaartige  und  hallucinatorische  Manie. 

Katatonische  Form  der  Manie. 

Gedankenconfusion. 

Hallucinatorische  Narrheit. 

II.  Regressive  Zustände: 

Wahnsinn  der  Pubertät:  Hebephrenie,  acuter  oder  primitiver 
Wahnsinn,  acuter  Stupor. 

Vorzeitiger  einfacher  Wahnsinn. 

Allgemeine  progressive  Paralyse. 

Epileptischer  spasmodischer  Wahnsinn  (siehe  Epilepsie). 

III.  Geistige  Degeneration: 

Paranoia. 

Periodisches  Irresein,  intermittirend. 

Periodisches  Irresein,  circular. 

Angstgefühle,  Besessenheit,  Irresein  des  Zw'eifels  und  der  Be¬ 
rührung. 

Kleptomanie,  Dipsomanie. 

Geschlechtliche  Verirrungen. 

Impulse,  Selbstmord,  Menschenmord. 

Moralisches  Irresein. 

Delirium  der  Degenerirten. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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IV.  Corabinirte  Psychosen.  Neuropsychosen. 

Neurasthenie,  Hypochondrie,  Hysterie,  Chorea. 

Chronische  Epilepsie.  Spasmodischer  Wahnsinn. 

Acute  Epilepsie.  Psychose. 

V.  Psychosen  durch  Intoxication. 

Infectionen.  Autointoxication. 

Alkoholische  Intoxication. 

Schlussfolgerungen. 

1.  Unter  Psychosen  der  Pubertät  muss  man  die  Geistes¬ 
störungen  begreifen,  die  sich  in  der  Pubertätsperiode,  also  zwischen 
14  und  22  Jahren,  entwickeln.  Diese  Periode  ist  durch  die  Geschlechts¬ 
reife,  die  physische  und  geistige  Entwicklung  des  Individuums  gekenn¬ 
zeichnet. 

2.  In  dieser  Epoche  können  sich  alle  Arten  der  Psychosen 
zeigen:  Hebephrenie  als  Krankheitswesen  existirt  nicht  (?).  Die  im 
Beginne  der  Pubertätsentwicklung  sich  zeigenden  Psychosen  sind 
weniger  schwer,  als  jene  im  Verlaufe  und  am  Ende.  Erstere  könnte 
man  als  Pubertäts  ,  die  anderen  als  Psychosen  der  Adolescenz 
bezeichnen. 

3.  Die  hereditäre  Veranlagung  ist  die  Hauptursache  dieser 
Affectionen;  diese  Verbindung  der  unvollständigen  geistigen  Ent¬ 
wicklung  des  Individuums  mit  der  Vererbung  gibt  der  Krankheit  das 
hebephrenische  Gepräge. 

4.  Die  reinen  Psychosen  oder  noch  mehr  jene,  die  sich  den 
reinen  Formen  annähren,  geben  atypische  Bilder,  Mischformen,  die  in 
mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  zur  Heilung  kommen. 

5.  Die  Melancholie  erscheint  zumeist  unter  dem  schweren 
Bilde  des  Stupor,  gepaart  mit  impulsiven  Acten,  Besessenheit  und 
imperativen  Hallucinationen,  die  gegen  das  Leben  des  Kranken  und 
seine  Umgebung  gerichtet  sind.  Sehr  häufig  signalisirt  man  zur  selben 
Zeit  Mysticismus  und  Onanie. 

G.  Die  Manie  erscheint  selten  unter  milder  Form,  sie  nimmt 
zumeist  den  Charakter  der  schwersten  Krankheit  an  und  zeigt  ebenso 
häufig  impulsive  Anfälle. 

7.  Der  vorzeitige  Wahnsinn  (Hebephrenie),  von  Kahlbaum 
und  Hecker  beschrieben,  erscheint  unter  zwei  Formen,  einer 
schweren  und  leichten.  Die  schwere  Form  kann  Symptome  des  Stupor, 
der  Dementia,  der  Katatonie,  der  Gedankenverwirrung  darbieten.  Dies 
erschwert  die  Diagnose.  Die  leichte  Form  oder  der  vorzeitige  einfache 
Wahnsinn  (Stigma  geistiger  Degeneration,  Morel)  muss  von  der  all¬ 
gemeinen  progressiven  Paralyse  und  dem  spasmodischen  epileptischen 
Wahnsinn  unterschieden  werden. 

8.  Die  geistige  Verwirrung  stellt  ein  traumaartiges  Delirium 
vor,  welches  mit  dem  alkoholischen  Delirium  viele  Analogien  hat. 
Dieses  Traumdelirium  ist  charakteristisch  für  die  Psychosen  der  Auto¬ 
intoxication,  und  es  ist  beinahe  sicher,  dass  die  Ernährungsstörungen 
der  Adolescenz  die  Ursachen  dieses  Deliriums  sind. 

Heilung  erfolgt  in  der  Hälfte  der  Fälle;  sie  kündigt  sich  im 
Allgemeinen  durch  Krisen,  Schweisse,  Diarrhöen,  Salivation,  Abscesse, 
Menstruationen  u.  s.  w.  an,  und  man  constatirt  fast  immer  eine 
retro-anterograde  Amnesie,  wie  in  allen  Fällen  polyneuritischer 
Psychosen. 

9.  Die  jugendliche  allgemeine  progressive  Analyse  unterscheidet 
sich  von  jener  der  Erwachsenen  durch  die  Abwesenheit  von  Grössen¬ 
wahnsinn  und  durch  den  mehr  langsamen  Verlauf.  Eine  grosse  Zahl 
von  Schriftstellern  nehmen  hereditäre  Syphilis  als  ätiologisches 
Moment  an. 

10.  Die  degenerativen  Psychosen  und  die  Neurojjsychosen  sind 
am  häufigsten;  sie  erscheinen  im  Allgemeinen  im  reifen  Alter 
wieder. 

11.  Die  gerichtliche  Medicin  der  Psychosen  der  Pubertät  ist 
den  gewöhnlichen  Gesetzen  der  legalen  Medicin  der  Geisteskranken 
unterworfen;  aber  die  Fälle  bezüglich  der  rechtlichen  Befähigung 
(Capacite  civile)  sind  ausgeschlossen,  weil  das  französische  Gesetz  die 
rechtliche  Befähigung  vor  dem  21.  Lebensjahre  nicht  aner¬ 
kennt.  Dieselben  sind  bloä  vom  Standpunkte  der  strafrechtlichen 
Verantwortlichkeit  zu  betrachten,  welche  mit  dem  IG.  Lebensjahre 
fixirt  ist. 

* 

Abtheilung  für  Chirurgie  der  Harnwege. 
(Referent:  Dr.  Sp.) 

I.  Fenger:  Ueber  conservative  Operationen, 
Nierenverhaltungen. 

Die  remittirende  oder  beginnende  Verhaltung  (und  in  der  Regel 
ist  jede  Verhaltung  in  ihren  Anfängen  intermittirend)  ist  ein  Zustand, 
bei  welchem  immer  an  die  Möglichkeit  gedacht  werden  muss,  das 
Nierengewebe  durch  Wiederherstellung  des  freien  Durchganges  des 
Harnes  zu  erhalten. 


Der  Sitz  der  Obstruction  kann  in  den  Kelchen,  in  einer  der 
Branchen  des  Harnleiters,  im  Grunde  des  Beckens,  oder  am  Ursprünge 
des  Harnleiters,  oder  im  Harnleiter  selbst  gelegen  sein.  Wenn  das 
Hinderniss  in  einem  oder  anderen  der  zwei  ersten  Punkte  gelegen  ist, 
entsteht  eine  locale  oder  partielle  Cystonephrose,  welche  die  Niereu¬ 
spaltung  nothwendig  macht. 

Die  Stenose  an  der  Beckenmündung  des  Harnleiters  (valvuläre 
Formation,  schiefe  Einpflanzung,  aus  der  einseitigen  Dilatation  resul- 
tirend)  erfordert  verschiedenartige  Operationen,  je  nach  der  Abwesen¬ 
heit  oder  dem  Bestände  der  Verengerung  am  oberen  Theile  des  Harn¬ 
leiters.  Wenn  daselbst  keine  Verengerung  besteht,  so  kann  der  Klappen¬ 
bildung  durch  eine  Operation  jenseits  oder  ausserhalb  des  Beckens 
Einhalt  gethan  werden. 

Wenn  die  Verengerung  des  Harnleiters  am  Beckenausgange 
gelegen  ist,  wie  man  dies  bei  Infectionen  erwarten  kann,  so  wäre  eine 
plastische  Operation  ausserhalb  des  Beckens  oder  die  Resection  des 
verengten  Theiles  des  Harnleiters  mit  der  Einpflanzung  des  oberen 
resecirten  Theiles  in  das  Becken  vorzunehmen. 

Die  Stenose  oder  das  Hinderniss  im  Harnleiter  ist  nach  den 
chirurgischen  Regeln  der  Resection  und  Reimplantation,  oder  nach 
meiner  plastischen  Methode  zu  behandeln. 

Sind  die  Resultate  dieser  conservativen  Operationen  bleibend, 
oder  gibt  es  mitunter  Rückfälle? 

Bei  fünf  von  mir  Operirten  traten  letztere  nicht  ein. 

1.  Klappenbildung  (Formation  valvulaire),  Operation  jenseits  des 
Beckens  (transpelvienne),  kein  Rückfall  in  sechs  Jahren. 

2.  Verengerung  des  oberen  Theiles  des  Harnleiters,  Operation 
ausserhalb  des  Beckens  (extrapelvienne),  keine  Recidive  in  sechs 
Jahren. 

3.  Klappenbildung  in  der  unteren  Branche  des  Harnleiters, 
Operation  ausserhalb  des  Beckens,  Zweitheilung  der  Niere,  Trennung 
der  Klappe  und  der  hemmenden  Zwischenwände.  Kein  Rückfall  in 
drei  Jahien. 

4.  Excision  einer  Klappe  des  Harnleiters  mittelst  meiner  plasti¬ 
schen  Operation,  kein  Rückfall  in  drei  Jahren. 

5.  Stein  im  oberen  Theile  des  Ureters,  von  mir  extrahirt.  Ein 
Jahr  darauf  plastische  Operation  durch  einen  anderen  Chirurgen.  Sechs 
Monate  später  completer  Verschluss  des  Harnleiters  am  Orte  der 
zweiten  Operation.  Plastische  Operation.  Kein  Rückfall  in  einem  Jahre. 

Recidive  in  zwei  Fällen: 

1.  Klajapenbildung  ohne  Verengerung,  Operation  innerhalb  des 
Beckens,  Recidive  der  Stenose,  Occlusion  der  Beckenmündung,  nach 
einem  Jahre  Nephrektomie. 

2.  Kranker,  von  einem  Anderen,  dann  von  mir  operirt,  unvoll¬ 
kommene  resultatlose  Operation,  zum  Schlüsse  Nephrektomie. 

II.  B  a  z  y  (Paris) :  Ueber  conservative  Operationen 
bei  Nierenverhaltungen. 

Man  spricht  von  einer  Nierenverhaltung,  wenn  der  Urin  in 
Folge  eines  Hindernisses  beim  Abflüsse  constant  im  Becken  und  in 
den  Kelchen  verweilt. 

Das  Ilinderniss  sitzt  im  Harnleiter  von  seinem  Ursprünge  im 
Becken  bis  zum  Ende,  beziehungsweise  in  der  Blase  oder  Harnröhre. 
Die  Hindernisse  im  Ureter  können  im  Ursprünge,  am  Ende  und  im 
Verlaufe  desselben  gelegen  sein.  Dieselben  sind  durch  Verengerungen, 
Verschlüsse,  abnorme  Insertionen,  oder  durch  Steine  bedingt. 

1.  Die  Verschlüsse  befinden  sich  im  Allgemeinen  fast  ausschliess¬ 
lich  im  oberen  Theile  des  Ureters.  Ihr  Studium  hängt  mit  jenem  der 
beweglichen  Niere  und  den  abnormen  Insertionen  am  Becken  zusammen. 

2.  Steine  können  in  allen  Theilen  des  Harnleiters  den  Sitz 
haben,  aber  man  sieht  sie  zumeist  am  oberen  und  unteren  Ende. 

3.  Verengerungen  kommen  auch  in  allen  Theilen  vor,  aber  ihr 
Lieblingssitz  ist  entweder  am  oberen  oder  unteren  Ende. 

Die  Verengerung  kann  durch  eine  Läsion  der  Wände  des 
Ganges  oder  Entzündungen  der  benachbarten  Organe  entstanden  sein 
(Perimetritis,  Perinephritis  etc.)  mit  Bildung  von  Narbengewebe, 
welches  den  Gang  einklemmt  und  verengert. 

Von  Wichtigkeit  ist  die  Thatsaclie,  dass  die  Verengerung  in 
allen  Fällen  von  Ilarnleiter-Vaginalfisteln  besteht. 

Die  Nierenverhaltungen  können  intermittirend,  remittirend  oder 
continuirlich  sein.  Die  zwei  ersten  Formen  gehören  den  beiden  ersten 
Kategorien  (1,  2)  an:  Verschluss,  falsche  Insertion,  bewegliche  Niere 
einerseits,  Steine  im  Becken  andererseits.  Die  continuirlichen  Verhal¬ 
tungen  sind  manchmal  durch  Steine  bedingt,  zumeist  jedoch  durch 
Verengerungen,  deren  Ursache  progressiv  und  permanent  ist;  der  Aus¬ 
gang  ist  entweder  Hydronephrose  oder  Pyonephrose. 

Die  Verhaltungen  sind  weiters  aseptisch  oder  septisch.  Die 
ersteren  sind  die  Hydronephrosen,  die  septischen  die  inficirten  Hydro- 
nephrosen  und  Pyonephrosen. 

Die  conservativen  Operationen  sind  nur  angezeigt,  wenn  die 
Niere  noch  fähig  scheint,  ihre  Dienste  zu  verrichten  und  nicht  eine 
Quelle  von  Gefahren  ist;  die  Indication  ist  mehr  präcis  bei  einfacher 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Hydronephrose,  weniger  bei  inficirter  Hydronephrose,  absolut  im  Falle 
einer  einzigen  Niere,  wie  auch  immer  deren  Zustand  sein  mag. 

Die  Behandlung  variirt  je  nach  der  besprochenen  Art.  Bei  Steinen 
muss  deren  Entfernung  durch  Nephrotomie,  Ureterotomie,  oder  durch 
einen  Blasen-IIarnleiter-  oder  Scheiden-Harnleiterschnitt  in  Beurtheilung 
gezogen  werden.  Verschmelzungen  können  spontan  heilen;  sie  können 
durch  Nephropexie  angegangen  werden. 

Bei  abnormen  Einmündungen  kommen  anaplastische  Operationen, 
Uretero-Pyelo-Neostomien  in  Erwägung;  diese  Operationen  werden 
bei  aseptischen  und  einigen  infectiösen  Hydronephrosen  primär,  bei 
anderen  infectiösen  Hydro-  und  bei  Pyonephrosen  secundär  sein. 

Die  Eingriffe  sind  verschieden,  unterscheiden  sich  aber  wenig 
untereinander. 

Die  Resection  des  Beckens  ist  unnütz,  vorbehaltlich  der  primi¬ 
tiven  Operationen. 

Die  Verengerungen  sind  ausnahmsweise  durch  Dilatation,  mehr 
noch  durch  anaplastische  Operationen:  Ureterotomien  in  der  Mitte, 
Uretero-,  Pyelo-,  Neostomie  oben,  Uretero-Cysto-Neostomie  unten 
anzugehen. 

Die  anaplastischen  Operationen  lassen  sich  auf  transperitonealem 
oder  lumbären  Wege  durch  die  Pyelo-Ureteren-Miindungen  in  den 
aseptischen  Fällen  durchführen;  bei  den  septischen  Fällen  auf  dem 
lumbären  Wege. 

Die  Harnleiter-Blasenmündungen  werden  auf  abdominalem  und 
vorzugsweise  transperitonealem  Wege  hergestellt,  mit  Medianschnitt. 
Die  Eingriffe  durch  die  Scheide  sind  zu  verwerfen. 

In  allen  Fällen  ist  die  Beseitigung  der  Verengerung  absolut 
nothwendig. 

Infection  des  Ureters  und  Nierenbeckens  ist  keine  Contraindi¬ 
cation  für  die  Operation. 

Die  Nierenabscesse  sind  eine  Contraindication  jedes  anaplasti¬ 
schen  Eingriffes. 

Die  Resultate,  welche  für  die  älteste  Operation  von  sieben  Jahren 
her  datiren,  sind  hinreichend  erprobt,  damit  alle  oben  ausgeführten 
Schlussfolgerungen  angenommen  werden  können  und  müssen. 

III.  Santo  rph  (Kopenhagen) :  Werth  der  Chirurg  i- 
schen  Eingriffe  bei  der  Tuberculose  der  Harn¬ 
blase. 

Der  chirurgische  Eingriff  bei  der  Tuberculose  der  Harnblase  ist 
von  der  Pathogenie  und  dem  directen  Ursprünge  der  Infection  ab¬ 
hängig,  er  hält  sich  an  die  Natur  und  Ausbreitung  des  anatomisch 
pathologischen  Processes  in  der  Blase.  Die  Miliartuberculose  der 
Harnblase  —  wenn  sie  in  Wirklichkeit  besteht  —  ist  nur  ein  un¬ 
wesentlicher  Theil  der  allgemeinen  Miliartuberculose;  sie  ist  dem 
chirurgischen  Eingriffe  nicht  zugänglich  und  bietet  von  diesem  Stand¬ 
punkte  kein  Interesse. 

Es  wird  hier  daher  nur  die  chronische  isolirte  Tuberculose  der 
Harnwege  in  Frage  kommen,  und  zwar  ob  sich  dieselbe  als  reine 
oder  durch  gewöhnliche  pyogene  Mikroben  complicirt  zeigt.  Die  Tuber¬ 
culose  der  Harnblase  hat  immer  oder  beinahe  immer  ihren  Ursprung 
in  einem  mehr  oder  weniger  alten,  zuweilen  sehr  alten  tuberculösen 
Lungenherd. 

Die  Infection  der  Blase  findet  sodann  auf  zwei  Arten  statt: 

1.  Die  Tuberkelbacillen  w’erden  durch  das  Blut  einer,  seltener 
beiden  Nieren  zugeführt,  von  wo  sie  in  die  Harnblase  gelangen  und 
diese  durch  Ueberpfropfung  auf  die  innere  Sehleimhautoberfläche 
inficiren.  (Absteigende  Infection.) 

2.  Die  Bacillen  gelangen  mit  dem  Blutstrome  zur  Prostata,  zu 
den  Samenbläschen  oder  zum  Hoden  und  Nebenhoden,  von  wo  die 
Infection  bis  zur  Blasenwand  durch  Contiguität  aufsteigt  und  bis  zur 
Mucosa  vordringt.  (Aufsteigende  Infection.) 

Die  Harnblase  scheint  gegen  die  tuberculose  Infection  sehr 
resistent  zu  sein  und  ist  fast  nie  der  Gegenstand  primärer  Infection 
vom  Blute  aus.  (Hämatogene  Infection.) 

Bedenkt  man,  dass  die  Tuberculose  der  Harnblase  immer 
secundärer  Natur  ist,  so  ist  es  evident,  dass  dieselbe  nie  irgend  einem 
radicalen  Verfahren  unterzogen  werden  kann,  als  nach  der  Entfernung 
der  beständigen  Infection,  was  nur  durch  die  Nephrektomie  und  mehr 
weniger  totale  Resection  des  Ureters  oder  durch  Destruction  der 
tuberculösen  Herde  in  den  Genitalorganen  bewirkt  werden  kann. 

In  den  Fällen,  wo  diese  Bedingungen  nicht  zutreffen  oder  sich 
nicht  herstellen  lassen,  wird  jeder  Versuch  einer  Radicalbehandlung 
der  Blasentuberculose  unnütz  und  daher  gegenangezeigt  sein  —  ein 
Schlag  ins  Wasser. 

Wenn  die  Ursache  der  Harnblasentuberculose  behoben  oder  in 
ihrer  Wirkung  gehemmt  ist,  kann  die  Krankheit  1.  spontan  heilen, 
wenn  sie  nicht  zu  alt  oder  zu  tiefgreifend  ist,  2.  die  Aufgabe  eines 
chirurgischen  Eingriffes  werden. 

Letzterer  wird  bei  beiden  Geschlechtern  durch  einen  Schnitt  im 
Hypogastrium  ausgeführt;  die  erkrankten  Theile  werden  so  weit  als 
möglich,  mit  Bistouri,  Scheere  oder  Curette  beseitigt;  der  Exstirpation 


muss  energische  Kauterisation  mit  dem  Thermokauter  nachfolgen.  Alle 
diese  Eingriffe  macht  man,  während  die  Blase  den  Augen  des 
Chirurgen  klar  vorliegt  und  der  Kranke  sich  in  der  von  Trendelen¬ 
burg  angegebenen  Stellung  befindet.  Je  nach  dem  Falle  wird  die 
Blase  genäht  oder  drainirt.  Nachträgliche  locale  und  allgemeine  Be¬ 
handlung  sind  unerlässlich. 

Jeder  chirurgische  Eingriff  bei  Tuberculose  der  Harnblase,  sowie 
bei  solcher  der  Harnwege  überhaupt,  muss  nach  Constatirung  des 
Tuberkelbacillus  in  diesen  Organen  vorgeschlagon  und  ehestens  aus¬ 
geführt  werden. 

In  allen  Fällen,  in  denen  die  Ursache  der  Blasentuberculose 
nicht  behoben  werden  kann,  ist  jede  Behandlung  nur  palliativ,  mit 
dem  speciellen  Ziele,  die  beiden  schwereu  Symptome:  Schmerz  und 
Pyurie  zu  erleichtern  und  zu  vermindern.  Dies  erzielt  man  : 

1.  Durch  den  hypogastrischen  Schnitt  mit  oder  ohne  Thermo¬ 
kauter  auf  die  erkrankten  Schleimhautpartien.  Drainage. 

2.  Durch  den  perinealen  Schnitt  beim  Manne,  mitunter  mit 
Curettement  der  Blase.  Drainage. 

3.  Durch  Curettement  der  Blase  von  den  Harnröhren  aus 
beim  Weibe. 

4.  Durch  locale  Behandlung.  Diese  besteht  in  sehr  einfachen 
und  sehr  mässigen  Waschungen  mit  Borwasser  gegen  die  accidentelle 
Cystitis  und  zur  Beseitigung  der  in  der  Blase  befindlichen  Secrete  und 
des  Harnes.  Alle  empfohlenen  speciellen  Heilmittel  haben  keinen 
reellen  Werth.  Silbernitrate  werden  nicht  vertragen. 

Allgemeines  hygienisches  und  diätetisches  Regime  sind  stets 
nothwendig. 

IV.  Dr.  Albert  Hogge  (Lüttich) :  Werth  der  chirur¬ 
gischen  Eingriffe  bei  Urogenitaltu  be  rculose. 

Die  unblutige  chirurgische  Behandlung  der  tuberculösen 
Urethritis  posterior  combinirt  sich  mit  jener  der  gleichartigen  Cystitis. 
Die  localen  Antiseptica,  welche  das  beste  Resultat  ergeben  haben, 
sind  Sublimat,  Jodoform,  Guajacol,  Pikrinsäure  und  Ichthyol.  Andere 
Topica  wurden  gerühmt,  ungenügend  erprobt  oder  verlassen:  Milch¬ 
säure,  Chlorzink,  Kupfersulfat,  Perubalsam,  Europhen  und  Andere. 
Silbernitrat  muss  definitiv  verlassen  w'erden. 

Sobald  die  topische  Medication  durchgeführt  ist,  modificirt  sie 
in  nachstehender  Ordnung  die  Cardinalsymptome  der  Ilarnröhren- 
Blasentuberculose:  1.  Die  Häufigkeit  und  Schmerzen  der  Entleerungen, 
2.  die  Hämaturie,  3.  die  Pyurie. 

Die  Mittel  müssen  zuweilen  den  Indicationen,  den  Allgemein¬ 
zustand  betreffend,  den  Platz  räumen,  indem  die  medicinische  und 
hygienische  Behandlung  hier,  wie  bei  allen  Tuberculösen,  ihr  Prioritäts¬ 
recht  bewahren  muss. 

Die  beste  Behandlung  der  tuberculösen  Läsionen  der  vorderen 
Harnröhre,  welche  übrigens  sehr  selten  sind,  bestände  in  deren 
Modificirung  oder  Zerstörung  mit  Hilfe  des  Endoskops. 

Die  tuberculösen  Ulcerationen  am  Penis  sind  am  häufigsten  der 
Excision  zugänglich. 

Curette  und  Thermos  werden  die  Hauptsache  der  blutigen  Be¬ 
handlung  der  tuberculösen  Urethritis  beim  Manne  ausmachen,  und 
zwar  mittelst  eines  gegen  die  begleitende  Cystitis  gerichteten  Perinäal- 
schnittes.  Eventuell  könnte  zur  Exstirpation  des  Prostatatheiles  der 
Harnröhre,  gleichzeitig  mit  der  totalen  Prostatektomie  und  Harnröhren- 
Blasennaht,  nach  dem  Vorbilde  Doyen’s,  geschritten  werden. 

Die  tuberculose  Entzündung  der  C  o  w  p  e  r’sclien  Drüsen  ist  mit 
Incision,  Excision,  Curettement,  Drainage  zu  behandeln,  letztere  sobald 
sich  eine  eiterige  Infiltrationsquelle  oder  eine  Fistel  bildet. 

Die  Tuberkeln  der  Prostata,  selbst  wenn  diese  noch 
primär  und  isolirt  erscheinen  sollten,  sind  für  die  Operation  nicht 
geeignet,  welche  übrigens  von  den  Betheiligten  zumeist  verweigert 
werden  dürfte.  Die  topische  Behandlung  im  Wege  der  Urethra  darf 
nicht  früher  versucht  werden,  als  bis  die  prostatischen  Herde  mit  dem 
Urogenitalcanal  communiciren,  und  auch  dann  lässt  sich  kein  besonderer 
Erfolg  erwarten.  Dasselbe  gilt  beiläufig  von  der  curativen  Wirkung 
der  Antiseptica  oder  der  in  das  Rectum  eingeführten  Calmantia. 

Die  interstitiellen  Injectionen  von  Jodoform,  Zink¬ 
chlorid  etc.  in  das  Gewebe  der  Prostata  im  Wege  der  Blase,  des 
Rectums  oder  des  Perinäums  haben  keine  oder  geringe  Resultate  er¬ 
geben.  Selbst  wenn  die  Prostata  zum  Zwecke  der  Injectionen  blos- 
gelegt  würde,  scheint  diese  Methode  blind,  unzuverlässig. 

Die  blutigen  Eingriffe  in  die  Prostata  (Incisionen, 
Curettement,  Kauterisation)  haben  gute,  mitunter  Dauerresultate  er¬ 
geben,  ausgeführt  von  Guy  on,  B  o  n  i  1  1  y,  le  D  o  n  t  u,  Dittel, 
Albarran,  Zuckerkandel,  Gaudier,  Marwedel,  Conitzer, 
Czerny,  Meyer,  H  a  e  n  e  1  und  A  n  d  r  y.  In  allen  diesen  Fällen 
war  der  Eingriff  systematisch  gegen  einen  kalten  Abscess  gerichtet, 
einen  käsigen  Herd,  eine  Fistel,  und  nicht  eine  Operation  der  Noth- 
wendigkeit. 

Wie  in  den  Fällen  von  käsigen  Herden  der  Prostata  nehmen 
die  Samenbläschen,  die  Vasa  deferentia,  Hoden  und  Nebenhoden  fast 


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immer  an  dem  Processe  der  Tuberculisation  Antbeil.  Es  war  zu  er¬ 
warten,  dass  sich  die  Chirurgen  zu  ausgedehnten  Exeresen  entsehliessen 
und  diese  Organe  ebenso  wie  die  Protasta  angehen  würden.  So 
kommt  es,  dass  seit  1889  Uli  mann,  Villeneuve,  Platon, 
lloux,  Sick,  Weir,  Schede,  G  u  ö  1  1  i  o  t,  Kontier,  Bändel, 
K  e  n  t  d  i  g  p  y  eine  oder  beide  Samenbläschen,  eine  oder  beide 
Deferentia  nach  ein-  oder  beiderseitiger  Castration  exstirpirten.  In 
einer  von  R  o  u  x  inspirirten  und  im  Vorjahre  erschienenen  Arbeit, 
sind  20  derartige  Operationen  berichtet.  In  allen  diesen  Fällen,  zu 
welchen  man  einen  letzten  von  Prof.  Roux  nicht  veröffentlichten 
von  „totaler  Castration“  hinzufiigen  kann,  waren  die  unmittelbaren 
Resultate  sämmtlich  gute  und  einige  Kranke  wurden  lange  Zeit  nach¬ 
her  in  gutem  Zustande  vorgefunden.  Leider  persistiren  oft  Fisteln  im 
Gefolge  dieser  Operationen.  Man  kann  sich  fragen,  warum  in  diesen 
Fällen  die  wahrscheinlich  auch  kranke  Prostata  in  den  operativen 
Act  nicht  einbezogen  wurde.  Andererseits  ist  die  Spermatocystektomie, 
eine  Ergänzung  einer  Operation  an  der  Genitaldriise,  nach  den 
richtigen  Ansichten  der  Nebenhoden-Hodenchirurgie  keine  für  die 
Castration,  zu  der  man  in  diesen  Fällen  greifen  müsste,  wohl  aber 
für  eine  oder  die  andere  der  ökonomischen  Eingriffe,  die  in  den  letzten 
20  Jahren  vorgeschlagen  und  ausgeführt  wurden. 

ln  Wirklichkeit  ergibt  sich  aus  zahlreichen  gediegenen  Arbeiten 
und  bedeutenden  Discussionen,  dass  bei  der  Nebenhoden-IIodentuber- 
culose  die  totale  Castration  nur  eine  Methode  der  Ausnahme  sein  soll. 
Die  Therapie  der  Wahl  ist  die  conservative  blutige  Methode,  bestehend 
in  typischen  und  atypischen  Resectionen  des  Nebenhodens,  des  Deferens, 
der  Scheidenhaut  mit  oder  ohne  explorative  Orchidotomie,  eventuell 
partielle  Orchidektomie;  diese  Methode  hat  Anzeigen  und  Gegen¬ 
anzeigen,  alle  Formen  passen  nicht  dafür  und  schliesst  andere  Be¬ 
handlungsweisen  nicht  aus,  welche  ihre  berechtigten  Anhänger  haben. 
Hieher  gehören  die  Anwendung  der  Caustica,  die  Ingnipunctur,  die 
Injectionen  von  Naphthol-Kampher,  Jodoform-Aether,  Chlorzink  in  und 
um  die  Knötchen  (Injections  intranodulaires-perinodulaires),  die  Aus¬ 
kratzung,  gefolgt  von  caustisehen  Applicationen,  von  Verbrühung,  von 
Blosslegung  cavernöser  Taschen  und  von  Resection  der  tubereulogenen 
Membran,  diese  besonders  im  Falle  eines  Abscesses.  Jüngst  hat 
endlich  Mauclaire  bei  der  Behandlung  der  Hoden-Nebenboden- 
tuberculose  die  Ligatur  und  Section  der  Elemente  des  Samenstranges 
zu  Ehren  bringen  wollen,  zumeist  in  Combination  mit  den  oben  citirten 
Konservativen  Eingriffen.  Die  Thatsachen,  die  er  berichtet,  sind  noch 
zu  neu  und  zu  wenig  zahlreich,  um  abschliessend  sein  zu  können. 

In  Summa,  wenn  man  die  Tubereulose  der  Prostata,  des 
Deferens,  der  Samenbläschen,  des  Hoden  oder  Nebenhodens  in  Be 
trachtung  zieht  —  für  alle  ist  die  operative  Anzeige  formell  und 
zugegeben,  sobald  es  sich  um  einen  Abscess  oder  Fistel  mit  oder  ohne 
Fungus  handelt;  die  operativen  Methoden  können  nach  der  Wahl  des 
Chirurgen  verschieden  sein,  aber  in  all  diesen  Fällen  muss  man  mit 
sehenen  Ausnahmen,  zum  Beispiel  die  Berücksichtigung  des  Allgemein¬ 
zustandes,  operiren,  weil  der  blutige  Eingriff  sicher  einen  grösseren 
Ileilwerth  hat  und  geringere  Gefahren  für  den  Krankeu  in  sich 
schliesst,  als  das  bewaffnete  Zuwarten  oder  die  rein  medicamentöse 
Behandlung.  Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer  relativen  Kennt¬ 
nisse  der  Tuberculose  der  Urogenitalorgane  soll  man  nur  diese  Fälle 
operiren?  Das  ist  die  Frage. 

Wo  beginnen  der  Zweifel  und  die  Controversen?  Dies  ist  bei 
Vorhandensein  anderer  Formen  der  Fall  oder,  wenn  man  will,  in 
anderen  Stadien  der  Tuberculisation  dieser  Organe.  So  rathen  gewisse 
Chi  rurgen,  in  den  Anfangsphasen  der  IIoden-Nebenhodentuberculose 
eiuzugreifen,  dann  bei  den  kalten  chronischen  Formen  mit  einem  oder 
wenigen  Knötchen  und  a  fortiori  bei  den  massigen  Formen,  bei  denon 
die  Mehrzahl  der  Aerzte  sich  expectativ  verhält. 

Wo  zeigen  sich  die  Divergenzen  der  Anschauung?  Dies  ist  bei 
der  Frage,  welche  Ausdehnung  man  der  Operation  geben  soll  und 
der  Organe,  die  man  entfernen,  auskratzen  oder  brennen  will. 

Soll  man  sich  auf  eine  partielle  oder  totale  Castration,  auf  eine 
Ektomie  des  A  as  deferens  und  Nebenhodens  beschränken  dann,  wenn 
auch  in  minderem  Grade  vielleicht  die  Samenbläschen,  die  Prostata, 
die  Blase  erkrankt  sind? 

Die  jüngsten  Thatsachen  und  die  noch  wenig  zahlreichen  Fälle 
von  totaler  Exstirpation  der  Genitalwege  in  Folge  von  Tuberculose 
scheinen  nach  den  erlangten  günstigen  Resultaten  die  Chirurgen  zu 
verpflichten,  in  Zukunft  noch  häufiger  diese  kühnen  Versuche  zu 
unternehmen. 

V.  Alfred  Ponsson  (Bordeaux) :  Werth  der  c  h  i  r  u  r- 
gischen  Eingriffe  bei  Tuberculose  der  Niere. 

Die  chirurgischen  Eingriffe  bei  Tuberculose  der  Niere  werden 
erst  seit  etwa  15  Jahren  geübt,  aber  deren  Zahl  ist  so  rapid  gestiegen, 
dass  seit  1892 — 1893  A  igneron,  Saklam,  Palet  imponirende 
Statistiken  zusammenstellen  konnten,  welchen  wir  in  den  letzten  Jahren 
1G1  publicirte  Fälle  anreihen  konnten. 


1 .  Allgemeine  Resultate. 

Unmittelbare  Resultate: 

a)  Die  Sterblichkeit  nach  Operationen  im  G  a  n  z  e  n  (Globale) 
beträgt  bei  600  Fällen  2L33°/o.  Diese  sinkt  auf  ll-68°/o  in  unserer 
auf  neuen  Facten  zusammengestellten  Statistik,  und  sinkt  weiter  auf 
78’95%,  wenn  man  die  Praxis  einiger  Chirurgen  in  Erwägung  zieht. 

b)  Die  Sterblichkeit  nach  Operationen  von  Nephrotomie  und 
Nephrektomie  ist  auffallend  gleich  (20  8%  gegen  21*47%)  im  Block 
unserer  Statistiken,  aber  bei  den  persönlichen  Aufzeichnungen  einzelner 
Chirurgen  sieht  man,  dass  der  Schnitt  in  die  Niere  viel  verderblicher 
ist,  als  ihre  Exstirpation  (18-51%  gegen  6'54%). 

c )  Die  Todesursachen  nach  Nephrotomie  und  Nephrektomie  sind 
die  vollständige  Unterdrückung  der  Ilarnsecretion  und  ihre  Unzuläng¬ 
lichkeit  (ölmal  unter  128  Todesfällen),  Ereignisse,  welche  wir  mit  den 
Fortschritten  der  Diagnostik  einst  zu  beschwören  hoffen.  Der  Eingriff 
scheint  keinen  Einfluss  auf  die  früher  vorhandenen  bacillären  Läsionen 
zu  haben.  Shock,  Septikämie,  Peritonitis,  Verletzung  der  Eingeweide 
oder  grosser  Gefässe  sind  die  anderen  Todesursachen. 

Dauerresultate: 

Nach  Nephrotomie  erlagen  von  63  Operirten  39  im  darauf¬ 
folgenden  Jahre  der  fortschreitenden  Tuberculose  oder  anderen,  der 
unzureichenden  Operation  zuzuschreibenden  Ursachen,  24  blieben  am 
Leben,  von  denen  einige  über  drei,  fünf  und  zehn  Jahre,  aber  alle 
behielten  eine  Lendenfistel. 

Nach  Nephrektomie  starben  von  335  Operirten  42  im 
Jahre  des  allgemeinen  Ausbruches  der  Tuberculose,  die  anderen  293 
lebten  noch  und  zwar  am  Ende  eines  Jahres  33  Kranke,  nach  zwei 
bis  drei  Jahren  41,  nach  fünf  Jahren  4,  nach  sechs  Jahren  7,  nach 
acht  Jahren  2,  und  7  von  105  hatten  eine  Fistel. 

Vergleicht  man  die  Nephrotomie  und  Nephrektomie,  so  sehen 
wir,  dass  das  Ueberleben  nach  Unterdrückung  der  Nierenfunction  nicht 
geringer  ist,  als  nach  dem  Nierenschnitte,  ja  selben  noch  übertrifft 
(12*54%  Todesfälle  in  dem  der  Nephrektomie  folgenden  Jahre  gegen 
61 '70%  nach  Nephrotomie). 

2 .  Resultate  bei  den  verschiedenen  Krankheits¬ 
formen  und  klinischen  Verhältnissen  des  Leidens 

(Anzeigen  und  Gegenanzeigen). 

a)  Im  Stadium  rein  bacillär  er  Infection  kam  bei  zehn 
Eingriffen  wegen  Schmerzen  oder  Ilämorrhagien  kein  Todesfall  vor, 
und  die  Kranken  haben  durch  lange  Zeit  den  Ilarnapparat  unversehrt 
erhalten.  Ein  Eingriff  zum  alleinigen  Zwecke,  einen  verborgenen  bacil¬ 
lären  Herd  zu  unterdrücken,  wäre  legitim. 

b)  Im  Stadium  von  Mischinfection  sind  die  weniger  be¬ 
friedigenden  Resultate  auffallend  dieselben  bei  primärer  und  secundärer 
Tuberculose  vom  Gesichtspunkte  der  unmittelbaren  Gefahr,  aber  besser 
bei  der  primären  Tuberculose  bezüglich  des  Ueberlebens. 

c)  Die  Beide  rseitigk  eit  der  Läsionen  ist  keine  Gegen¬ 
anzeige  des  Eingriffes,  wenn  die  andere  Niere  in  Wahrheit  bestehende 
bacilläre  Läsionen  hat;  eine  leichte  gewöhnliche  Nephritis  contraindicirt 
weder  die  Nephrotomie,  noch  die  Nephrektomie,  verbessert  im  Gegen- 
theil  den  anatomischen  und  physiologischen  Zustand  der  erhal¬ 
tenen  Niere. 

cl)  Was  die  Harnblase  betrifft,  so  verschwanden  die  Reflex¬ 
schmerzen  nach  dem  Eingriffe,  während  dieselben  bei  gewöhnlichen 
oder  bacillären  reinen  oder  gemischten  Infectionen  von  da  ab  durch 
locale  Behandlung  glücklicher  Weise  gemässigt  werden  können. 

e)  Der  Zustand  der  Lungen  und  der  anderen  Organe,  Alter  und 
Geschlecht  bilden  keine  andere  Gegenanzeige,  als  wie  bei  Operationen 
im  Allgemeinen. 

3.  Resultate  nach  den  verschiedenen  Operations¬ 

arten. 

(Wahl  der  Methode  und  des  operativen  Eingriffes.) 

a )  Die  Nephrotomie  wäre  bei  der  miliaren  und  Knötchen¬ 
form  nicht  zu  vollführen,  man  kann  aber  bei  der  massigen  (infiltrirten) 
Form  in  Verbindung  mit  Curettement  von  derselben  Gebrauch  machen. 
Ganz  ausnahmsweise  wäre  dieselbe  bei  Ilydroneplirose  zu  verwenden. 
Bis  nun  wurde  die  Methode  fast  ausschliesslich  bei  Pyelonephrose 
geübt,  aber  die  Resultate  waren  nur  vorübergehend,  besten  Falles  mit 
Fistelbildung.  Die  Nephrotomie  kann  nur  als  Operation  der  Nothwendig- 
keit  angesehen  werden. 

b)  Die  primäre  Nephrektomie  ist  eine  Operation  der 
Wahl,  die  Mortalität  beträgt  nur  2L79 %,  bei  secundärer  Nephrektomie 
30  76%.  Letztere  kann  immerhin  grosse  Dienste  leisten,  aber  unter 
der  Bedingung,  frühzeitig  und  im  Zeiträume  von  zwei  bis  drei  Monaten 
ausgeführt  zu  werden. 

c)  Vergleicht  man  die  extraperitonealen  und  transperitonealen 
Wege,  so  beträgt  die  Mortalität  bei  ersterem  2L21  %  gegen  34%  der 
istzteren.  Combinirt  man  je  nach  den  Fällen  die  parietalen  Incisionen, 
so  kann  man  auf  lumbaiem  oder  jjaralumbarem  Wege  voluminöse 


Nr.  33 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Nieren  ohne  Zerstücklung  extrahiren,  die  verschiedenen  Bestandteile 
des  Stieles  gesondert  unterbinden  und  die  Ureterektomie  ausführen. 

d)  Die  partielle  Nephrektomie,  blos  in  einigen  Fällen 
ausgeführt,  sollte  man  als  ungenügend  verwerfen,  und  weil  der  erhaltene 
Theil  der  Niere,  wenn  derselbe  von  der  tuberculösen  Infiltration 
nicht  schon  befallen  ist,  von  benachbarter  Entzündung  häufig  er¬ 
griffen  wird. 

SK 

Abtheilung  für  interne  M  e  d  i  c  i  n. 

Referent:  Albu  (Berlin). 

1.  Sitzung. 

I.  Dieulafoy  (Paris):  Les  Ulcerations  gastriques. 

Die  Grösse  der  Ulcerationen  wechselt  von  punktförmigen  Ero¬ 
sionen  bis  zu  Substanzverlusteu  von  FünfmarkstückumfaDg.  Sie  können 
sehr  oberflächlich  sein,  aber  auch  bis  in  die  Tiefe  der  Musculatur 
hineinreichen.  Die  Symptome  und  Complicationen  (besonders  das  Car- 
cinom)  sind  bekannt.  Vortragender  hat  sich  deshalb  die  Aufgabe  ge¬ 
stellt,  die  verschiedenen  Arten  der  Magenulcerationen  zu  skizziren,  die 
man  vom  klinischen  und  anatomischen  Gesichtspunkt  aus  unterscheiden 
kann.  Da  ist  in  erster  Reihe  die  oberflächliche  Erosion  zu  erwähnen, 
welche  sich  in  mehr  oder  weniger  zahlreichen  punktförmigen  Hämor- 
rhagien  darstellt.  Sie  sind  Local  Wirkungen  des  auf  der  Magenschleim¬ 
haut  angesiedelten  Pneumococcus.  Sie  breiten  sich  darin  herd¬ 
förmig  aus  und  können  sehr  erhebliche  Blutungen  hervorrufen.  Auf 
die  ursächliche  Bedeutung  der  Bacterien  und  ihrer  Toxine  für  die 
Entstehung  vieler  Magenulcerationen  legt  Vortragender  grossen  Werth. 
Daneben  kommen  als  Ursachen  Gefässverletzung  und  die  Einwirkung 
des  übersauren  Magensaftes  in  Betracht.  Aus  der  kleinsten  Erosion 
kann  sich  allmälig  ein  Geschwür  entwickeln.  Die  so  entstandenen 
Ulcerationen  nennt  Vortragender  Exulceratio  simplex,  die  auch  multipel 
sein  kann.  Geht  sie  in  die  Tiefe  und  erreicht  dadurch  die  in  der 
Muscularis  mucosa  liegenden  Gefässe,  so  führt  sie  oft  zu  schweren, 
selbst  tödtlichen  Blutungen.  Dieses  Ulcus  simplex  (von  Cruveilhier 
zuerst  beschrieben)  ist  dasjenige,  das  sich  chronisch  entwickelt  und 
zur  Perforation  neigt,  die  noch  mehr  zu  befürchten  ist,  als  die  Blutung. 
Als  specifisch  sind  die  tuberculösen  und  syphilitischen  Ulcerationen 
aufzufassen,  haben  aber  dieselben  Symptome  und  Complicationen.  Das 
Carcinom  pfropft  sich  häufig  auf  das  einfache  Ulcus  auf.  Schliesslich 
redet  Vortragender  bei  Behandlung  des  chronischen,  häufig  zu  Blutungen 
führenden  Ulcus  simplex,  das  den  Kranken  herunterbringt,  wenn  alle 
interne  Therapie  fruchtlos  bleibt,  dem  chirurgischen  Eingriff  lebhaft 
das  Wort. 

Ewald  würdigt  unter  den  Folgezustäuden  des  Ulcus  besonders 
die  Perigastritis  in  Folge  chronischer  adhäsiver  Peritonitis.  Sie  trotzt 
aller  internen  Behandlung.  Ihre  Diagnose  ist  nicht  leicht.  Namentlich 
ist  Verwechslung  mit  nervösen  Affeetionen  häufig.  Die  einzige  Hilfe 
ist  die  Operation.  Redner  erwähnt  den  Fall  eines  jungen  Mädchens 
mit  Ulcus  ventr.,  das  nach  scheinbarer  Heilung  wieder  rückfällig  wurde. 
Der  Chirurg  fand  vier  narbige  Strueturen.  Da  sie  wegen  Verwachsung 
mit  der  Nachbarschaft  nicht  zu  lösen  waren,  wurde  die  Gastroentero¬ 
stomie  gemacht,  die  zur  vollkommenen  Heilung  führte.  Der  Sanduhr¬ 
magen,  der  oft  aus  solchen  ulcerösen  Stricturen  hervorgeht,  lässt  sich 
auch  diagnostiren  nach  folgendem  Verfahren:  Der  Magen  wird  erst 
mit  Luft  aufgebläht,  dann  durchleuchtet,  dann  sieht  man  den  abge¬ 
schnürten  Pylorustheil  rechts  von  dem  rotlr  leuchtenden  oberen  Magen¬ 
abschnitt. 

Tourtoulis-Bey  (Kairo)  hat  in  einem  Falle  acuter  fibrinöser 
Pneumonie  eine  Intestinalblutung  beobachtet,  welche  wohl  als  Wirkung 
der  Pneumococcen  anzusehen  ist. 

Doyen  (Reims)  hält  es  für  nothwendig,  in  allen  Fällen,  wo 
die  interne  Therapie  keinen  Erfolg  hat,  der  Kranke  immer  mehr  herunter¬ 
kommt,  zur  Sicherung  der  Diagnose  die  Laparotomie  zu  machen.  Man 
findet  dann  häufig  ein  erst  im  Entstehen  begriffenes  Neoplasma,  dessen 
Entfernung  noch  die  Chance  der  Radicalheilung  gibt.  Auch  starke 
Blutungen  sind  eine  Indication  zur  Operation.  In  chronischen  Fällen 
wird  der  Kranke  danach  dauernd  gesund.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
genügt  es,  die  Gastroenterostomie  zu  machen,  welche  Schmerzen  und 
Blutungen  beseitigt  und  die  Ernährung  wieder  ermöglicht. 

II.  M  e  u  n  i  e  r  (Paris) :  Recherche  quantitative  s  u  r 
le  labferment  du  sue  gastrique. 

Beim  gesunden  Menschen  erreicht  die  Menge  des  Labferments 
ihr  Maximum  eine  Stunde  nach  der  Mahlzeit  und  erhält  sich  eben  so 
lange  in  der  gleichen  Zeit.  Bei  Superacidität  ist  auch  die  Menge  des 
Labferments ;  meist  gesteigert.  Dagegen  vermindert  sie  sich  bei  chroni¬ 
scher  Gastritis,  am  stärksten  beim  Carcinom.  Im  Grossen  und  Ganzen 
ist  das  Verhältniss  des  Magensaftes  proportional  dem  Zustand  der  activen 
Zellthätigkeit  der  Magendrüsen,  der  Pepsin-  und  Salzsäuresecretion. 
M  o  Differenzen  zwischen  den  beiden  letzteren  bestehen,  folgt  das 
Labferment  den  Veränderungen  des  Pepsinogens,  dem  es  demnach 
näher  steht. 


III.  Bendersky  (Kiew):  Le  vomissement  nerveux 
et  son  traitement. 

Vortragender  empfiehlt  Magenausspülungen  mit  rein  lauwarmem 
Wasser,  die  er  in  14  hartnäckigen  Fällen  wohl  bewährt  gefunden  hat. 

IV.  F  a  v  u  1 1  a  (Barcelona) :  Contribution  ä  l’ütude  dos 
crises  gastriques  essentielles. 

Die  gastrische  Krisen  sind  keine  selbstständige  Krankheit,  sondern 
ein  Symptomencomplex.  Es  gibt  eine  klinische  Form,  welche  von  einer 
systematischen  Läsion  des  Centrainei  vensystems  abhängig  ist.  Die  dis- 
ponirenden  Krankheiten  desselben  sind  die  Tabes  dorsalis  im  Stadium 
der  Ataxie,  häufiger  aber  früher,  ferner  die  allgemeine  Paralyse  und 
die  multiple  Sklerose.  Es  gibt  auch  wirkliche  Krisen,  welche  durch 
nervöse  Reizung  des  Magens  (sei  es  der  motorischen,  secretorischen, 
sensitiven  Functionen  desselben)  hervorgerufen  werden.  So  hat  Vor¬ 
tragender  einen  Fall  beobachtet,  wo  in  sechs  Jahren  fünf  Anfälle  ein¬ 
traten,  ohne  dass  sich  Zeichen  einer  Nervenerkrankung  bemerkbar 
machten.  Die  beste  Behandlung  ist  die  subcutane  Morphiuminjection, 
mit  der  man  aber  nach  Möglichkeit  zurückhalten  soll.  In  der  Zwischen¬ 
zeit  gebe  man  zur  Abstumpfung  der  nervösen  Reizbarkeit  Valeriana, 
im  Uebrigen  hygieniscli-hydriatische  Behandlung. 

V.  Strauss  (Berlin):  Ueber  ernährungstherapeu¬ 
tisch  wichtige  Beziehungen  des  Fettes  zu  den  Func¬ 
tionen  des  menschlichen  Magens. 

Der  Vortragende  berichtet  über  Versuche,  welche  er  über  die 
Einwirkung  grosser  Quantitäten  von  Milchfett  auf  die  einzelnen  Func¬ 
tionen  des  menschlichen  Magens,  sowie  auf  den  Stoffwechsel  und  die 
Ausnützurig  des  Fettes  im  Darme  Hyperacider  angestellt  hat.  Er  fand, 
dass  grosse  Quantitäten  Milchfett  die  Salzsäure¬ 
secretion  herabsetzen  und  die  Motilität  nicht 
stören.  Die  Labsecretion  war  eher  erhöht  als  erniedrigt,  bei  der 
Pepsinsecretion  war  es  meist  umgekehrt  und  der  Ablauf  des  osmotischen 
Druckes  im  Magen  zeigte  keine  deutliche  Aenderung.  Die  Fettaus¬ 
nützung  im  Darme  Hyperacider  und  die  subjective  Toleranz  für  grössere 
Quantitäten  Milchfett  waren  bei  richtiger  Darreichungsform  stets  sehr 
gut.  Mit  Rücksicht  hierauf  hat  Vortragender  eine  an  Milchfett 
sehr  reiche  Diät  in  den  letzten  dreiJahren  bei  zahl¬ 
reichen  Fällen  von  Ulcus  ventrieuli,  ferner  von 
Hyperacidität,  von  Hypersecretion  und  von  motori¬ 
scher  Insufficienz  des  Magens  angewandt  und  durch 
tägliche  Verabreichung  von  120  bis  350  g  Fett  in  Form 
von  Milch,  J  a  w  o  r  k  i’scher  Kraftmilch,  Sahne  und  Butter  und  in  ein¬ 
zelnen  Fällen  auch  von  Oel  gute  therapeutische  Erfolge  er¬ 
zielt. 

Der  Vortragende  r  ä  t  h  deshalb,  bei  der  Behand¬ 
lung  der  Hyperacidität  (mit  und  ohne  Ulcus),  der 
Hypersecretion  und  der  motorischen  Insufficienz 
des  Magens  das  Fett,  und  zwar  besonders  das  Milch¬ 
fett,  ausgiebig  zu  verwenden  und  gibt  bei  Hyper¬ 
acidität  ei  ne  Diät,  welche  100  —  1 20  g  E  i  w  e  i  s  s,  200 — 250  g 
Kohlehydrate  und  150— 200  g  Fett  enthält.  Für  die 
Behandlung  der  motorischen  Insufficienz  d  e  s  M  a  g  e  n  s 
empfiehlt  er  gleichfalls  in  der  Diät  einen  Theil  der 
leicht  gähr  enden  Kohlehydrate  durch  das  schwer 
der  Zersetzung  an  heim  fallende  Fett  zu  ersetzen 
und  zeitweise,  s  p  e  c  i  e  1 1  im  Beginn  der  Behandlung, 
eine  reine  Eiweissfettdiät  zu  verabfolgen,  da  diese 
noch  dazu  durch  Herabsetzung  der  Gährun  gen  direct 
heilend  wirkt. 

VI.  Cohnheim  ( Berlin) :  Ueber  die  Heilwirkung 
grosser  Dosen  von  Olivenöl  bei  organischen  und 
spastischen  Stenose  n  des  Pylorus  und  des  Duodenums 
und  deren  Folgezustände  (Gastrektasie). 

Fälle  von  Gastrektasie,  welche  nicht  durch  ein  organisches 
Hinderniss,  sondern  durch  einen  Spasmus  des  Pylorus  in  Folge  Ulcus 
oder  Fissur  am  Magenausgang  hervorgerufen  sind,  werden  durch  Ein¬ 
giessungen  grosser  Oelmengen  (100 — 250  9  täglich)  in  kurzer  Zeit  ge¬ 
heilt  oder  erheblich  gebessert.  Fälle  von  narbigen  Pylorus-  oder 
Duodenalstenosen  mit  secundärer  Gastrektasie  werden  durch  methodische 
Anwendung  grosser  Oelgaben  ebenfalls  relativ  geheilt,  das  heisst; 
bleiben  bei  vorsichtiger  Lebensweise  beschwerdefrei.  Das  Oel  wird  am 
besten  längere  Zeit  hindurch  dreimal  täglich  in  Mengen  von  je  50 cmJ 
eine  Stunde  vor  dem  Essen  genommen  oder  per  Sonde  eingegossen, 
oder  man  gibt  einmal  täglich  in  den  leeren  Magen  100 — 1  öOc/n’’  aut 
Körpertemperatur  erwärmtes  Oel.  Die  Oelanwendung  genügt  drei 
Indicationen,  der  Krampfstillung,  der  Reibungsverminderung  und  der 
Hebung  der  Ernährung,  da  das  Oel  selbst  bei  hochgradigen  Stenosen 
in  den  Dünndarm  gelangt^und  dort  resorbirt  wird.  Bei  rein  nervösen 
(hysterischen)  Magenkrämpfen  ist  keine  günstige  Wirkung  bisher 
erzielt,  woraus  sich  differentialdiagnostische  Gesichtspunkte  zur 
Unterscheidung  des  nervösen  und  organischen  Pylorospasmus  ergeben. 
Mit  Hilfe  der  Oelcur  gelingt  es,  eine  Reihe  von  Pylorusstenosen  mit 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


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schwerer  consecutiver  Gastrektasie  so  weit  zu  bessern,  dass  ein 
chirurgischer  Eingriff  nicht  mehr  noting  ist.  Vor  jeder  wegen  Pylorus¬ 
stenose  beabsichtigten  Magenoperation  sollte  daher  zunächst  die  Oel- 
behandlung  versucht  werden. 

Mat  thi  eu  (Paris)  hat  festgestellt,  dass  Oel  die  Salzsäure¬ 
menge  herabsetzt,  deshalb  bei  Affectionen  anzuwenden  sich  empfiehlt, 
welche  auf  Hypercblorhydrie  beruhen.  Er  hat  wiederholt  gute  Erfolge 
beobachtet. 

VII.  E  inho  r  n  (New  York)  :  Die  idiopathische  Er¬ 
weiterung  des  Oesophagus. 

Die  Diagnose  stützt  sich  auf  folgende  Punkte  :  Oesophagus  und 
Cardia  sind  für  den  Magenschlauch  durchgängig.  Aber  man  kann  aus 
dem  Oesophagus  noch  unveränderte  Nahrungsreste,  mit  der  Sonde  vor¬ 
sichtig  herabgehend,  herausholen.  Magen-  und  Oesophagusinhalt  kann 
man  noch  besonders  leicht  unterscheidbar  machen  durch  Genuss  von 
Kaffee  oder  anderen  gefärbten  Flüssigkeiten.  Wichtig  ist  das  Fehlen 
des  Schluckgeräusches.  Vortragender  hat  zwölf  Fälle  beobachtet,  von 
denen  in  zweien  sich  eine  Ursache  in  einem  Trauma  finden  Hess.  Es 
ist  ein  sehr  langwieriges  Leiden.  Behandlung:  Anweisung  an  die  Pa¬ 
tienten,  durch  Compression  des  Brustkorbes  die  Speisen  in  den  Magen 
herunterzudrücken,  nicht  zu  grobe  Diät  und  abendliche  Ausspülungen 
des  Oesophagus. 

VIII.  Bourget  (Lausanne):  Des  indications  et  des 
resultats  de  1  a  gastro-enterostomie.  (100  Beobachtungen 
mit  4G  Operationen.) 

Die  G.  ist  angezeigt  in  allen  Fällen,  wo  der  Passage  der  Nahrung 
durch  den  Pylorus  Hindernisse  bereitet  sind  durch  dauernde  Ver¬ 
engerung  desselben  in  Folge  von  Tumor,  fibröser  Hypertrophie  oder 
narbigen  geschwiirigen  Retractionen.  Die  G.  ist  contraindicirt  bei  vor¬ 
übergehender  Pylorusstenose  in  Folge  von  nervösem  Spasmus,  bei 
Stauungen  des  Mageninhaltes  in  Folge  von  Ptosis  oder  Atonie  der 
Magenwandnuisculatur.  Der  Ausführung  der  Operation  muss  die  sorg¬ 
fältige  Prüfung  der  motorischen  Function  des  Magens  vorausgehen. 
Bei  Verdacht  auf  Pylorusspasmus  muss  sie  mehrfach  wiederholt 
werden,  weil  sie  charakteristische,  schwankende  Ergebnisse  liefert. 
Auch  der  beruhigende  Einfluss  eines  lauwarmen  Bades  und  Bromkali 
ist  zu  beachten.  Die  Aufblähung  des  Magens  ist  nothwendig  zur 
Unterscheidung  von  Gastroptose.  Die  G.  bringt  dauernde  Heilung  bei 
den  genannten  Affectionen  und  auch  perigastrischen  Adhäsionen  an  den 
Pylorus.  Bei  malignen  Tumoren  kann  sie  das  Leben  sehr  erheblich 
verlängern.  Bei  Pylorospasmus  und  Ptosis  sind  die  Resultate  wenig 
befriedigend.  Die  secretorische  Function  des  Magens  leidet  durch  die 
Operation  nicht,  die  motorische  bessert  sich  wesentlich.  Die  Ent¬ 
leerung  des  Magens  ist  gesichert,  sie  wird  so  rhythmisch  wie  durch 
einen  Pylorus.  Die  Verdauungsarbeit  geht  ebenso  schnell  vor  sich.  Der 
Ma  gen  gewinnt  allmälig  seine  normale  Grösse  und  Lage  wieder. 

IX.  G  a  1 1 o i s (Pa  ris)  :  Desinfectionsadeuoidiennes. 

Unter  den  Complicationen  der  adenoiden  Vegetationen  sind  die 

von  denselben  ausgehenden  Infectionskrankheiten  noch  nicht  genügend 
bekannt.  Vortragender  unterscheidet  folgende  Formen:  1.  acute  oder 
chronische  Entzündung  der  Vegetationen  selbst,  die  ihrerseits  Aus¬ 
gangspunkt  von  Septikämien  werden  können.  2.  Ausbreitung  auf  die 
benachbarten  Schleimhäute  (Angina  in  ihren  verschiedenen  Formen). 
3.  Ausbreitung  auf  die  Haut  der  Nachbarschaft  (Nase  und  Auge): 
Erysipel,  Impetigo,  Eczema,  Lupus.  4.  Entzündliche  Anschwellungen 
der  Halsdrüsen.  5.  Interstitielle  Bindegewebsentziindungen,  die  durch 
die  I  ortschleppung  der  Keime  durch  Hals  und  Rachen  zu  Abscessen  und 
Eiterungen  bis  in  das  Gehirn  hinein  führen  können.  6.  Allgemeine 
Blutinfectionen  durch  Tuberkelbacillen,  die  in  den  Adenoiden  sitzen; 
ferner  können  auch  Rheumatismus,  Endocarditis  und  Chorea  auf 
diesem  Wege  entstehen. 

Ewald  (Berlin)  hat  eine  Sepsis  in  Folge  einer  chronischen 
Otitis  entstehen  sehen,  die  bereits  1%  Jahre  bestand. 

* 

Section  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Berlin). 

I.  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

Vorsitzender:  Tillaux  (Paris). 

I .  C  e  c  c  h  e  r  e  1 1  i  (Parma) :  Ueber  eine  neue  Art  der 
Anwendung  der  jodhaltigen  Soolen  von  Salso- 
Maggiore  bei  tuberculösen  chirurgischen  Erkran¬ 
kungen. 

Indem  er  besonders  die  tuberculösen  Drüsen  berücksichtigt, 
kommt  er  zu  folgenden  Schlüssen: 


1.  Der  Chirurg  soll  jede  tuberculöse  Drüsenerkrankung  operiren, 
wenn  sie  einmal  einen  beträchtlichen  Umfang  angenommen,  wenn  die 
Drüsen  vereitert  oder  verkäst  sind. 

2.  In  allen  anderen  Fällen  soll  er  die  Behandlung  mit  der 
Jodsoole  versuchen,  das  Wasser  von  Salso  Maggiore,  nachdem  es  ge¬ 
reinigt,  filtrirt  und  sterilisirt  ist,  in  das  Drüsenparenchym  injiciren, 
niemals  periglandulär.  Bäder  der  Jodsoole,  zwei  oder  drei  Jahre  lang 
genommen,  sollen  die  Heilung  unterstützen. 

Bei  den  tuberculösen  Abscessen,  bei  denen  es  nothwendig  ist, 
die  verschiedenen  Taschen  zu  eröffnen  und  bei  denen  man  gerne  eine 
Flüssigkeit  anwenden  möchte,  die  auch  im  Stande  ist,  die  Eiterung  zu 
beschränken,  will  Ceccherelli  eine  Auswaschung  der  Taschen  mit 
dem  Wasser  vornehmen  in  einer  Mischung  von  2/3  destillirtem  mit  ,/3 
des  Wassers  von  Salo-Maggiore,  nachdem  ein  gründliches  Evidement 
voraufgegangen  ist.  Er  hält  die  Injectionen  des  Wassers  von  Salso- 
Maggiore  für  e’n  mächtiges  Mittel  gegen  die  locale  Tuberculöse  be¬ 
sonders  der  Drüsen,  wegen  seines  beträchtlichen  Gehaltes  an  Jod-, 
Brom-,  Strontium-  und  Lithiumsalzen. 

II.  Biondi  (Siena):  Die  Jod- Milch  Sclavo  bei  den 
tuber  culös-chi  rurgischen  Erkrankungen. 

III.  F  a  u  v  e  (Paris) :  Die  chirurgische  Behandlung 
des  Krebses. 

Wenn  trotz  aller  Schwierigkeiten  der  Operation  und  trotz  der 
recht  betrübenden  Resultate,  die  die  operative  Behandlung  des  Krebses 
oft  gibt,  die  Zahl  der  geheilten  Fälle  von  Krebs  doch  recht  zahlreiche 
sind,  so  muss  man  doch  gezwumgenermassen  annehmen,  dass  das 
Messer  vorläufig  noch  das  einzige  Heilmittel  des  Krebses  ist,  und  dass 
wir  nicht  das  Recht  haben,  den  Krebskranken  die  einzige  Möglichkeit 
einer  Rettung  durch  eine  Operation  zu  verweigern.  Denn  keine 
Operation  ist  zu  gross  und  schwer,  wenn  es  sich  darum  handelt,  einen 
dem  Tode  Geweihten  zu  retten,  und  wenn  er  sich  vor  die  Frage 
gestellt  sieht,  ein  Carcinom  zu  operiren,  so  fragt  er  nicht  darnach,  ob 
er  durch  seine  Operation  einen  bereits  dem  Tode  Verfallenen  tödten 
könnte,  sondern  ob  er  ihn  eventuell  zu  heilen  im  Stande  sein  wird. 
Wir  haben  kein  Recht,  einen  Krebskranken  zu  Grund  gehen  zu  lassen 
unter  dem  Vorwände,  dass  er  bei  unserem  Eingriffe  unterliegen  würde, 
ebensowenig  wie  wir  das  Recht  haben,  einen  Kranken  mit  Peritonitis 
sterben  zu  lassen,  ohne  den  Versuch  zu  machen,  ihn  durch  einen 
operativen  Eingriff  zu  retten,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  dass  er  auf 
dem  Operationstische  bleibt.  Der  Krebs  ist  eine  locale  Erkrankung,  die 
auch  durch  eine  locale  Operation  geheilt  werden  muss.  Aber  um  ihn 
zu  heilen,  muss  man  die  Grenzen  überschreiten.  Jede  unvollständige 
Operation  hat  ein  Rccidiv  im  Gefolge,  oder,  besser  gesagt,  eine  Weiter¬ 
verbreitung  ;  denn  der  Krebs  recidivirt  nicht.  Man  muss  daher  sehr 
ausgedehnte  Operation«: n  machen,  und  während  man  das  Erkrankte 
entfernt,  soll  man  sich  nicht  mit  der  Ueberlegung  beschäftigen  oder 
sich  dadurch  einschränken  lassen,  wie  man  den  Defect  wieder  decken 
wird.  Man  wird  es  eben  später  machen,  so  gut  es  geht,  wenn  es  sich 
nicht  von  selber  reparirt.  Nach  diesem  Princip  bat  er  seit  fünf  Jahren 
eine  grosse  Zahl  von  Krebsgeschwülsten  operirt.  Krebse  des  Gesichtes, 
der  Zunge  und  der  Kiefer,  des  Pharynx  und  Larynx,  der  Thyreoidea 
und  der  Halsganglien,  Magen-,  Darmcarcinom,  Krebs  an  Hoden,  Ovarien, 
Uterus,  Rectum,  Brust,  Schulterblatt,  Femur  und  Becken.  Fauve 
rechnet  dabei  zu  den  Careinomen  alle  malignen  Tumoren,  Epitheliome 
und  Sarkome,  die  ja  alle  denselben  Charakter  zeigen,  welches  auch 
ihre  histologische  Beschaffenheit  sei,  niemals  spontan  heilen  und 
ohne  Unterschied  mit  dem  Tode  endigen.  Er  hat  unter  diesen 
Voraussetzungen  bis  zum  vorigen  Jahre  93  Fälle  operirt.  Von  diesen 
sind  18  geheilt  seit  12  bis  47  Monaten.  Unter  ihnen  waren  zwei,  die 
ein  ausserordentlich  schweres  Epitheliom  des  Oberkiefers  darboten, 
nach  25  und  40  Monaten  einer  intercurrenten  Krankheit  erlagen,  ohne 
ein  Recidiv  bekommen  zu  haben.  Im  Ganzen  hat  er  also  20%  Hei¬ 
lungen  erzielt.  Er  ist  sich  wohl  bewusst,  dass  die  Zeit  noch  nicht 
lang  genug  ist,  um  von  einer  definitiven  Heilung  zu  sprechen,  ob¬ 
gleich  er  noch  niemals  mehr  ein  Recidiv  bei  den  äusseren  Krebsformen 
hat  entstehen  sehen,  wenn  die  (scheinbare)  Heilung  ein  Jahr  gedauert 
hat.  Aber  14  von  seinen  Kranken  sind,  nachdem  sie  aus  der  Be¬ 
handlung  geheilt  entlassen  waren,  nicht  mehr  aufzufinden  gewesen. 
Die  Zahl  von  20%  Heilungen  bei  zum  Theile  sehr  schlechten  Fällen 
scheint  ihm  doch  so  ermunternd  zu  sein,  dass  man  unter  keiner  Be¬ 
dingung  an  der  Heilung  des  Carcinoms  verzweifeln  darf  und  das  Recht 
hat,  ja  sogar  die  Pflicht,  in  allen  Fällen  Alles  zu  unternehmen  und 
Alles  zu  wragen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  34. 


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Literatur:  siehe  Therapeut.  Beilage  Nr.  7  d.  D.  med.  Wochenschrift  Nr  27  (98)- 
Nr.  56  d.  A.  M.  C.-Z.  (99);  Nr.  29  d.  A.  B.  C.  (99);  Nr.  17  d.  Wiener  Med.  Bl.  (1900)! 

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wird  von  vielen  Seiten  mit  Recht  gerühmt,  denn  sie  bietet  folgende  Vortheile ; 

1.  Sie  führt  zu  einer  Heilung,  die  von  den  internen  Mitteln  in  dem 
gleichen  Zeiträume  keinesfalls,  sondern  höchstens  von  der  Inunctionscur  er¬ 
reicht  werden  kann. 

2.  Die  Infiltration  nach  der  Injection  ist  viel  geringer  als  hei  dem 
grauen  Oel  und  anderen  Queeksilberverbindungen. 

3.  Das  Hydrarg.  sozojodolic.  hat  nicht  nur  den  Vorzug  der  Leicht¬ 
löslichkeit,  sondern  vereinigt  auch  in  sich  die  günstigen  Eigenschaften  der 
schwerlö.-dichen  Präparate  in  Bezug  auf  eine  andauernde  und  energische 
Wirkung. 

4.  Wöchentlich  eine  Injection  entspricht  einer  wöchentlich  15 — 18<y. 
in  sich  fassenden  Inunctionscur,  wodurch  die  Anwendung  eine  sehr  billige 
und  bedeutend  angenehmere  für  den  Patienten  wird. 

5.  Die  Injectiouen  sind  fast  schmerzlos,  wenn  circa  6  Minuten  vorher 
eine  Pravaz-Spritze  voll  einer  4 — 5/yigen  Cocain.  muriat.-Lösung  au  der 
betreffenden  Stelle  injicirt  wird. 

ltp  :  liydrai'g.  sozojodolic.  0'8  </,  commisce  c.  aq.  dest.  5  0;/;  adde  Kalii  jodat.  1  6  y, 
Aq.  dest.  ad.  10  y,  M.  Filtra.  DS.  Subcutanlösuug.  Wöchentlich  eine  Injection 
in  die  Glutealgegend. 

Gi >n f .  Prof.  Dr.  Schwimmer,  Wiener  klinische  Wochenschrift  1891,  Nr.  26. 

»  Prof.  Dr.  Steuer,  Arbeiten  aus  dem  Ambulatorium  und  der  Privatklinik  etc. 

Heft  II,  pag.  19  ff. 

»  Prof.  Dr.  V.  Janovsky,  Gasopis  Lökaru  Ceskyck  1892,  Nr.  81  u.  22. 

»  Prof.  A.  Fasauo,  Aerztliche  Monatsschrift  1898,  Heft  3. 

»  Prof.  Dr.  Seifert,  Münchener  medicinische  Wochenschrift  1888,  Nr.  47. 

>  Dr.  Gaudin,  am  Höpital  St.  Louis,  Paris,  Specialbroschüre. 

»  Dr.  M.  Endlitz,  am  Höpital  St.  Louis,  Paris,  Special broschüre. 

>  Dr.  Thomän,  Wiener  klinische  Wochenschrift  1889,  Nr.  38. 

»  Dr.  Herzog,  Therapeutische  Monatshefte,  August-Heft  1889. 

»■  Dr.  Rosinski,  Therapeutische  Monatshefte,  December-Heft  1893. 

»  Dr.  Mario  Oro,  Le  Injecioni  di  Sozojodolato  di  Mercurio.  Clinica  dermopath. 
di  Prof,  de  Ainicis,  Napoli  1894. 

»  Dr.  Payet,  Journal  des  Malad,  cutan.  1895,  pag.  200. 

»  Dr.  Alfred  Berliner  (Dr.  R.  Ledermann’s  Poliklinik  für  Hautkrankheiten, 
Berlin),  Allgemeine  medicinische  Central-Zeitung  1896,  Nr.  38. 

»  Dr.  Eugen  Berneick,  Inaugural-Dissertation,  Königsberg  in  Preuasen 
1897,  pag.  28. 

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K  1000- —  von  der  Gemeinde  und  Landesausschuss,  K  1000' —  von 
Seite  des  daselbst  befindlichen  Reconvalescentenheimes,  ist  an  einen 
tüchtigen  Arzt  christlicher  Confession  zu  vergeben;  die  Gemeinde 
zählt  237  Häuser  mit  circa  1500  Einwohnern.  Reflectanten  wollen 
sich  ehest  bei  der  Gemeindevorstehung  Zeillern,  Post  Amstetten, 
brieflich  offeriren. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 
erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Alaximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann^ 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
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tions-Aufträge  für  das  In- 
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Verlagshandlung : 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 11/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  23.  August  1900. 


Nr.  34. 


IHNTH IALT:  (Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in 

Wien  (Hofr.  Dr.  A.  Weichselbaum).  Ein  Fall  von  maligner 
Endocarditis  mit  zahlreichen  Metastasen.  Von  Dr.  S.  G  a  v  a  1  a, 
Athen. 

2.  Aus  der  Poliklinik  des  Dr.  Gold  fl  am  in  Warschau.  Einiges 
über  Epilepsiebehandlung.  Von  Dr.  Max  Biro. 

II.  Referate:  I.  Elemente  der  pathologisch-anatomischen  Diagnose.  Von 
Prof.  Dr.  O.  Israel.  II.  Dermato-histologische  Technik.  Von 


Dr.  M.  Joseph  und  G.  Lüwenbach.  III.  On  Neuroma  and 
Neurofibromatosis.  By  Alexis  Thomson.  Ref.  Dr.  Oskar 
S  t  o  e  r  k.  —  Die  Krankheiten  der  Nägel.  Von  Dr.  Julius 
Heller.  Ref.  L.  I'  renn  d. 

III.  Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  dem  pathologisch  anatomischen  Institute  in  Wien 
(Hofr.  Dr.  A.  Weichselbaum). 

Ein  Fall  von  maligner  Endocarditis  mit  zahl¬ 
reichen  Metastasen. 

Von  Dr.  S.  Gavala,  Athen. 

Am  22.  Juni  1.  J.  gelangte  ein  Fall  von  maligner  Endo¬ 
carditis  zur  Obduction.  welcher  sowohl  wegen  seiner  Ent¬ 
stehung,  als  wegen  der  ausserordentlich  zahlreichen  Metastasen 
Interesse  verdient. 

Es  handelte  sich  um  einen  20jährigen  Mann,  welcher, 
wie  aus  der  freundlichst  zur  Verfügung  gestellten  Kranken¬ 
geschichte  hervorgeht,  am  16.  Juni  1900  auf  die  Abtheilung 
des  Herrn  Primarius  Er.  Pal  auigenommen  worden  war. 

Vor  acht  Monaten  Gelenkrheumatismus,  sonst  stets  gesund. 
Kein  Herzklopfen  bis  vor  vier  Tagen. 

Patient  musste  ein  schweres  Fass  im  Eiskeller  holen  und 
spürte  dabei  Herzklopfen,  Schmerzen  in  der  Brust  und  im  Bauche. 
Wenige  Stunden  später  Schüttelfrost,  Fieber,  er  musste  das  Belt  auf¬ 
suchen.  Husten  mit  dabei  auftretenden  Schmerzen  im  Kreuze  und 
in  der  linken  Seite,  Appetitlosigkeit,  starkes  Herzklopfen,  Athem- 
noth,  zunehmende  Schwäche  und  Schlafsucht.  Kein  Auswurf,  kein 
Erbrechen,  gestern  massiges  Nasenbluten.  Füsse  nie  geschwollen. 
Stuhl  regelmässig. 

Status  praesens:  Passive  Rückenlage,  Sensorium  etwas 
benommen.  Gesichtsausdruck  leidend  und  ängstlich,  Gesichtsfarbe 
blass-cyanotiseh,  Pupille  enge,  reagirend. 

Sichtbare  Schleimhäute  blass,  etwas  livid,  Zunge  belegt. 
Mittehnässiger  Knochenbau,  Musculatur  und  Panniculus  entsprechend, 
keine  Oedeme,  keine  Drüsenschwellung,  Temperatur  38’5°. 

Ai terien  weich,  gerade,  gut  gefüllt,  Spannung  normal,  wallend 
und  zugleich  dikrot.  Frequenz  96,  rhythmisch. 

Respiration  ziemlich  beschleunigt,  inspiratorische  Dyspnoe, 
Nasenflügelathmen,  oberer  Costaltypus.  Keine  inspiratorischen  Ein¬ 
ziehungen.  Etwas  Husten  mit  zähdickem  Auswurfe. 


Urin  deutlich  Nucleo-  und  Serumalbumin,  Zucker  negativ, 
Harnmenge  vermindert.  Thorax  mittel mässig,  gut  gewölbt. 

Einige  Venenerweiterungen  auf  der  Brust.  In  den  Lungen 
nichts  Abnormes. 

Herz:  Spitzenstoss  im  fünften  Intercostalraum,  zwei  bis  drei 
Querfmger  ausserhalb  der  Mamillarlinie,  stark  hebend,  entsprechend 
drei  hintereinander  gelegenen  Fingerkuppen,  palpabel  und  deutlich 
sichtbar.  Spilzenstossvorwölbung,  etwas  epigastrische  Pulsationen 
sichtbar  und  fühlbar.  Positiver  Venenpuls,  daneben  indulirende 
Venen  am  Halse. 

Percussion:  Aeusserer  Rand  der  Herzdämpfung  ist  drei 
Querfinger  ausserhalb  der  Mamillarlinie  um  einen  Querfmger 
wechselnd.  Nach  starker  Percussion  Verschiebung  der  Dämpfung 
nach  innen,  linke  Parasternallinie.  Oberer  Rand  der  Herzdämpfung 
am  unteren  Rande  der  dritten  Rippe.  In  der  linken  Sternallinie 
am  unteren  Rande  der  zweiten  Rippe  eine  Verbreiterung  bis  fast 
zum  rechten  Sternalrand. 

Auscultation:  An  der  Spitze  langes,  systolisches  Geräusch, 
accenluirter,  diastolischer  Ton  und  leises,  diastolisches  Geräusch, 
manchmal  deutliche  Spaltung  des  zweiten  Tones  an  der  Spitze. 

Ueber  der  Pulmonalis  systolisches  Geräusch,  zweiter  Ton  mit 
diastolischem  Geräusch. 

Ueber  der  Tricuspidalis  zwei  blasende  Geräusche,  diastolisch 
und  systolisch  mit  musikalischem  Charakter. 

17.  Juni.  Temperatur  38 — 39'4°.  Puls  108,  Respiration  32. 
Puls  dikrot,  schnellend  und  arhythmisch;  nach  vier  bis  lünf  Pulsen 
tritt  eine  längere  Pause  ein.  Milz  und  Leber  nicht  vergrössert.  Im 
Abdomen  nichts  Besonderes. 

Das  ganze  Sternum '  gibt  einen  gedämpften  Schall. 

18.  Juni  Temperatur  38—40°.  Puls  112 — 116,  Respiration 
40 — 48.  Systolisches  knackendes  Geräusch.  Dämpfung  beginnt  in 
der  Mitte  des  Interscapularraumes  in  der  Höhe  des  fünften  bis 
sechsten  Brustwirbels.  In  der  unteren  Hälfte  bronchiales  Compres- 
sionsathmen. 

19.  Juni.  Temperatur  39 — 40°.  Puls  112,  Respiration  36. 
Patient  wird  wegen  unruhigen  Zustandes  auf  das  Gitterbett  trans- 
ferirt.  'Herzdämpfung  beginnt  in  der  linken  Parasternallinie  von  der 


76b 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  34 


zweiten  Rippe.  Nach  rechts  reicht  dieselbe  bis  zum  rechten 
Sternalrand. 

Sternum  gedämpft.  Spitzenstoss  im  fünften  Intercoslalraum 
in  der  Mamillarlinie  sichtbar  und  fühlbar.  Der  T  r  a  u  b  e’sche  Raum 
klingt  laut  tympanitisch,  Athmung  hochgradig  asymmetrisch,  die 
linke  Seite  bleibt  zurück. 

Die  Auscultation  ergibt  systolisches  Reiben.  Ueber  dem 
Sternum  pericardiales  systolisches  Reiben  mit  knackenden  Geräuschen. 

An  der  Herzspitze  hört  man  einen  accentuirten  systolischen 
Ton,  leises,  systolisches  Geräusch,  kaum  hörbare  Diastole. 

An  der  Pulmonalis  deutlich  hörbarer  zweiter  Ton.  Ueber  der 
Aorta  liegt  der  Accent  auf  dem  diastolischen  Geräusch. 

Beim  Aufsetzen  bewegt  Patient  die  Kniegelenke.  Ein  Exsudat 
in  den  Gelenken  ist  nirgends  nachweisbar. 

Abdomen  ist  mächtig  aufgetrieben.  Ueber  der  Vena  jugularis 
Undulation. 

Cyanose  der  oberen  Extremitäten  und  Lippen.  Deutlicher 
Capillarpuls.  Auf  der  rechten  Planta  pedis  ein  etwa  zweikronen¬ 
stückgrosses,  bläuliches,  auf  Druck  schmerzhaftes  Infiltrat. 

Vergangene  Nacht  war  Patient  verwirrt,  vollkommen  des- 
orientirt,  schrie,  sprang  auf,  wurde  gewaltthätig. 

Heute  ist  Patient  somnolent,  Cyanose  der  Lippen.  Puls  120, 
Spannung  gering,  deutliche  Dikrotie. 

20.  Juni.  Temperatur  39 — 39'6°.  Puls  112,  Respiration  32. 
Die  Probepunction  der  linken  Thoraxhälfte  ergab  serös-fibrinöses 
Exsudat,  das  zur  bacteriologischen  Untersuchung  gegeben  wurde. 

Nachmittags  schwer  benommen,  delirirt,  leichte  Nackensteifig¬ 
keit.  Beim  Aufsetzen  schmerzempfindlich.  Drehen  frei.  Am  rechten 
Sternocleido  ein  guldengrosses,  entzündliches  Infiltrat.  Kleine,  bis 
erbsengrosse  Infiltrate  und  rothbraune  Flecken  auf  den  Schenkeln. 

Herzdämpfung  in  der  linken  Parasternallinie  an  der  zweiten 
Rippe.  Spitzenstoss  im  sechsten  Intercostalraum  sichtbar. 

Pulsfrequenz  122.  An  der  Spitze  der  erste  Ton  accentuirt. 
Ueber  der  Pulmonalis  und  Aorta  diastolische,  blasende  Geräusche. 

Im  Urin  mässig  viel  Eiweiss,  im  Sediment  keine  Cylinder. 
Deutliche  Leukocytose,  polynucleäre  Leukocyten. 

21.  Juni.  Temperatur  39 — 40'2°. 

Puls  116,  Respiration  3G. 

Die  bacteriologische  Untersuchung  der  Probepunctionsflüssig- 
keit  ergab  Staphylococcus  pyogenes  aureus  und  Streptococcus 
pyogenes. 

Patient  ist  5  '/2  Uhr  Nachmittags  gestorben. 

Sectionsbefund:  Der  Körper  mittelgross,  gracil  gebaut, 
mit  schwacher  Musculatur,  wenig  entwickeltem  Panniculus  adiposus 
und  blassvioletten  Todtenflecken  auf  der  Rückseite.  Am  rechten 
Fussriicken  in  der  Nähe  des  Malleolus  externus  eine  mandelgrosse, 
fluctuirende  Geschwulst  (subcutaner  Abscess). 

Das  Schädeldach  von  gewöhnlicher  Dicke  und  Form.  Die 
Hirnhäute  mässig  blutreich.  An  verschiedenen  Stellen  der  Hirnober¬ 
fläche  rundliche,  bis  2  cm  im  Durchmesser  haltende,  flache,  theils 
dunkelrothe,  zum  Theil  vereiterte  Herde.  Im  linken  Stirnlappen  ein 
4  cm  langer  und  */2  cm  breiter,  weicher,  röthlicher  Herd.  Die  ihn 
umgebende  Hirnsubstanz  erweicht  und  gelblich  verfärbt.  Auch  im 
rechten  Schläfenlappen  findet  sich  ein  3  cm  langer  und  2  cm 
breiter,  weicher,  röthlicher  Herd  mit  gelber  Erweichung  der  benach¬ 
barten  Hirnsubstanz.  In  den  Ventrikeln  und  grossen  Ganglien  nichts 
Abnormes. 

Die  Schleimhaut  des  Pharynx  leicht  geschwollen  und  diffus 
dunkelroth.  Beide  Tonsillen  geschwollen,  die  rechte  fast  vollständig 
durch  einen  nussgrossen  Abscess  substituirt,  während  in  der  linken 
Tonsille  ein  erbsengrosser  Eiterherd  vorhanden  ist. 

Die  linke  Lunge  ist  in  ihrem  oberen  Abschnitt  durch  dicke 
Pseudomembranen  mit  der  Thoraxwand  verwachsen.  Zwischen  dem 
Unlerlappen  und  der  Thoraxwand  ist  eine  ziemlich  reichliche  Menge 
fibrinös-eiterigen  Exsudates  vorhanden.  Im  Oberlappen  der  linken 
Lunge  finden  sich  multiple,  keilförmige  oder  rundliche,  braunrothe, 
weiche,  zum  Theil  vereiterte  Herde  von  verschiedener  Grösse.  Des¬ 
gleichen  im  Ober-  und  Mittellappen  der  rechten  Lunge. 

Im  Herzbeutel  geringe  Mengen  fibrinös-eiterigen  Inhaltes.  Das 
Herz  grösser,  und  zwar  durch  Erweiterung  des  deutlich  hypertrophi¬ 
schen  linken  Ventrikels. 

Der  Herzmuskel,  von  gelblichbrauner  Farbe  und  verminderter 
Gonsistenz,  zeigt  an  verschiedenen  Stellen  punktförmige  und  grössere 


hämorrhagische  oder  zum  Theil  vereiterte  Herde.  An  der  Valvula 
mitralis,  die  fibrös  verdickt,  finden  sich  theils  reichliche,  grauröth- 
liche,  weiche  Efflorescenzen,  die  sich  leicht  ablösen  lassen,  theils 
einzelne  seichte,  mit  weichen  Massen  bedeckte  Geschwüre,  deren 
Rand  zackig  und  etwas  erhaben  erscheint.  Die  Valvula  aortae 
gleichfalls  fibrös  verdickt  und  verkürzt. 

Am  Endocardium  des  rechten  Ventrikels  stellenweise  unregel¬ 
mässige,  weissliche  Flecken. 

Die  Leber  grösser  (28  :  25  cm,  1620  <7),  von  braungelber  Farbe 
und  etwas  verminderter  Gonsistenz,  zeigt  an  verschiedenen  Stellen, 
besonders  am  Rande  des  rechten  Lappens,  weiche,  theils  hämor¬ 
rhagische,  theils  vereiterte  Herde. 

Die  Gallenblase  und  Gallengänge  normal. 

Die  Milz  etwas  grösser,  blutreich,  von  verminderter  Consistcnz, 
zeigt  an  ihrem  unteren  Rande  einen  grossen,  weichen,  dunkel- 
rothen  Infarct  und  an  verschiedenen  anderen  Stellen  kleine,  rund¬ 
liche  Abscesse. 

Die  beiden  Nieren  etwas  grösser,  die  Kapsel  leicht  abziehbar. 
An  verschiedenen  Stellen  der  Rinde  und  der  Pyramiden  theils 
punktförmige,  theils  linsen-  bis  nussgrossc,  weiche,  hämorrhagische, 
oder  zum  Theil  vereiterte  Herde. 

Im  Dünndarm  ausser  diffusem  Katarrh  einige  linsengrosse, 
braunrothe,  exulcerirte  Herde. 

Die  Synovia  im  rechten  Kniegelenke  klar,  die  Synovialis 
stark  injicirt. 

Diagnose:  Eitrige  Tonsillitis  beiderseits, 
nebst  acuter  Pharyngitis.  Acute  Endocarditis 
der  Valvula  mitralis  mit  Myocarditis.  Peri¬ 
carditis.  Metastatische  Entzündungsherde  im 
Gehirn,  in  den  Lungen  mit  linksseitiger  Pleu¬ 
ritis,  in  der  Milz,  der  Leber,  den  Nieren,  im 
Dünndarm  mit  diffuser  Enterititis  und  in  der 
Subcutis  des  rechten  Fussrückens,  acuter  Milz¬ 
tumor,  fettige  Degeneration  der  Leber,  des 
Herzens  und  der  Nieren.  Insufficienz  der  V.  mi¬ 
tralis  und  der  Aortenklappen  nach  alter  Endo¬ 
carditis  mit  excent  rise  her  Hypertrophie  des 
linken  Ventrikels. 

Bacteriologische  Untersuchung. 

Für  diese  Untersuchung  wurden  theils  Deckglas- 
präp  arate  ängefertigt,  theils  C  u  1 1  u  r  e  n  angelegt. 

Für  die  ersteren  wurden  die  Abscesse  des  Gehirnes,  der 
linken  Tonsilla,  der  Lunge,  Leber  und  Nieren,  ferner  der 
Milzinfarct,  das  pleuritische  und  pericarditische  Exsudat  und 
der  subcutane  Abscess  am  Fussrücken  verwendet.  In  allen 
diesen  Präparaten  fanden  sich  sehr  reichliche  Staphylococcen, 
im  Abscesse  der  Tonsille  überdies  auch  Diplococcen. 

Culturen  wurden  auf  Agar  in  Petr  i’schen  Schalen 
mittelst  der  Strichmethode  angelegt,  und  zwar  von  den 
Abscessen  des  Gehirnes,  der  Lunge,  Leber  und  Nieren,  der 
linken  Tonsille  und  des  Fussrückens,  vom  pleuritischen  und 
pericarditischen  Exsudate,  den  endocarditisehen  Vegetationen 
und  dem  Milzinfarcte. 

Auf  allen  diesen  Platten  entstanden  ausschliesslich  und 
sehr  reichlich  Colonien  des  Staphylococcus  pyogenes  aureus; 
nur  aus  dem  Eiter  des  Tonsillarabscesses  gingen  neben  reich¬ 
lichen  Colonien  von  Staphylococcus  pyogenes  aureus  noch 
spärliche  Colonien  des  Staphylococcus  pyogenes  albus  und 
viele  Colonien  des  Streptococcus  pyogenes  auf. 

Pathologisch -  histologischer  Befund. 

1.  Gehirn.  Im  Bereiche  der  encephalitischen  Herde  ist 
die  Hirnsubstanz  durch  ein  hämorrhagisch- eiteriges  Exsudat 
nahezu  vollständig  zerstört,  indem  man  von  ersterer  nur  an  der 
Peripherie  der  Herde  noch  Blutgefässe  und  gröbere  Glia- 
balken  wahrnimmt.  Im  Exsudate  sind  die  rothen  Blutkörper¬ 
chen  entweder  noch  deutlich  zu  erkennen,  oder  sie  sind  unter¬ 
einander  zusammengebacken. 

Das  hämorrhagisch-eiterige  Exsudat  erstreckt  sich  bei 
den  oberflächlichen  Herden  auch  in  die  darüber  befindlichen 
inneren  Hirnhäute. 


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Inmitten  der  Exsudatmassen  sieht  man  kleinere  und 
grössere  Häufchen  von  Coccen. 

In  der  Peripherie  der  Herde  und  in  der  nächsten  Um¬ 
gebung  derselben  sind  ziemlich  viele  Capillaren  oder  kleinste 
Arterien  durch  Coccen  verstopft. 

Die  umgebende  Hirnsirbstanz  ist  entweder  noch  unver¬ 
ändert,  oder  es  sind  die  Gefässe  von  einer  hämorrhagischen 
oder  eiterigen,  oder  nekrotisch-eiterigen  Zone  umgeben,  wobei 
den  Gefässen  zunächst  die  nekrotische  und  weiter  nach  aussen 
die  eiterige  Zone  zu  liegen  kommt. 

Viele  von  den  Eiterkörperchen  zeigen  Zerfall  ihrer 
Kerne. 

Mitunter  ist  die  Wand  des  verstopften  Blutgefässes  selbst 
nekrotisch,  wobei  sie  mit  der  nächsten  Umgebung  in  ein  durch 
Eosin  sich  intensiv  färbendes  Balkenwerk  umgewandelt 
erscheint. 

2.  Lungen  und  Pleura.  Die  Pleura  ist  einerseits 
durchsetzt  von  inselförmigen  Fibrinnetzen,  kleinen  Hämor- 
rhagien  und  zelligen  Infiltraten,  welch  letztere  zum  Theile  aus 
polynucleären  Leukocyten  bestehen,  von  denen  nicht  wenige 
Kernzerfall  zeigen,  andererseits  ist  sie  bedeckt  von  einer 
Exsudatschichte,  welche  zum  grössten  Theile  fibrinöser,  zum 
kleineren  Theile  hämorrhagischer  Natur  ist.  Die  Fibrinnetze 
enthalten  zahlreiche  polynucleäre  Leukocyten,  von  denen  ein 
Theil  Kernzerfall  auf  weist.  In  den  oberflächlichen  Schichten 
des  Exsudates  findet  man  zahlreiche  Coccenhäufchen. 

In  der  Lunge  sieht  man  entsprechend  den  hämorrhagisch¬ 
eiterigen  Herden  das  Lungengewebe,  das  heisst  Alveolen  und 
interstitielles  Gewebe,  theils  von  Hämorrhagien,  theils  von 
einem  eiterigen  Exsudate  erfüllt  und  durchsetzt,  wobei  die 
Septa  der  Alveolen  zum  grossen  Theile  durch  die  Hämor¬ 
rhagien  zestört,  oder  durch  das  eiterige  Exsudat  einge¬ 
schmolzen  sind. 

Im  Bereiche  des  letzteren  sind  viele  Häufchen  von 
Coccen  oder  Coccenembolien  von  Capillaren  vorhanden. 

3.  Valvula  mitral  is.  Man  sieht  auf  ihrer  Oberfläche 
entsprechend  den  Efflorescenzen,  zunächst  Thrombenmassen, 
welche  grössere  und  kleinere  Coccenhaufen  beherbergen.  Dann 
folgt  eine  Schichte  nekrotischen  Klappengewebes,  weiterhin 
eine  schmale  Zone,  in  welcher  das  Klappenbindegewebe  von 
dicht  stehenden,  polynucleären  Leukocyten  durchsetzt  ist, 
während  weiter  nach  abwärts  die  Eiterkörperchen  spärlicher 
werden,  die  Bindegewebszellen  aber  vergrössert  und  vermehrt 
erscheinen.  Auch  ziemlich  viele  neugebildete  Blutgefässe  sind 
zu  sehen,  welche  offenbar  von  einer  früheren,  bereits  abge¬ 
laufenen  Entzündung  stammen. 

4.  Leber.  Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  sieht 
man  zahlreiche  Herde  von  verschiedener  Grösse.  Die  kleinsten 
nehmen  nur  einen  Theil  eines  Acinus  ein  und  bestehen 
durchwegs  aus  Eiterkörperchen,  sind  also  kleinste,  durch  voll¬ 
ständige  eiterige  Einschmelzung  des  Lebergewebes  entstandene 
Abscesse,  in  deren  Mitte  man  mitunter  noch  einen  Coccen¬ 
haufen  oder  ein  durch  Coccen  verstopftes  Capillargefäss  wahr¬ 
nehmen  kann. 

Die  grösseren  Herde  erstrecken  sich  über  einen  Acinus, 
oder  selbst  über  mehrere  Acini.  In  denselben  bemerkt  man 
zunächst  kleine  Arterienäste,  sowie  einzelne  oder  viele 
Capillaren  durch  Coccen  verstopft.  Im  letzteren  Falle  gewinnt 
man  den  Eindruck,  als  würden  die  Capillaren  mit  einer  ge¬ 
färbten  Masse  injicirt  worden  sein. 

Weiters  findet  man,  und  zwar  in  den  centralen  Partien 
der  Herde,  die  Leberzellenbalken,  sowie  die  zwischen  ihnen 
befindlichen  Capillaren  vollständig  kernlos  (nekrotisch),  während 
gegen  die  Peripherie  den  Herden  zu  zwischen  den  nekrotischen 
Leberzellenreihen  polynucleäre  Leukocyten  erscheinen,  welche 
an  Zahl  allmälig  zunehmen  und  schliesslich  die  Leberzellen 
ganz  verdrängen  können. 

5.  Niere.  Man  findet  kleine  und  grössere,  zum  Theile 
conflnirende  Eiterherde,  in  deren  Mitte  man  mitunter  noch 
von  Coccen  verstopfte,  kleine  Arterienäste  sehen  kann.  Diese 
Abscesschen  werden  von  einem  breiteren  oder  schmäleren 
hämorrhagischen  Hofe  umgeben,  das  heisst  von  Hämorrhagien, 
welche  die  Harncarälchen  entweder  ganz  verdrängt  haben, 


oder  zwischen  denen  man  noch  einzelne,  meistens  nekrotische 
Canälchen  sehen  kann.  Ausserdem  gibt  es  noch  verschieden 
grosse  Herde,  in  deren  Bereiche  die  Harncanälchen  und 
Glomeruli  nekrotisch  erscheinen,  während  zwischen  diesen  ent¬ 
weder  Extravasate  oder  polynucleäre  Leukocyten  vorhanden 
sind,  welche  stellenweise  die  Harncanälchen  ganz  substituiren 
und  dann  kleinste  Abscesse  bilden. 

6.  Milz.  Der  grosse  Infarct  in  der  Milz  weicht  in 
seinem  mikroskopischen  Verhalten  von  jenem  der  grossen 
Herde  in  den  anderen  Organen  nicht  ab.  Man  sieht  aber  bei 
der  mikroskopischen  Untersuchung  noch  viele  kleine  Herde, 
die  entweder  einfache  Hämorrhagien  sind,  oder  theils  aus 
Extravasaten,  theils  aus  mono-  und  polynucleären  Leukocyten 
bestehen.  Diese  Herde  liegen  ausschliesslich  in  der  Pulpa, 
wobei  aber  die  Hämorrhagien  mitunter  die  M  a  1  p  i  g  h  fischen 
Follikel  von  allen  Seiten  umgeben. 

7.  Darm.  Die  betreffenden  Herde  bestehen  mikroskopisch 
theils  aus  einem  Extravasate,  welches  die  Submucosa  und 
Muscularis  einnimmt,  theils  aus  Eiterkörperchen,  welche  in 
den  tieferen  Partien  der  Mucosa  liegen. 

8.  Herzmuskel.  Bei  der  mikroskopischen  Unter¬ 
suchung  findet  man  ausser  den  schon  makroskopisch  wahr¬ 
nehmbaren  Herden  noch  zahlreiche  sehr  kleine  Herde,  welche 
entweder  ausschliesslich  aus  Eiterkörperchen  bestehen,  oder 
im  Centrum  eiteriger  und  in  der  Peripherie  hämorrhagischer 
Natur  sind,  oder  blos  kleinste  Hämorrhagien  darstellen.  Im 
eiterigen  Antheile  dieser  Herde  findet  man  häufig  theils  Coccen¬ 
häufchen,  theils  Coccenembolien  von  Capillaren.  Im  hämor¬ 
rhagischen  Antheile  der  Herde  sind  die  Muskelprimitivbündel 
ganz  oder  theilweise  nekrotisch. 

* 

Der  eben  beschriebene  Fall  zeichnet  sich  zunächst  in 
pathologisch-anatomischer  Beziehung  dadurch  aus,  dass  er  eine 
sehr  schwere  Form  von  Endocarditis  darstellt,  bei  welcher  es 
zu  Metastasen  in  sehr  zahlreichen  Organen  gekommen  war, 
nicht  nur  in  solchen  Organen,  welche  wie  die  Lungen,  die 
Milz  und  die  Nieren  eine  sehr  häufige  Stätte  von  Embolien 
darstellen,  sondern  auch  in  solchen  Organen,  welche,  wie  das 
Gehirn,  das  Myocard,  die  Leber,  der  Darm  und  das  Unter¬ 
hautbindegewebe,  nur  selten  von  Metastasen  befallen  werden. 

Die  metastatischen  Herde,  namentlich  die  grösseren, 
zeigten  in  allen  Organen  eine  ausgesprochene  Tendenz  zur 
Vereiterung,  was  offenbar  darauf  zurückzuführen  ist,  dass  sie 
durchwegs  durch  den  Staphylococcus  pyogenes  aureus  ver¬ 
ursacht  wurden,  welcher,  wie  die  bacteriologische  Untersuchung 
lehrte,  nicht  nur  in  den  endocarditischen  Vegetationen,  sondern 
auch  in  allen  Metastasen  in  Reincultur  vorhanden  war. 

Wenn  wir  uns  nun  fragen,  in  welcher  Weise  die  Endo¬ 
carditis  entstanden  war,  und  wie  die  Vorgefundenen  Processe 
untereinander  Zusammenhängen,  so  kann  es  zunächst  als  sehr 
wahrscheinlich  bezeichnet  werden,  dass  die  eiterige  Tonsillitis 
den  Primärprocess  darstellt,  und  dass  es  von  diesem  aus  auf 
dem  Blutwege  zunächst  zur  Infection  der  Valvula  mitralis 
kam,  welche  Klappe  in  Folge  ihrer  von  einer  früheren  Ent¬ 
zündung  herrührenden  Veränderungen  (Verdickungen,  Uneben¬ 
heiten)  zu  Infection,  das  heisst  zur  Ansiedlung  von  Bacterien 
disponirt  war,  und  dass  dann  weiterhin  durch  Ablösung  von 
endocarditischen  Vegetationen  die  Metastasen  in  den  ver¬ 
schiedensten  Organen  veranlasst  wurden.  Für  diese  Annahme 
lässt  sich  auch  die  Thatsache  verwerthen,  dass  im  Eiter  der 
Tonsillarabscesse  der  Staphylococcus  pyogenes  aureus  nachge¬ 
wiesen  werden  konnte,  allerdings  neben  demselben  noch  der 
Streptococcus  pyogenes,  welch  letzterer  aber  wahrscheinlich 
nicht  ins  Blut  gelangte  oder  wenigstens  sich  nicht  an  der 
Valvula  mitralis  ansiedelte,  vielleicht  auch  von  dem  viel 
üppiger  gedeihenden  Staphylococcus  pyogenes  aureus  über¬ 
wuchert  worden  war. 

Dass  eine  Tonsillitis  den  Ausgangspunkt  einer  allgemeinen 
Infection,  sei  es  einer  Endocarditis  mit  darauffolgender  Pyämie, 
oder  einer  Pyämie  überhaupt,  bilden  kann,  ist  bereits  wieder¬ 
holt  beobachtet  und  beschrieben  worden. 


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Iin  vorliegenden  Falle  findet  sich  aber  in  der  Anamnese 
die  Angabe,  dass  der  Schüttelfrost,  also  das  Initialsymptom 
der  Pyämie,  wenige  Stunden  nach  dem  Heben  einer  sehr 
schweren  Last  sich  eingestellt  hatte,  während  vorher  der  Patient 
anscheinend  wohl  gewesen  war. 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  zwischen  diesen  beiden 
Momenten  irgend  ein  Zusammenhang  anzunehmen  ist.  In 
dieser  Beziehung  könnte  man  an  zwei  Möglichkeiten  denken. 
Die  erste  bestünde  darin,  dass  in  Folge  der  schweren  körper¬ 
lichen  Anstrengung  beim  Heben  einer  grossen  Last  eine 
Läsion  der  Aortenklappen,  die  durch  die  vorausgegangene 
Endocarditis  bereits  verändert  waren,  gesetzt,  und  hiedurch 
das  Eindringen  bereits  im  Blute  vorhanden  gewesener,  aus 
dem  Tonsillarabscesse  stammender,  pathogener  Mikroorganismen 
begünstigt  worden  war. 

Die  zweite  Möglichkeit  besteht  darin,  dass  bereits  eine 
frische,  aber  noch  nicht  manifeste  Endocarditis  vorhanden  war, 
und  dass  erst  durch  die  grosse  körperliche  Anstrengung  beim 
Heben  der  schweren  Last  von  den  endocarditischen  Vege¬ 
tationen  Partikelchen  abgerissen  worden  waren,  oder  dass 
wenigstens  deren  Ablösung  durch  die  körperliche  Anstrengung 
begünstigt  worden  war,  und  dass  dann  diese  Thromben¬ 
partikelchen  in  verschiedene  Organe  eingeschwemmt 
wurden. 

Von  diesen  beiden  Annahmen  hat  aber  die  letztere  des¬ 
halb  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  weil  schon 
wenige  Stunden  nach  dem  Heben  der  schweren  Last 
ein  Schüttelfrost,  das  heisst  das  erste  Symptom  der  Ueber- 
schwemmung  des  Gefässsystems  mit  Bacterien,  aufge¬ 
treten  war. 

Zum  Schlüsse  gestatte  ich  mir,  den  hochverehrten 
Herren  Prof.  Dr.  A.  Weichselbaum  und  Docent  Dr.  A. 
Ghon  für  die  gütige  Ueberlassung  dieses  Falles  und  für  ihre 
freundliche  Unterstützung  meinen  besten  Dank  an  dieser 
Stelle  auszusprechen. 


Aus  der  Poliklinik  des  Dr.  Goldflam  in  Warschau. 

Einiges  über  Epilepsiebehandlung. 

Von  Dr.  Max  Biro. 

Morbus  sacer,  eine  Krankheit,  deren  bekannte  Anfälle 
unerwartet  auftreten,  des  Ortes  ungeachtet,  wo  die  ausserhalb 
der  Anfälle  gesund  scheinende  Person  sich  befindet,  eine 
Krankheit,  welche  ganze  Jahre  dauert,  eine  Krankheit,  die 
seit  dem  Alterthume  bekannt  ist,  trotzt  heute  noch  meist  unseren 
Massregeln.  Alle  Bestrebungen  zu  deren  Bekämpfung  oder 
Bändigung  scheinen  des  Besprechens  wert.  Der  geringen  Zahl 
der  speciellen  Krankenhäuser  halber  wäre  es  nicht  ohne 
Nutzen,  kurz  selbst  Bestrebungen  der  Anstalten,  in  welchen 
man  kaum  solche  präcise  Thatsachen  beobachten  kann,  wie 
sie  leicht  in  Epilepsiesanatorien  gemacht  werden  können,  zu 
veröffentlichen.  In  Allgemeinkrankenhäusern  finden  die  un¬ 
glücklichen  Epileptiker  keinen  längeren  Aufenthalt;  deswegen 
scheint  es  nicht  ohne  Nutzen,  die  Beobachtungen  zu  erwähnen, 
welche  ich  während  acht  Jahre  in  Dr.  Gold  flam’s  Poli¬ 
klinik  in  185  Fällen  von  Epilepsie  zu  machen  Gelegenheit 
gehabt  habe.  Indem  ich  an  dieser  Stelle  Dr.  Goldflam 
meinen  herzlichen  Dank  ausdrücke  für  die  Erlaubniss,  zu 
meinen  Zwecken  das  entsprechende  poliklinische  Material  zu 
verwerthen,  sei  es  mir  erlaubt,  hier  einen  Ueberblick  auch 
über  unsere  therapeutischen  Erfolge  zu  geben. 

Bevor  ich  dies  thue,  ist  es  wünschenswerth,  die 
Kriterien  zu  erwägen,  welche  uns  erlauben,  die  Meinung  aus¬ 
zusprechen,  dass  ein  Fall  geheilt  oder  mindestens  gebessert 
wurde.  Da  der  Epileptiker  in  den  Zwischenzeiten,  welche 
die  Anfälle  abgrenzen,  last  keine  krankhaften  Erscheinungen 
bietet,  könnte  es  scheinen,  dass  man  in  dieser  Hinsicht  auf 
der  Zeitdauer  tusse,  während  welcher  der  Kranke  seit  der 
Cur  keine  Anfälle  durchgemacht.  Mehrere  Forscher  ver¬ 
fahren  eben  in  diesem  Sinne.  Sachs  glaubt  in  jedem  Falle 
nach  fünfjährigem  anfallsfreien  Zeitlaufe  den  Kranken  als 
geheilt  betrachten  zu  dürfen.  Erlenmeyer  ist  der  Meinung, 


dass,  wenn  nach  vieljähriger  Dauer  Anfälle  von  Neuem  auf¬ 
treten,  man  einer  ganz  neuen  Erkrankung  gegenüberstehe.  Diese 
seine  nicht  gerechtfertigte  Behauptung  bedarf  kaum  einer  Be¬ 
kämpfung.  Wo  wollen  wir  die  Grenze  bezeichnet  wissen,  an 
der  wir  einen  anfallsfreien  Zeitraum  als  Beweis  von  Heilung 
erklären?  Wenn  wir  überhaupt  einen  langen  anfallsfreien  Zeit¬ 
raum  als  Beweis  von  Genesung  annehmen,  dann  gelangen  wir 
auf  Irrwege.  Es  sind  jahrelange  Intervalla  lucida  ja  Allen 
bekannt.  Ich  erwähne  zweier  meiner  Fälle,  in  denen  bei 
zwei  siebenjährigen  Mädchen,  der  erste  Anfall  im  ersten, 
die  späteren  erst  nach  dem  siebenten  Lebensjahre  vorge¬ 
kommen;  eines  elfjährigen  Knaben,  der  den  ersten  Anfall  im 
dritten  und  die  nachfolgenden  erst  im  elften  Jahre  durch¬ 
gemacht  hat.  Wenn  man  dem  entgegen  behaupten  wollte,  dass 
ein  langer  Zeitraum  nur  zwischen  dem  ersten  und  dem  zweiten 
Anfalle  auftreten  kann,  dass  deshalb  ein  grosses  Intervallum 
lucidum  nach  einer  Reihe  von  Anfällen  und  nicht  nach  dem 
ersten  eine  Heilung  oder  Besserung  aufweist,  dann  kann  ich 
auf  einen  Fall  hindeuten,  in  welchem  ein  17jähriges  Mädchen 
vom  ersten  bis  zum  sechsten  Jahre  fast  alle  sechs  Monate 
Anfälle  gehabt,  dann  zehn  Jahre  anfallsfrei  geblieben,  um  von 
da  an  von  Neuem  alle  sechs  Monate  wie  vorher  Epilepsieanfälle 
durchzumachen.  In  Anbetracht  dessen  ist  es  kaum  möglich, 
nach  dem  absoluten  Zeiträume,  der  ohne  Anfälle  geblieben, 
sich  für  Heilung  oder  Besserung  des  entsprechenden  Falles  zu  er¬ 
klären.  Doch  scheint  ein  gewisses  Mass  vorhanden  zu  sein, 
kraft  dessen  man  Heilung  oder  Besserung  annehmen  könnte. 
Vielleicht  wäre  es  wichtig,  in  jedem  Falle  in  Acht  zu  nehmen, 
welches  Verhältniss  zwischen  dem  Zeiträume  seit  der  ange- 
stellten  Cur  und  den  anfallsfreien  Zwischenzeiten,  welche  vor 
derselben  vorgekommen,  besteht.  Ein  solches  Verfahren  müsste 
berücksichtigt  werden,  wenn  man  auch  nur  eine  leise  Ahnung 
hätte,  dass  eine  gewisse  Regelmässigkeit  im  Verhältnisse  der 
Zeiträume,  welche  die  Anfälle  abgrenzen,  bestehe.  Es  ist  kaum 
zu  hoffen,  dass  die  Zwischenzeiten  untereinander  richtig  zu 
ermessen  seien,  dass  man  mathematisch  ihr  Verhältniss  be¬ 
stimmen  könne.  Dies  scheint  unmöglich,  da  Einwirkungen  vor¬ 
handen,  welche  das  Auftreten  einzelner  Anfälle  erleichtern  oder 
verhindern.  In  5%  meiner  Fälle  könnte  man  einen  solchen 
Einfluss  gewisser  Erscheinungen  auf  das  Entstehen  von  An¬ 
fällen  beobachten.  In  3%  der  Epilepsiefälle  folgten  manchmal 
die  Anfälle  einem  psychischen  Trauma  nach,  in  1%  einem 
physischen  und  psychischen;  fast  in  0'8%  kam  der  Anfall 
ausserhalb  seines  regelmässigen  Verlaufes  während  der  Men¬ 
struation  vor.  Der  blosse  Heiratsfactor  machte  die  Anfälle  in 
0'2%  auf  gewisse  Zeit  seltener,  eine  Thatsache,  die  nach 
Bins  w  anger  mehrmals  beobachtet  ist.  Wie  weit  in  den 
letzteren  Fällen  auf  die  Verringerung  der  Zahl  der  Anfälle 
das  Aufhören  der  Meustruation  Einfluss  gehabt  hat,  ist  schwer  zu 
behaupten,  doch  ist  es  zu  vermuthen;  es  ist  ja  bekannt,  und 
dies  war  auch  in  zwei  meiner  Fälle  zu  beobachten,  dass  die 
Anfälle  oft  zur  Zeit  der  Menstruation  auftraten.  Es  ist  schwer, 
blos  mit  Bin  sw  anger,  überereinzustimmen,  dass  dies  in 
solchen  Fällen  vorkommt,  in  welchen  die  ersten  Anfälle  »zu¬ 
gleich  mit  dem  erstmaligen  Auftreten  der  Menstruation«  ent¬ 
standen,  da  eine  meiner  Kranken  mit  Anfällen  zur  Zeit  der 
Menstrua  den  ersten  Anfall  im  11.,  den  zweiten  im  22.  Jahre 
hatte,  während  sie  erst  im  14.  Lebensjahre  zu  menstruiren  be¬ 
gonnen  hatte. 

Wenn  wir  im  Stande  sein  werden,  aus  der  Verlaufslinie 
einzelner  Fälle  von  Epilepsie  die  unbedeutenden  Perturbationen 
zu  abstrahiren,  welche  von  Factoren  abhängen,  die  bei 
Epileptikern  den  Ausbruch  einzelner  Anfälle  beeinflussen,  so 
wird  man  mit  gewisser  Wahrscheinlichkeit  beweisen  können, 
dass  durch  den  unregelmässig  scheinenden  Epilepsieverlauf 
eine  gewisse  Regelmässigkeit  durchscheint.  Einen  solchen  Ein¬ 
druck  machten  auf  mich  mehrere  Epilepsiefälle,  die  ich  jahrelang 
beobachten  konnte.  Es  haben  wahrscheinlich  die  meisten 
Aerzte,  welche  mit  Epileptikern  zu  thun  haben,  dieselbe  Er¬ 
scheinung  beobachtet.  Zwar  glaubt  Binswanger.  dass  »bei 
ein  und  demselben  Individuum  die  Häufigkeit  der  Anfälle 
ausserordentlich  schwankt«,  doch  ist  ja  bekannt  und  auch  von 
ihm  betont,  dass  die  Anfälle  manchmal  gruppenweise  auf- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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treten  und  die  Serien  der  Anfälle  langdauernde  Zeiträume 
von  scheinbarer  Gesundheit  scheiden;  auch  ist  ein  anderer 
Verlaufstypus  beobachtet,  der  sogenannte  »Status  epilepticus«, 
»etat  de  mal«.  Beau  glaubt  in  den  meisten  Fällen  an  die  vier- 
wöchentliche  Wiederkehr  der  Anfälle,  Leuret,  dass  der 
vierzehntägige  Typhus  der  häufigste  sei.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  habe  ich  den  Eindruck  gehabt,  als  ob  es  Gruppen  mit 
zwei  regelmässigen  Verlaufstypen  gäbe.  Fälle,  die  ich 
3 — 6V2  Jahre  in  Beobachtung  hatte,  habe  ich  106  ge¬ 
sammelt.  Darunter  war  es  blos  in  vier  unmöglich,  irgend 
einen  Verlaufstypus  herauszufinden;  in  102  war  er  hingegen 
klar  bewiesen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle,  und  zwar  in  60°/0, 
war  im  Verlaufe  der  Krankheit  eine  constante,  obwohl  nicht 
genau  arithmetische  Progression  der  Zwischenfallszeiten  zu 
beobachten,  die  Anfälle  traten  immer  häufiger  auf;  nennen  wir 
diesen  Verlauf  —  Accrescenztypus.  In  26%  waren  die  An¬ 
fälle  durch  fast  gleichartige  Zeiträume  abgesondert,  bildeten 
also  den  gleichartig  intermittirenden  Typus.  12%  von  Fällen 
verliefen  derart,  dass  die  Intervalle  immer  anwuchsen,  ge¬ 
hörten  deshalb  zum  Decrescenztypus.  Selbstverständlich  sollte 
untersucht  werden,  ob  die  Fälle  des  Accrescenztypus  im 
weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  nicht  in  den  Decrescenztypus 
übergehen  et  vice  versa.  Eine  solche  Vermuthung  war  umsomehr 
gerechtfertigt,  als  Fälle  vorkamen,  in  welchen  ein  Accrescenz- 
Decrescenztypus  zu  beobachten  war,  obwohl  sie  eine  äusserst 
geringe  Zahl,  und  zwar  2%  bildeten.  In  solchen  Fällen  aber 
—  und  dies  muss  ich  betonen  —  hat  die  Umwechslung  des 
Typus  in  sehr  kurzer  Zeit  stattgefunden;  der  längste  ent¬ 
sprechende  Zeitverlauf  dauerte  D/4  Jahr.  In  Berücksichtigung 
dessen  ist  es  uns  schwer,  zu  behaupten,  dass  die  Fälle  des 
anderen  Typus,  des  mehr  langdauernden,  blos  einen  Theil 
deren  Verlaufslinie  bilden. 

Wenn  die  Anschauung  über  das  Vorhandensein  einer 
gewissen  Regelmässigkeit  im  Zeitverlaufc  der  Zwischenzeiten 
eine  gewisse  Berechtigung  hat,  obwohl  verschiedene  Factoren 
die  Verlaufslinie  in  gewissem  Grade  deformiren  und  darin 
unbedeutende  Perturbationen  bilden,  so  scheint  es  mir 
wünschenswerth,  dieselbe  beim  Besprechen  einer  jeden  thera¬ 
peutischen  Einwirkung  ins  Auge  zu  fassen. 

Der  längste  Zeitverlauf,  während  dessen  der  Epileptiker 
zur  Zeit  der  Behandlung  anfallsfrei  bleibt,  erlaubt  uns  kaum, 
irgend  welche  Schlüsse  über  ihre  Wirksamkeit  zu  ziehen,  be¬ 
sonders  wenn  im  vorigen  Verlaufe  dergleichen  anfallsfreie 
Perioden  vorgekommen  oder  wenn  im  Verlaufe  eine  gewisse 
Tendenz  zur  Verlängerung  der  Intervalla  lucida  erscheint. 
Deshalb  schien  es  mir  noting,  der  kritischen  Untersuchung  des 
Einflusses  irgend  eines  Heilverfahrens  alle  jene  Fälle  zu 
unterziehen,  in  welchen  der  Verlauf  den  Decrescenztypus  an¬ 
zeigt.  Dieses  Verfahren  schien  besonders  deshalb  gerecht¬ 
fertigt,  weil  Fälle  von  spontaner  Heilung  (Gowers,  Fere) 
bekannt  sind,  trotz  der  Anschauung  von  Esquirol, 
Georget,  Delasiauve,  welche  die  Prognose  der  Epilepsie 
für  absolut  schlecht  erachten.  Binswanger  erwähnt  einen 
Knaben,  der  seit  dem  fünften  Lebensjahre  an  Epilepsie  litt, 
dessen  Anfälle  vom  elften  Jahre  beginnend  immer  seltener 
auftraten'  und  seit  sechs  Jahren  nie  mehr  vorgekommen  sind. 

Die  Behandlung  der  Epilepsie  soll,  wie  bei  anderen 
Krankheiten,  darin  bestehen,  dass  man  ausser  der  speciellen 
Cur  den  Patienten  in  solche  Lebensverhältnisse  versetzt, 
welche  das  Auftreten  der  Krankheitserscheinungen  am 
wenigsten  begünstigen.  Ruhe  ist  für  jeden  Epileptiker  von 
grösster  Wichtigkeit.  Es  sind  Fälle  bekannt,  in  welchen  nach 
monatelanger  Bettruhe  vollständige  Heilung  erzielt  wurde. 
Daher  muss  man  zu  dem  Schlüsse  kommen,  dass  Reisen, 
bedeutende  Bewegungen,  seien  es  active  oder  passive  (Mechano- 
therapie,  Massage)  contraiudicirt  sind.  Dies  erklärt  uns 
ebenfalls,  dass  kalte  Douchen,  für  die  besonders  französische 
Autoren  (Fleury)  eingetreten,  nicht  rathsam  erscheinen. 
Leichte  hydropathische  Verordnungen  können  als  wesentliches 
Unterstützungsmittel  für  die  Ernährungscur  in  Anwendung 
kommen.  Ueber  die  Wirkung  der  Elektrotherapie  bin  ich  bei  dieser 
Krankheit,  sei  es  im  E  r  b’schen  Sinne,  als  Galvanisation  des 


Kopfes  und  des  N.  sympathicus,  oder  im  A  1 1  h  a  u  s’schen,  als 
derartige  Behandlung  der  peripheren  Gegend,  in  welcher  die 
Aura  entsteht,  noch  im  Rock  well  - Fische  Eschen  zu 
einer  eigenen  Meinung  gekommen.  Alkohol-,  Tabakgenuss 
sind  contraindicirt.  Bei  ausschliesslicher  Fleischnahrung  treten 
die  Anfälle,  wie  es  die  Untersuchungen  von  Jackson  be¬ 
weisen,  besonders  häufig  auf.  Die  älteren  Erfahrungen  haben 
dabei  vegetabilische  Nahrung  angepriesen.  Die  Milchnahrung, 
von  Neuem  von  W  i  s  1  o  c  k  i  angerathen,  war  schon  von  lange 
her  von  anderen  Forschern  und  in  vielen  Fällen  von  B  e  r  g  e  r 
angewendet  worden.  Nie  war  dabei  eine  Heilung,  manchmal 
blos  Besserung,  doch  in  gewissen  Fällen  auch  Verschlimmerung 
vorgekommen.  Die  Beschäftigungswahl  für  die  Epileptiker  ist 
auch  kaum  schematisch  anzuzeigen.  Beschäftigung  im  Garten, 
auf  dem  Felde,  die  anscheinend  auf  derart  Kranke  gut  ein¬ 
wirkt,  fordert  grosse  physische  Anstrengung  und  einen  ge¬ 
wissen  Widerstand  gegen  die  Einwirkung  atmosphärischer 
Einflüsse,  kann  deshalb  blos  Personen  von  gutem  Körper¬ 
baue,  starken  Muskeln,  angerathen  werden.  Für  durchschnitt¬ 
liche  Epileptiker  scheinen  solche  Beschäftigungen  zweck¬ 
mässiger,  bei  welchen  keine  besondere  Ueberanstrengung  des 
Muskel-  oder  Nervensystems  nöthie;  ist,  also  Zeichnen, 
Modelliren,  mässige  Bureauthätigkeit.  Wenn  die  obengenannten 
Umstände  von  selbst  die  Anfälle  nicht  beseitigen  oder  aus 
verschiedenen  Gründen  nicht  angestellt  werden  können,  müssen 
wir  zur  Pharmacie  Zuflucht  nehmen.  Selbstverständlich  werden 
sie  in  gewissen  Fällen  gar  nothwendig,  und  zwar  in  solchen, 
bei  denen  die  Anfälle  häufiger  als  alle  zwei  bis  drei  Monate 
auf  treten,  Avie  es  Binswanger  fordert.  »Wir  sind  bei  keiner 
anderen  Krankheit«,  sagt  derselbe  Verfasser,  »so  sehr  auf  die 
Empirie  angewiesen,  wie  gerade  bei  der  Epilepsie«.  Mir  dünkt, 
dass  es  nicht  ohne  Nutzen  sei,  die  Resultate  der  Epilepsie¬ 
behandlung  in  der  Poliklinik  während  eines  Zeitverlaufes  von 
acht  Jahren  einer  Durchsicht  zu  unterwerfen.  Man  kann 
kaum  die  Frage  besprechen,  wie  weit  ein  gewisses  Mittel 
symptomatisch  oder  causal  wirkt,  denn  es  ist  ja  schwer,  wie 
es  richtig  Binswanger  betont,  dabei  bisweilen  eine 
scharfe  Grenze  durchzuführen.  Ich  erlaubte  mir,  die  Behand¬ 
lung  in  jenen  Fällen  durchzumustern,  welche  mindestens  fünf 
Jahre  beobachtet  waren.  Ich  muss  gestehen,  dass  man  bei  ver¬ 
schiedenen  Heilverfahren  deren  günstigen  Einfluss  gesehen  hat, 
obwohl  auch  solche  gewesen,  die  jeder  Behandlung  trotzten. 
Unsere  Thatsachen  heissen  uns  mit  den  meisten  Verfassern 
übereinstimmen,  dass  bei  Epilepsie  eines  der  besten  Medica- 
mente  die  Bromsalze  bleiben.  Mehrere  Jahre  gelang  es  mir, 
ihre  Wirkung  zu  beobachten.  Die  meisten  Patienten  haben 
sich  leider  selten  der  Anordnung  in  präciser  Weise  unter¬ 
worfen  und  blos  eine  geringe  Zahl  derselben  hat  die  Cur  nie 
unterbrochen,  und  es  ist  ja  von  lange  her  bekannt,  dass  nach 
Curunterbrechen  die  Epilepsieanfälle  öfter  und  intensiver 
als  vor  der  Behandlung,  auftreten.  In  acht  Fällen  konnte  man 
dies  klar  beobachten;  Geschlecht,  Alter,  Intensität  des  Pro¬ 
cesses,  Dauer  und  Häufigkeit  der  Anfälle  vor  der  ange- 
stellten  Behandlung  sind  unbeachtet.  Systematisch  durch¬ 
geführte  jahrelange  Brombehandlung  kann  ich  blos  bei 
33  Fällen  angeben.  In  10,  also  ungefähr  in  30%  aller  Fälle, 
bin  ich  keinen  neuen  Anfällen  schon  seit  drei  Jahren 
begegnet;  zwei  Fälle  sind  seit  fünf  Jahren  anfallsfrei  ge¬ 
blieben;  in  9  Fällen  ist  Besserung,  die  Anfälle  selbst  seltener 
und  schwächer  aufgetreten  und  ungefähr  in  30%  sind  die 
Bromsalze  ganz  erfolglos  geblieben.  Unsere  Daten  stimmen 
nicht  vollkommen  mit  denen  anderer  Verfasser  überein. 
Legrand  du  Sau  Ile  hat  Beseitigung  der  Anfälle  in  einem 
Zeitverlaufe  von  — 4  Jahren  in  78  Fällen  (37%)  beobachtet, 
Besserung  in  19  (9%),  keinen  Erfolg  in  110  (50%).  Nach 
Bennet  sollten  die  Anfälle  in  12T%  ausbleiben,  in  83'3% 
sich  bessern,  in  2-3%  sich  erfolglos  erzeigen  und  in  2‘3% 
sogar  eine  Verschlimmerung  aufweisen.  Berger,  der  die 
Bromsalze  für  ein  ausgezeichnetes,  obwohl  palliatives  Mittel 
hält,  hat  sie  nur  in  seltenen  Fällen  als  nutzlos  gefunden,  und 
zwar  dabei  einen  1 — 2  '/.Jährigen  Stillstand  des  Leidens  beob¬ 
achtet,  vollständige  Pleilung  aber  will  er  nicht  beobachtet 
haben. 


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In  der  Anstalt  Stefansfeld  waren  während  der  Brom¬ 
behandlung  anfallsfrei  23'3%  a^er  Fälle,  40%  bedeutend  ge¬ 
bessert.  26%  wenig  gebessert,  10%  erfolglos. 

Nach  F errand  anfallsfrei  12*1%  aller  Fälle,  12-1% 
bedeutend  gebessert,  83%  wenig  gebessert,  2'3%  erfolglos. 

Nach  Gowers  anfallsfrei  40%  aller  Fälle,  fast  40% 
bedeutend  gebessert. 

Nach  V  o  i  si  n  anfallsfrei  50%. 

F  e  r  e  bringt  Mittheilungen  aus  45  epileptischen  Hospitälern 
und  schliesst  daraus,  dass  man  durch  drei  Jahre  andauernde 
methodische  Behandlung  bedeutende  Besserung  auch  in  solchen 
Fällen  erreichen  kann,  die  für  unheilbar  erklärt  waren.  B  i  n  s- 
wanger  reiht  Behandlungsergebnisse  aus  der  Bielefelder 
Anstalt  an,  wo  man  hauptsächlich  Bromsalze  verwendet;  nach 
diesen  Daten  werden  jedes  Jahr  ungefähr  1'5%  Epileptiker 
geheilt,  3%  gebessert. 

In  der  Anstalt  Bethel  soll  durchschnittlich  bei  7'7% 
Heilung,  bei  22-3%  Besserung,  bei  21%  keine  Besserung,  bei 
18 •  6 °/0  Exitus  letalis  beobachtet  werden.  Das  Schicksal  anderer 
bleibt  unbekannt. 

Ein  kurzer  Ueberblick  der  angegebenen  Mittheilungen 
erlaubt  zu  vermuthen,  dass  Bromsalze  in  vielen  Fällen  grossen 
Dienst  leisten.  Bedeutende  Unterschiede,  die  man  im  Verhält¬ 
nisse  des  Einflusses  der  Bromsalze  auf  Epilepsie  bei  verschie¬ 
denen  Verfassern  findet,  können  sich  gevvissermassen  als  Folge 
ihrer  verschiedenen  Dosirung  ergeben.  Gowers  verwendet 
Bromkalium,  Bromammonium,  Bromnatrium  oder  Bromlithium 
für  sich  allein  oder  in  Mischung  von  10 — 8  0  täglich  und 
setzt  die  Cur  mit  jenen  Dosen  fort,  welche  bei  entsprechenden 
Patienten  die  Anfälle  coupiren,  am  öftesten  4  0  —  60  täglich; 
diese  Behandlung  soll  seiner  Meinung  nach  nicht  unterbrochen 
werden,  auch  wenn  die  Anfälle  zwei  Jahre  sich  nicht  wieder¬ 
holen;  erst  dann  soll  man  die  Dosen  verringern.  Fe  re  reicht 
Bromkalium  für  sich  oder  in  Mischung  dar,  mit  4'0 — 8*0 
pro  die  beginnend;  sein  Maximum  beträgt  12  0;  manchmal 
verwendet  er  eine  gewisse  constante  Dose,  in  anderen 
Fällen  vergrössert  er  die  Dosen  nach  Charcot  mit  einer 
Steigerung  um  l'O  pro  Woche  und  beginnt  mit  4'0,  kommt 
bis  7  0,  dann  verringert  er  sie  allmälig  in  derselben  Weise, 
kommt  bis  4  0  zurück,  um  einen  derartigen  neuen  Turnus  zu 
begehen.  Erlenmeyer  wandte  jeden  Tag  eine  Mischung  an, 
aus  Bromkalium  2'0,  Bromnatrium  2  0  und  Bromammonium  l'O. 
Wir  reichten  6  0  Bromsalz  täglich  dar,  am  häufigsten  als 
Mischung,  die  aus  Bromkalium  30,  Bromnatrium  und  Brom¬ 
ammonium  aa  1'5  bestanden.  Grössere  Dosen  waren  selten  in 
der  Poliklinik  angewandt.  Ausserhalb  der  Krankenhäuser  ist 
es  schwer,  sehr  grosse  Dosen  anzuordnen,  ihre  schädlichen 
Folgen  berücksichtigend.  Zwar  sollen  die  Epileptiker,  wie 
Bennett  behauptet,  Brom  besser  als  die  mit  dieser  Krank¬ 
heit  nicht  angegriffenen  vertragen,  doch  auch  bei  ihnen  kommt 
es  manchmal  zu  solchen  unangenehmen  Begleiterscheinungen, 
dass  man  genöthigt  ist,  die  Bromsalze  zu  beseitigen,  oder  sie 
mit  anderen  darzureichen.  Von  unseren  Patienten  haben  blos  zwei, 
nämlich  eine  30jährige  Frau  und  ein  achtjähriger  Knabe,  nach 
mittelgrossen  Bromdosen  Bromakne  in  Gestalt  cyanöser, 
schmerzhafter,  nussgrosser,  flächenhaft  ausgedehnter  indurirter 
Plaques  und  Foetor  ex  ore  bekommen.  Gowers  verordnet, 
um  die  Bromakne  zu  vermeiden,  Brom  mit  As  combinirt. 
Diese  Me*hode  verdient  versucht  zu  werden,  umsomehr,  als 
Brom  nach  den  ersten  Bromismuserscheinungen  nicht  beseitigt 
werden  soll.  Ueberhaupt  soll  man  beim  Anblick  der  ersten 
unangenehmen  Begleiterscheinungen  nach  Bromgebrauch  nicht 
erschrecken.  Ein  17jähriges  Fräulein,  das  vom  vierten  Lebens¬ 
jahre  an  an  Epilepsie  gelitten,  ist  während  der  ersten  Wochen 
der  Brombehandlung  apathisch,  deprimirt  geworden;  alles  das 
ist  jedoch  bei  weiterer  Fortsetzung  derselben  Behandlung  voll¬ 
ständig  geschwunden.  Depression  ist  keine  seltene  Erscheinung 
nach  Bromgebrauch,  manchmal  war  jedoch  eine  ganz  gegen¬ 
teilige  Erscheinung  zu  bemerken,  und  zwar  ein  Erregungs¬ 
zustand  (Bins  w ange r).  Bei  allen  diesen  Begleiterscheinungen 
ist  es  schwer  zu  entscheiden,  ob  die  Dosen  verringert  Averden 
müssen,  da  es  oft  vorkommt,  dass  die  Kranken  sich  daran 
gewöhnen  wie  cs  bei  meiner  1  7jährigen  Patientin  vorgekommen; 


man  beobachtete,  dass  manche  Erscheinungen  oft  nach 
erhöhten  Dosen  gänzlich  schwinden.  Diese  Meinung  will  F er e 
für  Bromakne  bestreiten. 

Die  unangenehme  reichliche  Salivation  nach  Bromgebrauch 
ist  leicht  nach  dem  Vorgänge  von  See  durch  Darreichung 
von  Tannin  und  Hyoscyamus  zu  bekämpfen.  Das  Eintreten 
eines  hartnäckigen  Hustens  soll  nach  Fere  oft  auf  Phthise 
beim  Epileptiker  aufmerksam  machen.  In  Fällen,  die  der  Brom¬ 
behandlung  trotzten,  haben  wir  die  F  1  e  c  h  s  i  g’sche  Methode 
versucht,  und  zwar  der  Anschauung  von  Flechsig,  Col¬ 
lins,  Bratz  folgend,  nach  welchen  diese  Behandlung  nur 
in  solchen  Fällen  angewendet  werden  sollte,  wo  die  Bromsalze 
selbst  sich  als  erfolglos  erwiesen.  Opium  war  zurZeit  des  P  a  race  1- 
s  u  s,  auch  im  Mittelalter,  als  wirksame  Arznei  bei  Epilepsie  an¬ 
gepriesen.  Die  combinirte  Opium-Brombehandlung  hat  schon  einen 
gewissen  Ruf  und  sollte  sich  nach  Wulff-Langenhagen 
als  werthvolles  Verfahren  bewährt  haben.  Binswanger 
wagt  nie,  diese  Behandlung  ausserhalb  des  Krankenhauses  zu 
verordnen,  und  ist  der  Meinung,  dass  man  dabei  sehr  vor¬ 
sichtig  sein  mus.  Ueberschreitet  die  tägliche  Dosis  0'5,  müssen 
die  Patienten,  seiner  Anschauung  nach,  zu  Bett  bleiben,  und 
erfordern  solche  Sorgfalt,  wie  Schwerkranke.  Bettruhe  soll 
auch  in  den  ersten  Wochen  nach  Opiumbeseitigung  und  nach 
Einsetzen  der  grossen  Bromdosen  angezeigt  sein.  In  den  ersten 
drei  Tagen  dieser  Brombehandlung  sollten  die  Patienten  blos 
flüssige  Speisen  bekommen.  Es  freut  mich  ausserordentlich, 
dass  diese  übermässige  Vorsichtigkeit  bei  diesem  Verfahren 
sich  in  unseren  Fällen  überflüssig  erwiesen.  Wir  wagten  die 
Flechsig’sche  Behandlung  in  der  ambulatorischen  Praxis 
zu  versuchen  und  steigerten  die  Dosen  sogar  schneller,  als 
andere  Aerzte,  jedoch  haben  wir  nie  unangenehme  Folge¬ 
erscheinungen  beobachtet.  Wir  haben  nie  gerathen,  dass  die 
Patienten  zu  Bett  bleiben  sollen,  und  doch  waren  die  schwersten 
Erscheinungen,  die  vorgekommen  sind,  nicht  mehr  als  Obsti¬ 
pation  oder  leichte  Somnolenz.  Die  Obstipation  wurde  in  22% 
meiner  Fälle  beobachtet,  doch  nie  mit  so  ernsten  Be¬ 
gleiterscheinungen,  dass  man  die  entsprechende  Behandlung 
unterbrechen  musste;  man  begnügte  sich  mit  Irrigationen. 
Manchmal  schien  auch  dieses  Verfahren  überflüssig,  da  ge¬ 
steigerte  Opiumdosis  schon  die  Obstipation  beseitigte.  Obstipation 
war  bei  Darreichung  von  Dosen,  die  mehr  als  0'3  pro  die 
betrafen,  zu  beobachten.  Eine  Tagesdosis  von  0'45  ist  mit 
denselben  Erscheinungen  aufgetreten,  0'6  aber  hat  sie  beseitigt. 
Somnolenz  war  seltener,  und  zwar  in  11%  der  Fälle  zu  be 
obachten.  Auch  diese  Erscheinung  hat  man  oft  bei  gesteigerter 
Dosis  gewichen  gefunden.  In  einem  Falle  hat  die  Tagesdosis 
von  0'45  Somnolenz  herbeigeführt,  0  6  aber  ist  ohne  dieselbe 
vorgekommen.  In  gewissen  Fällen  haben  kleinere  Dosen 
(0  08  dreimal  täglich)  Obstipation,  grössere  (0'15  dreimal  täg¬ 
lich)  Somnolenz  bewirkt.  Die  Flechsig’sche  Behandlung 
besteht  darin,  dass  man  sechs  Wochen  Opium  in  allmälig 
gesteigerten  Dosen  darreicht,  von  0  05  dreimal  täglich  be¬ 
ginnend,  bis  l'O  pro  die  zu  erreichen.  Die  Steigerung  kann 
alle  zwei  bis  drei  Tage  um  003 — 005  eintreten.  Wir  haben 
die  Dosen  blos  jede  Woche  vergrössert.  Bei  Kindern  im  Alter 
von  sechs  Jahren  ist  es  rathsam,  mit  0  01  pro  die  zu  beginnen 
und  bis  0T2  —  0T5  zu  kommen,  bei  Kindern  vor  dem  zwölften 
Lebensjahre  bis  zu  0'3 — 0'4  pro  die,  bei  13  —  16jährigen  bis 
0'6 — 0  75.  Die  Hauptsache  der  Behandlung  ist  das  plötzliche 
Aussetzen  des  Opiums  in  seiner  grössten  Dosis  und  das  so¬ 
fortige  Eintreten  mit  grossen  Bromdosen.  Flechsig  beginnt 
mit  6'0  Brom,  reicht  nach  fünf  Tagen  8'0  dar,  um  die  Dosen 
nach  zwei  Monaten  zu  verringern.  Binswanger  hat  die 
Behandlung  bis  zum  Erreichen  eines  sechsmonatlichen  anfalls¬ 
freien  Zeitraumes  nicht  unterbrochen  und  meint,  sie  erst  dann 
gänzlich  beseitigen  zu  können,  wenn  ein  Jahr  ohne  Anfälle  ver¬ 
gangen  ist.  Er  gibt  in  letzterer  Zeit  einige  Fälle  mit  Besserung 
an.  Mein  entsprechendes  Material,  in  welchem  man  systematisch 
das  Flechsig’sche  Verfahren  durchführen  konnte  und  eine 
Besserung  erlangte,  ungeachtet  dass  dasselbe  der  systematischen 
Brombehandlung  getrotzt  hatte,  besteht  aus  vier  Fällen.  Es  ist 
mir  jedoch  unmöglich,  solche  schöne  Resultate  zu  berichten, 
obwohl  der  Vorzug  der  Fl  e  c  h  s  ig’schen  Behandlung  im  Ver- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


773 


gleiche  mit  der  gewöhnlichen  Brombehandlung  daraus  klar 
hervortritt.  Es  sei  mir  gestattet,  noch  einmal  das  oben  ange¬ 
führte  Mass  zum  Bezeichnen  der  Wirksamkeit  des  Heilver¬ 
fahrens  bei  Epilepsie  zu  gebrauchen:  die  anfallsfreien  Zeit¬ 
räume  nach  angestellter  Behandlung  mit  denen,  die  vor  der 
Behandlung  vorgekommen,  zu  vergleichen. 


Geschlecht 

Alter 

Krank  heitsv 

erlauf 

Nr. 

vor  der  Flechsig’schen 
Behandlung 

nach  derFlechsig- 
schen  Behandlung 

1 

Mädchen 

7 

Jahre 

Vom  zweiten  Lebensjahre 
beginnend,  fast  jede  Woche 
einen  oder  mehrere  Anfälle. 

Sechs  Monate 
anfallsfrei. 

2 

Knabe 

17 

Jahre 

Vom  zwölften  Jahre  im  Be¬ 
ginne  Anfälle  alle  zwei  bis 
drei  Monate  vorgekommen, 
dann  jeden  Monat,  seit  einem 
Jahre  alle  zwei  bis  drei 
Wochen. 

Acht  Monate 
anfallsfrei. 

3 

Frau 

22 

Jahre 

Vom  20.  Jahre  ein  ganzes 
Jahr  Anfälle  fast  alle  zwei 
Monate,  das  folgende  Jahr 
fast  jeden  Abend. 

Sechs  Monate 
anfallsfrei. 

4 

Frau 

23 

Jahre 

Vom  14.  Jahre  Anfälle  in 
Zeiträumen  von  ein  bis  zwei 
Wochen. 

14  Monate 
anfallsfrei. 

In  drei  anderen  Fällen  hat  man  eine  bedeutende  Besserung 
erreicht.  In  zwei  derselben  waren  die  Anfälle  vorher  alle  einige 
Tage  vorgekommen,  nach  der  F 1  e  c  h  s  i  g’schen  Cur  waren 
anfallsfreie  Zeiträume  von  17  Tagen,  von  zwei  Monaten  sogar; 
in  einem  Falle,  in  welchem  das  grösste  Intervallum  lucidum 
vorher  vier  Wochen  betragen,  waren  nach  der  angestellten 
F  l  e  c  h  s  i  g’schen  Behandlung  neun  anfallsfreie  Wochen  ver¬ 
strichen. 

Da  gewisse  Fälle  der  gewöhnlichen  Brombehandlung  und 
auch  dem  F  1  e  ch  s  i  g’schen  Verfahren  trotzten,  war  der  Ver¬ 
such  anderer  Mittel  angezeigt.  Nichts  Sicheres  erlauben 
meine  bisherigen  Erfahrungen  über  die  Wirksamkeit  der 
Bechtere  w’schen  Behandlung  auszusprechen  Es  waren  dabei 
vier  bis  acht  Esslöffel  täglich  der  Mischung  Inf.  adonis  ver- 
nalis  2  0 — 3‘5  pt.  180  0,  Natrii  bromati  8  0  — 12-0,  Codeini 
OT — 02  gebraucht  worden.  Bei  einem  17jährigen  Knaben,  der 
seit  dem  13.  Lebensjahre  mit  epileptischen  Anfällen  behaftet 
war,  die  nach  F 1  e  c  h  s  i  g’scher  Cur  fast  alle  einige  Wochen, 
oder  alle  zwei  Monate  auftraten,  wollten  wir  die  B  e  c  h  te  r  e  w- 
sche  Behandlung  anstellen.  Der  Erfolg  war,  dass  die  Anfälle 
tlinf  Monate  ausblieben.  Dieser  Fall  ist  jedoch,  der  verschie¬ 
denen  Behandlungen  halber,  die  versucht  worden,  äusserst 
complicirt;  da  fragt  es  sich,  ob  dabei  nicht  Brom  allein  schon 
bedeutend  wirkte,  ob  man  dabei,  nach  Bechterew  verfahrend, 
nicht  trotzdem  weiter  die  F 1  e  c  h  s  ig’sche  Behandlung  ange¬ 
wendet.  In  zwei  anderen  Fällen  hat  diese  Behandlung  keine 
auch  nur  scheinbar  positive  Resultate  geliefert.  Wunderbar,  dass 
bei  einem  22jährigen  Manne,  der  vom  19.  Lebensjahre  an  an 
Epilepsie  gelitten,  sich  die  B  ec  h  t  e  r  e  w’sche  Behandlung 
unwirksam  erwiesen  und  die  darnach  versuchten  Mitteldosen 
(6'0)  einer  Brommischung  die  Anfälle  beseitigten. 

Da  manche  Fälle  den  oben  angeführten  Methoden  trotzen, 
wären  auch  ältere  Heilverfahren  zu  versuchen.  Miche, 
Lange  u.  A.  haben  Atropin  als  specifisches  Mittel  angepriesen. 
Nach  Berger  soll  es  in  vielen  Fällen  unwirksam  geblieben 
sein,  aber,  wie  bekannt,  haben  sich  auch  andere  Mittel  in  mehreren 
Fällen  hilflos  erwiesen.  Es  wäre  selbstverständlich  sehr  wün- 
schenswerth,  dass  wir  für  jede  Methode  eine  strenge  Indication 
feststellen  könnten.  Für  Atropin  versuchte  Alber  to  ni  der¬ 
artige  Indicationen  aufzustellen,  und  wollte  es  hauptsächlich  bei 
Reflexepilepsie  als  ein  die  Erregbarkeit  der  peripheren,  sen¬ 
siblen,  auch  motorischen  Nerven  verringerndes  Mittel  benützen. 
Trousseau  verweist  auf  die  Wirksamkeit  der  Belladonna  auch 
bei  gewissen  Erscheinungen,  welche  mit  Epilepsie  verknüpft 
sein  können,  nämlich  bei  nächtlicher  Incontinentia  urinae. 


H.  Jackson  wendet  sie  vornehmlich  bei  nächtlicher  Epilepsie 
an  und  glaubt,  man  soll  sie  Abends  gebrauchen.  Fere 
verordnet  Radix  oder  Pulv.  belladonnae  in  steigenden  Dosen, 
von  002  beginnend,  jede  Woche  um  0'2  die  Dosis  vergrössernd, 
bis  Intoxicationserscheinungen  auftreten.  Die  Kranken  gewöhnen 
sich  daran  und  vertragen  selbst  02  pro  die.  Alle  angeführten 
Autoren  sollten  gute  Resultate  damit  erreicht,  Gowers  Ver¬ 
ringerung  der  Anfälle  danach  gesehen  haben.  Von  unseren  Fällen, 
wobei  diese  Behandlung  der  Unwirksamkeit  der  Brombehand¬ 
lung  und  des  F 1  ec  h  si  g’schen  Verfahrens  halber  versucht 
wurde,  hat  ein  Fall  sich  bedeutend  gebessert.  Patient,  der  vor¬ 
her  häufige  Anfälle  bei  den  angeführten  Behandlungen  gehabt, 
ist  bei  dieser  zwei  Jahre  anfallsfrei  geblieben.  Man  muss  jedoch 
erinnern,  dass,  als  der  Kranke  auf  einige  Tage  diese  Cur  unter¬ 
brochen  und  darauf  von  Neuem  40  Tage  Atropin  verbraucht,  er 
von  neuen  häufigen  und  schweren  Anfällen  heimgesucht  wurde. 
Möglich,  dass  durch  Absetzen  des  Atropins  dieselbe  Erschei¬ 
nung  wie  bei  Brombeseitigung  hervorgerufen  wird;  ein  rapides 
Unterbrechen  der  Behandlung  wirkt  auf  den  Zustand  des 
Kranken  ungünstig. 

Ich  erwähne  noch  die  versuchte  Behandlung  mit  Brom 
und  Antipyrin  (Brom  4'0,  Antipyrin  0'8).  Ein  28jähriger  Mann, 
der  seit  fünf  Jahren  einige  Tage  von  Anfällen  heimgesucht 
wurde,  hatte  nach  dieser  Mischung  mehr  als  zwei  Monate  keine 
Epilepsieanfälle  durchgemacht. 

Diese  kurze  Uebersicht  unserer  Heilversuche  zeigt,  wie 
sehr  schwer  das  Bekämpfen  der  Epilepsie  ist.  Ausser  den 
allgemeinen  hygienischen  Verordnungen  bleiben  bisher  die 
Bromsalze  als  wirksames  Mittel;  wenn  die  Anfälle  diesem 
trotzen,  soll  das  F  1  e  c  h  s  ig’sche  Verfahren  versucht  werden. 
Negative  Resultate  derselben  erlauben  andere  Behandlungen  zu 
versuchen,  die  B  e  c  h  t  er  e  w’sche,  die  Atropinbehandlung  oder 
die  Combination  der  Bromsalze  mit  Antipyrin.  Wir  haben 
leider  keine  deutlichen  Indicationen  für  diese  oder  jene  Mittel, 
und  es  scheint  äusserst  bedauernswerth,  dass  wir  keine  sicheren 
Kriterien  haben,  um  das  entsprechende  Verfahren  bei  Epilepsie 
anzuordnen;  vielleicht  kann  man  als  solche  ausser  dem 
Alter  des  Patienten,  der  Dauer  und  der  Intensität  der  Krank¬ 
heit  auch  den  Allgemeinzustand,  dann  den  Verlauf  der 
Krankheit,  den  Abstand  der  einzelnen  Anfälle  im  Zeiträume 
ins  Auge  fassen.  Der  Verlauf  der  meisten  meiner  Anfälle  macht 
auf  mich  den  Eindruck,  als  ob  eine  Regelmässigkeit  im  Auf¬ 
treten  der  Anfälle  im  Zeiträume  stattfinde.  Meine  Absicht  ist, 
darauf  die  Aufmerksamkeit  auf  diesen  Umstand  zu  lenken. 
Wenn  sich  zeigt,  dass  ich  geirrt  habe,  so  wird  der  Irrtum 
zur  Besprechung  der  Wirksamkeit  irgend  einer  Behandlung 
dieser  uralten  und  schweren  Krankheit  wahrscheinlich  an¬ 
regen  und  zur  Aufsuchung  neuer  Kriterien  führen.  Ohne  Weg¬ 
weiser  ist  jeder  Kampf  undenkbar. 


REFERATE. 

I.  Elemente  der  pathologisch -anatomischen  Diagnose. 

Von  Prof.  Dr.  O.  Israel. 

Berlin  1900,  Hirschwald. 

II.  Dermato-histologische  Technik. 

Von  Dr.  M.  Joseph  und  G.  Löwenbach. 

Berlin  1900,  Marcus. 

III.  On  Neuroma  and  Neurofibromatosis. 

By  Alexis  Thomson. 

Edinburgh  1900,  Turnbull  und  Spears. 

I.  Ein  ungewöhnliches,  in  seiner  Tendenz  durchaus  originelles 
Buch  —  die  gediegene  Arbeit  eines  erfahrenen  Lehrers. 

Wer  Gelegenheit  hat,  sich  von  Qualität  und  Quantität  des 
Wissens  der  Durchschnittsstudenten  und  -Rigorosanten  der  Medicin 
zu  überzeugen,  wird  jedes  Wort,  das  Verfasser  hierüber  ausspricht, 
zu  bestätigen  in  der  Lage  sein.  Es  ist  unbestreitbar,  dass  ein 
grosser  Theil  der  Durchschnittsmediciner  nur  für  das  Rigorosum- 
calcül  lernt  —  scholae,  non  vitae  —  speciell  im  praktischen  Theil 
des  pathologisch-  anatomischen  Studiums  bemüht  ist,  sich  nur  auf 
das  Treffen  der  Diagnose  »einzuwerkeln«  —  allen  Bemühungen 
der  Lehrer  und  Prüfer  zum  Trotz. 


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Verfasser  sucht  den  Leser  zur  rationellen  Analyse  der  Er¬ 
scheinungsformen  anzuleiten,  um  erst  auf  dieser  gesunden  Basis 
zur  Diagnose  zu  gelangen.  Er  gibt  durchaus  kein  umfassendes 
Lehrbuch  des  Faches,  vielmehr  will  er  nur  mit  dem  Leser  an  der 
Hand  sehr  zahlreicher  Beispiele  üben,  »methodische  Analyse«  statt 
»gedankenloser  Routine«  anzuwenden. 

Auf  Einzelheiten  einzugehen,  ist  bei  der  reichen  Fülle  des 
Gebotenen  unmöglich. 

Das  vortreffliche  Buch  möge  auch  bei  den  österreichischen 
Sludirenden  der  Medicin  einen  ausgedehnten  Leserkreis  finden  und 
bei  denselben  den  beabsichtigten  pädagogischen  Erfolg  erzielen. 

* 

II.  Binnen  weniger  Monate  hat  dieser  »Leitfaden«  seine 
zweite  Auflage  erlebt  —  ein  Beweis  dafür,  dass  sein  Erscheinen 
trotz  der  zahlreichen  und  wirklich  guten  vorhandenen  Lehrbücher 
der  pathologisch-histologischen  Technik  einem  thatsächlichen  Be¬ 
dürfnis  Rechnung  getragen  hat.  Der  Schwerpunkt  des  Büchleins 
liegt  in  seiner  Specialisirung.  Die  Autoren  haben  sich  der  Mühe 
unterzogen,  die  Angaben  über  hiehergehörige  Methoden,  welche,  in 
die  verschiedenartigsten  Archive,  Zeitschriften  etc.  verstreut,  zum 
Th  eil  recht  schwer  auffindbar  sind,  zusammenzutragen  und  nach 
den  Originalien  wiederzugeben.  Was  ihre  Arbeit  über  das  Niveau 
einer  compilatorischen  erhebt,  ist  der  Umstand,  dass  sie  mit  diesen 
Methoden  selbst  gearbeitet  haben  und  darum  für  dieselben  gewisser- 
massen  persönlich  einstehen. 

Die  vorliegende  zweite  Auflage  bringt  einige  Ergänzungen  und 
Verbesserungen  des  in  der  ersten  Enthaltenen. 

* 

III.  Verfasser  hat  im  Laufe  der  letzten  sechs  Jahre  seiner 
chirurgischen  Spitalspraxis  1 5  Fälle  von  Nerventumoren  beobachtet. 
Dieses,  sowie  ein  aus  der  Literatur  gewonnenes  Material  verwendet 
er  zur  klinischen  und  pathologisch-anatomischen  Bearbeitung  des 
durch  den  Titel  bezeichneten  Capitels  der  Pathologie.  —  Hätte  er 
sich  doch  auf  die  Mittheilung  des  eigenen  Materiales  beschränkt! 
Die  40  Seiten,  welche  die  163  Seiten  starke  Monographie  den 
eigenen  Beobachtungen  widmet,  enthalten  zum  Theil  sehr  interessante 
Fälle  von  gutartigen  und  bösartigen,  isolirten  und  multiplen  Tumoren 
des  Nervenbindegewebes,  welche  bezüglich  der  Symptome,  des 
klinischen  Verhaltens,  der  Prognose,  Behandlung  etc.  in  gründlicher 
und  instructiver  Weise  vom  klinischen  Standpunkte  aus  geschildert 
werden.  Auch  die  Beschreibung  der  gewonnenen  anatomischen 
Präparate  ist  eine  gründliche  und  anschauliche.  Die  histologischen 
Befunde  sind  leider  häufig  unzulänglich,  so  insbesondere,  wenn  sie 
sich  auf  knappe  Diagnosen,  wie  Myom,  Fibrom,  Spindelzellen¬ 
sarkom  etc.  beschränken.  Nur  bezüglich  des  Verhaltens  der  Nerven¬ 
fasern  und  deren  bindegewebigen  Hüllen  sind  dieselben  ausführlich, 
wobei  sich  jedoch  die  fehlenden  Untersuchungen  auf  degenerative 
Veränderungen  als  Lücke  fühlbar  machen.  Die  Photogramme  von 
Patienten  und  makroskopischen  Präparaten  sowie  die  Mikrophoto¬ 
gramme  sind  durchaus  gelungen. 

Minder  glücklich  sind  die  Bemühungen  des  Verfassers  ge¬ 
wesen,  auf  dem  Material  der  herangezogenen  Literatur  nebst  dem 
eigenen  fussend  sich  auf  einen  pathologisch-anatomischen  resu- 
mirenden  Standpunkt  zu  stellen.  Insbesondere  die  Abschnitte  über 
das  Neuroma  verum,  über  Fibroma  molluscum  multiplex,  Elephan¬ 
tiasis  neuromatosa  und  Hautpigmentationen  auf  nervöser  Basis 
machen  dem  Referenten  einen  recht  dilettantischen  Eindruck.  Die 
Publication  hätte  durch  Weglassung  dieser  Capitel,  welche  aller¬ 
dings  zwei  Drittel  ihres  Inhaltes  ausmachen,  entschieden  gewonnen. 

Dr.  Oskar  Stoerk. 

Die  Krankheiten  der  Nägel. 

Von  Dr.  Julius  Heller. 

Berlin  1900,  A.  Hirschwald. 

Diese  mit  ungewöhnlichem  Fleisse  und  Gründlichkeit  ausge¬ 
führte  Arbeit  ist  thatsächlich  geeignet,  eine  Lücke  auszufüllen, 
denn  die  Pathologie  und  insbesondere  die  pathologische  Anatomie 
der  eigentlichen  Nagelerkrankungen,  sowie  deren  Beziehungen  zu 
anderen  Hautkrankheiten  fanden  bisher  nicht  die  eingehende  Berück¬ 
sichtigung,  die  sie  verdienen. 

Herr  Heller  hat  die  umfangreiche  Literatur  dieses  Gegen¬ 
standes  durchgearbeitet,  kritisch  gesichtet  und  sich  schon  durch 


diese  Zusammenstellung  aller  einschlägigen  Publicationen  den  Dank 
eines  Jeden,  der  sich  für  diesen  Gegenstand  interessirt,  verdient. 
73  eigene,  mit  den  Resultaten  Anderer  verglichene  Untersuchungen 
und  Beobachtungen  erhöhen  nur  den  Werth  des  Werkes. 

In  eigenen  Gapiteln  werden  die  Anatomie,  Entwicklungsge¬ 
schichte,  Physiologie,  die  vergleichende  Anatomie  und  die  Ethno¬ 
graphie  behandelt. 

Die  Ergebnisse  einer  Reihe  von  eigenen  histologischen  Unter¬ 
suchungen  sind  in  dem  zweiten  Theile  des  Werkes  gesammelt. 

Bei  Ichthyosis  congenita  fand  Heller  die  Fingerhaut  und 
die  Nagelplatte  stark  verdünnt,  hingegen  bestand  hochgradige  Blut¬ 
stauung  in  dem  mächtig  entwickelten  Gewebe  der  Phalanx,  auf 
dessen  Volumszunahme  Heller  die  Beeinträchtigung  in  der  Ent¬ 
wicklung  der  Weichtheile  des  Fingers  zurückführt.  Beim  Nagel¬ 
ekzem  fanden  sich  Epithelperlen  unmittelbar  unter  dem  Stratum 
mucosum.  Mit  besonderer  Vorliebe  wird  dasVerhalten  der  Nerven 
geprüft,  wozu  sich  der  Autor  seiner  eigenen  Methode  bedient.  Das 
normale  Nagelbett  findet  er  nicht  besonders  reichhaltig  an  mark¬ 
haltigen  Fasern;  bei  onychogryphotischen  Processen,  die  im  An¬ 
schlüsse  an  Nervenverletzungen  auftraten,  fand  er  sämmtliche  peri¬ 
pherische  markhaltige  Nerven  völlig  gesund. 

Grosse  Sorgfalt  ist  der  klinischen  Seite  der  Nagelerkrankungen 
zugewandt,  bei  deren  Eintheilung  der  Verfasser  seine  eigenen  Wege 
geht;  die  Capitel:  Syringomyelie,  Onychogryphosis,  Gewerbeerkran¬ 
kungen  und  forensisch  wichtige  Veränderungen  dürfen  allgemeines 
Interesse  beanspruchen. 

Stets  ist  der  Verfasser  bedacht,  den  Zusammenhang  der 
Localaffection  mit  einer  etwaigen  allgemeinen  Erkrankung,  einer 
Affection  des  Nervensystems,  der  Haut  etc.  aufzudecken;  wenn  er 
auch  in  diesem  Streben  manche  Ansicht  äussert,  die  nicht  allge¬ 
mein  getheilt  werden  dürfte,  so  z.  B.  wenn  er  eine  Querfurchen¬ 
bildung  am  Nagel  mit  einer  Epididymitis  in  Zusammenhang 
bringt,  so  muss  doch  hervorgehoben  werden,  dass  das  Buch  durch 
die  Loslösung  vom  engherzigen  specialistischen  Standpunkte  nur 
gewonnen  hat  und  eine  anregende  und  lehrreiche  Lecture  bietet. 

L.  Freund. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

283.  (Academie  de  Medicine,  Paris.)  Lancereaux; 
Behandlung  der  Aneurysmen  mit  subcutanen 
Gelatinein  jectionen.  Bei  einem  Kranken  mit  Aorten¬ 
aneurysma,  welcher  mit  absoluter  Bettruhe,  Aderlässen  und  hohen 
Jodkaliumdosen  lange  Zeit  behandelt  wurde  und  bei  dem  ein 
Durchbruch  des  Sackes  drohte,  bewirkten  schon  wenige  Gelatine- 
injectionen  eine  Verkleinerung  und  Festerwerden  des  Tumors, 
Nachlass  der  Schmerzen  und  Schwächerwerden  der  Pulsationen, 
Die  Heilung  dauerte  ein  Jahr.  Recidive  durch  Bildung  kleiner,  dem 
Sacke  anhängender  Taschen.  Coagula  in  denselben  in  Folge  der 
Gelatineeinspritzungen.  Plötzlicher  Tod  durch  Synkope.  Nekroskopie: 
Aortitis  im  Brustsegmente  in  Form  von  Plaques.  Durch  eine  3  cm 
grosse  Oeffnung  in  der  vorderen  Wand  der  aufsteigenden  Aorta 
gelangt  man  in  eine  kindskopfgrosse  Geschwulst,  welche  mit  allen 
festen  Gerinnseln  durchwegs  erfüllt  ist,  die  das  Eindringen  von 
Blut  absolut  verhinderten.  —  (Semaine  Medicale.  11.  Juli  1900, 

Nr.  29.)  Sp. 

* 

284.  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Lupus 

erythematosus.  Von  Dr.  Ko  pp  (München).  Verfasser  hält 
dafür,  dass  der  L.  e.  weder  eine  tuberculöse  Erkrankung,  noch 
dass  der  Beweis  bis  jetzt  geliefert  sei,  dass  er  zu  einem  irgendwo 
im  Körper  befindlichen  tuberculösen  Herde  in  Beziehung  zu 
bringen  sei.  Nach  K  o  p  p  handelt  es  sich  beim  Lupus  erythematosus 
überhaupt  um  keine  einheitliche  Erkrankung.  —  (Deutsches  Archiv 
für  klinische  Medicin.  Bd.  LXVI.)  Pi. 

* 

285.  (Societe  Medicale  de  Höpitaux.)  Merklen: 
Ictere  acholurique.  Ikterus  ohne  Gallenpigmente 
im  Harn  e.  Die  Magensymptome  seit  zehn  Monaten,  der  Ikterus 
seit  drei  Monaten.  Die  Hautfärbung  erinnert  mehr  an  Xanthodermie. 
In  der  Bindehaut  und  im  Harne  keine  ikterische  Färbung.  Das 
Blutserum  zeigte  die  G  m  e  1  i  n’sche  Reaction  und  die  spectro- 
skopischen  Charaktere  der  Gallenpigmente.  Nieren  durchgängig, 


Nr.  34 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Harn  von  geringer  Dichte,  log  Harnstoffe  in  24  Stunden.  Diese 
Beobachtung  deckt  sich  mit  dem  von  Hayem  aufgestellten 
klinischen  Bilde.  —  (Semaine  Medicale.  11.  Juli  1900.  Nr.  29.) 

Sp. 

* 

286.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Greifswald.)  U  e  b  e  r 

die  Behandlung  von  Gelenkergüssen  mit  heisser 
Luft.  Von  Dr.  Klapp.  Zur  Anwendung  der  trockenen  Hitze 
wurden  einfache  Holzkästen  verwendet,  das  erkrankte  Gelenk  damit 
umschlossen  und  täglich  durch  ein  bis  zwei  Stunden  einer  Hitze 
von  120 — 150°  ausgesetzt.  Diese  Behandlung  wird  für  seröse  und 
hämorrhagische  Ergüsse  empfohlen.  Die  Abnahme  der  Ergüsse  ist 
namentlich  in  den  ersteren  Tagen,  wo  die  Spannung  der  Kapsel 
noch  mithilft,  eine  recht  bedeutende  und  konnte  oft  eine  Ver¬ 
minderung  des  Umfanges  um  1  cm  im  Tage  constatirt  werden.  Zu 
warnen  ist  vor  Anwendung  dieser  Therapie  bei  tuberculösen  Gelenk¬ 
leiden,  die,  wie  Bier  festgestellt  hat,  sich  gar  nicht  für  Hitze¬ 
behandlung  eignen;  sie  hat  hier  nicht  nur  keinen  Erfolg,  sondern 
zieht  oft  sogar  eine  Verschlimmerung  nach  sieh.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  23.)  Pi. 

* 

287.  Ileotyphus  mit  hämorrhagischer  D  i  a- 

these.  Von  A.  Pinard.  Ein  13jähriger  Kranker  wurde  nach 
20  Tagen  von  einem  leichten  Darmtyphus  geheilt  entlassen.  Nach 
Verzehrung  einer  opulenten  Kastaniensuppe  kehrten  alle  Symptome 
nach  drei  Tagen  mit  grösster  Vehemenz  zurück.  Unter  hohen 
Delirien  entstanden  in  den  verschiedensten  Hautregionen  gesättigt 
rothe,  abgegrenzte,  auf  Fingerdruck  nicht  verschwindende,  immer 
dichter  stehende  Flecken  (Petechien)  von  Linsen-  bis  Hellergrösse; 
Epistaxis,  blutendes  Zahnfleisch,  blutiges  Sputum  (aus  den  hinteren 
Choanen),  Hämaturie,  Darmblutung,  Orthopnoe,  Bewusstsein  total 
erloschen,  Pupillen  ohne  Reaction,  Kräfteverfall.  Ergotin,  Opium, 
Excitantia.  Zwei  Tage  später  Erholung,  allmäliges  Schwinden  der 
Hirn-,  Haut-  und  Schleimhautsymptome.  Verfasser  glaubt,  Morbus 
V  erlhofii  und  Petechialtyphus  ausschliessen  zu  müssen  und  be¬ 
trachtet  den  crassen  Diätfehler,  die  Bildung  von  Ptomainen  und 
deren  Aufsaugung  als  ursächliches  Moment.  —  (Gazetta  degli 
Ospedali.  8.  Juli  1900,  Nr.  81.)  Sp. 

* 

288.  (Aus  der  Abtheilung  von  Dr.  Rumpel  in  Hamburg- 

Eppendorf.)  Ein  Fall  von  geheilter  Meningitis  cere¬ 
brospinalis  tuberculosa.  Von  Dr.  Henkel.  Der  Fall  war 
bacteriologisch  durch  Auffinden  von  Tuberkelbacillen  in  der  durch 
Punction  gewonnenen  Spinalflüssigkeit  sichergestellt  worden.  Trotz 
der  sehr  schweren  meningitischen  Erscheinungen,  ging  die  Er¬ 
krankung  des  zehnjährigen  Knaben  in  Genesung  über.  Die  Therapie 
hatte  anfangs  nur  in  der  Verordnung  von  zweimal  täglich 
0'05  Calomel  und  einigen  Bädern  von  28—24°  bestanden.  Der  Fall 
zeigt,  dass  manche  Fälle  von  tuberculöser  Cerebrospinalmeningitis 
ausheilen  können,  und  dass  die  Prognose  trotz  positiven  Bacillen¬ 
befundes,  trotz  Neuritis  optica  und  Paresen  der  Augenmuskeln 
nicht  als  absolut  schlecht  hinzustellen  ist.  —  (Münchener  medici¬ 
nische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  23.)  Pi. 

* 

289.  Jodbehandlung  der  chirurgischen  T u ber¬ 

eu  1  o  s  e.  Von  G.  M  o  r  t  a  r  i.  Verfasser  perhorrescirt  un¬ 
nütze  und  verstümmelnde  chirurgische  Eingriffe.  Statt  der  Jodoform- 
Glycerinemulsionen  gebraucht  er  subcutane  und  intramusculäre 
Injectionen  von  Jod  30  cg,  Jodkalium  3  g,  Glycerin,  Aq.  dest.  aa. 
50 g  (nach  Durante),  und  spritzt  jeden  dritten  Tag  5  cm7,  ein. 
Wenn  auch  das  Jod  den  Tuberkelbacillus  nicht  abtödtet,  so  wirkt 
es  gegen  dessen  toxische  Producte,  und  die  neugebildeten  Elemente 
werden  durch  diese  nicht  geschädigt.  Ausserdem  wird  die  organische 
Widerstandskraft  erhöht,  die  Elimination  der  pathologischen  Pro¬ 
ducte  und  der  Ersatz  durch  frisches  Gewebe  gefördert.  Die  In¬ 
jectionen  müssen  aber  in  alle  Höhlungen  und  Buchten  der  tuber¬ 
culösen  Herde  eindringen.  —  (Gazetta  degli  Ospedali.  8.  Juli  1900, 
Nr.  81.)  Sp. 

* 

t  290.  Achylia  gastrica  und  die  therapeutische 
1  e i  Wendung  von  natürlichem  thierischen  Magen- 
saft.  Dieses  Thema  war  Gegenstand  einer  Discussion  im  Vereine 
fiii  innere  Medicin  in  Berlin.  Es  gibt  Zustände,  bei  denen  die 


Magenschleimhaut  z.  B.  bei  Amyloidose  und  Atrophie  derselben 
kein  Secret  mehr  liefert,  kein  Pepsin,  kein  Labferment,  keine  Salz¬ 
säure.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  bei  dieser  Achylie  die  bis 
jetzt  zur  Verfügung  stehenden  Präparate  (Pepsin,  Salzsäure)  nicht 
die  wünschenswerthe  Wirksamkeit  besitzen.  Da  ist  Prof.  P  a  w  1  o  f  f 
in  Petersburg  auf  den  Gedanken  gekommen,  den  sehr  kräftigen 
Magensaft  des  Hundes  zu  verwenden  und  ihn  in  grösseren  Mengen 
solchen  Kranken  zu  verabreichen.  Die  Schwierigkeit  bei  dieser 
Therapie  liegt  vorläufig  darin,  dass  sie  viele  in  Bereitschaft  stehende 
operirte  Hunde  nöthig  machen.  Dieses  Verfahren  ist  auch  schon  in 
Frankreich  aufgegriffen  worden,  aber  auch  in  Berlin  ist  an  der 
Klinik  von  Leyden  bereits  ein  Fall  mit  »Gasterine«,  wie 
dieser  natürliche  Magensaft  bezeichnet  wird,  behandelt  worden.  — 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  20.)  Pi. 

* 

291.  Lereboullet:  Diarrhöen  tertiär  Syphili¬ 

tischer.  Vortragender  berichtet  über  einen  Kranken,  der,  seit 
eineinhalb  Jahren  an  Diarrhöen,  mitunter  hämorrhagischen 
Charakters,  leidend,  ausserdem  multiple  syphilitische  Drüsen¬ 
schwellungen  hatte.  Vor  acht  Jahren  Syphilis  erworben.  Tuber- 
culose  und  Krebs  ausgeschlossen.  Injectionen  von  Oleum  cine- 
reum,  gleichzeitig  Jodkali  steigend.  Koliken  und  Diarrhöen  ver¬ 
schwanden  rasch.  Ab  und  zu  antiluetische  Cur  wiederholt.  — 
Hiezu  bemerkte  Fournier:  Specifische  Enteritiden  sind  selten, 
Vortragender  hat  etwa  zwölf  Fälle  beobachtet.  Die  Diagnose  ergibt 
sich  aus  klinischen  Symptomen  und  anatomischen  Facten.  Bei 
Autopsien  Syphilitischer  hat  man  wiederholt  milliare  Gummata, 
diseoide  Infiltrate,  Narben  etc.  beobachtet,  die  nur  auf  Syphilis  be¬ 
zogen  werden  können.  Wenn  diese  Enteropathien  verkannt  werden, 
ebenso  wie  z.  B.  jene  bei  Variola,  so  liegt  der  Grund  in  dem 
Mangel  an  charakteristischen  Eigenschaften.  Trotz  der  Darm¬ 
geschwüre  sind  Mercurialpräparate,  selbst  innerlich  gebraucht,  nicht 
zu  fürchten.  Die  Enteritiden  Syphilitischer  recidiviren  sehr  leicht, 
können  sich  nach  vielen  Jahren  (20—40  Jahren  ?  Ref.)  wieder¬ 
holen.  —  (Semaine  Medicale.  4.  Juli  1900,  Nr.  28.)  Sp. 

* 

292.  Ueber  die  schmerzberuhigende  Wirkung 

der  Röntgen-Strahlen.  Von  Stern  bo  (Wilna).  Verfasser 
hat  in  Folge  einer  zufälligen  Entdeckung  Neuralgien  verschiedensten 
Ursprunges  mit  Röntgenisation  behandelt  und  es  ist  ihm  gelungen, 
unter  28  Fällen  21  zur  Heilung  zu  bringen.  Die  Zahl  der  Sitzungen 
betrug  drei  bis  zehn,  die  Dauer  derselben  ebensoviele  Minuten. 
Dass  es  sich  dabei  um  keine  Suggestivwirkung  handle,  beweist 
S  t  e  m  b  o  damit,  dass,  wenn  statt  der  X-Strahlen  nur  die  Anoden¬ 
strahlen  verwendet  wurden,  keine  Beruhigung  der  Schmerzen  ver¬ 
spürt  wurde.  Verfasser  meint,  dass  in  Folge  der  elektrischen 
Reizung  der  peripheren  sensiblen  Nerven  eine  Functionshemmung 
der  in  der  Tiefe  befindlichen  Gefühlsnerven  und  damit  eine  Be¬ 
ruhigung  der  neuralgischen  Schmerzen  eintrete.  —  (Die  Therapie 
der  Gegenwart.  1900,  Nr.  6.)  Pi. 

* 

293.  Roussel:  Tr  a  umatische  Läsionen  des  Atlas 

und  zweiten  Halswirbels.  Zumeist  bricht  der  Zahnfortsatz. 
Die  Verletzungen  dieser  Wirbel,  wenn  auch  schwer,  sind  nicht 
immer  tödtlich.  Die  Symptome  sind  mitunter  geringfügig,  wenn 
auch  der  Tod  unmittelbar  bevorsteht.  In  jedem  Falle  von  Schmerzen 
und  Starrheit  der  Nackenmuskeln  ist  der  Kopf  zu  immobilisiren, 
wenn  auch  keine  Symptome  von  Verrenkung  vorhanden  sind.  Sind 
aber  die  Wirbel  verlagert  mit  Zeichen  von  Compression  oder 
Irritation,  so  ist  die  Reduction  in  der  Narkose  zu  versuchen.  Kein 
Eingriff,  wenn  keine  Marksymptome  vorhanden.  —  (These  de 
Paris,  1899 — 1900.)  Sp. 

294.  Zur  Behandlung  des  Bl  utschwammes  und 

verwandter  angeborener  Gefässneubildungen.  Von 
Dr.  Holländer  (Berlin).  Die  Hauptmethode  bildet  nach  Verfasser 
die  Heissluftbehandlung  der  erkrankten  Stellen,  bei  kleinen  Tele¬ 
angiektasien  eventuell  die  Aetzung  mit  Salpetersäure.  Die  Heissluft¬ 
behandlung  ist  nur  contraindicirt  bei  ausschliesslich  subcutanem 
Sitz  der  Krankheit.  Die  Kauterisation  muss  bis  zur  Mumificirung 
des  Gewebes  fortgesetzt  werden.  —  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  17.)  Pi. 

* 


776 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  34 


295.  (Medic.-chir.  Akademie,  Palermo.)  T  a  n  s  i  n  i  be¬ 
spricht  die  Unzulänglichkeit  der  Seidennaht  bei  Radicaloperation 
der  Hernien,  besonders  bei  älteren  Individuen;  auch  der  Silberdraht 
ist  dick,  wenig  beweglich  und  schwächt  die  Resistenz  des 
P  o  u  p  a  r  t'schen  Bandes.  T  a  n  s  i  n  i  empfiehlt  den  G  o  1  d  d  r  a  h  t 
als  dünn,  biegsam,  resistent,  keine  Nahteiterung  erzeugend,  und 
kann  derselbe  sowohl  für  die  Ligatur  des  Bruchsackhalses,  als 
auch  für  dessen  Naht  verwendet  werden.  —  (Glinica  chirurgica. 

30.  Juni  1900,  Mailand.)  S  p. 

* 

296.  Im  Allgemeinen  ärztlichen  Vereine  zu  Köln  demonstrirte 
Dr.  Engelhardt  einen  Fall  von  primärem  Lebercar- 
cinom  bei  einem  14jährigen  Mädchen.  Das  Krankheits¬ 
bild  wurde  von  ausserordentlich  heftigen  Schmerzen  in  der  Magen¬ 
gegend  beherrscht;  nie  hatte  Fieber  und  Ikterus  bestanden.  Bei  der 
Obduction  fand  man  den  linken  Lappen  der  Leber,  die  3800(7 
wog,  sowie  dessen  Nachbarschaft  in  einen  derben  Tumor  ver¬ 
wandelt.  Nirgends  ein  Tumor,  der  sich  als  der  primäre  hätte  er¬ 
kennen  lassen,  dagegen  Metastasen  im  kleinen  Becken,  auf  Pleura 

und  Herzbeutel.  Pi. 

* 

297.  Prof.  Giuseppe  Or  io  (Padua):  Pneumatischer 
Apparat  für  den  Thermokauter.  Der  Apparat  besteht  aus 
einem  Benzinbehälter  und  einem  pneumatischen  Behälter.  Ersterer 
hat  einen  kleinen  Fortsatz,  auf  welchem  der  Griff  der  Platinspitze 
ruht,  so  dass  letztere  der  Flamme  gegenübersteht.  Der  pneumatische 
Apparat  ist  ein  metallenes,  cylindrisches,  2  l  fassendes  Gefäss,  an 
welchem  eine  Pumpe  wie  bei  einem  Bicycle  angebracht  ist.  Der 
Luftbehälter  ist  mit  dem  Benzinbehälter  durch  eine  dünne,  mittelst 
Schlüssels  versperrbare  Röhre  verbunden.  Durch  das  Pumpen  wird 
der  Luftbehälter  geladen,  dann  wird  das  Benzingefäss  an  dem  mit 
»Lampe«  bezeichneten  Punkte  geöffnet,  durch  langsames  Drehen 
des  Schlüssels  werden  die  beiden  Cylinder  verbunden  und  die 
Lampe  entzündet.  Sobald  die  Platinspitze  glüht,  braucht  man  nur 
den  Stöpsel  des  Benzinbehälters  zum  Punkte  »Incandescenza« 
(Weissglut)  zu  drehen,  worauf  der  Apparat  automatisch  functionirt. 
Der  Vortheil  der  ganzen  Vorrichtung  beruht  nach  Orio  auf  der 
Entbehrlichkeit  von  Assistenz  und  Gummiballen.  —  (Immerhin  ist 
der  P  a  q  u  e  1  i  n’sche  Apparat  handlicher,  bequemer  und  kann  vom 
Arzte  in  der  Tasche  getragen  werden.  Ref.)  —  (Clinica  chirurgica. 
30.  Juni  1900.  Herausgegeben  von  Dr.  Vallardi,  Mailand.) 

Sp. 

* 

298.  (Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  des  Geheimen  Rathes 
Gerhardt  in  Berlin.)  Ueber  hysterische  Aphonie.  Von 
Dr.  O  p  p.  In  den  letzten  sieben  Jahren  waren  an  der  Klinik 
28  Fälle  von  hysterischer  Aphonie  behandelt  worden  (darunter  vier 
Männer).  Klinisch  zeigt  sich  die  Function  der  Glottisverengerer 
behindert,  die  Sensibilität  im  Rachen  und  Kehlkopfeingang  gestört, 
die  elektrische  und  reflectorische  Erregbarkeit  der  Kehlkopfmuskeln 
ist  jedoch  erhalten.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  dass  die 
Stimmbandlähmung  nur  bei  einzelnen  Functionen  vorhanden  ist, 
bei  anderen  nicht;  so  waren  mehrere  Kranke  im  Stande,  den  Text 
eines  Liedes  vollkommen  deutlich  zu  singen,  nicht  aber  zu  sprechen. 
Bei  diesen  relativen  Stimmbandlähmungen  findet  man,  dass  der  re¬ 
flectorische  Glottisverschluss  normal  eintritt,  dass  demnach  Singultus, 
Niesen  und  Husten  einen  Klang  hat,  während  bei  »respiratorischen« 
Lähmungen  der  Husten  keinen  Klang  hat.  Was  das  zweite  Sym¬ 
ptom  anlangt,  so  findet  sich  meist  im  Rachen  und  Kehlkopfeingang 
halb-  oder  ganzseitig  eine  Hypästhesie,  sogar  Anästhesie,  in 
manchen  Fällen  auch  eine  Hyperästhesie.  Hinsichtlich  der  elektri¬ 
schen  Erregbarkeit  der  Kehlkopfmuskeln  zeigte  sich,  dass  es 
manchmal  bei  blos  cutaner  Anwendung  des  Stromes  schon  gelang, 
klangvolle  W  orte  zu  bekommen.  Die  Therapie  ist  die  der  Hysterie 
überhaupt.  Man  hat  beobachtet,  dass  Aphonisehe,  deren  Aufmerk¬ 
samkeit  irgendwie  lebhaft  in  Anspruch  genommen  war,  oder  bei 
Zorn,  Furcht,  Schreck  ihre  Stimme  vollkommen  normal  gebrauchen 
konnten.  Bisweilen  konnte  die  Aphonie  durch  Massage  des  Kehl¬ 
kopfes,  seitliches  Zusammendrücken  der  grossen  Zungenbeinhörner 
oder  der  Schildknorpelplatten  behoben  werden.  Am  besten  soll  der 
percutan  oder  intralaryngeal  angewendete  faradische,  beziehungs¬ 
weise  galvanische  Strom  wirken.  Derselbe  muss  durch  ein  bis 
zwei  VTochen  angewendet  werden.  Selbstverständlich  darf  die 


psychische  Behandlung,  namentlich  zur  Verhütung  der  sonst 
häufigen  Rückfälle,  nicht  vergessen  werden.  —  (Münchener  medi- 
cinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  21.)  Pi. 

* 

299.  Lambert:  Seltene  Heilung  eines  trans¬ 

versalen  Kniescheiben bruches.  Dieser  erfolgte  bei  einer 
älteren  Kranken  durch  ein  festes  Band,  welches  den  oberen  Rand 
der  Kniescheibe  mit  dem  vorderen  Rande  des  Schienbeinplateaus 
vereinigte.  Dieses  Ligament  entstand  durch  Proliferation  des  fibrösen 
Gewebes  vom  oberen  Fragmente  her  und  schritt  bis  zur  Tibia  vor. 
—  (Le  Bulletin  Medical.  20.  Juni  1900,  Nr.  49.)  Sp. 

* 

300.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Erbin  Heidel¬ 
berg.)  Ueber  eine  besondere  Form  des  chronischen 
Ikterus.  Von  Dr.  Bettmann.  Der  29jährige  Kaufmann  litt 
schon  seit  seiner  Kindheit  an  einer  zu  Zeiten  anfallsweise  sich 
verstärkenden  Gelbsucht.  Der  Stuhl  war  nie  lehmfarben  gewesen. 
Während  der  einjährigen  Beobachtung  konnte  niemals  Gallenfarb¬ 
stoff  im  Harn  nachgewiesen  werden,  objectiv  wurde  keine  Ver¬ 
änderung  an  der  Leber  wahrgenommen,  als  einziger  Befund  nur 
ein  mächtiger  Milztumor  vorgefunden,  der  in  den  Anfällen  spontan 
schmerzhaft  und  druckempfindlich  war.  Einige  ähnliche  Fälle  hat 
schon  H  a  y  e  m  beobachtet  und  sie  als  infectiösen  Ikterus  be¬ 
zeichnet.  Nach  ihm  soll  vom  Darm  aus  eine  bacterielle  Infection 
stattfinden,  die  gegen  die  grösseren  jedoch  nicht  —  was  sonderbar 
erscheint  —  trotz  der  jahrelangen  Dauer  nur  gegen  die  feineren  Ver¬ 
zweigungen  der  Gallenwege  fortschreite.  Bettmann  fand,  dass  die 
oft  unter  Schüttelfrost  und  ziehenden  Schmerzen  in  den  Extremi¬ 
täten  auftretende  Verstärkung  des  Ikterus  durch  ganz  bestimmte 
Veranlassungen  ausgelöst  wurde.  Diese  waren:  übermässiges  Essen 
und  Trinken,  psychische  Erregungen,  ungewohnte  körperliche  An¬ 
strengungen,  ganz  besonders  aber  Kälteeinwirkung.  Letzteres 
Moment  liess  den  Verdacht  auf  das  Bestehen  einer  paroxysmalen 
Hämoglobinämie  aufkommen,  der  sich  auch  rechtfertigte.  Damit  ist 
vielleicht  eine  Andeutung  gegeben,  wie  diese  räthselhaften 
Formen  von  Ikterus  erklärt  werden  könnten.  Gleichzeitig  drängt 
der  bestehende  Milztumor  hier  zur  Beantwortung  der  interessanten 
Frage,  ob  er  entfernt  werden  solle,  wenn  er  durch  seine  Schwere 
den  Kranken  in  hohem  Grade  belästigt.  Diese  Frage  ist  nach 
B  e  1 1  m  a  n  n  entschieden  zu  verneinen,  wenn  dieser  Milztumor  als 
spodogener  aufzufassen  ist,  das  heisst,  wenn  er  durch  die  Auf¬ 
nahme  und  weitere  Umwandlung  der  bei  den  Hämoglobinämie- 
anfällen  freigewordenen  Erythrocytentrümmer  und  Stromata  ent¬ 
standen  ist.  Während  beim  gesunden  Menschen  die  Entfernung  der 
Milz  keine  auffallende  Schädigung  nach  sich  zieht,  dürfte  sich 
unter  Voraussetzungen,  unter  welchen  das  Organ  besondere  Func¬ 
tionen  und  eine  intensive  Inanspruchnahme  erfahren  hat,  dessen 
Exstirpation  nicht  rechtfertigen  lassen.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  23.) 

* 

301.  Ueber  die  Differenz  zwischen  der  Tempe¬ 

ratur  des  Rectum  s  und  der  Achselhöhle,  speciell 
bei  d  e  r  ei  t  e  r  ig  e  n  A  p  p  e  n  d  i  c  i  t  i  s.  Von  Dr.  S  c  h  ü  1  e  (Freiburg 
i.  B.).  Die  genannte  Differenz,  welche  im  Allgemeinen  0'3 — 0'4  be¬ 
trägt,  fand  Schüle  in  einem  Falle  von  Perityphlitis  mit  Abscess- 
bildung  bis  auf  Dl  und  1-4°  C.  erhöht.  Den  Grund  für  diese  be¬ 
deutend  höhere  Temperatur  im  Mastdarm  erblickt  Schüle  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  in  der  Hyperämie  der  Beckenorgane  zur 
Zeit  der  Abscessbildung.  Dieser  Befund  empfiehlt  es,  wie  schon  von 
mancher  Seite  aufgefordert  worden  ist,  bei  Appendicitis  den  Rectal¬ 
messungen  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  —  (Mün¬ 
chener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  18.)  Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Eine  eigenthtimliche  Anwendung  macht  Sam  ways  vom 
Collodium.  Abgesehen  von  seiner  Anwendung  gegen  Afterjucken, 
Insectenstiche  etc.  empfiehlt  er  es  zur  Bekämpfung  der  Enuresis 
nocturna.  Die  Harnröhrenmündung  wird  vor  dem  Schlafengehen 
mit  Collodium  verklebt,  so  dass  das  Kind  in  Folge  des  verstärkten 
Harndranges  wach  wird.  —  (Brit.  med.  Journ.  9.  Juni  1900.) 

* 


Nr.  34 


777 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


(Aus  der  k.  k.  landwirthschaftlich-chemischen  Versuchsstation 
in  Wien.)  Ueber  ein  neues  Nährpräparat  „Fers  an“.  Von 
Dr.  Kornauth  und  C  z  a  d  e  k.  Das  pulverförmige,  von  Dr.  Jo  11  es 
hergestellte  Präparat  stellt  einen  aus  den  rothen  Blutkörperchen  ge¬ 
wonnenen  eisen-  und  phosphor  haltigen  Eiweisskörper  dar. 
Die  Verwendung  desselben  soll  keine  störenden  Wirkungen  auf  Magen 
und  Darm  besitzen  und  Fleisch  in  hohem  Grade  vertreten  können. 

(Zeitschrift  für  das  landwirtschaftliche  Versuchswesen.  1900, 

Heft  5.)  Pi. 

* 

Flüssiges  Extract  der  Eberesche  als  Laxans. 
Kroupetzky  (Universität  Youriev)  behauptet  eine  laxative 
Wirkung  des  flüssigen  Extractes  der  Eberesche  (Sorbus  ancuparia)  im 
Gegensätze  zur  bekannt  adstringirenden  Wirkung  der  ganzen  Früchte. 
Das  Extract  ist  tiefroth,  angenehm  zu  nehmen.  Man  verordnet  je  nach 
Alter  und  Constitution  von  20  Tropfen  bis  zu  einem  Esslöffel,  zwei- 
bis  dreimal  täglich.  —  La  Semain.  Med.  25.  Juli  1900,  Nr.  31.  Sp. 

* 

Ueber  äusserliche  und  innerliche  Anwendung 
des  Ar  genta  min.  Von  Dr.  Bergei  (Inowrozlau).  Das  gewöhn¬ 
liche  Argentum  nitricum  hat  nebst  seiner  Aetzwirkung  für  viele  Fälle 
den  Nachtheil,  dass  es  mit  dem  Eiweiss  der  Gewebe  eine  unlösliche 
Verbindung  eingeht  und  daher  nur  oberflächlich  wirkt.  Eine  grössere 
Tiefenwirkung  soll  das  Argentamin,  eine  Aethylendiamin-Silberpliosphat- 
verbindung,  wirken.  Verfasser  hat  es  in  vielen  Fällen  von  Gonorrhoe 
in  Lösungen  von  l'O  :  400-0 — 200‘0  zu  Einspritzungen  mit  sehr  gutem 
Erfolge,  weiters  auch  intern  thee-  und  esslöffelweise  eine  i/2 — 3/40/oige 
Lösung  bei  den  verschiedenen  Formen  der  Dünn-  und  Dickdarmkatarrhe 
verwendet.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  7.)  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Verliehen:  Den  Universitätsprofessoren  Dr.  Max  Gruber 
und  Dr.  Anton  Weich  sei  bäum  in  Wien  der  Titel  eines  Hof- 
rathes.  —  Dem  Bezirksarzte  in  Böhmisch-Brod  Dr.  Friedrich 
Pelikan  das  goldene  Verdienstkreuz  mit  der  Krone. 

* 

H  a  b  i  1  i  t  i  r  t :  Dr.  Hugo  Lüthje  für  innere  Medicin  in 
Greifswald.  —  In  Neapel:  Dr.  Marracino  und  Dr.  Badaloni 
für  modiciniscbe  Pathologie,  Dr.  C  u  r  c  i  o  für  Neuropathologie, 
Dr.  Cant  a  r  a  n  o  für  klnische  Medicin. 

* 

Gestorben:  Der  Chirurg  Prof.  W  a  g  n  e  r  in  Königshütte  in 
Oberschlesien,  dirigirender  Arzt  des  dortigen  Knappschaftslazarethes. 

* 

72.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte  in  Aachen  vom  16.  bis  22.  September  1900. 
(Fortsetzung.) 

Programm  der  Arbeiten:  Medicinische  Haupt¬ 
gruppe. 

I.  Gemeinschaftliche  Sitzung  der  medicinischen 

Hauptgruppe  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Geheimrathes  Prof. 
Dr.  v.  Winkel  (München).  In  der  Aula  der  Ober-Realschule,  Vineenz- 
strasse,  Mittwoch,  den  19.  September,  Vormittags  11  Uh r : 
Vorträge  von  Prof.  V  er  worn  (Jena)  und  Privatdocent  Nissl 
(Heidelberg):  Der  heutige  Stand  der  Neurouenlehre.  1.  V  er  worn 
(Jena):  Das  Neuron  in  Anatomie  und  Physiologie.  2.  Nissl  (Heidel¬ 
berg):  Die  Neuronlehre  vom  pathologisch-anatomischen  und  klinischen 
Standpunkte. 

II.  Ge  meinschaftliche  Sitzungen  einzelner  Ab¬ 
theilungen:  1.  E.  Ponfick  (Breslau):  Referat  über  die  Be¬ 
ziehungen  zwischen  Scrophulose  und  Tuberculose,  und  2.  E.  Feer 
(Basel):  Correferat:  Prophylaxe  der  Tuberculose  im  Kindesalter.  Zu 
beiden  Vorträgen  (welche  voraussichtlich  Dienstag  den  18.  September, 
Moigens  9  Uhr,  in  der  Aula  der  Ober-Realschule  gehalten  werden) 
sind  eingeladen  die  Abtheilungen  für  pathologische  Anatomie,  innere 
Medicin,  Chirurgie  und  Hygiene  zu  gemeinsamer  Sitzung,  a )  An  vor¬ 
genannte  Referate  soll  sich  unmittelbar  anschliessen :  Aus  der  Ab¬ 
teilung  34  für  Hygiene  und  Bacteriologie:  Das  Referat  von  Ne  iss  er 
(Frankfurt  a.  M.):  Ueber  die  Bedeutung  der  Bacteriologie  für  Dia¬ 
gnose,  Prognose  und  Therapie.  Hiezu  sind  eingeladen  die  Ab- 
theilungen  für  innere  Medicin,  Chirurgie,  Gynäkologie,  Kinderkrank- 
heden  und  alle  sich  für  das  Thema  interessirenden  Abtheilungen. 
^)  Pur  Donnerstag  den  2 L,  Morgens,  ist  vorgesehen  das  Referat  von 
vy.  Ills  jun.  (Leipzig):  Ueber  Ertheilung  von  ärztlichen  Gutachten 
ü  ei  neu  eifundene  Arzneimittel.  Es  sollen  dazu  Correferate  erstattet 
werden  von  einem  Chemiker  und  Pharmakologen,  eventuell  die  Ansicht 
eines  Juristen  gehört  werden.  Eingeladen  sind  hiezu  Abtheilung  6 
(  emie),  22  (Chirurgie),  23  (Gynäkologie),  38  (Pharmacie)  und  die 
anderen  sieh  dafür  interessirenden  Abtheilungen. 


III.  Sitzungen  der  einzelnen  Abtheilungen.  Die 
bis  zum  20.  Juni  angemeldeten  Vorträge  sind,  so  weit  thunlich,  in 
alphabetischer  Reihenfolge  aufgeführt.  Die  Reihenfolge,  in  welcher  sie 
gehalten  werden  sollen,  bestimmt  der  jeweilig  Vorsitzende  der  Ab¬ 
theilung.  Weitere  Anmeldungen  von  Vorträgen  sind  erbeten  und 
ebenso  wie  Wünsche  und  Anfragen  in  Bezug  auf  die  Abtheilungen  an 
die  betreffenden  Herren  Einführenden  oder  Schriftführer  zu  richten. 
Die  Herren  Vortragenden  werden  gebeten,  die  noch  während  der  Ver¬ 
sammlung  einzureichenden  Manuscripte  deutlich  und  nur  auf  einer 
Seite  des  I  apiers  zu  schreiben.  Zur  Demonstration  bestimmte  aus¬ 
wärtige  Kranke  finden  in  einem  der  hiesigen  Hospitäler  unentgeltlich 
Aufnahme.  Wegen  Projections- Apparaten  bittet  man  sich  an  Herrn 
Prof.  Dinkier,  Louisenhospital,  zu  wenden. 

Abtheilung:  Anatomie,  Histologie  und  Embryologie. 
Einführende:  Dr.  Jakob  d’Asse,  Dr.  P.  C  o  m  p  e  s.  Schriftführer: 
Dr.  C.  N  ö  s  s  e  1,  Dr.  C.  Tendering.  Sitzungslocal:  Gewerbliche 
Fachschulen,  Martinstrasse  Nr.  25.  Angemeldete  Vorträge: 
Kollmann  (Basel):  Die  Zotten  der  Chorion-Blase  bei  dem 
Menschen  und  den  Makaken  und  der  erste  Zusammenhang  mit  der 
Schleimhaut  des  Uterus.  Es  wird  der  Abtheilung  anheimgestellt,  ihre 
Sitzungen  gemeinsam  mit  der  Abtheilung  13  für  Zoologie  und  ver¬ 
gleichende  Anatomie  abzuhalten.  Stammlocal  für  diese  und  die  folgende 
Abtheilung:  Hartmannstrasse  17,  Englischer  Hof. 

Abtheilung:  Physiologie.  Einführende:  Dr.  Michael 
Kaufmann,  Dr.  F.van  Erckelens.  Schriftführer :  Dr.  Leonh. 
II  einen,  Dr.  W.  Chantraine.  Sitzungslocal :  Gewerbliche  Fach¬ 
schulen.  Angemeldete  Vorträge:  1.  Zw  a  ar  de  maker 
Utrecht):  Die  specifische  Riechkraft  von  Lösungen  synthetisch  be¬ 
reiteter  chemischer  Körper.  2.  Derselbe:  Demonstration  des 
phonetischen  Armamentariums  des  physiologischen  Institutes  in 
Utrecht. 

Abtheilung :  Allgemeine  Pathologie  u  n  d  p  a  t  h  o  lo¬ 
gische  Anatomie.  Zugleich  Sitzung  der  deutschen  pathologischen 
Gesellschaft.  Einführende:  Prof.  Dr.  Max  Dinkier,  Sanitätsrath 
Dr.  Jos.  1  h  o  m  a.  Schriftführer:  Dr.  M.  Gockel.  Sitzungslocal: 
Technische  Hochschule.  Angemeldete  Vorträge:  1.  E.  Al¬ 
brecht  (München):  Ueber  künstliche  Erzeugung  von  Degenerations¬ 
bildern  in  Zellen.  2.  Derselbe:  Zur  Pathologie  der  Kern-  und 
Zelltheilung.  3.  Max  Askanazy  (Königsberg):  Distomum  felineum 
in  Ostpreussen  beim  Menschen.  4.  Derselbe:  Ueber  das  Verhalten 
der  Darmganglien  bei  Peritonitis.  5.  P.  v.  B  a  u  mgarte  n  (Tübingen): 
Ueber  die  histologische  Differentialdiagnose  zwischen  gummöser  und 
tuberculöser  Orchitis.  6.  Derselbe:  Experimentelle  Studien  über  die 
Histologie  des  Hodentuberkels.  7.  II.  Chiari  (Prag):  Rückenmarks- 
abscess.  8.  F.  Henke  (Breslau):  Zur  Pathologie  des  Chalazions. 
9.  Derselbe:  Demonstrationen.  10.  L.  Jores  (Bonn):  Ueber  die 
Regeneration  des  elastischen  Gewebes.  11.  R.  Kretz  (Wien):  Thema 
Vorbehalten.  12.  B.  Morpurgo  (Siena):  Ueber  eine  infectiöse  Form 
von  Knochenerweichung  bei  weissen  Ratten  (mit  Demonstrationen). 

13.  C.  Nauwerck  (Chemnitz):  Demonstration  augemeldet. 

14.  J.  Orth  (Göttingen):  Ueber  traumatische  anämisch-nekrotische 
Infarcte  der  Leber.  15.  Derselbe:  Ueber  die  Veränderungen  der 
Gelenk-  und  Epipliysen-Knorpel  bei  entzündlichen  und  tuberculösen 
Vorgängen.  16.  Derselbe:  Ueber  die  Beziehungen  der  Lieber- 
k  ii  h  n’schen  Krypten  zu  den  Lymphknötchen  des  Darmes  unter  nor¬ 
malen  und  pathologischen  Verhältnissen.  17.  E.  Ponfick  (Breslau): 

1  hema  Vorbehalten.  18.  M.  Simmonds  (Hamburg):  Ueber  Cysten 
und  Adenombildungen  der  retrotrachealen  Schleimdrüsen.  19.  K. 
Winkler  (Breslau):  Das  Myelom.  20.  E.  Ziegler  (Freiburg  i.  Br.): 
Thema  Vorbehalten.  21.  C.  v.  Kali  Iden  (Freiburg):  Thema  Vor¬ 
behalten.  Bemerkun  g.  Die  Abtheilung  ist  ausserdem  eingeladen  zu 
dem  Vortrage  6  und  19  in  der  Abtheilung  Chirurgie,  ferner  zu  den 
Referaten  von  Ponfick  und  Feer,  welche  auf  Aufforderung  der 
Abtheilung  Kinderkrankheiten  am  Dienstag,  18.  September,  Morgens, 
in  der  Aula  der  Ober-Realschule  abgehalten  werden;  ferner  zu  Vor¬ 
trag  6  in  der  Abtheilung  für  Zahnkrankheiten.  Stammlocal: 
Zimmer  3,  Altbaiern,  Wirichsbongardstrasse  43. 

Abtheilung :  Innere  Medicin  und  Pharmakologie. 
Einführende:  Prof.  Dr.  Felix  Wesener,  Sanitätsrath  Dr.  C. 
Hommelsheim.  Schriftführer :  Dr.  W  i  1  h  e  1  m  M  a  y  e  r,  Dr.  Jakob 
C  o  r  n  e  1  y.  Technische  Hochschule.  Angemeldete  Vorträge: 
1.  L.  Brauer  (Heidelberg):  Ueber  pathologische  Veränderungen  der 
Galle.  2.  A.  Eulenberg  (Berlin):  Ueber  gonorrhoische  Nerven¬ 
erkrankungen.  3.  Derselbe:  Ueber  Arsonvalisation  (Anwendung 
hochgespannter  Wechselströme  zu  therapeutischen  Zwecken).  4.  J.  F. 
Hey  mans  (Gent):  Ueber  Entgiftung.  5.  W.  His  jun.  (Leipzig): 
Ueber  Ertheilung  von  ärztlichen  Gutachten  über  neuerfundene  Arznei¬ 
mittel.  6.  H.  Hochhaus  (Kiel):  Ueber  functionelle  Herzerkrankungen. 
7.  R.  Lenz  mann  (Duisburg):  Ueber  Appendicitis  larvata.  8.  R. 

O  es  t  reich  (Berlin):  Zur  Percussion  des  Herzens.  9.  O.  Preiss 


778 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  34 


(Elgersburg  i.  Th.):  Ueber  Massagebäder  (mit  Demonstrationen). 

10.  Th.  Rumpf  (Hamburg):  Eiweissansatz  und  Zuekerausscheidung. 

11.  Ad.  Schmid  (Bonn):  Beitrag  zur  Säuglingsernährung.  12.  J. 
Weiden  bäum  (Neuenahr):  Die  Diät  bei  Diabetes  mellitus. 

13.  F.  Wesen  er  (Aachen):  Ueber  Diphtherie  und  Scharlach. 

14.  W.  W  e  i  n  t  r  a  u  d  (Wiesbaden):  Ueber  eine  neue  einfache  Technik 
der  Bluttransfusion.  Bemerkungen.  Zu  Vortrag  2  und  3  ist  die 
Abtheilung  Neurologie  und  Psychiatrie,  zu  Vortrag  9  die  Abtheilung 
Balneologie  und  Hydrotherapie,  zu  Vortrag  11  und  13  die  Abtheilung 
Kinderkrankheiten  eingeladen.  Vortrag  7  in  gemeinsamer  Sitzung  mit 
der  Abtheilung  Chirurgie.  Vortrag  :'>  ist  in  Aussicht  genommen  für 
eine  gemeinsame  Sitzung  mit  den  Abteilungen :  Chemie,  Chirurgie, 
Geburtshilfe  und  Frauenkrankheiten,  Kinderheilkunde  und  Neurologie. 
Ausserdem  soll  dazu  ein  Correferat  erstattet  werden  von  einem 
Chemiker,  einem  Pharmakologen,  eventuell  auch  von  einem  Juristen. 
Die  Sitzung  ist  vorläufig  auf  Donnerstag  den  21.,  Morgens  9  Uhr, 
festgesetzt.  Ferner  ist  die  Abtheilung  eingeladen  zu  den  Refeiaten 
P  on  fick  und  Feer,  welche  auf  Aufforderung  der  Abtheilung 
Kinderheilkunde  Dienstag  den  18.,  Morgens  9  Uhr,  in  der  Aula  der 
Ober-Realschule  erstattet  werden,  zu  den  Vorträgen  4  und  5  in  der 
Abtheilung  für  Kinderheilkunde,  zu  Vortrag  21  in  der  Ab¬ 
theilung  für  Chirurgie,  zu  Vortrag  9  in  der  Abtheilung  für 
Neurologie  und  Psychiatrie,  zu  Vortrag  8  in  der  Abtheilung  für 
Balneologie  und  zu  Vortrag  13  in  der  Atheilung  für  Hautkrank¬ 
heiten  und  Syphilis. 

Abtheilung  für  Chirurgie.  Einführende:  Sanitätsrath  Doctor 
II.  Krabbe  1,  Oberarzt  Dr.  W.  M  ü  1  1  e  r.  Schriftführer:  Dr.  C.  L  o  n- 
g  a  r  d,  Dr.  J.  Classen.  Sitzungslocal:  Technische  Hochschule.  An¬ 
gern  e  1  d  e  t  o  Vorträge:  1 .  B.  Bardenheuer  (Köln) :  Ueber 
Behandlung  der  Phlegmonen.  2.  Derselbe:  Ueber  Kapselverengerung 
bei  Gelenkaffectionen.  3.  R.  Bartz  (Eschweiler) :  Daueierfolg  der 
operativ  behandelten  Bauchfelltubereulose.  4.  Derselbe:  Operation 
einer  Spina  bifida  (Krankenvorstellung).  5.  Ad.  Becker  (Aachen): 
Demonstration  von  Präparaten.  (I.  Friedrich  (Leipzig):  Ueber 
anämische  Lebernekrosen.  7.  Graff  (Bonn):  Demonstration  neuer 
orthopädischer  Apparate.  8.  A.  Hoffa  (Würzburg):  Zur  Behandlung 
des  Pes  valgus  (Demonstration).  9.  II.  Krabbe  1  (Aachen):  Zwei 
seltene  Magenoperationen.  10.  Derselbe:  Ungewöhnlicher  Abdominal- 
tumor  bei  einem  Manne.  11.  Derselbe:  Ueber  Schussverletzungen 
des  Abdomen.  12.  M.  Landow  (Wiesbaden):  Centrales  Osteum  des 
Humerusschaftes.  13.  C.  Longard  (Aachen):  Krankenvorstellung. 
Fälle  von  Verletzung  des  Sprachcentrums.  14.  Derselbe:  Thorako- 
plastik.  15.  E.  Martin  (Köln):  Zur  chirurgischen  Behandlung  der 
spindelförmigen  Speisei öhrenenveiterung  (spastische  Stenose).  16.  W. 
Müller  (Aachen):  Demonstration  zur  Frage  der  Osteoplastik. 
17.  Derselbe:  Zur  Sehnenüberpffanzung.  F  r  z.  Niehuis  (Bonn), 
(siehe  Nr.  29).  18.  S.  Pabst  (Aachen):  Demonstration  von  Prä¬ 

paraten.  19.  W.  Petersen  (Heidelberg):  Zur  Kenntniss  des  Auf¬ 
baues  des  Careinoms.  20.  Derselbe:  Magenkrankheiten  bei  Chole¬ 
lithiasis.  21.  J.  Quadflieg  (Aachen):  Ueber  Intubation.  22.  A. 
Rosenberger  (Würzburg):  Ueber  die  Art  und  Bedeutung  des 
chirurgischen  Eingriffes  w  ä  h  r  e  n  d  eines  Typhilitisanfalles.  Schnitze 
(siehe  Nr.  30).  23.  C.  Stern  (Düsseldorf):  Beitrag  zur  Behandlung 

subeutaner  Nierenrupturen.  24.  L.  v.  S  t  u  b  e  n  r  a  u  c  h  (München)  : 
Thema  Vorbehalten.  25.  F  r  i  e  d  r.  Viertel  (Breslau):  Ueber 
Blasenchirurgie,  in  specie  über  Operationen  bei  Prostata-Hypertrophie. 
26.  0.  Vulpius  (Heidelberg):  Behandlung  des  Klumpfusses  bei  Er¬ 
wachsenen.  27.  0.  Wolff  (Essen):  Ueber  Behandlung  der  Knöchel¬ 
brüche  mit  Barden  heue  r’seher  Gewichtsextension.  28.  R.  Morian 
(Essen):  Vorübergehende  Hämoglobinurie  in  Folge  von  Blutung  in  die 
Bauchhöhle.  29.  Franz  Niliuis  (Bonn):  Ueber  die  Erfolge  der 
lletolbehandlung  bei  Tuberculose.  30.  Ferd.  S  c  h  u  1 1  z  e  (Duisburg): 
Ueber  Klemmnaht.  31.  A  u  g.  Sträter  (Berlin):  Ueber  Knochen- 
erkrankungen  im  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bilde.  Bemerkungen.  Zu  den  Vor¬ 
trägen  6  und  19  ist  die  Abtheilung  für  pathologische  Anatomie 
und  zu  den  Vorträgen  15,  21  und  22  die  Abtheilung  für  innere  Me- 
diein  eingeladen.  Ausserdem  ist  die  Abtheilung  für  Chirurgie  ein¬ 
geladen  zu  gemeinsamer  Sitzung  von  der  Abtheilung  für  innere 
Medicin  zu  Vortrag  5  und  7,  sowie  zu  den  Referaten  von  E.  Pon- 
fick  und  E.  Feer;  ferner  zu  gemeinschaftlicher  Sitzung  mit  der  Ab¬ 
theilung  für  Zahnheilkunde  für  Vortrag  10  und  11  und  zu  dem  Vor¬ 
trag  von  Sträter  (Berlin)  über  Knochenerkrankungen  im  Röntge  n- 
Bilde  mit  der  Abtheilung  für  wissenschaftliche  Photographie,  ausser¬ 
dem  noch  zu  Vortrag  12  in  der  Abtheilung  für  Hautkrankheiten 
und  Syphilis.  Stammlocal:  Restauration  Alt-Baiern,  Wirichsbongard- 
strasse  43. 


* 


(Fortsetzung  folgt.) 


Im  Verlage  von  M.  Perl  es  in  Wien  ist  der  von  Dr.  Hein¬ 
rich  Adler  herausgegebene  „Medicinal-Kalender“  für  1901 
(43.  Jahrgang)  erschienen. 


Freie  Wellen. 

Gemeindearztesstellen  in  Oberösterreich.  Im  Grunde  des 
Landes-Sanitätsgesetzes  für  Oberösterreich  vom  22.  September  1893,  L.  G. 
und  V.  Bl.  Nr.  35,  sind  die  Gemeindearztesstellen  in  nachbenannten  Sanitäts- 
gemeinden  zu  besetzen: 

1.  Feldkirchen  (politischer  Bezirk  Braunau),  1932  Einwohner, 

700  K  Jahresbezüge. 

2.  Pischelsdorf  (politischer  Bezirk  Braunau),  1725  Einwohner, 

480  K  Jahresbezüge. 

3.  Rossbach  (politischer  Bezirk  Braunau),  1947  Einwohner,  640  K 
von  der  Gemeinde,  400  K  Landes-Subvention.  Dienstesantritt  eventuell 
erst  nach  Ablauf  der  Kündigungsfrist  des  Gemeindearztes,  d.  i.  mit  Ende 
November  d.  J. 

4.  Reichenthal  (politischer  Bezirk  Freistadt),  2240  Einwohner, 

1046  K  von  der  Gemeinde  und  200  K  Landes-Subvention. 

5.  Feldkirchen  (politischer  Bezirk  Linz),  2992  Einwohner. 
Jahresbezüge  600  K.  Der  Gemeindearzt  kann  seinen  Wohnsitz  entweder  in 
Feldkirclien  oder  im  Badeorte  Miihllacken  nehmen. 

6.  Niederneukirchen  (politischer  Bezirk  Linz),  2050  Einwohner, 
Jahresbezüge  720  K. 

7.  St.  Peter  am  Wimberg  (politischer  Bezirk  Rohrbach), 
2870  Einwohner,  600  K  von  der  Gemeinde  und  600  K  Landes-Sub- 
vention. 

8.  Diersbach  (politischer  Beziik  Schärding),  1842  Einwohner, 

Jahresbezüge  280  K. 

Bewerber  um  eine  dieser  Stellen  wollen  ihre  mit  dem  Nachweise  der 
ärztlichen  Befähigung  und  der  bisherigen  praktischen  Verwendung,  des 
Alters  und  der  Confession  versehenen  Gesuche  bis  Ende  August  1900 
an  den  oberösterreichischen  Landesausschuss  in  Linz  einsenden.  In  dem  Ge¬ 
suche  können  auch  mehrere  der  erledigten  Stellen  bezeichnet  werden,  wenn 
auf  dieselben  für  den  Fall  der  inzwischen  etwa  erfolgten  Wiederbe 
Setzung  der  an  erster  Stelle  bezeichnten  Gemeindearztesstelle  reflectirt 
wird.  Der  Landesatistcliuss  wird  die  eiulangenden  Gesuche  den  betref¬ 
fenden  Sanitäts-Gemeindevertretungen  zur  Beschlussfassung  übermitteln  und 
in  jenen  Fällen,  in  welchen  mit  der  Stelle  eine  Landessubvention  verbunden 
ist,  die  Ernennung  im  Einvernehmen  mit  der  k.  k.  Statthalterei  vor¬ 
nehmen. 

Gemeindearztesstelle  in  der  aus  den  Gemeinden  Speisendorf, 
Karlstein,  Ober-Grünbacli,  Thuma,  Rossa,  Eggersdorf,  Münichreith  undGöpfritz- 
schlag  bestehenden  3600  Einwohner  zählenden  Sanitätsgemeindegruppe 
Speisendorf  (politischer  Bezirk  Wahlhufen  a.  d.  Thaya)  (Nieder- 
ö  st  er  re  ich).  Fixe  Bezüge:  400  K  von  der  Sanitätsgruppe  nebst  freier 
Wohnung.  Eine  entp>-echende  Landessubventio.r  ist  in  Aussicht.  Haltung 
einer  Hausapotheke  wird  gefordert,.  Bewerber  um  diese  sofort  zu  be¬ 
setzende  Stelle  haben  ihre  gehörig  instruirten,  an  den  niederöstorreichischen 
Landesausschuss  gerichteten  Gesuche  längstens  bis  25.  August  1900  hei  der 
Bezirkshanptmannschaft  Waidhofen  a.  d.  Thaya  oder  beim  Gemeindeamte 
Karlstein  einzubringen.  Bewerber  mit  Spitalpraxis  haben  den  Vorzug. 

Bei  der  k.  k.  Forst-  und  Domänendirection  in  Wien  ist  die  Stelle 
eines  k.  k.  Forstarztes  für  den  Curbezirk  Aschbach  bei 
Mariazell  (Steier mark)  zu  besetzen.  Mit  der  Stelle  als  k.  k.  Forstarzt  ist 
ohne  Anspruch  auf  Pension  eine  Jahresbestallung  inclusive  des  Reise- 
pauschales  im  Betrage  von  1600  K,  sowie  die  Benützung  einer  Dienst¬ 
wohnung  im  fondsherrschaftlichen  Hause  C. -Nr.  152  zu  Aschbach  als  Natural- 
wohnung  seitens  des  k.  k.  Aerars  verbunden.  Dem  Arzte  obliegt  die  unent¬ 
geltliche  ärztliche  Behandlung  der  im  Curbezirke,  d.  i.  in  dem  k.  k.  Forst- 
und  Domänen  Verwaltungsbezirke  Wegscheid  (umfassend  die  Gemeinde 
Aschbach  vom  Pfannhammer  thalaufwärts)  wohnenden  Forstarbeiterschaft 
und  Provision isten  sammt  deren  Angehörigen,  dann  des  im  Bezirke  statio- 
nirten  Forstschutzpersonales  sammt  Angehörigen,  sowie  weiters  die  Haltung 
einer  Hausapotheke,  aus  welcher  an  die  curberechtigten  Arbeiterpersonen 
die  erforderlichen  Medicamente  und  Verbandstoffe  gegen  Rechnungslegung 
über  die  effvetiv  verabfolgten  Arzneimittel  nach  Ablauf  jedes  Quartales  an 
das  k.  k.  Acrar  abzugeben  sind.  Die  Bestellung  des  Arztes  erfolgt  auf  un¬ 
bestimmte  Dauer  unter  Vorbehalt  einer  beiderseitigen  halbjährigen  Kündigung 
und  ist  der  Arzt  zur  Einhaltung  der  über  den  ärztlichen  Dienst  aufzu¬ 
stellenden  Dienstin'tructionen,  sowie  zum  Abschlüsse  eines  schriftlichen 
Vertrages  mit  dem  k.  k.  Aerar  verpflichtet.  Der  Antritt  der  Arztesstelle 
kann  sofort  nach  der  dem  Bewerber  zugestellten  Entscheidung  über  die  An¬ 
nahme  seines  Offertes  erfolgen.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  Ge¬ 
suche  bpi  der  k.  k.  Forst-  und  Domänendirection  in  Wien,  IV.,  Gusskaus- 
strns.se  27,  und  zwar  soferne  sie  in  einer  staatlichen  Dienstleistung  stehen, 
im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde  unter  Beibringung  nachstehender  Belege 
bis  10.  September  d.  J.  einzureichen:  «)  Nachweis  über  den  erlangten 
Ductorgrad;  b)  Altersnachweis;  c)  Nachweis  über  ihre  österreichische  Staats¬ 
angehörigkeit ;  d)  über  ihre  untadelhafte  staatsbürgerliche  Haltung;  e)  amts¬ 
ärztliches  Zeugniss  über  ihre  physische  Eignung  und  /)  Nachweise  über 
ihre  bisherige  ärztliche  Thätigkeit.  Jene  Aerzte,  welche  neben  einer  ent¬ 
sprechenden  Spitalspraxis  eine  besondere  Ausbildung  in  der  operativen 
Chirurgie  und  Geburtshilfe  nachzuweisen  im  Stande  sind,  erhalten  den  Vor¬ 
zug  vor  allen  anderen  Competenten.  Auch  haben  sich  die  Bewerber  zu  er¬ 
klären,  ob  sie  diese  Stelle  sofort  nach  der  eventuellen  Ernennung,  oder  bis 
zu  welcher  Zeit  anzutreten  im  Stande  sind.  Später  einlangende  oder  nicht 
entsprechend  belegte  Gesuche  können  keine  Berücksichtigung  finden. 


Nr.  34 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


779 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2—9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Berlin). 

I.  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

Vorsitzender:  Tillanx  (Paris). 

IV.  Braquehaye  (Tunis):  Ueber  das  Nirvanin  in 
der  Chirurgie. 

Vortragender  legt  die  Vortheile  klar,  die  das  Nirvanin  vor  dem 
Cocain  besitzt.  Es  ist  besser  zu  sterilisiren,  die  Intoxicationsgefahr  ge¬ 
ringer,  die  Dauer  der  Anästhesie  ist  länger.  Auch  bei  den  entzünd¬ 
lichen  Aftectionen,  wo  die  locale  Anästhesie  gewöhnlich  schlecht  anzu¬ 
wenden  ist,  leistet  das  Nirvanin  noch  viel  mehr  als  das  Cocain.  Er 
injicirt  jetzt  0-5</  reines  Nirvanin  ohne  Bedenken;  noch  niemals  hat 
er  irgend  eine  Störung  gesehen.  Nur  einmal  hat  er  nach  dieser  Dosis 
eine  Neigung  zur  Nausea  beobachtet.  Nach  der  Injection  soll  man 
fünf  bis  zehn  Minuten  warten  und  dann  operiren.  Die  beste  Wirkung 
entfaltet  das  Nirvanin  natürlich  bei  der  Operation  der  kleinen  Tumoren, 
aber  auch  bei  grösseren  und  grossen  Operationen  ist  es  mit  Vortheil 
anzuwenden.  Er  möchte  seine  Erfahrungen  dahin  resumiren,  dass  das 
Nirvanin  vor  dem  Cocain  bedeutende  Vortheile  hat. 

V.  Sever  eaun  (Bukarest) :  Ueber  Anästhesie  durch 
Coca,  inin  jectionen  in  das  Rückenmark.  Vortragender  will 
die  Aufmerksamkeit  auf  die  Zufälle  lenken,  die  bei  der  Injection  von 
Cocain  in  das  Rückenmark  eintreten  können.  Er  hat  Schwächeanfälle 
gesehen,  die  enorm  waren,  und  die  manchmal  bis  zu  acht  Stunden  ge¬ 
dauert  haben.  Was  die  Cocainmenge  anbelangt,  so  hat  er  bis  zu  4  cg 
manchmal  injicirt.  Gegen  die  auftretende  Intoxication  wendet  er  gern 
Coffein  an. 

VI.  Tuffier  (Paris):  Ueber  medulläre  Cocainan¬ 

ästhesie  oder  int  raa  rach  noideale  Injectionen  von 
Cocain.  Tuffier  hat  bereits  G5  Fälle  publicirt  und  seine  Erfahrung 
erstreckt  sich  jetzt  auf  125  Operationen,  die  die  unteren  Extremitäten, 
das  Perineum,  die  Blase,  das  Rectum,  Uterus  und  Adnexe  und  den 
Darm  betrafen.  Er  nimmt  nie  mehr  als  1  ^l%cg  Cocain  und  hat  damit 
stets  vollkommene  Anästhesie  erreicht.  Gelingt  die  Anästhesie  nicht, 
so  ist  das  für  ihn  ein  Beweis,  dass  die  Lösung  entweder  schlecht  ge¬ 
worden  oder  nicht  in  den  Arachnoidalraum  eiugedrungen  ist.  Zufälle 
hängen  wohl  meist  von  einer  zu  grossen  Dosis  ab.  Sie  können  während 
und  nach  der  Anästhesie  auftreten.  Während  derselben  kann  Folgendes 
auftreten:  sobald  die  Flüssigkeit  in  die  Rückenmarksnerven  eingedrungen 
ist,  klagen  95%  aller  Patienten  über  Beklemmungen,  über  ein  Gefühl 
von  Unempfindlichkeit  und  Abgestorbensein,  welches  von  den  Füssen 
bis  zum  Nabel  hinaufsteigt  und  sich  sogar  bis  zur  Mitte  des  Thorax 
ausdehnen  kann.  Diese  Anästhesie  tritt  nach  fünf  bis  zehn  Minuten 
ein  und  dauert  1%  4  Stunden  an.  Während  der  Operation  klagt  der 

Patient  oft  über  Beklemmungen  im  Epigastrium,  Angstgefühle,  verlangt 
nach  frischer  Luft,  holt  tief  und  langsam  Athem  und  hat  wieder  fünf 
Minuten  später  Erscheinungen  und  Gefühle  von  Nausea,  die  sich  bis 
zu  thatsächlichem  Erbrechen  steigern,  wenn  die  Cocainmenge  zu  gross 
gewesen  ist.  Der  Puls  ist  beschleunigt,  90—120  Schläge,  der  Patient 
klagt  über  aufsteigende  Hitze,  das  Gesicht  ist  mit  Schweiss  bedeckt, 
sehr  blass.  Nach  der  Anästhesie  treten  oft  keine  unangenehmen  Zu¬ 
fälle  auf  und  die  Kranken  verlangen  zu  essen.  Existiren  sie  aber,  so 
bestehen  sie  in  Erbrechen,  Frostschauern,  Temperatursteigerungen  bis 
zu  39  9°,  die  aber  zu  keinem  Bedenken  Anlass  zu  geben  brauchen, 
wenn  sie  am  nächsten  läge  wieder  zurückgehen.  Das  einzige  andauernde 
und  unangenehme  Intoxicationssymptom  sind  Kopfschmerzen,  die  meist 
15,  nicht  selten  auch  48  Stunden  dauern.  Tuffier  glaubt,  dass  man 

le  gefähi liehen  bulbären  Symptome  nicht  zu  fürchten  braucht,  da  die 
Anästhesie  selten  oder  niemals  so  hoch  hinaufsteigt,  sondern  immer 
untei  alb  des  Zwerchfells  bleibt.  Von  seinen  125  Operirten  sind  fünf 
gestorben.  Bei  vier  von  diesen  darf  der  Tod  aber  nicht  auf  die  An¬ 
äst  esie  zuiückgeführt  werden.  Nur  der  Fünfte  ist  unter  den  Symptomen 


ALT: 

zu  Paris.  (2.-9.  August  1900.)  (Fortsetzung.) 

einer  Asphyxie  gestorben.  Die  Section  hat  eine  Mitralinsufficienz 
und  zwei  frische  Lungenapoplexien  ergeben.  Herzfehler  sind  keine 
Contraindication.  Er  hat  eine  Kranke  mit  Mitralstenose  operirt  und 
geheilt.  Zum  Schluss  bemerkt  Tuffier,  dass  er  weit  entfernt  ist, 
die  allgemeine  Anästhesie  zu  entfernen,  aber  er  kann  nicht  leugnen, 
dass  die  medulläre  Anästhesie  ihre  grossen  Vortheile  hat. 

VII.  Trunczek  (Prag)  :  Behandlung  maligner  Tu¬ 
moren  mit  Arsenik.  Die  Radicalbehandlung  dos  Epithelialcarci- 
noms  mit  Acidum  arsenicosum  besteht  nach  seinem  Vorgänge  in  täglichen 
Pinselungen  der  Oberfläche  des  Tumors  mit  einer  Lösung  von  1  Theil 
Acidum  arsenicosum  in  40  —  75  Theilen  Alkohol  und  Wasser  aa.  Die 
Gewebstransformation,  die  die  Folge  ist,  geht  schliesslich  in  eine 
gewöhnliche  granulirende  Fläche  über,  die  unter  irgend  einer  antisepti¬ 
schen  Behandlung  zur  Heilung  kommt.  Diese  unter  dem  Namen  der 
Czerny-Truncze  k’schen  Methode  bekannten  Behaudlungsweise  ist 
aut  die  oberflächlichen  und  ulcerirten  Sarkome  anzuwenden.  Wenn  der 
Tumor  nicht  zu  gross  und  der  Patient  nicht  zu  schwach  ist,  kann 
man  so  eine  vollkommene  Heilung  erzielen,  wie  er  sie  in  einem  Falle 
von  Hautsarkom  bei  einer  Frau  von  24  Jahren  erreicht  hat,  wo  die 
Heilung  jetzt  schon  18  Monate  andauert.  Gerade  bei  den  Sarkomen 
kann  man  recht  gut  die  verschiedenen  Phasen  der  Heilung  studiren. 
Die  oberste  Partie  wird  zuerst  anämisch;  das  Gewebe  ist  zwar  noch 
von  normaler  Beschaffenheit  aber  blutlos,  so  dass  aus  selbst  tiefen 
Verletzungen  nur  etwas  seröse  Flüssigkeit  aussickert.  Allmälig  aber 
verändert  sich  der  Tumor,  wird  hart,  manchmal  so,  dass  er  sich  nur 
schwer  schneiden  lässt,  und  schliesslich  ist  er  einige  Centimeter  tief 
nekrotisirt.  Ist  die  Nekrose  eine  vollständige,  tritt  eine  demarcative 
Entzündung  auf  und  der  Tumor  stösst  sich  wie  ein  Fremdkörper  ab. 

VIII.  Marechal  (Chätillon-sur-Seine) :  Reincultur  und 
Inoculation  des  Bacillus  Ducrey. 

IX.  Nicoletti  (Neapel):  Experimentelle  und  histo-jjatho- 
logische  Untersuchungen  über  die  medulläre  Anästhesie 
mit  Injectionen  von  salz  sau  rem  Cocain. 

Seine  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  unter  der  Einwirkung 
des  in  den  Cervicalcanal  eingespritzten  Cocains  keinerlei  histo-patholo- 
gische  Veränderungen  der  nervösen  Elemente  nachzuweisen  waren.  Er 
ist  der  Ansicht,  dass,  wenn  er  auch  eine  specifische  Wirkung  des  Co¬ 
cains  nicht  leugnen  will,  das  Alkaloid  erst  durch  Vermittelung  der 
Blutbahn  wirksam  ist;  zur  Controle  hat  er  Einspritzungen  von  Ergotin, 
Antipyrin  und  Chinin,  muriat.  gemacht  und  hier  fast  genau  dieselben 
Phänomene,  dieselben  circulatorischen  Störungen  erzielt  wie  beim  Co¬ 
cain.  Er  berichtet  zum  Schluss  über  sieben  Fälle,  die  er  mit  der 
Cocainisation  des  Rückenmarks  operirt  hat  und  erklärt,  dass  er  mit 
der  Methode  sehr  zufrieden  ist. 

X.  Racovicea  n  u  P  i  t  e  s  c  i  (Bukarest) :  Anästhesie 
durch  Cocainin jection  in  das  Rückenmark. 

Vortragender  berichtet  über  125  Fälle,  deren  Alter  von  5—72 
Jahren  schwankt.  Er  macht  die  Injection,  während  der  Patient  auf 
einem  Stuhle  sitzt. 

Viermal  ist  ihm  die  Anästhesie  nicht  gelungen,  und  er  hat  zum 
Chloroform  zurückgreifen  müssen.  Zweimal  hat  die  Anästhesie  vor  Be¬ 
endigung  der  Operation  aufgehört.  Wenn  die  Anästhesie  mehrmals  an 
demselben  Patienten  ausgeführt  wird,  macht  sich  eine  grössere  Tole¬ 
ranz  gegen  das  Cocain  bemerkbar.  Unter  den  ersten  100  Fällen  ist 
bei  16  keinerlei  Störung  eingetreten,  80  haben  leichte  Intoxications- 
symptome  gezeigt,  die  zwölf  Stunden  bis  zu  fünf  Tagen  andauerten, 
dreimal  traten  so  schwere  Intoxicationserscheinungen  auf,  dass  das 
Leben  der  Patienten  in  Gefahr  war.  Die  von  ihm  gebrauchte  Dosis 
schwankte  zwischen  2  und  4  cg,  entweder  rein  oder  mit  Morphium. 
Nierenerkrankungen  bieten  eine  Contraindication;  Kranke  mit  Herz¬ 
fehler  oder  Arteriosklerose  bedürfen  einer  genauen  Ueberwachung.  Das 
Cocain  kann,  so  schliesst  Vortragender,  sehr  nützlich  sein,  doch  kann 
es  natürlich  nicht  die  allgemeine  Narkose  ersetzen,  schon  wegen  der 
Unbeständigkeit  seiner  Lösungen. 

XI.  Mincroini  (Genua):  Experimentelle  und  klini¬ 
sche  Untersuchungen  über  die  Retractilität  der 
Narben. 

Seine  Untersuchungen  haben  ihn  zu  folgenden  Schlüssen 
geführt : 


780 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  34 


1.  Die  Narbenretraction  ist  direct  proportional  der  Heilungsdauer 
und  ausgedehnter  bei  Erwachsenen  als  bei  jungen  Individuen.  2.  Sie 
hängt  weder  von  den  elastischen,  noch  von  irgend  welchen  contractilen 
Fasern  ab,  sondern  einfach  von  einer  Gewebssclirumpfung  bei  dem 
natürlichen  Ileilungsprocess.  3.  Hat  sich  einmal  die  Narbe  ausgebildet, 
so  ist  sie  unverändert.  Man  darf  daher  nicht  von  retractilen,  sondern 
nur  von  retrahirten  Narben  sprechen.  4.  Die  Verbrennungsnarben  sind 
ähnlich  den  anderen.  Auch  sie  haben  keine  grössere  Retractilität. 
5.  Auch  die  Narben  der  inficirten  Wunden  sind  nicht  anders  be 
schäften.  G.  Um  möglichst  geringe  Narbencontraction  zu  erzielen,  soll 
man  während  der  Heilung  die  Ränder  der  Wunde  auseinanderhalten 
und  möglichst  breite  Narben  zu  erreichen  versuchen. 

XII.  F.  B.  Türck  (Chicago) :  Ueber  eine  neue  Methode 
während  der  Operation  derlnfection  und  dem  Shock 
vorzubeugen. 

Vortragender  hat  besonders  die  unglücklichen  Zufälle  bei  der 
Laparotomie  im  Auge,  denen  er  durch  folgende  Massnahmen  Vor¬ 
beugen  will.  Er  legt  sogleich  nach  der  Eröffnung  der  Bauchhöhle  eine 
breite,  sterilisirte,  heisse  Gummibinde  um  den  Leib,  schneidet  in  diese 
einen  Spalt,  breit  genug,  um  seine  Operation  zu  machen,  bei  der 
Gastroenterostomie  zwei  Löcher,  durch  deren  eines  er  den  Magen, 
durch  deren  unteres  er  den  Darm  herauszieht  zur  Vereinigung.  Nach 
vollendeter  Operation  wird  das  Gummiband  durchgeschnitten,  die 
Bauchwunde  sofort  vernäht.  Türck  glaubt,  so  dem  Shock  und  der 
Infection  am  wirksamsten  entgegenzutreten. 

XIII.  Sever  ano  (Bukarest):  Ueber  die  verborgene 
Zickzacknaht. 

Von  der  Ueberlegung  ausgehend,  dass  jede  Naht,  die  durch  die 
ganze  Dicke  der  Haut  geht,  mehr  oder  weniger  sichtbare  Narben 
hinterlässt,  hat  Sever  ano  eine  Nabt  ersonnen,  die  ihm  besonders 
bei  der  Operation  der  Hasenscharte  ausserordentlich  zufriedenstellende 
Resultate  geliefert  hat,  eine  Naht,  die  unter  der  Haut  verborgen 
bleibt  und  der  er  wegen  ihrer  eigentümlichen  Form  den  Namen  Zick¬ 
zacknaht  gegeben  hat.  Nach  voraufgegangener  Schleimhautnaht  wird 
eine  kleine  Nadel  mit  feinem  oder  stärkerem,  am  Ende  geknoteten 
Catgut,  je  nach  der  Tiefe  der  Wunde,  armirt,  etwas  oberhalb  des 
äussersten  Wundwinkels,  4—5  mm  vom  Wundrande  entfernt,  einge¬ 
stochen  und  schräg  nach  unten  in  die  Tiefe  der  Wunde  geführt,  ohne 
durch  die  Schleimhaut  zu  gehen.  Die  Nadel  wird  dann  in  derselben 
schrägen  Richtung,  aber  mit  der  Spitze  nach  aussen  gerichtet,  an  der 
gegenüberliegenden  Wundfläche  eingestochen,  und  4 — 5  mm  vom  Rande 
entfernt  wird  die  Haut  durchbohrt  und  der  Faden  angezogen.  Nun 
wird  die  Nadel  durch  dieselbe  Stichöffnung  wieder  eingeführt,  aber  in 
einem  nach  der  Schnittfläche  offenen  Winkel,  den  man  nicht  sehr 
gross  macht,  durchgestossen  und  in  derselben  schrägen  Richtung 
weitergeführt  durch  die  gegenüberliegende  Seite  und  wieder  4 — 5  mm 
entfernt  vom  Wundrande  durch  die  Haut  gebohrt,  wieder  in  dieselbe 
Stichöffnung  zurückgeführt  u.  s.  w.,  bis  die  ganze  Wunde  geschlossen 
ist.  Ein  Knoten  beschliesst  die  Naht.  Sollten,  was  Vorkommen  kann, 
besonders  bei  tiefen  Wunden  die  Hautränder  etwas  klaffen,  so  werden 
diese  mit  einer  möglichst  feinen  und  exacten  Catgutnaht  vereinigt. 

XIV.  M  i  c  h  a  u  x  (Paris) :  Eine  neue  Art  der  Blut¬ 
stillung,  Demonstration  eines  automatischen  Ap¬ 
parates  zur  Anlegung  metallischer  Ligaturen. 

Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die  Blutstillung  nicht  allein  oft 
das  Wichtigste  ist  und  die  grösste  Zeit  bei  unseren  Operationen  ein¬ 
nimmt,  sondern  zu  lnfectionen  verschiedenster  Art  durch  die  Luft, 
die  Hände  des  Operateurs  und  seiner  Assistenten  und  schliesslich 
durch  den  Faden  selbst  Gelegenheit  gibt.  Er  hat  deshalb,  um  den 
Faden  vermeiden  und  Zeit  sparen  zu  können,  ein  Instrument  mit 
Dr.  Michel  construirt,  mit  welchem  man  durch  einen  einzigen 
Händedruck  das  Gefäss  mit  einem  Silberfaden  von  0  7  mm  Durch¬ 
messer  umschnürt,  dergestalt,  wie  jetzt  die  Bücher  mit  einem  Stahl¬ 
drahtfaden  geheftet  werden.  Die  Ligatur  ist  nicht  nur  eine  voll¬ 
kommene,  sondern,  was  am  meisten  werth  ist,  in  einem  Augenblick 
vollendet.  Er  hat  bis  jetzt  bei  fünf  Amputationen,  zxvei  Ovarial- 
castrationen  und  fünf  Operationen  verschiedener  Art  diese  Unter¬ 
bindungsmethode  angewendet.  Bei  einer  Amputation  in  der  Mitte  des 
Oberschenkels  hat  er  in  9  Minuten  20  Secunden  32  Ligaturen  mit 
seinem  Instrumente  angelegt.  Alle  Ligaturen  sind  an  ihrem  Platze  ge¬ 
blieben  und  wurden  gut  vertragen,  obgleich  es  sich  in  einzelnen  Fällen 
um  septische  Zustände  handelte,  die  einen  Schluss  des  Stumpfes  nicht 
zuliessen. 

XV.  Michel  (Paris) :  Eine  neue  Hautnaht  m  i  t  Wund¬ 
agraffen. 

Redner  demonstrirt  ein  piucettenartiges  Instrument,  welches,  mit 
48  kleinen,  nickeinen  Wundagraften  von  2*/2  mm  Breite  und  1  cm 
Länge  armirt,  sinnreich  derart  construirt  ist,  dass  beim  Fassen  und 
Zusammendrücken  der  Wundränder  mit  demselben  jedes  Mal  eine  dieser 


Agraffen  wie  eine  kleine  Kramme  mit  zwei  kleinen  Häkchen  in  die 
Wundränder  eingedrückt  wird  und  diese  zusammenhält.  Er  hebt  die 
Asepsis  und  die  Schnelligkeit  der  Naht  als  besondere  Vorzüge  dieser 
Methode  hervor. 

XVI.  Bramson  (Kopenhagen)  demonstrirt  ebenfalls  eine  neue 
Methode  der  Wundnaht  durch  metallischen  Ver¬ 
schluss. 

XVII.  II  a  g  o  p  o  f  f  (Constantinopel) :  Eine  neue  Methode 
der  Etagennaht  ohne  versenkten  Faden. 

Die  Methode  besteht  im  Wesentlichen  darin,  dass  die  tiefe  Naht 
ganz  nahe  beim  Wundrande  durch  die  Haut  geführt  wird,  wieder  dicht 
dabei  durch  die  Haut  in  die  Tiefe  zurückgeht,  auf  der  gegenüber¬ 
liegenden  Seite,  tief  eingeführt,  dicht  beim  Wundrande  die  Haut  durch¬ 
bohrt  und  ebenso  xvie  auf  der  anderen  Seite  wieder  in  die  Tiefe  und 
zur  gegenüberliegenden  Seite  zurückgeht  u.  s.  f.  Dann  wird  durch  die 
Schleifen  auf  der  äusseren  Haut  von  einer  Seite  zur  anderen  je  ein 
Faden  gezogen  und,  nachdem  der  Hauptfaden  fest  angezogen  ist, 
geknotet. 

* 

Nachmittagssitzung. 

I.  Ceccherelli  (Parma) :  Z  u  r  Pankreas-Chirurgie. 

Redner  gelangt  am  Schlüsse  seiner  Betrachtungen  zu  folgenden 
Schlüssen : 

Die  Chirurgie  des  Pankreas  steht  in  directer  Beziehung  zu  allen 
Fragen,  die  die  Function  dieses  Organes  betreffen. 

Abmagerung,  Anwesenheit  von  Fett  im  Stuhlgang,  Zucker  im 
Urin,  Bronzefarbe  der  Haut,  Ikterus  und  Schmerzen  sind  die  meisten 
Symptome  der  meisten  Affectionen  des  Pankreas. 

Man  begegnet  bei  der  Totalexstirpation  oft  beträchtlichen 
Schwierigkeiten,  die  in  den  anatomischen  Bedingungen,  der  Lage  des 
Organes  in  grosser  Tiefe,  der  directen  Nachbarschaft  mit  anderen  Ein- 
geweiden,  seinem  Reichthum  an  Gefässen  und  Nerven  ihren  Grund 
haben.  Ausserdem  weil  das  Organ  einen  wichtigen  und  nothwendigen 
Verdauungssaft  absondert. 

Die  Chirurgie  des  Pankreas  ist  bis  heute  nicht  so  weit  vervoll¬ 
kommnet,  wie  wir  es  im  Vergleich  mit  der  anderen  Eingeweidechirurgie 
hätten  hoffen  können,  weil  die  Diagnose  oft  recht  schwierig  ist  und 
man  aus  diesem  Grunde  den  Krankheitsprocess  nicht  in  seinen  Anfängen 
beobachten  kann.  Wie  sich  aber  in  Zukunft  auch  immer  die  Fort¬ 
schritte  gestalten  mögen,  jedenfalls  wird  man  mit  einem  chirurgischen 
Eingriff  an  der  Cauda  des  Pankreas  mehr  Aussicht  auf  Erfolg  haben, 
als  am  Kopfe  desselben. 

Durch  Experimente  ist  es  erwiesen,  dass  die  Totalexstirpation 
möglich  und  mit  dem  Leben  des  Versuehsthieres  vereinbar  ist,  ob  es 
aber  auch  auf  dem  Operationstische  am  Menschen  möglich  sein  wird, 
wo  die  Ivrankheitsprocesse  nicht  auf  das  Organ  allein  beschränkt 
sind,  wo  maligne  Tumoren  die  Umgebung  infiltrirt  haben,  das  steht 
noch  dahin. 

Die  Exstirpation  ist  nicht  angezeigt,  wenn  es  sich  um  tuber- 
culöse  und  syphilitische  Processe  handelt..  Die  partielle  Exstirpation 
soll  so  ausgeführt  werden,  dass  man  einen  der  beiden  Ausführungs¬ 
gänge  schont. 

Die  Tumoren,  die  das  Pankreas  am  häufigsten  aufweist,  sind 
Cysten,  welche  traumatischer  oder  apoplektischer  Natur  sein  können 
und  blutigen  Inhalt  haben,  oder  Retentions-  und  Ilydatidencysten. 

Hier  ist  der  chirurgische  Eingriff  gerechtfertigt  und  nützlich, 
aber  die  Exstirpation  der  Organe  ist  unnöthig,  es  genügt  die  Exstir¬ 
pation  oder  die  Excision  des  Cystensacks.  Bei  der  Incision  des  Cysten¬ 
sacks  ist  es  vortheilhaft,  die  Cystenwände  mit  der  Bauchwunde,  wenn 
es  möglich  is*,  zu  vernähen;  nach  der  Excision  oder  Exstirpation  des 
Sackes  soll  die  Incisionswunde  sorgfältig  genäht  werden,  damit  der 
Hohlraum  ganz  sicher  geschlossen  ist. 

In  den  Fällen  von  Pankreassteinen  wird  man  die  Extraction  der¬ 
selben  vornehmen. 

Eine  Aftection,  welche  neuerdings  sorgfältig  beobachtet  wird,  ist 
die  Nekrose  des  Pankreas,  die  die  chirurgische  Intervention  zur  Ent¬ 
fernung  der  nekrotisirten  Theile  verlangen  kann. 

Bei  den  eiterigen  oder  gangränösen  Formen  der  Pankreatitis  thut 
man  gut,  sich  eines  Eingriffes  während  der  acuten  Periode  zu  ent 
halten,  ist  aber  ein  Abscess  aufgetreten  oder  der  Pankreas  gangränescirt, 
so  ist  doch  die  Nothwendigkeit  dazu  vorhanden,  und  man  kann  drei 
Wege  einschlagen:  den  lumbalen,  extraperitonealen,  den  transpleuralen 
oder  den  medianen  subumbilicalen. 

Die  chronischen  Pankreatiten  können  durch  Compression  des 
Ductus  choledochus  oder  des  Pylorus  Complieationen  hervorrufen,  und 
in  diesem  Falle  ist  ein  chirurgischer  Eingriff  von  Nutzen,  aber  er 
wird  sich  nicht  auf  das  Pankreas  richten,  sondern  auf  die  Leber  oder 


Nr.  34 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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den  Magen,  um  die  durch  die  Compression  gestörte  Function  wieder 
herzustelleu. 

In  den  Fällen  von  Hernie  des  Pankreas  durch  Trauma  kann 
die  Reduction  genügen  und  auch  die  Fixation  angezeigt  sein  Bei  den 
Zwerchfellhernien  des  Pankreas  ist  dann  natürlich  der  Weg  durch  den 
Thorax  vorzuziehen. 

Bei  der  Contusion  des  Organes  kann  ein  chirurgischer  Eingriff 
nothwendig  sein,  wenn  die  Blutung  eine  grosse  ist,  die  man  durch 
Naht  oder  Unterbindung  der  Gefässe  stillt. 

Man  hat  einige  Fälle  von  Wander-Pankreas  gesehen.  Die  experi¬ 
mentelle  Pathologie  würde  ihre  Fixation  rechtfertigen. 

Bei  der  Invagination  des  Pankreas  kann  und  muss  der  Chirurg 
eingreifen,  wenn  Complicationen  auftreten. 

Wenn  im  Verlaufe  irgend  eines  Processes  der  Ductus  zwischen 
Pankreas  und  Duodenum  verstopft  ^ist,41  kann  man  dem  Pankreassaft 
einen  neuen  Weg  schaffen  und,  wenn  sich  dieses  als  unausführbar 
herausstellen  sollte,  eine  Pankreasfistel  anlegen. 

Hämorrhagien  des  Pankreas  können  ohne  Trauma  auftreten, 
hängen  aber  meist  mit  Gangrän  zusammen.  Der  Chirurg  kann 
hier  eingreifen,  wie  wenn  es  sich  um  traumatische  Hämorrhagien 
handelte. 

In  den  Fällen  von  Pancreas  annularis  ist  bis  jetzt  kein  chirur¬ 
gischer  Eingriff  gemacht  worden,  aber  es  könnte  nötliig  werden,  eine 
Operation  zu  machen,  um  die  Unzuträglichkeiten  auf  den  Magen  oder 
den  Darm  zu  entfernen. 

Die  Naht  quer  durch  das  Parenchym  des  Pankreas  macht 
keinerlei  Störungen  und  wird,  wie  die  der  Niere,  der  Leber  oder  der 
Milz,  gut  vertragen. 

Ist  man  gezwungen,  den  Canalis  pancreaticus  zu  nähen,  so  wird 
man  gut  tliun,  so  zu  nähen,  dass  der  Faden  nicht  im  Lumen  des 
Canales  bleibt,  um  so  Concretionen  zu  vermeiden. 

M  a  y  o  Robson  (Leeds)  ist  der  Meinung,  dass  die  Aftectionen 
des  Pankreas  häufiger  sind,  als  man  anzunehmen  glaubt,  und  begründet 
diese  Annahme  durch  seine  persönlichen  Erfahrungen.  Er  hat 
40  Fälle  operirt,  eine  viel  grössere  Zahl  von  Erkrankungen  des  Pan¬ 
kreas  beobachtet,  in  denen  eine  Operation  verweigert  wurde,  oder  bei 
denen  er  glaubte,  dass  es  besser  sei,  nicht  zu  operiren.  Bei  den  Fällen 
von  eiteriger  Pankreatitis  hält  er  eine  Eröffnung  von  hinten  her  für 
vortheilhafter.  Um  den  Ausführungsgang  des  Pankreas  am  bequemsten 
zu  erreichen,  schneidet  man  am  besten  in  der  zweiten  Partie  des 
Duodenum  ein  und  eröffnet  an  der  Papilla  das  Ende  des  Ganges.  Von 
Pankreaskrebs  hat  er  50  Fälle  gesehen.  Sie  waren  meist  über 
40  Jahre  alt,  und  er  ist  der  Meinung,  dass  die  Fälle  von  schein¬ 
barem  Pankreascarcinom,  welche  sich  bei  jungen  Individuen  finden,  oft 
chronische  Pankreatiten  sind,  die  dem  Pankreascarcinom  nicht  nur  in 
den  Symptomen,  sondern  auch  im  makroskopischen  Sectionsbefunde 
ähnlich  sind.  Nach  der  Beschreibung  der  Symptome  betont  Redner  die 
Wichtigkeit  der  Unterscheidung  zwischen  dem  Carcinom  des  Pankreas¬ 
kopfes,  des  Corpus  und  der  Cauda  und  die  häufige  Notliwendigkeit 
eines  chirurgischen  Eingriffes,  der  von  Nutzen  nicht  nur  bei  den 
jungen,  sondern  auch  bei  älteren  Individuen  sein  kann,  besonders 
wenn  es  sich  um  eine  chronische  Pankreatitis  handelt.  Die  Amputation 
des  Pankreas  bei  Carcinom  hält  er  selten  für  tlumlich  und  gerecht¬ 
fertigt,  mit  Ausnahme  der  Fälle,  wo  es  sich  um  einen  entweder  auf 
den  Kopf  oder  die  Cauda  beschränkten  Tumor  handelt,  oder  wenn, 
was  nur  ausnahmsweise  möglich  ist,  die  Operation  noch  im  Anfangs¬ 
stadium  ausgeführt  werden  kann.  13mal  hat  er  die  Cholecystotomie  oder 
die  Cholecystenterostomie  machen  müssen,  um  die  bedrohlichen  Symp¬ 
tome  zu  erleichtern,  von  denen  neun  heilten  und  noch  einige  Zeit 
ein  erleichtertes  Dasein  führten.  Er  ist  der  Meinung,  dass  alle 
die  Fälle  von  angeblichem  Carcinom  des  Pankreaskopfes,  welche  nach 
der  Operation  geheilt  wurden  und  jetzt  noch  gesund  sind,  chronische 
Pankreatiten  waren.  Darum  glaubt  er  auch  in  allen  Fällen,  wo  die 
Erkrankung  noch  nicht  zu  weit  vorgeschritten  ist,  die  Operation  em¬ 
pfehlen  zu  müssen,  nicht  blos  bei  jungen  Individuen,  nicht  etwa  in  der 
Hoffnung,  dass,  wenn  ein  Carcinom  vorliegt,  eine  Heilung  eiutreten 
könnte,  sondern  dass  der  Tumor  ein  entzündlicher  und  nicht  maligner 
sein  könnte. 

Von  Pankreascyste  hat  er  fünf  Fälle  operirt,  und  er  em¬ 
pfiehlt  hier  die  Incision  und  die  Entleerung  des  Sackes.  Von  vier 
Fällen,  die  er  so  operirt  hat,  sind  drei  genesen. 

Aber  die  Excision  hält  er  nur  in  seltenen  Fällen  für  gerecht¬ 
fertigt.  Was  nun  die  Pankreatitis  anlangt,  so  vergleicht  er  sie 
mit  der  entzündlichen  Hepatitis,  der  infectiöseu  und  suppurativen 
Cholangitis  und  der  chronischen  interstitiellen  Hepatitis  und  glaubt, 
sie  richtig  theils  mit  dem  Namen  eines  infectiösen  Katarrhs  der 
Pankreasgänge  belegen,  theils  als  chronische  interstitielle  Entzündung 
auftassen  zu  können.  Er  ist  der  Meinung,  dass,  je  mehr  sich  die  Dia¬ 
gnose  vervollkommnet,  umso  häufiger  die  Krankheit  erkannt  und 


besser  classificirt  werden  wird.  Vorläufig  will  er  die  Eintheilung  in 
acute,  eiterige,  hämorrhagische  und  gangränöse  Pankreatitis  annehmen. 
Die  Aetiologie  der  acuten  Formen  ist  meist  eine  bacterielle  Infection, 
doch  bieten  auch  Gastro-Duodenalkatarrh,  Verletzungen,  Paukreas- 
und  Gallensteine  Gelegenheit  dazu.  Der  Weg  der  Infection  ist  fast 
immer  der  Ausführungsgang.  Redner  erörtert  dann  die  Symptome  und 
die  Diagnose  und  betont,  dass  die  acute  Pankreatitis  ohne  patho- 
gnomische  Zeichen  einhergehen  kann.  Von  vier  Fällen  von  suppura- 
tiver  Pankreatitis,  in  denen  sich  ein  Abscess  gebildet  hatte,  sind  zwei 
nach  der  Entleerung  des  Abscesses  auf  lumbalen  Wege  geheilt,  die 
anderen  beiden,  in  denen  er  vorne  einging,  gestorben.  In  diesen 
beiden  Fällen  hat  sich  der  Eiter  in  den  Magen  entleert  und  ist  per 
os  zu  Tage  gekommen.  Es  werden  dann  noch  die  Details  erörtert,  um 
den  Abscess  auf  lumbalem,  subdiaphragmatischen,  epigastrischen  Wege 
oder  vom  Becken  aus  zu  erreichen. 

Auf  die  interstitielle  chronische  Pankreatitis 
legt  Robson  grossen  Werth,  weil  sie  oft  mit  Carcinom  verwechselt 
wird.  Er  glaubt,  dass  diese  Frage  auch  so  eingehend  studirt  worden 
ist,  wie  sie  es  verdient.  Seine  zahlreichen  Erfahrungen  lassen  ihn  zu 
dem  Resultate  kommen,  dass  in  diesen  Fällen,  wo  die  Verstopfung  des 
Ductus  choledochus,  der  chronische  Ikterus,  die  Schwäche,  Abmagerung, 
die  heftigen  Schmerzparoxysmen  und  das  Fieber,  welches  die  An¬ 
wesenheit  von  Gallensteinen  vermuthen  lässt,  durch  medieamentöse 
Behandlung  unter  keinen  Umständen  gehoben  werden  können,  ein 
chirurgischer  Eingriff  dringend  nothwendig  ist.  Von  15  Fällen  der  Art 
hat  er  14mal  Heilung  erzielt.  In  dem  einen  Falle,  der  unglücklich 
ausging,  hat  die  Autopsie  eine  Cirrhose  des  Pankreaskopfes  er¬ 
geben  . 

Er  glaubt,  dass  die  interstitielle  chronische  Pankreatitis  mit  Ent¬ 
zündung  des  Ausführungsganges  fast  regelmässig  die  Begleiterscheinung 
von  Choledochussteinen  ist. 

Nach  einigen  Bemerkungen  über  die  hämorrhagische 
Pankreatitis,  welche  nach  seiner  Erfahrung  an  drei  Fällen  jedes¬ 
mal  traumatischen  Ursprunges  war,  kommt  Robson  zur  Besprechung 
der  Pankreassteine.  Es  hält  diese  Affection  für  sehr  selten  und 
im  Allgemeinen  nur  erkennbar  durch  die  Pankreatitis  und  die  Ver¬ 
stopfung  des  Ductus  choledochus,  in  Begleitung  eventuell  einer  infec¬ 
tiösen  Cholangitis.  Hier  will  er  in  der  mittleren  Partie  das  Duodenum 
incidirt  wissen. 

Discussion:  Micha  ux  (Paris)  berichtet  über  einige  per¬ 
sönliche  Erfahrungen.  Einmal  hat  er  nach  einer  Contusion  des  Bauches 
eine  Ruptur  des  Pankreas  gesehen.  Da  er  eine  Naht  nicht  anlegen 
konnte,  begnügte  er  sich  mit  einer  Klemme  und  Tamponade.  Der 
Patient  ging  zu  Grunde.  Er  ist  daher  der  Meinung,  dass  die  Con- 
tusionen  des  Bauches  mit  Ruptur  des  Pankreas  ausserhalb  der  chirur¬ 
gischen  Hilfe  stehen.  Was  die  cystischen  Tumoren  anlangt,  so  glaubt 
er  auch,  dass  man  eine  grössere  Operation  dabei  nicht  nöthig  hat.  Die 
Fälle  von  Carcinom  des  Pankreas  findet  man  bei  der  Operation  ge¬ 
wöhnlich  sehr  weit  vorgeschritten.  Seine  beiden  Patienten,  die  er 
operirt  hat,  lebten  höchstens  noch  zwölf  Tage. 

Boeckel  (Strassburg)  ist  auch  der  Meinung,  dass  die  Ver¬ 
letzungen  des  Pankreas  durch  ihre  schweren  Hämorrhagien  und  die 
Verletzungen  der  Nachbarorgane  in  kurzer  Zeit  zum  Tode  führen. 
Von  den  zehn  bekannten  Fällen  sind  acht  gestorben.  Die  einzige 
rationelle  Hilfe  kann  in  Tamponade  der  Wunde  bestehen,  da  das 
Aufsuchen  und  die  Ligatur  der  blutenden  Gefässe  nicht  möglich  sein 
wird.  Die  Operation  der  Pankreascyste  hält  er  auch  für  sehr  einfach, 
da  der  Tumor  meistens  mehr  oder  weniger  beträchtlich  hervorspringt 
und  die  ihn  bedeckenden  serösen  Häute  miteinander  eng  verwachsen 
sind.  Man  hat  eben  nur  nöthig,  auf  den  am  meisten  hervorspringenden 
Punkt  einzuschneiden.  Bei  den  Aftectionen,  die  die  Drüse  selbst  be¬ 
treffen,  ist  der  Eingriff  schon  schwieriger  und  peinlicher,  weil  das 
Organ  sehr  tief  gelegen,  von  wichtigen  und  zahlreichen  Gefässen  um¬ 
geben  ist,  deren  Verletzung  oder  Ligatur  tödtliche  Zwischenfälle  nach 
sich  ziehen  kann.  Die  Operation  ist  ausserdem  beschränkt,  weil  man 
nur  kleine  Stücke  des  Pankreas  entfernen  kann.  Die  Totalexstirpatiou 
würde  unbedingt  einen  schnell  zum  Tode  führenden  Diabetes  im  Ge¬ 
folge  haben.  Die  Radicaloperation  aller  Processe,  die  die  Drüse  selbst 
betreffen,  lassen  ihn  dieselbe  bei  dem  grossen  Risico  des  Eingriffes 
und  den  sehr  geringen  Vortheilen  seiner  Erfahrung  nach  nicht  em¬ 
pfehlen. 

* 

Abtheilung  für  Histologie  und  Embryologie. 

Referent  Dr.  S  p. 

Henocque  (Paris) :  U  e  b  e  r  Spectroskopie  und 
Mikroskopie  in  der  allgemeinen  Anatomie. 

Zwei  Jahre  nach  Erfindung  der  Spectralanalyse  durch  Kirch- 
hoff  und  Bunsen  wurde  diese  neue  Methode  von  Hoppe 


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Nr.  34 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Seyler  auf  die  Analyse  des  Blutes  angewendet  (18G2).  Dies  war 
eine  erste  Studie  in  der  allgemeinen  Anatomie.  '1  hatsächlich  fand 
dieser  grosse  Gelehrte  im  venösen  Blute  zwei  färbende  Substanzen,  das 
P  hieb  in  und  Arterin,  welche  derzeit  reducirtes  Hämoglobin  und  Oxy¬ 
hämoglobin  benannt  werden. 

Bald  folgten  in  England,  Deutschland  und  Frankreich  bedeu¬ 
tungsvolle  Arbeiten,  welche  nicht  blos  die  Beschaffenheit  des  Blut¬ 
pigmentes  und  seiner  Derivate,  sondern  auch  die  des  Urins,  der  Galle, 
zahlreicher  gefäibter  Säfte  des  thierischen  Haushaltes  feststellen,  indem 
präcise  Berichte  geliefert  wurden,  welche  auf  Zusammensetzung,  Um¬ 
bildung  und  die  gegenseitigen  Beziehungen  der  unmittelbaren  Pigment¬ 
grundstoffe  ein  neues  Licht  warfen. 

In  Summa:  Die  Anwendung  der  Spectralanalyse  ergibt  ein  Ganzes  | 
von  Thatsachen,  welche  ich  unter  dem  'Eitel  „Biologische  Spectro¬ 
skopie“  in  dem  ersten  allgemeinen  Expose  dieses  Theiles  der  Biologie, 
welcher  zahlreiche  und  verschiedenartige  Capitel  enthält,  zusammen-  j 
gestellt  habe,  die  aber  in  ganz  besonderer  Beziehung  zur  allgemeinen 
Anatomie  und  Histologie  stehen. 

Andererseits  ist  das  Blut  in  Wirklichkeit  vielmehr  ein  G  e- 
w  ehe,  als  eine  simple,  eonstituirende  Flüssigkeit ;  dieses  fliessende 
Fleisch  (chair  coulante)  von  Borden,  dieses  interne  Milieu 
von  Claude  Bernard  wird  von  den  Ilistologen  als  ein  Gewebe 
mit  flüssiger  Grundsubstanz  angesehen,  dessen  zellge  Elemente  den 
Stoffwechsel  mit  allen  anderen  Elementen  der  Gewebe  und  dem 
äusseren  Milieu  besorgen.  Deshalb  war  das  Blut  der  Gegenstand  der 
wichtigsten  und  wiederholtesten  Untersuchungen,  deren  Ergebniss  eine 
vollständige  Umwandlung  in  der  Kenntniss  der  färbenden  Substanz 
des  Blutes  gewesen  ist.  Die  Beschaffenheit,  die  Holle,  die  Function  des 
Hämoglobins,  die  Erscheinungen  der  Reduction  und  des  Wechsels, 
welches  es  im  Innersten  der  Gewebe  erfährt,  sind  mit  einer  Präcision 
ei  forscht  worden,  dass  deren  Anwendung  auf  Pathologie  und  Therapie 
in  der  ärztlichen  Praxis  unter  der  Bezeichnung  Hämatospectro- 
skopie  adoptirt  und  nutzbringend  gemacht  werden  konnte. 

Diese  vorläufigen  Anzeigen  erbringen  den  genügenden  Beweis, 
dass  die  biologische  Spectroskopie  einen  Theil  der  definitiven  und 
bestehenden  Wissenschaft  bildet,  und  wenn  sie  auch  noch  nicht  das 
Object  eines  speciellen  Unterrichtes  ist,  so  muss  man  bekennen,  dass 
ihre  Aufnahme,  besonders  jene  der  Hämatospektroskopie,  in  den  prak¬ 
tischen  Arbeiten  der  verschiedenen  Unterrichtszweige,  so  in  der  Physik 
und  Chemie,  in  mehreren  medicinischen  Facultäten,  zu  Paris,  Mont¬ 
pellier,  Bordeaux  u.  A.  nunmehr  die  Verbreitung  der  Spectralanalyse 
unter  den  Studirenden  sicherstellt.  Wir  sind  glücklich,  diesen  P^ort- 
schritt  constatirt  zu  haben. 

Die  Mikrospectroskopie  umfasst  alle  Vorgänge,  in 
welchen  die  mikroskopische  mit  der  spectroskopischen  Untersuchung 
vereint  ist.  Bei  den  ersten  Versuchen  prüfte  man  den  Einfluss  der 
verschiedenen  färbigen  Theile  des  Spectrums  auf  die  Gewebe  und  deren 
Elemente,  gegenwärtig  aber  studirt  man  seit  der  Anwendung  des 
Spectroskops  bei  direeter  Betrachtung,  wie  mit  dem  Ocular  des  Mikro¬ 
skops,  die  Gewebe  oder  Organe  oder  mindestens  deren  durch  die 
Objectivlinse  vergrössertes  Bild  mit  einem  Ocular,  welches  ein  Spectro- 
skop  in  sich  einschliesst.  Die  zu  diesem  Zwecke  verwendeten  Apparate 
sind  fast  alle  mehr  oder  minder  vollendet,  dem  Mikrospectroskop  von 
Sorby-Bro  w  n  i  g  nachgebildet.  Nichtsdestoweniger  ist,  wie  ich 
gezeigt  habe,  ein  kleines  Spectroskop  mit  direeter  Vision,  welches  das 
Ocular  des  Mikroskops  ersetzt,  für  diese  Studien  ausreichend.  In 
Wirklichkeit  kann  man  mit  diesem  einfachen  Mittel  zwei  Streifen  Oxy¬ 
hämoglobin  in  drei  übereinandergelagerten  rothen  Kärglichen  wahr¬ 
nehmen,  was  die  ausserordentlich  färbende  Kraft  dieses  Pigments 
ebenso  wie  die  exquisite  Empfindlichkeit  dieses  Mittels  der  Analyse 
beweist. 

Die  mikrospectroskopische  Untersuchung  kann  entweder  mit 
starken  Vergrösserungen,  besonders  beim  Studium  der  Zellenpigmente, 
oder  sehr  vortheilhaft  mit  mittleren  Vergrösserungen,  wie  bei  den 
Untersuchungen  über  die  Veränderungen  des  Blutes  in  den  Organen 
kleinerer  Thiere,  in  den  Capillaren  des  Froschschenkels  angewendet 
werden.  Endlich  die  schwächsten  Vergrösserungen,  die  Loupe  selbst, 
sind  für  das  Studium  der  verschiedensten  Thierclassen,  z.  B.  des 
Froschherzens,  des  Herzens  der  Schildkröte  und  auderer  Reptilien 
und  Batrachier  sehr  nützlich.  Auf  diese  Art  wird  man  die  Phänomene 
der  Muskelcontraction,  ihr  Erscheinen  in  den  rothen  und  weissen 
Muskeln  der  Hasen  studiren.  Alle  Organe,  selbst  die  Retina,  können 
im  lebenden  Zustande,  intact  erhalten  oder  einfach  blosgelegt,  Gegen¬ 
stand  der  Spectroskopie  sein,  übei'all  wo  das  Blut  kreist  und  in  allen 
pigmentirten  Geweben  hat  das  Spectroskop  in  den  letzten  Jahren  viel¬ 
fache  Anwendung  finden  können.  Man  wird  auch  constatiren,  dass 
man  das  Hämoglobin  bei  verschiedenen  Crustaceen,  in  den  Larven  der 
Chirnnomus,  der  Nereiden  sehr  verschiedener  Gattung  vorfindet  und 
die  Hämolymphen  enthalten  ebenfalls  Pigmente,  an  denen  man  die 
Wii  kung  des  Sauerstoffes  in  den  lebenden  Organismen  untersuchen 


konnte.  Bacteriologie  und  Botanik  würden  uns  ebenfalls  wichtige 
spectroskopische  Resultate  für  das  Studium  des  Chlorophylls  und 
anderer  Pigmente  der  Pffanzenorganismen  liefern. 

Schliesslich  will  ich  das  Interesse  mikro-spectroskopischer  Studien 
für  die  Krystallographie  besonders  hervorheben,  was  nämlich  die 
Krystalle  der  Grundbestandteile  des  Organismus  betrifft.  Die  spectro¬ 
skopischen  Eigenschaften  erleichtern  und  klären  den  Unterschied  der 
diversen  Ilämoglobinkrystalle  und  seiner  Derivate,  deren  krystallo- 
graphische  und  optische  Charaktere  sehr  complicirt  und  bis  in  die 
Gegenwart  sehr  unvollständig  dargestellt  worden  sind. 

Dies  ist  eine  Uebersicht  der  Beobachtungen,  welche  das  umfang¬ 
reiche  Gebiet  der  Spectroskopie  in  der  allgemeinen  Anatomie  derzeit 
umfassen. 

* 

Abtheilung  für  Kinderheilkunde. 

Referent  Dr.  S  p. 

I.  M  y  a  (Florenz) :  Die  acuten,  nicht  tuberculösen 
Meningitiden. 

Wenn  man  als  rationelle  Basis  der  Classification  von  Krank¬ 
heiten  das  ätiologische  Moment  betrachtet,  so  entdeckt  man  sehr  bald 
eine  natürliche  und  wohlunterschiedene  Gruppe  von  Meningitiden 
bacteriellen  Ursprunges,  bei  welcher  das  pathogene  Agens  einige  Formen 
acuter  und  subacuter  Hirnhautentzündungen  zu  unterscheiden  gestattet, 
welche  ehemals  künstlich  als  einfache,  als  purulente  Meningitiden  nach 
der  Art  des  Exsudates  oder  wohl  unterschieden  als  solche  der  Basis 
des  Gehirnes,  der  Convexität,  der  Hirnkammern  je  nach  dem  beson¬ 
deren  Sitze  der  Entzündung  bezeichnet  wurden.  Heute  hingegen  in 
Folge  der  exacten  Kenntniss  des  pathogenen  Mikroorganismus  begreift 
mau  bei  identischer  Aetiologie  mehrere  nach  ihrem  Sitze,  der  Natur 
des  Exsudates  und  zuweilen  auch  nach  den  klinischen  Symptomen 
anscheinend  verschiedene  Formen,  in  analoger  Weise,  wie  dies  bei  in- 
fectiösen  Entzündungen  anderer  seröser  Häute  geschehen  ist. 

Die  grösste  Zahl  der  Meningitiden  in  der  ersten  Kindheit,  indem 
wir  uns  an  die  Beobachtungen  in  Deutschland  (Jäger,  Heubner 
u.  A.),  in  Amerika  und  bei  uns  halten,  ist  durch  den  Mikroorganismus 
von  Weich  sei  bäum  (Meningococcus  intracellularis  meningitidis) 
erzeugt,  welcher  von  dem  Diplococcus  lanceolatus  capsulatus  der  Pneu¬ 
monie  (Talamon-Fränke  1)  nach  seinen  morphologischen  und  bio¬ 
logischen  Eigenschaften  wohl  unterschieden  werden  muss. 

Die  durch  jenen  Mikroorganismus  hervorgerufenen  klinischen 
Typen  reduciren  sich  hauptsächlich  auf  zwei  (ungerechnet  zahlreiche 
Varietäten) : 

a)  Der  acute  oder  überacute  Typus  mit  den  gewöhnlichen 
Zeichen  der  Meningitis  cerebrospinalis  epidemica,  also:  ausgesprochene 
Nackensteife,  Opisthotonus,  Erbrechen,  tetanische  Symptome,  hohes 
Fieber  u.  s.  w.  Das  Exsudat  ist  in  derlei  Fällen  abundant,  über  die 
ganze  Oberfläche  des  Gehirnrückenmarkes  verbreitet  und  eminent  fibrinös 
eiterig.  Der  Mikroorganismus  ist  reichlich,  mitunter  extracellulär,  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  sensible  Thiere  (Mäuse,  Ziegen)  bei  sub¬ 
duraler  Injection  von  pathogener  Wirkung. 

Die  Dauer  der  Krankheit  schwankt  zwischen  drei  bis  zwölf  Tagen; 
Verlauf  beinahe  immer  tödllich;  zuweilen  Abschwächung  in  nach¬ 
folgende  Form: 

b)  Unteracuter,  subacuter  Typus,  der  sich  zuweilen  auf  mehrere 
Monate  ausdehnt.  Die  von  Carr  als  Simplex  basis  posterior-Menin- 
gitis  beschriebene  Form  gehört  in  diese  Kategorie.  Sie  ist  häufiger 
im  niedrigsten  Alter  (Säuglinge,  erste  Kindheit). 

Bei  diesem  klinischen  Typus  prädominiren  ebenfalls  die  Sym¬ 
ptome  des  Tetanus,  allein  viel  schwächer,  wie  beim  Typus  a.  Das 
Exsudat  weniger  reichlich,  weniger  eiterig,  kann  auf  die  Basilar-  und 
hintere  Region  während  des  ganzen  Krankheitsverlaufes  beschränkt 
bleiben.  Das  mittelst  Lumbarpunction  extrahirte  Exsudat  hat  oft  serösi n 
Charakter  (Meningitis  serosa  durch  Diplococcus  intracellularis).  Der 
Mikroorganismus,  viel  weniger  abundant  wie  bei  dem  Typus  a,  ent¬ 
behrt  zuweilen  der  pathogenen  Wirkung  auf  sensible  Thiere.  Diese 
Krankheit  kann  radical  ausheilen,  in  das  Stadium  secundärer  Hydro- 
cephalie  übergehen,  oder  den  Tod  herbeiführen  durch  secundäre  Krank¬ 
heiten,  oder  durch  Wioderkehr  zur  acuten  Form  und  allgemeine  Aus¬ 
breitung  der  Entzündung,  indem  auf  diese  Art  der  vorbesebriebene 
Typus  zurückkehrt. 

Nächst  dem  oben  erwähnten  Meningococcus  von  Weichsel¬ 
baum  ist  bei  Kindern  niedrigen  Alters  das  am  häufigsten  Meningitis 
erzeugende  Bacterium  des  Diplococcus  lanceolatus  capsulatus.  Die  von 
diesem  hervorgerufene  klinische  Form  hat  im  Allgemeinen  einen 
acuten  Verlauf,  sehr  schwere  Prognose  und  pol}7morphe,  viel  weniger 
charakteristische  Symptome,  als  die  durch  den  Meningococcus  von 
Weichselbaum  erzeugten.  Die  Exsudation  ist  diffus,  beinahe 
immer  fibrinös  und  eiterig;  manchmal  fehlen  bei  eminent  serösem  Ex¬ 
sudate  die  umschriebenen  Formen  nicht. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Bei  diesen  Meningitiden  muss  man  den  Ergebnissen  der  Lumbar- 
punetion  misstrauen,  besonders  was  den  Anblick  der  extrahirten  Flüs¬ 
sigkeit,  welche  zuweilen  serös  ist.,  betrifft,  während  das  in  den  Geweben 
der  Arachnoidea  vorfindliche  Exsudat  oft  fibrinös-eiterig  ist.  Die  durch 
Diplococcus  lanceolatus  capsulatus  erzeugte  Meningitis  ist  von  Pneu¬ 
monie,  Otitis  oder  einer  anderen  Localisation  häufig  begleitet,  oder 
sind  die  letzteren  vorausgegangen. 

Die  durch  Streptococcus  pyogenes  erzeugten  Meningitiden  sind 
seltener,  als  die  vorbeschriebenen  Arten,  und  zumeist  seeundär  in 
Folge  von  Septikämie  oder  einer  in  der  Umgebung  der  Schädelhöhle 
bestehenden  Eiterung.  Das  Gleiche  gilt  von  Staphylococcen. 

Was  die  durch  Bacterium  coli,  Bacillus  E  berth  und  andere 
seltenere  Mikroorganismen  bedingten  Formen  betrifft,  so  kommen 
diese  im  zarten  Kindesalter  selten  vor,  haben  keine  specifischen  Sym¬ 
ptome  und  ihre  Diagnose  ist  nur  durch  die  Untersuchung  des  mittelst 
Lumbarpunction  gewonnenen  Fluidums  möglich. 

Der  Weg,  welchen  die  pathogenen  Organismen  nehmen  müssen, 
um  in  die  Subarachnoidal)  äume  zu  gelangen,  ist  durch  die  Blutcircu- 
lation  vorgezeichnet  —  hämatogene  Infection.  Dio  Infection  kann  aber 
auch  von  Krankheitsherden  stattfinden,  welche  mit  dem  Schädelraume 
communiciren  (Gehörorgan,  Nasenhöhle  u.  s.  w.). 

Der  natürlichen  Gruppe  der  bacteriellen  Hirnhautentzündungen 
stellt  man  die  Gruppe  von  Entzündungen  gegenüber,  welche  toxisch  - 
infectiösen  oder  toxischen  Ursprunges  sind  und  als  Hydrocephalus 
acutus,  acute  Ependymitis,  Meningitis  der  Kammern  oder  seröse, 
nicht  bacterielle  Hirnhautentzündung  bezeichnet  werden.  Für  einige 
derselben  fehlen  die  Erscheinungen  einer  wahren  Entzündung,  eines 
echten  Exsudates,  sowie  die  Spuren  einer  bestandenen  oder  bestehenden 
Entzündung  in  den  Wänden  der  Hirnkammern.  Für  diese  Formen, 
welche  zuweilen  zu  infectiösen  Krankheiten  verschiedener  Localisation 
(Pneumonie,  Typhus,  Exantheme,  Gastroenteritis)  hinzutreten  und  durch 
imposante  klinische  Symptome  markirt  sind,  wäre  die  Benennung 
Hydrocephalus  acutus,  Hyperhydrosis  cerebrospinalis  statt  Meningitis 
vorzuziehen. 

Andererseits  scheinen  exacte  und  zahlreiche  Beobachtungen  den 
Beweis  erbracht  zu  haben,  dass  gewissen  serösen  Ergüssen  in  den 
Hirnkammern  toxischen  Ursprunges,  nach  den  Ergebnissen  chemischer 
und  mikroskopischer  Untersuchung,  der  Entzündungscharakter  zuzu¬ 
sprechen  ist. 

Der  pathogenetische  Vorgang  bei  diesen  Alten  der  Entzündung 
bleibt  immer  dunkel  und  man  kann  zu  seiner  Erklärung  nur  auf 
folgende  Factoren  rechnen: 

a )  Reizende,  lymphagoge  und  vasomotorische  Wirkung  von 
primären  und  secundären  Toxinen  bacteriellen  Ursprunges. 

I)  Specielle,  der  ersten  Kindheit  eigentümliche  Empfindlichkeit 
des  cerebralen  Capillarnetzes  für  die  erwähnten  toxischen  Einflüsse. 

Uebrigens  ist  es  wahrscheinlich,  dass  das  hauptsächliche  Wirkungs¬ 
gebiet  der  Toxine  bacteriellen  oder  autotoxischen  Ursprunges  in  der 
klinischen  Symptomatologie  der  Meningitis  durch  das  Centralnerven¬ 
system  repiäsentirt  wird  und  die  Schwankungen  in  der  Quantität  der 
Flüssigkeit  in  den  Gehirn-  und  Rückenmarkshäuten  nur  ein  Neben¬ 
symptom  von  untergeordneter  Bedeutung  darstellen,  wie  dies  aus  den 
immer  zahlreicheren  Beobachtungen  toxiscli-infectiöser  oder  autotoxischer 
Cerebropathien  hervorgeht. 

II.  Netter  (Paris) :  Acute,  nicht  tuberculöse  Menin¬ 
gitis. 

Neben  den  tuberculösen  Meningitiden  existirt  eine  grosse  Zahl 
von  Meningitiden,  deren  Prognose  weniger  düster  ist  und  eine  rationelle 
Behandlung  ermöglicht. 

Diese  Entzündungen  sind  verschiedener  Natur.  Man  muss 
secundäre  Entzündungen  bei  Otitis,  bei  verschiedenen  Eiterungen,  nach 
allgemeinen  oder  localen  acuten  Erkrankungen  (Typhus,  Pneumonie), 
endlich  primäre  endemische  oder  sporadische  Entzündungen  unter¬ 
scheiden. 

Jede  dieser  Gruppen  bietet  dem  Kliniker  und  Nosographen  be¬ 
trächtliche  Schwierigkeiten. 

Wenn  man  sich  leicht  vorstellen  kann,  dass  eine  acute  Otitis 
durch  eine  Entzündung  der  Hirnhäute  complicirt  wird,  so  darf  man 
nicht  vergessen,  dass  diese  Ohrentzündung  mit  Sinusthrombose, 
Phlebitis,  Gehirnabseess  verbunden  sein  kann,  welche  die  gleichen 
nervösen  Symptome  hervorrufen  wird,  wie  die  Meningitis  selbst. 
Uebrigens  können  diese  Symptome  bei  einfacher  acuter,  nicht  compli- 
cirter  Otitis  auftreten. 

Begreifen  die  im  Verlaufe  acuter  Kinderkrankheiten  und  be¬ 
sonders  im  Beginne  der  Pneumonie  sich  einstellenden  meningealen 
Symptome  in  sich  den  Bestand  einer  entzündlichen  Alteration  der 
Meningen?  Man  war  lange  Zeit  geneigt,  dies  mit  Rücksicht  auf  die 
Flüchtigkeit  der  Symptome  und  die  Idee  der  exceptionellen  Schwere 
der  Meningitiden  zu  bezweifeln.  Heutzutage  gibt  man  gerne  zu,  dass 
letztere  nicht  nothwendig  eiterig  sein  müssen,  dass  die  „Entzündung“ 


sich  auf  Congestion,  seröse  Exsudation  beschränken  kann.  Man  begreift 
vollständig  die  Heilungsmöglichkeit  seröser  Meningitiden. 

Die  einfachen  primitiven  Meningitiden  erheischen  eine  andere 
Frage.  Können  sie  in  epidemiofreier  Zeit  Vorkommen?  Besteht  ein 
fundamentaler  Unterschied  zwischen  der  Meningitis  cerebro  spinalis 
epidemica  und  sporadischen  Meningitis?  Die  Bacteriologie  gibt  hierauf 
dieselbe  Antwort  wie  die  Epidemiologie.  Zwischen  sporadischen  und 
epidemischen  Fällen  gibt  es  keine  strenge  Grenzlinie.  Von  jedem 
kleinen  Herde  aus  kann  eine  Epidemie  entstehen.  Gegenwärtig  scheint 
die  Meningitis  auf  einem  grossen  Theile  der  Erde  einen  epidemischen 
Charakter  anzunehmen. 

Ausser  den  classischen  Zeichen  der  Entzündung,  unter  denen 
sicher  die  Lähmungen  der  Augenmuskeln,  die  Alterationen  im  Augen- 
hintergrunde,  die  Nackenstarre,  die  Veränderungen  in  Respiration  und 
Puls,  die  wichtigsten  sind,  besitzen  wir  noch  zwei  wichtige  Kenn¬ 
zeichen. 

Auf  das  Symptom  von  Kernig,  nämlich  Unmöglichkeit,  die 
Knie  vollständig  zu  strecken,  wenn  man  den  Kranken  sitzen  lässt, 
sollte  man  nicht  zu  viel  Werth  legen.  Zwar  fehlt  es  fast  nie  bei  den 
nicht  tuberculösen  Meningitiden,  kommt  aber  auch  bei  den  meisten 
tuberculösen  Entzündungen  vor,  man  kann  demnach  nie  nach  diesem 
Symptomen  die  Natur  einer  Meningitis  feststellen.  Selten  sind  die 
Fälle,  wo  das  Symptom  von  Kernig  ohne  Meningitis  bestand,  man 
muss  sich  fragen,  ob  selbe  sicher  nicht  vorhanden  gewesen  ist. 

Die  lumbäre  Punction  nach  Quincke  liefert  der  Diagnostik  die 
schätzbarsten  Aufschlüsse.  Die  Operation  bietet  keine  Schwierigkeit, 
wenn  man  nur  die  Flüssigkeit  nicht  zu  rasch  abfliessen  lässt.  Die 
Diagnose  der  Meningitis  ist  evident,  wenu  sich  eine  trübe  oder 
eiterige,  Klümpchen  enthaltende  Flüssigkeit  entleert. 

Häufig  erscheint  das  Fluidium  der  Meningen  anfänglich  ganz 
klar,  in  der  Folge  sieht  man  doch  die  Bildung  eines  Fibrin¬ 
gerinnsels. 

Die  Untersuchung  der  physikalischen  Eigenschaften  der  Flüssig¬ 
keit  reicht  nicht  aus;  man  muss  den  Albumingehalt  feststellon,  mikro¬ 
skopische  Untersuchung,  Culturen  und  Inoculationen  vornehmen.  Ge¬ 
wöhnlich  wird  man  daraus  Natur  und  Ursache  der  Meningitis  ent¬ 
nehmen. 

Die  von  Aufrecht  eingeführte  Warmbadbehandlung  ist  ein 
werthvolles  Heilmittel.  Bei  eiterigen  Meningitiden  können  wiederholte 
Lumbarpunctionen  von  Nutzen  sein. 

* 

Abtheilung  für  Dermatologie  und  Syphiligraphie. 

Referent  Dr.  Sp. 

I.  Boeck  (Christiania):  Ueber  Tuberculide.  Im  Beginne 
der  Discussion  über  die  neue  Theorie  der  „Tuberculiden“  ist  es  vor 
Allem  nothwendig,  die  Thatsachen  und  Hypothesen  darüber  fest¬ 
zustellen. 

Thatsächlich  besteht  eine  Reihe  von  llautaffectionen,  welche  in 
der  Regel  eine  strict  symmetrische  Form  annehmen  und  sich  häufig 
bei  tuberculösen  Individuen  vorfinden,  dass  man  nothwendig  auf  das 
Bestehen  eines  causalen  Zusammenhanges  zwischen  denselben  und  der 
Tuberculöse  schliessen  muss.  Jedes  Mal  fehlt  der  Koch’sche  Bacillus 
oder  man  trifft  ihn  nur  ausnahmsweise;  auf  Meerschweinchen  über¬ 
impft  geben  die  Producte  dieser  Aftectionen  niemals  oder  nur  aus¬ 
nahmsweise  positive  Resultate.  Nach  Injectionen  von  Tuberculin  ist  die 
Reaction  inconstant. 

Um  diese  scheinbar  widersprechenden  Thatsachen  zu  erklären, 
stellte  man  folgende  Hypothese  auf:  Die  primäre  und  essentielle  Rolle 
bei  der  Entstehung  dieser  Hautleiden  gebührt  den  von  den  Bacillen 
entstehenden  Toxinen,  die  sich  in  den  Ganglien  und  Lingeweiden 
entwickeln;  Hallopeau  naunte  sie  dieser  Hypothese  entsprechend 
„Toxi  Tuberculides“. 

Glücklicher  Weise  kommt  hier  die  giüsste  Bedeutung  den  rl  hat- 
sachen  zu,  welche  erprobt  weiden  können  und  der  hypothetische  I  li eil 
der  Doctrin  hat  den  geringeren  Antheil. 

Nichtsdestoweniger  hat  letzterer  eine  sehr  grosse  W  ahrscheinlich¬ 
keit  für  sich,  denn  die  Hypothese  allein  scheint  gewisse  lacten  ei- 
klären  zu  können. 

Zu  Gunsten  dieser  Meinung  besteht  ein  wichtiges  Argument: 
Die  verschiedenen  Formen  der  wirklichen  Hauttuberculose  (Bacillo- 
Tuberculides  von  Hallopeau),  welche  das  Resultat  einer  directen 
und  localen  Reaction  der  Haut  gegen  den  Bacillus  seihst  sind,  zeigen 
im  Allgemeinen  eine  unregelmässige  und  zufällige  \  ertheilung  in  der 
Haut.  Dies  ist  die  Regel  sowohl  für  den  Lupus  vulgaris,  als  für  die 
scrophulosen  Gummen.  Wie  oft  sieht  man  eine  der  Gliedmassen  von 
Lupus  vulgaris  befallen,  während  die  andere  absolut  frei  davon  ist. 
Die  Entwicklung  der  Läsionen  scheint  hier  durch  die  zutällige  Invasion 
der  Mikroben  in  diese  oder  jene  Region  bedingt  zu  sein.  Die  Aftec- 
tionen,  welche  wir  später  als  „Toxi-l  uberculides  betiaehten  weiden, 


784 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  34 


verhalten  sich  sehr  verschieden.  Diese  nehmen  in  Wirklichkeit  als  all¬ 
gemeine  Kegel  ihrer  Yertheilung  eine  sehr  ausgesprochene  Symmetrie 
an  und  häufig  sind  sie  in  verticalen  Reihen  angeordnet.  Es  erscheint 
also  nothwendig,  dass  die  Localisation  durch  einen  regulirenden  cen¬ 
tralen  Einfluss  des  Nervensystems  bestimmt  sei.  Die  Symmetrie  ist  oft, 
wie  z.  B.  beim  Lupus  erythematodes,  so  frappant,  dass  man  um  dies  zu 
erklären,  speciell  bei  den  sehr  acuten  und  brüsken  Ausbrüchen  in 
Verbindung  mit  sehr  deutlichen  vasomotorischen  Störungen,  einen  Ein¬ 
fluss  der  circulirenden  Toxine  auf  die  vasomotorischen  Centren  zuzugeben 
gezwungen  ist. 

Es  ist  wahr,  man  könnte,  was  die  mehr  zerstreuten  Tuberculide 
anlaugt,  daran  denken,  dass  die  Mikroben  beide  Körperseiten  sym¬ 
metrisch  ergriffen  haben,  in  Erwägung  der  bilateralen  symmetrischen 
Structur  der  Gewebe,  besonders  der  Blut-  und  Lymphbahnen,  und 
dass  die  in  allen  mikrobischen  Herden  sich  gleichzeitig  entwickelnde 
eruptive  Thätigkeit  das  Resultat  einer  plötzlichen  toxischen  massen¬ 
haften  Invasion  in  das  Blut  wäre,  beiläufig  so  wie  nach  einer  Tuber- 
culininjection. 

Aber  gerade  so  wie  ich  es  für  die  sehr  umschriebenen,  sehr 
symmetrischen  und  sehr  acuten  Hauteruptionen  behauptet  habe,  ist 
man  geradezu  geuöthigt  eine  primäre  Intervention  der  vasomotorischen 
Centren  unter  dem  Einflüsse  eines  im  Blute  kreisenden  Toxins  zuzu¬ 
geben,  und  es  ist  kein  Grund  vorhanden  oder  es  besteht  wenigstens 
keine  Nothwendigkeit,  anzunehmen,  dass  bei  den  mehr  disseminirten 
Eruptionen  ein  anderer  Vorgang  stattfinde. 

In  jedem  Falle  scheinen  die  Toxine  in  einer  sehr  bestimmten 
Art  sich  an  der  Genese  der  Tuberculiden  zu  betheiligen,  und  zwar 
auffallend  symmetrisch,  und  es  ist  daher  am  Platze,  sie  in  eine  Special¬ 
gruppe  zu  vereinigen.  Was  die  Toxine  des  K  o  c  h’schen  Bacillus  be¬ 
trifft,  so  zeigen  die  Tuberculininjectionen,  dass  dieselben  ausser  anderen 
nervösen  Centren  in  gleicher  Weise  die  vasomotorischen  Centren  be¬ 
einflussen  können  und  thatsächlich  beobachtet  man  sehr  häufig 
acute  und  genau  symmetrische  Erytheme  nach  den  Tuberculin¬ 
injectionen. 

Die  Symmetrie  ist  also  ein  sehr  wichtiges  Kenn¬ 
zeichen  der  Tuberculide. 

Nun  ist  es  also  klar,  dass  die  im  Blute  und  in  der  Lymphe 
kreisenden  Mikroben  sich  vor  Allem  und  sogleich  in  jenen  Punkten 
festsetzen  werden,  wo  eine  Circulationsstörung  schon  besteht,  und  es 
ist  dahei  nicht  zu  verwundern,  dass  man  in  den  Läsionen  der  Toxi- 
Tubereulide  einige  wenige  Bacillen  vorfindet,  oder  dass  ein  Toxi- 
Tuberculid  durch  Proliferation  und  Entwicklung  dieser  verirrten 
(erratiques)  sich  in  ein  wirkliches  Bacillo-Tuberculid  (Hauttuberkel) 
verwandle,  wie  ich  in  einem  Falle  von  Lichen  scrophulosorum  beob¬ 
achtet  zu  haben  glaube. 

Die  präeise  Grenze  zwischendengewöhnlichen 
Formen  der  Hauttube  rculose  und  den  Hauttube  r- 
culiden  ist  seither  meiner  Anschauung  nach  markirt, 
nicht  durch  die  Anwesenheit  einiger  Bacillen  oder 
einiger  typischer  Riesenzellen  in  den  Läsionen  oder 
durch  deren  Abwesenheit  —  sondern  im  Gegen  theile 
durch  die  Art  des  Auftretens  der  gesammten  Affec¬ 
tion  und  ihrer  Vertheilung  in  der  Haut;  wie  ich 
berei  ts  au  sein  andergesetzt  habe,  ist  die  vollkommene 
Symmetrie  oder  As  Symmetrie  der  Läsionen  das 
beste  Kriterium. 

Ausserdem  sind  die  Tuberculide,  wie  bereits  erwähnt,  durch 
ihre  eruptive  Natur  und  durch  die  gewöhnliche  Tendenz  einer  spon¬ 
tanen  Involution  gekennzeichnet;  man  gewahrt  nicht,  wie  bei  den 
fixen  Formen  des  Lupus  erythematodes,  den  Process  durch  die  unauf¬ 
hörliche  Wiederholung  des  Ausschlages  in  Permanenz. 

Uebrigens  muss  man  erkennen,  dass  die  Grenze  zwischen  Haut- 
tuberculose  und  Hauttuberculiden  weniger  streng  werden  kann,  in  der 
Voraussetzung,  dass  Bacillen  oder  Toxine  die  Entwicklung  wenigstens 
gewisser  dieser  Tuberculide,  vielleicht  auch  der  Mehrzahl  zwischen 
denselben  zur  Folge  haben  kann. 

Die  Hypothese  der  Toxine  hat  natürlich  keine  andere  Bedeutung, 
als  eine  angemessene  Erklärung  der  Thatsachen  zu  geben  und  die 
Annahme  leichter  begreiflich  zu  machen,  dass  die  Affectionen  von 
Tuberculose  abhängig  sind. 

Immerhin  sind,  wie  schon  erwähnt,  die  Thatsachen  selbst  von 
hervorragender  Bedeutung. 

Um  die  Zusammenfassung  aller  Formen  der  Tuberculide  zu 
unterstützen,  ist  es  gut,  dieselben  in  zwei  Hauptgruppen  zu  theilen: 

A.  Formen,  perifolliculär  und  oberflächlich,  in 
deren  einem  Theile  man  s  e  h  o  n  den  Bacillus  ge¬ 
funden  hat. 

1.  Lichen  scrophulosorum. 


2.  Papulo-squamöse  Tuberculide. 

3.  Perifolliculäre,  pustulöse  Tuberculide. 

B.  Formen,  imAllgemeinenniclitperifolliculär, 
die  im  Allgemeinen  viel  tiefer  in  der  Haut  gelegen 
sind  und  in  denen  man  bis  jetzt  die  Existenz  des 
Bacillus  nicht  nachweisen  konnte. 

1.  Lupus  erythematodes,  inbegriffen  Lupus  pernio. 

2.  Papulo  nekrotische  Tuberculide. 

3.  Knötchen-Tuberculide. 

Jedoch  wollen  einige  Collegen  die  erste  Gruppe  ausseheiden 
und  nur  jene  Affectionen,  bei  donen  man  den  Bacillus  nicht  findet, 
als  Tuberculide  bezeichnen.  Aber  ich  setze  voraus,  dass  Alle  zugeben 
werden,  dass  die  Formen  der  ersten  Gruppe  nach  Aussehen  und 
Eigenschaften  sich  mehr  mit  unserer  zweiten  Gruppe  der  Tuberculide 
verbinden  werden,  als  mit  jenen  bisher  in  die  Hauttubereulose  einge¬ 
reihten  Formen.  In  jedem  Falle  scheint  die  Bezeichnung  „An  the  me 
der  Tuberculose“  allen  diesen  Formen  zu  entsprechen. 

Uebrigens  gibt  es  noch  einige  Affectionen,  bei  denen  die  Ent¬ 
scheidung  unmöglich  ist,  ob  sie  der  Gruppe  der  speciell  als  Tuber¬ 
culide  benannten  angehören  oder  nicht. 

Nichtsdestoweniger  kann  man  von  einigen  derselben  mit  Sicher¬ 
heit  sagen,  dass  sie  tuberculösen  Ursprunges  sind  oder  von  anderen, 
dass  sie  in  jedem  Falle  in  irgend  einer  Weise  zu  der  Tuberculose  in 
Beziehung  stehen.  Diese  Affectionen  sind  die  folgenden: 

1.  Acnitis.  2.  Indurirtes  Erythem,  Speeialtypus  von  Bazin. 
3.  Angiomatose  Tuberculide  von  L  e  r  e  d  d  e.  4.  Exfoliative,  generali- 
sirte  (?),  subacute,  maligne  Dermatitiden.  5.  Pityriasis  rubra  gravis 
von  H  e  b  r  a. 

Wollte  man  nach  den  vorgehenden  Auseinandersetzungen 
Schlüsse  ziehen,  so  könnte  man  dieselben  so  formuliren: 

1.  Die  Grenze  zwischen  Hauttuberculosen  und  Hauttuberculiden 
ist  nicht  sehr  fest.  Es  gibt  successive  Uebergänge. 

2.  Nichtsdestoweniger  ist  es  aus  theoretischen  und  praktischen 
Gründen  angezeigt,  die  Hauttuberculide  in  eine  bestimmte  Gruppe 
einzureihen. 

II.  Prof.  Camp  an  a  (Rom):  Die  Tuberculide.  Mehrere 
Autoren  haben  schon  über  die  Tuberculide  im  Allgemeinen  und  die 
Bedeutung  ihres  Erscheinens  in  den  tuberculösen  Processen  gesprochen. 

Aus  diesem  Grunde  glaube  ich  nicht,  über  die  Ausdehnung  und 
Bedeutung,  die  dieser  Benennung  zugegeben  ist,  sprechen  zu  müssen. 

Meine  Aufgabe  ist,  zu  ergründen,  welcher  Ursache  man  die  Pro¬ 
duction  der  Tuberculide  zuschreiben  müsse  und  zu  untersuchen,  ob  sie 
alle  wieder  in  die  Kategorie  der  Hauttuberculosen  zurückkehren  werden, 
indem  man  in  gleicher  Weise  die  Läsionen  toxischen  und  jene  bacillären 
Ursprungs  in  Betrachtung  zieht. 

Wir  verdanken  es  Hallopeau,  die  Bezeichnung  des  Wortes 
„Tuberculid“  auf  Manifestationen  beiderlei  Ursprungs  ausgedehnt  zu 
haben. 

Ich  werde  hinzufügen,  dass  wir  Darier  die  Anwendung  des 
Wortes  Tuberculid  vei  danken,  um  damit  die  tuberculösen  Toxidermien 
zu  bezeichnen. 

Ich  will  noch  bemerken,  dass  ich  nicht  die  Absicht  habe,  über 
Tuberculide  im  Allgemeinen  zu  sprechen,  weder  im  Sinne  Hallopeau’s, 
noch  in  jenem  Darier’s;  ich  will  hier  nur  die  ätiologische  Seite  der 
Frage  behandeln,  nicht  die  Aetiologie  der  Dermatosen,  welche  sie  um¬ 
fassen  kann,  sondern  einen  sehr  begrenzten  Theil  der  pathologischen 
Manifestationen  der  Tuberculose. 

Die  Arbeiten  von  M  a  f  f  u  c  c  i  und  Koch  haben  unsere  Kennt¬ 
nisse  sehr  erweitert  über  die  Bedeutung  des  Tuberkelbacillus  in  der 
Erzeugung  einer  allgemeinen  Intoxication,  welche  einen  sehr  schworen 
Zustand  nicht  blos  bei  dem  der  Vergiftung  unterworfenen  Thiere, 
sondern  auch  bei  den  Jungen  eines  so  vergifteten  Weibchens  her¬ 
vorbringt. 

Die  Vielfachhoit  der  das  Tuberculin  zusammensetzenden  Sub¬ 
stanzen  und  die  verschiedenartigen  toxischen  oder  nichttoxischen  Eigen¬ 
tümlichkeiten  derselben  geben  zu  verschiedenartigen  experimentellen 
Manifestationen  Anlass.  Man  weiss,  dass  das  Tuberculin  R  eine  sehr 
schwache,  locale,  reizende  Wirkung  auf  die  entfernten  Punkte  jeder 
tuberculösen  Localisation  ausübt,  während  das  alte  Tuberculin  eine 
sehr  intensive  Reizwirkung  auf  die  Gefässe  und  das  Nervensystem, 
besonders  auf  das  neurovasculäre  System  ausübt. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  35. 


Verlag  von  WILHELM  BRAUMÜLLER,  Wien  und  Leipzig. 

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113  Bändchen.  8°.  Mit  Illustrationen,  Karten  und  Plänen. 


Nr.  37.  Abbazia  von  Prof.  Dr.  Glax  und  Dr.  Igo  Schwarz. 

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Wiener  klinische  Wochenschrift 


Die  „Wiener  klinische 
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erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthorgasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 

Telephon  Nr.  3373. 

Verlag  von  Wilhelm 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1, 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  —  20  Mark. 
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tions-Aufträge  für  das  In- 
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kommen. 


Verlagshandlung  : 

Telephon  Nr.  6094. 

Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  30.  August  1900. 


Kr.  35. 


X  IST  HEBE  -A-  Xj  T: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Pathogenese  des  Ikterus.  Von  Prot.  Browicz  in 
Krakau. 

2.  Aus  der  I.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Professor 
Albert.  Erfahrungen  mit  Dr.  C.  L.  S  c  h  1  e  i  c  h  s  Marmots  taub- 
seife.  Von  Dr.  Ernst  Fuchsig,  Operationszögling. 


II.  Referate:  Statistische  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Scrophulose.  Von 
Prof.  Monti.  Ref.  G  a  1  a  1 1  i.  —  Syphilis.  Von  Dr.  I.  Neu¬ 
mann.  Ref.  Prof.  M.  v.  Z  e  i  s  s  1. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten.  .  .. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbenchte. 


Pathogenese  des  Ikterus. 

Von  Prof.  Browicz  in  Krakau. 

Vortrag,  gehalten  auf  dem  Congresse  polnischer  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Krakau  den  23.  Juli  1900. 

Der  Uebertritt  von  Galle  in  den  allgemeinen  Kreislauf, 
was  sich  durch  gallige  Färbung  der  Gewebe  kundgibt,  charakte- 
risirt  den  Ikterus.  Betreffs  der  Fragen,  unter  welchen  Bedin¬ 
gungen  und  auf  welchen  Wegen  dieser  Uebertritt  von  Galle 
in  den  allgemeinen  Kreislauf  zu  Stande  kommt,  ferner  ob  sich 
dieser  Vorgang  bei  allen  Formen  von  Ikterus  gleich  verhalte, 
sind  die  Meinungen  noch  sehr  verschieden. 

Es  unterliegt  heute  keinem  Zweifel,  dass  die  Leber  die 
alleinige  Quelle  des  Gallenfarbstoffs  ist,  sowie  dass  alle  Formen 
von  Ikterus  durch  Aufsaugung  von  Galle  innerhalb  der  Uebei 
zu  Stande  kommen.  Denn  obwohl  Hämatoidin,  welches  in  Blut¬ 
extravasaten  entsteht,  in  chemischer  Hinsicht  mit  dem  Bilirubin 
identisch  ist,  so  ist  die  Quantität  von  Hämatoidin  selbst  innei  - 
halb  grösserer  Blutextravasate  zu  gering,  bildet  sich  dasselbe 
zu  langsam,  als  dass  dasselbe  als  die  Quelle  des  Ikterus  be¬ 
trachtet  werden  könnte,  welcher  sich  manchmal  in  Folge  von 
Blutextravasaten  beim  Menschen  beobachten  lässt  ^  deL 
Vorgang  des  Entstehens  des  Ikterus  in  Folge  von  Blutextra¬ 
vasaten  ist,  wie  es  Quincke1)  mit  Recht  hervorhebt,  so  auf¬ 
zufassen,  dass  in  dem  Extravasat  Hämoglobin  aus  den  Blut¬ 
körperchen  in  Lösung  kommt,  in  die  Circulation  gelangt  und 
in  der  Leber  zu  Bilirubin  verarbeitet  wird,  der  Ikterus  nach 
Blutextravasaten  also  ein  Ikterus  pleiochromicus  ist.  Die  An¬ 
nahme  nach  den  älteren  Auffassungen  eines  hämatogenen,  an¬ 
hepatischen  Ikterus  ist  ebenso  unhaltbar,  wie  die  Annahme 
eines  Suppressionsikterus;  wir  sind  nicht  berechtigt,  das  Vor¬ 
kommen  von  Ikterus  ohne  Betheiligung  der  Leber  anzunehmen. 

Man  betrachtet  allgemein  das  mechanische  Moment  als 
die  gewöhnliche  Hauptursache  des  Uebertrittes  von  Galle^  in 
den  allgemeinen  Kreislauf,  als  die  häufigste  Ursache  des  Ent- 

')  Die  Krankheiten  der  Leber.  Specielle  Pathologie  und  Iherapie 
von  Nothnagel.  Bd.  XIII,  pag.  143. 


ehens  des  Ikterus.  Das  mechanische  Moment  soll  nach  der 
häufigen  Anschauung  auf  solchen  pathologischen  Vorgängen 
i  den  Gallenwegen  oder  im  Leberparenchym  beruhen,  welche 
3n  normalen  Abfluss  der  Galle  erschweren  oder  hemmen  wo- 
urch  die  Aufsaugung  der  Galle  durch  die  Lymphgefäße, 
idlich  auch  durch  die  Blutgefässe,  Blutcapillaren  zu  Stande 
ommt.  Wenn  sich  nämlich  in  Folge  eines  mechanischen 
[indernisses  Galle  in  den  Gallen  wegen  immer  mehr  ansammelt, 
nstaut,  ja  selbst  eine  Rückstauung  der  Galle  bis  m  die  kleinsten 
fallen wege  zu  Stande  kommt,  entsteht  zunächst  eine  Resorption 
on  Galle  durch  die  Lymphbahnen,  sodann  häuft  sich  aber  die 
falle  mehr  und  mehr  auch  in  den  intraaemösen  Gallencapillaren 
nd  den  Leberzellen  selbst  an,  und  es  kann  sich  schliesslich 
in  mikroskopisch  nachweisbarer  Einbruch  der  angestauten 
lalle  in  die  Blutcapillaren  nachweisen.  Die  Gallenstauung  und 
lachherige  Rückstauung  der  Galle  bis  in  die  kleinen  Gallen- 
vege  und  Gallencapillaren  bezieht  man  auf  verschieden gradige 
Verengerungen  oder  Verschluss  der  grossen  Gallengange  duic 
Farben  oder  eingekeilte  Gallensteine  oder  durch  Geschwülste, 
velche  sich  in  den  Gallengängen  selbst  entwickelt  haben  oder 
ron  aussen  dieselben  comprimiren.  Ferner  auch  durch  En - 
iündungsherde,  Abscesse,  Bindegewebswucherungen  oder 
Geschwülste,  welche  innerhalb  der  Leber  selbst  liegen 
liedurch  Compression  und  Zerrung  oder  auch  durc  i  vo  i^ 

Obliteration  von  kleineren  Gallengängen  den  Abfluss  der  Galle 
ins  den  kleinen  Gallengängen  und  Gallencapillaren  behin  u  n. 

Manchmal,  ja  sogar  nicht  selten,  ist  es  schwer,  ja  selb 
inmöglich,  irgend  ein  mechanisches  Moment  anatomisch  nac  i- 
zuweisen.  Selbst  in  derlei  Fällen  war  man  bestrebt,  eine  Be¬ 
hinderung  des  Abflusses  der  Galle  aufzudecken.  Den  0. 
z  B  bei  Pneumonie  hat  Ponfick  darauf  zuruckfuhren 
wollen,  dass  in  Folge  der  Verminderung  der  respira  oi nschen 
Excursionen  des  Zwerchfells  ein  wichtiger  Factor  für ‘  die  *ort 
bewegung  der  Galle  wegfällt.  Der  Ikterus  bei  Herzkianken 
We  auf  die  Verminderung  des  Blutdruckes  oder  die  Com¬ 
pression  der  feineren  Gallenwege  durch  die  erweit®^  "  , 
capillaren  bezogen.  Der  bei  Infecflonskrankheiten  auft™tende 
Ikterus  wurde  auf  complicirende  Darmkatarrhe  zui  ^ 


786 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


und  als  katarrhalischer  Ikterus  gedeutet.  Bei  pathologischen 
Zuständen  der  Leber,  wo  man  nicht  irgend  ein  mechanisches 
Moment  der  Behinderung  des  Abflusses  der  Galle  aus  den 
Gallencapillaren  aufflnden  kann,  führte  man  den  Ikterus  auf 
den  Einfluss  vergrösserter,  gleichsam  gequollener  Leberzellen 
zurück,  durch  welche  die  Gallencapillaren  comprimirt  sein 
sollen,  auf  den  Katarrh  feiner  Gallenwege,  auf  die  Verlegung 
derselben  durch  körnige  pigmentirte  Masson,  durch  desquamirte 
und  gequollene  Epithelien.  Hanot2)  gibt  als  Ursache  mancher 
Fälle  von  Ikterus  morphologische  Veränderungen  und  Ver¬ 
lagerungen  der  Leberzellen  an,  die  zu  einer  Verschiebung  der 
Leberzellenbalken,  einer  dissociation  des  travees,  führen  sollen. 

Es  kommen  jedoch  gar  nicht  selten  Fälle  von  Ikterus 
vor,  in  denen  man  keine  von  den  angeführten  mechanischen 
Ursachen,  die  den  Abfluss  der  Galle  behindern  könnten,  weder 
nachweisen  noch  annehmen  kann,  in  denen  weder  makro¬ 
skopisch  innerhalb  oder  ausserhalb  der  Leber  noch  bei  der 
scrupulösesten  mikroskopischen  Untersuchung  ein  den  Gallen¬ 
abfluss  irgendwie  behinderndes  Moment  nachzuweisen  ist,  und 
dennoch  Ikterus  mit  allen  ihn  charakterisirenden  Merkmalen  da  ist. 
Nebenbei  muss  ich  erwähnen,  dass  ich  auf  Grund  meiner  Unter¬ 
suchungen  die  Existenz  eines  Katarrhs,  Ablösung  der  Epithelien 
und  Verlegung  der  feineren  Gallenwege,  der  interlobu’ären 
und  der  in  den  Randpartien  der  Leberacini  existirenden,  mit 
Epithel  ausgekleideten  Gallengänge  nicht  annehmen  kann. 

In  solchen  Fällen  beziehen  den  Ikterus  Minkowski, 
Liebermeister,  Pick  auf  besondere  functionelle  Störungen 
der  Leberzellen ;  Minkowski  drückt  sich  folgendermassen 
aus:  »Die  besondere  Eigenschaft  der  Leberzelle,  vermöge  deren 
sie  es  vermag,  gewisse  Stoffe  nach  den  Gallenwegen,  andere 
nach  den  Blutgefässen  oder  Lymphwegen  zu  leiten,  also  den 
Gallenfarbstoff  nach  den  Gallenwegen,  Zucker  und  Harnstoff 
nach  dem  Blute  hin  auszuscheiden,  ist  offenbar  an  die  normale 
Ernährung  und  normale  Function  der  Zelle  selbst  gebunden. 
Störungen  dieser  Function  der  Zelle  können  auch  ohne  mechanische 
Behinderung  des  Gallenabflusses  einen  Uebertritt  von  Gallen- 
bestandtheilen  in  das  Blut  zur  Folge  haben  (Parapedesis  bilis). 
Lieber m eiste r  versuchte  das  Zustandekommen  gewisser 
Ikterusformen  dadurch  zu  erklären,  dass  die  wesentlich  ver¬ 
änderten  Leberzellen  nicht  mehr  fähig  seien,  die  Galle  voll¬ 
ständig  zurückzuhalten  und  ihre  Diffussion  in  Blut  und  Lymphe 
zu  verhindern.  Lieber  meiste  r  hatte  hiebei  hauptsächlich 
diejenigen  Fälle  von  Ikterus  im  Auge,  bei  welchen  anatomische 
Läsionen  der  Leberzellen  direct  nachweisbar  sind.  Pick  legte 
das  Hauptgewicht  auf  die  functioneilen  Alterationen  der  Leber¬ 
zelle  und  leitete  Ikterusformen,  bei  welchen  kein  irgendwelches 
mechanisches  Moment  der  Behinderung  des  Gallenabflusses 
auffindbar  ist,  von  einer  besonderen  Secretionsanomalie  der 
Leberzellen  ab,  die  zu  einer  falschen  Ström  ungsrichtung  der 
Secrete  führt  und  führte  weiter  die  supponirte  Secretions¬ 
anomalie  auf  abnorme  nervöse  Erregung  einerseits  und  auf 
toxische,  beziehungsweise  infectiös-toxische  Wirkungen  anderer¬ 
seits  zurück.  Pick  suchte  auch  die  Entstehung  der  meisten 
Ikterusformen,  selbst  manche  Fälle  von  Gallensteinikterus  auf 
diese  Weise  zu  erklären. 

Was  die  Wege,  auf  welchen  die  Galle  in  der  Leber 
in  den  allgemeinen  Kreislauf  gelangt,  anbelangt,  so  er¬ 
klärte  man  dies  lange  Zeit  hindurch  derart,  dass  die  Galle  bei 
abnormen  Druckverhältnissen  einfach  aus  den  Gallengängen 
in  die  Blutcapillaren  diffundire,  je  nachdem  der  Gallen¬ 
druck  gesteigert  oder  der  Blutdruck  gesunken  ist.  Später  ent¬ 
standen  Zweifel,  namentlich  seit  den  Experimenten  von  Fleisch  1 
(1874),  Kunkel,  Kufferath,  V.  Harley,  nach  denen 
beim  Hunde  nach  der  gleichzeitigen  Unterbindung  des  Ductus 
choledochus  und  Ductus  thoracicus  kein  Ikterus  aufgetreten 
ist,  Gallenfarbstoff  und  Gallensäuren  nur  in  der  Lymphe,  aber 
nicht  im  Blute  oder  Harn  nachgewiesen  werden  konnten,  woraus 
gefolgert  wurde,  dass  die  Galle  nicht  durch  Blutgefässe, 
respective  Blutcapillaren,  sondern  durch  Lymphgefässe  auf¬ 
genommen  werde.  Diese  Anschauung  wurde  allgemein  an¬ 
genommen  und  auch  jetzt  noch  hält  man  sich  daran.  Die  Ex- 

:)  Hanot,  Ictere  par  dislocation  de  la  travee  (ictere  par  ob¬ 
struction  intralobnlaire).  Semaine  mddicale.  1895,  Nr.  Hl. 


perimente  von  W  ertheimer  und  Lepage3),  I).  Ge  r- 
hardt4),  Queirolo  und  Benvenuti5)  ergaben  ein  ganz 
anderes  Resultat.  Wertheimer  und  Lepage  führten  in 
den  einen  Gallengang  beim  Hunde  Ochsen-  oder  Hammelgalle 
ein,  deren  Spectrum  charakteristisch,  verschieden  vom  Spectrum 
der  Hundegalle  ist.  In  einer  zweiten  Reihe  von  Experimenten 
gebrauchten  sie  auf  dieselbe  Art  indigschwefelsaures  Natron. 
In  beiden  Serien  dieser  Experimente  beobachteten  Wert¬ 
heimer  und  Lepage,  dass  die  aus  den  Gallenausführungs¬ 
gängen  anderer  Leberlappen,  wohin  nur  auf  dem  Blutwege 
Ochsen-  oder  Hammelgalle,  sowie  auch  indigschwefelsaures 
Natron  gelangen  konnte,  entfliessende  Galle  diese  fremden 
Beimengungen  enthalten  habe  und  gelangten  zu  dem  Schlüsse 
»que  non  seulement  les  vaisseaux  sanguins  prennent  une  part 
active  ä  la  resorption  du  pigment  bleu  (ou  du  pigment  etranger 
ä  la  bile  du  chien)  mais  encore  que  les  lymphatiques  n’y  ont 
qu’une  part  tres  restreinte.«  D.  Gerhardt  wiederholte  das 
alte  Experiment  der  gleichzeitigen  Unterbindung  von  Gallen¬ 
gang  und  Milchbrustgang  bei  Hunden  und  fand  im  Gegensatz 
zu  den  früheren  Experimentatoren  ganz  regelmässig  Ikterus 
auftreten  und  bei  Hunden,  denen  beide  Gänge  unterbunden  waren, 
wurde  der  Urin  eben  so  rasch  und  eben  so  intensiv  ikterisch 
wie  bei  denen,  wo  der  Thoracicus  offen  blieb.  D.  Gerhardt 
folgert  aus  seinen  Versuchen,  dass  auch  bei  Verlegung  des 
Thoracicus  Galle  resorbirt  wird,  und  zwar  wird  schon  in  circa 
20  Stunden  Galle  reichlich  im  Harn  ausgeschieden,  also  zu 
einer  Zeit,  wo  von  Bildung  (?)  neuer  Lymphwege,  die  sich, 
wie  V.  Harley  besonders  betont,  im  Laufe  mehrerer  Tage 
regelmässig  ausbilden  sollen,  wenigstens  nichts  nachzuweisen 
ist.  Um  zu  entscheiden,  ob  die  Galle  nur  dann,  wenn  der 
Hauptlymphgang  verlegt  ist,  direct  ins  Blut  gelange,  oder  ob 
sie,  so  lange  die  Lymphbahnen  frei  sind,  doch  entsprechend  der 
Angabe  der  früheren  Experimentatoren  mit  der  Lymphe  weg¬ 
geführt  werde,  legte  D.  Gerhardt  einige  Stunden  nach  der 
Ligatur  des  Choledochus  eine  Fistel  am  Ductus  thoracicus  an. 
Die  Hunde  blieben  dabei  im  günstigen  Fall  etwa  14  Stunden 
nach  der  zweiten  Operation  am  Leben.  Diese  letzten  Versuche 
ergaben  übereinstimmend,  dass  die  Lymphe  nach  verschieden 
langer  Zeit  ikterisch  wird,  dass  im  Blut  und  im  Harn  aber 
kein  Bilirubin  erscheint.  Trotzdem  die  erste  Serie  seiner  Ex¬ 
perimente  entschieden  für  die  Aufnahme  der  Galle  durch  die 
Blutgefässe  spricht,  kommt  D.  Gerhardt,  die  Resultate  der 
zweiten  Serie  der  Experimente  berücksichtigend,  doch  zu  dem 
Schlüsse,  dass  die  Lymphbahn  als  der  sozusagen  normale  Ab 
flussweg  der  gestauten  Galle  erwiesen  ist;  erst  wenn  sie  ver¬ 
legt  ist,  gelangt  die  Galle  auf  andere  Weise  ins  Blut. 

Queirolo  und  Be  nvenuti  gelangten  auf  Grund  ihrer 
Experimente  zu  dem  Schlüsse,  dass  nach  gleichzeitiger  Unter¬ 
bindung  des  Choledochus  und  Thoracicus  innerhalb  24  bis 
30  Stunden  stets  Ikterus  entsteht,  welcher  immer  stärker  wird, 
und  theilen  die  Ansicht,  dass  der  Uebertritt  von  Galle  in  den 
allgemeinen  Kreislauf  durch  die  Blutgefässe  stattfindet,  und 
zwar  durch  die  intrahepatischen  Venen.  Sie  unterbanden  auch 
gleichzeitig  beide  Gänge,  Choledochus  und  Thoracicus,  öffneten 
später  den  Thoracicus,  unterbanden  nur  den  Choledochus  allein 
und  beobachteten  in  beiden  Fällen  in  derselben  Zeit  wie  in 
der  ersten  Serie  ihrer  Experimente,  wo  beide  Gänge  gleich¬ 
zeitig  unterbunden  worden  waren,  das  Auftreten  des  Ikterus. 

Die  Ergebnisse  der  an  Hunden  vorgenommenen  Ex¬ 
perimente  von  F  1  e  i  s  c  h  1,  Kunkel,  Kufferath,  V.  Harley 
sind  also  andere,  als  jene  von  Werthheim  er  und 
Lepage,  Queirolo  und  Benvenuti,  sowie  von  D.  G  e  r- 
hardt.  Meiner  Ansicht  nach  ist  der  Schluss,  welchen  D.  Ger¬ 
hardt  aus  der  zweiten  Serie  seiner  Experimente  folgert,  des¬ 
halb  irrig,  weil  die  Hunde  nach  der  zweiten  Operation  zu 
kurze  Zeit  sich  am  Leben  erhielten. 

Dies  ist  in  groben  Umrissen  der  jetzige  Stand  unseres 
Wissens  über  die  Pathogenese  des  Ikterus. 

3)  Absorption  des  pigments  dans  le  foie.  Archives  de  physiologie 
normale  et  pathologique.  1897. 

4)  Zur  Pathogenese  des  Ikterus.  Verhandlungen  des  Congresses  für 
innere  Medicin.  1897. 

5)  Neuvieme  congres  de  la  societe  italienne  de  medecine  interne.  1898. 
Semaine  medicale.  1898,  Nr.  51. 


Nr.  35 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


787 


Was  sagt  uns  das  Mikroskop  betreffs  dieser  oben  an¬ 
geführten  Fragen  bezüglich  der  Pathogenese  des  Ikterus?  Kann 
man  aus  den  mikroskopischen  Bddern  sicherere  Schlüsse 
folgern?  Seit  mehreren  Jahren  befasseich  mich  mit  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  von  Lebern  in  verschiedenen  patho¬ 
logischen  Zuständen  derselben,  studire  eingehender  den  Bau 
der  Leber,  sowie  theilweise  den  Bau  der  Leberzelle,  lenke  die 
Aufmerksamkeit  auf  mikroskopische  Bilder  der  Leberzelle,  die 
ich  experimentell  hervorgerufen  habe.  Auf  Grund  dieser  Unter¬ 
suchungen* 6 *)  gelangte  ich  betreffs  der  Frage  über  die  Patho¬ 
genese  des  Ikterus  zu  Resultaten  und  Schlüssen,  welche  von 
den  allgemein  herrschenden  Ansichten  abweichen. 

Bei  Hunden,  bei  welchen  man,  wie  bekannt,  mittelst 
subcutaner  Injection  von  Toluilendiamin  Ikterus  hervorrufen 
kann,  selbst  schon  nach  zwei  Tagen,  bietet  der  entstehende 
Ikterus  alle  Merkmale  eines  acuten  Ikterus,  welcher  am 
Sectionstische  beim  Menschen  nur  höchst  ausnahmsweise  zur 
Untersuchung  gelangen  kann.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ) 
der  vor  dem  Experimente  normalen  Leber  ergab  Folgendes: 
Toluilendiamin  löst  Erythrocyten  auf,  Hämoglobin  geht  in  Lösung, 
was  die  körnigen,  braunschwarzen  Pigmentablagerungen  im 
Lumen  der  Blutgefässe,  ebensolche  Ablagerungen  innerhalb  der 
Wandzellen  der  Blutcapillaren,  sowie  in  den  Leberzellen  so¬ 
wohl  im  Cytoplasma  als  auch  im  Kerne  beweisen,  welche  an 
mikroskopischen  Präparaten  von  in  Formalin  gehärteten  Lebet  - 
stückchen  anzutreffen  sind.  Formalin  ist  nämlich  ein  mikro¬ 
chemisches  Reagens  für  zur  Zeit  der  Härtung  in  den  Geweben, 
Zellen  vorfindbares  flüssiges  Hämoglobin  (siehe:  Ueber  Krystal- 
lisationsphänomene  in  der  Leberzelle  und  das  mikroskopische 
Bild  der  Leberzelle  nach  intravenöser  Injection  von  Hämo¬ 
globinlösung).  Einen  weiteren  Beweis  des  Gelöstwerdens  von 
Hämoglobin  bieten  die  im  Lumen  der  Blutgefässe  voifind- 


G)  Die  Resultate  meiner  Untersuchungen  habe  ich  in  folgenden 

Publicationen  veröffentlicht :  Q7 

a)  Ueber  Dissociation  der  Leberläppchen.  Nowiny  lekarskie.  lOUt, 

und:  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXLVIII. 

b)  Intracelluläre  Gallengänge,  ihr  Verhältnis  zu  den  Kupftei- 
sehen  Vacuolen  und  zu  gewissen  Formen  pathologischer  Vacimlisation  der 
Leberzellen.  Anzeiger  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau. 

März  1897.  .  . 

cj  Ueber  Befunde  im  Kerne  der  Leberzelle,  welche  für  die  secretoriscne 

Function  des  Kernes  sprechen.  Anzeiger.  April  1897. 

d)  Ueber  den  Bau  der  Leberzelle.  Anzeiger.  Mai  1897. 
ej  Wie  und  in  welcher  Form  wird  den  Leberzellen  Hämoglobin  zu¬ 
geführt?  Anzeiger.  Juni  1897. 

fj  Verschiedenartigkeit  der  intracellulären  Pigmentablagerungen  in 
der  Leberzelle  etc.  Przeglad  lekarski  und  Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  Nr.  23,  1897.  _  . 

g)  Ueber  Krystallisationspliänomene  in  der  Leberzelle.  Anzeiger. 

April  1898.  _  tv. 

hj  Ueber  intravasculäre  Zellen  in  den  Blutcapillaren  der  Leberaeim. 
Anzeiger.  April  1898  (auch  im  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie.  Bd.  LV). 
ij  Das  mikroskopische  Bild  der  Leberzelle  nach  intravenöser  Hämo- 

globininjection.  Anzeiger.  November  1898.  _ 

j)  Intussusception  der  Erythrocyten  durch  die  Leberzelle  und  die 
daraus  möglichen  Bilder  der  Leberzelle.  Anzeiger.  Juli  18J9. 

1c)  Ernährungswege  in  der  Leberzelle.  Anzeiger.  Juli  1899. 
iy  W  obronie  prac  moich.  Krytyka  lekarska.  1899. 

m)  Bau  der  intercellulären  Gallengänge  und  ihr  Verhältniss  zu  den 

Blutcapillaren.  Anzeiger.  Januar  1900. 

n)  Bau  der  intraacinösen  Blutcapillaren  und  ihr  Verhältniss  zu  den 

Leberzellen.  Anzeiger.  Mai  1900. 

7)  Der  Vorgang  bei  der  Conservirung,  Härtung  der  Leberstückchen 
und  Anfertigung  der  mikroskopischen  Präparate  ist  bei  der  Untersuchung 
ikterischer  Lebern  nicht  gleicligiltig  und  ich  verfahre  folgendermassen .  Zur 
Härtung  verwende  ich  2 °/0  Formalin,  weil  bei  diesem  Procentgehalt  das 
Gewebe  nicht  schrumpft.  Den  Gallenfarbstoff  conservürt  Formalin  sehr  gut, 
was  auch  Sublimat  thut.  Das  Auswaschen  der  in  Sublimat  gehärteten 
Stückchen,  das  Entwässern  derselben  mittelst  immer  stärkeren  Alkohols, 
das  complicirte,  das  Gewebe  thermischen  als  auch  chemischen  Einflüssen 
aussetzende  Verfahren  bei  der  Einbettung  der  Stückchen  in  Pai  affin  o  ei 
Celloidin,  das  Entfernen  des  Paraffins  oder  Celloidins  aus  den  mikro¬ 
skopischen  Schnitten,  dies  Alles  übt  auf  Gallenpigmentablagerungen,  worauf 
ja  bei  diesen  Untersuchungen  Alles  beruht,  welches  Pigment  dabei  mane  i- 
mal  gänzlich  ausgelaugt  wird,  einen  ungünstigen  Einfluss  aus.  Nach 
Härtung  in  Formalin  kann  man  unmittelbar  nach  sehr  raschem  us- 
waschen  der  Stückchen  mit  Wasser  sehr  feine  Gefrierschnitte  anfei  tigen, 
und  höchst  brauchbare  Präparate  gewinnen.  Deshalb  gebrauche  ich  ast 
ausschliesslich  Formalinhärtung,  welche  auch  in  mancher  anderen  Ilinsic  it, 
worüber  ich  in  meinen  Publicationen  berichtet  habe  (unter  Andeiem.  Are  iv 
für  mikroskopische  Anatomie.  Bd.  LV),  Vortheile  bietet. 


liehen  Hämoglobinkry stalle,  ebensolche  wie  diejenigen  in  den 
Kernen  der  Leberzellen  des  Hundes. 

Dieses  Bild  von  Hämoglobinablagerungen  in  den  Wand¬ 
zellen  der  Blutcapillaren,  sowie  in  den  Leberzellen  entspricht 
vollkommen  demjenigen,  welches  man  in  der  Muscatnussleber 
des  Menschen,  sowie  in  der  Leber  des  Hundes  nach  intra¬ 
venöser  Hämoglobininjection  vorfindet.  Unter  Einwirkung  des 
Toluilendiamins  erleidet  ein  anderer  Theil  der  Erythrocyten 
Veränderungen,  zufolge  denen  sie  schon  innerhalb  der  Blut¬ 
capillaren  zu  grossen  Kugeln  zusammenschraelzen.  Ebensolche 
mittelst  Pikrinsäure,  Eosin,  auch  Fuchsin  sich  färbende  Kugeln 
habe  ich  in  den  Leberzellen  des  Hundes  beschrieben  (vide: 
Intususception  der  Erythrocyten  durch  die  Leberzelle  etc.). 

Die  intraacinösen  Blutcapillaren  fand  ich  verschieden- 
gradig  erweitert.  In  den  Wandzellen  der  intraacinösen  Blut¬ 
capillaren,  in  den  normale  Structur  aufweisenden  Leberaeim 
fanden  sich  Gallenablagerungen  in  Gestalt  von  runden,  läng¬ 
lichen,  ovalen,  ja  selbst  sich  verzweigenden  grünen,  galligen, 
scharfbegrenzten  Massen,  welche  manchmal  bis  an  den  Rand 
der  Zelle  reichten.  Die  Wandzellen  der  Blutcapillaren  lagerten 
dicht  an  der  vasalen  Fläche  der  Leberzellenbalken  oder 
lagen  abgelöst  frei  im  Lumen  der  Blutgefässe.  Manchmal 
konnte  ich  einen  directen  Zusammenhang  zwischen  den  Gallen¬ 
ablagerungen  in  den  Wandzellen  und  den  Gallenablagerungen 
in  den  Leberzellen,  öfters  zwischen  den  Gallenablagerungen  in 
den  Wandzellen  und  denjenigen  in  den  intercellulären  Gallen¬ 
gängen  nachweisen,  welche  intercellulären  Gallengänge,  (was 
ich  in  meiner  Publication  über  den  Bau  der  intercelluläien 
Gallengänge  und  ihr  Verhältniss  zu  den  Blutcapillaren  angegeben 
habe)  die  Blutcapillaren  berühren.8 * *) 

Die  intercellulären  Gallengänge  sah  ich  mit  Galle  über¬ 
füllt,  in  Folge  eines  Uebermasses  von  Galle  unregelmässig 
erweitert.  Die  Leb  er  zellen,  welche  mit  den  intercellulären 
Gallengängen,  als  auch  mit  den  Blutcapillaren  sich  berufnen, 
enthielten  keine  Gallenablagerungen  oder  selten  nur  Spuren 
davon. 

Aehnliche  Bilder  stellen  die  meinen  Publicationen  im 
Anzeiger  der  Akademie  der  Wisssenschaften  in  Krakau  bei¬ 
gelegten  Tafeln  dar. 

Derlei  Gallenablagerungen  innerhalb  der  Wandzellen  der 
Blutcapillaren,  als  auch  in  den  intercellulären  Gallengängen  waren 
nicht  in  allen  Leberacinis,  nicht  in  ganzen  Leberacinis,  nicht  in 
allen  Theilen  der  Leber  gleich  sichtbar,  sie  fanden  sich  fast  aus¬ 
schliesslich  in  den  centralen  Partien  der  Leberacini,  und  z  war  in  vei  - 
hältnissmässig  kleinen  Herden  oder  in  einzelnen  Blutcapillai  en  vor. 
Die  peripheren  Theile  der  Leberacini  bieten  ein  normales  Aus¬ 
sehen  dar  und  die  Leberzellen,  insoweit  wir  das  jetzt  aus  dem 
mikroskopischen  Bilde  folgern  können,  sahen  normal  aus. 

Ein  ganz  gleiches  Bild  sah  ich  in  einem  Falle  von  zu¬ 
fälliger,  künstlicher  Verengerung  des  Ductus  choledochus 
beim  Hunde,  wo  sieben  Tage  nach  Anlegung  der  Ligatur  der 
Hund  getödtet  wurde.  Die  Ligatur  brachte  nur  eine  \  erenge- 
rung  des  Choledochus  zu  Stande,  die  Galle  gelange  in  den 
Darmcanal.  Der  Harn  enthielt  Gallenfarbstoff. 

In  Fällen  von  Icterus  neonatorum,  also  wieder  in  Fällen  von 

acuten  Ikterus,  z.  B.  bei  einem  vier  Tage  alten  Neugeborenen, 

fand  ich  dasselbe  Bild  wie  beim  Hunde  bei  künstlichem,  acutem 
Ikterus. 

Ganz  dieselben  Bilder,  was  die  Localisation  der  Galle¬ 
ablagerungen  in  den  Blutcapillaren,  den  Wandzellen,  das  Ver¬ 
halten  der  Leberzellen  im  Bereiche  der  Herde,  wo  Gallen¬ 
ablagerungen  vorhanden  waren  (ich  abstrahire  hier  ganz  von 
den  Veränderungen,  welche  nach  längere  Zeit  dauerndem 
Verschluss  des  Choledochus  in  der  Leber  sich  entwiche  n 
können;  in  manchen  Fällen  entstehen  selbst  nach  monatelang 


8)  Schon  nach  der  Veröffentlichung  meiner  Arbeit  über  den  Ba  J 

intercellulären  Gallengänge  und  ihr  Verhältniss  zu  en  nl^olo„;e 

wurde  ich  auf  die  folgende  Angabe  in  Stöhrs  Lehrbuc  i  °  J 

8  Auflage  pa-  229  Note  3  aufmerksam:  »Ob  dies  ausnahmslose  Regel 

ist  (sc.  dkss  die  intercellulären  Gallengänge  die  Blutcl|PllJ”®“n  Wirten 
rühren),  scheint  mir  neuerdings  zweifelhaft;  ich  ha  be _an  se  * 

Schnitten  der  Kaninchenleber  an  einzelnen  Stellen  Gallencap. £ “J t"  *  ^  „ 

neben  Blutcapillaren  gesehen.*  Dies  ist  nach  meinen  Beobachtungen 
Bildern  aus  ikterischen  Hunde-  und  Menschenlebern  Kegel. 


788 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


dauernder  Behinderung  des  Gallenabflusses  keine  schwereren 
Veränderungen  des  Leberparenchyms)  betrifft,  fand  ich  in 
Fällen  von  chronischem  Ikterus  beim  Menschen,  welcher  durch 
Leberkrebs.  Krebs  der  Gallenblase,  des  Pankreas,  Magens, 
Gallensteine  veranlasst  war,  also  in  Fällen,  wo,  sei  es 
innerhalb  oder  ausserhalb  der  Leber,  die  Wegsamkeit  der 
Gallengänge  beeinträchtigt  war.  Derlei  Fälle  können  den 
künstlich  bei  Thieren  hervorgerufenen  Störungen  des  Gallen¬ 
abflusses  gleichgestellt  werden. 

A  priori  urtheilend,  sollten  in  derlei  Fällen  sowohl  beim 
Menschen  als  auch  bei  Thieren  der  Ductus  choledochus  und 
später  auch  die  höher  gelegenen  Gallengänge,  ja  bis  in  die 
feinsten  Gallencapillaren,  selbst  intracelluläre  Gallenwege  bei 
fortdauernder  Behinderung  des  Gallenabflusses  immer  mehr 
der  Erweiterung  in  Folge  Gallenstauung  unterliegen.  Findet 
dies  in  der  That  statt?  Findet  man  ein  solches  Bild  von 
gleichsam  ad  maximum  erweiterten  Gallengängen  beim  Thiere 
nach  Unterbindung  des  Ductus  choledochus?  Weder  das  makro 
skopische,  noch  das  mikroskopische  Bild  bestätigt  diese  a  prio- 
ristische  Supposition.  Findet  dies  beim  Menschen  statt,  sobald 
nur  eine  rein  mechanische  Behinderung  des  Gallenabflusses 
sich  vorfindet  und  keine  Infection  der  Gallenwege  statthat? 
Sobald  nämlich  pathologische  Producte,  Exsudat  im  Lumen  der 
Gallengänge  sich  ansammelt,  gestaltet  sich  das  anatomische 
und  mikroskopische  Bild  der  Gallengänge  ganz  anders,  worauf 
ich  besonderen  Nachdruck  lege. 

Unlängst  beobachtete  ich  einen  Fall,  welchen  Docent 
B  o  s  s  o  w  s  k  i  operirte,  in  welchem  bei  einem  12jährigen  Kinde 
in  Folge  der  Verwachsung  des  Ductus  choledochus  an  der 
Eintrittsstelle  des  Ductus  in  die  Wand  des  Duodenums  eine 
kolossale  Vergrösserung  des  Ductus  choledochus  stattgefunden 
hat,  so  dass  derselbe  9 1  gallegefärbter  Flüssigkeit  enthielt. 
Das  Lumen  des  so  kolossal  vergrösserten  Ductus  choledochus 
communicirte  durch  eine  schlitzförmige  Oeffnung  mit  dem  Ductus 
hepaticus  und  cysticus.  Die  geschwulstartige  Vergrösserung 
des  Bauches  bemerkte  die  Umgebung  der  Kranken  acht  Mo¬ 
nate  vor  deren  Tode.  Docent  Bossowski,  welcher  bei  der  vor¬ 
genommenen  Laparotomie  die  wahre  Sachlage  erkannte,  legte 
eine  Bauchfistel  an,  wodurch  der  Abfluss  der  Galle  ermöglicht 
wurde  und  der  Ikterus  zu  schwinden  begann.  Zwölf  Tage 
nach  der  Operation  tödtlicher  Ausgang.  Die  Leber  war  nicht 
vergrössert,  nur  die  gröberen  intrahepatischen  Gallengänge 
waren  wenig  erweitert,  ihre  Wand  verdickt. 

In  den  gewöhnlichen,  nicht  gar  seltenen  Fällen  des  Ver¬ 
schlusses  der  Gallenwege  weisen  selbst  die  interlobulären 
Gallengänge,  geschweige  denn  die  intralobulären  bei  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  nur  hie  und  da  Spuren  von  Erweite¬ 
rung  und  Abflachung  des  Epithelbelages  auf,  die  Mehrzahl  der 
interlobulären  Gallengängen  zeigt  normales  Lumen,  normalen, 
was  die  Gestalt  und  Grösse  anbetrifft,  Epithelbelag.  Von  den 
intralobulären  Gallengängen  zeigen  nur  die  in  den  centralen 
Partien  der  Leberacini  gelegenen,  intercellulären  Gallengänge 
eine  Erweiterung  und  Ueberfüllung  mit  Galle,  während  die 
peripheren  sich  normal  verhalten. 

Angesichts  dieser  makro-  und  mikroskopischen  Bilder 
kann  von  einer  Gallenstauung,  welche  immer  stärker  sein 
müsste,  je  nach  der  Dauer  des  Verschlusses,  keine  Rede  sein, 
umsoweniger  von  einer  Rückstauung  der  Galle.  Eine  sich 
potenzirende  Gallenstauung  oder  Rückstauung  könnte  nur  dann 
platzgreifen,  wenn  die  Leber  nach  Verschluss  des  Gallenganges 
fortfahren  würde,  Galle  normal  zu  secernircn.  Dies  findet 
jedoch  augenscheinlich  nicht  statt;  dagegen  spricht  bei  rein 
mechanischem  Verschluss  das  makro-  und  mikroskopische 
Bild  der  Leber.  Nach  dem  Verschluss  des  Gallenganges  secer- 
nirt  früher  oder  später  die  Leber  immer  weniger  Galle,  des¬ 
halb  kommt  es  nicht  zur  maximalen  Erweiterung  der  Gallen¬ 
wege,  was  stattfinden  müsste,  wenn  die  Leber  normal  Galle 
produciren  würde;  dass  dem  so  ist,  dafür  spricht  auch  das 
mikroskopische  Bild.  Die  geringere  Quantität  seeernirter  Galle 
gelangt  intraacinös  in  den  allgemeinen  Kreislauf.  Ein  grosser 
Theil  der  Leberzellen  wird  wenigstens  bezüglich  der  Gallen- 
production  unthätig,  insufficient,  was  wahrscheinlich  auch  betreffs 
anderer  Functionen  der  Leberzelle  statthat.  Die  gefährlichen 


Erscheinungen,  welche  nach  Verschluss  der  Gallenwege  früher 
oder  später  auftreten,  sind  auf  Grund  obiger  Auseinander¬ 
setzung,  meiner  Ansicht  nach,  nicht  Folge  von  Resorption  von 
Gallenbestandtheilen  in  das  Blut,  Cholämie,  sondern  die  Folge 
ungenügender  Thätigkeit  oder  gar  Unthätigkeit  vieler  Leber¬ 
zellen. 

Auf  welche  Art  die  Behinderung  des  Gallenabflusses  die 
Leberzellen  beeinflusst,  kann  ich  mir  nach  dem  oben  ange¬ 
führten  mikroskopischen  Bilde  nicht  erklären,  da  ich  aus  den 
angeführten  Gründen  eine  Stauung,  geschweige  denn  Rück- 
stauunff  der  Galle  und  einen  unmittelbaren  Einfluss  der  Galle 

c 

auf  die  Leberzellen  nicht  annehmen  kann.  Ebensowenig  kann 
ich  es  mir  erklären,  warum,  obwohl  ein  grosser  Theil  der 
Leberzellen  sowohl  in  den  peripheren,  als  auch  centralen  Par¬ 
tien,  in  welchen  das  Mikroskop  in  den  Blutcapillaren  Gallen¬ 
ablagerungen  aufweist,  normales  Aussehen  darbietet,  die  Leber 
in  toto  doch  insufficient  wird.  Wahr  ist  es,  dass  die  Beurthei- 
lung  des  Zustandes  der  Zellen  überhaupt  nach  dem  mikro¬ 
skopischen  Aussehen  noch  sehr  prekär  ist.  Wahr  ist  es,  dass 
wir  heute  noch  gleichsam  nur  gröbere,  schwerere  Veränderungen 
der  Zellen  beurtheilen,  diagnosticiren  können.  Weitere  Studien, 
welche  auf  einer  genaueren  Kenntniss  des  feineren  Baues 
der  Zelle  basiren  werden,  müssen  uns  lehren,  Veränderungen 
in  Zellen  zu  erkennen,  welche  bis  nun  uns  unbekannt  sind, 
in  Folge  dessen  wrir  nur  Zellen,  welche  grössere  Veränderungen 
darbieten,  als  kranke  betrachten.  Thatsache  ist  es,  dass  die 
sogenannte  Hepatargie,  Insufficienz  der  Leber,  existirt,  dass 
ihre  Wirkung  und  Bedeutung  dieselbe  ist,  als  wann  wir  immer 
grössere  Partien  der  Leber  experimentell  ausschliessen  und  den 
Organismus  einer  Intoxication  preisgeben. 

Spielt  das  mechanische  Moment  bei  der  Pathogenese  des 
Ikterus  gar  keine  Rolle?  Nein,  es  hat  einen  mittelbaren  Ein¬ 
fluss.  Wir  wissen  ja,  dass  im  Falle  des  Verschlusses  des  Ductus 
choledochus  Ikterus  entsteht;  ein  Zusammenhang  zwischen  der 
Behinderung  des  Galleabflusses  und  dem  Ikterus  lässt  sich 
nichtleugnen.  Wir  wissen  ferner,  dass  nach  Beseitigung  des  Hinder¬ 
nisses  für  den  Abfluss  der  Galle  der  Ikterus  schwindet  und  die 
Leber  weiter  thätig  ist,  je  nach  dem  Grade  der  stabilen  Ver¬ 
änderungen,  welche  während  der  Dauer  des  Verschlusses  sich 
in  der  Leber  entwickeln  können  und  welche  ich  hier  nicht 
berücksichtige,  da  dieselben  mit  der  Pathogenese  des  Ikterus 
nichts  gemein  haben.  Dieser  Zusammenhang  zwischen  dem 
Verschlüsse  der  Gallenwege  und  dem  Ikterus  ist,  meiner 
Meinung  nach,  nur  ein  mittelbarer. 

Der  Verschluss  des  Gallenganges  führt  anfangs  zu 
einer  Anfüllung  des  Choledochus  und  der  gröberen  intra¬ 
hepatischen  Gallengänge  mit  Galle,  welche  noch  normal 
secernirt  wird.  Bei  einem  gewissen  Grade  der  Anfüllung  der 
gröberen  intrahepatischen  Gallengänge  müssen  dieselben  die 
intrahepatischen  Venen  comprimiren,  wodurch  nachher  eine 
Erweiterung  der  intraacinösen  Blutcapillaren  hervorgerufen 
wird.  Eine  derartige  Hyperämie  der  Leberacini  constatirt  man 
sowohl  bei  Thieren  nach  experimentellem  Verschluss  des  Chole¬ 
dochus,  als  auch  beim  Menschen.  Es  entsteht  eine  Kreislauf¬ 
störung  im  intraacinösen  Gefässsystem,  was  sich  manchmal 
sogar  durch  Blutextravasate  kundgibt.  Eine  Analogie  einer 
derartigen  Kreislaufstörung  bietet  die  Niere  in  den  ersten  Tagen 
nach  der  Unterbindung  des  Ureters  dar.  Die  Hyperämie  in 
der  Leberacinis,  hauptsächlich  ihrer  centralen  Partien,  bildet 
den  ersten  Schritt  zur  Entstehung  des  Ikterus. 

In  vielen  Fällen  von  Ikterus  lässt  sich  gar  kein  median1' 
sches  Moment  auffinden,  in  keinem  Tlieile  der  Gallen wege 
weder  innerhalb  noch  ausserhalb  der  Leber. 

Es  entsteht  Ikterus  z.  B.  nach  Bluttransfusionen,  bei 
Intoxicationen  mit  Substanzen,  welche  auf  die  Erythrocyten 
einwirken,  wobei  Hämoglobin  in  Lösung  geht,  im  Verlaufe 
von  acuten  Infectionskrankheiten,  wo  manchmal  starke  Blut¬ 
alterationen  Vorkommen,  bei  Hämoglobinämie,  nach  psychischen 
Affecten  etc.  Das  Entstehen  des  Ikterus  in  derartigen  Fällen 
erklärt  man  jetzt  durch  Störungen  der  functioneilen  Thätigkeit, 
im  Allgemeinen  durch  krankhafte  Zustände  der  Leberzellen 
selbst  (Icterus  acathecticus,  Parapedesis  bilis,  Paracholia),  welche 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


789 


in  abnormer  Richtung  nach  den  Lymph-  oder  Blutgefässen  zu 

Galle  secerniren.  ,  ,  ,  .,  ,  .  ,  Ä 

Ich  habe  schon  oben  mitgetheilt,  dass  das  mikroskopische 

Bild  betreffs  der  Localisation  der  Gallenablagerungen  in  den 
intraacinösen  Blutcapillaren,  in  den  Wandzellen  der  Blutcapil- 
laren  des  Aussehens  der  Leberzellen  innerhalb  der  Herde,  wo 
Gallenablagerungen  Vorkommen,  in  Fällen  von  künstlichen,  acuten 
Ikterus  beim  Hunde,  nach  z.  B.  mehrere  Tage  dauernder,  künst¬ 
licher  Verengerung  des  Ductus  choledochus  beim  Hunde,  bei 
Icterus  neonatorum,  in  Fällen  chronischen  Ikterus  beim  Men¬ 
schen  ganz  gleich  ist,  ein  wichtiger  Umstand,  weicher 
bezeugt,  dass  in  diesen  verschiedenen  Formen  des 
Ikterus  die  Ursache  des  Ikterus  und  Art  des  Ueber- 
trittes  der  Galle  in  den  allgemeinen  Kreislauf  auch 
dieselben  sein  müssen. 


IUCU  3CU1 

Auf  Grund  dieses  in  vier  verschiedenen  I  ormen  des 
Ikterus  übereinstimmenden,  gleichen,  mikroskopischen  Bildes, 
als  auch  hauptsächlich  dadurch,  dass  die  Leberzellen  sowohl 

bei  acutem,  als  auch  chronischem  Ikterus  keine  Galie- 
ablagerun gen  oder  kaum  Spuren  derselben  enthalten 
und  angesichts  dessen,  dass  bei  allen  diesen  verschie¬ 
denen  Formen  des  Ikterus  Galleablagerungen  inner¬ 
halb  intraacinöser  Blutcapillaren  auftreten,  gelangte 
ich  betreffs  der  Pathogenese  des  Ikterus  zu  folgender  An- 

Oben  habe  ich  angeführt,  dass  das  mikroskopische  Bild 
keinen  Anhaltspunkt  bietet  zur  Annahme  einer  Stauung  und 
Rückstauung  der  Galle  bis  in  die  feinsten  Gallengänge,  even¬ 
tuell  in  die  intracellulären  Anfänge  der  Gallenwege;  Stauung 
eventuell  Rückstauung  kann  nicht  die  Ursache  des  Uebertrittes 
der  Galle  aus  den  intercellulären  Gallengängen  in  die  Lymph- , 
eventuell  Blutgefässe  sein.  Es  muss  also  hier  eine  andere  Ur¬ 
sache  wirksam  sein,  welche  den  Uebertritt  der  Galle  in  den 

allgemeinen  Kreislauf  ermöglicht. 

In  Fällen,  wo  keine  Spur  irgend  welchen  makro-,  noch 
mikroskopischen,  mechanischen  Momentes  vorliegt,  versteht  sich 
von  selbst,  dass  irgend  ein  anderer  Umstand  bei  dem  Uebei- 
tritte  der  Galle  in  den  allgemeinen  Kreislauf  thätig  sein  muss. 

Aus  den  mikroskopischen  Bildern  der  Leberzelle  im 
Verlaufe  der  passiven  Hyperämie  der  Leber  beim  Menschen, 
wo  ein  gewisser  Theil  der  Erythrocyten  des  so  langsam  inner¬ 
halb  der  erweiterten  intraacinösen  Blutcapillaren  kreisenden 
Blutes  zu  Grunde  geht,  Hömoglobin  in  Lösung  geht  (vide: 
Intracelluläre  Gallengänge  etc.,  und:  Ueber  den  pathologischen 
Zustand  des  Kernes  der  Leberzelle  etc.),  aus  den  mikroskopi¬ 
schen  Bildern  der  Leberzelle  des  Hundes  nach  intravenöser 
Hämoglobin  injection  erhellt,  dass  die  Leberzelle  bedeutende 
Quantitäten  von  flüssigem  Hämoglobin  einsaugen  kann  (die 
Zelle  nimmt  am  Hineingelangen  des  Nähr-  und  Functions¬ 
materiales  thätigen  Antheil,  sie  verhält  sieb  nicht  passiv, 
dies  geschieht  nicht  auf  dem  Wege  der  Diffusion).  Aus  den 
mikroskopischen  Bildern  der  Leberzelle,  welche  ich  in  meinei 
Arbeit  über  Intussusception  der  Erythrocyten  durch  die  Lebet  - 
zelle  beschrieben  habe,  folgt,  dass  die  Leberzelle  unter  geeig¬ 
neten  Umständen  eine  grössere  Anzahl  von  Erythrocyten  auf¬ 
nehmen  kann.  Daraus  folgt,  dass  die  Leberzelle,  sobald  dieselbe 
auf  irgend  welche  Art  gereizt  ist,  mit  grösserer  Eneigie 
arbeiten  kann.  Einer  Steigerung  der  functionellen  Energie  ist 
natürlich  nur  eine  normale,  gesunde  Zelle  fähig,  welche  nachher 
das  Uebermass  des  Nähr-  und  Functionsmateriales  gehörig 
zu  Galle  verarbeiten  und  endlich  in  normaler  Richtung  nach 
den  intercellulären  Gallengängen  secerniren  kann.  Sowohl  ie 
Aufnahme  eines  Uebermasses  des  Materiales,  als  auch  die  ge- 
hörige  Verarbeitung  desselben  und  die  gänzliche  Ausschei¬ 
dung  des  Secretes  kann  nur,  ich  wiederhole  es  mit  Nachdruck, 
eine  normale,  gesunde  Leberzelle  ausführen.  Die  Lebet  zellen 
in  ikterischen  Lebern  innerhalb  der  Herde,  wo  Gallenablage¬ 
rungen  in  den  Blutcapillaren  sich  vorfinden,  enthalten  gerade 
keine  Gallenablagerungen  oder  manchmal  kaum  Spuren  davon, 
dahingegen  die  intercellulären  Gallengänge  mit  Galle  überfü  t 
sind,  wohin  Galle  nur  aus  den  Leberzellen  gelangen  konnte. 

Nebenbei  erwähne  ich,  dass,  meiner  Ansicht  nach,  dei 
Vorgang  des  Ausscheidens  der  Galle  aus  der  Leberzelle,  wobei 


die  Zelle  activ  thätig  ist,  die  Ursache  der  Gallebewegung  inner¬ 
halb  der  intercellulären  Gallengänge  nach  den  intratrabeculären 
und  weiterhin  nach  den  in  den  peripherischen  Theilen  der 
Leberacini  gelegenen,  mit  Epithel  bekleideten  Gallengängen  ist 9), 
welche  sich  mit  den  interlobulären  Gallengängen  verbinden. 

Die  übermässige  Quantität  von  Galle,  welche  von  der 
Leberzelle  in  die  intercellulären  Gallen gän  ge,  welche,  wie  aus 
meiner  Arbeit  über  den  Bau  der  intercellulären  Gallengänge 
und  ihr  Verhältniss  zu  den  Blutcapillaren  erhellt,  mit  den 
Blutcapillaren  in  Contact  sich  befinden,  ausgesebieden  wird, 
befindet  sieb  daselbst  unter  höherem  Drucke,  wodurch  die  sehr 
feinen  Wandungen  der  intercellulären  Gallengänge  und  Blut¬ 
capillaren  eingerissen  werden  und  Galle  sich  in  das  Blut  er¬ 
gibst.  Man  sieht  jedoch  sowohl  in  Fällen  von  acutem  wie  chroni¬ 
schen  Ikterus,  dass  die  Wandzellen  der  Blutcapillaren  (Tallen¬ 
ablagerungen  enthalten,  welche,  wie  dies  aus  meiner  Arbeit 
über°  den  Bau  der  Wand  der  Blutcapillaren  und  ihr  Verhältniss 
zu  den  Leberzellen  erhellt,  dorthin  unmittelbar  aus  den  Leber¬ 
zellen  gelangen  können,  abgesehen  davon,  ob  man  die  Existenz 
von  intracellulären  Ernährungswegen  in  der  Leberzelle,  welche 
mit  den  Wandzellen  der  Blutcapillaren  in  inniger  Verbindung 
sind,  was  ich  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  behaupten 
muss,  annimmt  oder  nicht. 

Wenn  man  die  Existenz  von  Ernährungswegen  m  der 
Leberzelle  annimmt,  welche  mit  den  Wandzellen  der  Blut¬ 
capillaren  in  innigem  Contact  sein  müssen  (vide:  Wie  und  in 
welcher  Form  wird  den  Leberzellen  Hämoglobin  zugeführt?  und: 
Ernährungswege  in  der  Leberzelle,  sowie:  Ueber  den  Bau  dei 
Wand  der  Blutcapillaren  und  ihr  Verhältniss  zu  den  Leber¬ 
zellen),  so  lässt  sich  das  Gelangen  von  Galle  in  die  Wand¬ 
zellen  der  Blutcapillaren  und  von  da  in  das  Blut  leiclH  er¬ 
klären.  Im  Falle  einer  übermässigen  Production  von  Galle 
durch  die  Leberzelle  kann  man  in  Folge  der  sehr  nahen  Lage 
der  intracellulären  Gallen-  und  Ernährungswege  einen  intra¬ 
cellulären  Durchbruch  von  den  Gallenwegen  in  die  Ernährungs¬ 
wege  annehmen  (vide:  Ernährungswege  in  der  Leberzelle),  wo¬ 
durch  ein  Ausscheiden  der  Galle  durch  die  Leberzelle  nach 
zwei  Richtungen  zu  Stande  käme,  nämlich  einerseits  nach  den 
intercellulären  Gallenwegen  und  durch  die  Wandzellen  der 
Blutcapillaren  hindurch  nach  den  Blutcapillaren. 

Auf  zweifachem  Wege  kann  daher  Galle  in  die  Blutbahn 
belangen.  Wie  immer  man  die  Art  und  Weise  des  Gelangens 
der  Galle  in  die  Blutbahn  erklären  möge,  so  unterliegt  dies 
keinem  Zweifel,  dass  sowohl  in  acuten  wie  in  chronischen 
Fällen  Gallenablagerungen  sich  in  den  Wandzellen  der  Blut¬ 
capillaren  stets  vorfinden.  Auf  Grund  aller  dieser,,  sowohl  in 
acuten  als  auch  chronischen  Fällen  von  Ikterus  sich  wieder¬ 
holenden  Bildern  erachte  ich,  dass,  obwohl  dies  paradox 
klingt,  die  Grundlage  des  Ikterus  in  der  über¬ 
mässigen  Thätigkeit  der  normalen,  gesunden 
Leber  zelle  zu  suchen  ist,  welche,  irgendwie  gereizt, 
ein  Uebermass  von  flüssigem  oder  in  Erythrocyten  enthaltenen 
Hämoglobin  aufnehmen,  dasselbe  verarbeiten,  ein  Uebermass 
von  Galle  produciren  und  dieselbe  gänzlich  ausscheiden  kann. 

Dass  die  Ueberfüllung  der  intercellulären  Gallengänge 
nicht  auf  einer  sich  steigernden  Erweiterung  der  Gallengänge 
innerhalb  der  Leber  im  Falle  des  Verschlusses  der  Gallengänge, 
nicht  als  Folge  einer  Stauung  oder  Rückstauung  der  Galle  be¬ 
trachtet  werden  kann,  bezeugt  dieser  Umstand,  was  ich  mit 
Nachdruck  hervorgehoben  habe,  dass  die  Leberzellen  keine 
Gallenablagerungen  enthalten,  was  doch  stattfinden  müsste, 
wenn  die  Galle  in  den  Gallenwegen  sich  anstauen,  ruck¬ 
stauen  würde  in  Folge  der  immer  mehr  sich  anfüllenden 
o-roberen  Gallenwege,  zweitens  beweist  dies  auch  der  Umstan  , 
dass  auch  in  Fällen,  wo  kein  mechanisches  Moment  wirksam 
sein  kann,  ein  ganz  gleiches  mikroskopisches  Bild  zum  °r- 
schein  kommt.  Das  mechanische  Moment  hat,  indem  es  mitte  - 
bar  passive  Hyperämie  innerhalb  der  Leberacini  auslost,  un¬ 
bestreitbar  eine  Bedeutung  und  Rolle  bei  dem  Entstehen  des 


9)  Im  Leberacinus  unterscheide  ich  vier  Kategorien  von  Galleugangen 
a)  intracelluläre,  b)  intercelluläre,  e)  intratraboculäre,  d, >  Gallengange  in  den 
peripherischen  Partien  des  Leberacinus,  welche  mit  Epithel  ausgekleidet  sind 
und  sich  in  die  interlobulären  Gallengänge  ergiessen. 


790 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ikterus  in  Folge  augenscheinlicher  Behinderung  des  Gallen¬ 
ahflusses.  Diese  passive  Hyperämie  wirkt  nicht  dadurch,  das 
die  intraacinösen  Gallengänge  durch  die  erweiterten  Blut- 
capillaren  comprimirt  wären,  sondern  weil  dadurch  den  Leber¬ 
zellen  mehr  Hämoglobin  zur  Verfügung  gestellt  ist.  Damit 
jedoch  die  Leberzelle  mehr  Material  aufnimmt,  einsaugt,  muss 
dieselbe  irgendwie  gereizt  sein,  sie  muss  zur  energischeren 
Function  angefacht  werden. 

Der  Ikterus  bei  Neugeborenen  entsteht,  meiner  Ansicht 
nach,  auf  dieselbe  Weise,  dafür  spricht  das  mikroskopische 
Bild,  welches  mit  den  Bildern  beim  künstlichen  Ikterus  des 
Hundes  und  des  chronischen  Ikterus  beim  Menschen  überein¬ 
stimmt. 

ln  Folge  der  Hyperämie  der  Leber,  welche  bei  Neu¬ 
geborenen  stets  vorhanden  ist,  der  gesteigerten  Function  der 
Leberzellen  nach  der  Nahrungsaufnahme,  des  gesteigerten  Zer¬ 
falles  der  Erythrocyten  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Geburt 
bestehen  also  dieselben  Verhältnisse  bezüglich  der  Production 
eines  Uebermasses  von  Galle  oder  wenigstens  von  Gallenfarb- 
stoff  durch  die  Leberzellen,  wie  beim  Thiere  nach  Toluilendiamin, 
wie  beim  Menschen  nach  mittelbarer  Einwirkung  des  mechani¬ 
schen  Momentes  oder  in  denjenigen  krankhaften  Zuständen, 
wo  Hämoglobin  innerhalb  der  Blutbahn  in  Lösung  kommt. 

Was  die  zweite  Frage  bezüglich  der  Pathogenese  des 
Ikterus  anbelangt,  nämlich  wo  und  auf  welchen  Wegen  Galle 
in  den  allgemeinen  Kreislauf  innerhalb  der  Leber  gelangt,  so 
beweisen  die  mikroskopischen  Bilder  in  Fällen  von  künstlichem 
acuten  Ikterus  beim  Hunde,  in  Fällen  von  acutem  Ikterus 
bei  Neugeborenen,  dass  von  Anfang  an  Galle  in  die  intra¬ 
acinösen  Blutcapillaren  gelangt,  was  auch  die  Bilder  in  Fällen 
von  chronischem  Ikterus  beim  Menschen  aufweisen. 

Schon  in  meinen  früheren  Arbeiten  (Bau  der  intercellu- 
lären  Gallengänge  und  ihr  Verhältniss  zu  den  Blutcapillaren, 
sowie  Bau  der  Wände  der  intraacinösen  Blutcapillaren  und  ihr 
Verhältniss  zu  den  Leberzellen)  habe  ich  hervorgehoben,  dass 
betreffs  der  Lymphgefässe  in  den  Leberacinis  grosse  Un¬ 
klarheit  herrscht.  Bei  dem  innigen  Contact  zwischen  den  Leber¬ 
zellen  und  den  Wandzellen  der  Blutcapillaren,  durch  welche 
hindurch  das  Nähr-  und  Functionsmaterial  sowohl  in  flüssigem, 
als  auch  festem  Zustande  (Erythrocyten)  in  die  Leberzelle 
gelangt,  erscheint  die  Existenz  perivasculärer  Lymph- 
räume  unmöglich  und  die  Lymphgefässe  können  in  der  Form 
und  Anordnung,  wie  sie  allgemein  beschrieben  und  angenommen 
werden,  nicht  existiren.  Die  Existenz  von  intraacinösen 
Lymphgefässen  ist  überhaupt,  meiner  Ansicht  nach,  sehr  pro¬ 
blematisch  und  ich  muss  Teichmann  beistimmen  (Ab¬ 
handlungen  der  mathematisch-naturhistorischen  Classe  der 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau,  Bd.  XXXIV),  welcher 
geradezu  behauptet,  dass  Lymphgefässe  innerhalb  der  Leberacini 
nicht  vorhanden  sind. 

Haben  die  Lymphgefässe  der  Leber  beim  Uebertritt  der 
Galle  in  den  allgemeinen  Kreislauf  gar  keinen  Antheil?  Meiner 
Ansicht  nach  sind  dieselben  aber  nur  in  beschränktem  Masse 
daran  betheiligt,  nur  geschieht  dies  nichtinner  halb 
der  Leberacini,  wo  Galle  direct  in  die  Blutbahn  ge¬ 
langt.  Dies  findet  statt  im  Bereiche  gröberer  Gallengänge,  in 
welchen  nach  Einwirkung  eines  mechanischen  Momentes,  be¬ 
sonders  nach  plötzlichem  Verschluss  des  Ductus  choledochu-n 
Galle  sich  ansammelt,  den  Choledochus  und  die  groben  Gallen¬ 
gänge  weiter  werden.  Von  hier  aus  kann  die  Resorption  der 
Galle  mittelst  der  Lymphgefässe  stattfinden. 

Damit  die  Unterbindung  des  Ductus  choledochus  ihren 
Einfluss  auf  den  Blutkreislauf  innerhalb  der  Leberacini  aus¬ 
üben  kann,  verstreicht  eine  gewisse  Zeit  und  erst  nach  Ent¬ 
wicklung  der  Circulationsstörung  innerhalb  des  intraacinösen 
Blutkreislaufes  entwickeln  sich  Verhältnisse,  welche  den  Ueber¬ 
tritt  der  Galle  in  die  Blutbahn  ermöglichen,  während  schon 
früher  aus  dem  überfüllten  Ductus  choledochus  und  den  gröberen 
intrahepatischen  Gallengängen  Galle  auf  dem  Wege  der  Lymph¬ 
gefässe  in  den  allgemeinen  Kreislauf  gelangen  könnte.  Nach 
Unterbindung  des  Ductus  choledochus  bei  Kaninchen,  bei 
welchem  im  Verhältniss  zum  Körpergewicht  verhältnissraässig 


viel  Galle  producirt  wird,  kann  mau  binnen  kurzer  Zeit  den 
Inhalt  des  Brustganges  gallig  gefärbt  finden. 

Dass  die  Galle  auch  auf  der  Lymphbahn  in  den  allge¬ 
meinen  Kreislauf  gelangen  kann,  dies  beweisen  alle  angeführten, 
verschieden  modificirten  Experimente,  bei  welchen  früher  oder 
später  Gallen farbstoff  in  der  Lymphe  nachgewiesen  werden 
konnte.  Dass  dies  wirklich,  wie  ich  es  mir  vorstelle,  auf  dem 
Wege  von  im  Bereich  der  groben  und  gröberen  Gallenwege 
vorfindliehen  Lymphgefässe  stattfindet,  dafür  kann  ich  zur  Zeit 
noch  keinen  mikroskopischen  Beweis  liefern;  nur  auf  diesem 
Wege  kann  der  Beweis  dafür  erbracht  werden  und  derselbe 
kann,  meiner  Ansicht  nach,  geliefert  werden. 

Die  Resultate  meiner  Untersuchungen  betreffs  der  Patho¬ 
genese  des  Ikterus  zusammenfassend,  gelange  ich  zu  folgenden 
Schlüssen : 

1.  Die  Grundlage  des  Ikterus  beruht  auf  der 
gesteigerten  Function  normaler  Leberzellen, 
welche,  durch  verschiedenartige  Einflüsse  an¬ 
gereizt,  grössere,  übermässige  Quantitäten  N  ä  h  r- 
und  Functions  materiales,  eventuell  Hämoglo 
bins  aufnehmen  undve  rar  beite  n,  einUeber  mass 
von  Galle,  respective  Gallenfarbstoff  prod  u- 
c  i  r  e  n  können. 

2.  Nur  eine  normale,  gesunde  Leberzelle, 
welche  ein  übermässiges  Nähr  mate  rial  auf¬ 
nehmen,  verarbeiten  und  dementsprechend  viel 
Galle,  respective  Gallenfarbstoff  zu  produciren 
vermag,  kann  dieses  Uebermass  von  Gallegänz¬ 
lich  in  die  intercellulären  Gallengänge  a  u  s- 
sc  beiden,  woher  und  t  heilweise  durch  die  Wand¬ 
zellen  der  Blutcapillaren  hindurch  dieGalle  in 
die  Blutbahn  gelangt. 

3.  Das  mechanische  Moment  hat  nur  einen 
mittelbaren  Einfluss  auf  die  Entstehung  des 
Ikterus,  indem  dadurch  i  n  t  r  a  a  c  i  n  ö  s  e  Kreislauf¬ 
störungen  innerhalb  der  Blutcapillaren  hervor¬ 
gerufen  werden. 

4.  Den  Weg,  auf  welchem  Galle  in  den  all¬ 
gemeinen  Kreislauf  gelangt,  bilden  die  Blut¬ 
capillaren  der  Leberacini  und  nur  in  beschränk¬ 
tem  Masse  die  Lymphgefässe  im  Bereichegrober 
G  a  1 1  e  n  w  e  g  e. 

5.  Alle  Formen  von  Ikterus  lassen  sich  auf 
die  angegebene  Weise  erklären,  d.  i.  durch  diege- 
steigerte  Function  der  Leberzellen,  durch  Pro- 
duction  eines  Uebermasses  von  Galle,  respective 
Gallenfarbstoffes. 


Aus  der  I.  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 

Prof.  Albert. 

Erfahrungen  mit  Dr.  C.  L.  Schleich’s  Marmor¬ 
staubseife. 

Von  Dr.  Ernst  Fuchsig,  Operationszögling. 

Eine  der  acutesten  Fragen  ist  jetzt  in  der  Chirurgie 
wohl  die  nach  der  Sterilisationsmöglichkeit  der  Hände  des 
Operateurs  und  der  Haut  des  Operationsfeldes.  Wenn  man  zu 
Beginn  der  antiseptischen  Aera  die  Hautkeime  mit  den  ge¬ 
bräuchlichen  Desinficientien  abzutödten,  d.  h.  ihnen  die  Keim¬ 
fähigkeit  zu  nehmen  sich  bestrebte,  huldigte  man  im  Banne 
der  chemischen  Desinfection  der  Antisepsis,  welche  nicht  Keim¬ 
freiheit,  wohl  aber  Sterilität  der  vorhandenen  Keime  verlangte. 
Die  Methode,  die  neben  vielen  anderen  allmälig  die  bevor¬ 
zugteste  wurde  und  auch  heute  noch  vielfach  vertreten  und 
fast  allenthalben  geübt  wird,  ist  die  Heisswasser-Alkohol- 
Sublim  atdesinfection  nach  Fürbringer.  Mit  derselben  kamen 
auch  die  bacteriologischen  Untersuchungen  der  Resultate  der 
Desinfection  auf.  Unvollkommenheiten  der  Untersuchungs¬ 
methoden  und  Vernachlässigung  von  Fehlerquellen  täuschten 
die  Untersucher  und  Hessen  sie  auf  ihre  Methoden  schwören, 
umsomehr,  als  die  unter  solchen  Cautelen  Operirten  in  eiuem 


Nr.  35 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


791 


hohen  Procentsatze  aseptischen  Wundverlauf  boten  F  u  r- 
b ring  er  selbst  spricht  dem  Alkohol  nur  Nebenwerth,  den 
Hauptwerth  der  l%0igen  Sublimatlösung  zu  Später  erstand 
dem  Alkohol  in  Ahlfeld  ein  begeisterter  Vertreter  der  noch 
im  Vorjahre  die  Alkoholdesmfection  m  der  Gebuitshilfe 
predigte,  weil  sie  für  die  kurze  Dauer  der  geburtshilflichen 
Eingriffe  Sterilität  der  Operateurshände  schaffe 

°  Mit  der  Verbesserung  der  Versuchstechnik  bei  der  bac- 
teriologischen  Nachprüfung  der  Desinfectionsresultate  stellte 
sich  allmälig  heraus,  dass  weder  der  Alkohol,  noch  das  Sublimat 
das  in  sie  gesetzte  Vertrauen  rechtfertigen,  dass  man  über¬ 
haupt  mit  den  gangbaren  Desinfectionsmethoden  Sterilität  der 
Hände  nicht  erreiche.  Man  tröstete  sich  mit  der  Beobachtung, 
dass  das  menschliche  Gewebe,  allerdings  je  nach  dem  Alige- 
meinzustande  des  Einzelindividuums  verschieden,  ein  gewisses 
Bacterienquantum  abzutödten  vermöge.  Döderleins  )  N ach- 
weis,  dass  sich  vom  Peritoneum  bei  länger  dauernden  Laparo¬ 
tomien  Keime  abimpfen  lassen,  beobachteter  aseptischer  VV  un 
verlauf  trotz  nachgewiesenen  Keimgehaltes  der  Operateurshande, 
erbrachten  den  Beweis,  dass  der  Organismus  gegen  die  VVund- 
keime  mit  eigenen  Mitteln  ankämpfe  und  bei  entsprechender 
Relation  zwischen  der  Virulenz  der  Keime  und  den  Alexmen 
des  Gewebssaftes  die  ersteren  vernichte. 

Mit  dem  Schwinden  des  Vertrauens  in  die  Wirksamkeit 
der  chemischen  Desinfectionsmittel  stieg  langsam,  aber  stetig, 
der  Werth  der  rein  mechanischen  Desinfection.  Man  kam  theils 
auf  dem  Wege  der  Conclusion,  theils  durch  experimentelle 
Beobachtungen  dahin,  dass  nicht  die  Tödtung  der  Keime, 
sondern  deren  Fortschwemmung  das  zu  erstrebende  Ziel  jeg¬ 
licher  chirurgischer  Reinigungsmethode  sein  müsse.  Man  ward 
sich  aber  bald  bewusst,  dass  man  da  ein  höchst  schwieriges 
Problem  vor  sich  habe,  indem  es  schwer  halten  wurde,  die  in 
den  Poren  und  Talgdrüsenausführungsgängen  steckenden  Keime 
wegzuschaffen,  umsomehr,  als  die  zu  stark  misshandelte  Haut 
mit  Ekzem  antworte.  Bürste  und  Seife  beherrschten  jetzt  die 
Desinfection,  Alkohol  und  Sublimat  wurden  nur  mehr  zur 
Beruhigung  des  chirurgischen  Gewissens  beibebalten.  Das  Pre¬ 
käre  der  Sterilisirung  der  Bürsten  einerseits,  andererseits  die 
überdies  nicht  befriedigenden  Resultate  der  Desinfection  in 
Bezug  auf  Keimfreiheit  der  Hände  führte  zur  Herstellung  ver¬ 
schiedener  neuer  Seifencompositionen.  Was  bei  der  Für  brin¬ 
ge  Eschen  Methode  ebenfalls  als  Nachtheil  empfunden  wurde, 
war  die  mehractige  Procedur.  Auch  da  sollte  Abhilfe  ge¬ 
schaffen  werden 

Bahnbrechend  auf  diesem  mühevollen  W  ege  war 
Schimmelbusch,  ihm  folgte  Sänger2),  beide  bestrebt, 
die  ganze  Händedesinfection  in  einem  einzigen  »mechanisch- 
physikalischen  Acte«  zu  ermöglichen.  Sänger  verwendete 
als  Erster  den  Quarzsand  als  Reinigungsbehelf.  Er  gebrauchte 
ihn  in  Verbindung  mit  Schmierseife. 

Auf  diesem  vorgezeichneten  Wege  weiterbauend  fühlte 
C.  L.  Schleich  nach  mehrjährigem  Bemühen  den  energi¬ 
schesten  Vorstoss  gegen  die  Fü  r  b  r  i  n  g  e  Esche  Desinfection  s- 
methode.  In  seinem  Buche  »Neue  Methoden  der  Wundheilung« 
verwirft  er  Alles,  was  bis  nun  als  Desinfectionsmittel  in  Vei- 
wendung  stand:  die  Bürste,  den  Alkohol  und  das  Sublimat 
und  setzt  an  deren  Stelle  eine  Seifencomposition  als  Frucht 
seiner  langjährigen  Bestrebungen,  ein  Mittel  ausfindig  zu 
machen,  welches  sowohl  Bürste,  als  die  chemischen  Desinti- 
cientien  überflüssig  macht  und  die  ganze  Procedur  dei  Hüne  e- 
sterilisation  in  einem  einzigen  Acte  ermöglichen  _  soll:  seine 
Marmorstaubseife.  Das  wirksame  Princip  derselben  ist  Marmoi- 
staub,  suspendirt  in  einem  Gemische  von  Harzseife  und  emei 
eigenen  ammoniakhaltigen  Stearin-  und  Wachspaste.  Dei  Am¬ 
moniakzusatz  unterstütze  als  Fettemulgens  die  Wirkung  <.  es 
Marmorstaubes.  Den  Wachszusatz  machte  er  in  der  Ei  wägung, 
dass  es  nicht  gelinge,  die  tiefen  Hautkeime  zu  entfernen,  diese 
aber  weiter  nicht  schaden  könnten,  würde  man  die  Haut  mit 
einer  undurchlässigen  Wachsschichte  überziehen.  Schleie  i 

1)  D  ö  d  e  r  1  e  i  n,  Die  Bacterien  aseptischer  Operationswunden.  Mün¬ 
chener  med'cinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  26. 

2)  M  Sänger  und  W.  O  d  e  n  t  h  a  1,  Medicinische  Bibliothek  tur 

praktische  Aerzte.  Nr.  31 — 33. 


berichtet  auch  über  die  mit  seiner  Seife  erzielten  Resultate 
er  erhielt  in  97%  der  controlirten  Fälle  Sterilität. 

Die  nicht  befriedigenden  Resultate  mittelst  der  Für- 
b  rin  ge  Eschen  Methode  waren  mit  den  glänzenden  Resul¬ 
taten  S  c  h  1  e  i  c  h’s  Veranlassung,  an  unserer  Klinik  die  Hände¬ 
desinfection  mit  der  Marmorstaubseite  zu  versuchen.  Dank 
dem  Entgegenkommen  der  Krankenhausapotheke,  welche 
genau  nach  Sch  leie  h’s  Angaben  die  Seife  in  vorzüglicher 
Weise  herstellte,  waren  wir  bald  in  der  Lage,  Schleich- 
Seife  zu  verwenden  und  bacteriologische  Untersuchungen  der 
mit  derselben  desinficirten  Hände  vorzunehmen. 

Die  Procedur  erfolgte  ganz  genau  nach  Schleich’s 
Angaben:  Möglichste  Kürzung  der  Nägel  wurde  immer  voraus- 
geschickt*,  gegen  Schluss  der  Waschung,  die  immer  mindestens 
fünf  Minuten  währte,  wurden  überdies  zur  energischeren  Be¬ 
arbeitung  der  Nagelnischen  sterile  Tupfer  mitverwendet. 

Die  Keimabnahme  erfolgte  anfänglich  nach  der  alten 
Kümme l’schen  Methode  mittelst  Eindrückens  der  Finger 
kuppen  in  in  Pe  t  r  i  -  Schalen  ausgegossenen  Agar.  Hierauf 
wurden  die  Platten  im  Brutofen  (37°)  durch  mindestens  vier 
Tage  beobachtet. 

In  den  meisten  dieser  Versuche  blieben  die  Platten 
steril.  Das  veranlasste  mich,  unter  Beibehaltung  des  Agars  als 
Nährbodens,  zur  Abimpfung  in  kochenden  Wasser  sterilisirte 
zugespitzte  harte  Hölzchen  zu  verwenden.  Mit  denselben 
wurden  gewöhnlich  Unternagelraum  und  Nagelfalz  ausgekratzt 
und  die  Hölzchen  dann,  da  eine  genaue  Zählung  der  etwa 
aufgehenden  Keime  nicht  beabsichtigt  war,  direct  in  den  ver¬ 
flüssigten  Agar  geworfen,  die  Platten  durch  mehrere  Tage  im 
Brutofen  beobachtet.  Natürlich  wurden  die  verwendeten  Hölz¬ 
chen  auf  ihre  Sterilität  controlirt. 

Die  Resultate  der  Versuche  blieben  hinter  denen 

S  c  h  1  e  i  c  h’s  sehr  zurück. 

Bei  33  ausgeführten  Versuchen  blieben  die  Platten  nur 
viermal  steril.  In  den  übrigen  Fällen  war  meistens  schon  nach 
24  Stunden  stärkeres  oder  schwächeres,  von  den  Hölzchenspitzen 
ausgehendes  Wachsthum  zu  beobachten.  Der  Umstand,  dass 
die &  vier  steril  gebliebenen  Platten  gleich  im  Beginne  dieser 
Versuchsreihe  beobachtet  wurden,  bei  der  zweiten  Hälfte  dieser 
Reihe  aber  kein  einziges  Mal  Sterilität  erzielt  wurde,  lässt  es 
wahrscheinlich  erscheinen,  dass  die  angeführten  vier  Platten 
nur  in  Folge  zu  wenig  energischer  Keimabnahme  steril  blieben, 
denn  sonst  hätte  sich  wohl  auch  später  eine  unterbrochene 

Reihe  ergeben  müssen.  1  „  . 

Die  Zahl  der  Keime  war  nach  einer  bestimmten  Zeit 

verschieden  gross,  doch  glaube  ich,  dass  dieser  Befund  mein 
von  der  Wachsthumsenergie  als  von  der  Zahl  der  übertragenen 

Keime  abhängt.  .  rT  ,  .  .  ,  u. 

Ich  halte  auch  den  Beweis,  dass  eine  Hand  keimhaitiger 

war  als  eine  andere,  durch  die  grössere  Anzahl  der,  sagen 
wir  nach  24  Stunden  constatirten  Keime  noch  nicht  erbracht. 
Da  muss  doch  auch  die  Art  und  Wachsthumsenergie  der 
übertragenen  Keime  berücksichtigt  werden. 

Bei  einigen  Versuchen,  wo  zuerst  von  den  unreinen 
Händen  abgeimpft  und  dieselben  nach  vollzogener  peinlicher 
Waschung  einer  zweiten  Prüfung  unterzogen  wurden,^  ergab 
sich  die  anfänglich  paradoxe  Erscheinung,  dass  von  aen  un¬ 
reinen  Händen  weniger  Keime  aufgingen  als  von  den  ge¬ 
waschenen.  Dieser  constante  Befund  lässt  sich  nach  meiner 
Meinung  auf  zweierlei  Weise  erklären.  Entweder  die  Zahl  der 
oberflächlichen  Keime,  denn  nur  die  nimmt  das  Hölzchen  a  >, 
war  in  den  erwähnten  Fällen  eben  zufälliger  V  eise  gering, 
die  Seife  legte  aber  in  Folge  ihrer  stark  macerirenden 
Wirkung  die  tiefer  liegenden  Keime  blos,  welche  dann,  uber¬ 
impft,  wucherten.  Oder  aber  die  Wachsthumsenergie  der  tiefen 
Keime  war  grösser  als  die  die  der  oberflächlichen,  m  Edge 

dessen  die  Wucherung  eine  stärkere.  T, 

Eine  weitere  Versuchsreihe  wurde  ausgefuhrt,  um  Kennt- 
niss  zu  erhalten  von  der  Wirksamkeit  der  Marmorstaubseite 

bei  künstlich  inficirten  Händen. 

Ich  verwendete  Aufschwemmungen  von  1  rodigiosus- 
culture»,  verrieb  sie  an  den  Händen  und  liess  sie  antrocknen. 
Von  diesen  Händen  gingen  neben  anderen  immer  rodigiosus 


792 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


keime  auf.  Wurden  die  Hände  dann  mit  Marmorseife  ge¬ 
waschen  und  hierauf  abgeimpft,  so  zeigte  keine  der  Platten 
Prodigiosuskeime,  wohl  aber  andere  Bacterien arten. 

Fasst  man  die  angeführten  Resultate  zusammen,  so  ergibt 
sich,  dass  die  Marmorstaubseife  wohl  im  Stande  ist,  künstlich 
in ficirte  Hände  von  der  aufgetragenen  Bacterienart  zu  be¬ 
freien,  dass  aber  Keimfreiheit  der  Hände  mit  derselben  nicht 
zu  erzielen  ist.  Immerhin  gelingt  es,  die  Zahl  der  Keime  auf 
ein  vom  Durchschnittsorganismus  zu  bewältigendes  Mass  zu 
reduciren.  Das  beweisen  auch  die  Operationsresultate  der 
letzten  Zeit  an  der  Klinik,  welche  denen  der  früheren  Zeit, 
wo  die  F  ü  r  b  r  i  n  g  e  r’sche  Methode  ausschliesslich  gehand- 
habt  wurde,  analog  blieben. 

Wie  ist  es  nun  möglich,  dass  Schleich  in  97°/0  der 
Fälle  Sterilität  erzielen  könnte,  wo  es  mir  und,  wie  später  er¬ 
wähnt  wird,  Anderen  kaum  einmal  gelang?  Das  erklärt  sich 
sofort,  betrachtet  man  S  c  h  1  e  i  c  h’s  Controlmethode.  Er  be¬ 
gnügt  sich,  von  den  gewaschenen  Händen  mit  einer  weichen 
Platinöhr  oder  Platinnadel  abzuimpfen.  Diese  Art  der  Abimpfung 
ist  aber  ganz  ungenügend,  die  Resultate  daher  gar  nicht  be¬ 
weisend.  Die  Methode  ist  ungefähr  der  auch  von  mir  anfangs 
geübten  Fingereindruckmethode  gleichzusetzen.  Beide  Methoden 
liefern  unrichtige  Resultate. 

Zur  Desinfection  des  Operationsfeldes  wurde  die  Marmor¬ 
seife  nur  anfangs  verwendet.  Es  stellte  sich  nämlich  bald  heraus, 
dass  sie  gegenüber  der  hier  bisher  gebräuchlichen  Waschung 
mit  Holzwollbauschen  und  Seife  nur  Nachtheile  bietet,  so  die 
schwierige  Entfernung  des  Marmorstaubes,  der  auch  bei  inten¬ 
siver  Wasserspülung  noch  haftet,  was  auch  ihre  Anwendung 
an  behaarten  Stellen  sehr  erschwert.  Vortheilhaft  ist  ihre  Ver¬ 
wendung  zur  Reinigung  von  Vagina  und  Rectum,  obwohl  man 
hier,  da  man  wohl  Sterilität  des  Cavums  nicht  erwartet,  mit 
Seife  und  Holzwolle  dasselbe  erreicht.  Die  Marmorseife  zur 
Mundreinigung  zu  verwenden,  bleibt  wohl  Geschmacksache. 

Hat  auch  die  Marmorseife  in  Bezug  auf  Desinfection  der 
Hände  nicht  gehalten,  was  Schleich  ihr  nachsagte,  so  hat 
sie  gegenüber  der  F  ü  r  b  r  i  n  g  e  r’schen  Methode  doch  viele 
Vortheile,  die  nicht  unerwähnt  bleiben  dürfen.  Der  wichtigste 
Vortheil  ist  die  Schonung  der  Operateurshände.  Da  man  an 
die  rücksichtslose  Misshandlung  der  Haut  mit  der  Bürste  ge¬ 
wöhnt  war,  hatte  man  anfänglich  das  Empfinden,  als  könnte 
eine  so  sanfte  Behandlung  nicht  dasselbe  leisten,  wie  das 
Schinden  mit  der  Bürste.  Ekzem  und  Folliculitiden  blieben 
seit  Einführung  der  Marmorstaubseife  aus. 

Das  Gefühl  des  »Gebohntseins«  ist  exquisit,  wie  es  aber 
mit  dem  praktischen  Werthe  des  theoretisch  sehr  plausiblen 
Vortheiles  des  Wachsüberzuges  steht,  ist  eine  andere  Frage, 
deren  Lösung  mir  vorläufig  nicht  gelang.  Jedenfalls  aber 
schwindet  die  Empfindung  des  Gebohntseins  bei  länger  dauern¬ 
den  Operationen.  Sehr  zu  beherzigen  ist  die  von  Schleich 
empfohlene  Pflege  der  Nägel  und  Hände  auch  ausser  der 
Operationszeit. 

Diese  Arbeit  wurde  begonnen,  bevor  noch  eine  Publication 
über  die  Erfahrungen  mit  der  S  ch  1  e  i  c  h’schen  Seife  be¬ 
kannt  Avar. 

Inzwischen  hat  Sänger3)  in  seinen  »Aphorismen  über 
mechanische  Desinfection  und  Infectionsprophylaxe«  die 
S  c  h  1  e  i  c  h  -  Seife  besprochen,  deren  Vorzüge  hervorgehoben, 
aber  auch  auf  die  Unvollkommenheit  der  bacteriologischen 
Controlmethoden  aufmerksam  gemacht.  Auf  seine  Anregung  hin 
machten  seine  Assistenten,  Schenk  und  Zaufal4)  Versuche 
mit  der  Seife.  Sie  kamen  zu  dem  Resultate,  dass  Sterilität  der 
Hände  nicht  zu  erzielen  sei,  schlugen  vor,  nach  der  Waschung 
mit  Marmorseife  noch  Alkohol  und  Sublimat  anzuvrenden. 
Auch  diese  Resultate  controlirten  sie  auf  Sterilität.  Ihre 
Platten  blieben  in  73%  der  Versuche  steril;  es  ist  aber 
nicht  angegeben,  ob  sie  nach  der  Sublimatwaschung  das  Subli¬ 
mat  blos  mit  sterilem  Wasser  abspülten,  oder  nach  G  e  b  b  e  r  t 
mit  Sclnvefelammonium  ausfällten. 


3i  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  2. 

4)  Bacteriologisches  zur  mechanisch-chemischen  Desinfection  der 

Hände.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  15. 


Ganz  ungünstige  Resultate  erhielt  Sarwey5):  in  zwölf 
von  ihm  untersuchten  Fällen  keinmal  Sterilität. 

Ich  habe  auch  die  Combination  S  c  h  1  e  i  c  h  -  Seife- Alko¬ 
hol-Sublimat  versucht,  erhielt  aber  nur  unwesentlich  bessere 
Resultate,  beobachtete  allerdings  das  Postulat  Gebbert’s, 
das  Sublimat  vor  der  Impfung  mit  Schwefelammonium  aus¬ 
zufällen. 

Nach  den  Erfahrungen,  die  wir  an  der  Klinik,  wo  die 
Marmorseife  seit  mehr  als  einem  halben  Jahre  in  Verwendung 
steht,  machten,  kann  ich,  trotz  der  ungünstigen  Impfresultate, 
die  S  c  h  1  e  i  c  h  -  Seife  ob  ihrer  anderen  obgenannten  Vorzüge 
nur  empfehlen.  Sie  bedeutet  jedenfalls  einen  Fortschritt  in  der 
Frage  der  rein  mechanischen  Desinfection  der  Hände. 


REFERATE. 

Statistische  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Scrophulose 

Von  Prof.  Monti,  Wien. 

(Separatabdruck  aus  dem  Archiv  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XXVI. 

Diese  fleissige  statistische  Arbeit  umfasst  ein  Material  von 
610.000  Kranken,  Avelche  auf  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien 
behandelt  AAmrden  sind.  Monti  unterscheidet  darin  drei  Stadien  von 
Scrophulose.  In  das  erste  Stadium  reiht  er  alle  diejenigen  Fälle 
von  Ernährungsstörungen  ein,  welche  in  mangelhaftem  histologischem 
Aufbau  der  Gewebe,  soAvie  in  uirvollkommen  vor  sich  gehendem 
Stoffwechsel  ihren  Grund  haben,  Solche  Kinder  besitzen  eine  schlaffe 
Musculatur,  ein  schlecht  gebildetes  Fettpolster,  torpide  oder  erethische 
Beschaffenheit  der  Haut,  abnorm  zarten  Knochenbau,  Anämie,  Herz- 
sclrwäche  und  leichte  hypertrophische  Schwellungen  der  Lymph- 
drüsen. 

Als  ZAveites  Stadium  der  Scrophulose  Avird  man  alle  jene 
Fälle  bezeichnen  müssen,  avo  die  eben  beschriebene  Ernährungs¬ 
störung  vorliegt  und  überdies  durch  äussere  Einflüsse  bedingte  ent¬ 
zündliche  Processe  der  Haut  der  Schleimhäute  und  des  Periosts, 
Processe,  Avelche  sich  eben  durch  ihre  geringe  Tendenz  zur 
Heilung  und  durch  die  vielen  Recidiven  auszeichnen. 

Für  diese  beiden  Krankheitsgruppen  ist  man  nicht  berechtigt, 
Tuberculose  als  Grundursache  anzunehmen. 

Mit  dem  dritten  Stadium  endlich  bezeichnet  Monti  den 
Ausgang  des  scrophulösen  Processes  in  locale  Tuberculose. 

Die  von  dem  Autor  gezogenen  Schlussfolgerungen  summiren 
sich  in  folgenden  allgemeinen  Sätzen: 

1.  Die  Unterscheidung  zAvischen  Scrophulose  und  Tuberculose 
muss  noch  aufrecht  erhalten  Averden  und  bezieht  sich  nur  auf  die 
ersten  zAvei  Stadien,  wo  eben  der  Nachweis  der  tuberculösen  Pro- 
ducte  fehlt. 

2.  Die  Häufigkeit  der  Scrophulose  beträgt  ungefähr  9%  aller 
zur  Behandlung  kommenden  Erkrankungen. 

3.  Die  Scrophulose  kommt  am  häufigsten  im  Alter  von  einen 
bis  fünf  Jahren  vor. 

4.  Die  Heilbarkeit  der  Scrophulose  ist  nach  den  Stadien  ver¬ 
schieden. 

5.  Die  Mortalität  beträgt 

für  das  erste  Stadium  kaum  ...  1% 

»  »  zweite  »  ungefähr  .  .  3% 

»  »  dritte  »  über  .  .  .  8%. 

6.  Die  Todesursachen  sind  im  ersten  Stadium  vonviegend 
Tuberculose  der  inneren  Organe,  im  ZAveiten  Stadium  Tuberculose 
der  Lunge  und  des  Darmes  und  im  dritten  insbesondere  Meningitis 
tuberculosa  und  amyloide  Entartung  der  inneren  Organe. 

G  a  1  a  1 1  i. 


Syphilis. 

Von  Dr.  I.  Neumann,  k.  k.  o.  ö.  Professor  der  Dermatologie  und  Syphilis 

an  der  Universität  Wien. 

Spezielle  Pathologie  und  Therapie,  herausgegeben  von  Hofratb  H.  Noth 

n  a  g  e  i. 

Bd.  XXIII,  zweite  Auflage. 

Wien  1899,  A.  Holder. 

Dass  in  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  —  drei  Jahre  nach 
dem  Erscheinen  der  ersten  Auflage  —  schon  eine  ztveite  heraus- 

r>)  Experimentaluntersuchungen  über  Händedesinfection.  Archiv  für 
klinische  Chirurgie.  Bd.  LXI. 


Nr.  35 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


793 


gegeben  werden  musste,  legt  Zeugniss  für  die  ausserordentlich 
günstige  Aufnahme,  die  das  genannte  Werk  gefunden  hat,  ab.  Der 
Umfang  der  vorliegenden  zweiten  Auflage  ist  ein  erheblich  geringerer 
o-eworden  und  einzelne  Capitel,  wie  das  von  Kahane  bearbeitete  über 
die  Nervensyphilis,  ferner  der  Abschnitt  über  die  hereditäre  Lues, 
sowie  der  Abschnitt  über  die  Behandlung  der  Syphilis  und  andere 
wurden  wesentlich  eingeengt.  Die  hiedurch  erzielte  Kürze  und  Ge¬ 
drängtheit  der  Besprechung  sind  anerkennenswerthe  Vorzüge  der 
zweiten  Auflage,  und  hat  dadurch  die  Uebersichtlichkeit  und 
Klarheit  wesentlich  gewonnen. 

L  Neumann  vertritt  unentwegt  die  Dualitätslehre  und  hält 
in  dem  Capitel  der  Therapie  an  dem  bekannten  Standpunkt  der 
Wiener  Schule,  der  immer  mehr  Anhänger  gewinnt,  fest.  Von  den 
beigegebenen  60  Abbildungen  sind  einzelne  bedeutend  besser  und 
zarter  ausgeführt,  als  in  der  ersten  Auflage.  Zum  Ersatz  für  einige 
fortgebliebene  Bilder  sind  neue,  sehr  gut  wiedergegebene,  eingefügt 
worden,  von  denen  wir  Fig.  59  und  60:  Jodexantheme,  erwähnen 
wollen.'  Wir  halten  es  für  zweifellos,  dass  das  Werk  in  seiner 
neuen  Gestalt  seine  zahlreichen  alten  Freunde  behalten  und  viele 
neue  gewinnen  wird.  Prof.  M.  v.  Z  e  i  s  s  1. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 


306.  Zwei  Fälle  Addison’ scher  Krankheit.  Von 
Bianchini.  Verfasser  berichtet  über  zwei  Fälle  Addison¬ 
scher  Krankheit,  bei  denen  Tuberculose  beider  Nebennieren  ge¬ 
funden  wurde.  Im  Bauch-  und  Halssympathicus  waren  die  Altera¬ 
tionen  nicht  bedeutend:  Leichte  Ghromatolyse,  spärliche  Kern¬ 
veränderungen,  Pigmentdegeneration;  in  den  Gentralorganen:  totale 
Chromatolyse;  Verschwinden  der  Kernes,  Zertrümmerung  der 
Protoplasmafortsätze,  primäre  Degeneration  einiger  Rückenmarks¬ 
stränge.  Dieser  Befund  widerspricht  der  Meinung  Derjenigen,  welche 
die  asthenischen  Symptome  durch  Alteration  des  Sympathicus  er¬ 
klären,  oder  Derjenigen,  welche  die  Bronzekrankheit  als  primäre 
Erkrankung  des  Bauchsympathicus  ansehen.  In  beiden  Fällen  be¬ 
standen  tiefe  Veränderungen  im  Gehirn  und  Rückenmarke;  in 
einem  mit  Koma  und  Convulsionen  endenden  überwogen  die 
Rindensymptome.  So  sehr  auch  eine  beträchtliche  Alteration  der 
P  u  r  k  i  n  j  e’schen  Zellen  bestand,  so  kann  dieser  die  hochgradige 
Asthenie  in  beiden  Fällen  nur  schwer  zugemessen  werden.  Die 
Degeneration  der  Hinter-  und  zum  Theile  der  Seitenstränge  hatte 
durchwegs  primären  Charakter  mit  bedeutenden  Veränderungen  der 
Achsencylinder  durch  Carmin  nachgewiesen.  Die  Strangdegeneration 
war  von  Gefässveränderungen,  Bindegewebsproliferation,  myelitischen 
Herden  u.  s.  w.  unabhängig.  —  (Gaz.  degli  Ospedali  Nr.  90, 

29.  Juli  1900.)  SP- 

* 


302.  Exstirpation  vonFibromen  bei  Erhaltung 
des  Uterus.  Von  Tuffier.  Wiewohl  die  Hysterektomie  beider 
Behandlung  der  Uterusfibrome  von  den  Chirurgen  jetzt  vorzugsweise 
gehandhabt  wird,  wurde  in  mehreren  Hundert  von  Fällen  die  ab¬ 
dominale  Hysterotomie  ausgeführt,  die  Enucleation  des  fibrösen 
Tumors  bei  Erhaltung  des  Uterus  und  seiner  Adnexe.  Unter  15 
von  Tuffier  Operirten  verlor  er  nur  eine  durch  peritoneale 
Septikämie.  Die  Hysterotomie  hat  selbstverständlich  grössere  tech¬ 
nische  Schwierigkeiten  als  die  Hysterektomie.  —  (La  Semaine 

Med.  1900,  Nr.  31.)  SP- 

* 

303.  Ueber  die  Bedeutung  der  Gaumentonsillen 

von  Kindern  als  Eingangspforte  für  die  tuber¬ 
culose  Infection.  Von  Dr.  Friedmann  (Berlin).  Ein  reiches 
von  Todten  und  Lebenden  gewonnenes  Untersuchungsmaterial  scheint 
folgende  Schlüsse  zuzulassen.  Die  Tonsillartuberculose  entsteht 
secundär  durch  bacillenhaltiges  Sputum  oder  primär  durch  Infection 
mit  Nahrung.  Letztere  Behauptung  ist  umsomehr  von  Interesse, 
als  andere  Autoren,  darunter  Koch  selber,  die  Ansicht  vertreten, 
dass  es  sehr  fraglich  sei,  ob  jemals  ein  Fall  von  menschlicher 
Tuberculose  sich  habe  einwandfrei  auf  den  Genuss  von  Fleisch 
oder  Milch  tuberculöser  Thiere  zurückführen  lassen. 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  24.)  Pi. 

* 

304.  Ueber  eine  nach  11  Jahren  geheilte 

Aphasie.  Von  Antony.  Der  von  einer  rechtsseitigen  Hemiplegie 
in  Folge  eines  apoplektischen  Anfalles  betroffen  gewesene  Kranke 
lag  vier  Tage  bewusstlos  und  konnte  hernach  nicht  mehr  sprechen; 
er  antwortete  nur  wenige  einsilbige  Worte,  Wiederholung  des  Ge¬ 
fragten.  Weder  Worttaubheit,  noch  Wortblindheit.  Diagnose:  Mo¬ 
torische  'corticale  Aphasie,  wahrscheinlich  auf  Zerstörung  des  Fusses 
der  dritten  linken  Stirnwindung  durch  einen  hämorrhagischen  Herd 
beruhend.  Erst  elf  Jahre  später  begann  die  Wiederherstellung  der 
Sprache,  so  dass  der  Kranke  jetzt  einige  Worte  deutlich  sprechen 
kann.  —  (La  Semaine  Med.  Nr.  31.  25.  Juli  1900.)  Sp. 

* 

305.  Drei  Fälle  von  intracranieller  Complica¬ 
tion  bei  acuter  Mittelohreiterung.  Von  Prol .  B  e  z  o  1  d 
(München).  Es  wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  nicht  nur 
die  jahrelang  bestehenden  Mittelohreiterungen  das  Leben  bedrohende 
Folgezustände  hervorrufen  können,  sondern  dass  dieselben  auch 
nach  frischen  Fällen  eintreten  können.  Als  Beispiel  hiefür  werden 
drei  Fälle  von  eiterigem  Mittelohrkatarrh  angeführt,  in  denen  es  in 
einem  nach  acht  Wochen  zur  Entstehung  eines  Gehirnabscesses, 
in  einem  zweiten  nach  vier  Wochen  zu  einer  Sinusphlebitis  und 
im  dritten  Falle  zu  einem  Senkungsabscess  am  Halse  gekommen 
war.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  22.) 

* 


307.  Die  Vererbung  des  Locus  minoris  resi- 

stentiae  bei  der  Lungentuberculose.  Von  Doctor 
Turban  (Davos).  Nach  der  Ueberzeugung  des  Verfassers  hätte 
man  sich  das  Auftreten  der  Tuberculose  bei  verschiedenen  Genera¬ 
tionen  einer  Familie  in  der  Weise  zu  erklären,  dass  ein  bestimmter 
Theil  der  Lunge,  welcher  minderwerthig  geworden  sei,  gewisser- 
massen  verkümmert  vererbt  werde  und  derselbe  in  der  Folge 
immer  einer  Infection  besonders  zugänglich  sei.  Man  muss  sich 
dabei  auch  an  die  von  B  i  r  c  h  -  Hi  r  s  c  h  f  e  1  d  gefundene  That- 
sache  erinnern,  dass  der  zu  einer  Lungenspitze  gehörige  Bronchus 
nicht  gar  so  selten  verkümmert  ist  und  dieser  Zustand  sich  eben 
falls  vererben  kann.  Diese  Anschauung  würde  dadurch  gestützt 
werden,  wenn  sich  bei  Eltern,  Kindern  und  Geschwistern  immer 
dieselbe  Lunge  als  zuerst  erkrankt  erweisen  würde.  Turban  hat 
nach  dieser  Richtung  hin  in  den  letzten  acht  Jahren  55  Familien 
mit  121  Personen  untersucht  und  in  80%  der  Fälle  die  Tuber¬ 
culose  bei  den  Verwandten  immer  an  derselben  Stelle  zuerst  auf¬ 
tretend  vorgefunden.  —  (Zeitschrift  für  1  uberculose  und  Heil¬ 
stättenwesen.  Bd.  I,  Heft  1  und  2.)  PT 

* 

308.  In  der  Sitzung  vom  27.  Juni  1900  der  königlichen 
Akademie  Peloritana  zu  Messina  demonstrirte  Gab  bi  einen  schweren 
Fall  von  completer  Verschmelzung  der  Wirbel¬ 
säule,  der  Hüft-  und  Kniegelenke  mit  Deformation  der  Gelenks¬ 
köpfe.  (La  Riform.  med.  12.  Juli  1900.)  Die  Tibio-Tarsalgelenke 
wenig  betheiligt.  Obere  Extremitäten  frei.  Polyarthritis  rheumatica 
vorausgegangen.  Der  Kranke  bewegt  sich  aul  allen  viel  Gliedern 

mühsam  vorwärts.  —  (Gaz.  degli  Ospedali.  1900,  Nr.  88.) 

Sp. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 


Ueber  Milchklystiere  bei  schwerer  Hämoptoe. 
Von  Dr.  Aronsohn  (Nizza).  Die  Hämoptoe  batte  in  einem  Falle 
schon  durch  zehn  Tage  bestanden,  die  üblichen  Mittel  hatten  sich  als 
erfolglos  erwiesen;  nach  einem  Einlauf  von  Milch  und  Aussetzen  jeg¬ 
licher  Nahrung  war  die  Blutung  sofort  zum  Stillstände  gekommen.  - 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  31.) 

* 


Ueber  Ichthargan.  Von  Dr.  Aufrecht  (Beilin). 
Das  pulverförmige,  im  Wasser  lösliche,  durch  hohen  Silber-  und 
[chthyolgehalt  ausgezeichnete  Präparat  wurde  von  Verfasser  geprüft 
und  soll  sich  bei  relativer  Ungiftigkeit  durch  einen  hohen  Grad  oac- 
tericider  Kraft  und  Tiefenwirkung  auszeichnen.  (Deutsche  me<  ici- 

nische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  31.) 

* 

K  a  t  a  p  1  a  s  m  e  n  bei  gonorrhoischer  Arthritis  und 
Tendovaginitis,  sowie  anderen  Complication  e  n  t  er 
Gonorrhoe.  Von  Freudenberg  (Berlin).  Verfasser  behandelt 
die  genannten  Affectionen  seit  acht  Jahren  mit  Ivataplasmen,  die  mog- 


794 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


liehst  heiss,  beständig  (eventuell  Tag  und  Nacht)  und  so  umfangreich 
angelegt  werden,  dass  sie  das  ganze  Gelenk  einhüllen.  Auf  diese 
Weise  wurden  acute  und  chronische  Arthritiden  gonorrhoischer  Natur, 
bei  denen  ja  die  Salicylpräparate  gewöhnlich  ganz  wirkungslos,  in  sehr 
günstiger  Weise  behandelt.  Von  Kälteanwendung  hat  Verfasser  keinen 
günstigen  Eindruck  gewonnen,  einen  direct  schädlichen  sogar  von  der 
vielfach  geübten  Behandlung,  gonorrhoische  Gelenke  mit  immobilisirenden 
Verbänden  zu  behandeln.  Ebenso  wendet  Verfasser  bei  der  acuten 
gonorrhoischen  Prostatitis  nebst  Ichthyolsuppositorien  gleich  am  Damme 
angelegte  heisse  Kataplasmen  an.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart. 
1900,  Nr.  8.) 

* 

Das  als  Antidiarrhoicum  bekannte  T  a  n  n  i  g  e  n  kommt 
nun  auch  in  Form  von  Tabletten  (ä  0'5)  in  den  Handel,  welche  sich 
in  Wasser  leicht  lösen  und,  abgesehen  von  der  bequemen  Darreichungs¬ 
form,  den  Vortheil  haben,  billiger  zu  sein  als  die  abgetheilten  Pulver. 

* 

Zur  Iländedesinfection,  nebst  Bemerkungen 
über  Ly  so  form.  Von  Strassmann  (Berlin).  Verfasser  benützt 
das  Lysoform  seit  Herbst  1899  ausschliesslich  als  Desinficiens  in  der 
geburtshilflichen  Praxis,  als  2— 3°/0ige  Lösung  zur  Händedesinfection, 
zu  1%  für  Scheidenspülungen,  zu  7* — 1%  für  Blasenspülungen.  Der 
Katheter  kann  direct  aus  der  Lysoformlösung  entnommen  werden. 
Weder  Instrumente  noch  Wäsche  werden  von  Lysoform  angegriffen 
und  da  es  selbst  rein  nicht  ätzt,  kann  es  Patientinnen  unbedenklich 
in  die  Hand  gegeben  werden.  Lysoform  stellt  eine  klare,  gelbe,  mit 
Wasser  und  Alkohol  in  jedem  Verhältnisse  mischbare  Flüssigkeit  dar, 
die  hinsichtlich  ihrer  Desinfectionskraft  nicht  an  das  Sublimat  heran¬ 
reicht  und  auch  gegenüber  Lysol  das  doppelte  Procentverhältniss 
erfordert.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  8.) 

* 

(Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  zu  Budapest.)  Klinische 
Erfahrungen  über  zwei  neuere  Heilmittel.  Von  Doctor 
v.  Ketly.  Verfasser  fand  das  Dormiol,  eine  ölige  Chloral-A mylen- 
hydratverbindung,  als  ein  „ausgezeichnetes,  sicher  wirkendes,  unange¬ 
nehmer  Nebensymptome  entbehrendes  und  hinreichend  billiges  Schlaf¬ 
mittel“,  das  in  allen  Fällen  gebraucht  werden  kann,  wo  der  Gebrauch 
eines  reinen  Hypnotieums  indicirt  erscheint.  Verabreichte  Dosis:  ein 
Kaffeelöffel  einer  10%igen  wässerigen  Lösung.  —  Weiters  wurden 
Versuche  mit  dem  Oxykiimpher  angestellt,  *  dessen  Wirkung  darin 
besteht,  dass  bei  Dyspnoischen  die  Athembewegungen  tiefer  und  regel¬ 
mässiger  werden.  Das  Mittel  erwies  sich  besonders  gegen  die  bei  Herz- 
und  Nierenkrankheiten  auftretende  Dyspnoe  wirksam.  Formel: 

Rp.  Oxycamphor.  (50%)  10-0, 

Spir.  vini  reet.  20  0, 

Succ.  liquir.  10*0, 

Aq.  dest.  150  0. 

M.  I).  S.  Dreimal  täglich  ein  Esslöffel. 

(Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  8.) 

* 

Dr.  G  o  1 1  h  e  i  1  hatte  eine  acute  eiternde  Balgent¬ 
zündung  (Folliculitis  der  Kopfhaut)  bei  einer  1 6jährigen 
Patientin  mit  einer  3%igen  Xeroform-Olivenölsuspension  behandelt. 
Wiewohl  es  in  Folge  der  Erkrankung  zu  einem  gänzlichen -Verlust  des 
Kopfhaares  gekommen  war,  soll  durch  die  genannte  Behandlung  inner¬ 
halb  weniger  Monate  das  Haar  wieder  vollständig  regenerirt  sein.  — 
(Med.  Record.  9.  Juli  1900.) 

* 

Dr.  H.  Moore  spricht  sich  über  die  Verwendung  des  Actol 
bei  der  Behandlung  von  Zahnwurzel-Abscessen 
folgendermassen  aus:  Grossen  Nutzen  und  Erfolg  habe  ich  bei  der 
Behandlung  chronischer  Abscesse  der  Zahnwurzeln  mit  Actol  con- 
statiren  können,  während  andere  Heilmittel  versagten.  Meine  Be¬ 
handlungsweise  ist  folgende:  Ich  treibe  mittelst  einer  hypodermischen 
Spritze  eine  frisch  bereitete  Actollösung  (1  :  500)  durch  die  Fistel- 
Öffnung  gut  in  den  Abscess  hinein.  Ich  glaube,  dass  sich  dies  als  ein 
werthvolles  Mittel,  nicht  allein  bei  Erkrankungen  erwähnter  Art, 
sondern  auch  bei  allen  solchen  bacterienartigen  Ursprunges  erweisen 
wird,  welche  in  das  Bereich  der  zahnärztlichen  Behandlung  fallen.  — 
(The  Dental  Digest.  Chicago.  Mai  1900.)  Pi. 

VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Bezirksarzt  Dr.  Anton  Pietrzycki  zum 
Oberbezirksarzte  in  Galizien.  Zu  ausserordentlichen  Professoren : 
Dr.  M.  N  i  t  z  e  in  Berlin,  Dr.  O.  v.  H  e  r  f  f ,  Oberarzt  an  der  Frauen¬ 
klinik  in  Halle,  und  P.  E  i  s  1  e  r,  Prosector  an  der  Anatomie  in  Halle. 
—  Dr.  L  u  d  w  i  g  Bach  zum  ordentlichen  Professor  der  Augenheil¬ 
kunde  in  Marburg. 

* 


Verliehen:  Dem  Oberstabsarzte  II.  Classe  Dr.  Franz 
Schirmer  der  Charakter  eines  Oberstabsarztes  I.  Classe.  —  Dem 
Stabsarzte  Dr.  Velde  vom  Hannoverschen  Infanterie-Regimente 
Nr.  74,  Gesandtschaftsarzt  in  Peking,  das  Ritterkreuz  des  Franz 
Josef-Ordens. 

* 

Gestorben:  Generalstabsarzt  Dr.  Huber  in  Agram.  —  In 
Pietermaritzburg  der  englische  Chirurg  Prof.  William  Stokes.  — 
Prof.  Domingo  Freiri  in  Rio  de  Janeiro,  bekannt  durch  seine 

Arbeiten  über  den  Gelbfieberbacillus. 

* 

72.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte  in  Aachen  vom  16.  bis  22.  September  1900. 
(Fortsetzung.) 

Abtheilung :  Geburtshilfe  und  Frauenkrankheiten. 
Einführende:  Dr.  Ed.  Springsfeld,  Dr.  Eug.  B  e  a  u  c  a  m  p. 
Schriftführer:  Dr.  A  r  n.  Kloth,  Dr.  Ernst  Viehöfer.  Sitzungs¬ 
local  :  Technische  Hochschule.  Angemeldete  Vorträge: 
1.  A.  Benckiser  (Karlsruhe):  Thema  Vorbehalten.  2.  H.  Cramer 
(Bonn):  Impression  des  vorangehenden  Kopfes  in  Wa  1  e  h  e  r’scher 
Hängelage.  3.  Derselbe:  Grundsätze  des  Geburtshelfers  für  die 
erste  Ernährung  des  Kindes.  4.  F.  Eber  hart  (Köln):  Ueber  Myom¬ 
degeneration  (mit  Demonstration).  5.  H.  Fritsch  (Bonn) :  Ueber  vaginale 
Köliotomie.  6.  H.  v.  Guerard  (Düsseldorf):  Bemerkungen  zur  abdo¬ 
minalen  Totalexstirpation  bei  Myom.  7.  B.  Kroenig  (Leipzig):  Pro¬ 
gnose  und  Therapie  der  gonorrhoischen  Adnexerkrankung.  8.  B.  Kroe¬ 
nig  und  Blumberg  (Leipzig):  Weitere  Untersuchungen  zur  Frage 
der  Händedesinfection.  9.  H.  Pletzer  (Bonn):  Ueber  Dystokien 
durch  narbige  Stenosen  der  Cervix.  10.  L.  Prochownick  (Ham¬ 
burg):  Ueber  Diätcuren  in  der  Schwangerschaft.  11.  Derselbe: 
Demonstration  interessanter  Präparate.  12.  H.  Schroeder  (Bonn): 
Untersuchungen  über  den  Blutdruck  vor  und  nach  der  Operation. 
13.  Derselbe:  Demonstrationen.  14.  Stoeckel  (Bonn):  Ueber 
Atmokausis.  15.  Derselbe:  Demonstration  von  Präparaten. 
16.  Fehling  (Halle):  Ueber  Diagnose  und  Behandlung  der  Compli- 
cationen  von  Schwangerschaft  und  Ovarialkystom.  17.  v.  Winckel 
(München):  Demonstrationen.  18.  Derselbe:  Ueber  die  Schwauger- 
schaftsdauer.  Bemerkung:  Zu  Vortrag  3  ist  die  Abtheilung  für 
Kinderheilkunde,  zu  Vortrag  8  die  Abtheilung  für  Chirurgie  eingeladen. 

Abtheilung :  Kinderkrankheiten.  Einführende :  Geheimer 
Sanitätsrath  Dr.  G.  Mayer,  Dr.  L  u  d  w.  Schweitzer.  Schrift¬ 
führer:  Dr.  M.  van  Rey,  Dr.  J.  G.  Rey.  Sitzungslocal:  Technische 
Hochschule.  Angemeldete  Vorträge:  a )  Auf  Beschluss  des 
Vorstandes  der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde:  1.  E.  Ponfick 
(Breslau):  Referat  über  die  Beziehungen  zwischen  Scrophulose  und 
Tuberculose,  und  2.  E.  Feer  (Basel):  Correferat:  Prophylaxe  der 
Tuberculose  im  Kindesalter.  Zu  beiden  Vorträgen  (welche  voraussicht¬ 
lich  Dienstag  den  18.  September,  Morgens  9  Uhr,  in  der  Aula  der 
Oberrealschule  gehalten  werden),  sind  eingeladen  die  Abtheilungen  für 
pathologische  Anatomie,  innere  Medicin,  Chirurgie  und  Hygiene  zu 
gemeinsamer  Sitzung.  I)  Sonstige  angemeldete  Vorträge:  3.  A.  Back¬ 
haus  (Königsberg):  Forschungen  über  Milchgewinnung.  4.  Ph.  Bie¬ 
dert  (Hagenau)  und  5.  W  i  1  h.  M  e  i  n  e  r  t  (Dresden) :  Die  Thätigkeit 
des  Ausschusses  für  die  Versuchsstation  für  Ernährung.  6.  H.  Con¬ 
rads  (Essen  a.  d.  Ruhr):  Thema  Vorbehalten.  7.  II.  Falkenheim 
(Königsberg):  Ueber  familiäre  amaurotische  Idiotie.  8.  F.  Fisch¬ 
bein  (Dortmund):  Beitrag  zur  Behandlung  des  Stimmritzenkrampfes. 
Oppenheimer  (siehe  Nr.  15).  9.  H.  v.  Ranke  (München):  Zur 

chirurgischen  Behandlung  des  nomatösen  Brandes.  10.  J.  G.  Rey 
(Aachen):  Phimosis,  deren  Begriff  und  eine  bisher  nicht  berücksichtigte 
Contraindication  der  Phimosisoperation.  11.  Ad.  Schmidt  (Bonn): 
Beitrag  zur  Säuglingsernährung.  12.  Ferd.  Siegert  (Strassburg 
i.  E.):  Ueber  die  chemische  Zusammensetzung  des  Fettgewebes  der 
Säuglinge  und  deren  Abhängigkeit  von  der  Ernährung.  13.  H.  S  o  1  t- 
mann  (Leipzig):  Thema  Vorbehalten.  14.  E.  Ungar  (Bonn):  Ueber 
chronische  Peritonitis  und  peritoneale  Tuberculose  bei  Kindern. 
15.  C.  Oppenheimer  (München):  Beitrag  zur  künstlichen  Säuglings¬ 
ernährung.  16.  II  och  singer  (AVien):  Die  hereditär-syphilitische 
Phalangitis  der  Säuglinge.  17.  F.  Förster  jun.  (Dresden):  Zur 
Pathogenese  der  Vulvovaginitis  gonorrhoica  im  Kindesalter.  18.  S.  Weiss 
(Wien):  Zur  Prophylaxe  der  Masernotitis.  19.  H.  Leo  (Bonn):  Thema 
Vorbehalten.  Die  Abtheilung  ist  eingeladen  zu  Vortrag  11  und  Vor¬ 
trag  13  in  der  Abtheilung  für  innere  Medicin.  Zu  den  Vorträgen  4 
und  5  sind  eingeladen  die  Abtheilungen  für  innere  Medicin  und 
Hygiene.  Stammlocal:  Gartensaal  im  Hotel  Bellevue,  Holzgraben  11. 

Abtheilung :  Neurologie  und  Psychiatrie.  Ein¬ 

führende:  Sanitätsrath  Dr.  J.  Rademaker,  Dr.  L.  Goldstein. 
Schriftführer:  Dr.  C.  K  r  a  p  o  1 1,  Dr.  Philipp  Schoebel.  Sitzungs¬ 
local:  Technische  Hochschule.  Angemeldete  Vorträge: 

1.  G.  Aschaffenburg  (Heidelberg):  Die  klinischen  Formen  der 
Puerperalpsychosen.  2.  A.  Bumm  (München):  Thema  Vorbehalten. 


Nr.  35 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


795 


n  M  Dinkier  (Aachen):  Ueber  cerebrale  Kinderlähmung  (mit 
Demonstration).  4.  L.  Edinger  (Frankfurt  a  M  ):  Thema  Vor¬ 
behalten.  5.  A.  Erlenmeyer  (Bendorf  a.  Rh.):  Ueb0r  die  Bedeu¬ 
tung  der  Arbeit  in  der  Behandlung  der  Nervenkranken.  6.  H.  Hilbert 
(Baden-Baden):  Ein  weiterer  Fall  von  Pseudotabes  mercuriales.  (Zu¬ 
sammen  mit  '  der  Abtheilung  für  Hautkrankheiten  und  Syphilis  ) 

7  L  Goldstein  (Aachen):  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Schadei- 
Hirnverletzungen.  8.  N.  Länderer  (Andernach):  Zur  Verminderung 
der  Todesfälle  durch  Status  epilepticus.  9.  S  i  e  g  f.  Lil  i  enstein 
(Bad  Nauheim):  Ueber  Herzneurosen.  10.  Th.  Kaes  (Hamburg- 
Friedrichsberg):  Thema  Vorbehalten.  11.  M.  Nonne  (Hamburg):  Zur 
Differentialdiagnose  von  Meningomyelitis  syphilitica  et  tuberculosa. 

12.  Ralf  Wichmann  (Wiesbaden):  Ueber  sexuelle  Neurasthenie. 

13.  A.  Sänger  (Hamburg):  Neuere  Erfahrungen  über  Nerven¬ 
erkrankungen  nach  Eisenbahnunfällen  (zusammen  mit  der  Abtheilung 
für  Unfallheilkunde).  Die  Abtheilung  ist  eingeladen  zu  Vortrag  1  in 
Abtheilung  für  Augenheilkunde,  zu  Vortrag  8  in  Abtheilung  für 
Balneologie,  zu  Vortrag  2  und  4  in  der  Abtheilung  für  innere  Medicin. 
Stammlocal-  Alt-Baiern,  Wirichsbongardstrasse  43. 

Abtheilung :  Augenheilkunde.  Einführende :  Dr.  C.  T h  i er, 
Dr.  B.  Kirch.  Schriftführer:  Dr.  H.  V  ü  1 1  e  r  s,  Dr.  B.  Treutier 
Sitzungslocal:  Gewerbliche  Fachschulen.  Angemeldete  Vor 
träge:  1.  L.  Bach  (Würzburg):  Ueber  das  Ganglion  ciliare. 

2.  E  w.'  Bertram  (Düsseldorf):  Ueber  Ophthalmoplegia  totalis  (mit 
Krankenvorstellung).  3.  H.  Cohn  (Breslau):  Ueber  Schielen. 

4.  W.  Kühne  (Duisburg):  Ueber  eine  neue  Methode  der  Symble¬ 
pharonoperation.  5.  J.  Kirch  (Aachen):  Thema  Vorbehalten.  6.  Jul. 
v.  Michel  (Berlin):  Pathologisch -anatomische  Demonstrationen. 

7.  F.  Nieden  (Bochum):  Ueber  Nystagmus  der  Bergleute  und  seine 
Behandlung.  8.  A.  Peters  (Bonn):  Weitere  Beiträge  zur  Frage  der 
Kataraktbildung  durch  Tetanie.  9.  G.  P  f  a  1  z  (Düsseldoif):  Ueber 
Sclerokeratitis  rheumatica  nebst  Bemerkung  über  die  Wirkung  von 
Natr.  salieyl.  und  Aspirin.  10.  W.  Stood  (Barmen):  Künstliche 
Reifung  des  grauen  Staares  in  geschlossener  Kapsel.  11.  C.  Thier 
(Aachen):  Auge  und  Erysipel.  12.  Derselbe:  Demonstrationen. 
13.  Bo  do  Treu  tier  (Aachen) :  Demonstrationen.  14.  H.  Vüllers 
(Aachen):  Ein  seltener  Fall  von  Keratoplastik.  15.  Derselbe' 
Demonstrationen. 

Abtheilung:  Ohrenheilkunde.  Einführender:  Dr.  Theodor 
Ko  11.  Schriftführer:  Dr.  H.  Dremmen,  Dr.  M.  Winands. 
Sitzungslocal:  Gewerbliche  Fachschulen.  Soll  combinirt  werden  mit: 

Abtheilung  Kehlkopfkrankheiten.  Einführender :  P. 
Schmithuisen.  Schriftführer:  Dr.  A.  Lieven,  Dr.  H.  Dremmen 
An  gemeldete  Vorträge:  1.  M.  Braun  (Triest) :  Vibrations 
massage  der  oberen  Luftwege  mittelst  Sonden,  demonstriit  an  Kranken. 
Specielle  Berücksichtigung  derselben  in  der  Nase  bei  Stirnhöhlen¬ 
katarrh  und  der  Tube  bei  Schwerhörigkeit.  2.  Fr.  Fischen  ich 
(Wiesbaden):  Ueber  Syphilis  des  Nasen-Rachenraumes.  3.  Lieven 
(Aachen):  Zur  Therapie  der  syphilitischen  Nekrose  des  harten  Gaumens. 
4.  Derselbe:  Mercurielle  Erscheinungen  im  Munde.  5.  P.  Sch  mit 
h  u  i  s  e  n  (Aachen):  Zur  Therapie  der  syphilitischen  Nekrose  des  Nasen 
bodens.  6.  Derselbe:  Mercurielle  Erscheinungen  im  Halse.  7.  Der¬ 
selbe:  Vorstellung  von  Kranken  mit  typischen  Nasen-Rachenpolypen 
und  Demonstration  der  Nasen-  und  Rachenverhältnisse  von  Personen, 
welche  durch  Elektrolyse  geheilt  wurden.  8.  P.  Heymann  (Berlin;: 
Zur  Lehre  von  den  Geschwülsten  in  der  Nase.  Zu  Vortrag  2  ist  die 
Abtheilung  für  Hautkrankheiten  und  Syphilis  eingeladen. 

Abtheilung:  Hautkrankheiten  und  Syphilis.  Ein¬ 
führende:  Geheimer  Sanitätsrath  Dr.  P.  Frank,  Dr.  L.  Schuster 
Schriftführer:  Dr.  M.  S  c  h  r  o  e  d  e  r,  Dr.  C.  B  e  r  1  i  n  e  r,  Dr.  F.  W  ings. 
Sitzungslocal :  Gewerbliche  Fachschulen .  Angemeldete  Vor¬ 

träge:  1.  C.  Berliner  (Aachen):  Ueber  spontane  und  Narben- 
keloide  (mit  Demonstrationen).  2.  B.  Brandis  (Aachen-Godesbeig 
a.  Rh.):  Bemerkungen  über  Syphilis  im  Allgemeinen  nach  eigenen 
Erfahrungen.  3.  B.  Goldberg  (Wildungen):  Die  Urethrotomia  in¬ 
terna.  4.  C.  Kollmann  (Leipzig):  Meine  Erfahrungen  über  die  An 
Wendung  der  Spüldehner  bei  chronischer  Gonorrhoe.  5.  Derselbe. 
Instrumentelles.  6.  Gust.  K  u  1  i  s  c  h  (Halle) :  Gonorrhoe  und  Diabetes. 
7.  E.  Roth  sch  uh  (Maragua) :  Die  Syphilis  in  Nicaragua.  8.  Am. 
Sack  (Heidelberg):  Ueber  die  Ueber tragbarkeit  der  Spätproducte  der 
Syphilis.  9.  M.  Schroeder  (Aachen):  Zur  Frage  der  Resorptions¬ 
wege  des  Quecksilbers  bei  Inunctionen.  10.  A.  Strauss  (Barmen): 
Zur  Abortivbehandlung  der  Gonorrhoe  mit  Protargol.  11.  H.  Wos- 
sidlo  (Berlin):  Thema  Vorbehalten.  12.  Frz.  Wings  (Aachen): 
Krankendemonstrationen.  13.  v.  Nies  sen  (Wiesbaden):  Die  neueren 
Ergebnisse  der  ätiologischen  Syphilisforschung.  Hiezu  sind  eingeladen 
die  Abtheilung  für  innere  Medicin,  Abtheilung  für  Chirurgie  und  Ab- 
theilung  für  Hygiene  und  Bacteriologie.  14.  Schlagint  weit 
(München-Bad  Brückenau) :  Der  Psychrophorkatheter,  ein  neues  Instill¬ 
ment  zum  Katheterismus  unter  Kälteanästhesie.  Die  Abtheilung  ist 
eingeladen  zu  Vortrag  6  in  der  Abtheilung  für  Neurologie  und  1  sy- 


chiatrie  und  zu  Vortrag  2  in  der  Abtheilung  für  Kohlkopfkrankheiten, 
ferner  zu  Vortrag  8  in  der  Abtheilung  für  Pharmacie.  Stammlocal  : 
Restauration  Lennertz,  Klostergasse. 

Abtheilung:  Zahnheilkunde.  Einführender:  Dr.  G. 
Kersting.  Schriftführer:  Zahnarzt  P.  B  a  h  r.  Sitzungslocal:  Gewerb¬ 
liche  Fachschulen.  Angemeldete  Vorträge:  1.  Jak.  Berten 
(München):  Thema  Vorbehalten.  2.  M.  Eich  ler  (Bonn):  Neuere 
Untersuchungen  über  den  Mechanismus  des  Durchbruches  der  Zähne. 

3.  v.  Guerard  (Aachen):  Zahnarzney  aus  Oeconomia  ruralis  et 
domestica  von  M.  Johann  et  Bolero.  Mayntz  1656.  4.  Derselbe. 
Verwendung  von  Nosophen  und  Thymol  zur  Wurzelbehandlung. 

5.  G.  Kersting  (Aachen):  Zwei  seltenere  Krankheiten,  Xerostomie 
und  Akromegalie  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Zähnen  (mit  Kranken¬ 
vorstellung).  6.  Oskar  Römer  (Strassburg):  Ueber  1  ulpapolypen. 

7.  S  t  e  h  r  (Roermond) :  Etwas  über  Stomatologie  im  XIX.  Jahrhundert. 

8.  Ad.  Witzei  (Jena):  Ueber  partielle  Resection  des  Processus 
alveolaris  vor  dem  Zahnersatz.  9.  Derselbe:  Die  Herstellung  von 
Amalgamkronen  als  Stützpunct  für  Prothesen.  10.  K.  Witzei  (Dort¬ 
mund):  Ueber  Kieferersatz  (mit  Demonstration  von  Apparaten),  besonders 
nach  totaler  Exarticulation  des  Unterkiefers.  11.  Derselbe:  Ueber 
künstlichen  Nasenersatz  (nebst  Demonstration).  12.  Zier  ler  (Würz¬ 
burg)  :  Untersuchungen  über  die  Resistenz  des  Gangränbacillus  mit 
Vorrede  über  die  Therapie  gangränöser  Zähne.  Vortrag  3  soll  in 
gemeinschaftlicher  Sitzung  mit  Abtheilung  für  Geschichte  der  Medicin, 
Vortrag  6  in  gemeinschaftlicher  Sitzung  mit  Abtheilung  für  Patho¬ 
logie,  Vortrag  10  und  11  in  gemeinschaftlicher  Sitzung  mit  Abtheilung 
für  Chirurgie  gehalten  werden.  Stammlocal  für  Mittag:  Alt-Baiern, 
Wirichsbongardstrasse  43.  Stammlocal  für  Abend:  Elisenbrunnen. 

Abtheilung:  Militär  sanitätswesen.  Einführender:  Ober¬ 
stabsarzt  I.  CI.  Dr.  Wilh.  Weber.  Schriftführer:  Stabsarzt  Doctor 
Josef  G  i  1 1  e  t.  Sitzungslocal :  Gewerbliche  Fachschulen.  Ange¬ 
meldete  Vorträge:  1.  Dedolph  (Saarburg) :  Aachen  als 
Militärbad.  2.  Dü  ms  (Leipzig):  Ueber  die  Sachverständigenthätigkeit 
der  Sanitätsofficiere  und  die  neue  Strafgerichtsordnung.  Stammlocal: 
Hotelrestaurant  Elisenbrunnen. 

Abtheilung:  Gerichtliche  Medicin.  Einführender:  Stadt- 
physieus  Sanitätsrath  Dr.  A.  Baum.  Schriftführer:  Dr.  Jos. 
T  h  e  1  e  n,  Dr.  Leonh.  Baurmann.  Sitzungslocal :  Gewerbliche 
Fachschulen.  Angemeldete  Vorträge:  1.  C.  Ipsen  (Inns¬ 
bruck):  Der  spectrale  Blutnachweis  für  forense  Zwecke.  2.  Der¬ 
selbe:  Zur  Frage  des  Nachweises  von  Pflanzenalkaloiden  bei  vor¬ 
geschrittener  Fäulniss.  3.  J.  Kratter  (Graz):  Thema  Vorbehalten. 
4.  Arth.  Lippmann  (Berlin):  Der  Unfallverletzte  als  Rechts¬ 
brecher.  5.  Moriz  Mayer  (Simmern) :  Ueber  Giftwirkungen  leuko- 
taktischer  Mittel.  6.  N  i  k.  Peren  (Montjoie):  Die  gerichtlich- medici- 
nische  Bedeutung  der  Sturzgeburt.  7.  C.  St  üben  rath  (Würzburg). 

Experimentelle  Untersuchungen  über  Leichenwachs.  8.  Ungar  (Bonn): 

Ueber  den  Einfluss  der  Fäulniss  auf  die  Lungenprobe  und  die  Magen- 
Darmprobe.  Stammlocal:  Alt-Baiern,  Wirichsbongardstrasse  43. 

Abtheilung:  Balneologie  und  Hydrotherapie.  Ein¬ 
führende  :  Sanitätsrath  Dr.  I  g  n  a  z  B  e  i  s  s  e  1,  Bade-Inspector  Doctor 
C.  Schumacher  II.  Schriftführer:  Dr.  Jos.  This  sen,  Doctor 
Eduard  Klinkenberg.  Sitzungslocal:  Gewerbliche  Fachschulen. 
An  gemeldete  Vorträge:  1.  Ignaz  Beissel  (Aachen): 
Ursprung  und  Verwerthung  der  Thermalquellen  in  Aachen-Buitscliei  . 
2.  B.  Brandis  (Aachen-Godesberg  a.  Rh.):  Behandlung  des  chroni¬ 
schen  Gelenkrheumatismus  in  Badeorten.  3.  Am  Ende,  Oberbiiigei-^ 
meister  (Bad  Pausa  i.  S.):  Ueber  gemeindeörtliche  Einrichtungen  auf 
dem  Gebiete  der  Gesundheitspflege.  4.  Kisch  (Marienbad):  Bäder  in 
der  Gynäkotherapie.  5.  Oskar  Liebreich  (Berlin):  Ueber  künst¬ 
liche  und  natürliche  Quellsalze.  6.  G.  Mayer  (Aachen):  Ueber  Vei- 
gangenheit  und  Zukunft  der  Aachener  Bäder.  7.  Pollacsek  (Berlin- 
Levico):  Ueber  die  Neueinrichtung  der  Arsenbäder  Levico  und  Vetnolo 
Südtirol.  8.  C.  Schütze  (Borlachbad):  Die  Hydrotherapie  im 


Lichtender  modernen  Naturforschung.  9."  W.  Wagner  (Aachen): 
Orthopädische  Behandlung  von  rheumatischen  Gelenkerkrankungen. 

10.  Winter  nitz  (Wien- Kaltenleutgeben) :  Thema  Vorbehalten. 

11.  F.  P.  Weber  (London):  Der  Nutzen  von  Bädern,  Mineralwässern 
und  Curorten  in  der  Behandlung  der  Syphilis.  Hiezu  sind  die  Abthei¬ 
lungen  für  innere  Medicin  und  für  Syphilis  eingeladen.  Zu  “\  ortrag 
sind  eingeladen  Abtheilung  für  innere  Medicin  und  Abthei- 

lung  für  Neurologie.  .  ....  , 

Abtheilung  :  Hygiene  und  Bacteriologie.  Einfuhrende : 
Regierungs-  und  Medicinali ath  Dr.  B.  Schegtendal,  Kreisphysicus 
Sanitätsrath  Dr.  L.  S  c  h  m  i  t  z.  Schriftführer:  Dr  E  r  i  c  h  K  o  c  h 
Dr  P.  Kranz.  Sitzungslocal:  Technische  Hochschule.  A.  fest¬ 
gesetzter  Vortrag:  Ueber  „Die  Bedeutung  der  Bacteriologie 
für  Diagnose,  Prognose  und  Therapie“  wird  sprechen:  1.  Ne  i  s  s  e  i 
(Frankfurt  a.  M.).  Hiezu  sind  eingeladen  die  Abtheilungen  fur  innere 
Medicin,  Chirurgie,  Gynäkologie,  Kinderkrankheiten  und  alle  sich  fm 
das  Thema  interessirenden  Abtheilungen.  B,  A  n  g  e  m  <  6 


796 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


träge:  2.  Erismann  (Zürich) :  Tagesbeleuchtung  der  Schulzimmer. 

3.  L.  Fürst  (Berlin):  Die  neueren  Bestrebungen  zur  Herstellung 
sogenannter  Kindermilch.  4.  W.  Ricken  (Malmedy):  Typhus  und 
Molkereien.  5.  G.  E.  Wex  (Düren):  Ueber  das  Hebammenwesen  im 
Kreise  Düren.  6.  Th.  Weyl  (Berlin):  Keimfreies  Trinkwasser  durch 
Ozon.  Die  Abtheilung  ist  eingeladen  zu  Vortrag  13  der  Abtheilung 
für  Hautkrankheiten  und  Syphilis  und  zu  den  Vorträgen  4  und  5  von 
der  Abtheilung  für  Kinderheilkunde.  Der  in  der  Abtheilung  für 
Nahrungsmittelchemie  angemeldete  Vortrag  von  Popp  (Frankfurt  a.  M.): 
Beiträge  zur  Kenntniss  der  Enzyeme,  ist  für  die  Abtheilungen  für 
Nahrungsmittelchemie  und  für  Hygiene  und  Bacteriologie  gemeinsam 
bestimmt.  Stammlocal  :  Alt-Baiern,  Wirichsbongardstrasse  43. 

Abtheilung:  Unfallheilkunde.  Einführender:  Dr.  Willi. 
II  ou  be.  Schriftführer:  Dr.  W.  Wagner,  Dr.  Josef  Unver- 
f  e  h  r  t.  Sitzungslocal :  Technische  Hochschule.  An  gemeldete 
Vorträge:  1.  F.  Bähr  (Hannover):  Thema  Vorbehalten.  2.  Jak. 
Rieding  er  (Würzburg):  Ueber  traumatische  Skoliose.  3.  C.  Thiem 
(Cottbus) :  Die  Projection  einzelner  Skeletpunkte  auf  der  Haut. 

4.  Derselbe:  Weiteres  über  gynäkologische  Unfallfolgen.  5.  W. 
Wagner  (Aachen):  Ambulante  Beinbruchbehandlungen  und  über 
Leimverbände.  Die  Abtheilung  ist  eingeladen  zu  dem  Vortrag  7  in 
Abtheilung  für  Neurologie  und  Psychiatrie. 

Abtheilung :  Geschichte  der  Medicin  und  medicini- 
sche  Geographie.  Einführende:  Dr.  Otto  Vossen,  Dr.  Jos. 
Dressen.  Schriftführer:  Dr.  Jul.  Q  u  i  n  t  i  n.  Sitzungslocal:  Ober¬ 
realschule.  Angemeldete  Vorträge:  1.  Iwan  Bloch  (Berlin): 
Die  antike  Aussatzliteratur.  2.  C.  Gerster  (Braunfels):  Die  medicin- 
historischen  Quellen  der  sogenannten  Naturheilkunde.  3.  C.  Sudhoff 
(Hochdahl  bei  Düsseldorf) :  Theophrast  von  Hohenheim  und  die  Lehre 
von  den  drei  Principien.  4.  Derselbe:  Iatromathematiker  im  XV. 
und  XVI.  Jahrhundert.  5.  Peypers  (Amsterdam):  Eine  nationale 
und  internationale  Allianz  der  Medicohistoriker  und  Geographen.  Die 
Abtheilung  ist  eingeladen  zu  Vortrag  3  in  der  Abtheilung  für  Zahn¬ 
heilkunde. 

Abtheilung  :  Thier  heilkunde.  Einführender :  Dep. -Thierarzt 
Dr.  C.  Schmidt.  Schriftführer:  Schlachthofdirector  C.  B  o  c  k  e  1- 
m  a  n  n,  Kreisthierarzt  B.  Jan  n  es.  Sitzungslocal:  Gewerbliche  Fach¬ 
schulen.  Angemeldete  Vorträge:  1.  Imminger  (München) : 
Thema  Vorbehalten.  2.  Kaiser  (Hannover):  Aus  dem  Gebiete  der 
thierärztlichen  Geburtshilfe.  3.  Steinbach  (Trier) :  Ist  zur  Diagnose 
des  Milzbrandes  die  Obduction  erforderlich?  Erörtert  auf  Grund  zahl¬ 
reicher  Erfahrungen  und  mit  Berücksichtigung  der  seuchengesetzlichen 
Bestimmungen.  4.  Vater  (Eupen) :  Ueber  Rauschbrand.  Stammlocal: 
Hotel  Kaiserhof,  Hochstrasse  2/4. 

Abtheilung  :  Pharmacie  und  Pharmakognosie.  Ein¬ 
führende  :  Apotheker  Dr.  Jos.  Bongart z,  Apotheker  Arnold 
T  h  e  1  e  n.  Schriftführer:  Apotheker  Dr.  G.  König,  Apotheker 
C.  Sieberger.  Sitzungslocal:  Oberrealschule.  An  gemeldete 
Vorträge:  1.  Bernegau  (Hannover) :  Ueber  Droguen  aus 
Deutsch-Kamerun.  2.  Dietrich  (Helfenberg  bei  Dresden):  Zur 
Werthbestimmung  des  Senfsamens.  3.  Fuchs  (Biebrich  a.  Rh.) :  Ueber 
das  Dormiol.  4.  II  i  1  g  e  r  (München):  Thema  Vorbehalten.  5.  Partheil 
(Bonn):  Aus  der  Stickstoffreihe.  6.  Paul  (Tübingen):  Physikalisch- 
chemisehe  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der  Harnsäure  und 
ihrer  Salze  in  Lösungen.  7.  Derselbe:  Die  Constitution  der 
Lösungen  von  Coffein  natric. -benzoic,  und  Theobromin  natric.-salicylicum 
und  ähnlicher  Präparate.  8.  P.  R  e  d  e  n  z  (Aachen) :  Ueber  die  Methoden 
zum  qualitativen  und  quantitativen  Nachweis  von  Quecksilber  im  Harn 
und  über  ihre  Empfindlichkeit.  9.  C.  Schaerges  (Basel):  Ueber 
neueste  Arzneimittel.  Zu  Vortrag  8  ist  eingeladen  die  Abtheilung  für 
Syphilis. 

Während  der  Correctur  angemeldete  Vorträge: 
Abtheilung  für  Physiologie:  Rudolf  Funke  (Prag):  Ueber 
die  Schwankungen  im  Fettgehalte  der  fettführenden  Organe  der  Am¬ 
phibien  und  Reptilien  im  Kreisläufe  des  Jahres.  Abtheilung  für 
Innere  Medicin  und  Pharmakologie:  Derselbe:  Ueber 
nervöse  llerzerkrankungen.  Abtheilung  für  Neurologie  und 
Psychiatrie:  Derselbe:  Ueber  Zitterbewegungen  und  deren 
Verzeichnung.  Abtheilung  für  Unfallheilkunde:  Derselbe: 
Zur  Diagnostik  der  traumatischen  Neurose. 

V.  Jahresversammlung  des  Vereines  absti¬ 
nenter  Aerzte  des  Deutschen  Sprachgebietes  zu 
Aachen,  Sonntag  den  16.  September  1900,  Nachmittags  3  Uhr,  im 
Saale  Nr.  23  der  Technischen  Hochschule.  Tagesordnung  : 
1.  Dr.  Frick  (Zürich):  Alkohol  und  Fieber.  2.  Dr.  L  i  c  h  t  e  n  b  e  r  g 
(Berlin),  ehemaliger  I.  Arzt  der  kaiserlichen  Schutztruppe  für  Kamerun: 
Der  Alkohol  in  unseren  Colonien.  3.  Dr.  Fibieg  (z.  Z.  Geral,  Ober¬ 
arzt  I.  CI.  in  der  königlich  niederländisch  ostindischen  Armee:  Alkohol 
in  den  Tropen.  Weitere  Vorträge  sind  den  Unterzeichneten  anzumelden. 
Gäste  sind  willkommen.  Heidelberg,  30.  Mai  1900.  Prof.  Kraepelin, 
I.  Vorsitzender.  Prof.  Dr.  G.  Aschaffenburg,  Schriftführer. 


V.  Versammlung  des  Allgemeinen  deutschen 
Vereines  für  Schulgesundheitspflege,  am  Sonntag  den 
16.  September,  Vormittags  9  Uhr,  in  der  Aula  der  Oberrealschule  zu 
Aachen,  Vincenzstrasse.  Tagesordnung:  1.  Begrüssungsan- 
sprachen.  2.  Erledigung  der  Vereinsgeschäfte:  a )  Endgiltige  Fassung 
der  Satzungen.  I)  Wahl  des  nächstjährigen  Versammlungsortes. 
c )  Wahl  der  Vorstandsmitglieder,  d)  Bericht  des  Schatzmeisters.  Vor¬ 
träge:  1.  Dr.  med.  Gerhard  (Lüdenscheid):  Psychologie  in  Bezug 
auf  Pädagogik  und  Schulhygiene.  2.  Dr.  med.  Kor  mann  (Leipzig): 
Samaritereinrichtungen  im  Dienste  der  Schule  (mit  Demonstrationen). 
3.  Dr.  Herb  er  ich  (München):  Was  ist  Bildung?  4.  Dr.  Schmid- 
Monnard  (Halle):  Die  Ursachen  der  Minderbegabung  von  Schul¬ 
kindern.  Zur  Theilnahme  an  der  Versammlung  sind  Alle  eingeladen, 
welche  sich  für  Schulgesundheitspflege  interessiren. 

* 

Von  der  im  Verlage  von  Lamer  tin,  Brüssel,  von  Depage 
herausgegebenen  ,,L’  annee  c  h  i  r  u  r  g  i  c  a  1  e“  ist  der  2.  Jahrgang 
(1899)  erschienen. 

* 

Dr.  Karl  Czerwenka,  Vorstand  der  gynäkologischen  Ab¬ 
theilung  des  St.  Elisabeth-Spitales,  Wien,  III,  wohnt:  III.,  Seidlgasse 
Nr.  32. 


Freie  Stellen. 

Gemeindearztesstelle  für  den  Sanitätssprengel  Dornawatra, 
Bukowina,  bestehend  aus  den  Gemeinden  Dornawatra,  Dornakandreny 
und  Pojanastampi  und  den  gleichnamigen  Gutsgebieten,  mit  dem  Wohn¬ 
sitze  in  Dornawatra.  Die  mit  diesem  Posten  verbundene  Jahresdotation 
beträgt  700  K ,  welche  in  monatlichen  Anticipativraten  beim  k.  k.  Steuer¬ 
amte  in  Dornawatra  zur  Auszahlung  gelangt.  Für  Dienstreisen  erhält  der 
Gemeindearzt  die  normirten  Gebühren.  Bewerber  um  diesen  Posten  haben 
nacbzuweisen  :  1.  Die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  Heilkunde  in  den  im 

Reicbsrathe  vertretenen  Königreichen  und  Ländern.  2.  Die  österreichische 
Staatsbürgerschaft.  3.  Dass  sie  der  von  der  Mehrheit  der  Bevölkerung 
gesprochenen  Sprache  (rumänisch)  in  hinreichendem  Masse  mächtig  sind. 
Die  dementsprechend  instruirten  Gesuche  sind  binnen  vier  Wochen  vom 
Tage  der  ersten  Einschaltung  dieses  Concurses  im  Amtsblatte  der  »Czerno- 
witzer  Zeitung«  bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  in  Kimpolung  einzu¬ 
reichen. 

Volontärstelle  im  Landesspitale  zu  Laibach  Krain. 
Adjutum  jährlicher  600  K.  Bewerber  um  diesen  Posten  wollen  ihre  mit 
dem  Taufscheine,  dem  Doctordiplome  und  den  Nachweisen  über  die  Kenntniss 
der  slovenischen  und  deutschen  Sprache  belegten  Gesuche  bis  1.  Sep¬ 
tember  d.  J.  an  die  Direction  der  Landes-Wohlthätigkeitsanstalten  in 
Laibach  einsenden. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Gemeindesanitätsgruppe  Franken- 
fels-Sch warzenbach,  politischer  Bezirk  St.  Pölten,  Niederösterreich. 
Mit  dieser  am  1.  October  zu  besetzenden  Stelle  ist  ein  Fixum  von 
240  K  seitens  der  Gemeinden  und  eine  Landessubvention  im  Betrage 
von  800  K  verbunden.  Ausserdem  erhält  der  Gemeindearzte  für  die  pro¬ 
visorische  Versorgung  des  Gemeindesauitätsdienstes  in  der  angrenzenden 
Gemeinde  Puchenstuben  bis  auf  Weiteres  eine  Remuneration  von  200  K\ 
auch  besteht  die  Verpflichtung  zur  Führung  einer  Hausapotheke.  Bewerber 
um  diese  Stelle  haben  ihre  ordnungsgemäss  belegten  Gesuche  bis  längstens 
1.  September  bei  dem  Gemeindevorstaude  von  Frankenfels  einzubringen. 
Persönliche  Vorstellung  erwünscht. 

Gemeindearztesstelle  in  B  öheimkirchen,  N  i  e  d  e  r  ö  s  t  er¬ 
reich.  Mit  dieser  am  1.  October  zu  besetzenden  Stelle  ist  ein  Fixum 
von  300  K  seitens  der  Gemeinde  und  eine  Landessubvention  im  Betrage 
von  600  K  verbunden.  Führung  einer  Hausapotheke  nothwendig.  Bewerber 
um  diesen  Posten  haben  ihre  ordnungsgemäss  belegten  Gesuche  bis 
längstens  1.  September  1900  bei  dem  Gemeindevorstaude  von  Böheim- 
kirchen  einzubringen.  Persönliche  Vorstellung  erwünscht. 

Im  Status  der  Abtheilungsvorstände  der  Wiener  k.  k.  Kranken¬ 
anstalten  ist  eine  Primararztesstelle  II.  Classe,  zugleich  Leiters 
der  Infectionsabtheilung  im  k.  k.  Kaiser  Franz  Josef-Spitale  in  Wien,  mit 
dem  Range  der  VIII.  und  dem  Bezügen  der  IX.  Rangsclasse,  das  ist  dem 
Gehalte  jährlicher  2800  K,  mit  zwei  Quadriennalzulagen  zu  je  200  K  und 
mit  Rücksicht  auf  die  vorhandene  Naturalwohnung  der  halben  Activitäts- 
zulage  jährlicher  500  K,  endlich  mit  einer  in  die  Pension  nicht  anrechen¬ 
baren  Personalzulage  von  1200  K,  welche  bei  einer  späteren  Beförderung 
entsprechend  der  Erhöhung  der  Bezüge  eingezogen  wird,  zu  besetzen. 
Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  vorschriftsmässig  gestempelten,  mit 
dem  Tauf-  oder  Geburtsscheine,  dem  Heimatscheine,  den  Nachweisen  über 
die  Erwerbung  des  Doctorgrades  der  gesammten  Heilkunde  an  einer  öster¬ 
reichischen  Universität,  sowie  mit  den  sonstigen  Dienstdocumenten,  be¬ 
ziehungsweise  Nachweisen  über  ihre  theoretische  und  praktische  Vorbildung 
versehenen  Gesuche,  und  zwar,  wenn  die  Bewerber  bereits  im  öffentlichen 
Dienste  stehen,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Dienstbehörde,  sonst  unter 
Anschluss  eines  amtsärztlichen  Gesundheits-  und  legalen  Sittenzeugnisses 
unmittelbar  im  Einreichungsprotokolle  der  k.  k.  niederösterreichischen 
Statthalterei  bis  spätestens  20.  September  1900  einzubringen.  Jenen 
Bewerbern,  welche  überdies  bei  gleicher  sonstiger  Qualification  praktische 
Erfahrungen  in  der  Behandlung  von  Iofectionskrankheiten,  eine  ausreichende 
wissenschaftliche  Befähigung,  sowie  ferner  die  nothwendige  Vorbildung  in 
epidemiologischer  und  bacteriologiseher  Hinsicht  nachzuweisen  vermögen, 
wird  der  Vorzug  eingeränmt. 


Nr.  35 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


797 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte, 


INHALT: 

13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August  1900.)  (Fortsetzung.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Dermatologie  und  Syphiligraphie. 

Referent  Dr.  Sp. 

II.  Prof.  Camp  an  a  (Rom):  Die  Tuberculide.  (Fort¬ 
setzung.) 

Injectionen  der  Tuberculine. 

Die  Injectionen  haben  bei  Thieren  verschiedene  Grade  der  Infil¬ 
tration  und  Entzündung  der  Organe  hervorgerufen,  in  welche  dieselben 

gemacht  wurden.  . 

Das  Pferd  verträgt  Injectionen  des  alten  Tuberculin  in  kolos¬ 
salen  Quantitäten;  ich  halte  mich  an  Prof.  B  a  ru  c  h  el  1  o,  welcher 
diese  Injectionen  vorgenommen  hat,  dass  man  weder  an  der  Injections- 
stelle,  noch  im  Organismus  überhaupt  irgend  eine  Alteration  wahr¬ 
nehmen  kann;  nur  in  der  Gegend,  in  welcher  injicirt  wurde,  findet 
sich  ein  sehr  schwacher  Grad  ödematöser  Infiltration,  dev  in  zwei  bis 
drei  Stunden  verschwindet.  Man  kann  constatiren,  dass  das  Tuberculin 
im  Blute  des  Thieves  geblieben  ist,  und  wenn  ich  einer  von  Lupus 
befallenen  Frau  das  Serum  des  Thieres,  welches  zu  dem  Versuche  ge¬ 
braucht  wurde,  einspritzte,  so  erhielt  ich  die  Phänomene  allgemeiner 
und  localer  Reaction,  welche  das  alte  Tuberculin  erzeugt  (Ca  mp  a  na, 
La  Tuberculina  nel  Lupus.  Policlinico.  1896.  —  Brocchieri,  Sulla 

Tuberculina  antica  e  la  Tuberculina  R  (R).  Policlinico.  1898).. 

Beim  Hasen  und  Meerschweinchen  haben  die  Tuberculininjectionen 
eine  sehr  schwache  Reaction  am  Orte  der  Einspritzung,  sowie  in  dessen 
Umgebung  erzeugt. 

Wenn  die  persönlichen  Erfahrungen,  von  denen  ich  beuchtet 
habe,  den  Beweis  liefern,  dass  die  Derivate  des  Bacillus  der  Tubercu- 
lose  an  und  für  sich  die  Ursache  der  Störungen  in  den  Organen  sind, 
auf  welche  sie  wirken,  so  zeigt  dies,  dass  die  tuberculösen  Alterationen 
die  Folge  der  directen  Wirkung  des  Bacillus  und  seiner  Derivate  sind 
Aber  man  beobachtet  auch  indirecte  Folgen. 

Man  begreift  leicht,  dass  auf  der  Klinik,  wo  es  unmöglich  ist, 
zu  unterscheiden,  wo  die  Wirkung  des  Bacillus  anfängt  oder  endet, 
wo  die  Wirkling  der  Gifte  beginnt,  es  unmöglich  ist,  eine  exacte 
Definition  des  Wortes  Tuber  culid  zu  geben.  Aus  diesem  Grunde 
nennen  wir  alle  durch  Tuberculose  hervorgerufenen  Hautaffectionen 
Tuberculide. 

Ausser  den  sicher  tuberculösen  Manifestationen  begegnen  wir 
auch  hereditären,  welche  wir  scrophulöse  nennen. 

Auch  bei  Kindern  alkoholischer  Eltern  beobachtet  man  hereditäre 
Folgen  auf  Ernährung  und  Knochen,  ebenso  hängen  viele  Hautleiden 

von  der  Tuberculose  der  Eltern  ab. 

Die  Unterernährung  der  Gefässe,  die  Oedeme  des  Bindegewebes, 
des  Gesichtes  und  der  Gliedmassen  haben  eine  sehr  grosse  Aehnlichkeit 
mit  den  experimentellen  Wirkungendes  alten  Tubeiculins  au  f  io  e 

fässe  und  das  Bindegewebe.  .  , 

Die  Haut  ist  für  die  Wirkungen  der  tuberculösen  T  oxme  sehr 
empfindlich,  auch  sieht  man  sehr  häufig,  scrophulöse  Hautleiden  ohne 
andere  tuberculose  Läsionen  sich  entwickeln,  entweder  direct  oder^ durch 
Vermittlung  des  Nervensystems,  auf  welches  die  tuberculösen  Toxine 

einen  sehr  grossen  Einfluss  haben. 

Hingegen  ist  die  Wirkung  der  Toxine  auf  das  Protoplasma  sehr 

langsam. 

Ich  denke,  dass  die  grosse  Widerstandsfähigkeit  der  Haut  gegen¬ 
über  dem  Tuberkelbacillus  nicht  das  Resultat  ihres  Baues  ist,  sondern 
weil  die  Haut  wenig  Sauerstoff  einschliesst,  so  dass  der  Bacillus  ge- 
nöthigt  ist,  von  einer  sehr  stark  aerobischen  Existenz.,  vie  diejenige, 
welche  er  in  den  Lungen  hat,  woselbst  er  die  gefährlichsten  Läsionen 
hervorruft,  in  ein  fast  anaürobisches  Leben  Überzugellen,  welches  tur 

seine  Vitalität  verhängnisvoll  ist.  _ 

Der  Beweis  für  diese  Hypothese  ist  durch  die  giosse  >  e  ten  iei 
dieses  Bacillus  in  den  primären,  tuberculösen  Läsionen  der  Haut,  und 
durch  die  Abschwächung  seiner  basophilen  Eigenschaften  gegeben, 


wenn  man  die  Haut  studirt;  man  weiss,  dass  er  sich  in  der  Haut  viel 
rascher  färbt  und  nur  schwach  gesäuerte  Bäder  verträgt. 

In  Folge  dieser  Erwägung  denke  ich,  dass  man  klinisch  ein 
Tuberculid,  erzeugt  durch  Toxine,  von  einem  Tuberculid,  erzeugt  durch 
den  Bacillus,  nicht  unterscheiden  kann,  denn  es  ist  unmöglich,  eine 
tuberculose  Affection,  in  welcher  man  die  Anwesenheit  von  Bacillen 
nicht  constatirt,  einfach  als  toxischen  Ursprungs  zu  betrachten.  Anderer¬ 
seits  glaube  ich,  dass  eine  allgemeine  tuberculose  Vergiftung  wohl  die 
prädisponirende  Ursache  gewisser  Hautläsionen  äusseren  Ursprungs  mit 
langsamem  Verlaufe  ist,  welche  wahre  tuberculose  Erkrankungen  Vor¬ 
täuschen  und  die  man  mit  Aufmerksamkeit  studiren  muss,  um  selbe 
nicht  als  Tuberculose  oder  Tuberculide,  sondern  als  das  Ergebniss 
einer  scroptiulösen  Prädisposition  zu  betrachten,  ebenso  wie  man  täglich 
Ekzeme,  Akne,  als  Resultat  einer  an  constitutionelle  Ernährungsstörung 
gebundenen  Prädisposition  gewahrt,  welche  Dicht  mehr  die  Syphilis 
selbst,  sondern  eine  Abweichung  in  der  Ernährung  mit  Schwächung 
der  Umwandlung  der  Gewebe  darstellt. 

III.  Darier  (Paris) :  Ueber  Tuberculide.  _  . 

A.  Neben  und  ausser  den  bacillären  Hauttuberculosen  existirt 
eine  Gruppe  Dermatosen,  welche  man  Tuberculide  mit  folgenden 
charakteristischen  Zügen  benennt. 

a)  Die  Tuberculide  stehen  klinisch  in  Beziehung  zur  Tuberculose, 
so  dass  man  sie  nur  bei  Kranken  beobachtet,  welche  von  dem  Koch- 
scheu  Bacillus  inficirt  sind,  oder  mit  Berechtigung  dessen  ver¬ 
dächtig  sind.  ^  groggen  MehrzaW  der  Fälle  scheinen  die  tuberculiden 

Läsionen  den  Koch’schen  Bacillus  nicht  zu  enthalten;  in  Wirklichkeit 
haben,  Ausnahmen  zugegeben,  die  bacteriologischen  und  experimentellen 
Nachforschungen  die  Anwesenheit  dieses  Bacillus  zur  Evidenz  nie 

nachweisen  können.  „. 

Der  Widerspruch,  welcher  zwischen  diesen  wichtigen  Eigen¬ 
schaften  der  Tuberculide  bestellt,  entrollt  ein  interessantes  Problem, 
nämlich  der  Signification,  Natur  und  Pathogenie  dieser  Eruptionen 

Um  dieses  zu  lösen,  darf  keines  der  zu  Gebote  stehenden  Mittel 

vernachlässigt  werden.  .  „  .  .  . 

Nach  Verzeichniss  der  Liste  jener  Affectionen,  welche  man 
heutzutage  als  zur  Gruppe  der  Tuberculide  gehörig  betrachten  kann, 
werde  ich  berichten,  was  über  dieselben  vom  ätiologischen,  klinischen, 
histologischen  und  bacteriellen  Standpunkte  bekannt  ist.  Endlich  werde 
ich,  da  dieses  Stadium  im  gegenwärtigen  Zeitpunkte  noch  weit  davon 
entfernt  ist,  vollendet  zu  sein,  noch  zu  den  Hypothesen  greifen  müssen, 
welche  man  zur  Ausfüllung  von  Lücken  der  positiven,  wissenschaftlichen 
Thatsachen  erdacht  hat. 

B.  Die  Gruppe  der  Tuberculide  umfasst  eine  grosse  Zahl  erup¬ 
tiver  Formen,  von  denen  folgende  die  wichtigsten  sind  . 

1.  Lupus  erythematodes  disseminatus  (Böckh)  .—  disseminirte 

Folliculitis  der  kahlen  Hautstellen  (Brocq)  —  Acmtis  und .1  ollic  is 
(Barthelemy)  —  Folliculitis  exulcerans  (Lukasiewicz)- 
Hydradenitis  suppurativa  (Pollitzer,  Dubreuilh)  cne  e  an 

giectodes  (K  aposi)  —  Granulome  innominö  (T  e  n  neso  n). 

Toxi-tuberculides  papulo  necrotiques  (H  a  1 1  o  p  e  a  u)  —  diese  vielfac 

Namen  bezeichnen  ein  und  dieselbe  Gattung. 

2.  Acne  cachecticorum. 

3.  Lichen  scrophulosorum.  t  . 

4.  Lupus  erythematodes  (Gazen  ave)  und  seine  Varietäten. 

5.  Lupus  erythematodes  disseminatus  (K  a  p  o  s  i),  exanthematoide 

(B  e  s  n  i  e  r). 

6.  Lupus  pernio. 

7.  Erytheme  indure  de  Bazin. 

8.  Einige  Arten  von  Lupus  nodulaire  eruptif  und  von  Lupus 

tubereulosus  en  placards  multiples  (Darier). 

Für  einige  andere,  übrigens  zerstreute  Affectionen  ist  es  zwe.fe 
haft,  ob  man  sie  liier  einreihen  solle  oder  nicht.  Ich  führe  blos  an. 

1.  Pityriasis  lubra  (H  e  b  r  a,  Jadassohn  . 

2.  Eczema  scrophulosorum  (BoeklO. 

3.  Angiokeratom  von  Mibelli  (Le  redd  et. 

4.  Gewisse  Formen  von  Frostbeulen  (Engelures). 

5.  Akroasphyxie 


798 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


Sehr  häufig  sieht  man  verschiedene  eruptive  Formen,  die  ich 
bereits  angeführt  habe,  bei  einem  und  demselben  Kranken.  Ausser 
diesen  Combinationen  beobachtet  man  sehr  häufig  Uebergänge  zwischen 
zwei  benachbarten  Typen.  Daraus  geht  hervor,  dass  nichts  sicherer  ist, 
als  die  engen  Verwandtschaftsbeziehungen  zwischen  den  einzelnen 
Formen,  welche  man  unter  die  Tuberculide  einreiht,  dass  aber  auch 
nichts  schwieriger  ist,  als  zwischen  denselben  eine  präcise  Eintheilung 
festzustellen.  Ich  betrachte  die  bezüglichen  Bestrebungen  noch  für 
verfrüht. 

C.  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e.  Im  Allgemeinen  beobachtet  man  die  Tuber¬ 
culide  bei  tuberculösen  Kranken. 

Manchmal  handelt  es  sich  dabei  um  allgemeine  viscerale  Tuber- 
culose,  um  gewöhnliche  Phthise;  doch  ist  dies  nicht  der  häufigste  Fall. 
Manchmal  sind  die  Tuberculide  an  langsam  verlaufende  Tuberculösen 
gebunden,  hauptsächlich  an  Localisation  in  den  Drüsen,  aber  auch  in 
den  Lungen,  in  den  serösen  Häuten,  Gelenken  oder  Knochen,  welche 
Affectionen  mit  Verlängerung  des  Lebens,  mit  einem  hinreichend  guten 
und  selbst  blühenden  Allgemeinzustande  verträglich  sind,  in  vielen 
Fällen  verheilen  können,  und  im  Ganzen  abgeschwächte,  bacilläre  In- 
fectionen  darstellen.  Manchmal  sind  die  Tuberculide  mit  bacillären 
Tuberculösen  der  Haut,  wie  Lupus  tubereulosus  oder  Scrophuloderma, 
vereinigt. 

Manchmal  begegnet  man  ihnen  bei  anscheinend  gesunden,  aber 
nichtsdestoweniger  verdächtigen  Individuen,  sei  es  wegen  erblicher 
oder  persönlicher  Antecedentien,  sei  es  wegen  deren  gegenwärtiger 
Blässe,  Schwäche  u.  s.  w.  Bei  Manchen  derselben,  die  man  längere 
Zeit  überwacht  hat,  konnte  man  das  Erscheinen  der  lange  Zeit  latent 
gebliebenen  Tuberculose  wahrnehmen;  ein  Ausbruch  von  Tuberculiden 
kann  ein  frühzeitiges  Zeichen  (und  dadui'ch  von  hoher  Bedeutung) 
bacillärer  Infection  darstellen.  Endlich  kann  man  beobachten,  dass  die 
Tuberculose  in  den  Centren  ungemein  häufig  ist,  wobei  wir  wahr¬ 
nehmen,  dass  die  Diagnose  unendlich  schwierig  ist,  ja  dass  die  Krank¬ 
heit  sich  entwickeln  und  heilen  kann,  ohne  in  irgend  einem  Momente 
klinisch  evident  gewesen  zu  sein.  Selbst  die  Autopsie  kann  die  Spuren 
einer  abgeschwächten  Tuberculose  entwischen  lassen,  wenn  jene  nicht 
mit  äusserster  Sorgfalt  vorgenommen  wurde. 

D.  Bacteriologische  und  experimentelle  Er¬ 
gebnisse. 

Die  Nachforschung  nach  Koc  h’schen  Bacillen  in  den  tuber¬ 
culiden  Läsionen  hat  fast  durchgehends  negative  Resultate  ergeben. 
Aber  man  kennt  die  Sorge  und  Geduld,  welche  diese  Untersuchung 
erheischt,  da  selbst  Koch  beim  tuberculösen  Lupus  den  Bacillus  erst 
nach  30 — 40  Schnitten  gefunden  hat. 

Die  Ueberimpfungen  auf  das  für  die  Tuberculose  empfindliche 
Meerschweinchen  hat  fast  immer  das  Nichtvorhandensein  eines  inficiren- 
den  Vermögens  der  Tuberculide  bewiesen.  Die  Bedingungen  des  Alters 
der  Läsionen,  der  Quantität  des  inoculirten  Gewebes  müssen  in  Er¬ 
wägung  gezogen  und  die  Versuche  dieser  Art  können  nicht  oft  genug 
vervielfältigt  werden. 

In  Wirklichkeit  kann  man  bei  verschiedenen  Formen,  die  be¬ 
sonders  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt  haben,  in  Berücksichti 
gung  gewisser  Misserfolge  einige  positive  Ergebnisse  anführen.  So 
gelang  es  Jakobi,  dann  Haushalter,  P  e  1 1  i  z  z  a  r  i  und  Wolff 
bei  Lichen  scrophulosorum  Bacillen  zu  finden,  und  haben  sie  durch 
Inoculation  den  Beweis  der  inficirenden  Kraft  dieser  Bacillen 
erlangt. 

Beim  Erythema  induratum  von  Bazin,  Thibierge  und 
R  a  v  a  u  x  haben  sie  keine  Bacillen  gefunden,  aber  in  einem  Falle  von 
dreien  gelang  ihnen  die  Inoculation  auf  das  Thier. 

Was  die  Wirkung  der  Tuberculininjectionen  auf  die  Träger  von 
Tuberculiden  betrifft,  kann  man  nur  sagen,  dass  hier  die  locale  regel¬ 
mässige  und  constante  Reaction  mangelt. 

E.  Klinisches. 

Die  Formen  der  Tuberculide  sind  zu  sehr  verschieden,  als  dass 
man  von  denselben  eine  einheitliche  Beschreibung  geben  könnte.  Die 
Symptomatologie  der  wichtigsten  derselben  ist  ohnehin  genügend 
bekannt. 

Ich  werde  mich  beschränken,  hier  nur  einige  Eigenschaften  her¬ 
vorzuheben,  welche  der  ganzen  Gruppe  gemeinsam  sind. 

Die  Tuberculide  erscheinen  gewöhnlich  plötzlich,  ohne  Fieber. 
Die  Eruptionen  schreiten  stossweise  vorwärts,  zuweilen  ohne  Unter¬ 
brechung,  continuirlich,  zuweilen  intermittirend. 

Die  Abschnitte  haben  oft  eine  symmetrische  Vertheilung.  Sie 
können  alle  Hautpartien  befallen,  je  nach  ihrer  Form  eine  bestimmte 
Vorliebe  für  diese  oder  jene  Region  nachweisend. 

Diese  Elemente  sind  an  Zahl  sehr  verschieden;  oft  isolirt,  zu¬ 
weilen  gruppirt;  gewöhnlich  von  violettrother  oder  livider  Färbung; 
von  selbst  schmerzlos,  beim  Berühren  schmerzhaft.  Ihre  Dimensionen 
variiren  von  der  kleinsten  Papel  oder  Pustel  bis  zu  umfangreichen 
Knoten  oder  au9gebreiteten  Plaques. 


Ihre  individuelle  Entwicklung  ist  relativ  langsam  und  dehnt  sich 
auf  Wochen  aus,  mitunter  auf  Monate.  Sie  geht  nach  Form  und  Ver¬ 
lauf  in  verschiedenem  Sinne  vor  sich,  mit  dem  Ausgange  in  Resorption 
mit  oder  ohne  consecutive  Atrophie,  oder  in  Eiterung,  oder  in  zu¬ 
weilen  tiefgehende  Nekrose  mit  Geschwürsbildung,  Elimination  und 
bleibende  Vernarbung. 

Alter  und  Geschlecht  üben  einen  wohlbekannten  Einfluss  auf 
das  Erscheinen  dieser  oder  jener  der  wichtigsten  Formen  der 
Tuberculide. 

F.  Pathologische  Anatomie. 

Die  tuberculiden  Läsionen  sind  nicht  von  einheitlicher  Gestaltung; 
die  Untersuchungen  beweisen,  dass  man  sie  in  eine  continuirliche  Serie 
einreihen  kann,  welche  mit  unmerklichen  Abstufungen  zwei  dem  An¬ 
sehen  nach  entgegengesetzte  Typen  vereinigt,  die  ich  mit  A  und  B 
bezeichnen  werde. 

Beim  Typus  A  (zu  welchem  am  öftesten  Lichen  scrophulosorum, 
Acnitis,  Lupus  nodularis  disseminatus  gehört)  geht  in  der  Haut  eine 
Neubildung  charakteristischen  tuberculösen  Gewebes  vor  sich,  mit 
zahlreichen  Riesenzellen,  epithelioiden  Zellen,  lymphoiden  oder  plas¬ 
matischen  Zellen;  diese  Elemente  nehmen  eine  noduläre  oder  follicu- 
läre  Gruppirung  an  mit  Tendenz  zu  käsiger  Degeneration. 

Beim  Typus  B  (Lupus  erythematodes,  dessen  Varietäten,  Fol- 
lictis  etc.,  bestehen  die  Läsionen  hauptsächlich  in  Zügen  runder  oder 
plasmodischer  Zellen  rings  um  die  Gefässe  der  Haut;  in  Gefässalte- 
rationen  mit  Erweiterung  oder  gegentheilig  mit  Verengt  rung  und  selbst 
Obliteration  ihres  Calibers;  in  der  Bildung  mehr  weniger  ausgedehnter 
nekrotischer  Herde. 

Der  Beweis,  dass  die  Typen  A  und  B  fundamental  nicht  ver¬ 
schieden  sind,  ist  durch  ihre  Vereinigung  in  gewissen  Fällen  und 
durch  die  verschiedenen  Ergebnisse  der  histologischen  Untersuchung 
in  derselben  klinischen  Form  geliefert.  Bei  verschiedenem  Lupus  ery¬ 
thematodes,  dessen  histologische  Structur  fast  immer  dem  Typus  B  an¬ 
gehört,  haben  Andry  und  Leredde  die  Gegenwart  der  Knötchen 
des  Typus  A  verzeichnet.  Dasselbe  gilt  vom  Erytheme  indure  von 
Bazin  und  man  hat  von  diesem  Gesichtspunkte  nur  die  von 
Leredde  und  die  von  Thibierge  und  R  a  v  a  u  t  erhaltenen  Re¬ 
sultaten  zu  vergleichen. 

G.  Pathogenic. 

Die  von  mir  berichteten  ätiologischen,  klinischen,  histologischen 
und  experimentellen  Thatsachen  sind  nicht  ausreichend,  um  den 
Tuberculiden  eine  wissenschaftlich  feststehende  Pathogenese  zu  ver¬ 
leihen. 

Man  ist  auf  diesem  Gebiete  auf  mehr  minder  plausible  Hypo¬ 
thesen  angewiesen. 

a )  Die  Hypothese  der  Intervention  unbekannter  Mikroben 
welche  von  den  Koc  h’schen  Bacillen  verschieden  sind,  aber  zu  ihrer 
Entwicklung  ein  von  anderen  Bacillen  besetztes  Terrain  erforderten, 
hat  gar  keinen  Beweis  ihres  Bestehens  und  ist  durch  die  einstimmig 
negativen  Resultate  der  diesbezüglichen  Nachforschungen  wider¬ 
sprochen. 

b)  Die  Hypothese,  welche  mit  Toxi-Tuberculides  be¬ 
zeichnet  wird,  vorgeschlagen  für  die  Affectionen,  welche  wir  studiren, 
und  deren  Erscheinen  durch  die  Wirkung  der  vom  Koc  h’schen 
Bacillus  ausgeschiedenen  Toxine  bedingt  wären,  ist  eine  Anschauung 
genialen  Geistes.  Nach  dem  Einen  würden  die  Toxine  local  wirken  auf 
den  Theil  der  Haut,  wo  die  Eruption  ihren  Sitz  hat;  nach  Anderen 
würden  die  in  Rede  stehenden  Toxine  gewisse  vasomotorische  Centren 
beeinflussen,  deren  Läsion  eine  trophische  Eruption  hervorriefe. 

Ich  möchte  dieser  Anschauung  nur  einen  Vorwurf  machen, 
nämlich,  dass  sie  die  ausnahmsweisen,  aber  sicheren  Fälle  nicht  erklärt, 
bei  denen  man  die  Gegenwart  des  K  o  c  h’schen  Bacillus  oder  die  In- 
fectiosität  der  Läsionen  constatirt  hat. 

c)  Erübrigt  noch  die  Hypothese,  nach  welcher  die  Tuberculide 
durch  Embolien  geschwächter  und  sehr  wenig  virulenter  Bacillen  ent¬ 
stünden,  welche  in  die  Haut  im  Wege  des  Kreislaufes  gedrungen  sind 
und  in  ihrem  Kampfe  gegen  die  phagocytische  oder  bactericide  Reaction 
der  ergriffenen  Gewebe  rapid  unterlägen.  Die  Tuberculide  wären  in 
diesem  Falle  nur  vom  Blute  abstammende  Hauttuberculosen,  bacillär 
in  einem  mehr  weniger  kurzen  Zeiträume,  in  der  Folge  aber  ohne 
Wirkung. 

Diese  Anschauung  erklärt  in  hinreichender  Weise  alle  bekannten 
Thatsachen  und  besonders  die  zufällige  Anwesenheit  von  Bacillen;  sie 
lässt  voraussehen,  dass  die  positiven  Resultate  mit  der  Zahl  der  Unter¬ 
suchungen  sich  vervielfältigen  werden. 

Sie  erklärt  das  zerstreute  Auftreten  und  die  habituelle  Sym¬ 
metrie  der  Läsionen,  Eigenschaften,  die  auch  den  embolischen  Affec- 
tionen  zukommen. 

Sie  ist  nicht  im  Widerspruche  mit  den  Kenntnissen  der  Patho¬ 
logie  über  bacilläre  Läsionen,  von  denen  man  weiss,  dass  diese 
auch  in  anderen  Geweben  als  der  Haut,  in  Drüsen-  und  Knochen- 


Nr.  35 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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gewoben  z.  B.,  spontan  ausheilen  können  und  weder  mehr  nachweisbare 
Bacillen  in  sich  schliessen,  noch  auch  überimpfbar  sind.  _ 

Uebrigens  muss  man  anerkennen,  dass  diese  Theorie  für  den 
Moment  noch  hypothetisch  ist  und  neue  Untersuchungen  erfordert, 
welche  dieselbe  bestätigen  oder  umwandeln  können. 

* 

A  b  t  h  e  i  1  u  n  g  für  innere  M  e  d  i  c  i  n. 

II.  Sitzung. 

I.  Referent :  Boas  (Berlin) :  Symptomatologie,  Dia¬ 
gnostik  und  klinischer  Verlauf  der  Colitis  mem¬ 
bra  n  a  c  e  a.  ...  , .  ,  , 

Unter  Colitis  membranacea  verstehen  wir  eine  eigenartige,  katar¬ 
rhalische,  zu  plastischer  Schleimbildung  tendirende  Erkrankung  des 

t'1  ■’  ^  --  erheblich 


Colon.  Neben  dieser  häufigsten  Form  gibt  es  eine  zweite, 
seltenere,  bei  welcher  die  Krankheitserscheinungen  anfallsweise  auf- 
treten,  während  in  den  Intervallen  keine  wesentlichen  subjektiven  Be¬ 
schwerden  bestehen,  ausgenommen  vielleicht  Koprostase.  Diese  Form 
bezeichnet  man  als  Colitis  mucosa.  Es  gibt  ferner  eine  dritte  Form, 
die  man  als  Colitis  membranacea  arteficialis  bezeichnen  kann.  Man 
kann  dieselbe  durch  wiederholte  adstringirende  Einläufe  (besonders 
Tannin)  bei  Individuen  mit  Colitis,  nicht  aber  bei  Gesunden  hervor 
rufen.  Das  Symptomenbild  der  Colitis  membranacea  wird  im  Wesent 
liehen  beherrscht  durch  Stuhlverstopfung,  Kolik,  Entleerung  schleimig 
membranöser  Massen,  spastische  Atonie  des  Darmes,  und  den  nervösen 
Allgemeinzustand.  Indessen  können  mehrere  der  genannten  Symptome 
fehlen.  Indessen  ist  Obstipation  fast  constant.  Entscheidend  für  die 
Diagnose  ist  lediglich  der  Befund  der  charakteristischen  Schleim¬ 
massen.  Die  übrigen  Symptome,  die  Druckempfindlichkeit,  die  Enteio- 
oder  Coloptose,  die  Wanderniere  können  allenfalls  die  Diagnose  unter¬ 
stützen.  Es  ist  eine  unerlässliche  Aufgabe  des  Diagnostikers,  festzu¬ 
stellen,  ob  die  Colitis  membranacea  ein  primäres  oder  secundäres, 
respective  complicirendes  Leiden  darstellt.  Auch  die  Feststellung  des 
arteficiellen  Ursprunges  der  membranösen  Colitis  ist  von  praktischer 
Wichtigkeit.  Eine  Differentialdiagnose  kommt  bei  aufmerksamer  Unter¬ 
suchung  lediglich  gegenüber  der  Colitis  mucosa  in  Betracht.  Duich 
häufige  Beobachtungen  der  Anfälle,  sowie  durch  methodische  in  den 
Intervallen  vorzunehmende  Darmspülungen  wird  eine  Entscheidung  fast 
immer  möglich  sein.  Der  Verlauf  der  Colitis  membranacea  geht  genau 
parallel  dem  der  habituellen  Obstipation.  Einflüsse,  welche  diese 
bessern,  bringen  auch  jene  zum  Schwinden  und  umgekehrt.. 

Correferent:  Mannaberg  (Wien):  Man  muss  zwischen  En¬ 
teritis  membranacea  und  Cohca  mucosa  unterscheiden.  Eisteie  ist  eine 
häufig  vorkommende  subacute  oder  chronische  katarrhalische  Affection 
des  Dickdarmes,  welche  von  besonders  schleimreichen  Entleerungen  be¬ 
gleitet  ist.  Dagegen  ist  die  Colica  mucosa  ein  sehr  seltener  Krankhejts- 
zustand,  der  durch  Anfälle  heftiger  Leibschmerzen  gekennzeichnet  ist, 
denen  die  Entleerung  der  Schleimmassen  folgt.  Jede  der  beiden  Iviank 
heiten  stellt  eine  selbstständige  Einheit  dar.  Die  erstere  ist  nur  ein 
gewöhnlicher  Darmkatarrh  mit  Beimischung  reichlicher  Schleimmassen. 
Ihre  Pathogenese  ist  dieselbe  wie  beim  Dickdarmkatari h  im  All¬ 
gemeinen.  Die  Colica  mucosa  dagegen  hat  eine  besondere.  In  der 
Mehrzahl  der  Fälle  beruht  sie  auf  der  Grundlage  allgemeiner 
Neurasthenie  oder  Hysterie,  so  das  man  sie  als  eine  Darmnemose  be¬ 
trachten  kann.  Dieselbe  kann  als  isolirte  Erscheinung  der  Neurasthenie 
auftreten.  Bei  so  Disponirten  können  Gelegenheitsursachen  die  Anfälle 
hervorrufen:  Vor  allen  Erkrankungen  des  Genitalapparates  beim 
Manne  wie  bei  der  Frau,  ferner  chronische  Stuhlverstopfung,  reizende 
Mastdarmeingiessungen,  organische  Darmerkrankungen.  Die  Colica 
mucosa  ■  ist  häufig  von  anderen  Krankheitserscheinungen  begleitet, 
welche  sie  zwar  nicht  hervorruft,  aber  auf  dieselbe  neivöse  Basis 
zurückzuführen  sind:  Die  Achyilia  gastrica,  nervöse  Dyspepsie, 
spastische  Darmcontractionen,  Enteroptose.  Die  pathologische  Anatomie 
der  Enteritis  membranacea  ist  dieselbe  wie  die  der  Enteritis  im  All¬ 
gemeinen.  Bei  der  Colica  mucosa  haben  die  sehr  spärlichen 
Autopsien  bisher  kein  wesentliches  anatomisches  Substrat  erkennen 
läSSCD 

Correferent:  Mathieu  (Paris):  Bei  der  „Colite  muco-membra- 
neuse“  besteht  in  der  Regel  Obstipation,  die  häufig  spastischen  .Ur¬ 
sprunges  ist.  Wenn  vorübergehend  Diarrhöe  eintritt,  ist  sie  I  olge  eines 
zufällig  hinzukommenden  Darmkatarrhs.  Stets  ist  eine  secretoiisclie 
Reizung  der  Darmschleimhaut  vorhanden.  In  ihrer  ganzen  Stärke. tritt 
diese  Affection  nur  bei  neurasthenisehen  Personen  auf.  Sie  steigert 
diese  Disposition  noch  wesentlich  und  dehnt  sie  auf  das  Abdomen  aus. 
Sie  geht  oft  mit  Visceralptosis  einher,  die  auf  dieselbe  Ursache  zurück¬ 
zuführen  ist.  Die  nervöse  Reizbarkeit  des  Darmes  führt  zu  einer 
Hyperästhesie  und  Steigerung  der  Motilität,  welche  die  Ursache  der 
spastischen  Contractionen  sind.  Die  locale  und  allgemeine  Neurose  be¬ 
einflussen  sich  beständig  gegenseitig,  so  dass  die  eine  immer  zeitweise 
die  andere  steigert.  Darauf  muss  die  Therapie  Rücksicht  nehmen.  In 


Folge  unzureichender  Ernährung  und  der  Schmerzanfälle  kommt  es 
zuweilen  zu  Abmagerung  und  Anämie.  Die  Obstipation  ist  gleichzeitig 
Ursache  und  Wirkung  der  Colitis.  Mit  ihrer  Beseitigung  ist  auch  die 
Heilung  der  Colitis  sicher  gegeben.  Zur  Behandlung  der  Obstipation 
empfehlen  sich  besonders  das  Ricinusöl,  hohe  Darmeinläufe  und  Bella¬ 
donna.  Dagegen  sind  alle  Mittel  zu  vermeiden,  welche  die  Secretron 
der  Schleimhaut  oder  den  Spasmus  der  Darmwand  steigern  könnten. 
Das  Ricinusöl  wird  am  frühen  Morgen  in  kleinen  Dosen  verabreicht 
abwechselnd  mit  dem  Klystieren,  die  nur  langsam  und  unter  geringem 
Drucke,  ungefähr  40°  warm,  in  Menge  von  lVj  2'/2  ^  geg0t>en  werden 
sollen.  Diese  Darmspülungen  mildern  den  Darmreiz  und  den  Spasmus, 
führen  zur  Entleerung  der  angehäuften  Schleimmassen  und  haben 
dadurch  eine  mechanische  antiseptische  Wirkung,  welche  der  Ent¬ 
stehung  intestinaler  Autointoxicationen  vorbeugt.  Man  kann  warmes 
Wasser  benützen,  auch  Natron  bicarb,  oder  Natron  salicyl,  zusetzen, 
und  zur  Einwirkung  auf  den  Darmkatarrh  eine  sehr  verdünnte  Lösung 
von  Ammon,  ichthyol.  Drastische  Purgantien,  adstringirende  Injectionen 
und  Darmmassage  sind  zu  untersagen.  Die  mehrfach  empfohlene  vege¬ 
tarische  Diät  wird  nicht  immer  vertragen,  und  man  ist  gezwungen, 
eine  blande  Diät  zu  verordnen,  wenn  sie  auch  die  Obstipation  be¬ 
günstigt.  Zu  empfehlen  sind  noch  prolongirte  warme  Bäder  und 
warme  Abwaschungen.  Die  allgemeine  Neurasthenie  ist  nach  den 
üblichen  Methoden  zu  behandeln. 

Discussion:  Langenhagen  (Plumbieres)  meint,  dass 
neben  der  Hauptform,  welche  mit  Obstipation  einhergeht,  eine  zweite 
anzunehmen  ist,  bei  welcher  ständig  Diarrhöen  bestehen.  Er  fand  32 
solche  unter  600  Fällen.  Von  den  drei  Hauptzeichen  der  Erkrankung 
(Abgang  von  Schleim  und  Membranen  mit  den  Fäces,  Unregelmässig¬ 
keit  der  Darmfunction  und  Schmerzen)  fehlen  letztere  etwa  in  5  dei 
Fälle.  In  9  von  100  Fällen  hat  Redner  das  Vorkommen  von  Darm¬ 
steinen  bei  Enterocolitis  muco-membranosa  beobachtet.  Sie  ist  anderer¬ 
seits  eine  stete  Begleiterin  der  Darmsteine. 

Dieulafoy  (Paris)  erörtert  die  Frage  eines  Zusammenhanges 
zwischen  Enterocolitis  mucosa  und  Appendicitis,  die  nach  Ansicht 
einiger  Autoren  aus  ersterer  hervorgehen  könnte.  Die  Thatsachen 
sprechen  aber  dagegen.  Man  findet  bei  solchen  Kranken  nie  Ei- 
scheinungen  von  Blinddarmentzündung,  auch  wenn  sich  der  Process 
auf  das  Cöcum  erstreckt.  Nur  einmal  bei  117  Kranken  mit  Appendi¬ 
citis,  welche  D  i  e  u  1  a  fo  y  hat  operiren  lassen,  hater  eine  Entero¬ 
colitis  gefunden.  Aber  es  gibt  Kranke,  die  Diarrhöen  in  Folge  der 
Appendicitis  haben.  Nach  der  Operation  hören  sie  sofort  auf.  Bei 
einer  Kranken,  in  welcher  man  Appendicitis  vermuthet  batte,  fand 
sich  bei  der  Operation  der  Wurmfortsatz  gesund.  Die  Schmerzen 
rührten  vielmehr  von  einer  Colica  mucosa  her. 

Ewald  (Berlin) :  Es  gibt  eine  Form  der  Enteritis  membranacea, 
welche  die  Folge  einer  Entzündung  oder  Reizung  der  Schleimhaut  des 
Darmes  ist,  zum  Beispiel  nach  Dysenterie,  acutem  oder  chronischen 
Darmkatarrh  irgend  welcher  Ursache.  Aber,  die  Mehrzahl  der  Falle 
lässt  eine  solche  Basis  doch  vermissen,  sie  sind  vielmehr  vollkommen 
neuropathischen  Ursprunges.  Was  die  Pathogenese  der  sogenannten 
Colica  mucosa  und  der  Enteritis  membranacea  anlangt,  so  bestehen 
keine  principiellen  Unterschiede  zwischen  ihnen,  es  handelt  sich  viel 
mehr  nur  um  verschiedene  Symptome  ein  und  derselben  Krankheit. 
Dafür  sprechen  folgende  Thatsachen:  1.  Die  grössere  Häufigkeit  bei 
den  Frauen.  2.  Die  häufige  Complication  mit  Genitalerkrankungen, 
besonders  des  Uterus.  3.  Das  gleichzeitige  Vorhandensein  von  Achylia 
gastrica,  die  der  Ausdruck  allgemeiner  Neurasthenie  ist.  4.  Das  Ab¬ 
wechseln  beider  Krankheitszustände  bei  ein  und  derselben  Person. 
5.  Es  bestehen  keine  qualitativen  oder  quantitativen  Unterschiede  in 
dem  Verhältniss  der  entleerten  Schleimmassen.  6.  Die  Obstipation  ist 
nicht  die  Ursache,  denn  es  findet  sich  öfters  auch  Diarrhoe.  7.  Die 

Heilung  mit  Beseitigung  der  Neurasthenie.  .. 

Einhorn  (New  York)  hält  die  nervöse  Grundlage  gleichfalls 
für  sicher.  Dafür  spricht  das  häufig  periodische  Auftreten  in  Zeiten 
vollkommenen  Wohlbefindens,  ferner  die  Neurasthenie  der  Kranken 
(meist  Frauen),  die  Vergesellschaftung  mit  Enteroptose  und  die  otters 
vorkommende  Achylie. 

II.  Hemmeter  (Baltimore) :  Etude  experimentale  sur 
Faction  mot  rice  et  digestive  des  intestins. 

Man  sollte  glauben,  dass  kleinste  Theile  Stärkemehles,  die  ms 
Rectum  eingeführt  werden,  bis  in  den  Magen  hinauf  gelangen  könnten. 
Augenscheinlich  verhindern  aber  die  Salzsäure  und  das  Koc  isa  z  ks 
Bewegung,  welche  sich  wahrscheinlich  bei  der  Berührung  mi  ei 
Schleimhaut  selbst  vollzieht  in  Folge  der  Contraction  der  Muscularis 
mucosa.  Der  wässerige  Extract  des  Rectalinhaltes  enthalt  noch 
proteolytisches  und  amylolytisches  Ferment.  Wenn  man  bei  Hum  n 
drei  Wochen  hindurch  eine  sterile  Kost  verabreicht  und  mehrfach 
Chymol-  und  Sublimatauswaschungen  vornimmt  findet  man  doch 
immer  noch  Mikroben  im  Darme,  unter  denen  Fact,  coli,  btxep >  o- 
coccen  und  Proteus  vulgaris  vorherrschen  Die  Gegen  wait  i 


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Nr.  35 


Mikroben  scheint  übrigens  für  die  normale  Verdauung  unerlässlich 
zu  sein. 

III.  Zabe  (Paris) :  Hernie  ombilieale  et  enteroptose. 
Correlation  de  cause  äeffet. 

Theoretische  Betrachtungen  über  die  Entstehung  des  Nabel¬ 
bruches:  Der  fibröse  Nabelring  ist  das  statische  Centrum  der  Bauch¬ 
höhle;  wenn  er  nicht  mehr  straff  gespannt,  kommen  die  Eingeweide 
aus  dem  Gleichgewicht  und  sinken  nach  unten. 

IV.  Esguerra  (Columbien) :  Intervention  chirur- 
gicale  dans  l’appendicite. 

Vortragender  w’endet  sich  dagegen,  dass  jede  Appendicitis  nur 
durch  Operation  zu  heilen  ist  —  eine  Anschauung,  die  bereits  ins 
Volk  einzudringen  beginne.  Es  kommt  doch  noch  oft  genug  vor,  dass 
eine  Appendicitis  spontan  heilt,  und  das  muss  sich  der  Arzt  selbst 
sagen,  wenn  er  dem  Kranken  und  seinen  Angehörigen  die  Operation 
vorschlägt  —  ein  Eingriff,  der  oft  eine  ebenso  grosse  Gefahr  be¬ 
deutet,  als  die  Krankheit  selbst.  Nur  ein  sehr  geübter  Chirurg  kann 
der  Unschädlichkeit  der  Operation  sicher  sein.  In  allen  Ländern  ist 
aber  die  Technik  noch  nicht  so  vollkommen. 

V.  Netter  (Paris) :  Des  symptömes  meningitiques 
dans  la  fievre  typhoide. 

Durch  meningitische  Symptome  im  Verlaufe  des  Typhus 
(K  erni  g’schos  Symptom)  wird  die  Prognose  besonders  bei  Kindern 
sehr  getrübt,  ebenso  bei  Greisen  und  geschwächten  Personen.  Ent¬ 
weder  handelt  es  sich  nur  um  eine  Pseudomeningitis,  odtr  es  ist 
wirklich  ein  seröses  Exsudat  vorhanden,  das  den  Bacillus  Eberth 
enthält.  Redner  hat  unter  44  Fällen  dieser  Art  9  Todesfälle  und 
8  Recidive,  dagegen  unter  969  Fällen  von  gewöhnlichem  Typhus  nur 
15  Todesfälle  und  43  Rückfälle.  Die  meningitischen  Fälle  haben  sich 
in  den  letzten  Jahren  auffällig  gehäuft. 

VI.  G  a  1 1  i  a  r  d  (Paris):  Pleuresie  purulente  ä  bacill  es 
d’Eberth.  Guerison  sans  pleurotomie. 

Ein  Mädchen  von  16  Jahren  erkrankte  im  März  d.  J.  an 
leichtem  Typhus.  Einen  Tag  nach  der  Entfieberung  traten  plötzlich 
Schmerzen  in  der  linken  Seite  auf,  leichtes  Fieber  andauernd.  Nach 
14  Tagen  Probepunction:  blutig-eiteriges  Exsudat.  Durch 

Thoracocentese  werden  250  cm :i  Harn  entleert  und  Einspritzung  von 
50  g  verdünnter  Carbolsäure  in  die  Pleura  zur  Desinfection.  Danach 
ein  Anfall  schwerer  Carbolintoxication,  welcher  nach  einigen  Tagen 
voi  überging.  In  den  nächsten  Wochen  hat  Redner  dann  die 
Thoracocentese  noch  fünfmal  wiederholt  und  stets  eiterige  Flüssigkeit 
in  verschieden  grosser  Menge  entleert.  Die  Kranke  hat  nur  eine 
pleuritische  Schwäche  zurückbehalten,  ist  sonst  aber  völlig  gesund 
geworden. 

VII.  Bloch:  Origine  de  la  teinte  jaune  chloro- 
t  i  q  u  e. 

Man  hat  bisher  angenommen,  dass  die  gelbgrüne  Farbe  der 
Bleichsüchtigen  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass  das  Hämoglobin  in 
concentrirter  Lösung  die  vollen  Strahlen  nicht  durchlässt,  dagegen  die 
gelben  und  grünen.  Das  scheint  nicht  richtig  zu  sein.  Redner  glaubt 
vielmehr,  dass  diese  Farbe,  wie  bei  den  braunen  Racen  und  den 
Kachektischen,  von  Pigmentanhäufungen  herrührt,  die  man  bei  Chloro- 
tischen  an  den  Mammae,  Gesicht  und  Fingern  findet.  Das  Pigment 
stammt  aus  zerstörtem  Hämoglobin,  welches  sich  in  dem  Rete  Malpighii 
der  Haut  ausscheidet. 

VIII.  Ferdinandez  de  Harra  (Columbien):  La  t  rai  te¬ 
rn  e  n  t  moderne  de  la  fievre  jaune. 

* 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

Referent:  Wohlgemuth  (Berlin). 

I.  Sitzungstag.  Nachmittagssitzung. 

II.  M.  Villa  r  (Bordeaux):  Diagnose  und  Behandlung 
der  Pankreastumoren. 

Vortragender  erwähnt  zwei  Fälle  von  Pankreastumoren,  bei 
denen  erst  die  Section  die  Diagnose  geklärt  hat,  und  ist  der  Meinung, 
dass  man  noch  zu  selten  einen  Tumor  des  Pankreas  in  den  Kreis 
seiner  diagnostischen  Erwägungen  einschliesst.  Trotz  der  Laparotomie 
wurde  in  den  beiden  erwähnten  Fällen  die  Pankreaserkrankung  nicht 
erkannt.  V  i  1 1  a  r  erinnert  daran,  dass  gewisse  subphrenische  Abscesse 
nicht  selten  ihren  Ursprung  von  einer  Erkrankung  des  Pankreas  her¬ 
leiten,  dass  gewisse  plötzliche  Todesfälle  den  Gedanken  an  eine  Apo¬ 
plexie  des  Pankreas  aufkommen  lassen  müssten,  und  macht  auf  ein 
bedeutsames  Zeichen,  bei  dem  man  immer  an  das  Pankreas  denken 
müsste,  aufmerksam,  d.  i.  der  Schmerz,  welcher  sich  von  links  nach 
rechts  und  in  die  Fossa  iliaca  hinzieht.  Die  Diagnose  der  Tumoren 
hält  er  für  leichter,  schon  wegen  der  besonderen  Symptome,  dem 
Schmerz,  der  sich  zum  Magen  und  zur  Wirbelsäule  erstreckt,  dem 
Dämpfungsbezirk  in  der  Mittellinie,  der  nach  oben  von  dem  Magen¬ 


schall,  nach  unten  von  dem  tympanitischen  Klang  des  Darmes  begrenzt 
wird.  In  schwierigen  Fällen  geht  allerdings  die  Tumordämpfung  in  die 
Leberdämpfung  über,  hier  muss  man  dann  nach  den  erwähnten  specifi- 
schen  pankreatischen  Symptomen  fahnden.  Was  nun  die  Therapie 
anlangt,  vorerst  der  Cysten,  so  ist  die  Exstirpation  nicht  selten 
wegen  der  Adhärenzen  und  der  starken  Gefässe  gefährlich,  wenn 
man  nicht,  was  sehr  selten  der  Fall  ist,  auf  einen  gestielten  Tumor 
trifft,  dagegen  gibt  die  einfache  Entleerung  derselben  oft  gute 
Resultate.  Die  benignen  solitären  T  u  more  n  sind  leicht  zu  exstir- 
piren.  Von  den  malignen  Tumoren  kann  man  die  des  Pankreas¬ 
schwanzes  und  gewisse  Formen  des  Körpers  wohl  entfernen,  doch  nicht 
gut  die  de3  Kopfes. 

III.  Soubbovitsch  (Belgrad):  Uebe  reinen  operirten 
Fall  von  hämorrhagischer  Pankreascyste. 

Die  pathologisch-anatomische  Untersuchung  hat  ergeben,  dass  im 
Anschluss  an  ein  Trauma  sich  eine  chronische  Pankreatitis  mit  Indu¬ 
ration,  Verengerung,  respective  Obliteration  der  Ausführungsgänge  und 
cystischen  Erweiterungen  gebildet  hat,  deren  eine  die  Grösse  eines 
Kindskopfes  erreichte. 

IV.  M  i  c  h  a  u  x  (Paris) :  Die  Cholecystektomie  in 
Rücksicht  auf  ihre  unmittelbaren  und  späteren 
Resultate. 

Von  50  Operationen  an  den  Gallen  wegen  hat  er  32mal  bei  ein¬ 
facher  Calcnlose  der  nicht  inficirten  Blase  mit  verdickten  Wänden  die 
Exstirpation  derselben  vorgeuommen.  28  Heilungen  und  4  Todesfälle. 
Sechsmal  hat  er  die  Choledochotomie  mit  der  Cholecystektomie  ausgeführt. 
Dreimal  traten  dabei  in  den  ersten  24  Stunden  Herzanfälle  auf,  die 
mit  dem  Gallenausfluss  sistirten.  Der  Gallenfluss  dauerte  bis  zu  3 '/s 
Monate,  trotz  Unterbindung  des  Ductus  cysticus.  Michaux  glaubt, 
dass  dieser  Gallenfluss  von  der  unteren  Fläche  der  Leber  oder  von 
einem  Vas  aberrans  kommt.  Nach  der  Operation  sind  hin  und  wieder 
noch  kleine  Steinchen,  die  wahrschninlich  in  der  Nachbarschaft  geblieben 
waren,  abgegangen.  Jedesmal  ist  eine  grosse  Besserung  in  dem  Allge¬ 
meinzustande  der  Patienten  eingetreten,  die  stets  ein  Jahr  und  länger 
dauerte.  Die  Cholecystektomie  gibt  bessere  Resultate,  als  die  Chole- 
cystotomie. 

V.  Reyncs  (Marseille)  ;  Gallensteinerkrankung  mit 
den  Symptomen  einer  Appendicitis.  Transhepatische 
Cholecystotomie. 

Eine  Frau  von  60  Jahren  erkrankte  unter  allen  Zeichen  einer 
recidivirenden  Appendicitis.  Die  Operation  deckte  eine  Eitermasse  auf, 
die  vom  Cöeum  bis  zur  unteren  Leberfläche  sich  erstreckte,  die  mit 
der  Gallenblase  und  den  angrenzenden  Eingeweiden  in  undurchdring- 
bare  Verwachsungen  eingebettet  war.  Nach  Erweiterung  des  Bauch¬ 
schnittes  nach  oben  Punction  in  der  Richtung  der  Gallenblase  von 
der  Leberconvexität  aus.  Der  Troikart  stiess  auf  eine  Menge  kleinster 
Steinchen,  wie  wenn  man  ihn  in  Eis  einbohrte.  Spaltung  der  Leber  in 
der  Richtung  des  Troikarts,  so  weit,  dass  eine  Auslöffelung  der  Gallen¬ 
blase  und  Drainage  derselben  gemacht  werden  konnte.  Eine  analoge 
Form  der  Erkrankung  hat  Terrier  1895  publicirt. 

VI.  Jonnesco  (Bukarest):  Die  chirurgische  Be¬ 
handlung  der  Hydatidencysten  der  Leber. 

Redner  bespricht  die  vier  verschiedenen  Arten  des  chirurgischen 
Vorgehens:  die  Punction  mit  oder  ohne  Injection  von  antiparasitären 
Flüssigkeiten,  die  sogenannte  Marsupialisation,  die  Incision  mit  Aus¬ 
räumung  und  Naht  der  Cyste,  die  Enucleatien  und  Exstirpation.  Die 
letzte  Operation  ist  so  selten  ausführbar,  dass  man  sie  nur  ausnahms¬ 
weise  wird  anwenden  können.  Die  Punction  ist  gefährlich  und  un¬ 
sicher.  Die  Operation  der  Wahl  soll  die  Incision  der  Cyste,  die  Aus¬ 
räumung  seines  Inhaltes,  die  Entfernung  der  serösen  Haut  und  Naht¬ 
drainage  sein.  Keine  Tamponade,  keine  Befestigung  an  der  Bauchwand. 
Weder  Umfang,  noch  Inhalt  sollte  von  dieser  Operation  abhalten.  Er 
hat  sechs  Fälle  von  Faustgrösse  bis  zu  einem  Durchmesser  von  30  cm 
operirt,  alle  mit  Erfolg.  In  einem  Falle  einer  enormen  Cyste  der  Leber 
mit  galligem  Inhalt,  der  nie  eine  Contraindication  bieten  soll,  hat  er 
gleich  die  rechte  tuberculöse  Niere  mit  fortgenommen.  Der  Patient  ist 
geheilt  worden. 

VII.  Giordano  (Venedig) :  Beitrag  zur  chirurgischen 
Behandlung  der  Leber  abscesse. 

Vortragender  hat  72  Abscesse  der  Leber  —  eine  Krankheit, 
die  nicht  nur  in  heissen  Ländern,  sondern  auch  als  Intoxication  bei 
Alkoholikern  Vorkommen  kann  —  operirt.  Es  waren  meist  Erwachsene 
zwischen  30  —  50  Jahren.  Der  Eiter  war  in  58-4°/0  der  Fälle  steril,  in 
20,7°/o  enthielt  er  ämoboide  Formelemente,  in  9'6%  nur  das  Bacterium 
coli  und  pyogene  Mikroben.  Die  explorative  Punction  des  Abscesses 
hat  keinen  Werth.  Es  ist  nur  Laparotomie  in  Frage  zu  stellen.  Von 
seinen  72  Kranken  sind  42  geheilt,  30  gestorben. 

VII  I.  A  d  a  m  i  d  i  (Kairo)  :  Pathologie  und  Behand¬ 
lung  der  Leber  abscesse. 

Redner  sagt  nichts  Neues  über  diesen  Gegenstand.  Ueber  das¬ 
selbe  Thema  spricht  noch  Hache  (Beyreuth).  Er  hält  die  freie  In- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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cision  für  äusserst  gefährlich.  Er  hat  zwei  seiner  Operirten  an  Peri¬ 
tonitis  verloren.  Verwachsungen  sind  eine  Ausnahme,  wenn  man  huh- 
zeitig  operirt.  Die  Sterilität  des  Eiters  ist  nicht  immer  constant.  Die 
beste  Methode,  die  Peritonitis  zu  vermeiden,  scheint  ihm  eine  bieite 
Incision  der  Bauchwand  und  Annähung  der  Leber  an  die  Bauchwunde 
zu  sein-  entweder  ohne,  oder  mit  einer  vorhergegangenen  Punetion 
des"  Abscesses.  Wenn  ein  sehr  voluminöser  Abscess  die  Wahl  lässt 
zwischen  einer  intercostalen  oder  epigastrischen  Incision,  so  glaubt  er 
die  letztere  vorziehen  zu  müssen.  Mit  der  Punetion  wird  man  auch  einen 
ziemlich  voluminösen  Abscess  nicht  immer  treffen.  Von  seinen  48  Ope¬ 
rirten  sind  7  gestorben,  4  an  einem  Rückfall  und  die  3  anderen  an 
Peritonitis,  von  denen  eine  schon  vor  der  Operation  bestand. 

IX.  Segale  (Genua) :  Eine  neue  Art  der  Blut¬ 
stillung  bei  der  Leber  durch  eine  besonders  be¬ 
festigte  Naht. 

Redner  glaubt,  dass  die  Blutungen  bei  der  Leberresection  auf 
eine  unvollkommene  Technik  und  auf  eine  Unzulänglichkeit  unserer 
blutstillenden  Mittel  in  Rücksicht  auf  die  anatomische  Structur  des 
ausserordentlich  gefässreichen  und  lockeren  Organes  zurückzufühlen 
sind.  Er  ist  daher  der  Meinung,  dass  man  das  directe  lassen  der 
blutenden  Gefässe  vermeiden,  und  die  Blutung  vielmehr  durch 
eine  gleichmässige  und  constante  Compression  hintanhalten  muss.  Zu 
diesem  Zwecke  zieht  er  auf  einen  Catgutfaden  kleine  Röllchen  aus 
Ebenholz  oder  Elfenbein  so  fest  auf,  dass  sie  einen  ganzen  biegsamen 
Stab  zu  bilden  scheinen,  legt  diese  nach  der  Naht  der  Leberwunde  in 
einem  Abstand  von  ungefähr  1  cm  ringsum  die  Naht  herum  und  zieht 
sie  mit  mehreren  Catgutschlingen,  die  durch  die  Dicke  der  Lebersub¬ 
stanz  hindurchgehen,  fest  an,  so  dass  sie  nun  im  Stande  sind,  einen 
gleichmässigen  Druck  auf  die  Wundflächen  auszuüben. 

X.  Jonnesco  (Bukarest)  :  Splenektomie. 

Vortragender  hat  32mal  die  Splenektomie  gemacht,  28mal 
wegen  Milzvergrösserung  nach  Sumpffieber,  dreimal  wegen  leukämischer 
Milzvergrösserung  und  einmal  wegen  Milzechinococcus.  Nach  diesen 
Erfahrungen  ist  er  zu  folgenden  Schlüssen  gelangt:  Die  Splenektomie 
ist  contraindicirt  bei  leukämischer  Hypertrophie  der  Milz,  auch  dann, 
wenn  der  allgemeine  und  locale  Zustand  zufriedenstellend  sind..  e 
drei  Operirte  sind  ohne  irgend  welche  Complication  ihrem  leukämischen 
Leiden  erlegen.  Bei  den  Hydatidencysten  der  Milz  ist  die  Exstirpation 
das  rationelle  Verfahren.  Bei  der  Malariamilz  ist  die  Exstirpation 
immer  gerechtfertigt,  doch  unter  Beobachtung  der  Contraindicationen, 
welche  sind:  1.  Cirrhose  und  überhaupt  atrophische  Zustände  der 
Leber,  2.  ausgedehnte  partielle  Verwachsungen,  3.  starker  Ascites, 

4.  schlechter  Allgemeinzustand  mit  Erkrankungen  der  Eingeweide. 
Leichte  Lebervergrösserung,  mässiger  Ascites,  selbst  ausgesprochene 
Kachexie,  Alter  der  Patienten  und  Umfang  der  Milz  sind  keine  Contra¬ 
indicationen.  Die  Operation  ist  natürlich  umso  leichter  und  besser  aus¬ 
führbar,  je  mobiler  die  Milz  ist.  Die  fixirte  Milz  macht  die  Blutstillung 
schwer,  aber  doch  immer  möglich.  Die  postoperativen  Complicationen 
sind  am  häufigsten  Lungencongestionen,  die  zur  Pneumonie  führen 
können.  Ausserdem  Pericarditis,  Pleuritis,  Peritonitis  und  secundäie 
Blutungen.  Nach  jeder  fieberlosen  Milzexstirpation  beobachtet  man  eine 
Hypotoxicität  des  Urins,  die  drei  bis  vier  Jahre  andauern  kann.  Dei 
therapeutische  Effect  der  Exstirpation  der  Malariamilz  ist  ein  ausge¬ 
zeichneter.  Die  Fieberanfälle  verschwinden,  der  Allgemeinzustand  wird 
rapid  besser,  die  Malariakachexie  schreitet  nicht  weiter  vor,  der  Ascites 
wird  geheilt.  Vier  Operirte  hat  er  nach  4,  S1/^,  3  und  2  Jahien 
wiedergesehen,  die  vollkommen  geheilt  waren.  Die  Zahl  der  rotlien 
Blutkörperchen  wächst  schnell  von  2 — 3,000.000  auf  5  6,000.000, 

die  der  weissen  geht  zur  Norm  zurück. 

XI.  Michailowsky  (Sofia)  gibt  ebenfalls  16  Beobach¬ 
tungen  von  Exstirpation  der  Malariamilz  zur  Kennt- 
niss,  eine  Exstirpation  wegen  hämorrhagischer  Cyste  nach  Trauma. 

Er  betont  ebenfalls  die  relative  Gutartigkeit  der  Milzexstirpation, 
ihre  glänzenden  Resultate,  den  Schwund  der  kachektiscben  Symptome 
nach  der  Operation  und  stellt  diesen  Resultaten  die  Machtlosigkeit  der 
internen  Therapie  gegenüber.  Für  die  Operation  wählt  er  gern  den 
Medianschnitt,  der  stets  am  vortheilhaftesten  ist,  sei  es,  dass  die  Milz 
verwachsen,  fixirt,  mobil  oder  verlagert  ist. 

Als  postoperative  Complication  hat  er  unmittelbar  nachher  eine 
Temperatursteigerung  beobachtet,  die  auf  eine  Pleurapneumonie  zurück¬ 
zuführen  war.  Zu  den  Indicationen,  respective  Contraindicationen  der 
Operation  möchte  er  noch  hinzufügen,  dass  Schwangerschaft  von 
der  Exstirpation  nicht  abhalten  soll.  Er  hat  eine  Frau  im  fünften 
Monate  der  Gravidität  operirt,  ohne  dass  letztere  gestört  worden 
wäre.  Von  seinen  16  Operirten  starb  nur  einer  an  linksseitiger  1  leuia- 
pneumonie.  Die  Exstirpation  der  Milz  ist  nach  seinem  Dafürhalten  das 
rationelle  Verfahren  bei  der  Milzvergrösserung  nach  Malaria. 


II.  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 
Vorsitzender:  Soimenburg  (Berlin). 


I.  Morestin  (Paris):  Der  Krebs  der  Wange. 

Der  Wangenkrebs  ist  ziemlich  häufig.  Prädilectionssitze  sind  die 
Lippen,  die  Zunge  und  der  Mundboden.  Selten  dagegen  sieht  man  ihn 
sich  auf  die  Schleimhaut  des  Gaumens  oder  auf  das  Gaumensegel  aus¬ 
breiten.  Unter  zwölf  Kranken  hat  er  nur  eine  einzige  Frau.  Die  meisten 
waren  Raucher,  alle  Kranken  hatten  schlechte  Zähne.  Bei  den  meisten 
Kranken  war  die  Neubildung  schon  so  weit  vorgeschritten,  dass  es  nicht 
mehr  möglich  war,  zu  eruiren,  ob  Leukoplakien  auf  der  kranken  Wange 
vorhanden  waren.  Meist  begann  die  Krankheit  in  dei  I uiche  zwischen 
Backe  und  Zahnfleisch,  bei  zweien  in  dem  Winkel  zwischen  oberer 
und  unterer  Zahnreihe.  Nicht  selten  fanden  sich  in  der  Nachbai schaft 
der  Neubildung  Abscesse,  die,  sei  es,  dass  sie  sich  von  selbst 
öffneten,  sei  es,  dass  sie  incidirt  wurden,  sich  nicht  mehr  schlossen, 
von  den  neoplastischen  Sprossen  ausgefüllt  wurden.  Gewöhnlich  ist 
der  Krebs  der  Wange  indolent  so  lange,  bis  entzündliche  Erscheinungen 
auftreten.  Die  Perforation  der  Backe  ist  ein  schweres  Symptom; 
ihr  folgt  gewöhnlich  bald  darauf  die  Kachexie.  Häufig  sieht  man, 
dass  der  Ductus  Stenonianus  sich  in  der  Mitte  der  carcinomatösen 
Vegetationen  öffnet,  und  dass  er  von  einer  aufsteigenden  Infection  ver¬ 
schont  bleibt.  Ein  Umstand,  der  wohl  auf  den  dauernden  Speichelaus¬ 
fluss  zurückzuführen  ist,  der  diesen  Ausführungsgang  säubert.  Die  Pro¬ 
gnose  des  Wangenkrebses  ist  stets  eine  sehr  ernste.  Er  entwickelt  sich 
in  einigen  Monaten,  und  sehr  schnell  ist  er  so  weit  vorgeschritten,  dass 
er  sich  der  operativen  Behandlung  entzieht.  Im  Allgemeinen  wird  man 
heute  mit  dem  Tumor  zusammen  gleich  den  Unterkiefer  und  die  sub- 
maxillaren  Drüsen  fortnehmen.  Von  seinen  zwölf  Kranken  hat  er 
fünf  operirt;  die  anderen  waren  inoperabel.  Von  diesen  fünfen  ist 
einer  noch  an  demselben  Tage  gestorben.  Die  übrigen  vier  haben 
die  Operation  ganz  gut  ertragen.  Den  einen  von  ihnen  hat  er  aus 
dem  Gesieht  verloren.  Die  anderen  drei  haben  ein  Recidiv  be¬ 
kommen  und  sind  drei  bis  acht  Monate  nach  der  Operation  zu  Grunde 
gegangen. 

II.  Le  Fort  (Lille) :  Experimentelle  Fracturen  der 
Gesichtsknochen,  besonders  des  Oberkiefers. 

Vortragender  zeigt  die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Photographien  dieser  Frac¬ 
turen,  deren  äussere  Zeichen,  trotzdem  sie  manchmal  recht  ausgedehnt 
waren,  nicht  zu  erkennen  waren.  Die  Knochenverschiebungen  und  die 
Beweglichkeit  derselben  sind  relativ  selten  gewesen. 

Die  Verletzungen  der  Gesichtsknochen  haben  die  lendenz,  die 
Schädelbasis  durch  einen  grossen  Spalt  von  der  Nasenwurzel  bis  zum 
Foramen  occipitale  zu  trennen. 

Der  Stoss,  der  die  Mitte  des  Gesichtes  trifft,  sei  es  von  vorne 
nach  hinten,  von  oben  nach  unten  oder  von  unten  nach  oben 
gehend,  lässt  die  Backenknochen  gewöhnlich  intact,  die  dann  am 
Schädel  fest  bleiben,  während  nur  die  mittlere  Partie  des  Gesichtes 

nachgibt.  #  »  .  .  . 

Der  Redner  geht  dann  auf  die  Einzelheiten  der  fracturirten 

Knochen  ein  mit  genauer  Beschreibung  der  einzelnen  Fragmente. 

III.  Sever  eanu  (Bukarest)  :Ueber  eine  neue  Methode 
der  Oberkiefer  resection. 

Sie  besteht  darin,  dass  er  die  transversale  D  i  e  f  f  e  n  b  a  c  h  s 
mit  der  verticalen  Schnittführung  von  Maisonneuve  verbindet 
Für  Vortheile  dieser  Schnittführung  hält  er,  dass  das  Operationsfeld 
grösser,  die  Narbe  fast  unsichtbar  ist.  Was  die  Resection  des  Neiv. 
infraorbitalis  anlangt  und  die  Frage,  ob  nach  der  Durchschneidung 
desselben  auch  eine  Anästhesie  der  correspondirenden  Gesichtshai fte 
eintritt,  so  würde  das  nach  der  Meinung  des  Vortragenden  nicht 
schwer  ins  Gewicht  fallen.  Nichtsdestoweniger  hat  er  jedes  Mal  nach 
Möglichkeit  den  Nerv  geschont  und  nie  hat  er  eine  Störung  in  der 
Thränenabsonderung  gesehen.  Während  er  zuerst  an  nicht  chloroformn- 
ten  Patienten  operirt  hat,  hat  er  doch  später  die  I  rendelenbuig- 
sehe  präventive  Tracheotomie  und  die  Operation  am  herabhängenden 

Kopfe  vorgezogen.  .  x . 

IV.  Cuneo  und  V  e  a  u  (Paris) :  Ueber  die  Pathogenie 

der  gemischten  parabuccalen  Tumoren. 

Nach  ihren  Untersuchungen  ist  die  glanduläre  l  heone  dei 
französischen  sowohl  wie  die  bindegewebige  der  deutschen  Forscher  für 
sich  allein  unzureichend,  die  Pathogenie  dieser  Tumoren  zu  erklären. 
Ihre  Untersuchungen  von  Embryonen  haben  den  Beweis  geliefert,  dass 
diese  Geschwülste  stets  Mischformen  darstellten,  wedei  iein  in  e 
eewebiger  noch  rein  epithelialer  Natur. 

V.  Morestin  (Paris) :  Ueber  einen  Speichel  tumor 

der  Par  otisgegend.  .  . 

Mores  tin  beobachtete  bei  einem  Kranken  eine  Erweiterung 

der  Speichelgänge  der  Parotis.  Doch  war  es  keine  t-yste,  1  enn  .  'est 
sind  geschlossen,  währen  der  Inhalt  dieses  Tumors  unter  dem  leichte¬ 
sten  Druck  in  den  Mund  floss.  Auch  war  es  keine  von  den  Dilata¬ 
tionen,  die  sich  an  eine  chronische  Entzündung  anschliessen  oder  die 


802 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  35 


durch  , irgend  ein  Hinderniss  am  Ausführungsgange  hervorgerufen 
werden,  denn  dieser  war  vollkommen  durchgängig  und  kein  Fremd¬ 
körper  konnte  in  ihm  nachgewiesen  weiden.  Die  Geschwulst  bestand 
aus  reinem  flüssigen  Speichel.  Schliesslich  trat,  was  nicht  zu  ver¬ 
meiden  war,  eine  Infection  ein  und  Morestin  machte  eine 
Incision.  Er  war  sehr  erstaunt,  auf  keinen  Hohlraum  mit  eigener 
Wandung  zu  stossen,  beschränkt  sich  auf  Auslöffelung  und  Chlorzink¬ 
ätzung,  unter  deren  mehrmonatlichen  Anwendung  schliesslich  Heilung 
ein  trat. 

VI.  P  e  r  a  i  r  e  (Paris):  Trepanation  wegen  alte  r  V  e  r- 
letzungen  des  Schädels. 

Redner  citirt  zwei  interessante  Fälle,  in  deren  ersten  es  sich  um 
eine  Verletzung  des  Schädels  sieben  Jahre  vor  der  Operation  handelte. 
Der  Kranke  bot  das  Bild  schwerer  Encephalitis.  Die  Operation  legte 
einen  Abscess  frei,  nach  dessen  Entleerung  und  Drainage  schnelle 
Heilung  eintrat.  Im  zweiten  Falle  verursachte  eine  Revolveikugel  die 
Gehirnerscheinungen,  die  nach  der  Extraction  aufhörten.  Der  Fremd¬ 
körper  sass  zwölf  Jahre  an  seinem  Platze,  ohne  Erscheinungen  zu 
verursachen. 

VII.  C  o  d  i  v  i  1 1  a  (Bologna) :  U  e  b  e  r  die  Technik  der 
Craniotomie. 

Vortragender  präsentirt  ein  Craniotom  und  den  Schädel  eines 
kleinen  Mädchens,  welches  D/2  Jahre  nach  der  Craniotomie  an  all¬ 
gemeiner  Tuberculose  gestorben  ist,  um  die  Vorzüge  seines  Craniotoms 
an  ihm  zu  zeigen,  die  darin  bestehen,  dass  es  eine  lineäre  Incision  in 
den  Knochen  ohne  Substanzverlust  macht.  Das  Princip  dieses 
Craniotoms  besteht  darin,  dass  ein  kleines  Stahlmesser  durch 
mehrmaliges,  kräftiges  Hinüberführen  in  derselben  Linie  eine  Furche 
in  den  Schädel  schneidet  und  ihn  nach  sechs  bis  zehn  Zügen  voll¬ 
ständig  durchtrennt. 

VIII.  Nanu  (Bukarest):  Die  temporäre  Cr  a  niektomie 
bei  Gehirnabscessen. 

Redner  erzählt  die  Krankengeschichte  eines  Falles  von  Gehirn- 
abscess,  ausgehend  von  einer  rechtsseitigen  eiterigen  Otitis  interna,  in 
welchem  er  zuerst  eine  Aufmeisselung  des  Warzenfortsatzes  vornahm, 
als  er  aber  hier  nicht  auf  Eiter  stiess,  die  temporäre  Craniektomie  an¬ 
schloss  und  durch  Punction  einen  Abscess  im  Schläfenlappen  aufdeckte. 
Nach  Entleerung  desselben  schloss  er  die  Wunde  bis  auf  eine  kleine 
Oeffnung  im  hinteren  Winkel,  durch  welche  er  ein  Drainrohr  einführte. 
Es  trat  vollkommene  Heilung  ein.  Er  t  mpfiehlt  die  temporäre  Crani- 
ektomie  wegen  des  grossen  Ueberblickes. 

IX.  Fedor  Krause  (Berlin):  24  intracranielle 
Trigeminusresectionen  und  deren  Ergebnisse. 

Die  intracranielle  Resection  der  einzelnen  Trigeminusäste  ist 
nicht  sicher  im  Erfolge;  daher  muss,  sofern  überhaupt  der  schwere 
Eingriff  mit  Eröffnung  der  Schädelhöhle  angezeigt  erscheint,  die  E  x- 
stirpation  des  Ganglion  Gasse  r  i  und  des  Trigeminusstammes 
vorgenommen  werden.  Krause  hat  diese  Operation  24mal  an  Kranken 
im  Alter  von  30 — 72  Jahren  ausgeführt  und  stets  das  temporale  Ver¬ 
fahren  benützt,  das  er  im  Jahre  1892  angegeben.  Eine  58jährige, 
äusserst  entkräftete  Frau  ist  im  Collaps  gestorben,  ein  72jähriger 
Mann  am  sechsten  Tage  nach  der  Operation  bei  fieberlosem  Verlauf 
und  prima  intentione  verklebter  Wunde  in  Folge  Sklerose  der  Coronar- 
arterien  und  llerzinsufficienz,  eine  G7jährige  Frau  14  Tage  nach  der 
Operation  bei  geheilter  Wunde  an  Influenza.  Von  den  erst  Operirten 
sind  noch  jetzt  am  Leben  eine  75jährige  Frau  und  ein  62jähriger  Mann, 
die  vor  772  Jahren,  eine  76jährige  und  eine  58jährige  Frau,  die  vor 
6  Jahren,  eine  42jährige  Frau,  die  vor  5  Jahren  und  eine  50jährige 
Frau,  die  vor  41/*  Jahren  operirt  worden  sind.  Alle  diese  Kranken 
sind  bisher  völlig  schmerzfrei  geblieben. 

Die  Erfolge  der  Operation  sind  trotz  der  ihr  innewohnenden 
Gefahr  so  gross,  dass  sie  die  errungene  Stellung  behaupten  wird. 
Bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  schwersten  Fällen  von  Neur¬ 
algie  sind  Selbstmordversuche  in  Folge  der  entsetzlichen  Qualen  an 
der  Tagesordnung. 

X.  Jonnesco  (Bukarest) :  Ueber  die  Resection  des 
Cervical  ab  Schnittes  des  Sympathicus. 

Jonnesco  gibt  eine  Statistik  über  126  derartiger  Resectionen 
in  97  Fällen  von  Epilepsie,  15  Fällen  von  Kropf  mit  Exophthalmus, 
12  Fällen  von  Glaukom,  einem  von  Schwindel  auf  Grund  cerebraler 
Anämie  und  einem  Fall  von  essentieller  Migräne.  Er  hat  die  Opera¬ 
tionstechnik  derart  ausgebildet,  dass  er  den  ganzen  Cervicalabscbnitt 
und  sogar  das  erste  Brustganglion,  wie  in  den  letzten  4  Fällen  fort- 
nehraen  konnte,  ohne  den  Plexus  cervicalis  und  den  N.  facialis  zu 
%  ei  letzen.  Er  glaubt,  dass  die  totale  Entfernung  des  Sympathicus  „die 
Sympathektomie“  ebenso  wie  die  partielle  Resection  des  Nerven  in 
einer  Sitzung  ohne  Schaden  ausgeführt  werden  kann.  Was  nun  die 
therapeutischen  Resultate  anlangt,  so  sind  von  97  wegen  Epilepsie  Ope¬ 
rirten  auf  das  Jahr  1896  13  Fälle  gekommen,  von  diesen  sind  5  bald 
gestorben,  3  absolut  geheilt,  1  gebessert,  4  ohne  Erfolg;  1897  von 


17  Operirten  6  geheilt,  2  gebessert,  5  erfolglos  und  4  mit  unbekanntem 
Resultat;  1899  von  27  Fällen  2  gebesert,  1  erfolglos  und  24  mit  un¬ 
bekanntem  Resultat;  1900  von  21  Operirten  1  geheilt,  2  gebessert, 

1  erfolglos  und  17  mit  unbekanntem  Resultat.  Dazu  kommen  noch 
vom  Jahre  1898  19  Fälle  mit  2  Heilungen,  so  dass  er  im  Ganzen  über 
12  Heilungen  bei  97  Operationen  verfügt,  nicht  wie  er  in  seiner 
Statistik  annimmt  unter  49  Operationen,  die  er  bis  zum  Jahre  1898 
ausgeführt  hat.  Von  den  15  wegen  Basedow  operirten  Fällen  sind  6 
definitiv  geheilt  seit  4,  3  und  2  Jahren,  4  dauernde  Besserungen. 

Die  beiden  Fälle  von  Migräne  sind  angeblich  noch  zu  jung,  um  eine 
dauernde  Heilung  feststellen  zu  können,  aber  die  unmittelbaren  Re¬ 
sultate  sind  gut. 

Discussion:  Chipault  (Paris)  hat  40mal  die  Resection 
des  Sympathicus  cervicalis  gemacht  und  behauptet,  dass  sie  niemals 
irgend  welche  trophischen  Störungen  oder  Kachexie  nach  sich  zieht. 
Die  Operation  ist  aber  nur  dann  rationell,  wenn  man  das  ganze 
Ganglion  cervicale  supremum  mit  fortnimmt.  Seine  Operationen  be¬ 
trafen  26  Fälle  von  Epilepsie  mit  3  Heilungen,  2  Fälle  von  Basedow 
mit  2  Heilungen,  7  Glaukome,  von  denen  2  hämorrhagischer  Natur 
waren,  mit  6  Besserungen,  1  Fall  von  Migräne  mit  vorübergehendem 
Resultat,  1  Fall  von  Torticollis  mit  dauerndem  Resultate,  3  Fälle  von 
Facial-Neuralgie,  bei  denen  die  Schmerzen  seit  drei  oder  vier  Monaten 
verschwunden  sind. 

Die  intracranielle  Resection  nach  Krause  hat  er  zweimal  aus¬ 
geführt,  und  zwar  mit  Erfolg.  Doch  hält  er  die  Operation  für  ausser¬ 
ordentlich  schwer  und  eingreifend. 

XL  Alberto  Ramon  Hernandez  (Mexiko)  berichtet  über 
einen  Fall  von  Unterbindung  des  Truncus  innominatus 
mit  Heilung. 

Vortragender  wirft  die  Frage  auf,  wie  sich  der  Chirurg  bei  der 
Verletzung  des  Truncus  innominatus  verhalten  soll  und  meint,  dass 
zwei  Fälle  in  Betracht  kommen  :  entweder  ist  die  Wunde  breit,  leicht  zu 
exploriren  und  man  kann  sich  unverzüglich  an  die  Unterbindung  des 
Gefässes  machen,  oder  die  Wunde  ist  klein,  der  Blutverlust  aber  be¬ 
trächtlich  und  man  muss  sich  mit  einer  möglichst  beschränkten  Tampo¬ 
nade  begnügen;  nach  der  Erfahrung,  die  er  an  seinem  Falle  ge¬ 
macht  hat,  muss  man  den  Truncus  innominatus  unterbinden,  wenn 
die  Wunde  auf  der  rechten,  dagegen  die  Carotis  möglichst  nahe  an 
der  Aorta,  wenn  sie  auf  der  linken  Seite  ist.  Was  den  pulsirenden 
Tumor  anlangt,  der  sich  unterhalb  der  Unterbindungsstelle  ausbildet, 
so  glaubt  er  seiner  Ausdehnung  am  besten  durch  Gelatineinjectionen 
entgegentreten  zu  können.  Sein  Fall  ist  der  erste,  in  welchem  der 
Truncus  innominatus  am  Lebenden  wegen  Verletzung  des  Carotis¬ 
ursprunges  unterbunden  worden  ist. 

XII.  Chipault  (Paris):  Statistik  über  147  Fälle  von 
Wirbelfractu  r. 

Unter  34  Fällen,  die  er  unmittelbar  nach  der  Verletzung  zur 
Beobachtung  bekommen,  hat  er  20mal  von  jedem  therapeutischen  Ein¬ 
griff  abgesehen,  einestheils  wegen  Shock,  andererseits  weil  neben  un¬ 
bedeutenden  Zeichen  von  Verschiebung  der  Wirbelfragmente  doch 
schwere  Symptome  verschiedener  Art  bestanden.  In  2  Fällen  konnte 
er  durch  Laminektomie  eine  peridurale  und  perimedullare  Hämor- 
rhagie  aufdecken.  Von  10  Fällen,  in  denen  eine  sichtbare  Verschiebung 
der  Stücke  mit  schweren  Rückenmai  kssymptomen  verbunden  war,  hat 
er  5mal  die  Reduction  bewerkstelligt,  3mal  mit  gepolsterten  Apparaten, 
2mal  mit  Knochennaht,  in  den  anderen  5  Fällen  hat  er  die  Lamin¬ 
ektomie  gemacht,  3  mit  Resection  der  in  den  Rückgratcanal  hervor¬ 
springenden  Knochenstücke,  2  mit  Reduction  und  Naht.  Immer  hat  er 
die  Dura  mater  eröffnet  und  direct  den  Zustand  des  Rückenmarkes 
beobachtet. 

Von  frischen  Fracturen  hat  er  57  Fälle  gehabt,  20  mit  schweren 
Complicationen :  Ascendirender  Myelitis,  Pneumonie,  Pyelonephritis,  In¬ 
fection;  diese  Zustände  haben  ihn  von  weiteren  Massnahmen  Abstand 
nehmen  lassen.  10  Fälle  mit  wenigen  bedrohlichen  Erscheinungen  sind 
Gegenstand  palliativer  Massregeln  gewesen:  Tiefe  Kauterisation,  Drai¬ 
nage  der  Blase,  Cystostomia  sujirapubica,  etc.  7  Fälle  mit  beträcht¬ 
licher  Verschiebung  sind  durch  Corset  oder  durch  Naht  reducirt  worden. 
Von  14  Fällen  mit  mittelmässiger  Verschiebung  der  Fragmente  boten 
6  die  Form  schlaffer  Lähmung  und  kennzeichneten  somit  eine  quere 
Durchtrennung  des  Rückenmarkes.  2mal  wurde  von  therapeutischen 
Massnahmen  Abstand  genommen,  einmal  wurde  die  Reduction  mit 
einem  Corset  erreicht,  in  3  Fällen  wurde  die  Laminektomie  mit 
Resection  des  Callus  bei  sehr  kräftigen  Individuen  gemacht  und 
in  2  von  diesen  Fällen  machten  die  vielfachen  und  progressiven 
trophischen  Störungen  keine  weiteren  Fortschritte.  Die  übrigen  Fälle 
boten  in  den  therapeutischen  Massnahmen  nichts  Neues. 

Von  den  49  alten  und  sehr  alten  Fällen  von  Wirbelfractur  ist 
in  Bezug  auf  die  Therapie  nur  zu  erwähnen,  dass  in  2  Fällen 
ein  im  Rückgratscanal  sitzender  Callus  mit  Erfolg  reducirt 

WOlden  ist.  (Fortsetzung  folgt.) 


\  erantwoitlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Ghiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Ghissenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  za  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
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Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  6.  September  1900. 


Nr.  36. 


UTHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten  ) 


I.  Originalartikel:  1.  Ueber  Stoffwechselstörungeii  an  magen-darmkrauken 
Säuglingen.  Von  Dr.  Meinhard  Pfaundler,  Graz. 

2.  Aus  der  Abtheilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Frühwald  an  der  Wiener 
Allgemeinen  Poliklinik.  Honthin,  ein  Darmadstringens,  und  seine 
therapeutische  Verwendung  in  der  Kinderheilkunde.  Von  Dr. 
Josef  Reichelt. 


II.  Referate:  I.  Physikalische  Chemie  in  der  Medicin.  Von  Dr.  Hans 
Koeppe.  II.  Die  Anschauungen  über  den  Mechanismus  der  speci- 
fischen  Ernährung.  Von  Docent  Dr.  Max  Neuburger.  Ref. 
Pauli.  —  Lungentuberculose  und  Heilstättenbehandlung.  Von 
Dr.  B.  v.  Fetz  er.  Ref.  Dr.  Pollak. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Ueber  StofFwechselstörungen  an  magen-darm- 

kranken  Säuglingen. 

Von  Dr.  Meinhard  Pfaundler,  Graz. 

Nach  einem  in  der  pädiatrischen  Section  des  internationalen  medicinischen 

Congresses  in  Paris  am  3.  August  1900  gehaltenen  Vortrage. 

I. 

Die  pathogenetische  Erforschung  der  Verdauungskrank¬ 
heiten  im  Säuglingsalter  hat  eine  lehrreiche  Vergangenheit 
hinter  sich;  ihre  Geschichte  spiegelt  die  führenden  Gedanken 
der  medicinischen  Doctrin  in  den  verschiedenen  Perioden  ihrer 
Entwicklung  getreu  wieder.  Realisten,  Vitalisten,  Humoral- 
und  Cellularpathologen,  Homöopathen,  Anhänger  der  Diakrisen- 
lehre,  Parasitiker  suchten  das  grosse  Räthsel  zu  lösen,  das  auf 
diesem  Gebiete  die  höchste  Morbidität  im  Kindesalter  mit  der 
grössten  Mortalität  vereint.  Man  trachtete  die  ursächlichen 
Schäden  auf  rein  mechanische  Verhältnisse,  beziehungsweise 
Missverhältnisse,  zurückzuführen,  man  dachte  an  primär  ge¬ 
störten  Chemismus,  an  endogene  und  ektogene  Gifte,  an 
thermische  Schädlichkeiten,  man  fahndete  im  Darminhalte  und 
in  der  Darmwand  nach  pathogenen  Mikroorganismen. 

Es  ist  unleugbar,  dass  die  klinische  Bacteriologie  auch 
auf  diesem  Gebiete  den  epochemachendsten  Fortschritt  gezeitiget 
hat.  Forschungen,  die  in  unsere  Tage  hereinreichen,  lehrten 
uns  eine  Reihe  wohlcharakterisirter  Darminfecte  im  Säuglings¬ 
alter  wahre  Krankheitsindividuen  —  und  deren  Beziehungen 
zu  ihren  bacteriellen  Erregern  kennen.  Wenn  diese  Erkenntniss 
in  der  vielgestaltigen  Gesammtkeit  der  einschlägigen  klinischen 
Krankheitsbilder  auch  noch  weite  Lücken  klaffen  lässt,  so 
hat  sie  doch  die  Wege  für  künftige  erfolgreiche  Forschung 
gewiesen. 

Die  Fortschritte,  die  wir  der  bacteriologischen  Richtung 
verdanken,  liegen  jedoch  fast  ausschliesslich  auf  dem  Gebiete 
der  acuten  Verdauungsstörungen.  Jenes  der  chronischen 
Verdauungskrankheiten  und  der  mit  diesen  einhergehenden 


eigenthümlichen,  interessanten  und  hochwichtigen  Zustände 
von  Atrophie  und  Kachexie  im  Säuglingsalter  ist  grösstentheils 
noch  völlig  dunkel.  Vor  zwei  Jahren  wurde  auf  der  Klinik 
E  s  c  h  e  r  i  c  h’s  gezeigt,  dass  manche  der  in  die  letztgenannte 
Kategorie  einschlägigen  Krankheitsfälle  auf  schleichend  ver¬ 
laufende,  septische  Allgemeininfecte  zurückzuführen  seien;  doch 
trifft  diese  Erklärung  sicherlich  nur  für  eine  beschränkte 
Gruppe  solcher  Erkrankungen  zu. 

Neue  und,  wie  es  scheint,  sehr  fruchtbare  Gedanken 
brachte  in  dieses  Gebiet  seit  vier  Jahren  die  Breslauer  pädiatri¬ 
sche  Schule  unter  Führung  Czerny’s. 

Es  entsprach  wieder  dem  Geiste  der  die  innere  Medicin 
unserer  Tage  beherrschenden  Ideen,  wenn  Czerny  das 
Wesen  des  im  Gefolge  chronischer  Magen-Darmerkrankungen 
auftretenden  Säuglingssiechthums  in  einer  Störung  des  inter¬ 
mediären  Stoffwechsels  suchte.  Es  geschah  dies  auf  Grund 
eines  höchst  interessanten  und  eigenthümlichen  Befundes,  den 
Keller  auf  der  Breslauer  Klinik  im  Harne  solcher  Säuglinge 
gemacht  hatte,  nämlich  des  einer  sehr  beti*ächtlichen,  relativen 
Vermehrung  des  NH3  auf  Kosten  anderer  N-haltiger  Bestand- 
theile.  Während  bekanntlich  beim  Erwachsenen  auf  100  Theile 
Gesammt-N  des  Harnes  in  der  Norm  etwa  vier  bis  fünf  Theile 
N  H3  —  N  entfallen,  beim  Neugeborenen  nach  S  j  ö  q  v  i  s  t  dieser 
N  Hg-Index  7'8 — 9  6%  beträgt,  fand  Keller  bei  chronisch 
magen-darmkranken  Säuglingen  in  vielen  Fällen  20 — 50%  des 
Gesammt-N  und  noch  mehr  in  Form  von  NH3  anwesend. 

Bei  der  Einsichtnahme  in  die  diesbezüglich  vorliegende 
Literatur  der  experimentellen  und  allgemeinen  Pathologie  ergab 
sich  nun,  dass  nach  dem  Urtheile  der  massgebendsten  Autoren 
—  Walther,  Coranda,  Hallervorden  und  anderer 
Schüler  Schmied  eher  g’s  —  eine  solche  Erhöhung  der 
NH3- Ausscheidung  im  Harne  auf  vermehrte  Acidität  der  Körper¬ 
säfte  hin  weise;  namentlich  vertritt  Hallervorden  den  Stand¬ 
punkt,  die  Function  des  N  H3  im  Körper  sei  ausschliesslich 
die  Neutralisation  von  Säuren;  bei  abnorm  erhöhter  N  H3- Aus¬ 
scheidung  habe  man  daher  stets  nach  den  Quellen  abnormer 
Säuren  zu  fahnden.  Man  stellte  sich  vor,  dass  im  krankhaften 


804 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  36 


Stoffwechsel  gebildete  Säuren  oder  saure  Producte  das  N  H3 
durch  Bindung  in  Beschlag  nehmen  und  derart  seiner  weiteren 

Verarbeitung  in  den  U-bi!denden  Organen  entziehen. 

So  gelangten  Czerny  und  Keller  zur  Hypothese, 
das  Substrat  jener  Kachexien  bei  chronisch  magen- darmkranken 
Kindern  sei '  eine  pathologische  Säuerung  der  Gewebe  und 
Gewebssäfte,  eine  »Säureintoxication«. 

Um  diese  Annahme  zu  stützen,  brachte  Czerny  zunächst 
ein  klinisches  Kriterium  bei.  Er  hatte  bei  seinen  magen-darm¬ 
kranken  Säuglingen  in  manchen  Fällen  tinem  versus  einen 
abnormen  Athmungstypus  beobachtet  und  nun  verglich  er 
diesen  —  allerdings  mit  gewisser  Reserve  —  mit  der  »grossen 
Athmung«  K  u  s  s  m  a  u  l’s  beim  diabetischen  Koma,  welches 
bekanntlich  als  das  classische  Beispiel  eines  durch  paroxysmale 
Säureautointoxieation  hervorgerufenen  Krankheitssymptomes 
gilt.  Gegen  die  Stichhältigkeit  dieses  Argumentes  wurde  von 
allen  Seiten  (ich  nenne  z.  B.  Heubner,  Esch  er  ich,  Ba¬ 
gin  sky)  mit  seltener  Einmüthigkeit  Einsprache  erhoben,  und 
zwar  namentlich  deshalb,  weil  die  beiden  in  Rede  stehenden 
Atlunungstypen  doch  in  ihren  wesentlichsten  Merkmalen  von 
einander  abweichen  und  es  sich  bei  dem  von  Czerny  ge¬ 
meinten  Typus  allem  Anscheine  nach  um  ein  einfaches  Ab- 
sterbephänomen  handelt,  welches  bei  magen-darmkranken  und 
anderweitig  erkrankten  Kindern  in  gleicher  Weise  in  Erschei¬ 
nung  tritt. 

Einschlägig  ist  hier  auch  der  an  H  e  u  b  n  e  r’s  Klinik  ge¬ 
machte  Befund,  dass  die  Nerveuzellenveränderungen,  welche 
Mülle  r  und  M  a  n  i  c  a  t  i  d  e  an  magendarmkrank  verstorbenen 
Kindern  fanden,  jenen,  welche  bei  experimentell  säurevergifteten 
Thieren  zur  Beobachtung  kommen,  sehr  ähnlich  sind.  Jedoch 
geben  Müller  und  M  an  i  ca  tide  selbst  an,  dass  es  sich 
hiebei  keineswegs  um  irgend  specitische  Veränderungen,  sondern 
um  gleichartige  Folgezustände  toxischer  Einflüsse  im  Allge¬ 
meinen  handle. 

Auf  anderem  Wege  suchte  Hijmanns  van  den  Bergh 
aus  der  Breslauer  Klinik  die  Ansicht  C  z  e  r  n  y’s  zu  stützen. 

Walther  hatte  bei  seinen  bekannten,  grundlegenden 
Untersuchungen  über  die  experimentelle  Säurevergiftung  bei 
Hunden  und  Kaninchen  gefunden,  dass  in  den  Körper  einge- 
brachtes  Alkali  die  bei  der  Säureintoxication  vorliegende  Stoff¬ 
wechselanomalie  in  günstigem  Sinne  beeinflusse.  Hijmanns  van 
den  Berg  h  brachte  daher  darmkranken  Kindern,  in  deren  Harne 
er  eine  abnorm  hohe  Ausscheidung  von  N  H:J  beobachtet  hatte, 
Alkalicarbonat  in  grösseren  Dosen  per  os  bei  und  stellte  thatsäch 
lieh  unter  dem  Einflüsse  dieser  Medication  auch  hier  eine  be¬ 
trächtliche  Verminderung  der  N  H3-Werthe  fest.  Dabei  ist  zwar  zu 
bedenken,  dass  auch  der  N  H3-Gehalt  vollkommen  normaler, 
jedenfalls  nicht  »säurevergifteter«  Menschen,  durch  Zufuhr 
von  fixem  Alkali  (z.  B.  schon  in  Form  von  vegetabilischer 
Kost)  jederzeit  sehr  beträchtlich  herabgesetzt  werden  kann, 
doch  mag  dies  allerdings  als  ein  Ein  wand  gegen  die  Argumen¬ 
tation  von  Hijmanns  van  den  Bergh  nicht  gelten,  sofern  man, 
den  extremen  Standpunkt  Hallervorden’s  theilend,  annimmt,  es 
sei  nicht  nur  ein  pathologisch  vermehrter  N  H.rGehalt  des  Harnes 
Ausdruck  einer  pathologisch  erhöhten  Gewebssäuerung,  sondern 
auch  der  gesammte  N  H;,-Gehalt  des  normalen  Harnes  Ausdruck 
der  physiologischen  Gewebs-  und  Saftacidität.  Diese  Auffassung, 
nach  welcher  das  N  H3  des  Harnes  stets  nur  als  Säurebegleiter 
auftreten  soll,  wird  übrigens  keineswegs  allgemein  getheilt; 
bei  späterer  Gelegenheit  werde  ich  darauf  hin  weisen,  dass  ihr 
manche  von  Keller  und  mir  gefundene  Thatsachen  wider¬ 
sprechen. 

Besonderen  Werth  legt  Hijmanns  van  den  Bergh  auf 
jene  Fälle,  in  welchen  es  ihm  gelungen  war,  die  N  H  r Aus¬ 
scheidung  durch  die  Nieren  in  24stiindigen  Harnportionen  voll¬ 
kommen  zu  unterdrücken,  was  bei  Erwachsenen  niemals  erreicht 
worden  sei.  Dieser  Befund  ist  aber  deshalb  nicht  so  auf  fallend, 
weil  in  den  betreffenden  Fällen  der  native  Harn  stets  »alkalisch» 
befunden  worden  war.  Wenn  darunter  verstanden  ist,  dass  er¬ 
setzbare  H-Jonen  in  der  Flüssigkeit  fehlten,  so  musste  das 
N  H3  durch  das  in  den  Harn  übergetretene  fixe  Alkali  — 
so  weit  der  Magnesiavorrath  reichte  —  als  Tripelphosphat 


gefällt1),  im  Uebrigen  aber  als  flüchtiges  Alkali  ausgetrieben 
worden  sein  und  konnte  so  der  Bestimmung  nach  Schlösing 
freilich  entgehen. 

Aber  auch  schon  vor  Eintritt  der  theoretisch-alkalischen 
Reaction  pflegt  bekanntlich  das  saure  NH.-Urat  in  Harnen, 
welche  Lakmus  bläuen,  wegen  seiner  geringen  Wasserlöslichkeit 
auszufallen  und  als  krystallinisches  Sediment  gefunden  zu 
werden.  Ein  solches  Sediment  wird  vor  Ausführung  der  Schlü- 
s  i  n  g’schen  Bestimmung  nach  der  Keller  und  H  ij  m  anns  van 
den  Bergh  massgeblichen  methodischen  Angabe  von  Vogel- 
Neubauer  durch  Filtration  entfernt.  Hier  kann  es  sich  also  nach 
den  bisher  vorliegenden  Angaben  um  eine  einfache  Täuschung 
handeln. 

Tripelphosphatbildung  kann  überdies  in  den  Versuchen 
von  Hijmanns  van  den  Bergh  durch  die  Alkalizufuhr 
bereits  im  Darme  ermöglicht  worden  sein  und  die  Resorption 
von  N  H:t- Salzen  beeinträchtigt  haben,  welche  sonst  durch  die 
normaler  Weise  im  ganzen  Säuglingsdarm  (nicht  im  Darmcanale 
des  Erwachsenen!)  herrschende,  selbst  gegen  Lakmus  saure 
Reaction  begünstigt  wird. 

Es  bleibt  ferner  zu  erwägen,  ob  die  Ueberscliwemmung 
des  Körpers  mit  fixem  Alkali  nicht  eine  Verdrängung  des 
NH:{  aus  den  Gewebssäften  vor  seiner  Verarbeitung  in  der 
Leber  und  eine  Ausscheidung  desselben  auf  dem  Wege  der 
Exspiration2)  und  Perspiration  verursachen  kann.  Es  kommt 

endlich  in  Betracht,  dass  jene  Verarbeitung  des  N  ll;t  zu  U, 
welche  durch  fermentative  Oxydation  und  Synthese  in  der 
Leber  zu  Stande  kommt,  durch  die  Gewebsreaction  beeinflusst 
wird.  Diesbezüglich  liegt  die  Angabe  Jacoby’s  vor,  dass  die 
Action  eines  in  wässerigen  Leberextracten  enthaltenen,  bei  der 
+ 

intravitalen  U-bildung  wahrscheinlich  wesentlich  betheiligten 
oxydativen  Fermentes  durch  Zusatz  von  ganz  geringen  Alkali¬ 
mengen  gesteigert  wird.  Auch  dieser  Umstand  könnte  also 
möglicher  Weise  die  Befunde  von  Hijmanns  van  den 
Bergh  ganz  unabhängig  von  der  Säuerungsfrage  erklären. 

Wenn  es  sich  bei  der  in  Rede  stehenden  vermehrten 
N  H  . -Ausscheidung  thatsächlich  blos  um  eine  Bindung  des 
N  H ,  durch  abnorme  Säuren  handelte,  so  müsste  in  den 
gelungenen  Versuchen  von  Hijmanns  van  den  Bergh 
die  Beschlagnahme  des  N  H:i  durch  Alkalizufuhr  zu  be¬ 
lieben  und  das  N  H:(  seiner  weiteren  normalen  Bestimmung 
zuzuführen,  der  Verminderung  der  N  H:j-Werthe  im  Harne 

eine  Vermehrung  der  IJ-Werthe  entsprechen.  Leider  hat 

+ 

Hijmanns  van  den  Bergh  den  U  in  seinen  Versuchen 
nicht  bestimmt,  oder  wenigstens  die  betreffenden  Daten  nicht 
mitgetlieilt,  und  dadurch  eine  klaffende  Lücke  in  seiner  Schluss¬ 
reihe  bestehen  lassen.  Diese  Lücke  trachtete  K  e  1 1  e  r  gelegent¬ 
lich  späterer  —  anderen  Zwecken  dienender  —  Versuche 
theilweise  auszufüllen.  Keller  fand  in  einem  der  beiden  ge¬ 
prüften  Fälle  auf  Alkalizufuhr  eine  mit  der  Verminderung  des 

I 

~r  #  # 

NIL— N  einhergehende  U-Vermehrung,  im  zweiten  Falle  jedoch 

+ 

eine  sehr  beträchtliche  U-Verminderung.  Wenn  sich  der  erstere 
Befund,  obgleich  es  sich  nicht  um  völlig  äquivalente  Mengen 
der  beiden  vicariirend  ausgeschiedenen  Substanzen  handelt, 
unter  gewissen  Annahmen  mit  der  Säurevergiftungshypothese 
recht  gut  vereinbaren  Hesse,  kann  dies  vom  letzteren  Befunde, 
den  in  diesem  Sinne  zu  deuten  oder  aufzuklären  auch  Keller 
nicht  in  der  Lage  ist,  kaum  gelten.  Hier  bleibt  also  ein  dunkler 
Punkt  in  jedem  Falle  bestehen  und  erscheinen  die  Versuche 
über  den  Einfluss  der  Alkalizufuhr  auf  die  N  H , -Ausscheidung 
aus  mehreren  Gründen  für  die  Säureintoxicationshypothese 
nicht  beweisend. 

')  Im  normalen  Harne  Erwachsener  reicht  (1er  Mg-Gehalt  zur  Fällung 
von  etwa  ein  Drittel  des  vorhandenen  N  H3  als  Tripelphosphat  aus. 

~)  Es  ist  mir  bekannt,  dass  Salaskin  bei  Hunden  mit  E  c  k’scher 
Fistel,  bei  welchen  eine  NH3- Ausscheidung  durch  die  Lungen  zu  erwarten 
war,  eine  solche  nicht  naelnveisen  konnte.  Hiebei  ist  aber  zu  bedenken, 
dass  die  Verdünnung  des  Gases  durch  die  Exspirationsluft  eine  sehr  beträcht¬ 
liche  ist.  Würde  ein  Erwachsener  das  ganze  NH,  des  Harnes  durch  die 
Lungen  ansscheiden,  so  betiiige  der  NH-,  Gehalt  der  Exspirationsluft  höchstens 
0-005  Gewichtsprocent. 


Nr.  36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  HJOO. 


80.') 


Der  Nachweis  vermehrter  N  H3-Excretion  im  Harne  gilt 
in  der  Literatur  der  Säurevergiftungsfrage  als  eine  acci- 
den  teile  Stütze  für  die  Erkennung  dieser  Stoffwechsel¬ 
anomalie.  Als  entscheidendstes  Moment  und  directester  Mass¬ 
stab  für  diese  Art  von  Intoxication  wird  aber  die  Feststellung 
des  verminderten  C  0.,-Gehaltes  und  der  herabgesetzten  Alka- 
lescenz  des  Blutes  für  jenen  Nachweis  allgemein  für  unent¬ 
behrlich  gehalten  (F.  Kraus  u.  A.).  Die  Bedeutung  eines 
solchen  Befundes  erkennt  auch  Czerny  ausdrücklich  an  und 
stellt  in  einer  aus  dem  Jahre  1897  stammenden  Arbeit  ein¬ 
schlägige  Mittheilungen,  von  denen  man  eine  definitive  Ent¬ 
scheidung  der  Frage  erwarten  durfte,  in  Aussicht.  Diese  Mit¬ 
theilung  blieb  aber  bislang  aus. 8)  Hingegen  erschien  im 
nächsten  Jahre  eine  Arbeit  Keller’s,  in  deren  Eingänge  aus¬ 
geführt  wird,  dass  von  Blutuntersuchungen  für  die  Klärung 
der  bei  magen-darmkranken  Säuglingen  vorliegenden  Stoff¬ 
wechselstörung  wenig  oder  nichts  zu  erwarten  sei:  »Man  könnte 
annehmen,  dass  wir  durch  Untersuchung  der  chemischen  Zu¬ 
sammensetzung  des  Blutes  die  Vermehrung  der  Säuren  im 
Organismus  und  auch  die  Folgen  der  vermehrten  Ausscheidung 
saurer  Verbindungen  nachweisen  können,  aber  wir  wissen, 
dass  die  Zusammensetzung  des  Blutes  sehr  geringen  Schwan¬ 
kungen  unterworfen  ist,  dass  aus  dem  Blute  sowohl  die  seiner 
Zusammensetzung  fremden,  wie  die  im  Ueberschuss  vorhandenen 
homogenen  Substanzen  in  kurzer  Zeit  ausgeschieden  werden. 
Bei  der  Untersuchung  des  Blutes  kann  man  nur  die  Ab¬ 
weichungen  finden,  die  im  gegebenen  Augenblicke  vorhanden 
sind;  die  Folgen  der  vorangegangenen  Stoffwechselstörung 
machen  sich  in  der  Zusammensetzung  des  Blutes  nicht 
geltend.«  Dagegen  hofft  Keller  durch  Harnanalyse  die  Folgen 
der  chronischen  Säureintoxication  auf  den  Organismus  der 
magen- darmkranken  Kinder  erkennen  zu  können.  Hiebei 
schliesst  sich  Keller  einem  Gedankengange  Lieblein’s  an. 

Lieblein  hat  bekanntlich  angegeben,  dass  in  Fragen 
vermehrter  Säuerung  der  Körpersäfte  die  Harnanalyse,  bezie¬ 
hungsweise  die  Bestimmung  der  Harnacidität,  in  gewissem 
Sinne  die  Analyse  des  Blutes  ersetzen  könne,  bei  welch  letzterer 
die  Bestimmungsgrössen  kleiner,  die  analytischen  Fehler  grösser 
und  die  zu  erwartenden  Abweichungen  jederzeit  geringe  sind. 
Lieb  lein  will  durch  Bestimmung  der  Harnacidität  erfahren, 
»wie  weit  saure  Substanzen  vorübergehend  dem  Blute  angehört 
haben,  welche  Veränderungen  die  Acidität  des  Blutes  im  Ver¬ 
laufe  einer  gewissen  Zeit  erlitten  hat«. 

Diese  Auffassung  L  i  e  b  1  e  i  n’s  ist  —  wie  schon  F.  Kr  aus, 
einer  der  führenden  Geister  in  der  Lehre  der  Säureautointoxi- 
eation  —  gezeigt  hat,  keine  völlig  zutreffende.  In  den  Acidi¬ 
tätsschwankungen  des  Harnes  finden  nämlich  nach  den  auf 
der  Grazer  medicinisehen  Klinik  ausgeführten  Versuchen  von 
H.  Kr  a  us  s  mancherlei  anderweitige,  im  Blute  und  in  den 
Gefässen  vorhanden  gewesene  Störungen  —  namentlich  vaso¬ 
motorischer  Art  —  ihren  Ausdruck.  So  beeinflussen  die  Harn¬ 
acidität  z.  B.  kalte  und  heisse  Bäder  in  bestimmter  Richtung. 
Ueberdies  ist  zu  bedenken,  dass  der  Ausscheidung  von  Phos¬ 
phorsäure  und  anderen  Säuren  aus  dem  Blute  nebst  dem 
Harnwege  auch  noch  der  Weg  durch  den  Darm  offen  steht. 
Diese  beiden  Ausscheidungsarten  stehen  vermuthlich  im  Ver- 
hältniss  gegenseitiger  Vertretbarkeit.  All  dies  hängt  mit  der 
bekannten  Thatsache  zusammen,  dass  ein  Phosphorgleich¬ 
gewicht  im  Sinne  des  N-Gleichgewichtes  beim  Menschen  auf 
die  Dauer  nicht  existirt  und  beim  Versuchsthiere  nicht  zu 
erzielen  ist.  Unbeherrschbare  und  grossentheils  noch  unbekannte 
Momente  beeinflussen  die  P2  0-- Ausscheidung  durch  den 
Harn,  welche  für  dessen  Acidität  von  entscheidender  Bedeu¬ 
tung  ist. 

Auf  diese  oder  ähnliche  Einwände  gegen  die  Aus¬ 
führungen  Lieblein’s  nahm  jedoch  Keller  keinen 
Bedacht. 

3)  Keller  erwähnt  einschlägige,  nicht  publicirte  Untersuchungen 
Thiemich’s  nur  mit  wenigen  Wo  ten  in  der  Brochure  »Malzsuppe«, 
worin  es  heisst,  eine  Verminderung  der  lixen  Alkalien  im  Blute  habe  bei 
den  säurevergifteten  Säuglingen  nicht  nachgewiesen  werden  können,  und 
zwar,  wie  er  meint,  deshalb  nicht,  weil  der  Verlust  sogleich  aus  den  Geweben 
ersetzt  weide. 


Die  einzige  für  K  e  1 1  e  r’s  Zwecke  in  Betracht  kommende 
Methode  der  Aciditätsbestimmung  war  jene  nach  Freund- 
Lieblein.  Lieblein  hat  bekanntlich  das  Verdienst, 
den  Nachweis  geliefert  zu  haben,  dass  unter  gewöhnlichen 
Umständen  jede  dem  Plarne  zugeführte  Säure  und  jedes 
saure  Salz  von  beliebig  geringer  Avidität  den  Harnphosphaten 
Alkali  bis  zur  völligen  Sättigung  der  ersetzbaren  H-Jonen  ent¬ 
zieht,  derart,  dass  jegliche  Zu  oder  Abnahme  des  Gehaltes 
an  diesen  im  Harne  durch  eine  Verschiebung  der  Werthe 
von  einfach-  und  zweifachsauren  Phosphaten  zum  Ausdrucke 
kommt.  Hierauf  gründet  sich  seine  Methode  zur  Bestimmung 
der  Harnacidität.  Als  Mass  für  dieselbe  dient  ihm  das  Mengen- 
verhältniss  der  zweifach-  und  einfachsauren  Phosphate  aus¬ 
gedrückt  in  Procenten  der  ersteren  zukommenden  P205-Werthe 
bezogen  auf  den  Gesammt-P2  05-Werth. 

Es  scheint  mir  evident,  dass  die  Wahl  dieser  Masszahl 
eine  unglückliche  ist.  Sie  bringt  die  Aciditätswcrthe  in  eine 
schwer  ausdrückbare  Abhängigkeit  von  der  absoluten  Menge 
der  Gesammtphosphorsäui  e  des  Harnes  und  gestattet  daher 
eine  einwandfreie  Vergleichung  derselben  an  Harnen  ver¬ 
schiedener  Individuen  nur  bei  gleicher  Ausscheidung  an  Ge¬ 
sammtphosphorsäure,  wofür  identische  Ernährung  nur  erst 
eine  Bedingung  ist. 

Aber  auch  die  absolute  Menge  der  zweifachsauren  Phos¬ 
phate,  ausgedrückt  in  P2  O-,  ist  aus  ähnlichen  Gründen  kein 
einwandfreier  Massstab  für  die  »Acidität  des  Haines«  ;  an 
Stelle  dieses  nach  den  Angaben  der  gebräuchlichen  Lehr¬ 
bücher  keineswegs  Klaren,  vielfach  irrig  aufgefassten  und 
stets  nur  conventioneilen  Begriffes  empfiehlt  es  sich,  einen 
objectiven  zu  setzen,  nämlich  den  der  Basencapacität 
des  Harnes,  worunter  die  absolute  Menge  der  mit  dem  Harne 
ausgeschiedenen,  durch  Metalle  ersetzbaren  H-Jonen  ver¬ 
standen  ist. _1) 

Nach  dem  von  L  i  e  b  1  e  i  n  erwiesenen  Principe  findet  die 
Basencapacität  des  Harnes  ihren  Ausdruck  in  der  Summe  des  als 
zweifachsaures  Phosphat  und  als  Gesammtphosphat  enthaltenen 
P.,  03.  Eine  anschauliche  Darlegung  dieser  Verhältnisse  würde  mich 
hier  zu  weit  führen  und  verweise  ich  diesbezüglich  auf  eine  spätere, 
ausführliche  Publication. 

Aus  den  hieraus  ersichtlichen  Gründen  blieben  die  von 
Keller  angestellten.  einschlägigen  Versuchsreihen  an  sich  ohne 
wesentliches  Ergebniss  für  die  Frage  der  Säurevergiftung:  »Die 
Acidität  des  Harnes,  ausgedrückt  im  Verhältniss  von  zweifach- 
saurem  Phosphat  zur  Gesammtphosphorsäure,  wird  nur  dann 
beeinflusst,  wenn  die  Menge  der  Gesammtphosphorsäure  durch 
Aenderung  der  Diät  vermehrt  oder  vermindert  wird.  Dagegen 
bleibt  die  Acidität  des  Harnes  dieselbe,  wenn  die  Menge  der 
eingeführten  Phosphorsäure  nicht  geändert  wird,  mögen  nun 
viel  oder  wenig  Säuren  im  Organismus  gebildet  werden,  selbst 
wenn  wir  experimentell  anorganische  Säuren  in  den  Organis¬ 
mus  eiuführen.« 

Das  von  Keller  gesammelte  werthvolle  Material  kann 
jedoch  nach  dem  angeführten  Principe  zur  Berechnung  der 
Basencapacität  des  Harnes  in  den  einzelnen  Fällen  dienen. 
Ich  habe  diese  Berechnung  an  einigen  der  Kelle  Eschen 
Tabellen  durchgeführt  und  gefunden,  dass  eine  bestimmte  Be 
ziehung  des  rationellen  Masses  für  die  Harnsäuerung  zur 
NHj- Ausscheidung,  dem  für  Keller  massgeblichen  Symptome 
vorliegender  Säure  Vergiftung,  nicht  besteht.  Diesbezüglich 
decken  sich  die  weiter  unten  mitzutheilenden  Erfahrungen, 
die  ich  bei  der  Basencapacitätsbestimmung  des  Harnes  nach 
anderer,  directer  Methode  an  gesunden  und  kranken  Säuglingen 
selbst  gewann,  vollkommen  mit  den  Resultaten,  die  sich  aus 
Keller’s  Zahlen  ableiten  lassen,  Die  Vermehrung  des  Harn- 
Nil.,  bei  Magen-Darm-  und  anderen  Erkrankungen  des  Säug¬ 
lings  geht  nicht  principiell  mit  einer  Vermehrung  der  »Harn 
acidität«,  beziehungsweise  Basencapacität  des  Harnes  einher. 

Bei  näherer  Ueberlegung  erscheint  allerdings  dieses  Er¬ 
gebniss  als  das  erwartungsgemässe;  denn  da  die  hypothetischen, 
abnormen  und  in  den  Harn  übergehenden  Säuren  sich  nach 
der  Säurevergiftungslehre  mit  N  H3  paaren,  worauf  eben  dei 

4)  Will  man  einen  relativen  Index  dafür  gewinnen,  so  kann  mai 
diese  Basencapacität  auf  den  Gesammt-N-Gebalt  des  Harnes  beziehen. 


806 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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erhöhte  NH3  Gehalt  des  Harnes  in  solchen  Zustanden  beruhen 
soll,  könnte  eine  Vermehrung  der  durch  Metall  ersetzbaren 
11-Jonen  im  Harne  höchstens  dadurch  zu  Stande  kommen, 
dass  saure  N  H3-Salze  mehrbasischer  (?)  Säuren  ausgeschieden 
würden,  oder  das  NH3  überhaupt  nicht  für  die  ganze  Masse 
der  abnormen  Säuren  disponibel  wäre.  Hingegen  müsste  die 
Beimengung  abnormer,  eventuell  durch  N  H3  gedeckter  Säuren 
zum  Harne  durch  Bestimmung  der  gesammten  freien,  vertret¬ 
baren  _|_  der  durch  NH3  vertretenen  H-Jonen  (»Capacität  für 
fixe  Basen«)  evident  werden.  Auch  diese  Aciditätszahl  ist 
jedoch  kein  Mass  für  den  Grad  einer  vorliegenden  Säurever¬ 
giftung,  da  bei  einer  solchen,  wie  Limbeck  nachgewiesen 
hat,  neben  dem  N  H3  stets  auch  fixe  Alkalien  zur  Säure¬ 
bindung  dienen,  jenes  sogar  überhaupt  nur  in  zweiter  Linie 
hiezu  herangezogen  wird.  Dies  gilt  wenigstens  nachgewiesener- 
massen  für  die  experimentelle  Vergiftung  des  Menschen  mit 
Mineralsäuren,  welche  Keller  mit  der  bei  Magen- Darmkrank¬ 
heiten  vermutheten  spontanen  Vergiftung  in  Vergleich  setzt 
und  nach  Keller’s  Annahme  auch  bei  dieser  letzteren  selbst. 

Das  nächstliegende  und  beweiskräftigste  Argument,  das 
bei  vorliegender  Säurevergiftung  aus  der  Untersuchung  des 
Harnes  iiberlegungsgemäss  zu  gewinnen  sein  musste,  ist  der 
Nachweis  der  abnormen  Säuren,  wie  er  in  der  That  bei 
den  Zuständen  von  Säureautointoxication  des  Erwachsenen  — 
wenigstens  in  den  für  dieselben  charakterist  i- 
schen  Paroxysmen  —  gelingt.  Bei  den  Erwachsenen 
handelt  es  sich  hiebei  namentlich  um  die  niederen  Fettsäuren 
(mit  1 — 4  C-Atomen),  Oxyfettsäuren  (mit  3 — 4  C-Atomen), 
die  Acetessigsäure  und  einen  Säureabkömmlung,  das  Aceton. 
Während  dem  sicheren  Nachweise  der  meisten  Fett-  und  Oxy¬ 
fettsäuren  nur  ihre  Reindarstellung  aus  grösseren  Mengen 
Harnes  dienen  kann,  vermag  man  den  Gehalt  an  den  beiden 
letztgenannten  Substanzen  durch  einfache  Reactionen  zu  er¬ 
kennen. 

Die  Darstellung  von  Fett-  und  Oxyfettsäuren  aus  dem 
Harne  magen-darmkranker  Säuglinge  hat  Keller  —  ver- 
muthlich  wegen  der  schwierigen  Beschaffung  ausreichenden 
Materiales  —  nicht  versucht;  auch  erinnere  ich  mich  nicht, 
Angaben  über  Aceton-  und  Diacetsäuregehalt  dieser  Harne  in 
seinen  Arbeiten  gefunden  zu  haben;  doch  liegen  über  die  Frage 
des  Vorkommens  der  beiden  letztgenannten  im  Harne  magen- 
darmkranker  Säuglinge  namentlich  die  bekannten  Angaben 
von  v.  Jak  sch,  jene  seines  Schülers  Sch  rack  (aus  der 
Grazer  Kinderklinik)  und  die  vorzüglich  commentirten  Angaben 
von  Baginsky  vor.  Während  nach  dem  übereinstimmenden 
Urtheile  dieser  Autoren  Aceton  und  Acetessigsäure  namentlich 
bei  jenen  acuten  fieberhaften  Magen-Darmkrankheiten  der 
Kinder  (jenseits  des  ersten  Lebenshalbjahres),  welche  zu 
eklamptischen  Zufällen  führen,  recht  häufig  gefunden  werden, 
pflegt  die  Acetonurie  bei  chronischen  Magen- 
Darmerkrankungen  der  Säuglinge  zu  fehlen 
(Sch  rack).  (Dass  im  Mageninhalte  dyspeptischer  Kinder 
nach  Baginsky  und  S  c  h  r  a  c  k  nur  ganz  ausnahmsweise 
Aceton  gefunden  wird  und  die  Quelle  der  Acetonurie  nach 
Baginsky  nicht  in  Darmgährungsprocessen  zu  suchen  sei, 
entspricht  der  heute  ohnedies  geläufigen  Annahme  einer  Bildung 
dieser  abnormen  Säuren  und  Säureproducte  erst  jenseits  der 
Darmwand,  im  intermediären  Stoffwechsel.) 

Mithin  liegt  meines  Wissens  für  die  Hypothese  Czerny’s, 
welche  sich  (wenigstens  in  den  ersten  Publicationen  Keller’s) 
auf  die  chronischen  Magen-Darmerkrankungen  der  Säug¬ 
linge  bezieht,  zum  Mindesten  ein  positiver  directer  Befund 
abnormer  Harnsäuren  bisher  nicht  vor. 

Der  Befund  einer  vermehrten  N  H3-Excretion  durch  die 
Nieren  kann,  wenn  man  den  Standpunkt  der  Schmiedeberg- 
schen  Schule  verlässt,  auch  eine  andere  Deutung,  als  die  ver¬ 
mehrter  Säuerung  der  Körpersäfte  erfahren.  Er  lässt  sich 

nämlich  auch  durch  eine  primäre  Schädigung  der  U-bildenden 
Functionen  im  Körper  erklären.  Wenn  aus  irgend  welchen 
Gründen  die  Reihe  fermentativer  Oxydationen,  welche  in  der 

+  4- 

Leber  und  anderen  U-bildenden  Organen  die  U-Syntkese  (aus 
NH3  oder  in  letzteren  vermuthlich  aus  N  H3  einerseits  und 


Amidosäuren  der  Fettreihe  andererseits)  bewirkt,  theilweise 
ausbleibt,  oder  in  beschränktem  Umfange  zu  Stande  kommt, 
so  kann  das  der  Verarbeitung  entgangene  N  H3  den  Weg 
durch  die  Nieren  in  den  Harn  finden.  Als  Zellgift  wird  es 
mit  Säuren  gepaart  dorthin  ausgeschieden. 

Diese  Deutung  der  hohen  NH3-Werthe  im  Harne 
kranker  Säuglinge  war  anfangs  auch  C z e rn y  nahe  gestanden; 
sie  hatte  sogar  den  Ausgangspunkt  seiner  Forschungen  gebildet. 
In  der  weiteren  Entwicklung  seines  Ideenkreises  aber  wurde 
sie  auf  Kosten  der  Säureintoxicationshypothese  mehr  und  mehr 
in  den  Hintergrund  gedrängt.  Nur  an  einzelnen  Stellen  finden 
sich  bei  Keller  noch  Bemerkungen,  betreffend  eine  eventuell 
verminderte  Oxydationsfähigkeit  im  Organismus  der  kranken 
Kinder  —  wie  sie  übrigens  auch  zur  Säurevergiftung  in 
pathogenetische  Beziehung  gebracht  wird  —  und  Aehnliches. 
Doch  macht  es  den  Eindruck,  als  hätten  diese  Hinweise  nur 
den  Zweck,  im  Falle  des  Schiff  braches  der  Säureintoxications¬ 
hypothese  als  Rückzugspforten  zu  dienen. 

Ueberdies  war  der  Gedanke,  dass  eine  primäre  Störung 
4- 

der  U-bildenden  Function  der  Leber  (in  Folge  fettiger  De¬ 
generation  ihres  Parenchyms)  bei  jungen,  magen-darmkranken 
Kindern  zu  einer  Stoffwechselstörung  mit  vermehrter  N  H3- 
Excretion  führen  könne,  zur  Zeit,  als  man  in  Breslau  diese 
Studien  begann,  nicht  mehr  völlig  originell,  da  er  von  Mya 
gelegentlich  der  Beobachtung  einschlägiger  Fälle  bereits  1884, 
beziehungsweise  1893  ausgesprochen  worden  war. 

Dass  es  sich  darum  also  in  den  von  Czerny  und 
Keller  gemeinten  Fällen  nicht  handeln  könne,  trachtete 
Keller  in  zwei  besonderen  Versuchsreihen  nachzuweisen. 
Die  Säureintoxicationshypothese  sollte  dadurch  quasi  per  ex- 
clusionem  gestützt  werden;  freilich  brach  man  damit  auch 
endlich  doch  alle  Brücken  zur  Theorie  der  primär  gestörten 
Oxydation  ab. 

In  der  ersten  Versuchsreihe  führte  Keller  mngen-darm- 
kranken  Säuglingen  per  os  kohlensaures  N  1L  zu  und  beob- 

T 

achtete,  in  welcher  Weise  dadurch  die  N  H3-  und  U-Ausschei- 
dung  durch  den  Harn  beeinflusst  wird.  Da  bekanntlich  nur 
,  .  T 

die  Leber  im  Stande  sein  soll,  aus  N  H3-Salzen  allein  U  auf¬ 
zubauen,  so  dachte  Keller  hiebei  einen  Einblick  in  die 
Leistungsfähigkeit  der  inneren  Function  dieses  Organes  bei 
den  kranken  Säuglingen  zu  gewinnen.  In  drei  von  den  sechs 
Versuchsreihen  stieg  auf  NH3-Fütterung  die  NH3-Ausscheidu;ig 
durch  den  Harn  an,  in  zweien  war  sie  »eher  vermindert«,  in 
einer  Versuchsreihe  deutlich  herabgesetzt.  Es  bestehen  also 
schon  diesbezüglich  beträchtliche  Verschiedenheiten,  welche 
vermuthlich  wohl  auf  den  differenten  Krankheitszuständen  der 
einzelnen  Kinder  (über  welche  alle  Angaben  fehlen)  zurück¬ 
zuführen  sind.  In  jedem  Falle  muss  zugegeben  werden,  dass 
bei  diesen  kranken  Kindern  nur  ein  kleiner  Theil  des  zuge¬ 
führten  N  H3  den  Körper  als  solches  durch  die  Harnwege  ver¬ 
lässt.  Was  mit  der  Hauptmasse  des  N  H3  geschieht,  lässt  sich 
nach  den  Daten,  welche  Keller  gibt,  kaum  vermuthungs- 
weise  entscheiden,  namentlich  deshalb  nicht,  weil  die  NH;(- 
Ausscheidung  durch  den  Darm  nicht  bestimmt  wurde  und 
mithin  die  Kenntniss  der  Resorptionsquote  für  den  in  dieser 
Form  zugeführten  N  mangelt.  Die  während  der  Versuchsdauer 
stets  beträchtlich  erhöhte  Gesammt-N-Ausscheidung  durch  den 
Harn  kann  sicherlich  nicht  ohne  Weiteres  als  Mass  für  die 
resorbirte  N  H3-Menge  gelten,  da  es  nicht  bekannt  ist,  in 
welcher  Weise  die  Zufuhr  des  Alkalis  die  Resorptionsbedin- 
gungen  anderer  N-haltiger  Nahrungsbestandtheile  beeinflusst. 
Ein  Umstand  könnte  allerdings  bei  flüchtigem  Urtheile  dafür 
zu  sprechen  scheinen,  dass  die  Leber  der  Versuchsobjecte 
betreffs  der  oxydativen  Synthese  des  N  H:(  prompt  functionirte, 
nämlich  die  unter  dem  Einflüsse  der  NH3-Zufuhr  in  allen 

4- 

Fällen  erfolgte,  sehr  beträchtliche  Steigerung  der  U-Werthe. 
Genauere  Einsicht  aber  ergibt  einen  eigentümlichen  Befund: 

4- 

Die  Steigerung  der  U-N-Werthe  übertrifft  nämlich 
nach  meiner  Berechnung  in  allen  drei  darauf  unter¬ 
suchten  Fällen  die  Steigerung  der  Gesammt-N-Aus- 


Nr.  36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


807 


Scheidung,  und  zwar  in  einem  Falle  sogar  sehr  beträchtlich. 

Damit  ist  erwiesen,  dass  der  U-N  der  Yersuchstage  zum  Min¬ 
desten  nicht  ausschliesslich  aus  dem  resorbirten  N  H3 
stamme. 

Die  nach  Erkenntniss  dessen  naheliegendste  Annahme, 
dass  das  eingeführte  Gift,  welches  den  Gesundheitszustand  der 
Versuchskinder  nach  Keller’s  Beobachtungen  merklich  beein¬ 
flusste  zu  Steigerung  des  Eiweisszerfalles  und  derart  zu  Ver- 
’  + 

mehrung  der  U-Ausfuhr  führte,  glaubt  Keller  durch  Bestim¬ 
mungen  der  Phosphorausscheidung  während  des  Versuches 
(Zahlenbelege  fehlen!)  ausschliessen  zu  können.  Wir  haben 
uns  daher  nach  einer  anderen  Quelle  für  einen  Theil  des  in 


Form  von  U  erscheinenden  N  umzusehen.  Als  solche  Quelle 
kommen  die  Amidosäuren  in  Betracht,  welche  nächst  dem 


N  H3  das  wichtigste  Material  zur  U-bildung  abgeben  und  welche 
bei  der  Ernährung  mit  Malzwürze  (wie  sie  Keller  in  diesen 
Versuchen  an  wandte)  den  Stoffwechsel  geradezu  über¬ 
schwemmen  5)-  .  ,  + 

Wenn  hiemit  erwiesen  ist,  dass  sich  an  der  U-Vermehrung 
in  den  N  H3-Fütterungsversuchen  sicher  nicht  allein  der  N  des 
zugeführten  N  H3,  sondern  auch  anderer,  und  Zwar  wahrschein¬ 
lich  jener  der  (aus  der  Nahrung  direct  oder  dem  Abbau  der 
Eiweisskörper  stammenden)  Amidosäuren  betheiligt,  so  kommt 
für  den  hiebei  gemachten  Aufwand  an  synthetischer  und  oxy¬ 
dativer  Energie  nicht  mehr  ausschliesslich  die  Action  der  Leber, 

-t- 

sondern  jene  aller  übrigen  U-bildenden  Organe  in  Betracht. 
Während  nämlich  nach  dem  bisherigen  Stande  der  Kenntnisse 


4- 

die  U-bildung  aus  N  H4  Salzen  allein,  wie  erwähnt,  nur  der 
Leber  zugeschrieben  wird,  scheint  die  Befähigung  von  Ge- 

+ 

weben  zur  U-bildung  aus  N  H3,  Amidosäuren  und  anderen 
Abbauproducten  des  Stoffwechsels  im  Körper  weit  verbreitet 

+ 

zu  sein.  Dann  ist  aber  auch  der  Nachweis,  dass  die  U-bildung 
bei  jenen  NH3-Fütterungsversuchen  an  magen-darmkranken 
Kindern  unbehindert  erfolgt,  noch  kein  Kriterium  für  eine 
vollerhaltene,  fermentative  Oxydationsenergie  des  Lebergewebes. 

Noch  weniger  sprechen  gegen  eine  Schädigung  der 
inneren  Leberfunctionen  die  Befunde  Keller’s,  dass  gewisse 
Amidosäuren  bei  Verfütterung  an  magen-darmkranke  Säuglinge 
+ 

theilweise  in  U  übergeführt  werden  können. 

Alle  diese  Versuche  leiden  übrigens  an  dem  Mangel 
jeder  Ermittlung  des  Resorptionsverhältnisses  und  eines  an 
gesundem  Individuum  unter  gleichen  Bedingungen  durchge¬ 
führten  Controlversuches. 

Auch  kommt  noch  ein  methodischer  Einwand  in  Betracht. 
Das  Verfahren  von  Mörner-Sjöqvist,  dessen  sich  Keller 


+ 


zur  U-bestimmung  bediente,  ist  bei  Anwesenheit  grösserer 
Mengen  von  gewissen  Amidosäuren  und  deren  Derivaten, 
z.  B.  Hippursäure,  nicht  ganz  zuverlässig,  da  solche  Substanzen 


+ 


als  U  -mitbestimmt  werden  können.  Aus  diesem  Grunde  ist 
das  Verfahren,  wie  jüngst  Salaskin  und  Zalesky  gezeigt 
haben,  z.  B.  auf  den  Harn  von  Pflanzenfressern  gar  nicht  an¬ 
wendbar  und  verlangt  stets  eine  besondere  Con- 
t  r  o  1  e. 


All  dem  entgegen  hat  Keller  in  seiner  ersten  Mitthei¬ 
lung  auf  die  sehr  beachtenswerthe  Thatsache  hingewiesen, 


5)  Die  Malzwürze  enthält  nämlich  nach  Keller’s  Angaben  etwa  die 
Hälfte  ihres  N  in  Form  von  »Amiden  und  Amidosäuren«  und  diese  Sub¬ 
stanzen  gehen,  wie  ich  an  unseren  mit  »Malzsuppe«  ernährten  Säuglingen 
wiederholt  constatiren  konnte,  grossentheils  unverändert  in  den  Ham  über. 
Der  Gehalt  des  Harnes  an  diesen  Substanzen  ist  es  auch,  nebenbei  bemerkt, 

+ 

welcher  die  bei  Malzsuppenfütterung  oft  auffallend  niederen  U-Werthe  er¬ 
klärt.  Eine  von  mir  im  Laboratorium  Prof.  Hofmeister’s  in  Strassburg 
ausgearbeitete  Methode  gestattet,  den  N  der  Amidosäuren  im  Harne  quanti¬ 
tativ  zu  bestimmen  und  ist  geeignet,  zu  zeigen,  dass  diese  Substanzen  oft 
als  Ballast  durch  den  ganzen  Stoffwechsel  geschleppt  werden,  ohne,  wie 
+ 

Keller  meint,  im  U  übergeführt  zu  werden. 


dass  sich  die  schwersten  Formen  von  fettiger  Degeneration 
der  Leber  bei  jenen  seiner  obducirten  Fälle  fanden,  bei 
welchen  im  Leben  hohe  N  H3- Ausscheidung  constatirt  worden 
war,  und  dass  jener  einzige  von  seinen  eilf  Fällen,  in  welchem 
die  NH3-Werthe  relativ  niedrige  geblieben  waren,  bei  der  Ob- 
duction  auch  als  einziger  einen  völlig  normalen  Leberbefund 
ergeben  hatte.  Keller  weist  noch  darauf  hin,  wie  sehr  dies 
die  Annahme  von  einem  Zusammenhänge  der  Lebererkrankung 
und  der  abnormen  N  H3-B  efunde  nahe  legt. 

Der  grundlegendste  aller  Befunde,  welche  Czerny  und 
Keller  betreffs  der  Stoffwechselstörung  bei  magen- darmkranken 
Säuglingen  erheben  konnten,  ist  jener  der  vermehrten  NH3- 
Ausscheidung.  Die  Werthe,  welche  Keller  mittheilt,  sind  zum 
grossen  Theile  ganz  exorbitante.  Dass  mehr  als  40%  des 
Gesammt-N  im  Harne  als  NH3  erscheint,  ist  nach  Keller’s 
Angaben  durchaus  keine  Seltenheit  (viermal  unter  elf  Fällen); 
mehr  als  30%  findet  sich  —  wenigstens  vorübergehend  — 
in  mehr  als  der  Hälfte  der  Fälle  (erste  Mittheilung)  und  zwei¬ 
mal  notirt  Keller  sogar  einen  N  H3-Gehalt  von  52%. 

Den  Erwachsenen  betreffend  liegen  Daten  über  ver¬ 
mehrte  N  H3-Ausscheidung  in  sehr  beträchtlicher  Zahl  vor 
(z.  B.  von  Münzer,  Engelien,  Badt,  Lieblein,  Wein- 
traud,  Haller vorden,  Stadelmann,  Favitzky,  Rumpf, 
Senator,  Schupfe r  u.  A.),  doch  finden  sich  so  ungewöhnlich 
hohe  Zahlen  nur  ganz  vereinzelt.  Die  von  Rumpf  gemachte,  einen 
Fall  von  Cholera  asiatica  betreffende  Angabe  über  eine  N  H3- 
N-Ausscheidung,  welche  33*55%  des  Gesammt-N  betrug,  steht 
meines  Wissens  völlig  isolirt. 

Angesichts  dieser  Umstände  ist  es  wohl  gestattet,  die 
Möglichkeit  von  Versuchsfehlern  in  Betracht  zu  ziehen.  Ein¬ 
schlägige  Zweifel  haben  schon  Heubner  und  Bendix  ge- 
äussert  und  fanden  dabei  Unterstützung  von  Seite  anderer, 
namhafter  Autoren,  wie  Neumann,  Magnus  Levy,  Marfan. 

Bendix,  dessen  ursprüngliche  Versuchsanordnung  aller¬ 
dings  von  jener  Keller’s  in  einigen,  vielleicht  wesentlichen 
Punkten  abgewichen  war  (Leitung  des  Harnes  durch  Kautschuk¬ 
schlauch  in  den  Recipienten)  und  der  gleichfalls  aussergewmhn- 
lich  hohe  N  H3-Zahlen  gewonnen  hatte,  konnte  zeigen,  dass  bei 
Anwendung  gewisser  Cautelen  (Auffangen  über  Schwefelsäure, 
Untersuchung  frischer  Proben),  die  durch  Doppelbestimmungen 
controlirten  NH3- Werthe  bei  einer  Anzahl  von  gesunden  und 
kranken  Säuglingen  durchwegs  relativ  niedere  waren  (Maxi¬ 
mum  210%). 

Keller  untersuchte  den  Harn  niemals  frisch,  sondern 
sammelte  die  24stündige  Menge  in  einem  mit  Cloroform  be¬ 
schickten,  gekühlten  Kolben,  in  welchem  seiner  Erfahrung 
nach  (Zahlenbelege  fehlen!)  die  im  Recipientien  eventuell  be¬ 
gonnene  U-Zersetzung  nicht  fortschreiten  soll.  Diese  selbst 
aber  kann  nach  Versuchen  Keller’s  einen  Fehler  von  höch¬ 
stens  circa  7%  verursachen. 

Es  muss  zugegeben  werden,  dass  die  von  Keller  an¬ 
geordneten  Vorsichtsmassregeln  nach  den  für  den  Harn 
von  Erwachsenen  und  Versuchsthieren  gemachten  Erfahrungen 
ausreichend  erscheinen  müssen.  Ob  aber  die  zumeist  dem  Warte¬ 
personal  (Nachtdienst!)  überlassene  Ausführung  in  jedem 
einzelnen  Falle  allen  Anforderungen  entsprochen  hat,  entzieht 
sich  dem  Urtheile  Kellers  selbst  und  darf  wohl  angezweifelt 
werden.  Wer  von  uns  Anstalts-Kinderärzten  hat  nicht  erfahren, 
dass  sich  das  sonst  verlässlichste  Wartepersonal  aut  Säuglings¬ 
stationen,  namentlich  im  Nachtdienste  unter  dem  Drucke  der 
selbst  in  der  bestausgestatteten  Anstalt  oft  schier  unerfüllbaren 
Forderungen  manches  kleine  Versäumniss  zu  Schulden  kommen 
lässt.  Das  persönliche  Interesse  des  Personales  an  derartigen, 
sichtlich  blos  Untersuchungszwecken  dienenden  Unternehmun¬ 
gen  ist  ein  überdies  sehr  geringes.  Das  eine  allerdings  will  ich 
Keller  gerne  zugeben,  dass  bei  einer  so  grossen  Ausdehnung 
der  Versuchsreihen  und  einer  derart  intensiven  Ausnützung 
des  Materiales,  wie  er  sie  übte,  die  einzig  vollkommen  zuver¬ 
lässige  Methode  der  ausschliesslich  persönlichen 
Handhabung  aller  technischen  Details  —  wie  ich  sie  z.  B.  bei 
meinen  unten  mitzutheilenden  Versuchen  anwandte  nicht 
durchführbar  ist. 


8U8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  .Ifi 


Was  mir  an  den  N  H3-Zahlen  Keller’s  besonders  be¬ 
denklich  erscheint,  sind  die  ausserordentlichen  Schwankungen, 
welche  sich  in  vielen  seiner  Fälle  innerhalb  24-  oder  48stün- 
diger  Perioden  ergeben,  ohne  dass  in  der  Nahrungszufuhr  oder 
im  Zustande  des  Kindes  eine  beträchtliche  (in  der  Kranken¬ 
geschichte  erwähnte)  Aenderung  eingetreten  wäre.  Es  sei 
beispielsweise  auf  einige  solche  Beobachtungen  aus  der  ersten 
Mittheilung  hingewiesen: 

Fall  2.  Schwankung  vom  21.  auf  22.  Mai  29  4% — 44,7%- 

»  6.  »  »  22.  »  23.  »  13-2% — 28*1%. 

»11.  »  »  18.  »  19.  »  26-2%— 45*1%. 

Wie  erklärt  sich  Keller  solche  Intensitäts-Schwankun¬ 
gen  der  vorliegenden  »Säurevergiftung«  (Paroxy»men  ?)  bei 
unveränderten  äusseren  Umständen?  Das  Gleichgewicht  des 
Stoffwechsels  ist  doch  sonst  selbst  bei  kranken  Säuglingen 
kein  so  völlig  labiles. 

Inwieweit  meine  eigenen  einschlägigen  Zahlenangabcn  den 
Zweifel  an  jenen  Kellers  rechtfertigen,  wird  sich  unten 
ergeben. 

[ch  komme  endlich  bei  der  Sichtung  der  für  und  gegen 
die  Säure-Intoxicationshypothese  vorliegenden  Argumente  zu 
einem  Punkte,  auf  den  bereits  hingewiesen  zu  haben,  gleich¬ 
falls  das  Verdienst  von  Bendix  ist.  Wenn  man  nach 
Keller  die  erhöhte  N  H;t-Ausscheidung  als  ein  »Symptom« 
der  bei  magen-darmkranken  Säuglingen  vorliegenden  speeifl- 
schen  Stoffwechsel-Anomalie  ansieht,  so  liegt  zum  Mindesten 
die  Annahme  nahe,  dass  —  so  weit  nicht  andere  Umstände 
störenden  Einfluss  üben  —  auch  eine  gewisse  graduelle  Be¬ 
ziehung  zwischen  dieser  und  jener  vorliegen  werde.  Dies  ist 
jedoch  anscheinend  durchaus  nicht  der  Fall.  Es  zeigt  sich  — 
so  weit  unter  gleichen  äusseren  Ernährungsbedingungen  ange- 
stellte  Versuche  vorliegen  —  weder  in  evidenter  Weise,  dass 
die  schwerer  erkrankten  Kinder  höhere  NH3-Werthe  auf¬ 
weisen,  als  die  leichter  erkrankten  (gesunde  Säuglinge  hat 
Keller  nicht  in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  gezogen), 
noch  dass  entscheidende  Wendepunkte  im  Krankheitszustande 
der  einzelnen  Individuen  durch  entsprechende  Veränderungen 
der  N H., -Ausscheidung  gekennzeichnet  sind.  Keller’s  kurz- 
gefasste  Krankengeschichten  gestatten  zwar  eine  Beurtheilung 
dieser  Verhältnisse  nur  in  beschränkten  Masse,  doch  lässt  sich 
seinem  Materiale  immerhin  manches  recht  drastische  Beispiel 
hiefür  entnehmen. 

Bend  ix  constatirte  an  seinen  eigenen  Fällen  eine  sehr 
ausgesprochene  Incongruenz  der  klinischen  und  chemischen 
Befunde. 

Man  gewinnt  derart  den  Eindruck,  dass  die  vorliegende 
Magen-Darmerkrankung  nicht  oder  wenigstens  nicht  allein 
und  erst  in  zweiter  Linie  die  Ursache  der  beobachteten,  auf¬ 
fallenden  N-Vertheilung  im  Harne  sei.  Die  hohe  N IL- Aus¬ 
scheidung  muss  offenbar  durch  ein  anderes  Moment  in  ent¬ 
scheidender  Weise  beeinflusst  werden. 

Es  liegt  nahe,  an  der  Hand  von  Kelle  r’s  Tabellen  in 
seiner  ersten  Mittheilung  nach  diesem  Momente  zu  forschen 
und  in  der  That  gewinnt  man  hiebei  sehr  leicht  einen  Anhalts¬ 
punkt  an  der  Qualität  der  Nahrungszufuhr.  Es  besteht  — 
nach  Kellers  Zahlen  —  eine  ausgesprochene  Abhängigkeit 
der  N  H.rWerthe  im  Harne  vor  der  Einfuhr  eines  bestimmten 
Nahrungsbestandtheiles,  nämlich  des  Fettes.  In  den  »Sahne«- 
Perioden  sind  die  NH3-Werthe  fast  durchwegs  ungewöhnlich 
hohe,  beim  Uebergange  zu  fettärmerer  Nahrung  (Malzsuppe) 
tinden  jene  steilen  Abstürze  der  NH,-Werthe  statt,  welche 
Keller  auf  Alkalizufuhr  zurückzuführen  scheint,,  weil  er  sie 
als  Kriterien  für  bestehende  Säure- Intoxication  anführt. 

Die  Entdeckung,  dass  die  N  II.rAusscheidung  beim 
Säug  ling  namentlich  eine  Function  der  Nahrungszufuhr  in  dem 
besagten  Sinne  sei,  machten  Czerny  und  Keller  selbst 
gleichfalls,  allerdings  erst  etwas  später,  zu  einer  Zeit,  als  die 
Säurevergiftungstheorie  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  bereits 
ihren  Weg  in  die  Fachkreise  genommen  hatte. 

Wäh  rend  die  von  Kolsky  aus  der  Breslauer  Klinik  im 
.fahre  1897  mitgetheilten,  einscldägen  Versuchsergebnisse  noch 
dahin  gedeutet  wurden,  dass  »die  Art  der  Ernährung  bei 
kranken  Säuglingen  insoferne  eine  Wirkung  auf  die  NK- 


Ausscheidung  im  Harne  habe,  als  sie  das  Allgemeinbeflnden 
beeinflusst«  {i)  und  höchstens  für  einzelne  Fälle  die  Möglichkeit 
einer  directen  Beeinflussung  zugegeben  wurde,  gewannen 
Czerny  und  Keller  in  der  fünften  Mittheilung  über  die 
»Säurebildung«  andere  Gesichtspunkte.  Sie  variirten  systema¬ 
tisch  den  Eiweiss-,  Fett-  und  Kohlehydratgehalt  der  Nahrung 
und  bestimmten  die  NH3-Ausfuhr  an  denselben  (kranken) 
Kindern  bei  solcher  verschiedener  Diät.  Die  hiebei  gewonnenen 
Erfahrungen  veranlassen  sie  zum  Schlüsse:  »dass  zur  Er¬ 
höhung  d  e  r  N  H:t  -  Ausscheidung  bei  magen-darm¬ 
kranken  Säuglingen  fast  ausschliesslich  die 
Säuren  Veranlassung  geben,  welche  bei  der 
Spaltung  der  Fette  entstehen«.  Erhielten  diese 
m  agen-darmk  ranken  Säuglinge  eine  Nahrung  von 
geringem  oder  mittlerem  Fettgehalte  dann  schwankten  die 
Zahlen  für  die  relative  N  H3- Ausscheidung  zwischen  1T%  und 
7’5°/0,  also  in  Grenzen,  wie  sie  z.  B.  etwa  der  normale  Er¬ 
wachsene  aufweist.  Auch  höherer  Eiweiss-  und  Zuckergehalt 
der  Milch  verursachte  bei  den  kranken  Säuglingen  keine  be¬ 
trächtliche  Steigerung  der  N  H3-Werthe  über  diese  Norm.  Die 
fast  durchwegs  hohen  NH3-Werthe,  welche  Keller  in  seiner 
ersten  Publication  mittheilte,  erklären  sich  nun  daraus,  dass 
die  Kinder  damals  eben  mit  Sahne,  id  est  sehr  fettreicher 
Nahrung  gefüttert  wurden. 

Damit  war  nun  allerdings  die  Säureintoxicationsfrage  in 
ein  anderes  Stadium  eingetreten.  Dem  von  Seiten  der  Breslauer 
Schule  begreiflicher  Weise  vorliegenden  Wunsche,  diesen  Ueber- 
gang  möglichst  schonend  zu  gestalten,  trug  die  Aufstellung 
einer  Vermittlungs-Misch-Hypotliese  Rechnung,  die  an  ver¬ 
schiedenen  Orten  etwas  differenten  Ausdruck  findet,  im  Wesent¬ 
lichen  aber  dahin  gebt,  dass  für  die  vermehrte  N  H3-Ausscheidung 
zweierlei  Umstände  verantwortlich  zu  machen  seien: 

1.  Eine  besondere  Beschaffenheit  der  Nahrungszufuhr, 
nämlich  vor  Allem  hoher  Fettgehalt  (betreffs  des  Einflusses 
der  Kohlehydrate  liegen  widersprechende  Angaben  vor). 

2.  Der  »Zustand  des  Kindes«,  das  ist  die  Schwere  der 
Erkrankung  oder  der  durch  die  Erkrankung  hervorgerufenen 
const itutionellen  Stoffwechselstörung. 

(Als  drittes  Moment  werden  zum  Theile  auch  aus  früherer 
Zeit  nachwirkende  Erkrankungszustände  und  Diät-Qualitäten 
genannt.) 

Zur  Stütze  des  namentlich  fraglich  gewordenen  zweiten 
Punktes  verweist  Keller  in  der  jüngsten  einschlägigen 
Publication  (»Malzsuppe«)  darauf,  dass  in  früheren  Arbeiten 
Fälle  mitgetheilt  seien,  in  welchen  trotz  geringen  Fett¬ 
gehaltes  der  Nahrung  eine  auffallend  hohe  N  II3-Ausscheidung 
Vorgelegen  habe.  Ich  konnte  mich  jedoch  trotz  genauer 
Einsichtnahme  in  diese  Arbeiten  hievon  nicht  überzeugen. 
Stets  handelte  es  sich  bei  hohen  N  IL-Werthen  um  stark  fett¬ 
haltige  Nahrung  oder  um  die  unmittelbare  Nachwirkung  eines 
anderweitig  irrationellen  Ernährungsregimes.  (Eine  Ausnahms¬ 
stellung  nehmen  anscheinend  auch  hiebei  die  Brustkinder  ein, 
bei  welchen  übrigens  über  den  Fettgehalt  der  Nahrung  durch 
Keller  nichts  bekannt  wird.) 

Angesichts  der  nach  Keller’s  Meinung  bestehenden 
Concurrenz  der  beiden,  im  Sinne  vermehrter  N  H3-Ausscheidung 
wirkenden  Ursachen,  drängt  sich  die  Frage  auf,  ob 
bei  a  1 1  m  ä  1  i  g  steigender  Fettzufuhr  eine  Ver¬ 
schiedenheit  zwischen  gesunden  und  m  agen- 
darmk  ranken  Säuglingen  etwa  in  dem  Sinne 
v  o  r  1  i  e g  t,  dass  letztere  früher  und  in  höherem 
Masse  durch  vermehrte  NH3 -  Ausscheidung 
reagiren,  also  weniger  fett-tolerant  sind,  als 
e  r  s  t  e  r  e. 

Zur  Entscheidung  dieser  Frage  konnte  Keller  nicht 
beitragen,  da  er  an  gesunden  Kindern  keine  Versuche  anzu¬ 
stellen  Gelegenheit  hatte,  ein  Umstand  der  auch  hier  wieder 
als  schwere  Lücke  empfunden  wird.  Der  belehrende  Vergleich 
des  Verhaltens  kranker  und  unter  ähnlichen  äusseren  Bedin¬ 
gungen  stehender  gesunder  Kinder  fällt  bei  den  Untersuchungen 
K  e  1 1  e  r’s  überall  aus. 


6)  Im  Originale  directe  Rede. 


Nr.  36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


809 


Die  Erfahrungen,  welche  Keller  über  den  Stoffwechsel 
magen-darmkranker  Säuglinge  gemacht  hatte,  bewogen  ihn, 
Versuche  mit  einer  neuen  Nahrung  für  solche  Kinder  anzu¬ 
stellen;  für  die  Zusammensetzung  derselben  waren  ihm  Indica- 
tionen  massgebend,  die  er  aus  seinen  Befunden  ableitete.  Mit 
dem  eingehenden  Studium  der  so  entstandenen  »Malzsuppe« 
und  der  damit  erzielbaren  Ernährungserfolge  schloss  die  Reihe 
der  einschlägigen  Arbeiten  aus  der  Breslauer  Klinik  vor¬ 
läufig  ab. 

II. 

Das  hohe  Interesse,  welches  die  Säurevergiftungsfrage 
für  die  Pathologie  der  kindlichen  Magen-Darmerkrankungen 
durch  die  Forschungen  der  Breslauer  Schule  gewonnen  hatte, 
veranlasste  mich,  einige  Punkte  derselben  nachzuprüfen. 
Hiebei  erfreute  ich  mich  der  Anregung  und  des  werthvollen 
Käthes  meines  Chefs,  des  Prof.  Esc  her  ich,  und  seiner  Er¬ 
laubnis,  mich  der  klinischen  Mittel  und  des  Krankenmateriales 
zu  bedienen. 

Ich  konnte  mich  bisher  mangels  der  nöthigen  Müsse  nur 
mit  vereinzelten,  herausgerissenen  Themen  beschäftigen,  glaube 
aber,  dass  die  Mittheilung  meiner  bisherigen  Ergebnisse 
immerhin  zur  Klärung  gewisser,  besonders  belangreicher 
Fragen  schon  beitragen  kann.  Betreffs  der  zahlenmässigen 
Belege,  der  technischen  Details  und  der  Methodik  verweise 
ich  auf  eine  spätere  ausführliche  Publication.  Hier  sei  ein¬ 
schlägig  nur  erwähnt,  dass  der  Harn  in  meinen  Versuchen 
bei  weiblichen  Kindern  stets  durch  Katheterismus,  bei  männ¬ 
lichen  durch  Vorlage  »quantitativ«  gereinigter  Kölbchen  von 
mir  persönlich  gewonnen  wurde  und  in  jedem  Falle  ohne 
Ausnahme  noch  körperwa  r  m  zur  Verarbeitung  kam. 

Die  Forderung,  nur  absolut  frischen  Harn  zu  allen  Be¬ 
stimmungen  zu  verwenden,  verträgt  sich  natürlich  nicht  mit 
jener,  den  24stiindigen  Mischharn  zu  untersuchen;  doch  halte 
ic,h  erstere  für  weit  wichtiger  als  letztere.  Da  beim  Säugling 
die  den  Stoffwechsel  namentlich  beeinflussenden  Functionen, 
als  Nahrungsaufnahme,  Schlaf-  und  Wachen,  innerhalb  der 
24stündigen  Perioden  nahezu  gleichmässig  vertheilt  sind,  steht 
bei  ihm  eine  beträchtliche  Tagesschwankung  in  der  Zu¬ 
sammensetzung  des  Harnes  nicht  zu  erwarten.  Die  mir  man¬ 
gelnde  Kenntniss  vom  24stündigen  Gesammtharnvolumen  fiel 
wenig  ins  Gewicht,  da  ich  alle  bestimmten  Grössen  relativ 
ausdrückte,  nämlich  auf  Gesammt-N  berechnete.  Die  Con¬ 
centration  des  Harnes  ist  für  die  vorliegenden  Zwecke 
belanglos. 

Das  Nil,  wurde  nach  dem  Principe  des  Verfahrens  von 
Wurster  in  absolut  einwandfreier  Weise,  der  Gesammt-N  nach 

Kjeldahl  bestimmt.  Die  Bestimmung  des  IJ  geschah  nach  einer 
von  mir  im  Laboratorium  von  Prof.  Hofmeister  in  Strassburg 
angewandten  Methode,  beruhend  auf  der  durch  Phosphorwolfram- 
säurefällung  und  Abscheidung  des  leicht  abspaltbaren  N  zu  be¬ 
wirkenden  Auttheilung  des  Gesammtharn-N  auf  vier  Fractionen, 

.  4- 

wovon  eine  dem  U-N  entspricht.  Diese  Methode  bietet  fast  allen 
bisher  angewandten  gegenüber  den  Vortheil,  dass  sie  einen  durch 

l 

~T~ 

Mitbestimmung  der  Amidosäuren  als  II  gemachten  Fehler  sicher 
ausschliesst.  Der  N-Gehalt  der  »Amidosäurenfraction«  wird  hiebei 
gleichzeitig  ermittelt. 

Die  Basen-Capacität  des  Harnes  bestimmte  ich  nach  einem 
neuen,  von  mir  ad  hoc  ausgearbeiteten  Verfahren,  dessen  Princip 
ist,  jene  Substanzen,  welche  die  directe  Titration  des  Harnes  mit 

den  üblichen  Indicatoren  vereiteln,  ohne  Zersetzung  von  U 
durch  Ba  (OH).2  auszufällen  und  den  ursprünglichen  Gehalt  an 
vertretbaren  H-Jonen  durch  Hinzufügung  einer  entsprechenden 
Menge  auf  die  Baryumhydroxydlösung  eingestellter  Normalsäure 
wieder  herzustellen.  In  dem  so  vorbereiteten  Harne  ergibt  die 
rl  itration  auf  Phenolphthalein  scharfen  Umschlag.  Die  Bestimmung 
der  Basen-Capacität  wurde  mit  jener  des  NR,  verbunden.  Die  ein¬ 
gesetzten  Werthe  sind  durchwegs  Mittelwerthe  zweier  gut 
stimmender  Analysen. 


Das  Untersuchungsmaterial  lieferte  mir  die  Säuglingsstalion 
unserer  Klinik  und  die  dieser  angegliederte  Krankenabtheilung  der 
steiermärkischen  Landes-Findelanstalt.  In  letztere  werden  häufig 
Säuglinge  wegen  Ophthalmoblenorrhoe,  Mastitis,  Kephalhämatom  und 
anderer  das  Allgemeinbefinden  meist  in  keiner  Weise  beeinträchti¬ 
gender  Erkrankungen  aufgenommen  und  war  mir  derart  die  will¬ 
kommene  Gelegenheit  geboten,  an  vollkommen  magen-darmgesunden, 
künstlich  und  natürlich  ernährten  Säuglingen  und  solchen  in 
denkbar  bestem  Allgemeinzuslando  befindlichen  Untersuchungen  an¬ 
zustellen. 

Das  Gesammtbereich  der  Untersuchungen  betrifft  40  Kinder, 
wovon  30  im  ersten  Lebenshalbjahre  standen.  Ich  theilte  das  ganze 
Material  nach  einem  Gesichtspunkte  in  zwei  Kategorien:  »magen¬ 
darmgesund«  und  »magendarmkrank«  und  nach  einem  anderen 
Gesichtspunkte  in  zwei  andere  Kategorien :  »guter«  und  »schlechter 
Allgemeinzustand«.  Die  Kriterien,  wonach  diese  Eintheilung  ge¬ 
troffen  wurde,  werden  sich  aus  den  später  zu  publicirenden  Kranken¬ 
geschichten,  beziehungsweise  den  darin  enthaltenen  klinischen  und 
anatomischen  Befunden  ergeben. 

Die  von  Keller  geübte  Zusammenreihung  aller  »magen¬ 
darmkranken«  Kinder  in  eine  gemeinsame  Gruppe  erscheint  mir 
—  nebenbei  bemerkt  —  durchaus  unzweckmässig,  weil  a  priori 
durchaus  nicht  anzunehmen  ist,  dass  alle  —  oder  auch  nur  alle 
chronischen  —  Magen-Darmerkrankungen  dieselbe  Stoffwechsel¬ 
anomalie  zur  Folge  haben  sollen;  doch  behielt  ich  auch  diese 
Gruppirung  bei,  um  meine  Befunde  jenen  Kellers  conform  zu 
gestalten. 

A.  Was  zunächst  die  Ergebnisse  der  Bestimmung  des 
»NH3-Coefficienten«  (NIL,  —  N,  ausgedrückt  in  Procenten  des 
Gesammt-N)  betrifft,  so  sind  dieselben  namentlich  folgende: 

1.  Der  N  H.rCoefficient  beträgt  im  ersten  Lebenshalb- 
jalire  durchschnittlich  (an  gesunden  und  kranken  Kindern) 
15- 69%.  (Die  entsprechenden  an  frisch  untersuchten  Harnen 
von  Bend  ix  gewonnenen  Zahlen  ergeben  ein  Mittel  von 
17*30%.)  Der  NH. -Coefficient  beträgt  in  dieser  Altersclasse  bei 

magen-darmgesunden  Kindern  rund  .  .  .  15%, 

magen-darmkranken  »  »  ...  16%; 

Kindern  in  gutem  Allgemeinzustande  rund  14%, 

»  »  schlechtem  »  »  17%. 

Er  beträgt  im  zweiten  Lebenshalbjahre  im  Mittel  6*28%. 7) 

2.  Der  N  H:! -Coefficient  schwankt  im  ersten  Lebenshalb¬ 
jahre  (wechselnde  Ernährung,  wechselnder  »Zustand«)  in  der 
grossen  Mehrzahl  der  Fälle  (73%)  nur  zwischen  10  und  20%. 
Mehr  als  20%  (Maximum  30  0%)  betrug  er  nur  in  vier 
Fällen  (drei  Kinder  betreffend),  wovon  drei  Fälle  (zwei 
Kinder)  moribund  untersucht  wurden.  Weniger  als  10°/0 
(Minimum  4*6%)  betrug  er  nur  in  drei  Fällen. 

3.  Der  N  H:J  Coefficient  bei  demselben  Individuum  und 
derselben  Ernährung  in  Zeiträumen  von  wenigen  Tagen  unter¬ 
sucht,  schwankt  nur  sehr  wenig;  die  grösste  beobachtete 
absolute  Schwankung  betrug  5*2%  auf  24*8%. 

4.  Erhöhung  des  Fettgehaltes  in  der  Nahrung  von 
Flaschenkindern  steigert  den  N  H.,-Coefficienten  unabhängig 
vom  Gesundheitszustände  der  Kinder  in  einem  gewissen,  be¬ 
schränkten  Masse. 

Ad  1.  Aus  den  vorgelegten  Zahlen  ist  ersichtlich,  dass 
der  mittlere  N  H:. -Coefficient  im  ersten  Lebenshalbjahre  auch 
in  der  Norm  beträchtlich  höher  liegt,  als  bei  normalen  Er¬ 
wachsenen  (Mittelwerth  bei  letzteren  nach  W  eintraud  4*1%, 
nach  Rumpf  4*80%).  Schon  im  zweiten  Lebenshalbjahre 
nähert  sich  der  Mittelwerth  jenem  beim  Erwachsenen. 

Es  ist  weiter  ersichtlich,  dass  der  Gesundheitszustand  des 
Darmes  als  solcher  einen  kaum  erkennbaren  Einfluss  auf  die 
Grösse  des  NH3-Coefficienten  hat,  da^s  dieser  jedoch  vom 
Allgemeinzustande  in  gewissem  Grade  abhängig  erscheint.  Die 
geringe  Differenz,  die  sich  im  ersten  Werthepaare  findet,  kann 
wohl  darauf  bezogen  werden,  dass  Magen  Darmerkrankungen 
eben  die  häufigste  Ursache  der  Schädigung  des  Allgemein¬ 
befindens  in  diesem  Alter  sind.  Diese  aus  der  summarischen 
Betrachtung  sich  ergebenden  Gesichtspunkte  lässt  auch  das 
detaillirte  Studium  der  einzelnen  Fälle  und  Daten  gewinnen; 

7)  Für  weitere  Detaillirung  reicht  die  Zahl  der  in  dieser  Altersclasse 
untersuchten  Fälle  nicht  aus. 


810 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  36 


es  schien  mir  evident,  dass  Magen-Darmcrkrankun- 
»cn  nur  dann  einen  Einfluss  aut  die  N  11^  -  A  u  s- 
scheidung  durch  den  Harn  (im  Sinne  einer  Steigerung) 
haben,  wenn  sie  bereits  die  Functionen  der 
A  t  h  m  u  n  g,  des  Kreislaufes  und  des  Stoffwechsels 
in  höherem  Masse  und  dauernd  zu  schädigen 
begonnen  haben. 

Dass  in  solchen  Fällen  die  oxydative  Verarbeitung  des 
NH,  im  Organismus  gehemmt  sei.  ist  einleuchtend,  wenn  man 
bedenkt,  dass  die  Gfewebe  nicht  hinreichende  Mengen  von 
Sauerstoff  zugeführt  bekommen  oder  diesen  nicht  in  gehörigem 
Masse  aufzunehmen  im  Stande  sind. 

Inwieferne  schon  unzureichende  Sauerstoffzufuhr  den 

+ 

oxydativen  Aufbau  von  U  zu  hemmen  im  Stande  ist,  konnte 
ich  in  sehr  anschaulicher  Weise  an  einem  Falle  schwerer, 
diphtheritiseher  Larynxstenose  darthun,  bei  welchem  das  Ath- 
mungshinderniss  in  der  drohendsten  Erstickungsgefahr  durch 
Intubation  augenblicklich  behoben  wurde;  der  Harn  —  un¬ 
mittelbar  vor  und  einige  Zeit  nach  der  Intubation  untersucht 
enthielt  den  N  des  N  1I:!,  der  Amidosäurenfraction  und  des 
4- 

U  in  sehr  verschiedenem  Masse  vertheilt  und  die  Aenderung 
der  N-Vertheilung  entsprach  ganz  dem  Sinne  obiger  These 

4- 

(Anstieg  der  U-,  Abfall  der  N II :i-  und  Amidosäurenwerthe 
durch  Freigabe  der  Athmung).  Einschlägige  Beobachtungen 
wurden  überdies  experimentell  an  Thieren  von  Reale  und 
Boeri,  an  Menschen  klinisch  in  allerjüngster  Zeit  auch  von 
Michaelis  gemacht.  In  ähnlicher  Weise,  wie  ein  in  den 
äusseren  Athmungswegen  sitzendes,  grobmechanisches  Respi- 
rationshinderniss  wirkt  natürlich  auch  ungenügende  Ventilation 
der  Lungen  und  verlangsamte  Circulation,  Zustände,  wie  sie 
bei  magen-darmkranken,  aber  auch  bei  anderweitig  erkrankten 
Kindern  in  der  That  häufig  vorliegen. 

Einem  Missverständnisse  dieser  Ausführungen  in  dem 
Sinne,  dass  ich  etwa  verminderte  Sauerstoffzufuhr  für  das  ein¬ 
zige  derart  wirksame  Moment  ansehc,  brauche  ich  wohl  kaum 
ausdrücklich  vorzubeugen.  Pflüger  hat  bekanntlich  den 
principiellen  Satz  aufgestellt,  dass  Sauerstoffaufnahme  und 
-verbrauch  im  Körper  durch  den  Zellen  immanente  Bedin¬ 
gungen  geregelt  seien  und  nicht  durch  äussere  Factoren. 

Ad  2  und  3.  Die  relativ  geringen  Schwankungen,  die 
ich  bei  der  Bestimmung  des  N  H:j-Coefficienten  im  Allgemeinen 
fand  und  die  Stetigkeit  seines  Werthes  bei  wiederholter  Prüfung 
an  demselben  Individuum  sind  den  gegenteiligen  Befunden 
Kellers  gegenüber  zu  halten.  Ich  will  aber  nicht  unter¬ 
lassen,  an  dieser  Stelle  anzuführen,  dass  Rumpf  beim  Er¬ 
wachsenen  ähnliche,  unregelmässige  und  unerklärliche  Schwan¬ 
kungen  an  einem  und  demselben  Individuum  fand,  wie 
Keller;  allerdings  untersuchte  auch  er  die  Proben  niemals 
Irisch  und  wandte  vielleicht  keine  hinreichenden  Vorsichts- 

4- 

massregeln  gegen  die  U-Zersetzung  an. 

Ad  4.  Die  Nahrung  meiner  Versuchskinder  bestand  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  aus  G  ä  r  t  n  e  r'scher  Fettmilch,  welche 
einen  oft  controlirten.  um  3%  nur  wenig  schwankenden  Fett¬ 
gehalt  aufwies  und  in  verschiedenen  Verdünnungen  gereicht 
wurde.  Ferner  wurden  einige  mit  Vollmilch  von  bekanntem 
Fettgehalte  ernährte  und  mehrere  Brustkinder  untersucht. 

Es  liegen  mir  vier  Versuchsreihen  über  den  Einfluss  der 
Fettzufuhr  durch  die  Nahrung  auf  den  N  H..-Coefficienten  vor. 
Das  Resultat  derselben  war  ziemlich  eindeutig;  es  weist  darauf 
hin.  dass  ein  solcher  Einfluss,  wie  schon  Czernv  und 
Keller  überzeugend  dargethan  hatten,  besteht;  nur  konnte 
ich  keine  so  bedeutenden  Ausschläge  erzielen.  Auch  ergab 
sich  nicht,  dass  betreffs  der  Fetttoleranz  e c  1  a- 
tante  Unterschiede  zwischen  gesunden  und 
magen- darmkranken  Kindern  v  o  r  1  i  e  g  e  n :  es 
stiegen  die  R  H;[-\V  er  the  bei  gleicher  Steigerung 
der  Fettzufuhr  in  beiden  Kategorien  von  Fällen 
ungefähr  in  gleicher  Weise  an. 

Als  Mass  für  die  »Fettzufuhr  durch  die  Nahrung«  galt 
mir  nicht  der  Fettgehalt  des  Nahrungsgemisches,  sondern  die 


absolute,  pro  24  Stunden  eingeführte  Fettmenge.  Auch  dieses 
Mass  würde  für  die  vorliegenden  Zwecke  —  namentlich  in 
pathologischen  Fällen  —  rationeller  durch  jenes  der  resor- 
birten  Fettmenge  ersetzt,  deren  annähernde  Bestimmung  auf 
dem  Wege  der  Stuhlanalyse  geschehen  könnte;  denn  das  den 
Verdauungscanal  passirendc  Fett  bleibt  für  den  Stoffwechsel 
ante  portas  und  kann  eine  Fernwirkung  auf  den  Säuregehalt 
der  Gewebe  nur  in  beschränktem  Masse  durch  Beeinflussung 
der  Darm-  und  Drüsensecretion  ausüben.  Diesbezüglich  konnte 
ich  einen  recht  lehrreichen  Fall  beobachten.  Ein  chronisch 
magen-darmkrankes,  stark  abgemagertes,  viermonatliches  Kind 
war  mir  durch  den  wiederholt  constatirten  Befund  eines  sehr 
niederen  Harn-N  H.rCoefficienten  (5'5%)  aufgefallen.  Das  Kind 
bekam  reichlich  Fett  in  der  Nahrung  zugeführt,  litt  aber  an 
schwerer  Fettdiarrhöe;  der  Stuhl  enthielt  enorme  Mengen  von 
Fett  und  Seifen  (und  auffallend  wenig  Gallenfarbstoffe). 

Eine  genaue  Controle  der  den  Stoffwechsel  beeinflussen¬ 
den  Fettmenge  lässt  sich  allerdings  auch  bei  Rücksichtnahme 
auf  das  Stuhlfett  nicht  gewinnen,  denn  ein  Kind,  das  in  Folge 
darniederliegender  Verdauungsfunctionen  irgend  einen  Nahrungs- 
bestandtheil  schlecht  ausnützt,  wird  schon  durch  Zehrung  an 
seinem  Körperbestande  zum  Fettconsumenten.  Ich  will  damit 
sagen,  dass  Versuche,  die  Abhängigkeit  einer  bestimmten 
Stoffwechselanomalie  vom  Fettumsatze  im  Körper,  einer  in- 
commcnsurablen  Grösse,  darzuthun,  niemals  völlig  exact  durch¬ 
führbar  sein  werden. 

Um  mich  zu  überzeugen,  welchen  Einfluss  die  Qualität 
der  Säuglingsnahrung  auf  die  N  H;(- Ausfuhr  im  Harne  hat, 
setzte  ich  einen  gesunden  Erwachsenen  auf  Säuglingskost.  Ich 
nährte  mich  selbst  durch  drei  Tage  ausschliesslich  von  Milch, 
der  nur  wenig  Kohlehydrat  beigefügt  war.  In  der  Milchdiät¬ 
periode  stieg  der  N  H. [-Coefficient  meines  Harnes  merklich  an, 
erreichte  jedoch  lange  nicht  den  bei  Säuglingen  vorliegenden 
Durchschnittswerth.  Ich  glaube  daher,  dass  ein,  aber  nicht 
der  einzige,  noch  der  wichtigste  Grund  der  hohen  N  H.,- 
Ausscheidung  im  Säuglingsalter  in  der  Nahrungsqualität  gelegen 
ist  und  zwar  kann  von  den  verschiedenen  Milehbestandtheilen 
nach  dem  Ergebnisse  Keller’s  und  meinen  Versuchen  in  der 
That  nur  das  Fett  in  Betracht  kommen. 

Ueber  die  Art  und  Weise  der  Beeinflussung  des  Stoff¬ 
wechsels  durch  das  Fett  der  Nahrung  im  Sinne  der  ver¬ 
mehrten  N  IL-Ausscheidung  äussert  sich  Keller  sehr  unbe¬ 
stimmt:  »Der  Einfluss  der  Ernährung  auf  N  H.,- Ausscheidung 
ist  so  zu  erklären,  dass  durch  die  Zufuhr  bestimmter  Nahrungs- 
bestandtheile,  z.  B.  Fett  (und  gewisse  Kohlehydrate)  die  Ent¬ 
stehung  von  Säuren  und  eventuell  schwer  verbrennbarer 
Säuren  begünstigt  wird«.  Mir  scheint  jedoch  gerade  dieser 
Punkt  ziemlich  leicht  und  ungezwungen  deutbar. 

Fetteinfuhr  hemmt,  wie  wir  seit  Langem,  namentlich 
aber  seit  Pawlow  wissen,  die  Secretion  des  sauren  Magen¬ 
saftes,  es  fördert  die  Ausscheidung  des  alkalischen  Darm-  und 
Pankreassaftes  und  jene  der  alkalischen  Galle;  es  zerfällt  in 
saure  Producte,  worunter  sich  auch  schwer  verbrennbare, 
niedere  Fettsäuren  (vom  Abbau  durch  ein  im  Darmsecrete 
enthaltenes  Ferment  stammend)  befinden;  cs  kann  vielleicht 

4- 

auch  auf  die  inneren  Functionen  der  Leber  (U-bildung)  durch 
Inanspruchnahme  der  äusseren  Secretion  des  Organes  hemmend 
einwirken.  Alle  diese  Momente  müssen  im  Sinne  einer  Säure¬ 
stauung  wirken. 

Erwähnt  sei  hier  noch,  dass  Geelmuyden,  sowie 
Schwarz  in  jüngster  Zeit  eine  genetische  Beziehung  des 
Acetons  zu  den  Fettsubstanzen  im  Körper  dargethan  haben. 

Das  Fett  der  Frauenmilch  scheint  eine  NH;$-Ver- 
mehrung  im  Harne  nicht  in  dem  Masse,  wie  jenes  der  Kuh¬ 
milch,  zu  bewirken. 

In  diesem  Sinne  besteht  also  thatsächlich  bei  jedem 
künstlich  genährten  Säugling  als  hohem  Fettconsumenten  dem 
Erwachsenen  gegenüber  ein  gewisser  Grad  von  physiologischer 
Uebersäuerung.  Von  einer  Säurevergiftung8)  durch  er¬ 
höhte  Fettzufuhr,  sowie  auch  bei  der  von  Keller  auf  gleiche 

8)  Nur  II  ij  man  ns  van  den  Bergh  gebrauchte  die  Vorsicht, 
diesen  Ausdruck  zu  vermeiden. 


Ni.  3(5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


811 


Stufe  gestellten,  von  Erkrankungszuständen  des  Darmes  ab¬ 
hängigen  Stoffwechselstörung  der  Säuglinge  kann  aber  allge¬ 
mein  deshalb  schon  keine  Rede  sein,  weil  im  Organismus 
circulircnde  Säuren,  so  lange  sie  nur  N  H;!,  eine  werthlose 
Schlacke  des  Stoffwechsels,  in  Beschlag  nehmen,  wie  auch 
Keller  betont,  keinen  ernsten  Schaden  stiften. 

Allerdings  ist  K  e  1 1  e  r  nach  dem  Ergebnisse  der  Versuche 
v.  Lim  beck’s  über  künstliche  Säurevergiftung  beim  Menschen 
(MCI  und  Milchsäure)  —  die  er  mit  ähnlichem  Erfolge  wieder¬ 
holte  —  geneigt,  anzunehmen,  dass  beim  magen-darmkranken 
Säuglinge,  ebenso  wie  beim  Erwachsenen  das  N  H3  »erst  als 
Neutralisationskörper  zweiter  Ordnung«  auftritt  und  Verlust 
an  fixem  Alkali  zwar  nicht  aus  dem  Blute,  aber  aus  den 
Geweben  (durch  das  Blut)  statt  hat;  doch  bringt  er  für  diese 
Vermuthung  keinen  objectiven  Befund  bei. 

Angesichts  der  Bedeutung  dieser  Frage  habe  ich  mich 
der  keineswegs  dankbaren  Aufgabe  unterzogen,  das  fixe  Alkali 
im  Harn  und  in  der  Leber  magen-darmgesunder  und  magen¬ 
darmkranker  Säuglinge  mit  verschieden  hoher  NH3-Ausfuhr 
zu  bestimmen.  Das  mir  vorliegende  Zahlenmaterial  ist  kein 
grosses,  aber  das  Ergebniss  ein  eindeutiges.  Während  der 
Gehalt  der  Leber  an  fixem  Alkali  (Na  -j-  K,  g  e- 
wogen  als  Na  Cl  -|-  K  01  nach  Lehmann  und  be¬ 
rechnet  a  u  f  N)  in  allen  Fällen  ziemlich  constant 
war,  schwankte  der  Alkaligehalt  des  Harnes 
zwar  in  beträchtlicher  Breite,  ohne  aber  die 
von  Keller  vermut  bete  Beziehung  zum  Krank¬ 
heitszustande  des  betreffenden  Kindes  er¬ 
kennen  zu  lassen. 

+ 

]>.  Die  Bestimmungen  des  U  und  des  N  der  Amido- 
säurenfraction  ergaben  Folgendes: 

1.  Der  Ü-Gehalt  im  Harne  der  im  ersten  Lebenshalb¬ 
jahre  stehenden  gesunden  und  kranken  Kinder  beträgt  —  aus- 

4- 

gedrückt  in  U — N  und  bezogen  auf  Gesammt  N  —  im  Mittel 
51*05%  (Maximum  717 °/0 ,  Minimum  17'2%), 

bei  den  magen-darmgesunden  Kindern  rund  55*94% 

»  »  magen  darmkranken  »  »  46*74°/o- 

Die  U-Werthe  in  diesem  Alter  wurden  meist  beträchtlich 
höher  geschätzt,  vcrmuthlich  weil  die  meistgebrauchten  Be¬ 
stimmungsmethoden  unter  Umständen  zu  hohe  Zahlen  liefern 
konnten. 

Im  zweiten  Lebenshalbjahre  beträgt  der  entsprechende 

4- 

U- Werth  im  Mittel  76*53%. 

2.  Im  Harn  der  Säuglinge  aus  dem  ersten  Lebenshalbjahre 
findet  sich  eine  Gruppe  N-haltiger  Köiper,  zu  welcher  Oxy- 
proteinsäure,  Amidosäuren  der  Fettreihe  und  vielleicht  andere, 
noch  unbekannte  Substanzen  gehören.  Der  N  dieser  Körper¬ 
gruppe  (» Amidosäurenfraction«)  beträgt  im  Durchschnitte 
1 2 •  0 1  °/0  des  Gesammt  N  (Minimum  4*5%>  Maximum  19*1  °/0), 
also  beträchtlich  mehr  als  beim  Erwachsenen. 

4- 

3.  Der  Gehalt  des  Harnes  an  U  steht  zum  Gehalte  an 
N  H:i  und  an  Körpern  der  Amidosäurcngruppe  in  annähernd 
altern  iron  dem  Verhältnisse. 

G.  Die  Basencapacität  des  Harnes  betreffend,  sind  meine 
Befunde  folgende: 

1.  Die  Basencapacität  des  Harnes  (ausgedrückt  in  Cubik- 
centimetern  n/10  Lauge  und  bezogen  auf  eine  Harnmenge,  welche 
100  mg  Gesammt-N  enthält)  beträgt  bei  Kindern  des  ersten 
Lebenshalbjahres  im  AI ittel  37  08%!  nach  vorangegangener 
Austreibung  des  N  H:t  47'98%  (»Capacität  für  fixe  Basen«); 
im  Mittel  sind  also  25*49%  der  nicht  an  fixes  Alkali  gebun- 
lenen,  vertretbaren  H-Jonen  durch  N  H:t  ersetzt. 

Im  zweiten  Lebenshalbjahre  beträgt  die  Basencapacität 
des  Harnes  nur  mehr  etwa  ein  Di  ittel  des  angegebenen  Werthes. 
Ihr  numerisches  Verhältnis  zur  N  IL-Deckung  bleibt  unge¬ 
fähr  dasselbe. 

2.  Die  Wertlie  für  die  Basencapacität  des  Harnes  und 
jene  für  die  N II..- Ausscheidung  stehen  in  keiner  irgend 
erkennbaren,  fixen  Beziehung  zu  einander.  Diesen  Befund 


ergeben  auch,  wie  schon  oben  erwähnt,  die  nach  Keller’s 
Angabe  berechneten  Werthe.  Er  weist  darauf  hin,  dass  das 
N  H3  nicht  —  wie  Haller  vor  den  meint  —  ausschliesslich 
als  Säurebegleiter,  sondern  auch  selbstständig  im  Harne  er¬ 
scheint,  wenn  es  gleich  unter  gewöhnlichen  Umständen  stets 
durch  Metalle  ersetzbaren  Wasserstoff  vertritt. 

Die  Durchschnittswerthe  für  die  Basencapacität  sind  in 
den  Kategorien  der  magen -darmgesunden  und  -kranken  Säug¬ 
linge  ungefähr  dieselben. 

I).  Keller  neigt,  wie  erwähnt,  sehr  entschieden  zur 
Ansicht,  dass  eine  primäre  Störung  der  Lebensfunction  für  die 
hohe  N  H3-Ausscheidung  bei  magen  darmkranken  Säuglingen 
nichts  zu  thun  habe.  Da  ich  seine  diesbezügliche  Beweisführung* 

c?  o 

jedoch  nicht  als  zwingend  anerkennen  konnte,  und  mir  jene 
ältere  Annahme  von  Mya  und  Czerny  immerhin  noch  zum 
Mindesten  als  Eventualfrage  in  Betracht  zu  kommen  schien, 
suchte  ich  weitere  Erfahrungen  hierüber  auf  neuem  und 
directem  Wege  zu  gewinnen.  Angeregt  wurde  ich  hiezu  durch 
die  schönen  Untersuchungen  Jacoby’s  über  Leberfermente, 
deren  neue  Serie  ich  im  Strassburger  physiologisch  chemischen 
Laboratorium  entstehen  zu  sehen,  das  Vergnügen  hatte. 

Durch  eine  Reihe  neuerer  Arbeiten,  um  welche  nament¬ 
lich  Schmiedeberg,  Salkowsky  und  seine  Schüler, 
ferner  J  a  q  u  e  t,  Pohl,  Spitzer,  A  b  e  1  o  u  s  verdient  sind, 
wurde  festgestellt,  dass  die  an  fermentartige  Köi  per  gebundene 
Fähigkeit  verschiedener  Organe,  gewisse  Substanzen  zu  oxy- 
diren,  auch  ausserhalb  des  Körpers  nach  dem  Tode  fortdauert. 
Lässt  man  z.  B.  Extracte  frischer  Thierleber  unter  bestimmten 
äusseren  Bedingungen  auf  gewisse,  leicht  oxydable,  organische 
Substanzen,  z.  B.  Aldehyde,  einwirken,  so  bilden  sich  alsbald 
Oxydationsproducte,  deren  Gesammtmenge  ceteris  paribus  als 
relatives  Mass  für  die  intravitale,  oxydative  Energie  der  be¬ 
treffenden  Fermente  und  der  sie  bergenden  Organe  gelten 
kann.  Was  speciell  die  Leber  betrifft,  so  wurde  von  Jacoby 
gezeigt,  dass  jene  oxydative  Synthese,  welche,  allem 

4- 

Anscheine  nach,  den  Schlussact  der  U-bildung  in  der  Säuge- 
thierleber  bildet,  durch  ein  oder  mehrere  an  die  Leber¬ 
zellen  gebundene  Fermente  bewirkt  wird,  deren  Actions¬ 
energie  einer  annähernden  Bestimmung  auf  dem  angedeuteten 
Wege  zugänglich  ist.9 10) 

Ich  habe  daher  eine  grössere  Zahl  von  Lebern  aus 
Leichen  magen- darmgesunder  und  -kranker  Kindern  aus  jeder 
Altersperiode  in  der  Weise  verarbeitet,  dass  ich  das  wässerige 
Extract  des  fein  vertheilten  und  durch  leichte  Pepsinverdauung  lü) 
dem  Extractionsmittel  besser  zugänglich  gemachten  Gewebes 
unter  gewissen,  an  anderen  Orten  zu  detaillirenden,  in  jedem 
Falle  vollkommen  gleichartig  gestalteten,  äusseren  Bedingungen 
auf  überschüssige  Mengen  säurefreien  Salicylaldehydes  einwirken 
Hess  und  die  nach  gewisser  Zeit  entstandene  Salicylsäure 
quantitativ  bestimmte.  Zur  Controle  der  Versuchsanordnung 
diente  ein  Versuch,  wobei  der  Einwirkung  auf  den  Aldehyd 
eine  erfabrungsgemäss  fermentzerstörende  Wärmezufuhr  vor¬ 
ausging;  hiedurch  konnte  in  der  That  die  Bildung  von  Salicyl¬ 
säure  absolut  behoben  werden. 

Die  Menge  der  von  verschiedenen,  bestimmten  Gewichts- 
mengen  Lebersubstanz  gebildeten  Salicylsäure  wurde  behufs 
Vergleichbarkeit  nach  der  von  Medwedew  aufgestellten 
Formel  auf  eine  gewisse  Gewichtseinheit  Substanz  (sowie  aut 
das  jeweilige  Gesammtgewicht  der  Leber)  berechnet  und  diente 
als  Mass  für  die  Energie  der  postmortalen,  fermentativen 
Oxydation  in  jedem  Einzelfalle. 

Die  Ergebnisse  dieser  bislang  allerdings  nicht  sehr  weit 
ausgedehnten  Versuchsreihe  sind  folgende: 

Die  auf  100  g  frischen  Leberbreies  berechnete  Menge 
der  gebildeten  Salicylsäure  beträgt  bei  den  17  im  ersten 
Lebenshalbjahre  verstorbenen  Säuglingen  zwischen  14*1  und 
166*7  mg,  im  Mittel  63*59  mg. 

9)  Zur  Zeit  noch  nicht  publieirte,  persönliche  Mittheilung. 

10)  Diese  für  meine  Zwecke  bewährte,  die  oxydative  1‘ ermenlwirkung 
wie  vorauszusehen  war,  nicht  unbeträchtlich  steigernde  Massnahme  Li  die 
einzige  wesentliche  Modification,  die  ich  an  dem  von  Medwedew  uusfüht- 
lich-  dargelegten  und  begründeten  Verfahren  vernahm. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  36 


S12 


Neun  von  diesen  17  Lebern  waren  bei  der  Obduction 
im  hiesigen  pathologischen  Institute  (Vorstand  Prof.  Lppinger) 
völlig  oder  nahezu  normal  befunden  worden  (makroskopische 
Untersuchung),  die  übrigen  Organe  batten  nach  dem  Ausspruche 
des  jeweiligen  Obducenten  höhere  Grade  parenchymatöser 
oder  fettiger  Degeneration  (oder  in  einem  Falle  schwere,  durch 
Stauung  hervorgerufene  Veränderungen)  geboten.  In  der 
ersteren  Kategorie  von  Fällen  betrugen  die  Salicylsäurewerthe 
53*9 — 1667  mg,  im  Mittel  92  90 mg,  in  der  zweiten  Kategorie 
1 41— 622  mg,  im  Mittel  30  6 1  mg.  Die  krank  befundenen 
Organe  hatten  also  in  keinem  Falle  sovielSali- 
c  y  1 8  ä  u  r  e  gebildet,  als  dem  Gesammtdurch- 
schnittswerthe  entspricht  und  hatten  im  Mittel 
n  i  c  li  t  einmal  ganz  den  dritten  Theil  des  von  den 
gesunden  Lebern  umgewandelten  Aldehydes 
o  x  y  d  i  r  t. 

Diese  Daten  sprechen  wohl  sehr  deutlich  dafür,  dass 
Erkrankungen  des  Leberparenchyms  die  Energie  seiner  fermen¬ 
tativen  Oxydationsfähigkeit  beträchtlich  herabsetzen.  Ueber- 
raschend  war  mir  dieser  Befund  deshalb,  weil  beim  Erwachsenen 
(Mensch  und  Thier)  bekanntlich  Parenchymerkrankungen  der 
Leber  in  der  Kegel  keinen,  wenigstens  keinen  durch  Stoff- 
wechseluntersuchungen  erkennbaren,  erhebliehen  Functions¬ 
ausfall  zur  Folge  haben  (Münzer,  W eintraud),  sei  es, 
weil  die  Leber  mit  grossen  Reservekräften  arbeitet,  sei  es, 
weil  andere  Organe  vicariirend  für  sie  eintreten. 

Es  schien  mir  nun  sehr  wissenswerth,  ob  die  in  Fällen 
solcher  parenchymatöser  Erkrankung  der  Leber  bestehende 
Functionsuntüchtigkeit  des  Organes  auch  intra  vitam  etwa  in 
einer  abnormen  Harnbeschaffenheit  Ausdruck  findet.  Dass  dies 
in  der  That  der  Fall  ist,  lehrt  mich  die  Beobachtung  jener 
instructiven  Fälle  (zehn),  in  welchen  ich  Gelegenheit  hatte, 
den  frischen  Harn  des  Lebenden  und  post  mortem  die  Leber 
zu  untersuchen.  Vergleicht  man  den  N  H3-Coefficienten  des 
Harnes  mit  der  oxydativen  Energie  des  Leberextract.es,  so 
findet  man,  dass  diese  Werthe  in  neun  von  jenen  zehn  Fällen 
alterniren,  d.  h.  dass  sich  bei  über  dem  Mittel  hegender  N IL- 
Ausscheidung  unter  dem  Mittel  hegende  Salicylsäurewerthe 
ergeben  und  umgekehrt.  Damit  ist  ein  wertli  voller 
Anhaltspunkt  gewonnen  für  die  Annahme,  dass 
Schwankungen  in  der  oxydativen  Energie  der 
Leber  auf  die  N-Vertheilung  im  Harne  der 
Säuglinge  von  Einfluss  sind,  dass  nämlich  ver¬ 
minderte,  fermentative  Oxydation  sfähigkeit 
des  Organs,  w  i  e  s  i  e  b  e  i  schwereren  anatomischen 
E  r  krank  ungen  des  Leberparenchyms  v  o  r  z  u- 
liegen  pflegt,  mit  vermehrter  N  H.(-  (u  n  d  v  e  r  m  i  n- 

d  e  r  t  e  r  U-)  Ausscheidung  e  i  n  h  e  r  g  e  h  t. 

Mit  der  Frage,  auf  welchen  Ursachen  die  in  meinen 
Fällen  vorliegende  Lebererkrankung  zurückzuführen  sei,  und 
wie  weit  hiefür  namentlich  primäre  Magen-Darmerkrankungen 
verantwortlich  zu  machen  seien,  habe  ich  mich  nicht  be¬ 
schäftigt. 

In  sieben  Fällen  konnte  ich  die  Leber  älterer  Kinder 
(über  sechs  Monate)  untersuchen.  Diese  Organe  zeichneten  sich, 
so  weit  keine  pathologischen  Veränderungen  Vorlagen,  durch 
eine  beträchtlich  höhere  oxydative  Energie  aus.  Letztere 
scheint  mit  zunehmendem  Alter  steil  an  zu  steigen. 

Das  Ergebniss  der  angeführten  Untersuchungen  über  die 
oxydative  Energie  des  Leberextraetes  bei  Säuglingen  und 
deren  Beziehung  zu  einer  durch  eigenartige  N-Vertheilung  im 
Harne  gekennzeichneten  Stoffwechselveränderung  ist.  nicht  ohne 
Bedeutung  für  die  Kritik  der  C  z  er ny- Kelle r’schen  Hypo¬ 
these.  Ein  besonderes  Interesse  dürfen  diese  Befunde  vielleielit 
aber  noch  von  weiteren  Gesichtspunkten  aus  beanspruchen. 
Die  Action  des  oxydativen  Leberfermentes  (oder  der  Gesammt- 
heit  der  in  diesem  Sinne  wirkenden  Leberenzyme)  ist  nur  ein 
Beispiel  für  die  Thätigkeit  einer  sicherlich  grossen  Reihe  ver¬ 
schiedenartiger,  theils  in  den  Gewebssäften,  theils  in  den  Zellen 
localisirter,  vermuthlich  durchaus  den  Fermentcharakter  be¬ 
sitzender  activer  Principien,  deren  Wechselspiel  die  wichtigsten 


Functionen  des  Stoffwechsels  beherrscht.  Diese  Organ-  und 
Saftfermente  führen  die  aus  dem  Verdauungstracte  aufge¬ 
nommenen  Nahrungsmittel  durch  Ab-  und  Wiederaufbau  der 
Atomcomplexe  in  den  intermediären  Stoffwechsel  ein,  bereiten 
aus  ihnen  die  Zellnahrung,  führen  die  Zellstoffwechselproducte 
in  ausscheidbare  Form  über  etc.  Während  nun,  speciell  in 
der  Verdauungspathologie,  der  Anwesenheit  und  Wirksamkeit 
der  äusseren  Verdauungsfermente,  als:  Pepsin,  Lab,  Trypsin 
u.  s.  w.  in  den  verschiedenen  Krankheitsprocessen  emsig  nach¬ 
geforscht  und  mit  Ei  folg  getrachtet  wurde,  die  Ergebnisse 
dieser  Forschung  in  Beziehung  zu  den  vorliegenden  Störungen 
zu  bringen,  blieben  die  das  Schicksal  der  resorbirten  Nahrung 
leitenden  »inneren«  Feimente,  deren  Bedeutung  sicherlich  nur 
unterschätzt  werden  kann,  in  der  Pathologie  zumeist  unbe¬ 
achtet.  Vielleicht  kann  der  betreffs  des  oxydativen  Leber¬ 
fermentes  vorgelegte  Befund  als  Hinweis  dafür  gelten,  dass 
von  einschlägigen  klinischen  Forschungen  Manches  zu 
erwarten  ist.  Allerdings  lassen  sich  viele  jener  analytisch  und 
synthetisch  wirksamen  Enzyme  vorderhand  überhaupt  erst  nur 
annehmen,  nicht  aber  in  wirksamer  Form  aus  dem  Körper 
gewinnen  und  auf  ihre  Energie  prüfen.  Aber  auf  neu  er¬ 
schlossenen  Bahnen  in  diesem  Gebiete  wird,  wie  ich  glaube, 
die  klinische  Forschung  der  experimentell-pathologischen  mit 
sicherem  Gewinne  auf  dem  Fusse  folgen. 

Die  äusseren  Verdauungsfermente  des  Neugeborenen  und 
jungen  Säuglings  betreffend  hegen  aus  jüngerer  Zeit  zumeist  An¬ 
gaben  (z.  B.  von  Krüger,  Moro)  vor,  die  ihre  Wirksamkeit  nicht 
so  geringfügig  erscheinen  lassen,  als  man  vormals  anzuuehmen  ge¬ 
neigt  war.  Wenn  es  erlaubt  wäre,  die  an  einem  Beispiele  gewonnene 
Erfahrung  zu  verallgemeinern,  so  könnte  man  sagen,  dass  hin¬ 
gegen  die  Thätigkeit  gewisser  Organfermente  bei  jungen  Säug¬ 
lingen  fast  brach  zu  liegen  und  sich  erst  vom  zweiten  Lebens¬ 
halbjahre  ab  mächtig  zu  entwickeln  scheint.  Dies  wäre  nicht 
verwunderlich,  denn  die  secretorische  Function  der  Verdauungs¬ 
drüsen  steht  der  Aussenwelt,  deren  Ansprüchen  sie  zu  genügen 
hat,  näher  und  kann  leichter  durch  accommodative  Triebe  zur 
vollen  Leistungsfähigkeit  angeregt  werden.  Die  Saft-  und 
Organfermente  scheinen  ferner  mehr  als  die  Fermente  des 
Grastrointestinaltractes  durch  Erkrankungszustände  an  Actions- 
fähigkeit  einzubüssen.  So  wird,  namentlich  bei  kranken 
Säuglingen,  ein  folgenschwerer  Zustand  von  Missverhältniss 
der  Leistung  jener  und  dieser  vorhegen  können,  der  in  seinen 
verschiedenen  Erscheinungsformen  vielleicht  das  Substrat 
mancher  unerklärten  Stoffwechselstörung  darstellt. 

Um  hienach  den  realen  Ausgangspunkt  meiner  Unter¬ 
suchungen,  die  Säureintoxicationsbypothese  von  Czerny  und 
Keller,  wiederzugewinnen,  so  glaube  ich,  gezeigt  zu  haben, 
dass  manche  der  von  der  Breslauer  Schule  beigebrachten 
Stützen  ihrer  Anschauung  nicht  völlig  beweiskräftig  sind  und 
dass  andererseits  gewisse  Thatsachen  für  eine  mit  dieser  Hypo¬ 
these  nicht  vereinbare  Auffassung  sprechen.  Die  beiden  Nach¬ 
weise,  die  nach  meiner  Meinung  für  eine  standkräftige  Säure¬ 
vergiftungshypothese  vor  Allem  gefordert  werden  müssen, 
jener  der  verminderten  Alkalescenz  und  Kohlensäuerung  des 
Blutes  und  jener  bestimmter,  abnormer  Harnsäuren  begegnen 
beim  Säugling  grossen  Schwierigkeiten,  weil  hinreichende 
Mengen  frischen  Materiales  kaum  zu  beschallen  sind.  So  wird 
die  Frage  vielleicht  noch  lange  in  Schwebe  bleiben;  wie  immer 
aber  künftige  Forschung  über  das  Schicksal  der  Czerny- 
K  eile  r’schen  Hypothese  entscheiden  mag,  so  bleibt  den  Ge¬ 
nannten  das  Verdienst,  einen  weiten  Kreis  fruchtbarer  Ge¬ 
danken  in  die  augenblicklich  nach  mancher  Richtung  stagnirende 
Pathologie  der  kindlichen  Magen-Darmerkrankungen  neu  ein¬ 
geführt  zu  haben.  Wahre  Erkenntniss  ist  der  exacten  Natur¬ 
wissenschaft  unmittelbares,  der  klinischen  Forschung  aber  in 
weiter  Ferne  vorschwebendes  Ziel;  letzterer  dient  eine  geistvolle 
Discussion  als  Baugerüste,  das,  auch  wenn  es  später  abge¬ 
brochen  werden  müsste,  doch  unentbehrliche  Dienste  ge¬ 
leistet  hat. 


Nr.  36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


813 


Aus  der  Abtheilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Frühwald  an 
der  Wiener  Allgemeinen  Poliklinik. 

Honthin,  ein  Darmadstringens,  und  seine  thera¬ 
peutische  Verwendung  in  der  Kinderheilkunde. 

Von  Dr.  Josef  Reichelt. 

Hat  man  bis  vor  Kurzem  dem  Zuge  folgend,  der  durch 
die  ganze  Therapie  in  der  Medicin  ging,  auch  bei  Behandlung 
von  Darmkrankheiten  den  Standpunkt  der  Antisepsis  hervor¬ 
kehrt,  so  dürfte  es  nicht  Wunder  nehmen,  dass  man,  enttäuscht 
durch  die  allzuhoch  gespannten  Erwartungen,  sich  wiederum 
der  früheren  Behandlungsweise  der  Darmerkrankungen  zu¬ 
wandte,  und  die  Adstringentien  zu  neuen  Ehren  kamen. 

Suchte  die  eine  Richtung  nun  ein  in  möglichst  concen- 
trirter  Form  unschädliches  Darmantisepticum  zu  linden,  so 
holte  die  andere  all  die  alten  pflanzlichen  und  mineralischen 
Adstringentien  aufs  Neue  hervor,  prüfte  sie  durch  und  strebte 
nach  deren  Verbesserung,  nach  Beseitigung  der  im  Laufe  der 
Zeit  durch  die  Erfahrung  zu  Tage  geförderten  Mängel  und 
Nachtheile. 

Traten  die  Einen  für  Kalomel,  Resorcin,  Salol,  Thymol, 
Naphthalin  oder  Kreosot  ein,  so  schwärmten  die  Anderen  wieder 
für  Argent,  nitr.,  Plumb,  acet.,  Alaun,  Tct.  Catechu,  Tct.  Ra- 
tanh.,  Lign.  Camp.,  Rad.  Colombo,  Bismuth  in  seinen  Variationen 
oder  fürs  Opium. 

Ich  will  nicht  mit  der  Aufzählung  der  Vorziigeund  Nach¬ 
theile  jedes  einzelnen  der  oberwähnten  Präparate  ermüden,  von 
denen  Kalomel,  Bismuth  und  Tannin  wohl  am  meisten  in  An¬ 
wendung  kamen.  Allein  da  keines  befriedigte,  trat  die  Forderung 
immer  mächtiger  auf,  Mittel  zu  schaffen,  die  diesem  Mangel 
abhelfen  sollten. 

Zur  Zeit  des  Aufschwunges  der  Chemie  wurden  bald 
eine  Anzahl  von  Verbindungen  des  Tannins,  dem  hervorragend¬ 
sten  Repräsentanten  der  Gruppe  der  Adstringentien,  geschaffen, 
und  damit  in  der  Therapie  der  Darmerkrankungen  ein  grosser 
Schritt  vorwärts  gemacht. 

Man  hielt  sich  dabei  folgende  Grundsätze  vor  Augen: 
Die  Präparate  sollen  im  Mund  und  Magen  möglichst  wenig 
gelöst  und  resorbirt  werden;  die  Wirkung  im  Darm  soll  nicht 
eine  rasche,  sondern  eine  womöglich  auf  den  ganzen  Darm 
sich  erstreckende  sein  und  auch  den  Dickdarm  beeinflussen. 

Zuerst  suchte  man  diesen  Forderungen  nachzukommen 
durch  Darreichen  des  Mittels  in  Form  von  Pillen,  die  man 
mit  einer  erst  im  Darm  löslichen  Hülle  von  Salol,  Keratin  und 
dergleichen  überzog,  eine  Art  der  Einverleibung  eines  Medica- 
mentes,  die  in  der  Kinderpraxis  in  den  meisten  Fällen  un¬ 
möglich  erscheint. 

Bald  darauf  kam  es  zur  Einführung  des  von  Professor 
II.  Meyer  in  Marburg  zuerst  dargestellten  Tannigens,  einer 
Diacetylverbindung  des  Tannins. 

Waren  die  mit  diesem  Präparate  erzielten  Erfolge  auch 
ganz  gute,  so  zeigte  sich  doch  bald,  dass  es  bei  längerer  An¬ 
wendung  den  Appetit  verdirbt,  da  es  adstringirend  auf  die 
Schleimhaut  des  Magens  einwirkt,  ja  bereits  im  Munde  adstrin- 
girende  Wirkung  sich  erkennen  lässt  (Vierordt). 

Das  von  Gottlieb  erzeugte,  durch  Empfehlung 
Engel’s,  Vierordt’s  u.  A.  in  die  Therapie  eingeführte 
Tannalbin,  einer  Eiweissverbindung  des  Tannins,  hergestellt 
durch  Erhitzen  auf  110 — 120°,  hatte  diese  Mängel  nicht  oder 
nur  in  bedeutend  geringerem  Grade  und  eroberte  sich  rasch 
den  ersten  Platz,  den  es  bis  heute  behauptet. 

Das  Tannocol,  eine  Verbindung  des  Tannin  mit  Gelatine 
und  das  Tannoform  =  Tannin  -|-  Formaldehyd,  vermochten 
das  Tannalbin  nicht  zu  verdrängen  und  kamen  namentlich  in 
der  Kinderpraxis  wenig  zur  Anwendung,  da  die  Erfolge  nicht 
die  auf  das  Mittel  gesetzten  Hoffnungen  erfüllten  (Dwo- 
r  e  t  z  k  y). 

Das  Tannopin,  ein  durch  Einwirkung  des  Urotropin  auf 
Tannin  erhaltenes  Medicament,  scheint,  wie  aus  der  Arbeit  von 
Tittel  hervorgeht,  den  Ansprüchen  mehr  zu  genügen,  als  die 
beiden  vorgenannten,  und  insbesondere  für  die  Kinderheilkunde 


in  Betracht  zu  kommen.  Freilich  ist  der  Preis  dermalen  noch 
ein  ziemlich  hoher. 

Ueber  Fortoin,  das  von  0  verlach  empfohlen  wurde, 
fehlen  bisher  noch  entsprechende  Erfahrungen. 

Den  Vorzug  grösserer  Billigkeit  dem  Tannalbin  gegen¬ 
über,  sowie  andererseits  das  Vorhandensein  der  diesem  zu¬ 
kommenden  guten  Eigenschaften  in  vermehrtem  Grade  bei 
Fehlen  mancher  Nachtheile  hat  ein  neues  Mittel,  dessen  Er¬ 
probung  ich  während  fünf  Monaten  auf  der  Abtheilung  des 
Herrn  Prof.  Frühwald  an  der  Wiener  Allgemeinen  Poli¬ 
klinik  vornahm. 

Honthin  —  so  lautet  der  Name  des  Medicamentes  nach 
dem  Wohnorte  des  Erfinders  Dr.  A.  Stankay  —  ist  ein 
hellbraunes,  vollkommen  geruch-  und  geschmackloses,  nicht 
hygroskopisches  Pulver.  Seiner  chemischen  Zusammensetzung 
nach  ist  es  ein  Tanninpräparat,  bei  dem  das  Albumintannat 
keratinirt  ist.  In  kaltem  und  warmem  Wasser  ist  es  gänzlich 
unlöslich,  in  Alkohol  und  alkalischen  Lösungen  dagegen  zum 
Theile  löslich.  Die  alkalische  Lösung  nimmt  eine  braunrothe 
Färbung  an. 

Die  Lösung  findet  je  nach  der  Concentration  rascher 
oder  langsamer  statt  und  es  gelingt  nach  einiger  Zeit,  mit 
Ferrum  sesquichl.  die  für  die  Anwesenheit  von  Tannin  charak¬ 
teristische  schwarzblaue  Färbung  der  Honthinlösung  zu  erzeugen. 
Scheidet  man  das  Tannin  durch  Alkohol  aus,  so  kann  man 
durch  Verdampfen  des  Alkohols  und  Auflösen  des  Rückstandes 
im  Wasser  das  Tannin  durch  seine  Eigenschaften,  wie  Fällung 
von  Leim  und  Eiweiss,  sowie  durch  seine  adstrinairende 
Wirkung  nachweisen.  In  verdünnten  Säuren  ist  Honthin  zwar 
auch  löslich,  jedoch  in  geringerem  Grade,  als  in  Alkalien. 

Dem  Tannalbin  gegenüber  hat  es  den  Vorzug  weitaus 
geringerer  Löslichkeit  im  Magen,  beziehungsweise  in  künstlicher 
Verdauungsflüssigkeit  voraus.  Die  den  Magen  ungelöst  ver¬ 
lassende  und  dadurch  im  Darm  zur  Geltune:  kommende  Mensre 
ist,  wie  mehrfache  Versuche1)  nachgewiesen  haben,  beinahe 
doppelt  so  gross,  wie  die  des  Tannalbin. 

In  Procenten  ausgedrückt,  verhält  sich  die  durch  den 
Magensaft  nicht  veränderte  Menge  des  Tannalbin  zu  der  des 
Honthin  so  wie  41'5  :  72' 1. 

Sind  nun  auch  die  Versuche,  die  mit  künstlicher  Ver¬ 
dauung  gemacht  werden,  nicht  vollkommen  gleichwerthig  mit 
den  Vorgängen  bei  der  natürlichen  Verdauung,  so  kann  man 
doch  einen  Rückschluss  ziehen,  und  dies  umsomehr,  je  con- 
stanter  einerseits  die  Resultate  und  andererseits  je  ähnlicher 
die  Vorgänge  bei  der  künstlichen  Verdauung  den  natürlichen 
gemacht  werden. 

Die  therapeutische  Einwirkung  der  nun  in  den  Darm 
gelangten  Menge  unveränderten  Honthins  wird  durch  die 
Eigenschaft  des  Präparates,  in  alkalischen  Flüssigkeiten  löslich 
zu  sein,  ermöglicht.  Denn  die  Secrete  der  Drüsen  der  Darm¬ 
schleimhaut  sowie  des  Pankreas  reagiren  alkalisch.  Ist  nun 
auch,  wie  Esche  rieh  zeigte,  die  Reaction  des  Speisebreies 
bei  Brustkindern  im  ganzen  Verlaufe,  bei  künstlich  Genährten 
zum  grössten  Theile  sauer,  welche  Reaction  namentlich  durch 
die  Zersetzungsproducte  des  Milchzuckers  gefördert  wird,  so 
muss  man  doch  zugeben,  dass  nicht  an  allen  Stellen  des  Ver- 
dauungscanales  die  saure  Reaction  allein  vorhanden  ist.  Wird 
mehr  Secret  von  den  Drüsen  der  Darmschleimhaut  abgesondert, 
so  wird,  und  dies  in  ausgesprochener  Weise,  an  der  der 
Darmwand  zunächst  liegenden  Zone  des  Darminhaltes  alkalische 
Reaction  sich  zeigen,  und  so  eine  langsame,  successive  Lösung 
des  Arzneimittels  ermöglichen.  Noch  mehr  aber  wird  die  Ein¬ 
wirkung  eines  in  alkalischen  Flüssigkeiten  löslichen  Präparates 
statthaben  können,  wenn,  wie  dies  bei  Darmerkrankungen  so 
häufig  vorkommt,  durch  die  Reizung  der  Darmschleimhaut 
eine  vermehrte  Secretion  und  Schleimabsonderung  erfolgt. 

Dass  die  Wirkung  des  HoDthins  eine  intensivere  als 
bei  anderen  Präparaten  sein  kann,  sowie  durch  eine  längere 
Strecke  des  Darmes,  eventuell  bis  zum  Dickdarm,  anhalten 
kann,  erklärt  sich  aus  der  relativ  grösseren  Menge,  die  als 


')  Dr.  Stankay,  Honthin,  ein  neues  Darmadstringens.  Phanna- 
ceutische  Post.  1899  Nr.  46 — 47. 


814 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  3fi 


wirksam  den  Magen  verlässt,  und  aus  der  langsamen  Löslich¬ 
keit  des  Medicamentes. 

Hontliin  wird  selbst  von  so  empfindlichen  Patienten,  wie 
es  an  Dyspepsie  erkrankte  Säuglinge  sind,  gut  vertragen.  Im 
Verlauf  meiner  Beobachtungen,  die,  wie  erwähnt,  durch  fünf 
Monate  währten  und,  Dank  dem  mir  von  der  Firma  G.  Hell 
&  Co.  in  Troppau  reichlich  zur  Verfügung  gestellten  Materiale, 
sich  auf  800 — 900  Einzeldosen  erstrecken,  konnte  ich  niemals 
irgend  welche  Beschwerden,  wie  Erbrechen,  Aufstossen,  Uebel- 
keiten,  Brennen  und  Drücken  im  Magen,  oder  andere  sub¬ 
jective  Beschwerden,  welche  direct  oder  indirect  durch  die  Ein¬ 
verleibung  des  Medicamentes  hervorgerufen  sein  könnten,  con- 
statiren. 

Da  das  Pulver  auch  geschmacklos  ist  und  keinerlei 
sonstige  Einwirkung  auf  die  Schleimhaut  des  Mundes  ausgeübt 
wird,  kann  man  es  ohne  jegliches  Corrigens  oder  Hülle  selbst 
wenigen  Wochen  alten  Säuglingen  pur  oder  in  Mixtur  geben, 
ohne  dass  es  zurückgewiesen  w'ird. 

Wie  man  sich  die  Wirkung  des  Ilonthins  als  Adstringens 
vorzustellen  hat,  glaubt  Kölbl2)  dahin  beantworten  zu 
können,  dass  das  Tannin,  das  durch  oberwähnten  Process  frei 
wird,  mit  dem  Eiweiss  der  mucinhaltigen  Flüssigkeit  sich  auf 
chemischem  Wege  verbindet,  und  einen  häutchenartigen, 
festen,  wasserunlöslichen  Niederschlag  bildet,  welcher  die  ent¬ 
zündete  und  in  ihren  Epithelien  gelockerte  Schleimhaut  vor 
äusseren  Reizen  und  vor  dem  Eindringen  der  im  Darminhalt 
vorkommenden  Bacterien  und  schädlichen  Stoffe  schützt.  Auch 
die  fast  blossliegenden  sensiblen  Nervenendigungen  sollen 
geschützt,  der  Schmerz  gelindert  und  dadurch  Beruhigung 
herbeigeführt  werden.  Verengerung  der  Gefässe,  Verringerung 
der  Secretion  bedingen  dann  das  Aufhören  der  Durchfälle. 

Wenn,  wie  bereits  früher  behauptet  und  in  neuerer  Zeit 
von  Vierordt,  Esch  er  ich,  Cantani  und  Anderen  als 
möglich  hingestellt  wurde,  dem  Tannin  eine  directe  Wirkung 
auf  die  Darmbacterien  und  ihre  Toxine  zukommt,  kann  das 
Honthin  diese  Eigenschaft  gleichfalls  für  sich  in  Anspruch 
nehmen,  dass  auch  diese  Wirkung  eine  möglichst  lange  Zeit 
andauernde,  auf  den  ganzen  Verdauungstract  sich  erstre¬ 
ckende  ist. 

Das  Honthin  wurde  von  mir  in  beiläufig  76  Fällen  an¬ 
gewendet.  Zu  Beginn  der  Erprobung  gab  ich  ziemlich  kleine 
Dosen,  Ol  bei  Säuglingen,  03  bei  älteren  Kindern.  Es  liess 
sich  bei  dieser  Gabe  ein  unzweifelhafter  Einfluss  auf  den 
Krankheitsprocess  feststellen,  allein  die  Erfolge  waren  doch 
nicht  so  ganz  befriedigende.  Nachdem  ich  jedoch  noch  keinerlei 
üble  Nebenwirkung,  hervorgerufen  durch  das  Mittel,  bemerken 
konnte,  gab  ich  alsbald  grössere  Dosen  und  konnte  nunmehr 
mit  den  Erfolgen  zufrieden  sein.  Es  erschien  dann  auch  später 
die  Arbeit  Dr.  Kölbl’s,  welche  meinem  Vorgehen  entsprechend 
lautete.  Meine  Einzeldosis  betrug  nunmehr  025  (/  vier-  bis 
fünfmal  täglich  bei  wenige  Wochen  alten  Säuglingen  steigend 
auf  0'5<7  und  darüber  bei  älteren  Kindern. 

Ein  Umstand  freilich  beeinflusste  auch  späte) hin  meine 
Ergebnisse,  nämlich  der,  dass  mit  Ausnahme  zweier  privater 
Fälle  und  eines  Kindes,  das  in  Spitalspflege  sich  befand,  ich 
durchaus  ambulante  Patienten  zu  verzeichnen  hatte.  Und  wie 
genau  bei  diesen  oft  die  einfachsten  diätetischen  und  hygieni¬ 
schen  Vorschriften  befolgt  werden,  weiss  Jeder.  Konnte  ich  es 
doch  erfahren,  dass  eine  Mutter  ihrem  neunmonatlichen,  an 
Dyspepsie  erkrankten  Kinde  frische  Kirschen  gab,  weil  »das 
Kind  sie  haben  wollte«! 

In  die  angeführte  Zahl  der  Patienten,  denen  ich  Honthin 
verordnete,  theilen  sich  acute  Enterokatarrhe,  aus  einfachen 
Dyspepsien  hervorgegangen  (20),  15  acute  Enterokatarrhe 

bei  älteren  Kindern,  8  Fälle  von  ausgesprochener  Ent.  follic. 
und  membranacea,  chronische  Katarrhe  (8),  Katarrhe,  vor¬ 
wiegend  den  Dickdarm  betreffend  (4),  Diarrhöen  wie  sie  im 
Vei  laufe  von  Tubeieulose  vorzukommen  pflegen  (6),  sowie 
solche  bei  Rachitikern  (10),  seien  sie  durch  den  Process  als 
solchen  oder  durch  Einverleibung  eines  Medicamentes,  wie 

F.  Kölbl,  Untersuchungen  über  (len  tlierap« iitisehen  We»lh  des 
nemn  Uarmadstringens  »Honthin«.  Wiener  klinische  Rundschau  1900 
Nr.  25.  ’ 


01.  jecoris  und  Andere  bedingt.  Daran  schliessen  sich  drei 
Fälle  von  Wurstvergiftung  und  zwei  von  leichten,  durch  zu 
grosse  Gaben  von  Somatose  hervorgerufene  Enteritiden.  Fälle 
von  typhösen  Katarrhen  konnte  ich,  da  ja  diese  Erkrankung 
der  häuslichen,  beziehungsweise  Spitalsbehandlung  angehören 
in  meine  Untersuchung  nicht  einbeziehen.  Das  Alter  meiner 
Patienten  schwankte  zwischen  wenigen  Wochen  und  15  Jahren, 
doch  überwog  die  Zahl  der  Säuglinge  und  Kinder  unter  zwei 
Jalnen. 

Ohne  w'eiter  auf  die  zahl)  eichen  Krankengeschichten  ein¬ 
zugehen,  die  ja  im  Allgemeinen  ziemlich  gleich  lauten,  kann 
ich  berichten,  dass  in  den  leichteren  Fällen  von  Dyspepsien 
und  acuten  Enterokatarrhen  bereits  am  nächsten,  eventuell 
am  dritten  Tage  Heilung  oder  doch  merkliche  Besserung  ein¬ 
getreten  war.  Die  wässerige  Beschaffenheit  der  Stühle  machte 
einer  festeren  Consistenz  Platz,  die  Zahl  der  Entleerungen 
sank  auf  das  normale  Mass  herab,  die  Koliken  Hessen  nach 
und  damit  trat  wieder  Beruhigung  der  Kinder  ein.  Erbrechen 
des  Medicamentes  trat  niemals  auf,  es  wäre  denn  hervor¬ 
gerufen  durch  Hustenreiz  bei  Pertussis  oder  heftiger  Bron¬ 
chitis,  wo  man  ja  die  Ursache  nicht  in  dem  Medicamente  zu 
suchen  hat. 

Gleich  günstig  waren  auch  die  Resultate  bei  chronischem 
Katarrh;  bei  einer  Anzahl  dieser  Patienten  waren  bereits  ver¬ 
schiedene  Medicamente,  wde  Tct.  ratanh.,  Bismuth,  subn.,  selbst 
Tannalbin  versucht  wrorden.  Wenn  auch  da  Heilung  nicht 
nach  so  kurzer  Zeit  eintrat,  so  konnte  man  doch  Besserung 
schon  am  zweiten  und  dritten  Tage  bemerken  und  zumeist 
trat  im  Verlaufe  einer  Woche  Heilung  ein.  Die  zahlreichen 
Entleerungen  wrurden  weniger  häufig,  die  Beimengung  von 
Blut  und  Schleim  geringer  und  schwand  allmälig,  Form  und 
Consistenz  der  Stühle  schliesslich  normal.  An  diesen  Fällen 
liess  ich  —  wie  auch  bei  Katarrhen  Tuberculöser  —  durch 
einige  Zeit  noch  Honthin  nach  erfolgter  Genesung  nehmen, 
um,  entsprechend  dem  Vorgehen  von  Künkler,  Drews, 
Vierordt  und  Tittel,  ein  etwaiges  Wiederaufleben  des 
Processes  nach  Tlmnlichkeit  zu  verhindern. 

Dass  in  zwei  Fällen  von  tuberculöser  Diarrhöe  die 
Wirkung  nur  von  kurzer  Dauer  war  und  mit  dem  Fort¬ 
schreiten  der  Grundkrankheit  von  Neuem  sich  diarrhoische 
Entleerungen  einstellten,  ist  wrohl  in  der  Schwere  des  Krank¬ 
heitsfalles  begründet. 

Gut  waren  auch  die  Erfolge  die  von  mir  bei  rachitischen 
Kindern  erzielt  wurden,  so  dass  ich  bei  diesen  01.  jec.  nicht 
auszusetzen  brauchte  oder  eventuell  verordnen  konnte. 

In  drei  Fällen  (eine  Familie)  von  acuter  Enteritis, 
hervorgerufen  durch  den  Genuss  verdorbener  Würste,  gab  ich 
zuerst  Kalomel  und  schloss  daran  die  Verordnung  von 
Honthin  mit  gutem  Endergebnisse. 

Auch  bei  Dickdarmkatarrhen  konnte  man  mit  der 
Wirkung  des  Mittels  zufrieden  sein,  umsomehr  als  eine  Bei¬ 
hilfe  durch  Unterstützung  der  Medication  mittelst  Irrigationen 
nicht  stattfand  und  auf  die  Erkrankung  nur  durch  Honthin 
ein  gewirkt  wurde. 

Ob  die  Erfolge  auch  bei  Cholera  infantum  gleich  gut  zu 
nennen  sind,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden,  da  ich  keinen 
ausgesprochenen  Fall  dieser  Art  hatte.  Kölbl  berichtet  über 
gute  Ergebnisse  bei  zwei  Kindern. 

Die  durch  zu  reichlichen  Genuss  von  Somatose  hervor¬ 
gerufenen  katarrhalischen  Erscheinungen  gingen  gleichfalls 
binnen  Kurzem  unter  Darreichen  von  Honthin  und  Aussetzen 
der  Somatose  zurück. 

Negativ  war  das  Ergebniss  bei  zw'ei  Kindern,  die  mit 
Plasmon  ernährt  wurden,  sowie  in  einem  Falle  von  schwerer 
Tuberculose,  der  binnen  Kurzem  letal  endigte. 

Ueber  die  Art  der  Einverleibung  ist  nicht  viel  zu  sagen. 
Ich  gab  das  Honthin  in  Pulverfonn  oder  Mixtur;  ich  liess  das 
Pulver  auf  die  Zunge  bringen  und  mit  irgend  einer  Flüssig¬ 
keit  hinabschwemmen  ;  auch  gab  ich  es  bei  Säuglingen  und 
kleineren  Kindern  mit  Milch  oder  Reisschleim,  jedoch  nie  mit 
der  Saugflasche,  sondern  mit  dem  Löffel,  da  sonst  zu  viel  von 
dem  Medicament  an  den  Wänden  und  im  Schlauche  hängen 
bleibt. 


Nr.  36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


815 


Meine  Erfahrungen  in  Kürze  zusammenfassend  kann  ich 
erklären,  dass  wir  in  dem  Honthin  ein  rasch  wirkendes,  ver¬ 
lässliches  und  unschädliches  Darmadstringens  besitzen,  bei 
dein  selbst  bei  längerem  Gebrauche  und  bei  grösseren  Dosen 
keinerlei  schädliche  oderunangenehme  Nebenwirkungen  auftreten 
Da  es  vollkommen  geruch-  und  geschmacklos  ist,  erscheint  es 
gerade  für  die  Kinderheilkunde  werthvoll.  Die  Dosirung  sei  nicht 
zu  gering;  man  kann  025 — 03  bei  Säuglingen  von  wenig 
Wochen,  älteren  Kindern  0  3—05  und  darüber  vier  bis  fünf¬ 
mal  täglich  geben;  auch  kann  es  wegen  seiner  Ungefährlich¬ 
keit  als  Schachtelpulver  verschrieben  und  messerspitzweise  ge¬ 
nommen  werden.  Es  empfiehlt  sich,  das  Medicament  bei 
schweren  Erkrankungsprocessen  nach  bereits  erfolgter  Genesung 
in  verminderter  Dosis  von  den  Patienten  gebrauchen  zu 
lassen. 

Zum  Schlüsse  sei  es  mir  gestattet  an  dieser  Stelle 
meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Prof.  Dr.  Früh  w  aid,  für  die 
freundliche  Ueberlassung  des  Materiales,  sowie  die  Unter¬ 
stützung  bei  dieser  Arbeit  meinen  besten  Dank  auszudrücken. 


REFERATE. 

I.  Physikalische  Chemie  in  der  Medicin. 

Von  Dr.  Hans  Koeppo,  Privatdocent  in  Giessen. 

17ü  Seiten. 

Wien  1 900,  Alfred  Holder. 

II.  Die  Anschauungen  über  den  Mechanismus  der  speci 

fischen  Ernährung. 

Das  Problem  der  Wahlanziehun g. 

Von  Docent  Dr.  Max  Neuburger. 

Leipzig  und  Wien  190  Franz  Deutick  e. 

I.  ln  diesem  Werke  liegt  der  ferste  Versuch  vor,  in  einer 
grösseren  Monographie  einen  elementaren  Abriss  der  physikalischen 
Chemie  zu  geben  und  im  Anschlüsse  daran  ihre  Verwendung  in 
der  Medicin  zu  erläutern.  Diese  Erläuterung  geschieht  jedoch  nicht 
an  dem  ganzen,  in  einem  geradezu  unheimlichen  Wachsthume  be¬ 
griffenen  Materiale,  sondern  ausschliesslich  an  der  Hand  der  von 
Koeppe  bearbeiteten  Abschnitte  des  Gebietes.  Die  Untersuchungen 
Koeppe's,  die  zumeist  in  physiologischen  Journalen  erschienen 
sind,  wurden  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  in  Sammel-  und  Einzel¬ 
referaten  zum  Theilo  schon  vorgeführt.  Sie  umfassen  osmotische 
Versuche  über  die  Beziehungen  der  Blutkörperchen  und  des  Plasmas, 
Studien  über  die  Frauen-  und  Kuhmilch,  die  Magensaftsecretion, 
die  Bedeutung  des  Wassers  und  der  Salze  für  den  Organismus 
und  über  die  Zusammensetzung  und  Wirkungsweise  der  Mineral¬ 
wässer. 

Die  einfache  Methodik  und  der  Reichlhum  der  von  Koeppe 
gefundenen  interessanten  Thatsachen  sind  gewiss  geeignet,  die 
Leser  des  Büchleins  zur  Mitarbeit  auf  dem  Gebiete  einzuladen,  in 
welchem  ein  beigegebenes  Literatur  verzeichniss  den  willkommenen 
Wegweiser  bildet. 

Die  Einführung  in  die  physikalische  Chemie,  mit  der  das 
Buch  beginnt,  enthält  die  wesentlichsten  theoretischen  Ausführungen 
in  anschaulicher  und  gemeinverständlicher  Kürze. 

Mögen  auch  manche  allgemeine  Bemerkungen,  die  Koeppe 
einzelnen  Gapiteln  voranschickt  oder  sonst  in  die  Darstellung  ein¬ 
streut,  sich  nur  einer  gothcilten  Zustimmung  erfreuen,  die  Vorzüge 
des  Buches,  die  verdienstliche  wissenschaftliche  Agitation,  für  ein 
neues  Arbeitsfeld  werden  dem  Verfasser  den  Dank  eines  grossen 
Kreises  von  Lesern  sichern. 

* 

II.  Es  ist  eine  besondere  Art  medicinischer  Geschichtsforschung, 
welcher  wir  in  dem  jüngsten  Werke  unseres  Historikers  N  e  u- 
burger  begegnen,  von  Grund  auf  abweichend  von  der  herge¬ 
brachten  und  allgemein  geübten,  die  sich  theils  in  der  Schilderung 
des  Lebenslaufes  und  Wirkens  hervorragender  Persönlichkeiten, 
theils  in  der  synchronistischen  Darstellung  des  Werdeganges  unserer 
Wissenschaft  Genüge  thut,  und  etwa  als  »anekdotische«  oder 
»episodistische«  der  »erkenntnisskri  tischen«  unseres  Autors  gegen- 
übergcstellt  werden  könnte. 

Denn  nicht  die  Geschichte  einer  Person  oder  eines  Zeit¬ 
abschnittes,  sondern  die  Entwicklung  eines  bestimmten  Pr  ob  le  nies 
wird  uns  vorgeführt  aus  ihren  ältesten  und  allgemeinsten  Anfängen 


durch  alle  Wandlungen,  deren  jede  einen,  wenn  auch  oft  geringen 
Fortschritt  birgt,  bis  zu  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Frage.  In 
ähnlicher  Weise  hatte  Neuburger  in  seinem  ersten  grossen 
Werke  ')  die  Entwicklungsgeschichte  einer  wissenschaftlichen  Me¬ 
thode  mit  grossem  Erfolge  behandelt. 

An  einer  Grundfrage  der  Physiologie  — -  der  specifischen 
Selection  der  Nahrung  heim  Aufbau  und  der  Erhaltung  der  leben¬ 
digen  Substanz  —  führt  der  Verfasser  seine  Aufgabe  durch.  Die 
Veränderung  der  Fragestellung  seif  den  kühnen  Versuchen  der 
grossen  antiken  Denker,  deren  »Einbildungskraft  noch  wenig  durch 
das  Bleigewicht  positiver  Erfahrungen  im  Fluge  gehemmt  wurde«, 
bis  zu  der  dürren,  von  Form  und  Dialektik  erstickten  Epoche  der 
Scholastiker  wird  uns  in  meisterhafter  Darstellung  vorgeführt.  Im 
XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert  treten  mit  dem  Aufblühen  der  physi¬ 
kalischen  Forschung  immer  mehr  physikalische  Analogien  und  Er¬ 
klärungen  der  electiven  Organernährung  auf  den  Plan,  bis  die 
dogmatische  Meehanistik  zur  kräftigen  Reaction  durch  die  vital isti- 
sehe  Biologie  führt.  Mit  der  Schilderung  der  Anschauungen  in 

CD  <ZJ  <D 

unserem  Jahrhundert,  die  schliesslich  zur  Entdeckung  von  Be¬ 
ziehungen  und  vielfacher  Uebereinstimmung  zwischen  physikalischer 
und  physiologischer  Selection,  aber  auch  der  Unterschiede  beider 
geleitet  hat,  schliesst  der  Verfasser  seine  Schrift. 

Wie  sich  in  der  Auffassung  der  engeren  Frage,  die  das  eigent¬ 
liche  Thema  bildet,  in  scharfem,  wenn  auch  verkleinertem  Bilde 
der  gewaltige  Streit  der  Weltanschauungen  spiegelt,  wie  die  zur 
Erklärung  herangezogenen  Analogien  historisch  und  psychologisch 
zu  begreifen  sind,  wie  jeder  Umschwung  der  Meinungen  sich  schon 
im  Keime  weit  früher  vorgebildet  zeigt,  dies  alles  setzt  Neu¬ 
burger  anschaulich  auseinander,  indem  er  den  oft  vielfach  ver¬ 
hüllten  Kern  der  einzelnen  Ansichten  blosslegt  und  zum  Vergleiche 
darbietet.  Eine  blendende  Darstellungsweise,  wie  sie  nur  selten  in 
unserem  Fache  zu  finden  ist,  die  Klarheit  und  Einfachheit  der 
begrifflichen  Formulirung-  lässt  uns  beinahe  die  grosse  intellectuelle 
Schwierigkeit  vergessen,  welche  eine  solche  Behandlung  des  Stoffes, 
darbietet. 

Dass  aber  der  Weg,  den  Neuburger  betreten  hat,  ein 
lehrreicher  und  fruchtbringender  ist,  wird  Niemand  bezweifeln,  da 
auch  die  Reifung  eines  Problemes  im  einzelnen  Forscher  denselben 
Gesetzen  unterliegt,  wie  diejenige  im  Laufe  der  Jahrhunderte.  In 
der  That  hat  diese  Einsicht  die  Geschichte  anderer  Wissensgebiete, 
so  der  Mathematik  und  vor  Allem  der  Physik,  in  die  Bahn  der 
erkenntnisskritischen  Forschung  gelenkt.  Der  mächtige,  moderne 
phänomenologische  Zug  in  der  Physik  ist  als  unmittelbare  Wirkung 
solcher  historisch-kritischer  Untersuchungen  zu  betrachten.  Ver¬ 
bal  tnissmässig  spät  tritt  nun  ein  analoges  Streben  in  der  medicini- 
schen  Geschichtsforschung  zu  Tage,  wenn  man  von  geringen  An¬ 
sätzen  absehen  will,  die  sich  in  der  Literatur  vorfinden.  (Man  vgl. 
Wh e well,  Geschichte  der  inductiven  Wissenschaften,  übersetzt 
von  J.  J.  v.  Littrow,  Stuttgart  1841,  Bd.  Ill,  pag.  433.) 

Diese  Verspätung  scheint  nicht  zum  geringsten  Theilo  in  der 
Natur  der  biologischen  Wissenschaften  begründet  zu  sein,  welche 
dem  Historiker  nur  selten  eine  abgeschlossene  Frage  zur  Behand¬ 
lung  bieten  können,  so  dass  er  des  sicheren  Führers  bei  seiner 
kritischen  Untersuchung  entrathen  muss  und  zum  Vergleiche  nur 
ein  fortgeschrittenes  Stadium,  kaum  aber  eine  definitive  Lösung 
eines  Problemes  vorfmdet.  Anders  der  Physiker,  dem  etwa  zur 
kritischen  Darstellung  des  Trägheitsgesetzes,  des  Temperaturbegriffes 
ii.  s.  f.  eine  völlig  ausgebaute  Lohre  bereit  steht. 

Betrachtungen  dieser  Art  lassen  uns  das  Verdienst  dos  Ver¬ 
fassers  als  Pionuier  einer  fruchtbaren  Forschungsrichtung  gebührend 
würdigen  und  zugleich  erkennen,  welchen  Gewinn  unsere  Wissen¬ 
schaft  von  derselben  noch  zu  gewärtigen  hat.  Pauli. 


Lungentuberculosa  und  Hailstättenbehandlung. 

Eine  medicinisch-sociale  Studie. 

Von  Dr.  B.  v.  Fetzer. 

Stuttgart  1900,  F  e  r  d.  E  n  k  e. 

Den  Zweck  dieser  Brochure  führt  der  Verfasser  in  den  Schluss¬ 
zeilen  seines  Büchleins  an,  indem  er  sagt:  »Leicht  ist  es,  Hoffnungen 

')  Die  histori«che  Entwicklung  der  experimentellen  Gehirn-  und 
Rückenmarksphysiologie  vor  F  1  o  u  r  e  n  s.  1897,  F.  Enke. 


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zu  erwecken  und  Wohllhaten  zu  gewähren,  aber  schwer  wird  es 
sein,  Enttäuschte  zu  befriedigen  und  Zugesagles  zurückzuziehen«, 
mit  einem  Worte,  man  möge  nicht  zu  viel  Hoffnungen  auf  die 
Heilstättenbehandlung  setzen.  Um  dies  auch  zu  begründen,  bringt 
der  Verfasser  in  den  ersten  Capiteln  eine  übersichtliche  Darstellung 
des  heutigen  Standes  der  Tuberculosen frage  in  nuce,  indem  er 
die  wichtigsten  Fragen,  besser  gesagt  Thesen,  erörtert.  Er  spricht 
über  die  Tuberculose  als  Volksseuche,  bringt  statistische  Daten,  wie 
sie  von  einzelnen  Autoren,  z.  B.  Ewald,  Engel  mann,  zu- 
sammengestellt  wurden.  Ferner  beleuchtet  er  die  schädlichen  Folgen 
der  Tuberculose  als  typische  Volkskrankheit  auf  den  Volkswohl¬ 
stand  und  auf  die  Volksgesundheit.  Er  bekennt  sich  als  Anhänger 
der  Dispositionslehre,  gibt  auch  die  congenitale  Uebertragung  der 
Tuborkelbacillen  zu,  legt  aber  das  Hauptgewicht  auf  die  erbliche 
Uebertragung  der  Disposition  selbst. 

Was  die  Heilbarkeit  der  Tuberculose  anlangt,  stellt  er  sich 
auf  den  Standpunkt  der  diesbezüglichen  jetzt  gütigen  Ansicht  der 
meisten  Autoren,  ln  den  Schlussseiten  der  Brochure  spricht  Ver¬ 
fasser  über  die  sociale  Bedeutung  der  Heilstätten  und  die  Prophy¬ 
laxe  der  Tuberculose  und  gelangt  zu  dem  Resultate,  dass  die  Heil¬ 
stätten,  auch  wenn  sie  ihre  grösste  Verbreitung  gefunden  haben 
werden,  zur  Verminderung  der  Infectionsgefahr  der  Tuberculose  im 
grossen  Ganzen  nichts  beitragen  werden,  dass  ein  besonderer 
nationalökonomischer  Gewinn  von  den  Heilstätten  über¬ 
haupt  nicht  zu  erwarten  sein  werde.  Trotz  alledem  hält  er  den 
Bau  von  Volksheilstätten  nicht  für  nutzlos  und  betont  es  besonders, 
»dass  er  in  ihnen  eine  nicht  zu  unterschätzende  Beihilfe  bei  der 
Pflege  und  Behandlung  der  Tuberculose  und  der  Tuberculosegefähr- 
deten  erkenne,  und  deshalb  lebhaft  wünsche,  dass  die  Schaffung 
vieler  Heilstätten  möglich  werden  möchte«.  Er  anerkennt  also  den 
therapeutischen,  h  u  m  an  c  n  Werth  der  Heilstätten  voll¬ 
kommen  und  spricht  sich  nur  gegen  übertriebene  Hoffnungen  in 
n  a  t  i  o  n  a  1  ö  k  o  n  o  m  i  s  c  h  e  m  Sinne  aus. 

Dr.  Pollak  (Alland). 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

309.  Im  Allgemeinen  ärztlichen  Verein  zu  Köln  demonstrirte 
Dr.  Engelhardt  einen  Fall  von  p  r  i  m  ä  r  c  m  Lebe  r- 
carcinom  bei  einem  14jährigen  Mädchen.  Das  Krank¬ 
heitsbild  wurde  von  ausserordentlich  heftigen  Schmerzen  in  der 
Magengegend  beherrscht;  nie  hatten  Fieber  und  Ikterus  bestanden. 
Bei  der  Obduction  fand  man  den  linken  Lappen  der  Leber,  die 
3800  (J  wog,  sowie  dessen  Nachbarschaft  in  einen  derben  Tumor 
verwandelt.  Nirgends  eine  Geschwulst,  welche  sich  als  die  primäre 
hätte  erkennen  lassen,  dagegen  Metastasen  im  kleinen  Becken,  auf 
Pleura  und  Herzbeutel.  —  (Münchener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  18.) 

* 

310.  (Aus  der  Klinik  von  Prof.  Schul  tze  in  Bonn.)  Fehl¬ 
diagnose  eines  A  o  r  t  e n  a n  e  u  r  y  s  m  a  in  Folge  1)  u  r  c  h- 
1  e  u  c  h  t  u  n  g  m  i  t  R  ö  ntgen-Sl  r  able  n.  Von  Dr.  K  i  r  c  h- 
gaesser.  Die  klinische  Diagnose  hatte  auf  eine  wahrscheinlich 
durch  Carcinom  bedingte  Oesophagusstenose  gelautet;  die  Durch¬ 
leuchtung  ergab  einen  läustgrossen,  nach  allen  Seiten  hin  deutlich 
pulsirenden  Tumor  im  Mediastinum.  Von  einer  entsprechenden 
Pulsation  war  klinisch  jedoch  nichts  wahrzunehmen.  Bei  der  Section 
fand  sich  eine  ausgedehnte,  durch  ein  Carcinom  an  der  Cardia 
bedingte  Verwachsung  zwischen  Speiseröhre  und  Aorta;  erstere  war 
im  Bereiche  der  Verwachsung  stark  ausgedehnt.  Der  am  Röntgen- 
Schirm  sichtbare  Schalten  war  durch  die  mit  Flüssigkeit  gefüllte 
Speiseröhre  und  die  Pulsation  durch  deren  Verwachsung  mit  der 
Aorta  hervorgerufen  worden.  Die  Patientin  hatte  sich  nur  ein 
einziges  Mal  durchleuchten  lassen.  —  (Münchner  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  19.) 

* 

311.  lieber  die  Wirkung  der  Digitaliskörper 
a  uf  das  i  s  o  1  i  r  t  e  S  ii  u  g  e  l  h  i  e  r  h  e  r  z.  Von  Dr.  B  r  a  u  n  und 
Dr.  Mager  (Wien).  In  der  Aorta  des  entbluteten  Thieres  — 
Kaninchen  und  Katzen  —  wurde  eine  Canule  eingebunden, 
das  Herz  dann  aus  dem  Thorax  herauspräparirt,  der  rechte  Vorhof 


eröffnet  und  in  den  Durchblutungsapparat  gebracht,  in  welchem 
die  verschiedenen  Präparate  auf  das  Herz  einwirken  konnten.  Die 
Untersuchungen  ergaben  unter  Anderem  folgende  Stadien  der 
Digitalisvergiftung:  1.  das  der  vermehrten  llerzaction;  2.  jenes  der 
primären  Verlangsamung;  3.  das  der  Irregularitäten  mit  der  secundären 
Verlangsamung.  Die  primäre  Verlangsamung  entsteht  durch  Ver¬ 
längerung  der  Pausen  und  Diastolen,  die  seeundäre  durch  jene  der 
Pausen  und  Systolen.  Die  erstere  ist  eine  Hemmungswirkung,  die 
letztere  Muskelwirkung.  Die  Digitaliswirkung  ist  in  einigen  ihrer 
Componentcn  der  Vagusreizung  analog.  Die  Tonusschwankungen 
sind,  wie  die  übrigen  Irregularitäten,  als  Erschöpfungsphänomene 
zu  deuten.  Die  Leistungsfähigkeit  des  Herzens  wird  durch  mässige 
Digitalisgaben  zunächst  erhöht,  sodann  herabgesetzt.  Dem  Herztode 
gebt  am  isolirten  Herzen  niemals  unmittelbar  eine  Frequenzerhöhung 
voraus.  Die  Digitaliskörper  wirken  immer  herabsetzend  auf  die 
Coronarcirculation  ein.  —  (Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften.  1899.) 

* 

312.  U  e  b  e  r  die  Wirkung  der  Galle  und  gallen¬ 
sauren  Salze  auf  das  i  s  o  1  i  r  t  e  Säugethier  herz.  Von 
Dr.  Braun  und  Dr.  Mager  (Wien).  Das  Ergebniss  der  Unter¬ 
suchungen  war,  dass  durch  grosse  Dosen  von  Fel  lauri,  Natr. 
glycocholicum  und  Natr.  taurocholicum  unter  bedeutender  Abnahme 
der  Coronargefässcirculalion  und  Verkürzung  des  Herzens  in  kurzer 
Zeit  systolischer  Stillstand  und  Tod  des  Herzens,  bei  kleineren 
Gaben  ein  Scltenenverden  der  Herzschläge  auftrat.  Da  die  Ver¬ 
langsamung  des  Herzschlages  durch  Atropin  nicht  aufgehoben  wird, 
kann  dieselbe  nicht  nervöser  Natur  (Erregung  intracardialer  Vagus¬ 
fasern)  sein,  sondern  muss  als  ein  Effect  der  Muskelwirkung  der 
Präparate  angesehen  werden,  die  wahrscheinlich  in  einer  Herab¬ 
setzung  der  Muskelerregbarkeit  und  einer  Veränderung  des  Con¬ 
tradionszustandes  zu  suchen  ist.  —  (Sitzungsberichte  der  kaiser¬ 
lichen  Akademie  der  Wissenschaften.  1899.) 

* 

313.  Im  Vereine  für  innere  Mcdicin  in  Berlin  hatte 
v.  L  e  y  d  e  n  Gelegenheit,  einen  Patienten  mit  hochgradiger 
Aphasie,  aber  erhalte  n  e  m  musikalischem  G  e  d  ä  c  h  l- 
niss  vorzustellen.  Der  Fall  ist  besonders  dadurch  von  Inter¬ 
esse,  dass  der  Patient,  dessen  Wortschatz  in  Folge  einer  Apoplexie 
sich  auf  einige  Worte  blos  beläuft,  sein  musikalisches  Gedächtniss 
nicht  verloren  hat,  Melodien  vollkommen  correct  singt  und  dabei 
sogar  sämmlliche  Worte  des  Liederlextes  aussprechen  kann,  was 
ihm,  ohne  gleichzeitig  dabei  zu  singen,  sonst  nicht  möglich  ist.  — 

* 

314.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  zu  Giessen.)  Ein  Bei¬ 
trag  zu  r  F  rage  de  r  W  achsthumsgeschwindigkeit 
des  Tuberkelbacillus.  Von  Dr.  Römer.  Die  Langsamkeit 
des  Wachsthums  des  Tuberkel  bacillus  auf  den  gewöhnlichen  Nähr¬ 
böden  bildet  immer  ein  Hemmniss  bei  diagnostischen  und  bacterio- 
logischen  Untersuchungen.  Hesse  hat  nun  gefunden,  dass  der 
Tuberkelbacillus  auf  Agar,  dem  Nährstoff  Heyden  zugesetzt  worden 
ist,  schon  in  ein  bis  drei  Tagen  sein  charakteristisches  Wachsthum 
zeige.  Römer  konnte  diese  Thatsache  bestätigen  und  weiter  hinzu¬ 
fügen,  dass  die  mit  den  Tuberkelbacillen  aufgeslrichenen  Schleim¬ 
massen  auf  den  gebräuchlichen  Nährböden  ein  wachsthumförderndes 
Moment  abgeben.  —  (Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XVII, 
Nr.  20  und  21.) 

* 

315.  lieber  eine  Relation  zwischen  Sternum 
und  Conjugate.  Von  Dr.  Kurz  (Wien).  Unter  150  unter¬ 
suchten  Fällen  wurde  gefunden,  dass  die  Länge  des  Sternums  mit 
der  Conjugate  vera  last  iibereinstimmme;  in  nur  7°/0  betrug  die 
Differenz  etwa  1  cm.  —  (Cenlralblatt  für  Gynäkologie.  1900,  Nr.  15.) 

* 

316.  lieber  die  Castration  bei  P  r  o  s  t  a  t  a  h  y  p  e  r- 
trophie.  Von  Dr.  Lanz  (Bern).  Socin  hat  die  Resultate  der 
indireclen  Operationen  bei  Prostatahypertrophie  als  trostlose  be¬ 
zeichnet;  ähnlich  haben  auch  andere  Chirurgen  geurt heilt.  Lanz 
ist  gegentheiliger  Ansicht;  er  hat  in  vier  Fällen  die  Castration  aus¬ 
geführt  und  dadurch  drei  vollständige  symptomatische  Heilungen 


Nr.  36 


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erzielt,  jedoch  auch  einen  Todesfall  zu  beklagen  gehabt.  Lanz 
glaubt,  dass  zu  diesem  günstigen  Resultate  auch  der  Umstand  mit 
beigetragen  haben  könnte,  dass  er  mit  der  Castration  immer  auch 
eine  weitgehende  Resection  des  Samenstranges  —  bis  18  cm 
Länge  —  verbunden  habe.  Ra  die  Hoden  auch  im  Aller  nicht  nur 
einen  decorativen,  sondern  auch  einen  psychischen  Werth  besitzen, 
so  könnte  in  geeigneten  Fällen  der  Versuch  gerechtfertigt  sein, 
sich  mit  der  Resection  des  Vas  deferens  zu  begnügen,  oder  wenn 
schon  die  Testikel  verloren  gehen,  an  ihrer  Stelle  künstliche  ein¬ 
zuheilen.  —  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1900,  Nr.  11.) 

* 

317.  Ueber  die  Behandlung  inficirter  Wunden 
mit  Wasserstoffsuperoxyd.  Von  Prof.  Bruns  (Tübingen). 
Merk  in  Darmsladt  ist  es  gelungen,  ein  absolut  reines,  säure¬ 
freies,  hochconcentrirtes  (30%),  monatelang  haltbares  Wasser¬ 
stoffsuperoxyd  herzusLellen,  welches  im  Preise  ungefähr  dem  der 
essigsauren  Thonerde  gleichkommt.  Die  Haupteigenschaft  des  Präpa¬ 
rates  liegt  in  seiner  leichten  Zersetzung  in  Sauerstoff  und  Wasser, 
die  augenblicklich  durch  zellreiche  Flüssigkeiten  (Eiter,  Blut),  lang¬ 
sam  durch  Körpergewebe,  gar  nicht  durch  Berührung  der  äusseren 
Haut  eingeleitet  wird.  Die  Zersetzung  gibt  sich  durch  massenhafte 
Schaumentwicklung  zu  erkennen,  ln  bactericider  Hinsicht  erwies 
sich  das  3%ige  Wasserstoffsuperoxyd  in  wässerigen  Medien  dem 
Sublimat  1%0  vollkommen  gleich,  in  eiweisshaltigen  überlegen;  in 
zellreichen  eiweisshaltigen  Flüssigkeiten  sind  beide  gleich  unwirk¬ 
sam.  Das  Wasserstoffsuperoxyd  erwies  sich  bei  inficirten  Wunden 
in  Form  der  Irrigation  oder  feuchten  Tamponade  in  l%iger  — 
sehr  selten  in  3%iger  —  Lösung  sehr  geeignet,  indem  sie  sich 
rasch  reinigten  und  der  üble  Geruch  schnell  verschwand.  B  r  u  n  s 
glaubt,  dass  vornehmlich  der  sich  entwickelnde  Sauerstoff  auf  die 
anaeroben  Fäulnissbacterien  einwirke  und  dass  der  sich  entwickelnde 
Schaum  das  keimbeladene  Secret  mechanisch  von  der  unebenen 
Wundfläche  wegreisse  und  so  dieselbe  reinige.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  19.) 

* 

318.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Küster  zu 
Marburg.)  Experimentelle  Harnblasenplastik.  Von 
Prof.  Enderlen.  Bei  Hunden  wurde  ein  künstlicher  Blasendefect 
in  der  Weise  gedeckt,  dass  ein  ausgeschaltetes  Stück  lleum  gegen¬ 
über  dem  Mesenterial ansatze  aufgeschnitten  und  der  so  entstandene 
viereckige,  am  Mesenterium  gestielte  Lappen  in  den  Defect  einge- 
näht  wurde;  oder  indem  eine  Anastomose  mit  dem  ausgeschalteten 
Darmstücke  hergestellt  wurde.  Die  später  angestellten  Untersuchungen  j 
ergeben,  dass  beide  Epithelarten  erhalten  bleiben,  dass  jenes  des 
Darmes  auch  seine  Function  beibehält.  Die  Darmlappenplastik  hat 
ebenso  wie  die  Anaslomosenbildung  nur  ein  beschränktes  Anwen¬ 
dungsgebiet,  auch  ist  die  Möglichkeit  einer  Niereninfection  nicht 
ausgeschlossen.  —  (Sonderabdruck  aus  der  Deutschen  Zeitschrift 
für  Chirurgie.  Bd.  LV.) 

* 

319.  Ueber  Esel  milch  als  Säuglingsernährung  s- 
mittel.  Von  H.  v.  Ranke,  v.  Ranke  zieht  aus  seinen  Er¬ 
fahrungen  den  Schluss,  dass  die  Eselmilch,  deren  allgemeineren 
Verwendung  freilich  der  hohe  Preis,  die  schwierige  Beschaffung  ent¬ 
gegenstehen,  für  die  ersten  Lebensmonate  der  Säuglinge  zweifellos 
eine  passende,  zuträgliche  und  leicht  verdauliche  Nahrung  darstelle, 
was  offenbar  darin  begründet  sei,  dass  bei  dieser  Milch  das  Ver- 
hällniss  zwischen  den  einzelnen  Nährbestandtheilen  am  meisten 
jenen  der  Frauenmilch  gleichkomme.  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  18.) 

* 

320.  Mediastinaltumor  mit  Metastase  in  die 
Haut  des  Nasenrückens.  Lewandowsky  stellte  in  der 
Gesellschaft  der  Charite- Aerzte  zu  Berlin  einen  Patienten  mit  einem 
Mediastinaltumor  vor,  der  allem  Anscheine  nach  seinen  Sitz  am 
linken  Bronchus  gegen  den  Oesophagus  zugewendet,  hatte.  Trotz¬ 
dem  die  objectiven  Symptome  immer  schwerer  wurden,  besserte 
sich  das  Befinden  des  Patienten  unter  symptomatischer  Behandlung 
so  weit,  dass  er  entlassen  werden  konnte.  Nach  ungefähr  sechs 
Wochen  kehrte  derselbe  jedoch  in  einem  vollkommen  kachektischen 
Zustande  wieder  zurück.  Das  Eigenthümliche  an  dem  Falle  liegt 
nun  darin,  dass  sich  in  der  Zwischenzeit  am  Nasenrücken  ein 


markstückgrosser,  die  Haut  nur  wenig  überragender,  mit  der  Unter¬ 
lage  verwachsener  Tumor  gebildet  hatte,  der  als  eine  Krebsneu¬ 
bildung  erklärt  und  als  Metastase  des  Mediastinaltumors  aufgefasst 
wurde,  welcher  dann  ein  Carcinom  des  Bronchus,  Oesophagus  oder 
der  Pleura  mediastinalis  darstellen  würde. 

* 

321.  Ueber  die  Behandlung  der  Bleichsucht. 
Von  E.  Grawitz  (Charlottenburg).  Grawitz  betrachtet  die 
Chlorose  nicht  als  eine  Erkrankung  des  Blutes,  sondern  als  Theil- 
erscheinung  einer  allgemeinen  Neurose,  die  besonders  die  Blut¬ 
gefässe  betrifft  und  sich  in  einer  Störung  des  normalen  Flüssigkeits¬ 
austausches  zwischen  Blut  und  Geweben  äussert.  Dadurch  kommt 
es  zu  einer  Flüssigkeitsanhäufung  in  den  Geweben,  zu  einer 
Quellung  der  Knochenmarkszellen,  wodurch  dieselben  unvollkommen 
hämoglobinhaltig  werden.  Dementsprechend  ist  häufig  eine  psychi¬ 
sche  Therapie,  Entfernung  der  Kranken  aus  der  gewohnten  Um¬ 
gebung  von  besonderem  Nutzen.  Sonst  verordnet  Grawitz  Bett¬ 
ruhe,  bei  Chlorotischen  mit  gedunsenem  Ansehen  heisse  Bäder  mit 
nachfolgender  Schwitzprocedur,  medicamentös  Eisen  als  Unter¬ 
stützungsmittel,  Eisenbäder,  Chinin  etc.  In  Bezug  auf  die  Prognose 
muss  man  sich  erinnern,  dass  es  eine  Anzahl  Bleichsüchtiger  gibt, 
bei  welchen  jede  Therapie  machtlos  ist.  Es  sind  dies  die  fettarmen 
Individuen  mit  sehr  zarter,  blasser  Haut,  bei  denen  oft  schon  die 
oberflächlichen  Gefässe  auffällig  schwach  entwickelt  erscheinen.  Bei 
diesen  findet  sich  öfter  eine  Hypoplasie  des  Herzens  und  der 
grossen  Gefässe.  Um  die  Widerstandsfähigkeit  dieser  »habituellen 
oder  persistirenden  Chlorotischen«  zu  erhöhen,  ist  es  geboten, 
schon  frühzeitig  durch  gewisse  Massnahmen  —  viel  körperliche 
Bewegung  im  Freien  etc.  -  das  ganze  Gefässsystem  zu  kräftigen. 
—  (Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  G.) 

* 

322.  Die  Behandlung  des  Gelenksrheumatismus 
namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Complicationen 
von  Seite  des  Herzens.  Von  Dr.  R.  Powell.  Jeder  Fal  I 
von  Gelenksrheumatismus,  auch  die  leichtesten  Fälle,  gehören  für 
längere  Zeit  ins  Bett,  auch  wenn  die  Schmerzen  schon  geschwunden 
sind.  Ist  der  Herzklappenapparat  in  Mitleidenschaft  gezogen,  so  kann 
er  sich  in  der  Ruhe  am  leichtesten  erholen.  Das  sonst  vorzüglich 
wirkende  Salicyl  ist  in  einer  Beziehung  nicht  ohne  Gefahr;  es  be¬ 
seitigt  die  Schmerzen  und  der  Patient  glaubt  sich  genesen,  während 
die  Krankheit  doch  nur  latent  geworden  ist;  er  verlässt  das  Bett 
und  dann  treten  erst  nicht  so  selten  die  Herzgeräusche  auf,  von 
denen  man  während  der  offen  vorliegenden  Krankheit  und  während 
Bettruhe  eingehalten  worden  ist,  nichts  gemerkt  hat.  Ausser  dem 
Salicyl  kommt  beim  Auftreten  schwerer  Herzcomplicationen  Opium 
in  Betracht,  welches  den  Puls  herabsetzt,  den  Kranken  beruhigt 
und  das  Herz  auf  diese  Weise  entlastet.  Digitalis  ist  meist  ohne 
Einfluss.  —  (Lancet.  31.  März  1900.) 

* 

323.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  v.  Hacker 
in  Innsbruck.)  Ueber  die  Gefahren  der  Aethylchlorid- 
narkose.  Von  Dr.  Lotheissen.  Im  Ganzen  dürften  bis  jetzt 
etwa  2550  Aethylchloridnarkosen  ausgeführt  worden  sein,  davon 
850  in  geeigneten  Fällen  an  der  chirurgischen  Klinik  in  Innsbruck; 
die  meisten  Aethylnarkosen  sind  bis  jetzt  von  Seite  der  Zahnärzte 
angestellt  worden.  Als  Vorzüge  werden  ihnen  nachgerühmt:  rascher 
Eintritt,  tadelloser  Verlauf  der  Narkosen  und  schnelles  Erwachen 
aus  denselben.  Bisher  wurden  einige  Asphyxien  und  ein  Todesfall 
auf  der  Kocher’schcn  Klinik  berichtet,  dem  nun  ein  weiterer 
bei  einem  Individuum  mit  starker  Arteriosklerose  der  Coronararterien 
in  Innsbruck  gefolgt  ist.  Lotheissen  macht  nochmals  auf  die 
Vorsichtsmassregeln  aufmerksam,  die  nöthig  sind,  um  diese  Narkose 
zu  einer  ziemlich  gefahrlosen  zu  machen.  —  (Münchener  medici¬ 
nische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  18.) 

* 

324.  Ein  neues  Verfahren  zur  Catgutsterilisa¬ 
tion.  Von  Dr.  Eisberg  (New  York).  Von  den  bisher  bekannten 
Verfahren  hat  jedes  seine  Mängel.  Eisberg  empfiehlt  das  Folgende: 
Nach  Entfettung  des  Catguts  in  einer  Mischung  von  1  Chloroform 
zu  2  Aether  durch  24 — 48  Stunden  wird  es,  in  einfacher  Lage 
auf  Glasrollen  gewickelt,  durch  10 — 30  Minuten  in  einer  concen- 
trirten  wässerigen  Lösung  von  Ammonium  sulf.  gekocht  und  dann 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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in  sterilem  Wasser,  oder  Sublimat  etc.  abgewaschen,  womit  das 
Catgut  gebrauchsfähig  geworden  ist;  zum  Aufbewahren  dient 
starker  Alkohol.  —  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900,  Nr.  21.) 

* 

325.  Vierter  Bericht  über  dieThätigkeitder 
Malariaexpedition.  Von  Prof.  Koch.  Der  Bericht,  welcher 
die  Monat  März  und  April  umfasst,  datirt  aus  Stephansort  und  hat 
die  Thätigkeit  der  Expedition  in  Neu-Guinea,  sowie  auf  den  nahe¬ 
liegenden  Inseln  des  Archipels  zum  Gegenstand.  Alles  in  Allem 
will  der  Bericht  darthun,  dass  es  möglich  ist,  jede  Malariagegend 
ganz  oder  nahezu  malariafrei  zu  machen,  falls  die  erforderliche 
Zahl  von  Aerzten,  eine  ausreichende  Menge  von  Chinin  zur  Hand 
ist  und  die  Bevölkerung  auch  verständig  und  folgsam  genug  ist, 
den  Kampf  gegen  die  Malaria  durchführen  zu  helfen.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  25.) 

* 

326.  Ueber  die  Beziehungen  der  Mosquitos  zu 
den  Malariaparasiten  in  Kamerun.  Von  Dr.  Z  i  e  m  a  n  n 
(Victoria).  Es  konnte  die  wichtige  Thatsache  festgestellt  werden, 
dass  auch  in  Kamerun  der  Parasit  der  tropischen  Malaria  im 
Magen  der  Stechmücken,  Gattung  »Anopheles«  sich  zu  einem  pig- 
mentirten,  coccidienähnlichen  Gebilde  umwandeln  kann,  in  dessen 
Innern  sich  dann  die  sogenannten  Sporozoiten  bilden.  Diese  ge¬ 
langen  in  die  Speicheldrüsen,  von  wo  sie  durch  den  Stechrüssel 
wieder  anderen  Menschen  eingeimpft  werden  können.  Es  wurde 
weiters  fcstgestellt,  dass  Larven  und  Puppen  dieser  Mosquitos  sich 
nur  in  stehenden  Gewässern  finden,  und  dass  eine  dünne  Schichte 
Petroleum  die  Larven  schon  zum  schnellen  Absterben  bringt.  — 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  25.) 

* 

327.  In  der  Nürnberger  medicinischen  Gesellschaft  hielt 

Dr.  Frankenburger  einen  Vortrag  über  seine  bei  etwa  2000 
von  ihm  geleiteten  Chloroform  narkosengemachten  Er¬ 
fahrungen.  Frankenburger  bemerkt,  dass  der  Cornealreflex 
nur  im  Beginne  der  Narkose  von  Bedeutung  ist;  später  kann  er 
bei  tiefer  Narkose  vorhanden  sein  und  bei  oberflächlicher  fehlen; 
um  den  Pupillarreflex  richtig  zu  beurthcilen,  müsse  man  das  Ver¬ 
halten  der  Pupillen  vor  der  Narkose  kennen.  Der  Puls  ist  in 
jedem  Falle,  und  zwar  vom  Narkotisirenden  selbst  zu  beobachten. 
Das  Erbrechen  in  der  Narkose  hält  Frankenburger  durchaus 
nicht  unter  allen  Umständen  für  ein  Zeichen  mangelhafter  Auf¬ 
merksamkeit,  sondern  er  könne  selbst  in  tiefer  Narkose  reflectorisch, 
namentlich  beim  ersten  operativen  Insult  des  Peritoneums  ein- 
treten.  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

E  mannt :  Dr.  Adolf  Loewy  zum  Professor  für  Physio¬ 
logie  in  Berlin,  Dr.  B  o  d  i  n  zum  Professor  der  pathologischen  Ana¬ 
tomie  in  Rennes,  C.  W  e  s  t  c  o  1 1  zum  a.  o.  Professor  der  Augenheil¬ 
kunde  in  Chicago,  Dr.  P  e  r  i  o  1  zum  Professor  der  chirurgischen 
Pathologie  in  Grenoble.  —  In  Baltimore:  Dr.  Rowland  zum  Pro¬ 
fessor  der  Geburtshilfe,  Dr.  Lord  zum  a.  o.  Professor  der  Anatomie. 

* 

Verliehen:  Den  Privatdocenten  an  der  medicinischen 

Facultät  in  Wien  Dr.  Leopold  Königstein,  Dr.  Salomon 
E  h  r  m  a  n  n,  Dr.  J  a  k  o  b  P  a  1,  Dr.  E  m  i  1  R  e  d  1  i  c  h  und  Dr.  Anton 
El  sehnig  der  Titel  eines  ausserordentlichen  Universitäts-Professors. 
—  Dem  Regimentsarzte  Dr.  Ignaz  Weiss  der  Stabsarztes-Charakter 
ad  honores.  —  Dem  Leibarzt  des  Fürsten  Ferdinand  von  Bulgarien, 
Dr.  Stanislaus  Ludwig,  der  kaiserlich  russische  St.  Stanislaus- 
Orden  zweiter  Classe,  der  kaiserlich  ottomauische  Medschidje-Orden 
dritter  Classe,  der  königlich  serbische  St.  Sava-Orden  dritter  Classe, 
der  fürstlich  bulgarische  Civil-Verdienst-Orden  dritter  Classe  und  der 
fürstlich  bulgarische  St.  Alexander-Orden  fünfter  Classe.  —  Dem 
praktischen  Arzte  Dr.  Oskar  Lanzer  in  Wien  das  Ritterkreuz 
erster  Classe  des  königlich  sächsischen  Albrecht- Ordens.  —  Dem  Chef 
der  sero-therapeütischen  Abtheilung  am  Pasteur’schen  Institute  in 
Paris,  Dr.  Alexander  Marmo  re  k,  das  Ritterkreuz  des  französischen 
Ordens  der  Ehrenlegion.  —  Dem  praktischen  Arzte  und  Privatdocenten 
an  der  Universität  in  Wien  Dr.  Gustav  Singer  das  Ritterkreuz 
des  königlich  spanischen  Ordens  Karl  III.  —  Dem  Arzte  im  deutschen 


Spitale  in  Constantinopel  Dr.  Edmund  Saustein  der  königlich 
preussische  Rothe  Adler-Orden  vierter  Classe. 

I 

Habilitirt:  Dr.  Ludwig  Braun  für  interne  Medicin  in 
Wien  und  Dr.  Theodor  Pfeiffer  für  Pathologie  und  Therapie 
der  inneren  Krankheiten  in  Graz. 

* 

S  a  nitätsve  r  hältnisse  bei  der  Mannschaft  des  k.u.k.  Heer  es 
im  Monat  Juni  1900.  Mit  Ende  Mai  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1546,  in  Heilanstalten  7322  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  Juni  1900  14.968  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  49.  Im  Monat  Juni  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  7225  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopfstärke  24.  Im  Monat  Juni  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  15.554  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  13.165  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  846,  durch  Tod  76  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  4‘88,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0'25.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1396,  in  Heilanstalten  6886  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  i  in  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  30.  Jahreswoche  (vom  22.  Juli 
bis  28.  Juli  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  576,  unehelich  298,  zusammen 
874.  Todt  geboren:  ehelich  35,  unehelich  27,  zusammen  62.  Gesammtzabl 
der  Todesfälle  712  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
223  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  120,  Blattern  0,  Masern  15, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  8,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  40.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
22  (-{-  10),  Masern  139  (-f-  35),  Scharlach  23  ( —  1),  Typhus  abdominalis 

15  ( — 1),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  13  ( —  7),  Croup  und 
Diphtherie  21  ( — 2),  Pertussis  44  ( —  11),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  2  ( —  1),  Trachom  3  (-(-  1),  Influenza  0  (=). 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  31.  Jahreswoche  (vom  29.  Juli 
bis  4,  August  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  631,  unehelich  301,  zusammen 
931.  Todt  geboren:  ehelich  41,  unehelich  16,  zusammen  57.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  670  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
210  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  113,  Blattern  0,  Masern  8, 
Scharlach  0,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  6,  Typhus  abdominalis  4, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  43.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  {—),  Varicellen 

16  ( —  6),  Masern  110  ( —  29),  Scharlach  19  ( —  4),  Typbus  abdominalis 
21  (-[-  6),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  12  ( —  1),  Croup  und 
Diphtherie  17  ( —  4),  Pertussis  26  (—  8),  Dysenterie  0  (—),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (-j-  1),  Trachom  7  (-|-  4),  Influenza  1  (-(-  !)• 


Freie  Stellen. 

Districtsarztesstelle  im  Sanitätsdistricte  Reichenau,  politischer 
Bezirk  Mährisch-Trübau,  mit  dem  Sitze  in  Reichenau,  Mähren.  Der  District 
umfasst  die  Gemeinden  Altstadt,  Biosdorf,  Rehsdorf,  Dittersdorf  und 
Reichenau  mit  4559  Einwohnern  durchgehends  deutscher  Nationalität 
und  hat  eine  Flächenausdehnung  von  59  03/rm2.  Einkommen  1170  K,  und 
zwar:  Gehalt  476  K,  Pauschale  294  K  und  von  der  Gemeinde  Reichenau  eine 
jährliche  Zulage  von  400  K\  ausserdem  eine  aus  zwei  Zimmern,  einer  Küche, 
Speisekammer,  Keller  und  Bodenabtheilung  bestehende  Wohnung.  Der  Arzt 
ist  zur  Führung  einer  Hausapotheke  verpflichtet.  Gesuche,  belegt  mit 
Geburtsschein,  Heimatschein,  Diplom,  Nachweis  der  bisherigen  Verwendung 
sind  bis  16.  September  1900  an  den  Obmann  der  Delegirten-Versammlung, 
Fr.  Homma,  welcher  auch  nähere  Auskünfte  ertheilt,  einzusenden.  Christ¬ 
liche  Bewerber  werden  bevorzugt. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanitätsgemeindengruppe  Gross-Pert- 
holz,  Weikertschlag,  Abschlag,  Reichenau  am  Freiwalde,  Karlstift,  Watzmanns, 
politischer  Bezirk  Gmünd,  mit  dem  Sitze  in  Gross-Pertholz,  Niederöster¬ 
reich.  Flächenausmass  derGruppe  84-67&?n2.  Einwohnerzahl2984.  Fixe  Bezüge 
800  K  Landessubvention,  256  K  von  den  Gemeiuden.  Haltung  einer  Haus¬ 
apotheke  erforderlich.  Bewerber  um  diese  am  1.  October  zur  Besetzung 
gelangende  Stelle  haben  ihre  ordnungsgemäss  instruirten  Gesuche  bei  dem 
Obmanne  der  Sanitätsgemeindengruppe,  dem  Gemeindevorsteher  in  Weikert¬ 
schlag,  einzubringen. 

Gemeindearztes  stelle  in  der  Sanitätsgemeindegruppe  Wolf- 
passing  a.  H.,  politischer  Bezirk  Korneuburg,  Niederösterreich.  Bei¬ 
träge  der  Gemeinden  Wolfpassing,  Bogenneusiedl,  Streifing  und  Traunfeld 
600  K,  Landessubvention  600  K,  Hausapotheke.  Bewerber  um  diese  am 
1.  October  1900  zu  besetzende  Stelle  wollen  ihre  Gesuche  an  die  Ge¬ 
meindevorstehung  in  Wolfpassing  a.  H.,  Post  Schieinbach,  richten. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanitätsgemeindengruppe  Aalfang- 
Amaliendorf-Langegg,  politischer  Bezirk  Gmünd,  mit  dem  Sitze  in 
Aalfang,  Nied  er  Österreich.  Flächenausmaass  der  Gruppe  19  23 /cwU, 
Einwohnerzahl  2591.  Fixe  Bezüge:  1200  K-,  Subvention  aus  dem  Landes- 
fonde  und  290  K  von  den  Gemeinden.  Eventuell  ärztliche  Behandlung  der 
Arbeiter  der  Glashütte  Aalfang  (Firma  C.  Stölzle’s  Söhne).  Haltung  einer  Haus 
apotheke  erforderlich.  Bewerber  um  diese  am  1 .  October  1900  zu  besetzende 
Stelle  haben  ihre  ordnungsmässig  belegten  Gesuche  bei  dem  Obmanne 
der  Gruppe,  dem  Gemeindevorsteher  in  Aalfang,  einzubringen. 


Nr.  36 


81!) 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und 


INHALT: 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August  1900.)  (Fortsetzung.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Bacter  iologie  und  Parasitologie. 

Referent  Dr.  Sp. 

III.  Lave  ran:  Ueber  den  Hematozoairedupalu- 
d  i  s  m  e. 

Der  Blutparasit  des  Sumpffiebers  (Haemamoeba  malariae)  prä- 
sentirt  zwei  Varietäten,  welche  man  je  nach  den  Dimensionen  der 
parasitären  Elemente  als  parva  und  magna  bezeichnen  kann.  Wenn 
zum  Beispiel  ein  Kranker,  in  dessen  Blut  man  in  Senegal  Haemamoeba 
malariae  parva  gefunden  hat,  nach  Frankreich  zurückkehrt  und  daselbst 
Rückfälle  des  Fiebers  erleidet,  so  findet  man  dann  in  seinem  Blute 
Haemamoeba  malariae  magna  vor;  es  handelt  sich  daher  nicht  um  ver¬ 
schiedene  Arten,  sondern  um  einfache  Varietäten. 

Die  zum  Studium  des  Parasiten  angewendete  Technik  hat  in 
den  letzten  Jahren  bedeutende  Fortschritte  gemacht.  Koch,  Ziemann, 
Nocht,  Rüge,  haben  die  Methode  von  Romanovski  vervoll- 
kommt;  ich  selbst  habe  einen  Färbungsprocess  der  Kerne  der  endo- 
globulären  Hämatozoen  angegeben,  dessen  Anwendung  mir  leichter 
und  sicherer  erscheint  als  die  primitive  oder  modificirte  Methode  von 
Romanovski. 

Die  Untersuchungen  von  Simon  d,  Schandinn  und  S  i  e  d- 
lecki  über  die  Coccidien  haben  die  so  oft  discutirte  Frage  der 
Geissein  der  Hämatozoen  des  Sumpffiebers  in  einem  ganz  neuen 
Lichte  erscheinen  lassen.  Es  ist  nunmehr  erwiesen,  dass  die  Geissein 
männliche  Elemente  sind,  bestimmt,  die  weiblichen  Elemente  zu  be¬ 
fruchten.  Die  Beobachtungen  von  Mac  Callum,  Opie,  Koch, 
March  oux,  lassen  über  die  Rolle  der  Geissein  keinen  Zweifel  mehr 
übrig;  ich  glaube,  dass  Niemand  mehr  behauptet,  dass  es  sich  um 
Degenerationsformen  der  Hämatozoen  handle. 

Seit  1884  habe  ich  die  Hypothese  vertreten,  dass  Haemamoeba 
malariae  sich  ausserhalb  des  menschlichen  Organismus  im  Zustande 
des  Parasiten  auf  Moskitos  befindet.  Diese  Annahme,  gestützt  auf 
zahlreiche  Wahrscheinlichkeiten,  wurde  durch  die  schönen  Unter¬ 
suchungen  von  R.  Ross,  welche  noch  durch  die  von  Koch,  Grassi, 
B  i  g  n  a  m  i  und  B  a  s  t  i  a  n  e  1 1  i  vervollständigt  sind,  bestätigt. 

Alle  Anophelen  scheinen  der  Verbreitung  des  Sumpffiebers 
dienen  zu  können ;  in  vielen  Gegenden  der  Erde  hat  man  die  Coexistenz 
von  Anophelen  und  Sumpffieber  bereits  constatirt,  während  man  in 
gesunden  Gegenden  blos  die  Culex  findet. 

Die  Anophelen,  welche  vom  Sumpffieber  befallene  Menschen 
gestochen  haben,  können  gesunde  Individuen  inficiren ;  man  findet  in 
den  Speicheldrüsen  dieser  Insecten  Keime  (Blästen  von  R.  Ross), 
welche  mit  dem  Producte  der  Secretion  der  Giftspeicheldrüsen  inoculirt 
sind.  Immerhin  wäre  es  verfrüht,  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  der 
Paludismus  auf  diese  Weise  inoculirt  wird.  Man  begegnet  sehr  häufig 
demselben  in  unbewohnten  Gegenden ;  die  Thatsache,  dass  in  Folge 
von  Erdarbeiten  und  Aufwühlung  des  Bodens  häufig  Endemien  des 
Sumpffiebers  stattgefunden  haben,  ist  auch  schwer  zu  erklären,  wenn 
man  annimmt,  dass  der  Paludismus  immer  durch  Anophelen  übertragen 
wird,  welche  sich  mit  Sumpfblut  genährt  haben. 

Wiewohl  noch  einige  Punkte  dunkel  sind,  ist  es  nicht  zweifel¬ 
haft,  dass  man  von  jetzt  an  bei  der  Prophylaxis  des  Wechselfiebers 
in  erster  Linie  die  Schutzmassregeln  gegen  die  Mosquitos  anwenden 
müsse.  Es  ist  also  nothwendig,  den  Rückfällen  des  Fiebers,  bei  den 
schon  lange  in  Sümpfen  Lebenden  vorzubeugen,  damit  diese  Kranken 
nicht  zur  Infection  der  Anophelen  dienen  können. 

Pi  'ofessor  Koch  hat  in  Afrika  und  Java  bezüglich  der  er¬ 
worbenen  Immunität  bei  den  Eingeborenen  sumpfiger  Gegenden  günstige 
Erfahrungen  gemacht.  Diese  Immunität  wäre  die  Folge  eines  Ergriffen- 
seins  vom  Fieber  im  jugendlichen  Alter.  Zahlreiche  Thatsachen  be¬ 
weisen,  dass  die  Eingeborenen  sumpfiger  Gegenden  häufig  in  einen 
Zustand  von  Kachexie  verfallen,  welcher  wohl  die  acuten  Er¬ 
scheinungen  des  Paladismus  ausschliesst,  jedoch  nicht  den  Namen 
Immunität  verdient.  Die  bisher  gemachten  Versuche,  um  eine  künst¬ 


liche  Immunität  gegen  den  Paludismus  zu  erreichen,  sind  bis  jetzt 
misslungen. 

* 

Abtheilung  für  Militär -  Medicin  und  Chirurgie. 

Referent  Dr.  Sp. 

I.  Le  Dantec  (Bordeaux):  Ueber  den  tropischen 
Phagedänismus. 

In  den  heissen  Ländern  verwandeln  sich  die  Zusammenhangs- 
Trennungen  der  Haut  sehr  leicht  in  Geschwüre  und  unter  diesem 
kann  man  eine  Varietät  unterscheiden,  welche  man  die  phagedänischc 
nennt  und  die  durch  die  Anwesenheit  eines  pulpösen,  graulichen  Ex¬ 
sudates  auf  der  Oberfläche  der  Wunde  gekennzeichnet  ist,  welches 
eine  grosse  Neigung  zeigt,  die  gesunden  Gewebe  anzufressen.  Der 
tropische  Phagedänismus  kann  daher  als  eine  Complication  der  Wunden 
angesehen  werden,  welche  durch  die  Anwesenheit  einer  Pseudomembran 
charakterisirt  ist,  die  eine  einfache  Wunde  in  ein  sich  ausbreitendes 
Geschwür  verwandelt. 

Beim  Studium  des  tropischen  Phagedänismus  hat  man  drei 
Perioden  unterschieden: 

In  einer  ersten  Periode  beschreibt  jeder  Beobachter  ein  Geschwür 
als  besondere  Affection  des  Landes,  in  welchem  er  sich  befindet;  daher 
die  Namen:  „Geschwür  von  Mozambique,  Plaie  annamite,  Plaie  de 
l’Yemen“  u.  s.  w. 

In  einer  zweiten  Periode  fassen  Le  Roy  de  Mericourt 
und  R  o  u  c  h  a  r  d,  indem  sie  die  klinische  Beschreibung  der  ver¬ 
schiedenen  Colonien  verglichen,  die  Identität  der  Krankheit  in  allen 
intertropischen  Ländern  mit  der  Bezeichnung  „phagedänisches  Geschwin¬ 
der  heissen  Länder“  zusammen. 

In  einer  dritten  Periode,  in  welcher  wir  uns  befinden,  scheint 
die  Identität  des  Phagedänismus  der  heissen  Länder  mit 
dem  Spitalsbrande  eine  doppelte  Stütze  in  der  Klinik  und  in 
der  Bacteriologie  zu  finden.  Vom  klinischen  Standpunkte  ist  der  Spitals¬ 
brand  ebenso  wie  der  Phagedänismus  durch  grauliche  Exsudate  auf 
der  Oberfläche  der  Wunden  gekennzeichnet.  Vom  bacteriologischen 
Standpunkte  gleicht  der  Bacillus,  welchen  ich  schon  1884  im  Exsudate 
des  phagedänischen  Geschwüres  angezeigt  habe,  vollständig  dem  von 
Vinzent  1896  im  Spitalsbrande  bei  den  von  Madagaskar  kommenden 
arabischen  Wanderern  gefundenen  und  beschriebenen  Bacillus.  Derselbe 
Bacillus  wurde  von  Coyon  in  einem  Falle  von  Spitalsbrand,  ent¬ 
standen  in  Paris,  vorgefunden. 

Der  Phagedänismus  der  heissen  Länder  scheint  also  eine  Com¬ 
plication  der  Wunden,  identisch  mit  jener  zu  sein,  welche  in  den  ge¬ 
mässigten  Klimaten  als  Spitalsbrand  beschrieben  wurde. 

Die  Pathogenie  des  phagedänischen  Geschwürs  bei  Eingeborenen 
gestattet  die  Annahme,  dass  der  natürliche  Wohnsitz  des  Mikroben 
nicht  das  Spital,  sondern  der  feuchte  Erdboden  ist.  Demnach  enthielte 
die  Erde  drei  Mikroben,  gefährlich  für  die  menschlichen  Wunden:  den 
septischen  Vibrio,  den  Bacillus  des  Starrkrampfes  und  den  phagedäni¬ 
schen  Bacillus.  Diese  allgemeinen  Betrachtungen  sind  von  grösster 
Wichtigkeit  für  die  den  Sanitätsdienst  in  Zeiten  der  Expedition  ver¬ 
sehenden  Aerzte. 

II.  Fontan  (Toulon) :  Ueber  die  Sorge  für  die  Ver¬ 
wundeten  auf  den  Schiffen,  während  und  nach  dem 
Gefechte:  Verband.  Transportmittel.  Erste  Hilfe. 
Dringende  Operationen. 

Dieses  so  complicirte  Problem  begreift  eine  Vorfrage  in  sieh. 
Kann  die  Thätigkeit  des  Arztes  während  des  Gefechtes  reell  vor  sich 
gehen?  Wir  in  Frankreich  glauben,  dass  eine  Menge  von  materiellen 
und  moralischen  Gründen  die  Chirurgen  abhalten  sollen,  sich  mitten 
unter  den  Combattanten  zu  bewegen,  um  denselben  an  Ort  und  Stelle, 
wo  sie  verwundet  fallen,  eine  gänzlich  illusorische  Hilfe  zu  bringen. 

Die  Aerzte  müssen  auf  dem  Platze  der  Verwundeten 
bleiben. 

Kann  man  aber  die  Verwundeten  in  jedem  Momente  des  Ge¬ 
fechtes  auf  diesen  Platz  bringen?  Leider  nein.  Beinahe  immer  wird 


820 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nj.  -SB 


man  das  Einstellen  des  Feuers,  oder  mindestens  einen  Nachlass  des¬ 
selben  ab  warten  müssen,  um  den  Tiansport  der  Verwundeten  zu  unter¬ 
nehmen.  Mit  dem  Zuwarten  bleiben  die  Verwundeten  neuen  Schlägen 
ausgesetzt,  der  Obsorge  beraubt,  und  können  an  Verblutung  und  Shock 
sterben.  Diese  traurigen  Verhältnisse  können  wohl  ein  wenig  gelindert 
werden  durch  Rathschläge,  welche  man  vorher  allen  Combattanten  ge¬ 
geben  hat,  welche  es  verstehen  müssen,  sich  eines  Knebels  (garrot, 
tourniquet)  eines  besonderen  Verbandpäckchens  u.  s.  w.  zu  bedienen. 
Diese  Gegenstände  und  ein  hinreichendes  Getränk,  wie  z.  B.  leicht 
alkoholisirtor  Thee,  müssen  überall  für  die  Verwundeten  bereit  sein. 

Nun  ist  der  Moment  der  Aufhebung  und  des  Transportes  der 
Verwundeten  gekommen.  Jedes  Schiff  hat  seine  Plätze  für  die  Ver¬ 
wundeten  und  deren  Passage  vertheilt,  je  nach  der  verschiedenen 
Nothwendigkeit.  Aber  überall  wird  diese  Thätigkeit  durch  die  Enge, 
die  vielen  Winkel,  die  Verschiedenluit  des  Niveaus  und  der  Richtung 
erschwert  und  erfordert  ein  besonderes  Transportmaterial.  Die  gewöhn¬ 
liche  Hängematte  schützt  nicht  den  Verwundeten,  welcher  jeden 
Augenblick  gescbütttdt,  gedreht,  hin  und  her  geworfen  wird  in  einer 
oder  der  anderen  Richtung.  Die  Hängematte  wurde  durch  geniale 
Chirurgen  viele  Male  umgewandelt,  deren  Bestreben  es  war,  sie  stark 
zu  machen,  den  Verwundeten  darin  besser  zu  immobilisiren  u.  s.  w. 
Alle  diese  Modificationen  sind  nur  zufällige  und  sehr  unvollkommene 
Mittel,  welche  die  Kriegsmarine  überall  durch  eine  besondere,  zu  diesem 
Zwecke  geeignete  Ausrüstung  ersetzen  muss,  welche  darin  besteht, 
e:n  'n  Verwundeten  zu  transportiren,  überall  leicht  den  Weg  sich 
bahnend  ohne  ihn  noch  mehr  zu  verletzen. 

Die  metallische  Schiene  von  Auf  fr  et  erfüllt  diese  Bedingungen 
in  wundei  barer  Weise,  sie  ist  an  dem  Körper  des  Verwundeten,  in 
Folge  Berechnung  absolut  exacter  Curven,  wie  angeschmiegt,  sie  im- 
mobilisirt  denselben  in  allen  Theilen,  erhält  ihn  in  gleicher  Weise 
in  allen  denselben  gegebenen  Lagen,  passirt  leicht  die  engsten  und 
gewundensten  Stellen.  In  unserer  Marine  reglementmässig  eingeführt, 
wird  die  Schiene  auch  in  einigen  fremden  Marinen  sehr  geschätzt.  Es 
ist  traurig,  dass  für  eine  Equipage  von  30 0  Mann  in  unserer  Kriegs¬ 
marine  nur  eine  Schiene  bestimmt  ist,  weil  dieses  absolut  unzureichend 
ist.  Denn  die  Zahl  der  Schienen  sollte  nicht  nach  dem  Stande  der 
Equipage,  sondern  nach  der  Zahl  der  Verwundeten  bemessen  werden. 
Denn  wenn  man  anerkennt,  dass  dies  der  Apparat  ist,  der  für  diese 
Transporte  erforderlich  ist,  wie  kann  man  dieselben  zulassen  ohne  sie 
damit  zu  versehen? 

Es  wäre  von  Vortheil,  jede  Abtheilung  von  Verwundeten  mit 
zwei  Schienen  auszurüsten,  die  eine  wäre  im  Gebrauch,  die  andere 
verladen. 

Ist  der  Verwundete  an  Ort  und  Stelle,  so  wird  er  auf  den 
Operationstisch  gelegt.  Hierauf  sind  unverzüglich  noth  wendig: 

1.  Die  Asepsis.  Hiezu  braucht  man  kochendes  Wasser,  welches 
durch  ein  Röhrenwerk  von  einer  Hilfsmaschine  mit  Leichtigkeit  zuge¬ 
führt  wird,  einige  antiseptische  Lösungen  in  Gefässon  von  Emailblech, 
versiegelte  Pakete  von  Watte  und  antiseptischer  Gaze.  Die  Sterilisation 
in  einem  Trockenapparat  oder  Kochtopf  ist  blos  für  die  Instrumente 
und  die  Fäden  nothwendig,  wenn  die  Verbandstoffe  gut  verpackt  sind. 

2.  Bekämpfung  der  Blutungen.  Man  muss  vor  Allem  dem  Blut¬ 
verluste  durch  Infusionen  begegnen.  Eine  Spritze  von  Roux, 
heisses,  leicht  gesalzenes  Wasser  werden  genügen,  und  die  Ver¬ 
wundeten  retten. 

3.  Herrichtung  von  Apparaten  aus  Rinnen  und  Schienen  gegen 
Knochenbrüche. 

4.  Die  dringenden  Operationen  werden  im  engsten  Sinne  auf 
Unterbindungen,  Vereinfachung  grosser  Zerstörungen  und  complicirter 
Brüche,  endlich  auf  Verschliessung  offener  Höhlen  beschränkt  werden. 
Die  Aufsuchung  fremder  Körper  kann  beinahe  immer  verschoben 
werden. 

Allein  alle  diese  Obsorgen  sind  nur  provisorisch.  Die  Ver¬ 
wundeten  müssen  prompt  entweder  ausgeschifft  oder  in  ein  Schiff¬ 
spital  übertragen  werden. 

Es  ist  an  der  Zeit,  dass  bei  den  civilisirten  Nationen  jeder 
Kriegsflotte  ein  Spitalschiff,  durch  das  Genfer  Kreuz  neutral,  folge, 
welches  gleich  nach  der  Schlacht  die  Verwundeten  jedes  Schiffes, 
welcher  Nation  sie  auch  immer  angehören  mögen,  sammle. 

UI.  B  u  rot:  Ueber  die  Spitalschiffe  bei  colonialen 
Expeditionen. 

Ich  habe  als  Medeein  major  des  „Shamrock“  während  der  Ex¬ 
pedition  zu  Madagaskar  1895  die  Spitalschiffe  näher  studirt  und  die 
Bedingungen  untersucht,  unter  welchen  sie  eine  wahrhaft  thätige  Rolle 
bei  colonialen  Expeditionen  spielen  können. 

Folgendes  waren  die  wichtigsten  Beobachtungen: 

1.  Ein  Schiff,  welches  während  einer  überseeischen  Expedition 
bestimmt  ist,  sich  in  einer  Rhede  aufzuhalten  um  Kranke  aufzunehmen 


und  sie  an  Bord  zu  pflegen,  muss  in  einer  ganz  besonderen  Weise 
eingerichtet  sein.  Unsere  grossen  Transportschiffe  vom  Typus  „Mytho“ 
und  „Shamrock“,  sehr  gut  eingerichtet,  um  unsere  Soldaten  aus  Indo- 
China  in  die  Heimat  zu  bringen,  hätten  gewisse  Modificationen  noting 
gehabt,  um  als  schwimmende  Spitäler  in  Dahomey  und  Madagascar 
ihren  Dienst  zu  verrichten. 

2.  Unbestreitbar  ist  es  —  und  die  Erfahrung  zu  Majunga  hat 
es  wohl  bewiesen  —  dass  es  in  den  sumpfigen  Gegenden  der  heissen 
Zone  besser  ist,  Kranke  und  Verwundete  womöglich  auf  den  Schiften 
zu  lioäpitalisiren,  als  dieselben  auf  blosser  Erde  unter  Zelten,  oder  in 
eiligst  construirten  Baraken  auf  den  Boden  zu  lagern. 

3.  Damit  ein  Spitalschiff  das  Maximum  der  Leistung  vollführe, 
muss  es  eben  ein  Spital  sein  und  nichts  Anderes;  es  darf  nicht  zu¬ 
gegeben  werden,  dass  ein  zur  Aufnahme  einer  grossen  Krankenzahl 
bestimmtes  Schiff  zu  militärischem  Dienste  verwendet  werde. 

4.  Wenn  eine  Expedition  von  längerer  Dauer  sein  muss,  ist  es 
gut,  ein  schwimmendes  Spital,  genügend  räumlich  zur  Aufnahme  sämmt- 
licher  Kranken  der  Expeditionscolonne,  vorher  zu  bestimmen;  gleich¬ 
zeitig  würde  eine  Serie  speciell  eingerichteter  Transportschiffe  von 
grosser  Schnelligkeit  den  Dienst  der  Beförderung  in  die  Heimat 
besorgen. 

5.  Das  schwimmeude  Spital  muss  einen  Fassungsraum  für  500 
Kranke  und  eine  Länge  von  130  m  haben.  Auf  der  Brücke  würden 
„Roofs“  die  Verwundeten  vor  dem  Wetter  schützen.  In  der  hohen 
Batterie  wären  die  schweren  Verwundeten  auf  Liegestätten,  welche 
nur  in  einer  Reihe  aufgestellt  sind,  zu  betten;  ausserdem  gäbe  es 
Cabinen  für  die  Offieiere,  eine  Apotheke,  einen  Verbandraum  und  einem 
Badesaal.  Die  niedere  Batterie  würde  für  leichtere  Kranke  in  Liege¬ 
stätten,  welche  in  zwei  Reihen  (übereinander)  aufgestellt  sind,  ver¬ 
wendet  werden. 

Die  Lüftung  muss  gut  sein;  ausser  für  natürlichen  Lüftung 
wird  man  für  elektrische  Ventilatoren  Sorge  tragen. 

Nur  destil lirtes  ’Wasser  wird  gebraucht  werden  und  die  Apparate 
werden  eine  constante  Versorgung  mit  demselben  sicherstellen;  trotz¬ 
dem  werden  Filter  von  grosser  Leistung  vorhanden  sein. 

Die  Frage  der  Eiserzeugung  an  Bord  von  Schiffen  ist  praktisch 
noch  nicht  gelöst:  die  Kälteproduetion,  gegründet  auf  dem  Principe 
des  Druckes  comprimirter  Luft,  scheint  die  besten  Resultate  zu  geben. 

Die  Beleuchtung  wird  nothwendigor  Weise  olektrisch  sein. 

Die  Rauchfänge  werden  in  doppelte  Scheidewände  eingeschlossen 
sein,  welche  durch  freie  Zwischenräume,  Luftpolster  bildend,  ge¬ 
schieden  sind. 

Die  Küchen  werden  mit  allem  Nothwendigen  versehen  sein,  wie 
es  sich  für  ein  grosses  Spital  gehört. 

G.  In  einem  Spitale  dieser  Gattung  passt  os  sich,  nur  Europäer, 
mit  Ausschluss  der  Eingeborenen,  welche  am  Lande  untergebracht 
wer d e n ,  au fzu n eh m en . 

7.  Der  bedeutendste  Mangel  für  ein  Schiffspital  besteht  in  der  An¬ 
wesenheit  contagiöser  Kranker;  in  Wahrheit  ist  die  Isoliiung  derselben 
schwieriger  als  am  Lande  zu  erreichen.  In  Voraussicht  dieses  Ereig¬ 
nisses  wäre  es  angezeigt,  ein  Schiff  von  geringem  Tonnengehalt  zur 
Seite  zu  haben,  woselbst  in  Isold  zimmern  eontagiöso  Kranke  aufge¬ 
nommen  werden  könnten. 

8.  Trockenapparate,  Pulverisateurs  und  Wäscherinnen  werden 
die  Reinlichkeit  und  Desinfection  besorgen. 

* 


Abtheilung  für  Kinde  rheilkun  d  e. 

Referent  Dr.  Sp. 

III.  D’E  s  p  i  n  e  (Paris):  Ueber  das  Co  n  tag  i  um  und 
die  Prophylaxis  der  kindlichen  Tuberculose. 

Contagium. 

1.  Die  kindliche  Tuberculose  ist  eine  durch  Ansteckung  erworbene 
parasitäre  Affection  bei  dem  Kinde,  wie  bei  dem  Erwachsenen.  In  der 
Praxis  muss  man  von  don  ausnahmsweisen  Fällen  angeborener  Tuber¬ 
culose  absehen,  welche  durch  hereditäre  Uebertragung  des  K  o  c  h’schen 
Bacillus  durch  Einbruch  in  die  Placenta  bedingt  sind. 

2.  Die  Quelle  der  Ansteckung  muss  in  der  ungeheuren  Mehr¬ 
heit  der  Fälle  in  den  feuchten  oder  getrockneten  Auswürfen  erwachsener 
Tuberculöser  gesucht  werden,  indem  die  Kinder  nur  ausnahmsweise 
ausspucken  und  vom  Standpunkte  der  Verbreitung  des  Giftstoffes  wenig 
gefährlich  angesehen  werden  können.  Die  kindliche  Tuberculose  wird 
fast  immer  durch  Einathmung  erworben. 

3.  Eine  zweite  Quelle  der  tuberculösen  Ansteckung  ist  die  rohe 
Milch  der  Kühe,  viel  seltener  tuberculöser  Ziegen,  besonders  jener, 
welche  von  Tuberculose  an  den  Brustdrüsen  befallen  sind.  Diese  In¬ 
fection  durch  Ingestion  spielt  bei  den  Kindern  im  niedrigen  Alter  eine 


Nr.  36 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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wichtigere  Rolle,  als  bei  der  zweiten  Kindheit  und  noch  mehr  wie 
beim  Erwachsenen;  nichtsdestoweniger  hat  man  die  Häufigkeit  über¬ 
trieben,  weil  bei  dem  Kinde  die  Bronchialdrüsen  zuerst  er¬ 
griffen  sind. 

4.  In  der  ersten  Kindheit  bis  zu  zwei  Jahren  scheinen  die  Küsse 
tuberculöser  Mütter  oder  Bonnen  die  Art  der  gewöhnlichen  Uebertra- 
gung  zu  sein.  Diese  directe  Ansteckung  kann  sogar  in  gewissen  Fällen 
durch  bronchische  Aspiration  des  bacillenhaltigen  Speichels  ausgebreitete 
zerstörende  Läsionen  der  Lungen  hervorrufen,  was  beweist,  dass 
die  Seltenheit  der  Tuberculose  im  ersten  Lebensjahre  mehr  durch  die 
Seltenheit  des  Contagiums,  als  durch  Immunität  des  Kindes  in  diesem 
Alter  bedingt  ist. 

5.  Beim  kleinen  Kinde  von  zwei  bis  fünf  oder  sechs  Jahren  nimmt 
die  Tuberculose  sehr  an  Häufigkeit  zn,  und  hat  ihren  gewöhnlichen  Aus¬ 
gangspunkt  in  den  Bronchialdrüsen,  von  wo  sie  die  Lungen  durch 
Contiguität  eigreifen  kann  (Tuberculose  der  Lungerpforte),  oder  den 
übrigen  Organismus  im  Wege  der  Embolie  (besonders  die  Hirnhäute 
und  das  Knochenmark).  Die  Infection  kann  auch  in  den  Bronchial¬ 
drüsen  localisirt  bleiben  und  sich  erst  später,  unter  dem  Einflüsse 
tuberculisirender  Krankheiten,  wie  Grippe,  Masern  oder  Keuchhusten 
entwickeln. 

Die  grosse  Häufigkeit  tuberculöser  Infection  von  zwei  bis  fünf  Jahren 
ei  klärt  sich  durch  die  Neigung  der  Kinder  dieses  Alters,  Alles  in  den 
Mund  zu  stecken  und  besonders  ihre  Finger,  «'00116  mit  bacillen¬ 
haltigen  Staube  verunreinigt  sind.  Sie  leben  am  Boden  und  sind  so 
mehr  wie  in  jedem  anderen  Alter  dem  Contagium  ausgesetzt. 

6.  Von  sechs  Jahren  angefangen  bis  zur  Entwicklung  vermindert 
sich  die  Tuberculose  an  Frequenz,  und  ihr  Erscheinen  im  letzteren  Alter 
greift  häufig  auf  eine  frühere  Ansteckung  zurück. 

Die  Gefahr  der  Ansteckung  in  der  Schule  ist  sicher,  aber 
man  hat  dieselbe  nach  unserer  Meinung  übertrieben. 

Nichtsdestoweniger  besteht,  wie  gewisse  Beispiele  beweisen,  diese 
Gefahr  dort,  wo  eine  Ansammlung  von  Kindern  in  kleinen,  ungenügend 
gelüfteten  Schulzimmern  unter  der  Leitung  von  Lehrern,  welche  mit 
offener  Tuberculose  behaftet  sind,  stattfindet. 

7.  Die  Tuberculisirung  durch  die  immer  ausnahmsweise  Ueber- 
i  mpfung  auf  die  II  aut  ist  geringer  beim  Kinde  als  beim  Er¬ 
wachsenen,  wie  dies  durch  den  gewöhnlichen  Anfang  des  Lupus  vor 
15  Jahren  bewisen  ist. 

Der  Weg  des  Eindringens  des  K  o  c  h’schen  Bacillus  ist  bei  der 
chirurgischen  Knochen-  oder  Driiseutuberculose  noch  nicht  vollständig 
aufgeklärt  Ja  in  de:  Mehrzahl  der  Fälle  ist  sie  secundär  in  Folge 
einer  Tuberculose  der  Bronchialdrüsen  und  man  kann  nicht  leugnen, 
dass  in  anderen  Fällen  tuberculöser  Adenitis  sie  nicht  der  Zeuge  einer 
bacillären  Inoculation  sei  (wie  die  Drüsengruppe  in  der  Syphilis), 
welche  sich  über  die  Mund-Rachensehleimhaut  (Mandeln,  cariöse  Zähne), 
oder  über  die  entblösste  Haut  u.  s.  w.  (Ekzem,  Wunden,  u.  s.  w.)  ver¬ 
breiten  kann. 

8.  Die  erbliche  Veranlagung  spielt  eine  unzweifelhafte  Rolle 
in  der  Entstehung  der  Tuberculose  beim  Kinde  und  begünstigt  in 
grossen  Massstabe  das  familiäre  Contagium.  Man  muss  daher  vor  Allem 
bei  tuberculösen  Kindern  die  prophylaktischen  Massregeln  anwenden. 

Prophylaxis. 

Diese  muss  zum  Ziele  haben  1.  das  Contagium  zu  verhindern; 

2.  die  Empfänglichkeit  des  kindlichen  Organismus  durch  Stärkung  der 
körperlichen  Widerstandsfähigkeit  zu  vermindern. 

A.  Verhinderung  des  Contagiums. 

1.  Den  Kindern  nur  gekochte  Milch  zu  verabreichen  oder  rohe 
Milch  gesunder  Kühe,  welche  als  solche  durch  die  Tuberculinprobe 
erkannt  sind. 

2.  Zu  fordern,  dass  die  Ammen  und  Bonnen,  welche  mit  der 
Aufziehung  der  Kinder  betraut  sind,  von  Tuberculose  frei  seien. 

3.  Wenn  die  Mutter  phthisisch  ist,  muss  man  das  Kind  an  der 
Brust  einer  gesunden  Amme  ernähren  und  so  viel  wie  möglich  jede 
gefährliche  Berührung  mit  der  Mutter  vermeiden. 

4.  Im  Kreise  einer  tuberculösen  Familie  müssen  die  allgemeinen 
prophylaktischen  Regeln,  welche  von  der  medicinischen  Akademie 
empfohlen  sind,  befolgt  werden,  und  besonders  die  Verwendung  eigener 
Spucknäpfe  für  die  Phthisiker,  das  absolute  Verbot  des  Kehrens  aller 
Zimmer,  welches  durch  eine  Waschung  mittels  eines  nassen  in  des- 
inficirende  Flüssigkeit  getauchten  Lappens  ersetzt  werden  muss. 

5.  In  der  Schule  muss  durch  die  öffentlichen  Behörden  das 
Verbot  der  Functionen  eines  Lehrers  oder  einer  Lehrerin  bei  allen 
Personen,  welche  mit  Phthisis  behaftet  sind,  erreicht  werden,  ferner  die 
Entfernung  tuberculöser  Kinder. 


B.  Verminderung  der  Empfänglichkeit  des  Kindes 

für  die  Tuberculose. 

1.  Errichtung  ländlicher  Asyle  für  arme  Stadtkinder  krankhafter 
Constitution  oder  Reconvalesconten  acuter  Krankheiten. 

2.  Förderung  des  Werkes  von  Feriencolonien  für  die  Schüler. 

3.  Bekämpfung  der  Neigung  zur  Tuberculose  oder  der  ersten 
Zeichen  derselben  durch  Absendung  der  Kinder  in  Gebirgssanatorien 
(Höhencur)  oder  an  die  Meeresküste  (Seecur). 

IV.  Hutine  1  (Paris):  Ueber  dieVererbung  der  Tuber¬ 
culose. 

Alle  Welt  ist  darüber  einig,  dass  die  Tuberculose  einen  be- 
merkenswerthen  hereditären  Einfluss  hat.  Die  tubeiculüse  Heredität 
kann  in  der  Vermittlung  des  Keimes,  in  der  Vermittlung  einer  Prä¬ 
disposition  bestehen  oder  sich  durch  dystrophische  Störungen  kenn¬ 
zeichnen.  Diese  drei  Arten  der  Vererbung  häufen  sich  bald  übereinander, 
bald  bestehen  sie  isolirt. 

1.  Vermittlung  des  Keimes.  A.  Die  Vermittlung  des 
Keimes  im  Momente  der  Etnpfängniss  würde  im  engsten  Sinne  des 
Wortes  die  wahre  Heredität  darstellen.  Diese  Vermittlung  durch  die 
Empfängniss  ist  nur  eine  Hypothese,  deren  Realität  durch  keine  be¬ 
kannte  1  hatsache  bewiesen  ist  und  deren  Wahrscheinlichkeit  selbst 
uns  zweifelhaft  erscheint;  insbesondere  ist  die  parasitäre  Vermittlung 
durch  den  Vater  in  keiner  Wreise  erwiesen. 

B.  Immerhin  ist  es  möglich,  dass  ein  Kind  schon  mit  dem 
tuberculösen  Keime  behaftet,  geboren  wird.  In  diesem  Falle  ist  es  in 
utero  durch  seine  Mutter  angesteckt  worden.  Diese  ist  gewöhnlich  in 
sehr  schwerer  Art  davon  ergriffen  ;  sie  kann  aber  auch  nur  wenig 
verbreitete  Läsionen  besitzen.  Die  Uebertragung  geschieht  wahrschein¬ 
lich  unter  Mithilfe  einer  Läsion  der  Placenta,  welche  zuweilen  sehr 
begrenzt  ist  und  leicht  verkannt  werden  kann. 

C.  Die  angeborene  Tuberculose  wurde  nicht  nur  bei  todfgeborenen 
Kindern  oder  bei  rasch  sterbenden  Säuglingen  beobachtet,  sie  wurde 
auch  in  gleicher  Weise  bei  gut  constituirten  und  ganz  lebensfähigen 
Kindern  gesehen.  Das  Ileredocontagium  der  Tuberculose  ist  daher 
unbestreitbar  und  kann  in  der  Weiterverbreitung  der  Phthise  eine  Rolle 
spielen. 

D.  Diese  Rolle  scheint  sehr  beschränkt  zu  sein.  Um  die  ausser¬ 
ordentliche  Seltenheit  des  Ileredo  Contagiums  zu  beweisen,  muss  man 
sich  nicht  blos  auf  die  geringe  Frequenz  angeborener  Tuberculösen, 
noch  auf  die  Schwierigkeit,  durch  Impfungen  eine  congenitale  Bacillose 
zu  beweisen  (eine  begrenzte  Infection,  welche  sehr  leicht  unbemerkt 
vorüber  gebt),  sondern  auf  folgende  Argumente  stützen: 

a)  Seltenheit  der  Tuberculose  bei  den  Jungen  tuberculisirter  oder 
tuberculöser  und  am  Leben  erhaltener  Weibchen. 

h)  Unmöglichkeit,  eine  besondere  Widerstandsfähigkeit  junger 
Wesen  gegenüber  der  Entwicklung  des  Bacillus  zuzugeben;  dies  beweist: 
a)  die  ausserordentliche  Seltenheit  wirklich  latenter  und  momentan  sich 
still  verhaltender  Tuberculösen  unter  zwei  Jahren;  ß)  die  klinische 
Entwicklung  der  Tuberculose  des  ersten  Alters. 

c)  Das  anatomische  Studium  der  Anfangsformen  der  kindlichen 
Tuberculose  ist  ganz  zu  Gunsten  einer  Infection  durch  Contagium  nach 
der  Geburt. 

2.  Heteromorphe  Heredität.  Die  Tuberculose  der  Vor¬ 
fall  ren  beeinflusst  die  Kinder  in  einer  evidenten  und  vom  Gesichts¬ 
punkte  der  physischen  Entwicklung  beinahe  nothwendigen  Weise:  die 
dystrophischen  Mängel,  die  sich  aus  dieser  heteromorphen  Heredität 
ergeben,  dürfen  mit  Heredo-Prädisposition,  von  welchen  sie  unter¬ 
schieden  sind  und  dennoch  mit  derselben  zusammen  treffen  können, 
nicht  vermengt  werden. 

3.  Heredo-Prädisposition.  A.  Die  klinische  Beobachtung 
beweist  die  ungeheuere  Häufigkeit  der  Tuberculose  bei  Kindern,  welche 
von  tuberculösen  Erzeugern  entsprossen  sind  oder  in  deren  Familien 
gewisse  Mitglieder  an  dieser  Krankheit  leiden. 

Diese  grosse  Häufigkeit  ist  mehr  oder  weniger  durch  Heredo- 
Prädisposition  bedingt.  Aber  man  muss  dieselbe  zu  gutem  Tlioile  einer 
pathogenischen  Art  zuschreiben,  deren  Einfluss  man  in  der  Mehrzahl 
der  Untersuchungen  über  die  Aetiologie  der  Tuberculose  vielfach  ver¬ 
nachlässigt,  wir  meinen  nämlich  die  Auto-Infection.  Ein  grosser  Theil 
der  Tuberculösen  erwachsenen  Alters  oder  der  Jugend  sind  die  Folge 
verborgener  bis  in  das  junge  Alter  zurückreichender  Krankheitsherde, 
welche  beinahe  immer  aus  dem  Contagium  hervortreten.  Die  Tuberculose 
der  Vorfahren  hat  oft  bei  der  Erzeugung  dieses  Contagiums  eine 
essentielle  Rolle  gespielt. 

B.  Die  Heredität  aus  Prädispositionen  zeigt  sich  häufig  in  der 
Schwere  der  Erkrankung:  nicht  nur  ist  das  Kind  der  Tuberculose 
mehr  ausgesetzt,  sondern  widersteht  derselben  häufig  viel  schlechter. 

C.  Im  Gegentheile  kann  sich  die  erbliche  Tuberculose  auch  in 
abgeschwächter  Form  präsentiren,  so  als  wenn  das  Kind  bis  zu  einem 
gewissen  Punkte  immunisirt  wäre.  Man  kann  diese  Formen  als  eine 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Art  gemischter  Heredität  erklären,  indem  die  Vorfahren  ihrem  Nach¬ 
kommen  zu  gleicher  Zeit  eine  Prädisposition  zur  Tuberculose  wie  eine 
besondere  Widerstandsfähigkeit  überliefert  hätten. 

4.  Prophylaxis.  Von  diesem  Gesichtspunkte  ist  die  Aufgabe 
des  Arztes  bemerkenswerth.  Drei  Pflichten  sind  ihm  auferlegt:  1.  Der 
Schutz  der  Kinder  Tuberculöser  gegen  baeilläre  Invasion  und  besonders 
gegen  die  drohende  Gefahr  eines  inficirten  Familienkreises.  Dieser 
Schutz  ist  möglich,  denn  das  Kind  eines  Phthisikers  ist  bei  der  Geburt 
beinahe  niemals  angesteckt;  derselbe  ist  durchführbar,  denn  wir  wissen, 
auf  welche  Weise  man  das  baeilläre  Contagium  von  der  Umgebung 
des  Kranken  fernhaiton  kann;  derselbe  ist  wichtig,  weil  die  vorzeitige 
Ansteckung  des  Kindes  entweder  eine  unmittelbare  Tuberculose  mit 
rapider  Entwicklung  oder  eine  für  die  Zukunft  bedrohliche  larvirte 
Tuberculose  zur  Folge  hat. 

2.  Bei  den  Kindern  von  Phtisikern,  bei  welchen  eine  der 
ernstesten  Gefahren  in  den  latenten  Herden  besteht.,  welche  die  Quellen 
weiterer  Auto-Infection  sind,  muss  man  alle  Mittel  der  Untersuchung 
behufs  Nach  Weisung  der  Existenz  derselben  ins  Werk  setzen;  eine 
minutiöse  und  widerholte  klinische  Untersuchung  wird  häufig  eine  früh¬ 
zeitige  Diagnose,  welche  der  Ausgangspunkt  einer  erfolgreichen  Be¬ 
handlung  ist,  ermöglichen. 

3.  Muss  mau  bei  den  Nachkommen  von  Phthisikern  endlich  das 
Studium  und  die  Behandlung  aller  Störungen  der  Entwicklung  oder 
der  Ernährung,  welche  den  Verdacht  einer  tuberculösen  Ileredo-Prä- 
disposition  gestatten,  verfolgen. 

* 

Abtheilung  für  Otologie. 

Referent  Dr.  Sp. 

I.  Schiffers  (Lüttich) :  Vorschlag  zur  Einigung 
über  die  Bezeichnungen  der  Gehörmessungen. 

Die  Geschichte  dieser  Frage  beweist  die  seit  mehreren  Jahren 
von  verschiedenen  Seiten  gemachten  Anstrengungen  der  Kliniker  und 
Physiologen,  besonders  der  Ersteren,  um  die  Wissenschaft  mit  einer 
einheitlichen,  zugleich  einfachen  und  praktischen  Methode  akumetri- 
scher  Bezeichnung  auszurüsten.  Diese  Versuche  stehen  mit  den  Fort¬ 
schritten  im  Einklänge,  welche  die  Wissenschaft  in  der  Diagnostik  der 
Krankheiten  des  Gehörorganes  erreicht  hat. 

So  berechtigt  der  Wunsch  der  Forscher  ist,  auch  den  Arzt  in 
die  Lage  zu  versetzen,  rasch  und  sicher,  in  allen  Fällen  das  Gehör¬ 
vermögen  irgend  eines  Menschen  abzuschätzen,  wie  der  Augenarzt  die 
Sehschärfe,  so  muss  man  erkennen,  dass  dieses  Problem  viel  com- 
plicirter  und  seine  Lösung  unbestreitbar  schwierig  ist.  Abgesehen  von 
den  Lücken  in  unseren  gegenwärtigen  Kenntnissen  der  Physiologie  des 
Gehörorganes,  die  Thatsache,  dass  die  Schallwellen  auf  zwei  ge¬ 
sonderten  Wegen  zum  Perceptionsappavat  gelangen,  auf  dem  Wege 
der  Luft  und  auf  jenem  durch  solide  Theile,  beseitigt  die  Idee,  dies¬ 
bezüglich  eine  Analogie  zwischen  beiden  Sinnesorganen  hei'zustellen. 
Noch  mehr,  das  Ohr  ist  in  Wirklichkeit  bestimmt  die  articulirte 
Sprache  aufzufassen;  unbestreitbar  fügt  sieh  also  zur  speciellen  Em¬ 
pfindung  das  Vermögen  der  Unterscheidung  und  der  Analyse,  die 
Auffassung  der  complicirten  Töne  der  verschiedenen  Worte,  welche  im 
gesprochenen  Satze  aufeinander  folgen.  Wie  wäre  es  möglich,  einfach 
und  sicher  diese  letzteren  zu  notiren?  Die  Klinik  beweist  täglich  bei 
Kindern,  bei  denen  die  Ohrenkrankheiten  so  häufig  sind,  die  Noth- 
wendigkeit,  das  Auffassungsvermögen  der  articulirten  Sprache  kennen 
zu  lernen.  In  der  ersten  Kindheit  ist  es  überdies  zweifellos,  dass  die 
verschiedenen  Functionen  des  Gehörnerven  untereinander  nicht  in 
constantem  Rapport  stehen.  Wie  kann  man  sich  da  eine  exacte 
Vorstellung  einer  gestörten  Function  durch  eine  einheitliche  Methode 
machen,  die  auf  die  Anwendung  eines  vollkommenen  Akumeters  ge¬ 
gründet  wäre? 

Das  Studium  der  in  Discussion  stehenden  Frage  ist  dadurch 
complicirt  worden,  dass  die  verschiedenen  in  Gebrauch  stehenden  Me¬ 
thoden  den  Sitz  der  Läsion  oder  der  functioneilen  Störung  zu  erkennen 
bestrebt  waren.  Diese  Anschauung  muss  evident  verlassen  werden,  sie 
hat  übrigens  zu  zahlreichen  Irrthümern  geführt.  Sie  allein  verhindert 
in  vielen  Fällen  eine  sichere  Diagnose. 

Wir  resumiren,  dass: 

1.  Die  Uhr  und  alle  Gattungen  von  Gehörmessern  (Akumeter) 
ohne  Gradation  für  die  Aufzeichnung,  das  heisst  für  eine  fundamentale 
Minimalaufzeichnung  nicht  dienen  können.  Alle  Uhren  haben  nicht 
denselben  Klang;  noch  mehr  indem  man  die  Abstufung  der  Intensität 
nach  der  Entfernung  abschätzt,  kann  man  sich  dieser  Methode  zur 
Gehörmessung  bei  Berührung  nicht  bedienen. 

2.  Die  Stimmgabel  ist  das  beste  Mittel  um  das  Gehör  des  zu 
Untersuchenden  abzumessen.  Die  optische  Methode  bildet  einen  sehr 
reellen  Fortschritt,  der  wahrscheinlich  weiterer  Verbesserungen  fähig 


ist.  Dies  ist  unserer  Meinung  nach  das  einfachste  und  exacteste  Mittel 
um  eine  akumetrische  Minimabezeiehnung  zu  machen  und  wird  in 
allen  Fällen  anwendbar  sein. 

3.  Die  Methode,  um  mittelst  der  Stimmgabel  dio  Dauer  der 
Pex-ception  zu  notiren,  zählt  überzeugte  Verfechter.  Man  muss  also  die 
verwendete  Stimmgabel  (und  die,  welche  im  Orte  der  Beobachtung 
adoptirt  ist),  das  heisst  die  Zahl  der  Vibrationen  in  der  Minute  an¬ 
geben.  Das  Resultat  wird  durch  einen  Bruch  ausgedrückt,  dessen 
Nenner  die  Zeit  der  Perception  des  noiunalen  Ohres  und  dessen  Zähler 
diejenige  des  zu  prüfenden  Ohres  darstellt.  0.  d.  A.  (oreille  droite 
Air)  ut2  256  v.  9/2 4  ist  eine  Formel,  welche  bedeutet,  dass  das  rechte 
Ohr  im  Wege  der  Luft  eine  256mal  in  der  Minute  vibrirende  Stimm¬ 
gabel  durch  9  Secunden  hört,  welche  von  dem  normalen  (linken) 
Ohre  durch  24  Secunden  vernommen  wird. 

4.  Die  Webe  r’sche  Probe  behält  den  vollen  Werth,  der  ihr 
bis  jetzt  zugesprochen  wurde. 

5.  Wenn  die  Probe  von  Rinne  gemacht  wird,  so  wird  diese 
in  der  Art  der  Anwendung  in  dem  Sinne  modificirt  werden,  dass  der 
Fuss  der  Stimmgabel  vor  dem  Tubus  des  Ohrspiegels  gestellt  werden 
muss,  damit  der  Vergleich  zwischen  der  Perception  durch  die  Luft 
und  der  Perception  durch  solide  Theile  exict  sei. 

6.  Die  Prüfung  mittelst  der  articulirten  Sprache  wird  aus  oben 
erwähnten  Gründen  besonders  bei  Kindern  unentbehrlich  sein.  Hiebei 
müssen  die  Erfahrungen  von  Wolf  in  ernste  Erwägung  gezogen 
werden.  Es  wird  genügen,  das  Hören  der  Vocale  und  Consonanten 
mittelst  der  Flüsterstimme  unter  Ausschliessung  der  Zischlaute  abzu¬ 
schätzen  und  um  so  viel  wie  möglich  eine  gleichmässige  Aussprache  zu 
erlangen,  das  Luftresiduum  in  der  Brust  durch  einige  tiefe  Inspii'ationen 
auszunützen.  Man  müsste  nachforschen,  ob  es  nicht  ein  Mittel  gibt, 
der  Stimme  einen  gleichförmigen  Tonfall  zu  geben,  welches  dem  Ver¬ 
fahren  eine  bisher  noch  fehlende  Präcision  verleihen  würde.  Die  Auf¬ 
zeichnung  wird  in  der  Weise  gemacht,  dass  man  die  mit  der  Flüster¬ 
stimme  verwendeten  Buchstaben  oder  Worte  und  die  Entfernung,  in 
welcher  diese  wiederholt  wurden,  anzeigt. 

II.  Hartmann  (Berlin): 

Die  Gehörsprüfungen  bezwecken : 

1.  Die  Diagnose  der  Art  der  Krankheit  des  Gehörorganes  zu 
ermöglichen ; 

2.  den  Grad  des  Gehörvermögens  zu  bestimmen,  um  das  zur 
Verfügung  stehende  und  den  Einfluss  der  Behandlung  auf  dasselbe  zu 
beurtheilen. 

Für  die  Diagnose  ist  es  essentiell,  den  Umfang  der  Wahr¬ 
nehmung  durch  die  Luft  und  durch  die  Knochen  festzustellen. 

Wie  alle  Combinationen  von  Schallwellen  aus  einfachen  Wellen 
hervorgehen,  so  bilden  diese  die  Grundlage,  um  in  vollendeter  Weise 
das  Gehör  vom  Gesichtspunkte  der  Diagnostik  abzuschätzen. 

Das  einzige  Instrument,  welches  wir  bis  jetzt  besitzen,  um  die 
einfachen  Schallwellen  dem  Ohre  im  Wege  der  Luft  und  im  Wege  der 
Knochen  zukommen  zu  lassen,  ist  die  Stimmgabel. 

Auch  die  Prüfung  des  Gehörs  vom  Gesichtspunkte  der  Diagnostik 
muss  mit  Stimmgabeln  ausgeführt  werden,  und  bei  der  Untersuchung 
muss  die  Dauer  der  Wahrnehmung  durch  den  Luftweg  und  durch  den 
Knochenweg  bestimmt  werden. 

Es  genügt  zum  allgemeinen  Verständniss,  die  Anfangsbuchstaben 
der  in  den  verschiedenen  Ländern  üblichen  Bezeichnung  der  Luft- 
und  Knochenleitung  L.  (Luft),  A.  (Air),  K.  (Knochen),  0.  (Os), 
B.  (Bone)  zu  notiren. 

Bei  der  Aufzeichnung  des  Resultates  der  Stimmgabelprüfung 
wird  man,  iusolange  nicht  eine  einheitliche  Bezeichnung  von  den 
Physikern  und  Musikern  der  verschiedenen  Länder  angenommen  ist, 
die  Anzahl  der  Schwingungen  der  verwendeten  Stimmgabel  in  der¬ 
selben  Zeit  wie  die  im  Orte  gebräuchliche  Bezeichnung  angeben 
müssen.  Ausserdem  wird  die  Notirung  der  Wahrnehmungsdauer  der 
verwendeten  Stimmgabel  seitens  des  normalen  Ohres  der  Aufzeichnung 
hinzugefügt  werden  müssen. 

Das  einfachste  Mittel,  die  Wahrnehmungsdauer  des  kranken 
Ohres  s.  (sinister)  oder  d.  (dexter)  zu  verzeichnen,  wird  in  der  Form 
eines  Bruches  bestehen,  dessen  Nenner  die  Perception  des  normalen 
Ohres,  dessen  Zähler  jene  des  kranken  Ohres  angibt,  zum  Beispiel 
s.  c-  512  18/48  L.  (A.),  das  heisst:  die  512mal  in  der  Minute  vibi’ii’ende 
Stimmgabel  wird  am  gesunden  Ohre  48  Secunden,  am  kranken  linken 
Ohre  18  Secuuden  im  Wege  der  Luft  gehört. 

Gleichzeitig  mit  der  Stimmgabelprüfung  muss,  wie  für  das  ge¬ 
bräuchliche  Vermögen  des  Ohres,  die  Wahrnehmung  des  Wortes  ausser¬ 
dem  abgeschätzt  werden. 

Zu  diesem  Zwecke  bedient  man  sich  der  Flüsterstimme.  Bei  der 
Aufzeichnung  müssen  die  gebrauchten  Worte  und  die  Maximal¬ 
entfernung,  in  welcher  diese  wiederholt  wurden,  angegeben  sein. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 
erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


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unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 
M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann’, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,’ 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Sehrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Di*.  Alexander  Fraenkel. 


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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  13.  September  1900.  BIr.  37. 


I^THALT: 


I.  Originalartikel :  1.  Ueber  die  Bedeutung  des  akustischen  Spraclicentrums 

als  Hemmungsorgan  des  Sprachmeehaoismus.  Von  Prof.  A.  Pick 
(Prag). 

2.  Der  gegenwärtige  Staud  der  Radiotherapie.  Von  Universitätsdoceut 
Dr.  E.  Schiff  und  Dr.  L.  Freund  in  Wien, 
d.  Ueber  allgemeine  concentrische  Franklinisation  in  der  ärztlichen 
Praxis.  Von  Prof.  Dr.  Breitung  in  Coburg. 

II.  Referate:  I.  Atlas  klinisch  wichtiger  Röntgen-Photogramme.  Von  Prof. 

Freiherr  v.  Eiseisberg  und  Dr.  K.  Ludloff.  II.  Atlas  de  Radio¬ 
graphie.  Par  P.  Redard  et  F.  Lar  an.  II  i.  Rö  ntgeu-Atlas  des 
normalen  menschlichen  Körpers.  Von  Dr.  M.  Im  me  1  mann.  Ref. 


(Alle  Rechte  vorbelialteu  ) 

Kienböck.  —  I.  Ueber  Myelitis  acuta.  Von  Dr.  Wilhelm  Mager. 
II.  Zur  Kenntniss  der  Geistesstörungen  des  Greisenalters.  Von 
Dr.  Heinrich  Schloss.  III.  Die  Frühdiagnose  der  progressiven 
Paralyse.  Von  Prof.  Dr.  A.  Hoche.  IV.  Som  nambulismus  und 
Spiritismus.  Von  L.  Löwenfeld.  V.  Wie  sind  Geisteskrankheiten 
zu  werthen?  Von  Rudolf  Arndt.  VI.  Die  Vision  im  Lichte  der 
Culturgeschichte  und  der  Dämon  des  Sokrates.  Von  Dr.  Knauer, 
Ref.  Elzholz. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbericiile. 


lieber  die  Bedeutung  des  akustischen  Spracb- 
centrums  als  Hemmungsorgan  des  Sprach- 

mechanismus. 

Referat,  erstattet  in  der  Section  für  Neurologie  des  internationalen  medicini- 
schen  Congresses  am  2.  August  1900. 

Von  Prof.  A.  Pick  (Prag). 

Seitdem  in  der  Mitte  der  Vierziger  Jahre  zuerst  die 
Brüder  \V  eher  und  kurz  danach  Budge  den  Hemmungs- 
mechanismus  im  Gebiete  der  Herznerven  kennen  gelehrt,  lag 
es  nahe,  ähnliche  Mechanismen  im  Centralnervensystem  zu 
suchen  und  zur  Erklärung  der  verschiedensten  auch  cerebralen 
’Vorgänge  in  Anwendung  zu  bringen;  der  Kampf  darüber 
schwankte  bekanntlich  lange  hin  und  her  und  während  Ein¬ 
zelne  zu  dem  Resultate  gekommen  zu  sein  glaubten,  dass  im 
Gehirne  keine  Hemmungscentren  vorhanden  seien,  kam  Goltz 
schon  1869  zu  dem  entgegengesetzten  Schlüsse. 

Von  dieser  Basis  aus  fehlte  es  nicht  an  theoretischen 
Vei  suchen,  auch  das  Dunkel,  welches  die  höheren  psychischen 
Vorgänge  umgab,  auf  diesem  Wege  zu  liebten.  Aber  während 
der  auf  solchen  Hemmungsmechanismen  basirte  Gegensatz 
zwischen  Rückenmark  und  Gehirn  durch  exact  nachgewiesene 
positve  1  hatsachen  gestützt  erschien,  kam  man  bezüglich  der 
Anwendung  gleicher  Gedankengänge  auf  intracerebrale  Vor¬ 
gänge  nicht  über  bestrittene  Hypothesen  hinaus;  erst  der 
jüngsten  Vergangenheit  blieb  es  Vorbehalten  (Sherrington 
und  Andere),  Beweise  exacter  Art  dafür  zu  erbringen. 

Irotzdem  hatte  man,  wie  erwähnt,  auch  früher  schon 
nicht  gezögert,  die  Lehre  von  der  Hemmung  auch  auf  die 
höheien  cerebralen  Vorgänge,  und  zwar  auf  diejenigen  anzu¬ 
wenden,  die  als  Parallel- Vorgänge  der  psychischen  Processe 
anzusehen  waren  ;  der  Anreiz  zu  solchen  Deutungen  war  ja 
in  den  psychischen  Erscheinungen  selbst  gegeben  und  so 
lassen  sich  hierher  gehörige  Anschauungen  schon  in  der 
Psychologie  der  älteren  Philosophie  und  seither  immer  wieder 


in  breiterer  Anwendung,  namentlich  bei  Herbart,  nach- 
weisen.  Es  wäre  überflüssig,  diese  verschiedenen,  mit  vielem 
Scharfsinne  zu  ganzen  Systemen  ausgearbeiteten  Erörterungen 
der  neueren  Zeit  einzeln  hier  durebzunehmen;  man  kann  die¬ 
selben,  insoweit  man  die  ältere  Zeit  namentlich  ins  Auge  fasst, 
nicht  anders  denn  als  analogisirende  Nutzanwendung  des  auf 
einem  relativ  beschränktem  Gebiete  nachgewiesenen  Princips 
aut  weite  und  fern  liegende  Gebiete  bezeichnen,  für  deren 
Berechtigung  in  diesen  Gebieten  selbst  ein  irgendwie  ge¬ 
nügender  Beweis  nicht  erbracht  war. 

Noch  neuestens  hatBreese  (On  Inhibition;  Monograph. 
Supplement  to  Vol.  VIII,  of  the  »Psychological  Review«  May 
1899)  in  ausführlicher  Darstellung  gezeigt,  wie  verschieden 
und  unklar  die  Anschauungen  der  Psychologen  bezüglich  der 
Thatsache  der  Hemmungen  im  psychischen  Leben  sind  und 
wie  schliesslich  diese  Bezeichnung  für  alle  möglichen  Formen 
von  psychischem  Conflict,  Schwanken  und  Stillstand  gebraucht 
wird;  dabei  gibt  er  der  Ansicht  Ausdruck,  dass  der  Hemmungs¬ 
mechanismus  im  Gebiete  der  Psycho-Physiologie  aufzu¬ 
weisen  wäre. 

Dass  ein  solcher  Nachweis  im  Wesentlichen  noch  aus¬ 
steht,  mag  zum  Theile  in  der  Complicirtheit  der  gerade  auf 
diesem  Gebiete  in  Betracht  kommenden  Erscheinungen  ge¬ 
legen  sein ;  so  macht  zum  Beispiel  Lauder-ßru  nton 
(West-Riding  Asylum  Rep.,  IV,  1874,  pag.  179)  dessen  Dar¬ 
stellung  noch  1889  von  Bro  wn-Sequardals  die  beste  auf 
dem  Gebiete  der  Lehre  von  der  Hemmung  bezeichnet  wird, 
wohl  ausgiebigen  Gebrauch  von  der  Lehre  über  die  Hemmungs¬ 
mechanismen,  um  psychische  Vorgänge  zu  erklären,  aber  an  irgend 
welchem  Nachweise  für  das  Vorkommen  inhibitoriseher  Centren 
in  den  dabei  in  Betracht  kommenden  Gebieten  mangelt  es  gänzlich. 

Eine  Aussicht,  mit  Erfolg  auf  Grund  exacter  Thatsachen 
jenes  Dunkel  zu  lichten,  eröffnete  sich  erst  von  dem  Zeit¬ 
punkte  ab,  als  man  in  das  Studium  der  psycko-physiologischen 
Erscheinungen  des  Sprachmechanismus  und  speciell  seiner 


824 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  37 


psychischen  Componenten  eintrat  und  der  Zweck  meines 
heutigen  Referates  ist  auf  den  Hinweis  gerichtet,  dass  wir  auf 
diesem  Gebiete  in  der  That  einen  solchen  Ilemmungsmechanismus 
schon  kennen. 

Die  Versuche,  auch  auf  diesem  beschränkten  Gebiete 
Theorien,  wie  die  zuvor  besprochenen,  zu  verwerthen,  gehen 
auf  die  geistvollen  und  in  der  That  grundlegenden  Arbeiten 
H.  Jackson’s  zurück,  der  bemüht  war,  im  Rahmen  der  von 
ihm  ausgearbeiteten  Lehre  von  der  Evolution  und  Dissolution 
auch  die  Lehre  von  den  Aphasien  zu  subsumiren  und  diese 
Störungen  aus  einem  Systeme  von  flemmungsmechanismen 
und  deren  Erkrankung  zu  erklären.  Doch  hat  es  auch  nicht 
an  Versuchen  Anderer  gefehlt,  Hemmungsvorgänge  für  ein¬ 
zelne  Erscheinungen  in  der  Lehre  von  der  Aphasie  verant¬ 
wortlich  zu  machen;  zunächst  wäre  zu  erwähnen,  weil  offenbar 
direct  mit  der  hier  discutirten  Erscheinung  im  Zusammenhänge 
stehend,  eine  Aeusserung  Baillar  ge  r’s,  die  II.  Jackson 
selbst  schon  im  Jahre  1866  citirt,  ohne  deren  Provenienz 
genauer  feststellen  zu  können1);  auch  ß  rown-Sequard 
soll  nach  einer  Angabe  von  Bateman  (On  Aphasia.  1890. 
2'1  ed.,  pag.  357)  sich  geäussert  haben,  dass  auch  bei  der 
Aphasie  Hemmungen  eine  Rolle  spielen. 

Die  Erörterungen,  die  ich  im  Folgenden  zur  Darstellung 
bringe,  knüpfen  an  die  Arbeiten  Wernicke’s  und  Broad- 
b  e  n  t’s,  die  den  Nachweis  erbrachten,  dass  die  Function  des 
Sprachcentrums  unter  dem  regulirenden  Einflüsse  des  links¬ 
seitigen  akustischen  Sprachcentrums  sich  vollziehe,  und  dass 
der  Wegfall  dieses  Einflusses  jenen  Formen  von  Sprach¬ 
störung  zu  Grunde  liege,  welche  wir  seither  als  Paraphasie 
bezeichnen.  Auf  eine  Erörterung  dieser  hier  nur  gestreiften 
Frage  will  ich  nicht  näher  eingehen,  sondern  nur  bemerken, 
dass  diese  Ansicht  nicht  allgemein  acceptirt  ist,  und  dass 
neuerlich  Pitres  in  einer  hervorragenden  Arbeit  dieselbe 
scharf  bekämpft. 

Die  Beobachtung  einschlägiger  Fälle  zeigte  jedoch  sehr 
bald,  dass  eine  Läsion  jener  Gegend  im  Allgemeinen  nicht 
blos  zu  der  erwähnten  Störung  führt,  sondern  daneben  häufig 
noch  eine  andere  Erscheinung  auftritt,  die  ihrer  ganzen  Artung 
nach  am  Besten  als  die  Wirkung  des  Fortfalles  einer  Hemmung 
gedeutet  werden  kann.  Bei  genauerem  Studium  solcher  Fälle 
hat  sich  nämlich  gezeigt,  dass  nach  Läsion  der  Gegend  des 
linken  akustischen  Sprachcentrums  der  dabei  meist  paraphasisch 
arbeitende  motorische  Sprachmechanismus,  in  manchen  Fällen 
unmittelbar  vom  Zeitpunkte  der  Läsion  einsetzend,  kaum 
einer  Hemmung  zugänglich,  einen  Zustand  von  scheinbar 
überreizter  Function  durch  längere  Zeit  zeigt  oder  bei  irgend 
welchem,  namentlich  aber  bei  akustischem  Anreiz  immer 
wieder  in  der  gleichen  Weise  reagirt;  es  ist  gewiss  zum  Thcile 
auch  dieser  Erscheinung  zuzuschreiben,  dass  man  Kranke 
dieser  Art  bis  auf  B  a  i  1 1  a  r  g  e  r  als  psychisch  Kranke,  als 
verwirrt  angesehen2)  ;  doch  aber  findet  sich  die  Erscheinung 
sehr  prägnant  in  einzelnen  Krankenbeobachtungen  älterer  und 
neuerer  Zeit  schon  als  besonderes  Krankheitssymptom  be¬ 
schrieben. 

So  findet  sich  schon  im  vorigen  Jahrhunderte  die  Er¬ 
scheinung  in  Krankheitsfällen,  die,  wie  später  nachzuweisen  sein 
wird,  hieher  gehören,  sehr  fein  beobachtet ;  in  einer  Beob¬ 
achtung  von  W.  A.  Browne  aus  dem  Jahre  1872  (citirt 
nach:  Bateman,  On  Aphasia.  2''  ed.  1890,  pag.  201)  heisst 
es,  dass  die  aphasische  Kranke  »in  vollständigem  Jargon 
stundenlang  ununterbrochen  fortschwatzte«. 

Doch  ist  es  eigentlich  Wernicke,  der  in  seiner  be¬ 
kannten  Schrift  »Ueber  den  aphasischen  Symptomcomplex« 


')  ^ted.  I  imes  and  Gazette.  1866,  June  23:  »L’analyse  des  phenomenes 
conduit  a  reconnaitre,  dans  certains  cas  de  ce  genre,  que  l’iucitation  ver¬ 
bale  involontaire  persists,  mais  que  l’incitation  volontaire  est  abolie.  Quant 
a  la  perversion  de  la  facultd  du  langage  caracte  risee 
par  la  prono  nciation  de  mots  incoherent«  la  lesion 
consists  encore  dans  la  substitution  de  la  parole  auto- 
matique  a  1’ incitation  verbale  volontaire.« 

-)  Nur  anmerkungsweise  will  ich  liier  Veranlassung  nehmen,  zu  be¬ 
merken,  dass  die  Lehre  von  der  »encephalitischen  Verwirrtheit«  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  einer  entschiedenen  Kritik  bedarf.  Vgl.:  Freud  Zur 
Auffassung  der  Aphasien.  1891,  pag.  23  ff. 


zuerst  auf  den  darauf  basirten  Unterschied  zwischen  motorisch 
und  sensorisch  Aphasischen  hingewiesen  und  später  auch  eine 
Deutung  der  Erscheinung  zu  geben  versucht  hat. 

Seither  ist  die  Erscheinung  von  den  verschiedensten 
Autoren  beschrieben  worden  und  in  den  classischen  Beschrei¬ 
bungen  der  sensorischen  Aphasie  wird  die  Geschwätzigkeit 
der  Kranken,  der  auffällig  grosse  »virtuelle  Wortschatz«  der¬ 
selben  hervorgehoben.  Eine  der  besten  ist  die  Schilderung 
einer  solchen  Kranken  von  Pitres,  noch  aus  der  Zeit  nach 
Ablauf  des  zweiten  Monates,  die  ich  ihrer  Prägnanz  wegen 
hierhersetze;  »Si  on  la  laisse  eile  n’en  finit  point.  C’est  un 
moulin  ä  paroles  intarissable,  un  dcoulement  a  jet  continu  de 
propos  desordonnes,  de  mots  entiles,  sans  rime  ni  raison,  les 
uns  a  la  suite  des  autres.«  (Revue  de  m6d.  1899,  pag.  445. 
Separatabdruck.) 

Wichtig  erscheint  mir,  wenn  auch  nicht  in  allen  Be¬ 
schreibungen  hervorgehoben,  dass  man  von  dem  Sprechen  des 
Kranken  den  Eindruck  eines  wie  reflectorisch  ausgelösten, 
nicht  gewollten,  vielmehr  automatisch  sich  abrollenden  Vor¬ 
ganges  bekommt  und  wenn  auch  die  a  p  h  a  s  i  sc  h  e  n  Kranken 
darüber  keine  Auskunft  geben  können,  so  werden  wir  den 
Angaben  der  Kranken  in  einzelnen  Fällen,  wo  die  offenbar 
durchaus  gleiche  Erscheinung  nur  transitorisch  auftritt,  ent¬ 
nehmen,  dass  es  sich  dabei  thatsächlich  um  etwas  nicht  Ge¬ 
wolltes,  ja  gegen  den  Willen  des  Betroffenen  sich  Vollziehendes 
handelt. 

Häufiger  noch  als  der  nach  Pitres  eben  geschilderte 
Typus  ist  der  zuvor  auch  schon  berührte,  dass  von  jeder  von 
aussen  kommenden,  namentlich  akustischen  Anregung,  gle:ch- 
falls  wie  reflectorisch,  die  typische  Logorrhoe  ausgelöst  wird, 
dass  sich  dieselbe  aber  nach  kurzer  Zeit  erschöpft,  um  bei 
jeder  neuerlichen  Erregung  wieder  in  der  gleichen  Weise 
hervorzutreten ;  nach  meinen  bisherigen  Beobachtungen  und 
den  Thatsachen  der  Literatur  möchte  ich  glauben,  dass  sich 
dieser  letztere  Typus  namentlich  längere  Zeit  erhält  als  der 
andere.  •• 

Mit  der  Erklärung  der  so  eigenthümlichen  Störung 
haben  sich  verschiedene  Forscher  befasst,  vor  Allem  Wer¬ 
nicke  selbst,  der  in  seinem  Lehrbuche  der  Gehirnkrank¬ 
heiten,  III  (1883,  pag.  551)  von  der  bei  Paralyse  vorkommen¬ 
den  von  ihm  so  genannten  maniacalischen  Form  der  Aphasie 
handelt,  die  er  der  Leitungsaphasie  an  die  Seite  stellt,  »bei 
der  die  einzelnen  Worte  entstellt  werden«,  und  dieselbe  als 
Reizerscheinung  deutet;  ausführlich  kommt  er  jetzt  neuerlich 
auf  die  Frage  zu  sprechen  in  seinem  eben  erschienenen 
Grundriss  der  Psychiatrie,  1900,  pag.  207,  wo  er  die  para- 
phasische  Logorrhoe  der  Paralytiker  als  auf  einem  lieiz- 
zustande  des  Schläfelappens  beruhend  erklärt. 

An  ihn  schliesst  sich  v.  Monakow  (Gehirnpathologie. 
1897,  pag.  561)  in  der  modificirten  Weise,  dass  er  einen 
Reizzustand  der  Broca’schen  Windung  als  möglich  hinstellt, 
allerdings  nicht  ohne  dem  Ganzen  ein  Fragezeichen  an  die 
Seite  zu  setzen. 

Diesen  stehen  nun  jene  Autoren  gegenüber,  die  die  Er¬ 
scheinung  als  bedingt  durch  den  Wegfall  einer  Hemmung  er¬ 
klären  zu  können  glauben.3) 

Der  Erste,  bei  dem  sich  etwas  Diesbezügliches  findet,  ist 
wohl  Kussmaul  (Störungen  der  Sprache.  1877,  pag.  219), 
der  unter  den  von  ihm  als  durch  ein  »geschwächtes  Hemmungs¬ 
vermögen  des  Geistes«  zu  erklärenden  Erscheinungen  auch 
den  bekannten  Fall  von  Paraphasie  von  Trousseau  er¬ 
wähnt,  wo  die  Frau  den  feierlich  empfangenen  Gast  mit  den 
Worten  »Cochon!  animal!«  begrüsst.  Noch  viel  deutlicher  tritt 
der  gleiche  Gedanke  bei  Kussmaul  "(1.  c.,  pag.  152)  in  der 
Besprechung  eines  Falles  von  Cor  nil  (Gaz.  med.  de  Paris. 
1864,  pag.  534  ff.)  hervor,  dessen  hiehergehörige  Erscheinung 
Kuss  maul  als  aphatisches  Stottern  bezeichnete;  als  patho- 

•*)  Unter  diesen  wäre  mehr  historisch  zu  erwähnen  R.  B.  Mitchell 
(J.  of  m.  sc.,  April  1884,  Vol.  XXX,  pag.  84),  der  von  einem  Maniacus 
eine  von  ihm  als  Aphasie  aufgefasste  Sprachstörung  berichtet,  als  deren 
Grundlage  er  den  Functionsausfall  hemmender  Centren  ansieht;  doch  tritt 
der  aphasische  Charakter  der  Störung  zu  wenig  deutlich  hervor,  auch 
fehlen  irgendwie  deutliche  Zeichen,  die  die  Annahme  einer  umschriebenen 
Läsion  des  cerebralen  Sprachmechanismus  sichern  würden. 


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logische  Grundlage  desselben  fand  sich  nun  ein  Erweichungsherd 
beiläufig  in  der  Gegend  des  linken  unteren  Scheitelläppchens, 
und  Kussmaul  will  den  Fall  so  deuten,  »dass  die  entzünd¬ 
liche  Reizung  eines  hinteren  Rindentheiles  störend  und 
hemmend  auf  die  motorische  Coordination  der  vorderen 
Regionen  zurückgewirkt  habe« ;  es  ist  gewiss  nicht  zu  viel 
gesagt,  wenn  wir  in  diesem  Satze  die  Grundlagen  unserer 
jetzigen  Auffassung,  sowohl  in  pathogenetischer  wie  localisa- 
torischer  Richtung  vorgebildet  sehen. 

Unter  denjenigen,  die  sich  in  der  gleichen  Weise,  aber 
speciell  über  unser  Symptom  äussern,  ist  nun  zu  nennen 
Collins  (The  genesis  and  dissolution  of  the  faculty  of 
Speech.  1898,  pag.  220),  der  ziemlich  eingehend  unsere  Er¬ 
scheinung  bespricht  und  nicht  unzutreffend  das  Verhalten  des 
Sprachmechanismus  dabei  dem  einer  abschnurrenden  Maschine 
vergleicht,  deren  Dampfklappe  durch  einen  Zufall  geöffnet 
wird  und  die  nun  bis  zur  Erschöpfung  des  Dampfes  unauf¬ 
haltsam  weiterarbeitet.  Im  Weiteren  erklärt  er  die  Erscheinung 
folgendermassen  (pag.  221) :  »From  the  beginning  of  the  person’s 
ability  to  speak  this  centre  has  exercised  the  influence  of  a 
director-general  over  the  articulatory  speech-centre,  inhibitory 
and  excitatory.  Now  this  influence  is  taken  away  and  the 
result  is  that  all  the  inhibitory  influence  is  destroyed  by 
one  blow.« 

Dieser  Auffassung4)  glaube  ich  mich  nun  im  Wesent¬ 
lichen  anschliessen  zu  müssen,  indem  auch  ich  der  Ansicht 
bin,  dass  die  Erscheinung  durch  die  Ausschaltung  oder  das 
Versagen  eines  in  der  Norm  wirksamen  Hemmungsmechanis¬ 
mus  zu  Stande  kommt,  der  im  Schläfelappen  seinen  Sitz  hat 
und  mit  dem  acustischen  Sprachcentrum,  vielleicht  jedoch  nur 
theilweise,  zusammenfällt.  Die  Hauptargumente,  welche  mir 
gegen  die  Reiztheorie  zu  sprechen  scheinen,  sind  folgende: 
Zunächst  ist  bezüglich  der  Annahme  eines  die  Broca’sche 
Windung  betreffenden  Reizmomentes  zu  sagen,  dass  niemals 
etwas  Aehnliches  zur  Beobachtung  gekommen  in  Fällen  von  aus¬ 
schliesslicher  Läsion  dieser  Windung,  auch  nichtin  Fällen,  die,  wie 
Tumoren,  vor  Allen  zu  Reizsymptomen  Veranlassung  geben; 
ja  so  weit  ich  die  Literatur  überblicke,  genügt  in  solchen  Fällen 
nicht  einmal  die  M  i  t  betheiligung  des  Schläfelappens,  um  die 
in  Rede  stehende  Erscheinung  hervorzurufen,  vielmehr  ist,  wie 
ja  Wernicke  zuerst  hervorgehoben,  in  derselben,  allgemein 
gesprochen,  ein  Schläfelappensymptom  zu  sehen,  das  in  der 
That  auch  dann  nicht  zur  Beobachtung  kommt,  wenn  die 
B  r  o  c  a’sche  Stelle,  wäre  es  auch  nur  theilweise,  an  dem 
Krankheitsprocesse  mitbetheiligt  ist.  Gegen  die  Theorie  von 
einer  die  Broca’sche  Windung  treffenden  Reizwirkung 
spricht  aber  weiter  auch  noch,  dass  bei  ausschliesslicher  Be¬ 
schränkung  der  Erkrankung  auf  den  Schläfelappen  es  sich 
niemals  um  Affectionen  handelte,  die  etwa  die  Annahme  einer 
reizenden  Fernwirkung  auf  die  Broca’sche  Stelle  zuliessen ; 
vielmehr  kommt,  wie  alsbald  noch  des  Näheren  zu  erörtern, 
die  Erscheinung  dann  am  schönsten  zur  Beobachtung,  wenn 
es  sich  um  Affectionen  handelt,  deren  Fern  Wirkungen 
möglichst  auf  ein  Minimum  beschränkt  bleiben,  von  denen 
man  annehmen  kann,  dass  durch  dieselben  die  Functionen  des 
Schläfelappens  allein  möglichst  rein  ausgeschaltet  erscheinen. 

Aber  auch  die  von  W  e  r  n  i  c  k  e  gemachte  Annahme 
einer  auf  den  Schläfelappen  beschränkten  Reizwirkung  halte 
ich  für  ausgeschlossen;  Alles,  was  man  klinisch  in  Betreff  der 
Erscheinungen  einer  solchen  weiss,  geht  in  der  Richtung  von 
Hallucinationen  des  Gehörs,  Geruchs  und  Geschmacks  und, 
ohne  in  eine  detaillirte  Besprechung  der  einschlägigen  Literatur 
einzugehen,  möchte  ich  auf  einen  eigenen  Fall  hinweisen,  in 
welchem  im  ersten,  auch  durch  andere  Reizerscheinungen 
charakterisirten  Stadium  Gehörskallucinationen  auftraten, 
während  später,  nach  dem  Abklingen  der  Reizerscheinungen 
und  zu  einer  Zeit,  wo  Lähmung  anzunehmen  war,  Erschei¬ 
nungen  von  Echolalie  auftraten;  diese  ist  aber,  wie  ich  später 
ausführen  will,  als  eine  modificirte  Form  des  in  Folge  Aus¬ 
falles  der  Hemmungswirkung  des  Schläfelappens  zu  Stande 

4)  Auch  Freud’s  (Zur  Auffassung  der  Aphasien.  1891,  pag.  24) 
Auflassung  der  Erscheinung  »Wortverarmung  bei  reichlichen  Sprach- 
i  m  p  u  1  s  e  n«  scheint  mehr  nach  dieser  Richtung  zu  tendiren. 


kommenden  Sprachreflexes  anzusehen ;  gegen  die  Annahme 
eines  Reizzustandes  spricht  weiter,  dass  man  die  Erscheinung 
niemals  bei  entsprechend  localisirten  Hirntumoren  beobachtet 
und,  wenn  gelegentlich  etwas  Entsprechendes,  etwa  Echolalie, 
zur  Beobachtung  kam,  sich  nachweisen  liess,  dass  dies  dem 
Stadium  der  Lähmung  entspreche. 

Für  die  von  mir  vertretene  Anschauung,  dass  es  sich 
um  den  Ausfall  einer  vom  Schläfelappen  ausgehenden  Hemmungs¬ 
wirkung  bandelt  ’),  lassen  sich  verschiedene  Momente  anführen; 
zunächst  spricht  dafür  die  Form,  unter  der  die  Erscheinungen 
auftreten,  die  Pitres  und  Collins  sehr  gut  geschildert; 
weiter,  dass  die  Erscheinung  besonders  bei  Erweichungen  ein- 
tritt,  in  Fällen  mit  geringen  Fernwirkungen,  wo,  offenbar 
möglichst  rein,  neben  anderen  Herdsymptomen  auch  der 
Hemmungsmechanismus  zerstört,  oder  mehr  oder  weniger 
geschädigt  ist;  und  dem  entspricht  es,  dass  Blutungsherde  mit 
ihren  intensiven  Seitenwirkungen  die  Erscheinung  häufig  ver¬ 
missen  lassen;  dafür  sprechen  auch  Fälle  von  auf  die  betref¬ 
fende  Gegend  beschränkten  Schädeltraumen,  in  denen  unmittel¬ 
bar  nach  Lüftung  der  comprimirenden  Knochenfragmente  die 
Erscheinung  plötzlich  auftritt.  Dass  die  paraphasische  Logorrhoe 
der  Paralytiker  endlich  sich  der  hier  vertretenen  Deutung 
gleichfalls  anpassen  lässt,  unterliegt  schon  deshalb  keinem 
Zweifel,  weil  die  den  einzelnen  Erscheinungen  zu  Grunde 
liegenden  tunctionellen  Processe  bei  der  geringen  Einsicht,  die 
wir  in  die  anatomischen  Grundlagen  derselben  bei  der  Paralyse 
gegenwärtig  noch  haben,  auch  als  Ausfallserscheinungen  ge¬ 
deutet  werden  können;  ich  halte  diese  Deutung  für  umso 
plausibler,  als  auch  für  die  Paralyse  (ich  erinnere  an  einen 
von  mir  veröffentlichten  Fall),  als  die  typische  Reaction  des 
akustischen  Sprachcentrums  auf  Reizzustände,  Hallucinationen 
nachgewiesen  sind.  Natürlich  wird  sich  trotz  der  hier  gegebenen 
Aufklärungen  nicht  immer  sagen  lassen,  worin  es  begründet 
ist,  dass  die  Erscheinung  manchmal  auftritt,  manchmal  wieder 
nicht;  aber  zur  Ergänzung  des  bisher  dazu  Beigebrachten  wäre 
doch  noch  darauf  hinzuweisen,  dass  auch  die  Art  des  Einsetzens 
der  Läsion  eine  Rolle  spielt,  dass  es  dazu  eines  raschen  Ein¬ 
setzens  bedarf,  wie  ja  auch  Hughlings  Jackson  schon 
hervorgehoben,  dass  der  zeitliche  Verlauf  der  Aufhebung 
eines  Hemmungsmechanismus  von  enormer  Bedeutung  für  die 
Form  der  Störung  ist.*5 *) 

Dass  die  acute,  z.  B.  die  durch  Embolie  erfolgte  Ver- 
schliessung  der  Art.  fossae  Sylvii  auch  in  der  Richtung  der 
motorischen  Reizerscheinungen  ganz  anders  wirkt,  als  die 
langsam  erfolgende  Thrombose  derselben,  ist  seit  Langem 
bekannt. 

Ueberblickt  man  das  Gebiet  analoger  Erscheinungen,  so 
ergibt  sich,  dass  von  dem  jetzt  gewonnenen  Standpunkte  aus 
auch  diese  unserem  Verständnisse  näher  zu  bringen  sind.  So 
beobachtet  man  gelegentlich  während  des  Petit  mal  kurz 
dauernde  Anfälle  paraphasischer  Logorrhoe;  diese  werden  uns 
verständlich,  wenn  wir  mit  Hughlings  Jackson  annehmen, 
dass,  neben  der  allgemeinen,  eine  local  auf  den  Schläfelappen 
beschränkte  Dissolution  auftreten  kann,  als  deren  Ausdruck 
die  reflectorisch  sieh  abwickelnde  Logorrhoe  hervortritt,  oder, 
um  in  der  Sprache  dieses  Autors  zu  sprechen,  an  die  Stelle 
der  willkürlichen  die  automatische  Function  tritt. 7)  (Vgl, 

5)  Es  fehlt  nicht  an  physiologischen  Analogien  zu  derselben;  so 
könnte  man,  in  der  Sprache  der  G  o  1 1  z’schen  Schule  zu  sprechen,  sagen, 
das  Individuum  ist  wieder  auf  jene  Stufe  zurückgegangen,  die  dem  Falle 
entspricht,  wo  die  Stimmenäusserungen  des  entgrosshirnten  Thieres  wohl 
noch  als  Antwort  auf  bestimmte  sensible  Reize,  aber  nicht  als  Ausdrucks¬ 
bewegungen  zu  bezeichnen  sind.  (Vgl.:  Schrader,  Ueber  die  Stellung 
des  Grosshirns  im  Reflexmechanismus  des  Centralnervensystems  der  Wirbel- 
thiere.  Archiv  für  experimentelle  Pathologie.  Bd.  XXIX,  pag.  189.) 

Brain  (II,  pag.  344)  kommt  zu  dem  Schlüsse:  »The  more  rapid 
the  dissolution  the  more  excitable  are  the  nervous  arrangements  for  those 
process.«  Nur  anmerkungsweise  will  ich  noch  bemerken,  dass  vielleicht 
auch  der  Umstand,  ob  der  von  der  Störung  Betroffene  etwa  in  die  Kategorie 
der  Auditifs  gehört  oder  nicht,  bei  der  Form,  in  der  die  Störung  auftritt, 
eine  Rolle  spielen  könnte. 

7)  Wie  ja  H.  Jackson  (Journ.  of  mental  science.  April  1897, 
Repr.  pag.  21)  die  Bewegungserscheinungen  nach  Petit  mal  als  bedingt 
durch  den  Ausfall  höherer  hemmender  Centren  ansieht  und  interessanter 
Weise  direct  mit  der  in  Folge  Durchschneidung  des  \agus  gesteigerten 
Pulsfrequenz  analogisirt. 


82 1; 


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dazu  auch  meine  Beobachtungen  über  die  Reevolution,  speciell 
im  Gebiete  des  Schläfelappens  nach  epileptischen  Anfällen. 
Archiv  für  Psychiatrie.) 

Eine  zweite  Erscheinung,  die  durch  den  hier  festgehaltenen 
Standpunkt  unserem  Verständnisse  näher  gebracht  wird,  ist 
die  der  Echolalie.  Ohne  eingehend  dieses,  ein  Referat  für  sich 
beanspruchende,  überdies  noch  recht  dunkle  Gebiet  zu  be¬ 
leuchten.  will  ich  nur  darauf  hinweisen,  dass  die  schwere  Form 
derselben  sich  ihrem  ganzen  Auftreten  nach  als  ein  Sprach- 
reflex  darstellt,  der  unter  ähnlichen  Bedingungen  zu  Stande 
kommt,  wie  wir  es  für  die  paraphasische  Logorrhoe  erörtert 
haben;  also  namentlich  dann,  wenn  die  Function  des  linken 
akustischen  Sprachcentrums  oder  dessen  Umgebung  ausge¬ 
schaltet  ist,  oder  wenigstens  in  seiner  Function  darnieder¬ 
liegt.  8)  Ich  verweise  zur  Stütze  dieser  Anschauung  namentlich 
auf  die  schon  citirte  Arbeit  über  die  Reevolution  nach  epilepti¬ 
schen  Anfällen  und  meine  in  meinen  »Beiträge  zur  Pathologie 
und  pathologischen  Anatomie  des  Centralnervensystems«  zu¬ 
sammengefassten  Studien  über  die  verschiedenen  Grade  des 
gestörten  Sprachverständnisses,  wie  sie  den  verschiedenen 
Formen  der  Worttaubheit  zukommen.  An  der  früher  citirten 
Stelle  spricht  sich  Collins  dahin  aus,  dass  die  Echolalie  eine 
spätere  Phase  in  der  Dissolution  der  Function  des  Schläfe¬ 
lappens  ist,  die  er  mit  der  paraphasischen  Logorrhoe  beginnen 
lässt;  ich  kann  ihm  darin  nicht  zustimmen,  und  zwar  auf 
Grund  der  klinischen  Thatsache,  dass  es  Fälle  gibt,  wo  von 
vorneherein  die  Echolalie  die  durch  Läsion  des  Schläfelappens 
zu  Stande  kommende  formale  Störung  des  Sprechvorganges 
ist,  und  die  Logorrhoe  niemals  zur  Beobachtung  kommt;  worin 
diese  Differenzen  begründet  sind,  darüber  wird  sich  vorläufig 
noch  kein  Aufschluss  geben  lassen. 

Es  ist  hier  vielleicht  der  Platz,  auch  der  Frage  zu  ge¬ 
denken,  ob,  wie  das  im  Titel  des  Referates  sich  ausprägt,  die 
Hemmungsfunction  mit  der  eigentlichen  Function  des  akusti¬ 
schen  Sprachcentrums  zusammenfällt;  man  wird  vorläufig  nicht 
umhin  können,  dieser  Annahme  zuzustimmen,  obzwar  ver¬ 
schiedene  im  Referate  hervorgetretene  und  nicht  erst  einge¬ 
hender  zu  discutirende  Momente  dafür  zu  sprechen  scheinen, 
dass  es  sich  vielleicht  doch  nur  um  ein  räumlich  partielles 
Zusammenfallen  der  beiden  Functionen  handeln  mag;  keiner 
dieser  beiden  Möglichkeiten  stehen  anatomische  oder  physio¬ 
logische  Bedenken  entgegen. 

Man  wird  allerdings  der  hier  versuchten  Deutung  der 
Echolalie  als  Afunction  des  Schläfelappens  die  Thatsache  der 
Echolalie  und  Echokinesie  bei  verschiedenen  Chorea-  und  Tic¬ 
formen  entgegenhalten;  allein  ganz  abgesehen  davon,  dass  ich 
der  Ansicht  bin,  dass  die  Chorea  derzeit  wenigstens  noch  ein 
grosses  Sammelbecken  ist,  in  das  alles  Mögliche  zusammen¬ 
geworfen  wird,  will  ich  nur  daran  erinnern,  dass  gewichtige 
Stimmen  der  Ansicht  huldigen,  dass  viele,  ja  vielleicht  alle 
Erscheinungen  derjenigen  Choreaformen,  die  mit  Echolalie  ver¬ 
bunden  sind,  nicht  als  Reiz-,  sondern  als  durch  Wegfall  von 
Hemmungen  bedingte  Erscheinungen  zu  deuten  sind. 9) 

Ich  möchte  weiter  auf  einzelne  Beobachtungen  von  para- 
phasischer  Logorrhoe  im  Gefolge  einer  Hemicrania  concomitata 
hinweisen,  die  gleichfalls  sich  besser  der  hier  gegebenen 
Deutung  unterwerfen  lassen,  und  schliesslich  auf  eigenthüm- 
liche  seltene  Störungen  hinweisen,  wo  bei  anscheinend  leicht 
getrübtem  Bewusstsein  in  Zuständen  schwerer  Ueberarbeitung 
es  zu  Anfällen  kommt,  bei  denen  die  hier  besprochene  Er¬ 
scheinung  im  Vordergründe  des  ganzen  Zustandsbildes  steht. 

s)  I»  typischen  Fällen  jener  schweren  Form,  wo  die  echolalischen 
Aeusserungen  Schlag  auf  Schlag  dem  Gehörten  folgen,  drängt  Alles  zur 
Annahme  eines  die  h  unction  des  motorischen  Sprachcentrums  auslösenden 
Reflexes.  (Vgl. :  Wernicke,  Grundriss  der  Psychiatrie.  1900,  pag.  481.) 
l>ie  Ansicht  Ziehen’s  (Ebsteins  Handbuch  der  praktischen  Medicin. 
W  J,ag-  18),  dass  die  Echolalie  ein  Reizsymptom  sei,  kann  ich  nicht 
theileu.  Bezüglich  der  Formen  derselben  darf  ich  auf  meine  früheren  Arbeiten 
verweisen. 

9)  Dazu  ist  es  historisch  interessant,  dass,  wie  Bateman  (1.  c. 
pag.  202)  berichtet,  ein  anonymer,  offenbar  hervorragender  Arzt  in  einer 
Besprechung  von  B  a  t  e  m  a  n’s  Buch  im  »Spectator« ,  3.  June  1871,  pag.  667, 
die  Paraphasie  mit  der  Chorea  analogisirt  und  ausführt  in  beiden  Fällen: 
»The  failure  was  solely  in  the  proper  nervous  control  over  certain 
muscles.« 


Der  prägnanteste  ist  der  von  Gairdner  berichtete,  den 
dieser  Autor  selbst  schon  als  bedingt  durch  Wegfall  von 
Hemmungen  zu  deuten  geneigt  ist,  und  den  wir  jetzt  im 
Lichte  unserer  Kenntniss  von  der  sensorischen  Aphasie  nicht 
anders  denn  als  paraphasische  Logorrhoe  bezeichnen  können; 
Gairdner  (citirt  nach:  B  a  t  e  m  a  n.  On  Aphasia.  2d  cd.,  1890, 
pag.  203)  berichtet  von  sich  selbst,  dass  er  einmal  nach  an¬ 
strengender  Thätigkeit  beim  Durchschreiten  seiner  Abtheilung 
die  Herrschaft  über  seine  Zunge  verlor  und  beobachtete,  wie 
er  Unsinn  sprach;  er  wusste,  dass  es  Unsinn  war  und  war 
doch  ausser  Stande,  es  zu  hemmen,  musste  vielmehr  den  Unsinn 
aussprechen;  gleichzeitig  damit  fühlte  er  Schwindelgefühle, 
aber  nach  kurzer  Ruhe  erlangte  er  wieder  die  Herrschaft  über 
sich  und  das  Symptom  trat  nie  wieder  auf.  (Gairdner 
erwähnt  auch  den  Fall  eines  schottischen  Friedensrichters,  der 
anfallsweise  fühlte,  dass  er  absoluten  Unsinn  sprechen  musste.) 

Alle  Umstände  sprechen  im  Falle  G  ai  r  d  n  e  r  dafür,  dass 
es  sich  um  Schwächeerscheinungon,  nicht  um  solche  der 
Reizung  gehandelt  und  demnach  auch  diese  Fälle  unserei 
Deutung  sich  anpassen,  wobei  es  erwähnenswerth  ist,  dass  der 
bei  dieser  Gelegenheit  von  Gairdner  citirte  Chey  ne  (Essays 
on  partial  derangement  of  the  mind.  1843)  die  Frage  der  Zu¬ 
gehörigkeit  ähnlicher  Erscheinungen  zur  Epilepsie  erwähnt. 

Die  letztangeführten  Beispiele,  die  sich  noch  nach 
mancher  Richtung  hin  vermehren  Hessen,  werden  genügen,  um 
die  Uebergänge  aufzuweisen,  die  von  der  hier  besprochenen 
Erscheinung  ins  Gebiet  der  reinen  Psychopathologie  hinüber¬ 
führen;  die  Nutzanwendung  auf  diesem  Gebiete  selbst  möge 
noch  Nachstehendes  illustriren:  Ein  Paranoischer,  jetzt  mit  aus¬ 
gesprochen  persecutorischem  Wahnsystem  und  andauernden 
Gehörshallucinationen,  berichtet  selbst  aus  dem  lebhafteren 
Anfangsstadium,  dass  er  eines  Tages  plötzlich,  ohne  Möglich¬ 
keit  eines  Widerstandes,  durch  etwa  eine  halbe  Stunde  lang- 
gezwungen  war,  Alles,  was  sein  Begleiter  that,  bis  ins  Detail 
nachzuahmen  und  dass  er  einige  Stunden  später,  gleichfalls 
unter  einem  unwiderstehlichen  Zwange,  durch  längere  Zeit 
Allerlei  sprechen  musste,  das  nicht  etwa  sinnlos  war,  oder 
(wie  das  Examen  zeigt)  einer  Verbigeration  entsprach,  sondern 
Aeusserungen  darstellte,  die  intime  Lebensdetails  betrafen  und 
die  er  normaler  Weise  niemals  zu  äussern  Veranlassung 
genommen  hätte.  Es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  es  sich  im 
ersten  Falle  um  einen  Wegfall  von  allgemeinen  Hemmungen 
handelt,  in  Folge  deren  es  zu  Echokinesie  kam,  während  im 
zweiten  Falle  der  Wegfall  der  Hemmungswirkung  des  akusti¬ 
schen  Sprachcentrums  zu  dem  zwangsartigen  Sprechen  führte ; 
dass  dieses,  im  Gegensätze  zur  gleichen  Erscheinung  bei  der 
Paraphasie,  nicht  den  Charakter  dieser  hatte,  liegt  offenbar 
daran,  dass  nur  die  Hemmungswirkung,  nicht  aber  die  die 
Form  des  Sprechens  regulirende  Function  des  akustischen 
Sprachcentrums  weggefallen  war;  dass  etwas  Aehnliches  auch 
bei  grober  Herdaffection  Vorkommen  kann,  zeigt  der  Fall  von 
Beck  (Beiträge  zur  Chirurgie  des  Gehirns.  Beiträge  zur 
Chirurgie.  XII,  Heft  1,  pag.  19),  wo  von  einem  Falle  von 
Schläfeabscess  berichtet  wird:  Der  Kranke  .  .  .  zeigte  einen 
stumpfen,  apathischen  Gesichtsausdruck;  beständig  sprach  er 
nur  mit  monotoner  Stimme  von  seiner  Absicht,  fortzugehen 
und  fortzuschaffen.  Auf  Fragen  oder  Anrufen  reagirt  er  nicht 
oder  gibt  nur  zur  Antwort:  »Wir  wollen  hinausgehen  und 
äusserst  schaffen.« 

Ich  erinnere  weiter  an  das  so  häufige  Auftreten  von 
Echolalie  in  der  auf  Erschöpfung  basirten  Amentia. 

Ich  komme  damit  zum  Ausgangspunkt  meines  Referates 
zurück.  Nachdem  zuerst  PI.  Jackson  in  vielfachen  Darstel¬ 
lungen  die  Möglichkeit,  auch  die  psychopathologischen  Er¬ 
scheinungen  aus  einem  Systeme  von  Hemmungserscheinungen 
zu  erklären,  nicht  blos  theoretisch  erörtert,  sondern  auch 
praktische  Winke  nach  dieser  Richtung  hin  gegeben,  fand 
sein  Beispiel  mehrfach,  namentlich  in  England,  Nachahmung, 
und  so  hat  Wiggleworth  (Journ.  of  med.  sc.,  June  1884) 
z.  B.  versucht,  die  Erscheinungen  der  Manie  theoretisch  in 
dieser  Weise  zu  erklären,  während  M  e  r  c  i  e  r  in  seinem  Buche 
»Sanity  and  Insanity«,  das  in  breiterer  Weise  für  das  ganze 
Gebiet  durchzuführen  versucht;  aber  allen  diesen  Versuchen 


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fehlte  doch  der  gesicherte,  ich  möchte  sagen,  der  an  einer  ein¬ 
zelnen  Erscheinung  greifbare  Nachweis  vom  Vorhandensein 
eines  solchen  Hemmungsmechanismus  auf  psycho-physiologi- 
schem  Gebiete;  in  der  hier  von  mir  besprochenen  Erscheinung 
scheint  mir  nun  ein  solcher,  respective  seine  Störung  vorzu¬ 
liegen  und  darin  glaube  ich  die  principielle  Bedeutung  der¬ 
selben  erblicken  zu  dürfen;  das  soll  auch  die  Entschuldigung 
dafür  sein,  dass  ich  mir  erlaubt  habe,  einer  so  illustren  Ver¬ 
sammlung  ’  einen  scheinbar  so  geringfügigen  Ausschnitt  aus 
der  grossen  Lehre  von  den  Aphasien  zur  Discussion  vor¬ 
zulegen. 


Der  gegenwärtige  Stand  der  Radiotherapie. 

Von  Universitätsdocent  Dr.  E.  Schiff  und  Dr.  L.  Freund  in  Wien. 

(Nach  einem  auf  dem  XIII.  internationalen  dermatologischen  Congresse  in 

Paris  gehaltenen  Vortrage.) 

Es  ist  wohlbekannt,  dass  das  specifische  Verhalten  der 
Haut  gegenüber  der  Rö  n  t  g  e  n -Bestrahlung  zur  Behandlung 
einer  Reihe  von  Dermatosen  herangezogen  wurde,  und  zwar 
mit  Erfolg,  wie  von  einigen  der  competentesten  Autoritäten 
auf  dem  Gebiete  der  Dermatologie  (Kaposi,  Neumann, 
Lassa r,  Neisser,  Jadassohn  u.  A.)  zugegeben  und  an¬ 
erkannt  wurde.  Wir  glauben  uns  keiner  Unbescheidenheit 
schuldig  zu  machen,  wenn  wir  bei  dieser  Gelegenheit  darauf 
hinweisen,  dass  wir  es  waren,  die  zuerst  diesbezügliche  thera= 
peutische  Versuche  angestellt  und  publicirt  haben;  wir  fühlen 
uns  zu  diesem  Hinweise  hauptsächlich  aus  dem  Grunde  be- 
müssigt,  weil  wir  zu  unserem  Bedauern  wiederholt  die  Be¬ 
obachtung  gemacht  haben,  dass  sowohl  Collegen,  welche  sich 
mit  diesem  Gegenstände  klinisch  und  experimentell  beschäftigen 
und  daher  gewiss  auch  die  diesbezügliche  Fachliteratur  be¬ 
herrschen,  als  auch  Jene,  welche  eine  blos  referirende  Stellung 
zu  diesem  Gegenstände  einnehmen  und  daher  verpflichtet  sind, 
diese  Literatur  zu  kennen,  zu  unserem  Nachtheil  der  histori¬ 
schen  Wahrheit  nicht  die  gebührende  Ehre  erweisen.1)  Wir 
erwarten  von  unseren  Collegen  dieselbe  Gerechtigkeit,  die  wir 
ihren  Arbeiten  zu  Theil  werden  lassen  und  begnügen  uns 
vorläufig  mit  dieser  kurzen  Parenthese. 

Um  nun  zu  dem  eigentlichen  Gegenstände  unseres  Vor¬ 
trages  überzugehen,  wollen  wir  die  gegenwärtig  feststehenden 
Thatsachen,  die  sich  aus  der  mehrjährigen  Anwendung  der 
Radiotherapie  ergeben  haben,  in  Folgendem  zusammenfassen: 

1.  Die  Hauptindicationen  für  die  Anwendung  der  Radio¬ 
therapie  sind  Hautaffectionen  und  bei  diesen  insbesonders: 

a)  durch  Parasiten  hervorgebrachte  Dermatosen,  bei  denen, 
wie  S  chiff  zuerst  am  Lupus  vulg.  gezeigt  hat,  die  Bestrahlung 
einen  besonders  günstigen  Einfluss  ausübt; 

b)  nach  Freund  Hautaffectionen,  bei  denen  die  Entfernung 
von  Haaren  ein  wesentliches  Moment  für  die  Heilung  darstellt. 

Als  besondere  Indication  stellen  wir  jene  zum  Theil  in 
gewissen  Ländern  endemischen  parasitären  Affectionen  der  be¬ 
haarten  Kopfhaut  (Favus,  Trichophyton,  Ringworm,  Teignes, 
Pelades  etc.),  welche  bisher  gegen  jeden  therapeutischen  Ein¬ 
griff  sich  ungemein  hartnäckig  verhielten  und  bei  denen  die 

')  So  sagt  beispielsweise  Herr  Docent  Dr.  Karl  Ullmann  in 
einem  compilirenden  Vortrage  über  Lichtbehandlung,  welchen  er  auf  einem 
Balneologen-Congresse  gehalten  und  welcher  den  Anspruch  erhebt,  das 
ärztliche  Publicum  über  diesen  Gegenstand  erschöpfend  zu  informiren,  unter 
Anderem  Folgendes:  »Noch  bevor  irgend  Jemand  in  Wien  die  Röntgen- 
Therapie  für  diese  Art  von  Affectionen  (Sykosis  und  Favus)  und,  von  diesen 
Principien  geleitet,  angewendet  hatte,  bin  ich  öffentlich  für  die  Zweck¬ 
mässigkeit  derselben  gerade  auf  diesem  Gebiete  eingetreten.«  (Wiener 
medicinische  Presse.  1900,  Nr.  21.)  Diese  Behauptung  des  Herrn  Dr.  U  1  1- 
mann  beruht  offenbar  auf  einem  Irrthum  oder  einer  Verwechslung, 
denn  nicht  nur  gelegentlich  von  Demonstrationen  in  der  Wiener  dermato¬ 
logischen  Gesellschaft,  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte,  im  Wiener 
medicinisclien  Doctoren-Collegium  haben  wir  auf  diese,  nachdem  die 
Epilation  doch  festge3tellt  war,  eigentlich  selbstverständliche  Indication 
hingewiesen,  wir  haben  sie  sogar  in  unseren  Arbeiten  (Wiener  medicinische 
Wochenschrift.  1897,  Nr.  19;  Internationaler  medicinischer  Congress.  Moskau 
1897;  siehe:  Zarubin,  Monatshefte  für  praktische  Dermatologie.  1899, 
Nr.  10;  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  22 — 24)  ausdrück¬ 
lich  präcisirt.  —  Wir  citiren  das  nur  als  kleines  Beispiel  aus  der  grossen 
Reihe  derartiger  Berichte  für  unsere  vorhin  aufgestellte  Behauptung. 


Radiotherapie  durch  den  ausserordentlich  raschen  und  gründ¬ 
lichen  Erfolg  sich  besonders  bewährt  hat. 

2.  Demzufolge  stellen  sich  die  Indicationen  speciell  für 
folgende  Krankheiten: 

a)  Lupus  vulgaris,  Mykosen  der  Haut  etc.; 

b)  Hypertrichosis,  Sykosis,  Favus,  Folliculitis,  F urunculosis, 
Akne  etc.; 

c)  Lupus  erythematodes. 

3.  Die  an  einem  reichen  klinischen  Kranken  materiale 
gesammelten  Erfahrungen  lassen  nunmehr  eine  erfolgreiche, 
radicale  Behandlung  der  genannten  Affectionen  als  vollkommen 
gesichert  erscheinen.  Die  Therapie  der  Sykosis  und  des  Favus 
ist  eine  kurze  und  beansprucht  höchstens  einige  Wochen,  die 
der  Hypertrichosis  erfordert  zumindest  1 1/2  Jahre  einer 
systematischen,  in  Haupt-  und  Nachbehandlungen  geschiedenen 
Therapie.  Die  Dauer  der  Behandlung  des  Lupus  ist  von  dessen 
Ausdehnung  abhängig. 

4.  Durch  die  von  uns  zuerst  bestimmte  und  angegebene 
entsprechende  Dosirung  lässt  sich  bei  den  genannten  Affectionen 
mit  fast  absoluter  Sicherheit  das  gewünschte  Resultat  erzielen. 

Die  Methode,  welche  wir  in  Dr.  Schiffs  Institut  für 
Radiographie  und  Radiotherapie  in  Wien  erprobten,  und 
welche  sich  uns  an  unserem  Krankenmateriale  bewährte, 
besteht  darin,  dass  wir,  nachdem  wir  durch  eine  probe¬ 
weise  Bestrahlung  eine  eventuell  vorhandene  Idiosynkrasie, 
respective  abnorme  Reactionsfähigkeit  der  Haut  aussehliessen 
konnten,  die  betreffenden  Kranken  täglich  in  der  Dauer 
von  fünf  bis  zwanzig  Minuten  steigend  in  einem  Röhren¬ 
abstande  von  5  cm  exponiren  und  hiebei  gesunde  Partien  durch 
Bleimasken  schützen.  Der  Primärstrom  des  Inductors  hat 
1 — 1»/,,  Ampere  12  Volts  und  zeigt  16  Unterbrechungen  pro 
Secunde.  Als  geringfügige  Nebenwirkungen  einer  lange  fort¬ 
gesetzten  Bestrahlung  haben  wir  zuweilen  kleine,  weisse,  punkt¬ 
förmige  atrophische  Depressionen  in  der  den  Follikelmündungen 
entsprechenden  Haut,  dann  Pigmentationen  und  Conjunctivitiden 
beobachtet.  Wir  betonen  jedoch  ausdrücklich,  dass  wir  durch 
stricte  Einhaltung  der  oben  angeführten  Anordnungen  stets 
in  der  Lage  waren,  jede  auffällige  entzündliche  Reaction  zu 
vermeiden. 

5.  Nach  den  bisherigen  Untersuchungen  und  Erfahrungen 
lässt  sich  ein  grosser  Theil  der  unter  dem  Einflüsse  der 
Röntgen-Bestrahlung  auftretenden  Hautveränderungen  wesent¬ 
lich  auf  den  Einfluss  der  letzteren  auf  die  Hautgefässe  zurück¬ 
führen,  wie  dies  zuerst  von  Kaposi  auf  Grund  der  klinischen 
Thatsachen  vorausgesetzt  wurde. 

6.  Nach  den  neuesten  im  pathologisch  -  anatomischen 
Institute  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  W  e  i  c  h  s  e  1  b  a  u  m  und 
in  Dr.  E.  Schiffs  Institut  für  Radiographie  und  Radio¬ 
therapie  in  Wien  von  Freund  angestellten  Untersuchungen 
unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  bei  der  Behandlung  von 
Hautaffectionen  mit  der  Röntgen-  Bestrahlung  die  stillen 
Entladungen  der  an  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Röhre  angesammelten 
Spannungselektricität  eine  wichtige  Rolle  spielen. 

Freund  prüfte  das  physiologische  Verhalten  der  directen 
Funkenschläge,  der  stillen  Entladungen  und  anderer  unsicht¬ 
baren  Strahlungen,  und  kam  auf  Grund  eines  umfänglichen 
(in  den  Sitzungsberichten  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  publicirten)  Versuchsmateriales  zu  folgenden 
Ergebnissen: 

1.  Dir  ecte  Funken  Schläge,  gl  e  i  ch  g  i  1 1  i  g,  wie 
sie  entstehen,  ob  als  directe  Polentladungen  des 
Funkeninductors,  oder  als  Effluvien  des  d  Arson- 
val-Oudin’schen  Apparates  können  beim  T  h i e r e 
Haarausfall  zu  Wege  bringen. 

2.  Directe  Funkenschläge  sind  im  Stande, 
Aussaaten  und  bereits  entwickelte  Culturen 
pathogener  B a c t e r  i  e n  in  der  weiteren  Entwick¬ 
lung  zu  hemmen,  respective  abzutödten. 

3.  Diese  Wirkung  der  directen  Funken¬ 
schläge  wird  durch  V  er  wen  du  n  g  einer  Ei  fl¬ 
ab  lei  tu  ng  vom  exponirten  Objecte,  einer  ver¬ 
längerten  Exposition,  eines  geringeren  Elek- 
tr'ode  nabstandes,  einer  schnelleren  U  n  t  e  i - 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  37 


brechung  des  den  Secundärstrom  inducirenden 
Primär  Stromes  und  durch  Steigerung  der  In¬ 
tensität  des  letzteren  erhöht. 

4.  Die  besagte  Wirkung  äussert  sich  auch 
durch  dünne  Schichten  von  Holz,  Papier,  Alu¬ 
minium,  Stanniol  und  menschlicher  Haut  hin¬ 
durch. 

5.  Sie  erstreckt  sich  auch  auf  Mikroorga¬ 
nismen,  welche  in  Flüssigkeiten  suspendirtsind. 

6.  Die  physiologische  Wirkung  der  nega¬ 
tiven  Funkenentladungen  ist  intensiver,  als 
jene  der  positiven,  hingegen  erstreckt  sie  sich 
auf  ein  kleineres  räumliches  Gebiet  als  die  der 
letzteren. 

7.  Da  di  recte  Funken  sch  läge  praktisch  zu 
Heilzwecken  nicht  anwendbar  sind,  const ruirte 
Freund  einen,  wie  es  scheint,  zweckmässigen 
Apparat  zur  Dispersion  derselben  in  stille  Ent¬ 
ladungen,  und  fand  auf  diese  Weise,  dass  die 
dunklen  Entladungen  eine  Erscheinungsform 
der  Funkenentladung  darstellen,  durch  welche 
letztere  wohl  Einiges  von  der  Intensität  ihrer 
physiologischen  Wirkung  einbüssen,  durch 
welche  jedoch  manche  unerwünschte  Nachtheile 
der  d  i  r  e  c  t  e  n  Funkenschläge  (z.  B.  Schmerz)  ver¬ 
meidbar  sind.  Ihr  Wirkungsgebiet  ist  ein 
grösseres,  als  das  der  directen  Funkenschläge, 
ihre  Wirkungsart  qualitativ  dieselbe,  wie  die 
der  letzteren. 

8.  Die  Röntgen-Strahlen  selbst  haben  nach 
diesen  Versuchen  keine  physiologische  Be¬ 
deutung. 

9.  Becquerel-  und  Phosphor escenzstrahlen 
äussern  gleichfalls  keinerlei  physiologische 
Wirkung. 

10.  Die  durch  directe  Funkenentladungen  in 
der  Haut  hervor  gerufenen  pathologischen  Ver¬ 
änderungen  bestehen  in  Blutungen  in  dasCutis- 
gewebe,  in  Entzündung  und  in  einer  durch 
Vacuolenbildung  sich  charakterisir enden  G  e- 
fässerkrankung. 

Eine  neue  Therapie  hat  nur  dann  eine  Existenz¬ 
berechtigung,  wenn  sie  den  Heilungsvorgang  auf  einen  neuen 
besseren  Weg  leitet,  als  es  andere  Methoden  thaten,  oder  wenn 
sie  im  Stande  ist  den  gewöhnlichen  Heilungsvorgang  abzukürzen. 
Denn  nicht  das  Neue,  Fremdartige  oder  die  Variation  dürfen 
den  Therapeuten  veranlassen,  unter  dem  Wüste  der  einander 
gleichwerthigen  Mittel  und  Methoden  kritiklos  zufällig  bald  die 
eine,  bald  die  andere  zu  wählen,  sondern  die  verschiedene 
Wirkungsart  derselben  wird  ihn  befähigen,  sie  verschiedenen 
lndicationen  anzupassen  und  zu  individualisiren. 

Wenn  wir  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  die  Röntgen- 
Behandlung  mit  anderen  bisher  als  zuverlässig  geltenden 
therapeutischen  Methoden  vergleichen,  so  kennen  wir  bei 
Sykosis,  Favus  und  anderen  entzündlichen  oder  parasitären 
Erkrankungen  behaarter  Hautpartien  keine  Therapie,  welche 
in  so  kurzer  Zeit  und  so  radical  ohne  jeden  Verband  und 
medicamentöse  Behandlung  diese  Affectionen  ambulatorisch  zu 
beseitigen  im  Stande  wäre,  wie  die  Radiotherapie.  Wir  machen 
auf  diesem  Congresse,  wo  wir  Gelegenheit  haben,  vor  be¬ 
rufenen  Vertretern  unseres  Faches  aus  Gegenden,  wo  Favus. 
Herpes  tonsurans  und  andere  parasitäre  Erkrankungen  des 
Haarbodens  endemisch  herrschen,  zu  sprechen,  dieselben  nach- 
drücklichst  auf  diese  Therapie  aufmerksam  und  glauben  damit 
auch  ein  Mittel  angegeben  zu  haben,  diesen  Landplagen  wirk¬ 
sam  zu  begegnen. 

Bezüglich  der  Röntgen-  Behandlung  des  Lupus  haben 
wir  Folgendes  zu  sagen.  Bei  streng  umschriebenen,  zugäng¬ 
lichen,  kleinen  Herden  halten  wir  die  Exstirpation  mit  nach¬ 
folgender  Transplantation  für  die  idealste  Methode.  Es  würde 
uns  nicht  einfallen,  ein  isolirtes  Lupusknötchen  durch  Monate 
hindurch  zu  bestrahlen,  um  einen  allerdings  auch  so  zu  er¬ 
wartenden  Heilerfolg  zu  erreichen,  den  wir  durch  Exstirpation 


mit  nachfolgender  Naht  oder  Transplantation  in  einigen  Tagen 
erzielen.  Für  die  R  ö  n  t  gen  -  Therapie  kommen  nach  unserem 
Dafürhalten  die  grossen,  ausgebreiteten,  tief  ulcerösen  Processe 
in  Betracht,  welche  auf  Schleimhäute  und  auf  der  Operation  nicht 
zugängliche  Gebilde,  Sklera,  Cornea,  den  Gehörgang  u.  s.  w. 
übergreifen  und  als  inoperabel  gelten.  In  derartigen  Fällen,  bei 
welchen  von  der  Operation  abgesehen  werden  musste,  haben 
wir,  wie  wir  zu  demonstriren  Gelegenheit  haben  werden,  ein 
günstiges  Resultat  erzielt  und  können,  selbst  wenn  wir  nach 
kurzer  Behandlungsdauer  die  Kranken  noch  nicht  als  definitiv 
geheilt  ansprechen  können,  doch  sagen,  dass  wir  sie  in  eine 
günstigere  Lage  gesetzt,  bei  ihnen  die  Functionen  der  be¬ 
treffenden  Organe  ermöglicht  und  eine  kosmetisch  wesentliche 
Besserung  erreicht  haben. 

Es  kommen  aber  noch  andere  Momente  in  Betracht. 
Viele  Patienten  scheuen  die  Operation  und  den  Schmerz.  Wir 
dürfen  nicht  übersehen,  dass  die  operative  Behandlung  meist 
eine  Narkose  erfordert,  und  zwar  eine  sehr  lang  dauernde 
Narkose.  Abgesehen  von  der  Gefahr,  welche  jede  Narkose  an 
und  für  sich  darbietet,  ladet  der  Operateur  durch  eine  so 
lange  durch  Stunden  protrahirte  Narkose  eine  grosse  Ver¬ 
antwortung  auf  sich.  Es  wird  überdies  von  competenten  Seiten 
zugegeben,  dass  auch  die  Exstirpationsmethode  keine  absolute 
Sicherheit  bietet,  indem  mitunter  Recidiven  am  Rande  des 
ursprünglichen  Operationsten-ains,  ja  sogar  innerhalb  desselben 
oder  in  anderen  disparaten  Körperstellen  Vorkommen,  welche 
eine  nochmalige  Operation  nothwendig  machen.  Auch  der 
kosmetische  Effect  ist  nicht  immer  sehr  günstig.  Die  nach  der 
T  h  i  e  r  s  c  h’schen  Epidermistransplantation  meist  auftretenden 
Schrumpfungen  und  narbigen  Verziehungen  stellen  diese  Me¬ 
thode  für  manche  Fälle  gewiss  nicht  als  idealste  Methode  dar. 
Wenn  es  uns  auch  nicht  beifällt,  der  durch  E.  L  a  n  g,  Urban, 
Gersuny  und  Andere  so  exact  und  künstlerisch  aus¬ 
gearbeiteten  und  wirklich  hochbeachtenswerthen  operativen 
Methode  den  ihr  gebührenden  Werth  abzusprechen,  so  müssen 
wir  doch  vor  einer  allgemeinen  schematisirenden,  nicht  die 
Individualität  des  speciellen  Falles  berücksichtigenden  An¬ 
wendung  warnen.  Im  Vergleiche  hiezu  führen  wir  das  un¬ 
blutige,  schmerzlose,  tadellose  kosmetische  Resultate  erzielende 
R  ö  nt  g  e  n  -  Verfahren  an,  welches,  wenn  auch  sicher  nicht 
mit  der  gleichen  Präcision  und  Schnelligkeit  arbeitend,  doch 
ungleich  milder  und  schonender  ist,  vorhandene  gesunde  Ge¬ 
webe  unberührt  lässt,  dabei  jede  Spitals-  und  medicamentöse 
Behandlung  entbehrlich  macht,  und  dadurch  auch  in  morali¬ 
scher  Beziehung  in  manchen  Fällen  vorzuziehen  sein  wird. 

Gegenüber  der  ausgezeichneten  aber  umständlichen, 
langwierigen,  ein  grosses  geübtes  Personal  und  eine  umfäng¬ 
liche  maschinelle  Einrichtung  erfordernden  Finsen’schen 
Lichtbehandlundlung,  ist,  wie  bereits  an  verschiedenen  Orten 
von  verschiedenen  Seiten  angegeben  wurde,  die  Einfachheit 
desR  ö  n  t  g  e  n  -  Verfahrenshervorzuheben ;  dann  aber  als  ein  nicht 
zu  übersehender  Vorzug,  dass  man  damit  von  vorneherein 
gleich  grosse  Hautpartien  in  Angriff  nehmen  kann  zum  Unter¬ 
schiede  von  der  Lichtbehandlung,  welche  nur  im  Stande  ist, 
kleine  Bezirke  zu  beeinflussen. 

Hinsichtlich  der  Behandlung  der  Hypertrichose  käme 
natürlich  nur  die  Elektrolyse  in  Betracht,  denn  nur  von  dieser 
sind  gleichfalls  definitive  Resultate  zu  erwarten.  Vergleichen  wir 
aber  diese  mit  den  durch  die  R  ö  n  t  ge  n  -  Bestrahlung  zu  er¬ 
zielenden,  so  haben  wir  bei  letzterer  nicht  die  Verunstaltung 
der  Haut  durch  Narben  und  keloidartige  Wucherungen  zu 
fürchten,  wie  bei  jener.  Allerdings  kommt  es  bei  der  Rönt¬ 
gen-Behandlung,  wie  oben  erwähnt,  ebenfalls  zur  Ausbildung 
kleiner  atrophischer,  auf  die  Follikelmündungen  localisirter 
Depressionen  der  Haut;  doch  sind  diese  nur  dem  scharf 
zusehenden,  erfahrenen  Arzte  kenntlich  und  durchaus  nicht 
auffällig.  Neben  diesem  Vorzüge  kommen  aber  andere  weit 
wichtigere  in  Betracht.  Das  R  ö  n  tg  e  n  -  Verfahren  ist  schmerz¬ 
los,  setzt  keine  Entzündungen  der  Haut  und  ist  deshalb  un¬ 
auffällig.  Es  befreit  die  mit  einem  noch  so  reichlichen  Haar- 
wuchse  bewachsenen  Hautstellen  innerhalb  weniger  Wocher 
vollständig  von  der  unerwünschten  Zier  und  bietet  daher 
schon  im  Anfänge  der  Behandlung  ein  Resultat,  welches  man 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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bei  der  Elektrolyse  erst  nach  jahrelanger  Mühe  erreicht.  Die 
weitere  Behandlung  ist  eine  intermittirende  und  nimmt  den 
Patienten  nur  in  gewissen  Zeiträumen  für  wenige  Tage  in 
Anspruch;  die  elektrolytische  Behandlung  ist  hingegen  eine 
ununterbrochene.  Für  kleine  behaarte  Warzen  und  Maler  ziehen 
wir  demzufolge  die  Elektrolyse,  für  grosse,  behaarte  Körper¬ 
stellen  aber  unbedingt  die  R  ö  n  t  g  e  n  *  Behandlung  vor. 


Ueber  allgemeine  concentrische  Franklinisation 
in  der  ärztlichen  Praxis. 

Von  Prof.  Dr.  Breitling  in  Coburg. 

Wer  sich  mit  der  Anwendung  hochgespannter  Ströme 
auf  den  Menschen  eingehender  beschäftigt  und  die  Einwirkung 
derselben  besonders  bei  Schlaflosigkeit,  Kopfdruck,  leichter 
Hystero-Epilepsie,  Ohrensausen  etc.  kennen  und  schätzen  gelernt 
hat,  wird  sich  der  methodischen  Anwendung  der  therapeu¬ 
tischen  Elektrostatik  nicht  begeben  wollen. 

Es  ist  zu  beklagen,  dass  die  Verwendung  der  elektrischen 
Influenz  in  der  Therapie  durch  gänzlich  kritiklose  Lobhudeleien 
und  Schwindeleien  discreditirt  worden  ist,  dass  die  Influenz¬ 
maschine  aus  der  Erinnerung  des  Arztes  beinahe  ebenso  voll¬ 
kommen  verschwunden  ist,  wie  au3  dem  ärztlichen  Instru¬ 
mentarium. 

In  neuerer  Zeit  scheint  sich  ein  Umschwung  vorzu¬ 
bereiten,  man  scheint  einzusehen,  dass  man  in  der  bedingungs¬ 
losen  Verurtheilung  der  Elekrotberapie  das  Kind  mit  dem  Bade 
ausgeschüttet  hat. 

Ich  habe  mir  nicht  die  Aufgabe  gestellt,  als  Vertheidiger 
der  verkannten  Elektrotherapie  aufzutreten,  dazu  fehlt  mir  die 
Zeit  und  die  Neigung,  sondern  ich  möchte  nur  vom  Stand¬ 
punkte  des  Praktikers  aus  die  Aufmerksamkeit  der  Aerzte 
auf  eine  Neuerung  lenken,  welche  vielleicht  dem  Einen  oder 
Andern  willkommen  sein  dürfte. 

Ich  habe  immer  bedauert,  dass  bei  dem  Betrieb  einer 
Influenzmaschine  —  ich  benütze  eine  solche  von  Reiniger, 
Gebbert  &  Schall  mit  zwei  Hartgummischeiben  von  ganz 
vortrefflicher  Wirkung  nach  Winshurst,  in  entgegen¬ 
gesetzter  Richtung  laufend,  selbsterregend  —  in  wenig  ökono¬ 
mischer  Weise  ein  grosser  Theil  der  elektrischen  Kraft  verloren 
geht.  Diessr  Verlust  machte  sich  mir  umsomehr  empfindlich 
bemerkbar,  als  ich  vorzugsweise  den  positiven  elektrischen 
Wind  verwende,  also  eine  Anwendungsform  wähle,  welche  an 
und  für  sich  schon  eine  ungemein  milde  ist. 

Es  tauchte  nun  in  der  täglichen  Praxis  von  selbst  die 
I  rage  auf,  ob  es  nicht  möglich  sei,  statt  der  für  gewöhnlich 
verwendeten  Douche  vermittelst  der  Kopfglocke  eine  Appli- 
cationsform  zu  finden,  durch  welche  der  Körper  von  allen 
Seiten  influirt  werden  kann. 

Die  Firma  Reiniger,  Gebbert  &  Schall  in  Er¬ 
langen  hatte  die  Güte,  auf  meine  Ideen  einzugehen  und  ein 
Receptaculum  anzufertigen.  Dasselbe  besteht  aus  einem  Gestell 
von  Holzlatten,  gross  genug,  um  einen  Menschen  aufzunehmen 
und  in  demselben  stehen  oder  sitzen  zu  lassen. 

Der  Eintritt  erfolgt  durch  eine  Thüre,  welche  nach  dem 
Eintreten  geschlossen  wird.  Auf  den  Holzlatten  befinden  sich 
Ebonitstäbe,  welche  durch  Porzellanisolatoren  an  den  Holz¬ 
stäben  befestigt  sind.  In  den  Ebonitstäben  eingelassen  laufen 
Metallleisten,  aus  welchen,  da  sie  mit  der  Influenzmaschine  in 
leitender  Verbindung  stehen,  die  Elektricität  in  Form  von 
Wind  ausströmt. 

Die  Ausströmung  erfolgt  also  concentrisch  nach  dem  in 
der  Mitte  des  von  mir  »Pavillon«  benannten  Apparates  befind¬ 
lichen  Patienten.  Man  kann  sich  von  dieser  Emanation 
sehr  leicht  überzeugen.  Schon  wenige  Minuten  nach  Einleitung 
der  monopolaren  allgemeinen  Elektrisation  ist  der  Patient  so 
geladen,  dass  man  Funken  aus  ihm  ziehen  kann.  Setzt  man 
auf  die  Nuthen  in  den  Ebonitstäben  in  Zwischenabständen  von 
etwa  15  zu  15  cm  kleine  Spitzen  auf,  welche  sehr  leicht  auf 
die  Ebon'tstäbe  aufgeklemmt  werden  können,  so  erfolgt  bei 


intensivem  Ozongeruch  eine  im  Dunklen  deutlich  sichtbare 
Entwicklung  des  Büschellichtes. 

Um  nun  neben  der  allgemeinen  concentrisclien  Franklini¬ 
sation  noch,  was  nicht  selten  wünschenswerth  ist,  eine  be¬ 
sondere  Wirkung  auf  den  Kopf  zu  erzielen,  z.  B.  bei  Kopf¬ 
druck,  Schlaflosigkeit,  Angstzuständen,  Ohrensausen  etc.,  habe 
ich  noch  eine  an  einem  der  Ebonitstäbe  gleitende,  verstellbare 
»Krone«  anbringen  lassen,  welche  über  dem  Kopf  eingestellt 
wird  und  von  der  aus  der  elektrische  Wind  intensiver  auf  den 
Scheitel  und  auf  die  Stirn  einwirkt.  Zur  Isolirung  dient  eine 
Gummiplatte,  auf  welcher  der  Patient  in  dem  »Pavillon«  steht 
oder  auf  einem  Schemel  sitzt. 

In  der  Regel  lässt  man  die  Patienten  am  besten  erst 
sitzen,  da  erfahrungsgemäss  Nervenkranke  das  Stehen  nicht 
gut  vertragen  hönnen.  Erst  im  Verlauf  der  Behandlung  kann 
man  unter  Constatirung  eines  Fortschrittes  die  allgemeine 
Franklinisation  im  Stehen  ausführen. 

Irgendwelche  Unzuträglichkeiten  sind  hei  dem  allgemeinen 
elektrischen  Luftbad  nicht  zu  befürchten,  was  nicht  besagen 
soll,  d  ass  nicht  ab  und  zu  eine  Ohnmacht  vorkäme.  Wo  kommt 
eine  solche  nicht  vor!  Jedenfalls  hat  sie  mit  unserem  Verfahren 
nichts  zu  thun. 

Bei  der  grossen  Zunahme  der  nervösen  Ermüdungs¬ 
erscheinungen  und  der,  wenn  wir  die  Neuronlehre  Wal- 
deyer’s  adoptiren,  Störungen  in  den  Contacten  des  Nerven¬ 
systems  möchte  ich  das  allgemeine  elektrostatische  Luftbad 
in  dem  »Pavillon«  nicht  nur  den  Specialisten  und  Kliniken, 
sondern  auch  den  Aerzten  recht  warm  empfehlen.  Ich  gebe 
gern  zu,  dass  die  Beschaffung  de3  Instrumentariums  einige 
Anforderungen  an  die  Börse  stellt,  aber  —  wer  in  seinem 
Berufe  das  Beste  leisten  will,  muss  auch  auf  das  beste  Hand¬ 
werkzeug  halten. 

Obwohl  ich  weLs,  dass  meine  Ansicht  keine  weit  ver¬ 
breitete  ist,  nehme  ich  doch  keinen  Anstand,  es  offen  auszu¬ 
sprechen,  dass  wir  in  der  Therapie  mit  der  Ver- 
werthung  der  hochgespannten  Ströme  kaum  am 
Anfang  stehen,  geschweige  denn  an  den  Aus¬ 
läufern  eines  abgewirthschafteten  naturwissen¬ 
schaftlichen  Capitales. 

Mit  der  Elektrostatik  muss  man  sich  praktisch  beschäf¬ 
tigen,  sonst  lernt  man  sie  nie  kennen.  Es  gibt  kaum  ein 
Gebiet,  für  welches  als  beinahe  einziges  Leitmotiv  das  Wort 
gilt:  Probiren  geht  über  Studiren ! 

Ich  habe  bereits  oben  angedeutet,  dass  ich  die  Influenz¬ 
maschine  auch  verwerthe  zur  Bekämpfung  des  Ohrensausens. 

Ich  habe  mir  zu  diesem  Zwecke  von  Reiniger, 
Gebbert  &  Schall  eine  Elektrode  für  den  äusseren  Gehör¬ 
gang  anfertigen  lassen,  welche  eine  ziemlich  genaue  Regulirung 
der  Intensität  gestattet  und  jedenfalls  das  Ueberspringen  von 
Funken  verhindert.  Die  Elektrode  besteht  aus  einem  Metall¬ 
stift,  welcher  in  einem  isolirten  Trichter  gleitet  und  so  gestellt 
werden  kann,  dass  die  Spitze  des  Stiftes  mehr  oder  weniger 
innerhalb  des  Trichters  bleibt.  Je  nach  dem  Abstand  nimmt 
die  Stärke  des  elektrischen  Windes  zu  oder  ab  und  das  Auf- 
prallen  des  elektrischen  mikroskopischen  Funkenregens  auf  das 
Trommelfell  und  die  Wände  des  Gehörganges  wird  niemals 
schmerzhaft  empfunden,  im  Gegentheil,  die  auftretende  Wärme¬ 
empfindung  macht  sich  sehr  angenehm  bemerkbar. 

Nicht  selten  macht  sich  bei  Schwerhörigen  unmittelbar 
nach  der  Application  des  elektrischen  Windes  eine  Ver¬ 
schlechterung  der  Hörfähigkeit  neben  der  Abnahme  des  Ohren¬ 
sausens  geltend,  die  ist  indess  fast  immer  nur  von  ganz  kurzer 
Dauer;  es  ist  aber  zweckmässig,  die  Kranken  von  vornherein 
darauf  aufmerksam  zu  machen.  Diese  Verschlechterung  der 
Hörfähigkeit  tritt  bekanntlich  auch  nicht  selten  nach  der  Ent¬ 
fernung  alter  Ceruminalpfröpfe  ein. 

Da  nun  unter  den  modernen  Krankheiten  das  Ohren¬ 
sausen,  respective  subjective  Gehörsempfindungen  überhaupt 
wohl  mit  in  erster  Reihe  stehen,  die  Patienten  aber  vielfach 
nicht  in  der  Lage  sind,  den  Arzt  behufs  einer  elektrostatischen 
Sitzung  aufzusuchen,  so  habe  ich  von  der  oben  genannten 
Firma  eine  kleine  zweischeibige  Influenzmaschine  anfertigen  und 
so  einrichten  lassen,  dass  sie  eventuell  im  Koffer  zusammengelegt 


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mitgeführt  werden  kann.  Die  zwei  kleinen  Scheiben  reichen  für 
die  locale  Anwendung  des  elektrischen  Windes  im  Gehörgang  aus. 

Der  therapeutische  Eflect  bezieht  sich  vorzugsweise  auf 
das  nervöse  Ohrensausen.  Bei  Erkrankungen  des  schallleitenden 
Apparates  leistet  die  hochfrequente  Erschütterung  des  Trommel¬ 
felles  und  der  Adnexa  nach  meinem  Verfahren  mehr. 

In  der  Regel  verwende  ich  für  das  elektrostatische  Luft- 
bad  den  positiven  Pol,  welcher,  wie  bei  der  Üontactelektricität, 
beruhigend  wirkt. 

Die  Ozonentwicklung  verlangt  den  negativen  Pol. 

Will  man  beide  Pole  verwenden,  so  leitet  man  den 
einen  ( — )  in  den  Pavillon,  den  anderen  (-[-)  an  das  Stativ 
der  Kopfglocke  und  stellt  dieselbe  so  hoch  über  den  Patienten 
ein.  dass  keinesfalls  Funken  überspringen  können. 

Die  meisten  Patienten  befinden  sich  am  wohlsten  bei  der 
monopolar-positiven  Franklinisation,  indessen  empfiehlt  es 
sich  manchmal  —  die  Erfahrung  lehrt  das  — ,  einen  Patienten 
erst  negativ  zu  laden,  dann  zu  entladen  und  positiv  zu  laden. 

Wir  haben  mi  der  Franklinisation  fast  ein  Reagens  für 
die  Beurtheilung  der  nervösen  Erschöpfungszustände. 

Die  Neurastheniker  sind  mit  —  Elektricität  überladen. 
Nimmt  man  sie  unter  die  Glocke  und  beeinflusst  sie  mit 
Elektricität,  so  werden  sie  durch  die  nochmehrige  Zufuhr 
von  Elektricität  unruhig,  klagen  bald  über  Unruhe,  Unbe¬ 
hagen,  Ucbelkeit  und  verlangen  stürmisch  das  Abbrechen  der 
Procedur. 

Ganz  im  Gegentheil  wirkt  die  Anwendung  der  Kopf¬ 
glocke  mit  Anschluss  an  den  — j—  Pol  der  Influenzmaschine  be¬ 
ruhigend,  angenehm,  müde  machend,  weil  der  Ueberschuss  der 
—  Elektricität  entfernt  wird. 

Alle  die  empirischen  Thatsachen  harren  noch  einer 
bündigen  Erklärung. 

Das  notorische  Uebelbefinden  der  Neurastheniker  vor 
einem  Gewitter  ist  nach  meiner  Anschauung  lediglich  auf  die 
Präponderanz  der  —  Elektricität  zurückzuführen,  nach  dem  Ge¬ 
witter  tritt  bei  dominirender  -\-  Elektricität  Wohlbefinden  auf. 

Wir  würden  auf  dem  Gebiete  der  Bewerthung  der  Fragen 
der  Luft-  und  Erdelektricität  schon  weiter  sein,  wenn  die 
exacten  Untersuchungen  nicht  so  unendlich  schwierig  und  reich 
an  Fehlerquellen  wären. 

Sollte  durch  diese  kurze  Mittheilung  eine  Anregung 
gegeben  sein,  der  Elektrostatik  in  der  Krankenbehandlung  von 
Neuem  einige  Aufmerksamkeit  zu  widmen,  so  würde  der  Zweck 
erreicht  sein,  den  ich  verfolge. 

Ganz  besonders  die  praktischen  Aerztc  würden,  dess  bin 
ich  überzeugt,  allen  Grund  haben,  mit  den  Ergebnissen  in  ihrer 
Praxis  zufrieden  zu  sein. 

Der  Praktiker  wird  sich  an  dem  Erfolg  der  Kranken¬ 
behandlung  zunächst  genügen  lassen  können,  wenn  er  auch 
über  das  »Wo?«  und  »Wie?«  keine  Antwort  erhält. 

Wo  blieben  wir  mit  unseren  Leistungen  in  der  ärztlichen 
Kunst,  wenn  wir  darauf  warten  wollten,  alle  Fragen  erst  von 
der  ärztlichen  Wissenschaft  beantwortet  zu  sehen.  Das  wäre 
in  der  That  ein  merkwürdiger  Arzt,  der  mit  der  Anwendung 
des  Chinins  bei  der  Malaria  so  lange  warten  wollte,  bis  das 
Räthsel  des  Wirkungsmechanismus  enthüllt  wäre! 


REFERATE. 

I  Atlas  klinisch  wichtiger  Röntgen-Photogramme. 

Herausgegeben  von  Prof.  Freiherr  v.  Eiseisberg  und  Dr.  K.  Ludloff 

(Königsberg). 

Berlin  1900,  Aug.  Hirscbwald. 

II.  Atlas  de  Radiographie. 

Par  P.  Redard  et  F.  Laran. 

Paris  1900,  Masson  &  Co. 

III.  Röntgen-Atlas  des  normalen  menschlichen  Körpers. 

Von  L>r.  M.  Iiumelniann. 

Berlin  1900,  II  i  r  s  c  h  w  a  1  d. 

I.  Bei  der  immer  zunehmenden  Anwendung  und  steigenden 
Bedeutung  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Untersuchung  in  der  Medicin  und 
Chirurgie  einerseits  und  bei  der  meist  ungenügenden  Erfahrung  des 


einzelnen  Unlersuchers  auf  dom  neuen  Gebiete  andererseits  ist  das 
Erscheinen  von  Rö  n  tg  e  n  -  Atlanten  ein  dringendes  Bedürfniss; 
gute  Abbildungen  in  einem  solchen  Werke  ermöglichen  durch  Ver¬ 
gleich  die  richtige  diagnostische  Deutung  einer  schwer  verständlichen 
Platte  auch  für  den  weniger  Geübten.  Dies  leistet  der  vorliegende  Atlas. 
Auf  den  87  Lichldrucktafeln  desselben  sind  über  70  Röntgen- 
Bilder  (Verkleinerungen  von  Röntgen-  Platten,  von  G/10  cm  bis  zu 
13/18  cm  variirend)  wiedergegeben,  die  im  Laufe  der  letzten  drei  Jahre 
in  der  Königsberger  chirurgischen  Universitätsklinik  aufgenommen 
wurden.  Es  sind  durchwegs Roproductionen  von  negativen  Bildern, 
wie  sie  auf  den  photographischen  Platten  erscheinen.  Dass  nicht 
die  positiven  Bilder  verwendet  wurden,  erklärt  sich  daraus,  dass 
Chirurgen  meist  die  negativen  Originalplatten  besichtigen.  Dennoch 
wären  in  einem  Atlas  Positive  vorzuziehen,  da  sie  mit  dem  bei 
der  Durchleuchtung  des  Patienten  auf  dem  Rö  n  t  g  e  n- Schirme 
erscheinenden  Bilde  übereinstimmen.  Jeder  Tafel  ist  ein  Blatt  bei- 
gegeben,  welches  als  erläuternden  Text  kurz  die  Anamnese,  den 
klinischen  Status  und  den  Röntgen-Befund  des  Falles  enthält. 
Entsprechend  dem  Materiale  der  Klinik  handelt  es  sich  fast  durch¬ 
wegs  um  chirurgische  Fälle,  während  die  inedicinische 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Diagnostik  nicht  berücksichtigt  wird. 

Vor  Allem  sind  interessantere,  seltenere  Affectionen  vertreten, 
z.  B.  Fälle  von  Nierenecchinococcus,  Ureterenstein,  wo  die  klinische 
Diagnose  nicht  gestellt  werden  konnte,  ferner  typische,  für  den 
Unterricht  besonders  wichtige  Bilder,  z.  B.  Knochenentzündungen 
und  Tumoren,  Luxationen  und  Fracturen.  Besonders  dankenswerth 
ist  es,  dass  viele  Abbildungen  von  tuberculöserCaries, 
von  infectiöser  Osteomyelitis  und  von  deforrai- 
render  Arthritis  aufgenommen  wurden;  denn  Lei  diesen 
Affectionen  handelt  es  sich  um  Bilder,  welche  dem  auf  unserem 
Gebiete  unerfahrenen  Arzte  meist  schlecht  und  unbrauchbar  er¬ 
scheinen,  da  sich  die  Knochen  unscharf  und  unregelmässig  con- 
tourirt  darstellen  und  sich  von  den  Weichtheilen  nur  schwach  ab¬ 
heben;  gerade  in  diesen  Eigenschaften  des  Bildes  liegt  aber  unter 
Anderem  das  Charakteristische  der  Affection,  daher  ist  das  Studium 
solcher  Bilder  für  radioskopisch  Unerfahrene  besonders  wichtig. 
Freilich  muss  man,  um  aus  solchen  Röntgen  -  Platten  die  Diagnose 
machen  zu  können,  von  vornherein  wissen,  dass  die  Technik  der 
Anfertigung  derselben  eine  tadellose  gewesen  sei.  Und  die  Verfasser 
beherrschen  in  der  That  die  Technik. 

Empfindliche  Lücken,  die  im  Stoffe  bestehen,  sollen,  wie  die 
Verfasser  in  der  Einleitung  versprechen,  in  einer  späteren  Fort¬ 
setzung  des  Atlas  ausgefüllt  werden;  doch  ist  das  Werk  auch  in 
seiner  heutigen  Form  geeignet,  zur  Verbreitung  und  Vertiefung  der 
chirurgischen  Röntgen  - Diagnostik  beizutragen.  Deshalb  wünschen 
wir  dem  neuen  Königsberger  R  ö  n  t  g  e  n -Atlas  neben  anderen 
Publicationen  dieser  Art  eine  weite  Verbreitung.  Der  Preis  (gebunden 
M.  26. —  oder  31  K  20  h)  ist  in  Anbetracht  der  zahlreichen  guten 
Lichldrucktafeln  und  der  sonstigen  vorzüglichen  Ausstattung  kein 
allzu  hoher. 

* 

II.  Dieser  französische  Atlas  bildet  einen  Theil  der  Chirur¬ 
gie  infantile  et  ortho  p  e  di  quo  und  zeigt  den  Werth  der 
neuen  Untersuchungsmethode  für  Diagnose,  Prognose  und  Therapie 
bei  Deviationen  der  Wirbelsäule  (Rachitis  und  Pott’schem 
Uebel),  angeborenen  und  tuberculösen  Hüftgelenksluxationen  und 
anderen  Knochenerkrankungen  im  Kindesalter.  Die  Abbildungen 
—  circa  50  an  Zahl  —  sind  durchaus  nicht  schlecht,  zeigen 
aber  oft  nur  wenige  der  Details,  die  im  Texte  auf  Grund  des 
Studiums  der  Originale  aufgezählt  werden;  dies  liegt  nicht  etwa  an 
der  Ausstattung  des  Buches  —  diese  lässt  nichts  zu  wünschen 
übrig  —  und  auch  kaum  an  dem  von  L  o  n  g  u  e  t  in  Paris  ange¬ 
wendeten  Reproductionsverfahren  (Photocollographie),  sondern  wohl 
vorwiegend  an  der  ungeeigneten  Expositionstechnik  der  beiden 
Chirurgen;  denn  die  photographischen  Platten  dürften  insgesammt 
überexponirt  und  zu  dunkel  entwickelt  worden  sein,  die  Copien 
enthalten  fast  nur  Knochenbilder,  keine  Weichtheile;  durch  diese 
Mängel  ist  uns  der  Rückschluss  auf  das  Object  sehr  erschwert. 
Trotz  dieser  Nachtheile  wird  aber  das  Werk  den  Orthopäden  will¬ 
kommen  sein. 

* 

III-  Im  Formate  der  grossen  Atlanten  stellt  dieses  Werk  eine 
gelungene  und  vollständige  Sammlung  der  für  die  chirurgische  Praxis 


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wichtigen  Normalbilder  der  Regionen  des  normalen  Körpers  von  Kindern 
(im  mittleren  Kindesalter)  und  von  Erwachsenen  dar.  Es  sind  über  50 
von  Frisch  in  Berlin  ausgeführte  Lichtdrucke,  und  zwar  —  von 
vier  Bildern  abgesehen  —  in  der  natürlichen  Grösse  des  Originales. 
Es  ist  denselben  besonders  nachzurühmen,  dass  sie  wirklich  Normal¬ 
aufnahmen  sind,  sowohl  was  das  menschliche  Object,  als  auch 
was  die  Technik  der  Herstellung  betrifft  (Wahl  der  Lage  des 
Körpertheiles,  Richtung  der  Strahlen,  Entfernung  der  Röntgen- 
Röhre,  Qualität  und  Lichtstärke  derselben,  Plattensorte,  Expositions¬ 
zeit,  Art  der  Entwicklung  und  des  Copirens).  Dadurch  setzt  der 
Atlas  den  Anfänger  auf  dem  Gebiete  der  Radiologie  in  Stand,  an 
einem  von  ihm  selbst  oder  einem  Anderen  hergestellten  Röntgen- 
Bilde  durch  Vergleich  mit  dem  analogen  Bilde  des  Atlas  zu  be- 
urtheilen,  ob  seine  Aufnahme  alle  erforderlichen  Details  zeige,  also 
ob  sie  überhaupt  gelungen,  und  ob  Stellen,  die  ihm  etwa  als 
pathologisch  imponiren,  wirklich  von  der  Norm  abweichen. 

Die  Verbreitung  des  Werkes  dürfte  aber  aus  dem  Grunde 
eine  beschränkte  werden,  weil  die  meisten  Untersucher  sich  die 
genannte  Sammlung  von  Photographien  selbst  anlegen  können,  ja 
sogar  nothgedrungen  selbst  anlegen,  da  eine  grosse  Zahl  der  in 
der  Praxis  auf  Anomalien  hin  untersuchten  Fälle  keine  pathologi¬ 
schen  Veränderungen  aufweist.  Der  Preis  beträgt  gebunden 
Mark  32.—. 

Merkwürdiger  Weise  hat  Immelman  n  sein  Werk  v.  Ber  g- 
mann  gewidmet,  der  bekanntlich  der  vor  einem  Jahre  sonderbaren 
Vorstellungen  über  die  Wirkung  der  Röntgen-Strahlen  auf  den 
Organismus  öffentlichen  Ausdruck  lieh. 

Kien  b  ö  c  k. 


I.  Ueber  Myelitis  acuta. 

Von  Dr.  Willi.  Mager. 

Separatabdruck  aus  dem  siebenten  Hefte  der  »Arbeiten  aus  dem  Institute 
für  Anatomie  und  Physiologie  des  Centrainei vensystems  an  der  Wiener 
Universität  Prof.  Obersteiner«. 

124  Seiten. 

Leipzig  und  Wien  1900,  Franz  Deuti  c  k  e. 

II.  Zur  Kenntniss  der  Geistesstörungen  des  Greisen- 

alters. 

Von  Dr.  Heinrich  Schloss,  dirig.  Primararzt  der  niederüsterreicbiscken 

Landesirrenanstalt  in  Ybbs. 

Wiener  Klinik,  25.  Jahrgang,  Heft  9  und  10. 

45  Seiten. 

Wien  und  Berlin  1899,  Urban  &  Schwarzenberg. 

III.  Die  Frühdiagnose  der  progressiven  Paralyse. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Hochc  zu  Strassburg  i.  Eis. 

Zweite,  erweiterte  Auflage. 

63  Seiten 

Halle  a.  S.  1900,  Karl  Marhol  d. 

IV.  Somnambulismus  und  Spiritismus. 

Von  L.  Löwenfeld. 

57  Seiten. 

W  i  e  sb  a  d  e  n  1900,  J.  F.  Bergman  n. 

V.  Wie  sind  Geisteskrankheiten  zu  werthen? 

Von  Rudolf  Arndt. 

62  Seiten. 

Halle  a.  S.  1900,  Karl  Marhold. 

VI.  Die  Vision  im  Lichte  der  Culturgeschichte  und  der 

Dämon  des  Sokrates. 

Eine  cultur  geschieh  flieh -  psychiatrische  Studie. 

Von  Dr.  Knauer. 

188  Seiten. 

Leipzig,  Wilhelm  Friedrich. 

I.  Unter  Hinweis  auf  die  Differenzen  der  klinischen  und 
pathologisch-anatomischen  Auffassungen,  die  bezüglich  der  Myelitis 
bei  verschiedenen  Autoren  bestehen,  und  auf  die  Schwierigkeiten 
bei  der  Umgrenzung  ihres  Begriffes  werden  sieben  Fälle  von 
Myelitis  mit  ausführlichen  Krankengeschichten  und  genauen  histo¬ 
logischen  Befunden  unter  specieller  Verwertlmng  der  jüngeren  Li¬ 
teratur  einer  Bearbeitung  dieses  wichtigen  Capitels  der  Rücken¬ 
markskrankheilen  zu  Grunde  gelegt. 

In  dem  umfangreichsten,  der  pathologischen  Anatomie  ge¬ 
widmeten  Theile  der  Arbeit  ist  der  Autor  bestrebt,  Kriterien  für 
den  im  Bereiche  des  Nervensystems  bekanntlich  noch  sehr  schwan¬ 
kenden  Begriff  der  Entzündung  aufzustellen  und  eine  Scheidung 


zwischen  den  als  Erweichung  und  den  als  Entzündung  anzuspie- 
chenden  Befunden  vorzunehmen. 

Die  histologischen  Befunde  in  seinen  eigenen  und  den  Fällen 
aus  der  Literatur  werden  als  »Lückenfeld«  und  Nekrose  unter¬ 
schieden.  Unter  Lückenfeld  (blasiger  Zustand  Leyden's)  versteht 
der  Autor  erweiterte  Gliamaschen.  die  von  gequollenen,  oder  in 
Zerfall  begriffenen  Fasern,  oder  Fettkörnchenzellen  erfüllt,  oder 
auch  leer  sind.  Als  Nekrose  wird  der  herdförmige  Untergang  des 
gesammten  Gewebes  mit  Einschluss  der  Glia  bezeichnet.  Heide  diese 
Formen  von  Gewebsveränderungen  finden  sich  nebeneinander  und 
zeigen  Uebergänge.  ln  der  grauen  Substanz  findet  sich  nur  Nekrose. 
Die  myelitischen  Herde,  ob  Lückenfeld  oder  Nekrose  darstellend,  ver¬ 
breiten  sich  in  den  weissen  Strängen  keilförmig  mit  der  Basis  des 
Keiles  an  der  Peripherie  oder  haben,  mehr  central  gelegen,  eine 
ovale  oder  rundliche  Form,  was  den  Versorgungsgebieten  der  in 
das  Rückenmark  eindringenden  Gefässe  (nach  Untersuchungen  von 
K  a  d  y  i)  entspricht. 

Diese  Befunde  sind  der  Erweichung  und  Entzündung 
gemein.  Als  unterscheidendes  Merkmal  werden  Veränderungen  an  den 
Gefässen  herangezogen,  und  zwar  solche  acut  entzündlicher 
Natur.  Diese  sind  im  Beginne:  Hyperämie  und  leichte  Verdickung 
der  Intima,  weiterhin  kleinzellige  Infiltration  der  Adventitia,  oder 
der  ganzen  Gefässwand,  der  perivasculären  Lymphräume,  hoch¬ 
gradige  Verdickungen  der  kleinen  Gefässe,  Degenerationen  der 
Gefässwände  mit  hyaliner  Beschaffenheit;  die  Veränderungen 
finden  sich  an  den  Gefässen  des  Rückenmarkes  und  der  Pia;  eine 
entzündliche  Infiltration  der  Pia  selbst  kann  fehlen.  Manchmal  tritt 
eine  kleinzellige  Infiltration  des  Rückenmarkgewebes  hinzu. 

Eine  specielle  Beziehung  zur  Lues  haben  diese  Befunde 
nicht,  da  sie  auch  hei  nicht  luetischen  Fällen  vorhanden  waren; 
für  Lues  wären  nur  Gummen  an  den  Gefässen  charakteristisch. 

Lückenfeld  und  Nekrose  sind  Effecte  rein  degenerative:-  Vor¬ 
gänge,  wenn  sich  obige  Veränderungen  an  den  Gefässen  nicht  vor¬ 
finden,  wobei  leichte  Verdickungen  an  den  Gefässen  als  auch  den 
degenerativen  Processen  eigene  Vorkommnisse  nicht  in  Betracht 
kommen. 

Für  die  Qualificirung  des  Lückenfeldes  und  der  Nekrose  auch 
ohne  kleinzellige  Infiltration  des  Rückenmarkes  bei  bestehenden 
entzündlichen  Veränderungen  an  den  Gefässen  und  der  Pia  als 
entzündlich  ist  dem  Autor  die  Vorstellung  massgebend,  dass  das 
Entzündung  erzeugende  Agens  sofort  die  Nekrose  des  minder 
widerstandsfähigen  Rückenmarkgewebes  erzeugt,  während  es  an  den 
widerstandsfähigeren  Gefässen  und  eventuell  an  den  Rückenmarks¬ 
häuten  zur  Infiltration,  dem  für  die  Entzündung  charakteristischen 
Vorgänge  kommt. 

Was  die  Ausbreitung  der  Herde  betrifft,  so  ist  das  Auftreten 
in  multiplen  Herden  das  Primäre.  Durch  Confiuenz  derselben 
kommt  eine  Myelitis  ascendens  und  descendens,  oder  zusammen¬ 
hängende  Läsionen  des  ganzen  Querschnittes,  eine  Myelitis  trans¬ 
versa  zu  Stande.  Die  Verbreitung  der  Herde  über  grosse  Strecken 
des  Rückenmarkes  bedingt  den  Befund  einer  Myelitis  disseminata. 

Der  Ausgang  der  Myelitis  ist  dort,  wo,  wie  beim  Lückenfeld, 
die  Glia  erhalten  ist,  durch  nachträgliche  Wucherungen  derselben 
die  Sklerose.  Aus  den  nekrotischen  Herden,  in  denen  Glia  wie 
nervöse  Elemente  untergegangen  sind,  entwickeln  sich  Höhlen;  ein 
seltener  Ausgang  ist  die  Abscessbildung. 

In  dem  Gapitel  »Aetiologie«  werden  die  Infectionskrankheiten 
als  wichtigste  Ursache  der  Myelitis  erörtert.  Die  Infectionserreger 
und  deren  Toxine  geben  das  entzündunganfachende  Agens  ab. 
Manchmal  spielen  Infectionskrankheiten  nur  eine  disponirende  Rolle, 
indem  sie  im  Rückenmarke  einen  locus  minoris  resistentiae 
schaffen,  der  durch  secundäre  Infection  mit  Staphylococcen  und 
Streptococcen  myelitisch  erkrankt.  Die  gleiche  prädisponirende 
Rolle  spielen  Erkältungen,  Trauma,  und  Tntoxicationen  mit  anor¬ 
ganischen  und  organischen  Giften.  Letztere  allein  erzeugen  nur 
degenerative  Processe,  die  sich  als  solche  durch  den  Mangel  ent¬ 
zündlicher  Veränderungen  an  den  Gelassen  charakterisiren.  Bei 
secundärer  Ansiedlung  von  Entzündungserregern  kann  cs  zur  Myelitis 
kommen. 

Im  Capitol  »Klinik«  werden  Entwicklung,  Symptome,  \erlaul, 
Ausgang  und  Differentialdiagnose  der  Myelitis  erörtert. 

Gegenüber  Gold  sch  eider  setzt  sich  der  Autor  lür  die 
trophische  Entstehung  des  Decubitus  ein.  hehlen  des  Patel larrefl exes 


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bei  Sitz  der  Läsion  oberhalb  des  Reflexbogens  fand  sich  in  zwei 
Fällen  cervicaler  Myelitis  und  einem  Falle  einer  Querschnittsmyelitis 
des  Dorsalmarkes  unter  dem  Materiale  des  Autors. 

Im  Uebrigen  erfährt  das  genau  gekannte  klinische  Bild  der 
Myelitis  keine  Erweiterung. 

Ein  ausführliches  Literaturvereichniss  beschliesst  die  fleissige 
Arbeit,  deren  histologische  und  anatomische  Details  durch  zwei  gut 
ausgeführte  Tafeln  und  1  (  Abbildungen  im  lexte  in  instructiver 
Weise  illustrirt  sind. 

* 

II.  An  Hand  von  32  Fällen  geisteskranker  Individuen  jen- 
seits  der  Sechziger-Jahre  erörtert  der  Autor  die  Geistesstörungen  des 
Greisenalters.  In  65'6%  der  Fälle  dessen  sich  erbliche  Belastung, 
vorausgegangenes  Trauma  capitis,  Trunksucht  des  Kranken,  er¬ 
schöpfende  Erkrankung,  deprimirender  Affect,  apoplektischer  Insult 
als  prädisponirende  Momente  erheben.  In  einigen  Fällen  bestand 
eine  Combination  mehrerer  prädisponirender  Momente. 

Die  Krankheitsformen,  in  welche  obige  Fälle  unterzubringen 
sind,  sind  1 .  die  senile  Demenz,  innerhalb  welcher  noch  Unterschiede 
zwischen  Fällen  mit  allmälig  zur  Verblödung  fortschreitender 
psychischer  Schwäche,  Fällen  mit  Verwirrtheit,  Fällen  mit  dem 
nach  K  r  a  e  p  e  1  i  n  benannten  Bilde  des  Delirium  senile,  ferner  Fällen 
von  seniler  Demenz  mit  melancholisch  oder  manisch  gefärbten 
Zügen  und  schliesslich  solchen  mit  periodisch  wiederkehrenden 
manischen  Aufregungszuständen  zu  betonen  sind;  2.  die  agitirte 
Melancholie;  3.  acute  hallucinatorische  Verwirrtheit  mit  Ausgang 
in  Genesung;  4.  circuläre  Geistesstörung  und  5.  senile  Paranoia. 
Unter  den  Fällen  letzterer  Kategorie  finden  sich  solche,  die  in 
Folge  der  Demenz  und  stärkerer  affectiven  Störungen  das  Bild  der 
Paranoia  in  nicht  ganz  klarer  Ausprägung  bieten,  dann  aber  auch 
typische  Fälle  von  Paranoia. 

Die  Details  betreffs  der  klinischen  Bilder  der  einzelnen 
Formen,  ihrer  Entstehungs-  und  Verlaufsweise,  des  Antheiles  der 
einzelnen  prädisponirenden  Momente  an  der  Aetiologie  der  ver¬ 
schiedenen  Formen,  der  anatomischen  Befunde  sind  im  Originale 
nachzusehen. 

* 

III.  Das  Heft,  das  jetzt  nach  drei  Jahren  in  zweiter  Auflage  er¬ 
schienen  ist,  ist  ein  guter,  ziemlich  erschöpfender  Wegweiser  im 
Sinne  seines  Titels.  Es  handelt  sich  hiebei  um  eine  mit  den  Be¬ 
dürfnissen  des  in  der  Praxis  stehenden  Arztes  rechnende,  vor¬ 
aussetzungslose  Darstellung  mit  übersichtlicher  und  auf  die  Dignität 
der  Symptome  Rücksicht  nehmender  Anordnung  des  Stoffes.  Dem 
Psychiater  vom  Fache  bringt  die  Abhandlung  nichts  Neues. 

* 

IV.  Die  obigen  Titel  tragende  Abhandlung,  das  erste  Heft 
der  vom  Verfasser  und  H.  Kurella  redigirten  und  für  Gebildete 
aller  Stände  bestimmten  »Grenzfragen  des  Nerven-  und  Seelen¬ 
lebens«,  behandelt  in  einer  auch  Laien  zugänglichen  und  zugleich 
wissenschaftlichen  Anforderungen  gerecht  werdenden  Weise  den 
Somnambulismus  in  seinen  verschiedenen  Spielarten  und  wendet 
sich  in  gebührend  scharfer  Kritik  gegen  den  Spiritismus.  Wir 
lernen  letzteren  hier  als  eine  absurde  Irrlehre  kennen,  die  viel¬ 
fach  die  natürlichen  Erscheinungen  des  Somnambulismus  als  Be¬ 
weise  für  die  Existenz  eines  mit  allen  erdenklichen  wunderbaren 
Fähigkeiten  ausgestatteten  Spirit  heranzieht,  eines  unter  gewöhn¬ 
lichen  Verhältnissen  sich  nicht  kundgebenden  seelischen  Theiles 
des  Menschen,  der  unsterblich  ist,  der  nach  dem  leiblichen  Tode 
des  Menschen  aber  noch  eine  Reihe  sinnlich  wahrnehmbarer  Er¬ 
scheinungen  hervorzurufen  vermag  und  nur  durch  Vermittlung  der 
geeigneten  Medien,  hiezu  ausgebildeter  Somnambulen,  mit  den  Le¬ 
benden  in  Verkehr  tritt. 

Nach  Besprechung  der  klinischen  Erscheinungsweise  des 
spon  tanen  Somnambulismus  (Schlaf-,  Nachtwandeln)  bei  Neu¬ 
rosen,  dann  des  künstlichen,  dem  Gebiete  der  Hypnose  ange¬ 
hörenden  Somnambulismus  werden  als  aussergewöhnliche  Erschei¬ 
nungen  des  letzteren  Phänomene  erörtert,  die  den  Spiritisten  zur 
Stütze  ihrer  Lehre  dienen:  Das  Hell-  und  Fernsehen,  Fernwirken, 
Gedankenübertragung,  Vorahnung,  Weissagen,  Transposition  der 
Sinne,  das  Reden  in  fremden,  nicht  erlernten  Sprachen.  Wiewohl 
der  Autor  findet,  dass  die  meisten  Angaben  über  obige  Leistungen 
Somnambuler  einer  rationellen  Kritik  nicht  Stand  halten,  lehnt  er 


nicht  ohne  Weiteres  die  Möglichkeit  des  Hellsehens,  des  räum¬ 
lichen  Fernsehens  und  Fernwirkens,  der  Gedankenübertragung  ab- 
und  dies  unter  Berufung  auf  Berichte  von  glaubwürdiger  Seile, 
von  bekannten  Aerzten  und  Naturforschern.  Für  die  Erklärung  des 
Hellsehens,  des  Sehens  verhüllter  Gegenstände,  zieht  er  die  be¬ 
kannte  Thatsache  der  Verschärfung  der  Sinne  bei  hypnotischen 
Somnambulen  und  die  physiologische  Möglichkeit  heran,  dass  die 
Netzhaut  unter  gewissen  Umständen  die  Fähigkeit  erlangt,  von 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen,  dunklen  Wärme-,  oder  ultravioletten  Strahlen 
erregt  zu  werden;  für  die  Telepathie,  die  Gedankenübertragung 
ohne  Vermittlung  der  bekannten  menschlichen  Sinne,  wäre  an  die 
Möglichkeit  der  Einwirkung  materieller  Vorgänge,  welche  die  Be¬ 
wusstseinsacte  beim  Agenten  (dem  Beeinflussenden)  begleiten,  auf 
das  Gehirn  des  Percipienten  (des  Beeinflussten)  milleist  eines  bisher 
unbekannten  physischen  Agens  zu  denken.  Eine  Analogie  hiezu 
nach  der  physikalischen  Seite  wäre  die  Marconi'sche  drahtlose 
Telegraphie. 

Eine  Prüfung  der  vorliegenden  Daten  lässt  den  Autor  das 
Bestehen  von  Vorahnungen,  das  Weissagen,  die  Möglichkeit  einer 
Wahrnehmung  mit  nichtadäquaten  Sinnen  oder  Körperlheilen,  die 
angebliche  Gabe  mancher  Medien,  im  sogenannten  Trancezustande 
in  fremden  Zungen  zu  reden,  als  jeder  Grundlage  entbehrend  ver¬ 
werfen.  Die  gegen  Schopenhauer  und  Rieh  et,  als  Bekenner 
der  Gabe  des  Weissagens,  ins  Treffen  geführten  Reflexionen  sind 
wohl  als  stichhältig  zu  bezeichnen. 

Es  ist  zugegeben,  dass  sich  der  Autor  bei  der  Erörterung 
seines  für  ernste  medicinische  Kreise  ungewöhnlichen  Themas  einer 
wissenschaftlichen  Methode  befleissigt.  Es  darf  aber  die  Frage  auf¬ 
geworfen  werden,  ob  seine  berechtigte,  starke  Skepsis  gegenüber 
zahlreichen,  von  ihm  sogenannten  aussergewöhnlichen  Erscheinungen 
des  Somnambulismus  nicht  auch  auf  die  von  ihm  theilweise  accep- 
tirten  Erscheinungen  des  Hellsehens  und  räumlichen  Fernsehens 
auszudehnen  wäre? 

Bei  der  vom  Autor  selbst  betonten  geringen  Anzahl  der  nach 
dieser  Richtung  vorliegenden  positiven  Daten,  für  deren  Positivität 
er  sich  nur  auf  die  Autorität  anderer  Autoren,  darunter  allerdings 
auch  solcher  von  gutem  Klange  (R  i  c  h  e  t,  Janet,  L  i  e  b  a  u  1 1) 
berufen  kann  und  bei  dem  Mangel  vom  Autor  selbst  gesammelter 
Erfahrungen  erscheint  obige  Frage  wohl  gerechtfertigt. 

Immerhin  darf  die  Abhandlung  als  Stellungnahme  eines 
literarisch  vortheilhaft  bekannten  Arztes  gegenüber  dem  in  mysti¬ 
sches  Dunkel  sich  hüllenden  Spiritismus  als  interessante  Lecture 
empfohlen  werden. 

* 

V.  Nach  Ansicht  des  Autors  bedarf  es  der  richtigen  philoso¬ 
phischen  Weltanschauung,  um  erfolgreich  den  Geisteskrankheiten 
entgegentrelen  zu  können.  Ungeeignet  hiezu  erscheint  ihm  der 
Dualismus  mit  seiner  Lehre  von  dem  Gegensätze  zwischen  Stoff 
und  Kraft,  zwischen  Körper  und  Geist  bei  lebenden  Wesen,  ebenso 
der  Materialismus  als  Monismus  mit  seiner  Auffassung  der  Psyche 
als  reine  Kraftäjsserung  der  Materie.  Sich  über  den  Auspruch 
Du  Bois-Reymond’s  hinsichtlich  der  Unergründlichkeit  des  Be¬ 
wusstseinsproblems  hinwegsetzend  findet  der  Autor  des  Räthsels 
Lösung  in  der  Anschauung,  dass  das  Bewusstsein  gleich  den 
anderen  bekannten  Naturkräften  der  Elektricität,  Licht  etc.  nur 
eine  besondere  Modification  einer  Urkraft  sei.  Der  Stoff,  die  Materie 
sei  nur  eine  Ansammlung  von  Kräften  und  sei  nur  deshalb  ver¬ 
schieden  in  sich,  weil  die  ihn  darstellenden  Modificationen  der  Ur¬ 
kraft  verschieden  sind.  Kraft  und  Stoff  wären  etwas  Einheitliches, 
der  Stoff  sei  gehemmte  aufgehaltene  Kraft,  und  Kraft  blos  solche, 
die  sich  stärker  bethätigt.  Das  Weltall  sei  von  einer  sich  selbst 
bewussten  Kraft  erfüllt.  Die  hier  in  knappester  Form  wieder¬ 
gegebene  Weltanschauung  bezeichnet  der  Autor  als  wahren  be¬ 
wussten  Monismus.  Dieser  führt  den  Autor  auf  dem  Wege  wei¬ 
terer,  nicht  ganz  klarer  Argumentirung  zu  dem  Lehren  älterer 
Psychiater  zurück,  wonach  alle  Formen  von  Geistesstörung  sich 
auf  den  einen  Typus  psychischen  Krankseins  zurückführen  lassen, 
auf  die  Vesania  typica. 

In  der  Auffassung  und  Darstellung  derselben  lehnt  sich 
Arndt  vollständig  an  die  Schöpfer  dieser  Lehre,  an  Neu  m  ann 
und  den  Ausgestalter  derselben,  an  Kahl  bäum  an,  ohne  dass 
Neumann  dabei  entsprechend  gewürdigt  würde.  Die  von  ihm 
versuchte  Einordnung  der  erst  seit  Snell.  W  e  s  t  p  h  a  1  und 


Nr.  37 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


833 


Bander  gekannten  primären  Verrücktheit  (Paranoia)  in  das  Schema 
der  Vesania  typica  ist  eine  gekünstelte,  unnatürliche. 

Was  aber  den  eigentlichen  Zweck  der  Schrift  betrifft,  für  die 
Kennzeichnung  der  vom  Autor  eingeräumten  Verschiedenheiten  der 
bei  jeder  psychischen  Störung  in  Betracht  kommenden  Vesania 
typica  auch  besondere  Bezeichnungen  je  nach  den  ätiologischen 
Momenten  zu  empfehlen,  was  der  Autor  mit  dem  Ausdrucke,  die 
Psychosen  richtig  zu  werthen,  bezeichnet,  so  wäre  dies  ein  gewiss 
zu  acceptirender  Standpunkt  bei  der  Eintheilung  der  Psychosen, 
wenn  die  Aetiologie  der  Geistesstörungen,  beziehungsweise  die  Zu¬ 
sammengehörigkeit  bestimmter  Formen  geistiger  Störung  mit  be¬ 
stimmten  ursächlichen  Factoren  ein  so  genau  gekanntes  Gebiet 
wäre,  wie  dies  der  Autor  annimmt. 

* 

VI.  Eine  interessante,  auf  fleissiges  Quellenstudium  basirte 
Studie  über  die  Rolle,  welche  die  Vision  in  der  Geschichte  der 
Völker  bis  auf  die  Neuzeit,  im  Leben  grosser  geschichtlicher  Per¬ 
sönlichkeiten  gespielt  hat,  ferner  über  die  Verwerthung  derselben 
für  die  Dichtkunst  durch  grosse  Dichter  verschiedener  Zeitepochen 
und  schliesslich  über  das  »Dämonion  des  Sokrates«  unter  energi¬ 
scher  Stellungnahme  gegen  Nietzsche,  der  Sokrates  für  geistes¬ 
krank  erklärte.  E 1  z  h  o  1  z. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

328.  Ein  Firniss  für  die  Hand  des  Chirurgen. 
Von  J.  Levai  (Budapest).  Levai  versuchte  die  bei  Operationen 
verwendeten  Kautschukhandschuhe  durch  einen  isolirenden  asepti¬ 
schen  Firniss  zu  ersetzen.  Er  mengt  einen  Theil  Copallak  mit  zwei 
Theilen  venetianischen  Terpentins.  Ueber  gelinder  Wärme  wird  die 
Mischung  so  lange  umgerührt,  bis  sie  zu  einer  gleichmässigen 
glasigen  Masse  wird.  Nach  dem  Erkalten  wird  diese  in  100  Theilen 
Schwefeläther  gelöst  und  100  Theiie  Collodium  zugesetzt.  Die 
etwas  trübe  Lösung  wird  durch  Zusatz  von  8  Theilen  Aceton 
geklärt.  Diese  auf  die  Hand  mit  sterilisirter  Pincette  aufgetragene 
Masse  bildet  in  wenigen  Minuten  einen  geschmeidigen  fest  haftenden 
Ueberzug,  welcher  die  Bewegungen  der  Hand  und  deren  Tastgefühl 
nicht  beeinträchtigt.  Nach  der  Operation  werden  die  Hände  mit 
einer  in  einen  Theil  Alkohol  und  zwei  Theilen  Aether  getauchten 
Compresse  abgerieben.  Der  Firniss  hat  nur  den  Nachtheil,  die  Be¬ 
rührung  mit  heissem  Wasser  (über  50°  C.)  nicht  zu  vertragen. 
Jedenfalls  sollen  die  Hände  vor  Einreibung  des  Firnisses 
desinficirt  werden.  —  (La  Semaine  Med.  31.  25.  Juli  1900.) 

Sp. 

* 

329.  Die  Wanderleber  und  ihre  klinische  Be¬ 

deutung.  Von  Prof.  Einhorn  (New  York).  Mau  versteht  unter 
ihr  eine  Leber,  die  nach  unten  gesunken  ist  und  theilweise  oder 
ganz  zurückgeschoben  werden  kann.  Zu  betonen  ist,  dass  dieselbe 
nicht  gar  so  selten  ist.  Ihre  Aetiologie  ist  noch  nicht  ganz  auf¬ 
geklärt.  Manche  Fälle  machen  gar  keine  Symptome,  in  anderen 
bestehen  Dyspepsie,  viele  in  der  oberen  Bauchgegend  selbst  mit 
leichten  asthmatischen  Beschwerden  verbunden,  Schmerzen  in  der 
Lebergegend,  die  oft  nach  dem  Rücken  und  den  Schulterblättern 
ausstrahlen,  Koliken,  ähnlich  denen  bei  Gallensteinen,  jedoch  ge¬ 
wöhnlich  ohne  Ikterus.  Die  Diagnose  stützt  sich  auf  die  Percussion 
und  Palpation.  Normal  beginnt  die  Leberdämpfung  im  fünften 
Intercostalraume,  bei  Wanderleber  bedeutend  tiefer  und  reicht  bis 
zum  Nabel  oder  noch  tiefer.  Wichtig  ist  ein  tympanitischer  Schall 
am  Schwertfortsatze  als  Ausdruck  dafür,  dass  Därme  oberhalb  des 
linken  Leberlappens  liegen.  Die  Percussion  ist  im  Liegen  und 
Stehen  auszuführen.  Zu  beachten  ist,  dass  auch  ein  intrathoracales 
Exsudat  die  Leber  abwärts  drängen  kann.  Bei  der  Behandlung 
spielt  die  Kräftigung  des  Organismus,  also  die  Diät,  eine  Haupt¬ 
rolle.  Symptomatisch  nützt  oft  das  Tragen  einer  geeigneten  Leib¬ 
binde.  —  (Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische  Therapie. 
Bd.  I,  Heft  2.)  Pi. 

* 

330.  Heber  die  Anwendung  strömenden  Wasser¬ 
dampfes  in  der  Chirurgie  und  Hygiene.  Von  Antoci. 
Im  Gegensätze  zur  Anwendung  geschlossenen  Dampfes  zur  Des- 
infection  ist  die  Verwerthung  des  strömenden  Wasserdampfes,  aus¬ 


genommen  etwa  durch  die  Laryngologen,  noch  zu  wenig  verbreitet. 
Schon  Sneguiroff  (Moskau)  rühmt  dessen  hämostalischo 
Wirkung  und  neuerlich  wurde  dieselbe  von  italienischen  Aerzten 
bei  Verwundungen  der  Leber  experimentell  geprüft.  Der  Wasser¬ 
dampf  ist  aseptisch,  die  Blutstillung  unmittelbar  und  dauernd  bei 
einer  Temperatur  des  Strahles  von  etwa  7J°  C.  Dasselbe  wird  bei 
durchschnittenen  kleinen  Arterien  beobachtet.  Das  geronnene  Blut 
überzieht  die  Wunden  wie  ein  Firniss.  Heilung  per  primam,  ja 
sogar  Neubildung  des  Drüsengewebes  in  der  verletzten  Leber.  Ver¬ 
minderter  Gebrauch  anderer  hämostatischer  Mittel,  Entbehrlichkeit 
der  oft  schädlichen  antiseptischen  Waschungen,  während  beim 
Dampfgebrauche  zwischen  den  Wundrändern  ein  dünnes  aseptisches 
Stratum  einer  albuminoiden  Substanz  gebildet  wird,  welches  als 
nutritives  Element  die  Heilung  beschleunigt.  So  muss  also  der 
strömende  Wasserdampf  dort  zur  Verwendung  kommen,  wo  die 
Esmarch’  sehe  Binde  nicht  angelegt  werden  kann,  hauptsächlich 
aber  bei  Operationen  an  Organen  der  Bauchhöhle,  Leber,  Milz  etc.  Von 
acht  Hunden  mit  Leberresection  verloren  Fiori  und  Giaucola 
nur  zwei,  und  diese  aus  anderen  Ursachen.  Der  strömende  Wasser¬ 
dampf  befördert  die  Uteruscontractionen  und  kann  auch  zur  Des- 
infection  der  Vagina  statt  der  Irrigationen  mit  heissem  Wasser 
verwendet  werden.  In  der  Hygiene  ist  dieses  Mittel  zur  Desinfection 
der  Fussböden,  Wände,  Möbel,  der  Sputa  und  zur  Tödtung  von 
Inseeten  von  Bedeutung.  Dem  strömenden  Wasserdampfe  kommt 
eine  diffusive  Wirkung  zu,  die  sich  zum  Beispiel  in  der  Leber 
vom  kleinsten  Lappen  bis  über  das  ganze  Organ  ausbreiten  kann, 
Coagulation,  Veränderung  der  Consistenz  u.  s.  w.  hervorrufend. 
Jedenfalls  ist  Vorsicht,  Vermeidung  zu  hoher  Temperatur,  zu  langer 
Dauer  der  Einwirkung,  allzugrosser  Nähe  des  Apparates  geboten. 
Dem  Berichte  Antoci’s  ist  die  Beschreibung  und  Abbildung  des 
von  ihm  erdachten  Apparates  beigefügt.  —  (Gaz.  degli  Osped.  93. 
5.  August  1900.)  Sp. 

* 

331.  Gefahren  der  Lumbalpunction;  plötzliche 
Todesfälle  darnach.  Von  Prof.  Gumpreeht  (Jena).  Es  ist 
bekannt,  dass  die  Lumbalpunction,  von  hie  und  da  auftretenden 
Kopfschmerzen  abgesehen,  in  der  Regel  ohne  üble  Folgen  verläuft. 
Zu  den  üblen  Zufällen  gehört  das  Abbrechen  der  Nadel,  das  wohl 
in  der  Weise  zu  Stande  kommt,  dass  bei  passiven  Lagever¬ 
änderungen  die  starke  Rückenmusculatur  die  Nadel  über  dem 
Wirbelbogen  als  Hypomochlion  abknickt.  Zu  rascher  Abfluss  der 
Flüssigkeit  ist  manchmal  von  besonders  hochgradigen  Kopfschmerzen 
gefolgt;  einmal  hatte  Gumpreeht  am  Tage  nach  der  Punction 
bei  einem  Paralytiker  taumelnden  Gang  und  heftige  Rücken¬ 
schmerzen  beobachtet.  Eine  ganz  besondere  Beachtung  verdienen 
die  n  a  c  h  einer  Lumbalpunction  plötzlich  eingelretenen  Todesfälle, 
deren  bisher  15  beschrieben  worden  sind,  und  von  welchen  die 
Hälfte  als  directe  Folge  der  Punction  angesehen  werden  müssen. 
Verfasser  berichtet  über  zwei  weitere  einschlägige  Fälle.  In  fast 
allen  diesen  Fällen  war  der  Tod  bei  Kranken  mit  Hirntumoren, 
besonders  der  hinteren  Schädelgrube,  und  zwar  manchmal  schon 
nach  wenigen  Minuten  eingetreten.  Charakteristisch  ist,  dass  zumeist 
die  Atlnnung  früher  als  die  Herzthätigkeit  aufhört.  An  der  Leiche 
pflegt  man  die  Höhlen  des  Centralnervensystems  in  verschiedenem 
Zustande  zu  treffen:  Cerebralwärts  vom  Tumor  sind  die  Ventrikel 
mächtig  erweitert,  spinalwärts  eng  oder  nur  mässig  weit.  Die  Stelle 
des  Abflusses  zwischen  Hirn-  und  Rückenmarkslymphe  liegt  ent¬ 
weder  am  Aquäduct  oder  in  der  Gegend  des  M  age  n  d  i  e'schen 
Loches;  ersterer  wird  durch  den  directen  Druck  des  Tumors, 
letztere  durch  das  zapfenartig  in  das  Hinterhauptsloch  hinein¬ 
gepresste  Kleinhirn  zusammengedrückt  und  verschlossen.  So  weit 
die  Erfahrungen  reichen  und  bei  diesen  Fällen  überhaupt  eine 
Anzeige- vorhanden  ist,  den  doch  sicheren  Tod  zu  verzögern,  wird 
es  nahegelegt,  die  Trepanation  und  Ventrikelpunction,  erforderlichen 
Falles  unter  künstlicher  Atlnnung  zu  versuchen.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  24.) 

* 

332.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  des  Pro¬ 
fessors  Koch  in  Berlin.)  Ueber  den  Werth  derCourm  o n  t- 
sehen  Serumreaction  für  die  Frühdiagnose  der 
T  u  b  e  r  c  u  1  o  s  e.  Von  Prof.  Beck  und  Dr.  R  a  b  in  owi  tsc  h 
Auf  dem  Tuberculosecongresss  zu  Paris  1898  hatten  Arloing 
und  .Courmont  darauf  hingewiesen,  dass  das  Blutserum  an 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  37 


Tuberculose  erkrankter  Personen  im  Stande  sei,  Culturen  von 
Tuberkelbacillen,  welche  die  Bouillon  gleichmässig  trüben,  zu 
agglutiniren,  und  dass  dieser  Reaction  derselbe  diagnostische  Werth 
zukomme,  wie  der  K  o  c  h'schen  Tuberculinreaction.  Umfangreiche 
Nachprüfungen  ergaben,  dass  dieser  von  Courmont  als  »Clarifi¬ 
cation«  bezeichnele  Vorgang  für  Tuberculose  nicht  specifisch  ist, 
indem  er  bei  sicher  nicht  tuberculösen  Menschen  und  Tbieren 
vorkommt,  andererseits  in  vielen  Fällen  beginnender  Tuberculose 
ausbleibt.  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1 900,  Nr.  25.) 

* 

333.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  H i  1  d e  br  a n  d 
in  Basel.)  Untersuchungen  über  die  angebliche 
Contagiosität  des  Erysipels.  Von  Dr.  Respinger. 
Weder  Schuppen  noch  Blaseninhalt  sind  nach  Verfasser  im  Stande 
ein  Contagion  zu  vermitteln.  Die  Gefahr  der  Uebertragung  darf 
nicht  hoch  angeschlagen  werden.  Das  Erysipel  gehört  in  die 
Kategorie  der  Wundinfectionskrankheiten  (Phlegmone,  Lymphangioitis, 
Pyämie  etc.),  und  Erysipelkranke  demnach  auf  die  septischen  Ab¬ 
theilungen,  aber  es  ist  kein  Grund  vorhanden,  sie  ganz  besonders 
zu  isoliren.  Die  Infectiosität  einer  Streptococccnphlegmone  mit  er- 
öffnetem  Abscess  ist  viel  grösser  als  die  eines  Gesichtserysipels.  Aus 
dem  Gesagten  ergibt  sich  auch  das  Urtheil  über  die  Nothwendigkeit 
einer  Anzeigepflicht  des  Erysipels;  wird  dieses  angezeigt,  dann 
müsste  mit  gleichem  Rechte  jeder  phlegmonöse  Process  angezeigt 
werden.  —  (Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XXVI,  Heft  2.) 

* 

334.  Beitrag  zur  Racenimmunität.  Von  M.  P  r  e  1 1- 
ncr,  Thierarzt  in  Prag.  Vom  Büffel  ist  bekannt,  dass  man  bei 
ihm  die  wenigsten  pathologisch-anatomischen  Befunde  findet. 
Unter  3912  geschlachteten  Büffeln  hat  Verfasser  bei  42G  Echino¬ 
coccus,  zweimal  Aktinomykose,  selten  Distomum  vorgefunden; 
damit  sind  die  Befunde  erschöpft.  Tuberculose  ist  niemals  vor¬ 
gefunden  worden.  Um  der  Frage  der  Uebertragbarkeit  der  Tuber¬ 
culose  auf  Büffel  näher  zu  treten,  wurde  ein  sehr  schlecht  ge¬ 
nährtes  Büffelkalb  mit  5 g  einer  sehr  virulenten  Tuberkelbacillen- 
cultur  intravenös  und  mit  20  <7  intraperitoneal  geimpft.  Zur  Con- 
trole  wurde  ein  gut  genährtes  polnisches  Kalb,  aber  mit  einer 
kleineren  Bacillenmenge  in  gleicher  Weise  behandelt.  Letzteres  war 
der  Infection  schon  nach  drei  Wochen  erlegen,  und  die  Section 
des  ganz  abgemagerten  Thieres  ergab  eine  allgemeine  Tuberculose. 
Der  Büffel  wurde  nach  fünf  Wochen  getödtet  und  vollkommen 
gesund  befunden;  nur  an  der  peritonealen  Injectionsstelle  befand 
sich  im  II  nlerhau  t  z  e  1 1  g  e  w  e  b  e  ein  abgekapseller  tuberculöser 
Herd,  der  wahrscheinlich  dadurch  entstanden  war,  dass  hei  der 
Impfung  einige  Tropfen  der  Cultur  unter  die  Haut  gelangt  waren. 
In  ähnlicher  Weise  können  auch  bei  dem  gegen  Rotz  erwiesener- 
massen  immunen  Rind  local  Eiterherde  mit  Rotzbacillen  darin  ent¬ 
stehen.  Eine  zweite  Impfung  an  einem  anderen  Büffel  führte  zu 
dem  gleichen  negativen  Resultate.  Ob  es  sich  beim  Büffel  that- 
sächlich  um  eine  Immunität  gegen  Tuberculose  oder  um  eine  hoch¬ 
gradige  Resistenz  in  Folge  durch  Generationen  andauernder  Tuber¬ 
eulosefreiheil  handle,  müssen  erst  weitere  Beobachtungen  ergeben. 

(Centralblatt  für  Bacteriologie.  1900,  Nr.  22,  23.) 

* 

335.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Königsberg.)  lieber 
die  Desinfection  mit  Typhusbacillen  inficirter 
Badewässer.  Von  Dr.  B  a  bucke.  Der  Desinfection  von  Bade¬ 
wässern,  in  denen  Typhuskranke  gebadet  worden  sind,  wird  viel¬ 
fach  zu  wenig  Beachtung  geschenkt.  Nach  den  Versuchen  des 
Verfassers  genügen  200 g  von  dem  billigen,  ungefährlichen,  die 
Wanne  nicht  schädigenden  Chlorkalk,  um  ein  Vollbad  von  200/, 
selbst  wenn  es  mit  festem  Typhusstuhl  verunreinigt  ist,  hei  einer 
halbstündigen  Einwirkung  vollständig  zu  desinficiren.  —  (Centralblalt 
für  Bacteriologie.  1900,  Nr.  22,  23.) 

* 

336.  Die  chronische  a  tonische  Obstipation. 
Von  Dr.  W  e  s  t  p  h  a  1  e  n  (Petersburg).  Bei  dieser  Art  der  Obstipation 
hat  man  es  hauptsächlich  mit  Einflüssen  zu  thun,  welche  die 
Darmfunetion  hemmen.  Der  Darminhalt  übt  einen  zu  geringen  Reiz 
aut  die  Darmschleimhaut  aus  (ungenügende  oder  unzweckmässUe 
Nahrung);  Schwäche  der  Darmmusculalur,  und  zwar  dauernd  bei 


Hypoplasie,  vorübergehend  bei  schwächenden  Erkrankungen;  oder 
die  Ursache  liegt  in  der  Nervenleitung,  in  einer  venösen  Stauung, 
in  einer  vom  Centralnervensystem  ausgehenden  Hemmung  (Melan¬ 
cholie).  Eine  Form  der  chronischen  Stuhlträgheit  besteht  noch 
darin,  dass  der  Darminhalt  normal  bis  an  den  Mastdarm  gelangt, 
aber  hier  namentlich  in  Folge  einer  mangelhaften  Function  der 
Bauch-  und  wahrscheinlich  auch  Beckenmuskeln  hegen  bleibt.  Aus 
diesen  ätiologischen  Momenten  ergibt  sich  auch  der  Fingerzeig  für 
die  Therapie.  In  vielen  Fällen  muss  eine  den  Darm  reizendere  Kost 
verordnet  werden;  der  Fleischgenuss  ist  einzuschränken,  reichliche 
Kohlehydrate  und  Cellulose  zuzuführen.  Im  Anfänge  steigern  sich 
hiebei  häufig  die  Beschwerden,  die  Flatulenz  wird  stärker,  bis  der 
Stuhlgang  sich  geregelt  hat.  ln  sehr  hartnäckigen  Fällen  kann  diese 
Therapie  durch  Verabreichung  von  täglich  drei  bis  vier  Esslöffel 
Milchzucker,  in  Milch  oder  Cacao,  oder  wenn  dieser  nicht  ausreicht, 
durch  weitere  Abführmittel  unterstützt  werden.  Hin  und  wieder 
verordnet  Westphalen  zu  Beginn  der  Therapie  Oelklysmen, 
wenn  der  Stuhl  schon  durch  mehrere  Tage  ausgeblieben  und 
Wassereinläufe  vergeblich  gewesen  waren.  Sie  empfehlen  sich  mehr 
für  die  spastische  Obstipation.  Den  Gebrauch  von  Mineralwässern 
hält  Verfasser  bei  der  anatomischen  Obstipation  für  vollständig 
contraindicirt.  —  (Archiv  für  Verdauungskrankheiten.  Bd.  VI, 
Heft  2.) 

* 

337.  Z  w  e  i  räthselhafte  Fracturenbefunde.  Von 
Dr.  Lauenstein  (Hamburg).  Der  erste  Fall  betrifft  einen  42j übri¬ 
gen  Kaufmann,  der  wegen  einer  schon  seit  Wochen  schweren 
Phlegmone  des  linken  Unterschenkels  auf  die  chirurgische  Ab- 
theilung  aufgenommen  worden  war.  Der  Kranke,  welcher  bis  zu¬ 
letzt  herumgegangen,  war  am  Vortage  der  Operation  in  seiner 
Wohnung  gefallen.  Das  war  das  einzige  Trauma,  das  vom  Kranken 
und  seiner  Umgebung  batte  eruirl  werden  können.  Bei  der  Spaltung 
der  Phlegmone  fand  man  eine  vollständige  Vereiterung  sämmtlicher 
Fusswurzelgelenke,  eine  bis  zum  Knie  reichende  intermusculäre 
Phlegmone  und  zum  grössten  Erstaunen  einen  in  etwa  zehn  Stücke 
zertrümmerten  Calcaneus.  Zeichen  einer  frischen  Blutung  oder  einer 
äusseren  Verletzung  fehlten  vollständig.  Trotz  angeschlossener  trans- 
kondylärer  Oberschenkelamputation  ging  der  Kranke  zu  Grunde. 
Eine  Erklärung  für  die  Zertrümmerung  des  Calcaneus  konnte  nicht 
gefunden  werden,  man  müsste  höchstens  annehmen,  dass  der 
Kranke,  der  Potator  war,  in  einem  Zustande  beträchtlicher  Trunken¬ 
heit  ein  entsprechendes  Trauma  erlitten  lullte.  - —  Der  zweite  Fall 
betrifft  einen  25jährigen  Mann,  der  angeblich  nie  an  Gonorrhoe 
gelitten  hat  und  der  mit  einer  eiterigen  Entzündung  des  rechten 
Ellbogengelenkes  aufgenommen  wurde,  welche  schon  seit  sechs 
Wochen  bestand  und  die  mit  einer  Furunkel  am  Nacken  einge¬ 
leitet  worden  war.  Das  Ellbogengelenk,  durch  eine  lange  Incision 
eröffnet,  fand  sich  mit  dünnflüssigem  Eiter  gefüllt,  das  Olecranon 
ausserdem  in  10  Stücke  zerfallen.  Durch  Nachforschungen  stellte 
es  sich  heraus,  dass  der  Patient  acht  Tage  vor  seiner  Erkrankung 
sich  mit  einem  Dreschflegel  gegen  den  rechten  Ellbogen  geschlagen 
habe.  Räthselhaft  bleibt  es  nun,  dass  der  Kranke  mit  seinem  Arm 
weiter  gearbeitet  hat,  erst  gelegentlich  des  aufgelretenen  Furunkels 
im  Ellbogengelenke  einen  Schmerz  zu  verspüren  angefangen  habe 
und  weiters  dass  die  bacteriologische  Untersuchung  des  Eiters  den 
Befund  von  Gonococcen  in  ihm  ergeben  hat.  —  (Deutsche  Aerzte- 
zeilung.  1900,  Nr.  12.) 

* 

338.  (Aus  der  medicinischen  Poliklinik  in  Kopenhagen.) 
Hebe  r  M  o  r  b  u  s  B  a  s  e  d  0  w  i  i  und  M  y  x  ö  d  e  m.  Von  Doctor 
Ulrich.  Nach  M  ö  b  i  u  s  sieben  B  a  s  e  d  o  w  und  Myxödem  in  einem 
gewissen  Gegensätze  zu  einander;  dennoch  ist  bekannt,  dass  die  eine 
Krankheit  in  die  andere  übergehen  kann,  ja  dass  die  Symptome  beider 
bei  demselben  Individuum  bestehen  können.  Verfasser  siebt  keinen 
Gegensatz  zwischen  beiden  Krankheiten,  vielmehr  eine  Verwandt¬ 
schaft,  da  die  Symptome  beider  bei  genauer  Erwägung  nur  einen 
graduellen  Unterschied  zeigen.  Bei  beiden  Krankheiten  wird  die 
Schilddrüse  in  verschiedener  Weise  verändert  vorgefunden,  bei 
beiden  Tachycardie  und  vermehrte  Alhmungsfrequenz  beobachtet 
Exophthalmus  kann  bei  Basedow  fehlen,  bei  Myxödem 
vorhanden  sein;  Tremor  ist  ein  Cardinalsymptom  beim  Basedow, 
Tremor  palpebrarum  ein  solches  des  Myxödems.  Muskeldegenerationen, 
epileptiforme  Zuslände  und  Contracturen  können  bei  beiden  vor- 


Nr.  37 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


835 


handen  sein;  Schweiss  ist  beim  Basedow  häufiger;  auch  die 
übrigen  Symptome:  Ausfall  der  Haare,  Oedeme,  Hautblutungen, 
Piffmenlirunff,  Skleroderma  können  sich  bei  beiden  Krunkheiten 
vorfinden.  Für  die  Verwandschaft  des  Morbus  Basedowii  und  des 
Myxödems  spricht  weiter  auch  deren  oft  gleiche  Reaction  gegen¬ 
über  der  Schilddrüsentherapie.  — -  (Therapeutische  Monatshefte. 
1900,  Nr.  6.) 

* 

339.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  Zürich.)  Klinisches 
und  Bacteriologisches  über  »Gangrene  foudroyante«. 
Von  Dr.  Hämig  und  Dr.  Silberschmidt.  Verfasser  berichten 
über  drei  Fälle  von  offenen  Fracturen,  an  die  sich  eine  ausser¬ 
ordentlich  heftige  Wundinfection  anschloss.  Im  ersten  Falle  handelte 
es  sich  um  einen  complicirten  linksseitigen  Vorderarmbruch.  Trotz 
sorgfältiger,  am  Tage  nach  dem  Unfälle  in  Narkose  ausgeführter 
Desinfection  zeigte  sich  am  vierten  Tage  eine  acute,  progrediente 
Gasphlegmone,  der  Patient  ungeachtet  der  ausgeführten  Exarticulatio 
humeri  am  sechsten  Tage  erlag.  Im  anderen  Falle  war  gleichfalls 
nach  einer  Vorderarmfractur  trotz  Desinfection  eine  Gasphlegmone 
am  zweiten  Tage  schon  aufgetreten,  die  eine  Ablatio  humeri  noting 
machte.  Patient  steht  jetzt  nach  einem  halben  Jahre  noch  in  Be¬ 
handlung.  In  beiden  Fällen  wurde  der  Bacillus  des  malignen  Oedems, 
im  ersteren  Falle  noch  combinirt  mit  dem  Bact.  coli,  im  letzteren 
mit  Strept.  pyogenes  aufgefunden.  Im  dritten  Falle,  der  eine  Zer¬ 
trümmerung  des  Fusses  betraf,  wurde  die  Exarticulation  im  Cho- 
part  ausgeführt.  Am  dritten  Tage  Zeichen  der  Infection,  weshalb 
Exarticulatio  genu.  Bacteriologischer  Befund:  Ein  anaerob  wachsender 
Bacillus,  Staphylococcus  und  Streptococcus  pyogenes.  Verfasser  em¬ 
pfehlen  Desinfection  mit  1-  und  3%igen  Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösungen,  eventuell  Auffrischung  der  Wunde  nach  dem  Vorschlag 
von  Friedrich.  Derartige  schwere  Verletzungen  müssen  vom 
Arzte  stets  genau  verfolgt  und  beaufsichtigt  werden.  —  (Correspon- 
denzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1900,  Nr.  12.) 

* 

340.  (Aus  dem  Louisen-Hospital  in  Aachen.)  Z  u  r  K  e  n  n  t- 
niss  der  Osteomyelitis.  Von  Dr.  Koch.  Wenn  auch  die 
Osteomyelitis  ihre  bekannten  Lieblingsitze  hat,  so  zeigt  es  sich 
doch  allmälig,  dass  die  verschiedensten  Knochen  von  ihr  befallen 
sein  können.  Dabei  können  kleine  Herde  in  den  Rippen  als  Em¬ 
pyeme  der  Pleurahöhle,  Herde  im  Schläfenbein  als  intracranielle 
Abscesse  in  Erscheinung  treten.  Von  Ostitis  der  Wirbelsäule  sind 
bereits  47  Fälle  bekannt  geworden;  zu  den  7  Fällen  von  Ostitis 
des  Sternums  fügt  Verfasser  einen  neuen  hinzu.  Derselbe  betraf 
einen  30jährigen  Mann,  der  plötzlich  unter  heftigen  Magenschmerzen 
und  Fieber  erkrankt  war.  Erst  neun  Tage  später  kam  es  zur  Bil¬ 
dung  eines  erkennbaren  Knochenabscesses.  Bei  der  Operation  fand 
sich  fast  das  ganze  Corpus  stern  i  infiltrirt  und  musste  entfernt 
werden.  Bei  der  drohenden  Gefahr  einer  eiterigen  Mediastinitis  ist 
ein  möglichst  frühes  Eingreifen  für  die  Prognose  ausschlaggebend. 

—  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  25.) 

* 

341.  Idiopathische  Osteopsathyrosis.  Von  Doctor 
Lange  (München).  Der  Name  rührt  von  Lob  stein  und  will 
eine  abnorme  Knochenbrüchigkeit  bezeichnen.  Dieselbe  ist  eine 
symptomatische  und  eine  Folge  allgemeiner  Ernährungs¬ 
störungen  (Rachitis,  Osteomalacie,  Scorbut),  oder  localer  Ursachen 
(Gumma,  Carcinom,  Sarkom,  Echinococcus,  überhaupt  Cysten,  Osteo¬ 
myelitis),  oder  bei  gewissen  Erkrankungen  des  Nervensystems  (Polio¬ 
myelitis,  Tabes,  Paralyse,  Neuritiden)  auftretend;  sie  wird  als  idio¬ 
pathisch  bezeichnet,  wenn  keine  der  genannten  Ursachen  die 
Brüchigkeit  des  Skeletes  erklärt.  Lange  berichtet  über  einen 
sechsjährigen  Knaben,  der  bis  zum  Alter  von  22  Monaten  völlig 
gesund  war,  namentlich  keine  Rachitis  gezeigt  hatte,  welcher  seither 
in  Folge  ganz  unbedeutender  Traumen  22  Knochenbrüche  erlitten 
hatte.  Alle  Fracturen  heilten  immer  anstandslos  aus.  Nach 
Schuch  ardt  soll  dieser  Brüchigkeit  eine  mangelhafte  Knochen¬ 
bildung  von  Seite  des  Periostes  zunächst  zu  Grunde  liegen. 

(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  25.) 

* 

342.  Ueber  nervöse  Com plicationen  der  chro¬ 
nischen  Gastritis.  Von  Dr.  Richter  (Münster).  Die  mit 
Gasentwicklung  einhergehenden  Gährungen  bei  der  Gastritis  können 
auf  die  im  Magen  reichlich  vorhandenen  Nerven  eine  Irri¬ 


tation  ausüben,  wodurch  das  Entstehen  nervöser  Complicationcn 
erklärlich  wird.  Zu  diesen  gehört  der  öfter  beobachtete  Cardiakrampf, 
der  freilich  selten  so  heftig  wird,  dass  dadurch  Störungen  der 
Nahrungsaufnahme  bedingt  wurden.  Eine  weitere  Erscheinung  ist  das 
nervöse  Autstossen  und,  wie  Verfasser  hervorheben  möchte,  auch 
Ohrensausen.  Fast  alle  an  chronischem  Magenkatarrh  Leidenden 
klagen  mehr  oder  weniger  über  Kopfschmerzen,  viele  über  Frösteln 
und  Hitze,  manche  über  Schwere  und  Schwindelgefühl  im  Kopfe, 
über  Platzangst  und  alle  diese  Klagen  werden  zum  Magenkatarrh 
in  Beziehung  gebracht.  Unter  die  Kategorie  dieser  Erscheinungen 
rechnet  Richter  auch  das  Ohrensausen.  —  (Archiv  für  Ver¬ 
dauungskrankheiten.  Bd.  VI,  Heft  2.) 

* 

343.  (Aus  der  chirurgischen  Abtheilung  des  Prof.  Bayer 
in  Prag.)  Ueber  einen  Fall  von  Intestinum  acces- 
s  o  r  i  u  m.  Von  Dr.  Wanitschek.  Bei  dem  16  Monate  alten 
Mädchen  fand  sich  folgende  Abnormität:  Zwischen  rechtem  Labium 
majus  und  minus  der  Vulva  bestand  eine  mit  Darmschleimhaut 
überkleidete  hühnereigrosse  Vorwölbung,  an  deren  Kuppe  sich  eine 
Oeffnung  befand,  die  in  einen  Canal  führte,  dessen  Ende  nicht 
erreicht  werden  konnte.  Wie  die  Operation  und  anatomische  Unter¬ 
suchung  ergab,  handelte  es  sich  hier  um  ein  ausserhalb  der  Bauch¬ 
höhle  befindliches,  mit  keinem  sonstigen  Darmtheile  zusammen¬ 
hängendes,  zu  zwei  Drittheilen  mit  Peritoneum  überzogenes,  etwa 
14  cm  langes  Darmstück,  das  an  der  genannten  Stelle  nach  aussen 

mündete.  —  (Zeitschrift  für  Heilkunde.  1900,  Heft  3.) 

* 

344.  Ein  Fall  von  erworbener  Stenose  der  Pul¬ 
monalarterie.  Von  Dr.  Kasern -Beck  (Kasan).  Bei  dem 
50jährigen  Manne  hatten  ausser  positivem  Venenpuls  an  der  Herz¬ 
spitze  und  im  zweiten  linken  Intercostalraum  ein  systolisches 
Fremissement  cataire,  ein  starkes  systolisches  und  ein  schwaches 
diastolisches  Geräusch  in  den  gleichen  Gegenden  bestanden.  Der 
zweite  Pulmonalton  war  nicht  accentuirt.  Es  wurde  Mitralinsufficienz 
mit  relativer  Tricuspidalisinsufficienz  angenommen.  Die  Section  ergab 
eine  Stenose  der  Pulmonalis  in  Folge  von  Gummata  an  der  Inlima. 

—  (Central  blatt  für  innere  Medici n.  1900,  Nr.  23.) 

* 

345.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Moris  an  i  in 
Genua.)  Ueber  den  Werth  der  Plastik  mittelst  quer¬ 
gestreiften  Muskelgewebes.  Von  Dr.  Capurro.  Die 
Untersuchungen  ergaben,  dass  frei  eingepflanzte  Muskellappen 
immer,  und  zwar  durch  Verkäsung  oder  fibröse  Umwandlung  zu 
Grunde  gehen.  Gestielte  Lappen  haben  eine  Contractionsfähigkeit, 
die  grösser  ist  bei  partiellen,  weniger  gespannten  und  gedrehten 
Lappen,  sowie  bei  solchen,  die  aus  nahen,  parallel  laufenden 
Muskeln  genommen  und  in  eine  Aponeurosc  eingepflanzt  werden. 

—  (Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LXf,  Heft  1.) 

* 

346.  Ueber  Spondylitis  typhosa.  Von  Dr.  Schanz 
(Dresden).  Vier  Wochen  nach  der  Entfieberung  nach  einem  über¬ 
standenen  Typhus  waren  bei  der  36jährigen  Patientin  die  Zeichen 
der  Spondylitis  aufgetreten:  Subjectiv:  Schmerzen  in  den  Beinen, 
dann  Kreuzschmerzen  und  Unbeweglichkeit;  objectiv:  bedeutende 
Druckempfindlichkeit  der  Lendenwirbel.  Heilung  im  Gypsbett. 
Wichtig  für  die  Diagnose  sind  das  Ueberstehen  eines  Typhus 
und  das  Vorhandensein  weiterer  Infectionshcrde;  im  vorliegenden 
Falle  war  noch  das  Schultergelenk  ergriffen  gewesen  und  der  rechte 
Bulbus  vereitert.  —  (Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LXf, 
Heft  1.) 

* 

347.  Ueber  die  Bedeckung  von  Laparotomie¬ 
wunden  mit  B  r  u  n  s’scher  Airolpasto.  Von  Dr.  Frankl 
(Wien).  Frankl  beobachtete  an  der  WinckePschen  Klinik  in 
München  bei  Laparotomiewunden,  die  mit  Airolpaste  bedeckt 
worden  waren,  nicht  selten  Stichcanaleiterungen.  Untersuchungen, 
welche  klarstellen  sollten,  inwieweit  die  genannte  Paste  den  Bac- 
teri umwachsthum  hindere,  ergaben,  dass  Staphylococcus  aureus  in 
ihr  Colonien  zu  bilden  im  Stande  sei.  Verfasser  empfiehlt  daher, 
von  der  Paste  zur  Bedeckung  von  Wunden  abzusehen  und  dafür 
lieber  Airolgaze  oder  -pulver  anzuwenden.  —  (Centralblatt  für 
Gynäkologie.  1900,  Nr.  22.) 

* 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  37 


348.  Ausgang  von  Gicht  in  acute  Myositis.  Von 
Dr.  Myrtle.  Verfasser  hat  seit  vier  Jahren  an  Gicht  gelitten. 
Eines  Morgens  wurde  er  durch  heftige,  in  seinem  linken  Beine 
aufgetretene  Schmerzen  erweckt,  die  sich  als  ein  Symptom  einer 
im  Bereiche  dieser  Extremität  aufgetretenen  Myositis  darslellten. 
Myrtle  bringt  diese  mangels  jeder  anderen  Erklärung  mit  der 
bestehenden  Gicht  in  ätiologischen  Zusammenhang.  —  (British  med. 
Journ.  1900,  9.  Juni.) 

* 

349.  Zur  Desinfection  der  Hände  in  der  H e b- 
a  m  m  e  npraxis.  \  on  Dr.  K  o  s  s  m  a  n  n  und  Dr.  Zander 
(Berlin).  Durch  ihre  bacteriologischen  Untersuchungen  glauben  die 
Verfasser,  entgegen  den  Behauptungen  von  anderer  Seite,  ver¬ 
sichern  zu  können,  dass  eine  -°/o(9ec  C  h  i  n  o  s  o  1  lösung  der  für 
die  Hebammen  vorgeschriebenen  3°/uigen  Carhollösung  an  des- 
inficirender  Kraft  überlegen  ist.  Erslere  hat  den  Vorzug,  ungiftig  zu 
sein  und  das  Gefühl  an  den  Fingern  nicht  abzuslumpfen. 
(Centralblatt  für  Gynäkologie.  1900,  Nr.  22.) 

* 

350.  Die  Brown-Sequa r d'sche  Meerschweinche n- 
epilepsie  und  ihre  erbliche  Uehertragung  auf  die 
Nachkommen.  Von  Dr.  Sommer.  Durch  Resection  des 
Ischiadicus  kann  man  hei  Meerschweinchen  einen  Zustand  erzeugen, 
welcher  mit  der  menschlichen  Epilepsie  weitgehendste  Aehnlichkeit 
hat.  Entgegen  Anschauungen  von  anderer  Seite  ist  die  derartig  er¬ 
zeugte  Meerschweinchenepilepsie  nach  S  o  m  m  e  r  auf  die  Nach¬ 
kommenschaft  nicht  übertragbar,  und  unterscheidet  sich  auch 
wesentlich  von  der  menschlichen  Epilepsie.  —  (Ziegler’s  Beiträge 
zur  pathologischen  Anatomie.  Bd.  XXVI 1,  Heft  2.) 

* 

351.  In  der  Gesellschaft  der  Charite-Aerzte  in  Berlin  sprach 

Dr.  Oestreich  über  Thymusdämpfung.  Die  an 
100  Kinderleichen  ausgeführten  Untersuchungen  ergaben:  Bei 
Kindern  bis  zum  fünften  Lebensjahre  findet  sich  regelmässig  eine 
dreieckige  absolute  Thymusdämpfung,  welche  von  den  Sterno- 
claviculargelenken  bis  zur  Höhe  der  zweiten  Rippe  reicht;  eine 
Vergrösserung  derselben  ist  auf  eine  Vergrösserung  der  Thymus  zu 
beziehen.  Nach  dem  sechsten  Lebensjahre  verschwindet  gewöhnlich 
diese  Dämpfung,  so  dass  eine  solche  jenseits  der  genannten  Alters¬ 
grenze  auf  käsige  Mediastinal-  und  Bronchialdrüsen  hinweist. 
Drüsen  im  Zustande  frischer,  markiger  Schwellung  gehen  keine 
Dämpfung.  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Die  Primarärzte  Dr.  Rudolf  Frank  und  Dr.  Friedrich 
Ko  vacs  in  Wien  wurden  in  gleicher  Eigenschaft  ins  Allgemeine 
Krankenhaus  übersetzt. 

* 

Ernannt:  Der  Landesgerichtsarzt  Dr.  Moriz  Hofmann 
in  München  zum  a.  o.  Professor  für  gerichtliche  Medicin. 

* 

Verliehen:  Dem  Badearzt  Dr.  F  r  i  e  d  r  i  c  h  8  c  h  u  m  a  n- 
L  e  c  1  e  r  <j  in  Karlsbad  das  Ritterkreuz  erster  Classe  des  königlich 
sächsischen  Albrecht-Ordens.  —  Dem  Privatdoccnten  für  Chirurgie  in 
Halle  Dr.  Haasler  das  PräJicat  Universitätsprofessor. 

* 

II  a  b  i  1  i  t  i  r  t:  Dr.  Schulz  als  Privatdocent  für  Physiologie 
in  Erlangen.  In  Rom:  Dr.  Bonomo  für  medicinische  Pathologie 
und  Dr.  Ponticaccia  für  Kinderheilkunde. 

* 

Nach  dem  20.  Jahresberichte  des  Karolinen- Kinder spitales  in 
V  ien  sind  im  Jahre  1899  daselbst  22.378  Kinder,  davon  882  als 
Spitalspfleglinge  ärztlich  behandelt  wouhn.  Von  den  Letzteren 
konnten  548  geheilt  entlassen  werden,  während  150  gestorben  sind. 

* 

Nach  den  Mittheilungen  englischer  Journale  ist  möglicher  Weise 
das  erster  Opfer  der  Pest  in  Glasgow  ein  am  20.  August  unter 
den  Symptomen  einer  acuten  Pneumonie  erkranktes  und  innerhalb 
18  Stunden  verstorbenes  Kind  gewesen.  Am  nächsten  Tage  erkrankten 
dessen  beide  Eltern,  die  -ins  Spital  geschafft  wurden,  wobei  zum 


ersten  Male  der  Pestverdacht  ausgesprochen  wurde.  Nach  den 
Meldungen  der  Tagesblätter  sind  bis  6.  September  13  Personen  an 
Pest  erkrankt,  während  109  als  pestverdächtig  in  Beobachtung  stehen. 
Die  Verschleppung  der  Pest  nach  Glasgow  soll  andererseits  mit  dem 
Schiffe  Clan  Mac  Arthur  aus  Calcutta  in  Zusammenhang  gebracht 
werden,  das,  nachdem  es  einen  Pesttodesfall  an  Bord  gehabt  hatte, 
am  15.  August  an  der  Themsemündung  desinficirt  worden  war  und 
zwischen  dem  18.  und  21.  August  von  da  nach  Glasgow  abgefahren 
sein  soll. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  32.  Jahreswoche  (vom  5.  August 
bis  1 1.  August  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  566,  unehelich  246,  zusammen 
812.  Todt  geboren:  ehelich  48,  unehelich  18,  zusammen  66.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  570  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
179  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  107,  Blattern  0,  Masern  7, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  2,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  36.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
10  ( —  6),  Masern  76  ( —  34),  Scharlach  22  (-f-  3),  Typhus  abdominalis 
9  ( —  12),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  22  (-{-  10),  Croup  und 
Diphtherie  19  (-|- 2),  Pertussis  15  ( —  11),  Dysenterie  0  (=),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  2  ( —  1),  Trachom  5  ( —  2),  Influenza  0  ( —  1). 

* 

Aus  demSauitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  33.  Jahreswoche  (vom  1 2.  August 
bis  18.  August  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  613,  unehelich  236,  zusammen 
879.  Todt  geboren:  ehelich  33,  unehelich  14,  zusammen  47.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  557  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
17  5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  91,  Blattern  0,  Masern  3, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  1,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  38.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (—),  Varicellen 

5  ( —  5),  Masern  73  ^ —  3),  Scharlach  19  ( —  3),  Typhus  abdominalis 

6  ( —  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  14  ( —  8),  Croup  und 
Diphtherie  29  ( —  10),  Pertussis  28  (-[-  13),  Dysenterie  1  (-f-  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  1  ( —  1),  Trachom  7  (-[-  2),  Influenza  0  (=)• 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Ktlfemann,  Rhino-pharyngologisehe  Operationslehre  mit  Einschluss  der 
Elektrolyse.  Marhold,  Halle  a.  S.  112  S. 

Klinisches  Jahrbuch,  Bd.  VII,  Heft  4.  Fischer,  Jena.  Preis  M.  5.  — . 
Stetter,  Betrachtungen  über  die  Grenzen  der  Otochirurgie  bei  der  Be¬ 
handlung  der  eiterigen  Mittelohr-  und  Warzenfortsatzentzündungen. 
Ibidem.  Preis  M.  0.60. 

Okatla,  Diagnose  und  Chirurgie  des  otogenen  Kleinhirnabscesses.  Ibidem. 
Preis  M.  5. — . 

Pieraccini,  L’assistenza  dei  Pazzi.  Hoepli,  Milano  1901.  Preis  L.  2.50. 
llirth,  Die  Mutterbrust,  ihre  Unersetzlichkeit  und  ihre  Gewöhnung  zur 
früheren  Kraft,  llirtb,  München  1900.  2.  Auflage. 

Schieffertleckcr,  Das  Radfahren  und  seiue  Hygiene.  Ulmer,  Stuttgart. 
Preis  M.  8.—. 

Hag  eil,  Die  sexuelle  Osphresiologie.  Barsdorf,  Charlottenburg  1901. 
290  S. 

Bernstein,  Anleitung  zur  Verhütung  geschlechtlicher  Erkiankungen. 
Fischer.  Cassel.  48  S. 

Spengler,  Zur  Diagnose  geschlossener  Lungentubei  culose,  der  Secundär- 
infection,  tuberculöser  und  syphilitischer  Phthise.  Richter,  Davos. 
Preis  M.  1.60. 

Neumann,  Ueber  die  Behandlung  der  Kinderkrankheiten.  2.  Auflage. 
Coblentz,  Berlin.  Preis  M.  8.  — . 

Obst,  Karl  Ewald  Hasse,  der  Nestor  der  deutschen  Kliniker.  Richter, 
Hamburg.  Preis  M.  1.20. 

Kitasato,  Bericht  über  die  Pestepidemie  in  Kobe  und  Osaka.  Tokio. 
Schenk,  Aus  meinen  Universitätsleben.  2.  Auflage.  Marhold,  Halle.  Preis 
M.  1.50. 

Itedard,  Traite  pratique  des  deviations  de  la  colonne  vertebrale.  Masson, 
Paris.  Preis  Eres.  12. — . 

Sommerfeld,  Wie  schütze  ich  mich  gegen  Tuberculose?  Coblentz, 
Berlin.  Preis  M.  0.60. 

Heidenhain,  Ueber  den  Nutzen  des  Schwitzens.  Köslin,  Hoffmann.  15  S. 
FrentzeJ,  Ernährung  und  Volksnahrungsmittel.  Ttubner,  Leipzig.  Preis 
M.  1.15. 

Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte.  Bd.  XVII,  lieft  1. 
Springer,  Berlin.  Preis  M.  11.  — . 

Bunge,  Der  Vegetarianismus.  2.  Auflage.  Hirschwald,  Berlin.  45  S. 
Berthold,  Die  intranasale  Vaporisation.  Ibidem.  60  S. 

Kuppel,  Die  Proteine.  Marburg.  Selbstverlag  von  Prof.  B  e  h  r  i  n  g.  Preis 
M.  7.—. 

Breitenstein.  21  Jahre  in  Indien.  2.  Theil.  Grieben,  Leipzig.  Preis 
M.  8  50. 

Der  Curort  Baden  bei  Wien.  Herausgegeben  von  der  Curcommissioo. 
Deuticke,  Wien.  149  S. 

Kolisch,  Lehrbuch  der  diätetischen  Therapie.  2.  Theil.  Ibidem.  Preis 
K  12.-. 


Nr.  37 


WEENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


837 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


IISrü^LX: 

13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August  1900.)  (Fortsetzung.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Dermatologie  und  Syphiligraphie. 

Prof.  Riehl  (Leipzig)  theilt  mit,  dass  er  sich  von  der  Richtig¬ 
keit  der  Tuberculiden-Theorie  nicht  überzeugen  konnte.  Die 
Theorie  fusst  hauptsächlich  aut  den  Erfahrungen,  welche  man  bezüg¬ 
lich  der  Erscheinungen  nach  Tuberculininjectionen  gemacht  hat.  Die  zahl¬ 
reichen  Exantheme,  welche  durch  Tuberculin  erzeugt  worden  sind, 
zeigen  zumeist  die  Charaktere  toxischer  Exantheme,  wie  sie  auch  nach 
Einverleibung  anderer  toxisch  wirkender  Substanzen  Vorkommen.  Man 
dürfe  keineswegs  diese  Exanthemformen  für  den  Toxinen  der  Tuberkel¬ 
bacillen  eigenthümliche  erklären,  da  sie  nichts  Charakteristisches  an 
sich  haben.  (Symmetrie  etc.). 

Ausserdem  scheint  es  sehr  gewagt,  eine  grosse  Zahl  von  Haut- 
affectionen  in  einer  Gruppe  als  Tuberculide  zu  vereinigen,  da  über 
die  Production  von  Toxinen  des  Tuberkelbaeillus  im  menschlichen  Körper 
und  über  die  Wirkungen  dieser  Toxine  bisher  fast  nichts  Thatsächliches 
bekannt  ist. 

Als  hauptsächliche  klinische  Begründung  für  die  Tuberculiden- 
theorie  wird  angeführt,  dass  die  als  Tuberculide  bezeichnete  Ilaut- 
affection  häufig  bei  Individuen  mit  Tuberculose  innerer  Organe  (Lungen, 
Drüsen  etc.)  Vorkommen. 

Dem  ist  entgegenzuhalten,  dass  der  Nachweis  von  Tuberculose 
innerer  Organe  bei  den  Trägern  der  Hauttuberculide  nur  in  einem 
mehr  minder  grossen  Procentsatz,  aber  durchaus  nicht  allgemein  er¬ 
bracht  werden  konnte.  Wie  leicht  man  Täuschungen  zum  Opfer  falle, 
wenn  man  z.  B.  anamnestische  Angaben  zur  Statistik  verwerthet,  sei 
auch  in  der  Geschichte  der  Dermatologie  bekannt.  Vor  circa  30  Jahren 
fanden  fast  alle  französischen  Autoren  als  Hauptgrund  für  Hautkrankheiten 
speciell  für  Ekzeme  eine  Dyskrasie,  den  Arthritismus,  dessen  Existenz 
fast  jede  Krankengeschichte  nachzuweisen  suchte. 

Den  immer  citirten  Zusammenstellungen  von  sehr  häufiger  Coin- 
cidenz  von  Tuberculiden  und  Tuberculose  innerer  Organe,  stehen  auch 
statistische  Angaben  anderer  Autoren  gegenüber,  in  welchen  die  Tuber¬ 
culose  nicht  häufiger  erscheint  als  ihrer  allgemeinen  Verbreitung  ent¬ 
spricht. 

Als  drastisches  Beispiel  dafür,  dass  das  Nebeneinander  der  Haut- 
affection  und  Tuberculose  innerer  Organe  durchaus  noch  keinen  Beweis 
für  den  directen  ätiologischen  Zusammenhang  bildet,  führt  Riehl 
die  bekannte  Schimmelpilzkrankheit  Pityriasis  versicolor  an,  welche 
bekanntlich  bei  Tuberculösen  sehr  häufig  beobachtet  wird.  Mikrosporon 
furfur  dürfte  durch  Ernährungs-  und  Secretionsstörung  etc.  an  der 
Haut  der  Tuberculösen  einen  besseren  Nährboden  finden  und  daher 
bei  diesen  häufiger  Vorkommen,  trotzdem  werde  aber  kein  Arzt  diese 
Pityriasis  versicolor  für  ein  Tuberculid  erklären  wollen. 

Für  zwei  zu  den  Tuberculiden  gezählte  Hautkrankheiten,  Lichen 
scrophulosorum  und  Lupus  erythematosus  führt  Riehl  eine  Reihe 
von  klinischen  und  anatomischen  Gründen  an,  welche  ihrer  Einreihung 
unter  die  Tuberculide  widersprechen. 

Für  den  Lichen  scrophulosorum  nimmt  Riehl  den  Standpunkt 
ein,  dass  die  tuberculose  Natur  dieser  Erkrankung  noch  keineswegs 
bewiesen  sei.  Für  diejenigen  Autoren,  welche  Bacillen  in  den  Knötchen 
nachgewiesen  zu  haben  glauben,  müsse  die  Affection  als  Hauttuber¬ 
eulose  und  nicht  als  Tuberculid  gelten.  Als  durch  Tuberkeltoxine  er- 
zeugt,  dürfe  man  diese  Krankheit  nicht  betrachten,  weil  sie  auch  bei 
nicht  tuberculösen  Individuen  vorkommt.  Riehl  hält  die  von  v.  Hehr  a 
gewählte  Bezeichnung  Lichen  scrophulosorum  für  vollkommen  zutreffend 
und  den  Stand  unseres  Wissens  erschöpfend. 

Unter  21  Fällen  von  Lupus  erythematosus  fand  Riehl  nur 
bei  zwei  Fällen  Tuberculose  innerer  Organe;  fast  die  Hälfte  der  in  Leipzig 
beobachteten  Fälle  betreffe  blühend  aussehende  und  gesunde  Landleute. 
Es  sei  auch  schwer  begreiflich,  wie  toxische  Einwirkungen  die  Ursache 
für  einen  Lupus  erythematosus  in  Form  einer  oder  mehrerer  Scheiben, 
die  manchmal  10 — 20  und  mehr  Jahre  fast  unverändert  fortbestehen, 
abgeben  sollen. 


Um  eine  verlässliche  Grundlage  für  die  Beurtheilung  der  Frage 
zu  gewinnen,  hat  Riehl  mit  Einwilligung  des  Vorstandes  des  patho¬ 
logisch-anatomischen  Instituts  in  Wien,  Herrn  Prof.  Dr.  Weichsel¬ 
baum,  die  Obductionsprotokolle  von  den  Jahren  1866  — 1900  auf 
Lupus  erythematosus-Fälle  durchsehen  lassen.  Es  fanden  sich  zehn 
sichere  Fälle. 

Eingerechnet  3  von  Kaposi,  1  von  Kopp  und  1  von  P  e- 
trini  di  Gaiatz  publieirte  Obductionsbefunde  von  Kranken,  welche 
an  Lupus  erythematosus  gelitten  hatten,  ergibt  sich  eine  Reihe  von 
15  Fällen,  von  welchen  10  bei  der  Obduction  keine  Spuren 
frischer  oder  abgelaufener  Tuberculose  gezeigt  haben. 

Dieses  Ergebniss  beweist  mit  Sicherheit,  dass  die  Toxine  des 
Tuberkelbaillus  nicht  die  ausschliessliche,  und  mit  grösster  Wahr¬ 
scheinlichkeit,  dass  sie  überhaupt  nicht  die  Ursache  für  die  Entstehung 
des  Lupus  erythematosus  bilden. 

Riehl  möchte  demnach  davor  warnen,  die  Tuberculideulehre 
für  mehr  als  eine  geistreiche  Hypothese  zu  halten  und  dieselbe 
bereits  als  feststehend  in  Lehrbüchern  zu  verbreiten. 

* 

Abtheilung  für  innere  Medici  n. 

III.  Sitzung. 

I.  Referent  M  a  s  i  u  s  (Lüttich) :  Pathogenese  des  acuten 
Lungenödems. 

Oedem  ist  eine  abnorme  Anhäufung  von  Lympheu  in  den 
Zellräumen.  Das  Lungenödem  ist  nur  eine  besondere  Art,  indem 
es  zwei  ihm  eigenthümliche  Charaktere  hat,  die  beide  durch  die 
Vehemenz  des  Processes  und  die  besondere  Localisation  bedingt 
sind:  1.  nämlich  die  Anhäufung  von  Flüssigkeit  nicht  nur  in  dem 
Lymphgewebe,  sondern  auch,  und  besonders  in  den  Alveolen,  durch 
Ruptur  ihrer  Wand  und  Transsudation  durch  dieselbe  hindurch;  2.  die 
Schnelligkeit  der  Entwicklung,  welche  den  klinischen  Erscheinungen 
das  Gepräge  gibt.  Es  gibt  bisher  drei  Theorien  der  Pathogenese: 
a )  die  rein  mechanische  Theorie,  welche  das  Oedem  auf  eine  erhebliche 
Steigerung  des  Seitendrucks  in  den  Capillargefässen  zurückführt;  b)  die 
Theorie  von  Hamburger  und  Heidenhain,  welche  das  Oedem 
als  den  Ausdruck  der  gesteigerten  secretorischen  Function  der  Endo¬ 
thelzellen  der  Capillarwand  ansieht,  und  c)  die  Theorie  von  Winter, 
Starling  u.  A.,  welche  das  Oedem  als  die  Folge  der  veränderten 
osmotischen  Beziehungen  der  Flüssigkeiten  diesseits  und  jenseits  der 
Gefässwände  und  der  vei änderten  Durchlässigkeit  des  letzteren.  Klinisch 
lassen  sich  drei  Formen  unterscheiden:  a )  das  entzündliche  Oedem, 
wahrscheinlich  als  Folge  eines  vasodilatatorischen  Reflexes.  Circum- 
script  oder  diffus  entsteht  es  unter  dem  Einfluss  irgend  einer  Gelegen¬ 
heitsursache  und  führt  zu  einer  Läsion  der  Wände  durch  Mikroben¬ 
einwanderung  mitten  im  normalen  LuDgengewebe;  b)  das  Stauungs¬ 
ödem,  weitaus  das  häufigste,  im  Gefolge  von  Herzaffectionen,  besonders 
Klappenstenosen,  Gefäss-  und  Nierenerkrankungen,  auch  Arterio¬ 
sklerose.  Die  zahlreichen  experimentellen  Untersuchungen  haben 
zu  wiederholten  Resultaten  geführt,  die  auch  zumeist  auf  die  mensch¬ 
liche  Pathologie  keine  Anwendung  finden  können.  Am  Besten  gestützt 
ist  die  Erzeugung  von  Lungenödem  durch  Steigerung  des  Drucks  in 
der  Art.  pulmon.  Es  gibt  keine  einheitliche  Ursache  der  Pathogenese 
des  Lungenödems,  vielmehr  können  sehr  verschiedene  Factoren  bei 
seiner  Entstehung  mitwirken.  Eines  nur  ist  ihnen  gemeinsam,  das 
offenbar  die  Grundlage  der  Entwicklung  jedes  Lungenödems  bildet: 
die  Alteration  der  Wand  der  Lungencapillaren.  Die  vermehrte  Durch¬ 
lässigkeit  derselben  ist  ein  regelmässiger  Befund ;  c)  das  toxische 
Oedem,  das  indess  aber  bisher  nur  experimentell  sichergestellt  (Mus¬ 
carin,  Jod). 

Correferent  Teissier  (London)  zieht  zur  Erklärung  der  Patho¬ 
genese  des  acuten  Lungenödems  die  Gesammtheit  der  drei  Theorien 
heran,  welche  bisher  einzeln  in  diesem  Sinne  verwerthet  worden  sind: 
mechanische  Störungen  (besonders  in  Deutschland  viele  Anhänger, 
namentlich  v.  Basch  und  seine  Schüler  Grossmann  und 
Winkler,  die  experimentell  die  Frage  sehr  intensiv  seit  vielen  Jahren 
bearbeitet  haben),  nervöse  Einflüsse  (vasomotorische  Störungen,  beson- 


838 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  37 


ders  II  u  chard)  und  drittens  infectiös-toxisehe  Ursachen  (experimentell 
erzeugt  durch  Muscarin,  Amylnitrit,  Blausäure,  Methylsalicylat  u.  A.). 
Beim  Menschen  bereiten  vorangegangene  Infectionskrankheiten  oft  den 
Boden  für  die  Entwicklung  des  Oedems:  vor  Allem  acuter  Gelenk¬ 
rheumatismus,  dann  Influenza,  fener  noch  Typhus,  Pneumonie  und 
Puerperalfieber.  Dass  die  genannten  drei  Factoren  zusammen  wirken 
müssen  zur  Auslösung  eines  acuten  Anfalles  von  Lungenödem,  hat 
Redner  durch  eigene  experimentelle  Untersuchungen  bestätigt  gefunden, 
welche  folgende  Ergebnisse  hatten:  Vorübergehende,  selbst  heftige 
mechanische  Störungen  lösen  keinen  Anfall  aus;  so  z.  B.  die  Com¬ 
pression  der  Aorta,  selbst  wenn  der  Druck  aufs  Dreifache  erhöht  wird. 
Ebensowenig  eine  Nervenläsion  allein  (Durchschneidung  und  Resection 
des  Vagus),  wohl  aber  in  Verbindung  mit  mechanischen  Hindernissen, 
wenn  auch  nur  leicht  und  vorübergehend.  Lässt  man  dazu  noch  eine 
Blutvergiftung  (Methylsalicylat)  hinzutreten,  dann  erst  erscheint  der 
volle  Symptomencomplex.  Das  acute  Lungenödem  bietet  eine  ganz  andere 
Prognose,  als  das  chronische  und  passive,  rein  mechanischen  Ursprungs. 
Es  endet  meist  schnell  tödtlich.  Die  Schwere  eines  Anfalles  ist  abhängig 
von  der  Functionstüchtigkeit  der  Nieren.  Die  Therapie  kann  sich  noch 
nicht  auf  die  erkannten  ätiologischen  Momente  stützen.  Von  Nutzen 
sind  nach  praktischen  Erfahrungen  der  Aderlass  und  blutige  Schröpf¬ 
köpfe,  Amylnitrit  und  Carbolsäure,  rectal  injicirt.  Vor  Morphium  ist  zu 
warnen.  Atropin  ist  wirkungslos. 

H  u  c  h  a  r  d  (Paris)  glaubt,  dass  man  aus  dem  klinischen  Bilde 
allein  schon  vollkommen  die  Pathogenese  ableiten  könne,  ohne  dazu 
des  Experimentes  zu  bedürfen.  Der  Ausgangspunkt  des  Herzens  ist 
alle  Mal  die  acute  Insufficienz  des  Herzmuskels.  In  Folge  dessen  kommt 
es  auch  zu  einer  Dehnung  des  Herzens,  wenn  die  Kranken  den  Anfall 
überstellen,  oder  die  Anfälle  sich  wiederholen.  Das  Herz  führt  dann 
auch  schliesslich  zum  Tode.  Therapeutisch  steht  der  Aderlass  in  aller¬ 
erster  Reihe.  Jod  und  Morphium  sind  nicht  zu  empfehlen. 

II.  Merk  len  (Paris):  Lungenödem  und  Urämie. 

Vortragender  berichtet  über  eine  Beobachtung,  welche  gestattet, 

den  Antheil  der  Circulationsstörungen  und  der  Niereninsuffieienz  bei 
der  Entwicklung  des  acuten  Lungenödems  von  einander  zu  unterscheiden. 
Ein  Kranker  mit  chronischer  interstitieller  Nephritis  bekam  gelegentlich 
einer  Influenza  eine  acute  Exacerbation.  In  wenigen  Tagen  bekam  er 
stets  plötzlich  dreimal  einen  Anfall  von  Lungenödem,  über  den  ihn 
zweimal  der  Aderlass  hinweghalf.  Dem  dritten  Anfall  erlag  er.  Nie¬ 
mals  liess  sich  im  Anfall  eine  Schwäche  der  Ilerzthätigkeit  consta- 
tiren.  Bei  der  Section  fauden  sich  die  Nieren  atrophisch,  der  linke 
Ventrikel  hypertrophisch,  aber  nicht  dilatirt.  Die  Lungen  waren  öde- 
matös,  ebenso  das  Gehirn.  Im  Herzen  fand  sich  mikroskopisch  eine 
schwere  Myocarditis  fibrosa  mit  körniger  Degeneration  und  Fragmen¬ 
tation  der  Fibrillen,  die  sich  klinisch  durch  kein  einziges  Zeichen  ver- 
rathen  hatte.  Sie  kann  also  ätiologisch  nicht  in  Betracht  kommen.  Viel¬ 
mehr  sind  Lungen-  und  Hirnödem  offenbar  durch  die  Niereninsuffieienz 
zu  Stande  gekommen. 

Dieulafoy  (Paris):  Das  acute  Lungenödem  tritt  zuweilen 
auch  bei  acuter  Nephritis  auf,  selbst  bei  der  Scharlachnephritis, 
schliesslich  auch  bei  Leuten  mit  schleichendem  Morbus  Brightii,  der 
nie  bemerkenswerthe  Erscheinungen  gemacht  hat.  Solche  Fälle  zu  er¬ 
klären,  sind  wir  gegenwärtig  noch  gar  nicht  im  Stande.  Schwere  ana¬ 
tomische  Läsionen  an  Herzen  und  Aorta  können  nicht  vorhanden  sein, 
weil  sich  die  Kranken  oft  noch  von  dem  Anfalle  erholen.  Das  beste 
Mittel  ist  der  Aderlass. 

III.  V  i  d  a  1  (Hyeres) :  Sur  le  role  de  l’h  erpes  grippal 
dans  la  pneumonie  et  aut  res  maladies  infectieuses. 

Nach  Erfahrungen  bei  der  letzten  grossen  Influenzaepidemie 
hält  Vortragender  den  Herpes  für  die  Eintrittspforte  der  patho¬ 
genen  Bacterien,  welche  die  Erreger  fieberhafter  infectiöser  Erkran¬ 
kungen  sind.  Von  den  Herpesbläschen  aus  gelangen  sie  in  die  Blutbahn 
und  so  in  die  inneren  Organe.  Besonders  trifft  dies  für  die  Influenza- 
pueumonie  zu. 

IV.  Gilbert  et  Garnier  (Paris) :  Du  foie  dans  les 
a  n  e  m  i  e  s. 

So  verschieden  wie  die  Anämien,  so  mannigfach  sind  auch  die 
Veränderungen  der  Leber  dabei.  Die  Vortragenden  haben  histologisch 
die  Structurveränderungen  der  Leber  bei  Kaninchen  und  Hunden  studirt, 
die  durch  wiederholte  Aderlässe  anämisch  gemacht  worden  waren.  Es 
fanden  sich  stets  Veränderungen  in  der  Leber,  und  zwar  eine  tume¬ 
faction  transparente“  in  den  Zellen  ganz  diffus.  Diese  Schwellung  war 
zuweilen  schon  bis  zur  Nekrose  vorgeschritten.  Andererseits  befanden 
sich  die  Zellen  theilweise  noch  in  einem  früheren  Stadium  der  Zer¬ 
störung:  das  Protoplasma  war  von  hellglänzenden  Kügelchen  durch¬ 
setzt.  Diesen  ersten  Grad  der  transparenten  Schwellung  fanden  die 
Autoren  auch  in  der  Leber  eines  jungen  Mädchens,  das  an  Purpura 
haemorrhagica  zu  Grunde  gegangen  war.  Diese  Zellveränderung  brauche 


die  Functionen  der  Zellen  nicht  zu  beeinträchtigen,  wenn  sie  nicht  zum 
Tode  derselben  führen. 

V.  Karamitsas  (Athen) :  Sur  la  fievre  hemoglo¬ 
bin  u  r  i  q  u  e  palustre. 

Man  muss  zwei  Formen  dieses  „Schwarz Wasserfiebers“  unter¬ 
scheiden:  mit  oder  ohne  Ikterus.  Die  letztere  ist  häufiger.  In  grossen 
Dosen  kann  Chinin  Hämoglobinurie  erzeugen,  aber  in  Wirklichkeit 
gibt  es  eine  besondere  Form  des  Sumpffiebers,  die  so  auftritt.  Redner 
kann  der  Ansicht  K  o  c  h’s  nicht  beitreten,  dass  die  Hämoglobinurie 
nicht  auf  das  Sumpffieber  zurückzuführen  ist,  weil  es  sumpfige  Länder 
ohne  Hämoglobinurie  gäbe,  das  Blut  von  Parasiten  wimmeln  kann, 
ohne  dass  Hämoglobinurie  besteht  und  andererseits  Hämoglobinurie 
vorhanden  sein  kann  bei  Gegenwart  weniger  Parasiten  im  Blute.  Diese 
Argumente  seien  nicht  stichhaltig.  Bei  dieser  Krankheit  findet  man 
eben  regelmässig  Parasiten  im  Blute. 

VI.  Boinet  (Marseille):  Deux  cas  de  lymphadenie  e 
u  n  cas  de  leucemie  myelogene. 

Vortragender  theilt  ausführlich  drei  Krankengeschichten  von 
leukämischen  Bluterkrankungen  mit,  die  das  gemeinsam  haben,  dass  sie 
auf  einen  infectiösen  Ursprung  hinweisen.  In  den  beiden  ersten  Fällen 
handelte  es  sich  um  eine  fortlaufende  Entstehung  immer  neuer  Drüsen¬ 
sehwellungen  (Hals,  Achselhöhle,  Mediastinum).  Diese  Generalisation 
ist  ähnlich  der  beim  Carcinom.  In  einem  der  beiden  Fälle  fanden  sich 
Bacterien  auf  dem  Drüsensaft.  Die  Eintrittspforte  für  die  Bacterien  war 
nicht  festzustellen.  Im  dritten  Falle  sprach  das  Vorangehen  von  Ver¬ 
dauungsstörung,  besonders  Diarrhöe,  für  einen  intestinalen  Ursprung 
der  Infection.  Die  Toxine  führen  meist  zur  Vergrösserung  der  Milz, 
ganz  wie  beim  Typhus. 

VII.  Fr.  Pick  (Prag) :  Sur  la  fievre  hepatique 
intermittente. 

Unter  diesem  Namen  hat  Charcot  von  dem  den  Gallenstein- 
kolikaufall  begleitenden  Fieber  (fievre  hepatalgique)  jenen  Symptomen¬ 
complex,  den  man  nicht  selten  bei  Cholelithiasis,  gelegentlich  aber  auch 
bei  Choledochusverlegung  durch  Tumoren,  Echinococcusblasen  findet, 
bestehend  in  Schüttelfrösten,  Fieber  von  mitunter  so  auffallender  Regel¬ 
mässigkeit,  dass  Verwechslungen  mit  echtem  Intermittens  vorkamen; 
Ikterus  und  Schmerzen  können  auch  fehlen.  Es  handelt  sich  offenbar 
um  einen  Infect  der  Gallenwege,  auffallend  ist  aber,  dass  man  oft  trotz 
mehrmonatlichen  Bestehens  starker  Fieberanfälle  keinerlei  Eiterung  in 
den  Gallenwegen,  sondern  nur  Schleim  und  nirgends  Eiterherde  im 
Körper  findet.  Pick  hat  die  Verhältnisse  der  Leukocyten  in  einem 
solchen  sechs  Monate  lang  beobachteten  Falle  untersucht,  der  während 
dieser  Zeit  56  starke  Fieberanfälle  (bis  41°)  zeigte,  bei  welchem  die 
Section  einen  Gallenstein,  im  Begriffe  aus  dem  Choledochus  ins  Duo¬ 
denum  durchzubrechen,  ergab.  Es  fand  sich  die  Zahl  der  Leukocyten 
zwischen  den  Anfällen  stets  normal,  ebenso  während  der  Anfälle  im 
Anfang  der  Beobachtung,  später  zeigten  die  Anfälle  vorübergehende 
Leukocytose.  Das  Fehlen  der  Leukocytose  zwischen  den  Anfällen  kann 
zur  Differentialdiagnose  gegenüber  eiterigen  Entzündungen  der  Gallen¬ 
wege  und  Leberabscessen  dienen,  was  in  prognostischer  und  thera¬ 
peutischer  Beziehung  wichtig  ist. 

Ein  weiterer  Punkt,  der  bei  dieser  Erkrankungsform  von  Interesse 
ist,  ist  die  Harnstoffausscheidung  im  Harne.  Regnard  hat  1872  be¬ 
schrieben,  dass  an  den  Fiebertagen  die  Harnstoffausscheidung  bedeutend 
sinke.  Diese  vielfach  citirte,  aber  seither  trotz  mehrfacher  Unter¬ 
suchungen  nicht  wieder  bestätigte  Beobachtung  Regnard’s  hat 
Charcot  als  Hauptstütze  der  Anschauung,  wonach  die  Leber  den 
Harnstoff  bilde,  verwerthet.  Pick  demonstrirt  Tabellen,  welche  zeigen, 
dass  in  seinem  Falle  in  der  That  die  Harnstoffmenge  an  den  Fieber¬ 
tagen  sehr  bedeutend  (bis  5  g)  sinkt,  dasselbe  gilt  aber  auch  von  dem 
Gesammtstickstoff  und  Ammoniak.  Da  mm,  wie  Pick  ausführt,  Re¬ 
tention  und  Inanition  als  Ursachen  dieses  Phänomens  auszuschliessen 
sind,  muss  wohl  eine  verminderte  HarnstofFbildung  angenommen  werden, 
und  zwar  entweder  durch  Herabsetzung  des  gesammten  Stickstoff¬ 
wechsels,  was  man  dann  aber  auch  bei  anderen  Infectformen  zu  er¬ 
warten  hätte,  oder  durch  Functionsstörung  der  Leber.  Bei  letzterer 
hätte  man  nach  der  jetzt  geltenden  Schmiedeberg- Schröder- 
Anschauung,  wonach  Ammoniaksalze  die  Vorstufe  des  Harnstoffes  dar¬ 
stellen,  eine  Vermehrung  des  Ammoniaks  zu  fordern.  Da  diese  fehlt, 
erscheint  es  wahrscheinlich,  dass  die  Schlacken  des  Eiweissstoff¬ 
wechsels  der  Leber  nicht  in  Form  der  leicht  in  den  Harn  übergehen¬ 
den  Ammoniaksalze,  sondern  in  einer  Form  zugeführt  werden,  die  das 
Nierenfilter  nicht  passirt.  Dies  ist  umso  eher  möglich,  als  ja  die  Mutter¬ 
substanzen,  die  Ei  weisskörper,  normaler  Weise  von  den  Nieren  zurück- 
gehalten  werden.  Für  diese  Anschauung  sprechen  aber  auch  Versuche 
von  Ammoniakdarreichung,  die  Pick  an  einem  weiteren,  günstig  ver¬ 
laufenden  Falle  dieser  Art  anstellte,  wobei  prompt  eine  Harnstoffver¬ 
mehrung  eintrat. 


Nr.  37 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


VIII.  Vincent  (Val  de  Grace):  R  e  c  h  e  r  c  li  e  s  sur  la 
bacteriologie  et  les  lesions  du  laryngotyphus. 

Nach  Besprechungen  der  bisherigen  Anschauungen  über  dio 
pathologische  Anatomie  der  im  Anschluss  an  Abdominaltyphus  auf¬ 
tretenden  Kehlkopfgeschwüre  berichtet  Vortragender  über  histo¬ 
logische  und  bacteriologische  Untersuchung,  die  er  in  einem  tödtlich 
verlaufenden  Falle  hat  machen  können.  Mikroskopisch  fand  sich,  was 
die  älteste  Ansicht  vou  Rokitansky  bestätigt,  eine  kleinzellige, 
leukocytäre  Infiltration  aller  Schichten  der  Mucosa  und  des  Perichon- 
driums,  bacteriologisch  ein  Streptococcus,  besonders  zahlreich  in  den 
Geschwüren  der  Schleimhaut.  Auch  in  einem  anderen  Falle,  der  günstig 
verlief,  ergab  die  Abimpfung  einen  Streptococcus.  Die  Ivehlkopfaffec- 
tionen  sind  also  wohl  keine  directen  Wirkungen  des  Typhusbacillus, 
sondern  zufällige  Complicationen,  die  auf  andere  bacterielle  lnfectionen 
zurückzuführen  sind. 

* 


IV.  Sitzung. 

I.  V  i  1 1  a  r  d  (Marseille)  :  Du  Traitement  des  Pneu- 
monies  et  Bronehopneu  monies  grippales. 

300  Beobachtungen  in  drei  Jahren.  Auf  der  flöhe  der  Erkran¬ 
kung,  wo  die  Zeichen  der  Toxämie  sich  geltend  machen,  wendet  Vor¬ 
tragender  folgendes  combinirtes  Behandlungsverfahren  an  :  1 .  Aderlass 
von  200 — 300#  Blut  selbst  bei  älteren  Personen,  bei  kräftigen  Per¬ 
sonen  sogar  zwei-  bis  dreimal  zu  wiederholen.  2.  Unmittelbar  darnach 
subcutane  Injection  von  künstlich  sterilisirtem  Serum  (nach  Hayem), 
täglich  zwei-  bis  dreimal  in  Mengen  von  100 — 150  #.  Sie  besorgen  eine 
gründliche  Auswaschung  des  Blutes  und  des  interstitiellen  Gewebes 
nach  vorangegangener  Entgiftung  durch  den  Aderlass.  3.  Kalte  Ein¬ 
wicklungen  der  Brust,  dreistündlich  zu  erneuern.  Bei  dieser  Behandlung 
hat  Vortragender  kaum  mehr  als  10%  Mortalität  gehabt. 

II.  Boinet  (Paris):  Des  troubles  nerveux  d’origine 
p  a  1  u  s  t  r  e. 

1.  Sensible  Störungen:  Neuralgien  im  Trigeminus,  Ischiadicus, 
Intercostalnerven  etc.,  sowie  echte  Neuritiden,  besonders  im  Ischiadicus. 
Sie  sind  oft  die  zuerst  in  die  Erscheinung  tretenden  nervösen  Affec- 
tionen,  die  in  Begleitung  der  Malariaerkrankungen  auftreten.  Subjective 
Symptome  sind  Parästhesien,  Hyper-  und  Anästhesien,  lanciuirende 
Schmerzen.  2.  Motorische  Störungen,  meist  den  ersteren  folgend: 
Paresen  der  Extremitäten,  die  sich  allmälig  zu  vollständigen  Lähmungen 
entwickeln,  meist  sich  aber  nur  auf  das  Muskelgebiet  des  betroffenen 
Nerven  erstrecken.  Die  Reflexe  sind  herabgesetzt  oder  aufgehoben. 
Selten  sind  Krämpfe,  Zittern,  Athetose  u.  dgl.  Zuweilen  sieht  man  im 
Gefolge  des  Sumpffiebers  auch  Hysteroneurasthenie.  3.  Psychische 
Störungen :  Delirien  mit  Hallucinationen,  namentlich  bei  acuten  Anfällen 
des  Fiebers.  Schliesslich  kommt,  namentlich  nach  chronischen  Fällen, 
Demenz,  Melancholie,  Paranoia  etc.  vor. 

III.  de  D  o  m  i  n  i  c  i  s  (Neapel) :  Infection  experimentale 
de  1  a  rate. 

Zum  Studium  der  von  der  Milz  ausgehenden  lnfectionen  hat 
Vortragender  die  Milz  von  Hunden  unter  Erhaltung  ihrer  Gefäss Ver¬ 
bindung  aus  der  Bauchhöhle  transplantirt  und  Reinculturen  von  Bact. 
coli,  Typhusbacillen  u.  dgl.  in  die  Milz  injicirt.  8  —  wirkten 

tödtlich  nach  fünf  bis  acht  Stunden;  erst  in  etwas  grösserer 
Dosis  vom  Blute  aus.  Kleinere  Mengen  wirken  immunisirend  für 
kürzere  Zeit. 

W  i  d  a  1  (Paris)  hat  hei  Meerschweinchen  keine  Wirkungen  von 
Injectionen  virulenter  Bacterien  in  die  Milz  gesehen. 

IV.  Beclere  (Paris) :  Pathogenie  des  pleurisies 
p  u  1  s  a  t  i  1  e  s. 

Vortragender  erörtert,  auf  welche  Weise  wohl  die  Entstehung 
der  sogenannten  pulsirenden  Pleuritis  zu  erklären  ist,  bei  der  die 
Herzschläge  durch  die  Exsudatflüssigkeit  hindurch  auf  die  Brustwand 
übertragen  werden.  Das  kommt  nur  bei  linksseitiger  Pleuritis  vor,  die 
tuberculösen  Ursprunges  ist,  stets  zur  Eiterbildung  führt,  oft  mit 
secundärer  Perforation  der  Lunge  und  von  Pneumothorax  begleitet. 
Sie  entwickelt  sich  immer  nur  langsam  (chronisches  Empyem),  compri- 
mirt  stark  die  linke  Lunge  und  verdrängt  das  Herz  sehr  erheblich, 
ohne  doch  das  Leben  zu  gefährden.  Die  Entstehung  der  Pulsation  ist 
so  zu  erklären,  dass  bei  der  Ausbreitung  der  eiterigen  Flüssigkeit  der 
Widerstand  der  rechten  fibrös  verdickten  Wand  des  Mediastinums 
grösser  ist,  als  derjenige  der  linksseitigen  Intercostalräume,  so  dass 
das  Herz  bei  jeder  Contraction  gegen  sie  angedrängt  wird.  Den  Beweis 
für  diese  Theorie  erbringt  Vortragender  durch  Versuche  an  der  Leiche, 
durch  Röntgen-  Aufnahme  und  durch  eine  zufällig  günstige,  klini¬ 
sche  Beobachtung  eines  solchen  Falles  bei  einer  Kranken  mit 
Trichterbrust. 


V.  Da  land  (Philadelphia)  demonstrirt  einen  neuen  Apparat, 
»H  ä  m  a  t  o  c  i  t“  genannt,  welcher  durch  Ceutrifugirung  eines  in  einer 
graduirten  Pipette  aufgefangenen  Bluttropfens  die  Zahl  der  rothen 
Blutkörperchen  in  demselben  abzuschätzen  gestattet. 

VI.  Ren  on  (Paris):  L’a  s  p  e  r  g  i  1 1  o  s  e,  mal  a  die  pri¬ 
mitive. 

Im  Gegensatz  zu  der  älteren  Auffassung  Virchow’s  u.  A. 
vertritt  Vortragender  mit  anderen  französischen  Autoren,  dass  der 
Aspergillus  fumigatus  (Kolbenschimmelpilz)  nicht  nur  ein  secundärer 
Parasit  ist,  sondern  oft  auch  ein  primärer  pathogener  Krankheits¬ 
erreger  von  derselben  Bedeutung  wie  der  Aktinomycespilz  und  der 
Tuberkelbacillus.  Die  primäre  Aspergillose  ist  nach  Ren  on  sogar  eine 
nicht  seltene  Erkrankung,  die  sich  gut  differenziren  lässt  und  durchaus 
specifisch  ist.  Sie  kommt  spontan  bei  Menschen  wie  bei  Thieren  (Säuge- 
thieren  und  Vögeln)  vor,  entwickelt  sich  in  der  Haut,  Hornhaut,  be¬ 
sonders  aber  im  Respirationstractus,  sowohl  den  Bronchien,  wie  nament¬ 
lich  den  Lungen,  wo  sie  eine  Pseudotuberculose  erzeugt,  wie  man 
die  Affection  in  Frankreich  vielfach  noch  nennt.  Sie  kann  heilen  durch 
Ausstossung  des  Pilzherdes,  oder  durch  Höhlenbildung  zum  Tode 
führen.  In  der  Aetiologie  spielt  die  Ansteckung  durch  Getreide  eine 
Hauptrolle,  da  Personen,  welche  damit  zu  thun  haben,  besonders  häufig 
davon  betroffen  werden.  Man  kann  die  Lungenaspergillose  experimentell 
bei  Thieren  mit  ihren  charakteristischen  Nekrosen  und  Ulcerationen 
erzeugen. 

VII.  Triboulet  (Paris):  De  la  Bacteriologie  du 
Rhumatisme  articulaire  a  i  g  u. 

Sowohl  bei  dem  einfachen  acuten  Gelenksrheumatismus,  wie  bei 
den  mit  Complicationen  (Endo-,  Pericarditis  u.  s.  w.)  einhergehenden 
findet  man  sehr  verschiedene  Mikroben,  bald  diesen,  bald  jenen: 
Staphylococcen,  Streptococcen,  Diplococcen  (A  c  h  a  1  m  e,  Triboulet 
et  Coyon).  Kein  Bacterium  kann  bisher  als  specifisch  gelten,  da  die 
Krankheit  damit  noch  nicht  experimentell  erzeugt  ist.  Dennoch 
scheinen  die  Fälle,  in  denen  sich  im  Blut  keine  Mikroben  finden,  pro¬ 
gnostisch  günstig,  die  anderen  geben  dagegen  Anlass,  den  Eintritt  von 
Complicationen  zu  verwerthen.  Beim  acuten  Gelenkrheumatismus 
scheint  das  Blut  ein  ausserordentlich  günstiger  Nährboden  für  Bac¬ 
terien  zu  sein,  sie  verbreiten  sich  darin  rapid  und  erzeugen  sehr  leicht 
seeundäre  lnfectionen,  die  ja  den  einzelnen  Fällen  das  klinische  Ge¬ 
präge  aufdrücken. 

Widal  (Paris)  hat  in  drei  Fällen  von  acutem  Gelenk¬ 
rheumatismus  in  dem  serösen  Exsudat  polynucleäre  Leukocyten  ge¬ 
funden,  welche  bei  traumatischen  Arthritiden  fehlten.  Sie  scheinen  also 
ein  specifischeres  Zeichen  zu  sein,  als  die  Bacterien,  zu  deren  Ver¬ 
nichtung  sie  bestimmt  sind. 

Papillon  (Paris)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  eines 
der  sichersten  Zeichen  der  Infectiosität  des  acuten  Gelenksrheuma¬ 
tismus  das  immer  erneute  epidemische  Auftreten  desselben  in  einzelnen 
Häusern  sei. 

VIII.  L  e  n  o  b  1  e  (Brest) :  Semiologie  du  caillot  et  du 
serum  dans  les  purpuras. 

Vortragender  hat  in  mehreren  Fällen  von  Purpura  haemorrhagiea 
drei  Eigenthümlichkeiten  des  Blutes  gefunden,  welche  er  für  charak¬ 
teristisch  hält:  a )  Aus  dem  Blute  setzt  sich  kein  Serum  ab,  indem 
sich  das  Coagulum  nicht  zurückzieht;  b )  die  Zahl  der  Hämatoblasten 
ist  vermindert,  entsprechend  der  Intensität  der  Affection;  c)  die 
Gegenwart  kernhaltiger  rother  Blutkörperchen.  Bei  leichter  Peliosis 
dagegen  bildet  sich  Coagulum  und  Serum  in  der  gewöhnlichen  Weise 
in  kurzer  Zeit. 

Apert  (Paris):  Man  findet  die  mitgetheilte  Anomalie  der  Blut- 
coagulation  in  der  That  öfters  bei  Purpurahämorrhagien,  aber  durch¬ 
aus  nicht  immer.  Andererseits  lässt  sie  sich  auch  bei  Affectionen,  z.  B. 
Typhus  abdomin.,  gelegentlich  beobachten,  wenn  man  die  Widal’sche 
Serumreaction  anzustellen  versucht. 

* 

V.  Sitzung. 

I.  LeGendre  (Paris) :  Pathogenese  der  Gicht. 

Referent  bespricht  zunächst  sehr  eingehend  all  die  zahl¬ 
reichen  Theorien  über  das  Wesen  und  die  Entstehung  der  Gicht, 
welche  von  den  ältesten  Zeiten  bis  in  die  letzten  Jahre  noch  auf- 
gestellt  worden  sind.  Ihr  Angelpunkt  ist  fast  durchgängig  die  Harn¬ 
säure  und  ihre  Salze  in  ihren  chemischen  und  physikalischen  Wirkungen. 
Die  Einen  erklären  nur  den  Gichtanfall,  die  Anderen  die  grundlegende, 
jrermanente,  ursächliche  Zellstoffwechselstörung.  Auch  die  Erblichkeit 
spielt  eine  grosse  Rolle.  Die  klinische  Statistik  hat  es  ausser  Zweifel 
gestellt,  dass  die  Gicht  ganz  besonders  bei  solchen  Personen  auftritt, 
in  deren  Familie  sich  irgend  welche  arthritische  Allgemeinerkrankungen 
oder  Ernährungsstörungen,  wie  Diabetes  und  Fettleibigkeit,  finden.  Oft 


840 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ist  sie  sogar  mit  einer  der  letzteren  coinbinirt.  ie  Bouchard  für 
den  Diabetes  zweifellos  festgestellt  habe,  dass  er  bestehe  auf  einer 
Verminderung  der  Fähigkeit  der  Gewebe,  den  Zucker  zu  verbrennen 
und  die  Umbildung  der  Kohlehydrate  bis  zu  Ende  zu  führen,  so  sei 
für  die  Gicht  wahrscheinlich  anzunehmen,  dass  sie  entstehe  durch  eine 
mangelhafte  Verarbeitung  der  Stickstoffsubstanz  in  den  Zellen,  durch 
einen  unvollkommenen  Abbau  des  Eiweissmolecüls.  In  Folge  dieser 
unvollständigen  Zerstörung  der  Abfallsproducte  tritt  eine  Stockung  im 
Organismus  ein,  sowohl  durch  gewisse  Säuren  (Essig-,  Oxal-,  Milch¬ 
säure  etc.),  welche  die  Bedingungen  der  Löslichkeit  der  Harnsäure 
vermindern,  als  auch  durch  gewisse  organische  Körper,  deren  Giftig¬ 
keit  in  dem  chronischen  Zustande  die  einzelnen  Anfälle  auslösen  kann. 
Eine  gewisse  Verwandtschaft  hat  die  Gicht  auch  zur  Nephritis,  die 
ihr  oft  den  Boden  bereitet  oder  die  Anfälle  auslöst,  sei  es  dadurch, 
dass  sie  das  Hinderniss  für  die  Ausscheidung  der  toxischen  Abfalls¬ 
producte  der  mangelhaft  ernährten  Gewebe  aufhebt,  sei  es  durch  eine 
trophoneurotische  Hemmung  des  intracellulären  Stoffumsatzes.  Die  er¬ 
worbene  Gicht  ist  als  Folge  falscher  Lebens-  und  Ernährungsweise 
(Uebermass  stickstoffreicher  Nahrung  oder  oxalsäurereicher  Nahrung, 
fermenthaltiger  Getränke,  ungenügende  körperliche  Bewegung  und 
Ueberanstrengung  des  Nervensystems)  oder  einer  Vergiftung  (Blei).  Die 
erbliche  Gicht  entsteht  durch  Uebertragung  der  Ernährungsstörung  der 
Zellen  auf  Ei  und  Spermatozoon. 

Correferent  Duckworth  (London)  betrachtet  die  Gicht  gleich¬ 
falls  als  den  Ausdruck  einer  Ernährungsstörung,  welche  in  einem  un¬ 
vollkommenen  Stoffumsatz  in  gewissen  Organen  besteht,  vielleicht  in 
den  Nieren  und  wahrscheinlich  in  der  Leber.  Dabei  tritt  die  Neigung 
zur  Bildung  von  Harnsäure  im  Ueberschuss  hervor,  die  sich  periodisch 
im  Blute  anhäuft.  Die  Histologie  vermag  die  Natur  dieser  Störung 
nicht  zu  erklären,  welche  sich  eben  nicht  auf  eine  Structurveränderung, 
sondern  auf  eine  wahrscheinlich  trophoneurotische  Beeinflussung  der 
Zell  function  bezieht.  Die  anatomischen  Veränderungen  können  secundär 
entstehen  und  sogar  im  Keim  vererbt  werden.  Die  Urikämie  ist  der 
Gicht  eigenthümlich,  sie  findet  sich  in  gleicher  Weise  bei  keiner 
anderen  Krankheit,  aber  sie  ruft  nicht  selbst  die  Gichtanfälle  hervor, 
sondern  sie  entstehen  unter  besonderen  trophoneurotischen  Einflüssen. 
Bei  der  Gicht,  sowie  jeder  harnsauren  Diathese  ist  eine  centrale  Neurose 
vorhanden.  Die  Harnsäure  kann  sich  in  sehr  grossen  Depots  an  den 
verschiedensten  Stellen  des  Körpers  ablagern,  ohne  Schmerzen  oder 
Anfälle  auszulösen.  Sie  wird  oft  spontan  etappenweise  ausgeschieden, 
hat  aber  doch  stets  Neigung,  in  den  weniger  gefässreichen  Geweben 
permanent  liegen  zu  bleiben.  Die  Blutveränderungen  einerseits,  welche 
die  Folge  eines  abnormen  Stoffwechsels  in  Zellen  und  Geweben  sind, 
die  localen  trophoneurotischen  Störungen  andererseits  sind  als  die 
wesentlichen  pathogenetischen  Factoren  der  Gicht  zu  betrachten,  welche 
sich  demnach  als  eine  „neuro  humorale“  Affection  darstellt. 

Teissier  (Lyon) :  Man  muss  von  der  eigentlichen  Gicht  den 
gichtischen  Rheumatismus  trennen,  welcher  mit  ersterer  zuweilen  in 
ein  und  derselben  Familie  alternirend  auftritt  und  bei  Leuten  mit 
Gicht  in  der  Ascendenz.  Aber  der  Mechanismus  der  Entstehung  beider 
Affectionen  ist  sehr  verschieden.  Bei  der  Gicht  handelt  es  sich  um  Ab¬ 
lagerung  überschüssiger  Harnsäure  in  dem  Gewebe,  bei  dem  gichtischen 
Rheumatismus  fällt  die  G  arr  od’sche  Fadenprobe  negativ  aus.  Vielmehr 
findet  sich  da  Oxalsäure  im  Ueberschuss.  Wie  diese  Umbildung  zu 
Stande  kommt,  ist  unbekannt. 

His  (Leipzig):  Das  Vorkommen  von  Harnsäure  im  Blute  ist 
räthselhaft,  weil  sie  leicht  zerstörbar  schon  in  Wasser  löslich  ist.  Das 
ist  nur  möglich,  wenn  die  Harnsäure  im  Blute  in  einer  Verbindung 
vorhanden  ist,  die  wir  noch  nicht  kennen.  Die  abgelagerten  Harnsäure- 
krystalle  werden  wie  andere  Fremdkörper  von  Wanderzellen  aufge¬ 
nommen  und  zerstört.  Eine  grosse  Menge  von  Urat  kann  auf  diese 
Weise  aus  dem  Körper  verschwinden.  Die  Verabreichung  von  Mitteln, 
welche  mit  der  Harnsäure  leicht  lösliche  Verbindung  geben,  ist  werth¬ 
los.  Die  Harnsäure  wird  wohl  gelöst,  aber  es  wird  meist  ein  anderes, 
schwer  lösliches  Salz  durch  eine  vorhandene  Base  gebildet. 

II.  V  i  d  a  1  et  R  a  v  a  u  t  (Paris) :  Cystodiagnostic  des 
epanchements  sero-fibrineux  de  la  p  le  vre. 

Die  Untersuchung  der  in  den  pleuritischen  Exsudatflüssigkeiten 
enthaltenen  Zellen  kann  wichtige  Aufschlüsse  für  die  Diagnostik, 
Pathogenese  und  Aetiologie  liefern.  Einige  Cubikcentimeter  Flüssigkeit 
werden  durch  Probepunctiou  entnommen,  defibrinirt  und  centrifugirt. 
I  ärbung  mit  Thiouin,  Hämatoxylin  -Eosin  und  Ehrlich’s  Triacid. 
Die  Vortragenden  verfügen  über  6G  Fälle  und  zeigen  auf  Tafeln  die 
Mannigfaltigkeit  des  Befundes.  Bei  der  idiopathischen  Pleuritis  findet 
man  ausschliesslich  kleine  Lymphocyten,  zusammenfliessend,  mit  spär¬ 
lichen  rothen  Blutkörperchen.  Bei  der  tuberculösen  Pleuritis  in  ihren 
verschiedenen  Formen  sind  Formelemente  sehr  selten;  nur  einige  alte 
und  deformirte  polynucleare  Leukocyteu  finden  sich.  Bei  einer  strepto¬ 
coccenhaltigen  serofibrinösen  Pleuritis  waren  neutrophile  Polynucleare 
vorhanden.  Am  bemerkenswerthesten  ist  der  Befund  bei  der  Pneumo- 


coccenpleuritis:  rothe  Blutkörperchen  und  einige  Lymphocyten,  besonders 
aber  sehr  zahlreiche  polynucleare  und  eine  grosse  Menge  mononuclearer 
Zellen  endothelialen  Ursprunges,  einige  davon  sehr  gross,  schliessen 
noch  Polynucleare  in  ihrem  Protoplasma  ein.  Bei  den  traumatischen 
und  den  aseptischen  Pleuritiden  der  Herz-  und  Nierenkranken  sind 
grosse  Endothelzellen  von  der  Oberfläche  der  Serosa  charakteristisch, 
einzeln  oder  in  Gruppen  zu  zwei,  drei  und  vier. 

III.  B  a  y  1  a  c  (Toulouse) :  Traitementde  laP4ritonite 
tuberculeuse  par  la  Ponction  suivie  du  lavage  avec 
de  l’eau  steril  isee  chaude. 

Vortragender  will,  ohne  die  Kranken  der  Gefahr  der  Laparotomie 
auszusetzen,  ihnen  den  Nutzen  einer  Ausspülung  der  Bauchhöhle  ver¬ 
schaffen,  und  zwar  ohne  Anwendung  der  stets  bedenklichen  antisepti¬ 
schen  Flüssigkeiten.  Er  verwendet  45°  warmes  Wasser,  das  ebenso 
wirksam  erscheint,  indem  es  doch  hauptsächlich  darauf  ankommt,  das 
von  seinem  Exsudat  befreite  Peritoneum  in  den  für  eine  Ausheilung 
möglichst  günstigen  Zustand  zu  versetzen.  Die  mechanische  Wirkung 
ist  das  Wesentliche.  Baylac  hat  nach  dieser  Methode  acht  Fälle  von 
tuberculöser  Peritonitis  mit  Ascites  behandelt  und  dadurch  fünf  voll¬ 
ständig  geheilt,  dreimal  eine  vorübergehende  Besserung  erzielt.  Vor¬ 
tragender  gibt  zum  Schlüsse  noch  den  Versuch  einer  theoretischen  Er¬ 
klärung  des  Zustandekommens  der  Heilung. 

IV.  Pettyjohn  (Michigan):  Diabetes  and  its  consti¬ 
tutional  treatment. 

V.  Hammond  (Washington) :  Arthritis  deformans: 
the  causes,  pathology  and  treatment. 

VI.  Marini  (Palermo) :  Modifications  structu  rales 
des  leucocytes  polynucleaires  dans  les  infections. 

Beim  Studium  des  Blutes  von  Pneumonikern  hat  Marin  i 
specifische  Typen  von  Leukocyten  gefunden,  von  denen  diejenigen  mit 
polymorphem  Kern  folgende  Eigenthümlichkeiten  zeigten:  Im  Proto¬ 
plasma  hat  um  den  Kern  herum  eine  Anhäufung  von  neutrophilen 
Granulationen  statt  (bei  der  Färbung  mit  Ehrlich’s  Triacid),  und 
dieser  centrale  Theil  der  Zelle  färbt  sich  sehr  intensiv.  Dagegen  bleibt 
die  Peripherie  klar  und  wenig  gefärbt.  Diese  Veränderungen  verlieren 
sich  in  dem  Masse,  als  die  Krankheit  abläuft.  Sie  scheint  also  von  der 
Infection  abhängig  zu  sein.  Bei  Hunden  konnte  Marini  experimentell 
solche  Leukocyten  im  Blute  hervorrufen,  wenn  er  ihnen  einen  sehr 
virulenten  Mikroben  einimpfte,  der  aus  den  Hautschuppen  von  masern¬ 
kranken  Kindern  gewonnen  war. 

VII.  Fenoglio  (Cagliari):  Action  pathogene  des 
Amoeba  coli. 

Vortragender  leugnet  die  ätiologische  Bedeutung  der  Amoeba 
coli  für  die  Dysenterie  und  andere  Darmaffectionen.  Sie  habe  keine 
pathogene  Wirkung.  Denn  sie  findet  sich  auch  im  Darm  gesunder 
Menschen  mit  all  ihren  charakteristischen  Eigenschaften.  Auf  Katzen 
übertragen,  die  ja  für  Dysenterie  empfänglich  sind,  ruft  sie  im  Darm 
derselben  keinerlei  specifische  Läsion  hervor.  Wo  man  amöbenhaltigen 
Darminhalt  oder  Eiter  aus  Leberabscessen  anscheinend  mit  Erfolg 
übertragen  hat,  ist  man  nicht  sicher,  ob  nicht  etwa  irgend  welche 
toxische  Substanzen  oder  andere,  uns  noch  nicht  bekannte  Mikroben 
wirksam  gewesen  sind. 

* 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

XIII.  Jaques  Joseph  (Berlin):  a)  Riesenwuchs  des 
linken  Ohres;  operative  Verkleinerung  desselben 
(mit  Projectionsbildern).  h)  Ueber  einige  operative 
Nasenverkleinerungen  (mit  Projectionsbildern). 

Der  Vortragende  hat  bereits  am  21.  October  1896  in  der  Ber¬ 
liner  medicinischen  Gesellschaft  über  den  ersten  Fall  von  operativer 
Ohrenverkleinerung,  die  sogenannte  Eselohrenoperation, 
berichtet.  Er  hat  seitdem  eine  Reihe  von  anderen  Ohrenverkleinerungen 
ausgeführt  und  hebt  daraus  folgenden,  besonders  interessanten  Fall 
hervor:  Ein  jetzt  38jähriger  Schlosser  hatte  bis  vor  circa  zwei  Jahren 
zweierlei  Ohren,  ein  rechtes  normales  und  ein  linkes  fast  doppelt  so 
grosses.  Dieses  war  bereits  von  Geburt  an  etwas  grösser  als  das 
rechte;  doch  fiel  die  Zeit  seines  grössten  Wachsthums  in  die  Zeit  vom 
20. — 26.  Lebensjahre  des  Mannes.  Joseph  hat  ihn,  wegen  des  terato- 
logischen  Interesses,  das  der  Fall  darbot,  am  26.  Januar  1898  voi¬ 
der  Operation  in  der  Berliner  medicinischen  Gesellschaft  vorgestellt. 
Vor  circa  zwei  Jahren  hat  Joseph  dem  Manne,  der  wegen  seiner 
Missbildung  vielfach  Bespöttelungen  ausgesetzt  war,  auf  seinen  drin¬ 
genden  Wunsch  das  linke  Ohr  so  weit  verkleinert,  dass  es  nunmehr 
ebenso  gross  ist,  wie  das  rechte  normale  Ohr.  Dabei  bat  das  Ohr 
ungeachtet  der  in  diesem  Falle  ziemlich  eingreifenden  Operation,  eine 
durchaus  natürliche  Form  erhalten.  Die  Operation  wurde  folgender- 


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massen  ausgeführt.  Wie  in  seinen  anderen  Fällen  von  operativer 
Ohrenverkleinerung  machte  Joseph  zunächst  einen  in  diesem  Falle 
freilich  recht  grossen  keilförmigen  Ausschnitt,  mehr  aus  der  oberen, 
als  aus  der  unteren  Hälfte  der  Ohrmuschel,  ebenso  einen  kleineren 
keilförmigen  Ausschnitt  aus  dem  gleichfalls  stark  vergrösserten  Läpp¬ 
chen.  Damit  das  Ohr  für  die  neugewonnene  Höhe  nicht  zu  breit  würde, 
schnitt  Joseph  aus  der  Ohrmuschel  von  den  Wundräudern  des 
grossen  Ausschnittes,  nach  oben  wie  nach  unten,  wiederum  zwei  keil¬ 
förmige  Stücke  aus.  Darauf  wurden  die  Wundränder  durch  Naht  ver¬ 
einigt  und  dann  das  ganze  Ohr  durch  Entfernung  eines  entsprechenden 
Hautstückes  aus  der  Furche  zwischen  Ohrmuschel  und  Kopfhaut,  sowie 
durch  Vereinigung  der  dadurch  geschaffenen  Wund’änder  an  den  Kopf 
genau  so  angelegt,  wie  es  das  rechte  Ohr  war.  Die  Narben  sind 
durchaus  unauffällig,  zum  Theil  kaum  sichtbar. 

Sodann  berichtet  Joseph  über  acht  Nasenverkleine¬ 
rungen,  welche  er  in  den  letzten  2V2  Jahren  ausgeführt  hat,  und 
zwar  nur  über  Verkleinerungen  solcher  Nasen,  welche  an  sich  ganz 
gesund  waren,  aber  ihren  Trägern  durch  ihre  Grösse  und  Gestalt 
grossen  Verdruss,  zum  Theil  aber  auch  in  ihrem  Berufe  erhebliche 
Nachtheile  bereitet  hatten.  Der  erste  bereits  am  12.  Mai  1898  in  der 
Berliner  medicinischen  Gesellschaft  ausführlich  mitgetheiPe  Fall  betraf 
einen  28jährigen  Gutsbesitzer,  dessen  Nase  etwas  zu  lang  war,  vor 
Allem  aber  zu  stark  aus  dem  Gesichte  her  vor  trat  und 
ausserdem  mit  einem  Höcker  behaftet  war.  Die  Nase  ist 
durch  die  an  genannter  Stelle  ausführlich  beschriebene  Operation  normal 
lang,  in  normaler  Weise  aus  dem  Gesichte  hervortretend  und  gerade 
geworden.  Auch  sind  die  vorher  recht  grossen  Nasenlöcher  auf  normale 
Grösse  reducirt  worden. 

Ein  zweiter  Patient  hatte  eine  Nase,  deren  untere  Hälfte  eine 
frappante  Aehnlichkeit  mit  einem  Enten  Schnabel  besass.  Ein 
dritter  Fall  betraf  eine  junge  Dame,  deren  Nase  zu  lang  und  in  ihrer 
unteren  Hälfte  kolben  artig  verdickt  war.  Auch  waren  die 
Nasenflügel  mit  Rücksicht  auf  die  Profilbreite  der  Nase  unverhältniss- 
mässig  klein.  Der  vierte  Patient,  ein  junger  Oekonom,  hatte  eine 
kartoffelähnliche  Vorbuchtung  dicht  oberhalb  der  Nasenspitze,  eine 
sogenannte  Kai  toffelnase.  Der  fünfte  Patient  besass  eine  zwar 
gerade,  aber  zu  stark  hervortretende  und  zu  spitze  Nase.  Der 
sechste  und  siebente  Fall  betreffen  eine  Dame  und  einen  Herrn,  welche 
eine  zu  lange  und  gleichzeitig  mit  einem  Höcker  behaftete 
Nase  hatten.  Die  Nasenspitze  der  Dame  wies  ausserdem  noch  eine 
schaufelartige  Verbreiterung  auf.  Die  Nase  des  achten 
Patienten  zeichnete  sieh  durch  auffallende  Grösse,  besonders  aber  durch 
ihre  überaus  hässliche  Form  aus.  Statt  der  gewöhnlichen  abgerundeten 
Spitze  hatte  sie  eine  ziemlich  grosse,  fast  viereckige,  schräge  Platte, 
welche  der  Nase  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  einer  Schweins¬ 
nase  verschaffte. 

XIV.  Amerigo  Benevento  da  Rotello  (Campobasso) : 
Zwei  Fälle  von  Congestionsabscess  bei  Spondylitis 
vertebralis  junger  Individuen.  Heilung. 

* 

Nachmittagssitzung. 

Vorsitzender:  Ceccherelii  (Parma). 

I.  v.  Bergmann  (Berlin) :  Ueber  Fortschritte  in  der 
Behandlung  der  Fracturen  seit  Einführung  der 
Untersuchung  mit  Röntgen-Strahlen. 

In  den  letzten  zehn  Jahren  hat  die  Lehre  von  den  Knochen¬ 
brüchen  zwei  wichtige  Fortschritte  verzeichnet:  die  blutige  Behandlung 
gewisser  einfacher  Fracturen  behufs  besserer  Zusammenfügung  und 
knöcherner  Wiedervereinigung  der  Bruchenden  und  die  genauere  Er- 
kenntniss  der  Bruchformen  und  Veränderungen  an  der  Bruchstelle 
durch  die  Radioskopie  und  Radiographie. 

Es  gibt  unstreitig  Verhältnisse  an  der  Bruchstelle,  welche  eine 
knöcherne  Vereinigung  der  Bruchenden  hindern.  Die  Einklemmung  von 
Muskeln  zwischen  die  Bruchenden,  welche  uns  am  häufigsten  am 
gebrochenen  Femur  begegnet,  ist  ein  solches  Hinderniss.  Leider  können 
wir  es  durch  die  Untersuchung  mit  den  R  ö  n  t  g  e  n- Strahlen  nicht 
mit  der  Bestimmtheit  nachweisen,  welche  ein  Einschneiden  auf  die 
Bruchstellen  rechtfertigt.  Wir  können  es  nur  vermuthen,  wenn  wir  im 
Bilde,  das  der  fluorescirende  Schirm  gibt,  einen  Zwischenraum  zwischen 
den  aneinander  im  Sinne  einer  Dislocatio  ad  longitudinem  ver¬ 
schobenen  Knochenflächen  sehen  und  dieser  helle  Zwischenraum  bei 
den  verschiedensten  Stellungen,  welche  wir  dem  gebrochenen  Gliede 
geben,  immer  der  gleiche  bleibt.  Aber  andere  locale  Ursachen  einer 
ausbleibenden  knöchernen  Consolidation  zeigen  uns  die  Röntgen- 
Strahlen  auf  das  allerdeutlichste.  Insbesondere  lassen  sie  uns  solche 
an  den  Gelenkbrüchen  und  den  Brüchen  der  kleinen  Knochen  ent¬ 
decken.  Es  genügt  ein  Beispiel,  um  das  zu  erläutern,  und  zwar  das 


Beispiel  der  Patellarfracturen.  Schon  Malgaigne  beklagte  sich 
über  das  häufige  Ausbleiben  einer  festen  Vereinigung  bei  diesen 
Brüchen  und  empfahl  daher  bei  ihnen  schon  in  der  vorantisepti¬ 
schen  Zeit  einen  blutigen  Eingriff:  die  Application  seiner  scharfen 
Klammern. 

M  a  1  g  a  i  g  n  e’s  Klammern  sind  ein  viel  gefährlicheres  Mittel  als 
der  Schnitt  und  die  Vernähung  der  Bruchstücke  mit  Silber-  oder 
Bronze- Aluminiumdraht. 

Die  Untersuchung  frischer  Patellarfracturen  mit  den  Röntgen- 
Strahlen  lässt  drei  Hindernisse  der  Heilung  sofort  erkennen. 

1.  Die  auffallende  Ungleichheit  der  beiden  Fragmente  bei  den 
meisten  Querfracturen.  Das  obere  Bruchfragment  ist  sehr  gross,  das 
untere  oft  sehr  klein.  Jede  Aneinanderfügung  ausser  der  durch  Nähte 
muss  in  solchem  Falle  misslingen. 

2.  Die  beiden  Bruchstücke  bei  einer  Querfractur  sind  oft  noch 
weiter  getheilt,  besonders  an  ihren  Seitenrändern  und  kleine,  von  den 
Bruchflächen  abgesprengte  Knochenstückchen  oder  Splitter  haben  sich 
zwischen  die  Fragmente  geschoben.  Sie  müssen  herausgenommen  oder 
fortgeschoben  werden,  um  die  für  eine  knöcherne  Consolidation  noth- 
wtnige  Zusammenfügung  zu  bewerkstelligen. 

3.  Es  dreht  sich  das  eine  Fragment,  meist  das  untere,  so  um 
seine  Querachse,  dass  die  Bruchflächen  sich  gar  nicht  mehr  berühren; 
sondern  die  Bruchfläche  des  einen  Fragments  auf  die  äussere  Fläche  des 
anderen  stossen  würde,  wenn  man  sie  durch  die  ungetrennte  Haut  zu¬ 
sammenschöbe.  Zur  genauen  Coaptation  ist  es  nothwendig,  die  Bruch¬ 
stücke  direct  anzufassen  und  zurecht  zu  drehen. 

Alle  diese  Veränderungen  in  der  Form  und  Lage  der  Bruch¬ 
stücke  kann  man  mittelst  der  R  ö  n  t  g  e  n-Strahlen  erkennen.  Ein  Blick 
auf  ihre  Darstellung  im  Röntgen-Bilde  macht  es  ohne  Weiteres 
klar,  dass  hier  nur  die  Operation  helfen  kann.  Es  muss  die  Bruch¬ 
stelle  aufgesucht  und  blossgelegt  werden,  damit  die  eben  aufgezählten 
Hindernisse  der  Coaptation  und  Consolidation  beseitigt  werden  und  die 
Bruchstücke  durch  Metallnähte  vereinigt  werden  können,  v.  Ber  g- 
mann  hat  in  seiner  Klinik  in  dieser  Weise  25  Fälle  operirt  und 
fast  immer  eine  knöcherne  Consolidation  erzielt.  Die  Operationen  be¬ 
wiesen,  dass  die  Vereinigung  knöcherner  und  nicht  fibröser  Natur  war 
und  dass  die  Metallnähte  anstandslos  und  dauernd  einheilen.  Deswegen 
ist  die  Operation  die  generelle  Methode  der  Behandlung  von  Patellar¬ 
fracturen. 

Anders  liegt  die  Operationsfrage  bei  anderen  Knochenbrücher, 
z.  B.  denen  am  unteren  Ende  des  Radius,  mit  deren  Studium  sich 
ausführlich  und  gründlich  Gallois  beschäftigt  hat.  Sein  Verdienst 
ist  es,  durch  radiographische  und  experimentelle  Untersuchungen  unsere 
Kenntnisse  von  diesen  Brüchen  wesentlich  gefördert  zu  haben.  Während 
die  Behandlung  der  Patellarfracturen  eine  fast  gleichförmige  geworden 
ist,  ist  die  der  Radiusfracturen  eine  durchaus  verschiedenartige,  je 
nach  ihrem  Sitze,  ihrer  Form  und  ihren  Verschiebungen. 

In  einer  Serie  von  Photographien  demonstrirt  v.  Bergmann 
die  verschiedenen  Typen  dieser  Fracturen.  Die  Abbildungen  stammen 
alle  von  Patienten  der  Berliner  chirurgischen  Klinik.  Die  Fracturen 
der  Knochen  des  Tarsus  und  Metatarsus  waren  vor  ihrer  Untersuchung 
mit  den  Röntgen-  Strahlen  so  gut  wie  unbekannt.  Man  bezog  die 
Symptome,  welche  diese  Brüche  machen,  auf  eine  entzündliche  Schwel¬ 
lung  oder  Contusion  des  Fusses.  Indem  man  sie  bei  dieser  Diagnose 
mit  Massage  behandelte,  vermehrte  man  noch  die  Verschiebung  der 
Fragmente.  Jetzt  wird  man,  nach  richtiger  Erkenntniss  der  Brüche  durch 
die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen,  die  für  ihre  Heilung  noth  wendige  Ruhe¬ 
stellung  ihnen  gönnen.  Mehrere  instructive  Abbildungen  führen  auch 
diese  Fracturen  vor. 

Maunoury  (Chartres):  Die  Radiographie  hat  in  dem 
Studium  der  Frakturen  und  Luxationen  eine  Umwälzung  hervor¬ 
gerufen.  Man  hat  vergeblich  versucht,  ihre  Nützlichkeit  zu  bestreiten, 
indem  man  anführte,  dass  das  Bild  je  nach  der  Stellung  des  Gliedes, 
dem  Abstand  der  Röhre,  dem  Einfallswinkel  der  Strahlen  Verschieden¬ 
heiten  aufweise.  Vortragender  beleuchtet  den  Werth  der  Radiographie 
in  Bezug  auf  die  einfachen  und  complicirten  Fracturen  und  führt 
ungefähr  Folgendes  aus: 

Die  Radiographie  hat  ihren  beträchtlichen  Werth  in  der  Diagnose 
sowohl,  wie  in  der  Therapie.  Diagnostisch  leistet  sie  uns  unvergleich¬ 
liche  Dienste,  indem  sie  uns  die  Zahl  der  Fragmente,  ihre  Form,  ihre 
Stellung  zu  einander,  ihre  Verschiebung,  die  Lage  der  Knochensplitter, 
die  Verkürzung  des  Gliedes  klar  und  deutlich  zeigt. 

Um  eine  genaue  Kenntniss  von  der  Disposition  einer  Fractur 
zu  erhalten,  ist  es  nothwendig,  unter  zwei  verschiedenen  Winkeln  zu 
photographiren;  aber  aueh  hier  ist  es  manchmal  (allerdings  ausnahms¬ 
weise)  möglich,  eine  Fractur  zu  übersehen.  In  den  meisten  Fällen  von 
Fracturen  gibt  uns  die  klinische  Diagnose  zwar  vollkommenen  Auf¬ 
schluss,  aber  die  Radiographie  vervollständigt  und  klärt  diese  sehr 
glücklich,  ja  eie  kann  uns  allein  in  den  Fällen  Gewissheit  verschaffen, 
wo  die  Complicirtheit  der  Verletzungen  oder  eine  beträchtliche  Schwel- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  87 


lang  der  Weichtheile  die  Diagnose  unsicher  machen.  Und  schliesslich 
machte  sie  die  Stellung  der  Diagnose  weniger  schmerzhaft,  indem 
sie  die  untersuchenden  Manöver  auf  ein  Minimum  beschränkt.  Be- 
sondera  werthvoll  ist  uns  die  Radiographie  bei  den  Fracturen  des 
Tibio  Tarsalgelenkes,  bei  den  Fracturen  des  Astragalus,  welche  noch 
vor  einigen  Jahren  zu  unrecht  als  sehr  selten  bezeichnet  wurden; 
schliesslich  bei  den  Fracturen  des  Metatarsus,  welche  die  Militärärzte 
sehr  gut  kennen  und  über  deren  Pathologie  mau  seit  langer  Zeit  dis- 
cutirte,  ohne  ihre  wahre  Natur  zu  kennen. 

Sehr  interessant  ist  es,  die  Formation  des  Callus  mit  der  Radio¬ 
graphie  zu  studiren.  Die  erste  Periode  entgeht  einem  natürlich;  aber 
nach  zwölf  Tagen  ungefähr  sieht  man  an  den  Enden  der  Fragmente 
einen  leichten  Schatten  auftreten,  welcher  mehr  und  mehr  sich  ver¬ 
dunkelt. 

Vortragender  geht  dann  des  Näheren  auf  die  Formation  des 
Callus  bei  gut  coaptirten  und  bei  mehr  oder  weniger  verschobenen 
Bruchenden  ein.  Die  Dauer  der  Callusbildung  ist  verschieden.  Sie  er¬ 
scheint  umso  länger,  je  voluminöser  die  Knochen  sind.  In  gewissen 
Fällen,  besonders  bei  den  Schrägbrüchen  der  Tibia,  kann  der  Callus 
lange  Zeit  unsichtbar  sein,  selbst  dann,  wenn  die  Consolidation  voll¬ 
kommen  zu  sein  scheint.  Die  Radiographie  lässt  uns  am  Lebenden 
alle  Verschiedenheiten  des  Callus  studiren  und  zeigt  uns,  wie  gewisse 
Callus  eine  vollkommene  Coaptation  der  beiden  Fragmente  Vortäuschen 
können,  deren  Reduction  dennoch  sehr  schlecht  ist.  Sie  lässt  uns 
beobachten,  wie  beim  Kinde  der  Vorgang  der  knöchernen  Consolidation, 
anstatt  sich  auf  die  nächste  Nachbarschaft  der  Fracturstelle  zu  be¬ 
schränken,  sich  weit  über  die  Knochenfragmente  hinweg  ausdehnt.  Schliess¬ 
lich  erlaubt  sie  uns,  die  innere  Architektur  des  Callus  zu  studiren. 

Aber  nicht  nur  in  der  Diagnose,  sondern  auch  in  der  Behand¬ 
lung  leistet  uns  die  Radiographie  Ausserordentliches.  Mit  ihrer  Hilfe 
kann  die  Reduction  der  Fragmente  besser  ausgeführt  und  beobachtet 
werden,  bis  zu  welchem  Punkte  diese  Reduction  möglich  ist.  Mit  ihrer 
Hilfe  kann  man  die  Stellung  der  Fragmente  zu  einander  überwachen 
und  sie  je  nach  Nothwendigkeit  während  der  Consolidation  rectificiren. 
Sie  gestattet  uns  ferner,  die  Wirksamkeit  der  verschiedenen  Apparate 
besser  zu  beurtheilen.  Die  Radiographie  hat  uns  gezeigt,  dass  diese 
sehr  häufig,  wenn  ihre  Wirkung  auch  eine  recht  kräftige  ist,  dennoch 
weit  entfernt  sind,  immer  anatomisch  vollkommene  Resultate  zu  geben. 
Sie  gibt  uns  ferner  Aufschluss  darüber,  in  welchen  Fällen  es  gut  ist, 
eine  Knochennaht  zu  machen,  die  uns  besonders  in  den  Fracturen, 
die  mit  einem  Gelenk  communiciren,  von  grossem  Werthe  sein  kann. 
Wenn  es  sich  um  eine  alte  Gelenkfractur  handelt,  ist  die  Rolle  der 
Radiographie  noch  eine  viel  wichtigere,  denn  sie  allein  kann  uns  die 
Stellung  der  Knochen,  ihre  Deformationen  präcisiren,  anzeigen,  welche 
Operation  gemacht  werden,  in  welcher  Richtung  der  Knochen  durch¬ 
trennt  werden  muss  etc. 

Schliesslich  gibt  uns  die  Radiographie  Aufschluss  über  schlechte 
Callusbildung,  solche  mit  anormalen  Vorsprüngen,  Deformationen  und 
Sequestern. 

Bei  den  complicirten  Fracturen  vereinfacht  die  Radiographie  den 
blutigen  Eingriff,  der  hier  oft  nöthig  ist,  ungemein.  Sie  macht  das 
Suchen  nach  Knochensplittern  unnöthig,  und  liegt  die  Nothwendigkeit 
einer  Knochennaht  vor,  so  zeigt  sie  uns,  ob  und  wie  die  Fragmente 
abgesägt  werden  müssen.  Bei  einer  Gelenkfractur  ist  sie  uns  Richt¬ 
schnur,  ob  es  vorzuziehen  ist,  zu  conserviren  oder  zu  reseciren.  Schliess¬ 
lich  ist  sie  bei  den  Schussfracturen  ein  unvergleichliches  Hilfsmittel, 
die  Gegenwart  eines  Fremdkörpers  zu  constatiren. 

Den  Luxationen  ist  die  Entdeckung  Röntgen’s  viel  weniger 
zu  Gute  gekommen,  als  den  Fracturen.  Nichtsdestoweniger  sind  eine 
grosse  Anzahl  verkannter  Luxationen  erst  durch  die  Radiographie  fest¬ 
gestellt  worden.  Leider  gibt  sie  uns  keinen  Aufschluss  über  die  Ur¬ 
sachen  der  sehr  häufig  zurückbleibenden  Starrheit  und  Steifheit  in 
den  Weichtheilen.  Bei  den  veralteten  Luxationen  lässt  uus  die  Radio¬ 
graphie  die  Neubildungen  erkennen,  welche  sich  der  Reduction  entgegen¬ 
setzen.  Schliesslich  hat  uns  die  Radiographie  einen  besseren  Einblick 
in  das  Studium  und  die  Behandlung  der  congenitalen  Hüftgelenks¬ 
luxationen  gewährt. 

I L  T  u  f  f  i  e  r  (Paris) :  Ueber  die  Reduction  der 
Fracturen  und  die  Radiographie.  —  Einfluss  von 
A  p  j)  araten  auf  die  Reduction. 

Nach  seinen  Beobachtungen,  die  sich  seit  18  Monaten  über  200  Fälle 
von  Fracturen  erstrecken,  die  er  durch  die  Radiographie  controlirt  hat, 
ist  er  zu  der  Erfahrung  gelangt,  dass  unsere  Apparate  nur  unvoll¬ 
kommen  die  Fracturen  einrichten.  Sie  können  nur  die  Richtung  der 
Fragmente  beeinflussen,  dagegen  nicht  eine  exacte  Adaption  gewähr¬ 
leisten.  Man  braucht  sich  nur  den  Callus  der  betreffenden  Fractur 
anzusehen,  und  man  wird  überall  da,  wo  ein  beträchtlicher  Callus 
vorhanden  ist,  sagen  müssen,  dass  die  Coaptation  eine  unvollkommene 
war,  und  doch  ist  sie  zu  einer  guten  Function  des  Gliedes  unerläss¬ 


lich.  Besonders  die  Fracturen  des  Oberschenkels  sind  weit  entfernt 
davon,  gute  Resultate  zu  liefern.  Tuffier  hat  besondere  Instrumente 
herstellen  lassen,  die  Fracturen  in  ihrer  eingerichteten  Stellung  fest 
zuhalten,  nachdem  er  sie,  was  er  für  das  Sicherste  hält,  durch  eine 
Naht  vereinigt  hat.  Er  glaubt,  dass  vor  Allem  für  die  Fracturen  am 
Ellbogen-  und  Kniegelenke  die  Naht  in  Zukunft  die  einzige  Therapie 
sein  wird,  denn  hier  wird  es  mit  Apparaten  auszukommen  fast  un¬ 
möglich  sein,  und  zum  Glück,  denn  die  Weichtheile  und  die  Haut 
würden  gangräneseiren,  bevor  eine  Consolidation  eingetreten  ist. 

III.  D  e  s  t  o  t  (Lyon) :  Die  verkannten  Fracturen  und 
die  Radiographie. 

Redner  beleuchtet  den  Werth  der  Radiographie,  insbesondere 
in  Bezug  auf  die  Fracturen  des  Metatarsus  und  der  Fusswurzelknochen, 
die  sehr  häufig  diagnosticirt  werden,  und  macht  die  verschiedenen 
Formen  dieser  Fracturen  an  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bildern  und  Zeichnungen 
klar.  Er  kommt  dann  auf  die  Extremitätenfracturen  überhaupt  und 
auch  auf  die  Beckenfracturen  zu  sprechen,  und  erwähnt  einen  speciellen 
Fall,  wo  eine  Fractur  des  oberen  Femurendes  bei  einem  jungen 
Mädchen  bald  für  eine  Coxalgie,  bald  für  eine  Hüftgelenksluxation 
angesprochen  wurde.  Es  kommt  dann  auf  die  Fissuren  zu  sprechen, 
die  einzig  durch  die  Radiographie  erkannt  werden  können  und  vor 
ihr  nicht  diagnosticirt  wurden. 

IV.  L  o  i  so  n  (Paris):  Die  Indicationen,  die  die  Radio¬ 
graphie  bei  den  articulären  und  juxta-ar  ticul  ären 
Verletzungen  liefert,  macht  L  o  i  s  o  n  an  einer  grossen  Reihe 
interessanter  Röntgen  -  Bilder  klar. 

V.  Lucas  Champonniere  (Paris) :  Ueber  die  Frac¬ 
turen,  welche  ohne  Apparat,  ohne  Immobilisation, 
sondern  mit  methodischen  Bewegungen  und  Massage 
behandelt  werden  können  und  müssen. 

Die  frühzeitige  Behandlung  der  Fracturen  mit  Massage  und 
Mobilisation  will  Champonniere  streng  getrennt  wissen  von  der 
secundären  Massage,  die  die  Starrheit  und  Steifheit  der  Glieder  ver¬ 
schwinden  macht,  der,  wie  er  sagt,  banalen  Massage,  deren  Heftig¬ 
keit  nicht  selten  Schmerzen,  ja  sogar  unangenehme  Zufälle  hervorruft. 
Er  möchte  deshalb  seine  Methode  mit  der  Bezeichnung  Glyko- 
kinesis  charakterisiren.  Sie  besteht  in  der  Anwendung  methodischer 
Bewegungen,  die  bald  nach  Eintritt  der  Fractur  begonnen  werden. 
Die  Bewegungen  sind  methodisch  und  dosirt.  Sanfte  Massage  bis  zur 
Nachbarschaft  der  Fracturstelle,  ohne  jedoch  auf  diese  selbst  sieb  aus- 
zudelmen.  Er  glaubt,  dass  —  und  das  hält  er  für  ein  neues  Princip  — 
absolute  Immobilisation  für  die  Reparation  der  Knochen  weniger 
günstig  ist,  als  ein  gewisser  Grad  von  Bewegung.  Und  diese  Be¬ 
wegung  ist,  was  dabei  noch  mehr  ins  Gewicht  fällt,  zugleich  günstig 
für  die  Reparation  der  Weichtheile.  Er  hat  die  Erfahrung  gemacht, 
dass,  wenn  Bewegung  uud  Massage  von  Anfang  an  eingeleitet  werden, 
die  Knochenvereinigung  eine  schnellere  und  solidere  ist.  Auch  der 
Schmerz  verschwindet  sofort,  und  dass  er  verschwindet,  ist  ein  Beweis 
für  eine  gute.  Massage  uni  geeignete  Bewegung.  Die  Contractur  ver¬ 
schwindet  schnell,  und  das  spielt  eine  Hauptrolle  bei  dem  Ver¬ 
schwinden  gewisser  Deformitäten,  wie  z.  B.  beim  Olecranon,  der 
Clavicula  etc.  Keine  Behandlung  ist  im  Stande,  so  wirksam  gegen  die 
Contracturen  anzukämpfen.  Der  Bluterguss  verschwindet  schneller,  die 
Vitalität  der  Haut  ist  besser  gewährleistet,  die  Geschmeidigkeit  der 
Glieder  wird  erhalten.  Einer  der  Hauptgründe,  welche  dazu  führen 
können,  die  Apparatbehandlung  bei  Seite  zu  lassen,  ist  die  Thatsache, 
dass  die  Apparate  eine  Deformation  nicht  verhindern,  die  Function 
des  Gliedes  nicht  aufheben.  Gewisse  Formen  von  Fracturen  können 
stets  ohne  jede  Behandlung  mit  starren  Apparaten  oder  Verbänden 
durch  Mobilisation  und  Massage  behandelt  werden.  Das  sind  alle 
Fracturen  des  Humerus  an  seinem  oberen  und  unteren  Ende;  alle 
Fracturen  des  Ellbogens,  besonders  die  des  Olecranons;  alle  Radius- 
fracturen  am  Handgelenk;  fast  alle  Clavieularfracturen ;  alle  Fracturen 
des  Wadenbeines  in  seiner  unteren  Partie;  alle  Malleolarfracturen,  die 
keine  Tendenz  zur  seitlichen  oder  hinteren  Abweichung  zeigen;  am 
Knie  die  Fracturen  des  Femur,  ohne  Deviation;  schliesslich  alle 
Fracturen  des  Schulterblattes.  Ausnahmsweise  will  er  auch  noch  so 
behandelt  wissen:  die  Biüiche  des  Humerus  in  seinem  mittleren  Ab¬ 
schnitt,  wenn  sie  ohne  Verschiebung  einhergehen  und  unter  denselben 
Bedingungen  auch  die  Brüche  der  Unterschenkel-  und  der  Vorderarm- 
knochen. 

Bei  gewissen  Fällen  kann  die  Mobilisation  auch  ohne  Massage 
angewendet  werden,  so  z.  B.  bei  jungen  Kindern,  welche  Tendenz  zu 
einem  luxuriösen  Callus  zeigen,  und  bei  Greisen.  Bei  Kindern  gibt  die 
einfache  Mobilisation  am  Handgelenk,  Schulter,  Ellbogen  die  am 
meisten  zufriedenstellenden  Resultate.  Der  Vortragende  gibt  dann  eine 
Statistik  der  zahlreichen  Fracturen,  die  er  nach  dieser  Methode  be¬ 
handelt  und  geheilt  hat.  (Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

I  erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
qnart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellnn- 

igen  und  Geldsendungen  an 
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Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs, 

E.  Albert,  G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner, 

M.  Gruber,  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann] 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Grussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  derÄerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel.  Telephon  Nr.  6034. 


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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wicken burggasse  13 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  20.  September  1900.  Mt.  38. 


INHALT:  (Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Die  Aetiologie  der  primären  acuten  Magen-Darm¬ 
erkrankungen  der  Säuglinge  bacteriellen  Ursprunges.  Von 
Theodor  Escherich  (Graz). 

2.  Aus  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Kehlkopf-  und  Nasenkrank¬ 
heiten  (Prof.  Chiari)  und  dem  pathologisch-anatomischen  Institute. 
Untersuchungen  über  den  Tonsillotomiebelag  und  seine  etwaigen 
Beziehungen  zum  Diphtheriebacillus.  Von  Dr.  L.  Harmer,  Assi¬ 
stenten  obiger  Klinik. 


3.  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Scharlachs  und  der  Masern.  Von 
Dr.  Jaroslav  Eigart  in  Brünn,  Secundararzt  am  St.  Annen-Spital. 

II.  Referate:  Arbeiten  aus  dem  Institut  für  Anatomie  und  Physiologie  des 

Centralnervensystems  an  der  Wiener  Universität.  Von  Prof.  Dr. 
H.  Obersteiner.  Ref.  Dr.  v.  Czyhlarz. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Die  Aetiologie  der  primären  acuten  Magen-Darm- 
erkrankungen  der  Säuglinge  bacteriellen  Ur¬ 
sprunges. 

Referat,  erstattet  in  der  pädiatrischen  Section  des  XIII.  internationalen 

medicinischen  Congresses. 

Von  Theodor  Escherich  (Graz). 

Das  geschäftsführende  Comite  hat  mir  die  Ehre  erwiesen, 
in  dem  zur  Verhandlung  stehenden  Referate  mir  die  Bericht¬ 
erstattung  über  das  Thema:  Infections  et  intoxications 
ectogenes  zu  übertragen.  Es  ist  bei  der  Kürze  der  ver¬ 
fügbaren  Zeit  nicht  möglich  und  wohl  auch  nicht  beabsichtigt, 
einen  erschöpfenden  Bericht  über  den  Stand  dieser  noch  so 
wenig  geklärten  Frage  zu  geben.  Der  Reiz  der  internationalen 
Oongresse  und  der  Werth  des  Zusammentreffens  so  vieler  weit 
von  einander  entfernt  wohnenderFacbgenossen  liegt  vielmehr  darin, 
dass  dem  Einen  Gelegenheit  geboten  wird,  seine  Anschauungen 
persönlich  zu  vertreten,  den  Anderen  die  Möglichkeit,  sie  in 
authentischer  Weise  zu  hören  und  sich  durch  ein  Wort,  eine 
Zwischenfrage  über  unklare  Punkte  zu  informiren.  Ich  habe 
den  Eindruck,  dass  auch  das  Comite  von  solchen  Anschauungen 
geleitet  war,  indem  es  zu  Referenten  Personen  wählte,  die 
mitten  im  Kampfe  der  Lehrmeinungen  stehen  und  deren 
Namen  an  sich  schon  ein  wissenschaftliches  Programm  dar¬ 
stellen. 

So  hoffe  ich  in  seinem  Sinne  zu  handeln,  wenn  ich  unter 
Verzicht  auf  die  Vollständigkeit  meines  Berichtes  mich  bemühe, 
ein  möglichst  getreues  Bild  der  von  mir  und  meinen  Schülern 
auf  diesem  Gebiete  ausgeführten  Arbeiten  zu  entwerfen.  Die 
Methode,  mittelst  welcher  wir  die  Aetiologie  der  Magen-Darm¬ 
erkrankungen  zu  ergründen  trachteten,  die  Erforschung 
und  Differenz  irung  der  in  den  d  i  a  r  r  h  o  i  s  c  he  n 
Stühlen  enthaltenen  Bacterien  war  mir  durch 
meine  früheren  Untersuchungen  über  die  normalen  Darm- 
bacterien  des  Säuglings  vorgezeichnet.  Sie  stützt  sich  einer¬ 
seits  auf  die  Et  kenntniss  von  der  Einfachheit  und  Gesetz¬ 
mässigkeit  der  Bacterien  vegetation  unter  normalen  Verhält¬ 


nissen,  andererseits  auf  die  Beobachtung,  dass  das  normale 
Bild  mit  dem  Eintritte  pathologischer  Zustände  und  für 
die  Dauer  derselben  verwischt  wird.  So  schwierig  die  Auf¬ 
gabe  ist,  in  dem  scheinbar  ganz  regellosen  Gewirr  von 
Bacterien,  das  sich  in  den  diarrhoischen  Stühlen  findet,  be¬ 
stimmte  Krankheitserreger  herauszufinden,  so  hat  doch  die 
glänzende  Entdeckung  des  K  o  c  h’schen  Kommabaeillus  gezeigt, 
dass  es  sogar  heim  Erwachsenen  gelingen  kann;  um  wie  viel 
eher  beim  Säugling,  der  von  vorneherein  so  viel  einfachere 
und  einheitlichere  Verhältnisse  aufweist. 

Freilich  kann  diese  Methode  nur  dann  Aufschluss  über 
die  Aetiologie  geben,  wenn  es  sich  um  die  Untersuchung  acut 
einsetzender  Fälle  im  Beginne  der  Erkrankung  handelt  zu 
einer  Zeit,  in  welcher  die  einwirkende  Schädlichkeit  den  Darm¬ 
canal  noch  nicht  verlassen  hat.  Es  scheint,  dass  diese  Periode 
gerade  bei  den  Darmkatarrhen  der  Säuglinge  ein  sehr  kurzer 
und  rasch  vorübergehender  ist  im  Vergleich  zur  langen  Dauer 
des  krankhaften  Zustandes  und  dass  wir  bei  der  über¬ 
wiegenden  Zahl  der  zur  klinischen  Beobachtung  kommenden 
Fälle  es  bereits  mit  secundären  und  Folgezuständen  zu  thun 
haben,  die  gerade  bei  Kindern  besonders  schwere  und  lang 
andauernde  Formen  annebmen.  Allein,  wenn  auch  die  Zahl 
der  für  derartige  Untersuchungen  geeignete  Fälle  eine  relativ 
geringe  ist,  so  ist  doch  da,  wo  es  sich  um  die  Erforschung 
der  Aetiologie  oder  richtiger  des  die  Erkrankung  auslösenden 
Momentes  handelt,  eine  scrupulöse  Auswahl  der  Fälle  absolut 
nothwendig,  und  sicherlich  hat  die  Vernachlässigung  dieses 
Umstandes  vielfach  zu  Misserfolgen  und  Täuschungen  Ver¬ 
anlassung  gegeben. 

In  den  am  Schlüsse  angefügten  Thesen  finden  Sie  die 
Zusammenstellung  der  Resultate,  zu  denen  wir  bis  jetzt  gelangt 
sind;  ich  werde  vielleicht  in  der  Discussion  Gelegenheit  haben, 
die  eine  oder  andere  derselben  eingehend  zu  begründen.  An 
dieser  Stelle  will  ich  nur  die  auf  ätiologischen  Gesichtspunkten 
aufgebaute  Eintheilung  der  bacteriellen  Magen- Darmer¬ 
krankungen  des  Säuglingsalters,  in  welcher  die  Ergebnisse 
derselben  am  schärfsten  zum  Ausdruck  kommen,  etwas  näher 
erläutern. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  38 


Die  bis  vor  Kurzem  wenigstens  in  der  deutschen  Literatur 
herrschende  Anschauung  über  die  Pathogenese  der  Verdauungs¬ 
störungen  der  Säuglinge  gründete  sich  im  Wesentlichen  auf 
die  zwei  auch  heute  noch  feststehenden  Erfahrungsthatsachen: 
die  im  Vergleich  zu  den  Brustkindern  grössere  Morbidität 
und  Mortalität  der  künstlich  genährten  Säuglinge  und  die 
Steigerung  derselben  in  den  Sommermonaten.  Die  Bieder  t- 
selie  Lehre,  welche  die  schwerere  Verdaulichkeit  des  Kuhcaseins 
als  die  häufigste  Ursache  der  Erkrankung  betrachtete,  konnte 
mir  die  grössere  Morbidität  der  künstlich  Genährten  erklären. 
Dagegen  waren  beide  Thatsachen  in  guter  Uebereinstimmung 
mit  der  namentlich  von  Baginsky  vertretenen  Annahme, 
dass  es  sich  dabei  um  abnorme  Gährungs  und  Fäulniss- 
vorgänge  in  der  Milch,  respective  dem  Darminhalte  handelt, 
welche  durch  Resorption  der  gebildeten  Stoffe  zu  einer  Intoxi- 
catiou  des  Organismus  und  secundär  zu  entzündlichen  Ver¬ 
änderungen  im  untersten  Theile  des  Verdauungstractes  führen. 
Entsprechend  diesen  Vorstellungen  begann  ich  meine  Unter¬ 
suchungen  mit  dem  Studium  der  in  der  Milch  und  im  Darm¬ 
canal  vorkommenden  Gährungserreger  und  gelangte  dabei 
zu  der  allgemein  angenommenen  Trennung  der  Verdauungs¬ 
störungen  in  solche  ektogenen  und  in  solche  endogenen  Ur¬ 
sprunges.  Dieselbe  scheint  mir  auch  noch  heute  namentlich  be¬ 
züglich  der  ektogenen  Vorgänge,  die  sich  ja  im  Wesentlichen 
als  eine  Intoxication  darstellen,  gerechtfertigt.  Die  häufigste 
und  typischeste  Form  der  letzteren  stellt  sich  in  der  Form  der 
sogenannten  Sommerdiarrhöen  dar,  welche  nach  Baginsky  u.  A. 
durch  die  bei  hoher  Lufttemperatur  ablaufenden  Zersetzungen 
hervorgerufen  werden.  Die  Amerikaner  haben  diese  Form 
zuerst  unter  dem  Namen  der  Cholera  infantum  beschrieben, 
und  ich  glaube  im  Sinne  dieser  Autoren  zu  handeln,  wenn 
ich  vorschlage,  diese  Bezeichnung  auch  thatsächlich  für  die 
schweren,  mit  Collaps  einhergehenden  Fälle  von  Brechdurchfall 
zu  reserviren,  welche  durch  die  ektogen  bei  hoher  Luft¬ 
temperatur  ablaufenden  Zersetzungen  hervorgerufen  sind. 

Ueber  die  Bacteriologie  und  die  toxischen  Producte  dieser 
Gährungen  wissen  wir  freilich  noch  sehr  wenig.  Am  besten 
gekannt  sind  die  durch  Flügge  und  seine  Schüler  studirten 
Zersetzungen  durch  Proteolyten  und  Anaeroben.  Ich  will  aber 
bei  dieser  Gelegenheit  hervorheben,  dass  meiner  Erfahrung 
nach  derartige  acute  lntoxicationen  alimentären  Ursprunges 
nur  einen  kleinen  Theil  der  im  Hochsommer  sich  einstellenden 
Diarrhöen  darstellen,  und  dass  mir  die  Frage  nach  der  Patho¬ 
genese  dieser  Fälle,  die  sich  ja  auch  anlässlich  der  letzten 
heissen  Tagen  in  Paris  so  sehr  gehäuft  und  zu  besonderen 
Erlässen  seitens  der  städtischen  Behörden  Veranlassung  gegeben 
haben,  noch  keineswegs  erschöpft  scheint.  Uebrigens  mögen 
gerade  in  diesem  Punkte  die  Verhältnisse  je  nach  der  Oert- 
1  ichkeit  grosse  Verschiedenheiten  aufweisen. 

Noch  schwieriger  und  undankbarer  gestaltet  sich  das 
Studium  der  endogenen  Gährungen,  deren  Darstellung  in 
das  Referat  meines  verehrten  Collegen  Marfan  fällt.  Ich  will 
nur  bemerken,  dass  seine  Troubles  digestives  d’origine  endo¬ 
gene  sich  nicht  vollkommen  mit  meiner  Definition  decken. 
Marfan  versteht  darunter  diejenigen  bacteriellen  Vorgänge, 
welche  durch  schon  vorher  im  Darm  angesiedelten  Bac- 
terien,  respective  durch  eine  Steigerung  der  Virulenz  derselben 
hervorgerufen  werden.  Ich  glaube,  dass  man  angesichts  der 
fortwährenden  Infectionen,  welchen  der  Darmcanal  des  Säug¬ 
lings  ausgesetzt  ist,  nicht  genöthigt  ist,  zu  einer  solchen  Hypo¬ 
these  zu  greifen  und  dass  es  sich  in  den  meisten  Fällen  um 
frisch,  meist  mit  der  Nahrung  eingeführte  Gährungserreger 
handelt.  Allein  auch  in  jenen  Fällen,  in  welchen,  wie  beim 
Brustkind,  die  Gährungserreger  erst  im  Darmcanal  zu  der  nicht 
zersetzten  Nahrung  hinzutreten,  in  welchen  es  sich  also  that¬ 
sächlich  um  einen  endogenen  Gährungsvorgang  handelt,  ver¬ 
meide  ich  diese  Bezeichnung,  da  die  Bacterien  ja  doch  in 
letzter  Linie  von  aussen,  also  ektogen  eingeführt  worden  sind, 
und  gebrauche  statt  dessen  das  Wort  der  Chy  musin  fection. 

V  enn  wirklich  die  im  Darmcanal  ablaufenden  abnormen 
Gährungen  eine  so  grosse  Rolle  in  der  Pathogenese  der  Magen- 
Darmerkrankungen  spielten,  so  war  zu  erwarten,  dass  es  ohne 
besondere  Schwierigkeit  gelingen  würde,  die  an  saprophytische 


Existenzbedingungen  gewöhnten  Gährungserreger  zu  isoliren, 
experimentell  zu  studiren  und  mit  den  ausserhalb  vorkommen¬ 
den  zu  vergleichen.  Diese  Erwartung  hat  sich  jedoch  bis  jetzt 
nicht  erfüllt.  Wir  sind  über  gewisse  allgemeine  Sätze  von  der 
saueren  (saccharolytischen)  Gährung  in  den  oberen,  der  alka¬ 
lischen  (proteolytischen)  Zersetzung  in  den  unteren  Darm¬ 
partien  nicht  hinausgekommen.  Nur  in  wenigen  Fällen  hat  man 
den  Eindruck,  dass  es  zur  überwiegenden  Entwicklung  des  einen 
oder  anderen  wohl  charakterisirten  Gährungserregers  kommt.  Zu¬ 
meist  findet  man  ähnlich  wie  bei  der  Milchgährung  eine  grosse 
Zahl  der  verschiedensten  Bacterien,  von  denen  jedoch  nur  wenige 
auf  unseren  Nährböden  zur  Entwicklung  kommen.  Ausser  dem 
Bacterium  lactis  und  coli,  dem  Proteus,  den  Buttersäurebacillen 
und  Hefearten  (Soor)  ist  es  wieder  Baginsky  noch  mir 
gelungen,  ausgesprochene  Gährungs-  und  Fäulnisserreger  aus 
den  Fäces  zu  isoliren.  Ebensowenig  sind  die  Versuche  ge¬ 
glückt,  die  toxischen  Substanzen,  die  im  Stuhle  enthalten  sein 
sollen,  darzustellen.  Entweder  sind  unsere  Methoden  der  Unter¬ 
suchung  noch  ganz  ungenügend  oder  die  Chymusinfectionen 
sind  in  Wirklichkeit  nicht  so  häufig  und  nicht  so  schwer,  als 
dies  bisher  angenommen  wurde. 

In  der  That  hat  der  unbefriedigende  Ausfall  dieser  Unter¬ 
suchungen  zusammen  mit  den  Beobachtungen  epidemisch  sich 
verbreitender  Brechdurchfälle  (Heubner)  und  den  histolo¬ 
gischen  Befunden  Booker’s  wesentlich  dazu  beigetragen,  die 
Aufmerksamkeit  der  deutschen  Forscher  auf  die  bisher 
nur  wenig  beachtete  Gruppe  der  infectiösen  Darm¬ 
erkrankungen  der  Säuglinge  hinzulenken.  Freilich  hatte 
die  Prager  Schule,  gestützt  auf  die  eigenartigen  Erfahrungen 
an  dem  Material  der  Findelanstalt,  stets  an  der  infectösen 
Natur  der  Darmkatarrhe  festgehalten.  Allein  die  speciell  von 
Epstein  vertretene  Ansicht,  wonach  die  Gastroenteritis 
nur  die  Theilerscheinung  eines  allgemeinen,  septischen  Pro¬ 
cesses  ist,  entfernt  sich  nach  der  anderen  Seite  von  unserer 
Auffassung  einer  primären  infectiösen  Darmerkrankung.  Im 
Uebrigen  aber  war  — -  wenigstens  in  der  deutschen  Literatur 
—  der  Gedanke  an  die  Existenz  von  Säuglingsdiarrhöen, 
welche,  analog  der  Cholera  asiatica  und  dem  Typhus  abdomi¬ 
nalis,  nicht  den  Darminhalt,  sondern  die  Darmwand  selbst 
angreifen  und  zu  einer  Infection  des  Organismus  führen  können, 
fast  verloren  gegangen.  Man  braucht  dabei  keineswegs  aus¬ 
schliesslich  an  specifische  Krankheitserreger  zu  denken,  ob¬ 
gleich  die  Existenz  epidemischer  Brechdurchfälle  beweist,  dass 
auch  solche  vorhanden  sind.  Alle  Bacterien,  welche  mit  für 
den  Menschen  pathogenen  Fähigkeiten  ausgestattet  sind,  können 
durch  ihre  Anwesenheit  und  Toxine  Reizzustände  hervorrufen, 
und  wir  wissen  zur  Genüge,  wie  die  Schleimhäute  des  Säug¬ 
lings  gegenüber  den  gewöhnlichen  in  der  Umgebung  des 
Menschen  verbreiteten  Krankheitserregern  eine  fast  specifische 
Empfänglichkeit  und  Reaction  aufweisen.  Ich  erinnere  nur  an 
die  Respirationsschleimhaut,  welche  uns  das  reinste  Beispiel 
dessen  darbietet,  was  ich  als  infectiösen  Schleimhau  t- 
k  a  t  a  r  r  h  bezeichne.  Dabei  kann  die  Infection  auf  die  Schleim¬ 
hautoberfläche  beschränkt  bleiben  ;  in  den  höheren  Graden  je¬ 
doch  kommt  es  zur  Invasion  in  das  Gewebe,  zur  Geschwürs¬ 
bildung  etc.  und  in  diesen  Fällen  kann  es  zu  einer  vom  Darm 
ausgehenden  Allgemeininfection  kommen.  Jedoch  ist  dieses 
Vorkommniss  nicht  so  häufig,  als  es  Czerny  und  Andere 
angenommen  haben. 

Die  infectiösen  Darmerkrankungen  sind  selbstverständlich 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  unabhängig  von  der  Art  der  Er¬ 
nährung,  sie  können  sich  epidemisch  verbreiten  und  in  über¬ 
füllten  Spitälern,  schmutzigen  Wohnungen  endemisch  auftreten. 
Sie  erklären  somit  gerade  jene  epidemiologischen  Thatsachen, 
bei  denen  die  Gährungs-  und  Fäulnisstheorie  versagt.  Die  An¬ 
nahme  eines  infectiösen  Processes  scheint  mir  auch  mit  dem 
klinischen  Bilde  und  dem  Verlauf,  sowie  mit  den  bisherigen 
Ergebnissen  der  Untersuchung  besser  zu  harmoniren,  als  die 
Theorie  einer  endogenen  Intoxication.  Sie  ist  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  erwiesen  worden  durch  die  positiven  Befunde, 
die  wir  auf  dem  Wege  der  systematischen  Untersuchung  der 
Darmflora  gewonnen  haben.  Bei  Verwendung  der  von  mir  an¬ 
gegebenen  Färbung  gelingt  es  leicht,  gewisse  pathogene  Bac- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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terien,  die  sich  nicht  nach  Gram  entfärben,  gegenüber  der 
sonst  im  Stuhle  vorhandenen  Colivegetation  sichtbar  zu  machen 
und  so  unter  Umständen  die  Diagnose  eines  solchen  Processes 
aus  dem  Stuldbilde  zu  stellen.  Die  bacteriologische  Unter¬ 
suchung  wird  diese  Annahme  weiter  stützen,  vorausgesetzt, 
dass  auch  das  klinische  Bild  für  eine  primäre  entzündliche 
Darmerkrankung  spricht.  Die  Mehrzahl  dieser  Erkrankungen 
zeigt  die  Neigung  zu  en-  oder  epidemischer  Verbreitung,  wobei 
das  Krankheitsbild,  sowie  die  in  den  Ausleerungen  gefundenen 
Bacterien  in  jedem  einzelnen  Falle  sich  wiederholen. 

Die  Cultur  ergibt  Staphylococcen,  Streptococcen,  Bacillus 
pyocyaneus,  gewisse  Varietäten  des  Colibacillus,  bei  einer  vor 
Kurzem  beobachteten  Epidemie  wurde  eine  verzweigte  Bacterien- 
art  constant  im  Stuhle  gefunden:  zumeist  Bacterien,  deren 
pathogene  Eigenschaften  für  den  Menschen  anerkannt  sind 
und  denen  also  auch  die  Fähigkeit  zukommt,  auf  der  Darm¬ 
schleimhaut  entzündliche  Veränderungen  hervorzurufen.  Weitere 
Beweise  in  dieser  Richtung  liefert:  die  histologische  Unter¬ 
suchung  der  Darmwand,  welche  die  Bacterien  im  Inneren  des 
Gewebes  ja  bis  in  die  subserösen  Lymphgefässe  vorgedrungen 
zeigt,  der  Nachweis  derselben  im  Harn,  im  Blut,  in  den 
Organen,  für  gewisse  Coliinfecte  auch  die  Serumreaction.  Die 
Infection  ist  in  diesen  Fällen  wohl  stets  eine  ektogene,  sie 
rührt  entweder  von  der  Contactinfection  mit  den  in  der  Um¬ 
gebung  des  Menschen  verbreiteten  Keimen  oder  von  den  mit 
der  Nahrung,  insbesondere  der  Kuhmilch  eingeführten  Krank¬ 
heitserregern  her.  Auf  die  Einzelheiten  des  klinischen  Bildes 
einzugehen,  verzichte  ich  hier  und  betone  nur  nochmals, 
dass  ich  in  der  Aufstellung  und  Trennung  dieser  Gruppe 
der  infectiösen  Darmerkrankuugen  von  den  Chymusinfectionen 
den  wichtigsten  Fortschritt  erkenne,  der  in  der  letzten  Zeit 
in  der  Pathogenese  der  Magen-Darmerkrankungen  des  Säuglings 
gemacht  worden  ist.  Sie  ist  begründet  in  den  biologischen 
Eigenschaften  der  die  Erkrankung  hervorrufenden  Bacterien, 
der  saprophy tischen  Gährungs-  und  Fäulnisserreger  auf  der  einen, 
der  für  den  Menschen  pathogenen,  pyogenen  Bacterien  auf  der 
anderen  Seite,  und  es  kommt  ihr  nicht  nur  ein  theoretischer 
oder  heuristischer  Werth,  sondern  auch  heute  schon  eine  hohe 
praktische  Bedeutung  für  die  Diagnose  und  die  Therapie  zu. 
Die  Chymusinfection  charakterisirt  sich  anamnestisch  durch 
eine  nachweisbare  alimentäre  Schädlichkeit,  klinisch  durch  mehr 
oder  weniger  ausgesprochene  toxische  Erscheinungen  und  die 
Anwesenheit  von  Schleim  und  den  Producten  abnormer  Zer¬ 
setzungen  im  Stuhle;  therapeutisch  verlangt  sie  Entfernung 
der  schädlichen  Nahrungsreste  durch  Spülung  oder  Abführ¬ 
mittel,  Wasserdiät  und  dann  vorsichtige  Wiederaufnahme  der 
Ernährung.  Die  infectiöse  Darmerkrankung  dagegen  geht  oft 
mit  fieberhafter  Temperatur  und  septischen  Allgemeiner¬ 
scheinungen  einher;  im  Stuhle  linden  sich  neben  den  Producten 
entzündlicher  Reizung  die  pathogenen  Bacterien;  der  Kranke  muss 
isolirt,  der  Darm  desinficirt  und  eine  tonisirende,  symptomatische 
Behandlung  eingeleitet  werden. 

Betreffs  der  Nomenclatur  bemerke  ich,  dass  ich  dem 
Vorschläge,  jede  Art  von  Verdauungsstörung  als  Gastroenteritis 
zu  bezeichnen  (Marfan),  nicht  zustimme,  sondern  mich  der 
sinngemässen  Nomenclatur  der  Wiener  Schule  bediene,  welche 
die  anatomische  Localisation  des  Processes  und  die  katarrhalische, 
respective  entzündliche  Natur  desselben  in  dem  Namen  erkennen 
lässt.  Die  Nothwendigkeit  der  Trennung  eines  toxischen, 
alimentären  und  eines  infectiösen  entzündlichen  Katarrhs  ist 
auch  schon  vom  rein  klinischen  Standpunkte  (West)  aus  an¬ 
erkannt  worden ;  freilich  stösst  diese  Unterscheidung  derzeit 
in  praxi  noch  auf  grosse  Schwierigkeiten,  die  erst  durch  weitere 
Untersuchungen  beseitigt  werden  müssen. 

Die  Eintheilung  bezieht  sich,  um  dies  nochmals  zu  wieder¬ 
holen,  nur  auf  die  primären  acuten,  durch  Bacterienwirkung 
hervorgerutenen  Verdauungsstörungen.  Fügen  wir  im  Beginn 
noch  die  functioneilen  Störungen  der  alimentären  Dyspepsie, 
am  Schlüsse  die  subacuten,  die  chronischen  und  die  symptomatischen 
\  erdauungsstörungen  hinzu,  so  schliesst  sich  dieses  vom 
bacteriologischen  Gesichtspunkte  aus  aufgestellte  Schema  recht 
gut  der  bewährten  klinischen  Eintheilung  an,  welche  Wider¬ 


hofer  in  dem  Ge  r  ha  r  d  t’schen  Handbuche  gegeben  hat  und 
deren  sich  auch  heute  noch  die  Mehrzahl  der  Autoren  bedient. 

Die  Eintheilung,  welche  sich  auf  Grund  des  ätiologischen 
Principes  für  die  bacteriellen  Mageu-Darmerkrankunaen  ergibt 
ist  folgende:  ö  ’ 

A.  Ektogene  Intoxication  (Erkrankung  durch 
Genuss  der  ausserhalb  des  Körpers  unter  Bildung  fiftDcr 
Stoffe  zersetzten  Milch). 

ci)  Toxischer  Katarrh  des  Magens,  Dünndarms. 

b)  Cholera  infantum  s.  st. 

B.  Chymusinfectionen  (endogene  Intoxication  durch 
abnorme  Zersetzung  des  Darminhaltes,  erst  secundär  Reizung 
und  Erkrankung  der  Darmwand). 

a)  Bacterielle  Dyspepsie  (Diarrhoea  acida,  Eichstaedt) 

b)  Dyspeptischer  Katarrh  (Diarrhoea  catarrhalis,  West). 

C.  Darminfectionen  (entzündliche  Reizung  oder 
Invasion  der  Darm  wand  durch  pathogene  Bacterien). 

a)  Entzündlicher  Katarrh  (Diarrhoea  inflammatoria, 
West). 

b)  Entzündung:  Gastritis,  Gastroenteritis,  Enteritis, 
Enterocolitis,  Colitis. 

Thesen: 

1.  Die  Frage  nach  der  Bedeutung  der  Bacterien  in  der 
Aetiologie  und  Pathogenese  der  Magen-Darmkrankheiten  des 
Säuglingsalters  muss  von  dem  Studium  der  normalen  Verhält¬ 
nisse  ausgehen,  wie  es  in  meiner  im  Jahre  1886  erschienenen 
Arbeit  über  die  Darmbacterien  angebahnt  wurde.  Weitere  an 
meiner  Klinik  ausgeführte  Arbeiten  haben  noch  folgende 
Punkte  festgestellt: 

a)  Bei  Anwendung  der  W  e  i  g  e  r  t'schen  Fibrinfärb¬ 
methode  mit  Fuchsin-Nachfärbung  erhält  man  eine  für  die  Be- 
urtheilung  des  Stuhlbildes  sehr  werthvolle  Doppelfärbung, 
welche  zeigt,  dass  die  im  Brustkindstuhle  vorhandenen  Stäbchen 
abweichend  von  dem  Verhalten  des  Bacterium  coli  durch  die 
Gram’sche  Methode  nicht  entfärbt  werden.  Die  Annahme, 
dass  dieses  eigenthümliche  Verhalten  durch  besondere,  im 
Säuglingsdarme  vorhandene  Vegetationsbedingungen  (Anwesen¬ 
heit  von  Fett,  Schmidt  1892)  hervorgerufen  sei,  hat  sich  bei 
Nachuntersuchungen  nicht  bestätigt. 

b)  Bei  Züchtung  auf  den  gewöhnlichen  alkalischen  Nähr¬ 
böden  (Agar-  und  Gelatineplatten)  gelingt  es  nur,  einen  gewissen 
Bruchtheil,  5 — 10%>  der  im  mikroskopischen  Bilde  sichtbaren 
Bacterien  zur  Entwicklung  zu  bringen.  (Eberle  1894.) 

c)  Bei  Verwendung  electiver,  insbesondere  saurer  Nähr¬ 
böden  (saure  Bierwürze),  zeigt  sich,  dass  die  Mannigfaltigkeit 
der  im  normalen  Säuglingsstuhle  vorhandenen  Keime  eine 
grössere  ist,  als  bisher  angenommen.  Von  besonderem  Interesse 
ist  das  constante  und  reichliche  Vorkommen  einer  verzweigten, 
gramisch  färbbaren  Bacterienart,  welche  in  ihrem  morphologi¬ 
schen  Verhalten  mit  der  Hauptmasse  der  im  normalen  Stuhle 
vorhandenen  Stäbchen  übereinstimmt  und  mit  denselben  iden¬ 
tisch  sein  dürfte.  (Moro,  Januar  1900.) 

d)  Durch  entsprechende  Anwendung  der  Gruber- 
W  i  dal’schen  Reaction  gelingt  es,  zu  zeigen,  dass  die  im  Stuhle 
eines  Säuglings  vorhandenen  Coli-Bacillen  selbst  innerhalb 
längerer  Zeitabschnitte  Abkömmlinge  einer  besonderen,  den 
Darmcanal  dieses  Individuums  bewohnenden  Coli-Race  sind. 
Durch  eben  diese  Reaction  unterscheiden  sie  sich  von  den 
Coli-Bacillen  anderer  Individuen,  sowie  von  den  mit  der  Nahrung 
eingeführten  und  halten  diese  Eigenschaft  auch  auf  künstlichen 
Nährböden  durch  längere  Zeit  fest. 

2.  Aus  diesen  Untersuchungen  geht  hervor,  dass  die 
Bacterienentwicklung  im  Darme  des  Säuglings,  obzwar  sie 
naturgemäss  aus  den  zufälliger  Weise  in  das  keimfreie  Me¬ 
conium  eingewanderten  Keimen  hervorgeht,  eine  gesetzmässige 
und  autochthone  ist.  Die  Gründe  hiefiir  liegen  in  der  constanten 
chemischen  Zusammensetzung  der  Nahrung  und  des  Darm 
inhaltes,  in  den  besonderen  Vegetationsbedingungen,  unter 
denen  die  Bacterien  leben,  endlich  in  dem  Einflüsse  der  vitalen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  38 


Functionen  des  Organismus.  Die  normale  Darmflora  ist  der 
Ausdruck  und  eine  der  Bedingungen  einer  normalen  Function 
des  Darmes,  der  bestrebt  ist,  dieselbe  zu  erhalten  und,  wenn 
sie  verloren  gegangen,  wieder  herzustellen. 

3.  Die  Stuhlflora  ist  unter  normalen  Verhältnissen  inner¬ 
halb  weiter  Grenzen  von  der  Art  und  Zahl  der  mit  der  Nahrung 
eingeführten  Bacterien  unabhängig.  Jedoch  genügen  schon  ge¬ 
ringfügige  Aenderungen  der  chemischen  Zusammensetzung  des 
Darminhaltes,  der  Secretions-  und  Resorptionsverhältnisse,  des 
Allgemeinbefindens  und  der  Widerstandsfähigkeit  des  Orga¬ 
nismus,  um  die  Vegetationsbedingungen  im  Darme  zu  ändern, 
so  dass  sich  die  Bacterien  in  anderer  Weise  vertheilen  oder 
von  aussen  eingeführte  Keime  sich  im  Darme  ansiedeln  und 
vermehren  können.  In  Folge  der  ausserordentlichen  Neigung 
der  Milch  zu  Zersetzungen,  sowie  der  ungenügenden  Schutz¬ 
vorrichtungen,  über  welche  der  Magen  des  Säuglings  verfügt, 
ist  zur  Entstehung  solcher  ektogener  Infectionen  stets  reichlich 
Gelegenheit  geboten. 

4.  Eine  Reihe  von  Gründen,  welche  theils  der  Epidemio¬ 
logie,  theils  der  klinischen  Beobachtung,  theils  pathologisch¬ 
anatomischen  und  experimentellen  Untersuchungen  entnommen 
sind,  machen  es  wahrscheinlich,  dass  das  Auftreten  einer  von 
der  Norm  abweichenden  Bacterienvegetation  im  Darm,  ins¬ 
besondere  dann,  wenn  unter  denselben  sich  gährungserregende 
oder  für  den  Menschen  pathogene  Bacterien  befinden,  seiner¬ 
seits  zu  Ivrankheitserscheinungen  Veranlassung  geben  kann. 
Je  nach  den  biologischen  Eigenschaften  der  in  Frage  kommen¬ 
den  Bacterien  wirken  dieselben  entweder  rein  toxisch,  indem 
sie  aus  den  Nahrungsbestandtheilen  oder  dem  Darminhalte 
durch  Zersetzung  reizende  oder  giftige  Stoffe  abspalten 
(Chymusinfection),  oder  infectiös,  indem  sie  entzündliche  Zu¬ 
stände  der  Darmschleimhaut  hervorrufen  und  eventuell  durch 
Epithellücken  in  die  Darmwand,  ja  in  die  Körpersäfte  ein- 
dringen  (Darminfect).  Auch  ausserhalb  des  Körpers  (ektogen) 
gebildete  bacterielle  Gifststoffe  geben  nicht  selten,  insbesondere 
in  der  heissen  Jahreszeit,  zu  Verdauungsstörungen  Veranlassung. 
Der  kindliche  Organismus  ist  für  diese,  wie  überhaupt  für  alle 
bacteriellen  Infectionen  und  Intoxicationen  ganz  besonders 
empfänglich. 

5.  Es  existirt  noch  kein  befriedigendes  Eintheilungs- 
princip  der  Magen-Darmerkrankungen  des  Säuglingsalters.  Für 
die  auf  Bacterienwirkung  beruhenden  Erkrankungen  muss  die 
Durchführung  des  ätiologischen  Principes  versucht  werden. 
Wir  unterscheiden  in  diesem  Sinne :  Die  durch  ektogene  Zer¬ 
setzung  hervorgerufenen  Intoxicationen,  die  Chymusinfectionen, 
die  infectiösen  Darmerkrankungen.  An  dem  Zustandekommen 
der  beiden  ersten  Gruppen  können  sich  alle  mit  starkem 
Spaltungsvermögen  ausgestatteten  Saprophyten  der  Milch  und 
des  Darmcanales,  Bacterium  lactis,  Proteolyten,  Proteus  bethei¬ 
ligen.  Erreger  der  Darminfecte  sind  im  Allgemeinen  die  für 
den  Menschen  pathogenen  Mikroorganismen.  Speciell  für  das 
Säuglingsalter  liegen  Beobachtungen  vor  über  Infection  durch 
Staphylococcen,  Streptococcen,  Bacterium  coli,  Streptothrix  (?), 
Pyocyaneus  (?). 

6.  Bei  der  Art  der  Infection,  sowie  dem  Boden,  auf  dem 
sie  sich  entwickelt,  ist  es  selbstverständlich,  dass  es  sich  stets 
um  ein  Gemenge  von  Mikroben  handelt,  so  dass  Misch-  und 
Secundärinfection  häufig  beobachtet  werden.  Diese  spielen  auch 
in  der  Pathogenese  der  Complicationen  und  Nachkrankheiten 
eine  hervorragende  Rolle. 

7.  Die  auf  statistischem  Wege  gewonnene  Anschauung, 
wonach  mehr  als  die  Hälfte  sämmtlicher  Todesfälle  im  Säug¬ 
lingsalter  durch  primäre  Magen-Darmerkrankungen  verursacht 
sind,  und  die  Häufigkeit  derselben  von  der  Geburt  an  stetig 
abnimmt,  steht  mit  den  Resultaten,  die  wir  an  einem  einheit¬ 
lichen  und  klinisch  genau  verfolgten  Säuglingsmaterial  ge¬ 
wonnen  haben,  im  Widerspruch. 


Aus  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Kehlkopf-  und 
Nasenkrankheiten  (Prof.  Chiari)  und  dem  pathologisch¬ 
anatomischen  Institute. 

Untersuchungen  überden  Tonsillotomiebelag  und 
seine  etwaigen  Beziehungen  zum  Diphtherie¬ 

bacillus. 

Von  Dr.  L.  Harmer,  Assistenten  obiger  Klinik. 

Vor  zwei  Jahren  wurde  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte 
in  Wien  gelegentlich  einer  Discussion  über  den  Werth  der 
Diphtherieserumtherapie *)  von  gegnerischer  Seite  unter  Anderem 
die  Behauptung  aufgestellt,  dass  in  den  Belägen,  welche  nach 
Tonsillotomie  auftreten,  sich  Diphtheriebacillen  fänden;  dieser 
Befund  sollte  nebst  Anderem  gegen  die  ziemlich  allgemein 
anerkannte  Thatsache,  dass  der  L  ö  f  f  1  er’sche  Bacillus  der  Er¬ 
reger  der  Diphtherie  ist,  ins  Feld  geführt  werden.  In  der 
Literatur  findet  sich  nun  eine  Arbeit  (von  Lichtwitz2)  über 
diesen  Gegenstand,  von  welcher  anzunehmen  ist,  dass  sie  die 
Quelle  sei,  aus  welcher  diese  Behauptung  stammte.  Licht¬ 
witz  fand  nun  allerdings  auf  der  Operationswunde  nach 
Tonsillotomie  in  einem  ziemlich  grossen  Procentsatz  der  unter¬ 
suchten  Fälle  echte  Diphtheriebacillen. 

Obwohl  die  Richtigkeit  dieser  Angabe  von  vorneherein 
zweifelhaft  erscheinen  musste,  so  konnte  nichts  dagegen  an¬ 
geführt  werden,  weil  ausser  L  i  c  h  t  w  i  t  z  allem  Anschein  nach 
Niemand  sich  mit  dieser  Frage  beschäftigt  hat.  Ueberhaupt 
erschien  es  mir  auffällig,  dass  in  der  sonst  sehr  umfangreichen 
Literatur  über  die  Tonsillotomie  des  so  regelmässig  auftreten¬ 
den  Folgezustandes  derselben,  nämlich  der  Wundbeläge,  ob¬ 
wohl  dieselben  sicherlich  allgemein  bekannt  sind,  fast  gar 
nicht  gedacht  ist.  Zieht  man  in  Betracht,  dass  viele  Patienten 
oder  deren  Angehörige  selbst  diese  Erscheinung  bemerken  und 
zuweilen  nicht  ganz  ohne  Besorgniss  über  deren  Bedeutung 
sind,  so  ist  zu  verwundern,  dass  in  den  meisten  Lehrbüchern 
nicht  einmal  darauf  hingewiesen  wird  ;  über  das  Wesen  und 
die  Entstehung  dieser  Beläge  ist,  so  weit  ich  die  Literatur 
durchsucht  habe,  überhaupt  nichts  erwähnt. 

Diese  Umstände  haben  mich  veranlasst,  einerseits  eine 
Reihe  von  Fällen  bacteriologisch  zu  untersuchen,  um  zu  er¬ 
fahren,  ob  und  welche  Mikroorganismen,  insbesondere  ob 
Diphtheriebacillen  in  den  Belägen  Vorkommen,  andererseits 
möglichst  viele  Fälle  klinisch  zu  beobachten,  um  über  die  Be¬ 
deutung  und  Entstehung  der  genannten  Beläge  ein  Urtheil  zu 
gewinnen. 

Bevor  ich  über  das  Resultat  dieser  Untersuchungen  be¬ 
richte,  möchte  ich  nur  kurz  die  Literatur  berücksichtigen. 

In  den  Lehrbüchern  ist,  wie  oben  schon  erwähnt,  sehr 
wenig  über  diesen  Gegenstand  zu  finden.  Meist  ist  von  einem 
Belage  gar  nicht  die  Rede:  nur  einzelne  Autoren  berichten 
darüber  in  wenigen  Worten.  So  schreibt  Mackenzie3 4)  in 
dem  Abschnitte  seines  Lehrbuches,  welches  von  der  Nach¬ 
behandlung  nach  Tonsillotomie  handelt:  »Selten  nimmt  die 
Wundfläche  ein  ungesundes  Aussehen  an  und  bedeckt  sich  mit 
einem  aschfarbenen,  aphthösen,  manchmal  membranösen  Belag. 
Gewöhnlich  tritt  dies  ein,  wenn  die  Blutung  stärker  und  an¬ 
haltender  als  gewöhnlich  war.«  Mackenzie  betrachtet  also 
das  Auftreten  eines  Belages  als  abnormen  Heilungsverlauf  und 
als  seltenes  Vorkommniss,  doch  scheinen  ihm  irgendwelche  üble 
Folgen  desselben  nicht  bekannt  zu  sein. 

Bloch1)  erwähnt  unter  den  »üblen  Zufällen  und  Folgen« 
der  Tonsillotomie  unter  Anderem  Folgendes:  »Zuweilen  bedeckt 
sich  die  Schnittfläche  mit  einer  weissgrauen  Pseudomembran, 
welche  nach  zwei  bis  drei  Tagen  sich  abzustossen  beginnt  und 

')  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1898,  Juni. 

-)  Lichtwitz,  Frequence  et  innoeuite  du  bacille  de  Löffler  sur  la 
plaie  Operateure  aprbs  l’amygdalotomie  electrothermique.  Societe  de  biologie. 
S.  d.  14.  mars  1896  (Gaz.  hebd.  d.  med.  et  d.  chir.  1896,  Nr.  23). 

3)  Mackenzie  M.,  Krankheiten  des  Halses  und  der  Nase. 
Berlin  1880, 

4)  Bloch  E.,  Krankheiten  der  Gaumenmandeln.  Heymann’s  Hand¬ 
buch  der  Laryngologie.  II. 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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durch  andere  als  die  Löffle  r’schen  Mikroben  ver¬ 
anlasst  ist.« 

Also  auch  Bloch  hat  einen  Belag  nicht  häufig  beob¬ 
achtet;  er  weist  gleichzeitig  darauf  hin,  dass  der  Löffler’sche 
Bacillus  damit  in  keinem  ursächlichen  Zusammenhang  steht, 
ohne  sich  näher  auszusprechen,  ob  darüber  Untersuchungen 
angestellt  wurden  oder  nicht. 

Caille* 5)  hat  nach  einer  Tonsillotomie  die  Wundfläche 
mit  Pseudomembranen  bedeckt  gesehen,  welche  durch  Diphtherie¬ 
bacillen  veranlasst  waren;  es  entwickelte  sich  eine  schwere 
Diphtherie,  welche  die  Tracheotomie  nothwendig  machte. 

Die  bedeutsamste  Mittheilung,  diejenige,  welche  mich  in 
erster  Linie  zu  den  nachstehenden  Untersuchungen  veranlasste, 
hat  Lichtwitz  gemacht.  Er  fand  auf  der  Operationswunde 
nach  Abtragung  der  Tonsille  häufig  den  Bacillus;  unter  27 
daraufhin  untersuchten  Fällen  hat  er  llinal  —  also  in  40  7% 
—  den  L  ö  f  fl  e  r’schen  Bacillus  constatirt,  2mal  allein,  9mal 
mit  anderen  Bacterien  (Staphylococcus,  Streptococcus,  Lepto- 
thrix  etc.)  combinirt;  er  hebt  insbesondere  hervor,  dass  bei 
keinem  der  Patienten,  von  denen  die  meisten  im  jugendlichen 
Alter  waren,  irgendwelche  Allgemeinerscheinungen  auftraten 
und  dass  alle  ohne  Anwendung  von  Heilserum  genasen. 

Ausserdem  eben  Besprochenen  konnte  ich  in  der  Literatur, 
so  weit  sie  mir  zur  Verfügung  stand,  nichts  Wesentliches  über 
diesen  Gegenstand  auffinden.  Dass  das  Resultat  meiner  Unter¬ 
suchungen  namentlich  von  dem  des  letztgenannten  Autors 
wesentlich  abweicht,  soll  später  gezeigt  werden.  Zunächst 
möchte  ich  über  das  Auftreten  und  makroskopische  Aussehen 
der  nach  Tonsillotomie  sich  entwickelnden  Beläge  meine  Be¬ 
obachtungen  mittheilen.  Die  diesbezüglichen  Untersuchungen 
wurden  in  den  letztverflossenen  17  Monaten  angestellt.  Nach 
der  letzten  tabellarischen  Zusammenstellung  von  Stoerk6) 
wurden  in  den  Jahren  1894 — 1896  an  der  laryngologischen 
Klinik  jährlich  ungefähr  250  Tonsillotomien  ausgeführt.  Diese 
Zahl  gilt  annähernd  auch  für  die  späteren  Jahre;  da  ich  mit 
wenigen  Ausnahmen  fast  alle  in  dem  genannten  Zeitraum  aus¬ 
geführten  Tonsillotomien  in  ihrem  Verlauf  untersucht  habe,  so 
kann  ich  sagen,  dass  die  Zahl  der  beobachteten  Fälle  ungefähr 
300  beträgt.  Auch  war  es  üblich,  die  Patienten  mehrere  Male 
an  verschiedenen  Tagen  zu  untersuchen. 

Was  die  Häufigkeit  des  Auftretens  anbelangt,  so  muss 
ich  erklären,  dass  ich  eigentlich  niemals  einen  Belag  vermisst 
habe.  Wohl  tritt  derselbe  zuweilen  nur  sehr  rudimentär  auf, 
fehlt  jedoch  niemals  ganz;  es  müsste  nur  in  solchen  äusserst 
seltenen  Fällen  gewesen  sein,  in  welchen  die  Patienten  nicht 
mehr  gekommen  sind. 

Der  Verlauf  nach  der  Tonsillotomie  ist  ungefähr  fol¬ 
gender:  Sobald  die  Blutung,  die  bei  Anwendung  von  schnei¬ 
denden  Instrumenten  in  stärkerem  oder  geringerem  Grade 
immer  eintritt,  sistirt  hat,  erscheint  die  Wundfläche  theilweise 
oder  ganz  mit  Gerinnseln  bedeckt.  Noch  am  selben  Tage,  im 
Durchschnitt  nach  sechs  bis  acht  Stunden,  zeigen  sich  schon 
Spuren  eines  Belages,  häufig  zuerst  an  den  Rändern.  Am 
nächsten  Tage  sind  die  nur  locker  haftenden  Blutgerinnsel  zum 
grössten  Theile  oder  ganz  verschwunden  und  der  Belag  ist  in 
der  Regel  vollständig  entwickelt. 

Er  bietet  fast  immer  das  gleiche  Aussehen.  Die  Farbe 
ist  schmutzig  grauweiss,  meist  lichter  mit  einzelnen  kleinen, 
dunkleren  Herden,  selten  im  Ganzen  dunkler  und  missfärbig. 
Er  bildet  eine  kaum  2  mm  dicke  Lage,  zuweilen  ist  er  partien¬ 
weise  oder  in  toto  etwas  massiger. 

Die  Flächenausbreitung  ist  sehr  variabel.  Manchmal  nur 
in  feinen  linearen  Streifen  oder  inselförmigen,  kaum  linsen¬ 
grossen  Herden  auftretend,  bildet  er  in  ausgesprochenen 
Fällen  wahre  Pseudomembranen,  welche  entweder  in  einzelnen 
von  einander  getrennten  Partien  oder  als  eine  einzige  zu¬ 
sammenhängende  Auflagerung  die  Wundfläche  bedecken.  In 


')  Caille,  Amygdalotomie  suivi  d’ang.  diphth.  Arch,  of  Med.  Ref.: 

Anuäl.  d.  mal.  de  l’or.  etc.  1895,  pag.  397. 

6)  Stoerk,  Krankheiten  des  Kehlkopfes,  der  Nase  und  des  Rachens. 
Nothnagel’s  Pathologie  und  Therapie.  Wien  1897. 


der  Regel  bleibt  der  Belag  auf  die  Operationswunde  beschränkt; 
zeigt  sich  an  einer  anderen  Stelle,  beispielsweise  an  der  seit¬ 
lichen  Rachenwand,  an  der  Uvula  oder  am  weichen  Gaumen 
ein  ähnlich  beschaffener  Belag,  so  lässt  sich  auch  meist  eine 
von  dem  jeweiligen  Instrumente  herrührende  Verletzung  nach- 
weisen,  welche  denselben  verursacht  hat;  fast  immer  ist  dann 
nach  Abstossen  des  Belages  ein  kleiner  Substanzverlust  an  der 
betreffenden  Stelle  zu  sehen. 

Eine  Structur  ist  an  dem  Belage  mit  freiem  Auge  selten 
zu  erkennen;  meist  ist  die  Oberfläche  vollständig  homogen. 
Nur  ausnahmsweise  ist  ein  fibrillärer  Bau  wahrzunehmen. 
Häufiger  zeigt  der  Belag  an  solchen  Stellen,  wo  er  eine 
dickere  Lage  bildet,  ein  körniges  oder  bröckeliges  Aussehen. 

Der  Belag  hängt  mit  seiner  Unterlage  ziemlich  fest  zu¬ 
sammen,  lässt  sich  jedoch  mit  einer  Pincette  in  grösseren  oder 
kleineren  Stückchen  abziehen,  worauf  in  der  Regel  geringe 
Blutung  eintritt. 

Die  Zeit,  innerhalb  welcher  der  Belag  sichtbar  bleibt, 
ist  sehr  verschieden.  Zumeist  pflegt  er  schon  am  zweiten  oder 
dritten  Tage  sich  wieder  theilweise  abzustossen  und  ist  am 
fünften  oder  sechsten  Tage  verschwunden;  in  seltenen  Fällen, 
wenn  nur  Spuren  von  Belag  vorhanden  waren,  kann  dies 
schon  am  dritten  oder  vierten  Tage  geschehen,  während 
andererseits  grössere  membranöse  Auflagerungen  sich  oft  erst 
am  achten  oder  zehnten  Tage  vollständig  verlieren. 

Die  Intensität  des  Belages  wird  allem  Anscheine  nach 
nicht  beeinflusst,  ob  antiseptische  Gurgelwässer  in  der  Nach¬ 
behandlung  verwendet  werden  oder  nicht,  ob  man  dieses  oder 
jenes  schneidende  Instrument  zur  Operation  wählt.  Immer¬ 
hin  scheint  eine  lacerirte  Wundfläche  die  Entwicklung  des 
Belages  mehr  zu  begünstigen,  als  eine  glatte.  (Selbstverständ¬ 
lich  kann  die  Galvanokaustik  nicht  in  den  Kreis  dieser  Be¬ 
trachtungen  gezogen  werden,  weil  sie  sogleich  einen  Schorf 
setzt,  wodurch  die  Entwicklung  eines  Belages  sich  der  genaueren 
Beobachtung  entzieht.) 

Die  Schleimhaut  der  Umgebung  ist  in  vielen  Fällen 
unverändert.  Hat  bei  der  Operation  eine  starke  Quetschung 
stattgefunden,  so  sind  an  den  Arcaden  und  am  weichen 
Gaumen  dunkelrothe,  meist  streifenförmige  Blutaustritte  in  der 
Schleimhaut  wahrzunehmen.  Zuweilen  aber  finden  sich  auch 
entzündliche  Erscheinungen,  Röthung  und  Schwellung  der 
Schleimhaut,  oder  sogar  Oedem.  Einmal  habe  ich  einen  peri¬ 
tonsillären  Abscess  nach  Tonsillotomie  beobachtet,  es  muss 
jedoch  gesagt  werden,  dass  in  diesem  Falle  möglicher  Weise 
eine  leicht  zu  übersehende  beginnende  Entzündung  schon  vor¬ 
handen  war,  und  daher  die  Tonsillotomie  nicht  mit  Sicherheit 
als  Ursache  derselben  anzusprechen  ist. 

Schmerzen  an  der  Wundstelle  bestehen  in  der  Regel  nur 
am  ersten  und  zweiten  Tage  und  verschwinden  auch  wenn 
der  Belag  noch  längere  Zeit  sich  erhält.  Ein  höherer  Grad 
von  Schmerzhaftigkeit  ist  ebenso  selten  wie  ein  längeres  An¬ 
dauern  derselben,  vorübergehende  Temperatursteigerung  ist, 
namentlich  bei  Kindern,  nicht  gar  so  selten.  Drüsenschwel¬ 
lungen  am  Halse  werden  nur  ausnahmsweise  beobachtet. 

Zur  histologischen  Untersuchung  wurden  einerseits 
möglichst  grosse  Stückchen  des  Belages  mit  der  Pincette 
entfernt,  und  in  Alkohol  gehärtet.  Andererseits  habe  ich  ge¬ 
trachtet,  in  einzelnen  Fällen  den  Belag  sammt  dem  Grunde, 
auf  dem  er  sass,  zur  Untersuchung  zu  bekommen.  Dies  geschah 
in  der  Art,  dass  in  solchen  seltenen  Fällen,  in  denen  aus  irgend 
einem  Grunde  durch  den  ersten  Eingriff  nur  ein  Theil  der 
Tonsille  entfernt  worden  war,  der  Rest  nicht  sofort,  sondern 
erst  am  zweiten  oder  dritten  Tage,  zu  einer  Zeit  also,  wo 
sich  bereits  ein  Belag  entwickelt  batte,  exstirpirt  wurde.  Auf 
diese  Art  gewann  ich  für  die  Untersuchung  im  Ganzen  drei 
Tonsillen,  welche  ebenfalls  in  Alkohol  gehärtet  und  so  wie  die 
erstgenannten  Präparate  in  Celloidin  geschnitten  und  nach 
verschiedenen  Methoden  —  nach  Weigert,  nach  Löffler 
und  mit  Hämatoxylin-Eosin  —  gefärbt  würden. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Schnitte  von  den 
Belagstückchen  zeigt  ungefähr  Folgendes: 


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In  einer  Reihe  von  Präparaten  findet  sich  eine  Grund¬ 
substanz  vorherrschend,  welche  aus  Fibrin  oder  anderen  ge¬ 
ronnenen  Eiweisskörpern  besteht,  und  theils  eine  feinfaserige 
Structur,  seltener  ein  mehr  körniges  oder  scholliges  Aussehen 
besitzt;  die  Fasern  liegen  nicht  dicht  beisammen  und  sind 
häufig  netzförmig  angeordnet. 

Die  Grundsubstanz,  und  zwar  der  netzförmig  angeordnete 
Theil  derselben,  nimmt  theilweise  die  Fibrinfärbung  deutlich 
an,  im  Uebrigen  ist  sie  durch  Lithioncarmin  oder  Eosin 
schwach  röthlich  gefärbt.  In  diesem  Stroma  sind  stellenweise  in 
spärlicher  Zahl  Leukocyten  eingelagert,  meist  in  den  Maschen 
des  Netzwerkes.  An  anderen  Stellen  und  in  einer  Reihe  von 
anderen  Präparaten  sind  dagegen  die  Leukocyten  in  solcher 
Zahl  vorhanden,  dass  neben  ihnen  nur  wenig  von  einer  Grund¬ 
substanz  zu  sehen  ist. 

Unter  den  Leukocyten  sind  sowohl  mononucleäre  als  auch 
polynucleäre  Elemente  zu  finden;  meist  kommen  beide  Arten 
zusammen  vor,  an  einzelnen  Stellen  aber  sind  die  mono- 
nucleären  Formen  in  überwiegender  Anzahl  oder  ausschliesslich 
vorhanden. 

In  einigen  Präparaten  ist  auch  in  kleineren,  selten  in 
grösseren  Herden  Coagulationsnekrose  zu  constatiren,  indem 
man  ein  glänzendes,  die  Fibrinfärbung  nicht  annehmendes 
Balkenwerk  mit  eingelagerten  Leukocyten  sieht;  letztere  zeigen 
stellenweise  auch  Kernzerfall. 

Bacterien  finden  sich  in  den  Schnitten  aus  den  Mem¬ 
branen  in  überaus  zahlreicher  Anzahl,  und  zwar  sowohl  in 
den  oberflächlichen  wie  auch  in  den  tieferen  Partien  der¬ 
selben.  Sie  liegen  meist  in  grösseren  oder  kleineren  Haufen, 
vielfach  auch  in  einer  fast  strangartigen  Anordnung,  was  in 
den  nach  Weigert  gefärbten  Schnitten  in  sehr  deutlicher 
Weise  zu  Tage  tritt.  Diese  Bacterienmassen  bestehen  aus 
einem  Gemenge  von  verschiedenen  Bacillen  und  Coccen. 

In  weitaus  grösserer  Anzahl  erscheinen  die  Coccen  ver¬ 
treten,  vorwiegend  in  kleineren  Häufchen  vom  Typus  der 
Stapliylococcen,  nicht  selten  aber  auch  in  kürzeren  oder 
längeren  Ketten  vom  Typus  der  Streptococcen.  In  den  grösseren 
Haufen  dieser  Bacterienmassen  tritt  eine  bestimmte  Anordnung 
der  Coccen  weniger  deutlich  zu  Tage.  Zwischen  den  Coccen 
sind  ziemlich  zahlreiche  Bacillen  verschiedener  Form  und 
Grösse  eingelagert.  Vorherrschend  erscheinen  längere,  schmale 
Bacillen,  theils  gerade,  theils  leicht  gekrümmt,  meist  an  beiden 
Enden  spitz  zulaufend.  Dieselben  liegen  ohne  bestimmte  An¬ 
ordnung  theils  einzeln,  theils  in  kleineren  oder  grösseren 
Nestern. 

Unter  diesen  Formen  findet  mau  vereinzelt  auch  solche, 
die  an  einem  Ende  eine  leicht  keulenförmige  Verdickung 
zeigen.  Ziemlich  zahlreich  finden  sich  auch  kürzere,  gleichfalls 
schmale  Bacillen  einzeln  liegend  oder  auch  in  grösseren  Nestern 
angeordnet.  Spärlicher  sind  Bacterienformen  vom  Typus  der 
Vibrionen  zu  sehen. 

Iu  den  Schnitten,  welche  von  den  sammt  dem  Belage 
exstirpirten  Tonsillen  angefertigt  wurden,  zeigt  sich  vor  Allem, 
dass  die  Auflagerungen  nur  theilweise  erhalten  geblieben  sind, 
wogegen  sich  ein  Theil  derselben  vermuthlich  während  der 
Härtung  abgelöst  hat.  Auch  hier  ist  zu  sehen,  dass  der  Belag 
aus  einer  zumeist  schwach  (mit  Lithioncarmin  oder  Eosin) 
tiugirten,  theils  faserigen,  theils  körnigen  Grundsubstanz  be¬ 
steht,  welche  entweder  spärlicher  oder  reichlich  mit  Leuko¬ 
cyten  verschiedener  Formen  durchsetzt  ist.  Einzelne  netzförmig 
angeordnete  Partien  der  Grundsubstanz  treten  (in  den  nach 
Weigert  gefärbten  Präparaten)  durch  ihre  lebhaft  blaue 
Färbung  hervor,  zeigen  also  typische  Fibrinfärbung.  Endlich 
gibt  es  noch  Partien,  welche  ein  stark  glänzendes,  fein¬ 
maschiges,  die  Fibrinfärbung  nicht  annehmendes  Balkenwerk 
erkennen  lassen  (Coagulationsnekrose),  dessen  Lücken  von 
Leukocyten  erfüllt  sind. 

Bacterien  kann  man  in  allen  Schnitten,  allerdings  in 
sehr  wechselnder  Menge  finden.  Sie  fallen  überall  durch  die 
lebhafte  Tinction  auf  und  finden  sich  ebenso  wohl  an  der 
Oberfläche  wie  in  der  Mitte  und  in  den  tieferen  Partien  der 
Membranen.  Der  Form  nach  sind  wiederum  die  Coccen  vor¬ 


herrschend,  welche  entweder  in  Haufen  oder  in  kürzeren  oder 
längeren  Ketten  angeordnet  Vorkommen.  In  geringerer  Zahl, 
auch  nicht  in  allen  Präparaten,  sind  Stäbchen  zu  finden,  meist 
von  mittlerer  Länge,  schmal,  gerade  oder  leicht  gekrümmt 
und  etwas  schwächer  gefärbt  wie  die  Coccen. 

Allenthalben  erscheinen  die  Beläge  ziemlich  deutlich  gegen 
die  Unterlage  abgegrenzt;  nirgends  sind  im  benachbarten 
Tonsillargewebe  ähnliche  Bildungen  nachzuweisen,  nirgends 
Bacterien  ausserhalb  des  Belages  zu  finden.  Dagegen  zeigt 
sich  an  vielen  Stellen  das  adenoide  Gewebe  dicht  unterhalb 
des  Belages  mehr  oder  weniger  von  Rundzellen  durchsetzt, 
welche  gegen  die  Tiefe  zu  rasch  an  Zahl  abnehmen.  Dass  die¬ 
selben  nicht  mit  den  lymphoiden  Zellen  der  Tonsille  identisch 
und  als  eingewanderte  zu  betrachten  sind,  ist  an  der  stärkeren 
Färbbarkeit  und  an  der  Vielgestaltigkeit  der  Kerne  zu  erkennen. 
Die  Auflagerungen  fehlen  ausnahmslos  an  solchen  Stellen  der 
Tonsillen,  wo  sich  tiefere,  von  Epithel  ausgekleidete  Einschnitte 
(Lacunen)  finden. 

Die  bacteriologische  Untersuchung  der  Beläge  wurde  in 
zwei  Abtheilungen  vorgenommen.  Da  es  mir,  wie  eingangs 
erwähnt,  vor  Allem  um  den  Nachweis  von  Diphtheriebacillen 
zu  thun  war,  so  wurde  in  beiden  Abtheilungen  in  erster  Linie 
auf  die  Auffindung  eventuell  vorhandener  L  ö  f  f  1  e  r’scher 
Bacillen  Rücksicht  genommen.  In  der  ersten  Untersuchungs¬ 
reihe  wurde  dieser  Zweck  ausschliesslich  verfolgt,  während  in 
der  zweiten  nebstbei  auch  die  anderen  in  den  Belägen  vor¬ 
kommenden  Bacterienarten  berücksichtigt  wurden. 

Zur  Untersuchung  gelangten  im  Ganzen  31  Fälle  von 
Tonsillotomie.  Je  nachdem  die  Patienten,  welche  zumeist  am¬ 
bulatorisch  behandelt  wurden,  früher  oder  später  ausblieben, 
wurde  jeweilig  ein  oder  mehrere  Male,  jedoch  nicht  öfter  als 
dreimal  an  verschiedenen  Tagen  untersucht.  Auf  diese  Art 
kamen  im  Ganzen  57  Untersuchungen  zu  Stande.  Der  Vor¬ 
gang  liiebei  war  folgender :  Die  erste  Abimpfung  geschah 
nicht  vor  24  Stunden  nach  der  Tonsillotomie,  die  letzte 
spätestens  am  fünften  Tage  nach  derselben.  In  der  ersten 
Untersuchungsreihe,  welche  16  Fälle  mit  30  Untersuchungen 
umfasst,  wurde  zunächst  mit  einer  ausgeglühten  Oese  von  dem 
Belage  abgestreift  und  das  Abgestreifte  auf  L  ö  f  f  1  e  r’sches 
Blutserum  in  Eprouvetten  und  auf  Agar  (in  Petri’schen 
Schalen)  aufgestrichen.  Zur  Controle  wurde  immer  auch  mit 
dem  Mundsecrete  ein  L  ö  ff  1  e  r’scher  Nährboden  bestrichen. 
Sodann  Hess  ich  die  Patienten  möglichst  lange  und  ausgiebig 
mit  destillirtem  Wasser  gurgeln  und  entnahm  darauf  neuerdings 
mit  der  Oese  Belagstückchen,  welche  auf  Blutserum  aufge¬ 
strichen  wurden.  Spätestens  nach  24  Stunden  wurden  die  bis 
dahin  zur  Entwicklung  gelangten  Culturen  untersucht,  in  der 
Weise,  dass  von  sämmtlichen  Nährböden,  und  zwar  von  den 
verschiedensten  Stellen  derselben  Deckglaspräparate  angefertigt 
und  genau  durchsucht  wurden.  So  oft  sich  nur  halbwegs 
diphtherieverdächtige  Formen  fanden,  wurden  von  den  be¬ 
treffenden  Partien  Reinculturen  angelegt  und  diese  in  möglichst 
grosser  Menge  auf  Meerschweinchen  überimpft. 

In  der  zweiten  Reihe,  welche  die  restlichen  15  Fälle  mit 
27  Untersuchungen  betrifft,  ging  ich  in  etwas  anderer  Weise 
vor.  Zunächst  wurden  blos  zwei  Röhrchen  L  ö  f  f  1  e  r’schen 
Serums  mit  Belagstückchen,  und  zwar  nach  der  Reinigung 
der  Mundhöhle,  bestrichen.  Ueberdies  wurde  noch  auf  Agar¬ 
platten  in  mehreren  Petri’schen  Schalen  sowohl  vom  Belage 
(vor  und  nach  der  Reinigung),  als  auch  vom  Mundsecrete  auf¬ 
gestrichen.  Die  L  ö  f  fl  e  r’schen  Nährböden  kamen  wieder 
spätestens  nach  24  Stunden  zur  Untersuchung.  Die  Agar¬ 
platten  blieben  grundsätzlich  48  Stunden  im  Brutschrank, 
bevor  sie  untersucht  wurden.  Der  Nachweis  von  Diphtherie¬ 
bacillen  geschah  auch  hier  in  der  oben  angegebenen  Art.  Auf 
die  übrigen  Bacterienarten,  so  weit  sie  nach  48  Stunden  sich 
entwickelt  hatten,  konnte  ich  nur  insoferne  Rücksicht  nehmen, 
als  sie  sich  aus  Deckglaspräparaten  und  aus  ihrem  Verhalten 
auf  Agarnährböden  bestimmen  Hessen. 

Das  Ergebniss  dieser  Untersuchungen  ist  aus  den  auf 
Seite  849  und  850  stehenden  Tabellen  ersichtlich. 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


849 


T  a  b  e  1  1 


I. 


1  50 

Ol 

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er 

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3  w 

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3 

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3 

3  * 
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X) 

! 

Geschlecht 

Alter 

Datum  der 
Tonsillotomie 

Datum  der 
Unter¬ 
suchung 

Resultat 

Anmerkung 

1 

1 

i 

m.,  3  J. 

29.  Dec.  189E 

30.  Dec.  1898 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliehe  Formen 

2 

— 

— 

31.  Dec.  1898 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

3 

— 

— 

1.  Jan.  189Ü 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

_ 

2 

4 

m.,  28  J. 

2.  Jan.  1899 

3.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

5 

4.  Jan.  1899 

Auf  Löffler  neben  zahlreichen  Coccen  vereinzelte  kurze  Bacillen  in 
Parallelstellung.  Bei  dem  Versuche  ihrer  Reinzüchtung  auf  Agar 
konnten  sie  nicht  mehr  aufgefunden  werden 

Hier  dürfte  es  sieh  um 
Pseudodiphtherie  gehandelt 
haben,  sicher  aber  nicht  um 

6 

— 

— 

5.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

echte  Diphtherie. 

3 

7 

m.,  3  J. 

3.  Jan.  1899 

4.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

_ 

4 

8 

w.,  12  J. 

4.  Jan.  1899 

6.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

9 

— 

— 

7.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtheiieähnliche  Formen 

_ 

5 

10 

w.,  4  J. 

14.  Jan.  1899 

15.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

11 

— 

— 

16.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

_ 

6 

12 

m.,  14  J. 

14.  Jan.  1899 

15.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

__  1 

13 

— 

— 

16.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

7 

14 

m.,  30  J. 

17.  Jan.  1899 

18.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

_ 

8 

15 

m.,  18  J. 

17.  Jan.  1899 

18.  Jan.  1899 

Auf  Löffler  neben  Coccen  zahlreiche,  in  einigen  Präparaten  sogar 

Das  Versuchsthier  blieb 

16 

19.  Jan.  1899 

ausschliesslich  kurze  dicke  Stäbchen  in  Parallelstellung;  einzelne 
überkreuzt  [und  keulenförmig.  Von  den  entsprechenden  Colonien 
werden  Reinculturen  auf  Löffler  angelegt.  Dieselben  sind  wegen 
ihrer  Parallelstellung  und  des  Mangels  an  mit  echten  Diphtherie¬ 
bacillen  übereinstimmenden  Formen  für  Pseudodiphtherie  zu 
halten;  zur  Vorsicht  wird  jedoch  der  Thierversuch  gemacht  (Meer¬ 
schweinchen) 

gesund. 

9 

17 

m.,  20  J. 

27.  Jan.  1899 

28.  Jan.  1899 

In  einigen  Deckglaspräparaten  (vom  Mund)  vereinzelte  Stäbchen. 
Von  den  entsprechenden  Stellen  wird  auf  Löffler  und  Agarplatten 
weiter  gezüchtet;  diese  Stäbchen  waren  jedoch  nicht  mehr  aufzu¬ 
finden 

— 

18 

— 

— 

30.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

10 

19 

w.,  25  J. 

29.  Jan.  1899 

30.  Jan.  1899 

Auf  Löffler  (nebst  zahlreichen,  grossen,  plumpen  Stäbchen,  welche 

Das  Versuchsthier  blieb 

20 

1.  Febr.  1899 

iu  einer  Kapsel  liegen)  entweder  vereinzelt,  oder  in  Haufen  seg¬ 
mentirte  Stäbchen,  in  Parallelstellung,  öfters  jedoch  gekreuzt, 
darunter  einzelne  Keulenformen.  Beim  Weitercultiviren  zeigen  sioh 
jedes  Mal  Colonien  von  diesen  Stäbchen,  daneben  aber  immer 
auch  grosse,  schleimige  Rasen  von  dem  erwähuten  Kapselbacillus. 
Endlich  geliugt  es,  von  den  diphtherieverdächtigen  Formen  eine 
Reincultur  zu  gewinnen,  mit  welcher  sodann  der  Thierversuch 

gemacht  wird 

gesund. 

11 

21 

ID.,  18  J. 

29.  Jan.  1899 

30.  Jan.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

12 

22 

w.,  14  J. 

8.  Febr.  1899 

9.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

13 

23 

24 

w  ,  7  J. 

8.  Febr.  1899 

10.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

— 

11.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

_ _ 

25 

— 

12.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

14 

26 

w.,  17  J. 

10.  Febr.  1899 

11.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Fo  men 

_ 

27 

— 

— 

12.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

15 

28 

m.,  30  J. 

23.  Febr.  1899 

24.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

16 

29 

w.,  5  J. 

27.  Febr.  1899 

28.  Febr.  1899 

Weder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

_ 

30 

1.  März  1899 

W eder  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

— 

Das  Resultat 

dieser  Untersuchungen 

ist  also,  wie  die  ausschliesslich  Formen  vor,  weh 

die  dem  L  ö  f  f  1  e  r ’sehen 

- —  —  —  7  —  viiivvv/nMv;  **-»  «ui  VtV-'JLJ  »T  LIO  V  VU 

Diphtheriebacillen  ein  vollständig  negatives,  das  heisst:  in 
sämmtlichen  Fällen  wurde  nicht  ein  einziges  Mal  das  Vor¬ 
kommen  des  Diphtheriebacillus  in  dem  Belage  nachgewiesen. 
Dagegen  wurden  in  einer  Anzahl  von  Fällen,  und  zwar  im 
Ganzen  achtmal,  Bacterien  in  grösserer  Menge  nachgewiesen, 
welche  mehr  oder  weniger  den  Verdacht  auf  Diphtherie  hin¬ 
lenkten. 

In  der  Mehrzahl  der  acht  Fälle  wurden  in  den  Deck¬ 
glaspräparaten  fast  durchwegs  nur  kurze,  plumpe  Stäbchen  in 
Parallelstellung  zu  finden,  welche  schon  von  vorneherein  als 
nicht  zu  den  echten  Diphtheriebacillen  gehörige  angesehen 
werden  konnten;  nur  ganz  vereinzelt  waren  dazwischen 
anders  gestaltete,  eventuell  diphtherieverdächtige  Bacillenformen 
zu  sehen.  In  den  anderen  Fällen  aber  fanden  sich  in  den 
Deckglaspräparaten  entweder  in  der  Ueberzahl  oder  auch  fast 


nämlich  entweder 


segmentirte 


keulenförmiger  Anschwellung 


an 


Bacillus  sehr  ähnlich  waren, 

Stäbchen  oder  solche  mit 

einem  Ende,  häufig  auch  in  überkreuzter  Stellung. 

In  allen  diesen  acht  Fällen  wurde  daher  der  Thier¬ 
versuch  gemacht.  Da  sowohl  der  echte  Diphtheriebacillus  als 
auch  der  Pseudodiphtheriebacillus  jeder  für  sich  morphologisch 
und  cultured  grosse  Variationen  zeigen,  andererseits  auch 
untereinander  viele  Aehnlichkeiten  aufweisen,  so  wurde  mit 
Rücksicht  auf  die  von  den  meisten  Autoren  vertretene  Ansicht, 
dass  der  Thierversuch  eigentlich  als  das  sicherste  Unter¬ 
scheidungsmerkmal  zwischen  den  beiden  Bacillenarten  zu  be¬ 
trachten  ist,  dieser  Weg  gewählt. 

Der  Thierversuch  liel  aber  in  sämmtlichen  Fällen  negativ 
aus,  das  heisst:  kein  einziges  Versuchsthier  ist  an  den  Folgen 
der  Impfung,  wie  sie  einer  Infection  mit  Diphtheriebacillen 
entsprechen  würden,  zu  Grunde  gegangen. 


850 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  ?8 


Tabelle  II. 


C£ 

V 

u  ** 

o  - 

Datum 

immer  d 

Falles 

•O 

u  o  1 
1)  - 
2  v. 

— •  u 
- 

3eschlecht 

Alter 

der  Ton¬ 
sillotomie 

1er  Unter¬ 
suchung 

Diphtherie  und  diphtherieähnliche  Formen 

Andere  Bacterien 

Anmerkung 

a  ; 

1900 

17 

31 

w.,  20  J. 

10.  Jan. 

11.  Jan. 

Auf  Löffler  diphtherieähnliche  Stäbchen  mit  einzelnen 

Ausschliesslich  und 

1.  April  Tod  des  Thieres.  Section 

32 

— 

— 

12.  Jan. 

Keulenformen  (weissliche,  gleichmässige,  kleine  Colo- 

reichlich  Strepto- 

Brgab:  Impfstelle  nicht  mehr  con- 

33 

13.  Jan. 

nien) ;  dieselben  werden  rein  gezüchtet  und  am 
15.  Januar  wird  der  Thierversuch  gemacht 

coccus 

statirbar;  Milz  klein,  braun  (hyper 
imisch).  ln  d.  Pleura  kein  Transsud 
Nebennieren  gelb. 

18 

34 

m.,  4  J. 

18.  Jan. 

19.  Jan. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtberieähnliche  Formen 

Ausschliesslich  Strep¬ 
tococcus 

— 

19 

35 

w.,  20  J. 

21.  Jan. 

22.  Jan 

Auf  Löffler  und  Agar  ganz  vereinzelte  Colonien  der 
Pseudodiphtheriegruppe.  Beim  Weitercultiviren  nicht 
mehr  auffindbar 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

— 

36 

23.  Jan 

Auf  Agar  (vom  Mundsecret)  eine  Colonie  mit  diph- 
tliei  ieverdächtigen  Stäbchen.  Von  derselben  wird 
eine  Reincultur  angelegt  und  am  24.  Januar  der 
Thierversuch  gemacht 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

11.  Februar  Tod  des  Thieres.  Section 
ergab:  Impfstelle  und  Umgebung 
vollständig  reactionslos.  Am  Halse 
vor  der  Trachea  und  mit  derselben 
in  fester  Verbindung  eine  theilweise] 
vereiterte  (Drüsen-?)  Geschwulst. 
Blutungen  i.  d.  Lungen  Hyperämie 
der  Nebennieren.  Thier  hochgradig 
marast.  Aus  dem  Eiter  (am  Halse) 
Hessen  sich  nur  Coccen  (positiv  zu 
Gram)  züchten. 

20 

37 

w.,  1 8  J. 

23.  Jan 

24.  Jan. 

Keine  Diphtherie  und  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  spärlich 
Staphylococcus 

38 

25.  Jan. 

Auf  Löffler  einzelne  Stäbchen.  Dieselben  werden  rein 
gezüchtet.  31.  Januar  Thier  versuch 

Reichlich  Strepto¬ 
coccus  und  Staphylo¬ 
coccus  aureus 

31.  März  Tod  des  Thieres.  Section 
ergab:  Impfstelle  reactionslos. 
Nebennieren  normal.  Innere  Organe 
atrophisch.  Lungen  hyperämiseh. 

21 

39 

W.,  20  J, 

25.  Jan. 

26.  Jan. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben 
Staphylococcus  albus 

40 

27.  Jan. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben 
Staphylococcus  albus 

22 

41 

W.,  20  J. 

30.  Jan. 

31.  Jan. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

— 

42 

— 

1.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

— 

43 

— 

— 

2.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

— 

23 

44 

w.,  14  J. 

6.  Febr. 

7.  Febr. 

Auf  Löffler  und  auf  Agar  sind  Stäbchen  zu  finden, 
welche  meist  Parallelstellung,  theilweise  auch  Ueber- 
kreuzung  zeigen.  Es  wird  eine  Reincultur  angelegt 
und  mit  derselben  am  10.  Februar  der  Thierversuch 

gemacht 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

12.  März  Tod  des  Thieres.  Section 
ergab  ausser  Atrophie  der  Organe 
keine  Veränderung. 

45 

_ 

8.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus 

_ 

24 

46 

w.,  16  J. 

14.  Febr. 

15.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben 
Staphylococcus  aureus 

— 

47 

_ 

16.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben 
Staphylococcus  aureus 

~ 

25 

48 

w.,  10  J. 

17.  Febr. 

18.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben 
Staphylococcus  albus 

26 

49 

19.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben 
Staphylococcus  albus 

50 

51 

m.,  20  J. 

23.  Febr. 

24.  Febr. 

25.  Febr. 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  daneben  grosse 
trockene  Colonien  (im 
Deckglas  Coccen), 
welche  sich  als  dünnes 
Häutchen  abziehen 
lassen  u.  sehr  schwer 
zu  zerkleinern  sind 

Dieselben  bilden  auf  Kartoffel 
kleine,  zarte,  weisse  Colonien.  Die 
Bouillon  bleibt  ziemlich  klar  (mit 
etwas  Bodensatz),  an  der  Ober¬ 
fläche  ein  zartes,  gefaltetes  Häut¬ 
chen. 

27 

52 

w.,  5  J . 

18.  März 

19.  März 

Auf  Agar  mehrere  kleine  weisse  Colonien,  welche 
aus  parallel  gestellten  Stäbchen  bestehen.  Mit  einer 
Reincultur  derselben  wird  der  Thierversuch  gemacht 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus,  spärlich  auch 
Staphylococcus 

Das  Thier  blieb  gesund. 

-o 

o3 

20.  Mäiz 

Keine  Diphtherie,  ganz  vereinzelte,  plumpe,  gerade 
Stäbchen  auf  Löffler 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus;  auf  Agar 
(vom  Belag)  auch 
spärl.  Staphylococcen 

Nr.  38 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


851 


03 

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Datum 

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immer  c 
Falles 

,  ja 

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Geschlecht 

Alter 

der  Ton¬ 
sillotomie 

'der  Unter¬ 
suchung 

Diphtherie  und  diphtherh  ähnliche  Formen 

Andere  Bacterien 

Anmerkung 

55 

P  fl 
»Ö 

1900 

28 

54 

w.,  3  J. 

19.  März 

20.  März 

Keine  Diphtherie,  ganz  vereinzelte  plumpe  Stäbchen 
auf  Löffler 

Voiwiegeud  Strepto¬ 
coccus,  daneben  auch 
Staphylococcus  albus 

~ 

29 

55 

w.,  19  J. 

‘ 

20.  März 

21.  März 

Auf  Löffler  Säbcher,  theil  weise  mit  Ueberkreuzung, 
ziemlich  viele  Keulenformen.  Mit  einer  Reincultur  der¬ 
selben  wird  am  18.  März  der  Thierversuch  gemacht. 
9.  April  Tod  des  Thieres.  Section:  Die  Impfstelle  mit 
fibrinös-eiterigen  Exsudat  belegt.  Hypeiämie  der 
Nebennieren.  Kein  Transsudat  der  Pleura.  Deckglas¬ 
präparate  vom  Exsudat  an  der  Bauchhaut  zeigen 
meistenteils  plumpe  Stäbchen,  aber  auch  Coccen. 
Daher  wird  am  10.  April  neuerlich  der  Thierversuch 
mit  einer  Reincultur  gemacht 

Voi  wiegend  Strepto¬ 
coccus  und  Staphylo¬ 
coccus 

1 3.  April  Tod  des  zweiten  Versuchs¬ 
tieres.  Section  negativ. 

30 

56 

in.,  3  J. 

25.  März 

26.  März 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Formen 

Vorwiegend  Strepto¬ 
coccus  und  Staphylo¬ 
coccus 

— 

31 

57 

m.,  20  J. 

31.  März 

1.  April 

Keine  Diphtherie  noch  diphtherieähnliche  Foimen 

Vorwiegend  Staphylo¬ 
coccus  aur.,  daneben 
Streptococc.  und 
Staphylococcus  albus 

Wolil  aber  muss  ich  bemerket),  dass  von  den  Thieren 
der  zweiten  Versuchsreihe  keines  am  Leben  geblieben  ist; 
doch  erfolgte  der  Tod  der  Thiere  fast  ausschliesslich  nach 
Wochen  oder  Monaten  nach  der  Impfung.  Dies  hat  vermuthlich 
darin  seinen  Grund,  dass  diese  Untersuchungen  zu  einer  Zeit 
ausgeführt  wurden,  zu  welcher  wegen  schlechter  Fütterungs¬ 
und  Stallverhältnisse  im  Institute  ein  grosser  Theil  der  Thiere 
—  auch  der  nicht  geimpften  —  allem  Anscheine  nach  an 
Inanition  verendete;  wenigstens  ergab  die  Section  fast 
immer  das  gleiche  Bild:  Hochgradige  Atrophie  der  inneren 
Organe. 

Die  in  diesen  acht  Fällen  gefundenen  Bacterienformen 
müssen  demnach  als  zur  Pseudodiphtheriebacillengruppe  gehörig 
betrachtet  werden.  Das  relativ  häutige  Vorkommen  derselben 
in  dem  Belage  darf  deswegen  nicht  Wunder  nehmen,  weil, 
wie  schon  von  verschiedenen  Autoren  wiederholt  nachgewiesen 
wurde,  in  der  Mund-  und  Rachenhöhle  (v.  Hofmann- 
Welle  n  h  o  f '),  L  ö  f  f  1  e  r s),  E  s  c  h  e  r  i  c  h 9),  P  r  o  c  h  a  s  k  a  1  °) 
u.  A.)  sowie  im  Nasensecrete  (Gerber  und  P  o  d  a  c  k  n)  u.  A.), 
derartige  Bacterien  Vorkommen. 

Dass  der  von  L  i  c  h  t  w  i  t  z  so  häutig  gefundene  Bacillus 
wirklich  der  L  ö  t  f  1  e  r’sche  Diphtheriebacillus  gewesen  sei, 
muss  demnach  als  unwahrscheinlich  hingestellt  werden,  und 
es  liegt  nahe,  anzunehmen,  dass  er  den  so  nahe  verwandten 
Pseudodiphtheriebacillus  für  den  L  ö  ff  1  e  Eschen  angesprochen 
hat.  Dies  wäre  umso  weniger  auffällig,  als  die  Schwierigkeit 
der  Ditferentialdiagnose  zwischen  Diphtherie-  und  Pseudo¬ 
diphtheriebacillus  noch  immer  sehr  gross  ist,  ja  einige  Autoren 
(Roux  und  Yersin12)  u.  A.)  sogar  die  Pseudodiphtherie¬ 
bacillen'  nur  für  a virulent  gewordene  Diphtheriebacillen  an- 
sehen. 

Es  könnte  gegen  meine  Untersuchungen  und  das  Re¬ 
sultat  derselben  eingewendet  werden,  dass  die  Tonsillotomien 
mit  schneidenden  Instrumenten  ausgeführt  wurden,  während 
L  i  c  h  t  w  i  t  z  diese  Operation  mit  dem  Galvanokauter  vor- 

0  v-  Hofmann-W  olle  n  li  o  f,  Untersuchungen  über  den  Klebs- 
L  ö  f  f  1  e  r’schen  Bacillus.  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1888. 

8)  Löffler,  Ergebnisse  weiterer  Untersuchungen  über  den  Diph¬ 
theriebacillus.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1887,  Bd.  II,  nag.  173,  Nr.  3 
und  4,  Referat. 

J)  Escherich,  Der  Diphtheriebacillus.  Wien  1894. 

1U)  Prochaska,  Die  Pseudodiphtheriebacillen  des  Rachens.  Zeit¬ 
schrift  für  Hygiene.  Bd.  XXIV,  pag.  373. 

1  ’)  Gerbe  r  und  P  o  d  a  c  k,  Ueber  die  Beziehungen  der  sogenannten 
Rhinitis  fibrinosa  und  des  sogenannten  Pseudobacillus  zum  Kleb  s- 
L  ö  t  f  1  e  r’schen  Diphtheriebacillus.  Deutsche  Wochenschrift  für  klinische 
Medicin.  Bd.  LIV,  pag.  262. 

*')  Roux  et  Y  e  r  s  i  n,  Contribution  ä  l’etude  de  la  diphtherie 
(3C  memoire).  Annales  de  ’«’Institut  Pasteur.  1890,  Nr.  7. 


genommen  hat.  Dem  wäie  zu  entgegnen,  dass  für  mich  von 
vorneherein  kein  Grund  zur  Annahme  vorhanden  war,  dass 
diese  oder  jene  Operationsmethode  irgend  welchen  Einfluss 
auf  die  Ansiedelung  von  Bacterien,  insbesonders  von  Diph¬ 
theriebacillen  nehmen  sollte,  und  dass  ich  deswegen  bei  der 
seit  jeher  an  der  Klinik  üblichen  Methode  mit  schneidenden 
Instrumenten  geblieben  bin. 

Gesetzt  den  Fall,  dass  wirklich,  wie  Licht  witz  ge¬ 
funden  hat,  echte  Diphtheriebacillen  auf  dem  Belage  in  grösserer 
Menge  Vorkommen,  so  wäre  nicht  einzusehen,  dass  dieselben 
jedes  Mal  für  die  Operirten  ganz  unschädlich  geblieben  sein 
sollten,  wie  Licht  witz  von  seinen  Fällen  behauptet.  Jeden¬ 
falls  müssten  solche  Personen,  an  welchen  die  Tonsillotomie 
vorgenommen  wurde,  vorausgesetzt,  dass  sie  wirklich  mit  der 
von  L  i  c  h  t  w  i  tz  angegebenen  Häufigkeit  virulente  Diphtherie¬ 
bacillen  in  dem  Belage  beherbergen,  sogar  als  eine  Gefahr 
für  ihre  Umgebung  betrachtet  werden  und  es  wäre  geboten, 
nicht  nur  für  sie  selbst,  sondern  auch  für  ihre  Mitbewohner, 
namentlich  Kinder,  Vorsichtsmassregeln  zu  treffen. 

Es  ist  zwar  nicht  undenkbar,  dass  zu  Zeiten  einer 
Diphtherieepidemie,  während  welcher  von  verschiedenen  Beob¬ 
achtern  auch  bei  völlig  gesunden  Individuen  Diphtheriebacillen 
gefunden  wurden,  sich  dieselben  zufällig  auch  bei  solchen 
Personen  finden  könnten,  an  denen  eine  Tonsillotomie  vor¬ 
genommen  wurde.  Dann  müsste  es  aber  Wunder  nehmen, 
wenn  nicht  in  dem  einen  oder  anderen  Falle  eine  Diphtherie 
sich  entwickeln  würde,  da  doch  von  einer  Wunde  aus  ungleich 
leichter  eine  Infection  zu  Stande  kommen  könnte,  als  von 
vollständig  intacten  Tonsillen  aus.  Ich  glaube  sogar,  dass  an 
solchen  Orten,  wo  Diphtherie  herrscht,  wegen  der  Infections- 
möglichkeit  eine  Tonsillotomie  nicht,  oder  doch  nur  unter 
besonderen  Vorsichtsmassregeln  vorgenommen  werden  sollte. 
Diese  Anschauung  steht  nun  allerdings  in  scheinbarem  Wider¬ 
spruche  mit  den  Ansichten  Anderer.  So  sagt  beispielsweise 
v.  W  i  d  e  r  h  o  f  e  r  13),  dass  es  zweckmässig  sei,  bei  Kindern 
hypertrophische  Tonsillen  rechtzeitig  zu  entfernen  an  Orten, 
wo  Diphtherie  herrscht;  ebenso  meint  Lau  cry14),  dass  Ton- 
sillarhypertrophie  bei  Kindern  zu  Angina  diphtheritica  prä- 
disponire,  und  dass  man  daher  grosse  Mandeln  bei  Kindern 
entfernen  müsse,  in  deren  Familie  Diphtherie  vorkomme. 

Es  soll  nun  keineswegs  gesagt  sein,  dass  die  von  den 
genannten  Autoren  aufgestellte  Forderung  nicht  durchführbar 
wäre,  wenn  gewisse  Vorsichtsmassregeln  in  Anwendung 

,3)  v.  Widerhofer,  Allgemeine  Wiener  medicinische  Zeitung. 
1887,  Nr.  24. 

I4)  Lancry,  De  l’amygdalotomie  comme  traitement  preventiv  de  la 
diphtherie.  Journal  des  sciences  med.  de  Lille.  1892. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  38 


kommen.  Andererseits  ist  diese  Forderung,  wie  ich  glaube,  auch 
nicht  in  dem  Sinne  zu  deuten,  dass  man  bei  einem  Kinde, 
welches  in  der  Nähe  von  Diphtheriekranken  sich  authält, 
ohne  Weiteres  die  Tonsillen  entfernen  soll. 

Nun  hat  L  i  c  h  t  w  i  t  z  von  einer  Diphtherieepidemie  keine 
Erwähnung  gemacht,  und  es  muss  unter  dieser  Voraussetzung 
als  sehr  unwahrscheinlich  hingestellt  werden,  dass  die  von  ihm 
gefundenen  Bacillen  echte  Diphtheriebacillen  gewesen  sind, 
und  als  ebenso  unwahrscheinlich,  dass  das  Vorkommen  von 
Löf  fl  e  r’schen  Bacillen  in  den  Belägen  nach  Tonsillotomie 
jedesmal  ohne  Folgen  bleiben  sollte. 

Bezüglich  der  anderen  Bacterienarten,  welche  in  den 
fünfzehn  Fällen  der  zweiten  Untersuchungsreihe  gefunden 
wurden,  ist  wenig  zu  sagen.  Es  wurden  drei  Formen  nach¬ 
gewiesen,  und  zwar  in  allen  Fällen  der  Streptococcus  pyogenes 
(aber  blos  nach  den  morphologischen  und  culturellen  Merk¬ 
malen)  entweder  allein  oder  zusammen  mit  Staphylococcus 
albus  und  aureus.  Welche  Rollen  den  genannten  Coccen- 
formen  bei  der  Entwicklung  des  Belages  zukommt,  lässt 
sich  aus  meinen  Untersuchungen  nicht  mit  voller  Sicherheit 
entscheiden. 

Es  wäre  nun  von  grossem  Werthe,  aus  diesen  Unter¬ 
suchungen  Anhaltspunkte  über  die  Entstehung  der  Beläge 
und  über  die  Ursachen  derselben  zu  gewinnen. 

Bezüglich  der  Enstehung  lässt  sich  auf  Grund  der  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  und  der  klinischen  Beobachtung  un¬ 
gefähr  Folgendes  annehmen: 

An  der  durch  die  Tonsillotomie  gesetzten  Wundfläche 
kommt  es  zu  einer  deutlichen  Entzündung  (und  stellenweise 
selbst  zu  Nekrose),  indem  nicht  blos  Lymphe  austritt,  sondern 
auch  eine  Auswanderung  von  Leukocyten  und  Exsudation  von 
Fibrin  stattfindet,  und  andererseits  einzelne  Partien  der  Wund¬ 
fläche  der  Coagulationsnekrose  verfallen.  Auf  diese  Weise 
entsteht  der  membranartige  Belag.  Schon  vom  Anbeginne  an 
gelangen  mit  dem  Mund-  und  Rachensecrete  Bacterien  auf 
die  Wundfiäche,  wo  sie  einen  günstigen  Nährboden  finden  und 
sich  dem  entsprechend  schneller  vermehren  können.  Auf  diese 
Art  entwickeln  sich  in  und  auf  den  Belägen  ganze  Bacterien- 
rasen,  welche  dann  schliesslich  einen  wesentlichen  Bestandteil 
der  Membran  bilden.  Sobald  die  Exsudation  beendet  ist,  hört 
das  Wachtshum  der  Beläge  auf,  die  Bacterien  jedoch  können 
sich  ungehindert  weiter  vermehren  und  schliesslich,  wie  in 
einzelnen  Fällen  beobachtet,  den  grössten  Theil  der  Membran 
einnehmen.  In  solchen  Fällen,  in  denen  sich  namentlich  an 
der  Oberfläche  ganze  Bacterienrasen  gebildet  haben,  zeigt  der 
Belag  eine  lichtere,  fast  milchweisse  Farbe.  Die  dunkler  ge¬ 
färbten  oder  missfärbigen  Membranen  sind  in  der  Regel  ärmer 
an  Bacterien. 

Es  wäre  nun  zu  erörtern,  welche  Momente  als  Ursache 
für  die  Tonsillotomiebeläge  in  Betracht  kommen  können.  Das 
Nächstliegende  ist,  an  den  mechanischen  Insult  zu  denken,  der 
bei  der  Tonsillotomie  stattfindet,  und  es  fragt  sich:  Kann  durch 
denselben  dieser  abnorme  Wundverlauf  —  die  Entstehung  von 
mombranösen  Auflagerungen  —  erklärt  werden?  Es  ist  wohl 
auffällig,  dass  eine  Beziehung  zwischen  Intensität  des  Belages 
und  der  Art  der  Schnittfläche  allem  Anscheine  nach  besteht, 
indem  an  unregelmässigen,  stark  gequetschten  Wundflächen 
sich  meist  dickere  Auflagerungen  bilden,  als  an  glatten.  Anderer¬ 
seits  ist  aber  wieder  auffällig,  dass  zuweilen  doch  Abweichungen 
hievon  zu  beobachten  sind,  und  dass  in  keinem  Falle  der  Belag 
gänzlich  ansbleibt,  auch  nicht  bei  vollkommen  glatter  Wund¬ 
fläche,  nicht  bei  thunlichster  Vermeidung  jeder  mechanischen 
Irritation;  auch  lässt  sich,  wenn  man  die  Wundheilung  an  der 
Tonsillotomiewunde  mit  der  an  anderen  Orten  vergleicht,  schon 
von  vorneherein  annehmen,  dass  der  mechanische  Insult  allein 
die  Entstehung  der  Membranen  nicht  erklärt,  zum  Mindesten 
nicht  als  Hauptursache  derselben  angesehen  werden  kann. 

Es  bleibt  nur  ein  Moment  übrig,  welcher  zur  Erklärung 
herangezogen  werden  kann.  Nach  dem  Ergebnisse  vorstehender 
Lntersuchungen  kann  man,  wie  ich  glaube,  wenn  auch  nicht 
mit  voller  Sicherheit,  aber  doch  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
annehmen,  dass  der  Belag  das  Product  bestimmter  Bacterien 


ist,  und  zwar  des  Streptococcus  und  des  Staphylococcus 
pyogenes. 

Für  diese  Annahme  lassen  sich  folgende  Gründe  an¬ 
führen  : 

Erstens  konnten  die  genannten  Bacterien  constant  in 
dem  Belage,  und  zwar  in  überwiegender  Menge  nachgewiesen 
werden. 

Zweitens  ist  die  Membran,  wie  die  histologische  Unter¬ 
suchung  zeigt,  als  Product  einer  intensiveren  Entzündung  an¬ 
zusehen,  indem  sie  aus  Leukocyten,  Fibrin  und  nekrotischen 
Partien  der  Wundfläche  besteht,  nämlich  einer  Entzündung, 
welche  einen  höheren  Grad  zeigt  als  jene,  welche  man  bei 
einfacher  Wundheilung  zu  beobachten  pflegt;  einer  Art  von 
Entzündung,  welche  erfahrungsgemäss  durch  die  genannten 
Bacterien  verursacht  werden  kann.  Die  oben  genannten 
Bacterien  kommen  zwar  bekanntermassen  schon  normaliter 
sehr  häufig  in  der  Mundhöhle  vor,  ohne  aber  eine  Entzündung 
daselbst  hervorzurufen,  da  sie  unter  diesen  Verhältnissen  die 
schützende  Epitheldecke  nicht  durchdringen  können.  Ist  aber 
eine  Wundfläche  in  der  Mundhöhle  gesetzt  worden,  i’ann  ver¬ 
mögen  sie  sich  auf  derselben  anzusiedeln,  sich  stärker  zu 
vermehren  und  auf  diese  Weise  stärkere  Entzündungser¬ 
scheinungen  zu  bewirken. 

Zum  Schlüsse  dieser  Ausführungen  möchte  ich  noch  kurz 
das  Resultat  zusammenfaesen,  zu  welchem  ich  auf  Grund  der 
vorstehenden  Untersuchungen  gekommen  bin: 

Nach  jeder  Tonsillotomie  entwickelt  sich  längstens  in 
24  Stunden  an  der  Wundstelle  ein  Belag,  manchmal  nur 
rudimentär,  in  ausgesprochenen  Fällen  in  Form  von  Mem¬ 
branen. 

Der  Belag  besteht  der  Hauptsache  nach  aus  Fibrin, 
Leukocyten  und  aus  nekrotischen  Partien  der  Wundfläche. 

In  dem  Belage  finden  sich  aber  auch  in  ziemlich  grosser 
Menge  Bacterien  verschiedenster  Form,  vorherrschend  Coccen. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  die  Bacterien  in  ursächlicher 
Beziehung  zu  dem  Belage  stehen. 

Es  muss  als  Regel  angenommen  werden,  dass  der  Diph¬ 
theriebacillus  auch  als  zufälliger  Befund  in  dem  Belage  nicht 
nachweisbar  ist,  als  Ursache  des  Belages  kann  er  jedenfalls 
nicht  angesehen  werden. 

Doch  ist  relativ  häufig  in  dem  Belage  ein  Bacillus  nach¬ 
zuweisen,  welcher  zur  Gruppe  der  Pseudodiphtheriebacillen 
gerechnet  werden  muss. 

Irgend  eine  Gefahr  ist  mit  dem  Tonsillotomiebelage  in 
der  Regel  nicht  verbunden,  doch  erscheint  es  zweckmässig, 
die  Kranken  auf  das  Erscheinen  derselben  aufmerksam  zu 
machen  und  gleichzeitig  über  die  Unschädlichkeit  desselben 
aufzuklären. 

Zu  Zeiten  einer  grösseren  Diphtherieepidemie  erscheint 
es  namentlich  bei  Kindern  nicht  rathsam,  eine  Tonsillotomie 
vorzunehmen,  ohne  wenigstens  entsprechende  Vorsichtsmass- 
regeln  zu  ergreifen. 

Es  sei  mir  noch  gestattet,  Herrn  Prof.  Chiari  für  die 
Ueberlassung  des  Materials  und  Herrn  Prof.  Weichsel- 
baum  für  die  thatkräftige  Unterstützung  dieser  Arbeit 
wärmsten s  zu  danken. 


Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Scharlachs  und 

der  Masern. 

Von  Dr.  Jaroslav  Eigart  in  Brünn,  Secundararzt  am  St.  Annen-Spital. 

Im  Studium  des  Scharlachs  und  der  Masern  trat  in  der 
letzteren  Zeit  ein  Stillstand  ein;  die  neueren  Arbeiten  beschränken 
sich  häufig  auf  übersichtliche  Schilderungen  des  Krankheits¬ 
bildes,  und  tragen  wenig  Neues  bei.  Die  Ursache  dieser  Er¬ 
scheinung  dürfte  darin  liegen,  dass  man  bisher  nicht  das  in- 
fectiöse  Agens  der  Krankheiten  kennt,  dass  weiter  auch  die 
causale  Folge  ihrer  Symptome  nicht  erwiesen  ist,  und  deshalb 
auch  die  Therapie  und  die  hygienischen  Massregeln  einen  ganz 
allgemeinen  Charakter  tragen,  so  wie  bei  anderen  Infections- 
krankheiten. 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Ueber  das  Infectionsagens  sind  zwar  einige  Ar¬ 
beiten  veröffentlicht  worden.  Keating  (1882)  bat  im  mor- 
billüsen  Blute  intra  vitam  et  post  mortem  freie  oder  in  den 
Leukocyten  eingeschlossene  Mikrococcen  beobachtet  und  glaubt 
deswegen,  dass  Morbilli  eine  Art  septischer  Erkrankung  seien 
und  dass  demnach  auch  die  4  herapie  sich  auf  die  Anwendung 
von  Alcoholicis  und  Chinin  beschränke.  C  a  n  o  u  und  P  i  e  1  i  c  k  e 
(1892)  fanden  bei  14  Fällen  während  der  ganzen  Krankheitsdauer 
Diplococcen  im  Masernblute.  C  z  a  j  k  o  w  s  k  i  cultivirte  aus  dem 
Nasenschleime  sowie  aus  dem  Blute  kurze  Bacillen  mit  abge- 
l  undeten  Enden,  welche  am  besten  im  Bouillon  gediehen,  und 
mittelst  G  r  a  m’scher  Methode  sich  gut  färben  Hessen.  Die  Be¬ 
obachtung  von  C  a  n  o  u  und  Pielicke  wurde  jedoch  nur  von 
Josias  bestätigt,  während  die  Controlversuche  von  Jonas. 
Hlava,  Laveran  negativ  ausgefallen  sind.  Die  übrigen 
Angaben  fand  ich  in  der  Literatur  nicht  controlirt. 

Bei  Scharlach  fand  Pohl  (1883)  unter  den  Schuppen 
Mikrococcen,  Löffler  cultivirte  wieder  aus  den  anginösen 
Pseudomembranen  Streptococcen,  deren  Injection  ganz  ähnliche 
suppurative  Arthritiden  beim  Kaninchen  zur  Folge  hatte,  wie 
es  bei  dem  beobachteten  Kinde  der  Fall  war.  Das  Vorhanden¬ 
sein  von  Streptococcen  bei  Scharlach  wurde  von  zahlreichen 
Beobachtern  bestätigt,  besonders  von  Haubner,  Fraenkel 
und  I  reudenberg  diese  zwei  Letzteren  erklärten  aber  zu¬ 
gleich,  dass  manes  mit  einer  secundären  Infection  zu 
tliun  habe.  Somit  blieb  die  Aetiologie  wieder  unklar.  Ich 
möchte  noch  aus  der  Reihe  von  bacteriologischen  Befunden  den 
von  Jamieson  und  Eddington  anführen,  welche  in  den 
ersten  drei  Krankheitstagen  im  Blute,  später  (in  der  dritten 
Woche)  in  den  Schuppen  constant  Diplococcen  fanden.  Auch 
der  Streptococcus  Fehl  eis  en’s  kam  im  Falle  von  Lenhartz 
voi  •  Man  sieht  also,  dass  die  Ursache  von  Scarlatina  noch 
unaufgeklärt  ist. 

Eine  ähnliche  Unsicherheit  herrscht  bisher  über  die  P  a- 
thologie,  besonders  aber  über  die  Art,  auf  welchem  Wege 
die  Infection  zustande  kommt.  Ein  Theil  von  Forschern 
(hauptsächlich  aus  früherer  Zeit,  wo  das  Hauptgewicht  auf 
das  Exanthem  gelegt  wurde)  glaubt,  die  Invasion  finde  durch 
die  Haut  statt,  ein  zweiter  Theil,  deren  Zahl  immer  grösser 
wild,  neigt  sich  der  Ansicht  zu,  dass  das  Infectionsvirus  durch 
den  Respirationstractus,  besonders  durch  seine  erste  Hälfte, 
die  der  Infection  am  meisten  ausgesetzt  ist,  in  den  Körper 
eindringe.  (Nur  in  Bezug  auf  den  sogenannten  chirurgischen 
Scharlach  war  man  seit  jeher  einig,  dass  die  Infection  durch 
die  Wunde  geschehe.) 

Am  ärgsten  steht  es  mit  der  Therapie.  Zuerst  prüfte 
man  vielerlei  Medicamente  intern;  manche  davon  wurden  als 
Specifica  gepriesen,  später  wurde  die  Aufmerksamkeit  der  Ein- 
l  ei  bung  von  Salben  und  Oelen  in  die  Haut  zugewendet,  es 
w ui  den  auch  Impfungen  analog  der  Variolisation  vorgenommen 
-  bis  bei  der  allgemeinen  Erfolglosigkeit  (es  war  manchmal 
mit  der  vorgenommenen  Therapie  nur  der  Autor  zufrieden), 
die  Ansicht  Platz  fand,  dass  die  symptomatische  Therapie  die 
beste  sei,  durch  welche  freilich  nicht  den  Complicationen  vor¬ 
gebeugt  wird. 

In  der  letzten  Zeit  erst  gewinnen  einige  activere  Methoden 
mit  Aetzungen  der  Tonsillen  oder  parenchymatösen  Injectionen 
m  dieselben  die  Oberhand.  Die  letzte  Phase  in  dieser 
Hinsicht  ist  die  Angabe  Marmorek’s  (1895),  welcher  nach 
subcutanen  Injectionen  seines  Antistreptococcenserums  gesehen 
hat,  dass  die  Pseudomembranen  im  Halse  sich  rasch  abstiessen, 
e  iiien  und  lieber  rapid  abnahmen,  Eiweiss  im  Urin  schwand, 
und  weniger  Complicationen  Vorkommen.  Diese  Angabe  wurde 

von  Josias  und  Baginsky  controlirt;  das  Resultat  war 
aber  negativ. 

Die  heutige  Apathie  angesichts  von  Morbillen  und  Schar¬ 
lach  ist  wohl  begreiflich.  Leider  werden  auch  die  prophylaktisch- 
ygienischen  Massregeln  nicht  in  der  Weise  mehr  ausgeführt,  wie 
es  wünschens werth  wäre  —  besonders  in  grösseren  Städten,  wo 
Morbillen  und  Scharlach  endemisch  geworden  sind.  In  Brünn 
z.  B.  wird  der  Arzt  wegen  Morbillen  sehr  oft  nicht  gerufen, 
ebenfalls  nicht  zur  Scarlatina.  Diese  verheimlichten  Fälle  sind 
dann  gewiss  die  Ursache  des  Weitergreifens  der  Krankheit,  das 


man  nicht  leicht  verfolgen  kann,  und  welches  wohl  der  Haupt¬ 
grund  der  Endemien  ist.  Ich  bin  überzeugt,  dass  ein  Theil  der 
Schuld  auch  auf  uns  fällt  —  denn,  wenn  das  Publicum  unsere 
Machtlosigkeit  sieht,  so  ruft  es  im  zweiten  Falle  den  Arzt 
nicht  mehr  —  ausgenommen,  es  geht  sehr  schlecht.  Unsere 
I  assivität  ist  ein  grosser  Fehler. 

Am  ärgsten  fühlt  man  diese  Unkenntniss  während  der 
Hausepidemieen  in  den  Spitälern  (oder  auch  bei  der  Prophylaxis 
m  eigener  Familie,  wo  man  selbst  die  Infection  leicht  ein¬ 
schleppen  kann).  WTnn  Platzmangel  im  Spital  besteht  und 
die  überzähligen  Fälle  nicht  in  ein  anderes  Zimmer  ge¬ 
geben  werden  können,  so  zieht  sich  eine  solche  Epidemie 
manchmal  lange  Zeit  hin.  Gewöhnlich  beschränken  sich  dann 
alle  hygienischen  Anordnungen  nur  darauf,  dass  man  den 
Erkiankten  wegschafft,  die  Bettwäsche  vom  letzten  Infections- 
fall  wechselt,  das  Bett  waschen  lässt  (gesetzt  den  Fall,  dass 
man  das  betreffende  Zimmer  behufs  Desinfection  ’nicht 
räumen  kann). 

Die  Intensität  der  Hausepidemien  ist  verschieden,  manch¬ 
mal  werden  nur  einige  Fälle,  das  andere  Mal  eine  grosse  An¬ 
zahl  ergriffen.  Als  Beispiel  mögen  einige  in  den  letzten  Jahren 
in  der  Brünner  Allgemeinen  Krankenanstalt  zu  St.  Anna  und 
un  Kinderspitale  beobachtete  Fälle  angeführt  werden.  Das  Kinder¬ 
spital  war  bis  zum  Neujahr  1899  im  gewöhnlichen  Miethhause 
provisorisch  untergebracht  und  besass  nur  35  Betten.  Eine 
gründliche  Hygiene  konnte  dort  nicht  Platz  haben,  und  die 
Vei  waltung  beschränkte  sich  auf  zeitweise  Desinfection  mit 
Formalin  (Schering)  oder  seltener  auf  neues  Ausmalen  der 
Zimmer.  Wegen  Platzmangel  war  es  aber  nothwendig,  einen 
1  heil  dei  Kinder,  besonders  alle  Augen-  und  Ohrenkranken,  im 
Allgemeinen  Krankenhause  zu  unterbringen,  wo  dieselben  zuerst 
promiscue  mit  den  Erwachsenen  lagen  (auf  Zimmer  Nr.  26 
und  27),  später  aber  wurde  ihnen  die  Gartenbarake  zu¬ 
gewiesen.  (Das  Spital  selbst  war  nämlich,  obzwar  es  810  Betten 
besitzt,  überfüllt.) 


Masernepidemie  auf  Nr.  26  und  27  im  Jahre  1894. 

I.  S.  Kutil,  16.  December  1893.  Ulcus  corneae.  1.  Januar 
Morb.  exanthem.  27.  Februar  sanata  demissa. 

Bradacek,  15.  Januar.  Conjunctivitis.  15.  Januar 
Morb.  exanthem.  28.  Februar  sanata  demissa. 

3.  R.  Bradacek,  lo.  Januar.  Conjunctivitis.  5.  Februar 
Morb.  exanthem.  8.  Februar  non  sanata  demissa. 

4.  M.  Hajek,  27.  Januar.  Keratoconj.  phlyct.  1.  Februar 
Morb.  exanthem.  10.  Februar  sanata  demissa. 

5.  J.  Vinzor,  31.  März.  Keratitis  fascic.  15.  April  Morb. 
exanthem.  f^Pneumonia. 

6.  K.  Sebesta,  24.  März.  Ulcus  corneae.  30.  März.  Morb. 
exanthem.  Sanata  demissa. 

7.  J.  Waisocher,  2.  April.  Keratoconj.  phlyct.  27.  April 
Morb.  exanthem.  8.  Mai  sanata  demissa. 

8.  Y.  Vavra,  14.  April.  Keratoconj.  phlyct.  28.  April 
Morb.  exanthem.  7.  Mai  sanata  demissa. 

9.  F.  yrska,  15.  April.  Conjunctivitis.  28.  April  Morb. 
exanthem.  30.  April  mit  croupöser  Laryngitis  transferirt  auf 
die  diphtheritische  Abtheilung. 

10.  F.  Kokolija,  18.  April.  Keratoconj.  phlyct.  4.  Mai 
Exanthem.  15.  Mai  sanata  demissa. 

II.  F.  Voborny,  8.  März.  Conjunctivitis.  9.  Mai  Exan¬ 
them.  21.  Mai  sanata  demissa. 

12.  J.  Kral,  25.  April.  Keratoconj.  phlyct.  12.  Mai  Exan¬ 
them.  21.  Mai  sanata  demissa. 

13.  K.  Sarg,  12.  Mai.  Conjunctivitis.  12.  Mai  Exanthem. 
25.  Mai  sanata  demissa. 

14.  E.  Cernohorsky,  7.  Mai.  Keratoconj.  phlyct.  17.  Mai 
Exanthem.  2o.  Mai  mit  croupöser  Laryngitis  transferirt. 

15.  S.  Jurny,  6.  Mai.  Keratoconj.  phlyct.  24.  Mai  Exan¬ 
them.  6.  Juni  f  Pneumonia. 

16.  Ignotus,  21.  Mai.  Conjunctivitis,  Somnolenz.  24.  Mai 
Exanthem.  9.  Juni  sanata  demissa. 

17.  T.  Kfap,  ?  15.  Mai  Exanthem.  9.  Juni  sanata  demissa. 


854 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


In  Anbetracht  dessen,  dass  strenge  Beobachtungen  die 
Dauer  des  Incubations-  und  Prodromalstadiums  auf  13 — 14  Tage 
angeben,  sehen  wir  aus  dieser  Uebersieht,  dass  die  Mehrzahl 
der  Fälle  gewiss  erst  während  des  Spitalsaufenthaltes  sich  in- 
fieirt  hat,  der  geringere  Tkeil  aber  irrthümlich  mit  initialer 
Conjunctivitis  (morbillosa)  auf  die  Augenabtheilung  aufgenommen 
wurde.  In  den  letzteren  Fällen  war  demnach  der  Aufenthalt 
kürzer,  bevor  sie  in  die  Epidemieabtheilung  transferirt  wurden, 
was  erst  in  dem  Augenblicke  immer  geschehen  konnte,  wenn 
Exanthem  constutirt  wurde.  Aehnliche  lrrthümer,  wohl  unver¬ 
meidlich,  kommen  sicher  auch  in  anderen  Spitälern  vor. 

Masern  im  Kinderspitale  im  Jahre  1897. 

Diese  Epidemie  erwähne  ich  deshalb,  weil  zugleich  dort- 
sdbst  mit  grösserer  Intensität  auch  Scarlatina  (siehe  weiter) 
auftrat,  und  beide  nebeneinander  lange  Z  et  bestanden. 

1.  F.  Smejkal,  5.  März.  Diarrhoea.  G.  März  Morbilli. 

2.  F.  Hromek,  19.  Juni.  Rachitis.  3.  Julii  Morbilli. 
IS.  August  sanata  demissa. 

3.  A.  Malina,  10.  Juni.  Keratoconj.  phlyct.  1.  September 
Morbilli.  2.  September  an  Croup  y. 

4.  S.  Pänek,  21.  Jub.  Enteritis.  5.  August  Morbilli. 

8.  September  sanata  demissa. 

5  M.  Vasin,  7.  Juli.  Rachitis.  12.  August.  Morbilli. 

20.  August  f  Pneumonia. 

6.  J.  Lepka,  23.  August.  Lupus.  17.  September  Morbilli. 
Sanata  demissa. 

7.  E.  Marsal,  1.  April.  Rachitis.  21  September  sanata. 
demissa. 

8.  J.  Adam,  2.  September.  Keratoconj.  phlyct.  28.  Sep¬ 
tember  Morbilli.  21.  October  f.  Meningitis  ex  otitide  suppu¬ 
rativa. 

9.  A.  Winkler,  13.  September.  Rachitis.  6.  0;tober 
Morbilli.  7.  October  Enteritis  iollicularis  und  Pneumonia. 

10.  R.  Pohl,  2G.  September.  Otitis  suppur.  19.  October 
Morbilli.  21.  November  sanata  demissa. 

11.  A.  Grambai,  10.  October.  31  October  Morbilli.  Sa¬ 
nata  demissa. 

12.  A.  Jerabek,  13.  März.  Caries  ped,  25.  October  Mor¬ 
billi.  18.  December  f.  Enteritis  follicularis,  Periproktitis. 

Mit  Ausnahme  vom  ersten  und  fünften  Fall  also  ins- 
gesammt  Hausinfectionen,  im  Ganzen  eine  schwere  Epidemie 
(12:5  f).  wogegen  bei  der  erstangeführten  von  der  Augenab¬ 
theilung  die  Mortalität  17:2  beträgt. 

Scharlach  im  Kinderspitale  in  den  Jahren  1 895 

bis  1898.') 

1895.  1.  R.  Schmid,  1.  October.  Angina.  2.  October. 

2.  J.  Ledvina,  17.  Decemb  ;r.  Angina.  18.  December. 

1896.  3.  A.  Trmaö,  10.  Januar.  14.  Januar. 

4.  J.  Vodka,  15.  Jänner.  Bronchitis.  21.  Januar.  (Exan¬ 
them.  miliare.) 

5.  F.  Kubin,  7.  April.  17.  April  Collaps.  j  19.  April. 

G.  R.  Gretz,  13.  April.  Scrophulosis.  20.  April  Enteritis, 
f  30.  April. 

7.  J.  Prokop,  23.  April.  l.Mai  Bronchitis,  Croup, 
f  10.  Mai. 

8.  M.  Buf*ek,  29.  April.  5.  Mai  Otitis. 

9.  P.  Otjisal,  15.  Mai.  23.  Mai. 

10.  O.  Simbersky,  8.  Juni.  IG.  Juni. 

11.  J.  Schedlik,  27.  August.  1.  September. 

12.  C.  Barra,  3.  Juli.  7.  September  Somnolenz,  Collaps,  f. 

13.  A.  Chlubny,  21.  September.  28.  September  Enteritis, 
f  31.  October. 

14.  K.  Hlavina,  23.  August.  2.  October. 

15.  A.  Kfemlicka,  20.  September  Pertussis.  6.  October 

Otitis. 


)  Die  Grundkrankli eiten  werden  nur  in  Fällen  angeführt,  wo  sie 
einen  Cau-alnexus  haben  oder  den  Ausgang  erklären.  Das  erste  Datum 
zeigt  die  Aufnahme,  das  zweite  den  Tag  der  Transferirung,  wo  eben  das 
Exanthem  contndirt  wurde. 


16.  K.  Pollach,  12.  Juli.  10.  September  Nephritis. 

1897.  17.  A.  Smetana,  17.  December.  4.  Januar  Ery¬ 
sipelas  fac. 

18.  M.  Jedliöka,  8.  Januar.  14.  Januar  Otitis,  Broncho¬ 
pneumonia.  f  G.  Februar. 

19.  A.  Masafik,  19.  Januar.  3.  Februar. 

20.  A  Jerabek,  24.  Februar.  1.  März. 

21.  J.  Pallas,  16.  März.  22.  März  Otitis,  Enteritis. 

22.  J.  Tomanec,  25.  März.  Caries  mult.  30  März.  Som- 
nolonz,  Collaps.  j*  1.  April. 

23.  J.  Reichstetter,  28.  Mai.  Desquamatio  et  Nephritis 
(postscarlatinosa.  29.  Mai  transferirt;  Hydrops,  Endocarditis 
v.  mitr.),  Uraemia,  Hemiplegia.  Sanatus. 

24.  E.  Kozel,  29.  Mai  10.  Juni. 

25.  M.  Kresa,  16.  Mai.  16.  Juli. 

23.  F.  Dobrovolny,  27.  Juni.  Rachitis.  1.  Juli.  Keine 
Angina,  Exanthem,  Otitis. 

27.  M.  Konecny,  20.  September.  Keratitis.  1.  October 
Ex.  miliare,  Enteritis  follic.  f  16.  October. 

28.  J.  Modlitba,  14.  September.  Caries  mult.  1.  October. 
Otitis,  Collaps.  y  3.  October. 

29.  O.  Skotak,  9.  August.  Genu  valg.  9.  October.  Otitis, 
Enteritis,  Sepsis,  f  28.  October. 

30.  A.  Hovorka,  2.  October,  12.  October. 

31.  R.  Beindhch,  23.  October.  14.  November. 

32.  V.  Kolaf,  20.  November.  Absc.  colli,  Desquamatio. 

21.  Januar  1898  transferirt.  Otitis. 

33.  M  Sedläk,  21.  November.  Ker.  phlyct.  26.  November 
Erysipelas  frontis  e  furunculo.  y  15  December. 

34.  F.  Vorlicky,  28.  November.  Angina.  30.  November. 

35.  J.  Bedrich,  7.  November.  17.  December  Otitis,  Sepsis,  f. 

36.  J.  Dedek,  10.  December.  Coxitis.  17.  December. 
Enteritis,  Uraemia,  f  3.  Januar. 

37.  A.  Basta,  30.  November.  Bronchitis.  2 1.  December. 
Enteritis,  Pneumonia,  f  16.  Januar. 

38.  J.  Anti,  30.  November.  30.  December  Nephritis, 
Icterus  catarh.  Sanata  demissa. 

1898.  39.  F.  Cäslava,  19.  December.  Coxitis.  5.  Januar 
Collaps.  y  9.  Januar. 

40  R.  Marek,  15.  Januar.  22.  Januar  Otitis. 

41.  J.  Merta,  11.  April.  14.  April  Nephritis. 

42.  T.  Hochmann,  13.  April.  22.  April. 

43.  E.  Dolutcek,  3.  April.  Spondylitis.  30.  April  Ente¬ 
ritis,  Nephritis. 

44.  J.  Kogabek,  12.  April.  Tumor  abdom.  19.  April 
Enteritis,  Pneumonia,  y  30.  April. 

45.  F.  Adam,  1.  Mai.  7.  (Mai. 

46.  M.  Vladik,  21.  Mai.  29.  Mai  Pertussis. 

47.  A.  Slama,  24.  Juni.  Tbc  pulm.  1.  Juli  Enteritis, 
Otitis.  27.  Juli  Sepsis,  hämorhagisches  Exanthem,  blutige 
Stühle,  f  1.  August. 

48.  A.  Stummvoll.  10.  Juli.  11.  Juli  Pertussis. 

49.  V.  Olsa,  17.  Juli.  29.  Juli. 

50.  A.  Schlüge!,  9.  Juli.  Tbc.  pulm.  16.  October. 

(Wo  nichts  angegeben  ist,  war  der  Verlauf  complicationsfrei.) 

Hier  endete  diese  Endemie,  indem  das  alte,  provisorische 
Kinderspital  eine  Zeit  lang  geschlossen  wurde,  und  vom  Neu¬ 
jahr  an  die  Kinder  in  das  neue  Kaiser  Franz  Josef-Kinder¬ 
spital  aufgenommen  wurden.  (Dasselbe  ist  musterhaft  ein¬ 
gerichtet,  Pavillonsystem,  120  Betten,  2  Primarärzte,  2  Secundar- 
ärzte.)  Im  Ganzen  wurden  also  50  Fälle  infieirt,  von  denen 
17  gestorben  sind.  Nur  eine  kleine  Anzahl  bilden  die  ein¬ 
geschleppten  Fälle,  was  man  aber  nicht  genau  unterscheiden 
kann,  da  bei  Scarlatina  die  Angaben  über  die  Incubations- 
dauer  nicht  übereinstimmen,  oder  vielleicht  überhaupt  dieselbe 
eine  individuell  wechselnde  Grösse  bildet. 

Zugleich  möge  an  dieser  Stelle  bemerkt  werden,  dass  in 
der  Stadt  und  Umgebung  während  dieser  Periode  mehr  Fälle  von 
exanthematischen  K-ankheiten  beobachtet  wurden,  als  früher. 
Man  muss  diesen  Umstand  betonen,  denn  es  scheint,  dass  in 
gewissen  Jahren,  oder  Witterungs  Verhältnissen  dieselben  nicht 
ohne  Einfluss  sind.  Johanessen  hat  das  für  nordische 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Länder  festgestellt.  Es  wurde  in  das  Epidemiespital,  welches 
ausserhalb  erbaut  ist,  aufgenommen: 


Jahr 

Scarlatina 

Morbilli 

1892 

20  (  4  f ) 

— 

1893 

9  (  1  f) 

16  (0) 

1894 

20  (  2  f) 

53  (3  f) 

1895 

61  (  9  f ) 

— 

1896 

165  (32  f) 

30  (5  f ) 

1897 

127  (44  f) 

65  (5  f) 

1898 

111  (25  f) 

27  (1  f) 

Städtische  Statistik  (das  Epidemie-  und  Kinderspital 

mitgerechnet): 


Jahr 

Scharlach 

Masern 

1892 

356 :  80  f 

610:12  f 

1893 

161:  23 

972:33 

1894 

202:  25 

956 : 43 

1895 

411:  43 

15:  0 

1896 

758 : 103 

1413:62 

1897 

629:147 

932 : 45 

1898 

369:  75 

1065:36 

In  den  Jahren  1892 — 1895  wurden  beiderlei  Exantheme 
einige  Male  noch  auch  im  Kinderspitale  behandelt,  wo  sie  im 
Hoftracte  isolirt  waren.  Deswegen  sind  die  Zahlen  der  eigent¬ 
lichen  Epidemieabtheilung  kleiner.  Erst  nach  der  Erbauung 
des  neuen  Epidemiespitales  wurden  sämmtliche  Fälle  dorthin 
dirigirt.  Durch  diesen  Umstand  erklären  sich  wohl  auch  die 
schlechten  hygienischen  Zustände  im  alten  Kinderspitale. 

Diese  üblen  Erfahrungen,  wo  ein  Kind,  das  nur  an  einer 
ii  relevanten  Krankheit  leidet,  sich  im  Spital  inficirte,  eventuell 
starb,  nur  deswegen,  weil  die  hygienischen  Zustände  zur  Zeit 
nicht  gebessert  werden  konnten,  sind  ein  Grund  gewesen,  dass 
ich  im  Jahre  1897  eine  andere  Art  von  Prophylaxe 
gegen  diese  beiden  Krankheiten  zu  versuchen  anfing.  Ich  will 
jedoch  zuerst  dieselbe  motiviren. 

Das  unbekannte  Scharlachcontagium  klebt  und  hängt 
gewöhnlich  an  der  nächsten  Umgebung  des  Kranken  fest,  in 
erster  Leihe  an  Zimmer  und  Bett.  Dasselbe  gilt  in  etwas 
kleinerem  Masse  für  Masern.  Es  ist  aber  zur  Infection  eine 
directe  Berührung  des  Kranken  nicht  nothwendig,  obzwar  es 
in  vielen  Fällen  geschieht;  denn  es  genügt  manchmal  ein  Ver¬ 
weilen  in  der  Atmosphäre  des  Kranken,  um  eine  Infection 
zu  et  leiden.  Diese  Erfahrung,  sowie  die  Verwerthung  der 
klinischen  Symptome  führten  mehr  und  mehr  zur  Ueber- 
zeugung,  dass  die  Pforte  der  Invasion  nicht  in  der  Haut  ge¬ 
sucht  werden  soll,  sondern  im  Respiration stractus,  besonders 
aber  in  seiner  ersten  Hälfte:  der  Nase,  dem  Rachen,  der  Trachea. 
Wenn  eine  Hautverunreinigung  zur  Masern-  und  Scharlach- 
infection  führen  möchte  —  abstrahirt  freilich  vom  chirurgischen 
Schai lach  dann  müsste  man  die  Möglichkeit  zulassen,  dass 
dutch  eine  gründliche  Hautdesinfection  die  Eruption  verhütet 
werden  könnte,  so  wie  der  chirurgische  Scharlach  jetzt  auf 
ein  Minimum  herabgedrückt  wurde,  und  wie  die  Puerperal¬ 
oder  Wundinfectionen  überhaupt  verschwunden  sind  (bei 
strenger  Anti-,  respective  Asepsis).  Man  findet  zwar  in  der 
Liteiatui  keine  Versuche,  dass  man  durch  Bäder  oder  sonstige 
Hautdesinfection  die  exanthematischen  Krankheiten  verhüten 
wollte,  man  kann  aber  wohl  behaupten,  dass  sie  keinen  Er¬ 
folg  haben  würden. 

Es  sind  eben  die  Masern  und  Scharlach  keine  Haut¬ 
krankheiten,  sondern  allgemeine,  bei  denen  die  Hautaffection 
nui  ein  Symptom  vorstellt,  und  zvvar  nicht  das  wichtigste. 
Denn  es  sind  zahlreiche  Fälle  bekannt,  wo  eine  sichere 
Scharlachdiagnose  gemacht  wurde,  ohne  dass  sich  Exanthem 
zeigte  Scarlatina  sine  exanthemate,  ähnlich  wie  Morbilli 
sine  Morbillis  weil  eben  das  Exanthem  nicht  die  Haupt¬ 
sache  der  Krankheit  ist,  und  weil  man  sich  nicht  mehr  so  viel 
mit  seiner  Form  beschäftigt,  wie  früher. 

Wenn  man  also  die  Haut  nicht  für  die  Invasionspforte 
hält,  dann  muss  man  die  Aufmerksamkeit  dem  Respirations- 
tracte  (ich  abstrahire  wiederum  vom  seltenen  chirurgischen 

o 


Scharlach)  zuwenden.  Mit  Nachdruck  betont  Hlava,  dass 
Angina  und  Rhinoconjunctivitis  das  Symptom  sind,  dass  an 
dieser  Stelle  die  Invasion  stattfand,  etwa  so,  wie  Thomayer 
nach  Trousseau  angibt,  dass  Angina  häufig  die  Ursache 
von  Polyarthritis  rheumatica  sei.  Und  Thore  sen,  ein  vorzüg¬ 
licher  norwegischer  Scharlachforscher,  sagt  direct:  Angina  ist 
die  Ursache  des  Scharlachs,  von  ihr  aus  werden  die 
Halsdrüsen  ergriffen,  ähnlich  wie  ein  Ulcus  die  Ursache 
von  Bubonen  ist.  Indem  ferner  das  Infectionsagens  im 
Blute  circulirt,  entstehen  die  weiteren  Symptome  und 
Complicationen :  Das  Exanthem,  die  Nephritis,  Arthritiden, 
u.  A.  So  schrieb  er  bereits  im  Jahre  1867.  Auf  dieselbe  Weise 
ferner,  wie  Hlava  den  Gelenksrheumatismus  für  eine  Art 
Sepsis  erklärt  (Sepsis  mitigata),  so  wären  analog  mit  dieser 
Anschauung  auch  der  Scharlach,  beziehungsweise  auch  die 
Morbillen  ein  ähnlicher  Process. 

Wenn  T  h  o  r  e  s  e  n’s  Angaben  richtig  sind  (die  Beob¬ 
achtungen  aus  den  nördlichen  Gegenden  sind  in  puncto  scar- 
latinae  et  morbillorum  gewöhnlich  präciser,  als  die  unserigen, 
weil  in  der  Zeit  des  Hochschnees  die  Kinder  das  Haus  nicht 
leicht  verlassen  können,  somit  der  Ursprung  und  Verbreitung 
einer  Epidemie  Schritt  für  Schritt  controlirt  werden  kann.  Ein 
ähnlicher  Umstand  erleichterte  Pan  um  auch  auf  den  Färöern 
seine  Studien),  dann  müsste  unbedingt  die  Angina  einem 
Schat lachexanthem  vorausgehen,  man  kann  auch  hinzufügen 
dass  dasselbe  von  der  Rhinoconjunctivitis  bei  Masern  gilt! 
Zweitens  dürften  diese  Sehleimhautaffectionen  nie  fehlen,  weii 
sie  nach  der  oben  geschilderten  Ansicht  dieselben  keine  Com¬ 
plication,  sondern  wohl  das  Wesen,  die  Basis  der  Krankheit 
bilden.  Es  müsste  endlich  die  Sache  so  sein,  dass  es  zwar  eine 
Scarlatina  sine  exanthemate,  Morbilli  sine  Morbillis  gäbe,  nie 
aber  einen  Scharlach  ohne  Angina  (ausgenommen  den  chirur¬ 
gischen),  nie  Masern  ohne  eine  Rhinoconjunctivitis. 

Bei  Masern  sind  die  Angaben  ziemlich  übereinstimmend, 
man  findet  nur  äusserst  seltene  Ausnahmen  in  Fällen  bei 
rachitischen,  atrophischen  Kindern.  Diese  Katarrhe  werden 
ferner  in  das  Prodromalstadium  oder  (wie  Thomas  es  be¬ 
zeichnet,  um  den  näheren  Connex  derselben  mit  der  Krankheit 
anzudeuten)  in  das  Initialstadium  eingereiht.  Bei  Scharlach 
aber  gehen  die  Angaben  auseinander,  wenigstens  findet  man 
hier  keine  Einhelligkeit,  obzwar  doch  die  Meisten  eine  Angina 
oder  Halsschmerzen  in  der  Anamnese  in  initio  angeben,  voi¬ 
der  Eruption. 

Ich  will  hier  nur  einige  einschlagende  Beobachtungen 
flüchtig  auführen  (aus  Virchow’s  Jahresberichten  und  Original¬ 
arbeiten). 

B  ö  m  i  n  g,  1870.  Angina  fehlt  bei  Scharlach  nie. 

Monti,  1873.  (Ueber  die  Sehleimhautaffectionen  bei 
Scarlatina): 


Die  Pharyngealorgane  sind  zwar  nicht  so  parallel  dem 
Exanthem  ergriffen,  dass  die  Intensität  der  Pharyngealinfeetion 
der  des  Exanthems  entsprechen  müsste,  wie  es  bei  Masern 
der  Fall  ist;  bei  Scharlach  verhält  sich  die  Sache  verschieden 
in  verschiedenen  Epidemien.  Es  fehlt  aber  nie  eine  Angina, 
nicht  einmal  bei  Rachitischen  und  Atrophischen,  und  dieselbe 
ist  gewöhnlich  das  erste  Symptom.  Er  unterscheidet  vier  Formen 
der  Angina:  simplex,  simplex  maligna,  diphtherica  und  diph- 
therica-septica.  Die  erste  kann  eventuell  noch  vor  der  Eruption 
des  Exanthems  oder  bald  darnach  wieder  verschwinden  (ana¬ 
logisch  wie  bei  Morbillen),  die  zweite,  livide  und  mit  Tonsillen- 
schweilung  verbundene,  führt  bald  zum  letalen  Ausgang.  Die 
zwei  diphtherischen  unterscheidet  er  genau  von  der  wahren 
Diphtherie. 

Thomas,  1874.  Gleich  wichtig  für  Scharlach  wie  das 
Exanthem,  aber  viel  constanter  sind  die  Pharynxveränderungen. 
Nur  selten  sind  sie  so  unbedeutend,  dass  man  über  ihre 
Existenz  streiten  kann. 

Wertheimber,  1879.  Erbrechen,  Fieber  und  Angina 
genügen  zur  Scharlachdiagnose  vor  der  Exanthemeruption. 

Heubner,  1879.  Eine  Angina  geht  dem  Exanthem 
immer  voran. 

Clark,  1879.  Die  Angina  ist  ein  integrirender  Theil 
des  Scharlachs. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  38 


Moelmann,  1884.  Angina  ist  eine  für  Scarlatina  con- 
stantere  Erscheinung,  wie  das  Exanthem. 

Neureutter,  1879.  Für  den  praktischen  Arzt  ist  es 
wichtig,  dass  Angina,  Phlegmonen,  Diphtherien  ungemein 
häufig  eine  Zeit  lang  beobachtet  werden,  bevor  es  zu  einer 
Scharlachepidemie  kommt.  Während  der  Dauer  derselben  sieht 
man  ferner  sehr  oft  wieder  Angina  besonders  bei  Erwachsenen, 
sehr  oft  Diphtherie  und  Puerperalfieber.  Nach  dem  Erlöschen 
der  Epidemie  zeichnet  sich  keine  von  diesen  Krankheiten  durch 
ihre  Häufigkeit  aus. 

Ferner  sagt  derselbe:  Das  erste  Symptom  der  Scarlatina 
ist  entweder  das  Fieber  oder  Erbrechen,  zugleich  aber  merkt 
man  deutliche  Veränderungen  der  Mund-  und  Pharyngeal¬ 
schleimhaut.  Tonsillen  und  Pharynx  sind  geschwollen  und 
geröthet,  am  weichen  Gaumen  und  den  Arcaden  sieht  man 
kleine  livide  Pünktchen.  Die  Erwachsenen  geben  Schling¬ 
beschwerden  an,  bei  Kindern  sieht  man  es  ohnedem  direct 
beim  Trinken  oder  Essen.  Erst  dann  kommt  das  Stadium 
eruptionis. 

Filatow.  Die  diagnostische  Bedeutung  der  Pharynx¬ 
erkrankung  ist  gross,  weil  dieses  Symptom  sehr  constant  ist 
und  man  somit  nicht  deshalb,  dass  das  Exanthem  der  Scar¬ 
latina  nicht  ähnlich  ist,  wie  eher  daraus,  dass  die  Angina 
fehlt,  in  Zweifel  sein  kann,  dass  eine  Scarlatina  vorliegt. 

Soerensen  rechnet  mit  der  Möglichkeit,  dass  die 
Angina  den  primären  Krankheitsfocus  bildet,  die  krankhaft 
veränderte  Stelle  der  Infection. 

Jürgen  sen,  1895.  Als  Begleiter  der  Allgemein¬ 
symptome  des  Initialstadiums  findet  man  Klagen  über  Trocken¬ 
heit,  Brennen  und  wirkliche  Halsschmerzen,  welche  beim 
Schlucken  grösser  werden.  Die  Rachenschleimhaut  ist  geröthet 
und  geschwollen,  Tonsillen  und  Drüsen  unter  dem  Kiefer  bald 
vergrössert. 

Mit  wachsendem  Fieber  und  gesteigerten  Hirnsymptomen 
beginnt  dann  die  Eruption  des  Exanthems.  Das  Scharlachgift 
hängt  eng  mit  den  Rachenaffectionen  zusammmen,  es  ruft  hier 
eine  für  sich  specitische  Erkrankung  hervor.  Dieser  Satz  möge 
als  streng  erwiesen  gelten.  Dass  es  Ausnahmen  gibt,  ist  eine 
ähnliche  Erscheinung,  wie  wenn  das  Exanthem  fehlt.  Nicht 
erwiesen  freilich  ist,  ob  das  Scharlachgift  selbst  oder  in  Ver¬ 
einigung  mit  einer  anderen  Infection,  die  Ursache,  der  Er¬ 
krankung  bildet. 

Whittla,  1885,  bespricht  die  Angaben  über  Bacterien 
bei  Scarlatina  und  meint,  dass  die  Infection  am  Respirations¬ 
wege  stattfindet,  vielleicht  nach  Verletzung  mit  Speisen  im 
Rachen.  Als  Beweis  führt  er  seine  Beobachtung  an,  dass  in 
der  epidemischen  Abtheilung,  welche  über  einem  Waschhause 
errichtet  war,  von  133  Fällen  nur  einer  gestorben  ist,  weil 
die  Luft  mit  Seifendämpfen  gesättigt,  desinficirt  war. 

Jamieson,  1887.  Bei  streng  beobachteten  Fällen  ging 
Angina  der  Eruption  immer  voran. 

Flemming,  1898.  Scharlach  entsteht  aus  der  Angina, 
wobei  die  im  Blut  kreisenden  Toxine  später  durch  das  Exanthem 
eliminirt  werden.  Nur  während  der  Dauer  einer  Angina  soll 
der  Fall  infectiös  sein. 

Fischer  nennt  die  ScharlachdrüsenafDction  »den  Hals - 
bubo«,  dessen  Ursache  die  Angina  ist.  Scharlach  selbst  be¬ 
trachtet  er  als  eine  secundäre  Erscheinung,  von  der  Angina 
ausgehend,  und  zwar  für  eine  Blutstreptomykose,  weil  sämmt- 
liche  Complicationen  einen  suppurativen  Charakter  tragen  und 
die  Schlusseventualität  eine  Septicopyämie  ist. 

In  den  Krankengeschichten  des  Brünner  Spitales  fand 
ich  in  dieser  Hinsicht  folgende  Facten:  Im  Ganzen  wurden 
in  den  Jahren  1892 — 1898  (inclusive)  unter  einer  Scharlach¬ 
diagnose  524  Kranken  geführt.  Von  diesen  muss  man  aber 
14  Fälle  abrechnen,  wo  entweder  eine  Rubeola  vorlag,  oder 
der  Kranke  aus  einem  inficirten  Hause  stammend,  zwar  eine 
Angina  hatte,  wo  aber  sich  kein  Exanthem  noch  Nephritis 
zeigte  (obzwar  von  diesen  einige  gewiss  auf  Scharlachinfection 
zurückgeführt  werden  mussten,  eine  Scarlatina  sine  exanthe- 
mate).  Es  bleiben  somit  zur  Verwerthung  510  Fälle,  in  welchen 
bei  der  Aufnahme  constatirt  wurde: 


202  Angina  erythematosa  et  lacunaris, 

223  Angina  pseudomembranacea  (diphtheroides), 

41  Angina  gangraenosa, 

8  sine  Angina. 

Bei  36  Fällen  war  im  Parere  bemerkt,  dass  ein  Exanthem 
schon  abgelaufen  sei,  und  dieselben  in  descpiamatione  wegen 
einer  Nephritis  postscarlatinosa  der  Spitalspflege  übergeben 
wurden. 

Im  Ganzen  also  510  Fälle  (respective  474),  in  welchen 
achtmal  die  Angina  fehlte;  diese  Zahl  ist  aber  wohl  noch 
geringer  gewesen,  da  bei  zwei  von  diesen  in  der  Kranken¬ 
geschichte  auf  Angina  gar  nicht  requirirt  wurde,  bei  den 
übrigen  die  Aufnahme  erst  am  vierten  bis  sechsten  Krankheits¬ 
tage  stattfand  und  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  ist, 
dass  eine  solche  auch  bei  ihnen  vorausging  und  noch  vor  der 
Eruption  oder  bald  nachher  wieder  schwand,  weil  sie  nur  eine 
erythematöse  war  (cfr.  Monti,  Ueber  Angina  simplex).  Aber 
auch  ohne  diese  Möglichkeit  bildet  die  Zahl  1'5%  einen  so 
kleinen  Theil,  dass  dadurch  gewiss  nicht  die  Regel  gestört 
wird,  dass  Angina  ein  wesentlicher  Theil  des 
Scharlachbildes  ist. 

Was  die  zweite  Frage  anbelangt,  ob  nämlich  Angina 
vor  der  Eruption  immer  erscheint,  so  kann  man  nach  unseren 
Daten  keinen  Beweis  oder  eine  Kritik  führen.  Das  Epidemiespital 
ist  ausserhalb  der  Stadt  erbaut,  die  Aufnahme  aber  findet  im 
Hauptgebäude  statt,  hier  verlassen  auch  die  Eltern  das  Kind. 
Eine  Anamnese  fehlt  demnach  bei  kleinen  Kindern,  so  dass 
nur  in  zwei  Fünfteln  anginöse  Beschwerden  verzeichnet  sind. 
Trotzdem  bin  ich  auch  der  Ansicht,  dass  dieselben  das  erste 
Symptom  bilden.  Zu  dieser  Meinung  bin  ich  dadurch  gekommen, 
dass  kleine  Kinder  sehr  selten  über  Halsschmerzen  im  Anfang 
einer  Angina  klagen,  vielmehr  belästigen  sie  die  Kopfschmerzen, 
und  erst  da  pflegen  die  Eltern  aufmerksam  zu  werden,  dass 
auch  Fieber  vorhanden  ist.  Ein  weiteres  Moment  bildet  der 
Umstand,  dass  man,  wenn  man  Angina  -(-Exanthem  findet,  eher 
glauben  muss,  dass  die  Halsaffection  älteren  Datums  ist,  weil 
besonders  die  schwereren  Formen  gewiss  eine  längere  Zeit  zu 
ihrer  Entwickelung  brauchen  als  das  Exanthem,  welches  sehr 
flüchtig  ist.  Auch  der  heutige  Standpunkt  der  Bacteriologie 
stimmt  dagegen,  dass  die  Invasion  durch  die  Haut  geschehen 
könnte.  Denn  obzwar  man  das  Infectionsagens  des  Scharlachs 
nicht  kennt,  so  setzt  man  bei  einer  Allgemeininfection  immer 
eine  locale  Haut-  oder  andere  Läsion  voraus,  von  wo  aus  der 
Process  beginnt,  und  es  dauert  eine  Zeit  lang  bevor  die  Ge¬ 
neralisation  vor  sich  geht,  weil  die  Phagocytose,  locale  Re¬ 
action  lange  die  betreffende  Stelle  schützt,  bis  endlich  die  In- 
fectionskeime  Oberhand  gewinnen,  wenn  sie  sich  stark  genug 
entwickeln.  Ob  endlich  das  Exanthem  einen  angiospastischen 
oder  mykotisch-embolischen  Charakter  besitzt,  das  ist  bisher 
nicht  erklärt  worden. 

Und  ist  es  denn  überhaupt  möglich,  dass  von  den  ent¬ 
zündeten  Tonsillen  oder  der  Schleimhaut  der  Nase  (bei  Mor- 
billen)  aus  das  Infectionsagens  in  den  Kreislauf  gelangen 
könnte  ? 

St  öhr  gibt  in  seiner  Abhandlung  über  die  Beziehungen 
der  Angina  zu  Polyarthritis  rheumatica  an,  dass  er  auf  den 
Tonsillen  und  der  Rachenschleimhaut  gewisse  Stomata  constatirt 
hat,  durch  welche  die  Leukocyten  auf  die  Oberfläche  unaus¬ 
gesetzt  auswandern,  und  mit  Recht  glaubt  er,  dass  auf  dem¬ 
selben  Wege  retrograd  auch  Bacterien.  eindringen  können  in 
den  Lymphstrom.  Normaliter  geschieht  es  freilich  nicht,  aber 
wie  Gull  and  ähnliche  Vorkommnisse  bestätigt,  bei  einem 
abgeschwächten  Organismus  existirt  keine  solche  Strömung 
nach  aussen,  und  in  solchen  Umständen  ist  dann  eine  Mi¬ 
krobeninvasion  möglich,  zuerst  in  die  Lymphbahnen,  später 
auch  in  den  Blutkreislauf. 

(Bei  einem  chirurgischen  Scharlach  wäre  manchmal  auch 
ein  directes  Eindringen  in  das  Blut  begreiflich.) 

Aus  dieser  Analogie  sieht  man,  dass  eine  Möglichkeit 
der  Invasion  von  den  Tonsillen  aus  gegeben  ist,  dasselbe  gilt 
wohl  auch  für  die  lymphatischen  Elemente  der  Nasenschleim¬ 
haut  (bei  Masern)  oder  Bindehaut,  eine  Möglichkeit,  die  gewiss 
viel  wahrscheinlicher  ist,  als  die  supponirte  Hautinvasion. 


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Im  Ganzen  genommen  gewinnt  heute  die  Ansicht  festen 
Boden,  dass  Scharlach  entweder  eine  Sepsis,  Hämatomykosis 
sui  generis  ist,  oder  höchst  wahrscheinlich  eine  Streptomykose, 
ohne  dass  man  voraussetzen  müsste,  dass  in  vielen  Fällen  eine 
secundäre  Infection  stattfand,  welche  uns  den  suppurativen  Cha¬ 
rakter  der  Symptome  und  die  Complicationen  erklären  könnte, 
sowie  das  Endproduct  —  die  Septicopyämie.  Ich  glaube,  dass 
eine  ähnliche  Möglichkeit  auch  für  Masern  gilt,  wo  freilich 
die  Aetiologie  und  Invasionspforte  eine  andere  wäre. 

Diese  Anschauungen  waren  für  mich  eine  Directive,  als 
ich  mich  in  oben  erwähnter  Gartenbarake  im  Jahre  1897 
angesichts  einer  drohenden  Epidemie  befand,  wo  Kinder  mit 
Angen-  und  Ohrenkrankheiten  untergebracht  waren  und  wo 
ich  den  Dienst  am  1.  October  1897  übernommen  habe.  Die 
vorausgegangene  Jahreszeit  wies  folgende  Bilanz  aus:  es  be¬ 
fanden  sich  dortselbst  gewöhnlich  15 — 25  Kinder,  die  auf 
18  Betten,  oft  also  zu  zweien,  schliefen,  weil,  wie  schon 
erwähnt,  das  Spital  überfüllt  war,  und  speciell  auf  der  Augen- 
abtheilung  ein  hoher  Belag  war,  bis  150  maximal.  Für  die, 
grösstentheils  lymphatischen,  scrophulösen  Kinder  war  die 
»luftige«  Barake  wirklich  geeignet,  da  sie  tagsüber  fort¬ 
während  im  Garten  spielen  konnten.  Unangenehm  aber  bei 
der  kindlichen  Lichtscheu  ist  der  Umstand,  dass  die  Kinder 
mit  gesenktem  Kopfe  am  liebsten  im  Staub  und  Sand  zu 
spielen  pflegen,  und  dann  mit  schmutzigen  Händen  oft  die 
Augen  reiben,  sowie  die  Finger  in  Mund  und  Nase  stecken. 
Durch  dieses  Moment  dürften  wohl  die  auf  den  Augenabthei¬ 
lungen  auftretenden  Epidemien  erklärt  werden,  weil  meiner 
Ansicht  nach  die  Infectionsstoffe  gewiss  bald  von  der  Luft  in 
den  Staub  sich  senken.  Eine  schlechte  Eigenschaft  hatte  ferner 
die  Barake,  dass  nämlich  ihre  Papiermachewände  nicht  gut 
gereinigt  werden  konnten,  wenn  je  solche  Nothwendigkeit  ein¬ 
trat.  Da  nun  bis  December  1896  die  Barake  für  interne 
Kranke  bestimmt  war,  zwischen  denen  oft  sehr  »unreine« 
Fälle  (Erysipele  etc.)  sich  befanden,  so  fällt  dieser  Umstand 
auch  auf  die  Wagschale.  Diese  Bemerkungen  schienen  mir 
nothwendig  zu  sein,  um  das  Bestehen  von  zwei  Epidemien, 
die  dortselbst  ausgebrochen,  begreiflich  zu  machen. 

Scarlatina  1897. 2) 

1.  S.  Navrätil,  10.  December  1896.  30.  Januar  1897. 

2.  F.  Jedlicka,  28.  Januar.  31.  Januar. 

3.  F.  Tiguovsky,  19.  Januar.  1.  Februar. 

4.  A.  Vecera,  5.  Januar.  1.  Februar. 

5.  J.  Krumal,  12.  Februar.  18.  Februar. 

6.  A.  Poitar,  24.  Februar.  2.  März. 

7.  T.  Rybnicek,  15.  April.  22.  April. 

8.  A.  Pazdera,  15.  Juni.  21.  Juni. 

Der  letzte  Fall  blieb  unklar:  entweder  war  es  eine  Scar¬ 
latina  levis  oder  ein  schwererer  Fall  von  Rubeola  —  das 
Exanthem  wird  nicht  genau  beschrieben.  Man  kann  nicht  ent¬ 
scheiden,  ob  diese  Epidemie  durch  den  zweitangeführten  Fall 
eingeschleppt  wurde,  oder  ob  sie  (gemäss  der  Streptococcen¬ 
theorie)  eine  autochthone  war.  Zwischen  den  internen  Fällen 
der  Vorperiode  waren  nämlich  zwei  Erysipele  dort  behandelt 
und  die  Barake  konnte  man  später,  wie  gesagt,  nicht  gut 
reinigen.  Von  allen  acht  Fällen  starben  zwei  (Tishovsky  und 
Vecera,  diese  an  Scharlachsepsis,  jene  an  Urämie). 

Morbilli  im  Jahre  1897. 

1.  A.  Vyhnalek,  30.  December  1896.  1.  Januar  1897, 
ein  irrthümlich  eingeschleppter  Fall  —  Conjunctivitis  —  wurde, 
wie  gewöhnlich,  aufgenommen,  und  hier  zeigte  sich,  dass  die¬ 
selbe  eine  morbillöse  war,  da  sich  das  Exanthem  nachher  ent¬ 
wickelte.  Eine  weitere  Infection  durch  diesen  Fall  kam  nicht 
vor,  dagegen  florirte  eben,  wie  oben  ersichtlich,  die  Scarlatina. 

2.  R.  Valousek,  18.  Juni.  21.  Juni,  ebenfalls  irrthüm- 
liche  Einschleppung. 

3.  M.  Kahaj,  9.  Juni.  6.  Juli. 

4.  J.  Neeas,  22.  September.  26.  September,  eingeschleppt. 

')  Das  erste  Datum  bedeutet  den  Tag-  der  Aufnahme,  das  zweite  den, 
wo  Exanthem  sich  zeigte  und  das  Kind  deswegen  sofort  transferirt  wurde. 


5.  A.  Dlask,  5.  Juli.  7.  October. 

6.  T.  Schon,  25.  September.  16.  October. 

Zwischen  beiden  Epidemien  befindet  sich  ein  zeitliches 
Intervall,  das  dadurch  erklärt  wird,  dass  Ende  April  die  Barake 
so  gut,  wie  nur  möglich  war,  gewaschen  und  desinficirt  wurde. 
Die  zwei  letzten  Fälle  ereigneten  sich  schon  vor  meinen  Augen 
und  zeigten  mir  die  Gefahr,  denn  sie  wurden  sicher  im  Spital 
erst  inficirt. 

Ich  entschloss  mich  also,  einen  anderen  Weg  anzutreten; 
ich  wollte  mich  nicht  um  die  Umgebung  der  Patienten  kümmern, 
sondern  um  sie  selbst,  und  wollte  erproben,  ob  es  nicht  möglich 
ist,  den  Respirationstract,  hauptsächlich  seinen 
Anfangstheil,  zu  desinficiren,  damit  die  invadirenden 
Mikroben  keinen  geeigneten  Entwicklungsboden  rinden  können. 

Ich  wollte  also  mit  anderen  Worten  die  Angina,  respec¬ 
tive  Rhinoconjunctivitis,  wenn  nicht  vermeiden,  so  wenigstens 
lindern,  wenn  sie  je  auftreten  sollten  (ich  meine  die  specifischen 
Katarrhe). 

Ich  war  der  Meinung,  dass  das  unbekannte  Contagium 
mit  dem  Staube,  der  in  der  Krankenatmosphäre  fliegt,  aspirirt 
wird  und  gewöhnlich  in  den  Anfangstheilen  der  Athmungs- 
organe  sitzen  bleibt,  dagegen  wenig  in  die  Lungen  selbst 
gelangt.  Und  diesen  Anfangstheil  zu  desinficiren  hielt  ich  für 
möglich. 

Folgende  Momente  waren  ferner  von  Wichtigkeit:  das 
grösste  Contingent  der  Kranken  recrutirt  sich  aus  dem 
Kindesalter,  und  man  musste  also  eine  für  Kinder  passende 
Art  von  Desinfection  wählen.  Das  Gurgeln  zum  Beispiel  ist 
eine  Kunst,  die  manchmal  auch  die  Erwachsenen  nicht  gut 
treffen,  das  Kind  am  allerwenigsten.  Dazu  werden  dadurch 
nicht  einmal  alle  Recessus  pharyngeales  (der  Anatom  möge 
mir  diesen  Terminus  verzeihen)  abgespült,  und  man  müsste 
noch  eine  Nasendouche  anschliessen. 

Der  einzig  praktische  Weg  sind  die  Inhalation  oder  der 
Spray  mit  antiseptischen  Lösungen,  minder  tauglich  sind  schon  die 
Pulverinsufflationen.  Bei  der  Inhalation  werden  die  Flüssig¬ 
keitspartikelchen  durch  die  Athmung  in  einen  Wirbel  gebracht, 
der  Strom  zersplittert  sich  nach  allen  Richtungen  und  kann 
somit  alle  Winkel  erreichen,  ja  sogar,  wie  experimentell  nach¬ 
gewiesen  wurde,  bis  in  die  Lungenalveolen  in  beträchtlichem 
Masse  eindringen.  Es  ist  doch  von  selbst  begreiflich:  wenn 
verschiedene  Mikroben  oder  Koniosen  in  die  Lunge  gelangen 
können,  so  kann  wohl  auch  die  fein  verstaubte  Flüssigkeit 
dasselbe  thun. 

M 1  a  d  e  j  o  v  s  k  y  stellte  eine  Reihe  von  Versuchen  so  an, 
dass  er  in  einen  Kasten,  wo  Kaninchen  eingesperrt  waren,  einen 
10%igen  Tannigenspray  eine  Stunde  lang  strömen  liess.  Dann 
wurden  die  Thiere  getödtet  und  die  Lungen  auf  24  Stunden 
in  eine  Lösung  von  Eisenchlorid  gelegt.  Man  fand  sodann 
beträchtliche  Färbung  des  Lungengewebes  selbst  (intensiver 
als  in  den  Bronchien),  mikroskopisch  schwarze  Körner  zwischen 
den  Epithelialzellen.  Die  Alveolarzellen  hatten  jedoch  zerfallene 
schwarze  Kerne,  die  sich  mit  Anilinfarben  nicht  färben  Hessen. 
Aus  diesen  Versuchen  ist  ersichtlich,  dass  inhalirte  Stoffe, 
Flüssigkeiten  in  die  Lunge  gelangen  können. 

Ein  weiterer  Punkt  war  die  Wahl  der  Desinfections- 
lösung,  da  man  für  das  Kindesalter  nicht  toxische  und  wenig 
reizende  Stoffe  wählen  musste,  damit  auch  die  Schleimhaut 
durch  Aetzung  nicht  in  einen  Reizzustand  gesetzt  werde,  wo 
sie  dann  im  Gegen theil  noch  mehr  zur  Infection  disponirt 
wäre.  Um  diesen  Conträreffect  zu  vermeiden,  wählte  ich: 

1.  Aqua  calcis  (mit  destillirtem  Wasser  aa.),  welche 
hier  in  Brünn  bei  Diphtherie  zur  Inhalation  gebraucht  wird 
und  gewiss  einen  guten  Antheil  neben  dem  Serum  an  der 
Heilung  hat.  Empfiehlt  doch  Behring  selbst  in  der  letzten 
Zeit,  man  solle  das  Serum  auf  die  Tonsillen  oder  ihre  Nähe 
appliciren,  gewiss  aus  einem  Desinfectionsgrund  wegen  localer 
Wirkung. 

2.  Acid,  boric  um  in  3%iger  Lösung,  welches  zwar 
indifferent  für  die  Schleimhaut,  aber  auch  nicht  besonders 
stark  desinficirend  wirkt. 

3.  Jo  di  trichlorati  solutionem  005%,  unschäd¬ 
liches  Dcsinfectionsmittel. 


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4.  Natrii  chlorati  sol.  3%,  schwach  desinficirend, 
eher  aber  die  physiologische  Schleimhautwirkung  unter¬ 
stützend. 

Die  Wirkung  solcher  Inhalationen  musste  eine  mechanische 
Abspülung  erzeugen,  weiter  die  Secretion  unterstützen  (den 
Strom  der  Leukocyten  durch  die  Stomata),  ferner  durch  die 
Reizhyperämie  eine  locale  Phagocytose  erzeugen,  endlich  eine 
chemische  Desinfectionswirkung  bilden. 

Es  gibt  wohl  noch  mehrere  passende  Stoffe,  ich  will 
jetzt  nur  z.  B.  des  Natr.  sozojodolicum  gedenken,  doch  ich 
wollte  lieber  multum  als  multa  prüfen. 

Mit  Erlaubniss  des  Primarius  P 1  e  n  k  gebrauchte  ich  nun 
zu  diesen  Zwecken  alle  die  erwähnten  Lösungen  abwechselnd, 
um  meisten  die  zwei  ersten,  besonders  anfangs. 

Ich  arrangirte  die  Sache  so,  dass  zweimal  täglich  inhalirt 
wurde,  jedes  Kind  blieb  fünf  Minuten  lang  vor  dem  Apparat 
stehen,  so  dass  binnen  einer  Stunde  alle  fertig  waren.  Eine 
Renitenz  kam  selten  vor,  und  wenn  auch  das  Kind  schrie,  so 
wars  eigentlich  besser.  Die  Temperatur  wurde  regelmässig  ge¬ 
messen,  es  wurden  sehr  oft  Untersuchungen  der  Nase  und  des 
Halses  vorgenommen,  und  wenn  einmal  die  Temperatur  sich 
höher  erwies,  musste  das  betreffende  Kind  viel  länger  in- 
haliren.  Erst  in  den  letzten  drei  Versuchsmonaten  wurden  nur 
einmal  täglich  die  Inhalationen  vorgenommen. 

Von  den  Kindern,  deren  Zahl  am  16.  October  1897,  dem 
Anfangstage  der  Inhalationen,  18  betrug,  gab  ein  Theil  in  der 
Anamnese  an,  früher  schon  »irgend  welches  Exanthem«  gehabt 
zu  haben,  bei  kleineren  konnte  man  es  nur  während  eines 
Elternbesuches  eruiren.  Aber  sämmtliche  Angaben  waren  un¬ 
verlässlich,  so  dass  ich  sie  nicht  einmal  anführe.  Ich  lasse 
lieber  dem  Einwand  die  Thüre  offen,  dass  von  ihnen  Manche, 
die  ein  Exanthem  schon  durchgemacht  haben,  theilweise  gegen 
eine  zweite  Infection  immun  waren,  vielleicht  Alle.  Nur  muss 
ich  den  Umstand  erheben,  dass  die  Meisten  nur  ein  einziges 
Exanthem  mitmachten,  gegen  das  zweite  dagegen  sicher  em¬ 
pfänglich  geblieben  sind,  so  dass  ein  solcher  Einwand  an 
Werth  verliert. 

Der  Erfolg  der  Inhalationen  war  nun  der. 
dass  kein  einziger  Fall  von  Morbilllen,  noch 
Scharlach  vorgekommen  ist.  Der  Erfolg  ist  umso 
auffallender,  da  er  von  der  Endemie  im  Kinderspitale  frappant 
absticht  (siehe  oben).  Um 'Weihnachten  1897  wurden  dann  die 
Kinder  von  der  Barake  in  neue  Localitäten  Nr.  29  übersiedelt, 
wo  früher  unreine,  eiterige  chirurgische  Fälle  lagen.  Auch 
hier  bestand  die  Gefahr  einer  Infection,  da  gewiss  eine  Menge 
von  Coccen  nach  Phlegmonen  zurückblieb  und  es  wurden 
deshalb  die  Inhalationen  weiter  fortgesetzt. 

Die  Krankenbewegung  weist  folgende  Zahlen  aus:  in  der 
Barake  lagen  vom  10.  December  1896  bis  16.  October  1897 
im  Ganzen  169  Kinder.  In  dieser  Zeit  spielten  sich  die  zwei 
oben  erwähnten  Epidemien  ab.  Vom  16.  October,  wo  mit  den 
Inhalationen  angefangen  wurde,  kamen  bis  zum  1.  April  1898 
neue  79  Zuwachse.  Wenn  man  also  die  verbliebenen  18  Kinder 
der  Vorinhalationsperiode  einrechnet,  so  wurde  im  Ganzen  an 
97  Kindern  die  Wirkung  der  Inhalation  geprüft. 

Bei  diesen  fand  ich  28mal  in  der  Anamnese  eine  exan- 
thematische  Krankheit,  bei  vielen  war  es  wieder  unmöglich, 
dies  zu  eruiren. 

Ich  wiederhole  aber,  dass  man  diese  nicht  ganz  aus- 
scheiden  kann,  aus  Gründen,  die  oben  erklärt  wurden. 

Ich  muss  nun  neben  dem  negativen  Resultat,  dass 
nämlich  keine  Exantheme  beobachtet  wurden,  einige  interes¬ 
sante  Daten  hervorheben.  Es  wurde  bei  den  97  Fällen  nämlich 
neunmal  eine  Temperaturerhöhung  beobachtet,  deren  Ursache 
folgende  war: 

1.  A.  Kovafik,  15.  Januar  1898  aufgenommen  (Z.-Nr.  29), 
bekam  20.  Januar  eine  acute  »blennorrhoische«  Conjunctivitis 
unter  heftigen  Fiebererscheinungen  und  mit  acuter  Bronchitis 
verbunden.  Sanata  26.  Januar. 

2.  A.  Naglitz,  17.  Januar  aufgenommen,  zeigte  am 
20.  Januar  hohes  Fieber,  dessen  Ursache  zuerst  eine  Bronchitis 
war,  die  jedoch  nach  zwei  Tagen  in  eine  Bronchopneumonie 
sich  verwandelte  (hinten  rechts  unten  Dämpfung).  Am 


24.  Januar  Entfieberung.  Diese  Patientin  wurde  wegen  einer 
Conjunctivitis  aufgenommen  und  ich  hege  Verdacht,  dass  hier 
a  priori  ein  eingeschleppter  Fall  von  Morbillis  sine  exanthemate 
vorlag.  Waren  vielleicht  die  Infectionskatarrhe  durch  In¬ 
halationen  gelindert  und  localisirt,  so  dass  es  zu  einer  Eruption 
nicht  kam?? 

3.  A.  VRek,  3.  Januar  aufgenommen,  bekam  am 
29.  Januar  Bronchitis  unter  hohem  Fieber.  Nach  vier  Tagen 
verschwunden. 

4.  A.  Voskeruska,  29.  Januar.  1.  Februar  aufge¬ 
tretene  Bronchitis  acuta  bei  einer  Keratoconjunct.  phlyctaen. 

Diese  vier  Fälle  erweckten  damals  Verdacht,  dass  es  zur 
Exanthemeruption  kommen  wird,  dies  geschah  aber  nicht.  Dass 
jedoch  hier  infectiöse  Katarrhe  Vorlagen,  sieht  man  an  dem 
Umstande,  dass  sie  in  ganz  kurzen  Intervallen  und  bei  Kindern 
desselben  Zimmers  auftraten  (Z.-Nr.  29  war  nämlich  früher 
eine  Privat wohnung,  aus  fünf  Räumen  bestehend,  die  wegen 
Platzmangels  später  zu  Spitalszwecken  adaptirt  wurde).  Im 
Ganzen  war  der  Verlauf  der  Erkrankungen  ein  leichter, 
vielleicht  eben  durch  die  Wirkung  der  Inhalationen,  durch 
welche  die  Secretion  angeregt  wurde,  und  die  während  des 
Fiebers  ausgiebiger  angewandt  wurden.  Die  übrigen  fünf  Fieber¬ 
fälle  hatten :  Erysipelas  faciei,  Panaritium,  Enteritis,  Angina 
catarrhalis  und  Typhus  abdominalis,  welcher  mit  Conjunctivitis 
irrthümlich  hieher  aufgenommen  wurde  und  wo  nach  fünf 
Tagen  die  Vi  da  Ische  Reaction  sich  positiv  erwies. 

Anfangs  April  musste  ich  auf  drei  Monate  von  der  Augen- 
abtheilung  Weggehen  zur  Substitution  eines  Chirurgen.  Damit 
nun  die  bisher  in  mir  erweckte  Ueberzeugung  von  der  Schutz¬ 
impfung  der  Inhalationen  eine  negative  Stütze  bekommen 
könnte,  so  habe  ich  dieselben  eingestellt  und  dem  Nachfolger 
davon  nichts  mitgetheilt.  Der  Verlauf  der  Dinge  war  nun 
folgender : 

A.  Am  23.  April  wurde  J.  Matej  mit  Otitis  suppurativa 
in  stadio  desquamationis  scarlatinosae  Abends  aufgenommen. 
In  der  Früh  wurde  es  bemerkt  und  der  Kranke  deshalb  sofort 
in  die  Epidemieabtheilung  transferirt. 

B.  Am  27.  April  bemerkte  man  bei  dem  am  29.  März 
aufgenommenen  J.  Hrabälek  eine  exanthematische  Er¬ 
krankung,  die  sich  jedoch  im  Epidemiespitale  als  eine  Vari¬ 
cella  erwies. 

C.  Am  11.  Mai  erkrankte  J.  Mrazek  (aufgenommen 
am  4.  Mai)  an  Scarlatina  und  wurde  sofort  transferirt.  Drei 
Tage  lang  zuvor  fieberte  er  und  hatte  Angina,  die  im  Epidemie¬ 
spitale  in  eine  membranöse  Form  überging,  mit  Drüsenschwel¬ 
lung  am  Halse.  Nebstdem  war  Otitis  suppur.  und  katarrhale 
Nephritis  complicirt.  Sanata  demissa. 

Den  Fall  C  kann  man  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  als 
eine  Spitalsinfection  bezeichnen,  die  vom  A  ausging.  Im 
Ganzen  wurden  in  der  Zeit  vom  1.  April  bis  11.  Mai  zu¬ 
sammen  44  Fälle  behandelt,  am  11.  Mai  blieben  schliesslich 
19  zurück.  Da  die  Gefahr  einer  Weiterverbreitung  imminent 
war,  theilte  ich  die  ganze  Sache  dem  Director  Dr.  N  e  d  o  p  i  1 
mit,  dass  nämlich  früher  Inhalationen  vorgenommen  wurden, 
die  jetzt  seit  sechs  Wochen  sistirt  waren.  Nach  seinem  Wunsch 
wurden  die  Versuche  nun  wieder  aufgenommen,  und  der 
Erfolg  dessen  war,  dass  kein  einziger  Fall  von 
exanthematischer  Erkrankung  auf  dem  betref¬ 
fenden  Zimmer  vor  kam.  Die  Inhalationen  wurden 
wieder  regelmässig  vorgenommen  bis  zu  den  Weihnachten.  In 
dieser  Zeit  waren  98  Fälle  zugewachsen,  mit  den  verbliebenen  19 
somit  117  Fälle,  an  denen  in  der  zweiten  Periode  die  Wirkung 
der  Reinigung  des  Respirationstractes  versucht  wurde.  Im 
Ganzen  also  wurden  97  -{-117  =  214  Kinder  der  systemati¬ 
schen  Inhalation  unterworfen.  Ich  betone  wiederum,  dass  im 
Kinderspitale  während  dieser  ganzen  Zeit  die  Scharlach¬ 
epidemie  fortbestand,  wie  man  aus  der  obigen  Tabelle  er¬ 
sehen  kann. 

Am  Neujahr  1899  wurde  das  neue  Kaiser  Franz  Josef- 
Kinderspital  eröffnet,  das  im  Pavillonsystem  erbaut  und  mit 
möglichstem  Comfort  versehen  ist.  Sämmtliche  Kinder  vom 
Z.-Nr.  29  wurden  nur  dorthin  übersiedelt  und  somit  waren 
die  Versuche  beendet.  Denn  das  neue  Gebäude  bot  sichere 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Garantie,  dass  dortselbst  die  Exantheme  nicht  endemisch 
werden. 

Wenn  man  jetzt  das  Resultat  dieser  Versuche  resumirt, 
so  muss  man  doch  gestehen,  dass  dieselben  keine  Sicherheit 
geben,  dass  die  präventive  Inhalation  und  Desinfection  des 
Respirationstractes  (ich  zähle  auch  aus  pathognostischen  Gründen 
die  Tonsillen  her,  weil  ihre  Erkrankungen  eher  durch  Staub¬ 
und  Bacterieneinathnmng  verursacht  werden,  als  durch  In¬ 
fection  mit  Speisen)  im  Stande  wäre,  die  Entwicklung  von 
Scharlach  und  Masern  immer  zu  verhindern.  Denn  gegen  eine 
ähnliche  Behauptung  könnte  man  einwenden,  dass  die  kurzen 
Hausepidemien  keine  Intensität  gehabt  haben,  um  mehr  Fälle 
anzugreifen,  und  dass  dieselben  vielleicht  in  demselben  Augen¬ 
blicke,  wo  eben  mit  den  Inhalationen  begonnen  wurde,  spontan 
erloschen.  Diesem  Einwand  kann  ich  nicht  entgegentreten,  und 
deswegen  modificire  ich  das  Ergebniss  aller  oben  beschriebenen 
Erfahrungen  in  dem  Sinne,  dass  es  höchst  wahrschein¬ 
lich  möglich  ist,  durch  Inhalation  von  desinfi- 
cir  enden  Flüssigkeiten  die  Entwicklung  von 
Scharlach  und  Masernendemien  zu  verhindern, 
wenn  die  Intensität  des  eingeschleppten  Falles 
oder  der  Typus  der  Epidemie  in  der  Umgebung 
ein  milderer  ist. 

Eine  Entscheidung  in  der  Sache  kann  erst  dann  ein» 
treten,  wenn  zum  selben  Resultat  Versuche  gelangen  möchten, 
die  in  analogen  Verhältnissen  angestellt  würden,  so  wie  es  in 
unserem  Spital  der  Fall  war. 

Man  kann  wohl  nicht  leugnen,  dass  viel  sicherer,  gewiss 
auch  viel  bequemer,  derselbe  Zweck  erreicht  werden  kann 
durch  die  alterprobte  Isolation  und  Vertheilung  der  Kranken 
in  neuen  Localitäten. 

Besser  aber  wäre  noch,  beides  zu  vereinigen.  Bei  dem 
angegebenen  Arrangement  sind  die  Inhalationen  kein  theures 
Mittel,  billiger  vielleicht,  als  die  periodischen  Reinigungen  der 
Zimmer  uni  Desinfection  mittelst  Formalin,  Glykoformal. 
Jedenfalls  sollte  man  die  Inhalation  nachprüfen,  wenn  es  un¬ 
möglich  ist,  andere  hygienische  Schutzvorrichtungen  zu  treffen. 
Erst  dann  kann  das  Urtheil  fallen. 

Freilich  hängt  an  der  ganzen  Sache  ein  gewisses  Odium 
vom  Theoretisiren.  Denn  die  Versuche  gingen  von  der  Prä¬ 
misse  aus,  dass  die  Infection  bei  Scharlach  und  Masern  am 
Respirationswege  geschieht,  nicht  durch  die  Haut.  Sie  wurden 
ferner  auf  der  Basis  aufgebaut,  dass  Angina,  respective  Rhino- 
conjunctivits  keine  Complication,  sondern  das  Wesen  der 
Krankheit  bilden,  von  denen  erst  sich  die  Hämatomykose  und 
alle  übrigen  Complicationen  bilden  können  (auch  das  Exanthem), 
die  man  eben  verhindern  will  durch  Behandlung  der  localen 
Halsaffection.  Das  Ganze  aber  sind  nun  Theorien,  Hypothesen, 
die  bisher  nicht  erwiesen  sind. 

Man  darf  aber  nicht  nicht  vergessen,  dass  ein  Beweis 
auch  a  contrario  geführt  werden  kann  und,  wenn  (voraus¬ 
gesetzt,  dass  dies  durch  Controle  bestätigt  wird)  es  gelingt 
die  Eruption  durch  die  angeführten  Mittel  zu  verhindern,  dann 
gewinnt  auch  die  Hypothese  von  der  Invasion  des  Contagiums 
im  Respirationswege  so  viel  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  sie  an 
Sicherheit  grenzt. 

Man  lasse  also  das  Urtheil  in  suspenso,  so  lange  keine 
Controlversuche  in  analogen  Verhältnissen  vorliegen. 

Wenn  dieselben  im  positiven  Sinne  ausfallen  sollten, 
dann  bin  ich  überzeugt,  dass  dies  auch  auf  die  Therapie  der 
bereits  entwickelten  Krankheit  einen  Einfluss  üben  müsste. 
Man  müsste  auch  dann  das  Hauptgewicht  auf  die  Therapie 
der  Katarrhe  und  Halsaflfectionen  legen.  Diese  Therapie  wäre 
ein  Analogon  der  chirurgischen:  auch  in  der  Chirurgie  ver¬ 
hindert  man  einen  chirurgischen  Scharlach  oder  Sepsis  über¬ 
haupt  eher  dadurch,  wenn  man  nur  dem  Localaffect  seine 
Aufmerksamkeit  widmet  (z.  B.  bei  Panaritium,  kleiner 
Phlegmone  einen  guten  Abfluss  den  septischen  Stoffen  ver¬ 
schafft,  Antisepsis  anwendet),  als  wenn  man  die  Allgemein- 
infection  vielleicht  durch  Chinin,  Alkohol  (intern)  vermeiden 
wollte. 

Und  für  die  Fälle,  welche  pestähnlich  (wie  es 
Heubner  bezeichnet)  verlaufen,  wo  die  Angina  gering  sein 


kann,  und  trotzdem  in  zwei  bis  fünf  Tagen  ein  letaler  Aus¬ 
gang  eintritt  unter  Symptomen  von  allgemeiner  bacterieller 
Intoxication,  wird  es  wohl  besser  sein,  in  der  Zukunft  irgend 
welches  neue  oder  das  Marmore  k’s  c  li  e  (wenn  man  beide 
Processe  für  Strepto-  und  Staphylococcen invasion  hält)  Serum 
anzuwenden. 

Zum  Schlüsse  dieser  Arbeit  spreche  ich  dem  Herrn 
Director  Dr.  Nedopil  für  die  gütige  Ueberlassung  des 
Spitalmateriales  meinen  Dank  aus. 


REFERATE. 

Arbeiten  aus  dem  Institut  für  Anatomie  und  Physiologie 
des  Centralnervensystems  an  der  Wiener  Universität. 

Htfi-ausgegeben  von  Prot'.  Dr.  H.  Obersteiner. 

Heft  6. 

Wien  und  Leipzig  1899,  F.  Deuticke. 

I.  A.  Spitzer,  Ein  Fall  von  Tumor  am  Boden  der 

Rautengrube. 

Ein  34jähriger  Tuberculöser  bietet  anfangs  eine  Deviation 
des  Kopfes  und  der  Augen  nach  rechts  mit  starkem  Schwindel  bei 
jeder  Bewegung.  Später  war  die  Deviation  des  Kopfes,  der  gesenkt 
gehalten  wurde,  nach  links,  die  der  Augen  nach  rechts.  Schwindel 
und  Nausea  bei  jeder  Bewegung.  Linker  Abducens  gelähmt,  rechter 
Rectus  internus  und  linker  Facialis  paretisch.  Rigor  der  Kau¬ 
muskeln. 

Diesen  klinischen  Symptomen  ensprach  als  anatomischer  Befund 
ein  haselnussgrosser  Solitärtuberkel  der  Rautengrube,  der,  abgesehen 
von  den  eben  erwähnten  Nerven,  Läsionen  im  Gebiete  des  drei¬ 
eckigen  Acusticuskernes,  eines  Theiles  des  linken  Deiter’schen 
Kernes,  sowie  mehrerer  ab-  und  aufsteigender  Längsbahnen  setzte, 
die  an  einer  Serie  von  M  a  r  c  h  i  -  Präparaten  aufs  Genaueste  be¬ 
schrieben  werden. 

Die  absteigenden  haben  ihren  Ursprung  im  Zwischen-,  respec¬ 
tive  Mittelhirn  und  ziehen  auf  dem  Wege  der  Substantia  reticularis 
alba  ins  Vorderseitenstranggrundbündel,  um  in  den  Vorderhorn¬ 
zellen  des  Halsmarkes  zu  enden.  Mit  ihm  in  Zusammenhang  stehen 
degenerirte  Fibrae  arcuatae  internae,  die  eine  Verbindung  einerseits 
des  B  u  r  d  a  c  h’schen,  andererseits  des  D  e  i  t  e  r’schen  Kernes  mit 
dem  Halsmark  vermitteln. 

Die  von  den  sensiblen  Halsnerven,  vom  Opticus  vom  Nervus 
vestibuli  zum  Centrum  geleiteten  Erregungen,  die  uns  über  Lage, 
Haltung  und  Bewegung  des  Kopfes  unterrichten,  werden  reflectorisch 
Impulse  auslösen,  die  auf  der  eben  beschriebenen  Längsbahn  zum 
Halsmark  verlaufen  und  die  Bewegung  des  Kopfes  reguliren.  Da  nun 
aber  »die  richtige  Auffassung  der  Lage  und  Bewegung  unseres 
Kopfes  ein  wesentliches  Hilfsmittel  für  unsere  Orientirung  im  Raume 
ist«,  so  muss  eine  Läsion  sowohl  des  sensiblen  als  motorischen 
Schenkels  eine  Desorientirung  im  Raume  zur  Folge  haben. 

Seine  Bedeutung  als  motorischer  Schenkel  eines  dem  Raum¬ 
sinn  dienenden  Reflexbogens  erhält  der  Fasciculus  longitud.  posterior 
—  die  oben  erwähnte  Längsbahn  —  noch  mehr  durch  seine  Ver¬ 
bindung  mit  den  Augenmuskelkernen.  Das  optische  Centrum  — 
beim  Menschen  das  Zwischenhirn  —  steht  einerseits  mit  dem  Ab- 
ducenskern  durch  das  hintere  Längsbündel  im  Zusammenhang. 
Andererseits  verläuft  in  demselben  hinteren  Längsbündel  die  Bahn 
des  anderseitigen  Rectus  internus,  indem  ja  functionell  zusammen¬ 
gehörige  Bahnen  auch  anatomisch  eine  gewisse  Gleichlagerung 
zeigen.  Es  ist  demnach  das  optische  Centrum  der  anderen  Seite 
vielleicht  durch  die  Commissura  posterior  mit  dem  Oculomotorius- 
kern  derselben  Seite  auf  dem  Wege  des  hinteren  Längsbündels  ver¬ 
bunden.  Damit  ist  das  System  geschlossen. 

Es  finden  sich  in  ihm  Verbindungen  des  D  e  c  k  e  r’schen,  der 
Hinterstrangskerne,  des  optischen  Centrums  zu  den  Augenmuskel¬ 
kernen  und  all  dieser  zu  den  Kernen  des  Halsmarkes ;  es  ist  dem¬ 
nach  begreiflich,  dass  eine  Läsion  derselben  zu  heftigem  Schwindel 
führen  muss,  der  ja  stets  dann  auftritt,  »wenn  unsere  räumliche 
Orientirung  Noth  leidet«.  Es  ist  die  »motorische  Vorstellungsbahn«, 
wenn  wir  unsere  Bewegungen  in  solche  scheiden,  die  der  Vorstellung 
dienen,  und  solche,  die  vom  Willen  abhängig  sind;  diese  letzteren 
repräsentirt  die  Pyramidenbahn. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Neben  der  aufsteigenden  Degeneration  im  hinteren  Längs¬ 
bündel  finden  sich  noch  zwei  Fasersysteme,  die  als  laterales  und 
ventrales  Ilaubenbündel  bezeichnet  werden,  deren  erstes  vielleicht 
der  anterolateralen  Thalamushahn  S  ö  1  d  e  r’s  entspricht,  während 
das  zweite  mit  dem  Trigeminus  im  Zusammenhang  gebracht  wird. 

* 

II.  Dr.  Julius  Zappert,  Ueber  Wurzel-  und  Zellver¬ 
änderungen  im  Gentrainervensystem  des  Kindes. 

Zappert  hat  mittelst  der  Methoden  von  M  a  r  c  h  i  and 
Ni  s  s  1  das  Rückenmark  von  an  ganz  verschiedenen  Krankheiten 
innerhalb  den  ersten  zwei  Lebensjahren  verstorbenen  Kindern  unter¬ 
sucht.  Er  kommt  zu  folgenden  Resultaten: 

1.  Im  Rückenmark  von  Kindern  in  den  ersten  zwei  Jahren 
sind  Degenerationen  der  intraspinalen  Antheile  der  vorderen  Wurzeln 
ein  recht  häufiger  Refund. 

2.  Diese  Degenerationen  besitzen  in  einer  Anzahl  von  Fällen 
fast  sicher  die  Bedeutung  pathologischer  Befunde,  in  anderen 
Fällen  scheinen  dieselben  physiologischen  Verhältnissen  zu  ent¬ 
sprechen. 

3.  Ebenso  wie  die  vorderen  Rückenmarkswurzeln  sind  die 
motorischen  Hirnnervenwurzeln,  namentlich  der  Accessorius,  Abducens, 
motorische  Trigeminus  und  Oculomotorius  häufig  von  ähnlichen 
Veränderungen  betroffen. 

4.  Die  von  den  Clark  e’schen  Säulen  ausgehenden,  zur 
Kleinhirnseitenstrangbahn  ziehenden  Fasern  sind  gleichfalls  häufig 
degenerirt. 

5.  Degenerationen  der  hinteren  Wurzeln  treten  an  Häufigkeit 
und  meist  auch  an  Intensität  hinter  den  Vorderwurzeln  zurück. 

G.  Die  motorischen  Ganglienzellen  in  den  Vorderhörnern  des 
Rückenmarkes  zeigen  sich  in  seltenen  Fällen  gleichfalls  verändert. 

7.  Es  muss  dahingestellt  bleiben,  ob  der  Angriffspunkt  der 
Erkrankung  in  den  Vorderwurzeln  oder  in  den  Ganglienzellen  zu 
suchen  ist.  Möglicher  Weise  besteht  eine  zeitliche  Differenz  zwischen 
der  mit  N  i  s  s  1-Färbung  erkennbaren  Zellläsion  und  den  durch  die 
March  i-Methode  sichtbaren  Wurzeldegenerationen. 

* 

III.  Dr.  R.  Neurath,  Beiträge  zur  postinfectiösen 
Hemiplegie  im  Kindesalter  und  zur  pathologischen 
Anatomie  des  kindlichen  Centralnervensystems 

(Neurogliosis  ganglio-cellularis  diffusa). 

Neurath  beschreibt  einen  histologisch,  wenn  auch  nicht 
mit  allen  in  Betracht  kommenden  Methoden  untersuchten  Fall  von 
postscarlalinöser  Hemiplegie,  in  welchem  er  in  der  entsprechenden 
Hirnhemisphäre  eine  degenerative  Neuritis  zu  finden  glaubt,  die  er 
als  durch  den  Scharlachvirus  bedingt  ansieht.  Allerdings  wird  dieser 
Befund  wesentlich  unklarer  durch  eine  daneben  sich  findende 
Neurogliosis  ganglio-cellul.  diff.,  die  sich  hauptsächlich  auf  die  gleiche 
Hemisphäre  beschränkt. 

* 

IV.  Prof.  Dr.  Kure  S  ch  u  z  o  in  Tokio,  Die  normale  und 
pathologische  Structur  der  Zellen  an  der  cerebra¬ 
len  Wurzel  des  Nervus  trigeminus,  die  Kreuzungs¬ 
frage  der  letzteren  und  der  motorischen  Trige¬ 
minus  w  u  r  z  e  1. 

In  dieser  interessanten  histologischen  Arbeit  kommt  Kure 
zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Die  Zellen  an  der  cerebralen  Wurzel  des  Trigeminus 
haben  einen  typischen  Charakter  und  ähneln  den  Zellen  im 
Ganglion  Gasseri  und  in  den  Spinalganglien  (N  i  s  s  1-Methode). 

2.  Gewisse  Zellen  im  Locus  coeruleus  sind  ihrer  Beschaffen¬ 
heit  nach  von  den  obigen  Zellen  nicht  auseinanderzuhalten. 

3.  Die  anderen  Zellen  des  Locus  coeruleus,  welche  beim 
Menschen  dunkles  Pigment  enthalten  und  bei  Thieren  nach  gewöhn¬ 
lichen  Färbungsmethoden  von  den  Zellen  sub  2  sonst  wenig  diffe- 
riren,  zeigen,  nach  Nissl  behandelt,  auffallend  abweichende  Formen 
und  Grössen. 

4.  Den  sub  1  und  2  genannten  Zellen  ist  mit  Rücksicht  auf 
ihre  differente  Structur  eine  ganz  andere  Function  zuzuschreiben, 
als  jenen  im  motorischen  Kern. 


5.  Charakteristisch  ist  die  Degenerationsweise  dieser  Zellen 
(N  i  ss  1-Färbung). 

G.  Die  Degeneration  beschränkt  sich  nur  auf  die  operirten 
Seiten. 

7.  Für  die  Zellen  im  motorischen  Kern  gilt  das  Gleiche. 

8.  Die  sub  2  erwähnten  Zellen  im  Locus  coeruleus  gehören 
mit  Rücksicht  auf  die  Gleichartigkeit  der  Structur,  nach  ihrer  Ver- 
theilung  und  dem  Verlaufe  der  aus  ihnen  entspringenden  Fasern 
zusammen. 

9.  Die  cerebralen  Wurzelfasern  und  die  aus  dem  Locus 
coeruleus  in  die  Portio  minor  ziehenden  Fasern  kreuzen  sich  nicht 
(M  arch  i-Methode). 

10.  Ebenso  kreuzen  sich  auch  die  motorischen  Wurzel¬ 
fasern  nicht. 

* 

V.  Dr.  Friedrich  Pineies,  Zur  Lehre  von  den  Func¬ 

tionen  des  Kleinhirns. 

Schon  in  der  älteren  casuistischen  Literatur  der  Kleinhirn¬ 
erkrankungen  finden  sich  Fälle  verzeichnet,  welche  eine  der  Ivlein- 
hirnaffection  gleichseitige  Hemiplegie,  beziehungsweise  Hemiparese 
zeigten. 

Dieser  Befund  wurde  von  den  Autoren  meist  in  der  Weise 
gedeutet,  dass  sie  sagten,  die  Affection  der  gleichnamigen  Seite  sei 
dadurch  bedingt,  dass  durch  den  Kleinhirnherd  die  bereits  gekreuzte 
Pyramidenbahn  comprimirt  werde. 

P  i  n  e  1  e  s  hat  nun  zwei  Fälle  von  Kleinhirnaffectionen  beob¬ 
achtet,  in  welchen  sich  eine  gleichseitige  Halbseitenaffection  fand. 
Nach  eingehender  Widerlegung  der  eben  gestreiften  Ansicht  der 
früheren  Autoren  entwickelt  P  i  n  e  1  e  s  die  seine. 

Er  stützt  sich  hiebei  auf  die  in  den  letzten  Jahren  von 
Lucia ni,  Ferrier  und  Russel  ausgeführten  Experimente,  die 
ergaben,  dass  bei  Hunden  und  Affen  die  Abtragung  einer  Klein¬ 
hirnhemisphäre  zu  einer  Parese  der  gleichseitigen  Extremitäten 
führe,  dass  also  jede  Kleinhirnhemisphäre  die  Bewegungen  der 
gleichseitigen  Extremitäten  beeinflusse. 

In  Analogie  dazu  nimmt  nun  P  i  n  e  1  e  s  an,  dass  die  beim 
Menschen  erhobenen  Befunde  sich  in  gleicher  Weise  erklären 
lassen;  er  nimmt  also  an,  dass  auch  beim  Menschen  dem  Kleinhirn 
die  Function  zukomme,  zur  Innervation  der  gleichseitigen  Extre- 
mitäten  beizutragen,  wobei  natürlich  dieser  Antheil  des  Kleinhirns 
entsprechend  dem  Vorwiegen  der  Grosshirnthätigkeit  beim  Menschen 
relativ  geringer  sein  müsse,  als  beim  Thiere. 

Im  Anschluss  an  diese  und  in  Consequenz  dieser  Ansichten 
vertritt  P  i  n  e  1  e  s  auch  eine  von  der  gebräuchlichen  abweichende 
Auffassung  der  choreatischen  und  athetotischen  Bewegungen.  In 
Anlehnung  an  die  Auseinandersetzungen  Bonhoeffe r’s,  welcher 
für  eine  Beziehung  der  Athetose  zum  Kleinhirn  plaidirt,  schliesst 
Pineies:  »Wir  glauben  im  Allgemeinen  annehmen  zu  können, 
dass  die  choreatischen  Bewegungen  als  eine  Ausfallserscheinung  an¬ 
zusehen  seien.  Der  wichtigste  Grund  für  unsere  Annahme  hegt  in 
den  Fällen  von  posthemiplegischer  Chorea,  wo  nicht  sogleich  mit 
dem  Auftreten  der  ersten  Krankheitserscheinungen,  sondern  erst  zu 
einer  Zeit,  wo  die  Ausfallserscheinungen  über  die  Reizerscheinungen 
prävaliren,  die  choreatischen  oder  athetotischen  Bewegungsstörungen 
einzutreten  pflegen.  Ferner  halten  wir  es  für  sehr  unwahrschein¬ 
lich,  dass  vollkommen  ausgeheilte  Processe,  die  gar  keine  Nach¬ 
schübe  aufweisen  und  häufig  mit  Hinterlassung  einer  Narbe  oder 
Schwarte  enden,  viele  Jahrzehnte  hindurch  fast  continuirlich  durch 
Reizung  gewisser  Faserzüge  Chorea  erzeugen  sollen.«  Gerade  gegen¬ 
über  diesem  letzten  Punkt  kann  sich  Referent  nicht  versagen,  darauf 
hinzuweisen,  dass  wir  ja  bei  vielen  Fällen  von  Jackson-Epilepsie 
ein  Beispiel  dafür  haben,  dass  scheinbar  abgelaufene,  z.  B.  in 
Narbenbildung  ausgeheilte  Processe  noch  lange  Zeit  nachher  einen 
Reiz  zu  erzeugen  vermögen.  Wie  dem  auch  sei,  Interesse  wird 
man  dieser  originellen  Arbeit  Pineles’  nicht  versagen  können. 

* 

VI.  Dr.  Julius  Zappert  und  Dr.  Fritz  II  i  t  s  c  h  m  a  n  n, 
Ueber  eine  ungewöhnliche  Form  des  angeborenen 

Hydrocephalus. 

Zappert  und  II  it  sch  mann  beschreiben  einen  höchst 
seltenen  Fall  von  Hydroceph.  congen.,  der  dadurch  charakterisirt 


Nr.  88 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


861 


erscheint,  dass  die  Krankheit  so  früh  einsetzte,  dass  es  weder  zu 
einer  Vergrösserung  des  Schädeldaches,  noch  zu  einer  Entwicklung 
der  Stammganglien  kam. 

Z a p p e r t  und  Hitschmann  schlagen  für  ihren  Fall, 
dessen  genaue  histologische  Untersuchung  ihn  besonders  werthvoll 
macht,  den  Namen  Hydromikrocephalus  in  Anlehnung  an  die  von 
K  1  e  b  s  eingeführte  Nomenclatur  vor.  Dr.  v.  C  z  y  h  1  a  r  z. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

352.  Zur  Wirkung  des  nahen  Blitzschlages. 

Von  Strebei.  In  nächster  Nähe  eines  18  Monate  allen  Fohlens 
hatte  ein  Blitz  eingeschlagen;  sofort  stellten  sich  auffällige  Verän¬ 
derungen  im  Gange  ein.  Bei  der  Section  des  Thieres  fand  man 
zerstreut  in  der  Rinde  der  Grosshirnhemisphäre  hirsekorn-  bis 
erbsengrosse  hämorrhagische  Herde.  —  (Schweizer  Archiv  für  Thier¬ 
heilkunde.  Bd.  XLII,  Heft  3.)  Pi. 

* 

353.  Blutungen  bei  Influenza.  Petrucci  bespricht 

in  der  medicinisch-chirurgischen  Gesellschaft  zu  Parma  die  ver¬ 
schiedenen  Formen  derselben,  erwähnt  elf  Fälle  von  Nasen-,  Bronchial- 
und  Uterusblutung  und  hält  sich  berechtigt,  eine  hämorrhagische 
Form  der  Influenza,  möglich  Folge  einer  Mischinfection,  anzunehmen. 
—  (Gazz.  degli  Ospedali.  1900,  Nr.  99.)  Sp. 

* 

354.  Zur  Behandlung  der  chronischen  Gicht. 

\ on  Dr.  W.  Bain.  Es  kommt  zur  Bildung  der  Harnsäure  ent¬ 
weder  im  Wege  der  Leber,  der  Niere  oder  durch  Decomposition 
von  Nuclein.  Durch  die  classischen  Untersuchungen  Hor- 
baczewski’s  ist  es  sehr  wahrscheinlich  geworden,  dass  die 
Harnsäure  vom  Nuclein  herzuleiten  sei.  Aus  dieser  Erwägung  leitet 
sich  auch  die  Therapie  ab,  deren  Aufgabe  es  sein  wird,  den  über¬ 
mässigen  Zerfall  des  Nucleins,  sowie  die  Aufspeicherung  dieser 
Zerfallsproducte  im  Körper  hintanzuhalten,  beziehungsweise  deren 
Elimination  zu  befördern.  Nach  Verfasser  ist  ein  Nutzen  von  der 
üblichen  medicamentösen  Therapie  erst  in  zweiter  Linie  zu  er¬ 
warten,  das  Hauptmittel  liegt  in  der  Regelung  der  Diät.  —  (Brit. 
med.  Journ.  9.  Juni  1900.)  '  pj 

* 

355.  Erweichungsherde  im  Gehirne  in  Folge 

Vergiftung  mit  Kohlenoxydgas.  Von  Dr.  Folli.  Folli 
fand  bei  einem  Selbstmörder  in  Folge  von  Kohlenoxyd-Asphyxie 
zur  Seite  der  inneren  Kapsel  und  des  Linsenkernes  einen  rothen 
Erweichungsherd,  wahrscheinlich  durch  Thrombusbilduug.  Diese 
Beobachtung  ist  deshalb  von  Werth,  weil  die  nervösen  Erscheinungen 
bei  Kohlenoxydgas  gewöhnlich  erst  später  vortreten.  ([R  i  v  a]  Diese 
Mittheilung  von  Folli  bestätigt  noch  einmal  die  Möglichkeit  von 
Thrombusbildung  ausschliesslich  durch  Alteration  des  Blutes.)  — 
(Gazz.  degli  Ospedali.  19.  August  1900,  Nr.  99.)  Sp. 

* 

356.  Heber  endoglobuläre  Körperchen  in  den 
Erythrocyten  der  Katze.  Von  Dr.  Schmauch.  Verfasser 
macht  aut  die  in  den  rothen  Blutkörperchen  der  Katze,  und  zwar 
auch  im  ungefärbten  Präparate  vorkommenden  Einschlüsse  auf¬ 
merksam,  die  er  für  Reste  der  ursprünglichen  Kerne  ansieht;  im 

totalen  Blute  kommen  sie  nicht  oder  nur  sehr  selten  vor.  _ 

(Virchow’s  Archiv.  Bd.  GLVI,  Heft  2.)  pp 

* 

357 .  lieber  den  diagnostischen  Werth  dos 
Herpes  labialis.  Von  Minerbi.  Acht  Jahre  altes  Kind  aus 
tuberculöser  Familie  erkrankte  an  heftigen  Fiebererscheinungen  mit 
Milzvergrösserung;  am  sechsten  Tage  geringer  Herpes  labialis,  welcher 
samml  dem  Fieber  am  Ende  der  fünften  Woche  verschwand.  Ein¬ 
einhalb  Monate  später  eine  kleine  hypophonetische  Zone  in  der  rechten 
oberen  Parasternalgegend  mit  Verringerung  des  tactilen  Stimmfremitus 
und  Verschwinden  des  vesiculären  Alhmens.  Da  sonstige  Erschei¬ 
nungen  fehlten,  und  auch  schon  vorher  verschiedene  Krankheiten, 
wie  Malaria,  Influenza,  Pseudoleukämie,  acute  Miliartuberculose  aus¬ 
geschlossen  waren,  so  vermuthete  Minerbi  eine  tuberculöse  Adeno- 
palhie  des  Mediastinums.  Zwei  Monate  später  starb  das  Kind  an 
acuter  basilarer  Meningitis.  Minerbi  betont  den  Werth  des  Herpes 


labialis,  um  die  Diagnose  »Ilootyphus«  in  solchen  Fällen  auszuschliessen, 
was  bei  der  wochenlangen  Dauer  des  Fiebers  bezüglich  der  dar- 
zureichenden  Nahrung  von  Wichtigkeit  ist.  —  (La  Riforma  Medica’ 
1900,  Nr.  190.)  S|)  * 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Dei  Minister  für  Gultus  und  Unterricht  hat  im  Einvernehmen 
mit  dem  Ministerium  des  Innern  für  die  im  Studienjahre  1900/1901 
nach  Massgabe  der  medicinischen  Bigorosenordnung  vom 
15.  April  1872  abzuhaltenden  Rigorosen  nachbenannte  Functionäre 
ernannt,  und  zwar: 

1.  An  der  Universität  in  Wien:  Zu  Regierungs¬ 
commissären  den  Sanitäts-Referenten  Dr.  v.  Kusy  den 
Ministerialrath  Dr.  Josef  Daimer,  den  Sectionsrath  Dr.  filing 
und  den  Landes-Sanitäts-Referenten  Dr.  August  Netolitzky; 
zu  Goexaminatoren  beim  zweiten  Rigorosum  die  o.  Professoren 
Hofrath  Freiherrn  v.  Widerhofer  und  Wagner  v.  Jauregg 
und  zu  deten  Stellvertreter  Ilofrath  Max  Gruber,  beziehungsweise 
den  a.  o.  Prof.  Emil  Stoffelia  d’Alta  Rupe;  zu  Coexami- 
natoren  beim  dritten  Rigorosum  die  Hofrätlie  Neumann  und 
Kaposi  und  zu  deren  Stellvertretern  den  titul.  o.  Prof.  Dr.  Adam 
Politzer  und  den  a.  o.  Prof.  Dr.  Victor  Urb  antschitsch. 

2.  An  der  deutschen  Universität  in  Prag:  Zum 
Regi  erungscomm  issär  den  Landes-Sanitäts-Inspector  Doctor 
Vincenz  v.  B  rech  ler  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Ober¬ 
bezirksarzt  Dr.  F  r  i  e  d  r  i  c  h  Wenisch;  zum  Coexaminator 
beim  zweiten  Rigorosum  den  a.  o.  Prof.  Friedrich  G  a  n  g- 
h  ofner  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  o.  Prof.  Ferdinand 
II  u  e  p  p  c,  zum  Coexaminator  beim  dritten  Rigorosum  den 
o.  Piof.  1  hilipp  Josef  Pick  und  zu  dessen  Stellvertreter  den 
titul.  o.  Prof.  Emanuel  Zaufal. 

3.  An  der  böhmischen  Universität  in  Prag:  Zum 

Regie  rungscommissä  r  den  Landes  Sanitäts-Referenten,  Hofrath 
Dr.  Ignaz  Pelc  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Landes-Sanitäts- 
I inspector  Di.  Vincenz  Slavik  und  im  Falle  seiner  dienstlichen 
Verhinderung  den  Landes-Sanitäts-Inspector  Dr.  Franz  Plzük;  zum 
Coexaminator  beim  zweiten  Rigorosum  Prof.  Gustav 
Kabrhel  und  zu  dessen  Stellvertreter  Prof.  Karl  Ivuffner; 
zum  Coexaminator  beim  dritten  medicinischen  Rigorosum  den 
Prof.  Victor  Janovsky  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  a.  o. 
Prof.  Karl  Schwing.  ^ 

4.  An  der  Universität  in  Graz:  Zum  R  egie rungs¬ 
commissä  r  den  Landes-Sanitäts-Referenten  Dr.  August  Sehne- 
d  i  t  z  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Landes-Sanitäts-Inspector 
Dr.  Ludwig  P  o  s  s  e  k,  beziehungsweise  den  Bezirksarzt  Dr.  Adolf 
v.  K  u  t  s  c  h  e  r  a  ;  zu  Goexaminatoren  beim  zweiten  Rigorosum 
die  Professoren  Theodor  Esche  rieh  und  Gabriel  Anton; 
zu  Goexaminatoren  beim  dritten  Rigorosum  Prof.  Wilhelm 
P  r  a  u  s  n  i  t  z,  sowie  die  titul.  o.  Professoren  Adolf  J  a  r  i  s  c  b  und 
Johann  H  a  b  e  r  m  a  n  n. 

5 .  An  der  Universität  in  Innsbruck:  Zum  Re¬ 
gie  rungscommissä  r  den  Landes-Sanitäts-Referenten  Dr.  F  e  r- 
d  i  n  a  n  d  Sauter  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Sanitätsconcipisten 
Dr.  Friedrich  Sander;  zu  Coexaminator  en  beim  zweiten 
Rigorosum  die  a.  o.  Professoren  K  a  r  1  M  ayer  und  Joha  n  n 
Loos;  zu  Goexaminatoren  beim  dritten  Rigorosum  die 
a.  o.  Professoren  Georg  Jufinger,  Johann  Rille  und 
Alois  Lode. 

6 .  A  n  der  Universität  in  Krakau:  Zum  Regierungs- 
commissär  den  Oberbezirksarzt  Dr.  Gustav  B  i  e  1  a  n  s  k  i  und 
zu  dessen  Stellvertreter  den  Director  des  St.  Lazarus-Spitales  und 
titul.  a.  o.  Prof.  Dr.  Stanislaus  Poni  kl  o;  zum  Coexaminator 
beim  zweiten  Rigorosum  den  Privatdocenten  Dr.  L  u  d  o  m  i  1 
Korczynski  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Privatdocenten 
Dr.  Johann  Raczyfiski;  zum  Coexaminator  beim  dritten 
medicinischen  Rigorosum  den  a.  o.  Prof.  Ladislaus  Reiss  und 
zu  dessen  Stellvertreter  den  Privatdocenten  Alexander  Bos- 
sowski. 

7.  An  der  Universität  in  Lemberg:  Zum  R  e- 
g  i  e  r  u  n  g  s  e  o  m  m  i  s  s  ä  r  den  Landes-Sanitäts-Referenten  Dr.  Josef 
Mer  unowicz  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Landes-Sanitäts- 
Inspector  Dr.  Josef  Barzycki;  zum  Coexaminator  beim 
zweiten  Rigorosum  den  a.  o.  Prof.  Stanislaus  B  a  d  z  i  ri  s  k  i 
und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Director  des  St.  Sophien-Kinder- 
spitales  Emil  Merczynski;  zum  Coexaminator  beim 
dritten  medicinischen  Rigorosum  den  a.  o.  Prof.  Wladimir 
Lukasiewicz  und  zu  dessen  Stellvertreter  den  Privatdocenten 
Victor  Wehr. 


862 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  38 


Verliehen:  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Johann  Müller  in 
Olmütz  der  Generalstabsarztes-Cbarakter  ad  honores  mit  Bekanntgabe 
der  Allerhöchsten  Zufriedenheit.  —  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  August 
Hruby  in  Zara  der  Generalstabsarztes-C'harakter  ad  honores  und 
der  Orden  der  Eisernen  Krone  dritter  Classe. 

* 

TIabilitirt:  Dr.  Hermann  Schlöffe  r  für  Chirurgie  an 
der  deutschen  medicinischen  Facultät  in  Prag. 

* 

Gestorben:  In  Krapina  Linienschiffsarzt  Dr.  Alexander 
K  u  k  i  c.  —  Dr.  H  a  n  a  u,  ehemaliger  Privatdocent  für  pathologische 
Anatomie  in  Zürich.  —  Der  ehemalige  Professor  der  gerichtlichen 
Medicin  in  Glasgow,  Dr.  P.  Simpson. 

* 

Von  dem  „Handbuche  der  praktischen  Chirurgi  e“, 
herausgegeben  bei  Enke  in  Stuttgart  von  Bergmann,  Bruns 
und  Mikulicz,  sind  die  Lieferungen  16  und  17  mit  der  Fort¬ 
setzung  der  chirurgischen  Krankheiten  der  unteren  Extremitäten, 
ferner  den  Erkrankungen  und  Verletzungen  der  Schulter  und  des 
Oberarmes  von  Dr.  A.  Schreiber,  Augsburg,  erschienen.  —  Das  im 
gleichen  Verlage  erscheinende  „Handbuch  der  praktischen 
Medicin“,  redigirt  von  Ebstein  und  Schwalbe,  ist  mit  der 
vorliegenden  Lieferung  23  und  24  bis  zum  Abschlüsse  des  dritten 
Bandes  gediehen.  Dieselben  bringen  Arbeiten  über  die  Krankheiten 
der  männlichen  Genitalorgane  (Jadassohn,  Fürbringer,  Leser) 
und  zum  Schlüsse  jene  über  die  venerischen  Krankeiten  (J  a  d  a  s- 
s  o  h  n). 

* 

Für  die  in  den  einzelnen  Curorten  weilenden  Kranken,  oder  den 
daselbst  zur  Erholung  befindlichen  Gesunden  ist  es  von  Interesse,  die 
örtlichen  und  geschichtlichen  Verhältnisse  ihres  temporären  Wohnortes, 
dessen  sanitären  Einrichtungen,  Curmittel  u.  s.  w.  kennen  zu  lernen, 
zu  welchem  Zwecke  auch  die  folgenden  zwei  Brochuren  dienen:  Das 
von  der  Curcommission  bei  D  e  u  t  i  c  k  e  in  Wien  herausgegebene 
„Der  Curort  Baden  bei  Wien  in  Wort  und  Bild“  und 
Dr.  Marc:  „W  i  1  d  u  n  g  e  n  und  seine  Mineralquelle  n“, 
Verlag  Pusch  in  Wildungen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  34.  Jahreswoche  (vom  19.  August 
bis  25.  August  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  602,  unehelich  297,  zusammen 
899.  Todt  geboren:  ehelich  46,  unehelich  22,  zusammen  68.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  630  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19-8  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  93,  Blattern  0,  Masern  8, 
Scharlach  1,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  7, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  1,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  52.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
6  (-|-  1),  Masern  66  ( —  7),  Scharlach  24  (-(-  5),  Typhus  abdominalis 
24  (-)-  18),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  27  (-f-  13),  Croup  und 
Diphtherie  27  (—2),  Pertussis  14  (—  4),  Dysenterie  3  (-|- 2),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  1  (=),  Trachom  5  ( —  2),  Influenza  0  (=). 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  35.  Jahreswoche  (vom  26.  August 
bis  1.  September  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  582,  unehelich  244,  zusammen 
826.  Todt  geboren:  ehelich  45,  unehelich  16,  zusammen  61.  Gesammtzahl 
der  Todeställe  584  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18'3  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  106,  Blattern  0,  Masern  2, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  5,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  31.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
9_(+  3),  Masern  57  (—  9),  Scharlach  19  ( —  5),  Typhus  abdominalis 
15  (—  9),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  26  (—  1),  Croup  und 
Diphtherie  12  (—  15),  Pertussis  26  (-j-  2),  Dysenterie  0  (—  3),  Cholera  0 
(=).  Puerperalfieber  1  (=),  Trachom  2  (=),  Influenza  0  (=). 


Freie  stellen. 

Gemeindearztesstelle  im  Markte  Schmiedeberg,  Böhmen, 
(politischer  Bezirk  Kaaden)  mit  15.  October  d.  J.  zu  besetzen.  Jahresgehalt 
1BH)  K  für  Armenbehandlung  und  Todtenbeschau.  Hausapotheke.0  Die 
Marktgemeinde  Schmiedeberg  zählt  über  40C0  Einwohner,  hat  Eisenbahn¬ 
station,  mehrere  Fabriks-  und  Genossenschafts-Krankencassen,  welche  zu¬ 
sammen  ein  bedeutendes  Einkommen  sichern  und  eröffnet  sich  Aussicht  auf 
lohnende  Praxis,  weil  in  einigen  Nachbarorten  sich  kein  Arzt  befindet.  Be¬ 
werber  müssen  katholischer  Confession,  deutscher  Nationalität  sein  und 
erhalten  Doctoren  der  gesammten  Heilkunde  den  Vorzug.  Gesuche  bis 
1.  October  d.  J.  an  das  Bürgermeisteramt  in  Schmiedeberg. 

Gemeindearztesstelle  für  den  Sanitätssprengel  Kostina, 
Bukowina,  mit  dem  Wohnsitze  in  der  Gemeinde  Kostina.  Jahresdotation 
1200  K,  zahlbar  beim  k.  k.  Hauptsteueramte  in  Suczawa  in  monatlichen 


anticipativen  Raten,  ausserdem  für  Dienstreisen  die  mit  der  Kund¬ 
machung  der  Bukowinaer  k.  k.  Landesregierung  vom  27.  April  1895, 
Z.  6788,  L.  G.  u.  V.  Bl.,  Jahrgang  1895,  Stück  XII,  lit.  B.  normirten  Ge¬ 
bühren.  Bewerber  um  diesen  Posten  haben  nach  §  5  des  Landes-Sanitäts- 
gesetzes  nachzuweisen  :  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  Heilkunde  in  den 
im  Reichsrathe  vertretenen  Königreichen  und  Ländern,  die  öster¬ 
reichische  Staatsbürgerschaft  und  die  Kenntniss  der  deutschen  und 
rumänischen  Sprache.  Die  dementsprechend  instruirten  Gesuche  sind  im 
vorschriftsmässigen  Wege  binnen  vier  Wochen  an  die  Bezirkshauptmann¬ 
schaft  in  Suczawa  zu  senden. 

Gemeindearztesstelle  in  der  4000  Einwohner  zählenden,  aus 
drei  Ortschaften  Puöisöe,  Praznice  und  IIumac-Gornji  bestehenden  Gemeinde 
Puöi§ce  auf  der  Insel  Brazza,  politischer  Bezirk  Spalato,  Dalmatien. 
Fixum  jährlicher  1680  K  für  Armenbehandlung  und  Verseilung  des  Dienstes 
im  Sinne  des  Gesetzes  vom  27.  Februar  1874  (L.  G.  und  V.  Bl.  Nr.  10); 
ferner  lür  jeden  Krankenbesuch  bei  nicht  Gemeindearmen  1  K ;  Wagen- 
gebühr  von  8  K  nach  Graznisc  und  von  10  K  nach  Humac  Gornji  nebst  dem 
Transportmittel,  ausserdem  für  Vieh-  und  Fleischbeschau  im  Gemeinde- 
schlachthause  1  K  von  jedem  Rinde  und  10  h  von  jedem  Stück  Kleinvieh. 
Bedingungen:  1.  Doctorat  der  gesammten  Heilkunde,  2.  inländische  Heimats¬ 
zuständigkeit,  3.  Kenntniss  der  kroatischen  Sprache,  4.  Verpflichtung  zur 
Haltung  einer  Hausapotheke,  5.  physische  Eignung. 

Gemeindearztesstelle  in  Vallegrande  auf  der  Insel  Curzola, 
Dalmatien.  3400  K  Jahresgehalt  in  Monatsraten  aus  der  Geraeindecasse 
zahlbar,  für  die  unentgeltliche  Behandlung  aller  Kranken  im  Domicilorte. 
Die  Dauer  der  Anstellung  wird  durch  Contract  auf  Grund  der  bestehenden 
Vorschriften  festgesetzt.  Haltung  einer  Hausapotheke.  Bewerber  um  diese 
Stelle  haben  die  Gesuche  bis  22.  September  d.  J.  beim  Gemeindeamte  ein- 
zubrirgen  und  mit  folgenden  Documenten  zu  belegen:  a)  Geburtsschein; 
h)  Diplom  über  die  Erlangung  des  Doctorgrades  der  gesammten  Heilkunde; 
c)  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  d)  Nachweis  über  die  Kenntniss  der 
kroatischen  Sprache. 

G  emeindearztesstel  le  in  Kirchheim,  politischer  Bezirk 
Tolmein,  Küstenland.  Jahresgehalt  1100  K  (in  anticipativen 
Monatsraten  aus  der  Gemeindecassa  zahlbar)  für  die  unentgeltliche  Be 
handlung  der  Ortsarmen  und  die  Versehung  des  Gemeindesanitätsdienstes. 
Hausapotheke.  Die  mit  den  Nachweisen  der  österreichischen  Staatsbürger¬ 
schaft,  der  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis,  der  eventu¬ 
ellen  bisherigen  Dienstleistung,  des  Alters,  der  Kenntnis  der  slovenischen, 
eventuell  einer  südslavischen  Sprache  belegten  Gesuche  sind  bis  Ende 
September  1.  J.  an  die  Gemeindevorstehung  in  Kirchheim,  welche  auf 
Verlangen  auch  nähere  Auskünfte  ertheilt,  einzusenden. 

Districtsarztesstelle  in  Budischau,  Mähren.  Der  District 
zählt  6563  Seelen  und  hat  einen  Flächenraum  von  circa  133  03  lcm.  Ge 
sammtbezüge:  1753  K  52  h,  und  zwar  1064  K  Gehalt  und  689  K  52  h 
Fahrpauschale;  ausserdem  bat  der  Districtsarzt  das  Recht  zur  Führung 
einer  Hausapotheke  und  die  Aussicht  auf  eine  einträgliche  Landpraxis.  Be¬ 
werber  haben  ihre  Gesuche  bis  längstens  20.  September  1900  beim 
Obmanne  der  Sanitätsdelegirtenversammlung,  Wenzel  Machat  in  Budischau, 
einzubringen  und  mit  Dachfolgenden  Belegen  zu  versehen:  Heimatschein, 
Nachweis  der  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis,  Nachweis 
der  körperlichen  Eignung,  der  Wohlverhaltenheit  und  der  Kenntniss  beider 
Landessprachen,  insbesondere  der  böhmischen. 

Gemeindearztesstelle  in  Münichreith  am  Ostrang  (politischer 
Bezirk  Pöggstall),  Niederösterreich.  Die  festen  Bezüge  für  die  Ver¬ 
seilung  des  gemeindeärztlichen  Dienstes  in  der  aus  den  Gemeinden  Münich¬ 
reith  a.  O.,  Fritzelsdorf,  Kehrbach,  Kollnitz,  Nussendorf,  Rappolten¬ 
reith,  Arndorf  und  Bruck  a.  O.  mit  zusammen  2038  Einwohnern  bestehenden 
Gruppe  betragen  1444  K,  und  zwar:  Landessubvention  1200  K ,  Gemeinde¬ 
beiträge  244  K.  Ausserdem  erhält  der  Gemeindearzt  noch  fixe  Bezüge 
seitens  des  Bezirksarmenrathes  Persenbeug  und  seitens  der  Krankencassen. 
Die  mit  Tauf-,  beziehungsweise  Geburtsscheine,  Diplom,  Moralitätszeugniss, 
Gesundheitszeugnis  (von  einem  in  Staatsdiensten  stehenden  Arzte  aus¬ 
gestellt)  und  eventuellen  Verwendungszeugnissen  belegten  Gesuche  sind  bis 
längstens  25.  September  1900  bei  der  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft 
Pöggstall  einzureichen.  Eventuell  noch  weiters  gewünschte  Auskünfte 
ertheilt  die  k.  k.  Bezirkshauptmannschaft  Pöggstall,  sowie  der  Gemeinde¬ 
vorsteher  von  Münichreith  (Post  Marbach  a.  d.  Donau). 

Gemeindearztesstelle  in  der  Sanitätsgemeindengruppe  Eurats- 
feld,  politischer  Bezirk  Amstetten,  Niederösterreich.  Mit  dieser  im 
November  1900  zu  besetzenden  Stelle  ist  ein  Fixum  von  430  K  seitens  der 
Gemeinden  verbunden.  Hausapotheke.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre 
ordnungsmässig  instruirten  Gesuche  bei  der  Gemeindevorstehung  Euratsfeld 
bis  Ende  October  1900  einzubringen. 

Gemeindearztesstelle  in  Rietz,  politischer  Bezirk  Imst,  Tirol. 
Die  Gemeinde  zählt  circa  1000  Einwohner.  Jährliches  Wartgeld  1000  K, 
nebst  freier  Wohnung  und  24  m3  Brennholz.  Ganggeld  und  Todtenbeschau- 
gebiihreu  nach  Uebereinkommen.  Der  Arzt  ist  verpflichtet,  eine  Hausapotheko 
zu  halten  und  den  Sanitätsdienst  in  der  Gemeinde  im  Sinne  der  Dienstes¬ 
instruction  für  Gemeindeärzte  in  Tirol  vom  24.  Februar  1885  (L.  G.  und 
V.  Bl.  Nr.  8)  zu  versehen.  Anfragen  sind  an  die  Gemeindevorstehung  Rietz, 
politischer  Bezirk  Imst,  zu  richten. 

Bei  den  kärntnerischen  Landes  Wohlthätigkeits-Anstalten  kommt  mit 
1.  November  1.  J.  eine  Secundararztesstelle  zur  Besetzung.  Be¬ 
werber  um  diesen  Dienstesposten,  mit  welchem  eine  jährliche  Remuneration 
von  1200  A”,  sowie  der  Bezug  der  freien,  beheizten  und  beleuchteten 
Wohnung  verbunden  ist,  haben  ihre  gehörig  belegten  Gesuche,  welche  auch 
den  Nachweis  der  vollstreckten  activen  Militärdienstleistung  zu  enthalten 
haben,  bis  30.  September  1900  bei  der  gefertigten  Direction  einzubringen. 
Für  den  Director.  Prof.  Dr.  Franz  Torggler. 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


863 


Verhandlungen  ärztlicher  (xesellschaften  und  Congressberichte. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August  1900.)  (Fortsetzung.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2.-9.  August  1900.) 

(Fortsetzung). 

A  b  t  li  e  i  1  u  n  g  für  innere  M  e  d  i  c  i  n. 

VI.  Sitzung. 

1.  Referent :  A  c  h  a  r  d  (Paris) :  Niereninsufficienz. 

Die  bisher  bekannten  Zeichen  einer  anatomischen  Nierenläsion 
bleiben  in  erster  Reihe  Hilfsmittel  zur  Diagnose  einer  Niereninsufficienz. 
Aber  die  functioneilen  Störungen  gehen  den  anatomischen  Ver¬ 
änderungen  nicht  immer  parallel,  sie  gehen  ihnen  oft  voraus  und 
können  selbst  bei  scheinbarer  Gesundheit  bestehen.  Zu  ihrer  Er¬ 
kennung  gibt  es  verschiedene  Mittel,  zunächst  die  quantitative  Be¬ 
stimmung  einzelner  normaler  Harnbestandtheile,  wie  Harnstoff,  Phos¬ 
phate,  Kalisalze  (die  namentlich  bei  einseitiger  Nierenaffection  zuweilen 
auffällig  vermindert  sind)  und  die  Bestimmung  der  Harngiftigkeit  (bei 
intravenöser  Einspritzung  auf  Kaninchen  nach  Bouchard). 
Leistungsfähiger  aber  als  diese  Methoden  hält  Vortragender  die 
vergleichsweise  physikalich-chemische  Untersuchung  der  osmotischen 
Spannkraft  von  Harn  und  Blut,  das  heisst  die  Bestimmung  des  Ver¬ 
hältnisses  der  molecularen  Concentration  dieser  Flüssigkeiten  nach 
v.  Kor  any  i  mittelst  der  Methode  der  Gefrierpunktsprüfung 
(Kryoskopie).  Indes  hält  Vortragender  auch  dieses  Verfahren  für  den 
täglichen  Gebrauch  in  der  Klinik  zu  eomplicirt.  Zur  Erkennung  einer 
functionellen  Niereninsufficienz  erscheint  ihm  am  geeignetsten  die  Be¬ 
obachtung  der  Ausscheidung  des  Methylenblau  nach  subcutaner 
Injection  von  (F05  g.  Es  erscheint  im  Flame  sowohl  als  blauer  Farb¬ 
stoff  wie  als  farblose  sogenannte  Leukobase  (Ehrlich),  die  Vor¬ 
tragender  Chromogen  nennt,  weil  sie  durch  Oxydation  (mit  Essigsäure 
in  der  Wärme)  den  blauen  Farbstoff  wieder  annimmt.  Das  Methylen¬ 
blau  erscheint  im  Harne  nach  einer  Viertel-  bis  einer  halben  Stunde 
beim  gesunden  Menschen.  Unter  pathologischen  Verhältnissen  kann 
die  Ausscheidung  um  ein  oder  mehrere  Stunden  verzögert  sein. 
Wichtiger  ist  ihre  Dauer.  Normaler  Weise  beträgt  sie  35 — 60  Stunden. 
Sie  ist  verkürzt  bei  abnormer  Durchgängigkeit  der  Nieren  (in  Folge 
von  Desquamativkatarrh  der  Epithelien)  oder  im  Gegentheile  bei  sehr 
hochgradiger  Insuffieienz,  die  überhaupt  nur  wenig  Substanz  durch¬ 
treten  lässt.  Häufiger  ist  die  Verlängerung  der  Ausscheidung  bis  zum 
dritten  und  vierten  Tage,  je  nach  der  Stärke  der  Insuffieienz.  Die 
Menge  beträgt  normal  in  den  ersten  24  Stunden  etwa  die  Hälfte  der 
injicirten  Dosis.  Bei  chronischer  Nephritis  ist  sie  vermindert. 
Schliesslich  kann  der  normale  Rhythmus  der  Ausscheidung  (allmäliges 
Ansteigen  bis  zum  Maximum,  dann  ebenso  regelmässiges  Absinken) 
unter  pathologischen  Verhältnissen  verändert  sein,  er  kann  selbst 
discontinuirlich  werden. 

Correferent  L  a  a  c  h  e  (Christiania)  hebt  hervor,  dass  man  jetzt 
auch  an  eine  functionelle  Diagnostik  der  Nieren  denkt,  wie  man  sie 
zuerst  beim  Herzen,  dann  beim  Magen  kennen  gelernt  hat.  Das  ist  um 
so  nothwendiger,  als  man  die  verschiedenen  Formen  der  Nierenkrank¬ 
heiten  anatomisch  nur  theilweise  von  einander  trennen  kann.  Auch  in 
der  Symptomatologie  verwischen  sich  oft  die  einzelnen  Formen 
der  Nephritis  unter  einander.  Gewisse  Erscheinungen  sind  überhaupt 
einet  anatomischen  Deutung  noch  nicht  fähig.  Vortragender  erwähnt 
als  Beispiel  die  sogenannte  cyklische  Albuminurie,  die  auf  einen  ge¬ 
wissen  Grad  von  Niereninsufficienz  zurückzuführen  ist.  Das  ärztliche 
Bestreben  muss  aber  dahin  gehen,  die  Diagnose  der  Insuffieienz  vor 
dem  Ausbruche  manifester  Erscheinungen  zu  stellen.'  Dazu  liegen 
gegenwärtig  einige  Hilfsmittel  vor,  die  durch  die  Methoden  von 
A  c  h  a  r  d  und  Castaigne  und  Casper  und  Richter  gegeben 
sind.  Weiterhin  bespricht  Vortragender  die  Therapie.  Sie  muss  in 
erster  Reihe  eine  prophylaktische  sein  und  in  Hinsicht  auf  die  grosse 
ätiologische  Bedeutung  der  Arteriosklerose  in  erster  Reihe  auf  den 
Alkoholmissbrauch  gerichtet  sein.  Die  Therapie  selbst  hat  zwei  Prin- 
cipien  zu  befolgen:  Schonung  des  geschwächten  Organes  und  im  Falle 
der  Verstopfung  der  Nierencanälchen  Fortschaffung  deUpathologischen 
Producte  aus  denselben  durch  Auswaschung  des  Körpers  (reichliches 


Wassertrinken  und  Einspritzung  physiologischer  Kochsalzlösung).  Bei 
acuter  Entstehung  der  Insuffieienz  (Urämie)  ist  der  Aderlass  mit  oder 
ohne  Hypodermatoklyse  in  Anwendung  zu  ziehen. 

Discussion:  P.  F.  Richter  (Berlin)  weist  zunächst  auf 
die  Bedeutung  der  Korany  i’schen  Methode,  der  Gefrierpunkts¬ 
bestimmung  im  Blute,  für  die  Diagnose  der  Niereninsufficienz  hin. 
Namentlich  aber  für  die  Praxis,  für  die  Aussichten  eines  eventuellen 
chirurgischen  Eingriffes,  ist  eine  andere  Frage  wichtig,  nämlich  die, 
wie  sich  die  beiden  Nieren  in  die  gemeinsame  Arbeit  theilen.  In 
Gemeinschaft  mit  Casper  hat  Redner  diese  Frage  durch  Combination 
der  A  c  h  a  r  d’schen  Phloridzinmethode  mit  dem  Ureterenkatheterismus 
zu  lösen  versucht.  Es  hat  sich  gezeigt,  dass  unter  normalen  Um¬ 
ständen  jede  der  beiden  Nieren  nach  Phloridzin  die  gleichen  Mengen 
Zucker  producirt.  Das  ändert  sich  bei  einseitiger  Nierenerkrankung 5 
die  kranke  Niere  producirt  weniger,  die  hochgradig  erkrankte  über¬ 
haupt  keinen  Zucker  mehr.  Die  Menge  des  ausgeschiedenen  Zuckers 
nimmt  im  Allgemeinen  gradatim  mit  der  Schwere  der  Erkrankung  ab. 
Zusammen  mit  der  Bestimmung  der  Harnstoffausscheidung  jeder  Niere 
und  der  kryoskopischen  Bestimmung  des  von  jeder  Niere  aus¬ 
geschiedenen  Harnes  ist  auf  diesem  Wege  ein  sehr  genauer  Einblick 
in  die  Grösse  der  Nierenarbeit  zu  gewinnen. 

De  Dom  in  icis  (Neapel)  zweifelt  an  dem  renalen  Ursprünge 
der  Phloridzinglykosurie.  Nach  Injection  von  Phloridzin  fand  er  bei 
einem  Hunde  im  Blute  25  cg  Glykose.  Einige  Tage  später  doppel¬ 
seitige  Nephrektomie,  wieder  Injection  von  Pboridzin,  jetzt  im  Blute 
steigende  Mengen  von  Zucker  bis  zu  80  e#.  Die  Nierenexstirpation 
allein  vermehrt  nicht  die  Glykämie.  Danach  können  die  Nieren  nicht 
den  Zucker  bilden. 

Widal  (Paris)  berichtet  über  Untersuchungen,  die  er  gemein¬ 
sam  mit  mehreren  Mitarbeitern  angestellt  hat  über  die  Durchgängigkeit 
der  kranken  Nieren  für  eingeführte  Substanzen  (Salicylsäure, 
Methylenblau)  und  Bestimmung  der  molecularen  Concentration  des 
Blutes  mittelst  der  Methode  der  Gefrierpunktsbestimmung  in  Fällen 
von  parenchymatöser  Nejihritis  bei  Menschen  und  Thieren  (experimentell 
erzeugt).  So  fand  sich  zum  Beispiel  bei  einem  Kranken  mit  paren¬ 
chymatöser  Nephritis  ohne  Urämie  eine  Verlängerung  der  Ausscheidung 
des  Methylenblau  und  sehr  erhebliche  Steigerung  des  Gefrierpunktes 
des  Blutes.  Bei  sieben  Kaninchen  wurde  durch  Chromsäureinjectionen 
eine  Nephritis  erzeugt,  die  Nieren  zeigten  sich  für  Salicylsäure  so 
durchgängig  wie  normal,  bei  Methylenblau  trat  eine  verlängerte  Aus¬ 
scheidung  unter  der  Form  des  Chromogens  ein.  Das  Serum  dieser 
Thiere  war  bei  intercerebraler  Injection  auf  Meerschweinchen  giftig 
in  Dosen  von  0-l  cm3,  auf  Kaninchen  0\5  cm3.  Nach  Zustandekommen 
der  Nierenläsion  blieb  die  Injection  des  Serums  in  selbst  grösseren 
Dosen  wirkungslos. 

Bard  (Lyon)  erwähnt  seine  bereits  publicirten  Untersuchungen, 
wonach  die  Durchlässigkeit  der  Nieren,  am  Methylenblau  gemessen, 
vermindert  ist  bei  interstitieller  Nephritis,  vermehrt  dagegen  bei  paren¬ 
chymatöser  Nephritis.  Wahrscheinlich  verhält  es  sich  so  auch  bei  der 
Urämie. 

B  e  r  11  a  d  (Paris)  bemerkt,  dass  man  wohl  nicht  berechtigt  ist, 
aus  dem  Verhältnisse  des  experimentell  eingeführten  Methylenblaus 
allgemeine  Schlussfolgerungen  auf  die  Durchgängigkeit  der  Nieren  ab¬ 
zuleiten,  die  ja  für  einzelne  Substanzen  verschieden  sein  kann.  Er¬ 
gibt  der  Kryoskopie  (Gefrierpunktsbestimmung)  den  Vorzug,  weil 
diese  Methode  gleichzeitig  auf  Harn  und  Blut  anwendbar  ist  und 
dadurch  ein  werthvoller  Vergleich  geboten  ist.  Es  hat  sich  ergeben, 
dass  die  Durchlässigkeit  der  Nieren,  deren  Wesen  man  besser  als 
„secretorische  Nierenfunction“  bezeichnen  würde,  bei  den  verschiedenen 
Formen  der  Nierenkrankheiten  verschieden  ist;  sie  ist  aber  unab¬ 
hängig  von  der  Existenz  anatomischer  Läsionen.  Bei  der  Urämie  er¬ 
weisen  sich  die  Nieren  in  diesem  Sinne  sogar  functionsfähig,  sie  darf 
also  nicht  ausschliesslich  auf  eine  Undurchlässigkeit  der  Nieren 
zurückgeführt  werden.  Undurchlässigkeit  ist  noch  von  Insuffieienz  zu 
trennen. 

II.  Moor  (New  York)  berichtet,  dass  er  im  Harne  eine  neue 
organische  Substanz  entdeckt  hat,  die  er  Urein  nennt.  Sie  soll 
dadurch  gekennzeichnet  sein,  dass  sie  mit  Ferrocyankalium  eine  Blau¬ 
färbung  gibt.  Kein  anderer  bekannter  Körper  des  normalen  mensch- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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liehen  Harnes  gebe  diese  Reaction.  M  o  o  r  betrachtet  das  Urein  als  den 
wesentlichsten  Bestandteil  des  Harnes  und  als  die  Ursache  der 
ammoniakalischen  Zersetzung  des  Harnes,  sowie  der  urämischen 
Intoxication  Nierenkranker. 

HI.  Tarrulla  (Barcelona)  hat  bei  der  Behandlung  von 
Nierenkrankheiten  organische  Nierenextracte  zur  Anwendung  gebracht, 
aber  keine  ermuthigenden  Erfolge  gesehen. 

IV.  Sergent  et  Bernard  (Paris) :  La  maladie 
d’A  ddison  et  le  syndrome  de  l’i  n  Süffisance  cap¬ 
sul  a  i  r  e. 

Die  Vortragenden  meinen,  dass  man  von  der  A  d  d  i  s  o  n’schen 
Krankheit,  deren  untrennbares  Characteristicum  die  Bronzefärbung 
der  Haut  ist,  einen  Symptomencomplex  zu  unterscheiden  habe,  der 
sich  als  Ausdruck  der  Insufficienz  der  Nebennieren  darstellt.  Letztere 
setzt  immer  destructive  Veränderungen  an  diesen  Organen  voraus  und 
entspicht  dem,  was  man  gegenwärtig  vielfach  als  „forme  fruste“  des 
Morbus  Addisonii  bezeichnet.  Bei  der  Bronzekrankheit  können  Er¬ 
scheinungen  hinzutreten,  welche  auf  die  Nebenniereninsufficienz 
zurückzuführen  sind.  Diese  Scheidung  der  beiden  Krankheitszustände 
ist  dadurch  gerechtfertigt,  dass  sich  der  Addison  öfters  bei  anatomisch 
intacten  Nebennieren  entwickelt.  Die  Insufficienz  der  Nebennieren 
kann  sich  plötzlich  oder  allmälig  entwickeln,  unter  '  dem  Bilde  einer 
Infection  oder  auf  Grund  von  Gelegenheitsursachen,  wie  Trauma 
u.  dgl.  m. 

V.  B  o  i  n  e  t  (Marseille) :  Reche  rches  experimentales 
sur  les  fonctions  des  capsules  s  u  r  renales. 

Bei  der  Ratte  liegen  die  Nebennieren  so  frei  und  beweglich, 
dass  sie  vom  Rücken  aus  leicht  exstirpirt  werden  können.  Viele 
lebten  danach  länger  als  ein  Jahr.  Von  mehreren  Hundert  Versuchs- 
thieren  wurde  bei  einigen  20  danach  die  Entwicklung  des  Morbus 
Addisonii  beobachtet.  Es  fand  sich  schwarzes  und  braunes  Pigment 
im  Blute,  in  den  Zellen  und  Organen  (Leber,  Milz,  Drüsen). 

VI.  Sansoni  et  Serono  (Turin):  Reche  rches  sur  la 
degenerescence  graisseux  du  foie  dans  l’empois- 
sonnement  par  1  e  p  h  o  s  p  h  o  r  e. 

Bei  der  acuten  Phosphorvergiftung  ist  das  Leberfett  erheblich 
vermehrt,  hervorgegangen  aus  den  höheren  Fettsäuren.  Ein  Theil  des 
Fettes  stammt  von  der  fettigen  Entartung  der  Leber  selbst,  wahr¬ 
scheinlich  in  Folge  der  Zerstörung  der  fettbildendon  Substanzen 
(Lecithin,  Eiweiss).  Der  grösste  Theil  aber  stammt  aus  den  Fett¬ 
säuren,  welche  aus  eben  diesen  Muttersubstanzen  in  allen  Geweben 
des  Körpers  gebildet  worden  sind.  Dagegen  rührt  es  nicht  vom 
Unterhautfettgewebe  her,  weil  es  nicht  aus  Neutralfett  besteht. 

VII.  Blum  (Frankfurt  a.  M.):  Neue  experimentell  ge¬ 
fundene  Wege  zur  Erkenntniss  und  Behandlung 
von  Krankheiten,  die  durch  Autointoxicationen 
bedingt  sind. 

Innerhalb  des  Organismus  entstehen  beständig  bestimmte  Gifte, 
die  unter  normalen  Verhältnissen  von  der  Schilddrüse  unschädlich 
gemacht  werden.  Diese  Gifte  entstammen  dem  Intestinalcanal 
(Enterotoxine),  und  zwar  höchst  wahrscheinlich  der  Eiweissfäulniss,  so 
dass  sie  in  ihrer  Beschaffenheit  und  Menge  einerseits  von  der  Natur 
der  faulenden  Eiweisssubstanz  und  den  übrigen  den  Nährboden 
bildenden  Stoffen  und  andererseits  von  den  die  Fäulniss  verursachenden 
Mikroben  abhängig  sind.  Fällt  die  Thätigkeit  der  Schilddrüse  aus  und 
gelangen  die  Enterotoxine  ungehindert  zur  Einwirkung  auf  den  Or¬ 
ganismus,  dann  verursachen  sie  schwere  Störungen,  mit  denen  gleich¬ 
zeitig  sich  ausnahmslos  anatomisch  nachweisbare  Veränderungen  an 
bestimmten  Organen  entwickeln.  Bei  stürmischem  Krankheitsverlauf 
erweist  sich  nur  das  Centralnervensystem  verändert;  haben  die  Entero¬ 
toxine  etwas  längere  Zeit  schädigend  eingewirkt,  dann  zeigen  regel¬ 
mässig  auch  die  Nieren  Veränderungen,  und  zwar  neben  Degenerationen 
am  Parenchym  hauptsächlich  interstitielle  Wucherung  und  Infiltration 
in  der  Umgebung  der  Glomeruli  (Nephritis  autointoxicatoria).  De¬ 
monstration  von  Präparaten.  Diejenigen  Thiere,  die,  sei  es  spontan, 
sei  es  nach  geeigneter  Behandlung  trotz  Ausschaltung  der  Schild¬ 
drüsen  gesund  geblieben  oder  nach  Krankheit  gesund  geworden  sind, 
besitzen  in  ihrem  Blute  Schutzstoffe  gegen  jene  Enterotoxine.  Die  bei 
ihrem  Durchgänge  durch  die  gesunde  Schilddrüse  aufgegriffenen 
Enterotoxine  werden  dort  als  hochmoleculare  Verbindungen  Thyreo- 
toxalbumine)  abgelagert  und  allmälig  entgiftet.  Die  ehedem  als 
specifische  Jodsubstanz  der  Schilddrüse  bezeichuete  Verbindung  ist 
nur  ein  intermediäres  Product  in  diesem  Umwandlungsprocess  und 
stellt  ein  mehr  oder  weniger  unvollständig  mit  Jod  gesättigtes 
Thyreotoxalbumin  dar.  Auch  gegen  dieses  Thyreotoxalbumin,  das  bei 
intaetem  Sehilddrüsenstoffwechsel  niemals  in  den  Kreislauf  Übertritt, 
gibt  es  sowohl  eine  natürliche  (präexistirende),  als  auch  eine  erworbene 
Immunität.  Immunität  gegen  Enterotoxin  bedingt  keine  solche  gegen 
Thyreotoxalbumin  und  andererseits  hat  auch  die  Immunität  gegen 
Thyreotoxalbumin  noch  nicht  eine  Unempfindlichkeit  gegen  das  freie 


Enterotoxin  zur  Folge.  Die  Ergebnisse  der  mitgetbeilten  Thier¬ 
experimente  machen  es  in  hohem  Masse  wahrscheinlich,  dass  auch 
beim  Menschen  mehr  Arten  von  Erkrankungen  als  man  bisher  an¬ 
nehmen  durfte,  mit  Darmvorgängen  und  Insufficienz  der  Schilddrüse 
in  Zusammenhang  stehen;  sie  modificircu  aber  auch  die  bisherigen 
Auffassungen  von  dem  Wesen  einiger  Schilddrüsenerkrankungen. 
Auch  therapeutische  Massnahmen  Hessen  sich  aus  den  Versuchen 
ableiten. 

* 

VII.  Sitzung. 

I.  Launois  et  Loeper:  Le  pouls  veineux  des 
saphenes  dans  l’insuffisance  tricuspidienne. 

Eine  41jährige  Frau,  welche  nach  acutem  Gelenksrheumatismus 
eine  Mitralstenose  erworben  hatte,  bekam  in  Folge  einer  Ueber- 
anstrengung  eines  Tages  die  Erscheinungen  einer  Tricuspidalinsuffieienz: 
Dilatation  des  rechten  Herzens,  Jugularpuls,  Leberpuls  und  systolischen 
Puls  an  der  V.  saphena  und  den  übrigen  Venen  der  unteren  Ex¬ 
tremität.  Der  systolische  Charakter  des  Pulses  an  der  Saphena  unter¬ 
scheidet  ihn  von  allen  anderen  Venenpulsen,  wie  die  Vortragenden  an 
ihren  Curven  zeigen.  Seine  Entstehung  ist  nicht  auf  Verminderung 
des  intravenösen  Druckes  zurückzuführen,  sondern  ausschliesslich  auf 
das  Fehlen  von  Klappen  im  Stromgebiete  der  Vena  cava  inf.,  deren 
Pulsation  ein  ganz  constantes  Zeichen  der  Tricuspidalinsuffieienz  ist 
(F  r  i  e  d  r  e  i  c  h).  Dagegen  fehlen  bei  ihr  die  Geräusche  und  das 
Fremissement  an  der  Cruralis  und  Saphena,  welche  man  bei  Chloroti- 
schen  wahrnimmt,  obwohl  man  durch  die  Palpation  die  rückströmende 
Welle  beobachten  kann.  Diese  periphere  Manifestation  der  Kreislauf- 
insufficienz  ist  günstiger  als  die  viscerale,  weil  sie  wenigstens  eine 
Zeit  lang  die  Unterleibsorgane  und  insbesondere  die  Nieren  vor 
Stauungen  schont. 

P  o  t  a  i  n  sieht  das  Bemerkenswerthe  der  mitgetheilten  Beobach¬ 
tung  in  dem  Fehlen  von  Oedemen  und  erklärt  dies  dadurch,  dass  kein 
Hinderniss  für  den  venösen  Abfluss  bestanden  habe. 

II.  Bernheim  (Paris) :  Tu  berculose  et  syphilis. 

Bei  43  Kranken  hat  Vortragender  die  Combination  beider  Krank¬ 
heiten  beobachtet.  Bei  der  Häufigkeit  beider  kann  das  Zusammen¬ 
treffen  kein  Wunder  nehmen.  Die  Syphilis  bereitet  der  Tuberculose 
den  Boden,  hauptsächlich  weil  sie  Eingangspforten  für  den  Tuberkel¬ 
bacillus  schafft.  Die  Syphilis  übt  einen  deletären  Einfluss  nur  auf  die 
Phthisiker  in  vorgerückteren  Stadien  der  Krankheit.  Tritt  umgekehrt 
Tuberculose  zu  Syphilis,  so  ist  die  Prognose  sehr  ernst  im  ersten 
und  zweiten  Stadium  der  Lues,  dagegen  gutartig  im  dritten,  weil 
sich  da  das  syphilitische  Gift  erschöpft  hat.  Die  Hg-Cur  wird  schlecht 
vertragen  von  tuberculösen  Syphilitikern  im  ersten  und  zweiten  Stadium 
der  Lues.  Solche  Kranke  müssen  deshalb  erst  unter  die  günstigsten 
hygienischen  und  diätetischen  Verhältnisse  gebracht  werden,  ehe  sie 
mit  kleinen  Dosen  Hg  behandelt  werden,  die  in  grösseren  Zwischen¬ 
räumen  wiederholt  anzuwenden  sind. 

III.  B  a  r  i  e :  De  l’endocardite  maligne  dans  1  e 
r  h  e  u  m  a  t  i  s  m  e  articulaire  a  i  g  u. 

Das  Hinzutreten  einer  malignen  Endocarditis  beim  acuten 
Gelenksrheumatismus  ist  nur  ein  seltenes  Vorkommniss.  Vortragender 
berichtet  zwei  schnell  tödtlich  verlaufende  Fälle.  Im  ersten  fand  sich 
bei  der  Autopsie  eine  frische  verrucöse  Endocarditis  an  der  Mitralis, 
acute  Ilerzdilatation  und  Myocarditis.  Im  zweiten  Falle  fanden  sich 
indess  keine  ausreichenden  anatomischen  Veränderungen,  so  dass  man 
an  eine  Toxämie  durch  die  Mikroben  des  Gelenksrheumatismus  und 
ihre  Toxine  denken  muss  oder  an  eine  secundäre  Infection,  die  sich 
auf  die  initiale  Endocarditis  aufgepfropft  hat.  Schliesslich  lehren  die 
mitgetheilten  Beobachtungen,  dass  auch  die  social-hygienischen  Ver¬ 
hältnisse  des  Kranken,  schlechter  Ernährungszustand  und  Alkoholismus 
die  Disposition  zu  dieser  schweren  Form  der  Endocarditis  setzen. 

IV.  E  i  d  (Kairo) :  Lesions  valv  ulair  es  du  c  oe  u  r 
d’o  r  i  g  i  n  e  t  a  b  a  g  i  q  u  e. 

Vortragender  theilt  drei  Beobachtungen  von  schweren  Klappen¬ 
fehlern  mit,  die  tödtlich  endeten,  wo  sich  gar  keine  andere  Ur¬ 
sache  für  deren  Entstehung  finden  Hess  als  langjähriges  starkes 
Pfeifen-  und  Cigarettenrauchen,  das  ja  in  Aegypten  sehr  ver¬ 
breitet  ist. 

Rend  u  (Paris)  hat  auf  Corsica,  wo  man  ebenso  viel  und 
stark  raucht,  auffallend  häufig  Angina  pectoris  beobachtet,  oft  com- 
binirt  mit  Klapjmnfehlern,  für  die  eine  andere  Ursache  nicht  er¬ 
sichtlich  war. 

V.  Paulesco  (Paris)’:  Traitement  des  anevrismes 
de  l’aorte  par  1  a  gelatine  e  n  injections  sous- 
coutanes. 

Vortragender  spricht  über  die  von  Lanceraux  und  i  h  m 
inaugurirte  Behandlungsmethode  der  Aortenaneurysmen  mittelst  sub- 
eutancr  Gelatineinjectionen,  berichtet  über  mehrere  günstig  verlaufene 


Nr.  38 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Fälle  und  zeigt  zur  Demonstration  der  Wirkungsweise  des  Verfahrens 
ein  danach  behandeltes  Aortenaneurysma,  dessen  Riesensack  fast  voll¬ 
ständig  von  Fibringerinnsel  ausgefüllt  ist. 

VI.  Del  Piano  (Italien):  Aortite  chronique  et 
anevrysme;  processus  pleuro-pulmonaires  con- 
s  e  c  u  t  i  f  s. 

VII.  Fornario  (Kairo) :  La  dilatation  aigue  du  coeur 
dans  les  fievres  malariques. 

In  13  von  55  Fällen  von  Malaria,  die  durch  Blutuntersuchung 
identificirt  waren,  hat  Vortragender  acute  Herzdehnung  sich  ent¬ 
wickeln  sehen,  die  durch  Durchleuchtung  und  R  ö  n  t  g  e  n  -  Photo¬ 
graphien  sichergestellt  ist.  Als  klinisches  Zeichen  machte  sich  Herz¬ 
schwäche  geltend,  sie  entwickelt  sich  gleichzeitig  mit  der  Ausbildung 
des  Milztumors  und  der  Leberschwellung,  ist  rückbildungsfähig  und 
stellt  sich  auch  bei  neuen  Attaquen  wieder  ein,  wenngleich  nicht 
immer  in  derselben  Stärke.  Vom  Fieber  ist  sie  völlig  unabhängig,  weil 
sie  zuweilen  ohne  solches  auftritt.  Eine  bestimmte  Ursache  lässt  sieh 
noch  nicht  erkennen.  Vielleicht  handelt  es  sich  um  eine  toxische 
Wirkung  der  Malariaparasiten. 

VIII.  R  u  m  n  o  (Palermo) :  Sur  1  a  cardioptose.  (Durch 
den  Seeretär  verlesen.) 

R  u  m  n  o  beschreibt  die  Cardioptose  als  eine  neue,  selbstständige 
Krankheit:  Ein  Herabsinken  des  Herzens  aus  seiner  Lage  über  dem 
Diaphragma  in  Folge  einer  primären  Lockerung  seiner  Aufhänge¬ 
bänder.  Sie  hat  keine  Beziehung  zu  der  viel  häufigeren  Visceralptose. 
Die  eine  findet  sich  ohne  die  andere  und  umgekehrt.  Sie  hat  nichts 
mit  der  Arteriosklerose  zu  thun;  sie  kommt  schon  im  jugendlichen 
Alter  vor.  Disponirt  sind  Personen  mit  gracilem  Knochenbau,  langem 
Thorax,  schwachen  Muskeln,  geringem  Fettpolster.  Das  Wesen  der 
Cardioptose  besteht  in  einer  Störung  der  Statik  des  Herzens.  Es  kann 
zur  partiellen  oder  totalen  Ptosis  kommen,  wo  das  Herz  vollkommen 
auf  dem  Zwerchfell  aufliegt.  Das  Herz  sinkt  dabei  nach  der  linken 
Seite  herüber.  Durch  das  Tiefertreten  des  Herzens  erweitert  sich  die 
Aorta  und  besonders  der  Arcus,  man  muss  die  grossen  Ostien  im 
dritten  oder  vierten  Intercostalraum  auscultiren,  der  halbmondförmige 
Raum  Traub  e’s  verkleinert  sich,  zuweilen  rückt  sogar  der  linke 
Leberlappen  etwas  herab,  auch  die  Lungenränder  treten  tiefer  wie 
beim  Emphysem.  Subjective  Symptome:  Gefühl  von  Beklemmung  auf 
der  Brust,  Präcordialangst,  Athemnoth,  Herzklopfen,  Angina  pectoris, 
Tachy-  oder  Biadycardie  und  zahlreiche  inconstante  neurasthenische 
Erscheinungen.  Die  Affection  ist  familiär,  erblich,  angeboren.  Ursache 
ist  die  Entspannung  des  elastischen  Gewebes  der  Gefässe,  besonders 
der  grossen  Aorta. 

IX.  Huchard  (Paris) :  La  forme  ary  thmique  et 
tachyarythmique  de  la  cardiosclerose. 

Vortragender  will  zwei  Formen  der  Herzarythmie  in  Folge  von 
Arteriosklerose  unterschieden  wissen:  a )  Anfälle  von  Arythmie,  ganz 
plötzlich  auftretend,  mit  sich  überstürzenden  ungleichmässigen  Herz¬ 
schlägen,  nach  Pausen  regelmässiger  Herzthätigkeit,  von  Zeit  zu  Zeit 
immer  wiederkehrend;  l)  schleichende,  unbemerkte  Entwicklung  der 
Arythmie,  die  Jahre  lang  besteht,  ohne  die  geringste  functioneile 
Störung  zu  machen,  bis  plötzlich  eine  Influenza,  eine  Aufregung,  ein 
Diätfehler  u.  dgl.  das  Gleichgewicht  stört  und  Anfälle  von  Athemnoth 
und  Herzklopfen  hervorruft.  Gerade  diese  Form  kann  einen  sehr 
ernsten  Charakter  annehmen.  Sie  reagirt  nicht  auf  Digitalis,  wird 
dadurch  sogar  meist  verschlechtert.  Vortragender  hat  schon  nach 
geringen  Dosen  den  Tod  eintreten  sehen. 

Discussion:  Potain,  Merklen,  Barie,  Huchard. 

* 


VIII.  Sitzung. 

I.  Fürste  r :  La  via  n  de  crue  etle  traitement  de 
1  a  tuberculose. 

Vortragender  macht  über  die  Technik  dieser  neuesten  Behand¬ 
lungsmethode  der  Lungenschwindsucht,  über  die  bereits  vielver¬ 
sprechende  Nachrichten  in  die  Tagespresse  gelangt  sind,  folgende 
Mittheilung:  Man  präparirt  das  rohe  Fleisch,  indem  man  mit  einem 
breiten  Messer  ein  Stück  Ochsen-  oder  Hammelfleisch  abschabt,  um 
nur  das  weiche  Fleisch  zu  erhalten,  welches  man  noch  durchsiebt. 
Man  theilt  die  Masse  in  kleine  Kügelchen  von  Erdbeer-  oder  Hasel¬ 
nussgrösse  und  bringt  sie  je  nach  dem  Geschmack  des  Kranken  in 
Aprikosengelee,  Zuckerpillen  u.  dgl.  Sie  werden  verschluckt,  ohne 
gekaut  zu  werden,  und  der  Kranke  kann  auf  diese  Weise  100 — 300 
rohen  Fleisches,  unbeschadet  seiner  gewöhnlichen  Nahrung,  zu  sich 
nehmen.  Unerlässlich  ist  der  gleichzeitige  Gebrauch  alkoholischer  Ge¬ 
tränke,  die  man  esslöffelweise  alle  Stunden  geben  lässt.  Die  Erfolge 
dieser  Behandlungsmethode,  die  durch  R  i  c  h  e  t  und  Chantemesse 


in  Thierversuchen  bewährt  gefunden  ist,  beruhe  keineswegs,  wie 
Bouchard  behauptet  habe,  auf  einer  Ueberernährung.  Der  Vater 
des  Vortragenden  hat  in  Montpellier  seit  35  Jahren  günstige  praktische 
Erfahrungen  darüber  gesammelt. 

II.  Aufrecht  (Magdeburg) :  Ursache  und  örtlicher 
Beginn  der  Lungentube  rculose. 

Die  isolirten  tuberculösen  Herde,  welche  man  zuweilen  in  den 
Lungenspitzen  von  Individuen  findet,  die  zufällig  anderen  Erkrankungen 
erlegen  sind,  haben  durchaus  den  Charakter  von  Infarcten.  Dieser  In¬ 
farct  ist  verurscht  durch  eine  Thrombose  der  Blutgefässe,  deren  Aeste 
das  Gebiet,  in  dem  der  Herd  liegt,  versorgen.  Die  Thrombose  ist  her¬ 
vorgerufen  durch  eine  Entzündung  der  Gefässwände.  Man  findet  in  der 
Nachbarschaft  tuberculöser  Herde  stets  Gefässe,  deren  Wandungen  ver¬ 
dickt  sind  durch  Zellenwucherungen,  ohne  dass  das  Lumen  schon  durch 
Thromben  verstopft  ist.  In  der  Umgebung  der  beschriebenen  Herde, 
welche  das  erste  Stadium  der  Lungentuberculose  darstellen,  sind  fast 
stets  miliare  Knoten  und  kleine,  acinöse  Herde  vorhanden.  Erstere  hat 
man  bisher  als  sogenannte  Miliartuberkeln  betrachtet,  letztere  als  Pro- 
ducte  einer  Bronchopneumonie.  Aber  mit  Unrecht.  Die  Miliartuberkeln 
sind  nur  Theile  kleiner  Blutgefässe,  deren  Wände  durch  Zellen¬ 
anhäufung  enorm  verdickt  sind.  Die  acinösen  Herde  sind  durch  die 
Thrombose  kleiner  Arterien  hervorgerufen.  Sie  setzen  sich  zusammen 
aus  einem  hämorrhagischen  und  necrotischen  centralen  Theil  und 
einem  hauptsächlich  aus  einem  dichten  Zellenlager  gebildeten  äusseren 
Theil.  Vortragender  erläutert  seine  Befunde  durch  Demonstration 
illustrativer  Abbildungen  mikroskopischer  Präparate.  Die  Lungen¬ 
tuberculose  beginnt  also  mit  einer  Entzündung  der  Wände  der  mittleren 
Aeste  der  Lungenarterie,  die  von  einer  Thrombose  oder  Obliteration 
ihres  Lumens  begleitet  ist.  Die  Lungentheile,  in  denen  die  afficirte 
Arterie  sich  verzweigt,  werden  nekrotisch.  Diese  Veränderung  der  Ge¬ 
fässe,  welche  sich  bei  der  menschlichen  Lungentuberculose,  wie  bei 
der  experimentellen  Miliartuberculose  findet,  wird  durch  die  Einwande¬ 
rung  der  Tuberkelbacillen,  die  sich  im  Blute  befinden,  hervorgerufen. 
Man  kann  auf  gefärbten  Präparaten  die  Bacterien  in  den  Wänden 
der  Gefässe  erkennen.  Bei  diesen  nachweisbaren  Beziehungen  der 
Tuberkelbacillen  zu  den  Gelassen  ist  die  bisherige  Annahme  einer  In¬ 
vasion  durch  die  Luftwege  ausgeschlossen.  Wie  sollte  ein  unbeweg¬ 
licher  Bacillus  mitten  durch  das  Lungengewebe  bis  in  die  Gefässe 
eindringen  können,  ohne  eine  sichtbare  Läsion  des  durchdrungenen 
Lungengewebes  zu  hinterlassen!?  In  der  Lunge  selbst  müssen  also  die 
Ursachen  liegen,  welche  sie  zum  Prädilectionsort  für  die  Ansiedlung 
der  Tubelbacillen  machen.  Die  Blutbeschaffenheit  und  die  ungünstigen 
Bedingungen  der  Circulation  erklären  die  Häufigkeit  der  Lungen¬ 
tuberculose.  Die  kleinen  Aeste  der  Lungenarterie  sind  umso  weniger 
fähig,  der  zerstörenden  Arbeit  der  Bacillen  Widerstand  zu  leisten,  als 
sie  aus  dem  rechten  Herzen  ihr  Blut  bekommen,  das  reich  an  Kohlen¬ 
säure  und  anderen  schädlichen  Producten  des  Stoffwechsels  ist.  Die 
Prädisposition  der  Lungenspitzen  für  die  Tuberculose  resultirt  einer¬ 
seits  aus  der  Verlangsamung  der  Circulation,  oft  unterstützt  durch 
eine  sitzende  Lebensweise,  andererseits  aus  den  Zerrungen  des  Lungen¬ 
gewebes  durch  forcirte  Ausathmungen,  wie  z.  B.  bei  schweren,  körper¬ 
lichen  Arbeiten,  Husten  u.  dgl. 

III.  P  a  p  i  1 1  o  n  (Paris) :  Pretube  reu  lose  et  her  edit  e. 
Loi  de  L’heredo-reaction. 

Vortragender  legt  grosses  Gewicht  auf  den  Krankheitszustand, 
welcher  dem  eigentlichen  Ausbruch  der  Tuberculose  vorausgeht.  Wie 
diese  selbst,  ist  auch  der  vom  Vortragenden  als  „Pretuberculose“ 
bezeichnete  Zustand  in  hohem  Masse  durch  die  Erblichkeit  bedingt. 
Von  der  Art  dieses  Zustandes  ist  auch  abhängig,  in  welcher  Weise 
die  Tuberculose  in  die  Erscheinung  tritt.  Die  Descendenten  neuro- 
pathischer  Individuen  erkranken  unter  dem  Bilde  der  Neurasthenie; 
bei  den  Nachkommen  von  Leuten,  die  an  Verdauungsstörungen  zu 
leiden  hatten,  setzt  die  Tuberculose  mit  dyspeptischen  Symptomenein; 
ein  Gleiches  gilt  von  der  erblichen  Uebertragung  zu  Gicht,  Herz- 
affectionen  und  Arteriosklerose.  Daraus  leitet  Vortragender  die  Wichtig¬ 
keit  der  Kenntniss  der  hereditären,  nicht  tuberculösen  Antecedentien 
der  Ascendenz  der  Tuberculösen  ab,  welche  die  Bedeutung  eines 
Gesetzes  hat,  das  höheren  diagnostischen  Werth  habe,  als  die  Tuber- 
culininjection. 

IV.  Baumholtz  (St.  Petersburg) :  Die  Resistenz  der 
rothen  Blutkörperchen  bei  Phthisis  pulmonum. 

Die  Resistenz  der  Erythrocyten,  bestimmt  durch  die  Zahl  der  in 
schwachen  Kochsalzlösungen  unlöslichen,  ist  bei  Lungentuberculose  er¬ 
höht,  und  zwar  entsprechend  der  Schwere  des  Krankheitsfalles.  Das 
ist  so  constant,  dass  man  sogar  prognostische  Schlussfolgerungen  dar¬ 
aus  ableiten  kann.  Die  Ursache  der  Resistenz  ist  in  der  Menge  und 
Zusammensetzung  der  festen  Bestandtheile  des  Blutes  zu  suchen.  Mit 
der  Verbesserung  des  Ernährungszustandes  wird  die  Resistenz  ver¬ 
kleinert  und  umgekehrt.  Nach  der  Grösse  der  Resistenz  kann  man 
Rückschlüsse  auf  den  allgemeinen  Ernährungszustand  machen. 


866 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  68 


V.  Re  non  (Paris):  Du  role  etiologique  de  la  t  u  ber¬ 
eu  1  o  s  e  dans  quelques  cas  d’asphyxie  et  do  gangrene 
symetriques  des  ext  remit  es  (Syndrome  de  Raynau  d). 

Vortragender  bringt  einen  neuen  Beitrag  zu  der  von  See, 
Byers  u.  A.  bereits  mitgetheilten  auffällig  häufigen  Coincidenz 
von  Tuberculose  mit  der  R  a  y  n  a  u  d ’sehen  Krankheit  (symmetrischen 
Gangrän  der  Extremitätenenden)  und  spricht  die  Tuberculose  als  eine 
directe  Ursache  dieser  Affection  an.  Damit  wäre  ein  sicheres,  ätio¬ 
logisches  Moment  für  diese  Krankheit  gegeben,  die  bisher  als  selbst¬ 
ständige  Krankheitseinbeit  noch  nicht  allgemein  anerkannt  sei.  Die 
Beziehung  zwischen  Tuberculose  und  Raynau  d’scher  Krankheit  habe 
man  sich  allerdings  anders  zu  denken,  als  z.  B.  bei  dem  Einfluss 
einer  Wirbeltuberculo3e  auf  das  Nervensystem  (durch  Compression  des 
Rückenmarkes).  Wie  die  Tuberculose  aber  wirkt,  lässt  sich  zur  Zeit 
noch  gar  nicht  sagen:  ob  eine  directe  Wirkung  auf  die  Gefässe  oder 
eine  „Imprägnation“  des  centralen  oder  peripheren  Neryensystemes, 
wie  sie  Schmitt  getroffen  hat  bei  der  Akroparästhesie.  Renon's 
eigene  Beobachtung  betraf  einen  Mann,  der,  an  einer  Lymphdrüsen- 
und  Lungentuberculose  leidend,  in  zehn  Tagen  fast  alle  Phalangen 
seiner  Ilände  und  einen  Theil  seiner  Ohren  verlor.  In  der  Folge  bekam 
er  bei  jeder  neuen  Congestion  einen  Anfall  von  Cyanose  und  Schmerzen 
in  den  Fingerstümpfen. 

Widal  (Paris):  Die  Aetiologie  der  Raynau  d’schen  Krank¬ 
heit  ist  keine  einheitliche,  wie  die  sehr  variirenden  Sectionsbefunde 
beweisen. 

Po  tain  (Paris):  Auch  die  Lepra  gehört  zu  den  disponirenden 
Ursachen  dieser  Krankheit. 

Apert  (Paris):  Nicht  nur  Infeetionen,  sondern  auch  Stoff¬ 
wechselanomalien  können  den  Boden  bereiten,  wie  z.  B.  Diabetes, 
wobei  eine  Verwechslung  mit  diabetischer  Gangrän  wohl  zu  ver¬ 
meiden  ist. 

Rendu  (Paris)  hat  die  Raynau  d'sche  Krankheit  in  Be¬ 
gleitung  von  Diabetes  und  Sklerodermie  bei  einem  Kranken  gesehen. 

VI.  Bel  Iota  Taylor  (Sautander):  La  porte  d’e  n  t  r  e  e 
du  bacille  de  la  tuberculose. 

Vortragender  hält  den  Tuberkelbacillus  wohl  für  den  Erreger 
der  Tuberculose,  aber  er  bestreitet,  dass  die  Verbreitung  dieser  Krank¬ 
heit  auf  den  bisher  angenommenen  Infeetionswegen  (Haut-,  Respiratious- 
und  Intestinaltractus)  möglich  ist.  Die  Entwicklung  der  Tuberculose, 
namentlich  auf  den  beiden  letzteren  Wegen,  sei  weder  experimentell 
bei  Thieren,  noch  klinisch  beim  Menschen  einwandfrei  erwiesen.  Die 
einzige  Möglichkeit  der  Erklärung  der  ungeheuren  Ausbreitung  dieser 
Krankheit  sei  die  Annahme  einer  erblichen  Uebertragung  der  Bacillen 
bei  der  Zeugung,  die  dann  Jahre  und  Jahrzehnte,  bei  Manchen  während 
des  ganzen  Lebens  latent  bleiben  können.  Bei  dieser  Sachlage  er¬ 
scheine  jede  Prophylaxe  zwecklos,  welche  auf  der  Idee  der  Contagionsität 
basire.  Praktische  Resultate  könne  nur  eine  solche  Prophylaxe  liefern, 
welche  eine  physische  Stärkung  des  Einzelindividuums  und  eine 
Besserung  der  hygienischen  und  socialen  Verhältnisse  der  Gesammt- 
heit  anstrebe. 

Rendu  und  Widal  (Paris)  halten  dem  Vortragenden  gegen¬ 
über  entschieden  an  der  contagiösen  Natur  der  Tuberculose  fest,  für 
die  nicht  nur  die  experimentelle,  sondern  auch  die  menschliche  Patho¬ 
logie  genug  Beweise  liefere. 

D  i  e  u  1  a  f  o  y  (Paris)  macht  auf  die  Hals-  und  Rachenmandeln 
bei  Kindern  als  Eingangspforte  für  die  Tuberculose  aufmerksam,  von 
wo  sie  sich,  wenn  nicht  zeitig  durch  locale  Exstirpation  geheilt,  auf 
die  Submaxillardrüsen  und  nach  Jahr  und  Tag  auf  die  Mediastinal- 
und  Brouchialdriisen  weiter  fortpflanzt,  von  wo  aus  die  Lungen 
afficirt  werden. 

VII.  Middendorp  (Groningen) :  Etiologie  de  la  tuber¬ 
culose. 

Vortragender  wiederholt  seine  bereits  auf  dem  Berliner  Tuber- 
culosencongress  (1899)  ausgesprochene  Ansicht,  dass  der  Tuberkel¬ 
bacillus  nicht  die  Ursache  der  Tuberculose  ist. 

VIII.  Sired  ey:  Diagnostic  du  mal  de  Pott  eher 
l’a  d  u  1 1  e. 

Beim  Erwachsenen  hat  die  Entwicklung  des  Malum  Pottii  meist 
einen  schleichenden  Charakter  und  täuscht  oft  andere  Affectionen  vor, 
ehe  es  nach  Jahren  manifest  wird,  so  vor  Allem  heftige  Neuralgien 
im  Bereich  des  Brustkorbes  oder  auch  des  Abdomens  (Magen,  Nieren); 
ausstrahlende  Schmerzen  in  die  Beine  lassen  zuweilen  den  falschen 
Verdacht  einer  Ischias  oder  Tabes  entstehen.  Vor  Irrthümern  kann 
nur  die  genaueste  Untersuchung  der  Wirbelsäule  schützen:  dauernde 
Druckempfiudlichkeit  eines  bestimmten  circumscripten  Punktes,  das 
Vorspringen  eines  Dornfortsatzes  und  vor  Allem  die  Unbeweglichkeit 
einiger  Wirbelgelenke  bei  Beugung  oder  Streckung  oder  Seitwärts¬ 
bewegung.  Zur  Ausbildung  eines  Gibbus  kommt  es  oft  nicht,  weil 
sich  mehr  kleine  Abscesse  zwischen  den  Wirbeln  und  ihren  Bändern 


entwickeln,  die  sich  dem  Nachweise  entziehen.  Von  hier  nimmt  dann 
oft  die  allgemeine  Tuberculose  des  Körpers  ihren  Ausgang. 

* 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

II.  Sitzungstag.  Nachmittagssitzung. 

(Fortsetzung.) 

VI.  T  h  i  e  r  y  (Paris) :  Ueber  die  Knochennaht  bei 
der  Behandlung  der  Fracture  n,  insbesondere  des 
Unterschenkels. 

Redner  ist  der  Meinung,  dass  eine  vollkommene  Restitutio  ad 
integrum  nur  durch  eine  Knochennaht  gewährleistet  werden  könne. 
Wie  man  sie  schon  längst  bei  den  Brüchen  des  Unterkiefers,  des 
Olecranon,  und  bei  den  complicirten  Fracturen  maebt,  so  soll  man 
sie  auch  auf  die  Brüche  der  langen  Röhrenknochen  ausdehnen,  wenn 
diese  eine  einigermassen  beträchtliche  Dislocation  zeigen.  Den  dazu 
nothwendigen  Einschnitt  auf  die  Bruchstelle  könne  man  nicht  als  eine 
Complication  der  Behandlung  betrachten. 

VII.  Ollier  (Lyon):  Demonstration  der  chirurgi¬ 
schen  Knocheuneubildung  durch  die  Radiographie. 
Neues  zur  Structur  der  Nearth  rosen  und  zur  repa- 
rirenden  Organisation  der  Knochenenden  nach  Ge¬ 
lenks  resection. 

An  zahlreichen  R  ö  n  t  g  e  n -Bildern,  besonders  vom  Ellbogen, 
von  Schulter  und  Handgelenk,  zeigt  Vortragender  die  Organisation  der 
knöchernen  Resectiousfläche  und  der  Knochenenden  in  sehr  instruc* 
tiver  Art. 

VIII.  M  e  n  d  i  z  a  b  e  1  (Mexiko)  zeigt  einen  neuen  Apparat 
zur  Immobilisation  der  Clavicular  fr  actur. 

* 

III.  Sitzuugstag.  Vormittagssitzung. 

Vorsitzender:  Tillaux  (Paris). 

I.  Gluck  (Berlin)  demonstrirt  seinen  künstlichen  Kehl¬ 
kopf  an  einigen  Patienten. 

II.  Mignon  und  S  i  e  u  r  (Paris):  Ueber  die  varicose 
Epididymitis. 

Die  Affection  sitzt  an  dem  Ursprung  der  hinteren  Venengruppe 
des  Samenstranges  und  präsentirt  sich  unter  dem  Bilde  eines  rundlichen 
oder  spindelförmigen  Tumors,  welcher  das  Vas  deferens  umgibt  und 
mehr  oder  weniger  auf  die  Epididymis  übergreift,  ohne  jedoch  den  Kopf 
derselben  zu  erreichen.  Der  Tumor  ist  elastisch,  ja  sogar  manchmal 
weich,  kann  jedoch  eine  sehr  grosse  Härte  erlangen.  Unter  dem  Ein¬ 
flüsse  von  Congestionsschüben  wechselt  er  nicht  selten  sein  Volumen, 
so  nach  grossen  Märschen,  sexuellen  Excitationen  etc.  Oft  hat  es  den 
Anschein,  als  ob  ein  zweiter  Testikel  vorhanden  wäre.  Dieser  selbst 
wird  im  Uebrigen  von  den  Vorgängen  auch  etwas  beeinflusst,  sein 
Volumen  wird  schwächer,  und  seine  Consistenz  nimmt  ebenfalls  ab. 
Dennoch  bleiben  bei  jungen  Individuen  die  geschlechtlichen  Func¬ 
tionen  intact.  Mikroskopisch  stellt  sich  der  Tumor  als  ein  Angioma 
cavernosum  dar  aus  dilatirten  Venen,  welche  unter  sich  durch  kleine 
Tractus  verbunden  sind.  Diese  letzteren  sind  um  so  zahlreicher,  je 
älter  die  Affection  ist.  Die  Affection  kann  mit  Leichtigkeit  auf  ilnem 
Höhepunkte  mit  einer  tuberculösen  Epididymitis  verwechselt  wördeu. 
Doch  seine  Localisation,  die  Integrität  des  Samenstranges  und  der 
Prostata,  die  Abwesenheit  aller  persönlichen  oder  hereditären 
Antecedenzien,  schliesslich  die  nur  diesem  Tumor  eigene  Variabilität 
werden  in  den  meisten  Fällen  eine  genaue  Diagnose  gestatten.  Die 
Behandlung  besteht  in  Ruhe,  Suspensorium,  Vermeidung  von  geschlecht¬ 
lichen  Erregungen.  Bei  eintretenden  Entzündungserscheinungen  Bäder 
und  feuchte  Eimvickelungen. 

III.  Mauel  aire  (Paris):  Ueber  die  weiteren  Re¬ 
sultate  der  Hoden-Nebenhodentube rculose  durch 
die  Resection  des  Samenstranges. 

Aus  18  Beobachtungen  hat  er  folgende  Schlüsse  gezogen  :  Die 
Resultate  sind  gute,  zufriedenstellende  und  schlechte.  Gute  Resultate, 
das  heisst  eine  einfache  und  reine  Atrophie  der  ganzen  inficirten 
„Genitalmasse“  erreicht  man  dann,  wenn  die  Tuberculose  weder  fistulös 
noch  eiterig  ist.  In  drei  Fällen  dieser  Art  haben  sowohl  der  kranke 
Hoden  wüe  der  Nebenhoden  an  Volumen  abgenommen,  wuirden  hart 
und  unempfindlich,  und  Mauel  aire  glaubt,  dass  gerade  dieses 
letztere  Symptom  den  kranken  Hoden  vom  gesunden  untei’scheidet. 
In  zw^ei  Fällen  sind  die  Erkrankungen  der  Prostata  zurück¬ 
gegangen. 

Für  zufriedenstellende  Resultate  hält  er  die,  in  welchen  die 
Atrophie  sehr  langsam  erfolgt,  sich  eine  Fistel  bildet  und  schliesslich 
nach  circa  vier  Monaten  vollkommene  Heilung  eintritt.  Ein  Drittel  aller 


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Fälle  ergibt  nicht  zufriedenstellende  Resultate,  weil  die  breite  Ver¬ 
eiterung  des  Hodens  und  Nebenhodens  eine  Infection  der  Tunica 
vaginalis  hervorruft.  Langdauernde  Fisteln  nöthigen  hier  oft  zu 
secundären  Eingriffen.  Die  Operationstechnik  ist  sehr  einfach;  man 
soll  einen  möglichst  kleinen  Einschnitt  in  den  Hodensack  machen,  um 
Hämatome  zu  vermeiden. 

IV.  C  a  r  1  i  e  r  (Lille) :  U  e  b  e  r  die  Resultate  der  Re¬ 
section  des  Samenstranges. 

Redner  hebt  hervor,  dass  die  Atrophie  des  Testikels  bei 
Individuen  über  50  Jahren  nach  Durchtrennung  aller  Elemente  des 
Samenstranges  manchmal  recht  langsam  eintritt,  so  dass  sie  oft  nach 
zwei  Jahren  noch  recht  unbedeutend  ist.  Dagegen  sieht  man  häufig 
bei  jungen  Männern,  bei  denen  man  bei  der  Operation  einer  Hernie 
oder  Varicocele  unfreiwillig  die  Arteria  spermatica  unterbunden  oder 
durchschnitten  hat,  eine  sehr  rapide  Atrophie  des  Hodens  eintreten. 
Carl  i  er  glaubt  hiefür,  analog  wie  beim  Hunde,  die  Abwesenheit 
oder  Unzulänglichkeit  eines  eollateralen  Kreislaufes  in  jungen  Jahren 
oder  die  Nothwendigkeit  anschuldigen  zu  müssen,  dass  der  junge 
Testikel  eine  reichere  arterielle  Zufuhr  haben  muss  als  es  im  vor¬ 
gerückteren  Alter  erforderlich  ist. 

V.  Nanu  (Bukarest) :  Ueber  die  Torsion  des  Samen¬ 
stranges. 

Den  sehr  seltenen  Beobachtungen  fügt  Vortragender  einen  Fall 
hinzu,  den  er  mit  Castration  behandelt  und  Gelegenheit  hatte,  die 
Diagnose  zu  verificiren.  Die  Schwierigkeit  in  seinem  Falle  bestand  in 
der  Diagnosestellung,  in  der  Abwesenheit  aller  Anomalien  des  Hodens, 
der  in  den  bisher  veröffentlichten  Fällen  stets  ektopisch  im  Leisten¬ 
canal  sass.  Trotzdem  glaubt  er  auch  hier  wie  in  allen  anderen  Fällen 
als  Ursache  der  Torsion  eine  Anomalie  im  Descensus  testiculi  annehmen 
zu  müssen. 

VI.  Frank  (Chicago):  Ueber  dieAnastomosis  vesico- 
r  e  c  t  a  1  i  s. 

Im  Jahre  1899  machte  Frank  eine  Reihe  von  Experimenten, 
indem  er  theils  einen,  theils  beide  Ureteren  in  den  Darm  einpflanzte, 
um  die  bacteriologischen  und  histologischen  Veränderungen  an  den 
Nieren  zu  studiren.  In  allen  Fällen  hat  er  eine  aufsteigende  Infection 
der  Nieren  constatirt.  Er  kam  daher  auf  die  Idee,  die  Blase  direct 
mit  dem  Rectum  zu  verbinden,  um  zu  versuchen,  auf  diese  Weise  eine 
Infection  der  Niere  zu  vermeiden.  Es  ist  ihm  auch  nach  mehreren 

Operationen  an  Hunden  gelungen,  dies  zu  erreichen.  Für  die 

Anastomose  wandte  er  seinen  Knopf  aus  decalcinirten  Knochen  an. 

Er  hält  die  Anastomosis  rectovesicalis  für  nützlich  nicht  allein  in 

den  Fällen  von  Ectopia  vesicae,  sondern  auch  in  den  Fällen,  wo 
eine  perineale  oder  suprapubische  Fistel  der  Blase  sonst  erforderlich 
sein  würde. 

VII.  Delageniere  (Le  Mans) :  Ein  Fall  von  Blase  n- 
ektopie,  geheilt  nach  der  Methode  von  Trendelen 
bürg. 

Redner  wendet  sich  dagegen,  dass  die  Trendelenbur  g’sche 
Methode  bei  der  Operation  der  Blasenektopie  stets  unzufriedenstellende 
Resultate  ergibt.  Auch  er  hatte  zuerst  nur  Misserfolge  bei  dieser 
Operationsmethode  aufzuweisen,  ist  aber  jetzt  im  Stande  ein  Kind  zu 
präsentiren,  welches  in  den  ersten  Lebensjahren  mehrfache  vergebliche 
Operationen  durchgemacht  hatte  und  das  er  nach  dieser  Methode  — 
allerdings  mit  sieben  Nachoperationen  —  mit  vollkommener  Continenz 
des  Sphinkter  —  geheilt  hat. 

VIII.  Gerard  (Bern) :  Ueber  die  Radicalope  ration 
de.r  Inguinalhernie. 

Während  für  die  meisten  Hernien  kleinen  oder  mittleren  Um¬ 
fanges  die  üblichen  Operationsmethoden  zufriedenstellende  Resultate 
ergeben,  ist  es  doch  in  Fällen,  wo  es  sich  um  grosse  Hernien 
handelt,  wo  der  Inguinalcanal  nichts  Anderes  als  eine  weite  Oeffnung 
darstellt,  sowie  in  den  meisten  nur  ein  wenig  umfangreicheren  directen 
Hernien  recht  schwierig,  einen  resistenten  Verschluss  zu  erzielen,  der 
eine  Garantie  gegen  ein  Recidiv  gibt.  Gerard  hat  daher  die 
B  a  s  s  i  n  i’sche  Methode  folgendermassen  verändert:  1.  Incision  der 
Aponeurose  des  Obliquus  abdominis  mit  Eröffnung  des  ganzen 
Leistencanales,  soweit  er  noch  existirt;  2.  Exstirpation  und  Verschluss 
des  Bruchsackes,  Versenkung  des  Stumpfes;  3.  Naht  der  Ränder  des 
M.  obliquus  abdominis  internus  und  transversus  nach  Bassini; 
4.  dachziegelförmige  Uebereinanderlagerung  der  beiden  Lappen  der 
Aponeurosis  und  des  Obliquus  externus  auf  eiue  Breite  von  ungefähr 
4  cm  Der  obere  Rand  wird  am  Arcus  Fallopiae,  der  untere  an  der 
Basis  des  oberen  festgenäht.  Nach  diesem  Vorgehen  hat  er  von 
543  Operationen,  die  zum  Theile  sehr  grosse  Hernien  betrafen,  nur 
acht  Recidive  gehabt,  von  denen  vier  auf  eine  Eiterung  der  Wunde 
zurückzuführen  waren. 

IX.  Schwartz  (Paris) :  Ueber  die  Resultate  der 
Radicaloperation  der  Leisten-  und  Schenkelhernien 
mit  Myoplastik. 


Redner  beschreibt  seine  bereits  im  Jahre  1893  veröffentlichte 
Methode,  die  darin  besteht,  dass  er  nach  Resection  und  möglichst 
hoher  Ligatur  des  Bruchsackes  durch  Incision  der  vorderen  Rectus- 
scheide  einen  Muskellappen  mit  unterer  Basis  bildet,  den  er  in  den 
Leistencanal  einschiebt,  oben  am  Obliquus  internus  und  unten  am  Arcus 
cruralis  festnäht  und  so  eine  vordere  Wand  des  Leistencanales  bildet. 
Bei  der  Cruralhernie  eröffnet  er  nach  der  Resection  und  Ligatur  die 
Scheide  des  Aductor  medius,  bildet  einen  Muskellappen  mit  oberer 
Basis,  den  er  am  Arcus  cruralis  und  an  dem  Gewebe  median  von 
der  Vena  cruralis  festnäht.  63  Inguinal-  und  Cruralhernien  hat  er 
seit  1893  mit  Myoplastik  operirt.  Von  den  50,  die  er  wiedergesehen 
hat,  sind  alle  geheilt  geblieben  bis  auf  einen,  der  ein  Recidiv  bekam 
nach  einem  Sturz  von  der  Treppe.  Keiner  trug  eine  Bandage  oder 
hatte  irgend  welche  Beschwerden.  Die  Heilungsdauer  war  in  1  Fall 
7  Jahre,  in  2  Fällen  5  Jahre,  dann  4,  21/2j — 2  Jahre.  Von  den  ope- 
rirten  Cruralhernien  hat  er  nur  3  wiedeigesehen,  von  denen  2  seit 
5  und  4  Jahren  geheilt  waren.  So  scheint  ihm  die  Radicaloperation 
mit  Myoplastik  ausgezeichnet  dauerhafte  Resultate  zu  geben  und 
verdient  vor  Allem  in  den  Fällen  von  Hernie  de  faiblesse  vorzugs¬ 
weise  angewendet  zu  werden. 

X.  Thomas  Noriega  (Mexiko) :  Die  Behandlung  der 
Hernien  mit  sklerosir  enden  Injectionen. 

Nach  Behandlung  von  23  Fällen  mit  Injectionen  und  Druck- 
pelotten  kommt  Noriega  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Injectionen 
von  Extractum  fluidum  hydrast.  canad.  geben  zufriedenstellende  Re¬ 
sultate.  2.  Sie  können  die  Hernien  radical  heilen.  3.  Sie  sind  nur  bei 
einseitigen  Inguinalheruien  von  kleiner  oder  mittlerer  Dimension  indicirt. 
4.  Bei  grösseren  Hernien  können  sie  mit  dem  Zweck  gemacht  werden, 
dieselben  zurückhaltbar  zu  gestalten. 

XI.  Morestin  (Paris) :  Behandlung  der  durch  Ein¬ 
schlüpfen  des  S  roman  um  entstandenen  Inguinal¬ 
hernien. 

Weil  in  diesen  Hernien  der  Bruchsack  nicht  vollkommen  den 
Darm  einhüllt  und  die  von  Serosa  unbekleidete  Partie  in  directem 
Contacte  mit  dem  Zellgewebe  steht,  hat  Morestin  eine  besondere 
Technik  ersonnen,  die  er  in  den  folgenden  Punkten  charakterisirt: 
1.  Freilegung  des  Orificium  inguinalis,  Erweiterung  desselben  in  der 
Richtung  der  Fasern  des  M.  obliquus  externus.  Eröffnung  des  Peri¬ 
toneums  in  der  Höhe  des  Leistencanales.  Man  erspart  sich  dadurch 
das  Suchen  nach  dem  Bruchsacke  und  schont  den  Darm.  2.  Loslösung 
des  Darmes.  3.  Incision  am  äusseren  Rande  des  rechten  M.  rectus 
abdominis  oder  in  der  Gegend  der  Crista  iliaca.  4.  Wiederherstellung 
des  Mesocolon  und  Aneinanderheftung  seiner  beiden  Blätter  mit  zahl¬ 
reichen  Seidennähten,  Fixation  der  Basis  desselben  an  der  Aponeurosis 
iliaca,  soweit  als  möglich  in  der  Fossa  iliaca.  5.  Naht  der  Bauchwuude. 
6.  Wiederherstellung  des  Leistencanales.  Die  Operation  ist  so  etwas 
complicirter  als  die  gewöhnlichen  Methoden,  doch  gibt  sie  unbedingt 
bessere  Resultate.  Dadurch,  dass  man  den  Bauchschnitt  so  legt,  wie 
er  für  die  Amputation  des  Appendix  vorgeschrieben  ist,  schützt  man 
sich  vor  jeder  grösseren  Eventration.  Von  nicht  zu  unterschätzender 
Bedeutung  sind  auch  die  Vorbereitungen  zur  Operation:  Die  alten 
Chirurgen  haben  uns,  um  die  Reposition  grosser  Hernien  zu  erreichen, 
einige  weise  Rathschläge  gegeben,  von  denen  wir  heute  noch  Nutzen 
ziehen  können:  Die  Lage  im  Bett  ohne  Kopfkissen,  mit  etwas  erhöhtem 
Becken  vermindert  die  Spannung  der  Hernie  und  erleichtert  das 
Zurücktreten  des  Darmes.  Wiederholt  gegebene  Abführmittel  entleeren 
den  Darm  und  reduciren  das  Volumen  der  herniösen  Schlinge.  Redner 
berichtet  dann  einige  Krankengeschichten  von  Hernien,  die  er  nach 
seiner  Angabe  operirt  hat. 

XII.  B  i  o  n  d  i  (Siena) :  Eine  neue  Methode  der  Fixation 
der  Wanderniere. 

Nachdem  Bioudi  mit  einigen  Worten  auf  die  Unzuträglich¬ 
keiten  der  bisher  üblichen  Methoden  der  Nephrorhaphie  eingegangen 
ist,  schildert  er  sein  Vorgehen  folgendermassen:  Nach  Freilegung  der 
Niere  reponirt  er  dieselbe  und  fixiit  sie  in  ihrer  normalen  Lage  mit 
einem  langen  Gazestreifen,  den  er  vor  dieselbe  legt  und  den  er  zahl¬ 
reiche  Züge  von  aussen  nach  innen  und  umgekehrt  machen  lässt.  Das 
Ende  des  Streifens  lässt  er  im  unteren  Wundwinkel  heraustreten.  Nach 
sieben  bis  acht  Tagen  ist  die  Niere  ganz  solide  fixirt  und  der  Streifen 
wird  entfernt.  So  vermeidet  er  die  Unannehmlichkeiten,  die  mit  dem 
Aufhängen  an  einer  Rippe  mit  der  Resection  einer  Rippe  mit  dem  An¬ 
nähen  verbunden  sind.  Ausserdem  ist  die  Operation  schnell  ausgeführt 
und  vollkommene  Heilung  in  20  Tagen  erreicht.  Er  hat  13mal  so 
operirt  mit  13  Erfolgen.  Ins  Gewicht  fällt  noch,  dass  bei  seinem  Vor¬ 
gehen  keine  Alteration  des  Nierengewebes  stattfindet. 

XIII.  J  o  n  e  s  c  u  (Bukarest):  Demonstration  eines  selbst- 
thätigen  Apparates  zum  Auseinander  halten  der 
Bauchwunde. 

XIV.  Lang  (Wien)  stellt  neun  Patienten  vor,  denen  er  nach 
Exstirpation  eines  Lupus  den  Defect  plastisch  ge¬ 
deckt  hat. 


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Discussion:  Meyer  (Berlin)  berichtet  über  einige  Fälle 
von  Lupus,  die  durch  flüssige  Luft  geheilt  worden.  Theoretisch  kann 
man  sich  über  die  Wirksamkeit  der  flüssigen  Luft  noch  keine  Vor¬ 
stellung  machen,  man  muss  jedoch  seiner  Ansicht  nach  zweierlei 
streng  unterscheiden,  einmal  die  Wirkung  auf  Bacterienculturen, 
andererseits  die  Wirkung  auf  Bacterien  enthaltende,  entzündete  Ge¬ 
webe.  Wenn  es  auf  der  einen  Seite  nach  den  Untersuchungen  von 
W  h  i  t  e,  welche  er  nachgeprüft  hat,  feststeht,  dass  flüssige  Luft 
weder  Bacterienculturen  abtödtet,  noch  deren  Virulenz  herabsetzt,  so 
ist  es  andererseits  sehr  wahrscheinlich,  dass  flüssige  Luft  auf  ent¬ 
zündliche  Gewebe  und  die  in  denselben  enthaltenen  Bacterien  eine 
Veränderung  im  Sinne  der  Heilung  hervorruft. 

Die  Versuche,  welche  er  nach  dieser  Richtung  hin  an  Haut 
(Kaninchen-Ohr)  und  Schleimhaut  (Uterus  und  Vagina  von  Hündinnen) 
ausgeführt  hat,  sind  noch  von  zu  kurzer  Dauer,  um  ein  definitives 
Urtheil  abgeben  zu  können. 

* 

IV.  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

Vorsitzender:  TiUaux  (Paris). 

I.  Le  Comte  (Philadelphia)  berichtet  über  die  von  ihm 
angewandte  Technik  der  Amputatio  interscapulo-tho- 
r  a  c  i  c  a. 

II.  Menciere  (Reims):  Osteotom  ia  subt  roch  an¬ 
te  rica  wegen  Ankylose  des  Hüftgelenkes  bei  einem 
Manne  von  34  Jahren. 

Die  Verkürzung  betrug  43  cm,  der  Oberschenkel  stand  im 
rechten  Winkel  zum  Abdomen.  Es  bestand  eine  enorme  Lordose. 
Nach  der  Operation  (Demonstration  der  Photographie)  betrug  die  Ver¬ 
kürzung  nur  mehr  5  cm.  In  der  schrägen  Osteotomia  subtrochanterica, 
welche  allerdings  schwieriger  auszuführen  ist,  als  die  einfache  trans¬ 
versale  Osteotomie,  haben  wir  eine  sehr  breite  Fläche  zur  knöchernen 
Vereinigung,  die  ausserordentlich  günstig  für  einen  soliden  Callus 
ist.  Dadurch  ist  zwar  auch  die  Markhöhle  breit  eröffnet,  doch  schützt 
die  sorgfältige  Anwendung  aller  aseptischen  Cautelen  vor  Unzuträg¬ 
lichkeiten. 

III.  Z  i  e  m  b  i  c  k  i  (Lemberg)  :  Ueber  das  Resultat  der 
Operation  eines  doppelseitigen  Pes  equino-varus 
bei  einem  Manne  von  34  Jahren. 

^  ortragender  zeigt  die  Gypsabgiisse  vor  und  nach  der  Operation, 
die  ein  gutes  Operationsresultat  beweisen,  und  präcisirt  seinen  Stand¬ 
punkt  dahin,  dass  er  kein  Freund  einer  einfachen  Operation  sei,  die 
entweder  in  der  Abtragung  des  Talus,  oder  in  einer  keilförmigen 
I  arsektomie  oder  sonst  worin  besteht.  Er  hält  sie  alle  für  unzu¬ 
reichend.  Man  soll  erst  Alles  versuchen,  bis  eine  Reduction  möglich  ist, 
und  zwar  nicht  in  einer,  sondern  in  vielen  Sitzungen.  Nach  der  Ope¬ 
ration  soll  man  die  \\ unde  nicht  vollkommen  schliessen,  da  man  durch 
eine  Eiterung  das  ganze  Resultat  in  Frage  stellen  kann,  sondern  sie 
tamponiren. 

IV.  Bloch  (Paris) :  Tarsoptose  und  Tarsalgie. 

Die  schmerzhaften  Aftectionen  des  Fusses  müssen  in  zwei  grosse 
Gruppen  eingetheilt  werden:  die  schmerzenden  Tarsoptosen  und  die 
1  arsalgien.  Die  ersteren  wird  man  an  der  Schmerzhaftigkeit  des  Os 
cuboideum,  an  der  Abflachung  des  Tarsus,  an  dem  Auftreten  der 
Schmerzen  nach  kurzem  Gehen  erkennen.  Bei  den  Tarsalgien  mangelt 
gewöhnlich  der  Schmerz  des  Würfelbeines,  sie  sind  an  den  trophischen 
Störungen  und  an  den  Schmerzen  zu  erkenuen,  die  sofort  auftreten, 
wenn  der  Patient  den  Fuss  zum  Gehen  ansetzt  und  die  Ferse  hebt. 
Sie  erfordern  eine  besondere  Sohle,  die  die  Flexion  des  vorderen  Fuss- 
abschnittes  gegen  den  hinteren  verhindert,  und  in  welcher  ein  runder 
Ausschnitt  ist,  der  dem  Sitze  des  Schmerzes  entspricht. 

V.  Keen  (Philadelphia):  Ein  Fall  von  Ligatur  der 
Aorta  abdominalis. 

Keen  machte  bei  einem  Manne  von  52  Jahren  mit  einem 
Aneurysma  direct  unterhalb  des  Zwerchfelles  die  Ligatur  der  Aorta 
abdominalis  mit  vier  sehr  starken  Seidenfäden.  Ob  er  sie  über-  oder 
unterhalb  des  Abganges  des  Truncus  coeliacus  gemacht  hat,  weiss  er 
nicht  sicher,  so  viel  ist  aber  gewiss,  dass  er  sie  über  dem  Abgang  der 
Aa.  renales  angelegt  hat.  Trotzdem  muss  sich  die  Circulation  der 
Femoral-  und  Nierenarterien  wieder  hergestellt  haben,  wenigstens  boten 
die  Nieren  bei  der  Autopsie  normale  Verhältnisse  dar.  Der  Kranke 
schien  geheilt  und  konnte  aufstehen.  Am  40.  Tage  traten  die  Erschei¬ 
nungen  einer  inneren  Blutung  auf  und  er  starb.  Die  Section  zeigte, 
dass  die  Ligatur  die  Gefässwände  vollkommen  durchschnitten  hatte 
und  der  Tod  also  an  secundärer  Blutung  erfolgt  ist.  Von  den  13  Fällen 
von  Aortenaneurysma,  die  bis  jetzt  publicirt  sind,  lebten  nach  der 
Operation  10  noch  zwei  Tage,  1  zehn  Tage  (Monteiro),  1  39  Tage 
(T  i  1 1  a  u  x)  und  schliesslich  sein  Fall  48  Tage. 

* 


Vorsitzender:  Keen  (Philadelphia). 

VI.  Nanu  (Bukarest) :  Die  inter-ileo-abdominale 
Operation. 

Wegen  eines  Myxosarkoms  machte  Nanu  die  Operation  bei 
einem  50jährigen  Manne.  Nach  Anlegung  einer  E  s  m  a  r  c  h’schen 
Blutleere  unterband  er  die  Beckengefässe  und  exarticulirte  die  untere 
Extremität  mit  Resection  des  Os  coxae,  ohne  das  Peritoneum  oder  die 
Becken-  und  Bauchorgane  in  Mitleidenschaft  zu  ziehen.  Die  Operation 
ist  bisher  achtmal  mit  fünf  Todesfällen  gemacht  worden. 

VII.  V  u  1  p  i  u  s  (Heidelberg) :  Die  Sehneuüberpflan¬ 
zung  und  ihre  Erfolge  in  der  Behandlung  von 
Lähmungen. 

Die  Sehnenüberpflanzung  ist  erst  in  den  letzten  Jahren  eine  in 
weiteren  Kreisen  bekannte  und  gewürdigte  Operation  geworden,  obwohl 
ihre  Idee  —  der  Ersatz  gelähmter  Muskeln  durch  gesunde  Nach¬ 
barn  —  naheliegend  und  einleuchtend,  ihre  Technik  bei  einiger  Uebung 
gut  zu  beherrschen,  die  Gefahr  des  Eingriffes  verschwindend  klein, 
der  Erfolg  überzeugend,  die  Gelegenheit  zu  ihrer  Ausführung  häufig 
gegeben  ist.  V  ulpius  hat  160  solcher  Operationen  gemacht.  Er 
opfert  keinen  Muskel  völlig,  sondern  näht  den  peripheren  Sehnen¬ 
stumpf  des  kraftspendenden  Muskels  an  Nachbarmuskeln.  Dadurch 
lässt  sich  ein  Gewinn  für  den  gelähmten  Muskel  erzielen,  ohne  einen 
ebenso  grossen  Schaden  der  gesunden  Musculatur  zuzufügen.  Die 
wichtigsten  Indicationen  sind:  Traumatische  Verluste 
von  Muskeln,  Sehnen  und  Nerven,  die  spinalen  Lähmungen, 
besonders  die  Kinderlähmun  g.  Bei  theilweiser  Lähmung  ist  hier 
die  Ueberpflanzung  unbedingt  angezeigt,  bei  völliger  Lähmung  kann 
man  zwischen  der  Sehnenverkürzung  und  der  Arthrodese  wählen.  In¬ 
dessen  hat  er  gefunden,  dass  völlige  Lähmung  nicht  häufig  vorkommt 
und  nicht  überall  da  vorhanden  ist,  wo  jede  active  Bewegung  fehlt. 
Zu  erwähnen  sind  weiter  die  cerebrale  Kinderlähmung,  die  apoplektische 
Hemiplegie  und  die  paraplegisehe  Starre,  die  L  i  1 1 1  e’sche  Krankheit. 
Der  Erfolg  muss  ein  momentaner  sein,  insofern  sofort  am  Ende  der 
Operation  die  normale  Mittelstellung  des  betreffenden  Gelenkes  erzielt 
sein  muss.  Seine  160  Operationen,  von  denen  100  mehr  als  ein  Jahr 
zurückliegen,  haben  bewiesen,  dass  die  Stellungsverbesserung  eine 
dauernde  ist,  und  dass  sich  zu  ihr  die  Wiederkehr  mehr  weniger  nor¬ 
maler  activer  Beweglichkeit  gesellt.  Der  Erfolg  steigert  sich  unter  dem 
Einflüsse  der  Nachbehandlung  oft  in  überraschender  Weise.  Je  enger 
umschrieben  das  Lähmungsgebiet  ist,  je  nachbarlicher  functionsver¬ 
wandte  Muskeln  liegen,  je  besser  diese  erhalten  sind,  desto  schöner 
natürlich  der  Erfolg.  Bei  den  spastischen  Lähmungen  kommt  es 
nicht  nur  zu  einer  Stellungsverbesserung,  es  schwinden  auch  die 
Krämpfe.  Endlich  hängen  die  Erfolge  auch  ab  von  der  Gegend 
der  Lähmung:  die  Verhältnisse  liegen  für  die  Operation  sehr  günstig 
am  Unterschenkel,  also  bei  paralytischen  Fussdeformitäten,  weniger 
gut  am  Oberschenkel.  Schwieriger  ist  die  Sache  am  Arm  bei  Lähmung 
der  Hand,  doch  wurden  auch  hier  erfreuliche  Resultate  erzielt. 
Völlige  Misserfolge  sind  sehr  selten,  wenn  der  richtige  Operationsplan 
mit  richtiger  Technik  verwirklicht  worden  ist.  Recidive  sind  mit  zu¬ 
nehmender  Erfahrung  viel  seltener  geworden,  sie  lassen  sich  durch 
eine  Nachoperation  beseitigen.  Von  höchstem  physiologischem  Inter¬ 
esse  ist  das  Anpassungsvermögen  überpflanzter  Muskeln  an  ihre  neue 
Function. 

VIII.  C  h  i  p  a  u  1  t  (Paris):  Die  Elon  gation  der  Nerven 
bei  der  Behandlung  trophischer  Störungen:  Mal  per- 
forant,  Ulcus  varicosum  etc. 

Seine  im  Jahre  1893  zum  ersten  Male  publicirte  Methode  der 
Nervendehnung  bei  den  trophischen  Störungen  basirt  heute  auf  einer 
Erfahrung  von  mehr  als  100  Fällen.  Die  Technik  umfasst  zwei  gesonderte 
Operationen.  Einmal  die  Dehnung  der  Nerven,  die  zu  dem  dystrophi¬ 
schen  Gebiet  hinziehen,  in  der  Nähe  desselben;  zweitens  die  locale 
Säuberung,  z.  B.  die  Curettage  der  UlcerationeD,  die  Abtragung  der 
Ränder  und,  wenn  möglich,  ihre  Naht. 

Discussion:  Peraire  (Paris)  bestätigt  den  Erfolg  der 
C  h  i  p  a  u  1  t’schen  Methode.  Er  hat  zw  eimal  hei  Mal  perforant  den  N. 
plantaris  gedehnt.  In  dem  ersten  Falle,  der  eine  Frau  von  40  Jahren 
betraf,  dehnte  er  den  Plantaris  internus  und  externus;  in  dem  zweiten 
Falle,  bei  einem  Mann  von  50  Jahren,  genügte  die  Auslöffelung  des 
Ulcus  und  die  Dehnung  des  N.  plantaris  internus.  Beide  Fälle  sind  seit 
drei  Jahren  geheilt. 

IX.  M  o  r  e  s  t  i  n  (Paris)  :  Die  benignen  Formen  der 
Psoitis. 

Vortragender  führt  ungefähr  Folgendes  aus:  Wenn  auch  die 
classischen  Autoren  die  benignen  Formen  der  Psoitis  theoretisch  an¬ 
erkennen,  so  ist  die  Erwähnung  derselben  doch  mit  so  vieler  Reserve 
geschehen,  dass  man  in  praxi  kaum  erwarten  dürfte,  einer  solchen  zu 
begegnen.  Und  in  der  That  wird  die  Prognose  der  Psoitis  im  Allge- 


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meinen  als  sehr  zweifelhafte,  ja  fast  immer  ungünstige  hingestellt.  Das 
Ende  sei  die  Eiterung  und  ihr  folge  früher  oder  später  der  Tod.  Die 
geheilten  Fälle  sind  so  wenige,  dass  viele  Autoren  in  diesen  Fällen 
die  Diagnose  in  Zweifel  ziehen  und  behaupten,  eine  Psoitis,  die  heile, 
sei  keine  gewesen.  Man  muss  doch  aber  erstaunen,  dass  eine  einfache 
Muskelentzündung  so  schwere  Consequenzen  haben  und  das  Leben 
fast  regelmässig  in  Gefahr  bringen  soll.  Die  Eiterungen  in  der  Leber, 
der  Milz,  den  Nieren,  Lungen,  Gehirn  etc.  heilen  und  ein  Abscess  in 
einem  Muskel  zweiter  Ordnung  sollte  allen  therapeutischen  Massnahmen 
trotzen?  Die  trübe  Prognose,  die  man  der  Psoitis  gestellt  hat,  ist  wohl 
zum  Theil  darauf  zurückzuführen,  dass  Ekrankungen  der  benachbarten 
Organe  des  Beckens  mit  ihr  verwechselt  worden  sind,  wie  es  mit  den 
Abscessen  appendiculären  Ursprunges  geschehen  ist.  Es  ist  ja  klar, 
dass,  wenn  man  eine  Psoitis  mit  Apparaten  behandeln  würde  und 
warten  wollte,  bis  Fluctuation  eingetreten,  um  dann  zu  incidiren,  oder 
wenn  man  sich  mit  der  Punction  begnügen  wollte,  dass  dann  ein  un¬ 
glücklicher  Ausgang  die  Regel  sein  würde.  Andererseits  sind  die 
Infectionen,  wie  wir  sie  z.  B.  im  Puerperium  sehen,  zweifellos  weniger 
schwer,  weil  sie  durch  unser  anti-,  respective  aseptisches  Vorgehen 
abgeschwächt  sind.  Immerhin  darf  man  die  Psoitis  in  vielen  Fällen 
nur  als  eine  Localisation,  als  einen  Beweis  der  Allgemeininfection 
ansehen. 

In  diesen  Fällen  von  schwerer  Allgemeininfection  mit  Alteration 
des  Psoas  wird  allerdings  der  Eingriff  an  der  schlechten  Prognose 
nichts  ändern  können,  doch  gibt  es  andererseits  Fälle,  in  denen  die 
operative  Behandlung  nur  darum  nichts  bat  ausrichten  können,  weil 
sie  zu  spät  erfolgt  ist,  oder  nicht  alle  Indicationen  erfüllt  hat.  Diese 
Fälle,  in  denen  die  Allgemeininfection  mässig,  wo  die  Entzündung  des 
Muskels  im  Grossen  und  Ganzen  die  Hauptaffection  ist,  können  viel 
von  ihrer  Bösartigkeit  einbüssen,  wenn  man  rechtzeitig  eingreift.  Er 
hat  zwei  solcher  Fälle  zu  operiren  Gelegenheit  gehabt.  Der  erste  Fall 
betraf  einen  Mann.  Die  Eiterung,  die  sich  nach  einer  grossen  An¬ 
strengung  einstellte,  sass  links  und  nahm  fast  die  ganze  Länge  des 
Psoas  ein.  Die  Heilung  trat  schnell  nach  einer  breiten  Incision  ein. 
Die  zweite  Kranke  war  ein  junges  Mädchen,  bei  der  die  Psoitis  nach 
"Typhus  auftrat.  Hier  machte  er  eine  inguinale  und  eine  ileo-lumbale 
Incision.  Von  den  von  vornherein  gutartigen  Fällen  aber  hat  er  auch 
zwei  Beobachtungen  aufzuweisen.  In  einem  Falle  hat  sich  acht  Tage 
nach  einer  Geburt  langsam  ein  Psoasabscess  ausgebildet,  ohne  jede 
Störung  des  Allgemeinbefindens.  Eine  einfache  Incision  auf  die  flue- 
tuirende  Stelle  unterhalb  des  P  o  u  p  a  r  t’schen  Bandes  hat  hier 
die  Heilung  herbeigeführt,  obgleich  dieselbe  erst  sehr  spät  gemacht 
worden  war. 

Was  die  Frage  anlangt,  ob  die  Myositis  eine  primäre  oder  nur 
von  einem  Nachbarorgan  fortgeleitet  ist,  so  wird  diese  mit  Sicherheit 
nicht  beantwortet  werden  können.  In  der  puerperalen  Psoitis  wird  die 
Entzündung  häufig  secundär  sein.  Ein  Präparat,  welches  er  bei  einer 
Section  gewann,  gab  eine  recht  einleuchtende  und  verführerische  Er¬ 
klärung  für  eine  gewisse  Anzahl  von  puerperalen  Psoiten,  deren  Ur¬ 
sachen  alle  klinischen  Untersuchungen  nicht  hätten  auffinden  können. 
Es  handelte  sich  um  eine  Adenophlegmone  der  Ganglia  iliaca  interna, 
die  auf  dem  I  soas  lagen  in  der  Nachbarschaft  der  Bifurcation  der 
A.  iliaca  communis. 

Die  Psoitis  kann  aber  auch  durch  Resolution  heilen,  auch  wenn 
die  Affection  doppelseitig  ist.  M  o  r  e  s  t  i  n  berichtet  die  Kranken¬ 
geschichte  einer  Frau,  die  zehn  Tage  nach  einer  Geburt  von  einer 
rechtsseitigen  Psoitis  befallen  wurde,  die  ohne  Eiterung  im  Extensions¬ 
bett  ausheilte.  Man  darf  also  das  Vorkommen  einer  benignen  Psoitis 
nicht  ableugnen,  die  sich  an  eine  benachbarte  Adenitis  anschliesst  oder 
auch  primär  entsteht.  Auch  der  Sternocleidomastoideus  contrabirt  sich 
ja  bei  Entzündung  der  benachbarten  Drüsen.  Hier  genügen  oft  die 
einfachsten  Mittel,  um  eine  Heilung  herbeizuführen. 

X.  Keen  (Philadelphia)  demonstrirt  ein  Compressions- 
instr  ument  zur  Behandlung  des  Aneurysmas  der 
Aorta  abdominalis. 

Es  soll  permanent  das  Lumen  der  Aorta  verengen  und  die  Kraft 
des  Blutstromes  vermindern.  Das  Instrument  wird  der  Aorta  direct 
applicirt.  Die  Versuche,  die  er  an  Hunden  angestellt  hat,  scheinen  ihm 
ausgezeichnet  zu  sein. 

XI.  De  Fabbro  (Conegliano)  berichtet  über  einen  Fall  von 
Aneurysma  der  Carotis  interna,  den  er  durch  Ligatur 
geheilt  hat. 

* 


IV.  Sitzungstag.  Nachmittagssitzung. 
Vorsitzender:  Tillaux  (Paris). 

Auf  der  Tagesordnung  ist  die  Behandlung  der  infi- 
c  i  r  t  e  n  Wunden. 


Als  erster  Berichterstatter  präcisirt 

I.  Bloch  (Kopenhagen)  seinen  Standpunkt  dahin  :  Die  anti¬ 
septische  Methode  Liste  r’s,  die  Behandlung  mit  Carbolsäure,  gründete 
sich  auf  die  Behandlung  der  inficirten  Wunden  und  die  eomplicirten 
Fracturen.  Obgleich  alle  Chirurgen  einstimmig  die  Superiorität  dieser 
Methode  anerkannten,  suchte  man  doch  immer  weiter  nach  neuen  Heil¬ 
mitteln,  die  wirksamer  als  die  Carbolsäure  sein  könnten.  Es  folgte 
dann  der  grosse  und  doch  einfache  Umschwung  von  der  Antisepsis 
zur  Asepsis,  und  das  Resultat  der  vielen  Forschungen  und  Arbeiten, 
die  die  Behandlung  der  verschiedenen  Wunden  zum  Gegenstand  hatten' 
ist  schliesslich  darauf  hinausgekommen,  dass  vom  praktischen  Stand¬ 
punkte  aus  jede  Wunde  ohne  Ausnahme  als  eine  infi- 
c  i  r  t  e  betrachtet  werden,  und  dass  die  Infection  und  ihre  Compli- 
cationen  der  Retention  von  mikrobenhaltigem  Secret  zur  Last  gelegt 
weiden  muss.  Daraus  folgt,  dass  man,  um  eine  Wunde  wirksam 
behandeln  zu  können,  zwei  Ziele  im  Auge  haben  muss:  Die  Mikroben 
oder  ihre  schädlichen  Producte  unschädlich  zu  machen  und  die  Re¬ 
tention  von  Secret  zu  vermeiden,  mit  anderen  Worten,  Antisepsis 
und  Drainage  zu  vereinigen.  Um  aber  die  Reinfection  einer 
so  behandelten  Wunde  zu  vermeiden,  muss  man  sie  sorgfältig  und 
lationell  verbinden.  Redner  zeigt  dann,  wie  sehr  die  Meinungen  der 
verschiedenen  Autoren  von  einander  abweichen  und  wie  verschieden¬ 
artig  ihie  Resultate  sind.  Indem  er  sich  auf  seine  Eifahrungen  stützt, 
muss  er  erklären,  dass  jede  Wunde  antiseptisch"  behan¬ 
delt  werden  muss  und  dass  die  Carbolsäure  das  beste  Anti- 
septicum  ist;  dass  man  die  Wunden  drainiren  muss  und  dass  man, 
um  sie  rationell  zu  verbinden,  einen  absolut  sterilen  Verband  anlegen 
muss,  der  wenigstens  im  Moment  der  Application  antiseptisch  zu 
gestalten  ist.  Der  Verband  muss  ferner  aufsaugend  sein,  um  die  Wunde 
auszutrocknen,  die  Secretion  zu  hemmen,  damit  sie  nicht  durch  diese 
in  direeten  Contact  mit  der  mikrobenhaltigen  Luft  kommt.  Die  Luft 
selbst  soll  durch  den  Verband  filtrirt  und  so,  bevor  sie  in  Berührung 
mit  der  Wunde  gelangt,  von  ihren  Mikroben  befreit  werden.  Zum 
Schlüsse  setzt  er  auseinander,  was  er  über  die  „internen  antiseptischen 
Heilmittel“  und  die  antifebrilen  Medicamente  denkt,  denen  er  mit  sehr 
wenigen  Ausnahmen  nicht  traut.  Er  kritisirt  dann  die  Wirksamkeit 
dei  Sei umtherapie,  besonders  die  des  Antistreptococcenserums,  und 
glaubt,  dass  man  gut  thut,  erst  abzuwarten,  bis  die  Erfahrungen  hier¬ 
über  sich  auf  einer  solideren  Basis  stützen  können  und  auf  einer 
sicheren  Abschätzung  der  Tragweite  ihrer  Wirkungen,  bevor  man  sie 
als  Heilmittel  anwendet. 

Als  zweiter  Berichterstatter  spricht 

II.  Lejars  (Paris):  Die  Frage  sei  durchaus  eine  praktische. 
Die  experimentellen  und  bacteriologischen  Forschungen  haben  zwar 
lecht  schätzenswerthe,  doch  oft  unerwartete,  nicht  selten  sich  wider¬ 
sprechende  Resultate  geliefert.  Ihnen  fehlt  allen  an  sich  die  Controle, 
die  Beobachtung  am  Menschen.  Die  Lösung  der  Frage,  so  complicirt 
sie  ist,  ist  demnach  einfach  oder  wird  es  wenigstens  werden,  und  um 
sie  mit  Nutzen  zu  studiren,  ist  es  vortheilhaft,  verschiedene  Kategorien 
aufzustellen  : 

1.  Frisch  inficirte  Wunden,  noch  ohne  locale  oder  allgemeine 
Reaction,  man  würde  vielleicht  besser  sagen,  Wunden,  von  denen  man 
vermuthet  oder  voraussetzt,  dass  sie  inficirt  sind.  Diese  Voraussetzung 
muss  sich  auf  jede  accidentelle  Wunde  ausdehnen.  Wir  wissen  ja, 
dass  sogar  die  operativen  Wunden  weit  entfernt  sind,  mikrobenfrei  zu 
sein.  Andererseits  haben  wir  kein  Hilfsmittel,  bei  einer  frischen  Wunde 
zu  erkennen,  mit  welchen  Mikroben  sie  inficirt,  wie  deren  Virulenz 
und  was  ihre  letzte  Wirkung  sein  wird.  Das  äussere  Aussehen  der 
Wunde  gibt  uns  keinen  Aufschluss.  Jede  accidentelle  Wunde  muss 
also  wie  eine  inficirte  behandelt  werden.  Da  es  nun  erwiesen  ist,  dass 
die  Resorption  des  Virus  eine  fast  unmittelbare  ist,  daher  muss  die 
Reinigung  der  Wunde  möglichst  schnell  geschehen,  um  wirksam  zu 
sein,  aber  wenn  sie  auch  vorgenommen  wird,  immer  wird  sie  nützlich 
sein.  Wir  sind  zwar  nicht  im  Stande,  alle  Keime  in  der  Wunde  zu 
zerstören,  aber  die  natürliche  Abwehr  des  lebendigen  Gewebes  hilft 
uns,  indem  es  kräftig  theilnimmt  an  dem  Kampfe  gegen  die 
Infection. 

Unsere  Therapie  wird  also  mit  einer  mechanischen,  minutiösen 
Reinigung  der  Wunde,  Entfernung  der  etwa  vorhandenen  Trümmer 
und  wenn  es  nothwendig  ist,  Excision  der  zerquetschten  Theile  be¬ 
stehen,  indem  wir  jedoch  die  Integrität  der  lebenden  Zelle  respectiren 
und  sie  in  ihrer  Reaction  gegen  die  Infection  unterstützen.  Hier  er¬ 
füllen  steriles  Wasser,  sterilisirte,  gekochte  Compressen  ihren  Zweck. 
Nicht  die  Natur  der  angewendeten  Flüssigkeit,  die  Art  ihrer  Anwendung 
ist  massgebend  für  das  Resultat.  Auch  die  antise{)tischen  Lösungen, 
vorausgesetzt  in  der  Concentration,  dass  sie  das  lebende  Gewebe  nicht 
schädigen,  haben  hier  keinen  anderen  Effect,  als  den  der  mechanischen 
Reinigung.  Der  Verband  muss  aseptisch,  aufsaugend,  schützend  sein  und 
immobilisirend. 


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2.  Inficirte  Wunden,  bei  denen  die  Infection  sich  schon  in  localen 
oder  allgemeinen  Reactionen  offenbart,  mit  oder  ohne  Eiterung  der 
Wunde.  Hier  wird  die  specifische  Serumtherapie  angezeigt  sein.  Sie 
ist  die  wissenschaftlich  begründete,  die  natürliche,  die  Methode  der 
Zukunft.  Leider  hat  sie  bisher  noch  enge  Grenzen.  Wir  haben  nur 
das  Tetanus-  und  das  Antistreptococcenserum.  Gegen  die  anderen 
Infectionen  der  Wunden  haben  wir  noch  kein  wirksames  Serum, 
und  bei  den  Mischinfectionen  sind  wir  vollkommen  entwaffnet.  Hier 
können  wir  nun,  wenn  eine  solche  Wunde  in  voller  Eiterung  ist,  sie 
nach  Möglichkeit  öffnen,  säubern,  drainiren  und  für  einen  nach  den 
angeführten  Principien  hergestellten  Verband  sorgen.  Hei  gewissen 
Formen  von  Eiterung  und  Gangrän,  besonders  bei  Höhlenwunden, 
scheint  das  Sauerstoffwasser  auf  die  Anaeroben  mächtig  einzuwirken. 
Verschiedentlich  ist  schon  der  Beweis  seiner  Wirksamkeit  erbracht 
worden. 

3.  Inficirte  Wunden  mit  schwerer  Allgemeininfection.  Traumati¬ 
sche  Septikämie. 

Auch  hier  sollte  mau  von  der  Serumtherapie  Erfolge  erwarten, 
obgleich  ihre  Wirkung  viel  unsicherer  sein  wird,  als  in  den  ersten 
Stadien  der  Infection.  Die  Serumtherapie  ist  bei  den  traumatischen 
Septikämien  noch  nicht  oft  angewendet  worden,  und  doch  verdient  sie 
besonders  in  grossen  Dosen  häufig  versucht  zu  werden.  Natürlich  darf 
man  dabei  die  locale  Behandlung  nicht  vernachlässigen,  die  auch  hier 
umso  wirksamer  ist,  je  früher  und  je  vollkommener  sie  geschieht.  Die 
Serumtherapie  aber  unterstützt  den  Organismus  in  seinen  natürlichen 
Abwehrmassregeln,  erhöht  die  vitale  Energie,  den  Blutdruck,  die 
Diurese  und  ist  somit  die  wirksamste  Methode. 

Zur  Discussion  spricht  Maylard  (Glasgow7). 

III.  Jacobs  (Antwerpen) :  Beitrag  zur  chirurgischen 
Behandlung  der  spastischen  Verengerungen  des 
Oesophagus  und  im  Besonderen  der  Cardia. 

Da  die  Suggestion,  die  Hydrotherapie  in  diesen  Fällen  oft 
erfolglos  angew'endet  werden,  der  methodische  und  progressive 
Katheterismus  nicht  in  allen  Fällen  gute  Resultate  gibt,  ist  Vor¬ 
tragender  auf  die  Idee  gekommen,  die  spastischen  Verengerungen  des 
Oesophagus  zu  behandeln  wie  die  Contractionen  des  Sphincter  ani, 
mit  forcirter  Dilatation.  Er  hat  sich  ein  Instrument  construiren  lassen, 
dessen  unteres,  in  den  Oesophagus  eingeführtes  Ende  sich  wie  ein 
Regenschirm  öffnet  und  so  die  verengte  Partie  gewaltsam  dehnt.  Er 
hat  sich  durch  Leichenversuche  vorher  überzeugt,  dass  eine  Zerreissung 
des  Oesophagus  unmöglich  war. 

IV.  Fort  (Paris) :  Die  Behandlung  der  Verengerun¬ 
gen  des  Oesophagus. 

Vortragender  wendet  eine  sogenannte  lineare  Elektrolyse  an. 
Bei  acht  Verengerungen  in  Folge  von  Verbrennungen  hat  er 
acht  Heilungen  erzielt.  Bei  organischen  Verengerungen  macht  er  die 
Dilatation. 

V.  Voinitsch-Sianojentzky  (St.  Petersburg) :  P  e  r  i- 
cardotomie  mit  einer  Längsincision  durch  die 
Insertion  des  M.  rectus  abdominis. 

Die  Operation  ist  sehr  einfach.  Die  Incision  entspricht  genau 
der  anatomischen  Achse  des  Mediastinum  anticum  und  ermöglicht  es 
so,  das  Pericard  zu  eröffnen,  ohne  die  Pleura  in  Mitleidenschaft  zu 
ziehen,  wie  gross  auch  der  Erguss  in  den  Herzbeutel  sei.  Doch  soll 
diese  Operatiousmethode  am  besten  nur  für  die  kleinen  pericarditischen 
Ergüsse  Vorbehalten  bleiben  oder  für  die  Fälle,  bei  denen  eine 
Diagnose  der  Grösse  des  Ergusses  nicht  möglich  ist.  Diese  Incision 
ermöglicht  die  beste  Drainage  des  Pericards.  Dort,  wo  die  linke 
sechste  Rippe  mit  dem  Sternum  articulirt,  ist  das  Pericard  am  besten 
zu  punctiren. 

VI.  Nanu  (Bukarest)  berichtet  über  einen  Fall  von 
Herznaht. 

Es  handelte  sich,  wie  in  dem  R  e  h  n’schen  Falle,  um  eine 
Stichverletzung  im  dritten  Intercostalraume  mit  Durchbohrung  der 
Pleura.  Der  Kranke  ging  am  sechsten  Tage  zu  Grunde.  In  der  Pleura 
landen  sich  2  l  einer  fötiden  Flüssigkeit.  Seine  Beobachtungen  haben 
einiges  Interessante:  Einmal  konnte  man  bei  der  Autopsie  constatiren, 
dass  die  Naht  des  Herzens  vollkommen  war,  dann  konnte  man 
während  der  Operation  beobachten,  dass  die  vielfachen  Manipulationen 
am  Herzen  und  in  der  Pericardialhöhle  keinerlei  Störungen  im  Gefolge 
hatten,  und  dass  der  vorher  fadenförmige  und  irreguläre  Puls  gleich 
nach  der  Naht  der  Herz-  und  Pericardw'unde  fast  einen  normalen 
Rhythmus  erlangte. 

VII.  Nanu  (Bukarest):  Ueber  die  Holstead’sche  Ope¬ 
ration  beim  Carcinoma  mammae. 


Redner  berichtet,  dass  er  in  einem  Falle  die  gesunde  Mamma- 
nach  der  Mitte  hin  transplantirt  hat.  Er  glaubt  nicht,  dass  die  Ab¬ 
tragung  beider  Mm.  pectorales  so  schwere  Schädigungen  im  Gebrauch 
der  Extremität  mit  sich  führt,  wie  man  ihnen  zuschreibt. 

VIII.  Bonomo  (Florenz):  Die  Therapie  der  Hernia 
c  r  u  r  a  1  i  s. 

Das  operative  Verfahren  des  Vortragenden  enthält  keine  be¬ 
sonderen  Neuheiten. 

Zur  Discussion  bemerkt  Cliamponniere  (Paris),  dass  er  von 
seinen  58  Cruralhernien,  die  er  operirt  hat,  sehr  selten  ein  Recidiv 
gesehen  hat.  Er  legt  auf  zwei  Punkte  besonderen  Werth:  1.  Aus¬ 
gedehnte  Oeffoung  des  Bruchsackes,  Spaltung  der  Fascia  cribriformis, 
damit  auch  das  Infundibulum  des  Sackes  erreicht  werden  kann.  Nie 
soll  man  sich  mit  der  Entfernung  des  äusseren  Theiles  des  Bruch¬ 
sackes  begnügen.  2.  Genauester  Verschluss  des  Schenkelringes  von 
unten  nach  oben. 

IX.  Roques  de  Fursac  (Paris)  berichtet  über  einen 
Fall  von  Pseudarthrose  des  Humerus  mit  Radialis- 
lähmung,  den  er  durch  die  Naht  des  Humerus  und  Implantation 
des  N.  radialis  auf  den  Medianus  geheilt  hat. 

* 


V.  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

I.  Maylard  (Glasgow):  Ueber  den  Werth  der  früh¬ 
zeitigen  explorato  rischen  Operationen  des  Magens 
bei  schweren  und  anhaltenden  gastrischen  Sym¬ 
ptomen. 

Der  Zweck  seiner  Mittheilungen,  führt  Vortragender  aus,  sei  ein 
dreifacher  :  1.  Die  Bedingungen  klar  zu  legen,  welche  für  eine  früh¬ 

zeitige  Operation  von  besonderem  Werthe  sind,  2.  klar  zu  machen, 
dass  die  Operation  einfach  und  ungefährlich  ist,  3.  die  beste  Methode 
der  Operation  anzugeben. 

Die  Ausführungen  enthalten  nichts  Neues.  Kurz  vor  der  Operation 
will  er  ein  Nährklystier  und  eine  Injection  von  Liquor  Strychni  ge¬ 
geben  wissen.  Nach  der  Eröffnung  der  Bauchhöhle  w'ird  der  Magen 
nicht  nur  äusserlicli  besichtigt  und  palpirt,  sondern  auch  nach  Er¬ 
öffnung  von  innen  besehen,  und  zwar  mit  blossem  Auseinanderhalten 
der  Oeffnung  oder  auch  vermittelst  besonderer  von  ihm  angegebener 
Specula.  Der  inneren  Inspection  folgt  die  Palpation,  die  eventuell 
bimanuell  ist. 

Als  Beweis  für  die  Nothwendigkeit  dieser  frühen  Explorativ- 
operation  führt  Maylard  die  Krankengeschichte  einer  Dame  an,  die 
jahrelang  an  Dyspepsie  litt.  Die  Diagnose  lautete  auf  ein  altes  Ulcus 
und  die  Laparotomie  entdeckte  einen  —  chronischen  gastrischen  Katarrh. 
Maylard  betonte,  dass  die  Patientin  durch  die  Operation  nicht  die 
leichtesten  Misserfolge  erlitt,  die  Wirkung  auf  das  Gemüth  der 
Patientin  soll  aber  eine  ausserordentlich  günstige  gewesen  sein  und 
nun  wurde  sie  durch  den  Gebrauch  geeigneter  Arzneien  und  Nahrung 
vollständig  geheilt. 

II.  Rydygier  (Lemberg)  berichtet  über  die  Magen¬ 
operationen,  die  er  seit  1881  bis  zum  Tage  gemacht  hat. 

III.  v.  Eiseisberg  (Königsberg)  ebenfalls  über  150 
Magenoperationen,  die  er  in  den  letzten  vier  Jahren  in 
Königsberg  ausgeführt  hat. 

IV.  und  V.  Ueber  Magenchirurgie  spricht  noch  Hart¬ 
mann  (Paris)  und  Segall  (Genua),  der  speciell  die  Erfolge  der 
Pyloroplastik  bei  Stenosen  betont. 

VI.  Sorel  (Le  Havre):  Ueber  die  Behandlung  der 
Appendicitis. 

Nach  den  ausführlichen  Berichten  einer  Reihe  von  Kranken¬ 
geschichten  zieht  der  Redner  die  Schlüsse  aus  seinen  Beobachtungen, 
die  darin  gipfeln:  Es  gibt  Anfälle  von  Appendicitis,  die  durch 
Resolution  ausheilen.  Dieser  glückliche  Ausgang  tritt  am  häufigsten 
beim  ersten  Anfalle  auf.  Doch  gibt  es  im  Beginne  eines  Anfalles  kein 
Zeichen,  auf  Grund  dessen  man  die  gutartigen  Fälle  von  denen  unter¬ 
scheiden  könnte,  bei  welchen  es  zur  Abscessbildung  oder  zur  Perforation 
mit  anschliessender  Peritonitis  kommt.  Daher  glaubt  er,  dass  man  bei 
den  ersten  Anzeichen  einer  Appendicitis  unverzüglich  operiren  soll, 
denn  die  frühzeitige  Operation  sichert  die  Heilung  und  gestattet 
zu  gleicher  Zeit,  die  Radicaloperation  in  einfachster  Weise  anzu- 
schliessen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Verant wörtlicher  Redacieur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
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Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zn  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
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Bidiiuiger  iuuwiruung  der  Herren  Professoren  Drs. 

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M.  Gruber  M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  E.  Freih.  v  M.CT'Nei 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v  VoM 
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Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Nensser, 
L.  R.  v,  Schröttcr  und  Anton  Weichsolbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  derÄerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1, 


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neuert.  - —  Inserate  werden 
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Telephon  Nr.  6094. 


-4> 


Wickenburggasse  13 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  27.  September  1900. 


Nr.  39. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Origmalartikel:  1.  Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institute  in 
Wien  (Vorstaud  Prof.  R.  Paltauf).  Zur  »intravitalen«  Neutral- 
rothfarbung  der  Leukocyten.  Von  Dr.  Hugo  Marcus 
Z.  Aus  der  IH.  medicinischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhauses  in  Wien.  Ueber  »Acetopyrin«,  ein  neues  Anti- 
pyreticum.  Von  Dr  Josef  Winterberg,  Assistenten  obiger  Ab- 

Abtbeüungnd  Cand’  med'  K°b®rt  Braun>  Hospitanten  derselben 

3.  Aus  der  fflinik  Chrobak  in  Wien.  Ein  Fall  von  Elevatio  uteri  mit 

^rrUD^de3  £°.rpUS,  V0Q  der  Port!o  vaginalis  unter  Debiscenz 
,ei\jx  on  Privatdocent  Dr.  H,  Ludwig,  Assistent. 

1?  dem  Civüsp.tale  von  Triest.  Hyperglobulie  und  Splenomegalie. 
Hyperglobuue  und  Splenektomie.  Von  Dr.  V.  Cominotti. 


II.  Referate:  Verhandlungen  der  Deutschen  pathologischen  Gesellschaft. 

Von  E.  Ponfick.  Ref.  Schlagenhaufer.  —  Fliegenlarven  als 
gelegentliche  Parasiten  des  Menschen.  Von  Erich  Peiper  Ref 
Schlagenhaufer. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

Erwiderung^  zum  Aufsatze  in  Nr.  37  dieser  Wochenschrift:  E.  Schiff 
ll II. III. IV. V. * */d  R  Preund,  »Der  gegenwärtige  Stand  der  Radiotherapie« 
Von  Pnvatdocenten  Dr.  Karl  Ullmann. 

Ant^°1öt  ,a-Uf  vors,eheride  Erwiderung.  Von  Universitätsdocent  Dr. 
E.  Schiff  und  Dr.  L.  Freund. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  dem  staatlichen  serotherapeutischen  Institute  i 
Wien  (Vorstand  Prof.  R.  Paltauf). 

Zur  „intravitalenu  Neutralrothfärbung  der 

Leukocyten. 

Vorläufige  Mittheilung. 

Von  Dr,  Hugo  Marcus. 

Durch  die  in  Nr.  36  der  Münchener  medic 
niscien  Wochenschrift,  1900,  erschienenen  Arbe 
J.  Platos:  »Ueber  die  Beurteilung  des  Lebens 
zustandes  und  der  Leistungen  d  er  Phagocy  ten« 
hm  ich  veranlasst,  einzelne  Ergebnisse  meiner  Untersuchunge 
über  leukocytenschädigende  Substanzen,  soweit  hiebei  di 
-Neuti alrothfarburg  zur  Anwendung  kam,  zum  Gegenstand 
der  folgenden  vorläufigen  Mittheilung  zu  machen 

In  der  genannten  Arbeit  gelangt  Plato  u.  A.  zu  folgen 
den  Ergebnissen:  b 

1.  In  lebenden  Leukocyten  färben  sich  vorwiegend  solch 
pubstanzen  eiweissartiger  Natur,  die  durch  Phagocytos< 
in  die  Zellen  aufgenommen  worden  sind. 

2  Diese  Färbung  erweist  sich  in  ihrem  Auftreten,  ihre 

z«StändadernZelkn!er  Weaen“iCh  ab,,ängig  V°"  dem  LebenS 

Wpd  die  ZeIle  z-  B-  einei*  langsam  ansteigenden  schädi 
g  den  1  emperatur  ausgesetzt,  so  entfärben  sich  ihre  Ein 
Schlüsse. 

d  ir3 * 5 * * 8 9  w' 'EntfärW  der  Einschlüsse  wird  durch  Reductior 
des  1  arbstoffes  von  Seiten  der  g  e  s  c h  ä  d  i  g  t  e  n  Zelle  erklärt 

4.  Las  zeitliche  Auftreten  dieser  Entfärbung  ist  ah 
iiterium  des  Lebenszustandes  der  Zelle  und  zun 
JNacnweis  graduell  verschiedener  zellschädigender  Einwirkunger 


in  der  mannigfaltigsten  Weise  zu  verwerthen,  wobei  stets 

in  Betracht  gezogen  werden  muss,  dass  hier  nicht,  wie  bisher 

vorwiegend,  morphologische  Merkmale,  wie  das  Auftreten 
der  Kugelgestalt,  das  Aufquellen  oder  der  Zerfall  der  Zellen, 
sondern  ein  ganz  bestimmter,  durch  das  Phänomen  der  Ent¬ 
färbung  charakterisirter  Umschwung  in  dem  physiologi¬ 
schen  Ablauf  der  Functionen  des  Zelllebens  den  Eintritt 
der  Schädigung  anzeigt. 

»Im  Allgemeinen  tritt  bei  langsamem  Ab¬ 
sterben  d  er  Phagocy  ten  einmal  der  Zeitpunkt 
ein,  in  dem  sie  den  in  ihren  Einschlüssen  ent¬ 
haltenen  Farbstoff  reduciren,  also  entfärben.« 

5.  Mischt  der  Verfasser  Exsudat  vom  gesunden  Meer¬ 
schweinchen  mit  Neutralroth,  so  färben  sieh  nur  sehr  verein- 
zelte  Zellen;  bringt  er  jedoch  zu  diesem  Exsudate  eine  durch 
Wärme  abgetödtete  Bouilloncultur  von  Vibrio  berolinensis, 

,  centrifugirt,  schüttelt  auf  und  lässt  stehen,  so  findet  er  nach 
einiger  Zeit  die  Zellen  voller  rot  her  Kugeln  und 
Stäbchen,  »den  mehr  oder  minder  veränderten,  durch 
Phagocy  tose  aufgenommenen  und  mit  Neutralroth  vital 
gefärbten  Vibrio  berolinensis.« 

-  ^  Bei  Zimmertemperatur  hält  sich  die  Färbung  24  bis 

48  Stunden,  bei  37°  tritt  meist  innerhalb  weniger  Stunden 
Entfärbung  ein. 

<.  Exsudat  von  kranken  Meerschweinchen,  z.  B.  durch 
Chinin  geschädigten,  nimmt  schwächere  Färbung  an  oder  ver¬ 
liert,  einmal  gefärbt,  die  Färbung  sehr  rasch. 

8.  Weniger  als  0  6%ige  Kochsalzlösungen  beeinträchtigen 
die  härbung  unter  allen  Umständen,  stärkere  Lösungen  aber 
bewirken  zuweilen  eine  vorübergebende  Steigerung  der  Färbungs* 
intensität,  der  sich  dann  erst  eine  Entfärbung  anscbliesst. 

9.  Wie  im  Allgemeinen  zum  Nachweis  der  zellschädi¬ 
genden  Wirkungen  fremdartiger  Sera,  so  eignet  sich  diese 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  39 


Methode  ganz  besonders  zur  Prüfung  des  antileukocytären 
Serums. 

Blutserum  von  Kaninchen  in  einer  Verdünnung  von  1 
zu  9  Kochsalzlösung  entfärbt  Meerschweinchen  -  Leukocyten 
erst  nach  mehreren  (mindestens  fünf)  Stunden. 

Das  Blutserum  eines  Kaninchens  aber,  das  am  8.  und 

10.  Juni  d.  J.  je  eine  halbe  Meerschweinchenmilz  intraperito¬ 
neal  injicirt  erhalten  hatte,  entfärbte  in  derselben  Verdünnung 
und  unter  denselben  Bedingungen  am  14.  Juni  Meerschwein- 
ehenleukocyten  schon  innerhalb  V/2  Stunden,  am  18.  Juni 
innerhalb  35  Minuten. 

10.  Bei  der  Anordnung  der  Versuche  muss  darauf  geachtet 
werden,  dass  jedes  Präparat  unter  den  gleichen  Um¬ 
ständen  angefertigt  und  beobachtet  wird. 

11.  In  geronnenen  Exsudaten  bleiben  die  Färbungen 
länger  erhalten. 

12.  Die  Verschiedenheit  des  Farbentones 
der  gefärbten  intracellularen  Mikroorganismen  gibt  ein  diffe¬ 
rentialdiagnostisch  vielleicht  nicht  unwichtiges  Merkmal  an 
die  Hand. 

So  färben  sich  Gonococcen  im  Allgemeinen  fuchsinroth, 
Staphylococcen  z.  B.  gelbroth;  doch  hängt  der  Farbenton  auch 
von  dem  Lebenszustande  der  Zelle  und  dem  Quellungszu¬ 
stande  des  Mikroorganismus  ab.  Die  an  den  Zelleinschlüssen 
zu  beobachtenden  verschiedenen  Farbentöne  lassen  sich  in 
vitro  am  Farbstoff  selbst  leicht  durch  Zusatz  minimaler  Spuren 
von  Alkalien,  respective  Säuren,  in  einander  überführen 
(Ehrlich). 

So  weit  die  Ergebnisse  Plato’s. 

Diesen  will  ich  nun  im  Folgenden  Ergebnisse  meiner 
Untersuchungen  anreihen,  ohne  mich  auf  eine  ausführliche 
Wiedergabe  meiner  Versuche  einzulassen,  was  gelegentlich  er¬ 
folgen  soll. 

1.  Setzt  man  zu  Kaninchen-  oder  Meerschweinchenex¬ 
sudat,  das  man  am  leichtesten  durch  Injection  von  Aleuronat- 
brei  oder  abgetödteten  Staphylococcen  in  die  Bauch-  oder  Brust¬ 
höhle  erhält,  eine  Spur  wässeriger  Neutralrothlösung,  so  tritt 
allmälig  eine  Färbung  der  Zellgranula  ein. 

Der  Farbenton,  den  die  Granula  dabei  annehmen,  ist  zu¬ 
nächst  am  häufigsten  gelbröthlich,  um  später  zuweilen  car- 
moisinroth  zu  werden;  später  tritt  dann  wieder  mehr  die  gelb¬ 
liche  Färbung  der  Granulationen  in  den  Vordergrund,  um 
dann  einer  Entfärbung  der  Granula  Platz  zu  machen. 

Doch  findet  man,  namentlich  in  Präparaten,  die  schon 
einige  Zeit  gestanden  sind,  zuweilen  neben  Zellen  mit  car- 
moisinrothen  Granulationen  auch  solche  mit  gelblichen  Granu¬ 
lationen.  Alkalitätsverhältnisse  scheinen  auf  die  Farbennuance 
von  grossem  Einflüsse  zu  sein. 

2.  Derartige  Präparate  lassen  sick  einfach  in  der  Weise 
beliebig  lang  gut  conserviren,  dass  man  ein  Tröpfchen  des 
gefärbten  Exsudats  auf  ein  Deckgläschen  bringt,  es  bei  Körper¬ 
wärme  antrocknet  und  in  Balsam  einschliesst. 

3.  In  geronnenem  Exsudate  tritt  die  Färbung  der 
Granula  bedeutend  später  auf;  in  diesem  Falle  finden  sich 
zuweilen  blos  einzelne  Zellen  gefärbt.  Ist  jedoch  eine  solche 
Flocke  in  toto  gefärbt,  so  erhält  sich  bei  Einwirkung  leuko- 
cytenschädigender  Substanzen  die  Färbung  weitaus  am  längsten 
im  Centrum.  Andererseits  lässt  sich  zeigen,  dass  durch  Schütteln 
des  mit  Bouillon  oder  physiologischer  Kochsalzlösung  versetzten, 
geronnenen  Exsudates  der  Raschheit  und  Vollständigkeit  der 
Färbung  Vorschub  geleistet  wird. 

Unter  dem  Mikroskope  sieht  man,  z.  B.  an  einem 
durch  Gerinnung  formirten  Leukocytenhaufen,  dass  die  vor¬ 
handenen,  ungefärbten  Granula  ganz  allmälig  Farbe  an¬ 
nehmen. 

Macht  man  das  Exsudat  durch  Zusatz  von  gleichen 
Theilen  einer  l%igen  oxalsauren  Natronlösung  ungerinn- 
b  a  r,  so  tritt  verhältnissmässig  rasch  ein  tiefroth  gefärbtes  Sedi¬ 
ment  auf,  das  beinahe  nur  aus  gefärbten  Leukocyten  besteht. 

Durch  Zusatz  von  Methylenblau  zu  Kaninchenexsudat 
tritt  keine  derartige  »intravitale«  Granulafärbung  wie  bei 
Neutral  rothzusatz  auf. 


4.  Was  Form  und  Grösse  der  Granula  anlangt,  so  finden 
sich  neben  staubförmig  kleinen  Formen,  die  meist  hell  gefärbt 
sind,  auch  grössere  Formen,  die  coccen-,  komma-,  selbst 
stäbchenförmig  aussehen  und  meist  tiefroth  gefärbt  sind. 

In  wieferne  diese  Formen  sich  von  intracellulär  gelagerten 
Mikroorganismen  morphologisch  oder  färberisch  unterscheiden 
lassen  und  inwieweit  eine  Verwechslung  mit  diesen  stattfinden 
kann,  darüber  sind  meine  Untersuchungen  noch  nicht  abge¬ 
schlossen. 

5.  Lässt  man  mit  Kochsalzlösung  verdünntes,  gefärbtes 
Exsudat  eine  Reihe  von  Stunden  im  Brutkasten  stehen,  so 
sieht  man,  dass,  während  aus  einem  Theile  der  Zellen  die  ge¬ 
färbten  Granulationen  einfach  verschwinden  und  nur  mehr 
grobe,  stark  lichtbrechende,  ungefärbte  Granula,  die  der  Zelle 
in  toto  ein  glänzendes  Aussehen  verleihen,  in  geringerer 
Anzahl  vorhanden  sind,  im  Gegensätze  zur  frischen  Zelle,  die 
in  toto  erscheint  mehr  matt,  die  allergrösste  Mehrheit  eine 
Veränderung  erfahren  hat,  die  successive  in  Entfärbung,  Auf¬ 
hellung  des  Protoplasmas  an  der  ganzen  Peripherie  oder  an 
einer  circumscripten  Stelle,  die  dann  zuweilen  kugelförmig 
vorgestülpt  wird,  besteht;  sodann  kommt  es  bis  zum  Ver¬ 
schwinden  fast  sämmtlieher  färbbarer  Granulationen  und  die 
Zelle  stellt  nunmehr  eine  grosse,  homogene  Vacuole  dar. 

Am  längsten  erhalten  sich  dabei  die  perinucleären  Granu¬ 
lationen,  die  zuweilen  mit  dem  Kern  gleichsam  aus  der  leeren 
Zelle  herausgedrängt  erscheinen. 

6.  Centrifugirt  man  gefärbtes  Exsudat,  wäscht  die  sedi- 
mentirte  Leukocytenmasse  mit  physiologischer  Kochsalzlösung 
und  überträgt  sie  sodann  in  diese  Flüssigkeit,  so  verschwinden 
die  gefärbten  Granulationen  nach  einiger  Zeit,  während  die 
Flüssigkeit  Farbe  annimmt. 

7.  Verwendet  man  zu  diesem  Versuche  Exsudat,  das  aus 
der  Brusthöhle  eines  nach  intrapleuraler  Infection  mit  Staphy¬ 
lococcen  eingegangenen  Kaninchens  stammt,  wo  sich  zum 
grossen  Theile  kydropisch  veränderte  Leukocyten  finden,  so 
erhält  man  keine  oder  nur  sehr  vereinzelte  Neutralrothfärbung 
der  Zellen. 

Bei  Anstellung  des  Versuches  in  vitro  ist  der  Boden¬ 
satz'  häufig  viel  schwächer  gefärbt  als  beim  Aleuronat- 
exsudat. 

8.  Versuche  mit  einer  Reihe  von  bacteriellen  Substanzen 
—  an  mit  Kochsalzlösung  versetztem  Exsudate  ausgeführt  — 
haben  gezeigt,  dass  bei  manchen  derselben  die  Entfärbung 
und  das  Auftreten  der  Vacuolisation  viel  rascher  als  bei 
anderen  oder  im  Controlpräparate  auftritt. 

Inwieferne  daraus  jedoch  gewisse  Specifitäten  abgeleitet 
werden  können,  oder  welchen  Einfluss  auf  diese  Erscheinungen 
die  verschiedenen  Alkalitätsgrade  der  zugesetzten  Substanzen 
haben,  dass  müssen  noch  weitere  Versuche,  insbesondere  Thier¬ 
versuche,  zeigen.  So  sieht  man  auch  bei  Pyocyaneusexsudat 
schon  im  Thierkörper  nach  meinen  Erfahrungen  die  be¬ 
schriebenen  Zell  Veränderungen. 

9.  Setzt  man  zu  normalem  Exsudate  etwas  leukocidin- 
haltige  Flüssigkeit,  so  tritt  die  Entfärbung  rascher  als  im 
Controlpräparate  ein. 

Da  mir  derzeit  noch  kein  kräftiges  Leukocidin  zur  Ver¬ 
fügung  steht,  so  bedarf  es  auch  hier  noch  weitererer  Studien, 
um  eine  specifische  Wirkung  desselben  festzustellen. 

10.  Was  die  Genese  der  Entfärbung  anlangt,  so  gewinnt 
man  zuweilen  den  Eindruck,  als  ob  gewisse  färbbare  Granula 
hiebei  aus  der  Zelle  ausgestossen  würden. 

11.  Bei  Einwirkung  von  hypotonischen  Kochsalzlösungen 
und  von  schwachen  Alkalien  sieht  man  rasch  die  beschriebenen 
veränderten,  nicht  färbbaren  Formen  entstehen,  während  bei 
Zusatz  von  hypertonischen  Kochsalzlösungen  oder  schwachen 
Säuren  die  Leukocyten  schrumpfen,  ihre  Granulationen 
gröber,  stärker  gefärbt  und  vielfach  näher  aneinander 
gerückt  sind. 

Nach  einiger  Zeit  treten  jedoch  auch  hier  entfärbte  und 
vaeuolisirte  Formen  auf. 

12.  Bei  Zusatz  von  Meerschweinchenserum  zu  Kaninchen- 
leukocyten,  insbesonders  solchen,  die  in  Kochsalzlösung  auf- 


Nr.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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geschwemmt  sind,  kommt  es  nach  einigen  Stunden  zum  Verlust 
der  Färbung  und  Auftreten  der  Vacuolisirung. 

13.  Der  Zeitpunkt  des  Eintretens  der  Entfärbung  und 
des  Auftretens  der  Vacuolisirung  schwankt  innerhalb  ziemlich 
weiter  Grenzen  und  hängt  wahrscheinlich  von  einer  ganzen 
Reihe  von  Factoren  ab. 

14.  Die  beschriebenen  Leukocytenformen  finden  sich 
auch  in  menschlichem  Eiter,  der  einige  Zeit  stand. 

15.  Auch  die  Vorderhorn-  und  Spinalzellen  des  Rücken¬ 
markes  beim  Kaninchen  lassen  sich  intravital  färben ;  es  resul- 
tiren  dabei  N  i  s  s  fische  Structuren;  die  einzelnen  chromatischen 
Blöcke  setzen  sich  aus  kleinen  intensiv  roth  gefärbten  Körnchen 
zusammen.  Auch  solche  (Zupf-)Präparate  lassen  sich  einfach 
durch  Auftrockneu  conserviren. 

Als  Resultat  meiner  bisherigen  Untersuchungen  ergibt 
sich,  dass  sich  durch  die  Neutralrothmethode  der  morphologisch 
intacte  Leukocyt  färbt,  der  geschädigte  nicht. 

Mit  dem  Verschwinden  der  Färbung  geht  das  Auftreten 
der  Vacuolen  Hand  in  Hand. 


Aus  der  III.  medicinischen  Abtheilung  des  k.  k.  Allge¬ 
meinen  Krankenhauses  in  Wien. 

Ueber  »Acetopyrin«,  ein  neues  Antipyreticum. 

Von  Dr.  Josef  Winterberg,  Assistenten  obiger  Abtheilung,  und  Cancl.  med. 

Robert  Braun,  Hospitanten  derselben  Abtheilung. 

Als  im  Jahre  1874  Kolbe  die  Salicylsäure  und  bald 
darauf  das  Natriumsalz  derselben  als  antiseptische  Substanz 
bekannt  gemaeht  hatte  und  kurze  Zeit  später  diese  beiden 
Präparate  Eingang  in  die  Therapie  gefunden  hatten,  wurden 
bald  aus  allen  ärztlichen  Kreisen  zahlreiche  Publicationen  ver¬ 
öffentlicht  über  die  glänzenden  Heilerfolge,  die  man  mit  den 
Salicylpräparaten  bei  rheumatischen  Affectionen  erzielt  hatte. 
Während  man  bis  zu  dieser  Zeit  dem  Rheumatismus  fast 
ebenso  machtlos  und  rathlos  gegenüberstand,  wie  vielen  anderen 
Affectionen  des  Organismus,  hatte  man  nun  in  der  Salicyl¬ 
säure  geradezu  ein  specifisches  Heilmittel  für  diese  Krankheit 
gefunden,  die,  nach  alter  Methode  behandelt,  sich  oft  zur 
Qual  des  Arztes  durch  Wochen  und  Monate  hinzog.  Man 
konnte  der  Schmerzen  und  der  Gelenksschwellungen  absolut 
nicht  Herr  werden,  Umschläge  und  alle  möglichen  Einreibungen 
wurden  angewendet,  doch  ohne  jeden  Erfolg. 

Unter  diesen  Verhältnissen  konnte  es  nicht  Wunder 
nehmen,  wenn  mit  Rücksicht  auf  diese  grossen  Vortheile,  die 
uns  das  neugefundene  Mittel  darbot,  anfänglich  ganz  und  gar 
die  Nachtheile  übersehen  wurden,  die  sich  häufig  bei  der  An¬ 
wendung  desselben,  namentlich  bei  etwas  längerem  Gebrauche 
einzustellen  pflegten.  Bald  wurden  Klagen  laut  über  alle  mög¬ 
lichen  Nebenerscheinungen,  die  den  Werth  der  Salicylsäure 
und  ihres  Natriumsalzes  in  einzelnen  Fällen  entweder  sehr 
herabdrückten  oder  sogar  vollständig  illusorisch  machten.  Es 
traten  schwere  Störungen  von  Seite  des  Verdauungsapparates 
auf;  -  heftiges  Magendrücken,  Brechreiz  und  wirkliches  Er¬ 
brechen  waren  nichts  Seltenes,  und  zu  den  regelmässigen 
Folgeerscheinungen  fast  in  allen  Fällen  gehörte  die  schon 
nach  Gebrauch  weniger  Pulver  auftretende  Appetitlosigkeit. 
Daneben  stellte  sich  oft  heftiges  Ohrensausen  bis  zur  voll¬ 
ständigen  Vertaubung  ein.  In  einzelnen  Fällen  Hessen  sich 
diese  Erscheinungen  durch  Herabgehen  in  der  dargereichten 
Dosis  coupiren,  doch  in  vielen  anderen  musste  das  Mittel  voll¬ 
ständig  ausgesetzt  werden,  und  wir  standen  nun  diesen  Fällen 
ebenso  hif los  gegenüber,  wie  es  früher  jeder  rheumatischen 
Erkrankung  gegenüber  ganz  allgemein  war.  Es  entsprang 
daraus  der  Wunsch,  nach  neueren  Mitteln  zu' suchen,  die  dem 
Rheumatismus  gegenüber  sich  ebenso  günstig  verhielten  wie 
das  salicylsäure  Natrium,  sich  aber  von  diesem  durch  das 
Fehlen  aller  Nebenerscheinungen  unterscheiden  sollten. 

Wenn  wir  die  diesbezügliche  Literatur  durchgehen,  so 
finden  wir  Veröffentlichungen  über  die  auf  diese  Art  ent¬ 
standenen  Salicylpräparate:  Salipyrin,  Salophen,  Salol,  Sali¬ 
genin,  Malakin  und  auch  noch  über  eine  Reihe  von  anderen 


derartigen  Präparaten.  Von  diesen  hat  sich  wohl  am  meisten 
das  Erstgenannte,  das  Salipyrin,  eingebürgert.  Es  waren  bei 
allen  diesen  Präparaten  die  Nebenerscheinungen  wohl  etwas 
geringer,  doch  immerhin  in  einzelnen  Fällen  in  der  Art  auf¬ 
getreten,  dass  der  Fortschritt  nach  dieser  Richtung  kein  allzu¬ 
bedeutender  war. 

Die  Ursache  dieser  unangenehmen  Nebenwirkungen,  be¬ 
sonders  die  Störungen  im  Verdauungsacte  sind  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  darauf  zurückzuführen,  dass  die  Salicyl¬ 
säure  in  allen  bisher  bekannten  Salicylpräparaten  sich  im 
Magensafte  gut  löst  und  in  diesem  Zustande  die  Verdauungs- 
thätigkeit  des  Magens  hemmt,  wodurch  es  gleichsam  zu  einer 
toxischen  Gastritis  mit  ihren  Folgeerscheinungen  kommt.  Durch 
diese  Erkenntniss  war  der  Weg  ziemlich  deutlich  vorgeschrieben, 
wie  man  zu  einem  Salicylpräparate  gelangen  könnte,  das.  mit 
den  glänzenden  Vorzügen  der  Salicylsäure  ausgestattet,  keine)  lei 
unangenehme  Nebenerscheinungen  mit  sich  brächte.  Es  musste 
die  Salicylsäure  in  eine  Form  gebracht  werden,  in  welcher  sie 
im  Magensaft  unlöslich,  erst  im  Darme,  im  alkalischen  Saft 
desselben,  zur  Lösung  gebracht  wurde,  um  auf  diese  Weise 
die  ungünstige  Einwirkung  auf  den  Magen  auszuschalten. 

Das  erste  dieser  Präparate  war  das  Aspirin.  Dasselbe 
ist  reine  Acetylsalicylsäure.  Ein  weiterer  Fortschritt  in  dieser 
Beziehung  ist  das  von  uns  auf  obiger  Abtheilung  in  aus¬ 
gedehntem  Masse  versuchte  Acetopyrin,  welches  seiner  che¬ 
mischen  Zusammensetzung  nach  aus  Acetylsalicylsäure  und 
Antipyrin  besteht. 

Als  uns  dieses  Präparat  von  der  chemischen  Fabrik 
Hell  &  Co.  in  Troppau  zur  Prüfung  übergeben  wurde, 
gingen  wir  mit  dem  wohlberechtigten  Misstrauen,  das  von 
allen  ärztlichen  Kreisen  jedem  neuen  Mittel  entgegengebracht 
wird,  blos  daran,  das  Mittel  in  einzelnen  Fällen  zu  verwenden 
und  dasselbe  nicht  weiter  zu  beachten.  Als  wir  aber  gelegentlich 
der  Behandlung  der  ersten  Fälle  von  Rheumatismus  die  Beob¬ 
achtung  machten,  dass  die  erzielten  Resultate  ausgezeichnete 
waren  und  dabei  Nebenerscheinungen  vollständig  ausblieben, 
beschlossen  w7ir,  das  Mittel  in  grösserem  Massstabe  in  Ver¬ 
wendung  zu  ziehen,  um  durch  eine  möglichst  umfangreiche 
Statistik  uns  über  den  Werth  des  neuen  Antipyreticums  ein 
genaueres  Urtheil  bilden  zu  können  und  dasselbe,  falls  die 
Untersuchungen  im  günstigen  Sinne  ausfallen  sollten,  in  die 
ärztliche  Paxis  einzuführen. 

Unsere  Statistik  umfasst  beinahe  100  Fälle,  unter  denen 
sich  kein  einziger  Fall  befindet,  bei  dem  irgend  welche  Ver¬ 
dauungsbeschwerden  oder  sonstige  Nebenerscheinungen  hätten 
beobachtet  werden  können ;  wir  hatten  das  Mittel  absichtlich 
in  chronischen  Fällen,  in  denen  wir  uns  wohl  keinen  Einfluss 
auf  den  rheumatischen  Process  versprachen,  durch  mehrere 
Wochen  hindurch  in  Dosen  von  3 — 5  g  pro  die  gegeben, 
um  uns  auf  diese  Weise  zu  überzeugen,  ob  das  Präparat  nach¬ 
theilig  auf  Magen  oder  Darm  einwirken  würde«  Der  Appetit 
blieb  gleichmässig  gut,  keinerlei  üble  oder  schmerzhafte  Sen¬ 
sationen  im  Magen  stellten  sich  ein,  und  auch  sonst  waren  die 
Kranken  von  Nebenerscheinungen  frei. 

Das  Präparat  stellt  ein  weissliches,  schwach  nach  Essigsäure 
riechendes,  krystallinisches  Pulver  dar,  das  einen  constanten 
Schmelzpunkt  von  64 — 65°  zeigt,  in  kaltem  Wasser  sehr 
schwer,  in  warmem  Wasser  leichter  löslich  ist;  es  löst  sich 
ferner  leicht  in  Alkohol,  Chloroform  und  in  warmem  Toluol, 
schwer  in  Aether  und  Petroläther.  Das  Pulver  zeigt  die  Re¬ 
action  des  Antipyrins;  es  liefert  mit  Eisenchlorid  eine  blut- 
rothe  Lösung,  welche  auf  Zusajz  von  zehn  Tropfen  con- 
centrirter  Schwefelsäure  in  Hellgelb  übergeht.  Die  wässerige 
Lösung,  mit  etwas  verdünnter  Schwefelsäure  gekocht,  lässt 
starken  Geruch  nach  Essigsäure  auftreten;  es  scheiden  sich 
dabei  Krystalle  ab,  die  sich  durch  Extraction  mit  Aether  iso- 
liren  lassen.  Dieselben  ergeben  mit  Eisenchlorid  die  typische 
Salicylsäurereaction. 

Es  wurden  von  Dr.  V  o  1 1  m  an  n  in  Berlin  Verdauungsversuche 
mit  dem  Präparat  gemacht.  Es  wurde  künstlicher  Magensaft  und  zwar 
100 <7  desselben  mit  lg  des  zu  prüfenden  Präparates  bei  37°  G. 
in  den  Brutschrank  gestellt  und  jede  Stunde  durchgeschüttelt,  nach 
vier  Stunden  herausgenommen  und  untersucht.  Die  Hauptmenge  der 


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Krystalle  befand  sich  ungelöst  am  Boden,  es  zeigte  sich  also,  dass 
die  Substanz  in  sauren  Flüssigkeiten  schwer  löslich  ist.  Mit  dem 
klaren,  wasserhellen  Filtrat  erhielt  man  die  Reaction  des  Antipyrin, 
jedoch  keine  Salicylsäurereaction.  Um  ein  doch  etwa  stattfindendes 
Ahspalten  von  Salicylsäure  nachzuweisen,  wurde  die  wässerige 
Lösung  mit  Aether  ausgeschüttelt  und  abgedunstet,  worauf  eine 
geringe  Menge  einer  Substanz  hinterblieb,  welche  wiederum  mit 
Eisenchlorid  eine  tiefrothe  Färbung  ergab,  dagegen  keinerlei  Salicyl¬ 
säurereaction.  Es  wurde  nun  ein  Theil  der  wässerigen  Flüssigkeit 
genau  neutralisirt  und  derselben  durch  Schütteln  mit  Chloroform 
das  Antipyrin  entzogen.  Die  rückständige  neutrale  Flüssigkeit  wurde 
angesäuert  und  mit  Aether  ausgeschüttelt.  Der  Aetherauszug  hinter- 
liess  beim  Abdunsten  eine  geringe  Menge  einer  Substanz,  welche,  in 
Wasser  gelöst,  mit  Eisenchlorid  eine  hellgelbe  Färbung  gab,  in  Eis¬ 
mischung  zu  einer  festen  Masse  wurde,  die  einen  Schmelzpunkt 
von  134 — 135°  zeigte,  mithin  als  Acetylsalicylsäure  anzusprechen 
war.  Die  Chloroformumschüttelung  hinterliess  beim  Abdunsten  Kry- 
stalle,  die  hei  115°  schmolzen  und  alle  Reactionen  des  Antipyrins 
zeigten. 

Es  hatte  sich  also  unter  dem  Einflüsse  des  Magensaftes  ein 
kleiner  Theil  des  Präparates,  und  zwar  der  wasserlösliche,  in  Acetyl¬ 
salicylsäure  und  Antipyrin  gespalten;  der  unlösliche  Rückstand  da¬ 
gegen  zeigte  den  unveränderten  Schmelzpunkt  von  65°,  erwies  sich 
also  als  die  unveränderte  ursprüngliche  Substanz. 

Es  wurde  nun  künstlicher  Darmsaft  hergestellt  und  wiederum 
10(1  <j  desselben  mit  1  g  der  Substanz  in  den  Brutschrank  gestellt, 
nach  einer  Stunde  herausgenommen  und  umgeschüttelt;  dabei  löste 
sich  das  Präparat  unter  Entwicklung  von  Kohlensäuregasbläschen 
ohne  jeden  Rückstand.  Nachdem  diese  Lösung  zwölf  Stunden  im 
Brutschrank  gestanden,  wurde  sie  genau  untersucht.  Dieselbe  reagirte 
noch  schwach  sauer.  Nach  dem  Erkalten  wurde  die  Flüssigkeit  mit 
einigen  Tropfen  verdünnter  Schwefelsäure  stark  angesäuert  und  mit 
Aether  ausgeschüttelt,  beim  Abdunsten  hinterblieb  ein  Rückstand, 
der  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  warmem  leichter  löslich  war  und 
mit  Eisenchlorid  sofort  eine  intensiv  violette  Salicylsäurereaction 
ergab;  es  war  also  durch  den  Darmsaft  eine  Spaltung  des  Präparates 
unter  Bildung  von  freier  Salicylsäure  eingetreten. 

Wir  stellten  diesbezügliche  Nachuntersuchungen  an,  die  im 
Wesentlichen  zu  gleichen  Resultaten  führten,  wie  die  eben  angeführten 
Versuche. 

Durch  diese  Versuche  ging  mit  deutlicher  Klarheit  hervor, 
weshalb  das  Präparat  absolut  keine  Störungen  in  der  Magenthätig- 
keit  verursachte. 

Wir  können  unser  Versuchsmaterial  in  mehrere  Gruppen 
bringen,  von  welchen  die  grösste  über  40  Fälle  von  acutem 
Gelenksrheumatismus  umfasst. 

Es  ist  das  jene  Erkrankung,  bei  welcher  aller  Voraussicht 
nach  das  neue  Mittel  am  besten  wirken  musste.  Wir  wurden 
auch  hinsichtlich  des  Erfolges  keinesfalls  enttäuscht.  Wir  ver¬ 
theilten  die  einzelnen  Gaben  meist  in  gleichen  Zwischen¬ 
räumen  während  des  Tages,  so  dass  man  gewöhnlich  mit  sechs 
Pulvern  a  0*5  ausreichte.  Häufig  stellte  sich  das  Bedürfniss 
ein,  namentlich  hei  schwereren  Fällen,  mit  der  Einzeldosis  zu 
steigen  oder  die  einzelnen  Dosen  näher  aneinander  zu  rücken. 
Besonders  musste  dies  bei  der  zweiten  Gruppe  behandelter 
Fälle  geschehen,  jenen  Fällen  nämlich,  bei  denen  das  neue 
Antipyreticum  als  schmerzstillendes  Mittel  wirken  sollte.  Es 
lassen  sich  in  diese  Gruppe  25  Fälle  unserer  Beobachtung 
eintheilen. 

Weiterhin  verwendeten  wir  das  neue  Mittel  in  vier 
Fällen  von  Typhus  abdominalis,  einem  Fall  von  epidemischer 
Cerebrospinalmeningitis,  in  zwei  Influenzafällen,  zwei  Bronchi¬ 
tiden,  hei  zwei  Erkrankungen  an  chronischem  Gelenksrheuma¬ 
tismus  und  bei  acht  meist  rheumatischen  Affectionen  der 
Pleura,  theils  exsudativer,  theils  trockener  Natur.  Schliesslich 
könnten  wir  noch  eine  Gruppe  von  Fällen  anführen,  in  denen 
wir  das  Mittel,  von  der  Voraussetzung  ausgehend,  dass  die 
Salicylsäure  sich  erst  im  Darme  abspaltet,  hei  Gastoenteritis 
in  Verwendung  zogen,  um  auf  diese  Weise  eine  antiseptische 
Wirkung  im  Darme  zu  entfalten  und  den  Process  zum  Still¬ 
stand  zu  bringen.  Die  beiden  diesbezüglichen  Kranken¬ 
geschichten,  die  wir  weiter  unten  veröffentlichen  wollen,  zeigen 
die  günstige  Wirkung  des  neuen  Mittels  hei  derartigen  Zu¬ 


ständen  ganz  vortrefflich.  Bei  neun  Fällen  von  Tuberculosis 
pulmonum,  bei  welchen  wir,  um  uns  von  der  antipyretischen 
Wirkung  des  Mittels  zu  überzeugen,  mehrere  Male  grössere 
Dosen  zur  Zeit  des  höchsten  Fiebers  darreichten,  ging  die 
Temperatur  wohl  sehr  stark  herab,  doch  traten  hei  allen  diesen 
Kranken  mit  dem  Temperaturabfall  so  unangenehme  Neben¬ 
erscheinungen  auf,  wie  starker  Schweissausbruch,  sehr  grosse 
Mattigkeit  jedoch  ohne  die  Erscheinungen  eines  wirklichen 
Collapses,  dass  wir  uns  entschlossen,  von  diesen  Versuchen 
abzustehen.  Dabei  möchten  wir  uns  aber  die  Bemerkung  er¬ 
lauben,  dass  auch  bei  diesen  Erkrankungen  keinerlei  Störun¬ 
gen  von  Seite  des  Magens  aufgetreten  waren. 

Die  Fälle  von  acutem  Gelenkrheumatismus  waren  theils 
solche,  die  mit  frischen  acuten  Gelenksschwellungen  ohne  jede 
vorhergegangene  Behandlung  in  die  Anstalt  kamen,  theils 
waren  es  Kranke,  die  zu  Hause  bereits  14  Tage  bis  drei  Wochen 
mit  Salicylpräparaten  in  Behandlung  gewesen  waren.  Gerade 
unter  den  letzteren  befinden  sich  solche  Fälle,  die  für  unsere 
Arbeit  von  besonderem  Werthe  und  für  die  Behandlung  mit 
dem  neuen  Mittel  ganz  besonders  geeignet  erschienen.  Einige 
dieser  Kranken  hatten  bereits  grössere  Dosen  von  salicyl- 
saurem  Natron  und  Salipyrin  genommen;  es  war  hei  ihnen 
im  Anfang  dieser  Behandlung  der  erwartete  Erfolg  eingetreten, 
doch  musste  bald  das  Salicylpräparat  ausgesetzt  werden,  da 
sich  schwerere  Erscheinungen,  wie  heftiges  Magendrücken  und 
Erbrechen,  vollständige  Appetitlosigkeit  und  Ohrensausen  ein¬ 
gestellt  hatten.  Solche  Fälle  waren  es,  die  uns  den  sicheren 
Beweis  für  die  gute  Wirkung  des  neuen  Mittels  bieten  konn¬ 
ten.  Sofort  nach  der  Darreichung  desselben  traten  die  günstigen 
Wirkungen  aller  Salicylpräparate  ein,  Gelenksschmerzen  und 
-Schwellungen  gingen  meist  innerhalb  weniger  Stunden  grössten- 
theils  zurück,  ohne  dass  sich  dabei  nur  die  leisesten  Be¬ 
schwerden  von  Seite  irgend  eines  anderen  Organes  eingestellt 
hätten.  Der  eclatan teste  Fall  in  dieser  Richtung  wird  uns 
durch  die  folgende  Krankengeschichte  illustrirt. 

G.  Th.,  40  Jahre  alt,  aufgenommen  am  21.  Mai  1900,  seit 
drei  Wochen  krank;  Erkrankung  unter  Schüttelfrost,  starkeh  Nacht- 
schweissen;  dazu  trat  vor  14  Tagen  eine  rechtsseitige  Rippenfell¬ 
entzündung,  Herzklopfen  und  starke  Schwellungen  in  fast  allen 
Gelenken  der  oberen  und  unteren  Extremitäten  und  auch  der 
Wirbelsäule.  Patientin  hatte  Natr.  salicyl.  bekommen,  doch  da  sich 
auf  diese  Medication  Magendrücken,  Erbrechen,  Ohrensausen  mit 
Kopfschmerzen  und  schliesslich  beiderseitige  Taubheit  eingestellt 
hatten,  musste  dieses  Mittel  aufgegeben  werden,  und  die  Kranke 
wurde  nun  mit  Umschlägen  symptomatisch  behandelt.  Bei  der  Auf¬ 
nahme  zeigt  sich  folgender  Status: 

Leicht  ikterisch’e  Farbe  der  Gesichts-  und  Körperhaut.  Zunge 
trocken,  belegt.  Rechts  lässt  sich  vom  Angulus  scapulae  nach 
abwärts  Dämpfung  und  abgeschwächtes  Athmen  wahrnehmen.  Die 
Herzdämpfung  nach  links  etwas  verbreitert,  nach  rechts  bis  an  den 
rechten  Sternalrand  reichend.  An  der  Herzspitze  zwei  Geräusche, 
der  zweite  Pulmonalton  accentuirt,  über  dem  Sternum  neben  den 
beiden  ganz  kurzen  Geräuschen  ein  deutliches,  sehr  rauhes, 
schabendes  Geräusch,  das  in  die  Pause  zwischen  Systole  und 
Diastole  fällt. 

Das  linke  Schultergelenk  etwas  geschwellt  und  schmerzhaft, 
ebenso  das  linke  Ellbogengelenk;  starke  Schwellung  und  Schmerz¬ 
haftigkeit  des  rechten  Handgelenkes  und  der  Kleinfingergelenke 
dieser  Hand;  die  Bewegungsfähigkeit  derselben  vollständig  auf¬ 
gehoben.  Ebenso  sind  die  Bewegungen  im  linken  Ellbogen-  und 
Schultergelenk  fast  vollständig  unmöglich,  starkes  Oedem  beider 
Unterextremitäten,  deutliches  Bailottement  der  rechten  Patella,  ferner 
auch  das  linke  Kniegelenk  angeschwollen  und  schmerzhaft  und 
endlich  noch  beide  Sprunggelenke  und  die  obere  Wirbelsäule.  In 
den  Hüftgelenken  waren  wohl  Schmerzen  bei  Bewegungen  und  bei 
Druck  vorhanden,  doch  Hess  sich  keine  Schwellung  in  denselben 
nachweisen.  Im  Harne  Spuren  von  Nucleoalbumin.  Die  Temperatur 
war  bei  der  Ankunft  (12  Uhr  Mittags)  38’8,  Puls  108,  Respira¬ 
tion  30. 

Die  Kranke  erhielt  nun  fünf  Pulver  ä  0'5  des  neuen  Anti- 
pyreticums  in  einstündlichen  Zwischenräumen.  Die  Temperatur  ging 
darauf  auf  38°  herunter,  der  Puls  auf  102,  die  Respiration  auf 
18.  Die  Kranke  fühlte  sich  leichter,  nur  hatte  sie  auf  die  Pulver 


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stark  geschwitzt.  Von  Nebenerscheinungen  keine  Spur.  Die 
Schwellung  in  den  Sprunggelenken  war  bereits  grösstentheils  zurück¬ 
gegangen,  die  Patientin  konnte  nun  in  diesen  Gelenken  bereits 
Bewegungen  ausführen,  und  ebenso  hatte  sich  der  Zustand  im 
rechten  Handgelenk  derart  gebessert,  dass  uns  die  Kranke  voll 
Freude  die  gute  Beweglichkeit  der  kleinen  Hand-  und  Fingergelenke 
demonstrirte. 

22.  Mai.  Die  Kranke  erhielt  zehn  Pulver  ä  05.  Die  Tem¬ 
peratur  war  37'2°,  Pulszahl  90,  24  Respirationen.  Die  Schwellung 
im  linken  Ellbogen  zurückgegangen,  Hand-  und  Fingergelenke  voll¬ 
ständig  frei,  ebenso  das  Ballottement  im  rechten  Kniegelenk  voll¬ 
ständig  verschwunden.  Auf  beiden  Armen  und  auf  der  Brust  zeigt 
sich  um  */07  Uhr  Morgens  ein  akneartiges  Erythem,  das  nach  un¬ 
gefähr  25  Minuten  vollständig  verblasst  ist.  Die  Kranke  hat  heute 
seit  drei  Wochen  zum  ersten  Mal  etwas  Appetit,  keinerlei  Be¬ 
schwerden  von  Seite  des  Gehörorganes,  auch  kein  Herzklopfen  und 
Nasenbluten. 

23.  Mai.  Heute  bestehen  nur  Schmerzen  in  beiden  Knie¬ 
gelenken  bei  Bewegungen.  Die  Pleuritis  rechts  vollständig  zurück¬ 
gegangen,  ebenso  ist  die  Dämpfung  des  Herzens  in  normale  Grenzen 
gerückt,  das  pericardiale  Geräusch  nicht  mehr  hörbar,  wohl  aber 
die  endocarditischen  Geräusche  noch  vorhanden.  Die  Temperatur 
blieb  andauernd  normal,  ebenso  die  Puls-  und  Respirationszahl. 

1.  Juni.  Die  Kranke  befindet  sich  bereits  vollständig  wohl, 
keine  Gelenksschwellungen  mehr  vorhanden,  die  Patientin  kann 
bereits  das  Bett  und  das  Zimmer  verlassen.  Der  Appetit  hatte  sich 
bedeutend  gehoben,  Patientin  konnte  jede  ihr  dargereichte  Nahrung 
ohne  Störung  nehmen  und  befand  sich  bereits  in  voller  Recon- 
valescenz,  doch  stand  sie  immerhin  noch  unter  der  Einwirkung 
des  neuen  Antipyreticums. 

Um  diese  Zeit  hatten  wir  bereits  unseren  Vorrath  an  Pulvern 
vollständig  verbraucht  und  waren  leider  noch  nicht  im  Besitze 
neuer  Versuchsmengen.  Wir  mussten  daher  das  Mittel  aussetzen, 
und  gleich  am  folgenden  Rage  begann  Patientin  wieder  über 
Schmerzen  und  Schwerbeweglichkeit  im  rechten  Ellbogengelenk  zu 
klagen;  es  war  auch  thatsächlich  dieses  Gelenk  stark  angeschwollen 
und  druckschmerzhaft.  Als  wir  der  Kranken  nun  sechs  Dosen  von 
Salipyrin  ä  05  gaben,  erbrach  sie  dieselben  und  es  traten  derartige 
Beschwerden  von  Seite  des  Magens  und  so  heftige  Kopfschmerzen 
auf,  dass  wir  das  Präparat  wieder  aussetzen  mussten.  Erst  als  wir 
wieder  in  den  Besitz  des  neuen  antipyretischen  Mittels  gekommen 
waren,  besserte  sich  rasch  das  subjective  und  objective  Befinden 
der  Patientin;  innerhalb  weniger  Stunden  war  Entfieberung  ein¬ 
getreten,  auch  die  Verdauungsstörungen  schwanden,  und  Patientin 
konnte  nunmehr  am  18.  Juni  geheilt  entlassen  werden. 

Ein  zweiter,  ebenfalls  sehr  instructiver  Fall  ist  der 
folgende : 

R.  M.,  21  Jahre  alt.  Vor  drei  Jahren  Rheumatismus  in  beiden 
Sprunggelenken.  Im  vorigen  Jahre  Wiederholung  dieser  Affection. 
Vor  acht  Tagen  bekam  Patientin  Schmerzen  in  den  Zehengelenken, 
dann  in  beiden  Sprung-  und  Kniegelenken.  Hierauf  wurden  die 
Phalangeal-  und  Metacarpophalangeal-  und  endlich  beide  Ellbogen¬ 
gelenke  ergriffen.  Patientin  leidet  unter  starken  Schweissen,  an  sehr 
schlechtem  Appetit  und  grosser  Mattigkeit. 

23.  Juni.  Bei  der  Aufnahme  zeigen  sich  alle  oben  erwähnten 
Gelenke  stark  geschwellt  und  geröthet,  sehr  schmerzhaft  und  in  der 
Bewegungsfähigkeit  stark  eingeschränkt.  An  der  Herzspitze  ein 
weiches,  systolisches  Geräusch,  sonst  die  inneren  Organe  normal. 
Die  Temperatur  39'2°,  126  Pulse,  26  Respirationen.  Patientin  erhält 
nun  g  des  Acetopyrin,  fühlt  sich  gleich  nach  dem  ersten  Pulver 
ein  wenig  leichter;  starker  Schweissausbruch.  Patientin  nimmt  bis 
Abends  V210  Uhr  vier  Pulver  ä  0'5,  worauf  die  Temperatur  auf 
37‘5°  sinkt,  dabei  120  Pulse,  24  Respirationen,  vollständiges  Wohl¬ 
befinden  und  Abnahme  der  Schmerzen. 

24.  Juni.  Heute  erhält  die  Patientin  acht  Pulver.  Temperatur  um 
72 10  Uhr  ist  38'2°,  um  11  Uhr  bereits  nur  mehr  37'6°;  auf  dieser 
Höhe  erhält  sich  dieselbe  mit  geringen  Schwankungen  während  des 
ganzen  Tages.  Rechtes  Elibogengelenk  nicht  mehr  schmerzhaft, 
die  Melacarpophalangealgelenke  etwas  empfindlicher  als  gestern.  Die 
Röthung  in  den  meisten  Gelenken  zurückgegangen.  Keine  Kopf¬ 
schmerzen.  Es  beginnt  sich  Appetit  einzustellen. 

25.  Juni.  Die  höchste  Temperatur  des  heutigen  Tages  ist 
37'9°  Fast  alle  Gelenke  abgeschwollen,  die  Bewegungsfähigkeit  hat 


sich  wieder  eingestellt,  Appetit  sehr  gut.  Kein  Schweissausbruch 
mehr.  Kein  Ohrensausen. 

29.  Juni.  Patientin  wird  geheilt  entlassen. 

Einen  dritten  in  diese  Gruppe  gehörigen  Fall  stellt  der  fol¬ 
gende  dar: 

K.  A.,  26jähriges  Dienstmädchen,  seit  fünf  Wochen  krank. 
Beginn  der  Erkrankung  mit  Schwellung  im  rechten  Fuss-  und 
linken  Sprunggelenke,  sodann  in  beiden  Kniegelenken,  Fieber  und 
starken  Schweissen.  Sehr  wenig  Appetit. 

9.  Juni.  Bei  der  Aufnahme  des  Status  praesens  lassen  sich 
Schmerzen  im  linken  Kniegelenke  auf  Druck  constatiren,  beide 
Schultergelenke,  die  oberen  Halswirbelgelenke  schmerzhaft.  Tempe¬ 
ratur  um  7  Uhr  abends  393°,  108  Pulse,  30  Respirationen.  Nach 
einer  Stunde  ist  auf  Einnahme  von  einem  Pulver  ä  0  5  die  Tem¬ 
peratur  auf  38-5°  heruntergegangen  ohne  Alteration  von  Puls-  und 
Respirationsfrequenz.  Patientin  erhält  um  72^  Uhr  ein  zweites 
Pulver,  worauf  die  Temperatur  noch  weiter  sinkt  und  um  72 11  Uhr 
Nachts  nur  mehr  37‘5°  beträgt. 

Die  Kranke  erhält  nun  in  den  folgenden  Tagen  je  sechs 
Pulver  ä  0‘5,  zeigt  nur  am  10.  Juni  Nachmittags  38'3°,  entfiebert 
sich  aber  rasch,  ist  am  12.  d.  M.  vollständig  schmerzfrei  und  wird 
bald  darauf  vollständig  geheilt  entlassen.  Während  des  ganzen  Ver¬ 
laufes  hatten  sich,  trotzdem  die  Kranke  fast  durch  14  Tage  hin¬ 
durch  je  sechs  Pulver  bekommen  hatte,  nicht  die  geringsten  Stö¬ 
rungen  in  der  Magen-Darmthätigkeit  gezeigt.  Patientin  war  bei 
gutem  Appetit  und  verdaute  vortrefflich. 

In  ähnlicher  Weise  wie  die  drei  vorher  angeführten 
Krankengeschichten  könnte  uns  noch  eine  grosse  Reihe  ähn¬ 
licher  Fälle  aus  unserem  Material  die  günstige  Wirkung  des 
neuen  Antipyreticums  illustriren  und  uns  zeigen,  das  wir  in 
demselben  ein  Mitei  in  der  Hand  haben,  das  als  wirksames 
Princip  die  Salicylsäure  enthält,  ohne  die  schädlichen  Wir¬ 
kungen,  welche  dieselbe  sonst  bei  längerer  Anwendung  im 
Gefolge  hat,  mit  in  den  Kauf  nehmen  zu  müssen. 

Wenn  wir  die  Wirkung  des  neuen  Mittels  auf  die  ein¬ 
zelnen  Symptome  des  acuten  Gelenksrheumatismus  näher  ins 
Auge  fassen,  so  finden  wir,  dass  zunächst  das  Fieber  innerhalb 
kurzer  Zeit  um  ein  Beträchtliches,  selbst  oft  um  2°  herab- 
sinkt,  ohne  dass  dabei  schwerere  Folgeerscheinungen  auftreten. 
Noch  deutlicher  wird  uns  diese  Eigenschaft  in  einzelnen 
der  später  anzuführenden  Krankengeschichten  entgegen  treten. 
Niemals  hatten  wir  Gelegenheit,  selbst  wenn  die  Temperatur 
sehr  stark  herabging,  einen  collapsartigen  Zustand  zu  beob¬ 
achten;  gewöhnlich  ging  gleichzeitig  auch  die  Puls-  und  Re¬ 
spirationsfrequenz  herunter,  die  Kranken  befanden  sich  ganz 
wohl,  waren  ganz  frisch  und  munter. 

Die  Gelenksschwellungen  gingen  ebenfalls  sehr  rasch 
zurück.  Wie  wir  aus  diesen  drei  Krankengeschichten  sehen, 
genügten  bereits  wenige  Pulver  und  zwei  bis  drei  Stunden, 
um  eine  beträchtliche  Abnahme  der  vorhin  hartnäckigen 
Schwellungen  und  Schmerzen  zu  bewirken. 

Was  den  Schweissausbruch  betrifft,  so  müssen  wir  zu¬ 
nächst  bemerken,  dass  zwar  der  Schweissausbruch  nach  An¬ 
wendung  dieses  Präparates  sich  häufig  ebenso  prompt  ein¬ 
stellte  wie  bei  fast  allen  Salicylpräparaten,  dass  aber  dieser 
Schweissausbruch  nach  einigen  Tagen  der  Anwendung  an 
Intensität  bereits  viel  verloren  hatte  —  ein  Verhalten,  das 
gewiss  auch  mit  dem  Grundprocess  an  und  für  sich  und  der 
Ausheilung  desselben  in  gewissem  Zusammenhänge  zu  stehen 
scheint. 

Als  schmerzstillendes  Mittel  hatten  wir  das  neue  Prä¬ 
parat  in  ungefähr  25  Fällen  versucht,  und  zwar  waren  es 
hauptsächlich  vorübergehende  neuralgiforme  Kopfschmerzen, 
Anfälle  von  Migräne,  ein  Fall  von  Ischias,  einige  Fälle  von 
Polyneuritis.  Was  die  Wirkung  in  dieser  Beziehung  anbelangt, 
so  konnte  es  uns  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  das  Mittel  auf 
diese  Processe  von  günstigem  Einflüsse  war,  weil  sich  doch 
in  demselben  neben  der  Salicylsäure  auch  Antipyrin  befand, 
das  ja  in  den  eben  angeführten  Krankheitsprocessen  sich  vor¬ 
züglich  bewährt  hat.  In  den  Fällen  von  Kopfschmerzen  waren 
die  letzteren  innerhalb  ganz  kurzer  Zeit  entweder  vollständig 
verschwunden,  oder  sie  hatten  an  Intensität  bedeutend  abge¬ 
nommen.  In  dem  Falle  von  Ischias,  der  allerdings  durch  eine  acute 


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Nephritis  complicirt  war,  konnten  wir  wohl  durch  grosse  Dosen 
und  zahlreiche  Pulver  im  Tage  die  vorher  äusserst  heftigen  und 
qualvollen  Schmerzen  um  ein  bedeutendes  Mass  herabdrücken, 
so  dass  der  Kranke  wenigstens  in  der  Ruhe  fast  vollständig 
schmerzfrei  war,  aber  wir  waren  nicht  im  Stande,  auf  längere  Zeit 
den  Kranken  von  den  Schmerzen  zu  befreien.  Wir  hatten  in  diesem 
Falle  oft  bis  zu  14  Pulvern  im  Tage  gereicht,  und,  trotzdem 
der  Patient  diese  verhältnissmässig  grossen  Gaben  wochenlang 
bekommen  hatte,  konnte  derselbe  niemals  über  Verdauungs¬ 
störungen  oder  Appetitmangel  Klage  führen,  er  hatt  stets  gute 
Esslust,  und  befand  sich  auch  sonst  bis  auf  seine  Beschwerden 
von  Seite  der  Ischias  ganz  wohl. 

Sehr  interessant  gestaltete  sich  die  Wirkung  in  einem 
Fall  von  epidemischer  Cerebrospinalmeningitis. 

Sch.  K.,  42jährige  Köchin,  aufgenommen  am  23.  April  1900. 

Bisher  angeblich  stets  gesund  gewesen.  Vor  vier  Tagen  er¬ 
krankte  Patientin  plötzlich  unter  Fieber,  starkem  Schweissausbruch 
und  Schmerzen  in  beiden  Kniegelenken  und  in  den  Muskeln  der 
Unterschenkel.  Am  nächsten  Tage  waren  diese  Schmerzen  etwas 
geringer,  doch  stellten  sich  jetzt  starke  Schüttelfröste  ein  und  Tags 
darauf  traten  heftige  Schmerzen  in  der  Musculatur  der  Arme  und 
Beine  auf.  Quälende  Kopf-  und  Kreuzschmerzen,  die  an  Intensität 
immer  mehr  Zunahmen,  gesellten  sich  dazu,  so  dass  die  Kranke 
das  Bett  aufsuchen  musste.  Am  Tage  der  Aufnahme  Erbrechen 
einer  grossen  Menge  grünlicher,  bitterlicher  Flüssigkeit.  Seit  dem 
Tage  der  Erkrankung  vollkommene  Appetit-  und  Schlaflosigkeit. 

Status  praesens:  Sensorium  frei.  Kopf  auf  Beklopfen 
und  spontan  schmerzfrei.  Rechts  leichte  Ptosis.  Nacken  auf  Druck 
und  bei  Bewegungen  ziemlich  stark  empfindlich. 

Die  rechte  Pupille  enger  als  die  linke.  Reaction  erhalten. 

Zunge  stark  belegt,  trocken.  Lungenbefund  normal. 

Die  Herzdämpfung  überragt  um  ein  Geringes  die  Mamillar- 
linie,  der  zweite  Aortenton  stark  klingend,  sonst  reine  Töne.  Das 
rechte  Ellbogengelenk  auf  Druck  und  bei  Bewegungen  stark 
schmerzhaft.  Deutliche  Hyperästhesie. 

Grosse  Hinfälligkeit  und  starke  Kreuzschmerzen.  Temperatur 
38'9°,  108  Pulse,  24  Respirationen.  Patientin  erhielt  um  Q48  Uhr 
Abends  ein  Pulver  zu  0'5.  Nach  einer  halben  Stunde  war  die 
Temperatur  auf  37’6°,  und  nachdem  die  Kranke  noch  ein  weiteres, 
ebenso  starkes  Pulver  bekommen  hatte,  war  die  Temperatur  um 
3/49  Uhr  Abends  auf  36'5°  herabgesunken,  bei  gleichem  Verhalten 
von  Puls  und  Respiration  ohne  jede  Spur  von  Collaps. 

24.  April.  Heute  fühlt  sich  Patientin  viel  wohler,  die  Gelenks¬ 
schmerzen  haben  nachgelassen.  Es  beginnt  sich  Appetit  einzustellen, 
die  Ptosis  völlig  geschwunden,  ebenso  hat  das  am  gestrigen  Tage 
bestandene  Ohrensauses  gänzlich  nachgelassen.  Die  Kranke  hatte 
heute  sechs  Pulver  bekommen. 

Temperatur  37-2°,  Puls  96,  Respiration  24. 

26.  April.  Nach  unruhig  verbrachter  Nacht,  während  welcher 
die  Patientin  sehr  viel  lärmt  und  schreit,  ohne  jedoch  irgend 
welche  verständliche  Worte  hervorzubringen,  tritt  schwere  Be¬ 
nommenheit  fast  bis  zur  vollkommenen  Bewusslosigkeit  ein.  Kopf 
auf  Beklopfen  stark  schmerzhaft,  deutliche  Nackensteifigkeit,  rechts 
deutliche  Ptosis  und  Facialisdifferenz.  Strabismus  divergens.  Pu¬ 
pillen  gleich.  Die  rechte  Pupille  reagirt  auf  Licht  träge,  die  linke 
fast  gar  nicht.  Auch  der  rechte  Stirnfacialis  paretisch. 

Ausgesprochene  Hauthyperästhesie.  Die  Patellarreflexe  beider¬ 
seits  vorhanden,  der  Fusssohlenreflex  rechts  schwächer  als  links, 
und  es  scheint,  als  ob  die  Abwehrbewegungen  links  viel  lebhafter 
als  rechts  erfolgen. 

Der  Puls  verlangsamt,  60  Schläge.  Die  Temperatur  39°. 
30  Respirationen.  Patientin  erhält  heute  sechs  Pulver,  ebenso  am 
folgenden  1  age,  ohne  dass  jedoch  eine  deutliche  Besserung  zu 
constatiren  ist.  Deutlicher  Herpes  der  Unterlippe  und  an  der  Haut 
neben  dem  rechten  äusseren  Augenwinkel.  Leichtes  Oedem  und 
Schmerzen  im  rechten  Arm.  Reflexe  stark  gesteigert.  Pupillen 
ungleich. 

Temperatur  38  7 °,  Puls  60,  Respiration  24. 

Patientin  erhält  abermals  sechs  Pulver,  worauf  innerhalb 
kurzer  Zeit  die  Temperatur  auf  37°  absinkt,  gleichzeitig  damit  die 
Benommenheit  deutlich  nachlässt,  sowie  auch  die  Kopf-  und  Kreuz¬ 
schmerzen  und  die  Nackensteifigkeit  sehr  bald  in  bedeutendem 
Masse  nacblassen. 


Nachdem  die  Patientin  noch  in  den  folgenden  Tagen  constant 
sechs  Pulver  täglich  erhalten,  schwinden  alle  übrigen  Ausfalls¬ 
erscheinungen.  Auch  die  Gelenksschwellungen  verschwanden  voll¬ 
ständig.  Die  Patientin  konnte  geheilt  am  10.  Mai  d.  J.  entlassen 
werden. 

In  diesem  Falle  zeigt  sich  ganz  deutlich,  dass  die  Temperatur 
zweimal  durch  dieses  neue  Präparat  von  ziemlich  bedeutender  Höhe 
innerhalb  kurzer  Zeit  fast  auf  das  normale  Niveau  herabgedrückt 
wurde.  Als  wir  nämlich  am  dritten  Tage,  nachdem  die  Patientin 
aufgenommen  worden  war,  das  Mittel  ausgesetzt  hatten,  stieg  die 
Temperatur  wieder  rasch  an,  und  gleichzeitig  damit  traten  die 
schweren  Störungen  wieder  auf.  Es  war  ganz  überraschend,  wie 
schnell  diese  Erscheinungen,  nachdem  wir  das  Miltel  wieder  gegeben 
hatten,  schwächer  wurden  und  schliesslich  ganz  verschwanden. 

Wenn  man  auch  nicht  annehmen  kann,  dass  das  neue  Anti- 
pyreticum  auf  den  Grundprocess  selbst  eine  besondere  Wirkung 
ausgeübt  hat,  so  dürfte  uns  doch  die  Bemerkung  gestattet  sein, 
dass  speciell  in  diesem  Falle  von  Meningitis  der  günstige  Verlauf 
durch  die  Anwendung  dieses  Mittels  beschleunigt  wurde,  da  wir 
zweimal  durch  Verabreichung  des  Acetopyrins  die  Erkrankung  in 
günstiger  Weise  beeinflussen  konnten. 

Viermal  haben  wir  das  neue  Antipyreticum  bei  Typhus  abdo¬ 
minalis  verwendet. 

Der  erste  Fall  betrifft  eine  19jährige  Gärtnerin,  H.  J.,  die 
am  2.  März  d.  J.  mit  Schüttelfrost,  Husten  und  Schmerzen  auf  der 
rechten  Brustseite  erkrankt  war.  Am  13.  März  wurde  Patientin 
aufgenommen. 

Patientin  zeigt  normalen  Lungen-  und  Herzbefund,  eine  stark 
vergrösserte,  deutlich  palpable  Milz,  dikroten  Puls,  flüssigen,  jedocb 
nicht  charakteristischen  Stuhl,  keine  Roseolen.  Im  Harn  kein  Al¬ 
bumen.  Positive  Diazoreaction. 

Klage  über  starken  Kopfschmerz,  schlechten  Appetit,  Schwindel¬ 
gefühl.  Starke  Schweisse. 

13.  März.  Wir  gaben  der  Patientin,  die  eine  Temperatur  von 
38°  aufwies,  ein  Pulver  zu  0*5 ;  sie  verbrachte  die  Nacht  in  gutem 
Schlaf  und  schwitzte  auch  viel  weniger  als  sonst. 

14.  März.  Status  im  Allgemeinen  unverändert.  Temperatur 
Morgens  37‘6°,  Nachmittags  um  4  Uhr  39-3°,  Respiration  36, 
Puls  108.  Patientin  erhält  ein  Pulver,  die  Temperatur  geht  auf 
38'3°  herunter.  Abermals  wird  ihr  0'5  Acetopyrin  dargereicht, 
worauf  um  7  Uhr,  also  eine  Stunde  nach  dem  letzten  Pulver,  die 
Temperatur  auf  37'6°  heruntergeht.  Respiration  30,  Puls  54.  Voll¬ 
kommenes  Wohlbefinden.  Keine  Spur  von  Collaps.  Geringere  Kopf¬ 
schmerzen,  geringerer  Schweiss.  Die  Temperatur  hält  sich  auf  dieser 
geringen  Höhe  noch  durch  mehrere  Stunden. 

15.  März.  Abermals  starker  Schweissausbruch.  Temperatur 
38‘5°,  Respiration  26,  Puls  90.  Nach  Darreichung  eines  Pulvers 
geht  innerhalb  kurzer  Zeit  die  Temperatur  ohne  weitere  Beeinträch¬ 
tigung  des  übrigen  Befindens  der  Kranken  auf  365°  herab.  Nach¬ 
mittags  um  3  Uhr  beträgt  dieselbe  38'2°  und  um  5  Uhr  39'2°. 
Patientin  nimmt  um  5  Uhr  ein  Pulver,  worauf  um  7  Uhr  bereits 
nur  mehr  37*4°  gemessen  wird.  Der  Puls  ist  dabei  kräftig,  nicht 
beschleunigt,  das  Schwitzen  hat  dabei  fast  vollständig  sistirt. 
Widal’sche  Reaction  fällt  sofort  stark  positiv  aus  (1  :  50). 

16.  März.  Morgentemperatur  39'3°.  Patientin  erhält  heute 
vier  Pulver  in  kurzen  Zwischenräumen,  worauf  die  Körperwärme 
auf  36'6°  und  der  Puls  von  120  auf  90  fällt. 

17.  März.  Patientin  erreicht  noch  einmal  die  Temperatur  von 
38‘5°,  worauf  nach  Einnahme  eines  einzigen  Pulvers  die  Temperatur 
normal  wird,  welche  in  den  folgenden  Tagen  nie  mehr  überstiegen 
wird. 

24.  März.  Patientin  wird  vollständig  geheilt  entlassen. 

Zweiter  Fall:  D.  A.,  22  Jahre  alt,  erkrankte  vor  zehn  Tagen 
mit  Fieber,  Kopfschmerzen,  Kältegefühl,  Appetitlosigkeit,  grossen 
Durst.  Seit  zwei  Tagen  erbsenpureeartige  Stühle. 

Status  praesens:  4.  Mai.  Lungen-,  Herzbefund  normal.  Milz 
vergrössert,  palpabel;  Leukopenie.  Keine  Roseolen.  Ileocöcalgurren. 
Erbsenfarbene  Stühle;  starke  Prostration,  Temperatur  39‘8°,  Puls  120, 
Respiration  24.  Um  3/47  Uhr  Abends  erhält  die  Kranke  das  erste 
Pulver.  Um  7  Uhr  beträgt  die  Temperatur  39'2°,  Puls  102, 
Respiration  24.  Um  8  Uhr  Temperatur  38°,  Puls  78,  Respiration 
24.  Um  10  Uhr  Temperatur  37  9°,  Puls  und  Respiration  unver¬ 
ändert. 


Nr.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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5.  Mai,  8  Uhr  Früh.  Patientin  hatte  des  Nachts  stark 
geschwitzt,  hat  keinen  Kopfschmerz  mehr,  bekommt  Appetit.  Tem¬ 
peratur  38‘2°,  Puls  102,  Respiration  24.  Wir  gaben  der  Patientin 
vier  Pulver,  während  des  Tages  vertheilt.  Um  10  Uhr  Vormittags 
war  die  Temperatur  auf  37°  herabgegangen,  um  Nachmittags  '/23  Uhr 
auf  39’3°  zu  steigen.  Puls  110.  Um  */A6  Uhr  Abends  war  aber, 
nachdem  die  Kranke  zwei  Stunden  vorher  0'5  genommen  hatte, 
nunmehr  nur  mehr  37'6°,  Puls  90,  Respiration  24.  Patientin  fühlte 
sich  den  ganzen  Tag  über  sehr  wohl,  hatte  bereits  Appetit. 
Widal  positiv.  Roseolen  deutlich  vorhanden.  Milz  noch  ver- 
grössert. 

Da  sich  am  nächsten  Tage  nur  mehr  eine  Temperatur  von 
37-4°  zeigte,  gaben  wir  der  Patientin  nur  mehr  ein  Pulver.  Patientin 
blieb  entfiebert  und  trat  in  volle  Reconvalescenz  ein.  Der  dritte 
und  vierte  Fall  zeigen  in  ähnlicher  Weise  das  Abfallen  der  Tem¬ 
peratur  mit  gleichzeitigem  Absinken  des  Pulses. 

Wir  sehen  in  allen  vier  mit  dem  neuen  Mittel  behandelten 
Fällen  von  Typhus  abdominalis,  die  bis  auf  einen  Fall  ver- 
hältnissmässig  leichterer  Natur  zu  sein  scheinen,  dass  durch 
die  Darreichung  des  neuen  Antipyreticums  die  Temperatur 
innerhalb  kurzer  Zeit  bedeutend  herabgedrückt  wurde  und  dass, 
was  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  mit  diesem  Herabgehen 
der  Körperwärme  kein  weiterer  schädlicher  Einfluss  auf  den 
Organismus  ausgeübt  wurde.  Sämmtliche  vier  Kranke  befanden 
sich  ausnahmslos,  nachdem  sie  das  Pulver  genommen  hatten, 
sehr  wohl.  Die  Abgeschlagenheit  und  Kopfschmerzen,  welche 
sie  vorher  geplagt  hatten,  waren  gewöhnlich  grösstentheils  ver¬ 
schwunden.  Es  schien  auch,  als  ob  durch  die  Anwendung  des 
Acetopyrins  der  Verlauf  dieser  Fälle  abgekürzt  wurde,  viel¬ 
leicht  wirkt  das  Mittel  auch  in  diesen  Fällen  ähnlich  wie  bei 
der  Gastoenteritis,  die  wir  mit  diesen  Pulvern  behandelt  hatten, 
zum  Theil  desinficirend  auf  die  bacteritischen  Vorgänge  im 
Darme;  wir  müssen  noch  einmal  erwähnen,  dass  doch  die 
Salicylsäure  in  dem  neuen  Präparat  erst  im  Darm  abgespalten 
wird,  sich  daselbst  auflöst  und  daher  ihre  Wirkung  durch  die 
Magenverdauung  vollständig  ungeschwächt  ist. 

Da  wir  in  diesen  Fällen  also  absolut  keine  schädlichen 
Nebenwirkungen  constatiren  konnten  und  bei  uns  der  Ein¬ 
druck  hinterblieb,  dass  wir  auf  den  Typhus  abdominalis  günstig 
eingewirkt  hatten,  so  wäre  es  gewiss  nicht  ohne  Vortheil,  wenn 
das  Mittel  in  grösserem  Massstabe  bei  dieser  Erkrankung  ver¬ 
sucht  würde. 

Bei  Influenza  hatten  wir  das  neue  Antipyreticum  an¬ 
schliessend  an  den  Gebrauch  des  Salipyrins  bei  dieser  Er¬ 
krankung  in  zwei  Fällen  verwendet.  Der  Erfolg  war  beide 
Male  ein  ganz  guter.  Die  Temperatur  und  ebenso  des  Puls 
erreichten  bald  ihre  normale  Höhe,  blieben  auf  derselben  fortan 
stehen,  und  auch  die  übrigen  Beschwerden  verschwanden  mit 
dem  Absinken  der  Körperwärme  fast  vollständig. 

D.  W,  28  Jahre  alt,  Agent,  erkrankte  am  13.  März  1900 
mit  Fieber,  Appetitlosigkeit  und  Kopfschmerzen  in  der  Stirngegend. 
Es  stellte  sich  hochgradige  Mattigkeit  in  beiden  unteren  Extremitäten 
und  Husten  ohne  Auswurf  ein. 

17.  März.  Patient  wird  aufgenommen,  fühlt  sich  sehr  matt 
und  niedergeschlagen;  über  den  Lungen  der  Refund  einer  mässigen 
Bronchitis,  die  Milz  percutorisch  stark  vergrössert,  deutlich  palpabel. 

Puls  accelerirt,  120.  Temperatur  38’4°. 

Y28  Uhr  Abends  nimmt  Patient  ein  Pulver  und  eine  halbe 
Stunde  später  ein  zweites.  Patient  beginnt  zu  schwitzen.  Um  11  Uhr 
ist  die  Temperatur  auf  376°  heruntergegangen.  Puls  96. 

18.  März  beträgt  die  Morgentemperatur  37T°.  Patient  fühlt 
sich  ganz  wohl,  hat  gut  geschlafen,  keine  Kopfschmerzen.  Am 
anderen  Tage  stellt  sich  bereits  Appetit  ein. 

In  ähnlicher  Weise  war  die  Wirkung  in  dem  von  uns  be¬ 
handelten  zweiten  Falle  von  Influenza. 

Zwei  Erkrankungen  an  Sepsis,  die  wir  mit  dem  Acetopyrin 
behandelten,  zeigen  uns,  dass  zwar  das  Fieber  und  der  Puls  durch 
das  neue  Mittel  in  günstigem  Sinne  beeinflusst  wurden,  dass  aber 
der  Grundprocess  seihst  als  solcher  in  keinerlei  Weise  eine  Ver¬ 
änderung  aufwies. 

Aeusserst  günstig  war  die  Wirkung  des  Mittels,  wie  bereits 
oben  erwähnt,  in  zwei  Fällen  von  toxischer  Gastroenteritis.  Es 
handelte  sich  in  beiden  Fällen  um  Kranke,  die  nach  dem  Genüsse 


von  schlechtem  Fleische,  der  eine  überdies  noch  durch  alkoholische 
Getränke  ziemlich  plötzlich  mit  Symptomen  von  Seite  des  Magen- 
Darmcanales  erkrankt  waren.  Wir  gaben  in  beiden  Fällen  das 
Mittel  in  gewöhnlich  grossen  Dosen,  meist  zu  sechs  Pulvern  ä  0  5 
pro  die  und  hatten  in  beiden  Fällen  eine  ausgezeichnete  Wirkung 
zu  verzeichnen.  Während  die  sonstigen  Salicylpräparate  gerade  in 
solchen  Fällen  contraindicirt  erscheinen,  zeigte  es  sich  bei  diesen 
beiden  Kranken,  dass  nach  dem  Gebrauch  einiger  Pulver  die  bis 
dahin  bestandenen  Magen-Darmsymptome  ziemlich  rasch  zurück¬ 
gingen,  sich  Appetit  einstelite,  der  Stuhl  sich  regelte  und  auch  das 
Fieber  zur  Norm  zurückkehrte. 

P.  J.,  41  Jahre  alt,  Friseur,  war  nach  dem  Genuss  von  einem 
Gemisch  von  Wein  und  Kräutern  sowie  einer  schlechten  Fleisch¬ 
speise,  das  er  in  ziemlich  grosser  Menge  zu  sich  genommen  hatte, 
nach  zwei  Stunden  unter  heftigen  Kolikschmerzen  und  Uebelkeiten 
erkrankt.  Bald  stellten  sich  Magendrücken  und  Kopfschmerz,  heftiges 
Erbrechen  und  Diarrhöe  sowie  Husten  ein. 

11.  Mai.  Bei  der  Aufnahme  zeigte  sich  folgender  Status: 
Linke  Lungenspitze  stark  gedämpft.  Ueber  beiden  Lungen  bronchi- 
tische  Geräusche;  leises  systolisches  Geräusch  an  der  Herzspitze. 
Leber  stark  vergrössert,  druckempfindlich.  Milz  nicht  vergrössert. 
Temperatur  um  4  Uhr  38’8°.  Patient  fühlt  sich  sehr  unwohl.  Er 
bricht  wiederholt.  Häufige  diarrhoische  Entleerungen.  Klage  über 
äusserst  heftige,  kolikartige  Bauchschmerzen.  Patient  erhält  drei 
Pulver,  worauf  um  Y27  Uhr,  nachdem  eine  Stunde  vorher  die 
Temperatur  auf  39’7°  gestiegen  war  und  der  Puls  120  beträgt, 
die  Körperwärme  auf  37’5°  und  der  Puls  auf  108  abfällt. 

12.  Mai.  Temperatur  beträgt  38T°,  Patient  fühlt  sich  etwas 
besser.  Die  Schmerzen  im  Bauche  haben  nachgelassen,  doch  er¬ 
bricht  Patient  heute  noch  oft  und  ist  vollständig  appetitlos.  Nach 
Gebrauch  von  weiteren  sechs  Pulvern  bessert  sich  der  Zustand 
noch  um  ein  Bedeutendes.  Am  Abend  nur  mehr  37'!0. 

13.  Mai.  Kein  Kopfschmerz,  keine  Schmerzen  im  Bauch. 
Auch  der  Husten  bedeutend  besser.  Temperatur  36‘4°,  noch 
immer  kein  Appetit.  Patient  erhält  wiederum  sechs  Pulver,  worauf 
am  anderen  Tage  nach  weiterer  Medication  von  sechs  halben 
Grammen  sich  bereits  Appetit  einstellt  und  auch  alle  sonstigen 
Beschwerden  völlig  verschwinden. 

Am  siebenten  Tage  nach  der  Aufnahme  wird  der  Kranke,  der 
einen  sehr  schweren  Eindruck  hervorgerufen,  geheilt  entlassen. 

Ganz  anolog  verlief  auch  der  zweite  Fall  von  toxischer 
Gastroenteritis.  Hier  handelte  es  sich  um  eine  Fleischvergiftung, 
durch  welche  der  Kranke  gezwungen  wurde,  das  Spital  aufzusuchen, 
da  er  sich  sehr  unwohl  fühlte,  sehr  starke  Kopf-  und  Kreuz¬ 
schmerzen,  Druckgefühl  im  Epigastrium  hatte,  häufig  erbrach  und 
vollständig  appetitlos  wurde.  Patient  erhielt  sechs  Pulver,  worauf 
sich  auffallend  rasch  eine  deutliche  Besserung  aller  Beschwerden 
einstellte.  Der  Kranke  hatte  bereits  am  nächsten  Tage  guten  Appetit, 
fühlte  sich  wohl  noch  etwas  matt,  konnte  aber  bereits  nach  fünf 
Tagen  geheilt  die  Anstalt  verlassen. 

o  o 

Weniger  gut  waren,  wie  es  ja  auch  voraussichtlich  war, 
die  Erfolge  bei  den  chronisch  verlaufenden  Fällen  von  Gelenks¬ 
rheumatismus.  Wir  verwendeten  das  Acetopyrin  in  mehreren 
derartigen  Erkrankungen.  Es  wurden  zwar  dadurch  die 
Schmerzen  etwas  geringer,  sie  sistirten  mitunter  auch  auf 
einige  Zeit,  doch  Hessen  sich  bleibende  Erfolge  mit  dem  Mittel 
nicht  erzielen.  Wir  konnten  speciell  aus  diesen  Fällen,  wie 
schon  mehrere  Male  erwähnt,  deutlich  ersehen,  dass  das  Aceto¬ 
pyrin  keinerlei  schädlichen  Einfluss  auf  die  Verdauung  aus¬ 
übte,  ja  es  schien  uns  sogar,  dass  sich  der  Appetit  bei  vielen 
Kranken  hob,  eine  Erscheinung,  die  uns  nicht  allein  in  diesen 
chronischen  Fällen  entgegentrat,  sondern  die  wir  sehr  häufig, 
ja  in  der  grösseren  Anzahl  auch  der  acuten  Fälle  zu  beob¬ 
achten  Gelegenheit  hatten. 

Endlich  möchten  wir  uns  noch  die  Bemerkung  erlauben, 
dass  wir  das  neue  Antipyreticum  auch  bei  einzelnen  rheuma¬ 
tischen  Affectionen  der  Pleura  und  des  Pericards  in  Verwen¬ 
dung  brachten,  und  dass  die  Erfolge,  die  wir  mit  dieser 
Medication  erzielen  konnten,  ebenso  günstige  waren  wie  beim 
acuten  Gelenksrheumatismus;  das  Exsudat  ging  meist  innerhalb 
kurzer  Zeit  zurück.  Die  Wirkung  war  also  die  gleiche,  wie 
bei  allen  anderen  Salicylpräparaten. 


878 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


tr.  39 


Wenn  wir  nun  zum  Schlüsse  die  im  Vorhergehenden 
erwähnten  Fälle  noch  einmal  durchgehen  und  das  Resultat 
der  Anwendungsweise  des  Acetopyrins  erwägen,  so  werden 
wir  zum  Ausspruche  gedrängt,  dass  es  sich  hier  um  ein 
Mittel  handelt,  das  geeignet  wäre,  das  salicylsaure  Natron  und 
die  übrigen  Abkömmlinge  der  Salicylsäure  zu  verdrängen, 
denn  als  antirheumatisches  Mittel  leistet  es  zumindest  ebenso¬ 
viel  und  hat  d.en  grossen  Vortheil,  dass  es  vollständig  frei 
von  allen  Nebenerscheinungen  wirkt.  W as  die  Einwirkung 
auf  die  Temperatur  betrifft,  so  können  wTir  aus  dem  im  Ver¬ 
laufe  der  Arbeit  beigefügten  Fiebercurven  ersehen,  dass  das 
Acetopyrin  die  Temperatur  stark  zu  beeinträchtigen  im  Stande 
ist;  gewöhnlich  tritt  im  Verlaufe  der  ersten  halben  Stunde, 
nach  der  Darreichung  des  ersten  Pulvers  eine  kleine  Erhöhung 
der  Körperwärme  ein,  worauf  in  der  nächsten  halben  Stunde 
dieselbe  bereits  stark  abzusinken  beginnt,  um  im  Verlaufe 
von  zwei  bis  drei  Stunden  entweder  nahe  der  normalen  oder 
bis  auf  diese  herabzugehen.  Es  erfolgt  also  das  Absinken  nur 
allmälig  und  langsam,  wobei  sich  die  Kranken  ganz  wohl 
und  ohne  jede  Beschwerde  fühlen.  Es  bleibt  gewöhnlich  die 
Temperatur  durch  mehrere  Stunden  auf  normaler  Höhe,  geht 
erst  dann  wieder  allmälig  in  die  Höhe,  um  bei  Darreichung 
einer  neuen  Quantität  von  Pulvern  wiederum  ohne  Schädigung 
des  übrigen  Organismus  herabzusinken. 

Dass  bei  dieser  Wirkung  auf  die  Körperwärme  die 
lierzarbeit,  wie  dies  ja  bei  den  meisten  anderen  Antipyreticis 
häufig  der  Fall  ist,  nicht  geschädigt  wird,  geht  mit  Deutlich¬ 
keit  aus  der  Beschaffenheit  und  der  Frequenz  des  Radial¬ 
pulses  hervor.  In  keinem  Falle  unserer  Beobachtung  konnten 
wir  mit  dem  Absinken  der  Temperatur  ein  Ansteigen  der 
Pulsfrequenz  oder  eine  Veränderung  des  Pulses  ad  peius  be¬ 
merken.  Wir  sehen  im  Gegentheil,  dass  gleichzeitig  mit  der 
Körperwärme  auch  die  Pulszahl  herabgeht  und  sich  beide  in 
einem  ziemlich  äquivalenten  Verhältnisse  auch  weiterhin  be¬ 
finden. 

Wir  Hessen  fast  in  allen  Fällen  den  Harn  der  Kranken 
genau  chemisch  untersuchen.  Es  fand  sich  dabei,  dass  das 
neue  Präparat  im  Harne  grösstentheils  als  Salicylsäure 
ausgeschieden  wurde,  dass  sich  sehr  häufig  auch  Antipyrin 
in  demselben  auffinden  Hess,  dass  sich  letzteres  aber  in  vielen 
Fällen  nicht  vorfand ;  auch  reine  Salicylsäure  konnte  man  in 
einzelnen  Fällen  nachweisen.  Albumen  oder  Zucker  fand 
sich  niemals  im  Harne,  auch  bei  wochenlanger  Darreichung 
konnte  man  keine  Schädigung  des  Nierenparenchyms  auf 
diese  Weise  erkennen.  In  dem  oben  erwähnten  Falle  von 
Ischias,  der  mit  Nephritis  complicirt  war  und  in  einem  zweiten 
Falle  von  infectiöser  Angina,  bei  welcher  sich  ebenfalls  im 
Harne  sehr  viel  Albumen,  granulirte  und  Epithelcylinder  auf¬ 
finden  Hessen,  gaben  wir  dessenungeachtet  das  Acetopyrin 
und  konnten  bereits  nach  einigen  Tagen  die  Beobachtung 
machen,  dass  trotz  der  Darreichung  dieses  Salicylpräparates 
sowohl  das  Albumen,  das  anfänglich  in  grosser  Menge  vor¬ 
handen  war,  als  auch  die  Formelemente  gänzlich  ver¬ 
schwunden  waren.  Daraus  sehen  wir,  dass  das  neue  Mittel 
auf  die  Niere  keinen  schädlichen  Einfluss  besitzt.  Was  die 
Schnelligkeit  der  Ausscheidung  im  Harn  anbelangt,  so  ergaben 
unsere  diesbezüglichen  Versuche,  dass  sich  bereits  nach  einer 
halben  Stunde  im  Harne  die  Salicylreaction  positiv  erwies. 

Was  die  Darreichung  anbelangt,  möchten  wir  noch  hervor¬ 
heben,  dass  im  Allgemeinen  sechs  Pulver  zu  0  5  über  den 
Tag  vertheilt  bei  den  leichteren  Fällen  genügen,  dass  aber  bei 
den  schwereren  Erkrankungen  die  Wirkung  eine  bessere  war, 
wenn  wir  erstens  grössere  Dosen  zu  10  und  diese  in  den 
späteren  Nachmittagsstunden,  das  ist  zur  Zeit  der  gewöhnlich 
stärkeren  Fieberexacerbation  gaben. 

Es  gelang  uns  auf  diese  Weise  häufig,  bei  Kranken, 
welche  auf  die  gewöhnliche  Menge  der  Pulver  wenig  reagirten, 
sofort  prompte  Wirkung  zu  entfalten.  Wir  gaben  die  Pulver 
gewöhnlich  in  Oblaten,  doch  würde  es  sich  auch  empfehlen,  das 
Acetopyrin  in  etwas  Zuckerwasser  suspendirt  nehmen  zu  lassen, 
da  es  in  dieser  Mischung  in  Folge  seines  Gehaltes  an  Essig¬ 
säure  einen  ganz  angenehmen  säuerlichen  Geschmack  besitzt. 


Mit  Recht  möchten  wir  also  das  Acetopyrin  zu  weiteren 
Versuchen  wärmstens  empfehlen,  da  es  ganz  vorzügliche  Eigen¬ 
schaften  besitzt.  Schliesslich  erlauben  wir  uns,  unserem  hoch¬ 
verehrten  Chef,  Herrn  Primarius  Dr.  Leo  Redtenbacher, 
für  die  gütige  Ueberlassung  des  grossen  Krankenmateriales 
unseren  wärmsten  Dank  auszusprechen. 


Aus  der  Klinik  Chrobak  in  Wien. 

Ein  Fall  von  Elevatio  uteri  mit  Lostrennung  des 
Corpus  von  der  Portio  vaginalis  unter  Dehiscenz 

der  Cervix. 

Von  Privatdocent  Dr.  H.  Ludwig,  Assistent. 

Demonstrirt  in  der  Wiener  geburtshiflieh-gynäkologischen  Gesellschaft  am 

23.  Januar  1900. 

Unter  den  pathologischen  Lageveränderungen  des  Uterus 
ist  jene  nach  aufwärts,  die  Elevatio,  der  Ascensus 
uteri,  die  seltenste.  Die  Elevation  kann  aus  der  Verwachsung 
des  puerperalen  Uterus  mit  höher  Hegenden  Organen,  Netz, 
Darm,  Serosa  parietalis,  resultiren,  wie  das  kürzlich  in  unserer 
Klinik  nach  Sectio  caesarea  mit  querem  Fundalschnitte  be¬ 
obachtet  wurde,  oder  artificiell  hauptsächlich  durch  Ventrifixur 
erzeugt  sein  ;  der  Uterus  kann  auch  durch  Tumoren,  welche 
sich  unter  ihm  im  kleinen  Becken  entwickeln  —  z.  B.  Plämato- 
kolpos,  Hämatocele,  Collummyome  —  in  die  Bauchhöhle  em¬ 
porgehoben,  oder  endlich  durch  Zug  seitens  höher  gelegener 
Geschwülste  hinaufgezerrt  werden. 

Bei  dieser  Lageveränderung  kann  die  Gebärmutter  in 
verschiedenem  Grade  Veränderungen  ihrer  Gestalt 
erfahren. 

Am  geringfügigsten  und  seltensten  ist  die  Gestaltsver¬ 
änderung,  wenn  der  Uterus,  auf  Tumoren  der  Nachbarorgane 
lagernd,  aus  dem  kleinen  Becken  emporgehoben  wird.  Eine 
Zunahme  des  Längendurchmessers  kann  eintreten  nach  Ventri¬ 
fixur  oder  Verwachsung  in  puerperio  in  eben  erwähntem  Sinne. 

Unter  diesen  letzteren  Umständen  sind  es  theils  das 
Eigengewicht  des  Organes,  theils  die  Zerrung  in  der  Längs¬ 
richtung  —  unten  von  der  Vagina,  oben  von  der  abnormen 
Befestigung  — ,  beim  puerperalen  Uterus  wohl  auch  Störungen 
der  Involution,  welche  eine  Vergrösserung  im  Längendureh- 
messer  zur  Folge  haben. 

Bedeutendere  Gestaltveränderungen  aber  können 
eintreten,  wenn  der  Uterus  durch  Geschwülste  hinaufg(  zerrt 
wird,  welche,  nach  oben  sich  entwickelnd,  oder  von  Beginn 
an  hoch  sitzend  und  mit  höher  gelegenen  Organen  verwachsen, 
durch  kurze  und  feste  Stiele  mit  dem  Fundus  oder  den  Uterus¬ 
hörnern  verbunden  sind.  Es  sind  das  vorwiegend  Fundusmyome 
und  kurzgestielte  Ovarientumoren. 

Die  durch  Zug  seitens  solcher  Tumoren  hervorgerufenen 
bedeutenderen  Gestaltsveränderungen  des  Uterus  können  be¬ 
stehen  : 

1.  In  einer  hochgradigen  Auszerrung  im 
Längendurchmesser  —  in  einem  von  Fritsch1)  be¬ 
obachteten  Falle  betrug  die  Totallänge  des  Uterus  30  cm  — 
wobei  vorzugsweise  das  Collum  uteri  ausgedehnt  und  ver¬ 
dünnt  wird. 

2.  In  einer  durch  dieDehnung  verursachten 
Ausziehung  des  Cervix  zu  einem  bandartigen, 
fibrösen  Strang  mit  Obliteration  des  Cervical- 
canales.  Solche  Fälle  beschreiben  R.  Paulli2 3),  Len- 

’)  H.  Fritsch,  Die  Krankheiten  der  Frauen.  1897,  pag.  271. 

2)  R.  Pauli  i,  Et  Tilfaelde  af  haematometra.  Gynaek.  og  obstetr. 
Meddelel.  Bd.  X,  Heft  1  —  2,  pag.  32 — 42.  Referiit  in:  Frommel’s  Jahres¬ 
bericht.  1893,  pag.  52,  und:  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1893,  pag.  823. 
Bei  einer  23jährigen,  nie  menstruirt  gewesenen  Kranken  fand  Paulli  eine 
kugelige  Geschwulst,  die  sich  aus  dem  kleinen  Becken  emporhob  (Hämato- 
metra),  die  rechts  oben  eine  zweite  kindskopfgrosse  Geschwulst  trug,  ein 
Dermoid,  das  mit  dem  grossen  Netze  durch  zahlreiche  Adhäsionen  ver¬ 
bunden  und  mit  dem  rechten  Uterushorn  durch  einen  kaum  kleinfinger¬ 
dicken  Stiel  verbunden  war.  Die  von  Blut  ausgefüllte  Corpushöhle  war  nach 
unten  zu  verschlossen  und  mit  der  nagelgliedgrossen  Portio  durch  einen 

3  cm  langen,  schmalen  Strang  verbunden. 


Nr.  89 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nan  der* * 3)  und  sein  Schüler  Hedren4).  Dass  bei  der  durch 
die  Elevation  bedingten  Verlängerung  und  Verdünnung  des 
Collum  uteri  ganz  besonders  die ,  Prädisposition  zur  Achsen¬ 
drehung  der  Gebärmutter  durch  Geschwülste  gegeben  ist, 
wurde  schon  von  1VI  icholitsch  5 *)  und  Rein  p_r  echt’]  hei- 
vorgehoben. 

Wenn  dann  beide  Momente  einwirken,  die  Elevation  und 
die  Torsion,  so  kann  die  letztere  die  Ausziehung  der  Cervix 
noch  vermehren,  und  es  kommt  dann  auf  diesem  Wege  eben¬ 
falls  zu  hochgradiger  Verdünnung  und  schliesslich  auch  zur 
Obliteration  des  Cervicalcanales,  wie  das  von  R  o  k  i  t  a n  sk i 7), 
Virchow8),  Times 9),  Timmers  10),  Homans11),  J  o- 
hannovsky  12),  Smith  13)  beobachtet  wurde.  In  allen  diesen 
Fällen  handelte  es  sich  um  Myome. 

Es  muss  daran  festgehalten  werden,  dass  in  keinem  der 
hieher  gehörigen  Fälle  der  verbindende  Strang  zwischen  Corpus 
und  Vaginalportion  fehlte,  wenn  auch  der  Uteruscanal  unter¬ 
brochen  war. 

3.  In  der  völligen  Abtrennung  des  Corpus 
uteri  von  der  Vaginalportion,  indem  der  Cervix  zu¬ 
nächst  aufs  Aeusserste  gedehnt  und  verdünnt  wird,  sodann 
auseinanderweicht  und  das  vom  Tumor  emporgehobene  Corpus 
mit  dem  Beckenboden  nur  mehr  durch  eine  leere  Peritoneal- 
duplicatur  in  Verbindung  steht. 

In  der  älteren  Literatur  wird  dieses  Vorkommniss  er¬ 
wähnt  von  Ki  wisch14),  Rokitansky15),  Klob16), 
Schröder17),  ohne  dass  sich  aber  einer  der  Autoren  auf  | 
eine  bestimmte  Beobachtung  bezöge.  j 

Schultze18)  und  Fritsch19)  verweisen  in  ihren  be¬ 
kannten  Monographien  über  die  Lageveränderungen  des  Uterus 
auf  die  älteren  Beobachter,  und  in  neuester  Zeit  hat  0 1  s- 

3)  Lennander,  Myom  des  Uteruskörpers  mit  Trennung  der  Cervix 
vom  Körper.  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1895,  pag.  159. 

■*)  Hedren,  refeiirtin:  Centralblatt  für  Gynäkologie.  1895,  pag.  997. 
Breitgestieltes,  von  der  ob  ren  vorderen  Uteruswand  ausgehendes,  subserö-es 
Myom,  das  durch  Dehnung  eine  Obliteration  des  Cervicalcanales  in  der 
Gegend  des  Orif.  int.  erzeugt  hatte.  Der  untere,  5  cm  lange  Antheil  des 
Cervicalcanales  endete  nach  oben  blind.  Die  ausgedehnte  Stelle  des  Cervix 
war  2  4  cm  lang  und  0  3 — 0'5  cm  dick. 

5)  M  i  c  h  o  1  i  t  s  c  h,  Ein  Fall  von  Achsendrehung  des  Uterus  durch 
ein  gestieltes  subseröses  Myom.  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäko¬ 
logie.  1899,  Bd.  XL,  pag  276. 

6)  Beinprecht,  Zur  Torsion  des  graviden  Uterus  durch  Tumoren. 
Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  30. 

7)  Rokitansky.  Handbuch  der  pathologischen  Anatomie.  1842, 
Bd.  HI,  pag.  147. 

8)  Virchow,  Die  krankhaften  Geschwülste.  1863,  Bd.  III, 
pag.  161,  162. 

°)  T  i  in  e  s,  Transact,  of  the  London  Obst.  Soc.  1861,  Vol.  II, 
pag.  34. 

10)  Timmers,  Torsie  van  den  Uterus  door  Fibromyomen.  Inaugural- 
Dissertation.  Leiden  1891. 

")  Homans,  An  extraordinary  case  of  Twisting  of  the  uterus  as 
the  Pedicle  of  a  large  Fibroidtumor  of  many  years  Existence.  American 
Journ.  of  Obst.  1892,  Vol.  XXV,  pag.  3,9. 

8)  9)  io)  it)  citirt  nach  Schultze,  Ueber  Achsendrehung  des 
Uterus  durch  Geschwülste.  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 
1898,  Bd.  XXXVIII,  pag,  157. 

1!)  Johan  no  vsky,  Casuistischer  Beitrag  zur  Achsendrehung  des 
Uterus  durch  Geschwülste.  Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 
1898,  Bl.  VIII,  Heft  4. 

13)  Smith,  Dublin  Journ.  of  med.  science.  April  1898.  Referirt  in: 
Centralblatt,  für  Gynäkologie.  1899,  pag.  95. 

n)  K  i  w  i  s  c  h,  Klinische  Vorträge.  Prag  1854.  Citirt  nach :  B  e  i  g  e  1, 
Die  Krankheiten  des  weiblichen  Geschlechtes.  1875.  »Ist  die  Zerrung  nach 
aufwärts  sehr  beträchtlich  und  lange  anhaltend,  so  kann  der  Cervicaltheil 
so  atrophiren,  dass  er  sich  mehr  oder  weniger  vollständig  vom  Vaginal¬ 
theile  lostrennt.« 

15)  Rokitansky,  Lehrbuch  der  pathologischen  Anatomie.  Wien 

1861,  Bd.  HI,  pag.  481,  482,  454. 

,6)  K 1  o  b,  Pathologische  Anatomie  der  weiblichen  Genitalorgane. 

Wien  1861,  pag.  82:  »Auch  die  Verdünnung  des  gezerrten  Uterus  ist  in 

der  Gegend  des  Orific.  int.  immer  am  bedeutendsten  und  es  kann  bei  nam¬ 
hafter  Zerrung  selbst  zum  Auseinanderweichen  der  Uterusmasse  kommen, 

so  dass  Körper  und  Grund  der  Gebärmutter  vom  Cervix  derselben  oft  eine 

Strecke  weit  abstehen  und  nur  durch  eine  leere  Peritonealduplicatur  noch 
mit  einander  verbunden  sind.« 

17 )  Schröder,  Handbuch  der  Krankheiten  der  weiblichen  Geschlechts¬ 

organe.  1877,  pag.  203. 

18)  B.  S.  Schultz  e,  Die  Pathologie  und  Therapie  der  Lagever- 

ändeiungen  der  Gebärmutter.  1881,  pag.  7 o. 

I0)  F  ritsch,  Die  Lageveränderungen  und  die  Entzündungen  der 

Gebärmutter.  1885,  pag.  279. 


hausen20)  anlässlich  einer  Kranken  Vorstellung  in  der  Gesell' 
schaft  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  zu  Berlin  dieser  Fälle 

wieder  mit  folgenden  Worten  erwähnt:  » . dass  (in  dem 

vorgestellten  Falle)  eine  Trennung  des  Corpus  und  der  Cervix 
stattgefunden  hatte,  wie  sie  in  ganz  vereinzelten  pathologischen 
Fällen,  ja  ohne  jeden  operativen  Eingriff  spontan  Vorkommen 
soll.  Ich  habe  einen  solchen  Fall  nie  gesehen,  aber  es  werden 
solche  Fälle  beschrieben,  wo  Corpus  und  Cervix  sich  von 
einander  getrennt  hatten«. 

Nur  v.  Win  ekel21)  verweist  auf  einen  genauer  be¬ 
schriebenen,  vonlversen22)  publicirten  Fall.  Dieser  ist  zu¬ 
gleich  auch  der  einzige,  den  ich  in  der  Literatur  auffinden 
konnte.  Leider  ist  er  mir  im  schwedischen  Original  nicht  zu¬ 
gänglich,  so  dass  ich  mich  auf  die  von  L.  Meyer  in  From¬ 
me  fs  Jahresbericht23)  und  im  Centralblatt  für 
Gynäkologie24 *)  gelieferten  Referate  berufen  muss. 

Es  handelte  sich  in  I  v  e  r  s  e  n’s  Falle  um  ein  3 '/.Jähriges 
Mädchen,  bei  dem  eine  Dermoidcyste  von  1200  cm3  Inhalt  exstir- 
pirt  wurde.  An  der  Vorderseite  des  Tumors  fand  sich  ein  2'5  cm 
hoher  und  breiter  Körper  von  der  Form  eines  infantilen  Corpus 
uteri.  Auf  dem  Durchschnitt  zeigt  derselbe  eine  kleine  Höhle,  von 
einer  Schleimhaut  mit  Epithel  und  Spuren  von  Drüsen  ausgekleidet, 
die  Hauptmasse  bildet  organische  Muskelsubstanz.  Das  Corpus  endet 
nach  unten  ohne  Fortsetzung,  nicht  einmal  ein  festerer  Strang  von 
Bindegewebe  deutet  eine  solche  Fortsetzung  an;  der  Stiel  der 
Geschwulst  ist  nur  von  den  (leeren)  Bauchfellduplicaturen  gebildet 
worden.  Die  beiden  Eileiter  gehen  vom  Corpus  aus,  der  rechte  Ei¬ 
leiter  und  Eierstock  zeigen  nichts  Bemerkenswerthes,  nur  ist  der 
letztere  fibrös  degenerirt.  Die  linke  Tube  bedeutend  verlängert,  der 
Geschwulstwand  eng  anliegend.  Das  linke  Ovar  von  der  Geschwulst, 
die  eine  Dermoidcyste  ist,  repräsentirt. 

Der  Fall,  den  ich  beobachtete  war  folgender: 

Am  11.  Januar  1900  wurde  ein  zwölfjähriges  Kind  in  die 
Klinik  aufgenommen,  dessen  Eltern  vor  25  Monaten  die  Wahr¬ 
nehmung  gemacht  hatten,  dass  der  Bauch  des  Kindes  an  Grösse 
langsam  zunahm. 

Es  bestanden  damals  gar  keine  Beschwerden,  doch  traten 
solche  ein  Jahr  später  auf,  zu  welcher  Zeit  das  Kind  über 
Schmerzen  im  Abdomen  zu  klagen  begann.  Ein  Arzt  machte  darauf¬ 
hin  eine  Punction,  bei  welcher  sich  1 1  einer  eiterähnlichen  Flüs¬ 
sigkeit  entleert  haben  soll.  Vor  sieben  Monaten  wurde  wegen  neuer¬ 
licher  Zunahme  des  Abdomens  abermals  punctirt  und  wieder  wurde 
eine  grössere  Menge  gelblicher  Flüssigkeit  entleert.  Da  sich  unter 
Schmerzen  der  frühere  Bauchumfang  wieder  herstellte,  wurde  das 
Mädchen  in  die  Klinik  gebracht.  Es  fand  sich  bei  dem  gut  ent¬ 
wickelten  Kinde  das  Abdomen  nahezu  symmetrisch  vorgewölbt 
durch  einen  mannskopfgrossen,  prall  gespannten,  dünnwandigen 
Tumor,  welcher  bei  horizontaler  Rückenlage  bis  auf  vier  Querfinger 
oberhalb  der  Symphyse  herabreichte,  ein  wenig  verschieblich  war 
und  sich  nach  oben  bis  unter  beide  Rippenbogen  erstreckte,  die 
unteren  Thoraxpartien,  namentlich  links,  etwas  ausweitend.  Ueber 
dem  ganzen  Tumor  leerer  Schall,  in  beiden  Flanken  tympanitischer 
Percussionsschall.  In  der  rechten  Flanke  das  Colon  ascendens  als 
stark  geblähte  Schlinge  der  Oberfläche  des  Tumors  anliegend,  deut¬ 
lich  tastbar. 

Die  in  Narkose  vorgenommene  Untersuchung  per  vaginam 
ergibt  das  Vorhandensein  einer  kurzen,  kleinen  Portio  mit  grübchen¬ 
förmigem  Muttermund.  Ein  Corpus  uteri  ist  bei  bimanueller  Unter¬ 
suchung  nicht  zu  tasten,  ebensowenig  ist  der  untere  Pol  des  Tumors 
von  der  Vagina  aus  erreichbar. 

Am  15.  Januar  1900  Laparotomie.  Der  kopfgrosse, 
cystische  Tumor,  der  mit  seinem  unteren  Pol  bis  nahe  der  Becken¬ 
eingangsebene,  nach  oben  bis  an  den  Leberrand  reichte,  war  von 
adhärentem  Netz  überlagert,  an  seiner  rechten  Seite  das  Colon  as¬ 
cendens  adhärent. 

Im  kleinen  Becken  fand  sich  nur  ein  Ovarium  und  eine 
dünne,  sehr  lange  Tube,  welche  gegen  den  grossen  J  unior  hin 

20)  Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Bd.  XLIT,  Heit  1, 

\r]V 

21)  v.  Winckel,  Lehrbuch  der  Frauenkrankheiten.  1900,  pag.  328. 

*2)  Axel  I  v  e  r  s  e  n,  Abdomiualchimrgio.  H  o  w  i  t  z,  Gynaek.  og 

Obstet.  Medd^l.  Bd.  VII,  pag.  1  190. 

23)  1888,  pag.  539. 

24)  1888,  pag.  691. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  39 


nach  rechts  und  aufwärts  zu  verfolgen  war;  dort  ging  sie,  etwa 
12  on  vom  Grunde  des  Beckens  entfernt,  in  das  dem  Tumor  an¬ 
liegende  Corpus  uteri  über.  Zwischen  diesem  und  dem  Scheiden¬ 
gewölbe  erstreckte  sich  eine  dünne,  durchscheinende  Ligamentplatte, 
in  der  weder  ein  grösseres  Gefäss,  noch  ein  als  Cervix  zu  deutender 
Strang  sichtbar  war.  Die  rechte  Tube  zog  an  der  Vorderfläche  des 
cystischen  Tumors  nach  rechts  und  unten,  der  Tumor  selbst  ent¬ 
spricht  dem  rechten  Ovarium.  Nach  Entleerung  der  Flüssigkeit 
durch  Function  wurde  der  Cystenbalg  aus  seinen  Adhäsionen 
gelöst  und  sammt  dem  Uterus  abgetragen,  nachdem  über  dem 
Beckenboden  quer  vom  linken  Lig.  infundibulo-pelvicum  durch  die 
breite  Ligamentplatte  hindurch  bis  zum  rechten  Lig.  infundibulo- 
pelvicum  ligirt  worden  war.  Die  Heilung  erfolgte  reactionslos. 

Das  der  Oberfläche  des  vorderen  unteren  Tumorqua¬ 
dranten  auflagernde,  mittelst  des  2  cm  langen  Ligamentum 
ovaricum  dextrum  mit  dem  Tumor  innig  verbundene  infantile 
Corpus  uteri  zeigt  eine  Fundusbreite  von  4  cm,  Höblenlänge 
von  2V2  cm,  Wanddicke  von  7  mm  und  eine  wohlentwickelte, 


gröbere  Muskelfaserzüge  in  der  Längsrichtung  eine  kurze 
Strecke  in  die  Peritonealduplicatur  hinein  verlaufend. 

Das  linke  Ovarium  ist  normal,  das  rechte  ist  repräsentirt 
durch  den  Tumor.  Dieser  erweist  sich  nach  der  Beschaffenheit 
seines  Inhaltes  (gelblichweisse,  dickliche  Flüssigkeit,  vermengt 
mit  Talg,  breiigem  Fett,  Haaren  und  Cholestearinkry  stallen), 
wie  nach  der  seiner  Kapsel,  die  an  der  Innenfläche  zwei 
Zähne  und  zahlreiche  Haare  trägt,  als  cystisches  Embryom. 

Es  ist  wohl  klar,  dass  zu  dem  Zustandekommen  einer 
derartigen  Zusammenhangstrennung  im  Cervix  eine  bedeutende 
Elevation  des  Uterus  und  ein  besonders  gewaltsamer  Zug  nach 
oben  erforderlich  ist,  dem  andererseits  die  feste  Insertion  der 
Scheide  am  Collum  und  eine  geringe  Dislocationsfähigkeit  der 
Scheide  in  Folge  besonders  straffer  Befestigung  ihrer  Seiten¬ 
wände  an  der  Beekenfascie  grossen  Widerstand  entgegen¬ 
setzen.  Es  wäre  naheliegend,  bei  dem  Umstande,  dass  beide 
Fälle  Patientinnen  kindlichen  Alters  betrafen,  auch  eine  geringere 
Festigkeit  des  Cervix  im  Kindesalter  anzunehmen,  in  Analogie 


L. 


r. 


C.E. 


—  cystisches  Embryom.  C.u.  —  Corpus  uteri.  L.r.  =  Ligamenta  rot.  O.s.  =  Ovarium  sin.  T.  =  Tuben. 


auf  dem  Durchschnitt  makroskopisch  deutlich  bemerkbare 
Schleimhaut.  Die  rechte  lube  ist  12c/tt,  die  linke  11  cm  lang, 
dabei  nicht  auffallend  verdünnt.  Die  zur  rechten  Tube  gehörige 
Mesosalpinx  ist  auf  S'/2cm  frei  abhebbar  und  trägt  an  ihrer 
vorderen  Ligamentplatte  mehrere  3 — 4  mm  lange  und  einen 
grösseren  Anhang,  welcher  medial  und  unter  dem  Fimbrien¬ 
ende  entspringend,  sich  henkelförmig  über  den  ampullären 
Theil  der  Tube  hinüberschlägt  und  an  der  hinteren  Ligament¬ 
fläche  fest  inserirt.  Die  kleine  Corpushöhle  ist  leer,  läuft  nach 
unten  zu  in  eine  Spitze  aus  und  endigt  dort  blind. 

An  Stelle  des  Cervix  zieht  vom  unteren,  kolbig  abge¬ 
rundeten  Corpusende  eine  leere  Peritonealduplicatur  nach  ab¬ 
wärts,  die,  gegen  das  Licht  durchscheinend,  keinen  als  Cervix¬ 
rest  zu  deutenden  Strang  erkennen  lässt.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  ergibt  ein  spärliche  Drüsen  enthaltendes  Endo¬ 
metrium  und  ein  normales  Myometrium.  Durch  die  am  Prä¬ 
parat  6  —  7  cm  lange  Peritonealduplicatur  wurden  zahlreiche 
Schnitte  gelegt,  doch  ist  auch  mikroskopisch  nichts,  was  mit 
Sicherheit  als  Cervixrest  gedeutet  werden  könnte,  zu  finden; 
Schnitte  durch  das  untere  Ende  des  Corpus  zeigen  einige 


zu  jener  hochgradigen  Verdünnung  und  Zerrung,  ja  selbst 
Zerreissung  des  senil  atrophischen  Uterushalses,  wie  sie  nach 
Fritsch20)  bei  Prolaps  und  gleichzeitiger  Fixation  des  Uterus 
nach  oben  hin  Vorkommen;  zwei  Fälle  können  aber  noch 
keinen  sicheren  Beweis  abgeben,  und  es  ist,  wie  Fried¬ 
länder26)  gezeigt  hat,  zwar  das  Längenwachsthum  des 
Collum  in  der  Kindheit  einer  gewissen  Gesetzmässigkeit  unter¬ 
worfen,  dagegen  schwanken  die  übrigen  Dimensionen  des 
Cervix  individuell  bedeutend. 

Die  Lage  des  cystischen  Embryoms  über  der  Becken¬ 
eingangsebene  und  das  Wachsthum  desselben  hoch  hinauf  bis 
zum  unteren  Leberrande  finden  ihre  Erklärung  in  der  Ent¬ 
stehung  im  kindlichen  Alter. 

Nach  Waldeyer27)  ist  die  hohe  Lage  des  Ovariums 
bei  Kindern,  bei  denen  das  Becken  noch  eng  ist,  die  Regel. 

25)  1.  c.,  pag.  194. 

2B)  v.  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r,  Archiv  für  Gynäkologie.  1899,  Bd.  LVI, 
Heft  3. 

■')  Siehe:  Martin,  Die  Krankheiten  der  Eierslöcke.  1899, 
I,  pag.  9. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


881 


Nehmen  wir  nun  an,  dass  ausserdem  die  Grösse  des  Tumors 
und  frühzeitige  Verwachsungen  mit  den  Organen  der  Bauch¬ 
höhle  ein  Herabsinken  der  Geschwulst  ins  kleine  Becken  ver¬ 
hinderten,  so  war  die  Disposition  zur  Entwicklung  des  Tumors 
nach  oben  gegeben.  So  situirte  cystische  Embryome  sind,  wenn 
sie  einen  Stiel  besitzen,  immer  langgestielt  (Sänger25). 
In  Iver  sen’s  und  meinem  Falle  hatten  die  Tumoren  ihre 
lange  Stielung  in  der  ausgezogenen  Peritonealduplicatur, 
während  ihr  eigentlicher  Stiel  —  in  meinem  Falle  das  Ligam. 
ovarii  proprium  —  bei  der  Zerrung  nach  oben  nicht  nach¬ 
gegeben  hatte. 


Aus  dem  Civilspitale  von  Triest. 

Hyperglobulie  und  Splenomegalie.  Hyperglobulie 

und  Splenektomie. 

Von  Dr.  V.  Cominotti. 

Im  December  1896  hatte  ich  Gelegenheit,  das  Blut  einer 
splenomegalischen  Patienten,  die  später  der  Splenektomie  unter¬ 
zogen  wurde,  zu  untersuchen,  wobei  der  Befund,  eine  be¬ 
deutende  Hyperglobulie,  mich  sehr  überraschte,  weil 
er  im  Gegensatz  stand  zu  allen  jenen,  die  bei  allen  ähnlichen 
Fällen  bis  dort  veröffentlicht  worden  waren.  Seit  jener  Zeit  erhob 
ich  mit  besonderer  Aufmerksamkeit  die  Blutbefunde  bei  Kranken 
mit  Milzvergrösserung,  traf  jedoch  bei  diesen  Patienten  auf 
keinen  gleichen  Befund.  Da  brachte  es  der  Zufall  mit  sich, 
dass  ich  im  December  des  folgenden  Jahres  aufgefordert  wurde, 
das  Blut  einer  Frau  zu  untersuchen,  die  vor  sieben  Jahren 
mit  glücklichem  Erfolge  splenektomirt  worden  war:  auch  hier 
fand  ich,  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  Zunahme  der  rothen 
Blutkörperchen. 

Die  Wichtigkeit  des  ersten  Falles,  der  positive  Befund  im 
zweiten,  bewogen  mich,  beide  mitzutheilen. 

Bis  heute  sind  Fälle  selten,  bei  welchen  eine  Zunahme 
der  rothen  Blutkörperchen  consiatirt  wurde,  und  nicht  immer 
wurde  eine  genügende  Erklärung  hiefür  geliefert. 

Rothe  Hyperglobulie  findet  man  bei  angeborenen  Herz¬ 
krankheiten  (Blausucht)  und  unter  gewissen  Bedingungen  bei 
chronischen  Lungenkrankheiten,  bei  welchen  die  Zahl  der 
rothen  Blutkörperchen  auf  über  9,000.000  im  Cubikmillimeter 
ansteigen  kann.  Es  ist  das  nichts  Neues  und  bildet  sogar  ein 
wichtiges  Symptom  der  Blausucht  (Toenissen,  Vaquez, 
Petit,  K  r  e  h  1,  A.  T  e  i  s  t  i,  Carnichael  u.  A.).  Die  Deutung 
dieser  Thatsache  ist  jedoch  sehr  verschieden.  Ich  werde  die 
Auffassung  Arcangeli’s  als  die  derzeit  vorherrschende  an¬ 
führen.  Er  behauptet,  dass  die  Zunahme  der  rothen  Blut¬ 
körperchen  einen  wichtigen  Compensationsfactor  darstellt.  Nach 
seiner  Auffassung  erfolgt  in  der  sogenannten  Cyanodermie  der 
angeborenen  Herzkranken  und  in  anderen  Affectionen  (Lungen¬ 
emphysem,  Kyphoskoliose,  Tuberculose),  welche  mit  Cyanose, 
aber  nicht  mit  Insufficientia  cordis  einhergehen,  eine  abnorme 
Blutvertheilung  und  zwar  eine  cutane  Polyhaemia  rubra,  der 
eine  Ischämie  der  Centralorgane  entspricht;  diese  Polyhaemie  ist 
die  Folge  der  geringen  circulirenden  Sauerstoffmenge.  Dieser 
Sauerstoffmangel  regt  einerseits  die  Hämatopoese  an  und  ruft 
somit  einen  Ueberschuss  der  Blutmenge  und  der  rothen  Blut¬ 
körperchen  hervor,  andererseits  ruft  sie  eine  Erweiterung  mit 
consecutiver  Ausdehnung  der  peripheren  Gefässe  hervor  mit 
nachfolgender  Verengerung  der  tiefliegenden  Gefässe.  Diese 
Veränderungen  nützen  den  Kranken  und  sind  als  Compen- 
sationsversuch  zu  betrachten. 

Analog  verhält  sich  die  Hyperglobulie,  welche  bei  Leuten 
zur  Beobachtung  kommt,  die  sich  von  der  Ebene  in  das  Hoch¬ 
gebirge  begeben.  Diese  physiologisch,  pathologisch  und  thera¬ 
peutisch  wichtige  Erfahrung  geht  speciell  aus  den  Arbeiten 
von  V  i  a  u  1 1  hervor,  die  er  in  den  Cordilleren  ausführte,  weiter 
aus  jenen  von  Mercier,  Egger,  Wolf,  Koeppe,  v.  J  a- 
runtowski,  Schröder  u.  A.  Diese  F orscher  beobachteten, 

2S)  S.  Sänger,  Klinische  Verhältnisse  der  Ovarialembryome.  Ebenda, 
pag.  682. 


dass  die  Zahl  der  rothen  Blutkörperchen,  die  im  Mittel  als 
5,000  000  im  Cubikmillimeter  angenommen  wird,  im  Verlaufe 
von  10 — 14  Tagen  allmälig  zunimmt  und  zwar  umsomehr, 
je  grösser  die  Niveaudifferenz  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Aufenthaltsorte  ist,  so  dass  sogar  7,000.000  und  darüber 
erreicht  worden  sind.  Auch  die  Bewohner  von  Gebirgshöhen 
weisen  höhere  physiologische  Mittelwerthe  der  rothen  Blut¬ 
körperchen  im  Vergleiche  zu  den  Bewohnern  von  Niederungen 
auf.  Diese  wichtigen  Studien  waren  der  Ausgangspunkt  der 
verschiedensten  und  disparatesten  Theorien:  während  die  Einen 
diese  Hyperglobulie  blos  als  eine  locale  Hyperplasie  der 
formativen  Elemente  auffassen,  erklären  sie  Andere  als  eine 
absolute  allgemeine.  Nach  Koeppe-E Erlich  finden  zwei 
Vorgänge  statt,  die  zu  einander  in  Abhängigkeit  stehen,  zu¬ 
nächst  eine  Zunahme  durch  Theilung,  Mitose,  der  schon  vor¬ 
handenen  Blutkörperchen,  dann  erst,  weil  hiezu  eine  gewisse 
Zeit  erforderlich  ist,  eine  thatsächliche  Mehrproduction  normaler 
Erythrocyten.  Der  gesammte  Vorgang  findet  als  physiologische 
Anpassung  zum  verminderten  Luftdrucke  statt,  dessen  Folge 
eine  erschwerte  Sauerstoffaufnahme  wäre. 

J.  Neumann  berichtet  über  einen  Addison-Kranken,  der 
in  Folge  regenerativer  Hyperplasie  der  rothen  Blutkörperchen 
geheilt  ist.  Patient,  48  Jahre  alt,  erkrankte  plötzlich  unter  den 
Erscheinungen  einer  tiefen  Anämie,  grosser  Abgeschlagenheit, 
Bronzeverfärbung  der  Haut  und  ardesiasischen  Flecken  der 
Schleimhäute.  Der  als  Morbus  Addisoni  erkannte  Zustand  er¬ 
reichte  in  14  Tagen  seinen  Höhepunkt,  worauf  eine  stete 
langsame  Besserung  eintrat,  so  dass  nach  zwei  Jahren,  nach¬ 
dem  sowohl  die  Bronzehaut  als  auch  die  übrigen  Symptome 
völlig  geschwunden  waren,  der  Patient  als  geheilt  betrachtet 
werden  konnte.  Hier  bieten  die  Blutbetunde  ein  bedeutendes 
Interesse:  April  1885  belief  sich  die  Zahl  der  Erythrocyten  auf 
1,100.000  und  stieg  allmälig  bis  zum  Jänner  1886  bis  zu  dem 
bedeutenden  und  abnormen  Werthe  von  7,700.000,  um  dann 
im  Juli  desselben  Jahres  wieder  auf  den  fast  constanter  Höhe 
von  5,500.000  zu  verbleiben.  Der  Autor  hält  diese  Polycythaemia 
rubra  für  eine  wirkliche  Regeneration  des  Blutgewebes  und 
schliesst  jede  andere  Ursache  aus,  wie  z.  B.  die  Hyperglobulie 
nach  Aufhören  von  periodischen  Blutungen  (Menstruation, 
Hämorrhoiden  Epistaxis,  periodische  Aderlässe  etc.),  oder  in 
Krankheiten,  die  mit  bedeutenden  und  erschöpfenden  Flüssig¬ 
keitsverlusten  einhergehen  (Cholera  u.  A.). 

Donke  und  Ewald  constatirten  Polycythämie  nach 
langem  Gebrauch  von  Levico-Wasser. 

Jak  sch  citirt  zwei  Fälle  von  acuter  Phosphorvergiftung, 
bei  welchen  eine  bedeutende  Zunahme  der  rothen  Blutkörperchen 
zur  Beobachtung  kam.  In  dem  einen  Falle,  den  er  mit 
Taussig  beobachtete,  fand  man  gleich  zu  Anfang,  und  zwar 
bevor  noch  jegliche  Vergiftungserscheinung  aufgetreten  war, 
4,300.000  rother  Blutkörperchen.  Am  dritten  Tage,  nachdem 
bereits  Vergiftungssymptome  deutlich  ausgesprochen  waren, 
stieg  die  Zahl  auf  7,700  000 ;  am  vierten  Tage  8,250.000.  Der 
Eiweissgehalt  des  Blutes  war  normal  geblieben.  Die  Alkalescenz 
hatte  abgenommen.  Jaksch  sieht  von  einer  Erklärung  dieser 
Polycythämie  vorläufig  ab. 

Eine  leicht  zu  erklärende  Hyperglobulie  treffen  wir  in 
gelähmten  Gliedern  an  oder  in  Fällen  von  künstlicher  Stauung 
durch  Compression,  Verbände  etc. 

Nachdem  ich  diese  allgemeinen  Phänomene  vorausgeschickt, 
theile  ich  meine  zwei  Fälle  mit  und  behalte  mir  vor,  nach 
denselben  einige  Citate  und  Betrachtungen  anzureihen,  welche 
die  rothe  Hyperglobulie  in  Fällen  von  Milzerkrankungen  be¬ 
treffen. 

Anamnesis:  Maria  B.,  33  Jahre  alt,  ledig,  Private  aus 
Pirano,  wurde  am  1.  December  1896  auf  der  IV.  chirurgischen 
Abtheilung  des  hiesigen  Spitales  aufgenommen.  Vater  starb,  49  Jahre 
alt,  an  chronischer  Wirbelcaries,  Mutter  lebt  und  ist  gesund,  ebenso 
zwei  erwachsene  Brüder  und  eine  Schwester;  fünf  Brüder  sind  im 
Alter  von  zwei  bis  drei  Jahren  an  Kinderkrankheiten  gestorben. 
Patientin  überstand  im  Alter  von  drei  Jahren  eine  schwere  Er¬ 
krankung,  die  sie  nicht  näher  zu  bezeichnen  weiss.  Sie  erinnert 
sich  an  keine  andere  Krankheit  in  ihrer  Jugend,  sie  war  nur  immer 
schwächlich  und  blass.  Die  Menstruation  trat  zuerst  in  ihrem 


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22.  Lebensjahre  auf;  seither  regelmässig  und  schmerzlos,  allmonatlich 
in  der  Dauer  von  sechs  bis  sieben  Tagen.  Als  sie  das  25.  Lebensjahr 
erreicht  hatte,  hörte  die  Regel  ein  Jahr  lang  auf  und  es  stellte 
sich  heftiger  stechender  Schmerz  in  der  Milzgegend  auf,  der  sie 
sogar  einen  Monat  lang  an  das  Bett  fesselte.  Nach  einem  Jahre 
trat  die  Menstruation  zwar  wieder  auf,  jedoch  unregelmässig,  um 
erst  anderthalb  Jahre  vor  der  Spitalsaufnahme  gänzlich  zu  ver¬ 
schwinden.  Der  stechende  Schmerz  in  der  Milzgegend,  der  sie 
ursprünglich  wegen  seiner  Heftigkeit  nöthigte,  das  Bett  zu  hüten, 
hörte  nach  zweimonatlicher  Behandlung  fast  ganz  auf,  meldete  sich 
jedoch  wieder  bei  jeweiligen  Stuhlentleerungen  und  nach  langem 
Gehen  oder  Treppensteigen,  ln  letzterer  Zeit  jedoch  treten  diese 
Schmerzen  mit  erneuter  Intensität  in  Zwischenräumen  von  drei  bis 
vier  Tagen  für  einige  Stunden  auf.  Leichtes  Nasenbluten  tritt  fast 
allmonatlich  vom  15.  Lebensjahre  an  auf.  Seit  langer  Zeit  wird  sie 
von  Schwindel,  Kopfschmerzen,  Congestionen  heimgesucht.  Patientin 
will  nie  gefiebert,  nie  Nachtschweisse  gehabt  haben.  Seinerzeit  litt 
sie  an  Polyphagie  und  Polydipsie;  gegenwärtig  ist  Appetit  und 
Durstgefühl  normal.  Die  Stuhlentleerungen  sind  häufig  diarrhoisch. 
Der  Urin  wird  in  einer  Menge  von  ungefähr  1 J/2  ^  täglich  gelassen. 

Status  praesens:  Eher  kleine  Frau  von  schwachem 
Körperbau,  mit  deutlicher  Skoliose  der  Brustwirbelsäule  und  ent¬ 
sprechender  Compensation  der  übrigen  Segmente.  Der  Thorax  weist 
Spuren  von  Rachitis  auf.  Musculatur  und  Panniculus  wenig  ent¬ 
wickelt.  Hautfarbe  blassbraun.  Das  Auge  ist  lebhaft  und  intelligent. 
Die  Pupillen  sind  normal  und  reagiren  gut.  Sichtbare  Schleimhäute 
blassschmutzig  verfärbt.  Jochbeingegend  cyanotisch.  In  beiden  Kiefern 
fehlen  manche  Zähne,  die  vorhandenen  sind  defect  und  cariös.  Hals 
eher  kurz.  In  der  Submamillargegend  finden  sich  beiderseits  kleine 
Drüsen  von  etwa  Bohnen-  bis  Haselnussgrösse.  Deutliche  Undulation 
der  etwas  geschwellten  Jugularvenen.  Thorax  kurz,  in  den  unteren 
Partien  etwas  ausgedehnt.  Percussion  des  Thorax  gibt  keinen 
abnormen  Befund.  Die  Leberdämpfung  beginnt  am  unteren  Rande 
der  fünften  Rippe.  Die  Auscultation  ergibt  überall  rein  vesiculäres 
Athmen.  Die  absolute  Herzdämpfung  beginnt  oben  an  der  dritten 
Rippe,  überschreitet  kaum  nach  rechts  den  linken  Sternalrand.  Der 
Herzstoss  ist  im  fünften  Intercostalraum  sichtbar,  kräftig  und  wenig 
verbreitert.  An  der  Herzspitze  besteht  neben  dem  ersten  Ton  ein 
systolisches  blasendes  Geräusch,  ebenso  an  der  Auscultationsstelle 
der  Pulmonalis.  Der  zweite  Pulmonalton  nicht  accentuirt.  Die  Herz¬ 
action  gut,  regelmässig. 

Das  Abdomen  etwas  aufgetrieben,  über  den  Nabel  leicht 
vertieft.  Die  Symphyse  steht  von  dem  Schwertfortsatze  34  cm  ab; 
Umfang  über  dem  Nabel  gemessen  94  cm.  Die  Percussion  des 
Abdomens  ergibt  über  der  linken  Hälfte  eine  absolute  Dämpfung, 
die  bis  zum  Hypogastrium  reicht.  Keine  freie  Flüssigkeit  nach¬ 
weisbar.  Durch  die  Palpation  constatirt  man  eine  enorme  Milz, 
welche  die  linke  Bauchhälfte  ausfüllt,  bis  in  die  Leiste  reicht, 
äusserst  harte  Consistenz  und  glatte  Oberfläche  besitzt;  sie  ist  etwas 
sehmerzlmft  und  kaum  beweglich.  Die  Leber  erscheint  vergrössert, 
überschreitet  den  Rippenbogen  um  ungefähr  zwei  Querfinger,  der 
Rand  ist  scharf,  die  Oberfläche  glatt.  Das  Nervensystem  weist  keine 
Anomalie  auf.  Die  Patellarreflexe  sind  erhalten.  Sensorium  stets 
Irei.  Intelligenz  gut.  Temperatur  36'8 — 36'7.  Puls  gut,  regelmässig. 
Frequenz  70. 

Harn:  Tägliche  Menge  1500— 1700  cm3,  klar,  hellgelb. 
Specifisches  Gewicht  1010.  Schwach  sauer. 

Albumen  0,  Zucker  0,  Pepton  0,  Aceton  0,  Diazoreaction  0, 
Gesannntphosphate  vermehrt,  Indican  vermehrt. 

Blutuntersuchung:  Aus  dem  Ohrläppchen  dichtes  hell- 
rothes  Blut.  Natives  Präparat:  Spärliche  Fibrinnetze;  wenig 
ausgesprochene  Geldrollenbildung  der  Erythrocyten.  Rothe  Blut¬ 
körperchen  blass,  von  etwas  verschiedenem  Durchmesser,  die  einen 
kleiner,  die  anderen  grösser.  Scheinbare  Abnahme  der  Leukocyten. 
Zunahme  der  Hämoloblasten.  Eosinophyle  Zellen  vorhanden.  Ein¬ 
zelne  Uebergangsformen.  Keine  Spur  von  Pigment.  Kein  Parasit. 
Gefärbtes  Präparat  (Ehrlich’s  Triacidlösung  und  Eosin- 
Hämatosxlin):  Geringe  Färbbarkeit  der  rothen  Blutkörperchen.  Ein¬ 
zelne  Makrocvten.  Keine  kernhaltigen  Erythrocyten.  In  jedem  Ge¬ 
sichtsfelde  ein  bis  zwei  Leukocyten.  (Zeiss’  Immersion)  Eosino¬ 
phyle  Zellen  vorhanden,  nicht  vermehrt. 

Den  15.  December  1896  ist  die  erste  Zählung 
der  Blutkörperchen  vorgenommen  (Thoma-Zeiss).  Rothe  Blut¬ 


körperchen  7.200.000,  6,990.000  pro  Gubikmillimeter;  weisse  Blut¬ 
körperchen  6000  pro  Gubikmillimeter.  Hämoglobinbestimmung  sec. 
Gower  80%. 

Den  2.  Januar  1897  zweite  Zählung:  Rothe  Blut¬ 
körperchen  7,500.000,  weisse  Blutkörperchen  6300  pro  Cubik- 
millimeter.  Hämoglobin  75%. 

25.  Januar  1897  dritte  Zählung:  Rothe  Blutkörperchen 
7,000.000,  weisse  Blutkörperchen  6000  pro  Gubikmillimeter. 
Hämoglobin  80%. 

2.  Februar  1897,  drei  Tage  nach  der  Operation,  vierte 
Zählung:  Rothe  Blutkörperchen  6,500.000,  weisse  Blutkörperchen 
7200  pro  Gubikmillimeter.  Hämoglobin  70%. 

10.  März  1897,  zwei  Tage  vor  dem  Tode  der  Patientin, 
fünfte  und  letzte  Zählung:  Rothe  Blutkörperchen  5,300.000  per 
Gubikmillimeter;  die  weissen  Blutkörperchen  sind  nicht  gezählt 
worden,  aber  ein  frisch  gefertigtes  Präparat  lässt  eine  ziemlich 
starke  Vermehrung  der  Leukocyten  nachweisen  (Praeagonales 
Symptom  ?). 

Patientin  wurde  mit  Erfolg  den  28.  Januar  1897  operirt. 
Die  ektomirte  Milz  bestand  aus  einem  Tumor  von  33  cm  Länge  und 
40  cm  Umfang;  Gewicht  4 '/4  /er/.  Die  Kapsel' war  ziemlich  verdickt 
und  wies  einzelne,  besonders  dichtere  Flecken  auf.  Die  Schnittfläche 
war  blassroth  und  von  dichten,  fibrösen  Dissepimenten  durchzogen, 
welche  das  Organ  in  fast  entsprechend  viel  Lappen  *  theilten. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  wurde  leider  durch  ein  Versehen 
versäumt.  Die  Kranke  ertrug  die  Operation  gut;  nach  52  Tagen 
jedoch  erlag  sie  einer  hinzugekommenen  Sepsis. 

Die  Section,  von  Dr.  P  e  r  t  o  t  ausgeführt,  ergibt  Folgendes: 
Die  Laparatomiewunde  noch  nicht  geheilt,  rein;  zwischen  Magen, 
Zwerchfell,  Dickdarm  und  Abdominalwand  besteht  eine  unregelmässige 
Höhle  mit  nicht  gut  begrenzten  Wänden,  welche  eine  trübschwärz¬ 
liche,  nicht  stinkende  Flüssigkeit  enthält.  Im  Grunde  fühlt  man  den 
von  infiltrirtem  Gewebe  umgebenden  Pankreas.  Die  Milzvene  ist 
ungemein  erweitert  und  enthält  Fibrin  und  Eiter.  Die  Pfortader 
enthält  viel  trübe,  eiterige  Flüssigkeit.  In  der  Leber  findet  sich 
abgesehen  von  einigen  kleinen  Herden,  welche  an  hyperplastisches 
Leberparenchym  erinnern,  nichts  Auffälliges;  die  erwähnten  Partien 
sind  gut  abgegrenzt.  Das  ganze  Peritoneum  ist  normal.  Magen  und 
Darm  bieten  keine  Veränderung.  Ziemlich  ausgesprochene  Caries 
der  Brustwirbeln  mit  Ansammlung  von  flüssigem  Eiter,  von  welchem 
die  Knochen  umgebenden  Gewebe  infiltrirt  sind.  Lungen  und  Herz 
bieten  normalen  Befund.  Herabgekommenes  Individuum,  mit  be¬ 
deutender  Skoliose  der  Brustwirbelsäule  und  entsprechender  Com¬ 
pensation. 

Diagnose:  Splenektomie,  Sepsis. 

Nun  der  zweite  Fall.  Anna  C,  aus  Altura  bei  Pola, 
34  Jahre  alt,  Häuslerin,  wurde  mit  16  Jahren  zuerst  menstruirt; 
hatte  stets  unregelmässige  spärliche  Menstruation,  die  zeitweilig 
Monate  lang  aussetzte.  18  Jahre  alt,  erkrankte  sie  an  Scorbut. 
1883  heiratete  sie  und  hatte  1884  und  1889  je  eine  normale 
Geburt.  Am  22.  September  1891  wurde  sie  wegen  malarischem 
Milztumor1)  splenektomirt  (siehe:  M  a  s  s  o  p  u  s  t,  La  Clinica  Chirurgica 
Anno  I,  1893).  Nach  22  Tagen  verliess  sie  das  Krankenhaus,  trat 
jedoch  nach  weiteren  90  Tagen  wieder  ein  und  zwar  wegen 
Febris  intermittens,  die  bald  auf  Chininbehandlung  wich. 
Seitdem  will  sie  gesund  gewesen  sein,  obgleich  sie  zwei  Jahre  lang 
amenorrhoisch  war;  später  traten  die  Menses  schmerzlos,  regelmässig 
und  in  der  Dauer  von  zwei  bis  drei  Tagen  wieder  auf.  Vor  sechs 
Monaten  begann  sie  an  Kopfschmerzen  und  Magenbeschwerden  zu 
leiden;  Brechen,  Obstipation  bestanden  nicht.  Die  Schmerzen  waren 
nicht  continuirlich,  setzten  vielmehr  stundenlang  aus.  Abnahme  des 
Appetites.  Es  besteht  Schwangerschaft  im  sechsten  Monate,  und 
darauf  führt  Patientin  die  erwähnten  Beschwerden,  wie  auch  einen 
seit  einem  Monate  entstandenen  stechenden  Schmerz  im  linken 
Hypochondrium  zurück.  Ferner  klagt  Patientin  über  einzelne  Husten- 
stösse  mit  katarrhalischem  Auswurf;  seit  20  Tagen  besteht  Heiserkeit. 

Status  praesens:  Lunge:  Ueber  der  rechten  Spitze  etwas 
abgekürzter  Schall,  rauhes  vesiculäres  Athmen  mit  einzelnen 
katarrhalischen  Rasselgeräuschen;  seltene  katarrhalische  Rassel¬ 
geräusche  am  unteren  Lappen  der  linken  Lunge.  Reine  Herztöne. 

’)  Milztumor  derb,  von  gleichmässig  elastischer  Consistenz,  in  allen 
Richtungen  beweglich,  von  dem  Verticaldurchmesser  —  20  cm,  der  Traus- 
versaldurchmesser  =  30  cm. 


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Puls  weist  normale  und  reguläre  Frequenz  auf.  Arterie  voll.  Leber 
normal.  Magen  scheinbar  alterirt.  Keine  Vergrösserung  der  Schild¬ 
drüse.  Keine  Drüsenschwellungen  (Dr.  F  1  o  r  i  o).  Leichte  Stimm¬ 
bandparese.  Verschleierte  Stimme  (Dr.  Germonig).  Gesicht:  Ocul. 
utr.  6/6.  Augenhintergrund  normal  (Dr.  Brettaue r). 

Blutbefund:  Im  frischen  Präparate  erscheinen  die  Ery- 
throcyten  hämoglobinarm  und  von  geringer  Geldrollenbildung;  meist  von 
gewöhnlichem  Durchmesser  bis  auf  einzelne  grössere  weniger  runde. 
Unter  den  Leukocyten  wiegen  an  Zahl  die  kleine  mononucleären  vor. 
Vermehrung  der  eosinophylsn  Zellen.  Bedeutende  Zunahme  der 
Fibrinnetze  und  Hämatoblasten. 

Trockenpräparat  (E h  r  1  i c h’s  Triacidlösung  und  Eosin- 
Hämatoxylin):  Geringe  Färbbarkeit  der  rothen  Blutkörperchen;  ein¬ 
zelne  Makrocyten;  einzelne  kernhaltige  Erythrocyten. 

Leukocyten:  Polynucleäre  circa  40%,  grosse  Mono- 
nucleäre  circa  1%,  kleine  Mononucleäre  circa  47%,  Uebergangs- 
formen  circa  2%,  eosinophyle  Zellen  10%. 

Hämoglobin  (Gower)  60%.  Zahl  der  rothen  Blut¬ 
körperchen  nach  Thoma-Zeiss  über  5,500.000  pro  Cubik- 
millimeter.  Zahl  der  w  e  i  s  s  e  n  Blutkörperchen  7 500  pro 
Cubikmillimeter. 

Diese  meine  zwei  Fälle  tragen  gewiss  nicht  bei,  die 
richtige  Function  und  physiologische  Bedeutung  der  Milz  zu 
erklären,  sie  tragen  eher  dazu  bei,  das  Halbdunkel  unserer 
Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete  zu  vermehren.  Was  weiss  man 
von  der  Milz?  Dass  man  sie  ausschneiden  kann,  ohne  dass 
dadurch  der  Organismus  Schaden  erleidet,  ohne  dass  Ausfalls¬ 
erscheinungen  auftreten,  dass  man  zuweilen  nach  Splenek- 
tomie  eine  Volumszunahme  der  Lymphdrüsen  wahrgenommen 
hat  und  noch  häufiger  eine  grössere  Thätigkeit  des  Knochen¬ 
markes;  einzel  weise  wurde  auch  die  gewiss  interessante 
Beobachtung  von  neoplastischen  Neubildungen  in  dem  Drüsen¬ 
system  gemacht.  Ueberdies  wird  von  einzelnen  Forschern 
eine  gewisse  Bedeutung  bezüglich  der  Blutbereitung  der  Mdz 
zugeschrieben,  indem  man  derselben  zwei  scheinbar  ent¬ 
gegengesetzte  Aufgaben  zumuthet :  sie  sei  die  vorwaltende 
Bildungsstätte  und  Quelle  der  Leukocyten  einerseits,  andererseits 
soll  sie  wieder  der  Ort  sein,  in  dem  die  Erythrocyten  zerstört 
werden.  Haben  wir  genügende  Beweise,  um  der  Milz  diese 
Thätigkeit  zuzuschreiben  ?  Können  wir  das  mit  Sicherheit  be¬ 
haupten  ?  Wird  eine  Volumszunahme  der  Milz,  sei  es  durch 
acute  oder  chronische  Schwellung,  immer  von  einer  Hyperplasie 
der  Leukocyten  und  Abnahme  der  Erythrocyten  begleitet? 
Beim  Abdominaltyphus,  einer  Krankheit,  in  der  gerade  der 
Milztumor  sich  fast  constant  und  ausgesprochener  als  in  irgend 
einer  anderen  acuten  Krankheit  vorfindet,  gilt  vielleicht  die 
Hypoleukocytose  nicht  als  ein  hervorragendes  diagnostisches 
Hilfsmittel  ?  Findet  sich  bei  chronischen  Malariamilzschwellungen 
immer  Zunahme  der  Leukocyten?  Hat  die  Milz,  wie  Ehrlich 
behauptet,  nur  eine  untergeordnete  Bedeutung  für  die  Bildung 
der  weissen  Blutkörperchen  und  ist  die  bei  den  meisten  acuten 
fieberhaften  Erkrankungen  vorkommende  Hyperleukocytose 
blos  vom  Knochenmark  abzuleiten? 

Uebersehen  wir  die  vorhandene  hämatologische  Literatur 
der  Milz,  so  begegnen  wir  einem  Chaos,  aus  dem  nicht  leicht 
ein  Ausweg  zu  finden  ist.  Bei  der  Splenektomie  finden  wir 
fast  immer  angeführt:  a)  eine  bedeutende  Zunahme  der  weissen 
Blutkörperchen  und  speciell  nach  einigen  Autoren  (Ehrlich, 
K  u  r  1  o  f  f,  Hartman,  V  a  q  u  e  z,  Jonnescu  u.  A.)  eine 
Hypoleukocytose  der  kleinen  Mononucleären,  später  tritt 
Eosinophylie  auf.  b)  Fast  immer  Abnahme  der  Zählwerthe  des 
Hämoglobingehaltes  der  rothen  Blutkörperchen.  Nur  nebenbei 
wollen  wir  auf  die  Beobachtung  Crede’s  hinweisen,  der  vier 
Monate  nach  der  Operation  nebst  dem  oben  angeführten  Blut¬ 
befunde,  ein  Bild  beobachtet  haben  will,  das  an  Myxödem 
erinnerte,  mit  sklerosirenden  Vorgängen  in  der  Haut  und  Zu¬ 
nahme  der  Schilddrüse. 

Wie  verhält  sich  nun  die  Hyperglobulie  sowohl  in  der 
Splenomegalie  als  auch  in  der  Splenektomie  ?  Schon  1892  hatte 
Vaquez  Gelegenheit,  einen  Fall  mit  drei  Cardinalsymptomen 
zu  beobachten,  nämlich:  Megalosplenie,  Hyperglobulie  und 
Cyanodennie.  Er  war  damals  der  Ansicht,  dass  die  Cyanodermie 
von  einem  angeborenen  Herzfehler  abhinge,  während  später  die 


Autopsie  (Semaine  medicale.  1895)  blos  eine  bedeutende  Hyper¬ 
trophie  der  Milz  und  der  Leber  erwies.  Das  Herz  war  gesund. 

M.  F.  Vidal  konnte  im  Vereine  mit  M.  Rendu  (Se¬ 
maine  medicale.  1899)  mehrere  Jahre  hindurch  einen  Fall  einer 
eigenartigen  tuberculösen  Splenomegalie  verfolgen  mit  Cyanose 
des  Gesichtes  und  der  Extremitäten  und  Hyperglobulie 
(8,200.000  rother  Blutkörperchen  zwei  Jahre  vor  dem  Tode 
und  5,250.000  sub  finem  vitae).  Der  Kranke  war  weder 
Syphilitiker  noch  Potator  und  konnte  sechs  Jahre  hindurch 
seiner  Arbeit  nachgehen,  trotz  einer  enormen  Milz,  die  die 
linke  Bauchhälfte  ausfüllte  und  bis  in  die  Leiste  reichte.  Er 
war  acht  Jahre  nach  Beginn  der  Erscheinungen  nicht  kachektisch. 
Die  Autopsie  und  das  Mikroskop  wiesen  eine  primäre  Milz- 
tuberculose  nach,  welche  so  viele  Jahre  localisirt  geblieben  war. 

Ein  ähnlicher  Fall  wurde  1899,  jedoch  ohne  Cyanose, 
von  Montard-Mart.in,  und  ein  weiterer  von  Ac  hard 
(L’independance  med.  7.  Juni  1899)  nachgewiesen. 

Mein  Fall  (anno  1896)  kann  dieser  Reihe  angeschlossen 
werden,  und  zeichnet  sich  durch  Elephantiasis  der  Milz  und 
Hyperglobulie  aus;  wie  im  Falle  Montard-  Martin  fehlt 
auch  hier  die  Cyanodermie.  Ich  habe  schon  oben  hervorgehoben, 
dass  die  riesig  vergrösserte  Milz  eine  bedeutende  Vermehrung 
des  Bindegewebes  zeigte.  Tuberculöse  und  andere  Herde  wurden 
nicht  angetroffen.  Bedauerlicher  Weise  entging  mir  die  histo¬ 
logische  Untersuchung.  Die  in  der  Leber  beschriebenen,  hyper¬ 
plastischen  Parenchympartien  ähnlichen  Stellen  wurden  ebenfalls 
nicht  mikroskopisch  untersucht. 

Es  wäre  meiner  Ansicht  nach  eine  Kühnheit,  oder  besser 
gesagt:  es  ist  geradezu  noch  unmöglich,  das  Phänomen  der 
Hyperglobulie  bei  Splenomegalie  und  Asplenie  zu  erklären.  Denn 
wollte  man  auf  die  vier  bisher  mitgetheilten  Fälle  sich  stützend, 
der  Milz  eine  Leukocyten  zeugende,  für  Erythrocyten  aber 
eine  zerstörende  Thätigkeit  zuschreiben,  dann  könnte  man  noch 
für  obige  Erscheinungen  bei  sklerotischen  oder  sonst  die  Function 
aufhebenden  Processen  eine  Deutung  finden;  wie  aber  lässt 
sich  damit  die  von  vielen  Autoren  mitgetheilte  Hyperleuko¬ 
cytose  und  Hypoglobulie  nach  Splenektomie  vereinen?  Vielleicht 
mag  dafür,  dass  eine  Hyperplasie  der  rothen  Blutkörperchen 
nicht  häufiger  gefunden  wird,  der  Umstand  zur  Verantwortung 
herangezogen  werden,  dass  die  Blutuntersuchungen  nach 
Splenektomien  zu  bald  unterbrochen  werden? 

Der  von  mir  angeführte  Fall  von  Anna  C.  bietet  sieben 
Jahren  nach  der  Operation  eine  massige  Hyperglobulie. 
Hervorg«  hoben  sei  noch,  dass  das  Blut  der  Patientin  unmittelbar 
vor  der  Operation  keine  Zunahme  der  weissen  Blutkörperchen 
aufwies;  über  die  rothen  Blutkörperchen  finden  sich  keine 
Angaben;  Zählung  wurde  nicht  vorgenommen.  Nach  drei 
Monaten  wurde  der  Blutbefund  erhoben  und  soll  angeblich  das 
Verhältniss  Roth  zu  Weiss  normal  gewesen  sein.  Ueber  diesen 
Fall  behalte  ich  mir  vor,  Eingehendes  zu  berichten,  nachdem 
ich  weitere  Untersuchungen  vorgenommen  haben  werde. 

Ich  schliesse,  indem  ich  den  Herren  Primarärzten 
Dr.  Escher  und  Dr.  Massopust  für  die  freundliche  Ueber- 
lassung  der  Fälle  an  dieser  Stelle  meinen  verbindlichsten  Dank 
ausspreche. 

Literatur. 

H.  V  i  e  r  o  r  d  t,  Die  angeborenen  Herzkrankheiten.  Specielle  Patho¬ 
logie  und  Therapie  [Nothnagel],  Bd.  XV,  1898. 

Areangeli,  L’iperglobulia  nelle  malattie  .cardio-poltnonari  e  la 
Genesi  della  Cianosi  nei  Vizi  di  Cuore.  Policlinico.  V.  M.  1898,  VI,  1899. 

L  a  u  d  o  i  s,  Blutige  Hyperglobulie.  Real-Encyklopälie  [Eulenburg]. 
Bd.  III. 

Ehrlich  und  Lazarus,  Specielle  Pathologie  und  Therapie  [Noth¬ 
nagel],  Bd.  VIII. 

Gibson,  Starke  Vermehrung  der  Blutkörperchen  bei  angeblichen 
Herzfehlern.  Schmidt’s  Jahrbücher.  1895,  217,  8. 

H  Neuman,  Bemerkungen  über  regenerative  Hyperplasie  der  rothen 
Blutkörperchen  eines  Falles  von  Addison’scher  Krankheit.  Deutsche  medi- 
cinische  Wochenschrift.  1894,  Bd.  XX,  5. 

J  a  c  k  s  c  h,  Hyperglobulie  bei  acuter  Phosphorvergiftung.  Deutsche 

medicinische  Wochenschrift.  1893,  Bd.  XIX,  1. 

Litten,  Krankheiten  der  Milz.  Specielle  Pathologie  und  Lherapie 

[Nothnagel].  1898,  Bd.  VIII,  Theil  3. 

M.  Vaquez,  Splenectomie  avec  exainen  du  sang.  La  Semaine 

medicale.  1897,  Nr.  27. 


884 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  89 


Derselbe,  Hyperglobulie  et  Splenomegalie.  La  Semaine  medicale. 
1899,  pag.  214. 

M.  F.  W  i  da  1,  Splenomegalie  tuberculeuse  primitive  saus  leuoemie, 
avec  Hyperglobulie  et  Cyanose.  La  Semaine  medicale.  1899,  pag.  198. 

M.  Moutard  und  Martin.  Ibidem. 

M.  A  c  h  a  r  d,  Ibidem. 

M.  Jonnescu,  Splenectomie  pour  Hypertrophie  malarique.  La 
Semaine  medicale.  1898,  pag.  438. 

M.  H.  D  o  m  i  n  i  c  i,  Splenectomie  et  moelle  osseuse.  La  Semaine 
medicale.  1898,  pag.  510. 

Foa,  Sur  l’origine  des  Globules  rouges  du  sang  et  sur  la  function 
hemopoetique  de  la  rate.  Archiv  ital.  de  Biolog.  T.  I,  pag.  463 — 469. 

B.  C  r  e  d  e,  Ueber  die  Exstirpation  der  kranken  Milz  beim  Menschen 
Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  XXVIII,  401. 

Derselbe,  Vorstellung  eines  Mannes,  dem  vor  2 1  / 4  Jahren  die 
Milz  exstipirte.  Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

A.  Martin,  A  successful  case  of  splenectomie.  Brit.  med.  Journal. 

Thornston,  J.  Knowsley,  Two  cases  of  Splenectomy.  Med.- 
Chir.  Transact.  Vol.  LXIX. 

Peitrzikovski,  Zur  Casuistik  der  Milzexstirpation.  Prager 
medicininische  Wochenschrift.  Nr.  19,  21,  24,  25. 

A.  Pappenhei  m,  Ueber  Entwicklung  und  Ausbildung  der  E'-ythro 
blasten.  Virchow’s  Archiv.  Bd.  CXLV,  Heft  3. 

R.  Picon,  Splenomegalie.  Archiv  de  med.  exper.  T.  VIII,  pag.  168. 

Moutuori,  Influenza  dell  ablazione  della  Milza  sul  potere  micro- 
biotico  del  sangue.  Riforma  medica. 

Grigorescu,  Quelques  experiences  nouvelles  sür  le  role  hemato- 
poetique  de  la  rate.  Verhandlungen  des  X.  internationalen  Congresses  zu  Berlin. 
1890,  Theil  II. 

Bottazzi,  Ricerclie  ematologiche.  La  Milza  come  organo  emoralo- 
tomistico.  Lo  Sperimentale.  1894. 

Danilewsky,  Ueber  die  blutbildende  Eigenschaft  der  Milz  und 
des  Knochenmarks.  Pflüger’s  Archiv.  Bd.  LXI. 

Massopust,  Contributo  ada  Statistica  della  Splenectomia.  La 
Clinica  Chirurgica.  1893,  T.  I. 


REFERATE. 

Verhandlungen  der  Deutschen  pathologischen  Gesell¬ 
schaft. 

Im  Aufträge  des  Vorstandes  herausgegeben  von  dem  derzeitigen  Schrift¬ 
führer  E.  Ponfick  in  Breslau. 

Zweite  Tagung,  gehalten  in  München  vom  18.  bis  22.  September  1899. 

Berlin  1900,  Georg  Reimer. 

Der  494  Seiten  starke,  mit  zahlreichen  Tafeln  ausgestattete 
zweite  Band  der  Verhandlungen  der  Deutschen  pathologischen  Ge¬ 
sellschaft  ist  wohl,  wie  der  derzeitige  Herausgeber  Ponfick  in 
der  Vorrede  richtig  bemerkt,  ein  Beweis,  dass  das  bei  deren 
Gründung  gesteckte  Ziel  wissenschaftlicher  Zusammenarbeit  in 
immer  weiteren  Kreisen  Anklang  und  Förderung  gefunden  hat.  Das 
die  sechs  wissenschaftlichen  Sitzungen  ausfüllende  Material  ist  in 
4G  theils  grösseren,  theils  kleineren  casuistischen  Mittheilungen 
niedergelegt  und  bietet  mit  der  sich  fast  an  jedem  Vortrage  an¬ 
schliessenden  Discussion  ein  lebhaftes  Bild  wissenschaftlicher 
Thätigkeit. 

An  der  Spitze  stehen  die  in  der  gemeinschaftlichen  Sitzung 
mit  der  ganzen  medicinischen  Hauptgruppe  gehaltenen  Vorträge 
von  Rabl:  »Homologie  und  Eigenart«,  und  Marc  hand:  »Die 
Beziehungen  der  pathologischen  Anatomie  zur  Entwicklungsgeschichte, 
besonders  der  Keimblätterlehre«,  deren  bedeutsamer,  wohl  bereits 
Gemeingut  gewordener  Inhalt  einerseits  in  dem  Satze  gipfelt:  »Die 
Eigenart  eines  Organismus  beherrscht  die  Eigenart  aller  seiner 
Theile«,  andererseits:  »dass  die  Gewebe  des  Körpers  bei  der  Re¬ 
generation  innerhalb  derjenigen  histologischen  Grenzen  bleiben, 
welche  sie  durch  die  Entwicklung,  also  von  ihrem  ersten  Auftreten 
als  gesonderte  Theile  der  Anlage  erhalten  haben.  Dem  Wesen  der 
Gesehwulstbildungen  werden  wir  nur  auf  dem  Wege  der  Histogenese 
näher  kommen.  Die  klinische  Bedeutung,  Malignität  oder  Nicht¬ 
malignität,  ist  als  Eintheilungsprincip  zu  vermeiden. 

C  h  i  ar  i  spricht  über  die  Genese  der  Zwerchfurchen  der 
Leber,  deren  Entstehung  er  einer  stärkeren,  entweder  continuir- 
lichen  oder  vielfach  wiederholten  Anpressung  der  Leber  gegen  das 
Zwerchfell  zugeschrieben  wissen  will;  und  über  basale  Schädel¬ 
hyperostose  und  ihre  Beziehungen  zur  Idiotie,  wobei  das  allen 
Fällen  Gemeinsame  nur  wäre,  dass  die  Hyperostose  als  Ausdruck 
einer  Wachsthumsstörung  des  Schädels  anzusehen  ist.  Doch  hebt 
Chiari  die  eventuelle  forensische  Wichtigkeit  einer  gefundenen 
basalen  Hyperostose  hervor,  die  uns  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit 
den  Schluss  zu  ziehen  berechtigt,  dass  das  betreffende  Individuum 
idiotisch  war. 


Ueber  unpaarigen  Ursprung  der  Intercostal-  und  Lumbal¬ 
arterien  aus  der  Aorta  und  über  Verbreitung  eines  Enchondroms 
durch  die  Blutbahn  berichtet  Paul  Ernst. 

v.  Kahl  den's  Vortrag  über  die  Entstehung  einfacher 
Ovarialcyslen  gipfelt  in  dem  Punkte,  dass  der  sogenannte  Hydrops 
folliculi  nicht  aus  Follikeln,  sondern  aus  einem  adenomatösen  Vor¬ 
stadium  hervorgeht. 

In  der  dritten  Sitzung  berichtet  Rischpier  über  Gewebs¬ 
veränderungen  durch  Kälte;  Borst  über  Experimente  zur  Fremd¬ 
körpereinheilung;  Ribbert  über  die  Entwicklung  der  bleibenden 
Niere  und  über  die  Entstehung  der  Cystenniere,  wobei  er  glaubt 
festhalten  zu  dürfen,  dass  alle  Cystennieren,  auch  die  im  höheren 
Lebensalter  zur  Beobachtung  kommenden,  gemeinsamen  Ursprunges 
sind  und  sich  auf  eine  embryonale  Entstehung  beziehen  lassen,  und 
zwar,  dass  in  der  mangelnden  Vereinigung  der  beiden  Canal- 
bestandtheile  die  Grundlage  der  Cystenbildung  zu  suchen  sei. 

G.  Kaiserling  spricht  über  Conservirung  und  Aufstellung 
pathologisch-anatomischer  Präparate  für  Schau-  und  Lehrsamm¬ 
lungen  und  Herstellung  von  Gyps-  und  Wachsabgüssen. 

Ziegler  referirt  über  ausgedehnte  Untersuchungen,  die  von 
Melnikow-Raswendenkow  über  den  Gehalt  verschiedener 
normaler  und  pathologisch  veränderter  Organe  an  elastischen  Fasern 
mit  Hilfe  der  W  e  i  g  e  r  fischen  Methode  ausgeführt  wurden;  sowie 
über  von  Sata  gemachte  Untersuchungen  über  den  Fettgehalt  der 
äusseren  Haut,  der  Thränendrüsen,  der  Parotis,  der  Submaxillaris 
und  des  Pankreas  und  demonstrirt  einen  von  E.  Sälen  beschrie¬ 
benen  Ilermaphrodilismus  verus  unilateralis  beim  Menschen. 

Baum  garten  liefert  neuerdings  Beiträge  zur  Lehre  von 
der  natürlichen  Immunität  (Assimilationstheorie  im  Gegensatz  zu 
der  Gift-  und  Phagocytentheorie),  deren  zufolge  die  natürliche 
Immunität  einzelner  Species,  Racen,  Individuen  gegenüber  bestimmten 
Infectionskeimen  wesentlich  davon  abhängt,  dass  die  betreffenden 
Keime  in  der  lebenden  Körpersubstanz  der  betreffenden  Species  etc. 
nicht  den  geeigneten  Nährboden,  d.  h.  nicht  die  für  ihr  Leben 
und  ihre  Entwicklung  nothwendige  chemische  Zusammensetzung 
finden.  Dabei  spielen  Störungen  der  Assimilationsvorgänge  und 
Störungen  der  Osmose  die  Hauptrolle.  Eine  bacterienfeindliche 
Wirkung  des  Blutserums  in  dem  Sinne,  dass  im  Serum  bacterien- 
tödtende  Substanzen  vorhanden  seien,  könne  nach  seinen  Versuchs¬ 
ergebnissen  nicht  angenommen  werden.  Die  Plasmolyse,  verbunden 
mit  Assimilationsstörungen,  ist  die  wesentliche  Ursache  des 
Keimtodes. 

Henke  demonstrirt  einen  multiplen,  cystischen,  lymph¬ 
angiomähnlichen  Tumor  der  Bauchhöhle. 

Graser  berichtet  über  Untersuchungen  über  die  Entstehung 
multipler  Darmdivertikel  in  der  Flexura  sigmoidea  und  vermuthet 
in  dem  Vorhandensein  abnorm  grosser  Gefässlücken  eine  Prädispo¬ 
sition  zur  Entwicklung  von  Schleimhauthernien. 

S  c  h  m  o  r  1  gibt  eine  Methode  zur  Darstellung  der  Knochen¬ 
körperchen  und  ihrer  Ausläufer  an  entkalkten  Schnitten  (Färbung 
mit  Thionin  und  Differenzirung  in  Picrinsäure)  und  eine  Methode 
der  Färbung  der  Grenzscheiden  mittelst  Thionin  und  Phosphor¬ 
wolframsäure. 

In  einem  zweiten  Artikel  schildert  Schmorl  die  Störungen 
des  Knochenwachsthums  bei  der  Barlo  w’schen  Krankheit.  Die 
Knochenveränderungen  sind  dadurch  charakterisirt,  dass  einerseits 
die  Knochensubstanz  eine  Verminderung  gegen  die  Norm  erfährt, 
dass  andererseits  das  Knochenmark  in  den  peripheren  Enden  der 
langen  Röhrenknochen  und  in  den  Epiphysenkernen  seinen  lymphoiden 
Charakter  verliert,  und  dass  endlich  periostale  und  endostale 
Blutungen  eintreten.  Die  subperiostalen  Blutungen  an  den  langen 
Röhrenknochen  sind  nach  Ansicht  des  Vortragenden  vorwiegend  auf 
Fracturen  zurückzuführen  und  kann  der  Morbus  Barlow  unab¬ 
hängig  von  Rachitis  zur  Entwicklung  kommen.  Dagegen  meint 
Nauwerck,  der  zur  selben  Sache  spricht,  dass  zur  Zeit  der 
Beweis  nicht  erbracht  ist,  dass  eine  eigene,  von  Rachitis  unabhängige 
M  ö  1 1  e  r  -  B  a  r  1  o  w’sche  Krankheit  besteht;  nach  ihm  ist  sie  nur 
eine  Episode  im  Verlauf  der  Rachitis. 

Babes  liefert  eine  interessante,  mit  zwei  Tafeln  ausge¬ 
stattete,  grössere  Arbeit  über  hämorrhagische  Infection  des  Menschen 
sowie  im  Vereine  mit  V.  Sion  ausgeführte  Untersuchungen  über 
Veränderungen  im  Nervensystem  bei  Pellagra,  wobei  sowohl  in  den 


Nr.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


885 


peripheren  Nerven,  sowie  im  Rückenmark  und  im  Gehirn  positive 
pathologische  Befunde  erhoben  werden  konnten. 

Kockel  berichtet  über  eine  neue  Fibrinfärbemethode ; 
K.  Winkler  über  einen  bemerkenswerthen  Fall  von  Hydrops 
chylosus. 

E.  P  on  fick  spricht  neuerdings  über  Beziehungen  zwischen 
Myxödem  und  Akromegalie,  und  C.  B  e  n  d  a  macht  eine  casuistische 
Mittheilung  über  Endangitis  tuberculosa  mit  Demonstration. 

Arnold  Heller  tritt  an  der  Hand  eines  genau  unter¬ 
suchten  Falles  entschieden  für  das  Vorkommen  einer  syphiliti¬ 
schen  Aortitis  und  ihre  Bedeutung  für  die  Entstehung  von  Aneu¬ 
rysmen  ein. 

Straub  fasst  die  von  ihm  gefundenen  Veränderungen  der 
Aortenwand  bei  progressiver  Paralyse  nicht  als  eine  schwere  prä¬ 
mature  Atheromatose  auf,  sondern  als  eine  luetische,  chronische, 
proliferirende  Aortitis,  die  sich  auf  Brusttheil  und  den  obersten 
Abschnitt  der  Bauchaorta  beschränkt,  die  untere  Hälfte  der  letzteren 
aber  stets  frei  lässt.  Tn  der  sich  anschliessenden  Discussion  nimmt 
der  grösste  Theil  der  Redner  einen  ablehnenden  Standpunkt  ein. 

March  an  d’s  Vortrag  behandelt  das  Schicksal  transplantirter 
und  replantirter  Knochen,  wobei  unter  Anderem  die  Substitution 
des  todten  Knochengewebes  durch  neu  sich  bildendes  Knochen¬ 
gewebe  ohne  vorausgehende  Knochenresorption  durch  Osteoklasten 
constatirt  werden  konnte.  Endlich  demonstrirte  M  a  r  c  h  a  n  d  mikro¬ 
skopische  Präparate  mit  Abbildungen,  welche  die  Heilungsvorgänge 
der  Hornhautwunde  und  der  Hornhauttransplantation  ersichtlich 
machen. 

In  der  sechsten  wissenschaftlichen  Sitzung  hält  R.  Heinz 
einen  Vortrag  über  die  Herkunft  des  Fibrins  und  die  Entstehung 
von  Verwachsungen  bei  acuter  adhäsiver  Entzündung  seröser  Häute 
und  zweitens  über  Blutschädigungen  und  deren  Folgen. 

Hanse  mann  liefert  einen  casuistischen  Beitrag  zur  Ver¬ 
kalkung  der  Gehirngefässe,  wobei  das  Ungewöhnliche  in  der  ganz 
reinen  Beschränkung  auf  die  weisse  Substanz  bestand,  so  dass  die 
verkalkten  Capillaren  an  der  Grenze  zur  grauen  Substanz  ganz 
scharf  in  normale  übergehen,  und  dass  diese  Verkalkung  ganz 
selbstständig  auftrat  und  allein  das  Krankheitsbild  beherrschte. 

B  e  n  e  k  e  demonstrirt  ein  Osteoidchondrosarkom  der  Harn¬ 
blase  und  ein  Chorionangiom. 

L.  Aschoff  zeigt  Präparate  einer  Endarteriitis  tuberculosa 
aortica  und  berichtet  über  das  Resultat  histologischer  Untersuchungen 
über  Harnsäureablagerungen,  nach  welchen  er  einerseits  die  Ver- 
muthung  von  Ebstein  und  N  i  c  o  1  a  i  e  r,  dass  auch  beim  mensch¬ 
lichen  Harnsäureinfarct  der  Zerfall  von  Nierenepithelien  eine  Rolle 
spiele,  als  zu  wenig  gestützt  erklärt,  andererseits  die  Nekrose  in 
den  Geweben  nicht  als  Ursache  der  Krystallisation,  sondern  um¬ 
gekehrt  die  Krystallisation  als  Ursache  der  Nekrose  deutet. 

In  einem  dritten  Artikel:  »Ueber  die  Lage  des  Paroophoron« 
erklärt  der  Vortragende,  dass  das  Paroophoron  nicht  medialwärts 
vom  Eierstock,  sondern  unterhalb  desselben  und  lateral  davon  zu 
suchen  sei. 

W.  Rosenthal  gibt  seine  Resultate  und  die  genaue  An¬ 
wendung  des  Verfahrens  nach  Daddi,  Fett  durch  Färbung  mit 
Sudan  III,  einem  Bisazofarbstoffe,  zu  färben,  an. 

Scheib  demonstrirt  einen  Fall  von  chronischer  Tuberculose 
der  Parotis,  H.  v.  Schrötter  ein  Carcinoma  pendulum  plicae 
aryepipl.  sinist. 

H.  Schmaus  zeigt  Präparate  über  seine  im  Vereine  mit 
E.  Albrecht  angestellten  Untersuchungen  über  die  Structur  der 
Leberzellen  (tropfige  Entmischung)  und  der  Letztere  liefert 
interessante  Beiträge  zur  physiologischen  und  pathologischen  Morpho¬ 
logie  der  Nierenzellen,  wobei  er  unter  Anderem  neuerdings  die 
Flüssigkeitsnatur  des  Protoplasmas  und  vieler  seiner  Producte  zu 
beweisen  sucht. 

Orth  demonstrirt  histologische  Präparate  von  Lebercaver- 
nomen,  von  Ochronose  und  Pseudoochronose,  sowie  Diapositive 
pathologischer,  histologischer  und  mikroskopischer  Präparate. 

Zum  Schlüsse  folgt  ein  Artikel  J.  E  berth’s:  »Zur  Histo¬ 
logie  der  verminösen  Pneumonie  der  Säuger«,  worin  er  besonders 
auf  eine  ungewöhnliche  Hypertrophie  der  Bronchialmusculatur,  eine 
Bronchitis  hypertrophicans,  aufmerksam  macht. 


Diesem  reichen  wissenschaftlichen  Materiale  reiht  sich  noch 
der  Bericht  der  Geschäftssitzung  der  Deutschen  pathologischen  Ge¬ 
sellschaft,  sowie  ein  Mitgliederverzeichniss  (145)  derselben  an. 

Sch  lagen  häufe  r. 

* 

Fliegenlarven  als  gelegentliche  Parasiten  des 

Menschen. 

Von  Erich  Peiper,  a.  o.  Professor  an  der  Universität  Greifswalde. 

Mit  41  Abbildungen. 

Berlin  1900,  Louis  Marcus. 

Wiewohl  Fliegenlarven  als  gelegentliche  Parasiten  des 
Menschen  nicht'  so  selten  sind,  ist  doch  die  Kenntniss  dieser  Ge¬ 
bilde  unter  den  Aerzten  noch  nicht  hinreichend  bekannt,  zumal 
Abbildungen  von  Fliegenlarven,  durch  welche  es  auch  dem  prak¬ 
tischen  Arzte  möglich  wird,  diese  Schmarotzer  zu  erkennen,  wenn 
er  auch  wegen  der  erheblichen  Schwierigkeiten  nicht  immer  im 
Stande  sein  wird,  eine  Artbestimmung  vorzunehmen,  in  der  Literatur 
nur  selten  und  nur  zerstreut  zu  finden  sind. 

Diesem  Mangel  nun  steuert  die  Abhandlung  E.  P  e  i  p  e  r’s, 
durch  die  wir  einerseits  an  der  Hand  von  41  instructiven  Ab¬ 
bildungen  alles  zoologisch  Wissenswerthe  über  diese  Larven  er¬ 
fahren,  andererseits  durch  Anführung  zahlreicher  fremder  und 
eigener  klinischer  Beobachtungen  auch  die  durch  dieselben  er¬ 
zeugten  Krankheitsbilder,  sowie  deren  prognostische  Beurtheilung 
und  therapeutische  Bekämpfung  kennen  lernen. 

Schlagenhaufe  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

358.  Aus  dem  Laboratorium  der  L  a  n  d  e  s  -  Irren¬ 

anstalt  in  Wien.  Experimentelle  Untersuchungen 
über  die  Schleifenendigung,  die  Haubenbahnen, 
das  dorsale  Längsbündel  und  die  hintere  Com¬ 
mis  s  u  r.  V  o  n  D  r.  M.  Probst.  Die  Ansichten  über  das  obere 
Ende  der  medialen  Schleife  sind  derzeit  noch  getheilt:  einzelne 
Autoren  lassen  die  Schleife  ganz  oder  theilweise  im  ventralen  Kern 
des  Thalamus  opticus  enden,  andere  anerkennen  auch  Schleifenfasern, 
welche  den  Thalamus  opticus  einfach  durchsetzen  und  direct  zur 
Hirnrinde  ziehen.  Es  drehen  sich  mithin  die  beiden  Ansichten  um 
die  Frage,  ob  zwischen  Hintersträngkernen  und  Hirnrinde  ununter¬ 
brochene  Bahnen  bestehen  oder  nicht.  Probst  hat,  um  die  Schleifen¬ 
schichte  in  ihrem  ganzen  Umfange  zur  Degeneration  zu  bringen, 
dieselbe  in  verschiedenen  Höhen  sammt  ihrer  Umgebung  bei  Hunden 
und  Katzen  durchschnitten.  Alle  Versuche  ergeben  dasselbe  Resultat, 
dass  nämlich  alle  Fasern  der  medialen  Schleife  im  Sehhügel  endigen. 
Die  weiteren  Versuche  betreffen  den  Verlauf  und  die  Endigung 
einiger  Haubenbündel  (Haubenstrahlung),  die  Fasern  des  dorsalen 
Längsbündels  und  die  hintere  Gommissur.  —  (Archiv  für  Psychiatrie. 
Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

359.  G.  Klemperer  berichtete  in  der  Sitzung  der  Berliner 
medicinischen  Gesellschaft  vom  23.  Mai  d.  J.  über  die  Behand¬ 
lung  der  Basedo  w’s  c  h  e  n  Krankheit.  Er  hält  dieselbe 
nicht  für  ins  chirurgische  Gebiet  gehörig,  zumal  viele  Fälle  einer 
internen  Therapie  sehr  wohl  zugänglich  sind.  Seine  Behandlung 
bestand  in  Ruhe,  Mastcur,  Faradisation  des  Sympathicus  und  Hydro¬ 
therapie,  ein  anderes  Mal  in  Verabreichung  von  Jodnatrium, 
Thyreoidin  durch  drei  Vierteljahre.  Ein  sehr  grosser  Werth  komme 
der  psychischen  Behandlung  zu.  Ewald  und  Oppenheim  ent- 
gegneten,  dass  sie  vom  Thyreoidin  nur  einen  schlechten  Erfolg 
gesehen  hätten.  In  einem  Falle  hat  Ewald  Oophorin  mit  Erfolg 
gegeben.  Senator  betont  gleich  Klemperer,  dass  dem 
psychischen  Moment  eine  grosse  Rolle  bei  der  Auslösung  des 
Morb.  Basedowii  zukomme;  er  habe  eine  Dame  gekannt,  die  über  Nacht 
an  Basedow  erkrankt  war,  als  sie  die  Nachricht  von  der  Ver¬ 
haftung  ihres  Mannes  erhielt.  Als  inneres  Mittel  habe  sich  ihm 

Arsenik  bewährt.  Ol. 

* 

360.  Ueber  die  menstruelle  Function  und  die 
Rolle  des  Arseniks  im  thierischen  Haushalte.  Von 
V.  G  a  u  t  i  e  r.  Während  das  normale  Menschen-  und  I  hierblut  kein 
Arsen  enthätt,  verhält  sich  dies  anders  während  der  Menstruation. 


886 


Nr.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Gautier  constatirte  nach  einem  Berichte  der  Academie  de  medecine 
in  Paris  im  Menstrual  blute  im  Mittel  0'28  vig  Arsenik.  Letzteres 
bildet  einen  wesentlichen  Bestandteil  einiger  specifischer  Prote'in- 
körper,  welche  durch  die  Schilddrüse  erzeugt  werden.  Durch  die 
letzteren  werden  die  Haut,  Haare,  Federn,  Nägel  u.  s.  w.  ernährt 
und  der  Ueberschuss  mit  dem  Menstrualblute  ausgeschieden.  Beim 
Manne  setzt  sich  das  Hervorbrechen  der  Nägel,  Haare,  Bartes  und 
die  Abschuppung  der  Oberhaut  fort,  vom  Standpunkte  der  Absorption 
und  Elimination  der  arsenikalen  Nucle'ine  dem  Menslrualverluste  beim 
Weibe  entsprechend.  Bei  den  Männchen  der  verschiedenen  Thier- 
gattung  beobachtet  man  ebenfalls  zur  Brunstzeit,  dass  die  Federn, 
Hörner,  Nägel  u.  s.  w.  ihre  stärkste  Entwicklung  bekommen.  Der 
Haarausfall  bei  schwangeren  Frauen  ist  ebenfalls  ein  Zeichen  der 
vitalen  Abschwächung  der  Haut,  deren  Nucle'ine  gegen  die  Placenta 
abgelenkt  sind.  Gewisse  Ekzeme  verschlimmern  sich  zur  Zeit  der 
Regel  und  in  der  Menopause.  Alle  diese  Thatsachen  beweisen,  dass 
diese  Nucleoprotei’ne  das  Leben  und  die  Umbildung  der  Gewebe  be¬ 
fördern.  Die  von  der  Schilddrüse  werden  zumeist  vom  Gehirne  und 
der  Haut  angezogen.  Arsenik  und  Jod,  von  der  Schilddrüse  ab- 
stammend,  scheiden  sich  aus  und  erzeugen  beim  Männchen  die  er¬ 
wähnten  Veränderungen  in  der  Haut  und  ihren  Anhängen,  während 
beim  Weibchen  der  Ueberschuss  der  phosphorreichen  Nucle'ine  von 
den  Geschlechtsorganen  zur  Entwicklung  des  Fötus  verwendet  oder 
mit  dem  Menstrualblute  ausgeschieden  wird.  Demnach  besteht  ein 
gewisser  Zusammenhang  zwischen  den  Geschlechtsorganen,  der 
Function  der  Schilddrüse  und  der  Abstossung  der  Haare  u.  s.  w. 
Bezüglich  des  Jodgehaltes  findet  man  eine  viermal  so  grosse 
Quantität  im  Menstrual-  im  Vergleiche  zum  Normalblute.  Gau  tier 
fand,  dass  zum  Beispiel  bei  den  frommen  Schwestern,  welche  sich  die 
Haare  abschneiden,  menstruale  Störungen  eintraten,  besonders  wenn 
die  Haare  zur  Zeit  der  Periode  geschnitten  wurden.  Fournier 
bemerkt,  dass  die  von  Gau  tier  bezüglich  der  Haut  gezogenen 
Schlüsse  den  Erfahrungen  der  Dermatologen  widersprechen.  So  hat 
zum  Beispiel  Arsenik  gar  keine  Wirkung  gegen  Prurigo  gestationis. 
Auch  hat  Fournier  niemals  von  irgend  einem  Medicamenle  eine 
Wirkung  bei  Ichthyosis  gesehen.  Demgegenüber  bemerkt  Gau  tier, 
dass  es  sich  bei  den  von  F  ournier  citirten  Fällen  um  m  i  n  e- 
ralisches  Arsenik  handelt,  während  in  seinen  Fällen  von 
organischem  Arsenik  die  Rede  ist.  —  (La  Semaine  Medicale. 
15.  August  1900,  Nr.  84.)  Sp. 

* 

30 1 .  Neue  Untersuchungen  über  den  Bacillus 
pyocyaneus  und  die  Gesetze  der  Farbstoffbildung. 
Von  Dr.  Noesske  (Leipzig).  Es  wird  der  Nachweis  geliefert,  dass 
bei  der  Farbstoffbildung  durch  den  genannten  Bacillus  Magnesium 
und  Schwefel  die  Hauptrolle  spielen,  für  welche  Stoffe  dem  Ba¬ 
cillus  pyocyaneus  und  auch  dem  prodigiosus  der  Charakter  eines 
sehr  empfindlichen  Reagens  zukommt.  Pyocyaneus  soll  zweierlei 
Farbstoffe  bilden,  einen  grün  fluorescirenden  und  einen  blauen,  das 
Pyocyanin,  welches  aus  einer  Leukobase  durch  Oxydation  ent¬ 
stehen  soll.  —  (Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LXI,  Heft  1.) 

Pi. 

* 

302.  Mechanik  der  Bewegungen  im  Schulter¬ 
gelenk  beim  Gesunden  und  bei  einem  Manne  mit 
doppelseitiger  Serratus-  und  einseitiger  Deltoi- 
deuslähmung  in  Folge  typhöser  Neuritis.  Von  Ober¬ 
arzt  Dr.  Th  öle.  Bei  einem  mit  Abdominaltyphus  im  Garnisons- 
lazarelh  zu  N.  behandelten  Musketier  traten  ziehende  Schmerzen  in 
der  Mitte  des  rechten  Oberarmes  entsprechend  dem  Ansätze  des 
Deltamuskels  bei  Bewegungen  des  Armes  und  rechter  Seitenlage 
auf,  welche  in  der  Ruhe  verschwanden.  Es  entwickelten  sich 
Störungen  in  der  Gebrauchsfähigkeit  des  rechten  Armes,  dessen 
Musculatur  —  besonders  der  Deltoideus  —  atrophirte.  Th  öle  be¬ 
schreibt  in  ausführlicher  Weise  den  Befund  an  beiden  Schulter- 
gelenken  bei  Ruhestellung,  bei  Seitwärtsheben  der  Arme  in  frontaler 
Ebene  und  beim  Erheben  der  Arme  nach  vorne  in  sagittalen  Ebenen. 
Aus  der  Beschreibung  des  Falles  ergibt  sich,  dass  gelähmte  wichtige 
Muskeln  durch  Uebung  allmälig  bis  zu  einem  gewissen  Masse  durch 
andere  ersetzt  werden.  In  dem  vorliegenden  Falle  machte  das  Fehlen 
des  linken  Serratus  nur  geringe  Störung;  jedoch  auch  rechts,  wo 
Serratus  und  Deltoideus  gelähmt  waren,  konnte  der  Arm  bis  über 


die  Horizontale  erhoben  werden.  —  (Archiv  für  Psychiatrie. 

Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

303.  Ueber  Producte  des  Organismus  der 
Pellagrakranken.  Von  Babes  und  Manicatide.  Es  ist 
erwiesen,  dass  die  Pellagra  durch  die  Wirkung  von  Giftstoffen  im 
alterirten  Mais  erzeugt  wird.  Wenn  man  nun  Meerschweinchen 
wässerige  oder  alkoholische  Extracte  von  erkranktem  Mais,  der  aus 
Gegenden  stammt,  wo  die  Pellagra  endemisch  ist,  einsprilzt,  so 
bieten  diese  Thiere  ähnliche  Symptome  wie  die  menschliche  Pellagra 
(Diarrhöen,  Darmblutungen,  Paralysen,  tetaniforme  Krämpfe).  Babes 
und  Manicatide  untersuchten  weiter,  ob  das  Blut  geheilter 
Pellagrakranker  nicht  antitoxische  Eigenschaften  gegen  das  Pellagra¬ 
gift  besitze.  Zu  diesem  Zwecke  haben  diese  Forscher  Mäusen  und 
Hasen  theils  reines  Extract  von  erkranktem  Mais,  theils  solches  ge¬ 
mischt  mit  normalem  menschlichem  Blutserum,  endlich  reines  Extract 
von  alterirtein  Mais  mit  Serum  geheilter  Pellagröser  gemischt,  ein¬ 
gespritzt.  Die  Thiere  der  zwei  ersten  Serien  sind  in  kurzer  Zeit  ge¬ 
storben  oder  rasch  kachektisch  geworden,  die  der  dritten  Serie  ge¬ 
sund  geblieben.  —  (La  Semaine  Medicale.  15.  August  1900,  Nr.  34.) 

Sp. 

* 

304.  Drei  Fälle  von  tödtlicher  parenchyma¬ 

töser  Magenblutung.  Von  Dr.  R  e  i  c  h  a  r  d  (Berlin).  Im  ersten 
Falle  war  die  Bltung  sechs  Tage  nach  einer  Gallenblasenoperation 
aufgetreten,  in  den  beiden  anderen  Fällen  waren  die  Blutungen  bei 
der  20,  beziehungsweise  34jährigen  Frau  die  Ursache  zur  Ueber- 
führung  ins  Spital  geworden.  In  keinem  dieser  Fälle  konnte  die 
Section  eine  Ursache  für  die  Blutungen  aufdecken.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  20.)  Pi. 


Erwiderung  zum  Aufsätze  in  Nr.  37  dieser 
Wochenschrift:  E.  Schiff  und  L.  Freund,  »Der 
gegenwärtige  Stand  der  Radiotherapie«. 

In  der  letzt  erschienenen  Nummer  (37)  der  „Wiener  klinischen 
Wochenschrift“  findet  sich  in  dem  Artikel:  „Der  gegenwärtige  Stand 
der  Radiotherapie“  von  dem  Herren  Docenten  Dr.  E.  Schiff  und 
Dr.  L.  Freund  in  Wien  ein  auf  meinen  am  5.  April  1.  J.  auf  dem 
II.  Congresse  der  Balnoologen  Oesterreichs  in  Uidze  (Sarajevo)  gehal¬ 
tenen  Vortrag  über  „Einfluss  des  Lichtes  auf  die  gesunde  und  kranke 
Haut“  bezugnehmende  Aeusserurig,  welche  durch  ihre  Unrichtigkeit 
und  die  in  ihr  enthaltene  Unterstellung,  dass  ich  mir  eine  Priorität, 
welche  den  beiden  Herren  gebühre,  mit  Unrecht  anmasse,  eine  Ent¬ 
gegnung  herausfordert. 

In  der  Einleitung  zu  diesem  Artikel  wird  nämlich  von  den 
beiden  Autoren  darüber  Klage  geführt,  dass  „verschiedene  Collegen 
der  historischen  Wahrheit  zum  Nachtheile  S  c  h  i  f  f’s  und  Preun  d’s 
nicht  die  gebührende  Ehre  erwiesen  hätten.  Wir  erwarten  von  unseren 
Collegen“,  so  heisst  es  dort  weiter,  „dieselbe  Gerechtigkeit,  die  wir 
ihren  Arbeiten  zu  Theil  werden  lassen.“  Und  als  einziges,  demnach 
gewiss  crassestes  Beispiel  für  diese  Behauptung  werde  ich,  respective 
folgender  Passus  meines  oben  citirten  Vortrages  angeführt:  „Noch 
bevor  irgend  Jemand  in  Wien  die  R  ö  n  t  g  e  n  -  Therapie  für  diese  Art 
von  Affectionen  (Sykosis,  Favus)  und  von  diesen  Principien  geleitet, 
angewendet  hatte,  bin  ich  öffentlich  für  die  Zweckmässigkeit 
derselben  gerade  auf  diesem  Gebiete  eingetreten“  (Wiener  medicinische 
Presse.  1900,  Nr.  21).  „Diese  Behauptung  des  Herrn  Dr.  U  1 1  m  a  n  n“, 
heisst  es  dann  weiter,  „beruht  auf  einem  Irrthum  oder  einer  Ver¬ 
wechslung,  denn  nicht  nur  gelegentlich  von  Demonstrationen 
in  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft,  in  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte,  im  Wiener  medicinischen  Doctorencollegium  haben  wir  auf 
diese,  nachdem  die  Epilation  doch  festgestellt  war,  eigentlich  selbst¬ 
verständliche  Indication  hingewiesen,  wir  haben  sie  sogar  in  unseren 
Arbeiten  (Wiener  medicinische  Presse.  1897,  Nr.  19  ;  Internationaler 
medicinücher  Congress.  Moskau  1897;  siehe:  Zarubin  etc.  etc.)  aus¬ 
drücklich  präcisirt.“ 

Die  beiden  Herren  haben  es  aber,  obwohl  sie  angeben,  ihren 
Collegen  stets  Gerechtigkeit  widerfahren  zu  lassen,  dabei  merkwürdiger 
Weise  dennoch  unterlassen,  jenes  hier  einzig  und  allein  massgebende 
und  ihnen  doch  wohl  bekannte  Datum  anzugeben,  an  welchem  ich 
zum  ersten  Male  und  in  ausführlicher  Weise  über  diese  Art  für 
die  Röntgen-  Therapie  öffentlich  gesprochen  habe.  Es  geschah  dies 
nämlich  in  der  wissenschaftlichen  Sitzung  am  8.  Februar  1899  des 
Wiener  medicinischen  Doctor eneollegiums  (Vorsitzender  Dr.  Hermann 
T  e  1  e  k  y)  und  zwar  gelegentlich  einer  Discussion  im  Anschlüsse  an 


Nr.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


887 


den  Vortrag  des  kaiserlichen  Käthes  Dr.  S.  Ivohn:  „Ueber  Fort¬ 
schritte  in  der  Dermatotherapie“. 

Damals  ergriff  ich  die  Gelegenheit,  um  meine  Stellung  zur 
Röntgen-  Therapie  genauer  zu  präcisiren,  über  die  ich  bereits  damals 
zwei  Jahre  lang  reichliche  praktische  Erfahrungen  gesammelt  hatte. 
Ich  bemerkte  dabei  ausdrücklich,  dass  ich  das  Gebiet  der  Indication 
der  R  ö  n  t  g  e  n -Therapie  wohl  für  lupöse  Affectionen  zur  Zeit  für 
zu  weit  gehend  halte,  insoferne  diese  in  Bezug  auf  die  radicals  Heilung 
gegenüber  guten  Operationsmethoden  mir  nicht  verlässlich  genug 
erscheine,  dass  hingegen  das  Ilauptgebiet  der  Indication  dieser 
damals  noch  neuen  Art  von  Therapie  in  der  Epilation,  und 
zwar  hier  auch  wieder  nur  bei  solchen  Affectionen  zu  suchen  sei, 
wo  ein  mit  unseren  bisherigen  Mitteln  und  Methoden  schwer  oder 
gänzlich  unheilbarer  Process  vorliege,  wie  dies  z.  B.  ganz  speciell 
bei  Favus  oder  Sycosis  vulgaris  der  Fall  sei.  Ich  hatte 
dabei  bereits  Fälle  von  Favus  im  Sinne,  die  ich  meinem  ehemaligen 
Schüler,  Herrn  Dr.  M.  Neumann,  der  sich  ausschliesslich  mit 
Röntgen-  Therapie  befasst,  zur  Behandlung  übergeben  hatte. 

Bei  dieser  Sitzung  war  nun  aber  auch  Herr  Dr.  L  Freund 
selbst  persönlich  anwesend,  der  unmittelbar  nach  mir  das  Wort  ergriff 
und,  der  Richtigkeit  dieser  Anschauung  beipflichtend,  allerdings  sofort 
darauf  hinwies,  dass  er  selbst  bereits  im  Jahre  1897  die  Möglichkeit 
der  Verwerthung  der  R  ö  n  t  g  e  n  •  Strahlen  für  Erkrankungen  dieser 
Art  ins  Auge  gefasst  und  in  seiner  Arbeit  (Wiener  medicinische 
Wochenschrift.  1897,  Nr.  19)  auch  erwähnt  habe. 

Jedoch  erst  am  10.,  respective  am  12.  Mai  1899,  d.  i.  ungefähr 
drei  Monate  nach  dieser  öffentlichen  Discussion,  demonstrate 
L.  F  r  eun  d,  respective  Schiff  und  Freund  in  der  Sitzung  der 
Wiener  dermatologischen  Gesellschaft  und  der  Gesellschaft  der  Aerzte 
(siehe:  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  pag.  551  und  642),  bei 
der  ich  selbst  nicht  anwesend  war,  die  ersten  von  ihnen  in  dieser 
Art  behandelten  Fälle.  Alle  übrigen  öffentlichen  Demonstrationen,  auf 
die  Schiff  und  Freund  summarisch  hinweisen  (vgl.  oben)  und 
die  sich  auch  zugleich  auf  Kranke  solcher  Art  beziehen,  fanden 
später  statt,  wohl  ein  Beweis  dafür,  dass  sie  vor  dieser  Zeit  der¬ 
artige  Erkrankungen  noch  nicht  in  Behandlung  genommen  hatten,  was 
übrigens  hier  nebensächlich  ist  und  nicht  in  Frage  kommt. 

Es  ist  demnach  klar,  dass  die  Anwendung  und  praktische  Aus¬ 
führung  dieser  Methode  von  Freund  drei  Monate  später 
öffentlich  documentirt  wurde,  als  ich  ihr  öffent¬ 
lich  das  eindringlichste  Wort  geredet  hatte,  und 
dass  ich  dementsprechend  zu  dem  obigen  Ausspruche  volle  Berech¬ 
tigung  hatte. 

Die  Erwähnung  dieser  notorisch  festgestellten  Thatsache  in 
meinem  obcitirten  Vortrage  wird  nun  von  den  Herren  Schiff  und 
Freund  durch  die  oben  erwähnte  Einleitung  ihres  Aufsatzes  als  ein 
Versuch  meinerseits  dargestellt,  mir  auch  die  Priorität  des  Gedankens, 
der  Idee  zu  dieser  Therapie  widerrechtlichtlich  aneignen  zu  wollen, 
eine  Absicht,  die  mir  vollkommen  ferne  lag  und  für  die  auch  kein 
Substrat  vorhanden  ist. 

Durch  die  Unterlassung  eines  Citates  jener,  wohl  beiden  Herren, 
jedenfalls  aber  dem  Herrn  Dr.  Freund  bekannt  und  in  Erinnerung 
gebliebenen  Discussion  vom  8.  Februar  1899  erfährt  die  Sache  natür¬ 
lich  einen  völlig  anderen  Charakter,  insoferne  mein  Ausspruch  am 
5.  April  ohne  Beziehung  auf  die  um  1  x/4  Jahre  vorausgegangene  öffent¬ 
liche  Discussion  eine  förmlich  beabsichtigte  Unwahrheit  involvirt  hätte, 
was  die  Herren  allerdings  vorsichtig  als  Unrichtigkeit  oder  Verwechs¬ 
lung  bezeichnen. 

Eine  ähnliche  Art  von  Gerechtigkeit,  wie  sie  die  Autoren  durch 
Ignorirung,  respective  Weglassung  des  einzig  hier  massgebenden  Citates 
bekunden,  beweisen  dieselben  auch  in  der  wenig  freundlichen,  aller¬ 
dings  etwas  subjectiven  Erwähnung  meines  Vortrages,  welchen  sie 
einen  compilirten  nennen,,  ohne  davon  Kenntniss  zu  nehmen,  dass  der¬ 
selbe  von  zahlreichen  Demonstrationen  von  Photographien  von  vor 
und  nach  der  Behandlung  aufgenommenen  (mit  Lupus  vulgaris, 
Impetigines,  Ekzem,  Acne  vulgaris,  Favus,  Sycosis  vulgaris  und 
Sycosis  parasitaria  behafteten  Kranken  gefolgt  war,  die  ich  im 
Vereine  mit  einigen  Collegen  und  sozusagen  unter  mehrfacher  Controle 
des  Erfolges  behandelt  habe,  eine  Thatsache  die  ich  in  dem  Vortrage 
ganz  speciell  hervorgehoben  habe. 

Es  scheint  demnach,  dass  die  beiden  Herren  derartige  nicht  mit 
eigenen  Apparaten  sondern  im  Vereine  mit  anderen  Collegen  durch¬ 
geführte  Beobachtungen  nicht  für  ausreichend  und  wissenschaftlich 
genug  halten,  um  dadurch  zu  selbstständigen  Deductionen  zu  gelangen, 
sondern  dass  sie  dies  blos  für  Fälle  aus  eigenen  Lichtinstituten  an¬ 
nehmen. 

Ausserdem  imputiren  die  beiden  Autoren  meinem  Vortrage, 
ganz  im  Gegensätze  zu  seiner  Intention  und  ohne  dafür  einen  Grund 
zu  haben,  dass  derselbe  auch  noch  den  Anspruch  erhebe,  das  ärzt¬ 
liche  Publicum  über  diesen  Gegenstand  „erschöpfend“  zu  informiren. 


Ob  wohl  unter  solcher  Art  unmotivirt  herbeigezogener  Polemik 
die  eigenen  Verdienste  höher  erscheinen,  die  Sache  selbst  gefördert 
wird,  muss  wohl  bezweifelt  werden. 

Wien,  am  17.  September  1900. 

Privatdocent  Dr.  Karl  Uli  mann. 


Antwort  auf  vorstehende  Erwiderung. 

Die  Discussion  in  der  wissenschaftlichen  Versammlung  des 
Wiener  medicinischen  Doctorencollegiums  vom  6.  Februar  1899,  dem 
„einzig  und  allein  hier  massgebenden  Datu  m“,  wie 
Herr  Docent  Dr.  U  1 1  m  a  n  n  behauptet,  nahm  nach  den  beiden  vor¬ 
liegenden  Referaten  folgenden  Verlauf: 

„Herr  C.  Ullmann  meint,  dass  bei  der  Röntgen-Epilation 
die  Haarfollikel  nicht  zerstört  werden,  da  oft  die  Haare  wieder  nach¬ 
wachsen.  Bisher  wird  die  Röntgen-Therapie  hauptsächlich  nur  bei 
Lupus  und  Hypertrichosis  angewendet. 

Hinsichtlich  des  ersteren  ist  zu  bemerken,  dass  die  Erfolge 
gerade  in  solchen  Fällen  hinter  der  Erwartung  Zurückbleiben,  welche 
chirurgisch  nicht  behandelt  werden  können,  wie  z.  B.  beim  Ueber- 
greifen  des  Lupus  auf  die  Schleimhäute.  Bezüglich  der  Wirkung  der 
Röntgen-  Strahlen  bei  der  Epilation  ist  zur  Zeit  noch  kein  ab¬ 
schliessendes  Urtheil  möglich.“ 

„L.  Freund  ..  .  empfiehlt  nochmals  nachdrücklichst  die  Radio¬ 
therapie  zur  Behandlung  des  Favus  und  der  Sykosis,  wo  neben  der  temporären 
Epilation  die  bactericide  Wirkung  der  X-Strahlen  gewiss  gute  Dienste 
leisten  werde“  (Klinisch-therapeutische  Wochenschrift.  1899,  pag.  215). 

In  demselben  Sinne  lautet  das  Referat  in  den  Wiener  medicini¬ 
schen  Blättern.  1899,  Nr.  6,  pag.  134. 

Aus  dieser  Discussion  war  durchaus  nicht  zu  ersehen,  dass  Herr 
Ullmann  schon  zu  jener  Zeit  an  eine  therapeutische  Verwendung 
der  Röntgen-  Bestrahlung  bei  Sykosis  und  Favus  dachte,  noch 
weniger,  dass  er  diesbezügliche  Erfolge  bereits  sowohl  seinerseits  als 
auch  seitens  seines  Schülers  Herrn  Dr.  Neumann  constatirt  habe. 
Vielmehr  Hessen  ihn  seine  damaligen  Aeusserungen  als  entschiedenen 
Gegner  der  Radiotherapie  erscheinen. 

Mit  Vergnügen  nehmen  wir  daher  zur  Kenntniss,  dass  Herr 
Ullmann  schon  zu  jener  Zeit  im  Stillen  so  verdienstvoll  für  den 
Ausbau  der  neuen  Methode  wirkte,  und  dies  umsomehr,  als  er  in  der 
vorstehenden  Erwiderung  nunmehr  auch  selbst  erklärt,  dass  der  Ge¬ 
danke,  die  Idee  zu  dieser  Therapie  nicht  von  ihm  herrühre,  wie 
jener  oben  citirte  Passus  uns  glauben  machte,  sondern  von  Freund 
und  dann  von  Freund  und  Schiff  schon  früher  geäussert  wurde. 
Bedauerlich  ist  es  nur,  dass  Herr  Ullmann  bisher  weder  in  irgend 
einer  Originalarbeit,  noch  in  irgend  einer  der  zahlreichen  Discussionen, 
welche  über  diesen  Gegenstand  stattfanden,  die  Gelegenheit  wahrnahm, 
seine  einschlägigen  Erfahrungen  öffentlich  mitzutheilen,  sondern  erst 
in  seinem  Vortrage  vom  5.  April  1900,  das  ist  um  elf  Monate 
später,  nachdem  wir  die  geheilten  Sykosisfälle  in 
der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft  vor¬ 
gestellt  hatten. 

Eine  „Unterstellung“  (welchen  Ausdruck  wir  entschieden  zurück- 
weisen)  hat  also  nicht  stattgefunden,  vielmehr  waren  wir  zu  der,  wie 
Herr  Ullmann  selbst  constatirt,  „vorsichtigen“  Behauptung,  „es 
liege  ein  Irrthum  oder  eine  Verwechslung  vor“,  vollauf  berechtigt.. 

Auch  die  weiteren  Bemerkungen  des  Herrn  Docenten  Dr.  Ull¬ 
mann  nochmals  einzugehen,  halten  wir  für  überflüssig. 

Wien,  20.  September  1900. 

E.  Schiff.  L.  Freund. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Verliehen:  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Karl  Hochsiuger 
in  Wien  das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef  Ordens. 

Habilitirt:  Dr.  I  n  g  i  a  n  n  i  für  chirurgische  Pathologie  in 
Genua,  Dr.  Guido  ne  für  Chirurgie  in  Neapel,  Dr.  Lodato  für 
Augenheilkunde  in  Palermo,  Dr.  Pitzorno  für  Anatomie  in  Parma. 

-* 

Die  in  der  vergangenen  Woche,  in  Aachen  abgehaltene 
Aerzte-  und  Natur  for  scher  Versammlung  war  von  über 
800  Mitgliedern  besucht.  Nach  den  üblichen  Begrüssungen  war  die 
erste  allgemeine  Sitzung  ausschliesslich  historischen  Rückblicken  ge¬ 
widmet,  die  schon  in  der  einleitenden  Rede  v.  L  e  u  b  e’s  zum  Aus¬ 
druck  kamen.  Die  Vorträge  von  van  t’  II  o  f  f,  H  e  r  t  w  i  g,  N  a  u  n  y  n 
und  Chiari  behan leiten  die  Entwicklung  der  von  ihnen  vertretenen 
Fächer  im  XIX.  Jahrhundert.  Die  nächste  Versammlung  findet  in 
Hamburg  statt.  (Bericht  siehe  pag.  889.) 

* 


888 


Nr.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Verordnung  des  Ministers  für  Cultus  und 
Unterricht  im  Einvernehmen  mit  dem  Ministerium 
des  Innern  vom  3.  September  1900,  betreffend  die  Zu¬ 
lassung  von  Frauen  zu  den  medicinisehen  Studien 
und  zum  Doctorate  der  gesammten  Heilkunde.  Auf 
Grund  Allerhöchster  Ermächtigung  vom  31.  August  1900  wird  im 
Einvernehmen  mit  dem  Ministerium  des  Innern  in  Betreff  der  Zulassung 
von  Frauen  zu  den  medicinisehen  Studien  und  zum  Doctorate  der 
gesammten  Heilkunde  an  den  inländischen  Universitäten  Nach¬ 
stehendes  angeordnet:  §1.  Den  Decanen  der  medicinisehen  Facultäten 
der  Universitäten  wird  es  vorbehaltlich  der  Zustimmung  des  Professoren- 
Collegiums  gestattet,  Frauen,  welche  die  im  Nachstehenden  bezeichneten 
Bedingungen  erfüllen,  über  ihr  schriftliches  und  ordnungsmässig 
belegtes  Ansuchen  zur  Immatriculation  als  ordentliche  Hörerinnen 
der  medicinisehen  Facultät  zuzulassen.  Im  Falle  der  Nichtzulassung 
steht  der  Aufnahmswerberin  der  Recurs  an  den  Minister  für  Cultus 
und  Unterricht  offen.  §  2.  Als  Bedingungen  zur  Aufnahme  haben  zu 
gelten:  1.  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  2.  die  erfolgreiche 
Ablegung  der  in  der  hierortigen  Ministerialverordnung  vom  9.  März 
1896,  M.  V.  Bl.  Nr.  18,  näher  bezeichneten  Prüfung  (Reifeprüfung) 
an  einem  öffentlichen  inländischen  oder  vom  Minister  für  Cultus  und 
Unterricht  für  gleich werthig  erkannten  ausländischen  Gymnasium; 
auch  im  letzteren  Falle  muss  die  Reifeprüfung  frühestens  im  Laufe  des 
18.  Lebensjahres  abgelegt  worden  sein.  §  3.  Die  hinsichtlich  der 
Immatriculation,  sowie  der  Inscription  ordentlicher  Hörer  geltenden 
Vorschriften  haben  auch  auf  die  Hörerinnen  Anwendung  zu  finden. 
§  4.  Soferne  diese  immatriculirten  Frauen  auf  Grund  ihrer  Studien 
die  Erwerbung  des  Doctorgrades  der  gesammten  Heilkunde  an¬ 
streben,  haben  sie  behufs  Erlangung  des  Absolutoriums  den  vor¬ 
geschriebenen  Studiengang  einzuhalten.  Ausnahmsweise  können  hiebei 
in  derselben  Weise,  wie  bei  Studirenden  einzelne  Vorlesungen  oder 
Semester,  welche  Frauen  an  in-  oder  ausländischen  Facultäten 
besucht  haben,  vom  Minister  für  Cultus  und  Unterricht  nach  An¬ 
hörung  des  Professoren  Collegiums  angerechnet  werden.  §  5.  Behufs 
Erwerbung  dos  Doctordiploms  und  der  damit  verbundenen  Berechtigung 
zur  Ausübung  sämmtlicher  Zweige  der  ärztlichen  Praxis  nach  Mass- 
gabe  der  diesfalls  erlassenen  besonderen  Bestimmungen  haben  sich  die 
Candidatinnen  unter  Beibringung  der  vorgeschriebenen  Belege  den 
strengen  Prüfungen  nach  der  geltenden  medicinisehen  Rigorosenordnung 
zu  unterziehen.  §  6.  Die  hierortige  Ministerialverordnung  vom  19.  März 
1896,  Nr.  45  R.  G.  BL,  betreffend  die  Nostrification  der  von 
Frauen  im  Auslande  erworbenen  medicinisehen  Doctordiplome,  wird 
durch  diese  Verordnung  nicht  berührt.  §  7.  Diese  Verordnung  tritt 
mit  dem  Studienjahr  1900/1901  in  Kraft.  H  artel  m.  p. 

* 

VerordnungdesMinisterpräsidentenalsLeiters 
des  Ministeriums  des  Innern,  sowie  des  Ministers 
für  Cultus  und  Unterricht  vom  3.  September  1 900,  be¬ 
treffend  die  Zulassung  von  Frauen  zum  pharmaceutischen 
Berufe.  Auf  Grund  Allerhöchster  Ermächtigung  vom  31.  August 
1900  wird  von  den  Ministerien  des  Innern  und  für  Cultus  und  Unter¬ 
richt  in  Betreff  der  Zulassung  von  Frauen  zum  pharmaceutischen 
Berufe  Nachstehendes  angeordnet:  §  1.  Frauen  können  unter  den  im 
Nachstehenden  aufgestellten  Bedingungen  zur  Ausübung  des  pharma¬ 
ceutischen  Berufes  zugelassen  werden.  §  2.  Als  allgemeine  Voraus¬ 
setzungen  für  den  Eintiitt  von  Frauen  in  diesen  Beruf  haben  zu 
gelten  :  1.  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  2.  der  Nachweis, 
dass  die  Aufnahmswerberin  zur  Zeit  ihres  Eintrittes  in  den  pharma¬ 
ceutischen  Beruf  mindestens  das  16.  Lebensjahr  vollendet  hat,  und 
3.  dass  sie  laut  eines  beizubringenden,  vom  Amtsärzte  der  politischen 
Behörde  des  Wohnortes  ausgestellten  oder  eines  von  diesem  bestätigten 
ärztlichen  Zeugnisses  die  entsprechende  physische  Eignung  besitzt. 
$  3.  Rücksichtlich  der  Vorbildung  ist  für  die  Aufnahme  von  Frauen 
in  den  phai maceutisclien  Beruf  erforderlich:  a )  der  Nachweis,  dass 
die  Aufnahmswerberin  die  ersten  sechs  Classen  eines  öffentlichen  in¬ 
ländischen  Gymnasiums  oder  einer  solchen  Realschule  als  Privatistin 
mit  Erfolg  absolvirt  hat;  fallweise  können  die  an  einer  solchen  Anstalt 
des  Auslandes  zurückgelegten  Studien  vom  Minister  für  Cultus  und 
Unterricht  im  Einvernehmen  mit  dem  Ministerium  des  Innern  als  giltig 
anerkannt  werden;  oder  b)  die  erfolgreiche  Ablegung  einer  Prüfung 
im  Ausmasse  der  Forderungen  der  ersten  sechs  Classen  eines  Gym¬ 
nasiums  oder  einer  Realschule,  und  zwar  an  einem  öffentlichen  in¬ 
ländischen  oder  vom  Minister  für  Cultus  und  Unterricht  im  Ein¬ 
vernehmen  mit  dem  Ministerium  des  Innern  für  gleiehw’erthig  erkannten 
ausländischen  Gymnasium,  beziehungsweise  einer  Realschule.  Wenn 
in  diesen  beiden  Fällen  Realschulzeugnisse  beigebracht  werden,  so  ist 
auch  eine  an  einem  öffentlichen  Gymnasium  mit  Erfolg  abgelegte 
Prüfung  aus  der  lateinischen  Sprache  im  Umfange  der  Anforderungen 
für  die  ersten  sechs  Gymnasialclassen  auszuweisen.  Die  Einrichtung 
dieser  besonderen  Prüfungen  wird  durch  eine  besondere  Verordnung 
bestimmt  werden.  §  4.  Auf  Grund  der  in  den  §§  2  und  3  angeführten 


Belege  kann  die  Aufnahmswerberin  mit  Zustimmung  des  betreffenden 
Apotheken-Filial-  und  Hauptgremiums,  beziehungsweise  in  Tirol,  Vorarl¬ 
berg  und  Dalmatien  mit  Zustimmung  der  politischen  Landesbehörde  in 
die  Apothekerlehre  eintreten.  §  5.  Vorbehaltlich  der  für  die  Ausübung 
des  Apothekendienstes  durch  Pharmaceutinnen  erlassenen  besonderen 
Bestimmungen  finden  auf  dieselben  alle,  die  Apothekerlehre  und  die 
Tirocinalprüfung,  das  pharmaceutische  Universitätsstudium  und  die 
Prüfungen  zum  Magisterdiplom  geltenden  allgemeinen  Vorschriften 
gleichmässige  Anwendung.  §  6.  Das  nach  Absolvirung  des  pharma¬ 
ceutischen  Universitätsstudiums  und  nach  Ablegung  der  vor¬ 
geschriebenen  Prüfungen  erworbene  Magisterdiplom  berechtigt  die 
Inhaberin,  sich  im  Apothekendienste  als  diplomirter  pharmaceutischer 
Assistent  zu  verwenden.  Zur  Erlangung  der  Berechtigung  zur 
selbstständigen  Leitung  einer  öffentlichen  Apotheke  ist  ausser  der 
Zurücklegung  des  vorgeschriebenen  Quinquenniums  die  besondere 
Bewilligung  des  Ministeriums  des  Innern  erforderlich.  §  7.  Diese 
Verordnung  tritt  mit  dem  1.  October  1900  in  Kraft,  wonach  die 
Aufnahme  von  Assistentinnen  in  die  pharmaceutischen  Universitäts¬ 
studien  frühestens  mit  dem  Studienjahre  1903/1904  stattzufinden  hat. 
Koerber  m.  p.  —  Hartei  m.  p. 

* 

Auf  dem  am  13.,  14.  und  15.  September  abgehaltenen  diesjährigen 
Ophthalmologen-Congress  wurde  der  ,, Welz-Preis“  für  die  beste  in  den 
letzten  drei  Jahren  in  „v.  Gräfes  Archiv  für  Ophthalmologie“  erschie¬ 
nene  Arbeit  einstimmig  Bernheimer  (Innsbruck)  und  Hess  (Würz¬ 
burg)  zuerkannt,  Ersterem  für  seine  Arbeit  über  die  Ursprungsfasern 
der  Augenmuskelnerven,  Letzterem  für  eine  Reihe  von  Arbeiten  über 
Accommodation.  Den  Sitzungen  präsidirten  Fuchs  (Wien),  Schmid- 
R  i  m  p  1  e  r  (Göttingen),  S  w  a  n  z  y  (Dublin),  Bernheimer  (Inns¬ 
bruck).  Von  österreichischen  Ophthalmologen  hielten  Vorträge:  Bern¬ 
heimer  (Ueber  die  Lage  des  Sphinkterencentrums),  E  1  s  c  h  n  i  g 
(Ueber  Conus  nach  unten  und  Kolobom  am  Sehnerveneintritt),  Fuchs 
(Ueber  Aderhautablösung  und  Demonstrationen  vom  ersten  Stadium 
eines  Aderhautsarkoms),  Hanke  (Ueber  das  rudimentäre  Auge  der 
europäischen  Blindmaus),  v.  R  e  u  s  s  (Ueber  Ermüdungs-Gesichtsfelder), 
Winter  steiner  (Ueber  Iriscysten). 

* 

Die  in  N  o  t  h  n  a  g  e  l’s  Handbuch  erschienene  Bearbeitung  der 
Krankheiten  der  Prostata  von  Prof.  v.  Frisch  ist,  von  B  i  d  1  o  t  und 
Renard-Dethy  übersetzt,  in  französischer  Sprache  (mit  Vorwort  von 
Verhoogen)  in  Lüttich  erschienen. 

* 

Med.  Dr.  Leopold  Freund  wohnt:  VII.,  Kirchen¬ 
gasse  19. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  St. a  dt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  36.  Jahreswoche  (vom  2.  September 
bis  8.  September  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  647,  unehelich  261,  zusammen 
908.  Todt  geboren:  ehelich  40,  unehelich  20,  zusammen  60.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  531  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
16'7  Todesfälle),  darunter  an  Tubereulose  81,  Blattern  0,  Masern  3, 
Scharlach  5,  Diphtherie  und  Croup  4,  Pertussis  1,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exantbematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  33.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
9  (=),  Masern  57  (=),  Scharlach  30  (-)-  11),  Typhus  abdominalis 

7  ( —  8),  Typbus  exantbematicus  0  (=),  Erysipel  18  (—  8),  Croup  und 
Diphtherie  37  (-|- 25),  Pertussis  23  ( —  3),  Dysenterie  1  (-f-  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  3  (-f-  2),  Trachom  3  (-f-  1),  Influenza  0  (=). 

Freie  Stellen. 

Hausarztesstelle  in  der  Männer-Strafaustalt  zu  Mürau, 
Mähren,  mit  dem  Range  und  den  Bezügen  der  IX.  Rangsclasse,  Genuss  einer 
Naturalwohnung  und  eines  Deputatsrelutums  von  240  K.  Bewerber  haben  das 
Doctorat  der  Medicin  und  Chirurgie,  ihre  allfälligen  sonstigen  Befähigungen, 
die  Kenntnis  beider  Landessprachen  sowie  ihre  bisherige  praktische  Ver¬ 
wendung  nachzuweisen  und  ihre  gehörig  belegten  Gesuche  bis  30.  Sep¬ 
tember  d.  J.  bei  der  k.  k.  mährisch-schlesischen  Oberstaatsanwaltschaft  in 
Brünn  einzureichen.  Die  Gesuche  jener  Bewerber,  welche  bereits  im 
öffentlichen  Dienste  stehen,  sind  im  Wege  der  betreffenden  Vorgesetzten 
Behörde  einzubringen. 

Districtsarztesstelle  in  Karlsberg  im  politischen  Bezirke  Stern¬ 
berg,  Mähren.  Der  District  umfasst  die  Gemeinden  Karlsberg,  Neurode, 
Rautenberg,  Tillendoif,  Kriegsdorf  und  Mähriscb-Kotzendorf  mit  circa 
4000  Einwohnern  durchwegs  deutscher  Nationalität.  Im  Districte  befindet 
sich  die  Maschinenfabrik  Messendorf,  und  das  Kupferhammer-  und 
Walzwerk  in  Neurode.  Fixe  Jahresbezüge:  vom  Districte  832 K,  dann 
320  K  Fabrpauschale,  von  den  zwei  Betriebskrankencassen  668  K.  Aussicht 
auf  lohnende  Privatpraxis  in  der  ärztearmen  Umgebung.  Hausapotheke. 
Bewerber  haben  ihre  mit  dem  Nachweise  des  Alters,  der  österreichischen 
Staatsbürgerschaft,  der  sittlichen  Unbescholtenheit,  der  bisherigen  Ver¬ 
wendung  und  der  von  einem  Staatsarzte  bestätigten  physischen  Eignung 
belegten  Gesuche  bis  20.  October  d.  J.  an  den  Obmann  der  Sanitäts 
Delegirtenversammlung,  Johann  Hauptfleisch  in  Karlsberg,  einzusenden, 
welcher  auch  weiter  gewünschte  Auskünfte  ertheilt. 


Nr.  539 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


889 


IISrilALjT : 


79  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900.  18.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 

‘  Sitzung  am  17.  September.  I  19OO0  (Fortsetzung.) 


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72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte. 

Aachen  1900. 

Abtheilung  für  innere  M  e  d  i  c  i  n  und  Pharmako¬ 
logie. 

Referent:  Dr.  Comely  (Aachen). 

I.  Sitzung  am  17.  September,  Nachmittags  4  Uhr. 

Nachdem  der  Einführende,  Prof.  Wesener,  die  Erschienenen 
begrüsst  hatte,  übernahm  Geheimrath  Naunyn  (Strassburg)  den 
Vorsitz. 

Den  ersten  Vortrag  hielt  Brauer  (Heidelberg):  Ueber 
pathologische  Veränderungen  der  Galle. 

Schon  früher  hatte  man  aus  der  Galle  von  Leichen  Rückschlüsse 
gemacht  auf  pathologische  Veränderungen  der  Leber;  doch  waren 
diese  Untersuchungen  ohne  Werth.  Erst  seit  man  durch  chirurgische 
'  Eingriffe  (Anlegen  von  Gallenfisteln  u.  s.  w.)  an  lebenden  Objecten 
Galle  erhielt,  kam  man  in  die  Lage,  in  die  Function  der  Leber  Ein¬ 
blick  zu  gewinnen.  So  fand  man,  dass  nach  Zuckerstich  die  Galle 
dünnflüssiger  und  zuckerhaltig  wurde.  Bei  Phosphorvergiftung  ergab 
sich  als  Zeichen  der  eingetretenen  Leberreizung  eine  vermehrte  Gallen¬ 
absonderung  ;  dasselbe  zeigt  sich  bei  Darreichen  von  Gallensäuren. 
Dem  Redner  gelang  es  nicht,  Zucker  in  der  normalen  Galle  nachzu¬ 
weisen;  auch  fand  sich  kein  Zucker  in  der  Galle  bei  alimentäier 
Glykosurie  mit  bis  zu  4%  Zucker  im  Harne.  Dagegen  war  Zucker  in 
der  Galle  nachzuweisen  nach  Zuckerstich  (N  au  ny  n)  und  bei 
Diabetes  mellitus,  bei  Pankreas-Erkrankungen  und  -Exstirpationen. 
Auch  ist  es  gelungen,  bei  bestimmten  Parenchymänderungen  der 
Leber  in  der  Galle  Bestandtheile  dieses  Parenchyms  (Zellen)  nachzu¬ 
weisen.  So  wirkt  bei  Alkoholintoxication  der  Alkohol  direct  schädigend 
auf  das  Leberparenchym  und  in  der  Galle  lassen  sich  Epithelzellen 
der  Gallengänge  nachweisen. 

II.  J.  F.  Hey  mans  (Gent):  Ueber  Entgiftung. 

Unter  Entgiftung  hat  man  zu  verstehen  nicht  nur  Hemmung 

der  Wirkung  eines  Giftes  im  Körper,  sondern  auch  das  Rückgängig¬ 
machen  der  schon  eingetretenen  Vergiftungssymptome.  Wie  wirken 
nun  Gegengifte  auf  das  Gift?  Eisenoxydhydrat  (im  Antidotum  arsenici 
der  Apotheken)  hat  auf  das  schon  vom  Körper  resorbirte  Arsenik 
selbst  keinen  Einfluss,  dagegen  neutralisirt  es  das  im  Magen-Darm¬ 
canal  sich  noch  befindende  Gift.  Ein  Antitoxin  hat  auf  die  im  Blute 
kreisenden  Toxine  selbst  keine  Wirkung,  sondern  schützt  die  Zellen 
nur  vor  einer  weiteren  schädlichen  Wirkung  der  Toxine,  hat  also  nur 
eine  präventive  Wirkung.  Eclatanter  ist  die  entgiftende  Wirkung  des 
Natriumhyposulfites  bei  Vergiftungen  mit  Cyanverbindungen.  V  enn 
man  einem  mit  Natriumhyposulfit  gesättigten  Organismus  eine  tödtliche 
Dosis  Cyankalium  beibringt,  so  erkrankt  derselbe  nicht,  weil  wie 
Lang  zuerst  bewiesen  hat,  das  Cyan  in  Schwefelcyan  (CNS)  um¬ 
gewandelt  wird.  Da  das  Natriumhyposulfit  im  Blute  kreist  (es 
scheidet  sich  als  solches  theilweise  im  Harne  aus),  so  muss  man.  an¬ 
nehmen,  dass  freies,  noch  nicht  wirkendes  CN  durch  das  Natrium¬ 
hyposulfid  im  Blute,  vielleicht  auch  in  den  Zellsäften  —  wie  bei  den 
Versuchen  in  vitro  —  zu  CNS  gebunden  wird.  Dieses  ist  aber  beim 
Kaninchen  lOOmal  weniger  giftig  wie  CN.  Aehnlich  wirken  die 
Mercaptane  und  die  Schwermetallverbindungen  den  Cyanverbindungen 
gegenüber,  wie  auch  die  Alkaliverbindungen  den  methämoglobin- 
bildenden  Giften  (Anilin,  Antifebrin,  Nitrite,  Kalium  chloricum) 
gegenüber. 

III.  Dreser  (Elberfeld) :  Ueber  die  Bilanz  zwischen 
Athemleistung  und  Athembedürfniss. 

Redner  weist  zunächst  rechnerisch  nach,  dass  das  pro  Minute 
exspirirte  Luftvolum,  die  „Athemgrösse“,  kein  exacter  Ausdruck  fiu 
die  Güte  der  Lungenventilation  ist  wegen  der  zum  Gaswechsel  un¬ 
fähigen,  also  „schädlichen“  Nasen-,  Rachen  ,  Tracheal-  und  Bronchial¬ 
räume.  Nöthig  ist  die  eingehende  Kenntniss  des  einzelnen  Athem- 
zuges  im  Gegensätze  zur  Athemgrösse.  Dieser  bewies  dann  duich 
Rechnung  und  durch  Angabe  der  Analyse  der  in  einzelnen  1  ortionen 
von  circa  200  cm3  zerlegten  Athemzüge  den  sehr  ungleichen  Werth 
verschieden  tiefer  Athemzüge.  Die  Trachealluft  enthielt  bei  nicht 
merkbar  vermindertem  O-Gehalt  nur  0*2°/0  C02.  Die  weiteien  1  oi- 


vorhergehenden,  und  zwar  nimmt  der  O-Gehalt  rascher  ab,  als  die 
C02  zunimmt.  Die  Analyse  der  „Reserveluft“  zeigt,  dass  in  den  tieferen 
Theilen  der  Lungenalveolen  eine  Luft  enthalten  ist,  deren  0  Gehalt 
nur  Luft  von  halbem  Atmosphärendruck  entspricht.  Daraus  geht  hervor, 
dass  eine  tiefe  Exspiration  für  die  Lufterneuerung  mehr  leistet,  als 
eine  tiefe  Inspiration.  Daher  müssen  bei  pathologischen  Zuständen  mit 
drohender  Verschlechterung  der  Lungenluft  (z.  B.  Bronchitis  capillaiis) 
öftere  kräftige  Exspirationen  von  grossem  Nutzen  sein.  Die  kräftigen 
Hustenstösse  sind  also  nicht  nur  durch  Beseitigung  mechanischer 
Hindernisse  vortheilhaft,  sondern  wirken  auch  erneuernd  und  bessernd 
auf  den  Luftgehalt  der  Lungen.  Die  uauseosen  Expectoiantien 
wirken  wie  die  Niesmittel  der  älteren  Medicin  nicht  nur  secretent- 
fernend,  sondern  besonders  erneuernd  auf  den  Luftgehalt  der  Lungen 
durch  die  unfreiwillig  starken  Exspirationen,  welche  mit  den  rudimen¬ 
tären  Würgbewegungen  verbunden  sind.  Eine  wesentliche  Abnahme 
des  Athembedürfnisses  und  der  Athemleistung  bewirken  die  sedi- 
renden  Arzneimittel,  wie  Morphin  und  Heroin,  durch  die  grössere 
Muskel  ruhe.  (Fortsetzung  folgt.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2._9.  August  1900.) 

(Fortsetzung). 

*  Abtheilung  für  innere  Medicin. 

IX.  Sitzung. 

I.  Liebreich  (Berlin) :  A  e  r  z  1 1  i  c  h  e  P  r  i  n  c  i  p  i  e  n  b  ei  der 
Beurtheilung  der  Schädlichkeit  conservirter 
Nahrungsmittel. 

Vortragender  wendet  sich  an  den  Uebereifer,  der  sich  in  neuerer 
Zeit  in  der  Bekämpfung  conservirter  Nahrungsmittel  geltend  macht 
und  dabei  die  chemischen  Fortschritte,  die  auf  diesen  Gebiete  gemacht 
worden  sind,  vollkommen  verkennt.  Ohne  conservirte  Nahrungsmittel 
lässt  sich  eine  Bevölkerung  nicht  ausreichend  ernähren,  sie  repräsentiren 
für  dieselbe  einen  grossen  ökonomischen  Werth.  Die  Kritik,  die  an 
den  Conservirungsmethoden  geübt  wird,  ist  eine  rein  theoretische  und 
würde,  wenn  sie  gesetzgeberische  Kraft  erlangt,  all  diese  werthvollen 
Nahrungsmittel  vernichten.  Eine  Conservirungsmelhode  darf  erst  dann 
verboten  werden,  wenn  ihre  Gesundheitsschädlichkeit  nacbgewiesen  ist. 
Wenn  ein  Nahrungsmittel,  wie  Fleisch,  Milch  u.  s.  w.  durch  C  hemi- 
kalien  vor  Zersetzung  geschützt  ist,  oder  wenn  aus  den  Nahrungs¬ 
mitteln  Präparate  hergestellt  werden,  welche  als  Ersatz  der  Mutter¬ 
substanz  dienen  können,  so  wird  die  chemische  Untersuchung  zunächst 
zu  constatiren  haben,  ob  und  wie  weit  der  Nahrungswerth  erhalten 
ist.  An  die  medicinische  Prüfung  richtet  sich  die  Anforderung,  zu  be¬ 
stimmen,  inwieweit  die  theilweise  oder  ganz  conservirte  Substanz  plus 
den  angewandten  Mitteln  zur  Ernährung  oder  Schädigung  der  Gesund¬ 
heit  in  Betracht  kommen  kann.  Die  Prüfung  darf  nicht  einseitig  ge¬ 
schehen.  Pharmakologen,  Hygieniker  und  Aerzte  müssen  sich  dazu 
vereinen.  Man  hat  Substanzen  von  grossem  Werthe  ohne  zureichenden 
Grund  discreditirt,  wenn  sich  z.  B.  im  Thierversuche  geringe  abnorme 
Wirkungen  auf  Blutdruck  oder  Circulation  zeigten  oder  ein  Kranker, 
ein  Kind,  eine  geschwächte  Person  sie  zufällig  nicht  gut  vertragen 
hat.  Aus  solchen  einzelnen  Beobachtungen  werden  unberechtigte  all¬ 
gemeine  Schlussfolgerungen  für  Gesunde  abgeleitet,  denen  die  Sub¬ 
stanzen  als  Nahrung  dienen  sollen.  Da  kann  man  dahin  kommen, 
fast  alle  Nahrungsmittel  zu  verbieten,  da  z.  B.  Senf,  1  rüffeln,  Käse, 
rohes  Obst  u.  dgl.  oft  gelegentliche  Gesundheitsschädigungen  hervor- 
rufen.  Die  Prüfung  der  Toleranz  an  Kranken  kann  nicht  als  allgemein 
gütiger  Massstab  gelten.  Das  Kochsalz  kann  selbst  solch  theoretischen 
Irrlehren  nicht  Stand  halten.  Ein  österreichisches  Gutachten  ist  neuei- 
dings  so  weit  gegangen,  an  sich  unschädliche  Conservirungsmethoden 
zu  verwerfen,  weil  sie  dazu  führen  könnten,  die  für  die  Eihaltung 
von  Nahrungsmitteln  nothwendige  Sorgfalt  zu  vernachlässigen!  "\oi- 
tragender  erwähnt  zum  Schlüsse  die  Borsäure-Conservirungsmethode, 
welche  nach  seinen  eigenen  Untersuchungen  auch  den  strengsten  An 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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forderungen  zu  genügen  vermag  und  allen  Versuchen,  ihr  schädliche 
Nebenwirkungen  zuzuschreiben,  erfolgreich  widerstanden  hat.  Auch 
andere  Conservirungsverfahren  sollten  nach  den  gleichen  geschilderten 
Principien  einer  Revision  unterzogen  werden,  damit  gerechte  legis¬ 
latorische  Massnahmen  sich  treffen  lassen. 

II.  Liebreich  (Berlin):  Vorstellung  eines  geheilten 
Lupusfalles. 

Der  Knabe  hatte  viele  Jahre  an  Lupus  vulgaris  der  Wange 
und  des  Glutäus  gelitten  und  ist  durch  die  vom  Vortragenden  an¬ 
gegebene  Kantharidincur  vollkommen  geheilt  worden  und  seit  drei 
Jahren  ohne  Recidiv.  Der  Vortragende  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  die  Stelle  auf  dem  Glutäus  ohne  Narbe  geheilt  ist,  eine  That- 
sache,  die  bei  der  Heilung  des  Lupus  vulgaris  bisher  nicht  bekannt 
war  und  die  Vortragender  auch  bei  anderen  nach  seiner  Methode  be¬ 
handelten  Fällen  const atiren  konnte;  in  einem  zur  Autopsie  ge¬ 
kommenen  Falle  konnte  das  Fehlen  der  Narbe  und  der  Ersatz  der 
früher  erkrankten  Stelle  durch  normale  Haut  mikroskopisch  nach¬ 
gewiesen  werden.  Zum  Schlüsse  weist  Vortragender  darauf  hin,  dass 
für  die  Diagnose  der  Lupus  ebenso  wie  für  die  Beurtheilung  der 
Heilung  des  Leidens  die  Anwendung  der  von  ihm  angegebenen  optischen 
Untersuchuugsmethoden  (Phaneroskopie  und  Glasdruck)  unumgänglich 
nothwendig  sei. 

III.  Arloing  et  C  o  u  r  m  o  n  t  (Paris):  Du  diagnosticde 
1  a  tuberculose  par  la  s6ro  - agglutination. 

Das  der  Widal’schen  Reaction  beim  Typhus  analoge  Unter¬ 
suchungsverfahren  ist  in  Deutschland  bereits  bekannt.  Die  Verfasser 
berichten  jetzt  über  die  Resultate  von  355  Untersuchungen,  davon 
191  an  Tuberculösen,  130  an  Nichttuberculösen  und  34  an  Gesunden. 
Auf  Grund  dieser  Erfahrungen  gelangen  sie  zu  folgenden  Ergebnissen. 
Die  Verwendung  der  Glycerinbouilionculturen  des  Tuberkelbacillus  ge¬ 
stattet  die  agglutiuirende  Kraft  der  Säfte  und  besonders  des  Blut¬ 
serums  der  Tuberculösen  zu  erkennen  und  diagnostisch  zu  verwerthen. 
Bei  wenig  vorgeschrittener  Tuberculose  ist  die  Reaction  fast  constant 
vorhanden,  aber  in  verschiedenen  Graden,  nämlich  bei  Verdünnungen 
des  Blutserums  von  1  :  5  bis  zu  1:20  und  noch  mehr.  Bei  schwerem 
acuten  Miliartuberculosen  fehlt  die  Reaction  odei  ist  sehr  schwach. 
Sie  steht  also  im  umgekehrten  Verhältnisse  zur  Schwere  der  Infection, 
und  ihr  grosser  diagnostischer  Werth  liegt  darin  gerade,  dass  sie 
sich  nur  bei  initialer  Tuberculose  findet.  Sie  fehlt  bei  vorgeschritteneren 
Fällen,  die  ja  aber  durch  klingende  Zeichen  sicher  genug  zu  erkennen 
sind.  Mit  Hilfe  dieses  Verfahrens  kann  man  auch  latente  Tuberculose 
in  diagnostisch  zweifelhaften  Fällen  und  auch  bei  scheinbar  gesunden 
Personen  erkennen.  Gerade  bei  verdächtigen  Fällen  hat  der  positive 
Ausfall  der  Probe  grosse  Bedeutung,  während  das  negative  Ergebniss 
die  Tuberculose  nicht  absolut  ausschliesst.  In  vorgeschritteneren 
Fällen  gibt  das  negative  Resultat  eine  schlechte  Prognose,  in 
leichten  Fällen  dagegen  die  Sicherheit,  dass  keine  Tuberculose 
vorliegt. 

M  o  s  n  y  (Paris)  hat  in  einem  Falle,  wo  die  Diagnose  zwischen 
Tuberculose  und  Typhus  schwankte,  durch  die  agglutinirende  Wirkung 
des  Blutserums  des  Kranken  die  Entscheidung  liefern  können,  die 
durch  die  Autopsie  bestätigt  wurde. 

Blumenthal  (Berlin)  hat  auf  der  L  o  y  d  e  n’schen  Klinik  auch 
gute  Resultate  gesehen.  Die  Reaction  ist  nicht  nur  bei  Lungentuber- 
culose  von  Werth,  sondern  auch  bei  suspecten  Ex-  und  Transsudaten 
der  Brust-  und  Bauchhöhle. 

IV.  Savoire:  Considerations  sur  la  traitement 
de  la  tuberculose  par  la  creosote  ä  doses  e  I  e  v  6  e  s. 

Nichts  Neues. 

V.  Labadie  (New  York):  Contribution  ii  l’etude  du 
traitement  de  la  tuberculose  par  une  nouvolle 
methode:  la  transfusion  di  recte  des  medicaments  et 
antiseptiques  dans  le  siege  du  mal  au  moyen  de 
l’e  1  e  c  t  r  i  c  i  t  e  e  1  e  c  t  r  i  q  u  e. 

Vortragender  hat  die  Methode  von  Crotte  nachgeprüft,  welche 
darin  besteht,  dass  Formaldehyd  mittelst  statischer  Elektricität 
unmittelbar  an  den  Locus  affectionis,  die  Lungen,  gebracht  wird. 
Zunächst  haben  Thierversuche  ihm  den  Beweis  gebracht,  dass 
chemische  Substanzen  (ausser  Formaldehyd  wurden  auch  Jod  und 
Quecksilber  geprüft)  in  der  That  auf  diesem  Wege  in  die  inneren 
Organe  gelangen  können.  Die  Erfolge  bei  Phthisikern  waren  folgende: 
Rapide  Verminderung  sämmtlicher  Symptome,  wie  Husten,  Nacht- 
schweisse,  Fieber,  Bacillenauswurf  und  in  Folge-  schuelle  Kräftigung. 
Technik  der  Methode:  1.  Der  Kranke  sitzt  auf  den  Isolirstuhl,  auf 
Brust  und  Rücken  werden  die  Holzpole  aufgesetzt,  welche  in 
1  —  10°/0iger  Formaldehydlösung  (je  nach  dem  Grade  der  Erkrankung) 
getaucht  sind,  und  nun  lässt  man  durch  die  Elektrisirmaschinen  bald 
Ströme,  bald  Funken,  bald  beides  ausstrahlen.  Man  kann  die  Kranken 
auch  währenddess  mit  ebensolchen  Schwämmen  frottiren !  2.  Inhala¬ 

tionen  von  Formaldehyd  aus  solchen  Schwämmen  bei  durchgehendem 
Strome. 


VI.  Bertheau  (Paris)  :Traitementde  la  tuberculose 
par  l’a  1  d  e  h  y  d  e  formique. 

Empfiehlt  dieselbe  Behandlungsmethode  wie  der  Vorredner. 

* 


Abtheilung  für  Chirurgie. 

V.  Sitzungstag.  Vormittagssitzung. 

(Fortsetzung.) 

VII.  Thier  y  (Paris):  Die  Sicherheitsmethoden  bei 
der  operativen  Behandlung  der  Appendicitis. 

Redner  bringt  ein  Resectionsverfahren  des  Processus  vermiformis 
zur  Kenntniss,  welches  er  die  Resection  „ä  froid“  betitelt,  und  das  er 
mit  30  Beobachtungen  und  29  Heilungen  empfehlend  unterstützt.  Bei 
der  eiterigen  Appendicitis  und  Localisation  des  Herdes  begnügt  er  sich, 
den  Abscess  zu  incidiren  und  zu  drainiren  und  sucht  nicht  lange  nach 
dem  Processus.  Nur  wenn  er  sich  ihm  gleich  darbietet,  resecirt  er  ihn. 
Was  nun  seine  Resection  ä  froid  anlangt,  so  hat  er  diese  -Technik  aus¬ 
gebildet,  weil  er  der  Meinung  ist,  dass  die  so  häufige  Complication  mit 
eonsecutiver  acuter  Peritonitis  nur  in  einer  mangelhaften  Technik  der 
Versorgung  des  Stumpfes  des  Appendix  zu  suchen  ist;  denn  allen  den 
verschiedenen  Methoden  haftet  der  Fehler  an,  dass  eine  Intestinalnaht 
aufgehen  kann.  Seine  Technik  ist  folgende:  Nach  der  Eröffnung  des 
Abdomens  ergreift  er  den  Processus  und  zieht  ihn  nach  Durchtrennung 
seines  Mesenteriums  nach  aussen.  Nun  befestigt  er  ihn  mit  vier  Fäden 
an  die  Peritonealränder,  dann  wird  der  Rest  der  Peritonealwunde  mit 
Catgut  geschlossen.  Die  Befestigungsfäden  gehen  durch  die  Muscularis 
des  Appendix,  aber  nicht  durch  die  Mucosa.  Jetzt  ist  keine  Commu¬ 
nication  mit  der  Bauchhöhle  mehr  zu  fürchten  und  der  Appendix  wird 
nach  Unterbindung  seiner  Basis  resecirt  mit  oder  ohne  Sero-Serosanaht 
des  Stumpfes.  Es  folgt  noch  die  Drainage  der  Wunde  und  der  Schluss 
durch  die  Naht.  Die  Heilung  erfolgt  entweder  vollkommen  aseptisch 
oder  mit  einer  geringen  sehleimig-stercorösen  Secretion.  Selbst  eine  hin 
und  wieder  eintretende  Eiterung  wird  durch  die  Drainage  absolut 
gefahrlos.  Keiner  seiner  Kranken  hat  jemals  Schmerzen  gehabt,  die 
etwa  auf  Verwachsungen  schliessen  Hessen,  Keiner'  hat  eine  Fistel 
zurückbehalten. 

VIII.  W  e  i  r  (New  York):  Einige  Beobachtungen  über 
die  Behandlung  der  acuten  Appendicitis. 

IX.  Reyn  i  er  (Paris)  spricht  über  die  Bestimmung  des  Zeit¬ 
punktes  der  Operation  im  anfallsfreien  Stadium. 

X.  Reynes  (Marseille)  berichtet  über  einen  Fall  von 
Blasencom  plication  bei  der  Appendicitis. 

Er  beobachtete  eine  reflectorische  Urinretention,  die  zwei  Tage 
andauerte.  Die  Blasencomplicationen  bei  Appendicitis,  die  wenig 
bekannt  sind,  sind  entweder  reflectorischer  oder  entzündlicher  Natur. 
Die  ersteren  sind  gutartig,  vorübergehend  und  bestehen  in  Retention, 
Urinverminderung,  Incontinenz  —  die  anderen,  schwerer  Natur  durch 
Verbreitung  der  Entzündung  auf  die  Blase  bestehen  in  Pericystitis, 
Bacteriurie,  Cystitis,  peri-  oder  intravesicalem  Abscess,  Hämorrhagien, 
secundären  Steinbildungen,  Fisteln,  die  entweder  mit  dem  appendiculären 
Herde  oder  mit  einem  Abscess  appendieulärer  Herkunft  communiciren, 
auch  zu  einem  benachbarten  Organ  können  sie  hinführen. 

XI.  Schwartz  (Paris):  Ueber  einen  Fall  von  hyper¬ 
trophischer  Ileotyphlitis,  der  einen  Tumor  in  der 
Ileocöcalgegend  vor  täuschte. 

Es  handelte  sich  um  eine  junge  Frau  von  27  Jahren,  die  einen 
Tumor  in  der  rechten  Fossa  iliaca  hatte.  Zwei  Jahre  vorher  war  sie 
wegen  einer  linksseitigen  Ovarialcyste  operirt  wurden,  wobei  ihr  auch 
gleich  das  rechte  Ovarium  mitentfernt  worden  war.  Seit  18  Monaten 
bemerkte  sie  den  Tumor.  Sie  hatte  Koliken,  keine  hartnäckige  Ver¬ 
stopfung.  Die  Schmerzkrisen  kamen  erst  alle  Monate,  dann  alle 
Wochen,  dann  viel  häufiger.  '  Die  Untersuchung  ergab  einen 
auf  Druck  schmerzhaften,  faustgrossen,  etwas  gebuckelten  Tumor 
in  der  Gegend  des  Cöcums.  Die  Darmfunctionen  waren  nur 
wenig  gestört,  der  Appetit  gut.  In  der  Erwartung,  eine  Neubildung 
oder  eine  Tuberculose  des  Cöcums  zu  finden,  wurde  die  Laparotomie 
gemacht  aber  es  stellte  sich  heraus,  dass  es  sich  um  einen  Ileocöcal- 
tumor  handelte,  der  sehr  fest  in  der  Fossa  iliaca  verwachsen  war. 
Die  ganze  Ansa  ileocoecalis  wurde  resecirt,  der  Dünndarm  seitlich  in 
das  Colon  ascendens  eingepflanzt.  Der  Kranke  genas.  Die  Unter¬ 
suchung  des  Tumors  ergab,  dass  es  sich  um  eine  alte  Ileotyphlitis 
handelte  mit  beträchtlicher  Hypertrophie  der  Muscularis,  die  an  ein¬ 
zelnen  Stellen  2 '4  cm  dick  war.  Nirgends  waren  Riesenzellen  noch. 
Bacillen  zu  finden  gewesen.  Auch  keine  Ulcerationen,  keine  Ganglien 
im  Mesenterium.  Der  Tumor  war  also  rein  entzündlicher  Natur. 
Vortragender  hält  es  der  Mühe'werth,  über  die  Typhlitis  hypertrophiea, 
die  Neoplasmen  Vortäuschen,  ein  besonderes  Capitel  zu  schreiben. 


Nr ,  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


891 


XII  Mareehal  (Chätillon-sur-Seine)  berichtet  über  einen  Fall 
von  Perityphlitis,  aus  welchem  er  den  Schluss  zieht,  dass  bei 
den  ersten  Anzeichen  von  Appendicitis  sofort  operirt  werden  soll. 

XIII.  P  s  a  1 1  o  f  f  (Smyrna)  berichtet  über  40  F  ä  1 1  e  v  o  n 
Peritonitis  tuberculosa,  die  er  durch  Laparotomie 

geheilthat.  .  _  ,  .,,  , 

Unter  den  40  Fällen  waren  27  Frauen,  und  Re  iner  will  daraus 
eine  Bestätigung  der  Meinung  B  o  u  i  1 1  y’s  herleiten,  dass  diese  Krank¬ 
heit,  bisher  mit  dem  Namen  des  essentiellen  Ascites  junger  Mädchen 
bezeichnet,  fast  immer  als  Ursprung  Tuberculose  der  Ovaiien,  der 
Tuben  und  des  Peritoneums  des  kleinen  Beckens  bat.  Seine  Kranken 
waren  meist  5—25  Jahre  alt,  5  waren  mehr  als  40  Jahre.  Die  häufigste 
Form  der  Peritonitis  war  der  Ascites.  Die  Flüssigkeit  war  fast  immer 
citronengelb  und  durchscheinend.  Die  Operationsresultate  waren  meist 
ermuthigend.  Von  24  Fällen  sind  12,  die  er  jetzt  2—4  Jahre  nach 
der  Operation  wiedergesehen  hat,  gesund.  Nur  einmal  hat  er  ein  Re- 
eidiv  bei  einem  Kind  von  8  Jahren  beobachtet,  2 ‘/2  Monate  nach  der 
Laparotomie.  5  Monate  nach  der  zweiten  Operation  war  der  Zustand 
vollkommen  gut.  Bei  15  anderen  Fällen,  die  meist  die  Form  käsiger 
Ulceration  darboten,  und  bei  dreien  mit  fibro-adhäsiver  Form  waren 
die  Resultate  nicht  so  gute.  Hier  waren  auch  die  Operationsverhältnisse 
schwieriger.  Einmal  hat  er  die  Blase  verletzt,  die  bis  zum  Nabel 
hinaufreichte.  Bei  den  erwähnten  15  Fällen  war  anscheinend  gleich 
nach  der  Operation  eine  Besserung  eingetreten,  doch  hat  er  nur 
2  Patienten  2V2  Jahre  nachher  wiedergesehen,  die  sich  wohl  befanden. 
Die  erwähnten  3  Fälle  sind  gestorben  an  Collaps,  Sepsis,  secundäier 
Darmfistel  18  Tage  nach  der  Operation.  Vortragender  gibt  dann  die 
Krankengeschichte  eines  jungen  Mädchens  von  17  Jahren  mit  pleuro¬ 
peritonealer  Tuberculose  von  fibro-adhäsiver  Form,  wo  die  gewaltigen 
Schmerzen  den  Eingriff  nothwendig  machten.  Sie  ging  an  Septikämie 
zu  Grunde.  Die  fibro  adhäsive  Form  hält  er  für  die  schwerste,  den 
Eingriff  für  unnütz,  nur  berechtigt  durch  grosse  Schmerzen  oder  Heus- 
Symptome.  Gleichzeitige  Lungenaffection  hält  er  nicht  für  eine 
Contraindication.  So  sind  also  von  seinen  40  Operirten  7  gestorben, 
das  sind  1 7 1/2°/o- 

XIV.  N  an  n  (Bukarest)  berichtet  über  einen  Fall  von 
primärer  eiteriger  Peritonitis. 

XV.  Ullmann  (Wien) :  Ueber  Eingeweide  - Trans¬ 
plantationen. 

Bei  den  sehr  interessanten  Experimenten  handelte  es  sich  um 
Verpflanzung  von  Eingeweiden,  die  Vortragender  an  Schweinen  aus¬ 
geführt  hat,  weil  deren  Intestina  die  grösste  Aelinliclikeit  mit  den 
menschlichen  haben.  Er  hat  den  Magen  in  das  Jejunum,  das  Ileum 
in  den  Magen,  diesen  in  das  Colon,  das  Cöcum  in  den  Magen,  das 
Jejunum  in  den  Dünndarm  und  das  Colon  in  das  Ileum  transplantirt. 
Die  Thiere  ertrugen  die  Operation  gut,  nur  zwei  gingen  zu  Grunde, 
eines  an  einer  acuten  Peritonitis,  ein  zweites  an  einer  postoperativen 
eingeklemmten  Hernie.  Die  anderen  boten  in  ihrer  Verdauungsthätig- 
oit  nichts  Aussergewöhnliches.  Nach  14  Tagen  bis  vier  Monaten  wurden 
sie  getödtet,  und  er  konnte  constatiren,  dass  sowohl  wandständige  wie 
endständige  Anastomose  gleich  gute  Narben  gab.  Die  Vernarbung  und 
Einheilung  der  Theile  ohne  Stiel  bot  ebensowenig  Schwierigkeiten,  wie 
die  der  gestielten,  d.  h.  die  Anheilung  und  Vernarbung  war  eine  glatte 
und  vollkommene,  auch  wenn  die  transplantirten  Theile  vollkommen  aus 
ihrer  Verbindung  getrennt  waren  und  noch  dazu  eine  Stunde  lang  in 
eine  warme  Compresse  gewickelt  auf  einem  Tische  gelegen  hatten. 
In  den  Fällen,  wo  der  Dünndarm  in  den  Magen  oder  umgekehrt  der 
Magen  in  den  Dünndarm  eingepflanzt  wurde,  bildeten  sich  und  be¬ 
standen  drei  Monate  lang  an  der  Grenze  der  Magen-  und  Darmschleim¬ 
haut  Geschwüre.  Er  nähte  —  das  Verfahren  ist  schon  im  Central¬ 
blatt  für  Chirurgie  1896  beschrieben  —  in  zwei  Etagen,  einmal  durch 
Muscularis  und  Serosa,  ohne  die  Mucosa  zu  durchstechen,  dann  eine 
Sero-Serosanaht.  Vortragender  geht  noch  des  Näheren  auf  die  physio¬ 
logischen  Beobachtungen,  auf  die  Veränderungen  der  Mucosa  und  be¬ 
tont,  dass  von  einer  Assimilation  der  Schleimhaut  an  die  Umgebung 
nicht  wie  bei  einer  auf  die  äussere  Haut  transplantirten  Mucosa  oder 
wie  bei  auf  Schleimhaut  übertragener  Epidermis  die  Rede  ist,  dass 
sich  zwar  hie  und  da  in  den  auf  das  Ileum  oder  Jejunum  übertragenen 
Magentheilen  die  Zellen  modificiren  im  Sinne  einer  Aehnlichwerdung, 
dass  aber  die  Verschiedenheit  derselben  deutlich  zu  erkennen  war. 
Redner  behielt  sich  vor,  über  die  Transplantationsversuche  von  einem 
Thier  auf  das  andere  und  auf  verschiedenartige  Thiere  an  anderer 
Stelle  ausführlich  zu  berichten. 

XVI.  Hartmann  (Paris)  spricht  zur  Technik  des  Anus  praeter 
naturalis. 


V.  Sitzungstag.  Nachmittagssitzung. 

Zur  Berichterstattung  über :  Intestinale  und  gastro¬ 
intestinale  Anastomosen  nimmt  das  W ort : 


I.  Roux  (Lausanne):  Das  Experiment  am  Hunde,  so  führt  el 
aus,  gibt  uns  kein  getreues  Bild  von  dem,  was  man  am  Menschen  be¬ 
obachtet,  dessen  Verdauungstractus  leichter  zu  handhaben  und  nicht 
so  unzuverlässig  ist.  Der  Zweck  der  Anastomose  ist,  den  Nahruugsstiom 
abzuleiten,  entweder  wegen  irgendwelcher  Gefahren  oder  wegen  Unzu¬ 
träglichkeiten,  die  beim  Verweilen  oder  bei  der  Passage  durch  gewisse 
Punkte  des  Gastrointestinaltractus  entstehen  oder  auch  wegen  irgend 
welcher  Hindernisse,  deren  Beseitigung  unmöglich,  gefährlich  oder  nicht 
rathsam  wäre.  Die  Anastomose  ist  eigentlich  nur  eine  Palliativopera¬ 
tion,  aber  sie  hat  sehr  häufig  auch  heilend  gewirkt.  Ihr  Risico,  ihie 
Technik  und  ihre  Resultate  geben  ihr  eine  Mittelstellung  zwischen  den 
Fisteln  (Fistula  jejunalis,  Enterostomie,  Anus  praeternaturalis)  und  der 
Radicaloperation  (Pylorektomie,  Exstirpation  der  Tumoren  oder  der  er¬ 
krankten  Darmpartien).  Die  seitliche  Apposition  ist  die  praktischste 
Vereinigung  der  Därme,  denn  sie  erfordert  keine  so  grosse  Exactheit, 
erlaubt  eine  sehr  breite  Verbindung  ohne  Gefahr  eines  Diaphragmas, 
einer  Klappe  oder  späterer  Narbenretraction,  und  sie  ist  unabhängig 
von  dem  Caliber  der  zu  vereinigenden  Därme.  Was  nun  die  Ent  er  o- 
Anastomose  anlangt,  so  ist  diese  bei  acuten  Affectionen  indicirt : 

1.  Wenn,  wo  es  sich  nur  um  Wiederherstellung  der  Passage  handelt, 
eine  Radicaloperation  zu  lang  oder  zu  gefahrvoll  ist;  ferner  nach  einer 
Desinvagination  oder  Detorsion,  wenn  man  für  die  Peristaltik  tüi eiltet. 
Dagegen  ist  sie  contraindicirt:  1.  Wenn  der  Zustand  des  Kranken 
höchstens  eine  Enterostomie  erlaubt;  2.  wenn  die  Beschaffenheit  der 
Därme  zur  Erhaltung  des  Lebens  die  unmittelbare  Entfernung  eines 
oder  mehrerer  Darmstücke  erfordert.  Allenfalls  kann  sie  in  einigen 
Fällen  mit  der  Extraperitoneal-Lagerung  dieser  Darmabschnitte,  wie 
es  zum  Beispiel  bei  der  eingeklemmten  Hernie  möglich  ist,  combimrt 
werden;  3.  wenn  der  Zustand  des  Kranken,  des  Darmes  und  die 
Geschicklichkeit  des  Operateurs  eine  bessere,  vorteilhaftere  Operation 
gestatten.  Bei  den  chronischen  Affectionen  wird  man  die  Anastomose 
in  den  Fällen  von  zahlreichen  Verwachsungen,  wo  sie  am  meisten 
Chancen  bietet,  vorziehen.  Sie  wird  eine  definitive  Operation  sein: 
1.  In  den  Fällen  von  inoperablen  Tumoren,  2.  bei  gewissen  com- 
plicirten  entzündlichen  und  untraitablen,  das  heisst  unzugänglichen 
Herden,  wie  sie  die  Tuberculose  oder  Aktinomykose  bietet.  Eine  prä¬ 
liminare  Operation:  1.  Bei  operablen  Tumoren,  aber  sehr  geschwächten 
Patienten,  2.  bei  den  entzündlichen  Fällen  mit  äusseren  oder  genitalen 
Eiter-  oder  Kothfisteln,  die  oft  schon  dadurch  allein  heilen,  wenn  man 
die  Anastomose  mit  Ausschaltung  verbindet.  Man  kann  ganz  gut  am 
Leben  bleiben  mit  1  !/2  m  Jejunum  und  mit  nur  der  Hälfte  des  Colon. 
Der  ganze  übrige  Darm  kann  ausgeschaltet  werden.  Daher  braucht 
man  nicht  zu  fürchten,  dass  man  sich  zu  weit  vom  Krankheitsherde 
entfernt,  um  am  gesunden  Darm  zu  operiren. 

Die  Gastroenterostomie,  weniger  gefährlich,  als  die 
Enteroanastomose,  geht  der  Pylorektomie  als  einleitende  Operation 
voraus,  wenn  der  Zustand  des  Patienten  dies  wünschenswertlr  er¬ 
scheinen  lässt.  Sie  ersetzt  sie,  wenn  der  Tumor  inoperabel  ist.  .  Sie 
sollte  sie  eigentlich  stets  vervollständigen,  damit  der  Patient  zu  gleicher 
Zeit  die  Wohlthat  der  Radical-  und  Palliativoperation  hat;  er  hat 
dann  für  den  Fall  eines  Recidives  einen  neuen  Pylorus,  der  soweit  als 
möglich  von  dem  alten  entfernt  ist.  Bei  den  nicht  bösartigen  Aftec- 
tionen  des  Pylorus  und  des  Magens,  bei  denen  eine  leichtere  Ent¬ 
leerung  des  Mageninhaltes  wtiuschenswerth  ist,  zieht  man  die  Gastro¬ 
enterostomie  der  Pyloroektomie  oder  Pyloroplastik  vor,  weil  sie 
leichter  auszuführen  und  und  dabei  von  demselben  Nutzen  ist.  Endlich 
hat  die  Anastomosis  gastro- intestinalis  ihre  Berechtigung  bei  den 
Affectionen  des  Duodenums,  ersetzt  die  Gastroplastik  bei  Sanduhr¬ 
magen,  hat  denselben  Werth  wie  die  Excision  bei  einfachem  Magen¬ 
geschwür  und  ist  schliesslich  der  Gastroplicatio  und  der  Gastiopiexie 
vorzuziehen.  Sie  ist  ideal,  wenn  sie  Y-Form  hat.  Wenn  der  Operateur 
gleich  geschickt  ist  im  Anlegen  der  Naht  wie  der  mehr  oder  wenigei 
automatischen  Verbindungsapparate,  so  wird  er  die  Naht  wählen,  weil 
sie  allein  eine  Vereinigung  der  Mucosa  prima  intentione  gewährleistet, 
und  weil  sie  eine  „ungeuirtere“  Nachbehandlung  erlaubt.  Dei 
Murphy -Knopf  soll  für  die  Fälle  aufgespart  bleiben,  in  denen  man 
mit  Minuten  rechnet.  Erstaunlich  ist  bei  allen  diesen  Operationen 
noch  die  Zahl  der  Todesfälle  an  Pneumonie,  die  durch  die  Narkose 

allein  nicht  genügend  erklärt  werden. 

II.  Souligoux  (Paris)  betrachtet  erst  die  verschiedenen 
chirurgischen  Erkrankungen  des  Darmtractus  vom  Standpunkte  dei 
Nützlichkeit  der  intestinalen  Anastomose.  Bei  acutem  oder  auch 
chronischem  Darmverschluss  muss  die  Anastomose  dem  Anus 
praeternaturalis  weichen.  In  den  Fällen  von  Stuhlverhaltung  ohne  \o 
kommenen  Verschluss,  wo  man  einen  beweglichen,  leicht  zu  ent¬ 
fernenden  Tumor  findet,  muss  natürlich  die  Resection  gemacht  weiden, 
doch  soll  man  die  Operation  mit  einer  entweder  latero-lateralen  oder 
termino-lateralen  Anastomose  beenden.  Diese  beiden  Methoden  dei 
Darmvereinigung  sind  einfacher,  sicherer  und  schneller  austülnbai  als 
die  circuläre  Naht.  In  Bezug  auf  die  gastro-intestinale  Anastomose 
kommt  er  zu  folgenden  Schlüssen:  Der  Magen  ist  ein  duichaus 


892 


Nt.  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


chirurgisches  Organ  geworden ;  allein  die  nervösen  Dyspepsien  ent¬ 
gehen  der  chirurgischen  Intervention.  In  den  Fällen  von  narbiger 
Stenose  des  Pylorus  oder  des  Anfangstheiles  vom  Duodenum  ist  die 
Gastroenteroanastomie  die  Operation  der  Wahl,  ja  sogar  die  einzig 
erlaubte;  denn  sie  ist  fast  gefahrlos,  sie  begegnet  wirksam  allen  Zu¬ 
fällen  und  die  Patienten  erlangen  eine  blühende  Gesundheit  wieder. 
Ausserdem  ist  sie  weniger  eingreifend  und  sicherer  als  die  Pylorektomie 
oder  Pyloroplastik.  In  den  Fällen  von  krebsiger  Stenose  wird  sie 
jedenfalls  die  am  häufigsten  angewendete  Operation  sein.  Die  Pylor¬ 
ektomie  darf  ihr  nur  in  den  Anfangsstadien  des  Carcinoms,  die  noch 
keine  Verwachsungen  tnit  Leber,  Pankreas  oder  Colon  haben,  bei 
denen  noch  kein  Fortschreiten  auf  die  Ganglien  oder  irgend  eine  Ver¬ 
allgemeinerung  nachweisbar  ist,  vorgezogen  werden.  Die  Gastroentero- 
anastomose  wird  ferner  eine  noth  wendige  Vervollständigung  der  Pylor¬ 
ektomie  sein,  wenn  man  ausgedehnte  Resectionen  des  Magens  oder 
Duodenums  gemacht  hat.  In  den  fortschreitenden  Fällen  von  Ulcus 
ventriculi  wird  sie  sehr  nützlich  sein,  nicht  um  die  Blutungen  zu  ver¬ 
hindern,  sondern  um  das  Organ  zu  entlasten,  es  ruhiger  zu  stellen  und 
eine  Vernarbung  zu  begünstigen.  Bei  dem  durch  Narbencontraction 
hervorgerufenen  Sanduhrmagen  wird  sie  der  Plastik  vorzuziehen  sein. 
Bei  den  Dyspepsien,  wenn  der  Patient  durch  medicamenföse  Behand¬ 
lung  nicht  gebessert  wird,  und  wenn  Symptome  von  Retention  mit 
heftigen  Schmerzen,  Contracturen  des  Pylorus  da  sind,  wird  die  Gastro¬ 
enterostomie  häufig  nothwendig  sein  und  Heilung  bringen.  Was  nun 
die  Operationsmethode  anlangt,  so  ist  die  Hacke  r’sche  bei  Weitem 
vorzuziehen.  Nur  wenn  diese  nicht  möglich  ist,  soll  man  zur  vorderen 
Anastomose  seine  Zuflucht  nehmen.  Physiologisch  die  vollkommenste 
Operation  ist  die  von  Roux  angegebene.  In  den  Fällen,  wo  sie  durch 
Verengerung  der  Anastomosenöffnung  Stenosenerscheinungen  darbieten, 
darf  man  nicht  zögern,  eine  secundäre  jejuno-jejunale  Anastomose  hin¬ 
zuzufügen. 

Zur  Discussion  bemerkt  Doyen  (Paris):  Die  Nahtmethode 
ist  entschieden  am  besten,  doch  hat  er  sich  eine  Anastomosenklemme 
construiren  lassen  (Demonstration),  die  sehr  gut  functionirt  und  die 
nur  in  den  absteigenden  Darmtheil  hinunterfallen  kann.  Er  empfiehlt 
ausserdem  seine  Methode  der  Resection  durch  Zerquetschung  der 
Mucosa  und  Muscularis  mit  nachfolgender  Massenligatur  und  Tabaks¬ 
beutelnaht. 

III.  Petersen  (Heidelberg) :  Anatomisches  und  Chirur¬ 
gisches  zur  Gastroenterostomie. 

Die  überaus  zahlreichen  Methoden  der  Gastroenterostomie,  welche 
zur  Verbesserung  des  ältesten  Verfahrens  (Gastroenterostomie  anterior 
antecolica  nach  Wölfl  er)  angegeben  wurden,  verfolgen  im  Wesent¬ 
lichen  zwei  Hauptziele:  1.  Sicherung  und  Abkürzung  des  Naht¬ 
verfahrens;  2.  Sicherung  des  richtigen  Magenabflusses,  Vermeidung 
von  Regurgitation.  Ad  1.  Ein  idealer  Ersatz  des  Nahtverfahrens 
ist  noch  nicht  gefunden.  Am  meisten  Beachtung  verdient  noch  immer 
der  M  u  r  p  h  y  -  Knopf.  In  der  Heidelberger  Klinik  wurde  er  168mal 
bei  der  Gastroenterostomie  angewendet  und  hat  stets  eine  sichere  Ver¬ 
bindung  zwischen  Magen  und  Darm  hergestellt.  Ad  2.  Die  Regurgitation 
wird  am  einfachsten  und  sichersten  vermieden  durch  die  Gastro- 
enterostomia  posterior  rotrocolica  nach  v.  Hacker.  Die  zahlreichen 
Misserfolge  vieler  Operateure  beruhen  hauptsächlich  auf  einer  Ver¬ 
kennung  der  topographisch-anatomischen  Verhältnisse.  Der  höchste 
Punkt  des  Duodenum  ascendens  liegt  stets  etwas  höher  als  der 
Anfangstheil  des  Jejunums  (Plica  duodeno-jejunalis).  Die  Plica  ihrer¬ 
seits  liegt  schon  beim  normalen  Magen  etwas  höher,  als  der  tiefste 
Punkt  der  grossen  Curvatur.  Bei  der  Gastroenterostomie  haben  wir¬ 
es  aber  fast  stets  zu  thun  mit  dilatirtem  Magen ;  je  stärker  aber  die 
Dilatation,  desto  grösser  wird  die  Distanz  zwischen  Plica  und  tiefstem 
Magenpunkt.  Nimmt  man  daher  bei  der  Gastroenterostomie  posterior 
den  zuführenden  Darmsehenkel  möglichst  kurz,  d.  h.  nicht  länger,  als 
die  Entfernung  von  Plica  bis  Fistel  beträgt,  so  verläuft  die  anastomo- 
sirte  Darroschlinge  ziemlich  gerade  von  oben  nach  unten,  entlang  der 
hinteren  Magenwand;  es  gibt  keinen  rechten  und  keinen  linken 
Schenkel,  sondern  einen  oberen  und  einen  unteren. 

Die  Abflussbedingungen  sind  also  die  denkbar  günstigsten,  und 
zweitens  kommt  der  zuführende  Schenkel  von  oben,  der  abführende 
geht  nach  unten.  (Demonstration  von  Zeichnungen,  angefertigt  nach 
vorheriger  Fixation  des  Magens  durch  Formalin  oder  Paraffin  in  der 
Leiche.) 

Diese  anatomischen  Ueberlegungen  werden  bestätigt  durch  die 
klinischen  Erfahrungen  der  Heidelberger  chirurgischen  Klinik. 

Die  Gastroenterostomia  anterior  wurde  19mal  ausgeführt;  dabei 
3mal  Regurgitation  (lmal  Exitus,  2mal  Rettung  durch  Entero- 
anastomose).  Die  Gastroenterostomie  posterior  wurde  197mal  aus¬ 
geführt  ;  niemals  ernstliche  Regurgitation:  in  circa 
28  Fällsn  Erbrechen,  das  aber  nur  circa  Ginal  Magenspülung  er¬ 
forderte. 


Ueber  die  allmäligen  Fortschritte  in  den  Erfolgen  der  Gastro¬ 
enterostomie  geben  folgende  Zahlen  der  Heidelberger  Klinik  Auskunft: 

Todesfälle 


1.  Gesammtzahl  der  Gastroenterostomien 
(1881  bis  1.  Juli  1900;  daneben  14  Gastro¬ 
enterostomien,  verbunden  mit  Resectio 


pylori)  .... 

216  — 

47  =  22% 

2. 

Gastroenterostomia 

anterior . 

19  — 

9  =  50% 

3. 

n 

posterior  . 

197  — 

38  =  19% 

4. 

J7 

77 

mit  Naht  . 

45  — 

14  =  31% 

5. 

33 

77 

„  M  urph  y- 

Knopf 

152  — 

24  =  16% 

G. 

77 

77 

(M  urphy) 

189G— 1898  . 

G0  — 

12  =  20% 

7. 

77 

77 

(M  u  r  p  h  y) 

12  =  13% 

1898—1900  . 

92  — 

8. 

77 

77 

(M  urph  y)  bei 

Carcinom  . 

8G  — 

21  =  24% 

9. 

77 

77 

(M  urph  y)  bei 

gutartiger  Sten. 

64  — 

4  =  6% 

(davon  die  letzten  34 

ohne 

Todesfall). 

Ad  7.  Die  12  Todesfälle  der  letzten  Serie  seit  1898  vertheilen 
sich  wie  folgt:  Collaps,  Herzschwäche  5,  Pneumonie  5,  Darm¬ 
verschlingung  1,  Peritonitis  (ausgehend  von  einer  vereiterten  Carcinom- 
drüse)  1. 

IV.  M  o  n  p  r  o  f  i  t  (Angers):  Ueber  die  G  astroenterostomie 
(bringt  nichts  Neues). 

V.  L  a  p  1  a  c  (Philadelphia) :  Ueber  die  Anwendung  der 
Darmklemme. 

VI.  G  i  o  r  d  a  n  o  (Venedig)  empfiehlt  bei  Carcinom  des  Cöcums, 
bei  Colonektasie  und  bei  ulcerüser  Colitis  die  Ausschaltung  des 
Colon  durch  die  Ileo-Sigmoideostomie. 

Zur  Discussion  bemerkt  v.  Eiseisberg  (Königsberg), 
dass  wir  in  der  totalen  Darmausschaltung  ein  brauchbares  Hilfsmittel 
für  inoperable  Kothfisteln  und  für  andere,  der  Resection  unzugängliche 
inoperable  Stenosen  des  Darmcanales  besitzen,  dass  aber  auch  eine 
partielle  Darmausschaltung  in  den  Fällen  von  Colonektasie  oder 
ulceröser  Colitis  Heilung  herbeiführen  kann. 

VII.  Murphy  (Chicago):  Ueber  Ileus. 

In  dem  sehr  ausführlichen  Referat  berichtet  Vortragender  über 
1G00  Fälle  von  Ileus,  die  er  hat  zusammenstellen  können  und  gibt 
seine  Eintheilung  in  adynamischen,  dynamischen  uud  mechanischen  Ileus. 

Der  adynamische  Ileus  wird  stets  durch  partielle  Darmlähmung 
verursacht:  1.  Lähmung  durch  ausgedehnte  Operationen  am  Mesen¬ 
terium,  die  zu  Circulationsstörungen  Anlass  geben.  2.  Lähmung  einer 
eingeklemmt  gewesenen  Darmschlinge,  besonders  häufig  bei  Schenkel- 
hernieu.  3.  Paralyse  in  Folge  einer  Verletzung  des  Rückenmarkes 
durch  Wirbelfracturen  oder  Geschosse.  4.  Lähmung  in  Folge  Ver¬ 
letzung  des  zutretenden  Nerven.  5.  Lähmung  durch  Reflex,  hervor¬ 
gerufen  durch  das  Passiren  von  Gallensteinen,  Nierensteinen,  durch 
Einklemmung  des  Netzes  oder  Druck  auf  das  Ovarium.  6.  Septische 
Lähmung  in  Folge  von  Peritonitis,  Cholecystitis,  Salpingitis  oder 
Embolie  der  Mesenterialarterie,  Thrombophlebitis.  7.  Urämisshe  Läh¬ 
mung.  Der  dynamische  Ileus  entsteht  in  Folge  toxischer  Contraction 
der  circulären  Darmmusculatur,  die  tagelang  andauern  kann. 

Bleivergiftung,  Tyrotoxie  etc. 

Der  mechanische  Ileus  entsteht:  1.  Durch  Strangulation  des 
Darmes  innerhalb  oder  ausserhalb  der  Bauchhöhle  (Hernien),  2.  durch 
Invagination,  3.  durch  Verschluss  des  Darmes  innerhalb  der  Bauch¬ 
höhle  (Volvulus,  Neubildung)  oder  ausserhalb  (eingeklemmte  Hernie). 

Er  warnt  vor  der  Darreichung  von  Opiaten,  weil  sie  die 
Peristaltik  lähmen  und  das  Krankheitsbild  verdunkeln.  Frühzeitige 
Laparotomie  ist  dringend  nothwendig. 

* 

VI.  Sitzungstag. 

I.  Blumberg  und  K  r  ö  n  i  g  (Leipzig) :  Untersuchungen 
über  Händedesinfeetion. 

Die  Experimente  und  Untersuchungen  sind  schon  ausführlich 
bei  Gelegenheit  des  letzten  Congresses  der  deutschen  Gesellschaft  für 
Chirurgie  besprochen  worden. 

Zur  Discussion  spricht  Z  a  n  t  i  n  o  (Bergamo) . 

II.  P  o  z  z  i  (Paris)  berichtet  über  einen  Fall  von  Gallen¬ 
stein,  den  er  durch  transduodenale  Choledochotomie 
aus  der  Ampulla  Vateri  entfernt  hat,  und  über  einen  enorm  grossen 
Ureterstein,  den  er  durch  Laparotomie  gewonnen.  (Demonstration 
der  Präparate.) 

III.  Sever  anu  (Bukarest):  Allgemeine  Anästhesie 
mit  Aethylchlorid. 

Er  empfiehlt  sie  für  kurz  dauernde  Operationen. 


Nt  39 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


893 


IV.  Buffet  (Elbent):  Ein  Fall  von  Fistel  der  linken 
Hinterbacke  in  Folge  eines  ischio-rectalen  Abscesses,  die  allen 
Heilimfrs  versuchen  durch  Injectionen  und  Kauterisationen  trotzte, 
schliesslich  nach  einem  Jahre  vergeblicher  Versuche  durch  eme  ein- 
fache  Incision  einer  transversalen  Leiste  der  hinteren  Rectalwand  in 

weniger  als  drei  Wochen  ausheilte.  _  _ 

V  Jonnesco  (Bukarest):  Die  Resection  des  Rectums 
und  des  Colon  pelvicum  auf  abdomino-perinealem 
\V  0  ff  0, 

Viermal  hat  Vortragender  auf  diesem  Wege  30— 40  cm  Darm 
entfernt.  Zwei  Heilungen  und  zwei  Todesfälle,  einen  an  Peritonitis, 
einen  an  Collaps.  Er  hält  die  combinirte  Operationsmethode  für  die 
sicherste  in  Bezug  auf  die  Dauer  des  Operationsresultates.  Wenn  ein 
Recidiv  nicht  zu  vermeiden  ist,  schiebt  sie  es  ^wenigstens  hinaus. 
Ausserdem  hat  das  Operationsverfahren  folgende  Vortheile: 

1.  Die  Möglichkeit  präliminarer  Blutstillung  durch  Unterbindung 
der  A.  hypogastrica  und  haemorrhoidalis  superior.  2.  Die  Zulässigkeit 
der  Exstirpation  des  Darmrohres  in  vollkommen  geschlossenem  Zu¬ 
stande,  ohne  Gefahr,  das  Operationsfeld  mit  Darminhalt  zu  be¬ 
schmutzen.  3.  Die  geringfügige  operative  Verletzung,  weil  jede 
Knochenresection  vermieden  wird,  die  niemals  nützlich,  immer  schäd¬ 
lich  ist.  Die  Dauerhaftigkeit  des  Resultates  wird  auf  Möglichkeit 
gewährleistet,  weil  es  bei  diesem  Operationsverfahren  möglich  ist,  das 
ganze  Beckenzellgewebe  und  die  prälumbare  Gegend  nach  etwa  er¬ 
krankten  Drüsen  abzutasten.  Schliesslich  wird  jede  secundäre  Infection 
des  Operationsfeldes  durch  Bildung  eines  Anus  iliacus  vermieden,  dei 
sehr  hoch  und  möglichst  w*it  von  ihm  angelegt  werden  kann,  etwa 
bei  der  Spina  iliaca  anterior  superior.  Von  allen  Anus  praeter  naturam 
ist  der  Anus  iliacus  der  beste.  Contraindication  der  Exstirpation  des 
Rectalcarcinoms  sind:  Grosse  Kachexie,  ausgedehnte  Drüsenmetastasen, 
Metastasen  in  den  Eingeweiden,  Niereninsufficienz. 

Discussion:  Turetta  (Trapani). 

VI.  Vercesco  (Crajova) :  Eine  neue  Methode  der  Ex¬ 
stirpation  der  Hämorrhoidalknoten. 

Das  Verfahren  hesteht  in  Folgendem:  In  Steissrückenlage  wild 
in  den  Mastdarm  ein  mehrblätteriges  Speculum  eingeführt,  dieses  stark 
erweitert  und  in  dasselbe  ein  Korkstöpsel  in  cylindrischer  Form  ein¬ 
geschoben.  Das  Speculum  wird  dann  entfernt.  Nun  wird  mit  Kails- 
bader  Nadeln  die  Analhaut  dort,  wo  sie  in  die  äussere  Haut  tibei- 
geht,  rings  um  den  Kork  festgestochen  und  hinter  diesem  Naflelkranz 
eingeschnitten.  Dann  wird  das  Rectum  durch  leichte  Jractionen  an 
dem  Kork  und  Durchtrennung  des  Bindegewebes  vorgezogen,  bis  man 
die  ganze  erkrankte  Partie  draussen  hat.  Man  kann  nur  die  Knoten 
entweder  einzeln  exstirpiren  oder,  wenn  sie  einen  geschlossenen  King 
bilden,  hinter  ihnen  eine  zweite  Reihe  von  Nadeln  rings  in  dem  Kork 
befestigen  und  zwischen  diesen  beiden  durchtrennen.  Dann  wird  das 
Rectum  zurückgebracht  und  eine  circuläre  Naht  angelegt,  darauf  der 
Kork  entfernt.  Das  neue  Verfahren  ist  also  eine  Resection  des  Rectums 
zur  Heilung  der  Hämorrhoiden. 

VII.  Reverdin  (Genua)  demonstrirt  einen  neuen  Ope¬ 
rationstisch; 

VIII.  Barnax  (Paris)  ein  orthopädisches  Bett  für 
die  Coxalgie  und  die  Brüche  der  Wirbelsäule  und  der  uuteien  Ex¬ 
tremitäten  ; 

IX.  Martin  (Lyon)  zeigt  einen  Apparat  zum  Redresse¬ 
ment  der  Schiefnase; 

X.  Schmidt  (Paris)  verschiedene  chirurgische  In¬ 
strumente; 

XI.  Stapler  (Wien)  einen  Operationstisch  und  D  e  s- 
infe  ctiousapparate; 

XII.  Storojcako  (Moskau)  einen  neuen  Sterilisations¬ 
apparat. 

* 


Abtheilung  der  Colonien. 

(Referent  Dr.  S  p.) 

I .  S  i  m  o  n  d  und  Yersin:  Ueber  die  Pestepidemien 
im  äussersten  Orient. 

Die  Pest  erscheint  nicht  von  selbst  in  einer  Gegend,  ja  sie  ei- 
scheint  sogar  nicht  wieder  daselbst,  ohne  neuerdings  eingeschleppt  zu 
werden,  wenn  sie  daselbst  seit  20  Jahren  versehwunden  ist.  Dieses 
ist  eine  Thatsache,  welche  für  die  Epidemien  von  Constantinopel, 
Venedig,  Genua  und  Messina  im  Jahre  1347,  wo  die  Geissei  von 
Jaffa  kam,  für  jene  von  Marseille  1720,  wo  sie  aus  Syrien  abstammte, 
für  jene  von  Cutch  Mandwi  1812,  wo  sie  von  Mekka  importirt  wurde, 
genügend  bestätigt  worden  ist. 

Das  Studium  der  jüngsten  Epidemien  führt  zu  denselben 
Schlüssen.  Als  Princip  kann  man  annehmen  : 

1.  Dass  die  Verbreitung  der  Pest  um  ein  Centrum  durch  ki eis¬ 
förmige  Ausdehnung  geschieht. 


2.  Dass  der  Transport  eines  primitiven  Herdes  zu  einem  ent¬ 
fernten  Centrum  rasch  vor  sich  gehen  kann,  wenn  zwischen  diesen 
beiden  Punkten  directe  und  schnelle  Communicationen  bestehen. 

3.  Dass  die  Ansteckung  entfernter  Centren,  wenn  dieselben  mit 
dem  Krankheitsherde  durch  Eisenbahnen  oder  Schifffahrtslinien  nicht 
verbunden  sind,  nur  ausnahmsweise  geschieht. 

Im  äussersten  Orient  ist  die  Pest  aus  endemischen  Heiden 
hervorgegangen,  wo  sie  eingeschlossen  war  und  sich  auf  demselben 
Wege  wie  der  Waarenverkehr  weiter  ergoss.  Ihr  Marsch,  im  Beginne 
sehr  langsam,  stieg  in  dem  Masse,  als  sie  Punkte  erreichte,  wo  der 
Wechselverkehr  ein  rascherer  war.  Im  Gegensätze  blieben  benachbarte 
Regionen,  die  von  den  Herden  durch  natürliche  Grenzwälle  geschieden 
waren,  geschützt.  Der  Garwhaal  im  Himalaya  hat  Indien  nicht  an¬ 
gesteckt.  Der  Yunnan  in  China  hat  I  onking  nicht  inlicirt. 

Yunnan  ist  es,  von  wo  die  Keime  entsprossen  sind,  welche  sich 
in  der  ganzen  Welt  verbreitet  haben.  Sie  haben  30  Jahre  gebraucht, 
von  1850 — 1880,  um  Long-Tcheou  und  Pakoi,  den  Flüssen  und 
Verkehrswegen  folgend,  zu  erreichen.  1893  erreichte  die  englische 
Diplomatie  die  Eröffnung  des  Handels  an  der  Riviera  von  Canton;  die 
Pest  zog  aus  von  Long-Tcheou,  erreichte  Canton  und  Hongkong,  von  wo 
sie  sich  innerhalb  vier  Jahren  über  fünf  1  heile  der  Erde  ausbieitete. 

Es  ist  überflüssig,  auf  die  Ursprünge  der  Pest  von  Bombay 
zurückzukommen,  aber  es  ist  wichtiger,  zu  erkennen,  von  wo  die 
Geissei  aus  Indien  hervorgegangen  ist.  Der  Hafen  von  Cutch  Mandwi 
scheint  dieser  Ausgangspunkt  zu  sein.  Die  Sanitätspolizei  in  Bombay 
und  Kurachu  ist  wunderbar  organisirt,  hingegen  ist  die  Ein-  und  Aus¬ 
fahrt  von  Cutch-Mandwi,  woselbst  keine  Europäer  leben,  an  keine 
Formalität  gebunden.  Trotzdem  ist  dieser  Hafen  von  Eingeborenen  das 
Centrum  eines  sehr  lebhaften  Handels  und  durch  Segelschiffe  in  be 
ständiger  Verbindung  mit  Madagaskar,  Zanzibar,  Maurice,  Djeddah 
und  dem  persischen  Meerbusen. 

Während  die  von  Long-Tcheou  entstandene  Infection  sich  so 
weit  verbreitete,  verunreinigte  Pakoi  die  benachbarten  kleinen  Handels¬ 
häfen  auf  der  Insel  Hainan,  an  der  Mündung  des  Vinhflusses  in  Ton¬ 
king,  in  der  Bucht  von  Quang-tcheou-van  und  in  Nha-trang. 

Es  ist  das  erste  Mal  seit  Menschengedenken,  seit  die  Pest  in 
Indo-China  wüthet,  dass  sie  die  benachbarten  Ortschaften  des  Vinh¬ 
flusses  erreicht.  Trotz  der  Abwesenheit  von  Vorsichtsmassregeln  blieb 
sie  auf  zwei  oder  drei  Ortschaften  loealisirt  und  erlosch,  ohne  viel 
Opfer  gefordert  zu  haben. 

Sie  wurde  durch  französische  Kriegsschiffe  in  Quang-tcheou-van, 
wo  sich  dieselben  in  Station  befanden,  1899  constatirt.  Gewisse  Ort¬ 
schaften,  wo  die  Pest  unter  den  Menschen  und  besonders  unter  den 
Ratten  wiithete,  wurden  evacuirt;  die  Bevölkerung  flüchtete  und 
campirte  auf  den  Feldern.  Nach  den  Professoren  Mare  dial  und 
F  er  and  zeigte  sich  die  Krankheit  1891  in  Chek-Chen,  einer  Stadt, 
östlich  der  Bucht  gelegen,  und  blieb  seit  jener  Zeit  daselbst  ein  en¬ 
demischer  Herd.  >  .  . 

Einen  Augenblick  besorgte  man,  dass  die  Epidemie  von  Nha- 
trang  aus  dem  Institute  Pasteur,  woselbst  Pestculturen  auf  bewahrt 
waren,  hervorgegangen  sei.  Allein  eine  genaue  Untersuchung  zeigte, 
dass  auch  diese  Epidemie  in  Pakoi  entstanden  ist.  Drei  Monate  früher 
wurde  in  der  Ortschaft  Culas,  gegenüber  von  Nha-trang,  auf  der 
anderen  Seite  der  Flussmündung,  eine  ungewöhnliche,  durch  die  Pest 
verursachte  Sterblichkeit  constatirt.  Die  zuerst  ergriffene  Person  hatte 
früher  ihren  Aufenthalt  auf  der  Insel  Bai-meou,  deren  Hafen  in  fort¬ 
währenden  Beziehungen  zu  Pakoi  steht.  Die  Geschichte  dieser  Epidemie 
hat  die  Unwirksamkeit  antiseptischer  Desinfectionen  und  die  Wirk¬ 
samkeit  der  Verbrennung  verunreinigter  Wohnstätten  gezeigt,  aussei - 
dem  noch  die  Vortheile  der  Serumbehandlung  als  eines  heilenden  und 
vorbauenden  Mittels. 

Yersin  und  Carre  haben  in  Nha  trang  die  Impfung  mit 
abgeschwächten  Giften  versucht.  Sie  conetatirten,  dass  man  zufolge 
des  Alters  der  Culturen  Pestbaeillenracen  erlangen  könne,  mit  allen 
Abstufungen  der  Giftigkeit;  von  Bacillen,  welche  Ratten  in  48  Stunden 
tödten,  bis  zu  Mikroben,  welche  gar  nicht  tödten.  Man  schreitet  durch 
Culturen,  welche  von  geimpften  Thieren  80,  50,  20,  10  von  100 
zwischen  4  und  14  Tagen  zu  Grunde  lichten. 

Nach  langen  Versuchen  haben  Yersin  und  Carre  einen 
Pestbacillus  erlangt,  welcher  nur  20  von  100  geimpften  Ratten  tödtete 
und  welchen  sie  als  Bacillus  C  bezeiclineten.  .  _ 

Die  der  Virulenz  beraubten  Keime  vacciniren  nicht.  Ibiere, 
welche  schwach  virulenten  Pestbacillen  widerstanden  haben,  sind  ge¬ 
impft.  Die  Immunität  scheint  nach  14  Tagen  vollständig  erreicht  zu 
sein.  Ist  dieselbe  von  Dauer?  Eine  dreimonatliche  Erfahrung  ist  nicht 

ausreichend,  um  sich  darüber  auszusprechen. 

Das  Gift,  welches  40  oder  50  von  100  Ratten  todtet,  wurde 
Affen  eingeimpft,  die  jedoch  nur  ein  vorübergehendes  Unwohlsein 
zeigten  und  schliesslich  dem  virulenten  Bacillus  widerstanden. 

Yersin  hat  sich  selbst  mit  dem  Bacillus  C  geirnp  ,  °^e 

anderen  Zufall,  als  ein  wenig  Zerschlagenheit  und  Fieber-  Die 


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Impfungen  werden  mit  der  gewöhnlichen  Lancette,  wie  bei  der 
Jenner’schen  Impfung,  gemacht,  und  dies  ist  der  Vortheil  der 
Methode,  welche  auf  diese  Art  eher  angenommen  wird,  als  die  Vac¬ 
cination  mit  einer  Spritze. 

II.  Calmette  (Lille) :  Die  Prophylaxis  des  Starr¬ 
krampfes. 

Der  Tetanus  ist  in  den  meisten  unserer  Colonien  der  heissen 
Zone  sehr  häufig,  besonders  an  der  Westküste  von  Afrika,  iu  Guyana 
und  auf  den  Antillen.  Er  befällt  hauptsächlich  kleine  Kinder.  Iu  Indo- 
China  unterliegen  viele  Neugeborene  dieser  Krankheit. 

Die  schwarze  Race  scheint  die  empfindlichste  zu  sein;  die  weisse 
kommt  in  zweiter  Reihe  und  die  gelbe  Race  in  dritter. 

Während  der  colonialen  Kriege  in  der  zweiten  Hälfte  des 
XIX.  Jahrhunderts  betrug  die  Sterblichkeit  in  Folge  von  Tetanus 
unter  den  Verwundeten  im  Mittel  drei  bis  fünf  von  100.  Diese  Ziffer 
ist  nicht  gross,  aber  die  Kenntnisse,  welche  wir  über  die  Prophylaxis 
dieser  Krankheit  seit  der  Entdeckung  ihres  specifischen  Mikroben  durch 
Nicolai' er  erworben  haben,  verpflichten  uns,  unsere  Truppen  davor 
zu  bewahren  und  die  Existenz  von  Tausenden  eingeborener  Kinder, 
welche  jährlich  durch  die  Krankheit  decimirt  werden,  zu  behüten. 

Die  Aetiologie  des  Tetanus  in  den  heissen  Ländern  stammt  bei¬ 
nahe  immer  von  der  Verunreinigung  der  Wunden  durch  Erdbestand- 
theile  oder  durch  thierische  Abfälle.  Der  Tetanus  der  Neugeborenen 
resultirt  aus  der  Infection  der  Nabelwunde  durch  Wäschestücke  oder 
unreine  Verbände. 

Die  Massregeln,  um  dieser  Sterblichkeitsursache  zu  begegnen, 
bestehen: 

1.  In  den  Colonien,  Spitälern,  Ambulanzen  und  Marschcolonnen 
ist  das  antitetanische  Serum  allgemein  anzuwenden,  um  dem  Tetanus 
bei  den  Verwundeten,  deren  Wunden  mit  Erde  verunreinigt  oder  mit 
Kleiderfetzen  bedeckt  sind,  wirksam  zu  begegnen. 

Alle  durch  Feuerwaffen  Verwundeten  sollten  nach  dem  ersten 
Verbände  in  der  Ambulanz  eine  l’räventivinjection  von  10  cm3  anti- 
tetanischen  Serums  bekommen. 

2.  In  allen  Tx-open colonien  wTäre  der  Unterrricht  alter  ein¬ 
geborener  Frauen  oder  Hebammen  durchzuführen  und  die  Ausübung 
der  Geburtshilfe  nur  Jenen  zu  gestatten,  welche  hinreichende  Kennt¬ 
nisse  bewiesen  haben,  um  wenigstens  die  elementaren  Besorgungen 
der  Antisepsis  bei  Frauen  und  neugeborenen  Kindern  sicherzustellen. 
Zu  diesem  Zwecke  müsste  man  in  jedem  Ilauptorte  der  Colonie,  wo 
sich  Aerzte  befinden,  elementaren  Unterricht  mit  praktischen  Uebungen 
in  den  Spitälern  der  Eingeborenen  organisiren.  Bei  diesem  Unterrichte 
wäre  besonderer  Werth  auf  die  Verbände  des  Nabelstranges  zu  legen, 
von  deren  Reinlichkeit  gänzlich  die  Prophylaxis  des  Starrkrampfes 
abhängt. 

Dank  dieser  einfachen  und  wenig  kostspieligen  Massregel  würde 
man  jedes  Jahr  eine  grosse  Zahl  kostbarer  Existenzen  für  die  öko¬ 
nomische  Zukunft  der  betreffenden  Länder  erhalten. 

III.  F  i  r  k  e  t  (Lüttich):  Patliogenie  und  Prophylaxis 
„de  la  fievre  bi  lie  use  h  e  m  o  g  1  o  b  i  n  u  r  i  q  u  ew  der 
heissen  Länder. 

Der  Ausbruch  eines  Anfalles  von  biliösem  Fieber  mit  Hämo¬ 
globinurie  erkennt  nicht  eine  parasitäre,  exogene,  dem  Anfalle  un¬ 
mittelbar  vorhergehende  Infection  als  genügende  Ursache;  das  Fieber 
ist  vielmehr  durch  chronische  Alteration  des  Organismus  vorbereitet 
und  durch  Zusammenwirken  vielfacher  Factoren  hervorgerufen,  welche 
nicht  genügen  würden,  dasselbe  in  einem  gesunden  Organismus  zu 
erzeugen. 

Die  vorbereitenden  Störungen  betreffen  die  verschiedenartigen 
Gewebe  und  besonders  die  blutbildenden  Organe,  welche  einer  ab¬ 
normen  Brüchigkeit  der  Blutzellen  verfallen;  die  Ilauptursache  liegt 
in  einer  vorausgogangenen  Sumpfinfection,  xvelche  sich  durch  wieder¬ 
holte  Fieberanfälle  angekündigt  hat  oder  auch  von  langsamem  Ver¬ 
laufe  mit  geringster  Fieberreaction  gewesen  ist.  Diesem  Einflüsse  der 
Sumpfinfection  reihen  sich  ungünstige  hygienische  Verhältnisse  an 
(meteorisches  Klima,  Mangel  an  Comfort,  Demoralisation,  Alkoholismus). 

Die  Wirkungen  all  dieser  ätiologischen  Factoren  steigern  sich, 
je  länger  das  Individuum  in  dem  ungünstigen  Milieu  sich  aufhält;  sie 
enden  mit  der  Entstehung  einer  drohenden  Krankheit. 

Ausserdem  können  auch  zufällige  Ursachen  einwirken,  wfie 
Kälte,  Anstrengungen  aller  Art,  heftige  Erregungen,  Alles,  was  das 
niehtstabilo  Gleichgewicht  der  Gewebe  erschüttern  kann.  Dies  kann 
auch  ein  neuer  Wechselfieberanfall  sein,  welcher  die  Blutstörung 
plötzlich  steigert. 

Endlich  kann  dies  eine  Vergiftung  sein,  möglich  auch  eine 
Selbstvergiftung  gastro  intestinalen  Ursprunges  oder  auch  eine  Chinin¬ 
vergiftung.  Letztere  konnte  in  gewissen  Fällen  mit  Recht  beschuldigt 
werden,  darf  aber  nicht  als  ausschliessliche  Ursache  betrachtet  werden, 
und  selbst  wo  dies  der  Fall  ist,  tritt  sie  blos  unter  dem  begünstigenden 
Einflüsse  einer  Prädisposition  auf. 

t -  -   -  -  - 


Unter  diesen  Bedingungen  vermischt  sich  die  Prophylaxis  des 
biliösen  Fiebers  mit  Hämoglobinurie  in  den  heissen  Ländern  grössten- 
theils  mit  jener  des  Paludismus:  einerseits  der  Infection  aus  weichen, 
hauptsächlich  durch  methodischen,  präventiven  Gebrauch  von  Chinin, 
andererseits  die  Folgen  der  erworbenen  Infection  durch  eine  rationelle 
Behandlung  und  durch  alle  nothwendigen  Bedingungen  des  Comforts 
bekämpfen;  weiters  die  normale  vorgesehene  Dauer  des  Aufenthaltes 
in  den  gefährlichen  Klimaten  zu  verkürzen;  endlich  den  zufälligen 
Ursachen  möglichst  ausweichen  und  die  Indicationen  und  Dosen  beim 
Chiningebrauche  exact  präcisiren. 

Clarae  (Correferent) :  Das  biliöse  Fieber  mit  Hämoglobinurie 
ist  noch  nie  bei  einem  vom  Sumpffieber  absolut  freien  Menschen  con- 
statirt  worden;  die  dasselbe  kennzeichnenden  schweren  Zufälle  sind 
die  Folgen  einer  tiefen  Intoxication,  deren  Wirkung  sich  hauptsächlich 
auf  die  rothen  Blutkörperchen  übertragen  hat. 

Die  durch  den  Sumpfeinfluss  thatsächlich  bedingte  Natur  dieses 
Leidens  wurde  bis  in  die  letzten  Jahre  von  allen  Aerzten  in  den 
tropischen  Ländern  anerkannt.  Zur  Stütze  ihrer  Meinung  führten  sie 
die  geographische  Verbreitung  des  biliösen  Fiebers  mit  Hämoglobinurie 
an,  welches  nur  in  jenen  Theilen  des  Erdballes,  wo  der  Paludismus 
mit  Intensität  wüthet,  constatirt  worden  ist.  In  der  Strafanstalt  von 
Saint  Jean  de  Maroni  (Guyana)  hat  man  in  Folge  grosser  Arbeiten 
behufs  Urbarmachung  und  Entholzung  des  Landes,  welche  einen  wahr¬ 
haften  Ausbruch  von  Sumpferscheinungen  hervorgerufen  haben,  inner¬ 
halb  zweier  Jahre  20  Fälle,  darunter  16  mit  tödtlichem  Ausgange 
beobachtet. 

Das  biliöse  Fieber  mit  Hämoglobinurie  stammt  klinisch  vom 
Sumpffieber;  seinem  Erscheinen  sind  stets  ein  oder  mehrere,  mehr  oder 
minder  intensive  Fieberanfälle  vorhergegangen;  an  und  für  sich  stellt 
er  nur  einen  mehr  schweren  Anfall  dar,  zu  welchem  ein  neues  Symptom, 
die  Hämoglobinurie,  hinzugetreten  ist.  Diese  Episode,  die  man  als 
pernieiöse  bezeichnen  könnte,  ist  zumeist  von  neuen  intermittirenden 
Anfällen  gefolgt. 

Die  pathologische  Anatomie  plaidirt  noch  zu  Gunsten  der 
Identität,  des  Ursprunges  dieser  beiden  Affectionen. 

In  beiden  Fällen  beobachtet  man  Hypertrophie  der  Bauch¬ 
eingeweide,  ferner  eine  quantitative  und  wahrscheinlich  qualitative 
Störung  der  rothen  Blutkörperchen. 

Wenn  man  nicht  immer  Hämatozoen  von  Laver  an  bei  den 
biliösen  Kranken  gefunden  hat,  so  muss  man  bedenken,  dass  diese 
Chinin  genommen  haben,  dessen  erste  Wirkung  das  Verschwinden  des 
Parasiten  ist. 

Nebst  der  Malariavergiftung  treten  andere  Ursachen  hinzu, 
welche  die  Energie  des  Giftes  steigern  oder  mit  demselben  zusammen¬ 
treffend  das  Terrain  zur  Entwicklung  des  biliösen  Fiobers  mit  Hämo¬ 
globinurie  vorbereiten.  Hieher  gehören  der  Einfluss  der  Kälte,  der 
Race,  der  Constitution  und  vorhergehender  pathologischer  Zustände. 

Man  wollte  der  Chininvergiftung  bei  der  Aetiologie  dieses 
Fiebers  eine  hervorragende  Rolle  zuschreiben.  Thatsächlich  ist  in 
gowissen  Fällen  die  Hämoglobinurie  der  Verabreichung  des  Chinins 
nachgefolgt;  aber  da  sich  jene  bei  im  Sumpfe  lebenden  Individuen 
vorfand,  ist  es  logischer,  die  Ursache  der  Blutung  dem  letzteren  Gifte 
zuzuschreiben.  Andererseits  hat  man  in  Europa  sehr  ausgesprochene 
Fälle  biliösen  Fiebers  mit  Hämoglobinurie  bei  Individuen  gefunden, 
welche  früher  in  tropischen  Ländern  dem  Sumpfeinflusse  ausgesetzt 
waren,  jedoch  seit  langer  Zeit  kein  Chinin  genommen  hatten.  Dieses 
Medicament  -wird  in  den  Colonien  täglich  gebraucht  und  wirkt  iu  der 
grossen  Majorität  der  Fälle  sehr  lebhaft  auf  die  Malariaerscheinungen, 
ohne  Hämoglobinurie  zu  erzeugen. 

In  allerjüngster  Zeit,  wollte  man  das  in  Rede  stehende  Fieber 
als  eine  specielle  Mikrobenkrankheit,  als  eine  Art  Typhus  hinstellen, 
■welche  mit  dem  Paludismus  nichts  gemein  hat.  Y  e  r  s  i  n  hat  im 
Urine  von  zwei  Kranken  einen  kleinen  Bacillus  gefunden,  welchen 
Breaudat  als  Colibacillus  demonstrate.  Vincent  hat  in  den 
Urinen  keinen  pathogenen  Bacillus  vorgefunden,  stellt  jedoch  nichts¬ 
destoweniger  die  infectiöse  und  parasitäre  Natur  des  biliösen  Fiebers 
als  sehr  wahrscheinlich  hin. 

Es  gibt  also  keinen  speciellen  Bacillus  oder  man  hat  einen 
solchen  noch  nicht  entdeckt. 

Die  Prophylaxis  ist  für  das  biliöse  Fieber  mit  Hämoglobinurie 
dieselbe,  wie  für  den  Paludismus.  Die  Anfälle  sind  umso  schwerer, 
i  je  häufiger  sie  auftreten;  daher  sollen  die  Reconvalescenten  nach 
Europa  zurückkehren,  um  neuen  Anfällen,  deren  Ausgang  oft  fatal 
ist,  zu  entgehen. 

Diejenigen,  welche  gezwungen  sind,  in  den  verseuchten  Centren 
zu  leben,  müssen  ihre  Sorge  der  Bekämpfung  der  Anfälle  verdoppeln 
und  einen  vernünftigen  Gebrauch  von  Chininsalzen  machen.  Alle  Ur¬ 
sachen  der  Erkältung  sind  sorgfältig  zu  vermeiden. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Veraut wörtlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Clirobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigiit  von  I)r.  Alexander  Fraenkel. 

o 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  V 1 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


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XIII.  Jahrgang.  Wien,  4.  October  1900. 


Nr.  40. 


I  HST  IEEE  X-i  T : 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Eduard  Albert,  gestorben  am  25.  September  1900. 
Nekrolog  von  Adolf  Lorenz. 

2.  Aus  dem  Kaiser  Franz  Josef-Ambulatorium  in  Wien.  Die  Be- 
wegungspliänomene  in  der  Mund-  und  Rachenböhle  bei  Insufficienz 
der  Aortenklappen.  Von  Docent  Dr.  Hermann  Schlesinger. 

3.  Von  der  Abtheilung  1  B  (interne  Krankheiten)  des  St,  Lazar- 
Landesspitales  in  Krakau.  Zur  Behandlung  der  Lungentuberculose 


mit  intravenösen  Iletolinjectionen  nach  Länderer.  Von  Primarius 
Dr.  Anton  Krokiewicz. 

II.  Referate:  Die  pathologischen  Beekenformen.  Von  Prof.  Dr.  Karl 

Breus  und  Prof.  Dr.  Alexander  Kolisko.  Kef.  Alfons 
Ros  thorn. 

III.  Ans  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  nnd  Congressberichte. 


Eduard  Albert, 

gestorben  am  25.  September  1900. 

Wie  die  knorrige  Eiche,  vom  Blitze  getroffen,  lang  hingestreckt  den  Boden  deckt,  dem  sie  entsprossen, 
so  hat  ein  jäher  Tod  den  Mann  gefällt  und  in  geliebter  Heimatscholle  zur  ewigen  Ruhe  gebettet,  dessen 

unverwüstliche  Schaffenslust  und  Lebensfreudigkeit  uns  das  beglückende  Gefühl  erhielt,  dass  wir  ihn  noch  lange 
Jahre  besitzen  würden. 

Und  dennoch  war  es  kein  Blitz  aus  heiterem  Himmel,  der  uns  den  theueren  Freund  und  Lehrer 

entrissen. 

Die  Unheil  drohenden  Wolken  standen  seit  Langem  am  Horizonte,  aber  wir  sahen  sie  nicht  oder  wollten 
sie  vielmehr  nicht  sehen;  ihm  aber  blieben  sie  nicht  verborgen  und  er  liebte  es,  mit  dem  Finger  auf  den 
dräuenden  Wetterwinkel  hinzuweisen. 

Inmitten  heiterer  Gesellschaften,  welche  durch  Albert’s  übersprudelnde  Laune  zu  wahren  Festen 

gestaltet  wurden,  blieb  ihm  Sterben  und  Tod  ein  gerne  gewählter  und  stets  geistreich  behandelter  Gesprächs¬ 

stoff.  Der  Abschiedsgruss  für  das  nächste  »Morgen«  war  stereotyp:  »Wenn  Gott  Leben  und  Gesundheit  schenkt.« 

Wie  er  sich  anschaulich  und  drastisch  auszudrücken  pflegte,  konnte  sein  müdes  Herz  in  den  letzten 
Jahren  bessere  Purzelbäume  schlagen,  wie  er  es  als  Knabe  vermocht  hatte;  das  arme  Herz  bäumte  sieh  leider 
nicht  mehr  aus  Lebenslust,  sondern  aus  Todesverzweiflung;  das  Wälzen  und  Pfauchen  desselben  blieb  ihm  ein 
ständiges  »Memento  mori!« ;  aber  All’ das  vermochte  ihn  in  seiner  philosophischen  Ruhe  nicht  zu  stören.  Als  ich 
dem  in  Gott  Verewigten  auf  einem  seiner  einsamen  Spaziergänge  begegnete  und  ihn  fragte:  »Warum  so  allein?« 
so  gab  er  zur  Antwort:  »Ich  bin  niemals  allein,  denn  ich  gehe  Arm  in  Arm  mit  meinen  Gespenstern.«  Fr  litt, 
aber  er  klagte  nicht,  sondern  tröstete  die  Besorgniss  Anderer  mit  einem  geistreichen  Scherze.  In  kleinlichen 
Dingen  eher  empfindlich,  sah  er  der  unerbittlichen  Unabwendbarkeit  menschlichen  Schicksals  mit  stoischer  Ruhe 
entgegen.  »Das  Glück  im  Leben  mag  man  sich  gestalten«,  pflegte  er  zu  sagen,  »aber  das  Glück  im  Tode 
muss  man  haben.«  Dem  Liebling  der  Götter,  an  dessen  Wiege  die  Musen  standen,  ist  dieses  »Glück  im  Tode« 
im  reichsten  Masse  zu  Theil  geworden.  Schmerzhaftes  Siechthum  ist  ihm  erspart  geblieben.  »Ich  lühle  eine  süsse 
Müdigkeit  und  denke  einen  tiefen  Schlaf  zu  thun.«  Das  waren  seine  bedeutungsvollen  Abschiedsworte  an  einen 
bewährten  Freund  (Minister  Dr.  Rezek),  der  bei  ihm  zu  Gaste  weilte,  am  Abend  jenes  Tages,  der  ihm  keinen 


Mutter,  seine  Geschwister  und  die  treue  Schaar  wahrer  Freunde  an  dem  jählings  gähnenden  Grabe  empfinden,  und  in 


896 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


einer  ohnmächtigen  Anwandlung  von  Auflehnung  gegen  den  unab¬ 
änderlichen  Rathschluss  Gottes  möchten  wir  aus  gequälter  Brust 
ausrufen:  »Considera,  Domine,  quem  virum  vindemniaveris  ital« 
(Erwäge,  o  Herr,  welch  einen  Mann  Du  in  Deinem  Weinberg 
geerntet!) 

Sein  Tod  war  ein  kampfloses  Erliegen,  sein  Leben  ein 
stetiger  Kampf,  und  im  heissesten  Kampfe  war’s  ihm  am 
wohlsten. 

Im  Uebermasse  meines  Schmerzes  und  im  Bewusstsein 
der  Unzulänglichkeit  meiner  Kräfte  fühle  ich  mich  der  Grösse 
der  Aufgabe  nicht  entfernt  gewachsen,  diese  mächtige  In¬ 
dividualität,  dieses  an  Arbeit  und  Erfolgen  überreiche  Leben 
auch  nur  einigennassen  erschöpfend  zu  schildern. 

Ich  kann  es  nur  versuchen,  einigen  Spuren  dieses 
universellen  Geistes  nachzugehen,  und  erflehe  von  den  Manen 
des  geliebten  Todten  jene  Nachsicht  und  Güte,  die  mir  von 
dem  Lebenden  so  oft  in  überreichem  Masse  zu  Theil  ge¬ 
worden  ist. 

Eduard  Albert  wurde  am  20.  Januar  1841  als  Sohn 
eines  armen  Uhrmachers  und  Ackerbürgers  zu  Senftenberg  in 
Böhmen  geboren,  hat  also  das  sechste  Decennium  nicht  er¬ 
reicht. 

Seine  Jugend  war  arm,  aber  nicht  freudlos,  denn  sie  war 
frei  und  ungebunden.  An  der  Seite  des  knorrigen  Grossvaters, 
der  herrschaftlicher  Förster  war,  durchschweifte  der  muntere 
Junge  Wald  und  Flur.  Die  Liebe  zur  Natur  und  zur  Natur¬ 
beobachtung,  die  eiserne  Gesundheit,  die  ihm  eine  Lebens¬ 
dauer  bis  zu  den  äussersten  Grenzen  menschlichen  Daseins  zu 
sichern  schien,  verdankte  Albert  seiner  gesunden  und  ab¬ 
härtungsreichen  Jugendzeit.  Die  spätere  Impulsivität  seines 
Handelns,  die  Raschheit  seiner  Entschliessungen,  der  kühne 
Blick,  schienen  zu  verrathen,  dass  etwas  vom  Jägersmann  in 
ihm  stecke.  Sein  Aeusseres  erweckte,  namentlich  während  der 
besten  Mannesjahre,  die  Erinnerung  an  den  beruflichen  Nimrod. 
Mit  seinem  unvergleichlichen  Charakterkopfe  auf  stämmigem 
Rumpfe,  dem  scharfen  Profll,  welches  sich  in  einen  martiali¬ 
schen  Knebelbart  verlängerte,  hätte  er  ohne  weitere  Maske 
als  Kaspar  in  der  Wolfsschlucht  verzauberte  Kugeln  giessen 
können. 

Albert  konnte  nicht  müde  werden,  immer  und  immer 
wieder  von  seiner  Jugend  zu  erzählen  und  in  ihren  Erinne¬ 
rungen  zu  schwärmen.  Mit  bewunderungswürdiger  Schärfe  des 
Gedächtnisses  reproducirte  er  köstliche  Einzelheiten  und 
schilderte  mit  plastischer  Deutlichkeit  die  Volkstypen  aus 
dieser  längst  verklungenen  Zeit.  Die  symbolischen  Ceremonien 
des  katholischen  Gottesdienstes  übten  auf  den  Ministranten 
Albert  tiefen  Eindruck;  er  blieb  zeitlebens  von  stiller  Gottes¬ 
furcht  erfüllt. 

Aus  diesem  Cultus  seiner  Jugenderinnerungen  erfloss  eine 
seltene,  starke  Liebe  für  die  heimatliche  Scholle,  auf  welcher 
er  sich  in  späteren  Jahren  ein  freundliches  Tusculum  erbaute; 
der  schöne  Park  desselben  umschloss  das  väterliche  Anwesen 
und  erstreckte  sich  auf  die  zur  rauschenden  Adler  abfallenden 
Hänge,  auf  denen  Albert  als  Knabe  die  Kühe  gehütet,  seine 
nackten  Füsschen  am  Hirtenfeuer  gewärmt  und  Kartoffeln  an 
demselben  gebraten  hatte. 

Seine  Studien  begann  der  aufgeweckte  Knabe  auf  dem 
Gymnasium  des  benachbarten  Reichenau  als  sogenanntes 
»  fauschkind«  und  setzte  dieselben  in  Königgrätz  fort.  In  die 
höheren  Classen  vorgerückt,  wurde  er  Hauslehrer  in  der  an¬ 
gesehenen  Familie  Flanderka,  welche  ihm  auch  für  die 
schwierige  spätere  Zeit  seiner  Studien  ein  werthvoller  Stütz¬ 
punkt  blieb.  1861  bezog  er  die  Universität  Wien,  um  sich 
der  Medicin  zu  widmen. 

Albert  erzählt  selbst:  >  Ich  kam  gehobenen  Gemüthes 
nach  der  Universität.  Aber  wie  einsam  fühlte  ich  mich,  als 
ich  allein,  ohne  jeden  Freund,  ein  armer  Scholare,  die  Strassen 
der  Weltstadt  durchwanderte!«  In  der  That  begann  für  ihn 
die  Zeit  des  ernsten  Kampfes.  Allein  Jugendmuth  und 
stählerner  Wille  Hessen  keine  Entmutliigung  in  ihm  aufkommen. 
Seine  Lebensansprüche  waren  nicht  hoch  und  fanden  zunächst 
genügende  Befriedigung  in  den  Schätzen  eines  Greislerladens, 
hinter  welchem  er  Elementarunterricht  ertheilte.  Wie  launig 


hat  er  oft  von  dieser  schweren  Zeit  erzählt,  die  ihm  stets  von 
einer  Gloriole  der  Erinnerung  umstrahlt  blieb.  Baargeld  war 
rar;  Schuster  und  Schneider  mussten  oft  langen  Credit  geben. 
Es  ist  ein  bezeichnender  Zug  für  Albert,  dass  er  später, 
als  ordentlicher  Professor  der  Chirurgie  in  Wien  kaum  install i rt, 
eine  sehr  sorgfältige  Nachfrage  nach  allen  jenen  Menschen 
hielt,  die  ihm  in  jener  schwierigen  Zeit  kleine  Dienste  er¬ 
wiesen  hatten.  Er  war  glücklich,  ihrer  noch  Manche  zu  Anden 
und  das  Sprichwort  zu  bewahrheiten,  dass  Wohlthun  Zinsen  trägt. 

In  H  y  r  t  l’s  Hörsaal  gewann  Albert  den  ersten  festen 
Punkt  und  gleichzeitig  den  ersten  Ausblick  auf  die  hohen 
Ziele  der  Heilkunde,  die  ihn  von  nun  an  ganz  erfüllten.  In 
dem  Glanze  dieses  Gestirnes  sonnte  sich  der  junge  Scholare, 
und  vergass  der  Noth  des  Lebens.  An  den  Lippen  des  grossen 
Polyhistors  hing  der  wissensdurstige  Schüler  und  nahm  mit 
den  ersten  Fundamenten  medicinischen  Wissens  das  begeisternde 
Beispiel  eines  glänzenden  Lehrers  in  sich  auf. 

Albert  ahnte  damals  nicht,  dass  ihm  beschieden  sein 
sollte,  fast  drei  Decennien  später  den  wie  einen  Halbgott  an- 
gebeteten  Meister  in  dem  Arcadenhofe  der  Wiener  Universität 
zu  feiern,  als  die  dankbare  Mitwelt  dem  Lebenden  ein  Denk¬ 
mal  setzte.  Das  Zusammenklingen  verwandter  Geister  fand 
damals  spontanen  Ausdruck  in  dem  Bruderkusse,  den  die 
beiden  Gelehrten  vor  dem  bewegten  Auditorium  tauschten. 
Albert  konnte  damals  auch  nicht  ahnen,  dass  er  in  der 
Geschichte  unserer  Facultät  als  ein  der  Chirurgie  neu  er¬ 
standener,  als  ein  zweiter  Hyrtl  dereinst  würde  bezeichnet 
werden. 

Seine  jugendlich  empfängliche  Seele  öffnete  sich  unter 
dem  Beispiele  des  Meisters  dem  Verständnisse  für  die  Schön¬ 
heit  der  von  classischem  Geiste  durchwehten  Sprache,  die  ihm 
später  so  zu  eigen  wurde,  dass  er  mit  Recht  ein  Classiker 
der  Prosa  genannt  werden  kann. 

Noch  grösseren  Eindruck  als  H  y  r  t  l’s  genialer  Schwung 
in  Auffassung  und  Darstellung  übte  auf  den  jungen  Albert 
Skoda’s  Einfachheit,  Klarheit  und  Nüchternheit,  von  welcher 
er  classische  Beispiele  in  dem  Schatze  seines  Gedächtnisses 
bewahrte.  In  Oppolzer  hinwider  lernte  er  den  Kliniker 
schätzen,  welcher  aus  festgestellten  Thatsachen  mit  genialer 
Intuition  seine  diagnostischen  Schlüsse  zog. 

Von  entscheidender  Bedeutung  für  Albert’s  Lebens¬ 
gang  war  seine  Annäherung  an  den  grossen  Rokitansky, 
welcher  in  dem  jungen  Landsmanne  das  schlummernde  Talent 
entdeckte.  Welche  hohe  Schule  für  den  jungen  Adepten,  dem 
Rokitansky  seine  classischen  Sectionsprotokolle  in  die  Feder 
dictirteü  Hier  fand  Albert  nicht  nur  die  seltene  und  neidens- 
werthe  Gelegenheit,  sich  gründlich  in  der  pathologischen  Ana¬ 
tomie  auszubilden,  sondern  erlernte  es  auch  von  dem  Meister, 
den  zu  beschreibenden  Gegenstand  mit  der  Plastik  des  Wortes 
zu  decken  und  anschaulich  zu  machen.  Hier  lernte  er  den 
Kriticismus,  welcher  die  Speculation  der  S  c  h  e  1 1  i  n  g’schen 
Naturphilosophie  zu  stürzen  bestimmt  war,  hier  fühlte  sich 
der  Jünger  zum  ersten  Male  von  einem  mächtigen  Geiste  an¬ 
geweht,  der  in  philosophischen  Speculationen  über  das  Wesen 
des  Wissens  und  die  Solidarität  des  Thierlebens  sich  erging 
und  in  der  Weisheit  der  alten  Inder  schwelgte. 

Albe  r  t  hat  seinem  Lehrer  und  Förderer  Rokitansky 
stets  das  dankbarste  Andenken  bewahrt  und  seiner  Werk¬ 
tätigen  Initiative  verdankt  der  wichtigste  Repräsentant  der 
Wiener  Schule  den  gebührenden  Ehrenplatz  in  der  Ruhmes¬ 
halle  unserer  Universität. 

Den  Doctorhut  erwarb  Albert  im  Jahre  1867  und 
hatte  damit  die  schwierigste  Periode  seines  Werdeganges  hinter 
sich.  Noch  in  demselben  Jahre  wurde  er  in  den  Verband  der 
chirurgischen  Klinik  v.  Dumreiche r’s  aufgenommen  und  be¬ 
trat  damit  die  Stätte,  an  welcher  er,  mit  einer  relativ  kurzen 
Unterbrechung,  bis  an  sein  Lebensende  wirken  sollte.  Der 
scharfsichtige  v.  Dum  re  ich  er  machte  ihn  bald  zu  seinem 
klinischen  Assistenten.  Nach  fünfjähriger  arbeitsvoller  Lehrzeit, 
welche  ihm  reichliche  Gelegenheit  geboten  hatte,  sich  praktisch 
auszubilden  und  die  literarischen  Sporen  zu  verdienen,  er¬ 
reichte  er  mit  der  Docentur  1872  die  unterste  Sprosse  der 
steilen  akademischen  Leiter,  welche  er  im  Fluge  erklomm. 


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denn  schon  im  folgenden  Jahre  (1873)  wurde  er  über  Roki¬ 
tansky’s  Betreiben  als  ordentlicher  Professor  der  klinischen 
Chirurgie  nach  Innsbruck  berufen,  nachdem  er  übrigens  vor¬ 
her  einen  Ruf  nach  Lüttich  abgelehnt  hatte. 

Bei  seinem  Scheiden  von  Wien  bereitete  Albert  seinem 
Chef  v.  Dum  re  ich  er  eine  heitere  Ueberraschung,  indem  er 
ihm  seine  junge  Frau  und  seine  kleine  Familie  vorstellte. 

Der  angestrengte  Dienst  hatte  Albert  nämlich  nicht 
verhindert  den  strengen  akademischen  Gesetzen,  welche  den 
klinischen’ Assistenten  bei  Strafe  der  Entlassung  das  Cölibat 
vorschreiben,  ein  Schnippchen  zu  schlagen  und  sich  in  der 
Schwester  seines  Collegen  Dr.  Pietsch,  der  flochter  eines 
Arztes,  die  treue  Lebensgefährtin  zu  suchen,  die  ihm  nach  mehr 
als  25jährigem  Zusammenleben  voll  Harmonie  und  Glück  vor 
wenigen  Tagen  die  Augen  geschlossen  hat.  Das  Geheimniss  war 
bis  dahin  von  Albert  strenge  gehütet  worden  und  mit 
Humor  erzählte  er  später  die  heitere  und  doch  wieder  rühiende 
Episode,  wie  er  in  einem  Leichenzuge  an  Seite  D  um¬ 
reich  er’s  zwischen  dem  Spalier  bildenden  Publicum  einher¬ 
schritt,  und  wie  seine  junge  Frau,  den  Aeltesten  am  Arme,  in 
der  vordersten  Reihe  stand,  und  wie  der  kleine  Junge  seinen 
Papa,  den  er  erkannt  hatte,  überlaut  und  freudig  begrüsste, 
und  wie  der  Gruss  der  Ehegatten  nur  in  einem  flüchtigen 
Wechsel  der  Blicke  bestehen  durfte. 

Acht  Jahre  wirkte  Albert  in  Innsbruck.  Waren  die 
Wiener  Lehrjahre  mit  ihren  sich  überstürzenden  Eindrücken, 
ihrer  jagenden  Hast  und  ihrer  Fülle  von  Arbeit  zur  Sammlung 
wenig  geeignet  gewesen,  so  hatte  Albert  in  seiner  neuen 
Stellung  nunmehr  die  Müsse  zur  Sichtung  des  erworbenen  Be¬ 
sitzes  und  zu  selbstständiger  Entwicklung.  Die  stille  Stadt, 
umgeben  von  einer  grossartigen  Natur,  war  so  recht  der  Ort 
zur  ruhigen  Arbeit,  die  in  edlem  Naturgenuss  neue  Anregung 
suchte  und  fand. 

Auf  der  Terrasse  des  Schlosses  Ambras  begann  er  sein 
weltbekanntes  vierbändiges  Lehrbuch  der  Chirurgie,  welches 
den  spröden  Stoff  in  so  viel  Formenschönheit  kleidete,  dass 
der  Leser  hingerissen  wird,  wie  von  einem  spannenden  Romane. 

Man  kann  sagen,  dass  in  der  medicinischen  Literatur 
kein  schöner  geschriebenes  Buch  existirt,  als  Albert’s  Lehr¬ 
buch,  welches  höchstens  noch  von  seiner  Diagnostik  chirur¬ 
gischer  Krankheiten  überboten  wird.  Beide  Werke  haben  zahl¬ 
reiche  Auflagen  erlebt  und  sind  von  Albert  bis  in  die  aller¬ 
jüngste  Zeit  stets  auf  der  Höhe  des  Fortschrittes  gehalten 
worden.  Die  medicinischen  Autoren,  deren  merkwürdiges  Ge¬ 
schick,  die  deutsche  Sprache  zu  verunstalten,  in  schriftstelle¬ 
rischen  Kreisen  viel  bemerkt  und  mit  Recht  bespöttelt  wird, 
können  von  Albert  lernen,  wie  durch  Schönheit  der  Form 
die  Klarheit  der  Darstellung  durchaus  nicht  zu  leiden  braucht, 
sondern  sich  eher  erhöht. 

Neben  der  Herausgabe  seines  grossen  Werkes  fand 
Albert  noch  die  Zeit,  die  Schätze  der  Innsbrucker  Uni¬ 
versitätsbibliothek  an  alten  medicinischen  Werken,  die  aus 
Klosterbüchereien  stammten,  zu  durchsichten  und  diese  hi¬ 
storischen  Studien,  welche  in  den  Beiträgen  zur  Geschichte  der 
Medicin  niedergelegt  sind,  sicherten  ihm  schon  in  jungen  Jahren 
den  Titel  des  »gelehrtesten«  aller  Chirurgen.  Untersuchungen 
über  'das  Fieber,  die  er  1873  gemeinsam  mit  Salomon 
Stricker  ausgeführt  hatte,  Beiträge  zur  operativen  Chirurgie, 
Studien  über  Neurektomie  und  Nerventransplantation  vermochten 
seinem  Schaffensdrang  nicht  Genüge  zu  thun.  Er  fand  noch 
Zeit,  sich  selber  wieder  auf  die  Schulbank  zu  setzen  und  Vor¬ 
lesungen  über  Philosophie,  darstellende  Geometrie  und  Mathe¬ 
matik  zu  hören. 

Die  neu  erworbenen  Kenntnisse  verwerthete  er  in  seinen 
Studien  über  Gelenksmechanik,  die  zu  seinen  Lieblingsthemen 
gehörte  und  ihn  später  nothwendig  auf  die  Orthopädie  hin¬ 
leitete.  Seine  Arbeiten  über  Mechanik  des  Hüftgelenkes  und 
dessen  Excursionskegel,  über  die  Mechanik  des  Kniegelenkes 
und  Sprunggelenkes  führten  eine  ganz  neue  Betrachtungsweise 
anatomisch-chirurgischer  Fragen  ein  und  deckten  wichtige 
Details  auf.  Sein  Lieblingsobject  blieb  immer  das  Hüftgelenk 
und  er  konnte  durch  die  Torsion  und  Detorsion  der  Kapsel¬ 
faserung  desselben  in  das  hellste  Entzücken  gerathen. 


Es  war  in  Innsbruck,  wo  Albert  als  Erster  in 
Oesterreich  die  Antisepsis  auf  ihren  Werth  sofort  erkannte, 
an  seiner  Klinik  einführte  und  für  die  Verbreitung  des 
segensreichen  Verfahrens  in  Oesterreich  genau  dieselbe  Mission 
erfüllte,  welche  dem  berühmten  Zeitgenossen  v.  Volkmann 
in  Deutschland  als  eine  seiner  bedeutungsvollsten  Leistungen 
zuerkannt  wurde.  Die  vielen  Kropfoperationen,  die  Albert 
unter  dem  Schutze  der  Antisepsis  erfolgreich  ausführte,  wirkten 
überzeugender,  als  die  glänzendsten  Plaidoyers  in  seinem  Lehr¬ 
buche,  welches  eine  neue  Epoche  der  Chirurgie  gerade  deshalb 
einleitete,  weil  es  als  das  erste,  nicht  nur  in  Deutschland, 
sondern  überhaupt,  die  Chirurgie  auf  der  gänzlich  neuen  Basis 
der  Antiseptik  ausüben  lehrte. 

Es  war  ein  Kampf,  den  Albert  seinerzeit  führte,  denn 
man  brachte,  zumal  in  Wien,  dem  damals  in  ceremonielle 
Sonderlichkeiten  eingekleideten  neuen  Verfahren  wenig  Ver¬ 
trauen  entgegen.  Nichts  ist  dafür  bezeichnender  als  die  Aeusse- 
rung  v.  Dumreicher’s,  welcher  die  unfreiwillige  Adoptirung 
einer  halben  Antiseptik  »eine  Concession  an  das  grosse  Publi¬ 
cum«  nannte. 

Als  v.  Dum  reich  er  das  Ende  seines  Lebens  nahen 
fühlte,  war  es  sein  einziger  Wunsch,  dass  seinem  Lieblings¬ 
schüler  Albert  die  Nachfolge  in  der  Leitung  der  I.  chirur¬ 
gischen  Klinik  gesichert  werde.  Nichtsdestoweniger  bedurfte 
es  für  die  Ernennung  Albert’s  nach  Wien  eines  Separat¬ 
votums,  das  seinen  mittlerweile  nach  Wien  berufenen  Universi- 
tätscollegen  Eduard  v.  Hoffmann  zum  Urheber  hatte 
und  von  Meynert  und  Stricker  unterstützt  wurde. 

Am  2.  Mai  1881  nahm  Albert  als  neuer  Chef  officiellen 
Besitz  von  jener  Stätte,  an  welcher  er  unter  v.  Dum  reicher 
als  Schüler  seine  chirurgische  Laufbahn  begonnen  hatte  und 
hielt  seinem  verstorbenen  Lehrer  einen  Nachruf,  der  als  Meister¬ 
werk  akademischer  Redekunst  sich  den  rauschenden  Beifall 
eines  glänzenden  Auditoriums  erzwang.  Albert’s  erstes  Auf¬ 
treten  in  Wien  war  ein  Sieg  auf  der  ganzen  Linie. 

Sein  einfaches  und  klares  Programm,  »der  hauptsäch¬ 
lichste  Theil  seiner  Lehrtätigkeit  werde  darin  bestehen, 
seinen  Schülern  dasjenige  beizubringen,  was  die  weitaus 
grösste  Mehrzahl  derselben,  die  sich  der  Landpraxis  zuwendet, 
in  den  Verhältnissen  einer  solchen  Praxis  leisten  soll  und  auch 
leisten  kann«,  fand  in  der  Studentenwelt  den  ungeteilten  Bei¬ 
fall  und  die  unübertreffliche  Art  und  Weise,  in  welcher 
Albert  dieses  Programm  verwirklichte,  lockte  die  wissbegie¬ 
rige  Jugend  in  hellen  Schaaren  herbei,  so  dass  der  alte  Hör¬ 
saal  die  Zahl  der  Zuhörer  ebenso  wenig  zu  lassen  vermochte, 
wie  der  vergrösserte  neue  Saal. 

Albert  hatte  erkannt,  dass  er  neben  dem  gewaltigen 
Billroth  nur  durch  die  Entfaltung  seines  unübertroffenen 
Lehrtalentes  persönliche  Geltung  gewinnen  konnte,  und  dass 
sich  seine  klinische  Thätigkeit  als  Lehrer  zu  jener  Billrot  hs 
ebenso  ergänzend  verhalten  müsse,  wie  sich  seinerzeit 
S  c  h  u  h  und  Dumreicher  auf  dem  chirurgischen,  S  k  o  d  a 
und  Oppolzer  auf  dem  intern  klinischen  Lehrgebiete  in 
harmonischem  Zusammenwirken  ergänzt  hatten. 

Wie  Albert  lehrte,  bedarf  keiner  näheren  Schilderung; 
er  war  darin  ein  ebenso  anerkannter  als  unübertioffenei 
Meister,  der  sein  Auditorium,  das  zum  Theile  in  fürchterlich 
bedrängter  Enge  schmachtete,  stundenlang  in  seinem  geistigen 
Banne  zu  halten  verstand.  Der  unscheinbarste  und  alltäglichste 
Fall  wurde  interessant,  wenn  Albert  ihn  beleuchtete.  Mit 
seinem  Auditorium  stand  er  im  regsten  Wechselverkehr,  das 
zu  Zwiegesprächen  führte,  welche  tür  den  Gefragten.  <  ei 
nicht  zu  sehen  und  zu  combiniren  wusste,  höchst  ungemüth  il  i 
werden  konnten. 

Als  Albert  sein  neues  Amt  übernommen  hatte,  begann 
er  unterstützt  durch  seinen  von  Innsbruck  berufenen  a- 
maligen  Assistenten  Karl  May  dl,  das  Reformwerk  an  seiner 
Klinik,  welche  mittlerweile  währenddes  von  Nicoladon  i  ge  ü  n 
ten  Interregnums  auf  den  Boden  der  Antiseptik  gestellt  w  oi  t  en  \\  ai 
Albert  vollendete  das  begonnene  Werk  und  führte  mi  L  e  jer- 
eifer  eine  sozusagen  übertriebene  Antiseptik  ein,  wie  es  c .  len 
dem  Geiste  der  Zeit  entsprach.  Er  kehrte  damals  den  jah 
zufahrenden,  barschen  Chef  mehr  hervor,  als  uns  jungen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Leuten  an  der  Klinik  angenehm  sein  konnte,  denn  das  Interim 
hatte  jede  Disciplin  gelockert.  Mit  kräftiger  Wurfschaufel 
sonderte  er  die  Spreu  vom  Weizen,  und  nun  kiess  es,  an  die 
harte,  weil  ungewohnte  Arbeit.  Wer  nicht  wollte  oder  nicht 
konnte,  schlich  sich  still  davon,  denn  sein  Schicksal  war  von 
vorneherein  besiegelt. 

Während  der  ersten  drei  Lustren  seiner  klinischen 
Thätigkeit  in  Wien  war  Albert  geradezu  ein  Fanatiker  der 
Arbeit.  Schon  der  frühe  Morgen  und  noch  die  späte  Nacht 
fanden  ihn  am  Schreibtische.  Der  Tag  war  eine  ununter¬ 
brochene  Hetzjagd,  in  der  oft  genug  für  das  Mittagessen  keine 
Zeit  blieb.  Wenn  die  Arbeitslast,  die  auf  seinen  Schultern  lag, 
schier  unerträglich  schien,  dann  legte  er  sich  zu  unserer 
Ueberraschung  noch  eine  freiwillige  Aufgabe  zu  und  las  ein 
interessantes  Collegium  publicum  »Ueber  Gelenksmechanik« 
oder  »Ueber  die  Einführung  in  die  Chirurgie«. 

Es  war  ihm  eine  Freude  und  Genugthuung  selbst  ein 
scheinbares  Uebermass  von  Arbeit  leicht  bewältigen  zu  können. 

Eine  lange  Reihe  von  Arbeiten  aus  dieser  Zeit  entstammt 
seiner  Feder  oder  entstand  unter  seiner  Anregung.  Neben 
rein  chirurgischen  beschäftigten  ihn  auch  experimentell-patho 
logische  Studien  über  Wärmeverhältnisse  beim  Fieber  und 
über  Hirndruck.  In  der  Therapie  der  Knochen-  und  Gelenks- 
tuberculose  bei  Kindern  verfocht  er  zur  Zeit  der  Resections- 
orgien  in  Deutschland  stets  das  conservative  Princip  der 
Wiener  Schule  und  hatte  noch  die  Genugthuung,  die  Anderen 
reumüthig  auf  jenen  Standpunkt  zurückkehren  zu  sehen,  den 
er  selbst  niemals  verlassen  hatte.  Eine  praktische  Frucht  dieser 
Bestrebungen  war  die  Gründung  des  Seehospitzes  St.  Pellagio 
bei  Ilovigno  in  Istrien.  Albert  warein  besonderer  Förderer 
des  hohen  Steinschnittes  und  der  conservativen  Magen- 
Darmoperationen.  Auch  in  Gynaecologies  hat  er  sich  mit 
Glück  versucht  und  selbst  in  seiner  gedrängtesten  Zeit 
der  Lösung  ihn  besonders  ansprechender  theoretischer  Probleme 
aus  der  orthopädischen  Chirurgie  sein  Talent  zugewendet. 
Sein  einziger  Ausflug  auf  das  praktische  Gebiet  dieser  Special- 
disciplin  schenkte  uns  die  Arthrodese  zur  Versteifung  un¬ 
brauchbarer  Sehlottergelenke. 

Zu  dieser  Arbeitsfülle  brachte  ihm  seine  im  Professoren¬ 
collegium  bald  erreichte  Führerrolle  neue  Aufgaben  in  Gestalt 
von  Referaten  und  Gutachten,  welche  seinen  Riesenschreibtiseh 
oft  bergeshoch  vergruben.  Seine  1886  erfolgte  Berufung  in 
den  Obersten  Sanitätsrath  vermehrte  im  selben  Sinne  seine 
Arbeitslast,  und  steigerte  gleichzeitig  seine  Arbeitsfreude.  Hof¬ 
rath  Albert’s  Gutachten  und  Referate  füllen  Bände;  es 
sind  durchgehends  Meisterwerke  formvollendeter  klarer  Diction, 
mit  welcher  er  stets  den  Nagel  auf  den  Kopf  zu  treffen  wusste. 

Ein  schlagfertiger  Debatter  ersten  Ranges  improvisirte 
er  Reden,  die  wie  ein  sprudelnder  Quell  druckfertig  von 
seinem  Munde  flössen;  seine  Genialität  entkleidete  die  be¬ 
handelte  Frage  mit  einem  Blicke  des  verhüllenden  Beiwerkes, 
legte  in  lapidaren  und  immer  classisch  schönen  Sätzen  ihren 
innersten  Kern  bloss  und  führte  die  verfahrenste  Debatte  treff¬ 
sicher  zu  dem  gewollten  Abschluss. 

Ein  Gewaltiger  in  Wort  und  Schrift  war  und  blieb 
Albert  ein  treibender  Factor  im  Leben  der  Universität. 
Seine  intime  Freundschaft  mit  Taaffe,  die  von  Innsbruck 
her  datirte,  steigerte  seinen  Einfluss,  welchem  es  trotz  manchem 
Kampfe  im  Schosse  des  Collegiums  gelang,  die  bauliche 
Ausgestaltung  der  medicinischen  Facultät  mit  dem  Neubau 
des  anatomischen  Institutes  wenigstens  zu  inauguriren. 

Für  die  Fragen  des  Unterrichtes  hatte  Albert  ein 
stets  wachsames  Interesse  und  vereitelte  den  geplanten  Gewalt¬ 
streich  des  Numerus  clausus  an  der  medicinischen  Facultät. 
In  der  Frage  des  Frauenstudiums  nahm  er  eine  prononcirte 
Sonderstellung  ein,  die  ihm  viele  Anfeindungen  eintrug. 

Albert,  der  glühende  Verehrer  der  Frauen,  sprach 
diesen  die  physische  Eignung  zu  einem  erschöpfenden  medi¬ 
cinischen  Studium  ab,  trat  aber  ebenso  entschieden  dafür  ein, 
dass  ihnen  Gelegenheit  zur  gründlichen  Ausbildung  als  Heil¬ 
gehilfen  geboten  werde.  Er  war  in  dieser,  vorläufig  gegen  ihn 
entschiedenen  Frage,  ein  Gegner  der  Frauen,  —  aus  Liebe 
zu  ihnen,  aus  Mitleid  für  sie. 


Als  Festredner  war  Albert  unübertrefflich.  Die  Uni¬ 
versalität  seiner  Bildung  stellte  ihm  einen  reichen  Gedanken¬ 
schatz  zur  Verfügung,  den  er  durch  meisterhafte  Handhabung 
der  Sprache  in  feinster  Nuancirung  zur  vollendet  schönen  Dar¬ 
stellung  zu  bringen  wusste.  Seine  Gedenkrede  auf  Theodor 
Billroth,  »der  unter  uns  der  Erste  war«,  steht  noch  in 
Aller  Erinnerung.  Seine  gelegentlich  der  Eröffnungsfeier  der 
böhmischen  Akademie  -der  Wissenschaften  (deren  hervor¬ 
ragendstes  Mitglied  er  war)  gehaltene  Rede  »Zwei  Welten« 
vereinigt  classische  Schönheit  mit  bewunderungswürdiger  Ge¬ 
dankentiefe. 

Als  Gelegenheitsredner  überraschte  Albert  durch  die 
Schnelligkeit  der  Improvisation,  durch  die  scheinbare  Irre¬ 
führung  der  Zuhörer,  welche  irgend  einem  verblüffend  genialen 
Schlusswitze  als  Folie  zu  dienen  hatte.  Als  glänzender  Causeur 
war  Albert  von  einer  Liebenswürdigkeit,  die  ihn  zum  Mittel¬ 
punkte  jeder  Geselligkeit  und  zum  erklärten  Liebling  der 
Frauen  machte. 

Der  Arzt  Albert  war  von  unendlicher  Güte  gegen 
den  Patienten,  ganz  besonders  gegen  den  armen;  er  vermied 
es,  riskante  Operationen  vorzuschlagen,  deren  Vortheile  nicht 
auf  der  Hand  lagen.  Albert  war  ein  streng  conservative!’ 
Chirurg. 

Als  Diagnostiker  verblüffte  er  durch  seine  kaum  jemals 
irrende  Treffsickerkeit,  welche  aus  einem  unscheinbaren,  leicht 
zu  übersehenden  Symptome  das  ganze  Krankheitsbild  ergänzte. 
Der  Operateur  Albert  verfügte  nicht  über  jene  glänzende 
Technik,  welche  den  Zuschauer  die  Schwierigkeiten  der  je¬ 
weiligen  Operationsphase  nicht  ahnen  lässt.  Im  Gegentheile, 
er  plagte  sieh  und  liess  jene  kalte  Ruhe  vermissen,  welche 
Viele  erheucheln  und  nur  Wenige  besitzen.  Ob  diese  Wenigen 
auch  die  Besseren  sind  ? 

Albert  führte  indess  die  schwierigsten  Aufgaben  in 
verhältnissmässig  kurzer  Zeit  zu  Ende.  Bewunderungswürdig 
war  seine  Kenntniss  lebender  pathologischer  oder  normaler 
Gewebe;  er  Avar  niemals  darüber  im  ZAveifel,  in  welcher  Schichte 
die  Schneide  seines  Messers  vordrang.  Bei  anatomischen  und 
typischen  Operationen  erinnerte  seine  schwunghafte  und  ge- 
waltige  Messerführung  an  seinen  ersten  Lehrer  Franz 
S  c  hu  h. 

Mit  zunehmenden  Jahren  und  steigender  Weitsichtig¬ 
keit  schien  Albert  das  Messer  Aveniger  zu  lieben,  als  die 
Feder.  Er  freute  sich  an  der  Arbeit  seiner  Schüler,  deren 
Meisterschaft  durch  die  tausendfach  gebotene  Gelegenheit  der 
Bethätigung  rascher  zur  Reife  gebracht  wurde  und  hielt  mit  oft 
überschwenglichem  Lobe  nicht  zurück. 

Als  Prüfer  war  Albert  streng,  aber  gerecht.  Wie  sein 
Lehramt,  so  betrachtete  er  auch  sein  Prüferamt  als  Gewissens¬ 
sache.  Da  er  Alles  gab,  glaubte  er  auch  Einiges  fordern 
zu  müssen. 

Ein  Freund  seiner  Schüler,  blieb  er  auch  ein  warmer 
Freund  der  Aerzte  und  die  augenblicklichen  Bedrängnisse  des 
ärztlichen  Standes  erfüllten  ihn  mit  grosser  Betrübniss. 

Als  überragende  und  scharf  geprägte  Individualität' hat 
es  ihm  niemals  an  Bewunderern  und  ebensowenig  an  Feinden 
gefehlt  und  auch  er  vermochte  kräftig  zu  hassen. 

Seine  1895  erfolgte  Berufung  in  das  österreichische 
Herrenhaus  führte  Albert  auf  die  Höhe  seiner  äusseren  Er¬ 
folge  und  in  die  breije  Oeffentlichkeit. 

Durchtränkt  von  deutscher  Cultur  und  Wissenschaft, 
auf  der  Höhe  der  internationalen  Weltcultur  der  Gegenwart 
stehend,  wusste  Albert  die  Bedingungen  ihrer  FortentAvieklung 
und  die  Werth-  und  Maehtverhältnisse  der  grossen  und  kleinen 
Volkszahl  in  dem  Ringen  der  Gegenwart  mit  der  Nüchtern¬ 
heit  des  Mathematikers  und  der  Vorurteilslosigkeit  des  über 
allen  Parteiungen  stehenden  Philosophen  abzuwägen;  es  ge¬ 
reicht  ihm  zum  Ruhmestitel,  dass  er  im  Herzen  ein  treuer 
Sohn  seines  Volkes  geblieben  ist.  Dem  politischen  Streite  ab¬ 
hold.  suchte  er  nach  seiner  Art  die  erregten  Gemiither  durch 
die  Blumengaben  seiner  Poesie  aus  Böhmen  zu  besänftigen. 
Ferne  A7on  jedem  Fanatismus,  war  Albert  ein  erleuchtete!1 
Patriot,  dessen  Wirken  von  unserem  allergnädigsten  Herrn 
und  Kaiser  wiederholt  als  ein  echt  patriotisches  bezeichnet  wurde. 


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Den  Aufregungen  und  übermenschlichen  Anstrengungen 
dieser  Kampfperiode  seines  Lebens  vermochte  selbst  die  Riesen¬ 
natur  Alberts  auf  die  Dauer  nicht  Stand  zu  halten. 

Wir  sahen  ihn  plötzlich,  und  wie  es  anfänglich  schien, 
fast  hoffnungslos  zusammenbrechen.  Das  müde  Herz  fing  an 
zu  revoltiren  und  warf  den  starken  Mann  unter  den  äusseren 
Erscheinungen  einer  schweren  Neurasthenie  zu  Boden. 

Die  erzwungene  Ruhe,  die  unermüdliche  und  hingehende 
Pflege  seiner  Gattin,  die  seltene  Selbstbeherrschung  des  Ki  unken 
und^vielleicht  auch  der  ihn  erhebende  Anblick  der  Schaaren 
theilnehmender  und  hilfsbeflissener  Freunde  förderten  seine 
Genesung. 

Wir  sahen  den  Freund  zu  unserer  unendlichen  Freude 
wieder  erstehen. 

Die  Prüfung  der  Krankheit  hatte  ihn  geläutert.  Alle 
Ecken  und  Härten  seiner  ragenden  Individualität  waren  har¬ 
monisch  geglättet  zu  einer  echt-  sokratischen  Erscheinung.  Ei 
übte  stille  Wohlthaten,  oft  weit  über  seine  Kräfte;  Schätze  hat 
er  nicht  gesammelt. 

Noch  einmal  nahm  er  seine  Arbeit,  den  Kampf  nicht 
wieder  auf.  Aus  den  Schätzen,  welche  sein  im  Tode  voraus- 
gegangener  Freund  Hans  K  u  n  d  r  at  gesammelt  hatte,  gab 
er  uns  Perlen  unvergänglichen  Werthes.  Seine  grundlegenden 
Studien  über  Pathologie  und  Mechanik  der  Skoliose  und  über 
die  innere  Structur  der  Knochen  auf  vergleichend-anatomischer 
Basis  sind  die  Früchte  dieser  vom  Tageslärm  abgewendeten 
GelehrteDarbeit.  Seine  Erholung  suchte  und  fand  er  nach  wie 
vor  in  seinem  Hörsaale.  »Der  h  leiss  und  die  Aufmerksamkeit 
meines  Auditoriums  ist  heute  noch  der  u  m  f  a  s  s  e  n  d  s  t  e  Er¬ 
folg  meines  Wirkens«,  sagteer,  als  wir  sein  von  Horowitz 
Meisterhand  geschaffenes  Bild  der  Ahnengalerie  der  Klinik 
mit  wehmiithigen  Gefühlen  einverleibten. 

Was  ihm  an  Müsse  blieb,  schenkte  er  seiner  geliebten 
Poesie  aus  Böhmen  oder  er  flüchtete  in  die  ewigen  Wunder 
des  Himmels. 

Seinen  engeren  Schülern,  welchen  er  bisher  hreund  ge¬ 
wesen  war,  wurde  er  zum  Vater.  Ihre  Erfolge  waren  die 
seinen.  Seine  Güte  schien  nur  durch  seine  gleichmässige  philo¬ 
sophische  Heiterkeit  übertroffen.  Scherzhaft  nannte  er  sich  den 
abgeklärten  Greis,  welcher  —  leider  —  alle  Schlacken  mensch¬ 
licher  Leidenschaft  abgestreift  hätte. 

Sein  ungeschwächtes  Interesse  für  die  Studentenschaft 
bekundete  er  zum  letzten  Male  in  einer  glänzenden  Rede  über 
die  Reform  der  medicinischen  Studien,  da  er  es  für  seine 
heilige  Pflicht  erachtete,  seine  jungen  Freunde  gegen  die  Härten 
der  neuen  Prüfungsordnung  in  Schutz  zu  nehmen. 

Im  verflossenen  Sommer  wurde  ihm  als  einzigen 
Chirurgen  in  Oesterreich  die  Ehre  der  Mitgliedschaft  des 
»Royal  college  of  surgeons«  zu  Theil.  Er  nahm  diese  Aus¬ 
zeichnung  in  London  persönlich  in  Empfang  und  erzählte  mir, 
wie  er  sich  gefreut  habe,  den  von  ihm  hochgeschätzten  Pro¬ 
fessor  Kocher  in  Bern  als  »Fellow  of  the  college«  zu  be- 
grüssen. 

Am  XIII.  internationalen  medicinischen  Congress  in 
Paris  war  Albert  mit  der  ehrenvollen  Aufgabe  betraut 
worden,  die  österreichische  Regierung  zu  vertreten,  und  be- 
zeichnete  in  seiner  bejubelten  Ansprache  die  Aerzte  im  Kampfe 
gegen  die  Krankheiten  als  Soldaten,  welche  bis  zum  letzten 
Herzschlage  auf  ihrem  Posten  verharren  müssten! 

Die  Manen  des  Verstorbenen  würden  verunglimpft  sein, 
wollte  man  Albert  nur  als  Fachmann  beurtheilen.  Allzu  be¬ 
scheiden,  nannte  er  sich  selbst  nicht  einen  Schöpfer,  nur  einen 
Apostel.  Jedenfalls  war  er  ein  Kritiker  von  seltener  Intuition. 
So  warnte  er  sofort  vor  den  übertriebenen  Hoffnungen  der 
Tuberculinära.  Thatsächlich  hat  Albert,  wenn  auch  nicht  in 
den  grössten  Errungenschaften  der  modernen  Chirurgie,  so 
doch  in  wichtigen  Details  entweder  selbst  schöpferisch  gewirkt 
oder  doch  befruchtende  Anregungen  hiezu  gegeben. 

In  Anbetracht  der  kurzen  Spanne  Zeit,  die  ihm  das 
Schicksal  beschied,  hat  Albert  Schule  gemacht.  Mit  Stolz 
nennen  sich  May  dl,  Höchen  egg,  Schnitzler,  Rudolf 
Frank,  Ullmann,  Ewald,  v.  Friedländer,  H a b b a r t, 


Zinsmeister,  Lorenz  u.  v.  A.  seine  engeren  Schüler, 
in  deren  Herzen  Albert  fortleben  wird,  so  lange  diese  selber 
schlagen.  Ich  selbst  verlor  durch  seinen  Heimgang  den 
Schmuck  und  die  Zierde  meines  Lebens.  Die  Gemeinde  seiner 
weiteren  Schüler  zählt  nach  Tausenden.  Albert  bildete  als 
erster  in  Oesterreich  viele  Kriegschirurgen  aus  und  hinterlässt 
in  Habbart  deren  Führer. 

Aber  die  Bedeutung  Albert’s  reicht  weit  über  sein 
Fach  hinaus. 

Er  war  ein  universeller  Geist  vom  Schlage  der  grossen 
Humanisten  der  Renaissance,  welche  in  unserem  verflachenden 
Zeitalter  um  so  höher  geschätzt  werden  müssen,  je  seltener 
sie  auftreten.  Kein  Gebiet  des  menschlichen  Wissens  war  ihm 
fremd,  in  vielen  war  er  völlig  heimisch.  Er  war  ein  Weiser. 
Als  Lebenskünstler  reichte  Albert  an  Billroth  hinan;  im 
Glück  des  Todes  durfte  er  ihn  übertreffen.  Eine  in  sich  ge¬ 
schlossene  Kette  von  Arbeit  und  Genuss,  liegt  sein  Leben  vor 
uns.  Die  Höhe  seiner  Bahn  bedeutete  auch  ihr  Ende.  Nicht 
wie  ein  flackerndes  Lämpchen,  sondern  wie  ein  leuchtendes 
Meteor  ist  er  plötzlich  erloschen  und  ohne  Trennungsschmerz 
zog  seine  Seele  ins  Hehre,  dem  Licht  entgegen,  nach  dem  sie 
stets  gestrebt.  Adolf  Lorenz. 

* 


Publicationen  des  f  Hofrath  Prof.  Eduard  Albert. 

A.  Grössere,  namentlich  selbstständige  Publicationen. 

Lehrbuch  der  Chirurgie  und  Operationslehre.  Wien.  1.—  5.  Auflage, 
1877 — 1899.  (Die  fünfte  Auflage  führt  dtn  Titel:  Lehrbuch  der  speciellen 
Chirurgie.)  —  Diagnostik  der  chirurgischen  Krankheiten.  Wien.  1. — 8.  Auf¬ 
lage,  1876—1900.  —  Der  Excursionskegel  des  Femur  bei  Luxation  des 

Hüftgelenkes.  Separatabdruck.  Innsbruck  1877.  —  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Chirurg i*.  Heft  1.  Wien  1877.  Heft  2.  Wien  1878.  —  Beiträge  zur 
operativen  Chirurgie.  Heft  1.  Wien  1878.  Heft  2.  Wien  1880  (umfassend 
die  Serie  von  I — XXII  der  sub  B  angeführten  Beiträge).  — Der  Verein  zur 
Errichtung  und  Förderung  von  Seehospizen  und.  Asylen  für  arme  scrophulöse 
und  rachitische  Kinder  Wiens  und  der  Vororte.  Wien  1886.  —  Arbeiten 

und  Jahresbericht  der  k.  k.  ersten  chirurgischen  Universitätsklinik  zu  Wien. 
Schuljahr  1888.  Wien  1889.  —  Beiträge  zur  Theorie  der  Skoliose.  Wien 
1890.  Sammlung  medicinischer  Schriften.  Holder.  —  Die  Erfolge  des 
Messers.  Antwort  auf  die  Brochure:  »Unter  der  Herrschaft,  des  Messers«. 
Wien  1892.  —  Zur  Lehre  der  sogenannten  Coxa  vara  und  Coxa  valga. 

Wien  1899.  —  Die  seitlichen  Kniegelenksverkrümmungen  und  die  compen- 
satorischen  Fussformen.  Wien  1899.  —  Der  Mechanismus  der  skoliotii-cben 
Wirbelsäule.  Wien  1899.  —  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Osteomyelitis. 

Wien  1896.  (Im  Vereine  mit  K  o  1  i  s  k  o.)  —  Die  Frauen  und  das  Studium 
der  Medioin.  Wien  1895. 

Lyrische  Publicationen. 

Nebst  gelegentlichen  Veröffentlichungen  in  der  »Blauen  Donau«  etc. 
die  Sammlungen  von  Ueberset.zuiigen  aus  dem  Böhmischen:  Poesie  aus 
Böhmen.  Wien  1892.  —  Neuere  Poesie  aus  Böhmen.  Wien  1893.  —  Neueste 
Poesie  aus  Böhmen.  Wien  1895.  Zwei  Bände.  —  Der  Blumenstrauss  des 
Karl  Johann  Erben.  Wien  1900.  —  Lyrisches  und  Verwandtes  aus 

der  böhmischen  Literatur.  Wien  1900. 

B.  Publicationen  mul  Artikel  in  Zeitschriften  etc. 

Wiener  medicinische  Jahrbücher. 

Untersuchungen  über  das  Wundfieber;  im  Vereine  mit  Stricker. 
1871,  pag  39.  —  Ueber  Hernia  inflammata.  1871,  pag.  239.  —  Unter¬ 

suchungen  über  die  Wärmeökonomie  des  Herzens  und  der  Lunge.  Im 
Vereine  mit  Stricker.  1873,  pag.  30.  —  Studien  zur  chirurgischen 

Pathologie  der  Bewegungsorgane.  1873,  pag.  304.  —  Zur  Mechanik  des 
Hüftgelenkes.  1876,  pag.  105.  —  Zur  Mechanik  des  Schultergürtels  des 
Menschen.  1877,  pag.  190.  —  Zur  Mechanik  des  Hüftgelenkes.  Antwort 

auf  die  offene  Erwiderung  des  Herrn  Prof.  Aeby  in  Bern.  1877,  pag.  291. 
—  Zur  Mechanik  des  Hüftgelenkes.  1878,  pag.  495.  —  Ueber  einige  1  er- 
hältnisse  der  Wärme  am  fiebernden  Thiere.  1882,  pag.  367.  —  Zur  Me¬ 

chanik  des  unteren  Sprunggelenkes  des  Menschen.  1882,  pag.  493.  - 
Einige  kymographische  Messungen  am  Menschen.  1883,  pag.  249. 

Berichte  des  naturwissenschaftlich -  medicinischen 

Vereines  in  Innsbruck. 

Mittheilung  über  den  Zusammenhang  zwischen  Temperatur  und 
Athmung  an  curarisirten  Hunden.  14.  Sitzung,  5.  November  1873.  Sitzungs¬ 
berichte.  IV.  Jahrgang,  pag.  49.  —  Untersuchungen  über  das  Fieber.  Be¬ 
richte.  IV.  Jahrgang,  Heft  1.  —  Beiträge  zur  Geschichte  der  Chirurgie. 

1.  Die  Blutstillungsmethoden  im  Mittelalter.  Berichte.  VII.  Jahrgang,  Heft  1. 

2.  Die  ältere  Chirurgie  der  Kopfverletzungen.  Berichte.  5  II.  Jahrgang, 
Heft  1.  —  Die  Herniologie  der  Alten.  Berichte.  Vll.  Jahrgang,  Heft.  2. 
Peter  Franco  über  die  Hernien  und  die  Blasensteine.  Berichte. 
IX.  .  Jahrgang,  pag.  1.  —  Zur  Mechanik  des  Kniegelenkes.  Berichte. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


900 


IX.  Jahrgang,  pag.  41.  —  Zur  Mechanik  der  menschlichen  Sprunggelenke. 
Berichte.  X.  Jahrgang,  pag.  102. 

Wiener  medicinische  Presse. 

Herniologische  Beobachtungen.  1873,  Nr.  20.  —  Zur  trage  der 
Distractionsbehandlung  entzündeter  Gelenke.  1875,  Nr.  43 — 46.  —  Ueber 
das  Genu  recurvatum.  1875,  Nr.  17,  19,  22.  —  Fälle  von  Concrementen 
und  fremden  Körpern  in  den  Harnwegen.  1876,  Nr.  4  und  6.  —  Ueber 

Arthrotomie.  1876.  Nr.  20,  21,  23-28,  30,  31,  33-35,  37.  —  Beiträge 
zur  operativen  Chirurgie:  I.  Ueber  die  ausgedehntere  Nahtanwendung  bei 
Operationen  unter  der  L  i  s  t  e  r’schen  Wundbehandlung.  1877,  Nr.  1. 
II.  Amputation  der  Zunge  wegen  eines  grossen  Tuberkelknoteus,  der  für  ein 
Carcinom  gehalten  wurde.  1877,  Nr.  2.  III.  Transplantation  der  Fibula  in 
die  Fossa  intercondyloidea  femoris  bei  angeborenem  Defecte  der  ganzen 
Fibula.  1877,  Nr.  4.  IV.  Keilexcision  aus  der  Tibia  und  Osteoklase  der 
Fibula  wegen  winkelig  geheilter  Unterschenkelfractur.  1877,  Nr.  6. 
V.  Arthrotomie  des  Knies  zur  Entfernung  von  Gelenkmäusen;  gleichzeitige 
Entfernung  eines  intraarticulären  Knochenauswuchses.  1877,  Nr.  7.  VI.  Ex¬ 
stirpation  einer  Struma  mit  Anwendung  eines  Lappenschnittes;  Heilung 
in  vier  Wochen.  1877,  Nr.  8.  VII.  Sarkom  des  weichen  Gaumens;  Exstirpation 
unter  Anwendung  einer  Nothschlinge  an  der  Carotis.  1877,  Nr.  8.  VIII.  Re¬ 
section  des  C  h  o  p  a  r  t’schen  Gelenkes  wegen  Caries  desselben;  Recidive 
der  Caries;  Amputation  des  Unterschenkels.  1877,  Nr.  10.  IX.  Einige  Fälle 
von  Neurektomie.  1877,  Nr.  17,  19.  X.  Einige  Serotaloperationen.  1877, 
Nr.  25,  26.  XI.  Zur  G  r  i  1 1  i’schen  Amputation.  1877,  Nr.  31.  XII.  Eine 
Kniegelenksresection  mit  vollständiger  Naht  und  primärer  Vereinigung. 

1877.  Nr.  35.  XIII.  Keilexcision  der  Tibia  mit  vollständigem  Nahtverschluss 
der  Wunde  und  subcutanem  Heilungsverlaufe.  1877,  Nr.  37.  —  Einige 
Fälle  von  interessanteren  Krankheiten  der  Sehnenscheiden  und  Schleim¬ 
beutel.  1871,  Nr.  27,  28.  —  Ein  sehr  seltener  Fall  von  Ellbogenluxation. 
1871,  Nr.  1.  —  Einige  Fälle  von  interessanteren  Fracturen.  1871,  Nr.  22. 

—  Ein  Fall  von  Enchondrom,  das  eine  Caries  des  Fersenbeines  vortäuschte. 

1871,  Nr.  37.  —  Kleinere  Mittheilungen  (vier  Fälle).  1871,  Nr.  47.  — 

Fälle  von  Makrodaktylie.  1872,  Nr.  1  und  3  (Nachtrag).  —  Fälle  von 
interessanten  Luxationen.  1872,  Nr.  29,  47  und  51.  —  Herniologische 

Beobachtungen.  1873,  Nr.  2,  3.  —  Operative  Casuistik  (aus  der  Klinik 
Prof.  Dumreicher’s).  1873,  Nr.  20.  —  Jahresbericht  der  chirurgischen 
Klinik  an  der  k.  k.  Universität  in  Innsbruck.  1874,  Nr.  32,  33,  35 — 39 
(Mittheilung  19  interessanter  Fälle).  —  Ueber  den  Unterricht  in  der 
Chirurgie.  1874,  Nr.  47  und  48.  —  Die  Behandlung  der  Caries  der  Ge¬ 
lenke  1874,  Nr.  41 — 45.  —  Die  Ovariotomie  in  Tirol.  1875,  Nr.  34 
und  35. —  Beiträge  zur  operativen  Chirurgie:  XIV.  Einige  Operationen  am 
Pharynx.  1878,  Nr.  33.  XV.  Radicaloperationen  von  Hernien.  1878,  Nr.  36. 
XVI.  Einige  Aithrotomien.  1878,  Nr.  42.  XVII.  Einige  Laparotomien. 

1878,  Nr.  47,  und  1879,  Nr.  2.  XVIII.  Zwei  Cystotomien  mit  Nabt.  1879, 
Nr.  8.  XIX.  Exstirpation  einer  Struma  maligna  mit  Heilung  per  primam 
intentionem.  1879,  Nr.  21.  XX.  Zur  Resection  des  Kniegelenkes.  1879, 
Nr.  22,  23  und  24.  —  Zur  Geschichte  der  Medicin.  Excursioni  d’un  medico 
nel  Decamerone.  1879,  Nr.  21  und  22.  —  Beiträge  zur  operativen  Chirurgie : 

XXI.  Versuch  zur  Herstellung  einer  Ankylose  des  Schulter-  und  Ellbogen¬ 
gelenkes  bei  spinaler  Lähmung  der  oberen  Gliedmasse.  1879,  Nr.  52. 

XXII.  Ein  Fall  von  Resection  der  Patella.  1879,  Nr.  52.  —  Ueber  den 

Charakter  und  die  Bedeutung  der  fungösen  Gelenksentzündungen.  Von 
Prof.  R.  V  o  1  k  m  a  n  n.  Besprochen  von  Prof.  E.  Albe  r  t.  1880,  Nr.  1.  — 
Zur  Geschichte  der  Medicin.  Ein  österreichischer  Elektrotherapeut  aus  dem 
vorigen  Jahrhundert.  1880,  Nr.  12.  —  Beiträge  zur  operativen  Chirurgie: 

XXIII.  Enterorhaphie  zur  Heilung  von  Kothfisteln.  1880,  Nr.  14. 

XXIV.  Weitere  Totalexstirpationen  der  Schilddrüse.  1880,  Nr.  24 

XXV.  Weitere  Neurektomien.  1880,  Nr.  44  und  46.  —  Ligatur  der  Sub¬ 

clavia.  1881,  Nr.  36,  37  und  51.  —  Zur  Casuistik  der  Dünndarmresectionen. 
1881,  Nr.  17  und  19.  —  Einige  Fälle  von  künstlicher  Ankylosenbildung 
an  paralytischen  Gliedmassen.  1882,  Nr.  23.  —  Zur  Casuistik  der  Kropf¬ 
exstirpationen.  1882,  Nr.  3  und  6.  —  Zur  Erinnerung  an  Josef  Skoda. 
1883,  Nr.  24.  —  Die  neueren  Untersuchungen  über  den  Plattfuss.  1884, 
Nr.  1,  3,  5  und  49.  —  Ueber  die  Drehungen  der  Haud.  Von  Dr.  J.  Hei¬ 
berg.  Besprochen  von  Prof.  E.  Albert.  1884,  Nr.  19.  —  Ueber  Lungen¬ 
chirurgie.  1884,  Nr.  27  und  28.  —  Einige  Operationen  an  Nerven.  1885, 
Nr.  39  und  41:  I.  Neurektomien,  II.  Nerventransplantationen.  —  Ueber  die 
Heilbarkeit  des  Krebses  durch  operative  Behandlung.  1885,  Nr.  51.  — 

Ueber  einige  seltene  Erkrankungen  der  Zunge.  1885,  Nr.  1  —  6.  —  Eine 
eigenthümliche  Art  von  Totalskoliose.  1886,  Nr.  1  und  3.  —  Chirurgische 
Bemerkungen.  1887,  Nr.  1  und  13:  I.  Ueber  die  Leistenhernie.  II.  Zur 
Diagnose  der  angeborenen  Luxation  des  Hüftgelenkes.  —  Die  secundäre 
infectiöse  Osteomyelitis  und  Periostitis.  1887,  Nr.  52.  —  Laparotomien 
wegen  Uterusmyomen.  1888,  Nr.  13,  16  und  17.  —  Weitere  Laparotomien 
wegen  Uterusmyomen.  1889,  Nr.  2.  —  Naturwissenschaften  und  Geistes- 
wissenschaften  —  zwei  Welten.  1891,  Nr.  25.  —  Weitere  Laparotomien 
wegen  l  terusmyomen  nebst  einer  neuen  Methode  der  Slumpfversorgung 
1892,  Nr.  41  und  42.  —  Zwei  operative  Vorschläge.  1892,  Nr.  29:  I.  Eine 
neue  Modification  der  Stumpfversorgung  bei  Abtragung  des  myomatösen 
1  terns.  II.  Bildung  eines  gegliederten  Stumpfes  bei  Vorderarmamputation. 

—  Achillodynie.  1893,  Nr.  2.  —  Die  Blasennaht  und  die  Sectio  alta.  1894, 

Ni.  1  und  2.  —  Zur  Geschichte  der  Theorie  der  cerebralen  Localisation. 
1895,  Nr.  40.  —  Die  Architektur  des  menschlichen  Fersenbeines 

1900,  Nr.  1. 

Wiener  medicinische  Wochenschrift. 

Zur  Klinik  der  Krankheiten  der  Sehnenscheiden  und  Schleimbeutel. 
1870,  Nr.  52 — 54.  —  Fälle  von  Neurektomie.  1872,  Nr.  4,  7,  12,  13,  14 
und  20.  —  Verrenkung  des  Unterkiefers  nach  hinten  (?).  1892,  Nr.  22.  — 
Eine  neue  Methode  der  Jejunostomie.  1894,  Nr.  2.  —  Ein  bemerkens- 
werther  Fall  von  Gastroenteroanastomie.  1893,  Nr.  1.  —  Einige  Fälle  von 


palliativer  Trepanation  bei  Hirntumoren.  1895,  Nr.  1,  3  und  5.  —  Keil¬ 
wirbel  und  Schrägwirbel.  1896,  Nr.  22.  —  Experimentelle  Untersuchungen 
über  das  Fieber.  Bilaterales  Mammacarcinom.  1899,  Nr.  2.  —  Die  Archi¬ 
tektur  der  Tibia.  1900,  Nr.  4,  5,  6. 

Therapie  der  Gegenwart. 

Gegen  die  Castration  bei  Tuberculose  des  Hodens.  1900,  Nr.  1. 

Wiener  medicinische  Blätter. 

Eine  geschichtliche  Bemerkung  über  die  Operation  der  freien  Hernie. 
1878,  Nr.  7,  8.  —  Klinik  der  Gelenkskrankheiten  mit  Einschluss  der  Ortho 
pädie.  Von  C.  H  u  e  t  e  r.  2.  Auflage.  Besprochen  von  Prof.  E.  Albert. 
1878,  Nr.  14 — 19.  —  Ein  Fall  von  Periostitis  albuminosa  (Ollier).  1878, 
Nr.  38.  —  Ueber  die  Luxatio  humeri  supracoracoidea.  1879,  Nr.  18 — 24. 
—  Zwei  seltene  Fälle  von  angeborenen  Missbildungen  an  Gliedmassen. 
1890,  Nr.  13,  26.  —  Theorie  und  Praxis  im  Universitätsstudium.  1880, 
Nr.  22,  23,  25,  27,  29.  —  Sectio  alta.  1881,  Nr.  31,  32.  —  Eine  Be¬ 
merkung,  betreffend  das  Fehlen  der  Hirnpulsation  bei  blossliegender  Dura 
mater.  1881,  Nr.  15.  —  Ueber  einige  im  Altertliume  gepflegte  Operationen 
an  den  Blutgefässen.  1882,  Nr.  1,  3,  4,  5.  —  Eine  neue  Anzeige  zur 
Castration.  1882,  Nr.  27.  —  Zur  Symptomatologie  des  Genu  valgum.  1882, 
Nr.  6,  7.  —  Ueber  prälaerymale  Oelkysten.  1882,  Nr.  51.  —  Gegen  die 
Castration  bei  Hernien.  188'^,  Nr.  3. 

Internationale  klinische  Rundschau. 

Arthrodese  bei  einer  habituellen  Luxation  des  Schultergelenkes. 
1888,  Nr.  9.  —  Spontane  Ruptur  von  Bruchsäcken.  1892,  Nr.  1.  —  Ein 
Fall  von  paralytischer  Luxation  im  Hüftgelenke.  1892,  Nr.  20.  —  Zum 
Capitel  der  Gelenksneurosen.  1893,  Nr.  1.  —  Einige  Versuche  über  Hirn¬ 

druck.  Im  Vereine  mit  J.  Schnitzler.  1894,  Nr.  1  —  3. 

Wiener  klinische  Rundschau. 

Einige  Bemerkungen  über  die  pulsirenden  Knochensarkome.  1895, 
Nr.  1.  —  Zur  Anatomie  der  Skoliose.  1895,  Nr.  33  —  35.  —  Weitere  Bei¬ 
träge  zur  Anatomie  der  Skoliose.  1895,  Nr.  48  und  51;  1896,  Nr.  16.  — 
Die  Architektur  des  menschlichen  Talus.  1900,  Nr.  10. 

Wiener  klinische  Wochenschrift. 

Zur  Lehre  von  der  Gehirnerschütterung.  1888,  Nr.  39.  —  Zucker¬ 
kand  1,  Atlas  der  topographischen  Anatomie.  Besprochen  von  Professor 
E.  Albert.  1900,  Nr.  4. 

Wiener  Klinik. 

Pathologie  und  Therapie  der  Coxitis.  1876,  Nr.  8,  9.  —  Ueber 

Gelenksresectionen  bei  Caries.  1883,  Nr.  4. 

Klinische  Zeit-  und  Streitfragen. 

Die  Lehre  vom  Hirndruck.  1889,  Nr.  3,  pag.  73. 

O  es  terr  eic  h  i  sehe  Zeitschrift  für  praktische  Heilkunde. 

Einige  Fälle  von  schwierigen  Hasenschartenoperationen.  1872, 
Nr.  40. 

Wiener  allgemeine  medicinische  Zeitung. 

Ein  Fall  von  angeborenem  theilweisen  Mangel  der  Tibia.  1881, 
Nr.  27.  —  Zwei  Fälle  von  myelogenem  Sarkom  des  oberen  Endes  der 
Tibia.  1882,  Nr.  4.  —  Ueber  Osteomyelitis.  1882,  Nr.  22.  —  Beiträge  zur 
Lehre  von  der  spontanen  Ostitis  (Osteomyelitis  und  Periostitis).  1883, 
Nr.  31  —  34,  36 — 38,  40 — 42,  44,  45,  47,  50 — 52.  —  Diabetes  mellitus  und 
Gangraena  senilis.  1885,  Nr.  1,2,  4,  5,  8,  9.  —  Die  Therapie  der  Knochen- 
und  Gelenkstuberculose.  1886,  Nr..  1,  3,  5.  —  Ein  eigenthiimlicher  Fall 
von  Zerreissung  des  Bruchsackes  bei  der  Taxis.  1888,  Nr.  5.  —  Ueber  die 
Diagnose  der  Struma  maligna.  1889,  Nr.  6.  —  Die  chronische  Entzündung 
der  Hernien.  1894,  Nr.  1.  —  Drei  Fälle  von  Ecchinococcusoperationen. 
1893,  Nr.  1.  —  Jean  Dominique  Larrey.  1895,  und  Separatab¬ 
druck.  —  Ein  Fall  von  hysterischer  Skoliose.  1899,  Nr.  4. 

Abhandlungen  der  königlich  böhmischen  Akademie  der 

Wissenschaften.*) 

Beiträge  zur  Amputationstechnik.  1892. 

Ans  der  chirurgischen  Section  der  54.  Versammlung  deutscher 
Naturforscher  und  A e r z t e  in  Salzburg  1881. 

Chirurgische  Mittheiluug  betreffend  Lungenchirurgie,  Arthrodese, 
Gastrostomie  und  Ovariotomie. 

Sitzungsberichte  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in 

Wien. 

Zur  Histologie  der  Synovialhäute.  Wien  1871,  Bd.  LXIV, 
2.  Abtheilnng. 

In  »Strieker’s  Handbuch  der  Lehre  von  den  Geweben«, 

Nachtrag  I. 

Ueber  die  Structur  der  Synovialhäute. 

C.  Reden,  Vorträge,  Mittheilnngen  etc. 

Ueber  neue  Befunde  an  den  Sehnenscheiden.  Vortrag,  gehalten  in 
der  Sitzung  vom  21.  Mai  1869  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aer/.te  (Oesterreichi- 
sche  Zeitschrift  für  praktische  Heilkunde.  1869,  Nr.  28).  —  Zur  Geschichte 
der  Chirurgie.  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  am  6.  April  1877  der  k.  k. 
Gesellschatt  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1877,  Nr.  15).  — 
Rede,  gehalten  bei  der  Enthüllung  der  Gedenktafel  am  Geburtshause 
Rokitansk  y’s  zu  Königgrätz  am  3.  August  1879  (Separatabdruck  und 

*)  Etwaige  in  böhmischer  Sprache  in  diesen  Abhandlungen  aufge¬ 
nommene  Beiträge  siehe  in  den  Publicationen  der  böhmischen  Akademie 
der  Wissenschaften. 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


901 


Wiener  medicinische  Blätter.  1879).  -  Antrittsrede,  gehalten  beim  Beginne 
seiner  klinischen  Vorlesungen  an  der  Universität  Wien  am  2.  Mai  1881. 
Wien  1881  —  Chirurgische  Mittheilungen  aus  der  Sitzung  vom  28.  Oc¬ 

tober  1881 '  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Jahr¬ 
bücher  1881).  —  Ueber  Darmwandbrüche.  Mittheilung  in  der  Sitzung  vom 
20  Februar  1882  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische 
Jahrbücher  1882).  —  Demonstration  von  Blutdruckcurven.  Aus  der  Sitzung 
vom  16  Februar  1883  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  allgemeine 
medicinische  Zeitschrift.  1883,  Nr.  8).  -  Demonstration  und  Vortrag  über 
Gelenksresectionen .  Aus  der  Sitzung  vom  12.  December  1882  der  k.  k  Ge¬ 
sellschaft,  der  Aerzte  (Wiener  allgemeine  medicinische  Zeitschrift.  1883, 
Nr.  2)  —  Chirurgische  Mittheilungen.  Aus  der  Sitzung  vom  9.  Februar  1883 
der  k.  k.  Gesellschaft  der  Arzte  (Wiener  medicinische  Jahrbücher.  1883). 

_ Ueber  die  neueren  Untersuchungen,  betreffend  die  Mechanik  der  Schädel- 

fracturen.  Vortrag  aus  der  wissenschaftlichen  Versammlung  des  Wiener 
medicinischen  Doctoren-Collegiums  (Wiener  medicinische  Presse.  1884, 

Nr.  52).  _  Ein  Blick  auf  den  heutigen  Zustand  der  Chirurgie.  Vortrag, 

o-ehalten  in  der  wissenschaftlichen  Versammlung  vom  26.  October  1885  im 
Wiener  medicinischen  Doctoren-Collegium  (Wiener  allgemeine  medicinische 
Zeitschrift.  1885,  Nr.  44  und  medicinisch-chirurgisches  Centralblatt.  .  1885, 

Nr.  28 _ 31,  49).  —  Beiträge  zur  Nierenchirurgie.  Vortrag,  gehalten  in  der 

Sitzung  vom  13.  Februar  1885  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener 
medicinische  Presse.  1885,  Nr.  9).  —  Die  chirurgische  Behandlung 

scrophulöser  und  tuberculöser  Leiden.  Vortrag,  gehalten  in  der  wissen¬ 
schaftlichen  Versammlung  vom  8.  April  1889  des  Wiener  medicinischen 
Doctoren-Collegiums  (Internationale  klinische  Rundschau.  1889,  Nr.  15). 
Festrede,  gehalten  am  30.  Mai  1889  anlässlich  der  Enthüllung  der  fünf 
Denksäulen :  Van  S  w  i  e  t  e  n’s,  Quari  n’s,  Stiff  t’s,  Schn  h’s  und 
Hyrtl’s  im  Arcadenhofe  der  k.  k.  Universität  Wien  (Wiener  medicinische 
Wochenschrift.  1889,  Nr.  23  und  Separatabdruck).  —  Ueber  Skoliose. 
Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  vom  7.  Februar  1890  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1890,  Nr.  6).  Ueber  die 
Aufgaben  der  Medicin  der  Zukunft.  Rede,  gehalten  anlässlich  des  25jährigen 
Doctorenjubiläums  am  22.  Januar  1892  (Internationale  klinische  Rundschau. 
1892,  Nr.  4).  —  Zur  Krebsbehandlung  des  Prof.  Adamkiewicz. 

Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  vom  12.  Februar  1892  in  der  Gesellschaft 
der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1892,  Nr.  7).  Rede  zur 

Jubiläumsfeier  Theodor  Billroth’s  am  11.  October  1892  (Wienei 
klinische  Wochenschrift.  1892,  Nr.  41).  —  Bericht  über  eine  Quecksilber- 
autointoxication  mit  Sublimat.  Aus  der  Sitzung  vom  2.  December  1892  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1892,  Nr.  49). 

—  Gedenkrede  auf  weiland  Th.  Billroth,  gehalten  am  16.  Februar  in 

der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1894,  Nr.  8).  —  Demonstration  und  Mittheilung  eines  Falles.  Aus 
der  Sitzung  vom  7.  December  1894  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
(Wiener  medicinische  Presse.  1894,  Nr.  51).  —  Demonstration  und  Vortrag 
(Ankylostoma) .  Aus  der  Sitzung  vom  25.  Januar  1895  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1895,  Nr  4).  — 
Gedenkrede  anlässlich  der  Enthüllung  der  Portraitbüste  weiland  Professor 
Billroth’s  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  am  6.  Februar  1895 
(Wiener  klinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  7).  —  Ueber  Skoliose.  \  ortrag, 
gehalten  in  dsr  Sitzung  vom  29.  November  1895  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1895,  Nr.  48).  —  Ueber  Skoliose. 
Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  vom  21.  Februar  1896  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse.  1896,  Nr.  8).  —  Ueber 

totale  Magenexstirpation.  Mittheilung  in  der  Sitzung  vom  22.  April  1898 
der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  medicinische  Presse  (1898,  Nr.  18). 

—  Gedenkrede  auf  weiland  Prof.  L.  R.  v.  D  i  1 1  e  1,  gehalten  in  der  Sitzung 

vom  14.  October  1898  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1898,  Nr.  42).  —  Ueber  die  Architektur  der  Knochenspon¬ 

giosa.  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  vom  20.  October  1899  in  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  43).  — 
Bemerkungen  zur  neuen  Rigorosenordnung.  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung 
vom  19.  Januar  1900  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  (Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  4).  —  Begrüssungsrede  als  Vertreter  der  öster¬ 
reichischen  Regierung  am  internationalen  medicinischen  Congresse  zu  Paris 
1900  (Wiener  medicinische  Presse.  1900,  Nr.  32).  —  Die  Architektur  der 
thierischen  und  menschlichen  Knochen.  Vortrag,  gehalten  am  internationalen 
medicinischen  Congresse  zu  Paris  1900.  Dr.  Friedrich  Müller. 


Aus  dem  Kaiser  Franz  Josef-Ambulatorium  in  Wien. 

Die  Bewegungsphänomene  in  der  Mund-  und 
Rachenhöhle  bei  InsufFicienz  der  Aortenklappen. 

Von  Docent  Dr.  Hermann  Schlesinger. 

Die  Beobachtung-  eines  Falles  von  ausgesprochensten 
pulsatorischen  Phänomenen  der  Mund-  und  Rachen  Schleimhaut 
bei  Insufficienz  der  Aortenklappen  veranlasste  mich,  diese 
Phänomene  bei  einer  grösseren  Zahl  von  Fällen  zu  studiren. 

Die  einschlägige  Literatur  ist,  so  weit  ich  sie  übersehen 
kann,  recht  klein  und  wenig  gekannt,  so  dass  ich  auch  in 
mehreren  neuen  umfangreichen  Werken  über  Affectionen  der 
Mund-  und  Rachenhöhle  (auch  in  dem  neuen  Handbuche, 
herausgegeben  von  Hei  mann)  vergeblich  nach  einnr  Er¬ 
wähnung  der  Erscheinungen  gesucht  habe.  Selbst  ein  so  er¬ 


fahrener  Kenner  der  Herzkrankheiten  wie  Rosenbach  hat 
die  Phänomene  einer  gelegentlichen  Bemerkung  zufolge, 
nicht  beobachtet.  Fr.  Müller  lenkte  im  Jahre  1889,  wie  es 
scheint  als  Erster,  in  einer  kleinen  Mittheilung  die  Auf¬ 
merksamkeit  auf  eigenartige  Bewegungserscheinungen  am 
Gaumen  pulsatorischer  Natur,  welche  von  ihm  zu  wiederholten 
Malen  an  Fällen  von  Aortenklappeninsufficienz  gesehen 
worden  waren.  Merklen,  Hu  chard,  L  "it  ten,  Andrd 
Petit  und  Gerhardt  (auf  dessen  Klinik  Müller  seine 
Beobachtungen  angestellt  hatte)  kamen  in  kleinen  Mittheilungen 
oder  bei  Gelegenheit  von  Krankendemonstrationen  auf  diese 
interessante  Erscheinung  zurück  und  vermehrten  die  Casuistik 
um  eine  Reihe  von  neuen  Fällen. 

Ich  habe  40  Fälle  von  reiner  oder  mit  anderen  Affectionen 
complicirter  Insufficienz  der  Aortenklappen  auf  Pulsations¬ 
erscheinungen  in  der  Mund-  und  Rachenhöhle  untersucht, 
jedoch  konnte  nur  in  einer  erheblich  geringeren  Zahl  ein 
genauer  Befund  erhoben  werden.  Will  man  nämlich  pulsatorische 
Erscheinungen  an  den  Gebilden  der  oben  erwähnten  Höhlen 
untersuchen,  so  ist  eine  Reihe  von  äusseren  Bedingungen 
nothwendig,  deren  Erfüllung  keineswegs  stets  im  Bereiche  der 
Macht  des  Kranken  oder  Arztes  gelegen  ist.  Der  Kranke 
muss  bei  geöffnetem  Munde  ruhig  athmen;  Würgbewegungen 
machen  eine  genaue  Beobachtung  unmöglich.  Da  der  Rachen¬ 
eingang  und  die  hintere  Rachenwand  oft  nur  nach  Nieder¬ 
drücken  des  Zungengrundes  sichtbar  gemacht  werden  können 
und  schon  geringfügige  Contractionen  der  Rachenmuskeln, 
respective  Gaumenmusculatur  jede  genauere  Wahrnehmung 
verhindern,  viele  Menschen  dieselben  absolut  nicht  oder  nur 
nach  langer  Uebung  zu  unterdrücken  im  Stande  sind,  so  ist 
es  begreiflich,  dass  bei  einem  nicht  unerheblichen  Procentsatz 
von  Kranken  nicht  festgestellt  werden  kann,  ob  die  Rachen¬ 
gebilde  Locomotionen  Vornahmen,  die  mit  der  Herzaction  im 
Zusammenhänge  stehen  oder  nicht.  Rechnet  man  noch  hinzu, 
dass  ein  Theil  der  Kranken  an  Compensationsstörungen  mit 
Dyspnoe  litt,  so  wird  man  die  später  mitgetheilten  Ziffern 
nicht  als  vollkommen  verlässlich,  sondern  nur  als  Minimal- 
werthe  zu  betrachten  haben. 

Gleich  den  anderen  Beobachtern  habe  ich  rhythmische 
Erschütterungen  der  Mund-  und  Rachengebilde  nur  in  Fällen 
schwerer  Insufficienz  der  Aortenklappen  gesehen,  in  welchen 
auch  an  den  Arterien  anderer  Körperabschnitte  die  Pulsationen 
ungemein  deutlich  zu  sehen  waren  (»forme  pidsatile« 
Hu  chard’s).  Jedoch  pulsiren  keineswegs  alle  Gebilde  der 
Mund-  und  Rachenhöhle  gleich  stark  und  gleich  häufig,  und 
dürften  die  Bewegungen  nicht  auch  stets  auf  dieselbe  Weise 
entstehen.  Man  kann  bei  der  in  Rede  stehenden  Herzaffection 
zwei  Gruppen  von  Bewegungserscheinungen  unterscheiden,  die 
allerdings  Uebergänge  und  Combinationen  untereinander  auf¬ 
weisen.  Die  Bewegungen  sind  mitgetheilt  oder  sie  entstehen 
durch  Volumszunahme  der  Weichtheile. 

Die  mitgetheilten  Bewegungen  beobachtet  man  recht  oft 
an  den  Tonsillen,  den  seitliche^  Abschnitten  der  Gaumenbögen, 
dem  Zungengrunde.  Die  Excursionen  dieser  Gebilde  gegen  den 
Racheneingang  zu  sind  dann  oft  recht  erhebliche,  namentlich 
die  Einwärtsbewegung  der  Tonsillen  und  der  seitlichen 
Rachenwand  in  Folge  des  mächtigen  Anschlages  der  Garotis; 
dennoch  erfolgt  keine  bedeutende  Volumsveränderung  der 
Weichtheile.  Diese  Pulsationen  hat  Hu  chard  als  »Pouls 
amygdale«  beschrieben. 

Neben  dieser  grossschlägigen  Pulsation,  welche  man 
recht  oft  sehen  kann,  gibt  es,  in  selteneren  Fällen  deutlich 
wahrnehmbar,  ein  rhythmisches  An-  und  Abschwellen  dei 
Weichtheile.  Die  Zunge  wird  dicker  (man  kann  dies  bisweilen 
am  Zungenrande  deutlich  wahrnehmen)  synchron  mit  dem 
Anschlägen  der  Carotis  gegen  den  Finger  und  schwillt  in  dei 
Diastole  ab.  Die  Gaumen  bögen  werden  in  der  Systole  plumper 
und  treten  mehr  hervor,  die  Uvula  wird  voluminöser  und 
nähert  sich  mehr  dem  Zungengrunde,  welcher  zu  gleicher 
Zeit  gehoben  wird.  Auch  die  hintere  Rachenwand  erfühlt  eine 
Dislocation  und  tritt  nach  vorne  zu  vor,  und  sinkt  in  dei 
Diastole  zurück.  Eine  Aenderung  der  Farbe  wurde  von 
Müller  beobachtet  —  Zunahme  der  Röthung  im  Zeit- 


902 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


momente  der  Systole  —  in  meinen  Fällen  war  eine  Aenderung 
der  Farbennuanee  nicht  wahrnehmbar. 

Zweifellos  ist  diese  Pulsation,  wie  auch  Müller, 
Merk  len,  Petit  glauben,  in  eine  Parallele  zu  bringen  mit 
dem  Capillarpulse  an  anderen  Körperstellen,  jedoch  dürfte  der 
mächtigeren  Ausweitung  der  kleinen  und  kleinsten  Arterien 
ein  recht  wesentlicher  Antheil  an  dem  Zustandekommen  dieser 
Bewegungsvorgänge  gebühren.  Denn  ,  ich  habe  zu  wiederholten 
Malen  bei  recht  ausgebildetem  und  räumlich  ausgedehntem 
Capillarpulse  vergeblich  nach  dem  Phänomen  gefahndet. 

Bisher  hat  man  fast  nur  auf  die  Bewegungen  des  Gaumen¬ 
segels,  der  Gaumenbögen,  der  Uvula  geachtet;  nun  sind  auch 
analoge  Dislocationen  an  der  ganzen  Zunge,  an  der  hinteren 
Rachenwand  festgestellt.  Die  Gingiva,  die  Schleimhaut  des 
harten  Gaumens  betheiligten  sich  in  meinen  Fällen  nicht  an 
den  Bewegungen,  es  rückten  also  nur  jene  Schleimhaut¬ 
abschnitte  in  die  Mund-  und  Rachenhöhle  vor,  welche 
nicht  durch  straffes  Gewebe  an  eine  starre  Unterlage  befestigt 
sind.  Die  Bewegung  der  Schleimhautoberfläche  ist  in  ausgebil¬ 
deten  Fällen  eine  recht  erhebliche  und  schien  bisweilen  die 
Differenz  zwischen  der  Lage  in  der  Systole  und  der  Diastole 
1 — iy2  mm  zu  betragen.  Ist  das  Phänomen  voll  ausgebildet, 
so  erfolgt  also  eine  rhythmische  Verengerung  der 
Mund-  und  Rachen  höhle;  bei  unvollkommener  Ent¬ 
wicklung  entsteht  bisweilen  nur  eine  rhythmische  Stenosirung 
des  Racheneinganges.1)  Die  rhythmische  Verkleinerung  der 
Mund-  und  Rachenhöhle  ist  gar  nicht  unerheblich  und  kann 
bisweilen  durch  die  Bewegungen  eines  vor  den  Mund  ge¬ 
haltenen  Blattes  Papier  oder  einer  bei  geschlossenem  Munde 
und  angehaltenem  Athem  vor  die  Nase  gehaltenen  Feder 
schön  demonstrirt  werden. 

Was  die  Häufigkeit  der  einzelnen  pulsatorischen  Er¬ 
scheinungen  anbelangt,  so  dürfte  wohl  die  rhythmische  Hebung 
des  Zungengrundes  an  erster  Stelle  zu  nennen  sein.  Sie  konnte 
in  zehn  Fällen  deutlich  constatirt  werden.  Dann  folgt  die  Vor¬ 
wölbung  der  seitlichen  Rachenwand  und  die  Pulsation  der 
Tonsillen,  dann  das  rhythmische  Anschwellen  der  Gaumenbögen 
und  Uvula. 

Das  seltenste  Phänomen  ist  die  gleichmässige  Verengerung 
der  Rachen-  und  der  Mundhöhle  (letztere  durch  Anschwellen 
der  Zunge).  Ich  habe  es  deutlich  ausgebildet  nur  in  vier  Fällen 
gesehen,  also  auf  zehn  Fälle  von  Insufficienz  der  Aortenklappen 
je  einmal. 

Die  Uvula  macht  recht  häufig  auch  eine  Bewegung 
synchron  mit  der  Herzaction  im  Sinne  von  rückwärts  nach 
vorne.  Interessant  war  in  einem  Falle  meiner  Beobachtung 
das  Auftreten  halbseitiger  pulsatorischer  Phäno¬ 
mene  in  der  Mundhöhle.  In  Folge  atheromatöser  Veränderung 
der  Gefässe  war  eine  Carotis,  die  linke,  schlechter  gefüllt  als 
die  rechte.  Bei  dem  Kranken  bestand  eine  rhythmische  Ver¬ 
engerung  der  Rachen  höhle,  aber  nur  auf  der  rechten  Seite, 
während  die  linke  ganz  ruhig  war.  Die  Uvula  machte  in 
diesem  Falle  rythmische  Bewegungen  von  rechts  nach  links 
und  nicht  wie  sonst  von  vorne  nach  hinten,  und  zwar  stand 
das  Zäpfchen  im  Momente  der  Systole  mehr  nach  links,  in 
der  Diastole  mehr  nach  rechts.  Es  ist  dies  wohl  ein  weiterer 
Beweis'  für  die  selbstständige  und  nicht  mitgetheilte  Pulsation 
des  Gaumensegels.  Die  geschwellte  rechte  Gaumenhälfte  drängt 
eben  die  Uvula  nach  der  anderen  Seite  hin;  collabirt  das 
Velum,  so  kann  die  Uvula  nach  der  anderen  Seite  zurück¬ 
kehren. 

Bisweilen  ist  von  allen  Bewegungsphänomenen  in  der 
Mundhöhle  nur  die  rhythmische  Bewegung  der  Uvula  deutlich 
vorhanden.  Es  darf  dann  diese  Pulsation  nicht  mit  dem 
klonischen  Krampfe  der  Gaumensegelmuscu- 
latur  verwechselt  werden,  der.  als  isolirte  spastische  Er¬ 
scheinung  auftreten  kann  und  auch  zu  wiederholten  Malen 
mit  oder  ohne  Lähmungen  des  Velums  beobachtet  wurde  (u.  A. 
von  Oppenheim,  Gerhardt,  Seifert,  Peyser,  mir 
und  vielen  Anderen).  In  beiden  Fällen  können  eigenthümliche 

')  Zur  Zeit  meiner  Krankendemonstration  (im  Wiener  medicinischen 
Club,  14.  März  1900)  war  mir  die  Mittheilung  Mülle  r’s  unbekannt,  in 
welcher  er  ebenfalls  von  einer  »Verengerung  des  Gaumenthores«  spricht. 


Gehörseindrücke  die  Uvulabewegung  begleiten.  Während  aber 
bei  der  Aortenklappeninsufficienz  der  Kranke  öfters  nur  das 
Klopfen  der  Arterie  fühlt  oder  hört,  hört  der  Patient  mit 
klonischem  Gaumensegelkrampf  ein  knackendes  Geräusch 
synchron  mit  der  Contraction  des  Velums,  also  nur  ausnahms¬ 
weise  synchron  mit  der  Ilerzaction.  Bei  dem  klonischen 
Krampfe  des  Velums  kommen  sehr  zahlreiche  Contraetionen 
des  Gaumensegels  mit  Hebung  desselben  und  Rückwärts¬ 
bewegung  der  Uvula  zu  Stande,  während  bei  der  rhythmischen 
Pulsation  im  Gegentheile  eine  Senkung  des  Velums  synchron 
mit  einer  Vorwärtsbewegung  der  Uvula  statt  hat. 

Eine  sehr  wesentliche  diagnostisch  Bedeutung  kommt 
nach  allem  Früheren  den  Bewegungsphänomenen  im  Cavum 
bucco  -  pharyngeale  bei  der  Insufficienz  der  Aortenklappen 
nicht  zu,  wohl  aber  ist  die  lvenntniss  derselben  von  einigem 
klinischen  Interesse,  welches  die  Veröffentlichung  meiner  Be¬ 
obachtungen  rechtfertigen  dürfte. 

Literatur. 

Fr.  Müller,  Pulsation  des  Gaumens  bei  Aorteninsufficienz.  Charite 
Annalen.  1889,  pag.  251. 

Litten,  Referat  in  Virchow-Hirsch’s  Jahresbericht.  1890,  pag.  177, 
Anmerkung. 

H.  H  u  c  h  a  r  d,  Pouls  amygdalo-carotidien  dans  l’insufficance  aortique. 
Soe.  med.  des  Impit.  de  Paris.  2.  Mai  1890. 

Andre  Petit,  Lesions  de  l’orifice  aortique.  Traite  de  Medecine 
(Charcot-Bouc  h  ard),  T.  V. 

Merklen,  Le  pouls  du  voil  du  palais  et  de  la  luette  dans  l’in- 
sufficance  aortique.  Gaz.  hebdom.  15.  März  1890. 


Von  der  Abtheilung  1B  (interne  Krankheiten)  des 
St.  Lazar-Landesspitales  in  Krakau. 

Zur  Behandlung  der  Lungentuberculose  mit 
intravenösen  Hetolinjectionen  nach  Länderer. 

Von  Primarius  Dr.  Anton  Krokiewicz. 

»Bis  heute  besitzen  wir  kein  specifisches  Heilmittel 
gegen  Lungentuberculose.«  Mit  diesen  Worten  äussertc 
sich  Kober t  auf  dem  im  Jahre  1899  nach  Berlin  einbe- 
rufenen  Congress  zur  Bekämpfung  der  fürchterliche  n 
Krankheit  dieses  Jahrhundertes  (Bericht  über  den  Congress 
zur  Bekämpfung  der  Tuberculose  als  Volkskrankbeit. 
Berlin  1899,  pag.  365  u.  s.  w.)  und  diese  Worte  entsprachen 
der  allgemeinen  Meinung  der  Anwesenden.  Petruschky 
(Die  specifische  Behandlung  der  Tuberculose.  Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  51)  empfiehlt  zwar  neuerdings  sehr 
warm  das  Tuberculin  als  specifisches  Heilmittel  bei  sehr 
frühen  tuberculösen  Veränderungen,  doch  braucht  das  noch 
weiterer  Bekräftigung.  Von  den  pharmakologischen  Präparaten 
empfiehlt  Kobert  auf  Grund  eigener  Erfahrung  und  klini¬ 
scher  Beobachtung  von  mehr  als  50  000  Fällen,  welche  ihm 
von  über  200  hervorragenden  Aerzten  zugewiesen  wurden, 
bei  Tuberculose  der  Lunge,  des  Verdauungstractes  und  der 
Drüsen,  neben  der  modificirten  Behandlungsweise  nach 
Brehmer  die  Anwendung  unschädlicher  Kreosotpräparate,  als 
Kreosotal  und  Duotal  (Leyden,  Cornet),  wobei  er  erwähnt, 
dass  deren  günstige  Wirkung  nicht  auf  eine  tuberkelgift¬ 
zerstörende  Eigenschaft  zurückzuführen  ist,  sondern  auf  eine 
Steigerung  des  Appetites,  Besserung  der  Verdauung,  Kräfte¬ 
hebung  beim  Kranken,  wie  auch  auf  die  Entwicklungshemmung 
der  sogenannten  Miscbinfection. 

In  den  letzten  Jahren  führte  Länderer  in  die  Reihe 
der  Schwindsuchtsheilmittel  die  Zimmtsäure  und  ihre  Salze 
ein.  Sie  wurden  zwar  schon  seit  18  Jahren  bei  Tuberculose 
benützt,  doch  versuchte  erst  Länderer  der  Anwendung  der¬ 
selben  eine  grössere  Ausbreitung  zu  geben,  indem  er  eine 
diesbezügliche,  auf  intravenösen  oder  intranmseulösen  Injectionen 
der  erwähnten  Heilmittel  fussende  Technik  schuf.  Bei  dieser 
Heilmethode  soll  er  in  158  an  Tuberculose  (bis  1.  März  1899) 
behandelten  Fällen  88,  das  ist  55'7%,  Genesungen  und  35, 
das  ist  22  1%5  Besserungen,  respective  im  Ganzen  77  8% 
günstige  Erfolge  und  nur  22‘2%  ungünstige  erzielt  haben. 
(Anweisung  zur  Behandlung  der  Tuberculose  mit  Zimmtsäure. 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


909 


Von  Dr.  A.  Länderer.  Leipzig  1899.)  Nach  Länderer 
ist  die  günstige  Wirkung  der  Zimmtsäure  und  ihrer  Salze  in 
der  Bildung  allgemeiner  Leuköcytose,  wie  auch  in  der  asepti¬ 
schen  Entzündung  um  den  Tuberkelherd  begründet.  In  Folge 
der  aseptischen  Entzündung  kommt  es  anfangs  zur  Ein¬ 
dämmung  und  Infiltrirung  der  tuberculösen  Herde  mit  weissen 
Blutkörperchen;  darauf  wird  mit  der  immer  stärkeren  Ent¬ 
wicklung  des  jungen  Granulationsgewebes  und  der  neugebildeten 
Blutgefässe  der  käsige  Tuberkelherd  resorbirt,  und  es  bleibt 
an  dieser  Stelle  ein  Narbengewebe  zurück.  Die  histologischen 
Veränderungen,  welche  die  Zimmtsäure  in  dem  tuberculösen 
Gewebe  hervorbringt,  sind  im  Allgemeinen  dieselben,  wie  bei 
selbstständiger  Heilung  der  tuberculösen  Herde,  nur  lebhafter 
und  energischer. 

Die  Zimmtsäure  wirkt  nicht  immunisirend;  höchst  wahr¬ 
scheinlich  tritt  ihre  Wirkung  als  die  eines  Alexins  oder  Anti¬ 
körpers  derart  auf,  dass  das  Toxin  der  Tuberkelbacillen  mit 
den  Zimmtsäuresalzen  ungiftige  Verbindungen  eingeht.  Die 
Tuberkelbacillen  sind  in  den  ersten  Monaten  wenig  an¬ 
gegriffen  und  färben  sich  schwieriger;  später  sollen  sie  ab¬ 
sterben. 

Im  Jahre  1897  veröffentlichte  Heusser  (Therapeutische 
Monatshefte.  Nr.  9)  die  Resultate  der  Zimmtsäurebehandlung 
in  22  Fällen  von  Lungenschwindsucht;  hievon  soll  er  in 
6  Fällen  Heilung  und  in  12  Fällen  eine  Besserung  erzielt 
haben;  vom  Rest  erfolgte  in  einem  Falle  der  Tod  und  3 
wurden  resultatlos  behandelt.  Von  den  G  geheilten  Fällen  ge¬ 
hörten  3  der  leichteren  Form  an  (Verdichtung  ohne  Zerfall 
mit  mässigem  Fieber),  3  wieder  der  schwereren  (Cavernen 
mit  massigem  Fieber).  Von  den  12  Kranken,  die  eine  Besserung 
erfahren  haben,  gehörten  3  zur  ersten  und  9  zur  zweiten 
Gruppe.  Bei  7  von  diesen  Patienten  ist  die  Besserung  stabil; 
2  starben  nach  i/2 —  1  Jahre;  von  3  fehlt  eine  spätere 
Nachricht. 

In  Davos  sich  aufhaltende  Kranke  erfuhren  hei  der 
Zimmtsäurebehandlung  viel  früher  eine  Besserung,  und  es 
traten  bei  ihnen  auch  seltener  Recidiven  ein. 

Heusser  injicirte  die  Zimmtsäure  nur  in  die  Muskeln 
der  Oberschenkel.  Er  benützte  eine  5%ige  Emulsion,  begann 
mit  einer  Dosis  von  040//  und  steigerte  dieselbe  jeden  zweiten 
Tag  um  040</;  die  Maximalgabe  betiug  1*0/7-  Nach  Rück¬ 
tritt  der  Krankheitssymptome  empfiehlt  Heusser  diese  Be¬ 
handlung  noch  durch  einen  Monat  fortzusetzen,  und  hat  die 
Behandlungsdauer  fünf  bis  sechs  Monate  zu  betragen. 

Nach  der  Injection  verspürten  die  Kranken  an  der 
Einstichstelle  manchmal  ein  Brennen.  Kopfschwindel  konnte 
nur  einmal  beobachtet  werden;  hingegen  fühlten  die  Kranken 
häufig  subjectiv  eine  Art  allgemeiner  Ermattung  und  selten 
hatten  sie  Con^estionen. 

In  Uebereinstimmung  mit  Länderer  behauptet 
Heusser,  dass  wir  1.  in  der  Zimmtsäure  ein  energisch  auf 
die  tuberculösen  Gewebe  wirkendes  Mittel  besitzen;  2.  die 
lnjectionen  von  Zimmtsäure  in  die  Oberschenkel  bei  Beob¬ 
achtung .  gewisser  Vorsichtsmassregeln  unschädlich  sind;  3.  die 
Zimmtsäureeinspritzungen  in  vielen  Fällen  die  Schwindsucht 
zu  heilen  im  Stande  sind;  4.  die  Zimmtsäure  kein  specifisclies 
Mittel  gegen  Tuberculose  ist. 

Die  Ansichten  Ländere  r’s  bekräftigen  auch  russische 
Aerzte,  wie  Go  rtscharenko,  L  o  w  s  k  i,  Jurjew 
(Sammelreferat.  Wiener  medicinische  Blatter.  1900,  Nr.  2,  3,  4). 
Die  beiden  Ersten  bemerkten  bei  der  Behandlung  von  Schwind¬ 
süchtigen  mit  Zimmtsäure  eine  Zunahme  des  Körpergewichtes, 
Aufhören  des  Schwitzen?,  Besserung  des  allgemeinen  Be¬ 
findens  und  Heilung  der  Anfangsstadien  der  Tuberculose;  der 
Letzte  erweist  wieder  in  experimentellem  Wege  eine  günstige 
W  irkung  auf  den  Schwindsuchtsprocess  bei  Thieren,  obwohl 
er  die  Sache  etwas  anders  erklärt  als  Länderer. 

Günstige  Heilerfolge  mit  Zimmtsäure  und  Arsenpräparaten 
bei  Lungenschwindsucht  gibt  Hoff  von  der  Poliklinik  des 
Prof.  Stofella  in  Wien  an  in  der  Abhandlung;  »Die  Arsen- 
Zimmtsäure-Therapie  der  Lungentuberculose«  (Aerztlicher 
Central-Anzeiger.  1899,  Nr.  33).  Hoff  verabreichte  den 


Schwindsüchtigen  innerlich  Arsen  mit  Zimmtsäure  nach  folgen¬ 
der  Vorschrift: 

Rp.  Acidi  arsenicosi  04, 

Kali  carbon,  dep.  0'2, 

Acid,  cynamylic.  0  3, 

Aquae  destill.  5'0. 

Coque  usque  ad  perfectam  solutioncm  (:i/4  b),  dein  adde: 

Cognac  25, 

Extr.  laudan.  aqu.  0  5. 

Quod  in  aqua  destill.  2'5  sol ,  dein  filtratum  sit. 

S.  Nach  dem  Mittag-  und  Abendmahl  von  6 — 22  Tropfen  all- 
mälig  steigend  einzunehmen. 

Hoff  behauptet  auf  Grund  klinischer  Beobachtung  von 
über  100  Krankheitsfällen,  dass  er  mehrmals  bei  normaler 
Beschaffenheit  der  Nieren  günstige  Heilerfolge  an  Schwind¬ 
süchtigen  erzielt  habe. 

Ohne  iu  eine  nähere  kritische  Analyse  der  angeführten 
Bereitungsvorschrift  des  Arsen  und  Zimmtsäure  enthaltenden 
Heilmittels  einzugehen,  müssen  wir  den  Zweifel  äussern,  ob 
das  von  Hoff  empfohlene  Mittel,  bei  der  schweren  Löslichkeit 
der  arsenigen  Säure  in  Wasser  (dieselbe  löst  sich  nach  längerer 
Zeit  bis  zu  l°/0  und  das  Kaliarsenit  in  derselben  Verdünnung 
etwas  rascher)  und  leichter  Verflüchtigung  beim  Erhitzen,  auch 
thatsächlich  die  vorgeschriebene  Menge  Arsen  enthält. 

Einen  geringeren  Heilwerth  misst  der  Zimmtsäure  in  der 
Lungentuberculose  Fritz  Frankel  in  Heidelberg  bei  (Die 
Behandlung  der  Tuberculose  mit  Zimmtsäure.  Deutsches  Archiv 
für  klinische  Medicin.  1900,  Bd.  LXV,  Heft  5  und  6),  Des¬ 
gleichen  Ewald  in  Charlottenburg  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  21). 

Von  dem  Grundsätze  ausgehend,  dass  es  Pflicht  des 

Klinikers,  dem  ein  grösseres  Material  im  Spitale  zur  Ver¬ 

fügung  steht,  sei,  jedes,  wenn  auch  nicht  specifische  Heilmittel 
zu  versuchen,  welches  auf  den  Verlauf  der  Lungentuberculose 
günstig  wirkt,  unternahm  ich  auf  meiner  Abtheilung  Ex¬ 

perimente  mit  Hetol,  und  das  umsomehr,  als  ich  hiezu  durch 
die  von  Länderer  und  Heusser  angegebenen  günstigen 
Ei  folge  angeeifert  wurde.  Bei  meinen  Versuchen  beniizte  ich 
das  Hetol  von  Kalle  &  Comp,  in  Biebrich  am  Rhein  und 

wandte  ausschliesslich  intravenöse  Hetolinjectionen  an,  bei 
strenger  Beobachtung  der  antiseptischen  Regeln.  Nach  genauer 
Waschung  des  Armes  und  des  Ellbogengelenkes  mit  l%oioer 
Sublimatlösung,  dann  mit  96%igem  Alkohol  und  Aether,  ferner 
nach  Anlegung  einer  elastischen  Binde,  welche  einen  Druck 
am  Oberarme  ausübte,  was  das  Auflaufen  der  Venen  behufs 
eines  deutlichen  Hervortretens  derselben  bezweckte,  spritzte 
ich  mit  P  r  a  v  a  z’scher  Spritze  Hetollösung  in  die  Venen.  Zur 
völligen  Sterilisirung  wurde  die  Injectionsspritze  vor  jeder 
Operation  ll/4 — ll/2  Stunden  in  0'6%iger  physiologischer  Koch¬ 
salzlösungausgekocht  und  nach  jedesmaliger  Benützung  mit  der¬ 
selben  Lösung  ausgespült.  In  gleicher  Absicht  wurde  die  in  physio¬ 
logischer  Kochsalzlösung  zubereitete  Hetollösung  vor  ihrer 
Verwendung  fünf  Minuten  lang  gekocht.  Die  lnjectionen 
machte  ich  jeden  zweiten  oder  vierten  Tag,  präcis  nach 
Lander  er’s  Anweisung  mit  einer  Dose  von  0  0005//  be¬ 
ginnend,  und  vergrösserte  dieselbe  ein  jedes  Mal,  je  nachdem 
es  die  Umstände  gestatteten,  um  0  0005//.  Bei  einer  Temperatur¬ 
steigerung  bis  zu  38'2°  C.  oder  bei  Eintritt  von  Blutspucken, 
wie  auch  anderen  Störungen,  unterbrach  ich  sofort  die  Injec- 
tionen.  Zugleich  muss  ich  bemerken,  dass  in  jedem  zur  Hetol- 
behandlung  bestimmten  Falle  die  Körperwärme  des  Kranken 
während  seines  ganzen  Aufenthaltes  im  Spitale  dreimal  täglich, 
das  ist  Früh,  Mittags  und  Abends  gegen  6  Uhr,  genau  ge¬ 
messen  wurde.  Auf  diese  Art  unterzog  ich  43  mit  Lungen¬ 
tuberculose  behaftete  Kranke  der  Hetolbebandlung,  wovon 
ich  in  25  Fällen  die  Therapie  ausschliesslich  auf  die  intra¬ 
venösen  lnjectionen  von  Hetollösung  beschränkte  und  in 
18  Fällen  überdies  arsenige  Säure  subcutan  injicirte.  Im  All¬ 
gemeinen  vollführte  ich  bei  einem  Gesammtverbrauch  von 
4  136 g  Hetol  924  lnjectionen  und  bemerkte  danach  niemals 
irgendwelche  Complicationen;  ja  die  Kranken  haben  vielmehr 
diesen  Eingriff  sehr  gut  und  ohne  jede  locale  Reaction 
ertragen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


Das  Resultat  der  Versuche  stellt  sich,  wie  folgt,  dar: 

I.  Heilung  konnte  ich  in  einem  Falle  beob¬ 
achten. 

1.  Wasserberger  St.,  33  Jahre  alt.  Seit  sechs  Wochen  krank; 
Husten,  Diarrhöe;  Schweiss;  seit  vier  Tagen  Blutspucken.  Am 
12.  September  auf  die  Abtheilung  aufgenommen. 

Status  praesens:  Temperatur  378°  C.,  an  beiden  Spitzen, 
besonders  an  der  linken  Dämpfung;  dorlselbst  unbestimmtes  Athem- 
geräusch,  dem  der  Bronchien  genähert;  zahlreiche  Rasselgeräusche. 
Im  Harne  eine  Spur  Eiweiss.  Untersuchung  auf  Bacterien  nach 
Czaplewski’s  Scala:  Cz.  0  ==  ;  Sputum  in  karger  Menge, 

schleimig-eiterig. 

Während  zehntägiger  klinischer  Beobachtung  kann  constatirt 
werden:  Starke  Schweissabsonderung,  Schüttelfrost,  Sputum  in 
karger  Menge  zeitweise  mit  einer  Beimischung  von  frischem  Blute; 
subfebriler  Zustand.  Mit  den  Hetolinjectionen  wurde  am  22.  Sep¬ 
tember  begonnen;  das  Körpergewicht  hat  50 hg  500#  betragen. 
Beendigt  wurden  wieder  die  Injectionen  am  6.  November,  und  das 
Körpergewicht  hat.  5G  hg  500#  betragen.  Die  Injectionsperiode 
dauerte  4G  Tage;  es  wurden  23  Injectionen  ausgeführt  und  dabei 
im  Ganzen  135  mg  =  0135#  Iletol  verbraucht;  die  grösste  Gabe 
war  0  01#. 

Nach  der  zweiten  Injection  hörten  Schweisssecretion  und 
Schüttelfrost  auf,  ebenso  wie  auch  der  subfebrile  Zustand.  Der 
Husten  ist  geringer,  der  Stuhl  verstopft.  Der  Zustand  des  Patienten 
wird  mit  jedem  Tage  besser,  nur  einmal  trat  während  der  ganzen 
klinischen  Beobachtungsperiode  gegen  Abend  nach  einer  vor¬ 
mittäglichen  Injection  von  0  005  Iletol  Schweiss  auf;  später  war 
keiner  mehr  zu  constatiren.  Der  Appetit  ist  andauernd  gut;  der 
Husten  gering;  kein  Auswurf. 

31.  November  wurde  der  Kranke  aus  der  Anstalt  entlassen. 
Bei  der  Untersuchung  konnte  nur  in  der  rechten  Lungenspitze  ein 
etwas  gedämpfter  Schall  ohne  Rasseln  und  dort  ein  schärferes 
Alhemgeräusch  nachgewiesen  werden;  sonst  keine  Krankheits- 
veränderungen  in  den  Lungen.  Albuminurie  hörte  auf.  Der  Kranke 
fühlt  sich  bedeutend  stärker;  er  verdaut  ausgezeichnet.  Im  Ver¬ 
laufe  von  4G  Tagen  nahm  das  Körpergewicht  des  Kranken  während 
der  Zeit  der  intravenösen  Hetolinjection  um  genau  0>kg  zu. 

Drei  Monate  darauf  untersuchte  ich  den  Kranken  im  Spitale; 
sein  Zustand  war  unverändert;  im  geringen  Sputum  sind  keine 
Tuberkelbacillen,  trotzdem  er  während  dieser  Zeit  als  öffentlicher 
Dienstmann  beschäftigt  war  und  heiratete. 

II.  Die  Fälle,  in  welchen  bei  der  Behandlung 
durch  intravenöse  Injectionen  von  Hetol  eine 
bedeutende  Besserung  erfolgte,  waren,  w  i  e  n  ach- 
stehend: 

2.  Piatek  M.,  27  Jahre  alt.  Seit  einigen  Monaten  krank;  seit 
einem  Monat  Verschlimmerung,  Husten,  Seitenstechen,  Fieber, 
Schweiss.  Am  15.  September  auf  die  Abtheilung  aufgenommen. 

Status  praesens:  Körperwärme  37;8°  C.  An  der  linken 
Lungenspitze  Dämpfung,  die  Athmungen  unbestimmt,  von  Pfeifen, 
Sausen  und  Rasseln  verdeckt.  Sonst  sind  dieAthemzüge  verschärft, 
hie  und  da  durch  Pfeifen  verdeckt.  Die  Milz  gross,  hart.  Bacteriolo- 

gischc  Untersuchung:  Cz.-"-;  Sputum  reichlich,  eiterig.  Während 
einer  siebentägigen  klinischen  Beobachtungszeit  war  häufig  Husten, 
Schweiss  und  Schüttelfrost,  der  nach  Chinin  aufhörte,  nachweisbar. 

Am  22.  September  wurde  mit  den  Injectionen  begonnen; 
Gewicht  des  Körpers  51  hg  20  dkg. 

Am  10.  November  wurden  die  Einspritzungen  eingestellt; 
das  Körpergewicht  55  hg  20  dkg\  Die  Injectionsperiode  währte 
54  Tage,  bei  27  Einspritzungen  mit  einem  Gesammtverbrauch  von 
184  mg  =  0484#  Hetol.  Die  maximale  Dosis  war  001#. 

Zur  Zeit  der  ersten  Injectionen  stellte  sich  kurz  nach  den¬ 
selben  eine  Temperatur  von  374° — 37-8°  C.  nebst  Schweiss  ein; 
später  traten  diese  Symptome  zurück,  und  nur  zeitweise  erreichte 
die  Abendtemperatur  38° — 38-2°  C.,  deren  Ursache  jedoch  eher 
im  Wechselfieber,  das  nach  Chinin  zurückging,  als  in  der  Heil¬ 
wirkung  zu  suchen  wäre.  Nach  der  IG.  Injection  bis  zum  Ende 
absolut  kein  Fieber,  vorzüglicher  Appetit,  Verdauung  sehr  gut, 
Husten  gering,  Auswurf  karg. 

')  Der  Zähler  bezeichnet  die  Zahl  der  Bacillen,  der  Nenner  jene  der 
Gesichtsfelder. 


11.  November.  Der  Kranke  fühlt  sich  bedeutend  besser;  gar 
kein  Schüttelfrost  und  Schweiss.  Husten  sehr  gering;  Sputum  gering, 
frei  von  Tuberkelbacillen.  An  beiden  Spitzen  ist  kaum  eine 
Dämpfung,  verschärftes  Athemgeräusch  zu  constatiren;  in  der 
linken  Lungenspitze  kaum  auf  der  Höhe  der  Einathmung  spärliches 
Knistern.  Der  Kranke  nahm  an  Gewicht  in  54  Tagen  gerade 
4  hg  zu. 

Am  23.  Januar  1900  erschien  er  wegen  Husten  und  Fieber, 
das  sich  jedoch  erst  vor  einigen  Tagen  gezeigt  haben  soll,  neuer¬ 
lich  auf  der  Abtheilung.  Damals  wog  er  52  hg  70  dlcg.  Die  Unter¬ 
suchung  erwies  ausgebreitetes  Pfeifen  und  Sausen  neben  Dämpfung 
in  beiden  Spitzen  und  besonders  in  der  linken,  nebst  Rassel¬ 
geräusch  dortselbst.  Im  Auswurf  spärliche  Bacillen.  Patient  verblieb 
38  Tage  in  Spitalspflege,  und  es  wurden  ihm  19  intravenöse  Hetol¬ 
injectionen  applicirt,  bei  einem  Verbrauch  von  57w?#  =  0'057# 
Hetol  mit  einer  Maximalgabe  von  0  0045.  Auch  da  vertrug  der 
Kranke  die  Injectionen  sehr  gut  und  verliess  am  3.  März  das 
Spital  in  demselben  Zustande,  wie  am  11.  November  1899,  mit 
einer  Körpergewichtszunahme  von  5  hg  30  dkg. 

3.  Sredniawa  Andreas,  19  Jahre  alt.  Seit  sechs  Wochen 
krank;  Schweiss,  Schüttelfrost,  Husten,  Schwäche.  Aufgenommen 
am  21.  September. 

Status  praesens:  Rechte  Lunge:  vorn  Dämpfung  bis 
zur  zweiten  Rippe,  rückwärts  zum  Kamm  des  Schulterblattes;  aus 
der  Tiefe  klingendes  Rasseln,  das  Athemgeräusch  jenem  der  Bron¬ 
chien  genähert.  Linke  Lunge:  vorn  Dämpfung  bis  zur  dritten  Rippe, 
rückwärts  bis  zum  halben  Schulterblatt;  Bronchialgeräusch,  klin¬ 
gendes  Rasseln.  Schweiss  reichlich,  Temperatur  38'3°  C.;  bacterio- 
logischer  Befund:  Cz.  =  — p.  Während  der  ersten  sieben  Tage 
der  gleiche  Zustand,  nur  das  Fieber  etwas  geringer. 

Beginn  der  Hetolinjectionen  am  28.  September;  Körpergewicht 
4 6  hg  48  dkg.  Ende  derselben  am  10.  November.  Es  wurden 
22  Einspritzungen  mit  132  5  mg  =  01325#  Hetol  applicirt.  Die 
Höchstgabe  war  0'01.  Nach  der  sechsten  Injection  hörte  der 
Husten  fast  auf;  der  Zustand  stabil  fieberfrei;  Schüttelfrost  und 
Schweiss  hörten  auf;  die  Verdauung  normal,  der  Appetit  vor¬ 
züglich.  Der  Kranke  fühlt  sich  besser.  Dieser  Zustand  hält  während 
der  ganzen  Behandlungszeit  an. 

11.  November.  Status  praesens:  Patient  fühlt  sich  be¬ 
deutend  besser,  er  ist  kräftiger.  Der  Husten  unbedeutend,  Auswurf 
karg,  eiterig.  Die  rechte  Lunge  vorn  bis  zur  zweiten  Rippe,  rück¬ 
wärts  bis  zum  Schulterblattkamm  Dämpfung;  kein  Rasseln;  das 
Athemgeräusch  jenem  der  Bronchien  genähert.  Die  linke  Lunge: 
vorn  Dämpfung  bis  an  die  zweite  Rippe,  Ein-  und  Ausathmung  un¬ 
bestimmt,  mit  kargem  Rasseln  bedeckt;  rückwärts  bis  zum  halben 
Schulterblatt  Percussionsschall  gedämpft,  Ein-  und  Ausathmung  ver¬ 
schärft  mit  kargem  Gerassel.  Das  Körpergewicht  ist  um  4  hg  12  dkg 
gestiegen. 

4.  Wolfram  Anton,  59  Jahre  alt.  Seit  drei  Monaten  Husten, 
Schwäche,  Schweiss,  Heiserkeit  und  Diarrhöe.  Am  22.  September 
auf  die  Abtheilung  aufgenommen. 

Status  präsens:  An  den  Lungenspitzen,  besonders  an  der 
linken  Percussionsschall  ein  wenig  gedämpft:  das  Athemgeräusch 
unbestimmt;  auf  der  ganzen  Lungenfläche  Pfeifen,  Sausen,  Körper¬ 
wärme  377 — 37’8°  C.;  Diarrhöe.  Die  Untersuchung  mit  dem  Kehl¬ 
kopfspiegel,  welche  auf  der  laryngologischen  Abtheilung  vorgenommen 
wurde,  erwies:  Erosiones  laryngis.  Bacteriologische  Untersuchung: 

Gz.  =4-. 

Während  einer  sechstägigen  klinischen  Beobachtungsperiode 
hielt  derselbe  Zustand  an. 

Am  28.  September  wurde  mit  dem  Hetolinjectionen  begonnen 
und  am  26.  November  aufgehört ;  das  Körpergewicht  betrug  47  hg 
beim  Beginn  und  50  7c#  50  dkg  nach  Beendigung  der  Einspritzungen. 
Die  Injectionsperiode  währte  G2  Tage  bei  31  Einspritzungen  und 
2 14  5  mg  =  0  2 145  #  Gesammthetolverbrauch  ;  die  Maximaldosis 
betrug  0  01  #. 

Patient  hat  die  Injectionen  vorzüglich  vertragen;  Fieber  war 
niemals  vorhanden.  Temperatur  36’8 — 37°  C. ;  nach  der  vierten  In¬ 
jection  hörten  Schweiss,  Schüttelfrost  und  Diarrhöe  auf;  der  Appetit 
sehr  gut,  Husten  schwächer.  Die  Heiserkeit  behoben  am  30.  Oc¬ 
tober.  Das  einzige  negative  Symptom  bestand  in  Kopfschmerzen. 
An  Körpergewicht  nahm  Patient  um  3  hg  50  dkg  zu. 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


905 


Der  günstige  Zustand  blieb  beim  Kranken  auch  nach  dem 
Aufhören  der  Hetolinjectionen  bestehen. 

Am  5.  December  verliess  er  das  Spital,  und  die  klinische 
Untersuchung  ergab:  Der  Kräftezustand  des  Kranken  gut;  an  der 
rechten  Lungenspitze  selbst  Verdichtung  ohne  Rasseln  ;  an  der  linken 
Spitze  kaum  spärliches  Rasseln  auf  der  Höhe  der  Einathmung.  Heiser¬ 
keit  nicht  vorhanden.  Am  14.  December  kehrte  der  Kranke  wegen 
Beschäftigungsmangel  ins  Spital  zurück  und  verweilte  hier  bis  zum 

7.  Januar  1900.  Während  dieser  Zeit  konnte  ebenfalls  weder  Fieber, 
noch  Schweiss  oder  Schüttelfrost,  sondern  nur  ein  mässiger  Husten 
constatirt  werden.  Der  Lungenzustand  erfuhr  keine  Veränderung. 
Am  20.  März  wurde  der  Patient  zum  dritten  Male  in  die  Anstalt 
aufgenommen,  und  damals  konnte  in  der  linken  Lungenspitze 
eine  Dämpfung  bis  zum  Schulterblattkamm  nachgewiesen  werden  mit 
ziemlich  zahlreichem  Sausen  und  Rasseln,  wie  auch  ein  subfebriler 
Zustand  und  Schweiss. 

5.  Mitka  Josef,  '50  Jahre  alt,  ist  seit  sechs  Monaten 
krank;  Husten,  Schweiss,  Schüttelfrost,  allgemeine  Schwäche.  Wurde 
am  23.  September  1899  in  das  Spital  aufgenommen. 

Status  praesens:  Die  rechte  Lungenspitze  weist  vorn 
bis  zur  zweiten  Rippe  und  zum  Schulterblattkamm  rückwärts  eine 
Dämpfung  auf;  daselbst  bronchiale  Ein-  und  Ausathmung,  Rasseln. 
Die  linke  Lungenspitze  ein  wenig  gedämpft;  dortselbst  selten  Pfeifen 
und  Sausen.  Mässige  Schweissabsonderung,  Schüttelfrost ;  subfebriler 

Zustand.  Untersuchung  auf  Bacillen:  Cz.  =  -y-, 

Beginn  der  Hetolinjectionen  am  28.  September.  Körpergewicht 
53  %  50  dkg.  Ende  der  Injectionen  am  2.  November;  Körpergewicht 
55  %  50  dkg.  Die  Injectionszeit  dauerte  36  Tage;  es  wurden  19  Ein¬ 
spritzungen  gemacht  und  im  Ganzen  92'5w/7  =  00925  g  Hetol 
benützt;  die  Höchstgabe  betrug  00095  g.  Die  Gewichtszunahme 
machte  gerade  2  %  aus. 

Mit  der  vierten  Injection  traten  Schweiss  und  Schüttelfrost 
zurück;  der  Husten  wurde  geringer,  der  Auswurf  karger.  Verdauung 
gut,  die  Einspritzungen  wurden  vom  Kranken  sehr  gut  vertragen. 
Nach  19  Injectionen  ist  der  Zustand  bedeutend  besser.  Schmerz  in 
der  Brust.  Am  3.  November  verlässt  der  Kranke  aus  Familienrück¬ 
sichten  plötzlich  die  Anstalt. 

6.  Wyroba  Theop^hila,  62  Jahre  alt,  am  23.  Mai  1899 
in  das  Spital  aufgenommen.  Sie  hielt  sich  daselbst  vom  23.  Mai  bis 
22.  September  1899  auf.  Während  der  ganzen  Zeit  zehrendes  Fieber, 
395 — 40°  C.  mit  reichlicher  Schweissabsonderung  und  allgemeinem 
Herabkommen;  reichliches,  eiteriges  Sputum,  vollständiger  Appetit¬ 
mangel;  die  Schwäche  ist  derart,  dass  die  Kranke  nicht  einen  Schritt 
allein  machen  kann.  Der  Puls  fadenförmig;  alle  Heilmittel  wirkungslos. 

Status  praesens:  22.  September.  Verdichtung  an  der 
rechten  Spitze,  Pfeifen,  Sausen;  an  der  linken  Spitze  Dämpfung  vorn 
bis  zur  dritten  Rippe  und  bis  zum  Kamm  des  Schulterblattes  rück¬ 
wärts;  hier  die  Ein-  und  Ausathmung  unbestimmt;  spärliches  Rasseln. 

Untersuchung  auf  Bacillen:  Cz.  = 

Am  10.  September  wurde  mit  den' Injectionen  begonnen;  das 
Körpergewicht  machte  35  %  15  dkg,  und  am  10.  November  wurden 
dieselben  eingestellt,  das  Gewicht  betrug  36%  15  dkg.  Nach  der 
14.  Injection  wog  die  Kranke  36%  15  dkg.  Die  Tnjectionsperiode 
dauerte  50  Tage,  mit  26  Einspritzungen  und  einem  Verbrauche  von 
153 mg  —  0453(7  Hetol;  grösste  Gabe  0  015(7- 

Nach  der  siebenten  Einspritzung  fällt  das  Fieber  von  39°  auf 
37°  C.;  der  Schweiss  und  Schüttelfrost  treten  zurück.  Der  Appetit 
vorzüglich  (vorher  vollständiger  Mangel  desselben);  die  Kräfte  besser. 
Nach  der  19.  Injection  ist  der  Zustand  der  Kranken  zufriedenstellend; 
in  der  rechten  Lungenspitze  das  Athemgeräusch  verschärft,  ohne 
Rasseln;  Sputum  karg.  Nach  vier  Tagen  steigt  jedoch  die  Temperatur 
Abends  auf  38°  C.,  Früh  tritt  spärlicher  Schweiss  ohne  Schüttel¬ 
frost  ein;  unbedeutender  Husten  und  spärlicher  Auswurf. 

Die  Kranke  verliess  am  11.  November  1899  mit  Besserung 
das  Spital  bei  folgendem  Zustande  der  Lungen:  Percussionsschall  in 
der  rechten  Spitze  kürzer;  daselbst  aus  der  Tiefe  hörbares  Sausen, 
Ein-  und  Ausathmung  unbestimmt.  In  der  linken  Spitze  vorne 
Dämpfung  bis  an  die  zweite  Rippe  und  hinten  an  den  Schulterblatt- 
kamm  ohne  Rasseln.  Die  Kranke,  welche  vorher  aus  eigener  Kraft 
nicht  umherschreiten  konnte,  geht  jetzt  frei  herum. 

III.  In  nachstehenden  Fällen  trat  bei  gleich¬ 
zeitigen  intravenösen  Injectionen  und  sub- 


cutanen  Einspritzungen  von  arseniger  Säure 
eine  bedeutende  Besserung  ein: 

7.  Zaluszczak  Johann,  42  Jahre  alt.  Seit  sechs  Wochen 
Fieber,  Schweiss,  Husten,  Schwäche.  Aufgenommen  am  15.  October. 

Status  praesens:  Dämpfung  an  der  rechten  Lunge  vorne 
bis  zur  dritten  Rippe  und  rückwärts  zum  halben  Schulterblatt: 
reichliches,  klingendes  Rasseln.  An  der  linken  Lunge  beschränkt  sich 
die  Dämpfung  nur  auf  die  Spitze  und  dort  Rasseln,  reichlich,  klang- 
los.  Temperatur  38' 1°  C.  Untersuchung  auf  Bacillen:  Cz.  =  —  — . 

Während  einer  fünftägigen  klinischen  Beobachtung  wurden 
Fieber  bis  zu  38'2°  C.,  reichlicher  Schweiss,  Schüttelfrost,  starker 
Husten  und  ausgiebiger  Auswurf  constatirt.  Am  31.  October  wurde 
mit  den  Hetol-  und  Arseninjectionen  begonnen;  das  Körpergewicht 
betrug  63%  20  dkg,  nach  drei  Wochen  64%  20  dkg.  Die  Hetol¬ 
injectionen  wurden  am  20.  December  beendigt;  Körpergewicht 
65%  70  dkg.  Die  Injectionsperiode  erstreckte  sich  auf  52  Tage;  es 
wurden  26  Einspritzungen  gemacht  und  im  Ganzen  1545  mg  = 
04545  g  Hetol  benützt;  die  Höchstgabe  war  001.  Nach  drei  Wochen 
wurde  abwechselnd  Hetol  und  arsenige  Säure  injicirt,  dessen  Ge- 
sammtmenge  29  mg  ausmachte.  Die  Maximaldosis  der  arsenigen  Säure 
hat  0  002  g  betragen. 

Der  Kranke  hat  die  Injectionen  sehr  gut  vertragen.  Nach  der 
dritten  Injection  traten  Schweiss  und  Schüttelfrost  zurück;  Husten 
mässiger,  Sputum  ziemlich  reichlich,  Appetit  gut.  Dieser  Zustand 
hielt  in  der  Zeit  der  ferneren  klinischen  Beobachtung  an  und  nur 
einmal  konnte,  kurz  nach  der  intravenösen  Hetolinjection,  Schweiss 
constatirt  werden.  Als  Nebenerscheinung  spürte  der  Kranke  Brust¬ 
schmerz. 

27.  December.  Patient  stets  fieberfrei;  Kräftezustand  sehr  gut. 
In  der  rechten  Lungenspitze  verschärfte  Ein-  und  Ausathmung, 
spärlich  Rasseln;  in  der  linken  Spitze  kürzerer  Percussionsschall. 
Durch  Auscultation  kann  nur  kaum  hie  und  da  ein  Sausen  nach¬ 
gewiesen  werden.  Patient  sieht  sehr  gut  aus.  Gewichtszunahme 
2  %  50  dkg. 

8.  Nowak  Adalbert,  36  Jahre  alt.  Seit  drei  Jahren  Husten, 
Fieber;  seit  drei  Monaten  erhebliche  Verschlimmerung,  Schweiss, 
Blutspucken.  Kam  am  25.  October  1899  im  Spitale  an. 

Status  praesens:  An  der  linken  und  rechten  Lungenspitze 
Dämpfung;  über  beiden  Lungen  ausgebreitetes  Pfeifen,  Sausen, 
tonloses  Rasseln.  Rückwärts,  unten,  linkerseits  in  der  Ausdehnung 
einer  Säuglingshandfläche  gedämpfter  Percussionsschall;  dort  bron¬ 
chiale  Ein-  und  Ausathmung  mit  häufigem  Rasseln.  Temperatur 
37-4°  C. 

Während  einer  siebentägigen  klinischen  Beobachtungszeit: 
Schweiss,  subfebriler  Zustand,  heftiger  Husten,  spärlicher  Auswurf. 

Bacteriologische  Untersuchung:  Cz.  =  - . 

31.  October.  Beginn  der  Hetolinjectionen;  Gewicht  des  Körpers 
41%.  Ende  der  Injectionen  18.  December.  Gewicht  43%;  nach 
drei  Wochen,  d.  i.  am  20.  November,  betrug  dasselbe  42  %  50  dkg. 
Die  Injectionszeit  dauerte  49  Tage  mit  24  Einspritzungen  und 
155'5  mg  =  04555(7  Hetolverbrauch;  grösste  Gabe  001. 

Nach  der  dritten  Injection  hörten  Schüttelfrost  und  Schweiss 
auf,  Husten  ziemlich  häufig,  Temperatur  37'2 — 37-5°  C.  Nach  der 
sechsten  Injection  Husten  seltener,  Temperatur  37°  C. 

In  den  letzten  drei  Wochen  wurden  abwechselnd  intravenöse 
Hetol-  und  subcutane  Arseninjectionen  angewendet;  es  wurden  29  mg 
arsenige  Säure  in  10  Sitzungen  applicirt,  jedoch  ohne  merkliche 
Besserung,  denn  wenn  bei  ausschliesslichen  Hetoleinspritzungen  der 
Kranke  in  drei  Wochen  um  1  %  an  Gewicht  zunahm,  so  erhöhte 
sich  dasselbe  in  den  nachfolgenden  drei  Wochen,  wo  abwechselnd 
Hetol  und  Arsen  injicirt  wurden,  kaum  um  */2  %•  Der  Kranke  ver¬ 
liess  das  Spital  mit  deutlich  wahrnehmbarer  Besserung.  Die  In¬ 
jectionen  vertrug  er  im  Allgemeinen  sehr  gut,  nur  klagte  er  über 
Brustschmerz  nach  der  Heloleinspritzung.  Beim  Verlassen  des  Spitals 
konnte  bei  der  Untersuchung  Dämpfung  über  beiden  Lungenspitzen 
neben  spärlichem  Sausen  festgestellt  werden. 

9.  Nowakowski  J  0  h  a  n  n,  54  Jahre  alt.  Seif  zwei  Monaten 
krank;  Husten,  Beklemmung,  Schweiss.  Am  23.  October  ins  Spital 
aufgenommen. 

Status  praesens:  Verdichtung  beider  Lungenspitzen,  be¬ 
sonders  der  rechten.  Malarischer  Milztumor,  Diarrhöe,  Malariakachexie. 
Temperatur  37'9°  G.  Bacteriologische  Untersuchung:  Gz.  =  x  • 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


906 


Während  einer  siebentägigen  Boobacbtungspcriode  subfebriler  Zu¬ 
stand,  Schweiss,  Diarrhöe  trotz  Verabreichung  von  grösseren  Gaben 
Chinin,  Opium  und  Wismuth.  Die  Temperatur  erreicht  zuweilen 
38  6°  C. 

Mit  den  lletolinjeclionen  wurde  am  30.  October  1899  be¬ 
gonnen.  Körpergewicht  51  kg  20  dkg-,  am  29.  Jänner  1900  wurden 
dieselben  beendigt;  Gewicht  56  kg.  Injeetionsperiode  91  Tage  mit 
29  lletoleinspritzungen  und  136  5  mg  —  0  1365  Gesammtverbrauch 
an  Helol-Maximaldosis  (H)08.  Arseninjectionen  wurden  27  vollführt 
und  im  Ganzen  52  ?rc<7  =  0  052  <7  arsenige  Säure  benützt;  die  Höchst¬ 
gabe  betrug  0'00'lg. 

Während  der  abwechselnden  Hetol-  und  arsenige  Säure-Injec- 
tionen  besserte  sich  der  Zustand  des  Kranken.  Die  Körperwärme 
erreichte  höchstens  37‘8°  C.  am  Abend.  Patient  sah  immer  besser 
aus,  er  war  kräftiger;  Schweiss  und  Schüttelfrost  sehr  unbedeutend; 
die  Diarrhöe  hörte  auf.  Gegen  Ende  konnte  Verdichtung  der  rechten 
Lunge  ohne  Rasseln  constatirt  werden.  Blutarmuth  von  geringerer 
Intensität.  Der  Kranke  sing  mit  bedeutender  Kräftebesserung  nach 
Hause;  an  Gewicht  nahm  er  um  4:  kg  SO  dkg  (also  fast  5  kg)  zu  und 
ist  hier  zu  verzeichnen,  dass  das  Körpergewicht  in  30  Tagen  nach 
Beginn  der  Injectionen  um  4  kg  20  dkg  grösser  wurde.  Nach  2  72  Mo¬ 
naten  kehrte  der  Kranke  mit  , einem  Fieber  von  39°  C.  in  die  An¬ 
stalt  zurück  und  es  konnte  bei  der  Untersuchung  Infiltration  in  der 
rechten  Lungenspitze  mit  klingendem  Rasseln,  vorne  bis  an  die 
zweite  Rippe  und  rückwärts  an  den  Schulterblattkamm  reichend, 
wie  allgemeines  Herabkommen  constatirt  werden. 

10.  Eisenberg  H.,  19  Jahre  alt,  seit  zwei  Jahren  krank, 
Husten,  Schüttelfrost,  Schweiss,  Appetitmangel,  rasche  Abmagerung. 
In  die  Anstalt  aufgenommen  am  10.  October. 

Status  praesens:  Ueber  der  rechten  Lunge  vorn  an  die 
vierte  Rippe,  rückwärts  an  dem  Kamm  des  Schulterblattes  Dämpfung, 
hier  Athemgeräusche  und  Rasseln  klingend ;  Schweiss,  Stechen  in 
der  rechten  Seite,  starker  Husten.  Temperatur  37 '2°.  Die  Kranke 
bekommt:  Kresalbin,  Duotal  ohne  Wirkung.  Untersuchung  auf 
Bacillen:  Gz.  =  -30  . 

Die  Hetolinjectionen  wurden  am  29.  October  begonnen;  Ge¬ 
wicht  des  Körpers  48  £<7;  am  24.  November  wurden  dieselben 
beendet;  Gewicht  49  kg  3  dkg.  Darauf  wurde  nur  Arsenik  eingespritzt 
und  zwar  bis  zum  7.  December.  Körpergewicht  49  kg  70  dkg.  Die 
Injeetionsperiode  des  Iletols  erstreckte  sich  auf  28  Tage  mit 
18  Injectionen  und  67‘5  mg  =  0‘0675  Hetolverbrauch  bei  (4005  g 
Maximalgabe.  Die  Einspritzungsperiode  des  Arsens  umfasste  hierauf 
zehn  Tage  mit  neun  Injectionen,  13  mg  Arsenverbrauch.  Die  höchste 
Einzelgabe  war  2 ‘5  mg. 

Die  Kranke  fühlte  sich  nach  der  vierten  Hetolinjection  besser; 
nach  der  achten  traten  Schweiss  und  Schüttelfrost  vollständig 
zurück;  fieberfreier  Zustand,  guter  Appetit,  klagt  über  Brust¬ 
schmerzen.  Gegen  Ende  der  Behandlung  unbedeutender  Schweiss 
und  Schüttelfrost. 

Das  Allgemeinbefinden  der  Kranken  besser,  sie  sieht  besser  aus, 
hustet  wenig  und  spuckt  selten,  das  Rasseln  hörte  in  der  rechten 
Lunge  fast  völlig  auf  und  es  konnten  dort  nur  Verdichtungs¬ 
symptome  constatirt  werden.  Das  Gewicht  der  Kranken  nahm  um 
1  kg  80  dkg  zu. 

1 1 .  Ehrenkranz  Marie,  23  Jahre  alt.  Seit  sechs  Monaten 
Husten,  Schweiss,  Fieber,  Schüttelfrost;  seit  zwei  Tagen  Blut¬ 
spucken.  Kam  am  4.  November  in  das  Spital.  Blutspucken  und 
Schweiss  bis  zum  19.  November;  dann  fieberfreier  Zustand. 

1.  December.  Status  praesens:  Ueber  der  rechten  Lunge 
vorn  Dämpfung  bis  an  die  zweite  Rippe,  rückwärts  bis  an  den 
Schulterblattkamm;  dort  Ein-  und  Ausathmung  der  bronchialen 
genähert;  spärlich  Rasseln.  An  der  linken  Lungenspitze  vorn  bis  an 
die  dritte  Rippe  Dämpfung;  das  Athemgeräusch  verschärft,  spär¬ 
liches  Sausen.  Bacteriologische  Untersuchung:  Gz.  =  ~  . 

Am  1.  December  wurde  mit  den  Hetolinjectionen  begonnen; 
Körpergewicht  56  kg  50  dkg;  am  30.  December  wurden  sie  beendet; 
Gewicht  OI/1Y7.  Die  Injeetionsperiode  währte  30  Tage  mit  14  Ein¬ 
spritzungen  und  Gesammtverbrauch  von  49  mg  =  0‘049 g  Hetol; 
die  Maximaldosis  war  04)05  <7.  Arseninjectionen  wurden  acht  aus¬ 
geführt  und  14  mg  arsenige  Säure  verbraucht:  die  Höchstgabe 
machte  2'5  inq  ans. 


Patientin  hat  die  Injectionen  sehr  gut  vertragen;  Schweiss 
und  Schüttelfrost  kamen  nicht  zum  Vorschein;  die  Temperatur 
stieg  nur  zeitweise  nach  der  Injection  bis  zu  37"9°  G.  Der  Appetit 
ist  sehr  gut;  die  Kranke  fühlt  sich  beim  Ende  der  Behandlung 
bedeutend  kräftiger;  ihr  Gewicht  nahm  um  4  kg  50  dkg  zu.  Durch 
die  Untersuchung  kann  nur  eine  Verdichtung  der  rechten  Lungen¬ 
spitze  ohne  Rasseln  nachgewiesen  werden. 

Die  weiteren  Fälle,  bei  denen  Hetol  intra¬ 
venös  injicirt  wurde  und  unbedeutende  ß  e  s  s  e- 
r  u  n  g  oder  a  u  c  h  Verschlimmerung  und  der  Tod 
eintrat,  stellen  sich  in  Kürze  wie  unten¬ 
stehend  dar: 


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Vorname 

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S3 

O 

S3 

12 

Musiatek  Frz. 
57  Jahre  alt 

46 

22 

69 

0-005 

4 

Cz.  =  —  Gewichtszu¬ 

nahme  80  dkg-,  fieberfreier 

Zustand  nach  der  fünften 

Injection;  Schweiss  0;  Appe- 

lit  vorzüglich;  Besserung. 

13 

Flaczynski  Joti. 
19  Jahre  alt 

32 

!  16 

43 

0-004 

Cz.  =  d  —  Gewichtszu¬ 
nahme  1%;  nach  der  6. 

Inject.  Besserung;  Schweiss 

geringer. 

14 

Kamiriska  Marie 

42 

19 

485 

0-003 

7 

Cz.  =  -  —  Gewichtszu- 

23  Jahre  alt 

1 

nähme  50  dkg]  nach  der  6. 
Injection  trat  Heiserkeit 
zurück,  nach  der  16.  In¬ 
jection  der  Schweiss;  Bes- 

serung. 

15 

Lezniak  Agnes 

42 

21 

134-5 

0-01 

Cz.  =  y - Gewicht  das¬ 

selbe;  hinsichtlich  der  Kräfte 
allgemeine  Besserung. 

38  Jahre  alt 

16 

Pzpczek  Agnes 

44 

22 

134-5 

0  01 

Cz.  —  ;  Gewichtszunahme 

28  Jahre  alt 

50  dkg-  allgemeine  Besserung, 
nahm  auch  zweimal  zu  0"5  g 

• 

Kresalbin  ein. 

17 

Kumala  Stephanie 

42 

21 

134-5 

001 

n  12—25  ^  .  . 

1 - Ciewichtszu- 

45  Jahre  alt 

1 

nähme  1"50  kg]  Besserung, 

18 

Steiner  Bertha 

42 

21 

109 

0  01 

n  2—3 

Cz.  =  Gewicht.sab- 

23  Jahre  alt 

l 

nähme  3  50  hg ;  Verschlim- 

merung. 

19 

Duda  Michael 

18 

9 

27 

0005 

Cz.  =  — — 3 - Alkoholis- 

35  Jahre  alt 

1 

mus;  f. 

20 

Tabor  Thomas 

24 

12 

31 

0-0035 

Cz.  =  —  Gewichtsab- 

38  Jahre  alt 

1 

nähme  T80ä^;  Verschlim¬ 
merung;  f  zwei  Wochen 
nach  Beendigung  der  In- 

jectionen. 

21 

Malinowski  Karl 

46 

23 

101 

0008 

15 

Cz.  =  - - kam  mit  Zehr- 

53  Jahre  alt 

I 

lieber  in  das  Spital;  f. 

22 

Scibor  Josefine 

18 

9 

18 

0  0025 

Cz.  =  -f  —  vertrug  die 

30  Jahre  alt 

Injectionen  schlecht;  f  20 
Tage  nach  Beendigung 

derselben. 

23 

Brzezinska  Justine 
63  Jahre  alt 

10 

- 

O  I 

9 

0-0025 

Cz.  =  - - hat  die  Inject 

schlecht  vertragen ;  -j-  sechs 
Wochen  nach  deren  Been- 

digung. 

2t 

Duda  Johanna 

24 

9 

15*5 

0  0025 

1  OO 

Cz.  =  --  ,  hat  die  Inject. 

19  Jahre  alt 

l  ’  J 

schlecht  vertragen;  Ge¬ 
wichtsverlust  110  hg  in  24 

Tagen;  f  vier  Wochen 
nach  Beendigung  der  Ein- 

Spritzungen. 

Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nummer 

Name  und 

Vorname 

Zeitperiode,  Tage 

Zahl  der  Injectionen 

Gesammte  Hetol- 

menge  in 

Milligramm 

Maximalgabe 

Bemerk  u  n  g 

25 

Chodacka  Anna 
34  Jalire  alt 

22 

11 

225 

0-003 

3 

Cz.  =  - - hat  die  In¬ 

jectionen  schlecht  vertragen ; 
-j-  vier  Wochen  nach  deren 
Beendigung. 

26 

Grzegorczyk 

Anton 

32  Jalire  alt 

52 

26 

162  5 

001 

Cz.  =  ^ - Gewichtsver¬ 

lust  2%;  Verschlimmerung 
trotz  Darreichung  von  Ich¬ 
thyol,  wie  Kresalbin  und 
Xeroform;  -f  32  Tage  nach 
Beendigung  der  Injetiunen. 

27 

Doj  la  Johann 
38  Jahre  alt 

14 

8 

19  5 

0-0035 

Cz.  =  ^ - Gewichtsver¬ 

lust  3  10  hg  in  einer  Woche; 
bedeutende  Verschlechte¬ 
rung;  f  drei  Wochen 
nach  Beendigung  der  In¬ 
jectionen. 

00 

OJ 

Ziomek  Anna 
20  Jahre  alt 

• 

42 

21 

124-5 

001 

Cz.  =  - Gewichtszu¬ 

nahme  4  hg  nach  13  Injec- 
tionen;  anfangs  bedeutende 
Besserung;  später  Lungm- 
blutung  und  f. 

:  29 

Kulezyk  Franz 
63  Jahre  alt 

40 

20 

101-5 

0  0085 

4 _ 2 

Cz.  =  - - Verschlim¬ 

merung  auch  bei  Xeroform¬ 
verabreichung;  Diarrhöe;  f. 

In  nachfolgender  Zusammenstellung  sind 
wieder  die  Resultate  der  intravenösen  Hetol- 
und  subcutanen  Injectionen  von  arseniger 
S  äu  r  e  e  r  s  i  ch  1 1  i  c  h  gemacht  (siehe  Tabelle  pag.  908). 

Aus  dieser  Zusammenstellung  geht  hervor,  dass  auf 
43  Fälle  von  Lungenschwindsucht  (in  einem  Falle  Nr.  36  trat 
als  Complication  tuberculöse  Entzündung  der  Wirbel  ein)  nur 
einmal  Heilung  (2  3%)  nachgewiesen  werden  konnte;  elfmal 
bedeutende  Besserung  (25  6%);  neunmal  geringe  Besserung 
(23-2%)  und  21mal  bedeutende  Verschlimmerung  und  Tod 
(48*8%).  In  den  Fällen  mit  tödtlichem  Ausgange  wurden  auch 
andere  Heilmittel,  wie  Duotal,  Kreosot,  Kresalbin  (Creosotum 
albuminatum),  Ichthyol,  ohne  jeden  Erfolg  eingegeben;  sie 
betrafen  Fälle  mit  weit  vorgeschrittenem  Krankheitsprocesse. 
Die  intravenösen  Hetolinjectionen  wurden  überhaupt  nur  dann 
angewendet,  wenn  im  Sputum  Tuberbacillen  nach  Ziehl- 
N  e  e  1  s  e  n’scher  Methode  nachgewiesen  werden  konnten. 

Bei  Betrachtung  der  Behandlung  der  Lungentuberculose 
einzig  und  allein  mit  intravenösen  Hetolinjectionen  und  der 
Therapie  der  Lungentuberculose,  bestehend  in  den  intravenösen 
Hetol-  und  subcutanen  Injectionen  von  arseniger  Säure, 
müssen  wir  unbedingt  der  ersteren  die  Ueberlegenheit  ein¬ 
räumen  ;  wir  erhielten  doch  bei  den  alleinigen  intravenösen 
Hetolinjectionen  in  30'2°/o  der  Fälle  günstige  Resultate,  da¬ 
gegen  in  jenen,  wo  neben  Hetol  abwechselnd  arsenige  Säure 
eingespritzt  wurde,  kaum  16-5%.  Es  muss  überhaupt  hervor¬ 
gehoben  werden,  dass  der  Schwind suchtsprocess  unter  dem 
Einflüsse  der  Arseneinspritzungen  neben  den  intravenösen 
Hetolinjectionen  einen  ungewöhnlich  raschen,  mit  dem  Tode 
endigenden  Verlauf  aufwies.  Dieser  Umstand  spricht  für  die 
Ansichten  Leyden’s,  welcher  entgegen  anderen  Klinikern 
vor  Verabreichung  von  Arsenpräparaten  bei  der  Lungentuber¬ 
culose  mit  Fieber  warnt. 

Die  kürzeste  Injectionsperiode  umfasste  10  Tage,  die 
längste  132  Tage;  im  Allgemeinen  dauerte  dieselbe: 

In  2  Fällen  von  10  bis  15  Tagen,  in  3  Fällen  von  15 
bis  20  Tagen,  in  3  Fällen  von  20  bis  25  Tagen,  in  2  Fällen 
von  25  bis  30  Tagen,  in  1  Falle  von  30  bis  35  Tagen,  in 
4  Fällen  von  35  bis  40  Tagen,  in  7  Fällen  von  40  bis 


45  Tagen,  in  7  Fällen  von  45  bis  50  Tagen,  in  4  Fällen 
von  50  bis  55  Tagen,  in  2  Fällen  von  55  bis  60  Tagen,  in 
2  Fällen  von  60  bis  65  Tagen,  in  2  Fällen  von  65  bis 
70  Tagen,  in  2  Fällen  von  70  bis  75  Tagen,  in  1  Falle 
92  Tage,  in  1  Falle  132  Tage. 

Die  Zahl  der  ausgeführten  Injectionen  hat  betragen: 

In  6  Fällen  von  5  bis  10,  in  4  Fällen  von  10  bis  15, 
in  8  Fällen  von  15  bis  20,  in  14  Fällen  von  20  bis  25,  in 
6  Fällen  von  25  bis  30,  in  3  Fällen  von  30  bis  35,  in  2  Fällen 
von  45  bis  46. 

Die  Maximaldosis  war  durchschnittlich  0 ' 0 1  <y ;  einmal 
erreichte  sie  bei  einer  63jährigen  Frau  0"015$;  die  kleinste 
Gabe  0'0005 g.  In  20  Fällen,  d.  i.  46'7%>  haben  die  Kranken 
die  Hetolinjectionen  mit  grösserem  oder  geringerem  Vortheil 
vertragen;  in  23  Fällen  hinwider,  d.  i.  53'4 %  haben  sie  die¬ 
selben  hinsichtlich  des  Krankheitsprocesses  (und  nicht  die  In¬ 
jection  selbst)  sehr  schlecht  vertragen.  Im  Allgemeinen  konnten 
in  Bezug  auf  die  Gaben  sowohl  bei  Männern,  wie  auch  bei 
Frauen  bedeutende  individuelle  Unterschiede  beobachtet  werden, 
so  dass  unsere  Erfahrung  der  Anwendung  von  kleinen  Gaben 
(mit  00005(7  beginnen  und  bis  zu  0  005$  steigen)  in  drei- 
bis  viertägigen  Intervallen,  ja  sogar  noch  seltener,  das  Wort 
spricht.  Die  günstige  Wirkung  äussert  sich  schon  in  den  ersten 
zwei  Wochen,  und  das  hauptsächliche  Symptom  ist  die  Zu¬ 
nahme  des  Körpergewichtes  des  Kranken. 

Der  günstige  Einfluss  der  Einwirkung  der  intravenösen 
Hetolinjectionen  auf  die  Hemmung  des  Schwindsuchtsprocesses 
macht  sich  neben  der  Körpergewichtszunahme  auch  durch 
den  erhöhten  Appetit  bemerkbar,  wie  auch  durch  allgemeine 
Frische  und  grössere  Lebensenergie,  durch  den  Rücktritt  von 
Schweiss  und  Schüttelfrost,  die  Verringerung,  respective  durch 
das  Aufhören  des  Rasseins  in  den  Lungen  und  durch  das  Auf¬ 
hören  der  Diarrhöe.  Wie  bedeutend  sich  das  Körpergewicht 
des  Kranken  zu  erhöhen  vermag,  lehren  folgende  Fälle,  wo 
das  Gewicht  zunahm: 


Tagen 

Injectionen 

hg 

Im  Falle  Nr.  1 

im 

Verlaufe 

von 

26 

16 

um 

6-00 

»  »  »2 

54 

27 

» 

400 

und  bei  dem  zweiten  Eintritt 

in 

das  Spital 

im 

Verlaufe  - 

von 

38 

19 

» 

530 

im  Falle  Nr.  3 

» 

44 

22 

» 

4-50 

»  »  »9 

» 

» 

91 

29  . 

4  80 

dabei 

» 

30 

14 

» 

4-20 

im  Falle  Nr.  11 

» 

» 

» 

30 

14 

» 

4  50 

»  »  4 

» 

» 

» 

62 

31 

» 

3-50 

»  »  »  5 

» 

» 

36 

19 

» 

200 

»  »  »  28 

» 

» 

» 

26 

13 

» 

4  00 

»  »  »  7 

» 

» 

» 

52 

26 

» 

2-50 

Die  Gewichtszunahme  muss  auf  die  Wirkung  des  Hetols  und 
nicht  auf  die  des  Arsens  zurückgeführt  werden.  Dafür  zeugt 
der  Fall  Nr.  8,  wo  bei  den  Hetolinjectionen  das  Gewicht  des 
Kranken  in  49  Tagen  (nach  24  Einspritzungen)  um  1  kg  50  dkg 
stieg  und  bei  den  folgenden  ausschliesslich  nur  Einspritzungen 
von  arseniger  Säure  (der  einzige  Fall  zur  Controle)  in  21  Tagen 
um  kaum  %  kg. 

Aehnlich  hörte  auch  bei  günstiger  Wirkung  des  Hetols 
der  Schweiss  auf,  wie  dafür  die  klinische  B jobachtung  im  Fall 
Nr.  1  (nach  2  Injectionen),  Nr.  7  und  Nr.  8  (nach  3  In¬ 
jectionen)  Nr.  5  (nach  4  Injectionen)  u.  s.  w.  spricht.  Ge¬ 
wöhnlich  trat  der  Schweiss  in  der  vorwiegenden  Anzahl  von 
Fällen  erst  nach  zahlreicheren  Einspritzungen  zurück.  Liner 
besonderen  Erwähnung  ist  der  Fall  Nr.  19  werth,  in  welchem 
nach  19  Injectionen  der  Schweiss  vollkommen  verschwand» 
obwohl  er  vorher  tagtäglich  durch  zwei  Jahre  aufgetreten  ist 
und  der  Wirkung  aller  gewöhnlichen  Mittel  Widerstand  ge 
leistet  hat. 

Abwesenheit  von  Tuberkelbacillen  im  Sputum  konnte 
nach  den  intravenösen  Hetolinjectionen  in  Fall  Nr.  1  und  Nr.  2 
constatirt  werden;  in  den  anderen  Fällen  fanden  sie  sich  im 
Auswurf  in  verschiedener  Anzahl  vor.  Diesem  Umstande  ist 
jedoch  nach  unserem  Dafürhalten  in  der  Prognose  kein 
grösseres  Gewicht  beizumessen,  denn  die  klinische  Erfahrung 
leh%  dass  häufig  die  Zahl  der  Tuberkelbacillen  im  Sputum 


908 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nummer 

Name 

und 

Vorname 

Zeitperiode  der  Hetol¬ 

injectionen,  Tage 

Zahl  der  Hetol¬ 

injectionen 

Menge  des  ver¬ 

brauchten  Hetols 
in  Milligramm 

CD 

<D 

CD 

%  2 
’s« 

E  ~ 

JO 

s 

Zahl  der  Arsen¬ 

injectionen 

CD 

<D 

£  E 

s  c 

a>  tn  Ä 

B  ®  A 

p  r  in 

CD 

<D 

o 

Maximalgabe  des 

Arsens 

30 

Gorecki  J. 

58 

29 

93 

0  008 

10 

26 

0*0025 

Cz.  = 

31 

Salik  Joseiine 

32  Jahre  alt 

39 

17. 

58*5 

0*005 

14 

31 

0  002 

Cz.  - 

32 

Kozub  Constantia 
22  Jahre  alt 

62 

22 

133*5 

001 

18 

38 

0*003 

Cz.  = 

33 

Sliwinska  Stefanie 
38  Jahre  alt 

132 

35 

1 36*5 

0*01 

4 

7 

0*002 

Cz.  = 

34 

Metal  Franz 

28  Jahre  alt 

52 

25 

715 

0  0ü( 

10 

22 

0*003 

Cz.  = 

35 

Klys  Franz 

23  Jahre  alt 

52 

26 

67 

0  007 

10 

29 

0*002 

Cz.  4= 

36 

Budzon  Franz 

53  Jahre  alt 

76 

29 

169 

0*01 

17 

52 

0003 

Cz  = 

37 

Petro  Cajetan 

36  Jahre  alt 

46 

23 

77  5 

0*005 

5 

8*5 

0*002 

Cz.  = 

38 

Ciastoh  Valentin 
22  Jahre  alt 

70 

46 

198*5 

0*01 

5 

10 

0*002 

Cz.  = 

39 

Konarska  Kathar. 
32  Jahre  alt 

19 

10 

26 

0004 

9 

.15 

0*0025 

CZ.  : 

40 

Czajowski  Stefan 
25  Jahre  alt 

29 

14 

39 

0*0045 

11 

19 

0*002 

Cz.  — 

41 

Oslak  Johann 

18  Jahre  alt 

46 

18 

51 

0*0045 

15 

25 

0C02 

Cz.  = 

42 

Ornat  Katharina 
25  Jahre  alt 

36 

19 

72 

0*006 

9 

15 

00025 

Cz.  = 

43 

Wazydr^g  Anton. 
14  Jahre  alt 

49 

24 

98 

0*005 

10 

15 

0002 

Cz.  = 

B 


m  e 


k  u  n  g 


'  —  Gewichtszunahme  70  dkg]  Besserung 

co 

3 

00 
2 


Gewichtszunahme  1%;  Besserung. 


—  in  der  Injectionezeit  des  Hetols  nahm  das  Gewicht  um  G  kg,  und 

hierauf  nahm  es  bei  den  Arseninjectionen  ab;  im  Allgemeinen  wog  sie 
um  2*50%  mehr  beim  Verlassen  des  Spitales,  als  von  Anfang; 
Besserung. 

A  —  nach  der  achten  Hetolinjection  trat  Blutspucken  ein;  nach  der 

20.  Einspritzung  allgemeine  hochgradige  Aufregung,  Reizbarkeit  und 
Brennengefühl;  man  begann  mit  den  Arseninjectionen;  nach  der  vierten 
Blutspucken,  schliesslich  Verschlimmerung. 

n _ Q 

Gewichtsverlust  4*60%;  Verschlimmerung. 

__  Gewichtsverlust  1*20  hg  in  einer  Woche;  es  wurde  Duotal  und 
Kreosot  verabreicht. 

“  —  nach  der  achten  Einspritzung  1*80  kg  Gewichtszunahme;  Besse¬ 
rung,  dann  Verschlechterung  und  j.  Complieirt  mit  Spondylitis  dorsalis; 
es  wurde  Duotal  eingegeben.  • 

—  Ge  vichtsabgang  2*50  leg-,  Verschlechterung. 

X 


•  nach  50  Tagen  Besserung  und  Gewichtszunahme  um  1*50%;  dar¬ 
nach  wurden  die  Iujectionen  einen  Monat  ausgesetzt ;  bei  Wiederholung 
derselben  Verschlimmerung  und  f. 

— - Gewichtsverlust  1*40  kg-,  vier  Wochen  darauf  nach  Beendigung 

der  Injectionen  *f*. 


—  — - Gewichtsverlust  4  kg-,  Verschlimmerung  und  f. 

|  —  Gewichtsverlust  1*35  kg-  hielt  sich  72  Tage  im  Spitale  auf; 

neben  den  Injectionen  nahm  er  Duotal,  Ichthyol  und  Kreosot  ein;  Ver¬ 
schlimmerung  und  f. 

=  — A  —  Gewichtsverlust  7*40%;  f. 

“  —  anfangs  hat  sie  die  Injectionen  gut  vertragen;  Gewichtszunahme 

2*50%;  später,  0*005,  fing  sie  au  unter  Fieber,  40n  C.  (nach  der  16.  In¬ 
jection),  rasch  abzufallen;  f  120  Tage  nach  Sistirung  der  Ein¬ 
spritzungen. 


im  verkehrten  Verhältnisse  zu  den  physikalischen  und  Au- 
scultationsergebnissen  in  den  Lungen,  somit  auch  zur  Intensität 
des  Krankheitsprocesses  steht. 

Von  Nebenerscheinungen  wären  das  Brennen  im  ganzen 
Körper  und  hie  und  da  auch  Brustschmerz  nach  den  intra¬ 
venösen  Hetoleinspritzungen  zu  verzeichnen;  im  letzteren 
Falle  hat  Einpinselung  des  Brustkorbes  mit  Jodtinctur  eine 
gute  Wirkung  ausgeübt. 

Die  allgemeine  Reizung  des  Nervensystems,  welche  fast 
an  jedem  mit  Hetolinjectionen  behandelten  Kranken  beobachtet 
werden  kann,  spricht  gegen  die  Anwendung  der  Einspritzungen 
bei  Frauen  vor  der  Menstruation;  es  trat  nämlich  damals  in 
zwei  Fällen,  d.  i.  Nr.  28  und  83,  eine  Lungenblutung  ein,  die 
im  Falle  Nr.  28  sogar  den  ganz  unverhofften  letalen  Ausgang 
veranlasste. 

In  Uebereinstimmung  mit  Länderer  und  Anderen 
kann  als  Folge  der  Anwendung  intravenöser  Hetolinjectionen 
locale  und  allgemeine  Leukocytose  höheren  Grades  bestätigt 
werden,  welche  abhängig  von  der  Gabe  bald  grössere,  bald 
kleinere  Ansbreitung  erlangt.  Da  jedoch  die  auf  den  Orga¬ 
nismus  schädlich  wirkende  Gabe  von  der  Individualität  ab¬ 
hängig  ist,  so  ist  demnach  auch  der  Grad  der  Leukocytose 
auf  letztere  zurückzuführen.  Aus  diesem  Grunde  trat  auch 
häufig  nach  relativ  kleinen  Dosen,  bei  88°  C.  nicht  über¬ 
schreitendem  Fieber  und  wo  die  Kranken  diese  Therapie  aus¬ 
gezeichnet  vertragen  haben,  plötzlich  und  unverhofft  Ver¬ 
schlimmerung  ein,  die  sieh  durch  nichts  aufhalten  liess.  ln 


allen  diesen  Fällen  konnten  bei  der  Leichenobduction  in  den 
inneren  Organen  disseminirte  tuberculöse  Herde  beobachtet 
werden,  welche  auf  eine  Erweichung  der  käsigen  Tuberkel¬ 
herde  in  den  Lungen  und  Verallgemeinerung  des  Schwind- 
suchtsprocesses  durch  die  Blutgefässe  hinwies.  Als  classisches 
Beispiel  einer  solchen  Erweichung  der  tuberculösen  Herde  stellt 
sich  Fall  Nr.  28  vor,  dessen  Krankheitsgeschichte  und  den 
Sectionsbefund  ich  mir  in  Kürze  anzuführen  gestatte; 

Ziomek  Anna,  20  Jahre  alt.  Am  10.  September  1899  auf 
der  Abtheilung  aufgenommen.  Seit  vier  Monaten  Husten,  Schüttel¬ 
frost,  Schweiss;  vor  zwei  Monaten  Blutspucken.  Die  Mutter  starb 
an  Schwindsucht. 

Status  praesens:  Die  linke  Lungenspitze  vorn  bis  zur 
zweiten  Rippe  angegriffen;  rückwärts  bis  zum  Kamm  des  Schulter¬ 
blattes;  daselbst  bronchiale  Ein-  und  Ausathmung;  Rasseln.  In  der 
linken  Achselhöhle  in  der  Ausdehnung  einer  Kindeshandfläche 
Dämpfung;  Ein  und  Ausathmung  unbestimmt,  fast  bronchial, 
klingendes  Rasseln.  In  der  rechten  Lungenspitze  Dämpfung, 
Athmungsgeräusch  unbestimmt,  spärliches  Rasseln.  Während  einer 
zwölftägigen  klinischen  Beobachtungszeit  der  Zustand  unverändert; 
in  den  letzten  Tagen  gesellte  sich  nur  Stechen  in  der  linken  Seite 
hinzu;  sonst  Diarrhöe,  heftiger  Husten,  allgemeine  Schwäche;  sub¬ 
febriler  Zustand  gegen  Abend  (38°  C.).  Bacteriologische  Unter- 
suchung:  Cz.  = 

Die  Hetolinjectionen  -wurden  am  22.  September  begonnen; 
Gewicht  des  Körpers  4GL/51  dkg.  Ende  derselben  am  2.  November; 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


909 


nach  der  13.  Injection  machte  das  Körpergewicht  50  hg  50  dkg  aus. 
Die  Injectionsperiode  umfasste  42  Tage  mit  21  Einspritzungen  und 
124-5  mg  —  04245 g  Hetol verbrauch.  Die  Maximalgabe  war  001. 

Anfangs  hatte  die  Kranke  die  Injectionen  sehr  gut  ver¬ 
tragen;  Schüttelfrost  und  Schweiss  waren  nicht  vorhanden;  zeit¬ 
weise  subfebriler  Zustand  bis  zu  38°  G.  Nach  der  vierten  Injection 
Husten  schwächer,  Kräftezustand  besser,  Appetit  ausgezeichnet.  Bis 
zum  29.  October  (19  Injectionen)  fühlt  sich  die  Kranke  sehr  gut. 
Die  Untersuchung  ergibt  damals  unbestimmte  In-  und  Expiration 
in  der  rechten  Spitze,  in  der  linken  bronchiales  Athemgeräusch 
mit  spärlichem  Rasseln  verdeckt;  dasselbe  in  der  linken  Achsel¬ 
höhle  in  der  Ausdehnung  einer  Säuglingshandfläche.  Die  Kranke 
sieht  vortrefflich  aus;  Gewichtszunahme  4Jcg;  Sputum  spärlich.  Es 
wurde  001  g  Hetol  eingespritzt,  und  von  da  ab  wurde  dieses  mit 
derselben  Gabe  jeden  zweiten  Tag  wiederholt. 

Am  2.  November.  Symptome  von  Angina  follicularis;  nach 
der  Injection  Fieber,  Früh  37’3°,  Abends  38’2°  C.. 

Am  3.  November  Früh  Temperatur  38-6°,  Abends  36°  C.;  in 
der  Nacht  Schüttelfrost  (nach  'der  dritten  Einspritzung  von  0'01), 
Lungenblutung  Menses. 

Wegen  der  Blutung  wurden  die  Injectionen  eingestellt, 
zehrendes  Fieber  mit  täglichen  Schwankungen  zwischen  36-7°  bis 
39-3°  C.;  im  Rachen  werden  die  Geschwüre  auf  den  Mandeln 
reiner;  Sputum  reichlich,  münzenartig. 

8.  November.  Die  Kranke  klagt  über  Stechen  in  der  linken 
Seite;  sie  ist  unruhig.  Morgentemperatur  39'3°  C.,  Abends  37'G°  C.; 
Zahl  der  Athmungen  40;  Patientin  ist  sehr  unruhig,  singt;  in  der 
Nacht  Lungenblutung  und  inmitten  dieser  —  Tod. 

Sectio  nsbefund:  Caverna  tuberculosa  parva  apicis  sin. 
pulmonis.  Tuberculosis  nodosa  pulmonis  sinistri  et  apicis  dextri. 
Nodi  caseosi  emollientes  lobi  inferioris  pulmon.  sinistr. 
et  superioris  dextri.  Arrosio  rami  secundi  ordinis  arteriae  pul- 
monalis  d.  ss.  haemorrhagia  et  aspiratione  sanguinis.  Anaemia 
universalis.  Lipomatosis  cordis.  Hypoplasia  cordis  et  vasorum. 

Die  tuberculösen  Veränderungen  am  Secirtische  unterschieden 
sich  im  Allgemeinen  nicht  von  den  in  ähnlichen  Krankheitsfällen 
zu  beobachtenden;  sie  wiesen  nur  auf  einen  raschen,  acuten 
Verlauf  bei  Lebzeiten.  Nur  in  einem  Falle,  Nr.  41,  einem  18jährigen 
Jüngling,  wurde  bei  der  Obduction  fibröse  Degeneration  der  rechten 
Lungenspitze  neben  frischen,  im  Lungenparenchym  zerstreuten  Ver¬ 
änderungen  constatirt.  Im  gegebenen  Falle  dauerte  die  Hetol- 
behandlung  46  Tage  und  die  Gesammtobservation  72  Tage. 

ln  einem  Falle,  bei  einem  Manne,  wurde  bei  der  Section 
Ruptur  des  geschwürigen  Darmes  und  septische  Bauchfellentzündung 
constatirt;  desgleichen  in  einem  Falle,  bei  einem  Manne,  Berstung 
der  rechten  Lunge  und  folgender  Pyopneumothorax. 

In  einem  Falle  (Nr.  36),  wo  eine  unbedeutende  alte  Caverne 
in  der  rechten  Lungenspitze  bestand,  traten  durch  die  Einwirkung 
der  Hetolinjectionen  tuberculöse  Veränderungen  in  den  V  irbeln 
und  zerstreut  in  den  Lungen  auf,  wobei  zu  erwähnen  ist,  dass  bei 
der  anfänglichen  klinischen  Untersuchung  keine  tuberculösen  Ver¬ 
änderungen  in  den  Wirbeln  wahrnehmbar  waren  und  diese  erst 
während  der  klinischen  Beobachtungszeit  hervortraten.  Das  dies¬ 
bezügliche  Sectionsprotokoll  lautet  kurz: 

Spondylitis  tuberculosa  vertebrae  I,  II,  dorsalis  ss.  abscessu 
frigido  ad  dorsum.  Caverna  tuberculosa  apicis  dextri  pulmonis. 
Tuberculosis  disseminata  nodosa  pulmon%  Adhaesiones  pleuriticae 
bilat.  Inanitio.  Anaemia. 

AufGrund  unserer  klinischenErfahrungen 
können  wir  die  Anwendung  der  intravenösen 
Hetolinjectionen  überhaupt  nur  in  sehr  frühen 
Anfangsstadien  der  Lungentuberculose  em¬ 
pfehlen,  und  das  nur  in  kleinen  Dosen  bis  höch¬ 
stens  zu  0’005 g,  bei  0  0005 g  beginnend,  mit  mehr¬ 
tägigen  (drei  bis  vier  Tage)  Intervallen,  wobei 
dieselben  im  Falle  Abnahme  des  Körperge¬ 
wichtes  oder  anderer  Nebenerscheinungen,  wie 
Fieber  u.  dgl.,  vollständig  zu  sistiren  sind.  Die 
intravenösen  Hetoleinspritzungen  bilden  kein 
specifisches  Heilmittel  gegen  Lungentuber¬ 
culose;  in  manchen  Fällen  können  sie  jedoch 
mittelbar  zur  Heilung  der  Lungenschwindsucht 
beitragen  durch  Hervorrufung  einer  massigen 


allgemeinen  Leukocy  tose  und  localer  Reaction 
in  den  Krankheitsherden,  und  dadurch  in  den 
günstigsten  Verhältnissen  auch  der  fibrösen 
Verdichtung  im  Lungenparenchym  an  Stelle 
der  käsigen  Herde,  wie  auch  durch  Anregung 
der  Lebensenergie  des  Organismus,  Hebung  des 
Appetits  und  damit  auch  des  Körpergewichtes, 
Verringerung  der  Sch  Weissabsonderung  und 
der  Diarrhöe,  oder  auch  ihre  Behebung;  hiebei 
ist  der  günstige  Einfluss  auf  die  Hemmung  der 
Schwindsuchtsprocessausbreitung,  respective 
auch  auf  die  Selbstheilung,  ein  kurzdauernder 
und  vorübergehender. 

Die  Wirkung  der  intravenösen  Hetolinjectionen  erinnert 
sehr  an  das  Koch’sche  Tuberculin.  Unter  dem  Einflüsse 
dieser  beiden  Mittel  tritt  in  dem  erkrankten  tuberculösen  Ge¬ 
webe  eine  allgemeine  und  locale  Reaction  ein:  bei  der  Anwen¬ 
dung  beider  Mittel  kann  es  zur  Erweichung  der  Herde 
und  zur  Verallgemeinerung  des  Schwindsuchtsprocesses  im 
Organismus  durch  die  Blutgefässe  kommen.  Der  Unterschied 
liegt  jedoch  darin,  dass,  wenn  manche  Autoren  in  dem  Tuber¬ 
culin  einen  diagnostischen  Behelf  für  die  latente  Tuberculöse  der 
Lungen  und  der  inneren  Organe  (Petrushky,  F  r  ä  n  k  e  1) 
sehen  wollen  und  in  ihm  sogar  bei  entsprechender  Anwendung 
ein  specifisches,  gegen  Tuberculöse  immunisirendes  Mittel  er¬ 
blicken  (Petrushky),  wir  das  vom  Hetol  nicht  sagen 
können. 


REFERATE. 

Die  pathologischen  Beckenformen. 

Von  Prof.  Dr.  Karl  Breus  und  Prof.  Dr.  Alexander  Kolisko. 

I.  Band,  I.  Theil.  Mit  116  Abbildungen. 

Leipzig  und  Wien  1900,  Franz  D  e  u  t  i  e  k  e. 

Besprochen  von  Alfons  Ros  thorn. 

Der  Aufbau  der  Lehre  von  den  pathologischen  Beckenformen 
wurde,  wie  die  Geschichte  lehrt,  fast  ausschliesslich  und  damit 
auch  etwas  einseitig  von  den  Geburtshelfern  durchgeführt.  Die  Aus¬ 
nützung  vieler  vorhergegangener  Detailarbeiten  Anderer  führte 
unter  Benützung  eigener,  scharfsinniger  Beobachtungen  zu  den  I  ür 
diese  Lehre  grundlegenden  und  umfassenden  Werken  von  Michaelis 
und  L  i  t  z  m  a  n  n.  Seit  dieser  umfangreichen  Bearbeitung  des  Gegen¬ 
standes,  welche  in  den  Sechziger- Jahren  ihren  Abschluss  land,  ist 
in  pathologisch-anatomischer  Hinsicht  nichts  Hervorragendes  in  der 
Beckenlehre  mehr  geschaffen  worden.  Die  Autoren  können  auch  in 
der  in  der  neueren  Zeit  entstandenen  Zusammenstellung  Schauta  s 
nur  die  Durchführung  des  ätiologischen  Eintheilungsprincipes  als 
Vorzug  erblicken. 

Auch  in  dieser  letzteren  Zeit  betheiligten  sich  die  patho¬ 
logischen  Anatomen  •  fast  gar  nicht  an  dem  Ausbau  peliko- 
logischer  Fragen.  Das  reiche,  in  den  Museen  aufgespeicherte  Mateiial 
i  blieb  vielfach  unbenützt,  und  so  kam  es,  dass  durch  einseitige 
Behandlung  der  Beckenlehre  wichtige  Fundamentalwahrheiten  un¬ 
beachtet  blieben  und  andere  Hypothesen  weiter  propagirt  wurden. 
Aetiologisch  wurde  für  manche  Deformitäten  die  Wirkung  der 
Rumpflast  und  des  Oberschenkeldruckes  viel  zu  sehr  in  den 
Vordergrund  gestellt  und  andere  wichtige  Momente,  wie  die  com- 
plicirten  Wachsthumsvorgänge,  ganz  vernachlässigt. 

Lange  Zeit  hindurch  würden  die  Becken  viel  zu  sehr  gemessen, 
man  hoffte,  mit  dem  Centimetermasse  und  der  Construction  ver¬ 
schiedener  Diagramme  auch  ätiologische  Fragen  lösen  zu  können.  Die 
Mängel  der  in  der  Geburtshilfe  üblich  gewordenen  Messungsmethoden 
können  nicht  genug  hervorgehoben  werden.  Am  richtigsten  wäre  es, 
die  sofort  vor  Messung  der  den  Leichen  frisch  entnommenen  Becken 
zunehmen.  Wichtig  ist,  dass  die  Messpunkte  alle  in  einer  Ebene 
liegen  und  diese  Messpunkte  auch  von  allen  Untersuchern  gleich- 
mässig  markirt  werden.  Auf  die  Beurtheilung  der  Ausgestaltung 
eines  Beckens,  respective  der  Wachsthumsveränderungen  an  dem¬ 
selben,  ist  die  Aufnahme  der  Slreckenmasse  von  ganz  besondeiei 
Bedeutung  (Pars  sacralis,  iliaca,  pubica  der  seitlichen  Beckenwand). 
Da  die  Breite  und  Beschaffenheit  des  Kreuzbeines  lür  die  Quei- 
masse  von  grosser  Bedeutung  sind,  so  müssen  die  Dimensionen 
und  die  Form  dieses  Knochens  ganz  besonders  in  Rücksicht  ge- 


•J10 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  FJOO. 


Nr.  40 


Kögen  werden;  die  Messung  ist  doppelt  vorzunehmen,  mit  Band- 
mass  und  Zirkel.  Die  Beziehung  des  Promontorium  zur  Terminal¬ 
ebene,  die  Feststellung  des  Terminalwinkels  sind  nicht  unwichtige 
Ergänzungen;  von  einer  graphischen  und  bildlichen  Darstellung 
sehen  die  Autoren  jedoch  ab,  da  sie  der  Meinung  sind,  dass  diese 
Art  der  Behandlung  leicht  zu  einer  geometrisch-schematisirenden 
werden  und  die  anatomischen  Momente  dabei  ganz  in  den  Hinter¬ 
grund»  treten  könnten. 

u 


I  m  über  die  Entstehung  der  Beckenformen  ins  Klare  zu 
kommen,  muss  das  Becken  des  Neugeborenen  zum  Aus¬ 
gangspunkt  genommen  und  die  Wandlungen  desselben  bis  zur 
Fertigstellung  der  Deformität  verfolgt  werden.  Hiebei  zeigt  es  sich, 
dass  der  Einfluss  des  Knochenwachsthums  auf  die  Gestaltung  eines 
Beckens  der  hei  Weitem  wichtigste  von  allen  ist,  indem  selbst  die 
mechanischen  Einflüsse  (Rumpflast,  Oberschenkeldruck,  H.  v.  Meyer, 
Lit  z  mann)  jenem  gegenüber  in  den  Hintergrund  treten  müssen. 

Es  werden  nun  die  gegenwärtig  als  sicher  anzunehmenden  Ossi- 
licalionscenlren,  chondralen  Wachsthumszonen  und  aecessorischenOssi- 
licalionsherde  im  Beckenskelete  angeführt  und  bezüglich  der  Details  be¬ 
sonders  auf  die  Arbeiten  von  T  o  1  d  t,  Langer,  Schwegel  u.  A. 
verwiesen.  Die  Bedeutung  jener  Momente,  die  bei  der 
Umbildung  dos  Beckens  von  der  fötalen  zur  fertig 
ausgebildeten  Form  in  Betracht  kommen,  so  die  Ent¬ 
wicklung  der  Beckeneingeweide,  der  Druck  der  Rumpflast,  der  Zug 
und  Druck  der  am  Becken  haftenden  Muskeln  und  Bänder  kann 
von  den  Autoren  nicht  in  jenem  Masse  zugestanden  werden,  als 
dies  bisher  allgemein  der  Fall  war.  Die  eigenthümliche  Beckenform, 
die  sich  bei  Aplasie  der  Genitalien  vorfindet,  ist  nicht  als  die  Folge 
dieser  letzteren  anzusehen;  vielmehr  sind  beide  Deformi¬ 
täten  auf  dieselbe  G  r  undurs  a  che  zurückzuführen.  Die 
mechanische  Belastungstheorie,  welche  eine  ganze  Reihe  von  De¬ 
formitäten  auf  den  Druck  der  Rumpflast  zurückführt,  kann  von  den 
Verfassern  nur  für  das  ostoomalacische  Becken  uneingeschränkt 
zugeslanden  werden.  Auch  die  Deformirung  des  kindlichen  Beckens 
durch  abnorme  Belastungsverhältnisse  kann  von  den  Autoren  nicht 
zugegeben  werden,  da  die  Druckwirkungen  wieder  durch  die  enorme 
Elasticität  des  kindlichen  Knochens  wettgemacht  werden  können. 
Der  Einfluss  von  Muskeln  und  Bändern  auf  die  Beckengestalt  wurde 
jedoch  vielfach  unterschätzt,  da  bei  dauernder  Inacti vität  der  ersteren 
die  betreffenden  Knochentheile,  an  denen  die  Muskeln  inseriren,  atro- 
phiren;  und  umgekehrt  kann  es  bei  anhaltender  Muskelarbeit  an 
den  Insertionsstellen  zu  periostaler  Knochenneubildung  kommen 
(M  e  y  e  r,  Kehr  e  r).  Die  Wachsthumsveränderungen  der  Becken¬ 
knochen  und  der  einzelnen  Theilstücke  des  Beckenringes,  aus 
welchen  die  Umwandlung  der  Beckenform  zu  Stande  kommt,  wurden 
von  Litzmann  meisterhaft  geschildert. 


Seit  Litzmann  ist  die  Schrift  Fe  filing's  (»Die  Form  des 
Beckens  beim  Neugeborenen  und  ihre  Beziehung  zu  der  beim  Er¬ 
wachsenen«)  die  bedeutendste  Leistung  auf  diesem  Gebiete.  Dass 
die  Querspannung,  da  sie  bereits  im  dritten  Monate  am  fötalen 
Becken,  analog  wie  die  Keilform  der  Kreuzwirbel,  nachweisbar  ist, 
nicht  als  eine  Folge  der  Einwirkung  von  mechanischen  Momenten 
angesehen  werden  kann,  sondern  vielmehr  als  eine  specifische 
\\  achsthumseigenthümlichkeit  angesehen  werden  muss,  wird  von 
den  Autoren  bestätigt.  Diese  stimmen  daher  auch  der  Lehre 
Freund’s  von  der  pelikogenen  Kyphose  zu,  die  sich  ja  auch 
gegen  die  Belastungstheorie  wendet. 


Nach  Aufzählung  der  allgemein  gangbaren  und  bekannter 
Eintheilungen  der  pathologischen  Beckenformen  nach  Michaelis 
bitzman  n,  Schaut  a,  D  o  h  r  n,  L  a  T  orre,  Tarnier,  B  u  d  i  r 
geben  die  Verfasser  selbst  folgende  Uebersicht,  bezüglich  der  si< 
jedoch  die  Bemerkung  machen,  dass  einzelne  Gruppen  vorläufig 
iingcieiht  weiden  mussten,  ohne  dass  für  dieselben  das  ätiologisch! 
Einlheilungsprincip  mit  Sicherheit  verwerthet  werden  konnte.  Di< 
1  lauptgruppen  umfassen : 


1.  Anomalien  als  Folge  von  Störungen  der  embryonalen 
Entwicklung  und  des  intrauterinen  Wachsthums  (Missbildungs-, 
Assimilations-,  Zwerg-,  Riesen-,  Rachitisbecken  und  Dimensional¬ 
anomalien). 

-•  Anomalien  als  Folge  von  Erkrankungen  der  Beckenknochen 
und  ihrer  Synehondrosen  (osteomalacisches ,  osteomyelitisches 
Synostosen-.  Exostosen-,  Neubildungs-,  Fracturen-,  Lacerationsbecken). 


3.  Abnorme  Becken  als  Folge  von  Anomalien  an  der  Wirbel¬ 
säule  (spondylolisthetisches,  Kyphosen-,  Skoliosenbecken). 

4.  Abnorme  Becken  in  Folge  von  Anomalien  an  den  unteren 
Extremitäten  (Luxations-,  Coxitisbecken,  Asymmetrie  der  unteren 
Extremitäten). 

5.  Abnorme  Becken  in  Folge  von  Anomalien  des  centralen 
Nervensystems. 

Hervorgehoben  wird  bei  der  Besprechung  dieser  Eintheilungen, 
dass  die  abnorme  Ausgestaltung  des  Beckens  durch  das  Wachs¬ 
thum  nach  der  Geburt  oft  nur  eine  Fortsetzung  der  Entwicklung 
einer  abnormen  Anlage  sei.  Missbildungsbecken  können  nur  als 
Folge  congenitaler  Bildungsfehler  und  angeborener  Defecte  angesehen 
werden,  und  alle  Formen,  welche  auf  Wachsthumsstörungen  zurück¬ 
geführt  werden  müssen,  können  bei  diesen  nicht  aufgenommen 
werden.  Unter  den  Dimensionalanomalien  fassen  die  Autoren  aus¬ 
schliesslich  die  Abweichungen  von  der  normalen  Grösse,  von  den  nor¬ 
malen  Durchmessern  zusammen  (das  einfache  platte,  das  allgemein 
verengte,  das  Trichterbecken).  Diese  Gruppe  ist  als  Provisorium  an¬ 
zusehen,  da  ein  Einblick  in  die  Art  der  Entstehung  dieser  Formen 
bislang  nicht  gewonnen  wurde;  dieselbe  wird  im  Laufe  der  Zeit 
mit  der  fortschreitenden  Erkenntniss  verschwinden  müssen.  Zweifel¬ 
los  kommen  als  ätiologische  Momente  auch  bei  diesen  Rachitis, 
Assimilations-  und  Vegetationsstörungen  in  Betracht.  Rachitis  muss 
als  eine  Wachsthumsstörung  des  jungen  Knochens  und  nicht  als 
ein  Belaslungsdefect,  wie  die  Osteomalacic,  angesehen  werden.  Die 
Knochengestalt  ist  hier  schon  von  vorneherein  eine  verzerrte,  ab¬ 
norme.  Das  Nägele’sche  und  Robert’sche  Becken  sind  auf¬ 
zufassen  als  Effecte  von  Symphysenprocessen;  sie  stehen  also  den 
osteomalaeischen  Formen  am  nächsten. 

Gruppe  3  und  4  entsprechen  der  S  c  h  a  u  t  a'schen  Ein- 
theilung,  nur  sind  die  Assimilationsbecken  als  Anomalien  der 
embryonalen  Anlage  von  hier  ausgeschaltet.  Spondylolisthesis  ist 
eine  erworbene  Anomalie  der  Wirbelsäule,  welche  secundär  das 
Becken  verändert,  gehört  also  hieher. 

Als  besondere  Gruppe  (5)  fassen  die  Autoren  jene  Deformi¬ 
täten  zusammen,  welche  sich  bei  schweren  Erkrankungen  des 
Nervensystems  (Tabes,  Syringomyelie,  infantile  Kinderlähmung)  ent¬ 
wickeln.  Wir  finden  bei  denselben  intensive  Ernährungsstörungen 
der  Knochen  und  Gelenke  (Osteoporose,  Arthropathien,  Fracturen). 
Bekannt  ist  der  Einfluss  von  Paralyse  und  Contractur  und  die 
Folgen  von  Inacti vitätsatrophie;  auch  das  sogenannte  Liegebecken 
gehört  hieher. 

ln  dem  speciellenT heile  dieses  Bandes  sind  aus 
den  Anomalien,  welche  durch  Störungen  der  embryonalen  Ent¬ 
wicklung  und  des  extrauterinen  Wachsthums  aufzufassen  sind,  die 
Missbildungs-,  Assimilations-  und  Zwergbecken  aufgenommen.  Nur 
die  beiden  ersteren  können  als  Vitium  primae  conformationis  auf¬ 
gefasst  werden.  Die  Zwergbecken  gehören  schon  in  die  Gruppe  der 
Vegetationsstörungen,  welch  letztere  im  Sinne  K  u  n  d  r  a  t’s  von  den 
eigentlichen  Krankheiten  allgetrennt  werden  müssen.  Nur  die  Störung 
in  der  intrauterinen  Entwicklung  kann  als  Missbildung  aufgefasst 
werden.  Von  praktischer  Bedeutung  können  von  den  Missbildungs¬ 
beck  en  das  pyopagische  Becken,  die  angebornen  Spaltbildungen 
und  die  seltenen  Formen  von  congenitalen  Ossificationsdefecten  am 
Kreuzbeine  in  Betracht  kommen,  indess  die  anderen  wegen  Mangels 
der  Lebensfähigkeit  der  Frucht  keine  praktische  Bedeutung  er¬ 
langen. 

Am  eingehendsten  ist  in  diesem  Abschnitte  das  Spaltbecken 
(S  y  m  p  h  y  s  e  n  sp  al  t)  und  die  so  ausserordentlich  seltenen  und 
interessanten  Ossificationsdefecte  am  Kreuzbeine  behandelt.  Be¬ 
züglich  der  ersteren  erscheint  besonders  hervorhebenswerth,  dass 
die  Autoren  zwei  Formen  unterscheiden:  1.  Die  von  Litzmann 
beschriebene,  mit  convexer  Ventralfläche  des  Kreuzbeines;  bei 
dieser  steht,  entgegen  der  Anschauung  der  meisten  Autoren,  das 
Promontorium  hoch.  Der  Mangel  des  Abschlusses  der  vorderen 
Beckenwand  ist  ersetzt  durch  eine  sehr  kräftige  Entwicklung  des 
Kreuzbeines,  der  Articulatio  sacro-iliaca,  des  Bandapparates  und  der 
Muskelinsertionen.  Diese  Beckenform  muss  eher  als  eine  Pelvis 
quadrata  und  nicht  plana  angesehen  werden,  wie  dies  noch  viel¬ 
fach  fälschlich  geschieht.  Das  Charakteristische  für  die  zweite  Form 
ist  die  Concavität  der  Vorderfläche  des  Kreuzbeines;  hieher  gehört 
das  dritte  Wiener  Spaltbecken,  ferner  das  von  Foges  und 
Lewitzky  beschriebene.  Das  Grazer  Spalfbecken  dürfte  eher  als 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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eine  Uebergangsforin  zu  bezeichnen  sein.  Der  von  Litzmann 
vertretenen  Anschauung,  dass  die  Form  des  Spaltbeckens  eine 
Wirkung  der  Rumpflast  sei,  muss  entgegengetreten  werden,  indem 
diese  Gestaltsveränderung  schon  beim  Neugeborenen  in  voll¬ 
kommenster  Weise  nachweisbar  ist.  Bei  Spaltbildungen  höheren 
Grades  an  Früchten,  welche  nicht  lebensfähig  sind,  ist  die 
charakteristische  Spaltbeckenform  in  noch  höherem  Grade  ausgeprägt 
(Pelvis  inversa,  A  h  1  f  e  1  d). 

Es  folgt  eine  eingehende  Würdigung  der  fünf  in  der  Literatur 
anatomisch  beschriebenen  Spaltbecken  (W alter,  G reve,  Litz¬ 
mann,  Lewitzky,  Fog  es).  Deductionen  aus  den  an  der 
Lebenden  beschriebenen  Formen  können  nicht  als  überzeugend  an¬ 
gesehen  werden,  weshalb  auch  die  Anschauung  W.  A.  Freunds, 
dass  eine  Synostose  der  Articulatio  sacro-iliaca  bei  Spaltbecken 
sich  regelmässig  finde,  zurückgewiesen  werden  muss. 

Als  congenitale  Ossificati  onsdefecte  am  Sacrum 
werden  angesehen:  aj  das  Kreuzbein  mit  keilförmigem  Wirbel¬ 
rudiment;  b)  mit  Defect  eines  ganzen  Fiügels;  c)  mit  Defect  eines 
Querfortsatzes.  Für  die  erste  Form  werden  die  von  R oki  t  a  n s k  y, 
v.  Meyer  und  Paterson  beschriebenen  Becken  einer  ein¬ 
gehenden  Kritik  unterzogen.  Das  von  Gust.  Braun  und  von 
Mohr  beschriebene  (Spondyloparembole)  enthält  keine  überzähligen 
Wirbelrudimente  eingeschaltet.  Als  Typus  der  zweiten  Form  wird 
der  sogenannte  Kundrat’sche  Defect  angeführt  und  eine  aus¬ 
führliche  Beschreibung  des  in  der  Wiener  Sammlung  befindlichen 
Präparates  gegeben.  Hier  fehlt  an  der  rechten  Seife  des  ersten 
Kreuzwirbels  die  Pars  costalis  und  der  dem  Processus  transversus 
entsprechende  Theil.  Die  gelenkige  Verbindung  mit  dem  Darmbeine 
ist  durch  eine  Knochenspange  vom  zweiten  Kreuzwirbel  gebildet. 
Dabei  besteht  keine  Synostose  in  diesem  letzteren.  Die  Asymmetrie 
ist  blos  auf  den  Beckeneingang  beschränkt.  Dieser  Defect  ist 
zweifellos  congenital;  die  Ursache  desselben  ist  nicht  klargestellt. 
Die  H  o  1  l'sche  Lehre  von  der  Entwicklung  der  menschlichen 
Wirbel  findet  durch  diese  pathologische  Beckenform  ihre  Bestäti¬ 
gung.  Als  einziges  analoges  Becken  kann  aus  der  Literatur  das  von 
Thomas  beschriebene  Leidener  Becken-  angesehen  werden.  Der 
Defect  des  Processus  transversus  am  ersten  Kreuzwirbel  findet  sich 
bilateral  und  combinirt  mit  Luxation  der  rechten  Pars  costalis  bei 
dem  eingehend  von  den  Autoren  beschriebenen  Wiener  Fall.  Das 
seinerzeit  von  Fritsch  als  typisches  Fracturenbecken  angesehene 
zeigt  bei  Vergleich  mit  dem  beschriebenen  eine  solche  Analogie, 
dass  es  wohl  nur  als  solches  angesehen  werden  kann. 

ln  der  Einleitung  zur  Besprechung  der  mit  besonderer  Liebe 
bearbeiteten  Assimilationsbeck  on  wird  auf  die  grosse  Be¬ 
deutung  der  wichtigen,  entwicklungsgeschichtlichen  Untersuchungen 
Rosenberg’s  über  die  Bildung  des  Kreuzbeines  zur  Erklärung 
der  Assimilationsbecken  hingewiesen.  Vor  Allem  ist  jener  Theil 
der  Lehre  verwerfhbar.  dass  der  erste  Kreuzwirbel  in  seiner  ersten 
Anlage  nicht  mit  dem  Sacrum  verschmolzen  ist  und  noch  ganz 
die  Form  eines  Lendenwirbels  aufweist.  Von  dem  mehr  oder 
minder  bedeutenden  craniellen  Vorrücken  des  Beckens,  das  heisst 
von  der  Höhe,  in  welcher  die  Anlagerung  der  embryonalen  Hüft¬ 
beine  an  die  Wirbelsäule  stattfindet,  ist  der  definitive  Hoch-  oder 
Tiefstand  des  Vorberges  abhängig.  Das  Auftreten  von  Assimilations¬ 
zeichen  am  Kreuzbeine  wird  demnach  als  die  Folge  eines  während 
der  frühesten  embryonalen  Entwicklung  zu  Stande  gekommenen 
Niveaufehlers  in  dem  Anschlüsse  der  Anlage  der  Darmbeine  an 
das  Kreuzbein  zu  suchen  sein,  und  danach  ist  die  Assimilation  als 
der  Ausdruck  einer  fundamentalen  Entwicklungsanomalie  anzusehen. 
Bei  der  eingehenden  Erörterung  der  besonderen  Assimilations¬ 
zeichen  wird  als  Hauptmoment  das  Verhalten  der  Costarius- 
antheile  am  ersten  Sacralis  und  Präsacralis  hingestellt.  Die  äussere 
Form  des  betreffenden  Uebergangswirbels,  die  Stellung  desselben 
zum  Beckeneingange,  die  Art  der  Verbindung  desselben  mit  dem 
Hüftbeine,  die  Zahl  und  Lage  der  Sacrallöcher,  die  Form  und  Art 
der  Verbindung  des  ersten  Caudal wirbels,  welcher  auch  häufig  eine 
Uebergangsforin  zeigt,  sind  die  wichtigsten  Merkzeichen.  Bei  sorg¬ 
fältiger  Betrachtung  zeigt  sich  das  Vorkommen  von  Assimilationen 
viel  häufiger,  als  man  erwarten  sollte;  ungewöhnliche  Massverhält- 
nisse  und  eine  auffallende  Configuration  lassen  solche  von  vorne- 
herein  erschlossen.  Die  Beckengestalt  weicht  regelmässig  von  der 
Norm  ab,  ebenso  wie  die  Stellung  des  Kreuzbeines.  Letzteres  kann 
verlängert,  verkürzt,  verbreitert  und  verschmälert  sein  und  auch 


Veränderungen  in  seiner  ventralen  Fläche  in  Form  von  Krümmung 
und  Streckung  aufweisen.  Wichtig  ist  auch  die  Betrachtung  der 
Facies  auricularis  bezüglich  der  Antheilnahme  der  einzelnen  Kreuz¬ 
wirbel  an  dieser  letzteren. 

Ausser  der  grossen  Zahl  von  Variationen  in  den  Assimilations¬ 
formen  lassen  sich  bestimmte  Typen  aufstellen,  wobei  die  Ver¬ 
änderungen  am  Kreuzbeine  als  die  constantesten  in  den  Vorder- 
grand  gestellt  werden  müssen.  Die  Verfasser  unterscheiden  fünf 
solche:  Das  hohe,  querverengte,  mitten  platte,  niedere  und  asymme¬ 
trische  Assimilationsbecken  und  schliesslich  Combinationen  aller 
untereinander.  Die  wesentlichen,  einander  gegenüber  zu  stellen¬ 
den  Formen  sind  das  hohe  und  das  niedere,  wobei  das 
erstere  weitaus  die  häufigste  Form  darstellt;  an  diese  Hessen  sich 
als  Unterart  angliedern  das  mitten  platte  und  querverengte.  Alle 
diese  einzelnen  Formen  werden  auf  Grund  eigener  exacter  Beob¬ 
achtung  eingehend  geschildert,  worauf  hier  nicht  eingegangen 
werden  kann.  An  der  Lebenden  dürfte  unter  günstigen  Verhältnissen 
nur  das  asymmetrische  Assimilationsbecken  erkennbar  sein,  welches 
bei  Betrachtung  der  dorsalen  Ansicht  aus  dem  ungleichen  1  Joch¬ 
stande  der  beiden  Spinae  posteriores  superiores  bei  Ausschluss 
anderer  ätiologischer  Momente  zu  diagnosticiren  wäre.  Die  Geburts¬ 
helfer  haben  sich  bisher  mit  dieser  Beckenform  kaum  beschäftigt, 
und  fehlt  dieselbe  in  den  betreffenden  Lehrbüchern  überhaupt. 
Schauta  (Mülle  Fs  Handbuch)  reiht  diese  pathologische  Becken¬ 
form  unter  die  Belastungsanomalien  ein.  Zum  Schlüsse  dieses 
Capitels  wird  noch  der  H  o  1  l’schen  Abhandlung  über  die  richtige 
Deutung  der  Querfortsätze  der  Lendenwirbel  und  Entwicklung  der 
Wirbelsäule  gedacht  und  ihr  besondere  Beachtung  mit  Rücksicht 
auf  die  Erklärung  der  Assimilation  beigemessen. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  in,  welcher  nebst  historischen 
Bemerkungen  eine  Definition  des  Begriffes  »Zwerg«  gegeben 
ist,  werden  die  Typen  der  verschiedenen  Zwerge  im  Allgemeinen 
eingehend  charakterisirt.  Die  Verfasser  unterscheiden  den  durch 
Chondrodystrophie  bedingten,  den  echten,  den  cretinistischen,  den 
rachitischen  und  den  hypoplastischen  Zwergwuchs. 

Besonders  eingehend  wird  die  Chondrodystrophie  be¬ 
sprochen  und  dieselbe  der  Rachitis  congenita,  der  Osteosklerosis 
Kundrat’s,  der  Achondroplasie  Parrot-Porak’s  gleichgestellt. 
Der  von  Kaufmann  empfohlene  Ausdruck  »Chondrodystrophica 
foetalis«  wird  als  der  zweckmässigste  acceptirt.  Auf  Grund  von 
eigenen  Beobachtungen  können  sich  die  Verfasser  klar  und  be¬ 
stimmt  aussprechen.  Sie  neigen  der  Ansicht  zu,  dass  man,  gleich 
Kaufmann,  zwei  Formen,  eine  mehr  hyperplastische  und  eine 
mehr  hypoplastische  unterscheiden  müsste.  Die  Charakteristik  dieser 
Zwergformen  ist  eine  so  ausgesprochene,  dass  sie  mit  anderen 
kaum  verwechselt  werden  kann.  Die  Wachsthumsstörung  ist  eine 
angeborene  und  beschränkt  sich  hauptsächlich  aul  Störungen  des 
Längenwachsthums  in  den  Knorpelzonen. 

Diese  Form  steht  gegenüber  der  echten  Zwergfor m, 
wie  sie  K  u  n  d  r  a  t  und  ganz  besonders  A.  P  a  1 1  a  u  1  ein¬ 
gehend  beschreiben  und  von  den  anderen  Formen  abgetrennt  haben. 
Das  Stehenbleiben  der  Knochenentwicklung  aut  einer  frühen  Stufe, 
so  dass  kindliche  Proportionen  erhalten  bleiben,  das  Offenbleiben 
der  Knorpelfugen,  die  ganz  bestimmten  Proportionen  sind  Merk¬ 
male,  welche  auch  diese  von  den  anderen  unterscheiden.  Am 
nächsten  steht  dem  echten  Zwerg  noch  der  cretinistische; 
auch  hier  ist  ein  Stehenbleiben  auf  infantiler  Stufe  gegeben, 
welches  sich  mit  einer  Störung  des  Intellectes  paart.  Da  die 
Wachsthumsstörung  nicht  an  allen  Theilon  eine  gleiche  ist,  so  ent¬ 
wickeln  sich  Störungen  in  der  Proportion.  Die  Neugeborenen  unter¬ 
scheiden  sich  durch  nichts  von  den  anderen;  das  wesentliche 
Moment  wird  in  dem  Ausfälle  der  Function  der  Schilddrüse  gesucht 
(kropfige  Degeneration  oder  Aplasie).  Beim  rachitischen 
Zwerge  sind  es  einerseits  Verbiegungen  der  Extremitätenknochen, 
andererseits  Hemmungen  im  Längenwachsthum,  welche  die  Ver¬ 
kürzungen  hervorrufen.  Es  erinnert  der  Erweich ungsprocess  im 
Knochensysleme  sehr  an  den  bei  der  Osteomalacie.  Hier  ist  nicht 
blos  die  enchondrale,  sondern  auch  die  perichondrale  Ossification 
gestört.  Eine  qualitative  Alteration  im  Knochenwachsthume  fehlt 
gänzlich  beim  hypo  plastischen  Zwerge,  der  ein  reines 
Miniaturskelet  aufzuweisen  hat.  Bei  diesem  sind  also  auch  nicht 
die  kindlichen  Proportionen  wie  beim  echten  Zwerg  zu  finden.  Als 
Typus  desselben  gelten  die  Zwergvölker.  Allgemeine  Lrnährungs- 


912 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


Nr.  40 


Störungen  hohen  Grades,  Mikro-  und  Hydrocephalie,  können  aber 
auch  bei  uns  solche  Skelete  hervorbringen.  Geburtshilflich  spielen 
dieselben  keine  Rolle. 

Es  werden  nun  mit  besonderer  Sorgfalt  die  verschiedenen 
Zwergbecken  besprochen  und  an  der  Hand  eigener  Beob¬ 
achtungen  und  solcher  von  Anderen  eingehend  kritisirt.  Es  möge 
noch  hervorgehoben  werden,  dass  von  den  chondrodystrophischen 
Becken  zwei  Formen  unterschieden  werden.  Genaue  Messungen  von 
sechs  Becken  der  ersten  Form  mit  hochgradiger  Abplattung,  hoch¬ 
stehendem  Promontorium,  Fronta'  stenose  im  Sacraleanale,  Ein¬ 
sattelung  der  Lendengegend  werden  einer  einzigen  Beobachtung 
gegenübergestellt,  nämlich  dem  Grazer  Becken,  das  auch  in  den 
Querdurchmessern  verengt  ist,  sich  durch  auffallende  Niedrigkeit 
auszeichnet  und  keine  Sacralcanalstenose  aul weist.  Dass  Chondro¬ 
dystrophie  eine  fötale  Störung  ist,  zeigen  die  Becken  von  derartigen 
Neugeborenen,  welche  schon  ganz  charakteristisch  in  dem  erwähnten 
Sinne  umgeformt  erscheinen.  Als  zuverlässig  echte  Zwergbecken 
werden  nur  das  sogenannte  Heidelberger  Becken  (Nägele,  Böckh) 
und  das  von  Schauta  beschriebene  Prager  Becken  als  von 
weiblichen  Individuen  abstammend  anerkannt.  Für  das  männliche 
Skelet  dienen  die  sehr  genauen  Beschreibungen  von  A.  Pal  tauf, 
welchen  noch  von  den  Autoren  ein  ihnen  von  Zemann  zur  Ver¬ 
fügung  gestelltes  Zwergbecken  angereiht  wird. 

Das  Ueberschreiten  der  gewöhnlichen  Ausdehnung  eines 
analogen  Inhaltsreferates  mag  darin  seine  Rechtfertigung  finden, 
dass  man  dem  Erstehen  eines  grossen,  wohl  epoche¬ 
machenden  Literaturproductes  gegenü  borsteht,  das 
an  Fülle  des  Gebotenen,  sowohl  was  exacte  Detail¬ 
beobachtung  als  die  Lehre  selbst  betrifft,  Alles 
bisher  Erschienene  weit  üb  er  trifft. 

Eine  glückliche  Vereinigung  von  günstigen  Umständen,  so  vor 
Allem  die  gemeinschaftliche  Bearbeitung  des  schwierigen  Gegen¬ 
standes  durch  je  einen  hervorragenden  Vertreter  sowohl  der  prak¬ 
tischen  als  theoretischen  Richtung,  die  Reichhaltigkeit  des  den 
Autoren  in  liberaler  Weise  zur  Verfügung  gestellten  Materiales  der 
verschiedenen  pathologisch-anatomischen  Museen  liess  erwarten, 
dass  uns  hier  etwas  besonders  Vorzügliches  geboten  werden 
dürfte.  Es  mag  auch  schliesslich  des  Umstandes  gedacht  werden, 
dass  das  vorliegende  Werk  in  einem  Institute  seinen  Ursprung 
nahm,  dessen  seinerzeitiger  Leiter,  unser  leider  so  früh  dahin¬ 
geraffter  Lehrer  K  u  n  d  r  a  t,  welcher  als  ein  Kenner  allerersten 
Ranges  der  Pathologie  des  Knochensystemes  gegolten  hat,  vielfach 
bemüht  war,  bei  seiner  Umgebung  Interesse  für  die  scheinbar 
starren,  aber  so  variablen  Skeletformen  wachzurufen  und  Einblick 
in  die  Aetiologie  der  Deformitäten  derselben  zu  verschaffen.  Gewiss 
war  von  dieser  Seite  reichlich  Anregung  für  die  intensivere  Be¬ 
trachtung  der  Objecte  und  die  Deutung  der  Entstehung  derselben 
gegeben  worden  und  so  ist  durch  dieses  vortreffliche  Werk  ge¬ 
wiss  auch  im  Sinne  der  Verfasser  dem  Andenken  Kundrafs 
ein  ehrendes  Monument  gesetzt  worden. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

365.  Acute  Herz  dilatation  und  Cor  mobile.  V  on 
Dr.  Hoffmann  (Düsseldorf).  Die  Lehre  von  der  acuten  Herz¬ 
dilatation  hat  namentlich  in  letzterer  Zeit,  und  zwar  durch  die 
Untersuchungen  von  Henschen  eine  Bedeutung  erlangt,  der  sie 
ganz  ungewöhnlich  häufig  bei  Chlorose  und  Anämie,  Scharlach, 
Nephritis,  beim  Alkohol-  und  Greisenherz,  bei  Infectionskrankheiten, 
Rheumatismus,  Klappenfehlern,  aber  auch  bei  Gesunden  nach 
starker  körperlicher  Anstrengung  beobachtet  haben  will.  Dem¬ 
gegenüber  betonen  wieder  andere  Autoren,  dass  es  sich  hier  nur 
um  scheinbare,  durch  Hochstand  des  Zwerchfelles  und  Retraction 
der  Lungen  bedingte  Vergrösserung  der  Herzdämpfung  handle. 
Hoffmann  bemerkt,  dass  eine  Vergrösserung  des  Herzens  be¬ 
sonders  dann  vorgetäuscht  werden  kann,  wenn  zwei  Bedino-un<ren 
vorhanden  sind:  Hochstand  des  Zwerchfelles,  wie  er  bei  Chlorose 
häufig  ist,  und  ein  sehr  bewegliches  Herz,  wie  es  auch  bei  Chlorose 
und  ausserdem  bei  Nervosität  nicht  selten  anzutreffen  ist.  Ein  solches 
Cor  mobile  kann  unter  Umständen  ganz  lebhafte  Beschwerden 
machen.  Solche  hatten  in  einem  von  Hoffmann  näher  ange¬ 
führten  Falle  bestanden.  Der  Schlaf  war  schlecht,  ausser  Kopfdruck, 


Unruhe  und  sonstigen  neurasthenischen  Symptomen  zeitweilig 
heftiges  Herzklopfen,  namentlich  Nachts,  Angstanfälle  mit  Be¬ 
klemmungen,  niemals  jedoch  eigentliche  Dyspnoe.  Bei  der  Unter¬ 
suchung  wurde  der  Spitzenstoss  2  cm  ausserhalb  der  Mamillar- 
linie  gefunden,  sonst  am  Herzen  nichts  Abnormes.  Bei  Lagerung 
nach  links  wanderte  die  Herzspitze  um  weitere  5  cm  nach  aussen, 
blieb  aber  im  fünften  Intercostalraum.  Dabei  tvmpanitischer  Schall 
über  dem  ganzen  Abdomen.  Zwei  Tage  später  nach  Abführmitteln 
und  reizloser  Kost  begann  die  Leberdämpfung  erst  an  der  sechsten 
und  nicht  wie  früher  am  unteren  Rand  der  fünften  Rippe,  und 
der  Spitzenstoss  war  innerhalb  der  Mamillarlinie  fühlbar.  — 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  19.)  Pi. 

* 

366.  Ueber  fremde  Körper  in  den  Verdauungs¬ 
wegen.  Von  Dr.  Puttern  ans.  Verfasser  erklärt  die  Punkte  eines 
Merkzeichens  (repere)  zur  Erkennung  fremder  Körper  in  den  Ver¬ 
dauungswegen.  Das  Leitinstrument  beginnt  in  der  Höhe  des  Tuber¬ 
culum  carotideum,  ist  von  der  oberen  Zahnreihe  15  cm  entfernt; 
sein  Lumen  beträgt  14 — 25  mm  und  hat  drei  markirte  Punkte, 
am  Begipne  der  Leitungsröhre,  dann  15  cm  tiefer,  endlich  am  Ende 
derselben.  Im  Niveau  dieser  physiologischen  Verengerungen  ist  es, 
wo  zumeist  die  fremden  Körper  stecken  bleiben  und  Abschürfungen, 
Eiterungen,  Narben  und  sogar  auch  Perforation  der  Luftröhre  und  ein 
allgemeines  Emphysem  erzeugen  können.  Fremde  Körper  in  der 
Speiseröhre,  besondes  künstliche  Gebisse  (36°/0)  sind  sehr  häufig 
mit  Erscheinungen  von  Suffocation,  plötzlichen  Todes  oder  mindestens 
peinlichen  Angstgefühles  verbunden.  Die  Untersuchung  geschieht 
durch  Palpation,  Pharyngoskopie  oder  Radiographie.  Nicht  so  ver¬ 
breitet  ist  die  Anwendung  des  metallischen  Resonateurs  von 
Colin,  mittelst  welchen  die  geringste  Reibung  oder  Berührung 
mit  dem  Fremdkörper  zu  vernehmen  ist.  Im  Allgemeinen  ver¬ 
wendet  man  die  articulirte  Pincette  von  Colin  besonders  bei 
sphärischen  Körpern  (Kirschkerne)  oder  den  Münzenfänger  von 
Grave,  endlich  in  England  das  sogenannte  Parapluie  von  Fer¬ 
gus  s  o  n.  Wenn  die  Extraction  nicht  gelingt,  so  muss  man  trachten, 
den  fremden  Körper  in  den  Magen  hinabzuslossen.  Felizet  be¬ 
dient  sich  besonders  bei  Kindern  einer  Harnröhrensonde  mit  Krücke 
Nr.  18,  welche  zwischen  die  Wand  und  den  fremden  Körper  ge- 
stossen  wird.  Hierauf  werden  200  —  800  einer  warmen  Borlösung 
injicirt,  die  Sonde  durch  leichte  Drehung  zurückgezogen  und  durch 
das  Erbrechen  kann  der  fremde  Körper  herausbefördert  werden. 
Ist  derselbe  in  der  Speiseröhre  eingeklemmt,  so  muss  die  äussere 
Oesophagotomie  gemacht  werden.  Mitunter  kann  die  Gastrotomie, 
welche  die  retrograde  Extraction  des  Fremdkörpers  erleichtert,  an¬ 
gezeigt  sein.  Beim  Sitze  in  den  Gedärmen  kann  der  Abgang  des 
Fremdkörpers  durch  gewisse  Nahrungsmittel,  wie  Reis,  Kartoffeln, 
gefördert  werden.  Der  Ausbruch  schwerer  Symptome  erfordert 
chirurgische  Intervention.  In  der  Höhe  des  Mastdarmes  hat  man 
viele  Fremdkörper  beobachtet,  deren  Entfernung  durch  das  Steiss- 
bein  zuweilen  gehindert  wird.  Wenn  der  Körper  durch  Extraction 
mit  dem  Finger  nicht  zu  entfernen  ist  und  fest  eingekeilt  bleibt, 
so  muss  die  hintere  Rectotomie,  eventuell  durch  eine  Resection 
des  Steissbeines  vervollständigt,  unternommen  werden.  Dr.  Hanens 
erinnert  an  ein  zehn  Monate  altes  Kind,  welches  einen  Kammputzer 
von  mehreren  Centimetern  Durchmesser  verschluckt  hatte  und  bei 
welchem  das  rapide  Fortschreiten  des  Instrumentes  längs  der  Ver- 
dauungscanales  durch  die  Radiographie  gezeigt  werde;  der  Fremd¬ 
körper  befand  sich  in  der  dritten  Stunde  im  Magen;  in  der  sechsten 
Stunde  in  der  Höhe  des  Nabels  und  wurde  Tags  darauf  nach  einem 
Lavement  ausgestossen.  —  (Journal  Medical  de  Bruxelles.  2.  August 

1900,  Nr,  31.)  Sp. 

* 

367.  Aus  der  I.  medieinischcn  Universitätsklinik  in  Wien 
(Hofrath  Nothnagel).  Klinische  Studien  mit  dem 
Aesthesiometer.  Von  Gand.  med.  Erwin  S  t  r  a  nsky  und 
Dr.  B.  F.  ten  Gate.  Die  bekannte  Erscheinung,  dass  die  künst¬ 
liche  Erzeugung  von  Hypästhesie  auf  einer  Stelle  der  Körperober- 
fläche  mit  Hyperästhesie  der  symmetrischen  Stelle  der  Gegenseite 
einhergehe,  wird  von  den  Verfassern  als  correlative  Empfindlichkeits¬ 
schwankung  bezeichnet.  Die  vorliegenden  Untersuchungen  wurden 
mit  einem  von  Dr.  ten  Gate  modificirten  F  r  e  y’schen  Aesthesio 
meter  angestellt.  Auf  den  in  Betracht  kommenden  HautsteHen, 
welche  vorher  rasirt  wurden,  wurden  kleine,  bis  höchstens  1  cm'1 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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grosse  Flächen  abgegrenzt  und  auf  ihre  Reizschwelle  hin  geprüft. 
Die  Hypästhesie  der  in  Betracht  kommenden  Stellen  wurde  durch 
Einwirkung  von  Eis  hervorgerufen.  Untersucht  wurden  circa  50  Fälle, 
theils  Individuen  mit  normalem,  theils  solche  *  mit  geschädigtem 
Nervensystem  betreffend.  Nach  den  Ergebnissen  dieser  Unter¬ 
suchungen  ruft  Hypästhesirung  eines  Hautbezirkes  Empfindlichkeits- 
erhöhung  der  tactilen  Sensibilität  und  der  Sehmerzempfindung  nicht 
nur  der  Gegenseite,  sondern  in  den  Hautbezirken  der  Nachbar¬ 
segmente  beider  Körperhälften  hervor.  Bei  Störungen  im  Bereiche 
der  sensiblen  Nerven,  respective  ihrer  Bahnen  und  Centren,  treten 
je  nach  dem  Sitze  der  Leitungsunterbrechung  verschiedene  Ab¬ 
weichungen  von  der  Norm  auf.  Der  die  correlative  Empfindlichkeits¬ 
schwankung  bedingende  Process  kommt  in  den  Rückenmarkssegmenten 
zu  Stande.  (Jahrbücher  für  Psychologie  und  Neurologie.  Bd.  XIX, 

Heft  2.)  '  S- 

* 

368.  Zur  Pathologie  undTherapie  derBasedow- 

schen  Krankheit.  Von  Prof.  Dinkier  (Aachen).  Einer  der 
beiden  anatomisch  genau  untersuchten  Fälle  hatte  auch  seltene 
klinische  Erscheinungen  geboten:  Motorische  Störungen  in  Form 
choreatischer  Zuckungen,  psychische,  indem  die  Frau  gegenüber 
ihren  früheren  Gewohnheiten  unrein,  unordentlich,  unmässig  wurde; 
später  war  noch  eine  Parese  des  linken  Armes  und  Beines  hinzu¬ 
getreten.  Als  Grundlage  für  die  psychischen  Symptome,  die  Hemi¬ 
plegie,  die  motorischen  Reizerscheinungen  etc.  wurde  eine  nur 
mittelst  der  March  i’schen  Methode  deutlich  nachweisbare  ungleich- 
mässige  Erkrankung  des  ganzen  Hirnmantels  mit  entsprechender 
absteigender  Degeneration  der  Pyramidenbahnen,  sowie  eine  solche 
der  Ganglienzellen  am  Boden  des  vierten  Ventrikels  und  im  Bereiche 
der  grauen  Vordersäulen  des  Rückenmarkes  gefunden.  An  den 
Muskeln  der  paretischen  linken  Seite  war  einfach  Atrophie  und 
Lipomatose  nachweisbar  gewesen.  Die  Struma  zeigte  in  dem  einen 
Falle  eine  Neubildung  solider  Epithelgänge  und  Alveolen,  des¬ 
gleichen  im  zweiten  Falle,  jedoch  in  weit  geringerem  Grade;  da¬ 
gegen  hatte  hier  eine  enorme  Thymushypertrophie  bestanden.  Dieser 
Fall  war  auch  milder  verlaufen,  was  möglicher  Weise  mit  den  ge¬ 
ringeren  Veränderungen  der  Schilddrüse  und  der  Thymushyper¬ 
plasie  Zusammenhängen  kann.  Beachtenswert!]  ist  noch  der  Befund, 
dass  die  Arterien  der  Schilddrüse  an  Zahl  nicht  vermehrt  waren, 
den  fast  normalen  Querschnitt  zeigten,  während  Venen  und  Capillaren 
beträchtlich  erweitert  waren.  Dinkier  hält  die  Annahme  für  ge¬ 
rechtfertigt,  dass  beim  Basedow  eine  das  Gefässsystem  und  das 
Herz  in  gleicher  Weise  schädigende  Noxe,  wahrscheinlish  thyreo¬ 
genen  Ursprunges,  die  Hauptrolle  spiele;  nervösen  Einflüssen  soll 
keine  ursächliche  Rolle  für  die  Schilddrüsenveränderungen  zu¬ 
kommen.  Obwohl  die  operativen  Erfolge  bei  der  Basedow-Behandlung 
schon  manche  schwere  Enttäuschung  gebracht  hat,  ist  Dinkier 
dennoch  bei  geeigneten  Fällen  für  die  Einleitung  einer  chirur¬ 
gischen  Behandlung  (Strumektomie  etc.).  —  (Münchener  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  21.)  Pi. 

* 

369.  Die  Larven  von  der  »Sarcophilamagnifica« 
(S  ch  i  n  e  r)  im  Darmcanale  des  Menschen.  Von  Professor 
Perroncito.  Die  mit  den  Speisen  etwa  verschluckten  Larven  von 
Zweiflüglern  können  factisch  im  Darme  durch  einige  Tage  leben 
ohne  zu  Grunde  zu  gehen,  wenn  man  die  relativ  grosse  Zähigkeit 
ihres  Lebens  in  Erwägung  zieht.  Aber  in  diesem  Falle  können  sie 
dem  Menschen  keine  schweren  Störungen  bereiten.  Andererseits  wurden 
Fälle  gesammelt,  in  welchen  die  Anwesenheit  der  Larven  im  Magen- 
Darmcanal  mitunter  von  sehr  schweren  Störungen  begleitet  war. 
Perroncito  berichtet  über  einen  diesbezüglichen  Fall,  welchen 
Prof.  Paolucci  und  Dr.  Ricci  in  Ancona  beobachtet  haben. 
Dieser  betrifft  einen  40jährigen,  kräftigen  Mann,  welcher  ausser 
einem  chronischen  Gelenksrheumatismus  mit  Endocarditis  an  be¬ 
ständigen  Darmblutungen  und  Erbrechen  schwarzen  Blutes  leidet. 
Die  Darmausscheidungen  sind  fäulnissartig,  von  penetrantem  Gerüche. 
Ricci  vermuthete  Anchylostomiasis,  fand  aber  nichts  unter  dem 
Mikroskope.  Farnkrautöl  hatte  keinen  Erfolg,  erst  nach  Darreichung 
von  4 g  Benzonaphthol  durch  mehrere  Tage  kamen  die  Larven  zum 
Vorschein.  Das  Leiden  besteht  seit  einem  Jahre,  verstärkt  seit 
drei  Monaten.  Die  gefundenen  Larven  glichen  keinesfalls  den  ge¬ 
wöhnlichen  Entozoen  des  Körpers,  eher  Leichenwürmern.  Nachdem 
das  Benzonaphthol  stets  viele  Larven  mit  den  Fäces  herausbeförderte, 


wurde  zum  Schlüsse  dem  durch  die  Blutungen  aufs  Aeusserste  ge¬ 
schwächten  Kranken  noch  durch  zwei  Tage  je  lg  Kalomel 
gegeben,  worauf  Blutungen  und  Ausscheidungen  von  Larven  plötzlich 
aufhörten.  Der  Kranke  erzählte,  dass  er  in  Amerika  in  einer  Ort¬ 
schaft  gelebt  habe,  in  welcher  Fliegen  aller  Grössen  in  enormer 
Zahl  Vorkommen,  und  vermuthet  Ricci,  dass  die  Eier  derselben 
Fleisch  und  andere  Lebensmittel  verunreinigen.  Prof.  Perroncito 
berichtet  schliesslich,  dass  nach  16 — 18  Tagen  aus  den  ihm  über¬ 
sendeten  Larven  zwei  Männchen  und  ein  Weibchen  von  Sarcophila 
magnifica  (S  chin  er)  herauskamen,  welche  zur  Familie  »Muscidae«, 
Unterfamilie  »Muscidae  calypteratae«,  Tribus  »Sarcophagine«  ge¬ 
hören.  —  (Giornale  d.  R.  Accadem.  di  Medicina,  Torino.  Juni  1900, 

Nr.  6.)  Sp. 

* 

370.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  zu  Tü¬ 
bingen  (Prof.  Sie  m  erlin  g).  Beitrag  zur  Pathologie 
des  Halssympathicus.  Von  Dr.  Heiligenthal  i  n  B  a  d  e  n- 
Baden.  Wenn  beim  Thier  der  Halstheil  des  Sympathicus  durch¬ 
schnitten  wird,  so  tritt  gesetzmässig  theils  sofort,  theils  nach 
längerem  Bestehen  der  Läsion  eine  Reihe  von  Erscheinungen  auf: 
Dauernde  Verengerung  der  Pupille,  Enge  der  Lidspalten,  stärkere 
Injection  der  Hautgefässe  und  damit  erhöhte  Temperatur  der  be¬ 
treffenden  Seite,  Herabsetzung,  respective  völlige  Aufhebung  der 
Schweisssecretion,  sowie  Störungen  der  Speichelsecretion.  Später  ge¬ 
sellen  sich  hinzu  ein  Zurücksinken  des  Bulbus,  verbunden  mit  Ab¬ 
nahme  der  Spannung,  sowie  hin  und  wieder  eine  Atrophie  der  be¬ 
troffenen  Gesichtsseite.  Heiligenthal  hat  in  fünf  Fällen  Sym- 
ptomencomplexe  in  Folge  von  krankhaften  Processen  oder  Ver¬ 
letzungen  am  Halse  beobachtet,  die  in  ihrer  Gesammtheit  als  Lähmung 
des  Halssympathicus  aufgefasst  werden  können,  indem  sie  alle  jene 
Cardinalsymptome  in  wechselnder  Vollkommenheit  zeigten,  die  sich 
beim  Thierexperiment  nach  Durchschneidung  des  Halssympathicus 
einstellen.  In  vier  dieser  Fälle  war  eine  mehr  weniger  entwickelte 
Struma  vorhanden,  im  fünften  war  die  Lähmung  traumatischen  Ur¬ 
sprunges.  Heiligen  thal  ist  auch  der  Ansicht,  dass  dort,  wo 
Struma  vorhanden  ist,  diese  die  Ursache  der  Sympathicuslähmung 
ist.  Hiebei  spielt  die  Form  der  Struma  eine  wichtigere  Rolle  als 
die  Grösse  derselben.  Heiligenthal  bespricht  die  einzelnen 
Symptome  der  Lähmung  des  Halssympathicus.  Die  dauernde  Ver¬ 
engerung  der  Pupille  bedarf  eines  weiteren  Eingehens  nicht.  Die 
Verengerung  der  Lidspalte  lässt  sich  unabhängig  von  dem  Zurück¬ 
sinken  des  Bulbus  vielleicht  so  erklären,  dass  durch  Lähmung  des 
Sympathicus  eine  dem  natürlichen  Tonus  der  Verringerer  der  Lid¬ 
spalte  entgegenwirkende  Kraft  in  Wegfall  gekommen  ist.  Das  Zurück¬ 
sinken  des  Bulbus  mag  durch  die  Lähmung  des  Müller’schen 
Muskels  allein  kaum  Erklärung  finden,  es  dürfte  die  Abnahme  des 
Orbitalfettes  mitwirken.  Auch  die  Ungleichheit  der  Gesichtshälften 
dürfte  hauptsächlich,  vielleicht  sogar  ausschliesslich  durch  Schwund 
des  Fettes  bedingt  sein.  Die  nach  dem  Experiment  zu  erwartende. 
Erweiterung  der  Gefässe  auf  der  gelähmten  Seite,  ausgedrückt  durch 
Röthung  und  Erhöhung  der  Temperatur,  findet  sich  bei  den  Kranken 
mit  Lähmung  des  Halssympathicus  durchaus  nicht  immer.  Heiligen¬ 
thal  hat  gefunden,  dass  man  aus  der  Temperalurdifferenz  allein 
nicht  auf  die  Seite  der  Lähmung  zurückschliessen  dürfe.  Aber 
während  ein  Reiz,  zum  Beispiel  Körperbewegung,  in  den  Vaso¬ 
motoren  der  gesunden  Seite  eine  wesentliche  Reaction  hervorruft, 
bleiben  die  Vasomotoren  der  gelähmten  Seite  zwar  nicht  reactionslos, 
jedoch  der  Ablauf  der  Reaction  ist  ein  anderer.  Nur  bei  einer 
Patientin  Heiligenthal’s  war  die  Schweisssecretion  auf  der  ge¬ 
lähmten  Seite  sistirt.  Heiligen  thal  fand  in  seinen  fällen  keine 
Erklärung  für  das  verschiedene  Verhalten  der  Schweisssecretion  bei 
Lähmung  des  Halssympathicus.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXIII, 

Heft  1.)  s- 

* 

371.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  zu  Würzburg.)  lieber 
den  Zungenbelag  bei  Gesunden  und  Kranke n.  Von 
Dr.  Müller.  Das,  was  bei  gesunden  Menschen  als  »Belag«  der 
Zunge  angesehen  wird,  sind  die  Papillae  filiformes,  welche  bei  den 
einzelnen  Individuen  verschieden  zahlreich  und  mächtig  entwickelt 
sind,  bei  Kindern  sehr  schwach  ausgeprägt  und  im  Greisenalter 
häufig  atrophirt  sind,  weshalb  ältere  Personen  nicht  selten  eine 
glatte,  rothe,  wie  lackirt  aussehende  Zunge  haben.  Dieser  Zungen¬ 
belag  ist  demnach  vielfach  kein  Spiegel  des  Magens,,  sondern  etwas 


914 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


Physiologisches,  und  es  ist  daher  kaum  zweckmässig,  diese  »Beläge« 
durch  Kratzen  und  Schaben  zu  entfernen  zu  suchen.  Die  schonendste 
Reinigung  der  Zunge  wird  durch  Kauen  fester  Speisen,  besonders 
trockenen  Brotes  besorgt.  In  vielen  Fällen  ist  der  Zungenbelag 
ein  pathologischer  und  wird  besonders  bei  acuten  Krankheiten 
beobachtet,  gleichviel  ob  sie  den  Verdauungscanal  primär  betreffen 
oder  nicht.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  durch  Abschabung 
der  Zunge  gewonnenen  Objecte  ergibt,  dass  dieselben  aus  denselben 
Elementen,  wie  sie  schon  auf  der  Zunge  des  Gesunden  gefunden 
werden,  bestehen:  aus  Epilhelien,  Bacterien,  Fadenpilzen,  Speise¬ 
resten  und  Leukocyten.  Letztere  finden  sich  jedoch  beim  Magen- 
carcinom  und  der  Lungcntuberculose  in  so  beträchtlicher  Menge, 
dass  Verfasser  ein  zufälliges  Zusammentreffen  für  unwahrscheinlich 
hält  und  an  eine  gesetzmüssige  Beziehung  zwischen  dem  Leuko- 
cy tengehall  der  Zungenoberfläche  und  den  genannten  Krankheiten 
glaubt.  Von  den  Leukocyten  abgesehen  wurden  zwischen  den  von 
den  Zungen  Gesunder  und  Kranker  abgestreiften  Massen  nur  quanti¬ 
tative  Unterschiede  gesehen.  Zur  Entstehung  des  vermehrten  Belages 
trägt  wahrscheinlich  bei,  dass  die  Kranken  feste  Nahrung  nicht 
geniessen,  die  Zunge  -  welche  bei  Apathischen  überdies  noch 
ruhig  steht  —  nicht  abgebürstet,  reingefegt  wird;  bei  manchen 
Krankheiten  kommt  es  zu  einer  vermehrten  Abschilferung  der 
Zunge,  zu  einem  desquamativen  Katarrh.  Existirt  demnach  ein 
Zungenbelag,  so  ist  feslzustellen,  ob  derselbe  ein  normaler  oder  ein 
pathologischer  ist;  bei  dem  letzteren  lässt  sich  eine  reichlichere 
Masse  abstreifen.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900, 

Nr.  33.)  Pi. 

* 

372.  (Medieinisch-chirurgisches  Ambulatorium  di  Guspini 

[Cagliari].)  PrimitiveEchinococcuscystederLunge.  Von 
C.  L  o  i.  Die  32  Jahre  alle  Kranke  wurde  November  1897  von  Husten 
mit  abundanter  Expectoration,  Fieber  befallen.  Die  Diagnose  wurde 
auf  Lungentuberculose  gestellt.  Zehn  Monate  später  Verschlimmerung 
des  Zustandes,  Athemnoth,  heftiger  Husten,  Cyanose,  Erbrechen 
einer  grossen  Menge  erst  klarer,  dann  blutig-schaumiger  Flüssigkeit. 
Drei  Wochen  später  erbrach  sie  unter  heftigem  Hustenanfall  sechs 
Stücke  einer  Membran  von  Echinococcuscyste,  weiss  und  von  ver¬ 
schiedener  Grösse,  worauf  sämmtliche  Athembeschwerden  vergingen. 
An  der  linken  Lungenspitze  deutliche  metallische  Resonanz,  Athem- 
geräusch  kaum  vernehmbar.  Die  Untersuchung  auf  Tu- 
b  e  r  k  e  1  b  a  c  i  1 1  e  n  w  a  r  i  m  m  e  r  negativ.  Im  Januar  1899 
neuerdings  Hustenanfälle.  Der  Stimmfremitus  an  der  linken  Lungen¬ 
spitze  fast  verschwunden:  vorne  links  eine  Zone  dumpfen  Schalles 
scharf  begrenzt,  daselbst  ein  charakteristisches  vibri- 
r  end  es  Geräusch  zu  vernehmen.  Hustet  die  Kranke,  so  hört 
man  ein  Gurgeln.  Die  Auscultation  der  Stimme  ergibt  deutliche 
Bronchophonie.  Diesen  Zustand  erklärt  Verfasser  als  Wiederholung 
der  cystischen  Erkrankung,  umsomehr  als  sich  an  derselben 
Lungenstelle  das  charakteristische  Vibriren  über  einer  schallleeren 
Gegend  befand.  Man  muss  daher  annehmen,  dass  ein  Echinococcusei 
in  den  Verdauungstract  der  Kranken  gedrungen  sei,  dass  unter  dem 
Einflüsse  des  Magensaftes  die  Kapsel  des  Embryo  sich  gelöst  habe 
und  im  Wege  des  Venensystems  in  die  linke  Lunge  gedrungen 
ist.  Die  neue  Bildung  der  Cyste  erklärt  Verfasser  daraus,  dass  bei 
dem  ersten  Anfalle  in^  August  1898  mit  der  Membran  nicht  alle 
Keimcysten  ausgebrochen  wurden  und  eine  davon  in  der  linken 
Lungenspitze  zur  Entwicklung  gekommen  ist.  —  (La  Riforma 
Medica.  31.  Juli  1900,  Nr.  170.)  Sp. 

* 

373.  Die  Ozaena  und  ihre  Behandlung.  Von 
Klemperer  (Berlin).  Der  Name  Ozaena  gilt  eigentlich  nur  mehr 
für  jene  stinkenden  Nasenaffcctionen,  die  mit  Ausschluss  jener, 
welche  bei  Lues,  Fremdkörpern  in  der  Nase  und  bei  fötiden  Eite¬ 
rungen  der  Nasennebenhöhlen  Vorkommen,  eine  diffuse  Erkrankung 
der  Nase  darstellen  und  durch  drei  Symptome  ausgezeichnet  sind: 
das  reichliche  Secret,  den  Gestank,  welcher  an  dem  zu  Krusten 
eingelrockneten  Secret  haftet,  und  endlich  die  Atrophie  der  Nasen¬ 
schleimhaut  und  Knochen.  Diese  Erkrankung,  für  welche  schon  ein 
Bacillus  gefunden  sein  soll,  tritt  besonders  in  den  Pubertätsjahren 
auf  und  befällt  besonders  weibliche  Individuen.  Die  Behandlung 
der  mit  dieser  Krankheit  behafteten  Patienten,  welche  in  Folge  des 
aus  der  Nase  kommenden  Gestankes  oft  gesellschaftlich  unmöglich 
werden,  hat  die  Aufgabe,  die  Secretion  in  Schranken  zu  erhalten 


und  den  Fötor  zu  beseitigen,  was  nach  Verfasser  durch  Rein¬ 
haltung  der  Nase  zu  erreichen  ist.  Dieselbe  wird  durch  die 
Combination  zweier  Mittel  erreicht:  die  Tamponade  und  die  Nasen¬ 
spülung.  Sobald  der  Patient  zur  Behandlung  kommt,  legt  man  nach 
einander  in  jede  Nasenseite  einen  Wattewickel  durch  ein  oder 
zwei  Stunden  ein.  Soweit  die  Krusten  durch  diese  nicht  entfernt 
sind,  werden  sie  durch  eine  nachfolgende,  ausgiebige  Spülung  be¬ 
seitigt.  Ist  auf  diese  Weise  die  Nase  einmal  vollständig  ge¬ 
reinigt,  so  legt  der  Patient  in  der  ersten  Zeit  Morgens  für  eine 
halbe  bis  eine  Stunde  die  Tampons  ein  und  spült  hernach  mittelst 
(sogenannter  englischer)  Nasenpumpe  mit  mässigen  Mengen  einer 
physiologischen  Kochsalzlösung  aus;  die  Ausspülung  wird  Mittags 
und  Abends  wiederholt.  In  schweren  Fällen  soll  auch  Abends  ein 
Tampon  eingelegt  werden.  Mit  der  Zeit  wird  die  Spülung  Mittags 
fortgelassen,  statt  der  Pumpe  einfach  die  Nasenkanne  verwendet, 
der  Tampon  nur  kürzere  Zeit  liegen  gelassen.  In  manchen  Fällen 
kommt  durch  diese  Behandlung  auch  der  anatomische  Process  zum 
Stillstand,  in  einigen  Fällen  sogar  zur  Heilung.  (Die  Therapie  der 

Gegenwart.  1900,  Nr.  8.)  Pi. 

* 

374.  Lieber  Behandlung  der  Epilepsie.  Von  Pro¬ 
fessor  Fürstner  in  Strassburg.  Bezeichnend  für  den  heutigen 
Stand  der  Epilepsiebehandlung  ist  die  Unmöglichkeit  einer  sicheren 
Voraussage,  ob  in  einen  einzelnen  Falle  mit  den  verordneten  Medi- 
camenten,  vor  Allem  mit  den  Bromsalzen,  Resultate  zu  erzielen  sein 
werden  oder  nicht.  Es  ist  daher  der  Prüfung  würdig,  ob  diagnostische 
Irrthümer  die  therapeutischen  Misserfolge  zum  Theile  begründen, 
insoferne  anderweitige  Erkrankungen  mit  genuiner  Epilepsie  ver¬ 
wechselt  werden,  ferner,  ob  bei  den  ungünstigen  Verhältnissen  be¬ 
stimmte  ätiologische  Factoren  vorliegen,  ob  dieselben  besondere 
klinische  Merkmale  bieten,  durch  welche  sie  sich  von  dem  Gros 
der  Epilepsieerkrankungen  unterscheiden,  endlich  ob  sich  Merkmale 
finden  lassen,  welche  von  vorneherein  günstige  Chancen  für  die 
Therapie  in  Aussicht  stellen.  Fürstner  bespricht  zunächst  jene 
in  der  poliklinischen,  wie  in  der  Privatpraxis  häufigen  Fälle,  in 
welchen  die  Anfälle  durchaus  die  Merkmale  des  epileptischen  In¬ 
sultes  bieten  können,  während  es  sich  doch  nicht  um  Epilepsie, 
sondern  um  Hysterie  handelt.  Hier  führt  der  Gebrauch  der  Brom¬ 
präparate  zu  keinem  Erfolg.  Fürstner  theilt  zwei  derartige  Fälle 
mit,  in  welchen  auf  Brompräparate,  nicht  aber  auf  Bromipin  eine 
eigenthümliche  Hautaffection  zur  Entwicklung  kam.  Fürstnerver¬ 
weist  ferner  auf  jene  Fälle,  in  welchen  sich  angeborene  oder  früh¬ 
zeitig  erworbene  organische  Hirnerkrankungen  ausschliesslich  durch 
epileptische  Anfälle  kundgeben.  Vielleicht  ist  diesen  Fällen  eine  ln- 
constanz  des  durch  Brombehandlung  zu  erzielenden  therapeutischen 
Effectes  eigen.  In  naher  Beziehung  zu  dieser  Gruppe  stehen  Fälle 
die  der  cerebralen  Kinderlähmung  zuzurechnen  sind.  Fürstner 
bespricht  ferner  jene  Fälle  von  Epilepsia  tarda,  in  welchen  in  der 
Kindheit  vereinzelte  Anfälle  auftraten,  die  dann  cessirten  und  unter 
irgend  einer  occasionellen  Schädlichkeit  nach  einigen  Jahrzehnten 
wieder  sich  einslellen.  Häufig  sind  in  diesen  Fällen  die  Brompräparate 
wirkungslos.  Wo  epileptische  Insulte  in  Folge  atheromatöser  Processe 
entstehen,  sind  Brompräparate  nicht  empfehlen  swerth.  Bei  auf 
tophischer,  vor  Allem  alkoholistischer  Basis  entstandenen  epi¬ 
leptischen  Insulten  hat  oft  der  Fortfall  der  Schädlichkeit  allein  schon 
günstigen  Erfolg.  Von  den  in  der  Kindheit  auftretenden  Anfällen 
heilen  diejenigen  am  ehesten,  in  welchen  die  regelmässige  Brom¬ 
therapie  im  kindlichen  Alter  begonnen  und  über  die  Pubertätszeit 
fortgesetzt  wird.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXI II,  Heft  1.) 

S. 

* 

375.  Zur  Klinik  der  1899  in  Oporto  beob¬ 
achteten  Pesterkrankungen.  Von  Dr.  Reiche  (Hamburg). 
Von  besonderem  Interesse  ist  die  geringe  Expansion  der  Seuche, 
sowie  die  Milde  des  Verlaufes  der  einzelnen  Fälle,  da  die  Epidemie 
nach  fast  siebenmonatlicher  Dauer  mit  311  Erkrankungen  und 
104  Todesfällen  ihr  Ende  erreicht  halte.  Der  typische  ausgeprägte 
Pestanfall  begann  in  der  Regel  acut  mit  Kopfschmerz,  Schüttel¬ 
frost  und  schwerer  Abgeschlagenheit,  häufig  mit  gleichzeitigem 
Durchfall  und  Erbrechen.  Nach  wenigen  Tagen  setzte  entweder 
Genesung  mit  oder  ohne  Vereiterung  der  Drüsen  ein,  oder  aber 
die  schweren  Symptome  traten  mehr  hervor  und  unter  dem  Bilde 
der  Septikämie  oder  dem  der  Intoxication  erfolgte  in  hohem  Fieber 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


915 


oder  auch  bei  Abfall  desselben  der  Tod.  Andererseits  sab  man  fou- 
droyante  Fälle,  die  innerhalb  weniger  Stunden  oder  zwei  bis  drei 
Tagen  zum  Tode  führten.  Dem  gegenüber  traf  man  leichte  Verlaufs¬ 
arten  in  denen  die  klinischen  Symptome  ganz  und  gar  zurück¬ 
traten.  Prodrome  waren  meist  keine  vorhanden,  das  Fieber  ent¬ 
sprach  im  Grossen  und  Ganzen  der  Schwere  des  Falles.  Die  Re¬ 
spiration  war,  ohne  dass  Lungenveränderungen  Vorlagen,  meist  be¬ 
schleunigt,  nicht  aber  der  Puls.  Milzschwellung  war  in  schweren 
Fällen  fast  immer  vorhanden  gewesen.  Das  Hauptmerkmal  der 
Krankheit  bildeten  die  Bubonen,  die  zumeist  gleich  im  Beginne  der 
Krankheit,  aber  auch  später  am  vierten  bis  siebenten  Tage  auf¬ 
traten.  Die  Zahl  der  befallenen  Drüsenpakete  schwankt  ganz  er¬ 
heblich,  nicht  selten  war  nur  eine  Region  ergriffen.  Die  Grösse  der 
Bubonen  war  eine  verschiedene,  zwischen  mächtigen  Schwellungen 
und  kaum  erbsengrossen  Infiltrationen  bestanden  alle  Uebergänge. 
Immer  war  jedoch  eine  hervorragende  Druckempfindlichkeit  vor¬ 
handen,  was  in  manchen  Fällen  pathognomisch  wichtig  ist;  so 
konnten  mehrmals  subpectorale  Drüsenschwellungen  hei  starker  Ent¬ 
wicklung  des  Pectoralis  oder  der  Mamma  nur  an  der  tiefen  Schmerz¬ 
haftigkeit  erkannt  werden.  Am  meisten  waren  die  inguino-femoralen 
Drüsen  ergriffen,  bei  Kindern  besonders  häufig  die  axillaren;  in 
einem  Falle  war  ein  Bubo  unterhalb  des  rechten  Knies  aufgetreten, 
der  in  seinen  Erscheinungen  eine  beginnende  Arthritis  Vortäuschen 
konnte.  Bemerkenswerth  ist,  dass  das  Fieber  schon  häufig  ge¬ 
schwunden  war,  wenn  die  vereiterte  Drüse  zur  Incision  reif 
geworden  war.  Ein  echter  Pestcarbunkel  (am  Unterleib)  war  nur 
ein  einziges  Mal  ebenso  wie  eine  Pestmeningitis  beobachtet  worden. 
Die  Therapie  hatte  sich  auf  Hygiene,  Isolirung,  Verabreichung  von 
Darmantiseptica  und  Tonica  beschränkt,  später  waren  in  geringer 
Zahl  Injectionen  mit  Yersin’schem  Serum  vorgenommen  worden. 
Der  Infectionsmodus  blieb  zumeist  unaufgeklärt.  —  (Münchener 
medicinische'  Wochenschrift.  1900,  Nr.  31.)  Pi- 

* 

376.  (Medicinisch-chirurgisches  Ambulatorium  di  Guspini 
[Cagliari].)  Heilung  einer  chronischen  Ischias  durch  den 
Biss  ei  n  er  Viper.  Von  Pomerol.  45jährige  Kranke,  seit  mehreren 
Jahren  an  heftiger  linksseitiger  Ischias  leidend,  so  dass  schliesslich 
die  Beugemuskeln  der  Hüfte  und  des  Beines  sich  zusammenzogen 
und  die  Kranke  mit  grösster  Schwierigkeit  hinkte.  Als  sie  eines 
Tages  über  eine  frisch  gemähte  Wiese  ging,  wurde  sie  in  den 
linken  äusseren  Knöchel  von  einer  Viper  gebissen,  worauf  Schwäche, 
Uebelkeiten.  Athmungsbesch  werden  ein  traten.  Verfasser  fand  an  der 
Bissstelle  zwei  violett  gefärbte  Punkte,  die  ganze  Gliedmasse 
schmerzhaft  und  von  einer  harten  bis  zur  Leiste  hinaufreichenden 
Geschwulst  befallen.  Nach  entsprechender  Behandlung  verschwanden 
die  Allgemeinerscheinungen  in  einigen  Tagen.  Das  im  Anfänge 
dunkelblau  gefärbte  Glied  nahm  eine  gelbe  Färbung  an,  und  nach 
einem  Monate  trat  die  Heilung  ein.  Vom  Tage  des  Bisses  durch 
die  Schlange  waren  die  Schmerzen  im  Ischiadicus  ver¬ 
schwunden,  desgleichen  die  Muskelstarre  und  das 
Glied  erlangte  seine  normale  Function  wieder.  Die  Heilung  war 
bleibend.  Die  alten  Aerzte  verwendeten  sehr  häufig  die  Viper  zur 
Heilung  von  Stichen  und  Bissen  giftiger  Thiere  und  wüthender 
Hunde,  wie  Ambroise  Pare  versichert.  Der  berühmte  Theriak 
enthielt  Fleisch  und  ohne  Zweifel  auch  Gift  von  der  Viper.  Jäger 
erzählen,  dass  von  der  Viper  gebissene  Hunde  gegen  die  Wuth- 
krankheit  geschützt  sind.  Es  wäre  demnach  nützlich,  die  Wirkung 
abgeschwächter  Gifte  mittelst  Serumbehandlung  weiter  zu  prüfen. 

—  (Gazette  des  Höpitaux.  2.  August  1900,  Nr.  87.)  Sp. 

* 

377.  U  eher  die  nervösen  Störungen  im  Bereiche 
des  Brachialplexus  bei  Angina  pectoris.  Von  Loewen- 
f  e  1  d  (München).  Die  bei  Angina  pectoris  namentlich  im  Bereiche 
des  linken  Armes  auftretenden  Erscheinungen  sondern  sich  in  drei 
Gruppen:  1.  Störungen  der  Sensibilität,  2.  der  Motilität  und  3.  vaso¬ 
motorische  Störungen.  Zu  den  ersteren  gehören  die  anfallsweise 
auftretenden  Schmerzen,  die  Parästhesien  —  Taubsein,  Pelzigsein, 
Gefühle  von  Kälte  u.  s.  w.  — ,  zu  den  zweiten  ein  Gefühl  von 
Schwäche  im  Arm;  spastische  Erscheinungen  scheinen  nur  bei  der 
nervösen  Angina,  nicht  bei  der  echten  beobachtet  zu  sein.  Die 
vasomotorischen  Erscheinungen  äussern  sich  in  einer  Kälte  und 
Blässe  der  Hand.  Die  zeitlichen  Beziehungen  zwischen  dem  ganzen 
Anginafall  und  den  brachialen  Symptomen  sind  verschiedene:  ab¬ 


gesehen  davon,  dass  die  brachialen  Erscheinungen  bei  Angina 
pectoris  ganz  fehlen  können,  treten  sie  während  des  Anfalles  auf, 
oder  sie  gehen  demselben  voraus,  oder  überdauern  den  Anfall,  oder 
sie  können  selbstständig  längere  Zeit  vor  dem  ersten  Angina- 
anfalle  auftreten.  Verfasser  berichtet  über  einen  hieher  gehörigen 
Fall,  in  dem  ein  halbes  Jahr  vor  den  eigentlichen  Anfällen  von 
Angina  pectoris  schon  heftige  Neuralgien,  und  zwar  in  beiden 
Armen,  aufgetreten  waren.  Die  Obduction  hatte  in  diesem  Falle 
eine  Atrophie  und  Sklerose  der  Nervenstämme  des  linksseitigen 
Plexus  brachialis  ergeben.  In  den  meisten  Fällen  werden  die  bra¬ 
chialen  Symptome  auf  Irradiationen  zurückzuführen  sein,  die  vom 
Plexus  cardiacus  ausgehen  und  durch  die  beiden  unteren  Hals¬ 
ganglien  in  das  Rückenmark  geleitet  werden.  Für  andere  Fälle 
muss  aber  die  Möglichkeit  zugegeben  werden,  dass  die  Auslösung 
von  Anginaparoxysmen  auch  vom  Plexus  brachialis  aus  erfolgen 
kann.  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  32.) 

Pi. 

* 

378.  Beitrag  zurLehre  von  der  symmetrischen 
Gangrän.  Von  Dr.  Paul  Tesdorpf  in  München.  Tesdorpf 
berichtet  über  einen  Fall  von  Hysterie,  der  durch  das  Auftreten 
hysterischer  symmetrischer  Entzündungserscheinungen  als  »  hysterische 
symmetrische  Entzündung«  bezeichnet  zu  werden  verdient,  wobei 
alle  Grade  der  Entzündung:  Röthung,  derbe  Infiltration,  Blasenbildung, 
Keloidbildung,  Eiterung,  Gangrän  und  Geschwürsbildung  beobachtet 
wurden.  Es  handelt  sich  um  ein  22jähriges,  schon  von  Kindheit 
auf  ängstliches  und  nervöses  Individuum,  dessen  krankhafte  Sug- 
gestibilität  und  krankhafte  Verknüpfung  der  psychischen  und  körper¬ 
lichen  Vorgänge  die  Diagnose  »Hysterie«  umsomehr  rechtfertigte, 
als  im  Anschluss  an  eine  Hypnose  sich  ein  schwerer  hysterischer 
Anfall  einstellte.  Im  Februar  1897  trat  im  Anschluss  an  einen 
kleinen  Hautschnitt  am  linken  Daumen  Röthung,  Schwellung  und 
Steifheit,  einige  Tage  später  Schwarzfärbung,  Gefühllosigkeit  und  an 
einzelnen  Stellen  Gangrän  auf.  Im  Anschluss  an  diese  zeigten  sich 
später  vielfach  brandige  IJautaffectionen  von  symmetrischer  Be¬ 
schaffenheit.  Eine  hypnotische  Suggestivbehandlung  übte  einen 
günstigen  Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Hauteruptionen,  so  dass  die 
enge  Beziehung  der  Hautaffection  zur  Hysterie  evident  war.  Der 
Nachweis,  dass  die  Hautgangrän  durch  absichtliche  Verletzungen 
provocirt  war,  gelang  nicht,  obwohl  die  Neigung,  sich  selbstthätig 
Verletzungen  oder  mindestens  Alterationen  der  Hautoberfläche  mittelst 
der  Hände  zuzufügen  der  Kranken  thatsächlich  innewohnte.  Ein 
Theil  der  Hauteruptionen  kam  bei  der  Patientin  nach  psychischem 
Affect  zu  Stande.  Für  die  Beantwortung  der  Frage,  auf  welchem 
Wege  die  Hysterie  zu  symmetrischen  Hautentzündungen,  insbesondere 
zu  Gangrän  führen  könne,  verweist  Tesdorpf  unter  Anderem  auf 
die  Lehre  vom  sogenannte  Transfert,  der  symmetrischen  Ueber- 
tragung  eines  Reizes  von  der  einen  Körperhälfte  auf  die  andere, 
indem  eine  bestimmte  Hautstelle  der  einen  Körperhälfte  bei  einem 
hysterischen  Individuum  treffende  Erregung  durch  Vermittlung  des 
Centralnervensystems  die  identische  symmetrische  Stelle  der  anderen 
Körperhälfte  in  Mitleidenschaft  zieht  und  zu  gleichartiger  Erregung 
bringt.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

379.  lieber  Urinbefunde  nach  Nierenpalpation. 
Von  Dr.  Menge  (Leipzig).  Nachdem  Menge  erst  zufällig  nach  einer 
in  gewöhnlicher  Weise  ausgeführten  Nierenpalpation  ein  vorüber¬ 
gehendes  Auftreten  von  Eiweiss  im  Urin  bemerkt  hatte,  wurde  der 
Sache  mehr  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Die  weitere  Beobachtung 
von  21  Fällen  von  Tiefstand  der  Nieren^  ergab,  dass  in  14  der¬ 
selben  der  vor  der  Palpation  eiweissfreie  Urin  nach  der  Unter¬ 
suchung  in  wechselnder  Menge  eiweisshaltig  geworden  war.  Es  war 
ferner  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen,  dass  der  bimanuelle 
Druck  zunächst  nur  ein  Durchtreten  von  Blutserum  durch  die 
Capillaren  in  Folge  plötzlich  geänderter  Circulationsverhältnisse  zur 
Folge  hat  und  hiedurch  der  Eiweissgehalt  bedingt  sei,  dass  es 
sich  hier  also  um  eine  renale  Hämaturie  mit  Albuminuria  spuria 
handle.  Da  aber  die  Eiweissmenge'  grösser  war,  als  sie  den  Blut¬ 
beimengungen  entsprach,  dürfte  die  Albuminurie  gelegentlich  auch 
eine  reine  sein.  Aus  den  weiteren  bemerkenswerthen  Befunden  sei 
hervorgehoben,  dass  das  Auftreten  von  Eiweiss  besonders  von  det 
Stärke  und  Dauer  des  Palpationsdruckes  und  dem  Grade  der 
Nephroptose  abhängig  war.  Auf  Grund  dieses  Befundes  scheinen 


916 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


zwei  bei  Nephroptose  angewendete  therapeutische  Verfahren:  die  : 
Massage  der  Nierengegend  und  die  Anwendung  von  Bandagen  mit 
besonderen  Nierenpelotten  nicht  unbedenklich  zu  sein.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  28.)  Pi. 

* 

380.  Hereditäre  Syphilis  der  zweiten  Genera¬ 
tion.  Fournier  berichtet  in  der  Academic  de  Medecine  zu  Paris 
im  Namen  von  Lemonnier  über  zwei  Beobachtungen.  1.  lieber 
ein  achtjähriges  Mädchen,  ausgesprochen  heredo-syphilitisch,  welches 
ausserdem  an  Diabetes  litt  und  von  demselben  durch  die  specifische 
Behandlung  geheilt  wurde,  woraus  Fournier  auf  einen  Zusammen- 
hang  der  beiden  Krankheiten  schliesst.  Die  zweite  Beobachtung  be¬ 
trifft  ein  authentisches  Beispiel  von  Ilcredo-Syphilis  in  der  zweiten 
Generation.  Von  zwei  Brüdern,  27  und  24  Jahre  alt,  leidet  der 
ältere  an  einem  intranasalen  Geschwüre  und  an  Sarkocele,  der 
jüngere  an  vielfachen  Geschwüren  beider  unteren  Gliedmassen.  Die 
Richtigkeit  der  Diagnose  unterliegt  keinem  Zweifel  und  wurde  durch 
das  günstige  Resultat  der  Behandlung  bestätigt.  Da  beide  Brüder 
getrennt  lebten  und  eine  persönliche  Ansteckung  absolut  aus¬ 
geschlossen  war,  so  vermuthete  Lemonnier  eine  specifische 
Heredität  und  erfuhr,  dass  der  Vater  und  der  Grossvater  der  beiden 
Brüder  an  derselben  Krankheit  litten  und  fand  bei  dem  Vater  die 
Stigmata  von  Ileredo-Syphilis  (kleine  Gestalt,  krumme  Beine,  De¬ 
formität  des  Schädels,  zahlreiche  Hautnarben  u.  s.  w.).  Die  Mutter 
der  beiden  Brüder  ist  stets  gesund  gewesen.  —  (La  Semaine 

Medicale.  15.  August  1900,  Nr.  34.)  Sp. 

* 

381.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  Bonn.)  Zwei  Fälle 
von  Kleinhirntumoren.  Von  Prof.  Schede.  Bekanntlich 
führen  die  Kleinhirntumoren  erst,  nachdem  sie  eine  gewisse  Grösse 
erreicht  haben,  zu  Symptomen,  als  Kopfschmerz,  Hirndruck  und 
Stauungserscheinungen;  wichtig  ist  besonders  die  Erscheinung  der 
cerebellaren  Ataxie,  des  Schwindels.  Ein  zuverlässiges  Merkmal 
dafür,  welcher  Kleinhirnseite  der  Tumor  angehört,  gibt  es  nicht. 
Man  nimmt  an,  dass  der  Tumor  gewöhnlich  auf  jener  Seite  sich 
befinde,  welcher  jener  entgegengesetzt  ist,  nach  welcher  der  Kranke 
schwankt.  In  den  beiden  von  Schede  veröffentlichten  Fällen 
(Gliom)  hatte  dieses  Symptom  vollständig  im  Stich  gelassen. 
Schede  hat  beide  Male  am  steil  sitzenden,  stark  vorne  über¬ 
gebeugten  Patienten  operirt,  weil  dadurch  sehr  viel  Blut  gespart 
wird.  Der  Schnitt  wurde  vom  hinteren  Rande  des  einen  Proc.  mast, 
bogenförmig  über  die  Spina  occipitalis  zum  anderen  Warzenfortsatz 
geführt,  die  ganzen  Weichtheile  wurden  bis  zum  Hinterhauptsloch 
abpräparirt  und  der  Knochen  sammt  der  Crista  occipitalis  ent¬ 
fernt.  Von  den  elf  bisher  wegen  Kleinhirntumoren  operirten  Pa¬ 
tienten  sind  fünf  sofort  gestorben,  zwei  haben  die  Operation  über¬ 
standen,  ohne  irgend  eine  Besserung  erfahren  zu  haben,  einer 
starb  an  Recidiv,  drei  sind  wirklich  geheilt.  (Deutsche  medicinische 

Wochenschrift.  1900,  Nr.  30.)  Pi. 

* 

382.  Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  des  königlichen 
Charite  (Prof.  Jolly).  U  e  b  e  r  Gehirn  a  bscesse.  Von  Dr.  A. 
Westphal.  Westphal  theilt  zwei  Fälle  von  metastatischem,  einen 
Fall  von  traumatischem  Hirnabscess  mit,  die  er  klinisch  und  ana¬ 
tomisch  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte.  Die  von  Westphal 
beschriebenen  Abscesse  lassen  sämmtlich  Einkapselung  erkennen, 
und  zwar  ist  in  zweien  chronisch  verlaufenen  Fällen  eine  derbe 
Kapsel  verbanden  gewesen,  in  einem  Falle,  in  welchem  der  Exitus 
schon  17  Tage  nach  dem  Auftreten  der  ersten  Gehirnerscheinungen 
erfolgte,  fand  sich  eine  ganz  zarte  membranöse  Begrenzung  der 
Eiterhöhle,  nach  innen  gebildet  von  einer  Schichte  Gliagewebes,  nach 
aussen  von  einer  bindegewebigen  Zone.  In  einem  Falle  fanden  sich 
bindegewebige  Züge,  die  von  der  verdickten  Pia  aus  mit  den  Ge¬ 
lassen  auf  die  Abscesshöhlc  zogen  und  deren  Wandung  bildeten. 
Es  ist  mithin  wahrscheinlich,  dass  die  Kapsel  wesentlich  von  Binde¬ 
gewebe  gebildet  wird,  das  von  der  Pia  aus  mit  den  Gefässen  zur 
Abscesshöhle  gelangt.  Tn  jedem  Falle  fanden  sich  verschiedenartige  grosse 
Zellen,  die  den  einzelnen  Fällen  'durch  den  Wechsel  ihrer  Form  und 
die  Zahl  ihres  Auftretens  ein  besonderes  Gepräge  verleihen  (epi- 
Iheloide  Zellen),  ausserdem  Sehwellungszuslände  der  Gliazellen,  da¬ 
zwischen  mancherlei  Uebergangsformen,  so  dass  die  Entstehung 
wenigstens  eines  Theiles  der  epitheloiden  Zellen  aus  den  Neuroglia- 
zellen  wahrscheinlich  ist,  ferner  auf  weite  Strecken  Rundzellen  ver¬ 


schiedener  Grösse,  in  allen  diesen  Zellen  feinere  und  gröbere,  dem 
zerfallenen  Nervenmark  der  Umgebung  entstammende  Bestandteile, 
endlich  eigentliche  »Körnchenzellen«.  Ausser  den  Veränderungen  an 
den  zelligen  Elementen  sind  verschiedenartige  Gewebsdegeneralionen 
in  der  weiteren  Umgebung  des  Abscesses  nachweisbar.  Schlüsse  äuf 
die  Entstehung  der  Gehirnabscesse  glaubt  Westphal  aus  seinen 
Befunden  nicht  ziehen  zu  können.  —  (Archiv  für  Psychiatrie. 

Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

383.  Am  mittelfränkischen  Aerztetage  (Fürth,  30.  Juni  1900) 
berichtete  Dr.  v.  R  a  d  (Nürnberg)  über  z  w  e  i  F  ä  1 1  e  von  Tabes 
bei  Kindern.  In  dem  einen  Falle  handelt  es  sich  um  ein  elf¬ 
jähriges  Mädchen,  dessen  Vater  luetisch  gewesen  und  das  selber, 
die  Zeichen  hereditärer  Lues  bietend,  die  classischen  Erscheinungen 
der  Tabes  zeigte.  Der  andere  Fall  betraf  einen  neunjährigen  Knaben, 
dessen  Mutter  an  Gehirnlues  litt.  An  zwei  Strcptococcen- 
empyemfällen  bespricht  Dr.  L  e  n  h  a  r  t  z  die  überaus  günstige 
Wirkung  der  Behandlung  mit  dem  Perthes’schen  Apparat, 
der  eine  Vervollkommnung  der  Bülau’schen  Heberdrainage  dar¬ 
stellt.  Die  besten  Erfolge  sah  Lenhartz,  wenn  der  Apparat 
gleich  am  Tage  nach  der  Operation  angelegt  worden  war.  In  dem 
einen  Falle  war  nach  26  Tagen  noch  keine  Verkleinerung  der 
Höhle  zu  constatiren  gewesen;  es  trat  jedo'ch  vollständige  .Heilung 
nach  21  Tagen  ein,  nachdem  der  genannte  Apparat  angelegt  worden 
war.  Im  anderen  Falle  war  die  Heilung  bei  vollständigem  Verschluss 
der  Fistel  schon  am  18.  Tage  erzielt  worden.  Der  Apparat  bleibt 
zwei  bis  drei  Wochen  ohne  Verbandwechsel  liegen.  Statt  Abschluss 
der  Fistel  mit  Gummikappe  empfiehlt  Lenhartz  den  einfacheren 

mit  Jodoformgaze  und  Collodium.  Pi. 

* 

384.  Ueber  Läsionen  der  Ganglien  bei  der 

Hundswut h.  Von  van  Gebuchten.  Bei  den  m  Folge  des 
natürlichen  Ablaufes  der  Wuthkrankheit  verendeten  Hunden 
finden  sich  in  den  Ganglien  des  Gehirns  und  Rückenmarks  be¬ 
stimmte  Läsionen,  aus  welchen  man  die  Diagnose  post  mortem 
machen  kann.  Unsere  Methode  bezieht  sich  jedoch  nicht  auf 
Hunde,  welche  der  Wuth  blos  verdächtig  gewesen  sind.  Neben 
der  natürlichen  Wuthkrankheit  gibt  es  auch  eine  experimentelle, 
in  Folge  der  Inoculation  fixen  oder  Strassengiftes.  Die  Läsionen 
der  Ganglien  fehlen  immer  nach  Inoculation  fixen  Giftes.  Hingegen 
sind  die  Resultate  nach  Einimpfung  von  Strassengift  verschieden; 
zuweilen  ebenso  heftig  wie  bei  der  natürlichen  Wuth,  zuweilen 
weniger  tief,  zuweilen  gänzlich  fehlend.  Diese  Unterschiede  lassen 
sich  nur  durch  eine  verschiedene  Virulenz  des  Giftes,  andererseits 
durch  die  Entwicklung  der  Krankheit  selbst  erklären.  Die  durch 
das  fixe  Virus  erzeugte  Wuth  hat  gewissermassen  eine  foudroy- 
ante  Wirkung;  das  Thier  stirbt  zwischen  12  und  36  Stunden, 
während  bei  Strassengift  der  Verlauf  viel  langsamer  ist.  —  (Jour¬ 
nal  Medical  de  Bruxelles.  2.  August  1900,  Nr.  31.)  Sp. 

* 

385.  Ueber  49  Fälle  von  Pubertätsirresein 

Von  Dr.  Elmiger,  zweiter  Arzt,  St.  Urban,  Kanton  Luzern.  Nach 
den  Untersuchungen  Elmiger’s  befällt  das  Pubertätsirresein  vor¬ 
wiegend  das  weibliche  Geschlecht  und  nimmt  meistens  einen  un¬ 
günstigen  Ausgang.  Im  Falle  der  Heilung  der  ersten  Erkrankung 
sind  Recidiven  wahrscheinlich.  Die  in'  der  Pubertät  auftretenden 
Melancholien  und  Manien  sind  häufig  die  erste  Phase  einer  peri¬ 
odischen  oder  circulären  Psychose.  - —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie. 
Bd.  LVII,  Heft  4.)  ‘  S. 

* 

386.  Perniciöse  Anämie  mitAntistreptococcen- 

Serum  behandelt.  Von  W.  Eider.  Gemäss  der  Anschauung, 
dass  die  perniciöse  Anämie  durch  unausgesetztes  Verschlucken 
von  im  Bereiche  der  Mundhöhle  vorhandenen  Eitercoccen  hervor¬ 
gerufen  werden  soll,  die  eine  Infection  der  Schleimhaut  des  Ver- 
dauungstractes  hervorrufen,  hat  Eider  einen  derartigen  Fall  mit 
Injectionen  von  Antistreptococcen-Serum  behandelt.  Der  Effect  war 
anscheinend  ein  sehr  guter:  nach  18  Injectionen  und  Anwendung  von 
Darmdesinfectionsmitteln  sowie  Reinhaltung  des  Mundes  war  nach 
etwas  mehr  als  einem  Monat  die  Zahl  der  rothen  Blutkörperchen 
von  circa  800.000  auf  4 \/.2  Millionen,  der  Hämoglobingehalt  von 
24  auf  88%  gestiegen.  (Lancet.  28.  April  1900.)  Pi. 

* 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


917 


387.  Zur  Wirkung  der  Organe  auf  einige  Gifte. 
Von  Thoinot  und  Brouardel.  Die  hemmende  Wirkung  der 
Leber  und  der  Lunge  auf  gewisse  Gifte  ist  seit  den  Arbeiten  von 
Roget  wohlbekannt.  Ebenso  jene  des  Gehirns  und  anderer  Organe 
auf  dieselben.  Die  Methode  der  Verfasser  besteht  in  der  Extraction 
des  Organs  eines  eben  getödteten  Thieres,  in  der  Verreibung  einer 
stets  gleichen  Quantität  dieses  Organs  und  Vermischung  mit'  einer 
stets  gleichen  Lösung  des  Giftes,  ferner  in  der  Filtrirung  der 
Mischung  durch  eine  sterilisirte  Compresse,  worauf  man  diese 
Meerschweinchen  einspritzt,  während  anderen  Meerschweinchen  die 
Giftlösung  allein  injicirt  wird.  Die  Giftdosis  ist  auf  100  g  des 
Thieres  berechnet.  Versucht  wurden  Strychnin,  Morphin,  Atropin, 
arsenige  Säure.  Diese  Versuche  beweisen,  dass  verschiedene  Organe 
gegenüber  verschiedenen  Giften  eine  hemmende  oder  erregende 
oder  gar  keine  Wirkung  ausüben  können.  Leber  und  Niere  neutra¬ 
leren  alle  angewendeten  Gifte  constant,  besonders  das  Strychnin. 
Das  Muskelgewebe  neutralisirt  sehr  stark  das  Strychnin,  weniger 
Morphin  und  Atropin,  steigert  jedoch  die  Giftigkeit  des  Arseniks. 
Die  Lunge  hemmt  besonders  das  Atropin,  schwächer  Strychnin 
und  Morphin,  ohne  Wirkung  auf  Arsenik.  Das  Gehirn  neutralisirt 
Strychnin  und  Morphin,  steigert  beträchtlich  die  Wirkung  des 
Arseniks;  auf  Atropin  ohne  Wirkung.  — -  (La  Medicine  Moderne. 

1.  August  1900,  Nr.  52.)  Sp. 

* 

388.  Ein  Fall  von  Erstickung  in  Folge  vonVer- 
schlucken  eines  Schnullers.  Von  L  o  r  e  n  t  z.  Der  Fremd¬ 
körper,  welcher  unterhalb  der  Epiglottis  sass,  bestand  aus  dem 
Kork  einer  Bierflasche,  über  den  ein  gewöhnliches  Gummisaug¬ 
hütchen  befestigt  war.  Obwohl  die  Extraction  leicht  gelang,  konnte 
das  Kind,  da  zu  viel  Zeit  verflossen  war,  nicht  mehr  gerettet 
werden.  —  (Petersburger  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  29.) 

Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Der  mit  dem  Titel  und  Charakter  eines  Ober¬ 
bezirksarztes  bekleidete  Bezirksarzt  in  Scheibbs  Dr.  Josef  N  owak 
zum  Director  des  Kaiserin  Elisabeth-Spitales  in  Wien.  —  Prof.  Rosen¬ 
bach  in  Göttingen  zum  Geheimen  Medicinalrath.  —  Dr.  O.  W  anscher 

in  Kopenhagen  zum  a.  o.  Professor  der  Chirurgie. 

* 

Verliehen:  Den  städtischen  Aerzten  erster  Classe  in  Wien 
der  Titel  von  städtischen  Oberärzten.  —  Dem  Regimentsarzte  Dr.  Franz 
Heiek  in  Agram  das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef-Ordens,  sowie  der 
Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit.  —  Den  Privatdocenten 
Dr.  B  e  n  e  k  e  und  Dr.  Aschoff  in  Göttingen  das  Prädicat  Professor. 

* 

Gestorben  :  Regierungsrath  Dr.  Karl  Denar  ovski, 
Landes-Sanitätsreferent  in  Czernowitz.  —  Der  Professor  der  Ohren¬ 
heilkunde  in  Strassburg  Dr.  A.  Kuhn. 

¥T 

Das  k.  k.  Ministerium  für  Cultus  und  Unterricht  hat  mit  dem 
Erlasse  vom  19.  Juli  1900,  Z.  17890,  genehmigt,  dass  die  Privat- 
docanten  Dr.  Karl  Fieber,  Dr.  Karl  Kunn,  Prof.  Dr.  Emil 
Redlich,  Dr.  Hermann  Schlesinger,  Dr.  Emil  Schwarz, 
Dr.  Gustav  Singer  und  Dr.  Ladislaus  v.  Vajda  Vorlesungen 
und  Curse  am  Kaiser  Franz  Josef- Ambulatorium  in  Wien  abhalten. 

* 

Dr.  Albrecht  Bar  sis  bat  Wien  nach  zehnjähriger  ärztlicher 
Thätigkeit  aus  Gesundheitsrücksichten  verlassen  und  im  Wintercurorte 
Meran  ein  Institut  für  Heilgymnastik,  Massage  und  Orthopädie 
errichtet,  in  welchem  auch  die  Uebungsbehandlung  der  Tabes  nach 
Frenkel-Leyden  mit  besonderer  Sorgfalt  gepflegt  wird. 

* 

Der  „Atlas  der  topographischen  Anatomie  des 
Menschen“,  herausgegeben  bei  G.  F  i-s  c  h  e  r  in  Jena  von  v.  B  a  r  d  e- 
leben,  Haeckel  und  Frohse,  ist  in  zweiter  Auflage  erschienen. 
Gegenüber  der  ersten  Auflage  ist,  abgesehen  von  der  \  ergrösserung 
des  Formates,  eine  Vermehrung  der  Abbildungen  um  42  ganz  neue, 
sowie  ein  Ersatz  von  55  alten  Abbildungen  durch  neue  zu  erwähnen. 
Eine  besonders  grosse  Anzahl  dieser  Abbildungen  wurden  mit  Rück¬ 
sicht  auf  jene  Körpergegenden  eingereiht,  deren  pathologische  Zustände 
jetzt  dem  Grenzgebiete  der  internen  Medicin  und  Chirurgie  zugezählt 
werden  und  deren  topographische  Anatomie  daher  auch  für  jeden 
Praktiker  das  grösste  Interesse  bietet. 

♦ 


Wie  die  „Wiener  Zeitung“  mittheilt,  gelangt  mit  1.  October  eine 
mit  Allerhöchster  Genehmigung  neu  begründete  militär  ärztliche 
Applicationsschule  zur  Aufstellung,  welche  in  erster  Linie 
den  Zweck  hat,  den  Aspiranten  des  militärärztlichen  Officierscorps  die 
für  ihre  besondere  Berufsthätigkeit  im  Frieden  und  im  Kriege  er¬ 
forderliche  theoretische  und  praktische  Ausbildung  zu  geben  und 
deren  an  der  Universität  erworbenen  sachlichen  Kenntnisse  zu  er¬ 
weitern.  Auch  sollen  an  dieser  aus  einem  einjährigen  Curse  bestehenden, 
mit  dem  Garnisonsspitale  Nr.  1  örtlich  vereinten  Schule  jüngere  active 
Militärärzte  theilnehmen.  Alle  Aspiranten  für  den  Berufsstand  des 
militärärztlichen  Officierscorps  sind  ordentliche  Hörer  der  Applications¬ 
schule,  an  welcher  sie  auch  nach  Ernennung  zu  Berufs-Oberärzten 
(im  Stande  des  Garnisonsspitales  Nr.  1)  belassen  werden,  bis  sie  den 
ganzen  Curs  frequentirt  haben.  Alle  Bewerber  für  den  militärärztlichen 
Berufsstand  werden  als  ordentliche  Hörer  aufgenommen,  wenn  die 
Bewilligung  des  Reichs -Kriegsministeriums  erfolgt.  Als  ausserordentliche 
Hörer  können  solche  Berufs-Oberärzte  und  rangsjüngere  Regiments¬ 
ärzte  bestimmt  werden,  welche  die  Schule  noch  nicht  absolvirt  haben 
oder  eine  Vervollständigung  ihrer  fachtechnischen  Kenntnisse  anstreben. 
Zum  Commandanten  dieser  militärärztlichen  Applicationsschule  wurde 

Oberstabsarzt  Dr.  Florian  Kratschmer  ernannt. 

* 

A  u  8  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er- 
w  e  i  t  e  r  t  e  n  G  e'm  e  i  n  d  e  gebiete.  37.  Jahreswoche  (vom  9.  September 
bis  15.  September  1900). Lebend  geboren:  ehelich  471,  unehelich  236,  zusammen 
707.  Todt  geboren:  ehelich  31,  unehelich  26,  zusammen  57.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  527  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
16-5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  89,  Blattern  0,  Masern  2, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  2,  Typhus .  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  2,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  36.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
5  (_  4)t  Masern  47  (—  10),  Scharlach  42  (-j-  12),  Typbus  abdominalis 

17  (-f-  10),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  16  ( —  2),  Croup  und 
Diphtherie  45  (+8),.  Pertussis  22  ( —  1),  Dysenterie  0  ( —  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  1  ( —  2),  Trachom  2  ( —  1),  Influenza  0  (=)• 


Von  der  Bibliothek. 


Nachstehende  Werke  wurden  seit  21.  Juni  1900  (siehe 
Nr.  25, 1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

ISTr.  2. 


Geschenke  : 


Adler  H.  und  A.  Kronfeld,  Medicinische  Chronik  des  XIX.  Jahrhunderts. 
Wien  1900.  8°.  Von  den  Autoren. 

Buxbaum  B.,  Lehrbuch  der  Hydrotherapie.  Leipzig  1900.  8°.  Vom 

Autor. 

Cinquantenaire  de  la  Societe  de  Biologie.  Volume  Jubilaire  publie  parla 
Societe.  Paris  1899.  8°.  Von  der  k.  und  k.  Botschaft  in  Paris. 
Duhamel  Josef,  Ueber  die  Erweiterung  der  Flexura  sigmoidea  coli, 
insbesondere  die  angeborene  Erweiterung.  Inaugural-Dissertation 
Strassburg  1899.  8°.  Vom  Autor. 

Fellner  Leopold,  Franzensbad  und  seine  Heilmittel  Zweite  Auflage.  Wien 
und  Leipzig  1900.  8°.  Vom  Airtor. 

Finkei  L.  und  St.  Starzynski,  Historya  Universytetu  Lwowskiego.  Lwow 

1894.  8°.  Von  Herrn  Hofrath  Prof.  Chrobak. 

Graetz  L-,  Die  Elektricität  und  ihre  Anwendungen.  Fünfte  Auflage.  Stuttgart 

1895.  8°.  Von  Herrn  Dr.  Max  Weiss. 

Jolles  Adolf,  Ueber  die  Reaction  des  Bilirubins  mit  Jod  und  Chloroform. 

Separatabdruck.  Leipzig  1899.  8°.  Vom  Autor. 

Jolles  Adolf,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Purinbasen.  Separatabdruck. 
Leipzig  1900.  8n.  Vom  Autor. 

Läufer  Heinrich,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  tibetischen  Medicin.  Berlin 
1900.  8°.  Vom  Autor. 

Monografia  intorno  alia  fondazione  e  allo  sviluppo  del  pio  istituto  di 
nnituo  soccorso  fra  i  medici  e  i  chirurghi  della  citta  e  provincia  di 
Bologna.  Bologna  1900.  4°.  Von  Herrn  Dr.  Galatti. 

Montandon  G.,  Contributo  all’  istologia  della  glandola  tiroide  nei  vertebrati. 

Napoli.  1891.  8°.  Separatabdruck.  Vom  Autor. 

Neuburger  Max,  Die  Anschauungen  über  den  Mechanismus  der  specitiselien 
Ernährung.  Leipzig  und  Wien  1900.  8n.  Vom  Autor. 

Paris-Medical  assistance  et  enseignement.  (XIII.  Congres  international  de 
Medecine.)  Paris  1900.  8°.  Von  Herrn  Prof.  Lang. 

Stations  Hydro-Mineraies  Climateriques  et  Maritimes  de  la  France. 
(XIII.  Congres  international  de  Medecine.  Paris  1900.)  Paris  1900. 
8°.  Von  Herrn  Prof.  Lang. 

Pontoni  Luifli,  Considerazioni  del  circa  le  tre  proposte  della  giunta  pro¬ 
vincial  di  Gorizia  sulla  questione  del  Manicomio  Gorizia.  1900.  8". 
Von  St-.  Excellenz  Dr.  v.  Scherze  r. 

Contributions  from  the  William  Pepper  Laboratory  of  Clinical 
Medicine.  (University  of  Pennsylvania.)  Philadelphia  1900.  4".  Von 
der  University  of  Pennsylvania. 

Die  Gemeindeverwaltung  der  Stadt  Wien  im  Jahre  1897.  Bericht  des 
Bürgermeisters  Dr.  Karl  Lueger.  Wien  1900.  8".  Vom  Bürger¬ 
meister  Dr.  K  a  r  1  L  u  e  g  e  r. 


918 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


Norges  officielle  Statistik,  Tredie  Raekke  Nr.  331.  Oversigt  over 
Sindssygeasylernes  Virksomhed  i  aaret  1898.  Kristiania  1900.  8°.  Vom 
Medicinaldirector. 

Sbornik  Klinicky,  öasopis  pro  pöstovani  v£dy  lekarske.  V  Praze  1900. 
Vol.  I.  Von  Herrn  Prof.  May  dl. 

Bericht  des  niederösterreichischen  Landesausschusses  über  seine  Amts- 
wirksamkeit  vom  Juli  1898  bis  30.  Juni  1899.  VI.  Gesundheitswesen, 
Landes- Wohlthätigkeitsanstalten  etc.  Wien  1899.  8n.  Vom  nieder- 
österreichischen  Landesausschusse. 

General-Bericht,  Einundzwanzigster,  der  österreichischen  Gesellschaft  vom 
Rothen  Kreuze.  Wien  1900.  8".  Von  der  Gesellschaft  vom  Rothen 
Kreuze. 

Bullettino  della  Reale  accademia  Medica  di  Roma.  Anno  XXV.  Roma 
1899.  8n.  Von  der  Accademia  Medica  di  Roma. 

Geneeskundig  Tijdschrift  voor  Nederländsch-Jndie.  Deel  XXXIX.  Batavia 
1899.  8n.  Von  Sr.  Excellent  Dr.  v.  Scherze  r. 

Mittheilungen  aus  der  me dicinischen  Facultät  der  kaiserlich  japanischen 
Universität  zu  Tokio.  IV.  1899.  Tokio  1899.  Von  der  medicinischen 
Facultät  zu  Tokio. 

Sanitäts-Bericht  des  österreichischen  Küstenlandes  für  die  Jahre  1895 
bis  1897.  Triest  1899.  4n.  Vom  k.  k.  Landes-Sanitätsrathe  in 
Triest. 

* 

An  gekauft: 

Preyer  W  ,  Die  Seele  des  Kindes.  Fünfte  Auflage.  Leipzig  1900.  8°. 

Encyklopädie  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  Leipzig  1900.  8". 

Hertwig  Oskar,  Lehrbuch  der  Entwicklungsgeschichte  des  Menschen  und 
der  Wirbelthiere.  Sechste  Auflage.  Jena  1898.  8°. 

Vogl  A.  E.  V.,  Bematzik  -  Vogl,  Lehrbuch  der  Arzneimittellehre.  Dritte, 
neu  bearbeitete  Auflage.  Berlin  und  Wien  1900.  8°. 

Vierordt  H..  A  natomische,  physiologische  und  physikalische  Daten  und 
Tabellen.  Zweite  vollständig  umgearbeitete  Auflage.  Jena  1893.  8'*. 

Robert  R.,  Lehrbuch  der  Intoxicationen.  Stuttgart  1893.  8°. 

The  American  Journal  of  Physiology.  Edited  from  the  American  Physiological 
Society.  Boston  1900  flr.  8". 

Würzburger  Abhandlungen  aus  dem  Gesammtgebiete  der  praktischen 
Medicin.  Herausgegeben  von  Dr.  J  oh.  Müller  und  Prof.  Dr.  O. 
Seifert.  Würzburg  1900  ff. 

Biographisches  Lexikon  hervorragender  Aerzte  des  neunzehnten  Jahr¬ 
hunderts.  Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  J.  Page  1.  Berlin  und 
Wien  1900.  8". 

* 

Neue  Tau  sch  exemplars: 

Revue  de  Medec’me.  Redact.  L.  Landouzy  et  R.  Le  pin.  Paris  1900  ff. 

Revue  de  Chirurgie.  Redact.  M.  F.  Perrier.  Paris  1900  ff. 

University  Medical  Magazine.  Published  under  the  auspices  of  the 
University  of  Pennsylvania.  Edit.  Ch.  H.  Frazier,  M.  D  Phila¬ 
delphia  1900  ff. 

Zeitschrift  für  praktische  Aerzte.  Redaction:  Dr.  Honigmann. 

München  1900  ff. 

Wien,  im  October  1900.  Unger. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Penzoldt,  Lehrbuch  der  klinischen  Arzneibehandlung.  5.  Auflage.  Fischer, 
Jena,  Preis  M.  7.50. 

Sclieube,  Die  Krankheiten  der  warmen  Länder,  2.  Auflage.  Ibidem. 
661  S. 

Marc,  Wildungen  und  seine  Quellen.  Pusch,  Wildungen.  Preis  M.  0'50. 
Staerkle,  Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  Netzhautablösung.  Inaugural-Disser¬ 
tation.  Riehm,  Basel. 

Monti.  Keuchhusten,  Influenza,  Mumps,  typhöse  Erkrankungen.  (Kinderheil¬ 
kunde  in  Einzeldarstellungen.)  Urban  &  Schwarzenberg,  Wien 
Preis  M.  2.50. 

Schneidemtilll,  Die  animalischen  Nahrungsmittel.  1.  und  2.  Abtheilung. 
Ibidem.  Preis  ä  M.  4-80. 

\  ogl,  Bernatzik-V  ogl’s  Lehrbuch  der  Arzneimittellehre.  2  und 
3.  Abtheilung.  Ibidem.  Preis  ä  M.  7. — . 

Kahane,  Die  Chlorose.  Ibidem.  168  S. 

Altiliann,  Aerztliche  Ehrengerichte  in  Preussen.  Müller,  Berlin.  Preis 
M.  2.40. 

Altschul,  Hypnotismus  und  Suggestion,  llaerpfer,  Prag.  70  S. 

(’olinheiin.  Chemie  der  Eiweisskörper.  Vieweg,  Braunschweig.  Preis 

Schwalbe,  Untersuchungen  zur  Blutgerinnung.  Ibidem.  Preis  M.  2‘50. 
Zuckcrkaildl,  Atlas  der  topographischen  Anatomie  des  Menschen,  lieft  2. 

Brust.  Braumüller,  Wien. 

Frisch.  Les  maladies  de  la  prostate.  Miot,  Liege. 

Bardeleben  und  Haeckel,  Atlas  der  topographischen  Anatomie  des 
Menschen.  2.  Auflage.  Fischer,  Jena  1901. 

Bing,  Die  Prophylaxe  in  der  Ohrenheilkunde.  Seitz  &  Schauer,  München. 
Preis  M.  1.—. 

Flatau,  Die  Prophylaxe  bei  Hals-  und  Nasenkrankheiten.  Ibidem.  Preis 
M.  1.50. 

Windscheid,  Die  Prophylaxe  in  der  Nervenheilkunde  Ibidem.  Preis 
M.  1.50. 

Danziger,  Die  Entstehung  und  Ursache  der  Taubstummheit.  Alf,  Frankfurt. 
Preis  M.  4. — . 

Frankl,  Beiträge  zur  Lehre  vom  Descensus  testiculorum.  (Akademie  der 
Wissenschaften.)  Gerold,  Wien. 


Dtims,  Handbuch  der  Militärkrankheiten.  Bd.  III.  Georgi,  Leipzig.  Preis 
M.  12-50. 

Räuber.  Der  Ueberschuss  an  Knabengeburten  und  seine  biologische  Be¬ 
deutung.  Ibidem.  M.  5. — . 

Kl’önig  und  Bluinberg.  Beiträge  zur  Händedesinfection.  Ibidem.  Preis 
M.  — -80. 

Kayser.  Anleitung  zur  Diagnose  und  Therapie  der  Kehlkopf-,  Nasen-  und 
Ohrenkrankheiten.  Karger,  Berlin  1901.  Preis  M.  4.  — . 

Seitz.  Kurzgefasstes  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde.  2.  Auflage.  Ibidem. 
Preis  M.  10.80. 


Freie  Mellen*. 

Sali  nenarztes  stelle.  Bei  der  k.  k.  Salinenverwaltung  in 
Hallein  gelangt  die  Stelle  eines  Salinenarztes  zweiter  Kategorie  mit  dem 
Dienstorte  Diirrnberg  zur  Besetzung.  Mit  dieser  Stelle  ist  die  Verpflichtung 
zur  Ausübung  des  ärztlichen  Dienstes  in  dem  die  Ortschaften  Dürrnberg, 
Fischpointleiten,  Kranzbichl,  Plaik,  Winterstall,  Au  (Ober-  und  Unterau), 
Scheffau,  Schellenberg  und  Resten  umfassenden  Cui  bezirke  der  k.  k.  Salinen¬ 
verwaltung  in  Hallein  unter  Beobachtung  der  hiefür  vom  k.  k.  Finanz¬ 
ministerium  erlassenen  Instructionen  verbunden.  Diese  Instruction,  sowie  die 
sonstigen  Bestimmungen  über  die  Ausübung  des  ärztlichen  Dienstes  bei  den 
k.  k.  Salinenverwaltungen  können  bei  diesen  letzteren,  sowie  auch  bei  dem 

k.  k.  Finanzministerium  in  Wien  eingesehen  werden.  Mit  der  Stelle  eines 
Salinenarztes  zweiter  Kategorie  ist  der  Anspruch  auf  ein  Jahreshonorar  im 
Ausmasse  des  Gehaltes  eines  Civilstaatsbeamten  der  X.  Rangsclasse,  das  ist 
im  Betrage  von  2200  K,  einschliesslich  der  Quadriennien  und  Dienstalter s- 
Personalzulagen,  jedoch  ohne  die  den  Civilstaatsbeamten  zustehende  Activi- 
tätszulage,  verbunden.  Ausser  dem  vorbezeichneten  Honorar  bezieht  der 
Salinenarzt  zweiter  Kategorie  bei  der  k.  k.  Salinenverwaltung  in  Hallein 
noch  ein  Fuhren- (Fahrgeld-)Pauschale  jährlicher  700  K  ab  aerario,  dann 
Brennmaterial  um  ermässigten  Preis  und  ein  Salzdeputat  nach  den  für  die 
Salinenbeamten  der  entsprechenden  Rangsclasse  geltenden  Bestimmungen. 
Hinsichtlich  der  Versorgungsgenüsse  weiden  die  Salinenärzte  und  deren 
Familien  nach  dem  Gesetze  vom  14.  Mai  1896,  R.  G.  Bl.  Nr.  74,  gleich 
den  Civilstaatsbeamten  auf  Grund  ihrer  staatlichen  Bezüge,  bezie¬ 
hungsweise  der  gesetzlich  rormirten  Ausmasse  gegen  die  Verpflichtung 
zur  Zahlung  des  im  §  15  dieses  Gesetzes  normirten  Jahresbeitrages  von 
3°/„  des  jährlichen  Honorars  behandelt.  Für  den  Fall,  als  das  Vertrags- 
verhältniss  ohne  Verschulden  des  Salinenarztes  von  Seite  des  Staates  gelöst 
werden  und  dem  Arzte  ein  Anspruch  auf  eine  Ruhegebühr  noch  nicht  zu¬ 
kommen  sollte,  wird  ihm  die  Zurückstellung  der  eingezahlten  3"/0igen  Jahres¬ 
beiträge  ohne  Ersatz  der  Zinsen  zugesichert.  Das  Vertragsverhältniss,  auf 
welchem  die  Bestellung  eines  Salinenarztes  durch  den  Staat  erfolgt,  ist  von 
beiden  Theilen  mit  dreimonatlicher  Fiist  kündbar.  Das  Finanzministerium 
behält  sich  jedoch  das  Recht  vor,  falls  der  Salinenarzt  sich  eines  der  im 
§  41  der  Instruction  angeführten  Delicte  schuldig  macht,  sofort  denselben 
des  Dienstes  zu  entheben  und  dessen  Bezüge  einzustellen.  Bewerber 
um  die  ausgeschriebene  Stelle,  welche  Doctoren  der  Medicin,  Chirurgie  und  Ge¬ 
burtshilfe,  beziehungsweise  Doctoren  der  gesammten  Heilkunde  sein  müssen, 
haben  ihre  vorschriftsmässig  gestempelten  und  belegten  Gesuche  bis  läng¬ 
stens  14.  October  1900  bei  der  gefertigten  k.  k.  Salinenverwaltung  zu 
überreichen.  Diesen  Gesuchen  muss  insbesondere  angeschlossen  sein: 

l.  die  Altersnach Weisung;  2.  der  Nachweis  über  den  erlangten  Doctorgrad; 
3.  über  die  Staatsangehörigkeit  und  4.  über  das  untadelhafte  staatsbür¬ 
gerliche  Verhalten;  5.  ein  amtsärztliches  Zeugniss  über  die  physische 
Eignung;  6.  ein  Nachweis  der  bisher  zurückgelegten  ärztlichen  Thätigkeit. 
ln  dem  Gesuche  haben  die  Bewerber  auch  anzugeben,  ob  sie  in  der  Lage 
sind,  nach  Verständigung  über  die  erfolgte  Verleihung  der  Salinenarztes¬ 
stelle  ihren  Dienst  sofort  anzutreten  oder  binnen  welcher  Frist  dies  zu¬ 
versichtlich  geschehen  kann.  Bewerber,  welche  eine  besondere  Ausbildung 
in  der  operativen  Chirurgie  und  Geburtshilfe  nachzuweisen  im  Stande  sind, 
erhalten  den  Vorzug  vor  anderen.  K.  k.  Salinenverwaltung  Hallein,  am 
19.  September  1900. 

Bei  der  Bezirk  skrankencasse  in  Neuhaus  in  Böhmen 
gelangt  vom  1.  November  1900  die  Stelle  eines  Cassearztes  für  die  Stadt 
Neubistritz  und  Umgebung  mit  einem  Jahresgehalte  von  1200  K,  nebst 
120  K  Wagenpauschale  zur  Besetzung  und  ist  dort  auch  Aussicht  auf  eine 
lohnende  Privatpraxis  vorhanden,  da  in  dieser  Stadt  nur  noch  ein  Districts- 
arzt  domicilirt.  Gesuche  sind  bis  20.  October  1.  J.  an  den  Obmann  der 
Bezirkskrankenoasse,  Sigmund  Singe  r,  Fabrikanten  in  Neuhaus,  zu 
richten. 


Ah  die  |».  t.  der  k.  k.  {«esellselialt 

der  Aerzte  in  Wien. 


Die  Mitglieder-Beitriige  fiii*  tins  Jahr  11)00,  welche 
bis  15.  October  noch  ausständig  sein  sollten,  werden 
nach  diesem  Termin  zuzüglich  der  Portoauslagen  mittelst 
Postauftrag  eingehoben  werden. 

Wien,  27.  September  1900. 

Da*  Präsidium 

der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

IiTI'Pi— Ifdliyiitfil  ilF'HuBt  iWH  WiULIII' 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


919 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften 


und  Congressberichte. 


USJ'IK.A.ll.T : 

72  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900.  |  13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.  -9.  August 
Sitzung  am  18.  September.  |  1900.)  (Fortsetzung.) 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 

Gemeinschaftliche  Sitzung  der  Abtheilungen  für 
pathologische  Anatomie,  innere  Medicin,  Chirurgie, 
Kinderheilkunde  und  Hygiene  am  18.  September, 

Vormittags  9  Uhr. 

Vorsitzender:  Heubner  (Berlin). 

I.  Ponfick  (Breslau):  Ueber  die  Beziehungen 
zwischen  Scrophulose  und  Tuberculose. 

Das  Wort  Scrophulose  wird  immer  seltener  gehört,  seitdem  es 
gelang,  durch  Einimpfung  scrophulöser  Bestandtheile  genau  dieselben 
Erscheinungen  hervorzurufen,  wie  durch  Impfung  tuberculöser  Theile. 
Dies  ist  seit  1884  in  vielen  wiederholten  Versuchen  immer  wieder 
bestätigt  worden.  Die  unversehrte  Haut  leistet  gegen  das  Eindringen 
der  Tuberkelbacillen  grossen  Widerstand,  dagegen  können  kleine,  oft 
unbeachtete  Wunden  und  Hautentzündungen  Eingangspforten  werden 
für  lupöse  Erkrankungen  der  Haut  und  seropliulöse  Erkrankungen  der 
Lymphdrüsen,  besonders  bei  Kindern.  An  die  rituelle  Beschneidung 
Neugeborener  schloss  sich  oft  tuberculose  Schwellung  und  Verkäsung 
der  Leistendrüsen,  sogar  Miliartuberculose  an;  stets  war  dann  der 
Nachweis  möglich,  dass  der  die  Beschneidung  Vornehmende  an  Tuber¬ 
culose  der  Lunge  litt.  Die  Schleimhäute  lassen  sogar  in  unverletztem 
Zustande  Tuberkelbacillen  durch.  Bei  sonst  anscheinend  gesunden 
Kindern  finden  sich  oft  chronische  Hautentzündungen  oder  Drüsen¬ 
schwellungen,  also  das,  was  sonst  als  Scrophulose  bezeichnet  wird.  Bei 
diesen  Erkrankungen  hat  man  stets  Tuberkelbacillen  oder  Staphylo- 
und  Streptococcen  nachweisen  können.  Es  kommen  aber  auch  Misch- 
infectionen  vor.  Wiederholt  ist  der  Nachweis  gelungen,  dass  zu 
rein  serös-eiterigen  Entzündungen  später  eine  tuberculose  Infection 
hinzutrat,  wofür  Redner  mehrere  sehr  deutliche  Fälle  anführte.  Die 
Schleimhäute  sind  für  die  Aufnahme  von  Infectionsstoffen  viel  empfäng¬ 
licher,  als  die  Haut.  An  vielen  Stellen  sind  sie  schon  von  Natur  ge- 
wulstet  (Mandeln,  Nasenschleimhaut). 

Diese  Wulstung  nimmt  bei  entzündlichen  Processen  stark  zu  und 
bietet  dann  leicht  Eingangspforten  für  Bacillen,  zumal  mit  der  Wulstung 
stets  eine  Lockerung  verbunden  ist.  Nach  Ponfick  ist  die  Scrophu¬ 
lose  also  anzusehen  entweder  als  eine  Entzündung  durch  Eitererreger, 
oder  als  eine  Entzündung  durch  Tuberkelbacillen,  oder  als  Entzündung 
durch  beide  (Mischinfection). 

Die  Kinder  besitzen  eine  grössere  Aufnahmefähigkeit  für  fremde 
Einflüsse  als  Erwachsene.  Die  Gewebe  sind  saftreicher;  die  Zwischen¬ 
substanz  ist  reich  mit  Lymphe  durchtränkt.  Hier  treten  leicht  Lymph¬ 
stauungen  ein  und  hier  können  Bacterien  sich  leicht  festsetzen  und 
weiter  wuchern.  Es  ist  also  kein  Wunder,  dass  gerade  Kinder  öfters 
von  diesen  Krankheitserregern  heimgesucht  werden  und  dass  die  Scro¬ 
phulose  eine  Kinderkrankheit  ist. 

Ob  der  Begriff  Scrophulose  noch  als  eine  besondere  Kraukheits- 
form  aufzufassen  sei,  betrachtet  Ponfick  bei  dem  heutigen  Stande 
der  Forschungen  als  eine  durchaus  offene  Frage. 

II.  Fee  r  (Basel) :  Prophylaxe  der  Tuberculose  im 
Kindesalter. 

In  der  Prophylaxe  liegt  der  Schwerpunkt  des  Kampfes  gegen 
die  Tuberculose.  Je  jünger  ein  Kind  ist,  um  so  grösser  ist  die  Gefahr, 
dass  es  an  Tuberculose  erkranken  kann.  Wie  ist  nun  Tuberculose  des 
Kindes  zu  verhüten?  Zunächst  soll  der  Arzt  vor  Heiraten  zwischen 
Tuberculösen  dringend  warnen.  Tuberculösen  Eltern  ist  vorzuhalten, 
dass  Tuberculose  nicht  erblich,  aber  dass  ihre  Kinder  leicht  an  Tuber¬ 
culose  erkranken.  Kinder  soll  man  nicht  mit  Tuberculösen  verkehren 
lassen.  Der  Körper  ist  gesund  zu  halten  und  zu  stärken.  Es  ist  für 
bessere  Wohnungen  zu  sorgen  mit  hellen,  luftigen,  sonnigen  Zimmern. 
Ueberfüllung  der  Wohnräume,  dumpfe  Luft  und  Unreinlichkeit  be¬ 
günstigen  die  Infection.  Die  Mutter  soll  sich  ganz  den  Kindern  widmen. 
Es  muss  eine  Hauptaufgabe  der  socialen  Gesetzgebung  sein,  der  Mutter 
die  Theilnahme  am  Broterwerb  zu  ersparen.  Grösste  Reinlichkeit  ist 
noting,  öfteres  Waschen  und  Baden  der  Kinder,  häufige  Mundreinigung; 
das  Küssen  ist  zu  verwerfen,  ebenso  der  Gebrauch  von  Lutschern.  Bei 


älteren  Kindern  ist  Zahnpflege  sehr  wichtig.  Fingerlutschen,  Nasen¬ 
bohren  sind  zu  verhindern.  Jedes  Kind  soll  ein  besonderes  Taschen¬ 
tuch  haben.  Die  Kinder  sind  dahin  zu  belehren,  dass  sie  nur  durch 
die  Nase  athmen.  Behinderte  Nasenathmung  begünstigt  Auftreten  von 
Rachen-,  Hals-  und  Nasenkatarrhen,  während  gesunde  Schleimhäute 
der  Respirationswege  bestes  Verhinderungsmittel  gegen  Infection  sind. 
Teppiche  und  Polstermöbel  sind  aus  der  Umgebung  der  Kinder  zu 
verbannen.  Kinder  sollen  nicht  auf  der  Erde  herumkriechen,  weil  sie 
dort  leicht  Staub  einathmen  und  Gesicht,  Finger  und  Spielzeug  leicht 
beschmutzen.  Bei  Familien,  in  welchen  Tuberculose  vorkommt,  ist 
noch  viel  mehr  Vorsicht  nöthig.  Jeder  Tuberculose  soll  ein  besonderes 
Zimmer  für  sich  haben.  Noch  besser  wäre  Unterbringung  in  eine  Heil¬ 
anstalt.  Es  ist  für  kräftige,  ausgiebige  Ernährung  zu  sorgen.  Milch 
soll  nur  in  gekochtem  Zustande  getrunken  werden.  Jedenfalls  ist  aber 
die  Infection  durch  Nahrungsmittel  sehr  viel  seltener,  als  Infection 
durch  Eingang  im  Wege  der  Schleimhäute  der  Athemwege.  Viel  Be¬ 
wegung  im  Freien  ist  sehr  zu  empfehlen.  Gut  geleitete  Kinderkrippen 
mit  Gärten  für  kleine  Kinder,  Feriencolonien  für  Schulkinder  sind  in 
grossen  Städten  sehr  nützlich.  Redner  empfiehlt  auch  die  sogenannten 
Halbcolonien:  die  Schulkinder  werden  von  Lehrpersonen  an  schönen 
Tagen  ins  Freie  geführt,  wo  sie  dann  stundenlang  sich  herumtummeln 
können.  See-  und  Soolbäder  stärken  die  Gesundheit  der  Kinder  sehr 
und  sind  daher  prophylaktisch  zu  empfehlen.  Feer  empfiehlt  die 
Errichtung  von  Kinderheilstätten,  wie  eine  solche  die  Stadt  Basel  in 
schöner  waldiger  Gegend  angelegt  hat.  Dort  werden  kranke,  anämische 
Kinder,  auch  solche  mit  Katarrhen,  aufgenommen  und  durch  steten 
Aufenthalt  in  frischer  Luft  bei  guter  Pflege  bald  wieder  gesund.  Aus¬ 
geschlossen  von  der  Aufnahme  sind  Kinder  mit  deutlicher  Tuberculose. 
Keuchhustenkranke  Kinder  bedürfen  besonderer  Sorgfalt.  Die  Zimmer 
von  offen  tuberculös  Erkrankten  sollten  von  staatswegen  kostenfrei, 
aber  obligatorisch  desinficirt  werden. 

Die  Durchführung  des  Verbotes  des  Ausspuckens  in  Zimmern 
und  Räumen,  die  dem  öffentlichen  Verkehr  dienen,  wie  Schulen, 
Kirchen,  Versammlungslocalen  jeder  Art,  Wirthshäusern,  würde  sehr 
heilsam  sein,  ist  aber  schwer  zu  erreichen.  Dagegen  sollten  in  solchen 
Räumen  stets  Spucknäpfe  aufgestellt  werden.  Eine  Verminderung  der 
Kindertuberculose  lässt  sich  aber  nur  ermöglichen  durch  Verminderung 
der  Tuberculose  der  Erwachsenen.  Eine  Belehrung  aller  Bevölkerungs¬ 
schichten  durch  Schriften  und  besonders  durch  geeignete  Lehrpersonen 
in  allen  Schulen  ist  hiezu  dringend  anzurathen. 

Kurz  gesagt,  sind  fleissiger  Gebrauch  von  Sonne,  Luft,  Wasser 
oder  mit  anderen  Worten  viel  Körperbewegung  im  Freien  und  grösste 
Reinlichkeit  die  wichtigsten  Hilfsmittel,  um  die  Kinder  vor  der  Tuber¬ 
culose  zu  bewahren. 

* 

II.  S  i  t  z  u  n  g  am  18.  September,  Nachmittags  3  Uhr. 


Vorsitzender:  Robert  (Rostock). 

I.  Eulenburg  (Berlin) :  Ueber  gonorrhoische 

Nervenerkrankungen. 

Die  Gonorrhoe  hat  mancherlei  Erkrankungen  im  Gefolge;  die 
wichtigsten  sind  Arthritis  und  Endocarditis.  Die  gonorrhoischen  Nerven¬ 
erkrankungen  sind  zunächst  functioneller  Art  und  entwickeln  sich 
bei  chronisch  gonorrhoisch  Erkrankten  als  allgemeine  Neurasthenie 
oder  als  sexuale  Neurasthenie.  Dann  gibt  es  hauptsächlich  drei  Formen 
von  localen  Nervenerkrankungen,  die  auf  Gonorrhoe  beruhen : 
1.  Neuralgien,  2.  Muskelatrophien  und  -Lähmungen,  3.  Neuritis  und 
Myelitis. 

Redner  berichtet  über  14  Fälle  aus  seiner  Privatpraxis  aus  den 
letzten  zwei  Jahren  (er  hat  nur  Männer  berücksichtigt).  Davon  waren 
neun  Falle  von  Neuralgie;  vier  Lähmungen  und  Atrophien  und  eine 
Myelitis.  Von  den  neun  Neuralgien  betrafen  acht  das  Gebiet^  des 
N.  ischiadicus.  Meist  waren  andere  benachbarte  Nerven  mit  atficirt. 
Naturgemäss  erkrankten  meist  Männer  von  20 — 40  Jahren.  Die  Er¬ 
krankung  war  theils  einseitig,  theils  doppelseitig.  Die  Nerveneikian- 
kung  trat  meist  zwei  bis  sieben  Monate  nach  der  gonorrhoischen  In¬ 
fection  auf.  Die  Atrophien  entstanden  im  Anschluss  an  gonorrhoische 
Gelenkserkrankungen.  Die  Therapie  ist  die  allgemeine  Iherapie  gegen 
Gonorrhoe.  Redner  sah  besonders  gute  Erfolge  von  subcutanen  Jodipin- 
injectionen. 


920 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


II.  Rumpf  (Hamburg):  Eiweissumsatz  und  Zucker¬ 
ausscheidung. 

Rumpf  ist  mit  seinen  Schülern  G  r  u  n  o  w,  Hartogh  und 
Schümm  neuerdings  der  Frage  näher  getreten,  ob  beim  Phlorhidzin- 
Diabetes  eine  Bildung  von  Zucker  aus  Fett  wahrscheinlich  ist.  Be¬ 
kanntlich  hat  Minkowsky  gefunden,  dass  beim  Pankreas  Diabetes 
und  reiner  Fleischnahrung  die  Menge  des  ausgeschiedenen  Zuckers 
zum  Stickstoff  sich  etwa  wie  2'8  :  1  verhält.  Mancherlei  theoretische 
Erwägungen  lassen  es  allerdings  möglich  erscheinen,  dass  aus  110  g 
Eiweiss  etwa  113  g  Dextrose  entstehen  können,  so  dass  auf  1  g  Stick¬ 
stoff  im  Harne  etwa  6 — 7  g  Dextrose  kommen.  Indessen  wird  diese 
Anschauung  von  Kos  sei  nicht  getheilt,  so  dass  Müller  und 
Seemann  zu  der  Erklärung  des  Auftretens  grösserer  Zuckermengen 
sich  der  hypothetischen  Anschauung  zuwenden,  dass  der  Zucker, 
welcher  sich  beim  Diabetes  aus  Eiweiss  bildet,  nicht  als  solcher  prä- 
formirt  im  Eiweissmoleciil  vorgebildet  ist,  sondern  sich  nachträglich 
bildet.  Immerhin  hat  sich  bei  Phlorhidzinversuchen  bis  jetzt 
höchstens  ein  Verhalten  des  Harnstickstoffes  zum  Zucker  wie  1  :  4 
ergeben. 

In  den  Versuchen,  über  welche  der  Vortragende  berichtet, 
wurden  grosse  Hunde,  bis  zu  120  Pfund  schwer,  reichlich  mit  Fett 
und  geringen  Mengen  Eiweiss  ernährt.  Nachdem  eine  10 — 14tägige 
Vorperiode  mit  gleicher  Ernährung  und  entsprechend  angestrengter 
Körperbewegung  zur  möglichsten  Verbrennung  des  Glykogens  voran¬ 
gegangen  war,  wurde  unter  langsamer  Steigerung  der  •  Dosis 
mit  der  Phlorhidzineinfuhr  begonnen.  Auf  diese  Weise  gelang  es, 
einen  120  Pfund  schweren  Hund  24  Tage  am  Leben  zu  erhalten. 
Dabei  stieg  das  Verhältniss  des  Zuckers  zu  N  in  der  zweiten  Periode 
auf  44:1;  gleichzeitig  stieg  aber  auch  die  tägliche  Stickstoff¬ 
ausscheidung  von  G-82  auf  20'94.  In  der  dritten  Periode  ging  trotz 
der  Steigerung  der  Phlorhidzindosis  die  Stickstoff-  und  Zucker¬ 
ausscheidung  zurück.  An  Stelle  von  20  g  N  finden  sich  nur  9  g  und 
an  Stelle  von  92  Zucker  nur  58 g.  Aber  der  Harnstickstoff  verhielt 
sich  zum  Harnzucker  wie  1  :  6T.  In  der  vierten  Periode  stellt  sich 
der  ausgeschiedene  Zucker  zum  Harnstickstoffe  wie  8  9:1  und  in  der 
fünften  Periode  fiel  er  wieder  auf  4'4:1,  ein  Verhältniss,  welches  sich 
möglicher  Weise  durch  Beimengung  von  Eiter  zum  Urin  erklärt.  An 
einem  Tage  der  vierten  Periode  stellte  sich  der  Stickstoff  zum  Zucker 
sogar  wie  1  :  12  T. 

Da  bei  dem  Hunde  keine  Nephritis  bestand,  welche  die  Zurück¬ 
haltung  von  Stickstoff  erklären  könnte,  so  ist  also  hier  ein  Verhältniss 
von  Stickstoff  zum  Zucker  erreicht,  welches  die  Entstehung  des 
Zuckers  aus  dem  Ei tveissmolecül  auszuschliessen  scheint. 

In  einem  weiteren  Versuche  wurde  ausser  dem  Stickstoffe  und 
Zucker  die  Phosphor-  und  Schwefelsäureausscheidung  bestimmt.  Dabei 
zeigte  sich,  dass  mit  dem  Steigen  der  Stickstoffausscheidung  keines¬ 
wegs  eine  entsprechende  Steigerung  der  Phosphorsäure  einherging,  so 
dass  der  Vortragende  die  Anschauung  von  Blumenthal  nicht  be¬ 
stätigen  kann,  nach  welcher  beim  Diabetes  ein  besonderes  phosphor¬ 
reiches  Eiweiss  zerfallt. 

Rumpf  ist  der  Meinung,  dass  sowohl  beim  Diabetes  des 
Menschen  als  beim  Phlorhidzin-Diabetes  zunächst  das  Eiweiss  für  die 
Zuckerbildung  in  Anspruch  genommen  wird.  Sobald  aber  der  Körper 
gezwungen  ist,  mit  seinem  Eiweiss  sparsam  umzugehen,  müssen  bei 
kohlehydratfreier  Kost  andere  Quellen  für  die  Zuckerbildung  heran¬ 
gezogen  werden.  Diese  Quelle  glaubt  Vortragender  einstweilen  in  dem 
Fett  sehen  zu  müssen. 

III.  A.  Guttenberg  ( W  ürzburg) :  U  e  b  e  r  perineuriti- 
s  c  h  o  Erkrankungen  des  P  1  e  x  it  s  sacralis  und  deren 
Behandlung. 

Redner  hat  an  einer  Anzahl  von  Kranken  pathologische  Ver¬ 
änderungen  an  den  Kreuzbeinnerven  constatirt  in  Verbindung  mit 
Symptomen,  welche  eine  Reihe  bisher  der  Hysterie  zugeschriebener  Er¬ 
scheinungen  erklären. 

Redner  hat  eine  Anzahl  von  Kranken,  hauptsächlich  Frauen,  im 
Alter  von  22 — 61  Jahren  beobachtet,  bei  welchen  er  längs  und  auf 
verschiedenen  Aesten  des  Plexus  sacralis  strangförmige  (rosenkranz- 
ai  tige)  und  solitäre  Verdickungen  durch  die  Palpation  nachweisen 
konnte.  Die  Grösse  der  einzelnen  Prominenzen  variirte  von  Erbsen- 
bis  Bohnengrösse.  Die  Consistenz  war  etwas  derb,  etwa  hartem  Brot¬ 
teig  entsprechend.  Aetiologisch  kommen  in  Betracht  Cystitis,  chro¬ 
nischer  Darmkatarrh,  Menstruationsanomalien  und  Aehnliches.  Die 
Kranken  hatten  zum  Tlieile  an  jahrelangen  Beschwerden  gelitten.  In 
den  meisten  Fällen  klagten  die  Kranken  über  Druck  und  ziehende 
Schmelzen  im  Kreuze  und  Rücken,  zuweilen  nach  vorne  gegen  die 
Symphyse  ausstrahlend  und  in  die  Hüfte,  sowie  in  die  Oberschenkel, 
oft  auch  bis  zur  Planta  pedis.  Die  Kranken  werden  leicht  reizbar’ 
neivüs,  mangelnde  Esslust  führt  zu  Anämien 5  Frauen  erwecken  den 
Eindruck  von  Hysterie. 

Die  Diagnose  beruht  abgesehen  von  den  subjeetiven  Symptomen 
aut  dem  Nachweis  der  beschriebenen  Verdickungen. 


Die  Palpation  muss  in  verschiedenen  Positionen  (Rücken-, 
Seiten-,  Knieellenbogenlage  und  im  Stehen)  erfolgen. 

Die  Prognose  ist  im  Allgemeinen  günstig,  selbst  bei  bejahrten 
Kranken  ist  eine  wesentliche  Besserung  zu  erzielen. 

Die  Therapie  besteht  in  einer  tonisirenden  Allgemein¬ 
behandlung,  in  localer  Massage,  daran  anschliessenden  passiven  Be¬ 
wegungen,  Bädern  und  Gymnastik.  Bei  älteren  Kranken,  bei  welchen 
man  eventuell  mit  Sklerose  der  dem  Plexus  sacralis  benachbarten  Ge- 
fässe  zu  rechnen  hat,  ersetzt  man  die  Massage  durch  mehrmals  täglich 
wiederholte  Wassereinläufe  in  das  Rectum. 

* 

GemeinschaftlicheSitzungder  medicinischen  Haupt¬ 
gruppe.  Mittwoch  den  19.  September,  Vormittags 

II  —  I1/2  Uhr. 

Vorsitzender:  Geheimrath  Prof.  Dr.  v.  Winckel (München). 

I .  V  e  r  w  o  r  n  (Jena) :  Das  Neuron  in  Anatomie  und 
Physiologie. 

II.  Nissl  (Heidelberg):  Die  Neuronlehre  vom  path  o- 
1  o  g  i  s  c  h-a  natomischen  und  klinischen  Standpunkte. 

Beide  Vorträge  eignen  sich  nicht  zum  Referat.  (Jeder  dauerte 
fast  l'/2  Stunden.) 

* 

Nachmittags  4  Uhr  Fortsetzung  der  Sitzung. 

III.  Prof.  W.  K  ruse  (Bonn) :  Ueber  die  Bedeutung 
der  Ruhr  als  Volkskrankheit  und  ihren  Erreger,  den 
Ruhrbacillus. 

In  Deutschland  kommt  die  Ruhr  noch  ziemlich  häufig  vor,  aller¬ 
dings  viel  seltener  als  in  den  Jahren  von  1870 — 1880.  Während  in 
den  östlichen  Theilen  des  Deutschen  Reiches  noch  Jahr  für  Jahr  Ruhr¬ 
epidemien  auftreten,  ist  die  Ruhr  im  Westen  seit  1880  selten  vorge¬ 
kommen.  1892  trat  sie  im  Kreise  Gelsenkirchen  auf  (50  Fälle).  Seit¬ 
dem  nahm  die  Krankheit  dort  sehr  zu.  1899  trat  sie  plötzlich  mit 
etwa  600  Fällen  in  Barmen  auf;  1900  in  Barmen  und  Ruhrort.  Alle 
befallenen  Orte  sind  Industrie-Centren.  Seit  Juli  1900  hatte  Redner 
in  Laar  bei  Ruhrort,  wo  plötzlich  eine  Ruhrepidemie  auftrat,  Ge¬ 
legenheit,  die  Krankheit  eingehend  im  dortigen  St.  Josefs-Kranken¬ 
hause,  in  welchem  sämmtliche  Erkrankte  Aufnahme  fanden,  zu 
beobachten.  Während  man  festgestellt  hat,  dass  bei  der  ägyptischen 
Ruhr  meist  Amöben  die  Ursache  sind,  war  dies  in  Laar  nicht  der 
Fall.  Kruse  fand  nur  in  einem  Falle  Amöben,  die  man  also  nicht 
als  Erreger  der  Epidemie  ansehen  kann.  In  den  Eiterpartikelchen 
der  Ruhrstühle  fand  nun  Kruse  in  Zellen  eingoschlossen  zahlreiche 
kurze  Stäbchen.  Wenn  ein  Eiterpartikelchen  auf  Gelatine  ausgestrichen 
wurde,  entwickelten  sich  zahlreiche  Bacillencolonien  innerhalb 
24  Stunden.  Diese  Bacillenculturen  entwickeln  auf  zuckerhaltigen 
Nährböden  kein  Gas;  also  sind  diese  Bacillen  mit  Colonbacterien  in 
keiner  Weise  verwandt.  Angestellte  Thierversuche  blieben  bisher  ohne 
Erfolg  in  Bezug  auf  Uebertragung  der  Krankheit.  Aber  bei  Typhus- 
und  Cholerabacillen  ist  ja.  dasselbe  der  Fall.  Wie  das  Blutserum 
Typhuskranker  auf  Typhusbacillen  Reaction  hervorruft,  so  auch  Ruhr¬ 
blut  auf  die  Ruhrbacillon.  Das  Blutserum  Ruhrkranker  agglutinirt 
Ruhrbacillen.  Bei  Section  von  acht  Ruhrleichen  hat  Kruse  nur 
einmal  den  Ruhrbacillus  in  den  Darmgeschwüren  gefunden,  doch  liegt 
das  wohl  daran,  dass  die  Ruhrkranken  meist  in  der  dritten  Woche 
sterben,  wo  der  Krankheitsprocess  im  Darme  schon  fast  ganz  ab¬ 
gelaufen  ist,  also  keine  Bacillen  mehr  vorhanden  sind;  in  dem  einem 
Falle  war  kurz  vor  dem  Tode  eine  neue  Eruption  des  diphtherischen 
Krankheitsprocesses  aufgetreten. 

13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2.-9.  August  1900.) 

(Fortsetzung). 

Abtheilung  der  Colonien. 

(Referent  Dr.  S  p.) 

(Fortsetzung.) 

March  ou  x  (Correferent):  Die  Ansichten  der  verschiedenen 
Autoren,  welche  sich  mit  der  Aetiologie  des  Anfalles  von  Hämo¬ 
globinurie  beschäftigt  haben,  können  in  drei  Gruppen  eingetheilt 
werden.  Die  Einen  betrachten  dieses  Leiden  als  eine  der  Erscheinungen 
des  Paludismus,  die  Anderen  sprechen  demselben  jeden  Zusammen¬ 
hang  mit  der  Malaria  ab  und  betrachten  dasselbe  als  eine  besondere, 
in  gewissen  Ländern  endemische  Affection;  endlich  ist  bei  der  dritten 
Gruppe  die  letztere  das  Resultat  einer  Chininvergiftung. 

Wenn  der  hämoglobinurische  Anfall  nur  durch  den  Sumpf- 
einffuss  bedingt  wäre,  so  müsste  man  denselben  in  jener  Periode,  in 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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welcher  der  Paludismus  als  acuter  Zustand  wüthet  und  wo  die  An¬ 
fälle  schwerer,  die  Zahl  der  Befallenen  grösser  ist,  am  häufigsten  an¬ 
treffen.  Die  Hämoglobinurie  zeigt  sich  im  Gegentlieile  mit  Vorliebe 
nach  der  schlechten  Jahreszeit,  wo  man  nur  das  chronische,  inter- 
mittirende  Fieber  antrifft.  Auch  ist  es  unerklärlich,  warum,  wenn  das 
Hämatozoon  das  einzige  Agens  ist,  dasselbe  niemals  im  ersten  Fieber- 
anfalle  die  Hämoglobinurie  hervorruft  und  warum  man  diese  so  selten 
bei  den  Eingeborenen  der  afrikanischen  Küste  beobachtet,  welche  zu¬ 
weilen  ebenso  stark  von  der  Seuche  ergriffen  sind  wie  die  Europäer, 
besonders  in  ihrem  jungen  Alter.  Endlich,  wenn  der  Parasit  von 
Lave.ran  die  unmittelbare  Ursache  der  Hämoglobinurie  wäre,  müsste 
man  denselben  im  Blute  der  Kranken  viel  leichter  an  treffen. 

Andere  Beobachter  wollen  die  fragliche  Krankheit  als  etwas 
Besonderes  hinstellen,  die  sich  blos  in  gewissen  Küstenstrichen  und 
unter  besonderen  Einflüssen  zeigt,  und  das  Hämatozoon  nicht  als 
Ursache  gelten  lassen.  Sie  stützen  sich  hauptsächlich  auf  zwei  Beweise: 
das  Leiden  kommt  nicht  in  allen  versumpften  Ländern  vor;  das  Chinin 
ist  bei  dessen  Behandlung  ohne  nützliche  Wirkung  (?).  Y  er  sin  hat 
in  den  Urinen  bei  Hämoglobinurie  einen  Mikroben  gefunden. 

In  Wahrheit  zeigt  sich  die  Hämoglobinurie  nicht  in  allen 
Sumpfgegenden,  aber  sie  wurde  überall  dort  signalisirt,  wo  der 
Paludismus  diese  besonders  schwere  Form,  die  man  in  den  Tropen 
beobachtet,  annimmt.  Das  afrikanische  Land  als  dasjenige,  wo  die 
Malaria  mit  grösster  Heftigkeit  wüthet,  ist  auch  das,  wo  diese  Affection 
an  häufigsten  angetroffen  wird.  Aber  man  hat  sie  auch  angezeigt  auf 
den  Antillen,  in  Centralamerika,  in  Mexiko,  Guyana,  Brasilien,  auf 
den  Hebriden,  Sunda  Inseln,  in  Tonking,  Cochinchina,  Birmanien  und 
Indien.  Mau  hat  sie,  wenn  auch  seltener,  in  Europa  angetroffen:  in 
Sicilien,  Italien,  Griechenland,  an  den  Ufern  der  Donau  und  im 
Kaukasus.  Der  Mikrobe  von  Yersin  wurde  niemals  wiedergesehen. 
Nur  zur  Erinnerung  erwähne  ich  gewisse  Parasiten,  welche  gewisse 
Autoren  im  Blute  der  Hämoglobinuriker  beschrieben  haben. 

Die  dritte  Meinung  ist  sicher  diejenige,  welche  dem  Geiste  am 
meisten  genügt  und  den  Thatsachen  am  besten  entspricht.  Die  Er¬ 
fahrungen  von  Tomaselli,  Carreau,  Yersin  und  Dumas 
lassen  über  die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  Hämoglobinurie 
keinen  Zweifel. 

Zwei  Hauptgründe  unter  denen,  welche  verhindert  haben,  den 
hämoglobinurischen  Anfall  im  Allgemeinen  dem  Chinine  zuzuschreiben, 
sind  die  folgenden:  1.  Die  Kranken  kommen  oft  ins  Spital  mit  einer 
bereits  bestehenden  Hämoglobinurie,  und  es  ist  immer  schwierig,  durch 
Nachforschung  die  bestimmte  Entstehung  derselben  zu  erfahren. 
2.  Dass  zuweilen  reichlich  behufs  Behandlung  verabfolgte  Chinin  ver¬ 
hinderte  nicht  die  Heilung  einer  gewissen  Zahl  von  Kranken. 

Thatsächlich  genügt  das  Chinin  nicht,  um  Hämoglobinurie  zu 
erieugen.  Es  ist  noch  nothwendig,  dass  der  Kranke  im  Allgemeinen 
vorübergehende,  zuweilen  bleibende  Läsionen  babe,  wTelche  die  toxische 
Wirkung  des  Medicamentes  begünstigen.  Wiederholte  und  schlecht 
besorgte  Fieberanfälle  sind  die  gewöhnlichste  Ursache  dieser  Läsionen. 
Und  so  erscheint  nach  einer  mehr  oder  weniger  langen  Reihe  von 
Fieberanfällen  die  Hämoglobinurie  eines  Tages  nach  Verabreichung 
einer  Dosis  Chinins. 

Es  sind  also,  so  paradox  auch  ein  solches  Raisonnement  er¬ 
scheinen  mag,  die  besten  prophylaktischen  Mittel  zur  Verhütung  von 
Hämoglobinurie  der  präventive  Gebrauch  von  Chinin  und  die  rationelle 
Behandlung  der  Fieberanfälle,  wenn  diese  trotz  Allem  zum  Ausbruck 
kommen. 

* 

Abthei’lung  für  Dermatologie  und  Syphiligraphie. 

Referent  Dr.  Sp. 

I.  Prof.  Jadassohn  (Bern) :  Ueber  den  parasitären 
Ursprung  des  Ekzems. 

A.  Die  Definition  des  Begriffes  „Ekzem“  wurde  bisher  auf 
eine  einzige  positive  Eigenschaft  gegründet,  nämlich  auf  die  Ent¬ 
zündung  der  oberflächlichen  Hautschichten,  ausserdem  auf  mehrere 
negative  Zeichen,  z.  B.  Fehlen  einer  klaren  und  einheitlichen  Aetiologie, 
einer  typischen  Entwicklung,  eines  besonderen  pathologischen  Processes. 
Auch  die  Klinik  konnte  im  Ekzem  keine  Efflorescenz  nachweisen, 
welche  allseitig  als  specifisch  erkannt  worden  wäre. 

In  Folge  dieser  Schwierigkeiten  haben  viele  Autoren  gewisse, 
mehr  ausgeprägte  Krankheiten  vom  Ekzem  getrennt,  so  das  Eczema 
marginatum  und  den  Prurigo  von  II  e  b  r  a ;  die  chronische  um¬ 
schriebene  Neurodermatitis,  die  Impetigo  contagiosa  (Bock  Aar  dt), 
das  folliculäre  Ekzem  von  Morris,  die  typischen  Formen  der 
Seborrhoe  von  D  u  h  r  i  n  g,  das  Ekzema  seborrhoicum  von  U  n  n  a. 

Die  Frage  des  auf  einer  Diathese  beruhenden  Prurigo  von 
Besnier  ist  viel  schwieriger  zu  lösen. 

Bezüglich  derDyshydrose  findeich  dieTrennung nicht  gerechtfertigt- 

Die  künstlichen  Dermatiden  wurden  wegen  ihrer  scheinbar  ein¬ 
fachen  Aetiologie  ebenfalls  getrennt. 


Selbst  nach  Trennung  dieser  verschiedenen  Krankheitstypen 
bleibt  noch  immer  eine  sehr  grosse  Gruppe  gewöhnlicher  Ekzeme,  auf 
welche  der  Anspruch  Walker’s  anwendbar  ist:  „Das  Ekzem  ist  der 
gewöhnlich  gebrauchte  Ausdruck  für  jede  Entzündung  der  feuchten 
oder  schuppigen  Haut,  deren  Ursache  oder  Natur  dem  Beobachter 
unbekannt  ist“. 

In  Folge  der  Schwierigkeit,  das  Ekzem  zu  definiren,  hat 
Besnier  den  Ausdruck  „Ekzematisation“  bestimmt  und  Török 
die  Ekzeme  unter  die  Arten  der  Reaction  gegen  chemische  und 
thermische  Reize  eingereiht.  Sabouraud  hat  statt  des  Ausdruckes 
„Ekzematisation“  den  viel  präciseren  „Impetiginisation“  gesetzt.  Es 
scheint  mir  vorlheilhafter,  statt  des  zuletztgenannten  Wortes  die  Be¬ 
zeichnung  „locale  Invasion  gewöhnlicher  Mikroben“  einzuführen, 
welche  in  keiner  Weise  ihrer  pathogenen  Wirkung  präjudicirt. 

B.  Die  Frage  des  parasitären  Ursprunges  des  Ekzems  besteht 
aus  folgenden  drei  Theilfragen: 

1.  Gibt  es  ausser  den  obenerwähnten,  von  der  Gruppe  der  Ek¬ 
zeme  abgetrennten  Krankheitsprocessen  und  ausser  den  gewöhnlichen 
Infectionen  noch  Proeesse,  welche  mit  gutem  Rechte  den  Namen  Ekzeme 
(wahre  Ekzeme)  tragen? 

2.  Wenn  es  ähnliche  Proeesse  gibt,  welche  nicht  durch  die 
gewöhnliche  pyogene  Infection  entstanden  sind,  sind  dieselben  parasi¬ 
tären  Ursprunges? 

3.  Sind  die  Mikroben,  welche  sich  in  der  ekzematösen  oder 
impetiginösen  Haut  befinden,  die  Erzeuger  dieser  Proeesse? 

Ad  1.  Nach  Scholz  und  Raab  gibt  es  keine  gewöhnlichen 
Ekzeme  ohne  den  Staphylococcus  aureus.  Andererseits  geben 
Sabouraud  und  Kreibich  Ekzeme  zu,  welche  durch  die  ge¬ 
wöhnliche  pyogene  Infection  nicht  hervorgerufen  sind. 

Ich  will  nicht  leugnen,  dass  gewisse  Kategorien  der  Krankheit 
sich  ohne  die  Wirkung  der  banalen  pyogenen  Mikroorganismen  ent¬ 
wickeln  können.  Unsere  eigenen  Untersuchungen  haben  zur  Klärung 
dieser  Frage  nicht  viel  beigetragen,  weil  dieselbe  durch  lange  Zeit  auf 
das  Studium  der  Morococcen  (U  n  n  a)  gerichtet  waren.  Wir  konnten 
bei  gewöhnlichen  Ekzemen  eine  sehr  geringe  Zahl  weisser,  die  Gelatine 
nicht  verflüssigender  Staphylococcen  nachweisen,  denen  wir  in  diesem 
Falle  keine  pathogenetische  Rolle  zuschreiben. 

Wir  konnten  ebenfalls  constatiren,  dass  einige  dieser  Efflore- 
scenzen  vollständig  steril  waren. 

2.  Die  Frage  nach  der  parasitären  Natur  bei  jenen  Ekzemen, 
bei  welchen  die  Abwesenheit  eines  pyogenen  Mikroorganismus  constatirt 
wurde,  ist  weder  durch  die  publicirten  Arbeiten,  noch  durch  die 
Untersuchungen  von  Frederic  geklärt  worden.  Entweder  sind  die 
Ekzeme  nicht  parasitär,  oder  durch  Mikroorganismen  bedingt,  deren 
Anwesenheit  bisher  sich  noch  nicht  nachweisen  liess,  oder  endlich 
durch  Toxine  entstanden,  ohne  dass  deren  Mikroorganismen  in  den 
Efflorescenzen  vorhanden  sind. 

3.  Das  Problem  der  parasitären  Natur  der  Ekzematisation  wäre 

gelöst : 

a)  Durch  Unna  in  dem  Sinne,  dass  sie  durch  Morococcen 
bedingt  ist. 

b)  Nach  Scholz  und  Raab  ist  der  Staphylococcus  aureus  die 
Hauptursache. 

c)  Nach  Sabouraud  ist  die  Impetiginisation  eine  Strepto¬ 
coccenkrankheit  analog  dem  Impetigo  von  Tilbury  Fox,  oder  von 
Staphylococcen  abstammend  analog  dem  Impetigo  von  Bockhardt. 

d)  Nach  Kreibich  sind  die  ursprünglich  nichtparasitären 
Ekzeme  secundär  durch  den  Staphylococcus  aureus  albus  und  durch 
die  Streptococcen  inficirt  und  in  ihrer  Entwicklung  modificirt. 

C.  Indem  ich  mich  auf  die  Untersuchungen  Frederic’s  stütze, 
ist  meine  Ansicht  derzeit,  wie  folgt : 

1.  Morococcen.  Wir  haben  sehr  häufig  in  den  Präparaten 
von  Schuppen  und  Krusten  nach  der  Methode  von  Unna  die 
typischen  Anhäufungen  von  Morococcen  gefunden  ;  die  Aussaat  in  die 
Kapseln  von  Petri  ergab-  Reinculturen  von  Staphylococcus  aureus 
oder  albus  oder  aber  eine  Mischung  beider. 

Wir  haben  nur  einmal  Morococcen  gesehen  mit  allen  Charakteren 
dieses  Mikroben,  welcher  nur  theil weise  die  Gelatine  verflüssigte.  Man 
könnte  denken,  dass  diese  theilweise  Verflüssigung  durch  Vermischung 
der  Culturen  von  Staphylococcus  der  Oberhaut  und  Staphylococcus 
albus  verursacht  sei,  aber  alle  weissen  Staphylococcen  (ausgenommen 
den  einzigen  oben  erwähnten  Fall)  verflüssigten  entweder  die  ganze 
Gelatine  oder  gar  nicht ;  es  handelte  sich  daher  um  Coccen,  welche 
wir  bis  heute  mit  dem  Staphylococcus  albus  oder  epidermidis  identi- 
ficiren  müssen. 

Weder  bei  der  Psoriasis,  noch  bei  dem  trockenen  parasitären 
Ekzeme  konnten  wir  Morococcen  finden. 

2.  Staphylococcen:  Von  diesen  wurden  drei  Arten  bei 
Ekzemen  gefunden:  Staphylococcus  epidermis  non  liquefaciens, 
Staphylococcus  albus  pyogenes  liquefaciens  und  Staphylococcus 
aureus. 


-tart^ggyr 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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922 


Der  erste  ist  von  geringer  Wichtigkeit,  der  Staphylococcus 
aureus  ist  nach  Scholz  und  Raab  der  specifisehe  Mikrobe  des 
Ekzems  (Ekzematisation);  nach  Sabouraud  erzeugt  er  die 
Impetiginisation  (B  o  ck  h  a  r  d  t). 

Bei  Aussaat  in  die  P  e  t  r  i’schen  Kapseln  erhielten  wir  zumeist 
Rcinculturen  oder  fast  Reinculturen  von  Staphylococcus  aureus,  in 
anderen  Fällen  Mischculturen  von  Staphylococcus  aureus  und  albus, 
oder  endlich  Reinculturen  von  Staphylococcus  pyogenes  albus. 

3.  Streptococcen.  Seit  Frederic  sich  der  von  S  a  b  o  u- 
r  a  u  d  empfohlenen  Culturmethode  bedient,  fand  er  in  einer  grossen 
Zahl  von  feuchten  Etl’lorescenzen  jeder  Art  55  7%  und  in  21  Fällen 
von  Ekzem  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  14mal  Streptococcen. 
Somit  ist  die  sehrhäufige  Anwesenheit  vonStrepto- 
coccen  selbst  in  gewöhnlichen  Processen  eine  e  r-_ 
w  i  e  s  e  n  e  Thatsache. 

Man  kann  die  Anwesenheit  von  Bacterien  in  grosser  Quantität 
bei  der  Mehrzahl  der  Ekzeme  nicht  leugnen.  Nun  könnte  jemand  über 
die  pathogenetische  Rolle  dieser  Mikroorganismen  skeptische  Ein¬ 
wendungen  machen.  Viele  Schriftsteller  weiden  die  von  Scholtz 
und  R  a  a  b  erzeugten  Hautentzündungen  nicht  als  Ekzeme  gelten  lassen: 
andere  werden  behaupten,  dass  es  sich  um  Reize,  welche  formirte 
Toxine  in  den  Culturen  hervorgerufen  haben,  und  nicht  um  Infectionen 
handelte.  Nicht  bewiesen  ist  es,  dass  die  Mikroorganismen  in  die  Tiefe 
gedrungen  sind,  denn  K  reib  ich  hat  bei  seinen  Desinfections- 
versuchen  andere  Resultate  als  Scholtz  und  Raab  bekommen.  Wir 
konnten  bei  den  mikroskopischen  Schnitten  in  den  Schleimhäuten 
keine  Coccen  entdecken.  Man  muss  aber  die  pathogenetische  Wirkung 
der  Mikroorganismen,  welche  nur  die  oberflächlichsten  Hautschichten 
einnehmen,  zugestehen. 

Die  beste  Probe  wäre  diejenige,  welche  Sabouraud  zu  geben 
versucht  hat:  Den  Beweis  der  constanten  Existenz  klinisch  und. 
histologisch  specifischer  Processe  durch  Infection  von  Staphylococcus 
oder  Streptococcus. 

Das  Studium  der  künstlichen  Hautentzündungen  hat  ebenfalls 
Beziehungen  zur  Wirkung  der  Mikroben. 

Wir  kennen  die  Resultate  von  Sabouraud,  welcher  in  den 
durch  Krotonül,  Theer  oder  Jodoform  entstandenen  Dermatiden  eine 
grosse  Zahl  von  Staphylococcus  aureus  vorfand,  nur  bestätigen.  Haut¬ 
entzündungen  durch  Verwendung  von  Jodtinctur,  Silbernitrat,  Sublimat 
und  Pyrogallussäurc  blieben  einige  Zeit  steril,  wenn  sie  auch  früher 
purulent  waren. 

Manchmal  blieben  die  von  Ivrotonöl  erzeugten  Dermatitiden  steril, 
wenn  das  Oel  auf  eine  früher  mit  Pyrogallussäure  bestrichene  Ilaut- 
stelle  applicirt  wurde.  Es  ist  daher  nicht  zweifelhaft,  dass  eiterige 
Hautentzündungen  ohne  Hilfe  von  Mikroorganismen  sich  ausbilden 
können.  Um  deren  Rolle  bei  künstlichen  Dermatitiden  zu  bestimmen, 
müsste  man  auf  einer  vorher  aseptisch  gemachten  Haut  mit  Hilfe  nicht 
antiseptischer  Agentien  Reizungen  hervorrufen  und  diese  mit  den  auf 
gleiche  Weise  auf  einer  nicht  desinficirten  Haut  entstandenen  Ent¬ 
zündungen  vergleichen. 

D.  Die  Ansicht,  nach  welcher  alle  impetiginösen  Processe  im 
Ekzem  durch  Einwanderung  pyogener  Coccen  verursacht  sind,  datirt 
schon  seit  mehren  Jahren  (z.  B.  Pick  1889).  Uebrigens  glaubte  ich 
mit  der  Mehrzahl  der  Dermatologen  in  Uebereinstimmung  zu  sein,  als 
ich  1894  behauptete,  mau  müsse  bei  Ekzemen  eine  einfache,  nicht 
parasitäre  Eiterung  und  eine  solche  als  Folge  secundärer  Infection 
unterscheiden,  was  klinisch  sehr  schwierig  war.  Im  Principe  muss 
diese  Möglichkeit  für  seröse  und  purulente  Ekzeme  zugegeben  werden. 

Von  nun  an  wird  man  also  mit  dieser  Thatsache,  welche  sehr 
wahrscheinlich,  wissenschaftlich  jedoch  noch  nicht  absolut  sicher 
gestellt  ist,  rechnen  müssen,  dass  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Ekzeme 
die  Staphylococcen  und  die  Streptococcen  auf  deren  Entwicklung  sehr 
von  Einfluss  sind.  Die  gewöhnlichen  pyogenen  Mikroben  scheinen  bei 
den  gewöhnlichen  Hautentzündungen  dieselbe  Rolle  zu  spielen,  wie  bei 
Wunden,  welche  nicht  per  primam  vernarbt  sind.  Interessant  ist  es, 
dass  Kocher  und  Tavel  vom  chirurgischen  Standpunkte  1895 
erklärt  haben,  dass  „die  Ekzeme,  das  heisst  die  oberflächlichen  Haut- 
entziindungen,  am  häufigsten  durch  Staphylococcen  verursacht  sind“. 

E.  Schlüsse: 

1.  Bei  der  grossen  Gruppe  gewöhnlicher  Ekzeme  gibt  es 
Eft’lorescenzen,  bei  welchen  man  derzeit  keine  Mikroorganismen  oder 
wenigstens  nicht  so  beschaffene  entdecken  kann,  dass  man  denselben 
irgend  eine  pathogenetische  Rolle  zuschreiben  könnte.  Hier  müssen 
wir  als  ätiologische  Factoren  locale  und  allgemeine  Prädispositionen, 
mechanische  und  chemische  Reize  annehmen. 

2.  In  diesen  Processen,  sowie  bei  vielen  anderen  Hautkrank¬ 
heiten  könpen  wir  am  häufigsten  die  Invasion  gewöhnlicher  Mikro¬ 
organismen  constatiren  (Staphylococcen,  Streptococcen).  Die  Folgen 
dieser  Invasion  hängen  von  dem  Grade  der  Giftigkeit  der  Mikroben, 
von  der  localen  und  allgemeinen  Prädisposition  und  von  der  Natur 
des  ursprünglichen  Processes  ab. 


Dies  ergibt  eine  lange  Reihe  sehr  verschiedener  Reactionen  der 
Haut,  von  der  geringsten  Irritation  bis  zu  starker  Impetiginisation,  von 
der  vorübergehendsten  Läsion  bis  zum  schweren  und  chronischen  Ekzem. 

3.  Die  gewöhnlichen  Infectionen  können  sich  ohne  Weiteres 
ohne  Vorbestand  eines  erkennbaren  Krankheitszustandes  erzeugen. 
Ihre  Entwicklung  und  ihr  Grad  sind  in  gleicher  Weise  von  der  Natur 
des  Terrains  abhängig. 

II.  B  r  o  c  q  und  V  e  i  1 1  o  n  (Paris):  Bedeutung  desWortes 
Ekzem. 

Folgendes  sind  die  wichtigsten  Punkte:  deren  Discussion  uns 
nöthig  erscheint.  Wir  theilen  sie  in  zwei  Gruppen:  A.  Die  erste 
betrifft  jene  Eruptionen,  die  wir  als  wahre  Ekzeme;  B.  die*  zweite 
jene  Eriqjtionen,  welche  wir  unter  dem  Namen  Ekzeme  bezeichnen. 

A.  Muss  man  zu  den  Ekzemen  folgende  Krankheitsformen 
einreihen  : 

1.  Dyshydrosis?  Nein,  weil  die  wahre  Dyshydrose  w’eder  das 
Aussehen,  noch  die  Entwicklung,  noch  die  therapeutischen  Reactionen 
der  wahren  Ekzeme  darbiotet. 

2.  Aus  demselben  Grunde  gehören  Prurigo  simplex  (Brocq), 
Prurigo  temporaire  autotoxique  (T  o  m  m  a  s  o  1  i),  Lichen  simplex 
aigu  (E.  Vidal)  nicht  zu  den  Ekzemen. 

3.  Bezüglich  des  Prurigo  von  Hebra  ist  die  Frage  complicirt,  weil 
man  bei  demselben  sehr  häufig,  wenn  nicht  immer,  Ekzeme  beobachte!. 

4.  Lichen  der  alten  Autoren:  Neurodermites  von  Brocq  und 
Jaquet  gehören  nicht  hieher,  weil  diese  Dermatosen  sich  in  voll¬ 
kommen  trockenem  Zustande,  ohne  irgend  eine  Bläschenbildung  ent¬ 
wickeln  können,  wenn  sie  auch  nach  Besnier  wirklich  ekzematogene 
oder  präekzematische  Affectionen  sein  mögen. 

5.  Impetigo  contagiosa  von  Tilbury  Fox;  Ekthyma  von 
Sabouraud  sind  genau  bezeichnete  iiberimpfbare,  oder  autoinoculable 
Affectionen,  bei  welchen  der  Mikrobe  eine  grosse  Rolle  spielt.  Das¬ 
selbe  gilt: 

G.  Vom  Impetigo  von  Bockhardt. 

7.  Bei  dem  seborrhoischen  Ekzem  sind  folgende  Unter¬ 
scheidungen  nöthig: 

a)  Die  Krusten  der  behaarten  Kopfhaut  und  die  verschiedenen 
eoncreten  Seborrhoen  wären  in  die  Ekzeme  nicht  einzureihen. 

b)  Pityriasis  capitis,  die  fliegenden  Flechten  des  Gesichtes  oder 
die  typischen,  pityriasisartigen  Seborrhoen  wären  nicht  als  Ekzeme  zu 
betrachten,  weil  sie  bei  ihrer  Entwicklung  immer  den  Charakter 
absoluter  Trockenheit  bewahren  und  daher  sich  mehr  den  Psoriasis¬ 
formen  nähern. 

c)  Die  typischen  psoriasisartigen,  seborrhoischen  Ekzeme  sind 
aus  gleichen  Gründen  nicht  einzureihen. 

d)  Die  pityriasis-  oder  psoriasisartigen  Parakeratosen  oder 
Seborrhoiden  sind,  sobald  sich  nässende  Bläschen  bilden,  als  Com- 
plicationen  des  Ekzemes  zu  betrachten. 

e)  Das  Eczema  circinatum,  mit  seinem  bei  den  Autoren  ver¬ 
schiedenen  Bezeichnungen  betrachten  wir  als  eine  besondere,  wahr¬ 
scheinlich  durch  Mikroben  erzeugte  Krankheitsform. 

8.  Die  Pityriasis  Rose  von  Giber  t  hat  ganz  besonderen  Ver¬ 
lauf;  sie  tritt  mit  einem  auffälligen  Plaque  auf,  hierauf  seeundäre 
Generalisation,  cyklische  Entwicklung,  spontane  Heilung,  ohne 
Bläschenbildung. 

9.  Psoriasis  gehört  ganz  entschieden  nicht  zu  den  Ekzemen. 

10.  Acne  rosacea  ist  durch  rapide  Entwicklung  einer  Reihe 
von  oberflächlichen,  feinen,  lebhaft  rothen  Papeln  und  Pusteln,  welche 
auf  den  Wangen,  der  Nase,  dem  Kinne,  der  Stirne,  den  Lippen  ver¬ 
streut  sind,  charakterisirt,  welche  rasch  verschwindend  sich  irregulär 
mit  grösster  Raschheit  und  Hartnäckigkeit  wiederbilden.  Man  hat 
diese  Dermatosen  den  Ekzemen  genähert,  jedoch  ist  dieselbe  für  uns 
eine  ganz  besondere  Krankheit. 

11.  Alle  künstlich  erzeugten,  bläschenartigen  Eruptionen  be¬ 
trachten  wir  nicht  als  Ekzeme.  Die  Traumatismen,  die  verschiedenen 
Hautreize  und  Mikroben  können  bei  dazu  veranlagten  Personen  Ekzeme 
hervorrufen.  Sie  können  aber  auch  künstliche  Hautentzündungen  er¬ 
zeugen,  ohne  den  Charakter  von  Ekzemen;  schliesslich  sich  mit 
echten  Ekzemen  compliciren,  was  sehr  häufig  beobachtet  wird. 

B.  Unter  dem  Namen  Ekzem  muss  man  einzig  und  allein  die 
bloss  erythematösen  bläsehen-  und  schuppenartigen  Hautaffectionen 
verstehen,  wie  dies  allgemein  angenommen  wird.  Die  Bläschen¬ 
bildung  ist  typisch  für  das  Ekzem,  sei  dieselbe  in  vollständiger 
Entwicklung  oder  verkümmert  und  nur  durch  eine  feine,  krusten¬ 
artige,  in  der  Oberhaut  eingefügte  Schuppe  gekennzeichnet.  Dies  muss 
vorläufig  als  das  objective  Kennzeichen  dieser  Affection  bezeichnet 
werden,  welche  nebst  anderen  Kennzeichen  in  ihrer  Entwicklung  und 
Neigung  zu  Recidiven  von  den  blos  artificiellen  Eruptionen  voll¬ 
ständig  verschieden  ist. 

Damit  wir  bei  der  Bezeichnung  Ekzem  uns  auf  ein  sicheres 
pathogenetisches  Kriterium  stützen  können,  glauben  wir  als  solches  vom 
klinischen  Standpunkte  wählen  zu  müssen: 


Nr.  40 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


923 


1 .  Der  objective  Anblick,  welcher  dieser  Dermatose 
während  ihrer  Entwicklung  am  meisten  eigenthümlich  ist  und  dieselbe 
von  allen  Complicationen  unterscheidet;  dieser  ist  für  das  echte  Ekzem 
unbestreitbar  die  Bläschenbildung.  Dieses  ist  das  objective 
Symptom  Ekzem,  das  heisst  Ekzematisation. 

2.  Die  specielle  Entwicklung  dieser  Dermatosen  durch  successive 
Nachschübe  mit  demselben  objectiven  Typus  oder  mit  Typen  derselben 
Ordnung,  amormph,  münzenartig,  mit  disseminirten  Papeln  und 
Bläschen,  welche  sich  aneinanderreihen  oder  combiniren  können  und 
bei  demselben  Individuum  mit  eiuer  ganz  besonderen  Hartnäckigkeit 
unter  dem  Einflüsse  der  verschiedensten  Gelegenheitsursachen  auf- 
treten.  Dieses  ist  die  Krankheit  E  k  z  e  m,  welche  durch  das  be¬ 
sondere  Aussehen  der  Eruption  und  durch  die  besondere  Entwicklung 
bestimmt  ist. 

Bedeutung  der  Mikroben  bei  der  Entstehung  der 

Ekzeme. 

Gegenwärtiger  Stand  der  Frage.  Dieselbe  wurde  im  Jahre  1890 
auf  dem  Congresse  zu  Birmingham  zuerst  angeregt,  und  zwar  von 
Unna.  Nach  ihm  ist  das  Ekzem  eine  durch  einen  besonderen  patho¬ 
genen  Mikroben  klar  abgegrenzte  Krankheit,  den  Morococcus,  dessen 
Impfung  und  Entwicklung  auf  einem  durch  Verbesserung  des  Nähr¬ 
bodens  günstig  gestalteten  Terrain  die  charakteristische  Eruption  zur 
Folge  hat. 

Diese  Auffassung  wurde  durch  die  Schüler  U  n  n  a’s,  M  orris 
in  England,  Leredde  in  Frankreich,  unterstützt.  Controluntersuchungen 
der  jüngsten  Zeit  scheinen  diese  Lehre  nicht  zu  bestätigen. 

Nach  T  ö  r  ö  k  ist  das  acute  vesiculäre  Ekzem  der  Impfung 
U  n  n  a’s  kein  Ekzem.  Die  besonderen  Kennzeichen,  welche  Unna 
für  seinen  Morococcen  angegeben  hat  sind  ungenügend  oder  wider¬ 
sprechen  sich;  derselbe  ist  nur  ein  gewöhnlicher  Staphylococcus. 

Nach  Sabouraud  ist  der  Morococcus  nur  ein  besonderer 
Staphylococcus,  welcher  sich  von  dem  Staphylococcus  albus  unter¬ 
scheidet;  durch  eigenartige  Cultur  wird  wahrscheinlich  bei  manchen 
schuppigen  Epidermitiden  und  Parakeratosen  die  fettige  Entartung 
begünstigt.  Hiemit  ist  seine  Aufgabe  begrenzt,  er  ist  aber  für  das 
wahre  Ekzem  keineswegs  pathogen. 

Derselbe  Autor  behauptet,  dass,  wenn  sich  Staphylococcus  aureus 
und  Streptococcus  auf  inficirten  Hautdecken  entwickeln,  diese  daselbst 
besondere  Entzündungen  hervorrufen,  welche  er  „dermite  chronique  ä 
streptocoques“  und  „dermite  pustuleuse  miliaire  staphylococcique“  be¬ 
zeichnet,  aus  deren  Combination  jener  Complex  entsteht,  welchen  die 
Kliniker  chronisches  Ekzem  benennen. 

Scholz  und  Raab  haben  gefunden,  dass  der  Staphylococcus 
aureus  auf  der  Oberfläche  der  Ekzeme  immer  in  beträchtlicher  Menge 
vorkommt.  Ihre  Impfungen  mit  derartigen  Culturen  sind  wenig  be¬ 
weisend  gewesen. 

Sie  schreiben  aber  denoch  der  Infectiou  durch  den  Staphylococcus 
eine  besondere  Bedeutung  bei;  denn  mit  Rücksicht  auf  sein  constantes 
Fortkommen,  müsse  man  diesen  Mikroben  als  wesentlichen 
Factor  in  der  Aetiologie  betrachten,  ohne  welchen 
ein  Ekzem  mit  typischem  Verlaufe  sich  nicht  ent¬ 
wickeln  kann. 

Dennoch  geben  sie  zu,  dass  die  Staphylococceninfection  eine 
secundäre  Ursache  sei;  die  Hauptursache  sei  durch  die  Art  der  Läsion 
der  Haut  bedingt,  so  dass  nur  auf  lädirtem  Terrain  Invasion  und 
Infection  entstehen  können. 

Kreibich  schloss  aus  seinen  Untersuchungen,  dass  das 
idiopathische,  papulo-vesiculöse  Ekzem  von  II  e  b  r  a,  sowie  die  acuten 
Nachschübe  bei  chronischen  Ekzemen  ohne  Intervention  von  Mikroben 
zu  Stande  kommen.  Die  ekzematösen  Bläschen  sind  bei 
ihrer  Entstehung  amikrobisch.  Sobald  sie  älter  werden 
können  verschiedene  Mikroorganismen  hinzutreten;  letztere  und  ihre 
Toxine  können  einen  Durchtritt  von  Leukocyten  bewirken.  Von  diesen 
Mikroorganismen  hängen  die  pustulösen  und  lympbangioitischen  Com¬ 
plicationen  ab,  sie  sind  an  der  Oberfläche  nässender  Ekzeme  zahlreich 
vorhanden. 

Persönliche  Untersuchungen. 

•  1.  Die  jungen,  nicht  offenen  Bläschen  enthalten  keinen 
Mikroben. 

2.  Die  alten  offenen  Bläschen,  die  nässenden  oder  krustenartigen 
Oherflächen  sind  reich  an  Mikroben. 

3.  Letztere  sind  von  gewöhnlicher  Art  und  nicht  etwas  Be¬ 
sonderes. 

4.  Diese  Mikroben  kommen  auf  gesunder  Haut  vereinzelt  vor, 

5.  hingegen  reichlich  auf  erkrankter  Haut, 

6.  jedoch  mit  Vorliebe  auf  den  Ekzemen,  vor  Allem  der 
Staphylococcus  aureus. 

7.  Hat  man  eine  ekzematöse  Stelle  desinficirt  und  mit  sterili- 
sirtem  Zinkoxyd-Leim  bedeckt,  so  findet  man  die  Bläschen  und  das 
Serum  zwei  Tage  später  amikrobisch. 


8.  Auf  der  gesunden  Haut  eines  Ekzematösen  konnten  wir 
durch  den  prolongirten  Contact  von  Staphylococcus-Culturen,  aus  einer 
ekzematösen  Partie  stammend,  nie  Ekzem  hervorrufen. 

Beim  gegenwärtigen  Stande  unserer  Kenntnisse  ist  die  Existenz 
eines  specifischen  Mikroben  des  Ekzems  noch  zu  beweisen;  die  auf 
der  Oberfläche  nässender  Ekzeme  oder  Krusten  sich  anhäufenden  ver¬ 
schiedenen  Mikroben  sind  secundäre  Infectionen  und  die  Ursache  der 
verschiedenen  Complicationen,  welche  die  tyische  Entwicklung  des 
reinen  Ekzems  häufig  stören. 

III.  Unna  (Hamburg):  Ueber  den  parasitären  Ur¬ 
sprung  des  Ekzems. 

1.  Die  Unsicherheit  über  den  Erreger  des  Ekzems  beruht  zum 
Theile  auf  dem  Mangel  einer  guten  und  wissenschaftlichen  Systematik 
der  Coccen  überhaupt. 

2.  Die  bisherige  Systematik  aller  Coccen,  welche  nicht  zu  den 
Streptococcen  und  Paquetcoccen  gehören,  ist  ganz  künstlich  und 
nicht  ausreichend,  um  ähnliche,  aber  pathologisch  grundverschiedene 
Arten  fest  zu  bestimmen  und  sicher  von  einander  zu  trennen. 

3.  Zu  den  Mitteln  einer  besseren  Definition  und  Classification 
der  Coccen  gehört  die  genaue  mikroskopische  Untersuchung  mittelst 
bestimmter  Färbemethoden. 

4.  Um  die  ätiologische  Rolle  eines  Ekzemerregers  sicher¬ 
zustellen,  bedarf  es  vor  Allem  des  Nachweises,  dass  das  histo-bac- 
teriologische  Bild  der  durch  die  Impfung  erzeugten  Hautkrankheit  mit 
dem  histo-bacteriologischen  Bilde  des  Ekzems  übereinstimmt. 

5.  Unter  den  vielen  beim  Ekzem  gefundenen  Organismen  sind 
mehrere,  welche  bei  der  Impfung  wieder  Ekzeme  erzeugen. 

6.  Die  verschiedenen  Formen  des  Ekzems  zum  Theile  auf  die 
Wirkung  zurückzuführen,  ist  die  nächste  Aufgabe  der  Zukunft  in  der 
Ekzemfrage. 

7.  Das  Ekzem  ist  eine  ansteckende  und  unter  Umständen  auch 
epidemische  Erkrankung. 

IV.  L  a  s  s  a  r  (Berlin) :  Die  Peladen, 

1 .  Die  Verbreitung  der  Peladen  hat  innerhalb 
der  letzten  Jahrzehnte  augenscheinlich  immer  mehr 
um  sich  gegriffen.  Die  Eindrücke  und  Angaben  einzelner  Aerzte 
können  für  das  Zahlenverhältniss  aber  nicht  als  beweiskräftig  be¬ 
trachtet  werden.  Das  etwa  relativ  grössere  Anwachsen  ihres  eigenen 
Beobachtungsmaterials  muss  zum  Theil  auf  dem  grösseren  Zugang 
der  Hilfesuchenden  beruhen,  welche  erfahren  haben,  wer  sich  mit  Be¬ 
handlung  der  sonst  weniger  beachteten  Haarkrankheiten  erfolgreich 
befasst. 

Ein  sicheres  statistisch  werthvolles  Material  vermag  nur  auf 
dem  Wege  der  Enquete  gewonnen  werden.  Diese  Umfrage  wäre  bei 
den  Fachgenossen  aller  Culturländer  anzustellen.  Eine  Commission, 
bestehend  aus  den  Herren  General-  und  Landessecretären  des  Con¬ 
gresses,  würde  mit  Hilfe  eines  einfachen  Schemas  ein  sicheres  und 
interessantes  Ergebniss  zu  Tage  fördern.  Auch  für  andere  Kategorien 
von  Krankheiten  kann  ein  derartiges  Vorgehen  der  internationalen 
Collegialität  Weith  gewinnen.  Es  ist  aber  aussichtsvoller,  vorerst  aut 
einem  so  leicht  übersichtlichen  Gebiete  den  Anfang  zu  machen. 

2.  Eine  besondere  Veranlagung  oder  Wider¬ 
standskrafteinzelner  Individuen  besteht  gegen¬ 
über  der  Alopecia  areata  nicht.  Eine  Immunität 
gegen  das  Leiden  kann  nicht  erworben  werden.  Dafür 
spricht,  dass  Personen  jeden  Alters  und  jeder  Lebenslage  ohne  Aus¬ 
wahl  befallen  werden.  Zu  allen  Zeiten  und  in  allen  Gegenden  hat  das 
Leiden  dasselbe  Bild  dargeboten.  Der  atypische  Fortschritt  in  jedem 
Einzelfall  hat  etwas  rein  Zufälliges.  Dieselben  Personen  und  dieselben 
Körperstellen  können  immer  wieder  von  Neuem  befallen  werden. 

3.  Die  Aetiologie  harrt  noch  der  endgiltigen 
Aufklärung.  Die  neuropathische  Auffassung  hat  mehr  und  mehr 
an  Boden  und  Anhängern  verloren.  Sie  würde  auch  an  sich  nichts 
beweisen,  ehe  nicht  eine  vorhergehende  Alteration  der  etwa  erkrankten 
Nervengebiete  oder  eine  Mitbetheiligung  des  Nervensystemes  in  irgend 
einer  Form  dargethan  ist.  Selbst  die  in  der  Literatur  niedergelegten, 
vereinzelten  Vorkommnisse,  welche  jene  Deutung  unterstützen  könnten, 
kommen  gegenüber  der  grossen  Menge  alltäglicher,  ohne  jede  andere 
Erscheinung  als  den  Haarprocess  auftretender  Einzel-  und  namentlich 
Massenfälle  nicht  in  Betracht.  Eine  epidemische  oder  nur  endemische 
Nervenerkrankung,  mit  Ausschluss  aller  anderen  Symptome  als  den 
fleckförmig,  allmälig  um  sich  greifenden  Haarausfall  gibt  es  sicher¬ 
lich  nicht.  Dazu  kommt  die  Localisation.  Dieselbe  ist  an  keinerlei 
vorgezeichnete  Nervenbahnen  gebunden.  Sie  kann  sich  unilateral, 
bilateral,  universell  gestalten,  müsste  also  im  Falle  einer  directen  Ab¬ 
hängigkeit  vom  Nervensystem  entweder  eine  grosse  Anzahl  peripherer 
Nerv.enstämme  oder  ein  ausschliesslich  für  das  Haarwachsthum  exi- 
stirendes  Centrum  betreffen.  Beides  ist  gleich  unwahrscheinlich,  bildet 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  40 


aber  für  Aufrechterhaltung  von  der  nervösen  Natur  der  Alopecia 
areata  die  unumgängliche  Voraussetzung. 

Die  parasitäre  Theorie  ist  die  in  jeder  Beziehung  allen  analogen 
Verhältnissen  am  meisten  homogene.  Die  contagionistische  Auffassung 
wird  durch  das  Auftreten  in  Familien,  Schulen,  Internaten,  Kasernen, 
durch  die  gruppenweise  Etablirung  der  Krankheitsherde,  die  Beziehung 
zu  Barbierstuben  und  Haarschneiden  in  übereinstimmender  Art  er¬ 
wiesen.  Dazu  kommt  die  Verbreitungsart,  welche  nur  mit  einer  vor 
sich  gehenden  Autoinoculation  zu  erklären  ist.  Da  nun  fast  alle  von 
Person  zu  Person  direct  oder  indirect  verschleppbaren  Krankheits¬ 
zustände  auf  parasitären  Einnistungen  beruhen,  so  liegt  kein  ge¬ 
gründeter  Zweifel  vor,  dass  auch  die  Peladen  sich  als  bacterielle 
Affection  erweisen  werden.  Ehe  nicht  activ  durchgeführte  Experimente 
den  Beleg  geliefert  haben,  ist  dieser  Beweis  jedoch  nicht  erbracht. 
Entgegen  steht  demselben  leider  der  Umstand,  dass  sämmtliche  uns 
zu  Gebote  stehende  Versuchsthiere  immun  zu  sein  scheinen.  Wenigstens 
sind  bis  jetzt  alle  Uebertragungsversuche  negativ  ausgefallen.  Endlich 
bleibt  noch  die  Möglichkeit  offen,  dass  eine  fremdartige,  bis  lang  un¬ 
erwartete  Ursache  gefunden  werde,  welche  eine  toxische  Hemmung 
des  Haarwuchses  an  Ort  und  Stelle  bewirkt,  ohne  sich  schliesslich 
als  locale  Bacterienentwicklung  zu  erweisen. 

4.  DieTherapie  der  Alopecia  areata  bildet  eine 
auf  hypothetischer  Voraussetzung  begründete  und 
in  günstiger  Weise  bewährte  Empirie.  Von  ihrer  früh¬ 
zeitigen  Anwendung  hängt  die  Prognose  ab.  Diese  gestaltet  sich  bei 
Vernachlässigung  ungewiss  und  ungünstig  und  hebt  sich  direct  im 
Verhältniss  zur  Anwendung  derjenigen  Mittel,  von  denen  man  sich 
nichts  Anderes  als  eine  bactericide,  antiparasitäre,  beziehungsweise 
antitoxische  Wirkung  vorstellen  und  versprechen  kann.  Ohne  auf  die 
einzelnen  Vorschläge  der  hierin  übereinstimmenden  Autoren  einzugehen, 
ist  hervorzuheben,  dass  alle  wirksamen  Methoden,  von  Sublimat  und 
Carbolsäure  bis  zur  Anwendung  der  elektrischen  Energien,  in  ihren 
verschiedenen  Formen  in  diesem  Sinne  übereinstimmen. 

* 

Abtheilung  für  Neurologie. 

Ref.  Dr.  Sp. 

I.  Jendrassik  (Budapest):  Ueber  die  Natur  der 
Sehnenreflexe. 

1.  Die  Sehnenreflexe  sind  wahre  Bewegungsreflexe,  deren  Weg 
direct  quer  über  die  graue  Substanz  des  Rückenmarkes  bis  zur  Höhe 
der  zweiten  und  vierten  Lendenwurzeln  führt. 

2.  Der  Kniescheibenreflex  und  die  Sehnenreflexe  im  Allgemeinen 
sind  das  Resultat  einer  plötzlichen,  mechanischen,  augenblicklichen 
Erregung  der  Empfindungsn  erven  der  die  Sehne  umgebenden  Gewebe 
und  sind  nicht  dem  Muskel  durch  eine  Vibration  der  Sehne  übertragen. 

3.  Die  genannten  Reflexe  können  nicht  mit  anderen  identificirt 
werden.  Die  gewöhnlichen  Hautreflexe  steigen  bis  zum  Gehirn,  wahr¬ 
scheinlich  bis  zur  Rinde,  während  die  Reflexbewegungen  der  myeliti- 
schen  Paraplegiker,  in  Folge  einer  nur  wenig  verlängerten  Haut¬ 
erregung  und  Beugung  der  Hüfte,  des  Beines  und  Dorsalbeugung  des 
Fusses,  selten  eine  andere  Bewegungsform  erzeugend,  pathologische 
Reflexe  sind.  Letztere  sind  das  Resultat  einer  Abweichung  des  Nerven- 
stromes,  der  den  Weg  zum  Gehirn  zu  Anden  verhindert  ist,  oder 
einer  gesteigerten  Erregung  der  nervösen  Elemente  des  von  den  oberen 
Centien  getrennten  Rückenmarkes. 

4.  Der  Muskeltonus  hat  einen  grossen  Einfluss  auf  die  Sehnen¬ 
reflexe;  ist  er  gesteigert,  so  ist  der  Reflex  lebhafter;  Schwächung  des 
Tonus  kann  sogar  die  Reflexe  verschwinden  machen. 

:>.  Das  Verschwinden  der  Kniescheibenreflexe  bei  Tabes  ist 
durch  die  gegenwärtigen  Theorien  noch  nicht  genügend  erklärt,  aber 
sehr  wahrscheinlich  durch  Abschwächung  des  Muskeltonus  bedingt. 

G.  Das  Verschwinden  der  Sehnenreflexe  bei  Gehirnkrankheiten 
ist  ausnahmsweise  und  möglich  durch  Nervenshock  oder  durch 
eine  secundäre  Erkrankung  des  Rückenmarkes  verursacht. 

7.  Das  Verschwinden  der  Sehnenreflexe  bei  Erkrankungen  des 
Kleinhirns  ist  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  verzeichnet;  im  Gegentheile 
ist  Steigerung  dieser  Reflexe  die  Regel.  Auch  ist  es  sehr  wahr¬ 
scheinlich,  dass  bei  Geschwülsten  des  Kleinhirns  dieses  Verschwinden 
eher  ein  allgemeines  Symptom  war,  bedingt  durch  consecutive  Hydro- 
myelie  oder  durch  starre  Contracturen  der  Muskeln. 

8.  Der  Verlust  der  Kniescheibenreflexe  ist  keineswegs  ein  Beweis 

einer  gänzlichen  IransversalenTheilungder  NervenelemtedesRückenmarkes. 

9.  Der  Verlust  der  Kniescheibenreöexe  bei  traumatischen 
Läsionen  des  Hals-  oder  Dorsal markes  ist  ein  klinischer  Beweis,  dass 
auch  die  graue  Substanz  des  Lendenmarkes  ergriffen  ist ;  diese  Aus¬ 
dehnung  des  pathologischen  Processes  ist  nicht  immer  durch  unsere 
gegenwärtigen  histologischen  Mittel  zu  beweisen,  aber  sie  ist  bewiesen 
durch  den  Eintritt  schwerer  trophischer  Störungen :  Acuter  Decubitus, 
septische  Cystitis  und  Pyelitis,  vasomotorische  Störungen,  Muskel¬ 
schwund  u.  s.  w.  Es  ist  also  das  Verschwunden  der  Kniereflexe 


ein  Symptom  von  schlechter  Vorbedeutung,  ausgenommen  die  seltenen 
Fälle,  welche  durch  Nervenshock  verursacht  sind. 

10.  Die  Prüfuug  der  Kniescheibenreflexe  ist  bei  paraplegischen 
Zuständen  nicht  immer  leicht.  Man  muss  sich  genau  an  die  Regeln 
dieser  Untersuchung  halten,  nicht  selten  gelingt  es  durch  geeignete 
Mittel  den  scheinbar  fehlenden  Reflex  nach  früher  wiederholten  Ver¬ 
suchen  denuoeh  hervorzurufen. 

* 

Abtheilung  für  Orthopädie. 

Referent  Dr.  Sp. 

Prof.  Lorenz  (Wien) :  Ueber  die  unblutige  Behand¬ 
lung  der  angeborenen  Hüftgelenksverrenkung. 

Die  unblutige  Behandlung  ist  der  operativen  Behandlung  vor- 
zuziehon,  weil  die  letztere  nicht  frei  von  Gefahren  ist:  2 — 10 :  100  Sterblich¬ 
keit;  ausserdem  verbleiben  häufig  Ankylosen  und  Contracturen,  welche 
eine  peinliche  und  langdauernde  Behandlung  nach  der  Operation  erfordern. 

Endlich  kann  die  Verletzung  oder  Exstirpation  des  Knorpels  von 
Verkürzung  des  Beckens  in  Folge  Verhinderung  der  Knochenentwick 
lung  gefolgt  sein. 

Die  mechanische  Behandlung  durch  tragbare  Apparate  ist  lang¬ 
wierig,  ohne  Ende  und  ohne  zufriedenstellende  Resultate.  Bei  einer 
anderen  unblutigen  Methode,  nämlich  der  langsamen  Reduction  in  Ex¬ 
tensionsschienen,  kann  man  nur  bei  ganz  kleinen  Kindern  Erfolg 
haben.  Aber  auch  hier  ist  die  Behandlung  zu  lang  und  die  Lagerung 
in  der  Schiene  dem  Allgemeinbefinden  schädlich. 

Also  die  unblutige  Behandlung  mit  der  so¬ 
fortigen  Reduction  des  Schenkelkopfes  unter 
Chloroform  vermeidet  alle  diese  Uebelstände.  Innerhalb  der  Alters¬ 
grenzen  (d.  h.  ein  Kind  mit  einer  angeborenen  einseitigen  Ver¬ 
renkung  darf  höchstens  neun  bis  zehn  Jahre,  mit  einer  beiderseitigen 
sieben  bis  acht  Jahre  zählen)  ist  diese  Methode  ohne  Gefahr.  Die 
sofortige  Reduction  unter  Chloroform  macht  man  oberhalb  des  oberen 
Randes  der  Gelenkspfanne  mittelst  horizontaler  Extension,  oder  ober¬ 
halb  des  hinteren  Randes  der  Pfanne  mittelst  verticaler  Extension; 
letzterer  Vorgang  ist  vorzuziehen,  weil  die  bessere  Entwicklung  des 
hinteren  Pfannenrandes  das  Gelingen  der  Reduction  exacter  constatiren 
lässt.  Uebt  man  die  sofortige  Reduction  oberhalb  des  hinteren  Randes, 
so  braucht  man  keine  mechanischen  Apparate.  Diese  wird  in  folgender 
Weise  vorgenommen: 

Man  beginnt  mit  dor  subcutanen  Zerreissung  der  Adduetoren 
mittelst  Petrissage  der  durch  eine  forcirte  Abduction  stark  gespannten 
Muskeln,  hernach  übt  man  auf  den  im  rechten  Winkel  gebeugten 
Oberschenkel  eine  verticals  Extension  und  eine  Abduction  bis  beinahe 
auf  90°,  combinirt  mit  einem  directen  Drucke  auf  den  grossen  Tro¬ 
chanter.  Die  gelungene  Reduction  zeigt  untrügliche  Symptome  und 
kann  noch  durch  die  Radiographie  bestätigt  werden.  Das  Princip  der 
Nachbehandlung  besteht  darin,  den  Grund  der  Pfannenhöhlung  dem 
Drucke  des  Körpergewichtes  mittelst  des  reintegrirten  Schenkelkopfes 
zu  unterwerfen,  und  unter  dem  Einflüsse  dieser  physiologischen  Function 
erweitert  und  vertieft  sich  der  Pfannengrund  durch  Erhöhung  des 
oberen  Randes.  Um  nun  den  Schenkelkopf  in  der  Höhlung  zu  er¬ 
halten,  ist  der  Oberschenkel  in  einer  übermässigen  Abduction,  je  nach 
Umständen  bis  90°  fixirt,  combinirt  mit  leichter  Hyperextension  und 
Drehung  nach  innen,  zu  belassen.  Erst  nach  einem  Zeiträume  von  vier 
bis  fünf  Monaten  verbessert,  man  diese  extreme  Stellung  des  Ober¬ 
schenkels  durch  eine  mittlere  Stellung  (leichte  Beugung  und  Abduction) 
und  fixirt  dieselbe  während  weiterer  vier  bis  fünf  Monate.  Während 
der  Fixation  muss  sich  der  Kranke  im  Gehen  oder  Stehen  möglichst 
lange  auf  den  Beinen  erhalten.  Nach  Entfernung  des  letzten  Gyps- 
verbandes  übt  man  die  Massage  und  Gymnastik  der  Becken-Trochanter¬ 
muskeln.  In  vielen  Fällen  zeigt  die  Radiographie  eine  fast  vollständige 
anatomische  Herstellung  der  Pfannenhöhle,  die  sich  unter  dem  Ein¬ 
flüsse  des  Körpergewichtes  concentriseh  erweitert  hat.  In  anderen 
Fällen  erweitert  sich  die  Gelenkshöhle  excentrisch  in  die  Höhe  unter 
Bildung  eines  neuen  oberen  Knochenrandes,  unter  welchem  der  Schenkel¬ 
kopf  befestigt  bleibt.  In  anderen  Fällen  erleidet  der  wieder  zurecht¬ 
gestellte  Kopf  eine  neuerliche  Verrenkung  in  die  Höhe  und  die 
Pfannenhöhle  wird  nicht  alterirt.  In  diesen  letzten  Fällen  liegt  der 
vordere  Rand  des  Darmbeines  über  das  reluxirte  Oberschenkelbein 
derart,  dass  das  Becken  einen  knöchernen  Stützpunkt  gewonnen  hat. 
Beinahe  in  der  Hälfte  der  Fälle  kann  man  von  einer  radicalen  Heilung 
sprechen,  in  der  anderen  Hälfte  sind  die  Resultate,  wrenn  auch  ana¬ 
tomisch  nicht  genügend,  für  die  Functionen  des  Gliedes  ausreichend, 
ja  zuweilen  noch  besser,  als  die  anatomisch  vollständigen  Resultate; 
nach  der  Operation  verschwunden  sogar  die  pathologische  Lordose  nach 
beiderseitiger  Luxation. 

Wo  man  mit  der  unblutigen  Methode  nicht  ausreicht,  vollführt 
man  die  blutige,  lässt  die  Gelenkshöhle  intact  und  leitet  die  Weiter¬ 
behandlung  nach  den  Grundsätzen  der  unblutigen  Reduction. 

*  (Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur  :  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  40. 


Nach  Cassoute,  Cornier  und  anderen  französischen 

Aerzten  ist 

„CRE0S0TAL“ 
EIN  EMINENTES 
HEILMITTEL  BEI 

PNEUMONIE 

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nnd  allen  anderen  acuten  Erkrankungen  der  Atmungsorgane. 
Litteratur  mit  genauer  Angabe  der  Dosierung  kostenfrei 

durch  Chemische  Fabrik  von  Heyden,  Radebiu!  bei  Dresden. 


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Wirksamer  Bestamltheil  der  Cascara  Sagrada.  Cholagogum  &  Copragogum 


Habituelle 

Verstopfung. 


Leber¬ 

beschwerde. 


Antisepsis 

des 

Verdauungs- 

tractus. 


Atonie  der 
Peristaltik. 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 
Lactation. 


Chole 
)  lithiasis. 


Pillen  und  Elixir. 

Das  »Cascarinet  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  Laffont,  Bulletin  de  l’Academie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul ;  Dujardin 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  Purgatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305;  Tison,  Höpital 
St. -Joseph  und  Congrfes  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ,  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

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General  vertretung:  St.  Leonhards- Apotheke,  Basel. 

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Zu  beziehen  in  Flaschen  von  circa  250  Gramm  Inhalt  durch  jede  Apotheke. 
Literatur:  siehe  Therapeut.  Beilage  Nr.  7  d.  D.  med.  Wochenschrift  Nr  27  (98); 
Nr.  56  d.  A.  M.  C.-Z.  (99);  Nr.  29  d.  A.  B.  C.  (99);  Nr.  17  d.  Wiener  Med.  Bl.  (1900). 

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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  40, 


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Prot. 

Prof. 


H.  Clliari,  Doc.  A. 
R.  v.  Jakscli,  Prof. 


Fracnkel,  Prof.  E.  Fuchs,  Prof.  C. 
E.  Ludwig,  Prof.  E.  Neusser,  Prof.  A. 

und  Prof.  A.  TVeicliselbauni. 


Gussenbauer,  Prof.  Y. 
y.  Rostliorn,  Prof.  L. 


y.  Hacker, 
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(Redaction:  Prof.  H.  Clliari  in  Prag.) 


XXI.  BAND  (NEUE  FOLGE  I.  BAND),  JAHRGANG  1000,  REFT  IX. 


Abtheilung  für  Chirurgie  und  verwandte  Disciplinen,  III.  Heft. 


Inhalt  : 

KEULER,  Dr.  H.  (Wien).  —  Ovarialcyste  combinirt  mit  einem  soliden  und  zwei  eystischen  Embryomen.  —  Mit  Tafel  II —  IV. 
GERSUNY,  Dir.  Dr.  R.  (Wien).  —  lieber  eine  subcutane  Prothese. 

DONATI,  Dr.  C.  (Innsbruck).  —  lieber  einen  Fall  von  Haematosalpinx  und  Haeinaiometra,  —  Mit  Tafel  V. 

SMOLER,  Dr.  F.  (Prag).  -  1  )arminvagination,  bedingt  durch  ein  melanotisehes  Sarkom  des  Dünndarms.  —  Mit  Tafel  VI 
FÖDERL,  Dr.  O.  (Wien).  —  Ueber  Hydrokele  muliebris.  —  Mit  Tafel  VII— XI. 

KRCZMAR,  Mag.  ph.  H.  (Prag).  —  Werthbestimmung  von  Jodoformgazen. 

TÖRÖK,  Prim.  Dr.  G.  v.  (Wien).  —  Teratom  der  Brusthöhle.  —  Mit  1  Abbildung. 


Die  „ZEITSCHRIFT  FÜR  HEILKUNDE“  erscheint  jährlich  in  12  Heften  von  je  circa  5  Druck¬ 
bogen  Umfang. 

Del-  Ahouneuieutspreis  für  den  Jahrgang  (12  Hefte)  beträgt  K  36. -  31.  30.—. 

Der  Abonnementspreis  für  die  einzelnen  AMllcilimgCll,  und  zwar: 

Interne  Medicin  und  verwandte  Disciplinen  (4  Hefte), 

Chirurgie  und  verwandte  Disciplinen  (4  Hefte)  und 
Patholog.  Anatomie  und  verwandte  Disciplinen  (4  Hefte), 
ist,  K  12. —  —  31.  10. —  für  jede  Abtlieilung. 

Zuschriften  für  (lie  Redaction  sind  zu  richten  an  Herrn  Professor  H.  Clliari,  Prag,  II.  Kranken¬ 
hausgasse  4- 


der 

und 


Ich  empfehle 
hervorragenden 
empfehle  mich 


die  Zeitschrift,  welche  berufen  ist, 
medicinischen  Faeliorgane  zu  stehen, 


in  ihrer  Neugestaltung  sehr  bald  in  erster  Reihe 
der  besonderen  Aufmerksamkeit  der  Herren  Aerzte 


Wien  u.  Leipzig.  October  1900. 


Hochachtungsvoll 

Wilhelm  Braumüller. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexandor  Fraenkel, 
IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1 .  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 
M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 
H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


®  ■  © 

I  Abonnementspreis 
jährlich  20  K  —  20  Mark. 
Abonnements-,  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
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mit  60  h  =  50  Pf.  pro 
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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 11/1,  Wickenburggasse  13. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  11.  October  1900. 


Br.  41. 


1 1ST  ZE3I  ^  IL  T : 


I.  Originalartikel :  1.  Zur  Lehre  vom  Trachom.  Vun  C.  Ziem  in  Danzig. 

2.  Ueber  den  normalen  -  Grosszehenreflex  hei  Kindern.  Von  Fritz 
Passini,  Assistenten  der  Abtheilung  des  Herrn  Prof.  Früh w aid 
an  der  Wiener  Allgemeinen  Poliklinik. 

3.  Fornialdehyddesinfection.  Von  Dr.  Basil  Kluczenko,  k.  k.  Laudes- 
Sanitätsreferent  in  der  Bukowina. 

II.  Feuilleton:  Vorstellungen  über  die  Art  der  Durchführung  des  Unter¬ 

richtes  in  Geburtshilfe  und  Frauenheilkunde.  Von  Alfons  v. 
Rosthorn  (Graz). 

III.  Referate:  Die  Bäder  und  Mineralwässer  derErdelyer  (siebenbürgischen) 
Landestheile  Ungarns.  Von  Wilhelm  v.  Hanko.  —  Die  Unter¬ 
suchung  des  Harnes  und  sein  Verhalten  bei  Krankheiten.  Von  Dr. 


Zur  Lehre  vom  Trachom. 

Von  C.  Ziem  in  Danzig,1) 

Die  Lehre  vom  Trachom  ist  in  einer  Umwälzung  be¬ 
griffen.  Die  lange  Zeit  gütige  Anschauung,  dass  es  hiebei 
um  ein  rein  contagiöses  Leiden  sich  handle)  das  nur  und.  aus¬ 
schliesslich  von  Person  zu  Person  übergehe,  vornehmlich  durch 
gemeinsame  Benützung  von  Handtüchern  u.  dgl.,  unter  \  er- 
mittlung  der  in  manchen  Provinzen,  in  Posen,  Siebenbürgen, 
Nordungarn  und  anderwärts  so  verbreiteten  Sachsengängerei, 
durch  Einquartirung  trachomkranker  Truppen  in  Städten  oder 
auf  dem  flachen  Lande,  wie  besonders  zur  Zeit  der  Kriege 
Napoleon  I.,  durch  Entlassen  trachomkranker  Soldaten  in  die 
Heimat,  vornehmlich  im  Jahre  1834  in  Belgien,  durch  An¬ 
steckung  in  Internaten,  Schulen  u.  dgl.,  oder  mit  einer  eine 
Zeit  lang  modernen,  aber  durchaus  einseitigen  und  kurz¬ 
sichtigen  Modification  dieser  Lehre,  dass  es  oft  von  einer 
anderen  Schleimhaut  derselben  Person,  besonders  derjenigen 
der  Harnröhre,  auf  die  der  Augen  durch  Autoinfection  ver¬ 
mittelst  der  Finger  oder  beschmutzter  Kleidungsstücke  über¬ 
tragen  werde  (Dutrieux,  Grossmann,  Horr  u.  A.): 

- — -  diese  Anschauung  ist  für  einen  Theil  der  Fälle  selbst¬ 
verständlicher  Weise  durchaus  zutreffend,  und  wer  wollte  oder 
könnte  das  leugnen?  —  aber  durchaus  nicht  für  alle,  wahr¬ 
scheinlich  nicht  einmal  für  den  grössten  Theil  der  Krankheits¬ 
fälle  durchführbar,  wie  das  besonders  auf  Grund  der  geo¬ 
graphischen  Verbreitung  des  Trachoms  und  seiner  in  so  und 
so  vielen  Beobachtungen  nachweislich  ohne  Vermittlung  bereits 
inficirter  Truppenkörper  stattgehabten  Auftretens  Pk.  v.  Wal- 

J)  Nach  einem  der  am  20.  Februar  1899  in  New  Orleans  statt- 
gefundenen  Jahresversammlung  der  Western  Ophthalmologie  and  Oto-Laryngo- 
logic  Association  auf  Einladung  eingesendeten  Vortrage. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

med.  C.  Beier.  —  Practicum  der  physiologischen  Chemie  nebst 
einer  Anleitung  zur  anorganischen  Analyse  für  Mediciner.  Von 
E.  Salkowski.  —  Chemie  der  Ei  weisskörper.  Von  Dr.  Otto  Cohn¬ 
heim.  —  Die  Praxis  des  Chemikers  bei  Untersuchung  von  Nahrungs¬ 
mitteln,  Genussmitteln  und  Gebrauchsgegenständen  etc.  Von  Dr. 
Fritz  Elsner.  —  Ueber  einige  qantitative  Verhältnisse  bei  der 
Pepsinverdauung.  Von  E.  Schütz  und  Huppert.  I.  Physio¬ 

logische  Chemie  für  Studirende  und  Aerzte.  Von  Ph.  Bottazzi. 
11°  Die  anorganischen  Salze  im  menschlichem  Organismus.  Von 
R.  Brasch.  Ref.  R.  v.  Zeynek. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberiehtc. 


ther,  Arlt,  Zeltender  und  neuestens  Hirsckberg  bereits 
ausgesprochen  und  in  sehr  eingehenden  Untersuchungen  Uber 
das  in  Livland  endemische  Trachom  v.  Oettingen  und 
v.  Himmelstirn  schon  im  Jahre  1861  überzeugend  dar¬ 
gelegt  haben  (Z  e  h  e  n  d  e  r). 

Freilich  sind  in  einer  später  noch  näher  zu  besprechen¬ 
den  Arbeit  noch  unlängst  Prof.  Feuer  in  Budapest,  sowie  das 
Grossherzoglich  Mecklenburgische  Sanitätscollegium  mit  eng¬ 
gebanntem  Blicke  für  die  rein  contagionistische  Auffassung 
eingetreten,  während  doch  die  unbefangene  Beobachtung  lehrt, 

1.  dass  in  manchen  Gegenden,  vornehmlich  auch  in  der  Um¬ 
gebung  von  Szegedin  in  Ungarn  das  Jrachom  auf  dem  flachen 
Lande  häufiger  ist  als  in  den  benachbarten  Städten  (1  euer), 
was  zu  Gunsten  einer  Ausbreitung  durch  den  Verkehr  un¬ 
bedingt  nicht  spricht  •  2.  dass  in  verschiedenen,  der  Sachsen¬ 

gängerei  nicht  unterworfenen  Gegenden  der  Erde,  vornehmlich 
auch  im  classischen  Lande  des  Trachoms,  in  den  Niederungen 
von  Aegypten,  aber  auch  in  Syrien,  dem  Hochlande  von 
Palästina  und  anderwärts  das  Trachom  durchaus  nicht,  wie 
es  der  contagionistischen  Auffassung  entsprechen  müsste,  zu 
allen  Jahreszeiten  in  gleichmässiger  Häufigkeit  vorkommt, 
sondern  dass  das  Auflodern  der  Lpidemie  oder  richtiger  dei 
Endemie  in  jedem  Jahre  von  bestimmten,  allgemein  ein¬ 
wirkenden,  klimatischen  oder  telluriscken  \  erhältnissen  ab¬ 
hängt,  was  übrigens  schon  Larrey  im  Jahre  1812  zum  1  heile 
wenigstens  hervorgehoben  hat.  Als  solche  könnten  an  und  für 
sich  in  Betracht  kommen: 

1.  übermässige  Hitze  und  Blendung)  auf  das  Auge  selbst  unt 

2.  Dunst  und  Staub  J  unmittelbar  einwirkend, 

3.  Moderstoffe,  besonders  in  Malariagegenden,  entweder  a)  als 
Sumpfluft  auf  die  Ptespirationsorgane  und  zwar  zunächst  die 
Nase  einwirkend,  dann  entweder  längs  der  Contiguität  der 
Schleimhaut  oder  auch  vermittelst  nachbarlicher  Gefässvei  bin- 


926 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


Nr.  41 


düngen  auch  die  Bindehaut  des  Auges  und  andere  Theile  des¬ 
selben  befallend,  oder  b)  als  ein  durch  den  Nahrungsweg,  be¬ 
sonders  auch  mit  dem  Trinkwasser  in  den  Organismus  ein¬ 
dringendes,  dann  durch  den  Circulationsapparat  fortgeführt, 
auf  das  Auge  sich  localisirendes  Agens. 

1.  Die  an  erster  Stelle  genannten,  von  Larrey  schon 
erwähnten  Momente,  übermässige  Hitze  und  Blendung,  könnten 
für  unseren  Gegenstand  natürlich  nur  in  tropischen  oder  sub¬ 
tropischen  Gegenden,  so  im  Gebiet  des  Mississippi,  Niger,  Nil, 
Euphrat  und  Tigris,  Indus,  Ganges  und  anderwärts,  im  Sudan, 
in  Arabien,  Persien,  Palästina,  allenfalls  auch  auf  den  Hoch- 
plateaux  von  Spanien  und  Portugal,  in  Sicilien,  Unteritalien, 
Griechenland  u.  s.  w.,  keinesfalls  jedoch  in  den  so  trachom- 
reichen  Niederungen  des  Rheins,  in  Ost-  und  Westpreussen, 
den  russischen  Ostseeprovinzen,  in  Polen,  Finnland  und  anderen 
Ländern  in  Betracht  kommen.  Und  obschon  man  in  heissen 
Gegenden,  wie  bei  Bagdad  unter  dem  32.  Grade  nördlicher 
Breite  Erhitzung  des  nackten  Sandes  bis  auf  78°  C.,  bei 
einer  Schattentemperatur  von  55°  C.  beobachtet  hat,  es  nach 
Meinung  von  Q.  Curtiusauch  kein  Land  der  Erde  gäbe,  wo 
die  Hitze  eine  so  intensive  sei,  als  in  Mesopotamien,  derart, 
dass  Thiere  dort  auf  freiem  Felde  zu  Grunde  gingen  und  Alles 
wie  geröstet  sei,  in  Sogdiana  die  Sonne  den  Sand  so  glühend 
mache,  als  ob  ein,  Feuer  darüber  gegangen  wäre,  in  der 
Sahara,  wo  »die  Erde  Feuer  ist  und  der  Wind  eine  Flamme«, 
man  Eier  im  Sande  soll  sieden  können  und  das  Heer  Ale¬ 
xanders  auf  dem  Marsche  nach  Ammonium  in  dem  glühenden 
Sande  fast  verschmachtete:  so  sind  doch  Entzündungen  der 
Augen,  gleichviel  welcher  Art,  in  Folge  der  Hitze  oder  der 
Blendung  durch  den  Sand,  beziehungsweise  die  weissen  Kalk¬ 
steinfelsen  in  dem  meistens  aus  Landfremden  bestehenden 
Heere  Alexanders  weder  in  Sogdiana  noch  in  Libyen  beob¬ 
achtet  worden  (C  u  r  t  i  u  s,  A  r  r  i  a  n),  und  zu  Zeiten  des  Herodot 
gab  es  in  Babylon  wie  überhaupt  wenig  Krankheiten,  so  auch 
so  wenig  Augen krankhei ten,  dass  bei  den  eine  Art  Natur¬ 
heilkunde  oder  Laienheilkunde  betreibenden  Babyloniern  ein 
ärztlicher  Stand  überhaupt  nicht  existirte  und  Cyrus  einst 
einen  Augenarzt  aus  Aegypten  kommen  lassen  musste.  Wenn 
nach  einigen  Autoren  auf  dem  Rückzuge  Alexanders  aus 
Indien  durch  Oritien  und  Gedrosien  zahlreiche  Augenkrank¬ 
heiten  in  Folge  der  Hitze  aufgetreten  sein  sollen,  so  erwähnt 
weder  Arrian  noch  C  u  r  t  i  u  s  etwas  hievon,  und  selbst 
wenn  Augenkrankheiten  vorgekommen  wären,  so  könnten 
solche  auch  und  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  auf  die  im 
Heere  in  Folge  der  mangelhaften  und  ungesunden  Nahrung 
damals  herrschende  pestähnliche  Krankheit  bezogen  werden, 
sofern  das  wirklich  eine  Pest  war,  da  bei  dieser  Augenkrank¬ 
heiten  verschiedener  Art  bekanntlich  Vorkommen.  Andererseits 
findet  sich  nach  Volney  (1788)  und  Röser  (1837)  in  von 
dem  Nil  entfernten  Landstrichen,  bei  in  der  Wüste  lebenden 
Beduinen  Augenentzündung  und  Trachom  selten  oder  gar 
nicht  und  wird  auch  oberhalb  Kairo  seltener,  so  dass  man  bei 
der  hier  so  deutlichen  Immunität  der  Eingeborenen,  der 
bronze-  oder  kupferfarbenen  oder  schwarzen  Bewohner  heisser 
Gegenden  gegen  Blendung  und  strahlende  Wärme  auf  den 
grossen  Pigmentgehalt  der  Haut,  vornehmlich  auch  der  des 
Gesichtes  und  der  Lider,  die  bräunliche  Schattirung  der  Sklera 
und  die  dunkelschwarze  Iris  der  Neger  sowie,  nach  Lew¬ 
ie  o  witsch,  die  engere  Pupille  der  Tropenbewohner  recurriren 
muss,  natürliche  Schutzvorrichtungen,  welche  durch  das  bei 
manchen  Völkern,  den  Aegyptern,  Marokkanern,  Persern  u.  A. 
gebräuchliche  Färben  der  Umgebung  der  Augen  mit  dunklen, 
antimonhaltigen  Farbstoffen  noch  verstärkt  werden  können. 
Es  wäre  auch  eine  schlechte  Fürsorge  der  Natur,  wenn  die 
einheimischen  Bewohner  heisser  Gegenden  den  örtlichen  Schäd¬ 
lichkeiten  des  Klimas  ohne  Gefährdung  der  Augen  sich  nicht 
aussetzeu  könnten,  wie  andererseits  auch  in  Folge  gewisser, 
zum  Theile  wohl  noch  wenig  bekannter  Eigentümlichkeiten 
im  Baue  der  Augen  Schneeblindheit  nur  selten  bei  Einheimischen, 
häufiger  bei  Landfremden  beobachtet  wird,  auch  schon  im 
Alterthume  beobachtet  worden  ist,  so  auf  dem  Rückzuge  der 
Zehntausend  in  Armenien  und  im  Heere  Alexanders  in  den 
Schneefeldern  des  parapamisischen  Kaukasus.  Allerdings  be¬ 


obachtet  man  auch  bei  uns  öfters  Oedeme  und  Katarrhe, 
welche  durch  die  Einwirkung  von  grellem,  besonders  elek¬ 
trischem  Lichte  zweifellos  hervorgerufen  werden,  doch  dürfte 
eine  eiterige  oder  gar  eine  trachomähnliche  Erkrankung  nur 
unter  ganz  besonderen  Umständen  daraus  sich  entwickeln 
können.  Was  die  Hitze  an  und  für  sich  anlangt,  so  ist  der¬ 
selben,  entgegen  Larrey’s,  Germann’s  u.  A.  Annahme, 
wenigstens  für  die  mehr  oder  weniger  barhäuptigen  Eingebo¬ 
renen  südlicher  oder  heisser  Länder,  der  Aegypter,  Neger, 
Abessynier  u.  A.  ein  bedeutender  Einfluss  auf  Erregung  von 
Augenkrankheiten  auch  nicht  beizumessen,  wofür  sich  gleich¬ 
falls  geschichtliche  Thatsachen  anführen  lassen.  So  war  im 
griechischen  und  römischen  Alterthume  Barhäuptigkeit  in 
Friedenszeiten  allgemein  gebräuchlich  und  das  Tragen  einer 
Kopfbedeckung  im  gewöhnlichen  Leben  sehr  auffallend  (Plutarch, 
Solon),  selbst  auf  dem  Marsche  ging  » J.  Caesar  capite  detecto, 
seu  sol  seu  imber  esset«  (Sue  ton);' ebenso  waren  die  Perser 
auf  dem  Marsche  barhäuptig  (Xenophon)  und  die  alten  Aegypter 
und  Lybier  pflegten  sogar  mit  von  Jugend  auf  rasirtem  Kopfe 
barhäuptig  zu  gehen,  eine  Gewohnheit,  welcher  Herodot  eine 
günstige  Einwirkung  nicht  nur  gegen  das  Kahlwerden  zu¬ 
schreibt,  sondern  von  welcher  er,  nach  Untersuchung  der 
dicken  Schädel  vieler  bei  Pelusium  im  Kampfe  gegen  die 
Perser  gefallener  Aegypter,  in  Verbindung  mit  der  auf  den 
Kopf  so  unmittelbar  einwirkenden  Sonne,  die  starke  Verdickung 
der  Schädelknochen  ableiten  möchte,  während  die  mit  einer 
Tiara  meistens  umwundenen  ungeschorenen  Schädel  der  Perser 
auffallend  viel  dünner  gewesen  seien.  Auch  andere  Stämme 
von  Nordafrika,  die  Macer,  Machlyer,  Ausseer  und  Maxyer 
pflegten  die  Kopfhaare  in  verschiedener  Art  und  Ausdehnung 
abzurasiren,  so  dass  deren  Rest  ein  Büschel  auf  dem  Scheitel, 
am  Vorderkopfe  oder  Hinterkopfe  oder  selbst  auf  einer  Seite 
darstellte,  und  doch  waren  von  allen  Völkern,  die  Herodot 
kennen  gelernt,  diese  nomadisirenden  Libyer  die  gesundesten 
und  würden  seiner  Meinung  nach  auch  ebenso  gesund  gewesen 
sein  ohne  das  bei  ihnen  gebräuchliche,  zur  Vermeidung  von 
Schnupfen  bestimmte,  in  etwas  anderer  Weise  übrigens  noch 
heute  in  Aegypten  geübte  Kauterisiren  des  Scheitels  und  der 
Schläfen.  Ebenso  bezeichnet  Sallust  die  Bewohner  von  Nord¬ 
afrika  als  ein  » genus  hominum  salubri  corpore,  velox,  patiens 
laborum«,  welche  meistens  »senectus  dissolvit,  nam  morbus  haut 
saepe  quemquam  superat«  und  erwähnt,  abgesehen  von  einer 
später  noch  zu  besprechenden  Notiz,  besonders  auch  nichts 
von  Augenkrankheiten.  Ebenso  heisst  es  in  einer  vor  etwas 
über  200  Jahren  erschienenen,  von  John  Locke  erwähnten 
Reisebeschreibung  von  den  Bewohnern  Maltas,  woselbst  die 
Hitze  stärker  sei,  als  in  irgend  einem  anderen  Theile  von 
Europa,  auch  stärker  als  in  Rom  und  fast  erstickend,  weil 
dort  selten  kühlende  Winde  wehen,  dass  die  Hitze  das  ge- 
wöhliche  Volk  so  dunkelbraun  wie  die  Zigeuner  mache:  »and 
yet  the  peasants  defy  the  sun,  they  work  on,  in  the  hottest 
part  of  the  day,  without  intermission  or  sheltering  themselves 
from  his  scorching  rays.  The  Maltese,  too,  harden  the  bodies 
of  their  children  and  reconcile  them  to  the  heat,  by  making 
them  go  stark  naked  without  shirt,  drawers  or  anything  on 
theirs  heads,  from  their  cradles,  till  they  are  ten  years  old. 
Das  hat  mich  überzeugt«,  fährt  Locke  fort,  »dass  die  Natur 
sich  zu  vielem  unmöglich  Scheinenden  bringen  lasse,  sofern 
wir  uns  nur  von  Kindheit  an  gewöhnen«. 

Allerdings  bin  auch  ich,  wie  G  ermann,  der  Meinung, 
dass  der  Turban  der  Mohammedaner  ein  äusserst  unzweck¬ 
mässiges  Kleidungsstück  darstellt,  nicht  jedoch  deshalb,  weil 
er  im  Gegensätze  zu  anderen  Kopfbedeckungen  gegen  Hitze 
zu  wrenig  schütze,  als  vielmehr  deshalb,  weil  er  bei  dem  hiebei 
vielfach  gebräuchlichen  vollständigen  Abscheeren  und  Ab- 
rasiren  der  Kopfhaare  eine,  durch  ein  paar  mehr  oder  weniger 
schmutzige,  vom  Schweisse  gar  noch  durchnässte  Leinw'and- 
stüeke  natürlich  nicht  zu  ersetzende,  Schutzvorrichtung  zur 
Regulirung  der  Wärme  des  Kopfes  beseitigt  und  seine  Träger 
somit  Erkältungen  der  Kopfhaut  und  dadurch  Schnupfen¬ 
anfällen  vielfach  aussetzt,  trotz  Prof.  S.  Exner's  anregender 
Darlegungen  über  die  Function  der  in  ihrer  physikalischen 
Beschaffenheit  den  einzelnen  Klimaten  angepassten  Kopfhaare, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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ein  in  der  Pathologie  und  vornehmlich  der  Ophthalmopathologie  I 
seiner  grossen  Bedeutung  nach  kaum  gewürdigter  Gegenstand, 
auf  welchen  hier  noch  einige  Worte  verwendet  werden  sollen. 
AVenn  einerseits  bei  voller  Conservirung  des  Haupthaares,  wie 
bei  den  Babyloniern,  Persern  und  Maltesern  Augenkrankheiten 
selten  waren,  andererseits  aber  bei  den,  den  Kopf  rasirenden 
und  nackt  tragenden  alten  Aegyptern  nach  Meinung  von 
Prosper  Alpinus,  Rust,  Arlt  und  Hirschberg 
Augenkrankheiten  seltener  gewesen  sein  sollen  als  bei  den, 
den  Kopf  gleichfalls  rasirenden,  aber  einen  Turban  tragenden, 
Aegyptern  der  Gegenwart,  so  mag  immerhin,  abgesehen 
natürlich  von  anderen,  noch  zu  besprechenden  Momenten,  auch 
die  verschiedene  Art  der  Haartracht  hier  in  Betracht  zu  ziehen 
und  der  Versuch  gerechtfertigt  sein,  ob  nicht  vielleicht  schon 
durch  eine  andere  Kopftracht,  Benützung  von  Strohhüten,  wie 
in  Ost-  und  Westindien  oder  dergleichen,  oder  einfach  durch 
Barhäuptigkeit,  »from  their  cradles«  natürlich,  und  bei  Con¬ 
servirung  des  Haupthaares  die  Zahl  der  Augenkranken  in 
manchen  Ländern  sich  etwas  vermindern  Hesse. 

Können  wir  also  nach  Allem  der  auf  den  Kopf  ein¬ 
wirkenden  Hitze,  sowie  der  Blendung  eine  irgendwie  wesent¬ 
liche  Bedeutung  in  der  Genese  eiteriger  Augenkatarrhe  und 
des  Trachoms  wohl  kaum  beimessen,  so  ist  als  eine  weit 
wichtigere  Schädlichkeit 

2.  auf  das  Auge  einwirkender  Staub  und  Dunst  zu  be¬ 
zeichnen.  So  wird  in  einem  von  Zehender  erwähnten  Be¬ 
richte  in  Finnland,  wo  das  Trachom  die  häutigsten  Erblindungs¬ 
ursache  darstellt  und  woselbst  in  manchen  Gegenden  kaum 
eine  Bauernstube  ohne  einen  Trachomkranken  zu  finden  ist, 
als  ätiologisches  Moment  in  erster  Linie  Rauch  und  Hitze  be¬ 
schuldigt,  indem  es  in  sehr  vielen  Gegenden  des  Landes  noch 
Rauchstuben  gibt  und  die  rauchigen  Badestuben,  die  Dresch¬ 
tennen,  sowie  die  Gewohnheit,  das  Essen  über  freiem  Feuer 
zu  kochen,  eine  weitere  Gelegenheit  für  die  schädliche  Ein¬ 
wirkung  des  Rauches  auf  die  Augen  darböten.  Aehnliches  be¬ 
richtet  Feuer  aus  Nord-Ungarn,  wo  der  Feuerherd  noch 
vor  Kurzem  des  Rauchfanges  entbehrte,  Aehnliches  habe  ich 
in  Aegypten  gesehen,  wo  als  eine  weitere  Schädlichkeit  noch 
die  Art  des  Brennmateriales,  an  der  Sonne  getrockneter  Dung 
von  Haussieren,  hinzukommt,  der  übrigens  ja  auch  in  anderen 
holzarmen  Gegenden,  wie  in  Kleinasien,  in  der  Jartarei,  in 
Dekan  zur  Feuerung  benützt  wird.  Sicherlich  kann  in  diesen 
Schädlichkeiten,  wie  auch  in  den  Ammoniakdünsten  von  Gas¬ 
anstalten  oder  in  den  mangelhaft  desinficirten  Pissoirs  von 
Paris  und  anderer  grosser  Städte  nur  ein  prädisponirendes 
Moment  erblickt  werden,  sei  es  nun,  dass  das  Augenleiden 
erst  durch  Mangel  an  ärztlicher  Hilfe  und  den  Gebrauch  un¬ 
zweckmässiger  Hausmittel  (Zehender),  oder  durch  das 
Hinzutreten  eines  contagiösen  Agens  (Feuer)  oder  auch  in 
anderer  Weise  die  für  das  Sehvermögen  bedrohliche  Höhe 
erreicht. 

Wichtiger  dürfte  die  mechanische  Einwirkung  des 
Staubes  sein,  besonders  wenn  derselbe,  wie  z.  B.  in 
Alexandrien,  in  den  an  gewissen  Plätzen  im  Freien  auf¬ 
gestapelten  und  bei  Windstössen  natürlich  zum  Theile  aus¬ 
einander  getriebenen  Müllhaufen,  noch  so  und  so  viele  or¬ 
ganische  Zersetzungsproducte  enthält.  Das  einfachste  und 
zweckmäßigste,  leider  noch  wenig  verbreitete  Verfahren  zur 
Beseitigung  des  Hausmülles,  das  ich  schon  im  Jahre  1892 
empfohlen  habe 2),  tagtägliches  Verbrennen  des  Kehrichts, 
sowie  aller  Küchenabfälle  einschliesslich  der  Knochen  in 
jeder  einzelnen  Haushaltung,  so  dass  die  Kehrichtkasten  über¬ 
haupt  keine  organischen,  fäulnissfähigen  Substanzen,  sondern 
nur  noch  Asche  enthalten,  dieses  Verfahren  wäre  gerade  in 
Alexandrien  um  so  schwieriger  einzubürgern,  da  das  ange¬ 
sammelte  Müll  als  Heizmaterial  für  die  öffentlichen  Bade¬ 
anstalten  dort  verwendet  wird. 

Auch  das  Rupfen  der  Gänse,  das  in  gewissen  Gegenden 
von  Westpreussen  von  manchen  Leuten  im  Grossen  betrieben 
wird,  kann  vermöge  des  vielen  hiebei  sich  entwickelnden 
feinen  Federstaubes  zu  heftigeren  Entzündungen  der  Binde¬ 
haut  öfters  Veranlassung  geben,  wie  denn  bei  dem  Verarbeiten 

2)  Berliner  klinische  Wochenschrift.  Nr.  46. 


und  Sortiren  von  Daunen  auch  eiterige  Katarrhe  der  Nase  zu¬ 
weilen  auftreten. 

Abgesehen  jedoch  von  derartigen,  mehr  an  einzelne  Orte 
gebundene  Schädlichkeiten  kommen  nicht  selten  Kranke  zur 
Beobachtung  mit  starkem  Reizzustande  eines  oder  beider 
Augen,  und  mit  der  Klage,  dass  feiner  Staub  von  Holz,  beim 
Sägen  oder  Drehen  desselben,  besonders  auch  Staub  von 
trockenem,  zum  Theile  übrigens  wohl  auch  chemisch  ein¬ 
wirkendem  Fichtenholz,  Staub  von  Heu,  von  Backmehl, 
Knochenmehl,  Töpferthon,  Bernstein,  Glas,  selbst  Klettenstaub 
u.  dgl.  bei  der  Arbeit  ihnen  in  das  Auge  gerathen  sei,, 
während  man  doch  bei  genauer  Untersuchung  auch  mittelst 
seitlicher  Beleuchtung  und  bei  der  Lampe  irgend  einen  Fremd¬ 
körper  nicht  auffindet,  alle  Beschwerden  aber  oft  sofort  ver¬ 
schwinden,  wenn  man,  nach  Ektropioniren  der  Lider,  die 
Bindehaut,  besonders  auch  die  der  Uebergangsfalten  mittelst 
eines  Irrigators  oder  noch  besser  einer  Druckpumpe  und 
physiologischer  Kochsalzlösung  gründlich  und  zu  wiederholten 
Malen  abschwemmt  oder  ausschwemmt,  während  ohne  einen 
derartigen  Eingriff,  wie  ich  aus  anderer  Praxis  nicht  selten 
gesehen,  und  besonders  bei  unzweckmässiger  Behandlung  mit 
Aetzmitteln  u.  dgl.  hartnäckige  Entzündungen  selbst  mit  so 
und  so  grosser  Schwellung  der  Uebergangsfalten  und  noch 
schlimmeren  Folgezuständen  unterhalten  werden  können.  Das 
Krankheitsbild  ist  manchmal  geradezu  das  der  Blennorhoe, 
ganz  besonders  wenn  eine  die  Ausgleichung  noch  weiter 
hemmende  Verstopfung  und  Eiterung  der  Nase  gleichzeitig 
vorhanden  ist,  aber  bei  geeigneter  Behandlung  oft  in  wenigen 
Tagen  verschwunden,  ist  auch  auf  dem  Auge  oft  stärker  aus¬ 
geprägt,  dessen  gleichseitige  Nasenhälfte  verschwollen, 
beziehungsweise  stärker  verschwollen  ist.  Eine  derartige 
Kranke  meiner  Beobachtung  war  von  einem  verstorbenen, 
angesehenen  Collegen  in  eingreifendster  Weise,  selbst  mit 
einer  Schmiercur,  neun  Monate  lang  ohne  Erfolg  klinisch  be¬ 
handelt  worden  und  hat  dann  schliesslich  »operirt«  werden 
sollen  —  wie  es  scheint  durch  Excision  der  etwas  ge¬ 
schwollenen  Uebergangsfalten  —  ist  aber  dann  durch  8  oder 
14  Tage  lang  täglich  vorgenommenes  Ausspülen  des  Binde¬ 
hautsackes,  sowie  der  mit  einem  eiterigen  Katarrh  behafteten 
Nase,  unter  Rückgängigwerden  einer  leichten  Keratitis  vas- 
culosa  von  mir  geheilt  worden  und  seit  dem  Frühjahr  1886 
bis  auf  den  heutigen  Tag  auch  geheilt  geblieben ;  genaueres 
Nachforschen  nach  der  Entstehung  der  Krankheit  hat  damals 
ergeben,  dass  Strassenstaub  bei  heftigem  Winde  in  das  Auge 
geweht  worden  war.  In  einem  anderen,  allerdings  nur  durch 
Hörensagen  mir  bekannt  gewordenen  Falle  ist  Staub  von 
Schnupftabak,  der  bei  einer  Rauferei  Einem  in  das  Auge  ge¬ 
worfen,  in  der  oberen  Uebergangsfalte  abgelagert,  viele 
Wochen  lang  von  demselben  Augenärzte  übersehen,  doch  der 
»schwere  eiterige  Katarrh«  nach  Entfernung  des  Fremdkörpers 
durch  einen  anderen  Collegen  schnell  geheilt  worden.  Bei 
einem  kürzlich  von  mir  behandelten,  früher  immer  augen- 
gesunden,  auch  am  zweiten  Auge  gesunden  Arbeiter  war 
durch  in  des  Auge  hinein  gerathenen  Staub  oder  Schmutz 
neben  Eiterung  der  Bindehaut  sogar  eine  umschriebene,  fast 
i/2  cm  lange,  zapfenförmige  Wucherung  derselben  an  der 
oberen  Uebergangsfalte  verursacht  worden.  Wie  wenig  richtig 
solche  Fälle  auch  seitens  officieller  Vertreter  der  Ophthalmo¬ 
logie  gelegentlich  beurtheilt  werden  können,  habe  ich  voi 
einigen  Jahren  erfahren,  als  bei  einem  Hafenarbeitei ,  dem  ein 
oder  zwei  Tage  zuvor  feiner  Sand  in  das  Auge  geweht 
worden,  und  bei  welchem  eine  centrale,  halbstecknadelkopt- 
grosse  eiterige  Keratitis  bereits  bestand,  nach  der  Ansicht 
eines  damals  gerade  mich  besuchenden,  ordentlichen  Professors 
der  Augenheilkunde  jene  Infiltration  der  Hornhaut  mittelst  des 
Galvanokauters  hätte  ausgebrannt  werden  müssen,  wähl  ent 
doch  nach  Ausschwemmen  des  Bindebautsackes  ein  bis  dalnn 
vorhandener,  stechender  Schmerz  nach  Angabe  des  Kranken 
sofort  verschwunden  war  und  nach  Ausspülen  auch  der  Nase 
und  bei  Schluss  verband  des  Auges  der  Kranke  schon  am 
nächstfolgenden  Tage,  bei  nahezu  voller  Sehschärfe,  wieder 
arbeitsfähig  gewesen  ist;  mit  vollem  Rechte  darf  wohl  ver- 
muthet  werden,  dass  die  beabsichtigte  Kauterisation  der  Horn- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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haut  bei  Verbleiben  und  weiterer  Einwirkung  des  wahr¬ 
scheinlich  allerdings  nur  minimalen  Sandkörnchens  im  Binde¬ 
hautsacke  zu  so  oder  so  umfänglicher  Verschwärung  der 
Hornhaut  und  trotz  einer  modernen  Plastik  der  Bindehaut 
vielleicht  selbst  zu  Verlust  des  Auges  geführt  haben  würde. 
Es  dürfen  wohl  auch  einige  liiehergehörige  Notizen  aus  dem 
römischen  Alterthume  beigebracht  werden.  So  hat  Q.  Ser- 
torius  die  jenseits  des  Tajo  in  unzugänglichen  Höhlen 
zurückgezogenen  Characitaner  dadurch  zur  Unterwerfung  ge¬ 
bracht,  dass  er  gegenüber  ihren  nach  Norden  sich  öffnenden 
Höhlen  hohe  Haufen  eines  dort  vorhandenen,  sehr  feinen, 
ascheartigen  Staubes  aufwerfen  liess,  der  von  dem  gerade 
webenden  Nordwinde  in  die  Höhlen  und  so  in  die  Augen  und 
Respirationsorgane  ihrer  Bewohner  mit  Macht  hineingetrieben, 
die  Belagerten  zur  Ergebung  am  dritten  Tage  veranlasste 
(Plutarch);  so  haben  die  parthischen  Reiter  durch  absicht¬ 
liches  Aufwühlen  des  Staubes  in  der  Ebene  von  Carrhae 
Sehen  und  Athmen  den  Römern  sehr  erschwert  (P 1  u  t  a  r  c  h) ; 
so  sagt  Sallust  von  der  Sandwüste  zwischen  Cyrene  und 
Karthago:  »solet  in  illis  locis  tempestas  haut  secus  atque  in 
mari  retinere ;  nam  ubi  per  loca  aequalia  et  nuda  gignentium 
ventus  coortus  arenam  humo  excitavit,  ea  magna  vi  agitata 
ora  oculosque  implere  solet,  ita  prospectu  impedito  morari  iter«. 

Feiner  Staub  der  Art  wirkt  natürlich  besonders  dann 
ungünstig  ein.  wenn  ein  so  oder  so  beschaffener  Katarrh  der 
Bindehaut  an  und  für  sich  schon  besteht.  So  ist  mit  be¬ 
deutender  Schwellung  und  Unebenheit  der  oberen  Uebergangs- 
falten,  Verklebtsein  der  Augen  Morgens  beim  Erwachen  und 
Druck  in  denselben  ein  vielem  Staube  ausgesetzter  Glaser¬ 
geselle  im  August  1897  mir  zugegangen,  dessen  Krankheit 
anderwärts  bereits  als  Trachom  bezeichnet  worden  war  und 
trotz  des  Mangels  ausgesprochener  Follikel  wohl  auch  so  be¬ 
zeichnet  werden  musste,  und  bei  welchem  anstatt  der  alsbald 
von  mir  vorgeschlagenen,  auf  Wunsch  des  Kranken  dann 
jedoch  noch  verschobenen  Scarificationen  der  Bindehaut,  zu¬ 
nächst  nur  eine  Ausspülung  des  Bindehautsackes,  sowie  der 
etwas  versch wollenen,  schleimig- eiterig  secernirenden  Nasen¬ 
höhle  mit  Kochsalzlösung  vorgenommen  wurde;  wie  erstaunt 
war  ich,  bei  dem  nun  erst  nach  Monatsfrist  sich  wieder  ein¬ 
stellenden  Kranken  zu  sehen,  dass  eine  anfangs  vorhandene, 
abgesetzte,  halberbsengrosse,  himbeerförmige  Excrescenz  der 
oberen  Uebergangsfalte  auf  etwa  die  Hälfte  ihres  früheren 
Umfanges  zusammengeschrumpft  war,  was,  da  hier  sonst 
durchaus  nichts  Anderes  vorgenommen  worden,  entweder  nur 
durch  die  stattgehabte,  gründliche  Säuberung  der  Uebergangs¬ 
falte  von  feinem,  einen  Reiz  ausübenden  Glasstaub  oder  auch, 
in  Verbindung  mit  der  Ausspülung  auch  der  Nase,  durch  eine 
Einwirkung  auf  den  trachomatösen  Process  selbst  erklärt 
werden  konnte;  der  Kranke  wurde,  unter  Fortsetzung  der 
Ausspülungen,  dann  einige  Male  von  mir  scarificirt,  ist  jedoch 
bald  darauf  von  Danzig  verzogen. 

Aehnliche  Beobachtungen  habe  ich  in  grösserer  Zahl 
bei  auswärtigen  Arbeitern  gemacht,  welche  beim  Abtragen  der 
alten  Festungswälle  von  Danzig  beschäftigt,  besonders  bei 
trockenem  Wetter  einem  oft  ausserordentlich  intensiven  Staube 
ausgesetzt  waren;  es  fanden  sich  hier,  auch  bei  Personen,  die 
bis  kurz  zuvor  in  keiner  Weise  über  ihre  Augen  zu  klagen 
hatten,  ja  zum  Theile  aus  dem  Militärdienste  als  augengesund 
gerade  erst  entlassen  waren,  oft  recht  bedeutende  Schwellungen 
und  Wucherungen  der  Bindehaut,  zumal  der  oberen  Ueber- 
gangsfalten  vor,  in  Avelchen  ja  auch  nach  J.  Jacobson’s 
Beobachtungen  diese  und  ähnliche  Schädlichkeiten  meistens 
zuerst  sich  localisiren,  mit  mehr  oder  weniger  heftiger  eiteriger 
Secretion,  aber  ohne  ausgesprochene  Follikel;  stärkeres  Er¬ 
griffensein  des  Auges,  dessen  gleichseitige  Nasechälfte  mehr 
angeschwollen  und  verstopft  war,  war  auch  hier  öfters  zu 
constatiren.  Ausspülungen  der  Augen  und  der  Nase  haben 
solchen  Kranken  viel  Erleichterung  gebracht,  doch  hat  nur 
ein  Theil  derselben,  weil  in  Accordarbeit  stehend,  zur  Be¬ 
handlung  sich  regelmässig  eingefunden,  um  dann  jedoch,  nach 
Vollendung  der  Arbeit,  schleunigst  in  die  Heimat  zurückzukehren. 

Ferner  ist  mir  in  den  Jahren  1880 — 1882  in  Alexan¬ 
drien  seitens  schon  länger  dort  ansässiger  Europäer  mitgetkeilt 


worden,  dass  die  Zahl  der  Augenkranken  daselbst  merklich 
abgenommen  habe,  seitdem  ein  Theil  der  Stadt  mit  grossen 
Quadern  gepflastert  und  der  beim  Wehen  des  Wüstenwindes 
früher  oft  äusserst  intensive  Staub  hiedurch  vermindert 
worden  sei;  eine  ähnliche  Notiz  ist  mir  vor  drei  oder  vier  Jahren 
auch  seitens  eines  russischen  Schiffscapitäns  zugegangen,  nach 
welcher  die  Häufigkeit  von  Krankheiten  der  Bindehaut  in 
Russland  im  Publicum  und  seitens  vieler  Zeitungen  auf  über¬ 
mässige  Staubentwicklung  in  Folge  intensiver  Abholzung  der 
Wälder  zurückgeführt  werde.  Nun  hat  allerdings  Dr.  L  e  w- 
ko  witsch,  der  in  Südafrika  14  Jahre  lang  practicirt  und 
die  in  Johannesburg  während  der  Wintermonate  mit  besonderer 
Heftigkeit  wüthenden  Staubstürme  selbst  durchgemacht,  mit- 
getheilt,  dass  man  innerhalb  weniger  Minuten  Mund,  Nase 
und  Ohren  von  dem  dicken,  gelben  Staube  voll  habe  und 
aus  den  mit  einer  dicken  Staubkruste  vollständig  verklebten 
Augen  nicht  heraussehen  könne,  sich  aber  einfach  den  Sand 
aus  den  Augen  reibe  und  wische,  so  gut  es  eben  gehe,  und 
dass  für  gewöhnlich  hiemit,  ohne  ärztliche  Hilfe,  Alles  er¬ 
ledigt  sei;  jedoch  hat  er  irgend  ein  anderes  Moment  als  eben 
die  Staubstürme  nicht  genannt,  auf  welches  das  auch  dort  so 
häufige,  unter  den  Boeren  wie  unter  den,  Waschschüssel  und 
Handtuch,  die  angeblichen  Träger  der  Infection,  nicht  be¬ 
sitzenden  Kaffern  so  häufige  Trachom  zurückzuführen  sei; 
und  obschon  civilisirte  Personen,  wenn  einem  solchen  Staub¬ 
sturme  ausgesetzt,  ihre  Augen  mehr  oder  weniger  gründlich 
auswaschen  werden,  so  dürfte  eine  derartige  Bemühung  vielen 
der  dortigen  Eingeborenen  doch  wohl  zu  umständlich  sein 
und  bei  häufiger  Wiederholung  einer  solchen  jedes  Mal  nur 
unvollkommen  compensirten  Schädlichkeit  nicht  nur  ein  einfacher 
Katarrh,  sondern  auch  schwere  Augenkrankheiten  sich  ent¬ 
wickeln  können.  Werden  doch  auch  nach  den  werthvollen 
Mittheilungen  von  G ermann  in  Syrien  und  besonders  in 
Palästina  in  der  heissen,  regenlosen  Zeit,  vornehmlich  im 
August,  September  und  October,  auch  ohne  die  von  vielen 
Personen  dort  angeschuldigte  Mitwirkung  der  vom  Winde 
verwehten  feinen  Stachelhaare  der  wilden  Feigen  »schon  allein 
durch  die  Alles  durchdringenden,  Augen  und  Athmung  sehr 
belästigenden  Staubmassen  des  Kalk-  und  Lehmbodens  gewiss 
viele  Augen  inficirt«,  und  dieses  Moment  dürfte  wohl  einfacher 
und  leichter  verständlich  sein  als  Germann’s  Versuch,  von 
der  Uebertragung  des  den  wilden  Feigen  anhaftenden  Schmutz¬ 
staubes  gerade  durch  die  Finger  auf  die  Augen  die  Häufigkeit 
der  Augenkrankheiten  in  diesen  Ländern  abzuleiten;  jedenfalls 
aber  ist  mit  dem  Nachlassen  der  Hitze  und  dem  Eintritte  von 
Regen  eine  beträchtliche  Abnahme  der  Augenkrankheiten  in 
jedem  Jahre  zu  bemerken,  ja  in  Syrien,  das  reicher  ist  an 
Quell-  und  Flusswasser  und  daher  an  Vegetation  und  woselbst 
die  Staubmassen  während  der  regenlosen  Zeit  geringere  sind, 
ist  das  Trachom  weniger  verbreitet,  auch  gutartiger  als  in  Palästina. 

Von  Interesse  bezüglich  der  Bedeutung  des  Staubes 
dürfte  hier  auch  eine  Mittheilung  des  Zoologen  Professor 
Marshall  in  Leipzig  sein,  der  bei  windigem  Wetter  zu 
verschiedenen  Malen  in  Dünen  gewesen  ist,  deren  oberfläch¬ 
lichste  Saudlagen  durch  den  Wind  in  lebhafte  Bewegung  ver¬ 
setzt  und  in  die  Höhe  gehoben  wurden;  »bald«,  so  erzählt  er, 
»war  der  Sand  in  das  Gewebe  der  Kleidung  eingedrungen  und 
diese  voll  von  ihm ;  auf  der  Haut  des  Gesichtes  und  der 
Hände  empfand  ich  ein  eigenthümlich  nadelndes  Gefühl,  das 
bald  in  ein  Brennen  überging,  ich  konnte  nur  blinzelnd  sehen 
und  der  Sand  knirschte  zwischen  meinen  Zähnen  .  .  . ;  besteigt 
man«,  so  fährt  derselbe  mit  W  es  s  ely  fort,  »die  Düne  westlich 
vom  Dorfe  Westerland  auf  der  Insel  Sylt,  so  sieht  man  an 
dem  auf  der  halben  Höhe  der  Düne  erbauten  Pavillon  sämmt- 
liche  Fensterscheiben  so  matt  geschliffen,  dass  es  unmöglich 
ist,  Gegenstände  hinter  denselben  zu  erkennen;  die  Sand¬ 
körnchen,  die  von  der  Höhe  der  Düne  herabgeweht  wurden, 
sind  gegen  die  Fensterscheiben  geflogen  und  haben  mit  ihren 
spitzen  Kanten  Tausende  und  aber  Tausende  von  kleinen  Ritzen 
verursacht,  durch  welche  endlich  die  Undurchsichtigkeit  des 
Glases  herbeigeführt  worden  ist«. 

Selbstverständlich  darf  die  im  letzteren  Beispiele  in  so 
augenscheinlicher  Weise  festgestellte  Einwirkung  oftmals  wieder- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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kehrender  Sandstürrae  auf  eine  anorganische  Masse,  das  Glas 
der  Fenster,  nicht  ohne  Weiteres  auf  den  lebenden  Organismus 
übertragen  und  ein  allmäliges  Blindwerden  auch  der  Hornhaut 
des  Auges  in  dieser  Art  als  hiedurch  erwiesen  angenommen 
werden*  es  müssten,  sofern  die  Frage  nicht  in  andererWeise, 
besonders  durch  geographische  und  geschichtliche  Thatsachen 
klar  gelegt  werden  kann,  vielleicht  einschlägige  Experimente, 
allerdings  ziemlich  grausamer  Art,  an  Thieren  noch  vor¬ 
genommen  und  deren  Augen,  sowohl  mit  als  ohne  gleichzeitige 
Einwirkung  auch  auf  die  Nase,  massigen  Staubwolken  aus¬ 
gesetzt  werden;  ja  es  liesse  sich,  im  Hinblicke  auf  eine  ent¬ 
sprechende  Bemerkung  von  Lew  ko  witsch  in  dieser  Weise 
auch  feststellen,  ob  dieser  oder  jener  Art  von  Sand  oder  Staub, 
dem  durch  die  Hitze  der  Sonne  etc.  sterilisirten  oder  dem 
organische  Zersetzungsproducte,  besonders  Dung  von  Haus 
thieren,  worauf  G  e  r  m  a  n  n  besonderem  Werth  legt,  noch  ent¬ 
haltenden  Staube,  dem  salpeterhaltigen  Staube  alter  Festungs¬ 
mauern  u.  dgl.  eine  mehr  oder  weniger  schädliche  Einwirkung 
auf  das  Auge  zukommt,  oder  ob  nicht,  was  wahrscheinlicher 
ist,  die  oftmals  wiederkehrende  mechanische  Schädlichkeit 
an  und  für  sich  die  Hauptsache  ist.  Unbedingt  jedoch  dürfte 
aus  Allem  hier  Angeführten  im  Anschlüsse  an  Prosper 
Alpin  us,  Larrey  und  andere  Autoren  zu  folgern  sein, 
dass  mindestens  ein  Theil  der  in  Trachomgegenden  vorkom¬ 
menden  Krankheitsfälle  auf  massige  und  oftmalige  Einwirkung 
von  Staub  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  bezogen  werden 
muss,  aufStaub-  und  Sandstürme  in  der  Wüste,  in  Nordafrika, 
Südafrika,  Palästina,  Persien,  Kleinasien,  Griechenland,  Ungarn, 
in  manchen  Gegenden  von  Ost-  und  Westpreussen,  im  süd¬ 
lichen  Frankreich  an  der  Mündung  des  Rhone  bis  nach  Mar¬ 
seille  hin,  in  Spanien,  Portugal  und  anderen  Ländern,  von 
deren  heutzutage  so  auffälligen,  auch  von  Nichtfachmännern 
(Profanschriftstellern  nach  Hirschberg)  stets  hervorgeho¬ 
benen  Durchseuchung  mit  Trachom  und  ähnlichen,  zur  Er¬ 
blindung  führenden  Krankheiten  bei  alten  Schriftstellern,  wie 
bei  Julius  Cäsar  für  Gallien  und  Spanien,  bei  Josephus  für 
Palästina,  bei  Q.  C  urt  i  u  s  und  Ar  ria  n  für  Kleinasien,  Persien 
und  andere  Länder,  in  den  Lebensbeschreibungen  des  Plutarch 
und  S u e t o n,  bei  Herodot,  Xenophon  und  anderen 
Autoren  so  gut  wie  nichts  erwähnt  ist. 

Fragt  man  sich,  wodurch  dieser  Wechsel  der  Dinge 
wohl  bedingt  sein  könne,  so  wird  es  umso  schwerer,  mit 
Feuer  und  anderen  Autoren  an  eine  Ansteckung  von  Person 
zu  Person  zu  glauben,  als  nach  den  Anschuungen  von  Mon¬ 
tesquieu,  Burke,  Lubbock  und  anderen  Autoren  vor¬ 
nehmlich  die  Mittelmeerländer  in  früheren  Jahrhunderten  weit 
mehr  bevölkert  waren  als  sie  gegenwärtig  sind,  was  Montes¬ 
quieu  zu  einseitig  auf  die  erleichterten  Ehen  im  Alterthume, 
die  Ehen  der  Sclaven  im  römischen  Haushalte  u.  A.  gegen¬ 
über  der  Vielweiberei  des  Mohammed anismus,  sowie  die 
Schwierigkeit  der  Ehescheidung  in  katholischen  Ländern  zurück¬ 
führt,  wobei  er  jedoch  übersieht,  dass  nach  Herodot  bei  den 
Persern,  nach  Sallust  bei  den  Numidiern  und  Mauretaniern 
Vielweiberei  in  mehr  oder  weniger  hohem  Grade  auch  in 
früheren  Jahrhunderten  bestanden  hat  — ,  Burke  hingegen  mit 
flammenden  Worten,  aber  doch  mitUeberschätzungdergeschicht- 
lichenThatsachenund  Zahlen,  auf  die  gewaltigen  Züge  derSesostris, 
Semiramis,  Xerxes,  Alexander,  Cäsar  und  anderer  Eroberer  be¬ 
zieht,  während  Lubbock  zum  guten  Theile  gewiss  mit  Recht 
auf  die  wilde  Verwüstung  der  Wälder  hinweist,  die  in  mehr  als 
2000  Jahren  in  Ländern,  in  welchen  einst  Milch  und  Honig 
floss,  Platz  gegriffen  und  in  Folge  des  an  die  Waldverwüstung 
gebundenen  Wassermangels  einerseits,  plötzlicher  Ueber- 
schwemmungen  durch  Wildwasser  andererseits,  Städte  durch 
Wüsteneien  ersetzt  hat.  Es  hat  allerdings  schon  Q.  Curtius 
waldlose  Berge  im  parapamisischen  Kaukasus  erwähnt,  jedoch 
ist  die  Ansicht  von  Karl  Müller,  alle  Bergkuppen  seien 
einst  bewaldet  gewesen,  trotzdem  vielleicht  durchführbar,  jeden¬ 
falls  aber  die  von  Em.  v.  Cuendias  aufgestellte  Behaup¬ 
tung,  auf  den  ausgedehnten  Bergketten  von  Granada  habe 
niemals  ein  Baum  gewurzelt,  jetzt  bereits  widerlegt  und  nach 
O  p  p  e  1  sind  fast  alle,  heute  nur  mit  niederem  Gebüsch  be¬ 
deckte  oder  völlig  kahlen  Theile  der  granadischen  Bergterrasse 


einst  gut  bewaldet  gewesen.  Auch  haben  weder  Cäsar,  Sueton 
noch  Plutarch  irgend  Etwas  erwähnt  von  jenen  gewaltigen, 
das  Innere  von  Spanien  jetzt  durchfegenden  Staubstürmen, 
von  dem  Begrabensein  des  Landes  auf  den  Bodenflächen  von 
Castilien  im  Sommer  wie  in  einer  Wüste  von  grauem  Staube 
(Scobel),  von  dem  durch  die  Hitze,  den  Staub  und  die  Trocken¬ 
heit  bedingten,  vornehmlich  die  regenarmen  Ebenen  von  Sala¬ 
manca,  Guadalajara  und  Zaragoza  im  Hochsommer  bedeckenden, 
die  Sonne  dann  bis  zu  den  Herbstregen  nur  als  blasse  Scheibe 
erscheinen  lassenden  und  den  Himmel  verdüsternden  Hitze¬ 
nebel  (Calina),  dem  Analogon  des  Höhenrauches  norddeutscher 
Heiden  in  mancher  Beziehung  — ,  obgleich  doch  Cäsar  um 
die  Erntezeit  dort  in  der  Umgebung  von  Zaragoza,  bei  Ilerda 
gestanden  hat;  wie  denn  auch  der  Umstand,  dass  die  oben  er¬ 
wähnte  Kriegslist  gegen  die  Characitaner  dem  Sertorius  in 
Spanien  und  Lusitanien  mehr  Bewunderung  eingebracht  hat 
als  irgend  eine  seiner  anderen  rein  militärischen  Leistungen, 
die  Vermuthung  wohl  gestattet,  dass  Augenkrankheiten  durch 
Staubstürme  sowohl  bei  der  dem  Sertorius  in  Fülle  zugehenden 
kriegstüchtigen  Jugend  (Plutarch),  als  auch  überhaupt  in  diesen 
Ländern  etwas  Gewöhnliches  damals  nicht  gewesen  sind  — , 
ja  dass  Staubstürme  zum  Theile  auf  die  intensive  Abholzung 
der  Wälder  zurückzuführen  sind,  welche  die  Schiffsbauten  des 
Cäsar  in  Gades  und  Sevilla  und  vornehmlich  und  in  unge¬ 
heurem  Masse  die  überseeischen  Entdeckungsfahrten,  die  Ver¬ 
luste  der  spanischen  Marine  unter  Philipp  II.  und  späteren 
Herrschern  verursacht  und  dem  Lande,  besonders  auch  der 
im  Sommer  jetzt  fast  regenlosen  Provinz  Andalusien  mit  Se¬ 
villa,  einen  nur  kümmerlichen  Ersatz  in  dem  jetzt  dort  vor¬ 
handenen  Buschwald  eingebracht  haben  — ,  welcher  letztere 
dem  im  südlichen  Spanien,  in  Murcia  bis  zum  Cap  Nao  hin 
nicht  selten  wehenden,  heissen,  trockenen  und  einen  feinen 
Staub  mit  sich  führenden,  bei  der  Entstehung  vieler  Augen¬ 
krankheiten  gewiss  nicht  unbetheiligten  Wüstenwind  Levache 
sicher  weniger  Widerstand  als  die  ehemaligen  Wälder  bieten 
wird.  Andererseits  aber  ist  auch  die  einst  hochberühmte  römi¬ 
sche  Wasserleitung  von  Segovia  längst  verfallen  und  das 
Plateau  von  Altcastilien,  eine  der  regenarmsten  Gegenden  von 
Europa.  Spanien,  das  jetzt  nur  noch  17%  Waldboden  besitzt, 
und  Portugal,  das  waldarmste  Land  von  Europa,  wo  gar  nur 
noch  2%  des  Bodens  mit  Wald  bedeckt  sind,  weisen  jetzt 
gegenüber  der  Vergangenheit  eine  sehr  bedeutende  Zahl  von 
Augen-  und  Trachomkranken  auf. 

So  war  ferner  die  Nordküste  von  Afrika  einst  viel  baum¬ 
und  wasserreicher  als  gegenwärtig ;  es  werden  ausgedehnte 
Wälder  erwähnt  bei  Thapsacus  von  Plutarch,  bei  Utica,  dessen 
Umgebung  heute  ganz  unangebaut  ist  und  dessen  Trümmer 
in  einem  mit  salzigem  Wasser  gefüllten  Sumpfe  liegen,  von 
Cäsar,  in  Westlibyen  (Algerien  und  Tunesien)  von  Herodot, 
Waldungen  von  wilden  Oelbäumen,  Myrten  und  anderen 
Bäumen  »quae  humo  arido  atque  arenoso  gignuntur«  am 
Flusse  Muthul  von  Sallust,  während  heute  Algerien  im  Ganzen 
an  Wassermangel  leidet,  seine  Flüsse  kurz  sind  und  manche 
nur  während  der  Regenzeit  Wasser  führen,  eine  zusammen¬ 
hängende  Pflanzendecke  nicht  vorhanden  ist  und  die  kahlen 
Stellen  die  bewachsenen  überwiegen  (O  p  p  e  1),  in  Tunesien 
die  einst  berühmte  Fruchtbarkeit  verschwunden,  das  Land, 
dessen  Hauptstadt  Karthago  einst  durch  eine  zehn  deutsche 
Meilen  lange  Leitung  mit  Gebirgswasser  versorgt  war,  heute 
verdorrt  und  nur  an  wenigen  Stellen  noch  hinreichend  be¬ 
wässert  ist;  so  waren  die  Inseln  des  kleinen  Syrtenmeeres  mit 
Olivenbäumen  und  Weinbergen  einst  bedeckt,  so  hat  die 
Gegend  am  Cinyps,  an  der  grossen  Syrte,  einst  eines  der 
besten  Kornfelder  der  Erde,  mit  schwarzem,  wohlbewässertem,  der 
Dürre  nicht  unterworfenem  Boden  wie  Babylon  das  BOOfache,  das 
benachbarte  Berenice  das  lOOfache  des  Saatkorns  hervorgebracht, 
die  durch  ausgezeichnete  Goldarbeiten  und  Edelsteinschneidekunst 
berühmte  Stadt  Cyrene  sammt  der  Landschaft  Cyrenaika  drei 
Ernten  jährlich  gehabt,  während  heute  von  ihren  I  elsengräbern 
und  grossartigen  Wasserleitungen  nur  noch  Ruinen  bei  dem 
Dorfe  Grenneh  vorhanden  sind  und  alle  Ihäler  von  Tripoli 
tanien  ohne  Ausnahme  jetzt  nur  zeitweilig  Wasser  führen, 
aber  die  ganze  Syrtenlandschaft,  Tunis,  in  geringerem  Grade 


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auch  Algier  nach  Hirse hberg  jetzt  durchseucht  ist  vom 
Trachom,  von  welchem  bei  den  alten  Schriftstellern  nichts  zu 
erkennen  ist  und  bei  dem  plötzlichen  Auftauchen  der  Reiter- 
schaaren  des  Jugurtha  da  und  dort,  ihrem  nächtlichen  Ueber- 
fallen  römischer  Heere  wahrscheinlich  auch  nichts  vorhanden 
war.  So  hat  am  Mündungslande  des  Rhone,  nachdem  die  Um¬ 
gebung  von  Massilia  für  die  Belagerungswerke  des  Cäsar 
weit  und  breit  abgeholzt  worden,  die  Vegetation  selten  eine 
frische  Farbe,  da  der  in  dieser  ganzen  Gegend  bis  nach  Mar¬ 
seille  hin  herrschende,  ungeheuere  Staub  Alles  mit  einem  un¬ 
durchdringlichen,  dichten  Flor  bedeckt  und  der  von  dem  dort 
überall  vorhandenen,  leicht  zerbröckelnden  Sandstein  bereitete 
Staub  durch  die  kreuz  und  quer  treibenden  Südwinde  in  dicken 
Wolken  durch  die  Luft  gejagt  wird  (0  p  p  e  1). 

So  war  Oberitalien  noch  zur  Zeit  des  Camillus  baum¬ 
und  wiesenreich,  die  Stätte  von  Rom  selbst  einst  waldreich, 
im  Thale  des  Arno  ausgedehnte  Buchenwälder,  die  Landschaft 
Sabinum  stark  bewaldet,  der  jetzt  kahle  Bergrücken  des  Gar- 
gano  in  Apulien  ehemals  mit  Eichen  bedeckt,  auf  dem  wegen 
seines  Waldreichthums  schon  von  Dionysius  von  Halicarnassus 
gerühmten  Gebirge  Sila  in  Süditalien  Tannenwälder  einst 
reichlicher  vorhanden,  die  Oelbäume,  die  von  den  16%  Wald¬ 
land  Italiens  jetzt  etwa  3%  bilden,  erreichen  bei  Weitem  nicht 
die  Verbreitung,  die  sie  im  Alterthume  vor  dem  römischen 
Bürgerkriege  gehabten  Unteritalien,  sowie  auf  der  im  XVI.  Jahr¬ 
hunderte  fast  gänzlich  abgeholzten  Insel  Sicilien  und  Sardinien 
überzieht  die  an  Stelle  der  ehemaligen  Wälder  getretene 
Buschvegetation  der  Macchien  einst  schattige  Gebirgsflächen ; 
die  Thäler  des  Apennin  sind  jetzt  wasserarm,  aschgrau  ist 
die  herrschende  Farbe,  eine  spärliche  Vegetation  deckt  aus¬ 
gedehnte  Schutthalden;  an  der  Südostküste  sind  Gegenden, 
wo  einst  blühende  Städte,  wie  Lolcri,  Kroton,  Sybaris  und 
andere  lagen,  wo  die  Ebene  von  Sybaris  vor  25  Jahrhunderten 
gegen  eine  Million  Menschen  ernährte,  jetzt  nahezu  unbewohnt; 
das  Trachom  aber  ist  in  Italien  überall  verbreitet,  wie  die 
Malaria,  die  von  den  69  Provinzen  des  Landes  nur  sechs,  nämlich 
die  drei  Provinzen  an  der  Riviera,  sowie  Piacenza,  Florenz  und 
Pesaro  völlig  verschont  hat  und  ist,  was  für  die  Malaria  von 
sachkundigen  Autoren  angegeben  wird,  wahrscheinlich  ebenso 
wie  diese  an  diese  Verwüstung  der  Wälder  gebunden. 

So  war  Attika  schon  zu  Zeiten  des  Solon  bäum-  und 
wasserarm,  ist  aber  durch  den  Bau  vieler  Flotten  und  be¬ 
sonders  durch  die  ausgedehnte  Zerstörung  der  Wälder  bei 
Athen  unter  Sulla  noch  wald-  und  wasserärmer  geworden. 
Andere  Landschaften,  wie  Phokis,  waren  allerdings  einst  wald¬ 
reich,  jetzt  jedoch  sind  nur  noch  9%  6er  Gesammtfläche  von 
Griechenland  mit  Wald  bestanden;  der  ausgebrannte  Boden 
trägt  eine  verkümmerte  Vegetation,  wegen  Wassermangels  ist 
nur  ein  Drittel  des  Bodens  anbaufähig  und  nur  ein  Sechstel 
wirklich  angebaut,  das  Trachom  jedoch,  wie  in  den  beiden 
anderen  südlichen  Halbinseln,  nach  Hirschberg  sehr  ver¬ 
breitet.  So  war  auch  Kleinasien  im  Alterthume  bei  Weitem 
nicht  so  bäum-  und  wasserarm  wie  jetzt  nach  2000jähriger 
Zerstörung  der  Wälder,  besonders  in  Lycien  und  Cilicien,  bei 
Siwas,  Cäsarea  und  anderwärts,  und  von  den  das  Land  einst 
überaus  reich  und  fruchtbar  machenden  Bewässerungsanlagen 
hat  sich  nur  wenig  erhalten,  so  dass  weite  Strecken  ehemaligen 
Culturlandes  zur  staubigen  Steppe  geworden  sind.  Auch  in 
dem  einst  sehr  waldreichen  Persien  (Q.  C  u  r  t  i  u  s)  und  dem 
zum  Theil  wald-  und  vegetationsreichen,  zum  Theil  allerdings 
auch  aus  Sandwüsten  bestehenden  Bactrien,  das  einst  so  viel 
kriegstüchtige  und  daher  wohl  auch  augengesunde  Jugend  geliefert 
hat,  ist  überall  Oedland,  wo  das  Wasser  fehlt,  beziehungsweise 
wo,  wie  in  der  Umgebung  des  Oxus,  die  alten  Canalisations- 
an lagen  in  \  erfall  gerathen,  und  die  schon  in  alter  Zeit,  offenbar 
nach  dem  Vorbilde  der  intermittirend  oder  unterirdisch  ver¬ 
laufenden  Flüsse,  wie  des  Ziobetis,  angelegten  Untergrund¬ 
canäle  (Kaoats)  nicht  bewahrt  worden  sind,  welche  das  Wasser 
unter  einem  Flussbette  oder  anderwärts  fortführen,  die  Ver¬ 
dunstung  desselben  durch  die  Hitze  hemmen  und  es  als  Trink¬ 
wasser  kühl  erhalten.  Auch  Persien  ist  nach  Hirschberg 
mit  Trachom  heute  durchseucht. 


Die  schwerste  Einbusse  jedoch  hat  wohl  Mesepotamien 
und  Palästina  erlitten.  Den  Wandel  in  der  Bebauung  von 
Mesopotamien  haben  nicht  klimatische  Veränderungen,  sondern 
Menschen  hervorgebracht,  welche  die  Culturarbeit  früherer  Ge¬ 
schlechter  nicht  zu  erhalten  und  fortzuführen  verstanden;  die 
beiden  Flüsse  sind  dieselben  geblieben,  wenn  auch  wohl  wasser¬ 
ärmer  geworden,  seitdem  Kurden  und  Türken  die  Berge  holz¬ 
ärmer  machten,  als  sie  ehemals  wohl  gewesen  sind.  In  heute 
wüst  liegenden  Gegenden  von  Mesopotamien  herrschte  einst 
altassyrische  Cultur,  Niniveh  besass  schon  um  1300  v.  Chr. 
unter  Salmanassar  eine  Trinkwasserleitung;  die  hängenden 
Gärten  der  Semiramis,  die  noch  heute  vorbildlichen  Sicherungs¬ 
bauten  derselben  und  der  Nitocris  gegen  Ueberschwemmung 
mit  asphaltirten  Staubecken,  zu  welchen  die  Asphaltquellen 
von  Mennis  das  Material  lieferten,  der  Art,  dass  Babylon  mit 
fliessendem  Wasser  umgeben  war;  die  in  dem  an  und  für 
sich  regenarmen  Lande  durch  die  Canalisation  erzielte  ausser¬ 
ordentliche,  300fachen  Ertrag  gebende  und  den  dritten  Theil 
aller  Einkünfte  des  Perserreiches  liefernde  Fruchtbarkeit,  sowie 
die  Seltenheit  von  Krankheiten  in  der  Bevölkerung  von  Babylon 
sind  von  Q.  Curtius  und  Herodot  in  der  fesselndsten 
Weise  geschildert.  In  Mesopotamien,  bei  Bagdad,  bei  der 
grössten  Annäherung  zwischen  Euphrat  und  Tigris,  wo  die 
Astronomie  einst  ihren  Anfang  genommen,  verschwindet  jetzt 
im  Sommer  die  Sonne  hiner  einem  undurchdringlichen  Staub¬ 
und  Dunstschleier,  die  Luft  ist  so  trocken,  dass  Fensterscheiben 
bersten  und  alles  Holzwerk  aus  den  Fugen  geht,  und  wie  auf 
graugelber,  regungsloser  Wasserfläche  schweben  die  Palmen¬ 
wipfel,  scheinbar  abgetrennt  von  ihren  Stämmen,  die  das  Auge 
vor  Staub  und  Dunst  nicht  sieht  (Op  pel).  Ein  Theil  des 
Landes  besteht  jetzt  aus  Steppe,  der  andere  aus  Sumpf,  und 
die  verschiedensten  Krankheiten  sind  dort  sehr  häutig.  Und 
nun  gar  die  Verwüstung  der  Wälder  in  Syrien,  das  durch 
fruchtbare  und  wasserreiche  Thäler  einst  ausgezeichnet  war, 
jetzt  aber  nur  sehr  wenige  Flüsse1)  mit  beständigem  Wasser 
besitzt,  sowie  in  Palästina.  Die  Verwüstung  der  Cedernwälder, 
welche  die  Bewunderung  der  Psalmisten  einst  erregten,  die 
Cedern  des  Libanon,  »die  der  Herr  gepflanzt  hat,  in  denen  die 
Adler  nisten  und  auf  deren  Gipfel  die  Reiher  wohnen«,  die  das 
Holz  zu  den  Tempelbauten  des  Salomo,  des  Zerobabe],  des 
Herodes,  zu  den  Götzentempeln  des  Hiram  in  Tyrus  und  der 
Assyrer  in  Niniveh,  zu  den  Schiffbauten  des  Salomo,  den 
Handels-  und  Kriegsflotten  der  Phönizier  einst  geliefert,  auch 
dort  bei  Salamis,  wo  seitens  der  Phönizier  und  Syrier  allein 
300  Triremen  im  Kampfe  waren,  dort  wo  ».  .  .  der  Perser  Schiffe 
Rumpf  schlug  um,  die  See  war  nirgend  sichtbar  mehr  dem 
Blick,  von  Wrack  und  Scheitern  wimmelnd  und  Erschlagenen  . . .«, 
dann  weiter  zu  immer  neuem  Ersatz  der  Perserflotten,  zu  den 
mächtigen  Belagerungswerken  des  Alexander  vor  Tyrus,  wo 
ganze  Bäume  in  Massen  ins  Meer  gesenkt  wurden,  zum  Bau 
der  zur  Umseglung  von  Afrika  bestimmten  Flotte  des  Alexander 
in  Thapsacus,  zu  den  Prachtbauten  der  Zenobia  in 
Palmyra  und  mit  gleicher  Waldverwüstung  in  den  folgen¬ 
den  Jahidiunderten  weiter,  bis  endlich  die  ganze  Herrlichkeit 
bis  auf  einen  2000  m  hoch  gelegenen  Hain  von  377  Stück 
ausgerottet  war,  unter  welchen,  nach  Ferd.  Cohn,  die  10m 
Stammdurchmesser  besitzenden  Patriarchen  als  überlebende 
Zeugen  einer  uralten  Vergangenheit  verehrt  werden  —  bis  aber 
auch,  in  Verbindung  mit  der  im  Römerkriege  stattgefundenen 
Verwüstung  der  Wälder  auch  in  Galiläa  (Jotopata)  und  Judäa, 
die  Wasserleitungen  des  Herodes  und  Pilatus  in  Jerusalem, 
von  Ascalon  und  Laodicea  versiegt,  die  Lustgärten  des  Salomo 
in  Etham,  die  Balsambäume  in  Jericho  verdorrt  sind,  der 
Jordan  im  Sommer  fast  überall  durchwatbar,  und  der  trotz  * 
seltener  Regen  zum  grossen  Theile  einst  so  üppige  Boden  an 
den  meisten  Stellen  verödet  ist,  in  dem  Lande,  »wo  Juda 
einst  sein  Füllen  an  den  Weinstock  band  und  seiner  Eselin 
Sohn  an  die  edle  Rebe,  wo  er  sein  Kleid  in  Wein  wusch  und 
seinen  Mantel  in  Weinbeerblut«,  heute  das  einmal  im  Jahre, 
am  Ende  der  Regenzeit,  auftauchende  »lebendige  Wasser« 
durch  ein  Volksfest  gefeiert,  sonst  aber  das  Trinkwasser,  nach 

')  Anschauliche  Uebersichtskavte  der  nur  zeitweilig  Wasser  führenden 
Flüsse,  bei:  v.  Soden,  Palästina.  Leipzig  1899. 


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Germ  an n,  um  Geld  verschachert  wird,  die  Bewohner  von 
Jerusalem,  deren  »corpora  salubria  et  ferentia  laboium«  selbst 
der  Judenfeind  Tacitus  einst  gerühmt,  jetzt  nach  v.  Soden 
fast  alle  verhungert  aussehen,  man  keinem  schönen  Menschen 
mehr  dort  begegnet,  und  jeder  Dritte  entweder  auf  einem  oder 
auf  beiden  Augen  erblindet,  auch  ganz  Syrien  nach  Hirsch¬ 
berg  und  Ger  mann  vom  Trachom  durchseucht  ist. 

In  Kürze  seien  noch  erwähnt  die  aus  Soda-  oder  Natrium- 
theilchen  bestehenden  Staubsäulen,  die  in  der  Ebene  von  Ungarn 
nicht  nur  Alles  mit  Staub  bedecken,  sondern  häufig  auch 
Pferde  und  Wagen  umwerfen  und  besonders  für  Budapest  eine 
grosse  Plage  sind,  dessen  breite  Strassen  durchfegend  und  Alles 
mit  einer  dichten  Masse  wirbelnden  Staubes  bedeckend;  sowie 
endlich  die  West-  und  Nordweststürme,  welche  über  die 
Wanderdünen  der  Frischen  Nehrung  zwischen  Danzig  und 
Pillau,  und  der  Kurischen  Nehrung  zwischen  Königsberg  und 
Memel,  die  »ostpreussische  Sahara«,  dahinbrausen  und  welchen, 
wie  es  in  einer  anschaulichen  Schilderung  von  A.  H  e  n  s  e  1 
heisst,  selbst  die  menschlichen  Wohnstätten  keinen  genügenden 
Widerstand  zu  leisten  vermögen,  »denn  mag  die  Fuge  zwischen 
Balken  und  Bretterwerk  noch  so  klein  sein,  der  Wind  treibt 
den  Sand  bis  ins  Innerste  der  Wohnungen,  und  wo  ein  Mensch 
solchem  Sturme  ausgesetzt  ist,  da  fühlt  er  sich  wie  mit  tausend 
Nadeln  berührt,  selbst  zwischen  den  Zähnen  merkt  er,  dass 
der  Sand  eingedrungen  ist.«  Ob  die  Staubstürme  Ungarns  mit 
der  Lichtung  der  Wälder  in  Siebenbürgen,  das  im  Mittelalter 
viel  waldreicher  gewesen  als  heute,  in  Verbindung  gebracht 
werden  können,  ist  mir  nicht  bekannt;  die  Stürme  auf  den 
preussischen  Nehrungen  jedoch  werden  mit  der  Abholzung  der¬ 
selben  mit  Bestimmtheit  in  Verbindung  gebracht,  und  die  west- 
preussische  Nehrung  war  noch  vor  200  Jahren  mit  dichten 
tiscalischen  Waldungen  bestanden,  die  für  200.000  Thaler  ab¬ 
geholzt  wurden,  während  man  jetzt  Millionen  dafür  geben 
würde,  wenn  man  den  Wald  wieder  hätte.  Beispiele  für  die 
Verderblichkeit  solcher  Staubstürme  für  die  Augen  aus  unserer 
Gegend  sind  oben  bereits  angeführt,  auch  Hoppe  misst  den¬ 
selben  in  der  Entstehung  trachomatöser  Erkrankungen  in  Ma¬ 
suren  eine  Rolle  bei,  und  nach  Germ  an  n  verläuft  in  Syrien, 
das  reicher  ist  an  Wasser  und  Vegetation  und  staubärmer  als 
Palästina,  das  Trachom  viel  milder. 

Trotz  der  noch  immer  zunehmenden,  von  Addison, 
Reaumur,  Buffon  und  anderen  Autoren  schon  im  vorigen 
Jahrhundert  beklagten  Verarmung  Europas  an  Wäldern,  ist 
die  grosse  Bedeutung  derselben  zum  Feucht-  und  Kühlerhalten 
des  Bodens,  zur  Bewahrung  des  Wasserschatzes  einer  Gegend, 
sowie  in  Verbindung  mit  der  Moosdecke  des  Bodens,  welche 
wie  ein  Schwamm  das  Wasser  schnell  aufnimmt,  aber  langsam 
abgibt,  zur  Verhütung  plötzlicher  ausgedehnter  Ueberschwem- 
mungen  durch  Wildwasser  (Sturzbäche,  Fiumaren)  erst  durch 
Alexander  v.  H  u  m  b  o  1  d  t’s  Darlegungen,  denen  sich 
Marchand,  B  1  a n  q u i,  Rossmässler,  Karl  Müller, 
Lubbock,  Ferd.  Cohn  und  andere  Autoren  angeschlossen 
haben,  erkannt  worden,  obwohl  bereits  Columbus  dem  Um¬ 
fange  und  der  Dichtigkeit  der  die  Rücken  der  Berge  be¬ 
deckenden  Wälder  die  zahlreichen  und  erfrischenden,  die  Luft 
abkühlenden  Regengüsse  zugeschrieben  hatte,  denen  er  längs 
der  Küste  von  Jamaica  hinsegelnd  ausgesetzt  war,  bei 
diesem  Anlasse  in  seinem  Schiffsjournal  auch  bemerkend, 
dass  die  Wassermenge  auf  Madeira,  den  Azorischen 
und  Canarischen  Inseln  vormals  ebenso  gross  gewesen,  dass 
aber  seit  der  rücksichtslosen  Abholzung  der  Schatten  ver¬ 
breitenden  Wälder  die  Regen  dort  viel  seltener  geworden 
seien;  auch  hat  bereits  A.  v.  Humboldt  Beispiele  für  die 
weitere  Schädlichkeit  derartiger  Uebersckwemmungen  und  der 
durch  Zersetzung  von  Pflanzen  stoffen  hervorgerufenen  Miasmen 
beigebracht,  unter  Anderem  auch  eine  durch  fiebererregende 
Ausdünstungen  früher  berüchtigte  Gegend  von  Südamerika 
erwähnt,  wo  durch  Anpflanzung  von  Bäumen  um  einen  den 
heissen  Sonnenstrahlen  ausgesetzten  Teich  die  Luft  gesünder 
geworden  ist  —  doch  ist  dieser  Zusammenhang  der  Dinge, 
diese  für  unseren  Gegenstand  so  wichtige  zweite  Folge  der 
Waldverwüstung,  wohl  erst  durch  die  Schilderung  Karl 
Müller’s  von  Halle  bekannter  geworden,  der  die  Fieber  des 


Delta  des  Rhone,  der  Niederungen  des  Po,  sowie  im  Gegensätze 
zu  Theophrast  und  H.  Kiepert  auch  der  römischen 
Campagna  von  diesem  Umstande  wohl  mit  Recht  ableitet. 

3.  Während  die  bisher  betrachtete  Schädlichkeit  haupt¬ 
sächlich  und  in  erster  Linie  das  Auge  selbst  und  unmittelbar 
betrifft,  in  ihrer  Wirkung  allerdings  oft  noch  unterstützt  durch 
gleichzeitige  Einwirkung  auf  die  Schleimhaut  der  Nase,  übt 
das  jetzt  zu  besprechende  Moment,  Moder-  oder  Sumpfluft, 
seine  erste  Einwirkung  zunächst  auf  die  Nase  aus,  um  von  da 
entweder  örtlich  nach  aufwärts  fortschreitend  oder  durch 
Gefässverbindungen  verschleppt,  auch  die  Schleimhaut  des 
Thränen-Nasencanales  und  die  Bindehaut  zu  befallen. 

Die  Schädlichkeit  der  Sumpfluft  im  Allgemeinen  ist  aller¬ 
dings  schon  in  alter  Zeit  bekannt  gewesen,  z.  B.  auch  von 
den  Ausdünstungen  der  sumpfigen  Thalkessel  von  Böotien 
und  der  dort  herrschenden  dicken  und  schweren  Luft  der 
Stumpfsinn  seiner  Bewohner  bereits  von  alten  Schriftstellern 
abgeleitet  worden,  obwohl  Plutarch,  nicht  gerade  wahr¬ 
scheinlich,  massige  Fleischnahrung  seiner  Landsleute  hiefür 
verantwortlich  machen  wollte;  auch  ist  schon  um  450  vor 
unserer  Zeitrechnung  der  griechische  Arzt  und  Philosoph 
Empedokles  zu  Ansehen  und  Ruhm  gelangt,  als  er  die 
Ursache  einer  eine  Stadt  von  Sicilien  verheerenden  Endemie 
in  sumpfiger  Beschaffenheit  des  Bodens  erkannte,  während  bei 
uns,,  in  Ostpreussen,  in  Osterode,  mitten  in  der  Stadt  gelegene, 
einen  bedeutenden  Flächenraum  einnehmende  Sumpfwiesen  in 
Folge  ihrer  Ausdünstungen  dortige  Aerzte  noch  bis  Anfang 
vorigen  Jahres  mit  Kranken,  auch  Augenkranken,  reichlich 
versorgt  haben  und  der  die  Trockenlegung  dieser  Wiesen  ver¬ 
anlassende  Empedokles  von  Osterode  erst  neuestens  er¬ 
standen  ist.  Ja  für  die  Bedeutung  sumpfiger  Ausdünstungen 
selbst  für  das  Auge  liegt  ein  classisches  Beispiel  schon  in  der 
Geschichte  Hannibal’s  vor,  der,  bei  seinem  Marsche  durch 
das  ehemals  weit  hinauf  sumpfige  und  überschwemmte  Thal 
des  Arno  fieberhaft  erkrankt,  ein  Auge  eingebüsst  hat:  dass 
da  nun  gerade  ein  Fall  von  Trachom  und  besonders  der 
von  einigen  Autoren  beschriebenen  acuten  Form  desselben  mit 
rapider  Einschmelzung  der  Hornhaut  Vorgelegen  habe,  das 
kann  natürlich  nicht  nachgewiesen  werden  und  es  könnte  an 
und  für  sich  auch  z.  B.  ein  Ulcus  serpens  der  Hornhaut  ohne 
granulöse  Erkrankung  der  Bindehaut  gewesen  sein,  was  bei 
fieberhafter  Erkrankung,  besonders  auch  bei  Influenza  mit 
gleichzeitiger  Naseneiterung  nicht  selten  vorkommt.  Leider  aber 
gibt  es  ja  noch  viele  Personen,  welche  die  Wichtigkeit  des  in 
Rede  stehenden  Momentes  nicht  einzusehen  scheinen  und  Be¬ 
denken  tragen,  die  mit  Follikelbildung  verbundene  Form  des 
Trachoms  für  einen  grossen  Theil  der  Fälle  als  das  zu  be¬ 
zeichnen,  was  es  ist  und  wofür  ich  es,  im  Anschlüsse  an  Be¬ 
obachtungen  einiger  anderer  Autoren  schon  im  Jahre  1893 
erklärt  habe,  als  den  Begleiter  der  Malaria,  als  eine  vorwiegend 
miasmatische  Infectionskrankheit;  geht  doch  selbst  ein 
Autor  von  so  grosser  Erfahrung  und  unabhängigem  Urtheil 
wie  Prof.  Raehlmann  in  Dorpat  über  diesen  ätiolologisch 
und  prophylaktisch  äusserst  wichtigen  Punkt  mit  der  kurzen 
Notiz  hinweg,  dass  eine  klimatische  Beeinflussung  rein  ört¬ 
licher  Natur,  einer  Sumpfgegend  u.  dgl.,  mitunter  nicht  zu 
bestreiten  sei.  Das  ist  natürlich  viel  zu  wenig  gesagt;  es  muss 
vielmehr  heissen,  dass  dieses  Moment  sehr  häufig  oder  selbst 
ausserordentlich  häufig  nachzuweisen  und  in  der  weitaus 
grössten  Zahl  aller  Fälle  wahrscheinlich  vorhanden  ist.  Herrn 
Prof.  Raehlmann  sind  die  von  v.  Zehende r  citirten 
Untersuchungen  v.  Oettingen’s  und  v.  Himmels  tir  ns 
über  das  in  Livland  so  häufige  Trachom,  das  circa  zwei  Drittel 
aller  Krankheiten  der  Bindehaut  und  etwa  das  Fünffache  aller 
anderen,  die  Bindehaut  nicht  betreffenden  Augenkrankheiten 
dort  ausmacht,  vielleicht  nicht  ganz  gegenwärtig  gewesen, 
Untersuchungen,  durch  welche  dargethan  wurde,  dass  das 
Trachom  der  dortigen  Gegend  einerseits  hervorgerufen  wii  d 
durch  ungünstige  Wohnungsverhältnisse,  sowie  durch  Mangel 
an  gehöriger  Reinlichkeit,  andererseits  aber  vorzugsweise  in 
sumpfigen  Gegenden  vorkommt,  während  an  der  Meeresküste, 
wo  durch  die  häufig  wehenden  Seewinde  die  Luft  von  fremden 
Beimischungen  frei  erhalten  wird,  eine  weit  grössere  Immunität 


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vorherrscht,  dass  ferner  in  den  feucht  gelegenen  Districten 
336%,  an  der  Seeküste  aber  kaum  1%  Trachomkranke  sich 
fanden.  So  wird  auch  in  Finnland,  dem  trachomreichsten 
Lande  von  Europa,  woselbst  schon  in  gewöhnlicher  Zeit  33% 
der  Gesammtfkiche  des  Bodens  von  Seen  und  Sümpfen  bedeckt 
sind,  »dieses  Gemisch  von  Feld,  Wasser,  Heide,  Moor  und 
Nadelwald  im  Frühjahre,  bei  der  Schneeschmelze,  völlig  un¬ 
entwirrbar  und  unlösbar,  indem  dann  das  Ganze  in  eine 
richtungslos  durcheinander  flutliende  Wasserfläche  sich  ver¬ 
wandelt,  aus  der  nur  die  Wälder  und  grösseren  Granitblöcke 
hervorragen,  und  erst  wenn  der  Wasserschwall  sich  verlaufen 
hat,  kann  man  die  Hauptabflusssysteme  der  Seen  einiger- 
massen  unterscheiden«  (Oppel).  So  ist  der  grund wasserreiche 
Boden  der  am  Südabhange  des  Karstes  gelegenen  Stadt  Triest, 
der  Boden  von  Wilhelmshaven,  der  geradezu  morastige  und 
Ueberschwemmungen  durch  Sturmfluthen  der  Ostsee  nicht 
selten  noch  dazu  ausgesetzte  Boden  von  St.  Petersburg,  so 
sind  die  Schilfwaldungen  von  Polen  und  Galizien,  die  Sumpf¬ 
gebiete  des  Dnjepr  und  Dnjester,  die  von  M.  Willkomm 
geschilderten,  Hunderte  von  Quadratmeilen  bedeckenden,  nur 
im  Winter  zugänglichen  Morastwälder  von  Kurland  und  Liv¬ 
land,  die  Seen,  Sümpfe  und  Ueberschwemmungsgebiete  in  Ost- 
und  Westpreussen,  Posen  und  Mecklenburg,  die  Grünland¬ 
moore  des  Rheins,  die  trotz  vielfacher  Trockenlegung  seit  An¬ 
fang  des  Jahrhunderts  noch  immer  8%  der  Bodenfläche  von 
Irland  einnehmenden  Sümpfe  und  Moore  von  Connaught,  die 
Niederungen  des  Tajo,  das  zur  Zeit  des  Marius  noch  gesunde, 
jetzt  verschlammte  und  mit  Schilfsümpfen  (Rosalieres)  be¬ 
standene  Delta  des  Rhone,  das  von  V.  H  e  h  n  so  plastisch 
geschilderte,  an  Sümpfen  und  undurchdringlichen  Rohrdickichten 
reiche  Ueberschwemmungsgebiet  des  Po,  das  später  noch  näher 
zu  besprechende  Ueberschwemmungsgebiet  der  Donau  und 
der  Theiss,  die  morastige  Dobrudscha,  die  Deltas  des  Ganges, 
Mississippi  u.  A.  reich  an  Fieber  wie  an  Trachom,  so  gehen, 
wie  ich  schon  im  Jahre  1886  und  1893  erwähnt  habe,  dem 
jährlichen  Aufflackern  der  Trachomendemie  in  Aegypten  mit 
Fieber  verbundene,  an  Malaria  erinnernde  Schnupfenanfälle 
oft  voraus. 

Einer  Aeusserung  von  Prof.  Schmidt-Rimpler  in 
Göttingen,  dass  nicht  jeder  leichte  Schnupfen  mit  Trachom 
verbunden  sei,  wird  man  beipflichten,  und  es  führt  ja  auch 
nicht  jeder  leichte  Schnupfen  zu  einer  eiterigen  Laryngitis 
oder  einer  Mittelohreiterung  oder  selbst  nur  einer  Eiterung  der 
Nebenhöhlen  der  Nase,  und  es  sei  in  dieser  Hinsicht  noch  be¬ 
sonders  hervorgehoben,  dass  von  zwei  im  letzten  Jahre  von 
mir  behandelten,  in  demselben  Betriebe  —  einer  der  Be¬ 
schreibung  nach  überaus  verwahrlosten,  niedrig  gelegenen  und 
durch  das  schmutzige  Wasser  der  Radaune  öfters  über¬ 
schwemmten  Bonbonskocherei  in  unserer  Altstadt  —  beschäf¬ 
tigten  Personen,  die  eine,  ein  von  auswärts  kürzlich  zugereister 
und  bis  dahin  angeblich  immer  gesunder  Mann  eine  profuse 
Eiterung  der  Nase  und  beider  Kieferhöhlen  ohne  Augener¬ 
krankung  dort  acquirirt  hat,  die  andere  aber,  ein  an  doppel¬ 
seitigem  obstruirendem  Nasenkatarrh  schon  länger  leidendes 
Mädchen,  eine  heftige,  mit  Fieber  verbundene  Eiterung  der 
Nase,  sowie  eine  stark  eiterige,  mit  bedeutender  Wulstung  und 
Furchung  der  Uebergangsfalten  verbundene  trachomähnliche 
Entzündung  der  Bindehaut  mit  beginnender  Trübung  und 
\  ascularisation  der  Hornhaut  sich  zugezogen,  welche  bei  etwas 
längerem  Verweilen  in  jenem  Locale  das  Bild  des  acuten  oder 
subacuten  Trachoms  meines  Erachtens  hätte  dargeboten  haben 
müssen,  aber  bei  Schwitzen,  Kataplasmiren  der  Augen  und 
täglicher  Ausspülung  derselben  sowie  der  Nase  im  Laufe  eines 
Monats  gänzlich  geschwunden  ist  und  einen  so  hohen  Grad 
offenbar  nur  deshalb  erreicht  hat,  weil  eine  Störung  der  Cir¬ 
culation  im  Auge  in  Folge  der  Verstopfung  der  Nase  schon 
längst  vorhanden  war.  Wenn  aber  Herr  Prof.  Schmidt- 
Rimpler  unterlassen  hat,  anzugeben,  aus  welchen  Anzeigen 
er  die  von  ihm  behauptete  Nichtbetheiligung  der  Nase  in 
seinen  Fällen  von  Trachom  erschlossen  habe,  wenn  ich  ferner 
nun  doch  wohl  oft  genug  dargelegt  habe,  dass  die  einfache 
Inspection  der  Nase  von  vorn  oder  auch  von  hinten  her  zum 
Ausschliessen  nicht  nur  einer  Sinovitis  maxillaris  oder  fron¬ 


talis,  sondern  selbst  nur  einer  Eiterung  der  Nase  überhaupt 
nicht  genügt,  dass  für  den  letzteren  Zweck  unbedingt  noch 
eine  Probeausspülung,  mindestens  noch  der  Nasenhöhle  vor¬ 
genommen  werden  müsse,  da  hiebei  oft  Eiter  entleert  wird, 
von  welchem  bei  rhinoskopischer  Untersuchung  nichts  zu  be¬ 
merken  war;  wenn  weiter  aus  der  Mittheilung  Schmidt- 
Rim  pier’s  nicht  ersichtlich  ist,  ob  er  eine  derartige  Durch¬ 
spülung  wirklich  gemacht  habe,  dann  steht  ihm  ein  ent¬ 
scheidendes  Urtheil  in  dieser  Frage  doch  wohl  kaum  zu.3) 
Vielleicht  entschliesst  sich  Herr  Prof.  Schmidt-Rimpler 
sein  Trachom  material  auf  concomitirende  oder  primäre  Nasen¬ 
krankheiten  für  die  Folge  etwas  gründlicher  anzusehen,  be¬ 
ziehungsweise  ansehen  zu  lassen,  vielleichtauch  Nachforschungen 
darüber  anzustellen,  ob  dem  Ausbruche  der  Augenkrankheit 
nicht  in  so  und  so  vielen  Fällen  eine  fieberhafte,  malariaähn¬ 
liche  Erkrankung  vorausgegangen  ist,  denn  nach  meinen  Er¬ 
innerungen  rekrutirten  sich  im  Jahre  1877  die  Trachomkranken 
der  Göttinger  Augenklinik  zum  guten  Theile  aus  der  Gegend 
von  Mühlhausen  in  Thüringen  und  dem  Ueberschwemmungs¬ 
gebiet  der  Unstrut,  deren  Regulirung  schon  Napoleon  I.  beab¬ 
sichtigte,  die  aber  noch  heute  nicht  erfdgt  ist. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Ueber  den  normalen  Grosszehenreflex  bei  Kindern. 

Von  Fritz  Passini.  Assistenten  der  Abtheilung-  des  Herrn  Prof.  Frühwald 
an  der  Wiener  Allgemeinen  Poliklinik. 

Babinski1)  hat  vor  einigen  Jahren  die  Aufmerksam¬ 
keit  auf  ein  Phänomen  gelenkt,  dem  er  grosse  pathognomoni- 
sche  Bedeutung  zuschreibt.  Kitzeln  der  Fusssohle  erregt 
bei  Vorhandensein  einer  organische»  Läsion  der  Pyramiden¬ 
bahnen  reflectorische  Extension  der  grossen  Zehe,  während 
normaler  Weise  eine  Flexion  eintritt.  Das  »phenomene  des 
orteils«  hat  bei  der  Nachprüfung  verschiedene  Beurtheilung 
erfahren;  während  vor  Allem  französische  Aerzte  [R.  Cestan 
i\nd  LouisLe  S  o  u  r  d  2),  G  1  o  r  i  e  u  x  3),  van  Gehuchten  4), 
Ganault5),  Collier6)]  Babinski  beistimmen,  sprechen 
andere  Neuropathologen  dasselbe  als  unverlässlich  an  (Martin 
Cohn7).  Giudiceandrea8)  leugnet  einen  diagnostischen 
Wert,  während  eine  Reihe  deutscher  Autoren  sich  für  den¬ 
selben  einsetzt  [Schüler9),  K  a  li  s  c  h  e  r  10),  Remak]11). 

Seit  Monaten  dieses  Phänomen  an  grösserem  Kinder¬ 
materiale  prüfend,  kann  ich  die  Angaben  Babin  ski’s  be¬ 
stätigen.  Ohne  Ausnahme  ergab  sich  bei  Kindern,  deren  Pyra¬ 
midenbahnen  eine  organische  Schädigung  erlitten  hatten,  dieser 
Extensionsreflex.  Es  wurden  Fälle  geprüft  von  cerebraler 
Diplegie  und  cerebraler  Monoplegie,  angeborenem  Hydro¬ 
cephalus  mit  spastischen  Paresen  der  unteren  Extremitäten, 
spinalen  Erkrankungen,  wie  Compressionslähmungen  durch 
Caries  vertebrae. 

Auffällig  waren  die  Befunde  bei  Meningitis  tuberculosa; 
hier  schien  es  anfänglich,  als  wenn  das  Auftreten  des  Exten¬ 
sionsphänomens  als  terminales  Zeichen  aufzufassen  wäre,  in 
dem  eine  Reihe  von  Fällen  ein  bis  zwei  Tage  ante  mortem 
die  vorherige  Flexion  in  eine  Extension  verwandelte.  Die 
späteren  Befunde  widerlegten  jedoch  diese  Ansicht,  es  wechseln 
Extension  und  Flexion  an  derselben  Extremität  an  aneinander¬ 
folgenden  Tagen.  Die  gestörten  Circulationsverhältnisse  im 
Gehirn  und  Rückenmark,  welche  die  Region  der  Pyramiden¬ 
bahnen  zeitweise  ödematös  durchtränken  Hessen,  lieferten  wohl 
diesen  wechselnden  Befund. 

Vor  Allem  interessirte  der  Grosszehenreflex  der  kleineren 
Kinder  in  seinem  physiologischen  Verhalten.  Nach  Babinski 
ruft  ein  »Chatouillement  de  la  plante  du  pied«  bei  Neugeborenen 
eine  Extension  hervor,  weil  zur  Zeit  der  Geburt  das  Pyra¬ 
midensystem  seine  Entwicklung  noch  nicht  vollendet  hat;  sie 
stellen,  wie  er  sich  ausdrückt,  eine  Art  Paraplegiker  vor, 
deren  Pyramidenbahnen  die  Aufträge  des  Gehirnes  schlecht 

3)  An  der  Bedeutung  der  Probedurchspülung  der  Nase  zum  Nach¬ 
weise  einer  Eiterung  bin  ich  selbstverständlicher  Weise  auch  durch  die 
gegentheilige  Meinung  des  Herrn  Prof.  Friedrich  in  Kiel,  welchem  wohl 
eine  etwas  grössere  Erfahrung  auf  diesem  Gebiete  zukommt,  nicht  im  mindesten 
irre  geworden. 


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überbringen  Erat  wenn  die  Kinder  lauten  können,  verändert 
sich  der  Extensionstypus  in  die  normale  Flexion  der  Er- 
wachsenen.  R.  Ce  st  an  und  Louis  Le  Sourd  fanden  bei 
allen  Kindern  »unter  einem  Jahre«  eine  Extension  der  grossen 
Zehe-  den  genauen  Zeitpunkt,  wann  das  Kind  mit  L  lexion 
auf  den  Fusssohlenrciz  reagirt,  exact  zu  bestimmen,  gelang 
ihnen  nicht. 

Bei  den  daraufhin  gerichteten  Untersuchungen  wurde 
der  von  diesen  Autoren  angegebene  Prüfungsmodus  möglichst 
o-enau  eingehalten.  Sie  heben  die  Schwierigkeit  der  Unter¬ 
suchung  bei  Kindern  hervor,  welche  wegen  der  Abwehrbewe¬ 
gungen,  die  auf  geringen  Reiz  erfolgt,  undurchführbar  wird, 
und  empfehlen,  die  Sohle  nur  mit  der  Fingerkuppe  zu  be¬ 
streichen.  Die  Verhältnisse  einer  Ambulanz  machen  es  an  sich 
schwierig,  exact  zu  untersuchen;  man  hat  es  vor  Allem  mit 
den  S'dir  unruhigen  darmkranken  Kindern  zu  thun  und  dann 
gerathen  die  in  warmen  engen  Hüllen  hereingebrachten  Säug¬ 
linge  nach  Entkleiden  in  eine  ihnen  behagliche  doch  lur  die 
Prüfung  sehr  störende  Muskelunruhe. 

Um  diese  zu  bannen,  wurden  allerlei  Mittel  ^ angewandt; 
wenn  möglich  wurden  sie  an  die  Brust  gelegt  (I  aragö  -), 
oder  ihnen  die  Flasche  gereicht,  ein  anderes  Mal  durch  Er 
regung  ihrer  Sinnesnerven  abgelenkt,  was  durch  einen  voi 
gehaltenen  Lichtre Hector  oder  durch  akustische  Reize  gelang. 

So  waren  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  meist  klare,  doch 
wurde  die  Mehrzahl  der  Fälle  zur  Controle  nach  der  Genesung 
noch  öfters  vorgenommen,  wie  es  auch  bei  den  im  Spita  e 
liegenden  Kindern  geschah,  um  eine  durch  Krankheit  gestei¬ 
gerte  Reflexerregbarkeit  auszuschaltcn. 

Schüler  hat  in  CasseTs  Poliklinik  100  Rinder 
auf  ihren  GrosszehenrefleX  untersucht  und  fand  bei  4U/q 
keinen  Reflex,  bei  12%  Extension,  bei  80%  Flexion  bei 
18%  eine  undeutliche  undefinirbare  Bewegung;  diese  4U  /0 
waren  Säuglinge.  Unter  Anwendung  der  genannten  Mass¬ 
nahmen  wurde  die  Zahl  der  negativen  Befunde  sehr  ein¬ 
geschränkt,  so  dass  von  100  Kindern  bis  zu  einem  Jahre  nui 
sechs  eine  Zehenbewegung  lieferten,  die  weder  von  mir  noch 
von  den  mitbeobachtenden  Collegen  in  irgend  einem  Sinne 
gedeutet  werden  konnte.  Die  fortgesetzten  Untersuchungen 
ergaben  bei  weiterem  Materiale  dasselbe  Resultat.  Beweisender 
als  diese  Prüfungen  sind  einige  Befunde  an  in  1  nvatptlege 
befindlichen  Kindern,  an  denen  das  Auftreten  des  biex.ons- 
typus  genauer  bestimmt  werden  konnte. 

B  -\  normal  sich  entwickelnden  Kindern  ist  bereits  im 
vierten  Quartale  des  ersten  Lebensjahres  der  Flexionstypus 
der  vorherrschende.  Sein  Auftreten  geht  parallel  mit  ei  a 
gemeinen  Entwicklung  des  Individuums;  im  Wachsthum  aus 
irgend  einer  Ursache  stark  zurückgebliebene  Säuglinge  e  ne  ten 
länger  die  Extensionsbewegung  (z.  B.  ein  14  Monate  altes 
Kind,  das  an  Gewicht  einem  fünfmonatlichen  gleichstand), 
während  sehr  gut  florirende  Kinder  ausnahmsweise  schon 
früher  (ein  Kind  im  fünften  Monate)  Flexion  ergaben. 

Kali  scher  erklärt  die  physiologische  Umänderung 
dieses  Phänomens  aus  den  veränderten  Functionen  der  Muskeln 
des  Fusses.  Dieser  ist  in  der  ersten  Zeit  als  Greiforgan  aut- 
zufassen,  die  Dorsalflexion  ist  der  Effect  des  naturgemäss  m 
den  schwächeren  Antagonisten  verlaufenden  Reflexes  emc 
angeborene  Fluchtbewegung;  später  wird  er  zum  fort 
bewegungs- und  Stützorgane,  die  Interossei  treten  an  3e  eu  un^ 
hinter  die  Zehenstrecker  und  entsprechend  erregt  nun  der 
Refleximpuls  die  plantarflectirenden  Interossei  und  Lumbri- 
coides.  Nach  Obigem  coincidirt  aber  das  Auftreten  des  Plantar- 
reflexes  nicht  mit  der  Zeit  des  Laufenlernens,  es  ge  it  mm 
voran,  vor  Allem  bei  rachitischen  Kindern,  die,  wo  i  genä  i  , 
erst  oft  nach  der  Mitte  des  zweiten  Jahres  zum  Lauten 
kommen.  Der  Gebrauch  des  Fusses  zum  Gehen  kann  tem 
nach  wohl  nicht  die  mehr  mechanische  Ursache  dieses  p  ivsio 
logischen  Wechsels  im  Reflexacte  sein.  Derselbe  muss  wo  i 
von  der  fortlaufenden  Entwicklung  des  Pyramiden systemes 
abhängen,  die  aus  der  angeborenen  zweckmässigen  oi  sa 
flexion  eine  für  fjen  kommenden  Gehact  wichtige  Plantar¬ 
flexion  einleitet. 


Pathologische  Veränderungen  der  Pyramidenbahnen  beim 
älteren  Kinde  und  Erwachsenen  rufen  den  Jugendzustand 
hervor,  der  bei  Ausbleiben  der  Entwicklung  des  Tractus 
cortico- spinalis,  z.  B.  bei  Mikro-  und  Anencephalie  (Stern¬ 
berg13)  erhalten  bleibt.  Das  Extensionsphänomen  bei  lädirten 
Pyramidenbahnen  ist  fast  durchgehends  ein  exquisiteres  als 
das  physiologische  des  Neugeborenen.  Das  erste  wie  das  zweite 
ist  eine  Theilerscheinung  eines  gesteigerten  Muskeltonus.  Der 
Neugeborene  zeigt  spastische  Symptome,  die  nach  Anton") 
nichts  Anderes  sind  als  das  Resultat  des  Ueberwiegens  der 
Hinterstranginnervation  über  die  des  Seitenstrangsystemes.  Beide 
erhalten,  antagonistisch  wirkend,  den  normalen  Muskeltonus, 
erstere  befördernd,  letztere  hemmend  (Ad  amkiewicz 1  ')• 
Mit  der  allmäligen  Entwicklung  der  Pyramidenbahnen  kommt 
es  darin  zum  Ausgleich;  zweitens  die  Erlernung  gewollter 
combinirter  Muskelactionen,  des  Aulrechtsitzens,  Knochens, 
Stehens  und  endlich  des  Gehens  wird  möglich,  andere  Muskel¬ 
gruppen  werden  zur  Function  herangezogen,  aus  dem  Greiforgan 
wird  ein  Locomotionsorgan  gebildet.  Ist  die  Entwicklung  noch 
nicht  so  weit  gediehen,  so  besteht  die  angeborene  Abwehr¬ 
bewegung;  ein  späterer  Ausfall  der  hemmenden  Fasern  durch 
eine  Läsion  ruft  deutlich  den  Extensionstypus  wieder  hervor. 

Literatur. 

*)  M.  Babinski,  Da  phenomene  des  orteils  et  de  sa  valeur  semio- 

loeique.  La  semaine  medicate.  1898,  pag.  321.  „ 

2)  R.  Cestan  et  Louis  Le  Sour  d,  Gazette  des  hopitaux. 

1899,  pag.  1249. 

3)  Qlorieux,  Journal  de  neurolog.  18J3,  Dec. 

4)  van  Gehuchte  n,  Journal  de  neurolog.  1898. 

5)  Ganault,  referirt:  Neurologisches  Centralblatt.  1899,  pag.  obö. 

6)  Collier,  referirt:  Neurologis dies  Centralblatt.  1899,  pag.  693. 
i\  Martin  Cohn,  Neurologisches  Centralblatt.  1899,  pag.  580. 

.8)  Giudiceandrea,  Bull.  Soc.  Lancisiana.  1899.  Referirt:  Mün¬ 
chener  mediciuische  Wochenschrift.  1900,  Nr  29. 

9)  Schüler,  Neurologisches  Centralblatt.  loJJ,  ooo. 

Kalischer,  Virchow’s  Archiv.  Nr.  155. 
in  R  e  m  a  k,  Neurologisches  Centralblatt.  1900,  lieft  1. 
m  F  a  r  a  g  6,  Archiv  für  Kinderheilkunde.  1887. 
i3\  M.  Sternberg,  Die  Sehnenreflexe,  pag.  135 
141  Gr  Anton,  Sammlung  medicinischer  Schriften.  Nr.  Io,  pag.  4G 
15)  A  Adamkiewicz,  Zeitschrift  für  klinische  Medicm.  1881. 


Formaldehyddesinfection. 

Von  Dr.  Basil  Kluczeako,  k.  k.  Landes-Sanitätaeferent  in  der  Bukowina- 

Formaldebyd  ist  das  Aldehyd  der  Ameisensäure  oder  des 
Oxydationsproduetes  des  Methylalkohols,  welches  entsteht  wenn 
inan  die  Dämpfe  des  letzteren  über  eine  glühende  Platin- 
spirale  zusammen  mit  Luft  streichen  lässt. 

Es  entwickelt  sich  hiebei  bekanntlich  ein  farbloses, 
stechend  riechendes,  in  Wasser  leicht  lösliches  Gas,  welches 
sich  in  der  Luft  leicht  zu  Ameisensäure  oxydirt. 

Auf  dem  starken  Reductionsbestreben,  beziehungsw  u» - 
Reactionsvermögen  beruht  wohl  in  erster  Lime  seine  desinfl- 

Cil'en  Zu'Dresin“oüönszwecken  werden  verschiedene  Präparate 

dos  Formaldehyds  verwendet,  und  zwar: 

1.  Das  Formalin,  das  ist  eine  40°/0ige  wässerige  Losung 

dos  vas förmigen  Formaldehyds. 

S2  Paraformolaldehyd;  das  ist  das  feste  Polymensirungs- 

product  des  Formaldehyds  in  Pastillenform  gebrad 
1  8.  Das  Holzin,  das  ist  Formalin  m  methylalkoholnc! 

Lösung.  fonn  das  ist  eiue  Mischung  aus  Formalin  mit 

IO»/,  Glycerin,  soll  der  Polymerisirung  des  Formaldehyds  ent- 

gegen zahlreichen  eingehenden  Untersuchungen  des  Formal- 
desinfection  haben  das  Resultat  geliefert  dass  wir  m  1»  m 
dehyd  ein  sicheres  ausgezeichnetes  D*.nfe  —  > 
dass  aber  dasselbe  nicht  m  Oie  Ober- 

inficirenden  Substanzen  dringt  sondern  n 
fläch  endesinfection  entfaltet  Ferner  , st  man  zur  « 
niss  gelangt,  dass  die  Formaldehyddämpfe,  um  m  ve.lnsshc 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  41 


Weise  desinflcirend  zu  wirken,  mit  Wasserdämpfen  gesättigt 
sein  müssen. 

Man  hat  zwar  keine  erheblichen  Gesundheitsstörungen 
durch  das  Formaldehyd  beim  Menschen  beobachtet,  aber  das 
Gas  hat  einen  äusserst  durchdringenden,  die  Schleimhaut  der 
Augen  und  Nase  heftig  reizenden  Geruch.  Die  Augen  fangen 
an  zu  thränen,  Reiz  zum  Niesen  stellt  sich  ein,  ebenso  Kratzen 
im  Halse  und  Athembeklemmungen. 

Dies  wird  allmälig  so  unangenehm,  dass  man  aus  der 
Formaldehydluft  zu  entfliehen  sucht. 

Der  Geruch  durch  Formaldehyd  ist  sonach  äusserst  be¬ 
lästigend  und  lässt  sich  durch  Lüften  schwer  beseitigen.  Offen¬ 
bar  findet  starke  Flächenanziehung  durch  Wände  und  Gegen¬ 
stände  statt  und  selbst  nach  mehrtägigem  Lüften  ist,  wenn  die 
Fenster  geschlossen  oder  gar  das  Zimmer  geheizt  wird,  der 
lästige  Geruch  wieder  da. 

Diese  unangenehmen  Beschwerden,  welche  die  ganze 
Formaldehyddesinfection  in  Frage  zu  stellen  geeignet  sind, 
lassen  sich  durch  Einleitung  von  Ammoniakdämpfen  in  die 
mit  Formaldehydgas  gesättigten  Räume  beseitigen.  Der  Am¬ 
moniak  verbindet  sich  nämlich  mit  Formaldehyd  zu  einer 
festen,  geruchlosen  Substanz  (Hexamethylentetramin).  Um  einen 
vollen  und  sicheren  Erfolg  zu  erzielen,  um  die  Nachbarschaft 
von  der  lästigen  Einwirkung  der  Formaldehyddämpfe  zu  ver¬ 
schonen,  sollen  die  Ammoniakdämpfe  gleich  nach  beendeter 
Desinfection  in  den  noch  ganz  mit  Formaldehyd  gefüllten  Raum 
eingeleitet  werden. 

Des  gesammte  Formaldehyd  wird  dann  in  die  obgenannte 
feste  geruchlose  Siibstanz  umgewandelt  und  der  Ammoniak- 
iiberschuss  lässt  sich  leicht  durch  Lüften  beseitigen,  so  dass 
der  desinficirte  Raum  sofort  wieder  benützbar  wird. 

Von  den  bis  jetzt  angewendeten  Präparaten  des  Formal¬ 
dehyds  erscheint  das  Formalin,  das  ist,  wie  oben  gesagt,  eine 
40%ige  wässerige  Lösung  des  Formaldehyds,  das  entsprechendste 
und  billigste  Mittel. 

Was  die  zu  diesem  Desinfectionsverfahren  hergestellten 
Apparate  anbelangt,  so  eignen  sich  diejenigen  am  vorteil¬ 
haftesten  hiezu,  welche  das  Formaldehyd  gleichzeitig  mit 
einer  entsprechenden  Menge  Wasserdampfes  entwickeln.  So 
der  von  Praussnitz  angegebene  und  von  B  a  u  m  a  n  n  in 
Wien  hergestellte,  sodann  der  sogenannte  Breslauer,  nach 
Angabe  F 1  ü  g  g  e’s  construirte,  oder  der  durch  Czaplewski 
modificirte  S  c  h  1  os  s  m  a  n  n’sche  Apparat.  Es  ist  jedoch  zu  er¬ 
warten,  dass  es  der  Technik  in  absehbarer  Zeit  gelingen  wird, 
noch  bequemer  bantirende  und  billigere  Apparate  herzu¬ 
stellen. 

Für  die  Desinfection  von  Räumen  rechnet  man  auf 
100 m3  Raum  11  Formalin  und  31  Wasser,  ferner  für  die 
Dampfentwicklung  als  Feuerungsmaterial  11  Spiritus. 

Bei  Räumen  bis  zu  200  »i3  L5£  Formalin,  4 1  Wasser 
und  1‘5  l  Brennspiritus. 

Die  Entwicklung  des  Formaldehydgases  und  Wasser¬ 
dampfes  hat  durch  sieben  Stunden  vor  sich  zu  gehen.  Durch 
Zusatz  der  doppelten  Menge  Formalin  kann  die  Dauer  des 
Verfahrens  auf  die  halbe  Zeit,  das  ist  auf  3  72  Stunden,  herab¬ 
gesetzt  werden. 

Nachdem  vielfache  Versuche  erwiesen  haben,  dass  die 
Temperatur,  welche  in  dem  zu  desinflcirenden  Raume  herrscht, 
für  den  Erfolg  sehr  massgebend  ist,  als  bei  Temperaturen 
unter  10"  bei  sonst  gleichen  Bedingungen  der  Erfolg  schlecht 
wird,  muss  in  dem  zu  desinflcirenden  Raume  die  Temperatur 
mindestens  12°  betragen. 

Ferner  haben  zahlreiche  Beobachtungen  gelehrt,  dass,  so 
hinge  der  Ofen  oder  die  Heizkörper  überhaupt  erheblich  wärmer 
sind,  als  der  übrige  Raum,  die  Abtödtung  der  an  denselben 
oder  an  anderen  von  ihnen  in  der  Nachbarschaft  intensiver 
erhitzten  Gegenständen  etwa  haftenden  Infectionsstoffen  in 
hohem  Grade  unsicher  wird.  Es  muss  also  als  wichtiger  Grund¬ 
satz  aufgestellt  werden,  dass  vor  Beginn  der  Desinfection  ein 
vollkommener  Temperaturausgleich  im  ganzen  Raume  vor  sich 
gegangen  ist,  dass  also  die  etwa  nothwendig  gewesene  Heizung 
des  Ofens  längere  Zeit  vor  Beginn  des  Desinfectionsverfahrens 
ausgeführt  uud  dass  im  Momente  des  Anzündens  der  Formal¬ 


apparate  der  Ofen  oder  die  Heizkörper  jedenfalls  schon  er¬ 
kaltet  sind. 

Nachdem  das  Formaldehyd,  wie  oben  bemerkt  wurde 
nur  eine  Oberflächendesinfection  bewirkt,  müssen  die  zu  des- 
iuficirenden  Gegenstände  so  aufgestellt  und  angebracht  werden, 
dass  an  alle  ihre  Flächen  das  mit  Wasserdampf  gesättigte 
Formaldehyd  gelangen  kann. 

Ferner  ist  in  dem  zu  desinflcirenden  Raume  ein  Ent¬ 
weichen  des  überaus  flüchtigen  Formaldehyds  durch  Fugen 
und  OefFnungen  (Ofenthiiren,  Ventilationsöffnungen,  Schlüssel¬ 
löcher,  Fenster-  oder  Thürfugen)  wirksam  zu  verhindern. 

Demgemäss  müssen  alle  Ritzen,  Fugen  an  Fenstern  und 
Thüren  und  sonstige  Undichten  in  denselben  sorgfältig  mit  in 
2%iger  Carbolsäure-  oder  in  solcher  Lysollösung  getränkten 
Wattestreifen  oder  mit  Lehm,  welcher  mit  einer  dieser  des- 
inficirenden  Lösungen  angemacht  ist,  in  verlässlicher  Weise 
verstopft  werden. 

Ferner  sind  alle  in  dem  Raume  befindlichen  Oeffnungen 
mit  gekleistertem  und  in  eine  der  obangeführten  Desinfections- 
flüssigkeit  getauchtem  Papier,  mit  Ziegeln  und  Lehm,  oder  auf 
eine  andere  Weise  wirksam  zu  verstopfen. 

Sodann  werden  alle  an  den  Wänden  aufgestellten  oder 
aufgehängten  Gegenstände,  als  Schränke,  Tische,  Tafeln,  Land¬ 
karten,  Bilder  von  denselben  abgerückt,  beziehungsweise  ab¬ 
genommen.  Die  Thüren  von  Schränken,  die  Schubladen  von 
Tischen  und  anderen  Möbeln  werden  geöffnet.  Bücher,  Land¬ 
karten,  Gemälde,  Kataloge  und  Wandkarten  sind  mittelst 
carbolisirten  Bindfadens  auf  eigenen  Gestellen  oder  in  Er¬ 
mangelung  derselben  auf  im  betreffenden  Raume  gespannten 
Schnüren  frei  aufzuhängen. 

Handelt  es  sich  um  die  Desinfection  von  Wohnräumen, 
insbesondere  von  Schlafzimmern,  so  wird  gebrauchte  Leib¬ 
und  Bettwäsche  in  vorbereitete,  siedende,  starke  Lauge  ein¬ 
gelegt,  in  welche  sie  sodann  nach  beendeter  Desinfection  aus¬ 
zukochen  ist. 

Das  Bettzeug  wird  im  Zimmer,  wie  oben  angeführt,  frei 
hängend  befestigt.  Kleider  sind  ebenfalls  frei  hängend  zu 
legen,  Röcke  und  Blousen,  indem  man  eine  Stange  durch  beide 
Aermel  steckt,  Rockkragen  sind  aufzuklappen,  sämmtliche 
Taschen  werden  nach  Aussen  umgewendet,  Taschentücher 
sind  gleich  der  anderen  Wäsche  zu  behandeln,  das  ist  in  Lauge 
einzulegen  und  sodann  auszukochen. 

Auf  dem  Fussboden,  insbesondere  in  der  Nähe  von 
Betten  oder  Sitzstellen  befindliche,  infectionsverdächtige  Ver¬ 
unreinigungen  sind  entweder  mit  5%iger  Carboisäurelösung, 
oder  mit  frisch  zubereiteter  Kalkmilch  zu  übergiessen. 

Nachdem  die  zu  desinflcirenden  Gegenstände  zweckmässig 
untergebracht,  beziehungsweise  aufgestellt  wurden,  nachdem 
ferner  alle  nothwendigen  Dichtungen  und  Abschlüsse  richtig 
ausgeführt  wurden,  ist  durch  das  Schlüsselloch  der  Eingangs- 
thiire  eine  Metallröhre  durchzustecken,  durch  welche  sich  als 
nothwendig  erweisende  dampfförmige  Einleitungen  von  aussen 
in  den  Innenraum  vorgenommen  werden  können. 

Sodann  werden  die  in  Verwendung  kommenden  Formal- 
dehydentwickler  in  Stand  gesetzt  und  so  aufgestellt,  dass  sie 
ein  Oeffnen  der  Thüre  ermöglichen.  Ferner  muss,  um  jegliche 
Feuersgefahr  auszuschliessen,  ein  freier  Raum  im  Umkreise 
von  mindestens  0'5  w2  um  die  Apparate  gelassen  werden. 

Auch  wird  es  sich  empfehlen,  diese  Apparate  auf  einer 
feuersicheren  Unterlage  —  Blech,  Ziegeln  —  aufzustellen,  doch 
muss  der  Fussboden  unter  derselben  mit  5%iger  Carbol- 
säurelösung  oder  mit  frisch  zubereiteter  Kalkmilch  vorher 
sorgfältig  desinficirt  werden. 

Ist  eine  völlig  sichere  Aufstellung  der  Apparate  im  Innen¬ 
raume  nicht  möglich,  so  können  die  Breslauer  Apparate  auch 
ausserhalb  des  Zimmers  aufgestellt  werden  und  das  entwickelte, 
mit  Wasserdampf  gesättigte  Formaldehydgas  mit  Hilfe  einer 
Schlauchverbindung  durch  das  im  Schlüsselloche  angebrachte 
Rohr  geleitet  werden. 

Nachdem  die  die  Desinfection  vorbereitenden  Schritte 
vollendet  sind,  haben  die  Desinfectionsdiener  vor  dem  Ver¬ 
lassen  des  Raumes  sich  selbst  derart  zu  desinliciren,  dass  eine 
Verschleppung  von  Infectionskeimen  oder  eine  Ansteckung  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Diener  selbst  ausgeschlossen  erscheint.  Demgemäss  haben  die  j 
Desinfectionsdiener,  welche  zweckmässig  mit  leicht  waschbaren, 
leinenen  bis  zum  Knöchel  reichenden,  mit  Kapuzen  versehenen 
Oberkleidern  und  mit  Galochen  über  den  Schuhen  arbeiten 
sollen  die  Hände  mit  2%’ger  Carboisäurelösung  und  mit 
Seife,’ oder  mit  2%iger  Lysollösung  zu  waschen,  mit  nassen 
Händen  das  Oberkleid  abzunehmen  und,  wie  oben  bereits  an¬ 
gegeben,  frei  hängend  anzubringen.. 

Sobald  dies  geschehen  und  sobald  die  mit  brennenden 
Spiritus  armirten  Apparate  tadellos  functioniren,  haben  die 
Diener  den  inficirten  Raum  schleunigst  zu  verlassen  und  die 
Galochen  mit  der  oben  bezeiclmeten  desinficirenden  Lösung 
von  Aussen  intensiv  zu  reinigen. 

Sodann  haben  sie  die  Dichtung  der  Fugen  in  der  Em- 
gangsthiire  zu  bewerkstelligen. 

Die  Desinfectionsdiener  sollen  mit  der  nothwendigen  Um¬ 
sicht  und  mit  einer  peniblen  Genauigkeit  Vorgehen  und  sich 
der  grössten  Verantwortlichkeit  ihrer  Aufgabe  voll  bewusst  sein,  j 

Als  oberster  Grundsatz  für  dieselben  muss  autgestellt 
werden,  dass  sie  sich  Alles,  was  sie  zur  Ausführung  des  Ver¬ 
fahrens  nothwendig  haben,  vor  dem  Betreten  des  zu 
desinficirenden  Raumes  vorbereiten  und  knapp  vor  demselben 
aufstellen. 

Den  Desinfectionsdienern  ist  strengstens  untersagt,  nach 
dem  Betreten  des  zu  desinficirenden  Raumes  andere  Räume 
aufzusuchen,  da  hiedurch  sehr  leicht  Infectionskeime  über¬ 
tragen  werden  können. 

Nach  siebenstündiger  oder,  wenn  die  doppelte  Menge 
Formalin  in  Verwendung  kam,  nach  Entwicklung 

des  mit  Wasserdampf  gesättigten  Formaldehydgases  muss 
daran  geschritten  werden,  den  desinficirten  Raum  wieder  be¬ 
nützbar  zu  machen.  Zu  diesem  Zwecke  müssen  Ammoniak¬ 
dämpfe  in  den  mit  Formaldehydgas  geschwängerten  Raum 
mittelst  eigener  hiezu  construirter  Apparate  durch  das  im 
Schlüsselloche  der  Thüre  befindliche  Rohr  eingeleitet  werden, 
um,  wie  bereits  oben  angeführt,  das  freie  Formaldehydgas 
mittelst  der  Ammoniakdämpfe  in  das  geruchlose  feste 
Hexamethylentetramin  umzuwandeln. 

Zur  Entwicklung  der  Ammoniakdämpfe  wird  das  25%ige 
käufliche  Ammoniak  verwendet. 

Für  1  m3  Raum  werden  8  cm3  Ammoniak  gerechnet,  bei 

doppelter  Formaldehydmenge  12  er?«3. 

Der  Ammoniakentwickler  wird  mit  dem  aus  dem  Schlüssel- 
loche  hervorragenden  Theile  der  Blechröhre  durch  einen 

starken  Schlauch  verbunden. 

Im  Beisein  des  Desinfectors  wird  das  Ammoniak  ver¬ 
dampft,  wozu  die  Brennkraft  von  100 — 150  cm3  Spiritus  ausreicht. 

Eine  Stunde  nach  dem  Anzünden  des  Ammoniakentwicklers 
folgt  Oeffnen  des  Zimmers  und  der  Fenster,  Einordnen  der 
Sachen,  Reinigung  des  Fusbodens,  sowie  Auskochen  der  in 
Lauge  eingelegten  Wäsche,  eventuell  auch  der  leinenen  Um¬ 
hüllen  der  Desinfectionsdiener. 

Da  das  in  Folge  der  Einleitung  der  Ammoniakdämpte 
sich  bildende  Condenswasser  Metalltheile,  namentlich  Messing 
stark  angreift,  müssen  etwa  in  dem  desinficirten  Raume  be¬ 
findliche  solche  Thür-,  Fenster-  oder  Möbel beschläge,  sowie 
andere  etwaige  Metallsachen  sofort  sorgfältig  abgerieben  und 
getrocknet  werden. 

Es  wird  sich  empfehlen,  in  dem  desinficirten  Raume  die 
Fenster  thunlichst  lange  offen  zu  lassen. 

Bei  Diphtherie,  Scharlach,  Masern,  Blattern,  Flecktyphus, 
Influenza,  Pest,  Varicellen  und  Tuberculose  ist  die  I  ormalin- 
desinfection  anwendbar.  Bei  Cholera,  Unterleibstyphus  und 
Ruhr  wäre  von  der  Formalindesinfection  abzusehen  und  die  Des- 
infection  auf  Dampfdesinfection  von  Bettzeug,  Wäsche,  Kleidern, 
auf  Abwaschen  der  näheren  Umgebung  des  Bettes  mit  Garbol- 
lösung,  das  Tünchen  derselben  mit  Kalkmilch  und  Abort- 
desinfection  mit  letzterer  zu  beschränken. 

Bei  Abgang  von  Dampfdesinfectionsapparaten  könnte  als 
vorbereitender  Schritt  auch  bei  den  letztgenannten 
drei  Krankheitsformen  die  Formalindesinfection  in  frage 
kommen. 


Was  die  Kosten  der  Formalindesinfection  anbelangt, 
so  kostet  ein  sogenannter  Breslauer  nach  Flügges  Angabe 
von  Schering  in  Berlin  verfertigter  Apparat  für  verdünntes 
Formalin  bei  72  /v,  ein  kleiner  Apparat  nach  Praussnitz, 
erhältlich  bei  Bau  mann  in  Wien  50  if,  ein  solcher  grosser 
72  K.  Ein  Ammoniak-Verdampfungs- Apparat  32  Ä.  Mensuren, 
Trichter,  Blechflaschen  zur  Aufnahme,  sowie  zum  Ahmessen 
und  Anfüllen  des  Formalins,  Ammoniaks  und  Spiritus  bei 
30 if.  Formalin  in  Glasflaschen  zu  5 l  3  if  20  A  pro  Liter; 
Ammoniak  rein  circa  25  BA  inclusive  Glasflaschen  1  K  20  h 
pro  Liter.  Brennspiritus  laut  Marktpreis. 

Es  ist  aber  anzunehmen,  dass  in  absehbarer  Zeit  billigere 
und  zweckmässige  Formalindesinfectionsapparate  construirt 
werden,  sowie  dass  der  Formalinpreis  sich  ermässigen  wird, 
wodurch  die  Kosten  der  so  bequemen  Formalindesinfection  sich 
bedeutend  billiger  stellen  würden. 

Die  von  der  Berliner  chemischen  Fabrik  auf  Actien, 
vormals  Schering,  construirten  Formallampen,  bei  welchen  zur 
Entwicklung  des  Formaldehyds  das  feste  polymerisirte  Formalin 
(Trioxydmethylen)  in  Pastillenform  verwendet  wird,  könnten 
nur  in  Verbindung  von  besonderen  oder  mit  diesen 
Lampen  combinirten  Wasserdampfentwicklern  in  Betracht 
kommen. 

Die  obgenannte  Fabrik  hat  auch  in  letzterer  Zeit 
Apparate  erbaut,  in  welchen  neben  der  Verdampfung  der 
Formalpastillen  auch  Wasserdampf  entwickelt  werden  kann. 

Von  Max  Elb  in  Dresden  werden  sogenannte  Carbo- 
formalbriquettes  erzeugt.  Es  sind  dies  Patronen,  bestehend  aus 
50p  von  festem  Paraformaldehyd,  deren  jede  einzelne  in  einer 
Kohlenhülse  liegt.  Diese  Kohlenhülse  glüht  nach  einmaligem 
Anzünden  weiter  und  entwickelt  genug  Hitze,  um  den  Para¬ 
formaldehyd  in  Formaldehydgas  umzuwandeln,  ohne  jedoch 
eine  Entzündung  zu  bewirken. 

Diese  Briquettes  gelangen  nach  Ansicht  von  Karl 
Enoch  in  äusserst  sinnreicher  und  zweckmässiger  Packung 
zur  Versendung.  Je  vier  solcher  Briquettes  werden  nämlich  in 
Form  einer  Trommel  zusammengebunden  und  oben  und  unten 
mit  ausgezackten  Blechtellern  bedeckt,  welche  als  Untersatz 
für  die  einzelnen  glimmenden  Briquettes  zu  dienen  die  Be¬ 
stimmung  haben. 

Zur  Inbetriebsetzung  der  Formaldehydentwicklung  ist  es 
nur  nöthig,  eine  derartige  trommelförmige  Packung  aufzu¬ 
schnüren,  die  Briquettes  auf  den  Boden  der  beigegebenen 
Metalltellerchen  zu  legen  und  die  Kohlenhülse  mit  Hille  eines 
Streichholzes  oder  einer  kleinen  Flamme  anzuglühen. 

Die  Briquettes  glühen  weiter,  bis  sie  zu  einem  feinen 
Pulver  zerfallen,  welches’  auf  der  Metallunterlage  verbleibt. 
Eine  Beschädigung  des  Bodens  durch  die  Hitze  der  glühenden 
Briquettes  ist  ausgeschlossen.  Die  Dauer  des  Glühens  derselben 
ist  jedenfalls  länger,  als  die  zur  Verpackung  der  Paraformal¬ 
dehydpatronen  nöthige  Zeit. 

Karl  Enoch  kommt  auf  Grund  seiner  Versuche  zu 
dem  Schlussatze,  dass  bei  grosser  Feuchtigkeit  der  Luft  in 
dem  zu  desinficirenden  Raume  die  anderen  Formaldesintections- 
methoden  keinesfalls  mehr  leisten,  als  die  durch  Carboformal- 

briquettes.  ,  „  i  xn  i 

Dagegen  zeichnet  sich  letztere,  nach  Karl  En  o  c  b, 

durch  ihre  ausserordentliche  Einfachheit,  Billigkeit,  so  wie 
durch  ihre  für  jeden  Laien  leicht  zu  handhabende  Inbetneb- 
setzung  bedeutend  aus. 

In  dem  einfachsten  Haushalte,  im  Eisenbahnwaggon,  ja 
in  jeder  Droschke,  in  der  Wohnung  der  ärmsten  Leute  können 

solche  Briquettes  angezündet  werden. 

Schliesslich  entfallen  die  ziemlich  erheblichen  Anschaffungs¬ 
kosten  für  Apparate  und  Geräthschaften,  welche  bei  den 
anderen  Methoden  der  Formaldesinfection  benöthigt  werden, 
I  was  wohl  sehr  viel  zur  Verallgemeinerung  der  b  ormal- 
desinfection,  besonders  in  kleineren  Gemeinden  beitragen 

I  Wl  Bei  diesem  grossen  Lobe,  welches  Karl  Enoch  den 
Carboformalbriquettes  spendet,  wäre  es  sehr  wünschenswert!), 
diese  Desinfectionsmethode  zu  überprüfen  und  weiter  auszu¬ 
gestalten. 


‘136 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  41 


Schon  gegenwärtig  kann  jedoch  betont  werden,  dass  die 
von  Karl  Enoch  gewählte  Methode,  die  Luft  in  dem  zu 
desinficirendcn  Raume  mit  Wasserdampf  zu  sättigen,  nämlich 
durch  Ausgiessen  einer  grösseren  Menge  assers  aut  den 
Fussboden  "oder  durch  Aufhängen  nasser  Tücher  in  diesem 
liaume,  nicht  zweckmässig  erscheint,  und  dass  dieses  viel 
richtiger  durch  Aufstellung  eines  Wasserdampfentwicklers 
erreicht  werden  könnte,  welcher  sodann  auch  zur  Entwick¬ 
lung  des  Ammoniakgases  benützt  werden  soll. 


FEUILLETON. 

Vorstellungen  über  die  Art  der  Durchführung 
des  Unterrichtes  in  Geburtshilfe  und  Frauen¬ 
heilkunde. 

Vorlesung-  zu  Beginn  des  Wintersemesters  1899/1900. 

Von  Alfons  v.  Rosthorn  (Graz). 

Gestatten  Sie,  meine  Herren,  bevor  ich  die  mir  übertragene  Auf¬ 
gabe,  Sie  in  zwei  der  wichtigeren  medicinischen  Disciplinen  einzu¬ 
führen,  aufnehme,  Sie  mit  einigen  einleitenden  Bemerkungen  zu  be- 
grüssen.  Ich  habe  es  hiebei  für  zweckmässig  erachtet,  an  Stelle  eines 
rein  wissenschaftlichen  Kathedervoi träges  ein  Thema  mehr  allgemeinen 
Interesses  zu  setzen,  dessen  Erörterung  für  Sie,  meine  Herren, 
von  Vortheil  sein  kann.  Ich  möchte  Sie  nämlich  mit  meinen  Vorstel¬ 
lungen  über  die  richtige  Art  der  Durchführung  des  geburtshilflich¬ 
gynäkologischen  Unterrichtes,  sowie  über  das  Mass  der  Anforderungen, 
welche  man  für  die  Approbation  eines  Candidaten  beim  Examen  unter 
der  Voraussetzung,  dass  derselbe  ohne  weitere  specialistische  Ausbil¬ 
dung  die  allgemeine  Praxis  aufzunehmen  gedenkt,  im  gegenwärtigen 
Zeitpunkte  zu  stellen  gezwungen  ist,  vertraut  machen.  Meine  Erörte¬ 
rungen  werden  demnach  programmatischen  Inhaltes  sein. 

Neben  der  Sorge  für  das  Wohl  seiner  Pflegebefohlenen  ist  die 
wichtigste  Aufgabe  des  klinischen  Lehrers  selbstverständlich  jene,  Alles 
daran  zu  setzen,  den  Unterricht  so  au^zugestalten,  dass  jedem  einzelnen 
Hörer  thatsächlich  das  wird,  was  er  für  seine  Ausbildung  in  dem  be¬ 
treffenden  Fache  zu  fordern  berechtigt  ist.  Dies  muss  ihm  in  der 
leichtest  erreichbaren  und  fasslichsten  Form  geboten  werden. 

Allgemein  ist  die  Klage  nun  über  die  Unfertigkeit  der  jungen, 
in  die  Praxis  hinaustretenden  Aerzte  und  damit  im  Zusammenhang 
stehend  jene  über  die  ungenügende  praktische  Durchbildung  der¬ 
selben.  Naturgemäss  -werden  Vorwürfe  hauptsächlich  gegen  die  Lehrer 
jener  Fächer  erhoben,  in  welchen  Verstösse  in  der  Behandlung  ganz 
besonders,  auch  dem  Laien  in  die  Augen  fallen  und  zu  diesen  gehört 
wohl  zweifellos  in  erster  Linie  die  Geburtshilfe. 

Zahlreiche  Vorschläge  und  die  Bestrebungen  nach  einer  Reform 
der  Studienordnurg  überhaupt  beweisen  hinlänglich,  dass  ein  Zug  der 
Unzufriedenheit  mit  den  erziehlichen  Resultaten  durch  die  ganze 
Medicin  gehe.  Wenn  diese  Bestrebungen  durch  Verlängerung  der 
Unterrichtszeit,  Einbeziehung  gewisser  Specialfächer,  Festsetzung  eines 
obligaten  Dienstjahres  in  einem  Krankenhause  einer  Rtihe  von  Uebel- 
ständen  Abhilfe  schaffen  dürften,  so  weiden  damit  noch  lange  nicht 
alle  essentiellen  Mängel  und  gerade  jene,  die  unser  Fach  betreffen, 
behoben  werden.  Diese  liegen  meiner  Meinung  nach  in  der  noch 
immer  nicht  entsprechenden  und  ausserdem  nicht 
genügenden  A  r  t  d  e  r  Durchführung  des  Unterrichte  s, 
indem  wir  unser»  n  Schülern  wohl  die  nöthige  Menge  theoretischer 
Kenntnisse  im  Allgemeinen,  das  „Kennen“,  jedoch  nicht  die  Verwer- 
thung  derselben  in  praktischer  Hinsicht,  also  das  „Können“  beizu¬ 
bringen  im  Stande  sind. 

Freilich  ist  bei  dieser  Gelegenheit  auch  besonders  hervorzuheben, 
dass  von  dem  Unterrichte  in  der  Medicin  ganz  andere  Dinge  verlangt 
werden  als  von  dem  Unterrichte  des  Juristen  und  des  Technikers. 
Langjährige  Unterweisung  in  der  Praxis  folgt  in  diesen  beiden  Branchen 
der  theoretischen  Ausbildung,  bevor  an  die  Selbstständigkeit  gedacht 
werden  kann;  der  junge  Arzt  hingegen  muss  seine  Erfahrungen  auf 
seino  eigene  Gefahr  und  seine  eigonen  Kosten  hin  gewinnen,  wenn 
es  ihm  seine  Mittel  nicht  gestatten,  wie  es  eigentlich  in  jedem  Falle 
sein  sollte,  mclnero  Jahre  auf  Spitalspraxis  in  den  verschiedensten 
Fächern  zu  verwenden.  Dieser  wesentliche  Unterschied  kann  nicht  oft 
genug  betont  werden. 

•  Es  muss  weiters  zugegeben  und  hervorgehoben  werden,  dass 
beim  Vergleiche  mit  der  Art  des  Unterrichtes  zur  Zeit,  da  wir 
studirten,  ganz  bedeutende  Fortschritte  zu  verzeichnen  sind.  Doch  den 
gewissenhaften  und  weiter  strebenden  Lehrer  der  Gegenwart  können 
diese  lange  noch  nicht  befriedigen,  und  wenn  wir  weiter  kommen 
wollen,  dürfen  wir  die  Dinge  nie  mit  dem  Schlechteren  vergleichen. 


Man  muss  sich  vielmehr  ein  Ideal  vor  Augen  halten,  dem  nahe  zu 
kommen,  man  nie  und  nimmer  erlahmen  darf.  Das  volle  Aufgehen  im 
Unterricht  ist  unsere  Pflicht! 

Bedarf  es  Ihnen  gegenüber,  meine  Herren,  noch  eines  besonderen 
Argumentes,  warum  wir  an  der  Untrennbarkeit  des  Unter¬ 
richtes  in  der  Geburtshilfe  und  der  Frauenheil¬ 
kunde  als  dem  einzig  richtigen  Principe  festhalten  müssen?  Ich 
glaube  kaum.  Der  Zusammenhang  beider  Fächer  ist  ein  so  inniger, 
die  Abhängigkeit  eines  von  dem  anderen  theoretisch  und  praktisch 
eine  so  vollkommene,  dass  die  gemeinsame  Tradirung  beider  in  einer 
Hand  liegen  muss.  Die  Zusammengehörigkeit  dieser  beiden  wurde 
demnach  auch  durch  staatliche  Einrichtung  in  Deutschland  und 
Oesterreich  gesichert. 

Trotz  dieser  eben  erörterten  Zusammengehörigkeit  darf  vom 
pädagogischen  Standpunkte  aus  die  gleiche  Bewerthung  beider  nicht 
zugegeben  werden.  Bei  Einhaltung  des  Grundsatzes,  unsere  Hörer  mit 
solchen  Kenntnissen  und  Fertigkeiten  auszustatten,  dass  sie  ihre  all¬ 
gemeine  ärztliche  Thätigkeit  ohne  Gefährdung  der  zu  Behandelnden 
aufzuuehmen  im  Stande  sind,  steht,  selbstverständlich  die  Geburtshilfe 
weit  obenan.  Ich  schliesse  mich  daher  wohl  in  Uebereinstimmuug  mit 
allen  akademischen  Lehrern  dem  vor  Kurzem  von  v.  H  e  r  f  f  in  seiner 
trefflichen  Schrift  ausgesprochenen  Satze  an:  „Das  Wohl  der  Mensch¬ 
heit,  beziehungsweise  das  unserer  Frauen  verlangt  in  erster  Linie  ge¬ 
bieterisch  die  Ausbildung  guter  Geburtshelfer  und  erst  in  zweiter  Linie 
die  solcher  Frauenärzte.“ 

Nicht  oft  genug  kann  daher  den  Studireuden  gegenüber  verlautbart 
werden,  dass  das  Bediirfniss  vor  Allem  nach  Beherrschung  der  Geburts¬ 
hilfe  geht,  also  den  wichtigsten  Theil  der  gesammten  Gynäkologie  im 
Rahmen  des  Universitätsunterrichtes  darstellt  und  mit  dem  aller¬ 
grössten  Nachdrucke  und  in  möglichst  breiter  Weise  getrieben 
werden  muss. 

Der  geburtshilfliche  Unterricht  zeichnet,  wie  dies 
in  einem  anderen  Gebiete  der  Heilkunde  kaum  ähnlich  möglich  ist,  das 
Bedürfnissprogramm  in  klarer  Weise  vor.  Diagnose  und  Anzeige  zum 
Eingriffe  sind  zumeist  ganz  präcise  zu  stellen,  selten  schwankend  oder 
zweifelhaft.  Aber  während  selbst  in  der  Chirurgie  —  wenige  Fälle 
ausgenommen  —  der  Hausarzt  zumeist  noch  Zeit  findet,  über  einen 
Fall  woiter  nachzudeuken,  eventuell  einen  erfahrenen  Collegen  zu 
consultiren,  beziehungsweise  die  Kranken  demselben  zuzuweisen,  ist 
der  die  Geburtshilfe  treibende  Praktiker  fast  regelmässig  auf  sich  selbst 
angewiesen  und  zumeist  gezwungen,  sofort,  ohne  Säumen  und 
ohne  Beistand  einzugreifen,  ja  unter  Umständen  die  schwierigsten 
und  mühevollsten  Operationen  unter  seiner  alleinigen  Verantwortung 
auszuführen.  Von  der  Art  seines  Eingriffes  ist  oft  genug  das  Erhalten 
zweier  Menschenleben  abhängig. 

Nur  auf  Grund  theoretischer  Vorbildung  und  entsprechender 
Uebung  im  Untersuchen  wird  es  möglich,  eine  richtige  Diagnose  zu 
stellen.  Wer  möglichst  viele  normale  Fälle  mit  einiger  Vorbereitung 
und  richtigem  Verständnisse  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte,  wird 
durch  Erkenntniss  des  Abweichens  von  der  Regel  bei  einem  patho¬ 
logischen  Falle  sich  zumeist  bald  zurecht  finden.  Zur  richtigen  Be- 
urtheilung  des  Falles  behufs  Stellung  von  Prognose  und  der  thera¬ 
peutischen  Indication  bedarf  es  jedoch  geschulten,  geburtshilflichen 
Denkens,  das  nur,  wie  Her  ff  richtig  bemerkt,  durch  eine  Art  von 
Semina  runter  rieht  erworben  werden  kann.  Derselbe  wird  theils 
in  der  Klinik  vor  dem  gesammten  Auditorium  an  der  Hand  solcher. Fälle 
in  Form  von  Besprechungen  mit  den  Praktikanten,  theils  iu  dem  zweck¬ 
mässig  immer  von  dem  Vorstande  der  Klinik  zu  leitenden  Operationscurse 
gelegentlich  der  Erörterung  von  Indicationen  und  bestimmter  geburts¬ 
hilflicher  Situationen  zu  halten  sein.  Das  dort  Beigebrachte  muss  dem 
Lernenden  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen  sein  und  darf  nicht  in 
einem  Auswendiglernen  bestimmter  Regeln  bestehen.  Wer  sich  in 
dieser  Hinsicht  Mühe  gibt,  wird  auch  bei  seinen  Hörern  ein  dankbares 
Publicum  finden  ;  dieselben  werden  sich  zu  dieser  Art  geburtshilflicher 
Erziehung  ebenso  herandrängen,  wie  die  Juristen  und  Philosophen  in 
die  Seminare. 

Die  Technik  geburtshilflicher  Eingriffe  wird  am  Phantom  erlernt, 
wobei  streng  darauf  zu  sehen  sein  wird,  ob  jeder  Handgriff  thatsächlich 
lege  artis  ausgeführt  wird.  Jeder  Fehler  muss  sofort  gerügt  werden 
und  beim  Examen  üble  Folgen  bringen.  Auch  diese  Handgriffe  müssen 
so  in  Fleisch  und  Blut  iibergegangen  sein,  dass  der  Betreffende  die¬ 
selben  förmlich  automatisch,  ohne  darüber  nachdenken  zu  müssen, 
ausführt.  Wer  so  eingeübt  ist,  wird  im  gegebenen  Falle  an  der 
Lebenden  ohne  besondere  Schwierigkeiten  zurecht  kommen. 

Die  Unterrichtsmethode  muss  in  allen  klinischen  Fächern 
eine  combinirte  sein.  Von  vorneherein  ist  es  zweckmässig,  den 
Unterricht  von  Anfängern  und  Vorgeschrittenen  zu  trennen.  Es  gliedert 
sich  demnach  zunächst  ein  propädeutischer  Curs  von  den 
eigentlichen  klinischen  Vorlesungen  ab,  wobei  die  Ab- 
solvirung  des  ersteren  als  naturgemässe  Bedingung  für  Zulassung  zu  den 
letzteren  gelten  müsste.  Um  viele  Wiederholungen  zu  vermeiden,  hätte 


Nr.  41 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


93? 


der  propädeutische  Unterricht  die  Einführung  in 
beide  Fächer  zu  übernehmen.  Bei  Einhaltung  dieses  Stand¬ 
punktes  würde  sich  die  Notbwendigkeit  des  Besuches  einer  Reihe  von 
Collegien  ergeben. 

I.  Propädeutischer  Unterricht  für  Anfänger. 

a)  Systematische,  theoretische  Vorlesungen 
über  Anatomie  und  Physiologie  der  weiblichen  Sexual¬ 
organe  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  für  den  Praktiker 
wichtigen  Gesichtspunkte. 

Nach  übersichtlicher,  zusammenhängender  Dai Stellung  der  in  der 
descriptiven  Anatomie  gelehrten,  morphologischen  Verhältnisse  müsste 
auf  eine  eingehendere  Erörterung  der  Topographie  der  Becken¬ 
organe  besonderes  Gewicht  gelegt  werden,  um  den  Studirenden  klare 
Vorstellungen  für  die  Aufnahme  von  Tastbefunden  gewinnen  zu  lassen. 
Diese  Erörterungen  sind  durch  möglichst  zahlreiche  Demon¬ 
strationen  an  Beckendurchschnitten  zu  ergänzen.  Den  Hörern  ist 
eine  genaue  Kenntniss  von  der  Vertheilung  des  Beckenbindegewebes, 
der  Blut-  und  Lymphbahnen,  sowie  des  Nervensystems  dieser  Region 
beizubringen,  da  ihnen  heute  zumeist  noch  der  so  nothwendige  Einblick 
in  die  Art  der  Ausbreitung  entzündlicher  Processe  und  der  bösartigen 
Neubildungen,  sowie  der  Auslösung  reflectorischer  Erscheinungen  fehlt. 
Eine  eingehende  Besprechung  der  wichtigen  biologischen  Vorgänge: 
Ovulation,  Menstruation  und  Conception  ist  unerlässlich.  Auch  das 
Wichtigste  aus  den  bezüglichen  Capiteln  der  Entwicklungsgeschichte, 
Histologie  und  Bacteriologie  wäre  hier  zu  tradiren. 

I)  Einführung  in  die  Untersuchung  von  Schwan¬ 
geren  und  Beckenmessung  mit  entsprechenden  praktischen 
Ue  bun  gen.  Dem  Beginn  der  Touchii Übungen  wären  theoretische 
Auseinandersetzungen  über  die  Gefahren,  welche  die  Untersuchung 
Schwangerer,  speciell  aber  Gebärender  im  Gefolge  haben  können,  über 
den  grossen  Werth  der  Prophylaxe  und  den  Stand  der  heutigen  Kennt¬ 
nisse  über  Desinfection  und  die  an  der  Anstalt  zu  übende  Desinfections- 
technik  vorauszuschicken.  Da  die  inne:e  Untersuchung  Schwangerer 
wesentlich  ungefährlicher  als  jene  Kreissender  ist,  soll  gerade  hier 
möglichst  viel  Gelegenheit  zu  Untersuchungen  unter  entsprechender 
Unterweisung  geboten  werden.  Auf  die  grossen  Vortheile  guter 
Durchbildung  in  der  äusseren  Untersuchung  soll  auch  schon  hier  hin- 
gewieeen  werden. 

c)  Einführung  in  die  Untersuchung  gynäkolo¬ 
gischer  Fälle  mit  praktischer  Einübung  der  verschiedenen  Unter¬ 
suchungsmethoden  und  ihrer  Hilfen,  wobei  deren  Vor-  und 
Nachtheile  besonders  besprochen  werden  müssten  (Spiegeluntersuchung, 
Sondirung,  Dilatationsmethoden,  Probeexcision  und  Curettement).  Dazu 
müssten  bestimmte  klare  Schulfälle  gewählt  werden,  bei  denen  die 
Untersuchung  schmerzlos  zur  Ausführung  kommen  kann  und  damit 
die  Möglichkeit  gegeben  ist,  mehrere  Practicanten  nach  einander  einen 
Fall  sorgfältig  durchuntersuchen  zu  lassen. 

II.  Unterricht  für  Vorgeschrittene. 

a)  Systematische  theoretische  Vorlesungen  über 
Anatomie  und  Physiologie,  sowie  die  klinischen  Er¬ 
scheinungen  bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette. 

b)  Einführung  in  die  Untersuch  uug  Gebärender 
unter  entsprechender  Leitung  und  Controle  eines  Instructors. 

c)  Eigentliches  Practiciren  (Zutheilung  zum 
Dienste  im  Kreisssal  und  in  den  Wochenzimmern)  zur 
Beobachtung  des  Verlaufes  normaler  Geburten  und  des  Wochenbettes 
und  etwaiger  Störungen  hiebei  ;  zur  selbstständigen  Leitung  einzelner 
Geburtsfälle,  wobei  den  Practicanten  die  Abfassung  der  Geburts¬ 
geschichte  zu  übertragen  wäre,  und  sie  die  dabei  in  Betracht  kommen¬ 
den  Handgriffe  (Dammschutz,  Abnabelung,  Behandlung  der  Nach¬ 
geburtsperiode  etc.)  selbst  praktisch  zu  üben  hätten  ;  endlich  zur  Er¬ 
lernung  der  Wochenbettpflege  und  der  im  Verlaufe  des  Wochenbettes 
sich  ergebenden  Störungen. 

III.  Operations-Curs. 

Unterricht  am  Phantom  zur  Einübung  der  Diagnose  der 
verschiedenen  Fruchtlagen,  zur  raschen  Erkenntniss  pathologischer 
Lagen,  zur  Erlernung  der  Indicationsstellung  der  verschiedenen  geburts¬ 
hilflichen  Eingriffe,  sowie  der  Technik  bei  Ausführung  derselben.  Ich 
habe  seit  Beginn  meiner  Thätigkeit  diesen  Curs  stets  selbst  gehalten, 
da  ich  dafür  halte,  dass  in  demselben  die  so  wünschenswerthe 
Fühlung  zwischen  Lehrer  und  Schülern  am  besten  hergestellt  werde, 
dass  ferner  durch  persönliche  Betheiligung  des  Klinikers  diesem  inte- 
grirenden  Theile  des  Unterrichts  Seitens  der  Hörer  jene  hohe  Be¬ 
deutung  beigemessen  wild,  die  ihm  zukommt,  endlich  weil  ich  in  dem 
selben  einen  Theil  des  so  werthvollen  Seminarunterrichtes  absolviren 
konnte.  Nur  bei  den  rein  technischen  Uebungen  einzelner  Handgriffe, 
welche  durch  die  stete  Wiederholung  ein  und  desselben  bei  einer  grossen 


Hörerzahl  —  und  ich  hatte  manchmal  80 — 140  zu  verzeichnen  —  sehr 
ermüden,  Hess  ich  mich  durch  die  Assistenten  unterstützen. 

IV.  Eigentliche  geburtshilfliche  Klinik  mit  theo¬ 
retischen  Vorträgen  anschliessend  an  v  o  r  z  u  s  t  ei¬ 
le  n  d  e  Fälle. 

Hier  hätte  die  gesammte  Pathologie  der  Schwanger¬ 
schaft,  Geburt  und  des  Wochenbettes  zur  Erörterung  zu 
kommen,  falls  man  es  nicht  vorziehen  sollte,  einzelne  der  wichtigsten 
Capitel,  so  Pathologie  des  Beckens,  Pathologie  des  Wochenbettes  in 
besonderen  Collegien  zu  tradiren. 

V.  Die  geburtshilfliche  Poliklinik. 

Diese  Unterrichtsmethode  erscheint  wohl  als  die  beste  Alt.  der 
Einführung  in  die  wirkliche  Praxis,  indem  vorgeschrittene  Practicanten 
unter  Oberaufsicht  eines  die  Verantwortung  tragendenden,  poliklinischen 
Assistenten  gezwungen  sind,  Geburtsfälle  in  der  Armenpraxis  ausserhalb 
der  klinischen  Räume  zu  übernehmen,  selbstständig  zu  leiten  und  alle 
nöthigen  Eingriffe  unter  den  eben  draussen  gegebenen  Verhältnissen 
auszuführen,  auch  das  Wochenbett  zu  überwachen,  bis  die  Betreffende 
entlassen  werden  kann.  Die  Vorzüge  dieser  Art,  die  jungen  Leute 
Selbstvertrauen  gewinnen  zu  lassen,  sind  zu  klar  in  die  Augen  fallend, 
um  noch  weiter  darüber  sich  auszulassen.  Leider  haben  wir  das  Beispiel 
anderer  Länder  noch  nicht  nachgcahmt.  Es  wäre  dringend  zu  empfehlen, 
das  Versäumte  nachzuholen.  ’) 

In  welcher  Weise  können  wir  diesem  viel¬ 
gestaltigem  Programme  entsprechen,  und  welche 
Mittel  s  t  o  h  e  n  uns  zur  Durchführung  desselben  zu 
Gebote? 

Bei  der  Unterrichtsmethode,  die  im  Anfänge  eine  didaktisch- 
demonstrative  sein  muss  und  erst  später  eine  inductive  werden  kann, 
kommt  zunächst  die  Frage  in  Betracht,  ob  systematisch¬ 
theoretische  Vorlesungen  überhaupt  zu  halten  seien.  Wer 
die  Geschichte  des  geburtshilflichen  Unteirichtes  kennt,  weiss,  dass 
bis  in  den  Anfang  unseres  Jahrhundertes  hinein  der  Unterricht  ein 
rein  theoretischer  und  sein  Erfolg  ein  dementsprechend  schlechter  war. 
Man  verfiel  jedoch  bald  wieder  in  das  andere  Extrem,  indem  man  den 
Nutzen  solcher  Vorlesungen  als  einen  problematischen  hinstellte,  und 
so  kam  es,  dass  alle  geordneten  wissenschaftlichen  Vorträge  in  den 
Hörsälen  der  Kliniker  nach  und  nach  aufhörten  und  es  scheinen  konnte, 
als  löse  sich  die  mediciniscbe  Lehre  in  praktische  Demonstrations  Curse 
auf.  Die  Studenten  verlernten  es  ganz,  mit  Nachdenken  und  strenger 
Aufmerksamkeit  einem  Vortrage  zu  folgen  und  machte  sich  bei  den¬ 
selben  mehr  und  mehr  die  Tendenz  geltend,  Alles  nur  durch  Ein- 
pauken  für  praktische  Zwecke  gedankenlos  und  rein  technisch  zu  er¬ 
lernen.  Für  den  Lehrer  ist  es  freilich  viel  bequemer,  nur  Klinik  zu 
halten  und  die  Routine  und  Praxis  durch  sein  Beispiel  zu  tradiren 
(B  i  1 1  r  o  t  h). 

Ich  habe  stets  daran  festgehalten,  in  zusammen¬ 
fassenden  Vorträgen  eine  Uebersicht  über  den  gesammten  Stoff  meinen 
Hörern  zu  bieten  ;  freilich  reicht  hiezu  der  vorgeschriebene  Semester 
nicht  aus.  Darüber,  dass  selbst  nur  das  cursorische  Durchnehmen  des 
mächtig  angewachsenen  Stoffes  beider  Fächer  ein  Minimum  von  zwei 
Semestern  in  Anspruch  nimmt,  bedarf  es  keiner  Discussion  mehr.  Die 
Einsicht  für  diese  Nothwendigkeit  hat  bereits  dazu  geführt,  in  alle 
von  den  Facultäten  ausgearbeiteten  Bediirfnissprogramme  für  die  neue 
Studienordnung  zwei  Semester  obligaten  Unterrichtes  in  Geburtshilfe 
und  Gynäkologie  aufzunehmen.  In  Deutschland  werden  gewöhnlich 
sogar  drei  Semester  belegt.  Mit  kritischem  Blicke  lässt  sich  das  praktisch 
Wichtigere  allerdings  herausgreifen  und  in  klarer  bündiger  form  zur 
Darstellung  bringen.  Dabei  besteht  noch  immer  die  alte  Behauptung 
zu  Recht,  dass  das  durch  mündlichen  Vortrag  Percipirte  im  Allgemeinen 
einen  nachhaltigeren  Eindruck  hinterlässt  als  das  durch  Lesen  Aut 
genommene.  Wir  wollen  daher  diese  Art  des  Unterrichtes  nicht  missen. 

Der  theoretische  Unterricht  ist  aber  in  ganz  be¬ 
sonderer  Weise  durch  einen  a  u  s  g  i  e  b  i  g  e  n  A  n  s  c  h  a  u  u  n  g  s  u  n  t  er- 
rieht  zu  ergänzen;  nie  darf  von  einer  anatomischen  Veränderung 
die  Rede  sein  ohne  Demonstration  des  betreffenden  makroskopischen 
und  mikroskopischen  Objectes.  Gerade  unter  den  Klinikern  war  dei 
letztere  allgemein  vernachlässigt  worden.  Wenn  wir  auch  erwaiten 

')  Die  Bedenken  der  praktischen  Aevzte,  welche  sich  schon  durch  die 
bestehendenAmbulatorien  mehr  benachtheiligt  wähnen,  als  es  der  \\  irklich- 
keit  entsprechen  dürfte,  bei  Errichtung  eines  neuen  solchen  Institutes  g 
burtshilflicher  Natur  wären  dann  zu  beseitigen,  wenn  sich  ein  Modus  Anden 
Hesse,  welcher  die  Benützui  g  desselben  seitens  zahlungsfähiger  1  arteten 
sicher  aussehliesst  und  auch  bei  Cassenmitgliedern  auf  die  lütt  rossensph.il  e 
der  betreffenden  Aerzte  Bedacht  nimmt,  also  auch  hier  eine  Schädigung  aus- 
schliesst.  Ein  solcher  Modus  muss  sich  aber  bei  einem  Ereignisse,  dem  so 
lange  Zeit  entgegenzusehen  ist,  fe-t-teben  lassen,  so  durch  Beiluingung 
eines  Armutszeugnisses,  Avisirung  der  Krankencasse,  und  Eutsclnh  'g'U'g 
der  Cassenärzte  durch  dieselbe  u.  dgl,  m, 


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können,  dass  von  Seite  der  pathologischen  Anatomen  den  Hörern  die 
richtigen  Vorstellungen  von  den  wichtigeren  Veränderungen  im  weib¬ 
lichen  Sexualsysteme  beigebracht  worden  sind,  so  kann  es  einerseits 
nicht  schaden,  manche  wichtige  Dinge  neuerlich  zu  besprechen  und  zu 
demonstriren,  andererseits  den  Gesichtspunkt  des  Praktikers  bei  Be¬ 
trachtung  derselben  geltend  zu  machen  und  auf  gewisse  pathologische 
Veränderungen,  so  z.  B.  jene  entzündlicher  Art  etwas  näher  einzugehen, 
die  von  Jenen  zumeist  stiefmütterlich  behandelt  werden  müssen.  Ein 
Handmuseum  mit  der  entsprechenden  Zahl  von  anatomischen  Schul¬ 
präparaten,  Gefrierdurchschnitten,  von  pathologischen  Beckenformen 
nebst  einer  Sammlung  von  möglichst  guten  und  vielen  bildlichen  und 
photographischen  Aufnahmen,  Atlanten,  Modellen  der  verschiedensten 
Art  (S  e  1 1  h  e  i  m’s  Phantom,  die  stereoskopischen  Bilder  K  ii  s  t  n  e  r’s) 
u.  s.  w.  sind  den  Unterricht  wesentlich  unterstützende  Factoren. 2) 
Der  geburtshilfliche  Lehrer  soll  aber  auch  selbst  Zeichner  und  im 
Stande  sein,  einen  jeden  Befund  in  Form  von  Skizzen  analog  der  von 
Schultze  gegebenen  Anregung  auf  der  Tafel  zu  entwerfen  und  so 
das  Verständniss  zu  erleichtern.  Derartige  einfache  Schemen  und 
skizzenhafte  Darstellungen  sind  weit  werthvoller  als  das  Vorzeigen  von 
grossen  Tafeln  und  Bildern,  die  oft  zu  viel  Detail  bringen  und  über 
das  Wesentliche  hinausgehen.  Zwei  Meister  in  dieser  Hinsicht  habe  icb 
unter  meinen  Lehrern  gehabt;  der  eine  war  Langer,  der  die  com- 
plicirtesten  Verhältnisse,  z.  B.  die  Darstellung  des  Ursprunges  der 
Wurzel  eines  Ganglion  im  Bereiche  des  Trigeminus  durch  eine  skizzen¬ 
hafte  Zeichnung  dem  Zuhörer  so  einzuprägen  wusste,  dass  sie  derselbe 
nicht  mehr  vergessen  konnte.  Der  andere  war  B  r  e  i  s  k  y,  der  in 
geradezu  meisterhafter  Weise  die  complicirtesten  geburtshilflich¬ 
gynäkologischen  Tastbefunde  sowie  Beckenverhältnisse  auf  die  Tafel 
zu  werfen  verstand. 3) 

Es  ist  bei  uns,  entgegen  dem  Gebrauch  in  Deutschland,  eine  alt¬ 
hergebrachte  Gepflogenheit,  die  theoretischen  und  klini¬ 
schen  Vorlesungen  in  einer  Doppelstunde  zu  ver¬ 
binden,  was  dem  Vorausgeschickten  nach  nicht  als  zweckentsprechend 
erachtet  werden  kann,  wenn  es  auch  für  den  betreffenden  klinischen 
Lehrer  bequemer  sein  mag.  Die  Beseitigung  derselben  würde  eine  ganz 
wesentliche  Umgestaltung  des  gewohnten  Stundenplanes  im  Gefolge 
haben,  aber  auch  eine  Regelung  der  Studienordnung  in  Betreff  der  für 
dieses  Fach  anzufordernden  Obligatcollegien  involviren.  Wir  müssen 
demnach  vorläufig  dieser  einmal  bestehenden  Einrichtung  Rechnung 
tragen. 

Ich  habe  bisher  versucht,  jener  eingangs  erwähnten,  wünscliens- 
werthen  Arbeitstheilung  dadurch  gerecht  zu  werden,  dass  ich  d  i  e 
ersten  drei  Monate  des  Wintersemesters  nur  für  den 
propädeutischen  Unterricht  in  Verwendung  zog,  in- 
dess  meine  Herren  Assistenten  täglich  eine  Nachmittagsstunde  dazu 
benützten,  die  praktischen  Uebungen  und  Untersuchungen  mit  den 
Hörern  abzuhalten.  Damit  entfiel  selbstverständlich  für  den  Unterricht 
der  Vorgeschritteneren,  d.  h.  Derjenigen,  welche  die  Vorlesungen  zum 
zweiten  Mal  belegt  hatten,  das  gesammte  in  diesem  Zeitraum  zur  Ver¬ 
fügung  stehende,  pathologische  Material,  da  ich  mit  der  Vorstellung  von 
Fällen  erst  nach  Absolvirung  des  propädeutischen  Unterrichts  beginnen 
konnte. 

Von  diesem  Zeitpunkte  an,  also  nach  Absolvirung  dieses,  wurde 
die  klinische  Doppelstunde  zur  Hälfte  für  die  Vorstellung  von  Fällen, 
so  wie  sie  in  die  Klinik  kamen  und  etwas  für  den  Unterricht  Ver¬ 
wendbares  darboten,  also  für  die  Casuistik,  zur  Hälfte  für  die  sub  II« 
genannten,  fortlaufenden  theoretischen  Vorlesungen  verwendet.  Dar¬ 
nach  gewöhuten  sich  die  Studirenden  daran,  als  Anfänger  nur  im 

Ich  möchte  hier  auf  die  in  Amerika  sich  geltend  machenden 
Bestrebungen  hinweisen.  Dort  war  bislang  der  geburtshilfliche  Unterricht 
vollkommen  vernachlässigt  worden.  Eine  geburtshilfliche  Literatur  fehlte 
jenem  sonst  so  vorwärts  strebenden  Lande  gänzlich.  Erst  in  jüngster  Zeit  wird 
diesem  Gegenstände  mehr  Aufmerksamkeit  gewidmet  und  vor  Allem  wurde 
auf  die  grossen  Mängel  im  Unterrichte  hingewiesen.  So  hat  schon  Parwin 
in  der  American  Academy  of  medicine  (4.  Mai  1876)  diesbezüglich  ernstliche 
Vorstellungen  erhoben  und  für  eine  bessere  praktische  Durchbildung  in  den 
medicinischen  Schulen  Amerikas  plaidirt.  Viele  der  jungen  Aerzte  verliessen, 
seinen  Mittheilungen  nach,  ihre  Unterrichtsstätte,  ohne  je  Zeuge  einer 
Geburt  gewesen  zu  sein,  ja  an  einzelnen  Schulen  wurde  nicht  einmal  die 
Schwangerenuntersuchung  geübt.  Seither  haben  sich  schon  entsprechende 
Vorschläge  Geltung  verschafft.  Jene  von  J.  C'l.  Edgar  [New  York]  (On 
teaching  Obstetrics.  New  York  Med.  Journ.,  1896,  II)  und  Wh.  Williams 
(Baltimore)  gleichen  ganz  unseru  Vorstellungen  über  die  beste  Art  der  Durch¬ 
führung  dieses  Unterrichtes.  Die  vielen  darin  empfohlenen  Hilfen  für  die 
Verbesserung  des  Anschauungsunterrichtes  sind  auch  für  uns  beherzigens- 
werlh.  Man  kann  nicht  genug  zeigen  und  sich  klar  genug  verständlich 
machen.  Auch  dort  herrscht  die  Bestrebung  vor,  die  Hörer  in  kleine  Gruppen 
zu  theilen,  um  so  den  Erfolg  der  praktischen  Uebungen  zu  fördern. 

’)  Auch  ich  bin  stets  bestrebt  gewesen,  in  jedem  einzelnen  Falle 
eine  solche  Skizze  an  der  Tafel  zu  entwerfen,  welche  die  Beschreibung  des 
Tastbefundes  ergänzen  sollte.  Ich  begnüge  mich  dabei  mit  den  einfachsten 
Linien,  so  dass  der  selbst  des  Zeichnens  Unkundige  im  Stande  ist,  die¬ 
selben  nachznzeichnen. 


Wintersemester  zu  inscribiren  und,  obgleich  dies  bislang  nicht  obligat 
war,  die  Fortsetzung  des  Collegs  im  Sommer  zu  hören. 

Die  Betreibung  der  klinischen  Casuistik  ist  jedoch  nicht  das, 
was  man  sich  unter  Klinik  im  idealen  Sinne  des  Wortes  vorzustellen 
hat.  Sie  besteht  eben  nur  in  der  Vorführung  von  Fällen,  die  nach 
Mittheilung  der  anamnestischen  Daten  gemeinsam  von  einigen  Practi- 
canten  und  dem  Lehrer  untersucht  und  nur  kurz,  rein  praktische 
Rücksichten  im  Auge  haltend,  besprochen  werden.  Eigentlich  sollte  an 
der  Hand  eines  solchen  Falles  die  Pathologie  und  Therapie  desselben 
erschöpfend  behandelt  werden  und  erst  bei  wiederholter  Vorstellung 
analoger  Fälle  könnte  man  sich  auf  einige  praktische  Andeutungen 
beschränken  oder  überhaupt  mehr  ausfragend  Vorgehen. 

Als  eigentliches  geburtshilfliches  Practiciren  verstehe  ich 
das  Verweilen  der  weiter  Vorgeschrittenen  in  der 
geburtshilflichen  Station  durch  eine  Woche  lang. 
Die  Bildung  der  Gruppen  ist  nach  der  Menge  des  vorhandenen 
Materiales,  also  nach  der  Zahl  der  Geburten  und  jener  der  Hörer  zu 
regeln.  Ich  halte  es  für  einen  unbedingten  Fortschritt,  dass  eine 
solche  Gruppe  durch  eine  ganze  Woche  in  der  Anstalt  verweilt.  Damit 
ist  einerseits  die  Möglichkeit  geboten,  einen  Geburtsfall,  auch  wenn  er 
noch  so  lange  dauern  sollte,  vom  Anfang  bis  zum  Ende  zu  beobachten, 
eventuell  auch  den  Verlauf  des  Wochenbettes  zu  verfolgen.  Anderer¬ 
seits  ist  die  Ausnützung  des  Materiales  eine  bessere,  indem  der 
Fleissigere  in  Folge  seiner  fortwährenden  Anwesenheit  gegenüber  dem 
Lässigen  wesentlich  im  Vortheil  ist,  da  er  auch  dem  Letzteren  sonst  zu¬ 
fallende  Fälle  übernehmen  kann.  Alles,  was  der  Student  durch  den 
propädeutischen  Unterricht  erlernt  hat,  kann  er  hier  weiter  verwerthen. 

Für  den  bereits  Urtheilsfähigen  ist  die  Beschreibung  eines  ab¬ 
normen  geburtshilflichen  Falles  vor  dem  Gesammtauditorium  in  der 
Klinik  mit  entsprechender  Kritik  und  Epikrise  das  Werthvollste.  Die 
vorgerufenen  Practicanten,  welchen  der  Fall  zur  Beobachtung  über¬ 
wiesen  war,  haben  einen  Rechenschaftsbericht  unter  Theilnahme  der 
ganzen  Zuhörerschaft  abzugeben. 

Der  geburtshilfliche  Unterricht  unterscheidet  sich  gegenüber 
dem  in  den  anderen  medicinischen  Wissenschaften  hauptsächlich  noch 
dadurch,  dass  er  von  unendlich  mehr  Gefahr  für  das  zu 
untersuchende  Object  begleitet  ist.  Zur  Vermeidung  dieser 
muss  der  Student,  bevor  er  an  das  Gebärbett  herantritt,  alles  Wichtige 
bereits  beherrschen  und  so  vorbereitet  sein,  dass  eine  rasche  Orientirung 
und  gleichzeitig  die  beste  Ausnützung  des  betreffenden  Falles  er¬ 
möglicht  wird.  Er  muss  mit  jenen  Gefahren  und  deren  Vermeidung, 
der  Prophylaxe,  der  subjectiven  und  objectiven  Antisepsis  vollkommen 
vertraut  sein  und  muss,  sobald  er  das  Bewusstsein  hat,  irgendwie  mit 
infectiösem  Material  in  Berührung  gekommen  zu  sein,  von  der  Vor¬ 
nahme  geburtshilflicher  Explorationen  mehrere  Tage  (es  genügen  drei 
Tage)  Abstand  nehmen,  beziehungsweise  sich  septisch  melden.  Wieder¬ 
holt  habe  ich  schon  Gelegenheit  gehabt,  es  zum  Ausdruck  zu  bringen, 
dass  Hörer,  welche  sogenannte  septische  Collegien  (Operationscurse, 
Seeirübungen  u.  s.  w.)  frequentiren,  vom  geburtshilflichen  Practiciren 
nicht  auszuschliessen  seien  und  es  damit  begründet,  dass  schon  der 
Student  in  der  Prophylaxe  erzogen  werden  müsse,  da  er  ja  auch  als 
Praktiker  diesen  exclusiven  Standpunkt  nie  einnehmen  werde  können. 
Bisher  hat  die  Studentenschaft  dieses  in  sie  gesetzte  Vertrauen  nach 
Auseinandersetzung  der  Gefahren,  welche  eine  Ausserachtlassung 
solcher  prophylaktischer  Massnahmen  herbeiführen  kann,  nicht  er¬ 
schüttert  und  will  ich  daher  auch  hier  an  diesem  Principe  fest- 
halten. 

Die  Schwierigkeit  des  praktischen  Unterrichtes  in  der  Geburts¬ 
hilfe  liegt  aber  nicht  allein  in  der  grossen  Verantwortung,  die  durch 
die  Gefahren  bedingt  ist,  sondern  auch  in  anderen  Momenten.  Schon 
an  und  für  sich  ist  es  klar,  dass  es  schwierig  ist,  einem  Anderen  den 
durch  die  Tastempfindung  aufgenommenen  Befund  verständlich  zu 
machen.  Es  kann  ferner  auch  immer  nur  Einem  die  Möglichkeit  ver¬ 
schafft  werden,  in  einem  gegebenen  Zeiträume  sich  entsprechend  zu 
orientiren.  Daher  erfordert  der  Unterricht  in  Combination  mit  den 
Vorbereitungen  der  zu  Untersuchenden  und  des  Untersuchers  unendlich 
viel  Zeit  und  in  zweiter  Linie  auch  viel  Geduld. 

Wie  kaum  irgendwo  anders  sind  die  räumlichen  Ver¬ 
hältnisse  und  Einrichtungen  einer  klinischen  An¬ 
stalt  von  so  weittragender  Bedeutung  für  die  Schadloshaltung  der 
beim  Unterrichte  verwendeten  Personen.  Eine  Häufung  von  inneren 
Untersuchungen,  besonders  seitens  unerfahrener  Anfänger,  steigert  die 
Gefahren  für  die  Untersuchten  in  hohem  Grade.  Wenn  nun  in  der 
hiesigen  Anstalt  trotz  aller  Anstrengung  des  dienstthuenden  Personales 
zu  einer  Zeit,  wo  die  Studenten  zu  den  Untersuchungen  nicht  heran¬ 
gezogen  werden,  das  Auftreten  von  Wochenbettfieber  bisher  nicht  ganz 
ausgeschaltet  wrerden  konnte,  dann  sieht  man  begreiflicher  Weise  den 
Folgen  des  sogenannten  Prakticirens  mit  einem  gewissen  Bangen  entgegen 
und  erscheint  es  mir  nothwendig,  hier  öffentlich  die  Erklärung 
abzugeben,  dass  icb  bei  den  grossen  U  ebelständen, 
welche  hier  vorherrschen,  nicht  in  der.  Lage  bin, 


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diese  schwere  Verantwortung  allein  auf  mich  zu 
nehmen.  Es  muss  hier  ganz  besonders  hervorgehoben  werden,  dass 
das  Institut  in  gar  keiner  Weise  auch  den  bescheidensten  Anforderungen, 
welche  man  an  ein  nach  modernen  Anschauungen  eingerichtetes  zu 
stellen  berechtigt  ist,  entspricht.  Diese  Behauptung  lässt  sich  auch 
nicht  durch  die  —  Dank  dem  ausserordentlich  liebenswürdigen  Ent¬ 
gegenkommen  des  steiermärkischen  Landesausschusses  —  erworbenen 
Verbesserungen,  deren  Durchführung  uns  so  lange  vom  Beginne  des 
Unterrichtes  abgehalten  hat,  modificiren.  Es  handelte  sich  hier  um 
Dinge,  welche  als  eine  conditio  sine  qua  non  der 
Weiterführung  der  Thätigkeit  in  diesen  L  ocali- 
täten  überhaupt  hingestellt  werden  mussten.  ) 

4)  Der  hiesigen  Anstalt  fehlte  bislang  eine  Warmwasser¬ 
leitung!  Bevor  Sie,  meine  Herren,  Einblick  in  das  Getriebe  einer  geburts¬ 
hilflichen  Klinik  gewonnen  haben,  können  Sie  es  kaum  ermessen,  was  es  für 
einen  Mangel  bedeutet,  wenn  zu  jeder  einzelnen  Waschung  mit  einer  Kanne 
gelaufen  werden  muss,  um  aus  einem  in  einem  anderen  Locale  befindlichen 
Kessel  das  nöthige  warme  Wasser  herbeizuschleppen.  Bei  der  Ausübung  eines 
praktischen  Faches,  in  dem  das  Waschen  und  die  sorgfältige  Reinigung  von 
zu  Untersuchenden  und  Untersuchern  bei  den  kleinsten  Handgriffen  die 
Grundlage  des  Erfolges  darstellt,  eine  solche  Erschwerung  des  wesentlichsten 
Factors! 

Ebenso  schlecht  war  es  mit  den  Badeeinrichtungen  bestellt.  Mit 
Ausnahme  einer  alten  Wanne  in  einem  kleinen  finsteren  Raume  fand  sich 
nichts  und  zur  Herstellung  eines  warmen  Bades  musste  das  grosse  Wasser¬ 
quantum  ebenso  herbeigeschleppt  werden.  War  schon  für  die  Pflege¬ 
befohlenen  so  schlecht  vorgesorgt,  so  fehlten  für  das  ärztliche  und  Warte¬ 
personal  derartige  Einrichtungen  gänzlich. 

Höchst  unangenehm  musste  es  den  Beseher  berühren,  dass  der  Fuss- 
boden  des  Kreisssaales  nicht  aus  Stein,  sondern  wie  die  Geiäth- 
schaften,  die  aus  Eisen  sein  sollen,  noch  aus  Holz  waren;  ebenso  dass  für 
Abflussvorrichtungen  keine  Vorsorge  getroffen  war. 

Diese  hier  hervorgehobenen  Uebelstände  sind  nun,  Dank  der  Einsicht 
und  dem  Entgegenkommen  des  hohen  steiermärkischen  Landesausschusses, 
wie  Sie  bemerken  werden,  beseitigt.  Der  Kreisssaal  hat  ein  solches  Aus¬ 
sehen  gewonnen,  dass  er  überhaupt  als  solcher  erkennbar  wird.  Und  das 
warme  Wasser  fliesst  in  Strömen  und  lässt  sich  zu  allen  gewünschten 
Temperaturgraden  lierstellen.  Neue  Badewannen  erfreuen  das  Auge  und 
die  Umwandlung  der  sogenannten  Küche,  eines  nicht  gut  beschreiblichen 
Nebenlocales,  zu  einem  Baderaum  für  die  Aufzunehmenden,  sowie  die  Er¬ 
richtung  eines  Aerztebades  sind  zu  einer  wahren  Wohlthat  geworden.  So 
können  wir  Dank  dieser  Verbesserungen  denn  in  diesem  Semester  mit  etwas 
mehr  Vertrauen  an  die  Erfüllung  unserer  verantwortungsvollen  Aufgabe 
gehen ! 

Von  dem  Fehlen  einer  ganz  getrennten  Isolirstatio  n,  in  welcher  auch 
septisch  inficirte  Kreissende  ■ —  abgesondert  von  den  Gesunden  —  entbunden 
werden  können,  von  den  unhygienischen  Verhältnissen  einzelner  Wochen¬ 
zimmer,  die  hauptsächlich  durch  den  Ueberbelag  bedingt  sind  —  in  einem 
einfensterigen  Zimmer  des  zweiten  Stockwerkes  sind  7  (!)  Wöchnerinnen 
unterzubringen  — ,  von  der  elenden  Beschaffenheit  der  Aborte  u.  dgl.  will 
ich  hier  gar  nicht  sprechen. 

Nicht  besser  ist  es  um  die  Einrichtungen  für  den  Unterricht 
bestellt.  Da  fehlt  es  an  allen  Ecken  und  Enden.  Der  Hörsaal,  ein  kleines, 
zwei  Arbeitstische  knapp  bergendes  Laboratorium  und  das  Vorstandszimmer, 
welches  Bibliothek,  Museum  und  Lehrmittelsammlung,  ja  sogar  Schlaf¬ 
zimmer  des  dritten  dienstthuenden  Assistenten  zugleich  sein  muss,  sind  unser 
Um  und  Auf.  Einen  Hörsaal  besitzt  die  Klinik  erst,  seit  es  den  Bemühungen 
meines  verehrten  Vorgängers,  Herrn  Prof.  Freih.  v.  Rokitansky  gelungen 
war,  einen  solchen  zu  acquiriren.  Derselbe  weist  allerdings  eine  ganze  Reihe 
von  Mängeln  auf  und  ist  durchaus  unmodern.  Obgleich  die  klinischen  Vor¬ 
lesungen  um  die  Mittagszeit  (12—2  Uhr)  abgehalten  werden  müssen,  sind 
die  Fenster  gegen  Süden  zu  gelegen  und  die  Hörer  müssen  in  das  grelle 
Licht  der  Mittagssonne,  die  sie  geradezu  blendet,  schauen,  indess  die  zu 
demonstrirenden  Objecte  sich  nur  im  Schatten  zeigen ;  an  Stelle  von  nunmehr 
überall  gangbaren,  eisernen  Bänken  finden  sich  nur  hölzerne;  es  ist  nicht 
das  übliche  Cementgefälle,  wie  Sie  es  in  chirurgischen  Hö.rsälen  sehen 
können,  vorhanden,  auf  dem  die  Abspülung  des  ganzen  Saales  ermöglicht 
wird;  es  fehlt  auch  hier  die  Warm  Wasserleitung  und  Verschiedenes  mehr. 
Trotz  alledem  müssen  wir  denselben  als  eine  wesentliche  Acquisition  ansehen. 

Da  mir  in  der  räumlich  noch  beengteren  Frauenklinik  ein  Unter¬ 
richtslocal  gänzlich  fehlt,  sehe  ich  mich  in  Folge  der  räumlichen  Trennung 
beider  Kliniken  gezwungen,  die  zur  Demonstration  bestimmten,  gynäkologi¬ 
schen  Fälle  von  dem  Krankenhause  den  Berg  heraufbringen  zu  lassen,  eine 
Massregel,  die  im  Interesse  des  Unterrichtes  geschehen  muss,  aber  bei 
schlechter  Witterung  und  ira  Winter  für  die  Kranken  nicht  gerade  vor- 
theilhaft  werden  kann. 

Es  fehlt  uns  vor  Allem  ein  Lehrzimmer,  in  welchem  die  Opera- 
tionscurse  und  die  Phantomübungen  abgehalten  werden  können  Dieser 
Mangel  ist  schon  deshalb  rligenswerth,  weil  er  für  unsere  Pflegebefohlenen, 
nachtheilig  werden  kann,  indem  wir  gezwungen  sind,  in  ein  und  demselben 
Raume  Gebärende  untersuchen  und  die  nicht  geradezu  reinlichen  Uebungen 
mit  Kinderleicben  am  Phantom  vornehmen  zu  lassen. 

Von  dem  Mangel  an  entsprechenden  wissenschaftlichen 
A  r  b  e  i  ts  r  äu  m  en  histologischen  und  bacteriologischen  Laboratorien, 
deren  wir  ja  heute  nicht  nur  zu  Forschungszwecken,  sondern  auch  bei  der 
gewöhnlichen  Krankenuntersuchung  nicht  mehr  entrathen  können,  und 
dergleichen  Dingen  will  ich  ja  gar  nicht  sprechen. 

Zu  alledem  kommt  nun  noch  der  Uebelstand,  dass  die  Anstalt,  da 
wir  durch  die  Neuerrichtung  der  Findelanstalt  die  nahezu  dreifache  Gebuiten- 


Ganz  anders  steht  die  Sache  mit  der  Ausbildung  in  der 
Frauenheilkunde.  Die  besonderen  Schwierigkeiten,  welche  sich 
der  raschen  Erlernung  der  complicirten  Untersuchungstechnik,  der 
sicheren  Erkenntniss  oft  minimaler  Abweichungen  von  der  Norm  und 
der  richtigen  Beurtheilung  der  Beziehungen  solcher  zu  den  zuweilen 
unverhältnissmässig  schweren,  reflectorischen  Erscheinungen  in  entfernten 
Organen  entgegensetzen,  bedingen  es,  dass  überhaupt  uur  ein  jahre¬ 
lang  fortgesetztes  und  intensives  Studium  der  kranken  Frauen  die 
Fähigkeit  erwerben  lässt,  dieses  Fach  thatsächlich  mit  einigem  Erfolg 
betreiben  zu  können.  Ich  für  meine  Person  kann  diese  Fähigkeit  selbst 
einem  Arzte,  der,  wie  unsere  Herren  Hilfsärzte  und  Operationszöglinge, 
ein  ganzes  Jahr  lang  mit  regem  Eifer  diesem  Studium  obgelegen  ist,  für 
eine  grosse  Zahl  von  Fällen  nicht  zusprechen.  Mein  eigener  Entwick¬ 
lungsgang,  sowie  die  Beobachtungen  an  der  grossen  Reihe  meiner 
Schüler  lässt  mich  diese  Behauptung  mit  voller  Ueberzeugung  auf¬ 
stellen.  Wiederholt  habe  ich  meinen  Hörern  jene  Etappen,  die  ich 
selbst  durchzumachen  hatte,  zu  schildern  versucht,  um  ihnen  klar  zu 
machen,  welcher  Unsumme  von  Mühe,  Fleiss  und  Erfahrungen  es  be¬ 
durfte,  um  einen  gewissen  Höhepunkt  in  der  Ausbildung  zu  gewinnen. 
Dem  Stadium  der  schwersten  Depression  über  meine  eigene  Unfähig¬ 
keit,  nur  einfach  das  nachzufühlen,  was  Anderen  leicht  gelungen  war, 
folgte  nach  dem  ersten  Tausend  von  Untersuchungen  ein  solches  von 
grossem  Selbstbewusstsein,  das  mit  zunehmendem  Wissen  auf  Grund 
von  Beobachtung  weiterer,  mehrerer  Tausend  Fälle  neuerlich  einem 
Gefühle  grösster  Bescheidenheit  weichen  musste. 

Bei  diesen  Anschauungen  liegt  die  Frage  sehr  nahe,  ob  es  nicht, 
wie  dies  früher  ja  üblich  war,  zweckmässiger,  vor  Allem  für  die 
leidende  Menschheit  besser  wäre,  von  einem  Unterrichte  in  der  Frauen¬ 
heilkunde  ganz  Abstand  zu  nehmen.  In  mancher  Hinsicht  wäre  es 
ganz  zweifellos  für  die  kranken  Frauen  günstiger,  wenn  der  alte  Con- 
servativismus  in  der  Therapie  wieder  mehr  Platz  griffe  und  das  Heer 
von  „sogenannten  Frauenärzten“  nicht  auf  sie  losgelassen  würde.  Wir 
als  akademische  Lehrer  dürfen  diesem  Principe  aber  trotzdem  nicht 
huldigen. 

Die  Nachtheile  der  halben  Ausbildung  und  ihre  bösen  Folgen 
sind  oft  genug  Gegenstand  der  Yerurtheilung  bei  Besprechung  des 
schrecklichen  Ueberwucherns  des  Specialistenthums  und  des  Rückganges 
der  hausärztlichen  Stellung  geworden.  Dieser  Misswirtschaft,  muss 
heute  beim  Unterrichte  gesteuert  werden;  gerade  die  akademischen 
Lehrer  müssendem  kritiklosen  Operiren  und  Eingreifen  in  Fällen, 
in  denen  der  wirklich  erfahrene  Fachmann  ein  gutes  Heilresultat  auf 
eonservativem,  schadlosem  Wege  zu  erzielen  vermag,  energisch  entgegen¬ 
treten,  Heute  liegen  darnach  unsere  erziehlichen  Aufgaben  im  gynä¬ 
kologischen  Unterricht  bereits  im  Steuern  gegen  vielfach  gebräuchlich 
gewordenen  Unfug.  Wenn  es  uns  gelingt,  unseren  Hörern  derartige 
Ueberzeugungen  beizubringen,  so  ist  damit  schon  viel  gewonnen. 

Zu  den  allerersten  Postul  a  ten,  welche  wir  an  den  all¬ 
gemeinen  Praktiker  zu  stellen  haben,  gehört  die  Erkennt¬ 
niss  desFühstadiums  von  bösartigen  Neubildungen, 
insbesondere  von  Gebärmutterkrebs,  dieses,  wie  es  statisti¬ 
schen  Berichten  gemäss  erscheint,  die  Frauen  immer  häufiger  verfolgen- 
den,  furchtbaren  Leidens.  Nie  werden  wir  bei  unseren  operativen  Ein¬ 
griffen  gegen  dasselbe  zu  erfreulichen  Resultaten  gelangen,  wenn  wii 
der  Unterstützung  seitens  der  allgemein  practicirenden  Collegen  nicht 
gewärtig  sein  können.  Die  Unterlassung  der  inneren  und  der  Unter¬ 
suchung  mit  dem  Spiegel  in  derartig  verdächtigen  Fällen  fordert  noch 
immer  der  Opfer  genug.  Wenn  ich  auch  die  optimistischen  An¬ 
schauungen  vieler  meiner  Faclicollegen  in  Bezug  auf  die  Dauerheilung 


zahl  zu  bewältigen  haben  werden,  einfach  den  räumlichen  Anforderungen 
nicht  mehr  genügen  kann.  Die  Errichtung  eines  Neubaues  wird  daher  zu 
einem  unvermeidlichen  Postulate! 

Alles  Sträuben  gegen  diese  Nothwendigkeit  wird  fallen  gelassen 
werden  müssen.  Der  Zustand  ist  auch  hier,  wie  in  dem  ganzen  Kranken¬ 
hause  ein  unhaltbarer  geworden,  wie  dies  übrigens  schon  vor  .  einem 
Decennium  und  auch  heuer  wieder  den  massgebenden  Behörden  m  ent¬ 
sprechend  klarer,  überzeugender  und  nachdrücklicher  Weise  Seitens  des 
Professoren- Collegiums  und  des  primarärztlichen  Gremiums  dargelegt 

worden  ist.  ,  .  , 

Wie  Ihnen  bekannt  sein  dürfte,  war  schon  vor  acht  Jahren  in  dem 

Landtage  diese  Ueberzeugung  eine  allgemeine  und  der  Beschluss  getasst 
worden,  den  Neubau  durchzuführen.  Der  Grund  wurde  gekauft,  die  Pläne 
waren  fertiggestellt,  als  man  auf  Grund  einer  Reihe  von  Bedenken,  der 
sogenannten  Platzfrage,  an  deren  Stelle  dann  finanzielle  Schwierigkeiten 
traten,  die  ganze  Sache  fallen  liess.  Ein  Stadium  vollkommenster  Interesse¬ 
losigkeit  für  diese  Frage  setzte  ein  und  Stagnation  herrscht  weiter  vor. 

Es  muss  demnach  unsere  wichtigste  Aufgabe  sein,  den  massgebenden, 
hohen  Behörden  neuerlich  diese  Mishre  der  Verhältnisse  immer  wieder  von 
neuem  darzulegen  und  mit  allem  Nachdrucke  auf  das  grelle  Missverhältnis, 
das  zwischen  der  glänzenden  Ausgestaltung  der  theoretischen  Institute  und 
dem  recht  bedauerlichen  Zustande,  in  welchem  die  klinischen  Lehranstalten 
sich  befinden,  besteht,  hinzuweisen.  Durch  letzteren  ist  der  Hemmschuh  für 
die  weitere  gedeihliche  Entwicklung  unserer  Universität,  speciell  der  bacul- 
tä't  gegeben,  dessen  Beseitigung  das  nächst  anstrebenswerthe  Ziel  sein  muss. 


940 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Kr.  41 


des  Krebses  durch  operatives  Eingreifen  nicht  theilen  kann,  so  hleiht 
uns  derzeit  trotzdem  nichts  Anderes  übrig,  als  uns  in  dem  Erkennen 
der  ersten  Anzeichen  dieses  Leidens  möglichst  zu  vervollkommnen  und 
bei  den  Operationen  möglichst  gründlich  und  radical  vorzugehen. 
Auch  das  soll  der  Hausarzt  verstehen  zu  unterscheiden,  oh  in  einem 
solchen  traurigen  Falle  noch  Aussicht  gegeben  ist,  überhaupt  operativ 
vorzugehen.  Sonst  erweckt  er  bei  vielen  Inoperablen  falsche  Hoff¬ 
nungen  und  veranlasst  sie,  oft  weite  Reisen  zu  Specialisfen  zu  unter¬ 
nehmen,  indess  er  selbst  durch  palliative  Eingriffe  für  den  Moment 
Abhilfe  schaffen  könnte. 

Die  Er  kennt  n  iss  typischer  Fälle  von  Lage¬ 
anomalien  der  Gebärmutter,  die  oft  auf  einfache  Weise  auch 
von  dem  weniger  Geübten  beseitigt  werden  können,  sowie  die  Be¬ 
herrschung  der  Pessar  therapie,  welche  bei  einiger  Vorsicht 
ohne  Nachtheil  in  Anwendung  gezogen  werden  kann,  sind  Dinge,  die 
wir  vom  modern  gebildeten  Praktiker  ebenso  verlangen  müssen,  wie 
die  richtige  Diagnose  und  Kenntniss  der  conserva¬ 
tive  n  Behandlung  der  so  häufigen  entzündlichen 
Affeetionen  aller  Abschnitte  des  Genitaltractes. 
Durch  entsprechende  Wahrung  vor  neuerlicher  Schädigung  kann  auch 
bei  mangelhafter  Aufnahme  des  Tastbefundes  ungemein  viel  genützt 
werden. 

Ueber  die  Wirkung  und  den  Gebrauch  von  Bäder  euren 
sollten  die  jungen  Aerzte  eine  viel  eingehendere  Belehrung  erhalten, 
als  dies  üblich  ist.  Es  ist  eine  ganz  falsche  Vorstellung,  welche  der 
Neuzeit  entstammt,  die  Bedeutung  derselben  so  gering  zu  achten.  In 
richtiger  Weise  und  in  geeigneten  Fällen  angewandt,  sind  sie  auch  in 
unserem  erkenntnissreichen  Zeitalter  noch  durch  nichts  Besseres  er¬ 
setzt  worden. 

Von  localen  therapeutischen  Massnahmen  be¬ 
schränke  sich  der  Praktiker  sonst  auf  die  Vornahme  aller  jener,  welche 
vollkommen  gefahrlos  auszuführen  sind;  also  zumeist  auf  alle  jene, 
welche  die  Resorption  von  Entzündungsproducten  fördern  sollen 
(heisse  Scheidendouchen,  Einlegen  von  medicamentöscn  Scheiden¬ 
tampons,  Scarification  der  Portio  u.  dgl.). 

Nicht  genug  kann  das  Gros  jener  Aerzte,  welche  die  gynäko¬ 
logische  Diagnostik  nicht  vollkommen  beherrschen,  vor  der  Vornahme 
der  heute  so  beliebten,  gynäkologischen  M  a  s  s  a  g  e  gewarnt  werden. 

Bei  der  Behandlung  von  Katarrhen  betrachte  er  den 
inneren  Muttermund  als  eine  nicht  ohne  dringende  Anzeige  zu  über¬ 
schreitende  Schranke.  Die  üblen  Folgen  intrauteriner  Eingriffe,  be¬ 
sonders  bei  ambulanten  Kranken,  sind  nur  zu  sehr  in  die  Augen 
fallend.  Im  Uebrigen  verlangt  diese  Art  der  Localtherapie  oft  weit 
mehr  Verständniss  und  Erfahrung,  als  die  Ausführung  der  meisten 
typischen  Operationen. 

Ja,  auch  die  harmlos  aussehende  Ausschabung  der  Gebär¬ 
mutter  überlasse  er  —  von  dringenden  Fällen  abgesehen  —  dem 
hierin  besser  geschulten  Arzte.  Nur  zu  oft  begegnen  wir  in  unserer 
Praxis  Fällen,  welche  uns  die  schweren  Nachtheile  solcher,  oft  nicht 
streng  aseptisch  ausgeführter  Curettements  vor  Augen  führen  und  die 
zuweilen  einen  bedenklichen  Charakter  annehmen  können.  Dasselbe 
gilt  in  noch  höherem  Grade  bei  der  in  neuester  Zeit  beliebt  ge¬ 
wordenen  Vaporisation. 

V on  den  Gefahren  der  elektrischen  Behandlung 
will  ich  zu  sprechen  Abstand  nehmen.  Sie  hat  bei  der  Schwierigkeit 
der  Handhabung  und  Instandhaltung  der  Apparate  bei  uns  nicht  viel 
Anhänger  gefunden,  obgleich  das  Publicum  derlei  Behandlungsmethoden 
mit  besonderen,  complicirt  aussehenden  Apparaten  viel  Vertrauen  ent¬ 
gegenbringen  möchte.  Gerade  die  intrauterine,  elektrolytische  Behandlung 
nach  den  Regeln  von  A  p  o  s  t  o  1  i  bedarf  einer  ganz  besonders  sorg¬ 
fältigen  Ausbildung,  wenn  sie  nicht  entweder  Humbug  bleiben  soll 
oder,  energisch  angewendet,  lebensgefährlich  werden  kann. 

Sie  sehen,  es  gibt  auch  blos  bei  Berücksichtigung  alles  dessen, 
was  der  allgemein  practicirende  Arzt  selbst  zu  behandeln  hat,  eine 
Fülle  von  Fragen,  die  einer  sorgfältigen  Erörterung  bedürfen.  Der 
gynäkologische  Unterricht  muss  Sie  aber  mit  mehr  vertraut  machen, 
als  mit  dem  Vorgebrachten.  In  den  Bereich  unserer  Erörterungen  ge¬ 
hört  auch  die  sogenannte  Gynaecologia  major,  bei  welcher  die 
operative  Seite  des  Faches  die  Hauptrolle  spielt.  Sie  müssen  während 
Ihrer  Studien  kennen  lernen,  was  in  dieser  Hinsicht  geleistet  zu  werden 
vermag.  Vor  Allem  über  die  Diagnostik  der  hier  in  Betracht  kommen¬ 
den  Erkrankungsformen,  insbesonders  der  so  unendlich  variirenden 
Abdominaltumoren,  über  Indication  und  Technik  der  gynäkologischen 
Operationen  sind  Sie  nicht  minder  zu  unterrichten,  als  dies  bezüglich 
anderer  Organsysteme  von  Seite  des  Chirurgen  zu  geschehen  pflegt. 
Auch  über  die  schönen  Erfolge  unserer  plastischen  Operationen  müssen 
Sie  orientirt  werden. 

Bei  der  Durchführung  des  praktischen  Unter¬ 
richtes  in  der  Gynäkologie  stellen  sich  uns  noch  wesentlich 
grössere  Schwierigkeiten,  wenn  auch  geringere  Gefahren,  als 
in  der  Geburtshilfe  entgegen.  Die  Schmerzhaftigkeit  bei  manchen 


Untersuchungen,  die  Schamhaftigkeit  der  Frauen,  welche  einer  » 
inneren  Untersuchung  oft  grösseren  Widerstand  entgegensetzen,  die 
Spannung  straffer  oder  fetter  Bauchdecken  machen  sich  hier  oft  in 
unangenehmster  Weise  geltend.  Trotzdem  kann  ich  mich  nicht  dazn 
entschlossen,  wie  dies  anderswo  in  ausgedehntem  Masse  geschieht, 
jeden  vorzustellenden  Fall  dadurch  für  den  Unterricht  nutzbar  zu 
machen,  dass  ich  die  betreffende  Kranke,  bevor  sie  in  die  Vorlesung 
gebracht  wird,  narkotisiren  lasse.  Zuweilen  wird  es  ja  nicht  zu  um¬ 
gehen  sein.  Ich  möchte  jedoch  in  dieser  zu  Untersuchungs-  und 
Demonstraf  ionszwecken  grundsätzlich  durchgeführten  Narkose  einen 
didaktischen  Fehler  erblicken.  Sie  müssen  ja  für  Ihre  Praxis  dazu  er¬ 
zogen  werden,  auch  bei  schmerzhaften  Affeetionen  sich,  ohne  bei  der 
Indagation  besondere  Schmerzen  zu  verursachen  und  selbstverständ¬ 
lich  auch  ohne  Narkose,  rasch  orientiren  zu  können.  Je  früher  Sie 
dazu  angehalten  werden,  unter  derartig  ungünstigen  Bedingungen 
untersuchen  zu  müssen,  desto  besser.  Ich  muss  ferner,  da  nur  eine 
ganz  beschränkte  Zahl  einen  bestimmten  Fall  innerlich  untersuchen 
kann,  bestrebt  sein,  durch  die  grosse  Zahl  der  vorgeführten  Fälle  einen 
gewissen  Ersatz  dafür  zu  bieten.  Lassen  nur  Sie,  meine  Herren, 
keine  der  sich  bietenden  Gelegenheiten  ungenützt  vorübergehen.  Es 
muss  ferner  dafür  Sorge  getragen  werden,  dass  Diejenigen  unter 
Ihnen,  die  einen  Fall  mit  mir  untersucht  haben,  der  zur  Operation 
bestimmt  ist,  auch  zu  dieser  geladen  werden,  damit  Sie  durch  diese 
Obductio  in  viva  Belehrung  über  die  Richtigkeit  Ihrer  Tasteindrücke 
gewinnen.  Dies  fördert  das  Verständniss  am  meisten.  So  haben  auch 
wir  gelernt  und  darin  liegt  unsere  durch  Erfahrung  gewonnene 
Routine.  Die  beste  Vorbereitung  bleibt  also  auch  hier,  möglichst  viele 
Fälle,  mit  entsprechenden  Vorkenntnissen  ausgerüstet,  unter  guter  An¬ 
leitung  untersucht  zu  haben. 

Wenn  Sie  nun  von  mir  gehört  haben,  welcher  Unzahl  von 
Untersuchungen  und  welcher  Summe  von  Erfahrungen  es  bedurfte,  um 
einen  gewissen  Grad  von  Sicherheit  bei  Stellung  gynäkologischer 
Diagnosen  zu  erlangen,  so  ist  dies  für  Sie  wenig  aufmunternd.  Ich 
muss  daher  gleich  hinzufügen,  dass  es  auch  eine  Reihe  von  Fällen 
gibt,  deren  Erkenntniss  auch  dem  Ungeübten,  aber  Wissenden  keine 
Mühe  bereitet,  ja  oft  das  Werk  weniger  Augenblicke  sein  kann.  Die 
Fähigkeit,  solche  Fälle  richtig  zu  beurtheilen,  muss  auch  von  Ihnen  bei 
der  Prüfung  gefordert  werden.  Aber  Sie  müssen  auch  den  Nachweis 
liefern,  dass  Sie  in  minder  klaren,  nicht  so  typischen  Krankheitsfällen 
sich  so  weit  zurecht  zu  finden  im  Stande  sind,  als  dies  nothwendig 
ist,  um  einen  entsprechenden  therapeutischen  Rath  ertheilen  zu  können. 

Es  muss  sich  auf  Grund  einer  sorgfältig  aufgenommenen  Ana¬ 
mnese  und  der  Vornahme  einer  Untersuchung,  welche  zeigt,  dass  Sie 
alle  Methoden  derselben  beherrschen  und  Ihnen  eine  Summe  von  Ein¬ 
drücken  gebracht  haben  muss,  doch  eine,  wenn  auch  unvollkommene 
Diagnose  anf bauen  lassen,  welche  Ihnen  den  Weg  weist,  wo  sich 
zweckmässig  therapeutische  Angriffsjiunkte  bieten.  Durch  längere 
Beobachtung,  bei  vorsichtig  gewählter  Behandlung  wird  sich  das  Bild 
immer  mehr  klären  und  die  richtige  Art  der  letzteren  immer  bestimmter 
sich  darbieten.  Verzagen  Sie  also  nicht  zu  rasch.  Nur  Vorsicht  kann 
Ihnen  im  Interesse  Ihrer  Kranken  nicht  genug  empfohlen  werden  ! 

Wenn  wir  der  Vollendung  zustreben,  wäre  es  richtig,  den 
klinischen  Unterricht  durch  jenen  im  Laboratorium  harmonisch  zu  er¬ 
gänzen. 

Der  Bestand  eines  klinischen  Institutes  ohne  histologische  und 
bacteriologische  Arbeitsräume  ist  heute  nicht  gut  mehr  denkbar.  Wir 
haben  uns  in  der  Verwerthung  dieser  Hilfswissenschaften  für  unsere 
Zwecke  von  unseren  Lehrern,  den  pathologischen  Anatomen,  zum  Theil 
wenigstens  zu  emancipiren  getrachtet.  Welche  Vortheile  müsste  es  fin¬ 
den  Lernenden  bedeuten,  wenn  wir  in  die  Lage  versetzt  wären,  diese 
in  prognostischer  Hinsicht  so  wichtigen  Untersuchungen  gemeinsam 
mit  unseren  Schülern  vornehmen,  dieselben  auch  in  dieser  Richtung 
erziehen  zu  können!  Die  Verwirklichung  dieses  Wunsches  erscheint 
jedoch  bei  der  grossen  Dürftigkeit  unserer  eigenen  Einrichtungen  vor¬ 
läufig  noch  lange  ausgeschlossen. 

Wenn  ich  in  dem  Vorausgehenden  vielleicht  etwas  zu  weit  die 
Vertretung  der  praktischen  Interessen  beim  Unterricht  in  den  Vorder¬ 
grund  gestellt  habe,  möchte  ich  damit  nicht  missverstanden  werden. 
„V  ertiefung  im  theoretischen  Unterrichte  ist  wixn- 
schens  wert  her  als  Verflachung  in  Form  des  Drill“ 
verlangt  v.  Her  ff.  Ich  stimme  dieser  These  und  der  bezüglichen 
Argumentation  voll  bei. 

Der  Student  soll  gelegentlich  seines  Verweilens  an  der  Hoch¬ 
schule  auch  einen  Blick  in  die  Stätte  der  wissenschaft¬ 
lichen  Thätigkeit  einer  Klinik,  der  Forschung  thun,  um 
eine  Vorstellung  von  diesem  rastlosen  Streben  nach  weiterer  Auf¬ 
klärung  zu  gewinnen.  Es  fügen  sich  keine  besseren  Schlussworte  bei 
dieser  Richtung  des  Gedankenganges  hier  ein,  als  ein  Passus  aus 
meines  grossen  Lehrers  Billroth  „Lehren  und  Lernen  in  der 
medicinischen  Wissenschaft“;  derselbe  lautet: 


Nr.  41 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Die.  Aufgaben,  welche  sich  die-  deutschen  Universitäten  gestellt 
haben  ’und  durch  welche  sie  sich  von  den  sogenannten  „Hochschulen  ‘ 
anderer  Völker  unterscheiden  sollen,  die  principiell  nur  das  praktisch 
Verwendbare  tradiren,  sind  eben  ganz  ausserordentliche,  nie  völlig 
erreichbare ;  sie  setzen  eine  Quantität  und  Qualität  dei  \  oibildung 
voraus,  wie  sie  selbst  in  Deutschland  noch  nicht  allzu  weit  verbreitet 
ist.  Der  Conflict  mit  dem  reellen  Bediirfniss  ist  unvermeidlich.  Die 
Wissenschaft  muss  immer  von  Zeit  zu  Zeit  einen  neuen  Modus  vivendi 
mit  den  praktischen  Verhältnissen  eingehen,  und  dieser  muss  je  nach 
dem  langsameren  und  schnelleren  Strom  der  Forschung  auch  langsam 
oder  schneller  wechseln.  Das  hat  seine  grossen  praktischen  Schwierig¬ 
keiten,  ist  aber  nicht  zu  ändern.  Der  Staat  hat  die  Pflicht,  dem  Volke 
tüchtige  Aerzte,  Richter  und  Lehrer  in  genügender  Zahl  zu  schaffen  ; 
die  Universitäten  dürfen  sich  dieser  Aufgabe  nicht  entziehen;  sie 
dürfen  über  der  Akademie  die  Schule  nicht  ver¬ 
gessen;  doch  der  Schule  soll  durch  die  Akademie  der  Geist  der 
endlosen  Forschung,  der  rastlosen  Arbeit,  der  verzehrenden  Sehnsucht 
nach  Wahrheit  eingehaucht  werden.  Die  Arbeit  ist  schwer, 
doch  nicht  zu  schwer  für  deutsche  Kraft!4 


REFERATE. 

Die  Bäder  und  Mineralwässer  der  Erdelyer  (sieben- 
bürgischen)  Landestheile  Ungarns. 

Von  Wilhelm  v.  Hankö. 

Kolozsvär  (Klausenburg)  1900. 

Ueber  Aufforderung  des  Erdelyi  Kärpät-Egyesület  (Sieben- 
bürgischer  Karpathehverein)  ist  diese  Darstellung  der  Bäder  und 
Mineralwässer  Siebenbürgens  verfasst.  In  dem  Vorworte,  welches 
der  genannte  Verein  dem  Buche  beigibt,  ist  als  Zweck  der  Publi¬ 
cation  hingestellt,  die  Touristenschaar  und  das  Badepublicum,  welche 
alljährlich  die  Schweiz,  Tirol  etc.  aufsuchen,  auch  nach  Siebenbürgen 
zu  lenken. 

Mehr  als  40  Badeorte  sind  in  dem  Buche  eingehend  be¬ 
schrieben;  Indicationen,  Preisverhältnisse,  Analysen  der  Mineral¬ 
wässer,  eventuell  die  Namen  der  Badeärzte  sind  mitgetheilt. 

Das  Buch  verdient,  sowohl  was  seinen  Text,  als  was  die 
Ausstattung  durch  Illustrationen  anbelangt,  ein  Muster  für  die  Ab¬ 
fassung  ähnlicher  Schriften  genannt  zu  werden.  Zu  wünschen  wäre 
nur,  dass  in  einzelnen  Capiteln  die  deutschen,  einem  grösseren 
Kreise  von  Gebildeten  geläufigen  Ortsnamen  (Kronstadt,  Klausen¬ 
burg,  Hermannstadt  etc.)  wenigstens  in  Klammer  neben  den  un¬ 
garischen  Ortsnamen  beigesetzt  würden,  wie  es  im  Titel  bezüglich 
Erdely  geschehen  ist.  Dadurch  würde  das  Interesse  des  Lesers 
zweifellos  gesteigert  werden  und  für  den  deutschen  Leser  ist  das 
Buch  doch  offenbar  bestimmt. 

Leider  muss  gesagt  werden,  dass  ein  ähnliches,  auch  mit 
Interesse  für  den  Laien  lesbares  Buch  über  die  österreichischen 
(cisleithanischen)  Badeorte  nicht  existirt. 


Die  Untersuchung  des  Harnes  und  sein  Verhalten  bei 

Krankheiten. 

Von  Dr.  med.  C.  Beier. 

Mediciniscbe  Bibliothek  für  praktische  Aerzte.  Nr.  153  — 156. 

Leipzig  1900,  C.  G.  Naumann. 

Das  vorliegende  Buch  soll  ein  für  den  praktischen  Arzt  be¬ 
stimmter,  zuverlässiger  Rathgeber  bei  solchen  Harnuntersuchungen 
sein,  welche  ohne  besondere  Mühe  und  ohne  specielle  Apparate 
durchführbar  sind.  Es  zerfällt  in  zwei  Abschnitte,  1.  die  Be¬ 
schreibung  der  physikalischen  Harnuntersuchung  und  der  chemi¬ 
schen  Untersuchungsmethoden,  2.  das  Verhalten  des  Harnes  in 
Krankheiten. 

Dieser  zweite  Theil,  das  Verhalten  des  Harnes  bei  Krank¬ 
heiten  betreffend,  ist  eine  sehr  dankenswerthe  Zusammenstellung, 
welche  besonders  die  abnormen  Substanzen  des  Harnes  berück¬ 
sichtigt  und  wohl  der  grossen  Mehrzahl  der  Praktiker  willkommen 
sein  wird.  Nicht  durchgehends  lässt  sich  das  gleich  günstige 
Urtheil  auf  die  Auswahl  der  chemischen  Untersuchungsmethoden 
ausdehnen.  Hier  wäre  nach  der  Meinung  des  Referenten  eine 
strengere  Sichtung  und  die  Auswahl  der  verlässlichen  Methoden 
am  Platze. 

Schon  die  Behauptung  (pag.  20),  concentrirte  Salpetersäure 
im  Ueberschusse  fälle  in  der  Kälte  die  Eiweisskörper,  ist  im  Stande, 


Fehldiagnosen  zu  bewirken;  Referent  kennt  dies  aus  seinem  Ver¬ 
kehre  mit  Praktikern.  Was  soll  dem  praktischen  Arzte  zum  Bei¬ 
spiele  die  Aufzählung  von  zwölf  Eiweissproben,  von  welchen  nur 
drei  (Probe  1,  3,  11)  in  der  Praxis  thatsächlich  brauchbar  sind? 
Unter  den  Proben  auf  Blutfarbstoff  ist  die  alte,  längst  der  Vergessenheit 
würdige  Guajak-Probe  angeführt  und  die  Darstellung  von  Hämin- 
krystallen  beschrieben,  obwohl  der  Praktiker,  welcher  kein  Spectroskop 
besitzt,  bei  geringem  Blutgehalte  des  Harnes  doch  nur  durch  den 
mikroskopischen  Nachweis  von  rothen  Blutkörperchen  ein  verläss¬ 
liches  Urtheil  wird  abgeben  können. 

Gerade  solche  Reactionen  müssen  ein  präcises  Urtheil  er¬ 
möglichen.  Rühmend  muss  bezüglich  der  Zuckerproben  erwähnt 
werden,  dass  neben  anderen  die  Fehling'sche  Probe  ausführlich 
besprochen  wird.  Dass  aus  Glycuronsäure  Glycerinsäure  gemacht 
wird,  Inosit  als  eine  Zuckerart  beschrieben  wird,  von  einem  eisen¬ 
haltigen,  färbenden  Atom  gesprochen  wird  u.  dgl.  mag  nur  beiläufig 
erwähnt  werden. 

Eben  weil  ein  Buch  nach  Art  des  vorliegenden  eine  kritik¬ 
lose  Verwendung  voraussetzen  muss,  wäre  eine  Einarbeitung  seines 
ersten  Theiles  zu  empfehlen. 


Practicum  der  physiologischen  und  pathologischen 
Chemie  nebst  einer  Anleitung  zur  anorganischen  Analyse 

für  Mediciner. 

Von  E.  Salkowski. 

Berlin  1 900,  Hirschwald. 

Zweite  vermehrte  Auflage. 

Jeder,  der  sich  wiederholt  mit  der  Unterweisung  von  An¬ 
fängern  bei  chemischen  Arbeiten  beschäftigt  hat,  wird  beistimmen, 
wie  schwer  es  ist,  bei  einer  grösseren  Praeticantenzabl  den  Be¬ 
dürfnissen  der  Einzelnen  gerecht  zu  werden.  Dadurch  hat  sich 
wohl  in  allen  grösseren  Laboratorien  die  Einführung  von  Hilfs¬ 
büchern  als  zweckmässig  erwiesen ;  ihr  Gebrauch  hat  vielleicht 
auch  den  weiteren  Vortheil,  das  Vertrauen  der  Practicanten  in  sich 
selbst  unter  nur  gelegentlicher  Nachhilfe  eines  Aufsichtsorganes  zu 
heben.  Wie  weit  ein  solches  Hilfsbuch  beim  Anfängerpracticum 
gehen  soll,  darüber  findet  man  verschiedene  Urtheile. 

Die  vorliegende  Anleitung  für  das  physiologisch-  und  patho¬ 
logisch-chemische  Arbeiten  der  Mediciner  ist  für  die  Anfänger  be¬ 
stimmt;  sie  enthält  einen  Leitfaden  der  qualitativen  anorganischen 
Analyse,  welche,  wie  allgemein  anerkannt,  die  Grundlage  jedes 
chemischen  Arbeitens  ist,  von  organisch-chemischen  Untersuchungen 
ist  lediglich  auf  physiologisch,  respective  pathologisch  wichtige 
Substanzen  Rücksicht  genommen.  Ein  besonderes  Gewicht  wird  auf 
präparatives  Arbeiten  und  auf  das  Studium  des  chemischen  Ver¬ 
haltens  der  dargestellten  Körper  gelegt,  mehr  anhangsweise  werden 
die  wichtigsten  quantitativen  Bestimmungsmethoden,  welche  bei 
der  Analyse  des  Harnes,  der  Milch,  der  Darmentleerungen,  u.  dgl. 
Verwendung  finden,  mitgetheilt.  Von  Methoden  der  Elementar¬ 
analyse,  deren  Ausführung  ja  thatsächlich  eine  grössere  Labora¬ 
toriumspraxis  voraussetzt,  ist  mit  Ausnahme  der  Stickstoftbestimmung 
nach  Kjeld  ah  1  ganz  abgesehen. 

Der  Verfasser  hebt  in  seinem  Vorworte  hervor,  dass  es  nicht 
seine  Absicht  sei,  jeder  Mediciner  müsse  das  ganze  in  dem  Buche 
gebotene  Material  durcharbeiten.  Es  ist  klar,  dass  die  Anforderungen 
in  Bezug  auf  die  chemische  Ausbildung  des  Mediciners  durch  die 
Ausbildung  desselben  in  anderen  Fächern  mitbestimmt  werden  und 
dass  diezbezüglich  an  verschiedenen  Universitäten  die  Ziele  ver¬ 
schieden  hoch  gestellt  sind. 

Hervorgehoben  muss  werden,  dass  gerade  dieses  Hilfsbuch 
geeignet  erscheint,  den  medicinischen  Anfänger  mit  dem  chemischen 
Denken  vertraut  zu  machen,  und  dass  es  zum  präcisen  Ar¬ 
beiten  anleitet. 


Chemie  der  Eiweisskörper. 

Von  Dr.  Otto  Colinheim. 

Preis  7  Mark. 

Braunschweig  1900,  F  r  i  e  d  r.  V  i  e  w  e  g. 

Die  vorliegende  Monographie  ist  ein  Sonderabdruck  aus 
Band  IX  von  Roscoe-Schorlemmers  »Ausführlichem  Lehr 
buch  der  Chemie«.  Sie  enthält  wohl  Alles,  was  über  Eiweiss¬ 
körper,  über  deren  Zersetzungsproducte  (Umwandlungs-  und  Spaltungs- 


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producte)  bekannt  ist,  in  präciser  Form  zusammengestellt.  Der 
specielle  Theil  des  Buches  enthält  die  detaillirte  Beschreibung  der 
eigentlichen  Eiweisse,  der  Proteide  und  der  Albuminoide. 

Das  Buch  ist  mit  grosser  Umsicht  und  Sorgfalt  verfasst,  seine 
Lecture  ist  zweifellos  auch  dem  praktischen  Arzte  sehr  zu  em¬ 
pfehlen. 


Die  Praxis  des  Chemikers  bei  Untersuchung  von 
Nahrungsmitteln,  Genussmitteln  und  Gebrauchsgegen¬ 
ständen  etc. 

Von  Dr.  Fritz  Elsner. 

7.  Auflage. 

H  a  m  b  xi  r  g  und  Leipzig  1900,  L.  Voss. 

Eisner’s  »Praxis«  ist  ein  so  bekanntes  Buch,  dass  es  recht 
überflüssig  erscheint,  die  Neuauflage  zu  commentiren.  Der  Verfasser 
des  Buches  ist  mit  den  praktischen  Bedürfnissen  der  Nahrungs¬ 
mittelchemiker  wohl  vertraut  und  gibt  eine  übersichtliche  Zusammen¬ 
stellung  und  Erläuterung  von  Methoden  und  Verordnungen,  welche 
für  Chemiker  als*  sachverständige  Vertrauenspersonen  der  Behörden 
von  Wichtigkeit  sind. 

Durch  die  möglichst  erschöpfende  und  kritische  Behandlung 
des  Materiales  ist  das  Buch  ein  werthvolles  Handbuch. 


Ueber  einige  quantitative  Verhältnisse  bei  der  Pepsin¬ 
verdauung. 

Nach  Versuchen  von  E.  Schütz  und  Huppert. 

Separatabdruck  aus  Pflüger’s  Archiv.  Bd.  LXXX. 

In  der  vorliegenden  schönen  Arbeit  ist  die  Zusammenstellung 
systematischer  Versuche  gegeben,  welche,  vor  etwa  20  Jahren  be¬ 
gonnen,  die  Abhängigkeit  der  bei  der  Pepsinverdauung  gebildeten 
Producte  von  den  Versuchsbedingungen  zum  Gegenstände  haben. 
Verwendet  wurde  zu  den  Verdauungsversuchen  vom  Globulin  nach 
Hammarsten’s  Methode  befreites  Hühnereiweiss,  und  zwar  stets 
in  Lösung,  da  die  Lösungsgeschwindigkeit  coagulirten  Eiweisses 
nicht  der  Verdauungsgeschwindigkeit  gleichgesetzt  werden  darf.  Es 
wurde  der  Einfluss  der  Temperatur,  der  Säureconcentration,  der 
Albuminmenge,  der  Dauer  der  Pepsinwirkung  und  der  Pepsinmenge 
untersucht. 

Das  Temperaturoptimum  für  die  Bildung  der  secundären  Al- 
bumose  liegt  zwischen  40 — 55°,  die  Mengen  der  secundären 
Albumose  verhalten  sich  bis  zu  einer  IGstündigen  Verdauungszeit 
wie  die  Quadratwurzeln  der  Versuchszeiten,  während  dabei  die 
Summe  von  Acidalbumin  und  primärer  Albumose  constant  ist.  Bei 
gleichbleibendem  Salzsäuregehalt  begünstigt  die  Vergrösserung  des 
Flüssigkeitsvolumens  die  Verdauung.  Eine  deutliche  Gesetzmässigkeit 
ergab  sich  bezüglich  des  Einflusses  der  Säureconcentration.  Bis  zu 
0'2°/o  Salzsäure  verhalten  sich  die  Mengen  der  secundären  Albu¬ 
mose  wie  die  Quadratwurzeln  aus  den  Säureconcentrationen.  Für 
die  höheren  Säureconcentrationen  sind  die  beobachteten  Werthe*um 
bestimmte  Grössen  kleiner  als  die  nach  dem  Wurzelve rhältniss  be¬ 
rechneten,  und  zwar  verhalten  sich  die  Differenzen  vom  berechneten 
minus  gefundenen  Werthe  zu  einander  wie  die  um  0'2  vermin¬ 
derten,  in  Zehntelprocenten  ausgedrückten  Concenlrationen.  Aus  den 
mitgetheilten  Werthen  berechnet  sich,  dass  bei  einer  Säureconcen- 
tration  von  etwa  1*2%  (aus  Eieralbumin)  überhaupt  keine  secundäre 
Albumose  mehr  gebildet  werden  kann.  Bei  0*1  %  Salzsäuregehalt 
wurde  kein  Acidalbumin  gefunden. 

Die  Mengen  der  gebildeten  secundären  Albumosen  verhalten 
sich  wie  die  Quadratwurzeln  aus  den  verwendeten  Pepsinmengen 
und  nicht  direct  proportional  denselben;  dieses  Gesetz  gilt  nur, 
wenn  der  Salzsäuregehalt  ein  nicht  zu  geringer  ist  und  so  lange 
noch  Acidalbumin  vorhanden  ist.  Der  einfachste  Ausdruck  für  die 
Bildung  der  secundären  Albumose  bei  mässig  schnellem  Verlaufe 
der  Verdauung  und  einem  0'2%  nicht  übersteigendem  Salzsäure¬ 
gehalt  ist  8  =  k  A  ]  p  t  s,  worin  S  die  Menge  der  secundären 
Albumose,  A  die  Albuminmenge,  p  die  Pepsinmenge,  t  die  Versuchs¬ 
dauer,  s  die  Säureconcentration,  schliesslich  k  eine  Constante 
bedeutet. 

Aus  den  tabellarisch  zusammengestellten  Werthen  lassen  sich 
auch  einige  Schlüsse  bezüglich  des  »genetischen  Zusammenhanges 
der  Erscheinungen«  bei  der  Verdauung  ziehen. 


Zur  Bestimmung  der  relativen  Pepsinmenge  ist  das  Verfahren 
von  Schütz  (Zeitschrift  für  physiologische  Chemie.  Bd.  IX, 
pag.  577)  am  meisten  geeignet.  Das  von  Mett  angewendete  Ver¬ 
fahren  (Du  Bois’  Archiv.  1894,  pag.  68)  ist  dagegen  zu  genauen 
Bestimmungen  nicht  geeignet. 


I.  Physiologische  Chemie  für  Studirende  und  Aerzte. 

Von  Pli.  Bottazzi.  Deutsch  von  H.  Boruttau. 

1.  Lieferung. 

Leipzig  und  Wien  1900,  Franz  D  e  u  t  i  c  k  e. 

II.  Die  anorganischen  Salze  im  menschlichen  Orga¬ 
nismus. 

Nach  den  Grundsätzen  der  modernen  Chemie  systematisch  dargestellt  von 

R.  Brasch. 

1.  Abtheilung. 

Wiesbaden  1900,  Bergmann. 

I,  II.  Ausführliche  Referate  über  diese  beiden  Bücher  sollen 
nach  deren  vollständigem  Erscheinen  folgen.  Vorderhand  sei  auf 
sie  aufmerksam  gemacht,  da  sie  unter  Anderem  Versuche  dar¬ 
stellen,  die  neueren  Principien  der  physikalischen  Chemie  auf 
physiologische  Fragen  anzuwenden  und  in  der  Medicin  zu  ver- 
werthen.  Schon  dadurch  dürften  diese  Bücher  Anregung  geben  und 
Beachtung  verdienen.  R.  v.  Z  e  y  n  e  k. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

389.  Ueber  den  Einfluss  des  Morphiums  auf 
die  Magensaftsecretion.  Von  Riegel  (Giessen).  Bei  Hunden 
wurde  eine  P  a  w  1  o  w’sche  Magenfistel  angelegt  und  das  Verhalten 
der  Magensaftsecretion  nach  Morphiumdarreichung  beobachtet.  Die¬ 
selbe  erwies  sich  in  allen  Fällen  vermehrt  und  von  der  Grösse  der 
Dosis  abhängig;  ebenso  zeigte  sich  auch  beim  Menschen  die 
Magensaftsecretion  nach  Morphium  vermehrt.  Daraus  geht  hervor, 
dass  es  nothwendig  ist,  bei  der  Auswahl  der  schmerzstillenden 
Mittel,  zumal  bei  Magenkranken,  auch  deren  Wirkung  auf  den  Magen 
mit  zu  berücksichtigen.  Während  die  Belladonnapräparate,  besonders 
das  Atropin,  die  Secretion  in  hohem  Masse  hemmen,  hat  das 
Morphium  eine  gegentheilige  Wirkung.  In  praxi  sollte  man  bei 
Magenkranken  letzteres  darum  nur  da  anwenden,  wo  eine  stärkere 
Erregung  der  Saftsecretion  keine  Nachtheile  bringt.  Wo  dagegen 
die  Secretabsonderung  ohnedies  schon  erhöht  ist,  wie  z.  B.  beim 
Ulcus,  sollte  man  zur  Schmerzstillung  nicht  Morphium,  sondern  die 
Belladonnapräparate  verordnen,  die  den  Vorzug  besitzen,  neben  der 
schmerzstillenden  auch  eine  saftsecretionshemmende  Wirkung  zu 

äussern.  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  8.)  Pi. 

* 

390.  Etwas  über  Pellagra.  Von  Director  Dr.  Aurel 
v.  Zfatarovic  (Pergine,  Südtirol).  Die  Pellagra  ist  nach  der 
Meinung  des  Verfassers  weder  eine  durch  die  chemische  Verände¬ 
rung  des  Maises  verursachte  Intoxicationskrankheit,  noch  eine  blosse 
Folge  der  Inanition,  sondern  eine  chronische  Tnfectionskrankheit. 
Der  Microbus  der  Pellagra  ist  wahrscheinlich  an  einen  fortwährenden 
oder  periodischen  Alluvionen  ausgesetzten  und  überdies  besonderen 
klimatischen  Verhältnissen  unterworfenen  Boden  gebunden.  Als 
Weiterverbreiter  des  Pellagrakeimes  kommen  der  Boden  selbst,  das 
Wasser,  die  Luft  und  die  Bodenproducte  in  Betracht.  Die  Pellagra 
verursacht  eine  constitutionelle  Veränderung  des  Organismus  (wie 
Syphilis,  Tuberculose)  und  vererbt  die  Anlage  zur  gleichen  Er¬ 
krankung.  Entkräftung  durch  mangelhafte  Nahrung  oder  andere 
Ursachen  (chronischer  Alkoholismus)  erhöht  die  Prädisposition.  Der 
Hauptverwahrer  des  Pellagragiftes  scheint  das  Blut  zu  sein,  die 
Hauptangriffspunkte  des  Virus  bilden  die  Haut  und  das  Central¬ 
nervensystem,  namentlich  das  Rückenmark,  in  welchem  haupt¬ 
sächlich  die  Hinterstränge,  und  zwar  zumeist  die  Goll’schen 
Stränge  ergriffen  werden,  doch  kommen  auch  Querschnitls- 
erweichungen  vor.  Die  Hauptsymptome  der  Pellagra  sind  Ver¬ 
dauungsstörungen,  Erkrankungen  der  Haut  und  spinale  Störungen. 
Die  Psychopathien  der  Pellagrösen  haben  keine  besonderen  Kenn¬ 
zeichen.  Sie  tragen  im  Allgemeinen  den  Charakter  der  Nerven- 
inanition  an  sich.  Vorgeschrittene  Fälle  trotzen  jeder  Therapie,  in 
frischen  Fällen  wirkt  gute  Ernährung,  daneben  reichliche  Anwendung 
von  tonisch-reconstiluirendep  Mitteln.  Recidiven  sind  häufig.  Ver- 


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fasser  plaidirt  für  die  Errichtung  von  Pellagrosarien  und  so- 
genannten  Sanitätsspeisehäusern,  wie  sie  in  Oberitalien  bestehen. 
(Jahrbücher  für  Psychologie  und  Neurologie.  Bd.  XIX,  Heft  9.)  S. 

* 

39 1 .  (Aus  der  Greifswalder  chirurgischen  Klinik.)  Beitrag 

zudemGapitelderHautverbrennung  durch  Röntgen- 

Strahlen.  Von  Dr.  D  eutschländer.  Bei  dem  21jährigen 
Patienten  war  an  zwei  Tagen  fünfmal  das  Hüftgelenk  photographirt 
worden.  Daran  schloss  sich  eine  Dermatitis,  deren  Anfangssymptome 
erst  sieben  Tage  nach  der  letzten  Aufnahme  bemerkt  wurden.  Es 
kam  zu  einer  erysipelatösen  Röthung,  dann  zu  einer  Abhebung  der 
Haut  in  Bläschen,  die  schliesslich  gänzlich  abgestossen  wurde.  Die 
Heilung  erfolgte  in  drei  charakteristischen  Stadien.  Nachdem  der 
Process  einige  Zeit  stationär  gebliehen,  schloss  sich  daran  eine 
rasche  Ueberhäutung  der  Peripherie  der  Wundfläche.  Darauf  folgte 
eine  2'/2  Monate  lange  Periode,  in  welcher  die  Granulationsbildung 
eine  äusserst  torpide  war.  Schliesslich  kam  es  doch  zur  Ver¬ 
narbung.  Dem  Anscheine  nach  sind  blonde  Individuen  mit  blasser, 
anämischer  Haut  besonders  gegenüber  der  Einwirkung  der  Röntgen- 
Strahlen  gefährdet.  —  (Fortschritte  auf  dem  Qebiete  der  Röntgen- 
Strahlen.  Bd.  III,  Heft  5.) 

* 

392.  Ein  Fall  von  Familien-Gelbsucht.  VonLere- 
boullet.  23jähriger  Mann  mit  allgemeiner  angeborener  Gelbsucht, 
ohne  andere  Functionsstörung  als  häufige  Schläfrigkeit  während  der 
Verdauung  und  häufige  gichtartige  Gliederschmerzen.  Lereboullet 
constatirte  eine  geringe  Leberschwellung  ohne  Cirrhose  und  eine 
beträchtliche  Milzschwellung.  Der  Bruder  des  Kranken  leidet  eben¬ 
falls  an  chronischem  Ikterus  mit  dem  Typus  der  Acholurie.  Seine 
Schwester  hat  an  Ikterus,  die  Mutter  und  ein  anderer  Bruder  haben 
an  Koliken  in  der  Gallenblasengegend  gelitten.  Somit  ist  der  Familien¬ 
charakter  ausgesprochen;  dieser  Ikterus  kann  in  Cirrhose  übergehen. 
In  zwei  anderen  Fällen  fanden  Lereboullet  und  seine  Gollegen 
eine  erhebliche  Prädisposition;  es  handelte  sich  dabei  um  wirkliche 
biliöse  Cirrhose,  welche  sich  langsam  durch  Jahre  ohne  Störung  des 
Allgemeinbefindens  hinzog.  Lereboullet  glaubt,  dass  die  Ursache 
der  Anlage  nicht  in  einer  anatomischen  Veränderung  der  Gallen¬ 
wege,  sondern  in  einer  Störung  der  Lebensthätigkeit  derselben  be¬ 
gründet  sei.  —  (La  Semaine  Medicale.  15.  August  1900,  Nr.  34.) 

Sp. 

* 

393.  Aneurysma  der  Carotis  interna  nach  lon- 
sillarabscess.  Von  Dr.  Wulff  (Hamburg).  Das  achtjährige 
Mädchen  war  an  einer  Angina  follicularis  erkrankt.  Nach  acht 
Tagen  wurde  ein  Tonsillarabscess  diagnosticirt,  behufs  dessen 
Spaltung  der  Rachen  zuvor  mit  einem  Stieltupfer  zur  Entternung 
des  Schleimes  ausgewischt  wurde,  hei  ■  welcher  Gelegenheit  eine 
äusserst  heftige  Blutung  entstand.  Das  Geschwür  hatte  allem  An¬ 
scheine  nach  zur  Arrosion  eines  grösseren  Gefässes  geführt  gehabt. 
In  weiterer  Folge  hatte  sich  an  der  gleichen  Stelle  eine  pulsirende 
Geschwulst  entwickelt,  die  als  Aneurysma  erkannt  wurde.  Wegen 
der  vorliegenden  Gefahr  des  Berstens  des  schon  sehr  verdünnten 
Aneurysmasackes  wurde  die  Ligatur  der  Carotis  communis  aus¬ 
geführt,  die  zur  Schrumpfung  der  Geschwulst  und  nach  einer  den 
Verlauf-  complicirenden  Vereiterung  derselben  zur  vollständigen 
Heilung  führte.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900, 

Nr.  20.)  Pi- 

* 

394.  Aus  der  psychiatrischen  Klinik  zu  Tübingen 
(Prof.  Siemerling).  Einseitige  Zellveränderung  im 
Halsmark  bei  Phlegmone  am  Unterarm  nebst 
weiteren  Bemerkungen  über  die  Pathologie  der 
Ganglienzelle  (Einfluss  des  Fiebers  et c.).  Von  D r. 
Ernst  Meyer,  Assistenzarzt.  Ein  56jähriger  Mann,  welcher 
wegen  einer  acuten  Psychose  in  die  psychiatrische  Klinik  zu  1  übingen 
aufgenommen  worden  war,  erkrankte  daselbst  an  einer  Phlegmone 
des  rechten  Unterarmes,  die  in  kürzester  Zeit  zu  weitgehender  Zer¬ 
störung  der  Haut  führte,  fast  die  gesammte  Musculatur  des  Unter¬ 
armes  und  der  Hand  in  Mitleidenschaft  zog  und  nach  sechs  Tagen 
zum  Exitus  führte.  Bei  der  Obduction  fand  sich  eine  vielleicht  von 
der  Phlegmone  abhängige,  schwere,  eiterige  Pachymeningitis  und 
Meningitis.  Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Rückenmarkes 
ergab  im  Halsmarke,  anfangend  etwa  im  fünften  Cervical  segment, 


eine  Veränderung  der  Zellen.  Dieselben  waren  geschwollen,  abgerundet, 
fortsatzarm  und  in  Folge  des  Schwundes  der  Granula  aufgehellt. 
An  den  Nerven  des  rechten  Armes  fand  sich  Degeneration,  die 
Nerven  des  linken  Armes,  sowie  die  Substanz  des  Rückenmarkes 
und  die  extramedullären  Wurzeln  waren  frei.  Die  unilaterale  Locali¬ 
sation  der  Zellveränderungen  im  Halsmark  lässt  die  Auffassung  der 
letzteren  als  Producte  des  Fiebers  ausschliessen.  Vielmehr  ist  an¬ 
zunehmen,  dass  diese  einseitige  Zellveränderung  zusammenhängt  mit 
der  durch  die  Phlegmone  gesetzten  schweren  Schädigung  an  der 
Peripherie.  Dadurch  ist  für  eine  grössere  Zahl  von  Nervenfasern  die 
Abgabe  der  von  den  Vorderhornzellen  kommenden  Reize  unmöglich 
gemacht,  es  kommt  in  diesen  Zellen  zu  einer  Reizstauung.  Da  die 
Zellen  das  periphere  Hinderniss  zu  durchbrechen  suchen,  indem  sie 
mehr  »kinetische  Energie«  aufbieten,  als  in  dem  regelmässigen 
Haushalt  der  Zelle  vorgesehen  ist,  tritt  eine  Störung  des  intracellu¬ 
lären  Gleichgewichtes  der  Ganglienzellen  ein,  die  in  obigen  ana¬ 
tomischen  Veränderungen  ihren  Ausdruck  findet.  —  (Archiv  für 

Psychiatrie.  Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

395.  Die  Cysten  der  Brustdrüse.  Von  Bryant. 
Die  Arbeit  ist  deshalb  von  besonderem  Interesse,  weil  sie  zeigt, 
dass  die  Cysten  der  Brustdrüse  weil  häufiger  sein  können,  als 
gewöhnlich  angenommen  wird.  Unter  242  von  Bryant  be¬ 
handelten  Brustdrüsenerkrankungen  waren  163  maligne  Tumoren, 
12  Adenome,  2  Lipome,  2  Carcinome  bei  Männern,  67  Cysten 
diagnosticirt  worden.  Die  wegen  Carcinom  und  Gystenbildung  zur 
Operation  gekommenen  Fälle  lieferten  den  Beweis,  dass  25°/0  aller 
Fälle  Cysten  waren.  Die  Cysten,  welche  leicht  mit  Carcinom  ver¬ 
wechselt  werden  können,  finden  sich  namentlich  bei  Frauen  über  40. 
Der  Umstand,  dass  die  Grösse  der  Geschwulst  wechselt,  sowie  vor¬ 
handene  Fluctuation  und  Austritt  von  Cysteninhalt  aus  der  Brust¬ 
warze,  beziehungsweise  eine  Probeincision  sichern  die  Diagnose. 
Ist  die  Cyste  glattwandig,  so  wird  die  Wand  mit  einer  reizenden 
Flüssigkeit  abgerieben;  ist  sie  mit  Wucherungen  besetzt,  so  muss 
die  Höhle  ausgespült  werden.  Bryant  tritt  der  Ansicht  entgegen, 
dass  solche  Cysten  eine  Disposition  zur  Entstehung  eines  Krebses 

abgeben.  - —  (Lancet.  28.  April  1900.)  *  Pi 

* 

396.  Ein  Fall  vonExtr  a  uterinschwangerschaft. 
Von  D  e  1  b  e  t.  P  s  a  1 1  o  f  f  hat  uns  seine  Beobachtung  hierüber 
mitgetheilt,  wo  er  durch  Laparotomie  und  Zerstückelung  Heilung 
erzielte.  In  dieser  Beobachtung  ist  das  Bestehen  von  Fieber  ohne 
Ruptur  der  Membranen  bemerkenswerth,  da  es  doch  bekannt  ist, 
dass  bei  Intrauterintod  des  Fötus  das  Fieber  erst  nach  der  Ruptur 
erscheint.  — -  (La  Medecine  Moderne.  1.  August  1900,  Nr.  52.) 

Sp. 

* 

397.  P  o  s  t  i  c  u  sl  ä  h  m  u  n  g  im  Anschluss  an  einen 
Fremdkörper  im  Larynx.  Von  Dr.  Bruggisser  (Wohlen). 
Der  24jährige  Patient  litt  seit  3.  April  1896  an  Larynxbeschwerden, 
als  deren  Ursache  am  11.  April  eine  über  den  beiden  Stimmbändern 
befindliche  Zahnprothese  (zwei  Zähne)  erkannt  wurde,  welche  ent¬ 
fernt  wurde;  zwei  Tage  später  wurde  der  Patient  im  besten  Wohl¬ 
sein  entlassen.  Bald  stellten  sich  neue  Athembeschwerden  ein,  die 
immer  mehr  Zunahmen  und  die  abermalige  Spitalsaufnahme  noth- 
wendig  machten,  wo  schleunigst  die  Tracheotomie  ausgeführt  werden 
musste.  Die  Ursache  der  neu  aufgetretenen  Dyspnoe  lag  in  einer 
vollständigen  Lähmung  der  Stimmbänder,  welche  bis  heute  noch 
nicht  gewichen  und  das  Tragen  einer  Canule  nothwendig  macht. 
—  (Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1900,  Nr.  15.) 

* 

398.  Zur  Casuistik  der  progressiven  Paralyse. 
Von  Dr.  Lustig,  Königslutter.  Lustig  berichtet  über  zwei  Fälle 
von  progressiver  Paralyse,  in  welchen  das  Stadium  der  einfachen 
Demenz  ohne  wesentliche  Veränderungen  bei  nur  eben  bemerkbare 
Progredienz  sich  nun  schon  über  16 — 17  Jahre  erstreckt,  während 
die  Gesammtdauer  der  Krankheit  schon  20,  respective  21  Jahie 
beträgt.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft  4.)  S. 

* 

399.  Beiträge  zur  Frühdiagnose  des  Darm¬ 
car  ein  oms.  Von  Dr.  Holländer  (Berlin).  Das  Darmcarcinom 
äussert,  sich  häufig  zuerst  durch  Stenosenerscheinungen,  deren 


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malignen  Charakter  bei  Mangel  eines  sicher  palpablen  Tumors,  zu 
erkennen,  von  grösster  W  ichtigkeit  ist.  Verfasser  legt  hier  gewissen 
Hautveränderungen  ein  Gewicht  bei,  so  den  bekannten  kleinen 
Angiomen,  den  seborrhagischen  Warzen  und  gewissen  Pigmentirungen. 
Wesentlicher  ist  das  Moment  der  erblichen  Belastung,  welches  eine 
Stenose  als  maligne  verdächtig  machen  kann.  Hiefür  bringt  Ver¬ 
fasser  einen  sehr  lehrreichen  Beleg.  Es  handelt  sich  um  zwei  ver¬ 
schwägerte  Familien,  von  denen  31  Personen  im  Stammbaume 
verzeichnet  sind  mit  16  sicheren  und  drei  fraglichen  Krebsfällen. 
Von  sieben  Kindern  aus  einer  Ehe  zwischen  zwei  an  Krebs  ver¬ 
storbenen  Eltern  sind  sechs  an  Krebs  gestorben,  desgleichen  wieder 
die  Tochter  des  verschonten  Sohnes.  Von  fünf  Kindern  dieser 
Generation  starben  sämmtliche  an  Darmkrebs.  —  (Deutsche  medi- 

cinische  Wochenschrift.  19(0,  Nr.  30.)  Pi. 

* 

400.  (Allgemeine  medicinische  Klinik  in  Turin.)  Behand¬ 
lung  der  Tuberculose  mit  Igazol.  Von  Dr.  Guerra. 
Nachdem  das  Formaldehyd  zu  6%  ’n  Norm  von  Inhalationen  zur 
Behandlung  der  Tuberculose  vielfach  verwendet  wurde,  ist  es  wegen 
seiner  starken  Reizwirkung  auf  die  Schleimhäute  häufig  wieder 
verlassen  worden.  Erst  Prof.  Cervello  gelang  es,  dieses  Mittel 
in  eine  nicht  irritirende  Form  zu  bringen,  welche  er  Igazol  be¬ 
nannte.  Baron  verwendete  dasselbe  zur  Desinficirung  der  Wohn- 
räumo  und  Sputa  ohne  besonderen  Einfluss  auf  die  Krankheits¬ 
keime.  Von  fünf  Kranken,  welchen  Verfasser  das  Igazol  inhaliren 
Hess  (drei  Stunden  täglich),  verschlimmerten  sich  drei,  einer  blieb 
stationär  und  nur  bei  einem  trat  eine  Besserung  ein;  die  Tempe¬ 
ratur  blieb  stets  fieberhaft,  Husten  und  Sputum  nahmen  wohl  ab, 
aber  die  Quantität  des  Letzteren  blieb  sich  gleich;  die  Bacillen 
verschwanden  nicht  vollständig;  die  Athmungsgeräusche  klärten 
sich  auf;  endlich  nahm  nach  drei  Monaten  das  Körpergewicht  um 
2  hj  zu.  —  (Gazzelta  degli  Ospedali.  5.  August  1900,  Nr.  93.) 

Sp. 

* 

401.  Eine  Modification  des  Geisseif  ärbungs- 
ver  fahre  ns  nach  van  Er  m  engem.  Von  Dr.  A.  Hinter¬ 
berger  (Wien).  Mittelst  einer  Modification  des  genannten,  auf 
einem  Versilberungsprocesse  beruhenden  Verfahrens,  das  im  Originale 
aufs  Genaueste  angegeben,  ist  es  Hinterberger,  wie  die  bei¬ 
gegebenen  Photogramme  beweisen,  gelungen,  von  einer  Reihe 
Bacterien  gut  gefärbte,  sehr  lange  und  zarte  Geissein  in  sehr  deut¬ 
licher  Weise  zur  Anschauung  zu  bringen.  —  (Centralblatt  für 

Bacteriologie.  Bd.  XXVII.)  Pi. 

* 

402.  Zwei  Fälle  von  wiederholten  Brandstif¬ 

tungen  unter  Einfluss  des  Alkohols.  Von  Dr.  Hoppe, 
Allenberg.  Im  ersten  Falle  handelt  es  sich  um  einen  erblich  be¬ 
lasteten  (Vater  Potator),  schwachsinnigen  jungen  Menschen,  der 
unter  dem  Einfluss  vorübergehender  Zustände  von  Trunkenheit 
wiederholt  Brände  legte.  Auch  im  zweiten  Falle  liegt  erbliche  Be¬ 
lastung  vor  (beide  Ellern  trunksüchtig).  Der  in  den  nüchternen 
Intervallen  fleissige,  solide  und  fähige  41jährige  Mann  verfällt  in 
länger  dauernde  Trinkperioden.  In  beiden  Fällen  tritt  in  dem  durch 
die  Betrunkenheit  erzeugten  pathologischen  Zustand  nach  Art  von 
Zwangsgedanken  der  impulsive  Trieb  zum  Feueranlegen  auf,  der  bei 
dem  durch  die  Trübung  des  Bewusstseins  bedingten  Fehlen  von 
Gegenvorstellungen  rasch  zur  That  wird.  —  (Zeitschrift  für  Psych¬ 
iatrie.  Bd.  LV1I,  Heft  5.)  S. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Professor  J  ul  ius  H  ocheno  gg  wurde  mit  der  Suppli rung  der  chirur¬ 
gischen  Klinik  weiland  Hofrath  Albert's  betraut. 

* 

E  mannt:  Privatdocent  Dr.  F  ri  tzKönig  in  Berlin  zum  Ober¬ 
ärzte  am  städtischen  Krankenhause  in  Altona.  —  Hofrath  Dr.  J.  O  e  1 1  e  r 
in  München  zum  o.  Professor  der  Augenheilkunde  in  Erlangen.  — 
Dr.  Tigerstedt  zum  Professor  der  Physiologie  in  Helsingfors. 

* 

Verliehen:  Dem  ordentlichen  Professor  der  Geburtshilfe  und 
Vorstande  der  111.  geburtshilflichen  Klinik  für  Hebammen  an  der 
Universität  in  Wien,  Hofrath  Dr.  Gustav  Braun,  aus  Anlass 
seiner  Uebernahme  in  den  bleibenden  Ruhestand  der  Adelstand.  — 
Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Julius  Netolitzky  der  Generalstabs- 


arztens-Charakter  ad  honores  und  der  Orden  der  Eisernen  Krone  dritter 
Classe.  —  Dem  Oberstabsarzte  Dr.  Simon  Man  dich  das  Ritter¬ 
kreuz  des  Franz  Josef-Ordens  und  dem  Oberstabsarzte  zweiter  Classe 
Dr.  Johann  R  i  h  a  der  Oberstabsarztem-Charakter  erster  Classe. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Otto  Barn  ick  für  Ohrenheilkunde  in 
Graz.  —  Dr.  Herlitzka  in  Florenz  für  Geburtshilfe  und  Gynäko¬ 
logie  ;  in  Neapel:  Dr.  S  o  1  a  r  o  für  medicinische  Pathologie, 
Dr.  Ven  tra  für  Psychiatrie  und  Dr.  Sorrentino  für  Dermatologie 
und  Syphilis. 

* 

In  der  am  1.  October  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  nieder¬ 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  wurden  Re¬ 
ferate  erstattet:  1.  Vorschläge  für  die  Verleihung  der  Concessionen  für 
in  zwei  Gemeinden  Niederösterreichs  neu  zu  errichtende  Apotheken. 
2.  Statut  und  Hausordnung  eines  Recouvaleseenten  Heims  in  einer 
Gemeinde  Niederösterreichs  und  Abänderungen  des  Statutes  eines 
Wiener  Kinderspitales.  3.  Bewilligung  zur  Errichtung  neuer  Am¬ 
bulatorien  in  Wien.  4.  Recurs  wegen  Verweigerung  der  Exhumirung 
der  auf  einem  Friedhofe  in  einer  Gemeinde  Niederösterreichs  beigesetzten 
Leiche  behufs  Ueberführung  derselben  nach  dem  Auslande  zur  Feuer¬ 
bestattung. 

* 

Die  73.  Versammlung  deutscher  Naturforscher 
und  Aerzte  wird  1901  in  Hamburg  tagen.  Zu  Geschäftsführern 
wurden  Prof.  Voller,  Director  des  physikalischen  Staatslaboratoriums, 
und  Geheimer  Medicinalrath  Dr.  Reineke,  zum  ersten  Vorsitzenden 
Prof.  H  e  r  t  w  i  g  (München)  gewählt. 

* 

Privatdocent  Dr.  Heinrich  Ludwig,  emeritirter  Assistent 
an  der  Universitäts-Frauenklinik  des  Hofrathes  C  h  r  o  b  a  k,  wohnt  vom 
20.  October  an:  Alserstrasse  Nr.  22.  —  Dr.  RudolfSavor,  emeri¬ 
tirter  Assistent  an  der  Universitäts-Frauenklinik  des  Hofrathes  Chrobak, 
wohnt  jetzt:  VI.,  Mariahilferstrasse  89a. 

* 

S  a  nitätsver  hält  nissebeiderMannschaftdesk.u.k.Hee  re¬ 
im  Monat  Juli  1900.  Mit  Ende  Juni  1900  waren  krank  vers 
blieben  bei  der  Truppe  1396,  in  Heilanstalten  6886  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  Juli  1900  14.853  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  52.  Im  Monat  Juli  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  7113  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Koplstärke  25.  Im  Monat  Juli  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  15.330  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  13.469  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  878,  durch  Tod  59  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  3  85,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0  21.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
1198,  in  Heilanstalten  6607  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  38.  Jahreswoche  (vom  16.  September 
bis  27.  September  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  502,  unehelich  290,  zusammen 
792.  Todt  geboren:  ehelich  43,  unehelich  24,  zusammen  67.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  539  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
169  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  70,  Blattern  0,  Masern  1, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  3,  Typhus  abdominalis  5, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  1,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  45.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
17  (-)-  12),  Masern  47  =),  Scharlach  30  ( —  12),  Typhus  abdominalis 
26  (-j-  9),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  19  (-)-  3j,  Croup  und 
Diphtherie  29  ( —  16),  Pertussis  34  (-[-  12),  Dysenterie  0  (—),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  (-(-  1),  Trachom  4  (-{-  2),  Influenza  0  (=)■ 


Freie  Stellen. 

Professor-  und  Assistenten  stelle.  1.  An  der  staatlichen 
Lehranstalt  für  Hebammen  in  Wien  gelangt  die  Stelle  eines  Professors  mit 
dem  Dienstrange  in  der  VII,  Rangsclasse  der  k.  k.  Staatsbeamten  und  den 
durch  das  Gesetz  vom  15.  April  1896,  R.  G.  Bl.  Nr.  36,  normirten  Bezügen 
zur  Besetzung.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  Gesuche  mit  den  Be¬ 
legen  über  Alter,  Stand,  den  erlangten  Doctorgrad,  die  zurückgelegten  Fach¬ 
studien,  die  bisherige  Verwendung  und  Ausbildung  in  der  Geburtshilfe, 
insbesondere  aber  mit  dem  eventuellen  Nachweise  der  Verwendung  als  Pro¬ 
fessor  oder  Privatdocent  der  Geburtshilfe  an  einer  inländischen  medicinischen 
Facultät  oder  als  Piofessor  an  einer  Hebammenschule  bis  15.  October  1.  J. 
bei  der  niederösterreichischen  Stattbalierei  einzubringen.  Gesuche  von  bereits 
in  öffentlichen  Diensten  stehenden  Beweibern  sind  im  Wege  der  Vorgesetzten 
Behörde  vorzulegen.  —  2.  An  derselben  Anstalt  kommt  mit  1.  November 
1.  J.  auch  eine  Assistentenstelle  mit  einer  Jaliresremnneration  von  1210  K 
auf  die  Dauer  von  zwei  Jahren  zur  Besetzung.  Bewerber  um  diesen  Posten 
haben  ihre  mit  dem  Nachweise  über  Alter,  Stand,  die  österreichische  Staats- 
biii  gerschaft,  den  erlangten  Doctorgrad  und  die  bisherige  Verwendung  und 
fachliche  Ausbildung,  insbesondere  in  der  Geburtshilfe,  belegten  Gesuche  bis 
15.  October  1.  J.,  eventuell  im  Wege  der  Vorgesetzten  Behörde  bei  der 
Direction  der  obgenanuten  Anstalt  einzureicheu. 


Nr.  4L 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


945 


Verhandlungen 


ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900. 
(Fortsetzung.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 
1900.)  (Fortsetzung.) 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 

Gemeinschaftliche  Sitzung  der  Abtheilungen  für 
Chemie,  innere  Medicin  und  verwandte  Fächer  am 
19.  September,  Vormittags. 

I.  Hi  s  jun.  (Leipzig)  erstattet  ein  eingehendes  Referat: 

U  eher  Ertheilung  von  ärztlichen  Gutachten  über 
neu  erfundene  Arzneimittel“,  welches  in  folgenden  Thesen 
gipfelte : 

A.  Die  Regelung  der  Beziehungen  zwischen  Industrie,  pharmako¬ 
logischen  Instituten  und  ärztlichen  Gutachten  durch  ein  zu  gründendes 
Central institut  ist  wünschenswerte 

B.  1.  Dio  Abgabe  ärztlicher  Atteste  und  Gutachten  direct  an 
die  Industriellen  darf  nur  zu  deren  persönlicher  Information, 
niemals  aber  mit  dem  Rechte  der  Publication  erfolgen.  2.  Die  Em¬ 
pfehlung  neuer  Heil-  und  Nährpräparate  durch  Aerzte  in  der  Laien¬ 
presse  ist  unzulässig.  3.  Bei  der  Begutachtung  neuer  Mittel  ist  grössere 
Zuiückhaltung  dringend  zu  wünschen;  die  Veröffentlichung  derselben 
ist  ausschliesslich  in  der  medicinischen  Fachpresse  zulässig.  4.  Die 
Veröffentlichungen  in  der  medicinischen  Presse  sind,  soweit  gesetzlich 
möglich,  gegen  Nachdruck  zu  Reclamezwecken  zu  schützen.  5.  Die 
Forderung  und  Annahme  von  Honorar  für  ärztliche  Atteste,  Gutachten 
und  Publicationen  über  neue  Mittel  ist  unzulässig.  G.  Aerzte,  deren 
Erfindungen  industriell  ausgebeutet  werden,  sind  für  die  Form  der 
Reclame  verantwortlich. 

Zunächst  wandte  sich  W.  H  i  s  jun.  in  seinem  Referate  gegen 
die  in  Aerztekreisen  schon  lange  beklagten  Missstände,  die  durch  die 
sieh  fortgesetzt  steigernde  Production  von  Heil-  und  Nährpräparaten 
seitens  chemischer  Fabriken,  beziehungsweise  durch  die  von  diesen 
inscenirten,  zum  Theil  zweifellos  unlauteren  Reclamen  gezeitigt  worden 
sind.  Leider  hätten  sich  viele  Aerzte,  sei  es  nun  gegen  Bezahlung  oder 
auch  ohne  eine  solche  zu  beanspruchen,  durch  Abgabe  von  Gutachten 
in  den  Dienst  von  rein  commercial  l  en  Unternehmungen  gestellt  und 
trügen  dadurch  wesentlich  bei  zur  Schädigung  des  Ansehens  unseres 
Aerztestande3.  Ein  Gutachten  über  neue  chemische  Präparate  dürfe 
von  Aerzten  nur  mit  äusserster  Vorsicht  (insbesondere  auch  nur  von 
Spitalsärzten,  Klinikern)  abgegeben  werden;  es  solle  dann  aber  zur 
Information  der  College:),  nicht  zu  Reclamezwecken  dienen.  Der  voll¬ 
ständige  oder  auszugsweise  Nachdruck  von  in  der  medicinischen  Fach¬ 
presse  erscheinenden  Aufsätzen  über  neue  Heil-  und  Nährpräparate 
durch  die  Tagespresse  oder  zu  Reclamezwecken  müsse  verboten  werden. 
In  jedem  Falle  sei  die  Theilnahme  von  Aerzten  an  Reclamen  in  Laien¬ 
zeitschriften  scharf  zu  verurtheilen.  Redner  will  insbesondere  die  ärzt¬ 
lichen  Standesvereine  an  dieser  Angelegenheit  interessirt  wissen.  Fr 
bat  zum  Schlüsse  seiner  Ausführungen,  den  vorstehend  abgedruekten 
Thesen  zuzustimmen. 

Die  Versammlung  fand  gegen  die  Thesen  nichts  einzu wenden, 
und  erklärte  einstimmig  ihr  Einverständniss. 

Der  folgende  Redner,  Dr.  A.  Eichengrün  von  den  Bayer- 
schen  Farbwerken  in  Elberfeld,  stand  auf  einem  dem  Vorredner  ziem¬ 
lich  entgegengesetzten  Standpunkte.  Indem  er  auf  die  Triumphe  der 
deutschen  chemischen  Industrie  auf  der  Pariser  Weltausstellung  und 
ihre  heute  unerreichte  Stellung  hinwies,  sah  er  die  unfreundliche  Kritik 
speeiell  des*  pharmakologisch  chemischen  Industriezweiges  als  nicht 
ganz  begründet  an.  In  Folge  der  in  der  chemischen  Technik  herrschen¬ 
den  Productionsweise  ist  die  Zahl  der  heute  in  den  Handel  gebrachten 
Präparate  freilich  ungeheuer  gross  geworden.  Es  ist  auch  natürlich, 
dass  ein  grosser  Theil  derselben  minderwerthig  ist.  Dass  sieh  aber 
diese  Präparate  in  der  medicinischen  Praxis  erhalten,  ist  viel  weniger 
eine  Schuld  des  Chemikers,  als  des  Arztes,  dessen  Prüfung  fast  immer 
durchaus  ungenügend  ist.  Der  praktischen  klinischen  Erprobung  der 
neuen  Heilmittel,  die  heute  ganz  allein  Usus  ist,  sollte  eine  pharmako¬ 
logische  Prüfung  vorhergehen.  Diese  letztere  würde  schon  sehr  gut 
zwischen  dem  Guten  und  Schlechten  sondern  können.  Aber  selbst  die 
heutige  ärztliche  Untersuchung  ist  so  mangelhaft,  dass  oft  vom 
Ministerium  verbotene  Heilmittel  ärztliche  Belobung  gefunden  haben. 
Der  Redner  glaubt,  bei  der  Behandlung  der  vorliegenden  Frage  von 


den  Nährpräparaten  ganz  abselien  zu  können,  da  diese  ja  nur  Ver¬ 
besserungen  schon  vorhandener  Nahrungsmittel  seien.  Der  Redner 
verweist  hier  auf  den  übertriebenen  Gebrauch  von  allen  möglichen 
Fiweiss  enthaltenden  Präparaten.  Fr  glaubt,  aus  dem  Gesagten  den 
Schluss  ziehen  zu  können,  dass  mau  den  chemischen  Fabriken  keine 
Beschränkung  auferlegen  solle,  da  das  Gute  sich  schon  von  selbst  Bahn 
brechen  würde. 

Einen  vermittelnden  Standpunkt  nahm  der  dritte  Referent,  der 
Pharmakologe  Dr.  R.  Robert  aus  Rostock,  ein.  Er  meinte,  dass  die 
Beschränkungen,  die  man  dem  Arzte  auferlegen  wolle,  kein  unange¬ 
nehmer  Maulkorb,  sondern  ein  Schutzmittel  für  die  durch  das  Auftreten 
gewisser  Aerzte  gefährdete  Standesehre  sein  solle.  Allerdings  gehören 
ja  jene  „Autoritäten“,  die  jedem  neuen  Heilmittel  meist  gegen  Be¬ 
zahlung  kritiklos  ein  günstiges  Zeuguiss  ausstellen,  fast  immer  dem 
Auslande  an.  Aber  es  sei  auch  bei  uns  schon  vorgekommen,  dass 
Aerzte  ein  solches  Gutachten  unter  Postnachnahme  von  100  Mk.  an 
die  betreffende  Fabrik  gesandt  hätten.  Auch  das  Annoncenwesen  mit 
neuen  Arzneimitteln  in  der  medicinischen  Fachpresse  unterzieht  der 
Redner  einer  scharfen  Kritik.  Der  Redner  verlangte  vor  dem  Gebrauch 
eines  jeden  neuen  Arzneimittels  eine  gründliche  theoretische  Vorprüfung 
in  den  chemischen,  bacteriologischen,  pharmakologischen  und  physio¬ 
logischen  Instituten.  Hat  das  Präparat  diese  Prüfung  bestanden,  so 
muss  der  Einführung  in  die  Praxis  der  Thierversuch  vorhergehen, 
sonst  wird  die  Behandlung  zur  Quälerei  am  Menschen.  Dann  erst 
sollen  im  Laufe  der  klinischen  Anwendung  die  Wirkungen  der  Arznei¬ 
mittel  nach  allen  Richtungen  hin  festgestellt  werden.  Der  Redner  ver¬ 
wahrt  sieh  an  dieser  Stelle  entschieden  gegen  den  von  socialdemokrati¬ 
scher  Seite  erhobenen  Vorwurf,  dass  die  Aerzte  nur  die  minder  Be¬ 
mittelten  zu  derartigen  Versuchen  verwendeten.  Aerztliche  Gutachten 
aus  der  Praxis  heraus  über  neue  Mittel  sind  nicht  direct  als  Reclame- 
artikel  an  geeignete  angesehene  Fachjournale  zu  senden.  Den  Fabriken 
sind  Abdrücke  davon  nur  unter  der  Bedingung  zu  verabfolgen,  dass 
sie  dieselben  weder  an  Laien  verschicken,  noch  in  der  Laienpresse  ab- 
drucken  lassen.  Besonders  bemerkenswert!:  ist  der  Vorschlag  des 
Redners,  anstatt  der  gar  nicht  mehr  den  heutigen  Ansprüchen  genügenden 
Institution  der  Pharmakopoe  ein  staatliches  Arzueimittelprüfungsamt, 
wie  z.  B.  das  Seruminstitut,  zu  gründen,  vielleicht  im  Anschluss  au 
das  Reichsgesundheitsamt.  Das  Beamtenpersonal  jenes  Amtes  müsste 
aus  einer  Zahl  tüchtiger  Fachleute  bestehen.  Da  aber  an  die  Durch¬ 
führung  des  Projectes  vorerst  noch  nicht  zu  denken  ist,  soll  sich  im 
Anschluss  an  die  Naturforscherversammluugen  ein  Ausschuss  bilden, 
der  schon  jetzt,  so  gut  es  geht,  die  Functionen  des  angestrebten  Staats¬ 
institutes  übernehmen  soll. 

Landrichter  Kayser  (Aachen)  sprach  endlich  über  juristische 
Gesichtspunkte,  die  sich  aus  dem  gestellten  Thema  ergeben.  Er  ver¬ 
breitete  sieh,  ausgehend  von  den  bestehenden  gesetzlichen  Bestim¬ 
mungen,  über  den  Nachdruck  ärztlicher  Gutachten,  den  oft  geübten 
Namensmissbrauch  und  das  Bestimmungsrecht  des  Erfinders  dem  Fabri¬ 
kanten  gegenüber  in  Sachen  der  Reclame,  wobei  er  alle  möglichen 
Fälle  in  Betracht  zog  und  eingehend  erläuterte. 

* 

III.  Sitzung  dar  Abtheilung  für  innere  Medicin  am 
20.  September,  Nachmittags  3  U  h  r. 

Vorsitzender:  A.  Eilienburg  (Berlin),  später  v.  Leube  (Würz¬ 
burg  ). 

I.  M.  Dinkier  (Aachen) :  Ueber  cerebrale  Kinder¬ 
lähmung  mit  Demonstration. 

Die  cerebrale  Kinderlähmung  ist  bedingt  durch  entzündliche 
Processe  im  Grosshirn  und  hat  im  Beginn  und  Verlauf  viel  Aehnlich- 
keit  mit  entzündlichen  Processen  im  Rückenmark.  Der  Beginn  äussert 
sich  durch  starke  Temporatursteigerung  (bis  43"),  klonisch-tonische 
Krämpfe  mit  nachfolgender  Parese,  die  meist  einseitig  ist.  Nachher 
zeigen  sich  dann  spastische  Zustände  mit  gesteigerten  Sehnenreflexen. 
Redner  führt  einige  Fälle  an  und  demonstrirt  einen  Knaben  von  neun 
Jahren,  der  in  Folge  von  cerebraler  Kinderlähmung  jetzt  auf  der 
rechten  Körperseite  eine  tonische  Contractur  der  verschiedensten 
Muskeln  des  Armes  und  Beines  zeigt.  Zum  Schluss  demonstrirt  Redner 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  41 


946 


das  Gehirn  einer  58  Jahre  alten  Dame,  die  an  Pneumonie  gestorben 
war  und  bei  der  nach  der  Anamnese  kurz  nach  der  Geburt  eine  acute 
Polioencephalitis  aufgetreten  sein  muss.  Das  Gehirn  ist  klein;  die 
Furchen  sind  wenig  entwickelt.  In  der  rechten  Hirnhemisphäre  ist  eine 
grosse  llöhle,  die  von  Fäden  durchzogen  ist.  Die  Hirnrinde  ist  an 
vielen  Stellen  sehr  verdünnt.  Die  Degeneration  erstreckt  sich  bis  ins 
Lendenmark. 

II.  A.  Eulenburg  (Berlin):  Ueber  Arsonvali  sation. 

Man  versteht  darunter  die  Anwendung  hochgespannter  Wechsel¬ 
ströme  zu  therapeutischen  Zwecken.  Bei  Anwendung  dieser  Ströme 
bemerkt  man  Zunahme  des  Blutdruckes,  der  bis  eine  halbe  Stunde 
nach  Beendigung  des  Versuches  anhielt.  Die  Athemzüge  wurden 
häufiger  und  tiefer,  der  Stoffwechsel  angeregt;  das  Kältegefühl  wurde 
herabgesetzt  und  es  trat  eine  gesteigerte  Wärmeempfindung  ein.  Redner 
wandte  nur  locale  hochgespannte  Wechselströme  therapeutisch  an  und 
fand  dabei,  dass  sie  Herabsetzung  krankhaft  gesteigerter  Sensibilität 
bewirkten  bei  Neuralgien  und  besonders  bei  Juckreiz  der  Haut.  In 
vielen  Fällen  von  Ekzem,  Psoriasis,  Prurigo  sah  Redner  starke  Herab¬ 
setzung  und  sogar  Schwinden  des  Juckreizes.  Auch  hatte  Redner  gute 
Erfolge  bei  Myalgien,  bei  Arthritis  und  besonders  bei  Ischias.  In  allen 
diesen  Fällen  kam  locale  Arsonvalisation  zur  Anwendung.  Bei  allge¬ 
meiner  Arsonvalisatien  hat  Redner  bisher,  wie  auch  andere  Beobachter, 
wenig  Erfolge  gesehen. 

Discussion:  Smith  (Marbach)  sah  bei  Arsonvalisation  Ver¬ 
kleinerung  der  Herzgrenzen,  speciell  bei  Neurasthenikern  mit  Herzer¬ 
weiterung,  sowie  günstigen  Einfluss  auf  die  Schlaflosigkeit  dieser 
Kranken. 

Schür  mayer  (Hannover)  beobachtete  bei  Arsonvalisation  Be 
einflussung  des  Stoffwechsels. 

III.  H.  Horchhaus  (Köln):  Ueber  functionelle 
Herzerkrankungen. 

Redner  spricht  über  die  Schwierigkeiten  der  Diagnose  der 
functionellen  Ilerzerkraukungen.  In  manchen  Fällen  ist  es  kaum 
möglich,  eine  sichere  Entscheidung  zu  treffen,  ob  auf  organischer  Basis 
berubene  Herzmuskelinsufficienz  oder  lediglich  nervöse  Herzaffection 
vorliegt.  Selbst  eine  längere  Beobachtung,  die  in  den  meisten  Fällen 
allerdings  entscheidet,  lässt  zuweilen  im  Stich.  Als  Hilfsmittel  der 
Diagnose  sind  hier  die  Bestimmung  des  Blutdrucks  und  auch  die 
Durchleuchtung  zu  verwerthen.  Bei  36  Kranken  mit  Herzneurosen, 
von  denen  20  Männer  und  16  Frauen  waren,  constatirte  er  bei  31  einen 
wesentlich  erhöhten  Blutdruck  mittelst  des  Instrumentes  von  Riva- 
Rocci.  Der  Blutdruck  bewegte  sich  zwischen  150  und  210mm  Hg. 
Natürlich  wurden  diese  Messungen  vorgenommen  unter  allen  noth- 
wendigen  Cautelen.  Wenn  auch  nicht  zu  leugnen  ist,  dass  nach  den 
neueren  Forschungen  auch  bei  den  meisten  organischen  Herzfehlern 
der  Blutdruck  nicht  erhöht  ist,  so  müssen  doch  Werthe,  wie  die  eben 
bestimmten,  mehr  zu  der  Diagnose  einer  Herzneurose  hinführen.  Diese 
Erhöhuug  des  Blutdruckes  scheint  in  den  meisten  Fällen  zurückzu¬ 
führen  zu  sein  auf  eine  stärkere  Arbeit  des  Herzens;  dafür  spricht 
einmal  der  kräftige  hebende  Spitzenstoss,  die  Beschaffenheit  des  Pulses 
und  dann  auch  die  Durchleuchtung.  Bei  dieser  konnte  Redner  in  ge¬ 
eigneten  Fällen  deutlich  constatiren,  dass  die  Zusammenziehung  des 
Herzens  eine  äusserst  energische  und  ausgiebige  war,  so  dass  also  mit 
Wahrscheinlichkeit  eine  kräftige  Action  des  Herzens  anzunehmen  ist. 
Zweifellos  wird  es  durch  diese  beiden  Methoden  gelingen,  manche 
zweifelhaften  Fälle  klarer  zu  stellen.  In  Bezug  auf  Aetiologie  und  das 
Symptomenbild  konnte  Redner  sich  dem  bisher  Bekannten  anschliess'en. 
Dagegen  hob  er  bei  der  Behandlung  neben  der  bisherigen  hervor,  dass 
nach  seiner  Erfahrung  die  Digitalis  in  kleinen  Dosen  (Centigramm)  mit 
grossem  Vortheil  anzuwenden  sei. 

Discussion:  Ad.  Schmidt  (Bonn)  beobachtete  bei  dau¬ 
ernder  nervöser  Tachycardie  verminderten  Blutdruck  und  den  Pulsus 
inspiratione  intermittens,  d.  h.  bei  starker  Einathmung  wurde  der  Puls 
sehr  klein  oder  sogar  ganz  unfühlbar. 

Höstermann  (Boppard)  machte  aufmerksam  auf  Fälle  von 
Herzklopfen  bei  Enge  der  peripheren  Gefässe,  wie  sie  bei  jungen, 
schlecht  entwickelten  Patienten  mit  blasser,  trockener  Haut,  kalten 
Händen  und  Füssen  und  Congestionen  zum  Kopf  öfters  vorkommt. 

Smith  (Marbach)  führt  die  vom  Redner  als  functionelle  Herz- 
erkrankuugeu  bezeichneten  Fälle  meist  auf  Insufficienz  der  Herzmus- 
culatur  zurück  und  empfiehlt  besonders  faradische  Bäder. 

IV.  Schürmayer  (Hannover) :  Zur  Wirkung  neuer 
Eisenpräparate.  Unter  besonderer  Berücksichtigung  des  Liquor 
ferr.  maugan.  -peptonati  und  -saccharati  Dieter  ich-Helfenberg. 

Redner  hat  seit  fünf  Jahren  die  verschiedensten  Eisenpräparate 
chemisch-physiologisch  und  klinisch  in  Bezug  auf  ihre  Wirkung  unter¬ 
sucht  und  führt  seine  Versuchsreihen  an.  Er  kommt  zum  Schlüsse 
dsss  bei  allen  uncomplicirten  Anämien,  Amenorrhoe,  Rachitis,  Tuber- 
culose  im  ersten  Stadium,  Scrophulose  und  besonders  Chlorose  ein 
gutes  Nährpräparat  und  dazu  Eisen  in  geeigneter  Form  von  hervor¬ 
ragender  Wirkung  sind.  Von  eisenhaltigen  Mitteln  hat  sich  ihm  Liq. 


ferr.  mangan.-peptonat.  Dieter  ich- Helfenberg  stets  besteus 
bewährt. 

V.  W.  W  e  i  n  tr  a  u  d  (Wiesbaden):  Ueber  eine  neue  ein¬ 
fache  Technik  der  Bluttransfusion. 

Wenn  man  beim  Gesunden  durch  eine  elastische  Ligatur  am 
Oberarme  den  Rückfluss  des  venösen  Blutes  aus  dem  Arme  hemmt, 
ohne  den  arteriellen  Zufluss  zu  behindern,  so  füllen  sich  die  ober¬ 
flächlichen  Venen  des  Armes  in  drei  bis  vier  Minuten  prall  an  und 
der  Blutdruck  der  Venen  steigt,  am  Manometer  gemessen,  auf  75  bis 
85  mm  Hg,  entspricht  also  einem  Wasserdruck  von  über  1  m  Höhe. 
Dieser  Druck,  der  bei  nicht  zu  weit  gewählter  Canule  sich  auf  an¬ 
nähernd  gleicher  Höhe  hält,  wenn  auch  schon  100 — 150  cm3  Blut 
entleert  sind,  genügt  vollständig,  um  ausreichende  Blutmengen  aus 
dem  gestemmten  Arme  eines  Gesunden  direct  hinüberzuleiten  in  die 
Armvenen  eines  Kranken,  in  dessen  Venen,  wenn  der  Arm  erhoben 
ist,  kein  nennenswerther  positiver  Druck  vorhanden  ist,  so  dass  dem 
einströmenden  Blute  kein  Widerstand  begegnet. 

Zur  Transfusion  bedarf  es  also  nur  zwei  geeigneter  Canulen 
und  eines  circa  30  cm  langen  Gummischlauches,  dessen  beide  Enden 
mit  Ansatzstücken,  welche  in  die  Canule  passen,  arrnirt  sein  müssen. 
Zunächst  wird  die  eine  Canule  in  die  Armvene  des  Kranken  in  der 
Ellbogenbeuge  eingelegt,  alsdann  die  andere  Canule  in  die  prall  ge¬ 
füllte  Vene  des  Blutspenders  direct  durch  die  Haut  hindurch  einge¬ 
stochen;  sobald  ihr  Blut  entströmt,  wird  der  Schlauch  mit  seinem 
einen  Ende  daran  befestigt,  und  wenn  aus  seinem  anderen  Ende  das 
Blut  dann  hervorquillt,  wird  dieses  an  die  Canule  im  Arme  des 
Kranken  geheftet.  Durch  gelegentliches  Lüften  dieser  Verbindung 
controlirt  man,  ob  das  Blut  noch  überfliesst.  Man  lässt  es  sechs  bis 
zehn  Minuten  ruhig  strömen.  In  dieser  Zeit  fliessen  nach  angestellten 
Thierversuchen  circa  150 — 250  cms  Blut  über. 

Zweckmässig  ist  es,  statt  des  einfachen  Verbindungsschlauches 
zwischen  den  beiden  Canulen  einen  solchen  mit  T  förmigen  Ansätze 
zu  wählen  und  an  dem  dritten,  circa  1  m  langen  Schenkel  ein  gra- 
duirtes  cylindrisches  Glasgefäss  anzubringen.  Man  kann  dann  während 
der  Bluttransfusion  durch  einströmende  Salzlösung  das  Blut  verdünnen 
und  gleichzeitig  jede  beliebige  Menge  von  Infusionsflüssigkeit  dem 
Kranken  einverleiben.  Der  Eingriff  ist  so  unbedeutend,  dass  man  ihn, 
falls  er  durch  zu  frühzeitigen  Eintritt  von  Gerinnung  misslingt  oder 
falls  sein  Erfolg  auch  bei  technisch  glücklichem  Verlaufe  unzureichend 
ist,  mehrmals  rasch  hintereinander  wiederholen  kann. 

Am  Schlüsse  der  Sitzung  demonstrirte  Gilbert  (Baden-Baden) 
die  F  r  e  y’sche  Heissluft-Douche. 

* 

IV.  Sitzung  der  Abtheilung  für  innere  Medicin  am 
21 .  September,  Nachmittags  3  Uhr. 

Vorsitzender:  F.  Wesener  (Aachen),  später  Robert  (Rostock). 

I.  M.  Gockel  (Aachen) :  Ueber  Erfolge  mit  Pan- 
kreon. 

Das  Pankreon,  ein  neues  Pankreaspräparat,  ist  ein  staubförmiges 
Pulver  von  hellgrauer  Farbe,  fast  ganz  geruchlos,  von  angenehmem, 
ein  wenig  herbem  Geschmack.  Es  widersteht  bis  zu  fünf  Stunden  der 
Einwirkung  des  Magensaftes.  Redner  wandte  es  in  32  Fällen  an, 
davon  22mal  mit  Erfolg,  3mal  ohne  Erfolg  und  7mal  mit  theilweisem 
Erfolge.  Besonders  günstig  ist  die  Wirkung  bei  Dyspepsien  von 
Kindern  und  Erwachsenen,  bei  chronischen  Diarrhöen,  bei  symptom¬ 
loser  Gastritis  atrophicans  und  Magencarcinom.  Der  Erfolg  äusserte 
sich  in  Hebung  des  Appetits  und  des  Kräftegefühls  und  in  Gewichts¬ 
zunahme.  Bei  mehreren  alten  Fällen,  die  bisher  jeder  Therapie  trotzten, 
war  der  Erfolg  ganz  auffallend.  Dosis  dreimal  täglich  0'3  ff  bei  oder 
nach  dem  Essen. 

II.  R.  Lenzmann  (Duisburg) :  Ueber  Appendicitis 
larvata. 

Redner  schildert  mehrere  Fälle  von  chronischer  Entzündung 
des  Processus  vermiformis,  die  unter  Erscheinungen  verliefen,  die 
lange  Zeit  gar  nicht  auf  den  eigentlichen  Sitz  der  Krankheit  hin- 
deuteten,  und  bezeichnet  solche  Fälle  nach  Ewald  als  Appendicitis 
larvata.  Die  Krankheit  äussert  sich  in  heftigen  Schmerzen  innerhalb 
der  Bauchhöhle  und  Functionsstörungen  der  Verdauungsorgane  ohne 
spontane  Schmerzhaftigkeit  des  Locus  morbi.  Die  Schmerzen  traten 
meist  anfallsweise  auf.  Meist  Hess  sich  jedoch  in  der  rechten  Unter¬ 
bauchgegend  eine  Geschwulst  nachweisen,  die  den  geschwollenen 
Appendix  darstellte.  Nach  operativer  Entfernung  des  Appendix  trat 
stets  völlige  Heilung  ein. 

Discussion:  W.  Müller  (Aachen)  bemerkt,  dass  Fälle,  in 
welchen  sich  der  geschwollene  Appendix  überhaupt  fühlen  lasse,  nicht 
als  Appendicitis  larvata  bezeichnet  werden  können.  Lenzmann 
entgegnet,  das  er  die  Appendicitis  als  larvata  nicht  bezeichnen  wolle 
mit  Rücksicht  auf  die  objectiven  Symptome,  sondern  mit  Rücksicht  auf 


Nr.  41 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


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subjective  Beschwerden,  die  in  seinen  Fällen  viel  eher  auf  irgend  eine 
andere  Erkrankung  deuteten,  als  auf  Appendicitis. 

III.  A.  Smith  (Marbach  am  Bodensee):  Herzuntersuchung 
(mit  Demonstration). 

Zur  Herzuntersuchung  mit  Feststellung  der  wirklichen  Ilerz- 
gi-enzen  bedarf  es  nach  Smith  mehrfacher,  genauer  Percussion,  der 
Phonendoskopie  mit  dem  vom  Redner  veränderten  B  i  a  n  c  h  i’schen 
Phonendoskop  und  der  Aufnahme  von  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bildern.  Dabei  hat 
Smith  gefunden,  dass  bei  derselben  Person  das  Herz  in  seiner 
Grösse  zu  verschiedenen  Zeiten  sehr  variiren  kann,  wofür  er  eine  Reihe 
von  Zeichnungen  nach  genauen  Untersuchungen  vorlegt.  Zum  Schlüsse 
demonstrirt  er  an  einem  Manne,  wie  durch  Trinken  von  % 1  Rothwein 
schon  nach  fünf  Minuten  die  Herzgrenzen  sich  rasch  nach  allen  Seiten 
um  circa  2  cm  erweiterten  in  Folge  acuter  Herzdilatation  durch  den 
gefässerweiternden  Einfluss  des  Alkohols. 

IV.  E.  'Rotschuh  (Managua) :  Die  Syphilis  in 

Nicaragua.  (Der  Vortrag  wird  veröffentlicht  im  Archiv  für  Schiffs¬ 
und  Tropenhygiene.) 

Redner  kommt  zu  folgenden  Schlussresultaten:  Die  Syphilis  in 
Nicaragua  verläuft  kürzer  und  milder.  Der  Primäraffect  ist  vom  Ulcus 
molle  meist  nicht  zu  unterscheiden.  Die  secundären  Formen  zeigen 
ähnliche  Formen  wie  bei  uns,  aber  abgeschwächt;  mehr  hervortretend 
sind  Drüsen-  und  Gelenksaffectionen.  Tertiäre  Symptome  sind  selten  ; 
namentlich  fehlen  die  schweren  Erscheinungen  des  Centralnerven¬ 
systems  (Tabes,  progressive  Paralyse).  Spuren  von  hereditärer  Syphilis 
finden  sich  sehr  häufig;  schwere  Formen  sind  selten.  Die  Ursache  für 
den  milden  Verdauf  ist  in  der  Durchseuchung  der  Bevölkerung  zu 
suchen  (fast  75%),  zum  geringeren  Theile  vielleicht  in  dem  trockenen, 
heissen  Klima. 

V.  F.  Wesener  (Aachen) :  Ueber  Diphtherie  und 
Scharlach. 

Redner  gibt  eine  Uebersicht  über  die  von  ihm  als  Oberarzt  der 
inneren  Abtheilung  des  städtischen  Mariahilfhospitales  zu  Aachen  in 
den  letzten  Jahren  beobachteten  zahlreichen  Fälle  von  Diphtherie  und 
Scharlach. 

In  allen  Fällen  von  Diphtherie  konnten  Diphtheriebacillen  ge¬ 
züchtet  werden;  zuweilen  war  allerdings  wiederholte  Abimpfung  nöthig. 
Der  Tonsillenbelag  enthielt  immer  Diphtheriebacillen,  das  Secret  des 
Larynx  stets.  Während  Baumgarten,  der  bei  allen  Diphtherie¬ 
leichen  Streptococcen  fand,  diese  für  die  Krankheitserreger  hält,  fand 
Wesener  an  Lebenden  in  vielen  Fällen,  besonders  in  Croupfällen, 
keine  Streptococcen.  In  allen  Fällen,  die  zur  Autopsie  kamen,  konnte 
W  e  s  e  n  e  r  post  mortem  stets  auch  Streptococcen  nachweisen.  Unter 
500  Diphtheriefällen  trat  206mal  Albuminurie  auf;  meist  bald,  oft 
schon  in  der  ersten  Woche  mit  meist  leichtem  Verlauf. 

Der  Scharlacherreger  ist  noch  unbekannt,  da  die  bisherigen 
Veröffentlichungen  darüber  nicht  beweisend  sind.  Wesener  glaubt, 
dass  der  Scharlach  eine  Krankheit  ist,  welche  durch  einen  bisher 
noch  unbekannten  Erreger  entsteht,  der  daun  später  durch  andere 
Krankheitserreger  überwuchert  wird.  Die  Scharlach- Nephritis  tritt 
ziemlich  spät  auf,  meist  in  der  dritten  Woche,  und  zeichnet  sich 
oft  durch  schweren  Verlauf  aus.  Oefters  zeigt  sie  hämorrhagische 
Nephritis.  In  den  Fällen,  die  eine  Glomerulonephritis  darstellten, 
waren  in  den  Nieren  zahlreiche  Streptococcen  nachzuweisen.  Das 
Beginnen  der  Nephritis  kündigte  sich  meist  an  durch  leichtes  Fieber 
und  leichte  Angina.  Strengste  Milchdiät  bewährte  sich  bei  Scharlach¬ 
nephritis  als  bestes  Heilmittel.  Wesener  beobachtete,  dass  die 
Nephritis  in  Familien  oft  bei  allen  vom  Scharlach  Befallenen  auftrat, 
während  das  bei  Diphtherie  nicht  der  Fall  war.  Auch  kamen  Scharlach¬ 
rheumatismus  (Affection  der  Gelenke)  und  Scharlachnephritis  niemals 
zusammen  vor.' 

* 

A  b  t  h  e  i  1  u  n  g  für  Chirurgie. 

Referent:  Dr.  Bongar  tz  (Düsseldorf.). 

I.  Sitzung  vom  18.  September. 

Vorsitzender:  Geheimrath  Prof.  Trendelenburg. 

I.  Rosenberger  (Würzburg) :  Ueber  die  Art  und  Be¬ 
deutung  des  chirurgischen  Eingriffes  während 
eines  Typhlitisanfalles. 

Rosenberger  rätb,  namentlich  in  den  sehr  acut  einsetzenden 
Fällen  von  Perityphlitis  während  des  Anfalles  zu  operiren,  sich 
aber  in  allen  Fällen  mit  der  Incision  und  Drainage  zu  begnügen  und 
nicht  nach  dem  Wurmfortsätze  zu  suchen.  Ist  Eiter  vorhanden,  so 
sorgt  man  durch  diesen  einfachen  Eingriff  in  ausreichender  Weise 
für  seinen  Abfluss,  kommt  es  erst  nachträglich  zur  Eiterbildung,  so 
findet  er  den  Weg  nach  aussen  vor.  Der  3 — 6  cm  lange  Operations- 
scbnitt  wird  bis  zum  Peritoneum  vertieft,  dann  wird  stumpf  mit  dem 
Finger  vorgegangen.  Die  Wunde  wird  durch  Naht  bis  zum  Lumen 


des  Drains  geschlossen.  Bei  etwaigen  Recidiven  empfiehlt  Rose  n- 
b  erg  er  die  nachträgliche  Entfernung  des  Appendix.  Von  15  ge¬ 
heilten  Fällen  sind  bis  jetzt  12  ohne  Recidiv  geblieben.  In  11  Fällen 
fand  sich  Eiter  und  Jauche,  in  4  Fällen  kein  Secret;  in  2  Fällen 
kam  es  nachträglich  zur  Absonderung  kothigen  Eiters.  Die  Operation 
soll,  zur  rechten  Zeit  vollzogen,  in  allen,  selbst  in  anscheinend  ver¬ 
zweifelten  Fällen  genügen;  zu  spät  gemacht,  helfe  überhaupt  keine 
Operation  mehr.  Rosenberger  rühmt  als  besondere  Vorzüge  des 
Eingriffes  dessen  Leichtigkeit  und  den  Umstand,  dass  er  vom  Haus¬ 
arzte  im  Hause  des  Kranken  vorgenommen  werden  könne. 

Die  in  der  Discussion  von  Müller  (Aachen)  gestellte  Frage, 
ob  die  etwa  später  nothwendig  werdende  Entfernung  des  Wurmfort¬ 
satzes  grössere  technische  Schwierigkeiten  biete,  wird  vom  Vor¬ 
tragenden  verneint. 

II.  Bardenheuer  (Köln):  Behandlung  des  Pana¬ 
ritium  tendinosum  und  par  atendinosum. 

Bardenheuer  weist  darauf  hin,  dass  diese  wichtige  und  oft 
so  folgenschwere  Erkrankung  in  der  Literatur  nicht  die  gebührende 
Berücksichtigung  gefunden  habe.  Eine  eigene  Erkrankung  an  einem 
Panaritium  paratendinosum,  das  zur  Versteifung  des  Fingers  führte, 
veranlasste  ihn,  sich  in  letzter  Zeit  näher  mit  diesen  Leiden  zu  be¬ 
schäftigen.  Bardenheuer  warnt  davor,  sich,  wie  noch  einige 
Chirurgen  es  thun,  aus  Furcht  vor  Blosslegung  der  ganzen  Sehne  mit 
kleinen  multiplen  Incisionen  zu  begnügen;  mit  Helfer  ich  steht  er 
auf  dem  Standpunkte,  die  Sehne  bei  Erkrankung  der  Sehnenscheide 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  blosszulegeu,  wenn  nöthig  von  der 
Fingerspitze  bis  zum  Ellbogen.  Der  Schnitt  wird  an  der  radialen  Seite 
des  Fingers  in  der  Mitte  zwischen  dorsaler  und  volarer  Fläche  1  cm 
von  der  Sehne  entfernt  geführt,  damit  die  Sehne  von  den  Weiehtheilen 
bedeckt  bleibt.  Handelt  es  sich  um  ein  Panaritium  paratendinosum, 
so  ist  die  Sehnenscheide  unter  allen  Umständen  zu  schonen,  auch 
wenn  sie  schwarz  verfärbt  erscheint.  Bei  der  tendinösen  Form  mit 
aufgetriebener  Sehnenscheide  wird  diese  eröffnet,  wobei  aber,  wenn 
irgend  angängig,  die  Ligamenta  annularia  der  Phalangealgelenke 
geschont  werden  müssen. 

In  die  Wundhöhle  wird  ein  einfacher  Jodoformgazestreifen 
gelegt,  der  acht  Tage  liegen  bleibt,  die  Wunde  dann  nach  Helferich’s 
Methode  mit  einem  hydropathischen  Verband  bedeckt,  der  täglich 
erneuert  wird.  Nun  kommt  es  für  das  functioneile  Resultat  darauf  an, 
möglichst  bald  einen  aseptischen  Heilungsverlauf  zu  erzielen.  Gelingt 
dies  nicht  nach  etwa  14  Tagen,  so  ist  die  Function  trotz  erhaltener 
Sehne  meist  verloren  und  bei  lang  anhaltenden  Eiterungen  ist  es 
gleicligiltig,  ob  die  Sehne  erhalten  ist  oder  nicht,  da  die  Function 
sicher  erloschen  ist.  Hat  man  nach  acht  Tagen  aseptischen  Verlauf 
erzielt,  so  genügt  es  noch,  die  Wundränder  zu  ihrer  Vereinigung  an¬ 
einander  zu  drücken,  bei  späterem  Eintritte  der  Asepsis  ist  wegen  der 
Schrumpfung  des  Lappens  zur  Deckung  der  Sehne  meist  eine  Lappen¬ 
verschiebung  nöthig.  Den  hiedurch  in  der  Handfläche  entstehenden 
Hautdefect  deckt  Bardenheuer  durch  einen  K  raus  e’schen  Lappen. 
In  den  für  die  spätere  Function  so  ungünstigen  Fällen,  wo  es  zu 
einer  Panphlegmone  der  Hand  kommt,  der  Process  auf  deD  Oberarm 
übergreift  und  die  benachbarten  Flexorensehnen  mit  ergriffen  werden, 
gelang  es  Bardenheuer,  wie  zwei  demonstrirte  Fälle  beweisen, 
wiederholt,  der  verkrüppelten  Hand  eine  gewisse  active  Beweglichkeit 
der  Fingergelenke  wiederzugeben  durch  Excision  der  callösen  Narben¬ 
massen;  in  zwei  Fällen  resecirte  er  zu  diesem  Zwecke  mit  Erfolg 
nachträglich  das  Handgelenk.  Als  Cardinalregeln  stellt  er  folgende 
Sätze  auf:  1.  Die  Operation  soll  in  Chloroformnarkose  gemacht 
werden.  Locale  Anästhesie  ist  zu  verwerfen.  2.  Um  das  Operations¬ 
feld  gründlich  übersehen  zu  können,  ist  die  volle  Esmarc  h’sche 
Blutleere  anzuwenden.  3.  Man  soll  möglichst  sofort  operiren  und  keine 
Zeit  mit  Anwendung  feuchter  Verbände  verlieren.  4.  Bei  Panaritium 
paratendinosum  ist  unter  allen  Umständen  die  Sehne,  bei  Panaritium 
tendinosum  sind  die  Ligamenta  annularia  zu  schonen.  5.  Es  sind 
möglichst  bald  active  Bewegungen  in  den  Gelenken  vorzunehmen. 

Discussion:  Rosenberger  (Würzburg)  hält  lange 

Incisionen  nicht  für  nöthig  und  verwirft  sie  wegen  der  starken  Narben¬ 
bildung. 

Bardenheuer  widerspricht,  namentlich  mit  Rücksicht  auf 
die  Gefahr  der  Erkrankung  der  benachbarten  Sehnen  und  des  Weiter¬ 
kriechens  des  Eiters. 

Müller  (Aachen)  steht  ganz  auf  dem  Standpunkte  Barden- 
h  eue  r’s  und  betont  besonders  die  Wichtigkeit  der  exacten  E  s  m  a  r  c  fa¬ 
schen  Blutleere. 

III.  Barden  heu  er  (Köln):  Ueber  Kapselverengerung 
bei  Gelenksaffectionen. 

Bar  den  heuer  beobachtete,  dass  man  das  ganze  Kniegelenk 
extracapsulär  freilegen  kann,  ohne  mit  dem  Gelenk  in  Berührung 
zu  kommen. 

Dieses  extracapsuläre  Vorgehen  eignet  sich  1.  für  die  habituelle 
Luxation  der  Kniescheibe,  2.  für  das  Schlotterknie,  3.  für  Erschlaffungs- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  DUO. 


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zustande  des  Gelenkes  nach  arthritiseben  Processen  und  traumatischem 
Hydrops. 

Bei  der  Operation  der  habituellen  Patella  Luxation  dringt 
Bar  den  heu  er  mit  einem  halbmondförmigen  Schnitt,  der  an  der 
inneren  $eito  des  Gelenkes  im  Bogen  verläuft,  auf  die  Capsula  fibrosa 
ein.  Extrasynovial  wird  die  Capsula  fibrosa  und  das  Ligament,  patellare 
quer  durchtrennt,  sodann  der  hintere  Rand  der  fibrösen  Kapsel  über 
den  vorderen  gezogen  und  vernäht.  Der  Vastus  intern,  wird  abgelöst 
und  an  die  Patella  genäht,  der  äussere  sich  selbst  überlassen.  Nun 
kann  die  Patella  nicht  mehr  verschoben  werden  und  sie  liegt  fest 
zwischen  den  Condylen. 

In  zwei  so  operirten  Fällen  war  das  Resultat  nach  einem  halben 
Jahre  vorzüglich. 

Dasselbe  Verfahren  wandte  Bar  den  heu  er  mit  Erfolg  bei 
Genu  valgum  an  und  empfiehlt  es  für  die  Fälle,  wo  nach  der  Ope¬ 
ration  des  Genu  valgum  ein  Schlottergelenk  bleibt.  Gleich  gute  Re¬ 
sultate  lieferte  die  Methode  in  einem  Falle  von  Erschlaffung  des  Knie¬ 
gelenkes  nach  chronischem  Hydrops  und  in  einem  weiteren  Falle  von 
beiderseitiger  Luxation  der  Tibia  nach  hinten  in  Folge  von  Gelenks¬ 
rheumatismus. 

Discussion:  Trendelenburg  (Leipzig)  wandte  ver¬ 
schiedene  Operationsmethoden  bei  der  habituellen  Luxation  der  Patella 
mit  wechselndem  Resultate  an.  Er  glaubt  nicht,  dass  diese  Luxation 
stets  traumatischer  Herkunft  sei,  sondern  dass  die  Erblichkeit  dabei 
eine  sehr  grosse  Rolle  spiele.  In  einem  Falle  meisselte  Trendele  n- 
burg  die  Tuberositas  tibiae  ab,  nagelte  die  Patella  auf  und  verlagerte 
sie  so  nach  aussen.  Nach  anfänglichem  Erfolg  stellte  sich  später  die 
Luxation  von  Neuem  ein. 

In  einem  anderen  Falle  legte  er  den  Condylus  intern,  durch 
einen  Schnitt  an  der  inneren  Seite  des  Gelenkes  frei,  meisselte  vor¬ 
sichtig  in  frontaler  Richtung  in  den  Condyl.  intern,  ein  und  schob  in 
den  Spalt  einen  Elfenbeinstift,  auf  dem  die  Patella  fixirt  wurde.  Dadurch 
wurde  der  Condyl.  extern,  erhöht.  Das  Gelenk  musste  natürlich 
eröffnet  werden.  Ueber  das  Dauerresultat  lässt  sich  bei  der  Kürze  der 
verflossenen  Zeit  noch  nichts  sagen. 

IV.  Bartz  (Eschweiler):  Dauererfolg  der  operativ 
behandelten  Bauchfelltube  rculose. 

Bartz  berichtet  über  drei  durch  den  Bauchschnitt  dauernd 
geheilte  Fälle  von  Peritonealtuberculose  mit  Ascites.  Die  Kranken 
wurden  in  den  Jahren  1895,  1896  und  1897  operirt.  Der  zuerst 

operirte  Kranke  starb  vor  einiger  Zeit,  also  fünf  Jahre  nach  der 
Operation,  an  Fettherz. 

Bartz  spricht  über  die  bekannten  Theorien  zur  Erklärung  der 
Heilwirkung  des  Bauchschnittes;  er  glaubt,  dass  die  Stauungshyper¬ 
ämie  die  Hauptrolle  dabei  spiele. 

V.  Bartz  (Eschweiler) :  Operation  einer  Spina 

bifida. 

Bartz  operirte  einen  Fall  von  Spina  bifida  nach  dem  Verfahren 
von  Schmid  t,  das  er  als  das  beste  empfiehlt.  Der  strausseigrosse 
Sack  wurde  bis  zur  Bruchpforte  freigelegt,  dann  punctirt.  Auf  den 
zusammenfallenden  Sack  wird  eine  Sonde  gelegt  und  über  diese  die 
Sackwand  in  Etagen  genäht.  Das  plastische  Resultat  war  gut;  die  In¬ 
continentia  alvi  et  urinae  ist  nicht  verschwunden. 

VI.  Landow  (Wiesbaden):  Centrales  Osteom  des 
Humerusschaftes. 

Bei  einem  Patienten,  der  früher  an  Rachitis  gelitten  hatte, 
stellten  sich  seit  Jahren  nach  geringen  Anlässen  Schmerzen  im  linken 
Humerus  ein.  Vor  P/a  Jahren  wurde  eine  Anschwellung  am  linken 
Oberarm  bemerkt,  die  ganz  langsam  gewachsen  ist.  Bei  der  Unter¬ 
suchung  findet  sich  eine  spindelförmige  Knochenauftreibung  des  linken 
Humerus.  Da  ein  Sarkom  des  langsamen  Wachsthums  wegen  nicht 
wahrscheinlich,  wird  die  Diagnose:  Enchondrom  gestellt.  Das  Rönt¬ 
gen-  Bild  zeigt  einen  central  gelegenen  Tumor  mit  knöcherner  Schale. 
Bei  der  Operation  findet  sich  ein  von  periostaler  Hülle  umgebener, 
central  gelegener,  eiförmiger,  fast  pflaumenförmiger  Tumor,  der  durch 
einen  bindegewebigen  Stiel  mit  dem  Periost  des  Humerus  zusammen¬ 
hängt.  Es  war  ein  Osteom.  Nach  Landovv's  Meinung  liefert  dieser 
lall  den  bis  jetzt  noch  fehlenden  Beweis  für  die  wiederholt  ausge¬ 
sprochene  Ansicht,  dass  Enchondrome  und  Osteome  sich  auf  dem  Boden 
versprengter  Knorpelinseln  entwickeln. 

VII.  W.  Müller  (Aachen) :  Demonstration  zur  Frage 
der  Osteoplastik. 

1.  Vorstellung  zweier  mit  schönem  Resultat  geheilter  Fälle  von 
Spina  ventosa,  in  denen  Müller  frühzeitig  den  ganzen  Metacarpus 
entfernte  und  durch  Autoplastik  aus  der  Ulna  ersetzte. 

2.  Vorstellung  eines  Falles  von  osteoplastischer  Deckung  einer 
sincipitalen  Encephalocele. 

Es  bestaud  starke  intracranielle  Drucksteigerung.  Zur  Schliessung 
des  Defectes  war  eine  viermalige  Operation  nöthig.  Das  Resultat  ist, 


wie  die  vorgestellte  Kranke  bewoist,  sehr  schön  ;  die  Stelle  des  ge¬ 
schlossenen  Defectes  ist  aneurysmaartig  vorgewölbt.  Die  Schwierigkeit, 
einen  guten  dauernden  Verschluss  zu  erhalten,  liegt  in  dem  Schicksal 
des  Lappens,  der  dazu  neigt,  allmälig  immer  dünner  zu  werden  und 
daher  von  innen  wie  arrodirt  aussieht. 

3.  Sehnenüberpflanzung. 

In  einem  Falle  von  totaler  irreparabler  Radialislähmuug  über¬ 
pflanzte  Müller  den  Flexor  carpi  radialis  und  ulnaris  auf  das  Dorsum. 
Der  functionelle  Erfolg  war,  wie  die  Demonstration  des  Falles  zeigt, 
recht  befriedigend. 

VI II.  Frank  (Köln) :  Zur  Kenntniss  der  Knochen- 
trans  plantation. 

Redner  spricht  über  die  Behandlung  der  Fälle  von  Spina  ventosa, 
in  denen  mehrere  nebeneinander  gelegene  Metacarpi  gleichzeitig  erkrankt 
sind.  In  diesen  Fällen  werden  in  der  Bardenheue  r'schen  Klinik 
die  entfernten  Metacarpi  durch  Heteroplastik  ersetzt.  In  einem  durch 
R  ö  n  t  ge  n  -  Bilder  erläuterten  Falle  wurde  der  von  einem  frisch 
Amputirten  gewonnene,  erst  ausgekochte,  dann  in  Kochsalzlösung 
gelegte  Knochen  in  die  erhaltene  Periosthülle  der  resecirten  Metacarpi 
eingelegt  und  die  Weichtheile  darüber  vernäht.  Der  transplantirte 
Knochen  soll  nur  bis  zur  natürlichen  Knochenneubildung  vom  Periost 
aus  als  Stütze  der  Hand  eingeschaltet  werden.  Ueber  das  spätere 
Schicksal  der  transplantirten  Knochen  spricht  sich  Frank  nicht  aus. 

Frank  demonstrirt  im  Röntgen-  Bilde  einen  weiteren 
Fall  von  Autoplastik  bei  Spina  ventosa,  der  ein  schönes  Resultat 
lieferte. 

IX.  S  c  h  u  1 1  z  e  (Duisburg):  Ueber  Klemmnaht. 

Schultze  lässt  nach  Operationen  die  Wundränder  der  Haut 

spannen,  so  dass  sie  aneinander  liegen.  Dann  legt  er  im  Abstand  von 
2  cm  Klemmpincetten  an,  die  die  Wunde  zusammenpresssen.  Zwischen 
den  Klemmen  werden  schmale  Gazestreifen  mit  Collodium  befestigt. 
Sind  diese  fest  angetrocknet,  so  werden  die  Klemmen  abgenommen. 
Bei  Laparotomiewunden  ist  das  Verfahren  nicht  zu  verwenden,  dessen 
Vorzug  vor  der  gewöhnlichen  Naht  in  der  Unmöglichkeit  einer  Infection 
von  Stichcanälen  aus  besteht, 

X.  L  o  n  g  a  r  d  (Aachen) :  Krankenvorstellung,  Fälle 
von  Verletzung  des  Sp  rachcentrums. 

Es  handelte  sich  in  beiden  Fällen  um  eine  ausgedehnte,  compli- 
cirte  Fractur  des  linken  Schläfenbeines  etwa  2 — 3  cm  über  dem  Ohr, 
Bei  dem  ersten  Kranken  fand  sich  eine  ausgedehnte  Zertrümmerung 
der  Gehirnmasse  unter  der  Fracturstelle  in  der  Gegend  der  Central¬ 
windung.  Es  musste  etwa  ein  Esslöffel  voll  Gehirnsubstanz  entfernt 
werden.  Bei  diesem  Kranken  bestand  kurz  nach  der  Verletzung  etwa 
14  Tage  lang  die  als  Monophasie  bezeichnete  Sprachstörung.  Auf  alle 
Fragen  gab  er  trotz  offenbaren  Verständnisses  für  deren  verschiedenen 
Inhalt  stets  die  gleiche  Antwort:  „Bitte,  bitte“.  In  der  diitten  Woche 
nach  der  Verletzung  nahm  der  Wortschatz  des  Kranken  allmälig  zu 
und  nach  sechs  Wochen  beherrschte  er  die  Sprache  wieder  in  vollem 
Umfange.  Lähmungserscheinungen  waren  in  dem  Falle  nicht  vorhanden. 
Es  ist  sehr  auffallend,  dass  trotz  des  verhältnissmässig  so  grossen  Ver¬ 
lustes  an  Gehirnsubstanz  aus  der  functionell  so  ungemein  wichtigen 
linken  Centralwindung  und  der  Sprachregion  bei  dem  Kranken  keine 
Spur  von  Ausfallserscheinungen  vorhanden  ist. 

Dem  zweiten  (vorgestellten)  Kranken  fiel  eine  schwei  e  Steinlast 
auf  den  Kopf.  An  der  Bruchstelle,  etwa  3  cm  über  dem  linken  Ohr, 
fand  sich  ein  runder,  pflaumengrosser  Stein,  der  ziemlich  tief  in  die 
Gehirumasse  eingedrungen  war.  Dieser  Fall  verlief  nicht  so  günstig, 
wie  der  vorhergehende.  Es  bestand  vom  Anfang  an  das  ausgesprochene 
Bild  der  motorischen  Aphasie  und  Aphonie.  In  der  dritten  Woche 
nach  der  Verletzung  litt  der  Patient  an  traumatischem  Irresein  und 
wurde  einer  Irrenanstalt  überwiesen.  Hier  verlor  sich  die  Geistes¬ 
störung  langsam  und  heute  sind  dio  geistigen  Functionen  des  Kranken 
ganz  normal.  Der  vorgestellte  Patient  zeigt  jetzt  ausser  einer  mulden¬ 
förmig  eingezogenen  Narbe  über  dem  linken  Ohr,  einer  geringen 
Parese  des  rechten  Oberarmes  und  einem  leicht  spastischen  Gang  das 
classische  Bild  der  motorischen  Aphasie.  Abgesehen  von  wenigen 
Wörtern  ist  er  nicht  im  Stande,  für  den  klar  erkannten  Gegenstand 
und  den  geistig  vorhandenen  Wortbegriff  das  Wort,  das  ihm  sozu¬ 
sagen  auf  der  Zunge  schwebt,  auszusprechen.  Den  an  die  Tafel  ge¬ 
schriebenen  Satz:  „Sie  dürfen  morgen  Nachmittags  nach  Hause 
gehen“,  liest  er  mit  offenbarem  Verständniss,  kann  aber  nur  die  beiden 
Worte:  „nach  Hause“  aussprechen.  Die  Zahlen  von  eins  bis  sieben 
schreibt  er  selbst  an  die  Tafel  und  gibt  auf  Befragen  ihre  Bedeutung 
durch  Fingerzeichen  rasch  und  richtig  an,  ohne  im  Stande  zu  sein, 
für  eine  einzige  die  Sprache  zu  finden.  Schriftlich  gibt  der  Kranke 
auf  alle  Fragen  klare  Antwort.  Ob  sein  in  letzter  Zeit  um  einige 
Wörter  bereicherter  Wortschatz  weiter  zunehmen  wird,  ist  abzuwarten. 


Nr.  41 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


949 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung). 

Ab  t  h  e i 1 u  n  g  für  Kinderheilkunde. 

V.  Moussous:  Ueber  die  klinischen  Formen  der 
Tuberculose  des  ersten  Lebensalters.  (Ref.  Dr.  Sp.) 

Generalisirte  Formen.  Während  der  zweiten  Kindheit 
scheint  die  Tuberculose  ihre  Eigenschaften  einer  allgemeinen  Krank¬ 
heit  abzustreifen,  um  die  Maske  eiuer  localen  Krankheit  anzunehmen. 

Ausser  ihrer  Localisation  im  Lungengewebe,  welches  in  allen 
Perioden  ihres  Bestehens  sich  als  der  Lieblingssitz  der  bacilläron 
Keime  bewährt,  beobachtet  man,  vom  zweiten  oder  dritten  Lebensjahre 
angefangen,  folgende  gut  individualisirte  klinische  Arten  (ohne  die 
chirurgischen  Tuberculosen  hinzuzurechnen):  Die  chronische  tuber¬ 
culose  Bauchfellentzündung,  die  primitive  tuberculose  Hirnhautent¬ 
zündung  und  die  Gehirntuberkeln,  die  Adenopathie  in  der  Luftröhre 
und  in  den  Bronchien,  die  A  d  d  i  s  o  n’sche  Krankheit  u.  s.  w.  Diese 
Vielfachheit  der  localen  Formen,  zu  welchen  man  auch  eine  allgemeine 
aber  heilbare  Form  hinzufügen  kann,  nämlich  das  prägranulirte  tuber¬ 
culose  Fieber  oder  die  Typhobacillose,  existirt  nicht  in  der  ersten 
Kindheit.  Vor  dem  zweiten  Jahre  könnte  man  einige  differente,  klini¬ 
sche  Typen,  die  wir  oben  angeführt  haben,  citiren;  jedoch  sind  dies 
Ausnahmen,  welche  in  einer  Gesammtstudie  keinen  Platz  einnehmen 
können. 

Die  Tuberculose  des  ersten  Alters,  unter  Beschränkung  der 
Localisationen  im  Atlmiungsorgane  (Lungen,  Rippenfell,  Bronchial¬ 
drüsen),  welche  in  einem  anderen  Berichte  besprochen  werden,  stellt 
sich  für  gewöhnlich  als  allgemeine  Krankheit  dar. 

Vom  Standpunkte  ihres  Ursprungs  ist  die  Tuberculose  des  ersten 
Alters  hereditär  oder  erworben. 

Wie  unbestreitbar  auch  die  tuberculose  Heredität  (heredite  de 
graine)  ist,  so  ist  es  sehr  schwer,  ihre  Häufigkeit  abzuschätzen.  Die 
nicht  zu  besprechenden  Thatsachen  von  typischer  Heredo- 
Tuberculose  sind  zu  selten,  um  davon  noch  eine  klinische  Be¬ 
schreibung  geben  zu  können. 

Im  Gegentheil,  man  kann  eine  erworbene  Tuberculose  des  ersten 
Alters  nicht  beschreiben,  ohne  sofort  ein  Bild  dieses  organischen  Zer¬ 
falles,  dieser  speciellen  Dystrophie,  welche  bei  gewissen  Kindern  tuber- 
culöser  Eltern  beobachtet  wurde,  und  die  man  als  atypische 
Heredo-Tuberculose  bezeichnet,  zu  geben.  Unter  diesen  Dystro¬ 
phsten  fordert  die  Tuberculose  die  meisten  Opfer. 

Das  Ergriffensein  des  Organismus  von  den  Bacillen  verräth  sich 
nicht  immer  oder  sogleich  durch  krankhafte  Symptome:  die  Tuber¬ 
culose  ist  sodann  latent. 

So  lange  sie  in  d  e  r  Entwicklung  begriffen  ist,  zeigt  die 
Tuberculose  bei  Kindern  des  ersten  Alters  zwei  klinisch  unterschiedene 
Formen : 

A.  Die  allgemeine  acute  Tuberculose;  einhergehend 
mit  Fieber,  zeigen  die  allgemeinen  und  localen  Symptome  die  Allüren 
einer  acuten  infectiösen  Krankheit. 

B.  Die  chronische  allgemeine  Tuberculose.  Dif¬ 
fuse  Tuberculose  von  Aviragnet:  apyretische,  chronische,  allgemeine 
Tuberculose  von  M  arf  a  n,  mit  allen  Zügen  einer  Kacbexie. 

Kann  man  ausserdem  noch  eine  subacute  Form  annehmen? 

Diese  Frage  führt  dahin,  vom  klinischen  Standpunkte  bei  den 
kleinen  Kindern  die  Coexistenz  der  Tuberculose  mit  anderen  Infections- 
krankheiten,  Gastro-Enteritis,  Masern,  Keuchhusten.  Diphtherie  u.  s.  w. 
zu  betrachten. 

Unter  den  verschiedenen  Typen  ist  die  Tuberculose  des  ersten 
Alters  gewöhnlich  mit  einer  besonderen  Anschwellung  der  Lymph- 
drüsen  begleitet;  diese  Anschwellung  wäre  nach  gewissen  Schriftstellern 
sogar  der  einzige  Ausdruck  der  Tuberculose:  „m  i  c  r  o  p  o  1  y  a  d  e  n  o- 
pathie  generalisee“.  Endlich  reiht  sie  sich  sehr  häufig  an 
Gehirnzufälle,  welche  sich  mit  einer,  von  der  tuberculosen  Hirnhaut¬ 
entzündung  älterer  Kinder  unterschiedener  Physiognomie  entwickeln: 
Tuberculose  Meningitis  der  Säuglinge. 

Das  wichtigste  Capitel  ist  die  Frage  der  Diagnose. 

Gross  ist  die  Schwierigkeit,  bei  Kindern  des  ersten  Alters  die 
Tuberculose  klinisch  zu  erkennen.  Die  grossen  Zeichen,  welche  in 
anderen  Lebensperioden  die  tuberculose  Vergiftung  des  Organismus 
anzeigen:  Anämie,  neuro-musculäre  Asthenie,  Abmagerung,  Tachycardie, 
sind  hier  von  schwacher  Hilfe;  dasselbe  kann  man  über  die  Nach¬ 
forschungen  der  Urinsecretion  angeben. 

Viel  hatte  man  gehofft  auf  die  Constatirung  der  micropolyadeno- 
pathie  generalisee,  aber  dieseses  Zeichen  ist  nicht  pathognomoniscb. 

Die  Diagnostik  verdient  succesive  nach  den  zwei  Formen,  welche 
wir  angenommen  haben,  betrachtet  zu  werden. 

Man  muss  unterscheiden  die  erste  Form  der  Gastro-Enteritis  und 
des  typhösen  Fiebers;  die  zweite  Form  der  Atrepsie,  der  gastro¬ 


intestinalen  Kachexie,  der  syphilitischen  Kachexie,  der  Sumpfkachexie, 
der  pyodermischen  Kachexie,  endlich  der  Anämien  mit  Megalosplenie. 

Kann  man  im  Falle  der  Verzögerung  oder  um  eine  latente 
Tuberculose  zu  entdecken,  zu  den  Injectionen  von  Tuberculin  oder 
von  künstlichem  Serum  (Methode  von  S  i  r  o  t)  seine  Zuflucht  nehmen? 
Diese  Frage,  die  Vor-  und  Nachtheile  dieser  Methoden  werden  in  einem 
anderen  Berichte  studirt  werden.  Aber  wir  wollen  die  Aufmerksamkeit 
auf  ein  neues  diagnostisches  Mittel  lenken,  welches,  ohne  noch  voll¬ 
kommen  erprobt  zu  sein,  sich  schon  heute  hoffnungsvoll  ankündigt. 
Es  ist  dies  die  tuberculose  Serum-Reaction,  von  A  r  1  o  i  n  g 
und  Courmont  studirt  und  von  B  u  a  r  d  im  Kinderspitale  zu  Bor¬ 
deaux  versucht,  welche  die  ermuthigendsten  Resultate  ergeben  bat. 

VI.  Richardiere  (Paris) :  Ueber  die  klinischen 
Formen  der  Tuberculose  des  ersten  Alters.  (Ref.  Dr.  Sp.) 

In  diesem  Berichte  über  die  klinischen  Formen  der  Tuberculose 
des  ersten  Alters  werde  ich  besonders  die  Symptomatologie  und 
klinische  Entwicklung  der  Tuberculose  bei  allen  jungen  Kindern  be¬ 
sprechen  und  in  besonderer  Weise  die  broncho  pulmonären  und 
tracheo-bronchialen  ganglionären  Krankheitsneigungen  hervorheben. 

Die  drei  anderen  Correferenten,  welche  den  Begriff  des  ersten 
Alters  (von  der  Geburt  bis  zu  2  und  2*/2  Jahren  nach  meiner  Meinung) 
festgestellt  haben,  werden  die  Aetiologie,  die  Tuberculisirung  der 
Kinder  durch  Vererbung  des  Keimes  oder  durch  Uebertragung  durch 
das  Terrain,  die  pathologische  Anatomie,  die  Behandlung  u.  s.  w. 
studiren.  Moussous  und  ich  werden  ausserdem  den  klinischen  T heil 
wahrnehmen. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  werde  ich  meinen  Bericht  in  vier 
Punkte  eintheilen :  A.  Allgemeine  Charaktere  der  Tuberculose. 
B.  Klinische  Formen.  C.  Gemeinschaftliche  Symptome.  D.  Neue  Me¬ 
thoden  der  Diagnostik  der  kindlichen  Tuberculose  und  Beurtheilung 
des  Werthes  jeder  dieser  Methoden. 

A.  Allgemeine  Charaktere. 

Bei  Kindern  im  ersten  Alter  ist  die  Tuberculose  beinahe  immer, 
■wenn  nicht  immer,  mehr  oder  minder  eine  allgemeine  Tuberculose, 
welche,  im  Beginne  an  ein  Organ  (besonders  an  die  Lymphdrüsen) 
gebunden,  sich  in  der  letzten  Periode  der  Krankheit  allgemein 
ausbreitet. 

In  Folge  dieser  Tendenz  zur  Generalisation,  ihres  rapiden  \  er- 
laufes,  der  Betheiligung  des  lymphatischen  Systems  bei  ihrer  Aus¬ 
breitung,  ist  die  kindliche  Tuberculose  des  ersten  Alters  mit  der  experi¬ 
mentellen  Tuberculose  vergleichbar. 

Die  Ursachen  der  allgemeinen  Ausbreitung  der  Tuberculose  bei 
jungen  Kindern  werden  untersucht  und  discutirt  werden.  Man  kann 
dies  durch  die  Thätigkeit  und  Bedeutung  des  lymphatischen  Systems 
in  diesem  Lebensalter,  durch  die  ätiologischen  Bedingungen  (Heredität 
des  Keimes  oder  Heredität  der  weniger  widerstandsfähigen  Gewebe 
gegenüber  dem  Tuberkelbacillus)  erklären.  Die  Generalisation  der 
Tuberculose  erklärt  sich  auch  vielleicht  durch  die  1  hatsache,  dass  die 
zarten  Gewebe  des  Kindes  von  der  Wirkung  des  Bacillus  noch  nicht 
beeinflusst  sind  und  noch  nicht  befähigt  sind,  um  demselben  zu  wider¬ 
stehen.  Die  kindlichen  Gewebe  werden  gegen  den  Bacillus  noch  nicht 
geimpft  sein.  Durch  diese  Hypothese  würde  sich  die  grössere  Wider¬ 
standskraft  der  Erwachsenen,  bei  welchen  gerne  locale  Tuberculosen 
auftreten,  durch  eine  Reihe  fortgesetzter  Impfungen  erklären. 

Die  Häufigkeit  der  Tuberculose  des  ersten  Alters  wird  durch 
die  Statistiken  von  Rilliet  und  Bar  the  z,  Her  vieux,  Lan- 
d  o  u  z  y  und  Quey  rat,  H  u  t  e  n  e  1,  Aviragnet,  Froebelius, 
Schwer  u.  s.  w.  festgestellt  werden. 

B.  Klinische  Formen  der  Tuberculose  der  Kinder  im 

ersten  Alter. 

Man  kann  dieselben  in  verschiedene  Gruppen  eintheilen: 

1.  Allgemeine  infantile  Tuberculosen,  ohne  specielle  Localisation 
mit  acutem  Verlaufe.  Hieher  gehören: 

ft)  die  primitiven,  subacuten,  infectiösen,  tuberculosen  lieber 
von  Landouzy,  bei  welchen  sich  die  Krankheit  wie  eine  typhoide 
Infection  entwickelt  und  bei  welchen  man  bei  der  Section  keine 
geformten  Tuberkeln,  sondern  blos  Bacillen  findet.  Dieses  wären  die 
bacillären  Tuberculosen  ohne  Tuberkeln; 

b)  die  granulirten  acuten  Tuberculosen  (granulie  d’Empis).  Bei 
dieser  Form  präsentirt  sich  die  Tuberculose  klinisch  wie  ein  typhoides 
Fieber,  bezüglich  ihres  Verlaufes  kann  man  diese  Form  in  zwei  ^  arie¬ 
täten,  die  einfache  typhoide  und  die  abgeschwächte  typhoide  form, 
eintheilen. 

2.  Allgemeine  infantile  Tuberculosen  mit  acutem  Verlaufe  und 
Localisation  in  den  Bronchien  und  Lungen. 

Dies  sind  jene  Tuberculosen,  welche  ich  in  Uebereinstimmung 
mit  den  Correferenten  speciell  studiren  werde.  Ich  werde  zeigen,  dass 
in  Rücksicht  auf  die  Generalisation  der  Tuberkeln  im  1  .ungengewebe 
diese  Formen  zumeist  gemischt  sind. 


950 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  41 


Um  die  Beschreibung  und  das  klinische  Studium  zu  erleichtern, 
kann  man  diese  Gruppe  der  acuten  broncho  pulmonären  Tuberculosen 
eintheilen  in: 

a)  bronchitische, 

b)  asthmatische  oder  suffocante, 

c)  broncho-pneumonische, 

d)  spleno-pneumonische, 

e )  pleuritische  Form. 

3.  Kindliche  Tuberculose  mit  langsamem  Verlauf  (gewöhnliche 
Lungenphthise). 

Diese  Tuberculosen  nähern  sich  denen  der  Erwachsenen  durch 
ihren  langsamen  Verlauf;  sie  unterscheiden  sich  durch  ihre  Tendenz, 
sich  in  der  letzten  Periode  der  Krankheit  zu  generalisiren. 

In  dieser  Gruppe  hat  Marfan  eine  Form  unter  dem  Namen 
der  generalisirten,  chronischen,  apyretischen  Tuberculose  der  Säuglinge 
und  der  Kinder  im  ersten  Alter  bezeichnet. 

Eine  andere  ist  die  ulceröse  Phthise  mit  langsamem  Verlaufe 
(selten  in  der  Kindheit),  wo  sie  gewisse  besondere  Charaktere, 
sowohl  bezüglich  der  Lungen-,  als  auch  der  allgemeinen  Symptome 
darbietet. 

Noch  gehört  in  diese  Gruppe  die  Drüsenphthise  (adenopathie 
tracheo  bronchique  tuberculeuse). 

C.  Die  Symptome,  welche  allen  Formen  der  kind¬ 

lichen  Tuberculose  gemeinschaftlich  sind. 

Vom  Standpunkte  der  Aetiologie  muss  man  die  Wichtigkeit 
einiger  Infectionskrankheiün  (Masern  und  Diphtherie)  hervorheben. 

In  der  allgemeinen  Symptomatologie  werde  ich  den  äusseren 
Habitus  tuberculöser  Kinder,  Temperatur,  Puls,  Athmung,  den  Zustand 
der  Verdauungsorgane,  die  Abmagerung  trotz  bestehenden  Appetites, 
die  Prüfung  des  Urins,  den  Zustand  von  Leber  und  Milz,  die  Hyper¬ 
trophie  der  Lymphdrüsen  studiren. 

D.  Diagnostische,  neuesten  s  empfohlene  Mittel.  Be¬ 
il  r  t  h  e  i  1  u  n  g  ihres  W  e  r  t  h  e  s. 

Nur  ein  diagnostischer  Vorgang  besitzt  eine  absolute  Gewiss¬ 
heit.  Dies  ist  die  Constatirung  von  Bacjllen  im  Auswurfe.  Die  Unter¬ 
suchung  von  Bacillen  im  Sputum  wurde  von  Kossel,  Epstein 
u.  s.  w.  vorgenommen. 

Sie  ist  durch  den  Vorgang  von  Meunier  in  die  Praxis  über¬ 
gegangen. 

Die  anderen  diagnostischen  Hilfsmittel  haben  nicht  denselben 
Werth,  können  aber  nützliche  Resultate  ergeben. 

Ilieher  gehört  die  Constatirung  der  Mikro  Polyadenie  von 
Legroux.  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  man  sich  erinnern,  dass 
Lesage  und  Pascal  eine  allgemeine  Tuberculose  sämmtlicher 
Lymphdrüsen  ohne  Betheiligung  der  Eingeweide  beschrieben  haben. 

Die  Injectionen  von  künstlichem  Serum,  welchen  H  u  t  i  n  e  1 
eine  gewisse  Bedeutung  beigelegt  hat,  können  Erhöhungen  der  Tem¬ 
peratur,  selbst  bei  nicht  tuberculosen  Individuen  erzeugen  (D  e  b  o  v  e 
und  Blache). 

Die  Injectionen  von  Tuberculin  geben  häufig  eine  wichtige 
Reaction,  aber  ihr  Werth  ist  nicht  absolut. 

Die  radioskopischen  und  radiographischen  Untersuchungen  haben 
bei  Kindern  geringe  Resultate  (Bertherand), 

Die  Serumdiagnostik  (A  r  1  o  i  n  g  und  Courmont)  scheint  bis 
auf  die  Gegenwart  wenig  verwendet  worden  zu  sein. 

VII.  Heubner  (Berlin) :  Die  künstliche  Ernährung 
des  Säuglings. 

Die  wissenschaftlichen  Grundlagen  für  das  Vorgehen  bei  der 
künstlichen  Ernährung  des  Säuglings  können  nur  durch  das  Studium 
des  reifen  und  gesunden  Säuglings,  nicht  des  kranken,  gewonnen 
werden.  Ebensowenig  wie  die  Krankenkost  des  Erwachsenen  ein  Vor¬ 
bild  für  die  Ernährung  eines  Arbeiters  abgeben  kann,  ebensowenig 
können  Erfahrungen  über  Nährerfolge  oder  Misserfolge  beim  ver¬ 
dauungsschwachen  Säugling  zur  Richtschnur  für  die  Nahrung  des 
normalen  Säuglings  genommen  werden.  Dieses  geschieht  aber  heut¬ 
zutage  noch  vielfach  seitens  der  Aerzte  aus  dem  leicht  begreiflichen 
Grunde,  weil  diese  vorwiegend  erkrankte  Säuglinge  zur  Beobachtung 
bekommen.  Letzterer  Umstand  hat  zur  Folge,  dass  über  die  ver¬ 
ständigste  und  nützlichste  Methode,  den  gesunden  Säugling  künstlich 
zu  ernähren,  wissenschaftlich  verwerthbares  Beobachtungsmaterial  in 
keineswegs  grossem  Umfange  vorliegt.  Obwohl  jährlich  Hunderttausende 
von  Kindern  mit  Erfolg  künstlich  aufgezogen  werden,  besitzen  wir 
doch  noch  kaum  soviel  fortlaufende  Beobachtungen  über  Mengen  und 
Zusammensetzung  der  täglichen  künstlichen  Nahrung  gut  gedeihender 
Kinder,  wie  sie  für  die  natürliche  Ernährung  bekannt  gegeben  sind. 
Und  doch  sind  auch  diese  noch  immer  spärlich  genug.  So  ist  denn 
in  dieser  Lehre  noch  immer  viel  mehr  Speculation  und  Construction, 
als  wissenschaftliches  Fundament. 

Von  jeher  aber  hat  der  gesunde  Menschenverstand  den  Pflegern 
der  Säuglinge  gesagt,  dass  der  geeignete  Ersatz  der  Muttermilch  in 
der  Thiermilch  zu  suchen  ist.  Die  chemische  Forschung  bestätigt 


dieses,  denn  sie  lehrt,  dass  die  Milch  unserer  Ilausthiere,  besonders 
des  Rindes  und  der  Ziege,  wenigstens  in  Bezug  auf  ihre  Hauptnähr¬ 
stoffe,  sich  kaum  mehr  von  der  Frauenmilch  unterscheidet,  als  z.  B. 
verschiedene  Fleischsorten,  wie  etwa  Rindfleisch  und  Schinken,  die 
doch  vom  Kind,  wie  vom  Erwachsenen,  in  bunter  Reihenfolge  nach 
und  neben  einander  genossen  werden.  Auch  der  allgemeine  Nährwerth, 
ihr  Gehalt  an  potentieller  Energie  ist  in  beiden  Fällen  nahezu  der 
gleiche  (pro  Liter  650 — 700  Calorien). 

Der  gesunde  Säuglingsdarm  ist  im  Stande,  die  einzelnen  Nähr¬ 
stoffe  der  Kuhmilch  ebenso  gut  wie  die  der  Muttermilch  zu  verdauen. 
Nur  ist  die  Verdauungsarbeit,  die  er  dabei  zu  leisten  hat,  im  ersteren 
Falle  grösser  als  im  letzteren,  weil  doch  mehr  Eiweiss  und  weniger 
Kohlehydrat  an  der  Energiezufuhr  betheiligt  ist  und  das  grosse  Eiweiss- 
molecül  schwerer  anzubauen  ist,  als  das  kleinere  Zuckermolecül. 
So  bleibt  nach  beendigter  Verdauung  der  Kuhmilch  auch  eine  grössere 
Menge  von  Schlacke  zurück  als  bei  der  Frauenmilch.  Aber  alle  bisher 
am  Säugling  selbst  angestellten  Untersuchungen  lehren,  dass  das  Kind 
völlig  im  Stande  ist,  seinen  Energiebedarf  aus  der  Kuhmilch  zu 
decken,  wenn  sie  ihm  in  dem  äquivalenten  Betrage  zugeführt  wird, 
wie  die  Nahrung  aus  der  Mutterbrust  im  entsprechenden  Zeitpunkt 
seiner  Entwicklung.  Dieser  physiologische  Werth  der  von  der  Mutter¬ 
brust  gelieferten  Calorienmenge  ist  freilich  nicht  bei  jedem  einzelnen 
Individuum  gleich,  sondern  hat,  wie  alle  solchen  biologischen  Werthe, 
eine  gewisse  Breite  nach  oben  und  unten. 

Aufgabe  der  künstlichen  Ernährung  ist  es,  diesen  uns  bekannten 
physiologischen  Werth  durch  genaue  Dosirung  der  Thiermilch,  mag 
man  sie  unverdünnt  oder  verdünnt,  mit  oder  ohne  Zurüstungen  ver¬ 
abreichen,  Tag  für  Tag  innezuhalten. 

Die  Schwierigkeiten  der  künstlichen  Ernährung  liegen  einmal 
in  dem  consequenten  genauen  Abmessen  der  täglichen  Zufuhr  nach 
dem  eben  bezeichneten  Regulator. 

Die  Mutterbrust  dosirt  innerhalb  der  bezeichneten  Grenzen 
genau,  die  Kindespflegerin  fast  immer  ungenau.  Die  Ueberschreitung 
der  physiologischen  Breite  nach  oben  oder  nach  unten  aber  führt  über 
kurz  oder  lang  zur  Erkrankung. 

Zweitens  in  der  Gefahr  der  Verunreinigung  und  Zersetzung 
der  Thiermilch,  bevor  sie  zum  Genüsse  gelangt.  Dieser  Gefahr  ist  die 
Muttermilch  nicht  ausgesetzt.  Man  hat  sie  bei  der  künstlichen  Er¬ 
nährung  erst  mit  Erfolg  auszuscheiden  gelernt,  seit  man  eingesehen 
hat,  dass  bei  der  Milchgewinnung  und  Zubereitung  nicht  nur  makro¬ 
skopische  Reinlichkeit,  sondern  auch  bacterielle  Reinheit  unbedingtes 
Erforderniss  ist. 

Die  Erzielung  bacterieller  Reinheit  der  Milch  für  Säuglinge  ist 
der  grösste  Fortschritt  in  der  künstlichen  Ernährung,  den  das  Jahr¬ 
hundert  gemacht  hat.  Um  diese  in  der  zur  Zeit  möglichen,  aber  auch 
genügenden  Vollkommenheit  herbeizuführen,  ist  langdauerndes  Erhitzen 
auf  100°  unnöthig,  genügt  vielmehr  ein  fünf  bis  höchstens  zehn 
Minuten  langes  Abkochen.  Ja,  es  scheint  sogar  eine  während  der 
Dauer  von  25  Minuten  nur  auf  65°  erhitzte  Milch  die  guten  Eigen¬ 
schaften  der  sterilisirten  Milch,  ohne  ihren  unangenehmen,  veränderten 
Geschmack  uud  Nährwerth,  zu  erlangen  (Förster). 

Ganz  anders  als  beim  gesunden  Säuglinge  liegen  die  Dinge 
bei  dem  Verdauungskranken.  Hier  ist  die  Kraft  der  Darmverdauung, 
hier  aber  auch  der  harmonische  Ablauf  des  intermediären  Stoffwechsels 
beeinträchtigt.  Dem  entsprechend  nimmt  die  Fähigkeit,  aus  den  zu¬ 
geführten  Nährstoffen  die  gleiche  Energie  frei  zu  machen,  ab.  Die 
grössten  Schwierigkeiten  scheint  in  dieser  Beziehung  nicht,  wie  man 
früher  meinte,  das  Eiweiss,  sondern  das  Fett  zu  bereiten  —  eine 
Thatsache,  die  übrigens  den  analogen  Verhältnissen  beim  Erwachsenen 
entspricht.  Aber  auch  der  zu  grosse  Eiweissgehalt  der  Nahrung  kann 
unzuträglich  werden;  selbst  der  Milchzucker  kann,  indem  er  un¬ 
genügend  verbrannt  wird,  dem  Zwecke  der  Ernährung  untreu  werden. 

Jetzt  muss  die  Ernährung  auf  Umwegen  zum  Ziele  zu  gelangen 
suchen.  Der  Fett-  oder  Eiweissgehalt  des  Nahrungsgemisches  wird 
durch  Verdünnung  der  Milch  bis  auf  das  Drittel  vermindert,  dafür 
das  Kohlehydrat  bis  zu  der  Höhe  des  Muttermilchgehaltes  an  Milch¬ 
zucker  durch  directen  Zusatz  vermehrt  werden  müssen.  Ausserdem 
wird  es  nützlich  sein,  noch  ein  weiteres  Kohlehydrat  zuzuführen. 
Hiezu  empfiehlt  sich  nach  meinen  Erfahrungen  vielmehr,  als  einfaches 
Mahl,  die  aus  Zwiebackmehl  hergestellte  Suppe  (O  p  e  l’s  Nährzwieback, 
die  verschiedenen  Kindermehle). 

Man  versucht  ferner  die  Eiweissverdauung  zu  erleichtern,  indem 
man  diesen  Stoff  vor  der  Mischung  der  Nahrung  peptonisirt .  (Voltmer’s 
Milch,  Backhausmilch,  lait  peptonise). 

Oder  man  nimmt  Magermilch  aus  der  Molkerei,  sogar  Butter¬ 
milch  (de  Jager)  und  setzt  dieser  Zwiebackmehlsuppe  zu. 

Oder  man  ersetzt  auch  das  Kohlehydrat  durch  ein  anderes, 
leichter  verbrennbares.  Dieses  scheint  von  der  Maltose  zu  gelten 
(L  i  e  b  i  g’s  Suppe,  K  e  1 1  e  r’s  Malzsuppe). 

Oder  endlich,  man  versucht  nur  den  Eiweissgehalt  zu  er¬ 
niedrigen,  dagegen  durch  Zusatz  oder  Centrifugiren  den  Fettgehalt 


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und  ebenso  durch  Zusatz  den  Zuckergehalt  der  Mischung  auf  die  Höhe 
der  Muttermilchgehalte  zu  bringen  (Gaertner’s  Fettmilch,  Biedert’s 
Rahmgemische). 

Im  Vorstehenden  dürften  die  gebräuchlichsten  Grundsätze  dar¬ 
gelegt  sein,  von  denen  man  sich  bei  der  Herstellung  künstlicher  Nah¬ 
rung  für  schwache  und  kranke  Säuglinge  leiten  lässt. 

Es  gelingt  mit  allen  diesen  Methoden  in  zahlreichen  Fällen,  die 
Säuglinge  wieder  zum  gesunden  Zustande  zurückzuführen. 

Wo  Alles  versagt,  bildet  noch  immer  das  letzte  Auskunftsmittel 
die  Wiederanlegung  des  Säuglings  an  die  Brust,  die  schliesslich  allen 
künstlichen  Nährformen  überlegen  bleibt. 

VIII.  Johan  u  essen  (Christiania):  La  sterilisation  du 
lait  et  le  mode  d’e  m  p  1  o  i  du  lait  sterilise. 

1.  Um  eine  Milch  vollkommen  zu  sterilisiren,  wäre  es  noth- 
wendig,  dass  das  Kochen  mehrere  Stunden  dauert.  Hiedurch  erleidet 
aber  die  Milch  so  bedeutende  Veränderungen,  dass  sie  als  Nahrung 
für  Säuglinge  nicht  mehr  verwendet  werden  kann. 

2.  Die  übrigen  Methoden  der  Sterilisation  haben  theils  denselben 
oder  einen  ähnlichen  Einfluss  auf  die  Milch,  theils  sind  sie  —  wie 
z.  B.  die  fractionirte  Sterilisation,  die  sogenannte  Tyndallisation,  die 
die  Milch  am  wenigsten  verändert  —  schwierig  in  der  Praxis  durch¬ 
führbar. 

.  3.  Wenn  die  Milch  eine  kürzere  Zeit  in  Flaschen  im  Wasser¬ 
bade  erhitzt  wird,  werden  zwar  die  eigentlich  pathogenen  Bacterien 
getödtet,  jedoch  die  Sporen  nicht  getödtet.  Diese  wachsen  nach 
kürzerer  oder  längerer  Zeit  aus  und  bringen  in  der  Milch  Verände¬ 
rungen  hervor,  wodurch  Toxine  entstehen  können,  die  eine  Gefahr  für 
das  Kind  bilden. 

4.  Selbst  bei  der  letztgenannten  Erhitzung  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  die  Milch  chemische  Veränderungen  erleidet,  die  möglicher  Weise 
nicht  ohne  Bedeutung  für  die  Gesundheit  und  das  Gedeihen  des  Kindes 
sein  können. 

5.  Es  ist  deshalb  wahrscheinlich,  dass  die  beste  Methode  der 
Milchbehandlung  die  Pasteurisation  bei  einer  Temperatur  von  ungefähr 
70"  C.  ist.  Hiedurch  werden  die  pathogenen  Bacterien  getödtet,  ohne 
dass  die  chemische  Zusammensetzung  bedeutungsvolle  Veränderungen 
erleidet. 

6.  Eine  nachlässige  und  unreinliche  Behandlung  der  Milch  hat 
Einfluss  auf  die  Haltbarkeit  derselben.  Eine  Milch,  die  auf  Grund 
solcher  Verunreinigungen  Veränderungen  in  der  chemischen  Zusammen¬ 
setzung  durchgemacht  hat,  wird  in  dieser  Beziehung  durch  das  Kochen 
nicht  verbessert,  ebenso  wenig  wie  eine  Milch,  die  auf  Grund  einer 
Verfälschung  oder  unzureichender  Ernährung  der  Kühe  im  Nahrungs¬ 
werth  verringert  ist. 

7.  Das  rationelle  Verfahren  bei  der  Darstellung  der  Milch  für 
Säuglinge  besteht  in  einer  durchgeführten  Stallhygiene,  in  der  Controle 
der  Thiere  und  in  der  Behandlung  der  Milch  selbst ;  die  Milch  soll 
pasteurisirt  werden,  nach  der  Pasteurisation  unter  18°  C.  auf  bewahrt 
und  innerhalb  zwölf  Stunden  nach  dem  Vorschlag  von  Flügge  ver¬ 
wendet  werden. 

8.  Die  gewöhnliche  Handelsmilch,  die  in  der  Regel  eine  Mischung 
der  Milch  mehrerer  Kühe  ist,  ist  in  Bezug  auf  die  chemische  Zu¬ 
sammensetzung  ein  gleichartigeres  Product,  als  die  Frauenmilch,  die 
Variationen  sowohl  in  Bezug  auf  die  einzelnen  täglichen  Secretionen, 
wie  in  Bezug  auf  die  verschiedenen  Zeiten  der  Lactationsperiode  unter¬ 
worfen  ist.  Bei  der  Anwendung  der  Kuhmilch  als  Säuglingsnahrung 
wird  deshalb  die  Ernährung  des  Kindes  auch  in  dieser  Beziehung  in 
einer  von  den  physiologischen  Verhältnissen  beim  Brustkind  ver¬ 
schiedenen  Weise  durchgeführt,  ein  Verhältnis,  welches  möglicher 
Weise  Aufmerksamkeit  verdient. 

IX.  A.  Baginsky  (Berlin):  Die  G  a  s  t  r  o-E  n  t  e  r  i  t  i  s  des 
Säuglings  (mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
pathologischen  Anatomie). 

Von  pathologisch-anatomischen  Gesichtspunkten  aus  sind  die 
gastro-intestinalen  Erkrankungen  der  Säuglinge  folgendermassen  ein- 
zutheilen  : 

A.  Functionelle  Störungen.  AcuteDyspepsie.  — 
Ohne  wesentliche  pathologisch-anatomische  Veränderungen  —  ausge¬ 
nommen  leichtere  hyperämische  Zustände.  Störung  der  physiologischen 
Leistung  en  des  Gastro-Intestinaltractus. 

Sich  äussernd: 

ci)  In  verminderter  Absonderung  der  Verdauungssäfte; 

b)  fehlerhafter  Zerlegung  der  Nahrung  mit  Auftreten  von 
Gährungsproducten ; 

c)  verminderter  Assimilation  der  Nahrung; 

d)  Erbrechen  und  Diarrhöen ; 

e)  Obstipation  und  Koliken. 

Dieser  Complex  gastrointestinaler  Symptome  kann  begleitet 
sein  von  Allgemeinerscheinungen,  wie  Fieber,  nervösen  Symptomen, 
^  er ändei ungen  des  Harnes  u.  s.  w. 


B.  Anatomische  Läsionen. 

1.  Anatomische  Läsionen  katarrhalischer 
Natur. 

a)  Subacuter  dyspeptische  r  Katarrh.  —  Mit 
Hyperämie  und  frischen  Schwellungszuständen,  Zellinfiltration  der 
Mucosa,  Functionsanomalien,  katarrhalischen  Absonderungen. 

b)  Catarrhus  acutissimus.  —  Cholera  infantum. 
Abstossung  und  Vernichtung  des  gastro-intestinalen  Epithels  auf 
grossen  Strecken.  Verquellung  und  Verschleimung  des  Drüsenepithels, 
bis  zur  Nekrose.  —  Die  Mitbetheiligung  des  Follikelapparates  durch 
acute  Schwellung  und  Zellinfiltration  nicht  ausgeschlossen.  Secundäre 
Veränderungen  fast  in  allen  Organen,  zumeist  in  Leber  und  Nieren; 
indess  auch  Gehirn,  Lungen,  Milz,  Peritoneum,  Haut  und  Ohren, 
Augen  u.  s.  w.  nicht  frei. 

c)  Chronischer  gastro-intestinaler  Katarrh. 
Schwellungszusfände  der  gesammten  Mucosa.  Zellinfiltration,  Hyper¬ 
ämie,  hyperplastische  Wucherungen  der  Zotten  und  hie  und  da  auch 
der  Drüseugebilde  bei  langer  Dauer;  nicht  selten  Mitbetheiligung  des 
Follikelapparates,  insbesondere  im  Dickdarme.  Auch  hier  zumeist 
krankhafte  Veränderungen  in  anderen  Organen  (Pneumonie,  Nephritis, 
Otitis  u.  s.  w.). 

d)  Atrophia  intestinalis.  Streckenweiser  Verlust  des 
gesammten  Drüsenapparates  der  Mucosa;  streckenweise  noch  Zell- 
infiltration  und  Hyperämie.  Vielfach  schwere  Anämie  der  Mucosa.  Sub- 
mucosa  und  auch  Muscularis  vielfach  verdünnt. 

Alle  katarrhalischen  Processe  (a — d)  sind  meist  begleitet  von 
Ebrechen,  Diarrhöen,  Koliken,  vermehrter  Schleim-  und  Flüssigkeits¬ 
absonderung,  behinderter  Assimilation,  gestörter  Leistung  von 
Pankreas  und  Leber,  durch  Wasserverlust  und  Ernährungsmangel 
gegebene  Alteration  des  gesammten  Stoffwechsels  und  der  gesammten 
Ernährung. 

2.  Anatomische  Läsionen  im  folliculären 
Apparate.  Folliculitis. 

Als  Begleiter  der  katarrhalischen  Processe  sind  die  folliculären 
Erkrankungen  nicht  ungewöhnlich,  indess  treten  dieselben  auch  ganz 
selbstständig  auf,  als: 

a)  Einfache  folliculäre  Enteritis.  Mit  mässigem 
Fieber,  leichtem  Tenesmus,  leichten  Koliken,  schleimig  blutiger  Ab¬ 
sonderung.  Follikelapparat  geschwollen,  stark  hervortretend,  meist  im 
Dickdarm;  hie  und  da  Ausfall  an  Follikeln,  überall  in  den  Follikeln 
zellige  Infiltration. 

b)  Schwere  infectiöse  Folliculitis  und  Dysenterie. 
Schwellung  der  Mucosa.  Zerfall  von  Follikeln  mit  Geschwürsbildung. 
Nekrose  von  grösseren  Schleimhautpartien.  Auch  bei  (2.  a  und  b) 
Mitbetheiligung  secundärer  Natur  in  anderen  Organen,  meist  in  Leber, 
Lungen,  Nieren  u.  s.  w. 

C.  Zur  Aetiologie  der  gastro  -  intestinalen  Processe  gilt 
Folgendes : 

Die  functioneilen  Störungen  und  die  schweren  mit  pathologisch¬ 
anatomischen  Läsionen  einhergehenden  Processe  nehmen  ihren 
Ausgangspunkt: 

1.  Von  directer  Einwirkung  der  durch  besondere  Umstände 
(wie  hohe  Lufttemperatur  u.  s.  w.)  in  ihrer  Virulenz  gesteigerten 
obligaten  Darrnbacterien  (B.  coli,  B.  lactis  u.  s.  w.). 

2.  Von  toxischen  Substanzen,  welche  unter  dem  Einflüsse  ge¬ 
steigerter  Virulenz  aus  der  Nahrung  abgespalten  werden. 

3.  Von  Bacterien  (Saprophyten  oder  vulgären  infectiösen 
Keimen),  welche  meist  mit  der  Nahrung  unter  besonderen  Ver¬ 
hältnissen  in  den  Darmtractus  der  Säuglinge  eingeführt  und  dort 
virulent  werden. 

4.  Von  toxischen  Substanzen  (gelösten  Giften),  welche  bereits 
vorgebildet  mit  der  Nahrung  in  den  kindlichen  Intestinaltractus  ein¬ 
geführt  werden. 

D.  Bei  den  als  gastro-intestinale  Säuglingserkrankung  zu¬ 
sammengefassten  (unter  dem  Einflüsse  der  Sommertemperatur  sich  am 
ehesten  entwickelnden)  Processen  sind  aber  nicht  specifische,  sondern 
mit  gesteigerter  Virulenz  ausgestattete  saprophytäre,  oder  vulgäre 
infectiöse  Mikroben  als  die  eigentlichen  Krankheitserreger  auszusprechen 
und  ebenso  deren  Toxine.  Es  bestehen  allerdings  gewisse  Beziehungen 
zwischen  den  Mikroben  und  besonderen  Organtheilen ;  so  beeinträchtigen 
stäbchenförmige  Mikroben  gern  die  L  i  e  b  e  r  k  ü  h  n’schen  Krypten, 
wenngleich  auch  Coccen  an  denselben  feindselige  Wirkungen  üben. 
Auf  der  anderen  Seite  wirken  Coccen  mehr  auf  den  Follikelapparat 
ein.  So  zeigt  sich  die  Streptococcen-Enteritis  meist  als  Folliculitis.  Sie 
ist  nichts  specifisches. 

E.  Unter  besonderen  Verhältnissen  können  allerdings  auch 
andere  infectiöse,  sonst  nicht  in  dem  Gastro-Intestinaltractus  der 
Säuglinge  vorkommende  Mikroben  als  Erreger  der  gastro-intestinalen 
Erkrankungen  auftreten  (B.  pyocyaneus  etc.).  Indess  sind  derartige 
Krankheitsformen  von  den  üblichen  und  häufigen  Sommerdiarrhöen  zu 
scheiden. 


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F.  Septische  Infection  von  der  Darmwand  aus  und  Eindringen 
von  Bacterien  durch  die  Darmwand  in  die  Blutbahn  ist  ein  seltenes 
Vorkommniss,  seltener  als  bisher  noch  angenommen  wird.  Dasselbe  ist 
zwar  nicht  ausgeschlossen  und  ist  besonders  an  den  Nieren  zu  beob¬ 
achten;  hier  können  Eiterungen  und  selbst  Nekrosen  durch  Infarct- 
bildung  entstehen.  Bei  alledem  ist  aber  der  Weg  der  Bacterien  und 
der  Einbruch  derselben  in  die  Blutbahn  nicht  der  gewöhnliche  und 
die  Bacterienläsionen  der  fernliegenden  Organe  gehen  exogen  vor  sich. 
(Nosoparasitäres  Befallenwerden  geschwächter  Organe.) 

X.  Prof.  Fede  (Neapel) :  Gastrointestinale  Infec- 
tionen  und  Autointoxication  en  der  Säuglinge.  (Re¬ 
ferent  Dr.  Sp. 

Betrachtet  man  die  Unvollkommenheit  des  gastrointestinalen 
Apparates  der  Säuglinge,  seine  wenig  vorgerückte  Entwicklung,  den 
Mangel  der  Zähne,  die  verticale  Richtung  des  Magens,  die  geringe 
Entwicklung  der  Drüsen,  die  Zartheit  der  Muskelschichten,  die  geringen 
Mittel  der  Selbstvertheidigung  gegen  Mikroben:  dann  begreift  man  die 
Häufigkeit  der  subacuten  oder  langwierigen,  von  wiederholten  Fieber¬ 
anfällen  begleiteten  Magen- Darmkatarrhe  der  Säuglinge. 

Das  Hauptsymptom  sind  die  häufigen  hartnäckigen  Diarrhöen 
mit  ihren  verschiedenen  wrohlbekannten  Formen,  welche  verschiedene 
Consistenz,  Farbe,  Geruch,  Blut  und  vielerlei  Mikroorganismen  dar¬ 
bieten.  Weitere  Symptome  sind:  Erbrechen,  Störungen  des  gastrischen 
Chemismus,  Gährungen,  Magenerweiterung,  Vorfall  das  Mastdarms. 

Von  Wichtigkeit  ist  der  Allgemeinzustand  mit  den  durch  die 
Darmintoxication  bedingten  Fieberanfällen,  Schwäche,  Unterernährung, 
Atrophie,  endlich  Complicationen  anderer  Organe. 

Im  weiteren  Verlaufe  beobachtet  man  Zurückbleiben  der  Ent¬ 
wicklung,  Verzögerung  des  Zahndurchbruches,  Abnahme  des  Körper¬ 
gewichtes,  grossen  tympanitischen  oder  schlaffen  Bauch,  einen  mageren, 
blassen,  oder  fetten,  ebenfalls  blassen  Leib. 

In  anderen  Fällen  zeigt  sich  in  den  ersten  Monaten  die  Athrepsie 
von  Parrot;  oder  es  erscheint  die  Rachitis,  oder  die  Krankheit  von 
Riga  (production  sous  linguale) ;  endlich  Tuberculose.  Der  Tod  erfolgt 
durch  langsam  fortschreitende  Atrophie,  oder  durch  eine  dazwischen 
tretende  Krankheit,  z.  B.  Lungenentzündung. 

Von  Wichtigkeit  ist  die  Desinfection  des  Darminhaltes  und 
dessen  Ausscheidung;  Darreichung  von  Ricinusöl,  Kalomel,  Benzo- 
naphthol,  Waschung  des  Magens  und  Darms  mit  Borsäure,  Carbol- 
säure,  Creolin  u.  s.  w.  Adstringentia  gegen  abundante  Diarrhöen,  gegen 
die  Schmerzen  Ivataplasmen,  Belladonna  und  selbst  Opium,  gegen  die 
Depression  aromatische  Bäder,  Chinin,  Coffein,  Aether,  endlich  Injec- 
tionen  von  künstlichem  Serum. 

XL  Prof.  Monti  (Wien):  Ueber  die  wissenschaft¬ 
lichen  Grundsätze  bei  der  Erzeugung  einer  der 
Frauenmilch  gleichen  Nahrung.  (Referent  Dr.  Sp.) 

Die  Methoden  der  künstlichen  Ernährung  der  Säuglinge,  welche 
bisher  angewendet  wurden,  sind  nicht  geeignet,  die  Frauenmilch  zu 
ersetzen.  Dieselben  waren  bestrebt,  die  Unterschiede  zwischen  Frauen- 
und  Kuhmilch  verschwinden  zu  machen,  aber  keiner  dieser  Vorgänge 
hat  die  totale  Zusammensetzung  der  Nahrung  nach  gleicher  Art  und 
Weise  ins  Auge  gefasst.  Um  die  für  die  künstliche  Ernährung  ver¬ 
wendete  Kuhmilch  so  weit  als  möglich  der  Frauenmilch  zu  nähern, 
müssen  folgende  Punkte  berücksichtigt  werden: 

1.  Die  Säure  muss  die  gleiche  sein;  daher  ist  die  Säure  der 
Kuhmilch  durch  Zusatz  von  kohlensaurem  Kali  bis  zu  jener  der 
Frauenmilch  herabzusetzen. 

2.  Die  Coagulation  der  künstlichen  Nahrung  durch  die  Wirkung 
des  Labs  muss  in  der  gleichen  Frist  und  in  derselben  Weise  wie  jene 
der  Frauenmilch  vor  sich  gehen.  Zu  diesem  Zwecke  mischt  man 
gleiche  Quantitäten  von  Kuhmilch  und  Molke  und  verringert  die  Säure 
durch  kohlensaures  Kali. 

3.  Die  albuminoiden  Substanzen  müssen  sich  in  der  Kuhmilch 
ebenso  wie  in  der  Frauenmilch  verhalten.  Man  reducirt  durch  Theilung 
die  Quantität  des  Caseins  und  der  löslichen  albuminoiden  Stoffe  der 
Kuhmilch  auf  jene  der  Frauenmilch  und  trachtet,  zwischen  Casein  und 
löslichem  Albumin  nun  dasselbe  Verhältniss,  wie  in  der  Frauenmilch, 
herzustellen. 

4.  Das  Casein  der  Kuhmilch  verhält  sich  gegenüber  von  Säuren 
und  Salzen  anders  wie  jenes  der  Frauenmilch.  Durch  Zusatz  einer 
genügenden  Menge  von  löslichem  Albumin  und  Alkali  verschwindet 
dieser  Unterschied.  Dieses  kann  vielleicht  zum  Theile  durch  Ver¬ 
mengung  mit  Molke  erreicht  werden.  Nach  meinen  Erfahrungen  über 
Verdauung  ist  die  Ausnützung  von  Albuminen  in  einem  Gemenge  von 
Milch  und  Molke  jener  der  Frauenmilch  fast  gleich. 

5.  Die  Menge  des  Fettes  muss  in  beiden  Milchgattungen  die 
gleiche  sein.  Durch  einfachen  Wasserzusatz  wird  die  Fettmenge  ver¬ 
mindert  und  das  Verhältniss  zwischen  Fetten  und  Albuminen  noch 
ungünstiger.  Die  Vermehrung  einer  entsprechenden  Menge  Fett  der 
Kuhmilch  ist  eher  schädlich,  denn  dieselbe  enthält  viel  flüchtige  Fett¬ 
säuren  (gegen  70  auf  100)  und  relativ  wenig  nicht  flüchtige  Fettsäuren 


(gegen  0  3 — 0-4  auf  100),  daher  kann  der  Säugling  die  Fette  der 
Kuhmilch  nicht  genügend  ausnützen.  Dieses  hinzugesetzte  Fett  geht 
grösstentlieils  unverdaut  ab  oder  gibt  Anlass  zu  Autointoxicationen. 
Ausserdem  ist  das  durch  die  Centrifuge  ausgezogene  Fett  mechanisch 
alterirt  und  zeigt  nicht  die  feinen  Fetttröpfchen,  wie  die  Frauenmilch. 
Durch  Mischung  der  Milch  mit  Molke  lässt  sich  ein  Verhältniss  von 
2  :  1000  von  Fett  für  die  künstliche  Nahrung  vollkommen  ausreichend 
hersteilen. 

6.  Die  Zuckermenge  ist  in  der  Kuhmilch  geringer,  als  in  der 
Frauenmilch.  Der  Zusatz  concentrirter  Zuckerlösungen  ist  nicht 
angezeigt.  Durch  Mischung  der  Milch  mit  Molke  nähert  sich  die 
Zuckermenge  am  meisten  der  Frauenmilch  und  genügt  daher  voll¬ 
kommen. 

7.  Die  grössere  Menge  von  Salzen  in  der  Kuhmilch  kann  durch 
keinen  Process  geändert  werden,  jedoch  ist  dieser  Umstand  ohne 
Schaden. 

8.  Die  in  der  Kuhmilch  enthaltenen  Keime  müssen  unschädlich 
gemacht  werden.  Die  Sterilisation  auf  100°  alterirt  die  Milch  und  kann 
für  den  Säugling  schädlich  sein.  Ebenso  ist  es  mit  der  Erhitzung  durch 
drei  Viertelstunden.  Die  Sterilisation  ohne  chemische  Störung  kann  nur 
durch  Erhitzung  auf  60°  durch  zehn  Minuten  und  Erhaltung  einer 
Temperatur  von  6°  erreicht  werden. 

9.  Endlich  muss  man  sich  bemühen,  dem  Säugling  täglich,  die¬ 
selbe  Quantität  von  Casein,  löslichem  Albumin,  Fett  und  Salzen,  wie 
bei  der  Ernährung  durch  Frauenmilch,  zu  verabreichen.  Unter  allen 
Methoden  künstlicher  Ernährung  erfüllt  die  Mischung  der  Kuhmilch 
mit  Molke  am  besten  diese  Forderungen. 

XII.  Prof.  Jacobi  (New  York):  Ueber  künstliche  Er¬ 
nährung.  (Ref.  Dr.  Sp.) 

Die  Analysen  der  menschlichen  Milch  haben  verschiedene  oder 
widersprechende  Resultate  ergeben.  Die  einen  zeigen  uns  die  Modifica- 
tionen  in  den  verschiedenen  Perioden  der  Lactation  an,  die  anderen 
nicht;  in  gleicher  Weise  hat  man  die  Veränderungen  durch  die  Men¬ 
struation,  Ernährung,  Krankheit  zugegeben  oder  beiläufig  abgeschätzt, 
selten  jedoch  gemessen.  Man  hat  die  einfache  oder  zusammengesetzte 
Natur  der  Proteinsubstanz  nicht  genügend  aufgeklärt.  Wenn  die  Milch 
ausserdem  eine  essentielle  und  vitale  Beschaffenheit  hat,  so  wurde 
dies  von  der  Chemie  noch  nicht  anerkannt.  Bei  dieser  Unsicherheit 
hat  man  deshalb  so  verschiedene  Ersatzmittel  der  menschlichen  Milch 
angegeben,  und  Chemiker  oder  berühmte  Kliniker  haben  so  viele 
Ilandelsproducte  versucht.  Wäre  die  Frauenmilch  immer  ein  identischer 
Körper,  so  wäre  man  im  Rechte,  eine  genau  äquivalente  Substanz  zu 
suchen.  Aber  die  Natur  ist  liberaler  als  die  Chemiker  und  wechselt 
mehr  ihre  Erzeugnisse.  Die  Milch  wird  durch  die  Hitze  manchmal 
verbessert,  manchmal  verschlechtert.  Durch  10  oder  15  Minuten  einer 
Temperatur  von  68 — 70°  ausgesetzt,  werden  das  Bacterium  coli  und 
das  Bacterium  lactis  aerogen^s  zerstört;  bei  längerer  Wirkung  der 
Hitze  werden  die  pathogenen  Keime  getödtet ;  bei  80°  gerinnt  das 
Eiweiss,  Geruch  und  der  Geschmack  der  Milch  sind  modificirt;  das 
Casein  sogar  bei  70°,  so  dass  dessen  Kaufwerth  vermindert  ist.  Das 
Sieden  bewirkt  den  Niederschlag  eines  Theiles  Albumin,  zerstört  das 
Lecithin,  und  alterirt  die  Fettstoffe.  Ein  fortgesetztes  Sieden  vermehrt 
noch  stärker  die  Umwandlung  des  Caseins  und  der  Nucleine.  Um  die 
widerstehenden  Sporen  zu  zerstören  muss  man  durch  mehrere  Stunden 
eine  erhöhte  Temperatur  erhalten;  übrigens  ist  die  Schädlichkeit  der¬ 
selben  noch  nicht  vollständig-  erwiesen. 

Gekocht,  sterilisirt  oder  pasteurisirt  ersetzt  die  Kuhmilch  niemals 
die  menschliche  Milch;  ohne  ein  Heilmittel  zu  sein,  hat  erstere  den 
grossen  Vortheil,  weder  Ferment  noch  pathogene  Keime  zu  enthalten; 
deshalb  ist  sie  in  grossen  Städten  und  während  gewisser  Epidemien, 
endlich  jedes  Mal,  so  oft  die  Beschaffung  frischer  und  reiner  Milch 
unmöglich  ist,  unentbehrlich.  So  lange  die  Kuhmilch  die  ausschliess¬ 
liche  Ernährung  eines  Kindes  ist,  ist  sie  im  Stande,  Verstopfung, 
Diarrhöe,  Rachitis  oder  Scorbut  zu  bewirken.  Um  eine  antibacterielle 
Wirkung  zu  erzielen,  muss  die  Erwärmung  von  rapider  Abkühlung, 
aber  nicht  von  Erfrierung  erfolgt  sein.  Bei  der  künstlichen  Ernährung, 
besonders  des  Neugeborenen,  erfordert  die  heterogene  Zusammen¬ 
setzung  der  Kuhmilch  deren  Verdünnung  und  sogar  die  Brustkinder 
müssen,  wenn  die  mütterliche  Milch  nicht  ausreicht,  Wasser  be¬ 
kommen,  um  dem  Verluste  des  Körpergewichtes  und  der  so  häufigen 
Nierenentzündung  und  Nierensteinbildung  vorzukommen. 

Die  Verzehrung  grosser  Flüssigkeitsmengen  verringert  nicht  die 
Beweglichkeit  des  Magens  und  erzeugt  nicht  dessen  Erweiterung, 
weil  das  normale  Kind  nicht  gefrässig  ist  und  die  Aufsaugung  der 
Ingesta  unmittelbar  nachfolgt.  Die  Verdauung  des  Caseins  der 
Frauenmilch  ist  ebenso  leicht  oder  weniger  leicht  als  jenes.  Wird  die 
Kuhmilch  mit  einer  Abkochung  von  Getreidegattungen  verdünnt,  so 
fällt  das  Casein  in  fein  getheilten  Flocken  aus;  aber  mehrere  Autoren 
behaupten,  dass  die  Cei'ealien  nicht  mehr  Wirkung  als  das  Wasser 
haben,  und  dieselben  denken,  dass  die  Verdünnung  der  Kuhmilch  mit 
Wasser  nothwendig  ist.  Dieser  Widerspruch  ist  für  Diejenigen,  welche 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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den  Gebrauch  dextrinirter  Mehlgattungen  behufs  Verdünnung  der 
Milch  empfehlen,  beseitigt. 

Die  Menge  der  in  den  Getreidegattungen  enthaltenen  Stärke¬ 
substanzen  ist  irrthümlicher  Weise  als  unverdaulich  betrachtet  worden, 
wiewohl  zahlreiche  Beobachtungen  das  Gegentheil  bewiesen  haben. 
Die  Abkochungen  von  Cerealien  dienen  zur  Verdünnung  des  über¬ 
mässigen  Caseins  der  Kuhmilch.  Die  Lactose  wird  hauptsächlich  im 
Magen  absolvirt,  zum  Theile  im  Darme  und  zum  Theile  in  Milchsäure 
verwandelt.  Sie  ist  zur  Verdaung  nothwendig  und  antiseptisch,  aber 
es  ist  unmöglich,  davon  eine  gleichartige  Menge  von  der  Wirkung, 
welche  die  Mehlgattungen  erzeugen,  zu  verabreichen.  Ausserdem  zer¬ 
setzen  sich  die  Peptone  der  Milch  durch  die  sauere  Gährung.  Darum 
darf  der  Milchzucker  nicht  in  grosser  Menge  gegeben,  kann  jedoch 
durch  die  anderen  Kohlehydrate  ersetzt  werden.  Man  muss  sich  des 
Rohrzuckers  bedienen,  weil  die  Kuhmilch  genügend  Lactose  zur  Ver¬ 
dauung  enthält.  Ueberdies  enthält  der  Darm  des  Kindes  ein  Ferment, 
welches  den  Rohrzucker  umwandelt  und  dessen  Aufsaugung  ermöglicht; 
endlich  haben  alle  Kohlehydrate  das  Vermögen,  das  Albumin  vor 
Fäulniss  zu  bewahren. 

Das  Fett  wird  der  Kuhmilch  behufs  Vermehrung  ihrer  nutritiven 
Eigenschaften  zugesetzt  (indem  es  den  Verlust  von  Fett  und  Albumin 
in  den  Geweben  hindert)  und  behufs  Vertheilung  des  Caseins  in 
kleinste  Partikelchen. 

Auch  die  Frauenmilch  hat  oft  genügend  Fett,  um  eine  Diarrhöe 
zu  erzeugen,  und  auch  die  normalen  Stühle  des  Kindes  haben  reines 
Fett  in  beträchtlicher  Menge.  Die  Fettkügelchen  der  Kuhmilch  sind 
grösser,  weniger  zahlreich  und  weniger  absorbirbar  als  die  der  Frauen¬ 
milch;  diese  beiden  Fettgattungen  sind  chemisch  nicht  gleich.  Wenn 
das  Kind  mit  Kuhmilch  genährt  wird,  so  enthält  der  Urin  häufig 
Ammoniak  und  der  Darm  giftige  Substanzen. 

Die  Mineralstoffe  sind  in  beiden  Milchgattungen  verschieden. 
Der  Zusatz  von  Kochsalz  zur  Kuhmilch  ist  aus  physologischen  und 
chemischen  Gründen  erforderlich. 

Bei  der  künstlichen  Ernährung  ist  es  besser,  sich  selbst  die 
Milch  zu  bereiten,  als  im  Handel  zu  kaufen.  In  Wirklichkeit  ist  die 
Abscheidung  und  Wiederzusammensetzung  der  Milchbestandtheile  auf 
mechanischem  Wege  ein  Vorgang  von  zweifelhaftem  Werthe. 

XIII.  V  a  riot:  Ueber  die  methodische  Anfertigung 
der  sterilisirten  Milch  durch  die  Industrie  in 
grossen  Städten.  (Ref.  Dr.  Sp.) 

Die  Herbeischaffung  und  der  Transport  frischer  Milch  in  grossen 
Städten  lassen  Gährungen  und  Schädlichkeiten  derselben  nur  schwer 
vermeiden.  Alle  unreinen,  spät  sterilisirten  Milchgattungen  sind  zur 
künstlichen  Ernährung  ungeeignet.  Für  grosse  Städte  ist  es  vortheil- 
haft,  die  für  kleine  Kinder  bestimmte  Milch  erst  nach  deren  Sterilisa¬ 
tion  an  Ort  und  Stelle  im  Centrum  ihrer  Erzeugung  zu  importiren. 

Die  industrielle  Sterilisation  geschieht  im  Grossen,  in  Werk¬ 
stätten,  welche  mit  den  speciellen  Geräthen  hiezu  versehen  sind.  Eine 
der  besten  Methoden  besteht  darin,  die  in  Flaschen  zu  '/4 — '/2  l 
eiDgeschlossene  Milch  auf  115°  zu  bringen;  die  Flaschen  sind  mit 
paraffinirten  Korkstöpseln  hermetisch  geschlossen,  in  denen  sich  die 
Milch  14  Tage  und  länger  anstandslos  conservirt.  Die  Kleinheit  der 
Flaschen  und  ihr  hermetischer  Verschluss  verhüten  jeden  Versuch 
eines  Betruges.  Die  Milch  bleibt  nach  Wegnahme  der  zur  Füllung 
der  Saugfläschchen  nöthigen  Partien  steril,  vorausgesetzt,  dass  die 
Stöpsel  bei  jeder  Wegnahme  von  Milch  wieder  ordentlich  eingefügt 
werden. 

Die  industrielle  Erzeugung  sterilisirter  Milch  ist  im  Grossen  sehr 
handlich.  Im  Dispensar  zu  Belleville  werden  täglich  150  l  Milch  ver¬ 
theilt,  was  bei  dem  Typus  Soxhlet  wegen  der  unendlichen  Zahl 
der  Flasöhen  schwierig  wäre.  Innerhalb  vier  Jahren  haben  wir  an 
mehr  als  800  Säuglinge  beiläufig  160.000 1  vertheilt.  Die  Kinder 
wurden  jede  Woche  besichtigt  und  gewogen. 

Unsere  Schlussfolgerungen  sind: 

1.  Die  industriell  sterilisirte  Milch,  welche  je  nach  dem  Alter 
oder  Gewicht  der  Kinder  in  graduirten  Saugfläschchen  vertheilt  wird, 
hat  dieselben  Vortheile,  wie  die  vom  Lande  beschaffene  frische  und  mit 
den  Apparaten  des  Typus  Soxhlet  sterilisirte  Milch. 

2.  Es  ist  erwiesen,  dass  die  Mehrzahl  der  Säuglinge  von  zwei 
oder  drei  Monaten  ab  diese  pure  Milch  verträgt.  Das  Uebermass  von 
Proteinsubstanzen  scheint  weniger  schädlich,  als  man  im  Allgemeinen 
glaubt.  In  den  ersten  Monaten  genügt  es,  die  Milch  mit  V 3  oder 
*/4 1  gekochten  Wassers  und  der  Hinzufügung  von  etwas  Staubzucker 
zu  verdünnen. 

3.  Nicht  blos  gesunde  Kinder,  sondern  auch  mehr  als  300 
Kinder  mit  Gewichtsverlusten  wurden  mit  Erfolg  mit  dieser  Milch 
aufgezogen. 

4.  Bei  mehr  als  800  Säuglingen  haben  wir  nicht  einen  einzigen 
Fall  von  Barlo  w’scher  Krankheit  beobachtet ;  die  Rachitis  ist  sehr 
ausnahmsweise,  andererseits  wird  eine  hartnäckige  Verstopfung  und 
bemerkenswerthe  Anämie  nicht  selten  beobachtet. 


XIV.  M  a  r  f  a  n  t  (Paris) :  Ueber  die  Aetiologie  und 
Pathogenie  der  Magen-Darmkatarrhe  der  Säuglinge. 
(Ref.  Dr.  Sp.) 

Das  bacteriologische  Studium  der  Gastroenteritiden  der  Säug¬ 
linge  zeigte  wohl  die  Bedeutung  der  Infection  in  diesen  Krankheiten, 
allein  es  sind  auch  andere  Ursachen  zu  betrachten,  und  häufig  ist  die 
Infection  nur  secundär.  In  Folgendem  will  ich  die  Gastroenteritiden 
der  Säuglinge,  die  prädisponirenden,  die  wirksamen  und  die  indirecten 
Ursachen  derselben  betrachten. 

1.  Der  Säugling  ist  hauptsächlich  für  diese  Krankheit,  welche 
die  Hauptursache  der  enormen  Sterblichkeit  des  ersten  Lebensalters 
ist,  prädisponirt.  Diese  Prädisposition  ist  dadurch  bedingt,  dass 
das  Kind  mit  einem  unvollendeten  Verdauungsrohre,  welches  blos  die 
Milch  zu  verdauen  geeignet  ist,  geboren  wird,  und  andererseits  gegen 
Infection  und  Intoxication  schlecht  vertheidigt  ist. 

2.  Bezüglich  der  wirksamen  Ursachen  kann  man  die  Gastro¬ 
enteritiden  in  vier  Gruppen  eintheilen.. 

a )  Die  dyspeptischen  Gastroenteritiden  stammen  von  fehlerhafter 
Verarbeitung  der  Nahrung,  sei  es,  weil  das  Kind  mit  Milch  übernährt 
ist,  sei  es,  weil  es  zu  schnell,  übermässig,  ohne  Unterscheidung,  andere 
Nahrungsmittel  als  Milch  erhalten  hat,  woraus  sich  zwei  Gattungen 
von  dyspeptischen  Gastroenteritiden  ergeben:  Ueberernährung,  vor¬ 
zeitige  oder  schlecht  geleitete  Entwöhnung.  In  beiden  scheint  die  Ga¬ 
stroenteritis  an  eine  endogene  Intoxication  oder  Infection  gebunden  zu  sein. 

b)  Die  primitiven  infectiösen  Gastroenteritiden  folgen  auf  Ein¬ 
wanderung  pathogener  Mikroben  in  den  Verdauungstract  von  der 
Mundhöhle  aus.  Die  Kuhmilch  ist  die  Hauptquelle  dieser  Infectionen. 
Von  Mikroben  wurden  verschiedene  Arten  von  Bacterium  coli,  Bac¬ 
terium  proteolyticum  und  Streptococcen  beobachtet.  Die  Sterilisation 
der  Milch  hat  hier  ausgezeichnete  Resultate  ergeben. 

Bei  der  Ernährung  durch  die  Mutter  können  Eiterungen  der 
Brustdrüsen  Gastroenteritiden  mit  Staphylococcen  oder  Streptococcen 
zur  Folge  haben. 

Bei  Ansammlungen  von  Säuglingen  in  Krippen  und  Spitälern 
gibt  es  andere  Ursachen  der  Infection:  Die  Ansteckung  eines  ge¬ 
sunden  Kindes  von  einem  mit  Diarrhöe  behafteten  Kinde  durch  die 
Hände  der  Wärterin,  durch  Brustwarzen,  Saugfläschchen,  Badewasser, 
Thermometer,  möglich  auch  durch  den  atmosphärischen  Staub.  In 
diesen  Fällen  kann  man  einen  der  bereits  erwähnten  Mikroben  oder 
den  Bacillus  poocyaneus  oder  auch  Staphylococcen  vorfinden. 

Zur  Zeit  der  Entwöhnung  können  Wasser,  Fleisch  und  andere 
Nahrungsmittel  die  Träger  einer  gastrointestinalen  Infection  werden ; 
man  hat  das  Wasser  als  Vermittler  der  Infection  mit  Protozoen  und 
das  Fleisch  von  Infectionen  mit  Proteus  vulgaris  beschuldigt. 

c)  Die  primitiven  toxischen  Gastroenteritiden  sind  das  Resultat 
einer  chemisch- giftigen  Substanz  uud  deren  Eindringens  in  das  Ver¬ 
dauungsrohr. 

Die  Vergiftungen  durch  Aetzmittel  sind  in  der  ersten  Kindheit 
sehr  selten;  die  Vergiftungen  durch  Medicamente,  besonders  durch 
Kalomel,  viel  häufiger.  Die  Milch  ist  die  gewöhnliche  Quelle  der 
Intoxication.  Sie  kann  toxische  Producte  von  Nahrungsmitteln,  Medi- 
camenten,  oder  Krankheiten  der  Amme  oder  der  weiblichen  Brust¬ 
drüse  enthalten.  Bei  der  künstlichen  Ernährung  können  in  der  Kuh¬ 
milch  in  betrügerischer  Weise  eingeführte  Gifte  eingeschlosseji  sein; 
ferner  Toxine  aus  der  Fermentation  hervorgegangen,  und  so  scheint, 
dass  sich  unter  diesen  Toxinen  einige  befinden,  welche  durch  die 
Sterilisation  nicht  zerstört  werden.  Wenn  zwischen  dem  Melken  und 
der  Sterilisation  der  Zeitraum  zu  gross  ist,  so  haben  die  Mikroben, 
besonders  im  Sommer,  Zeit,  sich  activ  zu  vermehren,  und  wenn  es 
wahr  ist,  wie  ich  glaube,  dass  sie  zuweilen  durch  die  Hitze  nicht 
zerstörbare  Toxine  erzeugen,  so  gewährt  die  zu  spät  vorgenommene 
Sterilisation  keine  Sicherheit  mehr. 

Diese  Hypothese  scheint  mir  den  Ursprung  der  Sommerdiarrhöen, 
besonders  der  Kindercholera  aufzuklären. 

d )  Die  secundären  Gastroenteritiden  folgen  auf  verschiedene 
Krankheiten.  Man  beobachtet  im  jugendlichen  Alter  die  secundären 
Diarrhöen  bei  Masern,  Grippe,  Diphtherie,  bei  den  Infectionen  durch 
Staphylococcen  und  Streptococcen,  bei  den  syphilitischen  und  tuber- 
culösen  Kachexien,  endlich  im  Verlaufe  aller  Infectionen  der  Athmungs- 
organe.  Sie  sind  zweifellos  bedingt:  1.  Entweder  durch  Ausscheidung 
der  Mikroben  oder  Gifte  durch  die  Magen-Darmschleimhaut  oder 
Galle;  2.  oder  durch  Schwächung  der  Verdauungssäfte  oder  Dyspepsie 
oder  endogene  Toxininfection ;  3.  durch  Hinabschlucken  septischer,  aus 
den  Athmungswegen  abstammender  Producte. 

3.  Die  Wirkung  der  eben  aufgezählten  vier  Ursachen  kann 
durch  entfernte  Einflüsse,  Sommerhitze,  Verkühlung,  Zahnung  be¬ 
günstigt  werden. 

Der  Einfluss  der  Sommerhitze  auf  die  Gastroenteritiden  der  Säuglinge 
ist  einer  der  am  besten  studirten:  Die  Häufigkeit  uud  Schwere  der 
Diarrhöen  wächst  in  der  warmen  Jahreszeit  in  enormen  Proportionen. 
Die  Kindercholera  ist  die  typischeste  Form  der  Sommerdiarrhöen. 


1)54 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Dor  Einfluss  der  Verkühlung  und  Zahnung  besteht  in  der  Be¬ 
günstigung  einer  endogenen  Infection  in  I  olge  der  Störung,  welche 
sie  in  den  Secretionen  und  in  der  Circulation  des  Verdauungsapparates 
hervorrufeu. 

* 

Abtheilung  für  Laryngologie  und  Rhinologie. 

Referent  Dr.  S  p. 

I.  Schmiegelow  (Kopenhagen):  Ueber  die  Technik 
der  Thyreotomie. 

Die  Operation,  welcher  die  Tracheotomie  vorausgehen  muss, 
wird  in  tiefer  Narkose  vollzogen. 

Die  Trachealcanule  muss  so  beschaffen  sein,  dass  sie  die  Aspi¬ 
ration  des  Blutes  während  der  Operation  verhindert.  Die  Tampon- 
canule  von  Hahn  ist  die  beste.  Nach  Eröffnung  des  Larynx  durch 
einen  Schnitt  in  den  Schildknorpel  muss  der  untere  Theil  de3  Pharynx 
durch  Schwamm  tamponirt  werden,  um  das  Hinabrinnen  des  Speichels 
in  den  Larynx  zu  verhindern. 

Um  die  Empfindlichkeit  der  Schleimhaut  des  Kehlkopfes  zu 
verringern,  ist  daselbst  eine  Cocainlösung  aufzutragen. 

Nach  Vollendung  der  Operation  und  Stillung  der  Blutung  ent¬ 
fernt  man  die  Tamponcanule  und  bestäubt  das  Kehlkopfinnere  mit 
.Jodoform.  Die  Wunde  wird  mit  Watta  und  Jodoformgaze  bedeckt,  die 
in  den  ersten  Tagen  öfters  gewechselt  werden.  Der  .Kranke  muss  mit 
dem  Kopf  so  viel  wie  möglich  horizontal  gelagert  werden,  und  nach 
fünf  bis  sechs  Tagen  wird  die  Wunde  genug  geschlossen  sein,  um  das 
Aufstehen  zu  gestatten. 

II.  Gor  is  (Brüssel):  Ueber  die  unmittelbaren  und 
entfernten  Resultate  der  Thyreotomie. 

Zur  Erlangung  vergleichender  Resultate  haben  wir  den  Specia- 
listen  ein  Bulletin  mit  dem  Ersuchen  übersendet,  uns  darin  die  ver¬ 
schiedenen  Diagnosen,  Alter,  Geschlecht  der  Operirten,  genauen  Sitz 
der  Affection,  Allgemeinzustand  des  zu  Operirenden,  die  Operationsart, 
endlich  die  Resultate  bekannt  zu  geben. 

So  erhielten  wir  die  Verzeichnisse  von  105  Thyreotomien, 
und  zwar: 

62  wegen  bösartiger  Kehlkopfgeschwülste, 

14  „  Tuberculose, 

25  „  gutartiger  Geschwülste, 

2  „  Stenosen, 

1  „  Fremdkörper, 

1  „  Rhinosklerom. 

Von  diesen  105  Operirten  starben  4  an  Pneumonie  innerhalb 
acht  Tagen  nach  der  Operation. 

Die  Thyreotomie  an  und  für  sich  gehört  zu  den  gutartigen 
Operationen,  denn  sie  gibt  eine  Proportion  von  weniger  als  vier  Todes¬ 
fällen  von  100. 

Thyreotomien  wegen  bösartiger  Geschwülste. 

Die  bösartigen  Tumoren  befallen  zumeist  das  männliche  Ge 
schlecht.  Unter  62  unserer  Statistik  waren  55  männliche,  3  weibliehc 
Kranke.  Bei  4  ist  das  Geschlecht  nicht  angegeben. 

Nach  dem  Alter  vertheilen  sich  die  Fälle: 

Zwischen  30  und  40  Jahren  4,  40 — 50  14,  50 — 60  20,  60 
bis  70  18,  70—75  4,  ohne  Altersangabe  2. 

^ras  die  Stimme  betrifft,  sind  die  Resultate  nach  der  Aus¬ 
dehnung  der  Operation  verschieden.  Im  Allgemeinen  gestattet  die  Ent¬ 
fernung  eines  Stimmbandes  die  Emission  gewisser  Töne.  In  manchen 
Fällen  bleibt  die  Stimme  nach  Entfernung  eines  Stimmbandes  in  Folge 
der  Bildung  eines  narbigen  Bandes  ausgezeichnet. 

Was  die  entfernten  Resultate  betrifft,  haben  wir  Sar¬ 
kome  und  Carcinome  trotz  der  verschiedenen  Bösartigkeit  vereinigt, 
weil  die  Zahl  der  verzeichneten  Sarkome  zu  gering  ist,  um  die  Statistik 
zu  beeinflussen. 

Von  62  Fällen  muss  man  7  abziehen,  bei  welchen  die  Exstir¬ 
pation  des  Larynx  gemacht  wunde.  Diese  Fälle  könnten  hier  nicht  in 
Rechnung  kommen.  Wir  werden  jene  Fälle,  bei  denen  im  Gefolge 
einer  Thyreotomie  die  Exstirpation  eines  Knorpeltheiles  stattfand,  nicht 
ausscheiden,  weil  hiebei  die  Thyreotomie  der  Ilaupteingriff  ist. 

4  Fälle  von  C  h  i  a  r  i  und  2  von  Moure  sind  noch  zu  frischen 
Datums,  um  auf  das  Activum  der  Thyreotomie  schon  gesetzt  zu 
werden;  somit  verbleiben  49  an  bösartigen  Geschwülsten 
0  p  e  r  i  r  t  e. 

Hievon  überlebten : 

10  Jahre  .  .  .  .  1  (Bo  ecke  1) 

5— 8  „  ....  8 
2—5  „  ....  14 

23, 

also  46'9%  der  Fälle,  die  man  als  geheilt  betrachten  kann.  Endlich 
besitzen  w  ir  7  Fälle,  bei  denen  das  Ueberleben  oder  der  Nichteintritt  einer 
Recidive  länger  als  ein  Jahr  nach  der  Heilung  constatirt  worden  ist. 


III.  Jacobson  (Petersburg):  Ueber  spasmodische 
Rhinitis. 

1.  Die  spasmodischen  Nasenentzündungen,  verschieden  in  Aetio- 
logie  und  Verlauf,  haben  mehrere  Arten  und  Formen. 

2.  Diese  Formen  sind  noch  nicht  genügend  studirt  und  diffe- 
renzirt,  werden  daher  oft  vermengt. 

3.  Es  ist  absolut  nöthig,  den  Heuschnupfen  (rhume  des 
foins)  als  besondere,  am  meisten  studirte  Gattung  mit  periodischem, 
charakteristischem  Verlaufe  und  einer  durch  experimentelle  Unter¬ 
suchungen  begründeten  Aetiologie  abzugrenzen  (B  1  a  k  1  e  y).  Meiner 
Ansicht  nach  hat  Morell  - Mackenzie  die  exacteste  Definition  dieses 
Schnupfens  gegeben,  die  A.  Ruault  als  „excellent1'  bezeichnet  hat. 

4.  Der  Heuschnupfen  muss  als  eine  Art  der  spasmodischen 
Rhinitis  betrachtet  werden  (L  e  r  m  o  y  e  z)  und  diese  Bezeichnung  darf 
in  keiner  Weise  auf  die  spasmodischen  Rhinitiden  aus  anderen  Ur¬ 
sachen  angewendet  werden. 

5.  Man  muss  zugeben,  dass  ein  gut  Theil  der  spasmodischen 
Rhinitiden  durch  vasomotorische  Paralysen  erklärt  w’erden  kann.  Coryza 
vasomotoria  (M  o  r  i  z  Schmidt). 

6.  Sicher  gibt  es  spasmodische  Rhinitiden,  die  man  als  Toxi- 
rhinitiden  bezeichnen  könnte  (Jakobson),  wie  bei  den  Fällen  von 
Toxidermie. 

7.  Diese  Toxirhinitiden  w’erden  durch  Intoxicationen  und  Auto- 
intoxicationen  herbeigeführt,  haben  einen  acuten  Verlauf,  sind  mit 
gastrointestinalen  Störungen  und  Hauteruptionen  (Urticaria)  complicirt, 
befallen  Personen  von  guter  Gesundheit  ohne  allgemeine  Prädisposition; 
sie  sind  wie  alle  Intoxicationen  zufällig  ohne  Neigung  zu  Recidiven. 

8.  Nur  wenn  man  die  spasmodischen  Rhinitiden  als  Processe  vaso¬ 
motorischen  Ursprunges  ansieht,  kann  man  die  Hy  drorrhoea  na- 
salis  hier  einbeziehen,  weil  diese  an  kein  spasmodisches  Phänomen 
geknüpft  ist. 

9.  Die  Hydrorrhoea  nasalis,  weil  durch  innere  Ursachen  bedingt, 
kann  ausser  abundanter  Secretion  keine  localen  Phänomene  darbieten. 

In  diesen  Fällen  ist  die  Schleimhaut  nicht  geschwellt,  nicht  injicirt. 

IV.  C  a  p  a  r  t  (Brüssel) :  Behandlung  der  Stimmband 
oder  Sängerknötchen. 

Die  Behandlung  der  Stimmbandknötchen  kann  hygienisch,  medi- 
camentös,  operativ  sein.  Mehrere  Autoren  haben  Fälle  von  Heilung 
nur  durch  fortgesetztes  Schweigen  verzeichnet.  Es  wäre  mindestens 
gewagt,  sich  darauf  zu  verlassen.  Die  Ruhe  des  Organes  kann  wohl 
einen  reellen  Einfluss  auf  die  Besserung  der  Laryngitis,  welche  die 
Grundlage  der  Knötchenbildung  ist,  ausüben,  niemals  aber  sah  ich  die 
mindeste  Wirkung  auf  diese  selbst. 

Unter  medicamentöser  Behandlung  bezeichne  ich  adstringirende 
oder  antiseptische  Pulverisationen  oder  Einblasungen,  das  B<  streichen 
mit  Lapislösungen,  das  Kauterisiren  mit  reinem  oder  mitigirtem  Lapis¬ 
stifte  oder  mit  Chromsäure  unter  Anwendung  einer  Reihe  mehr  minder 
ingeniöser,  zu  diesem  Zwecke  erdachter  Instrumente.  Alle  diese  Mitte¬ 
sind  wirkungslos,  sogar  gefährlich.  Der  wirksame  Stoff  diffundirt,  über¬ 
schreitet  die  gewünschten  Grenzen  und  kann  eine  Entzündung  hervor- 
rufen,  deren  Wirkung  und  Ausbreitung  man  hier  nicht  ab¬ 
schätzen  kann. 

Somit  muss  man  immer  zum  operativen  Verfahren  greifen,  zur 
Abtragung  oder  galvanokaustischen  Zerstörung. 

Im  Allgemeinen  ist  es  unklug,  Instrum«  nte  zu  vei  w  enden, 
welche  nach  Art  der  Wegschaffung,  Hebung  des  Stückes  (empörte 
piece)  wirken.  Man  läuft  Gefahr,  mehr  als  wünsehenswerth  anzu¬ 
greifen,  die  unterliegenden  Gewebe  zu  erreichen  und  so  die  Sing¬ 
stimme  für  immer  zu  verderben.  Man  muss  daher  den  feinsten, 
zartesten  Pincetten  den  Vorzug  geben,  z.  B.  denen  der  Professoren 
Schmidt,  J  u  r  a  s  z,  oder  der,  welche  ich  seit  Jahren  empfehle,  und 
welche  ebenso  gut  von  vorne  nach  rückwärts,  als  seitwärts  wirkt. 

Man  darf  sich  nicht  fürchten,  den  Knoten  in  seiner  Gänze  bis 
zur  Basis  der  Einpflanzung  wegzuschaffen. 

Erinnert  man  3ich  der  ausgezeichneten  Erfolge  des  Professors 
Lab  us,  welcher  die  Abschälung  des  Stimmbandes  (decortication, 
Ecorticamento)  empfohlen  hat,  so  braucht  man  nicht  zu  besorgen,  die 
Grenzen  des  Uebels  zu  überschreiten.  Um  diesen  Preis  geschieht  die 
Heilung. 

Die  galvanokaustische  Behandlung  wild  blos  für  jene  Fälle  re- 
servirt  sein,  wo  die  Geschwülstchen  so  klein  sind,  dass  sie  zwischen 
die  Zähne  der  Pincette  nicht  gefasst  werden  können,  oder  auch,  um 
i  nach  einer  unzureichenden  Extraction  die  Ränder  zu  glätten. 

Man  muss  jedenfalls  bedenken,  dass  Recidiven  eintreten  können. 
Diesen  auszuw7eichen,  ist  eine  sehr  strenge  Hygiene  das  beste  Mittel. 
Nach  der  Operation  wird  das  Stillschweigen  sehr  verlängert,  der  Gesang 
durch  mindestens  einen  Monat  unterdrückt  werden.  Absoluter  Wechsel 
der  Methode,  des  Registers  oder  Lehrers,  w’enn  dies  am  Platze  ist. 

Endlich  der  Aufenthalt  in  einem  Curorte,  Ems,  Mont-Dore  oder 
Luchon,  je  nach  den  speciellen  Indicationen.  (Fortsetzung  folgt.) 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


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schnell.  Wirkt  in  manchen  Fällen  zwar  weniger  stark  gra- 
nulirend  als  Jodoform,  übertrifft  aber  Jodoform  und  alle  an¬ 
deren  Mittel  in  epithelbildender  Wirkung.  Von  specifischer 
Wirkung  bei  ulcera  mollia,  ulcus  cruris,  allen  nässenden 
Ekzemen  u.s.w.  Frische  Wunden  heilen  per  primam;  abgekürzte 
Heilungsdauer.  Infolge  der  Ungiftigkeit  und  schmerzstillenden 
Wirkung  von  grossem  Vortheil  in  der  Gynäkologie  und  bei 
Brandwunden.  Bei  chronischen  nässenden  Ekzemen  (Intertrigo 
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die  Dauer  eines  Jahres,  zahlbar  in  zwei  halbjährigen  Raten  ä  260  K  an 
einen  durch  seinen  Fleiss  und  sein  Talent  würdig  befundenen  Candidaten 
der  medicinischen  Doctorswürde  zur  Bestreitung  der  Doctorats-  und  Rigorosen- 
taxen  ohne  Unterschied  der  Confession  zur  Verleihung. 

Dem  Gesuche,  worin  der  Wohnort  des  Bewerbers  anzugeben  ist,  sind 
anzusckliessen : 

1.  Der  Tauf-  oder  Geburtsschein  des  Bewerbers. 

2.  Ein  von  der  Ortsbehörde  ausgestelltes  Armuthszeugnis. 

3.  Ein  von  dem  Decanate  der  medicinischen  Facultät  in  Wien  ausgestelltes 
Zeugnis,  worin  bestätigt  wird,  dass  der  Bewerber  die  medicinischen 
Studien  in  der  vorgeschriebenen  Zeit  im  Jahre  1900  an  der  Wiener  Uni¬ 
versität  absolvirt  habe,  zur  Ablegung  der  Rigorosen  bereits  angemeldet 
und  zugelassen  sei. 

4.  Zeugnisse  über  abgelegte  Prüfungen  und  eventuell  abgelegte  Rigorosen. 

Bewerber  um  dieses  Stipendium  haben  ihre  ungestempelten  Gesuche 
spätestens  bis  20.  October  1900  bei  der  Witwen-  und  Waisen-Societät  des 
Wr.  med.  Doctoren-Collegiums  1.  Rothenthurmstr.  Nr.  21/23  einzureichen. 

WIEN,  am  25.  September  19  )0. 

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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexandor  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 
M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 
H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Sehrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Abonnomentspreis 
jährlich  20  K  —  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
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Verlagshandlung : 

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Verlag  von  Wilhelm  Braumüller, 

XIII.  Jahrgang. 


k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 


Wien,  18.  October  1900. 


Hr.  42. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


1. 


Oliginalartikel:  1.  Die  corticalen  Sehcentren.  Anatomische  und  ex- 
Ö  perimentelle  Untersuchungen.  Von  Prof.  St.  Bernheimer  (Inns¬ 
bruck). 

2.  Aus  der  k.  k.  neurologisch-psychiatrischen  Klinik  der  Universität 
Graz  (Prof.  Anton).  Eine  eigenartige  postmortale  Cystenbildung  im 
Centralnervensystem.  Von  Dr.  Fritz  Hartmann,  klinischem 
Assistenten. 

3.  Zur  Lehre  vom  Trachom.  Von  C.  Ziem  in  Danzig.  (Schluss.) 


II.  Referate:  Atlas  und  Grundriss  der  Ophthalmoskopie  und  ophthal¬ 

moskopischen 'Diagnostik.  Von  Prof.  Dr.  O.  Haab.  Das  Sarkom 
des  Auges.  Von  Rosa  Putiata-Kerschbaumer.  —  Ein  Beitrag 
zur  Therapie  der  Netzhautablösung.  Von  Arnold  Staerkle. 
Ref.  Dr.  Wintersteiner. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  (  ongressbenchte. 


Die  corticalen  Sehcentren. 

Anatomische  und  experimentelle  Untersuchungen. 

Referat,  erstattet  im  Aufträge  des  internationalen  medicinischen  Congresses 
in  Paris  1900  (ophthalraologische  Section). 

Von  Prof.  St.  Bernheimer  (Innsbruck). 

Meine  Herren! 

Ich  bin  mir  der  Ehre  wohl  bewusst,  die  mir  durch  die 
Aufforderung  erwiesen  wurde,  gemeinsam  mit  zwei  hervor¬ 
ragenden  Collegen 2 *  4)  heute  eine  Frage  vor  Ihnen  zu  besprechen, 
welche  seit  drei  Decennien  mit  besonderer  Sorgfalt  und  bestem 
Erfolge  auf  verschiedensten  Wegen  angegangen  wird. 

Es  haben  schon  so  viele  und  bedeutende  Forscher 
Wichtiges  und  Gediegenes  zur  Ergründung  der  Sehbahnen 
und  der  corticalen  Sehcentren  beigetragen,  dass  sicherlich 
wenige  Abschnitte  der  feineren  Hirnanatomie  durch  anatomische, 
experimentelle  und  klinische  Forschung  so  eingehend  be¬ 
handelt  sind,  wie  gerade  der  Aufbau  der  optischen  Bahnen. 
Nur  der  Umstand,  dass  trotz  alledem  in  wichtigen  Punkten 
noch  keine  einheitliche  Auffassung  herrscht  und  dass  nament¬ 
lich  die  anatomischen  und  experimentellen  Studien  geeignet 
sind,  in  mancher  Hinsicht  aufklärend  zu  wirken,  hat  mich 
veranlasst,  besonders  in  dieser  Richtung  die  Frage  nach  den 
corticalen  Sehcentren  vor  einem  so  ausgewählten  Forum  zu 
behandeln. 

Trotzdem  ich  mich  seit  Jahren  mit  derlei  Studien  be¬ 
fasse,  werde  ich  wohl  nur  einen  bescheidenen  Beitrag  liefern 
können,  der  weit  davon  entfernt  ist,  die  Divergenzpunkte  aus 
der  Welt  zu  schaffen,  vielleicht  aber  doch  dazu  beitragen 
dürfte,  unhaltbare  Hypothesen  zu  verwischen  und  begründe¬ 
teren  festen  Boden  zu  verschaffen  oder  zum  Mindesten  An¬ 
regung  geben  wird,  in  der  mir  Erfolg  versprechenden  Richtung 
weiter  zu  forschen. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  Ihnen  die  grosse  I  rille  von  ana¬ 
tomischen  und  experimentellen  Arbeiten  in  ihren  Einzelheiten 


vorzuführen  und  kritisch  zu  beleuchten.  Dazu  würde  die  uns 
bemessene  Zeit  nicht  ausreichen,  wir  müssten  den  Umfang 
unserer  Aufgabe  weit  überschreiten,  auch  würde  ich  Ihre  Ge¬ 
duld  mit  der  Schilderung  bekannter  Thatsachen  zu  sehr  m 
Anspruch  nehmen,  ohne  unserem  Ziele  näher  zu  kommen.  "W  ii 
wollen  also  den  Weg,  den  unsere  verdienten  Vorarbeiter  ge¬ 
wandert  sind,  rasch  durchschreiten,  hie  und  da  an  besonc.ers 
wichtigen  Marksteinen  kurz  verweilend,  und  die  neuesten 
eigenen  anatomischen  und  experimentellen  Untersuchungen 

daran  anschliessen.  ,  .  , 

Vor  bald  30  Jahren  bat  Hitzig2)  als  Erster  durch  das 
Experiment  nachgewiesen,  dass  Zerstörungen  im  Bereiche  des 
Hinterhauptslappens  beim  Hunde  Sehstörungen  bedingen  ,  welche 
er  zunächst  nur  auf  das  gekreuzte  Auge  bezog.  Hiemit  war 
der  Anstoss  gegeben  zur  experimentellen  Erforschung  dei  Seh¬ 
centren,  nachdem  schon  zehn  Jahre  vorher  v.  Graete')  den 
vorhersehenden  Ausspruch  gethan  hatte,  dass  bei  Gehirnleiden 
die  Sehstörung  in  Form  von  Hemianopsien  auftreten  müsse; 
Lewick4)  lieferte  1866  den  ersten  pathologisch-anatomischen 
Nachweis  hiefür;  ihm  folgten  bis  auf  unsere  Zeit  gegen  2o 
mehr  oder  weniger  genau  untersuchte  klinische  und  patho¬ 
logisch-anatomische  Fälle  von  sogenannten  corticalen  Hemi¬ 
anopsien.  Sie  alle  liefern,  wie  Sie  von  anderer  Seite  noch  hören 
werden,  einheitlich  den  Beweis,  dass  einseitige  Zerstörungen 
im  Bereiche  des  Hinterhauptslappens,  wie  v.  G  r  a  e  f  e  vorher¬ 
gesagt,  Hemianopsien  beider  Augen  bedingen  und  dass  bei 
oleichzeitiger  umschriebener  Erkrankung  des  anderen  Hintei- 
hauptslappens  auch  die  anderen  correspondirenden  Gesichts¬ 
feldhälften  ausfallen.  _  .  . 

Sowohl  in  den  reinen  einseitigen  Hemianopsien,  wie 
auch  in  den  doppelseitigen,  die  bis  jetzt  klinisch  und  ana¬ 
tomisch  bekannt  geworden  sind,  war  stets  die  centrale 
Sehschärfe  nur  geschwächt  oder  gar  ungeschwächt  erhalten; 

2)  Hitzig,  Untersuchungen  über  das  Gehirn.  Archiv  für  Psyehiatue. 

1874,  13)d‘vXC r’aefe,  Klinische  Monatsblätter  für  Augenheilkunde.  1865. 

4)  Lewick,  American,  journ.  ot  mat.  fee.  1866. 


*)  Henschen  (Upsala),  Angel  ucci  (Palermo) . 


956 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


ebenso  ist  uns  bis  beute  kein  Fall  bekannt  geworden,  bei 
welchem  ausschliesslich  die  homonymen  Maculahälften  aus¬ 
gefallen  wären,  während  die  Peripherie  der  Netzhäute  in  nor¬ 
maler  Weise  functionsfähig  geblieben  wäre. 

Diese  merkwürdige  und  wichtige  Thatsache,  die  Frage 
nach  der  Art  der  Vertretung  der  Maculafasern  in  der  Gehirn¬ 
rinde,  ist  trotz  sorgfältigsten  Studiums  des  klinischen  und 
pathologisch-anatomischen  Materiales  nicht  gelöst  worden. 
Ebensowenig  war  man  bisher  im  Stande,  auf  diesem  Wege  die 
Grenzen  des  gesammten  Sehcentrums  in  der  Rinde  des  Hinter¬ 
hauptlappens  und  im  tiefen  Marke  desselben  bestimmt  und 
scharf  zu  ziehen.  Wenn  auch  ein  Theil  der  Windungen  des 
Hinterhauptslappens  (Cuneus,  Fossa  calcarina)  einhellig  von 
Allen  für  das  sogenannte  Sehcentrum  gehalten  wird,  so  geht 
doch  auch  die  Ansicht  Vieler  dahin  (Angelucci.  Bianchi5), 
Luciani-Sepilli0),  F  e  r  r  i  e  r 7)  u.  A.),  dass  die  in  Betracht 
kommenden  Rindentheile,  sowohl  die  mediale,  als  auch  die 
laterale  Convexität  des  Hinterhauptslappens  einnehmen,  das 
Sehcentrum  sich  lateral  bis  an  den  Gyrus  angularis  hinein  er¬ 
strecke  (F  e  r  r  i  e  r). 

Wir  wollen  nun  sehen,  ob  Anatomie  und  Thierexperiment 
im  Stande  sind,  diese  Zweifel  zu  beheben.  Ob  sich  auf  diesem 
Wege  die  scharfe  Grenze  des  sogenannten  corticalen  Seh¬ 
centrums  ziehen  lässt,  ob  die  Art  des  Anschlusses  der  Macula¬ 
fasern  an  die  Gehirnrinde  nachweisbar  ist  und  ob  es  ersicht¬ 
lich  wird,  wie  es  wohl  kommen  mag,  dass  trotz  so  vieler  aus¬ 
gezeichneter  klinischer  und  pathologischer  Forschung  bisher  in 
diesem  Punkte  keine  Einigkeit  erzielt  werden  konnte. 

Wir  müssen  bei  der  Beurthexlung  der  Thierexperimente 
genau  unterscheiden  zwischen  der  experimentell-physiologischen 
und  experimentell- anatomischen  Forschung.  Erstere  beruht  auf 
der  Beobachtung  operirter  Thiere,  letztere  auf  der  mikro¬ 
skopisch-anatomischen  Untersuchung  der  einige  Zeit  nach  der 
Operation  auftretenden  secundären  Degenerationen  in  den  ent¬ 
sprechenden  Nervenbahnen  (Marc  h  i-Färbung)  oder  im  Studium 
der  sogenannten  primären  Reizung  nach  Nissl.  Nur  die  Ver¬ 
bindung  des  physiologischen  und  experimentell-anatomischen 
Versuches  kann  Anspruch  auf  Exactheit  machen,  und  wenn  am 
geeigneten  Thier  (Affen)  vorgenommen,  den  klinischen  und 
pathologisch-anatomischen  Erfahrungen  gleichgestellt  werden. 

Die  alleinige  makroskopische  Untersuchung  des  Ope¬ 
rationsobjectes  hat  meines  Erachtens  für  die  richtige  Be- 
urtheilung  der  am  Thiere  beobachteten  Ausfallserscheinungen 
nur  einen  untergeordneten  Werth.  Sie  ist  —  wie  wir  sehen 
werden  —  die  Quelle  einer  Menge  von  Trugschlüssen,  welche 
zum  grossen  Theil  die  Meinungsverschiedenheiten  gewiegter 
Experimentatoren  erklären.  Auch  die  richtige  und  fehlerfreie 
Beobachtung  operirter  Thiere  ist  mit  grossen  Schwierigkeiten 
verbunden.  Wer  möchte  mit  Bestimmtheit  aussagen  können, 
ob  bei  einem  operirten  Thiere  die  Hemianopie  eine  vollständige, 
ob  der  Macularbezirk  ganz,  zur  Hälfte  oder  gar  nicht  in  den 
Gesichtsfelddefect  einbezogen  ist,  ob  die  centrale  Sehschärfe 
blos  herabgesetzt  ist.  Wie  schwer  ist  es  überhaupt,  besonders 
bei  einem  Hunde,  festzustellen,  ob  er  vollständig  blind,  ob  die 
deutlichen  Zeichen  einer  gewissen  Orientirung  nicht  allein  auf 
den  so  hoch  entwickelten  Spür-  und  Geruchssinn  dieser  Thiere 
zurückzuführen  seien. 

Munk8),  der  erste  und  hervorragendste  Erforscher  der 
corticalen  Sehsphäre,  derjenigen  Rindenpartie,  welche  minde¬ 
stens  beiderseits  zerstört  werden  muss,  um  vollständige  Blind¬ 
heit  herbeizuführen,  verlegt  dieselbe  auf  eine  circumscripte 
Stelle  des  Hinterhauptslappens;  beim  Affen  von  der  Spitze  des¬ 
selben  bis  zur  Fossa  parieto-occipitalis  (Affenspalte);  beim 
Hunde  in  ähnlicher  Ausdehnung  bis  zum  Scheitellappentheile 
der  Augenfühlsphäre.  Innerhalb  dieses  grossen  Areales,  ziem¬ 
lich  in  der  Mitte,  liegt  eine  scharf  umschriebene  runde  Zone 

5)  Bianc  h  i,  Contribuz.  speriment.  alle  compens.  funz.  del  cervello. 
Riv.  sper.  di  fren.  1882. 

6)  Luciani  e  S  e  p  i  1 1  i,  Die  Functionslocalisation  auf  die  Gross- 
hirnrinde  etc.  Deutsch  von  M.  O.  Fraenkel.  Leipzig  1886. 

7)  F  e  r  r  i  e  r,  Vorlesungen  über  Hirnlocalisation.  Deutsch  von 
M.  Weiss.  1892. 

8)  Munk,  lieber  die  Function  der  Grosshirnrinde.  2.  Auflage, 
Berlin  1890. 


circa  l1/ 2cm  im  Durchmesser,  welche  jeweils  die  Projection 
der  Macula  lutea  des  gekreuzten  Auges  darstellen  soll.  Danach 
nimmt  Munk  für  die  Maculafasern  eine  totale  Kreuzung  an. 

Beiderseitige  Zerstörung  dieser  kreisrunden  Stelle  macht 
das  Thier  central  blind.  Die  Thiere  haben,  klinisch  ausgediückt, 
ein  centrales  Skotom  und  sind,  wie  Munk  annimmt  und 
worauf  wir  noch  später  zurückkommen  werden,  »seelenblind«. 
Die  Umgebung  dieser  Maculastellen  im  Gehirn  hält  nun  M  u  n  k 
für  die  Projectionsfelder  der  übrigen  Theile  der  Netzhäute.  Diese 
Projection  soll  folgendermassen  angeordnet  sein:  »Jede  Retina 
ist  mit  ihrer  äussersten  lateralen  Partie  dem  äussersten  lateralen 
Stücke  der  gleichseitigen  Sehsphäre  zugeordnet.  Der  viel 
grössere  übrige  Theil  jeder  Retina  gehört  dem  viel  grösseren 
übrigen  Theile  der  gegenseitigen  Sehsphäre  an,  und  zwar  so,  dass 
man  sich  die  Retina  derart  auf  die  Sehsphäre  projicirt  denken 
kann,  dass  der  laterale  Rand  des  Retinarestes  dem  lateralen 
Rande  des  Sehsphärenrestes,  der  innere  Rand  der  Retina  dem 
medialen  Rande  der  Sehsphäre,  der  obere  Rand  der  Retina 
dem  vorderen  Rande  der  Sehsphäre,  endlich  der  untere  Rand 
der  Retina  dem  hinteren  Rande  der  Sehsphäre  entspricht.« 
Die  partielle  Kreuzung  der  Sehnervenfasern  betrifft  also  nach 
Munk  nur  jene  Fasern,  welche  den  peripheren  Theilen  der 
Netzhaut  entstammen.  Nach  seiner  Auffassung  müssten  die 
ungekreuzten  Fasern  durch  die  ganze  Sehbahn  vom  lateralen 
Rande  der  Netzhaut  bis  in  den  lateralen  Rand  der  gegen¬ 
seitigen  Sehsphäre  in  compacten,  ununterbrochenen  Bündeln 
verlaufen. 

Ausserdem  berücksichtigt  M  u  n  k,  weder  bei  der  Kritik 
seiner  Versuche,  noch  in  seinem  bekannten  Schema  der  Netz- 
hautprojection  auf  die  Sehsphäre,  die  anatomisch  zweifellos 
feststehende  Thatsache  der  Unterbrechung  des  Tractus  opticus 
in  den  primären  optischen  Centren  mit  allen  daraus  .  sich  er¬ 
gebenden  Consequenzen,  worauf  wir  noch  ausführlicher  zurück¬ 
kommen  werden. 

Weiter  führt  M  u  n  k  aus,  dass  Zerstörung  der  runden, 
l1/ 2  cm  messenden  Zone  in  der  Mitte  seiner  Sehsphäre  beim 
Hunde  und  Affen  vollständigen  Verlust  des  centralen  Sehens 
bedinge  und  ausserdem  das  Thier  für  einige  Zeit,  wenigstens  vier 
bis  fünf  Wochen  in  einen  Zustand  versetze,  welchen  er  »Seelen¬ 
blindheit«  nennt.  Das  Thier  ist  bei  sonst  intacten  Sinnen  nicht 
nur  seiner  centralen  Sehschärfe  verlustig  gegangen,  sondern  es 
zeigt  Gesichtssinnstörungen,  welche  hauptsächlich  nach  der 
psychischen  Seite  hin  auffallen.  Der  Thier  bewegt  sich  woKl 
frei  im  Zimmer,  ohne  an  einen  Gegenstand  anzustossen ;  Futter 
und  Wasser  lässt  es  aber  unbeachtet,  auch  wenn  ihn  hungert 
oder  durstet.  Der  operirte  Hund  schnappt  nur  nach  Fleisch, 
wenn  er  es  riecht,  trotzdem  er  es,  da  er  sich  ja  im  Zimmer 
unbehindert  frei  bewegt,  sieht.  Es  fehlt  ihm  somit  das  Ver¬ 
ständnis  für  das  mit  der  noch  functionsfähigen  Netzhaut  Ge¬ 
sehene.  Er  befindet  sich  in  einem  Zustande  von  psychischer 
Amblyopie. 

Munk  ist  geneigt,  anzunehmen,  dass  durch  die  Zer¬ 
störung  seines  corticalen  Sehfeldes  für  die  Macula  die  hier 
aufgespeicherten  Erinnerungsbilder  früherer  Gesichtswahr¬ 
nehmungen  verloren  gehen  und  erst  durch  Uebung  andere 
Stellen  des  unversehrten  corticalen  Sehfeldes  zur  Fixation 
von  Erinnerungsbildern  brauchbar  gemacht  werden  müssen. 

Abgesehen  davon,  dass  es  äusserst  schwierig  ist,  bei 
einem  Thiere  mit  Bestimmtheit  ein  centrales  Skotom  nach¬ 
zuweisen  und  andererseits  Hemianopsie  oder  besonders  Hemi- 
amblyopie  auszuschliessen,  sind  wir  heute  in  der  Lage,  diese 
und  ähnliche  Zustände  von  Seelenblindheit  oder  psychischen 
Defecten  in  anderer  Weise  zu  erklären.  Lehrt  uns  doch  die 
mikroskopische  Untersuchung  operirter  Thiere,  dass  bei  Zer¬ 
störungen  von.  mehr  lateral  gelegenen  Theilen  der  Rinde  im 
Bereiche  des  Occipatallappens  nicht  nur  secundäre  Degene¬ 
rationen  in  der  Sehstrahlung,  sondern  auch  solche  in  den  ver¬ 
schiedenen  Associationsfasersystemen  auftreten  (Fasciculus  long, 
sup.  et  inf.),  v.  Monakow9)  sagt  daher  ganz  richtig:  »Durch 
diese  Folgen  (der  Operation)  documentirt  sich  eine  Sehsphären¬ 
abtragung  nicht  nur  als  eine  Abtrennung  des  Grosshirns  von 

°)  v.  Monakow,  Gehirnpathologie;  ans  Nothnagel’s  Handbuch. 
Bd.  IX,  1,  pag.  434  u.  ff. 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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der  Retina,  sondern  auch  als  eine  Unterbrechung  der  Ver¬ 
bindung  mancher  übrigen  Rindentheile  untereinander  und  eine 
Lahmlegung  anderen  Rindenabschnitten  entstammender  und 
zur  Sehsphäre  ziehender  und  aus  der  Sehsphäre  stammender 
und  zu  den  übrigen  Hirntheilen  ziehender  Associationsfasern.« 
Wir  werden  noch  sehen,  wie  aus  meinen  anatomischen  Unter¬ 
suchungen  hervorgeht,  dass  die  Annahme  Munk’s,  als  sei  dre 
Macula  inmitten  seines  Sehfeldes  inselförmig  vertreten,  ebenso 
unwahrscheinlich  ist,  wie  die  Hypothese,  dass  die  sogenannte 
Seelenblindheit  an  die  Zerstörung  dieser  Rindeninsel  ge¬ 
bunden  sei. 

Es  wäre  fürwahr  sehr  sonderbar,  wenn  das  ganze  grosse 
corticale  Sehfeld,  wie  es  Munk  und  die  Meisten  annehmen, 
bis  auf  das  kleine  runde  mittlere  Areale  für  das  centrale  und 
bewusste  Sehen  ganz  unnöthig,  man  möchte  fast  sagen:  über¬ 
flüssig  wäre,  und,  wie  Goltz  scherzhaft  sagt,  »datiii  leseivirt 
zu  sein  scheint,  damit  ein  Hund,  der  in  die  Hände  eines 
Physiologen  geräth,  wiederum  das  Sehen  erlernen  kann,  wenn 
dessen  zusammengedrängte  Masse  von  Gesichtsbildern  zerstört 
worden  ist.  Alle  Hunde  somit,  welche  diesem  Schicksale  ent¬ 
gehen  —  beherbergen  während  ihres  Lebens  fünf  Siebentel 
ihrer  Sehsphäre  als  brachliegendes,  uncultivirtes  Rindenfeld.« 

Andererseits  ist  auch  die  Ansicht  von  Goltz  10)  unhaltbar, 
welcher  auch  beim  Hunde  —  gleichwie  bei  den  niedrigen 
Thieren  —  in  die  primären  optischen  Centren  sogenannte 
corticale  Functionen  verlegt.  Nach  völliger  Ausräumung  der 
hinteren  Grosshirnhälften  soll  das  Thier  noch  die  hähigkeit 
besitzen,  sich  mittelst  seiner  Netzhäute  im  Raume  zu  orientiren. 

Dass  beim  hinterhirnlosen  Hunde  eine  »scheinbare« 
Orientirung  im  Raume  vorgetäuscht  werde,  will  ich  nicht  in 
Abrede  stellen,  doch  möchte  ich  daraus  nicht  im  Entferntesten 
den  Schluss  ziehen,  dass  den  primären  Opticuscentren  dieses 
Thieres  corticale  Functionen  zuzuschreiben  seien. 

Ich  erinnere  daran,  dass  meine  hinterhirnlosen  Affen11), 
durch  periphere  Reize  angeregt,  noch  normale  synergische  Blick¬ 
bewegungen  ausführten,  welche  den  Schein  der  Orientirung 
erwecken  konnten,  dass  sie  aber  gleichzeitig  bestimmt  stock¬ 
blind  waren  und  dass  andere  Affen,  bei  denen  blos  auf  der 
linken  Seite  (bei  zu  anderen  Zwecken  ausgeführten  Ex¬ 
perimenten)  das  Hinterhirn  gequetscht  und  die  ganze  Sehstrahlung 
gezerrt  und  gequetscht  wurde,  ohne  dass  die  Rinde  zeistöit 
worden  wäre,  eine  so  typische  und  auffallende  rechtsseitige 
Hemianopsie  hatten,  dass  dieselbe  von  jedem  Unbetheiligten 
sofort  bemerkt  wurde. 

Wir  können  wohl  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dass  es 
sich  beim  Hunde  gerade  so  verhalte  und  dass  die  »Orientirung 
im  Raume«  durch  den  Geruchssinn  erleichtert  und  auf  den 
»mechanischen«  Ablauf  seiner  Blickbewegungen  —  bei  in- 
tacter  motorischer  Augenkernregion  —  zurückzuführen  sei. 

Es  ist  aber  andererseits  gewiss  gerechtfertigt,  wenn  M  unk 
auf  Grund  solcher  Versuche  das  gesammte  Sehfeld  aut  die  Win¬ 
dungen  des  Hinterhirns  verlegt  und  es  beim  Affen  lateral  bis  zur 
sogenannten  Affenspalte  reichen  lässt. 

Auch  die  eingehenden  Untersuchungen  von  I  orschern, 
wie  Horsley12),  Schäfer  und  Brown13),  Brown14)  und 
Thompson  weisen  darauf  hin,  dass  die  ganze  Rinde  des 
Hinterhirns  beim  Affen  bis  zur  Parietalfurche  als  Sehfeld  auf¬ 
zufassen  sei  und  dass  die  Abtragung  des  Hinterhauptslappens 
auf  seiner  Seite  Hemianopsie  auf  der  entgegengesetzten  Seite 
nach  sich  zieht. 

Auch  Luciani  und  Sepilli15)  kommen  zu  einer  ähn¬ 
lichen  Abgrenzung,  wohingegen  1  errier16)  und  Lanne- 
graee'7)  in  ziemlicher  Uebereinstimmung  nicht  nur  den  Gyius 


10)  Goltz,  Pflüger’ s  Archiv,  pag.  450. 

•  «)  St.  Bernheim  er,  Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie 

der  Wissenschaften. 

12)  H  o  r  s  1  e  y. 

13)  Schäfer,  Brain  1888;  Electrical  Excitation  of  Visual  area,  und 
Vol.  X,  und:  Proceedings  of  the  R.  Soc.  Vol.  XLIII. 

14)  Brown  und  Schäfer,  Philos.  Trans.  Vol.  XXX. 

15)  1.  c. 

16)  1.  C. 

11)  Lannegrace,  Influence  des  lesions  corticales  sur  la  vue  arch, 
de  med.  exp.  et  dermat.  path.  1889. 


angularis  beim  Affen  in  das  Sehfeld  einbeziehen,  sondern 
geradezu  behaupten,  dass  die  Zerstörung  des  Hinterhaupts- 
lappens  keine  nennenswerthe  Abnahme  des  Sehvermögens  nach 
sich  ziehe,  während  die  Abtragung  des  Gyrus  angularis  allein 
gekreuzte  temporäre  Amblyopie  hervorrufo. 

Perrier  geht  aber  auf  Grund  erneuter  Versuche  am 
Affen  noch  weiter  und  behauptet  geradezu,  dass  die  Gyii 
angulares  ausschliesslich  die  Centra  für  das  deutliche  Sehen 
bilden,  ein  jeder  Gyrus  angularis  für  das  Auge  dei  entgegen¬ 
gesetzten  Seite!  So  nimmt  auch  I  errier  gleich  Munk  für 
die  Maculafasern  eine  totale  Kreuzung  an,  verlegt  aber  ihr 
Centrum  in  eine  ganz  andere  Gegend,  sonderberer  Weise  gerade 
in  jene,  welche  eigentlich  mit  Sicherheit  nur  von  ihm  und 
Lannegrace  der  Sehsphäre  zugerechnet  wird. 

Ob  die  anderen  Theile  der  Netzhäute,  die  oberen,  unteren, 
äusseren  und  inneren  speciell  durch  correspondirende  Regionen 
des  Hinterhauptslappens  central  repräsentirt  werden,  kann  mit 
Bestimmtheit  nach  den  vorliegenden  Versuchsergebnissen,  wie 
Ferrier  meint,  nicht  behauptet  werden,  da  sogar  nach  aus¬ 
gedehnter  Zerstörung  der  Hinterhauptslappen  nicht  eine  Retinal¬ 
stelle  absolut  blind  erscheint. 

Wie  wir  gesehen,  will  Munk  beim  Hunde  diese  Emzel- 
projection  der  Netzkauttheile  auf  correspondirende  Stellen  der 
Sehsphäre  nachgewiesen  haben,  so  dass  das  Zustandekommen 
von  Quadranten-,  Sectoren-Hemianopsien  und  Skotomen  ex- 
perimentell  erwiesen  scheint.  Ich  muss  gestehen,  dass  ich  mic  1 
zum  Mindesten  am  Affen  von  solch  einer  Gesetzmässigkeit  der 
Theilprojection  der  Netzhäute  auf  den  Cortex  nicht  im  Minde- 
sten  überzeugen  konnte.  Bei  aller  Hochachtung  für  den  her¬ 
vorragenden  Experimentator  möchte  ich  doch  die  Schwierig¬ 
keit  ja  ich  möchte  sagen:  die  Unmöglichkeit  hervorheben,  bei 
einem  Thiere  Theildefecte  im  Gesichtsfelde  mit  Bestimmtheit 
festzustellen;  wissen  wir  doch,  wie  schwierig  dies  selbst  mit¬ 
unter  bei  Patienten  der  Fall  ist,  wenn  sie  weniger  intelligent 
sind,  oder  ihre  geistigen  Fähigkeiten  durch  andere  Defecte  im 

Gehirn  gelitten  haben.  .  _  .  , 

Uebrigens  hat  auch  Loeb18)  durch  wiederholte  exacte 

und  eigenartige  Experimente  sich  veranlasst  gesehen,  den  An¬ 
schauungen  Munk’s,  dass  einzelne  Segmente  der  Netzhäute 
in  fixer  Beziehung  stehen  zu  bestimmten  circum  scnpten 
Regionen  der  Sehsphären,  entgegenzutreten.  Loeb  konnte 
stets  feststellen,  und,  wie  mir  scheint,  mit  vollem  Recht,  dass 
jeder  ausgiebigen  Läsion  des  Hinterhauptslappens  der  gleiche 
hemianopische  oder  hemiamblyopische  Gesichtsfeld  defect  nach- 
folo-t.  Der  seitliche  Antheil  der  Sehsphäre  steht  nicht  in  be¬ 
sonderer  Beziehung  mit  dem  äusseren  Quadranten  des  gleich¬ 
seitigen  Auges,  noch  steht  irgend  ein  Theil  des  Sehfeldes  mit 
irgend  einem  Theil  der  Retina  der  entgegengesetzten  Seite 
mehr  in  Zusammenhang  als  irgend  ein  anderer.  Loeb  konnte 
sich  auch  davon  überzeugen  —  und  ich  stimme  ihm  m  diesem 
wichtigen  Punkte  vollkommen  bei  —  dass  nach  Zerstörung 
der  einzelnen  von  Munk  angegebenen  Sehfeldthei  e  sich 
niemals  excentrische  oder  abnorme  Fixation  einstellt,  die  sich 
von  der  kemianopiscken  Kopfstellung  unterscheiden  würde,  un 
doch  müsste  dies  der  Fall  sein,  wenn  thatsächlieli  die  Mun  t- 
sche  corticale  Detailprojection  vorhanden  wäre. 

Aber  auch  die  Behauptung,  dass  die  Wiederherstellung 
der  Sehfunction  nach  theilweiser  Läsion  des  Sehfeldes  mu 
du-ch  Uebung  oder  durch  Ansammlung  neuer,  durch  das  Seh¬ 
organ  erworbener  Erfahrungen  zu  Stande  komme,  ist  nach  den 
Ergebnissen  unserer  Untersuchungen  gewiss  nicht  begründet, 
denn  setzt  man  einen  Affen  kleineren  Zerstörungen  im  Hinter¬ 
hauptslappen  aus,  welche  eine  nachweisbare  Hemianopsie  odei 
Hemiamblyopie  bedingen  und  überlässt  denselben  sich  selbst 
im  Käfig,  in  einem  finsteren  Raum,  wo  an  eine  Uebung  oder 
Erwerbung  von  Seheindrücken  nicht  zu  denken  ist,  so  sieht, 
man  doch,  wie  sich  die  Sehstörung  allmälig  zurückbildet  und 
das  Thier  nach  Wochen  (zwei  bis  fünf)  nicht  die  geringste 

nachweisbare  Sehstörung  zeigt.  . 

Ich  will  schon  an  dieser  Stelle  darauf  hm  weisen,  dass 
durch  diese,  wie  mir  scheint,  zu  wenig  gewürdigten  Versuche 

18)  Loeb,  Archiv  für  Physiologie.  Bel  XXXIX. 


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L  o  e  b’s  die  von  den  meisten  Autoren  bestätigte  Thatsache, 
dass  theilweise  Zerstörungen  im  Gebiete  des  Hinterhauptslappens 
hemianopische  Sehstörungen  transitorischen  Charakters  hervor- 
rufen,  in  ganz  anderer  Weise  erklärt  werden  müssen,  als 
Munk  es  gethan  hat. 

Wir  werden  sehen,  dass  auch  bei  umschriebenen  Zer¬ 
störungen  im  Hinterhauptslappen  durch  die  anatomische  An¬ 
lage  der  Sehstrahlungsfaserung  sowohl  direct,  als  ganz  besonders 
indirect,  auf  reactivem,  entzündlichem  Wege  diese  in  viel 
weiterer  Ausdehnung  geschädigt  werden  kann,  als  es  die  corti- 
cale  Verletzung  voraussetzen  Hesse.  Diese  indirect  gesetzten 
Schädigungen  der  Sehstrahlungen,  welche  im  Verhältniss  zur 
corticalen  viel  wichtiger  sind,  weil  sie  in  viel  grösserer  Aus¬ 
dehnung  die  Leitung  vom  primären  Opticuscentrum  zum  Cortex 
unterbrechen,  bedingen  daher  hauptsächlich  die  Sehstörung. 

Nach  einigen  Wochen  können  die  entzündlichen  Ver¬ 
änderungen  ganz  oder  theilweise  zurückgehen  und  die  Hemi¬ 
anopsie  trotz  der  umschriebenen  Bindenverletzung  ganz  ver¬ 
schwinden  oder  höchstens  einer  geringen,  bei  Thieren  kaum 
erkennbaren  Hemiamblyopie  Platz  machen.  Diese  Um¬ 
wandlung  geht  aber  regelmässig  vor  sich,  gleich¬ 
viel,  ob  das  Thier  durch  allerlei  Kunststücke 
zur  Erlernung  neuer  Gesichtseindrücke  an¬ 
geregt  wird  oder  ob  dasselbe,  sich  selbst  über¬ 
lassen,  im  dunklen  Käfig  bleibt. 

Und  fürwahr,  seitdem  uns  die  eigentümlichen  ana¬ 
tomischen  Verhältnisse  in  den  primären  Opticuscentren  und  die 
überaus  reiche  Contactverbindung  der  Neurone  der  Sehbahnen 
untereinander  bekannt  geworden  sind,  kann  es  uns  nicht  mehr 
Wunder  nehmen,  dass  die  Hypothesen  Munk’s  und  seiner 
Anhänger  unhaltbar  geworden  und  dass  —  wie  wir  noch 
sehen  werden  —  dauernder  Ausfall  der  Selifunc- 
tionen  nur  zu  Stande  kommen  kann,  wenn  die 
ganze  Sehsphäre,  oder  die  ganze  Seh  Strahlung 
allein  zerstört  ist,  oder  wenn  die  theilweisen 
Zerstörungen  beider  sich  vollständig  ergänzen. 
So  lange  leitungsfähige  Sehstrahlungsfasern  mit  entsprechenden 
Rindentheilen  verbunden  sind,  wird  nicht  leicht  dauernder  und 
sicherlich  nicht  vollständiger  Gesichtsausfall  eintreten  können. 

Wir  werden  nicht  ermangeln,  diesen  wichtigen  Satz  mit 
allen  seinen  Consequenzen  noch  anatomisch  und  experimentell 
hinreichend  zu  begründen. 

v.  Bechterew’s111)  Experimente  an  Hunden  und  an 
Katzen  sind  wiederum  anscheinend  geeignet,  eine  Art  von 
Detailprojection  der  Netzhäute  in  der  Gehirnrinde  wahrschein¬ 
lich  zu  machen,  von  deren  Existenz  ich  mich,  wie  gesagt, 
nicht  im  Entferntesten  überzeugen  konnte.  Dieser  Forscher 
findet  bei  Hund  und  Katze  zwei  Rindenfelder,  welche  der  Seh¬ 
function  dienen.  Das  eine  liegt  in  der  Occipito-Temporal- 
Gegend  und  steht  mit  den  entsprechenden  Hälften  beider  Netz¬ 
häute  in  Verbindung;  das  andere  soll  fast  ganz  in  der  Parietal¬ 
gegend  liegen  und  nur  zu  der  Netzhaut  des  gegenüberliegen¬ 
den  Auges  in  Reziehung  treten.  Zerstörung  des  ersteren  soll 
homonyme  Hemianopsie  hervorrufen,  Läsion  des  letzteren  soll 
in  Folge  von  Lähmung  des  Centrums  für  das  deutliche  Sehen 
Amblyopie  des  Auges  der  entgegengesetzten  Seite  verursachen. 
Wahrlich  ein  feiner  und  complicirter  Apparat,  der  jedenfalls 
beim  Affen  und  Menschen  nach  meinen  Untersuchungen  und 
nach  jenen  der  meisten  Forscher  nicht  existirt.  Uebrigens  ist 
es  sehr  unwahrscheinlich,  dass  die  Verhältnisse  beim  Hunde 
so  viel  anders  liegen  als  beim  Affen  und  Menschen. 

Es  verhalten  sich  ja,  wie  auch  Edinger20)  und 
v.  Monakow21)  ausführen,  nur  die  niederen  Wirbelthiere 
bezüglich  des  Aufbaues  der  Sehbahnen  sehr  viel  anders  als 
die  höher  entwickelten  Säugethiere  (Hund,  Katze,  Affe)  und 
der  Mensch.  Dort  bildet  der  mächtig  entwickelte  Lobus  opticus 
(vorderer  Zweilnigel)  das  wichtigste  und  meist  auch  das  einzige 
Endigungsgebiet  des  Sehnerven.  Je  mehr  wir  in  der  Thier¬ 
reihe  aufwärts  steigen,  desto  mehr  tritt  die  Bedeutung  des 

19)  v.  Bechtere  w,  Neurologisches  Centralblatt.  April  1890. 

20)  Edinger,  Ueber  die  Entwicklung  des  Rindensehens.  Neuro¬ 
logisches  Centralblatt.  1895.  (Wanderversammlung  Baden-Baden  ) 

2<)  1.  c. 


äusseren  Kniehöckers  und  des  Thalamus,  als  primäre  optische 
Centren,  in  den  Vordergrund  und  eben  diese  beiden  Gebilde, 
welche  auf  Kosten  des  Lobus  opticus  an  Mächtigkeit  zu¬ 
nehmen,  stehen  bei  allen  Thieren  mittelst  der  Sehstrahluugs- 
fasern  in  sehr  reichen  Beziehungen  zum  Hinterhauptslappen  und 
sindsomit  von  diesem  abhängig. Verschiedenheiten  in  derSchädigung 
der  Sehfunction  bei  Abtragung  des  Grosshirns  (Hinterlappen)  sind 
durch  diese  skizzirten  Unterschiede  in  der  Bedeutung  der 
einzelnen  Centren  gegeben.  Niedere  Thiere,  der  Frosch  etwa, 
Vögel,  vielleicht  auch  Kaninchen  —  bei  denen  der  Vierhiigel 
auch  noch  sehr  stark  entwickelt  ist  —  werden,  selbst  wenn 
sie  ganz  ihres  Grosshirns  beraubt  sind,  noch  irgend  welche 
Zeichen  von  Sehthätigkeit  verrathen,  denn  der  mächtig  ent¬ 
wickelte  Zweihügel  vertritt  bei  diesen  Thieren  Grosshirn¬ 
functionen. 

Bei  der  Katze,  dem  Hunde,  dem  Affen  und  vollends 
beim  Menschen  weisen  die  anatomischen  Verhältnisse  darauf 
hin,  dass  die  phylogenetisch  jüngeren  Centren,  äusserer  Knie¬ 
hücker  und  Pulvinar  des  Thalamus  mit  ihren  ständigen  und 
reich  angelegten  Verbindungen  zur  Rinde  ziemlich  gleich- 
mässig  die  Oberhand  gewonnen  haben.  Beiderseitige  Abtragung 
des  Hinterhauptslappens  verursacht  somit  bei  diesen  hochent¬ 
wickelten  Thieren  vollständige  Erblindung,  ihre  primären 
Opticuscentren  sind  nur  Endkerne  des  Sehnerven  und  Ursprungs¬ 
kerne  der  Sehstrahlung  zur  sehempfindlichen  Rinde;  in  ihnen 
findet  nur  die  Umschaltung  der  empfangenen  Lichtreize  statt. 

Dementsprechend  sind  auch  nur  die  höheren  Säugethiere 
nach  den  vorliegenden  Untersuchungen,  Hund,  Katze  und  Affe, 
nach  Ausschaltung  der  ganzen  Rinde  der  Hinterhauptslappen 
oder  der  Sehstrahlungsfaserung  im  tiefen  Marke,  obenso  blind 
wie  der  Mensch  bei  zerstörenden  Krankheitsprocessen  dieser 
Gegend.  Ich  habe  auch  aus  diesen  Gründen  die  Versuche  an 
niederen  Thieren  nicht  in  den  Bereich  dieser  Besprechung  ein¬ 
bezogen. 

Diese  haben  wohl  in  der  angegebenen  Richtung  grosses 
physiologisches  und  biologisches  Interesse,  sind  aber  begreiflicher 
Weise  für  die  Erforschung  der  Rindencentra  unbrauchbar. 

Wenn  wir  nun  die  hier  besprochenen  Resultate  und  alle 
übrigen  nicht  im  Detail  erwähnten  einander  gegenüber  halten, 
so  linden  wir  wohl  keine  vollständige  Ueberein Stimmung,  aber 
doch  in  manchem  Punkte  eine  hinreichende  Annäherung  und 
sogar  Einmüthigkeit  der  Ansichten. 

Abgesehen  von  den  verschiedenen  Meinungen  über  die 
Art  der  Vertretung  der  Stelle  des  deutlichen  Sehens  in  der 
Gehirnrinde  sind  die  Autoren  auch  über  die  genauere  Be¬ 
grenzung  der  Sehsphäre  in  der  Grosshirnrinde,  wie  wir  gesehen, 
nicht  ganz  einig.  Immerhin  stimmen  die  meisten  Forscher, 
unter  Anderen  Horsley,  Schaefer,  Exner  22),  Sänger- 
Brown,  Vitzou23)  und  zum  Theil  auch  Luciani  und 
Sepilli,  zum  geringeren  Theile  nur  Goltz  und  seine  zahl¬ 
reichen  Schüler  mit  Munk  überein,  dass  der  Hinterhaupts¬ 
lappen  die  Sehsphäre  beherberge  u.  zw.  beim  Affen  bis  zur  so¬ 
genannten  Affenspalte;  Goltz  und  seine  Schüler  freilich  mit 
der  schwerwiegenden  Erweiterung,  dass  dieser  Rindenpartie 
nur  die  grössere  Bedeutung  zukomme,  dass  aber  im  Uebrigen 
fast  alle  R'ndentheile  mehr  oder  weniger  am  Schacte  sich  be¬ 
theiligen. 

F  e  r  r  i  e  r  und  Lannegrace  dehnen  die  M  u  n  k  ’sehe 
Sehsphäre  auch  noch  auf  den  Gyrus  angularis  aus;  Ferrier 
hält  sogar  den  Gyrus  angularis  des  Affen  für  die  Haupt¬ 
stelle  der  Sehsphäre,  ja  wie  mir  scheinen  will,  für  die  Seh¬ 
sphäre  xaF  s io'/rp. 

Diese  mehr  oder  weniger  auffallenden  Widersprüche  der 
Autoren  in  der  feineren  Begrenzung  der  Sehsphäre  beim  Hund 
und  Affen  dürften  doch  meines  Erachtens  —  wie  auch  v.  M  o- 
n  a  k  o  w  hervorhebt  —  darauf  zurückzuführen  sein,  dass  sich 
die  experimentellen  Ergebnisse  verschiedener  Autoren  ohne 
nachfolgende  feinste  mikroskopische  Erforschung  von  secun- 
dären  Degenerationen  nicht  ohne  Weiteres  miteinander  ver¬ 
gleichen  lassen. 

22)  Exner,  Untersuchungen  über  die  Localisation  der  Function  in 
der  Grossbirnrinde.  Wien  1881. 

23)  Vitzou,  Sur  l’effets  de  l’ablation  etc.  Arch,  de  Physiol.  V. 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1‘JOO. 


959 


Wenn  wir  bedenken,  dass  die  grössere  Masse  der  Rinden¬ 
oberfläche  in  den  tiefen  Furchen  des  Gehiines  (Sulci)  und  in 
den  vielen  seitlichen  Ausbuchtungen  derselben  versteckt  liegt, 
dann  wird  es  ohne  Weiteres  klar  sein,  wie  verschieden  opera¬ 
tive  Rindenabtragung  oder  Rindenzerstörung  ausfallen  muss, 
je  nachdem  man  dieselbe  mit  dem  Messer,  dem  scharfen 
Löffel  oder  dem  Termokauter  vornimmt.  Wie  viel  von  der 
Gehirmasse  als  solche  muss  abgetragen  werden,  wenn  man  die 
Rinde  des  Hinterhauptslappens  vollständig  auch  innerhalb  der 
Sulci  und  Nebensulci  zerstören  will?  Eine  solche  Rinden¬ 
zerstörung  käme  nahezu  einer  Abtragung  des  ganzen  Hintei- 
hauptslappens  gleich;  und  dabei  würde  gleichzeitig  die  ganze 
Sehstrahlung  mit  durchschnitten.  Bei  blosser  Abtragung  der 
sichtbaren  Rindensubstanz  bliebe  in  den  Sulcis  nicht  nur 
fast  ebensoviel  Rinde  nahezu  unversehrt,  sondern,  was  die 
Hauptsache  ist,  es  käme  gar  nicht  zu  einer  voll¬ 
ständigen  Durchtrennung  und  Ausserfunction- 
setzung  der  gesammten  Seh  Strahlung. 

Bei  der  Verschieblichkeit,  Weichheit  und  Prolabirbarkeit 
des  Gehirns  ist  es  nahezu  unmöglich,  mehrmals  nach  einander 
identisch  grosse  Bezirke  bestimmter  Rindenregionen  zu  zer¬ 
stören,  so  dass  selbst  d  Vergleich  von  sogenannten  Controlver- 
suchen  desselben  Autors  bezüglich  der  feineren  Begienzung 
der  Sehsphäre  nur  mit  grosser  Vorsicht  aufgenommen  werden 
können,  geschweige  denn,  wenn  dieselben  von  verschiedenen 
Experimentatoren  vorgenommen  worden  sind.  Vollends  bei 
Zerstörung  von  Rindensubstanz  durch  Hitze  (Thermokauter) 
(Ferrier  und  Andere)  fehlt  uns  ohne  feinste  und  umständ¬ 
lichste  mikroskopische  Untersuchung  des  Gehirns  jeglicher 
Einblick  in  die  Ausdehnug  der  makroskopisch  nicht  sicht¬ 
baren  thermischen  Destruction  des  Nervengewebes.  Ich  weiss 
aus  eigener  Erfahrung,  dass  gerade  bei  Anwendung  von 
Thermo-  und  Galvanokauter  weithin  nur  mikroskopisch  er¬ 
kennbare,  aber  dennoch  tiefgreifende,  die  Function  aufhebende 
Zerstörungen  des  Gewebes  auftreten. 

Das  sind  aber  wichtige  Momente,  die  meines  Erachtens 
bei  Beurtheilung  der  physiologischen  Gehirnexperimente  viel 
zu  wenig,  oder  ich  möchte  fast  sagen,  gar  nicht  beachtet 
werden;  und  doch  dürfte  manche  Incongruenz  der  Meinungen 
der  verschiedenen  Autoren  darauf  zurückzuführen  sein. 

So  kann  ich  mich  zum  Beispiel  des  Gedankens  nicht 
erwehren,  dass  die  eigenartige,  gewiss  irrige  Ansicht 
Ferrier’s  und  zum  Theile  auch  L  an  ne  grace’s,  als  be¬ 
fände  sich  das  Hauptsehcentrum  des  Affen  im  Gyrus  angularis, 
nur  auf  Mitläsionen  zurückzuführen  sei.  Auf  Mitläsionen  der 
angrenzenden  Sehstrahlung,  welche  zu  anderen  Rindentheilen 
hinziehend,  sei  es  durch  Circulationsstörung,  secundäres  Oedem 
oder  durch  fortgeleitete  directe  Schädigung  durch  Hitze 
(Coagulation)  vorübergehend  oder  dauernd  functionsunfähig 
gemacht  wurden. 

Denn  gerade  im  Gyrus  angularis  konnte  ich  mit  a  1 1  e  1 
Bestimmtheit  ein  Centrum  nachweisen,  welches  dem  Seh¬ 
centrum  topographisch  und  physiologisch  sehr  nahe  gelegen, 
mit  ihm  auch  durch  zahlreiche  Associationsfasern  in  Beziehung 
tritt,  aber  sonst  nur  der  Regelung  der  syn  er  gischen 
Augenbewegungen,  wie  sie  auf  Sinnesreize  ausgelöst 

werden,  dient. 

Es  will  mir  beinahe  unmöglich  erscheinen,  auf  dem  von 
den  meisten  Forschern  eingesclilagenen  Wege  des  physio¬ 
logischen  Experimentes  allein  die  feinere  Begrenzung  der  Seh¬ 
sphäre  definitiv  bei  den  einzelnen  Jhieren  festzustellen.  Und 
zwar  einerseits  aus  den  genannten  technischen  Ungelegen¬ 
heiten,  andererseits  aber  deswegen,  weil  wahrscheinlich  die 
Grenzen  des  Sehfeldes  gar  nicht  so  sehr  scharf  und  unver¬ 
rückbar  gezogen  sind,  wie  die  Meisten  anzunehmen  scheinen. 

Gerade  die  anatomische  Anlage  in  den  primären  Opticus¬ 
ganglien,  hauptsächlich  im  Corpus  geniculatum  externum,  wo 
alle  eintretenden  gekreuzten  und  ungekreuzten  Opticusfasern 
mit  Eudbäumehen  enden  und  mit  einer  weit  grösseren  Anzahl 
von  Ursprungszellen  der  Sehstrahlung  in  mannigfaltigen  Con¬ 
tact  treten,  weist  darauf  hin,  dass  eine  ganz  scharfe  Be¬ 
grenzung  unwahrscheinlich  ist,  und  dass  vermuthlich  variable 
Uebergangszonen  zwischen  der  Sehsphäre  und  den  angren¬ 


zenden  Rindenbezirken  bestehen.  Die  anatomische  Anlage 
in  der  Rinde,  die  zahlreichen  Züge  kurzer  Associationsfasern 
zwischen  den  benachbarten  Rindentheilen  sind  gerade  ein  Beweis 
für  solche  gemischte  Uebergangsrindenpartien,  welche  ver¬ 
muthlich  auch  nicht  immer  von  gleicher  Entwicklung  und 
Ausdehnung  sein  dürften. 

Von  grosser  Bedeutung  und  geradezu  ausschlaggebend 
in  dieser  die  Ausdehnung  der  Sehsphäre  betreffenden  Frage 
scheinen  mir  die  mannigfachen  experimentellen  und  patho¬ 
logisch-anatomischen  (Degenerations versuche)  Untersuchungen 
v.  Monakow’s  zu  sein. 

Dieser  ausgezeichnete  Forscher  hat  sowohl  beim  Hund 
wie  beim  Affen  Exstirpationen  an  Rindentheilen  des  Hinter¬ 
hauptslappens  vorgenommen  und  die  darauf  eintretenden  secun- 
dären  Degenerationen  in  der  Sehstrahlung  und  in  dem  pri¬ 
mären  Opticusganglien  studirt.  Es  hat  sich  darnach  ergeben, 
da?s  beim  Hunde  nur  dann  alle  mit  Sehstrahlungsfasern  ver¬ 
knüpften  Ganglienzellen  des  Corpus  geniculatum  externum 
und  des  Pulvinar  degeneriren,  wenn  die  Munk’sche  Seh¬ 
sphäre  mit  der  nach  vorn  angrenzenden  äussersten  Zone  der 
M  u  n  k’schen  Augenfühlregion  zerstört  wird. 

Die  Sehsphäre  beim  Hunde  greift  somit  um  ein  ganz 
Geringes  in  die  nach  vorne  angrenzende  Hirnregion  und  fällt 
so  ziemlich  genau  mit  der  Begrenzung  zusammen,  wie  sie  von 
Luciani  und  Sepilli  angegeben  wird. 

Beim  Affen  hingegen  lehren  die  in  derselben  Art  aus¬ 
geführten  Degenerationsversuche,  dass  die  von  Munk  an¬ 
gegebene  Ausdehnung  der  Sehsphäre  von  der  Spitze  des 
Occipitallappens  bis  zur  Fissura  parieto-occipitalis  zu  Recht 
besteht.  Ich  kann  bezüglich  des  Affen  diesen  exacten  und 
einzig  beweisenden  Angaben  v.  Monakow’s  vollkommen 
beistimmen. 

Besonders  interessant  und  —  wie  wir  noch  sehen  werden 
—  von  grösster  Bedeutung  ist  der  weitere  Befund,  dass  bei 
in  diesem  Umfange  ausgeführten  Exstirpationen  bei  Hund  und 
Affe  (v.  Monakow  und  ich)  nicht  nur  die  ganze  Seh¬ 
strahlung  und  die  primären  Opticuscentren  —  der  Störung 
der  optischen  Wahrnehmungsfähigkeit  entsprechend  — 
degeneriren,  sondern  dass  fast  immer  gleichzeitig  nennensweithe 
Faserdegenei'ationen  in  verschiedenen,  offenbar  mit  der  feeh- 
sphäre  zusammenhängenden  Associationsfasersystemen,  vor¬ 
nehmlich  im  Fasciculus  longitudinalis  superior  et  inferior 
auftreten. 

v.  Monakow  sagt  daher  mit  vollem  Rechte:  . 

»hiemit  documentirt  sich  eine  Sehsphärenabtragung  nicht  nur 
als  eine  Abtrennung  des  Grosshirns  von  der  Retina  oder  ihren 
homonymen  Hälften,  sondern  auch  als  eine  Unterbrechung  der 
Verbindung  mancher  übrigen  Rindentheile  untereinander  und 
eine  Lahmlegung  anderen  Rindenabschnitten  entstammender 
und  zur  Sehsphäre  ziehender,  sowie  aus  der  Sehsphäre  stam¬ 
mender  und  zu  den  übrigen  Hirntheilen  ziehender  Associations¬ 
fasern.« 


Gestatten  Sie,  meine  Herren,  dass  ich  nun  im  Anschlüsse 
an  diese  wichtigsten  Befunde  so  vieler  ausgezeichneter  I  orschei 
meine  eigenen  Erfahrungen  zusammenfasse  und  meinen  in 
manchen  Punkten  etwas  abweichenden  Anschauungen  über 
die  Art  des  Anschlusses  der  Sehfasern  an  die  Gehirnrinde 
Ausdruck  verleihe  und  sie  zu  begründen  versuche. 

Zunächst  möchte  ich  meine  anatomischen  Untersuchungen 
an  Gehirnen  von  Neugeborenen  und  ein  bis  zwei  Jahre  alten 
Kindern  hervorheben,  welche  mir  geeignet  scheinen,  bezüglich 
des  Verlaufes  der  Sehbahnen  und  der  Ausdehnung  der 
corticalen  Sehsphäre  wichtige  Aufschlüsse  zu  geben.  Es  kam 
dabei  die  vortreffliche  Methode  der  Verfolgung  der  Mark¬ 
scheidenentwicklung,  die  ich  vor  Jahren  zuerst  für  das  Gebiet 
der  Sehbahnen  eingeführt  habe,  zur  Anwendung.  Daran  an¬ 
schliessend,  will  ich  dann  meine  ergänzenden  Experimente  am 
Affen  (mikroskopische  Untersuchungen  nach  Marchi  und 
Nissl)  heranziehen. 

Wenn  man  Gehirne  drei-  bis  seehswöehentlichei  Ivindei, 
welche  in  M ü  11  e r- Formol  gehärtet  wurden,  durch  einen 
Medianschnitt  halbirt,  die  eine  Hälfte  in  ein  vorderes  und 


960 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


hinteres  Viertel  theilt  und  dann  vom  hinteren  Viertel  die 
oberste  Convexität  des  Hemisphärentheiles  durch  einen 
Ilorizontalschnitt  abträgt,  so  bleibt  ein  ansehnliches  Gehirn¬ 
stück  zurück,  welches  nach  Ablösung  des  Kleinhirns  den 
grössten  Theil  der  Stammganglien  (Pulvinar  des  Thalamus, 
Vierhügel  und  Corpus  geniculatum  nebst  dem  hinteren 
Schenkel  der  Capsula  interna  und  den  Nucleus  lentiformis), 
den  unteren  Theil  des  Lobus  temporalis  und  den  grössten 
Theil  des  Hinterhauptslappens  enthält;  nur  der  kleine  convexe 
Ilemisphärenantheil  desselben  fehlt. 

Zerlegt  man  dieses  Gehirnstück  entsprechend  der  er¬ 
wähnten  Ebene  in  Horizontalserienschnitte,  so  sieht  man  hei 
We  i  ge  rt  -  Färbung,  wie  die  zarten  Markfasern  völlig  isolirt, 
in  allen  aufeinanderfolgenden  Schnitten,  von  der  Gegend  des 
hinteren  und  lateralen  Thalamusendes,  beziehentlich  von  der 
Vierhügelgegend  und  vom  Corpus  geniculatum  aus  zunächst 
dicht  beieinander  liegen,  dann  ganz  allmälig  auseinander 
treten,  zuletzt  stark  divergirend,  im  Hinterhauptslappen  bis 
zur  Rinde  desselben  auseinander  treten. 

Es  ist  nicht  schwer,  sich  an  Gehirnen  so  jugendlicher 
Individuen  davon  zu  überzeugen,  dass  es  sich  hiebei  nur  um 
Markfasern  der  Sehstrahlung  handelt,  denn  dieselben  sind  in 
Folge  ihrer  Zartheit  völlig  isolirt  und  lassen  sich  daher  auf 
Serienschnitten,  zweifellos,  einerseits  in  die  genannten  primären 
Opticusganglien,  andererseits  in  die  Rinde  des  Hinterhaupts¬ 
lappens  verfolgen.  Man  trifft  dieselbe  Faserung  wieder  als 
reine  Quer-  und  Schrägschnitte  an,  wenn  man  dasselbe  Gehirn¬ 
stück  ohne  Abtragung  der  convexen  Kuppe  in  reine  Frontal¬ 
serienschnitte  zerlegt. 

l)a  sieht  man  in  den  centralen  Schnitten,  nahe  den 
Opticusganglien,  den  Querschnitt  der  Sehstrahlungsfasern  dicht 
bei  einander  liegend;  je  mehr  man  aber  in  die  Masse  des 
Hinterhauptlappens  gegen  seine  Spitze  vordringt.,  desto  mehr 
verbreitert  sich  der  Sehstrahlungsquerschnitt.  Zwischen  den 
Querschnitten  der  Einzelfasern  treten  allmälig  deutliche 
Zwischenräume  auf.  Die  Masse,  welche  auf  einem  kleinen, 
wenige  Millimeter  umfassenden  Querschnitt  zusammengedrängt 
war,  ist  jetzt  auf  ein  grosses,  fast  die  ganze  Breite  und  Höhe 
des  Hinterhauptslappens  einnehmendes  Areale  zerstreut. 

Sowohl  an  den  Sagittal-,  als  auch  an  diesen  Frontalserien 
sieht  man  aber,  dass  die  Vertheilung  keine  gleichmässige  ist, 
sondern  dass  die  grössere  Menge  der  Sehstrahlungsfasern  den 
medialer  gelegenen  Windungen  des  Hinterhauptslappens 
zustrebt. 

Wenn  man  die  Serienschnitte  der  beiden  Ebenen  com- 
binirt,  so  findet  man,  dass  in  alle  sechs  Windungen  des  Hinter¬ 
hauptslappens  Endbäumchen  der  Sehstrahlungsfasern  eintreten, 
dass  aber  die  medial  gelegenen  Theile,  der  Cuneus,  die  Fissura 
calcarina,  der  Lobus  lingualis  und  der  Gyrus  descendens  die 
bevorzugten  sind. 

Es  lässt  sich  aber  auch  feststellen,  dass  die  hier  endenden 
Fasern  vornehmlich,  wenn  nicht  ausschliesslich,  dem  Haupt¬ 
ganglion,  dem  Corpus  geniculatum  entstammen,  während  auf 
die  noch  übrige  lateraler  gelegene  Oberfläche  des  Hinterhaupts¬ 
lappens  Endbäumchen  von  Fasern  vertheilt  sind,  welche  dem 
Pulvinar  Thalami  und  dem  vorderen  Vierhügel  angehören. 
Fxstirpationsversuche  am  Affen  mit  nachfolgender  Behandlung 
nach  March  i  oder  Nissl  bestätigen  diesen  topographisch 
anatomischen  Befund. 

Die  so  abgegrenzte,  durch  die  Methode  der  Markscheiden¬ 
entwicklung  festgestellte  Ausdehnung  derjenigen  Hinterhaupts- 
theile,  welche  von  Endbäumchen  der  Sehstrahlungsfasern 
erreicht  werden,  also  der  anatomisch  festgestellten  Sehsphäre, 
deckt  sich  mit  meinen  Exstirpationsversuchen  am  Affen. 
Zerstört  man  nämlich  ausgiebig  die  dieser  Ausdehnung  ent¬ 
sprechende  Partie  des  Hinterhauptslappens  des  Affen  bis  zur 
Fossa  parieto  -  occipitalis,  dann  degeneriren  alle  grossen 
Ganglienzellen  im  Corpus  geniculatum  externum,  Pulvinar 
und  vorderen  Vierhügel,  alle  jene  Ganglienzellen,  welche 
Ursprungszellen  der  Sehstrahlungsfasern  sind.  Erhalten  bleiben 
in  den  primären  Opticusganglien  nur  die  kleineren,  spärlicheren 
Zellen,  welchen  den  centrifugalen  Fasern  angehören,  und 


andere  kleine,  rundliche  Zellen,  welche  ich  mit  v.  Monakow 
als  Schaltzellen  auffasse. 

Hiemit  ist  unzweideutig  der  Beweis  geliefert,  dass  beim 
Affen  in  der  Rinde  des  Hinterhauptslappens  von  dessen  Spitze 
bis  zur  Fissura  parieto-occipitalis  alle  Sehstrahlungsfasern, 
welche  in  den  primären  Opticusganglien  von  den  grossen 
Ganglienzellen  entspringen,  ihr  Ende  finden,  dass  mit  anderen 
Worten  die  Sehsphäre  von  der  Spitze  des  Hinterhauptslappens 
bis  zur  Fissura  occipito-parietalis  reicht. 

Wenn  also  manche  Experimentatoren  zur  Sehsphäre 
beim  Affen  auch  noch  den  Gyrus  angularis  hinzurechnen,  so 
kann  ich  dieser  Annahme  nicht  beipflichten;  oder  wenn  gar 
Ferrier  den  Gyrus  angularis  des  Affen  geradezu  als  Haupt¬ 
sehcentrums  anspricht,  so  muss  ich  dem  entschieden  wider¬ 
sprechen  und  kann  ich  nur  darin  eine  Erklärung  dieser  auf¬ 
fallenden  Divergenz  finden,  dass  bei  der  Zerstörung  des  Gyrus 
angularis  ein  grosser  Theil  der  in  der  Tiefe  dieser  Gegend 
noch  ziemlich  compact  bei  einander  liegenden  Sehstrahlungs¬ 
faserung  mitlädirt  wurde,  oder  dass  vornehmlich  bei  Kauteri¬ 
sation  der  Rinde  die  Sehstrahlungsfaserung  indirect  durch 
Circulationsstörung,  Embolien  oder  Thrombosen  ausser  Function 
gesetzt  worden  sei.  Da  die  wenigsten  Experimentatoren  ihren 
Versuchen  eine  eingehende  mikroskopische  Untersuchung  der 
secundären  Degenerationen  folgen  Hessen,  so  konnten  sehr 
leicht  derlei  wichtige,  ausschlaggebende  Mitläsionen  oder 
secundäre  Circulationsstörungen  unentdeckt  bleiben. 

Eine  ähnliche,  serienweise,  anatomische  Untersuchung, 
wie  wir  sie  eben  beschrieben  und  zur  Verfolgung  der  sich 
entwickelnden  Markscheide  der  Sehstrahlung  verwerthet 
haben,  an  Gehirnen  älterer  Kinder  (ein  bis  zwei  Jahre)  an¬ 
gestellt,  lehrt  uns  andererseits,  dass  die  Sehsphäre  durch 
Markfasern  mit  verschiedenen  anderen  angrenzenden  und 
ferner  liegenden  Rindentheilen  in  inniger  Verbindung  steht. 

An  Gehirnen  ein-  bis  zweijähriger  Kinder  sind  diese 
neuen  Faserzüge  voll  entwickelt  mit  Mark  versehen.  Das  Bild 
ist  nunmehr  auf  den  Horizontalschnitten  durch  den  Hinter¬ 
hauptslappen  ein  ganz  anderes.  Während  bei  den  jugendlichen 
Individuen  durch  die  Marklosigkeit  dieser  neuen  Faser¬ 
systeme  die  Sehstrahlungsfaserung  in  deutlicher  Isolirung  in 
der  erwähnten  Weise  verfolgbar  war,  sieht  man  jetzt,  vor¬ 
nehmlich  in  den  lateralen  Grenzbezirken  der  Sehsphäre,  kurze, 
bogenförmig  verlaufende  Markfasern  in  die  Rinde  des  an¬ 
grenzenden  Gyrus  angularis  eintreten.  Es  sind  das  Fasern, 
welche  beiderseits  mit  Endbäumchen  enden  (Golgi)  und 
somit  zwischen  den  Pyramidenzellen  der  Sehsphäre  und  jenen 
des  Gyrus  angularis  einen  Contact  herstellen. 

Durch  meine  neuesten  Versuche  am  Affen24)  ist  aber 
festgestellt  worden,  dass  der  Gyrus  angularis  dieses  Thieres 
als  Rindencentrum  der  synergischen  Augenbewegung  aufzu¬ 
fassen  ist.  Die  eben  beschriebenen  zahlreichen  Züge  von  Mark¬ 
fasern,  welche  Theile  der  Sehspbäre  mit  dem  Gyrus  angularis 
in  so  innigen  Contact  bringen,  sind  somit  kurze 
Associationsfasern  und  dienen  der  Vermittlung  be¬ 
wusster  synergischer  Augenbewegungen. 

Der  Gyrus  angularis  steht  somit  in  innigem  anatomischem 
und  physiologischem  Zusammenhänge  mit  der  Sehsphäre,  ist 
aber  gewiss  nicht  dieser  zuzurechnen,  und  alle  Versuche, 
welche  das  Gegentheil  zu  beweisen  scheinen,  sind  in  der  oben 
angedeuteten  Weise  richtigzustellen. 

An  denselben  Gehirnschnitten  älterer  Kinder  sieht  man 
aber,  neben  den  eigentlichen  Sehstrahlungsfasern  und  den 
eben  beschriebenen  kurzen  Associationsfasern  zum  Gyrus 
angularis,  Markfasern,  welche  einer  mächtigen  Faserung  an¬ 
gehören,  die,  lateral  von  der  Sehstrahlung  dieser  zum  Theile 
dicht  anliegend  und  zum  Theile  mit  ihr  vermengt,  einestheils 
in  die  lateralsten  Windungen  des  Hinterhauptlappens,  anderer¬ 
seits  in  Windungen  des  Schläfelappens  einstrahlen.  Es  sind  dies 
Fasern  des  Fasciculus  longitudinalis  superior  et 
inferior;  sie  bilden  eine  lange,  wichtige  Associationsbahn 
für  die  mit  dem  Sehen  coordinirten  Functionen  der  Hand,  der 
Sprachorgane,  des  Raumsinnes  u.  s.  w.  Da  nun  das  Seh- 

24)  St.  Bernheime  r,  Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  in  Wien.  Bd.  CVIII. 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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centrum  durch  diese  und  die  früher  erwähnten  kurzen  I  asern 
mit  wichtigen  Centren  des  Gehirns,  die  physiologisch  aufs 
engste  mit  dem  Sehcentrum  Zusammenhängen,  anatomisch 
nachweisbar  verbunden  ist,  so  ist  hiemit  auch  der  Weg 
bestimmt  angegeben,  auf  welchem  alle  associativen  h  unc- 
tionen  des  »bewussten«  Sehens  aublaufen,  und  in  welcher 
Weise  die  vielen,  das  Bild  der  sogenannten  Seelenblindheit 
zusammensetzenden  Symptome  zu  Stande  kommen.  Meines 
Erachtens  sind  alle  jene  bekannten  Symptome,  welche  wir 
klinisch  unter  dem  Namen  der  Seelenblindheit  zusammenfassen 
(associative  Form  der  Seelenblindheit  Lissauers  - j  keines¬ 
wegs  an  die  Zerstörung  bestimmter  Theile  der  Rinde  des  Seh¬ 
centrums  gebunden,  gewiss  nicht,  wie  M  u  n  k  meint,  an  die 
Zerstörung  eines  Maculafeldes,  denn  dieses  ist,  wie.  ich  noch 
nachweisen  werde,  gar  nicht  vorhanden,  sondern  einzig  und 
allein  davon  abhängig,  ob  und  in  welcher  Ausdehnung 
Elemente  (Neurone)  der  kurzen  und  langen 
Associationsfaserung  durch  das  Experiment 
oder  den  krankhaften  Process  mit  zerstört 
wurden. 

Nun  ergeben  aber  meine  anatomischen  Untersuchungen 
an  kindlichen  Gehirnen  und  meine  Degenerationsexperimente 
am  Affen,  dass  alle  grossen  Ganglienzellen  des  äusseren  Knie¬ 
höckers,  des  Hauptendigungskernes  des  Sehnerven,  ihre  Achsen- 
cylinderfortsätze  in  die  medialer  gelegenen  Antheile  der  Seh¬ 
faserung  entsenden,  und  dass  die  Endbäumchen  dieser  Seh¬ 
strahlungsfasern  fast  ausschliesslich  die  Pyramiden  zellen  dei 
medialer  gelegenen  Windungen  des  Hinterhauptslappens  be¬ 
einflussen:  den  Cuneus,  die  Fissura  calcarina,  den  Lobus 
lingualis  und  den  Gyrus  descendens.  Ausgiebige  Zerstörungen 
der  Rinde  dieser  Hirn  theile,  oder  Zerstörung  der 
zugehörigen  Sehstrahlungsfasern,  also  kleine  me¬ 
dialer  gelegene  Herde  im  Marke  des  Hinterhauptlappens  be¬ 
dingen  auch  thatsächlich  nur  reine  Hemianopsien,  ohne  andere 
psychische  Ausfallserscheinungen,  d.  h.  ohne  Symptome  so¬ 
genannter  Seelenblindheit.  Haben  aber  die  Herde  im  Mark 
durch  ihre  grössere  Ausdehnung,  oder  durch  ihre  lateralere 
Lage,  oder  durch  tiefer  greifende  Zerstörungen  der  lateralen 
Windungen  des  Hinterhauptslappens  auch  nennenswerthe  An¬ 
theile  der  erwähnten  Associationsfaserungen  mit  ergriffen, 
dann  erst  gesellen  sich  zur  einfachen  reinen  Hemianopsie 
alle  möglichen  Erscheinungen  der  Schädigung  des  psychischen 
Sehens,  der  sogenannten  Seelenblindheit. 

Der  von  mir  betretene  Weg  der  anatomischen  Unter¬ 
suchung  jugendlicher  Gehirne  mit  den  sich  entwickelnden 
Markfasern  und  der  verschiedenen  Degenerationsversuche 
(M  a  r  c  h  i  und  N  i  s  s  1)  am  Affen  gestatten  aber  noch  einen 
tieferen  Einblick  in  die  Topographie  des  corticalen  Sehcentrums. 
Ganz  besonders  dann,  wenn  wir  die  primären  Opticuscentren 
und  die  peripheren  Sehbahnen  zu  denselben  in  den  Bereich 
unserer  Untersuchungen  mit  einbeziehen. 

Es  mag  gewiss  interessant  und  wichtig  sein,  im  Hinblick 
auf  die  divergirenden  Ansichten  die  Grenzen  des  corticalen 
Sehcentrums  genau  festzustellen,  und  ich  glaube,  dass  uns 
dies,  so  weit  es  überhaupt  möglich  ist,  auf  dem  skizzirten 
Wege  gelungen  ist. 

Wir  haben  aber  gleichzeitig  erfahren,  dass  eine  absolut 
scharfe  Grenze  des  Sehcentrums,  besonders  lateralwärts,  kaum 
nachweisbar  ist,  weil  eben  die  lateralen  Partien  stark  zu  den 
Associationscentren,  den  mit  dem  Sehen  coordinirten  Rinden- 
centren,  in  Beziehung  treten,  dass  sie  gleichsam  im  Sinne 
E  x  n  e  Fs  als  relative  Rindenbezirke  des  Sehcentrums  aufzufassen 
wären,  und  dass  es  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  die 
Ausdehnung  dieser  Associationsverbindungen  individuellen 
Schwankungen  unterworfen  sei. 

Von  noch  grösserer  Bedeutung  scheint  mir  aber  die 
Frage  nach  der  Vertretung  der  Stelle  des  .deutlichen  Sehens 
im  Centrum  zu  sein,  die,  wie  Sie  wissen  und  wie  wir  ja 
gesehen  haben,  weder  experimentell,  noch  klinisch  und  patho¬ 
logisch-anatomisch  einheitlich  sicher  und  einwandfrei  beant¬ 
wortet  ist.  Ich  erinnere  Sie  nur  an  die  anscheinend  experi- 


2’’)  L  i  s  8  a  u  e  r,  Archiv  fur  Psychiatrie  Bd  XXI. 


mentell  bewiesene  Hypothese  M  u  n  IPs,  an  die  durch  ver¬ 
schiedene  und  verschiedenartig  verwertete  pathologisch-ana¬ 
tomische  Befunde  aufgestellten  Hypothesen  von  Förster- 
Sa  c  h  s  26),  W  i  l  b  r  a  n  d  27),  Henschen29)  u.  A. 

Sie  alle  entbehren  meines  Erachtens  einer  sicheren,  posi¬ 
tiven  anatomischen  Grundlage,  und  doch  ist  eine  solche  die 
sicherste  Gewähr  für  die  Haltbarkeit  einer  Hypothese. 

Bei  Behandlung  dieser  Frage  müssen  wir  in  das  Gebiet 
der  Klinik  und  pathologischen  Anatomie  hinübergreifen,  denn 
das  Thierexperiment  allein  ist  nicht  geeignet,  uns  über  Aus¬ 
fallserscheinungen  im  Gebiete  des  deutlichen  Sehens  Klarheit 
zu  verschaffen.  Kleine,  besonders  das  directe  Sehen  betreffende 
Defecte  und  theil  weise  Ausfallserscheinungen  an  operirten 
Thieren  zu  bestimmen,  ist  geradezu  ein  Ding  der  Unmöglichkeit. 

Wir  wissen  aber  aus  den  exacten  Beobachtungen  so 
vieler  hervorragender  Fachgenossen  und  aus  eigener  Erfahrung, 
dass  nahezu  bei  allen  bis  jetzt  bekannten  Fällen  reiner 
Hemianopsie,  bedingt  durch  Herde  im  Occipitallappen,  der 
Fixationspunkt  beider  Augen  ganz  oder  fast  ganz  frei  ge¬ 
blieben  war,  jedenfalls  niemals  ganz  in  den  Gesichtsfelddefect 
einbezogen  war.  Andererseits  ist  mir  weder  aus  eigener  Er¬ 
fahrung,  noch  aus  der  Literatur  ein  Fall  bekannt,  bei  welchem 
ausschliesslich  die  der  Macula  entsprechenden  Gesichtsfeldtheile 
ausgefallen  wären,  wo  hingegen  die  peripheren  Theile  der 
Netzhäute  normale  Function  aufgewiesen  hätten. 

Diese  interessante  und  klinisch  sowohl,  als  auch  physio¬ 
logisch  besonders  wichtige  Thatsache  hat  vielfach  Veranlassung 
gegeben,  den  Anschluss  der  Maculafasern  an  die  Gehirnrinde 
in  verschiedener  Weise  zu  erklären.  Wir  haben  früher  schon 
besprochen,  wie  Munk  sich  auf  Grund  seiner  Experimente 
die  Vertretung  der  Macula  in  der  Gehirnrinde  vorstellt,  des¬ 
gleichen  die  Anschauungen  anderer  Experimentatoren  (h  er- 
rier,  Bechterew,  Lucian  i  u.  A.  m.)  hervorgehoben,  wir 
haben  auch  schon  dort  unsere  Bedenken  dagegen  ausgesprochen, 
dass,  wie  diese  Forscher  meinen,  die  Macula  in  irgend  einer 
Weise  in  der  Hirnrinde  inselförmig  vertreten  sei. 

Wir  wollen  nun  noch  kurz  jener  Hypothesen  Erwähnung 
thun,  die  auf  Grund  klinischer  und  pathologisch -anatomischer 
Untersuchung  entstanden  sind. 

Förster  versetzt  das  Rindenfeld  für  die  Macula  lutea 
in  die  hintere  Partie  der  Fissura  calcarina.  Nun  soll  diese 
Gegend  gegenüber  der  übrigen  Sehsphäre  besonders  gut  mit 
Blut  von  zwei  verschiedenen  Arterien,  der  Art.  cerebri  post, 
und  dem  hinteren  Aste  der  Art.  foss.  Sylvii  versorgt  werden, 
so  dass  bei  Verstopfung  o  ler  Circulationsstörung  einer  Ai- 
terie  wohl  die  übrige  Sehsphäre,  aber  nicht  die  Rinde  dei 
Macula  lutea  vollständig  blutleer  uud  functionsunfähig  werden 
könnte.  Demgegenüber  scheint  Henschen  geneigt,  die  Ver¬ 
tretung  der  Macula  lutea  in  die  vordere  Partie  der  Calcarina- 
rinde  zu  verlegen,  denn  er  fand  bei  zwei  Fällen  von  alleiniger 
Iutactheit  des  deutlichen  Sehens  eben  diese  Partie  ausserhalb 
des  Bereiches  des  krankhaften  Herdes.  Abgesehen  von  dem 
Widerspruche,  der  bezüglich  der  Localisation  der  Maculastelle 
bei  Förster  und  Henschen  besteht,  entbehrt  ausserdem 
die  Förster’sche  Hypothese  der  anatomischen  Grundlage. 
Es  ist  bis  jetzt  weder  mir  noch  Anderen  gelungen,  die  doppelte 
Blutversorgung  der  Calcarinarinde,  sei  es  der  vorderen  oder 
hinteren  Partie,  anatomisch  nachzuweisen.  Und  doch  wäre 
dieser  Nachweis  die  einzige  V  orbedingung,  um  eine  solche 
Hypothese  zu  stützen.  Sonst  beweisen  die  Fälle  von 
Förster2'1)  und  Henschen'50),  wie  schon  v.  Monakow") 
richtig  bemerkt,  nur  das  Eine,  dass  die  Macula  lutea 
weder  in  der  vorderen,  noch  in  der  hinteren 
Partie  der  Fossa  calcarina  allein  vertreten 
sein  kann. 


26)  Förster,  v.  Graefe’s  Archiv  für  Ophthalmologie.  BJ.  XXXVI. 
—  Sachs,  Arbeiten  aus  der  psychiatrischen  Klinik  Breslau.  Heft  _. 

27)  Wilbrand,  Festschrift  für  Förster.  Wiesbaden  189o. 

2S)  Henschen,  Klinische  und  anatomische  Beiträge  etc.  Upsala 

1892,  Bd.  II. 

29)  Förster,  1.  c. 

30)  H  e  n  s  c  h  e  n,  1.  c. 

31)  v.  Monakow,  1.  c. 


982 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


Wilbrand32)  hat  hingegen  die  Ansicht  verfochten, 
dass  jeder  Punkt  der  Macula  sowohl  in  der  rechten,  als  auch 
in  der  linken  Sehsphäre  vertreten  sei,  dass  nach  Ausfall  der 
corticalen  Vertretung  eines  Maculapunktes  der  »Genosse«  des¬ 
selben  in  der  anderen  Gehirnhälfte  für  den  ausser  Funct:on 
gesetzten  eintrete.  Wenn  auch  diese  Annahme  das  ganze  oder 
theihveise  Intactbleiben  der  Maculufunction  bei  Hinterhaupts¬ 
läsionen  zur  Noth  erklären  würde,  so  ist  sie  doch  unhaltbar, 
so  lange  nicht  der  anatomische  Nachweis  für  diese  Doppelver¬ 
sorgung  der  Macula- Elemente  erbracht  ist. 

Die  Lösung  des  Räthsels  der  Maculaversorgung  im 
Hinterhauptslappen  wurde  schon  vor  Jahren  durch  v.  Mona¬ 
kow  auf  Grund  seiner  exacten  Degenerationsexperimente  und 
seiner  pathologisch-anatomischen  Studien  in  sinnreicher  Weise 
versucht,  und  wie  mir  scheint,  mit  viel  Glück  angebahnt. 
Dieser  Forscher  nimmt  an,  dass  die  Vertretung  der  Macula 
schon  im  äusseren  Kniehöcker  so  reich  angelegt  sei,  dass 
nahezu  alle  Theile  dieses  Gebildes  mit  Maculafaserendigungen 
versehen  sind.  »Bei  einer  solch  ausgedehnten  Verbreitungsweise 
der  Maculafasern  im  Corpus  geniculatum  externum  würden 
Erregungen  der  Macula  immer  (noch  corticalwärts  befördert 
werden  können,  so  lange  noch  leitungsfähige  Sehstrahlungs¬ 
fasern  vorhanden  sind;  ja,  und  wenn  nur  noch  einzelne  wenige 
Verbindungen  zwischen  den  primären  optischen  Centren  (z.  B. 
nur  die  Pulvinarstrahlung)  zurückblieben,  so  wäre  es  denkbar, 
dass  Reize,  welche  die  Macula  treffen,  doch  noch  zur  Gehirn¬ 
rinde  befördert  werden  können.«  Damit  ist  nach  v.  Mona¬ 
kow  die  inselförmige  Vertretung  der  Macula  in  der  Rinde 
im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich  gemacht. 

Meine  eigenen33)  früheren  und  neueren  anatomischen 
Untersuchungen  am  Menschen  und  Experimente  am  Affen 
führen  mich  zu  ähnlichen,  noch  präciseren  und,  wie  mir 
scheint,  anatomisch  vollkommen  begründeten  Schlussfolge¬ 
rungen. 

Wie  ich  vor  Jahren  und  kürzlich  erst  nachgewiesen 
habe,  gehen  beim  Affen  und  Menschen  alle  Faserarten  des 
Sehnerven,  die  Maculafasern,  die  Peripheriefasern  und  die 
die  Pupillarreaction  vermittelnden  im  Chiasma  eine  eigenthüm- 
liche,  von  geringen  individuellen  Schwankungen  abgesehen, 
gesetzmässige  partielle  Kreuzung  ein. 

Ich  konnte  weiter  feststellen,  dass  die  gekreuzten  und 
ungekreuzten  Sehfasern  und  mit  ihnen  die  gekreuzten  und 
ungekreuzten  Maculafasern  nur  im  orbitalen  Theile  des  Seh¬ 
nerven  in  ganz  geschlossenen  Bündeln  verlaufen. 

Schon  im  Chiasma  und  vollends  im  Tractus  gehen  die 
Faserarten  allmälig  eine  immer  innigere  Vermischung  ein.  Im 
centralsten  Theile  des  Tractus  und  ganz  besonders  am  Ein¬ 
tritte  des  Tractus  in  den  äusseren  Kniehöcker  ist  die  Ver¬ 
mischung  eine  vollständige;  gekreuzte  und  ungekreuzte  Peri¬ 
pherie-  und  Maculafasern  liegen  innig  vermischt  bei  einander. 
Es  gibt  somit  keine  isolirten  Bündel  gekreuzter  und  unge¬ 
kreuzter  Peripherie-  und  Maculafasern,  welche,  wie  vielfach 
angegeben  wird,  vom  Auge  bis  in  die  primären  Opticuscentren 
ununterbrochen  verlaufen  würden.  Vom  Chiasma  aufwärts 
nimmt  die  Vermischung  aller  Fasern  allmälig  zu,  bis  sie  ins 
Corpus  geniculatum  externum  vollständig  ver¬ 
mischt  eintreten.  Diese  Vermischung  ist  eine  so  innige,  dass 
am  centralen  Tractusende  beim  Eintritte  ins  Ganglion  die  ge¬ 
kreuzten  und  ungekreuzten  Fasern  nahezu  paarweise  bei 
einander  liegen.  In  Folge  dieser  innigen  Vermischung  aller 
Fasern  ist  auch  ein  bündelweises  Beisammenliegen  der  Macula¬ 
fasern  völlig  ausgeschlossen. 

Diese  gleichmässige  Vermischung  aller  Faserarten  wäre 
eigentlich  nicht  leicht  begreiflich,  wenn  man  an  der  gangbaren 
Ansicht  festhielte,  dass  die  gekreuzten  Fasern  beim  Affen  und 
Menschen  die  ungekreuzten  um  Vieles  überwiegen  würden  — 
etwa  im  Verhältnisse  wie  2  :  3  oder  3  :  5  —  eine  Anschauung:, 

3-)  Wil  brand,  1.  c. 

:;;i)  St.  Bernheime  r:  1.  Wurzelgebiete  der  Sehnerven.  Wies¬ 
baden  1891;  2.  Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen¬ 
schaften  in  Wien.  Bd.  CVII,  3;  3.  V.  Graefe’s  Archiv  für  Ophthalmo¬ 
logie.  Bd.  XLVII,  Heft  1;  4.  Graefe-Sämisch,  zweite  Auflage. 

Capitel  VI,  1899. 


die  ich  früher  selbst  gehabt  habe.  Meine  eingehenden  Dege¬ 
nerationsversuche  am  Äffen  und  die  serienweise  Durchmusterung 
der  in  die  Opticuscentren  einstrahlenden  Sehnervenfasern  haben 
mir  aber  gezeigt,  dass  unmöglich  ein  solches  Missverhältniss 
zwischen  den  beiden  Faserarten  bestehen  kann,  sondern  dass 
es  fast  den  Eindruck  macht,  als  wären  die  gekreuzten  und 
ungekreuzten  Fasern  in  nahezu  derselben  Menge  vorhanden. 

Es  lässt  sich  dies  natürlich  nicht  so  ganz  genau  abzählen, 
sondern  nur  annähernd  schätzen.  Aber  fürwahr,  eine  gleich¬ 
mässige  Vertheilung  der  beiden  Faserarten  würde  wohl  am 
meisten  der  Physiologie  des  Sehens  entsprechen! 

Wer  sich  die  Mühe  nimmt,  bei  einseitig  enucleirten 
jungen  Affen  nach  vier  Wochen  die  beiden  Tractus  und  die 
äusseren  Kniehöcker  oder  die  Vierhügelgegend  in  entsprechende 
Serienschnitte  zu  zerlegen,  wird  staunen,  mit  welcher  Regel¬ 
mässigkeit  rechts  und  links  degenerirte  und  normale  Nerven¬ 
fasern  bei  einanderliegen.  Diese  Thatsache,  von  deren  regel¬ 
mässiger  Wiederkehr  ich  mich  an  unzähligen  Serienschnitten 
überzeugen  konnte,  ist  bisher,  meines  Wissens,  nicht  von  an¬ 
derer  Seite  hervorgehoben  worden,  sie  bildet  aber  die  Haupt¬ 
stütze  für  unsere  Anschauung  über  die  Art  des  Anschlusses 
der  Maculafasern  und  der  Sehfasern  überhaupt,  an  die  Gehirn¬ 
rinde.  Während  nun  alle  Sehfasern  im  centralsten  Theile  des 
Tractus  innig  vermischt,  eng  bei  einander  liegen,  treten  sie 
in  dem  Masse,  als  sie  in  die  Substanz  des  äusseren  Knie¬ 
höckers  eindringen,  immer  mehr  divergirend  auseinander  und 
erreichen  somit  alle  Theile  des  Ganglions  in  annähernd  gleich- 
mässiger  Vertheilung. 

Ich  habe  schon  vor  Jahren34)  nach  der  Methode  der 
Markscheidenentwicklung  am  Gehirne  menschlicher  Embryonen 
diese  eigenthümliche  Einstrahlungsart  der  Sehfasern  in  den 
Hauptendigungskern  des  Corpus  geniculatum  externum  fest¬ 
stellen  können  und  mich  durch  spätere  wiederholte  Unter¬ 
suchung  immer  wieder  davon  überzeugt,  wie  die  Sehfasern 
constant  nach  Art  von  stark  divergirenden  strahlenförmigen 
Bündeln  ihre  Endstätte  erreichen. 

Da  es  weiterhin  erwiesen  ist,  dass  alle  Maculafasern  im 
äusseren.  Kniehöcker  endigen,  und  mit  den  übrigen  gekreuzten 
und  ungekreuzten  Sehfasern  vermischt  in  der  beschriebenen 
Weise  nach  allen  Theilen  des  Corpus  geniculatum  ausstrahlen, 
so  werden  dieselben  durch  ihre  weitverzweigten  Endbäumchen 
umsomehr  mit  vielen,  von  der  Stammfaser  auch  weiter  ent¬ 
fernten  Theilen  des  Corpus  geniculatum  in  Beziehung  treten 
können. 

Da  also  die  Maculafasern  nicht  in  geschlossenen  Bündeln 
in  das  Corpus  geniculatum  eintreten,  sondern  mit  den  übrigen 
Fasern  in  nach  allen  Richtungen  divergirenden  Bündeln  aus¬ 
strahlen  und  ihre  verzweigten  Endbäumchen  naturgemäss  auch 
unter  einander  vermischt  sind,  so  werden  an  den  meisten 
Stellen  des  Ganglions  neben  einzelnen  Endzweigehen  von  ge¬ 
kreuzten  und  ungekreuzten  Sehfasern  auch  solche  beider 
Arten  von  Maculafasern  vorhanden  sein  und  alle  werden 
vielleicht  sogar  in  ziemlich  regelmässiger  Aufeinanderfolge 
mit  Ursprungszellen  der  Stabkranzfaserung  in  Beziehung  treten. 

Es  folgt  daraus  mit  zwingender  Not  h  • 
wendigkeit,  dass  im  Corpus  geniculatum  gewiss 
nicht  eine  umschriebene  Stelle  vorhanden  ist, 
an  welcher  ausschliesslich  Maculafasern  en¬ 
digen  würden,  sondern  dass  die  Maculafasern 
nahezu  mit  allen  Theilen  des  äusseren  Knie¬ 
höckers  verbunden  sein  dürften. 

Wie  aber  gestaltet  sich  nun  der  weitere  Anschluss  der 
im  Corpus  geniculatum  endigenden  Maculafasern  an  die 
Gehirnrinde  des  Hinterhauptlappens? 

Wenn,  wie  wir  gesehen,  auf  Grund  der  feststehenden 
anatomischen  Thatsachen  im  Corpus  geniculatum  eine  insel¬ 
förmige  Projection  der  Macula  ausgeschlossen  ist  und  dafür 
die  Maculafasern  hier  zertreut  und  auf  einem  ausgedehnten 
Verbreitungsgebiete  mit  Endbäumchen  endigen,  dann  ist  es  auch 
von  vorneherein  höchst  unwahrscheinlich,  dass  die  Macula 
in  der  Gehirnrinde  inselförmig  vertreten  sei.  Eine  solche  wäre 

3J)  St.  Bernheime  r,  Wurzelgebiet  der  Sehnerven,,  und:  Graefe- 
S  ä  m  i  s  e  h,  2,  Auflage,  Capitel  VI,  pag,  27  und  99  ff. 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


968 


trotz  der  beschriebenen  anatomischen  Verhältnisse  im  Knie¬ 
höcker  nur  dann  möglich,  wenn  sich  in  der  Faserung  der 
Sehstrahlung  directe  Fortsetzungen  der  Maculafasern  befänden, 
und  wenn  diese  Fortsetzungen  durch  das  Mark  des  Hmtei- 
hauptslappens  hindurch  in  stark  con  vergirendem  Verlaufe  einer 
umschriebenen  Stelle  der  Rinde  zustreben  würden.  Beides  ist 
aber  nicht  der  Fall!  Im  Gregentheile!  Die  Sehstrahlungsfasern 
liegen  nur  im  Anfänge,  nahe  den  primären  Endkernen,  dicht 
bei"  einander,  und  je  mehr  sie  in  das  Mark  des  Hinterhaupts¬ 
lappens  Vordringen,  desto  mehr  divergiren  sie  gegen  die  ge¬ 
summte  Occipitalrinde.  Ja,  selbst  wenn  wir  berücksichtigen, 
dass  die  medial  gelegenen  Windungen  (Cuneus,  Fissura  cal- 
carina,  Lobus  lingualis)  beim  Menschen  diejenigen  sind,  welche 
vorzugsweise  und  am  zahlreichsten  von  Sehstrahlungsfasern 
und  hauptsächlich  von  solchen  aus  dem  Hauptganglion,  dem 
Corpus  geniculatum  externum  bedacht  werden,  so  haben  wir 
immer  noch  im  Verhältnisse  zum  Endigungsgebiete  der 
Maculafasern  im  Corpus  geniculatum  externum,  in  der  Hirn¬ 
rinde  für  die  entsprechenden  Stabkranzfasern  ein  um  Vieles 
ausgedehnteres  Endigungsgebiet,  Die  Fortsetzungen  der  Macula¬ 
fasern  in  der  Sehstrahlung  können  also  nicht  in  der  Hirnrinde 
an  einer  umschriebenen  Stelle  zusammengedrängt  endigen, 
sondern  sie  werden  im  Gegentheil  noch  über  ein  weit  grösseres 
Areale  vertheilt  sein  müssen,  als  im  Kniehöcker. 

Dazu  kommt  aber  noch  die  wichtige  und  bis  jetzt  nicht 
beachtete  anatomische  Thatsache,  dass  die  Sehstrahlungsfasern 
nicht  nur  keine  directen  Fortsetzungen  der  Sehfasern  sind, 
sondern  dass  sie  höchstens  als  indirecte  Fortsetzungen  im 
weitesten  Sinne  aufgefasst  werden  können.  Denn  ich  habe 
durch  das  combinirte  Verfahren  von  Nissl  und  Marchi 
am  Affen  feststellen  können,  dass  die  Ursprungszellen  der 
Sehstrahlung  im  Corpus  geniculatum  externum  in  grösserer 
Anzahl  vorhanden  sind,  als  die  daselbst  endigenden  Seh¬ 
nervenfasern.  Das  Endbäumchen  jeder  Sehfaser,  somit  auch 
das  jeder  Maculafaser,  muss  danach  mit  mehr  als  einer  Ur¬ 
sprungszelle  der  Sehstrahlungsfaserung  in  Contact  treten  können. 
Diese  mehrfache  Contactbeziehung  wird  aber  noch  dadurch 
vermehrt,  dass,  wie  ich  mich  mit  Bestimmtheit  überzeugen 
konnte,  der  Contact  zwischen  Endbäumchen  und  Ganglien¬ 
zellen  kein  unmittelbarer  ist,  sondern  durch  Vermittlung  von 
sogenannten  Schaltzellen  (v.  Monakow)  bewerkstelligt  wird; 
von  kleinen  Zellen,  welche  durch  ihre  verzweigten  Dendriten 
wiederum  vermehrte  Contactbeziehungen  vermitteln  können. 
Lichtreize,  welche  durch  die  Maculafasern  dem  Corpus  geni¬ 
culatum  zugeführt  werden,  können  somit,  Dank  den  vielfachen 
Contactbeziehungen  zwischen  Maculafaserendigung  und  Seh¬ 
strahlungsursprungszelle,  auf  verschiedenen  Wegen  zur  Gehirn¬ 
rinde,  und  zwar  an  verschiedene,  auch  weiter  von  einander 
entfernte  Stellen  (zum  Mindesten  der  medialen  Hinterhaupts¬ 
rinde)  gelangen. 

Es  ist  klar,  dass  unter  normalen  Verhältnissen  die  Licht¬ 
impulse  der  centralen  und  peripheren  Theile  der  Netzhaut  auf 
dem  directesten  und  kürzesten  Wege  zur  Gehirnrinde  gelangen, 
dass  also  die  der  jeweiligen  Maculafaser  zunächstliegende 
Ganglienzelle  und  ihre  Sehstrahlungsfaser  den  Lichtimpuls 
fortleitet.  Wenn  aber  die  gewöhnlichen  Wege  verlegt  sind, 
dann  werden  benachbarte,  noch  functionsfähige  Bahnen,  soferne 
sie  durch  Contact  erreichbar  sind,  die  Lichtleitung  zur  Gehirn¬ 
rinde  besorgen. 

Ich  kann  also  auf  Grund  meiner  Untersuchungen  die 
Hypothese  v.  Monakow’s  anatomisch  begründen  und  in 
gewissem  Sinne  erweitern,  indem  ich  sie  dahin  zusammenfasse: 
.Die  anatomische  Anlage  im  Corpus  geniculatum 
(zum  mindesten  des  Affen  und  Menschen)  ist 
eine  derartig  complicirte  und  zugleich  zweck¬ 
mässige,  dass  Lichtimpulse,  welche  durch 
Maculafasern  zum  äusseren  Kniehöcker  ge¬ 
langen,  auch  dann  noch  un  geschwächt  oder  nur 
wenig  geschwächt  zur  Hirnrinde  fortgeleitet 
werden  können,  wenn  auch  die  gewöhnlichen 
Sehstrah  lungsfasernde  i\M  acula-Endbäumchen 
durch  einen  Krankheitsherd  ganz  oder  t  heil¬ 
weise  unterbrochen  sind. 


Die  noch  gesunden  benachbarten  Seh¬ 
strah  1  u  n  g  s  f  a  s  e  r  n  k  ö  n  n  e  n  dann  immer  noch,  ver¬ 
möge  der  überaus  reich  angelegten  Contact- 
verb  i  n  d  u  n  g  e  n  im  Kniehöcker,  die  Leitung  für 
die  ausser  Function  gesetzten  Bahnen  über¬ 
nehmen. 

Danach  wäre,  so  lange  überhaupt  noch  ge¬ 
sunde  benachbarte  Sehstrah  lungs  fasern  vor¬ 
handen  sind,  eine  vollständige  Vernichtung 
der  Maculafunction  ebenso  undenkbar,  wie 
eine  insei  förmige  Vertretung  derselben  im 
Cortex. 


Aus  der  k.  k.  neurologisch-psychiatrischen  Klinik  der 
Universität  Graz  (Prof.  Anton). 

Eine  eigenartige  postmortale  Cystenbildung  im 
Centralnervensystem. 

Von  Dr.  Fritz  Hartmann,  klinischem  Assistenten. 

Krankengeschichte  : 

Ludwig  Ch.,  08  Jahre  alt,  k.  und  k.  Major. 

Hereditär  nicht  belastet,  über  Lues  nichts  zu  erfahren. 

Seit  längerer  Zeit  vergesslicher,  Charakterveränderungen  zum 
Schlechteren,  urtheilsschwächer. 

Am  12.  August  1898  stellte  sich  plötzlich  ein  Ohn¬ 
machtsanfall  ein,  der  eine  Sprachlähmung  im  Gefolge 
hatte,  gleichzeitig  bemerkte  die  Umgebung  Her  ab  hängen  der 
Augenlider,  rechtsseitige  Facialisparese  und  die  zu¬ 
nehmende  Somnolenz  des  Patienten. 

Am  13.  August  1898  gelangte  der  Patient  zur  Aufnahme 
auf  die  Nervenklinik. 

Status  praesens:  Mittelgross,  kräftig  gebaut,  Unterhaut¬ 
zellgewebe  sehr  fettreich,  in  ruhiger  Rückenlage. 

Die  Hautdecken  am  Gesichte  geröthet,  livid,  am  Körper 

sehr  blass. 

Von  Seite  des  Knochen-  und  Drüsensystems  nichts 
Bemerkenswerthes. 

Circulation:  Herzdämpfung  etwas  nach  links  hin  ver¬ 
breitert,  Herztöne  dumpf,  kaum  hörbar. 

Die  Carotiden  pulsiren  beiderseits  gleich  kräftig,  fühlen  sich 

rigide  an. 

Der  Puls  ist  voll,  irregulär,  die  Arterie  drahtartig  gespannt. 
Respiration:  Frequent,  schnarchend,  rhythmisch,  aus- 
oiebio';  der  percussorische  und  auscultatorische  Lungenbefund  ist 
normal. 

A  b  d  o  m  e  n  stark  gebläht. 

Bauehdrüsen  normal. 

Harnbefund  normal. 

Crani  un  symmetrisch,  percussionsempfindlich. 
Stirnfacialis  links  gut,  rechts  nicht  innervirt. 

Mund  facial  is  links  gut,  rechts  nur  spurweise  innervirt. 
Das  linke  Augenlid  in  completer  P  t  o  s  i  s  Stellung,  das 
rechte  gut  innervirt. 

Die  rechte  Pupille  mittelweit,  nicht  ganz  lunc,  ist 
lichlstarr. 

Die  linke  Pupille  stecknadelkopfgross,  ist  lichtstarr. 
Heben,  Senken  und  Einwärtsrollen  des  linken  Bulbus  (linker 

Oculomotorius)  ist  unmöglich. 

Der  linke  Abducens  nur  spurweise  innervirt  untei 

nystagmusartigen  Zuckungen. 

Heben,  Senken  und  Einwärtsrollen  des  rechten  Augapfels  ist 
paretisch  (rechter  Oculomotorius). 

Der  rechte  Abducens  zeigt  ganz  geringe  Excursionen. 
Der  beiderseitige  Trochlearis  gelähmt. 

Der  Masseter  contrahirt  sich  links  eben  merkbai, 

rechts  nicht. 

Die  Sensibilität  der  rechten  Gesichtshälfte  herabgesetzt. 
Die  Zunge  wird  nach  rechts  ablenkend  gut  vorgestreckt. 

Die  Phonation  ist  sehr  mangelhaft,  das  Gaumensegel 
hebt  sich  nicht,  die  Gaumensegelreflexe  fehlen,  die 
Pharynxreflexe  sind  schlecht  auslösbar. 


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Die  sprachlichen  Aeusserungen  beschränken  sich  auf  schlecht 
articulirte,  mühsam  hervorgestossene  Worte. 

Das  Schlucken  gelingt  schwer. 

Beide  Sternocleidomastoidei  contrahiren  sich 
schlecht. 

Die  rechte  obere  Extremität  ist  in  allen  Gelenken  ge¬ 
beugt,  der  Tonus  der  Musculatur  gegen  links  etwas  erhöht,  die 
mechanische  Muskelerregbarkeit  nicht  verändert,  der  Tricepsreflex 
nicht  auslösbar. 

Die  rechte  obere  Extremität  kann  nur  minimal  von  der 
Unterlage  abgehoben  werden,  die  Bewegungen  der  Finger  und  im 
Ellenbogengelenke  können  nicht  geleistet  werden,  keine  ataktischen 
Symptome. 

Der  Tricepsreflex  links  gesteigert,  die  Functionen  der  linken 
oberen  Extremität  intact. 

Die  Bauchmuskeln  functioniren  paretisch,  die  Bauch¬ 
hautreflexe  fehlen  bis  auf  den  linken  hypogastrischen  Reflex. 

An  der  linken  oberen  Extremität  zeitweilig  klonische 
Zuckungen. 

Fig.  1. 


Durchsichtiger  Abschnitt  durch  eine  Grosshirnhemisphäre,  durch  das 
hintere  Drittel  des  Balkens  (Färbung  nach  Pal).  V  —  Ventrikel,  e  =alte  Er¬ 
weichungsherde,  g  =  gallertiger  Inhalt,  sa  C  =  subarachnoideale  Cysten, 

Schw  =  Scheidewände. 

Der  rechte  Patellar-Sehnenreflex  auslösbar,  der 
linke  stark  gesteigert. 

Im  linken  Beine  der  Tonus  der  Musculatur  erhöht. 

[Die  mechanische  Muskelerregbarkeil  intact. 

Die  motorischen  Functionen  der  unteren  Ex¬ 
tremitäten  beschränken  sich  auf  ganz  minimale  Bewegungs¬ 
fähigkeit. 

Die  Zehen  des  rechten  Fusses  in  maximaler  Dorsalflexion, 
die  des  linken  in  den  Interphalangealgelenken  gebeugt. 

Die  Sensibilität  am  rechten  Arme  etwas  stumpfer. 

Incontinentia  urinae  et  alvi. 

Verlauf:  Der  somnolente  Zustand,  in  welchem  Patient  ein¬ 
gebracht  wurde,  nimmt  krasch  an  Intensität  zu,  zeitweilig  treten 
Trismus  und  Reizsymptome  in  den  Pterygoideis  und  der  Zunge  in 
Form  krampfhafter  Zuckungen  ein;  die  Lähmungssymptome  der 
Augenmuskel  bleiben  permanent,  die  der  Extremitäten  führen  zu 
vollkommener  Paraplegie. 

Am  siebenten  Krankheitstage  treten  höhere  Temperaturen  bis 
zu  38'5°  auf;  am  achten  Krankheitstage  Exitus  bei  3651'. 


Diagnose:  Polioencephalitis  superior  (Wer¬ 
nicke)  mit  wahrscheinlich  auch  e  n  c  e  p  h  a  1  i  t  i  s  c  h  e  r 
Erkrankung  des  Grosshirnes. 

Obduction:  Der  Obductionsbefund  ergab  ein  geringgradiges 
Emphysem  der  Lungen,  eine  leichte  concentrische  Hypertrophie  des 
linken  Ventrikels,  sonst  keine  bemerkenswerthen  pathologischen 
Veränderungen  in  den  Organon. 

Vorbereitung  des  Gehirnes. 

Das  Gehirn  wurde  nach  der  Obduction  sammt  den  Hirn¬ 
häuten  in  10%igen  Formol  conservirt  und  erst  einen  Monat  nachher 
durch  Frontalschnitte  zerlegt. 

Makroskopische  Beschreibung. 

(Fig.  1  und  2). 

Convexe  Hirnoberfläche. 

Die  Pia  mate r  ist  über  dem  Stirn-  und  Parietallappen 
hochgradig  verdickt  und  weisslich  getrübt,  schlaff  und  entsprechend 


Durchsichtiger  Abschnitt  durch  eine  Grosshirnhemisphäre,  durch  den  hintersten 
Theil  des  Balkens.  Bezeichnung  wie  in  Fig.  1. 

den  Sulcis  tief  eingesunken;  über  dem  Occipitallappen  und  Schläfe- 
antheil  nur  wenig  getrübt  und  zart. 

Die  Arachnoidealzotten  sind  entsprechend  entwickelt, 
eher  etwas  an  Zahl  verringert. 

Die  Venen  der  verdickten  Pia  sind  prall  gefüllt  und 
erweitert. 

Die  Sulci  sind  im  Fronto-Parietallappen  sehr  verbreitert,  die 
Gyri  schmal  und  flacher. 

Die  Pia  an  der  Basis  ist,  wenn  auch  weniger  als  im 
Fronto-Parietallappen  verdickt  und  getrübt  und  den  Gebilden  der 
Basis  adhärent. 

Die  Carotiden  beider  Seiten,  besonders  aber  rechts,  sind 
mit  enorm  verdickten  Wandungen  ausgestattet,  rigid,  aber  überall 
durchgängig. 

Dieselben  Verhältnisse  finden  sich  an  der  Arteria  cerebri 
anterior  und  Arteria  fossae  Sylvii. 

Die  Arteria  basilaris  ist  verbreitert,  verdickt,  mit 
sklerotischen  Plaques  besetzt,  zeigt  basal  wandständige  hyaline  und 
graubraune  Thromben. 

Dieselben  Verhältnisse  finden  sich  bei  der  Arteria  cerebri 
posterior  und  den  Arteriae  vertebrales. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Auch  alle  kleineren  Arterienverzweigungen  zeigen  Rigidität 
und  stellenweise  sklerotische  Plaques. 

Frontalschnitte  durch  das  Stirnhirn. 

Die  Arachnoidea  ist  an  der  Höhe  der  Kämme  der  Windungen 
durch  Adhäsionen  mit  der  Unterlage  verklebt.  In  den  Sulci 
finden  sich  Recessus,  die  mit  seröser  Flüssigkeit  erfüllt  und  von 
zarten,  milchweissen,  untereinander  anastomosirenden,  netzförmig 
angeordneten  Balken,  die  häufig  Blutgefässe  enthalten,  durchzogen 
sind  (Fig.  1,  sa  C,  Fig.  3). 

Die  Hirnrinde  ist  verschmälert  und  zeigt  zahlreiche, 
borstenartig  hervorragende,  feinste  Gefässe.  An  einzelnen  Stellen 
ist  dieselbe  durchsetzt  von  milchigweissen,  rundlichen,  ziemlich 
scharf  begrenzten,  bis  zu  1  mm  im  Durchmesser  haltenden 
Flecken. 

In  der  Tiefe  der  Windungen  findet  man  häufig  die  Rinde 
noch  weiter  verschmälert  und  durch  seichte  Dellen  oder  kugel¬ 
förmige  Einbuchtungen  im  Contour  verändert  (Fig.  1). 

Derartige  Erweiterungen  der  Sulci  sind  oft  kettenartig  ange¬ 
ordnet,  so  zwar,  dass  die  grösseren  derartigen  kugelförmigen  Hohl¬ 
räume  in  der  Tiefe  sich  befinden  und  die  einzelnen  von  einander  von 
ringförmig  vorspringenden  Leisten  getrennt  sind  (Fig.  1,  2,  3,  Schic). 

Das  Mark  ist  beiderseits  durchsetzt  von  0  5mm2  bis  zu 
05  cm 2  grossen,  ziemlich  glattwandigen  oder  unregelmässig  ge¬ 
wölbten  und  stellenweise  nur  durch  zarteste  Scheidewände  ge¬ 
trennten  Hohlräume. 

Fig.  3. 


Subarachnoideale  uud  Markcysten. 

Die  Zahl  der  grösseren  dieser  Hohlräume  ist  rechts  grösser 
als  links  und  beträgt  an  einem  das  Stirnhirn  halbirenden  Schnitte 
vor  dem  Balken,  circa  50  auf  dem  Querschnitte. 

Die  Form  derselben  ist  meist  eine  bohnenförmige.  Nicht 
selten  ist  das  eine  Ende  derselben  spitzer  zulaufend  und  steht 
dasselbe  dann  gewöhnlich  durch  einen  kurzen  feinen  Canal  mit 
einen  benachbarten  Hohlraum  in  Verbindung.  Oft  stehen  dieselben 
so  dicht  gedrängt  und  sind  dann  nur  durch  dünnwandige  Lamellen 
von  einandergetrennt,  so  dass  das  Bild  wabiger  Destruction  entsteht. 
Manchmal  sind,  und  dies  trifft  meist  für  kleinere,  circa  1 — 2  mm 
im  Durchmesser  haltende  Hohlräume  zu,  dieselben  perlschnurartig 
aufgereiht  und  in  ähnlicher  Weise  von  einander  abgetrennt,  wie 
dies  oben  für  die  in  den  Sulci  auftretenden  Erweiterungen  be¬ 
schrieben  wurde.  Seltener  findet  man  längliche  (oft  1  cm  lange) 
dafür  bedeutend  schmälere  (Q2  —  1  mm  breite),  Bohrlöchern  ähn¬ 
liche  Hohlräume,  die  meist  zierlich  und  regelmässig  gekrümmt, 
dem  Laufe  der  Markfaserung  parallel  angeordnet  sind. 

Die  Umgrenzung  der  Cysten  ist  meist  glatt,  manchmal 
mehrfach  buckelig  vorgewölbt.  *)  Es  hat  makroskopisch  den  An¬ 
schein,  als  ob  die  Substanz  der  Wandung  mit  dem  Marke  identisch 
wäre,  jedenfalls  konnten  keine  Anhaltspunkte  für  die  Annahme  von 
eigenen  fremdartigen  Wandungen  aufgefunden  werden. 

Nicht  selten  ragen  aus  der  Wandung  lamellenartig  vor¬ 
springende  Leisten  hervor,  die  unbedingt  durch  einen  Faserzug 

*)  Gewöhnlich  können  derartige  Vorwölbungen  als  Ausbuchtungen 
benachbarter  Hohlräume  nachgewiesen  werden. 


(Blutgefäss)  aufgehobenen  Falten  gleichen  und  an  der  Basis  immer 
breiter  sind  als  am  Kamme,  an  diesem  aber  oft  breiter  als  in 
der  Mitte. 

Der  Inhalt  der  Hohlräume  ist  eine  wässerige,  klare,  farb¬ 
lose  Flüssigkeit.  Ab  und  zu  findet  man  und  dann  immer  in  einer 
recessusartigen  Ausbuchtung  der  Hohlräume  einen  bodensatzartigen, 
gallertigen,  graubraunen  Niederschlag  (Fig.  1,  g ),  der  in  Form  und 
Lage  am  besten  den  in  den  Höhlungen  eines  an  einem  Bache 
liegenden  Felsens  vorfindlichen  Sandanschwemmung  vergleichbar  ist. 

In  manchem  derartigen  Hohlraum  ist  ein  Theil  der  Wandung 
nur  grau  verfärbt,  eigenthümlich  porös  und  wie  mit  grauschwarzen 
Sprenkeln  ausgekleidet. 

Durch  einzelne  Hohlräume  zieht  ein  zartes  Cefäss  ohne  be¬ 
gleitendes  Gewebe,  gewöhnlich  wandständig,  wohl  aber  auch  den 
Hohlraum  durchquerend. 

Die  Lage  der  Hohlräume  ist  eine  scheinbar  unregelmässige. 
Bei  genauerem  Studium  lässt  sich  jedoch  insoferne  eine  Gesetz¬ 
mässigkeit  nachweisen,  als  die  Längsrichtung  der  Hohlräume  regel¬ 
mässig  mit  der  Längsrichtung  der  Faserzüge  zusammenfällt.  So 
finden  wir  Hohlräume  im  Gebiete  der  Balkenstrahlung  immer  in 
der  von  dieser  eingeschlagenen  Richtung,  Hohlräume,  die  gegen 
die  Windungskuppen  zu  liegen  immer  parallel  den  in  dieselben 
einstrahlenden  Faserzügen  angeordnet. 

Frontalschnitt  durch  die  Gegend  der  Centralwindungen. 

Auch  hier  gilt  alles  für  die  Frontalschnitte  durch  das  Stirn¬ 
hirn  Gesagte. 

Fig.  4. 


Cyste. 


Durchschnitt  durch  einen  Sector  eines  cystischen  Hohlraumes.  Mikrophoto¬ 
graphische  Aufnahme  der  Cystenbegrenzung,  Zeiss’  Apochr.  1ji. 

Nur  ist  hier  die  Grösse  der  Hohlräume  eine  bedeutendere, 
bis  zu  2  5  cm,  und  die  Zahl  eine  grössere  (über  80  auf  dem 
Querschnitte).*) 

Auch  hier  kann  die  Gesetzmässigkeit  der  Lage  nachgewiesen 
werden;  Hohlräume  im  Cingulum  werden  immer  als  von  vorne  nach 
hinten  gestreckte  gefunden,  Hohlräume  im  Balken  verlaufen  quer, 
die  zahlreichen,  in  der  Capsula  interna  sind  flach  zapfenförmig, 
schief  aufsteigend,  entsprechend  der  Projectionsstrahlung. 

Die  centralen  Ganglien  sind,  wenn  auch  relativ  in 
geringerem  Masse,  von  meist  kugelförmigen,  selten  länger  gestreckten 
gleichartigen  Hohlräumen  durchsetzt. 

Unter  diesen  grösseren  Hohlräumen  finden  sich  vorwiegend 
in  der  Substanz  der  centralen  Ganglien,  wohl  aber  auch  im  Win¬ 
dungsmarke,  vorwiegend  des  Schläfelappens,  eine  Unzahl  kleiner 
Hohlräume,  ein  Bild,  das  ganz  dem  bekannten  Etat  crible  der 
Autoren  entspricht. 

Stellenweise  sind  die  centralen  Ganglien  derartig  von  den  ge¬ 
nannten  pathologischen  Processen  durchsetzt,  dass  man  nur  äusserst 
wenig  annähernd  normale  Substanz,  die  dann  überdies  grau  verfärbt 
erscheint,  erkennen  kann. 

*J  Die  grössereu  Höhlen  zeigen  mannigfache  und  meist  zahlreiche 
kleinere  Ausbuchtungen,  und  es  macht  den  Eindruck,  wie  wenn  sie  durch 
Coufluenz  kleinerer  derartiger  Gebilde  entstanden  wären. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Querschnitt  durch  den  Hinterhauptslappen 

Hier  treten  annähernd  wieder  jene  Verhältnisse  zu  Tage,  wie 
an  den  entsprechenden  Partien  im  Stirnhirn,  d.  h.  Stirn-  und 
Hinterhauptspol  sind  am  wenigsten  von  Cysten  durchsetzt  und  ist 
deren  Grösse  eine  bedeutend  geringere  im  Vergleiche  zu  der  der 
Cysten  im  Centralgebiete. 

Im  Stirn-  sowie  hier  im  Hinterhauptslappen  scheinen  die  die 
kleineren  Cysten  mehr  der  Peripherie  anzuliegen,  grösseren 
centraler. 

Bemerkenswerth  ist  das  Fehlen  gröberer  Adhäsionen  und  Ver¬ 
dickungen  der  Pia  in  diesem  Hirntheile,  ein  Verhalten,  das  dem  bei 
progressiver  Paralyse  vollkommen  entspricht. 

Schnitt  durch  den  Hirnstamm. 

Hier  sind  die  cystischon  Gebilde  entschieden  spärlicher.  Im 
Pes  pedunculi  der  rechten  Seite  fanden  sich  zwei  circa 
20 — 2’50  mm  im  Durchmesser  haltende,  röhrenförmige,  cystische 
Räume,  deren  Längsrichtung  mit  der  Faserrichtung  zusammenfällt, 
und  zwar  liegen  beide  im  motorischen  Antheile,  einer  nahe  der 
Mittellinie,  die  Substantia  nigra  bogenförmig  nach  aufwärts  drängend, 
der  andere  an  der  Grenze  des  mittleren  und  äusseren  Drittels,  der 
letztere  ist  nach  abwärts  bis  gegen  die  Medulla  oblongata  zu  in 
continuo  verfolgbar. 


Fig-  5. 


Gefäss  am  Rande  eines  Hohlraumes  mit  die  Wand  durchsetzenden  Gas¬ 
blasen  (gb). 

Ausser  diesen  grösseren  Hohlräumen  finden  sich  im  Gebiete 
des  rechten  vorderen  Vierhügels  noch  kleinere  im  Bereiche 
der  nächsten  Umgebung  des  Aquaeductus  Sylvii  und  links  zwischen 
den  Brückenfasern. 

Im  Querschnitte  des  hinteren  Vierhügels  findet  sich 
rechts  knapp  neben  der  Mittellinie,  die  Substantia  nigra  dieser  Seite 
bis  zur  Unkenntlichkeit  verändernd,  ein  circa  5  mm  im  Durchmesser 
haltender,  kugelig  geformter  Hohlraum,  der  an  der  Basis  eine  porus- 
artige  Lücke  aufweist,  die  mit  dem  Subarachnoidealraum  com- 
municirt. 

Am  hintersten  Rande  der  Brücke  erscheinen  nur 
vereinzelte,  träubchenartige,  confluirende  Hohlräume  von  W., — 1  mm 
Durchmesser;  noch  kleinere  solche  bis  hinab  in  die  Gegend  der 
rechten  grossen  Olive. 

Am  Ende  des  vierten  Ventrikels  bemerkt  man  links 
nahe  der  Mittellinie  an  der  inneren  Spitze  der  grossen  Olive  eine 
Cyste  von  U50  mm  Durchmesser. 

An  Abschnitten  durch  das  Kleinhirn  finden  wir 
dasselbe  allenthalben  von  ähnlichen,  wenn  auch  durchwegs  kleineren 
llohlräumen  durchsetzt.  Auch  wie  im  Grosshirne  finden  sich  hier 
subarachnoideal  Einbuchtungen  an  der  Oberfläche  der  Rindensub¬ 
stanz  mit  vollkommen  regellosen  Contouren  ohne  irgend  welche 
Zeichen  eines  reactiven,  intravitalen  Processes. 

Am  Rücken  marke  sind  makroskopisch  nur  kleinste 
Lücken  im  Halsmarke  nach  innen  von  der  Basis  des  rechten  Hinter- 
hornes  auffindbar. 


Ventrikel. 

Die  Wandung  der  Ventrikel  zeigt  keine  wesentliche  Ver¬ 
dickung  oder  Unebenheit;  in  derselben  linden  sich  mächtige  vari¬ 
köse  Gefässe,  deutlich  reliefartig  hervortretend  und  begleitet  von 
weissen,  punktförmigen,  anscheinend  kalkartigen  Hervorragungen. 

Mikroskopischer  Befund. 

Die  schon  makroskopisch  wahrnehmbaren  cystischon  Hohl- 
räume  zeigen  folgende  Verhältnisse: 

Die  Cystenumgrenzung  (Fig.  4)  ist  durch  keine  be¬ 
kannte  Gewebsart  gebildet,  sondern  Hohlräume  und  Nervenfasern 
stossen  unmittelbar  aufeinander. 

Am  Rande  der  Cysten  sind  meist  ein  oder  mehrere,  zum  Theile 
noch  in  die  Nervenmasse  eingebettete  Gefässe  zu  sehen,  die  mit 
einem  Theile  in  die  Cyste  vorragen;  nicht  selten  verlaufen  am 
Rande  des  Hohlraumes  selbst  kleine  oder  kleinste,  sklerotisch  ver¬ 
dickte  Gefässe  mit  vielerlei  Verzweigungen,  so  dass  man  den  Ein¬ 
druck  erhält,  der  cystische  Hohlraum  habe  sich  erst  der  Aus¬ 
breitung  des  kleinen  Gefässbäumchens  angeschlossen  —  ähnlich, 
wie  solche  Verbreitung  Obersteiner  (1.  c.)  angibt  und  abbildel 
—  und  schliesslich  durch  seine  Grösse  den  Gefässbaum  an  die 
Seite  gedrängt. 


Fig.  6. 


Grösseres  Gefäss  aus  der  Marksubstanz  einer  Parietalwindung,  zahlreiche 
Bacterien  enthaltend.  Methylenblau.  Zeiss’  Apoehrom.  Immersion  ’/i2>  2’0. 

Ausser  den  sklerotischen  Veränderungen,  die  in  schwererem 
und  leichterem  Grade  fast  durchwegs  wahrnehmbar  sind,  fallen 
eigenthümliche  Destructionen  an  einzelnen  Gefässwänden  auf.  Die 
Elemente  der  Gefässwände  sind  durch  kugelförmige  Gebilde  aus¬ 
einander  gedrängt,  die  einen  wenig  stärker  lichtbrechenden  Inhalt  auf¬ 
weisen,  der  nicht  färbbar  erscheint  und  die  in  grosser  Zahl  und 
verschiedener  Grösse  die  Gefässwand  durchsetzen  (Fig.  5,  g  b). 

Eine  Erklärung  dieser  Veränderung  geben  wir  im  Anschlüsse 
an  das  Folgende. 

Der  G  .y  s  t  e  n  i  n  h  a  1 1,  so  weit  ein  solcher  an  einzelnen 
Cysten  überhaupt  aufgefunden  werden  kann,  besteht  aus  einer, 
meist  nur  einem  kleinen  Theile  der  Wand  anliegenden,  homogen 
gallertartigen  und  mit  den  verschiedensten  Färbemitteln  nicht  tin- 
girbaren  Substanz  ohne  jede  geformten  Elemente. 

Urn  die  II  o  h  1  r  ä  u  m  e  zeigt  das  nervöse  Gewebe  keine  damit 
im  Zusammenhänge  stehenden  Veränderungen. 

Scheinbar  vorhandene  Gliaverdichtungen  können  stets  als 
solche  perivasculären  Ursprunges  nachgewiesen  werden. 

Das  Nervenfasernetz  scheint  stellenweise  um  die  Hohlräume 
concentrisch  verdichtet. 

Ausser  den  schon  makroskopisch  wahrnehmbaren  Hohlräumen 
finden  sich  solche  auch  in  grossen  Mengen  von  mikroskopischer 
Kleinheit  zerstreut  und  haufenweise  über  Rinde  und  Mark  vertheilt, 
bald  in  unmittelbarer  Nähe  von  Gefässen,  bald  weitab  von  solchen 
und  unterscheiden  sie  sich  sehr  wesentlich  durch  den  Mangel  regel¬ 
mässiger  Begrenzung  und  typischer  Anordnung  von  den  Gebilden 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.' 


96? 


des  Etat  crible,  welche  in  unserem  Gehirne  ebenfalls  ziemlich  zahl¬ 
reich  vorhanden  sind. 

Die  Anordnung  dieser  kleinsten  Hohlräume  hat  gleich  hei 
erster  Besichtigung  den  Eindruck  eines  ödematös  veränderten  Ge¬ 
webes  gemacht;  wir  werden  in  der  Folge  sehen,  wie  weit  dieser 
erste  Eindruck  später  seine  Berechtigung  erhielt. 

Viele  unserer  mikroskopischen  Hohlräume  gleichen  vollkommen 
den  Abbildungen,  wie  sie  P  i  c  k  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXI, 
Tafel  XVIII,  Fig.  3—16,  Tafel  XIX,  Fig.  17—22)  gibt. 

Ausser  all  diesen  Hohlraumbildungen  finden  wir  alte,  durch 
Bindegewebs-  und  Gliaveränderung  charakterisirte  mikroskopische 
Herde  in  Rinde  und  Mark  (Fig.  2  und  3,  e),  in  denen  das  nervöse 
Gewebe  entweder  vollkommen,  oder  doch  theilweise  geschwunden 
ist.  Ein  solcher  Herd  befindet  sich  auch  im  Dache  des  Aquaeductus 
Sylvii  in  der  Gegend  des  hinteren  Vierhügels  und  steht  dort  mit 
einem  kleinen  cystischen  Ilohlraume  von  typischer  Gestaltung 
(apoplektische  Cyste)  und  mit  einem  hirsekorngrossen,  gliösen 
Zapfen  in  Verbindung,  der  vom  Dache  des  Aquaeductus  herabragt. 
In  dieser  Gegend  ist  der  Aquaeductus  stark  erweitert. 

Die  Blutgefässe  sind  allenthalben  erkrankt,  ihre  Wan¬ 
dungen  sklerotisch  verändert,  arteriitische  Veränderungen  der  Media 
an  den  grösseren  Gelassen  deutlich  nachweisbar.  Thrombotische 
Verlagerungen  konnten  nicht  aufgefunden  werden,  nicht  selten 
jedoch  fanden  sich  kleinste  Gefässe  durch  mächtige  Wandverdickung 
fast  oder  ganz  undurchgängig. 


Fig.  7. 


Capiilare  aus  den  tiefenlJSchichten  der  Rinde  mit  Theilung,  mit  Bacteiien 
erfüllt  (c).  Methylenblau.  Zeiss’  Apoclirom.  Immersion.  '/ 12)  2‘0. 

Die  letztgeschilderten,  herdförmigen  Erkrankungen  präsentiren 
sich  demnach  als  residuäre  Processe  nach  kleinsten  Erweichungen 
im  Gefolge  der  allenthalben  bestehenden  Gefässveränderungen,  in 
ihrem  Entstehungsalter  verschieden,  jedoch  gewiss  nicht  jüngeren 

Datums. 

Es  bestehen  keine  systematischen  secundären  Degenerationen. 

Sonstige  histologische  Veränderungen  jüng¬ 
sten  Datums,  welche  das  schwere  klinische  Krank¬ 
heitsbild  aufzuklären  im  Stande  wären,  wurden 
keine  aufgefunden. 

Weitaus  der  wichtigste  Befund,  welcher  der  ganzen 
Beurtheilung  den  Schlüssel  in  die  Hand  zu  geben  berufen  war,  ist 
der  Nachweis  von  Bacterien. 

Die  Gefässe  der  Meningen  und  diese  selbst  sind  grossentheils 
vollkommen  frei  von  solchen.  Nur  an  den  stark  ausgebuchteten 
Stellen  der  Hirnoberfläche,  an  jenen  Punkten,  wo  wir  das  Vor¬ 
handensein  sogenannter  subarachnoidealer  Cysten  constatiren  konnten 
(Fig.  3),  wo  das  Rindengewebe  wie  ausgekerbt  anzusehen  und  leicht 
verfärbt  war,  fanden  sich  Bacterien,  wenn  auch  spärlich. 

Schon  wenige  Millimeter  unter  der  Oberfläche,  in  den  tiefen 
Capillaren  der  Rinde,  noch  mehr  aber  in  den  Blutgefässnetzen  des 
Markes,  sind  die  Gefässe  kleinsten  und  mittleren  Galibers  fast  im 
ganzen  Gehirne  bald  in  grösserem,  bald  geringerem  Grade  mit 
Bacterien  beschickt.  An  einzelnen  Stellen  sind  dieselben  in  solcher 
Masse  vorhanden,  dass  sie  das  Lumen  der  Capillaren,  aber  auch 


grösserer  Gefässe  mehr  minder  vollständig  erfüllen  (Fig.  6  und  7). 

Es  findet  sich  diese  Aussaat  sowohl  in  Gefässen  arterieller,  als  auch 
venöser  Provenienz.  Viel  seltener  finden  sich  und  nur  zerstreut 
Bacterien  in  den  Maschen  des  nervösen  Parenchyms,  etwas  häufiger 
am  Rande  der  grösseren  Cysten.  Ab  und  zu  sieht  man  Bacterien- 
haufen  an  der  Aussenwand  eines  Gefässes  traubenartig  anhängend. 

Nirgends  zeigt  das  vasculäre  oder  das  perivasculäre  Stütz¬ 
gewebe  oder  das  nervöse  Gewebe  selbst  Zeichen  reactiver  Vorgänge. 

Was  die  F  o  r  m  der  Bacterien  anlangt,  so  ist  es  die  von 
Kurzstäbchen.  Dieselben  besitzen  allem  Anscheine  nach  eine  Kapsel, 
was  auch  durch  den  Umstand  erhärtet  wird,  dass  trotz  der  oft 
vollständigen  Verdrängung  des  Gefässinhaltes  bei  total  mit  Bacterien 
verstopften  Gefässen,  die  bacteriellen  Individuen  alle  getrennt  von 
einander  wahrnehmbar  werden  und  ungefärbte  Substanz  zwischen 
sich  lassen. 

Die  Gattung  der  Bacterien  genauer  zu  bestimmen,  ist  der¬ 
malen  mangels  angelegter  Culturen  nicht  mehr  möglich. 

Desgleichen  war  nachträglich  nicht  mehr  festzustellen,  ob  die 
Bacterien  auch  in  anderen  Organen  ausgesäet  waren. 

Es  ergeben  sich  aus  der  Betrachtung  dieses  Gehirnes 
naturgemäss  folgende  Fragen: 

1.  Welcher  Art  ist  der  generelle  Allgemeinzustand  dieses 
Gehirnes  mit  Bezug  auf  die  vorhandenen  Gefässveränderungen 
und  mit  Bezug  auf  die  Vorgefundenen  histologischen  Verände¬ 
rungen  in  Rinde  und  Mark? 

2.  Welche  Bedeutung  hat  die  Vorgefundene  massenhafte 
Cystenbildung? 

a )  Sind  diese  Cysten  Residuärsymptome  eines  bestandenen 
anatomischen  Erkrankungszustandes  (im  Sinne  der  bekannten 
Cystenbildungen  nach  Blutungen,  Erweichungen  etc.)?  (Re¬ 
sorptionscysten.) 

b)  Sind  dieselben  durch  Lymphstauung  entstanden?  (Re¬ 
tention  scysten.) 

c)  Sind  diese  Cysten  eventuell  angeboren? 

d)  Ist  der  Befund  dieser  Cysten  mit  dem  generellen 
Allgemeinzustande  des  Gehirnes  (1.)  in  einem  genetischen  Zu¬ 
sammenhänge? 

3.  Welche  Bedeutung  hat  der  Befund  der  Bacterien- 
aussaat? 

d)  Ist  dieselbe  intra  vitam  entstanden  und,  wenn  ja,  ist 
der  klinische  Befund  mit  dieser  Annahme  in  Einklang  zu 
bringen  ? 

b)  Ist  diese  Bacterienaussaat  postmortal  entstanden? 

c )  Steht  dieselbe  eventuell  in  einem  genetischen  Zusammen¬ 
hänge  mit  dem  generellen  Allgemeinzustande  des  Cerebrums 
oder  mit  der  Cystenbildung? 

Der  Gesammtzustand  des  Cerebrums  repräsentirt  sich 
als  der  einer  allgemeinen  Atrophie  mit  schweren  sklerotischen 
Gefässveränderungen  und  auf  Basis  dieser  entstandenen,  mul¬ 
tiplen,  kleinsten  Erweichungsherden. 

Andererseits  fand  sich  eine  totale  cystische  Deformation 
im  ganzen  Gehirne. 

War  schon  der  Befund  eines  derartig  käseähnlich  ver¬ 
änderten  Gehirnes  an  sich  höchst  merkwürdig  und  mit  keiner 
der  bekannten  anatomischen  Erkrankungen  des  Nervensystems 
in  Einklang  zu  bringen,  so  war  andererseits  der  Mangel 
irgend  welcher  Wandungen  der  Cysten  und  das 
Fehlen  frischer,  entzündlicher  Veränderungen 
oder  secundärer  Degenerationen  einerseits  ein  Beweis  für  die 
Unmöglichkeit  der  Annahme  eines  embryonal  abgelaufenen, 
als  andererseits  eines  frischen  intravitalen  Processes. 

Auch  waren  aus  diesen  Gründen  die  Vorgefundenen, 
wohl  charakterisirten,  alten,  encephalomalacisehen,  beziehungs¬ 
weise  encephalitisehen  Herde  in  keiner  Weise  mit  der  Höhlen¬ 
bildung  in  Einklang  zu  bringen. 

Jedenfalls  haben  wir  es  also  weder  mit  der  Bildung  so¬ 
genannter  Resorptionscysten  zu  thun,  noch  auch  kann  der 
Gedanke  an  Retention  von  cerebraler  Lymphe,  wie  die  An¬ 
nahme  einer  solchen  in  dem  Vorhandensein  der  starken, 
meningealen  Verklebungen  einer-,  des  Glioms  im  Aquaeductus 
Sylvii  andererseits  naheliegend  wäre,  bekräftigt  werden,  da 
jegliche  Anhaltspunkte,  als  da  reactive  Processe,  secundäre 
Degenerationen  wären,  fehlen  und  auch  die  Anamnese  keines- 


9ö8 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


vvegs  ausreichend  einen  so  umfangreichen  Process,  selbst  bei 
langsamer  Entwicklung,  zulässt. 

Auch  als  angeborene  Erkrankung  kann  der  Process 
kaum  angesprochen  werden,  da  einerseits  eine  zu  supponirende 
angeborene  Ektasie  des  lymphatischen  Apparates  als  patho¬ 
logisch-anatomische  Ursache  bisher  völlig  unbekannt  ist  und 
an  sich  anatomische  und  klinische  Folgeerscheinungen  auf¬ 
weisen  müsste,  wie  solche  in  unserem  Falle  vollkommen  fehlen. 

Es  bleibt  uns  nach  unserer  Ueberlegung  also  zwingend 
nur  noch  die  Vergleichung  der  Cystenbildung  mit 
der  gefundenen  Bacterienaussaat  und  ihr  causales 
Verhältniss  zu  untersuchen. 

Hiebei  werden  wir  naturgemäss  an  den  bekannten  Pro¬ 
cess  der  Gasbildung  gewisser,  der  Gruppe  der  Fäulniss- 
bacterien  angehöriger  Mikroorganismen  zurückgreifen  müssen. 

Derartige  Bacterien  erzeugen  oft  grosse  Mengen  von 
Gasen,  und  diese  finden  sich  auch  an  Orten,  wo  unmittelbar 
keine  Bacterien,  wenigstens  in  grösseren  Mengen,  anwesend  sind. 

Auf  Bacterien  überhaupt  der  verschiedensten  Gattungen 
wurde,  ausgenommen  die  acuten  meningitischen  Erkrankungen, 
bisher  wenig  geachtet,  und  sind  solche  erst  in  letzterer  Zeit 
häufiger  in  den  Blut-  und  Lymphgefässen  des  Centralnerven¬ 
systems  gefunden  und  beschrieben  worden. 

Ceni23),  Montesano  und  Montess  oni  21)  u.  A. 
fanden  Staphylococcen,  Bacillen  verschiedener  Arten  bei  acuten 
Psychosen,  bei  progressiver  Paralyse  in  Blut  und  Lymphe  des 
Gehirnes. 

Aus  der  Anordnung  unserer  Bacterienbefunde  geht 
hervor,  dass  dieselben  sich  zwar  überall  vorfinden,  jedoch  nur 
äusserst  spärlich  ganz  an  der  Peripherie  und  im  Gewebe  selbst, 
jedoch  schon  in  geringer  Tiefe  in  grossen  Massen  die  Lumina 
der  Gefässe  erfüllen.  Dies  ist  ein  Umstand,  der  darauf  hin¬ 
weist,  dass  diese  Fäulnissbacterien  nicht  von  aussen  in  das 
Gehirn  eingedrungen  sind,  wie  bei  einem  faulenden  Körper, 
sondern  durch  dieBlutbahn  eingebracht  wurden  und 
vorwiegend  in  ihr  sich  verbreitet  und  bis  in  die  feinsten  Ver¬ 
zweigungen  so  kolossal  vermehrt  haben,  dass  zwar  angenommen 
werden  muss,  dass  eine  Anzahl  von  Bacterien  intra  vitam 
in  die  Blutbahn  gelangt  sein,  dass  aber  die  kolossale  Ver¬ 
mehrung  postmortal  entstanden  sein  muss.  Einerseits  würde 
eine  derartige  Bacterienembolie  ins  Gehirn  sehr  rasch,  jeden¬ 
falls  viel  rascher  als  in  unserem  Falle  den  Tod  zur  Folge 
haben,  andererseits  ist  bekannt  *),  dass  unmittelbar  post  mortem 
beim  inficirten  Versuchsthiere  oft  nur  spärliche  Bacterien  in 
der  Blutbahn  gefunden  werden,  während  24  Stunden  nach 
dem  Tode  (das  gewöhnliche  Intervall  unserer  Krankensectionen), 
unter  gleichen  Verlaufsbedingungen,  sich  die  Bacterien  in  der 
Blutbahn  kolossal  vermehrt  haben. 

Diese  Thatsache  erklärt  ungezwungen  auch  unsere 
weitere  Annahme,  dass  die  gefundenen  massenhaften  Hohl¬ 
räume  und  die  innerhalb  von  Blutgefässwandungen  gefundenen 
kugeligen  Gebilde  (Fig.  4)  ursprünglich  ihre  Entstehung  einer 
gasbildenden  Bacterienart  danken,  die  Gasbildung  aller  Wahr¬ 
scheinlichkeit  nach,  wenigstens  in  diesem  kolossalen  Umfange, 
postmortal  zu  Stande  gekommen  ist. 

Bei  der  sicheren  Entscheidung  der  vorliegenden  Fragen 
war  mir  besonders  massgebend  das  Urtheil  des  Herrn  Professors 
Dr.  Kol  is  ko,  welcher  es  gütigst  übernommen  hatte,  die 
vorgelegten  Querschnitte  durch  Grosshirn  und  Kleinhirn  genau 
zu  untersuchen  und  zu  controliren. 

Die  Aulfassung  dieses  Gelehrten  ging  bestimmt  dahin, 
dass  die  vorliegenden  Veränderungen  postmortal  durch  gas¬ 
bildende  Bacterien  hervorgerufen  wurden. 

Dass  es  durch  die  starke  Gasbildung  nicht  zu  hoch¬ 
gradiger  Spannung  der  Meningen  kam,  dürfte  wohl  durch  die 
allgemeine  Atrophie  des  Gehirnes  bedingt  gewesen  sein. 

Die  Gascystenbildung  gewann  weiteren  Vorschub  durch 
die  in  toto-Conservirung  des  Gehirnes,  und  erst  nach  und 
nach  mag  das  eindringende  Formol  das  Gas  vertreten  und 
ersetzt,  beziehungsweise  gelöst  haben,  eine  immerhin  geraume 
Zeit,  bis  zu  -welcher  die  Gasentwicklung  (postmortales 

*)  Was  Herr  Prof.  R.  v.  Klemensiewicz  mir  mitzutheilen  die 
Güte  hatte. 


Emphysem  des  Gehirnes)  grosse  F ortschritte  machen 
konnte. 

Die  am  Boden  mancher  Cysten  Vorgefundenen  gelatinösen 
Massen  mögen  Abfallstoffe  eines  chemischen  Processes  sein. 

Ich  verweise  auf  eine  Angabe  M  a  c  e  w  e  n’s  22),  welcher 
das  Vorkommen  derartiger  Gasbildner  im  Gehirne  betont,  ins¬ 
besondere  des  Bacillus  pyogenes  foetidus  Passet  erwähnt 
und  hinzugefügt,  dass  derselbe  Eiweiss  unter  Gasentwicklung 
zersetzt. 

Auf  welchem  Wege  und  von  welcher  Oertlichkeit  unsere 
Mikroorganismen  die  Blutbahn  des  Gehirnes  gelangt  sind, 
ob  sie  auch  andere  Organe  beschickt  haben,  ist  leider  nicht 
mehr  festzustellen. 

Bei  dem  Mangel  eines  anderen  erklärenden  Momentes 
für  das  acute,  schwere  klinische  Krankheitsbild  liegt  wohl  die 
Annahme  nahe,  diese  Erklärung  in  der  Bacterieninvasion  ins 
Gehirn  und  ihren  toxischen  und  mechanischen  Schädlichkeiten 
zu  suchen  und  damit  die  schweren  Allgemeinerscheinungen 
und  die  schliesslich  allgemeinen  Lähmungen  zu  erklären. 

* 

Bei  der  Durchsicht  der  Litera  tu r  über  multiple  Cysten¬ 
bildung  im  Gehirn  finden  wir  nur  wenige  hiehergehörige 
Beobachtungen,  von  denen  die  meisten  in  einer  Arbeit 
P  i  c  k’s  2)  referirt  sind,  während  aus  dem  letzten  Decennium 
keine  hieher  gehörigen  Beobachtungen  bekannt  sind. 

Eine  Mittheilung  von  Clarke3)*)?  die  mir  im  Original 
leider  nicht  zugänglich  ist,  vergleicht  ein  solches  Gehirn  mit 
»Schweizerkäse«  und  scheint  mir  demnach  sehr  nahestehend 
mit  unserem  Befunde. 

Clarke  findet  die  Cysten  leer  oder  nur  Reste  von  Blut¬ 
gefässen,  in  manchen  ein  erhaltenes  Blutgefäss  mit  seinen 
Verzweigungen  bergend. 

An  einzelnen  fand  er  eine  natürliche  Verbindung  mit 
der  Oberfläche. 

Clarke  hält  sie  für  erweiterte,  perivasculäre  Räume, 
in  denen  die  Blutgefässe  zum  Theile  zerstört  und  resorbirt 
wurden. 

Fl  ei  sc  hl4),  O  b  e  r  s  t  e  i  n  e  r  5)  *  )  machten  nur  Beob¬ 
achtungen  über  mikroskopische  Erweiterungen  der  peri- 
vasculären  Räume,  die  sie  auf  Retention  von  Lymphe  zurück¬ 
führten  bei  Tumoren. 

Ripping0)*)  theilt  ähnliche  mikroskopische  Befunde 
mit,  deren  Vorhandensein  schon  am  frischen  Gehirne  con- 
statirbar  war. 

Ebenso  beschränken  sich  die  Arbeiten  von  Adler7), 
W  i  e  s  i  n  g  e  r  8),  Schüle10),  Schlesinger12),  Lieb¬ 
ln  ann  13),  Savage  und  Haie  White  14),  S p  i  t  z  k a  lä), 
Fielding  B  1  a  n  d  f  o  r  t 1G),  O  b  e  r  s  t  e  i  n  e  r  17)  *),  auf  mikro¬ 
skopische,  cystische  Erweiterung  der  perivasculären  Lymph- 
räume,  die  theils  als  durch  Drucksteigerung,  theils  als  durch 
Retention  entstanden  gedacht  werden. 

Byron  B  r  o  m  w  e  1 1  18)  *)  beschreibt  bei  einem  an  acuter 
Tuberculose  Verstorbenen  reichliche  Cystenbildung  im  Gehirne, 
die  am  frischen  Gehirne  sehr  klein,  nach  zwei  Jahren  am 
gehärteten  Gehirne  um  Beträchtliches  grösser  geworden  waren; 
das  Zwischengewebe  war  sklerotisch,  desgleichen  die  Ränder 
der  Cysten. 

Die  erste  eingehende  Beschreibung  von  Cystenbildung 
gibt  Pick2)  an  sieben  Fällen. 

Der  erste  Fall  betraf  eine  Gehirnhemisphäre,  angeblich  normales 
Controlpräparat  aus  einer  Musealsammlung.  »Beim  Zertheilen  des¬ 
selben  zeigte  sich  sowohl  die  Rinde  als  das  Mark  der  Hemisphäre 
in  geringerem  Grade,  auch  der  Sehhiigel  reichlich  von  Cysten 
durchsetzt  (Pick  schliesst  Paralyse  aus). 

Fall  2.  18jährige  Prostituirte,  die  an  einer  fieberhaften  Er¬ 
krankung  verstorben  war. 

Fall  3  entstammt  einem  in  den  Fünfziger-Jahren  stehenden 
Paralytiker  mit  typischem  Sectionsbefund. 

Fall  4  ist  eine  tabische  Paralyse,  Fall  5  eine  typische  Para¬ 
lyse,  Fall  6  eine  Melancholie  in  phthisico,  Fall  7  ein  nachträglich 


*)  Citirt  nach  Pick. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nicht  festzustellender  Fall  von  Psychose  (wahrscheinlich  Paralyse), 
Fall  8  eine  tabische  Paralyse. 

Fall  1  und  7  boten  die  meisten,  Fall  3  die  grössten  Cysten«. 
(Fall  3  wird  von  Pick  als  mit  typischem  Sectionsbefunde  ausge¬ 
stattet  erwähnt,  es  scheint  daher  das  Gehirn  in  toto  conservirt 
oder  die  Cystenbildung  postmortal  entstanden!) 

Pick  berichtet  Folgendes  über  seine  Beobachtungen: 
Die  Form  der  Cysten  ist  eine  rundliche  oder  längliche, 
zuweilen  aber  auch  ganz  unregelmässig,  häufig  eine  gleichsam 
aus  Kugelschalen  gebildete,  wenn  entweder  mehrere  Cysten 
zusammengeflossen  sind  oder  auch  die  cystöse  Erweiterung 
durch  den  Zusammenfluss  mehrerer  erweiterter,  ihre  läng¬ 
liche  Gestalt  zum  Theil  noch  besitzender  perivasculärer  Räume 
gebildet  wird;  häufig  sind  grössere  Cysten  durch  Quer¬ 
leisten  oder  Scheidewände  get  heilt. 

Die  Cysten  communiciren  meist  unter  sich, 
wenn  auch  mit  feinsten  Lücken.  Sie  reihen  sich  meist  der 
Richtung  der  Gefässe  entsprechend. 

Man  findet  sie  in  Rinde  und  Mark;  ihre  Grösse 
schwankt  von  mikroskopisch  nur  sichtbaren  bis  zu  solchen  mit 
circa  1  cm  im  Durchmesser  haltenden  (nach  P  i  c  k’s  Abbildung) 
DieWandung  derCysten  ist  immer  von  dem 
umgebenden  Gewebe  gebildet,  niemals  liess  sich  eine 
selbstständige  Membran  nachweisen.  Die  Begrenzung  ist 
meist  scharf,  wie  mit  dem  Locheisen  geschlagen. 

Die  Umgebung  der  Cysten  ist  nicht  wesentlich  ver¬ 
ändert,  ab  und  zu  das  Gewebe  comprimirt 

Eine  besonders  für  grössere  Cysten  charakteristische  Er¬ 
scheinung  ist  das  Vorhandensein  eines  der  Cystenwand  parallel 
am  Rande  derselben  verlaufenden  Gefässes. 

Pick  neigt  sich  der  Anschauung  zu,  dass  die  Cysten 
aus  perivasculären  Scheiden  hervorgegangen  sind  und  erklärt 
das  Fehlen  von  Gefässquerschnitten  am  Cystenprofil  durch 
die  oft  excentrische  Lage  der  Cysten. 

Ausser  diesen  Cysten  beobachtete  Pick,  sowie  wir 


in 


i.JL  WWWVX  vtxvw  7  -  “  — -  — -  / 

unserem  Falle,  auch  das  Vorhandensein  von  subarachnoidealen 
Erweiterungen. 

(Vgl.:  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXI,  Tafel  XVIII, 

Fig.  1  und  2,  und  meine  Fig.  3.) 

Ueber  den  Vorgang  und  die  Ursache  der  Cystenentwick¬ 
lung  glaubt  Pick  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  aussprechen 
zu  können.  Vermuthungs weise  hält  er  Adhärenz  der  Meningen 
über  den  Sulcis  als  die  ätiologische  Ursache  für  die  Anstauung 
von  subarachnoidealer  Flüssigkeit  und  Rückstauung  in  den 
angrenzenden  Lymphräumen  des  Cortex  und  Markes.  Jedoch 
hebt  Pick  mit  voller  Einsicht  die  Seltenheit  seines  Befundes 
im  Vergleiche  zur  Häufigkeit  von  meningealen  Verände¬ 
rungen  hervor  und  supponirt  daher  noch  andere  Abflusswege 
für  die  Lymphe  (subarachnoidealer  Raum). 

Bechtere  w’s  subarachnoideale  Cysten  finden  sich  so¬ 
wohl  in  Pick’s,  als  in  meinem  Falle. 

Bram  well’s  Fall  (nach  Pick)  zeigt  das  Vorkommen 
von  Cystenbildung  auch  im  jugendlichen  Gehirne,  auch 
Cruyeilhier  (nach  Kundrat,  Porencephalie)  beschreibt 
einen  ähnlichen  Fall. 

Inwieweit  unsere  Befunde  mit  denen  von  Pick  u.  A 
sich  decken,  möchte  ich  ohne  genauere  Kenntniss  der  Prä¬ 
parate  dieser  Fälle  nicht  entscheiden. 

Die  vollkommene  Aehnlichkeit  des  histologischen,  Be 
fundes  der  makroskopischen  und  mikroskopischen  Cysten¬ 
bildung  in  den  Fällen  von  Pick  und  in  meinem  halle  ist 
eclatant.  Insbesondere  bemerkenswerth  halte  ich  auch  die 
Aehnlichkeit  der  subarachnoidealen  Cysten  mit  ihren  die 
Rinde  fransig,  »wie  ausgefressen«  deformirenden  Rändern  und 
vergleiche  damit  die  vollkommene  Identität  unserer  Zeich¬ 
nungen.  Ein  weiteres  gemeinsames  Merkmal  ist  die  flhatsache, 
dass  wenigstens  in  einzelnen  von  Pick’s  Fällen  die  Section 
und  Untersuchung  des  Gehirnes  im  Detail  erst  spät  nach  der 
in  toto-Conservirung  erfolgt  ist.  Es  spricht  die  einzige  Wahr¬ 
nehmung  von  Cystcben  offenbar  kleinsten  Calibers  bei 
Ripping  am  frischen  Gehirne  durchaus  nicht  gegen  die 
Möglichkeit,  dass  auch  diese  schon  postmortale  Erscheinungen 
darstellten,  schon  gar  nicht  gegen  ihre  bacterielle  Provenienz. 


Gewiss  werden  derartige  Processe  in  allen  Abstufungen 
ihrer  Intensität  je  nach  der  Dauer  des  Intervalles  post  mortem 
usque  ad  sectionem,  je  nach  der  Art  der  Gehirnsection  und 
der  Conservirungsflüssigkeit  Vorkommen  können. 

Die  auffällige  Seltenheit  des  Befundes*)  wird  einerseits 
durch  die  Seltenheit  klar,  mit  der  bei  plötzlichen  Todesfällen 
genauere  Gehirnuntersuchungen  gemacht  werden,  und  die 
Seltenheit,  ein  Gehirn  in  toto  zu  conserviren,  nicht  zuletzt 
vielleicht  durch  die  Seltenheit  derartiger  bacterieller  Invasionen 
in  die  Blutbahn  des  Gehirnes  überhaupt.  Das  merkwürdige 
Vorkommen  des  geschilderten  Befundes  in  Pick’s  Fällen  bei 
verschiedenen  klinischen  Erkraukungsformen  spricht  gewiss 
gegen  eine  specifische  Erkrankungsform  in  pathologisch¬ 
anatomischem  Sinne.  Gemeinsam  der  grössten  Zahl  der  Be¬ 
obachtungen  ist  jedoch  das  Vorhandensein  eines  debilen,  meist 
atrophischen  Gehirnes.  Vielleicht  liegt  gerade  auch  in  diesem 
Umstande  ein  begünstigendes  Moment  für  unsere  in  Rede 
stehende  Bacterieninvasion;  jedenfalls  war  in  unserem  lalle 
die  starke  Atrophie  des  Gehirnes  mit  ein  begünstigendes 
Moment  für  die  voluminöse  Gasentwicklung. 

Alles  in  Allem  kann  wohl  gesagt  werden,  dass  es  gewiss 
Lymphektasien  durch  Drucksteigerung,  Retention  etc.  gibt 
(O  b  er  s  t  e  i  n  e  r  u),  dass  aber  in  einer  Reihe  von  Beob¬ 
achtungen  über  die  cystöse  Degeneration  des  Gehirnes  in 
diesem  Ausmasse,  wie  sie  in  einer  Reihe  von  Pick’s  Fällen 
von  Clarke  u.  A.  beschrieben  wurde,  mit  allergrösster 
Wahrscheinlichkeit  ein  derartiges  postmortales  Em¬ 
physem  des  Gehirnes  Vorgelegen  hat,  wie  in  unserem 
excessiven  Falle,  und  zwar,  wie  wir  bewiesen  haben,  auf 
Grundlage  einer  intra  vitam  erfolgten  Aussaat  von  gas¬ 
bildenden  Bacterien. 

Jedenfalls  muss  die  frappante  Erscheinung  eines  derartig 
»käseähnlich«  deformirten  Gehirnes  als  eine  Seltenheit  be¬ 
trachtet  werden,  die  dringend  der  Deutung  bedurfte. 

Ich  werde  es  mir  angelegen  sein  lassen,  durch  experi¬ 
mentelle  Versuche  mit  Injection  gasbildender  Bacterien  in  das 
lebende  und  todte  Gehirn  diese  merkwürdig  deformirenden 
Processe  noch  weiter  aufzuklären. 

Schliesslich  möchte  ich  es  nicht  ausser  Acht  lassen 
darauf  hinzuweisen,  dass  in  ähnlichen  klinischen  Krankheits¬ 
fällen  —  besonders  jenen  nicht  allzu  seltenen  Fällen  von 
plötzlicher  Erkrankung  und  plötzlichem  Tode  mit  negativem 
Sectionsbefunde  —  in  Hinkunft  systematische  bacteiiologische 
Untersuchungen  vorzunehmen  sind  und  hiedurch  für  ähnliche 
Krankheitsbilder  ein  klinisches  Verständnis,  für  die  consecu- 
tiven  postmortalen  Processe  nach  Invasion  gasbildendei  Bac- 
terien  eine  festigende  Grundlage  erbracht  werde. 

Zum  Schlüsse  sei  es  mir  gestattet  Herrn  Prof.  Anton 
für  die  Ueberlassung  des  Materiales  und  die  stetige  freundliche 
Anregung  und  Unterstützung  bei  der  Abfassung  vorliegender 
Arbeit  meinen  Dank  abzustatten. 

Literaturverzeichnis  s. 

1)  Rob.  Neudörfer,  Dementia  paralytica.  Tod  durch  Suffocation. 

Etat  crible.  Cystöse  Degeneration.  Meningitis  tuberculosa.  Archiv  für  patho¬ 
logische  Anatomie.  Bd.  CXLVI,  pag.  369.  ... 

2)  A.  Pick,  Ueber  cystöse  Degeneration  des  Gehirnes.  Archiv  lur 

Psychiatrie.  Bd.  XXI,  pag.  910  ff. 

3)  Clarke,  Journ.  of.  ment,  diseases.  Jan.  1870,  pag.  üOO.  Cunt 

nach  Pick.  1tmo  Q1Q 

4)  Fleisch],  Wiener  mediciniscbe  Jahrbücher.  1  Kid,  pag. 

Citirt  nach  Pick.  qo1 

5)  Obersteiner,  Virchow’s  Archiv.  1872,  Bd.  L\ ,  pag.  o-l . 

Citirt  nach  Pick.  _  ,  .  A  yvy 

6)  Ripping,  Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  AAA, 

pag.  309.  _ 

7)  Adler,  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  V,  pag.  81. 

6)  Wiesinger,  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  V,  pag.  38F 
3)  Ripping,  Allgemeine  Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXli, 

pag.  424. 

to)  Schüle,  Sectionsergebnisse  von  Geisteskranken, 
i')  Ob  erst  einer,  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  der 
Gehirngefässe.  Wiener  medicinisclie  Jahrbücher.  18  <7,  pag.  -ob,  -b-. 


*)  Nach  Abschluss  dieser  Arbeit  erhalte  ich  durch  die  Freundlich¬ 
keit  Prof.  Anton’s  davon  Kenntniss,  dass  Prof.  Marie  (Paris)  ein 
Gehirn  mit  ähnlichen  Befunden  in  Bearbeitung  hat. 


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1  )  Schlesinger,  Archiv  für  Psychiatrie.  1880,  Bd.  X,  pag.  25. 

13)  Lieb  mann,  Jahrbücher  für  Psychiatrie.  Bd.  V,  pag.  236. 

n)  Savage  und  Haie  White,  Transact,  of  the  path.  soc.  of 
London.  1883,  pag.  1.  Citirt  nach  Pick. 

>•'•)  Spitzka,  Insanity.  1883,  pag.  219.  Citirt  nach  Pick. 

,6)  Fielding  Blandford,  Insanity  and  its  treatement.  1884, 
pag.  125.  Citirt  nach  Pick. 

17)  Obey  steiner,  Brain.  1884,  pag.  305.  Citirt  nach  Pick. 

18)  Byron  Bromwell,  Edinburgh  nied.  J.  1886,  pag.  43  ff. 
Citirt  nach  Pick. 

19)  Bechterew,  Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XIV,  pag.  563. 

20)  K  u  n  d  r  a  t.  Die  Porencephalie.  Graz  1882. 

21)  Cr  uv  eil  hier,  Bd.  XVII,  Fall  4,  Tafel  1.  Citirt  nach 
Kandrat. 

22)  M  a  c  e  w  e  n,  Die  infectiös-eiterigen  Erkrankungen  des  Gehirnes 
und  Rückenmarks.  Wiesbaden  1898,  pag.  55. 

i:i)  C  e  n  i,  Nuovo  ricerche  sperimentali  sul  potere  battericida  del 
sangli  degli  animali  in  rapporto  alli  autoinfecioni  degli  alienati.  Riv. 
sperim.  di  freu.  XXIV,  2. 

2J)  Montesano  und  Montesson  i,  Ricerche  batteriologiche  sul 
liguido  cefalo-rachidiano  dei  dementi  paralitici.  Riv.  quindicin.  di  Psicolog. 
etc.  Bd.  I,  pag.  225. 


Zur  Lehre  vom  Trachom. 

Von  C.  Ziem  in  Danzig. 

(Schluss.) 

Ueber  Zusammentreffen  des  Trachoms  mit  Erkrankungen 
der  Nase,  beziehungsweise  Abhängigkeit  des  ersteren  von 
letzteren  haben  dann  nach  meinen  ersten  Mittheilungen  hierüber 
in  den  Jahren  1886,  1888  und  1893  auch  Nieden  in 
Bochum,  Vach  er  in  Orleans,  Prof.  Fuchs  in  Wien,  Pro 
lessor  Galezowski  in  Paris  mit  90%  positiver  Befunde, 
sowie  in  recht  zahlreichen  Fällen,  das  heisst  298mal  in 
443  Fällen,  also  in  65%,  im  Jahre  1897  auch  Geheimrath 
Prof.  Kuhnt  in  Königsberg  berichtet,  Letzterer  zum  Theile 
mit  auffallender  Anlehnung  an  meine  eigene,  ihm  nicht  unbe¬ 
kannte  Darstellung,  ohne  jedoch  seiner  Vorgänger  in  einer 
den  Verhältnissen  entsprechenden  Weise  und  mit  genügen¬ 
der  Ausführlichkeit  zu  gedenken,  so  dass  ein  Un¬ 
kundiger  den  Eindruck  gewinnt,  oder,  wie  Herr  N.  Cahn  in 
in  Riga  bereits  gewonnen  hat,  es  sei  dieser  Zusammenhang 
der  Dinge  nicht  von  mir,  sondern  von  Kuhnt  zuerst  erkannt 
worden4).  Auch  hat  K  u  h  n  t  unterlassen,  eine  Probeausspülung 
der  Nase  mit  der  im  Jahre  1894  ihm  von  mir  zugesendeten 
Druckpumpe  in  seinen  Fällen  vorzunehmen,  durch  welches 
Verfahren  er  wahrscheinlich  einen  noch  höheren  Procentsatz 
von  Eiterungen  der  Nase  gefunden  haben  würde.  Ja,  neuestens 
hat  sogar  ein  Schüler  von  Prof.  Schmidt- Rimpier,  Pro¬ 
fessor  II  o  p  p  e  aus  Elberfeld,  erklärt,  in  einer  sehr  trachom¬ 
reichen  Gegend  von  Ostpreussen,  in  Masuren,  »jauchige 
Ozaena  überraschend  oft«  gefunden  zu  haben.  Ebenso  erwähnt 
Ger  mann  als  eiterige  Augenkatarrhe  und  das  Trachom 
oft  begleitend,  »schmutzige  Nasen«,  wie  auch  Ekzem  des 
Kopfes,  das  meines  Erachtens  als  ein  metastatisches,  fieber¬ 
haftes,  durch  Verschleppung  von  Eiter  aus  der  Nase  ver¬ 
mittelst  der  Circulation  bedingtes  aufzufassen  ist,  das  G  er¬ 
mann  jedoch,  seiner  contagionistischen  Theorie  entsprechend, 
von  einer,  allerdings  nur  hypothetischen  Infection  vermittelst 
der  Finger,  und  zwar  von  räudigen  Hausthieren  her,  besonders 
von  Eseln  ableiten  möchte.  Endlich  erwähnt  kürzlich  auch 
Prof.  Feuer  beiläufig  Fälle,  in  welchen  »eine  Thränen- 
schlauchverengerung  oder  eine  Nasenaffection  oder  endlich 
eine  chronische,  scrophulöse  Erkrankung  des  Auges«  das 
Trachom  complicirt. 

4)  K  u  h  li  t  berichtet  jetzt  eingehend  über  einen  bezüglichen,  meines 
V  issens  früher  nirgends  niedergelegten  Fall  seiner  eigenen  Beobachtung 
aus  dem  Jahre  1886,  welcher  der  Ausgangspunkt  seiner  Studien  über  diesen 
Zusammenhang  gewesen  sei  (pag.  30  seiner  Abhandlung),  während  doch 
meine  erste  Publication  hierüber  schon  im.  März  1886  erschienen  und  im 
August  1886,  pag.  221  des  ja  wohl  in  aller  Händen  befindlichen  Central¬ 
blattes  für  Augenheilkunde,  wenn  auch  etwas  dürftig,  referirt,  Kuhnt  auf 
seine  am  3.  Juli  1897  mir  zugegangene  Anfrage  auch  auf  diesen  Artikel 
ausdrücklich  aufmerksam  gemacht  und  seine  Arbeit  erst  am  1.  August 
abgeschlossen  ist  (pag.  172).  Mit  der  pag.  33  von  K  u  h  n  t  meinen  Arbeiten 
gewidmeten,  wie  gelegentlichen  Notiz  ist  meiner  zweifellosen  Priorität  auf 
diesem  Gebiete  selbstverständlicher  Weise  durchaus  nicht  Genüge  geleistet. 


Nach  allem  hier  Angeführten  liegt  also  offenbar  aller 
und  jeder  Grund  vor,  diesem  Zusammenhänge  der  Dinge,  als 
eine  von  der  bisherigen  sehr  abweichende  Auffassung  be¬ 
gründend,  weiter  nachzuspüren  und  ihn  noch  mehr  aufzu¬ 
klären,  da  es,  wie  ich  schon  vor  sieben  Jahren  erwähnt  und 
seitdem  oft  bestätigt  gefunden  habe,  nicht  wenige  Kranke  gibt 
mit  nur  einseitigem  Trachom  und  Eiterung  nur  einer,  der¬ 
selben  Nasenseite;  da  ferner  die  nicht  seltene  Localisation  des 
Trachoms  nur  auf  eine  Uebergangsfalte  (Raehlmann,  Z  i  e m), 
sei  es  die  obere,  sei  es  die  untere,  mit  der  gewöhnlichen  An¬ 
nahme  einer  Infection  von  aussen  her,  durch  schmutzige 
Finger  u.  dgl.,  gar  nicht  erklärt  werden  kann,  sondern  mit 
einem  inneren  Momente,  vornehmlich  mit  einer  primären, 
in  derartigen  Fällen  des  Oefteren  auch  von  mir  nachgewiesenen 
Eiterung  entweder  der  Kieferhöhle  oder  der  Stirnhöhle  und 
secundärer  Fortleitung  der  Stauung  und  Entzündung  ver¬ 
mittelst  der  Anastomosen  der  Vasa  nasofrontalia  oder  infra- 
orbitalia  auf  das  Oberlid  oder  Unterlid  Zusammenhängen  muss. 

Ergänzend  sei  noch  erwähnt,  dass  man  bei  Trachom 
nicht  selten  auch,  auf  fieberhafte  Erkrankung  des  Nasen- 
innern  meistens  deutend,  Temperaturerhöhung  der  Haut  der 
Nase  bei  Palpation  findet,  sowie  dass  mir  inzwischen  noch 
eine  weitere  Anzahl  von  Kranken  vorgekommen  ist,  bei 
welchen  trotz  Excision  der  Uebergangsfalten,  nicht  etwa 
seitens  eines  jener  durch  das  Epigramm  des  Strathon  :  »wenn’s 
noch  weiter  so  geht  mit  dem  Heilen,  so  wird  er,  und  stünd 
auch  neben  ihm  ein  Elephant,  dennoch  den  Riesen  nicht 
sehen«,  charakterisirten  Dutzend-Specialisten  der  Gegenwart, 
bei  welchen  also  trotz  Excision  der  Uebergangsfalten  seitens 
erfahrener  und  geübter  Fachgenossen  Recidive  aufgetreten 
sind  und  eine  manchmal  recht  profuse  Eiterung  der  Nase 
vollkommen  übersehen  worden  war.  Einen  recht  anschaulichen 
Fall  der  Art  habe  ich  im  August  1897  Herrn  Prof.  Silex 
aus  Berlin  auf  seiner  Rückreise  aus  Königsberg  demonstrirt, 
einen  Hoteldiener  von  hier  betreffend,  der,  militärpflichtig,  auf 
Veranlassung  der  Behörde  von  meinem  verehrten  Collegen 
M.  Schneller  im  Frühlinge  1896  zwangsweise  operirt,  ein 
Jahr  später,  im  Pferdestalle  schlafend,  auf  der  ganzen  Binde¬ 
hautfläche  der  Lider,  so  weit  dieselben  der  Besichtigung  durch 
Umklappen  überhaupt  noch  zugänglich  waren,  diffus  ver¬ 
breitete,  zahlreiche  Trachomkörner,  ausserdem  einen  eiterigen 
Katarrh  der  Augen  und  eine  sehr  bedeutende  Eiterung  der 
Nase  aufwies.  Prof.  Silex  sprach  sich  dahin  aus,  dass 
die  Augenärzte  von  Königsberg  in  diesem  Falle  die  Excision 
des  Lidknorpels  beiderseits  vornehmen  würden;  nachdem 
jedoch  der  Kranke  aus  dem  Stalle  ausquartiert,  die  ent¬ 
zündlichen  Erscheinungen  zurückgegangen,  die  Eiterung 
der  Bindehaut,  der  Nase  und  der  Kieferhöhlen  beseitigt  war, 
habe  ich  meiner  Ueberzeugung  entsprechend  attestirt,  dass  eine 
abennalige  Operation  an  der  schon  bedeutend  verkürzten 
Bindehaut  oder  gar  die  Excision  des  Knorpels  einen  dauernden 
Nutzen  nicht  bringen  könne  und  eine  den  Ansprüchen  der 
Militärbehörde  genügende,  gründliche  Ausheilung  des  Trachoms, 
sowie  der  die  Rückfälle  offenbar  verursachenden  Eiterung  der 
Nase,  wenn  überhaupt,  dann  nur  bei  andauerndem  Aufenthalte 
in  reiner  Luft,  besonders  im  Walde  oder  an  der  Meeresküste, 
zu  erwarten  sei.  Im  März  v.  J.  habe  ich  den  Betreffenden 
wegen  eines  mit  der  früheren  Operation  irgendwie  zusammen¬ 
hängenden  bedeutenden  Abscesses  des  linken  Oberlides  und 
erneuerter,  übrigens  nur  leichter  Absonderung  der  Bindehaut 
und  der  Nase  mehrere  Wochen  lang  behandelt;  die  Granula 
waren  auffallend  viel  spärlicher  geworden. 

Ein  ähnlicher  Zusammenhang  der  Dinge  dürfte  zum 
Theile  wohl  auch  bei  den  zahlreichen,  in  über  50%  der  Fälle 
eingetretenen  Rückfällen  Vorgelegen  haben,  die  Geheimrath 
Hirschberg  und  G  r  e  e  f  f,  sowie  Hoppe  in  Ost-  und 
Westpreussen  nach  Excision  der  Uebergangsfalten  oder  des 
Knorpels  festgestellt  haben  und  welche  ja  auch  Kuhnt 
selbst  zugibt;  leider  aber  hat  G  ree  ff  um  das  Verhalten  der 
Nase  gar  nicht  sich  gekümmert,  Hoppe  nur  auf  die  schon 
erwähnte  Notiz  über  Ozaena  in  der  Trachomgegend  Masuren 
sich  beschränkt. 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Auch  Kuhnt  glaubt,  entgegen  einer  im  Jahre  1894  in 
Königsberg  mir  gegenüber  gemachten  Aeusserung,  jetzt  durch 
gleichzeitige  Behandlung  auch  der  Nase  bessere  und  dauerndeie 
Erfolge  bei  Trachom  künftig  erzielen  zu  können  und  nichts 
wäre  meines  Erachtens  wichtiger  bei  derartigen  Rückfällen 
als  gründliche  Behandlung  einer  wahrscheinlich  immer  vor¬ 
handenen  Naseneiterung.  Bemerkenswerth,  insbesondere  auch 
wichtig  gegenüber  Greeff’s  Annahme  eines  Familientrachom, 
ist  ferner,  dass  nicht  selten  nur  e  i  n  Mitglied  einer  unter 
genau  denselben  Verhältnissen  zusammenlebenden  Familie  von 
richtigem  Trachom  ergriffen  ist,  dasjenige  nämlich,  welches  bei 
genauerer  Untersuchung  mit  einer  mehr  oder  weniger  pro¬ 
fusen,  übelriechenden  Eiterung  der  Nase  sich  behaftet  zeigt, 
nicht* selten  der  Folge  einer  vorausgegangenen  fieberhaften, 
mit  Exanthem  der  Haut  verbunden  gewesenen  Krankheit,  wie 
Masern  oder  Scharlach,  während  alle  übrigen  Mitglieder  der 
betreffenden  Familie  entweder  durchaus  augengesund  sind  oder 
nur  der  Eine  oder  Andere  derselben  einen  harmlosen  folli- 
culären  Katarrh  zeigt;  derartige,  auch  von  meinem  ver¬ 
storbenen  Collegen  Schneller  schon  früher  constatirte  und, 
wie  mir  erzählt  wurde,  mit  Interesse  und  genau,  auch  be¬ 
züglich  der  Augen  der  betreffenden  Angehörigen,  untersuchte 
Kranke  sind  mir  mehrfach  vorgekommen,  so  noch  unlängst 
ein  schon  von  früher  her  mir  bekannter  Schuhmacherlehrling, 
der  als  Schuljunge  seiner  Zeit  von  Schneller  operirt 
werden  sollte,  darauf  zu  mir  gekommen  und  unter  gleich¬ 
zeitiger  Behandlung  seiner  mit  einer  starken  Eiterung  be¬ 
hafteten  Nase  ohne  Operation  an  den  Augen  hergestellt,  später 
wegen  eines  Rückfalles  seines  Trachoms  von  einem  jungen 
Collegen  durch  Ausquetschen  mittelst  der  Rollpincette  be¬ 
handelt,  jedoch,  abermals  rückfällig,  zu  mir  zurückgekehrt 
und  unter  Ausspülungen  der  Nase  mit  Salzwasser,  Application 
einer  Anzahl  von  Drouo  fischen  Pflastern  in  der  Iliuter- 
ohrgegend  (siehe  später)  und  reichlichem  Aufenthalte  im  Freien 
bald  wieder  arbeitsfähig  geworden,  natürlich  aber  bei  der  seit 
frühester  Jugend  bestehenden  Eiterung  der  Nase  vor  weiteren 
Rückfällen  seines  Augenleidens  nicht  gesichert  ist;  .  eiterige 
Erkrankungen  der  Augen  dieser  oder  jener  Art  sind  in  seiner 
Familie  nicht  vorhanden,  auch  ist  er  allein  mit  einer 
Eiterung  der  Nase  behaftet. 

In  Fällen  solcher  Art  ist  also  die  noch  fast  überall,  vor¬ 
nehmlich  auch  von  Feuer  ausschliesslich  beschuldigte  directe 
Ansteckung  von  Person  zu  Person,  eine  unmittelbare  Ueber- 
tragung  der  Augenkrankheit  von  einem  Individuum  auf  das 
andere  mit  Bestimmtheit  ausgeschlossen.  Vielmehr  ist  bei  der 
Entstehung  des  Familientrachoms  von  Greeff  sowie  des 
endemischen  Trachoms  die  gemeinsame  Schädlichkeit  das  Be¬ 
wohnen  sumpfiger,  überschwemmter  Gegenden,  dumpfer, 
stockiger,  ungedielter,  am  Ende  gar  noch  mit  Hausthieren, 
Federvieh  oder  Schweinen  getheilter  Wohnräume  oder  feuchter 
Kellerräume,  worüber  Mittheilungen  vorliegen  aus  Irland  seitens 
der  Miss  Edgeworth,  aus  Frankreich  von  Aime  Martin, 
aus  Ostpreussen  von  J.  Jacobson  und  Hoppe,  aus  St.  Peters¬ 
burg  von  Ger  mann,  aus  Ungarn  von  Feuer  etc.,  denen 
ich  eigene  Beobachtungen  aus  Westpreussen  anreihen  kann. 
So  sagt  Martin  in  einer  allerdings  etwas  älteren,  für  manche 
Trachomgegenden  aber  vielleicht  auch  heute  noch  zutreffenden 
Schilderung:  ».  .  .  es  gibt  nichts  Schmutzigeres  und  Ungesun¬ 
deres  als  die  Bauernhütten  in  Frankreich;  da  leben  aut  dem 
feuchten  Boden  Hühner,  Enten  und  Schweine  zusammen,  der 
Koth  fliesst  über  die  Thüre  in  die  Stube,  und  wenn  überhaupt 
Fenster  da  sind,  so  gehen  sie  auf  den  Mist;  in  dieses  morastige 
Loch  treten  Mann  und  Frau  des  Abends  ein,  wenn  sie  er¬ 
müdet  von  der  Arbeit  kommen.«  Jacobson  sagt  nach  einer 
drastischen  Schilderung  der  Armenquartiere  von  Königsberg: 
»was  man  in  schlechten  Romanen  liest,  wurde  von  der  Wirk¬ 
lichkeit  des  Alten  Grabens,  der  Schwarzen  Gasse,  der  Grünen 
Wiese  etc.  weit  übertroffen.  Die  Stuben  der  ländlichen  Arbeiter 
waren  ebenso  niedrig,  die  wenige  Fuss  über  dem  Erdboden 
gelegenen  Fenster  geschlossen,  ein  Ziegelherd  im  Zimmer,  der 
zugleich  als  Ofen  diente,  ein  grosses  Himmelbett  für  die  Eltern 
und  jüngsten  Kinder,  ein  gemüthliches  Plätzchen  für  das 
lebende  Inventarium,  ein  junges  Schwein,  eine  Sprosse  für  die 


Hühner.  Waschbecken  und  Handtuch  gab  es  nicht.«  Ich  selbst 
habe  noch  in  den  letzten  Jahren  aus  einer  Vorstadt  von 
Danzig  wegen  acuter  eiteriger  Augenentzündungen,  das  eine 
Mal  zugleich  mit  einer  Hypopyon-Keratitis,  zu  verschiedenen 
Zeiten  mehrere  bei  demselben  Meister  einlogirte,  früher  augen¬ 
gesunde  Schmiedegesellen  behandelt,  deren  Schlafstätte  von 
einem  unmittelbar  angrenzenden  Schweinestalle  nur  durch  eine 
dünne,  durchlässige  Bretterwand  geschieden  war;  so  auch  im 
Jahre  1896,  zur  Zeit  der  Niederlegung  unserer  Wälle,  einen 
mit  einem  alten,  nun  exacerbirten  Trachom  behafteten  Menschen 
gesehen,  der  mit  17  Genossen  für  fünf  Pfennige  die  Person 
in  einem  gerade  leerstehenden  Schweinekofen  hingereckt  über¬ 
nachtete.  Durch  derartige  und  ähnliche  Schädlichkeiten  also, 
durch  stundenlangen  Aufenthalt  in  stockigen  Schulzimmern, 
Werkstätten,  moderigen  Arbeitsstuben  u.  dgl.  entwickelt  sich 
eine  mehr  oder  weniger  fieberhafte,  malariaähnliche  Erkran¬ 
kung  mit  Eiterung  der  Nase,  die  endlich,  wie  auf  andere  Or¬ 
gane,  so  unter  Umständen,  wie  in  dem  oben  pag.  932  erwähnten 
Falle,  auch  auf  das  Auge  übergeht  und  zwar  entweder 
1.  längs  des  Thränen-Nasencanals,  ohne  dass  jedoch  irgendwelches 
Secret  aus  demselben  und  den  Thränenpunkten  bei  Druck  auf 
die  Thränensackgegend  sich  zu  entleeren  braucht  oder  gar 
eine  Ektasie  desselben  vorhanden  sein  muss,  was  ich  Beides 
gegenüber  Nie  den  schon  im  Jahre  1895  hervorgehoben 
habe,  oder  2.  vermittelst  der  schon  oben  genannten  Gefäss- 
anastomosen,  und  gibt  als  chronisch  fieberhafte  Erkran¬ 
kung,  wie  das  auch  sonst  oft  sich  nachweisen  lässt,  zu  einer 
Keratitis  und  besonders  auch  zur  Bildung  der  so  vielfach,  aber 
ohne  befriedigenden  Erfolg  besprochenen,  bei  Staubtrachom 
wohl  meistens  fehlenden  Follikel  Veranlassung,  analog  der 
auch  auf  anderen  Schleimhäuten  im  Gefolge  acuter  oder  chro¬ 
nisch  -  fieberhafter  Infectionskrankheiten  (Typhus,  Tuber- 
culose  etc.)  so  oft  zu  beobachtenden  Neubildung,  beziehungs¬ 
weise  excessiven  Wucherung  von  Follikeln. 

Bei  dieser  das  Trachom  also  nicht  mit  Arlt  an  das 
Puerperalfieber  und  den  Hospitalbrand,  sondern  an  die  Malaria 
anschliessenden  Anschauung  wäre  wohl  auch  die  relative  Immuni¬ 
tät  der  Neger  gegen  Trachom  erklärlich,  insoferne  als  dieselben, 
vielleicht  in  Folge  ihrer  leichteren  und  stärkeren  Transspira- 
tion,  auf  deren  Unterdrückung  durch  Abkühlung  in  der  Aetio- 
logie  des  Trachoms  übrigens  schon  Röser  und  Larrey 
einen  gewissen  Werth  gelegt  haben,  an  Malaria  seltener  er¬ 
kranken,  während  andererseits  bereits  A.  v.  Humboldt  aut 
plötzliche  Unterdrückung  der  Transspiration  fieberhafte  Er¬ 
krankungen  bei  Negern  zurückgeführt  hat;  es  wäre  auch  die 
schon  öfter,  neuestens  noch  von  H  i  rs  c  h  b  er  g  bervorgehobene 
Seltenheit  des  Trachoms  in  Berlin  wohl  weniger  als  Beweis 
einer  besonders  ausgebildeten  Hygiene  in  Berlin,  sondern 
hauptsächlich  als  neuer  Ausdruck  der  altbekannten  Thatsache 
anzusehen,  dass  Berlin  aut  einem  der  Malaria  nicht  günstigen 
Boden,  d.  h.  auf  Sand-  und  Mergelboden  erbaut  ist. 

Es  ist  hier  der  Ort,  auf  die  Abhandlung  von  Professor 
Feuer  über  das  Trachom  in  Ungarn  noch  etwas  näher  ein- 
zugehen,  deren  Studium  durch  die  beigefügte,  in  mehrfacher 
Beziehung  etwas  mangelhafte  Karte  allerdings  erschwert  ist.  Nach 
Feuer  gibt  es  in  ganz  Ungarn  35.634  Trachomkranke,  ein¬ 
schliesslich  der  Trachomverdächtigen,  wovon  nach  Abzug  der 
Kranken  des  in  Nordungarn  gelegenen  Bezirkes  Trencsen- 
Nyitra,  der  Bezirke  Klausenburg-Kronstadt  und  des  Bezirkes 
Zala  am  Drau-Mur-  Winkel,  auf  die  Tiefebene  zwischen  I  heiss 
und  Donau,  das  sogenannte  Alföld,  etwa  vier  Fünftel  entfallen. 
Nun  ist  Feuer  der  Meinung,  dass  dieses  ganze  Gebiet  durch 
directe  Contagion  von  Person  zu  Person  inficirt  sei,  1.  durch 
gemeinsame  Benützung  von  der  Regierung  gelieferter,  zu 
selten  gewechselter  und  durch  Trachomkranke  beschmut ztei 
Betten  oder  Plandtücher  seitens  der  einzelnen  Posten  der 
Militärgrenze;  2.  durch  gemeinsame  Benützung  von  Hand¬ 
tüchern  bei  gewissen  ländlichen  Festlichkeiten;  3.  durch  Ver¬ 
mittlung  polnischer  (galizischer)  Uhlanen,  die  in  den  I  ünfziger- 
oder  Sechziger-Jahren  dort  im  Alföld  sich  getummelt  haben 
und  zum  Theile  Trachomkranke  gewesen  seien;  4.  durch  Ver¬ 
mittlung  aus  Amerika  heimkehrender,  trachomkranker  Aus¬ 
wanderer.  Obwohl  nun  dieser  Modus  der  Uebertragung  selbst- 


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verständlicher  Weise  in  so  und  so  viel  Fällen  stattgehabt 
haben  wird,  so  ist  doch  der  Beweis,  dass  die  ganze  Endemie 
in  dieser  Art  auch  nur  der  Regel  nach  wirklich  entstanden 
ist,  meines  Erachtens  durchaus  nicht  geliefert  und  aus  fol¬ 
genden  Gründen  auch  nicht  zu  liefern.  Wenn  Feuer  erklärt, 
dass  das  Alföld  theilweise  zwar  sandig,  aber  »durchaus 
trocken  und  sumpflos,  das  Trachom  von  feuchter  oder 
sumpfiger  Beschaffenheit  des  Bodens  ganz  unabhängig  sei« 
(pag.  30,  39  und  40),  so  stehen  dem  ersten  Theile  dieses 
Satzes  andere  fachkundige  Schilderungen  über  die  ungarische 
Tiefebene  unvereinbar  gegenüber.  So  unterscheidet  der  Geograph 
Oppel  im  Alföld:  1.  die  höher  gelegene,  wasserarme  und 
trockene  Tafelfläche  bei  Debreczin,  Kecskemet  etc.,  2.  die 
Ueberschwemmungsgebiete  der  Flüsse.  »Letztere«,  so  sagt  er, 
»bewegen  sich  durch  den  widerstandsunfähigen  Boden  trägen 
Laufes,  viele  Inseln  bildend,  ohne  feste  Ufer,  mit  trübem, 
schlammigem  Wasser,  das  oft  von  Schilf,  zuweilen  von  kleinen 
Wäldern  verdeckt  wird.  Nach  der  Schneeschmelze  schwellen 
die  Flüsse,  namentlich  die  Theiss,  in  ungewöhnlicher  Weise 
an  und  überfluthen  weithin  die  Niederungen.  Ist  die  Hochfluth 
vorbei,  so  läuft  nicht  alles  übergetretene  Wasser  in  den  be¬ 
treffenden  Fluss  zurück,  sondern  stellenweise  stehen  bleibend, 
ruft  es  ausgedehnte  Sümpfe  hervor.  Von  solchen  Morästen  ist 
neuerdings  ein  grosser  Theil  durch  Anlegung  von  Dämmen 
und  durch  Regulirung  der  Flussläufe  zu  anbaufähigem  Boden 
umgestaltet  worden;  ja,  mit  Beendigung  der  Theisscorrection 
hofft  man,  gegen  18.000  Jan2  Ackerland  zu  gewinnen.  Welche 
Dimensionen  die  Hochwasser  annehmen,  und  welche  Gefahren 
und  Schäden  sie  den  Ortschaften  und  dem  Bodenbau  bereiten 
können,  das  zeigt  die  verheerende  Ueberschwemmung  vom 
Jahre  1877,  durch  welche  die  jetzt  wieder  aufgebaute  Stadt 
Szegedin  vom  Erdboden  verschwand.  So  bietet  die  grosse 
Ebene  an  der  Theiss  in  jeder  Jahreszeit  ein  verschiedenes 
Bild:  im  Frühling  ist  sie  ein  grüner  Teppich,  den  kein  Baum 
beschattet;  im  Sommer  eine  heisse,  ausgedorrte,  staubige  Fläche; 
im  Winter  jagen  furchtbare  Schneestürme  über  dieselbe,  und 
zur  Zeit  der  Schneeschmelze  erscheint  sie  als  ein  Süsswasser- 
und  Kothmeer,  wo  jeder  Verkehr  schwierig,  wenn  nicht  un¬ 
möglich  ist.«  Angenommen  auch,  diese  im  Jahre  1887  publi- 
cirte  Schilderung  0  p  p  e  l’s  sei  zur  Zeit  der  Veröffentlichung 
der  Arbeit  Feuer’s  nicht  mehr  zutreffend  und  ein  grosser 
Theil  des  Sumpf landes.  der  Theiss  dem  Ackerbau  bereits  zu¬ 
gänglich  gewesen,  so  muss  doch  der  bei  Szegedin  nur  87  m 
über  dem  Meeresspiegel  gelegene,  jahrhundertelang  über¬ 
schwemmte  Boden  der  Tiefebene  noch  immer  feucht  und  für 
den  Anbauer  ungesund  sein.  Es  ist  ja  auch,  charakteristisch 
genug,  von  den  in  Feuer’s  Tabelle  pag.  61  aufgeführten 
15  ungarischen  Freistädten  nicht  etwa  die  grösste,  das  über 
eine  halbe  Million  Einwohner  zählende  Budapest,  sondern  ge¬ 
rade  die  dem  Anprall  sowohl  der  Theiss  als  auch,  senkrecht 
darauf,  der  Maros  ausgesetzte  Stadt  Szegedin  sammt  ihrer 
Umgebung  in  ganz  auffälliger  Weise  vom  Trachom  bevorzugt, 
derart,  dass  auf  85.569  Einwohner  daselbst  4660  Trachom¬ 
kranke  kommen,  wovon  die  Stadt  selbst  mit  8%)  der  Land¬ 
bezirk  dagegen  mit  92°/0  betheiligt  ist,  welcher  letztere  Um¬ 
stand  übrigens,  wie  eingangs  der  Arbeit  bereits  bemerkt,  für 
Verbreitung  der  Krankheit  durch  den  Verkehr  gleichfalls  nicht 
spricht.  Wenn  ferner  die  frühere  Militärgrenze  im  Allgemeinen 
von  Osten  nach  Westen  verlaufen  ist,  so  müsste,  sofern 
Feuer’s  Anschauung  zutreffend  wäre,  die  Endemie  offenbar 
doch  annähernd  dieselbe  Richtung  haben,  während  nach 
F cue  r’s  eigenen  Zahlen  die  der  Militärgrenze  viel  näher  ge¬ 
legenen  Städte  Fiume,  Neusatz,  Zombor,  Fünfkirchen,  Pancsova, 
Temesvar  und  Weisskirchen  vom  Trachom  fast  gänzlich  frei 
sind  und  die  Endemie,  von  Süden  nach  Noiden  verlaufend, 
hauptsächlich  um  Zenta,  Szegedin,  Szentes,  Vasärhely  u.  a.  im 
Stromgebiete  der  Theiss  und  besonders  nahe  dem  Zusammen¬ 
flüsse  derselben  mit  dem  Maros  gelegene  Städte  sich  centra- 
lisirt.  Aehnliches  mag  auch  bezüglich  des  bekanntlich  gleich¬ 
falls  oft  überschwemmten  Drau-Mur- Winkels  (Zala)  gelten, 
vielleicht  selbst  für  Ueberschwemmungen  seitens  der  Aluta  im 
Comitate  Brasso  (Kronstadt)  und  seitens  der  Waag  im  Comi¬ 
tate  Trencsen.  Wenn  ferner  die  Endemie  im  Jahre  1883  im 


Comitate  Torontal  an  der  Theiss  durch  einen  Gerichtspräsi¬ 
denten  »entdeckt«  worden  ist,  so  würde  das  mit  jener  furcht¬ 
baren  Ueberschwemmung  Ende  der  Siebziger- Jahre  gut  ver¬ 
einbar  sein,  deren  Wirkungen  auf  die  Wohnungen  und  die 
Augen  natürlich  erst  allmälig  sich  geltend  gemacht  haben. 
Aber  selbst  wenn  man  die  auf  so  unsicherem  Boden  auf¬ 
gebaute,  wohl  sehr  einseitige  Anschauung  von  Feuer  gelten 
Hesse  und  trotz  der  verhältnissmässig  kleinen  Zahl  der  durch 
jene  Uhlanen  seiner  Angabe  nach  wirklich  oder  doch  mit  so 
und  so  grosser  Wahrscheinlichkeit  provocirten  142  Er¬ 
krankungen  in  dem  an  der  Donau  gelegenen  Bezirke 
Kalocsa,  woselbst  auf  grösseren  Karten  übrigens  gleich¬ 
falls  Sumpfstriche  verzeichnet  sind,  die  Uhlanen  thatsächlich 
und  schlankweg  als  Infectionsträger  für  einen  grossen  Theil 
der  Ebene  erklären  würde,  dann  muss  doch  immer  wieder 
gefragt  werden,  wo  die  denn  ihr  Trachom  her  gehabt  haben, 
und  man  wird  dann  schliesslich  immer  wieder  auf  Sumpfgegenden, 
dann  allerdings  die  von  Galizien,  recurriren  müssen.  Was 
endlich  noch  die  Zigeuner  betrifft,  die  nach  Feuer  vom 
Trachom  desshalb  frei  sein  sollen,  weil  sie  Verkehr  mit  anderen 
Personen  nicht  haben  und  ein  gemeinsames  Handtuch  nicht 
besitzen,  so  scheint  die  Immunität  derselben  auf  ihr  nomadi- 
sirendes  Leben,  ihren  vielen  Aufenthalt  im  Freien  doch  viel 
einfacher  und  natürlicher  zurückzuführen  zu  sein;  ausserdem 
ist  ja  nach  Jacobson  und  Lewko  witsch  das  massen¬ 
hafte  Vorkommen  von  Trachom,  sowohl  auf  dem  Lande  in 
Ostpreussen  als  auch  bei  den  Kaffern,  trotz  des  Mangels  jed¬ 
weder  Handtücher  bereits  erwähnt  worden.  Die  Ueberschätzung 
dieses  Umstandes  gibt  wieder  einen  neuen  Beweis  für  die 
Richtigkeit  eines  Wortes  A.  v.  H  u  m  b  o  1  d  t’s,  dass  in  der 
Medicin  dieselben  Thatsachen  zu  Stützen  der  entgegen¬ 
gesetztesten  Anschauungen  werden  und  ehe  alle  die  hier  vor¬ 
gebrachten  Bedenken  und  Thatsachen  von  Prof.  Feuer  ent¬ 
kräftet  sind,  kann  eine  so  weit  verbreitete  Endemie,  wie  die 
des  Trachoms  in  Ungarn,  nicht  auf  ein  paar  schmutzige  Hand¬ 
tücher,  sondern  ihrer  Hauptsache  nach  nur  auf  elementare 
Ereignisse  und  tellurische  Bedingungen  zurückgeführt  werden. 

Selbstverständlicher  Weise  sind  auch  in  alter  Zeit  der¬ 
artige  Sumpfgebiete  vorhanden  gewesen,  und  wenn  es  Hirsch¬ 
berg  kürzlich  wahrscheinlich  gemacht  hat,  dass  auch  im 
griechischen  und  römischen  Alterthume  Trachom  oder  trachom¬ 
ähnliche  Erkrankungen  häufiger  gewesen  sind,  als  man  bisher 
angenommen  hat,  und  dass  insbesondere  für  das  häufige  Auf¬ 
treten  von  Augenkrankheiten  im  peloponnesisehen  Kriege  zur 
Zeit  der  Belagerung  Athens  das  dichte  Zusammendrängen  der 
Menschen  bedeutungsvoll  gewesen  sei,  so  wird  das  umso  wahr¬ 
scheinlicher,  als  die  Vorstadt  Piräus  ursprünglich  ein  Sumpfgebiet 
war.  Uebrigens  weist  auch  die  Bestimmung  in  den  Gesetzen  des 
Solon,  dass,  wer  einen  Einäugigen  seines  Auges  beraube,  einer 
besonders  schweren  Strafe  verfalle,  auf  eine  gewisse  Häufig¬ 
keit  zum  Verluste  eines  Auges  führender  Krankheiten  schon 
in  jener  Zeit  vielleicht  hin.  Weitere  derartige,  wegen  ihrer 
Ausdünstungen  zum  Theile  auch  gefürchtete  Sumpfgegenden 
waren,  um  nur  Einiges  zu  nennen,  in  Griechenland  die  Strand¬ 
seen  bei  Elis,  die  Siele  bei  Argos,  das  Ueberschwemmungs- 
gebiet  des  Melas  bei  Orchomenos  mit  dem  Sumpfe  Copais,  die 
Sümpfe  am  Achelous,  in  Aetolien  und  Thessalien,  am  Spercheos, 
bei  Olynth  und  Pella,  Sümpfe  an  einer  der  sieben  Mündungen 
der  Donau  (Tacitus),  am  Hypanis  (Bug)  und  Asow’schen 
Meere,  die  von  Hippokrates  erwähnte  sumpfige  Niederung 
des  Phasis  in  Kolchis,  Sumpfgebiete  in  Armenien  (Plutarch) 
und  am  Araxes,  von  dessen  40  Mündungen  nach  Herodot 
nur  eine  nicht  sumpfig  war,  ferner  ein  Stadttheil  von  Ephesus, 
der  Serbonische  Sumpf  bei  Pelusium,  eine  Einsenkung  zwischen 
der  östlichen  Vorstadt  und  dem  übrigen  Theile  von  Alexan¬ 
drien,  Sümpfe  bei  Syracus,  auf  Sardinien,  im  Thale  des  Arno, 
die  Pomptinischen  Sümpfe,  die  von  Minturnae,  die  »rotten 
fens«  von  Veliträ,  einige,  zum  Theile  allerdings  schon  durch 
die  Entwässerungsbauten  der  Tarquinier  entsumpfte  Gegenden 
von  Rom,  wie  das  Forum;  hieher  gehören  auch  die  vielfachen 
Ueberschwemmungen  Roms  vornehmlich  unter  Augustus  und 
in  ungewöhnlich  heftigem  Grade  unter  Otho,  wobei  der  grösste 
Theil  der  Stadt  unter  Wasser  gesetzt  wurde;  weiter  ausgedehnte 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Sumpfgegenden  in  Gallien  (Paris,  Bourges  etc.)  und  Germanien 
»aut  sil vis  horrida  aut  paludibus  foeda«,  besonders  auch  in 
der  Gegend  der  Schelde,  endlich  im  Lande  der  Fenni,  der 
»Sumpfbewohner«,  so  dass  also  Gelegenheit  zur  Entstehung 
von  Trachom  an  und  für  sich  in  vollem  Masse  vorhanden  ge¬ 
wesen  ist.  Wenn  trotzdem  Endemien  von  Augenkrankheiten 
nirgends,  ausser  in  Aegypten  damals  registrirt  worden  sind, 
so  ist  das  dadurch  zu  erklären,  dass: 

1.  manche  Völker  der  damaligen  Zeit,  besonders  auch 
viele  Stämme  der  Germanen  ein  Nomadenleben  führten  und 
einen  festen  Besitz  nicht  hatten  oder  wie  die  Finnen,  weder 
Wohnung  noch  Zelt  besassen; 

2.  Germanen  und  andere  Völker  getrennt  wohnten  »ut 
fons,  ut  campus,  ut  nemus  placuit«,  wie  auch  die  einzelnen 
Häuser  in  Babylon  mit  Gärten  umgeben  und  der  frischen 
Luft  so  zugänglicher  waren  (Q.  C  u  r  t  i  u  s); 

3.  feste  Städte  weder  in  Germanien  noch  Britannien 
noch  Helvetien  etc.  bestanden,  sondern  in  Kriegsnöthen  man 
in  befestigte  Wälder  oder  Sumpfgegenden  vorübergehend 
sich  zurückzog,  wie  die  Indianer  von  Nordamerika  das  nach 
Washington  Irving  noch  vor  50  Jahren  thaten ; 

4.  an  manchen  Orten,  wie  zu  Ravenna,  im  Sumpfsee 
Prasias  in  Thracien,  am  Phasis  in  Kolchis  und  anderwärts 
Pfahlbauten  bestanden ; 

5.  oft  genug  wohl  auch  die  Ursache  der  Krankheit  ver¬ 
kannt  worden  sein  mag,  wie  das  ja  auch  noch  heute  nicht 
selten  der  Fall  ist. 

Mancherlei  Vorkehrungen  gegen  derartige  Schäden 
wurden  allerdings  auch  schon  damals  getroffen,  so  das  Aus¬ 
baggern  und  Verbreitern  des  Bettes  des  Tiber  unter  Augustus 
(S  u  e  t  o  n),  der  Canäle  des  Nil,  dessen  nach  dem  Rothen 
Meere  führender  Verbindungscanal  zum  letzten  Male  im  Jahre 
648  n.  Chr.  unter  dem  Kalifen  Amru  gereinigt  worden  ist, 
während  auch  die  bisher  noch  immer  gescheiterte  Trocken¬ 
legung  der,  beim  Wehen  des  Südwindes  Fieberdünste  nach 
Rom  entsendenden  Pomptinischen  Sümpfe  bereits  von  J.  Cäsar 
geplant  wurde. 

3 a).  Die  dem  Auge  so  vielfach,  auch  in  der  im  Vorher¬ 
gehenden  geschilderten  Weise  verderblichen  Malaria  könnte 
natürlich  auch  durch  das  Trinkwasser  (Roe  u.  A.)  erworben 
sein  und  nach  Erfahrungen,  die  ich  über  Afrikafieber  in  Ale¬ 
xandrien  zum  Theil  an  eigener  Person  gemacht,  habe  ich 
auf  diesen  Modus  schon  vor  14  Jahren  eingehend  hingewiesen, 
in  einem  die  Aetiologie  der  Nilkrätze  und  Nilbeule  be¬ 
handelnden  Artikel  erwähnt,  dass  ich  von  einem  so¬ 
genannten  Acclimatisationsfieber,  Unbehagen,  Abgeschlagenheit 
und  Magen- Darmkatarrh  im  April  1880  befallen,  schon  bald 
feststellen  konnte,  dass  es  nicht  um  die  Einwirkung  des  Klimas 
sich  handelte,  sondern  um  die  Folgen  des  Genusses  mangelhaft 
oder  gar  nicht  filtrir ten  Wassers  oder  mit  solchem  bereiteter, 
in  den  öffentlichen  Localen,  auf  dem  Consulplatz  und  ander¬ 
wärts  verabfolgter  Getränke,  wie  Limonade,  Kaffee,  Soda¬ 
wasser  u.  dgl.  und  habe  dort  auch  die  plastische  Schilderung 
von  K 1  u  n  z  i  n  g  e  r  gelegentlich  seiner  Nilfahrt  angeführt,  wo¬ 
selbst  es  heisst:  »Ehe  wir  den  Krug  an  den  Mund  setzen, 
drängen  sich  allerlei  Bedenken  auf ;  das  Wasser  ist  trübe, 
lehmig,  wir  haben  unter  dem  Mikroskop  schon  niedliche 
Thierchen,  Krebschen  und  Würmchen  darin  entdeckt,  wir 
haben  Vieh  sich  baden,  Menschen  ihren  Leib  und  Kleider 
oberhalb  des  Schiffes  waschen  und  verschiedene  Stoffe  ablagern 
sehen.  Dort  treibt  ein  Ochsencadaver  fort,  auf  dem  ein  Rabe 
pickend  steht,  und  solche  Mischungen  hat  das  Stromwasser 
schon  aus  seinem  ganzen  grossen  Hinterlande  aufgenommen; 
eine  Mixtur  vom  Unrath  ganz  Nordafrikas,  die  sollen  wir 
trinken«  ! 5)  »Diese  Schilderung«,  so  fuhr  ich  fort,  »ist  nicht  über¬ 
trieben:  in  seinem  lang  dahingestreckten  Laufe  ist  der  Nil  ein 
bequemer  Ablagerungsplatz  für  alles  Entbehrliche  und  Ab¬ 
gängige.  Natürlich  ist  für  die  nahe  den  Mündungen  des  Nils 
gelegenen  Städte,  wie  Alexandrien,  diese  Mixtur  vom  Unrath 
ganz  Nordafrikas  noch  concentrirter,  als  für  die  weiter  ober¬ 
halb  gelegenen  Städte  und  Ortschaften.  Die  sogenannte  Selbst¬ 


reinigung  der  Flüsse  ist  für  Alexandrien  jedenfalls  nicht  sehr 
bedeutungsvoll.  Das  Nilwasser,  welches  Alexandrien  durch  den 
Mahmudich-Canal  empfängt  und  welches  von  einer  Central¬ 
stelle  aus  durch  ein  Röhrensystem  in  die  einzelnen  Häuser 
hineingeleitet  wird,  ohne  irgend  einer  Reinigung  durch  Sand¬ 
beete  oder  dergleichen  zuvor  unterworfen  zu  werden,  zeigt  in 
jeder  der  Leitung  entnommenen  Probe  bei  Zusatz  von  über¬ 
mangansaurem  Kali  ‘einen  äusserst  reichlichen  Niederschlag 
von  organischen  Substanzen.  Wenn  derselbe  auch  bei  flachem 
Wasserstande  des  Nil  reichlicher  ist,  so  überschreitet  er  doch 
auch  bei  hohem  Wasserstande  das  Normale  stets  in  erheblichem 
Grade.  Auch  wenn  das  Wasser  durch  die  bekannten  Thon¬ 
filter  filtrirt  worden,  ist  die  Menge  des  Niederschlages  noch 
immer  eine  sehr  grosse.  Es  ist  wohl  von  Interesse,  dass  der 
arabische  Volkskalender  unter  zahlreichen  anderen  sanitären 
Vorschriften  auch  die  enthält,  dass  man  von  Mitte  Juni  ab 
15  Tage  lang  Wasser  aus  dem  Nil  nicht  trinken  soll.  Zu 
dieser  Zeit  wird  nämlich  durch  das  Austreten  des  Nil  der 
ganze  Schlammgehalt  seines  Flussbettes  aufgerührt  und  in  Cir¬ 
culation  versetzt.  Es  dauert  mehrere  Wochen,  bis  das  Nil¬ 
wasser  wieder  klar  geworden  ist.  Der  wohlsituirte  Theil  der 
Bevölkerung  trinkt  zu  dieser  Zeit  nur  ausländische,  besonders 
französische  Mineralwässer,  während  weniger  Bemittelte  auf 
das  Nilwasser  natürlich  angewiesen  bleiben.  ...  Es  müsste 
daher  das  Vermeiden  von  unreinem  Trinkwasser  genügen,  um 
das  Zustandekommen  sowohl  vieler  sonstiger  Erkrankungen, 
als  auch  jener  Hautleiden  zu  verhüten.  Da  aus  geographischen 
Gründen  die  Möglichkeit  nicht  vorhanden  ist,  die  Städte  und 
Ortschaften  des  Nillandes  mit  anderem  Wasser,  besonders  mit 
Quellwasser  zu  versorgen,  so  wäre  es  dann  noth  wen  dig, 
1.  durch  entsprechende  hygienische  Einrichtungen  und  Erlässe 
der  Regierung  die  fortdauernde  Verunreinigung  des  Landes¬ 
stromes  zu  verhüten,  sowie  2.  durch  öffentliche  Belehrung  auf 
die  Schädlichkeit  des  Genusses  von  nicht  gekochtem  Nilwasser 
und  der  mit  solchem  bereiteten  Getränke  nachdrücklich  hin¬ 
zuweisen.  ...  In  privaten  Kreisen,  in  meiner  Praxis,  habe  ich 
bei  der  Indolenz  nicht  nur  der  Eingeborenen,  sondern  auch 
des  grössten  Theiles  der  eingewanderten  Bevölkerung  mit  einem 
derartigen  Hinweise  allerdings  nicht  viel  Glück  gehabt,  und 
man  liebt  da  mit  dem  stolzen  Worte  der  Aegypter  zu  ent¬ 
gegnen,  dass  das  Nilwasser  das  beste  Wasser  der  Welt  sei, 
und  dass,  wer  Nilwasser  getrunken,  die  Heimat  vergesse. 
Mir  schien  es  zwar  manchmal,  dass  das  letztere  Wort  oft  eher 
in  dem  Sinne  des  Home  r  zu  verstehen  sei,  ,er  starb  und 
vergass  die  Heimkehr'.«  c) 

Vier  Jahre  später  hat  Hirschberg,  ohne  auf  Obiges 
Bezug  zu  nehmen,  dem  Wasser  des  ehemaligen  und  heutigen 
Aegypten  eine  längere  Darstellung  gewidmet,  die  mit  den 
Worten  schliesst,  dass  durch  unreines  Trinkwasser  die  meisten 
in  Aegypten  häufigen  Krankheiten  einverleibt  werden  und 
dass  noch  zu  untersuchen  sei,  ob  unreines  Nilwasser  die  Keime 
auch  der  granulösen  Augenentzündung  enthält,  da  Trachom 
in  hervorragender  Weise  eine  Krankheit  der  Flussniederungen 
und  Marschen  sei  .  .  .,  wozu  dann  noch  Folgendes  hinzugefügt 
wird :»  .  .  .nicht  die  allgemeinen  Schädlichkeiten,  Hitze,  Wüsten¬ 
staub,  Ausdünstung  des  Nil,  sind  Ursachen  des  Trachoms, 
sondern  directe  Uebertragung  der  specifischen  Keime.  Die 
Hauptvorsicht  besteht  darin,  das  Auge  nicht  mit  ägyptischen 
Dingen,  Nil  wasser  und  Handtuch,  auszuwaschen,  sondern 
europäische  Sachen  dazu  mitzubringen,  z.  B.  sterilisirte  V  er- 
bandwatte  ....  oder  wenigstens  reine,  in  Europa  gewaschene 
Taschentücher  und  dünne,  sterilisirte  Zinklösung  oder  gekochtes 
Wasser  zum  Auswaschen  der  Augen  zu  verwenden.  Die  Noth- 
wendigkeit  des  Auswaschens  ist  in  dem  staubigen  Aegypten, 
wenigstens  nach  Ausflügen,  reichlich  vorhanden.« 

Abgesehen  von  der  Unmöglichkeit  für  dort  ansässige 
Europäer,  die  natürlich  ebenfalls  an  Ophthalmie  erkranken 
können  —  ich  habe  deren  selbst  behandelt  — ,  das  Auge  nicht 
mit  »ägyptischen  Dingen«,  in  Aegypten  gewaschenen  laschen- 
tüchern  u.  dgl.  zu  berühren,  bemerke  ich  hiezu  folgendes: 

6)  Ueber  Nilkrätze  und  Nilbeulen.  Allgemeine  medicinische  Central¬ 
zeitung.  1886,  Nr.  4;  vgl.  auch:  Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 
1892,  Nr.  38. 


5)  Klu  nzinger,  Bilder  aus  Oberägypten.  1877. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Der  Gedanke  von  Hirschberg,  die  Augenkrankheiten  mit 
dem  Wasser  in  Verbindung  zu  bringen,  ist  wohl  richtig,  doch 
dürfte  die  Ophthalmie  in  Aegypten  auf  dem  von  Hi  r sc  li¬ 
ber  g  angedeuteten  Wege,  sozusagen  dem  letzten  Ausflusse 
der  rein  contagionistischen  Anschauung,  d.  h.  durch  Auswaschen 
der  Augen  mit  unreinem  Nilwasser  wohl  nur  selten  zu  Stande 
kommen:  unmöglich  freilich  wäre  dieser  Modus  nicht,  da  noch 
in  den  letzten  Wochen  schwerere  eiterige,'  trachomähnliche  Ent¬ 
zündungen  der  Bindehaut  durch  Ansteckung  im  Schwimm¬ 
bassin  einer  öffentlichen  Badeanstalt  in  Berlin  beobachtet 
worden  sind.  Ich  glaube  jedoch,  so  auffallend  dies  auch  zunächst 
erscheint,  dass  hier  vielmehr  der  Gebrauch  des  Nilwassers  als 
T  r  i  n  k  w  a  s  s  e  r  anzuschuldigen  ist.  Denn  dem  Ausbruche  der 
O  p  h  t  h  a  1  m  i  e  in  Aegypten  gehen  fieberhafte,  mit  Schnupfen  ver¬ 
bundene  Erkrankungen  oftvoraus.  welche  entweder  auf  dem  Wege 
der  Inhalation  durch  die  Nase,  oder  aber  vermittelst  des  Trink¬ 
wassers  zu  Stande  kommen,  im  letzteren  Falle  auf  das  Auge 
dann  sich  besonders  localisirend,  wenn  Staubkatarrhe  oder  eine 
Störung  der  Circulation  im  Gebiete  des  Auges  durch  Nasen¬ 
katarrhe  schon  vorhanden  sind.  Die  Combination  schwerer 
Eiterung  der  Augen  wie  der  Nase  ist  auch  in  Aegypten  nicht 
selten  und  ich  habe  selbst  ziemlich  viel  Augenkranke  dort 
auch  an  gleichzeitigen  Nasenleiden  behandelt,  allerdings  in 
einer  heute  mir  nicht  mehr  richtig  erscheinenden  Weise: 
1.  durch  Blutentziehung  in  der  Nase,  was  vielleicht  das  Beste 
meiner  damaligen  Massregeln  der  Art  war,  2.  durch  Inhalation 
von  Dämpfen,  was  ich  jetzt  seit  vielen  Jahren  nicht  mehr 
anwende,  während  3.  die  so  wichtigen  Ausspritzungen  der 
Nase  damals  nur  selten  und  in  Ermangelung  geeigneter 
Apparate  nur  in  einer  durchaus  primitiven  und  ungenügenden 
Art  von  mir  vorgenommen  worden  sind.  Wodurch  diese 
fieberhaften  Nasenkrankheiten  im  Einzelnen  bedingt  waren, 
muss  ich  in  Ermangelung  verlässlicher  Notizen  dahingestellt 
sein  lassen:  es  können  hier  sowohl,  was  nach  Hirschberg 
schon  Lane  erwähnt  hat,  Ausdünstungen  des  Bodens  nach 
den  ausgedehnten  Ueberschwemmungen  in  Betracht  kommen, 
während  welcher  ja  viele  Dörfer  der  Fellachen  nur  durch 
Dämme  mit  einander  verbunden  oder  auf  Verkehr  durch 
Barken  angewiesen  sind,  als  auch,  für  Alexandrien,  schäd¬ 
liche,  auch  von  Hirschberg  berührte  Ausdünstungen  des 
nahe  gelegenen  Maryut-Sees  oder  anderes  der  Art,  doch  muss 
es  weiteren  Nachforschungen  überlassen  bleiben,  das  im  Ein¬ 
zelnen  klar  zu  legen.  Das  Trinkwasser  jedoch  dürfte  gewiss 
eine  Rolle  in  der  Entstehung  auch  von  Augenkrankheiten 
spielen,  und  wenn  mit  Prosper  A  1  p  i  n  u  s,  Rust,  A  r  1 1, 
Hirsch  b  erg  und  Anderen  angenommen  wird,  dass  der  Zu¬ 
stand  der  Augen  in  Aegypten  heute  ein  viel  schlechterer  ist 
als  er  im  Alterthume  gewesen,  so  muss  eine  wesentliche 
Schuld  daran  wohl  dem  Trinkwasser,  beziehungsweise  der  Jahr¬ 
hunderte  lang  fortgesetzten  Verunreinigung  des  Nils  zugetheilt 
werden,  obschon  im  Gegensätze  zu  den  Persern,  denen  Ver¬ 
unreinigung  ihrer  Flüsse  durch  Hineinspucken,  Uriniren, 
Baden  u.  dgl.  von  ihrer  Religion  verboten  war,  allerdings 
auch  die  alten  Aegypter,  so  reinlich  sie  sonst  gewesen  sein 
mögen,  durch  Hineinwerfen  todter  Kühe,  Baden  und  Anderes 
(Herodot)  den  Fluss  verunreinigt,  zur  Zeit  des  Hero  dot 
das  Trinkwasser  auch  nicht  abgekocht  haben,  denn  sonst  hätte 
er  es  erwähnt,  ebenso  wie  er  auch  das  Abkochen  des  zum 
Gebrauche  des  Perserkönigs  bestimmten,  auf  allen  Expeditionen 
für  denselben  mitgeführten  Wassers  des  Flusses  Choaspes  aus¬ 
drücklich  erwähnt  hat.  Würde  durch  Verhinderung  weiterer 
\  erunreinigung  des  Flusses,  durch  Anlegen,  wenn  möglich, 
von  Rieselfeldern  bei  Kairo  und  den  grösseren  Städten  des 
Delta,  durch  Gebrauch  nur  gekochten  Trinkwassers  —  da 
nämlich  die  Brunnen  des  ehemals  vom  Meere  bedeckten 
Aegypten  (Herodot)  schon  zur  Zeit  des  Sesostris  nur 
brackiges  Wasser  lieferten  (Herodot,  Plutarch)  und  trotz 
des  Auffindens  von  süssen  Quellen  am  Boden  anderer  Meere, 
wie  des  persischen,  vielleicht  auch  heute  nur  brackiges  Wasser 
liefern  würden;  würde  also  bei  diesen  Massregeln  und  bei 
Gebrauch  nur  gekochten  Trinkwassers  ein  grosser  Theil  der 
Fieber  und  Augenkrankheiten  in  Aegypten  allenfalls  nicht 
verschwinden  und  deren  Entstehung  durch  Dünste  von  den 


Ueberschwemmungsgebieten  her  also  wahrscheinlich  sein,  so 
wäre  zur  Verhütung  von  Krankheiten  offenbar  nichts  Anderes 
möglich,  als  durch  Erbauen  von  Dämmen  und  Anlegen  von 
Canälen  das  jährliche  Ueberschwemmen  des  Landes  zu 
hindern,  in  derselben  Art,  wie  einst  durch  Sem  ir  am  is  die 
sonst  immer  eintretende  Ueberschwemmung  von  Babylonien 
durch  Canalbauten,  ohne  Verminderung  der  Fruchtbarkeit  des 
Landes,  beseitigt  worden  ist  (Herodot). 

Zu  Gunsten  der  hier  dargelegten  Anschauung  dürfte 
auch  sprechen,  dass  die  das  Trachom  anderwärts  so  oft  be¬ 
gleitende  Malaria  in  Oberägypten,  wo  Trachom  viel  seltener 
wird,  gleichfalls  selten  ist  (K  1  u  n  z  i  n  g  e  r).  Die  Annahme  von 
G  ermann,  Trachom  in  Aegypten  entstehe  dadurch,  dass 
mittelst  der  den  Dung  von  Thieren  als  Feuerungsmaterial 
sammelnden  Hände  die  Augen  in ficirt  würden,  scheint  kaum 
zutreffend,  übrigens  hat  diese  Gepflogenheit  schon  zu  Hero- 
dot’s  Zeit  bestanden;  ebensowenig  wahrscheinlich  ist  die  von 
R.  Koch  und  Virchow  angenommene,  aber  bereits  von 
Hirsch  be  rg  angezweifelte  Uebertragung  der  Krankheit  durch 
Fliegen,  besonders  auch  im  Hinblicke  darauf,  dass  in  anderen 
trachomreichen  Ländern  ein  derartiges  Moment  nicht  vor¬ 
handen  ist  und  wenn  wirklich  Fliegen  oder  andere  Insecten 
Tiäger  der  Krankheit  in  Aegypten  wären,  so  könnte  an  und 
für  sich  auch  dann  noch  an  Uebertragung  zunächst  eines 
fieberhaften  Processes  gedacht  werden,  entsprechend  der  wohl 
nicht  mehr  hypothetischen  Uebertragung  der  Malaria  auch 
durch  Insectenstiche.  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900, 
Nr.  41,  pag.  924.) 

Sind  die  vorhergehenden  Darlegungen  zutreffend,  so 
müssen  sie  natürlich  auch  auf  das  therapeutische  Verfahren 
und  die  Prophylaxe  bei  Trachom  von  Einfluss  sein.  Vor  Allem 
werden  dann  die  jetzt  so  vielfach  beliebten,  eingreifenden,  an¬ 
geblich  radicalen  Operationen  am  Auge  erheblich  einzuschränken 
sein.  Thatsächlich  ist  die  Excision  der  Uebergangsfalten  und 
selbst  des  Lidknorpels  durchaus  kein  radicales  Verfahren,  denn 
dann  hätten,  abgesehen  von  den  durch  mich  selbst  festgestellten, 
bereits  erwähnten  Rückfällen,  nicht  schon  jetzt,  nach  ver- 
hältnissmässig  so  kurzer  Uebung  des  Verfahrens  laut  Hirsch- 
berg’s  und  Greeff’s  Berichten  in  Ost-  und  Westpreussen  in 
über  50%  dei’  operirten  Fälle  Recidive  gefunden  werden 
können,  und  zwar,  wie  in  einer  Beobachtung  G  reeff’s,  selbst 
dann,  wenn  von  dem  Conjunct! valsacke  nicht  so  viel  zurück- 
gelassen  war,  dass  auch  nur  ein  Stückchen  eines  Streich¬ 
hölzchens  da  hätte  hineingelegt  werden  können.  Auch  Hoppe 
hat  in  einem  Falle  trotz  vorausgegangener  ausgiebiger  Ex¬ 
cision  massenhafte  Follikel  auf  dem  Reste  der  Bindehaut  und 
einen  mächtigen  ulcerirten  Pannus  gesehen,  einen  ebensolchen 
bei  einem  jungen  Mädchen  derselben  Familie,  trotzdem  die 
Conjunctiva  des  Oberlides  in  mehreren  Sitzungen  mittelst  Ex¬ 
cision  ausgerottet  und  der  Tarsus  bis  auf  einen  kaum  1  mm 
breiten  Streifen  entfernt  war,  und  auf  diesem  Reste  sass  Korn 
bei  Korn.  Auch  ein  so  erfahrener,  in  einem  richtigen  Trachom- 
lande  lebender  Fachmann  wie  Prof.  Raehlmann  in  Dorpat 
verhält  sich  unter  eingehender  Begründung  und  mit  Rücksicht: 
1.  auf  üble,  von  ihm  gemachte  Erfahrungen  bei  Kranken 
anderer  Aerzte,  2.  auf  viele  in  friedlicher  Weise  zu  erzielende 
Erfolge  ablehnend  gegen  diese  Operation ;  ebensowenig  ist 
Neese  in  Kiew  davon  begeistert  im  Hinblicke  auf:  1.  viel¬ 
fache  Rückfälle,  2.  eine  hiernach  erst  recht  auftretende  Neigung 
zur  Lidverkrümmung,  3.  eine  verhältnissmässige  Häufigkeit 
der  Xerose  hiernach.  Wahrscheinlich  sind  alle  derartigen  Ein¬ 
griffe,  wie  ich  schon  vor  sieben  Jahren  erklärt  habe,  von  nur 
symptomatischer  Bedeutung;  bei  der  Excision  der  Wuche¬ 
rungen  und  des  Knorpels,  dem  Ausquetschen  der  Follikel 
mittelst  der  Knapp’schen  Pincette  und  ähnlichen  Eingriffen 
beseitigt  man  eben  nur  die  Folgen  der  chronischen  Einwirkung 
eines  entweder  staubförmigen  Irritainentes  bei  Staubtrachom 
oder  eines  organisirten  Irritainentes  bei  Sumpftrachom,  während 
doch  der  erstere  Zweck  nach  dem  »cessante  causa  cessat 
effectus«,  auch  in  viel  einfacherer,  wohl  ebenso  wirksamer 
Weise  oft  hätte  erreicht  werden  können,  im  zweiten  Falle  aber 
das  Irritament  entweder  in  der  Nase  und  ihren  Nebenhöhlen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


oder  im  Blute  weiter  persistirt  und  nach  kurzer  Zeit  auf  das 
Auge  von  Neuem  sich  localisirt.  Das  Ausquetschen  der  Follikel 
insbesondere,  von  welchem  auch  G  ree  ff,  Feuei  u.  A.  eine 
dauernde  Heilung  nicht  erwarten,  scheint  ein  ähnliches  Ver¬ 
fahren  zu  sein,  als  wenn  man  bei  Typhus  oder  Tuberculose 
geschwollene  Follikel  der  Darmhaut  oder  einer  anderen  Schleim¬ 
haut  exstirpiren  oder  ausquetschen,  das  krank  machende  Agens 
jedoch  auf  das  Blut  oder  den  Körper  überhaupt  ruhig  weiter 
einwirken  lassen  würde,  oder  als  wenu  man,  was  eine  Zeit 
lang  ja  gemacht  wurde,  die  durch  Naseneiterung  bedingten 
lymphoiden  Granulationen  der  Rachenschleimhaut  mittelst  des 
Galvanokauters  oder  in  ähnlicher  Weise  Stück  für  Stück  zer¬ 
stört,  um  sie,  ohne  gleichzeitige  Behandlung  der  Nase,  nach 
so  und  so  kurzer  Zeit  in  der  allernächsten  Nachbarschaft  ebenso 
üppig  wieder  auftauchen  zu  sehen.  Die  Excision  der  Ueber¬ 
gangsfalten  und  des  Lidknorpels  hat  wahrscheinlich  nur  die 
Bedeutung  einer  intensiven  Blutentziehung,  intensiver  natürlich 
als  Scarificationen  der  Uebergangsfalten. 

Abgesehen  von  derartigen,  zeitweilig  auch  von  mir  vor¬ 
genommenen  Scarificationen  habe  ich  meinerseits  eines  mehr 
friedlichen  und  diätetischen  Verfahrens  in  der  Behandlung 
des  Trachoms  mich  bedient,  regelmässige  Ausspülungen 
des  Bindehautsackes,  der,  wie  erwähnt,  sehr  oft  eiternden 
Nase,  beziehungsweise  der  Nebenhöhlen  und  des  Nasen- 
Rachenraumes  mit  Salzvvasser  angewendet,  in  einer  Reihe 
von  Fällen,  wo  kühlende,  stetig  und  allmälig  ein  wirkende 
Applicationen  mir  angezeigt  schienen,  saftreiche,  feingeriebene, 
in  Gaze  eingehüllte  Mohrrüben  oder  ähnliche  Substanzen  aut 
die  geschlossenen  Lider  auflegen  lassen,  jedoch  bald  gefunden, 
dass  w  a  r  m  e.  erweichende  Applicationen  mittelst  Hafer¬ 
flocken  u.  dgl.  oft  viel  wohlthätiger  und  wirksamer  sind,  die 
bei  gleichzeitiger  Erkrankung,  Vascular isation  oder  gar  Ulce¬ 
ration  der  Hornhaut  oder  Schwellung  der  Haut  der  Lider 
natürlich  ausschliesslich  in  Frage  kommen,  während  ein  hiebei 
nicht  selten  vorhandener,  zum  Schaden  des  Kranken  jedoch 
oft  übersehener,  besonders  auch  zum  Ulceriren  der  Hornhaut, 
Prolaps  der  Iris  etc.  führender,  mehr  oder  weniger  ausgespro¬ 
chener  fieberhafter  Zustaud  auch  noch  oftmaliges  reich¬ 
liches  Trinken  tagsüber  und  Abends  von  reinem,  lauem  oder 
warmem  Wasser  erfordert,  sofern  nicht  eigentliche  Schwitz- 
curen  mit  saurem,  heissem  Citronen wasser  oder  Fliederthee 
angezeigt  sind.  Manchmal  habe  ich  auch  Abreibungen  der  ge¬ 
schwollenen  und  mit  Körnern  durchsetzten  Uebergangsfalten 
mittelst  kleiner  Stücke  des  Lufahschwammes  der  Aegypter 
vorgenommen,  nachdem  derselbe  in  einfachem  oder  sodahaltigem 
Wasser  etwas  erweicht  war,  analog  der  Verwendung  desselben 
zum  Abreiben  von  Warzen  der  Gesichtshaut  (Ziem  1889) 
oder  der  Wundgranulationen  (Billroth),  ein  allerdings  viel 
weniger  als  mineralische  Frottirmittel  verletzendes,  jedoch  auch 
nicht  immer  gleichmässig  gute  Resultate  ergebendes  Verfahren, 
das  natürlich  kühlende  Applicationen  hinterher  erfordert.  Sehr 
wichtig  zur  Ableitung  von  Anschoppungen  im  hinteren  Theile 
der  Nase  und  im  Nasen-Rachenraume  ist  ferner  die  Application 
von  Drouo  t’schen  Pflastern,  natürlich  nicht  in  der  Regio 
mastoidea  überhaupt,  als  vielmehr,  weil  nur  dann  aul  jene 
Gefässgebiete  einwirkend,  dicht  und  unmittelbar  hinter  dem 
Ohre,  in  der  Fovea  retrolobularis  (Ziem  1892  7),  und  es  sei 
hier  auch  erwähnt,  dass  nach  Hirschberg  bereits  Hippo- 
krates  nach  dem  Aetzen  oder  Abschaben  der  Bindehaut 
über  dem  Seitenwandbein  des  Scheitels  einen  Schnitt  gemacht 
hat,  offenbar  zur  Unterstützung  der  örtlichen  Behandlung  und 
um  durch  die  resultirende  Blutung  eine  secundäre  Entlastung 
auch  der  geschwollenen  Blutgefässe  im  Gebiete  des  Auge3, 
und  so  eine  andauerndere  Heilung  zu  erzielen.  Auf  die  in  der 
Behandlung  sehr  vieler  Augen-  und  Nasenkrankheiten  ausser¬ 
ordentlich  wichtige  Bedeutung  frischer  reiner  Luft,  auch  Nachts, 
durch  möglichst  ausgiebige  Lüftung  der  Wohnungen,  aut  die 
Schädlichkeit  des  Staubes  und  Dunstes,  des  Ammoniaks  in 
Gasanstalten,  des  Theer-  und  Terpentindunstes  u.  dgl.  habe 
ich  meine  Kranken  immer  hingewiesen,  in  der  guten  Jahres¬ 
zeit  auch  manche  derselben  in  unseren  benachbarten  Wäldern, 
vornehmlich  in  solchen  mit  gemischtem,  kieferreichem  Bestände, 

1)  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde.  1892,  pag.  160. 


wie  bei  Heubude  oder  im  Pelonker  Walde,  tagsüber  stunden¬ 
lang  sich  aufhalten  lassen  und  in  verschiedenen  Fällen  sehr 
auffällige  Erfolge  hievon  gesehen.  Von  grosser,  aber  noch  kaum 
gewürdigter  Wichtigkeit  ist  ferner  das  die  natürliche  Function 
der  Kopfhaare,  Wärmeregulirung  vereitelnde  und  Schnupten- 
anfälle  so  oft  hervorrufende  oder  verstärkende  Benetzen  der¬ 
selben  mit  Wasser-Morgens  beim  Waschen,  sowie  das  für  Auge 
und  Nase  oft  in  so  auffallender  Weise  schädliche  Abschneiden 
und  besonders,  wie  in  Aegypten,  das  widersinnige  Abrasiren 
derselben  zu  untersagen,  auf  Warmhalten  der  Füsse  durch 
kurz  dauernde,  anfangs  nur  momentan  einwirkende  kühle  oder 
kalte  Fussbäder  (J  ohnLoc  k  e,  1692)  und  Tragen  von  Gummi¬ 
schuhen  bei  Regen-  oder  Schneewetter,  sowie  auf  das  Ver¬ 
meiden  von  jedem  Alkohol  nachdrücklich  hinzuwirken. 

In  dieser  einfachen  Weise  erlangt  man  bei  in  etwas 
besseren  Verhältnissen  lebenden  Personen,  Mitgliedern  von 
Krankencassen  u.  dgl.  oft,  wenn  auch  keine  volle  Heilung,  so 
doch  gute  Resultate  mit  Beseitigung  der  Eiterung,  der  Schmerz¬ 
haftigkeit  und  Spannung  der  Augen  und  schneller  Wieder¬ 
herstellung  der  Arbeitsfähigkeit,  während  unter  den  kümmer¬ 
lichen  Verhältnissen  eines  in  dumpfen  Kellerlöchern,  ungedielten 
Lehmhütten  u.  dgl.  mit  dem  Vieh  zusammen  hausenden  Prole¬ 
tariats  klinische  Behandlung  natürlicher  Weise  erforderlich  wird,  als 
deren  beste,  im  Gegensätze  zu  dem  bisherigen  Cumulirungssystem 
sogenannter,  manchmal  mehr  als  ärztliche  Gast-  und  Logirhäuser, 
Karawansereien  anzusehender  »Kliniken«  oder  »Privatkliniken«, 
die  auch  bei  epidemischen  Augenkrankheiten  bereits  vorDecennien 
bewährte  Baraken-  oder  Zeltbehandlung  hoffentlich  bald  all¬ 
gemein  anerkannt  und  eingeführt  sein  wird;  für  unsere  Gegend 
insbesondere  dürfte  sich  eine  derartige  Einrichtung  vornehm¬ 
lich  in  Heubude,  einigen  Theilen  des  Pelonker  Waldes,  auf 
der  Höhe  am  Goldkruge  oder  bei  Grenzlau  empfehlen,  und 
unter  derartig  besseren,  die  Heilung  ausserordentlich  be¬ 
günstigenden  und  beschleunigenden  Aussenverhältnissen  dürften 
eingreifendere  Operationen  am  Auge  viel  seltener  nothwendig 
werden.  Für  viele  militärpflichtige,  mit  Granulationen  bei  ge¬ 
ringer  oder  ganz  fehlender  Secretion  der  Schleimhaut  behattete, 
mit  guter  Sehkraft  begabte  Personen  wäre  es  vielleicht  das 
Beste,  sie  in  die  Marine  einzustellen,  im  Hinblicke  auf:  1. 
die  schon  durch  0  e  1 1  i  n  g  e  n  und  v.  Himmelstirn  hervor¬ 
gehobene  Seltenheit  des  Trachoms  an  der  Meeresküste  und  die 
schon  jedem  Laien  so  auffällige  Klarheit  der  Augen  unserer 
Fischer  am  Strande  von  Adlershorst,  Heia  und  anderwärts; 
2.  die  nach  Hirschber g’s  Angabe  bereits  von  P  rune r, 
dem  erfahrenen  Kenner  des  Trachoms  von  Aegypten,  und 
mit  Recht,  behauptete  Nichtansteckungsfähigkeit  der  Granu¬ 
lationen  an  und  für  sich;  8.  die  oft,  allerdings  nicht  immer, 
sehr  günstige  Einwirkung  der  Seeluft  aut  eiterige  Katarrhe. 

Mit  der  Sorge  für  den  Einzelnen  und  der  Behandlung 
der  ausgesprochenen  Krankheit  müssen  wir  jedoch,  wie 
übrigens,  was  sonderbarer  Weise  kaum  erwähnt  wird,  zum 
Theile  schon  J.  Jacobson  klar  erkannt  und  dargelegt  hat, 
uns  nicht  begnügen,  und  wir  müssen  auch  sowohl  gegen 
Rückfälle  als  vornehmlich  auch  gegen  die  Entstehung  der 
Krankheit  Fürsorge  zu  treffen  suchen.  In  erster  Linie  ist  hier 
Belehrung  der  grossen  Massen  (auch  der  Jugend  in  den 
Schulen)  über  die  Bedeutung  gesunder,  trockener  Wohnungen 
und  Arbeitsräume,  sowie  der  Reinlichkeit  im  weitesten  Sinne 
zu  nennen.  Bei  Massenerkrankungen  in  SchuleD  u.  dgl.  ist 
eine  gründliche,  sachverständige  Untersuchung  auch  der 
Räume  auf  Feuchtigkeit  der  Wände,  auf  Provenienz  und  Be¬ 
schaffenheit  der  bei  Warmwasserheizung  aspirirten,  Fieber¬ 
dünste  manchmal  enthaltenden  Luft  unter  Anderem  ebenso 
wichtig  als  die  Untersuchung  der  Augen  der  einzelnen 
Schüler,  wird  aber,  wie  ich  aus  Erfahrung  weiss,  zuweilen 
noch  gänzlich  vernachlässigt3);  bei  derartigen  Schuluntersuchungen 

8)  Auch  in  einem  in  der  hiesigen  Naturforschenden  Gesellschaft 
Anfangs  Mai  d.  J.  gehaltenen  Vortrage  über  die  Granulöse  in  den  Schulen 
von  Danzig  findet  sich  keine  Notiz  über  die  Beschaffenheit  der  betrenenc  en 
Schulräume  (cfr.  den  Bericht  der  Danziger  N.  Nachrichten  vom  5.  Mai),  und 
doch  ist  der  geringe  Erfolg  der  ärztlichen  Behandlung  gerade  in  der  Volks¬ 
schule  der  Vorstadt  Langfuhr  auf  die  schon  von  aussen  sehr  wenig  ein¬ 
ladende  Beschaffenheit  des  dortigen  Schullocals,  '  zum  Tbeil  wenigstens, 
vielleicht  zu  beziehen,  das  an  einem  Abhange  gelegen,  in  jedem  Frühjahre 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


müssen  übrigens  künftig  auch  die  Nasen  augenkranker  Kinder 
sachverständig  untersucht  und  zur  Abkürzung  der  »augen- 
specialistischen«  Behandlung  mitbehandelt  werden,  wenn  die 
nöthige  Einsicht  den  betreffenden  *  Augenspecialisten«  selbst 
erst  aufgedämmert  und  die  nüthige  Kenntniss  zugewachsen  sein 
wird.  Auch  die  Beschaffenheit  der,  vornehmlich  in  der  Con- 
fectionsbranche,  oft  sehr  überfüllten  Arbeitsstuben,  sowie  der 
vielfach  noch,  vornehmlich  in  Danzig,  in  ganz  ungenügender 
und  primitiver  Weise  ventilirten  Fabrikräume  müsste  einer 
staatlichen  Beaufsichtigung  unterliegen  und  von  Gewerbe-  und 
Betriebsinspectoren  öfter  und  gründlicher  als  bisher  überwacht 
werden.  Wenn  es  ferner  im  wohlverstandenen,  gemeinsamen 
Interesse  Aller  schon  in  alten  Zeiten,  so  in  Niniveh  um 
1800  v.  Chr.,  im  alten  Tyrus  (Josephus),  in  Jerusalem  um 
750  v.  Chr.  zur  Zeit  des  Hiskia,  in  Rom  um  500  v.  Chr. 
möglich  gewesen  ist,  durch  Anlegen  von  Wasserleitungen, 
öffentlicher  Bäder  und  anderer  gemeinnütziger  Einrichtungen 
auf  öffentliche  Kosten  auch  den  Aermsten  gesundes  Trink¬ 
wasser  und  andere  Vortheile  zu  verschaffen:  so  muss  Aehn- 
liches  doch  auch  in  der  Wohnungsfrage  möglich  sein,  nicht 
nur  durch  das  schon  in  der  Mitte  dieses  Jahrhunderts  von  dem 
französischen  Arzte  Eugene  Sue  befürwortete,  jetzt  mehr 
und  mehr  durchgreifende  Princip,  Arbeitercolonien  nahe 
grossen  Fabriken  anzulegen,  nicht  nur,  wie  bei  den  preussi- 
schen  Staatsbahnen,  durch  Schaffung  von  Wohnungen  für  die 
Bahnbeamten,  sondern  auch  durch  Schaffung  staatlicher  oder 
städtischer,  in  ihrer  Bauart  abgestufter,  vor  Allem  jedoch 
gesunder,  trocken  gelegener  Colonien  in  der  Peripherie 
grosser  Städte  oder  auf  dem  Lande,  die  kleinen  Leuten  oder 
den  Armen  der  Städte  oder  Gemeinden,  beziehungsweise,  wo 
eine  durchgreifende  Reform  unerlässlich  wäre,  den  Dienst¬ 
leuten  der  Gutsherren  zu  einem  billigen,  die  Kosten  eben  nur 
deckenden  Miethpreise  überlassen  würden,  deren  Ueberfüllung 
wohl  auch  durch  staatliche,  städtische  oder  provincieile 
Kinderasyle  vorgebeugt  werden  könnte  mit  faeultativer  Ein¬ 
lieferung  der  Kinder;  zum  Staatssocialismus  des  Lykurgos, 
gemeinsamen  Grundbesitz  und  der  gemeinsam  verzehrten 
schwarzen  Suppe  der  Spartaner,  zur  unentgeltlichen  Fleisch- 
vertheilung  am  »Tische  der  Sonne«  im  Aethiopien  des 

Herodot  etc.,  wird  man  in  einem  C  u  1 1  u  r  Staate  selbstverständ¬ 
licher  Weise  nicht  zurückkehren, 

Auch  die  Bauart  der  Häuser  müsste  in  sumpfigen  Ge¬ 
genden  eine  andere  sein,  als  sie  oft  noch  ist.  Sehr  zweck¬ 

mässig  und  nacliahmenswerth  ist  eine  seit  etwa  sechs  Jahren 
im  Regierungsbezirke  Danzig  geltende,  Dielung  des  Bodens 
der  Wohnungen  auf  dem  Lande  verschreibende  Regierungs¬ 
verordnung,  doch  sollte  in  Ueberschwemmungs-  und  Sumpf¬ 
gebieten  die  Anwendung  von  Unterbauten  (Pfahlrosten),  wie 
sie  in  St.  Petersburg,  Amsterdam,  dem  Ueberschwemmungs- 
gebiet  des  Mekong  in  Siam  und  an  anderen,  Ueber- 

schwemmung  des  Bodens  zur  Bestellung,  besonders  auch  bei 
dem  Reisbau  erfordernden  Gegenden  und  Orten  schon  ge¬ 

bräuchlich  ist,  gleichfalls  überall  vorgesehen  werden.  Von 
grösster  Bedeutung  ist  natürlich  auch  die  Canalisirung  der 
Städte,  Drainirung  des  Bodens,  Versorgung  mit  gutem,  einem 
Jeden  zugänglichen,  nicht,  wie  nach  Ger  mann  heutzutage 
in  Palästina  verschacherten  Trinkwasser,  entweder  durch  An¬ 
legen  von  Leitungen  oder,  wie  in  wasser-  oder  regenarmen, 
daher  auf  die  hygienisch  so  bedenklichen  Cisternen  angewiesenen 
Ländern,  durch  Bohren  abessynischer  Brunnen,  wie  auch  das 
seit  einigen  Jahren  für  den  Regierungsbezirk  Danzig  bereits 
angeordnet  ist;  das  bekannte  Beispiel  der  Stadt  Schneidemühl 
in  Posen  lehrt  übrigens,  wie  überraschend  grosse  Wasser¬ 
massen  manchmal  so  erschlossen  werden  können,  wie  denn 
auch  schon  im  Plutarch  zwei  Beispiele  niedergelegt  sind  von 
anscheinend  wasserlosen,  dann  aber  beim  Nachgraben  doch 
wasserreichen  Gegenden,  einmal  am  Fusse  des  Olymp  in 

bei  der  Schneeschmelze  einer  Ueberschwemmung  seines  Bodens  aus»esetzt 
ist.  Ebenso  dürfte  dor  hohe  Procentsatz  an  Granulöse  oder  ähnlichen  Er¬ 
krankungen,  der  im  hiesigen  städtischen  Gymnasium  gefunden  worden  und 
der  den  der  Volksschulen  noch  übertraf,  auf  die  Verhältnisse  der  Anstalt 
zum  Theil  bezogen  werden  müssen,  da  in  dieser  Gegend,  am  Winterplatze, 
noch  andere  Gebäude  sehr  ungesund  sind,  in  nächster  Nähe  auch  eine 
tief  gelegene,  noch  heute  Poggenpfuhl  genannte  Strasse  verläuft. 


Macedonien,  wo  Wasser  nur  tropfenweise  aus  einer  kleinen 
Quelle  heraussickerte,  Aemilius  Paulus  aber  im  Hinblicke  auf 
den  reichen  Baumwuchs  des  Berges  uachgraben  liess  und  nun 
reichlich  Wasser  fand,  sodann  in  noch  viel  auffallender  Weise 
auf  einer  Höhe  in  Kleinasien,  die  Mithridates  besetzt  gehalten 
aber  wegen  vermeintlichen  Wassermangels  verlassen  hatte; 
während  Pompejus,  als  er  mit  Rücksicht  auf  das  Vorhandensein 
gewisser,  nicht  näher  bezeichneter  Pflanzen  nun  graben  liess, 
W  asser  in  Menge  erhielt,  nicht  wenig  erstaunt  nach  Plutarch, 
dass  dessen  Anzeichen  Mithridates  entgangen  waren;  alles  Um¬ 
stände,  deren  man  in  anscheinend  wasserarmen  Gegenden  sich 
erinnern  und  deshalb  wohl  auch  des  Rathes  von  Botanikern 
sich  bedienen  mag.  Was  die  Canalisirung  betrifft,  so  ist  eine 
solche  auffallender  Weise  im  Jahre  1894  noch  nicht  einmal 
in  den  besseren  Gasthöfen  von  Königsberg  durchgeführt  ge¬ 
wesen  und  durch  die  aus  den  Häusern  nach  dem  Tragheimer 
Thor  hin  Morgens  abgeholten,  mit  Fäcalien  gefüllten  Tonnen 
ein  entsetzlicher  Gestank  in  den  Strassen  verbreitet  worden, 
ein  Umstand,  auf  den  zum  Thei-le  wohl  auch  die  grosse  Ver¬ 
breitung  von  Krankheiten  der  Nase,  des  Halses  und  der  Augen 
in  Königsberg  zu  beziehen  sein  mag.  Hieher  gehört  ferner 
das,  von  den  Zoologen  allerdings  beklagte,  Austrocknen  von 
Seen,  Sümpfen  und  Mooren,  immer  jedoch  mit  Rücksicht  darauf, 
dass  auch  den  letzteren  eine  gewisse  meteorologische  Bedeutung 
zum  Feuchterhalten  der  Luft  zukommt  (Hoch  s  te  1 1  er), 
damit  nicht  allenfalls  das  entgegengesetzte  Uebei  herbeigeführt 
und  eine  staubige  Steppe  mit  allen  ihren  hygienischen  Nach¬ 
theilen  zu  Stande  gebracht  werde.  Hieher  gehört  weiter  ein 
vorsichtiges  und  local  isirtes  Lichten  sumpfiger  Wälder, 
natürlich  nicht,  wie  jetzt  noch  fast  ausschliesslich,  nach  mercan- 
tilischen  Rücksichten,  sondern  in  erster  Linie  nach  hygienischen 
Grundsätzen,  das  Zugänglichmachen  der  Morastwälder  für  die 
austrocknende  Sonne,  ein  Verfahren,  das  in  Finnland,  dem 
waldreichsten  Lande  von  Europa,  woselbst  noch  immer  57% 
des  Bodens  mit  Wald  bedeckt  sind,  das  Klima  bereits  milder 
gestaltet  hat  (C.  Müller)  und  dort  wie  in  Livland  und 
Kurland  wahrscheinlich  auch  das  wirksamste  Mittel  zur  Be¬ 
kämpfung  des  endemischen  Trachoms  sein,  vielleicht  auch 
in  den  aus  mächtigen,  die  Sonne  nicht  durchlassenden  Cypressen 
bestehenden  Urwäldern  im  Delta  des  Mississippi  und  seinem, 
Ueberschwemmungen  noch  immer  vielfach  ausgesetztem  Moor¬ 
boden  die  Malaria  und  das  Trachom  vermindern  wird.  Hieher 
gehört  ferner  die  Regulirung  der  Ströme  zur  Verminderung 
der  Ueberschwemmungen,  was  in  vielen  Gegenden  des  staaten¬ 
reichen  Festlandes  von  Europa  allerdings  nur  durch  inter¬ 
nationale  Vereinbarungen  über  das  wahrscheinlich  einzige,  auf 
die  Dauer  hier  durchgreifende  und  wirksame  Mittel,  Wald¬ 
schutz  im  Quellgebiete  der  Flüsse  gegenüber  dem  unsinnigen, 
planlosen  Ausroden  oder  gar  Ausrotten  der  Wälder  zu  er¬ 
reichen  wäre.  Denn  es  ist  klar,  dass  die  Zerlegung  einer 
Strommündung  in  mehrere,  wie  z.  B.  der  vor  einigen  Jahren 
bei  uns  hergestellte  Durchstich  der  Weichsel  bei  Nickelswalde 
trotz  gewisser  Nachtheile,  vornehmlich  stärkerer  Verschlammung, 
der  anderen  Mündungen  und  Verminderung  der  Stromkraft 
derselben,  eine  Zeit  lang  in  hohem  Grade  segensreich  ein¬ 
wirken  und  Ueberschwemmungen  weiter  oberhalb  gelegener 
Strecken  so  und  so  lange  verhüten  wird,  wie  denn  auch  die 
sonst  fast  alljährlich  stattfindende,  zu  ausserordentlich  vielem 
Elend  Veranlassung  gebende  Ueberschwemmung  im  Unterlaufe 
der  Weichsel  in  den  letzten  Jahren  ausgeblieben  ist,  ein  Um¬ 
stand,  beiläufig  bemerkt,  auf  welchen  auch  das  Erlöschen  einer 
langjährigen  Trachomendemie  in  Schüueberg  an  der  Weichsel 
wohl  mehr  zurückzuführen  ist,  als  mit  G  ree  ff  auf  ärztliche 
Behandlung  in  Kliniken  Königsbergs;  dessenungeachtet  und  trotz 
der  Hilfsmündung  der  Weichsel  werden  wir  nach  einer  gewissen 
Zeit  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  von  Neuem  Ueber- 
sclnvemmungen  haben,  bei  Fortdauer  der  Abholzung  der  Wälder 
und  somit  der  Zerstörung  der  Moosfilter  im  Quellgebiete 
der  Weichsel  und  ihrer  Zuflüsse,  wde  man  denn  andererseits 
auch  durch  die  hohen  Dämme,  mit  wrelchen  man  den  Unter¬ 
lauf  des  Mississippi  eingefasst,  Ueberschw’emmungen  daselbst  bis¬ 
her  zwrar  verhütet,  aber  Stauungen  dort  und  vornehmlich 
grosse  Ueberschwemmungen  im  Mittelläufe  des  Stromes  hervor- 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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gerufen  hat:  so  dass  also  schliesslich  entweder:  1.  Stauhecken 
angelegt  werden  müssen,  wie  einst  in  Aegypten  am  Mörissee 
und  in  Babylonien  am  Euphrat,  an  letzterem  verbunden  mit 
einer  zum  Brechen  der  Gewalt  des  Stromes  bestimmten,  künst¬ 
lichen  Schlängelung  des  vorher  gerade  verlaufenden  Stromes 
(Hero  dot),  oder  dass  2.  ein  internationaler  Schutz  der 
Wälder  und  ihrer  Moosfilter  als  Quellen  und  Zutheiler  der 
grossen  Flüsse  zu  Stande  kommen  muss;  wie  denn  auch  die 
jetzt  nur  noch  18%  Waldboden  besitzende  Schweiz  schon  seit 
dem  Jahre  1874,  die  United  States  seit  1891  eine  gewisse 
staatliche  Aufsicht  über  die  Entwaldung  führen  und  selbst  in 
der  Türkei  die  Constantinopel  mit  Quellwasser  versehenden 
Wälder  gesetzlich  geschützt  sind.  Hieher  gehört  endlich  auch 
das  Wiederaufforsten  und  Wiederanbauen  ehemals  waldreicher, 
durch  seine  Wälder  oder  durch  Kunstwerke  einst  bewässerter, 
jetzt  verödeter,  staub-  und  trachomreicher  Gegenden  und 
Steppen,  wie  in  Palästina,  Syrien,  Kleinasien,  Mesopotamien, 
Spanien  etc.,  nachdem  wohl  im  Anschlüsse  an  Buff  on,  dei 
die  ersten  Versuche  in  dieser  Hinsicht  angestellt  hat,  es  zuerst 
Bremontier  gelungen  ist,  immer  weiter  um  sich  greifende, 
eine  Gegend  der  Gascogne  nahezu  entweichende  Wanderdünen 
durch  Anpflanzen  des  Strandginsters  (Sarothamnus  scoparius) 
und  unter  dessen  Schutz  mit  jungen  Kiefern  zum  Stehen  zu 
bringen  und  so  im  Laufe  der  Zeit  dort  einen  Forst  mit 
Schneidemühlen,  Terpentinwerken  etc.  entstehen  zu  lassen, 
dessen  jetziger  Whrth  von  Lubbock  auf  1000  Millionen 
Francs  geschätzt  wird;  nachdem  die  Franzosen  ebenso  in 
Algier  unter  General  Devaux,  »den  Degen  mit  dem  Bohrer 
vertauschend«,  durch  Anlegen  zahlreicher  artesischer  Brunnen 
im  Absterben  begriffenen  Dattelpflanzungen  und  Inseln  der 
Cultur  das  Leben  zurückgegeben  haben.  In  dieser  Weise, 
durch  Anpflanzen  wilder  Oelbäume,  Myrten  und  anderer 
Bäume,  welche  mit  Sallust  »humo  arido  atque  arenoso 
gignuntur«,  oder  moderner,  der  Robinie,  des  chinesischen 
Götterbaumes  (Ailanthus  glandulosa)  und  vornehmlich  der 
sehr  ausdauernden  und  genügsamen,  auch  am  Strande  von 
Memel  angepflanzten,  nordamerikanischen  Oelweide  (Elaeagnus 
argentea),  welche  Rossmässler  und  W  i  1 1  k  o  m  m  zu  solchen 
Versuchen  besonders  empfehlen,  liessen  sich  vielleicht  noch 
manche  »Sandwüsten  allmälig  in  Laubwälder  umwandeln«, 
jedenfalls  aber  die  Verstaubung  des  Bodens  mindern,  was  be¬ 
sonders  für  Staubstürmen  ausgesetzte  und  daher  zum  Theile 
auch  an  Augenleiden  reiche  Länder,  wie  Aegypten,  besonders 
am  Rande  der  Wüste,  in  Persien,  Ungarn  und  an  anderen 
Orten  wichtig  wäre. 

Hoffen  wir,  dass  die  öffentliche  Gesundheitspflege,  welche 
dem  grünen  Kleide  der  Erde  und  vornehmlich  den  Wäldern 
bisher  noch  so  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  hat,  so  dass 
z.  B.  in  dem  sonst  so  vielfach  anregenden  Buche  von 
F.  Hüppe  gar  nichts,  in  W  e  y  l’s  Handbuche  aber  nur  ein 
paar  dürftige  Notizen  hierüber  zu  finden  sind,  diesem  wie 
überhaupt,  so  auch  für  die  Augenheilkunde  so  wichtigen 
Gegenstände  ein  nachhaltiges  Interesse  nun  bald  zuwenden 
werde!  Denn  obschon  die  hohe  Bedeutung  staatlicher  Augen¬ 
kliniken  für  die  Bekämpfung  des  Trachoms  und  Hirsch- 
be^g’s  Mahnung  der  Einrichtung  einer  solchen  auch  in 
Aegypten,  in  keiner  Weise  unterschätzt  werden  soll,  so  ist 
doch  der  grösste  Fortschritt  gegenüber  einer  derartigen,  zum 
weitaus  grössten  Theile  miasmatischen  und  tellu  rischen 
Krankheit  offenbar  weniger  von  ärztlichen  Eingriffen,  als  viel¬ 
mehr  von  auf  das  Ganze  gerichteten  hygienischen  Mass- 
regeln  zu  erwarten. 

Literatur. 

Arlt,  Klinische  Darstellung'  der  Krankheiten  des  Auges.  1881. 

Feuer,  Das  Trachom  in  Ungarn,  1897.  Centralblatt  für  Augen¬ 
heilkunde.  1899. 

German  n,  Ibidem.  1896,  pag.  386. 

G  r  e  e  f  f,  Epidemische  Augenkrankheiten.  1898. 

Hirschberg,  Aegypten,  1890.  Die  körnige  Augenentztindung  in 
Ost-  und  Westpreussen.  1897. 

Hoppe,  Trachomepidemie  in  Gumbinnen.  1898. 

II  ü  p  p  e,  Handbuch  der  Hygiene.  1899. 

Jacobson,  Beiträge  zur  Pathologie  des  Auges.  1888,  pag.  89  ff. 

K  u  h  n  t,  Therapie  der  Conjunctiv.  granul.  1897. 


Larrey,  citirt  bei  Zehende  r. 

Lewko  witsch,  Centralblatt  für  Augenheilkunde.  1897,  pag.  253. 
N  e  e  s  e,  Deutsch  m  a  n  n’s  Beiträge.  1899,  Heft  39,  pag.  69. 

Rae  hl  mann,  Therapie  bei  Trachom.  1898. 

Sclimidt-Rimpler,  Nothnagel’s  Pathologie  und  Therapie.  1898, 
Bd.  XXI. 

Wey],  Handbuch  der  Hygiene.  1894,  Lieferung  7. 
v.  Zehende  r,  Handbuch  der  Augenheilkunde.  1874,  Bd.  I. 

Ziem,  Allgemeine  medicinische  Centralzeitung.  1886,  Nr.  23.  — 
Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1888,  Nr.  19,  Fall  3  und  7. 
Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde.  1893,  pag.  236  und  262.  —  Monatsblätter 
für  Augenheilkunde.  Juli  1895. 

A.  v.  Humboldt,  Reise  in  den  Aequinoctialgegenden  des  Neuen 
Continentes.  1859. 

Kiepert,  Lehrbuch  der  Alten  Geographie.  1878. 

Marshall,  Die  deutschen  Meere,  pag.  33. 

C.  Mülle  r,  Pflanzenwelt.  1869. 

O  p  p  e  1,  Laudschaftskunde.  1887. 

Rossmässler  - Willkomm,  Der  Wald.  1881. 

S  c  o  b  e  1,  Geographie.  1899,  u.  A. 


REFERATE. 

Atlas  und  Grundriss  der  Ophthalmoskopie  und 
ophthalmoskopischen  Diagnostik. 

Von  Prof.  Dr.  O.  llaab. 

Dritte,  stark  vermeinte  Auflage. 

M  ünchen  1900,  J.  F.  Lehmann. 

Wenn  ein  Lehrbuch  im  Verlaufe  von  wenigen  Jahren  es 
bereits  zur  dritten  Auflage  gebracht  hat,  so  spricht  dieser  Umstand 
wohl  laut  und  deutlich  für  die  Brauchbarkeit  und  für  die  Vorzüge 
des  Werkes;  es  hat  durch  die  freundliche  Aufnahme,  die  es  allent¬ 
halben  gefunden,  den  Beweis  für  seine  Existenzberechtigung  er¬ 
bracht.  In  der  That  fehlte  es  bisher,  trotz  der  Vortrefflichkeit  der 
Atlanten  von  J  ä  g  e  r,  O  e  1 1  e  r,  L  i  e  b  r  e  i  c  h  u.  A.,  dennoch  an 
einem  auch  dem  Minderbemittelten  zugänglichen  Werke,  welches 
in  einer  grossen  Zahl  von  typischen  Bildern  alle  wichtigen,  nicht 
nur  den  Oculisten,  sondern  auch  den  Internisten  und  Neurologen 
interessirenden  Augenhintergrund-Erkrankungen  darstellt,  und  des¬ 
halb  ist  Haäb’s  Atlas  bereits  in  den  wenigen  Jahren  seines  Be¬ 
standes  zu  einem  verbreiteten  Lehrbuch  für  die  Studirenden,  zu 
einem  Nachschiagebuch  für  die  Aerzte  geworden,  ln  dei  Neuaul  läge 
hat  der  Verfasser  einige  Lücken,  welche  in  der  Reihe  der  Krank¬ 
heitsbilder  noch  bestanden,  mit  glücklicher  Hand  ausgefüllt.  \  on 
wichtigen,  wenn  auch  nicht  häufigen  Erkrankungen  finden  wir  das 
ophthalmoskopische  Bild  des  leukämischen  Augenhinter¬ 
grundes,  des  sogenannten  Glioma  retinae  im  f rühstadium 
(von  welchem  meines  Wissens  bisher  nur  eine  einzige  farbige  Ab¬ 
bildung  in  K n  a p  p's  Buch  über  die  intraocularen  fumoren  \oilag), 
einer  flachen,  transparenten  Netzhautablösung,  der  syphi¬ 
litischen  Erkrankung  der  Netzhautarterien,  dei 
senilen  Netzhautpigmentirung.  Von  Verletzungen  sind 
zwei  Bilder  neu  hinzugekommen,  von  welchen  eines  eine  Luft¬ 
blase  im  Glaskörper  bei  einer  Eisensplitterverletzung,  das  andere 
eine  Lochbildung  in  der  Macula  lutea  in  F olge  einer 
Contusion  des  Bulbus  darstelll.  Zum  Schlüsse  sind  noch  die  Ab¬ 
bildungen  zweier  Fälle  von  hinteren  Vortexvenen  angefügt. 
Die  neuen  Bilder  reihen  sich  zwischen  die  früheren  gleichmässig 
ein,  in  derselben  klaren  Darstellung,  welche  bereits  die  der  früheren 
Auflagen  auszeichnete.  Trotz  der  wesentlichen  Vermehrung  der 
Tafeln  ist  der  Preis  des  Werkes  derselbe  niedrige  (10  Mark)  ge¬ 
blieben,  wie  bisher,  ein  Umstand,  der  nicht  in  letzter  Linie  zui 
allgemeinen  Verbreitung  des  Atlas  beitragen  dürlte. 

* 

Das  Sarkom  des  Auges. 

Von  Rosa  Putiata-Kersclxbaumer  in  St.  Petersburg. 

Mit  einem  Vorwort  von  Prof.  Dr.  Sattler. 

Mit  16  Figuren  auf  lü  Tafeln. 

Wiesbaden  1900,  J.  F.  Bergmann. 

In  dem  Buche  Kerschbaume r’s  finden  wir  eine  un- 
gemein  fleissig  und  sorgfältig  durchgeführte  Untersuchungsreibe  \  on 
67  Sarkomen  des  Augapfels,  von  welchen  41  von  der  Aderhaut, 
8  vom  Ciliarkörper  und  2  von  der  Iris  ausgingen,  während  9  epibulbär 
und  7  diffus  entsprangen.  Das  reiche  Material  zu  diesen  Unter¬ 
suchungen  verdankt  die  Verfasserin  zum  grössten  I heil  liofessoi 
Sattler  in  Leipzig,  zum  Theil  stammt  es  aus  ihrer  eigenen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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früheren  Praxis  in  Salzburg.  Sie  verlegt  augenscheinlich  das  Schwer¬ 
gewicht  ihrer  Arbeit  auf  die  anatomischen  Verhältnisse,  welche  sie 
hei  jedem  einzelnen  Falle  eingehend  schildert  und  deren  Resultate 
sie  in  einem  eigenen,  der  Casuistik  vorangeslellten  Theil  über 
»Anatomie  und  Histologie  der  Sarkome  des  Auges«  zusammenfasst. 
Leider  können  wir  uns  gerade  hier  in  so  manchen  Punkten  mit 
der  Verfasserin  nicht  einverstanden  erklären,  wenn  sie  z.  B.  die 
Spindelzellensarkome  als  eigene  Art  den  Melanosarkomen  gegen- 
überstellt,  während  erstere  doch  sowohl  pigmentirt,  als  unpigmentirt 
Vorkommen  und  auch  die  Melanosarkome  bald  aus  Spindel-,  bald 
aus  Rundzellen  zusammengesetzt  sind.  Audi  fehlt  jede  Erwähnung 
der  Alveolarsarkome,  die  doch  eine  recht  gut  charakterisirte  Form 
darstellen.  Auffallend  und  logisch  nicht  zu  begründen  ist  in  der 
»Eintheilung  der  Sarkome  nach  der  Form«,  dass  den  Angiosarkomen, 
Melanosarkomen  u.  s.  w.  die  Degenerationsprocesse,  von  welchen 
Verfasserin  am  häufigsten  die  hyaline,  ferner  aber  auch  die 
schleimige  und  amyloidc  nachwies,  als  eigene  Form  (?)  beigeordnet 
werden.  Auch  halte  ich  es  für  keinen  sehr  guten  Einfall,  die  extra- 
und  intrabulbären  Sarkome  des  Auges  im  Allgemeinen  abzuhandeln, 
da  die  epibulbären  Sarkome  nach  ihrem  anatomischen  Verhalten, 
nach  ihrem  Ursprünge  aus  angeborenen  Naevi,  nach  ihrem  Verlaufe, 
ihrer  Prognose  und  Operirbarkeit  sich  wesentlich  verschieden  ver¬ 
halten  gegenüber  den  intraoculären  Sarkomen.  Hingegen  stehen  sie 
sehr  nahe  den  Sarkomen  der  Uebergangsfalte,  halbmondförmigen 
Falte,  Carunkel  und  Lidbindehaut,  welche  jedoch  von  der  Ver¬ 
fasserin  nicht  in  den  Bereich  ihrer  Untersuchung  gezogen  wurden. 

Was  den  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen  anderen  Er¬ 
krankungen  des  Auges  und  dem  Sarkome  anbelangt,  so  sind  in 
erster  Linie  die  Fälle  von  Interesse,  in  welchen  der  Geschwulst¬ 
entwicklung  ein  Trauma  (eventuell  mit  Schrumpfung  des  Bulbus) 
voranging.  Kerschbaumer  hat  unter  ihren  67  Fällen  4  von 
vorangegangener  Phthisis  bulbi;  jedoch  ist  nur  in  einem  Falle,  in 
dem  das  Sarkom  bereits  drei  Janre  nach  der  Verletzung  sich  in 
einem  schon  vorgeschrittenen  Stadium  befand,  ein  Zusammenhang 
zwischen  Entwicklung  der  Neubildung  und  Trauma  nicht  direct 
von  der  Hand  zu  weisen.  In  den  anderen  Fällen  hatte  die  Ver¬ 
letzung  vor  langer  Zeit  (15 — 30  Jahre)  stattgefunden.  Reste  ab¬ 
gelaufener  Entzündung  (ohne  Trauma)  fanden  sich  zehnmal;  doch 
auch  hier  ist  ein  stricter  Beweis  für  den  ursächlichen  Zusammen¬ 
hang  mit  dem  Sarkom  nicht  zu  erbringen.  Ein  besonderes  Gewicht 
legt  Verfasserin  auf  die  Erkrankungen  der  Chorioidealgefässe,  im 
Anschlüsse  an  welche  sich  nach  ihrer  Ansicht  meist  die  Angio- 
sarkome  entwickeln;  sie  schliesst  dies  daraus,  da  sie  in  den  noch 
geschwulstfreien  Theilen  der  Chorioidea  hyaline  Degeneration,  be¬ 
sonders  in  den  Gefässen  der  Hall  ersehen  und  S  at  1 1  e  r’schen 
Schichte,  fand. 

Der  klinische  Theil  ist  leider  recht  kurz  gefasst;  insbesondere 
die  wichtigen  Capitel  der  Prognose  und  des  Verlaufes  lassen  dies 
fühlen.  Hier  hätte  Verfasserin  Gelegenheit  gehabt,  sich  den  Dank 
der  Fachgenossen  zu  sichern,  wenn  sie  die  riesig  angewachsene 
Literatur,  die  sie  in  einem  Verzeichniss  von  784  Nummern  gesammelt 
hat,  auch  kritisch  durchgearbeitet  und  statistisch  verwerthet  hätte. 
So  ist  diesem  Abschnitte  des  Buches  nur  zu  entnehmen,  dass  sie 
unter  67  Fällen  13  Melanosarkome,  27  Leukosarkome  mit  hämato¬ 
gener  Pigmentirung  und  27  Leukosarkome  untersuchte,  dass  also 
die  pigmentirten  Sarkome  nur  59 '7%  (gegen  88%  in  der  Mono¬ 
graphie  von  Fuchs  über  das  Sarkom  des  Uvealtractus)  darstellen. 

Hinsichtlich  der  Therapie  steht  Verfasserin  auf  dem  gerecht¬ 
fertigten  Standpunkte  möglichst  radicaler  Operation. 

Die  anatomischen  Verhältnisse  sind  durch  eine  Reihe  vor¬ 
züglicher  Abbildungen  auf  zehn  Tafeln  dargcstellt,  welche  ins¬ 
besondere  die  topographischen  Beziehungen  sehr  gut  veranschau¬ 
lichen  und  daher  beim  klinischen  Unterrichte  als  eine  willkommene 
Unterstützung  des  gesprochenen  Wortes  dienen  dürften. 

* 

Ein  Beitrag  zur  Therapie  der  Netzhautablösung. 

Von  Arnold  Staerkle. 

Inaugural-Dissertation.  R  i  e  h  m;  Basel  1900. 

Staerkle  berichtet  über  die  Erfahrungen,  welche  an 
Mel  lingers  Klinik  bei  der  Behandlung  der  Netzhautablösung 
mit  subconjunctivalen  Kochsalzinjectionen  gewonnen  wurden.  Zur 


Behandlung  kamen  23  Fälle,  zumeist  myopische  Ablösungen,  nur 
zwei  waren  traumatischen  Ursprunges;  verwendet  wurde  eine 
2-,  4-  und  10%ige  Gl  Na-Lösung.  Die  Erfolge  sind  in  Anbetracht 
der  Schwere  der  Erkrankung  recht  günstig,  ln  sechs  Fällen  legte 
sich  die  Netzhaut  vollständig  an,  in  zehn  Fällen  verkleinerte  sich 
die  Ablösung  beträchtlich;  in  sieben  Fällen  dagegen  konnte  eine 
Besserung  nicht  constatirt  werden.  In  fünf  Fällen  trat  ein  Rückfall 
ein,  konnte  jedoch  in  zwei  Fällen  wieder  gebessert  werden.  Die 
geheilten  Fälle  waren  durchwegs  frische  Ablösungen,  während  die 
veralteten  und  totalen  der  Behandlung  trotzten.  Eine  Vergrösserung 
des  vorher  eingeschränkten  Gesichtsfeldes  wurde  in  17  Fällen,  eine 
Verbesserung  der  Sehschärfe  in  allen  ausser  zwei  Fällen  wahr¬ 
genommen. 

Wrenn  man  die  Unsicherheit  des  Erfolges  unserer  sämmtlichen 
Massnahmen  zur  Behandlung  der  Nelzhautablösung  in  Rücksicht 
zieht,  so  ermuthigen  jedenfalls  die  angeführten  Resultate  zur  Nach¬ 
ahmung,  umsomehr  als  diese  Injectionen  vollständig  ungefährlich 
und  nahezu  ganz  schmerzlos  sind.  Dr.  W  i  n  t  e  r  s  t  e  i  n  e  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

403.  Nach  einem  Berichte  von  Dr.  Helbing  im  »Verein 
für  innere  Medicin  in  Berlin«  soll  die  Ursache  der  Säure¬ 
festigkeil  derTuberkelbacillen  und  des  eigenthümlichen 
Verhaltens  gegenüber  gewissen  Farbstoffen  nicht  von  einer  Fett¬ 
hülle,  sondern  von  einer  chitinähnlichen  Substanz  abhängen. 

Pi. 

* 

404.  Ueber  den  Werth  des  Schlafmittels  Dor- 
miol.  Von  Dr.  Paul  Pollitz,  Brieg  in  Schlesien.  Pollitz  hat 
in  circa  40  Fällen  Dormiol  in  der  Dosis  von  2  g  gegeben  und 
zwar  erfolglos  bei  Erregungszuständen  der  Paralyse,  mit  wechseln¬ 
dem  Erfolge  bei  Erregung  auf  dementer  Basis  und  bei  psycho¬ 
motorischer  Erregung  periodischer  Psychosen,  mit  gutem  Erfolge 
dort,  wo  Erregung  und  Schlaflosigkeit  in  erster  Linie  auf  Halluci- 
nationen  ängstlichen  Inhaltes  zurückzuführen  waren.  Bemerkenswerth 
ist,  dass  das  Dormiol  neben  sicherlich-  nicht  schlechter  wirkenden 
Mitteln  noch  verbal tnissmässig  kostspielig  ist.  —  (Zeitschrift  für 
Psychiatrie.  Bd.  LVR,  Heft  5.) 

* 

405.  Katatonische  K  rankheitsbilder  nachKopf- 

verletzung  en.  Von  Dr.  L.  v.  M  u  r  a  1 1  in  Burghölzli.  M  u  r  a  1 1 
theilt  fünf  Fälle  mit,  in  welchen  im  Anschluss  an  Schädeltraumen 
reine  Katatonien  sich  entwickelten.  Die  Fälle  Mur  a  It’s  weisen 
in  ihrer  Mehrzahl  darauf  hin,  dass  bei  den  Kranken  ohnehin  Vor¬ 
bedingungen  zum  Ausbruche  von  Spannungsirresein  vorhanden 
waren.  Bezüglich  der  Prognose  weichen  die  Fälle  traumatischer 
Katatonie  von  denen  der  übrigen  Katatonien  nicht  ab.  — *  (Zeit¬ 
schrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LV1I,  Heft  4.)  S. 

* 

406.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  zu  Parma.)  Zur  Lage 
der  acut  entstandenen  Ergüsse  im  Herzbeutel. 
Von  Dr.  A porti  und  Dr.  Figaro  1  i.  Durch  Injectionen  von  Agar¬ 
lösungen  in  die  Pericardhöhle  von  Leichen,  die  sich  in  horizontaler 
oder  wagrechter  Stellung  befanden,  wurde  festgestellt,  dass*  die 
grösste  Menge  von  Flüssigkeit,  die  sich  in  einem  Herzbeutel  an¬ 
sammeln  könne,  650 — 700  c?n3  betrage,  dass  erst  150 — 200  cmi 
percutorisch  nachweisbar  sind,  dass  die  Verbreiterung  der  Herz- 
dämpfung  bei  aufrechter  Stellung  mehr  in  der  Gegend  des  Spitzen- 
stosses  und  des  Herz-Leberwinkels,  bei  horizontaler  Lage  mehr 
gleichmässig  nach  allen  Seiten  hin  erfolge.  Im  letzteren  Falle 
werden  die  grossen  Gefässe  schon  durch  geringe  Exsudatmengen 
umspült.  (Centralblatt  für  innere  Medicin.  1900,  Nr.  29.)  Pi. 

* 

407.  Dr.  Thornburn  hatte  in  einem  Falle  von  Quetschung, 
beziehungsweise  Zerreissung  des  Plexus  brach  i  a  1  i  s  bei 
einem  16jährigen  Mädchen  7  '/2  Monate  nach  der  Verletzung  die 
Ausschneidung  des  Narbengewebes  und  die  Nervennaht  ausgeführt. 
Die  ersten  vier  Monate  darauf  zeigte  sich  nichts  von  einer 
Besserung;  dieselbe  wurde  jedoch  später  in  ganz  erheblichem 
Masse  nachgewiesen.  —  (Brit.  med.  Journ.  1900,  5.  Mai.)  Pi. 

* 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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408.  Drei  Conträrsexuale  vor  Gericht.  Mitgetheilt 

von  R.  v.  Krafft-Ebing.  In  allen  drei  Fällen  handelt  es  sich 
um  Unzuchtsdelicte.  Im  ersten  Falle  liegt  angeborene,  im  zweiten 
und  dritten  Falle  erworbene  conträre  Sexualempfindung  vor.  Der 
dritte  Fall  bietet  insoferne  ein  besonderes  Interesse,  als  der  Patient, 
ein  Neurastheniker,  um  den  gerichtlichen  Folgen  seines  conträr- 
sexuellen  Handelns  zu  entgehen,  wiederholt  erfolgreich  eine  schwere 
organische  Psychose  simulirte.  In  jedem  der  drei  Fälle  erfolgte  die 
gerichtliche  Entscheidung  auf  Grund  eines  Gutachtens  der  Wiener 
medicinischen  Facultät.  (Jahrbücher  für  Psychologie  und  Neuro¬ 
logie.  Bd.  XIX,  Heft  2.)  S. 

* 

409.  Die  stetige  Zunahme  der  Krebserkran¬ 
kungen  in  denletzten  Jahren.  Von  Dr.  M  a  e  d  e  r  (Breslau). 
Gleichwie  bereits  für  andere  Länder  der  Nachweis  der  vermehrten 
Krebssterblichkeit  versucht  worden  ist,  führt  M  a  e  d  e  r  denselben 
Nachweis  für  Preussen,  Sachsen  und  Baden;  und  zwar  fand  er  die 
Krebssterblichkeit  grösser  unter  den  Bewohnern  der  Städte,  als 
unter  jenen  des  Landes,  grösser  unter  Frauen  als  unter  Männern, 
sowie  gewisse  Gegenden  mehr  davon  heimgesucht  als  andere.  — 
(Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infectionskranhheiten.  Bd.  XXXII,  Heft  2.) 

Pi. 

* 

410.  Ueber  quantitative  und  qualitative  Ver¬ 

änderungen  geistiger  Vorgänge  im  hohen  Greise  ri¬ 
al  ter.  Von  Dr.  Paul  Ranschburg  und  Dr.  Emerich 
Bai  int.  Der  vorliegenden  Arbeit  liegen  experimentelle  Unter¬ 
suchungen  über  den  zeittlichen  Verlauf,  sowie  über  gewisse  quali¬ 
tative  Veränderungen  geistiger  Vorgänge  bei  zwölf  männlichen, 
durchschnittlich  72jährigen,  geistig  und  körperlich  gesunden  Greisen 
zu  Grunde.  Alle  Arten  der  untersuchten  Reactionen  zeigten  sich 
bei  den  Greisen  in  ihrer  Zeitdauer  im  Vergleiche  mit  den  an 
jungen  Individuen  gefundenen  Zeitwerthen  bedeutend  verlängert. 
Bei  der  Berechnung  der  reinen  (psychologischen)  Zeitdauer  der 
untersuchten  geistigen  Vorgänge  zeigte  sich  die  Minderwertigkeit 
der  Functionen  noch  deutlicher.  Die  Qualität  der  Ideenassociationen 
der  Greise  zeigte  eine  Verminderung  der  Elasticität  und  Verödung 
in  der  Mannigfaltigkeit  der  Vorstellungsthätigkeit.  —  (Zeitschrift 
für  Psychiatrie.  Bd.  LVIT,  Heft  5.)  S. 

* 

411.  (Aus  Prof.  C  h  i  a  r  i's  pathologisch-anatomischem  Institut 

in  Prag.)  Meningitis  suppurativa,  bedingt  durch 
»Bacterium  lactis  aero  genes  (Escherich)«.  Von 
Dr.  Scheib.  Das  genannte  Bacterium  wurde  zuerst  von  Escherich 
als  normaler  Bewohner  des  oberen  Darmcanales  bei  Menschen  und 
Thieren  beschrieben,  die  mit  Milch  genährt  worden  waren.  Diese 
Bacterien  sind  in  Folge  der  durch  sie  bedingten  starken  Gährung 
eine  häufige  Ursache  von  Störungen  im  Bereiche  des  Darmes, 
wurden  aber  auch  mitunter  als  Erreger  einer  Cystitis  erkannt. 
Neuerdings  wurden  sie  im  Eiter  hei  einem  acht  Tage  alten,  mit 
Otitis  media  suppurativa  bilateralis  und  Meningitis  suppurativa 
verstorbenen  Mädchen  gefunden.  —  (Prager  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  25.)  Pi. 

* 

412.  Die  Aetiologie  und  die  Behandlung  der 

Puerperalpsychosen.  Vorläufige  Mittheilung  von  Dr.  Luigi 
Mongeri,  Irrenarzt  am  königlich  italienischen  Krankenhause  zu 
Gonstantinopel.  Die  Frage  nach  den  Ursachen  der  Puerperalpsychosen 
ist  eine  viel  umstrittene.  Mongeri  hat  in  einem  Falle  von  Puer¬ 
peralpsychose  durch  Einspritzungen  von  Antistreptococcenserum 
rapiden  Fieberabfall  und  rasches  Zurücktreten  der  psychischen  Er¬ 
scheinungen  erzielt.  Er  leitet  deswegen  die  Puerperalpsychose  von 
einer  Infection  her.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft 
2  und  3.)  S. 

* 

413.  Geschwür  amBodenderNasenhöhle  durch 
periostitisch  erkrankten  Zahn  her  vor  gerufen.  Von 
Dr.  Brubacher  (München).  Das  durch  zwei  Jahre  bestandene 
Geschwür  heilte  nach  Extraction  des  periostitisch  erkrankten  ersten 
Schneidezahnes,  dessen  Wurzel  sehr  lang  war.  Eine  Sonde  konnte 
nachher  durch  die  Alveole  in  die  Nasenhöhle  geführt  werden.  — 
(Deutsche  Monatsschrift  für  Zahnheilkunde.  1900,  Heft  4.)  Pi. 

* 


414.  Ueber  Störungen  der  cut  an  en  Sensibilität 
bei  Morbus  Parkinson i.  Von  Dr.  J.  P.  Karplus,  Assistent 
an  der  Klinik  des  Hofrathes  v.  Krafft-Ebing  in  Wien. 
Karplus  publicirt  eine  Reihe  von  Fällen  von  Paralysis  agitans 
mit  Störungen  der  cutanen  Sensibilität.  Diese  Störungen  sind  nicht 
auf  eine  zufällige  Complication  (Tabes,  Hysterie)  zurückzuführen, 
sondern  sie  gehören  zum  Krankheitsbilde  der  Paralysis  agitans. 
Niemals  fand  sich  die  Sensibilitätsstörung  an  einer  von  motorischen 
Störungen  freien  Extremität.  Die  Sensibilitätsstörungen  bei  Paralysis 
agitans  sind  inconstant  und  vieldeutig,  die  motorischen  Symptome 
bleiben  immer  die  charakteristischen  und  das  Krankheilsbild  be¬ 
herrschenden.  Aber  die  Sensibilitätsstörungen  gehören  in  den  Rahmen 
des  klinischen  Bildes  der  Paralysis  agitans,  und  die  Annahme, 
dass  letztere  eine  rein  motorische  Neurose  sei,  muss  zurückgewiesen 
werden.  (Jahrbücher  für  Psychologie  und  Neurologie.  Bd.  XIX, 

Heft  2.)  S. 

* 

415.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Ebstein  zu 

Göttingen.)  Ein  geheilter  Fall  von  Diabetes  mellitus. 
Von  Dr.  Zaudy.  Der  Patient  war  frei  von  Zucker  im  Urin,  welcher 
trotz  Genuss  von  Kohlehydraten  nicht  mehr  auftrat,  entlassen  worden. 
Bei  der  drei  Vierteljahre  später  erfolgten  neuerlichen  Vorstellung 
war  der  Urin,  trotzdem  keine  Diät  beobachtet  worden  war,  immer 
noch  zuckerfrei.  Eine  besondere  Aufmerksamkeit  verdient  in  diesem 
Falle  die  Wirkung  des  Salol.  Auf  4  g  pro  die  war  am  zweiten 
Tage  die  Zuckermenge  schon  bei  gleichzeitiger  Diät  auf  die  Hälfte 
gesunken  und  am  vierten  Tage  schon  polarisatorisch  gar  nicht  mehr 
messbar.  Noch  grösser  wurde  die  Wahrscheinlichkeit  der  Salol- 
wirkung  dadurch,  dass  an  den  zwei  nächsten  Tagen  ohne  Salol 
der  Zucker  wieder  in  gut  messbarer  Menge  auftrat.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  31.)  Pi. 

* 

416.  Beobachtungenüber  dieprogressivePara- 
1  y  s  e  während  der  letzten  vier  Jahrzehnte.  Von  Dr.  H. 
Behr,  Hildesheim.  Das  Material  Behr’s  umfasst  575  männliche 
Paralytiker  und  108  weibliche  paralytische  Kranke.  Nach  Ansicht 
Behr’s  hat  die  progressive  Paralyse  bei  den  Männern  im  Laufe 
der  letzten  vier  Jahrzehnte  an  sich  eine  andere  Form  angenommen. 
Die  agitirte  wie  die  typische  Form  der  Paralyse  hat  an  Zahl  ab¬ 
genommen,  die  demente  Form  zugenommen.  Erhebliche  Remissionen 
kommen  jetzt  etwas  häufiger  vor  als  früher,  die  Zahl  der  Anfälle 
hat  im  Allgemeinen  zugenommen.  Keine  Aenderung  ist  eingetreten 
in  Bezug  auf  das  Durchschnittsalter  der  Paralytiker  und  in  Bezug 
auf  die  mittlere  Dauer  der  Paralysen.  Eine  Aenderung  des  klinischen 
Bildes  der  progressiven  Paralyse  der  Frauen  Hess  sich  in  keiner 
Weise  constatiren.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII,  Heft  5.) 

S. 

* 

417.  (Aus  dem  Krankenhause  Bethanien  in  Berlin.)  Beob¬ 

achtungen  überDiabetes  insipidus.  Von  Dr.  R  e  b  e  n  s- 
b  u  r  g.  Für  die  grosse  Seltenheit  der  Erkrankung  spricht,  dass  von 
p877_189ß  unter  113.600  Patienten  der  Charite  nur  55  von  ihr 
betroffen  waren.  In  Bethanien  mit  rund  1400  internen  Kranken 
jährlich  war  in  den  letzten  acht  Jahren  gar  kein  Fall,  und  erst  im 
Laufe  des  vorigen  Jahres  waren  Fälle  von  Diabetes  insipidus  bei 
zwei  Patienten  im  Alter  von  15  und  20  Jahren  beobachtet  worden. 
In  dem  einem  dieser  ausführlich  besprochene  Fälle  waren  die 
Symptome  gewissermassen  acut  zum  Ausbruch  gekommen:  eines 
Tages  war  plötzliches  Durstgefühl  aufgetreten,  worauf  einige  Stunden 
später  die  Polyurie  begann.  Am  meisten  klagten  beide  Patienten 
über  den  Verlust  der  Schweisssecretion.  Therapeutisch  wurden  die 
verschiedensten  Medicamente,  aber  ohne  Erfolg  versucht.  —  (Berliner 
klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  32.)  Pi- 

"  * 

418.  Zur  Behandlung  des  Status  epilepticus. 
Von  Dr.  J.  P.  Naab,  Assistenzarzt  der  Anstalt  für  Epileptische, 
Bethel  bei  Bielefeld.  Naab  hat  in  Fällen  von  Status  epilepticus 
Amylenhydrat  per  os,  per  nares,  per  Klysma  und  subcutan,  re¬ 
spective  intramuscular  verabreicht.  In  allen  Fällen,  in  welchen 
möglichst  schnelle  Wirkung  erzielt  werden  soll,  ferner  bei  be¬ 
stehender  Obstipation  und  bei  Incontinenz  des  Rectums  empfiehlt 
Naab  die  intramusculäre  Injection,  sonst  das  Klysma.  Die  wirk¬ 
same  und  gefahrlose  Dosis  ist  für  die  Injection  3'0  O'O,  für  das 


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Klysma  5  0 — 7-0.  Während  des  Status  epilepticus  soll  jede  Erregung 
von  dem  Kranken  ferne  gehalten  werden.  Die  Ernährung  geschieht 
am  besten  durch  die  Nase  ohne  Schlundsonde.  Der  Kranke  liegt 
dabei  wagrecht,  die  Nasenspitze  wird  etwas  nach  oben  gedrückt 
und  die  Flüssigkeit  (Milch  mit  Ei)  kaffeelöffelweise  in  das  Nasenloch 
geschüttet.  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LV1I,  Heft  4.)  S. 

* 

419.  Ueber  die  Beziehungen  epileptischer  An¬ 

fälle  zur  Harnsäureausscheidung.  Von  Dr.  Caro 
(Posen).  Von  Krainski  wurde  constatirt,  dass  24  bis  48  Stunden 
vor  dem  epileptischen  Anfall  die  Harnsäure  im  Urin  vermindert 
werde,  und  zwar  so  regelmässig,  dass  er  bei  einem  bestimmten 
Tiefstände  der  Harnsäureausscheidung  einen  Anfall  Vorhersagen 
konnte.  Diese  Harnsäureverminderung  soll  die  Folge  einer  Gift¬ 
wirkung  sein,  welche  bei  einer  bestimmten  Intensität  die  Anfälle 
auslöst,  welch  letztere  wieder  das  Gift  zerstören  sollen,  und  zwar 
soll  es  sich  hiebei  um  carbaminsaures  Ammoniak,  beziehungs¬ 
weise  um  das  daraus  freiwerdend£  Ammoniak  handeln.  Caro  hat 
in  einem  Falle  dieses  Verhalten  der  Harnsäure  nachgeprüft  und  die 
Angabe  Krain  ski's  von  der  auffälligen  Verminderung  jener  vor 
einem  Anfalle  bestätigen  können.  —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  19.)  Pi. 

* 

420.  Die  Todesursachen  der  Geisteskranken. 
Von  Dr.  Georg  Heimann,  Berlin.  H  e  i  m  a  n  n  hat  die  tabella¬ 
rischen  Zusammenstellungen  des  königlich  preussischen  statistischen 
Bureaus,  welche  nach  den  auf  Zählkarten  eingehenden  Mittheilungen 
aus  den  Irrenanstalten  des  preussischen  Staates  bearbeitet  werden, 
als  Material  verwendet.  In  diesen  Anstalten  sind  während  der  Jahre 
1876 — 1897  63.664  Geisteskranke  gestorben.  Nur  ein  Viertel 
davon  ist  der  Geistesstörung  als  solcher  oder  einem  Gehirnleiden 
erlegen.  Drei  Viertel  starben  an  anderweitigen  körperlichen  Erkran¬ 
kungen,  von  diesen  über  ein  Fünftel  an  Schwindsucht  und  ein 
weiteres  Fünftel  an  Lungenentzündung  und  anderen  Lungenkrank¬ 
heiten.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LV1T,  Heft  4.)  S. 

* 

421.  Von  Prof.  Wright  liegt  jetzt  ein  Bericht  über  das 

Ergebniss  der  prophylaktisch  gegen  Typhus  aus¬ 
geführten  Impfungen  vor,  die  an  der  Garnison  von  Lady¬ 
smith  vorgenommen  worden  waren.  Von  10.529  dem  Officiers- 
und  Mannschaftsstande  angehörigen  Nichtgeimpften  waren 
1489  erkrankt,  329  gestorben;  von  den  1705  geimpften  Per¬ 
sonen  waren  35  erkrankt,  8  gestorben.  Nach  dem  Gesagten  ist  ein 
günstiger  Einfluss  der  Immunisirung  nicht  zu  verkennen,  doch  kann 
man  über  den  Werth  des  Eingriffes  noch  kein  definitives  Urtheil 
fällen.  —  (Lancet,  14.  Juli  1900.)  Pi. 

* 

422.  Eine  experimentelle  Studie  über  die 

Association  in  einem  Falle  von  Idiotie.  Von  Dr.  med. 
et  phil.  Arthur  Wreschner,  Docent  für  Philosophie  in  Zürich. 
Der  Fall,  den  Wreschner  zu  seinem  Versuche,  experimentell 
den  Einfluss  der  Idiotie  auf  die  Association  zu  bestimmen,  wählte, 
bot  ein  ausgeprägtes  Krankheitsbild.  Die  Associationsdauer  wurde 
mit  einem  Metronom  bestimmt.  Als  Reizworte  dienten  die  von 
Sommer  zusammengestellten  Worte,  welche  in  systematischer 
Weise  fast  sämmtliche  Gebiete  des  psychischen  Lebens  umfassen. 
Bei  der  Verwertbung  des  Versuchsmateriales  handelte  es  sich  um 
die  Qualität  und  die  Dauer  der  Association,  ferner  um  den  Einfluss 
der  Wiederholung  desselben  Reizwortes  auf  die  Reaction  und  um 
den  Einfluss  der  Uebung,  die  sich  im  Laufe  der  Versuche  einstellte. 
Bezüglich  der  Resultate  der  Versuche  Wreschner’s  muss  auf 
das  Original  verwiesen  werden.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie. 
Bd.  LVII,  Heft  2  und  3.)  '  '  S. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Zucker  als  wehenverstärkendes  Mittel.  Von 
Dr.  Mad  lener  (Kempten).  Es  steht  bereits  fest,  dass  der  Zucker, 
da  er  ausserordentlich  rasch  resorbirt  wird,  bei  angestrengter  Muskel¬ 
arbeit  ein  sehr  gutes  Kraftzufuhrmittel  ist,  Verfasser  hat  ihn  in  sechs 
Fällen  von  Wehon«chwäche  fünfmal  mit  merkbarem  Erfolge  angewendet. 


Sechs  Stück  Würfelzucker  (=30#)  wurden  in  1/il  Wasser  oder  in 
Thee  aufgelöst  gegeben.  In  drei  Fällen  wurde  auch,  wie  schon  von 
anderer  Seite  angegeben  worden  ist,  trotz  Verstärkung  der  Wehen¬ 
wirkung  eine  Herabsetzung  des  Wehenschmerzes  beobachtet.  —  (Mün¬ 
chener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  34.) 

* 

Wie  seinerzeit  schon  von  T  i  1 1  e  1  von  der  Abtheilung  F  r  ü  h- 
w  a  1  d’s  in  Wien  das  Citrophen  gegen  Keuchhusten  em¬ 
pfohlen  wurde,  so  weiss  auch  Feucht  wagner  in  Frankfurt  a.  M. 
(Der  Kinderarzt.  August  1900)  gleich  Gutes  von  diesem  Mittel  zu  be¬ 
richten.  Die  Dosirung  war  bei  Säuglingen  01,  bei  ein-  bis  dreijährigen 
Kindern  015  —  03  und  bei  älteren  Kindern  0'4 — 05  dreimal 
täglich. 

* 

In  welchen  Krankheiten  haben  das  Tannoform 
und  seine  Präparate  einen  dauernden  Werth  er¬ 
worben?  Von  Dr.  Edelheit  (Sanok).  Verfasser  empfiehlt  das 
Mittel  als  10%iges  Tannoformstreupulver  bei  Hyperidrosis  (Schweiss- 
füssen)  und  den  daraus  entstehend  n  Dermatitiden ;  als  10°/tJges 
Tannoformvaselin  beim  artificiellen  Ekzem  der  Säuglinge,  bei  Intertrigo, 
bei  Ekzem  in  der  Analgegend  besonders  nach  nässenden  Hämorrhoidal¬ 
knoten,  bei  Schrunden  an  den  Mundwinkeln.  —  (Zeitschrift  für  prak¬ 
tische  Aerzte.  1900,  Nr.  23  ) 

* 

Die  therapeutische  Verwendung  des  Jodipins. 
Vou  Sessous  (Halle).  Das  Jodipin  kann  innerlich  —  am  besten 
hier  das  10°/oige  Präparat  —  und  äusserlich  (25%)  verwendet  werden. 
Verfasser  kommt  nach  den  Erfahrungen  an  der  Klinik  Weber  in 
Halle  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  Jodipin  in  Fällen,  wo  andere  Jod¬ 
präparate  nicht  vertragen  oder  ohne  Nutzen  angewendet  werden,  ver¬ 
sucht  werden  muss.  Das  Jodipin  hat  sich  als  specifisches  Luesmittel 
ebenso  wie  Jodkali  bewährt;  vor  diesem  hat  es  den  Vorzug,  weniger 
Widerwillen  zu  erregen,  weniger  Intoxicationserscheinungen  zu  verur¬ 
sachen  und  schliesslich,  dass  es  auch  subcutan  angewendet  werden 
kann.  —  (Inaugural- Dissertation.  1900.) 

* 

Ueber  einige  neuere  Arzneimittel  in  der  Gynä¬ 
kologie.  Von  Prof.  Walther  (Giessen).  Verfasser  empfiehlt  das 
S  t  y  p  t  i  c  i  n  bei  Uterusblutungen,  wenn  dieselben  nicht  durch  gröbere 
anatomische  Veränderungen  des  Organes  bedingt  sind  ;  demnach  bei 
zu  reichlichen  menstruellen  Blutungen,  bei  blutigen  Ausflüssen  zwischen 
den  Menses,  in  Folge  Adnexerkrankungen,  in  den  Wechseljahren.  Die 
Darreichung  bei  zu  profuser  Menstruation  war  z.  B.  folgende:  Ein  bis 
zwei  Tage  vor  den  Menses  eine  Tablette  (ä  0-05)  täglich,  dann 
am  ersten  Tage  zwei  bis  vier,  am  zweiten  vier  bis  sechs,  am  dritten 
vier,  dann  wieder  absteigend,  so  dass  während  jeder  starken  Periode 
12 — 14  Tabletten  verbraucht  wurden.  Bei  schmerzhafter  Periode  soll 
das  Dion  in  in  Form  von  Mastdarmsuppositorien  (Dionin  0’04,  Ol. 
cacao  2  0)  eine  besonders  gute  Wirksamkeit  in  vielen  Fällen  entfalten. 

—  (Zeitschrift  für  jiraktische  Aerzte.  1900,  Nr.  7,  8.) 

* 

Ueber  die  Behandlung  des  Diabetes  insipidus 
mit  Amylenhydrat.  Von  Dr.  W.  Ni  essen  (Bad  Neuenahr). 
Verfasser  hatte  Gelegenheit,  drei  Fälle  von  Diabetes  insipidus  zu  be¬ 
obachten,  bei  denen  die  tägliche  Verabreichung  von  10  Amylenhydrat 
durch  drei  bis  sechs  Tage  eine  bedeutende  Besserung  aller  Symptome 
zur  Folge  hatte,  die  in  einem  Falle  bereits  2  '/a  Jahre  angehalten  hat. 

—  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  8.) 

* 

(Aus  der  medicinischen  Abtheilung  des  allgemeinen  Kranken¬ 
hauses  in  Hamburg-Eppendorf.)  Ueber  den  zweifelhaften 
W  er  t  h  des  Antitussins  als  Mittel  gegen  Keuch¬ 
husten.  Von  Dr.  Krause.  Das  mehrfach  empfohlene  Antitussin 
stellt  eine  5°/0ige  Difluorphenykalbe  dar,  die  bei  Keuchhusten  auf 
Hals,  Brust  und  Rücken  eingerieben  wird.  Kraus  hat  es  in  15  Fällen 
angewendet  und  dabei  die  Erfahrung  gemacht,  dass  das  Antitussin  als 
Keuchhustenmittel  keinen  grösseren  AVerth  hat,  als  andere  Mittel,  dass 
die  Narcotica  mehr  leisten,  dass  von  einer  schleimlösenden,  krampf¬ 
mildernden  Wirkung  nichts  zu  merken  gewesen  sei,  ja  dass  bei  längerer 
Anwendung  dadurch  schwer  heilende  Hautgeschwüre  entstehen  können. 

—  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  34.) 

* 

Die  Behandlung  der  Ischias  mit  Salzsäure.  Von 
Dr.  Eljasz-Radzikowski.  Die  eigentliche  Behandlung,  welche 
sich  vielfach  als  sehr  vortheilhaft  erwiesen,  besteht  in  Folgendem: 
Man  markirt  sich  die  Schmerzpunkte  im  Verlaufe  des  Nervt n  und  be¬ 
pinselt  diese  Stellen  mit  reiner  concentrirter  Salzsäure;  dabei  röthet 
sich  die  Haut,  mitunter  bilden  sich  kleine  Bläschen,  die  bei  der  Wieder¬ 
holung  der  Pinselung  zu  vermeiden  sind,  ebenso  wie  die  graugrün- 


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lichen  Hautnekrosen,  die  sich  im  Verlaufe  der  Behandlung  manchmal 
bilden.  Im  Allgemeinen  kann  die  Bepinselung  jeden  zweiten  oder 
dritten  Tag  wiederholt  werden,  wenn  die  Hautreaction  vorübergegangen 
ist.  Auf  diese  Weise  wurden  an  der  medicinischen  Klinik  zu  Lemberg 
zwölf  Falle  rheumatischer  Ischias  behandelt,  die  in  7 — 25  Tagen 
geheilt  werden  konnten.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  8.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  De  B  o  e  c  k  zum  a.  o.  Professor  der 
Psychiatrie  in  Brüssel. 

* 

Verliehen:  Dem  Hofrathe  Dr.  Ernst  Fuchs  in  Wien 
der  königlich  serbische  St.  Sava-Orden  II.  Classe.  —  Dem  praktischen 
Arzte  M  o  r  i  z  Pol  ac  sek  in  Wien  der  Stern  zum  Commandeurkreuze 
des  päpstlichen  St.  Gregor-Ordens  und  dem  praktischen  Arzte  Doctor 
Claudius  Schmid  in  Wien  das  Ritterkreuz  desselben  Ordens.  — 
Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Julius  Cerveny  in  Budweis  das  Ritter¬ 
kreuz  des  Ordens  vom  heiligen  Grabe.  —  Dem  Oberstabsarzte  Dr. 
Ignaz  Kaiser  der  Generalstabsarztes-Charakter  ad  honores.  —  Den 
Oberstabsärzten  Dr.  Franz  Hlawaöek  und  Dr.  Alfred  Ha- 
w  r  a  n  e  k  wurde  der  Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekannt¬ 
gegeben. 

* 

Die  Feier  zu  Ehren  des  25jährigen  Professor  en-Jubiläums 
der  Herrn  Hofrathes  Prof.  Dr.  Kaposi  findet  am  23.  October  a.  c. 
um  9  Uhr  Vormittags  im  Hörsaale  der  dermatologischen  Universitäts¬ 
klinik  im  Allgemeinen  Krankenhause  statt. 

* 

In  der  am  8.  October  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  nieder¬ 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  wurden  fol¬ 
gende  Referate  erstattet:  1.  Gutachten,  betreffend  die  Herstellung  einer 
für  die  Vornahme  bacteriologischer  Untersuchungen  bestimmten  Barake 
in  einer  k.  k.  Krankenanstalt  zu  Wien.  2.  Aeusserung  über  ein  An¬ 
suchen  um  Errichtung  einer  neuen  öffentlichen  Apotheke  in  einer  Ge¬ 
meinde  Niederösterreichs.  3.  Gutächtliche  Aeusserung  über  die  Zu¬ 
lassung  von  Erleichterungen  im  Verkehre  mit  Celluloidwaaren. 
4.  Begutachtung  des  Statutes,  der  Hausordnung  und  der  Instruction 
einer  privaten  Krankenanstalt  in  Wien.  5.  Aeusserung  über  ein  An¬ 
suchen  um  Bewilligung  zum  Bezüge  von  Saccharin  zur  Herstellung 
von  Obstconserven  für  Zuckerkranke. 

* 

Kundmachung  der  k.  k.  niederösterreicbischen  Statthalterei 
in  Wien  vom  8.  October  1900,  Z.  86.068  ex  1900,  betreffend  die 
Ausschreibung  der  Wahl  für  die  Wiener  Aerztekammer. 
Nachdem  das  Reclamationsverfahren  bezüglich  der  Zusammenstellung 
der  Wählerlisten  für  die  Neuwahl  in  die  Wiener  Aerztekammer  und 
somit  die  Vorbereitungen  für  die  Constituirung  der  bezeichneten 
Kammer  beendet  sind,  wird  hiemit  §  7  des  Gesetzes  vom  22.  De¬ 
cember  1891,  R.  G.  Bl.  Nr.  6  ex  1892,  betreffend  die  Errichtung  von 
Aerztekammern  und  gemäss  der  Bestimmungen  der  Durchführungs¬ 
verordnung  vom  30.  November  1893,  L.  G.  und  V.  Bl.  Nr.  61,  die 
Neuwahl  der  29  Kammermitglieder  und  ebenso  vieler  Stellvertreter 
ausgeschrieben  und  als  Wahltag  Dienstag  der  30.  October 
1900  festgesetzt.  Laut  der  vorerwähnten  Durchführungsverordnung 
sind  die  von  den  Wählern  deutlich,  jeden  Zweifel  ausschlieesend,  aus¬ 
gefertigten  und  mit  der  eigenhändigen  Namensunterschrift  versehenen 
Stimmzettel  am  Wahltage  bei  dem  Wiener  Magistrate  entweder  per¬ 
sönlich  zu  übergeben  oder  versiegelt  durch  die  k.  k.  Post  dahin  zu 
übersenden.  Die  Stimmzettel  werden  den  Wahlberechtigten  durch  den 
Wiener  Magistrat  spätestens  bis  22.  October  1900  mit  den  er¬ 
forderlichen  Informationen  über  die  Ausfüllung 
und  Einsendung  zugestellt  werden.  Sollte  deren  Zustellung  bis 
zum  obbezeichneten  Termine  nicht  erfolgt  oder  sollten  zugestellte 
Stimmzettel  in  Verstoss  gerathen  oder  unbrauchbar  geworden  sein,  so 
haben  sich  die  Wahlberechtigten  wegen  Erlangung  von  Stimmzetteln, 
beziehungsweise  von  Duplicaten  derselben  rechtzeitig  an  den  Wiener 
Magistrat  zu  wenden.  Die  Benützung  anderer  als  amtlicher  Stimmzettel 
ist  unzulässig. 

* 

Der  Verband  der  Aerzte  Wiens  hat  folgende  Candidate  n- 
liste  für  die  Aerztekammerwahlen  aufgestellt:  Wirkliche  Mitglieder: 
Adler  Heinrich,  Böhm  August,  Finger  Ernst,  Ger- 
suny  Robert,  GlattauerBerthold,  Gruss  Adolf,  Heim 
Josef,  Herz  Max,  Ja  risch  Karl  sen.,  Jellinek  Heinrich, 
Kienast  Victor,  Klein  Adolf,  Kohn  Karl,  Kornfeld 
Josef,  Ivosel  Heinrich,  Nussbaum  Julius,  Obhlidal 
Moriz,  Pupini  Horaz,  Schauta  Friedrich,  Schmarda 
Alfred,  Scholz  Josef,  Schum  Hans,  Steiner  Ferdinand, 
Stransky  Max,  Stricker  Ludwig;  Svetlin  Wilhelm, 


Uhlik  Alexius,  Weiss  Ignaz,  Wörz  Johann.  Stell¬ 
vertreter  :  GleichAIfred,  I  r  1 1  Adolf,  L  u  i  t  h  1  e  n  Friedrich, 
Krips  Josef,  Breuer  Moriz,  Ger  stinger  Friedrich, 
Hrubesch  Franz,  Müller  Karl,  Wiesinger  Edmund, 
K  offend  Josef,  Bich  ler  Hans,  Tennenbaum  Sigmund, 
Ehrenhaft  Leopold,  Schnabl  Isidor,  Kanitz  Norbert, 
Küchle  r  Eduard,  For  sehne  r  Wilhelm,  Back  Richard, 
Ullmann  Emericb,  Wiesenthal  Alfred,  Frey  Ludwig, 
Rimböck  Karl,  W  eiss  Heinrich,  Gro  sz  Samuel,  Lauter¬ 
stein  Simeon,  Reznicek  Franz,  Groissinger  Johann, 
Trost  Jakob,  Kofend  Adolf. 

* 

Mittheilung  über  die  Centralausschusssitzung  der 
Organisation  der  Wiener  Aerzte  vom  6.  October  1900. 
1.  Nach  dem  vom  Wahlcomite  erstatteten  Vorschläge  wird  die  Candi- 
datenliste  für  die  Kammer  wähl  endgütig  festgesetzt.  2.  Das  Prä¬ 
sidium  wird  beauftragt,  an  massgebender  Stelle  die  ehebaldigste  Aus¬ 
schreibung  der  Kammer  wählen  betreiben  zu  wollen.  3.  Der 
von  Dr.  Klein  erstattete  Cassabe  rieht  wird  zur  Kenntniss  ge¬ 
nommen.  Die  Vereine,  welche  mit  ihren  Beiträgen  (1  K 
pro  Mitglied)  im  Rückstände  sind,  werden  ersucht,  die¬ 
selben  schleunigst  zu  entrichten.  Als  Revisoren  wurden 
die  Herren  Dr.  F  o  g  e  s  (IX.  Bezirk)  und  Dr.  Ger  stinger  (V.  Bezirk) 
gewählt.  4.  Nach  einem  von  Dr.  Steiner  erstatteten  Referate  über 
die  von  Seiten  des  Verbandes  mit  den  Lebens-  und  Unfall- 
Versicherungsgesellschaften  zu  treffenden  Vereinbarungen 
wurden  einige  von  den  Gesellschaften  gemachte  Vorschläge  an¬ 
genommen,  bezüglich  anderer  aber  der  Referent  beauftragt,  sich 
neuerlich  mit  den  Gesellschaften  ins  Einvernehmen  zu  setzen.  5.  Eine 
Zuschrift  der  Pittener  Aerzte,  welche  die  Intervention  des  Ver¬ 
bandes  in  einer  Differenz  mit  der  dortigen  Betriebskrankencasse  er¬ 
bittet,  wurde  dahin  erledigt,  dass  der  Centralausschuss  die  Collegen, 
welche  sich  um  die  von  der  Casse  in  den  politischen  Journalen  aus¬ 
geschriebene  Cassenarztesstelle  bewerben  wollen,  vor  einer  übereilten 
Annahme  dieser  Stelle  warnt  und  sie  aufmerksam  macht,  sich  vorher 
an  die  niederösterreichische  Kammer  zu  wenden.  6.  Das  Präsidium 
wird  beauftragt,  dahin  zu  wirken,  dass  die  Statthalterei  bei  der  pro- 
jectirten  Enquöte  über  die  Privatkrankenvereine  einen  Ver¬ 
treter  des  Verbandes  zuziehe. 

* 

Communique  über  die  Central-Ausschusssitzung  des  „Ver¬ 
bandes  der  Aerzte  Wiens“  vom  13.  d.  M.  1.  Der  „Verband  der 
Aerzte  Wiens“  hat  mit  Bedauern  Kenntniss  erlangt,  dass  ein 
Wiener  Arzt  unter  Bruch  seines  Ehrenwortes  eine  Stelle  als 
Arzt  bei  einer  Meisterkrankencasse  angenommen  hat.  Der  Präsident 
wird  beauftragt,  den  Betreffenden  zu  beeinflussen,  die  Stelle  nieder¬ 
zulegen.  Gleichzeitig  wird  beschlossen,  die  Collegen  zu  erinnern,  dass 
an  dem  alten  Standpunkte  bezüglich  der  Nichtannahme  irgend  einer 
ärztlichen  Stelle  bei  den  Meistercassen  festgehalten  wird.  2  Es  wird 
beschlossen,  innerhalb  der  nächsten  14  Tage  eine  Sitzung  abzuhalten, 
in  welcher  ausschliesslieh  die  Frage  der  Meistercassen  besprochen 
wird.  Ein  Comite  wird  beauftragt,  über  diese  Angelegenheit  zureferiren. 
3.  Das  Anerbieten  des  „O  österreichischen  Aerzte- 
kammer-Blattes“,  dem  Centralausschusse  eine  Anzahl  von 
Exemplaren  zur  Verfügung  zu  stellen,  wird  mit  Befriedigung  ange¬ 
nommen.  (Es  wird  beschlossen,  der  Redaction  regelmässig  Berichte 
über  die  Sitzungen  zugehen  zu  lassen.)  4.  Infolge  einer  Anregung 
seitens  der  mährischen  Kammer  wird  beschlossen,  die  Wiener  Collegen 
durch  die  ärztlichen  Vereine  auf  die  Wichtigkeit  der  bevor¬ 
stehenden  Reichsrathswahlen  aufmerksam  zu  machen  und 
sie  aufzufordern,  für  die  Wahl  von  Candidaten  aus  dem  Aerztestande 
oder  wenigstens  von  solchen  Candidaten,  welche  den  ärztlichen  An¬ 
gelegenheiten  Interesse  und  Verständniss  entgegenbringen,  mit  allem 
Eifer  eiuzutreten.  5.  Der  Präsident  referirt  über  den  gegenwärtigen 
Stand  der  Organisation.  In  Wien  bestehen  17  socialärztliche 
Vereine,  welche  zusammen  1726  Mitglieder  zählen.  —  Die  ärztlichen 
Vereine  werden  ersucht,  die  noch  ausserhalb  der  Vereine  stehenden 
Aerzte  zum  Eintritte  in  dieselben  mit  allem  Nachdrucke  zu  veranlassen. 
6.  Behufs  Activirung  des  Organisationsfonds  wird  ein  sechs- 
gliederiges  Comite  gewählt. 

* 

Der  „Verband  der  Aerzte  Wiens“  ersucht  uns,  mitzutheilen, 
„dass  in  seiner  letzten  Sitzung  vom  13.  d.  M.  neuerdings  ausdrücklich 
erklärt  wurde,  dass  die  Annahme  von  irgendwelchen  Stellen 
bei  den  Meistercassen,  auch  etwa  einer  solchen  als  Control¬ 
arzt  nach  wie  vor  standesunwürdig  sei  und  einen  Verrath  an  der  ge¬ 
summten  Aerzteschaft  involvire“. 

* 

Warnung.  Die  Betriebskrankencasse  in  Pitten  hat  wegen 
Houorardifferenzen  mit  ihren  dermaligen  Aerzten  durch  ein  Inserat  in 


982 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


den  politischen  Blättern  die  Stelle  eines  Casseuarztes  ausgeschrieben 
und  dabei  das  Honorar  noch  niedriger  gestellt,  als  die  von  den  jetzigen 
Aerzten  bezogene  Summe  ausmacht.  Nachdem  in  P  i  1 1  e  n  —  einem 
Orte  mit  nur  3000  Einwohnern  —  bereits  drei  Aerzte  sesshaft  sind, 
sieht  sich  der  „Verband  der  Aerzte  Wiens“  veranlasst,  jene  Collegen, 
welche  sich  etwa  um  diese  Stelle  bewerben  wollten,  zu  warnen,  sich 
auf  eine  Annahme  dieser  Stelle  einzulassen,  ohne  vorher  bei  der 
niederösterreichischen  Aerztekammer  angefragt  zu  haben. 

* 

Feier  in  der  Witwensocietät  des  Wiener  medi- 
cinischen  Doctorencolegiums.  Im  Sitzungssaale  der 
Societät  fand  am  11.  October  d.  J.,  Abends  G  Uhr,  die  Enthüllung 
des  von  Andreas  Groll  trefflich  ausgeführten  Bildnisses  des  ver¬ 
dienten  Präses,  Regierungsrath  Dr.  Spitzmüller,  statt.  Nach  einer 
Ansprache  des  Ilofrathes  Prof.  Dr.  v.  Re  der  beleuchtete  der  Vice- 
präsident,  Prof.  Dr.  Bergmeister,  die  vielfachen  Verdienste,  die 
sich  der  Gefeierte  um  die  Societät,  insbesondere  um  das  Zustande¬ 
kommen  des  Societätshauses,  des  Van  Swietenhofes  in  der  Rothen¬ 
thurmstrasse,  erworben  und  dankte  ihm  im  Namen  der  Societäts- 
mitglieder  für  diese  seine  Thätigkeit.  Nach  kurzen  Dankesworten  des 
Gefeierten  schloss  die  intime  Feier. 

* 

Der  Collegentag,  der  im  Jahre  1874  an  der  Wiener 
medicinischen  Fakultät  absolvirten  Mediciner  (1869  — 1874)  findet  am 
20.  und  21.  October  1.  J.  statt.  Bisher  haben  sich  circa  GO  Theil- 
nehmer  gemeldet.  Begrüssung  am  Samstag,  den  20.  October,  Abends 
8  Uhr,  im  Restauraut  Riedhof. 

* 

Durch  den  Verlag  der  Hof-  und  Verlagsbuchhandlung  Karl 
Fromme  in  Wien  ist  eben  der  „Oesterreichische 
Medicinalkal  ende  r“  mit  Recepttasehenbuch,  herausgegeben  von 
Dr.  Fritz  Langer,  für  1901  zur  Ausgabe  gekommen. 

* 

Lohnstei  n’s  „M  edicinalkalender“  und  „Recept- 
Taschenbueh“  für  1901,  ist  in  bekannter  Form  und  Ausstattung  im 
Verlage  der  Allgemeinen  medicinischen  Centralzeitung  (Oskar  Coblentz) 
in  Berlin  erschienen. 

* 

Bei  D  e  u  t  i  c  k  e,  Wien,  ist  der  X.  Jahrgang  des  „T  h  e  r  a  p  e  u- 
ti  sehen  Jahrbuches“  von  Dr.  E.  Nitzeinadel  erschienen. 
Derselbe  umfasst  die  einschlägige  Literatur  des  Jahres  1899. 

* 

Die  beiden  auf  dem  diesjährigen  Naturforschertage  in  Aachen 
gehaltenen  Vorträge:  Her  twig:  „Die  Entwicklung  der  Biologie  im 
XIX.  Jahrhundert“  und  Naunyn:  „Die  Entwicklung  der  inneren 
Medicin  mit  Hygiene  und  Bacteriologie  im  XIX.  Jahrhundert“  sind  im 
Verlage  von  G.  Fischer,  Jena,  in  Heftform  erschienen. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  39.  Jahreswoche  (vom  23.  September 
bis 29.  September  1900). Lebend  geboren:  ehelich  649,  unehelich  287,  zusammen 
936.  Todt  geboren:  ehelich  30,  unehelich  22,  zusammen  52.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  533  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
16  7  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  86,  Blattern  0,  Masern  5, 
Scharlach  8,  Diphtherie  und  Croup  3,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  1,  Cholera  0,  Puerperalfieber  1,  Neu¬ 
bildungen  43.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (— ),  Varicellen 
14  ( — 3),  Masern  59  (-]-  12j,  Scharlach  44  (-|-  14),  Typhus  abdominalis 
23  (—  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  24  (-f-  5),  Croup  und 
Diphtherie  41  (-j-  12),  Pertussis  30  ( —  4),  Dysenterie  2  (— |—  2) ,  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  1  ( —  1),  Trachom  9  (-f-  5),  Influenza  0  (=). 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  4.  October  1900  (siehe 
Nr.  40, 1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

Nr.  3. 

Von  der  Itedaction  der  Wiener  klin.  Wochenschrift: 

Bachmann  M.,  Die  Veränderungen  an  den  inneren  Organen  bei  hochgradigen 
Skoliosen  und  llyposkoliosen.  Stuttgart  1899.  4°. 

Berlin  Ren6,  Observation  d’un  cas  rare  de  kyste  derraoide  du  mediastin. 

Pneumectomie  partielle.  Guerison.  Clermont  (Oise)  1900.  8°. 

Cutter  E.  and  J.  A.  Cutter,  On  galvanism;  food  primer;  food  Causation  of 
Cataract.  Diabetes  and  Locomotor  Ataxia.  Philadelphia  1900.  8°. 
(Extr.) 

D  Amato  Luigi  e  Villari  Pietro,  Sulle  presenza  dei  globuli  rossi  colorabili 
a  fresco  col  bleu  di  metilene,  nel  sangue  degl  individui  sani  e  ma- 
latti.  Firenze  1900.  8°.  (Estr.) 


Gluzinskiego  A.,  Zbior  Prac  z  Kliniki  Lekarskiiej  Uniwersytetu  Lwowskiego 
Krakow  1899—1900.  8°.  2  Vol. 

Hertoghe  E.,  L’hypothyro'fdie  benigne  chronique  ou  myxoedeme  fruste 
Paris  1899.  8». 

Källay  A.,  Ueber  Diabetes  mellitus.  Eine  neue  Eintbeilung  desselben.  Karls¬ 
bad  1899.  8°. 

Kijanizin,  Nouvelles  experiences  sur  l’influence  de  Pair  sterilise  sur  les  ani- 
maux.  Liege  1900.  8°.  (Extr.) 

Marc,  Wildungen  und  seine  Mineralquellen  mit  besonderer  Berücksichtigung 
ihres  Einflusses  auf  die  Erkrankungen  der  Harnorgane.  Bad  Wil¬ 
dlingen  1900.  8°. 

Runge  Max,  Das  Weib  in  seiner  geschlechtlichen  Eigenart.  Berlin 
1900.  8n. 

Schott,  Die  Heilfactoren  Bad  Nauheims.  Festschrift.  Wiesbaden  1900.  8°- 

Siegenbeek  van  Heukelom,  Recueil  de  Travaux  du  Laboratoire  Bo  er 
liaave  1888/98.  Leide  1899.  8°.  2  Vol. 

Traversa  G.,  Valore  della  globulimetria  ed  emocromometria  nella  diagnosi 
e  cura  della  sifilide.  Catania  1900.  8°.  (Estr.) 

Annaies  de  la  Societe  Beige  de  Chirurgie.  Bruxelles  1899.  Complet. 

American  Journal  of  the  medical  Sciences.  Philadelphia  1900.  I.  Complet. 

Archivio  di  Ortopedia.  Milano  1899.  8°.  Complet. 

Archivio  italiano  di  Otologia.  Torino  1900.  Vol.  IX. 

Bulletins  et  Memoires  de  la  Socicte  medicale  des  Höpitaux  de  Paris. 
Annees  1896 — 1899.  Complet. 

Die  ärztliche  Praxis.  Jahrgang  1898,  1899.  Complet. 

Der  achtundzwanzigste  schlesische  Bädertag.  Reinerz  1900.  8°. 

L'Annee  Chirurqicai.  Bruxelles  1900.  8°. 

La  Riforma  Medica.  Napoli  1900.  Vol.  I,  H.  Complet. 

Le  Scalpel.  Liege  1839  1900.  Complet. 

Wiener  zahnärztliche  Monatsschrift.  Wien  1899.  Complet. 

Gazzetta  degli  Ospedali  e  del le  Cliniche.  Milano  1900.  I.  Complet. 

Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und  Physiologie  in 
München.  XV.  1899.  München  1900.  8°. 

Wien,  im  October  1900.  Unger. 


Freie  Stelleii. 

Am  St.  Eiisabetli-Spitale  in  Wie  n,  in.,  kommt  die  Stelle  eines 
Secundararztes  der  gynäkologischen  Abtheilung  zur  Besetzung.  Be¬ 
werber  müssen  Doctoien  der  gesammten  Heilkunde  sein  und  einige  chirur¬ 
gische  Vorkenntnisse  besitzen.  Der  Secundararzt  der  genannten  Anstalt  ist 
zufolge  Hofkanzleidecretes  den  Secundarärzten  der  k.  k.  Krankenanstalten 
bei  Bewerbung  um  eine  Staatsanstellung  gleichgestellt,  und  bezieht  eine 
Remuneration  von  600  K  nebst  freier  Wohnung  und  Verpflegung.  Gesuche 
sind  zu  richten  bis  längstens  10.  November  1900  an  die  Leitung 
des  Spitales:  Wien,  III.,  Hauptstrasse  Nr.  4.  Dienstantritt  am  17.  No¬ 
vember  1900. 

D  i  s tr icts a r zt, ess teil  e  in  Neumarkt,  politischer  Bezirk  Tepl, 
Böhmen.  Dieser  District  besteht  aus  13  politischen  Gemeinden  mit  einer 
Bevölkerung  von  4516  Seelen  und  hat  eine  Fläche  von  82  km2.  Der  jähr¬ 
liche  Gehalt  ist  mit  800  K  und  das  Reisepauschale  mit  312  K  bemessen. 
Dem  Districtsarzte  obliegt  auch  die  Verpflichtung  der  unentgeltlichen  Be¬ 
handlung  der  Armen  des  Districtes.  Der  Dienstposten  ist  für  das  erste  Jahr 
ein  provisorischer,  nach  dessen  Verlauf  die  Bezirksvertretung  wegen  defi¬ 
nitiver  Verleihung  entscheiden  wird.  Da  dieser  D.enstposteu  mit  1.  November 
1900  anzutreten  ist,  so  haben  Bewerber  deutscher  Nationalität  ihre 
mit  den  im  §  5  des  Landesgesetzhlattes  vom  23.  Februar  1888  vorge- 
schriebenen  Belegen  versehenen  Gesuche  bis  18.  October  1900  bei  dem 
Bezirksausschüsse  in  Weseritz  einzubringen. 

Districtsarztesstelle  in  Rieg,  Krain.  Jahresgehalt  1600  K. 
Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  Gesuche  bis  zum  20.  October  1900 
an  den  krainerisclien  Landesausschuss  in  Laibach  einzusenden  und  in  den¬ 
selben  das  Alter,  die  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis,  die 
österreichische  Staatsbürgerschaft,  physische  Eignung,  moralische  Unbe¬ 
scholtenheit,  bisherige  Verwendung  und  Kenntniss  der  slovenischen  und 
deutschen  Sprache  nachzuweisen.  Beigefügt  wird,  dass  nur  solche  Bewerber 
berücksichtigt  werden,  welche  eine  zweijährige  Spitalspraxis  nachzuweisen  in 
der  Lage  sind. 

Gemeindearztesstelle  im  Sanitätsdistricte  Vöttau,  politischer 
Bezirk  Znaim,  Mähren.  Der  District  zählt  1614  Einwohner;  Gehalt  und 
Fahrpauschale  724  K  jährlich.  Von  der  Herrschaft  Vöttau  überdies  800  K 
jährlich,  freie  Wohnung  und  24  m2  Brennholz.  Die  mit  den  Nachweisungen 
über  das  Alter,  die  wissenschaftliche  Befähigung,  die  bisherige  Verwendung, 
die  Wohl  Verhaltenheit,  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  die  Kenntniss 
beider  Landessprachen  und  mit  einem  staatsärztlichen  Gesundheitszeugnisse 
belegten  Gesuche  sind  bis  10.  November  d.  J.  an  den  Obmann  der  Dele- 
girtenversammlung,  Johann  Bayer  in  Vöttau,  einzusenden. 

Secundararztesstelle  im  Allgemeinen  Krankenhause  in  Mährisch- 
Weisskirchen.  Befähigung  für  internes  und  chirurgisches  Fach  und 
Kenntniss  beider  Landessprachen  erforderlich.  Jahresgehalt  bei  freier  Wohnung 
und  Station  1000  K.  Belegte  Gesuche  sind  an  den  Gemeinderath  der  Stadt 
Mährisch-Weisskirchen  zu  richten. 

Gemeindearztesstelle  in  Speisendorf,  Bezirk  Waidhofen  an 
der  Thaya,  Niederösterreicb.  Fixe  Bezüge:  400  K  Gemeindebeiträge  und 
800  K  Subvention  aus  dem  Landesfonde.  Ausserdem  stellt  die  Gemeinde 
Speisendorf  eine  freie  Wohnung,  bestehend  aus  einem  Hause  mit  Garten, 
grossem  Hofe,  Scheune  und  Stallung  bei.  Haltung  einer  Hausapotheke  er¬ 
forderlich.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  ordnungsgemäss  belegten 
Gesuche  bis  längstens  15.  October  1.  J.  bei  der  k.  k.  Bezii kshauptmann 
Schaft  Waidhofen  a.  d.  Thaya  oder  beim  Gemeindeamte  Karlstein  einzu- 
briugen.  Bewerber  mit  Spitalspraxis  haben  den  Vorzug. 


Nr.  42 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


9N3 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 
1900.)  (Fortsetzung.) 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

XI.  Becker  (Aachen):  Demonstration  von  Prä- 
para  t  e  n. 

Die  vorgezeigten  Piäparate  stammen  von  zwei  von  W.  M  ü  1 1  e  r 
operirten  Kranken. 

In  dem  einen  Falle  handelte  es  sich  um  einen  am  acromialen 
Ende  der  Clavicula  sitzenden  Tumor,  der  seiner  Enstehungsgeschichte 
nach  für  ein  myelogenes  Sarkom  gehalten  wurde.  Bei  der  Operation 
fand  sich  eine  mannsfaustgrosse  derbe  Geschwulst,  deren  Inneres  aus 
einem  cystischen,  mit  altem  Blute  gefüllten  Hohlraum  bestand.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  ergab,  dass  es  sich  nicht  um  ein  Sarkom, 
sondern  um  ein  Adenom  vom  typischen  Bau  des  Schilddrüsengewebes 
handelte.  Der  Tumor  hatte  seinen  Ausgang  von  einer  Struma  aberrata 
genommen.  Die  Schilddrüse  des  Patienten  wies  keine  Veränderung  auf. 
Einen  gleichen  Fall  hat  Riedel  beschrieben. 

Das  zweite  Präparat  stammt  von  einem  Kranken,  der  mit  einer 
kindskopfgrossen  rechts  über  der  Nabellinie  gelegenen  Geschwulst  in 
die  Klinik  kam.  Der  Tumor  bot  deutliche  Fluctuation  dar  und  entsprach 
seiner  Lage  nach  dem  Pankreaskopf.  Diagnose:  Pankreascyste.  Bei  der 
Operation  findet  sich,  dass  der  Tumor  vom  Pylorus  des  Magens  ausgeht. 
Aus  dem  cystischen  Hohlraum  werden  2 1  Flüssigkeit  entleert,  dann 
die  Gastroenterostomie  angeschlossen.  Der  Patient  starb.  Bei  der 
Section  findet  sich  ausser  dem  Carclnom  des  Pylorus  ein  zweites 
Carcinom  an  der  Cardia.  Zwischen  beiden  Tumoren  liegt  normale 
Magenwand.  Carcinöse  Veränderungen  anderer  Organe  fanden  sich  nicht. 
Es  handelt  sich  nach  unserer  Auffassung  um  zwei  primär  ent¬ 
standene  Carcinome  des  Magens. 

XII.  Viertel  (Breslau) :  Ueber  Blasenchirurgie, 
in  specie  über  Operationen  bei  Prostatahyper¬ 
trophie. 

An  der  Hand  einer  grossen  Sammlung  vortrefflicher  plastischer 
Nachbildungen  in  natürlicher  Grösse,  von  Präparaten  und  ausge¬ 
zeichneten  Photographien  veranschaulicht  Viertel  die  pathologisch¬ 
anatomischen  Verändei  ungen  der  erkrankten  Blase  in  den  ver¬ 
schiedensten  Stadien.  Eine  reichhaltige  Sammlung  von  Blasensteinen 
aller  Grösse  und  Herkunft  ergänzt  die  höchst  interessante  Demonstration. 
Auf  die  chirurgische  Behandlung  der  Prostatahypertrophie  übergehend, 
bekennt  sich  Viertel  als  ein  Anhänger  der  B  o  1 1  i  n  i’schen 
Operation.  Sie  liefert  uns  unzweifelhafte  Erfolge  in  Fällen,  wo  andere 
Methoden  versagen,  namentlich  bei  den  Kranken,  die  nicht  ein  einiger- 
massen  erträgliches  „Katheterleben“  führen,  sondern  allen  Qualen  des 
„Katheterelends  verfallen  sind.  Seit  uns  Freudenberg  gelehrt  hat, 
die  Operation  genauer  zu  controliren,  sind  die  Bedenken  gegen  sie  ge¬ 
schwunden.  Der  Erfolg  der  Operation  ist  oft  ein  unmittelbarer.  Un¬ 
bedingt  erforderlich  ist  freilich  eine  sorgfältige  Untersuchung  über 
Sitz  und  Umfang  der  pathologischen  Veränderung  und  eine  genaue 
kystoskopische  Orientirung.  Zur  Blasenfüllung  bevorzugt  Viertel  das 
Borwasser. 

W.  Müller  (Aachen)  kann  in  das  Lob  der  B  o  1 1  i  n  i’schen 
Operation  nicht  einstimmen.  Wiederholt  hat  er  trotz  sorgfältigster 
Vorbereitung  und  vorsichtigsten  Operirens  fatale  Misserfolge  erlebt. 
Er  ist  jetzt  ganz  zur  Katheterbehandlung  zurückgekehrt  und  steht  mit 
vielen  anderen  Chirurgen  auf  dem  Standpunkte,  dass  die  Bottini- 
sche  Operation,  auch  von  der  Hand  des  bestgeübtesten  Chirurgen  aus¬ 
geführt,  ein  ebenso  gefährliches,  w'ie  in  seinem  Erfolge  unsicheres  Ex¬ 
periment  sei. 

* 

II.  Sitzung. 

Vorsitzender:  Geheimrath  Prof.  Bardenheuer. 

I.  Longard  (Aachen) :  Thoracoplastik  (Kranken¬ 
vorstellung). 

Longard  stellt  zwei  Kranke  vor,  bei  denen  die  Thoracoplastik 
nach  Schede  völlige  Heilung  brachte,  nachdem  die  monatelang 


vorhergegangene  gewöhnliche  Einsetzenoperation  es  zu  keiner  Aus¬ 
heilung  des  Processes  hatte  kommen  lassen. 

Bei  der  einen  Kranken  trat  im  Anschlüsse  an  eine  Wochenbett- 
pyämie  in  der  vierten  Woche  nach  der  Infection  ein  Empyem  der 
linken  Seite  auf.  Die  Resection  der  achten  Rippe  brachte  nicht  die 
erhoffte  Besserung.  Es  bestand  anhaltend  reichliche  Secretion  jauchigen 
Eiters  aus  der  Wunde  und  die  Patientin  kam  nicht  zu  Kräften.  Nach 
drei  Monaten  wurde  die  Thoracoplastik  gemacht  und  fünf  Rippen 
resecirt.  Von  da  ab  anhaltende  Besserung.  Jetzt  ist  die  Patientin 
völlig  hergestellt.  Es  besteht  keine  Fistel. 

Bei  dem  zweiten  Patienten  wurde  ebenfalls  nach  erfolgloser 
Empyemoperation  mit  Resection  einer  Rippe  nach  mehreren  Monaten 
die  Thoracoplastik  mit  Resection  der  zweiten  bis  neunten  Rippe  vor¬ 
genommen.  Auch  dieser  Fall  ist  ohne  Hinterlassung  einer  Fistel  voll¬ 
kommen  geheilt. 

II.  Frank  (Köln)  :  Sehnen-  und  Bänderplastik 
bei  Fussdeformi  täten  (Krankenvorstellung). 

Die  bei  den  paralytischen  Fusscontracturen  gebräuchlichen  Ope¬ 
rationsmethoden  hat  Prof.  Bardenheuer  mit  gutem  Erfolge  auch 
bei  nicht  paralytischen  Fussdeformitäten  angewandt.  In  dem  hier  vor¬ 
gestellten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  Pes  calcaneo-valgus 
rachiticus.  Es  liegt  dabei  stets  eine  nutritive  Verkürzung  der  Achilles¬ 
sehne  vor.  Die  Achillessehne  wurde  verlängert,  der  M.  tibialis  posticus 
verkürzt  und  mit  dem  Tibial.  antic,  vernäht;  an  diese  Sehnen¬ 
verkürzung  schloss  Bardenheuer  die  Verkürzung  der  Ligamente 
auf  der  Prouationsseite,  also  namentlich  des  Ligam.  deltoides  an.  Das 
Resultat  ist,  wie  der  vorgestellte  Fall  zeigt,  sehr  gut. 

Dithmer  (Schwerte)  glaubt,  dass  Operationen  dieser  Art  wegen 
rachitischer  Deformitäten  bei  kleinen  Kindern  nicht  zu  rechtfertigen 
seien.  Man  müsse  doch  zunächst  die  Rückbildung  der  Deformität 
unter  der  gewöhnlichen  antirachitischen  Behandlung  durch  Roborantien, 
Phosphor  etc.  abwarten. 

III.  Quadflieg  (Aachen) :  Ueber  Intubation. 

Von  310  vom  October  1899  bis  August  1900  in  das  Maiiahilf- 
spital  mit  Diphtherie  eingelieferten  Kindern  wurden  43  intubirt.  Bei 
24  musste  nachträglich  die  Tracheotomie  gemacht  werden.  Von  den 
Intubirten,  nicht  Tracheotomirten  starben  2  —  10’6%;  von  63 
tracheotomirten  Kindern  starben  16  =  25 °/0. 

Der  Tubus  blieb  in  der  Regel  zwei  Tage  liegen,  im  höchsten 
Falle  96  Stunden.  In  mehreren  Fällen  wurde  der  Tubus  ausgehustet 
und  muste  wiederholt  eingeführt  werden.  Die  Kinder  konnten  stets 
ohne  Schwierigkeit  ernährt  werden.  Bei  der  Intubation  wurde  keine 
Narkose  angewandt. 

Die  Intubation  soll  und  kann  die  Tracheotomie  nicht  verdrängen, 
sie  ist  aber  in  geeigneten  Fällen  in  der  Spitalbehandlung  ein  Ersatz 
der  Tracheotomio  mit  grossen  Vorzügen.  Ueber  das  anzuwendende 
Verfahren,  ob  Tracheotomie,  ob  Intubation,  muss  die  Schwere  des 
einzelnen  Falles  entscheiden. 

IV.  F.  Niehues  (Bonn) :  Die  Behandlung  der 

chirurgischen  T  über  c  u  lose  mit  Zimmtsäure  (H  e  t  o  1). 

Nach  einleitenden  Bemerkungen  über  das  Schicksal  tubereulöser 
Neubildungen  nach  operativen  Eingriffen,  sowie  nach  Behandlung  mit 
Tuberculin  bei  B  i  e  r’scher  Stauung  spricht  Niehues  über  die 
Ländere  r’sche  Behandlung  der  chirurgischen  Tuberculose.  Län¬ 
derer  machte  zuerst  intravenöse  Injectionen  von  Perubalsam,  der  in 
fein  vertheilter  Form  in  der  Umgebung  des  tuberculösen  Herdes  eine 
Entzündung  (Leukocytose)  hervorruft.  Vom  Perubalsam  ist  Länderer 
abgekommen,  da  er  erkannte,  dass  dessen  Bestandtheil  die  Zimmtsäure 
ist;  jetzt  verwendet  er  eine  wässerige  Lösung  von  Zimmtsäure.  Die 
Heilwirkung  beruht  aber  nicht,  wie  man  annabm,  auf  der  Leukocytose 
um  den  tuberculös  erkrankten  Bezirk,  sondern  sie  ist  an  die  zimmt- 
sauren  Salze  gebunden.  Wie  diese  Wirkung  zu  erklären  ist,  weiss  man 
nicht  genau,  aber  die  Versuche  an  Kaninchen  machten  es  unzweifel¬ 
haft,  dass  die  Zimmtsäure  Kaninchentuberculose  heilt.  Der  Ileilungs- 
process  spielt  sich  hiebei  in  der  Weise  ab,  dass  zunächst  um  den 
tuberculösen  Herd  herum  ein  entzündlicher  Wall  entsteht,  an  diesen 
schliesst  sich  bindegewebige  Organisation  und  weiterhin  Schrumpfung 
des  tuberculösen  Gewebes.  Länderer  behauptete  nun,  dass  dies** 
Wirkung  auch  bei  Menschen  auftrete. 


984 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  42 


Niehues  selbst  nun  behandelte  66  Patienten  im  Alter  von 
1’.  ., — 65  Jahren,  die  noch  ein  Jahr  nach  der  Entlassung  nachcontrolirt 
wu  den,  mit  Hetol.  Von  diesen  litten  19  an  Coxitis,  15  an  Fungus  genu, 
11  an  Fusstuberculose,  5  an  Tuberculose  der  oberen  Gliedmassen, 

7  an  Spondylitis,  4  an  Beckenearies,  je  einer  an  Halsdrüsen-,  Weich- 
theil-  und  Blasentuberculose,  2  an  Ilodentuberculose. 

Von  diesen  Kranken  starben  9  =  13'5°/o  (3  an  Amyloid,  1  an 
Phthise,  1  an  Collaps,  2  an  Kräfteverfall,  2  an  Meningitis.  Die  Menin¬ 
gitis  stand  nicht  im  Zusammenhänge  mit  der  Behandlung). 

Ungebessert  blieben  12  =  18'5°/o  (zum  Theil  weil  zu  früh  der 
Behandlung  entzogen). 

Gebessert  (z.  B.  noch  nicht  völlig  gehfähig  nach  Coxitis) 
wurden  24 °/0. 

Geheilt  wurden  27  Fälle  =  4 1  o/0  (5  Coxitiden,  7  Fungus  genu, 

8  Fusstuberculosen,  2  Beckenearies,  je  1  Tuberculose  der  Hand,  der 
Wirbelsäule,  der  Hoden,  der  Weichtheile  und  Drüsen). 

Mit  Ländere  r’s  Statistik  verglichen  stellen  sich  die  Resultate, 
wie  folgt: 

Heilung  -|-  Besserung 


Länderer  Niehues 

Coxitiden . 83%  47  % 

Fungus  genu  ....  75%  75% 

Fusstuberculose  .  .  .  83%  47  % 

zusammen  über  90%  63 % 

(N  i  e  h  u  e  s’  Tuberculosenbehandlung). 


M  i  t  Hetol  behandelt 

19  Coxitiden  ...  5  Heilungen,  4  Besserungen 

15  Kniefungen  .  .  7  „  4  „ 

11  Fusstuberculosen  8  „  1  Besserung 

Ohne  Hetol  behandelt 

19  Coxitiden  ...  2  Heilungen,  5  Besserungen 

15  Kniefungen  .  .  4  „  6  „ 

11  Fusstuberculosen  2  „  5  „ 

Bei  der  Hetolbehandlung  ergeben  sich  also  mehr  Heilungen, 
weniger  Besserungen.  Die  ohne  Hetol  Behandelten  erscheinen  im  gün¬ 
stigsten  Lichte,  weil  sie  auf  die  Dauer  der  Heilung  nicht  nachcontrolirt 
werden  konnten. 

Unter  der  Zimmtsäurebebandlung  hoben  sich  sehr  bald  Appetit 
und  Gewicht.  Der  Urin  blieb  frei  von  Eiweiss,  das  Fieber  wurde  nicht 
beeinflusst. 

Die  Injection  wurde  intravenös  vorgenommen,  die  am  Orte  der 
Erkrankungen  vorgenommenen  Einspritzungen  nach  einigen  Versuchen 
der  heftigen  Schmerzen  wegen  aufgegeben. 

Gleichzeitig  fand  eine  locale  Behandlung  durch  fixirende  Ver¬ 
bände,  Extension  etc.  statt.  Während  der  Behandlung  auftretende 
Abscesse  wurden  gespalten  und  mit  einem  Gemisch  von  Jodoform  und 
Hetocresol  behandelt.  Mit  demselben  Gemisch  erzielte  Niehues 
gute  Erfolge  bei  offenen  tuberculösen  Processen,  in  Fisteln  wurden 
Stifte  der  Masse  eingelassen.  Die  Secretion  nahm  hiebei  stets  stark  zu, 
weshalb  sich  das  Verfahren  für  decrepide  Kranke,  die  durch  den  leb¬ 
haften  Säfteverlust  sehr  geschwächt  werden,  nicht  eignet. 

Alle  operirten  Fälle  wurden  mikroskopisch  untersucht.  Die  Prä¬ 
parate  zeigen  zum  Theil  nur  enorme  Leukocytose. 

Ein  endgiltiges  Urtheil  über  den  Werth  der  Zimmtsäurebehand- 
lung  lässt  sich  noch  nicht  abgeben.  Ob  die  Heilung  dem  Hetol  allein 
zuzuschreiben  ist,  ist  nicht  erwiesen.  Jedenfalls  laden  die  erzielten  Er¬ 
folge  sehr  zur  Nachprüfung  ein. 

Vulpius  (Heidelberg)  behandelte  20  Kranke  mit  Zimmtsäure. 
Er  hat  schlechte  Erfahrungen  damit  gemacht,  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  traten  Schüttelfröste,  hohes  Fieber  und  sonstige  schwere 
Störungen  des  Allgemeinbefindens  auf.  Er  hat  diese  Behandlung  jetzt 
ganz  verlassen. 

Niehues  betont  nochmals,  dass  er  nie  Fiebersteigernugen  und 
andere  üble  Folgen  sah.  Er  glaubt,  Vulpius’  Misserfolge  der  Art 
der  Anwendung  des  Mittels  zuschreiben  zu  müssen. 

V.  Bade  (Hannover) :  Die  Knochen  st  ructur  des 
Oberschenkels  bei  Arthritis  deformans.  (Demonstration 
von  Röntgenogrammen.) 

Am  oberen  Femurende  unterscheidet  Bade  zwei  Arten  von 
Arthritis  deformans:  1.  eine  nur  wenig  deforme,  2.  eine  stark  deforme 
Art.  Bei  beiden  Arten  findet  sich  eine  hypertrophische  Form  des  Pro¬ 
cesses.  Bei  der  hypertrophischen  Form  sind  die  Zug-  und  Druckbogen 
auseinandergezogen,  bei  der  atrophischen  zusammengepresst.  Die  Structur 
des  deformirten  Knochens  zeigt  einen  von  dem  normalen  sehr  ab¬ 
weichenden  Verlauf  der  Bälkchen.  Dieser  kann  sich  völlig  umkehren, 
so  dass  die  Bogen  der  Trochanterseite  zu  Druck-,  die  der  Adductoren- 
seite  zu  Zugbogen  werden.  Dann  wild  der  Trochanter  major  gleichsam 
Femurkopf  und  dieser  zum  Trochanter  major.  Diese  Verhältnisse  sind 
nicht  mit  der  W  o  1  f  f’schen  Knochentheorie  in  Einklang  zu  bringen. 


Zu  ihrer  Erklärung  reicht  die  mathematisch  mechanische  Betrachtung 
nicht  aus,  es  gehören  vielmehr  dazu  auch  embryologische  und  ver¬ 
gleichend  anatomische  Studien. 

Eine  Zahl  wohlgelungener  Röntgenogramme  erläutert  die  be¬ 
schriebenen  Verhältnisse  in  sehr  instructiver  Weise.  (Fortsetzung  folgt.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Otologie. 

III.  Botey  (Barcelona):  U.eber  o  t  i  t  i  s  c  li  e  Sklerose. 

1.  Damit  man  bei  der  trockenen  Otitis  berechtiget  sei,  eine 
chirurgische  Behandlung  zu  versuchen,  trotz  der  fast  constanten  Un¬ 
wirksamkeit  der  letzteren,  ist  es  nothwendig,  dass  die  cranielle  Wahr¬ 
nehmung  der  Uhr  erhalten  s ei,  dass  die  Probe  von  Rinne  auf  der 
kranken  Seite  negativ,  und  dass  die  Perforation  des  Trommelfelles,  so 
gering  sie  auch  sei,  das  Gehör  verbessere. 

2.  Man  kann  bei  engem  Gehörgange  die  Perforation  des 
Trommelfelles  ausführen;  aber  trotzdem  man  zuweilen  eine  geringe 
Verbesserung  des  Gehörs  erzielt,  wird,  unter  der  Voraussetzung,  dass 
die  Bänder  und  Zwischenwände  zerstört  worden  sind,  im  Laufe  von 
zwei  Jahren  der  Kranke  wieder  so  taub,  wie  vor  der  Operation. 

3.  Die  Mobilisirung  des  Steigbügels  bei  der  trockenen  Otitis 
ist  ein  ganz  unnützer  Eingriff,  denn  die  erreichte  Besserung,  falls  eine 
erzielt  ist,  ist  immer  vorübergehend.  Dieser  ist  blos  in  den  Folge¬ 
zuständen  der  Eiterung  gerechtfertigt;  aber  auch  in  diesen  Fällen  ist 
die  Besserung,  in  -Folge  der  Ruptur  der  Verwachsungen  des  Steig¬ 
bügels  mit  der  Umgrenzung  der  Nische  des  ovalen  Fensters,  nicht 
immer  sehr  gross  und  nicht  bleibend. 

4.  Die  Extraction  des  Hammers,  des  Ambos  und  der  Membran 
kann  bei  gehöriger  Weite  des  Gehörganges  durch  diesen  ausgeführt 
werden.  Die  erhaltenen  Resultate  sind  zum  grössten  Theile 
mittelmässig  oder  unbedeutend  bei  der  trockenen  Otitis,  beinahe  Null 
nach  Ablauf  des  ersten  Jahres.  Sie  können  sogar  eine  Verschlimmerung 
der  Taubheit  zur  Folge  haben. 

5.  Die  tiefe  Mobilisirung  des  Steigbügels  kann  ohne  die 
Operation  von  Stacke  ausgeführt  werden.  Es  genügt,  durch  den 
Gehörgang  einen  Theil  der  Wand  der  Zelle  herauszuheben.  Die  durch 
diese  Operation  bei  der  trockenen  Otitis  erzielten  Resultate  sind  zumeist 
mittelmässig  und  selten  bleibend. 

6.  Die  Extraction  des  Steigbügels  ist  trotz  der  grossen,  in  die¬ 
selbe  gesetzten  Hoffnungen  eine  schlechte  Operation,  die  Resultate  sind 
bei  Sklerose  des  Ohres  fast  immer  Null. 

7.  Die  chirurgische  Behandlung  der  trockenen  Otitis  ist  ein 
falscher  Weg,  welchen  die  moderne  Otologie  betreten  hat,  denn  indem 
es  sich  wahrscheinlich  um  eine  Trophoneurose  handelt  und  die  Läsionen 
im  grössten  Theile  der  Zeit  wenig  otitisch  sind,  können  alle  ange¬ 
wendeten  Mittel,  um  die  Organe  der  Scballwellenleitung  gegen  das 
Labyrinth  zu  verbessern,  nur  zur  Folge  haben,  dass  Derjenige,  der 
fast  immer  krank  oder  im  Zuge  es  zu  werden  ist,  immer  mehr  und 
mehr  im  Laufe  der  Zeit  befallen  wird. 

8.  Die  von  mir  gemachten  Thierversuche  sind  auf  den  Menschen 
nicht  ganz  anwendbar,  denn  bei  jenen  ist  das  Labyrinth  intact  und 
bei  unseresgleichen  ist  es  fast  immer  mehr  weniger  ergriffen,  wenn 
auch  unsere  noch  unvollkommenen  Mittel  der  Nachforschung  dieses 
nicht  beweisen  können. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  19.  October  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Chrobak 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Hofrath  Prof.  GllSSOnbauer :  Gedenkrede  auf  weiland  Eduard 
Albert. 

2.  Dr.  Julius  Mahler,  Docent  Dr.  E.  Schwarz  und  Docent 
Dr.  V.  Haramersclllag:  Demonstrationen. 

Dr.  Robert  Kienböck:  Ueber  die  Einwirkung  des  Röntgen- 
Lichtes  auf  die  Haut. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Prof.  Pal. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  lasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  42 


Die  bestbewährten  Medicamente  gegen 
Lungen-  und  Kehlkopf  -  Tuberculose, 


Bronchitis,  Scropbulose  und  Ozäna.  Creosotal  »Heyden« 
und  Duotal  »Heyden«  besitzen  die  reine  Heilwirkung  des 
Kreosots  und  Guajacols,  frei  von  den  zerrüttenden  Neben¬ 
wirkungen,  der  Giftigkeit  und  dem  üblen  Geruch  und  Geschmack 
des  Kreosots  und  Guajacols.  Niemals  Reizung  des  Magens 
oder  Darms.  Kein  Durchfall.  Kein  Uebelsein.  Kein  Erbrechen. 
In  hohem  Grade  appetitanregend.  Schnelle  Gewichtszunahme 
und  Besserung.  Phthisis  ersten  Stadiums  (Spitzenkatarrh,  Ba¬ 
cillen  im  Auswurf)  schon  in  einigen  Monaten  ohne  Berufs¬ 
störung  heilbar.  Creosotal  ist  so  ungiftig,  dass  es  selbst  thee- 
löffelweise  genommen  werden  kann. 

(Vergl.  »Berliner  Charitä- Annalen  1897«,  »Ziemssen’s  Annalen  der  Münchener  Kranken¬ 
häuser  1896«  etc.) 

Proben  und  Litteratursammlung  kostenfrei  durch 

Chemische  Fabrik  von  Heyden,  „9„, 

Radebeul-Dresden. 


Cascarlne  Ijeprmce. 

^12  ®10  W 

Wirksamer  Bestandteil  der  Cascara  Sagrada.  Cholagogum  &  Copragogum. 


Habituelle 

Verstopfung. 


Atonie  der 
Peristaltik. 


Das  »Cascarine<  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
tendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  386.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  iM  Laffont,  Bulletin  de  l’Academie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul;  Dujardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliothdqne  Charcot-Oobove,  Purgatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  elinique,  pag.  305  ;  Tison,  Hopital 
St. -Joseph  und  Congr6s  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ,  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

Seine  Wirkung  ist  regelmässig,  leicht  zu  erzielen,  ohne  Angewöhnung,  aus¬ 
gezeichnet  bei  habitueller  Verstopfung  und  gegen  bacterielle  Proliferation  des  Rheuma¬ 
tismus  (Dr.  Roux)  bei  Typhus  abdominalis  etc. 

Ooslrung :  2  Pillen  Abends  oder  bei  den  Mahlzeiten. 

(Je  nach  der  Wirkung  die  Dosis  verringern  oder  steigern.) 

Verkauf  in  allen  Apotheken.  Nur  in  Originalschachtel  ä  fl.  1.50 
Um  Nachahmungen  zu  vermeiden,  verordne  mau  gefl.  stets:  ,,Cascarine  Leprince“. 

Jede  Pille  trägt  obige  Aufschrift. 

General  vertretung:  St.  Leonhards-Apotheke,  Basel. 

Probesendungen  an  die  Herren  Aerzte  gratis. 

Zur  gefl.  Beachtung  !  Zur  Vermeidung  der  zahlreichen,  unter  ähnlichen  Namen  und 
Verpackungen  vorkommenden  Nachahmungen,  bitten  wir  die  Herren  Aerzte  gefl. 
„Cascarine  Leprince“  verschreiben  zu  wollen.  (73) 


Leber¬ 

beschwerde. 

Antisepsis 

des 

Verdauunge- 

tractus. 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 


Lactation. 


Chole¬ 

lithiasis. 


Pillen  und  Elixir. 


PIGEH 

■ 

€AMIGE^  ist  ein  aus  natürlichem,  bestem 
Fleischmaterial  hergestelltes  Fleischpulver , 

I  vollkommen  assimii  irbar  und  von 
höchstem  ISTähr werth. 

Carnigen  ist  mit  keinem  wie  immer 
Namen  habenden  Nährpräparat  vergleichbar 
und  zeichnet  sich  auch  durch  seine  geradezu 
erstaunliche  Imslichkeit  und  seinen 
Wohlgeschmack  vor  allen  anderen  Nähr¬ 
präparaten  aus. 

Carnigen  ist  klinisch  erprobt  und 

sowohl  als  Nährpräparat  für  Schwer  kranke 
als  auch  als  Kräftigungsmittel  für  Schwäch¬ 
liche,  Kinder  und  Erwachsene  bestens  empfohlen. 

Carnigen  bewirkt  schon  nach  kurzem 
Gebrauche  eine  constatirhare  Zunahme  des 
Körpergewichtes. 

I  Gebrauchsanweisung:  Man  nehme  je  1  2 Ess¬ 
löffel,  gelöst  in  Suppe,  Milch  oder  Wasser,  drei¬ 
mal  täglich. 

Zu  ballen  in  allen  AnoMen  und  Enps-Droperien. 


Dormiol. 

Prompt  wirkendes  Schlafmittel  in  Dosen  von  0  5 — 3  0  g. 
Dem  Chloralhydrat  an  Wirkung  gleich,  ohne  dessen 
Nachtheile.  Keine  Nebenwirkungen  beobachtet.  — 

Dormiol-Kapseln  zu  0  5  g. 


Literatur:  Münchener  med.  Wochenschrift,  1898,  Nr.  37  und  1900  Nr.  6. 
Deutsche  med.  Wochenschrift.  1899,  Nr.  18. 

Neurologisches  Centralblatt,  1900,  Nr.  14. 

Die  ophthalmologische  Klinik  1900,  Nr,  9. 

Medical  Press,  London,  den  6.  Juni  1900. 

Therapie  der  Gegenwart,  August  1900. 

Orvosi  netilap,  1900,  Nr.  27. 

Aerztl.  Central-Zeitung,  Wien,  1900,  Nr.  23. 


Ausführliche  Literaturberichte  kostenfrei  durch : 

Kalle  &  Co.,  Biebrich  a.  Rh. 

Abtheilung  für  pharmaceutische  Producte. 


Special-Institut  für  Augengläser 

Wien,  1.  Kärntnerstrasse  39.  Eingang  Ännagasse  1,  Mezzanin 


wird  den  Herren  Aerzten  für  ihre  Clientei  die  Gewähr  geboten,  dass 
jedes  Augenglas  nur  nach  augenärztlicher  Untersuchung  verabfolgt  wird. 
Brillen  und  Zwicker  mit,  Prof.  Dr.  Albu’s  dichromatischen  Gläsern  von 
fl.  2.—  au.  —  Bergkrystallgläser  in  grosser  Auswahl. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  42. 


Verlag  von  WILHELM  BRAUMÜLLER  in  Wien  und  Leipzig, 

k.  n.  k.  Ilof-  und  Universitäts-Bucliliunilluiifc. 


Wichtige  Fortsetzung!  Soeben  erschien: 

ATLAS 

der 


TOPOGRAM  ISCHEN  ANATOMIE  DES  MENSCHEN. 


Von 


Dr.  SS.  ZU GKERKANDL, 

k.  k.  Hofratli,  o.  ü.  Professor  der  Anatomie  an  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 


II.  Heft:  BRUST. 

ln  48  Figuren  mit  erläuterndem  Texte.  Lex. -8°.  —  Broschirt  4  K  80  h  —  4  31. 

Früher  erschien : 

I.  Heft:  KOPF  UND  HALS. 

In  219  Figuren  mit  erläuterndem  Texte.  Lex.-8!1.  —  Broschirt  14  Ä  14  h  —  12  M. 

Ich  brauche  diesem  in  Anlage  und  Durchführung  ganz  hervorragenden  Werke  kaum  besondere  empfehlende  Worte  mitzugeben.  Für  den 
wissenschaftlichen  Werth  bürgt  der  Name  des  Autors,  der  zu  unseren  bedeutendsten  Anatomen  zählt.  —  Was  die  buchtechnische  Seite  anlangt,  war 
ich  bestrebt,  durch  Heranziehung  der  besten  Anstalten  namentlich  den  Farbenholzschnitt  in  mustergiltiger  Weise  durchzuführen.  So  glaube  ich,  dass  in 
diesem  Atlas  der ‘topographischen  Anatomie  ein  Werk  entsteht,  welches  Aerzten  und  Studirenden  gleich  Brauchbares  bietet  und  von  diesen  günstigste 
Aufnahme  erwarten  darf,  umsomehr,  da  ein  so  ausführlicher,  im  Preise  dabei  aber  sehr  billiger  Atlas  der  topogrophischen  Anatomie  bisher 
nicht  vorliegt. 

»Deutsche  Aerzte-Zeitung«,  Berlin,  15.  März  1900,  Heft  6. 

»Das  neue  Werk  des  hervorragenden  Wiener  Anatomen  wird  sich  sicher  den  Dank  aller  dafür  interressirten  Kreise  erwerben.  Der  Referent 
gesteht  offen  ein,  dass  er  von  der  Klarheit,  Uebersichtlichkeit  und  praktischen  Auswahl  der  einzelnen  Figuren  und  Präparate,  nach  denen  die  vollendeten 
Zeichnungen  geschaffen  wurden,  geradezu  entzückt  war.  Ich  kann  mir  kaum  denken,  dass  auf  diesem  Gebiete  noch  etwas  Besseres  zu  schaffen  möglich 
ist.  Jeder,  der  das  ausgezeichnete  Werk  gebraucht,  der  Student  im  Hörsale  und  auf  der  Anatomie,  der  praktische  Arzt,  der  sich  anatomische  Verhältnisse,  die 
ihm  entfallen  sind,  ins  Gedächtniss  zurückführen  will,  der  Chirurg  bei  und  vor  Operationen,  der  medicinische  Lehrer  bei  Demonstrationen  vor  seinen 
Zuhörern,  sie  alle  werden  mit  Freude  und  Nutzen  das  Buch  zur  Hand  nehmen  und  dann  sicher  immer  wieder  benützen.  Das  zweite  Heft,  dem  wir  mit 
dem  höchsten  Interesse  entgegensehen,  wird  in  kürzerer  Frist  in  Aussicht  gestellt,  das  ganze  Werk  soll  in  zwei  Jahren  abgeschlossen  sein.« 

Stadel  mann. 

»Centralblatt  für  Chirurgie«,  Leipzig.  Nr.  14,  7.  April  1900. 

»Der  in  seiner  ersten  Lieferung  vorliegende  Atlas,  der  innerhalb  zwei  Jahren  in  fünf  Lieferungen  erscheinen  soll,  hat  grosse  Vorzüge,  die 
seine  Benützung  namentlich  für  den  Chirurgen  empfehlenswerth  erscheinen  lassen.  Zunächst  zeichnen  sich  die  Abbildungen  durch  Schärfe  der  Zeichnung 
und,  da  ausserdem  vielfach  verschiedene  Färbungen  für  die  einzelnen  Gewebe  zur  Anwendung  kommen,  durch  besondere  Klarheit  aus.  Ferner  sind  fast 
alle  Präparate  in  Lebensgrösse  wiedergegeben,  einige  —  bei  der  Darstellung  kleiner  Verhältnisse,  z.  B.  das  innere  Ohr  —  sogar  in  Vergrösserung.  Dann 
aber  nimmt  Verfasser  bei  der  Herstellung  und  Auswahl  seiner  Präparate  besondere  Rücksicht  auf  praktische,  namentlich  chirurgische  Verhältnisse  so, 
dass  die  Abbildungen  ebenso  zur  Erleichterung  diagnostisch  schwieriger  Fragen  wie  zur  Vorbereitung  für  operative  Eingiffe  vorzugsweise  empfehlenswerth 
erscheinen.  Für  die  Nervenoperationen  an  Kopf  und  Hals,  für  die  Gefässunterbindungen  an  gleicher  Stelle,  für  Operationen  am  Gehirn,  an  der  Nase  und 
ihren  Nebenhöhlen,  der  Augenhöhle,  am  Ohr,  der  Parotis,  den  Mandeln  legt  Verfasser  in  zahlreichen  eigenartig  hergestellten  Präparaten  ein  reiches 
Bildermaterial  vor,  das  solche  Eingriffe  erleichtert,  ja  in  ein  paar  Abbildungen  gibt  er  sogar  pathologische  Zustände  wieder  —  vergrösserte  Rachen¬ 
mandel,  Retropharyngealabscess  —  und  greift  damit  direct  in  die  Pathologie  über. 

Der  Text  macht  nur  ganz  kurz  auf  das  Wesentlichste  einer  jeden  Abbildung  aufmerksam.  Der  vorliegende  Atlas  empfiehlt  sich  in  besonders 
werthvoller  Weise  dem  praktischen  Operateur  und  dem  Lehrer  der  Chirurgie.«  Richter  (Breslau). 

»Animles  de  maladies«,  Paris,  No.  5,  Mai  1900. 

»L’ouvrage  du  Prof.  Zuckerkandl,  dont  le  premier  volume  vient  de  paraitre,  et  une  oeuvre  magistrale  d’anatomie.  Le  premier  fascicule  contient 
219  figures  d'anatomie  topographique  de  la  töte  et  du  cou  qui  interessent  particulierement  les  chirurgiens  speciaux  et  les  lecteurs  de  ce  recueil.  Chaque 
figure  est  accompagnee  d’une  legende  detaillee,  tres  precise,  oü  abondent  des  indications  nouvelles.  Nous  avons  remarque  les  figures  concernant  les 
legions  parotidiennes  et  temporales,  les  coupes  des  fosses  ‘pterygoidiennes  et  pterygo  palatines.  De  tres  belles  figures  reproduisent  les  preparations  par 
corrosion  des  sinus  de  la  dure-mere.  Nous  voyons  repiesentees  aussi  des  coupes  des  fosses  nasales  avec  les  rapports  des  cellules  ethmoTdales,  de  l’in- 
fundibulum  et  de  l’hiatus  maxillaire.  Ces  coupes  sont  aussi  precieuses  pour  les  rhinologistes  que  pour  les  anatomistes  purs.  La  topographie  de  l’oreille 
moyenne  est  representee  d’une  fa<;on  originale;  nous  signalons  ä  l’attention  des  lecteurs  les  superbes  planches  representant  le  trajet  du  facial  dans  le 
r ocher  et  ses  connexions  avec  le  Labyrinthe;  les  rapports  du  sinus  sigmoi'de  et  de  l’antrum;  le  coupes  de  l’apopbyse  mastoi'de,  la  topographie  complexe 
de  la  region  sous-maxillaire  et  du  plancher  de  la  bouche  y  est  l’objet  d’uu  tr^s  grand  luxe  de  details.  Enfiu  les  regions  carotidiennes  et  sus-claviculaires 
sont  absolument  parfaites  au  point  de  vie  de  la  clarte  et  de  la  precision.«  r  E.  Lombard. 

»Therapeutische  Monatshefte«,  Berlin,  Nr.  8,  August  1900. 

»Der  in  seinem  ersten  Theile  erschienene  topographische  Atlas,  welcher  in  zwei  Jahren  vollständig  in  5  Heften  vorliegen  soll,  scheint  eine  viel 
empfundene  Lücke  glücklich  ausfüllen  zu  wollen,  nämlich  gute  topographische  Abbildungen  mit  specieller  Berücksichtigung  des  praktisch-chirurgischen  Stand¬ 
punktes  zu  geben.  Nicht  nur  die  Auswahl  der  meist  nach  eigens  hergestellten  Präparaten  gezeichneten  Abbildungen  wird  diesen  Anfordeiungen  gerecht, 
sondern  auch  die  klare,  scharfe  Zeichnung  der  häufig  lehensgrossen  Figuren  gewährt  eine  vorzügliche  Anschaulichkeit.  Ein  kurzer,  sachlicher  Text  erklärt 
die  einzelnen  Bilder,  doch  ist,  wie  es  bei  einem  Atlas  natürlich  ist,  der  wesentliche  Lehrstoff  nicht  im  Text,  sondern  in  den  Abbildungen  zu  suchen. 

Der  vorliegende  Theil  rechtfertigt  für  die  später  erscheinenden  weitgehende  Erwartungen. 

Der  Atlas  kann  allen  Praktikern,  bosonders  den  operativ  thätigen,  warm  empfohlen  werden.  Wendel  (Marburg). 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 
M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 
H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselh aum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

TeiepKhonaNr°n3373.  Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
qnart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1 .  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  —  20  Mark. 
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tions-Aufträge  für  das  In- 
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nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
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zweigespaltene  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Grössere 
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kommen. 


Verlagshandlung : 
Telephon  Nr.  6094. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  25.  October  1900.  Nr.  43. 


I  TNT  KE  .A. LT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Beitrag  zum  Studium  der  hereditären  Syphilis  in  der 

zweiten  Generation.  Von  Dr.  Edmond  Fournier,  Chef  der 
Facultätsklinik  für  Dermatologie  und  Syphilis  in  Paris. 

2.  Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Anton  Gluzihski  in 
Lemberg.  Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Entstehung  einer  acuten 
Nephritis  bei  Secundärsyphilis  (Nephritis  syphilitica  praecox).  Von 
Dr.  Abraham  Stepler,  k.  u.  k.  Regimentsarzt. 

3.  Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Gussen- 
bauer  in  Wien.  Ueber  Echinococcus  der  Niere.  Von  Dr.  Ludwig 
Stein,  emeritirtem  Operateur  obiger  Klinik. 

II.  Feuilleton:  Dem  Andenken  E.  Albert’s.  Von  Prof.  Güssen  bau  er. 


III.  Referate:  Therapie  der  Augenkrankheiten.  Von  Prof.  W.  Gold¬ 

zieher.  Ref.  E.  Fuchs.  —  Mikroskopie  und  Chemie  am  Kranken¬ 
bette.  Von  H.  Lenhartz.  Lehrbuch  der  klinischen  Hydrotherapie 
für  Studirende  und  Aerzte.  Von  M.  Matthes.  Lehrbuch  der 
Hydrotherapie.  Von  B.  Buxbaum.  Ref.  Ortner.  —  Diagnose 
und  Chirurgie  des  otogenen  Kleinhirnabscesses.  Von  W.  Okada. 
Betrachtungen  über  die  Grenzen  der  Otochirurgie  bei  Behand¬ 
lung  der  eiterigen  Mittelohr-  und  Warzenfortsatzentzündungen.  Von 
St  etter.  Ref.  Alexander. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte 


Beitrag  zum  Studium  der  hereditären  Syphilis 
in  der  zweiten  Generation. 

Von  Dr.  Eniond  Fournier,  Chef  der  Facultätsklinik  für  Dermatologie  und 

Syphilis  in  Paris. 

Vortrag,  bestimmt  für  den  XIII.  internationalen  medicinischen  Congress  in 

Paris  1900. 

Ueber  Wunsch  des  Verfassers  aus  dem  Französischen  übersetzt  vom  Docenteu 

Dr.  Karl  U  1 1  m  a  n  n  in  Wien. 

Meine  Herren! 

Ich  suchte  die  Studie  über  die  Nachkommenschaft  der 
Heredo-Syphilitiker,  welche  ich  vor  zwei  Jahren  begonnen 
habe,  durch  weitere  Beobachtungen  und  Nachforschungen  zu 
vervollständigen  und  beehre  ich  mich  nun,  Ihnen  liiemit  die 
Resultate  derselben  vorzulegen. 

Die  Zahl  aller  Beobachtungen  ist  relativ  klein,  beträgt 
45  Fälle  und  bietet  also  kein  umfangreiches  Beweismaterial,  sie  ge¬ 
winnt  aber  an  Bedeutung,  sobald  man  nur  bedenkt,  wie 
schwierig  es  ist,  bei  drei  aufeinanderfolgenden  Generationen 
continuirliche  und  vollständige  Beobachtungen  zu  sammeln. 

Was  uns  vor  allem  Anderen  bei  diesen  Beobachtungen 
auffällt,  das  ist  die  Aehnlicbkeit  aller  dieser  Fälle  in  Bezug 
auf  ihren  Ausgang,  so  dass  man  von  selbst  auf  eine  tiefe 
gemeinsame  Ursache  geführt,  auf  den  gemeinsamen  schädlichen 
Factor  bingewiesen  wird. 

Zwar  sind  nicht  alle  dieser  Studie  zur  Grundlage  liegen¬ 
den  Beobachtungen  völlig  einwandfrei,  bei  der  einen  fehlt 
hier,  bei  der  anderen  dort  ein  ätiologischer  Factor  und  man 
könnte  den  absoluten  Werth  mancher  derselben  geradezu  be¬ 
streiten.  Doch  da  sind  daneben  eine  grössere  Anzahl  anderer 
Beobachtungen,  die  vollkommen  in  jeder  Beziehung  alle  Ele¬ 
mente  der  Entstehung,  des  Endeffectes  in  sich  enthalten  und 
so  einen  unantastbaren  Typus  darstellen,  der  für  die  anderen 


Kicken-  und  mangelhaften  eine  gesunde  Vergleicbsbasis  ab¬ 
geben  kann. 

Von  derlei  vollkommenen  Typen,  bei  denen  kein  Factor 
fehlt  und"  die  genaue  Geschichte  von  drei  Generationen  vorhanden 
ist,  bin  ich  in  der  Lage,  18  aufzuweisen.  Folgendes  Beispiel 
citire  ich  aufs  Gerathewohl  als  Typus: 

I.  Grosseltern  beide  syphilitisch; 

II.  Mutter  liereditärsyphilitisch  und  an  einen  gesunden 
Mann  verheiratet; 

III.  die  Kinder  behaftet  mit:  Dystrophie  der  Zähne,  ins¬ 
besondere  der  Schneidezähnefurchungen.  Verringerte 
Zahnentwicklung  im  Allgemeinen.  Schlechte  Ent¬ 
wicklung  des  Thorax.  Infantilismus.  Gesichtsasym¬ 
metrien.  Strabismus,  ovale  Pupillenbildung. 

Bei  einer  Anzahl  von  Fällen  fehlt  allerdings  die  genaue 
Geschichte  der  Grossstem.  Derartige  Beobachtungen  sind  dann 
weniger  vollkommen  und  doch  haben  sie  einen  grossen  Werth, 
wenn  nur  das  Individuum  der  zweiten  Generation  sich  that- 
sächlich  als  hereditärsyphilitisch  erwiesen  hat  und  weil  man 
weiss,  dass  es  seine  Syphilis  von  seinen  Verwandten  in  auf¬ 
steigender  Linie  erhielt  und  dass  sein  Ehegemahl  frei  von 
jeder  erworbenen  Syphilis  ist. 

In  einer  dritten  Gruppe  vereinigte  ich  mehrere  noch  un¬ 
vollkommene  Beobachtungen,  bei  denen  man  sich,  ohne  die 
Geschichte  der  Grosseltern  zu  kennen,  einem  Hereditärsyphi¬ 
litiker  und  seinen  Nachkommen  gegenüber  befindet,  ohne  aber 
zu  wissen,  ob  das  Ehegemahl  dieses  Hereditärsyphilitikers 
selbst  von  erworbener  Syphilis  befallen  ist,  oder  nicht. 

Diese  letzteren  Beobachtungen  sind  verdächtig,  doch  da 
sie  nicht  zahlreich  sind,  glaubte  ich  auch  diese  meiner  Albeit 
beifügen  zu  dürfen,  ohne  Furcht,  die  Resultate  dadurch  zu 
beirren. 

■  Dies  ist  das  Resultat,  welches  der  Rechnungsauszug  aller 
Beobachtungen  bietet: 


986 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


I.  Bei  den  18  vollständigen  Beobachtungen,  bei  denen 
die  Geschichte  der  Grosseltern  und  Eltern  bekannt  ist,  und 
wo  man  die  Nachkommenschaft  Schritt  für  Schritt  verfolgen 
kann,  finde  ich  in  19  Familien  83  Schwangerschaften  (davon 
zwei  Zwillinge),  welche  auf  folgende  Art  endigten: 

23mal  Abortus,  davon  zwei  Zwillinge  =  25  Föten; 

30  todtgeborene  Kinder,  oder  macerirt,  oder  in  den  ersten 
Lebenstagen  gestorbene  Früchte; 

30  lebende  Kinder. 

II.  Bei  den  unvollständigen  Beobachtungen,  wo  ein  als  here¬ 
ditärsyphilitisch  Erwiesener  als  Ehegemahl  ein  gesundes  lndi 
viduum  hat,  finde  ich  in  sechs  Familien  22  Schwangerschaften, 
die  folgendermassen  endigten: 

9mal  Abortus; 

6  todtgeborene  oder  im  frühesten  Alter  gestorbene 
Kinder: 

7  lebende  Kinder. 

III.  Bei  21  unvollkommenen  Beobachtungen,  wo  man 
nur  einen  einzigen  Factor  kannte,  d.  h.  nur  die  hereditär¬ 
syphilitischen  Eltern,  finde  ich  in  21  Familien  38  Schwanger¬ 
schaften,  die  folgendermassen  endigten: 

9mal  Abortus; 

3  todtgeborene  Kinder; 

26  lebende  Kinder. 

Um  besser  zusammenzufassen,  145  Schwangerschaften 
lieferten 

82  todte  und 

63  lebende  Kinder 

Ehe  wir  weitergehen,  mache  ich  Sie  zunächst  auf  die 
erschreckende  Sterblichkeit  bei  den  Nachkommen  Hereditär¬ 
syphilitischer  aufmerksam.  82  Todte  unter  145!  Welche  bered¬ 
same  Ziffer  für  dieses  Thema!  56% !  Dies  zeigt  genügend, 
welch  verderblicher  Einfluss  auf  diesen  Familien  lastet;  ein 
verderblicher  Einfluss,  der  nur  noch  von  gleicher  Bedeutung 
bei  der  Nachkommenschaft  Hereditärsyphilitischer  der  ersten 
Generation  ist. 

Dieser  schädliche  Einfluss  hält  jedoch  hier  nicht  still,  er 
verfolgt  die  Ueberlebenden,  er  drückt  auch  ihnen  eine  Reihe 
von  Brandmälern:  Dystrophien,  Läsionen,  in  jedem  Punkte 
denen  der  Primärheredität  ähnelnd,  auf. 

Die  Ziffern,  die  ich  sammeln  konnte,  sind  nicht  zahlreich 
genug,  um  mir  zu  erlauben,  die  Schädlichkeit  dieser  secun- 
dären  Heredität  mit  der  primären  zu  vergleichen. 

Nichtsdestoweniger  sei  es  mir  von  nun  ab  gestattet,  zu 
behaupten,  dass  dieser  Einfluss  noch  unheilbringender  ist,  als 
die  primäre  Heredität. 

Thatsächlich  scheinen  von  diesen  63  überlebenden  Kindern 
blos  zwei  dem  unheilbringenden  Einflüsse  vollkommen  ent¬ 
gangen  zu  sein.  Und  ist  es  schon  sicher,  dass  selbst  diese 
beiden  Kioder  auch  in  der  Zukunft  verschont  bleiben  werden  ? 
Und  dann,  was  bedeuten  diese  beiden  Ausnahmen,  diese  zwei 
unverseuchten  Kinder  gegenüber  den  54  anderen  Trägern  von 
Brandmälern  und  Dystrophien,  die  derart  tiefeingreifende  Ge¬ 
breste  darstellen,  dass  aus  den  meistens  schwächlichen  Kindern 
förmliche  Krüppel  werden,  die  für  die  Gesellschaft  gänzlich 
unbrauchbar  sind. 

Dieser  dystrophische  Einfluss  der  secundären  Heredität 
erhält  sich  oft  genug  so  stark  ausgeprägt,  um  zu  dem  höchsten 
Grade  der  Dystrophie,  zur  Monstrosität  zu  führen.  Als  Beispiel 
will  ich  Ihnen  nur  einen  hier  bekannten  Fall  des  Dr.  Couleet 
in  Erinnerung  rufen,  bei  dem  die  secundäre  Heredität  ein 
förmliches  Ungeheuer  hervorbrachte,  mit  zahlreichen  Miss¬ 
bildungen,  wie  Hasenscharte,  Plattfuss,  Defect  der  Uvula, 
Verschluss  der  Urethra,  Missbildung  der  Ohren,  der  Zehen 
und  der  Finger. 

Wirklich,  angesichts  solcher  entsetzlicher  Folgen  sollte 
man  vorläufig  gar  nicht  über  den  absoluten  Werth  meiner  Zahlen 
und  den  mörderischen  Einfluss  dieser  _  secundären  Heredität 
discutiren. 

Meine  Beobachtungen  sind  wohl  wenig  zahlreich;  und 
doch  was  sind  sie  im  Vergleich  mit  anderen  nicht  publicirten, 
nicht  gesammelten  Beobachtungen,  wo  sich  diese  Heredität 
zweifellos  nur  in  leichten  oder  aber  nicht  klar  verständ¬ 


lichen,  unbedeutenden  Symptomen  äussert  oder  selbst  harm¬ 
los  blieb.  Beim  thatsächlichen  Stande  dieser  Dinge  ist  es  un¬ 
möglich,  diesen  Vergleich  zu  machen  und  ich  kann  Ihnen  heute 
nur  den  absoluten  Werth  meiner  Zahlen  mit  ihrer  Bered¬ 
samkeit  und  ihrer  wirklich  entsetzlichen  Brutalität  überlassen. 

Aber  wenn  ich  auch  meine  Beobachtungen  mit  anderen 
tröstlicheren  der  Zahl  nach  nicht  vergleichen  kann,  so  bleiht 
deshalb  nicht  weniger  die  Thatsache  sichergestellt,  dass  bei 
145  Kindern,  die  von  Nachkommen  Hereditärsyphilitischer 
geboren  sind,  blos  63  lebten,  die  mehr  oder  weniger  fehler¬ 
haft,  mehr  oder  weniger  missgebildet  sind  und  von  denen  blos 
zwei  verschont  blieben. 

Ich  kann  hier  nicht  alle  Stigmata  aufzählen,  die  diese 
63  Kinder  zeigten;  sie  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  fast 
dieselben,  wie  die  bei  Hereditärsyphilitikern  der  ersten  Gene¬ 
ration.  Vielleicht  sind  sie  hier  sogar  zahlreicher!  —  es  genügt 
mir,  zu  sagen,  dass  ich  bei  diesen  63  Kindern  im  Minimum 
108  Läsionen  auffinden  konnte. 

Das  folgende  Bild  ist  eine  lange  Aufzählung  aller  dieser 
Dystrophien;  es  umfasst  die  Stigmata  jeder  Gattung,  die  der 
Zähne,  der  Augen,  der  Ohren,  der  Knochen,  allerlei  Dystro¬ 
phien,  auch  die  des  Intellectes,  Dystrophien  des  Skeletes,  der 
Hirnschale,  Missbildungen,  wie  Plattfuss,  Hasenscharte,  an¬ 
geborener  completer  Verschluss  der  Urethra,  (fötale)  Ampu¬ 
tationen  von  Gliedmassen,  Luxationen  der  Hüfte  etc.  Ich  will 
nur  noch  sagen,  dass  von  allen  diesen  Läsionen  es  häufigere 
und  weniger  häufige  gibt.  Nach  ihrer  Frequenz  geordnet  finde 
ich  in  erster  Reihe  die  der  Zähne,  die  craniellen  Miss¬ 
bildungen,  dann  die  Knochenerkrankungen  der  Gliedmassen 
und  des  Rumpfes,  dann  die  eigentlich  syphilitischen  Mani 
festationen,  wie  das  Ulcus  syph.  und  das  Gumma,  dann  die 
zurückgebliebene  Entwicklung,  den  Infantilismus,  die  in- 
tellectuellen  Dystrophien  und  die  Idiotie,  dann  die  Epilepsie 
und  die  Hysterie,  die  Atrepsie,  das  decrepide  und  gealterte 
Aussehen,  das  auriculäre  Entartungsmerkmal,  cardiale  Miss¬ 
bildungen  etc. 

Wenn  Sie  nun  erst  die  lange  Martyrologie  der  Kranken¬ 
geschichten  lesen  würden,  die  dieses  Dossier  enthält,  dann 
würden  Sie  nichts  Anderes  als  detaillirte  derartige  Beob¬ 
achtungen  finden,  wie  ich  sie,  um  Ihnen  die  Zeit  zu  sparen, 
dieser  Sammlung  nur  in  kurzem  skizzenhaften  Auszuge  bei¬ 
gelegt  habe. 

Ich  könnte  Ihnen  z.  B.  nur  45mal  nach  einander  eine 
auf  dem  gleichen  Modell  aufgebaute  Geschichte  zeigen,  die 
stets  mit  dem  nahezu  identischen  Resultate  endigt. 

Diese  Lecture,  die  ohne  Zweifel  durch  die  Eintönigkeit 
und  Gleichmässigkeit  der  Thatsachen  langweilig  ist,  würde 
Ihnen  dennoch  zeigen,  wie  schrecklich  der  dystrophische  und 
mörderische  Einfluss  der  Syphilis  mehrere  Generationen  hinter¬ 
einander  verfolgt  und  ebenso  grausam  die  Kinder  der  dritten, 
wie  auch  die  der  zweiten  Generation  befällt. 

Auf  die  Frage  des  heutigen  Congresses:  Wie  ist  die 
Nachkommenschaft  der  Hereditärsyphilitiker?  fühle  ich  mich 
bemüssigt,  dementsprechend  folgendermassen  zu  antworten: 

Für  eine  gewisse  Anzahl  der  Fälle,  die  man  wohl  noch 
nicht  genau  präcisiren  kann,  die  ich  aber  für  sehr  bedeutend 
halte,  ist  die  Nachkommenschaft  der  Hereditärsyphilitiker  eine 
verringerte  und  geschwächte,  mit  Stigmata  und  zahlreichen 
Dystrophien  behaftete.  Diese  Hereditärsyphilitiker  stellen  mit 
einem  Worte  minderwerthige  Mitglieder  der  Gesellschaft,  die 
Schwächlinge  der  Racen  dar. 

Aus  46  hereditärsyphilitischen  Ehen  entstanden  nun 
143  Schwangerschaften,  welche  folgendermassen  endigten: 

43mal  Abortus; 

39  todtgeborene  oder  bald  verstorbene  Kinder; 

63  lebende  Kinder. 

Bei  diesen  63  Kindern  konnte  ich  folgende  Dystrophien 
erheben : 

Zahndefecte . jg  Fälle 

Augendefecte . 19» 

Missbildungen  des  Gehirnes,  Mikrocephalus  .11  » 

Knochen-  und  rachitische  Erkrankungen  .  .  11  » 

Zurückgebliebene  Entwicklung  in  der  Kindheit  6  » 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


987 


Intellectuelle  und  idiotische  Dystrophien  .  . 

Epilepsie  und  Hysterie . 

Decrepides  und  gealtertes  Aussehen  .  .  .  . 

Stigma  auriculare . 

Missbildungen  des  Herzens . 

Asymmetrien . 

Nervöse  Convulsioneu . 

Plattfuss  . 

Incontinentia  urinae  . 

Ein  Senkung  der  Nasenknochen . 

Erweiterung  und  übermässige  Ausbildung  der 

Hautvenen . 

Hasenscharte . 

Luxation  der  Hüfte . 

Angeborener  Verschluss  der  Urethra  .  .  . 
Missbildung  der  Finger  und  Zehen  .  .  .  . 

Amputation  deä  Vorderarmes . 

Missbildung  der  Ohren . 

Atrophie  der  Zunge  . 

Dilatation  der  Bronchien.  Nävus,  Tuberculose, 
Kropf,  Landkarten zunge . 


5  Fälle 

4  » 

4  » 

3  » 

3  » 

3  » 

2  * 

2  » 

1  Fall 
1  » 

1  * 

1  » 

1  » 

1  » 

2  Fälle 
1  Fall 
1  » 

1  » 

6  Fälle 
108  Fälle 


I.  Gruppe. 


I.  Beobachtung  (Dr.  Barthelemy).  These  in- 
augurale.  Nummer  384. 

1.  Grossvater  mütterlicherseits  syphilitisch; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  einen  gesunden  Mann 
verheiratet; 

3.  Kind  mit  fünf  Jahren. 

Zurückbleiben  der  Entwicklung,  grosser  Kopf,  Asym¬ 
metrie  des  Schädels  und  Gesichtes,  übermässige  Ausbildung 
der  Venengeflechte,  kleine,  missbildete,  gerillte  Zähne. 

II.  Beobachtung  (Dr.  E  ti  en  n  e).  These  inaugurale. 
Nummer  389. 

1.  Grossmutter  väterlicherseits  syphilitisch; 

2.  hereditärsyphilitischer  Vater,  an  eine  gesunde  Frau 
verheiratet; 

3.  fünfmal  Abortus,  zwei  früh  verstorbene  Kinder. 

Acht  lebende  Kinder,  bei  denen  ich  notirt  finde:  grosser 

Schädel,  mehrfache  Zahnanomalien,  fehlerhafte  Implantation, 
tiefe  Riffenbildung,  Sprachstörungen,  geistige  Störungen,  Hysterie. 

III.  Beobachtung.  These  inaugurale.  Beobachtungs¬ 
nummer  390. 

1.  Syphilitische  Grosseltern; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  einen  gesunden  Mann 
verheiratet ; 

3.  dystrophisches  Kind. 

Zurückgebliebener  Thorax,  Infantilismus,  seitlicher 
Buckel,  Gesichtsasymmetrie,  Strabismus  externus,  ovale  Pu¬ 
pillen,  dystrophische  Zähne,  streifenförmige  Erosionen,  Ver¬ 
bildung  der  Mahlzähne. 

IV.  Beobachtung  (Dr.  G  a  s  t  o  u).  These  inaugurale. 
Observationsnummer  222. 

1.  Syphilitische  Grossmutter; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  einen  gesunden  Mann 
verheiratet; 

3.  Kind  zeigte  eine  congenitale  Amputation  des  Vorder¬ 
armes  und  Glossitis  exfoliativa  marginalis. 

V.  Beobachtung  (Dr.  Ca  übet).  These  inaugurale. 
Observationsnummer  396. 

1.  Syphilitische  Grossmutter; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  einen  gesunden  Mann 
verheiratet; 

4.  vier  Schwangerschaften,  die  so  endigten: 

a)  todtgeborenes  Kind; 

b)  Fötus; 

c)  Abortus; 

d)  monströses  Kind,  das  nach  drei  Tagen  starb;  es 
zeigte  folgende  Missbildungen:  Hasenscharte,  Plattfuss,  Ver¬ 
schluss  der  Urethra,  Fehlen  der  Uvula,  Missbildung  der  Ohren 
und  Finger,  der  Zehen.  Nävus. 


VI.  Beobachtung  (Prof.  Tarnovsky).  These  in¬ 
augurale.  Nummer  397. 

1.  Syphilitische  Grossmutter; 

2.  hereditärsyphilitischer  Vater,  an  eine  gesunde  Frau 
verheiratet; 

3.  elf  folgendermassen  beendigte  Schwangerschaften: 

a)  acht  todtgeborene  Kinder; 

b)  ein  hystero  epileptisches  Kind; 

c)  ein  tuberculoses  Kind; 

d)  ein  mit  Kropf  behaftetes  Kind. 

VII.  Beobachtung  (Prof.  Pinard).  These  in¬ 
augurale.  Nummer  225. 

1.  Syphilitischer  Gross vater; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  war  zweimal  an  einen 
gesunden  Mann  verheiratet: 

«)  ein  todtgeborenes  Kind; 

b)  viermal  Abortus; 

c)  ein  lebendes  Kind  mit  verschiedenen  Merkmalen 
hereditärer  Syphilis. 

VIII.  Beobachtung  (Prof.  Lannelongue).  These 
inaugurale.  Beobachtungsnummer  32. 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  Mutter,  die  jetzt  keine  scheinbaren  Merkmale  hat, 
heiratet  einen  gesunden  Mann: 

a)  zweimal  Abortus;. 

b)  lebendes,  ganz  kleines  Kind,  Mikrocephalus,  idiotisch, 
mit  Convulsionen  behaftet. 

IX.  Beobachtung  (Dr.  Pernet).  These  Armenteras. 
British  Journal  of  Dermat.  Nr.  134  V.  Beitrag  zum  Studium 
der  Syphilis  der  dritten  Generation.  Beobachtung  37. 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  einen  gesunden  Mann 
verheiratet; 

3.  sieben  folgendermassen  endigende  Schwangerschaften: 

a)  nach  drei  Tagen  gestorbenes  Kind; 

b)  Abortus; 

c)  Abortus  nach  sechs  Monaten  von  zwei  Zwillingen; 

d)  lebendes  Kind,  klein,  zart,  schläfrig,  wenig  intelligent; 

e)  Abortus; 

f)  Abortus  von  Zwillingen; 

g)  Abortus, 

X.  Beobachtung  (Dr.  Jullien).  These  Armenteras. 
Beobachtungsnummer  38. 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  gesunden  Mann 
verheiratet; 

3.  zwei  Schwangerschaften,  von  denen: 

a)  Abortus; 

b)  ein  lebendes  Kind,  das  nicht  untersucht  ist. 

XI.  Beobachtung  (Dr.  Suarez  de  Mendoza).  These 
Armenteras.  Beobachtungsnummer  19. 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  Vater  ohne  sichtbare  Merkmale,  an  eine  gesunde  Frau 
verheiratet; 

3.  vier  Schwangerschaften,  die  so  endigten: 

ctj  _A.  foortus  * 

b)  lebendes’  Mädchen,  Mikrocephalus,  mit  greisenhaftem 
Aussehen,  mit  abgeschliffenen  Zähnen,  verkümmerten  Eck¬ 
zähnen,  beiderseitiger  Iridochorioiditis  und  einem  ulcerirten 
Gumma  des  einen  Unterschenkels; 

c) ,  d)  lebende  Kinder  mit  greisenhaftem  Aussehen. 

XII.  Beobachtung  (Dr.  Davasse).  These  Ar¬ 
menteras.  Beobachtungsnummer  4. 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  Mutter  ohne  sichtbare  Merkmale,  heiratet  einen  ge¬ 
sunden  Mann; 

3.  sieben  Schwangerschaften,  so  endigend: 

a)  sechs  Kinder  im  frühesten  Alter  gestorben; 

b)  ein  lebendes  Kind,  rachitisch. 

Multiple  Caries  der  Knochen  mit  Sequesterbildung  und 
Einsenkung  des  Nasenrückens,  Zahndystrophien. 

XIII.  Beobachtung  (Dr.  Dureuil).  These  Ar¬ 
menteras.  Beobachtungsnummer  7. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


1.  Syphilitische  Grossmutter  hatte  zehn  Kinder,  davon 
sieben  gestorben,  eines  gesund,  zwei  hereditärsyphilitisch; 

2.  Vater  hereditärsyphilitisch,  heiratet  gesunde  Frau; 

3.  acht  Schwangerschaften  endigten  in: 

«)  zwei  Abortus; 

b\  fünf  Kinder,  früh  gestorben,  davon  drei  an  Meningitis; 

c)  ein  Kind,  welches  multiple,  syphilitische  Arthropathien 
zeigt.  Hyperostosen  der  Epiphysen  an  der  Tibia  und  Femores, 
Gelenksverdickungen,  gummöse  Ulcerationen. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  an  gesunden  Mann 
verheiratet; 

2.  vier  Schwangerschaften  endigten  in: 

a )  zwei  Abortus; 

b )  zwei  frühzeitig  gestorbene  Kinder. 

XIV.  Beobachtung  (Dr.  V  a  s  i  1  i  e  f  f). 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  an  allgemeiner  Paralyse  gestorbener  Vater,  der  an 
gesunde  Frau  verheiratet  war; 

3.  zwei  Schwangerschaften,  endigten  in: 

d)  Mädchen  mit  25  Jahren,  klein,  zeigt  eine  ausgebauchte 
Stirne,  einen  kleinen,  schlecht  geformten  Kopf.  Exostosen  an 
den  Rippen  und  am  Humerus,  maxillare  Tumoren  und  eine 
Missbildung  des  Beckens; 

b)  neuropathischer  Sohn. 

XV.  Beobachtung  (Dr.  Lemon  ni  et). 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  hcreditärsyphilitischer  Vater,  an  gesunde  Frau  ver¬ 
heiratet; 

3.  zwei  Schwangerschaften,  endigend  in: 

d)  Sohn,  27  Jahre  alt,  wunderbar  gebaut,  hat  aber 
Gumma  nasi,  Sarcocele,  specifisehe  Verkümmerung  des  Hodens; 

b)  Sohn,  24  Jahre  alt,  ohne  Stigmata,  aber  specifisehe 
Ulcerationen  an  den  Beinen. 

XVI.  Beobachtung  (Prof.  A.  Fournier). 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  Vater  ohne  sichtbare  Merkmale,  an  gesunde  Frau 
verheiratet ; 

3.  Kind,  mit  16  Monaten  Periostosis  frontalis.  Spina  ventosa. 

XVII.  Beobachtung  (Dr.  Barthelemy). 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  hereditärsyphilitischerVater, an gesundeFrau verheiratet; 

3.  zwei  Schwangerschaften  endigten  in: 

ci)  Mädchen  mit  18  Jahren  (Jungfrau),  hatte  syphilitische 
Gummen  an  der  linken  Brustwarze,  die  für  Tuberculose  der 
Mammae  gehalten  worden  waren  und  durch  specifisehe  Be¬ 
handlung  geheilt  wurden; 

b)  Mädchen  mit  fünf  Jahren,  ungeheuer  kindlich,  mit 
verunstaltendem  congenitalem  Gelenksrheumatismus  behaftet. 

XVIII.  Beobachtung  (persönlich).  These  inaugurale. 
Nummer  393. 

1.  Syphilitischer  Grossvater; 

2.  hereditärsyphilitische  Mutter,  an  gesunden  Mann 
verheiratet; 

3.  zwei  Schwangerschaften  endigten  in  zwei  Todesfällen 
in  frühem  Alter. 

II.  Gruppe. 

I.  Beobachtung  (Dr.  Giber t)  These  inaugurale. 
Nummer  338. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  an  gesunden  Mann  ver¬ 
heiratet; 

2.  vier  Kinder  zeigen:  Knochenverkrümmungen,  De¬ 
formationen  des  Gehirnes,  alle  Anzeichen  der  Rachitis;  eines 
davon  ist  idiotisch. 

II.  Beobachtung  (Prof.  A.  Fournier).  These 
inaugurale.  Nummer  391. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  an  gesunden  Mann  ver¬ 
heiratet; 

2.  drei  Schwangerschaften,  endigen  alle  in  Abortus. 

III.  Beobachtung  (Prof.  A.  Fournier).  These 
inaugurale.  Nummer  392. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  die  eine  gesunden  Mann 
heiratet ; 


2.  vier  Schwangerschaften  endigten  in: 

a)  zwei  Abortus; 

b)  ein  früh  verstorbenes  Kind; 

c)  ein  gesundes  Kind. 

IV.  Beobachtung  (Dr.  Gilles  de  la  Ton  rette). 
These  inaugurale.  Beobachtungsnummer  395. 

1.  Hereditärsyphilitischer  Vater,  an  gesunde  Frau  ver¬ 
heiratet; 

2.  sechs  Schwangerschaften  endigten  in: 

n)  zwei  Abortus; 

b)  zwei  früh  gestorbene  Kinder; 

c)  ein  Kind  mit  zwölf  Jahren  an  Peritonitis  gestorben; 

d)  ein  lebendes  Kind,  schwach  und  sehr  nervös. 

V.  Beobachtung  (Dr.  Deyanneau).  These  Ar¬ 
menteras.  Beobachtungsnummer  10. 

1.  Hereditärsyphilitischer  Vater,  an  gesunde  Frau  ver¬ 
heiratet; 

2.  drei  Schwangerschaften  endigten  in: 

a)  zwei  Abortus; 

b)  ein  Kind,  mit  sieben  Monaten  an  Meniugitis  ge¬ 
storben. 

VI.  Beobachtung  (Dr.  Atkinson).  These  Armenteras. 
Beobachtungsnummer  15. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  an  gesunden  Mann  ver¬ 
heiratet; 

2.  zwei  Schwangerschaften  endigten  in: 

a)  Lebendes  Kind:  Eruption; 

b)  Kind,  mit  acht  Monaten  gestorben,  zeigte  Roseola, 
Coryza,  Erosionen  perianal  und  scrotal.  Greisenhafter  Aus¬ 
druck. 

III.  Gruppe. 

■I.  Beobachtung  (Dr.  Barthelemy).  These  iuaugurale. 
Beobachtungsnummer  85. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter  mit  chronischem  Rheuma¬ 
tismus;  entstammt  syphilitischem  Vater ; 

2.  mageres  Kind,  disproportionirt,  mit  auffallend  kurzen 
Unter-  und  sehr  langen  Oberschenkelknochen  etc. 

II.  Beobachtung  (Dr.  Barthelemy).  These 
inaugurale.  Beobachtungsnummer  386. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter; 

2.  lymphatisches  Kind,  schlecht  gewachsen,  kleine  ab¬ 
gewetzte,  schief  implantirte  Zähne,  Granulationen  im  Pharynx, 
chronischer  Ohrenfluss,  Nasenkatarrh. 

III.  Beobachtung  (Dr.  Barthelemy).  These 

inaugurale.  Beobachtungsnummer  387. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter  mit  chronischen  Gewebs- 
verdickungen  an  mehreren  Gelenken ; 

2.  zu  früh  geborenes  Kind,  idiotisch  und  verderbt. 

IV.  Beobachtung  (Dr.  Barthelemy).  These 

inaugurale.  Beobachtungsnummer  388. 

1.  An  allgemeiner  Paralyse  gestorbener  Vater,  stammt 
von  syphilitischem  Vater; 

2.  epileptisches  Kind. 

V.  Beobachtung  (Prof.  Penaro).  These  inaugurale. 
Beobachtungsnummer  394. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  die  wahrscheinlich  von 
syphilitischem  Vater  stammt; 

•2.  sechs  Schwangerschaften  endigten  in: 

a)  ein  Kind,  nach  wenigen  Minuten  gestorben; 

b)  vier  Abortus ; 

c)  ein  lebendes  Kind  zeigt  ulceröse  Syphilide. 

VI. ,  VII.,  VIII.  B  e  o  b  a  c  h  t  u  n  g  (Prof.  Galczowski). 
These  Armenteras.  Beobachtungsnummer  5,  7  und  die  fol¬ 
genden. 

1.  Ein  Elterntheil  ist  hereditärsyphilitisch,  selbst  von 
syphilitischem  Vater  oder  Mutter  stammend; 

2.  Kind  mit  Keratitis  und  mit  Dystrophien  des  Augen¬ 
hintergrundes  behaftet.  Chorioiditis  atrophicans  mit  charak¬ 
teristischen  Pigmentationen. 

IX.  Beobachtung  (Dr.  A  n  ton  eil  i).  These  Ar¬ 
menteras.  Beobachtungsnummer  28. 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter; 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  190ö. 


989 


2.  vier  Schwangerschaften  endigten  in: 

a )  zwei  Abortus; 

l>)  zwei  lebende  Kinder  mit  opthalmoskopischen  Merk¬ 
malen  (papilläre,  vasculäre  und  pigmentäre  Alterationen). 

X,  XL,  XII.  B  e  ob  ach  t  un  g  (Dr.  A  n  t  o  n  el  li).  These 
Armenteras.  Beobachtungsnummer  29,  30  und  31. 

XIII.  Beobachtung  (Dr.  Jaquet).  Bulletin  de 
Dermat.  et  Syphyl.  1895,  pag.  370. 

1.  Hereditärsyphilitische  flutter  mit  einer  Missbildung 
des  Knies; 

2.  dystrophische  Kinder  mit  Zahndefecten,  Missbildungen 
des  Schädels,  Säbelbeine,  Exostosen  in  der  Mitte  des 
Gaumens. 

XIV.  Beobachtung  (Dr.  G  u  e  r  i  n). 

1.  Hereditärsyphilitische  Mutter,  höchst  wahrscheinlich  an 
gesunden  Mann  verheiratet; 

2.  fünf  Schwangerschaften  endigten  in: 

a )  zwei  Abortus; 

b)  zwei  Kinder  mit  Zahndefecten,  Zähne  nach  Hut¬ 
chinson,  Keratitis  interstitialis,  Ulcerationen  der  Gesichts¬ 
baut  etc; 

c)  zwei  gesunde  Kinder. 

XV.  Beobachtung  (Dr.  Braque  ha  ye).  Annales 
de  Dermat.  et  Sypli.  1898,  pag.  1105. 

1.  Hereditärsyphilitischer  Vater,  stammend  von  einer 
Mutter,  welche  syphilitischen  Schanker  des  Busens  hatte; 

2.  Mädchen  mit  congenitaler  Luxation  der  Hüfte. 

XVI.  Beobachtung  (Dr.  Antonelli). 

1.  Hereditärsyphilitischer  Vater; 

2.  Sohn,  welcher  zeigt:  Zahnmissbildungen,  eingefallene 
Nase,  ophthalmoskopisch  nachgewiesene  Merkmale,  voluminösen 
Schädel,  Plattfuss. 

XVII.  Beobachtung  (Strzeminski) 

1.  Nachgewiesen  syphilitischer  Vater; 

2.  Kind  mit  zehn  Jahren  mit  nachfolgenden  Merkmalen: 
Keratitis  parenchymatosa,  Kolobome  der  Iris,  Unbeweglichkeit 
der  Augen  nach  aussen,  Astigmatismus.  Pigmentdegeneration 
der  Retina.  Gehörschwäche.  Halbseitige  Zungenatrophie. 

XVIII.  Beobachtung  (eigene  Beobachtung). 

1.  Mutter  durch  Heredität  syphilitisch; 

2.  zwei  Schwangerschaften  endigten  in: 

a )  ein  Kind,  mit  vier  Monaten  an  Meningitis  gestorben; 

b )  ein  Kind  zeigte  Zahnerosionen,  Missstaltungen  der 
Zähne,  Herzfehler,  Cyanose. 

XIX.  Beobachtung  (eigene  Beobachtung). 

1.  Nachgewiesen  hereditärsyphilitischer  Vater; 

2.  Kind,  behaftet  mit  cerebraler  Dystrophie,  Incontinentia 
urinae,  Verengerung  der  Pulmonalarterie. 

XX.  Beobachtung  (Dr.  Strzeminski).  Annales 
de  Dermat.  et  de  Syph.  1897,  pag.  702. 

1.  Hereditärsyphilitischer  Vater; 

2.  zwei  Kinder,  behaftet  mit  Keratitis  und  mit  Chorioiditis, 
Läsionen,  die  durch  specifische  Behandlung  geheilt  wurden. 

XXI.  Beobachtung  (Dr.  Klein).  These  Armenteras. 
Beobachtüngsnummer  23. 

1.  LIereditärsyphilitische  Mutter  nach  syphilitischem  Vater; 

2.  Kind  mit  Keratitis  parenchymatosa. 


Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Anton  Gluzinski 

in  Lemberg. 

Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Entstehung  einer 
acuten  Nephritis  bei  Secundärsyphilis  (Nephritis 
syphilitica  praecox). 

Von  Dr.  Abraham  Stepler,  k.  u.  k.  Regimentsarzt. 

In  seinem  neuesten  Werke  über  Nierenkrankheiten  zählt 
Senator1)  die  acute  syphilitische  Nephritis  bei  den  secun- 
dären  Eruptionen  der  Lues  zu  den  selteneren  Krankheits- 

*)  Senator,  Die  Krankheiten  der  Nieren.  Specielle  Pathologie 
und  Therapie  von  Nothnagel.  1896,  Bd.  XIX,  I.  Theil,  II.  Abtheilung. 


formen.  Wenn  man  auch  häufig  Eiweiss  im  Harne  gelegentlich 
des  Ausbruches  der  Secundärsyphilis  beobachtet,  glaubt 
Senator,  dieses  Eiweiss  von  einer  früheren,  etwa  vor  der 
Ansteckung  bestandenen  Nierenaffection,  oder  von  sonstigen 
beim  Auftreten  der  Syphilis  zufällig  vorhandenen  Ursachen, 
wie  Alkoholmissbrauch,  Quecksilberbehandlung  herleiten  zu 
können. 

Bezugnehmend  auf  die  Arbeit  von  E.  Wagner2) 
welcher  unter  den  deutschen  Autoren  so  ziemlich  der  Einzige 
über  acuten  Morbus  Brightii  bei  Secundärsyphilis  berichtet, 
meint  Senator,  dass  auch  diesem  der  stricte  Nachweis  über 
den  Zusammenhang  der  betreffenden  Krankheiten  nicht  ge¬ 
lungen  sei.  Nach  französischen  und  anderen  Autoren  (Per- 
roud,  Horteloup,  Mauriac,  J  a  c  c  o  u  d,  T  o  m  m  a  s  o  1  i  etc.), 
welche  sich  mit  grösserer  Bestimmtheit  über  die  Abhängigkeit 
mancher  Nephritis  von  der  Lues  aussprechen,  soll,  wie 
Senator  mittheilt,  diese  syphilitische  Nierenentzündung 
(Nephritis  syphilitica  praecox)  zwei  bis  acht  Monate  nach  der 
luetischen  Infection  auftreten  und  von  den  leichtesten  Graden 
parenchymatöser  Nierenerkrankung  zu  den  schwersten  diffusen 
Nephritiden,  ähnlich  wie  bei  Scharlach,  sich  entwickeln. 

Neumann3),  welcher  in  seinem  Werke  über  Syphilis 
die  von  dieser  abhängigen  Nierenkrankheiten  ausführlich 
schildert,  hebt  die  acute,  syphilitische  parenchymatöse  Nephritis 
als  specielle  Krankheitsform  hervor  und  erklärt,  gestützt  auf 
seine  eigenen,  sowie  die  Beobachtungen  Anderer  (Wagner, 
Burkmann,  V  u  1  p  i  a  n,  B  o  n  k  k  e  i  e  f  f  etc.),  dass  diese 
Nierenerkrankung  in  den  ersten  Monaten  nach  der  Infection 
mit  dem  syphilitischen  Virus,  und  zwar  gleichzeitig  mit  den 
Hautausschlägen  und  den  übrigen  secundären  Erscheinungen 
der  Lues  auftrete. 

In  Bezug  auf  die  Diagnose  einer  syphilitischen  Nephritis 
handelt  es  sich  nach  Neumann  nur  darum,  alle  übrigen 
möglichen  ätiologischen  Momente  für  eine  Nierenerkrankung 
auszuschliessen.  Als  charakteristische  Symptome  dieser  Nephritis 
erwähnt  Neumann,  ausser  den  bestehenden  oder  kurz  voran¬ 
gegangenen  Syphiliserscheinungen,  beträchtliche  Quantitäten 
von  Eiweiss  im  Harne,  hyaline  und  granulirte  Cylinder,  rothe 
Blutkörperchen,  weisse  Blutzellen,  Nierenepithelien,  Abnahme 
der  täglichen  Harn  menge,  rasch  auftretende  Anasarka  und 
Erhöhung  der  Körpertemperatur. 

Mit  diesem  Gegenstände  haben  sich  besonders  eingehend 
die  Franzosen  beschäftigt. 

Von  diesen  beobachtete  Fälle  und  deren  Ansichten  werde 
ich  später  näher  ausführen,  hier  will  ich  nur  bemerken,  dass 
die  Diagnose  der  syphilitischen  Grundlage  für  eine  constatirte 
Nierenentzündung  sich  auf  das  Zusammentreffen  des  Symptomen- 
complexes  der  Nephritis  und  Lues,  das  Resultat  der  specifischen 
Behandlung  und  endlich  den  Mangel  anderer  ätiologischen 
Momente  stützen  kann.  Das  klinische  Bild  der  syphilitischen 
Nierenentzündung  hat  und  kann  sonst  keine  besonderen  Merk¬ 
male  haben,  da  wir  ja  dieselben  Symptome  bei  Nephritiden 
aus  welch  immer  für  Ursache  finden. 

Der  Fall,  welchen  ich  auf  der  Klinik  des  Professors 
Gluzinski  beobachtet  habe,  leistet  den  erwähnten  Anforde¬ 
rungen  sowohl  in  Bezug  auf  die  Symptome,  als  auch  mit 
Rücksicht  auf  den  Verlauf  und  das  Resultat  der  Behandlung 
Genüge,  weshalb  ich  denselben  beschreibe: 

B.  K.,  Landmann,  20  Jahre  alt,  in  die  Klinik  aufgenommen 
am  4.  Januar  1.  J.,  war  stets  vollkommen  gesund.  Gegen  Ende 
November  1899  beobachtete  er  ein  Geschwür  an  der  Eichel,  welches 
er  durch  einige  Zeit  mit  Carboiwasserumschlägen  selbst  behandelte. 
Ende  December  1899,  etwa  um  den  27.,  traten  Schwellung  des 
Gesichtes,  insbesondere  der  Augenlider,  und  drei  Tage  später  (Jedem 
der  unteren  Gliedmassen  auf,  wobei  sich  Patient  immer  schwächer 
fühlte.  Seitens  des  Verdauungstractes  und  des  Blutgefässsystems 
hatte  derselbe  keine  Beschwerden,  Appetit  war  erhalten,  Stuhl 
normal. 


~)  W  a  g  n  e  r,  Die  constitutionelle  Syphilis  und  die  davon  abhängigen 
Nierenkrankheiten.  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  1881,  Bd. XXVIII. 

■3)  Neumann,  Die  Syphilis.  Specielle  Pathologie  und  Therapie  von 
Nothnagel.  1896,  Bd.  XXIII,  zweite  Hältte. 


990 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


Die  Harnmenge  soll  sich  seit  Ende  December  bedeutend  ver¬ 
mindert  haben,  der  Harn  selbst  war  trübe  und  von  röthlicher  Farbe. 

Die  am  5.  Januar  1.  J.  vorgenommene  Untersuchung  des 
Patienten  ergab  folgenden  Befund: 

Kräftiger  Körperbau,  guter  Ernährungszustand.  Temperatur 
normal.  Haut  und  sichtbare  Schleimhäute  blass.  Das  Gesicht, 
namentlich  die  Augenlider,  Lendengegend,  Scrotum,  Penis  und  die 
unteren  Gliedmassen  sind  stark  ödematös,  das  Oedem  ist  weich 
und  teigig.  • 

Auf  der  Haut  der  Brust,  des  Abdomens,  sowie  der  oberen 
Gliedmassen  befindet  sich  ein  deutlicher,  charakteristischer  Aus¬ 
schlag  mässigen  Grades  (Roseola  luetica). 

Die  Lymphdrüsen  am  Halse  sind  massig  vergrössert,  hart 
und  schmerzlos,  desgleichen  die  in  den  Ellenbeugen. 

Ueber  den  hinteren  unteren  Thoraxpartien,  von  den  Schulter¬ 
blattwinkeln  angefangen,  beiderseits  gedämpfter  Percussionsschall, 
Abschwächung  des  Stimmfremitus  und  des  Athmungsgeräusches 
(Hydrofhorax  ambilateralis);  an  den  sonstigen  Partien  überall  vesi- 
culäres  Athmen,  hie  und  da  von  rauhem  Charakter,  die  Exspiration 
ist  deutlich  hörbar. 

Herzdämpfung  in  normalen  Grenzen,  über  den  Ostien  zwei 
reine  Töne;  der  zweite  Aortenton  ist  massig  accentuirt,  Radialis 
gut  gespannt,  Puls  regelmässig,  nicht  beschleunigt. 

Abdomen  mässig  vergrössert,  Fluctuation  angedeutet,  ln  den 
seitlichen  Theilen  des  Abdomens  gedämpfter  Percussionsschall, 
welcher  sich  bei  Lagewechsel  wieder  aufhellt  (Ascites). 

Die  Leber  reicht  in  der  Mamillarlinie  bis  zum  Rippenbogen, 
in  der  Mittellinie  zwei  Finger  breit  unterhalb  des  Processus 
xiphoideus;  sie  ist  mässig  palpabel,  etwas  härter  und  druck¬ 
empfindlich.  Die  Milz  mässig  vergrössert,  jedoch  nicht  tastbar. 

ln  der  Eichelfurche  befindet  sich  ein  Geschwür  von  knorpel- 
hafter  Basis,  das  bereits  an  der  Oberfläche  beginnende  Ueber- 
häutung  zeigt.  In  der  linken  Leistenbeuge  sind  die  Drüsen  walnuss¬ 
gross,  hart  und  schmerzlos,  desgleichen  die  der  rechten  Inguinal¬ 
gegend,  nur  etwas  kleiner.  Am  Scrotum  und  in  der  Analfalte 
befinden  sich  einzelne  breite  Kondylome. 

Die  Patellarreflexe  sind  normal. 

Der  Harn  ist  trübe,  von  röthlicher  Farbe  und  sauerer  Re¬ 
action.  Seine  Tagesmenge  beträgt  500  cw:),  das  specifische  Gewicht 
1035.  Der  Harn  enthält  12°/00  Eiweiss. 

Im  reichlichen  Sedimente  befinden  sich  zahlreiche  rothe  und 
weisse  Blutkörperchen,  hyaline  und  granulirte  Cylinder,  Blut-  und 
Epi theleylinder,  Ivrystalle  von  Harnsäure  und  oxalsaurem  Kalk. 

Auf  Grund  der  angeführten  Symptome  lautete  die  klinische 
Diagnose:  Nephritis  parenchymatosa  syphilitica  praecox. 

Verlauf:  Bis  15.  Januar  verblieb  Patient  bei  Bettruhe  und 
ausschliesslicher  Milchdiät.  Während  dieser  Zeit  verminderte  sich 
täglich  die  Eiweissmenge,  so  dass  sie  am  15.  Januar  nur  mehr 
1%0  betrug.  Dabei  zeigte  die  Harnquantität  eine  tägliche  Zunahme. 
Das  Körpergewicht  des  Kranken,  welches  am  8.  Januar  68'60  kg 
betragen  hatte,  sank  am  11.  Januar  auf  61  '60  %,  und  am 
14.  Januar  auf  58'30  kg.  Desgleichen  fiel  das  specifische  Gewicht 
des  Harnes,  welches  am  5.  Januar  1035.  am  6.  Januar  1033  war, 
am  lo.  Januar  auf  1023.  Die  mikroskopische  Untersuchung  des 
Harnes  bot  am  15.  Januar  dieselben  Bestandtheile  wie  am 
5.  Januar,  nur  in  geringerer  Quantität,  dar.  Bis  zu  diesem  Zeit¬ 
punkte  wurde,  trotzdem  die  Syphilis  als  Grundlage  für  die  Nieren¬ 
erkrankung  acceptirt  war,  keine  specifische  Behandlung  eingeleitet, 
da  der  Assistent  der  Klinik,  Dr.  Mari  sch  ler,  Stoffwechsel¬ 
untersuch  ungen  bei  dem  Patienten  vornahm,  deren  Ergebnisse 
später  zur  Veröffentlichung  gelangen  werden.  Mit  15.  Januar  wurde 
lege  artis  eine  vorsichtige  Schmiercur,  und  zwar  mit  L5  g  Unguenti 
cinerci  pro  die  bei  gleichzeitiger  ausschliesslicher  Milchdiät  begonnen. 
Während  der  Einreibungen  beobachtete  man  ein  allmäliges  Schwinden 
sowohl  der  Symptome  der  Nephritis,  als  auch  der  Lues. 

Am  26.  Januar,  d.  i.  nach  zehn  Inunctionen,  betrug  die 
Eiweissmenge  0’7%o- 

Am  27.  Januar  traten  Schwellung  der  Unterkieferdrüsen, 
sowie  Röthung  und  Lockerung  des  Zahnfleisches  auf,  wobei  die 
Abendtemperatur  auf  37-8°  stieg.  Man  unterbrach  aus  diesem 
Grunde  für  kurze  Zeit  die  Schmiercur  und  beschränkte  sich  auf 
die  innere  Darreichung  von  Jodkali. 


Der  Allgemeinzustand  blieb  in  den  nächsten  Tagen  gut,  die 
Oedeme  erhielten  sich  noch  an  den  unteren  Gliedmassen,  die 
syphilitische  Roseola  der  Haut  war  noch  deutlich. 

In  den  ersten  Tagen  des  Februar  schwankt  die  Eiweissmenge 
im  Harne  zwischen  0'5%o  und  0’7°/00.  Vom  5.  Februar  an  wurde 
die  Schmiercur  unter  denselben  Cautelen,  wie  früher,  fortgesetzt 
und  gleichzeitig  Jodkali  intern  verabreicht.  Unter  diesem  Regime 
näherte  sich  die  Harnmenge  immer  mehr  der  Norm  und  die 
Eiweissquantität  wurde  stets  geringer.  Die  luetischen  Erscheinungen 
an  der  Haut,  wie  Roseola  und  Kondylome,  schwanden,  die  In¬ 
duration  an  der  Eichel  wurde  kleiner.  Am  16.  Februar  stieg  die 
Temperatur  abermals  auf  37‘8°  am  Abend,  was  eine  zweitägige 
Unterbrechung  der  Inunctionscur  zur  Folge  hafte.  Von  diesem 
Momente  an  blieb  die  Temperatur  bis  zum  Schlüsse  der  Behand¬ 
lung  normal. 

Am  17.  Februar  konnte  die  Eiweissmenge  mit  dem  Albumino- 
meter  von  E  s  s  b  a  c  h  nicht  mehr  bestimmt  werden,  nur  die 
Methode  nach  Roberts-Stolnikow  zeigte  noch  (>06%,,.  Im 
Harnsedimente  fanden  sich  noch  vereinzelte  hyaline  Cylinder  und 
Leukocyten,  sonst  nur  normale  Bestandtheile. 

Das  Körpergewicht  des  Kranken,  welches  während  der  ersten 
Zeit  des  Aufenthaltes  unseres  Patienten  in  der  Klinik  in  Folge 
raschen  Schwindens  der  Oedeme  um  10  kg  abgenommen  hatte, 
stieg  während  der  antiluetischen  Behandlung  allmälig  wieder,  so 
dass  der  Kranke  62  kg  erreichte. 

Am  21.  Februar  verliess  Patient,  sich  vollkommen  wohl 
fühlend,  über  eigenes  Verlangen  die  Klinik. 

In  dem  beschriebenen  Falle  sehen  wir  somit  einen  jungen 
kräftig  gebauten  Mann,  bei  welchem  im  November  1899  die 
ersten  Erscheinungen  einer  luetischen  Infection  (Ulcus  durum) 
und  fünf  bis  sechs  Wochen  später  Secundärsymptome  (Roseola, 
Condylomata  lata,  Lymphadenitis)  auftraten,  wozu  sich  gleich¬ 
zeitig  eine  acute  Nephritis  hinzugesellte.  Patient  war  früher 
nie  krank  gewesen,  hatte  laut  eigener  Angabe  sich  stets  ent¬ 
sprechend  ernährt,  sich  nie  dem  Missbrauche  alkoholischer 
Getränke  ergeben,  war  keinen  Erkältungen  ausgesetzt  gewesen 
und  hat  weder  eine  Quecksilberbehandlung  durchgemacht, 
noch  irgend  welche  anderen  Mittel  innerlich  gebraucht,  die 
eine  Nierenreizung  hervorzurufen  im  Stande  gewesen  wären. 
Worin  kann  somit  die  Ursache  dieses  plötzlichen  Auftretens 
der  acuten  Nierenerkrankung  liegen?  Beim  Fehlen  jedes  anderen 
ätiologischen  Momentes  für  eine  acute  Nephritis  und  dem  Vor¬ 
handensein  secundärer  Symptome  der  Lues,  müssen  wir  an¬ 
nehmen,  dass  diese,  da  sie  schon  frühzeitig  als  allgemeine  in- 
fectiöse  Krankheit  auftritt,  auch  die  Nieren  ergreifen  kann 
und  dass  dies  bei  unseren  Kranken  eben  der  Fall  gewesen  ist. 

In  der  Literatur  finden  wir  auch  eine  ganze  Reihe  von 
Autoren,  welche  sich  mit  diesem  Gegenstände  beschäftigt  und 
an  einer  Anzahl  von  Beobachtungen  den  Zusammenhang 
zwischen  acuter  Nephritis  und  Secundärsyphilis  nachgewiesen 
haben.  Diese  Beobachtungen  finden  ihre  Stütze  nicht  nur  in 
rein  klinisch  observirten  Fällen,  sondern  sind  auch  öfters  durch 
die  Obduction  ergänzt  worden. 

Unter  den  Franzosen  berichtet  über  die  grösste  Zahl 
hieher  gehöriger  Fälle  Mauriac.4) 

Der  erste  von  ihm  beobachtete  Fall  fällt  ins  Jahr  1869. 
Beim  betreffenden  Kranken  traten  vier  Monate  nach  dem 
harten  Geschwüre  Secundärerscheinungen  und  gleichzeitig  eine 
schwere  Nephritis  auf.  Drei  Monate  später  starb  der  Kranke 
an  Glottisödem. 

In  weiteren  sechs  Fällen  desselben  Autors  trat  bei  spe- 
cifischer  Behandlung  fünfmal  Heilung,  respective  bedeutende 
allgemeine  Besserung  ein.  Ein  Fall  endete  tödtlich  fünf  Wochen 
nach  dem  Auftreten  der  acuten  Nephritis.  Die  Erkrankung 
zeigte  hier  von  Anfang  einen  schweren  Verlauf,  bedrohliche 
urämische  Symptome  (Unruhe,  Erbrechen,  Diarrhoe)  führten 
rasch  das  letale  Ende  herbei.  Bei  der  Obduction  zeigten  die 
Nieren  das  Bild  der  grossen  weissen  Niere  (gros  rein  blanc). 

Mauriac  führt  ausser  seinen  eigenen  Fällen  noch  die 
Beobachtungen  von  Cohadon,  Negel,  Descoust,  Per- 
roud,  Bourkmann,  Barthelemy,  Wagner,  La- 

4)  Mauriac,  Syphilose  des  reins.  Archives  generales  de  medecine. 
1886,  Bd.  XVIII. 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


991 


badie-Lagrave,  Bourcy  und  Drysdale,  zusammen 

16,  an.  .  .  , 

Wenn  wir  von  diesen  diejenigen  Nierenentzündungen, 

welche  zwei  bis  vier  Jahre  nach  der  luetischen  Infection  (drei 
Fälle),  und  eine  Beobachtung  von  Wagner,  welche  dieser 
selbst  zur  granulirten  Niere  zählt  (Fall  13  von  Wagner), 
unberücksichtigt  lassen,  so  verbleiben  zwölf  Fälle,  in  welchen 
die  Nierenerkrankung  genug  frühzeitig  auftrat,  und  zwar  ent¬ 
weder  gleichzeitig  mit  den  Secundärerscheinungen  der  Syphilis, 
oder  kurze  Zeit  nachher. 

Am  frühesten  stellte  sich  die  Nephritis  vier  bis  sechs 
Wochen  (Lab ad ie -La grave),  am  spätesten  sechs  bis  zehn 
Monate  (Burkmann,  Drysdale)  nach  dem  Primäraffecte 
ein.  In  den  oben  erwähnten  eigenen  Beobachtungen  von 
Mauriac  erschien  die  Nierenentzündung  fünf  Wochen  bis 
acht  Monate  nach  dem  Ulcus  durum.  In  allen  Fällen  waren 
jedoch  die  Symptome  der  Nephritis  con temporär  syphilitischen 
Veränderungen  der  Haut  oder  der  Schleimhäute.  Die  Intensität 
der  Syphilis  stand  in  keinem  proportionalen  Verhältnisse  zu 
der  der  Nierenaffection;  bei  unbedeutenden  luetischen  Sym¬ 
ptomen  waren  die  durch  die  Nephritis  hervorgerutenen  Vei- 
änderungen  schwere  und  umgekehrt.  In  den  angeführten  zwölf 
Fällen  fremder  Autoren  gestaltete  sich  der  Verlauf  folgender- 
massen :  In  einem  Falle  trat  der  Tod  zwischen  dem  35.  und 
40.  Tage  der  Nierenerkrankung  in  Folge  eines  coinplicirenden 
Erysipels  ein,  in  zwei  anderen  in  Folge  der  Nephritis  selbst. 
In  neun  Fällen  wurde  in  kürzerer  oder  längerer  Zeit  (ein  bis 
vier  Monate)  Heilung  constatirt,  in  einzelnen  unter  diesen  er¬ 
hielten  sich  Spuren  von  Eiweiss  noch  durch  Monate  (zwei  bis 
fünf)  im  Harne.  Die  Mehrzahl  dieser  Fälle  zeigte  im  Anfangs¬ 
stadium  der  Krankheit  beträchtliche  Eiweissmengen  (der  I  all 
Descoust  z.  B.  llOy  pro  die). 

Während  der  ersten  Tage  antiluetischer  Behandlung,  oft 
auch  schon  bei  blosser  Milchdiät,  sank  die  Eiweissmenge  rasch 
und  schwand  ganz  oder  nahezu  gänzlich  bei  fortgesetzter 
specifischer  Therapie. 

In  zwei  der  oben  angeführten  letal  abgelaufenen  Fälle 
konnte  man  bei  der  Autopsie  die  der  grossen  weissen  Niere 
entsprechenden  Veränderungen  nachweisen  (gros  rein  blanc). 

Auf  Grund  des  erwähnten  Materiales  gelangt  Mauriac 
zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Secundärsyphilis  in  derselben  Weise 
auf  die  Nieren  wirke,  wie  jede  andere  Infeetionskrankheit,  dass 
sie  vorwiegend  parenchymatöse  Veränderungen  in  der  Rinden¬ 
substanz  hervorrufe,  derart,  dass  die  Nieren  vorzüglich  das 
Bild  fettiger  Degeneration  des  secernirenden  Epithels  dar¬ 
bieten.  Die  klinischen  Symptome  können  ebenso  mannigfaltig 
sein,  wie  bei  sonstigen  acuten  Nephritiden  aus  was  immer  für 
Krankheitsursache.  Die  Complicationen  seien  gleichfalls  die¬ 
selben,  es  könne  somit  zu  Urämie,  Glottisödem,  Hydrothorax, 
Hydropericardium  u.  dgl.  kommen.  Der  Verlauf  gestalte  sich 
acut,  subacut,  remittirend,  intermittirend  oder  chronisch. 

Die  Therapie  übe  einen  bedeutenden  Einfluss  aut  den 
Verlauf  der  Krankheit  aus. 

Betreffs  der  Diagnose  bestehen  keine  Schwierigkeiten, 
sobald  deutliche  Symptome  der  Lues  vorhanden  sind  und 
andere  ätiologische  Momente  sich  ausschliessen  lassen. 

Die  Prognose  hänge  von  den  Complicationen  ab  und  man 
müsse  wissen,  dass  im  Harne  längere  Zeit  Eiweiss  sich  erhalten 
könne. 

In  manchen  leichteren  Fällen  schwinden  die  Veränderungen 
in  den  Nieren  ohne  Therapie  oder  bei  ausschliesslicher  Milch¬ 
diät,  in  der  Mehrzahl  derselben  aber  sehen  wir  eine  Besserung 
nur  bei  specifischer  Behandlung  eintreten.  Inunctionscur  und 
Jodkali  geben  dann  die  besten  Resultate  und  bilden  die 
einzigen  Mittel,  mit  welchen  die  schwersten  Symptome  beseitigt 
werden  können.  So  viel  Mauriac. 

Wagner5),  welcher  vor  Mauriac  als  Erster  unter 
den  deutschen  Autoren  acute  Nephritiden  in  Abhängigkeit  von 
Secundärsyphilis  beschreibt,  stützt  seine  Ausführung  auf  acht 
Fälle,  von  denen  drei  geheilt  und  fünf  letal  geendigt  haben. 
Es  muss  jedoch  hervorgehoben  werden,  dass  in  den  fünf 


letalen  Fällen  hochgradige  luetische  Veränderungen,  sowie 
Complicationen  mit  anderweitigen  Erkrankungen  verschiedener 
innerer  Organe  bestanden  haben.  In  den  Nieren  fanden  sich 
bei  der  Autopsie  in  allen  fünf  Fällen  Erscheinungen  acuter 
Entzündung. 

Als  Beweis  für  das  Entstehen  acuter  Nephritis  bei  Lues 
theilt  Wagner  überdies  zwei  Fälle  mit,  in  welchen  neben 
•bedeutenden  syphilitischen  Veränderungen  in  inneren  Organen 
(Visceralsyphilis)  Nierenhyperämie  vorgefunden  wurde  und 
den  Fall  von  C  o  u  p  1  a  n  d,  welcher  berichtet,  dass  die  Ob- 
duction  eines  drei  Monate  alten  Kindes  mit  Lues  hereditaria 
neben  Veränderungen  im  Myocard  (Myocarditis)  Nierenent¬ 
zündung  in  Gestalt  kleinzelliger  Infiltration  der  Rindensubstanz 
ergeben  hat. 

Wenn  wir  genau  sind,  so  gehören  eigentlich  nur  die 
ersten  drei  Fälle  von  Wagner  zur  frühzeitigen  syphiliti¬ 
schen  Nephritis,  d.  h.  zu  der  Form  von  Nierenentzündung, 
welche  bei  den  ersten  Secundärerscheinungen  der  Lues  auf- 
tritt.  Die  übrigen  Fälle  dieses  Autors  sind  jedoch  insoferne 
interessant,  als  sie  auf  die  Möglichkeit  der  Entstehung  acuter 
syphilitischer  Nephritis  selbst  in  späteren  Stadien  der  Lues 
hinweisen.  Manche  Autoren,  wie  z.  B.  G  ü  n  t  z,  bestritten 
nämlich  überhaupt,  dass  die  Syphilis  allein  acute  Nierenent¬ 
zündung  hervorzurufen  im  Stande  wäre  und  glaubten  als  Ur¬ 
sache  hiefür  die  Quecksilberbehandlung  annehmen  zu  müssen. 

Diese  Anschauung  kann  jedoch  heute  als  beseitigt  gelten, 
namentlich  seitdem  Kussmaul  und  Bartels,  welche  die 
Wirkung  des  Quecksilbers  auf  den  Organismus  studirten, 
nachgewiesen  haben,  dass  selbst  grosse  Dosen  grauer  Salbe 
(z.  B.  Einreibungscuren  bis  zum  Verbrauche  von  300 g  Unguenti 
cinerei)  nicht  im  Stande  waren,  krankhafte  Veränderungen  in 
den  Nieren  hervorzurufen,  wenn  dieselben  nur  vorher  gesund 
waren. 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen  über  den  Zusammen¬ 
hang  von  Nierenkrankheiten  und  Syphilis  theilt  Wagner, 
gestützt  auf  einer  ganzen  Reihe  klinischer  Beobachtungen  und 
einer  grösseren  Zahl  von  Autopsien,  die  in  den  Nieren  Vor¬ 
gefundenen,  von  der  Lues  bewirkten  Veränderungen  in  sechs 
Kategorien  ein,  unter  welchen  als  erste  die  acute  Nephritis 
figurirt. 

Von  sonstigen  Autoren  beschreibt  Vulpian* 6)  im 
Jahre  1879  einen  Fall  von  acuter  parenchymatöser  Nephritis 
in  Folge  von  Secundärsyphilis,  in  welchem  es  rasch  zur 
Urämie  und  zum  Exitus  kam. 

Jaccoud7)  berichtet  über  den  Krankheitsverlauf  eines 
26  Jahre  alten  Patienten,  bei  dem  Mitte  Juni  der  Primäraffect, 
Ende  Juli  die  ersten  Secundärerscheinungen  und  gegen  Ende 
August  allgemeine  Anasarka  mit  Fieber  auftraten.  Bei  der  Auf¬ 
nahme  des  Kranken  am  9.  October  fand  man  noch  6°/oo 
Eiweiss  im  Harne,  dessen  Sediment  eine  beträchtliche  Menge 
rother  Blutkörperchen  enthielt. 

Jaccoud  bemerkt  bei  dieser  Gelegenheit,  dass  man  es 
vor  einigen  Jahren  als  Häresie  betrachtet  habe,  eine  Nephiitis 
von  der  Lues  abhängig  zu  machen ;  jetzt  meint  er,  wissen  wii 
aber,  dass  die  Syphilis  in  jedem  Stadium  ihrer  Entwicklung 
eine  Nierenentzündung  herbeiführen  könne.  Er  beruft  sich 
hiebei  auf  seinen  ersten  diesbezüglichen  I  all,  welchen  er 
hereits  im  Jahre  1864  beschrieben  hat,  und  will  seither  (d.  i. 
bis  1893)  nur  noch  zwei  ähnliche  Fälle  gesehen  haben.  Von 
sonstigen  bisherigen  Beobachtungen  erwähnt  Jaccoud  nebst 
denjenigen  der  bereits  oben  angeführten  Autoren  noch  die 
von  D  r  e  y  f  u  s  s  -  B  r  i  s  a  c,  Müller,  S  c  h  u  c  h  t  e  r,  A  n  d  i  o- 
n  i  c  o  und  Prendergoust.  Alle  sind  nach  J  a  c  c  o  u  d  einig 
über  die  Möglichkeit  der  Entstehung  einer  acuten  Nephritis 
im  Secundärstadium  der  Lues.  Diese  Nephritis  ist  nach  ihm 
gar  nicht  so  selten,  jedenfalls  viel  seltener,  als  die  chronisch- 
syphilitische  Nierenentzündung  und  nimmt  hinsichtlich  der 
Häufigkeit  unter  allen  Secundärsymptomen  der  Lues  die  letzte 
Stelle  ein. 

8)  Clinique  medicale  de  l’höpital  de  la  Charite.  Paris  1879 

pag.  291.  ,  .  ... 

7)  Les  nephrites  syphilitiqnes  prtieoces  par  Jaccoud.  L  union  medi¬ 
cate.  1893,  Nr.  Hl. 


5)  1.  c. 


992 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900- 


Nr.  4  H 


Diese  relative  Seltenheit  der  Nephritis  syphilitica  praecox 
bringt  eben  Jaccoud  auf  den  Gedanken,  ob  nicht  in  den 
betreffenden  Fälleu  noch  andere  Momente  vorhanden  sind, 
welche  den  Ausbruch  der  Nierenentzündung  begünstigen,  wie 
Alkoholmissbrauch,  Erkältungen,  sonstige  acute  Krankheiten, 
körperliche  Beschädigungen  u.  dgl.  und  er  gelangt  zu  der  An¬ 
sicht,  dass  in  vielen  Fällen  die  Aetiologie  eine  combinirte 
sein  könne. 

Diese  Nephritiden  können  oft  übersehen  werden,  da  sie 
ausser  der  Albuminurie  keine  weiteren  äusseren  Symptome 
darbieten;  ein  anderes  Mal  haben  wir  es  mit  allen  charakte¬ 
ristischen  Erscheinungen  einer  acuten  oder  subacuten  Nephritis 
zu  thun.  Die  Symptome  treten  wieder  bald  in  geringerer,  bald 
in  stärkerer  Intensität  auf.  Bei  schweren,  z.  B.  urämischen 
Symptomen  kann  die  Syphilis  selbst  übersehen  werden,  da 
erstere  oft  plötzlich  im  Laufe  von  48  Stunden  sich  einstellen, 
wodurch  die  ganze  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  die  Nieren¬ 
erkrankung  allein  concentrirt  ist. 

M.  Hudelo8)  veröffentlicht  im  Jahre  1893  einen  Fall 
von  acuter  syphilitischer  Nephritis,  in  welchem  vier  bis  fünf 
Monate  nach  der  Infection  des  Kranken  Secundärerscheinungen 
der  Lues  auftraten,  zu  welchen  sich  Kopfschmerzen,  Nasen¬ 
blutungen,  allgemeine  Anasarka  und  bedeutende  Athemnoth 
hinzugesellten.  Im  Harne  fand  man  3  g  Eiweiss  pro  die  und 
im  Sedimente  eine  grosse  Anzahl  verschiedener  Cylinder.  Im 
Verlaufe  von  zwei  Wochen  traten  dazu  Symptome  von  Urämie, 
es  entwickelten  sich  eine  Peri-  und  Myocarditis,  Lungeninfarcte 
und  ein  rechtsseitiger  Rippenfellerguss,  wodurch  das  letale  Ende 
des  Kranken  herbeigeführt  wurde.  Die  Untersuchung  der 
Nieren  ergab  subacute  diffuse  Nephritis.  Mit  Rücksicht  auf  die 
Schwere  der  Symptome  gleich  im  Beginne  der  Erkrankung 
konnte  in  diesem  Falle  keine  specifische  Behandlung  eingeleitet 
werden. 

Hudelo  und  Darier9)  theilen  in  demselben  Jahr¬ 
gange  die  histologische  Untersuchung  der  Nieren  in  zwei 
Fällen  acuter  Nephritis  im  Frühstadium  der  Syphilis  mit  und 
gelangen  zum  Resultate,  dass  die  Nieren  nicht  nur  das  Bild 
parenchymatöser,  sondern  auch  das  einer  diffusen  oder  ge¬ 
mischten  Entzündung  darbieten  können  (Nephritis  diffusa  sive 
mixta). 

M.  G  a  s  t  o  n  *°)  berichtet  über  einen  Kranken,  bei  welchem 
im  Juli  der  Primäraffect  (Ulcus  durum)  an  der  Haut  des  Ab¬ 
domens  auftrat  und  bei  dem  im  November  desselben  Jahres 
der  Hautausschlag  und  eine  allgemeine  Anasarka  folgten.  Es 
wurden  1  *87°/00  Eiweiss  im  Harne  constatirt.  Da  bei  diesem 
Kranken  ein  Abusus  alkoholischer  Getränke  nachgewiesen 
wurde,  glaubt  Gas  ton  in  diesem  Umstande  eine  Prädisposition 
zur  Entstehung  der  Nierenaffection  zu  erblicken.  Jodbehandlung 
beseitigte  sämmtliche  Krankheitserscheinungen  in  kurzer  Zeit. 

Im  Falle  von  Etienne  n)  finden  wir  folgenden 
Verlauf: 

Bei  einer  42  Jahre  alten  Frau  trat  im  October  1892  eine 
Initialsklerose  (un  gros  bouton)  an  den  äusseren  Geschlechlstheilen 
auf  und  im  Januar  1893  folgte  eine  allgemeine  luetische  Haut¬ 
eruption.  Etwas  später  entwickelte  sich  eine  Iritis,  gegen  welche 
Quecksilberpräparate  angewendet  wurden.  Bei  der  Aufnahme  der 
Patientin  in  die  Klinik  des  Prof.  Spillmann  am  24.  April 
wurden  ein  papulo-squamöses  Syphilid,  hochgradige  Anämie  und 
eine  allgemeine  Anasarka  constatirt.  Im  dunkelbraunen  Harne  von 
circa  1000  cm'  pro  die  fand  man  8%0  Albumen,  viele  rothe 
Blutkörperchen  und  zahlreiche  Cylinder.  Die  Behandlung,  welche 
in  subcutanen  Quecksilberinjectionen  (Thymolacetat  de  mercure) 
einmal  wöchentlich  bestand,  führte  Anfangs  Mai  eine  unbedeutende 
Besserung  herbei.  Am  10.  Mai  trat  plötzlich  Lähmung  der  rechten 
Körperhälfte  auf,  weshalb  am  11.  Mai  mittels  Venaesectio  300 
Blut  entzogen  wurden.  Am  15.  Mai  bekam  Patientin  heftigen 
Speichelfluss  und  Stomatitis.  Von  dieser  Zeit  an  verschlimmerte 

s)  M.  II  u  d  e  1  o,  Mal  de  Bright  syphilitique  precoce.  La  semaine 
medicate.  1893,  pag..  115. 

J)  Darier  et  Hudelo,  Syphilis  renale  precoce.  La  semaine  medi- 
eale.  1893,  pag.  358. 

lü)  La  semaine  medicale.  1893,  pag.  568. 

!l)  G.  Etienne,  Nephrite  syphilitique  precoce.  Annales  de 
Dermatologie.  1895,  Bd.  VI. 


sich  der  Zustand  der  Kranken  immer  mehr  und  sie  starb  unter 
zunehmender  Schwäche  und  Kachexie  am  27.  Juli. 

Die  Autopsie  ergab  (Jedem  der  weichen  Meningen  und 
Arteriitis  der  peripheren  Hirnarterien,  jedoch  keine  Spur  eines  Blut¬ 
ergusses  oder  einer  Embolie.  In  den  Lungen  mässiges  (Jedem,  der 
Herzmuskel  fettig  degenerirt.  Leber  normal,  Milz  hinsichtlich  Con- 
sistenz  und  Grösse  unverändert,  in  ihr  zwei  kleine  Infarcte.  Die 
linke  Niere  kleiner,  am  Durchschnitte  blass,  etwas  härter.  Die 
rechte  normal  gross,  am  Durchschnitte  weniger  blass  als  die  linke, 
ihre  Rindensubstanz  verbreitert.  Die  histologische  Untersuchung 
zeigte  grösstentheils  normale  M alp ighi’sche  Knäuel,  Veränderungen 
waren  nur  in  den  Epithelien  der  Kapseln  und  der  Harncanälchen 
sichtbar,  ln  den  Arterien  bestanden  nur  unbedeutende  Zeichen  von 
Atheromatose. 

f 

Etienne  gründet  seine  Diagnose  einer  Nephritis  syphi¬ 
litica  praecox  in  diesem  Falle  auf:  1.  die  Intensität  der 
luetischen  Secundärerscheinungen ;  2.  den  Mangel  einer  anderen 
Allgemeinerkrankung  und  Ursache;  3.  die  Gegenwart  specifischer 
Veränderungen  in  den  Hirnarterien.  Indem  er  sich  noch  auf 
andere  Autoren  beruft,  stellt  er  die  Behauptung  auf,  dass  die 
Veränderungen  in  den  Nieren  nicht  immer  die  gleichen  sein 
müssen,  und  neigt  zur  Annahme,  dass  in  seinem  Falle  die 
bestehende,  wiewohl  geringfügige  Atheromatose  das  Auftreten 
der  Nierenerkrankung  begünstigt  haben  dürfte. 

Dieulafoy12)  unterscheidet  ebenfalls  die  Nieren¬ 
entzündungen  im  Secundärstadium  der  Lues  von  den  Ver¬ 
änderungen  in  den  Nieren  in  einem  vergerückteren  Zeitpunkte 
dieser  Krankheit.  Nach  ihm  ist  die  Syphilis  ein  heftiges  Gift 
für  die  Nieren  (terrible  poison  pour  le  filtre  renal).  Sie  greift 
dieselben  entweder  im  Anfangs-  oder  in  einem  Spätstadium 
an.  Im  ersten  Falle  sind  beide  Nieren  gleichmässig  befallen, 
wie  bei  allen  Infectionskrankheiten,  z.  B.  bei  Scharlach.  Die 
Intensität  der  krankhaften  Veränderungen  kann  unbedeutend 
oder  sehr  beträchtlich  sein.  Manchmal  sind  die  Nieren  in 
einem  solchen  Grade  ergriffen,  dass  von  einer  Besserung  keine 
Rede  sein  könne.  In  einem  späteren  Stadium  der  Lues  haben 
wir  es  selten  mit  einer  reinen  Nephritis,  sondern  gewöhnlich 
mit  sklerotischen  Veränderungen  oder  amyloider  Degeneration 
zu  thun.  Aus  diesem  Grunde  verdienen  nach  Dieulafoy 
nur  die  Nierenentzündungen  in  frühen  Stadien  der  Lues  die 
Bezeichnung  »Nephritis  syphilitica«,  während  die  Erkrankungen 
der  Nieren  in  späteren  Stadien  mit  »Syphilis  renum«  be¬ 
zeichnet  werden  sollten. 

Die  bei  der  Frühsyphilis  auftretenden  Nephritiden  können 
bald  geringgradiger  Natur  sein,  so  dass  ausser  einigen  Zehntel¬ 
grammen  Eiweiss,  wenigen  Cylindern  im  Harnsedimente  und 
unbedeutenden  Oedemen  keine  anderen  Symptome  vorhanden 
sind.  Diese  Erscheinungen  schwinden  dann  gewöhnlich  bei  der 
ersten  Anwendung  specifischer  Mittel. 

In  anderen  Fällen  treten  jedoch  alle  charakteristischen 
Symptome  einer  acuten  oder  subacuten  Nierenentzündung  auf 
und  wir  finden  dann  bei  Autopsien  diffuse  Nephritis,  grosse 
weisse  Nieren  oder  selbst  hämorrhagische  Entzündungsformen. 
Die  histologische  Untersuchung  ergibt  in  solchen  Fällen  Nekrose 
der  Nierenepitkelien,  entzündliche  Veränderungen  in  den 
Malpighi’schen  Knäueln  und  in  den  Gefässen,  endlich  Hämor- 
rhagien  in  der  Rindensubstanz. 

Man  könnte  glauben,  dass  die  syphilitischen  Symptome 
in  den  letal  verlaufenden  Fällen  sehr  intensiv  sein  müssen; 
dies  ist  jedoch  nicht  der  Fall,  da  man  selbst  bei  Kranken, 
welche  ausser  dem  Exanthem  und  einigen  Plaques  im  Rachen 
keine  weiteren  äusseren  Zeichen  der  Lues  darbieten,  schwere 
Erscheinungen  seitens  der  Nephritis  sieht. 

Dieulafoy  führt  drei  eigene  Beobachtungen  an: 

Die  erste  betrifft  einen  17  Jahre  allen,  kräftig  gebauten 
Patienten,  welcher  zwei  Monate  nach  dem  Ulcus  durum  Secundär¬ 
erscheinungen  bekam,  wobei  ziemlich  rasch  Gesicht  und  untere 
Körperhälfte  ödematös  wurden.  Im  Harne  fand  man  23  g  Eiweiss 
pro  die.  Bei  Milchdiät  und  antiluetischer  Behandlung  schwanden 
sämmtliche  Krankheilssymptome  innerhalb  17  Tagen.  Der  Kranke 
verlor  in  dieser  Zeit  10  kg  an  Körpergewicht. 


n)  Clinique  medicale  de  l’Hötel-Dieu  de  Paris.  1897/98. 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


993 


Der  zweite  Fall  hatte  keinen  so  günstigen  Verlauf.  Bei  einem 
Manne,  der  sich  stets  wohl  fühlte,  traten  plötzlich  Oedeme  des 
Gesichtes  und  der  unteren  Extremitäten  auf  und  erreichten  in 
wenigen  Tagen  eine  beträchtliche  Dimension.  Die  Anamnese  ergab, 
dass  Patient  sich  sieben  Monate  vorher  wegen  eines  Geschwüres 
am  Penis  und  einige  Zeit  später  wegen  Plaques  im  Rachen  hatte 
behandeln  lassen.  Im  Harne  constatirte  man  8%o  Eiweiss.  Trotz 
Milchdiät  und  subcutaner  Quecksilberinjectionen  (Hydrargyrum 
bijodatum)  wurden  die  Oedeme  immer  stärker.  Es  wurde  dann 
Jod  abwechselnd  mit  Injectionen  versucht,  doch  verschlimmerte 
sich  der  Zustand  des  Patienten  immer  mehr,  es  entwickelte  sich 
schliesslich  ein  Erysipel  am  Abdomen,  welches  das  letale  Ende 
herbeiführte. 

Bei  der  Obduction  fand  man  beträchtlich  vergrösserte  Nieren, 
deren  Rindensubstanz  äusserst  blass  war.  Die  histologische  Unter¬ 
suchung  zeigte  hauptsächlich  Veränderungen  in  den  Epithelien  der 
Rindensubstanz.  Das  interstitielle  Bindegewebe,  sowie  die  Blut¬ 
gefässe  waren  nicht  tangirt.  In  den  Pyramiden  fanden  sich  hie 
uud  da  dieselben  Erscheinungen,  wie  in  der  Rinde.  Die  Nieren 
boten  somit  rein  parenchymatöse  Degeneration,  und  zwar  nur  eines 
bestimmten  Theiles  des  secernirenden  Systems  dar. 

Im  dritten  Falle  von  D  i  e  u  1  a  f  o  y  sehen  wir  einen  26  Jahre 
alten  Patienten,  hei  welchem  sechs  Monate  nach  dem  Primäraffecte 
und  nach  unbedeutenden  Secundärerscheinungen  eine  schwere 
Nephritis  auftritt.  Der  Harn  enthält  30 %o  Eiweiss.  Trotz  Milchdiät 
und  antiluetischer  Behandlung  kommt  es  hier  zu  schweren  Symptomen 
von  Urämie.  Diese  treten  für  einige  Zeit  zurück,  die  Eiweissmenge 
sinkt  bis  zu  3%o>  die  Besserung  hält  jedoch  nicht  lange  an,  die 
Oedeme  werden  wieder  stärker,  es  tritt  reichlicheres  Erbrechen  ein 
und  das  Erbrochene  ist  manchmal  von  schwärzlicher  Farbe  (Ulcerations 
uremiques  de  l'estomac).  Zu  diesen  Symptomen  gesellt  sich  bald 
ein  linksseitiger  Hydrothorax,  welcher  wiederholte  Aspiration  von 
Flüssigkeit  erfordert.  Der  Fall  endete  tödlich.  Der  Obductionsbefund 
ist  nicht  angeführt. 

D  i  e  u  1  a  f  o  y  erwähnt  noch  Fälle  von  Mauriac,  Gaston, 
M.  W  ick  harn13)  und  Perroud14)  und  gelangt  zu  folgen¬ 
den  Resultaten : 

1.  Esexistirteine  frühzeitige  syphilitische  Nierenentzündung 
(Nephritis  syphilitica  praecox)  in  den  ersten  Monaten  nach  der 
Infection. 

2.  Leichtere  Erkrankungsfälle  zeichnen  sich  durch  ge¬ 
ringe  Eiweissmengen  im  Harne  und  unbedeutende  Oedeme  aus, 
welche  rasch  schwinden,  so  dass  die  Krankheit  fast  unbemerkt 
abläuft. 

3.  Bei  schwereren  Formen  dieser  Nephritis,  am  häufigsten 
zwei  bis  drei  Monate  nach  der  Infection,  treten  beträchtliche 
Eiweissquantitäten  im  Harne  auf  und  es  entwickelt  sich  rasch 
allgemeine  Anasarka,  welche  einen  bedeutenden  Grad  erreichen 
kann.  Die  Eiweissmenge  beträgt  gewöhnlich  10,  15,  20  und 
noch  mehr  Gramm  pro  die.  Wickham  fand  einmal  20 <7  im 
Liter  Harn,  Chantemesse  sogar  52 g ! 

4.  Zu  diesen  Symptomen  gesellen  sich  recht  häufig  früher 
oder  später  anhaltende  Kopfschmerzen,  Athemnoth,  Erbrechen, 
Durchfall,  Somnolenz  u.  s.  w.,  kurz  Erscheinungen  von 
Urämie. 

5.  Trotz  dieser  gefahrdrohenden  Symptome  kann  die 
Nephritis  einen  günstigen  Ausgang  nehmen  ;  in  manchen  Fällen 
übergeht  sie  in  eine  chronische  Form. 

6.  Hat  die  Nierenentzündung  den  Tod  zur  Folge,  was 
genug  häufig  geschieht,  so  tritt  derselbe  nach  einigen  Wochen 
(acute  Form)  oder  nach  wenigen  Monaten  (subacute  Form)  ein. 
Die  Todesursache  ist  entweder  durch  die  seitens  der  Nephritis 
selbst  herbeigeführten  Veränderungen  (hochgradige  Oedeme, 
Urämie)  oder  durch  Complicationen  (Erysipel,  Lymphangioitis) 
gegeben. 

7.  Diese  Nierenerkrankung  ist  vorzüglich  durch  Ver¬ 
änderungen  in  den  Epithelien  charakterisirt. 

8.  Die  Therapie  dieser  Nephritiden  besteht  in  streng 
durchzuführender  Milchdiät  und  in  der  Anwendung  von  Queck¬ 
silber-  und  Jodpräparaten.  In  der  Dosirung  dieser  Medicamente 


13)  L’Union  medicate  24.  Octobre  1886. 

14)  Jounial  de  medecine  de  Lyon.  1867,  pag.  118. 


ist  mit  Rücksicht  auf  die  entzündlichen  Veränderungen  in  den 
Nieren  Vorsicht  am  Platze. 

Wenn  wir  unseren  Fall  mit  dem  angeführten  Materiale 
der  mir  zugänglichen  Literatur  vergleichen,  so  sehen  wir,  dass 
bei  unserem  Patienten  die  Nierenerkrankung  sehr  früh,  denn 
kaum  vier  bis  fünf  Wochen  nach  dem  Erscheinen  des  Primär- 
affectes,  aufgetreten  ist.  Bei  der  Aufnahme  des  Kranken  in 
die  Klinik  war  das  Ulcus  noch  nicht  vollständig  vernarbt, 
Roseola  und  Kondylome  fingen  sich  erst  zu  entwickeln  an, 
trotzdem  hatten  die  Oedeme  eine  beträchtliche  Ausdehnung 
bereits  erreicht  und  breiteten  sich  auch  weiter  rasch  aus.  Bei 
Mauriac  finden  wir  nur  drei  Fälle  von  so  frühzeitigem  Auf¬ 
treten  der  syphilitischen  Nephritis.  In  einem  von  ihm  selbst 
beobachteten  Falle  trat  die  Nierenentzündung  in  der  fünften 
Woche,  in  dem  von  Labadie-Lagrave  in  der  vierten  bis 
fünften,  und  in  einer  Beobachtung  von  Wagner  sechs  Wochen 
nach  dem  primären  Geschwüre  auf. 

Die  Syphilis  selbst  gehörte  bei  unserem  Kranken  mehr 
einer  leichteren  Form  an,  doch  waren  die  Symptome  der 
Nephritis  sehr  ausgesprochen;  12%0  Eiweiss  im  Harne,  aus¬ 
gebreitete  allgemeine  Anasarka,  Flüssigkeitserguss  in  beiden 
Pleurahöhlen  und  im  Abdomen. 

Der  Verlauf  gestaltet  sich  bei  unserem  Patienten  recht 
günstig.  Bettruhe  uud  Milchdiät  vergrössern  die  Diurese,  der 
Harn  wird  klar  und  von  normaler  Farbe,  die  Ei  weissmenge 
sinkt,  die  Oedeme  schwinden  rasch,  so  dass  der  Kranke  in  den 
ersten  zehn  Tagen  seines  Spitalsaufenthaltes  10  kg  an  Körper¬ 
gewicht  verliert.  Die  Persistenz  der  Albuminurie  (1  %o)  und 
die  immer  deutlicher  hervortretenden  luetischen  Veränderungen 
an  der  Haut  zwingen  zur  Einleitung  einer  specifischen  Be¬ 
handlung. 

Während  derselben  sehen  wir  dann  eine  weitere  allmälige 
Abnahme  des  Ei weissquantums  bei  constant  hoher  Diurese, 
sowie  Schwinden  der  Oedeme  und  der  sichtbaren  Erscheinungen 
der  Syphilis.  Der  Kranke  nimmt  in  diesem  Stadium  wieder  an 
Körpergewicht  zu,  jedoch  nicht  in  Folge  von  Flüssigkeits¬ 
retention  im  Organismus,  sondern  durch  die  Besserung  seines 
Ernährungszustandes.  Es  war  dies  ein  Beweis  für  den  günstigen 
Einfluss  der  antiluetischen  Therapie  auf  den  ganzen  Krank¬ 
heitsverlauf. 

Der  Patient  konnte  auch  nach  siebenwöchentlicher  Be¬ 
handlung  die  Klinik  als  geheilt  verlassen,  da  er  mit  Ausnahme 
der  unbedeutend  vergrösserten  Lymphdrüsen  und  der  noch 
mässig  harten  Narbe  an  der  Eichel  keine  weiteren  Symptome 
der  Lues  darbot. 

Der  ganze  Verlauf  in  unserem  Krankheitsfalle  beweist 
ferner,  dass  die  Diagnose  einer  acuten  syphilitischen  Nieren¬ 
entzündung  einzig  am  Platze  war;  man  kann  desgleichen,  ge¬ 
stützt  auf  die  aus  der  Literatur  angeführten  Fälle,  in  welchen 
es  zur  Autopsie  kam,  behaupten,  dass  wir  es  auch  bei  unserem 
Patienten  vorzüglich  mit  parenchymatösen  Veränderungen  in 
den  Nieren  zu  thun  hatten,  kurz  mit  einer  Nephritis  parenchy- 
matosa  luetica  praecox. 

Am  Schlüsse  sei  es  mir  gestattet,  meinem  hochverehrten 
Chef,  dem  Herrn  Prof.  Dr.  Anton  G 1  u  z  i  n  s  k  i,  und  dem 
Herrn  Assistenten  Dr.  Julius  Marischier  für  die  gütige 
Ueberlassung  obigen  Falles  und  für  die  Förderung  vorliegender 
Arbeit  meinen  wärmsten  Dank  auszusprechen. 


Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 
Prof.  Gussenbauer  in  Wien. 

lieber  Echinococcus  der  Niere. 

Von  Dr.  Ludwig  Stein,  emeritirtem  Operateur  obiger  Klinik 

Unter  den  thierischen  Parasiten  des  menschlichen  Orga¬ 
nismus,  die  sich  speciell  in  der  Niere  ansiedeln,  kommt  in 
unserem  Himmelsstriche  hauptsächlich  der  Echinococcus  in 
Betracht.  Die  Complication  der  Ansiedlungsverhältnisse,  die 
sich  diesem  Parasiten  auf  dem  Wege  zur  Niere  entgegenstellen, 
machen  es  erklärlich,  dass  unter  allen  inneren  Organen  ge- 
1  rade  die  Niere  am  seltensten  vom  Echinococcus  keimgesucL 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4  3 


994 


wird.  Nach  den  fast  übereinstimmenden  Untersuchungsresul¬ 
taten  von  N  e  i  s  s  e  r,  Frey  und  D  a  v  a  i  n  e  fand  er  sich  nur  in 
circa  10%  aller  Fälle  und  in  einer  27  Fälle  umfassenden  Be¬ 
obachtung  Hosier’s  nur  in  ungefähr  4%. 

Diese  verhältnissmässig  seltene  Localisation  des  Echino¬ 
coccus  speciell  in  der  Niere  wird,  wie  schon  bemerkt,  ein¬ 
leuchtend,  wenn  wir  den  Entwicklungsgang  des  Nierenechino¬ 
coccus  näher  betrachten. 

Wie  allgemein  bekannt,  stellt  der  Echinococcus  den 
Jugendzustand  der  Taenia  Echinococcus,  einer  Bandwurmart 
dar,  die  sich  im  Dünndarme  des  gewöhnlichen  Hundes  und 
vieler  Hundearten,  wie  des  Wolfes  und  des  Schakals,  gelegent¬ 
lich  auch  des  Fuchses  vorfindet.  Als  ausschliesslicher  Ver¬ 
mittler  der  Uehertragung  auf  den  Menschen  erscheint  der  Hund, 
und  zwar  in  der  verschiedensten  Art  und  Weise.  Einmal  ge¬ 
schieht  dies  durch  directe  Berührung  mit  derart  behafteten 
Hunden  hei  Kindern  sowohl,  wie  bei  Erwachsenen,  die  die 
iihle  Gewohnheit  haben,  sich  namentlich  die  Hände  vom  Hunde 
belecken  zu  lassen  oder  selbst  vor  regelrechten  Küssen  nicht 
zurück  scheuen.  Durch  Erbrechen,  ferner  durch  selbstständiges 
Heraufkriechen  kann  dann  die  Taenia  oder  deren  Proglottiden 
vom  Dünndarm  in  die  Mundhöhle  und  bis  an  die  Zunge  des  Hundes 
gelangen.  Ausserdem  ist  es  bekannt,  wie  gerne  alle  Gattungen 
von  Hunden  am  eigenen  After  und  an  dem  anderer  herum- 
schntiffeln  und  auch  auf  diese  Weise  Proglottiden  und  selbst 
die  ganze  Taenie  an  ihre  Schnauze  bringen  können,  ohne  nur, 
da  die  ganze  Taenie  blos  eine  Länge  von  4  mm  erreicht, 
äusserlich  ein  auffallendes  Merkmal  zu  bieten. 

In  anderen  Fällen  geschieht  die  Uehertragung  mittelbar 
durch  Gegenstände,  welche  tänien kranke  Hunde  beleckt  oder 
zum  Scheuern  an  ihrem  After  benützt  haben,  oder  endlich, 
wie  nicht  selten,  durch  Gemüse  oder  Wasser,  welches  mit  den 
Deject en  des  Hundes  in  Berührung  gekommen  ist.  Die  Mög¬ 
lichkeit  der  Infection  mit  Echinococcus  wird  daher  auch  für 
jene  Berufszweige  eine  grössere  sein,  die  schon  seit  früher 
Jugend  viel  mit  Hunden  in  Berührung  kommen,  wie  Fleischer, 
Schäfer  und  andere.  Daher  ist  es  auch  erklärlich,  dass  in 
Island,  wo  Hunde  wegen  ausgedehnter  Viehzucht  sehr  zahl¬ 
reich  und  in  engsten  Lebensverhältnissen  mit  den  Menschen 
zu  treffen  sind,  die  Krankheit  überaus  häufig  vorkommt.  Aber 
auch  in  unseren  Gegenden  findet  sich  der  Echinococcus  spora¬ 
disch  in  so  grosser  Zahl,  dass  Manche,  wie  Hosier,  geneigt 
sind,  von  einem  endemischen  Vorkommen  zu  sprechen. 

Sind  nun  die  Eier  der  Taenia  Echinococcus  auf  die  eine 
oder  andere  Art  in  den  menschlichen  Magen  gelangt,  so  werden 
sie  nach  Auflösung  ihrer  Hüllen  durch  die  Venen  des  Darm- 
tractes  zunächst  in  die  Pfortader  getragen.  Um  bis  zur  Niere 
vorzudringen,  ist  es  noting,  dass  sie  vom  venösen  Kreisläufe 
in  den  arteriellen  gelangen.  An  der  Weitläufigkeit  dieses  Weges 
liegt  es,  dass  Leber  und  Lunge,  als  die  näher  liegenden,  weit 
häufiger  vom  Echinococcus  betroffen  werden,  als  die  Niere. 
Unter  beiden  Nieren  ist  es  wieder  die  linke,  die  häufiger  er¬ 
krankt,  was  wohl  auf  den  verschiedenen  Ursprung  der  beiden 
Arteriae  renales  zurückzuführen  ist. 

Gewöhnlich  kommt  der  Echinococcus  von  einem  der 
beiden  Nierenpole  aus  zur  Entwicklung  und  da  wieder  häufiger 
von  der  Binden»  als  von  der  Marksubstanz.  Von  hier  geht  sein 
V  achsthum  zumeist  in  der  Richtung  gegen  das  Nierenbecken 
hin  vor  sich.  Je  nach  der  Grösse,  die  die  Echinococcusblase 
erreicht,  findet  sich  auch  eine  verschiedengradige  Verdrängung 
der  Nachbarorgane.  An  dem  noch  vorzufindenden  Reste  der 
Nierensubstanz  finden  sich  zumeist  Veränderungen  atrophischer 
und  entzündlicher  Natur.  Nicht  selten  entstehen  Verwachsungen 
mit  Nachbarorganen,  wenn  die  Echinococcusblase  bereits  die 
Nierenkapsel  erreicht  hat  und  es  kann  in  dem  einen  oder 
anderen  Falle  zum  Durchbruche  in  ein  anderes  Organ  kommen, 
wiewohl  bemerkt  werden  muss,  dass  ein  Durchbruch  am 
häufigsten  gegen  das  Nierenbecken  hin  stattfindet. 

Die  Diagnose  des  Nierenechinccoccus  bietet  in  der  Regel 
die  grössten  Schwierigkeiten.  Abgesehen  davon,  dass  derselbe 
in  seinen  ersten  Entwicklungsstadien  ganz  übersehen  werden 
kann,  geben  auch  Blasen  von  ganz  bedeutendem  Umfange  zu 
Trugschlüssen  Anlass,  und  zwar  in  allererster  Reihe  in  Bezug 


auf  die  Localisation.  Grosse  Blasen  verdrängen  die  Nachbar¬ 
organe  oft  so  bedeutend,  dass  alle  jene  Cardinalsymptome, 
die  die  Differentialdiagnose  zwischen  Leber  und  Nieren¬ 
tumoren  bilden,  ins  Schwanken  gerathen.  Bei  Weibern  liegt 
die  Verwechslung  mit  Ovarialcysten  sehr  nahe.  Wir  haben  es 
nämlich  in  vielen  Fällen  mit  so  grossen  Geschwülsten  zu  thun, 
dass  sie  oft  den  grössten  Theil  der  einen  Bauchhälfte  ausfüllen, 
bei  ganz  bedeutender  Spannung  der  Bauchdecken. 

Deuten  aber  selbst  sichere  Anzeichen  darauf  hin,  dass 
die  Niere  als  Sitz  der  Erkrankung  anzusehen  ist,  so  findet 
man  wieder  selten  unumstössliche  Anhaltspunkte  dafür,  dass 
man  es  gerade  mit  Echinococcus  zu  thun  hat.  Die  Unter¬ 
scheidung  von  Nierencysten  und  Hydronephrose  wird  dann 
zur  unüberwindlichen  Schwierigkeit,  besonders  da  die  grösste 
Blase,  abgesehen  von  secundären  Druckerscheinungen,  keine 
chax-akteristischen  Beschwerden  hervorruft. 

Am  ehesten  noch  werden  wir  zu  einem  richtigen  Schlüsse 
kommen,  wenn  der  Echinococcus  in  ii'gend  ein  Organ  durch¬ 
gebrochen  ist  und  wenn  es  uns  gelingt,  in  den  Secreten, 
respective  Excreten  dieses  Organes  Blasen  oder  deren  charakte¬ 
ristische  Bestandtheile  nachzuweisen.  Aber  auch  dann  ist  ihre 
Zurückführung  auf  die  Niere  mehr  als  fraglich.  Selbst  der 
Durchbruch  gegen  das  Nierenbecken  hin  und  das  Erscheinen 
von  Hydatiden  im  Harne,  das  gewöhnlich  durch  mehr  oder 
minder  starke  Nierenkoliken  eingeleitet  wird,  lässt  nicht  un¬ 
anfechtbare  Schlüsse  zu,  da  es  nicht  undenkbar  ist,  dass  z.  B. 
ein  Leberechinococcus  in  das  rechte  Nierenbecken  durch¬ 
brechen  kann. 

Das  sind  zumeist  die  unendlichen  Schwierigkeiten,  die 
sich  der  pj'ompten  Diagnose  des  Nierenechinococcus  entgegen¬ 
stellen.  Nur  der  Umstand,  dass  wir  die  meisten  cystisehen  Ge¬ 
bilde  operativ  angehen,  ganz  besonders,  wenn  wir  einiger- 
massen  voraussetzen,  dass  es  sich  um  eine  Echinococcuscyste 
handelt,  verhindert  es,  dass  auch  der  Nierenechinococcus,  selbst 
wenn  er  nicht  von  vornherein  als  solcher  erkannt  wurde,  der 
richtigen  Behandlung  entgeht. 

Im  Nachfolgenden  will  ich  hier  einen  Fall  von  Echino¬ 
coccus  der  rechten  Niere  beschreiben,  der  sieb  im  Juli  d.  J. 
an  der  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Gussenbauer  bot  und 
der  so  recht  das  Vorhei’gesagte  illustrirt. 

Anamnesis:  L.  E.,  lSjähriger  Gewerbeschüler  aus  Brünn. 
Sein  Vater  starb,  42  Jahre  alt,  an  Wassersucht;  die  Mutter  ist 
gesund.  Zwei  Geschwister  starben  in  früher  Jugend  an  unbekannten 
Krankheiten.  Drei  andere  Geschwister  sind  gesund.  Patient  selbst 
war,  bis  auf  den  Beginn  seiner  jetzigen  Krankheit,  nie  leidend. 

Seit  einem  Jahre  bemerkt  er  eine  Resistenz  in  der  Leber¬ 
gegend.  Gewachsen  soll  diese  resistente  Stelle  während  dieses 
Jahres  nicht  sein  und  hat  ihm  auch  nie  Schmerzen  verursacht. 
Erst  in  der  letzten  Woche  traten  Schmerzen  auf,  die  durch  kalte 
Umschläge  gelindert  wurden.  Ein  Arzt  rieth  ihm  sofortige  Ope¬ 
ration  an. 

Status  praesens:  Mittelgrosser,  ziemlich  kräftig  gebauter 
Mann.  Rechte  obere  Hälfte  des  Abdomens  deutlich  vorgewölbt.  Da¬ 
selbst  eine  pralle,  elastische  Geschwulst  nachweisbar.  Fluctuation 
nicht  ausgesprochen.  Druck  auf  die  Geschwulst  nicht  schmerzhaft. 
Die  Geschwulst  reicht  nach  abwärts  in  der  Axillar-  und  Mamillar- 
linie  einen  Querfinger  breit  mUer  die  Nabellinie,  in  der  Median¬ 
linie  bis  zum  Nabel  und  verläuft  in  der  linken  Parasternallinie 
bogenförmig  unter  den  linken  Rippenbogen.  Die  Leberdämpfung 
beginnt  in  der  Sternallinie  am  oberen  Rande  der  fünften  Rippe, 
in  der  Mamillarlinie  am  oberen  Rande  der  sechsten  Rippe.  Hinten 
reichen  die  Lungengrenzen  beiderseits  bis  handbreit  unter  die 
Scapularwinkel  und  sind  gut  verschieblich.  Der  Tumor  ist  etwas 
beweglich ;  der  Schall  oberhalb  desselben  ist  überall  gedämpft 
tympanitisch.  Der  übrige  somatische  Befund  ist  normal. 

2.  August  1900.  Operation  in  Chloroformäthernarkose  (Herr 
Assistent  Dr.  Pupovac).  Dauer  zwei  Stunden.  Schnitt  entlang 
dem  rechten  Rippenbogen,  vornein  einer  Länge  von  10  cm.  Durch¬ 
trennung  der  Haut,  der  Muskeln  und  des  Peritoneums.  Es  zeigt 
sich,  dass  die  Leber  stark  nach  aufwärts  unter  den  Rippenbogen 
hin  verschoben  ist.  Der  Schnitt  wird  sodann  nach  rückwärts,  bis 
nahe  zur  Wirbelsäule  verlängert.  Nachdem  auch  dadurch  nicht  ge¬ 
nügend  Raum  geschaffen  war,  wird  noch  vom  vorderen  Drittel  nach 


Nr.  48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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abwärts  ein  circa  10  cm  langer  Schnitt  hinzugefügt.  Dadurch  kann 
man  nun  den  Tumor  vollständig  umgreifen.  Es  zeigt  sich,  dass 
derselbe  von  der  rechten  Niere  ausgeht.  An  seiner  Medianseite  ist 
er  mit  dem  Duodenum  verwachsen.  Das  Peritoneum  zieht 
vollständig  intact  darüber  hinweg.  Entsprechend  dem  Hautschnitte 
wird  nun  auch  das  den  Tumor  bedeckende  Peritoneum  durch¬ 
schnitten  und  der  Tumor  herauszulösen  versucht.  Hiebei  geht  an 
der  Innenseite  die  Serosa  und  theilweise  auch  die  Muscularis  des 
Duodenums,  an  dessen  Convexseite,  in  einer  Ausdehnung  von  8  c??« 
mit.  Gegen  die  Dorsalseite  zu  ist  der  Tumor  leicht  ausschälbar. 
Nach  Unterbindung  der  Nierengefässe  und  des  Ureters  wird  der 
Tumor  entfernt.  Die  verletzte  Darmserosa  und  -Muscularis  wird  durch 
Zusammennähen  der  intacten  Flächen  gedeckt.  Vernähung  des  den 
Tumor  bedeckenden  Peritoneums.  Drainage  des  retroperitonealen 
Raumes.  Vernähung  des  übrigen  Peritoneums.  Muskelnaht  und 
Hautnaht. 

3.  August.  Harnmenge  1300,  Temperatur  37*5,  Puls  96. 
Zunge  feucht. 

In  der  Folge  normale  Temperatur  und  normaler  Puls.  Harn¬ 
mengen  schwanken  zwischen  1000  und  1400.  Heilung  nach 
24  Tagen. 

Was  die  Operationstechnik  an  sich  betrifft,  so  passt  sich 
dieselbe  im  Allgemeinen  den  modernen,  gewiss  nicht  spärlichen 
Erfahrungen  über  Nierenchirurgie  an.  Worüber  aber  die  An¬ 
sichten  noch  bis  zum  heutigen  Tage  in  mancher  Beziehung 
auseinandergehen,  das  sind  die  therapeutisch  einzuschlagenden 
Wege,  respective  die  Wahl  der  Operationsmethode.  Soll  man 
sich  mit  der  blossen,  sei  es  extra-,  sei  es  intraperitonealen  Er¬ 
öffnung  mit  nachheriger  Drainage  des  Sackes  begnügen,  oder 
soll  man  die  Nephrektomie,  die  Entfernung  des  ganzeu  betroffenen 
Organes  vornehmen? 

So  wichtig  auch  diese  Frage  mit  Rücksicht  auf  die 
Schwere  des  Eingriffes  ist,  so  schwer  fällt  deren  decidirte  Be¬ 
antwortung  im  Einzelfalle.  Es  ist  klar,  dass  bei  der  Entscheidung 
für  die  eine  oder  andere  Operationsmethode  mehrere  Factoren 
massgebend  sein  werden.  In  aller  erster  Reihe  muss,  um  ein 
richtiges  Kriterium  zu  ermöglichen,  die  Diagnose  feststehen. 
Darin  liegt  aber,  wie  bereits  bemerkt,  die  Hauptschwierigkeit, 
da  die  Diagnose  nie  mit  voller  Sicherheit  gestellt  werden  kann. 
Verwechslungen  mit  Hydronephrose,  Nierencyste,  Nierenabscess, 
ferner  mit  Leber-  und  Ovarialcysten  sind  mehr  als  erklärlich. 
De  Jong  stellte  eine  Statistik  von  27  Fällen  zusammen,  von 
denen  mehr  als  die  Hälfte  als  Ovarialcysten  gedeutet  und 
daher  auch  fast  alle  mit  dem  Abdominalschnitt  angegangen 
wurden.  Unter  den  betreffenden  Operateuren  sind  Namen,  wie 
die  von  Billroth,  Esmarch,  Olier  u.  A.  zu  finden! 

Selbst  eine  früher  vorgenommene  Probepunction,  die, 
nebenbei  bemerkt,  durchaus  nicht  als  ganz  ungefährlicher  Ein¬ 
griff  zu  betrachten  ist,  w'ird  uns  nur  wenig  oder  um  gar  nichts 
dem  angestrebten  Ziele  näher  bringen.  Denn  nicht  immer  be¬ 
kommen  wir  in  der  Punctionsflüssigkeit  charakteristische  Theile 
der  Hydatidencyste  zu  sehen,  geschweige  denn,  dass  uns  etwas 
auf  die  Localisation  in  der  Niere  hinführen  würde.  Ja  Schede 
konnte .  in  einem  Falle  die  Diagnose  des  Nierenechinococcus 
nicht  früher  machen,  als  bis  er  die  Geschwulst  zu  etwa  zwei 
Dritteln  freigelegt  und  an  einer  Stelle  die  Punction  vorge¬ 
nommen  hatte. 

Ob  im  speciellen  Falle  die  Nephrektomie  vorzunehmen 
ist,  dies  muss  ferner  die  Menge  und  der  Zustand  der  noch 
restirenden  Nierensubstanz  entscheiden.  Aber  wo  haben  wir 
nur  ein  Symptom,  das  annähernd  einen  Schluss  darauf  zu- 
liesse?  Auch  die  nachträglichen  Untersuchungen  an  bereits 
exstirpirten  Organen  ergeben  nicht  übereinstimmende  Resultate. 
Während  einige,  wie  Senator,  den  eventuell  noch  erhaltenen 
Rest  der  Niere,  der  ja  in  Folge  von  Druckwirkung  auf  einen 
sehr  variablen  Bruchtheil  des  ursprünglichen  Nierenvolumens 
reducirt  sein  kann,  meist  atrophisch  oder  entzündlich  verändert 
fanden,  kommt  Paul  Wagner1)  in  einer  diesbezüglichen  und 
ausgezeichneten  Arbeit  zu  anderen  Schlüssen,  die  allerdings 
sehr  beachtenswerth  sind  und  der  Nephrotomie  fast  ausschliess¬ 
lich  die  Stange  halten.  Wagner  bezieht  sich  auf  zehn  Fälle 

’)  Centralblatt  für  Krankheiten  der  Harn-  und  Sexualorgane.  1894. 


von  Nephrektomie  wegen  Echinococcus,  von  denen  drei  letal 
endeten,  sieben  einen  günstigen  Verlauf  nahmen,  und  bei  denen 
insgesammt  mehr  oder  minder  beträchtliche  Mengen  functions- 
fähiger  Nierensubstunz  gefunden  wurden.  Bei  allen  diesen 
Fällen  wurde,  wie  Wagner  selbst  zugibt,  die  richtige  Dia¬ 
gnose  nicht  gestellt. 

Aber  Wagner  geht  so  weit,  die  Nephrektomie  in 
keinem  Falle  von  Nierenechinococcus  als  berechtigt  anzusehen 
und  diesen  Eingriff  nur  dann  zuzugestehen,  wenn  man  in 
Folge  irrthümlicher  Diagnose  den  abdominalen  Weg  einge¬ 
schlagen  hat  und  so  weit  vorgeschritten  ist,  dass  es  weniger 
Gefahr  hat,  die  Exstirpation  zu  vollenden.  Dadurch  geräth 
jedoch  der  so  stricte  Standpunkt  Wagners  von  selbst  ins 
Schwanken,  da  ja  auch  in  seinen  zehn  Fällen  von  Nieren¬ 
echinococcus  insgesammt  Fehldiagnosen  Vorlagen. 

Wohl  ergibt  die  Nephrektomie  noch  eine  ziemlich  be¬ 
trächtliche  Mortalitätsziffer:  nach  einer  aus  dem  Jahre  1882 
stammenden,  72  Fälle  umfassenden  Statistik  Czerny’s  und 
nach  einer  umfangreichen  Beobachtung  G  r  o  s  s’  aus  dem  Jahre 
1885  übereinstimmend  circa  44°/0,  welche  Zahl  allerdings  im 
letzten  Jahrzehnt  auf  beinahe  die  Hälfte  geschrumpft  ist. 
Dennoch  aber  können  wir  die  Nephrektomie  als  chirurgische 
Behandlungsmethode  nicht  von  der  Hand  weisen,  ja  wir  sind 
sehr  oft  auf  sie  direct  angewiesen.  Man  darf  übrigens  nicht 
vergessen,  dass  auch  die  blosse  Eröffnung  und  Drainirung  des 
Sackes  an  sich  nicht  so  geringfügig  ist,  als  sie  fürs  Erste  er¬ 
scheint,  wenn  auch  die  Zahl  derer,  die  dem  Eingriffe  direct 
erliegen,  eine  weit  geringere  ist  als  bei  der  Nephrektomie. 
Die  Heilung  jedoch  ist  eine  so  langwierige,  sich  über  Monate, 
oft  auch  Jahre  erstreckende,  dass  an  die  Kräfte  des  Patienten 
die  grössten  Anforderungen  gestellt  werden,  ganz  besonders, 
wenn  sich  Eiterung  zugesellt,  in  deren  Gefolge  secundäre  Er¬ 
krankungen,  besonders  Amyloiddegenerationen,  das  Leben  des 
Patienten  bedrohen  können.  Ich  kenne  einen  Fall  von  Leber¬ 
cyste,  der,  durch  Eirmähen  und  Eröffnung  des  Sackes  behandelt, 
noch  heute,  nach  drei  Jahren,  nicht  vollkommen  geheilt  ist 
und  den  sonst  ausnehmend  kräftigen  Patienten  schon  einige 
Male  in  kritische  Zustände  brachte. 

Ich  komme  daher  zu  folgenden  Schlüssen: 

Die  chirurgische  Behandlung  des  Nierenechinococcus  um¬ 
fasst  sowohl  die  Nephrektomie  als  auch  die  einfache  Eröffnung 
des  Sackes  mit  nachfolgender  Drainirung  desselben.  W elcher 
von  beiden  Methoden  wir  den  Vorzug  geben,  das  kann  zu¬ 
meist  erst  intra  Operationen!  beschlossen  werden,  nachdem  eben 
einerseits  die  Diagnose  festgestellt,  andererseits  man  womöglich 
ins  Klare  darüber  gekommen  ist,  ob  und  wie  viel  tunctionsfähiger 
Nierensubstanz  vorhanden  ist. 

Das  Einschlagen  des  abdominalen  Weges  ist  für  keinen 
Fall  ein  ausschlaggebender  Nachtheil.  Er  bietet  oft  die  einzige 
Möglichkeit,  sich  klare  Verhältnisse  zu  verschaffen.  Sieht  inan 
bei  dieser  Gelegenheit,  dass  der  Fall  für  blosse  Eröffnung  ge¬ 
eignet  ist,  so  kann  man  die  beiden  erzeugten  Peritoneal  wunden 
wieder  sehliessen  und  mit  Hilfe  eines  hinzugefügten  lumbaren 
Hautschnittes  extraperitoneal  vorgehen. 

Literatur. 

Senator,  Die  Erkrankungen  der  Nieren.  Nothnagel,  Pathologie 
und  Therapie.  Bd.  XIX. 

Obalinsky,  Zur  modernen  Nierenchirurgie. 

Schede,  Meine  Erfahrungen  über  Nierenexstirpation. 

Hosier,  Endemisches  Vorkommen  des  Echinococcus.  Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1886. 

K  ü  s  t  e  r,  Die  chirurgischen  Krankheiten  der  Niere.  Deutsche  Chirurgie. 
Lieferung  526. 


FEUILLETON. 

Dem  Andenken  E.  Albert’s. 

Von  Prof.  Gassenhauer.*) 

Sehr  geehrte  Herren  Coli  egen! 

Der  Aufforderung  des  verehrten  Herrn  Präsidenten  folgend,  will 
ich  es  heute  versuchen,  unseres  so  jäh  und  leider  viel  zu  tiüli  vei- 

*)  Gedenkrede  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  vom 
19.  October  1900. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


storbenen  Mitgliedes,  Hofrath  Prof.  Dr.  Eduard  Albert,  in  pietät¬ 
voller  Erinnerung  an  sein  unermüdliches  und  an  Erfolgen  so  reiches 
Wirken  zu  gedenken  und  der  Sympathie  Ausdruck  zu  verleihen,  welche 
seiu  Ableben  in  uns  Allen  schmerzlich  hervorrief. 

Als  seinem  engeren  Fachcollegen  fiel  mir  diese  Aufgabe  zu.  Ich 
musste  sie  annehmen,  wohl  wissend,  dass  sie  eine  schwierige  sei  und 
voll  und  ganz  nur  von  Jenem  zu  lösen  wäre,  welcher  nicht  nur  die 
Dicta,  Scripta  und  Facta  dieses  auserordentlichen  Mannes  kennt, 
sondern  auch  die  Wurzeln  und  den  Boden  zu  analysiren  verstünde, 
aus  denen  sie  entsprungen  sind 

Eduard  Albert  war  nicht  blos  ein  hervorragender  Chirurge, 
ausgezeichneter  Lehrer  und  gelehrter  Fachhistoriker,  wie  es  nur  Wenige 
cibt,  er  war  auch  Politiker  und  Dichter  und  ein  auf  fast  allen  mensch- 
liehen  Wissenszweigen  so  bewanderter  Mann,  dass  er,  so  oft  er  Ge¬ 
legenheit  hatte,  aus  seinem  engeren  Gebiete  hervorzutreten,  jedes  Mal 
seine  Schüler,  Freunde  und  Collegen  durch  die  vielseitige  Ausbildung 
seines  Intellectes  und  die  Eigenart  seiner  Auffassungen  in  Erstaunen 
versetzte. 

Mir  obliegt  es  heute  vornehmlich,  Eduard  Albert  als 
Chirurgen  zu  ei  fassen  und  Ihnen  seine  Leistungen  vor  Augen  zu 
führen,  welche  ihm  als  Lehrer,  Forscher  und  Praktiker  zu  so  hohem 
Ansehen  im  In-  und  Auslande  führten. 

Albert  war  ein  Sohn  unserer  Alma  mater  und  als  solcher 
durchwegs  in  den  Traditionen  erzogen,  welche  die  Wiener  Schule  in 
einer  erst  jüngst  abgelaufenen  Epoche  unter  ihren  geistigen  Führern 
Hyrtl,  Rokitansky  und  Skoda  gross  gemacht  hatten. 

Der  gewaltige  Redner  Hyrtl  regte  den  jungen  Albert, 
welcher  mit  allen  seinen  Talenten  als  stiller,  in  sich  gekehrter  Seholare 
mit  uns  zu  den  Füssen  des  Meisters  sass,  mächtig  an. 

Vielleicht  hat  Hyrtl  dazu  beigetragen,  in  Albert  seine  ora- 
torischen  Talente  zu  wecken  und  durch  die  Vielseitigkeit  seiner  sach¬ 
lichen  und  weit  abschweifenden  Excursionen,  sowie  den  sichtbaren 
Einfluss,  welchen  diese  auf  die  lauschenden  Zuhörer  ausübten,  die 
Richtung  vorzuzeichnen,  welche  Albert  in  der  Folge  als  Lehrer 
einschlug. 

Es  gibt  eine  geistige  Contagion,  wenn  das  lebendige  Wort  auf 
günstigen  und  gut  vorbereiteten  Boden  fällt,  deren  sichtbare  Zeichen 
lange  nach  ihrer  Einwirkung  zutn  Vorschein  kommen. 

Der  Denker  Rokitansky  legte  in  Albert  den  Grund  zu 
seiner  Ausbildung  in  der  pathologischen  Anatomie.  Vielleicht  auch 
weckte  er  in  ihm  die  Neigung  zu  philosophischen  Studien.  In  ihm  ver¬ 
ehrte  Albert  nicht  blos  seinen  Connationalen,  sondern  den  Mann  der 
Forschung,  welcher  ihn  in  seinen  Studie  n  und  noch  viel  später  mächtig 
förderte,  wie  uns  Albert  in  seiner  schönen  Gedächtnissrede  auf 
Rokitansky  und  noch  viel  später  zu  wiederholtenmalen  berichtet. 

Neben  Rokitansky  war  es  noch  Skoda,  welcher  auf 
Albert  besonders  ein  wirkte. 

Hatte  Rokitansky  durch  seine  vasten  Conceptionen  in  der 
Errichtung  des  Lehrgebäudes  der  pathologischen  Anatomie  und  durch 
seine  phantasievollen  Erklärungsversuche  der  dem  pathologisch-ana¬ 
tomischen  Substrate  correlaten  Erscheinungen,  welche  ihn  manche 
späterhin  als  irrig  erkannte  Theorien  aufstellen  Hessen,  noch  einen 
gewissen  Spielraum  für  heuristisches  Denken  gelassen,  so  war  die  auf 
physikalischer  Grundlage  aufgebaute  kritische  Beobachtungsweise  des 
nüchternen,  voraussetzungslosen  Skoda  am  Krankenbette  vielleicht 
noch  mehr  geeignet,  in  Albert  seine  stärkste  Seite,  den  schärfsten 
Kriticismus,  zu  wecken  und  zu  fördern. 

Durch  Kritik  wirkten  auch  seine  Lehrer  in  der  Chirurgie, 
Franz  Schuh  und  Johann  D  umreich  er,  ein. 

Schuh  machte  seinen  Einfluss  durch  seine  gross  angelegte 
Individualität,  die  Kühnheit  und  Sicherheit,  womit  er  das  chirurgische 
Messer  führte,  und  durch  seinen  lauteren  und  offenen  Charakter,  dem 
alles  Feige  und  Verschmitzte  verhasst  war,  geltend. 

Treu  und  treffend  ist  die  Charakteristik  von  Schu  h,  welche 
uns  Albert  gelegentlich  der  erhebenden  akademischen  Feier  vom 
JO.  Mai  1  900  so  lebendig  vor  Augen  führt,  dass  man  den  Meister  mit  seiner 
Lebhaftigkeit,  seinem  knappen,  klaren  Vortrage  und  seinen  sarkasti¬ 
schen  und  satirischen  Bemerkungen  lebend  zu  schauen  vermeint. 

Dum  reich  er  hingegen  wirkte  mehr  durch  seine  klare,  nüch¬ 
terne,  vom  Gegenstand  nicht  abweichende  Vortragsweise»  und  den 
luhigen  Ernst,  mit  dem  er  in  wohlwollender  Weise  seine  Kranken  be¬ 
handelte.  Darareiche  r’s  Schule  war  eine  dogmatische,  entbehrte 
jedoch  nicht  der  Kritik,  besonders  Neuerungen  gegenüber,  welche  noch 
nicht  allgemeine  Anerkennung  gefunden  hatten. 

Nachhaltiger  wurde  Dum  reiche  r’s  Einfluss  auf  Albert 
erst  später,  als  er  unter  seine  engeren  Schüler  im  Operateurinstitute 
aufgenommen  wurde,  und  während  seiner  Assistentenzeit. 

Von  viel  geringerem  Einflüsse  auf  Albert  waren  seine  übrigen 
Lehrer.  Nur  Oppolzer  fesselte  ihn  als  scharfer  und  sicherer 
Diagnostiker  und  durch  die  vielen  praktischen  Belehrungen  am 
Krankenbette. 


Ueber  Brücke,  II  e  b  r  a  und  alle  die  Anderen  erfahren  wir 
nur  späterhin  gelegentlich  aus  seinen  Reden,  welche  Bedeutung  den¬ 
selben  zukomme.  Doch  waren  diese  Uriheile  mehr  aus  der  Reflexion 
entsprungen,  als  den  unmittelbaren  Einwirkungen  der  Lehrer  auf  den 
Schüler. 

So  war  Albert,  als  er  die  hohe  Schule  verliess,  wohl  vor¬ 
bereitet  und  mächtig  angeregt ;  auch  des  Lebens  Noth  hatte  er  in  der 
grossen  Stadt  kennen  gelernt;  sie  hat  ihn  frühzeitig  gestählt.  Er  wusste, 
wohin  er  seine  Schritte  zu  lenken  hatte  und  widmete  sich  bald  nach 
seiner  Promovirung  (1867)  der  Chirurgie  an  Dumreicher’s  Schule. 

v.  Dum  reich  er  hatte  sehr  bald  die  eminenten  Talente 
Albert’s  auch  auf  dem  Gebiete  der  Chirurgie,  wie  schon  früher 
Rokitansky  auf  jenem  der  pathologischen  Anatomie  erkannt  und 
beantragte  seine  Ernennung  zum  klinischen  Assisluten.  Damit  war 
die  weitere  Laufbahn  Albert’s  entschieden. 

Als  Assistent  war  Albert  zunächst  ganz  unter  dem  Einflüsse 
der  nüchternen  Schule  v.  Dumreicher’s.  Das  reiche  Material  der 
Klinik  gab  ihm  Gelegenheit,  sich  allseitig  in  der  praktischen  Chirurgie 
auszubilden  und  sein  ausgesprochenes  Lehrtalent  insbesondere  nach  Er¬ 
reichung  der  Docentur  (1872)  zu  bekunden. 

Seine  ersten  Publicationen  waren  der  interessanteren  chirurgischen 
Casuistik  der  Klinik  oder  Lehrmeinungen  seines  Lehrers  (Hernia  in- 
flammata)  gewidmet. 

Albert  begnügte  sich  indessen  keineswegs  blos  mit  der  Mit¬ 
theilung  der  nackten  Beobaelitungsthatsachen.  Sehr  bald  zeigte  sich 
in  denselben  der  wissenschaftliche  Raisonneur.  Ich  erinnere  nur  an 
seine  Erörterungen  über  die  Berechtigung  der  Neurektomien  bei  Trige¬ 
minusneuralgien.  Diese  Operationen  waren  damals  von  vielen  Chirurgen 
einfach  nach  ihren  unmittelbaren  Heilerfolgen  beurtheilt  worden,  ob¬ 
schon  bereits  Dieffenbach  die  Neurektomie  für  viele  Fälle  von 
Neuralgie  als  einen  Desparationsact  hingestellt  hatte. 

Mitten  in  seinen  chirurgischen  Arbeiten  erfuhr  Albert  eine 
mächtige  Förderung  durch  Salomon  Stricker.  Dieser  war  es, 
welcher  Albert  erst  eigentlich  auf  die  Bahn  wissenschaftlicher 
Forschung  hiuleitete. 

Als  erstes  Zeichen  dieses  Einflusses  erschien  im  Jahre  1871  jene 
bekannte  experimentelle  Arbeit  über  das  Wundfieber  (von  E.  Albert 
und  S.  Stricke  r),  welche  ihre  Anregung  durch  B  i  1  1  r  o  t  h’s  frühere 
Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  erhalten  hatte. 

Diese  Arbeit  hat  in  ihrer  Art  den  Kern  der  Sache,  um  die  es 
sich  eigentlich  handelte,  nicht  getroffen,  in  ihrer  Form  aber  war  sie, 
aus  der  Feder  Strieker’s  stammend,  so  polemisch  gehalten,  dass 
der  daraus  resultirende  Misston  nur  durch  die  noble  Art  Billroth’s, 
mit  welcher  er  über  diese  Form  in  einer  folgenden  Arbeit  hinwegging, 
paralvsii  t  wurde.  Alber  t’s  Interesse  aber  war  durch  S  t  r  i  c  k  e  r’s 
Anregungen  für  den  Gegenstand  so  weit  gefesselt,  dass  er  mit 
Stricker  auch  die  Wärmeökonomie  des  Herzens  und  der  Lungen 
experimentell  untersuchte  (1873)  und  in  der  Folge  mit  eigenen  Unter¬ 
suchungen,  welche  ihren  Ausgangspunkt  von  den  Erscheinungen  der 
Embolisation  arterieller  und  capillärer  Blutbahnen  nahmen,  die  Ent¬ 
stehung  des  Fiebers  zu  ergründen  versuchte. 

Selbstständig  hingegen  und  in  vieler  Hinsicht  von  Interesse  sind 
seine  Studien  zur  chirurgischen  Pathologie  der  Bewegungsorgane,  welche 
er  noch  als  Privatdocent  in  Wien  unternahm. 

Wenn  Albert  für  seine  Untersuchungen  sich  an  die  bekannten 
Versuche  Bonnet’s  anlehnen  konnte,  und  die  auf  diesen  fussende 
Arbeit  D  i  1 1  e  l’s  über  die  Coxitis,  sowie  die  Ansichten  D  u  m- 
r  e  i  c  h  e  r’s  hierüber  vor  sich  hatte,  so  ging  er  doch  weit  über  diese 
hinaus,  indem  er  den  intraarticulären  Druck  unter  verschiedenen  Ver¬ 
hältnissen  experimentell  untersuchte  und  die  klinischen  Erscheinungen 
durch  seine  experimentellen  Ergebnisse  beleuchtete. 

Er  hat  damit  wesentlich  dazu  beigetragen,  in  die  einschlägigen 
Fragen  Klarheit  zu  bringen. 

Für  Albert  waren  diese  Studien  noch  insoferne  von  Bedeutung, 
als  sie  der  Ausgangspunkt  wurden  für  seine  in  der  Folge  unter¬ 
nommenen  Studien  über  die  Mechanik  verschiedeuer  Gelenke. 

Erst  mit  seiner  Ernennung  zum  Professor  der  Chirurgie  in 
Innsbruck  (1873),  welche,  wie  uns  Albert  selbst  berichtet,  durch 
Rokitansky  amtlich  vermittelt  wurde,  beginnt  sein  selbstständiges 
Wirken  und  tritt  sein  Gepräge  immer  deutlicher  hervor. 

In  zweifacher  Richtung  manifestirt  sich  seine  Thätigkeit  zunächst. 
Er  beschäftigt  sich  mit  historischen  Studien  und  fasst  alle  die  Ergeb¬ 
nisse  seiner  eigenen  Arbeiten  zusammen  und  schreibt  sein  „Lehrbuch 
der  Chirurgie  und  Operatiouslehre“. 

Im  Jahre  1877  und  1878  konnte  er  seine  „Beiträge  zur  Ge¬ 
schichte  der  Chirurgie“  herausgeben.  In  diesen  bearbeitete  er  die  Blut¬ 
stillungsmethoden  im  Mittelalter,  die  ältere  Chirurgie  der  Kopfver¬ 
letzungen  und  die  Herniologie  der  Alten  nach  Quellenstudien.  Es  sind 
dies  nicht  blos  Zusammenstellungen,  sondern  auch  kritische  Unter¬ 
suchungen  in  manchen  wichtigen  Punkten. 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


997 


Von  seinem  Lehrbuche  konnte  er  bereits  im  Jahre  1877  den 
ersten  Baud  und  im  Jahre  1880  den  vierten  Band  herausgeben,  eine 
gewaltige  Arbeit,  wenn  man  bedenkt,  dass  er  während  und  vor  dieser 
Zeit  mit  seinen  Untersuchungen  über  die  Mechanik  des  Hüftgelenkes 
(187G  und  1878),  des  Schultergürtels  (1877)  beschäftigt  war  und  in 
der  Zeit  (1878  und  1880)  seine  „Beiträge  zur  operativen  Chirurgie“ 
herausgab  und  daneben  noch  manche  interessante  casuistische  Fälle, 
so  seine  Luxatio  humeri  supvacovacoidea  und  Operationen  am  Harn¬ 
apparate  publicirte. 

Sein  Lehrbuch,  der  äusseren  Form  nach  jene  der  zwangloseren 
Vorträge  Billroth’s  allgemeiner  Chirurgie  imitirend,  war  von 
vorneherein  breit  angelegt,  indem  es  die  allgemeine  und  specielle 
Chirurgie  und  auch  noch  die  Operationslehre  vereinigte,  ein  Vorgang, 
welcher  sich  insbesondere  den  Studirenden  gegenüber  als  vortheilhaft 
erwies. 

Aufgebaut  ist  dieses  Lehrbuch  durchwegs  auf  der  sicheren 
Grundlage  genauer  historischer  Kenntnisse,  scharfer  kritischer  Be¬ 
leuchtung  der  verschiedenen  Lehrmeinungen,  welche  den  Studenten  zu 
eigenem  Nachdenken  anregte. 

Die  Diction  war  durchwegs  eine  klare  und  lebendige,  mit  vielen 
interessenten  und  geistreichen  Apercus  gewürzte,  wohl  geeignet,  die 
Aufmerksamkeit  des  Lesers  zu  fesseln.  Dieses  Lehrbuch  war  seiner¬ 
zeit  lobend  anerkannt  worden,  wenn  auch  im  Einzelnen  wegen  mancher 
abweichender  Anschauungen,  namentlich  in  der  operativen  Chirurgie, 
die  Kritik  emendirend  einsetzen  musste. 

Albert  hatte,  als  er  dieses  Lehrbuch  schrieb,  eine  grosse  Er¬ 
fahrung  hinter  sich,  war  er  ja  doch  aus  der  Wiener  Schule  hervor¬ 
gegangen,  er  war  aber  noch  nicht  gesättigt,  und  so  war  es  begreiflich, 
dass  sein  in  mancher  Hinsicht  allzu  conservativer  Standpunkt  gegen¬ 
über  den  evidenten  Fortschritten  nicht  überall  durchdringen  konnte. 
Nur  in  einer,  allerdings  der  wichtigsten  Richtung,  hatte  er  mit  den 
Traditionen  der  Dum  reiche  r’schen  Schule  ganz  gebrochen,  indem 
er  die  antiseptische  Wundbehandlung  ihrem  Principe  nach  anerkannte 
und  in  der  Innsbrucker  Klinik  einführte. 

Uebrigens  hat  Albert  in  der  Folge  sein  Lehrbuch  vielfach 
emendirt,  auf  der  Höhe  der  Zeit  erhalten  und  noch  zuletzt  in  ver¬ 
änderter  Form  herausgegeben;  es  war  die  fünfte  Auflage. 

Fast  noch  mehr  Anerkennung,,  namentlich  unter  den  Studirenden, 
hat  seine  „Diagnostik  der  chirurgischen  Krankheiten“  gefunden. 

Von  1876  bis  1900  erlebte  dieses  Werk  acht  Auflagen.  Es  ist 
als  ergänzendes  Correlat  seiner  „Chirurgie“  zu  betrachten,  in  welchem 
alle  jene  Momente  eingehend  berücksichtigt  werden,  welche  dem  er¬ 
fahrenen  Kliniker  zu  Gebote  stehen,  um  auch  in  schwierigen  Fällen 
den  Irrthum  zu  vermeiden. 

So  hatte  Albert  die  Zeit  als. Professor  in  Innsbruck  reichlich 
ausgenützt,  sich  rühmlich  hervorgethan  und  dort  ein  hohes  Ansehen 
erworben. 

Als  sein  Lehrer  v.  Dum  reich  er  am  15.  November  1880 
aus  dem  Leben  schied,  wurde  er  nach  kurz  dauernder  Supplirung  der 
Klinik  durch  Nicoladoni,  dem  Wunsche  seines  Lehrers  gemäss, 
sein  Nachfolger. 

Am  2.  Mai  1881  hielt  er  seine  Antrittsrede.  Sie  war  in  pietät¬ 
voller  Weise  dem  Andenken  seines  Lehrers  geweiht  und  entwickelte 
zugleich  den  Gegensatz  zwischen  Theorie  und  Praxis  und  das  Programm 
seiner  Lehrthätigkeit.  Diesem  Programme,  nämlich  der  Ausbildung  der 
Studenten  für  die  Praxis,  hat  er  seine  ganze  Kraft  gewidmet.  Bis  in 
die  letzte  Zeit  hat  er  unermüdlich  im  Lehramte  die  Studenten  so 
mächtig  angezogen,  dass  seine  Vorlesungen  und  seine  Klinik  zu  den 
besuchtesten  an  der  medicinischen  Facultät  zählten. 

An  dem  grossen  Materiale  seiner  Klinik  konnte  er  auch  in 
operativer  Hinsicht  sich  voll  und  ganz  bethätigen. 

Wenn  er  auch  der  conservativen  Richtung,  namentlich  auf  ge¬ 
wissen  Gebieten,  stets  treu  geblieben  war,  so  musste  er  doch  viele 
Neuerungen  und  Erweiterungen  der  operativen  Chirurgie,  wTelche  in 
den  letzten  fünf  Lustren  unter  dem  Schutze  der  anti-  und  aseptischen 
Wundbehandlung  ihre  Berechtigung  erworben  hatten,  berücksichtigen. 

Er  machte  auch  die  grössten  und  eingreifendsten  Operationen, 
wenn  er  für  seine  Kranken  daraus  Vortheile  erblickte. 

Da  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  Albert  auf  verschiedenen  Ge¬ 
bieten  manche  Verbesserung  bekannter  operativer  Verfahren  und 
eigene  Methoden  prüfte  und  den  Fachgenossen  empfahl. 

Ich  erinnere  in  dieser  Hinsicht  an  seine  Modification  der  Knie- 
gelenksresection  mit  der  stufenförmigen  Anfrischung  der  Knochen, 
seine  temporäre  Resection  des  Unterkieferwinkels  zur  Blosslegung  des 
Nervus  mandibularis  vor  seinem  Eintritte  in  den  Unterkiefer  nach  dem 
Vorgänge  von  Victor  v.  Bruns,  seine  Modification  der  Stumpf¬ 
versorgung  bei  Abtragung  des  myomatösen  Uterus,  seine  Arthrodese  bei 
Schlottergelenken,  seine  Methode  der  Jejunostomie,  sowie  seine  viel¬ 
fachen  Bemühungen  um  die  Blasennaht  bei  Sectio  alta. 

Neben  seinen  operativen  Leistungen  und  all  den  übrigen 
Arbeiten,  welche  ihm  sein  Lehramt,  seine  Stellung  im  Professoren¬ 


collegium,  im  Obersten  Sanitätsrathe  aufbürdeten,  war  er  auch  in 
Wien  ununterbrochen  wissenschaftlich  und  literarisch  thätig. 

Er  unternimmt  kymögraphische  Messungen  am  Menschen,  indem 
er  an  zu  amputirenden  Extremitätenabschnitten  die  Arterie  tibialis 
antica  vor  Ausführung  der  Operation  blosslegt  und  an  dieser  mit  dem 
Kymographen  unter  verschiedenen  äusseren  Verhältnissen  den  Blutdruck 
untersucht. 

Er  studirt  die  Lehre  von  der  Gehirnerschütterung  experimentell, 
macht  mit  seinem  Schüler  Schnitzler  Versuche  über  Hirndruck, 
nachdem  er  schon  früher  die  Lehre  vom  Hirndruck  in  einer  sach- 
gemässen  Kritik  auf  ihre  Richtigkeit  gepiiift  hatte;  er  studirt  an  der 
Hand  eines  reichen  anatomischen  Materiales  die  Skoliose  der  Wirbel¬ 
säule  und  nimmt  Stellung  zu  den  controversen  Fragen,  welche  bis  in 
unsere  Tage  trotz  eingehender  Bearbeitung  von  Seite  der  Fachgenossen 
ihre  befriedigende  Lösung  nicht  gefunden  hatten;  er  betheiligt  sich 
rege  an  dem  wissensehaftlischen  Leben  in  unserer  Gesellschaft  und  im 
Doctorencollegium,  indem  er  häufig  aus  seiner  reichen  Casuistik  De¬ 
monstrationen  und  Vorträge  abhält. 

Noch  im  letzten  Jahre  hat  er  uns  seine  mühevollen  und  zeit¬ 
raubenden  Untersuchungen  über  die  Architektur  der  Knochenspongiosa 
vor  Augen  geführt. 

Und  über  Alles  dieses  hinaus  ist  Albert  noch  in  einer  vier¬ 
fachen  Richtung  hin  thätig  gewesen;  als  mediciniscber  Kritiker,  als 
eminenter  Redner,  als  Politiker  und  als  Dichter.  Es  scheint  mir  nicht 
angezeigt  zu  sein,  hier  in  unserem  Kreise  Albert  auch  auf  das  Feld 
der  Politik  zu  folgen  oder  sein  Reich  der  Dichtung  zu  betreten.  Hin¬ 
gegen  kann  ich  nicht  umhin,  kurz  die  Bedeutung  Alber  t’s  als  medi¬ 
cinischen  Kritikers  zu  charakterisiren  und  hervorzuheben,  wie  er  als 
Meister  der  Rede  auf  seine  Zuhörer  einwirkte. 

Sein  kritischer  Geist  ist  ein  universeller,  der  nichts  in  sich  auf¬ 
nehmen  kann,  was  er  nicht  mit  allen  Mitteln  der  Ueberlegung  und 
des  Vergleiches,  der  retrospectiven  Betrachtung  und  im  weiten  Ausblick 
auf  die  Zukunft  sich  zurechtgelegt  hatte. 

Ob  er,  um  nur  Einiges  anzuführen,  Uspenki’s  Theorie  der 
Neuralgie  analysirt,  die  Bedeutung  der  conservativen  und  operativen 
Behandlung  der  Schuss  Verletzungen  an  der  Hand  der  Statistik  bemüht 
ist,  sich  klar  zu  legen,  sich  gegen  die  operativen  Eingriffe  bei  tuber- 
culöser  Caries,  zumal  bei  Kindern,  wendet,  die  controversen  Meinungen 
in  der  Lehre  vom  Hirndruck  gegen  einander  abwiegt,  die  Torsion  der 
Wirbelsäule  bei  Skoliose,  das  W  o  1  f’sche  Transformationsgesetz  der 
Knochen  durch  das  vergleichende  Studium  der  Knochenspongiosa 
prüft  oder  irgend  ein  anderes  Gebiet  der  Theorie  und  Praxis  bespricht, 
immer  geht  er  von  dem  Einzelnen  auf  das  Ganze  und  findet  seine 
Befriedigung  nicht  früher,  als  bis  er  alle,  auch  die  scheinbar  ver¬ 
borgensten  Irrgänge  durch  die  Schärfe  seines  Verstandes  und  seine 
gewandte  Dialektik  aufgedeckt,  hat.  Und  gar  mächtig  sind  seine 
Waffen,  die  er  führt,  stahlbart  der  Schild,  mit  dem  er  sich  deckt  und 
scharf  und  durchdringend  die  Pfeile,  welche  er  aus  seinem  vollen 
Köcher  versendet. 

Dann  werden  seine  „logischen  Gefühle“,  wie  er  sie  nennt, 
wach  und  bemeistern  ihn,  suchen  einen  Ausweg  und  treiben  ihn  zu 
äusserer  Bethätigung  an  und  kommen  zum  Vorschein  als  Zeichen  seines 
humanen  Wirkens. 

Als  ein  solches  weithin  leuchtendes  Zeichen  können  wir  die 
Creation  des  Vereines  zur  Errichtung  und  Förderung  von  Seehospizen 
und  Asylen  betrachten,  als  Albert  mit  seiner  conservativen  Richtung 
in  der  Behandlung  der  Kuoehentuberculose  bei  Kindern  Recht  be¬ 
halten  hatte. 

Albert  hatte  aber  auch  den  Mutli  der  Ueberzeugung.  Am 
deutlichsten  gibt  sich  dieser  in  seiner  Aeusserung  über  „Die  Frauen 
und  das  Studium  der  Medicin“  kund.  Er  ergreift  öffentlich  das  Wort 
gegen  das  medicinische  Studium  der  Frauen,  weil  er  dies  früher  in 
einem  amtlichen  Votum  get.han  und  weil  er  die  tiefste  Ueberzeugung 
hat,  dass  der  ärztliche  Beruf  für  sie  nicht  passt. 

In  einer  Zeit,  wo  die  Frauenbewegung  auch  die  breiten  Schichten 
der  gebildeten  Völker  aller  Länder  erfasst  hat,  sich  dem  Strome  ent¬ 
gegenstellen,  ist  das  die  That  eines  muthigen  Mannes,  wie  immer  das 
auf  Erfahrung  gegründete  Urtheil  lauten  möge,  welche  seine  ins  Feld 
geführten  Argumente  in  der  Zukunft  treffen  wird. 

Als  Meister  der  Rede  suchte  Albert  unter  uns  Lebenden 
seinesgleichen.  Mir  scheint  es,  als  wenn  A  1  b  er  t’s  Wesen  gerade  in 
seinen  Reden  am  deutlichsten  zum  Ausdrucke  komme. 

Wenn  er  in  Königgrätz  vor  seinen  Connationalen  Rokitansky 
verherrlicht,  seinen  czechischen  Collegen  anlässlich  des  Congresses 
czechischer  Aerzte  und  Naturforscher  in  Prag  die  Errungenschaften 
philosophischer  Weltanschauung  aus  der  Weltliteratur  vorführt,  seinen 
aus  dem  Leben  geschiedenen  Collegen  den  ehrenden  Nachruf  hält  oder 
in  der  Aula  academica  die  Thaten  vergangener  Meister  unserer  Schule 
wieder  aufleben  macht,  dem  grossen  Kriegschirurgen  Larrey,  dem 
tugendhaftesten  Manne,  den  der  erste  Napoleon  je  gesehen,  auch  in 
Deutschland  mit  historischer  Treue  ein  bleibendes,  geistig  durch- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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leuchtetes  Monument  setzt,  oder  in  vielen  wichtigen  Universitäts-  unrl 
Unterriehtsfi  agen  intra  et  extra  muros  seine  gewichtige  Stimme  er¬ 
hebt,  immer  kommt  seine  bedeutende,  auf  sich  selbst  bauende  In¬ 
dividualität  zum  Vorschein,  welche,  markig  und  talentvoll  angelegt, 
durch  ernstes  Studium  und  vielseitige  Arbeit  erweitert,  ihr  Licht  aus¬ 
streut,  so  weit  dessen  Intensität  reicht. 

So  war  das  Leben  A 1  b  e  r  t’s  ausgefüllt  durch  unausgesetzte 
Arbeit  mannigfacher  Art.  Es  scheint,  als  hätte  sich  A  1  b  e  r  t  Rüekert’s 
schönen  Spruch : 

„Nie  stille  steht  die  Zeit,  der  Augenblick  entschwebt, 

Und  den  Du  nicht  benützt,  den  hast  Du  nicht  gelebt!“ 
zu  seiner  Lebensmaxine  gemacht.  Ein  solches  Leben  musste  sich  die 
Anerkennung  erringen,  wo  immer  sich  dasselbe  abspielte.  Diese  wurde 
ihm  in  hohem  Masse  zu  Theil. 

In  unserer  Gesellschaft,  im  Professorencollegium,  als  Rathgeber 
im  Obersten  Sanitäfsrathe,  als  Mitglied  des  österreichischen  Herren¬ 
hauses,  sowie  bei  seinen  Compitrioten  war  seine  gewichtige  Stimme 
von  dem  grössten  Einflüsse.  Zahlreiche  wissenschaftliche  und  gelehrte 
Gesellschaften  des  In-  und  Auslandes  nahmen  ihn  unter  ihre  Mit¬ 
glieder  und  Ehrenmitglieder  auf  und  auch  viele  Ehrenzeichen  wurden 
ihm  von  Sr.  Majestät,  unserem  Kaiser  und  ausländischen  Fürsten 
vei  liehen. 

So  schied  Albert  ohne  Schmerzen  und  ohne  Leiden  aus  dem 
Leben,  als  er  nach  menschlichen  Vorstellungen  im  Zenith  seiner  Wirk¬ 
samkeit  und  Geltung  im  In-  und  Auslande  angelangt  war.  Wahrlich, 
Solon  würde  ihn  darum  glücklich  preisen. 

Wir  aber  können  sagen,  dass  Albert  sich  die  schöneren 
Monumente  selbst  gesetzt  hat.  In  seinen  Schülern,  Freunden  und 
Collegen  wird  sein  Andenken  fortleben  und  die  Nachwelt  wird  noch 
aus  seinen  Schriften  ersehen,  welch  gewaltiger  und  kritischer  Geist  am 
Ende  des  XX.  Jahrhunderts  an  unserer  Alma  mater  die  Stätte  seiner 
an  Erfolgen  so  reichen  Wirksamkeit  verliess. 


REFERATE. 

Therapie  der  Augenkrankheiten. 

Von  Professor  W.  Goldzieher. 

Zweite  Auflage. 

Leipzig  1899,  13  a  r  t  h. 

Der  Leser  findet  in  therapeutischer  Beziehung  in  Gold- 
z  i  e  h  e  r’s  Werk  vor  Allem  die  alten,  bewährten  Heilmethoden 
der  deutschen  ophthalmologischen  Schulen  mit  allen  Feinheiten 
ihrer  Anwendung  dargelegt.  Seine  Erfahrungen  an  einem  grossen 
Krankenmateriale  haben  ihn  skeptisch  gemacht  gegen  die  wie  Pilze 
aus  der  Erde  schiessenden  neuen  Mittel  und  Methoden;  viele  der¬ 
selben  führt  er,  wohl  mit  Absicht,  gar  nicht  an,  z.  B.  das  Extract 
des  Ciliarkörpers  des  Ochsen  gegen  Cyklitis,  das  in  seiner  Wirkung 
so  interessante,  therapeutisch  aber  —  wenigstens  in  der  Augen¬ 
heilkunde  —  werthlose  Nebennierenextract  etc.  Auch  für  die 
modernen  Ersatzmittel  des  Silbernitrates,  wie  Protargol,  Argen- 
lamin  etc.  kann  er  sich  nicht  begeistern,  worin  ihm  Referent  nur 
beistimmen  kann.  Uebermässige  Reclame  schadet  manchmal  freilich 
auch  wirklich  guten  Sachen;  dies  mag  veranlasst  haben,  dass  der 
Verfasser  auch  über  Einiges  hinweggeht,  das  sich  bereits  einen 
bleibenden  Platz  in  der  Ophthalmologie  erworben  hat,  wie  die  sub- 
conjunctivalen  Injectionen  von  Sublimat  und  Kochsalz.  Der  Ver¬ 
fasser  warnt  mit  Recht  gegen  die  gedankenlose  Anwendung  des 
Cocains,  das  bei  häufigem  Einträufeln  die  Ernährung  der  Cornea 
schädigt;  ebenso  richtig  betont  er,  dass  durch  zu  langes  Einträufeln 
von  Pilocarpin  oder  Eserin  so  mancher  Fall  von  Glaukom  zu  spät 
zur  Operation  kommt.  Der  Verfasser  rühmt  sehr  eine  sonst  nicht 
übliche  Behandlungsmethode  des  Pannus  und  des  Pterygiums 
welche  darin  besteht,  dass  mit  der  galvanokaustischen  Schlinge 
diese  Gebilde  oberflächlich  versengt  und  speciell  ihre  Gefässe  durch¬ 
gehrannt  werden. 

Das  Werk  Goldziehe  r’s  gibt  über  alles  Therapeutische 
vollkommen  Aufschluss  und  mehr  als  das.  Die  Therapie  muss  auf 
richtiger  Diagnose  und  Erkenntniss  der  Aetiologie  fussen.  Hiezu 
leitet  der  Verfasser  an,  indem  er  der  Therapie  jeder  Krankheit  die 
eingehende  Schilderung  des  Krankheitsbildes,  oft  mit  pathologisch¬ 
anatomischen  Erläuterungen  versehen,  voransetzt.  Dadurch  kommt 
sein  Werk  einem  Lehrbuche  der  Augenheilkunde  so  nahe,  dass 
man  nur  den  Wunsch  haben  kann,  dasselbe  möge  eine  Neuauflage 
nicht  nur  recht  bald  erleben,  sondern  dann  auch  in  Gestalt  eines 


vollkommenen  Lehrbuches  erscheinen;  es  wird  dann  zu  den  alten 
Freunden  noch  viele  neue  sich  erwerben.  E.  Fuchs. 


Mikroskopie  und  Chemie  am  Krankenbette. 

Von  H.  Lenliartz. 

Dritte  Auflage. 

Berlin  1900,  Springer. 

Dass  in  sieben  Jahren  drei  Auflagen  des  vorliegenden 
Lehrbuches  nothwendig  wurden,  würde  genügend  den  Werth  des¬ 
selben  bezeichnen  und  uns  einer  weiteren  Würdigung  desselben 
vielleicht  entheben.  Wir  können  es  uns  jedoch  gerade  auch  mit 
Rücksicht  auf  die  Verhältnisse  unserer  Wiener  medicinischen 
Facultät,  bei  deren  Hörern  ich  das  L  en  h  a  r  t  z’sche  Buch  nicht 
gar  verbreitet  halle,  und  mit  Rücksicht  auf  die  praktischen  Aerzte 
unseres  Reiches,  die,  wie  ich  weiss,  vielfach  nach  einem  analogen 
Werke  verlangen,  nicht  versagen,  auf  Lenhartz’s  »Mikroskopie 
und  Chemie  am  Krankenbette«  ganz  ausdrücklich  hinzuweisen. 
Denn  gerade  das,  was  der  Studirende,  der  Frequentant  einer 
internen  Klinik  oder  Abtheilung  und  vielfach  auch  der  praktische 
Arzt  suchen  und  zu  wissen  nöthig  haben,  findet  sich  in  diesem 
Lehrbuche  enthalten,  und  ist  derartgeschildert,  dassjedeUntersuchungs- 
methode,  sei  sie  eine  chemische,  sei  sie  eine  mikroskopische,  bis  in 
die  einzelnen  Details  verfolgt  ist,  den  Nebenumständen,  welche  jeweilig 
in  Betracht  kommen,  volle  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  so¬ 
zusagen  auf  Kleinigkeiten,  welche  für  das  Gelingen  eines  Unter¬ 
suchungsverfahrens  beachtenswerth  sein  können,  entsprechende 
Rücksicht  genommen  ist;  und  gerade  diese  »Nebenumstände«, 
diese  »Kleinigkeiten«  sind  es  oft,  welche  für  den  Untersuchenden 
von  ausschlaggebendem  Werthe  werden,  die  er  kennen  lernen  will 
und  —  in  vielen,  auch  weit  grösseren  einschlägigen  Werken  nicht 
oder  nur  theilweise  vorfindet. 

Lenhartz’s  »Mikroskopie  und  Chemie  am  Krankenbette« 
scheint  uns  demnach  ein  ganz  ausgezeichnetes  Lehrbuch,  dem  wir 
die  grösste  Verbreitung  —  wir  glauben  zum  grossen  Interesse 
seiner  Leser  —  wünschen.  Dürfen  wir  für  eine  hoffentlich  bald 
nöthige  vierte  Auflage  kleine  Wünsche  äussern,  dann  wären  sie 
die  folgenden:  An  manchen  Stellen  —  überwiegend  hat  dies  schon 
Lenhartz  selbst  gethan  —  kleine  Notizen,  welche  die  Be¬ 
gründung  einer  chemischen  Action  enthalten  (z.  B :  Warum  wird 
Salpetersäure  hei  der  Chloridereaction  im  Urine  zugesetzt?)  — 
Anreihung  der  doch  recht  brauchbaren  0  b  e  r  m  a  y  e  r’sehen  Re¬ 
action  auf  Indican,  der  von  Weher  zweckmässig  modificirten 
Blutreaction  (Almen),  auch  der  mit  Paraamidoacetophenon  aus¬ 
zuführenden  Diazoreaction,  einer  etwas  eingehenderen  Stuhlmikro¬ 
skopie  (z.  B.  Erkennung  von  Stärke  durch  Jodzusatz).  Eine  einzige 
minimale  Correctur  wüssten  wir  vorzuschlagen:  die  Scala  des 
Nonius  (pag.  286)  ist  nicht  vollständig  ausgezeichnet  und  —  das 
Wichtigere  —  die  Beschreibung  derselben  die  einzige  nicht  ganz 
klare  Stelle  im  ganzen  Werke.  Wäre  es  im  Ganzen  und  Einzelnen 
nicht  so  ausgezeichnet  abgefasst,  wir  hätten  letztere  Bemerkungen 
kaum  der  Erwähnung  werth  gehalten. 

* 

Lehrbuch  der  klinischen  Hydrotherapie  für  Studirende 

und  Aerzte. 

Von  M.  Matthes. 

Mit  Beiträgen  von  Stabsarzt  Cammert,  Privatdocent  Hertel  und 

Prof.  8  k  n  t  a  c  h. 

Jena  1900,  F  i  s  c  h  e  r. 

An  dem  Lehrhuche  von  Matthes  gefällt  uns  vor  Allem 
Eines,  und  dies  ist  der  vom  Autor  sogenannte  allgemeine  Theil: 
er  gibt  uns  ein  wahrheitsgetreues,  objectives  Bild  über  Alles  das, 
was  wir  über  die  Einwirkung  des  Wassers  auf  den  menschlichen 
Körper  wissen,  was  in  dem  Gebiete  der  Hydrotherapie  einerseits 
physiologische  Thatsache  ist  und  andererseits  einer  wissenschaft¬ 
lichen  Begründung  noch  theilweise  oder  ganz  entbehrt.  Wir  er¬ 
fahren,  was  unzweideutig  feststeht,  und  auf  der  anderen  Seite,  wo 
neue  Forschung  einzusetzen  hat,  um  in  so  Vieles,  das  uns  noch 
undurchsichtig  ist,  Klarheit  zu  bringen.  Für  diese  ungeschminkt 
gegebene,  kritische  Beleuchtung  des  Stoffes  schulden  wir  dem 
Autor  reichsten,  wohlverdienten  Dank. 

Der  zweite  1  heil  des  Lehrbuches  behandelt  die  Technik  der 
Hydrotherapie.  Sie  ist  allenthalben  eingehend  und  genauestens  he- 


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schrieben,  es  ist  überall  trefflich  auseinandergesetzt,  welcher  Art 
die  hydriatischen  Proccduren  sind,  die  man  mit  den  einlachsten 
Mitteln  im  Hause  bewerkstelligen  kann  und  welche  hydriatische 
Massnahmen  nur  einer  zu  diesem  Zwecke  errichteten  Anstalt  zu 
Gebote  stehen;  das  »Wie«  jeder  einzelnen  Procedur  erfährt  seine 
klarste  Beschreibung. 

Der  dritte  Theil  des  Lehrbuches  behandelt  die  specielle 
Hydrotherapie  und  theilt  sich  in  die  vom  Autor  geschilderte 
specielle  Hydrotherapie  in  der  inneren  Medicin  und  die  von  den 
obgenannten  Autoren  abgefasste  specielle  Hydrotherapie  in  der 
Chirurgie  (Cammert),  der  Ophthalmologie  (Hertel)  und  der 
Gynäkologie,  beziehungsweise  Geburtshilfe  (S  k  u  t  s  c  h).  Referent 
darf  sich  über  die  drei  letztgenannten  Abschnitte  ein  Urtheil  nicht 
anmassen.  Ganz  vorzüglich  muss  er  aber  wiederum  den  von 
Matth  es  behandelten  Abschnitt  über  die  specielle  Hydrotherapie 
in  der  inneren  Medicin  nennen. 

In  ausgezeichneter  Weise  begrenzt  M  a  1 1  h  e  s  das  Wirkungs¬ 
gebiet  der  Hydrotherapie,  anerkennt  rückhaltlos  den  hohen  Werth 
für  jene  Erkrankungen,  bei  denen  sie  sich  wahrhaft  bewährt,  bleibt 
aber  auch  frei  von  dem  nicht  so  seltenen  F  ehler  gar  mancher 
Hvdrotherapeuten,  das  Wirkungsfeld  der  Hydrotherapie  zu  weit 
auszudehnen  und,  statt  ihren  Anwendungskreis  erweitern  zu  helfen, 
eher  sie  in  Misscredit  zu  bringen. 

Wir  lesen  in  diesem  speciellen  Theile  ganz  ausgezeichnete 
Theilabschnitte,  so,  um  nur  einen  hervorzubeben,  jenen  über  die 
Hydrotherapie  der  Neurasthenie.  Ich  kann  nicht  umhin,  ganz  be¬ 
sonders  hervorzuheben,  dass  Matth  es  gerade  so  wie  Ziems  sen 
für  manche  Neurastheniker  eine  Kaltwassercur  geradezu  für  schädi¬ 
gend  bezeichnet  und  an  ihrer  statt  der  Anwendung  von  lauen 
Proceduren  das  Wort  redet:  eine  Forderung,  welche  zwar  gegen 
die  theoretische  Lehre  vieler  Hydrotherapeulen  verstossen  mag, 
welche  aber  die  praktische  Erfahrung,  wie  auch  Referent  aus¬ 
drücklich  betonen  muss,  kategorisch  verlangt  und  welche  mit 
Nachdruck  gestellt  werden  muss,  da,  wie  schon  v.  Ziems  sen 
sagt,  »die  Hydrotherapeuten  von  Fach  diese  Abmilderungen  der 
nassen  Abreibungen  nicht  als  vollwichtig  gelten  lassen  wollen«. 

Alles  in  Allem  genommen,  wir  halten  Mat  the  s’  Lehrbuch 
für  ein  ganz  vorzügliches:  basirend  auf  reiche  theoretische  und 
praktische  Erfahrung  schildert  der  Autor  mit  klaren  und  wahren 
Worten,  was  die  Hydrotherapie  leistet  und  wie  sie  erreicht,  was 
sie  kann.  Viele  gute  Illustrationen  ergänzen  noch,  was  die  Worte 
beschreiben. 

* 

Lehrbuch  der  Hydrotherapie. 

Von  B.  Buxbaum. 

Leipzig  1900,  T  li  i  e  m  e. 

Was  Wintern  itz  dem  Werke  seines  langjährigen 
Schülers  unter  Anderem  einleitend  voraussetzt:  »er  wäre  über  das 
seiner  Ansicht  nach  werthvolle  Werk  des  Autors  befriedigt«,  das 
muss  auch  Referent  nach  genauem  Studium  des  vorliegenden 
Lehrbuches  offen  und  gerne  anerkennen. 

Geradezu  vorzüglich  muss  ich  die  Bearbeitung  aller  jener 
Capitel  nennen,  welche  sich  mit  dem  praktischen  Theile  der  Hydro¬ 
therapie,'  der  Technik  und  Methodik  derselben  (des  Werkes  zweiter 
Theil)  und  mit  der  speciellen  Hydrotherapie  der  einzelnen  Er¬ 
krankungen  (dritter  Theil)  beschäftigen.  Ausserordentlich  klare 
Sprache,  präcise  Indicationsstellung,  Vertiefung  bis  ins  kleinste, 
praktisch  werth volle  Detail,  eigene  reiche  Erfahrung  zeichnen  diese 
Abschnitte  aus.  Jeder  Arzt,  der  sich  über  irgend  eine  Frage  der 
Hydrotherapie  orientiren  will,  wird  dies  in  einer  für  ihn  höchst 
befriedigenden  Weise  thun  können:  das  Buch  wird  den  Gollegen, 
der  eine  praktische  Belehrung  wünscht,  in  der  allerbesten  Art  in- 
struiren. 

Nicht  so  unbedingtes  Lob  kann  Referent  dem  ersten  Theile 
des  Werkes:  »Physiologische  Grundlage  der  Hydrotherapie«  betitelt, 
spenden.  Hier  lehnt  sich  der  Autor  schier  ganz  und  gar  an  seinen 
Lehrer  Winternitz  an;  in  sonst  schöner  Begeisterung  für 
seinen  Meister  macht  er  dessen  Lehre  auch  zur  seinigen.  Die  ganze 
medicinische  Welt  weiss,  wie  grosse  und  vielfache  Verdienste 
Winternitz  um  die  Hydrotherapie  besitzt,  wie  er  ein  Führer, 
vielfach  ein  Bahnbrecher  in  diesem  Gebiete  geworden.  Bei  höchster 
Anerkennung  der  Leistungen  Winternit  z’s  möchte  Referent 


aber  doch  äussern,  dass  so  Manches,  was  Winternitz  und 
mit  ihm  Buxbaum  als  physiologisch  bewiesene  Thatsache  in  der 
Hydrotherapie  bezeichnen,  noch  nicht  zweifellos  erwiesen,  Manches 
noch  nicht  so  unumstqsslich  klargelegt  ist,  wie  es  Winternitz 
und  Buxbaum  —  Letzterer  eben  in  seinem  Werke  —  als  über 
jeden  Zweifel  erhaben  hinstellen. 

Man  merkt  es,  möchte  Referent  sagen,  Buxbaum’s  vor¬ 
züglichem  Werke  an,  dass  der  Autor  ein  inniger  Verehrer  seines 
Lehrers  ist,  ihm  auf  dem  ganzen  Gebiete  der  Hydrotherapie  all¬ 
getreu  nachfolgend.  Nur  nach  dieser  Richtung  ist,  wie  schon  go- 
äussert,  Referent  mit  dem  Autor  nicht  ganz  zufrieden:  etwas 
freier  und  unabhängiger  vom  so  vielverdienten  Meister,  manchmal 
etwas  weniger  decidirt,  hiesse  meiner  Ansicht  nach  das  Werk  zu 
einem  ganz  ausgezeichneten  machen.  In  seinen  hauptsächlichen, 
weitaus  grösseren  Abschnitten  aber  ist  es  so  gut,  dass  es  bald, 
wie  Referent  überzeugt  ist,  in  zweiter  Auflage  erscheint.  Ist  diese 
fertig  zu  stellen,  dann  bitte  ich  den  Autor  noch  um  eine  kleine 
Rücksicht:  ich  möchte  wünschen,  dass  eine  volle  Einheitlichkeit 
in  der  Temperaturbezeichnung  herrsche,  die  Temperaturen  nicht 
bald  in  Reaumur-,  bald  in  Celsius-Graden  bezeichnet  würden.  Dies 
stört  den  Leser  und  lässt  sich  leicht  ändern.  Ortner. 


Diagnose  und  Chirurgie  des  otogenen  Kleinhirnabscesses. 

Von  W.  Okada. 

Klinische  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Otölogie  und  Pharyngo-Rhinologie. 

1900,  Bd.  III,  Heft  10. 

Jena,  Fischer.. 

Okada  berichtet  nach  einem  geschichtlichen  Ueberblick 
der  Entwicklung  des  diagnostischen  und  operativen  Verfahren  beim 
Kleinhirnabscess  über  fünf  Krankengeschichten  aus  der  Trau  t- 
m  a  n  n’schen  Klinik.  Sehr  schön  und  vollständig  ist  die  auf  Grund 
der  vorhandenen  Literaturangaben  erfolgte  Zusammenstellung  der 
Symptomatologie. 

Was  die  Operationsmethoden  anlangt, •  so  sollten  nach  Okada 
vor  Allem  zwei  verwendet  werden: 

1.  Die  Operation  durch  die  hintere  Felsenbeinwand  bei  allen 
noch  nicht  radical  operirten  und  allen  solchen  Fällen,  bei  welchen 
der  Warzenfortsatz  gute  Verhältnisse  darbietet. 

2.  Die  Blosslegung  des  Sinus  sigmoideus  und  Weiterführung 
der  Operation  von  dieser  Stelle  aus  bei  Fällen  von  schon  erlolgter 
Radicaloperation,  bei  ungünstigem  Warzenfortsatze,  respective  bei 
starker  Vorlagerung  des  Sinus  sigmoideus. 

* 

Betrachtungen  über  die  Grenzen  der  Otochirurgie 
bei  Behandlung  der  eiterigen  Mittelohr-  und  Warzen¬ 
fortsatzentzündungen. 

Von  Stetter. 

Klinische  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Otologie  und  Pharyngo-Rliinologie. 

Bd.  IV,  Heft  1. 

Jena,  Fische  r. 

Stetter  bedauert,  dass  die  medicinische  Therapie  der 
Warzenfortsatzerkrankungen  im  Anschlüsse  an  Otitis  media  gegen¬ 
über  dem  operativen  Verfahren  in  den  Hintergrund  getreten  sei 
und  meint,  dass,  so  lange  man  nicht  viel  genauer  gelernt  habe, 
die  Indicationen  zu  begrenzen,  die  medicamentöse  Behandlung  von 
der  operativen  nicht  verdrängt  werden  dürfe. 

Nach  Ansicht  des  Referenten  ist  Stetter  viel  zu  weit  ge¬ 
gangen;  wenn  hie  und  da  ein  Warzenfortsatzprocess  aul  medicini¬ 
sche  Behandlung  ausheilt,  wenn  eine  Eiterung  gelegentlich  nach 
blosser  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  ohne  Entfernung  der  Gehör¬ 
knöchelchen  schwindet,  so  beweist  dies  nichts  gegen  die  Exactheit 
unserer  Indicationsstellung.  Die  medicinische  Behandlung,  so  weit 
ausgedehnt,  als  es  Stetter  wünscht,  würde  nicht  selten  den 
rechten,  oft  den  letzten  Moment  der  Operationsmöglichkeit  ver¬ 
säumen  lassen.  Alexander. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

423.  Ueber  die  Aufgaben  des  ärztlichen  Sach¬ 
verständigen  hei  der  Beurtheilung  Imbeciller.  \  on 
Dr.  Buch  holz,  Privatdocent  und  Oberarzt  an  der  Irrenheilanstalt 
Marburg.  Bei  der  Beurtheilung  leichter  Grade  von  Imbecillität  muss 


1000 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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stets  die  ganze  geistige  Persönlichkeit  des  Exploranden  in  Rücksicht 
gezogen  werden.  Riese  Beurtheilung  wird  dann  besonders  schwierig, 
wenn  die  rein  intellecluellen  Defecte  an  Intensität  zurücktreten  und 
die  Hemmung  sich  vor  Allem  in  der  Entwicklung  der  Gefühle 
geltend  macht.  In  solchen  Fällen  treten  die  Defecte  auf  moralischem 
Gebiete  in  den  Vordergrund  und  die  Diagnose  der  Imbecillität  wird 
nur  durch  den  Nachweis  der  auf  einer  Entwicklungshemmung  be¬ 
ruhenden  Defectuosität  der  ganzen  geistigen  Persönlichkeit  möglich, 
Diese  Fälle  erfordern  die  eventuelle  Anwendung  des  §  51  des 
deutschen  St.-G.-B.  und  müssen  in  civilrechtlichen  Fragen  als  gei¬ 
stige  Erkrankung  angenommen  werden.  Solche  Imbecille  bedürfen 
meistens  der  Entmündigung.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII, 

lieft  2  und  3.)  S. 

* 

424.  Ein  überzähliger  Hoden.  Noch  in  neuester  Zeit 

(Lydston  1899)  war  das  Vorkommen  eines  dritten  Hodens  bei 
einer  Person  als  eine  Mythe  erklärt  worden.  Aus  dem  George’s- 
Hospitale  in  London  wird  ein  1894  beobachteter  Fall  berichtet,  in 
dem  bei  einem  3  '/2jährigen  Knaben  gelegentlich  der  Entfernung 
einer  kleinen  cystischen  Scrotalgeschwulst  zwei  ungleich  grosse 
Hoden  an  demselben  Samenstrang  gefunden  wurden,  während  in 
der  anderen  Scrotalhälfte  sich  ebenfalls  ein  Hoden  befand.  Vielleicht 
hat  es  sich  in  diesem  Falle  um  die  Zweitheilung  eines  Hodens 
gehandelt.  —  (Lancet.  21.  Juli  1900.)  Pi. 

* 

425.  Ueber  die  vorübergehenden  Zustände  ab¬ 

normen  Bewusstseins  in  Folge  von  Alkoholvergif¬ 
tung  und  über  deren  forensische  Bedeutung.  Von 
Prof.  C.  Moeli.  Moeli  scheidet  die  in  obigem  Titel  bezeichneten 
Zustände  in  zwei  Gruppen,  insoferne  in  denselben  Handlungen  im 
Sinne  eines  schon  lange  bestehenden  Vorstellungskreises  bei  ver¬ 
änderter  Bewusstseinslage  stattfinden,  oder  aber  insoferne  Hand¬ 
lungen  ausgeführt  wurden,  die  einem  kurz  vor  dem  Eintritte  der 
acuten  Bewusstseinsänderung  vorhandenen  Vorstellungsinhalte  ent¬ 
sprechen.  Für  beide  Gruppen  führt  Moeli  Beispiele  an.  In  diesen 
Fällen  kann  wieder  von  Epilepsie,  noch  von  Hysterie  oder  von 
vorübergehenden  Bewusstseinsstörungen  auf  neurasthenischer  Grund¬ 
lage  die  Rede  sein,  sondern  sie  sind  mit  Sicherheit  auf  Alkohol¬ 
wirkung  zurückzuführen.  Fälle,  wie  die  von  Moeli  angeführten, 
haben  eine  grosse  forensische  Bedeutung.  Je  mehr  die  in  solchen 
Bewusstseinsstörungen  vollführten  Handlungen  den  Charakter  des 
Impulsiven  haben,  je  mehr  Sinnestäuschungen  und  Verwirrtheit  die 
Abnormität  des  Vorstellungslebens  erweisen,  desto  einfacher  ist  die 
Beurtheilung.  Fehlen  diese  Erscheinungen  gänzlich,  so  muss  die 
krankhafte  Beschaffenheit  aus  anderen  Erscheinungen  als  aus  der 
That  selbst  gefolgert  werden.  Amnesie  für  die  That  selbst  kann 
fehlen.  Der  für  epileptische  Geistesstörungen  charakteristische  Zu¬ 
stand  einer  gewissen  Benommenheit  vor  oder  nach  der  That  ist  bei 
den  acuten  Zuständen  abnormen  Bewusstseins  der  Alkoholisten  kein 
allgemeines  Vorkommniss.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII 
Heft  2  und  3.)  •  S. 

& 

426.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Kiel.)  Ueber  intra¬ 

parietale  Leistenbrüche.  Von  Dr.  G  ö  b  e  1 1.  Es  wurden 
zwei  Fälle  von  angeborenen  Leistenhernien  beobachtet,  die  zum 
Theile  im  Scrotum,  zum  anderen  Theile  zwischen  M.  obliq. 
internus  und  externus  lagen.  Verfasser  thoilt  die  intraparietalen 
Leistenbrüche  in  folgender Wei^e  ein:  1.  in  solche  zwischen  Peritoneum 
parietale  und  Fascia  superficialis  =  Hernia  inguinalis  properitonealis; 
2.  zwischen  Fascia  transversa  und  M.  ohliquus  exteinus  =  H.  ingui¬ 
nalis  interstitialis;  3.  zwischen  der  Aponeurose  des  M.  obliq.  ext. 
und  Haut  =  II.  inguin.  superficialis.  Die  Hernie  ist  eine  mono- 
loculare,  wenn  sie  ganz  zwischen  den  genannten  Schichten  liegt, 
eine  biloculare,  wenn  ein  Theil  des  Bruchsackes  den  Leistencanal 
passirt.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  L.)  Pi. 

* 

427.  B  e  i  t  r  a  g  z  u  d  e  n  im  K  i  n  d  e  s  a  1 1  e  r  a  u  f  t r  e  t  e  n  d  e  n 

Seelenstörungen.  Von  Dr.  Karl  Gumpertz  in  Berlin.  In 
der  vorliegenden  Arbeit  finden  sich  zwei  Fälle  von  Psychopathien 
im  Kindesalter  angeführt.  Im  ersten  Falle  handelt  es  sich  um  ein 
sechsjähriges  Mädchen,  bei  dem  sich  in  unmittelbarem  Anschluss 
an  eine  Dysenterie  eine  Psychose  entwickelte,  die  als  acute  hal- 


lucinatorische  Verwirrtheit  bezeichnet  werden  muss.  Wahrscheinlich 
lag  die  katatonische  Form  dieser  Psychose  vor.  Im  zweiten  Falle 
handelte  es  sich  um  Dementia  paralytica  bei  einem  15jährigen 
Knaben.  Hereditäre  Belastung  wahrscheinlich,  Lues  bei  den  Eltern 
auszuschliessen.  Der  Knabe  hatte  zwei  Jahre  vor  der  Erkrankung 

o 

an  progressiver  Paralyse  eine  schwere  Influenza  durchgemacht. 
Gumpertz  glaubt  erstere  auf  letztere  zurückführen  zu  dürfen. 
Es  mag  durch  das  Influenzagift  zu  ein.er  »Unterernährung«  der 
Hirnrindenzellen  gekommen  sein.  Verschiedene  zufällige  psychische 
Alterationen  mögen  bei  dem  durch  die  Influenza  alterirten  Gehirn 
das  deletäre  Leiden  hervorgerufen  haben.  —  (Archiv  für  Psychiatrie. 

Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  '  S. 

* 

428.  Zur  Heilbarkeit  des  frühzeitig  erkrankten 
Harnröhrenkrebses  beim  Manne.  Von  Dr.  Rupprecht 
(Dresden).  Die  Neubildung  war  frühzeitig  erkannt  und  exstirpirt 
worden.  Der  Kranke  ist  4l/4  Jahre  später  ohne  locales  Recidiv  im 
Anschlüsse  an  die  Exstirpation  krebsig  entarteter  Leistendrüsen  an 
einer  Pneumonie  gestorben.  Bei  der  Autopsie  fanden  sich  Metastasen 
in  der  Prostata  in  den  retroperitonealen  Lymphdrüsen  und  in  den 
Lungen.  —  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900,  Nr.  31.)  Pi. 

* 

429.  Ueber  einige  makroskopische  Gehirn¬ 
befunde  bei  männlichen  Paralytikern.  Von  Oberarzt 
Dr.  P.  Näcke,  Hubertusburg.  Näcke  hat  als  Material  zu  seinen 
vorliegender  Arbeit  zu  Grunde  liegenden  Untersuchungen  100  klinisch 
absolut  sichergestellte  Fälle  von  progressiver  Paralyse  bei  männ¬ 
lichen  Individuen  verwendet.  Die  groben  pathologisch-anatomischen 
Befunde  am  Gehirn  ändern  sich  so,  wie  sich  die  Details  des  kli¬ 
nischen  Bildes  im  Laufe  der  Zeiten  wesentlich  ändern.  Eine  häufige 
Combination  verschiedener  Hirnbefunde  bildet  einen  bestimmten  oft 
wiederkehrenden  Typus,  aber  es  gibt  bis  jetzt  kein  einziges  patho- 
gnomonisches  makroskopisches  Zeichen  am  Gehirn  des  Paralytikers. 
Die  Atheromatosen  an  den  groben  Hirngefässen,  am  Herzen  und 
an  der  Schläfenarterie  verhalten  sich  zu  einander  verschieden,  ja 
sie  können  ganz  fehlen.  Die  luetische  Natur  der  Gefäss-  und 
Arterienerkrankung  bei  Paralyse  ist  bis  jetzt  nicht  bewiesen  worden. 
Bis  jetzt  schwanken  die  in  verschiedenen  Anstalten  und  in  ver¬ 
schiedenen  Ländern  über  klinische  und  pathologisch-anatomische 
Befunde  an  Paralytikern  gemachten  Angaben  und  es  fehlt  noch  an 
systematischen  genauen  Untersuchungen  des  groben  Hirnbefundes 
bei  Paralytikern,  zumal  bei  Frauen.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie. 

Bd.  LVII,  Heft  5.)  ’  S. 

* 

430.  Casuisti  sc  he  Mittheilungen.  Von  Dr.  Jacob  s- 

thal.  Verfasser  berichtet  von  einem  primären  Fibromyom 
des  linken  Vorhofes  bei  einem  vierjährigen  Mädchen,  das 
klinisch  die  Erscheinungen  einer  Mitralinsufficienz  bot.  Der  Tumor 
hatte  die  Grösse  eines  Hühnereies  erreicht  und  enthielt  elastische 
Fasern.  Weiters  wird  ein  Fall  von  Verkalkung  von  II  erz¬ 
muskelfase  rn  bei  einem  Kinde  berichtet.  Der  Tod  war 
in  Folge  einer  Knochenverletzung  aufgetreten.  Andere  Verkalkungen 
wurden  auch  in  Magen  und  Nieren  gefunden.  —  (Virchow’s  Archiv. 
Bd.  CLIX,  Heft  2.)  Pi. 

* 

431.  Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  der 
Universität  Halle  a.  d.  S.  (Prof.  Hitzig).  Ein  Beitrag 
zur  Lehre  von  der  spastischen  Spinalparalyse. 
Von  Ida  Democh,  Gand.  med.  Die  klinische  Diagnose  der  spasti¬ 
schen  Spinalparalyse  ist  meistens  ohne  grosse  Schwierigkeiten  zu 
stellen.  Das  Wichtigste  in  dem  Complex  der  Symptome  ist  die  all- 
mälig  einlretendo,  von  motorischen  Reizerscheinungen  begleitete 
Parese  und  Rigidität  vornehmlich  in  der  Musculatur  der  unteren 
Extremitäten,  welche  zu  den  als  spastiseh-paretisch  bezeichneten 
Veränderungen  des  Ganges  führen.  Die  von.  Charcot  und  Erb 
allerdings  mit  grosser  Reserve  der  spastischen  Spinalparalyse  zu 
Grunde  gelegte  primäre  systematische  Degeneration  der  Pyramiden¬ 
seitenstränge  fand  sich  in  vielen  später  obducirten  Fällen  nicht,  so 
dass  die  spastische  Spinalparalyse  von  manchen  Autoren  als  Krank¬ 
heit  sui  generis  geleugnet  wird.  In  dem  von  Ida  Democh  publi- 
cirten  Fall  —  er  betrifft  einen  43jährigen  Potator  —  finden  sich 
neben  den  charakteristischen  noch  andere  zu  dem  Svmptomenbild 
der  spastischen  Spinalparalyse  nicht  gehörende  Merkmale:  sensible 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT,  1900. 


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Störungen,  lancinirende  Schmerzen  und  Gürtelgefühl,  Tremores  und 
Pseudonystagmus.  Die  spastische  Spinalparalyse  findet  sich  hier  mit 
chronischem  Alkoholismus  complicirt.  Von  den  im  Centralorgan  con- 
statirten  anatomischen  Befunden  lässt  Dem  och  nur  die  Sklerose 
der  Pyramidenstränge  als  mit  der  spastischen  Spinalparalyse  zu¬ 
sammenhängend  gelten  und  vertritt  die  Ansicht,  dass  in  ihrem  Falle 
das  Leiden  auf  congenitalem  Boden  durch  Potus  entstanden  sei.  — 
(Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

432.  Zur  Verbreitung  der  Zuckerkrankheit  im 
preussischen  Staate.  Von  Dr.  Hei  mann  (Berlin).  Von 
1877  bis  1897  sind  12.929,  darunter  4889  (37‘8%)  weibliche 
Personen  an  Diabetes  gestorben,  oder  pro  Jahr  von  1877  — 1886 
378,  von  1887 — 1896  796,  im  Jahre  1897  1186  (735  männ¬ 
liche  und  451  weibliche)  Personen.  Von  den  verschiedenen  Be¬ 
rufen  waren  besonders  häufig  im  Handel,  und  im  Versicherungs¬ 
wesen  Beschäftigte  von  dieser  Krankheit  befallen.  Von  895  in  den 
Anstalten  Behandelten  sind  1897  ein  Fünftel  (165)  gestorben  und 
35  davon  im  Koma.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900, 

Nr.  31.)  Pi. 

* 

433.  Die  Moral  insanity  beruht  auf  einem  ex- 
cessiv  sanguinischen  Temperament.  Von  Dr.  Th. 
Tiling,  Director  der  Irrenanstalt  Rothenberg  bei  Riga.  Der  Streit, 
ob  der  Moral  insanity  ein  Intelligenzdefect  zu  Grunde  liegt  oder 
nicht,  wogt  unentschieden  weiter.  Was  Tiling  in  seiner  Arbeit 
beweisen  will,  ist  in  deren  Titel  zum  Ausdrucke  gebracht.  Dem 
Ausdrucke  Schwachsinn  entspricht  ein  dauernder,  angeborener  oder 
erworbener  Defect  der  Elementarkräfte  des  Geistes  und  demgemäss 
ein  geringer  Schatz  von  Vorstellungen.  Ein  solcher  Defect  ist  eines 
Ausgleiches  nicht  fähig.  Oberflächliches,  überstürztes  Denken  weist 
nicht  ohne  Weiteres  auf  Schwachsinn,  sondern  kann  ebenso  gut  unter 
der  Herrschaft  von  Affecten  beobachtet  werden.  In  diesem  Falle 
findet  man  sie  auch  bei  moralisch  Irrsinnigen.  Sie  sind  Sanguiniker, 
Affectnaturen,  werden  aber  fast  nur  von  schlechten  Affecten  be¬ 
herrscht,  von  diesen  werden  die  guten  Affecte  aus  dem  Felde  ge¬ 
schlagen.  Bei  den  moralisch  Irrsinnigen  dominirt  die  Sucht  nach 
Zerstreuungen,  Liebesabenteuern,  Putz,  Aufsehen,  sie  sind  heftig, 
aufbrausend,  dabei  fehlen  oft  auch  nicht  die  guten  Seiten  des  Ge- 
müthes.  —  (Zeitschrift  für  Psychiatrie.  Bd.  LVII.  Heft  2  und  3.) 

S. 

* 

434.  Ein  Fall  von  Oesophagusruptur.  Von  Pro¬ 

fessor  Mc.  Weeney  (Dublin).  Die  Beobachtung  betraf  einen 
40jährigen  Potator,  bei  dem  es  plötzlich  während  eines  Brechactes 
zur  Oesophagusruptur  gekommen  war.  Das  hervorstechendste  Sym¬ 
ptom  war  die  Dyspnoe  und  ein  ausgebreitetes  Hautemphysem.  Der 
Mann  starb  im  Collaps  nach  zehn  Stunden  und  die  Nekroskopie 
ergab  einen  Riss  am  untersten  Ende  des  Oesophagus,  der  bis  in 
den  Magen  hineinreichte.  Verfasser  gibt  auch  eine  Zusammen¬ 
stellung  der  weiteren  16  ihm  bekannt  gewordenen  Fälle  von  Oeso¬ 
phagusruptur.  —  (Lancet.  21.  Juli  1900.)  Pi. 

* 

435.  Ueber  die  bei  Reizung  der  Fusssohle  zu 
beobachtenden  Reflexerscheinungen  mit  beson¬ 
derer  Berücksichtigung  des  Zehenreflexe  bei  den 
verschiedenen  Formen  der  cerebralen  Kinder¬ 
lähmung.  Von  Medicinalassessor  Dr.  W.  König  in  Dalldorf.  Bei 
Reizung  der  Fusssohle  durch  Kitzeln  dieser  oder  durch  einen  Steck¬ 
nadelstich  in  die  Mitte  der  Planta  pedis  treten  verschiedene  Reflexe 
auf,  die  sich  in  Bewegungen  der  Zehen,  des  Fusses,  oder  in  Zuckungen 
gewisser  Muskeln  des  Oberschenkels  darstellen.  Am  häufigsten  ist 
unter  normalen  Verhältnissen  die  Plantarflexion  der  vier  äusseren 
Zehen.  Dorsalflexion  der  Zehen  ist  als  zuerst  auftretender  Reflex 
normaler  Weise  selten.  Dorsalflexion  der  grossen  Zehe  allein  oder  mit 
Plantarflexion  der  äusseren  Zehen  fand  König  nie  in  einem  Falle, 
in  welchem  sich  eine  Erkrankung  der  Seitenstränge  mit  Sicherheit 
hätte  ausschliessen  lassen.  Bei  Hemiplegie  kommt  der  normale 
Plantarreflex  auf  der  gelähmten  Seite  zwar  ziemlich  häufig,  aber 
noch  immer  seltener  vor  als  auf  der  nicht  gelähmten  Seite.  Zu¬ 
weilen  ist  der  Plantarreflex  auf  der  gelähmten  Seite  pathologisch 
oder  er  fehlt.  Bei  den  infantilen  cerebralen  Doppellähmungen  kommt 


der  pathologische  Zehenreflex  selten  vor.  —  (Archiv  für  Psychiatrie. 
Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

436.  Ueber  die  Ursachen  der  Gewöhnung  an 
Morphium.  Von  Dr.  Faust  (Strassburg).  Die  Ursache  für  die 
Gewöhnung  kann  eine  zweifache  sein:  entweder  stumpft  sich  das 
Nervensystem  gegen  das  Gift  ab  oder  der  Organismus  gewinnt  die 
Fähigkeit,  immer  mehr  das  Gift  zu  zersetzen  oder  unschädlich  zu 
machen.  Nach  den  Versuchen  des  Verfassers,  welche  in  Verfütte- 
rung  von  Morphium  an  Hunde  bestanden,  ist  letzteres  der  Fall. 
Anfänglich  wurden  70%  mit  den  Fäces  wieder  ausgeschieden,  all- 
mälig  verringerte  sich  diese  Menge  immer  mehr.  (Archiv  für 
experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie.  Bd.  XL1V.) 

* 

437.  Ueber  die  Pyramidenkreuzung.  Von  Dr.  M a x 
Roth  mann,  Privatdocent  in  Berlin.  Die  Frage,  ob  die  Pyramiden¬ 
kreuzung  eine  partielle  oder  totale  ist,  kann  noch  immer  nicht  als 
gelöst  angesehen  werden.  Roth  mann  hat  die  Medulla  oblongata 
und  das  Rückenmark  eines  Affen  untersucht,  dem  Munk  die  linke 
Extremitätenregion  in  scharfer  Begrenzung  vier  Monate  ante  exitum, 
die  rechte  13  Tage  vor  demselben  exstirpirt  hatte.  Es  existirte  also 
in  diesem  Falle  eine  frische  Degeneration  der  rechten,  und  eine  alle 
Degeneration  der  linken  Pyramide.  Rothmann  fand,  dass  ver¬ 
einzelte  Fasern  von  jeder  Pyramide  zur  gleichseitigen  Pyramiden¬ 
seitenstrangbahn  verlaufen  und  konnte  in  der  Mitte  der  Pyramiden¬ 
kreuzung  das  directe  Umbiegen  dieser  Fasern  beobachten,  hält  jedoch 
für  die  Bildung  des  Degenerationsfeldes  in  der  gleichseitigen  Pyra¬ 
midenseitenstrangbahn  die  Compression  von  kreuzenden  Fasern  der 
anderen  Pyramide  von  Bedeutung.  Im  dorsalen  Abschnitt  der  Pyra- 
midenkreuzung  existirt  eine  Kreuzung  der  Vorderstranggrundbündel. 
Eine  Endigung  der  Pyramidenfasern  in  der  grauen  Substanz  des 
Rückenmarkes  lässt  sich  mit  Hilfe  der  Degenerationsmethode  nicht 
genau  feststellen.  —  (Archiv  für  Psychiatrie.  Bd.  XXXHf,  Heft  1.) 

S. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  In  Budapest:  Der  Privatdocent  für  innere  Medicin 
A.  v.  K  o  r  a  n  y  i  und  der  Privatdocent  für  Augenheilkunde 
E.  v.  Grosz  zu  a.  o.  Professoren.  —  Der  Professor  der  Chirurgie 
in  Rostock  Dr.  Garre  zum  Geheimen  Medicinalrath.  —  Dr.  A  1  i  v  i- 
satos  zum  a.  o.  Professor  der  chirurgischen  Pathologie  in  Athen.  — 
Dr.  S  o  k  o  1  o  f  f  zum  Professor  der  chirurgischen  Pathologie  in 
Charkow. 

* 

Habilitirt  :  Dr.  Victor  Hammer  sch  lag  als  Privat 
docent  für  Ohrenheilkunde  in  Wien.  —  Dr.  Nigrisoli  für  Chi¬ 
rurgie  in  Bologna,  Dr.  Strazza  für  Laryngologie  in  Geuua. 

* 

Gestorben:  Der  Professor  der  Psychiatrie  in  Greifswald 
Dr.  Arndt.  —  In  L  e  i  d  e  n  der  Professor  der  pathologischen  Ana¬ 
tomie  Siegenbeck  van  Heukelom.  —  Der  Professor  der 
inneren  Medicin  in  Philadelphia  J.  M.  Da  Costa,  dessen  Diagnostik 
auch  ins  Deutsche  übertragen  worden  ist.  —  In  New  York  der 
berühmte  Orthopäde  Dr.  Lewis  Albert  Sayre.  —  Dr.  S  are  11, 
Professor  der  Chirurgie  an  der  medicinischen  Schule  in  Constantinopel.  — 
Dr.  M  c.  G  u  i  r  e,  ehemaliger  Professor  der  Chirurgie  zu  Richmond. 

* 

Im  Beisein  des  Protectors  der  Anstalt,  Herrn  Erzherzog 
Rainer,  des  Ministers  des  Innern,  des  Unterrichtsministers,  einer 
Anzahl  von  Vertretern  des  medicinischen  Professoren- Collegiums  und 
sonstiger  Würdenträger  fand  am  20.  d.  M.  die  feierliche  Besichtigung 
des  Spitalszubaues  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien  statt.  Er  ent¬ 
hält  in  drei  Stockwerken  die  Wohnräume  für  die  Pflegerinnen  sammt 
Capelle,  eine  neue  chirurgische  Abtheilung  sammt  Operationssaal  nebst 
Räumen  für  Sterilisation  und  Narkose,  eine  urologische  und  gynäko¬ 
logische  Abtheilung  mit  für  beide  Abtheilungen  gemeinsamen  Operations¬ 
und  Narkoseraum,  ferner  in  jedem  Stockwerke  nebst  Isolirräumen  je 
eine  Aerztewohnung.  Im  Anbau  des  Parterre  ist  das  Röntge n-Tnstitut 
neu  installirt. 

* 


1002 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


Anlässlich  des  25jährigen  Professoren-Jubiläums  des  Vorstandes 
der  einen  der  beiden  Wiener  Kliniken  für  Dermatologie  und  Syphilis, 
Ilofrath  Prof.  Moriz  Kaposi,  veranstalteten  dessen  engere  Schüler 
eine  Feier  im  klinischen  Hörsaale,  der  zahlreiche  Studenten,  Aerzte, 
Vertreter  der  Behörden  und  Abordnungen  verschiedener  ärztlicher  Ver¬ 
eine  und  auswärtiger  Universitäten  beiwohnten.  Dem  Jubilar  wurde 
eine  Festschrift  überreicht.  Auf  die  vielfachen  Ansprachen  erwiderte 
schliesslich  Hofrath  Kaposi  in  längerer  Rede,  in  der  er  namentlich 
die  Stellung  und  Bedeutung  der  H  e  b  r  a’schen  Schule  würdigte. 

* 

Nach  dem  vom  Primarius  Dr.  A.  Brenner  erstatteten  B  e- 
richte  über  dieärztlicheThätigkeitimAllgemeinen 
städtischen  Kranken  hause  zu  Linz  sind  im  Jahre  1899 
daselbst  1326  chirurgische,  2505  interne  und  703  Fälle  von  Haut¬ 
erkrankungen  spitalsärztlich  behandelt,  von  978  Operationen  726  in 
Chloroformnarkose  ausgeführt  worden.  Besonders  haben  eine  grosse 
Zahl  maligner  Neubildungen,  von  denen  sechs  Fälle  Strumen,  36  Sar¬ 
kome  und  179  Carcinome  betrafeD,  die  Indication  zu  chirurgischen 
Eingriffen  abgegeben.  Neben  113  Laparotomien  ragen  die  Bruch¬ 
operationen  durch  ihre  Zahl  hervor:  117  Fälle  von  Leistenhernien  sind  nach 
Bassini-Brenn er,  die  meisten  davon  beiderseitig,  20  Schenkelhernien 
nach  Salzer  radical,  sechs  weitere  auf  andere  Weise  operirt  worden. 

* 

Das  „College  of  Physicians“  von  Philadelphia  gibt  bekannt, 
dass  der  nächste  Alvarenga-Preis  im  Betrage  von  180  Dollars 
am  14.  Juli  1901  zur  Verleihung  kommen  wird.  Die  bis  längstens 
1.  Mai  1900  einzusendenden  Arbeiten,  welche  ein  beliebiges  Thema 
aus  dem  Gebiete  der  Medicin  behandeln  können,  müssen  mit  einem 
Motto  versehen  sein.  Gleichzeitig  hat  ein  anderes  Couvert  verschlossen 
Motto  und  Namen  des  Einsenders  zu  enthalten.  Für  1900  war  der 
genannte  Preis  Dr.  De  Beck  in  Cincinnati  für  seine  Arbeit 
„Malarial  diseases  of  the  eye“  verliehen  worden. 

* 

Der  Minister  für  Cultus  und  Unterricht,  Dr.  R.  v.  Harte  1,  hat 
am  24.  v.  M.  an  die  Landes-Chefs  in  Niederösterreich,  Böhmen,  Steier¬ 
mark,  Tirol,  Galizien  und  in  der  Bukowina  folgenden,  die  Remu¬ 
neration  der  Assistenten  an  den  medicinischen  und 
philosophischen  Facultäten  der  Universitäten  be¬ 
treffenden  Erlass  gerichtet:  „Unter  Bezugnahme  auf  den  §  3  (zweiter 
Absatz)  des  Gesetzes  vom  31.  December  1896  und  auf  den  §  7  der 
hierortigen  Ministerial-Verordnung  vom  1.  Januar  1897  finde  ich  unter 
Aufhebung  des  hierortigen  Erlasses  vom  3.  Januar  1899,  Z.  25.981, 
insoweit  sich  derselbe  auf  die  Remunerationen  der  Universitäts- 
Assistenten  bezieht,  mit  der  Rechtswirksamkeit  vom  1.  October  1901 
Nachstehendes  anzuordnen:  1.  Die  normalmässige  Remuneration 
(Adjutum)  der  Assistenten  an  den  medicinischen  und  philosophischen 
Facultäten  der  Universitäten  wird  für  die  ersten  drei  Verwendungs¬ 
jahre  mit  1400  K  jährlich  festgesetzt.  2.  Die  Remuneration  erhöht 
sich  bei  ununterbrochener  Dienstesverwendung  des  Assistenten  nach 
Zurücklegung  von  drei  Jahren  auf  1700  K,  nach  Zurücklegung  des 
sechsten  Jahres  auf  2000  K  und  nach  Zuiücklegung  des  neunten 
Dienstjahres  für  die  weitere  Dauer  seiner  Bestellung  auf  2300  K 
jährlich.  Die  vor  dem  1.  October  1901  zurückgelegten  ununterbrochenen 
Verwendungsjahre  der  Assistenten  sind  für  die  Anweisung  der  höheren 
Remunerationen  anzurechnen.  3.  Hinsichtlich  jener  Assistenten,  welche 
eine  Naturalwohnung  oder  noch  andere  Emolumente,  wie  freie  Ver¬ 
köstigung  in  der  Anstalt  oder  dergleichen,  erhalten,  oder  welche  mit 
Rücksicht  auf  andere  besondere  Verhältnisse  mit  einer  geringeren  als 
der  normalmässigen  Remuneration  oder  ohne  eine  solche  angestellt 
sind,  tritt  eine  Aenderung  nicht  ein.“ 

* 

Im  Verlage  von  R.  O  1  d  e  n  b  o  u  r  g  (München)  ist  eben  die  erste 
Nummer  einer  neuen,  zweiwöchentlich  zur  Ausgabe  gelangenden  Zeit¬ 
schrift:  „B  1  ä  1 1  e  r  f  ü  rV  o  1  k  s-  G  e  s  u  n  d  h  e  i  t  s  p  f  1  e  g  e“  erschienen. 
Dieselbe  wird  herausgegeben  von  Regierungsrath  Dr.  B  ö  d  i  k  e  r, 
Dr.  Graf  Douglas,  Prof.  v.  Leyden,  Prof.  Rubner  und 
redigirt  von  Dr.  Beerwald,  Dr.  Kautz  und  Dr.  S  p  i  1 1  a. 

* 

Im  \  erläge  von  S.  Rosenbaum  in  Berlin  ist  der  von  Stabs¬ 
arzt  a.  D.  Dr.  Lorenz  herausgegebene  „Taschenkalender 
für  Aerzte“  pro  1901  (14.  Jahrgang)  erschienen. 

* 

Frauenarzt  Dr.  Adolf  Hink,  emeritirter  erster  Assistent  der 
Klinik  Hofrath  G.  Braun,  wohnt:  VIII/1,  Auerspergstrasse 
Nr.  21. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  40.  Jahreswoche  (vom  30.  September 
bis  6.  October  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  679,  unehelich  327,  zusammen 
1006.  Todt  geboren:  ehelich  39,  unehelich  18,  zusammen  57.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  544  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 


16'9  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  97,  Blattern  0,  Masern  2, 
Scharlach  4,  Diphtherie  und  Croup  5,  Pertussis  1,  Typhus  abdominalis  5 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  38  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Rlatteru  0  (=),  Varicellen 
27  (-(-13),  Masern  104  -(-  45),  Scharlach  55  (-]-  11),  Typhus  abdominalis 
15  ( —  8),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  20  ( —  4),  Croup  und 
Diphtherie  54  (-(-  13).  Pertussis  18  ( —  12),  Dysenterie  2  (=),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  (-(-  3),  Trachom  7  ( —  2),  Influenza  0  (=)■ 

Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Nevinny,  Allgemeine  und  specielle  Arzneiverordnungslehre.  Deutieke.  Wien. 
Preis  K  21. — . 

Breus  und  Kolisko,  Die  pathologischen  Beckenformen.  Bd.  Ill,  1.  Theil. 
Ibidem.  K  16. — . 

Gruber  M.,  Die  Prostitution  vom  Standpunkte  der  Socialhygiene.  Ibidem, 
Preis  K  1.  — . 

Weyl,  Oeffentliche  Massnahmen  gegen  ansteckende  Krankheiten.  Fischer, 
Jena.  Preis  M.  6.  — . 

Francke,  Der  Reizzustand  Seitz  &  Schauer,  München. 

Kaiser,  Die  Technik  des  modernen  Mikroskopes.  2.  Auflage,  Lieferung  1. 
Perles,  Wien  1901. 

Rille,  Bedeutung  und  Ziele  des  dermatologischen  Unterrichtes.  (Antritts¬ 
vorlesung.)  Separatabdruck.  Deutieke,  Wien. 

Zirovcic,  Die  sanitären  Verhältnisse  und  Einrichtungen  in  Croatien  und 
Slavonien.  Landesdruckerei,  Agram.  70  S. 

Bunge,  Die  zunehmende  Unfähigkeit  der  Frauen,  ihre  Kinder  zu  stillen. 
Reinhardt,  München.  Preis  M.  0.80. 

Stoeckel.  Ureterfisteln  und  Ureterverletzungen.  Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig. 
159  S. 

Trömner,  Das  Jugendirresein.  Marhold,  Halle.  Preis  M.  1. — . 

Döderlein,  Aetiologie  und  Anatomie  der  Metritis  cervicalis.  Ibidem.  Preis 
M.  0.60. 

Bresgen,  Die  Reizung  und  Entzündung  der  Nasensehleunhaut  in  ihrem 
Einflüsse  auf  Athmung  und  Herz.  Ibidem. 

Bresgen.  Klima,  Witterung  und  Wohnung,  Kleidung  und  Körperpflege  in 
ihren  Beziehungen  zu  den  Entzündungen  der  Luftwege.  Ibidem. 
Hertwig,  Die  Entwicklung  der  Biologie  im  XIX.  Jahrhundert.  Fischer,  . 
Jena.  31  S. 

Naunyn,  Die  Entwicklung,  der  inneren  Medicin  mit  Hygiene  und  Bacterio- 
logie  im  XIX.  Jahrhundert.  Ibidem.  21  S. 

Strauss  und  Rohnstein,  Die  Blutzusammensetzung  bei  den  verschiedenen 
Anämien.  Hirschwald,  Berlin  1901.  Preis  M.  7.50. 

Jessner,  Des  Haarschwundes  Ursachen  und  Behandlung.  Stüber,  Würzburg. 
Preis  M.  0.80 

Nitzeinadel.  Therapeutisches  Jahrbuch.  Zehnter  Jahrgang.-  Deutieke, 
Wien. 

Blattern-  und  Schutzpockenimpfung.  Denkschrift.  3.  Auflage.  Bearbeitet 
vom  kaiserlichen  Gesundheitsamte.  Springer,  Berlin.  Preis  M.  1.20. 
Calot.  Les  maladies  qu’on  soigne  ä  Berc.k.  Masson,  Paris. 

Moeller,  Die  Lungentuberculo.se  und  ihre  Bekämpfung.  Barth,  Leipzig. 
Preis  M.  0.75. 

Kolm,  What  may  I  eat  and  drink?  Perles,  Wien  1898. 

Wolff,  Heerwesen  und  Felddiensttabellen  für  den  Militärarzt  im  Felde. 
Safaf,  Wien. 

Starck,  Die  Diverikel  der  Speiseröhre.  Vogel,  Leipzig.  Preis  M.  4. — , 

Kisch,  Entfettungscuren.  Hoffmann,  Berlin  1901.  Preis  M.  3. — . 

Flügge,  Die  Wohnungsdesinfection  durch  Formaldehyd.  Fischer,  Jena. 
Preis  M.  0'75. 

Kahlden,  Technik  der  histologischen  Untersuchung.  6.  Auflage.  Ibidem. 
Preis  M.  3. — . 

Oppel,  Lehrbuch  der  vergleichenden  mikroskopischen  Anatomie.  3.  Theil. 
Ibidem.  Preis  M.  36. — . 

Pictet,  Die  Pflanzenalkaloide  und  ihre  chemische  Constitution.  Deutsch  von 
Wolffenstein.  2.  Auflage.  Springer,  Berlin. 


Freie  Stellen. 

Tabakfabriksarztesstelle  II.,  eventuell  III.  Kategorie  in 
Böhmen.  Jahreshonorar  2200  K,  beziehungsweise  1600  K,  in  beiden  Fällen 
verbunden  mit  einem  Fuhrenpauschale  von  300  K.  Concurstermin  30.  No¬ 
vember  1.  J.  Die  vo'lständigen  Kundmachungen  können  im  Sanitäts- 
Departement  der  Statthalterei  in  Prag,  sowie  bei  der  Tabak-Hauptfabrik 
in  Budweis  und  der  Generaldirection  der  k.  k.  Tabakregie  in  Wien  eingesehen 
werden. 

Districtsarztesstelle  in  Sablat,  Bezirk  Prachatitz.  Böhmen. 
Der  deutsche  Sanitätsdistrict  Sablat  umfasst  22  Ortschaften  mit  3453  Ein¬ 
wohnern  und  einem  Flächeninhalte  von  63  km'1.  Jährlicher  Gehalt  800  K, 
Reisepauschale  252  K.  Beweiber  wollen  ihre  mit  den  im  §5  des  Landes¬ 
gesetzes  vom  23.  Februar  1888,  L.  G.  Bl.  Nr.  9  vorgeschriebenen  Nachweisen 
belegten  Gesuche  bis  10.  November  1900  beim  Bezirksausschüsse  Pra- 
chatitz-Wallern  einbringen. 

Gemeindearztesstelle  in  Trappano,  Halbinsel  Sabbioncello, 
Dalmatien.  2000  A  Jahresgehalt,  in  monatlichen  anticipativen  Raten  aus 
der  Gemeindecasse  zahlbar.  Haltung  einer  Hausapotheke.  Bewerber  um 
diese  Stelle  wollen  ihre  Gesuche  bis  31.  October  d.  J.  an  die  Gemeinde¬ 
vorstehung  von  Trappano,  welche  über  allfällige  Anfragen  Auskunft  ertheilt, 
einsenden  und  mit  folgenden  Documenten  belegen:  a )  Diplom  über  die 
Erlangung  des  Doctorgrades  der  gesammten  Heilkunde;  b)  Nachweis  dei 
österreichischen  Staatsbürgerschaft;  c)  Geburtsschein;  d)  Nachweis  der  Kennt- 
niss  der  serbokroatischen  Sprache. 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1003 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


XIDTK.A.JL.T: 

Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 
Sitzung  vom  19.  October  1900.  1900.)  (Fortsetzung.) 

72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  19.  October  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Prof.  Clirobak. 

Schriftführer  :  Prof.  Paltauf. 

Als  Gäste  anwesend:  Dr.  Sommers,  Präsident  der  Medical 
Society  in  Cambridge,  Dr.  Deter meyer,  fürstlicher  Brunnenarzt 
aus  Salzbrunn  in  Schlesien. 

Der  Präsident  begrüsst  die  Mitglieder  und  spricht  die  Hoffnung 
aus,  dass  dieselben  ihre  Kräfte  den  Zwecken  und  Arbeiten  der  Gesell¬ 
schaft  widmen  werden. 

Während  der  Ferien  hat  unsere  Gesellschaft  einen  schweren 
Verlust  durch  den  Tod  ihres  hervorragenden  Mitgliedes,  Hofrathes 
E.  Albert  erlitten;  die  Gesellschaft  hat  einen  Kranz  an  seiner 
Bahre  niedergelegt,  Ihr  Präsident  hat  ihn  persönlich  zum  Grabe  be¬ 
gleitet.  Hofrath  Gussenbauer  wird  die  Bedeutung  A  1  b  e  r  t’s  und 
seine  Verdienste  um  die  Gesellschaft  in  besonderen  Ausführungen 
beleuchten. 

Von  der  ärztlichen  Section  des  „Vereines  für  Natur-  und  Heil¬ 
kunde“  in  Pressburg  langte  ein  Condolenzschreiben  anlässlich  des 
Todes  E.  Albert’s  ein.  Endlich  theilt  der  Präsident  mit,  dass  Dienstag 
den  23.  October,  10  Uhr,  in  der  Votivkirche  ein  Requiem  für  weiland 
Hofrath  Albert  abgehalten  wird,  zu  dem  an  die  k.  k.  Gesellschaft 
eine  Einladung  gelangt  ist. 

Der  Präsident  macht  ferner  folgende  Mittheilung  bezüglich  der 
Verleihung  des  von  Dr.  Moriz  Andreas  Goldberger  gestifteten 
Preises. 

Am  15.  Mai  war  der  Termin  für  die  Einreichung  einer  Preisarbeit 
abgelaufen;  es  ist  jedoch  bis  dahin  und  auch  später  keine  Arbeit  ein¬ 
gelangt,  so  dass  §  1,  Absatz  l  des  Statuts  in  Wirksamkeit  tritt;  der¬ 
selbe  bestimmt,  dass  der  Preis  dem  Verfasser  der  besten  im  Laufe  der 
letzten  drei  Jahre  vor  Schluss  des  Einreichungstermins  erschienenen  oder 
ad  hoc  im  Manuscript  dem  Präsidium  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
vorgelegten  Untersuchungen  aus  dem  Gebiete  der  medicinischen  Wissen¬ 
schaften  mit  Einschluss  der  theoretisch-medicinischen  Fächer  ver¬ 
liehen  werde. 

Entsprechend  §  2  des  Statuts  hat  das  Präsidium  eine  aus 
sechs  Mitgliedern  bestehende  Commission  geladen,  einen  Vorschlag  für 
die  Zuerkennung  des  Preises  zu  erstatten. 

Diese  Commission  beantragte,  Herrn  Prof.  Dr.  Ewald  Hering 
in  Prag  für  die  Arbeit  „Ueber  centripetale  Ataxie  beim  Menschen 
und  Affen“,  erschienen  in  Nr.  23  des  „Neurologischen  Centralblattes“, 
1897,  welche  den  Abschluss  einer  Reihe  von  experimentellen  Unter¬ 
suchungen  (desselben  Autors)  über  die  Abhängigkeit  der  Bewegungsfähig¬ 
keit  von  den  sensorischen  Impulsen  bei  Frosch,  Hund  und  Affen  bildet, 
und  dadurch  die  werthvollsten  Aufklärungen  über  die  Erscheinungen 
der  Ataxie  beim  Menschen,  besonders  auch  über  gewisse  Symptome 
der  Tabes,  schafft. 

Hofrath  Gussenbauer  hält  die  Gedenkrede  auf  Hofrath  Eduard 
Albert.  (Siehe  Feuilleton  dieser  Nummer.) 

Docent  Dr.  Emil  Schwarz  demonstrirt  Präparate  von  einem  gemein¬ 
schaftlich  mit  Dr.  C.  Sternberg  beobachteten  Falle,  in  welchem 
Myeloplaxen  im  peripheren  Blute  und  den  Capillaren  der  paren¬ 
chymatösen  Organe  gefunden  wurden.  Die  betreffende  Patientin  zeigte 
während  des  Lebens  blos  einen  Milztumor,  welcher  bis  ins  linke  Hypo¬ 
gastrium  reichte.  Es  bestanden  keinerlei  Drüsenschwellungen.  Der  Blut¬ 
befund  war  anfangs  (Februar  1899)  zweifelhaft,  später  (Mai  1899) 
zeigte  er  leukämische  Charaktere,  nämlich  zahlreiche  Markzellen  und 
kernhaltige  rothe  Blutkörperchen.  Die  Zahl  der  Leukocyten  erhob  sich 
jedoch  während  der  ganzen  Erkrankung  nicht  über  30.000.  Gegen 
Ende  (October  1899)  verschwand  selbst  diese  Leukocytose  und  auch 
die  Qualität  der  Zellen  änderte  sich,  indem  die  Markzellen  aus  dem 
Blute  verschwanden,  ebenso  die  Erythroblasten.  Den  auffallendsten 
Befund  lieferten  jedoch  die  Blutpräparate  aus  der  Culminationszeit  der 
Erkrankung.  Es  fanden  sich  im  Fingerbeerenblute  enorme  Chromatin¬ 
massen,  drei-  bis  vierfacher  Länge  und  doppelter  Breite  der  grössten 
Myelocyten,  mit  undeutlichem  Protoplasmasaume,  so  dass  sie  den  Ein¬ 


druck  freier  Kerne  machten.  Diese  Riesenkerne  waren  äusserst  spär¬ 
lich;  nur  in  wenigen  Präparaten  gelang  es,  dieselben  aufzufinden.  Da 
diese  Beobachtung  ganz  ohne  jede  Analogie  in  der  Literatur  ist,  war 
es  nicht  leicht,  selbe  zu  deuten.  Doch  lag  die  Vermuthung  nahe,  diese 
Kerne  mit  den  Riesenzellen  des  Knochenmarks,  den  Myeloplaxen,  in 
Beziehung  zu  bringen,  da  nur  an  diesem  einzigen  Orte  so  enorme 
Chromatinmassen  entwickelt  werden.  Den  Beweis  für  die  Richtigkeit 
dieser  Ansicht  lieferte  die  mikroskopische  Untersuchung  der  Organe. 
Sowohl  in  der  Milz,  als  in  der  Leber  und  Niere  fanden  sich  die¬ 
selben  Gebilde  wieder  und  namentlich  in  der  Milz,  wo  sie  in  sehr 
grosser  Zahl  vorkamen,  konnte  ihre  morphologische  Beschaffenheit  ein¬ 
gehend  studirt  werden.  Sie  erschienen  daselbst  als  riesige  Zellen  mit 
grossem,  ungewöhnlichem  Protoplasmaleibe  und  riesigem  Kerne  von 
der  ganz  eigenthümlichen  Gestalt,  wie  sie  von  Arnold,  Cornil, 
Heidenhain  für  die  Myeloplaxen  beschrieben  wird.  In  engeren 
Capillarschlingen,  namentlich  in  der  Niere,  verlieren  sie  die  charakte¬ 
ristische  Gestalt,  indem  sie  sich  dem  Volumen  und  Formen  des  gebotenen 
Raumes  anpassen  und  dann  oft  als  langgestreckte  Chromatinmasseu 
erscheinen,  an  denen  nur  mit  Mühe  ein  Saum  des  Protoplasmas  zu 
entdecken  ist.  Die  grossen  Chromatinklumpen  im  Fingerbeerenblute 
dürften  wohl  auf  dieselbe  Art  entstanden  sein. 

In  der  Literatur  existiren  nur  Befunde  H.  F.  Mülle  r’s  und 
Hin  den  burg’s  über  Myeloplaxenbefunde  in  Milz  und  Leber  bei 
Leukämie.  Müller  lässt  sie  an  dem  Fundorte  entstehen  und  enthält 
sich  jeder  Deutung.  Nach  den  heute  demonstrirten  Präparaten  ist 
jedoch  eine  solche  Genese  auszuschliessen;  die  Zellen  liegen  immer 
innerhalb  der  Capillaren,  sie  sind  sicher  aus  dem  Knochenmarke  in  die 
Blutbahn  eingeschwemmt.  Die  Untersuchung  des  Knochenmarkes  ergab 
nicht  nur  ein  massenhaftes  Auftreten  der  Myeloplaxen,  sondern  auch 
in  den  Bluträumen  des  Markes  konnten  sie  zahlreich  nachgewiesen 
werden. 

Aus  dem  anatomischen  Befunde  des  Falles  sind  noch  zwei  Mo¬ 
mente  hervorzuheben,  welche  den  untersuchten  Fall  als  einen  ganz  eigen¬ 
thümlichen  erweisen.  Erstens  das  Frei  bleiben  des  gesammten  lympha¬ 
tischen  Apparates;  nur  eine  einzige  Mesenterialdrüse  bot  das  Bild 
leukämischer  Drüsen  und  diese  nicht  sehr  ausgesprochen.  Zweitens  er¬ 
wies  sich  das  ganze  Knochensystem  von  einem  intensiven  Sklero- 
sirungsprocess  befallen,  welcher  nicht  nur  eine  Compacta,  sondern  eine 
reichliche  Neubildung  von  Knochenspangen  innerhalb  der  noch  er¬ 
haltenen  Markreste  bewirkt  hatte.  Das  noch  restirende  Mark  zeigt 
ausser  den  erwähnten  zahlreichen  Myeloplaxen  noch  myelocytische 
Hyperplasie,  wie  ein  leukämisches  Knochenmark.  Auch  die  Knochen¬ 
sklerose  bei  Leukämie  ist  ein  derart  seltenes  Vorkommen,  dass  ausser 
unserem  Falle  in  der  gesammten  Literatur  nur  ein  einziger,  von 
Heuck  beschriebener,  zu  finden  ist.  Doch  ist  die  Neubildung  in 
diesem  nach  des  Autors  Angaben  auf  eine  bindegewebige  Sklerose  des 
Markes  zurückzuführen,  während  hier  die  Sklerose  fast  ausschliesslich 
durch  directe  Apposition  sich  vollzieht.  Ein  in  der  letzten  Zeit  von 
Baumgarten  als  „myelogene  Pseudoleukämie“  beschriebener  Fall 
zeigt  zwar  den  analogen  Typus  der  Knochenbildung,  doch  war  der 
Blutbefund  in  keiner  Weise  leukämisch.  Die  Knochenneubildung  zu 
erklären,  ist  einstweilen  wohl  noch  nicht  möglich,  nur  so  viel  möchte 
ich  betonen,  dass  die  reichliche  Myeloplaxenbildung,  trotz  deren  Be¬ 
ziehung  zu  Osteoblasten  und  Osteoklasten,  keineswegs  hiebei  eine 
Rolle  spielen  kann,  wie  wir  uns  durch  anderweitige  Untersuchungen 
überzeugt  haben.  Auch  die  Mobilisation  der  Myeloplaxen  ist  nicht  so 
einfach  zu  deuten.  Es  soll  an  anderer  Stelle  genauer  auf  diese  Ver¬ 
hältnisse  eingegangen  werden.  Ich  möchte  jedoch  hervorheben,  dass 
die  von  L  u  b  a  r  s  c  h  und  Lengemann  gegebene  Erklärung  der 
Riesenzellembolien,'  die  wohl  oft  giltig  sein  mag,  auf  die  hier  demon¬ 
strirten  Verhältnisse  nicht  anwendbar  ist. 

Dr.  v.  Hammersclilag  demonstrirt  einen  Fall  von  rechts¬ 
seitiger  chronischer  Mittelohreiterung  mit  Caries 
des  Schläfebeines  und  Cholesteatom,  Extraduralabscess, 
circumscripter  Pachy-Leptomeningitis  und  Abscess  des  Scbläfelappens, 
Freilegung  der  Mittelohrräume,  Freilegung  und  Spaltung  der  Dura, 
Exploration  des  Schläfelappens,  Heilung. 


1004 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


Die  Patientin,  ein  26jähriges  Mädchen,  stammt  aus  einer  ge¬ 
sunden  Familie  und  war  in  ihrer  Kindheit,  wie  auch  späterhin  mit 
Ausnahme  eines  Fussleidens  stets  gesund.  Ihr  Ohrenleiden  datirt  vom 
Jahre  1882  und  begann  mit  starken  Schmerzen  im  rechten  Ohre, 
worauf  sich  alsbald  Otorrhoe  einstellte.  Seither  dauerte  dieser  Ohren¬ 
fluss  trotz  specialärztlicher  Behandlung  ohne  Unterbrechung  an.  Zehn 
Tage  vor  der  Aufnahme  in  das  Krankenhaus,  die  am  19.  Juni  a.  c. 
erfolgte,  bekam  Patientin  sehr  starke  Schmerzen  im  rechten  Ohre,  die 
über  die  rechte  Kopfhälfte  ausstrahlten,  wenige  Tage  später  Schwindel, 
Qebelkeiten  und  Erbrechen.  Bei  der  Aufnahme  ins  Spital  stellte  sich 
die  Patientin  als  eine  mittelgrosse,  massig  genährte,  ziemlich  blasse 
Person  dar,  mit  normalem  somatischen  Befunde.  Die  Temperatur  war 
39°,  der  Puls  96,  dabei  rhythmisch,  gleich  und  ziemlich  hart.  Das 
linke  Ohr  war  in  allen  Theilen  vollständig  normal;  das  kranke  Ohr 
bot  folgenden  Befund:  Die  Bedeckung  des  Warzenfotsatzes  war 
äusserlich  normal,  doch  bestand  sehr  starke  Druckempfindlichkeit  in 
der  ganzen  Ausdehnung  des  Planum  mastoideum.  Der  Gehörgang  war 
in  den  äusseren  drei  Viertheilen  weit  und  mit  stinkendem  Eiter  erfüllt, 
das  innere  Viertheil  war  hochgradig  verengt,  so  dass  ein  Trommelfell¬ 
befund  nicht  erhoben  werden  konnte.  Der  Weber  ging  vom  Scheitel, 
wie  auch  vom  Warzenfortsatze  des  gesunden  Ohres  nach  der  er¬ 
krankten  Seite,  der  Rinne  daselbst  war  negativ,  die  Kopfknochen¬ 
leitung  für  die  Taschenuhr  ausgefallen.  Flüstersprache  wurde  auf  dem 
gesunden  Ohre  auf  3  m,  rechts  gar  nicht  vernommen. 

Noch  am  Tage  der  Aufnahme  wurde  die  typische  Freilegung 
der  Mittelohrräume  vorgenommen,  wobei  sich  der  Knochen  des 
Warzenfortsatzes  mässig  sklerosirt,  das  kleine  Antrum  als  durchaus 
mit  Cholesteatom  erfüllt  erwies. 

Am  Tage  nach  der  Operation  sank  die  Temperatur  auf  37-5°, 
um  aber  noch  im  Laufe  desselben  Tages  auf  über  38°  zu  steigen. 
Während  die  Schmerzen  am  Tage  nach  der  Operation  vollständig 
sistirt  hatten,  stellten  sie  sich  am  zweiten  Tage  nach  der  Operation 
im  vermehrten  Masse  wieder  ein.  Der  am  nächsten  Tage  aufgenommene 
Augenbefund  ergab  beiderseits  normalen  Fundus.  Ueber  den  weiteren 
Verlauf  ist  nur  so  viel  zu  sagen,  dass,  trotzdem  die  Wunde  stets 
normales  Aussehen  bot,  die  Schmerzen  in  der  rechten  Kopfseite 
immer  mehr  Zunahmen,  so  dass  der  Schlaf  und  das  Allgemeinbefinden 
der  Patientin  dadurch  hochgiadig  gestört  erschienen.  Die  Temperatur 
wmr  allerdings  am  fünften  Tage  nach  der  Operation  bereits  unter  38° 
herabgesunken  und  erreichte  während  des  weiteren  Verlaufes  niemals 
mehr  diese  Höhe.  Die  Kopfschmerzen  allein  waren  die  einzige  Indica¬ 
tion  zu  einer  neuerlichen  Operation,  die  ich  am  27.,  also  acht  Tage 
nach  der  ersten  Operation,  vornahm.  Das  Tegmen  antri  et  tympani, 
das  allenthalben  eine  Dicke  von  mehreren  Millimetern  aufwies  und 
an  welchem  eine  Wegleitung  makroskopisch  nicht  nachweisbar  war, 
wurde  in  der  Ausdehnung  von  etwa  Kronenstückgrösse  entfernt,  wo¬ 
nach  sich  circa  ein  Esslöffel  sehr  übelriechenden,  extradural  gelegenen 
Eiters  entleerte.  Die  freigelegte  Dura  erwies  sich  nun  an  einer  Stelle 
von  einer  sondendicken  Fistel  durchbrochen  und  aus  dieser  Durafistel 
pulsirte  lebhaft  Eiter  hervor.  Deshalb  wurde  die,  im  Uebrigen  etwas 
verdickte  Dura  in  der  Länge  von  etwa  2  cm  gespalten,  worauf  sich 
abermals  etwa  mehrere  Cubikcentimeter  intraduralen  Eiters  entleerten. 
Am  Schläfelappen  selbst,  der  nunmehr  freilag,  war  äusserlich  keine 
Veränderung  zu  bemerken.  Trotzdem  ging  ich  in  der  Erwägung,  dass 
des  Bestand  einer  circumscripten  Pachymeningitis  externa  und  einer 
circumscripten  Pachy-Leptomeningitis  meist  den  Weg  markirt,  auf  dem 
ein  Ilirnabscess  entstanden  ist,  an  die  Exploration  des  Schläfelappens. 
Derselbe  wTurde  mit  dem  Scalpell  in  der  Ausdehnung  von  2  cm  ge¬ 
spalten,  worauf  sich  eine  grosse  Menge  sehr  übelriechenden  Eiters  in 
einem  Gusse  entleerte.  Die  Hirnwunde  wurde  mit  der  Kornzange 
klaffend  erhalten  und  auf  diese  Weise  noch  eine  grosse  Menge  Eiters 
entleert.  Die  Abscesshöhle  wurde  hierauf  sowie  die  übrige  Wunde  mit 
Jodoformgaze  tamponirt.  Unmittelbar  nach  der  Operation  befand  sich 
die  Patientin  sehr  wohl,  die  Kopfschmerzen  hatten  ganz  aufgehört  und 
kehrten,  wie  ich  gleich  bemerken  willv  im  weiteren  Verlaufe  nur  noch 
selten  und  in  geringer  Intensität  wieder. 

Der  drainirende  Jodoformgazestreifen  wurde  am  achten  Tage 
nach  der  Operation  weggelassen,  nachdem  die  Absonderung  vollständig 
sistirt  hatte. 

Aus  dem  weiteren  Verlaufe  sind  zwei  Momente  besonders 
hervorzuheben.  Während  der  Augenbefund  vor  der  Operation  voll¬ 
ständig  negativ  war,  ergab  eine  neuerliche  Untersuchung,  drei  Tage 
nach  der  Eröffnung  des  llirnabscesses,  eine  leichte  Schlängelung  der 
Venen  rechterseits,  am  20.  Tage  nach  der  Operation  eine  auffallend 
starke  Füllung  und  Schlängelung  derselben. 

Auffallend  sind  ferner  noch  eine  Reihe  von  Erscheinungen, 
welche  den  übrigens  tadellosen  Heilungsverlauf  unterbrachen,  und 
welche  nur  in  dem  Umstande  ihre  Erklärung  finden,  dass  die  Patientin 
in  ziemlich  hohem  Grade  hysterisch  ist.  Am  19.  Tage  nach  der  Ope¬ 
ration  traten  Schwindel  und  Erbrechen  auf,  die  etwa  acht  Tage  an¬ 
hielten,  um  dann  ohne  jede  Therapie  spurlos  zu  verschwänden.  Am 


21.  Tage  nach  der  Operation  trat  Ilarnretention  ein,  derenthalben 
die  Patientin  einmal  katheterisirt  werden  musste,  worauf  auch  diese 
Erscheinung  dauernd  ausblieb.  Vier  Wochen  nach  der  Operation,  als 
auch  die  Wunde  beinahe  vollkommen  geheilt  war,  bekam  die  Patientin 
einen  tonischen  Krampf  des  Facialis  der  gesunden  Seite,  welchem 
leichte  klonische  Zuckungen  vorhergegangen  waren.  Erst  dieser  letz'e 
Krankheitszufall  legte  die  Vermuthung  auf  Hysterie  nahe  und  Ur¬ 
sächlich  ergab  die  neurologische  Untersuchung  deutliche  hysterische 
Stigmata.  Uebrigens  ging  auch  der  Facialiskrampf  spontan  vollkommen 
wieder  zurück.  Heute,  vier  Monate  nach  der  Operation,  ist  die  Patientin 
vollkommen  wiederhergestellt,  niemals  wieder  sind  Kopfschmerzen, 
Schwindel,  Uebelkeiten  und  Erbrechen  aufgetreten.  Die  Patientin 
versieht  ihren  ziemlich  schweren  Dienst  als  Dienstmädchen  ohne  jede 
Schwierigkeit  und  auch  die  ursächliche  Mittelohreiterung  ist  durch 
den  operativen  Eingriff  vollständig  beseitigt  und  die  Wundhöhle  und 
die  persistirende  retroauriculäre  Fistel,  die  in  diesem  Falle  nicht  zu 
vermeiden  war,  von  einer  resistenten  gesunden  Narbe  bedeckt. 

Dr.  Robert  Kienböck  hält  seinen  Vortrag:  Ueber  die  Ein¬ 
wirkung  des  Röntgen-Lichtes  auf  die  Haut. 

Nach  einer  gesclr'chtlichen  Einleitung,  die  einen  Ueberblick  über 
die  bisherigen  Erfahrungen  und  insbesondere  über  die  vereinzelten, 
unvermuthet  erzeugten,  hartnäckigen  Geschwürsbildungen  bei  der  Be¬ 
strahlung  mit  Vacuumrühren  und  eine  Uebersicht  über  die  controversen 
Auffassungen  von  den  wirksamen  Kräften  enthält  —  einerseits 
Röntgen-  Strahlen,  andererseits  elektrische  Entladungen  der  Röhre  — , 
werden  technische  Vorbemerkungen  über  die  Verschiedenartigkeit  der 
Röntgen-  Röhren  erörtert  und  wichtige  persönliche  Er¬ 
fahrungen  bei  der  Behandlung  mitgetheilt. 

Die  Resultate,  die  sich  aus  denselben  ergeben,  sind:  Eine 
Röhre  wirkt  —  auf  Fluorescenzschirm,  photographi¬ 
sche  Platte  und  lebende  Haut  —  umso  stärker,  je 
mehr  Röntgen-Strahlen  auffallen  und  je  weniger 
penetrirend  dieselben  sind;  nur  jene  Röhren  wirken  kräftig, 
die  sich  im  Zustande  richtiger  Evacuation  befinden,  also  wenn  sie 
genügend  „weich“  sind  und  dementsprechend  bei  der  Durchleuchtung 
eines  Körpertheiles  ein  genügend  contrastreiches  Bild  geben  ;  „harte“ 
Röhren  dagegen,  d.  i.  solche,  die  hochevacuirt  sind,  setzen  dem 
Durchtritte  des  aus  einem  gebräuchlichen  Inductor  kommenden  Stromes 
einen  zu  grossen  Widerstand  entgegen,  sie  zwingen  den  Strom,  aussen 
herum  zu  fahren;  dadurch  geht  zwar  viel  Elektricität  auf  die  Um¬ 
gebung  (spcciell  auf  die  Haut)  über,  es  wird  aber  nur  wenig 
R  ö  n  t  g  e  n -Licht  erzeugt;  dasselbe  ist  dafür  leicht  penetrirend;  eine 
derartige,  im  „harten“  Zustand  befindliche  Röhre  ist  nach  den  persön¬ 
lichen  Erfahrungen  für  diagnostische  und  therapeutische  Zwecke  fast 
unbrauchbar.  Die  in  Bezug  auf  Luftgehalt  regulirbaren  Vacuumrühren 
sind  den  gewöhnlichen  weit  überlegen. 

Bei  der  dermatologischen  Bestrahlung  der  Haut 
wird  vom  Vortragenden  eine  neue  Methode  befolgt  und  anempfohlen; 
sie  besteht  darin,  kleine  Serien  sehr  wirksamer  Sitzungen 
zu  geben  und  dann  stets  bis  zum  Erscheinen  von  Re¬ 
action  zu  zu  war  ten;  so  z.  B.  gelingt  es,  Epilation  von  gesunder 
Haut  durch  zwei  bis  sechs  Sitzungen  von  je  5 — 15  Minuten  an  auf¬ 
einander  folgenden  Tagen  mit  Bestimmtheit  und  ohne  heftige  be¬ 
gleitende  Reizerscheinungen  zu  erzielen.  Die  dazu  nöthige  Dose 
von  R  ö  n  t  g  e  n  -  Licht  lässt  sich  bei  Beherrschung  der  Methode  mit 
genügender  Genauigkeit  bemessen  und  Ueberexposition 
mit  ihren  schädlichen  Folgen  vermeiden.  Idiosynkrasie  wurde  nie 
beobachtet  und  ist  auch  als  Erklärung  der  bisher  in  der  Literatur 
mitgethcilten  Ulcerationen  abzuweisen. 

Der  Vortragende  demons  trirt  als  sichtbaren  Beweis  der 
Richtigkeit  seiner  Anschauungen  ein  Kaninchen,  das  an  der 
einen  Flanke  eine  ausgebreitete  Alopecie  zeigt ;  diese 
Seite  war  mit  einer  genügend  weichen  Röhre  bestrahlt  worden;  die 
andere  Flanke  des  Thieres  zeigt  keine  Veränderungen;  sie  war  bei 
sonst  gleichem  Verfahren  mit  einer  harten  Röhre  bestrahlt  worden, 
die  nur  wenige  R  ö  n  tg  e  n -Strahlen,  aber  reichliche  elektrische  Ent¬ 
ladungen  ansgesendet  hatte. 

(Der  Vortrag  erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Dr.  Schiff,  Dr.  Freund  und  Dr.  Holzknecht  melden 
sich  zur  Discussion;  wegen  vorgeschrittener  Zeit  wird  selbe  auf  die 
nächste  Sitzung  verlegt. 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

VI.  Walther  P  e  t  e  r  s  e  n  (Heidelberg) :  Magenerkran- 
kungen  bei  Cholelithiasis. 

Die  zahlreichen  chirurgischen  Eingriffe  bei  Cholelithiasis  und 
bei  gutartigen  Magenerkrankungen  haben  uns  gelehrt,  dass  letztere 


Nr.  43 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1005 


viel  häufiger,  als  man  früher  annahm,  durch  erstere  bedingt 
worden. 

Unter  102  Operationen  bei  gutartigen  Magenerkrankungen,  die 
an  der  Heidelberger  chirurgischen  Klinik  ausgeführt  worden,  war 
Cholelithiasis  zwölfmal  mit  Sicherheit  die  Ursache  der  Krankheit. 

Als  pathologisch-anatomische  Grundlagen  der  Erkrankung 
kommen  in  Betracht : 

1.  Druck  der  vergrösserten,  steingefüllten  Gallenblase  auf  das 
Duodenum. 

2.  Druck  eines  grossen  Gallensteines  vom  Cysticus  oder  Chole- 
dochus  aus. 

3.  Verlegung  des  Duodenums  selbst  durch  einen  eingewanderten 
oder  perforirten  Stein. 

4.  Pericholecystische  Processe  (von  Perigastritis  oft  schwer  zu 
unterscheiden);  dieselben  wirken  in  verschiedener  Richtung  ein: 

a)  Compression  des  Duodenums  durch  bandförmige  Adhäsionen: 

b)  Verziehung  und  winkelige  Abknickung  des  Pylorus  oder  des 
Duodenums ; 

c )  narbige  Schrumpfung  des  Duodenums. 

Meist  combiniren  sich  mehrere  dieser  pathologischen  Ver¬ 
änderungen. 

Das  wichtigste  klinische  Symptom  ist  meist  die  Pylorusstenose, 
seltener  Gastralgie.  Magenblutungen  können  durch  perforirende  Gallen¬ 
steine  oder  durch  fortgeleitete  Thrombose  entstehen. 

Häufiger  als  bei  der  Ulcusstenose  findet  sich  Auftreten  von 
Milchsäure  und  Verschwinden  der  Salzsäure.  Wird  dadurch  schon  der 
Verdacht  eines  Carcinoms  erweckt,  so  kann  derselbe  noch  sehr  bestärkt 
werden  durch  die  einen  Tumor  vortäuschenden  pericholecystitischen 
Schwarten. 

Ebenso  wurden  die  grossen,  den  Pylorus  oder  das  Duodenum 
verlegenden  Gallensteine  meist  als  Carcinom  diagnosticirt. 

Die  chirurgische  Therapie  hat  zwei  Aufgaben  zu  er¬ 
füllen  : 

1.  Behebung  der  localen  Störung;  Lösung  von  Adhäsionen, 
Entfernung  von  Gallensteinen,  Drainage  der  Gallenblase  etc. 

Bei  verwickelten  localen  Störungen,  sowie  bei  stärkerer  Magen¬ 
ektasie  muss  der  rein  locale  Eingriff  ersetzt  oder  ergänzt  werden  durch 

2.  die  Bekämpfung  der  secundären  Magonveränderungen,  und 
zwar  gewöhnlich  durch  die  Gastroenterostomie,  in  Ausnahmefällen  durch 
die  Pyloro-  oder  Duodenoplastik. 

Von  der  Art  des  pathologischen  Processes  und  dem  Kräfte¬ 
zustande  des  Patienten  muss  es  abhängen,  ob  man  solche  combinirte 
Eingriffe  (wie  Choleeystostomie  und  Gastroenterostomie)  gleichzeitig 
oder  getrennt  ausführen  soll. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Otologie. 

IV.  Dun  das  Grant  (London) :  Ueber  Diagnose  und 
Behandlung  der  otitischen  Pyämie. 

Die  Diagnose  der  otitischen  Pyämie  hängt  von  der  Anwesenheit 
der  allgemeinen  Symptome  der  Pyämie  ab,  begleitet  von  acuter  oder 
chronischer  Entzündung  des  Mittelohres  oder  des  angrenzenden  Rachens. 
Die  wichtigsten  Symptome  sind  das  Eintreten  von  Frösten  mit  aus¬ 
gebreiteten  Schwankungen  der  Körpertemperatur  und  Metastasen  im 
Lungen-  und  grossen  Blutkreisläufe.  Die  Pyrexie  und  die  Störungen 
der  Constitution  können  sich  an  verschiedene  Krankheiten  anreihen, 
von  denen  die  wahrscheinlichsten  das  typhöse  Fieber,  das  Sumpffieber, 
der  acute  Rheumatismus,  die  maligne  Endocarditis,  die  acute  Tuber- 
culose  und  die  Meningitis  sind.  Als  solche  hat  man  auch  die  acute 
oder  chronische  Otitis  erkannt;  man  kann  noch  im  Zweifel  sein,  ob 
die  constitutioneile  Störung  nicht  in  Coincidenz  einer  der  erwähnten 
Krankheiten  ihre  Ursache  habe. 

Hat  man  einmal  diese  Möglichkeiten  ausgeschlossen  und  sich 
versichert,  dass  die  Gesundheitsstörung  in  einer  Ohrkrankheit  begründet 
ist,  so  hat  man  bei  der  Diagnose  der  otitischen  Pyämie  die  anderen 
gefährlichen  Folgen  zu  betrachten,  solche  wie  Gross-  und  Kleinhirn- 
abscess,  seröse  oder  purulente  Meningitis  und  extradurale  Eiterung. 
Noch  mehr,  die  otitische  Pyämio  findet  sich  sehr  häufig  combinirt  mit 
einer  oder  der  anderen  dieser  Complicationen ;  in  diesem  Falle  sind 
die  diagnostischen  Zeichen  modificirt. 

Noch  ist  dieSaprämie  aus  unserer  Diagnose  auszuschliessen,  weil 
der  unter  Druck  zurückgehaltene  Eiter  fieberhafte  und  constitutionelle 
Störungen,  immer  metastatische  Erscheinungen  ausgenommen,  hervor- 
rufen  kann.  So  kann  es  geschehen,  dass  wir  erst  nach  Eröffnung  des 
Mittelohres  und  seiner  Adnexe  entscheiden  können,  ob  die  Symptome 
von  Saprämie  oder  einer  wahren  Infection  des  Blutes  abhängig  sind. 


Ist  auf  diese  Weise  die  Diagnose  der  otitischen  Pyämie  sicher¬ 
gestellt,  so  bleibt  noch  zu  entscheiden,  ob  die  thrombotische  oder  die. 
einfache  Form  vorliegt. 

Wenn  der  pyämische  Zustand  das  Rosultat  einer  acuten  Eiterung 
ist,  und  die  metastatischen  Erscheinungen  die  Gelenke  oder  den 
grossen  Kreislauf  betreffen,  so  besteht  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
eine  Pyämie  ohne  Thrombose. 

Wenn  aber  im  Gegensätze  auf  eine  chronische,  seit  mehr  als 
einem  Jahre  bestehende  Mittelohreiterung  dieser  Zustand  nachfolgt, 
und  ausserdem  evident  Metastasen  in  den  Lungen  oder  Pleuren  vor¬ 
handen  sind,  so  ist  an  einer  thrombotischen  Pyämie  w'enig  mehr  zu 
zweifeln.  Diese  Anschauung  wird  durch  eine  abnorme  Schwellung  der 
Jugularis  externa  noch  mehr  gestützt,  denn  dies  bedeutet  eine  Ver¬ 
stopfung  der  inneren  Jugularvene. 

Die  Empfindlichkeit  oder  Anschwellung  im  Verlauf  des  letzt¬ 
genannten  Gefässes  ist  das  Zeichen  einer  Phlebitis  oder  zumindestens 
eine  Entzündung  der  darunterliegenden  Ganglien. 

Eine  Schwellung  des  Orbitainhaltes  mit  Erweiterung  der  Venen 
der  Netzhaut  deutet  auf  Verstopfung  des  Sinus  cavernosus;  endlich 
eine  Empfindlichkeit  hinter  der  Gegend  des  Warzenfortsatzes  lässt  ein 
Ergriffensein  der  Vertebralvenen  annehmen. 

Eine  mehr  exacte  Constatirung  ist  nur  möglich,  wenn  man  den 
Sinus  sigmoideus  blossgelegt  hat. 

Nach  dieser  Blosslegung  würde  die  Abwesenheit  einer  Fluctuation 
zwischen  dem  Sinus  und  der  inneren  Jugularvene  eine  complete  Ver¬ 
stopfung  anzeigen.  Wenn  die  Explorativpunction  Eiter  offenbart,  so 
kann  man  sagen,  dass  eine  Thrombose  mit  purulenter  Desintegration 
stattgefunden  hat;  reines  Blut  ist  nicht  von  Bedeutung,  denn  es  kann 
eine  parietale  Thrombose  nichtsdestoweniger  bestehen;  eine  negative 
Punction  zeigt  die  Anwesenheit  von  Thrombose  oder  wenigstens  Ob¬ 
literation  des  Blutganges  an. 

Die  Behandlung  der  otitischen  Pyämie  besteht  in  der  Ent¬ 
fernung  der  ursprünglichen  Quelle  der  Infection  oder  Blutvergiftung, 
in  der  Entleerung  und  Sterilisirung  aller  secundären  pyogenen  Herde 
und  der  Verhinderung  des  Transportes  septischer  Stoffe  in  den  Kreis¬ 
lauf;  weiters  in  der  Verabreichung  von  Heilmitteln,  welche  die  Aus¬ 
scheidung  der  Toxine  aus  dem  Blute  erleichtern  und  in  der  Anwendung 
von  Mitteln  zur  Erhaltung  der  Kräfte  des  Kranken,  bis  diese  Aus¬ 
scheidung  vollführt  ist;  in  letzter  Linie  ist  antitoxisches  Serum  bestimmt, 
die  Toxine  zu  zerstören,  welche  aus  den  pathogenen  Organismen  her¬ 
vorgegangen  sind. 

Diese  Grundsätze  lassen  sich,  wie  folgt,  in  der  Praxis  verwerthen: 

Bei  acuten  Fällen,  Incision  des  Trommelfells,  Eröffnung  der 
Zellen  des  Warzenfortsatzes  mit  Entfernung  des  erkrankten  Knochens, 
Sterilisation,  Drainage.  Der  Kranke  wird  zur  Ruhe  gebracht,  Chinin, 
Diuretica,  Alkohol,  kräftige,  leicht  verdauliche  Nahrung  gegeben.  Das 
passende  (Antistreptococcen-)  Serum  wird  injicirt,  wenn  die  Körper¬ 
temperatur  nicht  bald  zur  normalen  herabsteigt.  Metastatische  Abscesse 
müssen  in  dem  Masse,  als  sie  entstehen,  entleert  werden. 

Wenn  trotz  der  angegebenen  Behandlung  die  Symptome  fort- 
bestehen,  so  lässt  sich  eine  parietale  Thrombose  im  Sinus  oder  Bulbus 
jugularis  amiehmen.  Unter  diesen  Verhältnissen  kann  man  dahin  geführt 
werden,  die  für  die  chronischen  Fälle  empfohlene  Exploration  und 
Operation  auszuführen,  nämlich  die  Ligatur  der  Jugularis,  Incision, 
Entleerung  und  Verödung  des  Sinus  sigmoideus.  Die  Ligatur  der  Jugu¬ 
laris  darf  man  nicht  vornehmen,  ohne  gleichzeitig  den  Sinus  zu  eröffnen. 

In  den  chronischen  Fällen  muss  die  radicale  Warzenfort¬ 
satzoperation  ohne  Verzug  gemacht  werden;  wenn  aber  eine  Thrombo¬ 
phlebitis  der  Jugularvenen  evident  und  wohlgegründet  besteht,  so  thut 
man  gut,  dieses  Gefäss  blosszulegen,  zu  unterbinden,  oder  wenigstens 
zu  entleeren,  bevor  man  den  Warzenfortsatz  angeht.  Im  Allgemeinen 
legt  man  nach  der  Warzenfortsatzoperation  den  Sinus  sigmoideus  bloss 
mittelst  einer  Erweiterung  der  Knochenbresche  und  untersucht  den  Sinus 
mit  einer  caunelirten  Nadel.  Wenn  Thrombose  vorhanden  und  die  Eiter¬ 
bildung  in  den  mehr  erhabenen  Theilen  des  Sinus  stattgefunden  hat, 
so  muss  man  die  ergriffene  Partie  ausgiebig  eröffnen  und  die  Eiter¬ 
gerinnsel  ausräumen,  bis  man  zu  einem  organisirten  Pfropfe  von  ge¬ 
sundem  Ansehen  gelangt  ist;  endlich  wird  die  Höhle  mit  Sublimat¬ 
irrigationen  oder  Bestäubungen  von  Jodoform,  rein  oder  mit  Borsäure 
gemengt,  desinficirt  und  mit  Jodoformgaze  leicht  tamponirt. 

Wenn  die  Fieberfröste  sich  wiederholt  einstellen,  müssen  wir  bis 
zum  äussersten  Giade  den  Sinus  blosslegen,  eröffnen  zu  dem  doppeltem 
Zwecke,  nämlich  die  Pfropfe  bis  zum  freien  Abflüsse  reinen  Blutes  zu 
entfernen  und  die  Höhlung  durch  Tamponirung  mit  Jodoformgaze  zur 
Verödung  zu  bringen.  Unter  solchen  Umständen  sind  die  meisten 
Operateure  der  Meinung,  dass  es  gut  sei,  die  Jugularis  interna  zu  unter¬ 
binden,  und  weiters,  je  nach  der  Lage,  in  folgender  Weise  vorzugehen: 

Findet  sich  die  Vene  im  Zustande  der  Thrombose,  so  muss  sie 
so  tief  als  möglich  unterbunden,  dann  durchschnitten  und  der  obere 
Theil  ausserhalb  des  oberen  Wundwinkels  herausgezogen  werden; 
endlich  entleert  man  ihren  Inhalt  mit  einer  Curette  oder  Spritze. 


1006 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


Ist  keine  Thrombose,  so  unterbindet  und  durcbschneidet  man 
die  Vene  nicht. 

In  jedem  Falle  wird  der  Sinus  complet  evacuirt,  sterilisirt  und 
leicht  tamponirt. 

Hei  der  so  beschriebenen  operativen  Behandlung  muss  man  jede 
unfreiwillige  Verwundung  des  Sinus  vermeiden,  denn  es  ist  evident, 
dass  dieses  Ereigniss  von  einer  gefährlichen  und  selbst  fatalen  Toxämie 
gefolgt  sein  kann. 

Man  muss  jeden  Tampon  im  Sinus  so  rasch  als  möglich  ent¬ 
fernen,  selbst  nach  24  Stunden,  wenn  man  ihn  übrigens  er¬ 
neuern  kann. 

Im  Falle  sich  die  Temperatur  in  beträchtlicher  Höhe  erhält  und 
fortsetzt,  und  die  Lebenskräfte  sich  rapid  erschöpfen,  muss  man  anti¬ 
toxisches  oder  auch  normales  Serum  anwenden. 

Was  die  Combinationen  betrifft,  so  muss  man,  falls  die  Pyämie 
mit  Meningitis  complicirt  ist,  zur  Lumbarpunction  schreiten.  Sind  in 
der  Flüssigkeit  Eiterzellen,  so  ist  es  unnütz,  weiter  zu  operiren.  Wenn 
aber  im  Gegensätze  eine  seröse  Meningitis  evident  vorhanden  ist,  so 
ist  die  Operation  umsomehr  angezeigt. 

Wenn  gleichzeitig  ein  Gross-  oder  Kleinhirnabscess  besteht,  so 
muss  derselbe  durch  Eröffnung  des  Craniums,  vom  ergriffenen  Sinus  so 
weit  als  möglich  entfernt,  eröffnet  werden. 

Metastatische  Abscesse  sind  in  dem  Masse,  als  sie  sich  bilden, 
zu  entleeren. 

Die  neuesten  Ansichten  verschiedener  Autoren,  ebenso  wie 
einige  technische  Details  werden  in  einem  besonderen  Berichte  zur 
Betrachtung  kommen. 

V.  Moll  (Arnheim):  Ueber  die  Ursachen  und  die 
Behandlung  der  Menier  e’schen  Krankheit. 

Die  Meniere’sche  Krankheit  oder  das  Ganze  der  Symptome 
von  Meniere  stellt  eine  klinische  Form  dar,  bestehend  in  Schwindel, 
verbunden  mit  Ohrensausen,  Taubheit  oder  Harthörigkeit,  Uebelkeiten 
oder  Erbrechen.  Vor  1861,  zur  Zeit  als  Meniere  die  Aufmerksam¬ 
keit  auf  diese  Krankheit  oder  diese  Gruppen  krankhafter  Erscheinungen 
lenkte,  wurden  ähnliche  Fälle  in  die  Reihe  der  Gehirnaffectionen  (Ge- 
hirncongestion)  eingereiht,  weil  der  Schwindel,  das  Hauptsymptom  der 
Krankheit,  nur  auf  Gehirnerkrankungen  bezogen  wurde.  Trotz  der 
glänzenden  Erfahrungen  von  Flourens  blieb  die  Theilnahme  des 
Labyrinthes  im  statistischen  Sinne  unbekannt.  Der  Schwindel,  heutzu¬ 
tage  allgemein  von  einem  erkrankten  Ohre  (ab  aure  laesa)  anerkannt, 
nimmt  seinen  Ursprung  in  einer  bleibenden  oder  vorübergehenden 
Affection  des  Labyrinthes:  primär,  wenn  daselbst  eine  intralaby- 
rinthische  Läsion  (Hämorrhagie  oder  eine  tiefe  Alteration  in  Folge 
krankhafter  Processe,  Syphilis  u.  s.  w.)  besteht;  secundär,  wenn 
man  es  blos  mit  einer  Erhöhung  der  intralabyrinthischen  Spannung 
zu  thun  bat,  mit  einer  abnormen  Compression  in  Folge  verschiedener 
Läsionen  des  Mittelohres  (Zurückhaltung  von  Trommelhöhlen-Exsu- 
daten,  Ankylose  der  Gehörknöchelchen,  Verwachsung  des  Steigbügels. 
Verschliessung  der  Tuba  u.  s.  w.)  oder  auch  des  äusseren  Ohres 
(Olnenschmalzpfröpfe). 

Die  Affectionen  des  Grosshirns,  des  Kleinhirns  oder  «des  Gehör¬ 
nerven  (Geschwülste,  functioneile  Erkrankungen  des  Gehirns,  Sklerose), 
welche  Schwindel  erzeugen,  sind  von  so  viel  anderen  Erscheinungen 
begleitet,  dass  das  Symptomenbild  verschwindet  oder  unkenntlich  wird. 
Die  Reflexschwindel,  das  heisst  jene,  deren  Ursprung  sich  iu 
mehr  entfernten  Organen  befindet,  haben  zu  viel  zur  Verwirrung  bei¬ 
getragen  als  dass  man  darüber  Stillschweigen  könnte.  Hierher  gehört 
der  Schwindel  von  verdorbenem  Magen,  welcher  die  Aufmerksamkeit 
der  Aerzte  vom  Labyrinth  abgezogen  hat;  ferner  die  Reflexschwindel 
in  Folge  Krankheiten  der  Nase  und  des  Rachens,  welche  zu  sehr  die 
Aufmerksamkeit  auf  das  Labyrinth  gelenkt  und  die  Grundursache  des 
Schwindels  vernachlässigt  haben.  Ein  verzeihlicher  Irrthum,  wenn  man 
die  intimen  Beziehungen  zwischen  Nasen-  und  Ohreukrankeiten  in  Be¬ 
trachtung  zieht. 

Man  ist  weit  entfernt,  all  diese  verschiedenen  Elemente,  all  diese 
Atfectionen  der  verschiedenen  Organe,  welche  eine  klinische  Form 
einer  Kranken-Einheit  bilden,  vereinigen  zu  können.  Es  entspricht  nicht 
der  Beobachtung,  als  Typus  eine  apoplektische  Form  aufzustellen,  die 
Apoplexie  der  halbkreisförmigen  Canäle  mit  der  Krankheit  von 
Meniere  zu  idcntificiren,  weil:  1.  die  anatomisch-pathologischen 
Beobachtungen  unzureichend  sind;  2.  die  Aetiologie  der  verschiedenen 
Fälle,  sogar  der  apoplektischen  Form  different  ist;  3.  es  besteht  ein 
zu  grosser  Unterschied  im  Auftreten,  Verlauf  und  Ende  der  apoplek¬ 
tischen  und  der  anderen  Formen;  4.  die  apoplektischen  Fälle  sind  im 
Vergleiche  zu  jenen,  wo  eine  chronische  Affection  der  Ohren  vorhanden 
ist,  in  bemerkenswerther  Minorität.  Wie  die  als  M  e  n  i  e  r  e’sche  Krankheit 
speciell  benannte  Affection  sich  in  verschiedener  Gestalt  präsentirt 
wie  dieselbe  nicht  immer  denselben  Ursprung  hat  und  wie  die  Sym¬ 
ptome  genau  dieselben  sind,  sobald  es  sich  um  eine  Affection  anderer 


Theile  des  Gehörorgans  handelt,  scheint  es  mir  nicht  nützlich,  den 
Ausdruck  „Krankheit  von  Meniere“  für  eine  einzelne  Form  zu  reser- 
viren.  Diese  Reserve  wird  dazu  beitragen  die  Verwirrung  bestehen  zu 
lassen.  Und  indem  weiters  die  Symptome  von  Mbniere  mit  den 
labyrinthischen  Symjitomen  identisch  sind,  könnte  man  die  betreffende 
Affection  mit  seinem  Namen  bezeichnen  und  hinzufügen  „mit  laby- 
rynthischen  Symptomen“.  Auch  das  wäre  nicht  präcis,  weil  es  Gross¬ 
kirn-,  Kleinhirn-  und  Gehörnervenerkrankungen  mit  labyrinthischen 
Symptomen  gibt,  ohne  dass  man  eine  Affection  des  Labyrinths  hätte 
nachweisen  können.  Ich  rathe  daher,  Brunner,  F  r  a  n  k  1  -  II  o  c  h- 
wart  und  anderen  Schriftstellern  zu  folgen,  wrelche  die  Veränderung 
des  Namens  „Krankheit  von  Moniere“  in  „Symptome  von  Meni6re“ 
für  alle  Fälle  vorgeschlagen  haben,  mit  der  Beschränkung,  eine  Classi¬ 
fication  uud  als  Grundlage  der  Eintheilung  den  Sitz  der  Affection  an¬ 
zunehmen,  wie  folgt: 

Symptome  von  Mäni&re  bei: 

a )  Krankheiten  des  äusseren  Ohres. 

b)  Krankheiten  des  mittleren  Ohres,  a)  acuten,  ß)  chronischen; 

c)  Krankheiten  des  inneren  Ohres  a)  hämarrhogischen,  ß)  trau¬ 
matischen,  y)  acuten,  8)  chronischen,  e)  toxischen; 

d)  Krankheiten  des  Gehörnerven,  a)  Tabes,  ß)  Neubildungen, 
y)  Angioneurose. 

Ich  habe  die  Gehirnkrankheiten  nicht  besonders  angeführt,  denn  in 
Summa,  wenn  das  Gehör  intact  ist,  so  gibt  es  keinen  Vertigo 
a  u  r  a  1  i  s ;  wenn  aber  das  Gehör  nicht  intact  ist  und  eine  Ohraffection 
an  den  Gehirnaffectionen  theilnimmt,  so  haben  wir  uns  damit  nur  in¬ 
soweit  zu  beschäftigen,  als  der  Gehörnerv  betheiligt  ist.  Ein  Capitel 
von  Symptomen  „Pseudo-Meniere“,  umfassend  die  Schwindel  bei  Hysterie, 
Epilepsie  u.  s.  w.,  erscheint  mir  überflüssig. 

Die  Behandlung  der  Symptome  von  Meniöre  ist  diejenige  der 
verschiedenen  Ohrerkrankungen,  bei  welchen  die  Nervenendigungen 
entweder  durch  eine  materielle  Läsion  des  Labyrinthes,  oder  durch 
ein  secundäre  Compression,  oder  durch  Reflexwirkung  erregt  sind.  Im 
ersten,  zumeist  seltenen  Falle,  ist  eine  Allgemeinbehandlung  vor¬ 
herrschend,  während  bei  den  anderen  Fällen  die  ganze  Therapie  der 
Ohrerkrankungen  wirken  könnte.  In  der  Krise  sind  Ruhe  und  Anti- 
phlogose  angezeigt,  absolute  Ruhe  des  Körpers  und  des  Ohres,  Unter¬ 
drückung  psychischer  Erregungen  und  jeder  Aufregung  überhaupt; 
heftige  Geräusche  sind  zu  vermeiden;  strenges,  trockenes  Regime 
und  überhaupt  die  Enthaltung  alkoholischen  Getränkes  wird  von 
Nutzen  sein. 

Um  die  labyrinthische  Hyperästhesie  zu  beruhigen,  ist  das 
schwefelsaure  Chinin  in  nicht  hohen  Dosen  das  Medicament  der  Wahl; 
ferner  die  hypodermatischen  Injectionen  von  Pilocarpin  (Politzer, 
Lucae);  das  Mutterkorn  (Lucae),  ein  logischerWeise  angezeigtes  Medi¬ 
cament,  hat  sich  nicht  als  sehr  wirksam  erwiesen.  Besser  wirken  die 
Jodpräparate  wegen  Resorption  und  vom  ätiologischen  Standpunkte 
(Syphilis).  In  Beziehung  auf  den  neurasthenischen  Standpunkt  sind 
die  Brommittel  die  nützlichsten.  Für  alle  anderen  Fälle  ist  neben  einer 
Allgemeinbehandlung,  welche  der  Aetiologie  Rechnung  trägt,  die  locale 
Behandlung  vorauszuschicken,  und  sodann  wird  jede  Operation,  welche 
das  Labyrinth  vom  Drucke  befreit,  angezeigt  sein,  von  der  einfachsten 
Operation  der  Entfernung  eines  Ohrenschmalzpfropfes,  der  Luftdouche, 
der  Paracentese  des  Trommelfells  bis  zur  Punction  des  runden  Fensters. 
(B  o  t  e  y  und  Coz  zolino).  Dieselben  Grundsätze  der  Behandlung 
der  Ohrenkrankheiten  gelten  auch  hier:  man  muss  die  Nasenhöhle, 
den  Rachen  und  Kehlkopf  nicht  blos  vom  ätiologischen,  sondern  auch 
vom  Standpunkte  des  Reflexschwindels  besorgen.  Eine  vorspringende 
Scheidewand,  mittelmässig  hypertrophii'tes  gewundenes  Knochen¬ 
blättchen,  adenoide  Vegetationen,  wenn  sie  mit  Ohraffectionen  ver¬ 
bunden  sind,  erzeugen  zur  selben  Zeit  durch  Reflexschwindel  ein  Bild 
M  e  n  i  e  r  e’scher  Symptome,  welche  in  Wahrheit  diesen  Namen  nicht 
verdienen.  Von  der  Elektricität  habe  ich  niemals  ein  Resultat  gesehen; 
übrigens  verpflichtet  uns  die  Autorität  von  Politzer,  welcher  den 
grossen  Sympathicus  in  den  Fällen  der  angioneurotischen  Form  von 
Brunner  mit  Erfolg  galvanisirt  hat,  dies  von  Neuem  zu  versuchen. 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  26.  October  1900,  7  TJhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Csokor 
atattfindeDden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Pal :  Neue  Untersuchungen  über  die  Darmwirkung  von 
Opium  und  Morphin. 

2.  Discussion  über  den  Vortrag  des  Dr.  Robert  Kienböck:  Ueber 
die  Einwirkung  des  Itöntgen-Lichtes  auf  die  Haut.  (Zum  Worte  ge¬ 
meldet  Docent  Dr.  Schiff,  Dr.  Freund  und  Dr.  Holzknecht.) 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  43. 


„NÄHRSTOFF 

HEYDEN“ 
DAS  RESTE  UND 
NATÜRLICHSTE 
VERDAUUNG 
DEF0RDERNDE 
MITTEL. 

Litteratur ,  Proben  und  Gebrauchsanweisung 
kostenfrei  durch  Chemische  Fabrik  von  Heyden, 
Radebeul  bei  Dresden. 


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Cascarine  Leprlnee. 

*02  H,o  05. 


Pillen  und  Elixir. 


Das  »Cascarine«  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  Laffont,  Bulletin  de  l'Academie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Soci4te  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul ;  Dtijardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie;  Bibliotbbque  Charcot-Dshove,  Purgatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Thdrapeutique  clinique,  pag.  305;  Tison,  Höpital 
St. -Joseph  und  Congrfes  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ;  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

Seine  Wirkung  ist  regelmässig,  leicht  zu  erzielen,  ohne  Angewöhnung,  'aus¬ 
gezeichnet  bei  habitueller  Verstopfung  und  gegen  bacterielle  Proliferation  des  Rheuma¬ 
tismus  (Dr.  Roux)  bei  Typhus  abdominalis  etc. 

Dosirung:  2  Pillen  Abends  oder  bei  den  Mahlzeiten. 

(Je  nach  der  Wirkung  die  Dosis  verringern  oder  steigern.) 

Verkauf  in  allen  Apotheken.  Nur  in  Originalschachtel  ä  fl.  1.50. 

Um  Nachahmungen  zu  vermeiden,  verordne  man  gefl.  stets:  ,, Cascarine  Leprince“. 

Jede  Pille  trägt  obige  Aufschrift. 

General-Vertretung:  St.  Leonhards- Apotheke,  Basel. 

Probesendungen  an  die  Herren  Aerzte  gratis. 

Zur  gefl.  Beachtung  !  Zur  Vermeidung  der  zahlreichen,  unter  ähnlichen  Namen  und 
Verpackungen  vorkommenden  Nachahmungen,  bitten  wir  die  Herren  Aerzte  gefl. 
„Cascarine  Leprince“  verschreiben  zu  wollen.  (73) 


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Leber¬ 

beschwerde 


Antisepsis 

des 

Verdauungs- 

tractus 


Habituelle 

Verstopfung. 


Atonie  der 
Peristaltik. 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 
Lactation. 


Chole¬ 

lithiasis. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  43. 


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WILHELM  BRAUMÜLLER  in  WIEN  und  LEIPZIG 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler. 


Inhalt  der  früher  erschienenen  Hefte  I— VIII  der 


i. 

Vorwort  der  Redaction. 

FUCHS,  Dr.  R.  F.  (Prag).  —  Ueber  Todtenstarre  am  Herzen, 
Herztonus  und  funktionelle  musculäre  Insufficienz  der  Atrio- 
ventricularklappen. 

PICHLER,  A.(Prag).  Zur  Lehre  von  der  Sehnervenkreuzung 

im  Chiasma  des  Menschen.  —  Mit  2  Tafeln. 

v.  RITTER,  Dr.  G.  (Prag).  —  Zur  Kenntniss  der  cystischen 
Lymphangiome  im  Mesenterium  des  Menschen.  —  Mit  1  Tafel. 

LÖW,  Dr.  L.  (Wien).  —  Ueber  Bacterienbefunde  bei  Leichen. 

DÖRR,  Dr.  R.  (Wien).  —  Ein  Fall  von  Adenocarcinom  der  j 
Parotis.  —  Mit  1  Tafel. 

II. 

WALKO,  Dr.  K.  (Prag).  —  Ueber  das  Jodbindungsvermögen 
des  Harnes. 

WEINBERGER,  Dr.  M.  (Wien).  —  Ueber  die  Röntgeno- 
graphie  des  normalen  Mediastinum.  —  Mit  4  Tafeln  und 
2  Textabbildungen. 

PAL,  Dr.  J.  (Wien).  —  Ueber  die  Bedeutung  der  Herz¬ 
muskel  Veränderung  bei  der  Phosphorvergiftung. 

EISENMENGER,  Dr.  V.  (Wien).  —  Zur  Kenntniss  der 
Tuberculose  des  Herzmuskels. 

III. 

WANiTSCHEK,  Dr.  Emil  (Prag).  —  Ueber  einen  Fall 
von  Intestinum  accessorium  in  der  rechten  Beckenhälfte  eines 
16  Monate  alten  Mädchens  mit  selbstständiger  Ausmündung 
im  rechten  Labium  majus.  —  Mit  1  Tafel. 

T  UNKE,  Dr.  KARL  (Wien).  —  Studie  über  Hirndruck.  — 
Mit  6  Curvenabbildungen  im  Texte. 

v.  TÖRÖK,  Dr.  Guido  (Wien).  —  Experimentelle  Beiträge 
zur  Therapie  des  Tetanus. 

IV. 

MARCUS,  Dr.  Hugo  (Wien).  —  Ueber  Nervenzellenver¬ 
änderungen.  —  Mit  2  Chromotafeln. 

HAMMER,  Doc.  Dr.  Hans  (Brünn).  —  Erfahrungen  über 
die  Infection  bei  der  Tuberculose. 

STERNBERG,  Dr.  Karl  (Wien).  —  Beitrag  zur  Kenntniss 
der  sogenannten  Geschwülste  des  Nervus  acusticus.  —  Mit  1  Tafel. 


V. 

KRAUS,  Dr.  Emil  (Prag).  —  Ein  klinisch-experimenteller 
Beitrag  zur  Beeinflussung  der  Gruber- WidaTschen  Reaction 
durch  das  Blutserum  von  Pneumonikern. 

KRAUS,  Dr.  Emil  (Prag).  —  Ein  weiterer  Beitrag  zur  Klinik 
und  Therapie  des  Tetanus. 

KOLLICK  Anton,  SCHNEIDER  Karl  und  WOHL 
Willibald,  stud.  med.  (Prag).  —  Einige  Versuche  über 
das  Verhalten  der  Eigentemperatur  des  gesunden  und  des 
nicht  fiebernden  kranken  Menschen.  —  Mit  vier  Curven  im  Text. 

POSSELT,  Doc.  Dr.  Adolf  (Innsbruck).  —  Zur  patholo¬ 
gischen  Anatomie  des  Alveolarechinococcus.  —  Mit  Tafel  V — IX. 

VI. 

v.  TÖRÖK,  Dr.  Guido  (Wien).  —  Experi  mentelle  Beiträge 
zur  Therapie  des  Tetanus.  (Schluss.) 

HABERMANN,  Prof.  Dr.  J.  (Graz).  —  Ueber  Cholesteatom 
der  Stirnhöhle. 

VII. 

SAUTER,  Dr.  Rieh.  (Prag).  —  Ueber  Haematocele  pelvis 
bei  Hyperaemie  mechanica  universalis  und  ihre  Folgezustände. 

BARTEL,  Dr.  Jul.  (Wien).  —  Casuistische  Mittheilungen. 
(Mit  Tafel  VIII  u.  IX.) 

LUCKSCH,  Dr.  Franz  (Prag).  —  Ueber  einen  neuen  Fall 

von  weit  entwickeltem  Hermaphroditismus  spuriusmasc.  internus 
bei  einem  45jährigen  Individuum.  (Mit  Tafel  X.) 

SCHIRSCHOFF,  Dr.  D.  (Prag).  —  Ueber  Colpitis  nodularis 
sive  follicularis.  (Mit  Tafel  XI.) 

VIII. 

POSSELT,  Doc.  Dr.  Adolf  (Innsbruck).  —  Zur  patholo¬ 
gischen  Anatomie  des  Alveolarechinococcus.  (Fortsetzung  und 
Schluss.)  —  Mit  Tafel  V— IX. 

MÜNZER,  Doc.  Dr.  Egmont  (Prag).  —  Ueber  lang¬ 
dauernde  Fieberzustände  unklaren  Ursprunges.  (Mit  Tafel  X.) 

HÖDLMOSER,  Dr.  Karl  (Wien).  —  Ueber  die  Behandlung 
der  Tuberculose  mit  intravenösen  Zimmtsäureinjectionen. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
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XIII.  Jahrgang. 


Wien,  1.  November  1900. 


Nr.  44. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  der  III.  medicinisclien  Universitätsklinik.  Zur 
Diagnose  des  latenten  Oesopliagusearcinonis.  Von  Dr.  C.  Hödl- 
ino s er,  klinischem  Assistenten. 

2.  Aus  Hofrath  v.  Krafft-Ebing’s  Klinik  im  k.  k.  Allgemeinen 
Krankenhause  in  Wien.  Ueber  einen  Fall  von  posthemiplegisehem 
Intentionstremor.  Von  Dr.  Moriz  Infeld,  klinischem  Assistenten. 

3.  Aus  der  niederösterreichisehen  Landes-Irrenanstalt  zu  Ybbs.  Zur 
Behandlung  der  Epilepsie  mit  Bromipin.  Von  Dr,  Wilhelm 
Lorenz,  Secundararzt. 


II.  Referate:  Die  Aufgaben  des  Arztes  bei  der  Einweisung  Geisteskranker 

in  die  Irrenanstalt.  Von  Prof.  A.  Ho  che.  Ref.  Obersteiner.  — 
Handbuch  der  praktischen  Medicin.  Von  W.  Ebstein  und 
J.  Schwalbe.  I.  Zur  Diagnose  geschlossener  Lungentnberculose, 
der  Secundärinfection,  tuberculöser  und  syphilitischer  Phthise.  Von 
Dr.  Karl  Spengler.  II.  Wie  schütze  ich  mich  gegen  Tuber- 
culose?  Von  Dr.  med.  Th.  Sommerfeld.  Ref.  v.  Weismayr. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbcrichte. 


Aus  der  III.  medicinischen  Universitätsklinik. 

Zur  Diagnose  des  latenten  Qesophaguscarcinoms. 

Von  Dr.  €.  llödlmosei',  klinischem  Assistenten. 

Die  Diagnose  des  Oesophaguscarcinoms  gehört 
wohl  in  den  meisten  Fällen  zu  den  leichten,  wenn  nicht 
leichtesten,  welche  in  der  gesammten  Heilkunde  gestellt  werden 
können.  Denn  gewöhnlich  steht  im  Vordergründe  der  Erschei¬ 
nungen  die  langsam  zunehmende  Strictur  des  Oesophagus, 
welche  ganz  charakteristische  Erscheinungen  macht. 

»Es  ist  eine  Strictur  aus  den  subjectiven  Angaben  er¬ 
sichtlich  und  wird  durch  die  Untersuchung  mit  der  Sonde 
constatirt;  die  Strictur  ist  spontan  und  symptomlos  entstanden 
und  nimmt  continuirlich  zu;  die  Compression  des  Oesophagus 
durch  einen  Tumor  von  aussen  ist  ausgeschlossen;  das  Indi¬ 
viduum  -steht  in  jenem  Alter,  wo  das  Carcinom  häufig  zu 
sein  pflegt;  nächtliche  Schmerzen  an  der  Stelle  der  Strictur, 
zeitweise  übelriechendes  Aufstossen,  manchmal  leichte  Blutung 
aus  dem  Oesophagus  unterstützen  die  Diagnose  einigermassen. 
Selbst  am  Halstheil  bietet  das  Leiden  keine  anderen  Symptome; 
eine  Geschwulst  ist  nur  sehr  selten  nachzuweisen;  manchmal 
kann  eine  einseitige  Lähmung  des  eingeschlossenen  Recurrens 
vorhanden  sein«  (Albert,  Lehrbuch  der  Chirurgie). 

Wenn  nun  auch  in  den  meisten  Fällen  das  Oesophagus- 
carcinom  in  derartig  typischer  Weise  auftritt,  so  gibt  es  doch 
zweifellos  zahlreiche  Fälle  dieser  Krankheit,  in  denen  die 
Diagnose  auch  mit  Zuhilfenahme  noch  anderer  Merkmale 
sehr  schwierig  sein  kann. 

Es  möge  mir  gestattet  sein,  im  Folgenden  zwei  Fälle 
mitzutheilen,  welche  ich  an  der  III.  medicinischen  Klinik  be¬ 
obachtet  habe  und  die  in  mehrfacher  Hinsicht  bemerkens- 
werth  sind,  weil  in  beiden  das  Oesophaguscarcinom  derartig 
latent  verlief,  dass  die  Diagnose  erst  am  Secirtische  gestellt 
werden  konnte,  und  weil  beide  Fälle  durch  reichliche  Meta¬ 


stasenbildungen  in  den  verschiedensten  Organen  ausgezeichnet 
waren . 

Fall  I.  K.  K.,  56  Jahre  alt,  Schlossergehilfe.  Spitalsaufenthalt 
vom  5.  October  bis  20.  November  1899. 

Anamnese:  Der  Vater  des  Patienten  starb  an  einer  diesem 
unbekannten  Krankheit,  seine  Mutter  an  den  Folgen  eines  Schlag¬ 
anfalles,  neun  Geschwister  starben  in  den  verschiedensten  Lebens¬ 
altern;  die  Gattin  des  Patienten  lebt  und  ist  gesund;  drei  seiner 
Kinder  starben  an  Lungentuberculose.  Patient  kann  sich  nicht  an 
überstandene  Kinderkrankheiten  erinnern. 

Im  22.  Lebensjahre  will  er  eine  rechtsseitige  Rippenfell¬ 
entzündung  ftberstanden  haben,  an  welcher  er  vierzehn  Tage 
darniederlag;  vier  Jahre  später  recidivirte  angeblich  diese  Krankheit 
und  dauerte  damals  zwei  Monate.  Im  35.  Lebensjahre  erlitt  Pa¬ 
tient  durch  einen  Sturz  eine  Contusion,  deren  Heilung  30  Wochen 
beanspruchte.  Drei  Vierteljahre  später  stürzte  er  in  einen  Fluss 
und  acquirirte  in  Folge  dessen  eine  sechswöchentliche  tieberhalte 
Erkrankung;  dann  war  er  angeblich  gesund  bis  zu  seinem 
39.  Lebensjahre.  Damals  war  er,  nach  seinen  Angaben,  in  Folge 
des  reichlichen  Potus,  welchem  er  huldigte,  durch  mehrere  Wochen 
wegen  chronischem  Alkoholismus  bettlägerig.  Es  bestanden  häufige 
Delirien,  hochgradiger  Tremor,  Vomitus  matutinus;  die  Entziehung 
des  Alkohols  versetzte  den  Kranken  in  hochgradige  Aufregung. 
Bis  Juli  1899  fühlte  sich  dann  Patient  angeblich  wieder  voll¬ 
ständig  gesund.  Damals  soll  er  in  erhitztem  Zustande  kaltes 
Wasser  getrunken  haben,  worauf  sich  Halsschmerzen  und  Heiserkeit 
einstellten,  welch  letztere  angeblich  bis  heute  besteht.  Eine  Woche 
später  traten  Beschwerden  von  Seiten  des  Magens  auf,  welche  darin 
bestanden,  dass  der  Kranke  jedwede  Nahrung,  die  er  zu  sich  nahm, 
erbrach.  Auch  die  hierauf  eingeleitete  Milchdiät  änderte  nichts  an 
diesem  Zustande.  Ueberdies  traten  nach  jedweder  Nahrungsaufnahme 
die  heftigsten,  in  der  Magengegend  localisirten  Schmerzen  auf,  die 
auch  nach  dem  Erbrechen  noch  ein  bis  zwei  Stunden  dauerten. 
In  der  Zeit  zwischen  den  einzelnen  Mahlzeiten  hatte  Patient  keine 
Schmerzen.  Ferner  stellte  sich  bei  dem  Patienten  immer  kurze  Zeit 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


nach  den  Mahlzeiten  Aufstossen  von  übelriechenden  Gasen  ein. 
Bluterbrechen  bestand  nie. 

In  den  ersten  fünf  Wochen  der  Erkrankung  hatte  Patient 
täglich  normale  Stuhlentleerungen.  Später  wurden  sie  aber  un¬ 
regelmässig.  Patient  hatte  an  starkem  Meteorismus  zu  leiden  und 
die  Stuhlentleerungen  erfolgten  nur  auf  Einnahme  von  Laxantien. 

Patient  suchte  vor  fünf  Wochen  das  Ambulatorium  der 
III.  medicinischen  Klinik  auf,  woselbst  ihm  Decoct,  condurango, 
Menthol  und  Karlsbader  Salz  verschrieben  wurden.  Das  Erbrechen 
hörte  auf,  ebenso  die  Schmerzhaftigkeit  nach  der  Nahrungs¬ 
aufnahme,  jedoch  die  Obstipation  hielt  an. 

ln  den  letzten  Monaten  magerte  Patient  rapid  ab,  seit 
vorigem  Jahre  um  28  kg,  es  stellte  sich  auch  grosse  körperliche 
Schwäche  ein.  Potus  bis  zum  Jahre  1882  excessiv,  seitdem  massiger. 
Lues  negirt. 

Status  praesens:  Patient  befindet  sich  in  Rückenlage, 
sein  Sensorium  ist  frei;  Patient  ist  gross,  von  kräftigem  Knochen¬ 
bau,  schwächlicher  Musculatur,  fast  geschwundenem  Panniculus 
adiposus.  Gesichtsausdruck  leidend,  die  Farbe  der  äusseren  Haut¬ 
decken  und  sichtbaren  Schleimhäute  blass.  Kein  Ikterus,  keine 
Oedeme. 

Temperatur  36-7°,  Puls  64,  Respiration  22. 

Am  Kopfe  nichts  Abnormes  sichtbar,  Pupillen  gleich  weit, 
Reaction  prompt. 

Hals  lang,  schmal,  zeigt  keine  Struma,  und  keine  abnorme 
Pulsation. 

In  der  rechten  Fossa  supraclavicularis  eine  bohnengrosse, 
derbe  Drüse.  Sonst  nirgends  Drüsenschwellung. 

Thorax  von  normaler  Configuration,  Intercostalräume  beider¬ 
seits  eingesunken,  Athmung  beiderseits  gleichmässig. 

Die  Percussion  ergibt  über  den  Lungen  hellen  Schall, 
nur  über  der  rechten  Fossa  supraclavicularis  und  der  rechten 
Fossa  supraspinata  leicht  verkürzten  Schall.  Rechts  hinten  besteht 
auch  vom  Angulus  scapulae  nach  abwärts  leichte  Schallverkürzung. 
Gute  respiratorische  Verschieblichkeit  der  Lungenränder.  Die  j 
Percussion  des  Herzens  ergibt  gleichfalls  normale  Verhältnisse;  bei 
der  Auscultation  hört  man  über  beiden  Fossae  supra-  und 
infraclaviculares  vesiculäres  Athmen  mit  leisem  Pfeifen  und  mittel¬ 
grossblasigen  consonirenden  Rasselgeräuschen  im  In-  und  Exspirium, 
ebenso  beiderseits  über  der  Fossa  supra-  und  infraspinata,  hinten 
unten  etwas  verschärftes  Vesiculärathmen,  über  den  übrigen  Lungen¬ 
partien  reines  Vesiculärathmen.  Herztöne  rein. 

Abdomen  im  Bereiche  des  linken  Hypochondriums  und 
der  linken  Hälfte  des  Epigastriums  weich  und  eindrückbar,  daselbst 
keinerlei  Resistenz  nachweisbar.  Im  Bereiche  des  rechten  Hypo¬ 
chondriums  besteht  eine  gleichmässige  Resistenz.  Dieselbe  ist  von 
glatter  Oberfläche,  weich-elastisch  und  lässt  sich  nach  unten 
ziemlich  gut  abgrenzen.  Sie  hat  daselbst  einen  ziemlich  derben, 
nicht  scharfen  Rand,  der  in  der  rechten  Mamillarlinie  zwei  Quer¬ 
finger  oberhalb  der  Spina  anterior  superior  gelegen  ist  und  von  hier 
in  einem  nach  unten  leicht  convexen  Bogen  unter  dem  Nabel 
nach  links  und  dann  aufwärts  zieht,  sich  jedoch  links  von  der 
Medianlinie  nicht  scharf  abgrenzen  lässt;  die  Resistenz  erstreckt 
sich  nach  oben  unter  den  rechten  Rippenbogen. 

Die  Percussion  der  Leber,  deren  obere  Grenze  an  der  sechsten 
Rippe  gelegen  ist,  ergibt  die  gleichen  Verhältnisse.  Beim  Beklopfen 
des  Abdomens  hört  man  Plätschergeräusche  in  einem  zwischen 
Mittellinie  und  linken  Rippenbogen  gelegenen  Bezirke,  der  nach 
abwärts  bis  ungefähr  einen  Querfinger  unter  die  Nabelhöhe  reicht. 

Die  Milz  ist  weder  für  die  percutorische  noch  für  die 
palpatorische  Untersuchung  vergrössert. 

Harn:  Menge  unter  dem  Normalen,  er  enthält  keine  abnormen 
Bestandtheile. 

8.  October.  Verabreichung  eines  E  w  a  1  d’schen  Probefrüh¬ 
stückes:  Es  werden  180cm:i  einer  mit  grösseren  unverdauten 
Semmelbrocken  untermengten  Flüssigkeit  von  gelblicher  Farbe  mit 
etwas  Schleim  vermischt,  ausgehebert.  Darin  fehlen  freie  Salzsäure 
und  Milchsäure.  Die  Aufblähung  des  Magens  mit  Luft  ergab 
Folgendes: 

Es  wird  die  untere  Magengrenze  deutlich  sicht-  und  fühlbar 
als  eine  nach  unten  convexe  Linie,  die  in  der  rechten  Mamillarlinie 
beginnt,  ihre  Kuppe  drei  Querfinger  unterhalb  des  Nabels  erreicht 
und  im  Bogen  zum  linken  Rippenbogen  zieht.  In  der  Mitte 


zwischen  Processus  xiphoides  und  Nabel  wird  die  kleine  Curvatur 
als  eine  nach  oben  concave  Linie  sichtbar.  Die  Percussion  des 
Magens  bestätigt  dieses  Resultat. 

Kehlkopfbefund:  Das  linke  Stimmband  vibrirt  wohl 
bei  der  Phonation  stark,  ohne  jedoch  seine  Lage  zu  ändern;  die 
Stimme  ist  leise,  fast  aphonisch. 

Rectum  frei. 

Therapie:  symptomatisch. 

9.  October.  Neuerliche  Ausheberung,  zunächst  am 
nüchternen  Magen  mit  negativem  Ergebnisse;  in  der  nach  dem 
Probefrühstücke  ausgeheberten  Flüssigkeit  wieder  Fehlen  der  Salz¬ 
säure  und  Milchsäure.  Gesammtacididät  29. 

Auch  bei  mehreren  späterhin  vorgenommenen  Magenunter¬ 
suchungen  wurde  mit  Ausnahme  eines  einzigen  Males  das  Fehlen 
der  freien  Salzsäure  constatirt. 

Aus  dem  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  ist  Folgendes 
zu  erwähnen:  Patient,  welcher  bei  seiner  Aufnahme  über  intensive 
Schmerzen  in  der  linken  Thoraxseite  klagte,  begann  später  starke 
Schmerzen  in  der  rechten  unteren  Thoraxseite  zu  verspüren, 
welche  besonders  des  Nachts  sehr  heftig  waren.  Die  Schmerzen 
wurden  immer  intensiver  und  waren  auch  durch  Narcotica  nur  in 
geringer  Weise  zu  mildern.  In  der  letzten  Zeit  seines  Lebens 
fieberte  der  Kranke  in  geringer  Weise,  das  Fieber  war  nicht 
irgendwie  charakteristisch.  Von  Mitte  November  stellte  sich 
intensive  Schmerzhaftigkeit  des  Abdomens,  verbunden  mit  hoch¬ 
gradiger  meteoristischer  Auftreibung  desselben  ein.  Es  trat  Retentio 
urinae  hinzu,  so  dass  Patient  katheterisirt  werden  musste. 

Am  14.  November  wurde  folgender  Status  der 
Abdominalorgane  erhoben :  Unterleib  vom  Nabel  an  nach 
abwärts  aufgetrieben.  Abdomen  besonders  in  der  rechten  Seite 
druckempfindlich. 

Die  früher  beschriebene  Resistenz  in  der  rechten  Abdominal¬ 
seite  wegen  hochgradiger  Schmerzhaftigkeit  nicht  zu  palpiren,  der 
percutorische  Befund  der  Leber  ziemlich  unverändert.  Die  Milz- 
dämpfung  beginnt  an  der  siebenten  Rippe  und  reicht  bis  zum 
Rippenbogen.  Magen  nach  den  Resultaten  der  Percussion  er¬ 
weitert. 

Im  Anfänge  der  Erkrankung  bestand  bei  dem  Patienten 
leichte  Diarrhöe,  die  später  mit  heftigem  Tenesmus  verbunden 
war;  in  den  letzten  Tagen  hatte  er  starke  Obstipation. 

Ueber  Schlingbeschwerden  hatte  Patient  nie  im  Geringsten 
geklagt. 

Er  magerte  während  seines  Aufenthaltes  an  der  Klinik 
ziemlich  bedeutend  ab  (von  53  %  auf  48  %).  Die  Recurrensparalyse 
hielt  an.  Ebenso  bestand  bis  zum  Tode  die  Schmerzhaftigkeit  des 
Abdomens  und  der  Meteorismus,  ohne  dass  über  dem  Abdomen 
eine  neue  circumscripte  Dämpfung  oder  Resistenz  aufgetreten  wäre. 
Am  20.  November  1899  Exitus  letalis. 

Sectionsbefund  (Prof.  Weichselbaum): 

Körper  gross,  kräftig  gebaut,  stark  abgemagert,  Unterleib 
aufgetrieben,  in  der  Bauchhöhle  eine  grössere  Menge  serös-fibrinösen 
und  eiterigen  Exsudates. 

Die  Lungen  allenthalben  lufthaltig.  In  der  Bursa  omentalis 
eine  grössere  Menge  einer  eiterigen  Flüssigkeit  angesammelt. 

Am  Beginne  des  unteren  Drittels  des  Oesophagus  ein  fast 
die  ganze  Peripherie  desselben  einnehmender,  nahezu  vollständig 
ulcerirter,  circa  8  cm  langer  Knoten,  der  aus  einem  sehr  weichen, 
grauweissen,  saftreichen  Gewebe  besteht.  Oberhalb  desselben  be¬ 
finden  sich  mehrere  kleine,  theils  ebenfalls  ulcerirte,  theils  durch 
die  Schleimhaut  durchschimmernde,  aus  dem  gleichem  Gewebe  be¬ 
stehende  Knoten,  ferner  finden  sich  auch  zwischen  Oesophagus 
und  Trachea  mehrere  bis  haselnussgrosse,  zumeist  den  Lymph- 
drüsen  entsprechende,  aus  dem  gleichen  Gewebe  bestehende  Knoten, 
durch  welche  der  linke  Nervus  recurrens  comprimirt  erscheint.  Am 
Uebergange  des  Oesophagus  in  die  Cardia  findet  sich  ein  ebenfalls 
grösstentheils  ulcerirter  Knoten,  dessen  Durchmesser  aber  etwas 
kleiner  ist  als  der  des  früher  erwähnten  Knotens. 

An  den  in  der  Cardia  sitzenden  Knoten  schliessen  sich  in 
der  Bursa  omentalis  zahlreiche,  den  Lymphdrüsen  entsprechende 
und  aus  dem  gleichen  Gewebe  bestehende  Knoten  an,  welche  in 
der  Nähe  des  ulcerirten  Oesophagusknotens  ebenfalls  stark  erweicht 
erscheinen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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In  der  Leber  finden  sich  zahlreiche  verstreute,  theils 
grössere,  theils  kleinere,  aus  demselben  Neoplasmagewebe  be¬ 
stehende  Tumoren,  ferner  sind  einzelne  kleinere  Tumoren  in  beiden 
Nieren  vorhanden. 

Anatomische  Diagnose:  Ulcerirendes  Carcinom  am 
unteren  Drittel  des  Oesophagus,  metastatischer  Krebsknoten  an  der 
Cardia  mit  Ulceration,  Metastasen  in  den  benachbarten  Lymph- 
drüsen,  sowie  in  der  oberen  Hälfte  des  Oesophagus,  in  einzelnen 
Halslymphdrüsen,  sowie  in  den  Nieren.  Allgemeine  acute  Peritonitis 
und  beiderseitige  Pleuritis. 

Fall  II.  M.  H.,  50  Jahre  alte  Fleischhauersgattin,  in  Spitals¬ 
behandlung  vom  2.  Juli  bis  7.  Juli  1900. 

Anamnese:  Vater  der  Patientin  angeblich  in  hohem  Alter 
an  Gelbsucht  gestorben,  Mutter  an  den  Folgen  eines  Ulcus  cruris. 
Eine  Schwester  der  Patientin  soll  lungenleidend  sein. 

Patientin  selbst  soll  bis  vor  fünf  Jahren  angeblich  immer 
gesund  gewesen  sein.  Damals  begann  ihre  Erkrankung  nach  einer 
Verkühlung  mit  starken  rheumatischen  Schmerzen  im  Kopfe, 
Beklemmungsgefühl  auf  der  Brust  und  leichter  Athemnoth;  bald 
darauf  gesellten  sich  Apetitlosigkeit  und  Stuhlverstopfung  hinzu. 
Der  Zustand  besserte  sich  nicht,  es  trat  im  Gegentheile  in  den 
darauffolgenden  Jahren  Abmagerung  hinzu,  welche  besonders  in  den 
letzten  Jahren  sich  steigerte. 

Seit  circa  drei  Wochen  verspürt  Patientin  grosse  Schmerzen, 
sowohl  spontan  als  auch  auf  Druck  im  linken  Theile  der  Hals¬ 
wirbelsäule,  so  dass  die  Kranke  den  Kopf  nicht  drehen  kann. 

Vor  14  Tagen  will  sie  ein  eigenthümliches  Kältegefühl  in 
der  linken  Wange  beobachtet  haben  und  seit  damals  merkte  sie, 
dass  ihre  Zunge  sehr  an  Beweglichkeit  eingebüsst  habe,  was  ihr 
beim  Essen  und  Sprechen  sehr  lästig  wurde. 

Erbrochen  hat  Patientin  nie,  auch  nicht  gehustet,  Oedeme 
bestanden  nie. 

Patientin  wurde  mit  15  Jahren  menstruirt,  seitdem  vier¬ 
wöchentlich  regelmässig.  Menopause  vor  einem  Jahre.  Patientin  hat 
neunmal  geboren,  nie  abortirt.  Potus  und  Lues  negirt. 

Status  praesens:  Patientin  ist  von  mittlerer  Statur, 
gracilem  Knöchenbau,  spärlich  entwickelter  Musculatur  und  fast 
fehlendem  Panniculus  adiposus.  Farbe  der  äusseren  Haut¬ 
decken  und  sichtbaren  Schleimhäute  etwas  blass,  kein  Ikterus, 
keine  Oedeme. 

Temperatur  36'9°,  Puls  62,  Respiration  20. 

Am  Kopfe  äusserlich  nichts  Abnormes  sichtbar,  die  Zunge 
weicht  beim  Vorstrecken  deutlich  und  constant  nach  links  ab,  die 
Sprache  hat  einen  etwas  lallenden  Charakter,  der  Kauact  soll  nach 
den  Angaben  der  Patientin  etwas  behindert  sein,  jedoch  ist  beim 
Schlucken  der  Patientin  nichts  Abnormes  zu  sehen. 

Hals  kurz,  schmal,  zeigt  keine  abnorme  Pulsation,  keine 
Drüsenschwellung,  keine  Struma.  Der  Kopf  wird  leicht  nach  rechts 
gebeugt  gehalten.  Die  Beweglichkeit  der  Halswirbelsäule  ist  sehr 
eingeschränkt,  die  Gegend  des  vierten  Halswirbels  bei  Druck  von 
der  linken  Seite  sehr  schmerzhaft. 

Thorax  normal  configurirt,  Athmung  beiderseits  gleich- 
massig. 

Bei  der  Percussion  findet  man  über  der  rechten  Lungen¬ 
spitze  leicht  verkürzten  Percussionsschall,  ebenso  geringe  Ver¬ 
kürzung  über  der  linken  Spitze,  im  übrigen  normalen  Lungenschall. 

Herzdämpfung  ist  innerhalb  der  normalen  Grenzen. 

Die  Auscultation  ergibt  vesiculäres  Athmen  und  normale  Herz¬ 
töne.  Pulsqualitäten  normal. 

Abdomen  im  Niveau  des  Thorax,  zeigt  im  Epigastrium 
eine  deutliche,  bei  der  Atlnnung  auf  und  abgehende  Vorwölbung. 
Die  Leberdämpfung  beginnt  an  der  sechsten  Rippe  und  reicht  in 
der  vorderen  Axillarlinie  bis  zur  Spina  ossis  ilei,  in  der  Mamillar- 
linie  bis  zwei  Querfinger  unter  den  Nabel,  von  dort  zieht  die 
Dämpfungsgrenze,  im  Bogen  aufsteigend,  durch  den  Nabel  zum 
linken  Rippenbogen.  Mit  dieser  Percussionsgrenze  stimmt  auch  der 
Palpationsbefund  überein. 

Die  Leber  fühlt  sich  grobhöckerig  und  derb  an,  ihr  Rand 
ist  sehr  hart,  dick  und  ziemlich  stumpf.  Besonders  höckerig  und 
hart  ist  die  Leber  in  der  Gegend  des  Epigastriums,  welche  der 
früher  erwähnten  Vorwölbung  entspricht.  Weder  der  Leberrand 
noch  die  einzelnen  Höcker  sind  druckempfindlich.  Die  Milz  ist 


percutorisch  etwas  vergrössert,  jedoch  nicht  palpabel.  Kein 
Meteorismus,  jedoch  besteht  Ascites. 

Bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  complete 
linksseitige  Recurrenslähmung. 

Genitale,  Rectum  frei. 

Im  Harne  keine  abnormen  Bestandteile. 

Decursus:  Es  wurde  der  Patientin  zunächst  eine  Stütz- 
cravatte  am  Halse  applicirt,  da  die  Schmerzhaftigkeit  in  der  llals- 
wirbelsäule  an  Knochenmetastasen  denken  liess. 

Patientin  befand  sich  relativ  wohl,  bis  in  der  Nacht  vom 
5.  auf  den  6.  Juli  starke  Aufregungszustände,  Incontinentia  alvi  et 
urinae  bei  ihr  eintraten,  worauf  sie  am  6.  Morgens  soporös  wurde 
und  intensive  Pulsbeschleunigung  und  Fiebersteigerung  sich  bei  ihr 
einstellten. 

Der  Zustand  hielt  in  dieser  Weise  an,  es  trat  starke 
Pupillenverengerung  und  Ungleichheit  derselben  ein,  Patientin  zeigte 
beständige  Unruhe  in  ihren  Extremitäten  und  am  ( .  Juli  Morgens 
trat  Exitus  letalis  ein,  nachdem  noch  Ikterus  und  starke 
Durchfälle  sich  hinzugesellt  hatten. 

Sectionsbefund  (Dr.  L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r  *): 

In  der  Höhe  der  Bifurcation  der  Trachea  sind  in  die 
Oesophagusschleimhaut  auf  der  rechten  Seite  flache  Geschwulst¬ 
knoten  eingelagert;  an  einem  derselben  findet  sich  eine  kraterförmige 
Vertiefung,  durch  Exulceration  des  Tumors  entstanden,  in  deren 
Grund,  mit  dem  Tumor  verwachsen,  eine  derbe,  schwielige,  anthra- 
kotische  Lymphdrüse. 

Im  rechten  Femur  der  ganzen  Länge  nach  zahlreiche 
Carcinomknoten,  ferner  Metastasen  in  mehreren  Halswirbelkörpern, 
sowie  in  der  Pars  condyloidea  sinistra»’  des  Hinterhauptbeines  mit 
Destruction  des  Nervus  hypoglossus,  Compression  des  lechts- 
seitigen  Nervus  recurrens  durch  einen  grossen  Lymphdrüsentumoi. 

Anatomische  Diagnose:  Metastasen  in  dei  Lebei, 
Carcinom  des  Oesophagus  in  der  Höhe  der  Bifuration  der  Tiachea, 
den  Schädel-  und  Extremitätenknochen,  den  regionären  Lymphdrüsen. 
Compression  der  Gallenwege  durch  carcinomatöse  Lymphdrüsen, 
Ikterus,  acute  Enteritis  des  Dickdarmes,  obsolete  J  ubereulose  der 
Lungenspitzen  und  bronchialen  Lymphdrüsen,  Metritis,  I  olyp  des 
Uterus. 

Ich  will  mich  zunächst  mit  dem  ersten  dieser  beiden 

TTullp  VipcspVi £i fti crpn 

Wir  haben  es  mit  einem  Manne  zu  thun,  bei  welchem 
es  unter  den  allgemeinen  Erscheinungen  eines  malignen 
Neoplasmas  zum  Exitus  kommt.  .  _ 

Seine  intensive  Abmagerung,  sein  intensiver  Kräftevertall 
wiesen,  da  alle  sonstigen  Ursachen  dafür  fehlten,  unbedingt 
auf  eine  bösartige  Neubildung  hin.  Die  dominirenden  Local¬ 
symptome  in  seiner  Erkrankuug  deuteten  aut  den  Gastio-in- 

fpcfm  q  ltrAPtnci 

Es  bestanden  lebhafte  Schmerzen  in  der  Magengegend 
nach  der  Nahrungsaufnahme,  Patient  erbrach  jedwede  Nahrung, 
er  hatte  Aufstossen  übelriechender  Gase.  Das  Erbrechen  liess 
zwar  später  nach,  aber  es  stellte  sich  intensive  Schmerzhaftig¬ 
keit  in  der  rechten  Abdominalseite  ein,  es  liess  sich  eine  v  er- 
grösserung  der  Leber  mit  Knotenbildung  constatiren,  wie  sie 
bei  Metastasirung  eines  Neoplasmas  in  die  Leber  vorkommt, 
und  es  trat  schliesslich  diffuse  Peritonitis  auf.  Die  wiederholt 
vorgenommene  genaue  chemische  Magenuntersuchung  ciga  >  mit 
Ausnahme  eines  einzigen  Males  das  hehlen  freier  balzsäure, 
jedoch  auch  das  Fehlen  von  Milchsäure.  Auch  liess  sich  ein 
geringer  Grad  von  Magendilatation  nach  weisen. 

Es  waren  nun  aber  auch  Erscheinungen  von  Seiten  des 
Darmes  vorhanden,  nämlich  Unregelmässigkeiten  der  Stuhlent¬ 
leerung  sehr  hohen  Grades,  welche  auch  an  die  Möglichkeit 
eines  Darmneoplasmas  denken  lassen  mussten,  umsomehr,  als 
constant  in  der  rechten  Abdominalseite  die  intensivsten 
Schmerzen  bestanden  und  schliesslich  diffuse  Peritonitis 

dazutrat.  . 

Dagegen  wies  durchaus  keine  Angabe  des  Patienten 

auf  das  Bestehen  eines  Oesophaguscarcinoms  hin,  wes¬ 
halb  auch  das  Sondiren  des  Oesophagus  unterlassen  wurde. 
Patientin  machte  absolut  keine  Mittheilungen  über  bchlmg- 

*)  Herrn  Dr.  L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r  sage  ich  an  dieser  Stelle  für  die 
nähere  Beschreibung  meinen  besten  Dank. 


1010 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


besclnverden.  Die  einzigen  Zeichen,  die  möglicher  Weise  auf 
die  richtige  Diagnose,  respective  die  genaue  Untersuchung  des 
Oesophagus  hätten  führen  können,  waren  die  Recurrens- 
lähmung  und  das  Bestehen  einer  vergrösserten, 
derben  Lymph  drüse  in  der  rechten  Supraclavicular- 
grube. 

Mit  Rücksicht  auf  die  früher  erwähnten  Symptome  wurde 
die  Diagnose  auf  ein  nicht  mit  Sicherheit  zu  localisirendes 
Neoplasma  des  Magen-Darmcanales  gestellt,  das  die  diffuse 
Peritonitis  im  Gefolge  hatte.  Die  Berechtigung  dieser  Diagnose 
namentlich  in  Hinsicht  auf  die  Recurrenslähmung  und  die  eine 
vergrösserte  Halsdrüse  werde  ich  später  besprechen. 

Im  zweiten  Falle  hatten  wir  es  mit  einer  Frau  zu 
tlnin,  welche  auch  unter  unbestimmten  Magen-Darmsymptomen 
erkrankte,  gleichfalls  rapid  abmagerte  und  bei  der  schliesslich 
Symptome  hinzutraten,  welche  auf  Metastasenbildungen  eines 
in  Folge  der  Abmagerung  wahrscheinlichen  primären  Neo- 
plasmas  hinwiesen.  Es  waren  das  nämlich  ihre  Angaben,  dass 
ihre  Zunge  weniger  beweglich  geworden  sei,  dass  sie  Schmerzen 
auf  der  linken  Seite  der  Halswirbelsäule  empfinde  und  den 
Kopf  nicht  drehen  könne. 

Bei  der  Untersuchung  der  Patientin  zeigte  sich  auch  eine 
stark  vergrösserte,  höckerige  Leber,  es  bestand  keine  Drüsen¬ 
schwellung  am  Halse,  dagegen  linksseitige  Hypoglossus-  und 
rechtsseitige  Recurrenslähmung. 

Der  Kopf  der  Patientin  war  in  Folge  Schmerzhaftigkeit 
der  Halswirbelsäule  fast  unbeweglich  und  der  Hals  auf  der 
linken  Seite  bei  Druck  gegen  die  Wirbelsäule  sehr  schmerz¬ 
haft.  Patientin  hatte  anamnestisch  nie  die  geringsten 
Schlingbeschwerden  angegeben,  so  dass  gar  nichts  auf 
eine  Oesophaguserkrankung  hinwies,  ausser  ihrer 
rechtsseitigen  Recurren  slähmun  g.  Trotzdem  dachten 
wir  in  diesem  Falle  an  die  Möglichkeit  eines  Oeso- 
phaguscarcinoras,  eben  mit  Rücksicht  auf  den  ersterwähnten 
Fall  und  mit  Rücksicht  auf  die  Recurrenslähmung.  Das  Bou- 
giren  des  Oesophagus  war  aber  im  Falle  II  absolut  contra- 
indicirt,  da  Metastasen  in  der  Halswirbelsäule,  und  dies  mit 
Recht,  vermuthet  wurden.  Evident  waren  in  dem  Falle  die 
malignen  Tumoren  in  der  Leber  und  es  wurde,  da  eben  kein 
anderer  primärer  Herd  zu  finden  war,  die  Vermuthungsdiagnose 
eines  primären  Lebercarcinoms  gestellt. 

Die  Thatsache,  dass  Oesophaguscarcinomc 
latent  verlaufen,  oder  durch  längere  Zeit  ganz  verborgen, 
dann  gleichsam  acut  Beschwerden  erzeugen  können,  ist  ja 
nicht  unbekannt.  Mein  Chef,  Prof.  v.  Schrotte r,  erzählt 
diesbezüglich  den  bemerkenswert!) en  Fall  eines  Patienten,  der 
wegen  am  Tage  vorher  plötzlich  aufgetretener  Schlingbe¬ 
schwerden  das  Ambulatorium  aufsuchte.  An  einen  Fremdkörper 
zu  denken,  war,  da  vorher  nie  irgend  welche  Störungen  be¬ 
standen  haben  sollen,  das  Naheliegendste.  Thatsächlich  wurde 
damals  von  Juffinger  ein  »Fremdkörper«  in  Form 
eines  Fleischklumpens  aus  dem  Oesophagus  zu  Tage  gefördert; 
die  Untersuchung  desselben  aber  ergab,  dass  es  sich  um  ein 
C  a  r  c  i  n  o  m  handelte. 

Im  Jahre  1898  sprach  im  Kölner  ärztlichen  Vereine 
Leichtenstern1)  zusammenfassend  überden  »latenten« 
Oesophagus  krebs.  Er  betont,  dass  die  völlige  Latenz  des 
Oesophaguskrebses  (Fehlen  aller  Schlingbeschwerden  und  eines 
Sondirungshindernisses)  nicht  so  selten  ist,  als  man  allgemein 
anzunehmen  scheint.  Nach  Leichtenstern  kann  der  Oeso- 
phaguskrebs  noch  symptomlos,  d.  h.  ohne  Schlingbeschwerden 
verlaufen,  wenn  das  Carcinom,  gleichgiltig,  wie  gross  seine 
Längenausdehnung  ist,  noch  einen  kleinen,  etwa  1  cm  breiten 
Streifen  der  Peripherie  der  Oesophagusschleimhaut  frei  lässt, 
so  dass  durch  diesen  schmalen,  aber  dehnbaren  Canal  die 
Nahrungsmittel  ungehindert  passiren  können.  Anders  sei  es 
dagegen,  wenn  die  ganze  Peripherie  des  Rohres  ergriffen  sei. 

In  dem  ersten  unserer  Fälle  nahm  das  Carcinom  wohl 
fast  die  ganze  Peripherie  des  Oesophagus  ein,  war  aber  dabei 
in  seinem  ganzen  Umfange  exulcerirt,  und  exulcerirte  vielleicht 
schon  sehr  frühzeitig,  so  dass  es  kein  Passagehinderniss  für 
die  Ingesta  abgab.  Zu  erwähnen  ist  dabei  allerdings  noch,  dass 
Patient  während  seines  ganzen  Spitalsaufenthaltes  in  Folge 


seiner  Magenbeschwerden  nur  flüssige  Nahrung  zu  sich  nahm 
und  wohl  auch  dadurch  eventuelle  Schlingbeschwerden  maskirt 
wurden. 

Im  zweiten  Falle  hatte  der  Tumor  keine  derartig  grosse 
Ausdehnung  in  der  Circumferenz  des  Oesophagus,  daher  auch 
keine  wesentlichen  Schlingbeschwerden  zur  Folge. 

Wenn  nun  also  mit  Rücksicht  auf  das  Cardinalsym- 
p  t  o  m,  die  Schlingbeschwerden,  in  beiden  Fällen  das 
Oesophaguscarcinom  ein  latentes  bleiben  musste,  so  ist 
andererseits  die  Frage  zu  erörtern,  ob  es  möglich  gewesen 
wäre,  aus  anderen  begleitenden  Symptomen  die  richtige  Diagnose 
eines  Oesophaguscarcinoms  zu  stellen.  Zweifellos  ist  die  ein¬ 
seitige  Recur  rensläh  m  u  n  g  eine  ziemlich  häufige  Begleit¬ 
erscheinung  des  Carcinoms  der  Speiseröhre,  sei  es,  dass  die 
Compression  des  Recurrens  durch  den  Tumor  selbst,  oder  aber 
durch  metastatische  Drüsen  im  Mediastinum  hervorgerufen 
wird.  Das  letztere  geschah  bei  unseren  beiden  Kranken. 

Die  Recurrenslähmung  kann  beim  Carcinom  des  Oeso¬ 
phagus  mitunter  sogar  eine  der  ersten  Erscheinungen  sein,  so 
dass  die  Erkrankung  zunächst  als  laryngeale  aufgefasst  werden 
könnte.  Mitunter  sind  in  vorgeschrittenen  Fällen  beide  Nervi 
recurrentes  vom  Oesophaguscarcinom  ergriffen,  wie  es  schon 
ein  Fall  zeigt,  den  v.  Sc  hr  öfter2)  in  seinem  Lchrbuche  der 
Kehlkopfkrankheiten  erwähnt  und  abbildet. 

Weiters  wäre  von  Wichtigkeit,  dass  in  dem  ersten 
unserer  Fälle  eine  wenn  auch  geringe  D  r  ü  s  e  n  s  c  h  w  e  1 1  u  n  g 
am  Halse  bestand,  wobei  die  geschwollene  Drüse  ziemlich 
derb  war. 

v.  Hacker3)  berichtet  über  einen, Fall,  in  welchem  aus 
dem  Vorhandensein  einer  ähnlich  beschaffenen  Drüse  in  der 
linken  Fossa  supraclavicularis  von  ihm  die  Diagnose  auf 
Carcinom  des  Oesophagus  gestellt  wurde,  trotzdem  zuvor  mit 
der  Sonde  niemals  ein  Hinderniss  gefunden  worden  war. 

Es  ist  ja  auch  begreiflich,  dass  sich  im  Gefolge  eines 
Oesophaguscarcinoms  relativ  leicht  metastatische  Drüscnschwel- 
lungen  am  Halse  etabliren  können. 

Die  Recurr  enslähmung  war  nun  allerdings  in  beiden 
Fällen  sehr  auffallend.  Jedoch  waren  in  beiden  Fällen  so  mul¬ 
tiple  anderweitige  Krankheitsherde  vorhanden,  dass  eine  Re¬ 
currenslähmung  umsomehr  an  Merkwürdigkeit 
verlor,  als  man  weiss,  dass  ja  auch  bei  anderweitigen  Car- 
cinomen  Metastasen  in  den  mediastinalen  Drüsen  Vorkommen 
können. 

Im  heurigen  Frühjahre  wurde  auf  unserer  Klinik  ein 
Fall  beobachtet,  in  welchem  sich  im  vorderen  Mediastinum 
ein  Drüsentumor  entwickelte,  der  rasch  wachsend  in  die  Trachea 
perforirte  und  der  als  einzige  Metastase  nach  einem  drei 
Jahre  vorher  total  exstirpirten  U  teruscarcinom  auftrat, 
während  auch  in  loco  nicht  das  geringste  Recidiv  aufgetreten 
war.  Auch  bei  Magencarcinomen  wurden  Metastasen  im 
Mediastinum  gefunden,  für  welche  seltenen  Fälle  Strauss4) 
in  letzter  Zeit  Beispiele  angibt. 

Allerdings  dachten  wir,  wie  erwähnt,  im  zweiten  Falle, 
belehrt  durch  den  ersten,  an  die  Möglichkeit  eines  Oesophagus¬ 
carcinoms,  jedoch  musste  die  Sondirung  wegen  angenommenen 
Knochenmetastasen  in  der  Halswirbelsäule  unterbleiben. 

Auch  konnte  gerade  in  diesem  Falle  die  Recurrenslähmung 
central  aufgefasst  werden,  da  auch  einseitige  Hypoglossus- 
lähmung  vorhanden  und  die  Möglichkeit  von  Metastasen  im 
Gehirne  nicht  auszuschliessen  war. 

Ebenso  konnte  im  Falle  I  der  vergrösserten  llals- 
drüse  kein  besonderer  Werth  beigelegt  werden,  da 
von  Seiten  der  anderen  Organe  so  vielfache  Erscheinungen 
Vorlagen,  und  gerade  auch  bei  Magencarcinomen  nach  Er¬ 
fahrungen  der  letzten  Jahre  Vergrösserungen  der  Halsdrüsen 
Vorkommen,  wenn  reichliche  Metastasen  in  den  peritonealen 
Drüsen  bestehen. 

Das  Aufstossen  übelriechender  Gase  bei  dem  ersten 
Patienten  war  gleichfalls  nicht  zu  verwerthen,  da  ja  die  Mög¬ 
lichkeit  eines  Neoplasmas  im  Magen  oder  einem  anderen  Darm- 
theile  bestand,  während  im  zweiten  Falle  überhaupt  kein 
Symptom,  weder  in  der  Anamnese,  noch  bei  der  Untersuchung 
der  Patientin  mit  einem  Oesophaguscarcinom  in  Zusammenhang 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  19UO. 


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o-ebracht  werden  konnte,  ausser  der  schon  besprochenen  Ke- 
currensläbmung. 

Diese  Fälle  mögen  neuerlich  dazu  beitragen,  auf  die 
Wichtigkeit  der  Recur renslähmung  für  die  Diagnose 
eines  Oesophaguscarcinoms  trotz  ihres  Vorkommens  auch  bei 
anderen  Erkrankungen  hinzuweisen,  sowie  die  Nothwendigkeit 
demonstriren,  im  Falle  eines  nicht  mit  Sicherheit  zu  diagnosti- 
cirenden  Neoplasmas  trotz  Fehlens  der  Cardinalsym- 
ptomean  die  Möglichkeit  eines  malignen  Neo- 
plasmas  des  Oesophagus  zu  denken. 

Die  beiden  Fälle  sind  aber  auch  neuerlich  geeignet,  die 
Wichtigkeit  der  Oesophagoskopie  zu  beleuchten. 

v.  Hacker 5)  betont,  dass  sowohl  beim  Carcinom  des 
Oesophagus,  als  auch  bei  dem  der  Cardia  die  Oesophago¬ 
skopie  für  die  Diagnose  und  auch  die  Therapie  von  grösster 
Wichtigkeit  seien,  da  gerade  die  erstere  Krankheit  oft 
keine  bestimmten  subjectiven  Beschwerden  macht  und  auch 
bei  der  objectiven  Untersuchung  mit  der  Sonde  in  vielen 
Fällen  kein  Hinderniss  gefunden  wird.  Man  hätte  in  beiden 
von  mir  angeführten  Fällen  durch  die  Oesophagoskopie  den 
Tumor  des  Oesophagus  finden  müssen. 

Im  ersten  Falle  wurde  jedoch  an  die  Möglichkeit  eines 
Oesophaguscarcinoms  nicht  gedacht,  im  zweiten  Falle  zwar  die 
Möglichkeit  eines  solchen  in  Erörterung  gezogen,  die  ösophago- 
skopische  Untersuchung  jedoch,  ebenso  wie  die  Sondirung  in 
Foljre  der  angenommenen  Wirbelmetastasen  unterlassen. 

Es  wäre  also  in  Fällen,  in  denen  wir  Metastasen  eines 
nirgends  mit  Sicherheit  zu  localisirenden  primären  Tumors 
vermuthen,  als  letztes  diagnostisch  es  Hilfsmittel  die 
Oesophagoskopie  indicirt,  vorausgesetzt,  dass  sie  nicht 
durch  Umstände,  wie  sie  in  unserem  zweiten  Falle  Vorlagen, 
contrain dicirt  ist. 

Betreffs  des  zweiten  unserer  Fälle  möchte  ich  noch  her¬ 
vorheben,  dass  sich  die  C  a  r  c  i  n  o  m  b  i  1  d  u  n  g  an  einer 
Stelle  des  Oesophagus  vollzogen  hatte,  welche  mit  einer 
darunter  befindlichen  derben,  ausgeheilten  tuber- 
culösen  Lymphdrüse  verwachsen  war.  Es  bildete 
diese  verwachsene  Stelle  offenbar  einen  Locus  minoris  resi- 
stentiae  für  die  Entwicklung  des  Carcinoms. 

Tuberculose  und  Speiseröhrenkrebs  kommen  nicht  so 
selten  neben  einander  vor.  Lotheissen6)  citirt  mehrere 
Fälle  (Cordua,  Pepper  und  E  d  s a  1 1)  dieser  Art.  Besonders 
der  Fall  von  Pepper7)  und  Erdsall  ist  bemerkenswert!], 
indem  sich  bei  einem  Patienten,  welcher  auch  Lungen-  und 
Kehlkopftuberculose  hatte,  eine  Oesophagusstenose  einstellte. 
Es  wurde  Gastrostomie  gemacht  und  nach  dem  Tode  des 
Patienten  zeigte  es  sich,  dass  der  Oesophagus  durch  ein  starres 
Band  comprimirt  war,  welches  histologisch  Tuberculose  und 
Krebs  aufwies. 

Möglicher  Weise  wird  durch  die  überstandene  Tuber¬ 
culose  ein  prädisponirendes  Moment  für  die  Entwick¬ 
lung  des  Carcinoms  geschaffen.  Es  bestanden  ja  auch  bei  un¬ 
serer  Patientin  verschiedene  andere  Zeichen  einer  abgelaufenen 
Tuberculose. 

Endlich  wäre  noch  im  zweiten  Falle  die  Reichlich¬ 
keit  der  öl  e  t  a  s  t  a  s  e  n  hervorzuheben,  welche  nicht  nur 
in  den  regionären  Lymphdrüsen  und  der  Leber,  sondern  auch 
in  den  langen  Röhrenknochen  und  im  linken  Processus  con- 
dyloideus  des  Schädels  vorhanden  waren,  ein  Vorkommniss, 
das  zweifellos  gleichfalls  für  das  Oesophaguscarcinom  als  selten 
bezeichnet  werden  muss. 

Am  Schlüsse  erlaube  ich  mir,  meinem  hochverehrten 
Chef,  Herrn  Hofratli  v.  Schrötter,  für  die  gütige  Ueber- 
lassung  der  Fälle  zur  Publication  meinen  besten  Dank  zu 
sagen. 

Literatu  r. 

')  Leichtenstern,  Ueber  den  latenten  Oesophaguskrebs.  Mün¬ 
chener  medicinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  34. 

2)  v.  Schrötter,  Vorlesungen  über  die  Krankheiten  des  Kehlkopfes. 

3)  v.  Hacker,  citirt  nach  Lotheissen,  Carcinom  des  Oeso¬ 
phagus.  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie.  Lieferung  7. 

4)  Strauss,  Ueber  Eiter  im  Magen.  Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  XXXVI,  40. 


■’)  v.  Hacker,  Die  Oesophagoskopie  bei  Krebs  der  Speiseröhre  und 
des  Mageneinganges.  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  XX,  pag.  274. 

6)  L  o  t  h  e  i  s  s  e  n,  siehe * 2  3). 

")  Pepper  und  E  d  s  a  1 1,  Tubercul.  occlusion  of  the  oesophagus, 
with  partial  cancerous  infiltration.  Citirt  nach:  Centralblatt  für  allgemeine 
Pathologie  und  pathologische  Anatomie.  Bd.  VIII,  pag.  919. 


Aus  Hofrath  v.  Krafft  Ebing’s  Klinik  im  k.  k.  Allgemeinen 

Krankenhause  in  Wien. 

Ueber  einen  Fall  von  posthemiplegischem 
Intentionstremor. 

Von  Dr.  Moriz  Infeld,  klinischem  Assistenten. 

Im  engsten  klinischen  Zusammenhang  steht  der 
Intentionstremor  wohl  mit  der  multiplen  Sklerose; 
dass  er  aber  auch  bei  andern  Zuständen  angetroffen  wird,  ist 
bekannt.  Es  gibt  deren  verschiedene,  vererbte  und  erworbene, 
ohne  bekannte  anatomische  Grundlage  und  mit  einer  solchen, 
Processe  von  vergleichsweise  bedeutender  und  von  sehr  ge¬ 
ringer  Ausdehnung,  Zustände  also  von  mannigfacher  Art,  so 
dass  eine  Zusammenstellung  kaum  auf  Vollständigkeit  Anspruch 
erheben  darf.  So  kommt,  von  der  Hysterie1)  abgesehen, 
Intentionstremor  zunächst  bei  hereditär-familiären  Erkrankungen 
vor,  bei  der  F  riedreicb’schen  Krankheit2),  die  mit 
der  multiplen  Sklerose  noch  andere  Merkmale  gemein  hat, 
und  als  mehr  oder  weniger  vereinzeltes  Krankheitszeichen, 
sozusagen  als  essentieller  hereditärer  Tremor 
sowohl  jugendlicher3)  als  älterer4)  Individuen.  Auch  ohne  das 
hereditär-familiäre  Moment  kann  so  wie  anderes  Zittern  auch 
das  intentionelle  ohne  andere  belangreiche  Krankheitszeichen 
habituell  sein 5).  Auch  bei  der  Paralysis  agitans6),  die 

')  Hysterischer  Intentionstremor  scheint  selten  zu  sein;  ich  habe  ihn 
nur  einmal,  bei  einem  jungen  Manne,  deutlich  gesehen. 

2)  J.  M.  Charcot,  Poliklinische  Vorträge.  1887/88.  Deutsch  von 
S.  Freud.  1894,  Bd.  I,  pag.  298.  Uebersicht  der  Tremorarten.  P.  M  a  r  i  e, 
Lemons.  1892,  pag.  386,  und  andere  Lehrbücher. 

3)  A.  N  a  g  y,  Ueber  hereditären  juvenilen  Tremor.  Neurologisches 
Centralblatt.  1890,  Nr.  18,  pag.  557. 

4)  G  r  a  u  p  n  e  r,  Ueber  hereditären  Tremor.  Deutsches  Archiv  für 
klinische  Medicin.  1899,  Bd.  LX1V,  pag.  466. 

’’)  So  kenne  ich  einen  66jährigen  Mann,  der  sein  Zittern  zuerst  mit 
18  Jahren  —  er  wurde  damals  Gasarbeiter,  wobei  er  schwer  zu  arbeiten 
und  mit  Blei  zu  thun  hatte  —  bemerkte;  es  war  damals  auf  den  rechten 
Arm  beschränkt,  nahm  dann  an  Stärke  und  Ausbreitung  immer  mehr  zu; 
seit  etwa  zwölf  Jahren  ist  auch  der  linke  Arm  ergriffen;  seit  etwa  zwei 
Jahren  bemerkt  die  Frau,  dass  im  Bette  auch  die  Fiisse  zittern,  ebenso 
lange  ungefähr  ist  der  Kopf  betheiligt,  seit  mehreren  Jahren  zittere  er  auch 
im  Schlaf.  —  Patient  zittert  mit  den  Händen,  rechts  j>  links;  das  Zittern, 
welches  in  der  Häufigkeit  der  Paralysis  agitans  entspricht,  besteht  haupt¬ 
sächlich  aus  Pro-  und  Supinationsbewegungen  im  Handgelenk,  gelegentlich 
Beuge-  und  Streckbewegungen  desselben,  in  geringem  Masse  nehmen  die 
Vorderarme,  selten  die  Finger  daran  theil,  die  Oberarme  sind  frei.  Auf  den 
Oberschenkeln  liegend  zittern  die  Hände  nicht,  höchstens  sehr  selten  und 
ganz  geringfügig,  wenn  er  sie  aber  frei  hält,  tritt  regelmässig  ein  mehr 
oder  weniger  beträchtliches  Zittein  ein;  mit  jeder  Erregung  nimmt  es  be¬ 
deutend  zu,  ergreift  häufig  auch  den  Kopf;  schon  die  Hinlenkung  der  Auf¬ 
merksamkeit  genügt  dazu;  noch  grösser  ist  die  steigernde  Wirkung  von 
Zielbewegungen  (Finger-Nasenversuch)  und  Manipulationen  (Zuknöpfen, 
Essen  und  Aehnliehes);  es  kommt  dabei  zu  einem  ganz  ausgesprochenen 
starken  Intentionstremor,  der  nach  Erreichung  des  Zieles  andauert;  bei 
starkem  Händedruck  hört  das  Zittern  theils  auf,  theils  wird  es  wenigstens 
nicht  stärker,  hingegen  geräth  dabei  der  Kopf  ins  Zittern;  nach  Angabe 
der  Frau  scheint  starke  Muskelanstrengung  im  allgemeinen  das  Zittern  zu 
steigern.  Gestenartige  Bewegungen  geschehen  —  sicher  links  —  ohne 
Zittern.  Dynamometer  beiderseits  bis  gegen  15,  kein  Rigor,  höchstens  rechts 
hie  und  da  eine  Spur;  niemals  eine  Andeutung  von  Verfehlung  des  Zieles, 
auch  nicht  bei  geschlossenen  Augen,  Knie-Fersenversuch  ohne  Ataxie.  Stehen 
und  Gehen  normal.  Patient  ist  leicht  vornübergebeugt,  keine  Pro-  oder 
Retropulsion,  Bewegungen  nicht  auffallend  langsam.  Patient  läuft  ganz  gut, 
die  wenigen  mimischen  Bewegungen  geschehen  ganz  prompt;  kein 
Nystagmus,  keinerlei  Störung  der  Sprache,  der  Sensibilität  (siehe  unten), 
Augenhintergrund  normal,  Hirnnervengebiet  ohne  Störung,  Sphinkteren 
normal  functionirend;  tiefe  Reflexe  der  oberen  Extremitäten  und  Achilles- 
sebnenreflex  nicht  auslösbar,  Patellarsehnenreflex  unsicher  zu  beurtheilen, 
scheint  schwach  vorhanden  zu  sein,  Cremaster-  und  Sohlenrefiex  vorhanden. 

In  der  Familie,  soviel  Patient  weiss,  keine  ähnliche  Erkrankung.  Die  zahl¬ 
reichen  Graviditäten  der  Frau  endeten  alle  mit  Todtgeburten,  die  ersten 
vorzeitig.  Seit  seinem  30.  Jahre  regelmässig  Schcapsgenuss;  von  jeher 
reizbar,  rührselig,  seit  fünf  Jahren  zunehmende  Gedächtnisschwäche,  seit 
zwei  .Jahren  schlechter  Schlaf.  In  den  letzten  Jahren  Schmerzen  und 
Schwellungen  der  unteren  Extremitäten,  Schmerzen  in  den  Schultern;  seit 


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mit  der  multiplen  Sklerose  bei  aller  Verschiedenheit  in  ge¬ 
wissen  wesentlichen  Eigenschaften  übereinstimmt,  kann  deut¬ 
licher  Intentionstrcmor  zur  Erscheinung  kommen.  Gelegentlich 
findet  er  sich  bei  chronischen  ausgebreiteten  anatomischen 
Processen,  bei  diffuser  Hirnsklerose  und  bei  pro¬ 
gressiver  Paralyse.  Auch  eine  Vergiftung  gebt  mit 
jenem  Merkmal  einher,  bekanntlich  die  chronische 
Quecksilbervergiftung* * * * 6 7).  Doch  tritt  er  auch  bei 
acuten  Krankheiten  beziehungsweise  in  ihrem  Gefolge 
auf,  bei  Polioencephalitis  haem.  sup. 8),  nach  Scarlatina  und 
Varicellen  9).  —  Haben  diese  Krankheiten  zu  einem  grossen 
Theile  mit  der  multiplen  Sklerose  die  Fähigkeit  gemein,  das 
Nervensystem  in  mehr  oder  weniger  ausgedehnter  Weise  zu 
ergreifen,  so  ist  dies  doch,  wie  bereits  angedeutet,  für  die 
Entstehung  des  Intentionstremors  durchaus  nicht  erforderlich, 
er  kommt  vielmehr  auch  bei  Herderkrankungen  vor;  solche 
sind  in  der  Mehrzahl  H  i  r  n  g  e  s  c  h  w  ii  1  s  t  e  l0),  deren  Sitz  im 
Grossen  und  Ganzen  die  Gegend  des  Hirnstammes  (siebe 
unten)  ist:  jedoch  auch  bei  cerebraler  Kinderlähmung 
und  bei  gewöhnlicher  auf  Blutung  beziehungsweise  Er¬ 
weichung  zurückzuführender  cerebraler  Hemiplegie  Er¬ 
wachsener  war  —  auch  in  Fällen  meiner  Beobachtung  — 
unverkennbarer  Intentionstremor  festzustellen.  Eine  Beob¬ 
achtung  dieser  Art  gestatte  ich  mir,  im  Folgenden  mit- 
zutheilen. 

F.  T.,  40jähriger  Pfründner.  Vater  erhängte  sich  im  Säufer¬ 
wahnsinn;  Mutter  starb  »gieht« -krank.  Seit  etwa  dem  15.  Lebens¬ 
jahre  trank  Patient  erhebliche  Mengen  Bier,  bis  5 1  täglich  und 
darüber,  später  auch  jahrelang  Schnaps,  Thee  mit  Rum.  Etwa 
mit  18  Jahren  Sturz  auf  den  Kopf,  hernach  öfters  Kopfschmerzen, 
sonst  will  Patient  in  jenem  Alter  stets  gesund  gewesen  sein.  Bei 
mehreren  Raufhändeln,  die  durch  seine  Trunksucht  veranlasst 
waren,  erhielt  er  Schläge  auf  den  Kopf,  im  Jahre  1886  (oder 
Anfangs  1887)  einen  Messerstisch  links  in  die  Scheitelgegend.  Die 
nächste  Folge  dieser  Verletzung  war  ausser  dem  Blutverlust  nur 
eine  etwa  einstündige  Bewusstlossigkeit  gewesen,  die  Heilung  der 
Wunde  dauerte  etwa  drei  Wochen,  doch  litt  er  seither  öfters  an 
Sausen  im  Kopfe  und  linkseitigen  Kopfschmerzen.  Nach  einigen 
Jahren  erlitt  Patient  an  derselben  Stelle  wieder  Hiebe,  worauf  er 
nur  vorübergehend  Schwindel  hatte.  —  Keine  gewerbliche  Vergiftung, 
auch  sonst  keinerlei  Erkrankung. 

Frühjahr  1889  bekam  Patient  ohne  ihm  bekannte  nächste 
Ursache  heftige  Kopfschmerzen,  die  von  der  Stelle  der  Verletzung 
ausgingen,  sich  über  den  ganzen  Kopf  verbreiteten,  mit  Erbrechen 
einhergingen,  das  von  der  Nahrungsaufnahme  unabhängig  war, 

einem  Jahre  häufigeres  Harnlassen.  Objectiv  Albuminurie,  Arterien  massig 

rigid.  Beiderseits  am  fünften  Finger  das  zweite  Glied  klein  und  missgestaltet, 

so  dass  das  Endglied  radialwärts  abgeknickt  erscheint  (Bildungsfehler).  — 

Vermuthlich  sind  ähnliche  Fälle  auch  anderweitig  bekannt. 

6)  D.  Gerhardt  hat  dem  Gegenstände  eine  interessante  Studie 
gewidmet  (Ueber  das  Zittern  bei  Paralysis  agitans.  Deutsche  Zeitschrift  für 
Nervenheilkunde.  1897,  Bd.  IX,  pag.  309)  Kürzlich  hat  J.  P.  Kar  plus, 
(Ueber  Störungen  der  cutanen  S ensibilität  bei  Morbus  Parkinsoni.  Jahrbücher 
für  Psychiatrie  und  Neurologie.  1900,  Bd.  XIX,  Beobachtung  1)  einen  Fall 
mit  Zunehmen  des  Zitterns  bei  Hantirungen  beschrieben;  ich  konnte  in 
einigen  Fällen  beobachten,  wie  das  an  sich  ziemlich  unbeträchtliche  Zittern 
bei  Zielbewegungen  stärker  wurde  und  ganz  das  Aussehen  eines  gewöhn¬ 
lichen  Intentionstremors  annahm. 

")  Nach  Strümpell  (Lehrbuch,  siehe  unter  Quecksilbervergiftung 
und  Multiple  Sklerose)  oft,  nach  Leu  be  (Specielle  Diagnostik.  1893, 
Bd.  II,  pag.  148)  zuweilen,  nach  Gowers  (Handbuch,  deutsche  Ueber- 
setzung.  1892,  Bd.  III.  pag.  336)  im  Anfang  der  Erkrankung.  Ich  habe 
bei  einer  Reihe  von  Leuten,  die  gewerblich  mit  Quecksilber  zu  thun  haben, 
meist  Hutmachern,  starkes,  bei  beabsichtigten  Bewegungen  auftretendes 
Zittern  ganz  von  der  Art  des  bei  der  multiplen  Sklerose  gewöhnlichen  als 
mehr  oder  weniger  vereinzeltes  Krankheitszeichen  gesehen;  kürzlich  hat 
Erben  (Sitzung  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  am  1.  Juni  1900. 
Referat  siehe  :  Wiener  klinische  Wochenschrift.  Nr.  23)  von  hieher  ge¬ 
hörigen  Beobachtungen  Mittheilung  gemacht. 

8)  Siehe  H.  Oppenheim,  Die  Encephalitis.  Nothnagel’s  Handbuch. 
Bd.  IX,  II.  Theil,  pag.  39. 

a)  L.  Bruns  beobachtete  dies  in  Fällen  von  acuter  Ataxie  nach 
jenen  Infectionskrankheiten  (Zur  Differentialdiagnose  zwischen  den  Tumoren 
der  Vierhügel  und  des  Kleinhirns.  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nerven¬ 
krankheiten  1894,  Bd.  XXVI,  Heft  2,  pag.  311,  beziehungsweise  Neurologi¬ 
sches  Centralblatt.  1894,  pag.  47). 

10)  Bezüglich  der  Literatur  sei  auf  H.  Oppenheim  (Die  Ge¬ 
schwülste  des  Gehirns.  Nothnagel’s  Handbuch.  1897,  Bd.  IX,  II.  Theil)  ver¬ 
wiesen,  der  dem  Intentionstremor  besondere  Aufmerksamkeit  schenkt. 


jedes  Mal  Stunden  lang  anhielt.  Als  diese  Beschwerden  acht  Tage 
gedauert  hatten,  bemerkte  er  eines  Morgens,  dass  er  die  Extremi¬ 
täten  der  rechten  Seite  nicht  bewegen  könne,  der  Speichel  floss 
ihm  rechts  zum  Munde  heraus,  auch  die  Aussprache  war  erschwert; 
das  Bewusstsein  war  nicht  ganz  klar,  öfters  Zungenbisse  und  un¬ 
freiwilliger  Harnabgang;  zugleich  rechts  schlechteres  Sehen.  Nach 
Monaten  wurde  der  Kopfschmerz  und  das  Erbrechen  schwächer 
und  seltener,  allmälig  besserte  sich  auch  die  Sehstörung  und  die 
Lähmung,  die  sich  mit  Steifigkeit  verband;  nach  etwa  zwei  Jahren 
stellten  sich  in  den  gelähmten  Gliedern  unwillkürliche  Bewegungen 
ein,  in  den  Fingern  stärker  als  in  den  Zehen,  jeweils  von  sehr  ver¬ 
schiedener  Stärke. 

Patient  war  viel  in  Spitälern.  Der  Krankengeschichte  einer 
Abtheilung,  wo  er  im  Februar  und  März  1892  war  und  als 
Tumor  cerebri  geführt  wurde,  sind  folgende  Angaben  entnommen: 
Kräftig,  gut  genährt,  Puls  60,  Temperatur  normal.  Zeitweilig  komme 
ihm  dickliche  Flüssigkeit  aus  der  Nase,  darnach  fühle  er  sich 
leichter  im  Kopfe.  Pupillen  mittelweit,  gleich,  prompt  reagirend, 
Augenbewegungen  frei;  Patient  sieht  jetzt  beiderseits  gleich  gut. 
Ophthalmoskopischer  Befund  (Professor  Königstein)  negativ, 
keine  Spur  einer  früheren  Stauungspapille.  Sensibilität  und  Motilität 
im  Gesichte  frei,  ln  der  linken  Scheitelgegend  eine  mit  dem 
Knochen  verwachsene  Narbe.  Die  Finger  der  rechten  Hand  zeigen 
/  athetotische  Bewegungen.  Bei  Bewegungsimpulsen  starke  Ataxie, 

I  jedoch  nur  rechts.  Die  Muskelkraft  deutlich  geringer.  Das  rechte 
Bein  ebenfalls  schwächer,  mit  Ataxie,  sehr  gesteigertem  Patellar- 
sehnenreflex  und  deutlichem  Fussklonus,  der  Fuss  in  spastischer 
Spitzfussstellung;  Gang  rechts  spastisch-paretisch.  In  den  übrigen 
Organen  nichts  Abnormes.  2.  März.  Klagt  über  Krämpfe  in  der 
rechten  oberen  Extremität.  3.  März.  Leichter  Tremor  in  den  unteren 
Extremitäten. 

Am  5.  Juni  1895  wurde  Patient  von  der  Polizei  der 
psychiatrischen  Klinik  übergeben.  Er  war  wegen  eines  Diebstahls 
verhaftet  worden;  deprimirt,  könne  sich  der  Einzelheiten  aus  der 
letzten  Zeit  nicht  erinnern,  sei  ganze  Nächte  herumgewandert, 
habe  viel  Schnaps  getrunken;  Klagen  über  Schmerzen  in  den 
kranken  Gliedern.  (Der  Befund,  den  ich  damals  aufnahm,  stimmt 
mit  dem  späteren  wesentlich  überein  und  sei  deshalb  nur  auszugsweise 
wiedergegeben.)  Seit  etwa  zwei  Jahren  vertrage  er  geistige  Getränke 
nicht  mehr  gut,  seit  acht  Monaten  nehme  die  Intoleranz  zu.  Seit  etwa 
acht  Wochen  seien  die  unwillkürlichen  Bewegungen  in  der  rechten 
unteren  Extremität  geschwunden. 

Am  linken  Scheitelbein  befindet  sich,  3  cm  von  der  Pfeilnaht 
entfernt  und  dieser  parallel,  eine  etwa  4  cm  lange  Narbe,  die  auf 
einer  Strecke  von  2  cm  Länge,  etwa  der  Frontalebene  des  hinteren 
Ohrmuschelansatzes  entsprechend,  mit  dem  Knochen  verwachsen 
ist;  in  ihrer  Nähe  sind  mehrere  grössere  und  kleinere  Haut¬ 
narben;  die  Narben  sind  stark  druckempfindlich,  am  stärksten  die 
fixirte.  Im  Uebrigen  ist  die  Kopfpercussion  links  nur  mässig 
schmerzhaft.  Patient  ist  sehr  vergesslich  und  reizbar. 

Rechts  Anosmie.  In  der  Ruhe  ist  die  rechte  Nasolabialfurche 
mehr  verstrichen;  die  isolirte  Bewegung  des  rechten  Mundwinkels 
etwas  weniger  kräftig  als  links.  Rechts  Ageusie  an  der  vorderen 
Zungenhälfte.  Keine  Schlingstörung.  Die  Zunge  zeigt  links  einige 
belegte  Bissstellen.  Patient  behauptet,  rechts  nicht  zu  kauen,  weil 
er  die  Bissen  rechts  nicht  so  gut  wegbringen  könne  wie  links.  Die 
Sensibilität  der  ganzen  rechten  Körperhälfte  gleichmässig  für  Be¬ 
rührung  und  Temperatur  herabgesetzt;  hingegen  besteht  Ueber- 
empfmdlichkeit  für  Nadelstiche;  Grenze  in  der  Mittellinie,  beziehungs¬ 
weise  1 — 2  cm  rechts  davon.  Die  Hautreflexe  rechts  theils  un¬ 
deutlich,  theils  fehlend. 

Obere  Extremitäten:  Links  normale  Verhältnisse.  Rechts  die 
motorische  Kraft  bedeutend  herabgesetzt,  die  activen  Bewegungen 
ungeschickter,  langsamer  als  links;  bei  passiven  Bewegungen  eine 
Spur  von  Rigor.  Patient  hält  die  rechte  obere  Extremität  immer 
unterstützt,  sonst  treten  in  den  Fingern,  weniger,  aber  sicher  auch 
in  den  grossen  Gelenken  unfreiwillige,  ziemlich  langsame  Be¬ 
wegungen  von  mässiger  Excursion  und  wechselnder  Richtung  auf; 
sie  stören  die  willkürlichen  und  schieben  sich  auch  in  passive  Be¬ 
wegungen  ein.  Stereognose  rechts  grob  gestört,  so  dass  der  Kranke  auch 
grosse  Gegenstände,  z.  B.  ein  Taschenmesser,  nicht  erkennt,  nicht 
einmal  weiss,  ob  er  sie  noch  in  der  Hand  hält;  Empfindung 
passiver  Bewegungen  für  die  Finger  vollständig  aufgehoben,  für  die 


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grossen  Gelenke  in  proximalwärts  abnehmendem  Grade  herabgesetzt, 
Lagevorstellung  bedeutend  gestört.  Bei  allen  intendirten  Bewegungen 
rechts  hochgradigste  Ataxie,  nach  Erreichung  des  Zieles  noch  durch 
einige  Zeit  unwillkürliche  Fingerbewegungen. 

Patient  richtet  sich  etwas  schwer  aus  der  liegenden  und  aus 
der  vornübergebeugten  Stellung  frei  auf.  Der  Kranke  berichtet  von 
zeitweiligem  Harnträufeln,  das  er  nicht  unterdrücken  könne. 

Untere  Extremitäten:  Links  normale  Verhältnisse.  Rechts  die 
motorische  Kraft  bedeutend  herabgesetzt;  kein  Rigor.  Bei  activen 
Bewegungen  Ausfahren;  deutlichste  Ataxie,  wenn  Patient  die  rechte, 
grosse  Zehe  einem  Ziele  zuführen  soll,  ebenso  beim  Knie-Fersenversuch, 
Gelenkssensibilität  für  passive  Bewegungen  der  Zehen  aufgehoben 
für  solche  der  übrigen  Gelenke  herabgesetzt.  Rechts  Patellarklonus, 
lebhafter  Adductorensehnenreflex,  Fussklonus,  dieser  tritt  auch  bei 
passiven  Bewegungen  und  auf  Hautreize  (Streichen  über  die 
Sohle)  ein. 

fm  Laufe  der  nächsten  Jahre  wurde  Patient  wiederholt  der 
psychiatrischen  Klinik  übergeben,  theils  nach  gerichtsärztlicher 
Untersuchung,  die  durch  Taschendiebstähle,  Betrügereien  veranlasst 
worden  war,  theils  wegen  Ausschreitungen  in  der  Trunkenheit, 
zuletzt  (zum  siebentenmal)  am  21.  April  1900.  Der  Kranke  wurde 
mit  Alcoholismus  chronicus  und  Demenz  der  Irren-,  beziehungs¬ 
weise  der  Versorgungsanstalt  zugeführt. 

6.  Mai  1900.  Gut  gebaut  und  genährt.  Auf  der  Brust  und 
an  beiden  oberen  Extremitäten  Tätowirungen.  Innere  Organe 
normal.  Im  linken  Ellbogengelenk  Reiben.  Links  Leistenhernie. 
Am  Schädel  entspricht  der  oben  beschriebenen  Narbe,  die  wenig 
verschieblich  ist,  eine  leichte  Knochenvertiefung;  die  Narbe  ist 
nicht  mehr  empfindlich;  auch  der  Schädel  nirgends  klopf¬ 
empfindlich.  —  Geringe  Intelligenz. 

Geruch  beiderseits  gleich,  Geschmack  wird  als  rechts 
schwächer  angegeben.  Es  bestehen  die  Symptome  einer  beginnenden 
Affection  des  schallempfindenden  Apparates  (Ohrenklinik).  Beider¬ 
seits  normaler  Fundus,  volle  Sehschärfe.  Vielleicht  die  laterale 
Papillenhälfte  etwas  abgeblasst  (I.  Augenklinik).  Gesichtsfeld  nicht 
eingeschränkt.  Pupillen:  rechts  <(  links,  mittelweit;  reflectorisch,  ac- 
commodativ  und  sympathisch  gut  reagirend.  Bulbusbewegungen  frei, 
ohne  Zittern.  Quintusgebiet  frei  (vielleicht  geringe  Abstumpfung  der 
Sensibilität  in  der  rechten  Gesichtshälfte),  Masseterreflex  beiderseits 
gleich.  Gesichtsbewegungen  ohne  groben  Ausfall,  die  rechte  untere 
Gesichtshälfte  bleibt  bei  einzelnen  Bewegungen,  (Zähnezeigen, 
Lachen)  kaum  merkbar  zurück.  Die  Zunge  wird  gerade  vorgestreckt 
und  gut  bewegt,  im  Munde  ruhig  liegend  ist  sie  rechts 
etwas  höher  als  links;  Patient  ist  beim  Essen  zwar  nicht  mehr 
gestört,  empfindet  aber  einen  nicht  genau  anzugebenden  Unter¬ 
schied  zwischen  der  linken  und  rechten  Seite.  Sprache  ungestört. 
Kopfbewegungen  frei  und  beiderseits  gleich. 

Obere  Extremitäten:  Schulterhebung,  sowohl  die  willkürliche 
als  die  respiratorische,  beiderseits  gleich,  ebenso  die  Rückwärts- 
drängung  der  Schultern  und  die  Adduction  der  Arme;  deutliche 
Parese  hingegen  bei  der  Hebung  des  rechten  Arms,  geringer 
Unterschied  bei  der  Auswärtsrollung;  sonst  sind  die  Bewegungen 
im  Schulter-,  sowie  die  im  Ellbogengelenke  frei.  Merkbarer  Unter¬ 
schied  zu  Ungunsten  der  rechten  Seite  bei  der  Dorsal-  und  Volar¬ 
flexion  der  Hand  und  mehr  oder  weniger  bei  allen  Fingerbewegungen, 
jedoch  ohne  gänzlichen  Ausfall,  am  Daumen  weniger  als  an  den 
andern  Fingern.  Die  Empfindung  passiver  Bewegungen  ist  für  das 
Schulter-  und  Ellbogengelenk  nicht  nachweisbar  gestört,  sie  ist 
rechts  deutlich  schwächer  fürs  Handgelenk  und  hochgradig  gestört 
für  die  Finger,  weniger  für  den  Daumen.  Auch  'bei  der  Unter¬ 
suchung  der  Lagevorstellung  ergibt  sich  für  die  rechte  Seite  deut¬ 
licher  Ausfall.  Links  tadelloses  stereognostisches  Vermögen,  rechts 
fehlt  es  fast  vollständig.  Dynamometerdruck  rechts  9 — 17,  links 
bis  34  hg.  — An  den  Fingern  sind  unwillkürliche,  athetoseähnliche 
Bewegungen  zu  sehen:  sie  erfolgen  in  den  Grundgelenken,  die 
Zwischengelenke  sind  unbetheiligt,  der  Daumen  vielleicht  weniger 
betlieiligt  als  die  anderen  Finger;  im  Handgelenke  nur  sehr  selten 
eine  solche  Bewegung,  die  grossen  Gelenke  frei;  diese  Bewegungen, 
die  ungleich  häufig  und  ungleich  rasch,  im  Allgemeinen  nicht  ganz 
langsam  erfolgen,  bestehen  wesentlich  in  Beugungen  und  den  ent¬ 
sprechenden  Streckungen  und  betreffen  die  Finger  nicht  gleichzeitig, 
sondern  sehr  wechselnd;  sie  sind  fast  regelmässig  zu  beobachten, 
fehlen  aber  zuweilen  sicher,  wie  es  scheint  bei  vollständiger 


allgemeiner  Ruhe,  angeblich  auch  im  Schlafe,  wenn  Patient  ganz 
abgelenkt  ist,  bei  guter  Unterstützung,  angeblich  aber  aucli^  nach 
starker  Anstrengung.  Bei  Zielbewegungen  fast  regelmässig  starkes 
grobwelliges  Zittern,  in  der  Nähe  des  Zieles  zunehmend,  viel 
stärker  als  die  auch  sonst  zu  beobachtenden  unwillkürlichen  Be¬ 
wegungen;  davon  abgesehen  ist  Verfehlung  des  Zieles  hie  und  da, 
besonders  aber,  wenn  die  Bewegung  bei  geschlossenen  Augen 
geschieht,  deutlich.  Auch  dieses  Zittern  nehme  nach  starker  An¬ 
strengung  ab.  Gestenartige  Bewegungen  auch  bedeutenderen  Um¬ 
fanges  geschehen  ohne  jenen  Tremor,  während  sich  bei  denselben  Be¬ 
wegungen,  wenn  Patient  sie  mit  Absicht  ausführt,  deutlicher 
Intentionstremor  bemerkbar  macht.  Der  Kranke  hat  das  Schreiben 
mit  der  rechten  Hand  aufgegeben  und  schreibt  mühsam  mit  der 
linken.  Tonus  rechts  und  links  ziemlich  gleich;  kein  Rigor  bei 
passiven  Bewegungen.  Die  tiefen  Reflexe,  speciell  Radius-  und 
Carpalreflex,  rechts  bedeutend  lebhafter  als  links.  Grösster  Umfang: 
Oberarm  (Bicepswulst)  rechts  29,  links  30  cm,  Vorderarm  rechts 
27,  links  28  cm.  An  der  Haut  nichts  Abnormes. 

Bewegungen  des  Stammes,  sowie  die  Athembewegungen  ohne 
wesentlichen  Unterschied  der  beiden  Seiten.  Vegetative  Functionen 
in  Ordnung. 

Untere  Extremitäten:  Umfang  der  Oberschenkel  ziemlich  gleich, 
Wadenumfang  rechts  33,  links  36  cm;  kein  Unterschied  der  Farbe 
und  Temperatur.  Muskeltonus  rechts  und  links  ziemlich  gleich,  im 
Beginne  der  Bewegung  ist  bei  passiver  Kniebeugung  deutlich  ein  Wider¬ 
stand  zu  bemerken  wie  von  activer  Streckung,  doch  ist  im  Verlaufe  der 
Bewegung  kein  Rigor  zu  überwinden.  Patient  steht  auf  dem  rechten 
Beine  schlechter  als  auf  dem  linken,  beim  Gehen  wird  es  steif  ge¬ 
halten,  so  dass  Patient  hinkt.  Bei  Einzelbewegungen  im  Hüftgelenke 
höchstens  ein  minimaler  Unterschied  in  der  Kraft  wahrzunehmen, 
die  Kraft  ist  auch  rechts  sehr  bedeutend;  auch  bei  den  Bewegungen 
im  Kniegelenke  nur  ein  geringer  Unterschied,  ein  beträchtlicher 
hingegen  bei  denen  im  Sprunggelenke  und  bei  der  Dorsalflexion 
der  Zehen,  der  grösste  bei  ihrer  Plantarflexion,  die  mit  ganz  ge¬ 
ringer  Kraft  ausgeführt  wird;  kein  vollständiges  Fehlen  einer  Be¬ 
wegung.  Das  rechte  Bein  wird  beim  Liegen  etwas  schwankend  er¬ 
hoben,  jedoch  nicht  mit  ähnlichem  Tremor,  wie  bei  der  oberen 
Extremität  beschrieben.  Die  Empfindung  passiver  Bewegungen  scheint 
fürs  Hüftgelenk  nicht  gestört,  fürs  Kniegelenk  sind  die  Angaben 
weniger  sicher,  fürs  Sprunggelenk  ganz  unsicher,  Zehenbewegungen 
werden  kaum  empfunden;  Patient  verwechselt  z.  B.  die  grosse  und 
die  kleine  Zehe.  Links  normale  Verhältnisse.  Die  tiefen  Reflexe, 
auch  links  lebhaft,  rechts  gesteigert;  Patellarklonus,  Patellar- 
sehnenreflex  klonisch;  auch  passive  Bewegungen  lösen  diesen 
Klonus  aus,  gelegentlich  auch  Hautreize;  Fussklonus,  auch  durch 
Hautreize  an  der  Sohle  auszulösen.  —  Die  Hautsensibilität  ist  nicht 
sicher  gestört,  häufig  gibt  Patient  rechts  schwächere  Empfindung 
an,  dies  bezieht  sich  auf  die  ganze  rechte  Körperhälfte.  Die  Haut¬ 
reflexe  beiderseits  vorhanden. 

Bei  unserem  Kranken  stellten  sich  etwa  im  30.  Lebens¬ 
jahre  scheinbar  unvermittelt,  jedenfalls  ohne  Dazwischentreten 
einer  inneren  Krankheit,  Merkmale  einer  schweren  Hirn¬ 
erkrankung  ein :  heftige  einseitige  Kopfschmerzen  mit  einem 
bestimmten  Ausgangspunkt,  cerebrales  Erbrechen,  und  nach 
acht  Tagen  ausgesprochene  cerebrale  Lähmung  der  den  Kopf* 
schmerzen  entgegengesetzten,  nämlich  der  rechten  Körperhälfte, 
verbunden  mit  einer  rechtseitigen  Sehstörung,  und,  nach  der 
Bewusstseinstrübung  mit  Zungenbissen  und  wiederholtem  un¬ 
freiwilligem  Harnabgang  zu  urtheilen,  epileptiforme  Anfälle: 
diese  Lähmung,  die  plötzlich  eines  Morgens  bemerkt  worden 
ist,  dürfte  einem  unbemerkt  gebliebenen  nächtlichen  Schlag¬ 
anfall  entsprechen,  dessen  Vorboten  die  oben  erwähnten,  schon 
acht  Tage  zuvor  aufgetretenen,  den  Anfall  jedoch  noch  lange 
überdauernden  Beschwerden  gewesen  wären. 

Als  die  stürmischen  Anfangserscheinungen  nach  Monaten 
zurückgetreten  waren,  blieb  das  Bild  einer  schweren  L  ä  li¬ 
ra  u  u  g  der  rechten  Körperhälfte  bestehen ;  allmälig 
gingen  darin  die  gewöhnlichen  Veränderungen  vor  sich.  Die 
Störungen  auf  den  verschiedenen  Empfindungsgebieten 
schwanden  zum  grössten  Theil:  zuerst  bildete  sich  die  Seh¬ 
störung,  die  eine  rechtseitige  Hemiamblyopie  gewesen 
sein  mag,  vollständig  zurück,  dann  die  Störung  des  Geruchs; 
jene  des  Geschmacks  scheint  noch  spurweise  vorhanden  zu 


1014 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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sein;  vielleicht  auch  die  der  Hautempfindung,  diese  Sensibilitäts¬ 
störung,  die  in  ihrem  Verlauf  einmal  die  Form  einer  Hyper- 
algesie  bei  tactiler  und  thermischer  Hvpästhesie  angenommen 
hat,  erstreckt  sich  auf  die  ganze  rechte  Körperhälfte.  Gegen¬ 
wärtig  bestehen  »die  Symptome  einer  beginnenden  Affection 
des  schallpercipirenden  Apparates.«  —  Die  Haut-  und  Schleim- 
hautreflexe  scheinen  nicht  erheblich  verändert. 

Mannigfaltiger  sind  die  Symptome  auf  motorischem 
Gebiete.  Ein  vollständiges  Fehlen  einer  Bewegung  besteht 
nicht  mehr;  auch  die  Kraft  scheint  wieder  zugenommen  zu 
haben  :  die  Störung  im  Lippen-Zungengebiete  ist  minimal,  die 
Parese  betrifft  wesentlich  die  Deltoideswirkung  und  die  Be¬ 
wegungen  der  Hand  und  der  dreigliederigen  Finger,  ferner, 
und  zwar  in  vergleichsweise  hohem  Grade  die  des  Fusses  und 
der  Zehen.  —  Auffallender  als  der  Ausfall  an  Kraft  ist  jedenfalls 
der  der  Bewegungs-  und  Lageempfindung,  der  Ausbreitung 
nach  mit  jenem  ziemlich  gut  übereinstimmend;  für  die  grossen 
Gelenke  von  Anfang  an  gering,  beschränkt  er  sich  gegen¬ 
wärtig  wesentlich  auf  die  Hand  und  die  dreigliederigen  Finger, 
dann  auf  das  Sprunggelenk  und  die  Zehen;  vielleicht  ist  auch 
der  Rest  der  Kaustörung  nicht  sowohl  auf  Parese  als  auf  eine 
ungenügende  Bewegungsempfindung  zu  beziehen. 

Die  in  den  ersten  Jahren  vorhandene  Steifigkeit  der 
rechtseitigen  Gliedmassen  und  die  Spitzfussstellung  ist  ge¬ 
schwunden;  die  Steigerung  der  tiefen  Reflexe  ist  allerdings  er¬ 
heblich.  —  Mit  der  allmäligen  Wiederkehr  der  Beweglichkeit  und 
der  Kraft  und  mit  dem  Schwinden  des  Rigors,  beziehungsweise 
der  Contractur  haben  sich  Bewegungsstörungen  anderer  Art 
eingestellt,  unwillkürliche  Bewegungen,  sowohl  in 
Form  sogenannter  Spontan  beweg  ungen  als  intentioneller 
Störungen.  Jene  traten  etwa  zwei  Jahre  nach  dem  Beginne 
der  Lähmungserscheinungen  in  den  entsprechenden  Gliedmassen 
auf,  um  sich  nach  einigen  weiteren  Jahren,  wie  gewöhnlich, 
auf  die  obere  Extremität  zu  beschränken,  von  der  schliesslich 
die  dreigliederigen  Finger  betroffen  blieben.  Es  ist  bemerkens- 
werth,  dass  diese  Krämpfe  unter  gewissen  Umständen  auf¬ 
hören,  auch  abgesehen  vom  Schlafe;  einerseits  bringt  sie  näm¬ 
lich  Anstrengung  zum  Nachlassen,  angeblich  vorübergehend 
auch  zum  Schwinden,  andererseits  psychische  Ablenkung  und 
gute  Unterstützung  der  Extremität  bei  vollkommener  allge¬ 
meiner  Ruhe.  Dies  erinnert  einigermassen  an  die  Paralysis 
agitans,  bei  der  die  Krämpfe  durch  stärkere  Erschütterungen 
günstig  beeinflusst  werden  sollen  und  bei  guter  Unterstützung 
und  vollkommener  allgemeiner  Ruhe  zeitweilig  aufhören. 

Die  Störung  der  willkürlichen  Bewegungen 
setzt  sich  aus  mehreren  Theilerscheinungen  zusammen  und  zeigt, 
da  deren  Stärke  etwas  wechselt,  nicht  immer  ganz  dasselbe 
Bild;  am  auffallendsten  ist  ein  ausgesprochener  Intentions¬ 
tremor,  der  in  der  üblichen  Weise  zur  Anschauung  zu 
bringen  ist;  er  ist,  wie  die  eben  besprochenen  athetoseähnlichen 
Ruhekrämpfe,  auf  die  obere  Extremität  beschränkt,  unterscheidet 
sich  aber  von  ihnen  deutlich:  die  Einzelbewegungen  haben  an¬ 
scheinend  eine  grössere,  bei  jeder  einzelnen  Beobachtung  jedoch 
viel  variablere  Geschwindigkeit;  ihre  Richtung  ist  vorwiegend 
eine  seitliche,  während  jene  vorwiegend  im  Sinne  von  Beugung 
geschehen;  die  Excursionen  sind  durchschnittlich  grösser  und 
nehmen  in  der  Nähe  des  Zieles  zu;  endlich  sind  mehr  Gelenke 
daran  betheiligt.  Gelegentlich  ist  aber  das  Intentionszittern 
weniger  ausgesprochen,  dann  kommen  bei  beabsichtigten  Be¬ 
wegungen  dieselben  Krämpfe  zum  Vorschein  wie  in  der 
R  u  h  e.  (Wie  bei  vielen  Fällen  von  multipler  Sklerose  erfolgen 
gestenartige  Bewegungen  ohne  jene  Störung.)  Daneben  besteht 
rechtsseitige  Hemiataxie;  sie  ist  in  der  untern  Extremität 
offenbar  bereits  bedeutend  zurückgegangen,  in  der  obern 
macht  sie  sich  noch  deutlich  bemerkbar,  besonders  wenn  der 
Kranke  willkürliche  Bewegungen  mit  geschlossenen  Augen 
ausführt. 

Sonst  hatte  der  Kranke  eine  Zeit  lang  über  Harnträufeln 
zu  klagen.  Vasomotorische  oder  tropliische  Störungen  sind 
nicht  aufgetreten.  In  psychischer  Beziehung  wäre  zu  bemerken, 
dass  Patient  einigermassen  dement  und  alkoholintolerant  ge¬ 
worden  ist. 


Der  Kranke,  ein  Trinker,  war  seit  seinem  18.  Jahre 
öfters  traumatischen  Einflüssen  in  Form  von  Sturz  und  Hieben 
auf  den  Kopf  ausgesetzt  gewesen;  diese  scheinen  aber  keine 
oder  nur  geringfügige  Beschwerden  zur  Folge  gehabt  zu  haben, 
bis  auf  ein  Trauma,  das  sowohl  nach  seiner  Art  als  nach 
seinen  unmittelbaren  Folgen  das  schwerste  gewresen  ist,  einen 
Messerstich  in  die  Scheitelgegend,  dem  Bewusst¬ 
losigkeit  folgte,  und  der  eine  bleibende  Spur  in  einer  Haut- 
Knochennarbe  (links  neben  der  Pfeilnaht,  nahe  ihrem  hinteren 
Ende)  zurückgelassen  hat.  Man  ist  einigermassen  berechtigt, 
jene  scheinbar  unvermittelt  aufgetretene  Hirnerkrankung  auf 
das  letztgenannteTrauma,  die  schwerste  unter  den  erlittenen  Ver¬ 
letzungen  und  an  sich  eine  schwere  Beschädigung,  ursächlich 
zu  beziehen;  die  äussere  Narbe  und  die  nach  den  rechtsseitigen 
Functionsstörungen  anzunehmende  Hirnerkrankung  sitzen 
beide  links,  ungefähr  den  Ebenen  der  Centralwindungen  ent¬ 
sprechend,  und  die  Narbe  ist  der  Ausgangspunkt  der  anfalls- 
wreise  auftretenden  Kopfschmerzen.  Dass  zwischen  der  Ver¬ 
letzung  des  Schädels  und  dem  Auftreten  der  Hirnerscheinungen 
ein  Zeitraum  von  (zwei  oder)  drei  Jahren  liegt,  ist  kein  ab¬ 
solutes  Hinderniss  für  diese  Beziehung;  ihre  Berechtigung  wird 
durch  den  Umstand  erhöht,  dass  jene  Zwischenzeit  nicht 
symptomlos  verlaufen  ist:  Anfälle  von  Sausen  und  von  links¬ 
seitigem  Kopfschmerz,  der  von  früheren  gelegentlichen  allge¬ 
meinen  Kopfschmerzen  verschieden  wrar,  also  Beschwerden  von 
der  Art  der  ersten  eigentlichen  Krankheitszeichen,  verbinden 
diese  mit  dem  als  Ursache  angenommenen  Trauma. 

Immerhin  ist  dieser  Zusammenhang  nicht  zweifellos  er¬ 
wiesen.  Man  könnte  als  Ursache  der  Krankheitserscheinungen 
etwa  eine  vom  Alkoholismus  als  solchem  abhängige  oder  eine 
gar  nicht  aufzuklärende  Blutung  oder  Erweichung  ansehen, 
einen  wesentlichen  Unterschied  würde  dies  nicht  bedingen. 
Wenn  ziemlich  kurze  Zeit  nach  dem  Auftreten  der  noch  jetzt 
bestehenden  und  anderer,  bereits  vergangener  Krankheits¬ 
erscheinungen  von  anderer  Seite  die  Diagnose  auf  Tumor 
cerebri  gestellt  worden  ist,  so  mag  sie  seinerzeit  nicht  unbe¬ 
rechtigt  gewesen  sein,  jetzt  kommt  sie  nicht  in  Betracht.  —  Man 
könnte  aber  auch  bezweifeln,  dass  es  sich  überhaupt  um  eine 
Herderkrankung  handelt,  beziehungsweise  dass  die  Symptome 
in  ihrer  Gesammtheit  auf  einen  Herd  zu  beziehen  sind.  So 
möchte  ich  selbst  die  beginnende  Affection  des  schallempfin- 
denden  Apparates,  obwohl  ein  Anhaltspunkt  vorliegt,  sie  mit 
der  Verletzung  in  Verbindung  zu  bringen,  vorsichtshalber  aus 
der  Betrachtung  ausschalten:  ein  vergleichsweise  häutiges  Vor- 
kommniss,  könnte  sie  auch  von  den  übrigen  Symptomen  un¬ 
abhängig  sein.  Diese  aber  hat  man,  glaube  ich,  für  zusammen¬ 
gehörig  zu  halten.  So  liegt  kein  Anlass  vor,  etwa  die  Ataxie 
für  spinal,  die  Hemihypästhesie  oder  den  Intentionstremor  oder 
sonst  einen  Tlieil  des  geschilderten  Symptomencomplexes  für 
hystei’isch  zu  halten.  —  Man  könnte  auch  die  Frage  der  trau¬ 
matischen  Entstehung  einer  multiplen  Sklerose  aufwerfen  oder 
ohne  Rücksicht  auf  die  Verletzung  in  dem  vorliegenden  Falle 
die  sogenannte  hemiplegische  Form  der  multiplen  Sklerose  er¬ 
blicken.  Es  liegt  aber  für  die  Annahme  dieser  Erkrankung 
überhaupt  kein  zwingender  Grund  vor;  von  der  fraglichen  Ab¬ 
blassung  der  temporalen  Papillenhälfte  und  dem  einmal  an¬ 
gegebenen  Harnträufeln  kann  abgesehen  werden:  jene  kommt 
häufig  genug  auch  bei  Alkoholismus  allein  vor,  diese  als  Aus¬ 
druck  einer  spinalen  Erkrankurg  aufzufassen,  wäre  allzu  ge¬ 
wagt,  und  beide  sind  nicht  genügend  sichergestellt.  Eine  Reihe 
der  wichtigsten  Merkmale  der  multiplen  Sklerose  fehlt,  und 
die  relative  Unveränderlichkeit  der  in  Betracht  kommenden 
Symptome  seit  mindestens  acht  Jahren  spricht  geradezu  da¬ 
gegen.  —  Es  ist  aber  denkbar,  dass  es  nach  Schädelverletzungen 
zu  multipler  Nekrose  der  Hirnsubstanz  kommen  kann. 
Koppen11)  hat  vor  nicht  langer  Zeit  einen  solchen  Fall  be¬ 
schrieben  (in  welchem  übrigens  Intentionstremor  nicht  erwähnt 
ist):  »Erweichungsherde  im  Zwischenhirn  und  in  der  Hirn¬ 
rinde.  Hämorrhagische  Encephalitis  im  Parietallappen.  Aetio- 
logie:  Trauma  und  Alkoholismus«.  Die  ätiologischen  Momente 
lägen  auch  in  unserem  Falle  vor,  im  klinischen  Befund  aber 

n)  M.  Koppen,  Ueber  Encephalitis,  3.  Fall.  Archiv  für  Psychiatrie 
und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXX,  pag.  959. 


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ist  ein  Anzeichen  für  multiple  Nekrose  nicht  vorhanden-,  dass  im 
Allgemeinen  der  Intentionstremor  nicht  von  der  Vielheit  der  Herde 
an  sich  abhängig  zu  denken  ist,  soll  noch  erwähnt  werden.  — 
Endlich  ginge  es  keinesfalls  an,  weder  im  Allgemeinen,  noch  in 
dem  vorliegenden  Falle,  wo  es  sich  um  einen  Trinker  handelt, 
aus  der  psychischen  Veränderung  als  solcher,  die,  eine  häufige 
Folgeerscheinung  sowohl  nach  gewohnheitsmässigem  Alkohol¬ 
missbrauch  als  nach  Schädelverletzungen,  die  Annahme  einer 
gewissen  allgemeinen  Stöiung  ja  nahelegt,  einen  Schluss  gegen 
eine  örtliche  Erkrankung  beziehungsweise  Entstehung  des 
Symptomenbildcs  zu  ziehen. 

Wir  können  also  annehmen,  dass  wir  es  mit  einer 
Herderkran  k  u  n  g  zu  thun  haben  Zu  welchem  patho¬ 
logisch-anatomischen  Ergebniss  es  gekommen  ist,  welchem 
unter  den  möglichen  Zuständen  das  vielleicht  durch  den  Alko¬ 
holismus  und  weitere  geringfügige  Schädeltraumen  begünstigte 
Auftreten  der  klinischen  Erscheinungen  entspricht,  das  entzieht 
sich  wohl  einer  sicheren  Beur theilung.  Für  die  Localisation 
des  Herdes  ergeben  sich  hingegen  einige  Anhaltspunkte.  Die 
Ausfallserscheinungen  und,  wenn  man  die  Beziehung  zur 
Schädelverletzung  gelten  lässt,  die  Lage  der  Hautknochennarbe 
weisen,  wie  bereits  erwähnt,  darauf  hin,  dass  der  Herd  links 
ungefähr  in  der  Ebene  der  Centralwindungen  sitzt.  Da  die 
active  Beweglichkeit  nirgends  vollständig  fehlt,  so  kann  die 
Willkürbahn  nicht  ganz  zerstört  sein,  wenn  der  Herd  zu  ihr 
auch  in  enger  Beziehung  stehen  muss;  es  sei  bemerkt,  dass 
Rigor  nicht  zu  den  Dauermerkmalen  des  Krankheitsbildes 
gehört.  Die  Betheiligung  der  verschiedenen  Sinnesgebiete  weist 
auf  eine  Beziehung  des  Herdes  zum  hinteren  Ende  der  inneren 
Kapsel,  der  Rückgang  der  betreffenden  Symptome  deutet  darauf 
hin,  dass  er  in  ihrer  Nähe  seinen  Sitz  hat,  etwa  in  der  Gegend 
der  Basalganglien,  vielleicht  des  Sehhügels.  Diese  Stelle  ist  cs 
bekanntlich,  welche  bei  posthemiplegischen  Bewegungserschei¬ 
nungen  im  Allgemeinen  am  häufigsten12)  erkrankt  gefunden 
wird;  auch  in  unserem  Falle  bestehen  solche  Erscheinungen, 
athetoseähnliche  Krämpfe. 

Fälle  von  posthemiplegischem  Intentionstremor  sind  nicht 
besonders  häufig13);  ihr  praktisches  Interesse  mag  gering  sein, 
so  dass  öfters  in  zu-ammenfassendeu  Darstellungen  der  Hemi¬ 
plegie  eine  Erwähnung  des  Intentionstremors  vermisst  wird. 
Seine  Beziehung  zu  Herderkrankungen  kann  aber  ein  gewisses 
theoretisches  Interesse  haben,  sie  scheint  —  vorausgesetzt, 
dass  es  sich  hier  um  dasselbe  Symptom  handelt  wie  bei  der 
multiplen  Sklerose14)  —  besonders  geeignet,  jene  Meinungen 

]2)  Sielie  B.  II.  Stephan’s  ausführliche  Darlegungen.  Zur  Genese 
des  Intentionstremors.  Archiv  llir  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten. 
Bd.  XVIII  und  XIX. 

t3)  Siehe:  B.  Greidenberg-,  Ueber  die  posthemiplegischen  Be¬ 
wegungsstörungen.  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  1886, 

Bd.  XVII. 

u)  Ich  halte  diese  Voraussetzung  für  zutreffend,  jedoch  für  nicht 
ganz  übei flüssig :  Einseitigkeit  des  Intentionszitterns,  die  hei  Herderkran¬ 
kungen  natürlich  das  Häufigere  ist,  ist  hei  multipler  Sklerose,  wenn  auch 
Unterschiede  in  der  Stärke  des  Zitterns  zwischen  den  beiden  Körperhälften 
öfters  zu  beobachten  sind,  gewiss  eine  Seltenheit;  was  hingegen  die  Form 
der  krankhaft  veränderen  Bewegungen  betrifft,  die  bei  Herderkrankungen 
theils  als  typisches  Intentionszittern  (z.  B.  De  mange  [bei  Stephan  1.  c. 
Nr.  30],  den  Thalamus  einbeziehender  hämorrhagischer  Herd;  Gowers 
[Handbuch,  II,  pag.  505],  Tuberkel  des  Hirnschenkels  unter  dem  Vierhügel ; 
Stephan  |l.  c.  pag.  740],  hämorrhagischer  Tumor  in  der  hinteren 
Schädelgi  ube ;  u.  A)  theils  (F.  V.  S  ö  1  d  e  r  [Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1894,  Nr.  1,  pag.  13]  »eine  dem  Intentionstremor  nahestehende 
Coordinationsstörung«,  Pons-Gliome;  Gowers  [bei  Stephan,  J.  c.  Nr.  5] 
»a  wild  incoordination  intermediate  in  character  between  that  of  chorea 
and  of  cerebrospinal  sclerosis«,  Thalamus-Narbe  ;  E.  Long  ]  L?s  voies 
centrales  de  la  sensibilite  generale.  TI  ese,  Paris  1899]  *sa  main  plane 
et  oscille«,  Gliosarkam  des  Pons;  L.  Bruns  [l.  c.]  »Coordinationsstörungen, 
die  mehr  dem  Intentionstremor  gleichen,  aber  auch  als  Bewegungsataxie  ge¬ 
deutet  werden  konnten«,  Tuberkel  der  Vierhügelgegend,  u.  A.)  mit  mehr  oder 
weniger  deutlich  hervorgehobener  ataktischer  Componente  der  Bewegungs¬ 
störung  angegeben  werden,  so  ist  zu  bemerken,  dass  auch  hei  der  disse- 
minirten  Herdsklerose  ihre  Form  nicht  in  allen  Fällen  ganz  dieselbe  ist,  in¬ 
dem  auch  hier  das  Zittern  öfters,  nach  manchen  Beobachtern  offenbar  häufig, 
durch  Ataxie  höheren  oder  geringeren  Grades  complicirt  ist.  Sowohl  bei 
Ilerdet  krankungen,  als  bei  der  multiplen  Sklerose  kann  sich  der  Iutentions- 
tiemor,  der  hauptsächlich  die  oberen  Extremitäten  zu  betreffen  pflegt,  einer¬ 
seits  mit  gleichfalls  hauptsächlich  an  den  Extremitäten  zu  Tage  tretenden 
mehr  oder  weniger  deutlichen  Merkmalen  motorischer  oder  sensibler  Lähmung 
verbinden,  andererseits  auf  andere  Gebiete,  Augenbewegungen.  Sprache,  er- 


zu  stützen,  die  im  Intentionstremor  der  herdförmigen  Sklerose 
ein  Herdsymptom  erblicken,  im  Gegensatz  zu  der  Auf¬ 
fassung,  die  seine  Ursache  in  der  besonderen  Art  der 
ihm  zu  Grunde  liegenden  Störung  sucht,  nämlich  in  dem  bei 
der  multiplen  Sklerose  beobachteten  Fehlen  der  Markscheiden 
bei  Erhaltensein  der  Achsencylinder,  was  in  diesen  eine  »un¬ 
regelmässige,  saceadirte«  Leitung  der  Willensimpulse 
(Charcot15),  beziehungsweise  eine  ungleichmässige  Vermin¬ 
derung  der  Leitungsfähigkeit  (Gowers10)  zur  Folge 
haben  soll. 

Das  ziemlich  Unklare  und  wenig  Befriedigende  dieser 
Aulfassung  dürfte  jene  Forscher,  welche  nicht  geneigt  sind, 
den  Intentionstremor  als  Localsymptom  anzusehen,  zu  anderen 
Erklärungsversuchen  gedrängt  haben.  So  kann  man  das  ln- 
tentionszittern,  wenn  man  seine  Wirkung,  eine  Störung  will¬ 
kürlicher  Bewegungen,  ins  Auge  fasst,  zur  Ataxie  rechnen, 
eine  Deutung,  die  besonders  von  Strümpell17)  vertreten 
wird.  G  o  1  d  s  c  h  e  i  d  e  r  I8)  erblickt  einen  neuen  Beweis  daliir 
in  einer  Beobachtung  (Encephalitis  interstit.  chron.  diffusa, 
frischer  Herd  im  Pons  und  im  zweiten  und  dritten  Cervical- 
segment  in  den  Hintersträngen),  wo  die  ataktische  Störung  all- 
mälig  abnahm  und  schliesslich  in  eine  Form  überging,  in 
welcher  man  sie  vom  Intentionszittern  nicht  mehr  unterscheiden 
konnte.  Es  geht  aber  doch  nicht  an,  sie  geradezu  zu  identifi- 
ciren;  es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Erscheinung  des  Intentions¬ 
tremors  und  die  der  Ataxie  öfters  nebeneinander  Vorkommen, 
dass  Ataxie  wohl  häufiger  an  eine  Störung  der  Lage-  und 
Bewegungsempfindung  geknüpft  ist  als  der  Intentionstremor, 
dann  dass  es  nicht  selten  vorkommt,  dass  die  Ataxie  beide 
Gliedmassen  einer  Seite,  das  Intentionszittern  aber  nur  die 
obere  Extremität  betrifft.  (In  einer  ähnlichen  Beobachtung 
von  B  r  u  n  s 9)  sieht  G  o  1  d  s  c  h  e  i  d  e  r 18)  übrigens  eine  Stütze 
seiner  Ansicht.)  Jedenfalls  hätte  diese  Annahme  den  neben  dei 
unleugbaren  Aehnlichkeit  der  beiden  Symptome  doch  that- 
sächlich  bestehenden  klinischen  Unterschied  zu  erklären. 
Dasselbe  gilt  von  den  Erklärungsversuchen  des  Intentions¬ 
zitterns,  die  sich  auf  das  Zittern  im  Allgemeinen  beziehen, 
etwa  dem  A  r  n  o  u  1  d’s  10),  wonach  sowohl  der  Intentionstremor 
wie  der  spontane  Tremor  in  Folge  von  Unterbrechungen  oder 
brüsken  Intensitätsschwankungen  des  Muskeltonus  entständen. 
Beiderlei  Erklärungen  geben  nur  eine  functioneile  Deutung, 
und  es  bleibt  noch  die  Frage  aufrecht,  ob  ein  anatomisches 

Localisiren  gerechtfertigt  ist. 

Gelegentlich  findet  man  die  Vorstellung  angedeutet,  dass 
die  Vielheit  der  Herde  den  Intentionstremor  bedinge. 
Thatsächlich  kann  man  ab  und  zu  Intentionszittern  hei  mul¬ 
tiplen  Erkrankungen  des  Centralnervensystems  sehen,  die  nicht 
mit  der  multiplen  Sklerose  identisch  sind ;  in  der  Literatur 
sind  einige  solche  Fälle  verzeichnet,  so  von  Blutungen  und 
ihren  Folgezuständen20),  von  Lues'21),  Tumoren22).  Wäre  ein 
solches  Vorkommniss  aber  auch  häufiger,  so  bliebe  gegen  die 
in  Rede  stehende  Annahme,  die  zwar  sehr  naheliegend,  jedoch 


strecken.  Ersteres  dürfte  aber  bei  Herderkrankungen  häufiger  sein  als  bet 
multipler  Sklerose,  letzteres,  Intentionsnystagmus,  scandirende  Sprache,  sich 
umgekehrt  verhallen. 

15)  Siehe:  J.  M.  Charcot,  Klinische  Vorträge  über  Krankheiten  cles 
Nervensysteme.  Deutsch  von  B.  Ketzer.  1874,  pag.  27.V 

li)  w.  R.  Gowers,  Handbuch  der  Nervenkrankheiten.  Deutsch  von 

K.  Grube.  Bd.  II,  pag.  505.  .  c.  , 

17)  Vgl  A  Strümpell,  Zur  Pathologie  der  multiplen  Sklerose. 

Neurologisches  Centralblatt.  1896,  Nr.  21,  pag.  964,  und:  Lehrbuch,  12.Aufl. 
Bd.  Ill,  Capitel  :  »Multiple  Sklerose«. 

iS)  A  Goldscheider,  Ueber  den  anatomischen  Process  im  An¬ 
fangsstadium  der  multiplen  Sklerose.  Zeitschrift  für  klinische  Medioin.  1896, 

Bd.  XXX,  pag.  426.  t  ,  ,  ,  ,  ,, 

19)  E.  Arnould,  l’athogenie  du  tremblement.  Arch,  gener.  de  meet. 

1894,  Oct.  Ref.:  Neurologisches  Centralblatt.  1895,  Nr.  1,  pag.  30. 

20)  Siehe  Stephan’s  Zusammenstellung,  1.  c.  Fall  30. 

21)  O.  Buss,  Ein  Fall  von  acuter,  disseminirter  Myelitis  hulht  nebst 
Encephalitis  bei  einer  Syphilitischen.  Deutsches  Archiv  für  klinische  Me- 
dicin.  Bd.  XLI,  1887.  —  Buch  holz,  Wanderversammlung  der  Sudwest¬ 
deutschen  Neurologen  und  Irrenärzte  in  Baden-Baden.  -2.  Mai  180»,  be¬ 
ziehungsweise :  Ueber  einen  Fall  syphilitischer  Erkrankung  des  Central¬ 
nervensystems.  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXI, 

1899,  pag.  852,  und  Bd.  XXXII,  1899,  pag.  1. 

22)  Siehe  M.  Bernhardt’s  Beiträge  zur  Symptomatologie  und 
Diagnostik  der  Hirngeschwülste,  1881,  XII.  Zusammenstellung  ei  mu  tip  en 
Geschwülste. 


1016 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr  14 


ganz  unklar  ist,  manches  Bedenken  zu  erheben,  z.  B.  der  Ein¬ 
wand,  dass  Fälle  von  Intentionstremor  bei  nur  einem  Herd 
doch  nicht  allzu  selten  sind. 

Nach  Redlich’823)  Auffassung  ist  in  dem  Symptomen- 
bilde  der  multiplen  Sklerose  nicht  Alles  als  streng  anatomische 
Ausfallserscheinung  aufzufassen,  sondern  manche  und  gerade 
die  häufigsten  der  Symptome  sind  durch  die  allgemeine  Schä¬ 
digung  bedingt.  So  »stellt  der  Intentionstremor  einfach  ein 
functionelles  Schwächesymptom  dar ;  die  Leistung 
ist  möglich,  aber  in  ihrer  prompten  und  präcisen  Ausführung 
geschädigt  .  .  .  Bei  der  genannten  Annahme  ist  es  selbstver¬ 
ständlich,  dass  der  Intentionstremor  keine  strenge  anatomische 
Localisation  hat.  Keine  der  (von  verschiedenen  Autoren  da¬ 
für  in  Anspruch  genommenen)  Localitäten  findet  sich  wirklich 
constant  in  irgendwie  erheblichem  Grade  in  allen  jenen  Fällen 
von  multipler  Sklerose  ergriffen,  wo  typischer,  ausgesprochener 
Intentionstremor  besteht.  Es  wird  derselbe  vielmehr  immer 
dann  entstehen,  wenn  irgendwo  die  für  die  willkürlichen  Be¬ 
wegungen  in  Betracht  kommenden  Bahnen  in  der  für  die 
multiple  Sklerose  charakteristischen  Weise  lädirt  sind,  d.  h. 
wenn  die  nervösen  Elemente  zwar  in  den  anatomischen  Process 
einbezogen  sind,  ohne  jedoch  wirklich  zerstört  zu  sein.  Ob 
Läsionen  bestimmter  Abschnitte,  z.  B.  Pons,  Medulla  oblongata, 
doch  irgend  ein  besonderer  Einfluss  zukommt,  muss  dahin¬ 
gestellt  bleiben.«  So  interessant  und  sympathisch  eine  Auf¬ 
fassung  ist,  welche,  wie  die  hier  wiedergegebene,  verschiedene 
Symptome  von  einem  einheitlichen  Standpunkt  aus  zu  be¬ 
trachten  sucht,  so  möchte  ich  doch  gegen  ihre  Begründung 
beziehungsweise  die  Ablehnung  einer  anatomischen  Localisation 
des  Intentionstremors  ein  wenden,  dass  dazu  der  Mangel  einer 
Constanz  der  ergriffenen  Localitäteu  noch  kein  zwingender 
Grund  ist;  mit  derselben  Begründung  könnte  die  örtliche  Ent¬ 
stehung  mancher  anderen  krankhaften  Erscheinung  bestritten 
werden,  deren  locale  Natur  häufig  feststeht,  z.  B.  Gleichgewichts¬ 
störungen,  Hemianopsie;  eine  Functionsstörung  kann  durch  die 
Läsion  verschiedener  Stellen  eines  und  desselben  anatomischen 
Systems  bedingt  sein;  ob  freilich  auch  nur  in  diesem  Sinne 
eine  Constanz  der  anatomischen  Befunde  besteht,  wäre  erst 
nachzuweisen.  Es  sei  noch  bemerkt,  dass  der  Intentionstremor 
ganz  wohl  ein  Symptom  functioneller  Schwäche  darstellen, 
diese  jedoch  einem  besonderen  anatomischen  oder  functioneilen 
System  angehörig  gedacht  werden  kann. 

So  weit  der  Intentionstremor  nach  Hemiplegie  in  Betracht 
kommt,  hätte  die  letztbesprochene  Auffassung  etwes  Wesent¬ 
liches  mit  der  von  Kahler  und  Pick21)  für  die  posthemi- 
plegischen  Bewegungserscheinungen  —  übrigens  ohne  ausdrück¬ 
liche  Erwähnung  des  Intentionstremors  —  aufgestellten  Hypo¬ 
these  gemein;  nach  dieser  vielfach  angenommenen  Ansicht 
verdanken  jene  Erscheinungen  einer  Länon  beziehungsweise 
Reizung  des  Pyramidenbündels  ihre  Entstehung 
(meist  in  der  inneren  Kapsel,  doch  auch  bei  anderen  Affec- 
tionen,  wie  im  Pons,  Bulbus,  abgesehen  von  der  Möglichkeit 
einer  spinalen  Entstehung  ganz  änlicher  Störungen).  Diese  An¬ 
nahme  ist  übrigens  auch  für  den  Intentionstremor  schon 
gemacht  worden ;  so  meint  O  p  p  e  n  h  e  i  m  25)  gelegentlich  der 
Besprechung  der  Neubildungen  der  Corpora  quadrigemina : 
»Bezüglich  der  Genese  des  Intentionszitterns  und  verwandter 
Formen  lässt  sich  etwas  Bestimmtes  nicht  aussagen;  es  ist 
aber  zu  vermuthen,  dass  denselben  eine  Fernwirkung  auf  die 
motorischen  Leitungsbahnen  zu  Grunde  liegt,  und  es  ist  in  Er¬ 
wägung  zu  ziehen,  ob  nicht  die  complieirteren  Bewegungs¬ 
störungen  dieser  Art  (Verquickung  von  Tremor  und  Ataxie) 
dadurch  zu  Stande  kommen,  dass  der  Tumor  seinen  schädi¬ 
genden  Einfluss  zugleich  auf  die  1  laube  und  die  Pyramidenbahnen 
ausübt.«  —  Die  Vorstellung,  dass  ein  Herd  (in  der  Sehhügelgegend 
durch  Fernwirkung)  die  benachbart  liegenden  Pyramidenfasern 
mechanisch  irritire  und  dass  es  durch  Uebertragung  des  Reizes 

-3)  E.  Redlich,  Zur  Pathologie  der  multiplen  Sklerose.  Wiener 
klinische  Rundschau.  1895.  Nr.  49 — 51. 

-')  O.  Kahler  und  A.  1*  i  c  k,  Beiträge  zur  Pathologie  und  patho¬ 
logischen  Anatomie  des  Centralnervensystems.  111.  Ueber  die  Localisation 
der  posthemiplegischen  Bewegungserscheinungen,  Vierteljahrsschrift  für  die 
praktische  Heilkunde.  1879,  Heft  1, 

Ji)  1.  c.  (10)  pag.  121. 


auf  die  Vorderhornzellen  des  Rückenmarkes  zu  den  abnormen 
Bewegungen  komme,  hält  v.  Monakow20)  »für  unrichtig, 
theils  weil  durch  eine  mechanische  Einwirkung  auf  einen 
centrifugal  verlaufenden  Faserzug  so  complica  te,  intermittirende 
und  vor  Allem  variirte  Bewregungsarten  sich  schwer  erklären 
lassen,  theils  weil  es  unerwiesen  ist,  dass  Reizung  eines  motori¬ 
schen  Faserzuges  ohne  Mitwirkung  von  Nervenzellencomplexen 
überhaupt  periodisch  auftretende  und  zusammengesetzte  mo¬ 
torische  Wirkungen  entfalten  könne«.  —  Gegen  den  Versuch, 
den  Intentionstremor  aus  einer  Schädigung  der  Wilikiirbewe- 
gungen,  beziehungsweise  der  Pyramidenbahn  zu  erklären, 
spricht  auch  dasselbe  Argument,  das  gegen  die  spinale  und  für 
die  cerebrale  Entstehung  des  Intentionstremors  von  ver¬ 
schiedenen  Seiten  geltend  gemacht  worden  ist,  nämlich  der 
Plinwe’s  auf  die  rein  oder  vorwiegend  spinalen  Fälle  multipler 
Sklerose,  bei  denen  jede  Bewegungsstörung  fehlte,  ein  Vor¬ 
kommen,  das  manchem  Zweifel  gegenüber  erst  jüngster  Zeit 
wieder  behauptet  worden  ist  [Graupner27)].  Dann  möchte 
ich  doch  mehr  Gewicht  als  manche  Vertreter  der  Pyramiden¬ 
bahnhypothesen  auf  jene  häufigen  Fälle  multipler  Sklerose 
legen,  wo  deutlicher  Intentionstremor  ohne  eine  Spur  von 
Parese  vorhanden  ist.  Es  ist  übrigens  bekannt,  dass  auch  Be¬ 
wegungsstörungen  von  der  Art  der  post-  oder  prähemiplegischen 
ohne  Hemiplegie  Vorkommen  können,  ähnlich  wie  die  Hemi- 
ataxie28);  alle  diese  Symptome,  die  häufig  vereinigt  auftreten, 
können  unabhängig  von  einander  Vorkommen. 

Auch  der  Versuch,  den  Intentionstremor  als  Herd¬ 
erscheinung  aufzufassen,  hat  zu  Meinungsverschiedenheiten 
geführt.  In  erster  Linie  wurde  er  mit  dem  Hirnstamm  in 
Beziehung  gebracht.  Ein  Schüler  Charco  t’s,  Ordenstei  n29), 
äusserte  die  Meinung,  dass  die  Localisation  der  Herde  im  Pons 
und  in  den  weiter  vorn  gelegenen  Hirntheilen  eine  wesentliche 
Bedingung  zum  Zustandekommen  des  Tremors  (der  multiplen 
Sklerose)  sei.  Erb29)  führt  zur  Stütze  dieser  Meinung  die 
Thatsache  an,  dass  »man  bei  Durchmusterung  der  Fälle  von 
einfacher  chronischer  Myelitis,  selbst  wenn  sich  mehrere  Herde 
im  Rückenmark  finden,  das  charakteristische  Zittern  unter  den 
Symptomen  nicht  erwähnt  findet  .  .  .,  in  allen  (22)  Fällen  von 
multipler  Sklerose,  welche  das  Symptom  des  Zitterns  gezeigt 
hatten,  waren  die  Stammgebilde  (Pons,  Medulla  oblongata, 
Pedunculi  etc.)  neben  anderen  Hirntheilen  im  Besondern  an 
der  Sklerose  betheiligt,  und  in  den  wenigen  Fällen,  wo  bei 
cerebralen  Herden  während  des  Lebens  das  Zittern  gefehlt 
hatte,  fanden  sich  im  Pons,  der  Oblongata,  dem  Kleinhirn 
u.  s.  w.  entweder  gar  keine,  oder  nur  kleine  Herde  ...  Es 
scheint  aus  den  Thatsachen  hervorzugehen,  dass  in  der  That 
die  Localisation  einzelner  Herde  im  Gehirn  für  das  Zustande¬ 
kommen  des  Tremors  erforderlich  sei  .  .  .;  in  dem  Auftreten 
des  Intentionszitterns  ist  ein  werthvoller  Anhaltspunkt  dafür 
gegeben,  dass  eine  pathologische  Störung  sich  im  Gehirn  selbst 
etablirt  hat«.30)  —  Mit  dieser  Darstellung  des  thatsächlichen  Ver- 

2fi)  C.  v.  Monako  w,  Gehirnpathologie.  Nothnagel’s  Handbuch. 
1897,  Bd.  IX,  1,  pag.  328. 

27)  1.  c.  (4)  pag.  467. 

28)  R.  v.  Krafft-Ebing,  Eine  Diagnose  auf  Tumor  in  der  Gross- 
hirnschenkelhaubenbabn.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1889,  Nr.  47. 

20)  W.  E  r  b,  Krankhoiten  des  Rückenmarks  und  des  verlängerten 
Marks,  v.  Ziemssen’s  Handbuch.  1878,  Bd.  XI,  2.  Hälfte,  pag.  507. 

;i0)  Damit  erledigen  sich  die  im  Folgenden  wiedergegebenen  Meinungen  : 
A.  Freusberg  (lieber  das  Zittern.  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nerven¬ 
krankheiten.  1876,  Bd.  VI,  pag.  57)  beobachtete  bei  Hunden,  denen  das  Rücken¬ 
mark  am  letzten  Brustwirbel  vollständig  durchschnitten  war,  dass  Zittern 
im  Hinterkörper  auftrat  unter  Bedingungen,  die  vollständig  jenen  entsprachen, 
unter  denen  Zittern  im  unversehrten  Organismus  entsteht;  der  Tremor  be¬ 
ruhe  auf  der  abwechselnden  Anspannung  der  antagonistischen  Muskel, 
»die  eine  Leistung  ruft  durch  eine  Art  Reflex  die  folgende,  entgegengesetzte 
hervor  .  .  .  und  statt  der  Thätigkeit  eines  besonderen  eigenthümlichen  cen¬ 
tralen  Apparates  wird  man  im  Zittern  [auch  solchem,  das  sich  an  gerade 
stattfindende  Bewegungsleistungen  anscliliesst]  Nichts  weiter  sehen,  a's  einen 
bestimmten  geringen  Thätigkeitszustand  der  allüberall  im  Centralorgane  an¬ 
geordneten  nächsten  Innervationsherde  der  quergestreiften  Musculatur«.  — 
J.  Pasternacky  (Recherches  experimentales  sur  l’origine  du  tremble- 
ment  qui  accompagne  les  mouvements  volontaires,  ou  tremblement  inten- 
tionnel.  Arch,  de  Piiys.  norm,  et  pathol.  1881,  pag.  328;  siehe  auch:  Jahr¬ 
bücher  für  Psychiatrie.  Bd.  III,  pag.  229)  erhielt  bei  Hunden  und  Katzen, 
denen  er  entsprechend  den  zur  hintereu  Extremität  gehörigen  Nerven¬ 
wurzeln  eine  Nadel  durch  die  Foramina  intervertebralia  gestochen  hatte, 
auf  Reizung  des  dazugehörigen  psychomotorischen  Centrums  keine  bemerkens- 


Nr.  44 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1017 


haltens  bei  der  multiplen  Sklerose  würde  das  der  Hirngeschwülste 
ziemlich  gut  übereinstimmen,  die  in  jenen  Fällen,  welche 
Intentionszittern  zeigten,  die  Basalganglien,  die  Hirnschenkel, 
die  Vierhügel,  die  Brücke  und  das  Kleinhirn,  beziehungsweise 
die  hintere  Schädelgrube  betrafen. 

Im  Gegensatz  hiezu  sei  daran  erinnert,  dass  G  r  e  i  f  f:il) 
die  Ursache  des  Intentiontzitterns  in  die  Hirnrinde  verlegt 
hat.  Er  gelangte  zu  dieser  Annahme  durch  den  Vergleich 
zweier  Fälle,  die  einander  klinisch  und  anatomisch  in  vielen 
Punkten  sehr  ähnlich  waren,  sich  jedoch  darin  unterschieden, 
dass  der  eine  auch  noch  einerseits  Intentionszittern  (und  starke 
Erhöhung  der  Reflexe  und  der  mechanischen  Muskelerreg¬ 
barkeit,  später  übrigens  auch  in  der  Ruhe  bestehende  schüttelnde 
Bewegungen),  andererseits  eine  auffällige  Veränderung  der 
Hirnrinde  besonders  in  der  motorischen  Region  zeigte  (»fleck¬ 
weise  glasige  Entartung  an  der  Grenze  zwischen  Rinde  und 
Marksubstanz,  übergreifend  auf  die  Rinde,  weniger  auf  die 
weisse  Substanz«).  Es  ist  aber  einzuwenden  und  auch  schon 
eingewendet  worden,  dass  Greiff’s  Fall  einen  Paralytiker 
betraf;  ferner  sei  die  Bemerkung  des  Autors  erwähnt,  dass  der 
durch  eine  Erschütterung  oder  mechanischen  Reiz  erzeugte 
Tremor  sich  in  nichts  von  dem  unterschied,  der  bei  intendirten 
Bewegungen  auftrat,  ein  Verhalten,  das  gewiss  nicht  als  die 
Regel  bezeichnet  werden  kann.  Man  darf  also  aus  dem  Falle 
mindestens  keine  allgemein  gütige  Erklätung  des  Intentions¬ 
zitterns  ableiten.  Uebrigens  scheint  er  vereinzelt  zu  sein.  Eine 
gewisse  Aehnlichkeit  hätte  ein  Fall  unserer  Beobachtung:  die 
Section  ergab  am  Hirn,  abgesehen  von  Oedem  der  Substanz  und 
der  Häute,  in  den  Stirn-,  Mittel-,  Schläfen-  und  Hinterhaupts¬ 
windungen  beiderseits  Erweichungsherde  mit  Consistenz- 
vermehrung  an  den  entsprechenden  Rindenstellen;  die  Kranke, 
die  an  epileptiformen  Anfällen  litt  und  links  eine  Hemiplegie, 
beiderseits  Rigor  hatte,  zeigte  bei  allen  Bewegungen  der 
rechten  oberen  Extremität  grobwelligen  Fingertremor.  Doch 
möchte  ich  diesen  Fall  aus  verschiedenen  Gründen,  vor  allem 
deshalb  nicht  heranziehen,  weil  die  Kranke,  die  Decubitus  und 
Sephthämie  hatte,  nicht  bei  freiem  Bewusstsein  wrar,  was  zur 
Beurtheilung  intentioneller  Bewegungen  wTohl  eine  unerlässliche 
Bedingung  ist.  —  Die  klinische  Erfahrung  begünstigt  also  keines¬ 
wegs  die  Annahme  einer  corticalen  Ursache  des  Intentions¬ 
zitterns.  Auf  einem  andern  Wege  sucht  sie  Levy-Dorn*’2) 
plausibel  zu  machen.  Er  weist  darauf  hin,  dass  die  Zahl  der 
Schwankungen  bei  Muskelbewregungen  —  die  bei  Reizung  der 
Hirnrinde  wie  bei  spontanen  und  reflectorischen  Bewegungen, 
bei  Reizung  der  Corona  radiata  wie  des  Rückenmarkes  gleich 
ist  (nach  neueren  Erfahrungen  um  zehn  in  der  Secunde)  —  mit 
jener  übereinstimmt,  wrelche  häufig  die  Zitterbewegungen  zeigen 
(was  aber  nach  den  beigegebenen  Zahlen  eigentlich  nur  für  die 
Neurasthenie,  vielleicht  auch  für  die  Basedow’sche  Krankheit 
und  die  traumatische  Neurose  stimmt).  Versuche  an  gesunden 
Personen  ergeben  ihm,  dass  die  Zahl  der  einfachen  Willens¬ 
handlungen  (Hin-  und  Herbewegung  des  Fingers)  bei  ange¬ 
strengter  Thätigkeit  eine  merkwürdige  Uebereinstimmung  zeigt 
mit  der  Zahl  der  rhythmischen  Schwankungen  des  Tetanus 
und  der  häufigsten  Tremorarten  (bei  der  multiplen  Sklerose 
fünf  bis  sechs);  »es  folgt  aus  diesen  Versuchen,  dass  —  wenig- 

werlhen  Bewegungen  in  dieser  Extremität,  nur  Contractionen  einer  Partie 
der  Muskelfasern  des  Gliedes  oder  schwache  Bewegungen  mit  intensivem 
Zittern  dieser  Extremität.  »Der  Ursprung  des  lutentionszitterns  lässt  sich  so 
erklären:  Die  bei  den  Willkürbewegungen  in  Action  tretenden  Muskeln 
contrahiren  sielt  nicht  im  Ganzen;  die  Muskelbündel  treten  getrennt  in 
Contraction,  daher  ist  die  Bewegung  unterbrochen  und  zitternd.  Demgemäss 
muss  man  die  Ursache  des  Zitterns  in  den  centrifugalen  Nervenbahnen, 
welche  den  Willenseinfluss  übertragen,  suchen.  Man  kann  annehmen,  dass  ein 
Theil  dieser  centrifugalen  Nervenbündel  zerstört  ist  und  dass  in  Folge 
dieser  Zerstörung  der  psychomotorische  Impuls  nicht  in  den  ganzen  Muskel¬ 
apparat  Übertritt,  sondern  nur  in  gewisse  seiner  Partien  .  .  .  Das  Zittern 
ist  in  seiner  Entstehung  abhängig  von  einer  gewissen  Grösse  der  Läsion 
der  Vorderseitenstränge  des  Rückenmarks.«  —  Es  scheint  sich  beide  Male 
nicht  tun  eine  dem  Intentionszittern  entsprechende  Erscheinung  gehandelt 
zu  haben. 

31)  F.  Greiff,  Ueber  diffuse  und  disseminirte  Sklerose  des  Central¬ 
nervensystems  und  über  fleckweise  glasige  Entartung  der  Hirnrinde.  Archiv 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  1883.  Bd.  XIV,  pag.  286. 

32)  Levy-Dorn,  Beitrag  zur  Lehre  vom  Zittern.  Virchow’s  Archiv. 
1899,  Bd.  CLV,  pag.  591. 


stens  die  geprüften  —  Rindenganglien  ebensoviel  Impulse  aus¬ 
zusenden  vermögen,  wie  die  untergeordneten  Neurone«.  Bei 
verschiedenen  Zitternden  (Paralysis  agitans,  Sclerosis  multiplex, 
Neurasthenie,  Morbus  Basedowüi,  traumatische  Neurose,  Anilin- 
intoxication)  besteht  nach  gleichartigen  Versuchen  ein  Paral¬ 
lelismus  zwischen  ihrem  Zittern  und  ihren  Willkürbewegungen 
(bei  grösster  Schnelligkeit);  »würde  man  andererseits  finden, 
dass  die  Willensbewegungen  sich  anders  verhalten,  z.  B.  lang¬ 
samer  wiederholen,  als  die  einzelnen  Zitterschw7ankungen,  so 
spräche  der  Befund  dafür,  dass  der  Ursprung  des  Zitterns  in 
den  untergeordneten  Neuronen  zu  suchen  ist.«  Levy-Dorn 
scheint  also  den  Ursprung  des  Zitterns,  auch  des  Intentions¬ 
zitterns,  in  den  Rindenganglien  zu  suchen.  Es  ist  aber,  um  nur 
das  Eine  zu  erwähnen,  nicht  einzusehen,  dass  das  entgegen¬ 
gesetzte  Verhalten  der  krankhaften  und  der  sozusagen  willkürlich 
nachgeahmten  Zitterbewegungen,  nämlich  ihr  Parallelismus, 
gegen  den  Ursprung  des  Zitterns,  ich  meine  den  Sitz  des  ihn 
verursachenden  krankhaften  Vorganges,  in  den  untergeordneten 
Neuronen  spricht.  Es  ist  also  vorläufig  kein  zwingender  Grund 
vorhanden,  die  von  der  Erfahrung  nahe  gelegte  Beziehung 
des  Intentionstremors  zu  Erkrankungen  im  Hirnstamm  fallen 
zu  lassen. 

Einen  Versuch  einer  genaueren  localisatorischen  Bestim¬ 
mung  und  Erklärung  des  Intentionszitterns  hat  S  t  e  p  h  a  n2:i)  ge¬ 
macht,  indem  er  in  umfassender  Weise  und  von  vielen  Seiten 
an  das  Problem  herantretend  den  Satz  zu  begründen  suchte, 
dass  das  Bestehen  von  (sklerotischen)  Herden  im  Sehhügel, 
dem  Coordinationscentrum,  wahrscheinlich  dieses  Phänomen 
veranlasse.  Sein  Gedankengang  ist  etwa  folgender:  Die  post- 
hemiplegischen  Bewegungserscheinungen  (vom  Typus  der  Hemi- 
chorea,  Athetose,  Sklerose,  Paralysis  agitans)  sind  als  eine 
zusammenhängende  Reihe  von  Phänomenen  anzusehen.  Alle 
sind  wahrscheinlich  von  Läsionen  derselben,  sehr  bestimmten 
Stellen  in  eerebro  abhängig,  besonders  jenen,  wo  Thalamus 
opticus,  Capsula  interna  und  bisweilen  auch  das  Corpus  striatum 
betroffen  sind;  weitaus  am  häufigsten  ist  die  Betheiligung  des 
Thalamus  opt.  am  Processe;  bei  Herderkrankuogen,  die  genau 
auf  diesen  begrenzt  wraren,  überwiegt  das  Auftreten  von  Be¬ 
wegungsstörungen  als  das  meist  constante  Phänomen.  Bei  einem 
Falle  von  linkseitigem  Hemitremor  intentionalis  fand  sich  die 
hintere  Hälfte  des  Nucleus  lenticularis  und  der  hintere  Schenkel 
der  Capsula  interna  von  ungefähr  symmetrischen  hämorrhagi¬ 
schen  Herden  eingenommen,  rechts  aber  auch  der  Thalamus 
erkrankt,  sozusagen  ein  experimenteller  Beweis  dafür,  dass  die 
Thalamusläsion  dieses  Phänomen  veranlasst;  damit  stehe  es  im 
Einklang,  dass  Westphal  ein  anderes  merkwürdiges  Sym¬ 
ptom  der  multiplen  Sklerose,  die  apoplektischen  Anfälle  (aut 
die  eventuell  Tremor  folge),  in  den  Thalamus  mit  der  an¬ 
grenzenden  Mark  Substanz  zu  localisiren  versucht.  Es  sei  wahr¬ 
scheinlich,  dass  bestimmte  Theile  des  Sehhügels  erkrankt  sein 
müssen,  wenn  Bewegungsstörungen  auftreten  sollen,  und  die 
Wahrscheinlichkeit  grenze  an  Gewissheit  für  jene  Fäl  e,  wo 
die  Bewegungsstörung  das  einzige  krankhafte  Phänomen  war. 
Weil  dieses  letztgenannte  Verhalten  nun,  insoferne  es  die 
Arme  betriffr,  bei  der  multiplenSklerose  nicht  selten  vor¬ 
kommt,  wreil  ferner  cerebrale  Localisation  sklerotischer 
Herde  für  das  Auftreten  des  Zitterns  nothwendig  und 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  bei  cerebral  localisirter  Sklerose 
der  Sehhügel  in  den  Process  einbezogen  ist,  während  in  einem 
Falle,  wo  Thalamus  opticus  und  Corpus  striatum  frei  waren, 
der  Intentionstremor  fehlte,  so  ist  Stephan  geneigt,  den 
Tremor  intentionalis  auf  die  Entwicklung  sklerotischer  Herde 
im  Sehhügel  zurückzuführen.  —  Bei  den  intendirten  Bewegungen 
trete  (im  Gegensatz  zur  einfachen  willkürlichen  Bewegung!  das 
Coordinationsvermögen  für  die  Bewegungen  von  Muskeln  und 
ihren  Antagonisten  in  den  Vordergrund;  »wenn  nun  dieses 
Coordinationsvermögen  beim  Vollführen  einer  intendirten  Be¬ 
wegung  ganz  oder  theilweise  verloren  gegangen  ist,  so  muss 
bei  jeder  derartigen  Bewegung  Tremor  auftreten,  da  in  diesen 
Fällen  während  jedes  Zeitraumes  der  Bewegungsphase  ein 
Missverhältnis  besteht  zwischen  den  gegen  übergestellt  wirken- 

o 


3)  1.  c  (12.) 


1018 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Kr.  44 


den  Kräften,  und  die  Bewegungen  müssen  deshalb  nicht  gleich- 
mässig,  sondern  mit  Tremor  geschehen,  und  weil  im  Allge¬ 
meinen  mehr  von  dem  Coordinationsvermögen  gefordert  wird, 
je  nachdem  das  Ziel  erreicht  wird,  so  muss  auch  in 
dem  Masse  der  Tremor  zunehmen.«  Das  Coordinations¬ 
vermögen  müsse  den  psychomotorischen  Centren  abge¬ 
sprochen  werden;  Stephan  sucht  das  Coordinations- 
centrum  im  Thalamus  opticus,  gestützt  auf  ältere  Thierversuche, 
wornach  Abtragnng  des  Sehhügels  oder  die  Zerstörung  der 
Theile  in  der  Umgebung  des  Inspirationscentrums  in  der  Wand 
des  dritten  Ventrikels  bei  Kaninchen  die  coordinirten  Be 
wegungen  beeinträchtigt,  und  auf  Meynert’s  Annahme,  dass 
der  Thalamus  Centren  für  die  Innervationsgefühle  der  Vorder¬ 
extremität  enthalte.34)  »Man  soll  aber  die  ganz  unwillkürlichen 
Bewegungen  und  die  Störungen,  welche  beim  Vollführen  inten- 
dirter  Bewegungen  auftreten,  gut  auseinanderhalten.  Die  ersteren 
kann  man  mit  Kahler  und  Pick  auf  Reizung  der  Pyra¬ 
midenfaserung  beziehen,  ....  die  Störung  aber,  die  bei  den 
intendirten  Bewegungen  erscheint,  ist  abhängig  von  Läsion  des 

Coordinationscentrums . Auch  wenn  die  Coordinationscentra 

intact  sind,  können  Störungen  in  den  Bewegungen  erscheinen, 
wenn  entweder  die  Bahnen  für  die  Sensibilität  oder  die  senso¬ 
rischen  Bahnen  getroffen  sind.  Weil  nun  der  Tremor  von  uns 
abhängig  betrachtet  ist  von  einer  Erkrankung  der  Coordinations¬ 
centra,  so  wird  bei  einer  Erkrankung  der  Sensibilitätsbahnen 
oder  bei  Läsionen  der  sensorischen  Bahnen  a  priori  die  Be¬ 
wegungsstörung  nicht  in  Tremor,  sondern  in  etwas  Anderem 
bestehen.«  - —  Ausserdem  scheint  Stephan  die  Eigenthümlichkeit 
des  Processes  zur  Erklärung  heranzuziehen:  »Die  Bewegungs¬ 
störung  bei  der  multiplen  Sklerose  ist  zwar  öfters,  jedoch  nicht 
ausschliesslich  Tremor  intentionalis,  bisweilen  treten  Bewegungs¬ 
störungen  auf,  die  sich  mehr  der  Chorea  und  Athetose  nähern. 
Ob  wirklich  etwas  Eigentümliches  an  den  Entzündungs- 
zustäuden  bei  der  Cerebrospinalsklerose  sei,  welches  das  Er¬ 
scheinen  von  Intentionstremor  in  den  meisten  Fällen  erklären 
könnte,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  jedoch  will  es  mir 
scheinen,  als  ob  man  an  so  etwas  zuerst  denken  sollte.«  —  Diese 
Beweisführung  enthält  mehr  als  eine  Stelle,  wo  die  Verhält¬ 
nisse  nicht  ganz  eindeutig  liegen.  So  mögen  die  posthemiplegi- 
schen  Bewegungsstörungen  im  Allgemeinen  am  häufigsten  dem 
Thalamus  opticus  entsprechen,  gerade  vom  Intentionstremor, 
so  weit  er  bei  Herderkrankungen  vorkommt,  kann  dies  nicht 
behauptet  werden;  freilich  sind  dies  grösstentheils  Tumoren 
und  Entzündungsherde,  einer  localsymptomatischen  Beziehung 
also  nicht  günstig,  während  auffallender  Weise  zwei  geeignetere 
Fälle  (alter  hämorrhagischer  Herd  beziehungsweise  Narbe)  den 
Sehhügel  betreffen.35)  Ferner  sei  an  die  vielen  Fälle  von 
Thalamuserkrankung  erinnert,  die  symptomlos  verlaufen  sind 
oder  wenigstens  kein  Intentionszittern  gezeigt  haben.  Die  Be¬ 
hauptung,  dass  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  multipler  Skle¬ 
rose  der  Thalamus  betheiligt  ist,  hat  Widerspruch  gefunden.  — 
Was  den  experimentellen  Nachweis  der  Beziehung  des  Seh¬ 
hügels  zur  Coordination  betrifft,  so  werden  die  Angaben,  auf 
die  Stephan  sich  stützt,  zwar  durch  neuere  bestätigt;  so 
behauptet,  um  nur  eine  der  neuesten  Mittheilungen  anzuführen, 
P  r  us  auf  Grund  der  Uebereinstimmung  klinischer  Erfahrungen 
mit  seinen  elektrischen  Reizversuchen  an  Hunden,  »dass  die 
Hemichorea,  sowie  das  bei  Kranken  beobachtete  Zittern  der 
Ausdruck  der  Reizung  des  hinteren  medialen  Abschnittes  des 
Sehhügels,  welcher  an  die  hintere  äussere  Partie  grenzt,  ist«30). 
Doch  widersprechen  die  Experimentatoren,  wie  sie  selbst 
hervorheben,  einander;  ein  Eingehen  auf  diesen  Gegenstand 
würde  zu  weit  führen  und  wenig  nützen.  Ist  es  in  unserem 
Falle  schon  von  vorneherein  misslich,  Ergebnisse  von  Thier- 

3J)  S  t  e  p  h  a  n  hat  offenbar  Th.  M  e  y  n  e  r  t,  Eine  Diagnose  auf  Seh¬ 
hügelerkrankung.  Medicinische  Jahrbücher.  1872,  II.  Heft,  im  Auge;  siehe 
auch  Meynert’s  klinische  Vorlesungen,  pag.  58 — 61. 

1.  c.  (12)  Nr.  30  (Deinang  e),  beziehungsweise  Nr.  5  (G  o  w  e  r  s). 

30)  J.  P  r  u  s,  Ueber  die  bei  elektrischer  Reizung  des  Corpus  striatum 
und  des  Thalamus  opticus  auftretenden  Erscheinungen.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  48,  pag.  1207.  Allerdings  behauptet  er  auch  (1.  c. 
pag.  120(5),  »dass  das  Zittern,  sowie  die  choreatischen  Bewegungen  wahr¬ 
scheinlich  in  einer  gewissen  Beziehung  zur  Function  des  Streifenhüg-els 
stehen«. 


versuchen  auf  die  menschliche  Pathologie  zu  übertragen,  so 
sei  doch  auch  auf  ein  diesbezügliches,  auf  Grund  von  Special- 
untersuchungengewonnenesUrtheil  Bischof f’s37)  verwiesen.  — 
Es  Hessen  sich  leicht  noch  andere  Einwände  erheben,  Wider¬ 
sprüche  nachweisen.  Wenn  aber  selbst  alles  ^Tatsächliche  un- 
bezweifelbar  wäre,  alle  Voraussetzungen  zugegeben  würden,  so 
ist  es  noch  immer  nicht  zu  verstehen,  warum  unter  diesen 
Verhältnissen  gerade  Intentionstremor  und  nicht  irgend  eine 
andere  Form  von  Coordinationsstörung  entstehen  soll. 

Mit  einer  Veränderung,  wornach  bezüglich  der  Sehhügel¬ 
function  nicht  ein  Ausfall,  sondern  ein  Reizvorgang  angenommen 
wird,  hat  v.  Monakow33)  die  Thalamushypothese  wieder  auf¬ 
genommen.  Nach  ihm  »liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  das 
Intentionszittern  hervorgerufen  wird  durch  Sinken  der  Zahl 
der  Einzelreize,  die  namentlich  das  periphere  Neuron  treffen, 
und  dieses  Sinken  beruht  auf  Leitungsschwierigkeiten  (degene¬ 
rative  Veränderungen)  innerhalb  der  Pyramidenbahn.  Mög¬ 
licherweise  wirken  dabei  aber  auch  noch  andere  und  verwandte 
Umstände  wie  bei  der  posthemiplegischen  Chorea  mit.  .  .  .  Das 
häutige,  ja  fast  regelmässige  Vorkommen  von  Herden  im  Seh¬ 
hügel  drängt  die  Ansicht  auf,  dass  ein  Zusammenhang  zwischen 
den  posthemiplegischen  Bewegungsstörungen  und  dem  Seh¬ 
hügel  oder  wenigstens  der  hinteren  inneren  Kapsel  bestehen 

müsse . Berücksichtigt  man,  dass  es  vorwiegend  kleinere 

und  irritirende  Herde  (Tumoren,  kleinere  Blutextravasate)  im 
Sehhügel  sind,  in  deren  Gefolge  d  e  Bewegungsstörungen  auf¬ 
treten,  und  dass  andererseits  gröbere  Zerstörungen  weitaus  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  ohne  Reizerscheinungen  verlaufen,  so 
liegt  der  Schluss  nahe,  dass  es  sich  bei  den  posthemiplegischen 
Bewegungsstörungen  weniger  um  den  Ausfall  des  Sehhügels, 
als  um  abnorme  Reizvorgänge  handeln  muss,  die  von  diesem 
oder  dessen  Umgebung  ausgehen  und  auf  motorische  Centren 
der  Rinde  übertragen  wei  den  ....  in  welcher  in  sich  geschlossene, 
für  die  Innervation  von  zusammengesetzten  Bewegungen  ein¬ 
gerichtete  nervöse  Apparate  (Neuronencomplexe)  miterregt 
werden  ....  selbstverständlich  muss  sich  an  der  Ausführung 
die  Pyramidenbahn  in  complicirter  Weise  bethätigen,  wozu  sie 
nicht  fähig  wäre,  wenn  sie  durch  Druck  seitens  des  Herdes 
noch  beeinträchtigt  würde.«  Dem  naheliegenden  Hinweise  auf 
die  vergleichsweise  zahlreichen  Fälle,  wo  der  Intentionstremor 
einer  caudal  vom  Sehhiigel  sitzenden  Herderkrankung  ent¬ 
sprach,  Hesse  sicli  mit  der  ebenso  nahe  Hegenden  Annahme 
einer  Fernwirkung  entgegnen,  sei  es  im  eigentlichen  Sinne 
eine  Fernwirkung  auf  den  Sehhügel  selbst  oder  indirect  ein 
Einfluss  auf  die  oben  herangezogenen  »vom  Sehhügel  centri¬ 
petal  der  motorischen  Zone  zufliesseuden  Erregungswellen« 
schon  an  einer  Stelle  hinter  dem  Thalamus.  Dass  auch  »damit 
die  Qualität  der  verschiedenen  motorischen  Reizformen  noch 
nicht  erklärt  ist,  auch  nicht,  wie  es  kommt,  dass  bei  scheinbar 
gleicher  Localisation  eines  Herdes  das  eine  Mal  nur  Zittern, 
das  andere  Mal  choreatische  Bewegungen,  das  dritte  Mal  hemi- 
athetotische  Bewegungen  zu  Stande  kommen  und  woclien-  und 
monatelang  in  demselben  Typus  andauern  können«,  das  be¬ 
merkt  v.  Monakow  selbst.  Und  was  die  vorauszusetzende 
Beschaffenheit  der  Herde  betrifft,  so  darf  doch  auch  nicht  un¬ 
berücksichtigt  gelassen  werden,  dass  es  auch  solche  von  der 
oben  angegebenen  Art,  kleinere  und  irritirende  Herde  im  Seh¬ 
hügel,  ohne  Bewegungsstörungen  gibt.  —  Wie  ferner  für  die 
Pyramidenbahnhypothesen  das  häufige  Fehlen  jeder  motorischen 
Schwäche  beim  Intentionstremor  eine  gewisse  Schwierigkeit  ist, 
so  verhält  es  sich  einer  centripetalen  Hypothese  gegenüber, 
so  weit  wenigstens  die  Sinnesbahnen  in  Betracht  kommen,  mit 
dem  häufigen  Fehlen  jeder  sensiblen  Störung. 

Eine  widerspruchslose  Erklärung  des  Intentionszitterns 
ist  also  noch  nicht  gegeben,  obwohl  man  meinen  sollte,  dass 
an  klinischem  Beobachtungsmaterial  vergleichsweise  kein  Mangel 
ist.  So  viel  scheint  sich  aus  der  klinischen  Erfahrung  zu  ergeben, 
dass  der  Art  der  krankhaften  Vorgänge  für  die  Entstehung 
des  Intentionszitterns  keine  hauptsächliche  Bedeutung  zukommt; 

■)  E.  B  i  s  c  h  o  f  f ,  Ueber  die  motorischen  Leitungsbahnen  und  die 
Eiitstehungsweise  epileptischer  Anfälle.  Wiener  klinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  39,  pag.  9(56. 

3S)  1.  c.  (26)  pag.  341  und  328. 


Nr.  44 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1019 


wenigstens  lassen  die  in  Betracht  kommenden  verschiedenen 
Zustände  schwerlich  etwas  Gemeinsames  erkennen.  Diejenigen 
unter  ihnen,  welche  eine  Localisation  erlauben,  weisen  daraut 
hin,  dass  die  Störung  auf  einem  Gebiete  zu  suchen  ist,  das 
die  Sehhügel,  Vierhügel,  Grosshirnschenkel,  die  Brücke  und 
das  Kleinhirn  umfasst,  also  auf  dem  des  Zwischen-,  Mittel-  und 
Hinterhirns;  eine  ähnlich  enge  Zugehörigkeit  zum  Bereiche  des 
Bewusstseins,  der  Empfindung  und  des  Willens  ist  nicht  nach¬ 
zuweisen,  eher  auszuschliessen.  Für  jede  Stelle  jenes  Gebietes 
zeigt  die  Casuistik  das  Symptom  contralateral,  für  die  Brücke 
und  das  Kleinhirn  jedoch  nicht  constant  oder  wenigstens  nicht 
in  allen  Fällen  eindeutig.  Damit  soll  natürlich  nichts  Neues 
gesagt,  sondern  das  Thatsächliche  zusammengefasst  sein. 

Wenn  man  das  Bewegungszittern  und  die  Ruhekrämpfe, 
die  beide  gelegentlich  mit  Zeichen  motorischer  und  sensibler 
Lähmung  verbunden,  an  sich  aber  von  dieser  ganz  unabhän¬ 
gig  sind,  mit  Rücksicht  auf  ihr  Vorkommen  bei  verschiedenen 
Gesammtzuständen  miteinander  vergleicht,  so  ergibt  sich  ein 
gewisser  Parallelismus,  indem  bei  einer  und  derselben 
Krankheit  ohne  vorläufig  erkennbaren  ursächlichen  Unter¬ 
schied  bald  intentionelle  bald  nichtintentionelle  abnorme 
Bewegungserscheinungen  auftreten,  freilich  mit  einem  gewissen, 
für  bestimmte  Krankheiten  charakteristischen  Vorherrschen  der 
einen  oder  der  anderen  Art  von  Bewegungsstörungen.  Dies 
zeigt  sich  fast  bei  jeder  der  eingangs  in  Erwägung  gezogenen 
Krankheiten.  In  dem  wechselnden  Bild  der  cerebralen  Kinder¬ 
lähmungen  und  anderer,  auf  Blutungen  beziehungsweise  Er¬ 
weichungen,  Geschwülste  zurückzuführenden  Hemiplegien 
überwiegen  im  Allgemeinen  die  Ruhekrämpfe39)  (von  der  Form 
der  Chorea,  Athetose,  gelegentlich  der  Paralysis  agitans40)  mit 
Uebergangsformen),  doch  kommt  dabei,  abgesehen  von  der 
häufigen  intentioneilen  Steigerung  dieser  Bewegungsstörungen, 
wie  erwähnt,  auch  Intentionszittern  vor,  und  zwar  entsprechen 
jeder  Localisation,  bei  der  die  intentioneile  motorische  Störung 
beobachtet  worden  ist,  auch  Fälle  jener  niehtintentionellen 
Bewegungserscheinungen.  Bei  der  acuten  Encephalitis41) 
sind  letztere  seltener  beobachtet  worden.  Dass  bei  der 
multiplen  Sklerose  das  charakteristische  Intentionszittern  hie 
und  da  durch  nichtintentionelle,  chorea-  oder  athetoseähnliche 
Ruhekrämpfe  ersetzt  erscheint,  ist  besonders  aus  der  älteren 
Literatur  bekannt,  von  dem  entgegengesetzten  Verhalten  bei 
der  Paralysis  agitans  war  schon  in  der  Einleitung  die  Rede42). 
Bei  progressiver  Paralyse,  bei  der  Inten tionstremor  beob¬ 
achtet  worden  ist,  habe  ich  in  zwei  Fällen  ausgesprochene 


39)  Siehe  auch  F.  Pineies  (Zur  Lehre  von  den  Functionen  des 
Kleinhirns.  Jahrbücher  für  Psychiatrie  und  Neurologie.  1899,  Bd.  XVIII, 
pag.  215),  der  die  in  der  Literatur  angeführten  Fälle  von  Kleinhirnerkran¬ 
kungen  betrachtet,  welche  chorea-  und  athetoseartige  Bewegungen  dar¬ 
geboten  haben,  und  einen  eigenen  einschlägigen  Fall  erklärt,  und  K.  K  i  s  s- 

1  i  n  g  (Ein  Fall  von  infantiler  Cerebrallähmung  mit  complicirter  Oculo¬ 
motoriuslähmung.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  26), 
dessen  Beobachtung  und  Erörterungen  sich  auf  den  Hirnschenkel  be¬ 
ziehen. 

40)  Siehe  z.  B. :  L  e  y  d  e  n,  Ein  Fall  von  Paralysis  agitans  des  rechten 
Armes  in  Folge  der  Entwicklung  eines  Sarkoms  im  linken  Thalamus 
(Virchow’s  Archiv,  Bd.  XXIX),  Litteraturangaben  über  dieses  minder  häufige 
Vorkommniss  bei  R.  Wollenberg  (Nothnagel’s  Handbuch.  Bd.  XH, 
II.  Th.,  III.  Abtheil.,  Paralysis  agitans,  pag.  148). 

41)  S.  Oppenheim,!,  c.  (8). 

4-)  Die  Vollständigkeit  des  Parallelismus  würde  es  erheischen,  auch 
zu  jener  anderen,  häufigen  Krankheit,  bei  der  Ruhekrämpfe  das  hauptsäch¬ 
lichste  Merkmal  bilden,  zur  Chorea,  ein  Analogon  beizubringen,  etwa  Fälle, 
die  in  ihren  ursächlichen  Beziehungen  und  in  ihrem  Verlaufe  sich  wie  die 
Sydenham’sche  Chorea  verhielten,  statt  der  choreatischen  Bewegungs¬ 
störung  jedoch  Intentionstremor  zeigten.  Solche  Fälle  kenne  ich  vorläufig 
nicht;  es  wäre  denn,  dass  man  der  infectiösen  Chorea  die  oben  erwähnten 
Bruns’schen  Beobachtungen  (9)  von  Intentionstremor  und  Ataxie  nach 
acuten  Infectionskrankheiten  (Scarlatina,  Varicellen)  gegenüberstellen  wollte. 
Ein  Gegenstück  zur  Huntington’schen  Chorea  aber  scheinen  mir  die 
eingangs  angeführten  G  r  a  u  p  n  e  r’schen  Beobachtungen  von  familärem 
Intentionstremor  (4)  zu  sein,  und  den  ebendort  (3)  erwähnten  analogen 
juvenilen  Fällen  entsprechen  Beobachtungen  juveniler  Huntington’sclier 
Chorea  (L.  Loewenfeld,  Zur  Lehre  von  der  hereditären  |  Hunting¬ 
ton’schen)  Chorea.  Centraiblatt  für  Nervenheilkunde  und  Psychiatrie.  1899, 
Juni).  —  Was  den  Einfluss  der  Bewegungsintentionen  auf  die  krankhaften 
Bewegungen  der  Choreatischen  betrifft,  so  gehen  die  Angaben  auseinander, 
indem  ihnen  bald  eine  steigernde,  bald  eine  hemmende  Wirkung  zugeschrieben 
wird;  nach  meinen  Erfahrungen  kommt  Beides  vor. 


choreatische  Krämpfe  gesehen43);  vermuthlich  sind  diese  Beob¬ 
achtungen  nicht  vereinzelt.  Bei  der  Friedreich’schen 
Krankheit,  deren  Beziehung  zum  Intentionstremor  oben  er¬ 
wähnt  worden  ist,  sind  choreiforme  Bewegungen  wohlbekannt. 
Schliesslich  gibt  es  auch  von  der  chronischen  (gewerblichen) 
Quecksilbervergiftung,  deren  Tremor  oft44)  ein  ausgesprochen 
intentioneller  ist,  Fälle  (Leube45),  die  unter  dem  exquisiten 
Bilde  der  Chorea  verlaufen  sind.  —  Im  Ganzen  kann  man  sagen, 
dass  überall  dort,  wo  Bewegungszittern  vorkommt,  auch  Ruhe¬ 
krämpfe  in  irgend  einer  Form  auftreten  können;  gelegentlich 
sieht  man  auch  beides  beisammen. 


Aus  der  niederösterreichischen  Landes-Irrenanstalt  zu 

Ybbs. 

Zur  Behandlung  der  Epilepsie  mit  Bromipin. 

Von  Dr.  Wilhelm  Lorenz,  Secundararzt. 

Die  Nebenwirkungen,  von  welchen  gewöhnlich  die  Dar¬ 
reichung  der  Bromsalze  bei  der  Behandlung  der  Epilepsie  be¬ 
gleitet  ist,  haben  schon  zu  vielfachen  Versuchen  Veranlassung 
gegeben,  welche  die  Eliminirung  dieser  das  subjective  Be¬ 
finden  der  Kranken  einerseits,  andererseits  den  Kräftezustand 
derselben  schädigenden  Momente  zum  Zwecke  hatten;  doch 
gelangte  man  bisher  zu  keiner  zufriedenstellenderen  Lösung 
dieser  Frage.  Die  von  verschiedenen  Autoren  empfohlenen 
Ersatzmittel  des  Broms  waren  in  ihrer  Wirkung  oft  unsicher, 
meist  standen  sie  als  Antiepileptica  dem  Brom  mehr  weniger 
nach,  so  dass  doch  immer  wieder  trotz  der  unangenehmen 
Nebenwirkungen  auf  die  Brompräparate  zurückgegriffen  wurde. 
Ein  in  den  letzten  Jahren  von  H.  Winternitz  dargestelltes 
Präparat,  das  Bromipin.  scheint  nach  den  vorliegenden  Mit- 

43)  In  beiden  Fällen  war  während  der  choreatischen  Bewegungen 
das  Bewusstsein  nicht  auffällig  getrübt.  Den  einen  konnte  ich  nur  vorüber¬ 
gehend  ambulatorisch  sehen,  der  andere,  eine  Tabo-Paralyse  betreffend,  sei 
auszugsweise  wiedergegeben  :  51jährige  Pfründnerin,  mit  24  Jahren  Abortus; 
1890  begannen  ziehende  und  reissende  Schmerzen;  einige  Jahre  vorher 
vorübergehend  Doppelbilder.  13.  Juni  1899.  Horizontalumfang  51* 1 * *  4/2  er??. 
Etwas  abgemagert;  ziemlich  hochgradige  allgemeine  Argyrose.  Pupille  links 
weiter  als  rechts,  lichtstarr.  Andeutung  bebender  Phonation.  An  den 
oberen  Extremitäten  nicht  hochgradige,  doch  deutliche  Ataxie.  An  den 
unteren  Extremitäten  hochgradige  Ataxie,  peripheriewärts  zunehmende  Herab¬ 
setzung  der  Schmerzempfindung;  Gehen  und  Stehen  ohne  Unterstützung  un¬ 
möglich.  Tiefe  Reflexe  fehlen.  Demenz,  vorübergehende  Nahrungsverweige¬ 
rung,  megalomanisch  begründet,  Angstzustände,  Gehörstäuschungen.  18.  Juni. 
Silbeustolpern  angedeutet,  bebende  Phonation  deutlich,  charakteristische 
Schrift ;  am  ganzen  Körper  bedeutende  Hypalgesie.  Sie  habe  den  Professor 
ihr  von  ferne  zurufen  hören,  sie  müsse  den  ganzen  Tag  sitzen,  sie  könne 
aber  nicht  ruhig  sitzen,  weil  es  sie  immer  werfe:  es  laufen  mit  kurzen 
Unterbrechungen  einzeln  oder  meistens  in  Reihen  ganz  unregelmässig  ver¬ 
theilte  rasche  Zuckungen  auch  von  bedeutender  Excursion  ab,  hauptsächlich 
in  der  Rumpf-  und  Hüftmusculatur,  dann  in  den  oberen  Extremitäten;  von 
den  Extremitäten  scheinen  die  proximalen  Gelenke  bevorzugt;  der  Ober¬ 
körper  wird  fast  bis  in  die  sitzende  Stellung  emporgeschleudert,  die  Aime 
werden  in  verschiedener  Weise  herumgeworfen,  die  Bewegungen  der  unteren 
Extremitäten  sehen  oft  aus  wie  Strampeln.  Keine  derartigen  Kopfbewegungen. 
Im  Gesichte,  an  den  Lidern,  mehr  noch  in  der  unteren  Gesichtshälfte, 
laufen  vergleichsweise  viel  schwächere  und  langsamere  Bewegungen,  an¬ 
scheinend  besonders  bei  Intentionen  ab.  Beim  Finger-Nasenversuch  Be- 
wegungsexcesse,  die  manchmal  wie  hochgradiger  Intentionstremor  aussehen, 
jedoch  inconstant  sind  und  bei  Fortdauer  der  Intention  verschwinden. 
Bulbusbewegungen  frei.  Dauer  dieser  Krämpfe  etwa  drei  Viertelstunden. 
23.  Juni.  Durch  einige  Minuten  ähnliche  Krämpfe  in  geringerer  Intensität, 
von  der  Wärterin  nur  an  den  Hüftgelenken  gesehen.  In  den  nächsten 
Monaten  keine  Wiederholung.  Zunahme  der  Demenz,  Apathie.  2.  October. 
Transferirung  ins  Versorgungshaus.  Der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Prima¬ 
rius  Dr.  Linsmayer  verdanke  ich  die  weiteren  Mittheilungen :  progressive 
Demenz,  entwickelte  zeitweilig  vorübergehende  Grössenideen;  erlitt  häufig 
paralytische  Anfälle,  und  zwar  kleinere,  mit  einigen  Zuckungen  und  kaum 
wahrnehmbarem  Bewusstseinsverlust,  und  grössere,  ausgesprochen epileptiforme. 
3.  April  1900.  Tod  in  gehäuften  epileptiformen  Anfällen.  Miliartuberculose 
der  Lungen;  graue  Degeneration  der  Hinterstränge  in  gewöhnlicher  Form 
und  ausgedehnt  über  das  ganze  Rückenmark. 

44)  S.  Strümpell,  1.  c.  (7). 

45)  Leube,  Specielle  Diagnostik.  Bd.  II,  pag.  276.  —  Nach  Char¬ 
cot  (1.  c.  pag.  315)  unterscheidet  sich  das  mercurielle  Zittern  von  dem  rein 
intentionellen  der  multiplen  Sklerose  dadurch,  dass  es  in  der  Ruhe  nur  zeit¬ 
weise  schwächer  wird  und  von  Zeit  zu  Zeit,  ohne  dass  der  Patient  eine  Be¬ 
wegung  auszuführen  braucht,  bald  in  Folge  der  geringsten  Erregung,  bald 
ganz  und  gar  spontan  wieder  erscheint.  Nach  Gowers  (1.  c.  pag.  336)  wird 
es  erst  später  andauernd,  dann  gleicht  der  Zustand  dem  der  Paralysis 
agitans. 


1020 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


theilungen  vgl.  insbesondei e  die  Publicationen  von  Gessler, 
Leubu. scher,  Cramer,  Z i  m m  ermann.  Schulze  und 
Ko  the)  einen  Fortschritt  in  der  meaicamentösen  Behandlung 
der  Epilepsie  zu  bedeuten,  indem  es  eine  dem  Brom  in  der 
Bindung  zu  Salzen  zumindest  gleiche  antiepileptische  Wirkung 
besitzt,  ohne  zugleich  die  den  Bromsalzen  bei  längerem  Ge¬ 
brauche  anhaltende  unliebsame  Eigenschaft  zu  haben,  Akne, 
stärkere  Reizbarkeit,  Verschlechterung  des  Ernährungszustandes 
u.  dgl.  zu  erzeugen. 

Das  Bromipin  ist  eine  Verbindung  von  Brom  mit 
Sesamöl.  in  der  sich  ersteres  an  die  Fettsäure  des  Oeles 
additioneil  angelagert  hat. 

Im  Folgenden  sollen  die  Erfahrungen,  welche  wir  bei 
der  Behandlung  Epileptischer  mit  Bromipin  zu  sammeln  Ge¬ 
legenheit  hatten,  in  möglichster  Kürze  mitgetheilt  werden. 
Bevor  ich  jedoch  zur  Skizzirung  der  Krankengeschichten 
übergehe,  muss  ich,  um  häutigen  Wiederholungen  vorzubeugen, 
auf  die  Durchführung  der  Bromipinbehandlung  wenigstens 
cursorisch  eingehen.  Bei  den  während  der  letzten  Monate 
unter  Bromsalzbehandlung  stehenden  Kranken  wurde,  um  den 
Effect  der  Bromipinwirkung  besser  beurtheilen  zu  können,  vor 
der  Bromipindarreichung  die  bisherige  medicamentöse  Therapie 
ausgesetzt  und  die  Kranken  durch  14  Tage  ohne  Medication 
belassen,  worauf  mit  der  Darreichung  von  Bromipin  begonnen 
wurde.  Leider  erfuhr  die  Behandlung  nach  circa  einmonatlicher 
Dauer  eine  gleich  lange  Unterbrechung,  während  welcher  die 
Erlen  m  eye  r’sche  Bromsalzmischung  gegeben  wurde.  Nach 
Ablauf  dieser  Zeit  erhielten  die  Kranken  wiederum  Bromipin; 
diesmal  ununterbrochen  durch  vier  Monate.  Das  Medicament 
wurde  ausnahmslos  per  os  verabreicht. 

I.  Männer. 

1.  B.  J.,  30  Jahre  alt,  ledig,  Pfründner.  Ueber  hereditäre 
Belastung  ist  nichts  bekannt.  Die  Anfälle  bestehen  seit  der  Kindheit, 
ihre  Zahl  schwankte  in  den  letzten  Jahren  zwischen  8  und  15  im 
Monate.  Keine  Aura.  Der  Kranke  ist  geistig  sehr  abgeschwächt, 
nach  den  Anfällen  fast  immer  sehr  verwirrt,  reizbar  und  streit¬ 
süchtig. 

Auf  Bromsalzbehandlung  keine  Besserung,  auch  eine  im 
Jahre  1897  durchgeführte  F 1  e  c  h  s  i  g  -  Behandlung  übte  auf  die 
Zahl  und  Intensität  der  Anfälle,  sowie  auf  das  psychische  Ver¬ 
halten  des  Kranken  keinen  günstigen  Einfluss  aus. 

Während  der  bromfreien  Zeit  sechs  Anfälle.  Nach  Einsetzen 
der  Bromipinbehandlung  zeigte  sich  bei  Gaben  von  20 — 30g  des 
lO%igen  Präparates  eine  Verminderung  der  Intensität  der  Anfälle  derart, 
dass  circa  drei  Viertel  der  aufgetretenen  Insulte  petits  mals  waren, 
während  früher  fast  ausschliesslich  nur  schwere,  ausgebildete  An¬ 
fälle  zur  Beobachtung  gelangten.  Die  Zahl  der  Anfälle  ist  gegen 
früher  unverändert.  Im  psychischen  Verhalten  keine  Aenderung; 
auch  die  Akne  wurde  nur  in  geringem  Grade  günstig  beeinflusst. 
Das  Körpergewicht  betrug  zu  Beginn  der  Bromipinbehandlung 
59 '0  kg  und  stieg  bis  62  3  hg. 

2.  B.  G.,  24  Jahre  alt,  ledig,  Knecht.  Die  Aetiologie  be¬ 
treffend  ist  nichts  bekannt.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  im 
zwölften  Lebensjahre  auf,  waren  immer  reichlich.  In  den  letzten 
Jahren  schwankte  ihre  Zahl  zwischen  25  und  50  im  Monate.  Der 
Kranke  ist  geistig  beträchtlich  abgeschwächt,  in  der  anfallsfreien 
Zeit  nur  wenig  reizbar,  nach  den  Anfällen  fast  immer  sehr  verwirrt, 
sehr  streitsüchtig  und  sehr  oft  aggressiv. 

Auf  Bromsalzbehandlung,  wie  auf  Opium-Brom  keine 
Besserung.  Seit  1897  beträgt  die  Anfallszahl  im  Monate  zwischen 
30  und  35. 

Während  der  bromfreien  Zeit  28  schwere  Anfälle.  10%lges 
Bromipin  bewirkte  seihst  in  Tagesdosen  von  25 — 30  g  keine  Ver¬ 
minderung  der  Zahl  der  Anfälle,  sie  schwankte  dauernd  zwischen 
25  und  30,  doch  ist  ein  Ueberwiegen  von  petits  mals  zu  beob¬ 
achten.  Eine  merkliche  Besserung  zeigte  sich  während  der  Bromipin- 
medication  seitens  des  psychischen  Verhaltens;  der  Kranke  war 
wesentlich  ruhiger  und  zeigte  keine  Neigung  zu  Gewaltthätigkeit. 
Die  in  Folge  der  Bromsalzbehandlung  aufgetretene  Akne  begann 
unter  Bromipin  im  Laufe  des  ersten  Monates  abzublassen  und 
schwand  in  den  folgenden  Wochen  fast  vollständig.  Das  Körper¬ 


gewicht  stieg  von  619  hg  während  der  Bromipindarreichung  bis 
703  kg. 

3.  C.  A.,  56  Jahre  alt,  ledig,  Pfründner,  hereditär  nicht  be¬ 
lastet.  Der  erste  Anfall  trat  im  28.  Lebensjahre  im  Anschlüsse  an 
eine  starke  Gemiithserregung  auf.  Keine  Aura.  Anfangs  waren  die 
Anfälle  selten,  häuften  sich  in  den  späteren  Jahren  und  Hessen 
sich  durch  Brom  nicht  beeinflussen.  Auf  eine  im  Jahre  1897 
durchgeführte  F  1  e  c  h  si  g  -  Behandlung  verminderten  sich  die 
epileptischen  Insulte  um  ein  Geringes.  In  der  letzten  Zeit  betrug 
die  Anfallszahl  im  Monate  zwischen  acht  und  zwölf. 

Während  der  bromfreien  Zeit  traten  16  Anfälle  auf;  nach 
Darreichung  von  15  g  10%igen  Bromipins  war  der  Kranke  durch 
14  Tage  anfallsfrei,  hierauf  ein  schwerer  Anfall,  von  nun  ab  bis 
zur  intervallären  Bromsalzbehandlung  ohne  Insult.  Auf  neuerliche 
Bromipindarreichung  in  Dosen  von  5 — 10  <7  trat  keine  längere 
anfallsfreie  Zeit  auf,  auch  bei  Gaben  von  20 — 25  g  blieb  die  Zahl 
der  Anfälle  gegenüber  der  früheren  Bromsalzmedication  unverändert, 
doch  nahm  die  Stärke  der  Anfälle  wesentlich  ab;  es  treten  in  der 
Folge  fast  ausschliesslich  petits  mals  auf.  Die  Akneeruptionen  und 
das  psychische  Verhalten  wurden  nicht  beeinflusst.  Das  Körper¬ 
gewicht  betrug  am  Ende  der  Bromsalzbehandlung  653  hg ,  stieg 
während  Bromipin  anfangs  auf  66-2  hg  und  fiel  später  bis  644  hg. 

4.  E.  A.,  32  Jahre  alt,  ledig,  Holzhauer,  hereditär  schwer  be¬ 
lastet.  Die  Anfälle  sind  im  siebenten  Lebensjahre  angeblich  nach 
Schreck  aufgetreten.  Keine  Aura.  In  den  ersten  Jahren  des  Be¬ 
stehens  der  Epilepsie  traten  nur  selten  Insulte  auf.  häufig  war  der 
Kranke  1 — IA/2  Monate  anfallsfrei.  Patient  ist  imbecill,  sehr  rauf¬ 
lustig,  häufig  brutal  gewaltthätig,  nach  den  Anfällen  nur  sehr 
selten  verwirrt  oder  reizbarer.  Auf  Opium-Brom  trat  eher  Ver¬ 
mehrung  der  Anfälle  auf.  In  der  letzten  Zeit  monatlich  vier  bis 
sechs  Insulte. 

Während  der  Zeit  ohne  Medication  vier  Anfälle;  mit  Ein¬ 
setzen  von  15  <7  10%igen  Bromipins  am  vierten  Tage  ein  Anfall, 
hierauf  über  einen  Monat  anfallsfrei.  Während  der  intervallären 
Bromsalzdarreichung  vier  Anfälle.  Bei  neuerlicher  Bromipinmedication 
(5  g  pro  die)  war  der  Kranke  23  Tage  ohne  epileptischen  Insult; 
in  der  Folge  stellten  sich  wieder  reichlichere  Anfälle  ein  (vier  bis 
fünf  im  Monate),  welche  sich  nach  Verabreichung  von  20  g  ver¬ 
minderten  (zwei  Anfälle  während  sechs  Wochen).  Auch  dieser 
Kranke  zeigte  eine  auffällige  Besserung  des  psychischen  Verhaltens, 
besonders  war  die  Reizbarkeit  und  die  Neigung  zu  aggressivem 
Verhalten  während  der  anfallsfreien  Zeit  gegen  früher  sehr  ver¬ 
mindert.  Die  bestehende  Akne  wurde  durch  die  Bromipindarreichung 
nur  wenig  beeinflusst.  Das  Körpergewicht  stieg  von  61’4/r<7  auf 
62-3  hg. 

5.  G.  A.,  33  Jahre  alt,  ledig,  Pfründner,  hereditär  schwer 
belastet.  Die  epileptischen  Krämpfe  traten  im  zwölften  Lebensjahre 
ohne  bekannte  Veranlassung  auf,  circa  fünf-  bis  neunmal  monatlich. 
Patient  ist  geistig  stark  abgeschwächt,  im  Allgemeinen  harmlos, 
äussert  oft  Beeinträchtigungs-  und  Verfolgungswahnideen.  Nach  den 
Anfällen  ist  der  Kranke  oft  Tage  lang  sehr  verwirrt,  verkennt  seine 
Umgebung,  wird  nur  selten  gewaltthätig.  Auf  Bromsalzbehandlung 
erfolgte  keine  Verminderung  der  Zahl  der  Anfälle,  auch  auf  Opium- 
Brom  trat  keine  Besserung  ein. 

Während  der  bromfreien  Zeit  wurde  eine  Vermehrung  der 
Anfälle  (im  Ganzen  zehn)  beobachtet.  Nach  der  Darreichung  von 
15^7  10%igen  Bromipins  traten  im  Laufe  der  ersten  vier  Wochen 
nur  vier  Anfälle  auf;  nach  Aussetzen  desselben  vermehrten 
sich  unter  Erlenmeye r’scher  Bromsalzmischung  die  Anfälle 
wieder  auf  acht.  Auf  abermalige  Bromipinmedication,  diesmal  in 
einer  Tagesdosis  von  5  <7,  verringerten  sich  wiederum  die  Anfälle 
auf  vier  im  Monate,  welche  Anfallszahl  trotz  Steigerung  der 
Bromipindosis  auf  10  <7,  später  auf  20  <7  unverändert  blieb.  Ein 
Einfluss  auf  das  psychische  Verhalten,  wie  auf  die  vorhandene 
Akne  konnte  nicht  beobachtet  werden.  Das  Körpergewicht  stieg 
während  Bromipin  von  10  3  hg  auf  7L5  hg. 

6.  G.  R.,  36  Jahre  alt,  ledig,  Hausbesitzer;  eine  hereditäre 
Belastung  ist  nicht  nachweisbar.  Die  epileptischen  Anfälle  sollen 
im  16.  Lebensjahre  in  Folge  Kränkung  aufgetreten  sein,  sie  waren 
in  der  ersten  Zeit  selten,  vermehrten  sich  jedoch  beträchtlich  in 
den  folgenden  Jahren.  Auf  Bromkalitherapie  erfolgte  eine  wesent¬ 
liche  Besserung.  Vor  ungefähr  zehn  Jahren  ergab  sich  Patient  dem  Potus, 
worauf  die  Zahl  der  Anfälle  rasch  zunahm.  Keine  Aura.  Der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIET.  1900. 


1021 


Kranke  ist  in  massigem  Grade  geistig  abgeschwächt,  argwöhnisch, 
doch  harmlos;  nach  den  Anfällen  tritt  oft  tagelang  dauernde 
Verworrenheit  mit  Hallucinationen  auf.  Zu  diesen  Zeiten  wird  fast 
regelmässig  stärkere  Reizbarkeit  und  Streitsucht  beobachtet.  Auf 
eine  neuerliche  Bromsalzbehandlung,  wie  auf  eine  Opium-Brom-Cur 
nach  F 1  e  c  h  s  i  g  trat  keine  Besserung  auf.  In  den  letzten  zwei 
Jahren  betrug  die  Zahl  der  Anfälle  monatlich  12—21. 

In  der  bromfreien  Zeit  trat  keine  Vermehrung  der  Anfälle 
auf.  Auf  Bromipindarreichung  blieb  die  Zahl  der  Anfälle,  gleich¬ 
gültig  ob  niedere  oder  hohe  Dosen  (bis  30  <7)  gegeben  wurden,  voll¬ 
kommen  gleich,  nur  war  bei  den  höheren  Dosen  ein  Vorherrschen 
von  petits  mals  zu  beobachten.  Psychisch  keine  Aenderung;  die 
Akne  blieb  ebenfalls  unbeeinflusst.  Das  Körpergewicht  stieg  von 
57-5  bis  58'6%. 

7.  G.  J.,  42  Jahre  alt,  ledig,  ohne  Beschäftigung;  hereditär 
belastet.  Die  epileptischen  Insulte  sind  im  zwölften  Lebensjahre  im 
Anschlüsse  an  Scarlatina  aufgetreten.  Keine  Aura.  Sehr  reichliche 
Anfälle  (meist  15 — 19  im  Monate).  Geistig  ist  Patient  sehr  abge¬ 
schwächt,  besonders  nach  den  Anfällen  sehr  reizbar,  oft  gewalt- 
thätig.  Im  Jahre  1897  machte  der  Kranke  eine  Opium-Brom-Cur 
durch,  worauf  für  drei  Monate  sich  die  Anfälle  um  etwas  ver¬ 
minderten  (monatlich  bis  acht);  später  nahmen  sie  unter  Brom  in 
Form  des  E  r  1  e  n  m  ey  e  r'schen  Gemisches  40/7  wieder  zu 
(bis  zwölf). 

Während  der  bromfreien  Zeit  keine  Vermehrung  der  Anfälle. 
Auf  10'Voiges  Bromipin  im  Laufe  des  ersten  Monates  (bei  15  //, 
später  20  g  pro  die)  drei  Anfälle,  im  zweiten  zwei,  im  dritten  fünf, 
im  vierten  fünf  (vorwiegend  petits  mals),  im  fünften  zwei  Anfälle. 
In  den  anfallsfreien  Intervallen  war  der  Kranke  dauernd  ruhig  und 
harmlos,  nach  den  Anfällen  im  Allgemeinen  weniger  streitsüchtig, 
nie  aggressiv.  Die  Akne  ist  während  Bromipin  fast  vollständig 
zurückgegangen.  Das  Körpergewicht  stieg  von  52' 1  hg  gleichmässig 
bis  57'8  hg. 

8.  K.  J.,  18  Jahre  alt,  ledig,  ohne  Beschäftigung;  angeblich 
keine  hereditäre  Belastung.  Als  Gelegenheitsursache  für  das  Auf¬ 
treten  der  Krämpfe  wird  Trauma  capitis  angegeben.  Die  epileptischen 
Anfälle  bestehen  seit  der  Kindheit  und  nahmen  mit  den  Jahren  an 
Häufigkeit  zu.  Meist  geht  den  Anfällen  eine  deutliche  Aura  vorher. 
Der  Kranke  ist  geistig  abgeschwächt,  kindisch  in  seinem  Benehmen, 
meist  sehr  reizbar  und  streitsüchtig.  Bei  Bromsalzbehandlung  traten 
in  der  letzten  Zeit  monatlich  10 — 15  und  mehr  Anfälle  auf, 
häufig  an  einem  Tage  gehäuft. 

Während  der  bromfreien  Zeit  zehn  Anfälle.  Auf  Darreichung 
von  18 — 20  g  10%igen  Bromipins  traten  im  ersten  Monate  vier, 
im  zweiten  (bei  10 — 15/7)  drei,  im  dritten  (bei  20 g)  vier,  im 
vierten  vierzehn,  im  fünften  drei  Anfälle  auf.  Eine  Aenderung  im 
Benehmen  des  Kranken  konnte  nicht  beobachtet  werden.  Die  durch 
die  frühere  Bromsalzbehandlung  aufgetretene  Akne  wurde  durch 
Bromipin  wesentlich  gebessert.  Das  Körpergewicht  stieg  von  60  hg 
auf  62  hg. 

9.  K.  J.,  26  Jahre  alt,  ledig,  Pfründner;  erblich  belastet.  Die 
epileptischen  Anfälle  traten  in  früher  Kindheit  nach  Fraisen  auf, 
ihre  Zahl  schwankte  in  den  letzten  Jahren  zwischen  sieben  und 
zwölf  im  Monate.  Geistig  ist  der  Kranke  in  ziemlichem  Grade  ab¬ 
geschwächt,  hochgradig  reizbar  und  sehr  gewaltthätig  und  muss 
deshalb  häufig  von  seiner  Umgebung  separirt  gehalten  werden. 
Bromsalztherapie,  F  1  e  c  h  s  i  g'sche  Behandlung  waren  ohne  Einfluss 
auf  die  Zahl  und  Stärke  der  Anfälle,  wie  auf  das  psychische  Ver¬ 
halten  des  Kranken. 

Während  der  bromfreien  Zeit  stellte  sich  keine  Vermehrung 
der  epileptischen  Insulte  ein.  Bromipin  selbst  in  Gaben  von  24  g 
pro  die  liess  sowohl  die  Anfälle  wie  das  psychische  Verhalten  voll¬ 
kommen  unbeeinflusst.  Die  in  beträchtlichem  Grade  vorhandene 
Akne  wurde  deutlich  vermindert.  Das  Körpergewicht  stieg  von 
54'7  hg  während  der  Bromipindarreichung  ziemlich  gleichmässig  und 
betrug  am  Ende  der  Behandlung  58  hg. 

10.  K.  A.,  37  Jahre  alt,  ledig,  Claviertischler;  erblich  be¬ 
lastet.  In  der  Kindheit  bestanden  Fraisen.  Epileptische  Krämpfe 
traten  im  zwölften  Lebensjahre  nach  einem  Sturze  auf.  Keine  Aura. 
Geistig  ist  der  Kranke  nur  wenig  abgeschwächt,  doch  sehr  miss¬ 
trauisch  und  reizbar,  oft  gewaltthätig.  Den  Anfällen  folgen  hie  und 
da,  doch  selten,  Verwirrtheitszustände.  In  den  letzten  Jahren  betrug 
die  Anfallszahl  im  Monate  durchschnittlich  18.  Auf  Bromsalz¬ 


behandlung  keine  Besserung.  Nach  einer  im  Jahre  1897  durch¬ 
geführten  Opium- Brombehandlung  nach  Flechsig  war  in  den 
ersten  Monaten  nach  Aussetzen  des  Opiums  eine  Verminderung 
der  Zahl  der  Anfälle  zu  beobachten,  doch  trat  bald  darauf  wieder 
Recidive  ein. 

Während  der  bromfreien  14  Tage  war  eine  Vermehrung  der 
Anfälle  (14)  aufgetreten.  Auf  steigende  Dosen  von  10°/oioe,n 
Bromipin  von  18  <7  bis  30  <7  wurden  im  Laufe  des  ersten  Monates 
der  Bromipindarreichung  sieben  Anfälle  (vier  grand,  drei  petit),  im 
zweiten  elf  (fünf  grand,  sechs  petit)  hei  einer  Tagesgabe  von 
10 — 18  <7,  im  dritten  Monate  bei  Gaben  von  18— 2b  g  sechs  An¬ 
fälle  (zwei  grand,  vier  petit),  im  vierten  drei  schwere,  im  fünften 
neun  Anfälle  beobachtet;  zu  Beginn  dieses  Monates  verweigerte  der 
Kranke  häufig  das  Medicament  und  nahm  es  erst  wieder  regel¬ 
mässig,  als  die  Anfälle  in  reichlicherer  Zahl  auftraten.  Die  Reiz¬ 
barkeit  und  Streitsucht  blieb  gegen  früher  ziemlich  unverändert. 
Die  vorhandene  Bromakne  wurde  günstig  beeinflusst  und  schwand 
fast  vollständig.  Das  Körpergewicht  stieg  von  74%  auf  76%. 

11.  L.  F.,  36  Jahre  alt,  ledig,  gewesener  Kellner;  hereditär 
belastet.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  ohne  bekannte  Ver¬ 
anlassung  im  achten  Lebensjahre  auf,  bevorzugten  anfänglich  meist 
die  Nachtstunden  und  stellten  sich  immer  erst  nach  längeren 
Intervallen  ein.  Seit  fünf  bis  sechs  Jahren  mehren  sie  sich  trotz 
Brombehandlung.  Der  Kranke  ist  sehr  reizbar  und  streitsüchtig, 
häufig  nach  den  Anfällen  tagelang  verworren  und  erregt.  Geistig 
ist  Patient  nur  wenig  abgeschwächt.  Keine  deutliche  Aura.  In  letzter 
Zeit  monatlich  drei  bis  vier  Anfälle. 

Während  der  bromfreien  Zeit  keine  Vermehrung  der 
epileptischen  Insulte.  Im  ersten  Monate  der  Bromipinmedication 
(täglich  18 — 20  g)  ein  Anfall,  im  zweiten  zwei,  im  dritten  zwei, 
im  vierten  drei,  im  fünften  sechs.  Im  psychischen  Verhalten  keine 
Aenderung.  Die  Akne  wurde  nicht  gebessert.  Das  Körpergewicht 
stieg  von  613  hg  auf  63  hg. 

12.  M.  K.,  28  Jahre  alt,  ledig,  Schlossergehilfe;  hereditär 
schwer  belastet.  Die  Anfälle  bestehen  seit  dem  zehnten  Lebens¬ 
jahre.  Keine  deutliche  Aura.  Anfangs  waren  die  Anfälle  selten  und 
traten  immer  erst  nach  längeren  Intervallen  (ein  bis  drei  Monate) 
auf;  in  den  letzten  Jahren  reichlichere  Insulte  (circa  vier  bis  acht 
im  Monate).  Psychisch  ist  der  Kranke  beträchtlich  abgeschwächt, 
zudringlich,  reizbar,  sehr  oft  aggressiv.  Den  Anfällen  folgen  oft 
tagelang  dauernde  Dämmerzustände  mit  sehr  ungeordnetem  Ge- 
bahren.  Auf  Bromsalzbehandlung  nur  vorübergehende  Besserung. 
Opium-Brom  nach  Flechsig  erwies  sich  als  wirkungslos. 

Während  der  bromfreien  Zeit  keine  Vermehrung  der  Anfälle. 
Im  ersten  Monate  der  Bromipinbehandlung  traten  bei  Gaben  von 
18 — 30  g  drei  Anfälle  auf,  im  zweiten  Monate  bei  Dosen  von 
10—15  g  ebenfalls  drei,  im  dritten  bei  gleicher  Dosis  vier,  im 
vierten  hei  24  g  10°/nigen  Bromipins  drei,  im  fünften  vier  Anfäile 
(zwei  schwere,  zwei  Mahnungen).  Der  früher  sehr  reizbare  Kranke 
war  während  Bromipin  in  seinem  Verhalten  geordneter  und  wurde 
nur  einmal  während  eines  postepileptischen  Verwirrtheitszustandes 
gewaltthätig.  Die  Akneerruptionen  Avurden  sehr  günstig  beeinflusst. 
Das  Körpergewicht  zeigte  ein  sehr  unregelmässiges  Verhalten,  bald 
stieg  es,  bald  fiel  es.  Zu  Beginn  der  Bromipinbehandlung  hatte  der 
Kranke  ein  Gewicht  von  80'2  hq  am  Ende  derselben  wog  er 
80  hg. 

13.  0.  A.,  40  Jahre  alt,  ledig,  Eisengiesser;  hereditär  be¬ 
lastet.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  im  17.  Lebensjahre  ohne 
bekannte  Veranlassung  auf.  Deutliche  Aura.  Die  Zahl  der  epilepti¬ 
schen  Insulte  schwankte  immer  zwischen  8  und  15  im  Monate. 
Auf  Bromsalzbehandlung  keine  Besserung.  Durch  die  Flechsig- 
sc-he  Opium-Bromcur  wurde  eine  vorübergehende  Verminderung  der 
Anfälle  erzielt  (zwei  bis  vier  im  Monate).  Im  neunten  Monate  nach 
Aussetzen  des  Opiums  stieg  die  Anfallszahl  wieder,  blieb  jedoch 
etwas  niederer  als  vor  der  Flechsig-  Behandlung  (drei  bis 
sieben  monatlich).  Geistig  ist  Patient  sehr  abgeschwächt,  in 
beträchtlichem  Grade  reizbar,  zeitweise  gewaltthätig. 

Während  der  bromfreien  Zeit  sechs  Anfälle.  Nach  Darreichung 
von  Bromipin  war  der  Kranke  zwei  Monate  anfallsfrei:  im  ersten 
Monate  bei  einer  Tagesdosis  von  15/7,  zweüen  von  5  <7, 
im  dritten  Monate  vermehrten  sich  bei  5  g  wieder  die  Anfälle 
(sieben).  Im  vierten  Monate  wurden  bei  20/7  vier  Anfälle,  im 
fünften  bei  der  gleichen  Dosis  drei  beobachtet.  Im  psychischen 


1022 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


Verhalten  zeigte  der  Kranke  gegen  früher  keine  Aenderung,  auch 
die  Akrie  blieb  unverändert.  Das  Körpergewicht  stieg  von  69  2  kg 
auf  712%. 

14.  P.  R.,  21  Jahre  alt,  ledig,  Pfründner,  lieber  Heredität 
ist  nichts  bekannt.  Der  Kranke  ist  geistig  hochgradig  abgeschwächt, 
sehr  reizbar  und  streitsüchtig,  sehr  zu  gewaltthätigem  Benehmen 
neigend.  Nach  den  Anfällen,  deren  Zahl  im  Monate  sechs  bis 
sieben  beträgt,  besteht  gewöhnlich  starke  Verworrenheit  mit  unge¬ 
ordnetem  Gebahren.  Keine  deutliche  Aura. 

Während  der  bromfreien  Zeit  sechs  Anfälle.  10%iges 
Bromipin  in  Dosen  von  15  <7  bis  24  g  bewirkte  keine  Verminderung 
der  Anfälle.  Während  der  Bromipinmedication  war  der  Kranke  im 
Allgemeinen  ruhiger  und  in  den  anfallsfreien  Zeiten  weniger  reizbar, 
verträglicher.  Die  reichlich  vorhandene  Akne  schwand  vollständig. 
Das  Körpergewicht  betrug  zu  Beginn  der  Bromipindarreichung  569  % 
und  stieg  am  Ende  derselben  bis  60  kg. 

15.  S.  J.,  39  Jahre  alt,  ledig,  Landwirth;  hereditär  nicht 
belastet.  Die  Anfälle  traten  ohne  eruirbare  Ursache  im  19.  Lebens¬ 
jahre  auf,  waren  anfangs  selten,  vermehrten  sich  später  (monatlich 
zwei  bis  drei  Anfälle).  Mit  Bromsalzbehandlung,  auch  mit  der 
Flechsig-Cur  wurde  keine  deutliche  Besserung  erzielt.  Im  letzt¬ 
vergangenen  Jahre  verminderten  sich  die  epileptischen  Insulte  bei 
Darreichung  von  4  g  des  E  rl  e  n  m  e  y  e  r’schen  Gemisches  sehr  be¬ 
trächtlich;  im  Laufe  dieses  Jahres  wurde  nur  ein  Anfall  beobachtet. 
Der  Kranke  ist  imbecill,  in  letzter  Zeit  dauernd  ruhig  und 
harmlos. 

Während  der  bromfreien  Zeit  und  im  ersten  Monate  der 
Bromipinbehandlung  (10 <7)  ohne  Anfall:  im  zweiten  Monate  an 
zwei  aufeinanderfolgenden  Tagen  bei  starker  Verworrenheit  ge¬ 
häufte  Anfälle  (im  Ganzen  zwölf),  im  dritten  und  vierten  anfallsfrei, 
im  fünften  zwei  Anfälle.  Die  Tagesdosis  betrug  in  den  letzten 
Monaten  15  <7.  Das  psychische  Verhalten  und  die  Akne  betreffend 
ist  keine  Aenderung  aufgetreten.  Das  Körpergewicht  stieg  von 
58'4%  auf  62  0  kg. 

16.  S.  A„  25  Jahre  alt,  ledig,  Pfründner;  angeblich  keine 
hereditäre  Belastung.  Die  epileptischen  Anfälle  bestehen  seit  der 
frühesten  Kindheit  und  treten  zwei-  bis  viermal  im  Monate  auf; 
selten  bis  vier  Wochen  anfallsfrei.  Der  Kranke  ist  geistig  abge¬ 
schwächt  und  leidet  an  nur  selten  auftretender,  kurz  dauernder, 
stärkerer  Reizbarkeit.  Bromsalzbehandlung  wie  die  Opium-Bromcur 
nach  Flechsig  bewirkte  keine  länger  dauernde  Besserung. 

Während  der  bromfreien  Zeit  ein  Anfall.  Bei  15  g  Bromipin 
(10%)  im  ersten  Monate  ein  Anfall,  im  zweiten  bei  5 g  drei  petits 
mals;  hierauf  bei  10 g  zwei  Monate  anfallsfrei,  im  fünften  Monate 
ein  Anfall.  Psychisch  keine  Aenderung.  Akne  gebessert.  Das  Körper¬ 
gewicht  blieb  constant  69  kg. 

17.  S.  G.,  31  Jahre  alt,  ledig,  Fleischhauer;  erblich  angeblich 
nicht  belastet.  Der  Kranke  litt  in  der  Jugend  an  Fraisen.  Die  epi¬ 
leptischen  Anfälle  traten  angeblich  in  Folge  eines  Schädeltraumas 
im  sechsten  Lebensjahre  auf.  Trotz  Bromsalzbehandlung  blieb  die 
Zahl  der  Anfälle  (fünf  bis  neun  im  Monate)  und  ihre  Intensität 
unverändert;  auch  die  Opium-Brombehandlung  nach  Flechsig 
bewirkte  keine  Besserung.  Keine  Aura.  Die  Intelligenz  des  Kranken 
ist  beträchtlich  herabgesetzt,  es  besteht  häufig,  auch  in  den  anfalls¬ 
freien  Intervallen,  hochgradige  Reizbarkeit,  verbunden  mit  Neigung 
zu  aggressivem  Verhalten.  Den  Anfällen  gehen  gewöhnlich  tagelang 
Verwirrtheitszustände  mit  Hallucinationen  voran,  welche  nach  den 
Anfällen  sich  oft  noch  steigern.  In  den  letzten  Monaten  je  acht 
bis  zwölf  Anfälle. 

Während  der  bromfreien  Zeit  keine  Vermehrung  der  Anfälle. 
Auf  Darreichung  von  Bromipin  (10%)  in  Dosen  von  15—25*7  Pro 
die  blieb  die  Zahl  und  Intensität  der  Anfälle  vollkommen  unver¬ 
ändert,  auch  das  psychische  Verhalten  zeigte  keine  Besserung.  Be¬ 
züglich  der  bei  dem  Kranken  reichlich  vorhandenen  Bromakne  war 
während  der  Bromipinbehandlung  eine  deutliche  Besserung  zu  be¬ 
obachten.  Das  Körpergewicht  stieg  von  65  kg  auf  66-5  kq. 

18.  Z.  J.,  31  Jahre  alt,  ledig,  Taglöhner,  lieber  "hereditäre 
Belastung  ist  nichts  bekannt.  In  der  Kindheit  Fraisen.  Die  Er¬ 
krankung  an  Epilepsie  soll  im  neunten  Jahre  in  Folge  Schreck 
aufgetreten  sein.  Keine  Aura.  Geistig  ist  der  Kranke  beträchtlich 
abgeschwächt,  sehr  reizbar  und  streitsüchtig,  sehr  häufig  aggressiv, 
nach  den  Anfällen  meist  tagelang  sehr  verwirrt.  Monatlich  bis  neun 


Anfälle,  nur  selten  weniger.  Mit  Brom-  und  Opium-Brombehandlung 
war  bisher  keine  länger  dauernde  Besserung  zu  erzielen. 

ln  der  bromfreien  Zeit  sieben  Anfälle.  Im  ersten  Monate  der 
Bromipinbehandlung  bei  15 g  zwei  Anfälle,  im  zweiten  bei  5  g 
sechs  Anfälle,  im  dritten  Monate  bei  10 g  ein  Anfall,  desgleichen 
im  vierten  und  fünften  Monate.  In  den  letzten  zwei  Monaten  betrug 
die  Bromipinmenge  pro  die  bis  20  g.  Der  Kranke  war  während  der 
Behandlung  mit  Bromipin  im  Allgemeinen  wesentlich  geordneter, 
insbesonders  war  die  Reizbarkeit  und  Streitsucht  deutlich  ver¬ 
mindert.  Auch  die  bestehende  Akne  wurde  bei  diesem  Kranken 
günstig  beeinflusst.  Das  Körpergewicht  stieg  während  der  Bromipin¬ 
medication  von  71  kg  auf  7 3 '4  kg. 

II.  Frauen. 

19.  B.  A.,  27  Jahre  alt,  ledig,  ohne  Beschäftigung.  In  Bezug 
auf  die  hereditären  Verhältnisse  ist  nichts  bekannt.  Die  epileptischen 
Anfälle  traten  ohne  bekannte  Veranlassung  im  14.  Lebensjahre  auf. 
Keine  Aura.  In  den  letzten  Jahren  schwankte  die  Zahl  der  Insulte 
im  Monate  zwischen  zwei  und  sechs.  Die  Kranke  ist  ganz  ver¬ 
blödet,  harmlos,  nach  den  Anfällen  immer  sehr  verworren,  meist 
psychomotorisch  hochgradig  gehemmt.  Auf  Bromsalzbehandlung  keine 
Besserung,  desgleichen  war  auch  die  Flechsig-Cur  von  keinem 
Erfolge  begleitet. 

Während  der  bromfreien  Zeit  vier  Anfälle.  Bei  der  Dar¬ 
reichung  von  Bromipin  blieb  die  Zahl  und  Stärke  der  Anfälle  bei 
Gaben  von  15 — 30  g  unverändert.  Günstig  beeinflusst  wurde  nur 
die  reichlich  vorhandene  Akne.  Psychisch  keine  Aenderung.  Das 
Körpergewicht  fiel  von  43  kg  auf  40-5  kg. 

20.  B.  R.,  39  Jahre  alt,  verheiratet,  Kleinhäuslerin.  Die 
Kranke  ist  hereditär  belastet,  war  vom  Jahre  1885—1888  in 
Anstaltspflege  in  Folge  Erkrankung  an  einer  Puerperalpsychose. 
Geheilt  entlassen,  erkrankte  Patientin  im  Jahre  1896  abermals  an 
Verwirrtheit,  weswegen  sie  wieder  der  Irrenanstalt  überstellt  wurde. 
Im  Verlaufe  der  ersten  Psychose  waren  am  22.  Januar  1887  zum 
ersten  Male  ohne  bekannte  Veranlassung  epileptiforme  Anfälle  auf¬ 
getreten,  welche  zwei  Tage  andauerten.  Hierauf  war  die  Kranke 
anfallsfrei  bis  zum  16.  August  1896.  Seit  dieser  Zeit  bestehen 
häufige  epileptische  Anfälle  mit  Neigung  zu  Status  epilepticus.  Die 
Anfallszahl  im  Monate  ist  dauernd  sehr  hoch  und  schwankt  im 
Allgemeinen  zwischen  20  und  45,  in  einzelnen  Monaten  wurden 
sogar  bis  90  epileptische  Insulte  beobachtet.  Keine  deutliche  Aura. 
Die  Kranke  ist  sehr  dement,  unrein,  auch  in  den  anfallsfreien 
Zeiten  sehr  reizbar  und  streitsüchtig  und  häufig  auf  geringfügige 
Veranlassungen  hin  aggressiv.  Die  Behandlung  mit  Bromsalzen  be¬ 
wirkte  keine  Besserung. 

Während  der  bromfreien  Zeit  keine  Vermehrung  der  An¬ 
fälle  (20).  Auf  Bromipin  in  einer  Dosis  von  15*7  traten  im  ersten 
Monate,  und  zwar  im  Laufe  der  ersten  Woche  vier  Anfälle,  in 
der  zweiten  Woche  bei  25 g  Bromipin  (10%)  drei  Anfälle  auf;  seit 
Beginn  der  dritten  Woche  bei  30  g  anfallsfrei.  Im  zweiten  Monate 
wurden  bei  Darreichung  von  26  <7  elf  Anfälle  beobachtet,  im  dritten 
Monate  anfallsfrei,  im  vierten  zwei  Anfälle,  im  fünften  frei.  In  den 
letzten  zwei  Monaten  erhielt  die  Kranke  täglich  je  30*7  Bromipin. 
Während  der  Bromipinbehandlung  war  Patientin  wesentlich  geord¬ 
neter,  ruhig  und  harmlos,  zeigte  öfter  Lust  zur  Arbeit.  Die  Akne 
blieb  unverändert.  Das  Körpergewicht  stieg  von  94  kg  auf  98  kg. 

21.  G.  S.,  33  Jahre  alt,  ledig,  Kaufmannswaise;  erblich  an¬ 
geblich  nicht  belastet.  In  der  Jugend  bestanden  Fraisen.  Die  An- 
fälle  traten  im  siebenten  Lebensjahre  ohne  bekannte  Veranlassung 
auf,  waren  in  den  ersten  Jahren  ihres  Bestandes  selten,  häuften 
sich  jedoch  später  bis  auf  30 — 40  Insulte  im  Monate.  Auf  Brom¬ 
behandlung,  welche  vor  circa  sieben  Jahren  eingeleitet  wurde,  trat 
eine  beträchtliche  Besserung:  ein.  Seit  dieser  Zeit  wrerden  monatlich 
zwischen  zwei  und  fünf  epileptische  Anfälle  beobachtet.  Eine 
im  Jahre  1897  durchgeführte  Opium-Brombehandlung  nach 
Flechsig  war  nur  von  einem  vorübergehenden  Erfolge  begleitet. 
Die  Kranke  war  nach  Aussetzen  von  Opium  im  Ganzen  vier  Monate 
anfallsfrei,  worauf  die  Insulte  in  grösserer  Häufigkeit  wieder  auf¬ 
traten,  gewöhnlich  zwischen  5  — 10  — 16  Anfälle  im  Monate,  sein- 
selten  weniger.  Keine  Aura.  Die  Kranke  ist  verblödet,  psycho¬ 
motorisch  hochgradig  gehemmt,  nur  selten,  gewöhnlich  vor  und 
nach  den  Anfällen,  reizbar  und  streitsüchtig. 


Nr.  44 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1023 


Während  der  bromfreien  Zeit  reichliche  Vermehrung  der 
Anfälle;  im  Laufe  von  sechs  Tagen  29  epileptische  Insulte.  Auf 
Bromipin  (10°/0)  in  einer  Tagesdosis  von  12//  traten  im  Laufe 
der  nächsten  fünf  Tage  noch  14  Anfälle  auf,  worauf  bei  Dosen 
von  30  r/  die  epileptischen  Insulte  für  die  Dauer  von  sechs  Wochen 
schwanden.  In  der  Folge  traten  wieder  Anfälle  auf  und  blieben, 
trotzdem  die  Tagesdosis  bis  auf  40 g,  selbst  45//  erhöht  wurde, 
bestehen.  Ihre  Zahl  betrug  10  —  13  im  Monate.  Im  psychischen 
Verhalten  zeigte  die  Kranke  gegen  früher  keine  Aenderung,  auch 
die  nur  in  massigem  Grade  vorhandene  Bromakne  wurde  durch 
Bromipin  nicht  beeinflusst.  Das  Körpergewicht  fiel  von  40%  auf 
38*4  kg.  Während  der  hohen  Bromipindosen  zeigte  Patientin  an¬ 
fänglich  vermehrten  Speichelfluss,  welcher  sich  jedoch  bald  ohne 
specielle  Therapie  wieder  verlor. 

22.  E.  M.,  24  Jahre  alt,  ledig,  ohne  Beschäftigung.  Ueber 
hereditäre  Verhältnisse  ist  nichts  bekannt.  Die  epileptischen  Anfälle 
traten  angeblich  in  Folge  eines  Schädeltraumas  im  dritten  Lebens¬ 
jahre  auf.  Anfangs  seltener,  vermehrten  sie  sich  in  den  späteren 
Jahren  trotz  Bromsalzbehandlung  und  traten  in  der  letzten  Zeit 
bis  18mal  im  Monate  auf.  Keine  Aura.  Die  Patientin  ist  ganz  ver¬ 
blödet,  nach  den  Anfällen  meist  sehr  erregt  und  ungeordnet.  Hie 
und  da  treten  ein  bis  drei  Tage  dauernde  Verwirrtheitszustände 
ohne  Anfälle  auf.  Die  F  1  e  c  h  s  i  g  -  Gur,  welcher  Patientin  im 
Jahre  1897  unterzogen  wurde,  bewirkte  eine  Besserung  (monatlich 
zwei  bis  drei  Anfälle),  welche  im  Ganzen  14  Monate  anhielt,  worauf 
sich  die  epileptischen  Insulte  wieder  vermehrten.  In  den  letzten 
Monaten  wurden  bis  je  14  Anfälle  beobachtet. 

In  der  bromfreien  Zeit  im  Ganzen  neun  Anfälle.  Unter 
Bromipin  (10%)  ™  ersten  Monate  acht,  im  zweiten  zehn,  im  dritten 
sieben,  im  vierten  acht,  im  fünften  ebenfalls  acht  Anfälle.  Die  ver- 
ordnete  Bromipindosis  betrug  15 — 20//  pro  die.  Psychisch  keine 
Aenderung.  Die  Akne  schwand  während  der  Bromipindarreichung 
vollständig.  Das  Körpergewicht  stieg  von  53'5  %  auf  54'8  hg. 

23.  E.  J.,  26  Jahre  alt,  ledig,  Postamtsdienerstochter.  Eine 
hereditäre  Belastung  ist  nicht  nachweisbar.  Die  Erkrankung  an 
Epilepsie  trat  im  zwölften  Lebensjahre  angeblich  in  Folge  Kränkung 
auf.  Die  Anfälle  waren  in  der  ersten  Zeit  häufiger  und  nahmen 
auf  Bromsalzmedication  an  Häufigkeit  und  Stärke  ab;  eine  im 
Jahre  1897  durchgeführte  F 1  e  c  h  s  i  g-Behandlung  bewirkte  eine 
neun  Monate  währende  Besserung,  worauf  sich  die  epileptischen 
Insulte  wieder  in  der  früheren  Häufigkeit  und  Stärke  einstellten 
(monatlich  fünf  Anfälle).  Keine  ausgesprochene  Aura.  Die  Kranke 
ist  psychisch  in  leichtem  Grade  abgeschwächt,  ruhig  und  harmlos, 
nur  nach  den  Anfällen  fast  immer  sehr  verworren,  hochgradig  reizbar 
und  häufig  aggressiv. 

Während  der  bromfreien  Zeit  drei  Anfälle.  Nach  Darreichung 
von  Bromipin  (10%)  1 6  g,  am  achten  Tage  zwei  schwere  Anfälle 
ohne  stärkere  Verwirrtheit,  hierauf  bei  Dosen  von  30  g  16  Tage 
anfallsfrei.  Während  der  nach  Aussetzen  des  Bromipins  erfolgten 
abermaligen  Bromsalzbehandlung  sechs  Anfälle,  welche  von  beträcht¬ 
lichen  Erregungszuständen  gefolgt  waren.  Nach  neuerlicher  Verord¬ 
nung  von  Bromipin  in  einer  Tagesdosis  von  10 g  stellte  sich  am 
achten  Behandlungstage  ein  schwerer  Status  epilepticus  ein,  welcher 
drei  Tage  dauerte.  Im  Ganzen  hatte  Patientin  während  des  Status 
47  Anfälle.  Amylenhydratklysmen  erwiesen  sich  wirkungslos,  erst 
Bromipin,  welches  am  zweiten  Tage  des  bestehenden  Status  in  einer 
Dosis  von  25//,  am  dritten  Tage  in  einer  Dosis  von  60  g 
gegeben  wurde,  behob  die  bedrohlichen  Erscheinungen.  Nach 
Rückgang  des  Status  war  die  Kranke  bei  einer  Bromipinmenge 
von  25 g  2%  Monnte  anfallsfrei.  Im  fünften  Monate  nur  zwei 
Anfälle,  ln  ihrem  Verhalten  zeigte  die  Kranke  eine  Besserung  in 
der  Art,  dass  nach  den  letzt  aufgetretenen  Anfällen  nur  geringe 
Verwirrtheit  ohne  stärkere  Erregungszustände  bestand.  Die  bei  der 
Patientin  in  Folge  der  Brommedication  am  ganzen  Körper  reichlich 
vorhandenen  Akneeruptionen  schwanden  während  Bromipin  voll¬ 
ständig.  Das  Körpergewicht  fiel  von  54'2  hg  auf  53  hg. 

24.  F.  A.,  33  Jahre  alt,  ledig,  Weinhauerstochter;  hereditär 
nicht  belastet.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  ohne  bekannte  Ver¬ 
anlassung  im  dritten  Lebensjahre  auf,  waren  immer  sehr  reichlich; 
ihre  Zahl  schwankte  in  den  letzten  Jahren  trotz  Bromsalzbehand¬ 
lung  zwischen  30  und  49  im  Monate.  Keine  Aura.  Patientin  ist 
verblödet,  reizbar,  hie  und  da  aggressiv;  postepileptische  Verwirrt¬ 


heitszustände  treten  nur  selten  auf.  Die  F 1  e  ch  s  i  g’sche  Opium- 
Bromcur  war  von  keinem  nennenswerten  Erfolge  begleitet. 

Während  der  bromfreien  Zeit  27  Anfälle.  Nach  Darreichung 
von  Bromipin  in  einer  Tagesgabe  von  15  g  blieb  die  Zahl  der 
Anfälle  unverändert,  bei  30//  pro  die  trat  eine  geringe  Ver¬ 
minderung  der  epileptischen  Insulte  auf,  so  dass  im  ersten  Monate 
der  Bromipinbehandlung  19,  im  zweiten  8,  im  dritten  10,  im 
vierten  (bei  20 g)  29,  im  fünften  bei  der  gleichen  Dosis  15  An¬ 
fälle  beobachtet  wurden.  Im  psychischen  Verhalten  zeigte  die 
Kranke  gegen  früher  keine  Aenderung.  Die  reichlich  vorhandene 
Bromakne  wurde  günstig  beeinflusst.  Das  Körpergewicht  stieg  von 
50‘5  hg  auf  52-5%- 

25.  F.  B.,  34  Jahre  alt,  ledig,  Pfründnerin;  hereditär  be¬ 
lastet.  Die  Kranke  ist  hochgradige  Potatrix.  Die  Anfälle  traten  im 
21.  Lebensjahre  auf,  waren  anfangs  selten,  häuften  sich  jedoch  in 
den  letzten  Jahren  trotz  Brombehandlung  sehr  beträchtlich.  Deut¬ 
liche  Aura.  Die  Kranke  ist  geistig  abgestumpft,  sehr  vergesslich, 
sehr  reizbar  und  streitsüchtig,  besonders  vor  und  nach  den  An¬ 
fällen  auch  zu  aggressivem  Verhalten  neigend.  In  der  letzten  Zeit 
monatlich  bis  fünf  Anfälle. 

Während  der  bromfreien  Zeit  trat  eine  starke  Vermehrung 
der  Anfälle  auf,  welche  bis  zum  dritten  Tage  der  Bromipin¬ 
behandlung  andauerte  (im  Ganzen  41  Insulte),  hierauf  war  die 
Kranke  bis  zu  ihrer  Entlassung  (über  drei  Wochen)  anfallsfrei.  Die 
tägliche  Dosis  betrug  seit  Beginn  der  Bromipindarreichung  30 g. 
Im  Verhalten  war  Patientin  ruhiger,  geordneter,  weniger  reizbar.  Die 
bestehende  Bromakne  ging  fast  vollständig  zurück.  Das  Körper¬ 
gewicht  blieb  constant. 

26.  F.  T.,  40  Jahre  alt,  ledig,  ohne  Beschäftigung.  Die 
Kranke  ist  hereditär  schwer  belastet  und  leidet  seit  der  frühesten 
Jugend  an  epileptischen  Anfällen.  Die  Zahl  der  Insulte  im  Monate 
schwankte  immer  zwischen  fünf  und  acht.  Keine  deutliche  Aura. 
Die  Patientin  ist  ganz  verblödet,  in  den  anfallsfreien  Zeiten  meist 
ruhig,  immer  harmlos.  Erregungszustände  mit  Neigung  zu  gewalt- 
thätigem  Benehmen  treten  gewöhnlich  sowohl  vor  wie  nach  den 
Anfällen  auf.  Durch  Bromsalzmedication  konnte  keine  Besserung 
erzielt  werden,  desgleichen  war  auch  die  Opium-Bromtherapie  nach 
Flechsig  ohne  Wirkung. 

In  der  bromfreien  Zeit  im  Ganzen  vier  Anfälle.  Mit  Einsetzen 
des  Bromipins  (10%,  15  g)  hörten  die  Insulte  für  einen  Monat  auf; 
während  der  in  der  Bromipindarreichung  eingetretenen  circa  ein¬ 
monatliehen  Unterbrechung  war  ein  Anfall  aufgetreten.  Im  zweiten 
Monate  der  Bromipinbehandlung  wurde  zu  Beginn  desselben  mit 
der  Tagesdosis  auf  5 g  zurückgegangen;  es  stellten  sich  im  Laufe 
der  ersten  14  Tage  vier  Anfälle  ein,  worauf  die  Dosis  auf  10 g 
erhöht  wurde,  nun  traten  während  der  zweiten  Hälfte  des  Monates 
zwei  grosse  und  drei  kleine  Anfälle  auf.  Nachdem  im  dritten 
Monate  die  tägliche  Bromipingabe  auf  20  g  gesteigert  worden  war, 
blieb  die  Kranke  bis  zum  Schlüsse  der  Behandlung  (drei  Monate) 
anfallsfrei.  Im  psychischen  Verhalten  war  keine  Aenderung  be¬ 
merkbar,  doch  war  die  Kranke  im  Allgemeinen  etwas  geordneter, 
da  in  Folge  Aufhörens  der  Anfälle  es  auch  zu  keinen  stärkeren 
Erregungszuständen  kam.  Auf  die  nur  in  mässigem  Grade  be¬ 
stehende  Bromakne  hatte  das  Bromipin  keinen  deutlichen  günstigen 
Einfluss.  Das  Körpergewicht  stieg  von  59'5  hg  auf  61'5%. 

27.  K.  K.,  24  Jahre  alt,  ledig,  Pfründnerin.  Die  Kranke  ist 
angeblich  hereditär  nicht  belastet.  Die  epileptischen  Anfälle  traten 
im  zweiten  Lebensjahre  im  Anschlüsse  an  Fraisen  auf,  waren  in 
der  ersten  Zeit  ihres  Bestehens  seltener  und  häuften  sich  in  den 
letzten  Jahren  trotz  Bromsalzmedication.  Im  Monate  zwischen  10 
und  30  Anfälle.  Deutliche  Aura.  Die  Kranke  ist  psychisch  bedeutend 
abgeschwächt,  sehr  reizbar  und  streitsüchtig,  vor  und  nach  den 
epileptischen  Insulten  bestehen  oft  tagelang  dauernde  Verwirrtheits¬ 
zustände. 

In  der  bromfreien  Zeit  18  Anfälle.  Auf  Bromipin  in  Dosen 
bis  30//  pro  die  trat  keine  Verminderung  der  Anfälle  auf  (dauernd 
zwischen  16  und  22  im  Monate).  Im  psychischen  Verhalten  ist 
die  Kranke  gegen  früher  vollkommen  unverändert.  Die  in  Folge 
Bromsalzmedication  aufgetretene  Akne  wurde  durch  Bromipin 
vollständig  zum  Schwinden  gebracht.  Das  Körpergewicht  blieb 
constant  (54'3  hg). 

■  28.  K.  J.,  22  Jahre  alt,  ledig,  Lehrmädchen.  Ueber  hereditäre 
und  ätiologische  Verhältnisse  ist  nichts  bekannt.  Die  Kranke  ist 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


geistig  im  beträchtlichem  Grade  abgeschwächt,  dauernd  verworren 
zeitweise  sehr  reizbar,  oft  bestehen  tagelang  dauernde  postepi- 
leptische  Verwirrtheitszustände.  In  den  letztvergangenen  zwei  Jahren 
waren  trotz  Brombehandlung  monatlich  zwischen  1  1  und  35  Anfälle 
aufgetreten.  Keine  ausgesprochene  Aura. 

Während  der  bromfreien  Zeit  22  epileptische  Insulte.  Auf 
die  Darreichung  von  Bromipin  (10%)  in  Dosen  von  30#  trat  keine 
Besserung  auf.  Die  Zahl  und  Intensität  der  Anfälle  blieb  voll¬ 
kommen  unverändert.  Auch  das  psychische  Verhalten,  wie  die  vor¬ 
handene  Bromakne  wurde  durch  Bromipin  nicht  beeinflusst.  Das 
Körpergewicht  stieg  von  45  hg  auf  4:1hg. 

29.  K.  A.,  30  Jahre  alt,  ledig,  Pfründnerin.  Angeblich  keine 
hereditäre  Belastung.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  in  frühester 
Jugend  nach  Fraisen  auf,  waren  immer  ziemlich  reichlich.  Bromsalz¬ 
behandlung  verminderte  die  Intensität  der  Insulte,  liess  aber  die 
Häufigkeit  derselben  unbeeinflusst.  Die  Kranke  ist  dauernd  ver¬ 
worren,  sehr  vergesslich,  hochgradig  reizbar  und  streitsüchtig,  sehr 
rauflustig  und  wird  häufig  auf  geringfügige  Veranlassungen  hin, 
zeitweise  auch  grundlos,  gegen  ihre  Umgebung  aggressiv.  Deutliche 
Aura.  Jm  letztvergangenen  Jahre  wurden  durchschnittlich  vier  bis 
fünf  Anfälle  im  Monate  beobachtet. 

Während  der  bromfreien  Zeit  trat  eine  beträchtliche  Ver¬ 
mehrung  der  epileptischen  Insulte  auf  (13),  welche  mit  der  Dar¬ 
reichung  von  Bromipin  in  einer  Tagesdosis  von  15  g  wieder 
schwand.  Im  ersten  Monate  der  Bromipinbehandlung  wurde  ein 
Anfall  beobachtet;  im  zweiten  war  die  Kranke  anfallsfrei,  im 
dritten  drei,  im  vierten  zwei,  im  fünften  ebenfalls  zwei  Anfälle. 
Besonders  auffällig  war  bei  dieser  Kranken  die  Aenderung  ihres 
Verhaltens.  Schon  im  zweiten  Monate  der  Bromipinmedieation  trat 
eine  wesentliche  Beruhigung  ein;  die  früher  sehr  reizbare  und 
häufig  brutal  gewaltlhätige  Kranke  verhielt  sich  meist  harmlos  und 
zeigte  Lust  zur  Beschäftigung.  Ab  und  zu  traten  immer  noch 
Erregungszustände  auf,  doch  waren  diese  fast  immer  nur  vor  oder 
nach  Anfällen  vorhanden  und  erreichten  nie  so  hohe  Grade  wie 
vorher.  Die  Akneeruptionen  gingen  während  Bromipin  fast  voll¬ 
ständig  zurück.  Das  Körpergewicht  betrug  zu  Beginn  der  Be¬ 
handlung  47’8/r<7,  am  Ende  derselben  41 ‘6  hg. 

30.  R.  T.,  19  Jahre  alt,  ledig,  Bindergehilfenstochter; 
hereditär  belastet.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  ohne  bekannte 
Veranlassung  im  dritten  Lebensjahre  auf,  waren  anfangs  nur  ver¬ 
einzelt,  durch  viertel-  bis  halbjährige  Pausen  von  einander 
getrennt;  seit  dem  sechsten  Lebensjahre  sind  die  Insulte  um  Vieles 
häufiger  und  treten  seit  dieser  Zeit  15  bis  20mal  im  Monate  auf. 
Keine  Aura.  Auf  Brommedication  keine  Besserung,  auch  Opium- 
Brom  bewirkte  keine  Verminderung  der  Zahl  oder  der  Intensität 
der  Insulte.  Die  Kranke  ist  geistig  beträchtlich  abgeschwächt,  sehr 
erotisch,  vor  und  nach  den  Anfällen  fast  immer  hochgradig 
verwirrt,  bald  erregt,  bald  sehr  gehemmt;  häufig  besteht  Neigung 
zu  aggressivem  Verhalten.  Ausserdem  leidet  die  Kranke  an  bis 
acht  Tage,  selten  länger  dauernden  Verwirrtheitszuständen  mit 
manischem  Gebühren,  welche  ohne  begleitende  Krämpfe  sich  ein¬ 
stellen.  In  den  letzten  Monaten  bis  23  Anfälle. 

Während  der  bromfreien  Zeit  keine  Vermehrung  der  epi¬ 
leptischen  Insulte.  Im  ersten  Monate  der  Bromipinbehandlung 
anfangs  bei  1 8  «7,  seit  dem  elften  Behandlungstage  bei  30//,  im 
Ganzen  18  Anfälle,  im  zweiten  Monate  sechs,  im  dritten  bei  20  g 
neun,  im  vierten  bei  24  g  neun,  im  fünften  bei  der  gleichen  Dosis 
sechs  Anfälle.  Psychisch  blieb  die  Kranke  vollkommen  unverändert, 
Auf  die  bestehende  Akne  wirkte  Bromipin  günstig  ein,  zum  Schlüsse 
der  Behandlung  waren  die  Eruptionen  vollkommen  geschwunden. 
Das  Körpergewicht  stieg  von  41  hg  auf  435  kg. 

31.  S.  A.,  41  Jahre  alt,  ledig,  Pfründnerin;  hereditär  belastet. 
Die  epileptischen  Krampfanfälle  traten  ohne  bekannte  Veranlassung 
in  frühester  Kindheit  nach  Fraisen  auf,  waren  in  der  ersten  Zeit 
ihres  Bestehens  seltener.  In  den  letzten  fünf  Jahren  wurden  monat¬ 
lich  zwei  bis  zehn  Insulte  beobachtet.  Deutliche  Aura.  Die  Kranke 
ist  in  geistiger  Beziehung  sehr  abgeschwächt,  in  den  anfallsfreien 
Zeiten  nur  in  geringem  Grade  reizbar  und  streitsüchtig,  wird  jedoch 
zwei  bis  drei  Tage  vor  und  ebenso  lange  nach  den  Anfällen  sehr 
erregt,  hochgradig  reizbar,  zeitweilig  auch  gewalllhätig.  Bromsalz¬ 
behandlung  war  ohne  Einfluss  auf  das  Verhalten  der  Anfälle,  die 
Opium-Brommedieation  nach  Flechsig  bewirkte  nur  eine  vorüber¬ 
gehende  leichte  Besserung. 


Während  der  bromfreien  Zeit  zehn  Anfälle.  Auf  Darreichung 
von  15  g  Bromipin  (10%)  trat  gegen  früher  keine  Verminderung 
der  epileptischen  Insulte  auf;  das  gleiche  Verhalten  zeigte  die 
Kranke  auch  bei  Tagesgaben  von  25  g,  respective  3(1  g.  Die  Zahl 
der  Anfälle  schwankte  im  Allgemeinen  zwischen  fünf  und  sieben 
im  Monate.  Psyche  und  Akne  blieb  durch  Bromipin  unbeeinflusst. 
Das  Körpergewicht  fiel  von  52  kg  auf  50-2  hg. 

32.  S.  J.,  41  Jahre  all,  ledig,  Pfründnerin;  erblich  belastet. 
Die  Anfälle  traten  ohne  bekannte  Veranlassung  im  28.  Lebensjahre 
auf,  waren  anfangs  sehr  selten  (alle  drei  bis  vier  Monate  ein  Anfall) 
und  nahmen  in  den  folgenden  Jahren  trotz  Bromsalzbehandlung 
langsam  aber  stetig  an  Häufigkeit  zu.  In  den  letzten  Jahren  waren 
durchschnittlich  monatlich  fünf  bis  zehn  Anfälle  aufgetreten.  Keine 
Aura.  Patientin  ist  geistig  beträchtlich  abgeschwächt,  dauernd  leicht 
gehemmt,  in  den  anfallsfreien  Zeiten  ruhig  und  harmlos.  Prä¬ 
epileptisch  stellen  sich  gewöhnlich  stärkere  Erregungszustände  ein; 
nach  den  Anfällen  ist  die  Kranke  meist  hochgradig  verwirrt,  sehr 
gehemmt,  traurig  und  äussert  häufig  lebhafte  Selbstmordideen.  Eine 
im  Jahre  1897  durchgeführte  F 1  e  c  h  s  i  g -Behandlung  war  ohne 
Einfluss  auf  die  Zahl  und  Intensität  der  Anfälle. 

Während  der  bromfreien  Zeit  neun  Anfälle.  Mit  Einsetzen 
der  Bromipinbehandlung  bei  einer  Tagesgabe  von  25  g  verminderte 
sich  die  Zahl  der  Anfälle,  während  die  Intensität  derselben  un¬ 
verändert  blieb.  Im  ersten  Monate  im  Ganzen  zwei  Anfälle,  im 
zweiten  bei  verminderter  Dosis  (10  g)  zwei,  im  dritten  Monate  bei 
der  gleichen  Dosis  drei  Insulte  (ein  petit,  zwei  grand),  im  vierten 
Monate  bei  20  g  vier  Anfälle  (drei  pelif,  ein  grand),  im  fünften 
drei  schwere  Anfälle.  Psychisch  zeigte  die  Kranke  während  der 
Bromipinbehandlung  gegen  früher  keine  Aenderung.  Die  reichlich 
vorhandene  Akne  schwand  fast  vollständig.  Das  Körpergewicht  stieg 
von  426  hg  auf  4G5  hg. 

33.  W.  M.,  41  Jahre  alt,  ledig,  ohne  Beschäftigung;  hereditär 
schwer  belastet.  Die  epileptischen  Anfälle  traten  ohne  bekannte 
Veranlassung  im  21.  Lebensjahre  auf,  waren  anfangs  selten,  durch 
lange  Intervalle  von  einander  getrennt,  durchschnittlich  fünf  bis 
sechs  Insulte  im  Jahre.  Vor  circa  18  Jahren  vermehrten  sich  die 
Anfälle  (bis  vier  im  Monate).  Auf  Bromsalztherapie  stellte  sich  eine 
Verminderung  der  Insulte  ein  (monatlich  bis  zwei  Anfälle).  Patientin 
ist  geistig  sehr  abgeschwächt,  auch  in  den  anfallsfreien  Zeiten  in 
beträchtlichem  Grade  reizbar;  während  der  meist  postepileptischen 
Verworrenheitszustände  wird  die  Kranke  häufig  gewaltthälig.  Die 
F  1  e  c  h  s  i  g’sche  Opium-Brombehandlung  bewirkte  eine  Verlänge¬ 
rung  der  anfallsfreien  Intervalle;  in  der  letzten  Zeit  wurden  solche 
bis  zu  drei  Monate  Dauer  beobachtet. 

In  der  bromfreien  Zeit  kein  Anfall.  Während  des  ersten 
Monates  der  Bromipinbehandlung  bei  15  g  zwei  Anfälle,  im  zweiten 
Monate  ebenfalls  zwei  epileptische  Insulte,  hierauf  bis  zum  Schlüsse 
der  Behandlung  (drei  Monate)  anfallsfrei.  Im  Verhalten  war  die 
Kranke  wesentlich  geordneter.  Stärkere  Reizbarkeit  oder  Streitsucht 
auch  zur  Zeit  der  Anfälle  wurde  während  der  ßromipindarreichung 
nicht  beobachtet;  die  reichlich  vorhandene  Akne  wurde  durch 
Bromipin  vollständig  zum  Schwinden  gebracht.  Das  Körpergewicht 
blieb  ziemlich  constant;  es  betrug  zu  Beginn  der  Behandlung 
47'1  hg,  am  Ende  derselben  475  hg. 

34.  W.  T.,  32  Jahre  alt,  ledig,  Pfründnerin.  Bezüglich  der 
ätiologischen  und  hereditären  Verhältnisse  ist  nichts  bekannt.  Die 
epileptischen  Anfälle  traten  im  zehnten  Lebensjahre  auf,  waren 
anfangs  reichlich,  bis  20  im  Monate,  und  verminderten  sich  auf 
Bromsalzbehandlung  (vier  bis  acht  Insulte  monatlich).  Keine  Aura. 
Psychisch  ist  die  Kranke  in  beträchtlichem  Grade  abgeschwächt, 
in  den  anfallsfreien  Zeiten  meist  gehemmt.  Den  Anfällen  gehen 
gewöhnlich  Erregungszustände  voraus,  während  welcher  die  Kranke 
sehr  reizbar  und  streitsüchtig  ist,  öfter  auch  gegen  ihre  Umgebung 
aggressives  Verhalten  zeigt.  Eine  im  Jahre  1897  durchgeführle 
Flechsig  -Behandlung  bewirkte  keine  Besserung. 

In  der  bromfreien  Zeit  14  Anfälle.  Auf  1 5  g  Bromipin  (10%) 
im  Laufe  des  ersten  Monates  zwei  Anfälle,  im  zweiten  während 
der  ersten  zwei  Wochen  bei  verringerter  Dosis  (10  g)  drei  Anfälle, 
in  den  iolgenden  zwei  Wochen  bei  15/7  e^n  Anfall.  Im  dritten 
Monate  vier  epileptische  Insulte  (drei  petit,  ein  grand),  im  vierten 
bei  20  g  drei  Anfälle  (zwei  petit,  ein  grand),  im  fünften  Monate 
drei  Anlälle  (zwei  petit,  ein  grand).  Während  der  ganzen  Dauer 
der  Bromipinbehandlung  war  die  Kranke  geordneter,  besonders 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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harmloser  als  früher.  Die  vorhandene  Bromakne  wurde  durch 
ßromipin  nicht  beeinflusst.  Das  Körpergewicht  blieb  constant  (zu 
Beginn  392  kg,  am  Ende  der  Behandlung  39  kg). 

Während  der  Behandlung  mit  Bromipin,  welche  bei  34 
au  genuiner  Epilepsie  leidenden  Kranken  18  Männern  und 
16  Frauen  —  durchgeführt  wurde,  gelangte  keinerlei  Schädi¬ 
gung  des  körperlichen  Befindens  zur  Beobachtung,  insbesondere 
keine  Störungen  von  Seite  des  Magen-Darmtractes,  keine 
Verminderung  der  Appetenz.  Bei  den  monatlich  vorgenommenen 
Wä  gungen  der  Kranken  wurde  bei  der  Mehrzahl  derselben 
eine  Zunahme  des  Körpergewichtes  wahrgenommen,  und  zwar 
betrug  diese  Gewichtszunahme  bei  einem  Mann  (Fall  7)  über 
5  kg ,  bei  zwei  Frauen  (Fall  20  und  32)  über  4  kg,  bei  vier 
Männern  (Fall  1,  9,  14,  15)  über  3  kg,  bei  fünf  Männern  und 
vier  Frauen  (Fall  2,  8,  10,  13,  18  und  Fall  24,  26,  28,  30) 
über  2  kg.  Eine  Zunahme  von  über  1  kg  zeigten  fünf  Männer 
und  eine  Frau  (Fall  4,  5,  6,  11,  17  und  Fall  22).  Ein  Rück¬ 
gang  des  Ernährungszustandes  wurde  bei  fünf  Kranken 
—  einem  Mann  und  vier  Frauen  —  (Fall  3  und  Fall  19,  21, 
23,  31)  beobachtet.  Der  Gewichtsverlust  betrug  bei  Fall  19 
2  kg,  während  er  sich  bei  den  übrigen  Fällen  auf  circa  1  kg 
belief.  Zwei  Männer  und  fünf  Frauen  verhielten  sich  bezüg¬ 
lich  des  Ernährungszustandes  gegen  ft  über  unverändert.  Von 
bemerkenswerthen  Vorkommnissen  während  der  Behandlung 
ist  nur  das  Auftreten  eines  mittelstarken,  nur  kurz  dauernden 
Speichelflusses  bei  Fall  21  hervorzuheben. 

Die  Darreichung  des  Medicamentes,  welches  von  allen 
Kranken  ohne  Widerwillen,  von  vielen  jedoch  gerne  genommen 
wurde,  geschah  sowohl  in  flüssiger  Form  —  meist  als  10%iges 
Präparat  — ,  als  auch  in  Gelatinekapseln  a  2  g  33V30/oigen 
Bromipins,  doch  wurden  letztere  aus  Gründen  der  Vorsicht 
verhältnissmässig  nur  selten  verordnet.  In  jenen  Fällen,  wo 
grössere  Dosen  verwendet  wurden,  wurde  durch  Mischung  von 
10%igem  mit  33y3%igem  Bromipin  ein  20%iges  hergestellt, 
welches  mit  vielem  Vortheil  verabreicht  wurde.  Eine  Ver¬ 
weigerung  des  Mittels  trat  nur  selten  und  vorübergehend  meist 
in  Folge  von  Erregungs-  oder  stärkeren  Verwirrtheitszuständen 
auf ;  in  solchen  Fällen  wurde  das  Bromipin  immer  mit  günstigem 
Erfolge  den  Speisen  beigemengt.  Von  einer  andersartigen  Dar¬ 
reichungsform,  z.  B.  per  Klysma  oder  als  Injection,  wurde 
auch  bei  solchen  Kranken  als  unnöthig  Abstand  genommen. 

Vor  der  eigentlichen  Bromipinbehandlung  wurde  für 
14  Tage  jede  Art  medicamentöser  Behandlung  sistirt,  theils 
um  das  Verhalten  der  Epileptischen  in  der  bromfreien  Zeit 
bei  sonst  gegen  früher  unveränderten  Verhältnissen  zu  beob¬ 
achten,  theils  um  den  Effect  der  Bromipindarreichung  in 
einwandfreierer  Weise  wahrnehmbar  zu  machen.  Im  Laufe 
dieser  Zeit  traten  bei  fünf  Männern  (Fall  2,  3,  5,  10,  13)  und 
sechs  Frauen  (Fall  21,  25,  29,  31,  32,  34)  eine  Vermehrung 
und  Verstärkung  der  Anfälle  auf,  welche  nach  Einsetzen  der 
Bromipinmedication  wieder  zurückging.  Die  übrigen  Kranken 
boten  ein  unverändertes  Verhalten. 

Die  Dosis,  in  welcher  das  Bromipin  zur  Darreichung 
gelangte,  war  entsprechend  der  individuellen  Verschiedenheit 
der  Fälle  eine  sehr  wechselnde;  auch  wurde  versuchshalber 
öfter  bei  ein  und  demselben  Kranken  nach  längeren  Inter¬ 
vallen  die  Tagesgabe  vermindert,  um  die  geringste  Dosis,  bei 
welcher  noch  deutliche  Wirkung  eintritt,  zu  ermitteln.  Diese 
schwankte  bei  den  auf  Bromipin  reagirenden  Kranken  im  All¬ 
gemeinen  zwischen  10 g  und  20  g  (vereinzelt  bis  25 g)  10%igen 
Bromipins,  was  L75- — 3‘5  g  Bromnatrium  entspricht.  Als  wirk¬ 
same  Dosis  kann  nach  unseren  Erfahrungen  eine  Tagesgabe 
von  20 — 30  g  10%igen  Bromipins  angesehen  werden,  welche 
Menge  bezüglich  des  Gehaltes  an  reinem  Brom  3  5 — 5’25  g 
Bromnatrium  gleichkommt. 

Zur  Zusammenstellung  der  Resultate,  welche  wir  bei  der 
Behandlung  mit  Bromipin  erzielten,  übergehend,  wäre  vor  Allem 
das  Verhalten  der  Anfälle  näher  zu  besprechen.  Von  unseren 
34  Kranken  zeigten  13,  sieben  Männer  und  sechs  Frauen 
(Fall  4,  5,  7,  10,  12,  16,  18  und  Fall  20,  23,  24,  25,  26,  34) 
eine  deutliche,  mehr  weniger  beträchtliche  Verminderung  der 
Zahl  der  epileptischen  Insulte  während  der  ganzen  Dauer  der 
Bromipindarreichung.  Eine  vorübergehende  Besserung  war  bei 


drei  Frauen  (Fall  29,  30,  32)  im  Beginne  der  Medication  auf¬ 
getreten,  schwand  jedoch  in  der  Folge  wieder.  Eine  geringe 
Vermehrung  der  Anfälle  wurde  bei  einem  Manne  (Fall  15) 
beobachtet.  Bei  den  übrigen  17  Kranken  erfuhr  die  Zahl  der 
monatlichen  Anfälle  gegenüber  der  früheren  Behandlung  keine 
Aenderung.  Gleichzeitig  mit  der  Zahl  nahm  bei  drei  Kranken 
(Fall  4,  7,  10)  auch  die  Intensität  der  Anfälle  ab.  Bei  Fall  1,2 
und  3  blieb  die  Zahl  der  epileptischen  Insulte  gegen  früher 
unverändert,  es  verminderte  sich  jedoch  die  Schwere  derselben 
derart,  dass  während  der  Bromipinmedication  ein  Ueberwiegen 
der  petits  mats  deutlich  zu  Tage  trat. 

In  ähnlicher  Weise  wie  die  Anfälle  -wurde  das  Verhalten 
der  Kranken  in  günstigem  Sinne  beeinflusst.  Ruhigeres  Ge¬ 
bühren,  geringere  Reizbarkeit  und  Streitsucht  während  der 
anfallsfreien  Zeiten,  zum  Theile  auch  Verringerung  und  Ab¬ 
schwächung  der  den  Anfällen  vorangehenden  oder  folgenden 
Verwirrtheitszustände  zeigten  während  der  Bromipindarreichung 
im  Ganzen  zehn  Kranke,  fünf  Männer  (Fall  2,  7,  12,  14,  18) 
und  fünf  Frauen  (Fall  20,  23,  29,  33,  34). 

Den  nachhaltigsten  Einfluss  übte  das  Bromipin  auf  die 
in  Folge  der  früheren  Behandlung  mit  Bromhalogenen  auf¬ 
getretene  Akne.  Ein  vollständiges  Schwinden  dieser  Haut¬ 
veränderungen  erfolgte  bei  fünf  Fällen,  ein  Mann  (Fall  14) 
und  vier  Frauen  (Fall  22,  23,  27,  33),  während  eine  wesent¬ 
liche  Besserung  bei  zehn  Männern  (Fall  2,  4,  7,  8,  9,  10,  12, 
16,  17,  18)  und  sechs  Frauen  (Fall  19,  24,  25,  29,  30,  32) 
zu  constatiren  ist. 

Vergleichen  wir  diese  mit  Bromipin  erzielten  Besserungen 
mit  den  am  gleichen  Materiale  erzielten  Erfolgen,  welche  wir 
durch  die  Fl  e  c  h  s  i  g’sche  Opium-Brombehandlung  seinerzeit 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatten  ’),  so  fällt  dieser  Vergleich 
entschieden  zu  Gunsten  des  Bromipins  aus. 

Zum  Schlüsse  sei  es  mir  eine  angenehme  Pflicht,  meinem 
verehrten  Chef,  Herrn  Director  Dr.  Heinrich  Schloss, 
für  die  Förderung  der  Arbeit  bestens  zu  danken. 

Literatur. 

G  e  s  s  1  e  r,  Zur  therapeutischen  Wirkung:  des  Bromipins.  Württem- 
bergisches  medicinisches  Correspondenzblatt.  1898,  Nr.  46. 

Dornblüt  h,  lieber  Bromipin.  Mecklenburgische  Aerztliclie  Monats¬ 
schrift.  1899,  Nr.  5. 

Wulf  f,  Die  Wirkung  des  Bromipin3,  zugleich  ein  Beitrag  in  Bezug 
auf  die  Seekrankheit.  Aerztliclie  Monatsschrift.  1899,  Nr.  11. 

Lenbusche  r,  Beiträge  zur  Kenntuiss  und  Behandlung  der  Epi¬ 
lepsie.  Monatsschrift  fiir  Psychiatrie  und  Neurologie.  1899,  Nr.  5. 

Cramer,  Ueber  Bromipin.  Neurologisches  Centralblatt.  1899,  Nr.  11. 

Zimmermann,  Ueber  Bromipin.  Nourologisclies  Centralblatt. 

1899,  Nr.  11. 

Schulze,  Einige  Versuche  über  die  Wirksamkeit  des  Bromipins 
bei  Epilepsie.  Inaugural-Dissertation.  1899. 

K  o  t  h  e,  Zur  Behandlung  der  Epilepsie.  Neurologisches  Centralblatt. 

1900,  Nr.  6. 

Hesse,  Ueber  Bromipin  und  seine  therapeutische  Bedeutung.  All¬ 
gemeine  medicinisclie  Centralzeitung.  1900,  Nr.  21. 

Laudenlieimer,  Ueber  einige  neuere  Arzneimittel  uud  Methoden 
zur  Epilepsiebehandlung.  Therapie  der  Gegenwart.  Juli  1900. 


REFERATE. 

Die  Aufgaben  des  Arztes  bei  der  Einweisung  Geistes¬ 
kranker  in  die  Irrenanstalt. 

Von  Prof.  A.  Hocbe. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nervenkrank¬ 
heiten. 

Halle  1900,  C.  Marli  old. 

Die  praktischen  Acrzte  empfinden  cs  nicht  selten  als  schwierig 
und  lästig,  wenn  sie  vor  die  Aufgabe  gestellt  werden,  einen  Geistes¬ 
kranken  in  eine  Irrenanstalt  zu  bringen. 

Das  Büchlein  bezweckt,  dem  Arzte  aus  dieser  Verlegenheit 
zu  helfen.  Es  werden  daher  jene  Punkte  erörtert,  welche  eine 
solche  Ueberführung  als  wünschenswerth  oder  aber  als  dringend 
nothwendig  erscheinen  lassen,  sowie  die  Art  der  Behandlung  des 
Kranken  bis  zu  seiner  Transferirung.  Weiterhin  bespricht  der  Autor, 
in  welcher  Weise  dieser  Transport  vorzunehmen  sei,  und  gibt 

’)  Vgl.  diese  Wochenschrift,  1899,  Nr.  2. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


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endlich  eine  besonders  ausführliche  Anleitung  für  die  Abfassung 
der  dom  Kranken  mitzugebenden  Krankengeschichte,  respective  des 
auszufüllenden  Fragebogens.  Der  Arzt,  der  vielleicht  auf  diesem 
Gebiete  weniger  Erfahrung  hat,  wird  namentlich  darauf  aufmerksam 
gemacht,  welche  ätiologische  Momente  bei  der  Zusammenstellung 
der  Anamnese  berücksichtigt  werden  müssen.  Obersteiner. 


Handbuch  der  praktischen  Medicin. 

Ilerausgegeben  von  W.  Ebstein  und  J.  Schwalbe. 

Fünf  Bünde. 

Stuttgart  1899  —  1900,  Enke. 

Sechstes  Referat.  (Vide  Nr.  6,  12,  42,  5',  Jahrgang  1899,  und  Nr.  20, 
Jahrgang  1900  dieser  Zeitschrift.) 

I.  W.  Ebstein,  Erkrankungen  der  Leber,  der  Galle  n- 
blase  und  der  Gallengänge,  sowie  der  Pfortader. 
Krankheiten  des  Pankreas.  Die  diffusen  Erkran¬ 
kungen  des  Bauchfelles. 

II.  H.  Braun,  Chirurgische  Behandlung  der  Erkran¬ 

kungen  des  M  agens  und  des  Darmes. 

III.  G.  Sultan,  Chirurgie  der  Leber  und  der  Gallen¬ 

wege. 

IV.  II.  Braun,  Chirurgische  Behandlung  der  Er¬ 
krankungen  des  Pankreas  und  des  Peritoneums. 

V.  H.  Kümmel,  Krankheiten  der  Harnblase  (mit 

Einschluss  der  Chirurgie). 

VI.  J.  Jadassohn,  Krankheiten  der  männlichen 

Genitalorgane. 

VII.  P.  Für  b  ringer,  Die  functionellen  Störungen 

des  männlichen  Geschlecht  sapparates. 

VIII.  E.  Leser,  Chirurgie  der  Harnorgane  (mit  Aus¬ 
schluss  der  Harnblase)  und  des  männlichen  Ge¬ 
schlechtsapparates. 

IX.  J.  Jadassohn,  Die  venerischen  Krankheiten. 

Mit  den  citirten  Gegenständen  ist  der  zweite  und  dritte  Band 
des  E  b  s  t  e  i  n’schen  Handbuches  vollständig  erschienen,  so  dass, 
da  der  erste  und  vierte  Band  schon  seit  längerer  Zeit  complet 
vorliegen,  nur  mehr  ein  Theil  des  fünften  Bandes  ausständig  ist. 

Die  Erkrankungen  der  Leber,  der  Gallenblase 
und  der  Gallengänge  sind  in  übersichtlicher,  leicht  ver¬ 
ständlicher  Weise,  von  anatomischen  Gesichtspunkten  aus  zusammen¬ 
gestellt,  in  parenchymatöse  und  interstitielle  Entzündungen,  Degene¬ 
rationen,  Parasiten,  Neoplasmen  u.  s.  f.  eingetheilt.  Eine  sehr  aus¬ 
führliche  Besprechung  wird  der  Cholelithiasis  zu  Theil.  Während 
die  Krankheiten  dos  Pankreas  nur  flüchtige  Erwähnung  finden,  sind 
die  des  Peritoneums,  vor  Allem  die  acute  und  chronische  Perito¬ 
nitis  und  der  Ascites  in  erschöpfender  Weise  besprochen. 

Die  chirurgische  Behandlung  des  Magens 
und  Darms  setzt  im  allgemeinen  Theile  die  Technik  der  in 
Betracht  kommenden  Operationen  auseinander,  worauf  ein  specieller 
Abschnitt  die  bei  jeder  einzelnen  Krankheit  möglichen  chirurgi¬ 
schen  Eingriffe  bespricht.  Ebenso  ausführlich  ist  die  operative 
Behandlung  der  Leber-  und  G  a  1 1  e  n  w  e  g  e,  sowie  des 
Peri  toncu  m  s  auseinandergesetzt,  oberflächlich  auch  die  Chirurgie 
des  Pankreas  gestreift. 

Mit  diesen  Capiteln  ist  der  zweite  Band  des  Handbuches  ab¬ 
geschlossen,  dessen  umfangreiches  Sachregister  der  Redigirung  des 
Werkes  ein  glänzendes  Zeugniss  ausstellt. 

Die  schon  in  der  dritten  Lieferung  begonnene  Besprechung 
der  Erkrankungen  der  Harnblase  hat  erst  im  20.  Heft 
ihre  Fortsetzung  und  ihren  Abschluss  gefunden.  Ganz  besonders 
ausführlich  werden  als  Einleitung  die  Untersuchungsmethoden,  die 
Endoskopie  der  Urethra  und  Cystoskopie,  sowie  der  Katheterismus 
besprochen  und  durch  eine  grosse  Anzahl  von  Abbildungen  (Instru¬ 
mente,  endo-  und  cystoskopische  Bilder,  Phantome  etc.)  illuslrirt. 
Im  speciellen  I  heile  sind  ausser  den  verschiedenen  Verletzungen 
der  Blase  ganz  besonders  die  Entzündungen,  Geschwülste  und  das 
grosse  Capitel  der  Blasensteine,  einschliesslich  der  chirurgischen 
Behandlung,  in  einer  Weise  dargestellt,  die  besonders  auf  die  Be¬ 
dürfnisse  des  praktischen  Arztes  Rücksicht  nimmt. 

Hierauf  folgt  das  verhältnissmässig  kurze  Capitel  über  die 
nicht  venerischen  Erkrankungen  der  männlichen 
Genitalien,  ferner  die  functionellen  Störungen  des 


männlichen  Geschlechtsapparates,  bei  deren  Be. 
sprechung  vor  Allem  auf  die  krankhaften  Samenverluste,  die  Impo 
tenz  und  die  verschiedenen  Formen  der  männlichen  Sterilität  einge- 
gangen  wird.  Während  die  Chirurgie  der  Harnblase  schon  bei  dem 
Capitel  »Blasenkrankheiten«  beschrieben  ist,  folgt  nun  eine  zu¬ 
sammenhängende  Besprechung  der  chirurgischen  Behand¬ 
lung  der  übrigen  Harnorgane  und  des  männlichen 
Geschlechtsapparates,  in  der  genauer  Aufschluss  über  die 
Technik  und  die  Indicationen  der  Operationen  an  den  Nieren,  der 
Harnröhre,  dem  Penis,  der  Prostata,  den  Hoden  etc.  gegeben  wird. 

Die  Besprechung  der  Syphilis  leitet  die  nun  folgenden  Aus¬ 
einandersetzungen  über  die  venerischen  Erkrankungen 
ein.  In  die  zwei  Hauptabschnitte,  acquirirte  und  hereditäre  Syphilis  ein¬ 
getheilt,  beschränkt  sich  die  Darstellung  durchwegs  auf  das  praktisch 
Nothwcndige,  der  Verfasser  bemüht  sich,  mit  anderen  Worten, 
nicht  zum  Sp  e  c  i  a  1  i  s  t  e  n,  sondern  zum  praktischen 
Arzte  zu  sprechen.  Eine  grosse  Anzahl  klarer  Bilder  erleichtert 
das  Verständniss  wesentlich.  Besonderes  Gewicht  ist  auf  die  recht 
übersichtlich  behandelte  Differentialdiagnose,  sowie  auf  die  Therapie 
dieser  Erkrankung  gelegt.  Eine  relativ  noch  eingehendere  Beschrei¬ 
bung  erfahren  die  gonorrhoischen  Erkrankungen  des  Mannes  und 
der  Frau,  während  das  Ulcus  mollo  nur  oberflächlicher  be¬ 
sprochen  wird. 

Wie  bei  allen  anderen  Capiteln,  so  findet  der  Leser  auch 
hier  ein  geordnetes,  ausführliches  Literaturverzeichniss,  das 
Jedem  gestattet,  sich  über  diese  oder  jene  Frage  eingehenderes 
Wissen  zu  verschaffen.  Doch  ist  sicher  anzunehmen,  dass  das  Werk 
jedem  Praktiker  vollkommen  genügen,  ihm  keine  für  seine  Zwecke 
wissenswerthe  Antwort  schuldig  bleiben  wird.  Die  noch  ausständigen, 
den  fünften  Band  zum  Abschluss  bringenden  Lieferungen  werden 
hoffentlich  bald  erschienen  sein,  so  dass  das  ganze  Werk  in  der 
relativ  kurzen  Zeit  von  circa  zwei  Jahren  hcrausgekommen  sein 
wird. 

* 

I.  Zur  Diagnose  geschlossener  Lungentuberculose,  der 
Secundärinfection,  tuberculöser  und  syphilitischer 

Phthise. 

Von  Dr.  Karl  Spengler. 

Davos  1 9U0,  Richte  r. 

II.  Wie  schütze  ich  mich  gegen  Tuberculose? 

Von  Dr.  med.  TI».  Sommerfeld. 

Berlin  1900,  O.  Coblentz. 

I.  Bei  dem  heutigen  Stande  der  Tuberculosentherapie  ist  die 
sichere  Erkennung  der  Krankheit  in  den  frühesten  Stadien  von 
weittragender  Bedeutung.  Spengler  stellt  in  seiner  Arbeit  die 
Anhaltspunkte  zur  Diagnose  dieses  Leidens,  speciell  der  sogenannten 
geschlossenen  Tuberculose  zusammen. 

»Menschen  mit  Typus  inversus  innerhalb  normaler 
Temperaturgrenzen  sind  wohl  immer  tuberculös.«  In  der 
Tuberculininjection  sieht  Spengler  das  beste  Mittel  zur  Er¬ 
kennung  solcher  Formen  der  Tuberculose.  »Dosen  von  '/10 
bis  1  mg  rufen  bei  solchen  Kranken  meist  schon  heftige  fieber¬ 
hafte  und  locale  Rcaclionen  hervor.«  Wenn  aber  umgekehrt  ein 
Mensch  erst  auf  5  oder  lOwy  leichte  Temperatursteigerungen  zeigt, 
beweist  das  für  den  Verfasser  das  Fehlen  einer  latenten  Tuber¬ 
culose,  oder  höchstens  das  Bestehen  einer  Narbe  mit  Einschluss 
tuberculösen  Gewebes.  Ferner  bespricht  er  die  Diagnose  der 
Mischinfection  und  der  von  ihr  zu  trennenden  Begleilinfection;  dort 
die  Untrennbarkeit  von  Tubcrkelbacillen  und  Secundärbacillen, 
während  hier  der  Sputumkern  die  Tuberkelbacillen,  die  von  den 
Bronchien  gelieferte  Umhüllung  des  Kernes  die  Secundärbacterien 
enthält.  Unverwendbar  zur  Beurtheilung  des  Falles  ist  nach  der 
Meinung  des  Verfassers  Zahl,  Form  und  Färbbarkeit  der  Tuberkcl- 
bacillen. 

Auch  über  die  Lungensyphilis  finden  wir  brauchbare  Anhalts¬ 
punkte  in  der  vorliegenden  Arbeit.  Vor  Allem  ist  es  das  bestehende 
Missverhältniss  zwischen  der  localen  Ausbreitung  des  Processes  in 
der  Lunge  und  der  Schwere  des  allgemeinen  Krankheitsbildes,  sowie 
der  Umstand,  dass  bei  fortschreitender  Krankheit  nie  oder  nur 
zeitweise  Tuberkelbacillen  im  Sputum  erscheinen.  Auch  beschreibt 
er  charakteristische  Formelemente  im  Auswmrfe  des  Lungensyphi« 
litikers. 


Nr.  44 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Die  im  Ganzen  nur  25  Seiten  lange  Arbeit  enthält  eine  Menge 
interessanter  und  wissenswerther  Jhatsachen,  die  duich  eigene  Be- 
obachtungen  erhärtet  werden. 

* 

IT.  S  om  m  e  r  fe  1  d’s  Brochure :  »Wie  schütze  ich  mich 
o-eo-en  Tuberculose?«  wendet  sich  direct  an  das  grosse 
Publicum  und  schildert  in  gemeinverständlicher  Weise  Wesen,  Ur¬ 
sache,  Verbreitung,  Verhütung  und  Bekämpfung  der  Tuberculose. 
Sie  ist  ein  sichtbarer  Ausdruck  für  die  rege  Thätigkeit,  die  unsere 
Nachbarn  im  Deutschen  Reiche  entfalten.  Erbauung  zahlreicher 
Heilanstalten  und  Verbreitung  der  Ivenntniss  dieser  Krankheit  in 
allen  Schichten  der  Bevölkerung  haben  heute  bereits  die  ersten 
sichtbaren  Erfolge  aufzuweisen.  Die  seit  Jahren  constatirbare  Ab¬ 
nahme  der  Schwindsuchtssterblichkeit  ist  der  sicherste  Beweis  dafür, 
dass  der  eingeschlagenc  Weg  der  richtige  ist.  v.  Weismayr. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

438.  (Aus  dem  Civilspitale  zu  Palermo.)  Der  Goldfaden 

bei  der  Radicaloperation  der  Leistenhernien.  Von 
Fiore.  Nach  dem  Vorbilde  von  Tansini,  Professor  zu  Palermo, 
wurden  die  Goldfäden  bei  genannter  Operation  bei  sieben  Kranken, 
von  denen  der  älteste  73  Jahre  zählte,  mit  gutem  Erfolge  ange¬ 
wendet.  Zur  Ligatur  des  Bruchsackhalses  wurde  ein  Goldfaden  im 
Durchmesser  von  0'65?w»,  zur  Sutur  des  dreifachen  Stratums  ein 
solcher  im  Durchmesser  von  0T1  mm  verwendet  und  diese  Fäden 
vorher  in  siedendem  destillirtem  Wasser  sterilisirt.  —  (La  Riforma 
Medica.  Nr.  199,  28.  August  1900.)  Sp. 

* 

439.  Ueber  einem  Fall  von  chronischem  Rotz 
(Wurm)  beim  Menschen.  Von  R.  v.  Baracz.  Derselbe  soll 
vor  15  Jahren  im  Anschlüsse  an  die  Extraction  eines  Zahnes 
mittelst  einer  Schusterzange  entstanden  sein;  zuerst  stellte  sich 
eiteriger  Ausfluss  aus  Nase  und  Ohr  ein,  später  traten  Geschwüre 
im  Gesichte,  dann  auch  am  Hals  und  übrigen  Körper  auf,  in  Ver¬ 
bindung  mit  Vereiterung  der  Hals-  und  Submaxillardrüsen.  Klinisch 
keine  Symptome  von  Seiten  der  inneren  Organe.  Jede  interne 
Therapie  hat  sich  als  machtlos  erwiesen,  den  meisten  Erfolg  zeigte 
noch  die  Inunctionscur.  —  (Virchow’s  Archiv.  Bd.  GLIX.)  Pi. 

* 

440.  (Academie  des  Sciences,  Paris.)  Ueber  die  Wir¬ 
kung  der  Muskelarbeit  gewisser  Gruppen  auf 
andere,  welche  keine  Arbeit  verrichten.  Von 
Kronecker  und  Cutter.  In  Folge  der  Beobachtung,  dass  die 
Hypermetropie  bei  einem  dieser  beiden  Aerzte  nach  einer  Reihe 
von  Bergtouren  sich  verminderte,  wollten  sie  erforschen,  ob  die 
Arbeit  gewisser  Muskeln  die  Kraftleistung  ganz  anderer  Muskeln 
vermehren  würde.  Zu  diesem  Zwecke  massen  sie  mit  dem  Ergo- 
graphen  die  Leistung  des  Biceps  brachialis  nach  immer  längeren 
Bergsteigungen  und  fanden,  dass  kurze  oder  mittlere  Touren  die  Kraft 
des  Biceps  leicht  vermehren,  während  lange  und  ermüdende  Steigungen 
(3000  m  Höhe  bei  10 — 14stündiger  Dauer)  die  Leistung  sehr  er¬ 
höhen,  aber  nach  einer  Periode  der  Verminderung  von  zwei  bis 
drei  Tagen.  Die  Verfasser  halten  sich  zu  dem  Schlüsse  berechtigt, 
dass  eine  mittlere  Muskelarbeit  auch  unbetheiligte  Gruppen  stärke 
und  dass  eine  übermässige  Anstrengung  dem  Blute  schädliche  Sub¬ 
stanzen  beimenge,  deren  Ausscheidung  für  die  Wirkung  der  Trai- 
nirung  nothwendig  ist.  —  (La  Semaine  Medicale.  19.  September 

1 900,  Nr.  39.)  '  Sp. 

* 

441.  Ueber  die  Anwendung  von  entzündungs¬ 
erregenden  Mitteln  bei  der  Wundbehandlung.  Von 
Dr.  Meyer  (Gotha).  Man  sollte  nicht  darauf  verzichten,  durch  die 
uns  zu  Gebote  stehenden  Mittel  einen  gewissen  Grad  aseptischer 
Entzündung  um  die  Wunde  herum  anzustreben  und  dadurch  einen 
Reiz  auf  das  Gewebe  auszuüben.  Dazu  eignen  sich  unsere  aseptischen 
Verbandwässer.  Meyer  verwendet  bei  genähten  oder  überhaupt 
mykosefreien  Wunden  Jodtinctur,  bei  verunreinigten  einen  Verband 
mit  essigsaurer  Thonerde.  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900, 

Nr.  32.)  Pi. 

* 


442.  (Academie  des  Sciences,  Paris.)  Wirkung  der  com- 
p  r  i  m  i  r  t  e  n  Lu  f  t.  Von  M  o  s  s  o.  Man  weiss,  dass  eine  Atmo¬ 
sphäre  bis  zu  50%  Kohlenoxydgas  Mäuse  nicht  tödtet  unter  der 
Bedingung,  dass  in  derselben  reiner  Sauerstoff  mit  zwei  Atmo¬ 
sphären  Druck  enthalten  ist.  Dasselbe  konnte  M.  bei  grossen 
Thieren  (Affen,  Hunde,  Hasen)  bestätigen;  ein  Gasgemenge  in  welchem 
das  Kohlenoxyd  das  Verhältniss  von  6%  erreicht,  ist  unschädlich, 
wenn  darin  Sauerstoff  mit  dem  Drucke  von  zwei  Atmosphären, 
oder  Luft  von  zehn  Atmosphären  enthalten  ist,  während  0'5% 
Kohlenoxyd  unter  gewöhnlichem  Drucke  den  Tod  herbeiführt. 
Wenn  die  Thiere  aus  dem  kohlensäurehältigem  Milieu  plötz¬ 
lich  an  die  freie  Luft  gesetzt  werden,  sterben  sie  sofort;  reinigt 
man  hingegen  allmälig  die  Gasmischung,  welche  sie  einathmen,  so 
erzeugt  man  eine  wirkliche  Waschung  des  Blutes  und  sie  können 
nach  beiläufig  einer  Stunde  ohne  Gefahr  an  die  freie  Luft  gesetzt 
werden.  Diese  Besonderheit  ist  vom  therapeutischen  Standpunkte 
wichtig.  Man  kann  bei  den  asphyktischen  Minenarbeitern  ein  Ueber- 
leben  einiger  Stunden  oder  mehrerer  Tage  beobachten;  wahrschein¬ 
lich  würden  einige  derselben  gerettet  worden  sein,  wenn  man  sie 
unmittelbar  nach  dem  Anfalle  einer  Atmosphäre  mit  comprimirtem 
Sauerstoff  ausgesetzt  hätte.  —  (Semaine  medicale.  19.  September 

1900,  Nr.  39.)  Sp. 

* 

443.  Zur  Behandlung  des  Blutschwammes  und 

verwandter  angeborener  Gefässneubildungen.  Von 
Dr.  Holländer  (Berlin).  Die  Hauptmethode  bildet  nach  Verfasser 
die  Heissluftbehandlung  der  erkrankten  Stellen,  bei  kleinen  Teleangiek¬ 
tasien,  eventuell  die  Aetzung  mit  Salpetersäure.  Die  Heisslull¬ 
behandlung  ist  nur  contraindicirt  bei  ausschliesslich  subcutanem 
Sitz  der  Krankheit.  Die  Kauterisation  muss  bis  zur  Mumificirung 
des  Gewebes  fortgesetzt  werden.  —  (Berliner  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  17.)  Pi- 

* 

444.  DieVolksheil  mittel  und  die  Serumbehand¬ 
lung  des  Rausches.  Von  P  o  m  m  e  r  o  1  (de  G  o  r  z  a  t).  Bei 
der  Durchsicht  der  Versuche,  ein  Serum  gegen  die  Berauschung 
zu  finden,  und  bei  dem  Umstande,  dass  das  Blut  eines  alkoholi- 
sirten  Pferdes  Säufern  eingespritzt  bei  diesen  eine  unüberwindliche 
Abneigung  gegen  Wein  und  Alkohol  bewirkte,  erinnerte  sich  Ver¬ 
fasser  gewisser  von  den  Hausmüttern  in  der  Auvergne  angewen¬ 
deter  Mittel,  um  ihre  Gatten  und  Söhne  von  den  veralteten  Ge¬ 
wohnheiten  des  Trinkens  abzubringen.  Diese  Frauen  mischen  den 
Wein,  welcher  ungewässert  getrunken  werden  muss,  Blut  vom 
Maulwurfe  oder  Aale  bei.  Hierauf  soll  bei  dem  Säufer  ein  eigen- 
thümlicher  Zustand  von  Uebelkeit  und  tiefem  Widerwillen  gegen 
alle  gegoltenen  Flüssigkeiten  entstanden  sein.  Zuweilen  zeigten  sich 
Phänomene  echter  Vergiftung.  Pommerol  fand  in  der  Literatur, 
dass  das  Blut  und  das  rohe  Fleisch  des  Aales  wirklich  toxisch 
sind.  Es  wäre  nicht  zu  verwundern,  dass  bei  einem  Thiere,  welches 
wie  ein  Reptil  ohne  Unterlass  in  schlammigem  Wasser  lebt,  gewisse 
noch  nicht  studirte  Stoffe  enthalten  sind,  deren  Wirkung  sich  dem 
eines  Giftes  oder  eines  Serums  desselben  näherte.  Man  begreill 
auch,  dass  der  Maulwurf,  dessen  Leben  in  Durchwühlung  des  Erd¬ 
reiches  besteht,  schliesslich  Stoffe  aufnimmt,  welche  toxisch  oder 
infectiös  wirken  könnten.  —  (Gazette  des  Höpitaux.  20.  September 

1900,  Nr.  107.)  Sp. 

* 

445.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Göttingen.)  Ueber 

Achsendrehung  des  Dünndarmes  in  Folge  von 
Mesenterialcysten.  Von  Dr.  Fertig.  Nach  Entfernung  der 
Cyste  war  ausgebreitete  Gangrän  des  Darmes  aufgetreten.  Die  Ob- 
duction  stellte  fest,  dass  die  Radix  mesenterii  zweimal  um  ihre 
Achse  gedreht  und  in  Folge  dessen  die  Art.  mesenterica  zum  Ver¬ 
schluss  gebracht  worden  war.  Die  Achsendrehung  hatte  zum  I  heil 
schon  vor  der  Operation  bestanden,  war  aber  durch  die  während 
derselben  ausgeführten  Manipulationen  acut  geworden.  —  (Deutsche 
Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  L.)  P*- 

* 

446.  Ueber  die  Heissluftbehandlung  bei  Nase n- 
und  Rachenkrankheiten.  Von  Lcrmoyez  und  Maru. 
Die  heisse  Luft  wurde  bis  jetzt  in  der  Behandlung  der  Erkran¬ 
kungen  der  ersten  Luftwege  nur  in  Form  von  Inhalationen  ange¬ 
wendet,  wobei  nur  eine  feuchte  Luft  von  beinahe  derselben  fern- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


peralur  wie  die  umgebende  Luft  circulirt.  Die  Verfasser  versuchten, 
an  der  Oberfläche  umschriebener  Theile  der  Schleimhaut  überhitzte 
trockene  Luft  von  80—100°  anzuwenden,  wie  dies  bereits  von 
Holländer  und  J  a  y  1  e  in  der  Dermatologie  und  Gynäkologie 
geschehen  ist.  Die  Luftquelle  wurde  von  Stahlrohren,  welche  Luft 
unter  dem  Drucke  von  1 20  Atmosphären  enthielten,  geliefert;  diese 
erhitzt  sich  in  einem  Metallbehälter  und  wird  durch  ein  geschmei¬ 
diges  metallisches  Rohr  mit  Asbestbelag  zugeführt.  Am  Ende  dieses 
Rohres  fügen  sich  Canulen  von  verschiedener  Dicke  und  Form  an, 
je  nachdem  man  die  heisse  Luft  an  Hörrohre,  an  die  Tuben  oder 
am  Ohre  selbst  anwenden  will.  Am  Grunde  der  Canule  ist  ein 
Regulator  der  Temperatur  und  des  Luftdruckes  angebracht.  Die 
Heissluft  wird  unter  Controle  des  Gesichtes,  mit  dem  Stirnspiegel 
und  Speculum  angewendet.  Die  Sitzung  dauert  zwei  Minuten  und 
wird  zwei-  bis  dreimal  in  der  Woche  wiederholt.  Im  Allgemeinen 
sind  acht  bis  zwölf  Sitzungen  nothwendig  und  ist  die  Behandlung 
vollkommen  schmerzlos.  Die  Heissluft  bewirkt  starke  Zusammen¬ 
ziehung  der  Schleimhaut  und  reichliche  wässerige  Absonderung, 
welche  binnen  Kurzem  aufhört.  Der  gute  Erfolg  der  Behandlung, 
anfänglich  vorübergehend,  strebt  definitiv  zu  werden.  Von  beson- 
derem  Erfolge  war  die  Heissluft  bei  chronischer  congestiver 
Coryza  mit  intermittirender  Nasenverstopfung,  jedoch  unter  der 
Bedingung,  dass  noch  keine  Gefässdegeneration  der  Schleimhaut 
bestand.  Die  Anwendung  der  Heissluft  bewirkt  rasches  Aufhören 
des  Niesens  und  anderer  nervöser  Symptome  der  spasmodi¬ 
schen  Coryza,  die  Strömungen  der  Nasenhydrorrhoe  versiegen 
und  die  Schleimhaut  kehrt  zu  ihrem  normalen  Zustande  zurück. 
Beim  Heuschnupfen  scheinen  blos  die  Krisen  erleichtert  zu 
werden;  endlich  werden  bei  Gehörstörungen,  Taubheit  und  Ohren¬ 
sausen,  verbunden  mit  Nasen-  und  Nasen-Rachenkalarrhen,  gute 
Erfolge  erzielt;  die  Otalgie  hört  beinahe  sofort  auf.  Die  Verfasser 
haben  bis  jetzt  bei  Ozaena,  eiterigen  Katarrhen,  Lupus  der  Nase 
und  hypertrophirenden  Rhinitiden  keine  Erfolge  erzielt,  ebensowenig 
wie  bei  allen  Affectionen,  welche  eine  chirurgische  Behandlung  er¬ 
fordern.  —  (Journal  des  Praticiens.  29.  September  1900,  Nr.  39.) 

Sp. 

* 

447.  Entstehung  und  Wesen  der  Vogelgicht 
und  ihre  Beziehung  zur  Arthritis  urica  des 
Menschen.  Von  Dr.  Kionka  (Breslau).  Verfasser  konnte  durch 
Verabfolgung  reiner  Fleischkost  bei  Hübnern  echte  Gicht  zu  Stande 
bringen.  An  den  Gelenkenden  und  zwischen  den  Muskeln  war  es 
zu  reichlichen  Uratablagerungen  gekommen;  die  Thiere  gingen  alle 
innerhalb  zehn  Monaten  zu  Grunde.  Die  Untersuchung  der  Excremente 
ergab,  dass  die  Harnsäureausscheidung  um  mehr  als  das  Sechs¬ 
fache  gesteigert  war.  (Archiv  für  experimentelle  Pathologie. 
Bd.  XLIV.) 

* 

448.  Ulcerative  Endocarditis  mit  Antistrepto¬ 
coccen  serum  behandelt.  Von  Prof.  Clarke  (Bristol).  Der 
Fall  betraf  eine  22jährige  Frau,  der  ein-  oder  auch  mehrmals 
täglich  10-,  sonst  auch  24stündlich  15  c?«3  Serum,  im  Ganzen 
232  c???3  Serum  injicirt  worden  waren.  Die  Wirkung  war  eine 
wechselnde.  Der  Fall  endete  insoweit  mit  Genesung,  als  die  Patientin 
mit  einem  blasenden  systolischen,  besonders  über  der  Aorta  hör¬ 
baren  Geräusch  entlassen  werden  konnte.  —  (Lancet.  21.  Juli  1900.) 

* 

449.  Petyt  berichtet  über  einen  Fall,  in  welchem  einem 
22jährigen  Manne,  als  derselbe  mit  einer  Nadel  Cerumen  aus  einem 
Ohr  entfernte,  diese  ausglitt,  durch  einen  Trommelfellriss  in  den 
Schlund  gelangte  und  am  dritten  Tage  spontan  durch  den  After 
abging.  —  (Brit.  med.  Journ.  30.  Juni  1900.) 

* 

450.  lieber  einen  ungewöhnlichen  Ausgang  der 

acuten  Osteomyelitis.  Von  Dr.  Becker  (Aachen).  Be¬ 
schreibung  dreier  Fälle,  in  welchen  es  in  Folge  eines  Sequesters 
zu  einer  tumorartigen  Schwielenbildung  in  den  Weichtheilen  ge¬ 
kommen  war.  Die  mikroskopische  Untersuchung  von  Gewebs- 
theilchen  der  Geschwülste  schien  für  Sarkom  zu  sprechen.  — 
(Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LV.)  Pi. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

E  r  n  a  nnt:  Der  ordentliche  Professor  der  allgemeinen  Pathologie 
und  pathologischen  Histologie  an  der  Universität  in  Wien  Doctor 
Richard  Pal  tauf  zum  ordentlichen  Professor  der  allgemeinen 
und  experimentellen  Pathologie  an  dieser  Universität.  —  Im  mili¬ 
tärärztlichen  Offeier  scorps:  zum  Generalstabsarzt  der 
Oberstabsarzt  erster  Classe  Dr.  Johann  Strejöek;  zu  Oberstabs¬ 
ärzten  erster  Classe  die  Doctoren  Wenzel  Marek,  Ladislaus 
Ritter  Zgorski  v.  Kotwicz,  Johann  Schwär  sehnig, 
Franz  Hauser,  Karl  F  a  1  n  b  i  g  1,  Alfred  Ritter  L  o  e  b  e  n- 
stein  v.  Aigen  hör  st,  Josef  Dubsky,  Maximilian 
Pauk,  Bohuslav  Niesner  und  B  o  f  i  v  o  j  Tomsa;  zu  Ober 
Stabsärzten  zweiter  Classe  die  Doctoren  Karl  V  r  e  £  e  r,  Emil 
Lugo,  Florian  Löhne  r  t,  Anton  Navarra,  Johann 
Schiffrer,  Julian  M  i  k  s  c  h ,  Clemens  Moretzky,  Eduard 
Hoffmann,  Andreas  Toman  n,  Peter  Lonauer,  Bartho¬ 
lomäus  Smatla,  Johann  Polaäek,  Ludwig  Veres  s, 
Alexander  Wysocki,  Eduard  Ne  über,  Andreas  Thum- 
w  a  1  d,  Matthäus  B  o  c  e  k  und  Philipp  Peck;  zu  Stabsärzten 
die  Regimentsärzte  erster  Classe  Doctoren  Leopold  Biber,  Wil¬ 
helm  Benedikt,  Josef  Ivanasz,  Salomon  Stoekel, 
Franz  IJeiek,  Friedrich  Bass,  Wenzel  Sehest  a, 
Adalbert  Pattantiüs  - Abraham  v.  Danczka,  Johann 
Hirtenhuber,  Leopold  Terenkoczy,  Josef  Rönai, 
Josef  Singer,  Adolf  Klein,  Moriz  Szabö,  Adolf 
Schön  bäum,  Josef  Tyr  man,  Michael  Martynowicz, 
Polykarp  Star  y,  Josef  Frankl,  Leopold  M  eisei,  Karl 
C  r  o  n  und  Josef  Pewny.  Im  landweh  r -  ärztlichen 
Officierscorps:  zum  Oberstabsarzt  erster  Classe  der  Leibarzt 
Dr.  Josef  Kerzl;  zu  Oberstabsärzten  zweiter  Classe  die  Doctoren 
Ferdinand  Zimmert,  Josef  Formanek,  Alois  Apol¬ 
lo  n  i  o  ;  zu  Stabsärzten  die  Doctoren  Ludwig  Baecker- 
Ludwig  Földessy  und  Ignaz  Herr  mann.  Im  marine¬ 
ärztlichen  Officierscorps:  zum  Marine  Oberstabsarzt  erster 
Classe  Dr.  Eugen  Gruber;  zum  Marine-Oberstabsarzt  zweiter 
Classe  Dr.  Thomas  Lenoch;  zum  Marine-Stabsarzt  der  Linien¬ 
schiffsarzt  Dr.  Arthur  v.  Suhay.  —  Dr.  Friedrich  Reinke 
zum  a.  o.  Professor  der  Anatomie  in  Rostock.  —  Dr.  J.  Bock 
zum  ordentlichen  Professor  der  Pharmakologie  in  Kopenhagen. 

* 

Dem  Generalstabsarzte  Dr.  Her  min  Fischer  wurde  der 
Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekannt  gegeben. 

fe¬ 
in  der  Sitzung  des  niederösterreichischen  Landes- 
Sanitäts  rat  lies  am  22.  October  d.  J.  wurden  Besetzungs¬ 
vorschläge  für  erledigte  Sanitäts-,  beziehungsweise  Veterinär  - 
Concipistenstellen  in  Niederösterreich  und  ein  Referat,  betreffend  die 
Errichtung  einer  Familiengruft  in  einer  Gemeinde  Nieder¬ 
österreichs  ausserhalb  Wiens  erstattet. 

*■ 

Gemäss  der  Verordnung  des  Ministeriums  für  Cultus  und 
Unterricht  im  Einvernehmen  mit  dem  Ministerium  des  Innern  vom 
27.  Januar  1898  (R.  G.  Bl.  Nr.  35)  ist  die  dritte  geburtshilfliche 
Klinik  an  der  k.  k.  Universität  in  Wien  in  eine  staatliche 
Hebamme  »-Lehranstalt  umgewandelt  worden,  und  hat  der 
Landes  Sanitäts-Referent,  k.  k.  Statthaltereirath  Dr.  August 
Netolitzky,  die  Functionen  des  Directors  dieser  Anstalt  mit 
1.  October  d.  J.  übernommen. 

* 

Der  ärztliche  Bericht  über  das  unter  der  Leitung  des  Primarius 
Dr.  Franz  Hansy  stehende  R  a  t  h’sche  Allgemeine  öffent¬ 
liche  Krankenhaus  in  Baden  bei  Wien  gibt  Zeugniss 
von  der  immer  wachsenden  Bedeutung  dieses  modern  eingerichteten 
und  nach  modernen  Principien  geleiteten  Krankenhauses.  Die  erhöhte 
Inanspruchnahme  besonders  durch  operationsbedürftige  Kranke  erhellt 
am  deutlichsten  aus  dem  Operationsberichte,  der  für  das  Berichts¬ 
jahr  1899  125  grössere  und  411  kleinere  ausgeführte  operative  Ein¬ 
griffe  aufweist. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  41.  Jahreswoche  (vom  7.  October 
bis  13.  October  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  699,  unehelich  259,  zusammen 
958.  Todt  geboren:  ehelich  44,  unehelich  22,  zusammen  66.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  522  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
16‘2  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  86,  Blattern  0,  Masern  3, 
Scharlach  3,  Diphtherie  und  Croup  7,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  5, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  4,  Neu¬ 
bildungen  42.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
34  (-|-  7),  Masern  121  (-}-  17),  Scharlach  55  (=),  Typbus  abdominalis 
12  ( —  3),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  19  ( —  1),  Croup  und 
Diphtherie  37  ( —  17),  Pertussis  23  (-(-  5),  Dysenterie  ( —  2),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  2  ( —  2),  Trachom  8  (-J-  1),  Influenza  0  (=). 


Nr.  44 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1029 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 

INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Sitzung  vom  26.  October  1900. 

72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900. 
(Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  26.  October  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Teleky. 

Schriftführer  :  Dr.  Knauer. 

Als  Gast  anwesend:  Dr.  Balanos  aus  Athen. 

Der  Vorsitzende  verliest  ein  Dankschreiben  des  Prof.  Dr.  H.  E. 
Hering  an  das  Präsidium  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  aus  An¬ 
lass  des  ihm  zuerkannten,  von  Dr.  A.  Goldberger  gestifteten 
Preises. 

Docent  Dr.  Büdinger  demonstrirt  das  Schädeldach  eines 
Knaben,  in  welches  er  vier  Jahre  vor  dem  Tode  des  Patienten 
Scheiben  aus  dem  Calcaneus  einer  alten  Frau  implantirt  hatte,  um 
Defecte  nach  tuberculöser  Pachymeningitis  zu  schliessen.  (Erscheint 
ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 

Ferner  demonstrirt  Büdinger  eine  Improvisation  zum  Ver¬ 
schlüsse  des  Anus  praeternaturalis  lateralis  und  einen  einfachen  Hand¬ 
griff  zur  Befestigung  von  weichen  Kathetern  und  Drainageröhren. 
(Erscheint  ausführlich.) 

Discussion:  Dr.  Teleky  erwähnt,  dass  er  vor  Jahren  für 
den  Verschluss  bei  Anus  praeternaturalis  einen  kleinen  Apparat,  be¬ 
stehend  aus  einem  mit  kurzem  Stiel  verbundenen  Doppelballon,  ange¬ 
geben  habe,  der  ihm  sehr  gute  Dienste  leistete. 

Büdinger  bemerkt,  dass  er  den  von  Dr.  Teleky  beschrie¬ 
benen  Apparat  gut  kenne,  da  derselbe  mit  einer  Modification,  ent¬ 
sprechend  dem  geänderten  Zwecke,  in  der  Klinik  Billroth  unter 
dem  Namen  der  „H  a  ck  er  -  Sch  e  i  m  pf  lu  g’schen  Canule“  bei  den 
Gastrostomiefisteln  im  Gebrauch  war.  Die  Nachtheile  der  Vorrichtung 
sind  geringe  Haltbarkeit  und  unsicheres  Functioniren,  da  sehr  leicht 
die  Luft  aus  den  Ballons  entweicht;  Büdinger  hält  die  von  ihm 
angegebene  Vorrichtung  für  den  seitlichen  Anus  praeternaturalis  für 
viel  einfacher,  da  sie  der  Patient  jederzeit  selbst  herstellen  kann,  und 
für  zuverlässiger. 

Prof.  Ehrmann  stellt  einen  Kranken  mit  syphilitischer 
Initialsklerose  auf  dem  rechten  hinteren  Augen¬ 
lide  vor. 

Derselbe  kam  wegen  Scabies  in  seine  Behandlung,  die  Sklerose 
sowie  das  Exanthem  wurden  nur  zufällig  entdeckt.  Vortragender  zeigt 
an  diesem  Falle,  wie  es  namentlich  die  extragenitalen  Sklerosen  sind, 
welche  entweder  unerkannt  bleiben,  oder,  wenn  erkannt,  vom  Kranken 
selbst  vernachlässigt  und  unbehandelt  bleiben,  weil  dem  Kranken  das 
Verständniss  für  die  Tragweite  derselben  fehlt. 

So  war  es  auch  bei  dem  vorgestellten  Patienten,  der  nach 
Heilung  der  lästigen  juckenden  Scabies  sich  der  Behandlung  der 
Syphilis  sofort  entzog  und  erst  durch  die  Intervention  der  Verwaltung 
der  Wiener  Bezirkskrankencasse  derselben  wieder  zugeführt  wurde. 

Vortragender  zeigt  ferner  die  Abbildung  einer  in  der  Nasenhöhle, 
etwa  in  der  Höhe  der  unteren  Muschel  sitzenden  Initialsklerose  der 
Nasenscheidewand.  Patient  kam  wegen  angeblichem  Eczema  scroti  in 
Ehrmann’s  Behandlung,  das  aber  sofort  als  nässende  Papeln  sich 
kundgab,  daneben  maculöses  Exanthem  ohne  Schwellung  der  Inguinal¬ 
drüsen,  dafür  sehr  grosse  Drüsen  auf  dem  Halse  links.  Doch  war  auch 
auf  dem  Kopf  äusserlich  keine  Affection  zu  finden  ;  bis  Ehrmann 
daran  ging,  die  Nasenhöhle  mit  dem  Spiegel  zu  untersuchen,  gab  der 
Kranke  an,  dass  er  seit  circa  zwei  Monaten  Schmerzen  in  der  linken 
Nasenhöhle,  namentlich  beim  Schneuzen,  habe.  Das  Aussehen  der 
Sklerose  unterscheidet  sich  nicht  wesentlich  von  dem  an  der 
äusseren  Haut. 

Der  Vortragende  führt  aus,  wie  er  bei  den  Kranken  seines 
Ambulatoriums  die  Prophylaxe  durchführt.  Jeder  in  die  Behandlung 
tretende  Kranke  wird  über  die  Bedeutung  der  Krankheit  belehrt  und 
aufgefordert,  sieb  alle  drei  Monate  nach  der  ersten  Behandlung  vor¬ 
zustellen.  Thut  er  das  nicht,  so  wird  er  durch  die  Intervention  der 
Bezirkskrankencasse  ersucht,  dies  zu  thun;  so  ist  Vortragender  im 
Stande,  circa  40%  seiner  Fälle  durch  Jahre  wieder  zu  sehen,  sie  der 
Behandlung  zu  unterziehen,  sie  und  die  Umgebung  vor  der  Gefahr 
möglichst  zu  schützen. 

ln  der  Discussion  macht  Vortragender  auf  die  Gefahren 
aufmerksam,  welche  von  solchen  Patienten  drohen,  die  eiterige  syphi¬ 
litische  Paronychien  haben. 


18.  Internationaler  medicinisclier  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 
1900.)  (Fortsetzung.) 


Ein  Patient  seines  Ambulatoriums  wurde  von  einem  im  selben 
Betriebe  arbeitenden  Freunde  gelegentlich  eines  Händedruckes  zufällig 
am  Handrücken  mit  dem  Nagel  geritzt,  bekam  darauf  eine  Sklerose 
daselbst.  Die  Untersuchung  dieses  Freundes  ergab  eiternde  Paronychien 
mehrerer  Fingernägel. 

Die  unerkannten  Sklerosen  sind  auch  die  Ursache  der  uner¬ 
kannten  Spätformen  der  Lues,  die  nach  der  Erfahrung  des  Vor¬ 
tragenden  einen  hohen  Procentsatz  aller  Spätformen  ausmachen. 

Prof.  Mraüek  macht  im  Anschlüsse  an  die  Beobachtung  extra¬ 
genitaler  Initialaffecte  auf  die  Bedeutung  und  das  häufige  Vorkommen 
der  sogenannten  „Syphilis  ignota“  aufmerksam. 

Hofrath  Neumann  hat  innerhalb  zehn  Jahren  bis  zum  Jahre  1890 
an  seiner  Klinik  108  extragenitale  Sklerosen  beobachtet  und  seither  eine 
noch  weit  höhere  Zahl  an  klinischen  wie  privaten  Kranken  gesehen. 
Syphilitische  Primäraffecte  können  gelegentlich  an  jedweder  Körperstelle 
zur  Ansicht  kommen  und  bieten  manchmal  in  Folge  ihrer  ungewöhn¬ 
lichen  Localisation  und  ihres  ungewöhnlichen  Aussehens  nicht  geringe 
differentialdiagnostische  Schwierigkeiten,  so  namentlich  bei  ihrem  Sitz 
an  der  Mundschleimhaut,  an  Gaumenbögen  oder  Tonsillen,  wo  sie 
durch  ihre  Grösse,  Härte  und  rapides  Wachsthum  bei  gleichzeitiger 
Drüsenschwellung  maligne  Tumoren  vortäuschen  können.  Der  weitere 
Verlauf  der  Syphilis  ist  der  gleiche  wie  sonst  bei  der  auf  genitalem 
Wege  acquirirten  Syphilis,  nur  wenn  der  syphilitische  Primäraffect 
nicht  rechtzeitig  erkannt  wurde  und  dementsprechend  die  Syphilis  un¬ 
behandelt  blieb,  kann  dieselbe  in  Folge  Unterlassung  einer  rechtzeitigen 
Behandlung  einen  schwereren  Verlauf  nehmen.  Das  trifft  namentlich  bei 
der  sogenannten  endemischen  Syphilis  zu,  wie  sie  hauptsächlich  in 
manchen  Districten  Russlands  oder  der  Balkanstaaten  heimisch  ist,  wo 
die  Syphilis  meist  schon  in  der  Kindheit  auf  extragenitalem  Wege 
übertragen  wird,  unbehandelt  bleibt  und  in  Folge  dessen  dann  in 
späterer  Zeit  in  schweren,  tertiären,  ulcerösen  Formen  auftritt.  Redner 
behält  sich  vor,  demnächst  auf  diese  Frage  näher  einzugehen. 

Docent  Dr.  Spiegler:  Während  die  extragenitale  Infection 
mit  Syphilis  in  unseren  Gegenden  so  selten  ist,  dass  es  noch  immer 
interessant  zu  sein  scheint,  eine  extragenitale  Sklerose  zu  demonstriren, 
ist  die  Verbreitung  der  Syphilis  durch  extragenitale  Infection  unter 
der  ländlichen  Bevölkerung  Russlands  der  gewöhnliche  Vorgang. 
Seitdem  man  daran  gegangen  ist,  diese  Verhältnisse  näher  zu 
studiren,  hat  man  erfahren,  dass  die  extragenitale  Infection  bei  den 
russischen  Bauern  an  90°/o  aller  Syphilisfälle  betrifft.  Aber  nicht  nur  unter 
der  Landbevölkerung  ist  dieser  Infectionsmodus  so  verbreitet,  sondern 
auch  für  die  russische  Städtebevölkerung  ist  es  bewiesen,  dass  circa 
2°/o  aller  an  Syphilis  Erkrankten  auf  extragenitalem  Wege  inficirt 
werden.  Diese  Thatsachen  entnehmen  wir  einer  höchst  interessanten 
und  grosses  statistisches  Material  enthaltenden  jüngst  erschienenen 
Publication  von  v.  Petersen  und  v.  S  t  ii  r  m  e  r  *).  Mit  Bezug  auf 
die  Einzelheiten  dieser  umfassenden  Arheit  muss  auf  das  Original 
verwiesen  werden. 

E.  Schiff  demonstrirt  einige  in  seinem  Institute  von  ihm  und 
L.  Freund  behandelte  und  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  schon 
früher  (vor  den  Ferien)  vorgestellte  Fälle  von  Lupus  vulgaris,  Hyper¬ 
trichosis,  Favus  und  Sykosis,  um  den  Dauererfolg  der  Behandlung 
von  den  Mitgliedern  der  Gesellschaft  controliren  zu  lassen. 

Alle  diese  Fälle  sind  seit  5 — 18  Monaten  aus  der  Behandlung 
entlassen,  doch  hat  sich  bei  keinem  derselben  eine  Recidive  ihrer  ver* 
schiedenen  Affectionen  bisher  gezeigt. 

Der  eine  Lupuspatient  ist  besonders  bemerkenswerth.  Derselbe 
hatte  enorme  Wucherungen  im  Gesichte ;  Ober-  und  Unterlippe 
waren  ganz  ausserordentlich  entstellt,  wie  dies  aus  dem  vor  Beginn 
der  Behandlung  aufgenommenen  Bilde  ersichtlich  ist.  Die  lupösen 
Efflorescenzen  reichten  überdies  weit  in  die  Mundschleimhaut. 
Primarius  Lang,  welchem  der  Patient  vorgestellt  wurde,  wies  den¬ 
selben  als  zur  Operation  ungeeignet  zurück.  Aus  dem  gegenwärtigen 
Status  ergibt  sich  ein  therapeutisch  wie  kosmetisch  vollkommen  be¬ 
friedigendes  Resultat.  Auch  die  Schleimhautaffectionen  sind  vollkommen 
zurückgegangen. 

In  Folge  einer  bedauerlichen  Vergesslichkeit  gibt  Schi  ft  an, 
dass  eine  dieser  Patientinnen  nur  einmal  wegen  Hypertrichosis  be- 

')  Die  Verbreitung  der  Syphilis,  der  venerischen  Krankheiten  und 
der.  Prostitution  in  Russland.  Dermatologische  Zeitschrift.  1899.  Er¬ 
gänzungsheft. 


1030 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


handelt  worden  sei.  Dies  sei  hiemit  richtig  gestellt.  Die  Patientin  wurde 
schon  vorher  einige  Male  von  Herrn  Docenteo  K.  U  1 1  m  a  n  n  behandelt. 

Dies  ändert  allerdings  nichts  an  der  Thatsache,  dass  bei  der 
Patientin  seit  sechs  Monaten  keine  bemerkenswerthe  Recidive  ihrer 
Hypertrichosis  eingetreten  ist. 

Discussion:  Neumann:  Trotz  der  Differenzen,  welche  die 
beiden  Collegcn  bezüglich  der  Methode  ausgesprochen,  kann  ich  vom 
praktischen  Standpunkte,  da  ich  beiden,  wie  ich  glaube,  genügend 
Material  zugewiesen,  es  aussprechen,  dass  die  Wirkung  der  Radio¬ 
therapie  eine  gute,  in  vielen  Fällen  eine  exquisite  ist.  Selbstverständ¬ 
lich  wird  nach  wie  vor  bei  Lupussykosis  die  alte  Therapie  nicht 
verdi ängt,  noch  weniger  die  alte  Methode  überflüssig  werden.  Bei 
einer  Form  von  Lupus,  dem  L.  erytli.,  sah  ich  keine  günstige  Wirkung, 
wahrscheinlich  weil  hier  mehr  miliare  Herde  Vorkommen,  die  der 
Radiotherapie  wenig  Angriffspunkte  bieten  ;  bei  Favus  ist  die  Wirkung 
ausgezeichnet,  die  Haare  werden  beseitigt,  die  eventuell  nach  wachsenden 
kommen  ohne  Beimengung  von  Favus-Elementen,  dagegen  bei  einer  Form 
von  Lupus,  dem  Lupus  tumidus  und  exfoliativus  der  Gesichtshaut,  bei 
den  lupösen  Wucherungen,  die  nicht  nur  in  der  Haut  und  selbst 
manchmal  in  den  Fascien,  Muskeln  Vorkommen,  welche  geradezu  un¬ 
heilbar  sind,  war  oft  die  Wirkung  eine  exquisite,  wovon  ich  mich 
überzeugen  konnte  bei  einem  im  Institute  Docent  Schiffs  be¬ 
handelten  Kranken  und  bei  einem  noch  weiter  vorgeschrittenen  Falle, 
bei  dem  die  ganze  Gesichtshaut  ergriffen  war,  von  Dr.  Kienböck 
in  der  Heilanstalt  Dr.  Fürth’s  behandelt. 

Da  wo  unberufene  Aerzte  die  Methode  üben,  kommen  schwei- 
heilende  Geschwürsformen  vor. 

Docent  Dr.  K.  U 11  mann:  Bezüglich  des  ersten  von  Herrn 
Dr.  Schiff  vorgestellten  Falles  von  Epilation  muss  ich  der  That¬ 
sache  entsprechend  corrigiren,  dass  es  sich  hier  nicht,  um  die  zweite 
Behandlung,  sondern  mindestens  um  die  vierte  oder  fünfte  handelt. 
Ich  selbst  habe  nämlich  die  Frau  bereits  Anfangs  1898  im  Vereine 
mit  Herrn  Collegcn  Stökl  auf  der  Klinik  epilirt.  Die  Haare  kamen, 
obwohl  sie  nach  der  Behandlung  jedes  Mal  gänzlich  verschwunden, 
immer  nach  Monaten  wieder  zurück. 

Es  ist  also  fraglich,  ob  der  Erfolg  von  nun  ab,  wie  der  Herr 
College  meinte,  ein  bleibender  sein  wird.  Ich  habe  niemals  bei  dieser 
Methode  an  bleibende  Enthaarung  gedacht  und  möchte  dies  auch  jetzt 
noch  bezweifeln,  gleichgiltig  wie  immer  auch  die  Epilation  bewerk¬ 
stelligt  wurde,  ob  langsam  ohne,  oder  ob  rasch  mit  sogenannter 
Reaction.  Dies  zeigen  mir  wenigstens  zahlreiche  Beobachtungen,  die 
ich  seit  mehreren  Jahren  schon  genau  verfolge,  wenn  ich  auch  die 
Fälle  nicht  alle  mit  meinem  eigenen  Apparate  epilirt  habe.  Wenn 
aber  die  Resultate  auch  nicht  definitive  sind,  die  Methode  der 
Epilation  mit  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bestrahlung  ist  der  elektrolytischen,  was 
Raschheit  und  Schmerzlosigkeit  betrifft,  unbedingt  vorzuziehen. 

Prof.  Dr.  J.  Pal  hält  seinen  angekündigten  Vortrag  über : 
Neue  Untersuchungen  über  die  Darm  Wirkung  des 
Opiums  und  des  Morphins. 

Vortragender  berührt  einleitend  die  widersprechenden  Angaben, 
welche  über  die  Darmwirkung  des  Opiums  und  des  Morphins  bei 
Menschen  und  Thieren  vorliegen.  Die  Sachlage  ist  eigentlich  eine 
andere,  als  sie  in  den  Lehrbüchern  dargestellt  wird.  Verfasser  be¬ 
spricht  kurz  die  wichtigsten  Untersuchungen  auf  diesem  Gebiete,  die 
Arbeiten  von  0.  Nasse,  Gsch  eidien,  Leg  ros  und  0  n  i  m  u  s, 
S  a  1  v  i  o  1  i,  dann  von  Nothnagel,  Pal  und  Berggruen, 
Spitzer,  Jacobi,  Pohl  und  V  a  m  o  s  s  y.  Während  alle  diese 
Autoren  in  irgend  einer  Beziehung  eine  Wirkung  des  Opiums  und  Morphins 
am  Thierdarm  constatiren  konnten,  ist  dieselbe  von  einigen  englischen 
Autoren  ganz  in  Abrede  gestellt  worden.  Widersprüche,  welche  sich 
zwischen  den  Experimenten  dieser  und  denen  des  Vortragenden  ergeben 
hatten,  veranlassten  ihn,  die  Opium-  und  Morphinwirkung  mit  Hilfe 
der  graphischen  Methoden  zu  überprüfen.  Nach  einer  kurzen  Be¬ 
sprechung  der  Grundformen  der  Darmbewegung  und  deren  graphischen 
Bilde,  unter  Demonstration  von  Curven,  geht  Vortragender  auf  seine 
neuen  Beobachtungen  und  zunächst  auf  die  Erscheinungen  am  Dünn¬ 
darm  des  Hundos  über.  Wenn  man  in  diesen  einen  Ballonregistrator 
einschaltet,  so  sieht  man  nach  intravenöser  Ojiium-  oder  Morphin- 
injection,  dass  sich  unter  Contraction  des  Darmes  eine  bedeutende 
Steigerung  der  Pendelbewegung  einstellt.  Die  ursprünglich  stärkere 
Contraction  geht  allmälig  in  eine  Mittelstellung  über,  während  die 
Pendelhewegungen  fortlaufen,  insolange  die  Blutdruckverhältnisse 
günstige  sind.  Auf  Grund  von  Untersuchungen  am  entnervten  Darme 
konnte  Vortragender  nachweisen,  dass  diese  Effecte  durch  erregende 
Wirkung  auf  die  Ganglienapparate  der  Darmwand,  also  peripher,  zu 
Stande  kommen,  gleichgiltig,  in  welcher  Weise  das  Alkaloid  eingefühlt 
wird.  An  der  Erregung  participiren  Ring-  und  Längsmuskeln  in 
gleicher  Weise;  dadurch  ergibt  sich  eine  active  Mittelstellung,  nicht 
eine  passive,  wie  man  angenommen  hat. 

Zur  Feststellung  der  Ursache  der  Verstopfung  erschien  es  Vor¬ 
tragendem  von  Wichtigkeit,  das  Verhalten  des  Dickdarmes  und  Rectums 


unter  der  Opium-  und  Morphinwirkung  kennen  zu  lernen,  nachdem  er 
durch  Beobachtungen  am  Menschen  die  Ueberzeugung  gewonnen  hat, 
dass  durch  die  Opiumwirkung  ein  Contractionszustand  im  Darmende 
zu  Stande  komme.  Die  Untersuchung  an  diesem  Darmabschnitte  an 
Hunden  lehrte,  dass  sich  'unter  der  Opium-  und  Morphin  Wirkung  eine 
kräftige  Contraction  entwickle,  die  von  lebhaften  Pendelbewegungen 
gefolgt  ist.  Auch  hier  entwickelt  sich  schliesslich  eine  Mittelstellung. 
Die  Wirkung  selbst  ist  auch  an  diesem  Darmabschnitte  eine  periphere. 

Was  nun  die  Art  der  Wirkung  anbetrifft,  gelangt  Vortragender 
auf  Grund  der  Beobachtungen  an  Menschen,  sowie  seiner  Experimente 
zu  dem  Resultat,  dass  dieselbe  als  eine  sogenannte  Fernwirkung  auf 
zufassen  sei,  nicht  als  eine  locale.  Die  Wirkung  ist  aber  nicht  allein 
in  den  geschilderten  Bewegungserscheinungen,  sondern  auch  in  vaso¬ 
motorischen  Veränderungen  gelegen.  Die  letzteren  bestehen  in  einer 
Erweiterung  der  Gefässe  der  Darmwand. 

Nach  der  Ansicht  des  Vortragenden  sind  diese  den  herrschenden 
Voraussetzungen  von  der  Opium  Wirkung  zwar  widersprechenden  Re¬ 
sultate  durchaus  geeignet,  die  differenten  Wirkungen  des  Alkaloids 
auf  den  Darm  zu  erklären. 

Die  Herabsetzung  der  Peristaltik  erklärt  sich  aus  der  Con- 
tractionsstellung;  am  wichtigsten  hiebei  ist  die  Stellung  des  Darm¬ 
endes,  durch  welche  das  Zustandekommen  des  Stuhldranges  erschwert 
ist.  Die  Annahme  von  der  lähmenden  Wirkung  des  Opiums  auf  die 
Darmwand  ist  fallen  zu  lassen.  Auch  die  anodyne  Wirkung  des  Opiums 
ist  nicht  durch  eine  Betäubung  der  Nerven,  sondern  durch  den 
regulirenden  Einfluss  desselben  auf  die  Darmwand  zu  erklären.  Am 
einfachsten  erklärt  sich  der  mitunter  beobachtete  excitomotorische 
Effect,  namentlich  bei  Darmparese. 

Unaufgeklärt  lässt  Vortragender  noch  die  Herabsetzung  des 
Vaguseinflusses  auf  den  Dünndarm  durch  Opium  oder  Morphin,  ferner 
das  Verhalten  der  Hemmungsnerven,  deren  Rolle  der  Vortragende 
noch  in  einer  neuen  Versuchsanordnung  untersucht  hat.  Obwohl  die 
Versuche  kein  positives  Resultat  ergeben  haben,  wäre  die  Erregung 
der  centralen  Hommungsapparate  nicht  widerlegt. 

Vortragender  schliesst  mit  dem  Hinweis,  dass  seine  Versuche 
und  Beobachtungen  lehren,  dass  Opium  und  Morphin  erregend  auf  die 
Darmwand  wirken,  dass  dadurch  der  Tonus  derselben  erhöht  und 
regulirt  und  die  stopfende  Wirkung  ausgelöst  werde. 

Es  folgt  die  Demonstration  der  einschlägigen  Curven.  (Der  Vor¬ 
trag  erscheint  in  extenso  in  der  „Wiener  medicinischen  Presse“  vom 
4.  November  1900.) 

Discussion:  Dr.  S.  Federn  bemerkt,  dass  die  Aus¬ 
führungen  des  Vortragenden  mit  den  klinischen  Beobachtungen  durch¬ 
aus  in  Uebereinstimmung  stehen.  Nur  in  einem  Punkte  möchte  er  um 
Aufklärung  bitten,  ob  die  vom  Vortragenden  vertretene  Art  der 
Opiumwirkung  auch  den  Erfolg  bei  der  Bleikolik  aufklären  könne. 

Prof.  P  a  1  erwidert,  dass  aus  seinen  Ausführungen  über  den 
Darmkrampf  hervorgeht,  dass  auch  dieser  Fall  eine  befriedigende  Er¬ 
klärung  finde.  Uebrigens  erkläre  seine  Darstellung  viele  andere  Er¬ 
scheinungen  am  Darme,  die  an  Kranken  unter  der  <  )piumwirkung  ein- 
treten.  Vortragender  weist  als  Beispiel  auf  Zeichen  hin,  welche  sich 
bei  der  Opiumbehandlung  der  Typhlitis  einstellen. 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

III.  Sitzung. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Hildebrand  (Basel). 

I.  Wilms  (Leipzig)  :  Demonstration  von  Röntgen- 
Bildern  und  Präparaten  mit  Hilfe  des  Epidiaskops. 

Wilms  führt  eine  grosse  Reihe  mit  Hilfe  dieses  neuen 
Apparates  projicirter  R  ö  n  t  g  e  n  -  Bilder  und  Präparate  vor.  Die  pro- 
jicirten  Bilder  sind  von  einer  so  überraschenden  Natürlichkeit  und 
plastischen  Anschaulichkeit,  namentlich  auch  die  pathologischen 
Gewebsveränderungen  an  den  Präparaten  mit  so  minutiöser  Deutlichkeit 
wiedergegeben,  dass  man  sie  wohl  als  das  Vollkommenste  bezeichnen 
kann,  was  diese  Art  des  Reproductionsverfahrens  bis  jetzt  geleistet 
hat.  Eine  Beschreibung  des  Epidiaskops  ohne  eine  Erläuterung  durch 
Abbildungen  würde  schwer  verständlich  sein.  Der  Apparat,  der  seiner 
ganzen  Einrichtung  nach  wesentlich  für  Lehrzwecke  bestimmt  ist, 
stellt  eine  höchst  werthvolle  Bereicherung  der  akademischen  Lehr¬ 
mittel  dar.  Er  wird  in  der  Leipziger  chirurgischen  Universitätsklinik 
in  der  AVeise  verwendet,  dass  durch  ihn  bei  der  Besprechung  und  Vor¬ 
stellung  von  Krankheitsfällen  die  von  diesen  vorhandenen  Präparate 
und  Abbildungen  jeweilen  dem  klinischen  Auditorium  veranschaulicht 
werden. 


Nr.  44 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  PJOO. 


1  OH  1 


II  W.  Petersen  (Heidelberg) :  Magenkrankheite  n 

oei  Cholelithiasis.  ,  , 

Petersen  spricht  über  die  häufigen  Wechselbeziehungen 
zwischen  Erkrankungen  des  Magens  und  der  Gallenblase.  Bei 
2Ü2  Operationen  an  der  Gallenblase  fanden  sich  in  dci  Ileidelbeigei 
chirurgischen  Klinik  zwölfmal  Magenei krankungen,  bei  102  gutartigen 
zwölfmal  Gallensteine. 

Die  einfach  mit  Steinen  gefüllte  Blase  kann  das  Duodenum 
comprimiren;  ebenso  kann  durch  solche  Compression  Stenose  des 
Pylorus  eintreten.  Häufiger  ist  die  Beeinflussung  des  Magens  b*  i 
pericholecysti  tischen  Erkrankungen,  wobei  es  besonders  zu  ent¬ 
zündlichen  Processen  am  Magen  und  zur  Pylorusstenose  kommt. 
Unter  den  Symptomen  von  Seiten  des  Magens  steht  die  Pylorus¬ 
stenose  obenan.  Bei  der  Diagnose  dieser  Krankheiten  ist  es  oft  sehr 
schwer  zu  sagen,  ob  der  Process  vom  Magen  oder  von  der  Gallenblase 
ausgeht.  Für  die  Differentialdiagnose  kommen  Ulcus  ventriculi, 
Carcinom  und  Neuralgien  in  Betracht.  Blutungen  des  Magens  kommen 
hiebei  häufiger  vor,  als  man  bisher  annahm;  sie  werden  meist  durch 
Thrombose  der  comprimirten  Gefässe  hervorgerufen.  Man  hat  gefunden, 
dass  dabei  die  freie  Salzsäure  eher  verschwindet  und  Milchsäure  eher 
auftritt,  als  bei  Ulcus  ventric.  Hat  man  den  Verdacht  auf  Carcinom, 
so  wird  dieser  Irrthum  in  vielen  Fällen  noch  gestärkt  durch  die  ent¬ 
zündliche  Schwellung  in  der  Gegend  des  Pylorus,  die  einen  lumor 
vortäuscht.  In  solchen  Fällen  kann  nur  die  Probelaparotomie  die 
Diagnose  klären.  Die  Adhäsionen  zwischen  Gallenblase  und  Magen 
machten  oft  heftige  Schmerzen,  die  als  Neuralgien  gedeutet  wurden. 
Die  Therapie  hat  in  einem  Eingriff  an  Ort  und  Stelle  zu  bestehen. 
Dio  Adhäsionen  sind  zu  lösen,  etwa  vorhandene  Gallensteine  zu  ent¬ 
fernen;  wenn  nöthig,  muss  die  Duodenoplastik  (Längsschnitt,  quere 
Vernähung)  gemacht  werden.  Sind  starke  Ektasien  und  motorische 
Veränderungen  des  Magens  vorhanden,  so  muss  die  Gastroenterostomie 
angeschlossen  werden. 

Das  Duodenum  kann  gelegentlich  durch  den  Druck  nekrotisch 
werden. 

Nach  der  einfachen  Operation  kommt  es  hin  und  wieder  zu 
einer  meist  schnell  vorübergehenden  Dilatation  des  Magens  und  in 
seltenen  Fällen  zu  einer  Abknickung  des  Pylorus. 

III.  M  or  ian  (Essen):  Ueber  einen  Fall  von  Druckstauun  g. 

Von  den  nach  Rumpfcompression  auftretenden  sogenannten 

Stauungsblutungen  sind  bis  jetzt  acht  Fälle  beschrieben,  darunter 
sechs  in  den  letzten  Jahren. 

Veranlassung  sind  meistens  Quetschungen  zwischen  Wagen  oder 
Verschüttungen. 

M  o  r  i  a  n  beobachtete  einen  Fall,  der  ein  classisehes  Bild  aller 
Symptome  bot. 

Ein  42jähriger  Bergmann  wurde  in  sitzender  Stellung  durch 
einen  Förderkorb  so  zusammengepresst,  dass  der  Rumpf  gegen  die 
Oberschenkel  angedrückt  war.  Nach  wenigen  Minuten  wurde  er  aus 
seiner  Lage  befreit;  das  geschwundene  Bewusstsein  kehrte  bald  wieder. 
Das  Gesicht  war  tiefblau  verfärbt,  die  Augen  waren  vorgetrieben,  aus 
Nase  und  Mund  floss  Blut.  Gesicht,  behaarter  Kopf,  Nacken,  Hals, 
oberer  Brusttheil,  Schultern  und  die  Rückseite  des  linken  Ober-  und 
Vorderarmes  bis  zum  Handgelenke  w'aren  stark  gedunsen,  theils 
tiefblau  verfärbt,  theils  mit  zahlreichen  punkt-  und  streifenförmigen 
Ekchymosen  bedeckt.  Das  linke  Bein  war  gelähmt,  die  Sensibilität 
erhalten;  die  Kniereflexe  waren  erloschen.  Die  Cyanose  ging  allmälig 
in  den  nächsten  Tagen  zurück,  die  Lähmung  verschwand.  Nach  zehn 
Wochen  konnte  der  Patient  das  Bett  verlassen. 

Für  die  Druckstauung  allein  ist  die  Prognose  quoad  vitam  nicht 
ungünstig,  quoad  restitutionem  sehr  gut,  allein  in  zwei  Drittel  aller 
Fälle  sind  schwere  Nebenverletzungen  vorhanden,  an  denen  die  Kranken 
zu  Grunde  gehen  können.  Die  Therapie  hat  sich  gegen  diese  Neben¬ 
verletzungen  zu  wenden,  da  die  Symptome  der  Druckstauung  von 
selbst  verschwinden. 

Die  Bezeichnung  „Druckstauung“  schlägt  Mo  r  ian  vor  an  Stelle 
der  bisher  gebräuchlichen  „Stauungsblutung  nach  Rumpfcompression“. 

IV.  F.  Niehues  (Bonn) :  Behandlung  von  Tracheal-, 
respective  Kehlkopfstenosen  und  Trachealdefect 
(Krankenvorstellung). 

Bei  dem  vorgestellten  Patienten  war  im  Verlaufe  von  Typhus 
eine  Perichondritis  laryngea  aufgetreten,  die  zu  eiuer  Stenose  des  Kehl¬ 
kopfes  führte  und  die  Tracheotomie  nöthig  machte.  Boi  der  Aufnahme 
des  Patienten  in  die  Bonner  chirurgische  Universitätsklinik  bestand 
ein  vollständiger  Verschluss  des  Kehlkopfes,  der  im  laryngoskopischen 
Bilde  von  einem  spornartig  in  das  Lumen  des  Kehlkopfes  hinein¬ 
ragenden  Wulst  auszugehen  scheint.  Bei  der  Operation  zeigt  sich,  dass 
die  Wände  des  Kehlkopfes,  die  seitlichen  wie  die  hintere,  collabirt 
sind  und  aneinander  liegen;  den  im  laryngoskopischen  Bilde 
gesehenen  Sporn  bildet  die  hintere  Wand.  Der  Verschluss  liegt 
in  der  Höhe  der  Cartilago  cricoidea.  (Die  ganze  Cartilago  cricoidea 
wurde  quer  resecirt  und  dann  der  erste  Trachealring  an  den 


unteren  Rand  der  Cartilago  thyreoidea  angenäht.  Es  erfolgte 
vollständige  Heilung  per  primam  int.  Nun  wurde  der  Tracheal¬ 
defect  nach  Mangold’s  Verfahren  gedeckt.  Aus  dem  Knorpel  der 
sechsten  Rippe  wurden  zwei  passende  Stücke  ausgeschält  und  beider¬ 
seits  unter  der  Haut  neben  der  Trachealwunde  eingenäht.  Zwischen 
ihnen  deckte  eine  Hautbrücke  provisorisch  den  Defect.  Es  erfolgte  glatte 
Einheilung  der  Knorpelstückchen.  Nach  drei  Wochen  wurde  die  llaut- 
brücke  durchschnitten  und  die  Knorpelstücke  miteinander  vernäht. 
Dieses  Verfahren  möchte  Mangold  als  das  typische  hinstellen,  da 
es  vor  der  Bildung  eines  gestielten  Haut-Periost-Knochenlappens  aus 
dom  Brustbein  und  vor  der  Ausschälung  von  Knochenstückchon  aus 
dom  Kehlkopf  (König)  unbestreitbare  Vorzüge  besitzt.  Trotz  des 
Fehlens  der  wahren  Stimmbänder  hat  der  vorgestellte  Kranke  eine 
deutliche  Stimme.  Die  Wunde  ist  jetzt  völlig  verheilt. 

V.  Ko  11  mann  (Leipzig)  demonstrirt  eine  Reihe  nach  seinen 
Angaben  verbesserter  cystoskopischer  Instrumente, 
deren  Einzelheiten  ohne  die  erforderlichen  Abbildungen  sich  schwer 


beschreiben  lassen. 

VI.  0.  V  u  1  p  i  u  s  (Heidelberg):  Behandlung  des  Klum  p- 
fusses  bei  Erwachsenen. 

Vulpiu  s  verfügt  jetzt  über  500  Fälle  behandelter  Klumpfüsse. 
In  all  diesen  Fällen  wandte  er  das  modellireude  Redressement  an.  Wo 
es  nöthig  schien,  wurde  dieses  Verfahren  durch  Tenotomie,  Durch¬ 
schneidung  und  Verkürzung  von  Bändern  und  supramalleolare  Osteo¬ 
tomie  unterstützt,  in  keinem  Falle  dagegen  wurden  Knochen  weg 
genommen.  Schienenhülsenapparate  thun  ja  im  Anfang  oft  gute  Dienste, 
in  den  meisten  Fällen  machen  aber  die  vorhandenen  Veränderungen 
an  Knochen  und  Weichtheilen  die  Apparatbehandlung  ganz  aussichts¬ 
los.  Auch  der  frühzeitige  Ersatz  des  modollirenden  Gypsverbandes  durch 
Apparate,  etwa  in  der  vierten  Woche  der  Behandlung,  ist  zu  ver¬ 
werfen.  Das  modellirende  Redressement  besteht  in  einer  Dehnung  der 
verkürzten  Weichtheile  und  Fixirung  der  gewonnenen  Corrigirung  durch 
den  festen  Verband.  Es  kommt  gar  nicht  darauf  an,  die  Operation  in 
einer  Sitzung  zu  beenden;  im  Allgemeinen  ist  sogar  hievon  abzurathen, 
da  es  nach  der  gewaltsamen  Dehnung  in  einer  Sitzung  zur  Gangrän 
der  Weichtheile  kommen  kann.  Namentlich  bei  starken  Widerständen 
darf  nur  das  gemässigte  Verfahren  in  mehreren  Sitzungen  angewendet 
werden.  Beim  Redressement  gibt  V  ulpius  dem  Arbeiten  mit  der 
Hand  den  Vorzug  vor  allen  Apparaten.  Die  Achillotenotomie  wird  in 
der  letzten  Sitzung  vorgenommen.  Von  üblen  Zufällen  bei  der  Operation 
ist  das  nicht  zu  seltene  Einreissen  der  Fusssohlenhaut  zu  erwähnen. 
Es  empfiehlt  sich  im  Hinblick  darauf,  jedes  Mal  die  Fusssohle  vor  dtr 
Operation  aseptisch  zu  reinigen. 

Sehr  wichtig,  aber  mit  einfachen  Mitteln  durchführbar  ist  die 
Nachbehandlung.  Ausser  dem  sorgfältig  gearbeiteten  Stiefel  sind 
Apparate  hiefür  entbehrlich. 

In  der  Behandlung  wurde  ein  Unterschied  zwischen  angeborenem 
und  paralytischrm  Klumpfuss  nicht  gemacht;  bei  letzterem  können  natür¬ 
lich  Recidive  auftreten.  Ein  höchst  werthvolles  Unterstützungsmittel, 
namentlich  beim  paralytischen  Klumpfuss,  ist  die  Sehnenüberpflanzung. 
Das  Verfahren  kann  im  Ganzen  als  ungefährlich  bezeichnet  werden, 
die  Schmerzen  halten  nicht  mehr  wie  drei  Tage  an. 

Jenseits  des  13.  Jahres  bis  zum  25.  Jahre  wurden  37  Fälle  be¬ 
handelt.  Die  Beobachtung  erstreckt  sich  auf  sieben  Jahre;  alle  Fälle, 
bis  auf  zwei,  wurden  nachgeprüft. 

Die  Resultate  sind  mit  Hinblick  auf  die  Function  nicht  immer 
ideal;  oft  dauert  es  sehr  lange,  ehe  normales  Gehen  ein  tritt,  allein 
im  Ganzen  leistet  die  Methode,  was  Form  und  F  unction  des  F  usses 
angeht,  Vortreffliches. 

V  ul  pins  illustrirt  seine  interessanten  Ausführungen  durch 
Demonstration  einer  Reihe  von  Wachspräparaten  und  stellt  zum  Schluss 


zwei  geheilte  Patienten  vor,  bei  denen  das  Resultat  die  Behandlung 
allerdings  im  glänzendsten  Lichte  erscheinen  lässt.  Bei  dem  Linen  der 
Vorgestellten  war  auch  die  Sehnenüberpflanzung  gemacht  worden. 

Discussion:  Schultze  (Duisburg):  Patienten  mit  mangel¬ 
haft  entwickeltem  Calcaneus  müssen  während  der  Nachbehandlung 
Nachts  unbedingt  einen  Schienenapparat  tragen.  Beim  Schlussact  der 
Operation  benütze  ich  seit  Jahren  mit  Erfolg  einen  Steigbügel,  der  an 
einem  Drahtseil  befestigt,  vermittelst  einer  am  Kopfstück  des  Tisches 
angebrachten  Schraube  den  Vorderfuss  in  dorsaler  Richtung  zieht.  Für 
die  Nachbehandlung  ist  die  medico-mechanisclie  Behandlung  sehr 
wichtig,  auch  das  Tragen  von  Apparaten  bei  der  mangelnden  Gewissen¬ 
haftigkeit  in  der  Nachbehandlung  von  Seiten  der  Angehörigen  in  vielen 
Fällen  nicht  zu  entbehren. 

Lorenz  (Wien)  ist  hocherfreut  über  die  schönen  Erfolge  der 
von  ihm  begründeten  Methode.  Die  Keilexcision  habe  ihre  Kollo  aus¬ 
gespielt.  Erst  vor  zwei  Jahren  sah  er  den  ersten  Fall,  wo  das  Kedies- 
sement  unmöglich  war.  Er  redressiit  in  einer  Sitzung,  was  allerdings 
äusserste  Vorsicht  erfordert.  Er  fenstert  dann  den  Verband  so,  dass  (i 
die-  gefährdeten  Stellen  des  Fusses  genau  controliren  kann. 


1032 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  44 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Laryngologie  und  Rhinologie. 

I.  B.  Fraenkel  (Berlin):  Die  pathologisch-anato¬ 
mische  Diagnose  des  Kehlkopfkrebses. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  von  dem  Kehlkopfe  ent¬ 
nommenen  Geschwulststücken  stellt  eine  der  wichtigsten  Grundlagen 
für  unsere  diagnostischen  Schlüsse  dar.  Während  ihr  negatives  Er¬ 
gebnis  nur  mit  der  grössten  Vorsicht  verwerthet  werden  kann,  ist 
der  positive  Nachweis  des  Krebses  häufig,  und  zwar  besonders  in  den 
Frühformen,  diejenige  Thatsache,  auf  welche  wir  unsere  Anschauung 
aufbauen,  und  welche  unser  therapeutisches  Handeln  bestimmt.  Die 
Schwierigkeit  der  Untersuchung  liegt  besonders  in  dem  Umstande, 
dass  gewöhnlich  nur  kleine  Stücke  derselben  unterzogen  werden 
können.  Sie  werden  am  besten  in  Pareffin  eingebettet  und  serienweise 
geschnitten.  Als  Färbungsmethode  empfehlen  sich  am  meisten  die  nach 
van  Gieson  und  Pikrocarmin.  Der  positive  Schluss,  dass  Krebs 
vorliegt,  beruht  nicht  auf  dem  Nachweise,  dass  .einzelne  Zellformen 
vorhanden  sind,  wenn  auch  das  häufige  Vorkommen  von  Epithelperlen 
in  den  Schnitten  im  hohen  Grade  verdächtig  ist.  Krebs  wird  vielmehr 
bewiesen,  wenn  wir  epitheliale  Inseln  an  Stellen  sehen,  wo  normaler 
Weise  kein  Epithel  vorhanden  sein  kann.  Handelt  es  sieh  um  mit  der 
Oberfläche  zusammenhängende  in  die  Tiefe  dringende  Zapfen,  oder 
Theile  von  solchen,  so  ist  Vorsicht  geboten,  da  auch  durch  andere 
Processe,  insbesondere  durch  Syphilis,  nach  innen  strebende  Epithel¬ 
veränderungen  hervorgerufen  werden  können.  Hier  liefert  dem  Ge¬ 
übten  der  Umstand  unterscheidende  Merkmale,  dass  beim  Krebs  die 
Epithelien  ihren  typischen  Aufbau  verlieren  und  so  atypische  Zapfen 
entstehen. 

II.  Moriz  Schmidt:  Diagnose  des  Kehlkopfkrebses. 

Die  Symptome  des  Kehlkopfkrebses:  Die  Heiserkeit,  der  Schmerz, 

die  Engigkeit  und  der  üble  Geruch,  sind  an  sich  nicht  sehr  charak¬ 
teristisch.  Mittelst  des  Spiegels  sieht  man,  dass  der  Kreb3  an  ver¬ 
schiedenen  Stellen  des  Kehlkopfes  seinen  Ursprung  nehmen  kann.  Er 
unterscheidet  sich  in  den  meisten  Fällen  von  anderen  Tumoren  des 
Organes  dadurch,  dass  er  seinen  ursprünglichen  Charakter  des  Tumors 
beinahe  während  der  ganzen  Dauer  der  Erkrankung,  selbst  während 
des  geschwürigen  Stadiums,  beibehält.  Es  gibt  davon  Ausnahmen  für 
die  Fälle,  welche  in  der  Tiefe  des  Gewebes  in  der  Nähe  des  Peri- 
chondriums  entstehen.  Bei  dieser  Form  beobachtet  man  nicht  gerade 
selten  ein  Wachsthum  von  wahren  Papillomen  an  der  Oberfläche  der 
Schleimhaut.  Der  Ursprung  des  Krebses  in  den  eben  erwähnten  Fällen 
bringt  es  mit  sich,  dass  sie  diese  Neigung  zu  Perichondritis 
während  der  ganzen  Dauer  der  Krankheit  beibehalten,  so  dass  in 
einigen  Fällen  das  Bild  der  Krebserkrankung  ganz  durch  das  der 
Perichondritis  verdeckt  erscheint. 

Der  in  dem  Ventriculus  Morgagni  entspringende  Krebs  gleicht 
sehr  den  Fällen  von  innerer  Perichondritis.  In  zwei  Fällen  entsprang, 
respective  breitete  sich  der  Krebs  nach  hinten  und  unter  dem  Ring¬ 
knorpel  aus  und  verrieth  seine  Anwesenheit  nur  durch  eine  Lähmung 
des  Recurrens,  die  in  dem  von  B.  Fränkel  veröffentlichten  Fall  beider¬ 
seits,  in  einem  von  mir  beobachteten  nur  einseitig  zu  sehen  war. 

Die  Diagnose  ist  mitunter  selbst  für  einen  erfahrenen  Arzt 
recht  schwierig.  Es  kommen  Verwechslungen  mit  Tuberculose  vor 
(zwrei  persönliche  Fälle  werden  beschrieben),  ferner  mit  Syphilis, 
Sarkom  etc. 

Da  die  Diagnose  des  Krebses  öfter  ungewiss  ist,  namentlich  für 
einen  Arzt,  dem  nur  die  beschränkte  Erfahrung  zu  Gebote  steht,  so 
muss  er  öfter  seine  Zuflucht  zu  den  anderen  Hilfsmitteln  nehmen,  die 
wir  zur  Befestigung  der  Diagnose  besitzen:  Zu  der  Anamnese,  zu  der 
genauen  Untersuchung  des  Kranken  nach  Spuren  vorhandener  oder 
früher  vorhanden  gewiesener  Krankheiten,  zu  einer  antisyphilitischen 
Cur  und  endlich  zu  der  Entnahme  eines  Probestückchens  behufs  mikro¬ 
skopischer  Untersuchung. 

Die  Endergebnisse  meiner  Auseinandersetzung  möchte  ich 
in  die  folgenden  Sätze  zusammenfassen: 

1.  Der  Kehlkopfkrebs  zeigt  beim  Beginne  und  w'ährend  des 
Verlaufes  der  Krankheit  fast  immer  den  Charakter  der  Geschwulst  in 
verschiedener  Form. 

2.  Der  in  der  Tiefe  der  Gewebe  entspringende  Kehlkopfkrebs 
gibt  bisweilen  Anlass  zu  dem  Wachsthume  von  wahren  Papillomen 
auf  der  Oberfläche  der  Schleimhaut.  Diese  Form  neigt  während  der 
ganzen  Dauer  des  Verlaufes  sehr  zu  Perichondritis. 

5.  Die  in  dem  Ventriculus  Morgagni  entstehenden  Krebse 
gleichen  im  Spiegelbilde  sehr  dem  der  Perichondritis  interna. 

4.  In  sehr  seltenen  Fällen  beginnt  der  Krebs  hinter  und  beinahe 
unter  dem  Ringknorpel  und  verräth  seine  Anwesenheit  im  Anfänge 
nur  durch  eine  Lähmung  des  Recurrens. 


5.  Um  die  Syphilis  auszuschliessen,  genügt  es  in  der  Regel, 
14  Tage  5  g  Jodkali  pro  die  zu  geben. 

6.  Zu  einer  sicheren  Diagnose  kann  man  durch  Wegnahme 
eines  Probestückchens  zur  mikroskopischen  Untersuchung  gelangen. 
Für  diese  kleine  Operation  sind  die  von  oben  nach  unten  schneidenden 
Doppelcuretten  vorzuziehen. 

7.  Nur  das  positive  Ergebniss  der  mikroskopischen  Untersuchung 
ist  massgebend. 

III.  Dr.  Hajek:  Ueber  eiterige  Ethmoiditis. 

Mit  dem  Namen  der  eiterigen  Ethmoiditis  bezeichnen  wTir  alle 
mit  Eiterabsonderung  einhergehende  Erkrankungen  der  Schleimhaut 
und  des  Knochengerüstes  des  Siebbeines  mit  Ausnahme  der  tuberculösen, 
syphilitischen,  traumatischen  und  der  im  Gefolge  der  malignen  Neo¬ 
plasmen  entstandenen  Erkrankungen. 

I.  Erkrankungen  der  Schleimhaut  (muco-periostaler 

Ueberzug). 

1.  Intensivere  Formen  der  katarrhalischen 
Entzündung.  —  Betreffen  entweder  nur  die  freie,  nasale  Fläche 
oder  auch  die  Ausführungsgänge  und  die  Zellen  des  Labyrinthes 
(Empyem).  Eine  Neigung  des  letzteren  zur  Chronicität  besteht. 

2.  Chronische  Formen  der  katarrhalischen  Ent¬ 
zündung.  —  Wulstige  Hyperplasie  des  muco-periostalen  Ueberzuges 
entweder  extra-  oder  intracellulär  oder  beides.  Polypenbildung  an  der 
nasalen  Fläche  des  Siebbeines  (extra-  und  intracelluläre  Myxomatosis 
von  Bosw'orth). 

3.  Inveterirte  Formen  der  chronischen  Ent¬ 
zündung.  —  Hochgradige  Polypenbildung  an  dem  nasalen  Theile 
des  Siebbeiuüberzuges,  Bildung  von  Excorciationeu  an  der  Schleimhaut 
der  zeitigen  Räume,  Entstehung  von  polsterartigen  Verdickungen  und 
Granulationswülsten  daselbst. 

II.  Erkrankungen  des  Knochengerüstes. 

1.  Leichte  Veränderungen.  —  Reizungen  des  Periostes, 
späterhin  hyperplastische  und  rareficirende  Ostitis  (H  a  y  e  k,  Z  u  ck  e r- 
k  a  n  d  1). 

1.  Schwere  Veränderungen.  —  Knochennekrosen  bei 
acuten  und  chronischen  Empyemen  durch  Drucknekrose  oder  durch 
Thrombophlebitis  und  Periostitis  der  gegenüberliegenden  Seite,  ähnlich 
wTie  bei  der  Stirnhöhle.  Ferner  Nekrosen  des  Knochengerüstes,  in  Folge 
von  fortschreitender  Periostitis  und  Ostitis  vom  Oberkiefer  und  von 
der  Orbita  her. 

(Demonstration  der  mikroskopischen  Veränderungen.) 

(Fortsetzung  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  2.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Ckrobak 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Docent  Dr.  Tandler:  Demonstrationen. 

2.  Discussion  über  den  Vortrag  des  Dr.  Robert  Kienböck:  Ueber 
die  Einwirkung  des  Röntgen-Lichtes  auf  die  Haut,  (Zum  Worte  ge¬ 
meldet  :  Docent  Dr.  Schiff,  Dr.  Freund  und  Dr.  Holzknecht.) 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Prof.  E.  Hering  (Prag)  und 
Prof.  E.  Wertheim. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  5.  November  1900,  7  Uhr  Abends. 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothenthurmstrasse  21  23 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Obersteiner 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Prof.  Dr.  Emil  Redlich:  Ueber  die  Fortschritte  in  der  topischen 
Rückenmarksdiagnostik. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  8.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  laryngologischen  Klinik  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Chiari 
stattfindenden  Sitzung. 

1.  Docent  Dr.  Koschier:  Demonstrationen. 

2.  Prof.  O.  Chiari :  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  laryngo¬ 
logischen  Section  des  XHI.  internationalen  medicinischen  Congresses 
zu  Paris. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  44 


Qcllarcjolum. 

(Crede’s  wasserlösliches  Silbermetall).  Augezeigt  bei  Lymph¬ 
angitis,  Phlegmonen,  allen  septischen  Erkrankungen  (reinen 
und  gemischten),  bei  infectiösen  Magen-  und  Darmerkrankungen, 
sowie  bei  den  Leiden  des  Nervensystems,  wo  Arg.  nitr.  an¬ 
gezeigt  ist.  (Anwendungsform:  In  Lösung,  innerlich  als  Zusatz 
zu  Getränken,  als  Salbe  (Unguentum  Crede)  zur  Silberschmier- 
cur,  als  Pillen,  Stäbchen  etc.) 

c Itrol. 

Stark  antiseptisches,  reiz-  und  geruchloses,  ungiftiges  Silber¬ 
präparat  für  Crede’s  Silberwundbehandlung,  für  die  Augen¬ 
therapie  (speciell  Hornhautgeschwüre),  sowie  für  die  Behand¬ 
lung  der  Blasen-  und  Geschlechtskrankheiten. 

c Xyrgolum. 

Wasserlösliches  metallisches  Quecksilber;  wirksames,  mildes 
Antisyphiliticum,  besonders  in  Form  der  10"/o  igen  colloidalen 
Quecksilbersalbe. 


Ein  verbesserter,  leicht  löslicher  Siissstofl  in  Krystallform; 
absolut  rein,  daher  vorzüglich  für  Diabetiker,  Magenkranke  etc. 
geeignet. 

Proben  und  Literatursammlung  kostenfrei  durch: 

Chemische  Fabrik  von  Heyden,  Radebeul-Dresden. 


Cascarine  Leprince. 

^12  ®10  Qu 

Wirksamer  Bestandteil  der  Cascara  Sagrada.  Cholagogum  &  Copragogum. 


Habituelle 

Verstopfung. 


Atonie  der 
Peristaltik. 


Leber¬ 

beschwerde 


Antisepsis 

des 

Verdauungs- 

tractus. 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 
Lactation. 


Chole 

lithiasis. 


Pillen  und  Elixir. 


Das  »Cascarine«  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  ^Sö.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  Laffont,  Bulletin  de  l’Academie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Soci^te  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul ;  Dujardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie ;  Bibliotheque  Charcot-Debove,  Purgatifs, 
pag.  104;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305;  Tison,  Hopital 
St. -Joseph  und  Congr5s  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ,  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

Seine  Wirkung  ist  regelmässig,  leicht  zu  erzielen,  ohne  Angewöhnung,  aus¬ 
gezeichnet  bei  habitueller  Verstopfung  und  gegen  baeterielle  Proliferation  des  Rheuma¬ 
tismus  (Dr.  Roux)  bei  Typhus  abdominalis  etc. 

Dosirung :  2  Pillen  Abends  oder  bei  den  Mahlzeiten. 

(Je  nach  der  Wirkung  die  Dosis  verringern  oder  steigern.) 

Verkauf  ln  allen  Apotheken.  Nur  in  Originalschachtel  ä  fl.  1.50 
Um  Nachahmungen  zu  vermeiden,  verordne  man  gefl.  stets:  „Cascarine  Leprince“. 

Jede  Pille  trägt  obige  Aufschrift. 

General-Vertretung:  St.  Leonhards- Apotheke,  Basel. 

Probesendungen  an  die  Herren  Aerzte  gratis. 

Zur  gefl.  Beachtung  !  Zur  Vermeidung  der  zahlreichen,  unter  ähnlichen  Namen  und 
Verpackungen  vorkommenden  Nachahmungen,  bitten  wir  die  Herren  Aerzte  gefl. 
„Cascarine  Leprince“  verschreiben  zu  wollen.  (73) 


ORNIEEH- 

CARMGEIf  ist  ein  aus  natürlichem,  bestem 
Fleischmaterial  hergestelltes  Fleischpulver , 

vollkommen  assiini  Urbar  und  von 
höchstem  Aiilmverth. 

Carnigen  ist  mit  keinem  wie  immer 
Namen  habenden  Nährpräparat  vergleichbar 
und  zeichnet  sich  auch  durch  seine  geradezu 
erstaunliche  liösliclikeit  und  seinen 
Wohlgeschmack  vor  allen  anderen  Nähr¬ 
präparaten  aus. 

Carnigen  ist  klinisch  erprobt  und 

sowohl  als  Nährpräparat  für  Schwerkranke 
als  auch  als  Kräftigungsmittel  für  Schwäch¬ 
liche,  Kinder  und  Erwachsene  bestens  empfohlen. 

Carnigen  bewirkt  schon  nach  kurzem 
Gebräülche  eine  constatirhare  Zunahme  des 
Körpergewichtes. 

Gebrauchsanweisung:  Man  nehme  je  1  2 Ess¬ 
löffel,  gelöst  in  Suppe,  Milch  oder  Wasser,  drei¬ 
mal  täglich. 

Zu  haben  iu  allen  Apotheken  und  Enps-Dimuerien, 


SAPOLAN 


ein  Naphthaproduct  von  Professor  Mracek  in  der  Sitzung  der  Der¬ 
matologischen  Gesellschaft  in  Wien  am  9.  Mai  a.  c.  begutachtet 
und  zur  Anwendung  bei  acuten  und  chronischen  Ekzemen,  Der¬ 
matosen,  welche  auf  baeterielle  Grundlage  zu  beziehen  sind,  wärmstens 

empfohlen. 

Proben  zu  Versuchszwecken  kostenfrei  durch  Jean  Zihell  &  Co. 

Wien  XVI/i. 

Verkauf  für  Oesterreich-Ungarn  und  die  Balkanländer  (nur  an  Apo¬ 
theken)  durch 


Philipp  Röder,  Wien,  111/2. 


Special-Institut  für  Augengläser 
Wien,  1.  Kärntnerstrasse  39.  Eingang  Annagasse  1,  Mezzanin 


wird  den  Herren  Aerzten  für  ihre  Clientel  die  Gewähr  geboten,  dass 
jedes  Augenglas  nur  nach  augenärztlicher  Untersuchung  verabfolgt  wild. 
Brillen  und  Zwicker  mit  Prof.  Dr.  Albu’s  dichromatischen  Gläsern  von 
fl.  2.—  au.  —  Bergkrystallgläser  in  grosser  Auswahl. 


WIENER  KLINISCHE  W0C1IENSCIIKIFT.  1900.  Nr.  44 


Verlag  von  WILHELM  BRAUMÜLLER  in  Wien  und  Leipzig, 

K.  11.  li.  Hol-  mul  Uiiiversitäts-lSiicliliHmlliuiK« 


Wichtige  Fortsetzung!  Soeben  erschien 


ATLAS 


der 


TOPOGRAPHISCHEN  ANATOMIE  DES  MENSCHEN. 


VOD 


Dr.  E.  ZU GKERKANDL, 

k.  k.  Hof  rath,  o.  ö.  Professor  der  Anatomie  an  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 


II.  Heft:  BRUST. 


In  4H  Figuren  mit  erläuterndem  Texte.  Lex. -S'.  —  Broschirt  4  K  SO  h 


-  4  M. 


Früher  erschien : 


I.  Heft:  KOPF  UND  HALS. 

In  219  Figuren  mit  erläuterndem  Texte.  Lex. -8".  —  Broschirt  14  K  40  h  —  12  M. 

Ich  brauche  diesem  in  Anlage  und  Durchführung  ganz  hervorragenden  Werke  kaum  besondere  empfehlende  Worte  mitzugeben.  Für  den 
wissenschaftlichen  Werth  bürgt  der  Name  des  Autors,  der  zu  unseren  bedeutendsten  Anatomen  zählt.  —  Was  die  buchteehnische  Seite  anlangt,  war 
ich  bestrebt,  durch  Heranziehung  der  besten  Anstalten  namentlich  den  Farbenbolzschnitt  in  mustergiltigor  Weise  durchzuführeu.  So  glaube  ich,  dass  in 
diesem  Atlas  der  topographischen  Anatomie  ein  Werk  entsteht,  welches  Aerzten  und  Studirenden  gleich  Brauchbares  bietet  und  von  diesen  günstigste 
Aufnahme  erwarten  darf,  umsomehr,  da  ein  so  ausführlicher,  im  Preise  dabei  aber  sehr  billiger  Atlas  der  topogrophischen  Anatomie  bisher 
nicht  vorliegt. 

»Deutsche  Aerzte-Zeitung«,  Berlin,  15.  März  1900.  Heft  6. 

»Das  neue  Werk  des  hervorragenden  Wiener  Anatomen  wird  sich  sicher  den  Dank  aller  dafür  interressirten  Kreise  erwerben.  Der  Referent 
gestellt  offen  ein,  dass  er  von  der  Klarheit,  Uebersichtliclikeit  und  praktischen  Auswahl  der  einzelnen  Figuren  und  Präparate,  nach  denen  die  vollendeten 
Zeichnungen  geschaffen  wurden,  geradezu  entzückt  war.  Ich  kann  mir  kaum  denken,  dass  auf  diesem  Gebiete  noch  etwas  Besseres  zu  schallen  möglich 
ist.  Jeder,  der  das  ausgezeichnete  Werk  gebraucht,  der  Student  im  Höi  sale  und  auf  der  Anatomie,  der  praktische  Arzt,  der  sich  anatomische  Verhältnisse,  die 
ilun  entfallen  sind,  ins  Gedäclitniss  zurückführen  will,  der  Chirurg  hei  und  vor  Operationen,  der  medicinische  Lehrer  hei  Demonstrationen  vor  seinen 
Zuhörern,  sie  alle  werden  mit  Freude  und  Nutzen  das  Buch  zur  Hand  nehmen  und  dann  sicher  immer  wieder  benützen.  Das  zweite  Heft,  dem  wir  mit 
dein  höchsten  Interesse  entgegensehen,  wird  in  kürzerer  Frist  in  Aussicht  gestellt,  das  ganze  Werk  soll  in  zwei  Jahren  abgeschlossen  sein.« 

Stadel  mann. 

»Centralblatt  für  Chirurgie«,  Leipzig,  Nr.  14,  7.  April  1900. 

»Der  in  seiner  ersten  Lieferung  vorliegende  Alias,  der  innerhalb  zwei  Jahren  in  fünf  Lieferungen  erscheinen  soll,  hat  grosse  Vorzüge,  die 
seine  Benützung  namentlich  für  den  Chirurgen  empfehlenswert!)  erscheinen  lassen.  Zunächst  zeichnen  sich  die  Abbildungen  durch  Schärfe  der  Zeichnung 
und,  da  ausserdem  vielfach  verschiedene  Färbungen  für  die  einzelnen  Gewebe  zur  Anwendung  kommen,  durch  besondere  Klarheit  aus.  Ferner  sind  fast 
alle  Präparate  in  Lehensgrösse  wiedergegeben,  einige  —  bei  der  Darstellung  kleiner  Verhältnisse,  z.  B.  das  innere  Ohr  —  sogar  in  Vergrösserung.  Dann 
al>er  nimmt  Verfasser  hei  der  Herstellung  und  Auswahl  seiner  Präparate  besondere  Rücksicht  auf  praktische,  namentlich  chirurgische  Verhältnisse  so, 
(lass  die  Abbildungen  ebenso  zur  Erleichterung  diagnostisch  schwieriger  Fragen  wie  zur  Vorbereitung  für  operative  Eingiffe  vorzugsweise  empfehlenswert!) 
erscheinen.  Für  die  Nervenoperationen  an  Kopf  und  Hals,  für  die  Gefässunterbindungen  an  gleicher  Stelle,  für  Operationen  am  Gehirn,  an  der  Nase  und 
ihren  Nebenhöhlen,  der  Augenhöhle,  am  Ohr,  der  Parotis,  den  Mandeln  legt  Verfasser  in  zahlreichen  eigenartig  hergestellten  Präparaten  ein  reiches 
Bildermaterial  vor,  das  solche  Eingriffe  erleichtert,  ja  in  ein  paar  Abbildungen  gibt  er  sogar  pathologische  Zustände  wieder  —  vergrösserte  Rachen¬ 
mandel,  Retropharyngealabscess  —  und  greift  damit  direct  in  die  Pathologie  über. 

Der  Text  macht  nur  ganz  kurz  auf  das  Wesentlichste  einer  jeden  Abbildung  aufmerksam.  Der  vorliegende  Atlas  empfiehlt  sich  in  besonders 
werthvoller  Weise  dem  praktischen  Operateur  und  dem  Lehrer  der  Chirurgie.«  Richter  (Breslau). 

»Annales  de  maladies«,  Paris,  No.  5,  Mai  1900. 

»L’ouvrage  du  Prof.  Zuckerkandl,  dont  le  premier  volume  vient  de  paraitre,  et  une  oeuvre  magistrate  d’auatomie.  Le  premier  fascicule  coutient 
-19  figures  d’anatomie  topographique  de  la  tote  et  du  cou  qui  Interessent  particulierement  les  chirurgiens  speciaux  et  les  lecteurs  de  ce  recueil.  Chaque 
figure  est  accompagnee  d’une  legende  dctaillee,  ties  precise,  oü  abondent  des  indications  nouvelles.  Nous  avons  remarque  les  figures  concernant  les 
regions  parotidiennes  et  temporales,  les  coupes  des  fosses  pterygoidiennes  et  pterygo  palatines.  De  ties  helles  figures  reproduiseut  les  preparations  par 
corrosion  des  sinus  de  la  dure-mere.  Nous  voyons  representees  aussi  des  coupes  des  fosses  nasales  avec  les  rapports  des  cellules  etlimoxdales,  de  Tin- 
tuudibuluni  et  de  1  hiatus  maxillaire.  Ces  coupes  sout  aussi  precieuses  pour  les  rhinologistes  que  pour  les  anatomistes  purs.  La  topographie  de  l’oreille 
moyeuue  est  representee  d’une  fa  con  originale;  nous  signalons  a  l’attention  des  lecteurs  les  superbes  planches  representant  le  trajet  du  facial  dans  le 
loeher  et  ses  connexions  avec  le  labyrinthe;  les  rapports  du  sinus  sigmoide  et  de  Tantrum;  le  coupes  de  Tapophyse  masto'ide,  la  topographie  complexe 
de  la  region  sous-maxillaire  et  du  plancker  de  la  bouche  y  est  Tobjet  d’uu  tres  grand  luxe  de  details.  Enfin  les  regions  carotidieunes  et  sus-claviculaires 
sont  absolument  parfaites  au  point  de  vie  de  la  clarte  et  de  la  precision.«  E.  Lombard. 

»Therapeutische  Monatshefte«,  Berlin,  Nr.  8,  August  1900. 

»Der  in  seinem  ersten  Theile  erschienene  topographische  Atlas,  welcher  in  zwei  Jahren  vollständig  in  5  Heften  vorliegen  soll,  scheint  eine  viel 
empfundene  Lücke  glücklich  ausfüllen  zu  wollen,  nämlich  gute  topographische  Abbildungen  mit  specieller  Berücksichtigung  des  praktisch-chirurgischen  Stand¬ 
punktes  zu  gehen.  Nicht  nur  die  Auswahl  der  meist  nach  eigens  hergestellten  Präparaten  gezeichneten  Abbildungen  wird  diesen  Anfordetungen  gerecht, 
sondern  auch  die  klare,  scharfe  Zeichuung  der  häufig  lebensgrossen  Figuren  gewährt  eine  vorzügliche  Anschaulichkeit.  Ein  kurzer,  sachlicher  Text  erklärt 
die  einzelnen  Bilder,  doch  ist,  wie  es  bei  einem  Atlas  natürlich  ist,  der  wesentliche  Lehrstoff  nicht  im  Text,  sondern  in  den  Abbildungen  zu  suchen. 

Der  vorliegende  Theil  rechtfertigt  für  die  später  erscheinenden  weitgehende  Erwartungen. 

Der  Atlas  kann  allen  Praktikern,  besonders  den  operativ  thätigen,  warm  empfohlen  werden.  Wendel  (Marburg). 


Wiener  klinische  Wochenschrift 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  rroiessoren  nr*. 

Ä _ — (SS)  _  ^  f-M  _  ..  r>t  "m _  _  TV/r  r* 

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Abonnomentspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  worden  von 
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Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Vorlagshandlung  über-  ; 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  worden 
mit  60  A  =  50  Pf.  pro 
zweigespalteno  Nonpareille¬ 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Uoberein- 
komrnen. 

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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Rodac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 

Dr.  Alexandor  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  nnd  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

G  Braun  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  v.  n.  v.  Eoner,  ö.  ^xner,  m. 

M.  Kaposi  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuekerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Buniliei  gjoi . 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

,  Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Äerzte  in  Wien. 

Verlaarshandlunsr : 

Redaction: 
Telephon  Nr.  3373. 


Telephon  Nr.  6094. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13, 

Wien,  8.  November  1900.  Nr^  45. 


XIII.  Jahrgang. 


I  Oriffinalartikel:  1.  Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  Professor 
^  E  Neuss  er).  Ueber  eine  bei  Pleuritis  und  Perihepatitis  hbnnosa 
zu  beobachtende  Reflexzuckung  im  Bereiche  der  Bauchmusculatur 
(»respiratorischer  Bauchdeckenreflex«).  Von  Dr.  Rudolf  Schmidt, 
Assistenten  an  der  II.  med.  Klinik  in  Wien. 

2.  Beiträge  zur  Technik  der  Darmvereinigung.  Aon  Dr.  Hermann 
Ilinterstoisser,  Primararzt  in  Teschen.  . 

3  Aus  dem  k.  k.  St.  Roclius-Spital  in  AVien  (Primarius  Docent  Dr. 
K.  Büdinger).  ZurCasuistik  der  subcutanen  Sehnenrupturen.  Aon 

Dr.  L  Kirehmayr,  Aspirant.  _  .... 

II.  Referate:  Die  Frau  als  Mutter.  Von  Dr.  Hans  Meyer.  Encyklopadie 
der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  Von  Prof.  Dr.  M.  Sanger  und 
Prof.  Dr  O.  v.  Herff.  Zufällige  Zurücklassung  eines  sub  operatione 
benützten  Fremdkörpers  in  der  Bauchhöhle.  Casuistik  von  10b  1  allen. 
Gerichtlich-mediciniscl.es  Gutachten.  Von  Dr.  Franz  Neugebauer. 
Allgemeine  Therapie  der  Krankheiten  der  weiblichen  Geschlechts- 


___  (Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

INHALT: 

organe  Von  Prof  Dr.  E.  Fraenkel.  Leitfaden  für  die  Sshwangeren- 
untersuchung.  Von  Prof.  Dr.  E.  Win  tern  itz.  Ueber  Cystoskopie 
beim  Weibe.  Von  Dr.  Krönig.  Ueber  Hyperemesis  gravidarum. 
Von  Dr.  M.  Graefe.  Drei  Geburtsfälle  bei  Uterus  septus.  Von 
Dr  Albert  AVagner.  Ref.  Savor.  —  Ueber  septische  Netzhaut vet- 
änderungen.  Von  G.  Ischreyt.  Ueber  Trachom  Von  Dr.  Emil 
Bock.  Die  Heilbarkeit  der  Kurzsichtigkeit  und  ihre  Behandlung. 
Von  Dr.  Eugen  Jonas.  Der  Pemphigus  und  die  essentielle 
Schrumpfung  der  Bindehaut  des  Auges.  Von  Dr.  E.  I1  ranke. 
Die  Begutachtung  der  Erwerbsfähigkeit  nach  Unfall  Verletzungen 
des  Sehorganes.  Von  Dr.  E.  Ammann.  Ref.  R.  Hitschmann. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Eingesendet. 

VI.  Vermischte  Nachrichten.  .  .  .  , 

YU.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  (  ongressbciicli  e. 


Aus  der  II.  medicinischen  Klinik  (Hofrath  Professor 

E.  Neusser). 

Ueber  eine  bei  Pleuritis  und  Perihepatitis 

fibrinosa  zu  beobachtende  Reflexzuckung  im 

Bereiche  der  Bauchmusculatur  („respiratorischer 
Bauchdeckenreflex“). 

Von  Dr.  Rudolf  Schmidt,  Assistenten  an  der  II.  med.  Klinik  in  AVien. 

M.  F.,  35  Jahre  alt,  Hilfsarbeiter.  Aufgenommen  am 

18.  März  1900. 

Anamnese:  Die  Mutter  des  Patienten  ist  an  1  hthise 
gestorben,  der  Vater  einem  Unfall  erlegen.  Vier  Geschwister  des 
Patienten  starben  im  Kindesalter  an  unbekannten  Krankheiten. 

Patient  selbst  kann  sich  nicht  erinnern,  Kinderkrankheiten 
überstanden  zu  haben.  Vor  etwa  zehn  Jahren  entwickelte  sich  all- 
mälig  hinter  dem  Unken  Ohr  eine  Drüsenschwellung,  die  massig 
schmerzhaft  war  und  etwa  nach  drei  Monaten  aufbrach,  nach  einem 
weiteren  Monate  vernarbte.  Zwei  Jahre  später  soll  eine  entzündliche 
Drüsenschwellung  im  Sulcus  bicipit.  internus  rechts  aufgetreten 
sein,  die  bis  in  die  Hand  ausstrahlende  Schmerzen  verursachte.  Die 
Haut  darüber  war  anfangs  unverändert,  dann  röthete  sie  sich  und 

schwoll  an.  . 

Nach  drei  Monaten  wurde  die  Geschwulst  incidirt,  dicker 

Eiter  entleerte  sich,  worauf  die  Wunde  langsam  vernarbte,  doch 
blieb  eine  Druckempfindlichkeit  der  Narbe  zurück. 

Die  jetzige  Erkrankung  begann  am  12.  d.  M.  (vor  sieben 
Tagen)  mit  einem  Gefühl  von  Unwohlsein,  starkem  Schnupfen, 
etwas  Husten,  kleinen  Frostschauern  und  Stechen  in  der  rechten 
Supraclaviculargrube,  vorwiegend  beim  Husten.  An  den  folgen  en 
Tagen  wurde  der  Husten  stärker,  am  14.  d.  M.  trat  Stechen  in 
der  Gegend  der  Mamilla  beim  Athemschöpfen  und  Husten  auf.  Es 
bestand  das  Allgemeingefühl  einer  schweren  Erkrankung,  jedoch 
kein  Fieber  (?),  der  Auswurf  war  schleimig-eiterig. 


Am  17.  d.  M.  um  3  Uhr  Nachmittags  trat  starker  Schüttel¬ 
frost  auf  der  etwa  fünf  Stunden  andauerte,  dann  hohes  Fieber, 

starker  Schweissausbruch.  Die  folgende  Nacht  verbrachte  der  Patient 
schlaflos,  das  Stechen,  das  nun  auch  in  der  rechten  Axilla  auflrat, 
wurde  so  stark,  dass  Patient  die  Klinik  aufsuchte. 

Potus  in  reichlichem  Masse  zugegeben. 

1882  überstand  Patient  Gonorrhoe  und  acquirirte  ein 

Status  praesens  am  19.  März:  Temperatur  10  Uhr 
Vormittags  38°  C.,  Pals  90,  Respiration  24.  Temperatur  8  Uhr 

Abends  38’2°  C.  ^  ,.  ,  , ,  , 

Das  subjective  Allgemeinbefinden  ein  gules;  1  atient  klagt 

nur  über  Hustenreiz  und  stechende  Sensationen  in  der  Mamillar- 
und  Axillargegend  rechts  bei  tiefem  Athemschöpfen.  . 

Ernährungszustand  mässig  gut,  Musculatur  schlaff,  Haut  eicht 
schweissbedeckt,  keine  Herpeseruption.  Gesichtsfarbe  schmutzig-blass. 

Nervensystem:  Psychisch  neurasthemsche  Zuge  mit 

hypochondrischer  Grundstimmung.  Die  Pupillen  reagiren  prompt 
auf  Licht  und  Accommodation,  sowie  schmerzhafte  sensible  Heize. 
Leichte  Uebererregbarkeit  der  Vasomotoren.  Bauchdecken-  und 
Cremasterreflex  prompt  auslösbar.  Corneal-  und  Rachenreflex  voi  - 
handen.  Patellarsehnenreflex  leicht  gesteigert;  kein  Dorsalclonus. 

Respirations  organe:  Thorax  schlecht  gewölbt  fiaci, 
ziemlich  lang  mit  deutlich  ausgeprägten  Foss,  supra-  und  mtra- 

Athmungstypus  vorwiegend  costal,  kein  Zurückbleiben  der 
rechten  Seite  während  der  Inspiration.  Die  seitlichen  Intercob  a  - 
räume  werden  beiderseits  gleich  stark  inspiratorisch  eingezogen. 

Der  Stimmfremitus  rechts  hinten  oben  wesentlich  verstai  d, 
basal  über  den  hinteren  Partien  rechts  unwesentlich  starker  a  s 
links.  Die  unterhalb  der  Mamillarhöhe  vorne  und  seitlich  auf  den 
basalen  Antheil  der  rechten  Thoraxhälfte  aufgelegte  Hand  fui 
besonders  bei  diaphragmal  abgeändertem  Athmungstypus  intensives 

trockenes  Reiben. 


1034 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


Die  Percussion  ergibt  eine  deutliche  Dämpfung  über  den 
hinteren  Partien  der  rechten  Lungenspitze,  rechts  hinten  unten 
normaler  Lungenschall. 

Die  unteren  Lungengrenzen  vorne  rechts  am  unteren  Rande 
der  sechsten  Rippe,  hinten  beiderseits  handbreit  unterhalb  des 
Angulus  scapulae. 

Auscultatorisch  über  den  hinteren  Partien  der  rechten  Lungen¬ 
spitze  rauhes,  abgeschwächtes  Inspirium  mit  vereinzelten,  trockenen 
Rasselgeräuschen,  in  der  Mamillarlinie  sich  nach  hinten  bis  zur 
Axillarlinie  erstreckend,  unterhalb  der  rechten  Mamilla  sehr  inten¬ 
sives  inspiratorisches  Lederknarren. 

Girculationsapparat:  Puls  regelmässig,  Frequenz  90. 
Spannung  und  Füllung  normal,  leichte  Dikrotie;  Arterienrohr  in 
seiner  Wand  unverändert. 

Spitzenstoss  im  fünften  Intercostalraum  in  der  Mamillarlinie 
gelegen,  circumscript,  leicht  hebend. 

Der  erste  Ton  an  der  Herzspitze  leicht  gespalten,  die  zweiten 
Töne  an  der  Basis  laut,  aber  nicht  accentuirt.  Keine  Verbreiterung 
des  Herzens  nach  rechts. 

Das  Abdomen  im  Niveau  des  Thorax,  nirgends  schmerz¬ 
haft.  Milz  und  Leber  percutorisch  nicht  nachweisbar;  kein  Mussy- 
schcr  Druckpunkt. 

Testikel  von  normaler  Grösse  und  Gonsistenz. 

Sputum  in  geringer  Menge,  schleimig-eiterig.  Tuberkelbacillen 
nicht  nachweisbar. 

Im  Harne  weder  Serumalbumin  noch  Dextrose;  auch  sonst 
keine  pathologischen  Bestandteile. 

Resume:  Ein  35jähriger  Mann,  mütterlicherseits  quoad 
Tuberculose  hereditär  belastet,  der  bereits  vor  mehreren  Jahren 
tuberculöse  Drüseneiterungen  durchgemacht  hatte,  erkrankte  am 
12.  März,  sieben  Tage  vor  Spitalseintritt  febril  mit  katarrhalischen 
Erscheinungen  der  oberen  Luftwege  (Schnupfen,  Husten  mit 
schleimig-eiterigem  Auswurf)  und  stechenden,  schmerzhaften  Sen¬ 
sationen  zunächst  in  der  rechten  Supraclaviculargegend,  später 
auch  über  den  vorderen  und  seitlichen  basalen  Partien  der  rechten 
Thoraxhälfte. 

Die  objective  Untersuchung  ergibt  am  vierten  Tage  eine 
leichte  Temperatursteigerung  (der  spätere  Verlauf  war  afebril),  die 
physicalischen  Erscheinungen  einer  Verdichtung  der  rechten 
Lungenspitze  mit  geringen  katarrhalischen  Veränderungen  daselbst; 
im  Vordergründe  des  physikalischen  Befundes  steht  das  durch 
Palpation  und  Ascultation  nachweisbare,  äusserst  intensive  Lcder- 
knarren  über  den  seitlichen  und  vorderen  basalen  Partien  der 
rechten  Thoraxhälfte  im  Sinne  einer  trockenen  fibrinösen  Pleuritis. 
Bis  hieher  bietet  die  Symptomatologie  des  Krankheitsfalles  keine 
irgendwie  bemerkenswerthen  Züge. 

Bei  genauerer  Beobachtung  ergab  sich  jedoch  bei  dem 
Patienten  ein  von  der  Athmung  abhängiges,  nur  auf  die  oberen 
Partien  des  rechten  Rectus  abdominis  beschränktes 
Zuckungsphänomen,  welches  ich  nunmehr  bereits  in  einigen 
Fällen  von  Pleuritis  sicca  wahrnehmen  konnte  und  das  bisher  der 
klinischen  Beobachtung  entgangen  zu  sein  scheint.  Dieses  Phänomen 
möge  im  Nachfolgenden  eingehender  gewürdigt  werden. 

Decursus  morbi: 

19.  März.  Der  rechte  Rippenbogen  wird  stärker  gehoben  und 
seitwärts  bewegt  als  der  linke.  Bei  tiefer  Inspiration  erfolgt  eine 
kurz  dauernde  Contraction  im  Bereiche  des  obersten  Abschnittes 
des  rechten  M.  rectus,  wobei  der  oberste -Muskelbauch  des  rechten 
M.  rectus  sammt  der  darüber  befindlichen  Haut,  ebenso  auch  die 
in  seiner  Fortsetzung  dem  Rippenbogen  unmittelbar  aufliegende 
Thoraxmusculator  plötzlich  nach  oben  bewegt  wird. 

20.  März.  Bei  diaphragmaler  Athmung  ist  die  rechtsseitige 
Reflexzuckung  ab  und  zu  angedeutet,  öfters  fehlend,  dabei  be¬ 
wegen  sich  die  seitlichen  unteren  Thoraxpartien  gegen  die  Median¬ 
linie  zu,  um  bei  der  Espiration  etwas  lateralwärts  sich  zurück  zu 
bewegen.  Bei  hochthoracischer  Athmung,  wobei  das  Epigastrium 
nicht  vorgewölbt  wird  und  die  Rippenbögen  sich  inspiratorisch 
stark  lateralwärts  nach  oben  bewegen,  tritt  die  Zuckung  noch 
deutlich  auf,  und  zwar  im  letzten  Momente  des  Inspiriums.  Be¬ 
sonders  bei  rascher  und  tiefer  Athmung  ist  die  Reflexzuckung  sehr 
deutlich  und  erstreckt  sich  nach  oben  bis  zum  fünften  Intercostal- 
raume.  Die  Schmerzen  sind  gegenwärtig  geringer,  doch  sind  fünfter 


und  sechster  Intercostalraum  in  der  Axillarlinie  noch  deutlich 
druckempfindlich;  in  der  vorderen  Axillarlinie  im  sechsten  Intercostal- 
raume  deutliches  Lederknarren. 

21.  März.  Reibegeräusch  rechts  längs  des  Rippenbogens 
deutlich  hörbar.  Reflexzuckung  deutlich  ausgeprägt  bei  costaler 
Athmung  und  Einziehung  des  Epigastriums.  Druckempfindlichkeit 
beginnt  im  fünften  Intercostalraum  etwas  ausserhalb  der  Mamilla, 
im  sechsten  und  siebenten  Intercostalraum  fehlend. 

Subjectiv  Schmerzen  bei  tiefem  Alhemschöpfen  vom  Rippen¬ 
bogen  bis  zur  Mamilla  in  der  Seitengegend  des  Thorax.  Bei 
starkem  Drucke  im  sechsten  und  siebenten  Intercostalraume  erfolgt 
eine  starke  Contraction,  besonders  des  rechten  Rectus,  dessen 
zwischen  den  Inscriptiones  tendineae  befindlichen  Muskelpartien 
plastisch  hervortreten,  doch  beiheiligt  sich  auch  die  übrige  Bauch- 
musculatur  an  der  Contraction. 

22.  März.  Schmerzen  geringer;  eine  Reflexzuckung  im  rechten 
Rectus  tritt  weder  spontan  auf,  noch  gelingt  deren  künstliche  Aus¬ 
lösung. 

23.  März.  Schmerzen  besonders  entsprechend  dem  achten 
Intercostalraume  in  der  Axillarlinie,  auf  Druck  daselbst  intensive 
Contraction  der  oberen  Muskelpartien  des  rechten  Rectus 
abdominis  und  der  dem  Rippenbogen  unmittelbar  aufliegenden 
Musculatur.  Die  Zuckung  ist  bei  den  ersten  Athemzügen 
stärker,  nimmt  späterhin  an  Intensität  etwas  ab.  Lautes  Leder¬ 
knarren  in  der  Axillarlinie  bis  unmittelbar  oberhalb  des  Rippen¬ 
bogens  fühl-  und  hörbar. 

24.  März.  Starke  Druckempfindlichkeil  im  achten  Intercostal¬ 
raume  in  der  Axillarlinie.  Bei  Druck  daselbst  lebhafte  Contraction 
in  den  oberen  Partien  des  rechten  Rectus  ebenso  bei  den  ersten 
Athemzügen,  während  bei  den  folgenden  die  Reflexzuckung 
ausbleibt. 

In  der  Nähe  des  Rippenbogens  noch  deutliches  Lederknarren. 
Bei  tiefen  Athemzügen  und  beim  Husten  beginnt  der  Schmerz  am 
Rippenbogen  und  strahlt  nach  der  Axilla  aus. 

25.  März.  Im  achten  Intercostalraume,  entsprechend  der 
Axillarlinie,  eine  auf  Druck  äusserst  schmerzhafte  Stelle,  deren 
Druck  lebhafte  Contraction  der  Bauchmusculatur,  speciell  des 
rechten  oberen  Rectusbezirkes  hervorruft.  Die  Schmerzhaftigkeit 
erstreckt  sich  in  diesem  Intercostalraume  nach  vorne  bis  drei 
Querfinger  hinter  der  Mamilla,  nach  rückwärts  bis  zur  hinteren 
Axillarlinie.  Bei  tiefer  Inspiration  und  gleichzeitiger  intendirler 
epigastrischer  Einziehung  deutliches  Reflexphänomen.  Bei  Inspiration 
mit  Vorwölbung  des  Epigastriums  das  Reflexphänomen  weniger  deut 
lieh,  dabei  ist  an  der  früher  bezeichnelen  Stelle  das  Reiben  sehr 
deutlich  fühlbar,  während  es  heim  Inspirium  mit  Einziehung  des 
Epigastriums  weniger  deutlich  als  im  Exspirium  fühlbar  ist. 

26.  März.  Schmerzen  localisirt  in  der  Axillarlinie,  entsprechend 
dem  Rippenbogen.  Im  achten  Intercostalraume  noch  deutliche 
Druckempfindlichkeit  und  ausgesprochene  Reflexzuckung,  wobei  die 
beiden  obersten  Muskelportionen  des  rechten  Rectus  besonders 
plastisch  hervortreten;  auch  im  fünften  Intercostalraume,  ent¬ 
sprechend  der  Höhe  des  Ansatzes  des  Processus  xiphoideus  und 
von  da  nach  abwärts  und  nach  auswärts  bis  zur  Mamillarlinie, 
sind  ebenfalls  Contractionen  der  oberflächlichen  Muskelschichten 
sichtbar. 

An  der  schmerzhaften  Stelle  Reiben,  sowohl  in-  als  exspira- 
torisch,  fühlbar  aber  nur  bei  diaphragmaler  Athmung.  Bei  stärkerem 
seitlichen  Druck  auf  die  untere  Thoraxapertur  wird  das  Reibe¬ 
geräusch  stärker  und  die  Reflexzuckung  deutlicher. 

31.  März.  Auch  bei  tiefer  maximaler  Inspiration  keine  Reflex¬ 
zuckung;  dagegen  ist  dieselbe  durch  Druck  vom  achten  Intercostal¬ 
raume  aus  von  der  vorderen  bis  in  die  mittlere  Axillarlinie  sehr 
prompt  auszulösen. 

Deutliches  Lederknarren,  besonders  über  der  druckempfind¬ 
lichen  Stelle.  Lederknarren  nicht  palpabel. 

Im  weiteren  Verlaufe  fehlte  die  früher  während  des 
Inspirationsactes  aufgetretene  Reflexzuckung  im  Bereiche  der  oberen 
Partien  des  rechten  M.  rectus  und  mit  dem  Rückgänge  der  Druck¬ 
empfindlichkeit  der  Intereoslalräumc,  verschwand  auch  die  Mög¬ 
lichkeit,  das  Reflexphänomen  durch  Druck  artificiell  auszulösen. 

ln  kurzer  Zusammenfassung  der  vorhergehend  mit- 
getheilten  Beobachtungen  ergab  sicli  somit  folgender  Befund: 
Bei  tiefer  Inspiration  trat  besonders  bei  den  ersten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Athemzügen  sowohl  bei  costalem  als  diaphragmalem 
Athmungsty  p  us,  besonders  aber  bei  ersterem  gegen 
Ende  des  Inspirationsactes  eine  blitzartig  erfolgende 
Contraction  in  den  oberen  Ansatzpartien  des  rechten 
M.  reetus  auf,  bis  zum  fünften  Intercostalraum  nach 
oben  sich  erstreckend. 

Rasche  und  tiefe  Athmung  begünstigten  das  Auftreten 
des  Phänomens. 

Dasselbe  konnte  auch  künstlich  ausgelöst  werden 
durch  Druck  in  den  schmerzhaften  Intercostalräumen,  wobei 
die  artificielle  Auslösungsmöglichkeit  die  spontane  Auslösung 
zeitlich  überdauerte.  Ein  Parallelismus  zwischen  Intensität  der 
Muskelcontraction  und  der  Intensität  des  Lederknarrens  liess 
sich  nicht  nachweisen,  insoferne  bei  von  Seite  des  Patienten 
willkürlich  hervorgerufener  diaphragmaler  Athmung  der 
stärkeren  Verschiebung  der  Pleurablätter  in  verticaler  Richtung- 
entsprechend  die  Intensität  des  Lederknarrens  zwar  zunahm, 
die  Intensität  des  Reflexzuckens  jedoch  geringer  wurde. 

Hingegen  ergab  sich  bei  costaler  Athmung,  wobei 
Patient  der  Aufforderung  gemäss  das  Epigastrium  inspiratorisch 
einzog,  ein  entgegengesetztes  Verhalten. 

Das  in  seinen  Details  eben  beschriebene  Phänomen  beob¬ 
achtete  ich  seither  in  zwei  weiteren  Fällen  von  Pleuritis  sicca 
mit  analoger  Localisation. 

Hinsichtlich  seiner  allgemeinen  symptomatologischen 
Stellung  kann  es  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  es 
sich  hier  um  einen  Reflexvorgang  handelt,  insoferne  die 
willkürliche  Auslösung  eines  analogen,  auf  den  oberen  Antheil  , 
eines  M.  reetus  beschränkten  Contraction  als  unmöglich  be- 
zeichnet  werden  muss.  Das  Eigent  hüm  liehe  dieses  Reflexes 
liegtinseiner  Abhängig  keitvom  Respirationsacte  und  in 
der  Beschaffenheit  seiner  sensiblen  Auslösungssphäre. 

Während  die  ansonsten  zu  beobachtenden  Reflexe, 
wenigstens  insoferne  sie  in  isolirten  Muskelcontractionen  bo- 
stehen,  hinsichtlich  des  Beginnes  ihres  sensiblen  Bogens  theds 
im  äusseren  Integument,  theils  in  Schleimhäuten,  Sehnen, 
peripherer  Ausbreitung  von  Sinnesorganen,  im  Periost  odci 
Musculatur  wurzeln,  dürfte  es  sich  hier  um  einen  Reflex  handeln, 
welcher  durch  Reizung  einer  serösen  Membran,  der  Pleura, 
ausgelöst  wird.  Zu  berücksichtigen  wäre  allerdings,  ob  die 
Auslösung  des  Reflexes  nicht  durch  direkte  Reizung  neural¬ 
gischer  Intercostalnerven  erfolge. 

In  unseren  drei  Fällen  lag  allerdings  eine  typische 
Intercostalneuralgie  nicht  vor,  insoferne  die  typischen  Druck¬ 
punkte  fehlten,  und  die  druckempfindlichen  Punkte  der 
Intercostalräume  wechselten  vielfach  übereinstimmend  mit  dem 
Auftreten,  beziehungsweise  Verschwinden  des  pleuralen  Keibe- 
geräusches.  Es  liegt  daher  für  unsere  Fälle  die  Auffassung 
viel  näher,  dass  die  Druckempfindlichkeit  vielmehr  direct  zu 
beziehen  sei  auf  den  localen  entzündlichen  Zustand  der 
Pleura. 

In  diesem  Sinne  hätte  man  es  mit  einem  echten  Pleura¬ 
reflex  zu  thun,  welcher  mit  Rücksicht  auf  das  Ende  des 
motorischen  Reflexbogens  und  die  Gleichseitigkeit  des  Auf¬ 
tretens  als  »homolateraler  Pleura- Rectusreflex«  bezeichnet 
werden  könnte.  Aehnlich  den  Hautreflexen  scheint  auch  dieser 
von  einer  serösen  Membran  ausgelöster  Reflex  mehr  oder 
weniger  leicht  zu  ermüden,  so  dass  bei  länger  fortgesetzter 
Athmung  das  Reflexphänomen  erlischt.  Hiebei  wäre  allerdings 
zu  berücksichtigen,  dass  möglicher  Weise  durch  die  bei  der 
Athmung  eintretende  Pleuramassage  die  Unebenheiten  ab¬ 
nehmen,  so  dass  die  Reibung  der  Pleuren  eine  geringere,  die 
Schmerzhaftigkeit  hiemit  eine  schwächere  wird,  womit  die 
Intensität  des  sensiblen  Auslösungsfactors  abnimmt.  Eigen- 
thümlich  ist  die  Erscheinung,  dass  bei  intendirter  co¬ 
staler  Athmung  mit  gleichzeitiger  Einziehung  des  Epi¬ 
gastriums  die  Reflexzuckung  stärker  hervortritt. 

Vielleicht,  dass  die  hiebei  von  allem  Beginne  an  eingeleitete 
Contraction  des  Reetus  die  gegen  Ende  der  Inspiration  auf¬ 
tretende,  im  Sinne  einer  analogen  Contraction  sich  abspielende 
Reflexzuckung  begünstigend  wirkt,  insoferne  es  sich  hier  nicht 
wie  ansonsten  um  einen  Uebergang  des  Muskels  aus  Ruhe  in 
Bewegung  handelt,  sondern  nur  zu  der  siclr  schon  abspielenden 


Contraction  ein  Plus  an  Innervationsenergie  hinzuzukommen 
braucht.  Dass  rasches  und  tiefes  Athmen  das  Auftreten  des 
Reflexes  begünstigt,  kann  nicht  weiter  Wunder  nehmen,  da 
hiebei  der  auslösende  sensible  Reiz  eine  Verstärkung  erfährt. 

Hinsichtlich  seines  motorischen  Bogenanl heiles  reiht  sich 
der  in  Rede  stehende  Reflex  den  Bauchdeckenreflexen  an, 
deren  sensible  Auslösungssphäre  bekanntlich  sehr  ausgedehnt 
ist.  So  wurde  z.  B.  erst  in  neuerer  Zeit  von  W.  König 
(Centralblatt  für  Neurologie.  1899,  pag.  610)  reflectorische 
Contraction  der  Bauchmusculatur  bei  Reizung  der  busssohle 
beobachtet.  Wie  es  sich  hinsichtlich  der  sensiblen  Auslösungs¬ 
sphäre  bezüglich  des  »respiratorischen  Bauchdeckenreflexes«  vei- 
hält,  müssen  noch  weitere  Beobachtungen1)  lehren.  V  on  einem 
höheren,  als  dem  sechsten  Intercostalraum  konnte  ich  durch 
Druck  in  keinem  der  Fälle  denselben  zur  Auslösung  bringen, 
allerdings  fehlte  auch  Druckempfindlichkeit  in  den  höheren 
Intercostalräumen. 

Ich  möchte  aber*schon  jetzt  der  Vermuthung  Ausdruck 
verleihen,  das  Auftreten  derselben  dürfte  gebunden  sein  an 
Processe  in  der  Höhe  der  unteren  Intercostalräume  (etwa  t  om 
fünften  und  sechsten  Intercostalräume  nach  abwärts). 

W ie  manchen  anderen  Reflexen  dürfte  auch  dem 
»respiratorischen  Bauchdeckenreflex«  eine  gewisse  Zweck¬ 
mässigkeit  inne  wohnen,  insoferne  durch  die  Contraction 
des  Reetus,  respective  Obliquus  externus,  das  Hinabrücken 
der  entsprechenden  Zweichfellhälfte  und  damit  die  Intensität 
der  Pleura-  und  Peritoneumverschiebung  nach  unten  eine 
Hemmung  erfährt.  Insoferne  nun  in  den  oberen  Lungen¬ 
partien  die  respiratorische  Verschieblichkeit  an  und  fiii  sich 
eine  geringere  ist,  dürfte  in  solchen  Fällen  auch  die  Reflex¬ 
zuckung  in  Wegfall  kommen. 

Eine  andere  Frage,  welche  sich  aufdiängt,  geht  dahin, 
warum  dieser  Pleura- Rectusreflex  nicht  Regel  sei  in  Fällen 
von  schmerzhafter,  trockener  Pleuritis  mit  der  triiher  be- 
zeichneten  Localisation:  Diesbezüglich  kann  verwiesen  werden 
auf  die  Unregelmässigkeit  im  Auftreten  und  der  Intensität  dei 
verschiedenartigen  Reflexe,  speciell  der  Hautreflexe  überhaupt. 
Zwei  Momente  scheinen  mir  von  Wichtigkeit  für  das  deutliche 
Auftreten  des  beschriebenen  Phänomens: 

1.  Lebhaftigkeit  der  Reflexe  überhaupt,  wie  sie  z.  B. 

im  Falle  1  bestand. 

2.  Kräftige  Entwicklung  der  Recti,  so  dass  die  reflectorisch 
erhärtende  Muskelportion  plastisch  hervortritt. 

Man  wird  bei  besonderer  Lebhaftigkeit  des  Pleura- Reetus- 
reflexes  vielleicht  gut  thun,  an  die  Möglichkeit  einer  labes 
zu  denken,  wobei  ja  bekanntlich  nach  Rosenbach  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1899,  pag.  190)  die  Bauchdecken¬ 
reflexe  überhaupt  lebhaft  gesteigert  sind. 

Was  nun  die  praktische  Bedeutung  des  »homolateralen 
Pleura- Rectusreflexes« ,  beziehungsweise  des  »respiratoi  isclien 
Bauchdeckenreflexes«  überhaupt  betrifft,  so  wäre  Folgendes 
zu  berücksichtigen. 

Zunächst  wird  man  bei  Beobachtung  desselben,  also  auf 
Grund  eines  sehr  einfachen  Inspectionsbefundes  eines  pleuralen, 
respective  peritonealen  Entzlindungsprocesses  im  Bereiche  dei 
unteren  Thoraxapertur  denken  müssen,  somit  unter  Umständen 
aufsehr  kurzem  Wege  zu  einer  richtigen  Diagnose  geführt  wci  den. 

Vielleicht  zeigt  weitere  Beobachtung,  dass  entsprechend 
der  verschiedenen  Localisation  der  sensiblen  Auslösungssphäie 
an  Pleura  und  Peritoneum  auch  die  Localisation  und  Art  des 
Bauchdeckenreflexes  sich  ändert.  Andererseits  bietet  abei  das 
Phänomen  einen  Massstab  für  die  objective  Beurtheilung  des 
Bestehensund  der  Intensität  der  Schmerzhaftigkeit,  insoferne  das¬ 
selbe  an  Deutlichkeit  der  Intensität  der  Schmerzen  parallel  läuft. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  dürfte  es  auch  ein  nicht 
unwillkommener  Behelf  in  jenen  nicht  allzu  seltenen  lallen 
sein,  in  welchen  mit  Simulation  oder  Uebertreibung  zu 
rechnen  ist. 


i)  Erst  kürzlich  beobachtete  ich  denselben  in  einem  Falle  von  circum- 
scripter  Perihepatitis.  Die  Zuckung  betraf  hier  die  Rippenbogenpartien  des 
Muse,  obliquus  abdominis  externus.  Fälle  von  Perisplenitis,  1  erigastritis, 
Diaphragmitis  auf  das  Bestehen  eines  respiratorischen  Bauehdeckem 6i  exe> 
zu  prüfen,  bot  sich  bisher  noch  keine  Ge'egenheit, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


Beiträge  zur  Technik  der  Darmvereinigung. 

Von  Dr.  Hermann  Hintei'Stoisser,  Primararzt  in  Teschen. 

Die  Technik  der  Darmvereinigung  nach  Resection  scheint 
so  ziemlich  dem  Abschlüsse  nahe.  v.  Mikulicz  und 
W.  Kausch  haben  in  dem  neuen,  nunmehr  der  baldigen 
Vollendung  entgegensehenden  Handbuche  der  praktischen 
Chirurgie  eine  überaus  werthvolle  und  umfassende  Darstellung 
der  gesammten  Bauch-  und  Darmchirurgie  gegeben,  welcher 
kaum  neue  Gesichtspunkte  zuzufügen  sind. 

Die  heutige  Darmchirurgie  wendet  sich  von  den 
instrumenteilen  Hilfsmitteln  allmälig  wieder  ab  und  ist  bestrebt, 
zur  ursprünglichen  Einfachheit  zurückzukehren;  die  anfäng¬ 
liche  Begeisterung  für  den  Murphy- Knopf  ist  im  Schwinden 
begriffen',  die  alten  erprobten  Methoden  der  Nahtvereinigung 
treten  mehr  und  mehr  wieder  in  ihre  Rechte,  wohl  deshalb 
weil  die  vielberühmte  Einfachheit  der  Technik  bei  ersterem 
denn  doch  viel  zu  wünschen  übrig  Tässt,  und  die  grössere 
Sicherheit  des  alten  Verfahrens  den  längeren  Zeitaufwand 
reichlich  aufwiegt.  Ich  bin  von  der  Verwendung  des  Knopfes 
abgekommen,  nachdem  ich  einmal  eine  Patientin  an  rapid 
verlaufendem  Ileus  verloren  hatte;  die  Dünndarmschlinge  war 
in  Folge  der  Schwere  des  Knopfes  in  den  Douglas  hinab¬ 
geglitten  und  dort  abgeknickt  worden. 

Die  exacte,  fortlaufende  circulare*  Darmnaht  gewährt 
uns  zudem  in  weitaus  grösserem  Masse  das  Gefühl  der 
Sicherheit,  welches  ich  wenigstens  bei  wiederholter  Anwendung 
des  Knopfes  mehrfach  vermissen  musste. 

Wir  legen  bei  jeder  Darm  Vereinigung  ein  Hauptgewicht 
auf  die  fortlaufende  Nahtmethode,  welche  nach  dem  ursprüng¬ 
lichen  Vorgänge  von  Dupuytren  und  Dieffenbach 
beim  Verschlüsse  von  Darmwunden,  später  Rydygier, 
Kocher,  Kummer,  und  Andere  zu  ihrem  Normal¬ 
verfahren  der  circulären  Darmnaht  erhoben  haben.  Die 
eigenen  Resultate  bei  der  fortlaufenden  circulären  Darmnaht 
sind  so  befriedigende,  dass  wir  sie  in  keinem  Falle  von 
Verschluss  einer  Darmwunde  missen  können. 

Im  Folgenden  soll  nur  von  der  Darm  Vereinigung  nach 
Resectionen  am  Dickdarme  die  Rede  sein.  Hier  liegen  die 
Verhältnisse  für  die  End-zu-End- Vereingung,  für  die  circuläre 
Darmnaht  wesentlich  ungünstiger  als  am  Dünndarme.  Aber 
auch  am  Dünndarme  zwingen  nicht  selten  die  Verhältnisse 
zur  seitlichen  Anastomose  oder  zur  Implantation  des  einen 
Darmendes  in  das  blind  geschlossene  andere  Darmstück.  Für 
die  Vereinigungen  am  Dickdarme,  sowie  des  Dünndarmes  mit 
dem  Dickdarme  gelten  heute  die  letzgenannten  Methoden:  die 
Anastomose  Seit-zu-Seit  (seitliche  Apposition)  und  die  Im¬ 
plantation  End-zu-Seit,  als  die  zuverlässlichsten,  typischen. 
Die  Art  des  blinden  Darmverschlusses  hat  neuerlich  im 
Centralblatt  für  Chirurgie  zu  mehrfachen  Auseinander¬ 
setzungen  und  Vorschlägen  geführt.  Dem  blinden  Darm- 
versehlusse  durch  die  Schnürnaht  ist  auch  im  Handbuche  der 
praktischen  Chirurgie  in  ausgezeichneter  Weise  das  Wort  ge¬ 
sprochen. 

Den  Versuch  der  Abbindung  hat  schon  S.  Cooper  bei 
kleinen  Darmwunden  und  bei  circumscripter  Gangrän  gemacht. 

Der  Erste  aber,  welcher  einen  raschen  und  einfachen 
Verschluss  der  Darmenden  selbst  bewerkstelligte,  war 
F.  Bardenheuer  (Experimentelle  Beiträge  zur  Abdominal¬ 
chirurgie,  citirt  nach:  v.  Frey),  welcher  um  die  Zeitdauer 
der  Enteroanastomose  abzukürzen,  den  Verschluss  der 
resecirten  Darmenden  so  ausführte,  dass  er  dieselben  einfach 
von  aussen  her  mit  einem  Faden  zuband,  nachdem  er  die 
Schleimhaut  auf  1  cm  weit  abgeschabt. 

v.  Win  i warter  (Chirurgen-Congress  1891)  verfährt 
in  folgender,  an  Bardenheuer’s  Methode  sich  anlehnender 
Weise:  Nach  ausgeführter  Resection  werden  die  Darmenden 
von  aussen  her  mittelst  einer  circulären  Ligatur  abgeschnürt; 
vor  Vollendung  der  Anastomosennaht  werden  die  abgebundenen 
Enden  noch  dadurch  versichert,  dass  an  jedem  Darmende  die 
Ligaturfäden  in  je  eine  lange  Nadel  eingefädelt  und  diese 
unmittelbar  hinter  der  circulären  Ligatur  ins  Darmlumen  ein¬ 
gestochen  und  aus  dem  Anastomosenschlitz  heratisgezogen 


werden;  durch  Zug  an  diesen  Fäden  wird  jedes  abgebundene 
Ende  vollständig  in  den  Darm  eingestülpt  und  darüber  eine 
fortlaufende  Serosanaht  angelegt. 

In  etwas  anderer  Weise  hat  der  leider  zu  früh  ver¬ 
storbene  R.  v.  Frey  (Bruns,  Beiträge  zur  klinischen 
Chirurgie.  1895,  Bd.  XIV)  den  Trichterverschluss  nach  dem 
Darmlumen  zu  empfohlen,  indem  er  das  Darmende  durch  den 
Anastomosenschlitz  mittelst  einer  Fadenschlinge  herausführte 
und  um  das  also  invaginirte  Darmstück  eine  Ligatur  anlegte 
und  den  Stumpf  einfach  versenkte  (innere  Abschnürung).  Der 
Bardenheuer’sche  blinde  Darmverschluss  schien  v.  Frey 
trotz  der  damit  erzielten  guten  Resultate  zwei  Nachtheile  zu 
haben:  Erstens,  »dass  durch  das  Abbinden  der  Darmenden 
nach  Entfernung  der  Schleimhaut  nicht  Serosaflächen,  sondern 
Submucosaflächen  zur  Verklebung  gebracht  werden  sollen, 
und  zweitens,  dass  der  nekrotische  Ligaturstumpf  des  Darmes 
sich  in  die  Peritonealhöhle  abstossen  muss«,  v.  Frey, 
Barden  heuer,  Braun  und  Andere  halten  die  Anastomosen- 
bildung  überhaupt  für  die  beste  und  sicherste  Darmvereinigung, 
welche  berufen  sei,  die  circuläre  Darmnaht  zu  ersetzen. 

Auf  das  einfache  Verfahren  Bardenheuer’s  greift 
Doyen’s  Schnürverschluss  wieder  zurück.  Es  ist  »eine  Com¬ 
bination  der  Abbindung  mit  der  Schnürnaht«:  Abquetschung 
des  Darmrohres  mit  der  Hebelpince,  Seidenligatur  in  der 
Quetschfurche,  Abtragung  der  Schleimhaut  mit  der  Scheere, 
Verschorfung  des  Stumpftrichters  mit  dem  Paquelin,  Anlegung 
einer  Schnürnaht  (Tabaksbeutelnaht)  Einstülpung  des  Stumpfes 
mittelst  Pincette,  Knüpfung  der  Schnürnaht,  darüber  folgt 
noch  eine  zweite  ebensolche  Schnürnaht.  v.  Mikulicz 
empfiehlt  dieses  Doyen’sche  Verfahren  als  die  beste  Methode 
des  Darmverschlusses;  gegenüber  dem  schwerfälligen  Doyen- 
schen  Instrumente  gibt  er  seinem  handlicheren  Enterotrib 
den  Vorzug  (Handbuch  der  praktischen  Chirurgie.  Bd.  III, 
pag  171  — 174).  Auch  F.  de  Quervain  (Centralblatt  für 
Chirurgie.  1899,  Nr.  27)  tritt  für  die  »einstülpende  Tabaks¬ 
beutelnaht«  nach  Doyen  ein. 

In  anderer  Weise  verfährt  v.  Baracz  (Centralblatt  für 
Chirurgie.  1900,  Nr.  16),  welcher  analog  N.  Senn  das  freie 
Darmende  1  cm  tief  ins  Darmlumen  einstülpt,  eine  nicht 
zu  dichte  fortlaufende  Kürschnernaht  anlegt  und  die  beiden 
Fadenenden  knotet. 

Karl  S.  Häg ler  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900, 
Nr.  20)  sieht  zwar  ebenfalls  in  der  »wurstzipfelartigen«  Ab¬ 
schnürung  des  Darmes  den  einfachsten  Verschluss,  doch  auch 
er  gibt  der  Trichterbildung  nach  dem  Darmlumen  zu  den 
Vorzug,  denn  »die  Mucosa  des  Zipfelendes  bleibt  im  Contacte 
mit  der  Peritonealhöhle«  und  »übernähende  Serosanähte  gaben 
keine  absolute  Sicherheit,  weil  sie  beim  Wachsen  des  Innen¬ 
druckes  (Wasserfüllung)  fast  regelmässig  durch  das  hiebei 
nach  aussen  vorgestossene  trichterförmige  Darmende  gesprengt 
wurden«  (Leichenexperiment).  Häg  ler  »klemmt  den  Darm 
ab,  resecirt  hart  an  der  Klemme,  legt  jenseits  derselben  eine 
Schnürnaht  an,  worauf  die  Klemmzange  abgenommen  wird;  der 
Assistent  fasst  mit  derselben  das  Darmende  senkrecht  zur 
Querrichtung  an  zwei  gegenüberliegenden  Stellen  und  stülpt 
es  tief  in  das  Darmlumen  ein,  gleichzeitig  zieht  der  Operateur 
die  Schnürnaht  fest  und  knüpft  sie;  wer  sich  nicht  ganz 
sicher  fühlt,  kann  mit  zwei  L  e  m  b  e  r  t’schen  Nähten  den  nach 
innen  gekehrten  Trichter  übernähen«. 

Vollbrecht  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900,  Nr.  27) 
verfährt  folgendermassen :  »Das  freie  Darmende  wird  von 
einem  Assistenten  mit  zwei  Klemmen  fixirt  und  emporgehalten, 
um  das  Ausfliessen  von  Darminhalt  zu  verhüten.  Alsdann 
wird  der  Darm  mit  einer  alle  Schichten  fassenden  Seidennaht 
umsäumt  (Ueberwendlingsnabt).  Die  Nadel  wird  von  innen 
eingestochen  und  so  von  innen  nach  aussen  der  Darm  über¬ 
wendlich  umkreist;  die  Nadel  wird  schräg  durch  die  Darm¬ 
schichten  geführt,  so  dass  der  Stich  in  der  Mucosa  höher  liegt 
als  in  der  Serosa.  Beim  Zusammenschnüren  schlüpft  die 
Mucosa  zurück,  und  es  legt  sich  schon  jetzt  Serosa  an  Serosa. 
Während  der  Assistent  die  Klemmen  entfernt,  schnürt  der 
Operateur  den  Darm  zu  und  schlingt  den  Knoten.  Die 
Schnürnaht,  bis  zur  Submucosa  reichend,  wird  dann  in  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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gewöhnlichen  Weise  angelegt,  wobei  der  Assistent  mit  einer 
anatomischen,  an  den  langgebliebenen  Enden  der  Ueber- 

wendlingsnaht  angreifenden  Pincette  den  Darm  leicht  einstülpt«. 
Von  seiner  Methode  sagt  Vollbrecht  schliesslich  noch  :  »Sie 
vermeidet  den  Fehler  der  Ligatur,  welche  selbst  von  der  mit 
dem  Enterotrib  gesetzten  Schnürfurche  noch  abgleiten  kann«. 

Seit  zwei  Jahren  habe  ich  als  Methode  des  blinden 

Darmverschlusses  die  einfache  »wurstzipfelartige«  Abbindung 
des  Darmendes  und  Versenkung,  respective  Uebernähung  des 
Stumpfes  mit  gutem  Erfolge  geübt.  Es  wird  bei  jeder  Darm- 
resection  das  zu  resecirende  Darmstück  jederseits  mittelst 

zweier  nicht  zu  nahe  neben  einander  angelegter  starker 

Seidenligaturen  abgebunden  und  zwischen  den  Ligaturen  mit 
der  Scheere  durchtrennt.  Nach  vollendeter  Resection  wird  nun 
entweder  die  fortlaufende  circulare  Darmnaht  angelegt,  während 
nach  Entfernung  der  Stumpfligatur  die  Finger  des  Assistenten 
das  Darmrohr  zuklemmen  und  die  Lumina  aneinander  legen 
(zweischichtige  fortlaufende  Seidennaht  in  je  zwei  den  halben 
Umfang  des  Darmrohres  umfassenden  Theilstrecken) ;  oder 
aber  es  wird  im  gegebenen  Falle  zur  Anastomosenbildung 
geschritten.  In  diesem  Falle  wird  das  more  anatomico  ab¬ 
gebundene  Darmende  durch  eine  im  Abstande  von  V2  —  lern 
übergelegte  fortlaufende  Lembert’sche  Naht  versenkt,  das 
heisst:  der  Stumpf,  das  »Wurstzipfel«  wird  mit  Darmwand 
übernäht.  Hiezu  braucht  man  keine  Assistenz,  der  Verschluss 
ist  in  wenigen  Minuten  vollendet.  Mit  gleich  gutem  Erfolge 
bediente  ich  mich  auch  zur  einstülpenden  Uebernähung  der 
im  gleichen  Abstande  angelegten  Tabaksbeutelnaht;  auch 
hiebei  lässt  sich  die  Assistenz  entbehren,  wenn  man  mit  der 
einen  Hand  beide  Fadenenden  anzieht,  während  die  andere 
Hand  mittelst  Pincette  das  Wurstzipfelende  einstülpt.  Die 
Schleimhaut  des  Darmendes  wurde  niemals  abgetragen,  sondern 
nur  mit  in  Sublimatlösung  getauchter  Gaze  oder  mit  Jodoform¬ 
gaze  abgerieben.  Die  Furcht  vor  Unsicherheit  dieses  aus  dem 
Secirsaal  herübergenommen  Verschlusses  theile  ich  nicht;  mit 
Druckverhältnissen  wie  bei  der  experimentellen  Wasserfüllung 
Haegler’s  haben  wir  es  nicht  zu  thun,  namentlich  ist 
nach  der  Anastomosenbildung  ein  solcher  Ueberdruck  ausge 
schlossen. 

Von  den  angeführten  Methoden  scheint  mir  die  Darm- 
abbindung  mit  folgender  Stumpfübernähung  das  rascheste  und 
einfachste  Verfahren  zu  sein.  Der  Doyen’sehe  Schnür- 
verschluss  ist  complicirt:  Schleimhautexcision,  Verschorfung 
und  die  zweite  Schnürnaht  sind  überflüssig.  Die  übrigen 
Methoden  des  blinden  Darmverschlusses  dürften  sich  an 
einzelnen  Darmabschnitten,  wie  am  aufsteigenden  und  ab 
steigenden  Dickdarme  nicht  ganz  leicht  ausführen  lassen, 
während  die  Uebernähung  des  ligirten  Darmstumpfes  auch 
hier  auf  keinerlei  Schwierigkeiten  stösst. 

Der  blinde  Darm  Verschluss,  die  Abbindung  und  die 
Schnürnaht,  ist,  wie  erwähnt,  eine  Theiloperation  der  Anasto¬ 
mosenbildung. 

Im  Allgemeinen  wird  die  Anastomosenbildung  (Apposition 
und  Implantation)  ihre  Anzeige  finden  erstlich  bei  der  Ver¬ 
einigung  von  incongruenten  Darmstücken,  ferner  am  kind 
liehen  Darme  (v.  Winiwarter,  v.  Bar  a  cz)  und  schliesslich 
bei  der  Darmausschaltung.  Nach  v.  Mikulicz  ist  die 
seitliche  Apposition  das  Normalverfahren  bei  der  Vereinigung 
von  Dickdarm  mit  Dickdarm,  die  seitliche  Implantation  bei 
der  Vereinigung  von  Dünndarm  mit  Dickdarm  (Handbuch  der 
praktischen  Chirurgie.  Bd.  III,  pag.  228).  In  meinen,  nach 
dem  beschriebenen  Verfahren  operirten  Fällen  handelte  es 
sich  zweimal  um  Vereinigung  von  Ileum  mit  Colon,  einmal 
um  Darm  Vereinigung  im  Bereiche  der  Flexura  sigmoidea;  in 
allen  diesen  Fällen  wurde  das  engere  Darmstück  in  das  ab¬ 
gebundene  weitere  seitlich  implantirt.  Der  Anastomosenschlitz 
wurde  stets  im  Bereiche  der  freien  Taenia  des  Colon  angelegt, 
nicht  zu  weit  ab  vom  blinden  Darmende.  Die  Implantation 
selbst  wurde  nach  der  von  Braun  für  die  Gastroenterostomie 
angegebenen  Weise  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 
1891,  Nr.  1)  ausgeführt.  Zum  Vergleiche  füge  ich  noch  zwei 
Fälle  an,  bei  denen  am  Dickdarm  die  circuläre  Darmnaht  mit 
wechselndem  Erfolge  versucht  worden  war. 


Krankengeschichten. 

1.  S.  V.,  58  Jahre  alt,  aufgenommen  am  19.  Juli  1898. 
Patientin  klagt  seit  zehn  Jahren  über  Leibschmerzen,  nament¬ 
lich  in  der  Blinddarmgegend,  Stuhl  unregelmässig,  Obstipation 
wechselnd  mit  Diarrhöen.  Die  kolikartigen  Schmerzen  traten  zumeist 
nach  der  Nahrungsaufnahme  auf.  Vor  14  Tagen  hat  Patientin  eine 
grosse  Menge  Kirschen  sammt  Kernen  gegessen;  seither  vollkommene 
Obstipation  und  häufige  Kolikanfälle. 

Status  praesens:  Patientin  abgemagert,  kachektisch  aus¬ 
sehend,  schwach.  Im  rechten  Hypogastrium  tastet  man  einen  faust¬ 
grossen,  cylindrischen  Tumor,  der  einem  mit  harten  Kernen  ge¬ 
füllten  Darmtheile  entspringt  und  bei  der  Palpation  ein  ähnliches 
Gefühl  wie  bei  Hautemphysem  darbietet. 

Operation  in  Aethernarkose:  Bogenförmiger  Hautschnitt  nach 
Sonnenbu r g  (Hautverschiebungj,  Durchtrennung  der  Muskeln 
entlang  des  Darmbeinkammes;  nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  zeigt 
sich  das  Cöcum  in  seiner  Wand  verhärtet,  ungemein  verdickt,  aul 
der  Unterlage  festsitzend.  Das  Ileum  auf  ungefähr  30  cm  Länge 
enorm  ausgedehnt,  dickdarmähnlich,  seine  Wandungen  stark  ver¬ 
dickt,  prall  gefüllt  mit  Kernen  (Kirschkerne  und  Pflaumenkerne); 
das  aufsteigende  und  quere  Colon  dünnwandig,  collabirt.  Doppelte 
Ligatur  am  Colon  ascendens  und  am  Ileum  jenseits  des  Kern¬ 
tumors.  Resection  des  Darmes  zwischen  den  Ligaturen  ;  schwierige 
Auslösung  des  Ileocöcums  nach  Klemmenversorgung  der  Gefässe. 
Durch  Abgleiten  einer  Zange  profuse  Blutung  aus  der  A.  colica 
dextra.  Der  nahe  der  Flexura  hepatica  ligirte  Golonstumpf  wird 
durch  fortlaufende  Naht  eingestülpt.  Das  Ileumende  wird  nahe  der 
Abbindungsstelle  implantirt.  Jodoformdochtdrainage,  Schichtennaht 
der  Bauchdeckenwunde.  Kochsalzinfusion  in  die  V.  mediana  brach. 

Wundverlauf  reactionslos.  Darmfunction  vom  dritten  Tage  an 
regelmässig.  Patientin  erholte  sich  rasch  und  ist  bis  heute  gesund 
geblieben.  Die  anatomische  Untersuchung  ergab  eine  narbige  Stenose 
in  der  Gegend  der  Ileocöcalklappe,  Lichtung  kaum  für  einen  Feder¬ 
kiel  durchgängig.  Wandungen  des  Ileocöcum  in  ihrer  Muscularis 
enorm  verdickt.  Das  Ileum  mit  zahlreichen  Kirschkernen  Und  einigen 
Pflaumenkernen  strotzend  gefüllt;  die  mikroskopische  Untersuchung 
wies  eine  chronische  submueöse  Tuberculose  des  Cöcums  mit 
Narbenbildung  nach. 

2.  W.  L.,  53  Jahre  alt,  Kaufmann,  aufgenommen  19.  No¬ 
vember  1899. 

Seit  mehreren  Monaten  Hartleibigkeit;  vor  drei  Wochen 
traten  plötzlich  unter  heftigen  Kolikanfällen  völlige  Darmobstruction, 
Meteorismus  und  Erbrechen  auf;  hohe  Irrigationen  erzielten  spär¬ 
lichen  Erfolg,  Abgang  von  Winden  und  schliesslich  Abschwellung 

fördeiten 
dritten  Woche 


Eingiessungen 


des  Leibes.  Die  täglich  wiederholten  hohen 
zuweilen  krümeligen  harten  Stuhl  zu  Tage;  in  der 
nach  dem  ersten  Kolikanfalle  steigerten  sich  die  Beschwerden 
wieder  derart,  dass  Patient  behufs  Operation  ins  Spital  aufgenommen 
werden  musste. 

Status  praesens:  Patient  abgemagert,  blass.  Puls  96, 
Temperatur  36°.  Aufstossen,  Brechreiz.  Bauch  stark  meteoristisch 
aufgetrieben.  Keine  Winde,  kein  Stuhl.  Digitaluntersuchung  des 
Rectums  negativ.  Aus  dem  Verhalten  das  Darmes  bei  den  Irrigationen 
wird  als  Ort  der  Unwegsamkeit  das  absteigende  Colon  oder  die 
Flexura  angenommen. 

Operation  in  Aethernarkose:  Incision  oberhalb  des  linken 
P  o  u  p  a  r  t’schen  Bandes,  wie  zur  Anlegung  eines  Anus  praeter¬ 
naturalis.  Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  fliesst  seröse  Flüssigkeit 
ab.  Colon  descendens  und  Flexur  mächtig  gebläht,  ihre  Musculatur* 
verdickt,  hypertrophisch;  nahe  der  Uebergangsstelle  der  Flexur  ins 
Rectum,  wo  das  Mesocolon  sich  rasch  verkürzt,  befindet  sich  eine 
ringförmige  Einschnürung.  Der  unterhalb  derselben  liegende  Dick¬ 
darmabschnitt  völlig  collabirt  und  leer.  Resection  des  die  Strictur 
enthaltenden  Darmstückes  in  der  Länge  von  8  cm,  das  abgebundene 
obere  Darmende  wird  mittelst  fortlaufender  Einstülpungsnaht  ver¬ 
senkt.  Das  collabirte  untere  Darmstück  wird  in  die  Flexur  seitlich 
implantirt,  Anastomosenschlitz  in  der  Taenia  libera,  fortlaufende  drei¬ 
schichtige  Darmnaht;  bei  der  Anastomosenbildung  wird  der  grösste 
Theil  des  flüssigen  Dickdarminhaltes  entleert.  Das  ganze  Operations¬ 
feld  wird  gegen  .die  Bauchhöhle  zu  durch  drei  lange  Jodoformgaze¬ 
streifen  abgeschlossen,  welche  die  Darmnahtstelle  umhüllen.  Die 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  43 


Bauchdeckenwunde  wird  bis  auf  eine  Lücke  für  die  drainirenden 
Gazestreifen  geschlossen. 

Zwei  Tage  lang  dauern  die  lleuserscheinungen  (Meteorismus, 
Obstipation  und  Brechreiz)  an.  Nach  Entfernung  der  Jodoformgaze¬ 
streifen  am  dritten  Tage  Abgang  von  Winden  und  Absinken  des 
Leibes.  Am  fünften  Tage  reichlicher  Stuhl  per  vias  naturales.  Der 
weitere  Verlauf  reactionslos,  afebril,  nur  in  der  zweiten  Woche 
nach  der  Operation  durch  eine  schmerzhafte  Parotitis  sinistra  ge¬ 
stört,  welche  in  wenigen  Tagen  unter  Kälteapplication  schwindet. 
Darmentleerung  täglich  regelmässig.  Patient  wird  am  21.  December 
entlassen  und  ist  bis  heute  gesund  geblieben. 

Befund  des  resecirten  Darmstückes:  Ringförmige  harte  Strictur, 
für  eine  Knopfsonde  passirbar.  Mikroskopisch:  Adenocarcinoma 
scirrhosum. 

3.  K.  S.,  28  Jahre  alt,  Eisendrehersgattin.  Aufgenommen 
11.  September  1900. 

Patientin  soll  früher  immer  gesund  gewesen  sein;  seit  einigen 
Monaten  leidet  sie  an  kolikarligen  Bauchschmerzen,  namentlich  in 
der  Blinddarmgegend,  ferner  an  Appetitlosigkeit,  Stuhlbeschwerden, 
und  soll  in  der  letzten  Zeit  zusehends  abgemagert  sein. 

Status  praesens:  Blasse,  sichtlich  abgemagerte  Frau; 
rechts  leichter  Lungenspitzenkatarrh;  Bauch  nicht  aufgelrieben,  in 
der  Ileocöcalgegend  ein  auf  Berührung  schmerzhafter,  etwa  apfel¬ 
grosser,  beweglicher  Tumor  fühlbar.  Stuhl  ist  nur  durch  Klystiere 
zu  erzielen.  Am  20.  September  treten  plötzlich  starke  Kolik¬ 
schmerzen  auf,  wobei  man  neben  der  lebhaften  Peristaltik  des 
ganzes  Dünndarmes  auch  das  Aufstellen  und  Hartwerden  der  links 
vom  Ueocöcaltumor  liegenden  lleumschlinge  beobachtet.  Durch  hohe 
Eingiessungen  ist  kein  Stuhlgang  zu  erzielen.  Nach  einigen  Stunden 
wird  auch  das  ganze  Abdomen  meteoristisch  und  zeigt  die  Patientin 
deutliche  Collapserscheinungen,  Schwäche  und  Frequenz  des 
Pulses  (96),  grosses  Angstgefühl,  Brechreiz  etc. 

Am  21.  September  Laparotomie  in  Aethernarkose:  Rechts¬ 
seitiger  Schrägschnitt.  Nach  Eröffnung  des  Peritoneums  lässt  sich 
der  cöcale  Tumor  leicht  hervorziehen.  Die  Resection  des  Ileo- 
cöcums  wird  nach  der  oben  beschriebenen  Methode  ausgeführt.  Das 
abgebundene  Ende  des  Colon  aseendens,  welches  nahe  der  Flexura 
hepatica  durchschnitten  worden  war,  wird  mittelst  Tabaksbeutelnaht 
versenkt,  hierauf  das  Ileumende  in  das  Anfangsstück  des  Quercolons 
implantirt.  Die  Mesenteriallücke  wird  ebenfalls  durch  eine  Tabaks¬ 
beutelnaht  geschlossen.  Dreischichtige  Rauchdeckennaht,  keine 
Drainage.  Am  Tage  nach  der  Operation  weder  Stuhl  noch  Winde. 
Anhaltende  lleuserscheinungen,  Meteorismus,  häufiges  Erbrechen: 
Irrigationen  ohne  Erfolg;  Puls  88,  Temperatur  36'8°.  Am  23.  Sep¬ 
tember  derselbe  Befund.  Meteorismus  stärker;  neuerliche  Klysmata 
mit  der  Klysopumpe.  Entfernung  des  Verbandes  (eines  grossen, 
mittelst  Heftpflasterstreifen  fixirten  Krülgazebausches).  Hierauf  Ab¬ 
gang  von  Winden  und  rasches  Schwinden  der  Darmblähung.  Stuhl 
erfolgt  erst  am  neunten  Tage  nach  Irrigation. 

Wundverlauf  fieberlos.  Patientin  erholte  sich  sehr  rasch  und 
verliess  am  14.  October  geheilt  und  im  besten  Wohlbefinden  das 
Spital. 

Der  Tumor  selbst  erwies  sich  bei  der  makro-  und  mikro¬ 
skopischen  Untersuchung  als  typischer  tuberculöser  Ueocöcaltumor; 
hochgradige  narbige  Slenosirung  des  Cöcums  von  der  lleocöcal- 
klappe  an  nach  aufwärts;  das  Ileum  war  in  seiner  Musculatur 
hypertrophisch  verdickt. 

4.  R.  G.,  21  Jahre  alt,  Schneidergehilfe,  aufgenommen  am 
28.  Januar  1897. 

Patient  erkrankte  angeblich  vor  zwei  Jahren.  Die  Krankheit 
begann  mit  dumpfen  Schmerzen  im  Leibe,  besonders  aber  im 
rechten  Hypogastrium.  Die  Schmerzen  wiederholten  sich  anfangs 
alle  zwei  bis  drei  Tage,  später  wurden  sie  continuirlich.  Stuhl  un¬ 
regelmässig:  Diarrhöen  abwechselnd  mit  Verstopfung.  Zunehmende 
allgemeine  Schwäche. 

Status  praesens:  Körper  zart  gebaut,  Haut  blass,  Brust¬ 
organe  ohne  nachweisbare  pathologische  Veränderung;  im  rechten 
Hypogastrium  tastet  man  einen  fastgrossen,  cylindrischen,  unbeweg¬ 
lichen,  harten,  unebenen  Tumor  von  grosser  Druckempfind¬ 
lichkeit. 

Operation  in  gemischter  Narkose  (mit  Chloroform  begonnen, 
mit  Aether  fortgesetzt):  Nach  einem  circa  12  c?»  langen  Schräg- 
schnilt  und  Eröffnung  der  Bauchhöhle  findet  man  Blinddarm, 


Wurmfortsatz  und  die  unterste  lleumschlinge  durch  vielfache  Ad¬ 
häsionen  miteinander  zu  einem  faustgrossen  Tumor  verwachsen. 
Nach  Ablösung  der  strangförmigen  Adhäsionen  mit  den  übrigen 
Dünndarmschlingen  der  Nachbarschaft  wird  das  ganze  lleocöcum 
zwischen  doppelt  angelegten  Klemmzangen  resecirt.  Die  Lichtung 
des  dilatirten  und  in  seiner  Wandung  verdickten  Ileums  entsprach 
annähernd  der  des  Colons,  welches  an  der  Flexura  hepatica  resecirt 
worden  war.  Es  wurde  daher  die  zweireihige,  fortlaufende,  circulare 
Darmnaht  ausgeführt.  Drainage  mit  Jodoformgazestreifen,  Naht  der 
Bauchdecken;  subcutane  Kochsalzinfusion  (1 1)  in  die  Achselhöhlen. 

Wundverlauf  bis  zum  neunten  Tage  fieberlos,  vom  neunten 
bis  20.  Tag  abendliche  Temperatursteigerungen  bis  auf  38*5° 
(Secretverhaltung),  weiterhin  wieder  fieberloser  Verlauf.  Erster  spon¬ 
taner  Stuhl  am  vierten  Tage,  in  der  Folge  tägliche  regelmässige 
Darmentleerung  ohne  Nachhilfe.  Bis  zum  Tage  der  Entlassung 
(17.  April  1897)  Gewichtszunahme  8  kg. 

Patient  ist  bis  nun  gesund  geblieben.  Der  Ueocöcaltumor  war 
entzündlichen  Ursprunges;  die  Wandungen  des  Cöcums  und  Ileums 
enorm  verdickt.  Der  Wurmfortsatz  kolbig  aufgetrieben,  mit  Ileum 
und  Cöeum  unlösbar  verwachsen.  Die  Schleimhaut  des  Cöcum  und 
Colon  aseendens  hypertrophirt,  stark  entzündlich  verändert,  blau- 
roth.  Das  Lumen  des  Darms  durch  zahlreiche  polypöse  Schlcim- 
hautwülste  (Enteritis  polyposa)  verengt.  Eine  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  des  Präparates  wurde  leider  unterlassen. 

In  diesem  Falle  war  die  circuläre  Darmnaht  trotz  der  Ver¬ 
einigung  anatomisch  ungleichartiger  Darmstücke  von  Erfolg 
begleitet. 

5.  P.  0.,  66  Jahre  alt,  aufgenommen  am  23.  October  1897. 

Kindsfaustgrosser  stenosirender  Tumor  der  Flexura  sigmoidea, 
chronische  Obstipation,  Abmagerung. 

Operation  in  gemischter  Narkose  (Beginn  mit  Chloroform, 
Fortsetzung  mit  Aether):  Hautschnitt  parallel  zum  P  o  u  p  a  r  Eschen 
Bande,  Resection  der  Flexur  zwischen  Klemmzangen.  Zweischichtige 
circuläre  Darmnaht.  Jodoformgazedrainage,  Bauchdeckennaht. 

Der  Tumor  erwies  sich  mikroskopisch  als  Adenocarcinom. 
Verlauf  fieberlos.  Nach  Entfernung  des  Gazestreifens  am  zehnten 
Tage  entwickelte  sich  eine  kleine  Kothfistel,  welche  weiterhin  nicht 
mehr  zur  Heilung  gelangte.  Im  März  1898  stellte  sich  bereits  ein 
locales  Reeidiv  ein.  Der  Kranke  erlag  7'/.2  Monate  nach  der  Ope¬ 
ration  der  Krebskachexie  (26.  Juni  1898). 

Dieser  Fall  zeigt,  wie  wenig  sich  die  circuläre  Darmnaht  für 
Vereinigungen  am  Dickdarm  eignet. 


Aus  dem  k.  k.  St.  Rochus-Spital  in  Wien  (Primarius 
Docent  Dr.  K.  Büdinger). 

Zur  Casuistik  der  subcutanen  Sehnenrupturen. 

Von  Dr.  L.  Kirchmayr,  Aspirant. 

Von  den  subcutanen  isolirten  Sehnenverletzungen  sind 
ihrem  Entstehungsmechanismus  nach  wohl  am  genauesten 
studirt  und  bekannt  die  Zerreissungen  der  Fingerstrecksehnen 
über  dem  Gelenke  der  Endphalanx.  Schon  Segond1),  der  als 
Erster  einen  derartigen  Fall  beschrieb,  hatte  Leichenversuche 
über  die  Entstehungsart  dieser  Verletzung  angestellt  und  ge¬ 
funden,  dass  sich  durch  forcirte  Beugung  der  Endphalanx 
gegen  die  Mittelphalanx  zumeist  eine  Ruptur  der  Strecksehne 
mit  Abriss  einer  Knochenlamelle  der  Endphalanx  erzielen  liess. 
S  c  h  0  e  n  i  n  g 2)  gebührt  das  Verdienst,  nachgewiesen  zu  haben, 
dass  zum  jedesmaligen  Zustandekommen  der  Verletzung  im 
Leichenexperiment  die  Fixation  des  ersten  Interphalangeal- 
gelenkes  in  Strecksteilung  Bedingung  sei;  dies  zeigte  er  da¬ 
durch,  dass  die  Verletzung  auch  dann  experimentell  gelang, 
wenn  er  »die  Strecksehne  auf  dem  Metacarpalknochen  oder 
sogar  auf  der  Grundphalanx  unterhalb  der  Insertion  der  Mus- 
culi  interossei  und  lumbricales  durchsc.hnitt.«  Nur  durch  Ausser- 
achtlassung  dieser  Bedingung  erscheint  der  Ausspruch  von 
Busch3)  erklärlich,  welcher  fünf  interessante  Fälle  dieser 
Verletzung  am  Lebenden  beobachtet  und  schon  vor  Publication 
der  Segond’schen  Arbeit  Leichenversuche  angestellt,  aber 
noch  nicht  veröffentlicht  hatte;  »weder  damals,  noch  auch 
später,  als  dessen  (S  e  g  o  n  d’s)  interessanter  Aufsatz  erschienen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


lOSfl 


nazr. 


war,  gelang  es  mir  und  freundlichen  Helfern,  diese  Verletzung 
an  der  Leiche  hervorzubringen.«  Haegier4)  wiederholte 
neuerdings  die  Experimente  an  der  Leiche  und  bestätigt  die 
Erfahrungen  Schoening’s;  erfindet,  wie  dieser,  die  typische 
Abreissung  einer  kleinen  dreieckigen  Knochenlamelle  von  der 
Endphalanx,  welche  durch  aufliegendes  Bindegewebe,  Gelenk¬ 
kapsel,  respective  intacten  Gelenkknorpel  am  Zurückweichen 
gehindert  wird.  Bei  jüngeren  Individuen  constatiren  beide  aus¬ 
nahmsweise  die  Durchreissung  der  Sehne  über  dem  Gelenke 
der  Endphalanx,  jedoch  so,  dass  immer  noch  seitliche  Fasern 
End-  und  Mittelphalanx  verbinden.  Schoening’s  anatomisch 
begründete  Erklärung  lässt  sich,  wie  er  selbst  sagt,  nicht  auf 
den  Daumen  anwenden,  dessen  lange  Strecksehne  beim  Ver¬ 
laufe  über  das  erste  Interphalangealgelenk  andere  Verhältnisse 
zeigt,  wie  die  Sehnen  der  übrigen  Fingerstrecker.  Haegier 
betont  nun,  dass  das  Zustandekommen  der  forcirten  Streckung 
im  ersten  Interphalangealgelenk,  welches  Voraussetzung  für 
Entstehung  der  typischen  Ruptur  ist,  »intra  vitam  nur  einem 
plötzlichen  intensiven  Muskelzug  zu  verdanken«  ist,  einer 
reflectorischen  Abwehrbewegung,  welche  beim  Daumen  und 
wohl  auch  bei  den  anderen  Fingern  zu  Stande  kommt.  Zum 
experimentellen  Gelingen  der  genannten  Verletzung  bedarf 
e3,  wie  alle  Autoren  angeben,  nur  »einer  massigen  Kraft« .  Ein 
Misslingen  des  Versuches  an  der  Leiche  ist  äusserst  selten. 

Durch  die  Geringfügigkeit  der  auslösenden  Ursache 
dürften  die  zwei  von  uns  beobachteten  Fälle  von  Interesse  sein. 

I.  Eine  Frau  in  der  Mitte  der  Vierziger,  von  gesundem  Aeusseren, 
stiess  eines  Morgens,  als  sie  die  Bettdecke  zurechtstreifte,  mit  dem 
gestreckten  Zeigefinger  der  rechten  Hand  in  einer  dunklen  Ecke 
an.  Sie  verspürte  einen  massigen  Schmerz  und  bemerkte  sofort 
die  complete  Unmöglichkeit,  die  Endphalanx  zu  strecken.  Die  Local¬ 
untersuchung  ergab :  Die  Endphalanx  des  rechten  Zeigefingers  steht 
in  einem  Winkel  von  etwa  45°  gegen  die  Mittelphalanx  gebeugt, 
kann  activ  nicht,  passiv  mit  Leichtigkeit  gestreckt  werden.  Lässt 
man  die  gestreckte  Endphalanx  los,  so  sinkt  sie  langsam  in  ihre 
Beugestellung  zurück;  Haut  des  Fingers  normal,  Gelenklinie  nicht 
deutlicher  durchzutasten  als  an  den  anderen  Fingern ;  auf  starken 
Druck  ist  das  Gelenk  des  Endphalanx  etwas  empfindlich. 

II.  12.  Juni  1900.  K.  M.,  61  Jahre,  wollte  sich  am  10.  Oc¬ 
tober  den  Strumpf  mit  den  gestreckten  Fingern  der  rechten  Hand 
von  einer  Wade  herabstreifen.  Gleich  darauf  bemerkte  Patientin, 
dass  das  Endglied  des  dritten  Fingers  in  Beugestellung  verharrte. 
Erst  auf  Befragen,  ob  sie  nicht  einen  Schmerz  verspürt  hätte,  gibt 
Patientin  an,  es  habe  wohl  »ein  Kracherl  gemacht«  ;  heftig  war 
die  Schmerzempfinduhg  jedenfalls  nicht.  Bei  Untersuchung  der  sonst 
gesunden,  aber  marantisch  aussehenden  Frau  findet  sich  die  End- 
phalanx  in  einem  Winkel  von  circa  50°  gebeugt,  active  Streckung 
unmöglich;  passive  Streckung,  langsames  Zurücksinken  in  der  Beuge¬ 
stellung.  Für  Tast-  und  Gesichtssinn  sonst  nichts  Abnormes  am 
verletzten  Finger  constatirbar. 

Beide  Verletzte  verweigerten  jeden  operativen  Eingriff,  wes¬ 
halb  ein  Verband  mit  volarer  Schiene  angelegt  wurde. 

In  der  deutschen  Literatur  konnten  wir  nur  zehn  Fälle 
dieser  Verletzung  beschrieben  finden,  trotzdem  gewiss  viele 
beobachtet  wurden.  Das  auslösende  Moment  anlangend,  handelt 
es  sich  in  vier  Fällen  von  Busch  und  in  dem  Falle  von 
Schoening  um  das  Auffallen  auf  einen  gestreckten  Finger, 
in  einem  weiteren  Falle  von  Busch  um  einen  Schlag  auf  die 
mit  der  Rückenfläche  auf  einem  Tische  liegende  Hand ;  Borne¬ 
mann5)  beobachtete  die  Verletzung  einmal  als  Folge  eines 
Schlages  mit  einem  Lineal  und  einmal  beim  Nachhelfen  des 
Ueberstülpens  eines  Strumpfes  über  die  Ferse.  Haegier, 
beim  Ankommen  des  gestreckten  Fingers  an  einen  rotirenden 
Reibstein  und  in  einem  zweiten  Falle  beim  Anstossen  des  ge¬ 
streckten  Fingers  in  einer  Ecke.  Interessant  ist  in  dieser  Hin¬ 
sicht  die  Beobachtung  von  Segond;  ßs  handelte  sich  um 
forcirte  Beugung  im  Gelenke  der  Endphalanx  durch  Finger¬ 
druck  eines  anderen  gelegentlich  eines  Raufhandels.  Durch 
directen  Fingerdruck  auf  die  gebeugte  Endphalanx  im  Sinne 
der  Flexion  sind  wohl  auch  jene  Verletzungen  zu  erklären, 
welche  beim  »Hackelziehen«  öfters  Vorkommen;  einen  solchen 
Fall  von  Abreissung  der  Strecksehne  hat  Primarius  Büdinger 
an  der  Klinik  Billroth  gesehen. 


Unsere  zwei  Fälle  bestätigen  wieder  die  Auffassung,  dass 
die  typische  Verletzung  dann  zu  Stande  kommt,  wenn  ein 
Trauma  auf  die  Endphalanx  des  gestreckten  Fingers  so  ein¬ 
wirkt,  dass  dieselbe  plötzlich,  heftig,  wenn  auch  mit  geringer 
absoluter  Kraft  volarflectirt  wird.  Nebenbei  darf  man  jedoch 
nicht  übersehen,  dass  ähnliche  Verletzungen  auch  durch  directe 
Krafteinwirkungen  erzeugt  werden  können,  wie  dies  der  Fall 
von  Bornemann  beweist.  Bei  alten  Personen  und  unver- 
hältnissmässig  geringem  Trauma,  könnte  man  vielleicht  an 
einen  Altersprocess  in  der  Sehne  denken,  welcher  die  Ver¬ 
letzung  begünstigt;  so  bei  unserem  zweiten  Fall,  in  dem  die 
Patientin  sehr  herabgekommen  war. 

Der  eben  besprochenen  Verletzung  schliesst  sich  folgende 
Beobachtung  Maydl’s6)  an.  Ein  Bauer  hatte  in  einem  Rauf¬ 
handel  von  seinem  Kutscher  einen  Schlag  auf  die  Rückenfläche 
der  einen  Gegenstand  festhaltenden  Finger  bekommen.  Gleich 
darauf  bemerkte  derselbe,  dass  der  kleine  Finger  im  ersten 
Interphalangealgelenke  gegen  die  Hohlhand  eingeschlagen  war 
und  nicht  activ  gestreckt  werden  konnte  —  er  hatte,  ohne 
dass  die  äussere  Haut  verletzt  worden  wäre,  eine  Ruptur  der 
Streckaponeurose  erlitten.  Dieser  Fall  ist  ein  Beweis  mehr 
dafür,  dass  auch  durch  directe  Gewalt  eine  subcutane  Zer- 
reissung  der  Fingerstrecker  möglich  ist. 

Eine  subcutane  Ruptur  der  Sehne  des  langen  Zehen¬ 
streckers,  die  wir  im  Beginne  des  laufenden  Jahres  zu  beob¬ 
achten  Gelegenheit  hatten,  führt  uns  auf  das  Gebiet  der  Ruptur 
langer,  freigleitender  Sehnen. 

3.  Januar  1900.  N.  J.,  38  Jahre,  Buchbindergehilfe,  behauptet, 
bisher  nie  ernstlich  krank  gewesen  zu  sein,  insbesondere  hat  er 
nie  irgend  eine  Störung  im  rechten  Unterschenkel  beobachtet. 

Vom  28.  December  1899  bis  1.  Januar  d.  .1.  lag  Patient  wegen 
Schuhdruck  im  Spitale  zu  St.  Pölten. 

Am  30.  December,  so  erzählt  Patient,  sei  er  am  Fussboden 
ausgerutscht,  wobei  er  Schmerzen  in  der  Gegend  der  rechten  Fuss- 
wurzel  verspürt  hätte.  Da  der  Schmerz  sofort  nachliess,  trat  Patient 
aus  der  Spitalspfiege.  Beim  Anziehen  des  Schuhes  bemerkte  er 
einen  Druck  in  der  rechten  Fusswurzelgegend  und  fand  beim  Nach¬ 
sehen  daselbst  eine  harte  Geschwulst.  Trotzdem  machte  sich  Patient 
auf  den  Weg  und  legte  am  Nachmittag  25  hm  in  fünf  Stunden 
zurück ;  immer  jedoch  fühlte  er  Schmerzen  in  der  genannten 
Gegend.  Als  Patient  sich  des  Schuhes  entledigte,  nahmen  die 
Schmerzen  zu,  auch  trat  eine  Schwellung  des  ganzen  Fussrückens  auf. 

Am  2.  Januar  vertrug  der  sonst  nicht  empfindliche  Patient 
den  Schuh  nicht  mehr,  ging  aber  trotzdem  fünf  Stunden  lang  und, 
weil  barfuss,  ohne  Schmerzen.  Tags  darauf  legte,  er  trotz  stärkerer 
Schwellung  des  Fussrückens  schmerzlos  drei  Wegstunden  zurück. 

Status  praesens:  Patient  mittelgross,  kräftig  gebaut, 
gut  genährt,  mit  deutlichen  Spuren  von  Potus.  An  der  lateralen 
Seite  des  rechten  Fussrückens  55  cm  vom  Malleolus  ext.,  12  cm 
von  der  Spitze  der  dritten  Zehe  entfernt,  ist  die  Haut  an  einer 
etwa  guldenstückgrossen  Stelle  über  die  Umgebung  prominent.  Zu¬ 
fühlend  findet  man  eine  unverschiebliche,  prallgefüllte,  tief  fluc- 
tuirende  Geschwulst,  welche  der  Haut  nirgends  anhaftet.  Die  Um¬ 
gebung  derselben  leicht  druckempfinglich,  nicht  verfärbt.  Geringes 
Oedem  in  der  Gegend  des  Malleolus  ext. 

Diagnose:  Ganglion  dorsi  pedis. 

Operation  am  4.  Januar.  E  s mar  c h,  Schleich’sche  Infiltration. 
Hautschnitt  5  cm  lang,  beiläufig  parallel  mit  dem  äusseren  Fuss- 
rand.  Nach  Durchtrennung  der  Aponeurose  zeigt  sich  im  oberen 
Wundwinkel  ein  serös  durchfeuchtetes  Blutcoagulum,  das  lose  im 
Gewebe  liegt.  Im  unteren  Wundwinkel  ist  eine  abgerissene  Sehne 
sichtbar.  -Exstirpation  des  breitbasig  auf  den  Kapseln  der  Fuss- 
wurzelgelenke  aufsitzenden,  nussgrossen  Ganglion.  Ein  Zug  an  dem 
Stumpfe  lässt  die  zweite,  dritte  und  vierte  Zehe  sich  bewegen.  Um 
das  proximale  Ende  zu  finden,  wird  der  Hautschnitt  verlängert 
und  das  Ligamentum  cruciatum  circa  ]/2  cm  eingeschnitten.  Nun 
finden  sich  daselbst  zwei  durchrissene  Sehnen.  Der  distale  Stumpf 
der  zweiten  starken  Sehne  liegt  etwas  lateral  von  der  Schnittlinie 
und  läuft  gegen  die  Mitte  des  Metatarsale  V.  Die  Sehnenstümpfe 
sehen  sämmtlich  mit  Ausnahme  einer  geringen  Auflockerung  ihres 
Gewebes  normal  aus;  die  Risslinien  sind  leicht  aulgefasert.  An- 
schlingung  der  Stümpfe  und  Naht  nach  Haegier.  Hautnaht. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


Blaubindenverband  in  supinirter  Flexionsstellung  mit  Lagerung  auf 
eine  Schiene. 

Nach  diesem  unerwarteten  Befunde  wurde  Patient  über  die 
näheren  Details  seines  Unfalles  befragt  und  gab  nun  Folgendes  an: 
er  sei  auf  einem  Sessel  so  gesessen,  dass  nur  dessen  Vorderstollen 
am  Boden  aufruhten.  Dabei  sei  das  linke  Bein  im  Knie  gebeugt 
auf  dem  Boden  gestanden,  während  das  rechte  Bein  bei  Dorsal- 
flexion  und  Pronation  des  Fusses,  nur  mit  der  Fussspitze  hinter 
den  Vorderstollen  den  Boden  berührte.  Nun  sei  der  Sessel  nach 
hinten  gerutscht  und  während  die  ganze  Körperlast  auf  dem  rechten 
Bein  ruhte,  habe  Patient  einen  heftigen  Schmerz  an  der  Stelle,  an 
welcher  er  nachher  das  Ganglion  fand,  gefühlt  und  zugleich  ein 
lautes  Krachen  gehört.  Das  Gefühl,  als  wäre  etwas  abgerissen,  hatte 
Patient  nicht,  er  glaubte  nur,  sich  etwas  »verrenkt«  zu  haben;  so 
deutete  er  auch  das  Ganglion  als  einen  aus  seiner  Verbindung  los¬ 
getrennten  Knochen.  Wie  sich  die  Zehenbewegungen  vor  und  nach 
der  Verletzung  verhielten,  kann  Patient  nicht  angeben. 

Verbandwechsel  nach  acht  Tagen;  Wunde  per  primam  ge¬ 
heilt.  Kleine  Zehenbewegungen  activ  ausführbar. 

29.  Januar  wird  Patient  entlassen. 

Die  weitaus  am  häufigsten  beobachtete  totale  Zerreissung 
einer  langen,  freigleitenden  Sehne  ist  die  des  Extenspr  pollie. 
long.  Solche  Fälle  sind  von  Duplay7),  Heuck8),  Gruber9), 
Hager10),  Lindner11),  Kümmel12),  Steudel19)  u.  A. 
beschrieben  worden ;  weiters  hat  Burckhardt 14)  eine  isolirte 
subcutane  Zerreissung  des  Extensor  poll.  brev.  mitgetheilt. 
Einen  interessanten  Fall  einer  partiellen  subcutanen  Ruptur 
der  Portio  II  des  Flexor  sublimis  an  der  Hand  hat  Thorn10) 
publicirt. 

Bei  der  auffallenden  Seltenheit  derartiger  Verletzungen, 
die  in  crassem  Gegensätze  zu  der  doch  so  häufig  gebotenen 
Gelegenheit  zur  Zerreissung  steht,  lenkt  unsere  Aufmerksam¬ 
keit  auf  das  Gebiet  der  Aetiologie. 

Heule  beobachtete  die  Zerreissung  des  linken  Extensor 
pollie.  long.,  die  bei  einem  Soldaten  während  des  Trommeins 
beim  Zapfenstreich  aufgetreten  war,  und  sagt  am  Schlüsse 
seiner  Arbeit,  dass  die  Verletzung  nur  dann  erklärlich  sei, 
»wenn  man  die  allerdings  naheliegende  und  jedenfalls  gerecht¬ 
fertigte  Annahme  macht,  dass  in  Folge  der  vierzehn  Tage  voi¬ 
der  Zerreissung  bestandenen  Tendovaginitis  serosa,  denn  als 
solche  muss  die  mässige,  schmerzhafte  Schwellung  an  der 
Dorsalseite  des  Handgelenks  sicher  aufgefasst  werden,  die 
Sehne  succulenter  und  weniger  widerstandsfähig  geworden  ist, 
so  dass  der  Muskelzug  allein  genügte,  um  bei  dem  übrigens 
ausserordentlich  muskelkräftigen  Individuum  eine  Sehnenruptur 
herbeizuführen.«  •  Auch  Hager,  Lindner  und  Steu  del 
(letzterer  führt  auch  einen  Fall  gleicher  Aetiologie  aus  den 
Sanitätsberichten  an)  haben  der  Sehnenzerreissung  vorausge¬ 
gangene  Tendovaginitiden  beobachtet  und  diese  für  die  Zer- 
reisslichkeit  der  Sehne  verantwortlich  gemacht. 

Von  Prof.  Ernst,  dem  Stendel  das  centrale  resecirte 
Sehnenende  zur  Untersuchung  einsandte,  besitzen  wir  eine 
genaue  histopathologische  Beschreibung  des  rein  regressiven 
Processes,  der  sich  in  der  Sehne  als  Consequenz  der  Erkran¬ 
kung  der  zugehörigen  Scheide  gebildet  hatte.  Die  Sehnen¬ 
degeneration  stellt  sich  mikroskopisch  im  Wesentlichen  als 
schollige  Zerklüftung  und  Zerfaserung  dar;  weiters  finden  sich 
Schwund  der  Fibrillenstructur  und  der  Kernfärbung,  alles 
Zeichen  einer  schweren  Gewebsschädigung,  die  nothwendig 
mit  hochgradiger  Abnahme  der  Zugfestigkeit  einhergehen 
müssen.  Dass  derartige  Degenerationsprocesse  auch  zu  grob 
anatomischen  Veränderungen  führen  können,  zeigt  die  Beob¬ 
achtung  von  Witzei10),  welcher  in  einem  Falle  von  Hydrops 
mit  lipomatöser  Degeneration  der  Extensorensehnenscheiden 
an  der  Hand  »eine  Verdünnung  einzelner  Sehnen  bis  auf  ein 
Drittel  bis  ein  Viertel  ihrer  normalen  Dicke«  fand.  Derselbe 
Autor  erwähnt  auch  eine  Beobachtung  von  Volk  mann,  bei 
welcher  dieser  in  einem  Falle  von  Sehnenscheidenhydrops  der 
Extensoren,  Auffasscrung  und  partielle  Zerreissung  beschrieben 
und  abgebildet  hatte. 

Auch  andere  Processe  müssen,  wenn  sie  auch  bisher 
nicht  als  ursächliches  Moment  für  Zerreissungen  beobachtet 
wurden,  in  der  Aetiologie  Berücksichtigung  finden;  es  sind  das 


alle  wie  immer  geartete  Degenerationsprocesse,  Neubildungen, 
intratendinöse  Parasitensäcke  u.  s.  w.  Einen  interessanten  Fall 
von  gallertiger  Degeneration  eines  Theiles  der  Zeigefinger¬ 
portion  des  Extens.  digit,  comm,  am  Handrücken  berichtet 
Th  or  in17).  Es  handelte  sich  um  einen  erbsengrossen  Tumor, 
welcher  die  Bewegungen  der  Sehne  des  genannten  Muskels 
mitmachte;  derselbe  zeigte  sich  bei  der  Operation  als  cystisches, 
genau  das  Aussehen  eines  Ganglion  darbietendes  Gebilde, 
welches  auf  circa  1  cm  die  Substanz  der  Sehne  ersetzte.  Dem 
Schlusssätze  des  Verfassers,  es  sei  ihm  »unzweifelhafte  That- 
sache,  dass,  falls  der  Erweichungsherd  nicht  operativ  entfernt 
worden  wäre,  es  zu  einer  Spontanruptur  gekommen  wäre«,  ist 
wohl  unbedingt  beizustimmen.  Einen  zweiten,  ursächlich  allerdings 
vom  ersten  ganz  verschiedenen  Fall,  beschrieb  der  genannte 
Verfasser  drei  Jahre  später.  Ein  junger  Mann  war  vom  Reck 
gefallen  und  hatte  sich  beim  Auffallen  auf  den  Boden  die  Hand 
stark  dorsal  fleet irt;  heftiger  Schmerz  in  Hand  und  Vorder¬ 
arm,  sowie  eine  diffuse  Schwellung  waren  die  unmittelbaren 
Folgen  des  Falles.  Da  trotz  aller  Behandlung  bei  Beugung 
im  Radiocarpalgelenke  und  gleichzeitigem  Ballen  der  Faust 
Schmerzen  und  das  Gefühl,  als  erhöbe  sich  ein  beweglicher 
Körper  zwischen  den  Sehnen,  bestehen  blieben,  entschloss 
man  sich  zur  Operation.  Bei  dieser  ergab  sich,  dass  die 
Portio  II  des  Flexor  digit,  sublim,  etwa  auf  4 cm  Länge  in 
einer  Cyste  eingebettet  lag,  deren  Balg  aus  der  bindegewebigen 
Hülle  der  genannten  Sehne  bestand  und  deren  Inhalt  eine  glas¬ 
helle,  salzige  Masse  darstellte.  Das  eingebettete  Sehnenstück 
war  schon  makroskopisch  grob  verändert:  es  »hat  den  silberigen 
Glanz  verloren,  seine  Oberfläche  ist  vielfach  aufgefasert,  rauh, 
der  Querdurchmesser  dieses  Sehnenabschnittes  steht  hinter  dem 
der  distalen  und  paroximalen  Fortsetzung  zurück  und  hat 
keine  rundliche,' sondern  völlig  unregelmässige  Gestalt.«  Mikro¬ 
skopisch  fand  man  Aufgequollensein  der  Sehnenfaseru  und 
Zerfall  ihrer  Zellen,  daneben  auch  Zeichen  reparatorischer 
Vorgänge,  so  dass  der  Autor  glaubt,  cs  hätte  zur  Spontanheilung 
kommen  können. 

In  all  den  angeführten  Fällen  wird  selbstredend  eine 
verhältnissmässig  geringe  Kraft  die  Totalruptur  herbeiführen; 
umgekehrt  werden  wir  in  jedem  Falle  von  Sehnenruptur, 
welche  durch  ein  unverhältnissmässig  geringes  Trauma  ent¬ 
standen  war,  an  pathologische  Vorgänge  im  Sehnengewebe 
denken  müssen.  In  der  Literatur  konnten  wir  keinen  Fall 
von  isolirter  subcutaner  Sehnenruptur  finden,  bei  welchem  die 
Sehne  mit  Sicherheit  intact  war.  Im  Falle  Kümmell  er¬ 
scheint  es  uns  mindestens  discutabel,  ob  die  Sehne  wirklich 
normal  war.  Der  Autor  schreibt:  »Der  Kranke  ist  Kutscher 
von  Beruf  und  musste  eines  Tages,  als  ihm  die  Pferde  durch¬ 
gingen,  den  rechten  Arm  ziemlich  anstrengen,  in  Folge  dessen 
er  Schmerzen  im  Unterarm  verspürte.  Darauf  war  er  ge- 
nüthigt,  den  Arm  noch  einmal  mehr  als  gewöhnlich  anzu¬ 
strengen,  und  verspürte  hienach  heftige  Schmerzen.«  Drei 
Wochen  später  wurde  eine  Zerreissung  der  Sehne  des  Extensor 
pollicis  long,  constatirt.  Verfasser  stellt  im  Verlaufe  der  Arbeit 
seine  Beobachtung  in  Gegensatz  zu  jenen,  weiche  vorausgegangene 
Sehnen-  oder  Sehnenscheidenerkrankungen  aufweisen,  womit 
wohl  gesagt  ist,  dass  anamnestisch  keine  abgelaufene  Vorder¬ 
armerkrankung  aufzudecken  war.  Da  Kümmell  aber  zwei 
zeitlich  geschiedene  Ueberanstrengungen  unterscheidet  und  die 
Zerreissung  erst  bei  der  zweiten  erfolgte,  ist  es  wohl  möglich, 
dass  die  Sehne  schon  enlzündlich  verändert  war.  Eine  Structur- 
veränderung  der  Sehne  erscheint  auch  aus  dem  Satze  wahr¬ 
scheinlich:  »in  diesem  Falle  hat  eine  Zerreissung  durch  geringe 
Gewalt  stattgefunden.«  Burckhardt  beschreibt  einen  Fall, 
in  dein  es  durch  heftigen  Anprall  des  Daumens  der  rechten 
Hand  an  eine  Kiste  gelegentlich  des  Abgleitens  beim  Ver¬ 
suche,  diese  zu  ötfnenr  zu  einer  Ruptur  der  Sehne  des  Extensor 
poll.  brev.  gekommen  war.  Da  Patient  sich  einige  Jahre  vor¬ 
her  eine  Schnittwunde  in  der  Mitte  der  ersten  Phalanx  bei¬ 
gebracht  hatte,  lässt  Burckhardt  die  Frage,  ob  die  Zer¬ 
reissung  eine  intacte  Sehne  betroffen  habe,  offen,  weil  es  nicht 
mit  Sicherheit  auszuschliessen  war,  dass  die  Sehne  damals  an¬ 
geschnitten  worden  war.  Die  zwei  Fälle  von  Sick18)  und 
Haegier  können  wir  hier  füglich  ausser  Acht  lassen,  da  es 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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sich  in  beiden  um  Abreissungen  dieser  Flexorensehne  von  der 
Fingerend  phalanx,  das  eine  Mal  ohne  Abreissung  einer 
Knochenlamelle,  das  andere  Mal  mit  einer  solchen,  handelt. 

Ob  die  zerrissene  Sehne  in  unserem  Falle  normal  war 
oder  nicht,  lässt  sich  leider  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden, 
da  keine  histologische  Untersuchung  vorliegt.  Letztere  An¬ 
nahme  dürfte  wohl  insoweit  berechtigt  sein,  als  das  Ganglion, 
das  seinem  ganzen  Aussehen  nach  schon  lange  bestanden 
haben  muss  und  vom  Patienten  erst  nach  der  Verletzung  be¬ 
merkt  worden  war,  weil  e3  vorher  durch  die  darüber laufende 
Sehne  gedeckt  war,  einen  Beweis  für  das  Vorhandensein  eines 
chronisch  entzündlichen  Processes  in  der  Umgebung  bringt. 
Durch  die  bahnbrechenden  Untersuchungen  von  Ledder¬ 
hose19)  wissen  wir,  dass  die  Ganglien  in  Folge  hyaliner  De¬ 
generation  der  Gewebe  im  Anschluss  an  oft  wiederholte  kleine 
Traumen  entstehen.  Dieselbe  Schädlichkeit  hat  aber  natürlich 
auch  auf  die  Sehne  eingewirkt;  im  späteren  Stadium,  als  das 
Ganglion  schon  grösser  war,  mag  auch  die  Geschwulst  als 
solche  durch  den  permanenten  Druck  schädlich  auf  die  Festig¬ 
keit  der  Sehne  eingewirkt  haben. 

Zu  dieser  prädisponirenden  Structurveränderung  der 
Sehnen  kam  dann  als  Gelegenheitsursache  für  die  Zerreissung 
die  Ueberstreckung  des  Fussrückens,  durch  welche  die  Sehnen 
maximal  überspannt  wurden.  Auch  das  aufgelockerte  und 
succulentere  Aussehen  der  Sehne  spricht  für  einen  Degenera- 
tionsprocess,  wenn  auch  die  Sehne  im  Uebrigen  glatt  und 
seidenglänzend  war. 

Aus  all  den  angeführten  Fällen  muss  man  jedenfalls  den 
Schluss  ziehen,  dass  es  sich  in  den  weitaus  meisten  I  ällen 
von  subcutaner  isolirter  Ruptur  langer  freigleitender  Sehnen 
um  entartete,  in  ihrer  Structur  veränderte  Sehnen  handelt. 
Dass  es  auch  bei  gesunden  Sehnen  gelegentlich  zu  einer 
solchen  Zerreissung  kommen  kann,  zeigt  der  Fall  Thorn, 
wenn  es  auch  in  demselben  nur  zu  einer  partiellen  Ruptur 
gekommen  ist.  Auf  jeden  Fall  sind  letztere  chirurgische  Rari¬ 
täten,  welche  nur  durch  relativ  übergrosse  Krafteinwirkungen 
zu  Stande  kommen. 

Ueber  die  Häufigkeit  subcutaner  Rupturen  freigleitender 
Sehnen  fanden  wir  nur  eine  statistische  Angabe  von 
W.  Gruber,  welcher  bei  der  Section  von  1200  Vorderarmen 
dreimal  eine  Zerreissung  der  Sehne  des  Extensor  pollic.  long, 
vorfand;  jedenfalls  ist  die  Zahl  der  Fälle  viel  zu  gering,  um 
daraus  irgendwelche  bindende  Schlüsse  ziehen  zu  können. 

Die  bedeutende  Festigkeit  von  gesunden  Sehnen  zeigen 
auch  die  Fälle  von  Sehnenausreissungen.  Von  uns  wurde  fol¬ 
gender  Fall  beobachtet: 

5.  Januar  1900.  R.  F.,  Magd,  16  Jahre.  Patientin  gibt  an, 
sie  sei  vor  etwa  einer  Stunde  mit  einem  vollen  Kruge  über  eine 
Stiege  gestürzt,  der  Krug  sei  zerbrochen  und  dabei  sei  ihr  linker 
Zeigefinger  verletzt  worden.  Ueber  die  näheren  Umstände  kann 
Patientin  wegen  mangelnder  Kenntniss  des  Deutschen  keine  Auf¬ 
schlüsse  geben.  Besondere  Schmerzen  hatte  Patientin  nicht;  nur 
das  heftige  Bluten  des  Fingers  veranlasste  sie,  das  Spital  aul- 
zusuchen. 

Bei  der  Untersuchung  zeigt  es  sich,  dass  die  Nagelphalanx 
des  linken  Zeigefingers  fehlt.  Das  Gelenkköpfchen  der  Mittelphalanx 
liegt  frei  zu  Tage.  Die  Haut  der  Dorsalfläche  sieht  scharf  durch¬ 
trennt,  die  der  übrigen  Circuniferenz  unregelmässig  zerrissen  aus. 
Aseptischer  Deckverband. 

6.  Januar.  Die  Dienstgeberin  bringt  den  Krug,  der  die  Ver¬ 
letzung  bewirkt  halte.  Aus  dem  Steingulkruge  fehlt  am  oberen 
linken  Rand  ein  dreieckiges  Stück.  Weiter  bringt  die  Frau  die  ab¬ 
getrennte  Endphalanx  mit  der  Angabe,  dieselbe  auf  der  Stiege  neben 
dem  Krug  gefunden  zu  haben.  An  der  Endphalanx  hängt  die  circa 
130  cm  lange  Perforatussehne  mit  2 — 5  mm  langen  Muskelstückchen 
an  der  Ausrissstelle. 

14.  Januar.  Normaler  Wundverlauf. 

9.  Februar  wird  Patientin  geheilt  entlassen. 

Zwei  ähnliche  Verletzungen  finden  sich  im  Kataloge  des 
gewerblich-hygienischen  Museums  in  Wien  verzeichnet.  Die 
Angaben  beziehen  sich  auf  zwei  dort  aufbewahrte,  von  Prima¬ 
rius  F.  Schopf  geschenkte  Spirituspräparate ;  dieselben  lauten: 


1.  »Endglied  des  vierten  linken  Zeigefingers  mit  der  Sehne 
des  tiefen  Beugemuskels,  welche  von  der  Insertionsstelle  am  Muskel 
abgerissen  und  aus  der  Sehnenscheide  mit  herausgezogen  wurde. 
Das  Präparat  rührt  her  von  einem  16jährigen  Jungen,  der  das  eine 
Ende  eines  Putzlappens  um  den  Ringfinger  geschlungen  hatte,  das 
andere  Ende  dieses  Lappens  gerieth  in  die  Räder  einer  Maschine.« 

2.  »Das  dritte  und  halbe  vierte  Glied  des  linken  Zeigefingers 
mit  der  abgerissenen  Sehne  des  oberflächlichen  und  tiefen  Beuge¬ 
muskels  eines  14jährigen  Jungens,  der  mit  dem  Finger  in  den 
Treibriemen  einer  Drehbank  gerieth.« 

Nach  dem  Aussehen  unseres  Präparates,  nach  den  Blut¬ 
spritzern  am  Krugbalse  und  nach  den  Angaben  muss  man  sich 
die  Entstehung  unseres  Falles  wohl  so  vorstellen,  dass  der 
Krug  im  Momente  des  Auffallens  zerbrach,  dass  dann  die  End¬ 
phalanx  von  dem  scharfen  dreieckigen  Rand  im  Krughalse 
bis  ins  Gelenk  hinein  durchschnitten  wurde,  worauf  die  Last 
des  fallenden  Körpers  die  Sehne  herausriss.  Auch  das  Präparat  1 
im  gewerblich  hygienischen  Museum  zeigt  die  Haut  an  der 
Dorsalseite  scharf  durchtrennt.  Unserer  Ansicht  nach  war  der 
Mechanismus  der,  dass  ein  Kammrad  die  Haut  an  der  Dorsal¬ 
seite  des  Gelenkes  durchquetschte  und  dass  der  weiterwirkende 
Zug  die  Sehne  herausriss.  Dass  dieser  Zug  kein  plötzlicher  zu 
sein  braucht,  sahen  wir  kürzlich  an  einem  Arbeiter,  der  mit 
dem  zweiten  und  dritten  Finger  der  rechten  Hand  zwischen 
zwei  Kammräder  gerathen  war.  Die  genannten  Finger  waren 
bis  auf  die  noch  erhaltenen  Beugesehnen  in  unförmliche  Massen 
verwandelt,  die  nur  durch  eine  Hautbrücke  mit  der  Hand  in 
Verbindung  standen.  Als  diese  durchtrennt  war,  Hessen  sich 
die  am  Muskel  abgerissenen  Flexorsehnen  der  beiden  Finger 
aus  ihrer  Sehnenscheide  herausziehen.  Die  langsam  wirkende, 
stetige  Kraft  hatte  in  dem  Momente  aufgehört,  als  die  Sehnen 
bereits  ausgerissen,  aber  noch  nicht  aus  der  Scheide  heraus¬ 
gezogen  waren. 

Billroth20)  »sab  mehrere  Fälle  von  Fingerausreissungen, 
die  immer  in  der  Weise  erfolgten,  dass  die  finger  sieh  im 
Gelenke  zwischen  Metacarpalknochen  und  erster  Phalanx  lösten, 
dass  die  Extensoren-  und.  Flexorenfasern  nicht  an  ihren  An¬ 
satzpunkten,  sondern  dicht  am  Muskel  abrissen  und  also  ganz 
herauskamen.«  Billroth21)  bildet  auch  einen  ausgerissenen 
Mittelfinger  ab,  bei  welchem  beide  Flexoren  und  der  Extensor 
mitgerissen  waren.  Das  Präparat  stammte  von  einem  Maurer, 
der  sich,  als  das  Gerüst,  auf  welchem  er  stand,  zusammen¬ 
stürzte,  an  einer  Schlinge,  die  vom  Dache  herabhing,  halten 
wollte.  Da  er  diese  jedoch  nur  mit  dem  Mittelfinger  der  rechten 
Hand  fassen  konnte,  wurde  der  Finger  im  Carpometacarpal- 
gelenke  ausgerissen,  v.  F  i  1 1  e  n  b  a  u  m  22)  demonstrate  einen 
Fall  von  Daumenausreissung,  der  dadurch  entstanden  war,  dass 
ein  Dragoner  sich  die  Leine  seines  Handpferdes  um  diesen 
Finger  geschlungen  batte;  das  Pferd  scheute  und  riss  beim 
Durchgehen  den  Daumen  im  Carpalgelenke  so  aus,  dass  an 
dem  abgetrennten  Gliede  die  Sehnen  des  langen  Daumen¬ 
beugers,  des  kurzen  und  langen  Streckers  und  des  Abductor 
longus  so  mitgenommen  wurden,  dass  an  denselben  noch  Theile 
des  Muskelbauches  hafteten. 

In  der  Literatur  trafen  wir  keinen  Fall,  der  dem  von 

uns  beobachteten  entspräche. 

Auch  am  narkotisirten  Thiere  lassen  sich  nach  dorsaler 
Eröffnung  des  Gelenkes  Abreissungen  der  Endphalanx  mit 
Ausreissungen  der  Perforanssehne  erzeugen.  Demnach  halten 
wir  die  beschriebene  Verletzung  für  eine  typische,  die  jedes 
Mal  dann  entsteht,  wenn  nach  Eröffnung  des  Endphalanx¬ 
gelenkes  an  der  Rückenseite,  eine  plötzliche  oder  constante 
ziehende  Kraft  an  der  Endphalanx  wirkt. 

Aus  der  Krankengeschichte  wäre  noch  hervorzuheben, 
dass  die  Patientin  weder  gleich  nach  der  Verletzung,  noch  in 
der  Heilungsperiode  irgendwelche  Schmerzen  im  Aorderaime 
fühlte  und  dass  sich  daselbst  auch  objectiv  keine  Reaction 
zeigte;  unsere  Beobachtung  bestätigt  wieder  den  Billroth  sehen 
Satz:  »die  Ausreissungen  von  Fingern  verlaufen  meist  ausser¬ 
ordentlich  günstig,  ohne  starke  örtliche  und  allgemeine  Reaction«. 

In  Kurzem  ergeben  sich  folgende  Sätze : 

1.  Die  typischen  Zerreissungen  der  I  ingerextensoren 
über  dem  Gelenke  der  Endphalanx  kommen  durch  ein  Itauma 


1042 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  45 


zu  Stande,  das  auf  den  im  ersten  Interphalangealgelenke  ge¬ 
streckten  Finger  so  einwirkt,  dass  die  Endphalanx  forcirt  ge¬ 
beugt  wird;  ausnahmsweise  führen  auch  anders  geartete  Kraft¬ 
einwirkungen,  auch  directe  Traumen,  zu  dieser  Verletzung. 

2.  Subcutane  isolirte  Zerreissungen  langer,  freigleitender 
Sehnen  finden  sich  fast  ausschliesslich  bei  irgendwie  degenerirter 
Sehne,  womit  aber  die  Möglichkeit  der  Zerreissung  gesunder 
Sehnen  durch  relativ  übergrosse  Gewalten  nicht  geleugnet 
werden  soll. 

3.  Die  Ausreissungen  von  Endphalangen  sammt  der  zu¬ 
gehörigen  Beugesehne  kommt  als  typische  Verletzung  dann 
vor,  wenn  eine  ziehende  Gewalt  nach  dorsaler  breiter  Er¬ 
öffnung  des  anliegenden  Gelenkes  plötzlich  oder  langsam  auf 
die  Endphalanx  einwirkt. 

Literatur. 

')  Segond,  Progres  medical.  3.  Juli  1880. 

2)  Schoenig,  Archiv  für  klinische  Chirurgie,  herausgegeben  von 
Langenbeck.  1887,  lid.  XXXV.  pag.  237. 

3)  Busch,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1881,  8.  Jahrgang,  pag.  1. 

4)  H  a  e  g  1  e  r,  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie  von  Bruns.  Bd.  XVI. 

•’)  Borne  mann,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1889,  16.  Jahrgang, 

pag.  584. 

6)  Maydl,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  1882,  Bd.  XVII, 

")  Duplay,  rtf  :  Centralblatt  für  Chirurgie.  1877,  4.  Jahrgang, 
pag.  512. 

8)  H  euck,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1882,  19.  Jahrgang,  pag.  289. 

9)  Gruber,  Archiv  für  pathologische  Anatomie  und  Physiologie  und 
für  klinische  Medicin.  1885,  Bd.  CII,  pag.  1. 

10)  Hager,  Berliner  klin:sche  Wochenschrift.  1886,  pag.  360. 

")  L  i  n  d  ii  e  r,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1890,  pag.  753. 

,2)  K  ü  m  m  e  1 1,  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1891,  pag.  241. 

!3)  Steudel,  Deutsche  'militärärztliche  Zeitschrift.  1899,  28.  Jahr¬ 
gang,  pag.  545. 

14)  Burckhardt,  Dissertation.  Erlangen  1890  (München,  Fuller  1891). 

15)  Thorn,  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  1899,  Bd.  LVII1, 
pag.  918. 

16)  Witzei,  Sammlung  klinischer  Vorträge  von  Volkmann.  Nr.  291, 
pag.  2647. 

!7)  Thor  n,  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  1896,  Bd.  LII,  pag.  593. 

18)  Sick,  Ceutralblatt  für  Chirurgie.  1893,  20.  Jahrgang,  pag.  264. 

,!>)  Ledderhose,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  1893, 
Bd.  XXXVII,  pag.  102. 

20)  Billroth,  Handbuch  von  Pitha-Billroth.  1869,  Bd.  I,  2.  Ab¬ 
theilung,  pag.  47. 

21)  Billroth,  Die  allgemeine  chirurgische  Pathologie  und  Therapie, 
pag.  230. 

22)  v.  Fillenba  um,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1892,  pag.  681. 


REFERATE. 

Die  Frau  als  Mutter. 

Schwangerschaft,  Geburt  und  Wochenbett,  sowie  Pflege  und  Ernährung  der 
Neugeborenen  in  gemeinverständlicher  Darstellung. 

Von  Dr.  Hans  Meyer,  Zürich. 

Stuttgart  1899,  F.  Enke. 

In  wirklich  gemeinverständlicher  Darstellung  behandelt 
M  ey  er  das  im  Titel  genannte  Thema  mit  voller  Beherrschung  des 
Stoffes.  Aber  nicht  blos  der  künftigen  Mutter,  der  es  der  Hausarzt 
mit  sehr  gutem  Erfolge  zur  Lecture  empfehlen  wird,  sondern  auch 
dem  jungen  Arzte,  der  so  vielen,  von  Seite  der  Angehörigen  auf 
ihn  einstürmenden  Fragen  meist  rathlos  gegenübersteht,  wird  das 
Büchlein  in  praktischer  Beziehung  wichtige  Fingerzeige  geben,  wie 
er  sie  in  den  Büchern,  die  er  zum  Rigorosum  studirte,  vergebens 
suchen  wird.  Dass  die  Lehre  von  der  Desinfection  abgehandelt  wird, 
muss  rühmend  hervorgehoben  werden;  dagegen  kann  sich  Referent 
in  zwei  Punkten  nicht  mit  dem  Autor  einverstanden  erklären.  Einmal 
darin,  dass  die  Wöchnerin  ihre  Urinentleerung  stets  liegend  besorgen 
muss;  es  erscheint  doch  zweifellos  richtiger,  bei  etwaigen  Schwierig¬ 
keiten  die  Wöchnerin  zu  diesem  Zwecke  sich  aufselzen  zu  lassen, 
als  sie  den  Gefahren  des  Katheterismus  auszusetzen.  Sodann  ist  als 
Zeitpunkt  des  Aufstehens  der  12.  bis  14.  Tag  angegeben;  auch 
dies  erscheint,  besonders  in  einem  populären  Buche,  inopportun, 
viel  richtiger  wäre  es  gewesen,  darauf  hinzuweisen,  dass  das  Auf¬ 
stehen  nur  dann  gestattet  werden  kann,  wenn  der  Uterus  so  weit 
involvirt  ist,  dass  er  von  aussen  nicht  mehr  tastbar  ist  und  die 
Lochien  nicht  mehr  blutig  sind.  Wie  lange  es  dauert,  bis  dieser 
Zustand  erreicht  ist,  lässt  sich  ja  im  Vorhinein  nicht  bestimmen. 


Davon  abgesehen,  ist  dem  Büchlein  nur  die  weiteste  Verbreitung 
zu  wünschen. 

* 

Encyklopädie  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 

Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  M.  Sänger  in  Prag  und  Prof.  Dr.  O.  V.  Herff 

in  Halle  a.  S. 

Erste  bis  fünfte  Lieferung. 

Leipzig  1900,  F.  C.  W.  Vogel. 

Die  unter  Mitwirkung  einer  recht  grossen  Zahl  von  Fach¬ 
männern  unter  der  Redaction  von  Sänger  und  v.  Herff  heraus¬ 
gegebene  Encyklopädie  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  hat  den 
Zweck,  dem  Arzte  die  Möglichkeit  rascher  Orientirung  zu  bieten. 
Es  ist  natürlich  derzeit,  da  erst  einige  Lieferungen  erschienen  sind, 
nicht  möglich,  ein  Urtheil  darüber  abzugeben,  ob  und  inwieweit 
das  angestrebte  Ziel  erreicht  wurde,  doch  zeigt  sich  in  den  bereits 
vorliegenden  Theilen  das  Bestreben,  in  thunlichster  Knappheit  und 
gedrängtester  Kürze  alles  Wissenswerthe,  selbstverständlich  unter 
Berücksichtigung  der  neuesten  Forschungsergebnisse,  vorzuführen 
und  weniger  wichtige  wissenschaftliche  Einzelheiten  dem  praktischen 
Bedürfnisse  und  der  Therapie  gegenüber  zurücktreten  zu  lassen. 
Jedenfalls  ist  mit  Interesse  dem  Erscheinen  der  weiteren  Lieferungen 
entgegen  zu  sehen. 

* 

Zufällige  Zurücklassung  eines  sub  operatione  benützten 
Fremdkörpers  in  der  Bauchhöhle.  Casuistik  von  108 
Fällen.  Gerichtlich-medicinisches  Gutachten. 

Von  Dr.  Franz  Neugebauer  in  Warschau. 

Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  April  1900. 

Die  mit  bereits  sprichwörtlich  gewordener  Neugeb  auer- 
scher  Literaturkenntniss  verfasste,  äusserst  instructive  Zusammen¬ 
stellung  geschah  auf  Grund  eines  Processes,  in  dem  Neuge¬ 
bauer  als  Experte  fungirte.  Der  Sachverhalt  dieser  für  jeden 
operativ  Thätigen  sehr  interessanten  Verhandlung  ist  kurz  folgender: 
Prof.  Kosinski  entfernte  ein  Ovarialkystom  mit  Stieldrehung  per 
laparotomiam.  In  der  Reconvalescenz  trat  Fieber  und  Schmerz  auf, 
es  bildete  sich  ein  entzündliches  Infiltrat.  Zur  selben  Zeit  wurde 
im  Instrumenteninventar  das  Fehlen  von  zwei  Arterienklemmen 
constatirt.  Kosinski  machte  daher  sechs  Wochen  nach  der  ersten 
Operation  einen  Einschnitt  in  das  Infiltrat,  konnte  aber  weder  die 
Pincetten,  noch  Eiter  finden.  Die  Patientin  kam  dann  in  die  Be¬ 
handlung  anderer  Aerzte,  welchen  die  Angehörigen  die  ihnen  von 
Kosinski  mitgelheilte  Vermuthung,  es  seien  Instrumente  zurück¬ 
geblieben,  verschwiegen,  so  dass  sie  mit  »Stumpfexsudat«  behandelt 
und  auch  in  ein  Soolbad  geschickt  wurde.  Auf  der  Rückreise  von 
diesem,  als  Patientin  ein  Gepäcksstück  hob,  traten  plötzlich  die 
Zeichen  innerer  Blutung  auf,  auch  wurden  per  anum  mehrere 
Nachtgeschirre  voll  Blut  entleert.  Nach  überflüssiger  Verzögerung 
wurde  endlich  am  folgenden  Tage  der  Bauchschnitt  an  der  mori¬ 
bunden  Frau  ausgeführt;  während  desselben  trat  Exitus  letalis  ein. 
Man  fand  den  Douglas  von  entzündlichen  Schwarten  verdeckt 
und  die  zwei  Pincetlen  quer  oberhalb  des  Beckeneinganges,  die 
beiden  Kopfenden  staken  in  der  Arteria  iliaca  sinistra;  die  unteren 
Enden  der  Pincetten  hatten  das  Cöcum  perforirt,  so  dass  das  Blut 
aus  der  verletzten  Arterie  unter  Bildung  eines  Aneurysma  spurium 
traumaticum  in  den  Darm  gelangen  und  per  rectum  abfliessen 
konnte. 

Es  wurde  nun  gegen  Prof.  Kosinski  die  Anklage  wegen 
manifester  Unvorsichtigkeit  und  Fahrlässigkeit  erhoben;  die  beiden 
Söhne  der  Verstorbenen  verlangten  eine  Entschädigung  von 
40.000  Rubel.  Zur  Verhandlung,  die  vier  Tage  dauerte,  wurden 
sechs  Experten,  darunter  Neugebauer,  zugezogen;  ihre  Aussagen 
bewirkten  den  Freispruch  Kosin  ski's  und  die  Abweisung  der 
Ansprüche  von  Seiten  der  Söhne,  welche  übrigens  bereits  am 
ersten  Verhandlungstage  mit  denselben  bis  auf  0700  Rubel  herunler- 
gegangen  waren. 

Sehr  bemerkenswerth  erscheinen  die  weiteren  Ausführungen 
Neugebauers.  Solche  Fälle,  wie  der  soeben  geschilderte,  haben 
sich  vielfach  ereignet;  sie  werden  sich  wieder  ereignen  und  sind 
eben,  wie  Neugebauer  des  Näheren  erörtert,  als  Unglücksfalle 
zu  betrachten,  gegen  die  es  keinen  absoluten  Schutz  gibt,  ausser 
man  macht  eben  keine  Bauchschnitte.  In  letzterem  Falle  kommt 


Nr.  45 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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über  der  Arzt  vor  Gericht,  weil  er  dem  Kranken  nicht  die  Hilfe  zu 
Theil  werden  liess,  zu  deren  Leistung  er  als  geprüfter  Arzt  staatlich 
verpflichtet  ist!  Aus  dem  Dilemma  hilft  nur  der  Revers,  mittelst 
dessen  sich  die  Familie  des  zu  Operirenden  verpflichtet,  im  Falle 
unvorhergesehener  Complicationen  oder  eines  ungünstigen  Ausganges 
etc.  auf  jede  Recrimination  zu  verzichten,  ein  Revers,  der  in 
Amerika  sowie  hei  einem  bekannten  deutschen  Operateur  seit 
Langem  üblich  ist  und  den  auch  Neugebauer  in  seiner  Klinik 
eingeführt  hat. 

Die  Besprechung  der  juridischen  Qualification  führt  Neuge- 
bauer  weilers  zu  dem  Verlangen  nach  Rechtsschutz  für  den  Arzt, 
der  seine  Hilfe  leisten  muss,  ob  er  will  oder  nicht,  und  bringt  ihn 
zu  dem  Schlüsse,  dass  es  absolut  wünschenswerlh  sei,  die  Frage 
der  Haftpflicht  des  Arztes  einmal  eingehend  zu  discutiren  und  an 
zukömmlicher  Stelle  den  Antrag  zu  stellen,  die  betreffenden  Gesetzes¬ 
paragraphen  seien  einer  sachgemässen  Prüfung  zu  unterziehen. 

* 

Allgemeine  Therapie  der  Krankheiten  der  weiblichen 

Geschlechtsorgane. 

Von  Prof.  Dr.  E.  Fraenkel  in  Breslau. 

Wien,  Urban  &  Schwarzenberg  1 899. 

Die  allgemeine  Therapie  der  weiblichen  Geschlechts¬ 
organe  zu  erörtern,  war  die  Aufgabe,  die  dem  Autor  gestellt  wurde, 
und  er  unterzog  sich  derselben  unter  Heranziehung  seiner  ungemein 
reichen  persönlichen  Erfahrung,  die  es  ihm  gestattete,  das  Werk 
mit  einer  Fülle  von  interessanten  Belehrungen  auszustatten,  welche 
jedem  praktischen  Arzte  in  seiner  Thütigkeit  äusserst  werthvoll 
sein  müssen.  Dass  die  Antisepsis  und  Asepsis  eingehend  geschildert 
wird,  ist  selbstverständlich;  des  Autors  specielles  Verdienst  ist  es, 
dabei  auf  die  Bedürfnisse  des  praktischen  Arztes  und  auf  die  oft 
so  schwierigen  Verhältnisse,  unter  denen  dieser  arbeitet,  Rücksicht 
genommen  zu  haben. 

Das  Capitel  über  die  Hygiene  des  weiblichen  Geschlechtes 
ist,  obwohl  recht  knapp  gehalten,  sehr  lesenswerlh;  allerdings 
können  wir  in  einigen  Punkten  nicht  mit  dem  Autor  überein¬ 
stimmen.  So  verwirft  er  absolut  das  Corset,  während  wir  daran 
festhalten,  dass  gegen  den  Gebrauch  eines  nicht  fest  ge¬ 
schnürten  Mieders  nichts  einzuwenden  sei,  da  sehr  viele 
Frauen  der  Stütze,  die  das  Mieder  der  Brustdrüse  und  dem  Körper 
gewährt,  schlechterdings  nicht  entrathen  können  (Chrobak  und 
v.  Rosthorn);  die  Kleinwächte Eschen  Büstenhalter  werden 
diesem  Zwecke  nur  theil  weise  zu  entsprechen  im  Stande  sein.  Die 
übrigen  vom  Verfasser  gewünschten  Reformen  in  der  Frauenkleidung 
sind  wohlberechtigt,  und  ist  es  Sache  der  Hausärzte,  ihre  Ein¬ 
führung  zu  veranlassen.  Das  Radfahren  hält  Fraenkel  im  Grossen 
und  Ganzen  für  unschädlich,  wenn  es  rationell  betrieben  wird.  Der 
Absatz  über  das  Frauenstudium,  dem  Fraenkel  eine  bedeutende 
Rolle  bei  der  Entstehung  von  allgemeinen  und  localen  Leiden  zu¬ 
zuschreiben  geneigt  ist,  wäre  in  dieser  kurzen  Fassung  wohl  besser 
weggeblieben,  da  er  zu  Missverständnissen  Veranlassung  geben 
kann  und  sehr  bequeme  Angriffspunkte  bietet,  ohne  diese  grosse 
Frage  eingehender  zu  behandeln. 

Aus  den  nun  folgenden  speciellen  Capiteln  ist  hervorzuheben, 
dass  Fraenkel  das  Gurettement  nicht  mehr  ambulatorisch  macht, 
sondern  eine  etwa  fünftägige  Bettruhe  für  nöthig  hält.  Die  Elektri- 
cität  als  gynäkologisches  Heilmittel  ist  zwar  in  ihrer  Technik  und 
Indication  abgehandelt,  scheint  aber  vom  Verfasser  ebenso  wie  von 
den  meisten  anderen  Gynäkologen  nicht  mehr  angewendet  zu 
werden.  Dagegen  ist  er  ein  warmer  Anhänger  der  Pessartherapie, 
die  er  eingehend  schildert.  Den  Abschluss  bilden  Besprechungen 
der  gynäkologischen  Massage,  der  Balneo-  und  Hydrotherapie  sowie 
der  internen  Medication. 

* 

Leitfaden  für  die  Schwangerenuntersuchung. 

Von  Prof.  Dr.  E.  Winternitz  in  Tübingen. 

Leipzig  1900,  A.  G  e  o  r  g  i. 

Der  Leitfaden  von  Winternitz  präsentirt  sich  als 
ein  handliches  Büchlein,  das  mit  seinen  39  instructiven  Abbildungen 
im  Texte  dem  Studenten  ein  willkommenes  Hilfsmittel  zur  raschen 
Orjentirung  über  Alles,  was  bei  einer  Graviden  Gegenstand  der 


Untersuchung  sein  muss,  sowie  zur  Deutung  der  erhobenen  Befunde 
sein  wird.  Die  vier  farbigen  Tafeln  hätten  in  ihrer  recht  mangel- 
haften  Ausführung,  die  z.  B.  M  o  n  t  g  o  m  e  r  y’sche  Drüsen  fast  wie 
Papillome  erscheinen  lässt,  ganz  gut  fortbleiben  können,  ohne  dem 
Werkchen  zu  schaden. 

* 

Ueber  Cystoskopie  beim  Weibe. 

Von  Dr.  Krönig. 

Graefe’s  Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Frauenheilkunde  und  Geburtshilfe.  Bd.  III,  Heft  6. 

Im  Rahmen  eines  in  der  biologischen  Gesellschaft  zu 
Leipzig  gehaltenen  Vortrages  bespricht  K  r  ö  n  i  g  Instrumentariuhi 
und  Technik  der  Cystoskopie  beim  Weibe,  wobei  ef  seine  mit  der 
von  K  o  1  i  s  c  h  e  r  empfohlenen  wässerigen  Antipyrinlösung  zur 
Anästhesirung  der  Blasenschleimhaut  gemachten  guten  Erfahrungen 
besonders  hervorhebt.  Dann  folgt  eine  kurze  Beschreibung  der  Er¬ 
rungenschaften,  welche  die  Diagnostik  der  Erkrankungen  der  Blase 
und  der  Nachbarorgane,  vor  Allem  der  weiblichen  Geschlechts¬ 
organe,  durch  die  Cystoskopie  erworben  haben.  Schliesslich  schildert 
Krönig  die  Fortschritte,  welche  in  der  Therapie  der  Blasen-, 
respective  Nierenerkrankungen  durch  die  Cystoskopie  gemacht 
wurden.  Der  Vortrag  bietet  einen  knappen  aber  vollständigen  Ueber- 
blick  über  den  derzeitigen  Stand  der  Cystoskopie  beim  Weibe. 

* 

Ueber  Hyperemesis  gravidarum. 

Von  Dr.  M.  Graefe  in  Halle  a.  S. 

Graefe’s  Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Frauenheilkunde  und  Geburtshilfe.  Bd.  111,  Heft  7. 

An  Kaltenbach’s  Lehre  von  dem  so  häufigen,  wenn 
nicht  constanten  Zusammenhänge  von  Hyperemesis  gravidarum  mit 
Hysterie  anknüpfend,  entwickelt  Graefe  seine  Anschauung,  die 
darin  gipfelt,  dass  Nausea,  Emesis  und  Hyperemesis  gravidarum 
eben  nur  verschiedene  Grade  eines  und  desselben  Zustandes  sind. 
Die  Uebelkeit  und  das  Erbrechen  Schwangerer  sind  aber  seiner 
Ansicht  nach  auch  hysterische  Erscheinungen  und  dem  Einwande, 
dass,  wenn  dies  richtig  wäre,  ja  die  grosse  Mehrzahl  aller  Frauen 
hysterisch  sein  müssten,  begegnet  Graefe  mit  dem  Hinweise  auf 
eine  Aeusserung  von  Möbius:  »Die  Hysterie  ist  eben  nur  die 
krankhafte  Steigerung  einer  krankhaften  Anlage,  die  in  uns  Allen 
vorhanden  ist.  Flin  wenig  hysterisch  ist  sozusagen  ein  Jeder«.  Eine 
kleine  aber  gut  ausgewählte  Casuistik  ist  zur  Stütze  der  Auffassung 
Graefe’s  beigegeben.  Die  Therapie  ist  im  Wesentlichen  die  allge¬ 
mein  übliche,  aus  der  nur  hervorzuheben  wäre,  dass  Graefe  auf 
die  Isolirung  der  Kranken,  besonders  auf  das  Ausschliessen  des 
Ehemannes,  sowne  auf  die  Verabreichung  blos  flüssiger  Kost  grossen 
Werth  legt;  falls  sich  diese  Massnahmen  als  unzureichend  erweisen, 
ist  Anstaltsbehandlung  indicirt.  Bei  erheblicher  Inanition  empfiehlt 
es  sich,  mehrmals  täglich  rectale  Eingiessungen  von  300 — 500  g 
physiologischer  Kochsalzlösung  zu  machen.  (Referent  muss  dazu 
bemerken,  dass  es  doch  rationeller  erscheint,  an  Stelle  dieser  Ein- 
giessungen  Nährklysmen  zu  geben,  die  auch  von  recht  herab¬ 
gekommenen  Patientinnen  behalten  und  gut  vertragen  werden,  wobei 
man  noch  den  Vortheil  hat,  die  Magenernährung  für  einige  Tage 
ganz  sistiren  zu  können.) 

* 

Drei  Geburtsfälle  bei  Uterus  septus. 

Von  Dr.  Albert  Wagner. 

Zeitschrift  für  Gebuitshilfe  und  Gynäkologie.  Bd.  XL,  Heft  2. 

Wagner  beobachtete  in  der  königlichen  Landesheb¬ 
ammenschule  zu  Stuttgart  drei  Fälle  von  Geburt  bei  Uterus 
septus.  Es  handelte  sich  immer  um  die  von  Kussmaul  als 
Uterus  sub  septus  uni  for  is  benannte  Form;  das  Septum 
erstreckte  sich  vom  Fundus  bis  in  die  Gegend  des  inneren  Mutter¬ 
mundes  herab,  ausserdem  bestand  in  einem  Falle  noch  eine 
doppelte  Vagina,  während  in  den  beiden  anderen  Fällen  keine 
weitere ’[Missbildung  gefunden  werden  konnte.  In  allen  drei  Fällen 
stellten  sich  Störungen  erst  in  der  Nachgehurtsperiode  ein;  in  zwei 
Fällen  musste  die  Placenta  wegen  andauernder  Blutung  nach  mehr¬ 
fach  versuchtem  Crede  manuell  gelöst  werden,  während  im  dritten 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Falle  die  Expression  der  Placenta  (gleichfalls  wegen  Atonie)  gelang. 
Die  Placenta  inserirte  in  den  ersteren  Fällen  theilweise  auch  am 
Septum,  was  die  atonische  Blutung  und  verzögerte  Lösung  der 
Placenta  verständlich  erscheinen  lässt.  In  allen  drei  Fällen  hatte 
dio  Menstruation  vollständig  cessirt  und  wurde  in  der  nicht 
schwangeren  Gebärmutterhälfte  das  Vorhandensein  einer  Decidua 
constatirt.  Savor. 


Ueber  septische  Netzhautveränderungen. 

Von  G.  Isclireyt  ( Rig-;«). 

Sammlung;  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Augenheil¬ 
kunde. 

Ilerausgegeben  von  Trof.  V  o  s  s  i  u  s.  Bd.  III,  Heft  7. 

Halle  a.  S.  1900,  Marhold. 

Sowie  in  anderen  Organen  treten  auch  im  Auge  secundäre 
septicopyämische  Veränderungen  in  Form  einer  stürmisch-entzünd¬ 
lichen  Eiterung  oder  einer  nicht  eiterigen  Ernährungsstörung  auf. 
Letztere  Form  spielt  sich  fast  ausschliesslich  in  der  Netzhaut  ab 
und  bildet  den  gewöhnlich  als  »Retinitis  septica«  be- 
zeichneten  Symptomencomplex.  Eine  Schilderung  der  Retinitis 
septica  lässt  sich  noch  nicht  mit  der  gewünschten  Ausführlichkeit 
geben,  da  die  Zahl  der  nach  jeder  Seite  genügend  untersuchten 
Fälle  viel  zu  gering  ist.  Als  bacteriologische  Ursache  wurde  je 
einmal  Staphylococcus  pyogenes  aureus,  der  Fraenkel- 
W  e  i  c  h s e  lb  au  m’sche  Pneumococcus  ein  Streptobacillus  und  ein 
Streptococcus  gefunden.  Der  Ausgangspunkt  der  Infection  war  meist 
der  weibliche  Genitalapparat. 

Die  Symptome  sind  bei  normalem  äusserem  Befunde  an  den 
Augen:  Anämie  des  Fundus,  um  die  Papille  Netzhautblutungen 
von  variabler  Zahl,  Ausdehnung  und  Form,  meist  in  der  Nachbar¬ 
schaft  der  grösseren  Gefässe  und  anscheinend  vorwiegend  venösen 
Ursprunges.  Neben  diesen  fallen  am  meisten  unregelmässig  inner¬ 
halb  oder  am  Rande  der  Blutungen  oder  meist  unabhängig  von 
diesen  localisirte  einzelne  weisse  Flecken  auf,  die  sich  jedoch  nie 
in  der  Umgebung  der  Macula  zu  einer  Sternfigur  anordnen. 

Diese  weissen,  sogenannten  Rot  h’schen  Flecken  sind  seltener 
als  die  Blutungen. 

Ueber  die  Functionsstörungen  bei  genesenen  Fällen  ist  nichts 
bekannt,  meist  gestaltet  die  Apathie  der  Kranken  keine  genauere 
Bestimmung. 

Wie  viel  Zeit  zwischen  Beginn  der  septischen  Allgemein¬ 
erkrankung  und  dem  Eintritte  der  Netzhautblutungen  verstrichen 
ist,  lässt  sich  meist  nicht  sagen. 

Der  Verlauf  ist  ein  sehr  constanter,  an  Stelle  der  rück¬ 
gebildeten  Ilämorrhagien  treten  frische  auf,  die  baldigst  ihre  grösste 
Ausdehnung  erreichen  und  dann  nicht  mehr  wachsen.  Der  Ausgang 
des  Leidens  hängt  mit  dem  des  Allgemeinleidens  zusammen.  Tritt 
Genesung  ein,  so  werden  bleibende  functioneile  Störungen  vom 
Sitze,  der  Dauer  und  Ausdehnung  der  Blutungen  abhängen.  Da 
das  septische  Nelzhautleiden  nur  ein  einzelnes  Symptom  der  all¬ 
gemeinen  Septicopyämie  ist,  beruht  sein  diagnostischer  Werth  nur 
im  Zusammentreffen  mit  anderen  Symptomen. 

Bezüglich  der  Differentialdiagnose  zwischen  Septicopyämie 
und  Miliartuberculose  sprechen  die  Retinalblutungen  mehr  für  die 
Pyämie,  Papillitis  mehr  für  Miliartuberculose  und  Meningitis;  bei 
der  l  nlerscheidung  zwischen  Septicopyämie  und  Typhus  sprechen 
die  Netzhautveränderungen  für  erstere.  Eine  prognostische  Bedeutung 
hisst  sich  bisher  nicht  behaupten.  Die  nach  den  neuesten  Methoden 
angestellten  Färbungen  auf  Bacterien  in  den  Gefässen  und  deren 
Umgebung  hatten  mit  Ausnahme  eines  Falles  (Goh)  negatives 
Resultat,  die  umfangreichen  Blutungen  weisen  auf  eine  schwere 
Schädigung  der  Gefässe  hin,  die  auch  thatsächlich  mikroskopisch 
zu  constatiren  waren.  Die  weissen  Flecken  sind  der  ophthalmo¬ 
skopische  Ausdruck  herdweise  auflretender  varicöser  Auftreibungen 
an  den  Nervenfasern. 

Eine  Zusammenstellung  der  von  verschiedenen  Autoren  für 
die  septische  Retinitis  gegebenen  Erklärungsversuche  schliesst  die 
Arbeit. 

* 


Ueber  Trachom. 

Mit  besonderer  Berücksichtigung  seines  Vor¬ 
kommens  in  K  r  a  i  n. 

Von  Dr.  Emil  Bock,  Primarius  der  Abttieilung  für  Augenkrauke  im 

Landesspitale  zu  Laibach. 

Mit  einer  Kartenskizze. 

Wien  1900,  Jos.  S  a  f  ä  f. 

Bock  ist  in  der  Lage,  ein  annähernd  genaues  Bild  der 
Trachomverhältnisse  in  Krain  zu  geben,  weil  er  seit  zwölf  Jahren 
fast  alle  Augenkranken  des  Landes  zu  sehen  bekommt,  die  Beob¬ 
achtungen  daher  einheitliche  sind  und  mit  vieljähriger  Kenntniss 
des  Landes  durchgeführt  wurden.  Bei  der  Abfassung  der  vorliegenden 
Studie  leitete  ihn  der  Wunsch,  seinen  Bericht  jenen  wenigen  an- 
zuschliessen,  welche  in  grösserem  Umfange  die  Verhältnisse  anderer 
Länder  schildern,  ferner  seine  Erfahrungen  über  die  Schicksale 
jener  Fälle,  welche  ärztlich  nie  behandelt  wurden  und  zeigen,  dass 
das  Trachom  häufiger  als  man  bisher  anzunehmen  geneigt  war, 
ohne  Behandlung  zum  Stillstand  kommt,  endlich  seine  Erfahrungen 
bei  gehäuftem  Auftreten  von  Trachom  in  für  sich  abgeschlossenen 
Gebieten. 

Bezüglich  des  Wesens  des  Trachoms  und  Follicularkarlarrhes 
steht  Bock  auf  streng  dualistischem  Standpunkte.  An  die  Spitze 
der  therapeutisch  in  Betracht  kommenden  Agentien  setzt  Bock 
die  2 — B°/0ige  Höllensteinlösung  und  den  Cup  rums  ti  ft. 
Sublimat  bewährte  sich  nur  als  Abreibung,  wo  aus  meist  un¬ 
auffindbaren  Gründen  weder  Höllenstein  noch  Blaustein  vertragen 
wurden,  dann  bei  alten  Narben  der  Bindehaut  auch  als  Sublimat¬ 
vaselin. 

Protargol  (2%)  wurde  mit  gutem  Erfolg  bei  schon  der 
Heilung  entgegengehenden  Fällen  als  Bestreichung  der  Bindehaut  und 
als  Tropfwasser  benützt.  Die  Ausschneidung  der  Ueber- 
gangsfalte  ist  nur  indicirt  bei  Formen  mit  vereinzelten  Körnern 
und  bei  so  reichlicher  Wucherung  des  Gewebes,  dass  die 
medicamentöse  Behandlung  gar  nicht  oder  in  kaum  absehbarer 
Zeit  zum  Ziele  führt.  Die  Zerstörung  der  Körner  mit 
dem  Glühdraht  zieht  Bock  ihrer  Ausquetschung  vor.  Aus 
den  allgemeinen  Bemerkungen  über  Krain  sei  hervorgehoben,  dass 
Bedingungen  und  Art  des  Lebens  für  die  Bevölkerung  (28.000  Deutsche, 
466.000  Slovenen)  ziemlich  gleich  vertheilt  und  auch  das  Trachom 
in  deutschen  und  slovenischen  Gegenden  gleich  häufig  ist.  Es 
kommt  in  ganz  Krain  vor,  in  zahlreichen  Ortschaften  vereinzelt, 
in  einigen  Gemeinden  endemisch,  die  wenigsten  Fälle  sind  im 
nordwestlichen  Theile.  Die  Ursache  ist  nicht  die  Bodenbeschaffenheit, 
sondern  liegt  in  den  Verkehrsverhältnissen.  Besonders  zu  bemerken 
sind  einige  Gemeinden  mit  reichlichem  endemischem  Trachom, 
Laserbach,  Oblak,  Schwarzenberg,  wo  das  Trachom  nicht  nur  an 
Zahl,  sondern  auch  an  Verderblichkeit  der  Form  zunimmt,  während 
die  über  das  Land  zerstreuten  vereinzelten  Fälle  selten  bösartig 
verlaufen.  Ein  Ueberwiegen  des  weiblichen  Geschlechtes  kann  fest¬ 
gestellt  werden.  Auffallend  sind  in  den  letzten  zwei  Jahren  häufigere 
Erkrankungen  bei  Kindern  unter  zehn  Jahren,  meist  mit  Erkrankung 
der  Hornhaut.  Die  Assentlisten  Krains  weisen  auffallend  wenige 
Trachomfälle  vor.  Die  Quellen  des  Trachoms  sind  ausser  den  im 
Lande  befindlichen  Fällen  die  Nachbarschaft  des  an  Trachom 
reichen  Südsteiermark  und  Croatien,  dann  das  Küstenland.  Manches 
schwere  Trachom  wurde  von  zurückkehrenden  Auswanderern  aus 
Amerika  eingeschleppt. 

Verfasser  bespricht  dann  die  von  der  Regierung  zur  Heilung 
der  bereits  Erkrankten  und  zur  Verhütung  der  Weiterverbreitung 
des  Trachoms  nothwendigen  Vorkehrungen  und  macht  dies¬ 
bezügliche  detaillirte  Vorschläge,  welche  hier  wiederzugeben  zu 
weit  führen  würde. 

* 

Die  Heilbarkeit  der  Kurzsichtigkeit  und  ihre  Be¬ 
handlung. 

Von  Dr.  Eugen  Jonas. 

L  i  e  g  n  it  z  1900,  C.  Seiffarth. 

Während  bisher  bei  der  Behandlung  der  Kurzsichtigkeit 
die  Aerzte  nur  insoferne  die  Nase  berücksichtigten,  dass  sie  die¬ 
selbe  als  Stützpunkt  für  Augengläser  benützten  oder  vor  einer 
Linsendiscission  sich  über  das  Vorhandensein  einer  Thränensack- 
blenorrhoe  orientirten,  heilt  Jonas  die  Kurzsichtigkeit  vom  Nasen- 


Nr.  45 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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innern  aus.  Er  heit  nämlich  »mit  Sicherheit«  feslgestellt,  dass  die 
meisten  Augenanomalien  ebenso  wie  die  des  Ohres,  dass  Myopie 
ebenso  wie  Schwerhörigkeit  gewöhnlich  abhängt  von  einem  chro¬ 
nischen  und  ererbten  anomalen  Zustande  des  Naseninnern.  »Be¬ 
züglich  des  Weges,  auf  welchem  ein  nasaler  Process  auf  das  Auge 
wirken  kann,  hält  Jonas  auch  bei  der  nasogenen  Myopie  die 
Betheiligung  des  Sympathikus  und  den  Weg  durch  das  Ganglion 
ciliare  für  das  Wahrscheinlichste,  in  einzelnen  Fällen  die  Annahme 
einer  durch  die  veränderte  Athmung  erzeugten  abnormen  Vagus¬ 
wirkung  auf  den  Sympathicus  für  naheliegend«.  (!)  Da  Jonas 
bei  keinem  einzigen  Myopen  eine  normale  mittlere  Muschel  ange¬ 
troffen  hat,  so  glaubt  er,  annehmen  zu  dürfen,  dass  von  dort  aus 
die  Kurzsichtigkeit  reflectorisch  erzeugt  werde,  und  zwar  soll  der 
pathologische  Process  in  Schleimhautschwellungen  bestehen  und 
durch  ^Knickungen  der  Nasenscheidewand  begünstigt  werden. 
Andere  Veränderungen  können  gleichzeitig  andere  Reflexsymptome 
hervorrufen.  »Leidet  z.  B.  ein  Kurzsichtiger  an  Epilepsie,  was 
thatsächlich  häufig  der  Fall  ist  (?  ?)  oder  an  Migräne,  Neurasthenie, 
dann  können  wir  mit  fast  absoluter  Sicherheit  Vorhersagen,  dass 
beide  Krankheiten  von  der  Nase  ausgehen«.  Die  Disposition, 
welche  der  spätere  Myop  als  Erbtheil  mit  zur  Welt  bringt,  beruht 
sicher  am  häufigsten  in  einer  abnormen  Anlage  des  Naseninnern. 
Auch  die  Begleiterscheinungen  der  Myopie  sind  als  nasogene 
Reflexsymptome  mit  voller  Sicherheit  von  Jonas  beobachtet 
worden:  Das  Flimmern  der  Buchstaben,  die  Mouches  volantes,  die 
leichte  Ermüdung,  die  Augenschmerzen  der  Myopen  bilden  das 
dankbarste  Object  des  Nasenbehandlung  und  erfahren  schnellste 
Heilung.  »Es  gelang  auch  wiederholt  hei  der  Untersuchung  Kurz¬ 
sichtiger  vom  Muschelrand  aus  Lichterscheinungen,  Verdunkelung 
und  Veränderung  des  Gesichtsfeldes,  vom  Muschelinnern  aus 
Flimmern  und  Mouches  volantes  hervorzurufen«  (!). 

Die  therapeutischen  Eingriffe  sollen  möglichst  früh  begonnen 
werden  »wenn  die  nasogene  Stauungshyperämie  im  Auge  gröbere 
Structurveränderungen  noch  nicht  hervorgerufen  hat«,  sie  sollen 
möglichst  schonend  und  vorsichtig  vorgenommen  werden,  erfordern 
daher  eine  lange  Behandlungsdauer.  Daneben  sind  aber  auch  noch 
allgemeine  Massregeln  zu  berücksichtigen,  »denn  Alles,  was  durch 
die  fortschreitende  Cultur,  durch  das  moderne  Leben,  die  socialen 
Verhältnisse  zur  Verschlechterung  der  Luft  beigetragen,  hat  rdcht 
nur  die  Augenleiden  und  vor  Allem  die  Myopie  vermehrt,  sondern 
in  erster  Linie  zur  Verbreitung  und  Verschlimmerung  der  Nasen¬ 
leiden  beigetragen«.  Aus  den  grösstentheils  wörtlich  angeführten 
Gitaten  ward  der  Leser  entnehmen,  dass  bei  dieser  operativen  Be¬ 
handlung  der  Kurzsichtigkeit  vom  Naseninnern  aus  jedenfalls  das 
Zustandekommen  von  Gaskörpervorfall,  Netzhautabhebung  oder 
Hypermetropie  mit  Sicherheit  ausgeschlossen  ist,  dass  sie  aber 
doch  kaum  die  operative  Heilung  der  Myopie  durch  Entfernung 
der  Linse  verdrängen  wird. 

* 

Der  Pemphigus  und  die  essentielle  Schrumpfung  der 

Bindehaut  des  Auges. 

Eine  klinisch  - kritische  Studie. 

Yon  Dr.  E.  Franke. 

Wiesbaden  1900,  J.  F.  Berg  m  a  n  n. 

Verfasser  will  eine  möglichst  vollständige  Zusammen¬ 
stellung  des  gesammten  Materiales  bringen,  um  dasselbe  nach  der 
klinischen  und  anatomischen  Seite  hin  verwerthen  zu  können. 
Nach  einer  geschichtlichen  Uebersicht  über  die  Kennlniss  des 
Bindehautpemphigus  bringt  Franke  fünf  neue  Fälle  eigener  Beob¬ 
achtung  und  wendet  sich  dann  der  auszugsweisen  Wiedergabe  der 
vorher  bekannt  gewordenen  102  Fälle  zu,  deren  Symptomatologie, 
Verlauf  und  Ausgänge  zusammenfassend  besprochen  werden.  Bei 
der  Behandlung  der  pathologischen  Anatomie  und  Bacteriologie 
werden  auch  des  Verfassers  eigene  histologische  und  bacteriologi- 
sche  Untersuchungsresultate  mitgetheilt:  Die  abgetragenen  Decken 
der  Blasen  wurden  gebildet  von  einer  äusserst  zarten,  aus  wenigen, 
meist  nur  zwei  bis  drei  Lagen  Zellen  bestehenden  Schichte,  so  dass 
sie  offenbar  nicht  von  allen  Zellen  des  Epithellagers  gebildet  sein 
konnten;  in  den  Zellen  der  äussersten  Lage  befanden  sieb  bisweilen 
Xerosebacillen  ähnliche  Stäbchen;  weder  in  noch  an  den  Zellen, 
welche  dem  Blaseninneren  zugekehrt  waren,  war  je  etwas  von 


Mikroorganismen  aufzuweisen,  die  Zellen  waren  grosse  polygonale 
Platlenzellen,  die  der  Blase  zugewendete  Schichte  zeigte  deutlich 
leichte  schleimige  Umwandlung.  Die  bei  operativer  Bildung  eines 
Bindehautsackes  und  Abtragung  des  Flügelfelles  gewonnenen  Stücke 
bestanden  aus  einem  zarten  fibrillären,  nicht  sehr  kernreichen 
Bindegewebe  und  massiger  Epithelschichte  mit  zum  Theile  ver¬ 
hornten  Zellen,  ohne  Befund  irgend  welcher  Mikroorganismen. 
Culturen  mit  vom  Boden  frisch  eröffneter  Blasen  abgeschabten 
Partikelchen  gingen  nicht  auf.  Blutserumculturen  von  den  ge¬ 
legentlich  auftretenden  croupösen  Belägen  ergaben  Rcinculturen  der 
Pseudodiphtheriebacillen  des  Auges.  Bezüglich  der  Stellung  der 
Krankheit  zum  Hautpemphigus  meint  Franke,  dass  es  sich  bei 
der  gewöhnlich  als  Pemphigus  der  Bindehaut  bezeichneten  Krank¬ 
heit  wahrscheinlich  in  allen  Fällen,  jedenfalls  in  der  weit  über¬ 
wiegenden  Mehrzahl,  um  ein  eigenes  Krankheitsbild  handelt,  welches 
mit  der  als  Pemphigus  bezeichneten  Hautaffection  nichts  gemein 
hat.  Am  besten  sei  es,  den  Namen  Pemphigus  ganz  fallen  zu 
lassen  und  der  Krankheit  einen  der  klinischen  Beobachtung  ent¬ 
nommenen  Namen  zu  geben.  Bisher  bezeichnet  jedenfalls  der  von 
Alfred  Graefe  vorgeschlagene  Name  der  e  s  s  e  n  t  i  e  1  len 
Bindehautschrumpfung  die  Krankheit  am  besten,  noch 
richtiger  würde  man  sic  einfach  Bindehautschrumpf  ung 
mit  Blasenbildung  nennen  können.  Besprechung  von  Dia¬ 
gnose,  Prognose  und  Therapie,  endlich  eine  tabellarische  Uebersicht 
schliessen  die  Arbeit. 

* 

Die  Begutachtung  der  Erwerbsfähigkeit  nach  Unfall¬ 
verletzungen  des  Sehorganes. 

Von  Dr.  E.  Ammann. 

Miinche  n  1900,  J.  F.  Leb  m  a  n  n. 

Bei  dei  Abgabe  von  ärztlichen  Gutachten  iiber  Unfall¬ 
verletzungen  des  Auges  wird  nach  des  Verfassers  Ansicht  in  der 
Regel  in  zweierlei  Hinsicht  gefehlt.  Die  einen  benützen  die  von 
einigen  Autoren  vorgeschlagenen,  zum  Theile  sehr  complicirten 
Rechnungssysteme,  die  übrigens  nicht  jeder  Kritik  Stand  halten  und 
'  vergessen  dabei,  dass  sich  mit  lebendigen  Erscheinungen  nicht  wie 
mit  todter  Materie  Mathematik  treiben  lässt.  Andere  wieder  ver¬ 
fallen  in  den  Fehler  bei  der  Abgabe  ärztlicher  Gutachten,  dass  sie 
statt  ein  auf  den  Einzelheiten  des  vorliegenden  Falles  begründetes 
Urtheil  abzugeben,  sich  nur  auf  das  Gutachten  und  die  Ab¬ 
schätzung  eines  ähnlichen  Unfalles  durch  irgend  eine  Behörde  be¬ 
rufen,  ohne  vielleicht  die  ärztliche  Begründung  dieses  Urtheiles 
und  deren  Richtigkeit  zu  kennen.  Der  Arzt  soll  aber  selbst  be- 
urtheilcn,  und  dies  womöglich  in  Kenntniss  der  Lebens-  und 
Arbeitsbedingungen  des  Patienten.  Ammann  bemühte  sich  daher 
zunächst,  eingehende  Nachforschungen  über  die  thatsüchlichen 
Erwerbsverhältnisse  anzustellen  und  erörtert  dann  auf  Grund  des 
so  gesammelten  Materiales  die  Gesichtspunkte,  welche  für  die 
Bemessung  der  Erwerbsfähigkeit  von  Augeninvaliden  massgebend 
sind.  Von  diesem  Standpunkte  aus  bespricht  Verlassen,  immer  mit 
Berücksichtigung  der  verschiedenen  Berufe,  zunächst  die  allgemeinen 
Beziehungen  der  Erwerbsfähigkeit  zu  den  Beschädigungen  des 
Sehorganes,  dann  die  speciellen  Beziehungen  der  Erwerbsfähigkeit 
zu  denselben,  wobei  er  häufig  zu  Resultaten  kommt,  die  von 
denen  anderer  Autoren  bedeutend  differiren.  Anregende  Barslellungs- 
weise  und  zahlreiche  Beispiele  aus  der  Unfallspraxis  machen  die 
Beschäftigung  mit  dem  an  sich  etwas  trockenen  Thema  interessant. 

R.  H  i  t  s  c  h  m  a  n  n. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

451.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Messina.)  Berei¬ 
tung  der  antipestösen  Lymphe  aus  dem  peri¬ 
tonealen  Exsudat  der  in  f  i  ci  r  t  e  n  T  h  ie  r  e.  \  on  Professor 
T  erni  und  Dr.  B  a  n  d  i.  Die  Herstellung  dieses  Pestserums  geschieht 
aus  dem  Exsudate,  welches  nach  einer  Peritonitis  entsteht,  die 
durch  inti aperitoneale  Injection  virulenter  Pestculturen  bei  Meei- 
schweinchen  und  Kaninchen  hervorgerufen  worden  ist.  Dasselbe 
soll  gegenüber  dem  Haft  k  in  sehen  Serum  \orlheile  besitzen.  Die 
i/10  cm3  betragende  Impfdosis  verursacht  bei  emptänglichen  ilheioii 
weder  locale  noch  allgemeine  Störungen,  erzeugt  eine  schon  am 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


vierten  oder  fünften  Tage  erscheinende  und  etwa  zwei  Monate 
dauernde  Immunität.  Die  Impfdosis  für  den  erwachsenen  Menschen 
beträgt  circa  2  cm3:  das  Blutserum  zeigt  nach  acht  bis  zehn 
Stunden  schon  die  bacterienfeindlichen  Eigenschaften.  —  (Deutsche 
inedicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  29.)  Pi. 

* 

4;V2.  (Aus  dem  Laboratorium  der  psychiatrischen  Universitäts¬ 
klinik  zu  Jena  (Prof.  B  i  n  s  w  a  n  g  e  r).  E  x  p  e  r  i  mentell-ana- 
t  o  m  i  s  c  h  e  Studien  über  die  durch  den  Mangel 
optischer  Heize  veranlassten  Entwicklungs¬ 
hemmungen  im  Occipitallappen  des  Hundes  und 
der  Katze.  Von  Dr.  Hans  Berger,  Assistent  der  Klinik. 
Berger  hat  nach  Anlegung  eines  künstlichen  Ankyloblepharon  bei 
Hunden  und  Katzen  eine  deutliche,  makroskopisch  durch  mangel¬ 
hafte  Furchung  und  geringerer  Breite  der  Windungen,  mikroskopisch 
durch  dichtere  Anordnung  namentlich  der  kleinen  Pyramidenzellen 
und  dem  Verharren  bestimmter  Zellenlagen  auf  einen  jugendlicheren 
Entwicklungsstadium  erkennbare  Entwicklungshemmung  in  den  von 
Munk  als  Sehsphäre  erkannten  Gebieten  des  Grosshirnes  gefunden. 
Bei  so  operirten  Thieren  müssen  sich  ausser  den  Elementen,  in 
denen  die  der  optischen  Empfindung  parallel  gehenden  materiellen 
Processe  stattfinden,  auch  die  vorstehenden  Elemente,  ferner  die 
eine  Verknüpfung  mit  anderen  Sinnesflächen  vermittelnden,  endlich 
auch  motorische,  den  Augenbewegungen  dienende  Elemente  geringer 
entwickelt  zeigen,  da  eine  Anregung  zu  ihrer  Ausbildung  fehlte. 
Die  Untersuchungen  Berger’s  haben  in  Bezug  auf  die  Frage  der 
Function  der  einzelnen  Elemente  kein  positives  Resultat  ergeben, 
sie  stehen  jedoch  in  Einklang  mit  der  Lehre  von  der  Localisation 
der  Hirnrindenfunctionen  und  liessen  feststellen,  dass  zur  Ent¬ 
wicklung  der  Zellen  eines  Sinnescentrums  die  Einwirkung  eines 
entsprechenden  Sinnesreizes  nölhig  sei,  und  dass  sich  eine  Hirnrinde 
mit  dem  materiellen  Spüren  von  Empfindungen  ganz  wesentlich 
von  einer  solchen  ohne  dieselben  unterscheidet,  dass  also  die 
Reize  der  Aussenwelt  in  der  Hirnrinde,  dem  Organe  der  Psyche, 
dauernde  Veränderungen  zurücklassen.  - —  (Archiv  für  Psychiatrie 
und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  2).  S. 

* 

4  53.  Zur  Verhütung  der  Ansteckung  mit 
T  u  b  e  r  k  e  1  b  a  c  i  1 1  e.  n  in  Schulen,  auf  Strassen  und  in 
Eisenbahnwagen.  Von  Prof.  M  osier  (Greifswald).  Eine  Ur¬ 
sache  zahlreicher  Ansteckungen  bietet  das  Reisen  auf  Eisenbahnen. 
Vor  Allem  ist  die  Lungentuberculose  zu  erwähnen.  Von  heftigem 
Husten  mit  reichlichem  Auswurfe,  von  dem  jedes  Klümpchen 
Tausende  von  virulenten  Tuberkelbacillen  enthält,  werden  die  nach 
den  verschiedenen  Gurorten  Reisenden  gequält,  ohne  dass  sie  sich 
jedesmal  dabei  ein  Tuch  vor  den  Mund  halten.  Da  der  Wagen  auf 
diese  Weise  inficirt  wird,  muss  dessen  Inneres  so  eingerichtet  sein, 
dass  er  eine  tägliche  Reinigung  auf  nassem  Wege  erlaubt.  Die  Be¬ 
nützung  der  gewöhnlichen  Wagen  ist  nur  Gesunden  zu  gestatten; 
Kranke  erhalten  gegen  ärztlichen  Schein  das  Recht,  besondere 
Wagenabtheilungen  zu  benützen.  Besonders  ist  diese  Trennung  für 
die  Schlafwagen  geboten.  Welche  Art  von  Kranken  mit  Gesunden 
nicht  zusammen  befördert  werden  dürfen,  hängt  vom  ärztlichen  Er¬ 
messen  ab.  Der  behandelnde  Arzt  muss  vor  Beförderung  auf  der 
Eisenbahn  zu  Rathe  gezogen  werden,  den  Kranken  mit  einem 
Attest  versehen  das  in  Zukunft  dringlich  erforderlich  sein  wird, 
wenn  die  Beamten  angewiesen  werden,  ansteckende  Kranke  nur 
auf  ein  ärztliches  Zeugniss  hin  in  einer  besonderen  Abtheilung  zu 
befördern.  —  (Zeitschrift  für  Tuberculose  und  Heilstättenwesen. 
Bd.  I,  Heft  3.)  Pi. 

* 

4; )4.  Anwendung  des  Pikrinäthers  in  der  Chir¬ 
urgie  und  Dermatologie.  Von  Roger  D  u  p  o  u  y.  V er- 
fasser  berichtet  über  die  Anwendung  des  Pikrinäthers,  nämlich 
einer  gesättigten  Lösung  von  Pikrinsäure  in  Schwefeläther  (1  :  20). 
Der  Pikrinäther  wird  entweder  durch  einfaches  Aufstreichen  oder 
durch  Aufstreichen  und  Bedeckung  mit  Watleverband  angewendet. 
a)  Die  Einpinselungen  geschehen  mit  Hilfe  einer  Pincette  oder 
eines  Streifens  hydrophiler  Gaze,  welcher  um  ein  Holzstäbchen 
gewickelt  ist,  und  bilden  einen  Firniss,  der  die  Haut  von  der  um¬ 
gebenden  Luft  vollständig  abschliesst.  Der  Aether  verflüchtigt  sich 
rasch  und  die  Pikrinsäure  bildet  gleichsam  eine  neue  Oberhaut 
über  die  zerstörten  obersten  Hautschichten:  hiezu  genügt  eine  drei- 

•  O  o 


oder  viermalige  Anwendung.  Ausserdem  vertheilt  der  emporsickernde 
Schweiss  die  Pikrinsäure,  drängt  sie  in  das  Innere  der  Drüsen  und 
beschleunigt  hiedurch  die  Verhornung  einer  oberflächlichen  Wunde. 
b)  Wenn  man  über  die  Einpinselungen  einen  Watteverband  legt, 
so  muss  eine  ganz  geringe  Lage  hydrophiler  Gaze  zur  Erleichterung 
der  Verdunstung  angewendet  werden.  Darüber  sollen  die  Organtin- 
binden  leicht  gelegt  werden.  Der  im  Anfänge  feuchte  Verband 
wird  in  wenigen  Stunden  trocken,  deshalb  darf  auch  kein  Gummi- 
taffet  verwendet  werden.  Der  Pikrinäther  hat  vor  der  wässerigen 
Lösung  der  Pikrinsäure  den  Vorzug  grösserer  Reinlichkeit  der  Um¬ 
gebung  der  Wunden  und  kann  genau  der  erkrankten  Stelle  ange¬ 
passt  werden  (z.  B.  an  den  Augenlidern).  Die  wässerige  Lösung  ist 
hauptsächlich  bei  ausgedehnten  Brandwunden,  Wunden  nach  Blasen¬ 
pflastern,  grossen  Beingeschwüren  angezeigt,  weil  hier  die  Aufpin¬ 
selung  des  Aethers  schmerzhaft  ist.  Der  Pikrinäther  ist  1.  bei 
oberflächlichen  Wunden,  nach  vorheriger  gründlicher  Reinigung  der¬ 
selben,  2.  bei  oberflächlichen  Verbrennungen,  3.  bei  durch  Arznei¬ 
mittel  erzeugten  Erythemen,  4.  auf  Nähte  nach  chirurgischen  Ope¬ 
rationen,  5.  bei  den  nach  Operation  des  eingewachsenen  Nagels 
zurückbleibenden  Wunden,  endlich  6.  bei  verschiedenen  Hautkrank¬ 
heiten,  Ekzem,  Schuppenflechte  u.  s.  w.  anzuwenden.  Die  bei¬ 
gelegten  Krankengeschichten  berechtigen  nach  Verfasser  zu  folgenden 
Schlüssen:  a)  Der  saturirte  Pikrinäther  ist  ein  mächtiges,  rasch 
wirkendes  Verhornungsmittel;  b )  derselbe  ist  der  Typus  eines 
Trockenverbandes,  daher  Gummitaffet,  Salben  u.  s.  w.  zu  vermeiden 
sind;  c)  der  Pikrinäther  ist  schmerzstillend  und  vermindert  das 
Hautjucken;  d)  die  Anwendung  ist  im  Gegensätze  zur  wässerigen 
Lösung  auf  geringere  Entblössungen  der  Oberhaut  und  bei  nicht 
zu  grosser  Empfindlichkeit  der  Gewebe  gegen  den  Aether  begrenzt; 
e)  der  durch  die  Irritation  des  Aethers  erzeugte  Schmerz  ist  von 
kurzer  Dauer.  —  (Gazette  des  Höpitaux.  22.  September  1900, 

Nr.  108.)  Sp. 

* 

455.  (Aus  der  biologischen  Abtheilung  des  ärztlichen  Ver¬ 
eines  in  Hamburg.)  U  e  b  e  r  die  Anforderungen  bezüglich 
der  Milchabkochung.  Von  Dr.  Kister.  Eine  vollkommene 
Sterilisirung  der  Milch,  das  heisst  auch  die  Abtödlung  der  wider¬ 
standsfähigsten  Dauerformen  der  Mikroorganismen  lässt  sich  durch 
Anwendung  des  gespannten  Dampfes  erzielen.  Dadurch  wird  aber 
die  Milch  derartig  chemisch  und  physikalisch  verändert,  dass  sie 
für  Säuglinge  nicht  empfehlenswert!)  erscheint  (Barlow’sche 
Krankheit).  Man  muss  sich  also  damit  begnügen,  die  Milch  von  den 
häufigeren  Krankheitskeimen  zu  befreien,  was  durch  Erhitzen  auf 
100°,  beziehungsweise  durch  das  Pasteurisiren,  das  heisst  Erhitzen 
auf  65°  durch  25 — 30  Minuten  erreicht  wird.  Letzteres  ist  vortheil- 
hafter.  Pasteurisirte  Milch  ist  nämlich  in  Ansehen,  Geruch  und 
Geschmack  von  frischer  Milch  gar  nicht  zu  unterscheiden,  da  nur 
das  thierische  Aroma  (Kuhstallgeruch)  verloren  geht.  Die  Milch¬ 
bereitung  sollte  aber  eine  grössere  Anstalt  in  die  Hände  nehmen, 
da  das  Pasteurisiren  im  Hause  häufig  nicht  genau  durchgeführt 
werde.  Bezüglich  einer  aufgestellten  Behauptung,  dass  die 
Centralisation  der  Milehwirthschaft  Nachtheile  mit  sich  führe, 
verweist  Dr.  Dun  bar  auf  die  Kopenhagener  Verhältnisse.  Dort 
hat  die  Schaffung  der  Milchversorgungsanstalt  Pasteur  eine  ganz 
bedeutende  Zunahme  des  Milchconsums  zur  Folge  gehabt.  Der 
Consum  an  alkoholischen  Getränken  hat  abgenommen  und  auf  die 
Bevölkerung  kommen  pro  Kopf  täglich  3/4  l  Milch,  in  Hamburg 
nur  ’/ .  I.  Der  Preis  dieser  Milch  übersteigt  nicht  den  der  ge¬ 
wöhnlichen  Marktmilch.  Pi. 

* 

4  56.  lieber  einen  Fall  von  intramedullärem 
ascen  dire  n  dem  Sarkom,  sowie  drei  Fälle  von  Zer¬ 
störung  des  Halsmarkes.  Weitere  Beiträge  zur 
Lehre  vom  Verhalten  der  Sehnenreflexe  bei  hoher 
Querläsion  des  Rückenmarkes.  Von  Dr.  Nonne 
(Hamburg-Eppendorf).  Im  ersten  der  vier  mitgetheilten  Fälle  lag 
ein  vom  unteren  Dorsalmark  nach  aufwärts  durch  die  ganze  Höhe 
des  Rückenmarkes  sich  erstreckendes  Sarkom  vor,  welches  in  der 
Höhe  der  achten  Halswurzel  die  Rückemnarksubstanz  vollständig 
ersetzte.  In  diesem  Falle  waren  die  Patellarreflexe  anfänglich  bei 
völliger  motorischer  Paraplegie  in  normaler  Stärke  erhalten  gewesen. 
Später  waren  sie  rechts  schwach,  links  fehlend,  waren  wieder  auf¬ 
getreten,  abermals  erloschen,  hatten  sich  vorübergehend  nochmals 


Nr.  45 


WIENER  KLINISCHE'  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1047 


{gezeigt,  um  endlich  gänzlich  zu  erlöschen.  Im  zweiten  Falle 
handelte  es  sich  um  eine  acute  traumatische  Zerstörung  des 
Rückenmarksquerschnittes  in  der  Höhe  des  sechsten  Halswirbels. 
Die  Sehnen-  und  Hautreflexe  der  oberen  und  unteren  Extremitäten 
hatten  gänzlich  gefehlt.  Tm  dritten  und  vierten  Falle  lag  eine 
chronische  Compression  des  Rückenmarkes,  das  einemal  durch 
einen  tuberculösen  Process,  das  anderemal  durch  einen  malignen 
Tumor  vor.  Im  dritten  Falle  war  der  Rückenmarksquerschnitt  in 
der  Höhe  des  zehnten  Dorsalis  zum  grössten  Theile  in  Form  einer 
Querschnittserweichung  zerstört,  die  Patellarreflexe  hatten  gefehlt. 
Im  vierten  Falle,  in  welchem  es  nicht  zur  völligen  Aufhebung  der 
Leitung  im  oberen  Dorsalmark  gekommen  war,  war  der  Patellar- 
reflex  bis  zuletzt  schwach  erhalten  gewesen.  Das  Fehlen  der 
Sehnenreflexe  der  unteren  Extremitäten  bei  totaler  Leitungs¬ 
unterbrechung  oberhalb  des  lumbalen  Reflexbogens  ist  eine 
zweifellose  Thatsache,  zu  deren  Erklärung  verschiedene  Theorien 
aufgestellt  wurden,  welche  Nonne  recapitulirt.  Er  selbst  schliesst 
sich  jenen  Autoren  an,  welche  das  eben  angeführte  Phänomen  in 
einer  Lostrennung  des  Einflusses  der  höheren  (Gehirn-)  von  den 
unteren  (Rückenmark-)Centren  begründet  finden.  —  (Archiv  für 
Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  2.)  S. 

* 

457.  (Aus  der  Frauenklinik  des  Prof.  Zweifel  zu  Leipzig.) 
Vergleichende  Untersuchungen  über  den  Werth 
der  mechanischen  und  Alkoholdesinfection  der 
Hände  gegenüber  der  Desinfection  mit  Quecksilber¬ 
salzen,  speciell  dem  Quecksilberäthylendiamin. 
Von  Dr.  König  und  Dr.  Bl  um  b  erg.  Das  Ergebniss  der  Versuchs¬ 
resultate  führte  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  rein  mechanischen 
Desinfectionsmethoden  mit  Wasser,  Schmierseife  und  Bürste,  be¬ 
ziehungsweise  mit  S  c  h  1  e  i  ch’scher  Seife  allein  geben  einen  sehr- 
ungenügenden  Desinfectionserfolg.  2.  Die  von  Ahlfeld  empfohlene 
Heisswasser-Alkoholdesinfection,  das  heisst  Behandeln  der  Hände 
durch  fünf  Minuten  mit  Wasser  und  Seife,  dann  fünf  Minuten 
lang  mit  96%]gem  Alkohol  ist  ebenfalls  eine  Desinfectionsmethode, 
welche  bei  vorher  inficirten  Händen  einen  nicht  genügenden  Schulz 
gegen  die  Uebertragung  von  Bacterien  auf  Operationswunden  gibt. 
3.  Diesen  Desinfectionsverfahren  gegenüber  bedeutet  die  Combination 
der  mechanischen  Desinfection  der  Hände  mit  Wasser,  Schmierseife 
und  Bürste  und  nachher  mit  Quecksilbersalzlösungen  einen  wesent¬ 
lichen  Fortschritt.  4.  An  Stelle  der  zur  Zeit  am  meisten  ver¬ 
wendeten  1°/Mligen  wässerigen  Sublimatlösung  soll  eine  3%0ige 
wässerige  Quecksibercitratäthylendiaminlösung  zweckmässiger  sein, 
da  diese  für  die  Haut  nicht  reizend  ist,  bei  ihr  keine  Eiweiss-  und 
Blutfällung  eintritt  und  eine  grössere  Tiefenwirkung  nachgewiesen 
ist.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  29,  30.) 

Pi. 

* 

458.  (Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  des  Pro¬ 
fessors  Hitzig  in  Halle.)  Beitrag  zur  Kenntniss  der 
Syphilis  des  Centralnervensystems.  Von  Doctor 
H.  Haene  1,  früherem  Assistenten  der  Klinik.  In  dem  von  H  a  e  n  e  1 
mitgetheilten  Falle  begann  die  Erkrankung  unter  Symptomen 
rasch  zunehmenden  Hirndruckes  mit  wechselnden  Augenmuskel¬ 
lähmungen.  Im  langsamen  Fortschreiten  wurden  allmälig  fast 
sämmtliche  Hirnnerven  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Im  dritten  Jahre 
ergriff  die  ursprünglich  auf  cerebrale  Symplome  beschränkte 
Krankheit  das  Rückenmark  (»descendirender  Verlauf«).  Es  zeigte 
sich  das  Symptom  der  »oscillirenden  Patellarreflexe«,  indem  diese 
anfänglich  beiderseits  erloschen  waren,  erst  links,  hierauf  rechts 
sich  wieder  zeigten,  längere  Zeit  gesteigert  waren  und  wieder 
vorübergehend  schwächer  wurden.  Schliesslich  blieb  das  Krankheits¬ 
bild  constant:  Von  Seite  des  Gehirnes  Demenz  und  Lähmungen, 
von  Seite  des  Rückenmarkes  Parästhesien,  Hyperästhesien, 
Schmerzen,  Reflexsteigerungen.  Patient  starb  im  Status  epileplicus. 
Aus  dem  anatomischen  Befunde  verdient  besonders  hervorgehoben 
zu  werden  das  Auftreten  einfacher,  nicht  entzündlicher,  degenerative!- 
Vorgänge  in  den  Nervenfasern  des  gesammten  Centralnervensystems 
und  das  Vorhandensein  multipler  Gliome  in  der  Grosshirnrinde,  die 
per  continuitatem  auf  Dura  und  Schädelknochen  übergegriffen  haben. 
Die  reinen  Faserdegenerationen  im  gesammten  Centralnervensyslem 
ohne  irgendwelche  »specifische«  Veränderungen  der  Gefässe  oder 
des  interstitiellen  Bindegewebes  in  diesem  Falle  manifester  Syphilis 


des  Centralnervensystems  entkräften  die  Anschauung,  dass  die 
histologischen  Veränderungen  hei  Tabes  und  Paralyse  nicht  den¬ 
jenigen  entsprächen,  die  man  sonst  als  syphilitische  kennt.  — 
(Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXI II,  Heft  2.) 

S. 

* 

459.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  in  Berlin.) 
Einige  Beiträge  zur  Pathologie  der  Influenza.  Von 
Prof.  Wassermann.  Die  kleine  Influenzaepidemie  im  letzten 
Winter  hat  in  einem  grossen  Theile  der  Fälle  bacteriologisch  und 
klinisch  ein  abweichendes  Verhalten  gegenüber  den  typischen  In¬ 
fluenzabacillen  während  der  grossen  Pandemie  gezeigt.  Damals 
konnte  bei  den  Nachzüglern  derselben  1892  und  1893,  als 
Pfeiffer  den  Influenzabacillus  entdeckt  hatte,  derselbe  nicht  allein 
während  des  Fieberstadiums  der  Krankheit,  sondern  oft  noch 
wochenlang  nach  Ablauf  der  acuten  Erscheinungen  nachgewiesen 
werden.  Anders  aber  jetzt.  Es  zeigte  sich  nämlich,  dass  bei  den 
diesjährigen  acuten  Influenzafällen  genau  wie  früher  Influenza¬ 
bacillen  vorhanden  waren,  dass  aber  dieselben  bei  sehr  vielen 
Kranken  ungemein  rasch  verschwanden,  ja  oft  24  Stunden  nach 
der  ersten  Untersuchung  im  Sputum  nur  mehr  mit  Mühe  neben 
der  jetzt  sehr  starken  Mischinfection  nachgewiesen  werden  konnten. 
Es  ist  also  sehr  wohl  möglich,  dass  man  in  diesem  Jahre  erst  dazu 
kam,  das  Sputum  zu  untersuchen,  nachdem  die  Influenzabacillen 
bereits  wieder  verschwunden  waren  und  an  ihrer  Stelle  auf  der 
entzündeten  Schleimhaut  eine  secundäre  Infection  Platz  gegriffen 
hatte.  Dieses  rasche  Verschwinden  der  Influenzabacillen  war  in 
einer  Anzahl  von  Fällen  klinisch  durchaus  nicht  günstig,  indem 
sich  nun  ausgesprochene  Vergiftungserscheinungen,  wie  Störungen 
von  Seite  des  Herzens,  des  Bewegungsapparates  etc.  anschlossen. 
Dieses  schnelle  Verschwinden  der  Infection  und  dafür  Auftreten 
einer  Intoxication  hat  sich  bis  jetzt  auch  experimentell  bei  Cholera 
asiatica  erzeugen  lassen.  Die  in  den  Choleravibrionen  enthaltenen 
Giftstoffe  werden  bei  der  raschen  Auflösung  jener  frei  und  über¬ 
schwemmen  und  vergiften  den  Körper.  Die  Thatsache  des  raschen 
Verschwindens  einer  Infection  und  der  sich  daran  anschliessenden 
Intoxication  hängt  experimentell  immer  mit  Vorgängen  einer  bacte- 
riciden  Immunität  zusammen.  Analog  sind  wir  genöthigt  anzu¬ 
nehmen,  dass  auch  die  Influenza  eine  gewisse  Immunität  hinter¬ 
lässt,  die  freilich  nicht  so  lange  dauert,  als  jene  nach  dem  Ueber- 
stehen  eines  Typhus  oder  Scharlach.  Das  öftere  Befallenwerden 
einzelner  Individuen  seitens  einer  Infectionskrankheit  spricht  keines¬ 
wegs  dagegen,  dass  eine  Infection  eine  gewisse  Immunität  hinter¬ 
lasse.  Selbst  bei  der  Malaria,  die  eine  so  ausgesprochene  Neigung 
zu  Recidiven  hinterlässt,  haben  die  neuesten  Untersuchungen 
Koch’s  den  Eintritt  einer  gewissen  Immunität  erwiesen.  Dieser 
nach  Influenza  auftretende  gewisse  Grad  von  Immunität  spielt  auch 
epidemiologisch,  wie  schon  Leichtenstern  hervorgehoben,  eine 
grosse  Rolle.  Erst  wenn  die  Immunität  abgelaufen  ist,  kann  es  zu 
einem  neuen,  grösseren  Seuchenzuge  kommen.  Unter  diesem  Gesichts¬ 
punkte  bieten  die  vom  Verfasser  genauer  beobachteten  Influenza- 
kranken,  die  ausnahmslos  vor  zehn  Jahren  eine  Influenza  durch¬ 
gemacht  halten,  ein  besonderes  Interesse.  Wahrscheinlich  besassen 
diese  Patienten  gerade  noch  einen  Rest  von  Immunität,  der  zwar 
eine  Neuinfection  nicht  mehr  verhindern  konnte,  jedoch  hinreichte, 
um  die  Keime  sehr  rasch  zum  Auflösen  und  Verschwinden  zu 
bringen  und  damit  das  Auftreten  toxischer  Symptome  herbeizu¬ 
führen.  Es  erklärt  sich  also  das  abweichende  Verhalten  eines 
grossen  Theiles  der  diesjährigen  Influenzafälle  mit  dem  jetzt  er¬ 
folgenden  Abklingen  der  vor  zehn  Jahren  bei  der  grossen  Pandemie 
erworbenen  Immunität.  Weiterhin  sind  aber  diese  Fälle  ein  erstes 
Zeichen  dafür,  dass  wir  wieder,  so  weit  es  auf  die  Empfänglichkeit 
ankommt,  für  eine  neue  grössere  Influenzaepidemie  reif  zu  werden 
beginnen.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  28.) 

Pi. 

* 

460.  Untersuchungen  über  die  Störungen  der 
Sensibilität  bei  der  Tabes  dorsalis.  V  on  Dr.  Frenkel 
und  Dr.  Förster.  Frenkel  und  Förster  haben  in  49  Fällen 
von  Tabes  —  mit  einer  Ausnahme  handelt  es  sich  um  Tabiker 
aus  der  ataktischen  Periode  der  Krankheit  —  Untersuchungen  über 
die  Störungen  der  Sensibilität  angestellt.  In  keinem  Falle  fehlen 
Störungen  der  Gelenkssensibilität  (Gefühl  für  passive  Bewegungen) 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


an  den  unteren  Extremitäten.  Die  Schwere  der  Sensibililätsstörung 
entspricht  im  Grossen  und  Ganzen  der  Schwere  der  Ataxie.  Die 
Prüfung  der  Muskelsensibililät,  letztere  nur  in  fünf  Fällen  vorge¬ 
nommen,  ergab  die  Herabsetzung  der  Conlractionsempfindung  in  allen 
diesen  Fällen.  Ebenso  ergab  die  Prüfung  des  Ermüdungsgefühles  in 
neun  Fällen  die  Herabsetzung  desselben.  Die  Ilautsensibilität  war  in 
keinem  der  49  Fälle  normal.  Bezüglich  der  Frequenz,  Form  und 
Vertheilung  der  Sensibilitätsstörung,  ferner  ihrer  Qualität  muss  auf 
das  Original  verwiesen  werden,  ebenso  bezüglich  der  Beziehungen 
der  einzelnen  Territorien  zu  einander  und  über  die  Beziehungen 
der  Hautsensibilitätsstörungen  zu  anderen  Krankheitssymptomen. 
Die  Ilautsensibilitätsstörungen  folgen  bei  der  Tabes  dem  Wurzel¬ 
typus,  so  dass  sich  die  radiculäre  Natur  der  Krankheit  auch  in 
der  Form  der  Sensibilitätsstörungen  zu  erkennen  gibt.  Häufig  sind 
bei  der  Tabes  Störungen  des  stereognostischen  Sinnes  (der  Fähig¬ 
keit,  Gegenstände  durch  Abtasten  mit  den  Fingern  zu  erkennen); 
parallel  mit  ihnen  gehen  Alterationen  der  Gelenks-  und  Muskel¬ 
sensibilität,  und  zwar  sind  erslere  von  letzteren  abhängig.  — 
(Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXX1H, 

Heft  1  und  2.)  S. 

* 

401 .  Zur  Frühdiagnose  der  T  a  b  e  s.  Von  Prof.  Erb 
(Heidelberg).  In  der  Erkennung  der  Tabes  geschehen  heute  noch 
manche  Irrlhümer;  verwaschene  Formen  werden  nicht  erkannt, 
classische  Fälle  verkannt.  Namentlich  die  Erkennung  der  ersteren 
ist  der  frühzeitigen  Therapie  halber  von  grösster  Wichtigkeit.  Erb 
beschreibt  ausführlich  fünf  Fälle,  in  denen  nur  lancinirende 
Schmerzen  zum  Theile  verbunden  mit  Starre  einer  oder  beider 
Pupillen  bestanden  hatten,  während  in  einem  Falle  subjectiv  nur 
Blasen-  und  Geschlechtsschwäche,  etwas  Ermüdung  und  geringe 
Paräslhesien,  objectiv  gar  nichts  als  leichtes  Schwanken  bei  ge¬ 
schlossenen  Augen  gefunden  wurde.  Trotzdem  classificirt  Erb  alle 
Fälle  als  Tabes,  obvnohl  alle  weiteren  classischen  Symptome  der 
Tabes  fehlten  und  die  Sehnenreflexe  ungeachtet  vier-  bis  sieben¬ 
jährigen  Bestehens  der  Krankheit  allenthalben  normal,  selbst 
lebhaft  waren.  In  allen  Fällen  war  jedoch  zweifellos  secundäre 
Syphilis  vorausgegangen,  was  ein  Hauptgrund  war,  die  Wahr¬ 
scheinlichkeitsdiagnose  auf  Tabes  zu  stellen.  So  wie  in  diesen 
Fällen  fast  nur  subjective  und  nur  rudimentäre  objective  Symptome 
vorhanden  waren,  so  gibt  es  wieder  Fälle,  welche  das  ganz  ent¬ 
gegengesetzte  Verhalten  zeigen.  In  einem  derartigen  von  Erb 
beobachteten  Falle  war  subjectiv  nichts  als  hie  und  da  im  linken 
ölnarisgebiete  auflretender  Schmerz,  vorübergehende  Paräslhesien 
der  Finger,  leichte  Blasenträgheit  zu  finden  gewesen,  objectiv  jedoch 
Schwanken,  Fehlen  der  Sehnenreflexe,  Miosis,  Pupillenstarre. 
Trotzdem  war  der  Mann  frei  von  allen  ihm  lästigen  Beschwerden 
und  in  jeder  Beziehung  leistungsfähig  gewesen.  Auch  in  diesem 
Falle  hatte  vor  18  Jahren  eine  Syphilisinfection  stattgefunden. 
(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  29.)  Pi. 

* 

4  62.  Zur  Frage  von  den  anatomischen  Ver¬ 
änderungen  des  Gehirns  im  An  fangs  stadium  der 
progressiven  Paralyse.  Von  Dr.  A.  D.  Kozowsky, 
Director  der  Gouvernements-Irrenanstalt  in  Bessarabien  (Russland). 
Kozowsky  land  in  vier  Fällen  von  progressiver  Paralyse  mit 
mehrmonatlicher  Krankheitsdauer  in  der  Gehirnrinde  atrophisch- 
degenerative  Erscheinungen  der  Associationsfasern,  im  Grundgewebe 
Vermehrung  der  Kerne,  hauptsächlich  der  bei  Hämatoxylinfärbung 
hellblauen  oder  bei  G  a  u  1  e'scher  Färbung  himbeerrothen.  Daneben 
Verschluss  der  epicerebralen  Räume  in  Folge  Vermehrung  der 
Adventitiakerne,  hyaline  Entartung  der  Gefässe,  exsudative  Er¬ 
scheinungen  (Eiweissmassen,  kleinzellige  Infiltration)  und  Bildung 
zahlreicher  Spinnenzellen,  deren  Entstehung  er  darauf  zurückführt, 
dass  bei  Paralytikern  im  Nervensystem  bedeutende  Veränderungen 
der  Färbbarheit  vieler  Neurogliafasern  vor  sich  gehen,  daneben 
Vermehrung  der  Kerne  und  Quellung  derselben.  Er  erblickt  demnach 
in  den  Spinnenzellen  nicht  selbstständige  Gebilde.  Kozowsky 
sieht  die  atrophisch-degenerativen  Erscheinungen  nicht  als  cardinales 
anatomisches  Substrat  der  progressiven  Paralyse  an.  Er  hält  die 
Atrophie  und  die  consecutiven  Erscheinungen  für  Aeusserungen 
eines  und  desselben  Processes,  nämlich  des  entzündlichen.  —  (Archiv 
für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  2.)  S. 

* 


463.  Zur  Aetiologie  des  Carcinoms.  Der  Vor¬ 
tragende,  Dr.  Jürgens  (Berliner  medicinische  Gesellschaft. 
18.  Juli)  legt  den  von  verschiedenen  Autoren  gefundenen 
Blastomyceten  keine  Bedeutung  bei.  Er  vermeidet  alle  Färbungen, 
die  zu  Kunstproducten  Veranlassung  geben  könnten.  Bei  Unter¬ 
suchung  frischer  Präparate  fand  er  immer  zwischen  den  Herz- 
muskelfasern  den  jungen  Krebszellen  gleichende  Formelemente.  In 
diesen  fanden  sich  bräunlich  gefärbte  Körner,  wrelche  häufig  stark 
lichtbrechend  waren.  Dieselben  haben  nach  Jürgens  jedenfalls 
die  Bedeutung  einer  schweren  Erkrankung  des  Herzmuskels. 

* 

464.  (Aus  dem  deutschen  Krankenhause  in  Neapel.)  lieber 
Alkoholverbände.  Von  Dr.  Graeser.  Verfasser  ist  ein 
warmer  Lobredner  der  Alkoholverbände.  Durch  genügend  ausge¬ 
dehnte  Anwendung  konnte  er  mit  ihnen  noch  schwere  Fälle  von 
Phlegmonen,  eiterige  und  seröse,  oberflächliche  und  tiefe  Furunkel 
und  Carbunkel  zu  schnellem  Rückgang  bringen.  Alle  Processe 
blieben  circumscript,  keine  Drüse  vereiterte.  Die  Entwicklung  von 
Panaritien  konnte  sicher  gehemmt  werden,  wenn  sie  zeitig  genug 
in  Behandlung  kamen;  seit  Anwendung  der  Alkohol  verbände  unter¬ 
blieb  auch  die  Vereiterung  der  meist  sexual  inficirten  Leisten¬ 
drüsen;  auch  eine  Phlebitis  liess  sich  durch  sie  sehr  günstig  be¬ 
einflussen.  Die  Alkoholverbände  wurden  in  der  üblichen  Weise 
angelegt.  Eine  achtfache  Lage  von  Verbandgaze  wird  mit  90%igem 
Alkohol  getränkt,  darüber  kommt  Guttaperchapapier  und  das  Ganze 
wird  mit  einer  Binde  befestigt.  Der  Verband  muss  ausgiebig  gemacht 
werden  und  auch  die  nächsten  Drüsen  erreichen.  Wenn  keine 
offene  Wunde  den  Wechsel  des  Verbandes  nöthig  machte,  blieb 
dieser  liegen,  bis  der  Alkohol  —  etwa  nach  zwölf  Stunden  — 
verdunstet  war  und  wurde  erst  dann  wieder  neu  befeuchtet.  — 
(Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  29.) 

* 

465.  Im  Rostocker  Aerzteverein  referirte  am  12.  Mai 
Barfurth  über  die  Ursachen  des  Ueberschusses  an 
Knabengeburten.  Die  männlich  Geborenen  sichen  zu  den 
weiblich  Geborenen  im  Allgemeinen  in  einem  Verhältnisse  von 
106‘3  :  100;  durch  die  grössere  Knabensterblichkeit  ändert  sich 
dieses  Verhältniss  nach  dem  20.  Lebensjahre  zu  Gunsten  der 
Mädchen.  Als  Ursachen  für  den  Ueberschuss  an  Knaben  werden 
unter  Anderem  angegeben:  1.  Mangel  an  männlichen  Individuen 
(z.  B.  nach  einem  Kriege);  die  vorhandenen  werden  geschlechtlich 
stärker  in  Anspruch  genommen  und  liefern  dadurch  verhältniss- 
mässig  junge  Spermatazoen,  wodurch  eher  männliche  Individuen 
erzeugt  werden  sollen;  2.  verzögerte  Befruchtung;  ältere  Erst¬ 
gebärende  zeigen  einen  höheren  Knabenüberschuss;  3.  stärkere 
geschlechtliche  Beanspruchung  (Ursache  wie  bei  1);  4.  verzögerte 
Befruchtung  des  Eies  (früh,  das  heisst  bald  nach  der  Menstruation 
befruchtete  Eier  sollen  mehr  Neigung  haben  Weibchen  zu  liefern); 
5.  ungünstige  Ernährungsverhältnisse;  6.  höheres  Alter.  Weiters 
soll  noch  7.  der  Einfluss  der  Inzucht  in  Betracht  kommen.  In 
christlichen  Mischehen  werden  mehr  Mädchen  geboren  als  in  christ¬ 
lichen  Ehen,  was  eine  Folge  stärkerer  Kreuzung  bei  Mischehen  ist. 
Durch  stärkere  Kreuzung  erklärt  sich  der  kleinere  Knabenüberschuss 
in  den  Fabriksstädten,  während  der  grosse  Knabenüberschuss  der 
Bergleute  für  die  stärkere  Inzucht  spricht.  Eine  andere  Frage  ist 
die,  wann  und  wo  die  Bestimmung  des  Geschlechtes  erfolgt.  Bei 
niederen  Thieren  ist  das  Geschlecht  entweder  schon  im  Ovarium 
bestimmt,  oder  die  Bestimmung  erfolgt,  wie  bei  den  Bienen,  nach 
der  Befruchtung  des  Eies,  oder,  wie  bei  Hydra  grisea,  erst  am 
fertigen  Thiere.  Beim  Menschen  scheint  das  Geschlecht  schon  im 
Ovarium  bestimmt  zu  sein. 

* 

466.  Zur  Frage  von  dem  Zusammenhänge  der 
Migräne  mit  d  e  r  E  p  i  1  e  p  s  i  e.  Von  Prof.  Bernhardt  (Berlin). 
So  lange  der  25jährige  Patient  sich  zurückerinnern  kann,  hatte 
sich  ausserordentlich  häufig  bei  ihm  das  Flimmerskotom  eingestellt. 
Mit  zwei  Jahren  halte  er  an  »Zahnkrämpfen«,  3 */2  Jahre  später  an 
epileptischen  Krämpfen  gelitten,  die  hernach  zehn  Jahre  ausblieben, 
dann  zweijährlich  wieder  auftraten.  Dass  der  Patient  an  Epilepsie 
leidet,  ist  zweifellos;  die  Frage  ist  nur  die,  ob  das  so  häufig  auf¬ 
tretende  Flimmerskolom  eine  visuelle  Aura  der  Epilepsie  oder  ein 
unvollständiger  Migräneanfall  war.  Die  grosse  Zahl  der  Migräne¬ 
anfälle  ist  nach  Möbius  unvollständig  und  zweifellos  gibt  es 


V 


Nr.  45 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1049 


Migräneformen  ohne  Kopfschmerz  mit  dem  einzigen  Symptom  des 
Flimmerskotoms.  Sind  andererseits  Migränezustände  auch  mit  nur 
geringeren  Krampferscheinungen  verbunden,  so  ist  der  Gedanke  an 
eine  larvirte  Epilepsie  nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  —  (Deutsche 
Aerztezeitung.  1900,  Nr.  14.)  Pi- 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Kalomelpflaster  bei  Syphilis  der  Kinder.  Von 
G  i  1 1  e  t.  Diese  Behandlung  wurde  schon  1890  von  Quinquaud 
eingeführt.  Die  Wirkung  ist  nicht  local,  sondern  allgemein.  Schon  vor 
200  Jahren  hat  Martinus  Eolandus  ein  Emplastrum  mercuriale 
angewendet  —  Cingulum  Rolandi.  Auf  dem  gleichen  Principe  beruht 
der  Mercurialflanell  von  Mer  get  u.  s.  w.  Die  Absorption  findet  bei 
diesen  verschiedenen  Methoden  durch  Haut  und  Lungen  statt. 
Quinquaud  hat  auch  bei  Erwachsenen  das  Kalomelpflaster  mit 
Erfolg  angewendet.  Seine  Formel  ist:  Emplätre  diachylon  3000  parties, 
Calomel  ä  la  vapeur  1000  p.,  Huile  de  ricin  300  p.  S.  Auf  Leinwand¬ 
streifen  aufzustreichen.  Jeder  Quadratdecimeter  hat  beiläufig  1*2  <7 
Kalomel.  Bezüglich  der  Dosirung  empfiehlt  Quinquaud  Streifen 
von  12  cm  beim  Manne,  10  cm  bei  der  Frau,  endlich  10  :15,  15:20, 
20  :  30  cm  beim  Kinde,  dessen  Hautoberfläche  absolut  ausgedehnter  ist, 
wie  die  des  Erwachsenen.  Am  achten  Tage  wird  das  Pflaster  an  einer 
anderen  Körperstelle  aufgelegt.  —  (Journal  des  Praticiens.  Nr.  39. 
29.  September  1900.)  Sp. 


EINGESENDET. 

Die  in  der  Nr.  40  der  „Wiener  klinischen  Wochenschrift“  erschienene, 
„ZurBehandlungder  Lungentuberculose  mit  intravenösenlletolinjectionen“ 
betitelte  Publication  aus  der  Feder  des  Herrn  Primarius  Dr.  Kro- 
kiewicz  enthält  eine  Reflexion  auf  meine  Arbeit  „Die  Arsen-Zimmt- 
säuretherapie  der  Lungentuberculose“  .(Aerztlicher  Central- Anzeiger. 
1899,  Nr.  33),  in  welcher  dem  Zweifel  Ausdruck  verliehen  wird,  ob 
denn  die  von  mir  angegebene  Solution  auch  die  vorgeschriebene 
Arsenmenge  enthalte,  weil  ja  die  arsenige  Säure  erstens  schwer  löslich 
ist,  zweitens  beim  Erhitzen  sich  leicht  verflüchtigt. 

Diese  zwei  Eigenschaften  der  arsenigen  Säure  finden  wir  wohl 
in  jedem  Buche  der  Chemie  und  Pharmakologie  verzeichnet,  somit 
dürfte  es  für  den  ersten  Augenblick  den  Anschein  haben,  als  wäre  die 
ausgesprochene  Vermuthung  des  Herrn  Primarius  Krokiewicz 
tlratsächlich  begründet.  Allein  bei  praktischer  Belhätigung  mit  dieser 
Säure  sind  wir  mittelst  eines  kleinen  Umweges  in  den  Stand  versetzt, 
diese  ihre  hinderliche  Eigenthümliehkeit  zu  beseitigen  und  so  muss  die 
Auffassung  des  Herrn  Primarius  Krokiewicz,  allerdings  indirect, 
eine  Aenderung  erfahren.  Der  schweren  Löslichkeit  der  Säure  aus  dem 
Wege  zu  gehen  gelingt  dadurch,  dass  bei  Herstellung  ihrer  gebräuch¬ 
lichsten  Präparate  stets  das  Kal.  carbon,  hinzugefügt  wird  ;  das 
hierauf  sich  bildende  Kal.  arsenic,  gestaltet  sich  schon  in  Bezug  auf 
die  Frage  der  Löslichkeit  viel  günstiger.  Auf  diesem  Vorgänge  beruht 
die  Bereitungsweise  der  Sol.  Fowleri,  von  deren  Haltbarkeit  und 
Gleichmässigkeit  wohl  jeder  Arzt  überzeugt  ist.  Dasselbe  Princip  ist 
in  meiner  Präscription  eingehalten. 

Setzen  wir  die  arsenige  Säure  einer  höheren  Temperatur  aus, 
ein  Vorgang,  der  nur  auf  dem  Platinbleche  vorgenommen  werden 
kann,*  so  ist  es  möglich,  dass  die  ganze  Substanz  verfluchtet,  allein 
geschieht  dies  mit  einer  Lösung  derselben,  so  verdunstet  wohl  die 
Flüssigkeit  auch  bis  auf  den  letzten  Tropfen,  aber  die  Säure  bleibt 
und  bildet  als  Bodensatz  den  Rückstand.  Wird  in  diesem  Momente 
die  Wirkung  der  erhitzenden  Flamme  unterbrochen,  können  wir  bei 
genauem  Vorgehen  die  arsenige  Säure  in  ihrem  Originalgewichte  (in 
Substanz)  wieder  nachweisen,  ein  Experiment,  welches  ich  mit  meiner 
Lösung  im  Vereine  mit  dem  Leiter  unserer  Institutsapotheke,  Herrn 
Magister  Emil  Wey  rieh,  zu  wiederholtenmalen  anstellte. 

Diese  Eigenschaft  der  arsenigen  Säure  theilen  eine  Reihe  von 
Salzen  aus  dem  Gebiete  der  anorganischen  Chemie,  vermöge  deren  ein 
Moment  gegeben  ist,  welches  bei  Herstellung  ihrer  Lösungen  von 
nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung  betrachtet  werden  muss,  denn 
wie  dürfte  man  sich  ansonst  getrauen,  bei  der  Bereitung  derselben  die 
verdampfte  Flüssigkeitsmenge  (Wasser)  durch  einfaches  Hinzufügen 
bis  zur  gewünschten  Quantität  zu  ersetzen. 

Bei  etwas  näherem  Betrachten  der  Vorschrift  meines  Meüicameutes 
wird  uns,  wie  schon  angedeutet,  ins  Auge  fallen,  dass  dasselbe  aus 
der  F  o  w  1  e  r’schen  Tinctur  einerseits,  und  andererseits  aus  der 
Zimmtsäure  zusammengesetzt  ist.  Und  in  Wirklichkeit  sind  demselben 
auch  die  zwei  angeführten  hervorragenden  Eigenschaften  der  Lösung 
Fowler’s  eigen:  die  Haltbarkeit  und  Gleichmässigkeit  auch  nach 


langem  Stehen.  Die  im  Laboratorium  unserer  Apotheke  ausgeführten 
Versuche  können  wir  zur  Bestätigung  des  Gesagten  anführen. 

Ich  glaube  mit  dieser  Ausführung  dem  aufgestiegenen  Zweifel 
des  Herrn  Primarius  Krokiewicz  jede  Basis  entzogen  zu  haben 
und  meinte  dies  umso  eher  thun  zu_  müssen,  als  wir  auf  unserer  Ab¬ 
theilung  durch  die  grosse  Zahl  günstiger  Erfolge  von  der  heilbringenden 
Wirkung  des  Mittels  Alle  überzeugt  sind.  Nun  möchte  ich  mich  der 
Hoffnung  hingeben,  dass  Herr  Primarius  Krokiewicz  für  das 
kleine  Unrecht,  das  er  meiner  Arsen-Zimmtsäurecombination  zufügte, 
der  Bitte  willfährig  sein  wird,  sich  der  sicherlich  lohnenden  Mühe  zu 
unterziehen,  auch  mein  Mittel  an  seiner  Abtheilung  zum  Gegenstände 
eines  Versuches  zu  machen,  zumal  die  Verabreichung  desselben  mit 
gar  keinen  Umständen  verbunden  ist,  w*as  doch  von  intravenösen 
Injectionen  kaum  behauptet  werden  kann  5  hierin  liegt  ja  die  Ursache, 
warum  sich  diese  bei  der  Aerzteschaft  kaum  jemals  einer  allgemeinen 
Verbreitung  erfreuen  dürften. 

Dr.  Hoff, 

Assistent  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  Franz  Jaschi  zum  Oberbezirksarzte  im 
Küstenland.  —  Dr.  F.  Ilerbitz  zum  Professor  der  pathologischen 
Anatomie  in  Christiania. 

* 

Verliehen:  Dem  Primarärzte  des  städtischen  Frauenspitales 
in  Görz,  Dr.  Alois  Pontoni,  das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef- 
Ordens. 

* 

Dem  Marine-Oberstabsarzte  Dr.  Josef  Weil  wurde  der 
Ausdruck  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  bekanntgegeben. 

Habilitirt:  Dr.  B  i  k  e  1  e  s  für  Anatomie  des  Nervensystems 
in  Lemberg.  —  Der  Primararzt  der  Landes-Krankenanstalt  in  Brünn, 
Dr.  Theodor  S  p  i  e  t  s  c  h  k  a,  als  Privatdoccnt  für  „Erste  Hilfe  bei 
Unglücksfällen“  und  für  „Gewerbliche  Erkrankungen  und  deren 
Verhütung“  an  der  deutschen  technischen  Hochschule  in  Brünn.  — 
Thiemich  für  Kinderheilkunde  in  Breslau.  —  Dr.  Deetzen  für 
Physiologie  in  Kiel.  —  Dr.  Rota  für  gerichtliche  Medicin  in  Ge¬ 
nua.  —  Dr.  P  a  d  e  r  i  für  Pharmakologie  in  Pisa. 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrathes  am 
27.  October  d.  J.,  mit  welcher  die  elfte  Functionsperiode  des  Obersten 
Sanitätsrathes  begonnen  hat,  widmete  der  Vorsitzende,  Ilofrath  v.  V  ogl, 
dem  verstorbenen  ordentlichen  Mitgliede  des  Obersten  Sanitätrathes 
Prof.  Dr.  E.  Albert  einen  warmen  Nachruf,  und  gaben  die  an¬ 
wesenden  Mitglieder  des  Obersten  Sanitätsrathes  ihrer  Theilnahme 
durch  Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck.  Nach  Begrlissung  des  neu 
eingetretenen  ordentlichen  Mitgliedes  Prof.  Dr.  R.  v.  J  a  k  s  c  h  machte 
der  Vorsitzende  Mittheilung  über  die  im  Laufe  der  Ferien  an  den 
Obersten  Sanitätsrath  gelangten  Geschäftsstückt;  des  Ministeriums  des 
Innern  und  über  die  auf  Grund  der  abgegebenen  Gutachten  des 
Obersten  Sanitätsrathes  erfolgten  Erledigungen.  Sections-Chef  Doctor 
R.  v.  Kusy  referirte  auf  Grund  der  amtlichen  Nachrichten  über  den 
Stand  der  Pest  im  Auslande,  insbesondere  in  Glasgow,  sowie  über 
die  Cholera-Epidemie  in  Ostindien.  Hierauf  wurden  nachstehende 
Gegenstände  der  Tagesordnung  erledigt :  Gutächtliche  Aeusserung  über 
die  Qualification  der  Bewerber  um  die  erledigten  Stellen  eines 
Sanitäts-Referenten  bei  der  Statthalterei  in  Linz  und  je  eines  Ober¬ 
bezirksarztes  in  Niederösterreich  und  im  Küstenlande.  (Referent: 
Sections-Chef  Dr.  R.  v.  K  u  s  f.) 

* 

In  der  am  29.  October  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  nieder¬ 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  wurde  eine 
Aeusserung  über  den  Vertrieb  eines  künstlichen  Mineralwassers  ab¬ 
gegeben.  Ferner  wurde  ein  Gutachten  über  die  angesuchte  Erweiterung 
einer  Kaltwasser-Heilanstalt  in  einer  Gemeinde  Niederösterreichs 
erstattet.  Weiter  w’urde  das  Ansuchen  der  Leitung  eines  Wiener 
Ambulatoriums  um  Bewilligung  zur  Aufstellung  mehrerer  Nothbetten 
begutachtet.  Schliesslich  wurde  ein  Vorschlag,  betreffend  die  Besetzung 
einer  Primararztesstelle  an  einer  Wiener  k.  k.  Krankenanstalt 
erstattet. 

* 

M  i  1 1  h  e  i  1  u  n"g  des  Aerzteverbandes  in  Wien. 
1.  Warnung.  Die  Aerzte  Mistelbachs  warnen  die  Collegen  vor 
der  Annahme  der  ausgeschriebenen  Cassenarztesstelle  hei  der 
dortigen  Bezirkskrankencasse.  Es  liegen  Honorardifferenzen  vor, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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welchen  die  Casse  durch  diese  Ausschreibung  ausweichen  wollte. 
Mistelbach  ist  ein  Ort  mit  3500  Einwohnern  und  verfügt  bereits 
über  vier  Aerzte.  Competenzlustige  Bewerber  wollen  sich  vorher 
wenigstens  mit  der  niederösterreichischen  Kammer  ins  Einvernehmen 
setzen.  2.  Die  St  er  be  casse  der  Aerzte  Wiens  zählt  trotz 
ihres  erst  halbjährigen  Bestandes  schon  ein  Viertel  der  Wiener 
Aerzte  zu  ihren  Mitgliedern  und  hat  bereits  in  zwei  Todesfällen 
relativ  oeträchtliche  Summen  (je  circa  1000  K )  an  die  Hinter¬ 
bliebenen  der  verstorbenen  Collegen  ausbezahlt.  Es  werden  nämlich 
jedes  Mal,  wenn  ein  Mitglied  des  Vereines  stirbt,  an  seine  Hinter¬ 
bliebenen  (beziehungsweise  an  andere  von  dem  Verstorbenen  bestimmte 
Personen)  so  viele  Gulden  aus  der  Vereinscasse  ausbezahlt,  als  der 
Verein  gerade  Mitglieder  zählt.  Es  kann  sohin  jeder  Arzt  seine 
Hinterbliebenen  für  den  Fall  seines  Ablebens  gegen  eine  geringe 
jährliche  Steuer  (ungefähr  3 — 6  fl.)  auf  1000  und  mehr  Kronen 
versichern  ;  d.  h.  je  mehr  Mitglieder  dem  Vereine  angehören,  desto 
höher  ist  die  Todesfallsnmme.  Wir  machen  die  Collegen  aufmerksam, 
dass  dieselben  nur  mehr  in  diesem  Jahre  dem  Vereine  bei  jedem 
Alter  und  bei  jedem  Gesundheitszustände  beitreten  können,  während 
späterhin  mehr  weniger  grosse  Beschränkungen  in  Kraft  treten.  Der 
Verein,  welcher  früher  „Unterstützungsverein  der  Aerzte  Wiens“ 
hiess,  hat  zum  Zwecke  der  Vermeidung  von  Verwechslungen  seinen 
Namen  umgeändert  in  „Wohlfahrtsverein  für  die  Hinter¬ 
bliebenen  der  Aerzte  Wiens“.  Seine  Geschäftsstelle  befindet 
sich  in  Wien,  IE,  Praterstrasse  Nr.  10.  Der  Eintritt  in  dieses  eminent 
sociale  Institut  kann  allen  Wiener  Collegen  nur  wärmstens  ans  Herz 
gelegt  werden! 

* 

Vom  zweiten  Jahrgange  des  bei  Lamar  tin  in  Brüssel 
erschienenen  und  von  Dr.  Depage  herausgegebenen  „L’annoe 
chirurgicale“  liegen  jetzt  der  dritte  und  vierte  Baud  vor.  Die¬ 
selben  enthalten  die  Referate  über  die  1899  erschienenen  einschlägigen 
Publicationen  über  die  chirurgischen  Erkrankungen  der  Harnwege, 
der  männlichen  und  weiblichen  Genitalorgane,  des  Skeletes,  der 
Muskeln  und  Gelenke,  womit  auch  dieser  Jahrgang  zum  Abschlüsse 
gekommen  ist. 

* 

SanitätsverhältnissebeiderMannschaftdesk.u.k.IIceres 
im  Monat  August  1900.  Mit  Ende  Juli  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  1198,  in  Heilanstalten  6607  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  August  1900  13.171  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  42.  Im  Monat  August  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  7294  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopfstärke  23.  Im  Monat  August  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  14.260  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  12.930  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  907,  durch  Tod  59  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  4- 14,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0'19.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
558,  in  Heilanstalten  6158  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  42.  Jahreswoche  (vom  14.  October 
bis  20.  October  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  613,  unehelich  314,  zusammen 
927.  Todt  geboren:  ehelich  44,  unehelich  21,  zusammen  65.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  585  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
1 8‘  1  Todesfälle),  darunter  an  Tuherculose  99,  Blattern  0,  Masern  8, 
Scharlach  5,  Diphtherie  und  Croup  6,  Pertussis  4,  Typhus  abdominalis  1, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  1,  Cholera  0,  Puerperalfieber  5,  Neu¬ 
bildungen  o7.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (— ),  Varicellen 
41  (-j-  7),  Masern  244  (-)-  123),  Scharlach  60  (-}-  5),  Typhus  abdominalis 
30  (-[-  18),  Typhus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  29  (-j-  10),  Croup  und 
Diphtherie  56  (-f-  19),  Pertussis  26  (-)-  3),  Dysenterie  1  (-)-  1),  Cholera  0 
(=li  Puerper ilfiaher  2  (— \  Trachom  6  ( —  2\  Influenza  2  (-j-  2). 

Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Ehrmann,  Finger.  Löwenbach,  Matzenauer  und  Rille,  Beiträge  zur 
Dermatologie  und  Syphilis.  Festschrift  zum  25jährigen  Professoren- 
. Jubiläum  des  Hofrathes  Neumann.  Deuticke,  Wien.  1015  S. 
Moczutkowski,  Rückenmarksschwindsucht.  Coblentz,  Berlin.  96  S. 
Daxenberger,  Behandlung  der  scrophulösen  Augenerkrankungen.  Preuss 
&  Jünger,  Breslau.  31  S. 

Liebermeister,  Grundriss  der  inneren  Medicin.  Pietzcker,  Tübingen.  Preis 
M.  8.—. 

Mohr.  Compendium  der  Physiologie.  Hartung,  Leipzig  1901.  Preis 
M.  3. — . 

Klkan.  Hygiene  und  Diätetik  für  Lungenkranke.  Ibidem.  Preis  M.  1.60. 
Rauchet,  Chirurgie  des  voies  biliaires.  Bailiiere,  Paris.  Preis  Frcs.  1.50. 
Lieven,  Die  Syphilis  der  Mund-  und  Rachenhöhle.  Fischer,  Jena.  Preis 
M.  3.50. 

Aschoff  und  Gaylord.  Cnrsns  der  pathologischen  Histologie  mit  einem 
mikroskopischen  Atlas.  Bergmann,  Wiesbaden.  Preis  M.  18. — . 


Filizi.  Die  normalen  Schwankungen  der  Seelenthätigkeiten.  Ibidem. 

Bezold.  Das  Hörvermögen  der  Taubstummen.  Ibidem.  Preis  M.  3.60. 
Hasse,  Handatlas  der  Hirn-  und  Rückenmarksnerven.  2.  Auflage.  Ibidem. 
Preis  M.  12.60. 

Koch,  Abnorme  Charaktere.  Ibidem. 

Lehmann.  Die  Methoden  der  praktischen  Hygiene.  2.  Auflage.  Ibidem 
Preis  M.  18  60. 

Mühlmann.  Ueber  die  Ursache  des  Alters.  Ibidem.  Preis  M.  5. — . 

Pawlow,  Das  Experiment  als  zeifgemässe  und  einheitliche  Methode  medi- 
cinischer  Forschung.  Ibidem.  Preis  M.  1.30. 

Weygandt,  Die  Behandlung  idiotischer  und  imbeciller  Kinder.  Stüber, 
Würzburg.  Preis  M.  2.50. 

Ledermann,  Therapeutisches  Vademecum  der  Haut-  und  Geschlechts¬ 
krankheiten.  2.  Auflage.  Coblentz,  Berlin  1901.  Preis  M.  4.50. 
Zuckerkandl,  Atlas  und  Grundriss  der  chirurgischen  Operationslehre. 

2.  Auflage.  Lehmann,  München  1901.  Preis  M.  12. — . 

Cassirer,  Die  vasomotorisch-trophischen  Neurosen.  Karger,  Berlin  1901. 
609  S. 

Oppenheim,  Die  myasthenische  Paralyse.  Ibidem.  168  S. 

Greeff.  Anleitung  zur  mikroskopischen  Untersuchung  des  Auges.  2.  Auflage. 
Hirschwald,  Berlin  1901.  128  S. 

Wasiliew.  Die  Traumen  der  männlichen  Harnröhre.  Zweiter  Theil. 
Ibidem. 


Freie  Mellen. 

Gemeindearztesstelle  in  Kalsching,  politischer  Bezirk  Krumau, 
Böhmen.  Die  Gemeinde  Kalsching  zählt  mit  den  Ortschaften  Hödlwald  und 
Rothenhof  1417  Einwohner.  Fixe  Bezüge  800  K.  Führung  einer  Haus¬ 
apotheke  erforderlich.  Bewerber  römisch-katholischer  Religion  und  deutscher 
Nationalität  wollen  ihre  Gesuche  mit  dem  Nachweise  der  österreichischen 
Staatsbürgerschaft,  der  Berechtigung  zur  Ausübung  der  ärztlichen  Praxis  und 
dem  Zeugnisse  über  die  Unbescholtenheit  bis  17.  November  1900  an  die 
Gemeindevorstehung  in  Kalsching  richten. 

Hausarztesstelle  an  der  Landesirrenanstalt  in  Klagen furt, 
Kärnten.  Jahresgehalt  2000  Is,  Activitätszulage  400  K.  Ansprüche  auf 
Quinquennalzulagen  von  400  K,  .die  in  die  Pension  eingerechnet  werden, 
und  auf  eine  beheizte  und  beleuchtete  Dienstwohnung  oder  nach  Wahl  des 
Landesausschusses  die  hiefür  festgesetzte  Entschädigungssumme  von  800  K. 
Die  Besetzung  dieser  Dienstesstelle  erfolgt  zunächst  provisorisch  und  steht 
ihre  dauernde  Verleihung  dem  hohen  Landtage  zu.  Bewerber  um  die 
erwähnte  Dienstesstelle  haben  ihre  gestempelten  Gesuche,  die  mit  dem  Tauf¬ 
scheine,  Heimatscheine  und  Doctordiplome  zu  belegen  und  an  den  kärnt- 
nerischen  Landesausschuss  zu  richten  sind,  unter  Nachweis  ihrer  Studien, 
sowie  ihrer  bisherigen  irrenärztlichen  Verwendung  bis  längstens  1.  De¬ 
cember  1900  bei  der  Direction  der  kärntnerischen  Landes-Wohlthätigkeits- 
anstalten  in  Klagenfurt  unmittelbar  oder,  falls  sie  sich  in  einem  öffent¬ 
lichen  Dienste  befinden,  durch  ihre  Vorgesetzte  Dienstesbehörde  einzu- 
b  ringen. 

Oberbezirksarztesstelle  mit  den  systemmässigen  Bezügen  der 
VIII.  Rangsclasse  in  Mähren.  Bewerber  um  diese  Stelle  haben  ihre  vor- 
schriftsmässig  documentirten  Gesuche  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Behörde 
heim  k.  k.  mährischen  Statthalterei-Präsidium  in  Brünn  bis  20.  November  1900 
einzubringen. 

Sanitätsconcipistenstelle  mit  den  systemmässigen  Bezügen  der 
X.  Rangsclasse,  eventuell  Sanitäts-Assistentenstelle  mit  dem  Adjutum 
jährlicher  1000  K  für  Mähren.  Bewerber  um  diese  Dienstesstellen  haben 
ihre  diesfälligen  mit  den  Nachweisen  über  ihr  Alter,  ihre  durch  ein  amts¬ 
ärztliches  Zeugniss  nachzuweisende  physische  Eignung,  die  nach  dem 
Gesetze  vom  24.  November  1876,  R.  G.  Bl.  Nr.  37,  erforderliche  Befähigung, 
ihre  bisherige  Verwendung  und  die  Kenntniss  beider  Landessprachen  in 
Wort  und  Schrift  belegten  Gesuche  bis  20.  November  1900  im  Wege  ihrer 
zuständigen  politischen  Behörde  beim  k.  k.  mährischen  Statthalterei-Präsidium 
in  Brünn  einzubringen. 

Zwei  städtische  Arztesstellen  im  Status  des  Stadtphysi- 
cates  der  Stadt  Wien,  in  der  VII.  Rangsclasse  mit  dem  Jahresgehalte  von 
2000  K.,  dem  Quartiergelde  von  800  K  und  zwei  Triennien  von  je  200  Ä. 
Bewerber  um  diese  Stellen  haben  den  Nachweis  des  an  einer  inländischen 
Universität  erlangten  akademischen  Grades  eines  Doctors  der  gesammten 
Heilkunde,  ferner  einer  mindestens  zweijährigen  spitalsärztlichen  Dienst¬ 
leistung  nach  der  Promotion  und  einer  gründlichen,  in  allen  Zweigen  der 
medicinischen  Wissenschaften  erworbenen  Ausbildung,  eventuell  der  Ver¬ 
wendung  im  staatlichen  Sanitätsdienste  zu  liefern,  endlich  den  Heimat¬ 
schein  und  den  Taufschein  oder  ein  Geburtszeugniss  beizubringen.  Nicht 
in  Wien  wohnende  Bewerber  haben  ausserdem  ihrem  Gesuche  ein  amts¬ 
ärztliches  Zeugniss  über  die  physische  Eignung  zur  Verseilung  des  städtischen 
Dienstes,  sowie  ein  Leumundszeugniss  beizuschliessen.  Den  nicht  in  deutscher 
oder  lateinischer  Sprache  ahgefassten  vorbezeichneten  Belegen  ist  eine 
beglaubigte  deutsche  Uebersetzung  beizulegen,  widrigenfalls  das  Gesuch  als 
nicht  gehörig  belegt  betrachtet  werden  würde.  Auf  diese  Anstellung  finden 
weiters  die  §§  1  bis  3  der  Dienstpragmatik  für  die  Gemeindebeamten  An¬ 
wendung.  Bemerkt  wird,  dass  diese  Stellen  für  das  ganze  Gemeinde¬ 
gebiet  von  Wien  ausgeschrieben  sind,  daher  die  Competenz  unter  Ein¬ 
schränkung  auf  einen  bestimmten  Bezirk  oder  Bezirkstheil  unstatthaft  ist. 
Die  Ernennung  e  folgt  provisorisch  und  gegen  Widerruf  auf  ein  Jahr 
mit  dem  Beisatze,  dass  dieselbe  nach  zufriedenstellender  einjähriger  Ver¬ 
wendung  vom  Wiener  Stadtrathe  in  eine  definitive  umgewandelt  werden 
kann.  Die  Gesuche  um  diese  Stellen  sind  vorschriftsmässig  gestempelt 
bis  längstens  Samstag,  den  24.  November  1900  im  Einreichungs  Proto¬ 
kolle  des  Wiener  Magistrates  zu  überreichen.  Auf  später  einlangende  und 
ebenso  auf  nicht  gehörig  belegte  Gesuche  wird  keine  Rücksicht  gekommen. 


Nr.  4ft 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1051 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 

ZJSTJEEL^IL _,T: 

Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  13.  Internationaler  medicinisclier  Congress  zu  Paris  (2  —9  Auow 
Sitzung  vom  2.  November  1900.  1900.)  (Fortsetzung.)  '  "  '  ° 

Verein  der  Aerzte  in  Steiermark.  Monatsversammlnngen  am  26.  März, 

9.  und  30.  April  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  2.  November  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  Exner. 

Schriftführer  :  Dr.  Knauer. 


Der  Vorsitzende  theilt  mit,  dass  in  der  nächsten  Sitzung  Pro¬ 
fessor  Hering  seinen  Vortrag  halten  wird.  Es  wird  bei  den  Demon¬ 
strationen  in  dieser  Sitzung  darauf  Rücksicht  zu  nehmen  sein,  dass 
Prof.  H  e  r  i  n  g  jedenfalls  zum  Worte  kommen  muss. 

Hofrath  Neumann  demonstrirt  einen  Fall  von  L  e  p  r  a  m  a- 
c  u  1  o  s  a. 

Ch.  G.,  36  Jahre  alt,  verheiratet,  hat  drei  Kinder  im  Alter  von 
fünf,  zwei  Jahren  und  zwei  Monaten,  die  gesund  sind.  Seine 
krau  ist  2a  Jahre  alt,  leprafrei.  Er  ist  mit  ihr  zehn  Jahre  ver¬ 
heiratet.  Er  ist  in  S  c  o  1  i  e  v  o  bei  Tirnova  geboren,  war  bis  zum 
16.  Jahre  in  Scolievo,  dann  kam  er  ins  Gymnasium  zu  Gabrova, 
absolvirte  dort  als  öffentlicher  Schüler  mehrere  Gymnasialclassen  war, 
dann  ein  Jahr  im  bulgarischen  Kriege,  kam  später  nach  Marburg, 
wo  seihst  er  zwei  Jahre  Weinbau  studierte,  und  dann  nach  Kloster¬ 
neuburg  (1  ]/2  Jahre),  dann  nach  Döbling,  war  dort  fünf  Monate 
und  kam  dann  nach  Philippopel  als  Lehrer  für  Weinbau-  und 
Keller wirthschaft  (drei  Jahre),  später  nach  Eustschuk  als  Lehrer 
(zwei  Jahre),  dann  nach  Plevna  als  Director. 

Er  war  stets  gesund  bis  auf  eine  Affection,  die  von  Dr.  Con¬ 
st  a  n  t  i  n  i  d  i  in  Philippopel  als  hartes  Geschwür  bezeichnet  und  mit 
zehn  bis  zwölf  Einreibungen  behandelt  wurde.  Ein  Exanthem  trat 
nicht  auf.  Er  hat  zwei  Schwestern  und  einen  Bruder.  Die  Schwestern 
sind  gesund.  Der  Bruder  starb  vor  drei  Jahren  an  Lepra  tuberosa, 
war  vor  vier  Jahren  an  der  Klinik  Kaposi  mit  Lepra  in  Behandlung, 
Dei  Bruder  war  sieben  Jahre  in  Philippopel,  studierte  am  Gymnasium 
in  Gabrova,  war  nie  im  Kriege.  Seine  Eltern  wohnten  stets  in  Scolievo 
und  sind  dort  geboren;  auch  Grosseltern  und  Urgrosseltern  waren 
stets  daselbst. 

Patient  gibt  an,  vor  zehn  bis  elf  Jahren  öfters  im  Bette  seines 
Brudeis  geschlafen  zu  haben,  der  damals  bereits  krank  war;  bei  dem¬ 
selben  soll  die  Krankheit  ungefähr  seit  dem  achten  Jahre  bestanden 
haben;  die  Leute  in  Scolievo  sagten,  er  habe  seine  Krankheit  von 
einer  alten  (50— 60jährigen)  Frau  acquirirt,  die  in  Scolievo  einge¬ 
wandert  sei  und  an  dieser  Krankheit  gelitten  habe,  und  mit  der  er 
als  Kind  oft  beisammen  gewesen  sein  und  gespielt  haben  soll.  Er  starb 
28  Jahre  alt. 


Die  Krankheit  seit  circa  zwei  Jahren.  \  or  zwei  Jahren  war  er 
hei  Hofrath  Kaposi  wegen  brennender  Schmerzen  in  beiden  Unter¬ 
schenkeln.  Von  einem  Ausschlage  war  damals  noch  nichts  sichtbar, 
erst  vor  ungefähr  einem  Jahre  soll  derselbe  aufgetreten  sein. 

Status  praesens:  Der  Kranke  gut  genährt,  kräftig  gebaut. 
Die  Stirnhaut  ist  braun  gefärbt,  die  Augenbrauenbogen  und  die 
Augenlider  vorgewölbt,  so  dass  man  vom  linken  Bulbus  mehr  sieht, 
als  vom  rechten. 

Auch  das  untere  Augenlid  rechts  ist  mehr  üdematös  als  das 
linke.  Es  macht  den  Eindruck  eines  Chloasma,  unterscheidet  sich 
aber  dadurch,  dass  eine  aufgehobene  Falte  infiltrirt  ist.  Eine  solche 
ödematöse  Schwellung  sieht  man  auch  an  den  Wangen,  die  beiderseits 
wulstförmig  erscheinen.  Die  Mundhöhle  ist  frei,  auch  die  Nasenhöhle. 
Am  Hals  und  Nacken  finden  sich  zahlreiche  dunkelbraun  gefärbte, 
stark  pigmentirte,  unregelmässige  Flecke  in  der  Ausdehnung  von 
Linsen-  und  Bohnengrösse. 

Das  Infiltrat  an  diesen  Stellen  ist  ein  sehr  minimales. 

An  Hand-  und  Fussrücken,  woselbst  die  Haut  gewulstet  ist, 
findet .  sich  ein  noch  stärkeres  Oedem ;  hier  scheinen  die  Gruben 
sehr  tief  und  die  Haut  glänzend  und  vielfach  gefaltet  und  gerunzelt, 
während  an  den  Hohlhänden  eine  leichte  Verdickung  vorhanden  ist 
und  die  Haut  mehr  rosenroth,  hellroth  erscheint. 

Solche  ödematöse  Schwellungen  linden  sieh  auch  an  den  Fuss- 
1  licken,  zumal  links,  und  an  den  Unterschenkeln  sind  zahlreiche,  livid 
iothe,  scharf  umschriebene,  sclirotkorngrosse  Efflorescenzen,  von  denen 
die  kleineren  eine  derbere  Consistenz  zeigen,  während  hei  den  grösseren 
die  Härte  geschwunden  ist. 


An  dei  ühiigen  Haut  sind  zahlreiche  braune,  unregelmässig 
gestaltete  Flecke,  welche  theils  einzeln  stehen,  theils  mehr  dicht¬ 
gedrängt  und  in  ihrer  Farbennuancirung  ungleich  sind.  Während  die 
an  der  Bauchwand  mehr  lichtbraun  erscheinen,  sind  die  an  der  Brust- 
wand  und  der  Haut  des  Rückens  allenthalben  ganz  dunkelbraun 
gefärbt. 

Die  Untersuchung  mit  der  Nadel  ergibt  keine  Sensibilitätsstörung. 

Dieser  lall  ist  aus  vielen  Gründen  beaclitenswerth.  Erstens 
stammt  er  aus  einem  Lande,  wo  die  Lepra  bisher  wenig  gekannt  ist. 
Auf  der  letzten  Lepraconferenz  in  Berlin  konnten  nur  drei  Fälle  aus 
Bulgarien  namhaft  gemacht  werden.  Von  den  Balkanstaaten  sind  Bos¬ 
nien  und  Hercegovina,  Rumänien,  Griechenland  und  auch  Montenegro 
bezüglich  der  Frequenz  dieser  Krankheit  erforscht,  während  Bulgarien 
und  Serbien  diesbezüglich  noch  im  Rückstände  sind;  weiters  ist  die 
form  des  vorgestellten  Leprafalles  in  diagnostischer  und  bacterio- 
logischer  Beziehung  beachtenswerte  In  ersterer,  weil  solche  Kranke 
vom  Nichtgeübten  als  Urticaria  diagnosticirt  werden,  in  letzterer  Hin¬ 
sicht,  weil  hier  die  Bacillen  vorwiegend  in  der  Tiefe  der  Cutis  Vor¬ 
kommen,  und  also  schon  zu  einer  Zeit  Infiltration  des  Gewebes  bestellt, 
bevor  noch  eine  auffallende  Schwellung  an  der  äusseren  Hautober¬ 
fläche  wahrnehmbar  ist. 

Bezüglich  der  Provenienz  ist  es  zweifellos,  dass  dieser  Kranke 
mit  seinem  leprakranken  Bruder  längere  Zeit  in  ein  und  demselben 
Bette  geschlafen  hat,  und  Letzterer  wieder  von  einer  eingewanderten 
leprakranken  Frau  in  der  Kindheit  inficirt  wurde.  Das  Zusammen- 
schlafen  in  einem  Bette  ist  von  A.  Hansen  als  häufige  Ursache  der 
Infection  beobachtet  wrorden.  Dieser  Forscher  konnte  sich  von  diesem  In- 
fectionsmodus  in  Norwegen  bei  Geschwistern,  die,  wie  er  sich  aus¬ 
drückt,  in  gleichartigem  Alter  standen,  überzeugen.  Es  häufen  sich 
überhaupt,  seitdem  der  bacterielle  Ursprung  der  Lepra  bekannt  ge¬ 
worden  ist,  die  Beobachtungen  von  theils  mittelbarer,  theils  unmittel¬ 
barer  Infection  und  geben  liiefür  die  Schleimhaut  der  Nasenhöhle,  der 
Respirationsorgane,  Wunden  und  Schrunden  der  Fusssohlen  die  Eingangs¬ 
pforten  die  Infection  ab,  gleichwie  das  Tragen  von  Kleidungsstücken, 
Unterhosen,  Strümpfe  u.  dgl.  Gelegenheit  zur  Infection  geben  kann. 
Nach  Schäfer  in  Breslau  können  Leprakranke  beim  Sprechen, 
Niesen  und  Husten  Bacillen  bis  Entfernung  auswerfen.  Nach 

Stricker  in  Giessen  fanden  sich  von  153  Leprösen  nur  bei  13 
keine  Erscheinungen  in  der  Nase. 

Die  Uebertragung  scheint  aber  trotzdem  keine  so  leichte  zu 
sein  —  in  der  Praxis  wenigst  sind  nachweisbare  Infectionennur  in  einer 
minimalen  Zahl  bisher  bekannt  geworden  —  und  Danielssen  in  Bergen  hat 
bekanntlich  vor  Decennien  sowohl  an  sich  selbst,  als  auch  an  seinem  Warte¬ 
personale  und  seinen  Dienern  und  am  Verwalter  des  Spitales  Impfversuche 
mit  Blut  und  Knoten  von  Leprösen  angestellt  mit  negativem  Erfolge. 

Nichtsdestoweniger  muss  man  derzeit,  wo  der  bacterielle  Ur¬ 
sprung  und  die  Möglichkeit  einer  Uebertragung  der  Krankheit  con 
statirt  ist,  diesen  Umständen  Rechnung  tragen  und  die  nothwendigen 
Präventivmassregeln  treffen,  die  gegenwärtig  nur  in  einer  Isolirung 
der  Kranken  bestehen  können.  Eine  solche  ist  freilich  leicht  durchführbar  in 
Ländern,  wo  schon  Leproserien  errichtet  sind ;  aber  da,  wo  solche  nicht 
vorhanden  sind,  müssten  solche  Kranke  abseits  von  bewohnten  Orten 
untergebracht  werden,  wobei  berücksichtigt  werden  muss,  dass  das 
Vexatorische  einer  derartigen  Massregel  möglichst  vermieden  wird. 

Dr.  Julius  Mahler,  Assistent  an  der  Wiener  Allgemeinen  Poli¬ 
klinik,  demonstrirt  einen  Fall  von  Thomsen ’s  eher  Krankheit 
(Myotonia  congenita). 

Wenn  ich  mir  erlaube,  Ihnen  diesen  Patienten  vorzustellen,  so 
geschieht  es  einerseits  w'egen  der  relativen  Seltenheit  der  Erkrankung 
—  so  weit  meine  Information  reicht,  wurde  in  diesem  Saale  überhaupt 
noch  kein  Fall  von  T  h  o  m  s  e  n’scher  Krankheit  demonstrirt  — ,  anderer¬ 
seits  deshalb,  weil  speciell  über  diesen  Fall,  den  ich  derzeit  gemeinsam 
mit  Herrn  Dr.  Rudolf  Beck  studire  und  den  wir  zum  Gegenstände 
einer  ausführlichen  Publication  zu  machen  gedenken,  bereits  im  Jahre 
1897  in  der  Wiener  klinischen  Rundschau  eine  Abhandlung  des 
Dr.  Konrad  Stein  aus  der  Klinik  Nothnagel  erschien,  ein« 
Abhandlung,  in  welcher  ein  von  dem  heutigen  in  einem  wesentlichen 
Punkte  abweichender  Befund  angegeben  und  das  Leiden  nicht  als 
T  h  o  m  s  e  n’sche  Krankheit  bezeichnet,  sondern  als  „eine  aussergewöhn- 
liclie  Form  von  Bewegungsstörung  mit  myotonischer  Reaction“  ange¬ 
sprochen  wird. 


1052 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


Patient,  ein  gegenwärtig  24jähriger  Tischler,  stammt  von  bluts¬ 
verwandten  Eltern  (Cousin  und  Cousine);  in  seiner  Familie  ist  ausser 
ihm  Niemand  von  der  Krankheit  befallen.  Patient  soll  schon  in  seiner 
frühesten  Jugend  eine  gewisse  Ungeschicklichkeit  gezeigt  haben,  blieb 
in  der  Schule  beim  Turnen  immer  einige  Zeit  zurück,  weil  er  bei  ge¬ 
wollten  Bewegungen  eine  Spannung  in  den  Extremitäten  empfand,  und 
erst,  als  sich  diese  Spannung  nach  vieler  Anstrengung  gelöst  hatte, 
konnte  er  genau  so  turnen  und  klettern  wie  jeder  Andere.  Wegen 
seines  Leidens  konnte  Patient  auch  der  Militärpflicht  nicht  Genüge 
leisten  und  wurde  endlich  nach  längerem  Aufenthalte  im  Garnisons- 
spitale  als  dienstuntauglich  erklärt.  Der  elektrische  Befund  wurde  am 
letzten  Dienstag  durch  Herrn  Dr.  Otto  Marburg,  Assistenten  am 
neurologischen  Institut  des  Prof.  Obersteiner,  auf  der  Klinik 
Nothnagel  aufgenommen;  er  zeigt  die  von  Erb  angegebene  myo- 
tonische  Reaction,  deckt  sich  vollkommen  mit  dem  von  Frankl- 
Hoch  wart  im  Jahre  1896  aufgenommenen  Befunde,  mit  dem  ein¬ 
zigen  Unterschiede,  dass  Marburg  bei  faradischer  Reizung  des 
Plexus  brachialis  bei  9  cm  Rollenabstand  eine  8  Secunden  lang  sicht¬ 
bare  Dauerzuckung  durch  den  ganzen  Arm  bis  zur  Hand  erzielte. 
Auch  bei  mechanischer  Reizung  (mit  Percussionshammerschlägen)  der 
Muskeln  zeigt  sich  die  myotonisehe  Reaction:  träge,  tonische  Contrac¬ 
tion  mit  Dellen-  oder  Furchenbildung  und  Nachdauer  der  Contraction. 
M  able  r  demonstrirt  hierauf  noch  die  Bewegungsstörung  an  den 
unteren  und  oberen  Extremitäten,  an  der  Zunge,  beim  Kauen,  und 
zeigt  auch  die  Nachdauer  der  Contraction  an  den  Masseteren.  Die 
von  Stein  angegebene  Parese  der  Extremitäten  ist  derzeit' nicht  vor¬ 
handen,  so  dass  Redner  den  demonstrirten  Patienten  als  einen  typischen 
Fall  T  h  o  m  s  e  n’scher  Krankheit  erklärt. 

Discussion:  Dr.  Heinrich  Weiss:  Ich  hatte  die  Ge¬ 
legenheit,  zwei  Fälle  von  T  h  o  m  s  e  n’scher  Krankheit  zu  beobachten, 
welche  zwei  Brüder  betrafen,  die  noch  drei  Geschwister  (zwei  Schwestern 
und  einen  Bruder)  hatten,  die  von  der  Affection  frei  blieben.  Der 
ältere  der  beiden  Patienten  machte  in  seinem  16.  Lebensjahre,  im 
Jahre  1885,  eine  Cerebrospinalmeningitis  mit  dem  Ausgange  in  Heilung 
durch.  Aus  der  Anamnese  erfuhr  ich  damals,  dass  er  vor  seiner  Er¬ 
krankung  einen  plumpen  Gang  und  mannigfache  Beschwerden  beim 
Gehen  hatte  und  dass  er  öfters,  im  Begriffe  sich  rasch  umzuwenden, 
oder,  wenn  er  just  stand,  bei  geringfügigem  Trauma  wie  ein  Klotz 
zu  Boden  fiel.  Aehnliche  Erscheinungen  bot  der  um  einige  Jahre 
jüngere  Bruder,  welcher  inzwischen  an  einer  intercurrenten  Krankheit 
verstarb.  Dieser  hatte  wegen  seines  Leidens  in  der  Schule  beim  Turnen, 
da  er  sich  dazu  sehr  ungeschickt  anliess,  und  auch  sonst  manche  Un¬ 
annehmlichkeit  zu  bestehen.  Aufgerufen,  konnte  er  sich  nur  mühsam 
von  seinem  Sitze  erheben,  war  er  schon  deshalb  von  grosser  Befangen¬ 
heit  bei  der  Beantwortung  einer  an  ihn  gerichteten  Frage,  auch  wenn 
er  seine  Lection  gut  inne  hatte.  Die  Intelligenz  war  bei  beiden  Brüdern 
normal.  Das  Leiden  machte  bei  dem  Jüngeren  grössere  Fortschritte, 
indem  es  sich  allmälig  auch  auf  die  Muskeln  der  oberen  Körperhälfte 
verbreitete,  während  bei  dem  älteren  Patienten  die  Affection  sich  blos 
auf  die  Muskeln  der  unteren  Körperhälfte  (unteren  Extremitäten) 
erstreckte. 

In  beiden  Fällen  konnte  ich  wiederholt  die  myotonische  Reaction 
bei  faradischer  und  galvanischer  Exploration  im  Sinne  von  Erb  con- 
statieren,  und  auch  die  mechanische  Excitabilität  war  ganz  wie  in  dem 
eben  demonstrirten  Falle  vorhanden.  Beim  Beklopfen  eines  Muskels 
zeigte  sich  eine  langsame  partielle  Contraction  des  getroffenen  Muskel¬ 
bündels,  die  wfieder  nur  langsam  von  ihrer  Höhe  abschwoll.  Auch 
die  bekannte  Wulst-  oder  Dellenbildung  an  der  beklopften  Stelle  des 
Muskels  war  deutlich  wahrzunehmen. 

Ich  erwähne  diese  Fälle,  erstens,  weil  die  noch  lebenden,  ge¬ 
sunden  Eltern  in  keinem  Grade  der  Blutsverwandtschaft 
miteinander  stehen,  und  zweitens,  weil  sich  trotz  genau  gepflogener 
Recherchen  in  der  Ascendenz  keine  wie  immer  geartete  psychoti¬ 
sche  Belastung  nachweisen  liess,  endlich  drittens,  weil  sich 
bei  dem  noch  lebenden  älteren  Patienten  die  Affection  spontan 
besserte. 

Dr.  Tandler:  Demonstrationen. 

Meiue  Herren!  Gelegentlich  einer  Debatte,  die  sich  im  ver¬ 
gangenen  Jahre  an  einen  Vortrag  über  Enteroptose  anschloss,  hatte 
ich  Gelegenheit,  zu  bemerken,  dass  ein  grosser  Theil  der  als  Enteroptose 
demonstrirten  Fälle  als  embryonale  Hemmungsbildungen  aufzufassen  ist. 
Ich  citirte  damals  als  Beispiel  den  Tiefstand  der  Milz,  indem  ich 
anführte,  dass  eine  solche  Milz  nicht  enteroptotisch  verlagert  sein 
müsse,  sondern  durch  die  ausgebliebene  secundäre  Verlöthung  des 
axialen  Gekrösblattes,  der  Schwere  selbstverständlich  folgend,  einfach 
tiefer  zu  liegen  kommt.  Ich  bin  nun  in  der  Lage,  Ihnen  hier  einen 
solchen  Fall  zu  demonstriren.  Gelegentlich  der  Eröffnung  einer  weib¬ 
lichen  Leiche,  der  dieses  Präparat  entnommen  ist,  lag  die  Milz  am 
linken  Darmbeiuteller,  so  wie  Sie  es  hier  noch  sehen  können.  Hebt 
man  die  Milz  auf,  so  sieht  man,  dass  sie  vollkommen  frei  beweglich 
an  einem  langen  Mesenterium  hängt.  Durch  die  ausgebliebene  Ver¬ 


wachsung  des  axialen  Mesogastriums  ist  auch  Körper  und  Schwanz  des 
Pankreas  frei  beweglich  geblieben.  Die  übrigen  Organe  zeigen  keine 
Anhaltspunkte  für  Enteroptose. 

Bei  einem  vor  einigen  Jahren  hier  gehaltenen  Vortrage  erwähnte 
ich,  dass  man  Mesenterialvarietäten  nach  zwei  Gesichtspunkten  ordnen 
müsse:  1.  Fälle,  in  denen  die  verschiedenen  Organe  an  einer  Stelle 
liegen  bleiben,  wo  sie  embryonal  zu  liegen  kommen,  und  2.  in  solche, 
w7o  die  secundäre  Verlöthung  des  Gekröses  ausgeblieben  ist.  In  letztere 
Kategorie  würde  der  hier  demonstrate  Fall  zu  zählen  sein. 

Der  zweite  Fall,  den  ich  hier  demonstriren  möchte,  ist  insofern 
interessant,  als  er  ätiologisch  in  gewisser  Beziehung  für  das  Zustande¬ 
kommen  der  Kryptoreliie  zu  verwenden  wäre.  Bei  einem  männlichen 
Neugeborenen  ist  der  linke  Hoden  breit  und  fest  mit  der  Flexura 
sigmoidea  verwachsen,  wobei  noch  eine  peritoneale  Duplicatur  zu 
diesem  Darmstück  hinzieht.  Es  ist  klar,  dass  in  diesem  Falle  der  Des¬ 
census  testieuli  behindert  ist,  und  es  daher  bei  diesem  Individuum 
wahrscheinlich  linkerseits  zu  einer  Kryptoreliie  gekommen  wäre.  Ob 
diese  Verwachsung  auf  eine  fötale  Peritonitis  zurückzuführen  ist,  kann 
ich  nicht  entscheiden.  Ein  anderweitig  geartetes  Stigma  für  diesen 
Process  ist  hier  nicht  auffindbar. 

Das  hier  als  dritter  Fall  zu  demonstrirende  Kind  bietet  eine 
grosse  Reihe  interessanter  Missbildungen,  respective  Hemmungsbildungen. 
Es  handelt  sich  um  ein  auf  der  III.  geburtshilflichen  Klinik  laut 
Prot. -Nr.  2250  am  7.  October  um  9 ‘/4  Uhr  Vormittags  zur  Welt  ge¬ 
kommenes  männliches  Kind.  Dasselbe  wog  2200  g  und  war  42  cm  lang. 
An  dem  Kinde  war  mit  Ausnahme  eines  doppelseitigen  Uranoschisma 
keinerlei  Missbildung  äusserlich  sichtbar.  Das  Kind  starb  am  9.  Oc¬ 
tober  um  3  Uhr  Nachmittags.  Es  ist  also  54  Stunden  alt  geworden. 
Bei  der  Eröffnung  der  Bauchhöhle  zeigte  sich  ein  sogenanntes  Mesen¬ 
terium  commune,  sonst  bezüglich  des  Situs  im  peritonealen  Cavum 
keinerlei  Abnormität.  Bei  der  Untersuchung  des  Urogenitaltractes 
konnte  ich  nun  folgenden  Befund  erheben:  Vollkommener  Mangel  der 
rechten  Niere  und  des  rechten  Ureters,  die  linke  Niere  erst  nach  dem 
Aufheben  der  linken  Nebenniere  als  ein  kleiner,  höckeriger  Körper 
von  der  Ausdehnung  1  cm  auffindbar,  der  linke  Ureter  normal,  rechter- 
seits  keine  Spur  von  Nierengefässen,  linkerseits  eine  sehr  schwache 
Vena  renalis  und  eine  zwirnfadendünne  Arteria  renalis.  Beim  Durch¬ 
schnitt  durch  das  Nierenrudiment  konnte  man  sich  überzeugen,  dass 
der  grösste  Abschnitt  dieses  Körpers  vom  verdickten  Nierenbecken 
eingenommeu  war.  Das  ganze  Ansehen  der  Niere  lässt  vermuthen, 
dass  hier  kaum  secretionsfähige  Nierenabsehnitte  vorhanden  sein  dürften. 
Ob  nicht  dennoch  einzelne  secretorische  Elemente  vorhanden  sind, 
wird  erst  die  mikroskopische  Untersuchung  zu  erweisen  haben.  Am 
rechten  Darmbeinteller  liegt  ein  kleines,  läDglich  aussehendes  Gebilde 
vom  Aussehen  eines  Ovariums,  an  dessen  cranialer  Seite  sich  ein  tuben¬ 
förmig  aussehendes  Gebilde  befindet.  Linkerseits  ist  es  zu  einem  Des¬ 
census  testieuli  gekommen,  doch  macht  auch  dieser  Testikel  nicht  den 
Eindruck  eines  normalen  Hodens.  An  dem  caudalen  Ende  der  Epidi¬ 
dymis  liegt  ein  kleines  röthliches  Körperchen,  das  nach  der  vorder¬ 
hand  nur  makroskopisch  ausgeführten  Untersuchung  lebhaft  an  einen 
versprengten  Nebennierenkeim  erinnert.  Es  sind  eine  Reihe  von  Fällen 
mit  vollkommenem  Mangel  der  Niere  beschrieben;  so  hat  z.  B.  Coen 
33  Fälle  zusammengestellt,  die  allerdings  vollkommen  verbildete  Mon¬ 
strositäten  betreffen.  In  letzter  Zeit  haben  Scheib,  Strassmann 
und  Zaufal  je  einen  Fall  von  bilateralem  Nierendefect  beschrieben, _ 
doch  waren  dies  Föten  bis  zu  40  cm  grösster  Länge,  die  unmittelbar 
post  partum  abstarben,  während  in  diesem  Falle  ein  Individuum  mit 
einer  kaum  secretionsfähigen  Niere  circa  54  Stunden  am  Leben  blieb. 
Doch  werde  ich  erst  im  Stande  sein,  nach  der  mikrpskopischen  Unter¬ 
suchung  des  Nierenrudimentes  etwas  Thatsächliches  daiiiber  berichten 
zu  können.  Interessant  sind  auch  die  Verbildungen  des  Circulations- 
apparates  in  diesem  Falle.  Es  fand  sich  eine  Persistenz  der  beiden 
oberen  Hohlvenen,  wobei  die  Hemiazygos  in  die  linke,  die  Azygos 
in  die  rechte  Hohlvene  einmündet.  Die  Anastomose  zwischen  den  beiden 
Hohlvenen,  aus  der  bekanntlich  die  Vena  anonyma  sinistra  hervorgeht, 
ist  sehr  schwach  geblieben.  Es  zeigt  demnach  dieses  Individuum  die 
Persistenz  eines  typischen  embryonalen  Zustandes.  Im  Aortensystem 
zeigen  sich  folgende  Verhältnisse:  Während  im  Neugeborenen  die 
Muskelwand  der  beiden  Ventrikel  gleich  stark  ist,  eventuell  die  linke 
prävalirt,  finden  wir  hier  gerade  das  umgekehrte  Verljältniss:  die 
Muscularis  des  linken  Herzens  ganz  schwach,  die  des  rechten  Herzens 
sehr  stark,  dementsprechend  auch  die  Arteria  pulmonalis  sehr  dick, 
die  Arteria  aorta  ascendens  sehr  schwach.  Die  Aorta  ascendens  entlässt 
einen  Truncus  für  die  Carotiden  beiderseits  und  die  Aiteria  subclavia 
dextra,  hierauf  verdünnt  sie  sich  plötzlich  und  mündet  in  den  Ductus 
Botalli,  der  sie  als  Fortsetzung  der  Arteria  pulmonalis  in  den  Aortenbogen 
bezüglich  seines  Lumens  um  mehr  als  das  Vierfache  übertrifft.  Der 
Ductus  Botalli  setzt  sich  in  die  Aorta  descendens  direct  fort;  die  Arteria 
subclavia  sinistra  geht  erst  aus  der  durch  den  Ductus  Botalli  bedeutend 
verstärkten  Aorta  hervor.  Es  hat  demnach  hier  das  hypertrophische 
rechte  Hetz  vermittelst  des  Ductus  Botalli  die  gesummte  Aorta  descen- 


Nr.  45 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1053 


dens  übernommen.  Statt  der  Rückbildung  des  sechsten  linken  Aorten¬ 
bogens  (Ductus  Botalli)  ist  eine  solche  des  vierten  linken  Aortenbogens 
(Arcus  aortae)  eingetreten.  Das  Individuum  zeigt  auch  noch  eine  Reihe 
von  Eigenthümlichkeiten  im  Bereiche  seines  Herzens  und  seines  Caro- 
tidensystemes,  die  ich  jedoch  hier  nicht  demonstriren  kann,  da  ich 
das  Präparat  nicht  zerstören  will. 

Dr.  Robert  Kienböck  demonstrirt  einen  26jährigen  Mann,  der 
seit  über  drei  Jahren  mit  .schwerer  Alopecia  areata  des 
Kopfes  behaftet  ist  und  nun  die  Erfolge  der  Röntgen-Therapie 
zeigt.  Der  Fall  war  ihm  von  Herrn  Dr.  G.  N  o  b  1  mit  der  A  n- 
regung  zum  ersten  Versuche  des  neuen  Verfahrens  zugesendet  und 
im  Röntge  n-Institute  im  Sanatorium  Fürth  behandelt  worden. 

Der  Kopf  war  versuchshalber  vorläufig  nur  am  Vorderkopfe 
bestrahlt  worden  —  sechs  Sitzungen  zu  je  15  Minuten  bei  20  cm 
Spiegel-Hautdistanz  und  sehr  gutem  Röntge  n-Licht,  vom  20.  bis 
26.  Juni  - — ;  im  Bereiche  des  exponirten  Gebietes  waren  bald  die 
gelben  Wollhärchen  ausgefallen  und  nun  seit  zwei  Monaten  wieder 
neue,  kräftige,  dunkle,  normale  Haare  nachgewachsen.  Das  übrige 
Gebiet  des  Kopfes,  welches  nicht  bestrahlt  worden  war,  ist  noch  in 
dem  früheren  krankhaften  Zustande  der  Alopecie.  An  der  Thatsache, 
dass  hier  die  Röntgen-Bestrahlung  und  Epilation  einen  Nachwuchs 
von  normalen  Haaren  herbeigeführt  habe,  ist  nicht  zu  zweifeln.  Die 
Erfahrung,  dass  überhaupt  nach  Epilation  mit  Röntge  n-Licht  ein 
veränderter  Nachwuchs  zum  Vorschein  kommen  könne,  ist  schon 
wiederholt  gemacht  worden.  Eine  Erklärung  für  die  günstige  Wirkung 
der  Röntgen-Bestrahlung  in  dem  vorgestellten  Falle  Hesse  sich 
durch  die  mykotische  Theorie,  als  auch  durch  die  Annahme  einer 
Trophoneurose  erklären.  Erst  die  Zukunft  wird  lehren,  ob  man  nun 
wirklich  ein  neues  verlässliches  Heilverfahren  bei  gewissen  Formen  der 
Alopecia  areata  gewonnen  habe. 

Discussion:  Hofrath  Neumann  stellt  zunächst  richtig, 
dass  heute  die  Alopecia  areata  wohl  allgemein  als  eine  nicht  parasitäre 
Erkrankung  gilt.  Zur  Beurtheilung  der  Frage,  ob  und  inwieweit  in 
dem  vorgestellten  Falle  die  Röntgen-Therapie  Einfluss  auf  das 
Nachwachsen  der  Haare  genommen  hat,  muss  man  in  Erwägung  ziehen, 
was  in  einem  derartigen  Falle  von  einer  Spontanheilung  zu  erwarten 
wäre.  Aus  Erfahrung  kann  man  in  dieser  Hinsicht  sagen,  dass  eine 
Alopecia  areata,  welche  die  ganze  Kopfhaut  befallen  hat,  bei  älteren 
Leuten  in  der  Regel  unheilbar  ist;  bei  jüngeren  Individuen  heilt  sie  in 
der  Regel  aus. 

Die  in  mehrfachen  inselförmigen  Herden  auftretende  Alopecia 
areata  heilt  meist  von  selbst  aus.  Wenn  man  also  ein  Urtheil  über 
den  Erfolg  der  Radiotherapie  bei  der  Alopecia  areata  gewinnen  will, 
muss  man  Individuen  im  Alter  von  ungefähr  30 — 50  Jahren  mit 
totaler  Alopecia  areata  in  Behandlung  nehmen,  bei  welchen  mit  den 
bisherigen  Mitteln  nur  das  Nachwachsen  von  Wollbaaren  erzielt  werden 
konnte,  und  erst  wenn  ein  solcher  Fall  einen  Erfolg  aufzuweisen  haben 
wird,  dann  möge  man  ihn  in  der  Gesellschaft  demonstriren. 

Der  Vorsitzende  richtet  die  Frage  an  die  Versammlung,  ob  über 
die  Demonstration  Dr.  K  i  e  n  b  ö  c  k’s  für  sich  discutirt  werden  soll, 
oder  ob  gleichzeitig  in  die  am  Programm  stehende  Discussion  über 
Dr.  K  i  e  n  b  ö  c  k’s  Vortrag  eingegangen  werden  soll.  Durch  Stimmen¬ 
mehrheit  wird  für  das  Eingehen  in  die  allgemeine  Discussion  ent¬ 
schieden. 

Schiff  meint,  dass  der  von  Kienböck  demonstrirte  thera¬ 
peutische  Effect  der  R  ö  n  t  g  e  n -Bestrahlung  bei  Alopecia  areata 
wahrscheinlich  auf  dieselben  irritativen  Momente  zurückzuführen  ist, 
wie  jener  durch  die  Behandlung  mit  chemischen  Strahlen  nach  Finsen. 

Sodann  kommt  er  auf  die  Ausführungen  des  Herrn  Dr.  Kien¬ 
böck  in  der  letzten  Sitzung  zu  sprechen. 

Herr  College  Kienböck  bezeichnete  in  seinen  jüngsten  inter¬ 
essanten  Ausführungen  die  w'eichen  Röntgen  -Röhren  als  bedeutend 
wirksamer,  als  die  sogenannten  harten  und  gab  auf  Grund  dieser 
seiner  Ansicht  auch  eine  Methode  an,  mit  welcher  man  angeblich  die 
radiotherapeutischen  Effecte  sicherer  und  schneller  zu  erzielen  vermag, 
als  mit  der  von  mir  und  Freund  angegebenen.  Diese  Angabe  ist 
uns  nicht  unbekannt;  wiesen  wir  ja  schon  vor  drei  Jahren  auf  einen 
auch  von  verschiedenen  Physikern  constatirten  Unterschied  in  dem 
Penetrationsvermögen  der  von  verschieden  hoch  evacuirten  Röhren 
ausgehenden  Röntgen  -Strahlen  hin  und  glaubten  auch  damals  eine 
Differenz  in  den  von  den  verschiedenen  Strahlen  hervorgebrachten 
physiologischen  Effecten  zu  erkennen.  Wir  haben  jedoch  seit  jener 
Zeit  unsere  Ansicht  geändert.  Gleichwohl  werden  wir  die  Angaben 
K  i  e  n  b  ö  c  k’s  nochmals  prüfen  und  gelegentlich  über  unsere  dies¬ 
bezüglichen  Wahrnehmungen  berichten.  Schon  jetzt  möchte  ich  aber 
einige  Bedenken  äussern,  die  sich  uns  vom  rein  klinischen  Stand¬ 
punkte  aufgedrängt  haben.  Herr  Collega  Kienböck  theilt  mit,  er 
habe  eineReihe  von  Patienten  durch  sehr  lange  Perioden  harten  Röhren  ohne 
jeden  sichtbaren  Effect  exponirt,  dann  aber  weiche  Röhren  verwendet 
und  in  auffallend  kurzer  Zeit  „mit  denselben“  sichtbare  klinische 
Symptome  hervorgerufen.  Er  schliesst  daraus,  dass  nur  die  weichen 


Röhren  wirksam  seien.  Aber  Kienböck  vergisst,  dass  die 
R  ö  n  t  g  e  n -Strahlen  eine  cumulative  Wirkung  haben,  die  wir  schon 
vor  Jahren  beobachtet  und  über  welche  wir  wiederholt  berichtet 
haben.  Hätte  Collega  Kienböck  die  weichen  Röhren  nicht  ein¬ 
geschaltet,  dann  wären  wohl  zur  selben  Zeit  mit  den  harten  Röhren 
die  klinischen  Symptome  der  R  ö  n  t  g  e  n -Reaction  sichtbar  geworden, 
denn  die  Bestrahlung  von  Seiten  der  harten  Röhren  bedurfte  eben 
einer  so  langen  Zeit,  um  bei  diesen  Individuen  die  Reaction  hervor¬ 
zurufen.  Dass  man  mit  harten  Röhren  diese  Reaction  hervorrufen 
kann  und  jederzeit  dazu  in  der  Lage  ist,  ist  für  uns  und  viele  andere 
Collegen  eine  unzweifelhafte  Thatsache.  Seit  Monaten  arbeiten  wir 
immer  mit  denselben  harten  Röhren,  welche  Collega  Kienböck, 
wenn  er  sie  untersuchte,  sicherlich  nicht  als  zum  Photographiren  ge¬ 
eignete  weiche  Röhren  ansprechen  würde,  und  erzielen  mit  ihnen 
unsere  oft  besprochenen  und  publicirten  Resultate  bei  Hypertrichosis, 
Favus,  Sykosis,  Lupus  u.  dgl.  ohne  jede  Schwierigkeit. 

Collega  Kienböck  meint,  dass  zwei  bis  sechs  Bestrahlungen  der 
weichen  Röhren  genügen  werden,  um  den  gewünschten  Erfolg  zu  er¬ 
zielen,  und  beruft  sich  auf  seine  diesbezüglichen  Beobachtungen.  Wir 
geben  umunwunden  zu,  dass  eine  derartig  merkwürdige  Thatsache 
möglich  sei,  wenngleich  wir  dieselbe  nie  zu  constatiren  in  der  Lage 
waren.  Kienböck  wird  wohl  ein  wenden:  „Ja,  weil  Ihr  nicht  mit 
weichen  Röhren  gearbeitet  habt!“  Darauf  müssen  wir  antworten:  Alle 
unsere  Röhren  waren  auch  einmal  neu  und  weich,  wie  wir  uns  über¬ 
zeugt  haben.  Wir  bestrahlten  mit  diesen  weichen  Röhren  gerade  so 
intensiv  wie  mit  den  harten,  ja  nach  der  Ansicht  Kienböck’s  ge¬ 
wiss  sehr  unvorsichtig,  denn  unsere  Distanz  ist  nie  30  cm,  wie  bei  Kien¬ 
böck,.  sondern  wir  exponiren  immer  in  den  ersten  Sitzungen  aus 
15  cm  Entfernung,  und  verkleinern  letztere  dann  rasch  bis  auf  10  cm. 
Wir  exponirten  also  mit  den  nach  Kienböck  stark  wirksamen 
weichen  Röhren  in  kurzer  Distanz  und  ziemlich  lange.  Wir  haben 
jedoch  eine  Reaction  nach  zwei  bis  drei  Sitzungen  nie  auftreten  ge¬ 
sehen.  Gleichwohl  leugnen  wir  nicht,  dass  etwas  Derartiges  gelegent¬ 
lich  Vorkommen  kann,  denn  es  ist  möglich,  dass  ein  Individuum  auf 
einen  Reiz  stärker  reagirt  als  das  andere. 

Ich  wiederhole:  Harte  Röhren  sind  zu  therapeutischen  Zwecken 
nicht  unbrauchbar,  wie  Kienböck  meint,  vielmehr  haben  wir  sehr 
häufig,  ja  meistens,  unsere  befriedigenden  Resultate  mit  denselben 
erzielt.  Kienböck  glaubt,  diese  Resultate  wären  mit  weichen 
Röhren  in  kürzerer  Zeit,  als  wir  deren  bisher  bedurften,  in  zwei  bis 
sechs  Sitzungen  erreichbar.  Möglich!  Wir  glauben  zwar  nicht  an  die 
Verallgemeinerung  einer  oder  nur  weniger  diesbezüglicher  Beob¬ 
achtungen,  sind  vielmehr  der  Ansicht,  dass  Herr  Kienböck  bei 
weiterem  Arbeiten  sich  davon  überzeugen  wird,  dass  man  auch  mit 
weichen  Röhren  eine  entsprechend  längere  Zeit  braucht,  um  einen 
Effect  herbeisuführen. 

Wir  geben  aber  noch  Eines  zu  bedenken.  Kienböck  bestrahlt 
bei  seiner  neuen  Methode  zwei-  bis  sechsmal  und  wartet  dann,  so  wie 
wir  es  schon  seit  Jahren  empfohlen  haben,  eine  längere  Pause  ab,  ob 
eine  Reaction  erscheint.  Wir  haben  eine  solche,  wie  gesagt,  nach 
zwei  Sitzungen  nie  beobachtet.  Wir  wollen  es  aber  gerne  glauben. 
Gleichwohl  halten  wir  dieses  Verfahren,  zuerst  intensiv  zu  bestrahlen, 
dann  längere  Zeit  zu  warten,  nicht  für  angezeigt. 

Will  man  einen  Effect  erzielen,  dann  muss  man  in  diesen 
wenigen  Sitzungen  sehr  intensiv  bestrahlen  und  man  weiss  dann 
noch  immer  nicht,  ob  man  zu  wenig  oder  zu  viel  gethan  hat  —  denn 
die  Folgen  erscheinen  ja  erst  bedeutend  später.  Man  arbeitet  also  im 
Dunklen.  Wir  halten  es  für  einen  wesentlichen  Vortheil  unserer  nach 
so  vielen  Mühen  und  an  einem  so  grossen  Materiale  erprobten  Methode, 
dass  wir  bei  derselben  die  Anhaltspunkte  klinisch  sehen,  wann  wir 
mit  der  Bestrahlung  zu  sistiren  haben.  Wir  sehen  dann  ein  geringes 
Pigment,  ein  leichtes  Erythem,  eine  beträchtliche  Lockerung  der  Haar¬ 
schäfte  u.  s.  w.  Diese  Erfahrung  befähigt  uns  ja,  mit  Sicherheit  und 
ohne  Gefährdung  der  Kranken  zu  arbeiten.  Wenn  also  unsere  Methode 
vorläufig  auch  längere  Zeit  erfordert,  so  ist  sie  darum  auch  die 
ungefährliche  und  wir  sehen  uns  nicht  veranlasst,  vorläufig  dieses 
bewährte  Verfahren  auf  Kosten  der  Sicherheit  des  Kranken  zu  ver¬ 
lassen. 

Dass  dieses  Verfahren  bereits  anfängt,  allgemeine  Anerkennung 
zu  finden,  geht  auch  aus  dem  Umst  ande  hervor,  dass  nicht  nur  eine 
grosse  Zahl  von  Fachcollegen  aus  allen  Theilen  der  Welt  eigens  zu 
dem  Behufe  nach  Wien  kommen,  um  dieses  Heilverfahren  und  die 
Einrichtungen  des  Institutes  kennen  zu  lernen,  sondern  auch  mehrere 
Kliniken  des  In-  und  Auslandes  ihre  Assistenten  direct  zu  diesem 
Behufe  hieher  delegirten. 

Zum  Schlüsse  dankt  Schiff  Herrn  Ilofrath  Neumann 
für  seine  in  der  letzten  Sitzung  ausgesprochene  Anerkennung. 

L.  Freund:  Herr  College  Kienböck  hat  sich  mit  auer- 
kennenswerther  Gewissenhaftigkeit  die  Frage  vorgelegt,  welche  physi¬ 
kalische  Kraft  denn  eigentlich  die  bei  der  Röntgen-Therapie  zu  Tage 
tretenden  klinischen  Erscheinungen  veranlasse  und  glaubt  auf  Grund 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  45 


8  finer  Untersuchungen  dies  den  R  ö  n  t  go  n- Strahlen  selbst  zusehreiben 
zu  müssen.  Zu  diesem  Punkte  seines  Vortrages  möchte  ich  mir  erlauben, 
Stellung  zu  nehmen. 

Wenn  wir  den  Causalnexus  zwischen  einer  physikalischen  Kraft 
und  einem  physiologischen  Effecte  ergründen  wollen,  so  müssen  wir 
uns  zu  allererst  fragen:  War  jene  Kraft  allein,  isolirt,  wirksam,  oder  waren 
mit  oder  neben  ihr  noch  andere  Kiäfte  im  Spiele?  Es  müssen  daher  bei 
jedem  zur  Klärung  dieser  Frage  unternommenen  Versuche  Vorkehrungen 
getroffen  werden,  durch  w’elche  verhütet  werden  soll,  dass  neben  der 
zu  prüfenden  Kraft  noch  andere  Factoren  ihre  Wirksamkeit  auf  dem 
Objecto  entfalten.  Diese  Vorkehrungen  vermisse  ich  in  Kienböcks 
Versuchen.  Erstellte  seine  weiche  Röhre  ohne  Weiteres  vor  der  Ilaut  auf. 
Nun  entstehen  aber  im  Bereiche  einer  im  Betriebe  befindlichen  Röhre: 
1.  Ozon,  2.  Wärmestrahlen,  3.  Phosphorescenzlicht  mit  ultravioletten 
Strahlen,  4.  Kathodenstrahlen,  5.  Strahlen  materieller  Theilcben  (Gase 
oder  elektrolytische  Bestandtheile,  welche  von  der  Kathode  fortgerissen 
werden),  6.  Röntgen  -  Strahlen,  7.  Funken-,  Büschelentladungen  und 
andere  Erscheinungsformen  der  auf  der  Vacuumröhre  angesammelten 
Spannungselektricität,  8.  Strahlen  mit  bisher  unbekanntem  Charakter. 

Alle  diese  Factoren  können  bei  derartigen  Versuchen  mitwirken. 
Will  man  die  Wirksamkeit  nur  eines  derselben  prüfen,  so  muss  man 
die  übrigen  eliminiren. 

Im  vergangenen  Jahre  machte  ich  in  den  Instituten  des  Herrn  Hof- 
ratlies  Prof.  Dr.  A.  Weichsel  bäum  und  des  Herrn  Docenten  Dr. 
E.  Schiff  eine  Reihe  von  Untersuchungen  über  die  physiologischen 
Wirkungen  directer  Funkenentladungen.  Diese  Versuche,  welche  durchaus 
nicht  den  Anspruch  erheben,  irgendwelche  physikalische  Entdeckungen 
zu  Tage  gefördert  zu  haben,  stellten  aber  unzweifelhaft  die  deletäre 
Wirkung  derselben  auf  das  Bacterienwachsthum  und  einen  auf  der 
behaarten  Haut  Haarausfall  veranlassenden  Einfluss  fest.  Die  Funken¬ 
entladungen  besitzen  demnach  Wirkungen,  welche  man  gemeiniglich 
der  R  ö  n  tg  e  n  -  Therapie  zuschreibt.  (Demonstration  eines  Kanin¬ 
chens,  dessen  linke  Flanke  mit  directen  negativen  Polentladungen  eines 
R  u  h  m  k  o  r  f  f’schen  Inductoriums  in  acht  Sitzungen  enthaart  wurde. 

Im  Anschlüsse  an  diese  Untesuchungen  machte  ich  nun  eiu 
Experiment,  welches  die  Wirksamkeit  der  Röntgen-Strahlen  als 
solche  feststellen  sollte. 

Es  wurde  eine  weiche  Voltohmröhre  eingeschaltet,  d.  i.  eine 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Röhre ,  wrelche  aus  zwei  nahezu  gleich  grossen  Glas 
kugeln  A  und  B  besteht,  die  durch  ein  kurzes  Mittelrohr  verbunden 
sind.  Natürlich  sind  beide  Glaskugeln  während  des  Ganges  des  Appa¬ 
rates  mit  Elektricität  geladen;  R  ö  n  t  g  e  n -Strahlen  entstehen  hier 
jedoch  nur  in  der  einen  Kugel  A,  wo  sich  die  Antikathode  befindet, 
welcho  sie  in  einer,  der  zweiten  Kugel  B  entgegengesetzten  Seite 
wirft.  Um  mit  noch  grösserer  Sicherheit  zu  verhindern,  dass  zu  der 
Kugel  B  R  ö  n  t  g  e  n -Strahlen  gelangen,  wurde  am  Mittelrohre  ein 
grosses,  dickes  Bleiblech  vortical  befestigt.  (Blei  hält  Röntgen- 
Strahlen  vollkommen  ab.)  Unter  jede  der  beiden  Kugeln  wurden  nun 
Aussaaten  von  Plattenculturen  des  Staphylococcus  pyogenes  aureus 
auf  Agar  in  Petr  i’schen  Glasschalen  gesetzt.  Die  Cultur  unter  der 
Schale  A  wurde  mit  einem  Glasdeckel  geschlossen  und  in  Paraffin 
gebettet,  darüber  noch  ein  dickes  Aluminiumblech  befestigt,  welches 
mit  der  Wasserleitung  leitend  verbunden  war.  Diese  Vorrichtungen 
fungirten  gleichsam  als  Filter,  welches  den  Ozon,  die  Wärme-, 
Kathodenstrahlen,  ultraviolettes  Licht  und  insbesondere  die  Funken- 
Entladungen  von  der  Cultur  abhalten  sollte,  hingegen  die  Röntgen- 
Strahlen  zu  derselben  ungehindert  durchliess.  Eine  Controle  hierüber 
erhielt  ich  dadurch,  dass  ich  unter  die  Schale  A  eine  in  schwarzes 
Papier  lichtdick  gewickelte  photographische  Platte  und  zwischen  das 
Papier  und  die  Schale  den  Bleibuchstaben  A  legte.  Die  nach  fünf  Minuten 
entwickelte  Platte  zeigte  deutlich  ein  w'eisses  A  auf  schwarzem  Grunde, 
ein  sicheres  Zeichen,  dass  Röntgen-  Strahlen  das  Aluminiumblech, 
das  Glas,  die  Cultur  und  das  Papier  passirt  und  nur  am  Blei  ein 
Hinderniss  gefunden  hatten.  Diese  Controle  wurde  alle  fünf  Minuten 
vollzogen.  Die  Schale  B  befand  sich  offon  unter  der  Kugel  B  auf 
einer  leitenden  Unterlage.  Die  in  ähnlicher  Weise  vorgenommene 
Controle  zeigte,  dass  die  Cultur  B  von  Röntgen-  Strahlen  nicht  ge¬ 
troffen  wurde.  Dio  betreffende  Platte  blieb  bei  der  Entwicklung  ganz 
wreiss.  Beide  Culturen  wurden  eine  Stunde  lang  exponirt  und  dann 
in  den  Brutkasten  gestellt.  Nach  24  Stunden  zeigte  die  Cultur  A  ein 
durchaus  gleichmässiges,  nirgends  unterbrochenes  üppiges  Wachsthum, 
die  Cultur  B  in  der  Mitte  eine  pfenniggrosse  sterile  Stelle.  Der  Versuch 
wurde  fünfmal  wiederholt  und  gab  stets  dasselbe  Resultat.  Er  zeigte, 
dass  blosse  Röntgen-  Strahlen  ohne  den  geringsten  Einfluss  auf  das 
Bacterienwachsthum  sind,  während  es  die  Funkenentladungeu  ganz 
wesentlich  beeinträchtigen. 

W  o  y  z  e  k  owsky  constatirte  ganz  Analoges  von  der  physio¬ 
logischen  Wirkung  der  R  ö  n  t  g  e  n -Strahlen  und  der  Elektrisation  auf 
die  Haut.  Wo  nur  die  X-Strahlen  zur  Wirkung  gelangten,  unter  Aus¬ 
schluss  der  Elektrisation  und  der  Lichterscheinungen,  trat  gar  kein 
physiologischer  Effect  auf;  wrenu  aber  die  X  Strahlen  sammt  den 


übrigen  Factoren  wirkten,  so  begann  sich  der  schädliche  Einfluss 
schon  nach  kurzer  Zeit  geltend  zu  machen. 

Nach  meiner  Ansicht  handelt  es  sich  bei  der  Röntgen- 
Therapie  um  die  physiologischen  Wirkungen  von  stillen  Entladungen, 
w'elche  von  der  Uberfläche  der  Vacuumröhre  her  erfolgen.  Die  Be¬ 
dingungen,  von  welchen  die  Leichtigkeit,  Intensität  und  Gleich- 
mässigkeit  dieser  Entladungen  abhängt,  sind  mannigfach.  Eine  der¬ 
selben  ist  ohne  Zweifel  die  Höhe  des  Vacuums  in  der  Röhre;  aber 
diese  ist  nur  eine  der  vielen  Componenten,  aus  denen  sich  diese  Be¬ 
dingungen  zusammensetzen.  Daneben  wird  aber  auch  die  Elektrititäts- 
menge,  die  Stromspannung,  die  Schnelligkeit,  mit  welcher  die  Unter¬ 
brechungen  erfolgen,  die  Beschaffenheit  der  Maschine,  die  Länge,  der 
Querschnitt,  die  Windungszahl  der  Leitung  und  selbst  die  Grösse, 
Form  und  Gestalt  der  Vacuumröhre  massgebend  sein. 

Ich  vermuthe  aber  auch  selbst,  dass  die  X-Strahlen  bei  der 
Röntgen  -Therapie  eine  Rolle  spielen,  allerdings  eine  secundäre. 
Sie  haben  nämlich,  wie  verschiedene  andere  Strahlungen,  die  Eigen¬ 
schaft,  Körper,  welche  mit  Elektricität  geladen  sind,  zu  veranlassen, 
dass  sie  diese  Elektricität  schnell  abgeben.  Solche  Körper  sind  ja  dio 
R  ö  n  t  g  e  n -Röhren  selbst.  Vielleicht  wird  die  Leichtigkeit  und  Gleich- 
mässigkeit  der  Elektricitätsabgabe  durch  die  R  ö  n  t  g  e  n -Bestrahlung 
sensu  strictiore  modificirt.  I)ie3e  Frage  bedarf  einer  expeiimentellen 
Lösung.  Vielleicht  gelingt  mir  eine  solche  in  den  Versuchen,  welche' 
ich  in  Hofrath  Prof.  W  e  i  c h  s  e  1  b  a  u  m’s  und  in  Docent  Dr.  Schiffs 
Instituten  gegenwärtig  fortsetze. 

Dr.  N  o  b  1  :  Zu  dem  von  Herrn  Collegen  Kienböck  eben 
demonstrirten  Falle  von  Alopecia  areata  hätte  ich  zu  bemerken,  dass 
der  hier  mittelst  der  Röntgen-  Strahlen  erzielte  therapeutische  Erfolg 
als  ein  gelungenes  Experiment  zu  bezeichnen  ist  und  gewiss  zu 
weiteren  Versuchen  Anregung  bieten  wird.  Der  sonst  ganz  berechtigte 
Einwand,  dass  die  Alopecia  arcata  sehr  oft  zu  spontaner  Eiieklildung 
gelangt,  kann  w'ohl  kaum  auf  den  vorgestellten  Fall  ausgedehnt 
werden;  der  Process  setzte  hier  vor  drei  Jahren  ein  und  führte  in 
kürzester  Zeit  durch  Confluenz  der  einzelnen  kahlen  Scheiben  zum  fast 
vollständigen  Verlust  des  Capillitiums,  das  nur  in  isolirten  Büscheln 
erhalten  blieb;  in  mehrmonatlicher  Observanz  an  der  Station  Docent 
Dr.  Grün  fei  d’s  konnte  ich  keinerlei  Fluctuationen  des  seit  Jahren 
stationären  Zustandes  verzeichnen. 

Andererseits  lehrt  die  aus  umfangreichen  Beobachtungsserien 
abgeleitete  Erfahrung,  dass  die  spontane  Regeneration  der  Haare 
selbst  in  den  ausgebreiteten  und  inveterirten  Formen  der  Porrigo 
decalvans  in  den  ergriffenen  Bezirken  fast  gleichzeitig  zu  erfolgen 
pflegt.  Bei  dem  Kranken  indess  ist,  von  dem  exponirten,  nunmehr 
dichtbehaarten  Areale  der  Stirnscheitelregion  abgesehen,  die  fast  voll¬ 
ständig  kahle  Kopfhaut  nach  wfie  vor  unbehaart  geblieben,  obwohl 
seit  dem  Beginne  der  erneuerten  Haarbildung  im  Besti  ahlungsgebiete 
mehr  als  zwei  Monate  verflossen  sind.  Ich  glaube  daher  in  unserem 
Falle  die  Neubildung  des  Capillitiums  wohl  der  Einwirkung  der 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen  zuschreiben  zu  können. 

Dr.  R.  Kienböck  erwidert  zunächst:  Was  die  Bemerkungen  des 
Herrn  Hofrathes  Neumann  zu  der  Demonstration  des  mit  Röntgen- 
Strahlen  erfolgreich  behandelten  Falles  von  Alopecia  areata  betrifft, 
müssen  dieselben  als  dankensw'erthe  Winke  dafür  angenommen  werden, 
w'elche  Fälle  und  Formen  jener  Erkrankung  sich  für  die  neue  Therapie 
besonders  gut  eignen.  Man  habe  von  jetzt  ab  endlich  eine  Methode 
der  Behandlung  gewonnen:  die  Lichttherapie,  und  von  ihren  zwrei 
Formen,  der  F  i  n  s  e  n’schen  und  R  ö  n  t  g  e  n’schen  Bestrahlung,  sei 
die  letztere  aus  vielen  Gründen  vorzuziehen. 

In  dem  Schlusswort  zu  seinem  Vortrage  über  die  Ursachen 
der  Einwirkungen  des  Röntgen-Lichtes  auf  die  Haut 
begrüsst  der  Vortragende  die  Versicherung  des  Herrn  Docenten  Schiff, 
sich  nun  praktisch  von  den  Vortheilen  der  neuen  Methode  —  wenige 
kräftige  Expositionen  und  Zu  warten  bis  zum  Eintritt  der  Veränderungen 
—  selbst  überzeugen  zu  wollen.  Wenn  der  College  darauf  aufmerksam 
mache,  dass  er  schon  vor  zwei  Jahren  beobachtet  und  mitgetheilt  habe, 
dass  weiche  Röhren  wirken,  harte  aber  nicht,  so  solle  er  daraus  die 
praktischen  Consequenzen  ziehen  und  sich  nicht  F  r  e  u  n  d  anschliessen, 
der  jetzt  erkläre,  die  Röntgen-Strahlen  üben  auf  die  Haut  keine  Wir¬ 
kung  aus  und  bei  der  Therapie  könne  man  sich  ganz  harter  RühreD,  die 
keine  R  ö  n  t  g  e  n  -  Strahlen  aussenden,  oder  ähnlicher  elektrischer  Ent- 
ladungsapparate  bedienen. 

Die  Versuche  des  Herrn  Dr.  Freund  erscheinen  dem  Vor¬ 
tragenden  zum  grossen  Theile  falsch  ausgelegt;  für  eine  Beurthcilung 
derselben  wäre  vor  Allem  erforderlich,  über  die  Qualität  der  dabei 
verwendeten  Röhren  und  des  vorhandenen  Lichtes  Näheres  zu  wissen- 
Dr.  Kienböck  zweifelt  nicht  an  der  Möglichkeit,  auch  mit  Funken 
und  stillen  Entladungen  Hautveränderungen  hervorzurufen,  nur  sei  dies 
in  der  Praxis  unseres  Faches  nicht  von  Belang.  Denn  seine  im  Vor¬ 
trage  erwähnten  Erfahrungen  und  Versuche  zeigen  mit  vollkommener 
Bestimmtheit  und  Klarheit,  dass  —  gegenüber  der  bedeutenden  Wirk¬ 
samkeit  der  Röntgen-Strahlen  —  die  elektrischen  Entladungen  ganz  zu 


Nr.  45 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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vernachlässigen  seien.  Diesbezüglich  demonstrirt  er  ein  zweites 
Kaninchen,  das  ebenso  wie  das  vor  14  Tagen  vorgeführte  Thier 
behandelt  worden  war;  es  hat  wieder  Alopecie  nur  auf  jener  Seite 
wo  die  weiche  Röhre  gestanden  hatte,  acquirirt. 

Ausserdem  demonstrirt  er  an  dem  Vorderarme  einer  Versuchs¬ 
person  Reactionsherde,  deren  Ausdehnung  unwiderleglich  darthut, 
dass  die  wirksamen  Strahlen  nur  von  den  Focus  der  Röhre  ausgehen, 
welcher  bekanntlich  auch  der  Ausgangspunkt  der  X-Strahlen  sei. 

Zum  Schlüsse  betont  der  Vortragende,  dass  Anfänger  in  dem 
Falle  nur  dann  rasch  die  gewünschten  therapeutischen  Erfolge  erzielen 
würden  und  andererseits  sich  nur  dann  bei  diagnostischen  Durch-, 
leuchtungen  und  Photographien  vor  Ueberdosirung  mit  ihren  zuweilen 
verhängnisvollen  Folgen  hüten  würden,  wenn  sie  seine  Stellung 
zu  der  leider  bis  heute  als  strittig  geltenden  Frage  anerkennen  und 
acceptiren.  Die  Verachtung  der  beigebrachten  Thatsachen  bedeute 
einen  Rückschritt  und  müsse  sich  rächen. 


Verein  der  Aerzte  in  Steiermark. 

V.  Monatsversammlung  am  26.  März  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Esclierich. 

Schriftführer:  Dr.  Willi.  Scholz. 

Das  rege  Interesse,  welches  derzeit  die  ärztlichen  Kreise  der 
Schularztfrage  entgegenbringen,  veranlasste  eine  Reihe  von  Referaten 
über  diesen  Gegenstand. 

Der  Vorsitzende  schilderte  in  einleitenden  Worten  die  historische 
Entwicklung  der  Schularztfrage,  welche  insbesondere  in  der  jüngsten 
Zeit  durch  die  fortschreitende  Ausgestaltung  der  Schulhygiene  drän¬ 
gender  und  auch  jetzt  in  Graz  actuell  geworden  ist. 

Prof.  Prausnitz  leitet  sodann  die  fachmännischen  Be¬ 
sprechungen  über  diese  Frage  mit  einem  Vortrage  über  die  „Schul- 
h  y  g  i  e  n  e“  ein.  Eingangs  erwähnt  er  die  Unmöglichkeit,  in  einem 
kurzen  Vortrage  auch  nur  einigermassen  erschöpfend  das  grosse  Gebiet 
zu  behandeln,  und  greift  deshalb  nur  einige  wichtige  Fragen  aus  der 
Hygiene  des  Schulhauses  heraus.  Die  Wahl  des  Bauplatzes  wird  kurz 
besprochen,  insbesondere  die  Vorzüge  und  Nachtheile  der  reinen  Nord-, 
beziehungsweise  Südlage  im  Hinblick  auf  die  Belichtung  der  Schulzimmer! 
Im  Anschlüsse  hieran  wird  die  natürliche  und  künstliche  Beleuchtung 
von  Schulräumen  erwähnt  und  die  Methoden  zur  Prüfung  deren  Zu 
länglichkeit  angeführt.  Der  Vortragende  erläutert  specielle  Versuche, 
welche  in  der  Grazer  Staatsgewerbeschule  ausgeführt  wurden  und  die 
Einführung  einer  nach  jeder  Richtung  zufriedenstellenden  künstlichen 
Beleuchtung  mit  Auer-Liclit  veranlasst  haben.  Die  natürliche  und  künst¬ 
liche  Ventilation  der  Schulräume  wurde  besprochen  und  den  Schul¬ 
ärzten  das  W  a  1  p  e  r  t’sche  Carbacidometer  zur  Bestimmung  der  Luft¬ 
reinheit  empfohlen.  Schliesslich  streift  der  Vortragende  die  Vorzüge 
und  Wohlthaten  der  Schulbäder. 

Stadtphysicus  Dr.  Eber  stalle  r  berichtet,  dass  Graz  in  zwei 
Schulen  eigene  Brausebäder  eingeführt  hat.  Die  Knaben  vom  zweiten 
Schuljahr  angefangen  baden  hier  wöchentlich  einm,al  obligatorisch,  die 
Mädchen  nur  facultativ.  Bereits  im  Jahre  1886  wurden  in  Grazer 
Schulen  C  (^-Bestimmungen  der  Schulzimmerluft  vorgenommen.  Die¬ 
selben  ergaben  mit  Ausnahme  der  modernen  Schulbauten  in  einzelnen 

('lassen  schon  nach  zweistündigem  Aufenthalt  der  Kinder  6 _ 7°  00, 

also  das  Fünffache  der  Forderung  Pettenkofer’s.  Es  erscheint 
dem  Redner  zweckmässig,  dass  die  Kinder  nach  je  zwei  Unterrichts¬ 
stunden  auf  zehn  Minuten  ins  Freie  geführt  werden,  während  welcher 
Zeit  das  Zimmer  zu  lüften  sei. 

Piot.  Birnbacher  erörtert  sodann  die  Frage  der  Schulmyopie. 
Er  verweist  .auf  die  umfassenden  Untersuchungen  H.  Cohn’s  an  den 
Schulkindein  Breslaus  und  erläutert  sodann  die  Möglichkeiten  einer 
füi  das  Zustandekommen  von  Myopie  nöthigen  Achsenverlängerung  des 
Auges  und  die  verschiedenen  Theorien,  welche  den  Zusammenhang 
zwischen  Nahearbeit  und  Entstehung  von  Kurzsichtigkeit  erklären 
sollen.  Nach  Meinung  dos  Referenten  hat  die  von  allen  Theorien  an- 
genomme  Hyperämie  und  im  Besonderen  die  active  Fluxion,  die  Arbeits¬ 
hyperämie,  in  dieser  Frage  eine  andere  Bedeutung,  als  die  einer 
Ursache  der  Erweichung,  der  Verminderung  der  Widerstandskraft.  Die 
Hyperämie,  namentlich  die  Arbeitshyperämie,  kann,  wie  in  anderen 
hganen,  auch  hier  als  Wachsthumsreiz  fungiren.  Auf  diesem  Wege 
lässt  sich  ungezwungen  der  die  Myopie  bedingende  Wachsthumsexcess 
in  der  Richtung  der  Augenachse,  als  auf  hyperämischer  Grundlage  auf- 
gebaut,  erklären.  Die  Einstellung  dos  nicht  kurzsichtigen  Auges  auf 
nahe  Gegenstände  durch  Accommodation  kann  namentlich  bei  jungen 
jeuten,  welche  viel  Nahearbeit  leisten,  eine  so  andauernde  werden, 
dass  sie  selbst  da  nicht  aufgegeben  wird,  wo  sie  ganz  unzweckmässig 
ist,  nämlich  beim  Sehen  in  die  Ferne. 

Die  Mittel,  welche  dio  Zunahme  und  Ausbreitung  der  Myopie 
uic  den  Schulunterricht  verhindern  oder  wenigstens  beschränken 
so  en,  sind  die  Ausschaltung  der  schädigenden  Ursachen,  insbesondere 


also  das  andauernde  Nahesehen.  Gute  Beleuchtung  der  Arbeitsplätze, 
grosser  Druck,  grosse  Zwischenräume  zwischen  den  Zeilen  beim  Lesen 
und  Schreiben  sind  Grundbedingungen,  ebenso  hellweisse  Schreibfläche 
und  tiefschwarzes  Schreib-  und  Druckmaterial.  Zweckmässige  Sitze, 
welche  geiade,  aufrechte  Haltung  erleichtern,  Steilsclirift  und  unab 
lässige  Gontrole  durch  den  Lehrer  sind  gleichfalls  nothwendig.  Die 
Naheaibeit  soll  nicht  zu  lange  ununterbrochen  fortdauern  und  die 
häuslichen  Arbeiten  wegen  eventueller  schlechter  häuslicher  Beleuchtung 
vermindert  werden. 

Dei  Schularzt  soll  nach  Meinung  des  Referenten  sein  Augenmerk 
der  Beleuchtung  der  Arbeitsplätze,  der  Zweckmässigkeit  der  Sitz¬ 
gelegenheiten  und  der  Qualität  der  Bücher  und  Schreibmaterialien  zu 
wenden  und,  soweit  es  das  pädagogische  Interesse  gestattet,  auch  auf 
Eintheilung  des  Unterrichtes  und  der  Erholungspausen  Einfluss  nehmen. 
Die  Untersuchung  der  Schüler  auf  ihren  Refractionszustand  möge  jedoch 
den  Specialisten  Vorbehalten  sein. 

* 

VI.  Monatsversammlung  am  9.  April  1900. 

Docent  Dr.  Tobeitz  hält  in  Fortsetzung  der  „Schularztfrage“ 
einen  Vortrag :  Zur  Bekämpfung  der  Infectionen  in  der 
Schule. 

Der  Redner  bespricht  zunächst  die  Momente,  welche  die  Em¬ 
pfänglichkeit  der  Schüler  für  eine  Infection  überhaupt  erhöhen.  Die 
schädigenden  Einflüsse,  welchen  man  vornehmlich  in  der  Schule 
begegnet,,  sind  mannigfach.  Vor  Allem  ist  die  durch  irrespirable  Gase 
verunreinigte  Schulzimmerluft  und  deren  Staubreiohthum  hervorzuheben. 
Insbesondere  sei  auf  die  Nachtheile  des  gewöhnlichen  Bretterbodens 
aus  weichem  Holze  wegen  dessen  Unebenheit,  den  meist  breiten  Fugen 
und  der  oftmaligen  Lockerung  der  Bretter  hingewiesen.  Der  Brettel 
boden  aus  Hartholz,  der  Xylolith-  und  Linoleumbodeu  ist  deshalb 
empfehlenswerther.  Ein  weiterer  schädigender  Factor  ist  die  mangel¬ 
hafte  Ventilation  und  Heizvorrichtung  der  Schulstube.  Auch  die  oft, 
schlecht  eingerichteten  Turnräume  sind  tadelnswerth.  Hierauf  bespricht 
Referent  die  verschiedenen  Infectionsmöglichkeiten  und  verweist  auf 
die  interessanten  Laboratoriumsarbeiten  Flügge’s:  „Ueber  Luft- 
infection“  und  Neisser’s:  „Ueber  Luftstaubinfection“.  Die  Infections- 
möglichkeit  wächst  mit  der  Schülerzahl  in  beschränkten  Räumlich¬ 
keiten.  Vor  Allem  die  directe  Tröpfchen-  und  Bläscheninfection,  ver¬ 
mittelt  durch  Sprechen,  Lachen,  Schreien,  Husten,  Spucken  und 
Niesen,  aber  auch  die  indirect  Staub-  und  Staubcontactinfection  wird 
bei  engem  Verkehr  der  Schule  leichter  und  häufiger  geschehen  können. 
Kinder  mit  auffallenden  katarrhalischen  oder  sonst  verdächtigen  Aflec 
tionen  sollten,  insbesondere  zur  Zeit  einer  Epidemie,  von  der  Schule 
fernbleiben.  Nachdem  dies  nur  begrenzt  möglich  ist,  sollten  die  Kinder 
strenge  angehalten  werden,  nur  in  das  vorgehaltene  Sacktuch  zu  niesen, 
zu  husten  oder  zu  spucken,  oder  zu  letzteren  Zwecken  geeignete  Spuck¬ 
näpfe  benützen.  Die  hygienische  Erziehung  der  Schüler  wird  dadurch 
zur  Nothwendigkeit !  Die  Kinder  müssten  auch  vor  Contactinfection 
gehütet  und  veranlasst  werden,  ihre  Finger,  Federhalter,  Bleistifte  oder 
vom  Boden  aufgelesene  Dinge  nicht  in  Mund  und  Nase  zu  stecken. 
Die  Benützung,  Reinhaltung  und  Desinfection  der  Aborte  wäre  weiter¬ 
hin  genauestem  zu  überwachen. 

Der  Redner  bespricht  nunmehr  die  Art  der  Infectionsmöglichkeit 
bei  den  in  Frage  kommenden  Krankheiten  in  eingehender  Weise.  Die 
Momente  für  die  geringere  oder  grössere  Häufigkeit  der  einzelnen  In- 
fectionskrankheiten  und  die  jeweilige  Ausdehnung  oder  Gefährlichkeit 
ihrer  epidemischen  Verbreitung  sind  hauptsächlich  die  verschiedene 
Disposition  der  Menschen  für  die  betreffende  Krankheit,  die  Häufigkeit 
des  Vorkommens  ihrer  Erreger,  der  Grad  ihrer  Giftigkeit  neben  der 
Dauer  und  Intensität  der  Lebensfähigkeit  derselben. 

Prof.  Dr.  Esch  er  ich  demonstrirt  Curven,  welche  auf  Grund  der 
beim  fetadtphysicat  in  Graz  einlaufenden  Infectionsanzeigen,  nach 
Altersclassen  geordnet,  angefertigt  wurden.  Dieselben  zeigen  die  aus¬ 
gesprochene  Steigerung  der  Frequenz  der  anst<  ekenden  Krankheiten 
in  der  Zeit  des  Schulbesuches.  Besonders  deutlich  tritt  dies  zu  Tage 
bei  den  Masern,  beim  Mumps  und  bei  Varicellen,  während  bei  Keuch¬ 
husten  und  Diphtherie  das  Maximum  schon  auf  frühere  Lebensalter 
fällt.  Es  dürfte  dies  damit  Zusammenhängen,  dass  diese  Krankheiten 
mehr  durch  den  persönlichen  innigen  Contact  und  durch  die  Infection 
mit  den  im  Schmutze  vorkommenden  Keimen  verbreitet  werden.  Die 
Bedeutung  der  Tröpfcheninfection,  insbesondere  bei  jenen  Krankheiten, 
welche  ohne  Erkrankung  der  Respirationsorgane  einhergehen,  z.  B.  boi 
Varicellen,  hält  Redner  für  überschätzt. 

Dr.  v.  Kutsch  er  a  empfiehlt  für  die  Fussböden  der  Schul 
zimmer  den  Theeranstrich,  welcher  bereits  vielfach  mit  Erfolg  ange¬ 
wendet  wurde.  Nach  Meinung  des  Redners  traten  Masernepidemien 
nach  drei-  bis  fünfjährigen  Intervallen  immer  wieder  unaufhaltsam 
epidemisch  auf,  und  zwar  desto  heftiger,  je  länger  das  masernfreie 
Intervall  anhielt.  Es  wäre  deshalb  angezeigt,  nur  bei  bösartigen 
Ma°ernepidemien  die  Schulschliessung  zu  empfehlen. 


1056 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  45 


Generalstabsarzt  Dr.  v.  Lanyi  bezweifelt  die  Möglichkeit, 
Schulkinder  zum  Vorhalten  von  Taschentüchern  beim  Husten  zu  ver¬ 
halten  und  auf  diese  Weise  die  Infection  der  Nebensitzenden  einzu¬ 
schränken.  Zugleich  weist  er  auf  die  Infeetionsgefahr  hin,  welche 
beim  Pflücken  vou  Beeren,  welche  für  den  grossen  Markt  bestimmt 
sind,  durch  arme  Kinder  mit  unreinlichen  Händen  einlreten  kann. 

Dr.  Eber  stalle  r  weist  der  Bläscheninfection  bei  Masern 
eine  wichtige  Rolle  zu  und  empfiehlt  den  Vorschlag  von  Widowitz 
blos  vom  10.  bis  14.  Tage  nach  der  ersten  Masernerkrankung  die 
betreffende  Schulclasse  zu  scbliessen.  Der  Verstäubungsinfection  wird 
in  Schulen  durch  unzweckmässiges  Auskehren  vielfach  Vorschub  ge¬ 
leistet.  Endlich  erläutert  der  Redner  die  wichtige  Rolle,  welche  durch 
Defäcation  verunreinigte  Hände  für  die  Weiterverbreitung  von  Darrn- 
infectionskrankheiten  spielen  und  verweist  auf  diesbezüglich  beobachtete 
Beispiele. 

Die  Frage,  wann  ein  Kind  nach  einer  Infectionskrankheit  die 
Schule  wieder  besuchen  kann,  entfesselt  eine  rege  Debatte.  Die 
reformbedürftigen  Morbiditätsschemen  und  die  vielfachen  veralteten 
Landesverordnungen  bezüglich  der  Infectionskrankheiten  veranlassten 
Prof.  Kraus,  die  Einsetzung  eines  Comitös  zu  beantragen,  welches 
eompetenten  Ortes  Reformvorschläge  zu  unterbreiten  habe.  Die  Ver¬ 
sammlung  erhebt  diesen  Antrag  zum  Beschluss. 

* 

VII.  Monatsversammlung  am  30.  April  1900. 

Auf  der  Tagesordnung  befindet  sich  die  Discussion  über  den 
Vortrag  des  Prof.  Dr.  Birnbacher:  Ueber  Schulmyopie. 

Dr.  F  i  z  i  a  berichtet  über  Messungen  der  Orbita  bei 
312  Schülern  nach  der  Methode  Stilling’s.  Er  fand,  dass  die  Re¬ 
sultate  dieser  Orbitalmessungen  nicht  zu  Gunsten  .der  Theorie 
S  t  i  1  1  i  n  g’s,  die  Myopie  betreffend,  ausfielen.  Die  Ergebnisse  seiner 
weiteren  Untersuchungen  sind  in  der  Zeitschrift  „Das  österreichische 
Sanitätswesen“  enthalten,  auf  welche  Redner  verweist  und  dieselben 
nur  kurz  anführt. 

Dr.  Eber  st  all  er  spricht  die  Ansicht  aus,  dass  die  zu¬ 
nehmende  Myopie  vieler  Kinder  eine  Gewohnheitsmyopie  sei,  indem 
dieselben  durch  schlechte  Körperhaltung  beim  Schreiben,  zu  grosse 
Annäherung  der  Augen  an  das  Heft,  unpassende  Subsellien  u.  dgl. 
es  zu  gewohnheitsmässiger  Kurzsichtigkeit  bringen,  zumal  wenn  ererbte 
Disposition  besteht.  Noch  mehr  Schaden  als  die  Schule  richten  die 
schriftlichen  Hausarbeiten  an.  Hat  jedes  Kind,  wie  Schnabel 
meint,  Neigung  zur  Kurzsichtigkeit,  so  fällt  der  Schule  die  wichtige 
Aufgabe  zu,  dieser  Disposition  entgegenzuarbeiten.  Der  Schularzt 
hätte  deshalb  die  Pflicht,  häufig  Augenuntersuchungen  der  Kinder 
vorzunehmen.  Diesen  Untersuchungen  könnte  durch  die  bekannte 
Methode  mit  den  C  o  h  n’schen  Tafeln  vorgearbeitet  werden. 

Docent  Dr.  Sachsalber  präcisirt  die  praktischen  Aufgaben  des 
Schularztes  in  der  Frage  der  Myopie.  Derselbe  trachte,  alle  Momente 
zu  beseitigen,  welche  erfabrungsgemäss  Myopie  bei  hiezu  prädisponirten 
Individuen  herbeizuführen  geeignet  sind.  Diese  schädigenden  Einflüsse 
werden  vom  Redner  nunmehr  genau  besprochen.  Eine  der  wichtigsten 
Aufgaben  des  Schularztes  besteht  jedoch  in  der  periodischen  Unter¬ 
suchung  sämmtlicher  Schüler  bezüglich  ihrer  Sehschärfe  und  des 
liefractionszustandes.  Alle  Jene,  die  keine  normale  Sehschärfe  haben 
und  besonders  alle  kurzsichtigen  Schüler  wären  einer  ophthalmoskopi¬ 
schen  Untersuchung  und  der  objectiven  Refractionsbestimmung  zu 
unterziehen.  Letztere  könnte  mit  Hilfe  der  sogenannten  Schattenprobe, 
welche  wegen  ihrer  Einfachheit  von  jedem  Arzt  leicht  erlernt  wird, 
vorgenommen  werden.  Nach  Meinung  des  Redners  müsste  der  Schularzt 
ständig  den  Lehrkörperconferenzen  mit  berathender  Stimme  zugezogen 
werden. 

Prof.  Birnbacher  resumirt  in  seinem  Schlussworte  noch¬ 
mals  seine  Ansichten  über  diese  Frage.  Referent  befürwortet,  dass  der 
Lehrer  durch  einfache  Proben  alle  normal  sehenden  Kinder  aus- 
sondero,  der  Schularzt  sodann  jene  auswähle,  welche  durch  äusserlich 
merkbare  Veränderungen  an  Sehschärfe  verloren  haben,  der  Rest  aber 
von  einem  Facharzte  auf  seine  Refraction  geprüft  werde. 

13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  L  a  r  y  n  g  o  1  o  g  i  e  und  R  h  i  n  o  1  o  g  i  e. 

I  \  .  S  e  m  o  n  (London):  Die  Indication  on  der  Thyr¬ 
eo  t  o  m  i  e. 

Die  Tnyreotomie  ist  nicht  nur  eine  seltene,  sondern  auch  bis 
vor  Kurzem  eine  wenig  populäre  Operation.  Gründe  hiefür.  Erst  ganz 
neuerdings  allgemeinere  Verwendung  (Verbesserung  der  Technik,  ge¬ 
ringere  Gefahr,  bessere  Resultate). 


Specielle  Indicationen  —  Stets  zu  erwägen,  dass  bei 
den  meisten  derselben  alternative  Methoden  (intralaryngeale  Ope¬ 
ration,  Dilatation,  Intubation  etc.)  in  Frage  kommen. 

1 .  Fremdkörper  im  Kehlkopfe.  —  (Unter  keinen 
Umständen  Fremdkörper  längere  Zeit  im  Kehlkopfe  eingekeilt  zu 
lassen.) 

2.  Verletzungen  des  Kehlkopfes.  —  (Fracturen,  Schuss¬ 
wunden,  Selbstmordversuche  etc.). 

3.  Laryngocele.  —  (Aeusserst  seltene  Indication.) 

4.  Verengerungen  dos  Kehlkopfes.  —  Bisweilen 
.(z.  B.  bei  syphilitischer  fibroider  Verdickung  der  Weich theile)  erzielt 

Thyreotomie,  gefolgt  von  Excision  der  stenosireudon  Partien,  treffliche 
Resultate.  Ergebniss  aber  nicht  vorherzusehen.  Möglichkeit  erneuerter 
Stenosirung. 

5.  Acute  Perichondritis  der  Kehlkopfknorpel. 
—  Seltene  Indication,  gelegentlich  vorzüglicher  Erfolg. 

6.  Tuber  cu  lose  (und  Lupus)  des  Kehlkopfes.  — 
G  o  r  i  s’  Indicationsstellung.  Bisweilen  trefflicher  Erfolg,  aber  stets  die 
Gefahr  tuberculöser  Infection  der  äusseren  Wunde. 

7.  S  k  1  e  r  o  m  des  Kehlkopfes.  —  Thyreotomie  an¬ 
scheinend  erfolgreichste  Methode,  wenn  auch  nicht  gegen  Recidive 
schützend. 

8.  Gutartige  Kehlkopfneubildungen.  —  Intra¬ 
laryngeale  Methode,  wenn  irgend  anwendbar,  im  Allgemeinen  un¬ 
zweifelhaft  vorzuziehen.  Aber  einzelne  Ausnahmen  von  dieser  Regel. 
Besprechung  solcher.  Nothweudigkeit,  in  jedem  einzelnen  Falle 
zu  individualisiren.  Thyreotomie  schützt  nicht  gegen  Recidive  multipler 
Papillome. 

9.  Bösartige  Kehlkopfneubildungen.  —  Ent fernung 
solcher  im  Frühstadium,  und  wenn  auf  eigentliches  Kehlkopfinneres 
beschränkt,  gegenwärtig  wichtigste  Indication  der  Thyreotomie.  Gefahr 
irreleitender  Statistiken.  Die  Rivalität  der  intralaryngealen  Operation 
und  der  Kehlkopfexstirpation  mit  der  Thyreotomie.  Die  wahre  Leistungs¬ 
fähigkeit  der  Thyreotomie  bei  rechtzeitiger  Diagnose  und  geeigneter 
Auswahl  der  Fälle. 

V..  O.  C  h  i  a  r  i  (Wien) Anatomie  und  Diagnose  der 
Stimmbandknötchen. 

Der  Begriff  „Stimmbandknötchen“  kann  verschieden  weit 
genommen  werden.  Cliiar  i  will  hier  nur  über  folgende  Knötchen 
sprechen : 

Sie  sind  rund  oder  etwas  länglich,  sitzen  am  freien  Rande  der 
unteren  Stimmbänder,  meistens  an  der  Grenze  des  vorder.cn  und  mitt¬ 
leren  Drittels,  und  sind  gewöhnlich  symmetrisch  an  beiden  Seiten  vor¬ 
handen.  Sie  haben  eine  gelblichw'eisse  oder  röthlichweisse  Farbe,  ge¬ 
wöhnlich  glatte  Oberfläche,  sind  nicht  gestielt,  undurchsichtig  und  er¬ 
reichen  höchstens  die  Grösse  eines  Stecknadelkopfes.  Durch  diese 
Eigenschaften  sind  sie  gut  abgegrenzt  gegen  Fibrome,  Cysten, 
Papillome,  andere  Neubildungen  und  gegen  tuberculöse  und  syphiliti¬ 
sche  Knoten. 

Sie  ulceriren  nie,  bilden  sich  dagegen  nicht  selten  spontan 
zurück. 

Die  Autoren  machen  verschiedene  Angaben  bezüglich  ihrer 
Häufigkeit;  Chiari  konnte  sie  in  J/g — 1°/0  aller  Kehlkopfkranken 
beobachten,  und  zwar  nahezu  doppelt  so  oft  bei  weiblichen  Individuen 
als  bei  männlichen.  Vielleicht  kommt  das  daher,  weil  erstere  der 
Reinheit  ihrer  Stimme  mehr  Aufmerksamkeit  schenken,  als  letztere. 

Bei  Sängern  und  Sängerinnen  sind  die  Knötchen  häufiger  zu 
beobachten  als  bei  anderen  Menschen.  Ausserdem  sind  sie  bei  Kindern 
relativ  häufig.  Als  Ursache  ihrer  Entstehuug  ist  anzunehmen  acuter 
und  chronischer  Katarrh  des  Kehlkopfes,  starke  Anstrengung  der 
Stimme,  vielfach  auch  fehlerhaftes  Singen. 

Die  meisten  Autoren  betrachten  die  Knötchen  als  Hypertrophien 
des  Epithels  und  der  oberflächlichen  Faserschichten  des  Stimmbandes. 
Es  liegen  darüber  auch  histologische  Befunde  vor  ;  diese  Befunde  werden 
besprochen. 

Schliesslich  berichtet  Chiari  auch  über  seine  eigeuen  neuen 
Untersuchungen  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  dass  Drüsen  nur  aus¬ 
nahmsweise  in  den  Knötchen  zu  finden  sind.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  9.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  Teleky 
gtattflndenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  E.  Hering:  Ueber  centripetale  Ataxie  beim  Menschen 
und  Affen. 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Prof.  E.  Wcrtheim. 

B  erg  meiste  r,  Pal  tauf. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Rediffirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

o 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  15.  November  1900.  Nr.  46. 


<©> 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX; 3,  Maximilianplatz, 
Güntheigasse  1 .  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
zweigespalteno  Nonpareiile- 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Ueberein- 
kommen. 

®  € 

Verlagshandlung : 

Telephon  Nr.  6094. 


INHALT: 


I.  Or  iginalartikel :  1.  Ans  dem  pathologisch  anatomischen  Institute  in  Wien. 

Ein  weiterer  Beitrag  zur  Pathologie  und  Aetiologie  der  Gangrene 
foudroyante.  Von  Dr.  Fritz  Hitschmann  und  Dr.  Otto 
Tli.  Lindenthal. 

2.  Ueber  den  Verschluss  von  Defecten  am  Schädel  durch  Knochen¬ 
heteroplastik.  Von  Dr.  Konrad  Büdinger. 

3.  Aus  dem  allgemeinen  Krankenhause  in  Linz  (Primarius  Dr.  Ale¬ 
xander  Brenner).  Zur  Casuistik  der  Darmlipome.  Von  Dr.  Ferd. 
Gross,  Secundararzt. 

II.  Referate:  Ueber  die  Beulenpest  in  Bombay  im  Jahre  1897.  Von  Privat- 

docenten  Dr.  H.  Albrecht  und  Privatdocenten  Dr.  A.  Ghon. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

Ref.  Dr.  R.  Kretz.  —  Ernährung  und  Volksnahrungsmittel.  Von 
Prof.  Johannes  Frenzei  Oeffentliche  Massnahmen  gegen  an¬ 
steckende  Krankheiten  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Desinfection. 
Von  Th.  Weyl.  Ref.  Grassberger.  —  Atlas  und  Grundriss  der 
chirurgischen  Operationslehre.  Von  Dr.  Otto  Zuckerkandl.  Ref. 
Alex.  Fraenkel. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  dem  pathologisch-anatomischen  Institute  in  Wien. 

Ein  weiterer  Beitrag  zur  Pathologie  und  Aetio¬ 
logie  der  Gangrene  foudroyante. 

Von  Dr.  Fritz  Hitschmann  und  Dr.  Otto  Th.  Lindenthal. 

Seit  dem  Erscheinen  unserer  Monographie  »Ueber  die 
Gangrene  foudroyante«  in  den  Sitzungsberichten  der  k.  k. 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien1)  (1899)  sind  im  Laufe 
des  vergangenen  Jahres  mehrere  Arbeiten  erschienen,  welche 
sich  mit  dieser  Erkrankung  oder  deren  Erregern  beschäftigen. 

Wir  haben  nicht  die  Absicht,  auf  alle  in  diesen  Arbeiten 
berührten  Fragen  nochmals  einzugehen,  halten  uns  aber  für 
verpflichtet,  einzelne  derselben,  welche  mit  unseren  Ansichten 
im  Widerspruche  stehen,  näher  zu  besprechen. 

Nach  unseren  fortgesetzten  Studien  sind  wir  nicht  nur 
in  der  Lage,  alle  von  uns  seinerzeit  aufgestellten  Behauptungen 
aufrecht  zu  erhalten,  sondern  auch  durch  eine  weitere  Beob¬ 
achtung  aufs  Neue  zu  bekräftigen. 

Unser  Studium  beschränkte  sieh  aber  nicht  allein  auf 
die  Gangrene  foudroyante,  sondern  fand  in  der  Beschäftigung 
mit  den  Schaumorganen,  einem  Processe,  der  nicht  nur  ätio¬ 
logisch,  sondern  auch  anatomisch  und  histologisch  mit  der 
Gangrene  foudroyante  aufs  Innigste  zusammenhängt,  ja  den¬ 
selben  Process  darstellt,  eine  sehr  werthvolle  Ergänzung.  Die 
Ergebnisse  dieser  letzteren  Arbeit  sollen  demnächst  zur  Publi¬ 
cation  gelangen. 

Wir  geben  nun  die  Krankengeschichte  des  oben¬ 
erwähnten  Falles,  der  an  der  Klinik  des  Hofrathes  Albert 
zur  Beobachtung  kam,  und  für  deren  Ueberlassung  wir  Herrn 
Dr.  v.  Friedländer  zu  besonderem  Danke  verpflichtet  sind, 
unter  unwesentlichen  Weglassungen  in  ihrer  ganzen  Ausführ¬ 
lichkeit  wieder,  einmal  deshalb,  weil  wir  in  unserer  früheren 
Arbeit  über  keine  derartig  exacte  klinische  Beobachtung  ver- 

*)  Mathematisch-naturwissenschaftliche  Classe,  Bd.  CVIII,  Abth.  III. 
März  1899. 


fügten,  dann  aber  auch,  weil  der  Beginn  der  Infection  an  der 
Klinik  beobachtet  wurde  und  wir  dadurch  Aufklärung  'über 
gewisse  Frühsymptome  erlangen. 

Am  16.  Januar  1900  wurde  auf  die  I.  chirurgische  Klinik  ein 
Mann  mit  einer  Ankylose  des  rechten  Ellbogengelenkes  aufgenommen. 
Er  gab  an,  sich  im  Alter  von  ungefähr  sechs  Jahren  eine  Verrenkung 
dieses  Gelenkes  zugezogen  zu  haben,  ohne  dass  spontane  Einrich¬ 
tungsversuche  gemacht  worden  wären.  In  Folge  dieses  Unfalles  war 
eine  Einschränkung  der  Streckung  im  rechten  Ellbogengelenke  und 
der  Supination  des  rechten  Vorderarmes  zurückgeblieben.  Am  Tage 
der  Aufnahme  stürzte  Patient  von  der  Stiege  und  tiel  auf  das  anky- 
lotische  Gelenk  auf.  Dieses  schwoll  bald  darauf  unter  Schmerzen  an 
und  zeigte  eine  Hautabschürfung  ober  dem  inneren  Üondylus.  Nach 
Rückgang  der  Schwellung  (1 1  Tage  nach  dem  Sturze)  ergab  sich 
folgender  Status  praesens: 

Patient  von  gracilem  Knochenbau  und  gesunden  inneren  Or¬ 
ganen.  Das  rechte  Ellbogengelenk  ist  leicht  gebeugt;  die  rechte  Hand 
in  nicht  vollkommener  Pronation  fixirt;  die  Beugung  im  Ellbogen- 
gelenk  ist  unbehindert,  die  Streckung  unmöglich.  Pronation  und 
Supination  der  Hand  erfolgen  im  Schultergelenke.  Die  Abtastung  der 
Gelenksconstituentien  ergibt,  dass  der  innere  Condylus  stärker  vor¬ 
springt;  beim  Druck  auf  denselben  empfindet  der  Kranke  lebhafte 
Schmerzen.  Die  Gelenksenden  des  Oberarmes  sind  intact,  es  articulitt 
die  Ulna  mit  der  Trochlea  in  normaler  Weise.  Das  Radiusköpfchen 
ist  an  normaler  Stelle  nicht  zu  tasten.  Das  Röntgen-Bild  zeigt  eine 
Synostose  zwischen  Radius  und  Ulna  in  einer  Ausdehnung  von  8  cv t, 
gleich  unter  dem  Ellbogengelenke  beginnend.  Da  der  Kranke  sich 
durch  die  behinderte  Supination  in  der  Ausübung  seines  Berufes  als 
Zuschneider  behindert  fühlte,  wünscht  er,  auf  operativem  A\  ege  die 
freie  Beweglichkeit  der  Hand  wieder  zu  erhalten. 

25.  Januar.  Operation  (Dr.  v.  Friedlände  r).  Schnitt  an  der 
Streckseite,  4  cm  unter  dem  Ellbogengelenke  beginnend,  dem  Radius 
entlang,  in  einer  Länge  von  ungefähr  8  cm;  Spaltung  der  Fascie;  man 
gelangt  in  ein  Muskeldissepiment  und  durch  dieses  bis  auf  den 
Knochen.  Das  Periost  wird  durchschnitten  und  mit  dem  Raspatorium 
nach  beiden  Seiten  abgehoben.  An  dieser  Stelle,  etwas  unterhalb  der 


1058 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


Vorderarmknochensynostose  wird  ein  1  cm  langes  Stück  Radius  re- 
sccirt.  Zur  Vermeidung  der  Verwachsung  der  Knochenenden  wird 
ein  Stück  Celluloid  inlerponirt;  jetzt  erst  wird  die  Pronation  und 
Supination  versucht.  Erstere  gelingt  fast  vollständig,  letztere  zeigt 
noch  immer  eine  bedeutende  Einschränkung.  Bei  der  forcirten  Supi¬ 
nationsbewegung  kracht  es  plötzlich,  und  man  constatirt  einen 
Spiralbruch  der  Ulna,  peripher  von  der  Synostose.  Nach  Stillung  der 
hiebei  auftretenden  Blutung  wird  die  Fascie  und  darüber  die  Haut 
vernäht  und  hierauf  in  stark  supinirter  Stellung  des  Vorderarmes  ein 
Blaubindenverband  angelegt. 

Nachmittags  klagt  Patient  über  heftige  Schmerzen  am  Arme. 
Die  Finger  sind  blutleer,  kühl  und  gefühllos.  Zur  Besserung  der  Blut- 
circulation  wird  der  Verband  etwas  eingeschnitten,  worauf  sich  die 
Sensibilität  bessert. 

26.  Januar.  Abends  Temperatur  38°.  Patient  hatte  eine  schlaflose 
Nacht;  Verbandwechsel. 

27.  Januar.  Bei  der  Nachmittagsvisite  klagt  Patient  über  Ge¬ 
fühllosigkeit  der  ganzen  rechten  Hand.  Diese  fühlt  sich  kalt  an,  ist 
blass.  Der  Verband  wird  entfernt,  worauf  der  stark  bläulich  verfärbte 
Vorderarm  zur  Ansicht  kommt.  Die  Haut  am  Ellbogen  ist  pastös.  Es 
werden  die  Nähte  entfernt,  die  Wundränder  auseinandergezogen, 
wobei  eine  schaumige  Flüssigkeit  hervorquillt.  Aus  einer 
Gewebsspalte  entleeren  sich  einige  Tropfen  einer  mit  Luftblasen 
gemischten  serös-hämorrhagischen  Flüssigkeit.  Patient  klagt 
über  heftige  Schmerzen.  Es  wird  ein  Sublimatumschlag  gemacht,  der 
Arm  leicht  verbunden  und  auf  eine  Winkelschiene  gelegt.  Die  Ge¬ 
fühllosigkeit  in  der  Hand  besteht  fort,  die  Circulation  scheint  etwas 
gebessert.  Abends  Temperatur  39-7°. 

28.  Januar.  Morgens  Temperatur  38  7°.  Patient  hatte  eine  ruhige 
Nacht;  am  Morgen  geringe  reissende  Schmerzen  in  den  Fingern  der 
kranken  Hand.  Diese  ist  stark  geschwollen,  die  Haut  prall  gespannt, 
livid  verfärbt.  In  den  Interdigitalfalten  ist  die  Haut  stark  geröthet,  in 
Form  von  Bläschen  und  grossen,  tiefblau  durchschimmernden  Blasen 
abgehoben.  Die  Haut  im  ganzen  Bereiche  der  Hand  vollständig 
anästhetisch.  Nach  Abnahme  des  Verbandes  zeigt  sich,  dass  die 
Schwellung  bis  zur  Schulter  hinaufreicht.  Die  Haut  des  Vorderarmes 
ist  ziemlich  gleichmässig  livid  verfärbt;  an  der  Beugeseite  befinden 
sich  zwei  circa  kronengrosse,  blauschwarz  durchschimmernde  Blasen. 
Am  Ellbogen  ist  die  Haut  stark  geröthet,  von  kleinsten  Bläschen 
übersäet.  Die  Schwellung  am  Oberarme  ist  etwas  geringer.  Aber  auch 
hier  zeigt  die  Haut  vereinzelte  Blasen.  Die  in  der  Wunde  offen  liegen¬ 
den  Muskeln  erscheinen  schwarz  verfärbt,  zunderartig-, 
aus  den  Gewebsinterstitien  springen  reichlich  Gasblasen  hervor. 
Die  Anästhesie  reicht  bis  zum  Ellbogen.  Im  Hinblicke  auf  die 
durch  den  Process  bedingte  Lebensgefahr  wird 
dem  Patienten  die  Einwilligung  zur  Amputation 
abverlangt,  jedoch  von  demselben  verweigert.  Es 
wird  nun  nach  Excision  eines  kleinen  Muskelstückes  behufs  Unter¬ 
suchung  durch  breites  Spalten  der  geschwellten  Theile  versucht,  dem 
Processe  entgegenzuarbeiten. 

Patient  wird  narkotisirt  und  Dr.  v.  Friedländer  macht 
zuerst  an  der  Ulnarseite  des  Oberarmes,  entsprechend  der  äus¬ 
seren  Bicepsfurche,  eine  lange  Incision  und  legt  präparirend  die 
Muskeln  bloss,  unter  Eröffnung  der  Muskelinterstitien;  ein  zweiter 
Schnitt  wird  im  inneren  Sulcus  bicipitalis  vom  Ellbogen  über  die 
Achselfalten  auf  den  Thorax  geführt.  Auch  hier  werden  die  Muskeln 
freipräparirt,  die  Gewebsspalten  eröffnet.  Das  Gewebe  erscheint  ohne 
grobe  Veränderungen,  deutlich  imbibirt,  mit  nur  geringer  Gasbildung. 
Ein  dritter  Schnitt  wird  an  der  Streckseite  vom  Ansätze  des  Mus- 
culus  latissimus  dorsi  bis  über  das  Olecranon  geführt  und  nach 
Spaltung  und  Präparation  der  Muskeln  werden  die  Spalträume  mit 
in  Sublimatlösung  getauchten  Tupfern  ausgestopft.  Dann  wird  an 
der  Beugeseite  des  Vorderarmes  ein  weiterer  Schnitt  geführt.  Hier 
zeigt  sich  eine  kolossale  Gasentwicklung.  Die  Muscu- 
laturistganz  anämisch,  von  wächsernem  Aussehen; 
aus  allen  Spalten  springen  Blasen,  die  Venen 
scheinen  mit  Gas  gefüllt.  (Ein  circa  1  '/.,  cm  langes  Stück 
einer  derartigen  mit  Gas  gefüllten  Vene  wird  nach  doppelter  Unter¬ 
bindung  behufs  Untersuchung  excidirt.)  An  der  Streckseite  wird  je 
ein  Schnitt  radial-  und  ulnarwärts  geführt;  der  Radialschnitt  ist  die 
Fortsetzung  des  bei  der  ersten  Operation  gesetzten  Schnittes.  Auch 
hier  reichlicheGasbildung,  die  Musculatur  trocken, 
wie  .gekocht,  das  unter  der  Haut  liegende  Zellgewebe  ist 


missfärbig,  schwarzblau,  und  gibt  einen  geringen,  nicht 
näher  zu  delinirenden  Geruch  von  sich.  Die  Hand  livid  verfärbt, 
geschwollen ,  zeigt  bei  Betasten  deutlich  emphysematöses 
Knistern.  Abends  Temperatur  38'6°. 

29.  Januar.  Morgens  Temperatur  38T°.  Patient  hatte  eine  ziem¬ 
lich  gute  Nacht  ohne  Schmerzen,  nur  in  der  Hand  und  am  Vorder¬ 
arm  das  Gefühl,  als  wenn  elektrische  Ströme  durchgeleitet  würden. 
Appetit  gut.  Patient  nimmt  genügend  Nahrung  und  Excilanticn  zu 
sich.  Beim  Verbandwechsel  klagt  Patient  über  Schmerzen  in  der 
Operationswunde.  Die  Incisionsöffnungen  des  Oberarmes  zeigen  nach 
der  Entfernung  der  Sublimatgaze  kein  Weiterschreiten  des  Processes. 
Die  sichtbaren  Hautränder,  Fascicn  und  Muskeln  zeigen  am  Oberarm 
ein  normales  Aussehen,  nirgends  ist  eine  Eiterung  wahr¬ 
nehmbar.  Weder  bei  Druck  auf  die  intacte  Haut,  noch  bei  Com. 
pression  der  Wundränder  ist  emphysematöses  Knistern  oder  Austritt 
von  Gasblasen  wahrzunehmen.  Die  Röthung  am  Oberarm  hat  be¬ 
deutend  abgenommen;  die  daselbst  befindlichen  Wunden  zeigen  keine 
Veränderung.  Die  Musculatur  des  Vorderarmes  beginnt  an  der  Streck¬ 
seite  den  Charakter  der  Mumification  anzunehmen;  die  Muskeln  sind 
zum  Theile  wie  gekocht  aussehend,  namentlich  in  der  ersten  Opera¬ 
tionswunde  von  schwarzem,  missfärbigem  Tone;  die  Hand  livid  ver¬ 
färbt;  die  Haut  in  Fetzen  abziehbar.  Auch  hier  nirgends  Eite¬ 
rung;  stellenweise  auf  Druck  emphysematöses  Knistern,  sowie 
Austritt  vereinzelter  Gasblascn.  Sublimatgaze.  Verband.  Abends 
Temperatur  37-6°. 

30.  Januar.  Morgens  Temperatur  37°.  Nacht  mässig  gut.  Verband¬ 
wechsel.  Die  dem  Oberarm  entsprechenden  Incisionsöffnungen  zeigen 
normales  Aussehen.  Die  Hautränder  an  einzelnen  Stellen  gelblich- 
weiss  belegt.  Fascien  und  Musculatur  zeigen  Granulationsbildung, 
Am  Vorderarme  wird  eine  deutliche  Demarcationslinie  sichtbar 
die  sich  scharf  unter  dem  Olecranon  hält,  von  wo  sie,  gegen  die  volare 
Seite  des  Vorderarmes  ziehend,  sich,  ungefähr  das  mittlere  Drittel 
desselben  halbirend,  in  einem  Bogen  nach  aufwärts  gegen  die  Streck- 
seite  wieder  zuwendet.  Unterhalb  der  Demarcation  ist  die  Musculatur 
vollständig  mumificirt,  schwarzblau  bis  dunkelbraun  verfärbt,  stark 
serös  imbibirt  und  brüchig.  Starker,  jedoch  nicht  jauchiger  Geruch, 
Abends  Temperatur  37-4n. 

31.  Januar.  Morgens  Temperatur  37T°.  Nach  guter  Nacht 
Schmerzen  im  Unterleibe  und  diarrhoischo  Stühle.  Beim  Verband¬ 
wechsel  zeigen  sich  am  Oberarm  gesunde  Grunulationen.  Befund  am 
Unterarm  wie  am  Tage  vorher.  Central  von  der  Demarcationslinie 
leichte  reactive  Entzündungserscheinungen;  bei  Druck  steigen  aus 
der  Musculatur  vereinzelte  Gasblasen  hervor.  Die  Haut  der  Finger 
völlig  abgehoben,  in  Fetzen  abziehbar.  Abends  Temperatur  38-4n. 

1.  Februar.  Morgens  Temperatur37'2°.  Nachtruhe  durch  Schmerzen 
im  Ellbogengelenk  gestört.  Verbandwechsel.  Am  Oberarm  die  Granu¬ 
lationen  theilweise  gelblich  belegt.  In  der  Umgebung  des  Oberarmes 
Schwellung  und  Röthung;  gegen  die  Demarcationslinie  hin  deutlich 
emphysematöses  Knisten.  Aus  dem  Vorderarm  steigen  noch  immer 
Gasblasen  hervor.  Feuchter  Sublimatverband  am  Oberarm,  trockener 
Verband  am  Vorderarm.  Abends  Temperatur  37-2". 

2.  Februar.  Morgens  Temperatur  37-5".  Patient  klagt  zeitweise 
über  reissende  Schmerzen  und  vermehrte  Empfindlichkeit  im  Ellbogen¬ 
gelenke.  Verbandwechsel.  Am  Oberarm  in  den  Incisionswunden  deut¬ 
liche  Eiterung.  Die  Wundränder  mit  einem  festhaftenden  eiterigen 
Belage  bedeckt.  In  der  Umgebuug  des  Olecranon  noch  reactive  Ent¬ 
zündung  und  vereinzelte  Gasblasen.  Es  wird  in  die  Umgebung  des 
Olecranon  von  den  einzelnen  Wundrändern  aus  mittelst  einer  Pravaz- 
schen  Spritze  Hydrogenium  hyper  oxy  datum  injicirt;  die 
Folge  davan  ist  eine  erhebliche  Gasbildung;  das  Gas  entleert  sich 
ähnlich  wie  Seifenschaum  unter  zischendem  Geräusch  nach  aussen. 
Die  Injectionen  sind  sehr  schmerzhaft.  Die  Demarcationslinie  wird  in 
ihrer  ganzen  Circumferenz  durch  derartige  Injectionen  infiltrirt, 
ebenso  auch  verschiedene  Partien  der  abgestorbenen  Musculatur. 
Die  Granulationsflächen  am  Oberarm  werden  mit  Hydrogeniu m 
hyperoxy  datum  bestrichen,  wonach  sich  ein  weisslicher,  schaum- 
artiger  Belag  bildet.  Sublimatverband.  Die  Schmerzen,  die  durch  die 
Injection  verursacht  waren,  hören  gegen  Abend  auf,  während  die 
schon  früher  erwähnten  Schmerzen  in  den  Fingern,  namentlich  am 
Daumen,  anhallen.  Abends  Temperatur  38-6". 

3.  Februar.MorgensTemperatur37-2°.  Nachtruhe  durch  Schmerzen 
in  der  Hand  gestört,  ln  der  Schuftergegend  Sublimatekzem.  Wieder- 


Nr.  46 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1059 


holung  der  Injectionen  mit  Hydrogenium  hyperoxydatum 
an  der  Demarcationslinie.  Sublimatverband.  Abends  Temperatur  38‘5". 

4.  Februar.  Morgens  Temperatur  37  2".  Da  die  Aussicht  auf 
Erhaltung  des  Vorderarmes  geschwunden  ist,  gibt  Patient  die  Ein¬ 
willigung  zur  Amputation,  welche  von  Dr.  v.  Friedländer  aus¬ 
geführt  wird.  In  ruhiger  Schleich-N ark  ose  wird  nach  Unterbindung 
der  Arteria  brachialis  und  der  sie  begleitenden  Venen  im  Sulcus 
bicipitalis  internus  die  Amputation  am  untersten  Drittel  des 
Oberarmes  in  typischer  Weise  vorgenommen.  Hart  am  Knochen 
dringen  aus  der  Musculatur  Gasblasen,  sowie  eine  eiterige  Flüssigkeit 
hervor.  Die  Musculatur  ist  an  der  Amputationsstelle  normal  gefärbt, 
jedoch  etwas  brüchig.  Die  Wundfläche  wird  offen  gelassen  und  mit 
in  Hydrogenium  hyperoxydatum  eingetauchten  Tüchern 
bedeckt.  Blauer  Bindenverband.  Abends  Temperatur  36-8"' 

5.  Februar.  Morgens  Temperatur  31-2".  Wohlbefinden.  Abends 
Temperatur  37 -9". 

6.  Februar.  Verbandwechsel;  geringe  Eitersecretion.  Keine  Gas- 
Gasbildung.  Trockener  Verband.  In  der  Folge  machte  Patient  eine 
normale  Reconvalescenz  durch  und  verliess  das  Spital  im  März 
geheilt. 

Bacteriologische'  Unte  rsuchung. 

Wir  erhielten  am  28.  Januar  zur  Untersuchung  1.  eine  kleine 
Menge  steril  aufgefangenes  Blut,  2.  ein  circa  ll/2cvi  langes  Stück 
einer  beiderseits  abgebundenen  Vene,  3.  ein  Muskelstückchen. 

Ad  1.  In  dem  mikroskopischen  Präparate,  das  aus  dem  Blute 
angefertigt  worden  war,  liessen  sich  keinerlei  Bacterien  nachweisen; 
in  Ucbereinstimmung  damit  bleiben  sowohl  die  aeroben,  wie  auch 
die  anaeroben  Culturen  steril. 

Ad  2.  Die  abgebundene  Vene  enthielt  geronnenes,  nicht  zer¬ 
setztes  Blut.  Mikroskopisch  fanden  sich  in  grosser  Menge  dicke, 
plumpe  Stäbchen,  anscheinend  einer  Art,  welche  sich  zur  G  ram¬ 
schen  Färbung  positiv  verhielten.  Coccen,  Sporen,  oder  sporenähnliche 
Gebilde  waren  nicht  nachweisbar.  Bei  der  Züchtung  blieben  die 
aeroben  Platten  steril;  die  anaeroben  Culturen  wiesen  reichlich 
Stäbchen  nur  einer  Art  auf,  welche  mikroskopisch  mit  den  im  Aus¬ 
strichpräparate  gesehenen  übereinstimmten.  Zu  erwähnen  wäre  noch, 
dass  die  Vene  noch  vor  dem  Aufschneiden  perlschnurartig  aufgetrieben 
war;  die  Gasblasen,  die  diese  Auftreibung  bedingten,  liessen  sich  nach 
allen  Richtungen  verstreichen. 

Ad  3.  Von  den  exeidirten  Muskelstückchen  wurden  zunächst 
Ausstrichpräparate  gemacht,  dann  ein  Theil  zu  Culturzwecken  unter 
aseptischen  Cautelen  verrieben  und  ein  Theil  zu  histologischen  Zwecken 
in  M  ü  1 1  e  r-Formol  conservirt. 

Die. mikroskopische  Untersuchung,  Färbung  nach  Gram  und 
Nachfärbung  mit  Fuchsin,  zeigt: 

aj  Vollständiges  Fehlen  von  Eiterzellen,  ja  von  zelligen  Ge¬ 
bilden  überhaupt;  es  ist  nur  Detritus  vorhanden. 

h)  Coccen,  einzeln,  zu  zweit  und  in  Haufen;  sie  sind  positiv 
zur  G  r  a  m’schen  Färbung. 

c)  Grosse,  plumpe  Stäbchen,  mit  abgerundeten  Enden,  einzeln 
oder  in  Haufen  ohne  Schein-  oder  echte  Fadenbilduug.  Die  Form  der 
einzelnen  Stäbchen  variirt  von  sehr  kurzen  coccenähnlichen  Bacillen 
bis  zu  längeren  und  schmäleren  Formen,  die  manchmal  Einschnürungen 
zeigen  und  an  Milzbrandbacillen  erinnern.  Die  meisten  Stäbchen  sind 
positiv,  nur  einzelne  sind  negativ  zu  Gram;  manche  sind  in  der 
Mitte  violett  und  an  den  Enden  roth  gefärbt. 

d)  Bacillen,  welche  den  eben  beschriebenen  an  Grösse  gleich¬ 
kommen,  positiv  zu  G  r  a  m  sind,  jedoch  endständig  schlecht  oder 
nicht  gefärbte  Sporen  tragen.  Die  Letztere  überragt  in  ihrem  Quer¬ 
durchmesser  nur  unbedeutend  die  Dicke  des  Stäbchens,  so  dass  von 
einer  eigentlichen  Auftreibung  nicht  gesprochen  werden  kann;  manche 
Stäbchen  sind  gegen  das  eine  Ende  zu  verdickt,  in  toto  gefärbt, 
wie  es  einem  frühen  Stadium  der  Sporenbildung  entspricht.  Auch 
finden  sich  vereinzelt  ovale,  glänzende,  scharf  contourirte  Gebilde, 
welche  nur  an  ihrem  Rande  Farbe  aufgenommen  haben  und  freien 
Sporen  entsprechen. 

.  -  C  u  1 1  u  r. 

Das  Culturverfahren  ergab  bei  aerober  Züchtung  des  Vor¬ 
handensein  einer  Coccenart,  welche  sich  bei  der  weiteren  Bestimmung 
als  Staphylococcus  pyog.  aureus  erwies.  In  den  überschichteten  Zucker- 
Agarplatten  ging  dieselbe  Goccenart  auf,  daneben  reichlich  grosse 
plumpe  Stäbchen,  die  wir  durch  die  weitere  Untersuchung  mit  den 


von  uns  schon  beschriebenen  anaeroben  Bacillen  identificiren  konnten. 
Reinculturen  gewannen  wir,  indem  wir  eine  Reihe  von  Röhrchen 
mit  verflüssigtem  Zucker-Agar  mit  dem  Muskelsafte  beschickten  und 
auf  verschieden  lange  Zeit  in  ein  verschieden  hoch  temperirtes 
Wasserbad  brachten. 

In  den  Röhrchen,  die  durch  fünf  Minuten  bei  75n  gehalten 
wurden,  gingen  Reinculturen  der  Bacillen  auf;  die  bei  niederer 
Temperatur  gehaltenen  Röhrchen  enthielten  ausser  diesen  Stäbchen 
noch  Coccen,  die  bei  höherer  Temperatur  gehaltenen  Röhrchen 
blieben  steril. 

Es  wurden  demnach  durch  die  Cultur  Staphylococcen  und  eine 
anaerobe  Stäbchenart  gewonnen,  welche  wir  vollständig  mit  unserem 
anaeroben  Bacillus  durch  Cultur  und  Thierversuch  identificiren  und 
auf  deren  genauere  Beschreibung  wir  hier  daher  nicht  mehr  ein- 
gehen  wollen.  Diese  Bacillenart  bildete  entsprechend  unserer  Er¬ 
fahrung  in  keinem  künstlichen  Nährboden  Sporen. 

Histologischer  Befund  des  exeidirten  Muskel¬ 
stückchens. 

Dieser  zeigte  dieselben  typischen  Bilder,  wie  wir  sie  in  den 
früheren  Fällen  bei  Reininfectionen  gesehen  haben.  Fast  das  ge- 
sammte  Gewebe  erscheint  bei  Färbung  mit  Hämalaun-Eosin  gleich- 
mässig  roth,  nirgends  sind  gefärbte  Kerne  der  Musculatur,  selten 
solche  im  Bindegewebe  zu  sehen ;  dabei  ist  die  äussere  Form  der 
Muskelprimitivbündel  sehr  gut  erhalten.  Was  die  letzteren  selbst  be¬ 
trifft,  so  zeigen  sie  an  einzelnen  Stellen  normale  Structur,  gleich- 
mässige  Längs-Querstreifung,  an  anderen  Stellen  besteht  durch 
Quellung  der  Zwischenscheiben  eine  Verbreiterung  der  Querstreifung 
und  der  Längsstreifung,  die  bis  zur  Auflösung  in  Sarcous  elements  führt. 
An  noch  anderen  Stellen  ist  die  Querstreifung  ganz  verloren  gegangen 
und  die  Primitivbündel  haben  ein  "homogen-hyalines  Aussehen  ge¬ 
wonnen.  Die  Blutgefässe,  insbesondere  die  kleinen  Venen  sind  blut¬ 
leer.  Im  interstitiellen  Gewebe  finden  sich  nicht  allzu  zahlreich  ver¬ 
schieden  grosse,  runde  Hohlräume  mit  einem  kleinen  Saume  homogen 
aussehenden,  geronnenen  Serums  an  der  Innenfläche.  Wo  in  der 
Nähe  solcher  Gasblasen,  denn  so  müssen  wir  diese  Hohlräume  deuten, 
sich  Musculatur  befindet,  ist  dieselbe  unter  dem  Drucke  der  Gas¬ 
blasen  von  ihrer  geraden  Verlaufsrichtung  abgedrängt,  verläuft  viel¬ 
mehr  in  einem  Bogen  um  diese  Hohlräume. 

Ganz  besonders  wollen  wir  hier  noch  das  Feh¬ 
len  aller  entzündlichen  Erscheinungen  hervor¬ 
heben;  selbst  eine  erheblichere  seröse  Durchträn- 
kung  der  Bindege  websmassen  fehlt.  Kleine  parenchyma¬ 
töse  Blutungen  sind  zahlreich  anzutreffen.  Der  Leukocytengehalt  ist 
in  den  Blutherden  recht  gering,  die  rothen  Blutkörperchen  sind  blass, 
mit  schlecht  erhaltenen  Umrissen.  In  der  Nähe  oder  in  den  Blutungen 
selbst  ist  scholliges  Pigment  zu  sehen.  Nahezu  alle  Blutgefässe 
sind  leer! 

Bacterienfärbung  in  Schnitten. 

Bei  Tinction  mit  Methylenblau  (alkalisch)  und  nach  G  r  a  m- 
Weigert  zeigten  sich  zwischen  den  nekrotischen  Muskelbündeln 
weniger  Bacterien,  als  wir  nach  der  Deckglasuntersuchung  erwartet 
hätten.  Zunächst  stösst  man  auf  Coccen,  die  bald  einzeln,  bald  in 
ganzen  Haufen  beisammen  liegen.  Zwischen  dem  Coccenhaufen  findet 
man  überall  die  bereits  beschriebenen  Stäbchen.  In  grossen  Mengen 
findet  man  letztere  entfernt  von  den  Coccenhaufen  zwischen  den 
Muskelprimitivbündeln.  Im  Allgemeinen  sind  Coccen  und  Stäbchen 
seltener  nebeneinander,  sondern  sie  sind  zumeist  getrennt.  Besondere 
Localisationen,  wie  z.  B.  um  Gasblasen  herum,  treten  diesmal 
weniger  hervor. 

In  der  Cultur  und  in  den  Gewebsschnitten  haben  wir  also 
nur  zweierlei  Bacterien  nachgewiesen:  Staphylococcen  und  die 
anacroben  specifischen  Bacillen.  Eine  Antwort  auf  die  Frage,  ob  die  im 
Deckglas  gesehenen  sporentragenden  Bacillen  nur  Sporulat ionsformen 
der  specifischen  Bacillen  waren,  oder  ob  sie  eine  eigene  Art  bilden, 
behalten  wir  uns  für  die  Epikrise  vor. 

Die  auf  Grund  der  klinischen  Erscheinungen  und  des  bacterio- 
logischen  Befundes  vorgeschlagene  Amputation  wurde  verweigert 
und  erst  später  zugegeben,  als  durch  vollständiges  Absterben  der 
Extremität  jede  Aussicht  auf  Erhaltung  derselben  geschwunden  war. 

Die  Beschreibung  der  am  4.  Februar  amputirten  Extremität 
kann  in  wenige  Worte  zusammengefasst  werden  unter  Hinweisung 


1060 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


auf  die  Krankengeschichte,  da  einerseits  durch  die  relativ  lange  Zeit, 
die  seit  dem  Auftreten  der  ersten  Kraukheitserscheinungen  (Ab. 
sterben  der  Extremität)  verflossen  war,  andererseits  durch  die  secun- 
dären  Processe  (Mumification,  aber  auch  Collicjuescenz  der  abgestor¬ 
benen  Theile  und  Eiterung  an  der  Grenze  des  Erkrankten)  ein  Bild 
zu  Stande  kam,  das  mit  dem  Bilde  der  Gangrene  foudroyante  wenig 
Aehnlichkeit  mehr  hat. 

Die  Amputation  war  im  oberen  Drittel  des  Oberarmes  erfolgt; 
etwa  Handbreite  unter  der  Amputationsfläche  besitzt  die  Haut,  noch 
normales  Aussehen,  nimmt  dann  gegen  die  Peripherie  ziemlich  scharf 
ein  braunes,  trockenes  Aussehen,  das  an  Pergamentpapier  erinnert, 
an,  fehlt  aber  dann  oder  hängt  in  losen,  missfärbigen  Fetzen  im 
Bereiche  fast  des  ganzen  Unterarmes.  Nur  an  den  Fingern  ist  sie 
noch  theilweise  erhalten.  Zahlreiche  mächtige  Incisionen  —  siehe  die 
Operationsgeschichte  —  legen  die  tiefliegende  Musculatur  bloss. 

Unter  der  inlacten  Haut  des  Oberarmes  ist  die  Musculatur 
wenigstens  makroskopisch  nicht  wesentlich  verändert,  die  Farbe  eine 
rosenrothe,  der  Blutgehalt  ein  normaler,  keine  Gasblasen,  geringe 
ödematöse  Durchtränkung.  Das  Bindegewebe,  und  zwar  ebenso  das 
subcutane  als  auch  das  intermusculäre,  ist  von  Eiterherden  durch¬ 
setzt.  Die  Eiterung  nimmt  gegen  die  Amputationsfläche  hin  ab,  hört 
an  derselben  yanz  auf  und  ist  am  stärksten  um  das  Gelenk  herum. 
Hier  quillt  sowohl  aus  den  alten  Incisionen,  als  auch  aus  frischen 
Schnitten  Eiter  hervor.  Die  blossliegende  Musculatur  des  Unterarmes 
ist  dunkelbraunroth,  morsch,  brüchig,  zerfallend,  an  anderen  Stellen 
aber  auch  zerfliessend. 

Die  grossen  Arterien  sind  leer,  die  Venen  zum  grossen  Theile 
thrombosirt.  Vom  Radius  fehlt  ein  8  cm  langes  Stück.  Die  Ulna  ist 
in  ihrem  oberen  Antheile  fracturirt,  die  schräge  verlaufenden  Bruch¬ 
enden  dislocirt.  In  der  Tiefe  stösst  der  Finger  auf  die  eingeführte 
Celluloidplatte.  Das  Knochenmark  ist  missfärbig  und  riecht  un 
angenehm. 

Bacteriologische  Untersuchung  des  amputirten 

Armes. 

Von  den  verschiedensten  Stellen  angefertigte  Deckglaspräparate 
zeigen  einmal  Coccen  in  Form  und  Lagerung,  wie  sie  dem  Staphylo¬ 
coccus  entsprechen,  und  Stäbchen,  welche  mit  den  sub  3  cultivirten 
anaeroben  Bacillen  aus  den  excidirten  Muskelstückchen  identisch 
erscheinen.  Mässig  zahlreiche,  gut  erhaltene  und  auch  zerfallende 
polynucleäre  Leukocyten.  Sporen  wurden  nicht  gefunden.  Wo  Eiterung 
vorhanden  war,  überwogen  die  Coccen,  ebenso  in  der  Tiefe  der  Mus¬ 
culatur.  Bemerkenswerth  war  an  vielen  Stäbchen  eine  ausgesprochene 
Segmentirung,  die  besonders  deutlich  bei  der  Färbung  mit  Methylen¬ 
blau  zur  Geltung  kam.  Derartige  offenbar  degenorirte  Stäbchen  er¬ 
innerten  in  ihrem  Aussehen  an  Diphtheriebacillen;  bei  der  Grant¬ 
schen  Färbung  geben  sie  den  Farbstoff  ab. 

Die  Cultur  ergab  ein  dem  mikroskopischen  Bilde  entsprechendes 
Resultat,  nämlich  die  Anwesenheit  des  Staph,  pyog.  aureus,  sowie 
unseres  specifischen  Stäbchens.  Im  Thierversuche  erwiesen  sich  diese 
Anaeroben,  die  mikroskopisch  im  Originalpräparate  degenerirt  aus¬ 
gesehen  hatten,  von  derselben  hohen  Virulenz,  wie  der  aus  dem  ex¬ 
cidirten  Stücke  gewonnene  Stamm. 

Die  histologischen  Bilder  aus  der  amputirten  Extremität 
variiren  ganz  bedeutend,  je  nach  der  Stelle,  welcher  die  unter¬ 
suchten  Stücke  entnommen  sind.  Am  Oberarme  sieht  man  unter  der 
intacten  Haut  das  subcutane  und  intermusculäre  Gewebe  von 
dichten  Zügen  von  Rundzellen  durchsetzt,  die  an  einzelnen  Stellen 
zu  grossen  Haufen  angesammelt  sind.  Sie  sind  zumeist  polynucleäre 
Leukocyten  mit  gut  erhaltenen  Kernen.  Die*  Musculatur  hat  ihre 
Structur  verloren,  ihre  Umrisse  sind  aber  unversehrt,  so  dass  sie 
sich  am  Querschnitte  als  runde  homogene  Scheiben  präsentiren. 
Ihre  Kerne  sind  ungefärbt,  die  Bindege  webskerne  haben  eine  be¬ 
trächtliche  Vermehrung  erfahren.  Keine  Hohlräume,  die  als  Gas¬ 
blasen  gedeutet  werden  könnten.  Die  Gefässe  sind  hyperämisch. 

Die  vom  Unterarme  stammenden  Stücke  zeigen  typische  Ver¬ 
änderungen,  wie  wir  sie  bei  dem  excidirtem  Muskelstückchen  be¬ 
schrieben  haben,  nur  sind  sie  noch  dadurch  hochgradiger,  dass  die 
nekrotischen  Muskelprimitivbündel  ihre  äussere  Form  verloren  haben, 
zusammenfliessende  Grenzen  besitzen,  so  dass  man  häufig  diffus 
rot  lies,  nicht  differenzirbares,  auch  nicht  mehr  als  Muskelprimitiv¬ 
bündel  erkennbares  Gewebe  findet.  Während  aber  in  dem  erst 
untersuchten  Stückchen  noch  hie  und  da  Kernfärbung  vorkommt, 


fehlt  dieselbe  hier  vollständig.  Auch  die  seröse  Durchtränkung  und 
Bildung  gashaltiger  Hohlräume  ist  hier  sehr  ausgebildet.  Auch  hier 
keine  Spur  von  Entzündung. 

In  die  Nekrose  sind  sämmtliche  Gewebe,  auch  die  zahlreich  ge¬ 
troffen  Nervenstämme,  einbezogen.  Nahezu  alle  Gefässe  sind  blutleer. 
Es  kommen  zahlreiche  kleinere  und  grössere  intermusculäre  Blu¬ 
tungen  vor;  doch  sind  die  rothen  Blutkörperchen  nahezu  sämmtlich 
zu  Grunde  gegangen,  es  sind  nur  noch  ausgelaugte  Trümmer  der¬ 
selben  zu  sehen,  ln  diesen  Blutherden  und  um  sie  herum  ist 
scholliges,  sepiabraunes  Pigment  zu  sehen,  das  aber  nur  im  Binde¬ 
gewebe  vorkommt,  in  der  Muscnlatur  nahezu  vollständig  fehlt. 

Bacterienfärbung  in  Schnitten.  Schon  die  Färbung 
mit  Hämalaun  zeigt  breite  Züge  blau  gefärbter  Massen,  die  im 
lockeren  Bindegewebe  hinziehen,  zwischen  die  Muskelbündel  ein- 
dringen  und  schon  mit  stärkeren  Trockensystemen  sich  als  Bacterien- 
massen  auflösen  lassen.  Die  Bacterienfärbung  bestätigt  dies;  es 
handelt  sich  um  ganz  kolossale  Mengen  von  Bacterien,  zumeist 
Stäbchen.  Coccen  finden  sich  überall  in  kleinen  Gruppen  vor,  treten 
aber  in  Bezug  auf  die  Menge  vollständig  hinter  den  Stäbchen 
zurück . 

E  p  i  k  r  i  s  e. 

Recapituliren  wir  kurz  die  Krankengeschichte :  Bei  einem 
sonst  gesunden  Manne  wird  wegen  Ankylose  des  Ellbogen¬ 
gelenkesund  Synostose  zwischen  Radius  und  Ulna  am  26.  Januar 
1900  eine  Resection  des  Radius  vorgenommen  und  es  wird, 
um  eine  Verwachsung  der  Knochenenden  zu  verhüten,  eine 
Celluloidplatte,  die  durch  zehn  Minuten  langes  Kochen  sterilisirt 
worden  war,  eingeführt.  Wenige  Stunden  nach  der  Operation 
klagt  Patient  über  Schmerzen  im  Arme;  die  Finger  sind  blut¬ 
arm  und  kühl.  Auf  eine  Lockerung  des  Verbandes  hebt  sich 
die  Circulation,  und  auch  die  Sensibilität  bessert  sich. 

Am  27.  Januar,  Tags  darauf,  Gefühllosigkeit  in  der  ganzen 
Hand;  sie  ist  kühl  und  blass,  der  Vorderarm  ist  bläulich  ver¬ 
färbt,  die  Haut  ist  pastös  und  beim  Eröffnen  und  Auseinander¬ 
ziehen  der  Wundränder  quillt  eine  schaumig-seröse  Flüssigkeit 
hervor.  Die  Gefühllosigkeit  besteht  fort.  Am  nächsten  Tage 
ist  die  Gangrene  foudroyante  voll  entwickelt.  Da  die  Amputation 
verweigert  wird,  so  sucht  man  durch  ausgiebige  Incisionen 
Stillstand  des  Processes  herbeizuführen,  welches  Bemühen 
schliesslich  auch  von  Erfolg  begleitet  ist,  indem  am  30.  Januar 
eine  Demarcation  bemerkbar  wird,  so  dass  am  4.  Februar  die 
Amputation  des  Oberarmes  in  seinem  unteren  Drittel  vorge¬ 
nommen  werden  und  Patient  nach  einigen  Wochen  geheilt 
entlassen  werden  kann. 

Das  erste  Symptom,  das  sich  tins  darbietet,  ist  Anämie 
und  Anästhesie  der  Haut;  bereits  wenige  Stunden  nach  der 
Operation  notirt  die  Krankengeschichte  diese  Erscheinungen; 
dieselben  verschwinden  jedoch  wieder  auf  eine  Lockerung  des 
Verbandes,  so  dass  wir  sie  wohl,  ohne  Widerspruch  zu  finden, 
als  Wirkung  des  constringirenden  Verbandes  ansehen  können. 
Aberam  nächsten  Tage  tritt  dieselbe  Anämie  und  Anästhesie 
der  Hand  auf,  um  nicht  mehr  zu  verschwinden.  Auch  in 
unseren  früheren  Beobachtungen  fanden  sich  diese  beiden  Er¬ 
scheinungen  constant  vor,  wenn  auch  nicht  immer  als  erstes 
Symptom. 

Wie  sollen  wir  diese  Anämie  und  Anästhesie  überhaupt 
auffassen,  wie  hängen  sie  von  einander  ab?  Nach  schweren 
Traumen,  die  zum  Beispiel  subcutan,  ohne  eine  Infection,  ver¬ 
laufen,  tritt  nicht  allzu  selten  Blutleere  und  Gefühllosigkeit 
der  betroffenen  Extremität  auf;  hier  ist  die  Ursache  in  Zer- 
reissungen  grösserer  arterieller  Gefässe,  durch  welche  die 
Circulation  unterbrochen  wird,  zu  suchen  und  als  Folge  dieser 
Ernährungsstörung  tritt,  wenn  nicht  eine  directe  Verletzung 
eines  Nervenstammes  vorhanden  ist,  die  Gefühllosigkeit  auf. 
Diese  Erklärung  trifft  für  unseren  Fall  nicht  zu,  da  bei  der 
Operation  kein  grösseres  Gefäss  verletzt  wurde. 

Wenn  nun  die  Blutleere  nicht  durch  eine  Gefässver- 
letzung,  denn  eine  solche  war  grob  anatomisch  nicht  zu  con- 
statiren,  erklärt  werden  kann,  so  ist  diese  Ursache  auch  nicht  für 
die  Anästhesie  heranzuziehen.  Da  diese  beiden  Erscheinungen 
aber  in  den  Fällen  von  Gangrene  foudroyante  eine  gewisse 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Constanz  zeigen,  also  nicht  rein  zufällige  Befunde  sind,  so 
könnte  die  Ursache  in  Folgendem  gelegen  sein. 

In  Beobachtung  V  unserer  früheren  Arbeit  erwähnt  die 
Krankengeschichte,  dass  »mehrere  Incisionen  fast  vollkommen 
blutleeres  und  unter  dem  Messer  wie  eine  Cadaverlunge  sich 
schneidendes  Gewebe  blosslegen«.  Auch  fanden  wir  innerhalb 
des  gashaltigen  Bezirkes,  am  prägnantesten  in  allen  Schaum¬ 
organen,  mikroskopisch  fast  alle  Gefässe  blutleer.  Der  Zu¬ 
sammenhang  also  zwischen  Gasbildung  und  Blutleere  ist  ein 
evidenter;  offenbar  weiden  die  kleinen  und  kleinsten  arteriellen 
Gefässe  durch  das  in  dem  sie  umgebenden  Gewebe  gebildete 
Gas  so  comprimirt,  dass  kein  Blut  in  sie  hineingelangt.  Und 
als  Folge  dieser  arteriellen  Anämie  kommt  es  zur  Anästhesie; 
möglicher  Weise  werden  auch  die  Nerven  durch  den  Druck 
direct  betroffen.  Wir  werden  auf  die  Abhängigkeit  der  Gefäss- 
füllung  vom  Auftreten  des  Gases  noch  bei  einer  anderen  Ge¬ 
legenheit  zu  sprechen  kommen. 

24  Stunden  nach  der  Operation,  gleichzeitig  mit  dem 
Auftreten  der  beiden  erwähnten  Symptome,  wurde  das  Vor¬ 
handensein  von  Gas  im  Gewebe  constatirt,  und  nach  aber¬ 
mals  24  Stunden  zeigte  sich  die  ausgebreitete  Nekrose  des 
Muskelparenchyms  um  die  Wunde  herum  mit  der  oft  be¬ 
schriebenen  Verfärbung;  die  Epidermis  war  stellenweise  von 
Blasen  abgehoben,  die  Haut  fühlte  sich  pastös  an  und  schaumig¬ 
seröse  Flüssigkeit  quoll  aus  dem  Wundrande  hervor.  Aus¬ 
drücklich  erwähnt  die  Krankengeschichte;  dass  nirgends 
Eiterung  zu  sehen  war;  es  zeigt  sich  überhaupt  keine 
Veränderung,  welche  sich  im  Sinne  einer  E  n  t  z  ü  n  d  u  n  g 
verwerthen  Hesse.  Diese  einzige  klinische  Beob¬ 
achtung  wäre  schon  allein  im  Stande,  die 
früheren  Ansichten  über  Gasphlegmonen  zu 
widerlegen.  Denn  aus  derselben  geht  zur  Evidenz  hervor, 
dass  wir  es  nicht  mit  einem  Entzündungsprocess  zu  thun 
haben,  dass  die  Gasbildung  und  die  Nekrose  primär  auftreten 
und  das  Wesen  des  Processes  darstellen.  Berücksichtigt  man 
noch  dazu  noch  die  ausschlaggebende  mikroskopische  Unter¬ 
suchung  des  Gewebes,  die  ein  vollständiges  Fehlen  einer  Ent¬ 
zündung  bestätigt  und  nur  eine  Nekrose  zeigt,  so  haben  wir 
in  diesem  Falle  eine  neuerliche  Bekräftigung  der  zuerst  von 
uns  aufgestellten  These,  dass  die  Gangrene  foudroyante  einen  Pro¬ 
cess  sui  generis  darstellt,  der  nichts  mit  Entzündungsvorgängen 
zu  thun  hat,  sondern  in  einer  Vergährung  des  lebenden 
Gewebes  besteht,  als  deren  hervorragendste  Symptome  sich 
die  primäre  Nekrose  und  Gasbildung  documentirt. 

Das  Fehlen  von  Entzündungsvorgängen  ist  hier  umso 
bemerkenswerther,  als  wir  es  ja  nicht  mit  einer  Reininfection, 
sondern  mit  einer  Mischinfection  zu  thun  haben.  Wir  finden  ja 
neben  dem  specifischen  Anaeroben  den  Staphylococcus  pyogenes 
aureus  in  ziemlich  reichlicher  Anzahl  in  Cultur  und  auch  im 
Gewebe.  Ein  Effect  der  Stapliylococcenansiedlung  zeigte  sich 
erst  an  solchen  Stellen,  wo  der  Process  Halt  gemacht  hatte. 

In  der  Beobachtung  I  unserer  früheren  Arbeit  (pag.  29), 
in  der  sich  ebenfalls  neben  anaeroben  Bacterien  Staphylo- 
coccen  vorfanden,  hatten  wir  neben  Nekrose  ausgedehnte 
Leukocytenin filtrate;  allerdings  verlief  dieser  Fall  weniger 
stürmisch,  und  darin  mag  auch  die  Erklärung  liegen,  dass  in 
diesem  Falle  die  Wirkung  der  Staphylococcen  zur  Geltung 
kam,  in  dem  eben  beschriebenen  aber  nicht.  Wir  müssen 
uns  nämlich  vorstellen,  dass  trotz  der  Anwesenheit  von  Ent¬ 
zündungserregern,  so  lange  unter  dem  Einflüsse  anaerober 
Bacterien  die  stürmische  Vergährung  des  Gewebes  unter  massen¬ 
hafter  Gasbildung  andauert  und  in  Folge  dessen  die  Gefässe 
nahezu  vollständig  comprimirt  und  dadurch  blutleer  sind,  es 
sehr  schwer,  wenn  überhaupt,  zur  Emigration  von  Leukocyten 
kommen  kann.  Damit  ist  eine  ganz  natürliche  Erklärung  ge¬ 
geben.  Für  diese  Erklärung  spräche  auch  der  Umstand,  dass 
in  dem  vorerwähnten  Falle  unserer  früheren  Arbeit  die  Gas¬ 
bildung  eine  geringe,  in  diesem  Falle  aber  eine  ganz  be¬ 
deutende  war,  und  dementsprechend  fanden  wir  auch  voll¬ 
kommen  leere  Blutgefässe. 

Aber  nicht  allein  die  Blutleere  der  Gefässe  ist  es,  die 
das  Auftreten  von  Entzündungserscheinungen  verhindert, 
sondern  es  kommt  noch  folgender  Umstand  hinzu: 


Wo  unsere  virulenten,  anaeroben  Stäbchen  sich  an¬ 
siedeln,  da  kommt  es  zur  Vergährung  des  Gewebes  und  damit 
zum  (localen)  Absterben  der  betreffenden  Partien  und  natür¬ 
lich  auch  ihrer  Gefässe. 

Und  dass  es  trotz  Vorhandensein  von  Eitererregern  in 
solchen  absteigenden  Geweben  zu  keiner  Infiltration  kommt, 
ist  ja  klar.  Und  nachdem  die  specifischen  An  aeroben  er- 
fahrungsgemäss  rascher  sich  im  Gewebe  ausbreiten,  wie  die 
Eitererreger,  so  gelangen  die  letzteren  zumeist  in  das  schon  von 
den  Anaeroben  veränderte  Gebiet.  ’2) 

Zwei  solche  Beobachtungen  mit  so  identischen  Befunden 
erheben  sich  über  die  Möglichkeit  eines  Zufalles;  wir  hoffen 
zuversichtlich,  dass  bei  späteren  Untersuchungen  sich  diese 
Befunde  wiederholen  werden,  machen  aber  noch  einmal  auf¬ 
merksam,  dass  sie  nur  bei  stürmischer  Vergährung  des  Ge¬ 
webes  zu  erwarten  sind. 

Durch  zahlreiche  Versuche  hatten  wir  in  der  früheren 
Arbeit  festgestellt,  dass  die  Infection  relativ  lange  eine  locale 
bleibt,  nur  auf  dem  Wege  der  Lymphbahn  weiterschreitet, 
und  dass  ein  Uebergang  der  specifischen  Bacterien  ins  Blut 
nur  unmittelbar  ante  morten,  und  auch  da  nur  in  ver¬ 
schwindender  Menge  vorkommt.  Doch  haben  wir  auch  schon 
damals  Autoren  genannt,  welche  Gasblasen  im  Blute  des 
Lebenden  beobachtet  hatten. 

Wir  fanden  damals  diese  nicht  anzuzweifelnde  Thatsache 
schwer  erklärlich,  da  sie  mit  unseren  Erfahrungen  im  Wider¬ 
spruch  stand. 

2)  Eine  werthvolle  Bestätigung  dieser  Befunde  lieferte  uns  die  histo¬ 
logische  Untersuchung  des  von  Hal  ban  (Uterusemphysem  und  Gassepsis. 
Monatsschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  1900,  Heft  1.  Festschrift 
für  Prof.  Schauta)  publicirten  Falles.  Durch  die  Liebenswürdigkeit  des 
Autors  waren  wir  in  der  Lage,  den  uns  am  meisten  interessirenden  histo¬ 
logischen  Befund  selbst  erheben  zu  können,  indem  uns  Herr  Dr.  Hal  ban 
Stückchen  des  Uterus  zur  Verfügung  stellte. 

Es  handelte  sich  —  siehe  jene  Publication  —  in  diesem  Falle  um 
eine  Infection  mit  unseren  Anaeroben,  die  post  partum  auftrat  und  in  der 
Uteruswand  sich  abspielte;  die  Kranke  starb  unter  dem  Bilde  der  Gangrene 
foudroyante.  Bei  der  Section  zeigte  sich  die  Uteruswand  enorm  vergrössert, 
von  Gasblasen  ganz  durchsetzt,  beim  Drucke  knisternd.  Die  Musculatur 
war  in  ein  lehmfarbenes,  stark  durchfeuchtetes,  morsches  Gewebe  ver¬ 
wandelt,  das  ganz  von  Gasblasen  durchsetzt  war.  Auch  in  den  inneren 
Organen  war  reichliche  Gasentwicklung.  Schon  bei  Lebzeiten  fand  sich  im 
Lochialsecrete  neben  dem  specifischen  Anaeroben  der  Staphylo-  und  Strepto¬ 
coccus,  und  wir  gelangten  bei  der  Cadaveruntersuchung  zu  demselben  Befunde. 

Hier  werden  wir  nun  genauer  das  Ergebniss  der  histologischen  Unter¬ 
suchung  des  Uterus  mittheilen:  Zu  derselben  wurden  Partien  des  Uterus 
gewählt,  die  eine  Uebersicht  von  der  Serosa  bis  zum  Endometrium  ermög¬ 
lichten.  Schon  die  Betrachtung  bei  LoupenvergrösseruBg  ergibt,  dass  sich 
die  wichtigsten  Veränderungen  nahe  dem  Endometrium  abspielen  und  von 
da  in  die  Tiefe  greifen,  die  Serosa  aber  ziemlich  freilassen.  Gehen  wir  bt i 
der  näheren  Betrachtung  von  der  letzteren  aus,  so  constatiren  wir  zunächst, 
dass  die  Serosa  auf  weite  Strecken  abgelöst  ist  und  nur  zum  geringen 
Theile  auf  der  Unterlage  haftet.  Die  äussersten  Schichten  der  hyper¬ 
trophischen  Musculatur  sind  in  Form  und  Färbbarkeit  vollständig  un¬ 
verändert,  speciell  die  Kerne  sind  gut  gefärbt.  Die  Gefässe  dieser  Schichte 
fallen  durch  ihre  Hyperämie  auf,  die  rothen  Blutkörperchen  sind  gut 
erhalten,  Leukocyten  nur  sehr  gering  vertreten.  Etwas  tiefer  ändert  sich 
das  Bild.  Die  Musculatur  zeigt  nicht  mehr  normale  Kernfärbbarkeit;  man 
findet  swar  noch  immer  gut  gefärbte  Muskelkerne,  doch  befinden  sich  die¬ 
selben  in  der  Minderheit  denen  gegenüber,  die  schon  schlecht  den  Kern¬ 
färbstoff  angenommen  haben.  Ein  Vergleich  mit  der  äusseren  Schichte  zeigt 
übrigens,  dass  ein  grosser  Antheil  überhaupt  keine  Farbe  mehr  angenommen 
hat.  Interessant  sind  die  Gefässe  in  dieser  Schichte.  Auch  bei  ihnen  findet 
man  noch  zahlreiche  rothe  Blutscheiben,  aber  dieselben  sind  ausgelaugt, 
comprimitt  und  daneben  reichlich  grosse,  dicke  Siäbchen.  Von  der  Menge 
dieser  Stäbchen  hängt  das  Aussehen  der  Erythrocyten  ab.  Wo  Bacillen  in 
geringer  Menge  vorhanden  sind,  sind  die  Erythrocyten  gut  erhalten,  wo  sie 
in  grösserer  Menge  Vorkommen,  gehen  die  rothen  Blutkörperchen  zu  Grunde. 

Das  Bindegewebe  und  seine  Zellen  in  dieser  Schichte  zeigen  sich  gut 
erhalten. 

Z:emlich  scharf  setzt  dann  eine  vollständig  kernlose  Partie  ein;  die 
Musculatur  hat  ihre  Form  vollständig  erhalten,  das  Bindegewebe  ist  stark 
ödematös  durchtränkt,  aufgefasert,  von  zahlreichen,  unregelmässigen  Hohl¬ 
räumen  durchsetzt.  Um  die  letzteren  herum  finden  sich  ganze  Stränge 
dunkelgefärbter  Massen,  die  sich  bei  geeigneter  Vergrösserung  als  Bacterien 
erweisen.  Stäbchen  findet  man  überall  in  grossen  Massen  in  allen  Gewebs- 
spalten.  Neben  den  Stäbchen  sind  überall  auch  Coccen  nachweisbar. 

Vom  Endometrium  selbst  in  der  ganzen  kernlosen  Masse  nichts  zu 
erkennen. 

Also  auch  hier  zeigten  sich  ganz  analoge,  ja  identische  Befunde  mit 
unserem  Falle.  Auch  hier,  trotz  Vorhandenseins  von  Staphylo-  und  Strepto¬ 
coccen,  neben  den  specifischen  Anaeroben  auch  nicht  eine  Spur  einer  Ent 
zündurig.  Hier  ist  die  Abhängigkeit  der  Gefässfüllung  von  dem  Vorkommen 
von  Gas  sehr  ins  Auge  springend. 


1062 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


In  unserem  Falle  nun  fand  sich  ebenfalls  in  einer  Vene, 
von  welcher  ein  Theil  nach  Excision  uns  zur  Untersuchung 
gegeben  war,  neben  dem  geronnenen  Blute  Gas.  Wir  möchten 
nun  meinen,  dass  die  Gasbildung  daselbst  erst  zu  Stande 
kam,  nachdem  die  Vene  thrombosirt  und  aus  der  Circulation 
ausgeschaltet  war,  in  Uebereinstimmung  mit  der  Thatsache, 
dass  der  Sauerstoffgehalt  des  circulirenden  Blutes  allein  ge¬ 
nügt,  das  Wachsthum  der  Anacroben  hintanzuhalten;  diese 
Ansicht  könnte  eine  Bekräftigung  finden  durch  die  persönliche 
Mittheilung  des  Herrn  Dr.  v.  Friedländer,  dass  diese  gas¬ 
gefüllte  Vene  gegen  das  Operationsgebiet  hinzog,  wo  wegen 
Blutung  mehrere  Unterbindungen  gemacht  werden  mussten; 
es  ergibt  sich  so  die  Möglichkeit,  dass  die  gashaltige  Vene 
mit  dem  unterbundenen  Gefässe  in  Zusammenhang  stand. 
Damit  entfällt  der  Widerspruch  mit  unserer  Ansicht,  dass  im 
Blute  in  der  Regel  keine  anacroben  Bacterien  Vorkommen,  da 
sich  unsere  Untersuchungen  nur  auf  das  circulirende  Blut, 
oder  auf  das  Herzblut  des  frischtodten  Thieres  beschränkten. 
In  der  thrombosirten  Vene  dagegen  liegen  die  Verhältnisse 
ganz  anders,  denn  hier  kommen  alle  jene  Momente,  die  bacte¬ 
ricide  Kraft  des  Serums  und  der  Sauerstoffgehalt  des  Blutes, 
die  im  lebenden  Blute  eine  Vermehrung  der  Bacillen  nicht 
gestatten,  gar  nicht  in  Betracht. 

Wie  weit  nun  diese  Erklärung  über  das  Vorkommen 
von  Gas  in  den  Venen  auch  für  die  anderen  Fälle  der 
Literatur  zutrifft,  ist  schwer  mit  Präcision  zu  sagen.  Aber  mit 
Rücksicht  darauf,  dass  nicht  allein  unsere  Stäbchen,  sondern 
die  meisten,  wenn  nicht  alle  Anaeroben  (siehe  Kitt,  Baum¬ 
garten)  im  circulirenden  Blute  nicht  gedeihen  können,  muss 
wenigstens  für  unsere  Stäbchen  festgehalten  werden,  dass  sich 
nur  in  Gefässen,  die  ausser  Circulation  stehen,  die  Anaeroben 
vermehren  und  Gas  bilden  können. 

Wenn  nun  M  u  s  c  a  t  e  1 1  o 3)  in  seiner  letzten  Mittheilung 
der  Ansicht  Ausdruck  gibt,  dass  die  »gasbildenden  Bacterien 
metastasiren«  können,  so  müssen  wir  demselben  auf  Grund 
unserer  Erfahrung  entschieden  widersprechen. 

Die  charakteristischen  Localerscheinungen  waren  in  un¬ 
serem  Falle  dieselben,  wie  in  den  früher  beschriebenen.  Von 
den  Allgemeinerscheinungen  vermissen  wir  zunächst  das  nahezu 
constante  Auftreten  von  Ikterus,  ferner  das  mehrfach  beob¬ 
achtete  Delirium  und  die  Somnolenz  u.  s.  w.  Von  einer 
Euphorie,  wie  sie  auch  vielfach  beschrieben  wird,  wird  in 
unserem  Falle  nicht  gesprochen. 

Die  Frage  nach  der  Entstehung  der  Infection  in  unserem 
Falle  besitzt  theoretisches  und  praktisches  Interesse. 

Die  Antisepsis,  respective  Asepsis  der  Klinik  Albert 
ist  zu  bekannt,  als  dass  wir  an  eine  Infection  in  Folge  der 
Operation  gedacht  hätten ;  wir  lenkten  vielmehr  unsere  Auf¬ 
merksamkeit  sofort  auf  den  bei  der  Operation  in  Anwendung 
gelangten  Fremdkörper,  nämlich  die  Celluloidplatte.  Um  nun 
den  Beweis  zu  erbringen,  dass  die  Infection  von  der  Platte 
ausging,  genügte  der  Nachweis  der  Stäbchen  auf  derselben 
nicht,  da  die  Platte  ja  mehrere  Tage  in  der  bacterienhaltigen 
Wunde  gelegen  hatte. 

Nach  der  Herstellungsweise  des  von  A.  Fraenkel  in 
die  Chirurgie  eingeführten  Celluloids  ist  die  Möglichkeit  aus¬ 
geschlossen,  dass  bei  der  Bereitung  des  Celluloids  eine  Ver¬ 
unreinigung  stattfände. 

Celluloid  wird  in  der  Weise  hergestellt,  dass  Seidenpapier  mit 
concentrirter  Salpetersäure  und  Schwefelsäure  behandelt  und  dann 
so  viel  Kampher  zugesetzt  wird,  bis  ein  Brei  entsteht,  der  bei  130° 
getrocknet  wird. 

Eine  Verunreinigung  während  der  Fabrication  war  dem¬ 
nach  ausgeschlossen,  und  konnte  eine  solche  nur  während  der 
Aufbewahrung  erfolgt  sein. 

Nachdem  die  Platte  einer  langen  Siedehitze  vor  der 
Operation  ausgesetzt  war,  so  konnte  der  Gedanke  nicht  von 
der  Hand  gewiesen  werden,  dass  unsere  Stäbchen  in  Dauer¬ 
formen  der  Platte  angehaftet  hatten.  Im  Deckglaspräparate  aus 
dem  Muskelsafte  hatten  wir  ja  ausserdem  Sporen  gesehen;  in 
der  Cultur  bekamen  wir  nur  Bacillen  einer  Art  ohne  Sporen. 


Wir  müssen  daher  die  Frage  unentschieden  lassen,  ob  die 
sporen tragenden  Bacillen  eine  eigene,  von  den  specifischen  ver¬ 
schiedene  Art  darstellten,  die  auffallender  Weise  in  der  Cultur 
entweder  nicht  aufgegangen  war,  oder  von  uns  übersehen 
wurde,  oder  ob  die  sporentragenden  unsere,  nur  mit  Dauer- 
formen  versehenen  specifischen  Bacillen  sein.  Wir  neigten  zu 
der  letzteren  Ansicht,  da  wir  wissen,  dass  diese  Stäbchen  unter 
gewissen  Bedingungen  Sporen  bilden  können,  eine  Ansicht, 
welche,  wie  wir  später  ausführen  werden,  in  der  letzten  Zeit 
durch  die  Untersuchungen  von  Schattenfroh  und  Grass¬ 
berger  eine  Bestätigung  erfahren  hat.  Um  nun  auf  der 
Platte  nach  Sporen  zu  fahnden,  unterzogen  wir  die  aus  dem 
Gelenke  entfernte  Platte  nach  grobmechanischer  Reinigung 
demselben  Verfahren,  das  sie  vor  der  Operation  durchgemacht 
hatte,  in  der  Hoffnung,  dass  nicht  ausgekeimte  Sporen  auf  der 
Platte  zurückgeblieben  sein  mögen.  Wir  kochten  also  die 
Platte  10  Minuten  lang  in  sterilem  Wasser  und  versenkten 
sie  dann  in  hochgeschichtes  Zucker- Agar.  Nach  24  Stunden  war 
der  Nährboden  noch  anscheinend  keimfrei,  nach  36  Stunden 
zeigten  sich  am  Rande  des  Gläschens  eine  leichte  Trübung 
und  kleinste  Bläschen  und  nach  48  Stunden  war  die  Agarsäule 
zerklüftet  und  zerrissen,  in  den  Spalten  reichlich  Condens- 
wasser,  welches  in  Reincultur  den  specifisch  anaeroben  Bacillus 
enthielt.  Aerobe  Controlröhrchen  blieben  dauernd  steril;  Sporen 
waren  in  der  Cultur  nicht  nachzuweisen.  Aus  diesem  Versuche 
sind  wir  anzunehmen  berechtigt,  dass  auf  der  Platte  Sporen 
vorhanden  waren,  und  dass  aus  diesen  Sporen  —  bei  den  ge¬ 
gebenen  Versuchsbedingungen  ist  es  ja  nicht  anders  möglich  — 
eine  Reincultur  unseres  Anaeroben  gedieh,  dass  also  unsere 
Stäbchen  auch  Sporen  bilden  können.  Damit  gewinnt  auch  die 
Annahme,  dass  die  im  Deckglase  aus  dem  Muskelsafte  ge¬ 
zogenen  Sporen  Dauerformen  unseres  Stäbchens  waren,  in 
hohem  Grade  an  Wahrscheinlichkeit. 

In  dem  amputirten  Arme  konnten  wir  keine  Sporen 
mehr  nachweisen,  sie  waren  offenbar  ausgekeimt.  Auch  ein 
weiterer  Versuch,  aus  der  Platte  nach  abermaligem  Reinigen, 
Auskochen  und  Versenken  in  Zucker- Agar-Bacterien  aus  etwa 
noch  vorhandene  Sporen  zu  finden,  schlug  fehl.  Die  Röhr¬ 
chen  blieben  dauernd  steril,  dagegen  war  die  Nachforschung 
nach  dem  Keimgehalte  der  nicht  zur  Verwendung  gelangten 
Celluloidplatte,  von  welcher  auch  das  benützte  kleine  Stückchen 
stammte,  von  Erfolg  begleitet,  indem  wir  einen  sporentragenden, 
allerdings  nicht  pathogenen  Anaeroben  züchten  konnten. 

Dieser,  trotz  der  vielseitigen  Verwendung  des  Celluloid 
in  der  Chirurgie  ganz  vereinzelt  dastehende  unglücklich  ver¬ 
laufende  Fall  könnte  geeignet  sein,  die  Methode  als  solche  in 
Verruf  zu  bringen. 

Ebensowenig  aber,  wie  einzelne  nach  der  Verwendung 
von  Catgut  beobachtete  Infectionen  den  Gebrauch  dieses 
Materials  verbieten  könnten,  ebensowenig  spricht  unser  Fall 
gegen  die  Verwerthung  des  Celluloids  zu  chirurgischen  Zwecken. 
Es  ergibt  sich  nur  die  Nothwendigkeit,  die  Sterilisation  des 
Celluloids  nicht  durch  Kochen,  sondern  in  anderer  Weise  vorzu¬ 
nehmen;  Alex.  Fraenkel  gibt  diesbezüglich  an,  die  Platte  nach 
gründlicher  mechanischer  Reinigung  einer  mindesten  24stündi- 
gen  Desinfection  durch  Einlegen  in  eine  l%o  Sublimatlösung 
zu  unterziehen.  Auf  diese  Weise  kann  die  Platte  in  sicherer 
Weise  keimfrei  gemacht  werden  und  entfällt  ausserdem  der 
Nachtheil,  dass  das  Celluloid  durch  das  Kochen  trübe  wird  und 
seine  Elasticität  einbüsst. 

Zum  Schlüsse  wollen  wir  noch  folgenden  Umstand  her¬ 
vorheben:  Als  wir  in  der  amputirten  Extremität  viele  Bacillen 
degenerirt  fanden,  waren  wir  sehr  geneigt,  anzunehmen,  dass 
die  Virulenz  und  vielleicht  auch  die  Lebensfähigkeit  der 
Stäbchen  gelitten  habe.  Wir  waren  daher  überrascht,  zu  sehen, 
dass  die  gewonnenen  Culturen  volle  Virulenz  besassen,  so  dass 
wir  uns  vor  die  Frage  gestellt  sehen,  warum  es  angesichts 
dieser  erhaltenen  Virulenz  doch  zum  Stillstände  des  Pro¬ 
cesses  gekommen  war. 

Eine  präcise  Antwort  können  wir  nicht  geben;  da  es 
aber  an  den  Bacterien  kaum  gelegen  sein  konnte,  so  dürften 
vielleicht  die  tiefen  Incisionen  als  Ursache  des  Stillstandes  an¬ 
zusehen  sein,  zumal  wir  aus  dem  Thierversuche  wissen,  dass 


3)  Münchner  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Heft  38. 


1063 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


ein  spontaner  Durchbruch  oder  künstliche  Eröffnung  des  gas¬ 
haltigen  Hohlraumes  den  Krankheitsprocess  entschieden  günstig 
beeinflusst. 

War  der  Vorschlag  der  Amputation  durch  den  weiteren 
Verlauf  gerechtfertigt? 

Wenn  auch  die  Literatur  der  Gangrene  foudroyante  in 
den  letzten  Jahren  mehr  Fälle  von  Genesung  enthält,  als  in 
früherer  Zeit,  so  konnte  doch  in  diesem  Falle,  sobald  die 
Gangrene  foudroyante  in  ihrer  ganzen  furchtbaren  Progredienz 
sich  entwickelt  hatte,  an  gar  nichts  Anderes  als  an  eine  Am¬ 
putation  gedacht  werden,  zumal  schon  Gefahr  bestand,  dass 
der  Process  auf  den  Thorax  übergreifen  könnte  und  dann 
auch  eine  Amputation  ohne  Effect  gewesen  wäre.  Die  Ein¬ 
willigung  wurde  verweigert.  Es  gelang  trotzdem,  durch  aus¬ 
giebigste  Incisionen  und  Einspritzen  von  Hydrogenium  hyper- 
oxydatum  den  Process  zum  Stillstände  zu  bringen  und  das 
Leben  zu  retten. 

Wie  sah  aber  die  erkrankte  Extremität  aus?  Die  Haut 
bis  über  den  Ellenbogen  in  Fetzen  hängend,  die  Musculatur 
in  ihrer  Totalität  vernichtet,  die  ganze  Extremität  bis  zum 
Ellbogen  abgestorben!  Bei  der  vorgeschlagenen  Frühampu¬ 
tation  wäre  es  vielleicht  sogar  möglich  gewesen,  noch  mehr 
von  der  Extremität  zu  erhalten  als  es  später  möglich  gewesen 
ist.  Sicher  jedoch  wäre  durch  dieselbe,  wenigstens  nach  unserer 
jetzigen  Erfahrung  und  unserem  heutigen  Wissen,  eine  gewisse 
Gewähr  für  die  Erhaltung  des  Lebens  gegeben  gewesen. 

Wir  können  daher  mit  vollem  Rechte  noch 
einmal  bei  Gangrene  foudroyante  die  Früh¬ 
amputation  im  Gesunden  dringend  empfehlen, 
nachdem  die  erkrankte  Extremität  auch  bei 
gelungener  Localisation  schon  verloren  ist, 
daher  durch  eine  Amputation  nicht  viel  zu  ver¬ 
lieren,  aber  Alles  zu  gewinnen  ist. 

Im  Falle,  dass  die  Frühamputation  verweigert  würde, 
wäre  das  Vorgehen  Dr.  v.  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r’s,  sehr  ausgiebige 
Incisionen  mit  Freilegung  des  Bindegewebes  und  Einspritzung 
von  Hydrogenium  hyperoxydatum,  wie  es  jüngst  auch  von 
Hämig  und  Silberschmidt  empfohlen  wurde,  gewiss  die 
geeigneteste  Therapie. 

Wir  wollen  nun  auf  die  Arbeiten  des  letzten  Jahres 
eingehen,  und  zwar  hauptsächlich  auf  die  Publication  E.  h  rän- 
kel’s,  weil  dieser  Autor,  obwohl  er  seit  seiner  im  Jahre  1893 
erschienenen  Monographie  »Ueber  die  Gasphlegmone«  über 
keine  neue  Beobachtung  verfügt,  gleichwohl  in  ziemlich 
scharfer  Weise,  noch  ohne  Kenntniss  unserer  ausführlichen 
Arbeit,  lediglich  gestützt  auf  die  vorläufige  Mittheilung  auf 
dem  XX.  Chirurgencongress  in  Berlin4)  zu  einigen,  von  uns 
auf  Grund  unserer  Erfahrungen  und  Versuche  gestützten  Be¬ 
hauptungen  Stellung  nimmt. 

Bevor  wir  auf  diese  das  Wesen  der  Gangrene  foudroyante 
betreffenden  Fragen  eingehen,  möchten  wir  einige  Punkte  be¬ 
züglich  der  Morphologie,  Biologie  und  Systematik  des  anaeroben 
Erregers  dieser  Ei’krankung,  welche  in  den  Arbeiten  von 
E.  F  r  ä  n  k  e  1 5 6),  v.  H  i  b  1  e  r u)  uud  Schatten  froh  und 
Grassberger7)  discutirt  werden,  besprechen. 

Auf  die  Methoden  der  Reinzüchtung,  auf  welche 
v.  Hüb  ler  so  besonderes  Gewicht  legt,  gehen  wir  nur  ganz 
flüchtig  ein,  weil  fast  jeder  Autor  die  von  ihm  beschriebene 
oder  geübte  Methode  für  die  beste  hält;  es  ist  auch  schliesslich 
eine  jede  gut,  mit  der  man  den  Endeffect,  nämlich  die  Rein¬ 
züchtung,  erreicht.  Es  spielen  dabei  die  Geschicklichkeit  und 
persönliche  Erfahrung  eine  bedeutende  Rolle. 

Die  von  Fränkel  zuletzt  benützte  Methode  der  Culti- 
virung,  welche  der  von  uns  angegebenen  gleichkommt,  nämlich 
die  der  Züchtung  aus  überhitzter  Mischcultur,  leistete  uns 
ausgezeichnete  Dienste,  wenn  nur  eine  anaerobe  Art  vorhanden 
war;  für  vortheilhaft  möchten  wir  es  nur  halten,  die  Cultur- 
röhrchen,  welche  mit  dem  Ausgangsmaterial  geimpft  sind, 
.  zuerst  in  das  auf  entsprechend  hohe  Temperatur  gebrachte 

•*)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  1899,  Bd.  LIX. 

5)  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  42  und  43. 

6)  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1899,  Bd.  XXV. 

')  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  30  und  31. 


Wasserbad  zu  bringen  und  dann  erst  in  den  Brutofen  zu 
stellen;  die  Fränkel’sche  Technik,  welche  darin  besteht, 
dass  die  bereits  culti vierten  Bacterien  ins  Wasserbad  kommen, 
hat  nach  unseren  Erfahrungen  verschiedene  Nachtheile. 

Erstens  keimen  innerhalb  24  Stunden  im  Brutofen  etwa 
vorhandene  Sporen  aus  und  entwickeln  sich  zu  Bacillen, 
welche  hohe  Temperaturgrade  nicht  vertragen,  zweitens  können 
nach  dieser  Zeit  spärliche  anaerobe  Keime  von  üppig  wachsenden 
Arten  derart  überwuchert  werden,  dass  es  späterhin  auch 
trotz  Ueberhitzung  und  Plattenverfahrens  nicht  mehr  möglich 
ist,  Reinculturen  zu  erhalten. 

Drittens  genügt  in  vielen  Fällen,  wenn  das  Ausgangs¬ 
material  in  entsprechender  Verdünnung  gewählt  wurde,  die 
Ueberhitzung  völlig,  um  in  dem  hochgeschichteten  Agarcylinder 
einzelne  Arten  von  Anaeroben,  distinct  und  kenntlich  durch  den 
sie  umgebenden  Gashof,  bereits  nach  24  Stunden  in  Reincultur 
zu  gewinnen,  so  dass  dann  die  immerhin  nicht  ganz  leichte 
Procedur  des  Plattenverfahrens  als  überflüssig  wegfällt. 

Eine  Classificirung  der  Anaeroben  durch  das  Wachsthum 
in  Zuckergelatine  ist,  wie  Fränkel  richtig  hervorhebt,  nicht 
möglich,  da  wir  dasselbe  als  ein  äusserst  inconstantes  sowohl 
bei  ein  und  demselben  Stamme,  als  auch  bei  den  aus  ver¬ 
schiedenen  Fällen  gezüchteten  Stämmen  kennen  lernten.  Das 
Wachsthum  in  Gelatine  bleibt  manchmal  sogar  völlig  aus, 
manchmal  ist  es  reichlich  und  mit  Gasbildung,  manchmal  fehlt 
letztere.  Stets  ist  das  Wachsthum  sehr  üppig,  wenn  die  ge¬ 
impften  Gelatineröhrchen  in  Bruttemperatur  gehalten  wurden; 
un verlässlich  ist  das  Wachsthum  in  Zuckerbouillon. 

Auf  die  Beobachtung  des  Wachsthums  in  Milch,  bezüg¬ 
lich  der  Gasbildung,  haben  wir  bisher  kein  besonderes  Ge¬ 
wicht  gelegt,  ebenso  wie  wir  die  Prüfung  auf  Bildung  von 
Granulöse  unterlassen  hatten ;  Schattenfroh  und  Gra  ss- 
b  e  r  g  e  r  zeigten  in  einer  Arbeit  aus  der  allerletzten  Zeit, 
dass  Untersuchungen  in  dieser  Richtung  wegen  der  Classi- 
ficirung  von  Werth  seien,  und  gaben  diesbezüglich  als  werth¬ 
volle  Ergänzung  an,  dass  bei  Cultivirung  in  grösseren  Quan¬ 
titäten  Milch  reichliches  Gas  gebildet  wird,  sowie,  dass  bei 
Züchtung  in  stärkehaltigem  Agar  Granulöse  sich  entwickelt. 

Wie  aus  den  Untersuchungen  der  letzteren  Autoren  in 
Uebereinstimmung  mit  E.  F  r  ä  n  k  e  1  hervorgeht,  ist  die  Prüfung 
auf  Beweglickeit  von  grosser  Wichtigkeit.  Diesbezüglich  er¬ 
wähnen  wir,  dass  alle  unsere  Stämme  unbeweglich  waren.  Die 
Prüfung  auf  Beweglichkeit  geschah  unsererseits,  wie  wir 
hervorheben  müssen,  nicht  unter  anaeroben  Bedingungen, 
sondern  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen.  Untersuchungen 
unter  Sauerstoffabschluss  wurden  bisher  nur  von  Schatten¬ 
froh  und  Grassberger  vorgenommen. 

Unsere  Versuche,  Geissein  nach  verschiedenen  Methoden 
darzustellen,  schlugen  fehl.  Bezüglich  des  Vorkommens  von 
Kapseln  schreibt  Fränkel  an  einer  Stelle,  dass  er  in  Prä¬ 
paraten  vom  Muskelsafte  des  unter  Nr.  3  beschriebenen  seiner 
Fälle  »auch  jedes  einzelne  Stäbchen  von  einem  schmalen, 
den  zur  Tinction  der  Bacillen  verwendeten  h  arbstoff  nicht 
aufnehmenden,  lichten  Saume  umgeben«  fand,  welchem  er  bei  aus 
Reinculturen  angefertigten  Präparaten  mit  annähernder  Deut¬ 
lichkeit  nur  noch  bei  den  auf  schrägem  Agar  an  der  Ober¬ 
fläche  gewachsenen  Bacillen  begegnet  ist.  »Aus  einer  solchen 
Cultur  entnommene  Bacillen  zeigen  auch  einen  Dickendurch¬ 
messer,  welcher  jenem,  wie  er  an  den  Bacillen  aus  dem  er¬ 
krankten  Gewebe  des  Falles  3  zu  constatiren  war,  am  nächsten 
kam,  ja  denselben  an  vielen  Exemplaren  sogar  übertraf.« 

Üeber  die  Natur  dieses  Saumes  spricht  sich  Fränkel 
nicht  näher  aus;  Welch  und  Nuttal  beschreiben  hingegen 
deutliche  Kapselbilder;  wir  selbst  fanden  Kapseln  nach  den 
allgemein  üblichen  Methoden  niemals.  Da  "W  eich  und 
Nuttal  sich  einer  eigenen  Färbemethode  bedienten,  haben 
wir  diese  in  der  letzten  Zeit  versucht,  jedoch  auch  negati\c 
Resultate  erzielt. 

Mit  diesen  auf  die  sorgfältigste  Weise  vorgenommenen 
Untersuchungen  steht  in  Widerspruch  die  Beschreibung 
M  u  s  c  a  t  e  1 1  o’s,  welcher  eine  Kapsel  als  constan ten  Befund 
schildert,  ohne  allerdings  anzugebeD,  auf  welche  V  eise  eine 
solche  zur  Darstellung  gebracht  werden  kann. 


1064 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


Von  principieller  Bedeutung'  ist  die  immer  wiederkelirende 
Frage,  ob  unser  Bacillus  Sporen  bildet  oder  nicht. 

Frankel  beobachtete  Sporen  ausnahmsweise,  v.  H  i  b- 
ler  niemals,  und  glaubte  Letzterer  sich  daher  berechtigt,  den 
in  Frage  stehenden  Bacillus  zu  den  asporogenen  Anaerobien 
cinzureihen;  gegen  diese  Eintheilung  hat  Frankel  in  seiner 
letzten  Publication  Stellung  genommen,  und  zwar  mit  Recht. 

Wir  haben  in  unserer  Arbeit  diesbezüglich  gesagt,  dass 
wir  Sporenbildung  weder  im  Thierkörper,  noch  in  künstlichen 
Nährböden  beobachten  konnten,  dass  wir  jedoch  nicht 
zweifeln,  dass  Dauerformen  ausserhalb  des  Körpers  und  der 
Cultur  existiren.  Diese  Ansicht  wurde  uns  durch  die  Möglich¬ 
keit  aufgedrungen,  unsere  Bacillen  aus  Stuhl  und  Erde  zu 
züchten,  bei  Anwendung  von  Temperaturen,  in  welcher  lebende 
Bacillen  unbedingt  zu  Grunde  gehen  mussten.  Eine  gleichsam 
klinische  Bestätigung  bietet  der  eben  beschriebene  Fall  aus 
der  Klinik  Albert. 

In  sehr  erwünschter  Weise  haben  in  dieser  Frage 
Schatten  froh  und  Grassberger  eine  endgiltige 
Entscheidung  herbeigeführt,  indem  ihnen  der  Sporennachweis 
unter  gewissen  Culturbedingungen  (entsprechend  alkalischer 
l%o  Stärke  enthaltender  Agar)  an  einem  Stamme  ihres 
Granulobacillus  immobilis  gelang,  welchen  sie  durch 
Anreicherung  von  Milch  mit  Erde  gewannen  und  dessen  Iden¬ 
tität  mit  unserem  Bacillus  wir  zugeben  müssen,  da  er  sich  im 
Thierversuche  in  analoger  Weise  hochpathogen  erwies,  wie 
die  von  uns  aus  der  Gangrene  foudroyante,  Stuhl  und  Erde 
gezüchteten  Anaeroben. 

Bacillen  aus  jungen  Culturen  färben  sich  sehr  gut, 
ältere  minder  gut  nach  Gram  und  Weigert;  in  jedem 
Präparate  gewinnt  man  Bilder,  wo  neben  violetten  Stäbchen 
rothe  (Nachfärbung  mit  Fuchsin)  sich  vorfinden;  einzelne  sind 
nur  in  der  Mitte  violett,  an  den  Enden  roth  tingirt. 

Was  die  Stellung  unseres  Bacillus  in  der  Reihe  der 
Anaeroben  betrifft,  so  waren  wir  bisher  mit  E.  Frankel 
der  Ansicht,  ihn  nach  unseren  jetzigen  Kenntnissen  als  einen 
Bacillus  sui  generis  aufzufassen,  und  wollten  eine  endgiltige 
Eintheilung  erst  dann  vornehmen,  bis  eine  allgemein  an¬ 
erkannte  wohlbegründete  Classificirung  der  anaeroben 
Bacterien  überhaupt  acceptirt  ist. 

Principiell  sind  wir  nicht  gegen  die  von  Schatten¬ 
froh  und  Grass  berger  versuchte  Einreihung  in  die  Gruppe 
der  echten  Buttersäurebacillen,  halten  dieselbe  jedoch  einst¬ 
weilen  für  noch  verfrüht. 

#Wir  können  uns  nämlich  »einstweilen«  nicht  mit  einer 
Identificirung  unseres  Bacillus  mit  dem  Granulobacillus  im¬ 
mobilis  einverstanden  erklären;  wir  thun  dies  nur  bezüglich 
des  einen  vorhin  bereits  erwähnten,  von  Schattenfroh 
und  Grassberger  aus  Erde  gewonnenen  pathogenen 
Stammes,  welcher  sich  nach  unserer  Meinung  in  genügender 
Weise  von  den  aus  anderem  Material  von  diesen  Autoren 
gewonnenen  Stämmen  unterscheidet. 

Die  Autoren  heben  selbst  hervor,  dass  dieser  eine  Stamm 
der  einzige  war,  welcher  sich  als  pathogen  erwies,  und  welcher 
bezüglich  der  Versporung  an  den  Nährboden  »besondere« 
Bedingungen  stellte. 

lieber  die  Bedingungen  der  Sporen-  und  Granulosebildung 
haben  wir  bisher  keine  eigene  Erfahrung,  bezüglich  der  Patho¬ 
genität  müssen  wir  jedoch  hervorheben,  dass  alle  unsere,  aus 
dem  verschiedensten  Material  gezüchteten  Anaeroben,  welche 
wir  mit  dem  Erreger  der  Gangrene  foudroyante  identificirt 
haben,  ausnahmslos  für  das  Meerschwein  hochpathogen 
waren,  und  bei  diesem  Thiere  einen  ganz  typischen  Krank- 
heitsprocess  hervorgerufen  haben. 

Wenn  Schattenfroh  und  Grassberger  die  Ansicht 
vertreten,  dass  ihr  pathogener  Stamm  mit  ihren  anderen  nicht¬ 
pathogenen  Stämmen  identisch  ist  und  seine  Pathogenität  nur 
vermöge  besonderer  günstiger  Umstände  erlangt  hat  —  welche 
l  mstände  die  Autoren  nicht  angeben  können  —  so  sind  wir 
bereit,  diese  Möglichkeit  zuzugeben. 

Mit  Gewissheit  Hesse  sich  die  Identificirung  nur  vor¬ 
nehmen.  wenn  es  z.  B.  gelingen  würde,  die  »besonderen 


günstigen  Umstände«  zu  finden  und  nicht  pathogene 
Stämme  nach  Belieben  in  pathogene  umzuwandeln. 

So  lange  uns  durchgreifendere  differentaldiagnostischc 
Hilfsmittel  zur  Unterscheidung  der  einzelnen  Anaerobenarten 
nicht  zur  Verfügung  stehen,  müssen  wir  auch  anscheinend 
geringe  Merkmale  —  und  der  Pathogenität  kommt  nach 
unserer  Ansicht  eine  keineswegs  geringe  Bedeutung  zu  — 
zur  Differenzirung  heranziehen,  für  welche  wir  als  unter¬ 
stützende  Momente  noch  die  von  den  Autoren  angegebene 
grössere  Schwierigkeit  der  Sporenbildung,  sowie  den  Umstand 
anführen  müssen,  dass  die  Beschreibungen  der  Oberflächen- 
colonien  des  Granulobacillus  immobilis  mit  den  von  uns  ge¬ 
sehenen  Bildern  unserer  Araerobenart  nicht  völlig  überein¬ 
stimmen. 

Das  Bild  bei  der  subcutanen  Infection  von  Meerschweinen 
mit  dem  anacroben  Bacillus  wird  von  allen  Autoren  in  über¬ 
einstimmender  Weise  angegeben,  ebenso  das  Verhalten  von 
Kaninchen  bei  intravenöser  Einverleibung  einer  Cultur- 
aufschwemmung;  nur  stimmen  die  Deductionen  aus  diesen 
Impfversuchen  nicht  immer  mit  unseren  Erfahrungen  völlig 
überein.  So  bedürfen  z.  B.  die  Schlussfolgerungen,  welche 
E.  Frankel  aus  folgendem  Versuche  zieht,  einer  Einschränkung. 

»Injicirt  man  einem  Kaninchen  von  der  Ohrvene  aus 
Partikelchen  einer  Culturaufschwemmung  oder  etwas  Bouillon- 
cultur  intravenös,  dann  bleiben  Krankheitserscheinungen  voll¬ 
kommen  aus.  Tödtet  man  indessen  ein  so  vorbehandeltes  Thier 
einige  Minuten  bis  mehrere  Stunden  nach  vorgenommener  In¬ 
jection  und  lässt  es  dann  24  Stunden  bei  20°  C.  im  Thermo¬ 
staten  liegen,  dann  findet  man  bei  der  Section  namentlich 
Leber  und  Milz  von  zahlreichen  Gasblasen  durchsetzt.« 

Es  wäre  dies  nach  Fränkel  geeignet,  »immer  im  Ver¬ 
eine  mit  dem  bisher  Geschilderten  zur  Unterscheidung  von 
anderen  Anaeroben  beizutragen.« 

Hiezu  ist  zu  bemerken,  dass  man  auch  mit  dem  Rausch¬ 
brandbacillus,  gegen  welchen  sich  das  Meerschweinchen  sehr 
empfänglich,  das  Kaninchen  aber  refraetär  zeigt,  bei  einem  so 
angelegten  Versuche  denselben  Effect  erzielt. 

Schaumorgane  kann  man  aber  auf  gleiche  Weise  auch 
mit  anderen  aeroben  Bacterien  erzeugen,  so  zum  Beispiel  mit 
dem  F  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r’schen  Bacillus,  wie  Versuche  von  uns 
ergeben  haben.  Wir  wider  rath  en  daher,  diesen  Ver¬ 
such  differentialdiagnostisch  zu  v  er  wer  then. 

Trotzdem  es  also  Fränkel  bekannt  ist,  dass  Schaum- 
organe  post  mortem  entstehen  können,  so  hebt  er  doch  gegen¬ 
über  unserer  These,  »dass  die  Wirksamkeit  unserer 
specifischen  Bacterien  nicht  an  vitale  Func¬ 
tionen  des  Individuums  gebunden  ist  und  dass 
die  anatomisch  sowie  histologisch  identischen 
Veränderungen  auch  nach  dem  Tode  hervor¬ 
gerufen  werden  können«,  ausdrücklich  hervor,  » um 
keinerlei  Missverständnisse  aufkommen  zu  lassen,  dass  als 
postmortale  Wirkung  der  Bacterien  nur  die  Gasentwicklung 
speciell  in  den  grossen  Bauchorganen  bei  Kaninchen  und  im 
Unterhautzellgewebe  von  Meerschweinchen  gelten  kann.« 

Diese  Behauptung,  zu  welcher  er  keinerlei  Belege  bei¬ 
bringt,  wird  nur  dadurch  verständlich,  dass  Fränkel  auf 
die  Texturveränderungen  dieser  so  entstandenen  Schaumorgane 
nicht  eingeht,  sondern  sich  nur  mit  der  Constatirung  des  Vor¬ 
handenseins  von  Gas  im  Gewebe  begnügt.  Aber  diese  Textur¬ 
veränderungen  bestehen  ausser  in  dem  Vorkommen  von  Gas 
darin,  dass  die  Organe  meist  trocken,  brüchig,  zerfallend  — 
manchmal  aber  stark  durchfeuchtet,  gelb  bis  lehmartig  gefärbt 
sind  und  ihre  Structur  vollständig  verloren  haben;  histologisch 
sieht  man  einen  mehr  minder  completen  Kernschwund,  ge¬ 
wisse  Veränderungen  im  Zellleibe  und  ganz  verwischte  Zell¬ 
grenzen.  Nachdem  das  betreffende  Thier  einige  Minuten  nach 
der  Injection  getödtet  wird  —  wir  selbst  haben  zahlreiche 
solche  Versuche  gemacht  —  so  müssen  alle  diese  beschriebenen 
Veränderungen  postmortal  entstanden  sein.  Das  sind  aber, 
dieselben  Veränderungen,  wie  wir  sie  bei  den 
Fällen  von  Gangrene  foudroyante  i  n  t  r  a  v  i  t  a  m 
kennen  gelernt  haben,  und  es  ist  gerade  dieser 
Versuch  ausgezeichnet  geeignet,  die  Richtig- 


Nr.  46 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


.1065 


k  e  i  t  unserer  These  zu  demonstriren,  dass  ana¬ 
tomisch  und  histologisch  mitdenvitalen  identi¬ 
sche  Veränderungen  auch  nach  dem  Tode  des 
Individuums  entstehen  können. 

Als  weiterer  Beweis  diene  zum  Beispiel  folgender  Ver¬ 
such:  Man  schneidet  bald  nach  dem  Tode  steril  aus  einer 
Menschen-  oder  Thierleiche  eine  Leber  heraus,  die  keine 
pathologischen  Veränderungen  zeigt,  und  injicirt  in  die  Pfort¬ 
ader  eine  Aufschwemmung  unserer  Bacterien.  Die  Leber  zeigt 
dann  früher  oder  später,  je  nachdem  bei  welcher  Temperatur 
sie  aufbewahrt  wird,  das  typische  Bild  einer  Schaumleber  und 
gibt  auch  mikroskopisch  dieselben  typischen  Bilder. 

Einen  Zweifel  an  der  Richtigkeit  unserer  These  könnte 
man  nur  hegen,  wenn  man  ohne  Kenntniss  gerade  dieser  Ver¬ 
suche  die  leim  Menschen  und  Thiere  vorkommenden  Schaum¬ 
organe  für  vital,  ein  postmortales  Entstehen  für  unwahrschein¬ 
lich  hielte,  wie  es  ja  thatsachlich  vielfach  geschehen  ist.  Wir 
werdens  seinerzeit  bei  der  Veröffentlichung  unserer  Fälle  darauf 
zurückkommen.  Wir  legen  deshalb  auf  den  Satz  principiellen 
Werth,  weil  die  durch  diese  Stäbchen  verursachten  Verände¬ 
rungen  unabhängig  von  der  Vitalität  des  Gewebes  entstehen, 
eine  Erscheinung,  die  ohne  Analogie  bei  anderen 
Infectio  user  regem  ist.  Es  wird  ja  auch  heute  mit 
Recht  bei  der  Beurtheilung,  ob  Bacterien  noch  bei  Lebzeiten 
oder  post  mortem  im  Gewebe  sich  ansiedelten,  darauf  ent¬ 
scheidender  Werth  gelegt,  ob  in  ihnen  entsprechende  Gewebs¬ 
veränderungen  vorhanden  sind  oder  nicht.  So  beweist  z.  B. 
bei  einer  Streptococcenphlegmone  das  Vorhandensein  der  Leuko- 
cyteninfiltration  mit  Sicherheit,  dass  diese  intra  vitam  durch 
Einwirkung  der  Streptococcen  entstanden  sind. 

Im  Laufe  unserer  Untersuchungen  haben 
wir  erkennen  gelernt,  dass  aus  dem  Vorhanden¬ 
sein  von  Veränderungen,  die  diesen  Bacterien 
im  lebenden  Gewebe  zukommen,  kein  Schluss 
puncto  Vitalität  mit  Sicherheit  zu  ziehen  ist, 
weil  dieselben  Veränderungen,  nämlich  Kern¬ 
schwund,  Decomposition  des  Zellleibes,  ver¬ 
wischte  Zellgrenzen  auch  im  abgestorbenen 
Gewebe  entstehen  können. 

Eine  Folge  dieser  Erkenntniss  war  nun,  dass  wir  das 
Wesen  sowohl  der  Gangrene  foudroyante,  als  auch  der  Schaum¬ 
organe  in  einer  reinen  Vergährung  des  lebenden,  respective 
des  todten  Organes  erblicken,  durch  welche  Erklärung  erst 
diese  Erkrankung  unserem  Verständnisse  nahe  gerückt  wurde. 
Wenn  wir  nämlich  die  Infectionen  in  solche  eintheilen  wollten, 
die  mit  und  ohne  locale  Erscheinungen  verlaufen,  so  stellen 
sich  diese  localen  Erscheinungen  wohl  ohne  Ausnahme  als 
Entzündungserscheinungen  dar.  Hier  aber  fehlt  in  den  reinen 
Formen,  und  nur  diese  sind  beweisend,  die  Entzündung  voll¬ 
ständig  —  wie  wir  dies  als  die  Ersten  zu  zeigen  in  der  Lage 
waren,  sondern  es  treten  vielmehr  im  lebenden  und  todten  Ge¬ 
webe  Veränderungen  auf,  die  mit  den  bei  der  Nekrose  vor¬ 
kommenden  identisch  sind,  und  die  wir,  da  sie  als  Folgen  der 
Vergährung  des  lebenden  oder  todten  Gewebes  auftreten,  kurz 
V  ergährungsnekrose  nennen  wollen. 

Es  ist  nun  klar,  dass  man  bei  dem  Studium  nur  der  am 
lebenden  Körper  sich  abspielenden  Veränderungen  leicht  dahin 
gelangt,  alle  diese  Veränderungen  als  nur  intra  vitam  vor¬ 
kommend  anzusehen,  zumal  dieselben,  wie  bereits  gesagt,  im 
histologischen  Bilde  vollkommen  mit  jenem  Processe  überein¬ 
stimmen,  den  wir  Nekrose  nennen,  den  wir  aber  nur  auf  vitale 
Veränderungen  zu  beziehen  gewohnt  sind.  Und  nur  durch 
den  Vergleich  mit  sicher  postmortalen  Veränderungen,  die  aber 
genau  denselben  Befund  darbieten,  wie  die  vital  entstandenen, 
waren  wir  im  Stande,  zu  erkennen,  dass  bei  der  Vergährung 
durch  unsere  anaeroben  Bacillen  an  der  todten  Zelle  dieselben 
Veränderungen  entstehen,  wie  an  der  lebenden,  und  dass  man 
daher  aus  dem  Vorhandensein  der  Vergährungsnekrose  nicht 
dieselben  Folgerungen  ziehen  darf,  wie  aus  der  Nekrose  im 
gewöhnlichen  Sinne,  dass  nämlich  die  betreffenden  Verände¬ 
rungen  vital  enstanden  sind. 

Wir  dürfen  eben  nicht  vergessen,  dass  wir  den  Zelltod 
als  solchen  mikroskopisch  nicht  zu  erkennen  vermögen,  wenn 


nicht  secundäre,  mehr  minder  zufällige  Momente  es  ermög¬ 
lichen. 

Und  ein  solches  secundäres  Moment  —  Durchströmung 
der  Zelle  mit  Serum  —  kommt  typisch  bei  und  in  Folge  der 
Vergährung  der  Gewebe  sowohl  intra  vitam  als  auch  post 
mortem  vor,  ist  also  unabhängig  vom  Leben  des  Individuums, 
und  so  wird  es  erst  verständlich,  dass  aus  den  mikroskopischen 
Veränderungen  allein  die  Frage,  ob  die  Nekrose  vital  oder 
postmortal  entstanden  sei,  nicht  beantwortet  werden  kann. 

Aus  diesem  Sachverhalte  wird  auch  die  Progredienz  der 
Erscheinungen  erklärlich. 

Fränkel  spricht  sich  allerdings  nicht  darüber  aus,  ob 
die  sogenannten  Schaumorgane  vitale  Veränderungen  darstellen, 
sondern  verweist  diesbezüglich  auf  die  Arbeiten  von  Goebel 
und  Ernst;  er  vertritt  aber  in  Uebereiustimmung  mit  diesen 
Autoren  die  Ansicht,  da3s  das  Eindringen  der  fraglichen  Ba¬ 
cillen  schon  bei  Lebzeiten  (mehrere  Stunden  ante  mortem)  des 
betreffenden  Individuums  erfolge.  Damit  ist  aber  für  die  Frage, 
ob  die  Veränderungen  vitale  sind  oder  nicht,  nichts  gewonnen, 
da  bei  einem  solchen  Eindringen  beides  möglich  ist. 

Die  seröse  Durchtränkung  des  Gewebes  ist  nach  unseren 
gebräuchlichen,  pathologisch-anatomischen  Begriffen  als  vitaler 
Effect  aufzufassen.  Es  ist  jedoch  nicht  von  der  Hand  zu 
weisen,  dass  etwas  Aehnliches  unter  gewissen  Bedingungen 
auch  post  mortem  zuStande  kommt,  allerdings  verschieden 
in  der  Art  und  Weise  des  Zustandekommens,  gleich  aber  im 
Endeffecte.  Es  ist  ganz  gut  möglich  und  sogar  wahrschein¬ 
lich,  dass  der  natürliche  Gewebssaft  unter  dem  Drucke  des 
entstehenden  Gases,  zum  Beispiel  in  den  Schaumlebern,  aus 
einem  Theile  herausgepresst  wird  und  in  einen  anderen  ein¬ 
dringt.  Dazu  kommt  noch  Eines;  wir  fanden  in  der  Regel, 
dass  rings  um  die  Gas  enthaltenden  Partien  die  Capillaren 
sowohl  wie  die  Venen  leer  waren.  Wenn  auch  ein  Theil  des 
Blutes  etwa  stromaufwärts  getrieben  wird,  so  ist  es  immerhin 
möglich,  dass  ein  anderer  Theil  desselben  —  das  Serum  —  in 
das  Gewebe  gelangt  und  so  eine  seröse  Durch tränkung  des 
Gewebes  zu  Stande  kommt. 

Damit  stimmt  ganz  gut  die  Thatsache,  dass  bei  experi* 
mentell,  also  sicher  postmortal  entstandenen  Schaumlebern  die 
Schnittfläche  sich  sehr  bald  mit  einer  gasführenden,  serösen 
Flüssigkeit  bedeckt,  die  dann  abtropft  und  am  Boden  des  Ge- 
fässes  sich  ansammelt. 

Nicht  zutreffend  sind  Fränkels  Angaben  in  folgendem 
Thierversuche  :  »Die  bei  subcutaner  Injection  bei  Meerschwein¬ 
chen  zu  Lebzeiten  entstandenen  localen  Veränderungen  zeigen 
nach  dem  Tode  der  Thiere  keine  Progredienz.  Tödtet  man 
dagegen  nach  erfolgter  subcutaner  Einbringung  von  Cultur- 
rnassen  Meerschweinchen  und  conservirt  die  Cadaver  während 
24  Stunden  in  der  oben  angegebenen  Weise,  dann  kann  an 
der  Impfstelle  die  Haut  luftkissenartig  abgehoben  werden.  Es 
fehlt  indessen  jegliche  Flüssigkeitsausscheidung  und  der  zunder¬ 
artige  Verfall  des  Unterhaut-  und  Muskelgewebes,  ebenso  bilden 
sich  keine  Schaumorgane«. 

Beim  Menschen  ist  die  Progredienz  sicher  erwiesen  und 
oft  ganz  auffallend,  am  evidentesten  war  es  im  Falle  IV  und 
V  unserer  eigenen  Beobachtungen,  in  denen  die  Veränderungen 
speciell  Emphysem  weit  über  die  bei  Lebzeiten  bezeichneten 
Grenzen  fortgeschritten  war.  Es  wird  dies  leicht  verständlich, 
wenn  man  Folgendes  bedenkt:  Die  intra  vitam  mit  dem  Lymph- 
strome  fortschreitende  Bacterieninvasion  reicht  weit  über  die 
Grenzen  der  makroskopisch  sichtbaren  Veränderungen.  Man 
findet,,  wenn  auch  spärliche  Bacillen  mitten  im  gesunden  Ge¬ 
webe.  Finden  nun  post  mortem  diese  Stäbchen  zu  ihrer  Ver¬ 
mehrung  günstige  Bedingungen,  dann  kommt  es  zur  Ver¬ 
gährung  des  Gewebes,  und  es  entstehen  Gas-  und  Texturver¬ 
änderungen  im  Gewebe. 

Dasselbe  gilt  für  das  Meerschweinchen,  das  sich  ganz 
analog  dem  Menschen  gegen  diese  Infection  verhält,  wenn 
auch  bei  der  Kleinheit  des  Objectes  und  der  durch  die 
Haardecke  erschwerten  Beobachtung  die  Progredienz  keine  so 
in  die  Augen  springende  ist. 

Dies  kann  man  übrigens  aus  Fr  änkel’s  eigenem  Ver 
suche  ersehliessen,  denn,  wenn  im  II.  Falle  post  mortem  sich 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  4fi 


local  Gas  bilden  kann,  so  muss  dies  auch  im  I.  Falle  für  die¬ 
jenigen  Stellen  zutreffen,  wo  intra  vitam  bereits  BaeillcD,  aber 
noch  keine  makroskopisch  sichtbaren  Veränderungen 
vorhanden  waren.  Aber  wo  Gas  im  Gewebe  (durch  diese 
Stäbchen  bedingt)  auftritt,  ist  es  ja  ein  Product  der  Ver- 
gährung,  entsteht  also  aus  dem  Gewebe  heraus,  muss  also  mit 
Veränderungen  des  Gewebes  einhergehen.  Und  die  Ver¬ 
änderungen  bestehen  eben  in  dem  zunderartigen  Zerfalle. 

Bezüglich  des  Fundortes  dieser  Bacterien  im  menschlichen 
Darme  verweisen  wir  auf  das  bereits  pag.  137  unserer  Arbeit 
Gesagte;  dass  nämlich  speciell  der  menschliche  Koth  normaler 
Weise  neben  anderen  Anaeroben  constant  Bacterien  enthält, 
die  sich  weder  morphologisch  noch  biologisch,  noch  im  Thier¬ 
versuche  von  unseren  Stämmen  differenziren  lassen,  die  wir 
also  als  mit  ihnen  identisch  anzusehen  berechtigt  sind.  Dadurch 
allein  würde  schon  ihre  Verbreitung  in  Erde  und  Strassenkoth 
erklärlich«. 

Frankel  zweifelte  in  seiner  Monographie  und  zweifelt 
auch  in  seiner  letzten  Arbeit  noch  die  Richtigkeit  der  Deutung 
Chiari’s  in  seinem  Falle  an,  dass  das  Bacterium  coli  der 
Erreger  des  Emphysems  gewesen  sei,  und  zwar  aus  dem  Grunde 
weil  es  C  h  i  a  r  i  im  Thierversuche  nicht  gelungen  war,  mit 
dem  betreffenden  Colistamme  denselben  Process  zu  erzeugen. 
Auf  dem  gerade  entgegengesetzten  Standpunkte  steht  Mus¬ 
catel  1  o,  der  auf  Grund  zweier  bereits  früher  mitgetheilten 
Beobachtungen8)  von  Fällen  von  Gangrene  foudroyante,  in 
welchen  er  Coli  fand,  erst  in  letzter  Zeit  wieder  auf  dem 
italienischen  Chirurgen  Congresse0)  und  in  einer  neuen  Arbeit  10) 
behauptet,  Bacterium  coli  gehöre  zu  den  Erregern  der  Gas¬ 
phlegmone,  auch  wenn  kein  Diabetes  vorliege. 

Ueber  den  Fall  Chiari’s  haben  wir  bereits  genügend 
in  unserer  Arbeit  gesprochen,  wollen  jedoch  unsere  Ansicht 
nochmals  ausdrücklich  betonen,  dass  Coli  nur  bei  Diabetes 
eine  Gasphlegmone  machen  kann,  und  dass  der  Thierversuch 
Chiari’s  negativ  ausfiel,  weil  die  Thiere  nicht  diabetisch 
waren. 

Wir  wissen  ja,  dass  in  den  vielen  sonst  beschriebenen 
Colireininfectionen  beim  Menschen  niemals  Gas  im  Gewebe 
beobachtet  wurde;  wir  wissen  dasselbe  von  dem  gut  studirten 
Thierexperimente.  Es  konnte  daher  nicht  etwa  an  der  Eigen¬ 
art  des  betreffenden  Colistammes  gelegen  haben,  wie  es  Mus- 
catello  annimmt,  dass  es  zur  Entstehung  von  Gas  im  Ge¬ 
webe  gekommen  war,  sondern  die  diabetische  Diathese  war 
die  Ursache.  Daran  können  auch  die  Beobachtungen  von 
Bunge  und  von  Düngern  nichts  ändern;  in  diesen 
Fällen  fehlte  zwar  der  Diabetes  mellitus,  aber  dafür  wurde 
neben  dem  Colibacillus  auch  der  Proteus  gefunden. 

Und  vom  Proteus  zeigte  Grassberger  in  zwei  Fällen,  in 
denen  kein  Diabetes  vorlag  und  in  denen  neben  dem  Proteus 
nur  noch  Streptococcen  vorkamen,  einwandfrei,  dass  der  Proteus 
solche  Bilder  zu  erzeugen  vermag.  Wenn  man  diese  Thatsache 
zusammenhält  mit  dem  sonst  bekannten  Verhalten  des  Coli, 
so  kann  man  bei  der  Beurtheilung  der  Fälle  Bunge’s  und 
von  Dünger  n’s,  in  denen  also  Diabetes  fehlte  und  neben  Coli 
noch  Proteus  vorhanden  war,  gar  nicht  anders  als  den  Proteus 
als  Erreger  anzusehen.  Eine  Bestätigung  hiefür  liefert  nun  auch 
der  eine  Fall  von  M  u  s  c  a  t  e  1 1  o,  in  welchem  neben  Coli  und 
einem  nicht  züchtbaren  sporogenen  Bacterium  Proteus  vor¬ 
handen  gewesen  war. 

Der  zweite  Fall  von  Muscatello,  in  welchem  blos 
Bacterium  coli  und  der  Streptococcus  gefunden  wurden,  wäre 
demnach  einzig  in  seiner  Art,  und  nach  unserer  Meinung 
nicht  völlig  aufgeklärt.  Bezüglich  der  Thierversuche  gibt 
Muscatello  selbst  an,  dass  er  einen  analogen  Process  beim 
Thier  nur  bei  gleichzeitiger  Impfung  von  Coli  und 
Proteus  hervorrufen  konnte;  merkwürdiger  Weise  äussert  er 
ganz  bestimmt,  dass  Proteus  allein  keine  Gasbilung  verursachen 
könne ;  die  Fälle  Grassberge r’s  scheinen  Muscatello 
daher  nicht  bekannt  zu  sein. 

s)  Archiv  per  le  science  med.  1896,  Vol.  XX.;  und:  La  Riforma 
medica.  1898,  Nr.  190. 

'■')  Supplemento  al  Policlinico.  1899,  Nr.  5. 

Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  38. 


Das  Fehlen  des  zunderartigen  Zerfalles  de3  Gewebes  im 
Falle  Bunge,  dem  Fränkel  eine  gewisse  Bedeutung  bei¬ 
misst,  da  nach  ihm  derselbe  pathognomonisch  für  Gasphleg¬ 
monen  ist,  hat  wenig  Beweiskraft,  denn  der  Zerfall  kam  ja 
im  Falle  Chiari  und  in  unserem  vor;  der  zunderartige  Zer¬ 
fall  kommt  aber  auch  in  Fällen,  die  Fränkel  nicht  zu  Gas¬ 
phlegmone  gerechnet  wissen  will,  so  zum  Beispiel  in  den  Fällen 
von  Hlawa,  Koch,  Breme  r,  W  i  c  k  1  e  i  n  vor.  Dass  über¬ 
haupt  Gasbildung  und  zunderartiger  Zerfall  auf  das  Innigste 
Zusammenhängen,  haben  wir  bereits  erwähnt.  Man  kann  daher 
auch  nicht  den  zuuderartigen  Zerfall  für  diese  oder  jene 
ätiologisch  differente  Form  der  Gasphlegmone  als  pathognostisch 
in  Anspruch  nehmen. 

Fränkel  bringt  in  seiner  Monographie  keine  histologi¬ 
schen  Befunde  beim  Menschen  und  die  kurzen  Angaben,  die  er 
über  mikroskopische  Veränderungen  macht,  beziehen  sich  nur 
auf  das  Gewebe  des  Meerschweinchens.  Dass  diese  nie  die 
Befunde  beim  Menschen  ersetzen  können,  ist  klar.  Aber  auch 
die  vorhandenen  miskroskopischen  Beschreibungen  sind  nicht 
genug  ausführlich;  so  findet  sich  unter  Anderem  nirgends  auch 
nur  ein  Wort  über  die  Kernverhältnisse,  ein  nicht  unwesent¬ 
licher  Punkt.  In  seiner  letzten  Arbeit  verweist  Fränkel 
lediglich  auf  das  in  seiner  Monographie  Gesagte.  Immerhin 
war  Fränkel,  auf  seine  Befunde  (wohl  zumeist  experimen¬ 
teller  Natur)  gestützt,  in  der  Lage,  zu  constatiren,  dass  Eiterung 
bei  den  Gasphlegmonen  fehle  und  er  stellte  die  Gasphleg¬ 
monen  als  diffus  septische  Phlegmonen  den  diffus  eiterigen  im 
Principe  gegenüber,  bezeichnete  aber  doch  die  Gas¬ 
phlegmonen  als  Entzündungsvorgänge,  die  mit 
Gasbildung  in  den  Geweben  einher  gehen  und 
zurAbtödtung  von  Unterbaut-,  Zwischenmuskel- 
g  e  w  e  b  e  führen. 

Uns  gelang  es,  an  der  Hand  unserer  sechs  alten  und  des 
jetzt  beschriebenen  Falles  zu  zeigen,  dass  die  wichtigste  Ver¬ 
änderung  des  Gewebes  die  Nekrose  darstellt  und  dass  die 
Reininfectionen  vollständig  frei  sind  von  allen  Zeichen  einer 
eigentlichen  Entzündung,  dass  sogar  bei  der  Virulenz  der 
Anaeroben  auch  in  Mischinfectionen  diese  in  den  Hintergrund 
treten  können  und  darin  sehen  wir  das  Wesentliche  der 
Sache,  weil  diese  Befunde  die  Gangrene  foudroyante  zu  einer 
Erkrankung  eigener  Art  machen.  Durch  die  pro¬ 
grediente  Nekrose,  primäre  Gasbildung  und  seröse  Durch¬ 
tränkung  wird  die  Gangrene  foudroyante  in  ihren  reinen 
Formen  am  besten  charakterisirt. 

Dieser  Gesichtspunkt  leitete  uns  bei  der  Beurtheilung 
der  Stellung  der  Infection  des  malignen  Oedems  beim  Menschen. 
An  der  ätiologischen  Selbsständigkeit  dieser  Fälle  zu  zweifeln, 
liegt  uns  fern. 

Nun  hat  in  letzter  Zeit  Br  ab  ec11)  einen  Fall  von  In¬ 
fection  mit  malignem  Oedem  veröffentlicht.  Obwohl  bei 
diesem  Falle,  welcher  eine  Mischinfection  mit  Coccen  war, 
histologische  Untersuchungen  nicht  gemacht  wurden,  tritt  der 
Autor  mit  grosser  Bestimmtheit  gegen  einige  von  früheren 
Autoren  an  grösserem  Materiale  gesammelte  Erfahrungen  auf. 
Wir  meinen  hiemit  besonders  die  Frage,  ob  bei  malignem 
Oedem  Gasbildung  vorkommt,  oder  nicht. 

Entgegen  vielen  früheren  Beobachtungen  bestreitet  dies 
Br  ab  ec.  Dass  die  Gasbildung  eine  geringere  ist,  als  bei  der 
Infection  mit  unseren  Anaeroben,  ist  sicher,  jedoch  lässt  sie 
sieh  in  vielen  Fällen  naehweisen.  Jedenfalls  kann  Brabec 
auf  Grund  eines  Falles,  in  dessen  Deutung  übrigens  noch 
andere  Unklarheiten  sind,  nicht  diese  Frage  ohne  histo¬ 
logische  Untersuchung  entscheiden. 

Widerlegt  ist  er  übrigens  durch  die  in  jüngster  Zeit 
erfolgte  Mittheilung  zweier  Fälle  von  malignem  Oedem  von 
Hämig  und  S  i  1  be  r  s  c  h  m  i  d  t '-),  indem  diese  Autoren  in 
ihren  ausführlichen  Krankengeschichten  die  beobachtete  Gas¬ 
bildung  ausdrücklich  hervorheben. 

Auch  muss  B  r  a  b  e  c  die  Frage,  ob  das  maligne  Oe  lern  ohne 
Fieber  und  Milztumor  verläuft,  noch  offen  lassen,  da  er  ja 
über  keine  Reininfection  verfügt.  Unsere  Erfahrung  über  die 

1 ')  Wiener  klinische  Rundschau.  1900,  Nr.  8  und  9. 

,2)  Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerzte.  1900,  Nr.  12. 


Nr.  46 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1067 


Infection  mit  Bacillen  der  malignen  Oedeme  beschränken  sich 
auf  Thierversuche  und  auf  die  in  der  Literatur  niedergelegten 
Fälle;  insoferne  diese  nun  bezüglich  ihrer  Aetiologie  richtig 
beschrieben  sind,  müssen  wir  einstweilen,  entgegen  Br  ab  ec 
und  entgegen  E.  Fränkel,  welcher  das  maligne  Oedem  als 
eine  Erkrankung  ganz  eigener  Art  aufgefasst  haben  will,  auf 
unserem  Standpunkte  beharren,  dass  auch  diese  Erkrankung 
klinisch  und  anatomisch  der  Gangrene  foudroyante  analog 
verläuft. 

Wir  haben  aus  dem  genauen  Studium  der  Literatur  die 
Ueberzeugung  gewonnen,  dass  somit  ätiologisch  verschiedene 
Erkrankungen,  klinisch  und  anatomisch,  ob  auch  histologisch 
wissen  wir  nicht  —  es  ist  uns  aber  bei  unserer  Auffassung 
der  Krankheitserscheinungen  als  Folgen  der  Vergährung  des 
Gewebes  wahrscheinlich  —  vollständig  übereinstimmen. 

Wir  schlagen  deshalb  nochmals  vor,  in  der  Ueberzeugung, 
dass  spätere  Untersucher  die  Uebereinstimmung  aueh  im  histo¬ 
logischen  Bilde  finden  werden,  diese  klinisch  und  anatomisch 
so  innig  zusammenhängenden,  durch  progrediente  Nekrose, 
primäre  Gasbildung  bei  fehlenden  Entzündungserscheinungen 
(in  Fällen  von  Reininfection)  ausgezeichneten  Infectionen  unter 
einem  Namen  zusammenzufassen  und  der  Aetiologie  durch  Zu¬ 
fügung  des  Namens  des  Erregers  Rechnung  zu  tragen.  Um 
auch  äusserlich  die  Verschiedenheit  der  Infection  von  den 
Phlegmonen  anzudeuten,  vermieden  wir  die  Bezeichnung  »Gas¬ 
phlegmone«  und  gingen  mangels  einer  guten  deutschen  Be¬ 
zeichnung  auf  die  seinerzeit  von  Maisonneuve  eingeführte 
Bezeichnung  »Gangrene  foudroyante«  zurück. 

E.  Fränkel,  der  bezüglich  der  strengen  Abtrennung 
der  Phlegmonen  von  der  Gangrene  foudroyante  unsere  An¬ 
sichten  zu  theilen  scheint,  bediente  sich  in  der  letzten  Arbeit 
für  die  anaeroben  Erreger  des  Titels  »Bacillen  des  malignen 
Emphysems«,  gegen  welche  Umtaufe  wir  nichts  einzuwenden 
hätten;  sollte  das  Bedürfniss  nach  einem  deutschen  Namen 
vorhanden  sein,  so  könnten  wir  für  die  Erkrankung  noch  die 
Bezeichnung  Gasnekrose  oder  Gasbrand  in  Vorschlag 
bringen. 


Ueber  den  Verschluss  von  Defecten  am  Schädel 
durch  Knochenheteroplastik. 

Von  Dr.  Konrad  Biidinger. 

(Demonstration  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 

am  26.  October  1900.) 

Die  Implantation  fremder  Knochensubstanz  in  Defecte 
des  Skeletes  trägt  bisher  noch  alle  Merkmale  des  Versuches 
an  sich  und  ist  speciell  für  Schädel  defecte  noch  kaum  in  den 
Rahmen  derjenigen  Operationen  getreten,  welche  eine  allgemein 
anerkannte  Indication  haben.  Die  Mittheilung  des  nachfolgenden 
Falles  schien  mir  daher  angezeigt,  weil  einerseits  das  zur 
Implantation  verwendete  Material  ein  ungewöhnliches  war, 
andererseits  meines  Wissens  noch  kein  ähnlicher  Fall  so  lange 
Zeit  nach  der  Operation  zur  anatomischen  Untersuchung  kam. 

F.  K.,  fünf  Jahre  alt,  wurde  am  10.  October  1896  ins 
St.  Rochus-Spital  aufgenommen. 

Nach  der  Angabe  der  Mutter  bekam  das  Kind  vor  etwa 
einem  Jahre  ohne  bekannte  Ursache  auf  dem  Schädeldach  zwei 
Anschwellungen  ziemlich  zu  gleicher  Zeit,  welche  nicht  schmerzhaft 
waren,  aber  sich  langsam  vergrösserten. 

Erst  vor  einigen  Monaten  wurde  auch  eine  leichte  An¬ 
schwellung  über  dem  Jochbogen  der  rechten  Seite  bemerkt,  die 
dem  Knaben  ebenfalls  keine  Beschwerden  verursachte.  Die  Haut 
über  sämmtlichen  drei  Anschwellungen  begann  sich  langsam  zu 
röthen,  dann  Dach  eine  nach  der  anderen  auf,  und  alle  secernirten 
reichlich  dünnflüssigen  Eiter.  Bald  darauf  bildete  sich  ein  ähnliches 
Geschwür  am  rechten  Handrücken. 

ln  diesem  Zustande  kam  der  Patient  in  die  ambulatorische 
Spitalsbehandlung  und  wurde  mehrere  Wochen  hindurch  conser- 
vativ  behandelt,  da  die  Mutter  von  einem  operativen  Eingriffe 
nichts  wissen  wollte. 


Status  praesens:  Im  Ganzen  gut  genährtes  und  geistig  be¬ 
sonders  gut  entwickeltes  Kind,  das  Allgemeinbefinden  normal,  nur 
die  Gesichtsfarbe  blass,  kein  Fieber,  Lungen  gesund. 

Ueber  der  Scheitelhöhe  des  Stirnbeines  findet  sich  links 
knapp  an  der  Mittellinie  ein  Geschwür  mit  wulstigen,  blassbläu¬ 
lichen,  unterminirten  Rändern,  über  dem  rechten  Scheitelbein  ist 
ein  ähnliches,  fast  guldenstückgrosses  Geschwür  zu  sehen,  das  blasse 
Granulationen  zeigt  und  stark  secernirt,  ein  drittes  kleineres 
Geschwür  sitzt  weiter  nach  abwärts,  zwei  Finger  breit  über  dem 
Jochbogen.  Die  Sonde  kommt  nur  von*  dem  ersten  Defect  aus  direct 
auf  cariösen  Knochen,  Pulsation  ist  an  keiner  Stelle  wahrnehmbar. 

Auf  dem  Rücken  der  rechten  Hand,  in  der  Mitte  des  zweiten 
Metacarpus,  eine  mit  eingetrocknetem  Secret  bedeckte  Wunde. 

Operation  in  Narkose  am  12.  October  1896:  Alle 
drei  Fistelöffnungen  werden  in  derselben  Weise  durch  kreuzförmige 
Schnitte  breit  gespalten  und  dann  werden  nach  Zurückzieben  der 
Lappen  die  tuberculösen  Granulationen  ausgekratzt.  Nun  zeigte  es 
sich,  dass  die  fungösen  Massen  durch  den  Knochen  hindurchgehen; 
derselbe  erweist  sich  aber  nirgends  als  nekrotisch,  er  ist  cariös 
zerfressen,  und  zwar  ist  in  der  bei  solchen  Processen  gewöhnlichen 
Weise  die  Tabula  interna  in  weiterem  Umfange  erkrankt  als  die 
Tab.  externa.  Auch  auf  der  Dura  sassen  dicke  Granulationsmassen 
auf,  welche  sich  unter  dem  gesunden  Knochen  eine  Strecke  weit 
fortsetzten. 

Es  wurden  daher  sämmtliche  Defecte  so  weit  mit  der 
L  u  e  r’schen  Zange  vergrössert,  dass  überall  gesunde  Dura  zu  Tage 
trat.  Darnach  stellten  die  beiden  oberen  Lücken,  von  denen  die  im 
Stirnbein  gelegene  bis  an  die  Kranznaht  reichte,  annähernd  kreisrunde 
Löcher  von  3  cm  Durchmesser  dar;  der  Defect  über  dem  Jochbogen, 
der  ebenfalls  im  Parietale  und  zwar  an  der  Stelle  sass,  wo  dieses 
mit  dem  Temporale  und  Sphenoideum  zusammenstösst,  war  etwa 
2  cm  lang,  1  cm  breit.  Die  Höhlen  wurden  mit  Jodoformgaze  locker 
tamponirt  und  die  Hautwunden  durch  einige  Nähte  verkleinert.  Der 
Verlauf  war  fieberfrei  und  reactionslos. 

Am  22.  October,  also  zehn  Tage  nach  der  Operation, 
wurde  an  einer  fast  70jährigen  Frau  wegen  Fungus  im  Knie¬ 
gelenk  die  Oberschenkelamputation  gemacht.  Sobald  das  Glied 
abgesetzt  worden  war,  wurde  unter  den  sorgfältigsten  asepti¬ 
schen  Cautelen  der  Fersenbeinhöcker  blossgelegt  und  aus 
diesem  schnitt  ich  dann  zwei  Platten  mit  der  Säge  heraus, 
deren  Dicke  etwa  der  des  Schädeldaches  unseres  kleinen 
Patienten  entsprach.  Aus  den  Scheiben  wurden  nach  Heft¬ 
pflastermodellen  mit  einer  starken  Scheere  Stücke  ausge¬ 
schnitten,  -welche  genau  in  die  Schädeldefecte  passten,  und, 
nachdem  die  Knochenränder  der  letzteren  mit  dem  scharfen 
Löffel  angefrischt  waren,  in  die  beiden  grösseren  Lücken  ein¬ 
gesetzt,  darauf  die  etwas  abgelöste  Haut  darüber  vernäht.  Der 
dritte,  kleinste  Defect  blieb  unverschlossen,  theils  weil  er  etwas 
stärkere  Secretion  zeigte,  theils  weil  ich  glaubte,  mir  bei  der 
Kleinheit  des  Loches  und  seiner  geschützten  Lage  das  Offen  - 
lassen  als  Controlversuch  gestatten  zu  dürfen.  Die  Wunde  am 
Scheitelbein  heilte  per  primam,  die  am  Stirnbein  zeigte  durch 
längere  Zeit  eine  kleine  Fistel  in  der  Mitte,  durch  welche  sich 
während  etwa  zwei  Monaten  hie  und  da  einige  Tropfen  Eiter 
entleerten.  Sie  war  erst  gegen  Ende  des  Jahres  vollständig 
geheilt. 

Der  Knabe  blieb  bis  zum  Februar  im  Spital,  da  an  der 
Hand  nach  der  Auskratzung  eines  cariösen  Knochenherdes 
eine  länger  dauernde  Secretion  anhielt.  Zur  Zeit  seines  Abganges 
waren  die  beiden  implantirten  Stücke  fest  eingeheilt,  in  der 
Mitte  eines  jeden  hatte  sich  eine  Delle  gebildet,  der  unver¬ 
schlossene  Defect  schien  sich  zu  verkleinern. 

Am  Kopfe  des  Patienten  ist  keine  Recidive  aufgetreten, 
dagegen  machte  die  Tuberculose  des  Knochensystems  Fort¬ 
schritte,  bald  entstanden  hier  und  dort  Knochenherde,  so  dass 
ich  den  Knaben  nie  auf  längere  Zeit  aus  den  Augen  verlor. 

In  den  folgenden  Jahren  konnte  man  an  den  implantirten 
Knochenstücken  keine  wesentliche  Veränderung  mehr  consta- 
tiren,  dagegen  schien  sich  der  Defect  über  dem  Jochbogen 
geschlossen  zu  haben;  nach  zwei  Jahren  glaubten  wir  sogar 
beim  Anschlägen  überall  Knochenton  constatiren  zu  können. 

Am  3.  April  1900  starb  der  Patient  an  allgemeiner 
Tuberculose.  Bei  der  Obduction  fand  sich  weder  an  der  Dura, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


noch  am  Schädel  ein  tuberculöser  Herd,  die  harte  Hirnhaut 
im  Bereiche  der  grösseren  Defecte  leicht  narbig  verändert, 
nur  wenig  adhärent. 

Nach  Entnahme  des  Knochenstückes,  in  welchem  sich 
der  kleine  Defect  befand,  zeigte  sich  derselbe  von  einer  harten, 
etwa  1  mm  (licken  Platte  ausgefüllt,  von  der  weder  der  Obdu- 
cent,  Herr  Prosector  Dr.  Schlagenhaufe r,  noch  ich  mit 
Bestimmtheit  sagen  konnten,  ob  sie  eine  Knochenlamelle  sei 
oder  nicht.  Erst  nach  der  Maceration  wurde  es  klar,  dass  der 
Defect  wohl  um  die  Hällte  kleiner  geworden  war  (er  misst 
nur  mehr  1  X  0'5  cm),  dass  aber  der  restliche  Verschluss  Hin¬ 
durch  eine  sehr  derbe  und  straffe  Gewebsmasse  geschah.  Die 
neugebildete  Knochensubstanz,  welche  den  Defect  sonst  aus¬ 
füllt.  ist  sehr  dünn,  der  Band  scharf. 

An  den  beiden  anderen  Stellen  ist  von  der  Innenseite 
des  Schädels  her  kaum  etwas  Abnormes  zu  erkennen,  erst  bei 
genauerem  Zusehen  verrathen  zwei  ganz  flache  Einsenkungen 
die  Stelle  der  Operation.  Sogar  die  Aeste  der  Art.  meningea 
haben  sich  ganz  in  der  gewöhnlichen  Weise  ein  Bett  gegraben. 
An  der  Aussenseite  des  Schädeldaches  sieht  man  zwei  flache, 
schüsselartige  Gruben,  deren  vertiefte  Mitte  Stellen  entspricht, 
an  denen  der  Knochen  etwa  um  die  Hälfte  verdünnt  ist.  Die 
peripheren  Partien  dagegen  sind  gleich  dick,  wie  der  übrige 
Schädel,  aber  höckerig,  uneben.  Nur  die  vertieften  Theile 
weisen  von  aussen  her  noch  eine  Spur  spongiöser  Structur  auf, 
der  weitaus  grösste  Theil  erscheint  compact. 

Im  Anschlüsse  an  den  Knochenbefund  sei  zunächst  auf 
den  scheinbar  knöchernen  Verschluss  des  kleinen  Defectes 
aufmerksam  gemacht.  Es  war  mir,  wie  bereits  erwähnt,  sehr 
angenehm,  den  Defect  offen  lassen  zu  können,  um  eine  Con- 
trole  zu  haben,  ob  die  Tendenz  zu  spontanem  Verschluss  vor¬ 
liege;  denn  ich  glaube  mit  der  Argumentation  nicht  zu  fehlen, 
dass  es  sehr  unwahrscheinlich  ist,  dass  an  demselben  Schädel 
eine  kleine  Lücke  offen  bleibt,  während  zwei  grössere  zuheilen. 
Bekanntlich  sind  eine  nicht  geringe  Zahl  von  Fällen  ver¬ 
öffentlicht  worden,  bei  denen  selbst  enorme  Knochendefecte 
ohne  Nachhilfe  zuheilten,  was  zum  Theil  bei  der  Section  con- 
statirt  wurde.  Mein  Fall  hat  mir  die  Mahnung  zugerufen,  dass 
man  während  des  Lebens  des  Patienten  nicht  genug  vorsichtig 
mit  der  Annahme  sein  kann,  -ein  Defect  sei  ganz  knöchern 
verschlossen;  es  dürfte  sich  dies  trotz  des  Gefühles  eines 
knöchernen  Widerstandes,  trotz  »Knochenschalles«  vielleicht  nie 
ganz  sicher  constatiren  lassen,  da  die  Verschlussmembran  so 
fest  sein  kann,  dass  selbst  an  der  Leiche  vor  der  Maceration 
eine  Erkennung  Schwierigkeiten  macht. 

Die  Transplantationen  von  Knochen  werden  seit  den 
grundlegenden  Untersuchungen  Ollier’s  in  ein  bestimmtes 
Schema  gebracht.  Man  unterscheidet  darnach  die  Auto¬ 
plastik,  d.  h.  Transplantation  von  Knochen  aus  der  Nachbar¬ 
schaft  des  Defectes  im  Zusammenhänge  des  Periostes  oder 
auch  der  Haut,  welche  den  ernährenden  Stiel  abgeben; 
Homoplastik,  d.  h.  Uebertragung  von  aus  der  Continuität 
gelösten,  frischen  Knochen  desselben  Individuums,  oder  eines 
Individuums  derselben  Thierspecies,  wobei  nach  der  Anschau¬ 
ung  der  Schulen  Ollier  und  W  o  1  f  f  die  Vitalität  der  Knochen¬ 
stücke  erhalten  bleibt  und  diese  sich  in  den  Organismus  lebend 
einlügen;  die  dritte  Gruppe,  Heteroplastik,  umfasst  die 
Methoden  des  Defectverschlusses  mit  ganz  fremdem  Material, 
wozu  auch  alle  Knochensubstanz  gehört,  die  den  früher  er¬ 
wähnten  Bedingungen  nicht  entspricht. 

W  ährend  der  Begriff  der  Knochenautoplastik  ein  wohl 
fundirter  ist,  hat  das  Wort  »Homoplastik«  nur  als  Hinderniss 
für  die  Versuche  der  Knochentransplantation  gedient,  da  durch 
dasselbe  eine  gänzlich  falsche  Analogie  mit  den  Epitheltrans- 
plaütationen  gegeben  war.  Es  sind  daher  die  Untersuchungen 
von  Barth,  gegen  deren  Resultate  nur  mehr  eine  kleine 
Gruppe  von  Autoren  opponirt,  auch  von  grosser  praktischer 
Bedeutung.  Die  Sorgen  um  die  Erhaltung  der  Vitalität  der  zu 
Implantationen  verwendeten  Knochenstücke  musste  mit  dem 
Momente  fallen,  da  Barth  zeigte,  dass  zwar  bei  Plastiken  mit 
Erhaltung  eines  Perioststieles  die  Lebensfähigkeit  des  Knochen¬ 
stückes  zum  grössten  Theile  erhalten  bleibt,  aus  ihrer  Con¬ 
tinuität  gelöste  Knochen  aber,  welche  in  der  Art  implantirt 


werden,  wie  es  in  dem  beschriebenen  Falle  geschah,  resorbirt 
und  nur  ihre  organischen  Bestandtheile  zum  Aufbau  des 
neuen  Knochens  verwendet  werden. 

Makroskopisch  kann  man  eine  Bestätigung  dieser  Lehre 
auch  aus  dem  von  Dr.  Kienböck  aufgenommenen  Skiagramm 
des  besprochenen  Falles  entnehmen, in  welchem  sich  nicht  einmal 
an  der  Stelle,  wo  der  Knochen  verdünnt  ist  und  noch  eine 
Art  von  spongiöser  Structur  zeigt,  auch  nur  annähernd  der 
Bau  des  Fersenbeinknochens  erkennen  lässt. 

Daher  ist  der  Begriff  der  Homoplastik  ganz  auszuscheiden 
und  Alles,  was  früher  in  diese  Gruppe  gerechnet  wurde,  als 
Heteroplastik  zu  bezeichnen .  Auch  die  scharfe  Unterscheidung 
des  gewählten  Knochenmateriales  hat  keinen  Sinn  mehr,  sobald 
es  nur  auf  deren  organische  Bestandtheile  ankommt;  nur  die 
Einpflanzung  von  deealcinirten  Knochen,  welche  seinerzeit  von 
Senn  lebhaft  empfohlen  wurde,  aber  sich  nicht  besonders 
bewährt  hat,  gehört  unter  ein  anderes  Princip. 

Wenn  man  von  den  wenigen  Chirurgen  absieht,  Welche 
die  heteroplastische  Knochentransplantation  planmässig  in  allen 
Fällen  ausüben,  bei  denen  nicht  bestimmte  Contraindicationen 
vorhanden  sind  (Länderer  und  Andere),  so  ist  der  gegen¬ 
wärtig  in  deutschen  Kliniken  herrschende  Standpunkt  speciell 
bezüglich  der  Defecte  am  Schädel  ziemlich  genau  präcisirt; 
wenn  irgend  möglich,  wird  der  Haut-Periost-Knochenlappen 
gewählt,  sonst  die  Implantation  von  fremdem  Material,  vorzugs¬ 
weise  Celloidinplatten  nach  Frankel. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  der  Anwendung  der  heteroplastischen 
Knochentransplantation  nicht  in  gewissen  Fällen  der  unbe¬ 
dingte  Vorzug  vor  den  anderen  Methoden  gebührt;  denn 
bisher  ist  diese  Methode  noch  nicht  in  das  Schema  eingereiht, 
sondern  mehr  dem  Geschmack  und  der  momentanen  Eingebung 
des  Operateurs  entsprechend  ausgeführt  worden. 

Zweifellos  ist  die  Haut-Periost-Knochenplastik  das 
sicherste  und  eleganteste  Verfahren,  welches  die  meisten 
Garantien  des  Erfolges  bietet;  ihre  Anwendbarkeit  ist  aber 
doch  keine  unbeschränkte.  Abgesehen  davon,  dass  sich  sehr 
grosse  Defecte  nicht  für  diese  Art  des  Verschlusses  eignen, 
macht  sie  auch  stets  einen  eigenen  grösseren  Operationsact,  ja 
sogar  eine  eigene  Narkose  nothwendig,  sobald  der  primäre 
Verschluss  aus  irgend  einem  Gruude  nicht  indicirt  war,  und 
setzt  noch  neue,  kosmetisch  nicht  besonders  günstige  Wunden. 
Das  letztere  kommt  beim  Vorhandensein  mehrerer  Defecte 
schon  ziemlich  stark  in  Betracht;  speciell  bei  tuberculösen 
Schädelerkrankungen  aber  ist  es  immer  unangenehm,  durch 
neue  Wunden  in  der  Umgebung  schon  afficirter  Stellen  neue 
Puncta  minoris  resistentiae  zu  setzen. 

Die  Einpflanzung  von  fremdem,  nicht  knöchernem  Material, 
welche  in  diesen  Fällen  häufig  gewählt  wird,  setzt  unter  allen 
Umständen  eine  zweifellose  Keimfreiheit  der  Wunde  voraus, 
welche  speciell  bei  Defecten  in  Folge  tuberculöser  Erkrankung, 
so  lange  sie  nicht  vollkommen  verschlossen  sind,  selbst  dann 
nicht  gewährleistet  erscheint,  wenn  die  Granulationen  noch  so 
rein  aussehen. 

Hier  durfte  die  Indication  für  die  heteroplastische 
Knochenimplantation  eine  zweifellose  sein,  und  zwar  mit  be¬ 
sonderer  Rücksicht  darauf,  dass  dieselbe  die  Einheilung  p.er 
prim  am  nicht  absolut  fordert.  Mit  dem  letzteren  Zu¬ 
satze  stelle  ich  mich  in  Widerspruch  mit  den  meisten  Autoren, 
welche  auch  für  diese  Art  des  Verschlusses  unbedingte 
Asepsis  des  Verlaufes  verlangen.  Ich  glaube  aber,  dass  durch 
den  geschilderten  Fall  das  Gegentheil  sicher  bewiesen  wird. 
Uebrigens  dürfte  diese  Thatsache  auch  daraus  zu  schliessen 
sein,  dass  wir  bei  complicirten  Comminutivfracturen  trotz  be¬ 
stehender  Secretion  Knochensplitter  einheilen  sehen,  welche 
ganz  aus  dem  Zusammenhang  gelöst  waren.  Es  wird  natürlich 
keinem  Menschen  einfallen,  die  Transplantation  auf  eine 
eiternde  Wunde  zu  versuchen,  aber  es  ist  wichtig,  zu  betonen, 
dass  ein  geringes  Klaffen  der  Wundränder,  eine  unbedeutende 
Secretion  nichts  schadet,  während  hiedurch  die  Einheiluug 
nicht  knöchernen  Materiales  stets  vereitelt  wird ;  man  kann  sich 
deshalb  gerade  in  den  Fällen,  welche  in  dieser  Richtung  nicht 
ganz  zuverlässig  erscheinen,  bei  der  Knoehenimplantation  noch 
guten  Erfolg  versprechen. 


Nr.  46 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1069 


Aber  auch  bei  reinen  Defecten  des  Schädels  ist  die 
heteroplastische  Knochentransplantation  den  übrigen  Methoden 
dann  vorzuziehen,  wenn  günstige  Bedingungen  für  erstere  vor¬ 
handen  sind.  Da  muss  zunächst  verlangt  werden,  dass  das 
eingepflanzte  Knochenstück  nicht  hohl  liegt,  sondern  von  allen 
Seiten  in  Tlieile  eingebettet  erscheint,  welche  ihm  ihre  Saft¬ 
ströme  zuführen.  Man  kann  einen  Haut-Periost-Knochenlappen 
über  einen  Defect  im  Schädel  spannen,  in  dessen  Bereich  die 
Hirnhaut  sich  unter  ihr  normales  Niveau  zurückgezogen  hat, 
aus  leicht  begreiflichen  Gründen  aber  kann  man  dies  nicht 
mit  einem  losgelösten  Knochenstücke  thun. 

Ferner  ist  es  gegenwärtig  noch  sehr  fraglich,  ob  die 
heteroplastische  Knocheneinpflanzung  bei  sehr  grossen  Defecten 
des  Schädels  zum  Ziele  führe.  Einzelne  Platten  von  ent¬ 
sprechender  Grösse  und  Wölbung,  die  nach  Art  der  Celloidin- 
platten  eingelegt  werden  könnten,  sind  nicht  zu  bekommen, 
bei  Verwendung  mehrerer  kleiner  Stücke  kommt  es  darauf  an, 
wie  weit  die  periostale  Schichte  der  Dura  actionsfähig  erhalten 
und  im  Staude  ist,  an  der  Neubildung  des  Knochens  tlieil- 
zunehmen.  In  einzelnen  Fällen  ist  die  Fähigkeit  der  Dura  in 
dieser  Richtung  sehr  gross,  wovon  ich  mich  bei  einem  Patienten 
überzeugen  konnte,  dem  ich  wegen  Strumametastase  am 
Scheitelbein  einen  über  handtellergrossen  Knochendefect  gesetzt 
hatte.  Im  Verlaufe  von  circa  drei  Jahren,  die  der  Patient 
nach  der  Operation  noch  lebte,  hatten  sich  in  der  Mitte  des 
Defectes  drei  Knochenplatten  gebildet,  welche  mit  der  Zeit 
grösser  werden,  ohne  aber  miteinander  und  dem  Rande  der 
Lücke  in  Verbindung  zu  treten. 

Im  Ganzen  ist  aber  die  Tendenz  der  Dura  zur  Knochen 
neubildung  recht  gering  und  es  ist  daher  im  einzelnen  Falle 
nie  vorher  möglich,  zu  entscheiden,  ob  die  noth  wendigen  Vor¬ 
bedingungen  für  das  Einlegen  einzelner  Stücke  gegeben 
sind.  Als  Beleg  hiefür  sei  nur  eine  Beobachtung  Grekoffs 
angeführt,  der  in  einen  dreieckigen  5y(3cm  grossen  Schädel- 
defect  vier  Platten  von  ausgeglühten  Kalbsknochen  einlegte, 
die  sich  15  Wochen  später  als  eingeheilt  erwiesen,  bis  auf 
einen  Spalt  in  der  Mitte.  Grekoff  meint,  dass  sich  hier  die 
Knochenstücke  verschoben  hatten,  aber  wahrscheinlicher  ist, 
dass  die  Knochenneubildung  versagte. 

Das  Gebiet  der  heteroplastischen  Knochenimplantation 
am  Schädel  umfasst  also  kleinere  Defecte,  bei  denen  der 
Grund  im  richtigen  Niveau  liegt.  Für  solche  Fälle  ist  sie  der 
autoplastischen  Methode  schon  deshalb  überlegen,  weil  dabei 
kein  neuer  grösserer  Operationsact  nothwendig  wird,  zumal 
es  kein  Unglück  ist,  wenn  das  fremde  Knochenstück  ein¬ 
mal  nicht  einheilt,  so  dass  der  Versuch  wiederholt  werden  muss. 

Der  Implantation  von  todtem  Material  ist  die  von 
Knochensubstanz  vorzuziehen,  weil  keine  unbedingte  Prima¬ 
heilung  erforderlich  ist,  vor  Allem  aber,  weil  im  Laufe  der 
Zeit  ein  wirklich  organischer  Verschluss  des  Defectes  zu 
Stande  kommt,  welcher  die  Gefahr  einer  späteren  Ausstossung 
der  implantirten  Platte  (in  Folge  zufälliger  Traumen  etc.)  nicht 
in  sich  trägt. 

Besondere  Berücksichtigung  verdient  die 
Auswahl  des  Knochenmateriales.  Man  hat  alle 
erdenklichen  Arten  von  Knochen  verwendet:  Schulterblatt, 
Schädel,  Hüft-  und  Röhrenknochen  von  Hund,  Gans,  Kalb  etc., 
man  hat  die  Stücke  frisch  dem  eben  getödteten  Thiere  ent 
nommen  oder  ausgeglüht,  in  Jodoformäther  und  anderen  Des 
inticientien  präparirt;  vom  Menschen  wurden  grössere  Knochen¬ 
stücke  von  anderen  Theilen  desselben  Körpers,  vorzugsweise 
von  der  Vorderseite  der  Tibia  gewählt,  dann  Knochenspäne, 
wie  sie  bei  Sequestrotomien  entstehen,  bei  Osteotomien  aus- 
gemeisselte  Keile  und  schliesslich  in  wenigen  Fällen  grössere 
Knochenstücke  anderer  Menschen.  Von  jeher  hat  man  mit 
Vorliebe  compacte  Knochensubstanz  verwendet,  zweifellos  in 
der  Absicht,  einen  möglichst  festen  Verschluss  zu  erzielen. 

Meines  Wissens  hat  nur  Tillman  ns  neuerlich  die 
spongiöse  Knochensubstanz  auf  Grund  von  gelungenen  Ope¬ 
rationen  als  die  zweckmässigere  empfohlen.  Es  ist  nun  die 
Richtigkeit  dieses  Rathes  einleuchtend,  wenn  man  bedenkt, 
dass  die  Beschaffenheit  des  ein  gepflanzten  Knochens,  der 
ohnehin  resorbirt  wird,  auf  die  Festigkeit  der  definitiven  Aus¬ 


füllung  nur  sehr  geringen  Einfluss  haben  kann,  dagegen  aber 
spongiöse  Substanz  leichter  von  dem  neugebildeten  Gewebe 
durchdrungen  wird,  also  bei  Anwendung  desselben  der  ganze 
Process  früher  zum  Abschluss  kommen  kann. 

Für  ganz  unwesentlich  muss  man  es  ansehen,  ob  die 
einzupflanzenden  Knochenstücke  von  einem  jungen  oder  alten 
Thiere  oder  Menschen  genommen  werden;  denn,  wenn  auch 
nach  Barth  im  ersteren  Falle  einzelne  Tlieile  bei  sofortiger 
Einpflanzung  des  frisch  entnommenen  Materiales  ihre  Lebens¬ 
fähigkeit  bewahren  können,  so  hat  dies  doch  keinen  praktischen 
Werth  gegenüber  der  Thatsache,  dass  der  Schlusseffect  unter 
allen  Umständen  derselbe  ist. 

An  unserem  Präparate,  bei  welchem  spongiöser  Knochen 
von  einer  alten  Person  eingeheilt  ist,  sieht  man  sehr  gut,  dass 
dieselbe  von  ausgesprochen  compacter  Substanz  ersetzt  ist, 
welche  sich  in  dieser  Beziehung  nicht  von  der  Umgebung 
unterscheidet. 

Die  frisch  entnommenen  Scheiben  aus  dem  menschlichen 
Calcaneus  dürften  sich  besonders  gut  für  derartige  Operationen 
eignen,  weil  man  dieselben  leicht  und  ohne  Splitterung  mit 
einer  starken  Seheere  schneiden  kann,  so  dass  sie  die  Form 
des  Defectes  aufs  Genaueste  wiedergeben.  Denn  auf  eine 
pünktliche  Adaptirung  an  die  Knochenwundränder  kommt  es 
sehr  an,  damit  die  Knochenneubildung  sofort  ihren  Weg 
findet.  Aber  ein  solches  Material  hat  man  nicht  immer  bei 
der  Hand  und  es  wird  sich  dann  empfehlen,  Scheiben  aus 
ähnlich  beschaffenen  Knochen  des  Thieres,  macerirt  und 
sterilisirt,  eventuell  ausgeglüht  zu  verwenden. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  hinzugefügt,  dass  die  Vorschrift, 
alle  Transplantationen  von  Knochen  unter  strengster  Asepsis 
bei  Ausschluss  aller  antiseptischen  Massregeln  auszuführen,  mit 
dem  Moment  hinfällig  wird,  wo  man  anerkennt,  dass  in  dem 
übertragenen  Knochen  keine  Vitalität  zu  schützen  ist.  Das 
jeweilig  geübte  Verfahren  der  Wundbehandlung  braucht  auch 
bei  diesen  Operationen  nicht  geändert  zu  werden. 


Aus  dem  allgemeinen  Krankenhause  in  Linz  (Primarius 
Dr.  Alexander  Brenner). 

Zur  Casuistik  der  Darmlipome. 

Von  Dr.  Ferd.  Gross,  Secundararzt. 

Hiller1)  und  Kosziel  ki2)  haben  über  Darmlipome 
die  gesammte  Literatur  sichtende  Arbeiten  geliefert.  Aus  den¬ 
selben  ist  zu  entnehmen,  dass  in  den  letzten  40  Jahren  in 
kurzen  Mittheilungen  und  ausführlichen  Abhandlungen  über 
22  Fälle  geschrieben  worden  ist,  die  Erkrankung  selbst  also 
unbedingt  zu  den  seltenen  zu  zählen  ist. 3)  Ausnahmslos 
wurden  diese  Geschwülste  bei  Erwachsenen  beobachtet,  meist 
in  den  mittleren  Lebensjahren;  über  die  Dauer  des  Bestandes 
der  Tumoren,  bis  sie  zur  Beobachtung  kamen,  waren  nur  in 
sehr  wenigen  Fällen  Daten  erhältlich,  die  gewonnenen 
schwanken  zwischen  drei  bis  fünf  Jahren,  bei  einem  ungewiss 
(»seit  Jahren«),  doch  lassen  die  bisweilen  ziemlich  umfang¬ 
reichen  Geschwülste  auf  längere  Bestandesdauer  schliessen. 
Bezüglich  des  Sitzes  der  Geschwülste  enthalten  18  der  22 
mitgetheilten  Fälle  Angaben;  einmal  wurde  ein  Lipom  im 
Magen  beobachtet  (V  i  r  c  h  o  w),  einmal  im  Duodenum  (Meck  el), 
viermal  im  Jejunum  und  Ileum  zusammen,  wobei  diese  beiden 
Abschnitte  ziemlich  gleich  betheiligt  erscheinen,  zwölfmal  im 
Dickdarm,  das  Rectum  mit  eingerechnet. 

Hiller  erwähnt  auch  noch  Beobachtungen  über  weitere 
zwei  Fälle  (C  as  t  e  1  a  i  n  -  B  r  o  h  1),  welche  er  ebenfalls  als  dem 
Dickdarm  zugehörig  betrachten  zu  müssen  glaubt,  so  dass  die 
Zahl  der  Dickdarmlipome  mehr  als  das  Doppelte  der  im  Dünn¬ 
därme  gefundenen  beträgt. 

')  Ueber  Darmlipome.  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XXIV, 
Heft  2. 

~)  Ueber  die  Lipome  des  Darmes.  Inaugural  -  Dissertation. 
Giessen  1899. 

•3)  Ein  weiterer  Fall  wurde  von  Dr.  Florian  Hahn  in  der 
Münchener  medicinischen  Wochenschrift  (1900,  Nr.  9)  veröffentlicht. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


Nach  den  Beziehungen  der  Lipome  zur  Darmwand  sind 
äussere  und  innere  zu  unterscheiden.  Die  äusseren  sind  von 
geringem  Interesse,  es  sei  denn,  dass  durch  den  lang  sich 
ausdehnenden  Stiel  eines  subserösen  Lipoms  ein  Volvulus  oder 
eine  Abknickung  einer  Darmschlinge  zu  Stande  kommt,  oder 
sich  eine  Geschwulst  nach  Abreissung  des  Stiels  durch  Verkalkung 
in  einen  frei  im  Peritonealraume  liegenden  Körper  verwandelt. 
Vom  klinischen  Standpunkte  wichtiger  sind  die  inneren  Darm¬ 
lipome.  In  der  Regel  scheint  ihre  Ausgangsstelle  die  Sub- 
mucosa  zu  sein,  nur  in  einem  Falle  (Link)  ist  die  Mucosa 
selbst  als  Ursprungsort  genannt.  Ihr  feinerer  Bau  unterscheidet 
sich  nicht  vom  Baue  der  Lipome  überhaupt,  ihre  Formen 
zeigen  alle  Uebergänge  zwischen  breit  aufsitzenden  Ge¬ 
schwülsten  zu  langgestielten  Polypen.  Nur  in  einem  Falle 
(Sangalli  bei  Virchow)  ist  multiples  Auftreten  erwähnt. 
Alle  übrigen  Mittheilungen  berichten  solitäres  Vorkommen. 

Alle  Autoren  stimmen  darin  überein,  dass  die  Lipome 
im  Darm  keinerlei  Neigung  zu  maligner  Entartung  zeigen, 
sondern  an  und  für  sich  gutartige  Geschwülste  sind  und 
bleiben.  Durch  ihre  in  das  Darmlumen  hineinstrebende  Wachs¬ 
thumrichtung  können  sie  jedoch  zu  den  bedenklichsten  Er¬ 
scheinungen  Veranlassung  geben,  wenn  auch  bei  den  gestielten 
Formen  verhältnissmässig  häufig  durch  Stielnekrose  und  Ab- 
stossung  des  freigewordenen  Tumors  eine  Selbstheilung  beob¬ 
achtet  worden  ist.  Andererseits  kommt  es  vor,  dass  ein  solcher 
gestielter  Tumor  sozusagen  durch  den  After  geboren  wird  und 
zu  Vorfall  des  Rectums,  oder,  was  bei  Weitem  das  Unheilvollste, 
bei  höherem  Sitze  zu  Invagination  und  Ileus  Veranlassung 
gibt.  Hiller  findet  unter  den  20  Fällen  innerer  Lipome  neun 
mit  Invagination  verbunden,  darunter  Invaginationen  von  be¬ 
deutenden  Längen.  Entsprechend  der  grösseren  Häufigkeit  der 
Lipome  im  Dickdarme  tinden  sich  hier  auch  die  meisten  In¬ 
vaginationen. 

Einige  Fälle  ausführlicher  behandelnd,  kommt  Hiller 
bezüglich  der  Prognose  der  Erkrankung  zu  dem  Schlüsse, 
dass  dieselbe,  in  je  höherem  Darmabschnitte  der  Sitz,  desto 
ungünstiger  zu  stellen  ist.  Eine  genaue  Diagnose  hält  er  natur- 
gemäss  für  sehr  schwierig  und  ist  eine  solche  bislang  auch 
nicht  gestellt  worden,  von  jenen  Fällen  abgesehen,  in  welchen 
der  Tumor  per  rectum  sicht-  oder  tastbar  gewesen  war.  In 
den  meisten  Fällen  verlief  die  ^Erkrankung  unter  dem  Bilde 
acut  oder  chronisch  einti'etenden  Darmverschlusses,  wobei  ein 
Tumor  durch  die  Bauchdecken  oder  per  anum  tastbar  wurde. 
Das  gute  Aussehen  der  Kranken,  das  oft  plötzliche  Auftreten 
der  Beschwerden  und  das  häufig  in  periodischen  Zeiträumen 
sich  wiederholende  Erscheinen  derselben,  während  gleichzeitig, 
meist  nach  Angabe  der  Kranken  selbst,  »schon  lange«  ein  durch 
die  Bauchdecken  fühlbarer  Tumor  nachweisbar  ist,  lassen  wohl 
eine  gutartige  Geschwulstform  voraussetzen.  Doch  wird  man 
sich  immerhin  schwer  entschlossen,  für  die  oft  stürmisch  ein 
tretenden  und  verlaufenden  Krankheitserscheinungen  diese 
gewiss  sehr  seltene  Erkrankung  zu  Grunde  zu  legen.  Auch 
in  dem  im  hiesigen  Krankenhause  beobachteten  und  durch 
Operation  geheilten  Falle  wurde  die  Diagnose  erst  während 
der  Operation  gestellt,  und  dürfte  es  von  Interesse  sein,  wegen 
der  recht  bezeichnenden  Erscheinungen,  welche  sich  darboten, 
auf  denselben  näher  einzugehen. 

M.  H.,  47  Jahre  alt,  hereditär  nicht  belastet,  war  in  jugend¬ 
lichem  Alter  an  Masern  und  Blattern  erkrankt  gewesen;  keine 
venerischen  Erkrankungen,  Potatorium  nicht  ganz  in  Abrede  zu 
stellen. 

Im  April  1898  erwarb  Patient  durch  Anstrengung  bei  der 
Arbeit  einen  linksseitigen  Leislenbruch,  wurde  deshalb  im  hiesigen 
Spitale  der  beiderseitigen  Radical  operation  nach  Bassini- 
Bren n  e r  unterzogen  und  verliess  am  29.  April  1898  geheilt, 
mit  der  Weisung,  ein  halbes  Jahr  keine  schwere  Arbeit  zu  ver¬ 
richten,  das  Spital.  Trotzdem  sich  Patient  nicht  halten  konnte, 
sondern  schon  nach  wenigen  Tagen  mit  ländlichen  Arbeiten,  wie 
Mähen,  Aufladen  u.  dgl.  begann,  spürte  er  bisher  von  dem  ehemals 
vorhandenen  Bruche  nicht  das  Geringste. 

Vierzehn  Tage  vor  seinem  neuerlichen  Eintritte  in  das  Spital 
erkrankte  er  mit  Schmerzen  in  der  unteren  Bauchhälfte,  welche  den 
Charakter  periodisch  auftretender  krampfartiger  Anfälle  zeigten,  an 


bestimmter  Stelle  localisirt  blieben,  meist  nur  wenige  Minuten 
dauerten,  um  dann  nach  etwa  halbstündiger  schmerzfreier  Pause 
wiederzukehren.  Etwa  acht  Tage  nach  Beginn  dieser  Erscheinungen 
hielt  sich  Patient  während  eines  solchen  Anfalles  einmal  die  Seite 
und  wurde  dabei  auf  eine  Geschwulst  im  Bauche  aufmerksam.  Auf 
starkes  Drücken  verschwand  plötzlich  dieselbe,  sowie  auch  die 
Schmerzen.  Die  Geschwulst  war  nur  während  der  Schmerzanfälle, 
hiebei  aber  fast  immer,  bemerkbar  und  vermochte  in  der  Folgezeit 
der  Kranke  häufig  durch  starken  Druck  auf  die  Geschwulst  die 
Schmerzen  zu  unterdrücken.  Das  Allgemeinbefinden  war  in  der 
Zeit,  seit  sich  Patient  unwohl  fühlte,  wesentlich  getrübt,  Appetit 
sehr  darniederliegend;  einige  Male  war  Erbrechen  wässerig- 
schleimiger,  saurer  Massen  aufgetreten.  Stuhl  in  dieser  Zeit  im 
Gegensätze  zu  früher  öfter  bis  zu  zwei  Tagen  ungehalten,  breiig. 
Bezüglich  der  Häufigkeit  der  einzelnen  Anfälle  ist  zu  bemerken, 
dass  selbe  nicht  an  jedem  Tage  gleich  war,  dass  beinahe  schmerz¬ 
freie  Tage  mit  solchen  wechselten,  an  welchen  die  Schmerzen 
häufig  einsetzten  und  die  Geschwulst  hartnäckig  immer  wieder 
zum  Vorschein  kam,  obgleich  sie  Patient  ebenso  oft  durch  Druck 
zum  Verschwinden  bringen  konnte.  Der  Patient,  welcher  von  seinem 
Bruchleiden  her  gewissermassen  Erfahrung  in  solchen  Dingen  hatte, 
verglich  seinen  Zustand  mit  der  Einklemmung  eines  Bruches  und 
verleitete  nicht  nur  den  behandelnden  Arzt,  sondern  auch  im  Spitale 
zu  der  Annahme,  es  könnte  sich  um  eine  Bauchwandhernie,  aller¬ 
dings  an  ganz  abnormer  Stelle,  handeln. 

Status  praesens:  Mittelgrosser,  kräftig  gebauter, 
musculöser  Mann;  Aussehen  gut,  Panniculus  adiposus  gut  entwickelt. 
Thoraxbefund  normal.  Die  Leberdämpfung  begrenzt  sich  zwei  Quer¬ 
finger  oberhalb  des  Rippenbogens  gegen  volltympanitischen  Darm¬ 
schall.  Milz  nicht  zu  tasten,  keine  Druckempfindlichkeit  der  Hypo¬ 
chondrien  vorhanden.  Abdomen  nicht  aufgetrieben,  überall  weich, 
eindrückbar  und  nicht  druckempfindlich  bis  auf  einen  ziemlich  eng 
umschriebenep  Bezirk  zwischen  Nabel  und  linkem  Rippenbogen.  An 
dieser  Stelle  ist  eine  circa  3  cm  breite  und  10 — 12  cm  lange, 
nicht  genau  abgrenzbare  Resistenz  zu  fühlen,  von  welcher  bei  der 
ersten  Untersuchung  nicht  genau  zu  sagen  war,  ob  sie  in  den 
Bauchdecken  oder  darunter  liege.  Peristaltische  Bewegungen  oder 
Volumsveränderungen  wurden  an  derselben  nicht  beobachtet,  gegen 
Druck  war  die  Stelle  empfindlich.  Durch  wiederholte  Untersuchungen 
in  der  Beobachtungszeit  wurde  festgestellt,  dass  der  Tumor  nicht 
immer  vorhanden,  dass  bei  Fehlen  des  Tumors  höchstens  Druck¬ 
empfindlichkeit  an  dieser  Stelle  zu  finden  war,  ferner  einmal,  dass 
die  Stelle  der  Druckempfindlichkeit  bei  Fehlen  einer  tastbaren 
Resistenz  etwas  gegen  und  unter  den  Nabel  gewandert  war.  Nach 
Angabe  des  Kranken  war  Kollern  und  Gurren  in  den  Eingeweiden 
öfters  vorhanden  gewesen,  doch  wurde  dies  bei  den  Untersuchungen 
nicht  wahrgenommen,  ebensowenig  Plätschergeräusche.  Dagegen  hatte 
man  mehrmals  deutlich  das  Gefühl,  als  schlüpfe  die  Geschwulst 
unter  der  untersuchenden  Hand  weg  und  war  selbe  hernach  nicht 
mehr  zu  finden,  während  sich  Patient  von  seinen  Schmerzen 
plötzlich  befreit  fühlte. 

Aus  diesen  Erscheinungen  wurde  auf  einen  zeitweilig  ein¬ 
tretenden  Darmverschluss  geschlossen  und  dem  Kranken  die  Ope¬ 
ration  vorgeschlagen,  in  welche  selber  sofort  einwilligte. 

Am  29.  November  1899  wurde  in  Narkose  und  horizontaler 
Rückenlage  des  Kranken  der  Unterleib  in  der  Mitte  der  linken  Seite 
durch  einen  Schnitt,  der  die  Richtung  der  Faserung  des  Musculus 
obliquus  externus  einhielt,  eröffnet.  Trotz  zweitägigen  Wartens  war 
es  nicht  gelungen,-  die  Operation  zu  einer  Zeit  auszuführen,  in 
welcher  die  Geschwulst  tastbar  gewesen  wäre,  und  es  wurde  daher 
nur  in  der  Richtung  eingedrungen,  in  welcher  die  Geschwulst  zu 
vermuthen  war.  Thatsächlich  wurde  die  Geschwulst  auch  nicht 
sofort,  sondern  erst  nach  Erweiterung  der  Wunde  durch  einen  auf 
dieselbe  senkrecht  gelegten  und  nach  oben  geführten  Schnitt  in 
der  Gegend  zwischen  Milz  und  Pankreas  gefunden.  Beim  Vor¬ 
ziehen  derselben  ergab  sich,  dass  die  Geschwulst  in  der  linken 
Hälfte  des  Colon  transversum  sass  und  innerhalb  des  normalen 
Darmrohres  leicht  beweglich  hin  und  her  geschoben  werden  konnte. 
Dieser  Umstand  veranlasste  zunächst,  in  der  mittleren  Tänie  einen 
Längsschnitt  anzulegen,  durch  welchen  sich  der  ungefähr  hühnerei¬ 
grosse,  weiche,  mit  rother  Schleimhaut  überzogene  Tumor  leicht 
hervordrängen  liess.  Sein  freier,  nach  unten  gerichteter  Pol  war 
von  nekrotischen  Massen  bedeckt,  sein  nach  oben  und  gegen  den 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Mesenterialansatz  gerichteter  Stiel  zeigte  sich  ausgezogen  und 
rinnenförmig  vertieft.  Abtragung  des  Slieles,  Naht  der  dadurch  ge¬ 
setzten  Schleimhautwunde  nach  vorausgegangener  Ligatur  der 
Gefässe.  Vereinigung  der  Darmwunde  durch  Naht  der  Schleimhaut 
und  Muskelschichte  und  Serosanaht,  schichtenweise  Vereinigung 
der  Bauchwunde  mit  Drainage  der  Bauchhöhle.  Glatte  Heilung  ohne 
Fieber  und  mit  widerstandsfähiger  Narbe  der  Bauchdecken.  Der 
entfernte  Tumor  erwies  sich  als  ein  reines  Lipom.  Ohne  Zweifel 
deutet  die  Ausziehung  des  Schleimhautstieles  und  der  nekrotische 
Belag  am  freien  Pole  des  Tumors  darauf  hin,  dass  sich  derselbe 
vielleicht  spontan  ahgestossen  und  entleert  hätte.  Nach  Heilung  der 
Wunde  wurde  Patient  am  4.  Januar  1900  entlassen  und  befindet 
sich  derselbe,  den  erhaltenen  Nachrichten  zufolge,  ganz  wohl. 

Abgesehen  von  dem  Interesse,  welches  der  Fall  als  seltene 
Erkrankung  an  sich  und  für  die  Statistik  der  Darmlipome  im  Be¬ 
sonderen  beanspruchen  darf,  ist  aus  der  Anamnese  hervorheben, 
dass  die  unter  dem  Gefühle  einer  Brucheinklemmung  auftretenden 
Kolikschmerzen  auf  die  Invagination  des  am  Lipome  hängenden 
Darmstückes  Bezug  haben,  während  die  durch  den  Druck  von 
aussen  bewirkte  Zurückschiebung  des  Lipoms  Behebung  der 
Invagination  und  der  Kolikschmerzen  bewirkte. 

Es  wäre  auch  möglich,  unter  Berücksichtigung  aller  Ver¬ 
hältnisse  in  einem  ähnlichen  Falle  die  Diagnose  auf  einen  Darm¬ 
polypen  mit  Invagination  zu  stellen. 


REFERATE. 

Ueber  die  Beulenpest  in  Bombay  im  Jahre  1897. 

II.  Wissenschaftlicher  Theil  des  Berichtes. 

C.  Bacteriologische  Untersuchungen  über  den  Pest¬ 
bacillus. 

Von  Privatdocenten  Dr.  H.  Albrecht  und  Privatdocenten  Dr.  A.  Glioil. 

Mit  sechs  Tafeln. 

Separatabdruck  aus  dem  Bd.  LXVI  der  Denkschriften  der  mathematisch- 
naturwissenschaftlichen  Classe  der  Akademie  der  Wissenschaften. 

Wien  1900,  G  e  r  o  1  d’s  Sohn. 

Der  dritte  Theil  des  wissenschaftlichen  Berichtes  der  öster¬ 
reichischen  Pestexpedition  ist  den  Resultaten  der  bacteriologischen 
Untersuchung  über  den  Pestbacillus  gewidmet.  Er  umfasst  die 
Morphologie  und  Biologie  des  Erregers,  ausgedehnte  Studien  über 
die  experimentelle  Infection  (Infectionsmodus,  Virulenzverhältnisse, 
Giftproduction)  und  endlich  kurze  Mittheilungen  über  die  Erzeugung 
activer  Immunität. 

In  den  Capiteln  über  Morphologie  und  Biologie  des  Pest¬ 
bacillus  geben  die  Autoren  eine  sehr  reich  detaillirte  und  präcise 
Beschreibung  des  Mikroben,  die  —  namentlich  auch  durch  die  aus¬ 
gezeichneten  Bilder  — -  für  den  Epidemiologen  und  Bacteriologen 
wohl  das  beste  Orientirungswerk  ist. 

Bei  den  Studien  über  die  Infectionsmodi  ergeben  sich  aus 
den  zahlreichen  und  vielfach  variirten  Experimenten  eine  Reihe 
von  neuen  Gesichtspunkten,  die  von  allgemeinstem  Interesse 
sind;  besonders  hervorzuheben  sind  die  Versuche  der  Infection 
durch  die  intacte  Haut,  die  zeigen,  dass  leichtes  Einreiben  von 
virulentem'  Material  ohne  Läsion  der  Epitheldecke  bei  gewissen 
1  hierarten  prompt  zur  Infection  führt,  ja  dass  diese  Applications- 
methode  so  sicher  wirkt,  dass  sie  zum  Nachweise  einzelner 
Pestbacterien  in  sonst  sehr  bacterienreichem  Material,  wie  im  Stuhle, 
verwendet  werden  konnte. 

Wie  schon  in  den  früheren  Theilen  des  Berichtes  angeführt 
wurde,  ist  derselbe  Infectionsmodus  auch  für  die  Bubonenpest  des 
Menschen  als  die  häufigste  und  wichtigste  Erkrankungsform  aus  den 
klinischen  und  anatomischen  Befunden  abgeleitet  werden.  Besonderes 
Interesse  verdienen  auch  die  Versuche  mit  abgeschwächten  oder 
minimalsten  Dosen  vir-ulenten  Materiales;  es  gelingt  nämlich  auf 
diesem  Wege,  chronisch  verlaufende  (eventuell  metastasirende)  Pest- 
infectionen  zu  erzeugen  und  eine  dem  postinfectiösen  Pest¬ 
marasmus  des  Menschen  analoge  Erkrankungsform  bei  den  Thieren 
experimentell'  nachzuahmen. 

Die  Versuche  über  active  Immunisirung  zeigen,  dass  auch 
die  empfänglichsten  Thierspecies  gegen  sicher  tödtliche  Infection 
mit  vollvirulentem  Materiale  geschützt  werden  können;  es  scheint 
neben  der  antibacteriellen  auch  eine  antitoxische  Resistenz  der 


Thiere  aufzutreten.  Ein  weiteres  Eingehen  auf  dieses  wichtige 
Capitel  wurde  den  Autoren  durch  das  administrative  Verbot,  ihre 
Studien  nach  den  Wiener  Pestfällen  im  Jahre  1898  fortzusetzen, 
unmöglich  gemacht,  zum  Glücke  für  die  Wissenschaft  zu  einer 
Zeit,  als  die  klinischen,  pathologisch-anatomischen  und  baclerio- 
logischen  Untersuchungen  im  Wesentlichen  schon  abgeschlossen 
waren . 

Im  Vereine  mit  den  früher  erschienenen  Theilen  der 
Publication  der  österreichischen  Pestcommission  bildet  das  Werk 
die  erste  erschöpfende  monographische  Darstellung  dieser  wichtigen 
und  gefürchteten  Krankheit.  Die  ausführliche  und  genaue  Darstellung 
des  reichen  zu  Grunde  liegenden  Materiales  auf  Grund  der 
originalen  Forschungsresultate  wird  dieser  Monographie  für  immer 
den  Platz  eines  fundamentallen  Werkes  in  der  bacteriologischen 
Aera  der  Medicin  sichern.  Dr.  R.  Kretz. 


Ernährung  und  Volksnahrungsmittel. 

Sechs  Vorträge,  gehalten  von  Prof.  Johannes  Frenzei. 

Leipzig  1900,  Teubner, 

Das  kleine  Bändchen  ist  als  Nr.  19  der  im  T  e  u  h  n  e  r’schen 
Verlage  erscheinenden  Sammlung  wissenschaftlich-gemeinverständ¬ 
licher  Darstellungen  aus  allen  Gebieten  des  Wissens  herausgegeben. 
Eine  Reihe  von  Materien,  die  der  volksthümlichen  Darstellung  be¬ 
sondere  Schwierigkeiten  entgegenstellen,  wie  Begriff  der  Galorien, 
Anordnung  und  Bedeutung  der  Stoffwechselversuche  etc.,  werden 
von  dem  Verfasser  in  oft  sehr  geschickter  Darstellung  dem  Laien 
verständlich  gemacht  und  so  das  Wichtigste  aus  der  wissenschaft¬ 
lichen  Ernährungslehre  und  dessen  Anwendung  für  das  Leben  kurz 
zusammengefasst.  Dem  Werke  sind  zwei  Tabellen  über  die  Zu¬ 
sammensetzung  der  wichtigsten  Nahrungsmittel  beigegeben. 

* 

Oeffentliche  Massnahmen  gegen  ansteckende  Krank¬ 
heiten  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Desinfection. 

Bearbeitet  von  TIi.  Weyl. 

Mit  Beiträgen  von  N  o  c  h  t  und  Schwär  z. 

Jena  1900,  Gustav  Fischer. 

Die  vorliegende  Abhandlung  bildet  die  39.  Lieferung  des 
fortlaufend  erscheinenden  umfangreichen  Wey  l’schen  Handbuches 
der  Hygiene.  Bei  den  bedeutenden  Umwälzungen,  welche  die  im 
Titel  genannten  hygienischen  Fragen  im  Laufe  der  letzten  Jahre 
in  Theorie  und  Praxis  erfahren  haben,  verdient  die  Lecture  des 
Werkes  von  vorneherein  Interesse;  überdies  stehen  manche  der 
hier  ausführlich  erörterten  Materien  mit  den  Bedürfnissen  des 
praktischen  Arztes  in  innigem  Zusammenhänge.  So  verweisen  wir 
auf  den  von  Nocht  bearbeiteten  Artikel  »Ueber  Quarantänen«, 
der  die  unter  dem  Einflüsse  der  Dresdener  Choleraconvention  und 
der  Venediger  Pestconvention  erfolgte  Aenderung  der  gesetzlichen 
Normen  über  das  Quarantänewesen  in  den  europäischen  Staaten 
beschreibt. 

Zur  Illustration  der,  einer  nicht  allzufernen  Vergangenheit 
angehörenden,  abenteuerlichen  Auffassung  und  Durchführung  der 
Quarantäne  bringt  W  e  y  1  in  einem  Anhänge  zu  diesem  Capitel 
zwei  Photographien  von  Ausrüstung  und  Apparaten  der  ehemaligen 
Venediger  Quarantänewache,  welche  die  damaligen  Zustände  besser 
beleuchten  als  lange  Abhandlungen.  Tn  dem  Capitel  über  Desinfection 
sind  die  verschiedenen  Desinfectionsmittel  alter  und  neuer  Zeit 
ausführlich  besprochen,  insbesondere  ihre  Anwendbarkeit  in  den 
verschiedenen  Fällen  der  Praxis  eingehend  auseinandergesetzt.  Bei 
der  weitgehenden  Bearbeitung,  welche  das  Formalindesinfections- 
wesen  in  den  letzten  Jahren  erfahren  hat,  ist  demselben  natur- 
gemäss  ein  breiter  Raum-  gewidmet.  Die  Typen  der  wichtigsten 
Formalinapparate  sind  durch  gute  Abbildungen  und  Erklärungen 
hinreichend  charakterisirt,  auch  der  Kostenpunkt  findet  die  ent¬ 
sprechende  Berücksichtigung. 

Der  Durchführung  der  Wohnungsdesinfection  ist  ein  weiterer 
Abschnitt  gewidmet,  ebenso  wird  die  Desinfection  der  Schiffe  in 
einem  besonderen  Capitel  von  Hafenarzt  Nocht  behandelt. 

Das  Weyl’sche  Werk  kann  in  Folge  der  Reichhaltigkeit 
seines  Inhaltes,  sowie  der  Gründlichkeit  der  Bearbeitung  desselben 
jedem  praktischen  Arzte  empfohlen  werden,  es  wird  aber  auch 


1072 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4fi 


demjenigen,  der  sich  über  eines  der  einschlägigen  Capitel  gründ¬ 
licher  informiren  will,  durch  die  sorgfältigen  Literaturangaben  gute 
Dienste  leisten.  Grassberger. 


Atlas  und  Grundriss  der  chirurgischen  Operationslehre. 

Von  Dr.  Otto  Zuckerkandl. 

Zweit®,  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

Mit  40  farbigen  Tafeln  und  278  Abbildungen  i in  Texte. 

M  ii  nebe  n  1900,  .J  F.  Lehm  a  n  n 

Das  in  Nr.  43  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«  vom 
Jahre  1897  in  seiner  ersten  Auflage  warm  empfohlene  Buch  bat 
allseits  wohlverdiente  Anerkennung  gefunden  und  jenen  Erfolg  auf- 
gewiesen,  der  diesem  ebenso  mühevollen  als  nützlichen  Unter¬ 
nehmen  aufrichtig  zu  wünschen  ist.  Es  wurde  in  alle  Cultur- 
sprachen  übersetzt  und  liegt  heute  in  einer  zweiten  Auflage  vor, 
die  bei  der  erheblichen  Anzahl  neu  aufgenommener  Illustrationen, 
den  vielfachen  Ergänzungen  und  Aenderungen  des  Textes  mit  gutem 
Rechte  als  »vermehrte  und  verbesserte«  bezeichnet  werden  darf. 
Namentlich  das  Capitel  der  Magen-Darmchirurgie,  die  Operationen 
wegen  Hernien  haben  erfreuliche  Wandlungen  und  Zuthaten  aufzu¬ 
weisen.  —  Einige  kleine  Wünsche:  Zunächst  am  Schlüsse  des 
Buches  ein  alphabetisches  Sachregister.  Unter  den  Elementar¬ 
operationen  wäre  unserer  Meinung  nach  als  für  den  Praktiker  be¬ 
sonders  geeignet,  die  Eröffnung  von  Eiterherden  (Retropharyngeal- 
und  liefen  Knochenabscessen,  ferner  bei  der  Thorakotomie 
die  Pleuraeröffnung)  durch  Einstich  mittelst  geschlossen  eingeführter 
und  dann  eröffneter  Drainzange  zu  empfehlen;  bei  der  Lister¬ 
sehen  Bleiplatten-  und  W  ö  1  f  1  e  r’schen  Gazebäuschchennaht. 
wohl  beide  schon  ziemlich  obsolet  - —  wäre  der  Hinweis  auf  die 
Gefahr  des  Decubitus  am  Platze;  die  H  a  g  e  d  o  r  n’sche  Methode 
der  Hasenschartenoperation  verdiente  auch  beschrieben  zu  werden, 
ebenso  die  Exstirpation  des  Kopfnickers  nach  Mikulicz  und 
die  Plastik  nach  Bayer-Frank  bei  der  Operation  wegen  Caput 
obstipum;  die  subcutane  Durchschneidung  der  Plantarfascie  bei  Pes 
varus  wird  nicht  besprochen.  Die  G  e  r  s  u  n  y’sche  Trachealcanule 
sollte  auch  beschrieben  und  empfohlen  werden.  Bei  der  Erörterung 
der  Radicaloperation  der  Schenkelhernie  darf  Salze  r’s  Methode 
nicht  fehlen.  Alex.  Fraenkel. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

4G7.  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  Terpentin- 
öl  Wirkung.  Von  Prof.  Schulz  (Greifswald).  Um  feslzustellen, 
ob  Terpentinöl  in  starker  Verdünnung  noch  den  Organismus  beein¬ 
flusse,  wurden  in  mehreren  Fällen  täglich  20  Tropfen  einer  alko¬ 
holischen  Terpentinöllösung  von  1  :  100,  später  1  :  1000,  verab¬ 
reicht.  Das  Gesammtquantum,  welches  bei  einer  ganzen  Versuchs¬ 
reihe  genommen  wurde,  betrug  einmal  zwei  Tropfen,  ein  anderes 
Mal  nur  ein  Fünftel  Tropfen  reinen  Oeles.  Es  ergeben  sich  folgende 
Befunde  im  Allgemeinen:  Eine  auffallende,  erst  gegen  Abend  auf¬ 
tretende  Müdigkeit,  Schlafbehinderung,  Kopfschmerzen,  Herabgehen 
der  Pulscurve  unter  das  Normale,  Aufstossen,  Magenschmerzen  und 
Verstopfung.  Grössere  Dosen  erzeugen  bekanntlich  mit  Koliken 
verbundene  Diarrhöen.  Weilers  machte  sich  der  bekannte  Geruch 
des  Harnes,  sowie  eine  vermehrte  Sedimentbildung  bemerkbar.  Eine 
Einwirkung  der  kleinen  Dosen  auf  die  Respirationsorgane  wurde 
nicht  gesehen,  dagegen  in  zwei  Fällen  das  Auftreten  von  Akne 
bemerkt.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  28.) 

Pi. 

.  * 

4G8.  lieber  den  klinischen  Verlauf  und  die 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen  eines 
schweren,  durch  Hemiplegie,  b  u  1  b  ä  r  e  und  psychi¬ 
sche  Störungen  ausgezeichneten  Falles  von 
B  a  s  e  d  o  w’scher  K  r  a  n  k  h  e  i  t.  Von  Prof.  Dr.  Dinkier.  Der 
Fall  Dinkler’s  ist  klinisch  durch  psychische  Störungen,  links¬ 
seitige  Hemiplegie  und  bulbäre  Symptome  bemerkenswerth.  Als 
Ursache  der  ersteren  dürfte  eine  herdförmige,  aber  weit  verbreitete 
Erkrankung  im  Cortex  cerebri  anzusehen  sein,  während  die  links¬ 
seitige  Hemiplegie  in  Veränderungen  im  rechten  motorischen  Rinden¬ 
feld,  die  bulbären  Symptome  in  Veränderungen  der  Kerne  und 
Degenerationen  der  Wurzelfasern  der  Hirnnerven  begründet  sind. 


Im  Anhänge  ist  ein  zweiter  Fall  von  Basedowscher  Krankheit 
angeführt,  der  zwölf  Stunden  nach  der  partiellen  Strumektomie  zum 
Exitus  führte.  In  diesem  Falle  bot  das  Nervensystem  einen  voll¬ 
kommen  negativen  anatomischen  Befund.  —  (Archiv  für  Psychiatrie 
und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXNI1I,  Heft  2.)  S. 

* 

4G9.  (Aus  dem  pathologischen  Institute  in  Moskau.)  Ueber 
die  Wirkung  des  Phosphors  und  des  Pulegons  auf 
die  Cephalopoden.  Von  Dr.  Lindemann.  Verfasser  beob¬ 
achtet  bei  diesen  Thieren  eine  ähnliche  Einwirkung  des  Phosphors, 
wie  sie  auch  beim  Menschen  in  ähnlicher  Weise  statthat,  nämlich 
eine  Nekrose  der  Cephalopodenarme.  Pulegon  wirkt  schon  bei  einer 
Verdünnung  von  einem  Tropfen  auf  1  l  Wasser  als  Krampfgift.  — 
Ueber  Urämie  bei  Cephalopoden.  Durch  Unterbindung 
der  »Nephridialausführungsgänge«  bei  Cephalopoden  konnte  der¬ 
selbe  Verfasser  einen  als  Urämie  gedeuteten  Zustand  herbeiführen, 
der  sich  durch  eine  Lähmung  der  Arme  und  Athmung  kundgab. 

—  (Ziegler’s  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie.  Bd.  XXVII, 

Heft  3.)  "  '  Pi. 

* 

470.  (Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  der  Uni¬ 

versität  Halle  Prof.  Hitzig).  Ueber  die  Beziehungen 
zwischen  Demenz  und  Aphasie.  Von  Dr.  Heilbronn  er, 
Privatdocent,  Oberarzt  der  Klinik.  Der  Arbeit  Heilbronne  r’s 
liegt  ein  Fall  von  seniler  Demenz  mit  aphasie-  und  asymbolieartigen 
Symptomen  zu  Grunde.  Aehnliche  Zustände  kommen  transitorisch 
im  Verlaufe  typischer  Paralysen  vor,  zumal  in  den  deliranten  Zu¬ 
ständen  nach  paralytischen  Anfällen,  ferner  bei  Säufern,  die  sich 
eben  von  schweren  alkoholischen  Stuporzuständen  zu  erholen  be¬ 
ginnen,  endlich  bei  Epileptischen  nach  Serien  von  Anfällen.  Alle 
diese  Fälle  repräsentiren  Erkrankungen,  die  sich  entweder  direct 
als  Blödsinnsformen  darstellen,  oder  wenigstens  die  Tendenz  zeigen, 
zum  Blödsinn  zu  führen.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nerven¬ 
krankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  2.)  S. 

* 

471.  ln  der  Sitzung  der  medicinischen  Gesellschaft  zu  Leipzig 
am  22.  Mai  berichtete  Wilms  über  einen  Fall,  in  dem  bei  einem 
27-2 jährigen  Kinde  wegen  einer  verschluckten  Münze  die  Oeso- 
phagotomie  ausgeführt  werden  musste.  Die  Wunde  wurde  nicht 
genäht,  sondern  tamponirt.  Das  Kind  konnte  nach  drei  Wochen 
mit  einer  kleinen  Fistel  entlassen  werden,  die  sich  auch  bald 
schloss.  —  Weiters  wurde  ein  Fall  von  Fremdkörper  im 
Rectum  erwähnt.  Bei  der  Untersuchung  des  über  Stuhl¬ 
beschwerden  klagenden  Mannes  traf  man  auf  die  Schneide  eines 
Messers,  dessen  Spitze  im  Kreuzbein  stak,  während  das  Ende  des 
Heftes  in  der  Floxur  war  und  zwischen  Nabel  und  Symphyse 
gefühlt  wurde.  Die  Entfernung  gelang  leicht.  Der  an  Verfolgungs¬ 
wahn  leidende  Patient  hatte  sich  das  Messer  suicidii  causa  zwei 

Monate  vorher  eingeführt.  Pi. 

* 

472.  (Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  der  könig¬ 
lichen  Charite  (Prof.  Jolly).  Ueber  Erkrankung  des  Ge¬ 
hirnes  nach  Trauma.  Von  Prof.  Dr.  M.  Koppen,  erstem 
Assistenten  der  psychiatrischen  Klinik.  Aus  den  von  Koppen  mit- 
getheilten  Fällen  gebt  hervor,  dass  bei  Gewalteinwirkungen  auf  den 
Schädel  —  auch  dann,  wenn  der  Schädel  selbst  nicht  verletzt  ist 

—  überaus  häufig  kleine  Verletzungen  an  der  Basis  der  Stirnlappen, 
an  der  Spitze  der  Schläfelappen,  sowie  auch  am  Hinterhauptslappen 
gefunden  werden.  An  den  Stellen  der  Zertrümmerung  findet  sich 
eine  blutige  Infiltration  des  Gewebes  und  alle  Stadien  einer 
Encephalitis.  Die  aus  solchen  Zertrümmerungsherden  sich  ent¬ 
wickelnden  Narben  und  Defecte  mit  narbiger  Umgebung  verweisen 
später  auf  ein  stattgefundenes  Trauma,  und  zwar  umso  sicherer, 
wenn  dieselben  nur  an  der  Gehirnbasis  aufzufinden  sind.  Das 
Trauma  muss  nicht  in  directem  Aufschlagen  des  Kopfes  bestanden 
haben,  sondern  kann  auch  durch  Fall  auf  die  Füsse,  die  Knie 
oder  auf  das  Gesäss  erfolgt  sein.  Die  nach  Kopfverletzung  auf¬ 
tretende  Demenz  —  Dementia  posttraumatica  —  kann  namentlich 
bei  fehlender  Anamnese  leicht  zur  Verwechslung  mit  einer  ein¬ 
fachen  Dementia  paralytica  Anlass  geben.  Auch  nach  Traumen, 
die  materielle  Veränderungen  des  Gehirnes  nach  sich  ziehen, 
können  anfänglich  erhebliche  Erscheinungen,  zumal  eine  Bewusst¬ 
seinsstörung  fehlen,  während  sich  später  Symptome  plötzlicher 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Gehirnreizungen  und  Erscheinungen  einer  allgemeinen  psychischen 
Degeneration  einslellen.  —  (Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrank¬ 
heiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  2.)  S. 

* 

473.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  in  Leipzig.)  Zur  klini¬ 

schen  Diagnose  der  Zwerchfellhernie.  Von  Dr.  Hirsch. 
Der  34jährige  Patient,  bei  dem  eine  Dextrocardie  schon  in  der 
Kindheit  diagnosticirt  worden  war,  gelangte  mit  der  Diagnose  eines 
Pneumothorax  zur  Aufnahme.  Verschiedene  Umstände  Hessen  an 
der  Richtigkeit  derselben  allmälig  Zweifel  aufsteigen  und  eine  Ver¬ 
lagerung  des  Magens  durch  einen  Zwerchfelldefect  in  dem  linken 
Brustraume  denken,  was  auch  durch  die  Rönfgenographie  bestätigt 
wurde.  Von  besonderem  Interesse  ist  die  Bemerkung  des  Verfassers, 
dass  in  dem  in  Rede  stehenden  Falle  die  Dextrocardie  durch  das 
frühzeitige  Eindringen  von  Baucheingeweide  in  den  Brustraum  be¬ 
dingt  worden  sei,  dass  man  daher  gut  thue,  in  jenen  Fällen,  in 
denen  nur  eine  Herzverlagerung  und  sonst  kein  Situs  inversus  be¬ 
stehe,  an  einen  Zwerchfelldefect  zu  denken.  —  (Münchener  medi- 
cinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  29.)  Pi. 

* 

474.  Hereditäre  Lues  und  Epilepsie.  Von  Doctor 
Bratz  und  Dr.  Lüth.  Die  Verfasser,  deren  Arbeit  aus  der  Berliner 
Anstalt  für  Epileptische  zu  Wuhlgarten  stammt,  suchen  in  dieser 
Arbeit  den  zahlenmässigen  Antheil  der  hereditären  Lues  unter  den 
ätiologischen  Factoren  der  Epilepsie  nachzuweisen.  Es  findet,  sich 
unter  diesen  die  Syphilis  der  Eltern  nur  in  4  bis  höchstens  7%. 
Das  klinische  Krankheitsbild  der  Kinder  mit  hereditärsyphilitischen 
Processen  im  Gehirn  weicht  oft  erheblich  von  demjenigen  der 
idiopathischen  Epilepsie  ab.  Noch  häufiger  aber  führt  die  Syphilis 
wie  andere  Dyskrasien  zu  dem  reinen  Bilde  idiopathischer  Epilepsie 
ohne  specifische  Gehirnprocesse  durch  Keimschädigung,  durch  Ver¬ 
mittlung  parasyphilitischer  Störungen  der  Gehirnentwicklung.  — 
(Archiv  für  Psychiatrie  und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  2.) 

S. 

* 

475.  Ueber  die  angebliche  Giftigkeit  desBorax 

und  der  Borsäure.  Von  Liebreich.  In  einer  jüngst 
publicirten  englischen  Arbeit  wurde  mitgetheilt,  dass  nach  Genuss 
einer  mit  sehr  viel  Borsäure  verselzten  Milchspeise  fünf  Personen 
erkrankten,  und  dass  von  neun  Hühnern,  die  mit  derselben  Speise 
gefüttert  worden  waren,  drei  zu  Grunde  gingen.  Liebreich 
weist  nach,  dass  diese  Erkrankungen  nicht  auf  den  Borsäuregehalt 
der  Speise  zurückzuführen  waren.  Für  die  Conservirung  von 
Nahrungsmitteln  kommen  niemals  sehr  grosse  Dosen  in  Betracht. 
Die  nach  Borsäure  beobachteten  Vergiftungserscheinungen  beziehen 
sich  immer  nur  auf  Anwendung  grösserer  Quantitäten  Borsäure, 
die  von  freien  Wund-  oder  Schleimhautflächen  zur  Resorption  ge¬ 
langen;  trotzdem  wäre  es  jedoch  wünschenswerth,  wenn  eine 
Declaration  der  mit  Borsäure  oder  Borax  conservirten  Nahrungs¬ 
mittel  stattfinden  würde.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900, 
Nr.  7.)  Pi. 

* 

476.  (Aus  der  psychiatrischen  und  Nervenklinik  der  könig¬ 
lichen  Charite  (Prof.  Jolly).  Ueber  Veränderungen  der 
Hirnrinde  unter  einem  subduralen  Hämatom.  Von 
Dr.  M.  K  ö  p  p  e  n,  a.  ö.  Professor,  Assistenten  der  Klinik.  Koppen 
beschreibt  einen  Fall,  in  welchem  durch  ein  Trauma  capitis  eine 
geradlinige,  im  rechten  Schläfenbein  nach  links  hinten  verlaufende 
und  in  der  Parietalgegend  endende,  nur  die  Tabula  externa  be¬ 
treffende  Fissur  entstanden  war.  Der  vordere  Theil  der  rechten 
Hemisphäre  war  durch  eine  zwischen  der  inneren  Fläche  der  Dura 
mater  und  dem  Gehirn  entstandene  Blutgeschwulst  zusammen¬ 
gedrückt.  Ausserdem  fanden  sich  weitaus  verbreitete  Veränderungen 
der  Hirnrinde,  indem  sich  herdweise  die  Glia  verdichtet,  die  Nerven- 
elemente  abgestorben,  die  Ganglienzellen  sklerotisirt  und  geschrumpft 
zeigten.  Die  sonstigen  Veränderungen  in  der  Rinde  waren  als 
Uebergangsstadien  von  einem  einfachen  Absterben  des  Gewebes  bis 
zur  lebhaftesten  Reaction  gegen  den  gesetzten  Reiz  aufzufassen,  so 
dass  schliesslich  auch  stellenweise  eine  regelrechte  Encephalitis 
zur  Entwicklung  gekommen  ist.  Das  Endproduct  aller  dieser 
Processe  ist  immer  eine  Sklerose  und  dadurch  bedingte  Ver¬ 
kümmerung  der  Rinde.  Bei  ausgebreitelen  alten  Rindenatrophien, 
die  sich  mikroskopisch  als  sklerotische  Herde  der  Rinde  erkennen 


lassen,  muss  die  Entstehung  durch  Druck  eines  Hämatoms  jeden¬ 
falls  immer  in  Betracht  gezogen  werden.  ■ —  (Archiv  für  Psychiatrie 
und  Nervenkrankheiten.  Bd.  XXXIII,  Heft  1.)  S. 

* 

477.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Halle.)  Ueber  trau¬ 
matische  Lösung  der  Femurkopfepiphyse  und  ihre 
Folgeerscheinungen.  Von  Dr.  Rammsted  t.  Bericht  über 
acht  derartige  Fälle,  von  denen  einer  im  dritten  Lebensjahre,  die 
übrigen  nach  einem  im  15.  bis  18.  Jahre  erlittenen  Trauma  auf¬ 
getreten  waren.  Die  Symptome  waren  jene  der  Coxa  vara 
s  t  a  t  i  c  a,  besonders  wenn  die  Verschiebung  nur  eine  geringe  war. 
Aus  Leichenexperimenten  ,  ergab  sich,  dass  auch  eine  blosse 
Lockerung  der  Kappe  des  Femurkopfes  möglich  ist  und  dass  hiebei 
das  Periost  nicht  eingerissen  ist.  In  diesem  Falle  kann  der  Kranke, 
wenn  auch  unter  Schmerzen,  noch  wochenlang  gehen  und  stehen; 
mit  der  Zeit  reisst  aber  das  Periost  ein  und  es  kommt  zur  Ver¬ 
schiebung  des  Kopfes.  Nach  dem  Gesagten  liegt  die  Vermuthung 
nahe,  dass  eine  Coxa  vara  einen  derartigen  traumatischen  Ursprung 
haben  könne.  —  (Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LXI,  Heft  3.) 

* 

478.  Ueber  functionelle  Nierendiagnostik.  Von 
Dr.  Casper  und  Dr.  Richter  (Berlin).  Mittelst  des  Ureteren- 
katheterismus  wurde  gefunden,  dass  gesunde  Nieren  in  dem  Zeit¬ 
raum  einer  halben  bis  ganzen  Stunde  die  gleichen  Mengen  fester 
Bestandtheile  wie  Harnstoff,  Salze  u.  s.  w.  gleichzeitig  ausscheiden. 
Ist  eine  Niere  erkrankt,  so  scheidet  sie  innerhalb  derselben  Zeit 
weniger  feste  Bestandtheile  aus.  Gerade  so  verhält  es  sich  mit  der 
Zuckerausscheidung,  wenn  Phloridzin  subcutan  einverleibt  wird; 
eine  erkrankte  Niere  scheidet  weniger  Zucker  aus,  und  zwar  umso¬ 
weniger,  je  hochgradiger  eine  Niere  erkrankt  ist.  Es  würde  sich 
demnach  die  Phloridzinprüfung  als  ein  sehr  feines  Reagens  für  die 
Prüfung  der  Nierenfunction  darstellen.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  29.) 

* 

479.  Experimentelle  Untersuchungen  am 
lebenden  Thier-  und  Menschendarm.  Von  Dr.  Buch¬ 
binder  (Leipzig).  Von  den  interessanten  Versuchen  seien  nur  einige 
Befunde  hervorgehoben.  Ein  schwacher  faradischer  Strom  bewirkt  schon 
an  der  Anlegestelle  der  Pole  am  Thierdarme  eine  ringförmige,  bei 
einiger  Verstärkung  auch  eine  gegen  den  Pylorus  zu  verlaufende 
kurze  Contraction.  Bei  der  Prüfung  der  elektrischen  Erregbarkeit 
des  menschlichen  Darmes  wurde  Aehnliches  gefunden,  so  dass 
hiemit  ein  Fingerzeig  gegeben  wäre,  wie  man  leicht  die  Richtung 
eines  Darmes  bestimmen  könne.  Weiters  deuten  andere  Versuche 
darauf  hin,  dass,  so  lange  die  elektrische  Erregbarkeit  eines  aus 
seiner  Einklemmung  befreiten  Darmes  vorhanden  ist  oder  bald 
wiederkehrt,  derselbe  lebensfähig  ist.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für 
Chirurgie.  Bd.  LV.) 

* 

480.  Zur  Kenntniss  der  Toxhämie  bei  Tu  ber¬ 
eu  lose.  Von  Maragliano.  Es  liegt  sehr  nahe,  anzunehmen, 
dass  die  mannigfaltigen  klinischen  Erscheinungen  bei  der  Tuber- 
culose  auf  einer  Ansammlung  von  Toxinen  im  Blute  beruhen,  die 
auch  schon  bei  kleinen  tuberculösen  Herden  in  den  Lungen  statt¬ 
finden  kann.  Verfasser  fand  thatsächlich  bei  Injection  von  Blut  tuber- 
culöser  Individuen  eine  toxische  Wirkung  auf  gesunde  Thiere. 
Durch  Antitoxin  ist  es  manchmal  möglich,  diese  toxische  Wirkung 
zu  beeinflussen.  —  (Gazz.  degli  ospedali.  1900,  Nr.  75.) 

* 

481.  Ueber  Luftdruckänderungen  und  Lungen¬ 

blutungen.  Von  Dr.  Gabrilo  witch  (Halila).  Durch  einige 
Jahre  fortgeführte  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  das  Auf¬ 
treten  von  Lungenhlutungen  den  Barometerschwankungen,  und 
zwar  deren  unvermitteltem,  plötzlichen  Eintreten  parallel  gehen  soll. 
Diese  Schwankungen  sind  am  bedeutendsten  in  den  Monaten 
Februar,  März  und  October.  Kranke,  welche  also  zu  Lungen¬ 
blutungen  neigen,  sollen  zu  Zeiten  stärkerer  barometrischer 
Schwankungen  jede  Bewegung  meiden,  eventuell  Bettruhe  inne¬ 
halten  und  Hydrastis  canadensis  gebrauchen.  —  (Zeitschrift  für 
Tuberculose  und  Heilstättenwesen.  Bd.  I,  Heft  3.)  Pi. 


1074 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 


Ernannt:  Die  im  Ministerium  des  Innern  in  Verwendung 
stehenden  Bezirksärzte  Dr.  Heinrich  Blumenfeld,  Dr.  Emil 
v.  Celebrini  und  Dr.  Franz  Stadler  zu  Oberbezirksärzten.  — 
Der  Bezirksarzt  Dr.  Thomas  Edler  v.  Reach  zum  Oberbezirksarzte 
in  Niederösterreich.  ■ —  Privatdocent  Dr.  Victor  Wehr  zum  a.  o. 

Professor  der  Chirurgie  in  Lemberg. 

* 


Verliehen:  In  Wien:  Hofrath  Hermann  Nothnagel  das  Gross- 
officierskreuz  des  königlich  rumänischen  Ordens  „Krone  von  Rumänien“ 
und  dem  Prof.  Victor  Urbantschitsch  das  Commandeurkreuz 
desselben  Ordens.  —  Dem  Oberstabsarzte  zweiter  Classe  Dr.  Her¬ 
mann  A  bay  unter  Bekanntgabe  der  Allerhöchsten  Zufriedenheit  der 
Charakter  eines  Oberstabsarztes  erster  Classe  ad  honores.  —  Dem  Be¬ 
zirksarzte  Dr.  Peter  F  o  p  p  a  in  Bozen  der  Titel  und  Charakter  eines 
Oberbezirksarztes.  —  Dem  leitenden  Arzte  der  inneren  Abtheilung 
des  jüdischen  Krankenhauses  in  Berlin,  Dr.  Jul.  Lazarus,  der 
Professortitel. 

* 


Gestorben:  Dr.  Georg  Stetter, 
in  Königsberg. 


* 


Professor  der  Chirurgie 


Mittheilung  des  „Verband  der  Aerzte  Wiens“  :  Zur  Abwehr. 
Aus  Anlass  einer  am  11.  d.  M.  in  mehreren  Tagesblättern  erschienenen 
Annonce,  wonach  51  Aerzte  zu  einem  neugegründeten  Wiener  Meister- 
cassenverbande  gesucht  werden,  hat  der  „Verband  der  Aerzte  Wiens“ 
in  denselben  Blättern  folgendes  Gegeninserat  einrücken  lassen:  „Der 
„Verband  der  Aerzte  Wiens“  erinnert  die  Collegen,  dass  die  vom  allge¬ 
meinen  Aerztetage  und  der  Kammer  gefassten  Beschlüsse  bezüglich 
der  Meistercassen  aufrecht  bestehen.“  In  einer  für  den  13.  d.  M. 
ausgeschriebenen  Dringlichkeitssitzung  des  Centralausschusses  wird  der 
Verband  seiue  weitere  Stellungnahme  in  dieser  Angelegenheit  berathen. 


* 


Heinrich  Matton  i’sches  Stipendium  im  Betrage 
von  700  K.  Aus  der  vom  Herrn  kaiserlichen  Rath  Heinrich 
Edlen  v.  M  a  1 1  o  n  i,  Gründer  und  Inhaber  der  Firma  Heinrich 
M  a  1 1  o  n  i  in  Giesshiibl-Sauerbrunn,  anlässlich  des  fünfzigjährigen 
Regierungsjubiläums  Sr.  Majestät  des  Kaisers  Franz  Josef  I.  errichteten 
Stiftung  für  die  beste  wissenschaftliche  Arbeit  auf  dem  Gebiete  der 
Ileilquellenlehre  gelangt  für  das  Studienjahr  1900/1901  ein  Stipen¬ 
dium  im  Betrage  von  700  AT  zur  Verleihung.  Die  Bewerber  um  dieses 
Stipendium  müssen  jung  promovirte  Aerzte  der  gesammten  Heilkunde 
sein,  welche  die  Vorlesungen  über  Balneologie  an  einer  deutschen 
Universität  in  Oesterreich  gehört,  aus  derselben  mit  Erfolg  colloquirt. 
und  längstens  binnen  zwölf  Monaten  nach  erfolgter  Promotion  zum 
Doctor  eine  in  das  Gebiet  der  Heilquellenlehre  fallende  Originalarbeit 
im  Druck  veröffentlicht  haben.  Die  Bewerber  um  das  vorstehende 
Stipendium  haben  ihre  belegten  Gesuche  bis  Ende  December  1900  bei 
dem  akademischen  Senate  der  k.  k.  Universität  Wien  zu  überreichen. 
Das  Stipendium  war  bereits  für  das  Studienjahr  1899/1900  ausge¬ 
schrieben,  ohne  dass  sich  Bewerber  gemeldet  hätten. 

* 

Prof.  Dr.  A.  El  sehnig  wohnt  jetzt:  IX.,  W  ä  h  r  i  n  g  er¬ 
st  r  a  s  s  e  Nr.  24.  —  Med.  Dr.  Robert  Porges:  IX.,  Schwarz- 

spanierst.rasse  6. 


Von  der  Bibliothek. 


Nachstehende  Werke  wurden  seit  18.  October  1900  (siehe 
Nr.  42, 1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

JNTr-_  4. 


Geschenke  : 

Frisch  Anton  V.,  Les  Maladies  de  la  Prostate.  Ouvrage  traduit  de 
l’allemand  par  le  Dr.  F  e  r  d.  B  i  1  d  1  o  t.  et  Dr.  II.  Renard-Dethy. 
Liege  1900.  8°.  Vom  Autor. 

Kundrat  Hans,  lieber  Wachsthumsstörungen  des  menschlichen  Organismus. 

Wien  1891.  8°.  Von  Herrn  Prof.  P  a  1 1  a  u  f . 

Wassing  Ant.,  Curort  Wildbad-Gastein.  Zweite  Auflage.  Wien  und  Leipzig 
1900.  8°.  Vom  Autor. 

Trurnpp  Josef,  Die  unblutige  operative  Behandlung  von  Larynxstenosen 
mittelst  der  Intubation.  Leipzig  und  Wien  1900.  8°.  Von  Herrn 
Dr.  G  a  1  a  t  t  i. 

Der  Curort  Baden  bei  Wien  in  Wort  und  Bild.  Leipzig  und  Wien 
1900.  8". 

Ohlmacher  A.  F.,  Studies  in  the  Pathology  of  Epilepsy.  Gallipoli»  (Ohio) 
1898.  8°.  Von  Herrn  Prof.  Pal  tauf. 

Kolisch  R.,  Lehrbuch  der  diätetischen  Therapie  chronischer  Hautkrankheiten. 
II.  Theil.  Leipzig  und  Wien  1900.  8°.  Vom  Autor. 


Jahresbericht  über  die  Verwaltung  des  Medicinalwesens,  die  Kranken¬ 
anstalten  und  die  öffentlichen  Gesundheitsverhältnisse  der  Stadt 
Frankfurt  a.  M.  Frankfurt  a.  M.  1900.  8".  Vom  ärztlichen  Vereine 
der  Stadt  Frankfurt  a.  M. 

Verhandlungen  des  Congresses  fur  innere  Medicin  in  Wiesbaden  1900. 

Wiesbaden  1900.  8Ü.  Im  Aufträge  des  Gesclüiftscomites. 

Studies  from  the  Pathological  Laboratory  of  the  College  of  Physicians  and 
Surgeons.  Columbia  College,  New  York.  Vol.  II.  1891/92.  New  York 
1892.  8°.  Von  Herrn  Prof.  P  a  1 1  a  u  f. 

Proceedings  of  the  New  York  Pathological  Society  for  the  Year  1888. 
New  York  1889.  8°.  Von  Herrn  Prof.  P  a  1 1  a  u  f. 

* 

Von  der  Kedactioii  tier  Wiener  klin.  Wochenschrift : 

Gallois  Paul,  La  Scrofule  et  les  Infections  Adenoidiennes.  Paris  1900.  8°. 
Pieraccini  A.,  L’Assistenza  dei  Pazzi  nel  Manicomio  e  nella  Famiglia. 
Milano  1901.  8". 

Lahmann  H  ,  Die  diätetische  Blutentmischung  (Dysämie)  als  Grundursache 
aller  Krankheiten.  Neunte  vermehrte  Auflage.  Leipzig  1899.  8°. 
Hertwig  Oskar,  Die  Entwicklung  der  Biologie  im  XIX.  Jahrhundert.  Jena 

1900.  8°. 

Naunyn  B  ,  Die  Entwicklung  der  inneren  Medicin  mit  Hygiene  und  Bacterio- 
logie  im  XIX.  Jahrhundert.  Jena  1900.  8°. 

Müller  Rudolf,  Naturwissenschaftliche  Seelenforschung.  III.  Wille;  Hypnose; 
Zweck.  Leipzig  1899.  8°. 

Salzwedel,  Leitfaden  der  Krankenwartung.  Siebente  Auflage.  Berlin 
1896.  8°. 

Massini,  Pharmacopoea  Policlinices  Basiliensis.  Basel  1900.  8°. 

Leudesdorf  Max,  Aus  der  Praxis  eines  alten  Arztes.  Leipzig  1900.  8°. 
Führer  durch  die  Bade-,  Brunnen-  und  Luftcurorte  von  Mitteleuropa.  Vierte 
Auflage.  Wien  1899 — 1900.  8°. 

Schuster  Paul.  Zur  neurologischen  Untersuchung  Unfallkranker.  Berlin 

1899.  8». 

Custer  Julius,  Cocain  und  Infiltrationsanästhesie.  Basel  1898.  8°: 

Klemperer  G.,  Justus  v.  Liebig  und  die  Medicin.  Berlin  1900.  8°. 
Odebrecht  G.,  Ueber  die  Grenzen  der  Aseptik  gegen  die  Antiseptik. 
Halle  a.  S.  1898.  8°. 

Langwieser  Karl,  Der  Bewusstseinsmechanismus  im  Gehirne  des  Menschen. 
Leipzig  und  Wien.  1897.  8°. 

* 

Angekauft: 

Edinger  Ludwig,  Untersuchungen  über  die  vergleichende  Anatomie  des 
Gehirns.  Frankfurt  a.  M.  1888 — 1899.  4°. 

1.  Das  Vorderhirn. 

2.  Das  Zwischenhirn.  Erster  Theil:  Das  Zwischenhirn  der  Selachier 
und  der  Amphibien. 

3.  Neue  Studien  über  das  Vorderhirn  der  Reptilien. 

4.  Studien  über  das  Zwischenhirn  der  Reptilien. 

Mittheilungen  aus  Finsen’s  Medicinske  Lysinstitut  (Fi  n  sen’s  medicini- 
schem  Lichtinstitut)  in  Kopenhagen.  Herausgegeben  von  Professor 
Dr.  Niels  R.  Finsen.  Die  deutsche  Ausgabe  herausgegeben  von 
Waldemar  Bie.  Leipzig  1900  ff. 

Kupffer  C.  V.,  Studien  zur  vergleichenden  Entwicklungsgeschichte  des 
Kopfes  der  Kranioten.  Heft  4:  Zur  Kopfentwicklung  der  Bdellostoma. 
München  und  Leipzig  1900.  8°. 

Wien,  im  November  1900.  Unger. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Kroll's  Stereoskopische  Bilder.  Fünfte  Auflage.  Voss,  Berlin. 

Mattliiolius,  Tagebuchblätter  aus  dem  Boerenkriege.  Vogel,  Leipzig.  Preis 
M.  3.—. 

Levy  und  Bruns,  Bacteriologischer  Leitfaden.  Brust,  Strassburg  1901. 
194  S. 

Blascliko,  Hygiene  der  Prostitution  und  venerischen  Krankheiten.  Fischer, 
Jena.  Preis  M.  3. — . 

Stiefla,  Grundriss  der  Anatomie  des  Menschen.  Vierte  Auflage  von 
A.  Pausch.  Jänecke,  Hannover.  Preis  M.  14. — . 

Koeniger,  Gordone  -  Riviera.  Vierte  Auflage.  Springer,  Berlin.  Preis 
M.  1.20. 

Freudweiler,  Lungenschemata.  Schulthess,  Zürich. 

Depage,  L’annee  ebirurgieale.  Bd.  III  und  IV.  Lamertin,  Brüssel. 
Bollinger,  Atlas  und  Grundriss  der  pathologischen  Anatomie.  Zweite  Auf¬ 
lage.  Bd.  I.  Lehmann,  München  1901.  Preis  M.  12. — . 

Prausnitz,  Grundzüge  der  Hygiene.  Fünfte  Auflage.  Ibidem.  Preis 
M.  7.—. 

Liebe.  Der  Stand  der  Volksheilstättenbewegung  im  In-  und  Auslande.  Fünfter 
Bericht.  Seitz  &  Schauer,  München.  85  S. 

Rille,  Ueber  Leucoderma  syphiliticum.  Ibidem.  10  S. 

Neisser,  Ueber  die  Bettbehandlung  der  acuten  Psychosen.  Ibidem.  25  S. 
VulpillS,  Der  heutige  Stand  der  Skoliosenbehandlung.  Ibidem.  41  S. 
Riegel.  Ueber  die  Anwendung  schmerzstillender  Mittel  bei  Magenkranken. 
Ibidem.  12  S. 

Krecke,  Praktische  Winke  für  das  aseptische  Operiren.  Ibidem.  9  S. 

Kuli  sch,  Ueber  Kystoskopie.  Ibidem.  30  S. 

Bernstein,  Lehrbuch  der  Physiologie.  Zweite  Auflage.  Enke,  Stuttgart. 
Preis  M.  14. — . 

Sociale  Verwaltung  in  Oesterreich  am  Ende  des  XIX.  Jahrhunderts.  Zwei 
Bände.  Deuticke,  Wien.  Preis  M.  30. — . 


Nr.  46 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1075 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 

IISTIHLA-ILT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  9.  November  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  9.  November  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Teleky. 

Schriftführer :  Dr.  Knauer. 

Der  Vorsitzende  begrüsst  Prof.  E.  Hering,  der  gekommen 
ist,  um  seinen  Vortrag  über  seine  preisgekrönte  Arbeit:  „Ueber 
centripetale  Ataxie  beim  Menschen  und  Affen“  zu 
halten. 

Prof.  E.  Hering  gibt  eine  Uebersicht  hinsichtlich  der  Störungen, 
welche  er  bei  Fröschen,  Hunden  und  Affen  nach  Durchschneidung  der 
hinteren  Wurzeln  beobachtet  hat.  Bezüglich  der  Analogie  der  Ergeb¬ 
nisse  der  experimentellen  Untersuchungen  mit  den  klinischen  Beob¬ 
achtungen  beim  Tabiker  hebt  er  hervor: 

1.  Verlust  centripetaler  Erregungen;  um  so  bedeutender,  je  mehr 
centripetale  Bahnen  ausgeschaltet  sind. 

2.  Lagestörungen. 

3.  Atonie,  und  zwar,  wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf,  ausser 
der  gröberen  Form  auch  feinere  Coordinationsstörungen  der  Finger 
(Affen). 

4.  Atonie  wird  stärker  nach  Ausschluss  des  Lichtes. 

5.  Gesteigerte  passive  Beweglichkeit,  Muskelschlaftheit. 

6.  Sogenannte  trophische  Störungen. 

7.  Muskelatrophie  geringen  Grades  (Affe). 

8.  Bewegungen  an  den  Extremitäten  des  ruhenden  Thieres,  ver¬ 
gleichbar  mit  gewissen  unbeabsichtigten  Bewegungen  an  den  ruhenden 
Extremitäten  der  Tabiker. 

Die  Atonie  nach  Durchschneidung  der  hinteren  Wurzeln  prägt 
sich  entsprechend  der  Verschiedenheit  der  Locomotion  der  untersuchten 
verschiedenen  Thiere  verschieden  aus,  ist  aber  bei  allen  Thieren  als 
die  Folge  der  Ausserfunctionsetzung  centripetaler  Bahnen  anzusehen. 

Diese  Atonie  nach  Lähmung  centripetaler  Fasern 
bezeichnet  Vortragender  als  centripetale,  womit  zunächst  nichts 
präjudicirt  wurde  hinsichtlich  der  Qualität  jener  centripetalen  Bahnen, 
deren  functioneller  Ausfall  Atonie  bedingt.  Die  weitgehende  Analogie 
der  experimentellen  Ergebnisse  mit  der  klinischen  Beobachtung  und 
dem  pathologisch  anatomischen  Befunde  bei  Tabiker  gibt  uns  das 
Recht,  auch  die  Atonie  der  Tabiker  eine  centripetale 
zu  nennen. 

Eine  weitere  Frage  ist  es  jedoch,  ob  die  centripetale  Atonie  der 
Tabiker  als  eine  „sensorische“  aufzufassen  ist  oder  nicht.  Vor¬ 
tragender  ist  der  Meinung,  dass  diese  Störung  der  Empfindung 
beim  Tabiker  eine  gewisse,  noch  genauer  zu  präcisirende  Rolle  spielt, 
dass  jedoch  im  Wesentlichen  die  Atonie  dem  Ausfälle  jener  centripe¬ 
talen  Bahnen  zuzuschreiben  sei,  welche  beim  Menschen  die  unbeab¬ 
sichtigte,  unwillkürliche  Regulirung  der  Bewegungen  vermitteln,  und 
zwar  nicht  etwa  auf  dem  Wege  durch  das  Rückenmark,  sondern  auch 
mittelst  der  höher  gelegenen  Hirntheile. 

Vortragender  macht  besonders  aufmerksam  auf  den  Unterschied 
der  Atonie  der  Tabiker  und  der  Atonie  nach  Läsion  centripetaler 
Bahnen  in  höher  gelegenen  Abschnitten  des  centralen 
Nervensystems.  Diese  Atonie  ist  in  letzterem  Falle  nicht  so  hoch¬ 
gradig  als  bei  der  Tabes,  betrifft  mehr  die  subtileren  Be¬ 
wegungen. 

Gegen  die  „sensorische“  Theorie  wäre  ausser  den  bekannten 
noch  nicht  entkräfteten  Einwänden  noch  anzufiihreD,  dass  keine  Ueber- 
einstimmung  besteht  hinsichtlich  des  Fehlens  der  Bewegungs  e  m  p  f  i  n- 
d  u  n  g  und  der  Atonie. 

Es  fallen  beim  Tabiker  ganze  Bewegungen  aus,  welche  der 
normale  Mensch  unwillkürlich,  unbeabsichtigt  macht,  von  denen  er 
gar  nichts  weiss,  wenn  man  ihn  nicht  darauf  aufmerksam  macht 
und  die  auch  der  Tabiker  ausführt,  sobald  man  ihn  aufmerksam  macht. 
Auch  die  Muskelspannungen,  welche  bei  der  Prüfung  der  Empfindung  für 
passive  Bewegungen,  respective  Lageveränderungen  beim  Menschen  zu 
beobachten  sind,  erfolgen  unbeabsichtigt,  unwillkürlich,  und  erst  wenn 
man  den  Untersuchten  aufmerksam  macht,  erfährt  der  Untersuchte 
etwas  von  ihrer  Existenz.  Diese  Muskelspannungen  absichtlich  zu  ver¬ 
meiden,  muss  man  .erst  lernen,  und  dies  gelingt  bei  verschiedenen 
Menschen  verschieden  schwer.  Der  Wegfall  dieser  unwillkürlichen 
Muskelspannungen  durch  absichtliche  Hemmung  derselben  bedingt 
schon  beim  normalen  Menschen  gewisse  Störungen  bei  der  Prüfung 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900, 
(Fortsetzung.) 


der  Empfindung  für  passive  Bewegungen  und  Lageänderungen;  beim 
Tabiker  umsomehr,  je  mehr  diese  unwillkürlichen  Spannungen  in  Folge 
des  Verlustes  der  Function  centripetaler  Bahnen  in  Wegfall  kommen. 

Nach  Beendigung  des  Vortrages  dankt  der  Vorsitzende  Herrn 
Prof.  Hering  für  seinen  interessanten  Vortrag  und  schliosst  die 
Sitzung. 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

III.  Sitzung. 

VII.  Lorenz  (Wien) ;  Ueber  das  instrumenteile 
modellirende  Redressement  der  Kniegelenkscontrac- 
tu  re  n. 

Trotz  der  unleugbaren  Gefahren  des  unblutigen  Redressements 
der  Kniegelenkscontracturen  und  trotz  der  Berechtigung  der  blutigen 
Operation  gibt  es  doch  zahlreiche  für  die  orthopädische  Behandlnug 
geeignete  Fälle.  Der  Grund  der  Abneigung  der  Chirurgen  gegen  diese 
liegt  in  ihrer  Langwierigkeit. 

Von  den  unblutigen  Methoden  ist  das  Etappenredressement  in 
Narkose  durch  Schraube  und  Verbände  sehr  wirksam,  aber  die  Methode 
ist  mühsam  und  schmerzhaft,  und  viele  Fälle  setzen  ihr  einen  un- 
besieglichen  Widerstand  entgegen.  Das  Redressement  force  ist  erfolg¬ 
reich,  aber  wegen  seiner  Gefährlichkeit  mit  Recht  verrufen. 

Bei  der  blutigen  Operation  ist  zu  forden,  dass  1.  die  Correctur 
central,  im  Scheitel  des  Deformitätswinkels  stattfindet,  2.  dass  die 
Knochen  auf  Kosten  der  Weichtheile  absolut  geschont  werden. 

Die  extracapsularen  Methoden  erfüllen  nicht  die  erste,  die  Keil- 
resection  nicht  die  zweite  Bedingung.  Nur  die  bogenförmige  Resection 
nach  Helfer  ich  entspricht  einigermassen  diesen  Anforderungen  und 
lässt  keine  grosse  Verkürzung  zurück,  allein  das  Verfahren  ist 
äusserst  complicirt  und  mühsam. 

Jede  Contractur,  die  nur  eine  Spur  von  Beweglichkeit  im 
Knie  erkennen  lässt,  ist  unblutig  zu  behandeln,  ja  auch  solche  Con- 
tracturen,  bei  denen  scheinbar  keine  Spur  mehr  vorhanden  ist, 
sind  nicht  unbedingt  dem  Messer  verfallen. 

Lorenz  demonstrirt  nun  seinen  Apparat,  durch  welchen  eine 
knapp  um  die  hintere  Partie  des  oberen  Tibiaendes  herumgelegte  Schlinge 
in  sorgfältig  controlirter  Weise  durch  eine  grosse,  leicht  mit  der 
Hand  zu  bewegende  Schraube  allmälig  angezogen  wird. 

Unter  300  Fällen  kam  Lorenz  mit  dem  Apparat  nur  dreimal 
nicht  zum  Ziele.  Selbst  halbknöcherne  Synostosen  geben  nach.  Die 
subcutane  Tenotomie  der  Beugemuskeln  ist  nur  selten  noting.  Zeigt 
sich  während  des  versuchten  Redressements,  dass  eine  vollständige 
Ankylose  vorliegt,  so  wird  aufgehört  und  blutig  operirt.  Bei  vor¬ 
sichtigem  Gebrauche  der  Schraube  sind  Weichtheilzerreissungen 
ausgeschlossen,  ab  und  zu  wird  durch  Nachfühlen  das  Knie  controlirt. 
Die  Hauptsache  ist  langsame  Dehnung  der  Weichtheile.  Eine 
Gefahr  liegt  nur  in  der  Möglichkeit  einer  Peroneuslähmung,  die  durch 
Zerrung  zu  Stande  kommt.  Darum  muss  man  jedes  Mal  nach  ge¬ 
schehenem  Redressement  die  Functionen  des  Peroneus  prüfen. 

Als  Vortheile  des  Verfahrens  sind  hervorzuheben  die  Unmittel¬ 
barkeit  der  Wirkung,  Wegfall  des  Krankenlagers  (doch  wohl  mit  Aus¬ 
nahme  der  ersten  Tage?  Referent),  Gefahrlosigkeit  (?  Referent),  relativ 
geringe  Schmerzhaftigkeit. 

Führt  das  Verfahren  nicht  zum  Ziele,  so  soll  nach  Helferich’s 
Methode  operirt  werden. 

Von  vorneherein  unterliegen  dem  Verfahren  alle  Contract uren 
des  Kniegelenkes;  erst  während  des  versuchten  Redressements  ent¬ 
scheidet  es  sich,  ob  blutig  operirt  werden  muss. 

W.  Müller  (Aachen)  hält  es  für  durchaus  unrichtig,  die 
Contracturen  im  Kniegelenke  so  über  einen  Kamm  zu  scheeren.  Bei 
Contracturen  nach  acuten  Eiterungen  hält  er  das  Loren  z’sche  Ver¬ 
fahren  für  direct  contraindicirt,  weil  es  sehr  leicht  den  Krankheits- 
process  wieder  zum  Aufleben  bringe.  Ebenso  sei  es  bei  fistulösen, 
tuberculösen  Eiterungen  zu  verwerfen. 

Lorenz  erwidert,  dass  sein  Verfahren  ja  wesentlich  bei  ab¬ 
gelaufenen,  ausgeheilten  Processen  Anwendung  finden  solle. 

Müller  hält  dem  entgegen,  dass  man  nie  wissen  könne,  ob 
ein  Process  völlig  ausgeheilt  sei. 


107(5 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  46 


VIII.  Martin  (Köln):  Zur  chirurgischen  Behand¬ 
lung  der  idiopathischen  Speiseröhrenerweiterung. 

Mär  tin  behandelte  einen  Kranken,  der  zunächst  an  häufigen 
Schluckbeschwerden  erkrankt  war,  zu  denen  sich  im  Verlaufe  der 
Krankheit  anhaltendes  Erbrechen  der  Nahrung  und  starke  Abmagerung 
gesellten.  Bei  der  Diagnose  solcher  Erkrankungen  denkt  man,  wenn 
die  Symptome  einer  Neubildung  fehlen,  meist  zunächst  an  ein 
Divertikel;  findet  man  aber  bei  der  Sondirung  bald  freie  Passage, 
bald  Unwegsamkeit  der  Speiseröhre,  -so  lässt  dies  auf  eine  spastische 
Stenose  schliessen.  Im  vorliegenden  Falle  wurde  ein  Divertikel  ange¬ 
nommen.  Bei  der  Freilegung  des  Oesophagus  fand  sich  ein  solches 
nicht,  es  handelte  sich  vielmehr  um  eine  Dilatation  bei  spastischer 
Stenose.  Um  den  Oesophagus  ausser  Function  zu  setzen,  wurde  eine 
Magenfistel  angelegt  und  dann  eine  Sondenbehandlung  von  oben  vor¬ 
genommen.  Aber  weder  diese  noch  nach  deren  Aufgeben  die  retro¬ 
grade  Sondirung  hatten  Erfolg.  Es  wurde  deshalb  zuletzt  die 
Sondirung  ohne  Ende  nach  Hacker  versucht,  und  diese  endlich 
führte  zum  Ziele.  Patient  ist  jetzt  geheilt  und  hat  20  Pfund  zuge¬ 
nommen.  Die  Erscheinungen  von  Seiten  des  Oesophagus  sind  bis  auf 
Kleinigkeiten  verschwunden.  Der  Kranke  hatte  die  Gewohnheit,  beim 
Rauchen,  namentlich  von  Cigaretten,  den  Rauch  zu  verschlucken, 
ausserdem  war  er  Alkoholiker;  diese  beiden  Umstände  sind  der 
Grund  der  Oesophagitis  und  des  Spasmus.  Martin  glaubt,  dass 
stets  chronisch  entzündliche  Processe  die  Ursache  des  Spasmus  der 
Speiseröhre  seien,  was  auch  durch  die  Sectionsbefunde  bestätigt 
wurde. 

Die  Therapie  hat  zunächst  in  der  Sondenbebandlung  von  oben 
zu  bestehen,  in  schwereren  Fällen  muss  eine  Magenfistel  angelegt 
und  die  retrograde  Sondirung,  respective  die  Sondirung  ohne  Ende 
eingeleitet  werden. 

Dinkier  (Aachen)  wendet  sich  gegen  die  Bezeichnung  „idio¬ 
pathische  Dilatation“;  es  müsse  ein  Hinderniss  da  sein,  das  sei  der 
Spasmus  der  Cardia.  Entzündliche  Veränderungen  brauchten  nicht 
vorhanden  zu  sein,  der  Spasmus  entwickle  sich  vielmehr  auf 
nervöser  Grundlage.  In  einem  von  ihm  beobachteten  und  später 
secirten  Falle  fanden  sich  keinerlei  entzündliche  Veränderungen  an 
der  Cardia. 

Martin  möchte  daran  festhalten,  dass  in  der  Regel  entzünd¬ 
liche  Veränderungen  vorübergehend  oder  dauernd  bestehen. 

Dinkier  betont  nochmals,  dass  das  Wesen  der  Krankheit  ner¬ 
vösen  Ursprunges  sei. 

* 

IV.  Sitzung. 

Vorsitzender:  Rosenberger  (Würzburg). 

I.  Katzenstein  (Berlin) :  Zur  Frage  der  Asepsis  bei 
Operationen. 

In  der  I  s  r  a  e  fischen  Klinik  wird  zur  Erreichung  einer  möglichst 
vollkommenen  Asepsis  bei  Operationen  grosses  Gewicht  darauf  gelegt, 
jede  Berührung  der  Wunde  mit  den  Händen  zu  vermeiden.  Tupfer 
und  Verbandstoffe  werden  nur  mit  Instrumenten  zugereicht,  Sequester 
und  dergleichen  aus  der  Wundhöhle  nur  mit  Kornzange  oder  Pincette 
entfernt.  Die  Wundränder  werden  mit  den  ihre  Umgebung  schützenden 
sterilisirten  Tüchern  provisorisch  vernäht.  Ist  einmal  das  Eingehen  mit 
dem  Finger  in  die  Wunde  unerlässlich,  so  wird  er  mit  steriler  Gaze 
umwickelt. 

Krabbel  und  Müller  (Aachen)  bemerken,  dass  in  ihren 
Spitälern  dieselbe  Methode  schon  lange  geübt  weide. 

II.  Katzen  stein:  Eine  neue  Methode  der  Gelass- 
Unterbindung. 

Nach  langen  Versuchen  hat  Katzenstein  eine  Silberdraht¬ 
ligatur  erfunden,  die  Catgut  entbehilich  machen  soll.  An  der  Hand 
vorgezeigter  Instrumente  erklärt  er  seine  Methode.  Zur  Unterbindung 
dienen  kleine  Silberringe,  die  vor  der  Operation  in  einen  Scbieber- 
apparat  hineingebracht  werden.  Dieser  besteht  aus  einer  kleinen  Schiene 
zum  Festhalten  der  Ringe  und  einem  Schieber,  der  diese  in  der 
Schiene  vorschiebt,  mit  deren  Hilfe  die  Ringe  in  das  die  Unterbindung 
besorgende  Instrument  einspriugen.  Dies  letztere  ist  ein  kleiner  Pcan, 
mit  dem  man  die  Ringe  fasst,  über  das  Gefäss  schiebt  und  zukneift. 

Ein  anderes  demonstrates  Instrument  besorgt  in  analoger  Weise 
die  Unterbindung  in  der  Continuität. 

III.  Stern  (Düsseldorf):  Beitragzu  r  Behandlung  sub- 
c  u  t  a  n  e  r  Nierenrupturen. 

Stern  hatte  im  letzten  Jahre  Gelegenheit,  zwei  Fälle  sub- 
cutauer  Nierenruptur  zu  behandeln. 

In  dem  ersten  Falle  war  der  Patient  mit  grosser  Gewalt  mit 
der  Seite  auf  einen  Balken  aufgeschlagen.  Bei  der  Operation  fand  sich 
eine  enorme  circumrenale  Blutung,  nach  deren  Entfernung  in  der  Niere 
zwei  Risse,  die  bis  ins  Nierenbecken  hineinreichten.  Die  Risse  und 


die  ganze  Wundhöhle  wurden  tamponirt.  Es  erfolgte  Ileiluug  nach 
Abstossung  eines  aus  Nierengewebe  bestehenden  Sequesters. 

In  dem  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  einen  Patienten,  der 
von  einem  Sprengwagen  überfahren  worden  war.  Hier  fand  sich  eine 
völlige  Zertrümmerung  der  Niere.  Die  Niere  wurde  exstirpirt.*  Glatte 
Heilung. 

Schul  tze  (Duisburg)  beobachtete  einen  solchen  Fall,  wo  nach 
fünfwöchentlichem  aseptischem  Verlauf  plötzlich  Fieber  auftrat  und  ein 
perinephritiseber  Abscess  sich  bildete. 

Bardenheuer  (Köln)  weist  darauf  hin,  dass  subcutane 
Nierenrupturen  gar  nichts  so  Seltenes  sind.  Die  Indication  zur  Ex¬ 
stirpation  liege  in  der  Zertrümmerung  der  Niere  oder  in  peri- 
nephritischem,  jauchigen  Abscess. 

Hieran  knüpft  sich  eine  lebhafte  Discussion  über  die  Ent¬ 
schädigungsansprüche  derartig  Verletzter  und  deren  Festsetzung  in 
Procenten. 

Sch  ul  tze  (Duisburg)  und  Stern  glauben,  dass  die  Ver¬ 
letzten  in  jedem  Falle  Entschädigungsansprüche  wegen  verminderter 
Erwerbsfähigkeit  beanspruchen  können. 

Krabbel,  Müller  und  Barden  heuer  sind  entgegen¬ 
gesetzter  Meinung.  Sei  die  erhaltene  Niere  gesund,  so  seien  die  Ver¬ 
letzten  nach  ihrer  Herstellung  als  völlig  erwerbsfähig  zu  betrachten. 

IV.  Bliesener  (Köln):  Ueber  Eiterungen  am  Kiefer¬ 
gelenk. 

Eiterungen  des  Kiefergelenkes  sind  meist  fortgeleitet,  entweder 
ascendirend  vom  Unterkiefer,  seltener  vom  Oberkiefer  ausgehend,  oder 
descendirend  vom  Felsenbein  und  der  Schläfenschuppe  herstammend. 
Meist  ist  periarticuläre  Phlegmone  vorhanden.  Aber  auch  entferntere 
Entzündungsproeesse  vom  Inneren  des  Schädels  und  von  der  Schädel¬ 
basis  her  können  das  Kiefergelenk  ergreifen,  entweder  auf  dem  Wege 
director  Fortpflanzung  durch  den  Knochen  oder  nach  vorhergehender 
periarticulärer  Entzündung. 

Der  Weg,  den  die  Eiterung  nimmt,  wurde  im  letzten  Jahre  in 
der  Bardenheue  r’schen  Klinik  an  mehreren  Fällen  genau 
studirt. 

Bei  einem  29jährigen  Manne  trat  nach  Zahnextraction  linksseitige 
traumatische  Osteophlebitis  auf.  Bei  der  Operation  fand  sich  anscheinend 
nur  das  Corpus  des  Unterkiefers  ergriffen;  nach  drei  Tagen  trat 
jedoch  eine  Vereiterung  des  Gelenkes  ein.  Trotz  Resection  Tod  an 
Meningitis.  Bei  der  Section  findet  sich  zur  grossen  Ueberraschung 
auch  das  rechte  Kiefergelenk  vereitert,  trotz  Fehlens  klinischer  Er- 
8cheinungen.  Aus  dem  Operations-  und  Sectionsbefunde  Hess  sich  der 
Weg  der  Eiterung  construiren.  Durch  den  Canal,  inframaxill.,  der 
cariös  verändert  war,  hatte  sich  die  Eiterung  auf  die  Venen  zwischen 
den  M.  pterygoidei  fortgepflanzt,  dann  die  Temporal-  und  Oibital- 
venen  ergriffen,  war  dann  durch  die  den  Ramus  III  des  Trigeminus 
durch  das  Foramen  ovale  begleitende  Vene  in  den  linken  Sinus 
cavernos.  gelangt  und  hatte  von  diesem  aus  auch  den  rechten  Sin. 
cavern,  inficirt.  Es  fand  sich  eine  epidurale  Eiterung  von  dem  einen 
Foramen  ovale  bis  zum  anderen.  (Schluss  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  16.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Csokor 
stattfindenden 

Sitzuug  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Dr.  Ernst  V.  Czyhlarz:  Vorläufige  Mittheilung. 

2.  Prof.  E.  Wertheini:  Zur  Frage  der  Radiealoperation  beim 
Uteruskrebs. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Dr.  E.  P.  Pick  und  Prof. 
Englisch. 

Bergmeister,  Paltauf. 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegiura. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  19.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothenthurmstrasse  21  23 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Docenten  Dr.  Gcrsuny 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Dr.  Anton  Bum:  Zur  Diagnostik  und  Therapie  der  habituellen 
seitlichen  Rückgratsverkrümmung  vom  Standpunkte-  des 
l  praktischen  Arztes.  (Mit  Demonstrationen.) 

Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien. 

Die  nächste  Wissenschaftliche  Sitzung  findet 

Dienstag,  den  20.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Ilörsaale  der  II.  Universitäts-Frauenklinik  statt. 

Halban,  Lihotzky, 

derzeit  Schriftführer.  derzeit  Vorsitzender. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien, 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gnssenbaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift" 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
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gen  und  Geldsendungen  an 
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Redaction : 
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Verlagshandlung : 
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XIII.  Jahrgang.  Wien,  22.  November  1900. 


Nr.  47. 


HSTJK^AILT: 


I.  Or  iginalartikel :  1.  Aus  Hofrath  Prof.  I.  Neumann’s  k.  k.  Universitäts¬ 

klinik  in  Wien.  Zur  Frage  der  Identität  des  Pemphigus  neonatorum 
und  der  Impetigo  contagiosa.  Von  Dr.  Rudolf  Matzenauer, 
I.  Assistenten  der  Klinik. 

2.  Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof.  Gussen- 
bauer  in  Wien.  Ein  Fall  von  Endocarditis  gonorrhoica.  Von 
Dr.  Ludwig  Stein,  emer.  Operateur  obiger  Klinik. 

B.  Ueber  Jodoformwirkung  und  Jodoformersatz.  Von  Dr.  Alexander 
Fraenkel,  Privatdocent  für  Chirurgie  in  Wien. 

II.  Referate:  Die  Krankheit  der  warmen  Länder.  Von  Dr.  B.  Scheube. 

Untersuchungen  zur  Blutgerinnung.  Von  Dr.  Ernst  Schwalbe. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

Ref.  Schlagen  hau  fer.  —  Tagebuchblätter  aus  dem  Boeren- 
kriege  1899 — 1900.  Von  Dr.  Matthiolius.  Heerwesen  und  Feld¬ 
diensttabellen  für  den  Militärarzt  im  Felde.  Von  Dr.  Gustav 
Wolff.  Ref.  Job.  Steiner.  —  Dr.  Jessuer’s  Dermatologische 
Vorträge  für  Praktiker.  Ref.  Spiegler. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Aus  Hofrath  Prof.  I.  Neumann’s  k.  k.  Universitätsklinik 

in  Wien. 

Zur  Frage  der  Identität  des  Pemphigus  neo¬ 
natorum  und  der  Impetigo  contagiosa. 

Von  Dr.  Rudolf  Matzenauer,  I.  Assistenten  der  Klinik. 

Von  mehreren  Autoren  wurde  bereits  in  Mittheilungen 
über  Pemphigus  neonatorum  und  über  Impetigo  contagiosa 
gelegentlich  auf  die  nahen  Beziehungen,  die  zwischen  diesen 
beiden  Krankheiten  bestehen,  kurz  hingewiesen  und  die  grosse 
Aehnlichkeit  ihres  klinischen  Bildes,  gleichwie  ihrer  Verlaufs¬ 
weise  hervorgehoben. 

Die  Frage,  ob  der  Pemphigus  neonatorum  mit  der  Im¬ 
petigo  contagiosa  identificirt  werden  dürfe,  wurde  schon  von 
Knud  Faber  im  Jahre  1890  (Ueber  den  acuten  Pemphigus. 
Monatshefte  für  praktische  Dermatologie.  1890,  pag.  253)  an¬ 
geregt  und  in  bejahendem  Sinne  ausgeführt,  während  Eich- 
stedt  und  Mos  ler  sich  in  entgegengesetztem  Sinne  äussern. 

Seit  damals  ist  die  Kenntniss  dieser  Krankheiten,  sowohl 
durch  genaue  klinische  Beobachtungen,  als  auch  durch  bacterio- 
logisch-ätiologische  Studien  wesentlich  bereichert  und  gefördert 
worden,  so  dass  diese  Frage,  welche  seither  weder  nach  der 
einen,  noch  auch  nach  der  anderen  Richtung  hin  eine  ent¬ 
schiedene  Vertretung  gefunden  hat,  einer  neuerlichen 
Ueberprüfung  bedarf. 

Die  Identität,  respective  Verschiedenheit  beider  Krank¬ 
heiten  muss  sich  durch  einen  Vergleich  derselben  in  ihren 
klinischen  Charakteren  und  in  ihrem  histologiseh-bacterio- 
logischen  Befunde  erweisen  lassen. 

Die  Bezeichnung  »Impetigo«  einerseits  und  »Pemphigus« 
andererseits  möchte  scheinbar  einen  principiellen  Gegensatz 
involviren,  zumal,  wenn  man  nach  Hebr  a’s  Definition  unter 
Impetigo  Eiterblasen  versteht,  die  »ohne  vorausgegangenes 
Bläschenstadium  gleich  von  vorneherein,  also  primär,  eiterig 
in  Erscheinung  treten«.  Aber  Hebr  a  selbst  kannte  die  so¬ 


genannte  Impetigo  contagiosa  nicht,  und  es  bleibt  fraglich,  ob 
er  dieselbe  als  eine  »Impetigo«  oder  als  einen  »Pemphigus« 
bezeichnet  hätte;  für  letztere  Anschauung  führt  Weyl1)  eine 
flüchtige  Aeusserung  Hebra’s  an: 

»Interessant  ist  es,  wie  die  Beobachtung  zweier  Fälle, 
die,  wie  ich  glaube,  von  Tilbury  Fox  für  Impetigo  con¬ 
tagiosa  gehalten  worden  wären,  für  Hebr a  (Jahresbericht 
des  Wiener  Allgemeinen  Krankenhauses.  1868,  pag.  219)  ,die 
Annahme  eines  acuten  Pemphigus  hätten  gerechtfertigt4  er¬ 
scheinen  lassen.« 

T  i  1  b  u  r  y  F  o  x  (On  Impetigo  contagiosa  or  Porrigo.  Brit. 
med.  Journ.  1864,  I,  pag.  467)  hat  bekanntlich  der  Impetigo 
contagiosa  den  heute  noch  üblichen  Namen  gegeben,  um  durch 
eine  neue  Bezeichnung  nachdrücklicher  die  Selbstständigkeit 
dieses  Hautausschlages  zu  charakterisiren,  da  man  denselben 
bis  dahin  schlechthin  unter  dem  Sammelnamen  Porrigo  sub- 
sumirte,  womit  in  England  die  verschiedensten  Eruptionen, 
namentlich  des  Kopfes,  seien  sie  vesiculös,  pustulös  oder  squamös, 
bezeichnet  wurden. 

Kaposi2 *),  welcher  nach  Tilbury  Fox  am  Continent 
zuerst  die  Impetigo  contagiosa  als  selbstständige  Erkrankung 
erkannte  und  in  prägnanter  Schärfe  die  differentialdiagnostischen 
Momente  gegenüber  dem  Eczema  impetiginosum  präcisirte, 
schildert  dabei  schon  ausdrücklich  die  Eruption  von  Blasen, 
die  ursprünglich  mit  klarem  Serum  erfüllt  sind,  wenngleich 
sie  sehr  bald  eiterig  getrübt  werden  können: 

»Bei  der  Impetigo  contagiosa  entstehen  disseminirte, 
isolirte,  stecknadelkopf-  bis  linsengrosse,  mit  wasserheller 
Flüssigkeit  erfüllte  Bläschen  oder  Blasen  .  .  .  Wir  haben 
es  demnach  evident  mit  einem  Process  zu  thun,  der  wesent¬ 
lich  in  Blasenbildung  besteht  und  in  den  gewöhnlichen  Formen, 

')  Weyl,  Ziemssen’s  Handbuch  der  Hautkrankheiten.  1883,  Bd.  I, 
pag.  539. 

2)  Wiener  medicinische  Presse.  1871,  pag.  585:  Ueber  Impetigo 

(faciei)  contagiosa  und  einen  bei  derselben  gefundenen  Pilz. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


sowie  in  den  circinären  Bildungen  an  Herpes,  Herpes  circinatus 
oder  allenfalls  an  Pemphigus  erinnert.« 

Dieser  Umstand  veranlasste  Kaposi  sogar,  bei  seinem 
zuerst  beobachteten  Falle  von  Impetigo  contagiosa  die  Affection 
als  zwei  verschiedene,  gleichzeitig  bestehende  Krankheitsbilder 
aufzufassen,  so  dass  er  die  Doppeldiagnose:  Pemphigus  acutus 
und  Ekzema  faciei  impetiginosum  dabei  stellte. 

Und  Unna  (Ueber  die  Impetigo  contagiosa  [Tilbury 
Fox  nebst  Bemerkungen  über  pustulöse  und  bullöse  Haut- 
affectionen.  Archiv  für  Dermatologie  und  Syphilis.  1880, 
pag.  15)  wies  in  seinen  kritischen  Bemerkungen  über  pustu¬ 
löse  und  bullöse  Hautaffectionen  nach,  dass  die  Impetigo  con¬ 
tagiosa  »nur  recht  uneigentlich  den  Namen  Impetigo  verdient«. 
Denn  sie  erfülle  nicht  das  Desiderat  He  bra’s,  von  vorne- 
herein  mit  eiterigen  Bläschen  in  die  Erscheinung  zu  treten. 
Der  Inhalt  der  frisch  aufspriessenden,  anfangs  serös  erfüllten 
Bläschen  wird  nur  meist  sehr  rasch  eiterig  getrübt.  »Nach 
der  oben  gegebenen  Beschreibung  würde  wohl  niemand 
anstehen,  die  Affection  einen  Pemphigus  zu 
nennen,  wenn  wir  die  sichere  Ken  ntniss  eines 
contagiösen  Pemphigus  der  Erwachsenen  b  e- 
sässen,  freilich  auch  dann  noch  eines  Pemphigus  mit  be- 
merkenswerthen  Eigentümlichkeiten.« 

Unna  neigte  also  damals  der  Ansicht  zu,  dass  die 
Impetigo  contagiosa  wegen  ihres  vorwiegend  serösen  Charakters 
der  Blasen  mehr  der  Pemphigusgruppe  entspreche,  als  einer 
Impetigo  im  Sinne  Hebra’s. 

Wenn  Unna  trotzdem  den  Namen  Impetigo  beibehalten  hat 
und  heute  die  Affection  Impetigo  vulgaris  nennt,  so  beruht  dies 
darauf,  dass  Unna  seither  den  Begriff  einer  Impetigo  neu  for- 
mirt  hat:  er  begreift  jetzt  damit  alle  »infectiösen,  in- 
oculablen,  feuchten  Hautkatarrhe,  welche  —  so  weit  bis¬ 
her  nachweisbar  —  durch  Eindringen  eines  Mikroorga¬ 
nismus  von  aussen  unter  die  Hornschichte  erzeugt 
werden,  und  deren  Exanthem  lediglich  aus  zerstreuten  oder 
gruppirten  Bläschen  und  Blasen  besteht,  die  zu  Krusten  eintrocknen, 
keine  Narben  hinterlassen  und  zu  keinen  diffus  sich 
ausbreitenden  Oberhauterkrankungen  Anlass  geben.« 

Dadurch,  dass  die  Impetigoblasen  bald  einen  rein  serösen, 
bald  einen  mehr  eiterig  getrübten  Inhalt  zeigen,  kann  der 
erste  Anblick  dieses  Blasenausschlages,  zumal  wenn  bei  Kindern 
die  Blasen  zerstreut  am  ganzen  Körper  sich  finden,  nicht  nur 
an  Pemphigus,  sondern  oft  auch  an  Varicellen  erinnern.  Be¬ 
sonders  charakteristisch  sind  in  dieser  Beziehung  die  Schilde¬ 
rungen  und  Berichte  von  jenen  Impfärzten  und  Kreisphysikern, 
welche  zur  Zeit,  als  die  Impetigo  contagiosa  in  einzelnen  Be¬ 
zirken  Deutschlands  im  Anschluss  an  die  regelmässigen 
Impfungen  oft  epidemisch  auftrat,  noch  keine  Kenntniss  von 
derselben  hatten. 

»Sie  melden  von  einem  im  Anschluss  an  die  Impfung 
aufgetretenen  Hautausschlag,  den  sie  theils  als  Pemphigus, 
theils  als  über  den  ganzen  Körper  zerstreute  Pocken  oder  als 
Varicellen,  theils  als  hartnäckiges  impetiginöses  Ekzem  be¬ 
zeichnen.  Besonders  hervorgehoben  wird  auch,  dass  er  gerne 
Individuen  mit  zarter,  feiner  Haut  befällt,  und  bei  diesen 
leichter  eine  universelle  Ausbreitung  gewinnt,  ohne  jedoch  im 
Mindesten  das  Allgemeinbefinden  zu  beeinträchtigen.«  (Ver¬ 
öffentlichungen  des  kaiserlichen  Gesundheitsamtes.  1885, 
pag.  272  und  316,  und  1886,  pag.  5  und  36.  Ferner:  Ergeb¬ 
nisse  des  Impfgeschäftes  im  Deutschen  Reiche  für  das  Jahr 
1885.  Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte.  1889, 
V,  I,  pag.  105.) 

Offen  spricht  E.  Pontoppidan  (Vierteljahrsschrift 
für  Dermatologie  und  Syphilis.  1885,  pag.  275)  aus,  dass  die 
Impetigo  contagiosa  Tilbury  Fox  »ganz  entschieden  keine 
Impetigo  ist,  sondern  ein  ausgesprochener  Pemphigus  mit 
acutem  Verlauf  und  evidenter  Contagiosität«,  weshalb  er  die¬ 
selbe  auch  direct  als  »Pemphigus  acutus  contagiosus  adultorum« 
benennt. 

P  o  n  t  o  p  p  i  d  a  n’s  Beispiel  folgte  Knud  Faber  (1.  c.), 
indem  er  die  Impetigo  contagiosa  als  »acuten  contagiösen 
Pemphigus«  bezeichnet. 


Bei  der  Impetigo  contagiosa  treten  demnach  durchaus 
nicht,  wie  der  Name  Impetigo  vermuthen  lassen  sollte,  von 
vorneherein  durchwegs  eiterig  getrübte  Bläschen,  Pusteln  und 
kleine  Oberhautabscesse  auf,  sondern  analog  wie  beim  Pem¬ 
phigus  neonatorum  oder  dem  Pemphigus  der  Erwachsenen 
entweder  mit  klarem  Serum  erfüllte  oder  leicht  milchig  ge¬ 
trübte  Blasen,  und  zwar  ganz  unregelmässig  zerstreut,  auf 
sonst  normaler  Haut. 

Die  Impetigoblasen  unterscheiden  sich  schon  durch  ihre 
Grösse  von  den  miliaren  Bläschen  und  Pusteln  eines  Ekzema  im¬ 
petiginosum,  bei  welchem  dieselben  überdies  immer  inmitten  diffus 
gerötheter  und  entzündlich  infiltrirter  Haut  sich  allmälig  entwickeln. 

Für  Impetigo  contagiosa  sowohl,  wie  für  Pemphigus 
neonatorum  gleich  charakteristisch  ist  also  das  plötzliche  Auf¬ 
schiessen  seröser  oder  serös  eiteriger  Blasen  auf  schein  bai- 
normaler  Haut;  die  Blaseneruptionen  erfolgen  ohne  Störungen 
des  Allgemeinbefindens,  ohne  Fieber  und  ohne  namhaftes 
Jucken  zu  verursachen. 

Die  Blasendecke  ist  bei  beiden  Affectionen  ungemein 
zart  und  hinfällig,  so  dass  sie  oft  schon  bei  blossem  Darüber¬ 
streichen  mit  dem  Finger,  noch  mehr  beim  Reiben  mit  den 
Kleidern  oder  behufs  Reinigung  zur  bacteriologischen  Unter¬ 
suchung  platzt,  und  die  einzelnen  Blasen  kaum  länger  als 
ein  bis  zwei  Tage  bestehen. 

An  Stellen  mit  weicher  geschmeidiger  Haut,  die  zugleich 
gegen  Druck  oder  Aufreibung  geschützt  sind,  wie  in  den  Ge¬ 
lenksbeugen  oder  an  der  unteren  Bauchwand,  erreichen  die 
Blasen  manchmal  grössere  Dimensionen,  Bohnen-  bis  Hasel¬ 
nussgrösse,  wobei  sie  jedoch  meist  nicht  mehr  prall  gespannt 
sind  (wie  bei  Pemphigus  der  Erwachsenen  oder  Erythema 
multiforme  exsudativum),  sondern  sack-  oder  beutelförmig 
herabhängen  und  nur  in  der  unteren  Hälfte  mit  dünner, 
milchig-trüber  Flüssigkeit  erfüllt  sind.  Wenn  auch  der  anfangs 
wasserhelle  Blaseninhalt  früher  oder  später  eiterig  getrübt 
wird,  bleibt  er  doch  stets  dünnflüssig,  so  dass 
nicht  wie  bei  einer  Folliculitis  oder  einem  Furunkel 
dicker,  grauweisser  Eiter  entsteht.  Nie  kommt  es  zur  Bildung 
des  rahmigdicken  »Pus  bonum  et  laudabile«.  Dazu  ist  die 
seröse  Exsudation  zu  reichlich,  der  Gehalt  an  Leukocyten 
zu  gering  und  der  Sitz  der  Blasenbildung  zu  oberflächlich. 

Denn  die  Blase  sitzt  zwischen  Stratum  Malpighi i  und  der 
Horn  schichte,  so  dass  nur  von  der  letzteren 
allein  die  Bl  as  end  ecke  gebildet  wird,  während 
das  ganze  übrige  Rete  unterhalb  der  Blase  verbleibt. 

Dieser  höchst  oberflächliche  Sitz  der  Blasenbildung  be¬ 
dingt  die  grosse  Hinfälligkeit  der  Blasen.  Wenn  dieselben  ge¬ 
platzt  sind,  liegt  eine  nässende,  glänzend  rothe  Fläche  vor, 
aber  kein  Geschwür  oder  auch  nur  SubstanzvTerlust,  weil  ja 
am  Grunde  der  Blase  noch  das  Rete  Malpighii  liegt,  von  dem 
blos  die  Hornschichte  exfoliirt  ist.  Aus  dem  gleichen  Grunde 
erfolgt  sodann  sehr  rasch  vollständige  Restitutio  ad  integrum, 
doch  bleibt  nach  Abheilung  der  Efflorescenzen  häufig  ein  zwar 
vollständig  überhäuteter,  aber  noch  einige  Zeit  livid  verfärbter, 
nicht  schuppender  Fleck  zurück  (analog  wie  nach  abgeheilten 
Pemphigusblasen). 

Ein  sehr  auffälliges  und  im  klinischen  Bilde  der  Impetigo 
contagiosa  prädominirendes  Symptom  ist  die  Krustenbildung, 
die  beim  Pemphigus  neonatorum  in  den  meisten  Fällen  ent¬ 
weder  vollständig  fehlt  oder  doch  nur  in  abortiver  Weise  an¬ 
gedeutet  ist.  Zugleich  ist  die  Art  der  Krustenbildung  »so  ab¬ 
solut  charakteristisch,  dass  man  aus  einem  einzigen  Fleck  von 
Impetigo  contagiosa  die  Diagnose  stellen  kann.«  (T.  Fox.) 

Die  disseminirten  und  isolirt  stehenden  Blasen  der  Im¬ 
petigo  contagiosa  rupturiren  meist  nach  ein  bis  zwei  Tagen  ihres 
Bestandes,  das  aussickernde  Serum  vertrocknet  rasch  zu  honig- 
oder  gummiartigen,  stroh-  oder  goldgelben  Borken  von  der 
Grösse  der  früheren  Blasen;  die  Borkenauflagerungen  sind 
scharf  gegen  die  umgebende  normale  Haut  abgemarkt;  bei 
Confluenz  mehrerer  Efflorescenzen  verläuft  ihre  Begrenzung 
in  kleinen  Bogensegmenten,  so  dass  man  an  dem  polycyklischen 
Contour  einer  grösseren  Krustenauflagerung  noch  die  Zu¬ 
sammensetzung  aus  den  einzelnen  scheibenförmigen  Borken 
der  jeweiligen  ineinander  gerückten  Blasen  erkennt. 


1079 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Beim  Ekzem  sind  die  Borken  ganz  unregelmässig  configurirt, 
flachen  sich  am  Rand  gegen  die  entzündete,  mit  Knötchen,  Bläschen 
oder  Pusteln  besetzte,  umgebende  Haut  ab.  Der  Hauptherd  des 
Ekzems  ist  nicht  scharf  begrenzt. 

Schreitet  die  Blasenabhebung  am  Rande  der  ursprüng¬ 
lich  ergriffenen,  bereits  mit  Krusten  bedeckten  Stelle  weiter 
und  fallen  endlich  die  ältesten  Krustenlagen  in  der  Mitte  aus, 
so  umschliessen  ringförmige  Bänder  von  Krusten  mit  ihrem 
peripheren  Blasensaum  einen  centralen,  meist  noch  lividen 
Fleck:  Impetigo  contagiosa  circinata. 

In  einer  Monographie  über  Impetigo  contagiosa  habe 
ich1)  näher  ausgeführt,  dass  das  Weiterschreiten  einzelner 
Impetigoflecken  in  Bogenlinien,  Kreissegmenten  oder  in  Ring¬ 
form  zum  charakteristischen,  typischen  Bilde  der  Impetigo 
contagiosa  gehört,  und  dass  es  demnach  nicht  gerechtfertigt 
wäre,  liiefür  eine  eigene  selbstständige  Impetigo  circinata 
(Unna)  aufzustellen. 

Unna4)  trennt  bekanntlich  die  »ungemein  viel  häufigere 
Impetigo  vulgaris  (sive  contag.)  von  der  selteneren  Impetigo  cir¬ 
cinata«. 

Die  Impetigo  contagiosa  wird  hauptsächlich  bei 
jüngeren  Kindern,  und  hei  diesen  häufig  in  mehr  oder 
minder  starker  epidemischer  Ausbreitung,  viel  seltener 
und  in  spärlicherer  Verbreitung  hei  Erwach¬ 
senen  (mit  zarter,  weicher  Flaut)  beobachtet;  und  hei 
diesen  pflegt  sie  relativ  häufiger  circinäre 
Formen  anzunelimen. 

Der  Pemphigus  neonatorum  tritt  bekanntlich  nicht  blos 
hei  Neugeborenen  und  Säuglingen  auf,  sondern  ist  »auch  bei 
Kindern  bis  zu  vier  Jahren  keine  Seltenheit«  (Ziemssen’s 
Handbuch  der  Hautkrankheiten.  1883,  pag.  537),  ja  er  befällt 
aber  auch  ältere  Kinder  und  Erwachsene  bisweilen,  die  Mütter 
oder  —  wie  dies  wiederholt  in  Findelanstalten  und  Kinder¬ 
kliniken  beobachtet  wurde  —  die  Hebammen  und  Wärterinnen. 
Und  bei  diesen  pflegen  häufig  die  isolirt  aufgeschossenen 
Blasen,  nachdem  sie  in  der  Mitte  geplatzt  sind,  um  zu  gelb- 
bräunlichen  Krusten  zu  vertrocknen,  peripher  mit  einem  ring- 
oder  sichelförmig  sich  weiterwühlenden  Blasenwall  fortzu¬ 
schreiten  und  dadurch  circinäre,  central  mit  Krusten  bedeckte, 
peripher  mit  einem  zarten  Blasensaum  begrenzte  scheiben¬ 
förmige  Herde  zu  formiren. 

Derartige  Beobachtungen  führt  Wey  1  (Ziemssen’s  Hand¬ 
buch  der  Hautkrankheiten.  1883,  I,  pag.  539)  an: 

»Der  ansteckenden  Eigenschaft  dieses  Pemphigus  (neo¬ 
natorum)  entspricht  es,  dass  er  nicht  blos  Säuglinge  und  kleine 
Kinder,  sondern  auch  Erwachsene,  die  mit  den  afficirten 
Kindern  z.  B.  beim  Waschen,  Ankleiden  u.  s.  w.  in  Berührung 
kommen,  nicht  unverschont  lässt,  wenn  auch  in  diesen  Fällen 
sein  Einfluss  auf  das  Allgemeinbefinden  kein  bedeutender  ist 
und  schädliche  Folgen  bisher  nicht  beobachtet  worden  sind. 
Bei  älteren  Kindern  und  Erwachsenen  können  solche  mit  mehr 
oder  minder  prallen  Blasen  beginnende,  jedoch  bald  zu  Krusten 
eintrocknende  Proruptionen,  zumal  wenn  sie  sich  auf  Kopf 
und  Gesicht  beschränken,  das  klinische  Bild  der  so¬ 
genannten  contagiösen  Impetigo  her  vor  bringen, 
und  es  ist  wohl  nicht  zweifelhaft,  dass  eine  An¬ 
zahl  von  Impetigo  contagiosa  nur  Fälle  von 
beschränkt  gebliebenem  contagiösem  Pem¬ 
phigus  sind.« 

Die  gleiche  Erscheinung  hebt  Hutchinson  (Epidemics 
of  contagious  porrigo  in  infants.  Arch,  of  surgery.  1892, 
Vol.  Ill,  pag.  215)  hervor,  die  er  gelegentlich  einer  grösseren 
Epidemie  von  »Pemphigus  infantilis«  im  St.  Pancras  Board 
of  Guardian  im  Mai  1890  mehrfach  beobachtete:  »Obwohl  bei 
jungen  Kindern  so  ausgesprochen  bullös,  um  die  Bezeichnung 
Pemphigus  zu  suggeriren,  war  es  nicht  so,  wenn 

3)  M  a  tzenauer,  Impetigo  contagiosa.  Monographie.  Wien  19c  0. 
Festschrift  für  Hofratli  I.  Neumann.  —  Ueber  Impetigo  contagiosa  cir¬ 
cinata.  Verhandlungen  der  Gesellschaft  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte. 
71.  Versammlung  zu  München.  II.  Theil,  pag.  413. 

4)  Unna,  Histopathologie  der  Hautkrankheiten.  1894,  pag.  189.  — 

Histologischer  Atlas  zur  Pathologie  der  Haut.  1899,  Heft  3.  —  Unna 

und  Frau  Dr.  Schwenter-Trachsler,  Monatshefte  für  praktische 
Dermatologie.  1899. 


es  die  Mütter  befiel.  Bei  den  letzteren  nahm  es 
mehr  die  Gestalt  von  Porrigo  (=  Impetigo  contagiosa) 
oder  eines  impetiginösen  Ekzems  an.« 

Gerade  diese  Beobachtung  war  es  eben  auch,  welche 
Hutchinson  veranlasste,  diesen  epidemischen  Blasenaus¬ 
schlag  als  eine  Epidemie  von  Impetigo  contagiosa  (»contagious 
porrigo«)  und  nicht  als  eine  Epidemie  von  Pemphigus  neo¬ 
natorum  aufzufassen,  wie  sie  allgemein  von  den  Anstaltsärzten 
bezeichnet  wurde. 

»Von  den  Anstaltsärzten  wurde  angegeben,  dass  alle  Kinder, 
die  innerhalb  der  letzten  Monate  geboren  wurden,  mehr  weniger 
daran  gelitten  haben  und  dass  die  Affection  oft  schon  innerhalb 
der  allerersten  Tage  nach  der  Geburt  begann,  manchmal  schob  es 
sich  bis  zur  dritten  Woche  hinaus.  Dabei  niemals  I  emperatur- 
steigerung,  keine  Mortalität,  noch  war  irgend  ein  Kind  ernstlich 
krank.  Gewöhnlich  schwand  die  Eruption  nach  zwei  bis  drei  Wochen 
unter  einfacher  Behandlung. 

Der  Blasencharakter  der  Eruption  war  so  deutlich  ausge¬ 
sprochen,  dass  der  Name  Pemphigus  für  alle  im  Hausregister 
gebraucht  wurde. 

Erwachsene  litten  nicht  daran,  mit  Ausnahme  von  einigen 
Müttern. 

Im  Jahre  1890  hat  übrigens  Miss  Twining  im  Nursing- 
Journal  eine  Epidemie  derselben  Affection  unter  dem  Namen 
Pemphigus  neonatorum  mitgetheilt,  die  sie  in  den  benachbarten 
Privatwohnungen  beobachtet  hatte.« 

Offen  für  die  Identität  des  Pemphigus  neonatorum  und 
der  Impetigo  contagiosa  bekennt  sich  Bahr  (Ein  Beitrag  zum 
Zusammenhang  zwischen  Pemphigus  neonatorum  und  Impetigo 
contagiosa.  Zeitschrift  für  Medicinalbeamte.  1896,  pag.  248). 

»Drei  Fälle  aber,  in  welchen  die  Krankheit  von  den  Neu¬ 
geborenen  auf  andere  Familienmitglieder  übertragen  wurde, 
möchte  ich  ausführlicher  beschreiben,  weil  hier  bei  den 
älteren  Kindern  und  Erwachsenen  das  getreue 
klinische  Bild  der  Impetigo  contagiosa  zur  Beobachtung 
kam.« 

1.  Von  einem  14  Tage  alten  Kinde  ging  die  Affection  auf 
Mutter,  Vater  und  vier  Geschwister  im  Alter  von  5 — 13  Jahren 
über;  der  Vater  erkrankte  zuletzt:  es  traten  auch  bei  ihm  Bläschen 
und  später  die  Borken  im  Gesichte  auf,  und  zwar  nur  an  drei 
Stellen,  von  denen  jede  die  Grösse  eines  Fünfpfennigstückes  hatte. 
Nach  14  Tagen  waren  die  Schorfe  abgefallen. 

2.  Von  einem  14  Tage  alten  Kinde  bekam  die  Mutter  drei 
Tage  nach  der  Erkrankung  desselben  Bläschen  an  der  Unterlippe 
und  am  Kinn,  die  zu  dicken,  gummiartigen  Borken  eintrocknelen. 

3.  Von  B  a  h  r’s  eigenem  sieben  Tage  alten  Töchterchen 
bekam  zuerst  die  Mutter  an  der  Unterlippe  die  Efflorescenzen,  dann 
zwei  Kinder  im  Alter  von  23/4  und  l3/. i  Jahren  gleichfalls  an 
Kinn  und  Unterlippe,  zuletzt  Bahr  selbst  am  Halse. 

»Das  klinische  Bild  aller  dieser  durch 
Ueber  trag  ung  von  Pemphigus  neonatorum  aut 
ältere  Kinder  und  Erwachsene  entstandenen 
Proruptionen  deckte  sich  vollkommen  mit  dem 
der  Impetigo  contagiosa.« 

Besonders  beweiskräftig  und  geradezu  schlagend  sind  die 
Beobachtungen  Knud  Faber’s  in  der  Enthindungs-  und 
Pflegeanstalt  in  Kopenhagen  1889,  wo  der  Pemphigus  neona- 
natorum  seit  einer  Reihe  von  Jahren  endemisch  war. 

Nachdem  im  Laufe  einiger  Monate  ein  paar  sporadische  Zu¬ 
fälle  zu  Tage  getreten  waren,  wurden  in  den  Tagen  vom  15.  bis 
17.  November  1889  drei  nebeneinander  liegende  Kinder  ergriffen.  .  . 
Es  wurde  festgestellt,  dass  die  Mutter  des  zuerst  ergriffenen  Kindes 
den  12.  November,  also  drei  Tage  vor  der  Erkrankung  des  Kindes, 
Ausschlag  auf  einer  Wange  bekommen  hatte.  Den  19.  November 
zeigte  es  sich,  dass  derselbe  in  zwei  bis  drei  graulichen  Impetigo¬ 
krusten  ...  bestand.  Einige  sassen,  als  ob  sie  einen  1  heil  eines 
Ringes  bildeten,  der  jedoch  nicht  deutlich  hervortiat.  Im  Faule 
einer  Woche  fielen  die  Krusten  ab,  ohne  eine  andere  Spur  als 
eine  leichte  Rosafarbe  auf  der  Haut  zu  hinterlassen.  Ausser  ihrem 
eigenen  Kinde  hatte  sie  auch  das  zweite,  ebenfalls  zuerst  auf  dem 
Kinn  angegriffene  kurz  vor  dessen  Erkrankung  gesäugt,  und  das 
dritte  lag  im  Bette  nebenan.  Es  lag  daher  ein  Grund  vor,  einen 
Zusammenhang  zwischen  der  Krankheit  der  Mutter  und  dei  Kindei 


} . 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


zu  vermuthen;  dies  wurde  noch  einleuchtender,  als  das  zweite 
Kind,  nachdem  es  zu  seiner  eigenen  Mutter  gekommen  war,  bei 
dieser  eine  ähnliche  Affection  hervorrief. 

Am  21.  November  merkte  die  Mutter  nämlich  an  dem 
untersten  Theile  ihrer  Wange  einen  kleinen  rothen  Fleck,  aus  dem 
sich  sehr  rasch  eine  Bulla  bildete,  die  aufging  und  eine  leicht 
gelbliche  Kruste  etwa  von  der  Grösse  eines  Pfennigstückes  hinter- 
liess  etc.  etc. 

Bei  den  Erwachsenen  hatte  demnach  der  Pemphigus 
neonatorum  »vollständig  das  Aussehen  und  den  Verlauf  der 
unter  dem  Namen  Impetigo  contagiosa  beschriebenen  Krank¬ 
heit  angenommen.  Dass  die  Krankheit  dieselbe  ist,  wie  die  der 
Kinder,  lässt  sich  nicht  leugnen,  dazu  war  die  unmittelbare 
Uebertragung  (durch  Küssen)  von  der  Mutter  auf  die  Kinder 
und  von  diesen  auf  die  andere  Mutter  allzu  auffällig«. 

Faber  selbst  zieht  folglich  daraus  den  Schluss,  dass 
—  nenne  man  die  Krankheit  nun  Pemphigus  neonatorum  oder 
Impetigo  contagiosa  —  es  sich  immer  nur  um  eine  Krankheit 
drehe  und  schlägt  den  gemeinschaftlich  zusammenfassenden 
Namen  »Pemphigus  contagiosus«  vor. 

Der  Pemphigus  neonatorum  pflegt  mithin,  wenn  er  aus¬ 
nahmsweise  Erwachsene  betrifft,  häufig  Formen  anzunehmen, 
welche  den  Erscheinungen  der  Impetigo  contagiosa  völlig 
gleichen.  Wenn  solche  gyrirte  und  circinäre  Formen  nachweis¬ 
bar  bei  Personen  auftreten,  welche  mit  pemphiguskranken 
Kindern  in  Contact  gekommen  sind,  wie  beim  Wartepersonale 
in  Kinderabtheil  ungen,  so  ist  durch  diese  Confrontation  der 
genetische  Zusammenhang,  respective  die  ätiologische  Identität 
des  Blasenausschlages  bei  Kind  und  Pflegerin  sichergestellt. 
Wenn  aber  ein  solcher  Zusammenhang  nicht  zu  erbringen  ist, 
anamnestische  Daten  fehlen  —  und  wir  sind  ja  in  der  Der¬ 
matologie  im  Allgemeinen  gewohnt,  jede  Diagnose  ohne 
Anamnese  zu  stellen  — ,  so  wird  bei  einem  Blasenausschlag 
mit  den  gleichen  circinirten  und  gyrirten  Formen  sich  schwer¬ 
lich  Jemand  zu  der  Diagnose  »Pemphigus  neonatorum  bei 
einem  Erwachsenen«  entschliessen  können,  sondern  die  Affection 
für  Impetigo  contag.  circinata  bezeichnen. 

Wäfl  rend  also  bei  Neugeborenen  die  Blasen 
in  der  Regel  ohne  namhafteKrustenbildung  zur 
Abheilung  kommen,  stellt  sich  bei  älteren 
Kindern  und  Erwachsenen,  auf  welche  nach¬ 
weislich  der  Blasenausschlag  von  Neugeborenen 
über  gegangen  ist,  die  der  Impetigo  contagiosa 
eigenartige  Krustenbildung  ein,  indem  das  aus¬ 
sickernde  Serum  der  spontan  rupturirten  Blasen  rasch  zu 
den  charakteristischen  honiggelben  Borken  gerinnt,  die  auf 
der  sonst  normalen  Haut  wie  hingespritzt  erscheinen.  Die 
rasche  Gerinnungsfähigkeit  des  ausgeschiedenen  Serums, 
die  Krustenbildung,  welche  scheinbar  ein  Unterscheidungs¬ 
merkmal  zwischen  Pemphigus  neonatorum  und  Impetigo  con¬ 
tagiosa  abgeben  könnte,  wird  dadurch  zum  Wiedererkennungs¬ 
zeichen:  in  gleicher  Weise  wie  sonst  bei  Impetigo  con¬ 
tagiosa  tritt  der  Ausschlag  theils  in  zerstreuten,  isolirt  stehenden 
Blasen  oder  Krustenplaques  auf,  theils  in  seinen  charakteristi¬ 
schen  circinären  Formen. 

Schon  Knud  Faber  hat  in  seiner  bereits  mehrfach 
citirten  Arbeit  ausgeführt,  dass  die  Krustenbildung  nicht  in 
allen  Fällen  von  Pemphigus  neonatorum  mangelt;  sie  bleibt 
in  der  Regel  aus  bei  den  Neugeborenen  und  ganz 
jungen  Kindern,  ist  dagegen  bei  etwas  älteren 
(mehrere  Monate  alten)  Kindern  häufig  mehr 
weniger  ausgeprägt.  Moldenhauer  (Ein  Beitrag  zur 
Lehre  vom  Pemphigus  acutus.  Archiv  für  Gynäkologie.  1874, 
Bd.  VI)  erwähnt  von  der  Epidemie  in  Leipzig  1872/1873  nur, 
dass  manche  Blasen  »zu  einem  recht  dicken  Schorf  ver¬ 
trockneten«.  H  e  r  v  i  e  u  x  (L’union  medicale  1868,  pag.  374)  führt 
an,  dass  »in  einer  Minderzahl  von  Fällen  die  ihrer  Epidermis  be¬ 
raubte  Haut  eine  Flüssigkeit  ausscheidet,  die  versehorft,«  und 
hebt  bei  einem  acht  Monate  alten  Kinde  noch  besonders  hervor, 
»dass  sich  bei  demselben  am  Kopf  20 — 30  Krusten  vom  Durch¬ 
messer  von  etwa  einem  50  Centimes-Stück  befanden,  die  sich 
nach  Blasen  gebildet  hatten«.  In  den  von  Faber  beob¬ 
achteten  Fällen  hatte  gleichfalls  nur  das  älteste,  2  V2  Monate 


alte  Kind  Krustenbildung.  Nach  Weyl  (1.  c.)  »können  bei 
älteren  Kindern  solche  mit  mehr  minder  prallen  Blasen  be¬ 
ginnende  Proruptionen  zu  Krusten  eintrocknen«.  Bahr  (1.  c.) 
beobachtete,  dass  der  Blasenausschlag  von  seinem  eigenen, 
sieben  Tage  alten  Kinde  auf  seine  zwei  älteren,  l3/4  respective 
23/4  Jahre  alten  Kindern  übertragen  wurde,  die  an  Kinn-  und 
Unterlippe  Impetigoblasen  und  Krusten  zeigten. 

Selbst  circinäre  Formen  sieht  man  ab  und  zu,  wenn¬ 
gleich  selten,  den  Pemphigus  neonatorum  bei  Säuglingen  an¬ 
nehmen.  So  wurde  auf  unsere  Klinik  im  April  1899  von  derk.  k. 
niederösterreichischen  Landes-Findelanstalt  ein  sieben  Wochen 
altes  Kind  mit  »Pemphigus  neonatorum«  behufs  Demonstration 
beim  klinischen  Unterricht  gebracht,  welches  zerstreut  am 
ganzen  Körper,  namentlich  an  der  Beugeseite  der  Oberschenkel, 
an  Bauch,  Rücken  und  Kopf  hanfkorn-  bis  über  bohnen¬ 
grosse  Blasen  zeigte,  von  denen  die  kleineren  zum  Theil  mit 
klarem  Serum,  die  grösseren  beutelförmig  herabhängenden, 
meist  mit  gelblich  durchschimmerndem  dünn-eiterigem  Secret  er¬ 
füllt  waren.  Dazwischen  fanden  sich  vielfach  schmutzig-graue 
Flecke,  entsprechend  einer  früher  abgehobenen  und  später 
wieder  an  die  Unterlage  angelötheten  Blasendecke.  In  der 
Mitte  der  oberen  Brustfläche  bestand  ein  etwa  kindsflach¬ 
handgrosser,  scheibenförmiger  Plaque,  dessen  Centrum  von 
einer  lividrothen,  nicht  schuppenden,  thalergrossen  Hautpartie 
eingenommen  war,  umgeben  von  einem  x/2 — lern  breiten  ring¬ 
förmigen  Band  gelber,  flacher,  bröckliger  Krusten,  und  dessen 
äusserer  Rand  mit  einem  concentrischen,  zarten,  trüb-eiterig  er¬ 
füllten  Blasenwall  umsäumt  war.  Die  angrenzende  Haut  ohne 
auffallende  entzündliche  Röthung.  Mit  Rücksicht  auf  diese 
ringförmigen,  peripher  mit  einem  schmalen  Blasensaum  sich 
vergrössernden  Krustenauflagerungen  stellte  Herr  Hofrath 
I.  Neumann  diesen  Fall  in  seiner  klinischen 
Vorlesung  nicht  als  Pemphigus  neonatorum, 
sondern  als  Impetigo  contagiosa,  und  zwar 
circinata  vor. 

Wir  achten  nun  mehr  als  früher  auf  Krustenbildung, 
speciell  auf  circinäre  Formen  beim  Pemphigus  der  Neugeborenen, 
und  haben  seither,  Dank  dem  Entgegenkommen  der  Aerzte  der 
niederösterreichischen  Landes-Findelanstalt,  wiederholt  derartige 
Formen  in  mehr  minder  schöner  Ausbildung  gesehen,  und 
zwar  entsprechend  Knud  Faber’s  Angabe  zumeist  bei 
schon  älteren  Kindern. 

Der  Uebergang  des  contagiösen  Pemphigus  der  Neu¬ 
geborenen  auf  ältere  Kinder  und  Erwachsene  wurde  also  wieder¬ 
holt  beobachtet,  und  bei  diesen  pflegt  nach  der  überein¬ 
stimmenden  Beobachtung  der  verschiedenen  Autoren  der 
Blasenausschlag  das  »getreue  Bild  der  Impetigo  contagiosa 
anzunehmen«. 

Andererseits  ist  die  Impetigo  contagiosa  gleichfalls 
ein  Blasenausschlag,  der  hauptsächlich  Kinder  betrifft  und 
bei  diesen  oft  epidemisch  auftritt;  seltener  sieht  man  die 
Affection  bei  Erwachsenen,  und  bei  diesen  relativ  häufig  in 
circinären  Formen,  die  vollständig  jenen  gleichen,  wie  sie 
gelegentlich  beobachtet  werden,  wenn  der  Pemphigus  neona¬ 
torum  auf  Erwachsene  übertragen  wird,  oder  wie  sie  aus¬ 
nahmsweise  auch  bei  etwas  älteren  Säuglingen  zur  Beobachtung 
kommen. 

An  unserer  Klinik  konnte  zuerst  im  August  1898  der 
umgekehrte  Uebertragungsmodus  und  zugleich  die  Umwandlung 
des  Aspectes  einer  Impetigo  contagiosa  bei  einem  Erwachsenen 
in  Pemphigus  bei  einem  Neugeborenen,  in  allen  Entwicklungs¬ 
stadien  genau  verfolgt  worden. 

K.  Faber,  der  über  ein  ähnliches  Vorkommniss  be¬ 
richtet,  hat  diesen  Uebergang  nicht  selbst  beobachtet,  sondern 
erwähnt  nur:  »Bezüglich  des  Ursprunges  der  Krankheit  wurde 
festgestellt,  dass  die  Mutter  des  zuerst  ergriffenen  Kindes 
drei  Tage  vor  der  Erkrankung  des  Kindes  Ausschlag  auf  einer 
Wange  bekommen  hatte.« 

Da  ich  über  diesen  Fall  des  Näheren  bereits  in  meiner 
Arbeit  über  Impetigo  contagiosa  berichtet  habe,  möchte  ich 
hier  nur  kurz  resumiren,  dass  von  einer  Frau  mit  universell 
ausgebreiteter  Impetigo  contagiosa  circinata  der  Ausschlag  auf 
ihr  Kind,  einen  kräftigen  gesunden  Knaben,  den  sie  selbst  an 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1081 


ihrer  impetiginösen  Brust  säugte,  überging.  »Bei  dem  Kind 
trat  der  Ausschlag  drei  Tage  nach  der  Geburt  zuerst 
und  hauptsächlich  am  Gesicht  und  Kopf  auf, 
das  ist  an  jen  en  Theilen,  welche  mit  der  Mutter¬ 
brust  in  Berührung  kamen;  zwei  Tage  später  fanden 
sich  schon  erbsen-  bis  bohnengrosse  isolirte  Blasen  zerstreut 
auch  am  übrigen  Körper,  namentlich  an  Brust,  Bauch,  Ober¬ 
schenkel  und  ums  Handgelenk.  Wer  immer  das  Kind  zu 
jener  Zeit  sah,  musste  die  Diagnose  auf  Pem¬ 
phigus  neonatorum  stellen.« 

Ich  habe  über  diesen  Blasen ausschlag  des  Kindes,  welches 
wir  an  unserer  Klinik  sammt  der  Mutter  längere  Zeit  zur 
Beobachtung  behielten,  um  abzuwarten,  ob  nicht  beim  Kind  sich 
derselbe  Ausschlag  entwickeln  werde  wie  bei  der  Mutter,  das 
Gutachten  verschiedener  Fachcollegen,  Kinderärzte,  Gynäko¬ 
logen  uud  Dermatologen  eingeholt:  Alle  übereinstimmend  be- 
zeichneten  den  Blasenausschlag  des  Kindes  als  Pemphigus 
neonatorum,  ebenso  mein  Chef,  Hofrath  Prof.  Neumann.  Im 
Verlaufe  der  folgenden  Wochen  aber  entwickelten  sich  aus 
einer  Reihe  von  Pemphigusblasen,  namentlich  am  Kopfe,  die¬ 
selben  eircinären  Formen  der  Impetigo  contagiosa,  wie  sie  in 
gleicher  Weise  bei  der  Mutter  bestanden  (vgl.  die  Abbildungen 
von  Mutter  und  Kind  in  oben  citirter  Arbeit  über  Impetigo 
contagiosa). 

Ich  möchte  für  diesen  Fall  umso  mehr  Beachtung  re- 
clamiren,  als  er  sehr  zu  Gunsten  der  Identificirung  des  Pem¬ 
phigus  neonatorum  mit  der  Impetigo  contagiosa  spricht.  Freilich 
Hesse  sich,  Pemphigus  von  Impetigo  als  verschiedene 
Affection  vorausgesetzt,  nicht  ganz  von  der  Hand  weisen, 
dass  das  Kind,  dessen  Mutter  mit  Impetigo  behaftet  war, 
zufällig  einen  Pemphigus  bekam,  und  dass  die  geplatzten 
Pemphigusblasen  und  Exfoliationen  secundär  mit  Impetigo  in- 
ficirt  wurden.  Mir  scheint  jedoch  dieser  Erklärungsversuch, 
bei  dem  Kinde  an  einen  anderen  Charakter  der  Blaseneruption 
zu  denken,  aus  mehrfachen  Gründen  wenig  glaubwürdig. 
Denn  erstens  trat  die  Blaseneruption  bei  dem  Kinde  gerade 
an  jenen  Stellen  zuerst  und  am  reichlichsten  auf,  an  welchen 
es  mit  der  Mutter  beim  Säugen  in  Contact  kam;  zweitens 
nahmen  diese  anfangs  allgemein  für  Pemphigus  angesprochenen 
Blasen  genau  den  gleichen  Entwicklungsgang,  wie  die  Blasen¬ 
eruptionen  bei  der  Mutter,  so  dass  in  der  gleichen  Anzahl 
von  Tagen  bei  Mutter  wie  Kind  aus  den  Blasen  die  eircinären 
Efflorescenzen  hervorgingen,  und  ferner  Hessen  die  Blasen, 
beim  Kinde  in  Grösse  und  Form,  Aussehen  und  Art  des  Auf¬ 
tretens  klinisch  keinen  Unterschied  gegenüber  frisch  auf- 
schiessenden  Blasen  bei  der  Mutter  erkennen. 

Für  die  Gleichartigkeit  des  Blasenausschlages  bei  Mutter 
und  Kind  tritt  auch  ein  Vergleich  der  histologischen  und 
bacteriologischen  Untersuchung  ein. 

Ich  habe  am  sechsten  Tage  post  partum  zwei  frisch 
aufgeschossene  intacte  Blasen  aus  der  Bauchwand  des  Kindes 
excidirt,  also  zu  einer  Zeit,  wo  eine  Secundärinfection  der 
supponirten  Pemphigusblasen  noch  ausgeschlossen  erscheint; 
denn'  hat  überhaupt  bei  dem  Kinde  ein  von  der  Impetigo 
contagiosa  und  mithin  ein  von  der  Mutter  verschiedener 
Blasenausschlag  bestanden,  hat  das  Kind  ursprünglich  überhaupt 
den  von  Impetigo  contagiosa  als  differente  Erkrankung  vor¬ 
ausgesetzten  Pemphigus  neonatorum  gehabt,  so  musste  es  zu 
jener  Zeit  gewesen  sein.  Ein  Vergleich  der  in  gleicher  Weise 
hergestellten  histologischen  Präparate  von  den  intacten  Blasen 
aus  jener  Zeit  beim  Kind  und  von  gleich  grossen  intacten 
Blasen  bei  der  Mutter  zeigt  ein  absolut  gleiches  Bild. 

Und  durch  Züchtungsversuche  aus  intacten  Bläschen 
von  Mutter  und  Kind  erhielt  ich  in  morphologischer  und  cul- 
tureller  Beziehung  die  gleichen  Coccenformen.  Von  dem  Kinde 
wurde  bereits  am  fünften  Tage  post  partum  abgeimpft,  und 
später  noch  zu  wiederholten  Malen,  immer  mit  dem  gleichen 
Resultate,  dass  die  Agarplatten  längs  der  Impfstriche  Rein- 
culturen  dieser  Coccen  aufwiesen. 

Die  Uebereinstimmung  des  klinischen  Aspectes,  sowie 
des  histologischen  und  bacteriologischen  Befundes  lässt  somit 
die  Annahme  gerechtfertigt  erscheinen,  dass  der  Blasenausschlag 
bei  dem  Kind  von  allem  Anbeginn  der  gleichen  Natur  und 


Wesenheit  war,  wie  jener  bei  der  Mutter,  id  est  Impetigo 
contagiosa. 

Und  doch  wuirde  der  Blasenausschlag  des  Kindes  in  der 
ersten  Woche  von  erfahrenen  Kinderärzten,  Gynäkologen 
und  Dermatologen  allgemein  für  Pemphigus,  neonatorum  an¬ 
gesprochen  ! 

Wenn  einerseits  die  Impetigo  contagiosa 
bei  einem  Neugeborenen  so  vollständig  das 
Bild  des  Pemphigus  neonatorum  vorzutäuschen 
vermag,  und  wenn  andererseits  der  Pemphigus 
neonatorum  bei  einem  Erwachsenen  »das  ge¬ 
treue  klinische  Bild  der  Impetigo  contagiosa 
her  vor  bringen«  kann,  so  scheint  damit  wohl 
der  Beweis  erbracht  zu  sein,  dass,  vom  klini¬ 
schen  Standpunkte  aus  betrachtet,  »es  unmög¬ 
lich  ist,  eine  bestimmte  Grenze  zwischen  den 
beiden  Krankheiten  zu  ziehen«,  und  d  ah  er 
deren  Identificirung  kein  Hindern  iss  im  Wege 
liegt. 

Eine  sprechende  Illustration  hiezu  bietet  auch  die  That- 
sache,  dass  »sich  an  epidemisch  auftretende  Impetigo  contagiosa 
Epidemien  von  Pemphigus  neonatorum  unmittelbar  anschlossen« 
(Lu i t h  1  en,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899);  so  be¬ 
richtet  Klemm  (Zur  Kenntniss  des  Pemphigus  contagiosus. 
Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin.  Bd(  IX,  pag.  199) 
über  eine  Impetigo  -Epidemie  in  Leipzig  1876,  und  Molde  n- 
hauer  (Ein  Beitrag  zur  Lehre  vom  Pemphigus  acutus. 
Archiv  für  Gynäkologie.  1874,  Bd.  VI,  pag.  869)  über  eine 
Pemphigus -Epidemie  in  Leipzig  1872,  1873,  und  »dennoch 
ist  alle  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  es  dieselbe  Epidemie 
ist,  die  sich  in  den  Jahren  1872 — 1874  in  Leipzig  fortsetzte 
und  Moldenhauer  Material  zu  seiner  Beschreibung  gab« 
(Fab  er). 


Die  aus  den  klinischen  Beobachtungen  gefolgerte  Wahr¬ 
scheinlichkeit  der  Identität  des  Pemphigus  neonatorum  und 
der  Impetigo  contagiosa  wird  durch  einen  Vergleich  der  Re¬ 
sultate  histologischer  und  bacteriologischer  Untersuchungen  bei 
beiden  noch  mehr  bekräftigt. 

Ueber  die  Histologie  des  Pemphigus  neonatorum  liegen 
nur  spärliche  Mittheilungen  von  Birch-Hirschfeld 
(W  i  n  c  k  e  1,  Berichte  und  Studien  aus  dem  königlich  säch¬ 
sischen  Entbindungs-  und  gynäkologischen  Institute  in  Dresden. 
1879,  Bd.  III)  und  von  Cäsar  Boeck  (Vierteljahresschrift 
für  Dermatologie  und  Syphilis.  1893)  vor,  sowie  eine  genauere 
erst  jüngst  veröffentlichte  Untersuchung  von  Fr.  Luithlen 
(Pemphigus  neonatorum.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899). 

Obwohl  ich  selbst  gleichfalls  intacte  Pemphigusblasen 
von  Neugeborenen  histologisch  und  bacteriologisch  wiederholt 
zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte,  möchte  ich  einerseits,  da 
ich  den  Befunden  Luithlen’s  nichts  beizufügen  habe, 
andererseits,  um  die  Objectivität  eines  Vergleiches  zu  wahren, 
‘  ;enen  diesbezüglichen  Präparaten  absehen,  und 
in  der  folgenden  Gegenüberstellung  wörtlich  die  An¬ 
gaben  Luithlen’s  über  den  histologischen  Befund  bei  Pem. 
phigus  neonatorum  und  die  eigenen  bei  Impetigo  contagiosa 


von  meinen 
bringe 


Pemphigus  neonatorum. 


Impetigo 


contagiosa. 


Die  Decke  der  Blase 
wird  von  der  Hornschichte 
gebildet,  welche  am  Rande 
der  Blase  ziemlich  steil  von  den 
darunter  liegenden  obersten 
Reteschichten  abgehoben 
ist,  welche  den  Blasengrund 
bilden.  Die  Mitte  des  Blasen¬ 
grundes  liegt  tiefer,  als  die  Rand- 
antheile,  indem  das  Rete  und 
mit  ihm  das  Corium  herabge- 
drückt  worden  sind. 


Bei  intacten  Bläschen  oder 
Pusteln  wird  die  Blasen¬ 
decke  ausschliesslich  von 
der  Horn  schichte  gebildet, 
so  dass  unter  der  Blase 
noch  das  ganze  Rete 
M  a  1  p  i  g  h  i  i  liegt.  Die  Abhebung 
der  Hornlage  findet  gerade  in 
der  Keratohyalinschichte  statt.  .  . 

.  .  .  Die  Trennung  der  Horn¬ 
schichte  vom  Rete  ist  an  den 
Randpartien  prall  gespannter 
Vesicopusteln  abrupt  und  erfolgt 
gegen  den  Blaseninhalt  in  einem 
rechten  oder  sogar  stumpfen 
Winkel,  zumal  die  Mitte  des 
Blasengrundcs  unter  das  Niveau 


1082 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


Die  Hornschichle  lässt 
keine  Veränderung  constatiren; 
die  zwischen  ihr  und  den 
obersten  Reteschichten  liegende 
Rlase  zeigt  bei  den  gewöhn¬ 
lichen  Färbungen  als  In¬ 
halt  meist  mehrkernige 
Leukocyte n,  abgestossene 
hyalinisirte  Retezellen 
und  Zerfalls  producte  der¬ 
selben;  d  i  e  Z  e  1 1  e  n  sind  am 
Boden  der  Blase  durch 
Senkung  reichlicher  und 
dichter;  hier  findet  man  auch 
Fibrinablagerung. 


Die  obersten  Schichten 
des  Rete  leicht  gequollen, 
einzelne  Zellen  der  obersten 
Lage  hyalin,  zum  Theil  dem 
Rete  noch  anhaftend,  zum  Theil 
in  Abstossung  begriffen.  Das 
Rete  sehr  zellreich,  Leukocyten 
enthaltend,  zeigt  in  seinen 
mittleren  und  den  tiefen 
Schichten  im  Allgemeinen 
keine  Spur  von  hydropi- 
scher  Degeneration  oder 
Oedem  der  Zellen;  nur  verein¬ 
zelten  Papillen  entsprechend 
reicht  die  früher  erwähnte 
Quellung  der  den  Blasengrund 
bildenden  Schichten  etwas  tiefer 
Die  Papillen,  vielleicht 
entsprechend  der  Herab¬ 
drückung,  etwas  ver¬ 
kürzt,  verbreitert,  zeigen 
bei  erweiterten  Blutge¬ 
fässen  eine  dichte  zellige 
Infiltration;  die  Verbindung 
derselben  mit  den  basalen  Rete¬ 
zellen  vollkommen  intact. 


Im  Corium  stark  er- 
weiterteBlutgefässe,  um 
die  herum  die  Zellenansammlung 
besonders  stark  ist,  sowie  stark 
erweiterte  Lymphgefässe;  bei 
Färbung  mit  polychromem  Me¬ 
thylenblau  findet  man  keine  ein¬ 
zige  Plasmazelle,  wohl  aber 
Mastzellen. 

Bei  Bacterienfärbungen,  so¬ 
wohl  der  gewöhnlichen,  als  auch 
der  G  r  a  m’schen,  findet  man  im 


der  angrenzenden  Hautpartie 
eingesunken  oder  dellig  vertieft 
ist.  .  .  . 

...Der  Blaseninhalt 
besteht  g r ö s s t e n t h e i 1 s 
aus  leukoserösem  Ex¬ 
sudat.  Schon  bei  den  kleinsten 
eben  aus  der  Haut  aufschiessen- 
den  Blasen  finden  sich  meist 
ziemlich  reichlich  Leukocyten, 
untermengt  mit  abge- 
stossenen  Epithelien  in 
spärlicher  Zahl.  In  den  grösseren, 
prall  gespannten,  der  Hauptsache 
nach  mit  Serum  gefüllten  Blasen 
haben  sich  die  z  e  1 1  i  g  e  n  Ele¬ 
mente  in  reichlicher 
Menge  am  Boden  der 
Blase  abgesetzt. 

Auch  an  der  Blasendecke 
adhäriren  meist  dünne  Schollen 
zusammengebackener  Leukocvten 
und  Epithelien.  Die  Leukocyten 
sind  meist  mononuclear.  Die  de- 
squamirten  Epithelien  sind  stark 
gequollen,  sie  haben  meist  runde 
Form,  bei  Hämatoxylin-Eosin- 
färbung  tingirt  sich  ihr  Proto¬ 
plasmaleib  intensiv  rosa;  mehr¬ 
kernige  »  Epithel  -  Riesenzellen « 
pflegen  nicht  vorzukommen. 

Das  unter  der  Blase  liegende 
Rete  Malpighii  etwas  verbreitert, 
die  Zellen  der  oberen 
Schichte  sind  gequollen, 
manche  derselben  weisen  einen 
ausgesprochenen  schwammigen 
Bau  auf,  nehmen  rundliche 
Form  an  und  zeigen  alle  Ueber- 
gänge  zu  jenem  färberischen 
Verhalten  der  frei  im  Exsudat 
suspendirten  hydropischen  Epi¬ 
thelien.  In  den  tieferen 
Reteschichten  sind  die 
Zellen  vollkommen  nor¬ 
mal.... 


Der  Papillarkörper  ist 
durch  den  Druck  der  dar¬ 
über  lastenden  prall  ge¬ 
spannten  Blase  etwas 
eingesunken,  aber  nicht 
abgeplattet  oder  verflacht; 
die  einzelnen  Papillen  sind  leicht 
verbreitert,  enthalten  sämmtlich 
stark  erweiterte  Gefässe 
und  meist  um  dieselben 
bedeutende  Zell  Wuche¬ 
rungen,  die  stellenweise  das  Rete 
durchbrechen  und  durchsetzen. 

Nicht  blos  die  Capillaren  des 
Papillarkörpers,  sondern  auch 
die  Blutgefässe  der  Cutis 
sind  auffallend  stark 
a  1 1  e  r  i  r  t,  selbst  in  beträcht¬ 
licher  Tiefe;  sie  sind  theils  von 
emigrirten  Leukocyten,  theils  von 
proliferirenden  Bindegewebszellen 
und  kleinen  Gruppen  von  Plasma¬ 
zellen  umlagert,  und  dazwischen 
finden  sich  eingestreut  ziemlich 
reichlich  Mastzellen. 


Ein  irgendwie  auffallendes 
Oedem  der  Cutis,  des  Papillar¬ 
körpers  oder  des  Rete  Malpighii 
ist  in  den  tieferen  Schichten 
nicht  vorhanden. 

Die  Krusten  selbst  bestehen 
der  Hauptsache  nach  aus  geron¬ 
nenem  Serum;  gleichwie  der 
flüssige  Blaseninhalt  enthalten 
sie  geringe  Mengen  Fibrin  und 
in  spärlicher  Zahl  Leukocyten 
und  desquamirte  Epithelien.  Sie 
sind  vielfach  durchsetzt  mit  den 
meist  in  grösseren  Grup¬ 
pen  liegenden  Coccen, 
die  hier  häufig  Degenerations¬ 
formen  aufweisen, 
in  Parallele  gezogenen  histo¬ 
logischen  Befunde  ergibt  eine  fast  ab  sohlte  Gleichheit, 
so  dassdie  beiden  Beschreibungen  miteinander 
vertauscht  werden  könnten. 

Und  nicht  minder  überraschend  ist  die  Gleichartigkeit 
des  Befundes,  zu  welchen  die  bacteriologischen  Untersuchungen 
bei  beiden  Affectionen  geführt  haben. 

Bei  Pemphigus  neonatorum  fand  gelegentlich  einer 
Epidemie  zu  Göteborg  in  Schweden  bekanntlich  zuerst  A  1  m- 
quist  (Zeitschrift  für  Hygiene.  1892,  Bd.  X)  im  Blasen¬ 
inhalt,  »constant,  stets  in  Reincultur  dieselbe  Coccenart, 
einen  dem  Staphylococcus  aureus  sehr  ähn¬ 
lichen,  seinem  Wachsthume  auf  den  gewöhn¬ 
lichen  Nährboden  nach  nicktvonihm  unter¬ 
scheidbaren  Mikroorganismus«,  ein  Befund,  der  mit 
den  Beobachtungen  von  Strelitz  (Archiv  für  Kinderheil¬ 
kunde.  1889,  XI)  übereinstimmt,  von  Felsenthal  (Archiv 
für  Kinderheilkunde.  1892,  XIV),  Es  che  rieh5 6),  Peter fi), 
Ivlamann7),  Luithlen8)  und  anderen  Autoren  be¬ 
stätigt  wird.  Es  erscheint  vielleicht  nicht  ganz  überflüssig,  noch 
besonders  zu  erwähnen,  dass  »vom  Pemphigus  neonatorum 
jedenfalls  zu  trennen  sind,  die  unter  dem  Namen  Pemphigus 
acutus  schlechtweg  zu  bezeichnenden  Krankheitsformen,  welche 
ihrer  Hauptzahl  nach  septischer  oder  toxischer  Natur  sein 
dürften.  (J  arisch,  Die  Hautkrankheiten,  I.  Hälfte,  1900.) 

Trotz  des  Mangels  morphologischer  oder  cultureller  Unter¬ 
scheidungsmerkmale  hielt  Almquist  diesen  Coccus  vom  ge¬ 
wöhnlichen  Staphylococcus  für  verschieden,  weil  es  ihm  gelang, 
durch  Uebertragung  der  Reincultur  dieser  Coccenart  künstlich 
am  Arm  Blasen  zu  erzeugen,  die  jenen  beim  Pemphigus  der 
Neugeborenen  entsprachen.  Während  man  also  bekanntlich 
durch  Einreiben  der  gewöhnlichen,  eitererregenden  Staphylo- 
coccen  in  die  Haut  Folliculitiden,  Furunkel  und  eventuell  Phleg¬ 
monen  erzeugt,  trat  bei  A  1  m  q  u  i  s  t’s  Impfversuchen  gewöhn¬ 
lich  nach  anfänglich  leichter  Röthung  der  Haut  am  zweiten 
Tage  eine  oberflächlich  gelegene,  mit  Serum  er¬ 
füllte  Blase  auf,  deren  Decke  äusserst  dünn 
war.  »Der  Process  zeigte  keine  Neigung,  sich  in  die  Tiefe 
der  Haut  zu  verbreiten,  sondern  hielt  sich  ganz  oberflächlich 
in  der  Epidermis.  Nach  Abstossung  der  getrockneten  Krusten 
(sic!)  konnten  keine  Substanzverluste  und  keine  Spur  von 
Narbenbildung  entdeckt  werden.« 

Ueber  den  ursächlichen  Erreger  der  Impetigo  contagiosa 
finden  wir  die  ganz  analogen  Angaben.  Wenngleich  bei  der¬ 
selben  —  allerdings  auch  von  Sabouraud  — Streptococcen 
gefunden  wurden,  dürfte  durch  die  bacteriologischen  Unter¬ 
suchungen  von  Unna,  Kaufmann  (Untersuchungen  zur 
Aetiologie  der  Impetigo  contagiosa.  Archiv  für  Dermatologie 
und  Syphylis  1899,  Bd.  XLIX)  und  mir9)  wohl  sichergestellt  sein, 

5)  Contribution  to  the  diseases  of  the  skin  of  the  new-born.  Pedia¬ 
trics.  1897,  Nr.  1. 

6)  Zur  Aetiologie  des  Pemphigus  neonatorum.  Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1896. 

7)  Ein  Fall  von  Pemphigus  neonatorum.  Allgemeine  medicinische 
Central/, eitnng.  1893. 

8)  1.  c. 

9)  1.  c. 


Blaseninhalt  nur  Staph y- 
1  o  c  o  c  c  e  n.  Dieselben  liegen 
zum  Theil  zu  zweit  innerhalb 
der  Zellgrenzen,  zum  Theile 
auch  ausserhalb  derselben  i  n 
grösseren  Gruppen  und 
Haufen. 


Ein  Vergleich  der  beidei 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900, 


H'HH 


dass  die  Impetigo  contagiosa  durch  Coccen  be- 
d  i  n  g  t  i  s  t ,  welche  »sich  morphologisch  und  c  ul¬ 
tu  r  e  1 1  vom  Staphylococcus  aureus  und  albus 
vorläufig  nicht  mit  Sicherheit  unterscheiden 
lassen.«  Unna,  Kaufmann  und  ich  haben  mit  der  Rein- 
cultur  dieser  Coccen  Impfversuche  auf  den  eigenen  Arm  ge¬ 
macht.  »Der  Entwicklungsvorgang  ist  typisch  derart,  dass 
36  Stunden  nach  der  Impfung  ein  hellrother  hanfkorngrosser 
Fleck  auftritt,  welcher  nach  weiteren  zwölf  Stunden,  also 
zwei  Tage  nach  der  Impfung,  zu  einem  fast 
ebenso  grossen  Bläschen  sich  um  gewandelt  hat, 
das  meist  schon  eiterig  getrübt,  seltener  mit  klarem  Serum  erfüllt 
ist.  Am  dritten  Tage  rupturirt  das  zarte  Bläschen  in  der  Mitte 
und  beginnt  zu  honiggelben  Krusten  einzutrocknen  etc.  So¬ 
wohl  in  den  intacten  Bläschen  als  auch  in  den  Krusten  sind 
mikroskopisch  wie  culturell  immer  fast  ausschliesslich  dieselben 
Coccenformen  nachweisbar,  von  deren  Reincultur  man 
durch  Impfung  künstlich  oberflächliche  Blasen 
erzeugen  kann,  die  zu  Krusten  eintrocknen  und  in  ihrem 
Entwicklungs-  und  Rückbildungsgang  völlig  den  natürlichen 
Impetigobläschen  und  jenen  gleichen,  welche  durch  Impfung 
mit  dem  Inhalt  natürlicher  Impetigobläscheu  hervorgerufen 
werden  können.« 

Eine  Differenz  bezüglich  dieser  Coccen  besteht  zwischen 
Unna  und  mir  nur  insoferne,  als  Unna  die  bei  der  Impetigo 
contagiosa  gefundenen  Coccen  als  verschieden  von  den  gewöhn¬ 
lichen  Staphylococcen  und  als  specifische  Impetigococcen  be¬ 
zeichnet,  wogegen  ineine  eigenen  diesbezüglichen  Unter¬ 
suchungen  eine  Differenzirung  der  Impetigococcen  von  den 
Staphylococcen  —  wenigstens  vorläuflg  —  nicht  zugelassen 
haben. 

»Der  sorgsam  bis  in  die  feinsten  Details  durchgearbeiteten 
bacteriologischen  Studie  Unn  a’s  liegt  dieselbe  Idee  zu  Grunde, 
welche  auch  mir  vorgeschwebt  hat :  dass  der  Impetigococcus 
trotz  der  grössten  morphologischen  und  biologischen  Aehnlich- 
keit  vom  Staphylococcus  verschieden  sei;  zugleich  beweist 
aber  die  von  diesem  leitenden  Grundgedanken  mit  Ueber- 
zeugungstreue  durchgeführte  Arbeit,  dass  bis  zur  Stunde 
die  gesuchte  scharfe  Abgrenzung  nicht  ge¬ 
funden  ist.« 

»Es  ist  mir  nicht  gelungen,  dieselben  (Impetigococcen) 
morphologisch  oder  culturell  von  Staphylococcen  sicher  zu 
unterscheiden,  wiewohl  ich  vergleichende  Control  versuche  mit 
echten  Staphylococcen  verschiedener  Provenienz  wiederholt 
angestellt  habe.  Die  kleinen  culturell  en  Unter¬ 
schiede,  welche  ich  anfangs  für  eine  Differenzi¬ 
rung  ver  werthbar  hielt,  wiegeringere  Grössen¬ 
entwicklung  der  einzelnen  C  o  1  o  n  i  e  n,  schmaler, 
nicht  bis  an  den  Boden  der  Eprouvette  reichender 
Verflüssigungstrichter  bei  Gelatinestich,  haben 
sich  beilmpetigococcen  als  nicht  constante  und 
bei  Staphylococcen  als  nicht  seltene  Erschei¬ 
nungen,  demnach  als  unzureichend  herausge- 
stellt.« 

»Die  geringen  Form-  und  Grössenunterschiede,  durch 
welche  Unna  seine  Impetigo  vulgaris-Coccen  von  den  Impetigo 
circinata-Coccen,  von  den  Morococcen  und  von  den  Staphylo¬ 
coccen  unterscheiden  will,  mögen  wohl  entsprechend  theoreti¬ 
schen  Erwägungen  mehr  auf  dem  Wunsche,  als  auf  thatsäch- 
lichem  Unterscheidungsvermögen  basiren.« 

Als  ursächliche  Erreger  des  Pemphigus  neonatorum  so¬ 
wohl  als  auch  der  Impetigo  contagiosa  gelten  demnach  heute 
Coccen,  welche  sich  weder  morphologisch  noch  auf  den  ge¬ 
bräuchlichen  Nährböden  culturell  von  den  gewöhnlichen  Sta¬ 
phylococcen  unterscheiden  lassen;  überimpft  man  deren  Rein¬ 
cultur  auf  den  eigenen  Arm,  so  erhält  man  bei  beiden  am 
zweiten  Tage  ein  oberflächliches  Bläschen  oder  eine  Vesico- 
pustel,  die  bei  beiden  in  gleicher  Weise  zu  gelbbräunlichen 
Krusten  eintrocknet,  und  deren  Fmtwicklungsgang  und  klini¬ 
sches  Aussehen  den  natürlichen  Pemphigus  — ,  respective  Im¬ 
petigobläschen  analog  ist. 

Ich  habe  ausserdem  von  Pemphigus  neona¬ 
torum  und  von  Impetigo  contagiosa  die  frag¬ 


lichen  Coccen  gleichzeitig  auf  den  gleichen 
Nährboden,  und  zwar  auf  Agar,  Gelatine,  Bouillon, 
Kartoffel,  Zucker-Agar,  Pepton-Agar  und  Glycerin-Agar  ge¬ 
züchtet  und  durch  mehrere  Wochen  hindurch 
die  analogen  Culturen  mit  einander  vergleichen 
können:  es  war  uns  jedoch  unmöglich,  die  Im¬ 
petigococcen  von  jenen  des  Pemphigus,  noch  auch 
beide  von  gewöhnlichen  Staphylococcen  auseinander  zu  kennen. 

Nachdem  also,  vom  klinischen  Standpunkt  aus 
betrachtet,  »es  unmöglich  ist,  eine  bestimmte 
Grenze  zwischen  Pemphigus  neonatorum  und  Im¬ 
petigo  contagiosa  zu  ziehen«,  vielmehr  die  klini¬ 
schen  Erfahrungen  lehren,  dass  der  Pemphigus 
neonatoru  m,  wenn  er  ausnahmsweise  auf  Er  w  a  c  h- 
sene  übertragen  wird,  bei  diesen  in  Form  der  Im¬ 
petigo  contagiosa  auftritt,  und  umgekehrt,  dass 
die  Impetigo  contagiosa,  wenn  sie  von  der  Mutter 
auf  das  neugeborene  Kind  übertragen  wird,  hei 
diesem  in  Form  des  Pemphigus  neonatorum  er¬ 
scheint;  nachdem  der  histologische  Befund  hei 
beiden  Krankheiten  der  absolut  gleiche  ist,  und 
nachdem  hei  beiden  ganz  analoge  Coccen  als  ur¬ 
sächliche  Erreger  gefunden  werden,  welche  sich 
von  einander  nicht  unterscheiden  lassen,  und 
deren  Reinculturbei  beiden  dasselbe  Impfresultat 
ergibt,  so  scheint  hi  emit  wohl  die  Annahme  ge¬ 
rechtfertigt,  dass  der  Pemphigus  neonatorum  und 
die  Impetigo  contagiosa  dem  Wesen  nach  ein  und 
dieselbe  Erkrankung,  also  sowohl  klinisch  als 
auch  histologisch  und  ätiologisch  ein  einheit¬ 
liches  Krankheitshild  repräsentiren. 

Die  einer  solchen  Identificirung  scheinbar  widersprechende, 
der  Impetigo  contagiosa  eigenthümliche  Art  der  Krustenbildung 
und  der  Mangel  einer  solchen  bei  Pemphigus  neonatorum  ist, 
wie  wir  gesehen  haben,  kein  durchgreifendes  Unterscheidungs¬ 
merkmal;  denn  auch  bei  zweifellosem  Pemphigus  neonatorum 
stellt  sich  zuweilen  dieselbe  Art  der  Krustenbildung  ein,  zu¬ 
mal  wenn  der  Pemphigus  etwas  ältere,  mehrere  Wochen  oder 
Monate  alte  Säuglinge  befällt.  Der  mehr  oder  minder  aus¬ 
geprägte  Charakter  der  Krustenbildung  kann  demnach  nicht 
auf  einem  verschiedenen  pathologischen  Agens  beruhen,  sondern 
muss  auf  verschiedene  anatomische  Verhältnisse  zurückzu¬ 
führen  sein  und  dürfte  wohl  hauptsächlich  in  der  verschiedenen 
Resistenz  der  menschlichen  Haut  im  verschiedenen  Alter  und 
zum  Theil  auch  in  individuellen  Verschiedenheiten  begrün¬ 
det  sein. 

K.  Faber  erklärt:  »Es  ist  ein  so  grosser  Unterschied 
zwischen  der  Epidermis  eines  Säuglings  und  der  eines  älteren 
Kindes,  dass  es  nicht  wundern  kann,  wenn  dieselbe  Ursache 
eine  verschiedene  Wirkung  erzeugt.  Der  abblätternden  Pso¬ 
riasis  palmaris  des  Erwachsenen  entspricht  bei  den  Neu¬ 
geborenen  der  syphilitische  Pemphigus  palmaris«. 

Der  Unterschied  zwischen  der  Beschaffenheit  der  Haut 
eines  Schulkindes  und  eines  Erwachsenen  ist  sicherlich  viel 
geringer  als  zwischen  der  zarten  Haut  des  Neugeborenen  und 
der  derben  Haut  des  Erwachsenen.  A  priori  wird  man  daher 
erwarten  dürfen,  dass  der  Ausschlag  in  seinem  Aussehen,  wie 
er  bei  älteren  Kindern  auftritt,  geringere  Differenzen  bieten 
wird  gegenüber  seinem  Gepräge  bei  Erwachsenen,  als  wenn 
er  Neugeborene  befällt,  deren  Haut  in  Folge  der  besonderen 
Zartheit  wesentlich  anders  auf  denselben  Reiz  reagiren  mag. 

Aelteren  Kindern  und  Erwachsenen  kommt  denn  auch 
in  gemeinsamerWeise  die  Eigentümlichkeit  der  Krustenbildung 
zu,  wenno-leich  der  Unterschied  zwischen  beiden  sich  bemerk- 
bar  macht,  dass  die  meist  resistentere  Haut  des  Erwachsenen 
einen  ungünstigeren  Boden  für  die  Ausbreitung  der  Krankheit 
abgibt,  so  dass  diese  abortiv  verläuft,  oder  dass  nur  einzelne 
Krankheitsherde  sich  allmälig  vergrössern.  Alle  Beobachter, 
welche  bei  einem  Erwachsenen  Impetigo  in  grösserer  Ausbrei¬ 
tung  gesehen  haben,  heben  überdies  noch  besonders  die  zarte 
Beschaffenheit  der  Haut  des  betreffenden  Individuums  hervor: 
In  der  Regel  betrifft  es  »Leute  mit  zarter,  weicher  Haut,  mit 
feinem  Teint,  von  lymphatischem,  scrophulösem  Habitus  etc.«, 


1084 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


also  Erwachsene  mit  so  geschmeidiger  Haut,  wie  sie  Kindern 
eigen  ist. 

Gegen  die  Annahme  einer  Identificirung  beider  Krank¬ 
heiten  scheint  vielleicht  auch  die  Thatsache  zu  sprechen,  dass 
bei  dem  nicht  ungewöhnlichen,  ja  ziemlich  häufigen  Vorkommen 
von  Pemphigus  neonatorum  doch  im  Anschluss  daran  keine 
I mpetigo- Epidemien  auftreten . 

Dagegen  muss  darauf  verwiesen  werden,  dass  erstens 
auch  der  contagiöse  Pemphigus  neonatorum  zwar  häufig  in 
sporadischen  oder  gehäuften  Fällen,  selten  aber  in  grösseren 
Epidemien  beobachtet  wird,  und  dass  zweitens  ebenso  die  Im¬ 
petigo  contagiosa  ungleich  häufiger  in  sporadischen  oder  ge¬ 
häuften  Fällen  auftritt,  als  in  grösserer  epidemischer  Ausbrei¬ 
tung,  und  wenn  dies  der  Fall  ist,  immer  nur  unter  Kindern, 
während  drittens  gerade  mit  der  Pflege  pemphiguskranker 
Kinder  doch  fast  stets  nur  Erwachsene  betraut  sind,  auf  welche 
der  Pemphigus  neonatorum,  respective  die  Impetigo  contagiosa 
nur  ganz  ausnahmsweise  übergeht.  Breitet  sich  aber  innerhalb 
einer  Kinderanstalt,  eines  Findelhauses  o.  dgl.  der  Blasen¬ 
ausschlag  nur  auf  Kinder  aus,  so  wird  man  naturgemäss  nicht 
von  einer  Impetigo-,  sondern  von  einer  Pemphigus-Epidemie 
sprechen. 

Wenn  aber  schon  gelegentlich  einer  Impetigo-Epidemie  unter 
Kindern  der  Ausschlag  verhältnissmässig  selten  auf  Erwach¬ 
sene  übergeht,  so  liegen  die  Verhältnisse  zur  Uebertragung 
desselben  bei  einer  Pemphigus-Epidemie  unter  Säuglingen  auf 
Erwachsene  noch  wesentlich  ungünstiger.  Der  Erreger  des 
Blasenausschlages,  der  in  der  zarten,  succulenten  Epitheldecke 
der  feinen,  weichen  und  geschmeidigen  Haut  des  Neugeborenen 
den  günstigsten  Boden  gefunden  hatte,  soll  sich  plötzlich  in 
der  derben,  trockenen  Haut  des  Erwachsenen  naturalisiren ! 
Der  Uebergang  ist  öft  (bei  Erwachsenen  mit  besonders  derber, 
resistenter  Haut)  zu  unvermittelt,  der  Erreger  findet  plötzlich 
anderen  Boden,  andere  Wachsthumsbedingungen  und  geht  in 
vielen  Fällen  zu  Grunde;  nur  ausnahmsweise  wird  daher 
Pemphigus  neonatorum  auf  Erwachsene  (mit  besonders  zarter 
Haut)  übertragen,  nimmt  aber  bei  diesen  dann  entsprechend 
den  Bodenverhältnissen  und  Wachsthumsbedingungen,  wie  sie 
sonst  in  gleicher  Weise  bei  der  Impetigo  contagiosa  geboten 
sind,  auch  vollständig  das  Bild  dieser  letzteren  an. 

Meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Hofrath  Neumann,  bin 
ich  für  seine  Liebenswürdigkeit,  mit  welcher  er  mir  sein  ge- 
sammtes  klinisches  Material  zur  Verfügung  stellte,  zu  grösstem 
Danke  verpflichtet, 


Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 
Prof.  Gussenbauer  in  Wien. 

Ein  Fall  von  Endocarditis  gonorrhoica. 

Von  Dr.  Ludwig'  Stein,  emer.  Operateur  obiger  Klinik. 

Obgleich  man  schon  seit  langer  Zeit  wusste,  dass  im 
Zusammenhänge  mit  dem  Tripper  der  Harnröhre  auch  gonor¬ 
rhoische  Gelenksaffectionen  zur  Entwicklung  kommen  können, 
so  ist  doch  die  Erfahrung,  dass  Gonorrhoe  auch  von  specifi- 
schen  Herzaffectionen  begleitet  sein  könne,  erst  das  Beob- 
achtungsergebniss  der  letzten  Jahrzehnte.  Anfangs  nahm  man 
an,  dass  die  Endocarditis  gonorrhoica  nur  gleichzeitig  mit 
Gelenkserkrankungen  auftrete  und  Brandes  war  der  Erste, 
der  im  Jahre  1854  über  zwei  Fälle  von  blenorrhoischem 
Rheumatismus,  complicirt  mit  Endocarditis,  berichtet.  Später 
wurden  mehrere  einschlägige  Fälle  publicirt,  so  dass  sich  die 
Zahl  derselben  nach  Finger  bis  zum  Jahre  1890  auf  40 
belief. 

Den  Gedanken  einer  directen  gonorrhoischen  Metastase 
ins  Herz  hat  schon  Bouillaud  ausgesprochen.  Im  Jahre 
18G2  wurde  dann  von  Traube  ein  Fall  von  gonorrhoischer 
Endocarditis  beobachtet  und  etwas  später  ein  ähnlicher  Fall 
von  Leyden  in  Strassburg,  ohne  dass  aber  bei  der  Section 
etwas  Charakteristisches  nachgewiesen  werden  konnte.  Erst  in 
Jahre  1893  bot  sich  Leyden  die  Gelegenheit,  in  einem  Falle 
von  acuter  ulceröser  Endocarditis  in  den  fibrösen  Auflagerungen 


Gonococcen  nachzuweisen.  Damit  war  der  Beweis  erbracht, 
dass  die  Endocarditis  gonorrhoica  sich  auch  unabhängig  von 
Gelenksaffectionen  als  directe  Blenorrhoe  entwickeln  kann. 
Unter  allen  Umständen  bleibt  sie  jedoch  eine  seltene  Er¬ 
krankungsform,  da  unter  den  schon  an  sich  nicht  häufigen 
Fällen  nachgewiesener  Endocarditis  gonorrhoica  jene  der 
directen  Herzmetastase,  also  ohne  vorausgegangene  Gelenks¬ 
erkrankungen,  kaum  ein  Fünftel  der  Gesammtzahl  ausmachen. 
Mit  Rücksicht  auf  dieses  seltene  Vorkommniss  will  ich  im 
Folgenden  über  einen  Fall  dieser  Art  aus  der  Klinik  des 
Herrn  Hofrathes  Gussenbauer  berichten.  Wohl  bestanden 
in  diesem  Falle  neben  zahlreichen  Hauthämorrhagien,  besonders 
in  Regionen,  welche  auflagen,  auch  vorübergehend  Schmerz¬ 
haftigkeit  in  einzelnen  Fingergelenken  und  in  den  Ellbogen¬ 
gelenken,  doch  Hess  sich  eine  Schwellung  nirgends  nach- 
weisen. 

Anamnesis:  Die  Eltern  des  22jährigen  Goldarbeiters  leben 
und  sind  gesund,  ebenso  vier  Geschwister.  Im  Alter  von  zwölf 
Jahren  bekam  Patient  eine  Lungenentzündung,  welche  sich  mit 
einer  Rippenfellentzündung  combinirte  und  drei  Monate  dauerte. 
Vor  sechs  Jahren  litt  er  an  Lungenkatarrh  und  seit  dieser  Zeit 
häufig  an  Husten  und  Seitenstechen. 

Vor  fünf  Wochen  acquirirte  der  Patient  eine  Gonorrhoe. 
Dieselbe  wurde  von  einem  Arzte  mit  Copaivabalsam  behandelt. 
Zwölf  Tage  darauf  bekam  Patient  einen  Ausschlag  und  wurde  des¬ 
wegen  in  ein  Spital  gewiesen.  Dort  verblieb  er  14  Tage,  fieberte 
anfangs  stark  und  wurde  unter  der  Diagnose  »Bauchtyphus«  geführt. 
Die  Gonorrhoe  wurde  hier  nicht  behandelt.  Nachdem  das  Fieber 
aufgehört  hatte,  verliess  Patient  das  Spital  und  kam  nach  Ilause, 
wo  er  seine  Gonorrhoe  weiter  behandeln  liess,  und  zwar  jetzt  mit 
Einspritzungen  neben  der  inneren  Medication.  Am  4.  December 
trat  starker  Schüttelfrost  auf;  der  Penis  schwoll  rapid  an  und 
zugleich  stellten  sich  grosse  Blasen-  und  Mastdarmschmerzen  ein. 
Am  5.  December  wurde  Patient  auf  die  Klinik  gebracht. 

Status  praesens:  Kleiner,  stark  abgemagerter  Mann. 
Temperatur  40°  C.,  Puls  120,  schwach  gespannt.  Ueber  beiden 
Lungenspitzen  kürzerer  Schall.  Links  hinten  unten  deutliche 
Dämpfung,  die  untere  Lungengrenze  unverschiebbar.  Zerstreut  mittel- 
und  grossblasige  Rasselgeräusche,  an  verschiedenen  Stellen  deutlich 
bronchiales  Athmen.  Herztöne  rein,  Herzdämpfung  normal. 

Der  Penis  stark  angeschwollen,  ödematös.  Vom  oberen  Theile 
des  Präputiums  ziehen  zwei  Stränge  bis  an  das  Orificium  externum 
und  bindern  so  das  Zurückschieben  des  Präputiums  (Anwachsungen 
in  Folge  Eiterung  nach  vorausgegangener  Beschneidung).  Ent¬ 
sprechend  dem  hinteren  Theile  des  Penis,  aber  noch  vor  dem 
Scrotum  eine  umschriebene,  bühnereigrosse  Anschwellung,  welche 
deutliche  Fluctuation  zeigt.  Testikel  beiderseits  normal.  Penis¬ 
wurzel  auf  Druck  zwar  schmerzhaft,  aber  nicht  geschwollen. 
Prostata  etwas  geschwellt,  schmerzhaft,  aber  keine  Fluctuation 
zeigend.  Abdomen  rechts  um  die  Blase  auf  Druck  schmerzhaft.  Es 
besteht  starker  Harndrang.  Patient  muss  häufig  Urin  lassen,  er 
strengt  sich  dabei  stark  an  und  klagt  über  starke  Schmerzen. 
Urinstrahl  zertheilt,  Urin  selbst  klar.  Vor  dem  Uriniren  erscheint 
am  Orificium  externum  ein  Eitertropfen.  Ebenso  besteht  starker 
Mastdarm  tenesmus. 

Diagnose:  Ahcessus  periurethralis  post  gonorrhoeam. 

Decursus  morbi:  5.  December.  Patient  hat  seit  der 
Mittags  erfolgten  Aufnahme  zwei  Schüttelfröste  gehabt.  Nachmittags 
5  Uhr  Narkose  mit  B  i  11  r  oth  -  Mischung.  Nach  vorausgegangener 
Desinfection  Spaltung  des  Abscesses  mit  dem  Thermokauter.  Es 
entleeren  sich  circa  50  cm3  eiteriger  Flüssigkeit.  Die  beiden  Präputial- 
stränge  werden  ebenfalls  durchtrennt,  das  Präputium  wird  zurück¬ 
geschoben  und  der  Präputialsack,  in  welchem  massenhaft  Eiter 
und  Smegma  sich  befindet,  gereinigt.  Tamponade  der  Abscesshöhle 
und  Verband  mit  essigsaurer  Thonerde. 

6.  December.  Morgens  37°  C.,  Nachmittags  38*4°.  Puls  120. 
Schwellung  des  Penis  bedeutend  abgenommen.  Aus  der  Incisions- 
wunde  kommt  während  der  Harnentleerung  Urin  zum  Vorschein. 
Erneuerung  des  Umschlages.  In  dem  nach  der  Spaltung  entleerten 
Eiter  sind  Gonococcen  nachweisbar. 

7.  December.  Morgens  3 7 '6°,  Nachmittags  39 '0°.  Schmerz¬ 
haftigkeit  in  einzelnen  Fingergelenken,  ohne  Spur  von  Schwellung. 
Am  Penis  Schwellung  noch  weiter  abgenommen.  Zunge  feucht. 


Meuere  Publicafionen  aber  einige  Vasogenpräparate. 


lieber  Ichthyolvasogen  bei  Gelenkaffectionen. 

Von  Professor  Dr.  G.  Edlefsen,  Hamburg. 


Die  Lösungen  von  Arzneistoffen  in  Vas o gen  oder 
ihre  chemischen  Verbindungen  mit  diesem  Körper  bedingen 
in  ausserordentlich  günstiger  Weise  das  Eindringen  der¬ 
selben  bei  Einreibungen  in  die  Haut.  Verfasser  hat  daher 
die  Herstellung  des  Ichthyolvasogens  als  besonders  will¬ 
kommen  begrüsst.  In  Folge  der  durch  die  Vasogenpräparate 
entfalteten  Wirkung  der  Medicamente  auf  die  tiefer  ge¬ 
legenen  Theile  kommt  dem  Ichthyolvasogen  bei  äusserer 
Anwendung  in  der  Therapie  der  Gelenkkrankheiten  eine 
gleich  wichtige  Bedeutung  zu,  wie  dem  Jodoform-  und 
Jodvasogen  bei  der  Behandlung  von  Drüsentumoren  und 
zur  Beförderung  der  Resorption  von  Exsudaten. 

Das  Ichthyol  wurde  schon  1884  von  Unna  bei 
chronischem  Gelenkrheumatismus  und  verwandten  Krank¬ 
heitsformen  empfohlen  und  von  Lorenz  als  ein  vortreffliches 
Mittel  befunden.  Auch  die  Berichte  von  Hoffmann  und 
Lange,  von  Nils  Gadde,  Schwimmer  und  von  Charles 
über  die  Anwendung  des  Ichthyols  bei  Gelenkentzündungen, 
bei  chronischen  Rheumatismen,  bei  Gicht,  ferner  bei 
Gelenkaffectionen  im  Verlaufe  der  Gonorrhoe,  bei  Neuralgien 
und  Contusionen  lauten  durchwegs  ausserordentlich  günstig. 
Die  Bedeutung  der  Ichthyolbehandlung  bei  chronischen 
Gelenkaffectionen  scheint  Verfasser,  trotz  dieser  zahlreichen 
anerkennenden  Urtheile,  von  Seite  der  Praktiker  noch  viel 
zu  wenig  gewürdigt  zu  werden.  Aus  diesem  Grunde  hat 
Verfasser  seine  Erfahrungen  über  den  Werth  der  äusser- 
lichen  Application  des  Ichthyols  in  einem  kurzen  Berichte 
zusammengefasst.  Die  eigentliche  Domäne  für  die  Ichthyol¬ 
behandlung  scheint  Edlefsen  auf  dem  Gebiete  der  Gelenk¬ 
krankheiten  zu  liegen.  Zunächst  konnte  er  sich  gleich 
nach  Einführung  des  Ichthyols  in  die  Therapie  von  dessen 
wohlthätigem  Einflüsse  bei  chronischem  Gelenkrheumatismus 
überzeugen,  namentlich  bei  chronisch  gewordenen  Ent¬ 
zündungen  einzelner  Gelenke,  wie  sie  nach  acutem  Gelenk¬ 
rheumatismus  Zurückbleiben,  oder  auch  bei  solchen,  die 
sich  von  vornherein  chronisch  entwickeln.  Hervorstechend 
ist  auch  bei  Polyarthritis  chronica  und  Arthritis  deformans 
die  erhebliche  Linderung  der  Schmerzen  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle,  in  einigen  auch  die  theilweise  Wiederherstellung 
der  Beweglichkeit.  In  der  ersten  Zeit  seiner  Anwendung 
wurden  in  der  Regel  alkoholisch-ätherische  Lösungen  von 
Ichthyol  verschrieben,  seltener  Ichthyolsalben  (10-20%). 
Als  dann  die  Vasogenpräparate  im  Handel  erschienen,  ha’f 
sich  Edlefsen  derart,  dass  er,  so  lange  ein  Ichthyolvasogen 
nicht  hergestellt  wurde,  die  alkoholisch-ätherische  Ichthyol¬ 
lösung  auf  die  Gelenkgegend  aufpinselte  und  dann  eine 
Einreibung  von  Mentholvasogen  folgen  Hess.  Dabei  Hess 
sich  —  auch  bei  der  Anwendung  des  Verfassers  bei  einer 


„Therap.  Monatshefte Jan.  1900. 

Entzündung  seines  eigenen  Metacarpophalangeal-Gelenkes 
gichtischer  Natur  —  deutlich  erkennen,  dass  bei  diesem 
Verfahren  die  Ichthyolwirkung  viel  vollständiger  und  rascher 
eintriit,  als  bei  einfachem  Einpinseln.  Besonders  fiel  dem 
Verfasser  die  bereits  binnen  10  Minuten  eintretende  schmerz¬ 
stillende  Wirkung  auf,  welche  er  mit  Mentholvasogen  allein 
nicht  erzielt  hatte. 

Nach  Bekanntwerden  des  zehnprocentigen  Ichthyol¬ 
vasogens  hat  Edlefsen  dieses  Präparat  als  solches  verwendet 
und  damit  in  bequemerer  Weise  durchwegs  günstige 
Resultate  erzielt.  Verfasser  betont  dabei  den  Werth  der 
Einreibungen  bei  Gelenkaffectionen  durch  die  gleichzeitig 
zur  Geltung  kommende  Massagewirkung.  Von  den  von 
ihm  beobachteten  Fällen  hebt  er  den  einer  chronisch¬ 
entzündlichen  Affection  im  rechten  Chopartschen  Gelenke 
bei  einer  29  jährigen  Dame  hervor,  bei  welcher  durch 
Einreibungen  von  Ichthyolvasogen,  zweimal  täglich,  binnen 
wenigen  Wochen  vollständige  und  anhaltende  Heilung  erzielt 
wurde,  nachdem  vorher  lange  fortgesetzte  Behandlung  mit 
Massage,  Jodeinpinselungen  und  Plattfussschuh  ohne  jeden 
Erfolg  geblieben  war. 

Gleich  günstig  war  das  Heilresultat  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  von  monarticulärem  Gelenkrheumatismus,  und  zwar 
umsomehr,  je  frischer  der  Fall  war  und  je  eher  sich  mit 
den  Ichthyolvasogen-Einreibungen  kräftigere  Massage  ver¬ 
binden  Hess.  Dies  gilt  besonders  für  die  Behandlung  der 
grösseren  Gelenke,  an  denen  leicht  8-10  Tropfen  der 
Flüssigkeit  vollständig  verrieben  werden  können.  Auf  diese 
Weise  kam  ein  Schultergelenkrheumatismus  binnen  10  Tagen 
zur  vollständigen  Heilung.  Bei  einem  bereits  über  ein 
Jahr  andauernden  polyarticulären  Gelenkrheumatismus  eines 
61jährigen  Kranken,  der  mit  wiederholten  Anfällen  von 
Polyarthritis  einherging,  wurde  wenigstens  Linderung  der 
Schmerzen  und  Besserung  der  Beweglichkeit  einzelner 
Gelenke  erzielt.  In  Fällen,  bei  denen  die  grosse  Schmerz¬ 
haftigkeit  der  Gelenke  energische  Einreibungen  mit  Ichthyol¬ 
vasogen  nicht  zulässt,  ist  die  gleichzeitige  innerliche  Ver¬ 
abreichung  von  Ichthyol  in  Pillen  oder  Kapseln  empfehlens- 
werdi,  oder  wo  die  Schmerzen  bei  der  Einreibung  zu 
heftige  sind,  die  Einpinselung  der  alkoholisch-ätherischen 
Ichthyollösung  am  Platze. 

Edlefsen  zieht  aus  seinen  Erfahrungen  über  den 
Gebrauch  des  Ichthyolvasogens  bei  Gelenkaffectionen  den 
Schluss,  dass  die  Einführung  des  Ichthyolvasogens  eine 
entschiedene  Bereicherung  des  Arzneischatzes  bedeutet,  auf 
welche  die  besondere  Aufmerksamkeit  der  Praktiker  hin¬ 
gelenkt  zu  werden  verdient. 

(Ref.  Dr.  F.  Kornfeld-Wien.) 


No.  230. 


Uebcr  die  ambulante  Behandlung  der  gonorrhoischen  Nebenhodenentzündung. 

Von  Dr.  O.  Werter,  Spez.-Arzt  für  Hautkrankheiten,  Berlin. 


Die  grössere  Mehrzahl  der  Fälle  von  gonorrhoischer 
Epididymitis  lässt  sich  bei  geeignetem  Vorgehen  ambulatorisch 
behandeln.  Mit  Rücksicht  darauf,  dass  diese  Thatsache  für 
die  Erkrankten  von  grosser  materieller  und  socialer  Bedeutung 
ist  —  ermöglicht  sie  doch  die  discrete  Erstrebung  des  Heilungs- 
processes  ohne  Unterbrechung  der  Erwerbsthätigkeit  — ,  sollte 
die  ambulatorische  Behandlung  von  den  ärztlichen  Praktikern 
häufiger  geübt  werden  als  dies  im  allgemeinen  der  Fall  ist. 
Nur  diejenigen  seltenen  Erkrankungsformen,  die  durch  ausser- 
gewöhnlich  starke  neuralgische  Symptome,  durch  heftige 
Funiculitis,  ausgedehnte  Hydrocele,  acute  Prostatitis,  peri- 
tonitische  Reizerscheinungen  complicirt  sind,  bedürfen  der 
Bettbehandlung,  im  übrigen  kommt  man  mit  dem  Anlegen 
eines  Langlebert’schen  Suspensoriums  schnell  zum  Ziele.  Oft 
sieht  man  nach  der  sachgemässen  Application  dieser  Bandage, 
welche  das  erkrankte  Organ  vor  äusseren  Schädlichkeiten 
schützt,  es  in  gleichmässiger  Temperatur  erhält,  den  Hodensack 
sammt  seinem  Inhalt  immobilisirt,  nach  vorn  und  oben  elevirt 
und  in  leicht  regulirbarer  Weise  comprimirt,  die  Schmerzen 


„Therap.  Monatshefte“,  Aug.  1899. 

augenblicklich  aufhören,  so  dass  der  Patient  sofort  ohne 
Beschwerden  gehen  kann.  Eine  billige  und  gediegen  aus¬ 
geführte  Modification  des  erwähnten  Suspensoriums  bringt 
die  Firma  A.  Nicolai,  Berlin,  Linienstr.  127,  in  den  Handel. 
Die  im  acuten  Stadium  der  Epididymitis  fast  immer  vor¬ 
handenen  Fiebererscheinungen,  wie  Schüttelfröste,  Kopf¬ 
schmerzen,  Schwindelgefühl,  bekämpft  man  vortheilhaft  durch 
innerliche  Verabreichung  von  Salipyrin  (1  g  dreimal  täglich) 
oder  3  —  5  g  Natrium  salicylicum  pro  die.  Zum  Zwecke 
einer  schnelleren  Verkleinerung  und  Volumsabnahme  des  Exsu¬ 
dates  kann  man  gleichzeitig  local  resorbirende  Medicamente 
appliciren;  speciell  die  Jodvasogenverbindungen  eignen  sich 
hierzu  wie  kein  anderes  Mittel.  Die  Nebenhodengeschwulst 
wird  mehrere  Male  täglich  je  nach  der  Empfindlichkeit  der 
Scrotalhaut  mit  6  oder  10%  Jodvasogen  eingepinselt.  Um 
etwaiger  arteficieller  Dermatitis  vorzubeugen,  empfiehlt  es 
sich,  für  fleissige  Puderungen  der  Cutis  mit  Talcum  pulv. 
oder  Zinkamylumpulver  Sorge  zu  tragen. 

(Ref.) 


Vasogen  in  der  Praxis. 

Vortrag  von  Dr.  A.  Humphrey  in  der  Distr.  Med.  Soc.  Morganfield,  Ky.,  Nordamerika. 


Die  in  Europa  sich  allgemeiner  Beliebtheit  erfreuenden 
Vasogen präparate  haben  auch  in  Amerika  Eingang  und 
Beifall  gefunden.  Verfasser  berichtet  an  der  Hand  von 
Krankengeschichten  über  seine  Erfahrungen  speciell  mit 
Jodvasogen  und  betont  die  bekannte  angenehme  Eigenschaft 
desselben,  rasch  in  die  Haut  einzudringen,  ohne  dieselbe 
zu  reizen  oder  längere  Zeit  zu  färben.  Besonders  interessant 
ist  die  in  Deutschland  noch  nicht  publicirte  Application 
des  6  %  igen  Jodvasogens  als  Injection,  welche  Verf.  bei 
heftigen  und  aller  anderen  Medication  widerstehenden 
ischiadischen  Schmerzen  bei  einer  19  jährigen  Dame  an¬ 
wendete.  Er  spritzte  15  minims  (0,9  ccm)  tief  in  die  Hüfte 


„New  Engl.  Medical  Monthly“,  Sept.  1899. 

über  dem  Ischiadieus  ein,  wiederholte  diese  Einspritzung 
noch  dreimal  und  begann  dann  mit  localer  Application  des 
Mittels  durch  Einreibungen.  Es  trat  Besserung  in  wenigen 
Tagen  und  Heilung  nach  einigen  Wochen  ein.  Auch  eine 
seborrhoische  Cyste,  welche  auf  Druck  reichlich  käsige 
Massen  secernirte,  wurde  durch  vier  Injectionen  von  je 
15  minims  6  %  igem  Jodvasogen  anscheinend  völlig  geheilt. 
Bei  einem  hypertrophischen  Nasopharingealkatarrh  hatte 
Verfassser  sehr  prompten  Erfolg  mit  der  inneren  Darreichung 
von  6  %  igem  Jodvasogen  bei  gleichzeitiger  localer  Application 
desselben  mittels  eines  Zerstäubers. 

(Ref.) 


Zur  Behandlung  der  tuberculösen  Cystitis 

benutzt  Tanago  Madrid  (Mon.  Ber.  über  die  Gesammtlstgn. 
a.  d.  G.  d.  K.  d.  Harn-  und  Sexualapparates.  Bd.  V.  Heft  4/5) 
das  Kreosotvasogen  sowohl  innerlich  als  auch  zu  Injectionen 
in  die  Blase  zur  Linderung  der  Reizbarkeit  derselben.  Die 
Absorption  des  Kreosots  erfolgte  mit  solcher  Schnelligkeit, 
dass  eine  Patientin  5—10  Minuten  nach  der  Injection  bereits 
im  Munde  den  Geschmack  des  Mittels  fühlte;  die  beruhigende 
Wirkung  des  Kreosotvasogens  blieb  nicht  aus,  die  Blutungen 
sowohl  wie  auch  die  Tenesmen  verschwanden.  Innerlich 
giebt  Verf.  bei  tuberculöser  Cystitis  nur  Kreosot  mit  Vasogen 
oder  mit  Tinct.  gentianae. 

(Ref.) 


Die  Vasogenpräparate  werden  auf  ärztliche  Ordination  und  nur  in  den  Apotheken  abgegeben. 

Wegen  der  bestehenden  verschiedenen  Arzneitaxen  empfiehlt  es  sich,  möglichst  Originalpackungen  (V.  P.  &Co.) 
zu  30  g  und  100  g  zu  ordiniren,  denen  der  Preis  von  1  4t.  resp.  2,50  41.  aufgedruckt  ist. 

Wir  bitten,  zu  beachten,  dass  bei  der  jetzigen  Packung  weder  den  Flaschen  noch  den  Umhüllungen  derselben 
Indicationen  irgend  welcher  Art  aufgedruckt  sind. 

Interessenten  aus  Aerztekreisen  stehen  Proben  und  Versuchsquanten  unserer  Präparate,  sowie  Indicationen, 
Receptformeln  und  die  umfangreiche  seit  1893  erschienene  Litteratur  über  die  Vasogene  (Verhandlungen  der  Berl.  medic. 
Gesellsch.,  der  Berliner  Dermatolog.  Gesellsch.,  Priv.-Doc.  Dr.  Ullmann,  Wien  u.  s.  w.)  gern  und  kostenlos  zur  Verfügung. 

Hamburg,  Vasogenfabrik  Pearson  &  Co. 

Neuerwall  93.  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung. 


The  treatment  of  Epididymitis.  Von  R.  C.  Kenner 
(Louisville,  Ky.)  The  New  York  Med.  Journal.  11.  XI.  99. 

Auf  Grund  günstig  beeinflusster  Fälle  empfiehlt  Verf. 
gegen  die  Schmerzhaftigkeit  bei  acuter  gonorrhoischer 
Epididymitis  das  Auflegen  von  in  möglichst  heissem  Wasser 
angefeuchteten  Tabaksblättern;  selten  bewirken  sie  Uebelkeit 
oder  Hautreizung,  sodass  sie  mit  heissen  Breiumschlägen 
mit  eventuellem  Zusatz  von  Laudanum  zu  vertauschen  sind. 
Jedenfalls  ist  ausserdem  stets  für  passende  Suspension  des 
Hodens  Sorge  zu  tragen.  Wenn  die  acuten  Erscheinungen 
vorüber  sind,  ist  zur  Resorption  des  Infiltrats  und  der 
Schwellung  das  bewährteste  Mittel  das  Jodvasogen,  durch¬ 
schnittliche  Dauer  bis  zur  Heilung  betrug  fünf  Tage.  (Ref.) 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1085 


Natr.  salicyl.  4  <7  pro  die.  Blasen-  und  Mastdarmtenesmus  ge¬ 
schwunden.  Urin  klar.  Aus  dem  Blute  werden  Staphylococcen 
gezüchtet. 

8.  December.  Temperatur  386 — 40‘6°.  Local  keine  Ver¬ 
änderung.  An  den  Stellen  des  Körpers,  welche  aufliegen,  kleine 
Hauthämorrhagien,  ebenso  an  den  Fingern.  Zunge  feucht.  Patient 
nimmt  wenig  zu  sich.  Puls  beschleunigt,  regelmässig,  gut 

gespannt. 

9.  December.  Morgens  Temperatur  38'8°,  Nachmittags  Tem¬ 
peratur  39'2°.  Hauthämorrhagien  vermehrt.  Natr.  sal.  wird  aus¬ 
gesetzt. 

10.  December.  Morgens  Temperatur  38  7°,  Nachmittags  Tem¬ 
peratur  39-8°.  Puls  frequent,  regelmässig.  Zunge  trocken.  Patient 
delirirt.  Unwillkürlicher  Abgang  von  Harn  und  Stuhl. 

11.  December.  Morgens  Temperatur  38'8°,  Nachmittags  Tem¬ 
peratur  39‘3.  Nachmittags  Bad.  Temperatur  darnach  unverändert. 
Puls  170,  schwach.  Delirien  bestehen  fort. 

12.  December.  Somnolenz  seit  14  Stunden.  Puls  klein,  sehr 
frequent,  ungleichmässig.  Morgens  Temperatur  39-2°.  Zunge  trocken. 
Athmung  beschleunigt  und  erschwert.  23/j  Uhr  Exitus  letalis. 

Obductionsergebniss  vom  1 3.  December :  Eiterige 
Bronchitis.  Im  Unterlappen  der  linken  Lunge  grosser  Intarct. 
Blutiger  Erguss  der  linken  Pleura.  Multiple  Iiämorrhagien  an  der¬ 
selben  und  am  Pericard.  Herz  schlaff,  parenchymatös  degenerirt. 
An  den  Mitralklappen  mächtige  Auflagerungen  und  bis  zu  4  cm 
lange  Auswüchse.  Parenchymatöse  Degeneration  der  Leber.  Nieren 
parenchymatös  degenerirt  und  mit  Infarcten  behaftet.  Keine 
Urethralstrictur.  Eiterige  Prostatitis.  Blasenmucosa  gewulstet. 

Der  geschilderte  Fall  ist  in  mehrfacher  Beziehung  be- 
achtenswerth.  In  erster  Reihe  fällt  der  verhältnissmässig  rasche 
Verlauf  auf,  indem  die  stürmischen  Erscheinungen  nur  acht 
Tage  ausgeprägt  waren.  Dabei  waren  am  Herzen  zur  Zeit  der 
Aufnahme,  somit  acht  Tage  vor  dem  Exitus,  durchwegs  nor¬ 
male  Töne  zu  hören.  Leider  wurde  die  weitere  Beobachtung 
der  auscultatorischen  Verhältnisse  am  Herzen  in  den  folgenden 
Tagen  unterlassen. 

Das  vor  circa  drei  Wochen  aufgetretene  Exanthem,  das 
in  einem  hiesigen  Spitale  beobachtet  wurde,  dürfte  auf  den 
Gebrauch  des  Copaivabalsams  zurückzuführen  sein.  Zu  dieser 
Zeit  wurde  die  Behandlung  der  Gonorrhoe  sistirt,  da  nach  den 
Angaben  des  Patienten  selbst  der  Ausfluss,  wohl  unter  der 
Einwirkung  des  bestehenden  Fiebers,  nur  sehr  spärlich  vor¬ 
handen  war. 

Der  Nachweis  von  Gonococcen  in  der  bestehenden  Auf¬ 
lagerung  an  den  Mitralklappen  wurde  nicht  unternommen, 
wäre  aber  gewiss  auch  negativ  ausgefallen,  da  der  Gonococcus 
bekanntlich  Temperaturen  von  39°  und  darüber,  wie  sie  der 
Patient  öfters  und  mehrere  Stunden  hindurch  hatte,  nicht  ver¬ 
trägt.  Dennoch  ist  es  aber  zweifellos,  dass  es  sich  hier  um 
eine  Endocarditis  gonorrhoica  handelte.  Dafür  spricht,  ab¬ 
gesehen  vom  ganzen  Verlaufe  der  Krankheit,  schon  der  Um¬ 
stand,  dass  vor  der  Einbringung  des  Patienten  auf  die  Klinik 
sich  niemals  irgend  welche  Herzsymptome  geltend  machten. 

Was  endlich  die  Aetiologie  dieser  seltenen  Erkrankung 
anlangt,  so  hat  ein  Fall  W  e  i  e  h  s  e  1  b  a  u  m’s  (1887)  eine  Er¬ 
klärung  gebracht.  Weichselbaum  gelang  es  nämlich, 
in  den  Klappenauflagerungen  den  Streptococcus  pyogenes 
aureus  sowohl  mikroskopisch,  als  auch  durch  Cultur  nachzu¬ 
weisen.  Das  Gleiche  gelang  Ely,  Finger  und  Siegheim. 
Wir  müssen  daraus  schliessen,  dass  die  Endocarditis  gonorrhoica 
das  Product  einer  Mischinfection  sei,  wobei  der  Gonococcus 
nur  eiuen  günstigen  Boden  für  die  Aufnahme  des  Eitercoccus 
schafft. 


Ueber  Jodoformwirkung  und  Jodoformersatz. 

Von  Dr.  Alexander  Fraenkel,  Privatdocent  für  Chirurgie  in  Wien. 

Nachdem  einmal  durch  die  Bacteriologen  —  namentlich 
unter  Führung  Baumgartner's  und  seiner  Schule  —  der 
Nachweis  erbracht  war,  dass  dem  Jodoform  jene  antibacte- 
riellen  Wirkungen  nicht  zukommen,  die  etwa  Carbolsäure  und 
Sublimat  aufweisen,  musste  sich  naturgemäss  die  Forschung 


zur  Erklärung  seines  ganz  unzweifelhaft  günstigen  Einflusses 
auf  die  Heilung  von  Wunden  dem  Studium  der  directen  Ein¬ 
wirkung  des  Jodoforms  auf  die  Gewebe  zuwenden.  An  die 
Namen  v  S  t  u  b  e  n  r  a  u  c  h  '),  II  a  a  s  1  e  r  2),  v.  Büngners)  — 
um  aus  der  grossen  Anzahl  von  Autoren  nur  jene  aus  den  letzten 
Jahren  zu  nennen  —  knüpft  sich  die  Erinnerung  an  vortreff¬ 
liche  Bearbeitungen  des  histologischen  Theiles  der  vielumstrit¬ 
tenen  Jodoformfrage. 

Wenn  auch  nicht  in  allen  Einzelheiten  der  Ergebnisse 
sich  vollkommen  deckend,  weisen  die  von  diesen  Forschern 
beigebrachten  Funde  in  der  allgemeinen  Auffassung  der  Wir¬ 
kung  des  Jodoforms  auf  die  Gewebe,  als  einer  wohl  charak- 
terisirten,  in  gewissem  Sinne  specifischen,  Uebereinstimmung 
auf.  Auch  darin  zeigt  sich  die  Uebereinstimmung,  dass  diese 
Gewebsveränderungen  den  Ergebnissen  vorausgegangener  For¬ 
schungen  gemäss  —  als  durch  eine  im  Organismus  bewirkte 
Zersetzung  des  Jodoforms  bedingt  betrachtet  werden  —  über 
das  Wie?  und  Wo?  dieses  Zersetzungsvorganges  sind  allerdings 
die  Meinungen  wieder  recht  getheilt. 

Die  Feststellung  der  specifischen  Wirkung  des  Jodoforms 
auf  die  Gewebe  wurde  bei  den  einschlägigen  bisher  durch¬ 
geführten  Experimenten  zumeist  aus  der  vergleichenden  Unter¬ 
suchung  der  histologischen  Bilder  jodoformirter  und  nicht 
jodoformirter  Wunden  und  Organe  abgeleitet. 

Ein  anderer  bisher  nur  sehr  wenig  betretener  Weg,  der 
zur  Lösung  der  Frage  der  Wirkung  des  Jodoforms  auf  wunde 
Gewebe  führen  konnte,  und  von  dem  man  sich  auch  ander¬ 
weitige  Aufschlüsse  erwarten  durfte,  ist  durch  die  vergleichende 
Untersuchung  vorgezeichnet,  von  histologischen  Befunden,  wie 
sie  einerseits  durch  das  Jodoform  andererseits  durch  Anwen¬ 
dung  chemisch  indifferenter,  pulverförmiger  Substanzen  sich 
darbieten.  Ueber  die  experimentellen  und  im  Anschlüsse  daran 
über  die  klinischen  Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  soll 
im  Nachfolgenden  berichtet  werden. 

I.  Ex  perimentel  1-h  istolo  gische  Untersuchungen.4) 

Für  die  zu  diesem  Zwecke  durchgeführten  Untersuchun¬ 
gen  dienten  Meerschweinchen  als  Versuchsthiere.  Es  wurden 
ihnen  nach  4 — 5  cm  langen  Incisionen  durch  Haut  und  Fascie 
der  Lendengegend  aus  der  Musculatur  Stücke  excidirt,  wodurch 
Höhlenwunden  von  Haselnussgrösse  und  darüber  geschaffen 
wurden.  In  diese  wurden  nun  in  einer  Reihe  von  Fällen  Jodo¬ 
form,  kry stallin isch  oder  pulverförmig,  in  einer  anderen  Linden¬ 
kohlenpulver,  Knochenkohle,  Semen  Lycopodii  eingestreut  - 
alle  diese  Substanzen  theils  steril,  theils  ohne  vorausgegangene 
Sterilisation.  Die  Haut-Fascien-Muskelwunden  wurden  dann 
durch  einige  tiefgreifende  Suturen  vereinigt  und  jeweilig  auch 
an  der  Hautoberfläche  mit  demselben  Pulver  dick  beschickt, 
das  vorher  in  die  Höhlenwunde  eingestreut  worden  war.  Nach 
8,  beziehungsweise  14  Tagen  wurden  die  in  allen  Fällen 
ohne  sichtbare  Eiterung  geheilten  Wunden  im  Ganzen  excidirt, 
und  nach  dem  üblichen  Plärtungs-  und  Einbettungsverfahren 
mittels  Mikrotom  geschnitten  und  in  Hämalaun-Eosin  gefärbt. 

Wenn  ich  nun  die  Ergebnisse  dieser  histologischen 
Studien  zusammenfasse,  so  ergibt  sich  Folgendes: 

Die  unter  Jodoformbehandlung  geheilten  Wunden  weisen 
im  achttägigen  Präparat  (Fig.  1)  gegen  die  geschaffene  Wund¬ 
höhle  hin  eine  stellenweise  sehr  reichliche  fibrinös-eiterige  Ex¬ 
sudation  auf,  mit  auffallendem  körnigen  Zerfall  der  Kerne  der 
Leukocyten.  Die  an  die  Höhle  angrenzende  Schichte  wird  durch 
ein  kernreiches,  aus  dicht  gedrängten  spindeligen  kleinen  Zellen 
bestehendes  Gewebe  gebildet,  reichlich  von  zartwandigen,  neu¬ 
gebildeten  Gefässen  durchzogen  und  stellenweise  durchsetzt  von 
theils  in  Zügen,  theils  in  Häufchen  angeordneten  Ansamm¬ 
lungen,  z  umeist  polynu  clearer  Leukocyten  mit  deutlichem  körnigem 
Zerfall  der  Kerne.  Diesem  jungen  Bindegewebe  schliesst  sich 
die  Musculatur  an,  welche  gleichfalls  noch  theils  durch  Züge 
jungen  Bindegewebes,  theils  durch  Rundzellanhäufungen  durch- 

')  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XXXVII,  Heft  5. 

2)  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  L,  Heit  1. 

3)  Beitiäge  zur  pathologischen  Anatomie  und  zur  allgemeinen 
Pathologie.  Bd.  XIX,  Heft  1. 

4)  Herr  Hofrath  Weichselbaum  hatte  die  Güte,  mir  die  Durch¬ 
führung  dieser  Untersuchungen  im  Institute  für  pathologische  Anatomie  zu 
gestatten,  wofür  ich  auch  an  dieser  Stelle  ergebenst  danke. 


1086 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


setzt  erscheint.  Dort,  wo  Musculatur  und  Bindegewebsschichte 
aneinandergrenzen,  zeigen  die  Muskelfasern  Quellung,  Homo- 
genisirung  und  Kern  Wucherung.  Die  Kern  wucherungsbilder 
sind  durch  Form  und  färberisches  Verhalten  schon  bei 
schwacher  Vergrösserung  leicht  zu  unterscheiden  von  den  im 
Bereich  der  Spindelzellen  auftretenden  vielkernigen,  id  est 
Kiesenzellen.  Die  letzteren  sind  namentlich  an  solchen  Stellen 
des  Präparates  in  grösserer  Zahl  zu  finden,  wo  sich  ins  junge 
Bindegewebe  hineinragende  vereinzelte  Fasern  der  Muskel- 


Fi  g.  1. 


Obj.  3,  Oc  il.  4.  Uebersicbtsbild  einer  jodoformirten  Wunde  nach  8  Tagen. 

schichte  vorfinden,  an  deren  unregelmässig  gefoimtcs  Ende 
sich  dann  die  Kiesenzelle  anlagert. 

Seltener  findet  man  die  Kiesenzellen  mitten  im  klein¬ 
spindelzelligen  Gewebe,  wo  sie  an  der  einen  oder  anderen 
Stelle  entweder  noch  einen  durch  die  angewandten  Präpara¬ 
tionsmittel  (Alkohol  und  Aether)  ausnahmsweise  nicht  ge¬ 
lösten  Jodoformkrystall  umgeben  (Fig.  2),  oder  es  finden  sich 
in  der  allernächsten  Umgebung  der  Kiesenzelle  oder  in  dieser 
selbst  Lücken,  die  noch  vereinzelt  ein  körniges  Pigment  ent¬ 
halten,  welches  als  Rest  des  eingebrachten  Jodoforms  zu  be¬ 
trachten  ist. 

Die  histologischen  Befunde  der  jodoformirten  Wunden 
nach  14tägiger  Heilungsdauer  lassen  sich  folgendermassen 
resumiren : 


Obj.  5,  Ocul.  4.  Ausgezogener  Tubus.  In  der  Mitte  des  Präparates  Jodoform- 

krystall  mit  Riesenzelle. 

Auch  in  diesem  Stadium  noch  eine  reichliche  fibrinös¬ 
eiterige  Exsudation  auf  der  Oberfläche  der  Wundhöhle.  Das 
aus  Spindelzellen  bestehende  Gewebe  greift  in  Streifen  und 
Zügen  zwischen  die  Muskelfaserung  hinein.  Schon  bei 
schwacher  Vergrösserung  bieten  die  Spindelzellen  ein  wesent¬ 
lich  anderes  Bild  wie  früher.  Sie  sind  länger  und  schmäler 
geworden  und  liegen  nunmehr  in  Bündel  und  Züge  gruppirt, 
die  sich  stellenweise  mannigfach  durchflechten.  Kurz,  es  hat 
sich  das  im  achttägigen  Präparat  beschriebene  junge  Gewebe 
in  fertiges  Bindegewebe  umgewandelt,  welches  durch  seinen 
grossen  Kernreichthum  sich  als  junges  Narbengewebe  mani- 


festirt.  Auch  inmitten  dieses  aber  finden  sich  noch  ziemlich  reich¬ 
lich  Anhäufungen  zumeist  polynuclearer  Leukocyten  mit  deut¬ 
lichem  körnigen  Zerfall  der  Kerne  vor.  Die  Riesenzellenbildung 
ist  hier  noch  reichlicher,  wie  im  Präparat  vor  acht  Tagen,  zu¬ 
meist  wie  dort  an  nekrotische  Muskelfasern  angelagert,  seltener 
um  einen  noch  ungelöst  gebliebenen  Jodoformkrystall  oder 
dessen  eigenthümliche  Pigmentkörner  darstellende  Reste 
gelagert.  Die  zarten  Gefässe  haben  sich  zurückgebildet,  es 
finden  sich  nur  mehr  spärliche,  mit  kräftigerer  Wandung 

(Fig.  3). 

Trotz  anscheinend  vollkommen  per  primam  erfolgter 
Heilung  der  den  Versuchsthieren  beigebrachten  Wunden  ge¬ 
lingt  also  bei  deren  histologischer  Untersuchung  auch  in  einem 
vorgeschrittenen  Stadium  des  Verlaufes  der  jodoformirten 
Wunden  neben  üppiger  Neubildung  von  Bindegewebe  der 
deutliche  Nachweis  einer  stattgehabten  sehr  bemerkenswerthen 
fibrinös-eiterigen  Exsudation  innerhalb  der  sonst  zur  Heilung 


Fig.  3. 


Vergrösserung  wie  Fig.  1.  Uebersicbtsbild  einer  jodoformirten  Wunde  nach 

14  Tagen,  Grenze  zwischen  Muskel-  und  Bindegewebsschichte. 

tendirenden  Gewebsvorgänge.  Es  bestätigen  sich  hiemit  schon 
frühere  Beobachtungen  von  v.  Biingner,  der  aus  seinen 
Einheilungsstudien  an  jodoformirten  Fremdkörpern  für  das 
Jodoform  eine  exquisit  chemotaktische  und  entzündungserre¬ 
gende  Wirkung  ableitete. 

Auch  Haasler  constatirte  an  seinen  jodoformirten 
Knochenmarkswunden  eine  massenhafte  Einwanderung  von 
Leukocyten,  welche  namentlich  im  Vergleich  mit  seinen  Be¬ 
obachtungen  der  an  nicht  jodoformirten  Knochenmarkswunden 
stattfindenden  Emigrationsvorgänge  von  ihm  als  eine  dem 
Jodoform  geradezu  eigenthümliche  Wirkung  angesehen  wurde. 
Haasler  konnte  ferner  unter  gleichzeitigem  Zugrundegehen 
der  verschiedenartigen  kleinen  und  grossen  Zellen  leukocytären 
Ursprunges  gerade  unter  Jodoformeinwirkung  eine  besonders 
reichliche  Bindegewebsneubildung  vom  reticulären  und  peri- 
vasculären  Gewebe  ausgehen  sehen.  Auch  in  unseren  Präpa¬ 
raten  trat  —  wie  hervorgehoben  —  diese  Bindegewebs- 


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neubildung  als  üppiger  Proliferationsvorgang  zu  Tage;  aber 
auch  noch  in  einem  Stadium,  wo  das  junge  Bindegewebe 
schon  die  Charaktere  des  Narbengewebes  angenommen  hat, 
findet  sich  bemerkenswerther  Weise  noch  eine  reichliche  In¬ 
filtration  in  Form  von  Anhäufungen  zumeist  polynuclearer, 
körnig  degenerirter  Leukocyten. 

Ein  Weiteres,  das  aus  unseren  Versuchen  mit  aller  Deut¬ 
lichkeit  hervorgeht,  ist  die  Thatsaclie,  dass  dem  Jodoform  die 
seinerzeit  von  Marchan  d5)  zugeschriebeneWirkung,  die  Riesen¬ 
zellenbildung  im  Gewebe  zu  hindern,  in  keiner  Weise  zukommt. 
Es  muss  übrigens  ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  dass 
schon  v.  ßüngner  in  seiner  unter  Leitung  Marchand’s 
ausgeführten  Arbeit  diese  irrthümliche  Annahme  später  cor- 
rigirt  hat. 

Es  ist  aber  von  besonderem  Interesse,  im  Präparate  den 
Anlässen  zur  Riesenzellenbildung  nachzugehen.  Wenn  auch 
der  Nachweis  nur  ganz  vereinzelt  gelingt  —  da  ja  die  Prä¬ 
paration  der  excidirten  Stücke  mit  Alkohol  und  Aether  den 
grössten  Theil  des  eingebrachten  Jodoforms  auflöst  —  so  ist 
es  doch  unzweifelhaft  festzustellen  (siehe  Fig.  2),  dass  die 
Riesenzellenbildung  um  einzelne  noch  der  Lösung  entgangene 
Jodoformkrystalle  als  mantelartige  Angliederung  von  Proto¬ 
plasmaklampen  mit  zahlreichen  randständigen  Kernen  erfolgt, 


Fig.  4. 


Obj.  3,  Ocul.  4.  Ausgezogener  Tubus.  Uebersichtsbild  einer  mit  sterilem 
Semen  lycopodii  behandelten  Wunde  nach  8  Tagen. 

dass  wir  es  also  hier  direct  mit  histologischen 
Fremdkörperwirkungen  des  Jodoforms  als  sol¬ 
chem  zu  thun  haben. 

Wenn  man  mit  diesen  an  jodoformirten  Wunden  er¬ 
hobenen  Befunden  jene  vergleicht,  welche  sich  bei  der  Be¬ 
handlung  der  Wunden  mit  den  früher  genannten  chemisch 
indifferenten  Pulvern  ergibt,  so  haben  wir  —  um  es  mit 
wenigen  Worten  zu  sagen  —  entweder  sich  mehr  oder  weniger 
deckende  histologische  Bilder  oder  differente,  je  nachdem  diese 
Pulver  in  nicht  sterilem  oder  sterilem  Zustande  in  die  Wunden 
eingebracht  worden  waren. 

Die  histologischen  Bilder,  die  uns  die  Gewebsvorgänge 
jodoformirter  Wunden  darbieten,  zeigen  eine  fast  völlige  Ana¬ 
logie  mit  jenen,  die  wir  an  Wunden  beobachten,  die  mit 
nicht  vorher  sterilisirten  indifferenten  Pulvern 
(Pflanzenkohle,  Thierkohle)  beschickt  hatten.  Hier  wie  dort  bei 
gleichzeitiger  reichlicher  Bindegewebsneubildung  das  Auftreten 
jener  früher  beschriebenen  fibrinös-eiterigen  Exsudate,  hier 
wie  dort  der  körnige  Zerfall  an  den  Kernen  der  Leukocyten. 

Fast  im  Gegensätze  hiezu  erfolgen  die  Heilungsvorgänge 
bei  Gegenwart  steriler  indifferenter  Pulver  unter  sehr  ge¬ 
ringer  Exsudation  zelliger  Elemente,  namentlich  ist  aber  auch 
das  fibrinöse  Exsudat  gegenüber  seinem  Auftreten  in  jodo- 

;j  Ueber  die  Bildungsweise  der  Itiesenzellen  und  den  Einfluss  des 
Jodoforms  hierauf.  Virchow’s  Archiv.  1883,  Tld.  XCI1I. 


formirten  Wunden  unvergleichlich  spärlicher.  Die  Riesenzellen¬ 
bildung  ist  namentlich  an  den  Lycopodiumpräparaten  ausser¬ 
ordentlich  reichlich.  Die  Körner,  im  Gegensätze  zum  Jodoform¬ 
pulver,  weder  durch  die  bei  der  Präparation  angewandten 
Chemikalien,  noch  in  den  Geweben  gelöst,  heilen  dauernd  ein, 
und  fast  jedes  derselben  wird  ein  Centrum  für  die  Apposition 
von  Riesenzellenleibern  (Fig.  4). 

Im  Allgemeinen  findet  man  in  den  histologischen  Bildern 
der  Präparate  von  nach  Einverleibung  steriler  indifferenter 
Pulver  geheilten  Wunden  vorwaltend  den  Ausdruck  der  Pro¬ 
liferation  der  präexistirenden  fixen  Gewebszellen  demnach  auch 
in  relativ  frühen  Stadien  eine  Narbenbildung,  die,  wenn  sie 
auch  von  begleitenden  exsudativen  Vorgängen  nicht  ganz  frei 
ist,  diese  doch  in  weit  geringerem  Grade  nachweisen  lässt  als 
die  jodoformirten  Wunden  (Fig.  5).  Nicht  nur  die  Quantität 
des  mikroskopisch  nachweisbaren  Exsudates  ist  eine  erheblich 
geringere,  auch  in  seiner  Zusammensetzung  unterscheidet  es 
sich  von  jodoformirten  Wunden  insoferne,  als  der  Fibringehalt 
bei  den  Jodoformpräparaten  auffällig  erheblicher  erscheint 
und  zudem  der  körnige  Zerfall  an  den  Leukocytenkernen 
ausser  an  den  Jodoformpräparaten  nur  an  jenen  mit  nicht 
sterilen  indifferenten  Pulvern  beobachtet  wird,  wogegen  er  an 
den  relativ  spärlichen  Leukocytenansammlungen  der  mit  sterilen 


Fig.  5. 


Obj.  3,  Ocul.  4.  Uebersichtsbild  einer  mit  sterilem  Kuochenkohlenpulver 
behandelten  Wunde  nach  8  Tagen. 


indifferenten  Pulvern  behandelten  Wunden  überhaupt  nicht 
nachweisbar  ist. 

Wenn  man  Alles  zusammenfasst,  was  die  histologische 
Beobachtung  an  den  jodoformirten  Wunden  einer-  und  an  den 
mit  indifferenten  Pulvern  behandelten  andererseits  ergibt,  so 
können  wir  die  hier  ersichtlichen  Gewebsvorgänge  im  Allge¬ 
meinen  als  Wundheilungsvorgänge  unter  Mitwir¬ 
kung  von  Fremd  kör  per  reizen  bezeichnen.  Eine  Gruppe 
hievon  —  das  Jodoform  und  die  nicht  aseptischen  indifferenten 
Pulver  —  zeigt  bei  ausgesprochener  Begünstigung  der  Binde¬ 
gewebsneubildung  gleichzeitig  ziemlich  erhebliche  entzündliche 
Begleiterscheinungen;  die  andere  —  die  sterilisirten  indifferenten 
Pulver  beeinflussen  die  Wundheilung  bei  sehr  geringer  ent¬ 
zündlicher  Reizung  mehr  im  Sinne  der  Anregung  von  zur 
blanden  Narbenbildung  führenden  Proliferations  Vorgängen  an 
den  präexistirenden  fixen  Zellen  des  Gewebes.  Letzteres  drückt 
sich  auch  in  der  Riesenzellenbildung  aus,  die  wir  in  der  einen 
wie  in  der  anderen  Gruppe  an  die  gleichen  Bedingungen  und 
Voraussetzungen  geknüpft  sehen.  Zumeist  sind  es  die  einge¬ 
brachten  Fremdkörper  selbst,  die  als  Centren  der  Riesenzellen¬ 
bildung  auftreten  und  dies  ist  um  so  deutlicher  ersichtlich,  je 
besser  diese  ihrer  chemischen  Beschaffenheit  nach  den  Prä¬ 
parationsmethoden  und  der  lösenden  Einwirkung  der  Gewebe 
Widerstand  leisten.  Wir  haben  aber  auch  gesehen,  dass  nekroti- 
sirende  Gewebselemente  (Muskelfasern)  in  Wunden  die  Be- 


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deutung  von  Fremdkörpern  gewinnen  lind  gleich  diesen  inner¬ 
halb  der  Bindegewebsentwicklung  die  Riesenzellenbildung 
fördern  und  haben  speciell  diese  Gewebsvorgänge  gerade  an 
den  jodoformirten  Wunden  mit  besonderer  Deutlichkeit  be¬ 
obachten  können. 

Indem  wir  nun  aus  den  angeführten  Ergebnissen  dieser 
Untersuchungen  die  Wirkung  des  Jodoformpulvers  auf  das 
Gewebe  unter  nahezu  gleichen  histologischen  Bildern  ablaufen 
sehen,  wie  sie  sich  bei  der  Einverleibung  chemisch  indifferenter 
aber  nicht  vorher  sterilisirter  Pulver  darbieten,  entfällt  wohl 
von  selbst  die  Annahme  einer  specifischen  Be¬ 
einflussung  der  Gewebe  durch  das  Jodoform.  Es 
kann  ihm  lediglich  die  allen  anderen  gleichzeitig 
und  vergleichsweise  angewendeten  nicht  asepti¬ 
schen  Pulvern  zukommende  Wirkung  der  exsuda¬ 
tiven  und  fibro plastischen  Gewebsreizung  durch 
F  remdkörpereinheilung  zugesprochen  werden, 
Auch  die  weitere  Annahme,  dass  die  durch  das  Jodo¬ 
form  hervor  gerufenen  Gewebsveränderungen 
erst  als  Consequenz  einer  stattgehabten  Zer¬ 
setzung  des  Mittels  zu  erklären  seien,  ist  durch¬ 
aus  nicht  zwingend,  denn  es  theilt  die  gleichen  Wirkungen 
auf  das  Gewebe  mit  anderen  Substanzen,  bei  denen  von  solchen 
Zersetzungen  nicht  die  Rede  sein  kann.  Die  mikroskopisch 
nachweisbare  fibrinös-eiterige  Exsudation,  die  einen  so  con- 
stanten  Begleiter  der  unter  Jodoformanwendung  geheilten  Wunden 
darstellt  und  den  gleichzeitig  mit  solcher  Regelmässigkeit  zu  be¬ 
obachtenden  körnigen  Zerfall  der  Kerne  der  zahlreich  ausge- 
wanderten  Leukocyten  konnte  man  ja  auch  bei  der  Einwirkung 
nicht  aseptischer  aber  sonst  chemisch-indifferenter  Pulver  be¬ 
obachten  und  sind  av  o  h  1  diese  Erscheinungen  hier 
wie  dort  auf  den  Einfluss  der  mit  den  an  ge¬ 
wendeten  Pulvern  gleichzeitig  ein  geführten 
Bacterien  zurückzuführen. 

Den  Gewebsvorgängen  der  idealen  prima  intentio  kommen 
also  bei  vergleichsweiser  Untersuchung  dieser  histologischen 
W  irkungen  am  nächsten  jene  W unden,  die  mit  sterilen  indiffe¬ 
renten  Pulvern  behandelt  wurden  und  sie  unterscheiden  sich 
vom  reizlosen  Verlauf  von  Wunden,  die  ohne  durch  ein  Heil¬ 
mittel  irgend  beeinflusst  zu  sein  durch  unmittelbare  Vereini¬ 
gung  ausheilen,  lediglich  durch  die  hiebei  zu  beobachtende 
starke  flbroplastische  Wirkung  des  angewardten  Pulvers. 

Indem  die  Uebertragung  der  gewonnenen  histologischen 
Befunde  auf  die  chirurgische  Praxis  einerseits  schon  bewährte  Er¬ 
fahrungen  stützt,  eröffnet  sie  andererseits  aber  auch  neue  Gesichts 
punkte.  Man  wird  in  der  Ueberzeugung  bestärkt  werden,  dass 
die  Bestreuung  frischer,  durch  die  Operation  gesetzter  Wunden, 
Aron  denen  man  sich  eine  reizlose  primäre  Heilung  erhoffen  darf, 
sei  es  mit  Jodoform  von  sonstigen  Pulvern,  ein  nicht  nur  über¬ 
flüssiges,  sondern  oft  geradezu  schädliches  Unternehmen  dar¬ 
stellt.  v.  Büngner  hat  ganz  speciell  darauf  hingewiesen,  wie 
insbesondere  in  der  Bauchhöhle  durch  die  vielfach  ganz 
schematische  und  ohne  besondere  Indication  geübte  Anwen¬ 
dung  des  Jodoforms  die  Entwicklung  nachtheiliger  Folgezu¬ 
stände,  Avie  diejenige  von  Adhäsion  und  Strangbildungen  ganz 
ausserordentlich  begünstigt  wird. 

Während  also  die  histologischen  Befunde  an  den  jodoformirten 
Wunden  die  nachtheiligen  Folgen  der  Anwendung  des  Mittels 
auf  für  primäre  Heilung  prädestinirte  Wunden  erklären,  ver¬ 
mitteln  sie  andererseits  gleichzeitig  das  Verständniss  der 
günstigen  Wirkungen  des  Jodoforms  bei  dessen 
Einwirkungauf  inficirtes,  namentlich  tuberculoses 
Gewebe. 

Bruns  und  Nau  werk0)  haben  seinerzeit  die  Befunde 
erhoben,  die  sich  hiebei  ergeben.  Freilich  stellten  sie  in  den 
Vordergrund  der  von  ihnen  geschilderten  Veränderungen  die 
antibacteriellen  Wirkungen  des  Mittels  als  die  wichtigste  Ur¬ 
sache  der  beobachteten  Gewebsvorgänge.  Die  Ergebnisse  aus 
unseren  und  unserer  Vorarbeiter,  namentlich  ITaasler’s  und 
v.  Büngner’s  histologischen  Untersuchungen  und  die  an  nicht 
tuberculösen  GeAAreben  von  uns  constatirten  Wirkungen  des 

6)  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  1887. 


Mittels  decken  sich  im  Wesentlichen  mit  den  von  Bruns 
und  N  au  werk  erhobenen  Befunden  vollständig.  In  dieser 
Uebereinstimmung  scheint  Avohl  ein  Grund  mehr,  die  selbst¬ 
ständige  Bedeutung  dieser  GeAvebsveränderungen  auch  ohne 
Voraussetzung  antibacter iel ler  Wirkungen  anzuerkennen.  Bruns 
und  Nau  w  e r  k  geben  folgende  Darstellung  der  histologischen 
Veränderungen  in  der  Wandung  tuberculöser  Abscesse  unter 
der  EinAvirkung  von  Jodoform  :  .  .  .  .  »es  stellt  sich  eine  zellen¬ 
reiche  Exsudation  ein,  Avelche  das  noch  vorhandene  tubercu- 
löse  Gewebe  durchtränkt  und  lockert.  Zugleich  entwickelt  sich 
unter  starker  Wucherung  der  Spindelzellenschichte  gesundes, 
äusserst  gefässreiches  Granulationsgewebe,  welches  die  tuberkel¬ 
haltigen  Theile,  die  der  Verfettung  und  Nekrose  verfallen, 
immer  mehr  abhebt.  Nach  Sclnvund  der  Tuberkel  obliterirt 
das  Gefässsystem,  die  Granulationen  verschwinden  oder  gehen 
mitsammt  der  Spindelzellenschichte  in  BindegeAvebe  über,  die 
Exsudation  hört  auf,  der  Abscessinhalt  wird  resorbirt,  die 
Wandungen  schrumpfen  narbig  zusammen«.  —  Dieser  klare 
und  anschauliche  Befund  bildet  im  Grossen  und  Ganzen  die 
Beschreibung  der  histologischen  JodoformAvirkung  als  solcher. 
Wenn  Bruns  und  Nau  werk  in  den  Wandungen  der  von 
ihnen  untersuchten  jodoformirten  kalten  Abscesse  keine  Tuberkel¬ 
bacillen  vorfanden,  so  folgt  daraus  durchaus  nicht  zAvingend, 
darin  auch  eine  di  recte  antibacterielle  Jodoformwirkung  zu 
sehen  und  zwar  jene,  welche  all  den  beschriebenen  GeAvebs- 
veränderungen  zunächst  den  Boden  vorbereitet.  Die  Einwände 
gegen  die  Stichhältigkeit  speciell  dieser  Annahme  sind  in  der 
einschlägigen  Literatur  mit  aller  wünschenswerthen  Klarheit 
oft  genug  erhoben  worden,  um  deren  Wiederholung  an  dieser 
Stelle  überflüssig  erscheinen  zu  lassen.  Es  genüge  hier  der 
Hinweis  auf  die  Arbeiten  von  Baumgarten'),  Kunz5), 
Tr  oje  und  Tan  gl9)  u.  A.  m. 

Die  Jodoformwirkung  aber,  wie  sie  von  der  Untersuchung 
der  Abscesswandungen  ausgehend  von  B  r  u  n’s  und  Nauwerk 
beschrieben  wird,  schliesst  gleichzeitig  die  Beschreibung  jener 
GeAvebsvorgänge  mit  ein,  die  wir,  Avenigstens  für  einen  Theil 
der  Fälle,  als  die  massgebenden  für  die  Ueberführung  tuber¬ 
culösen  Gewebes  in  gesundes,  für  die  Ausheilung  tuberculöser 
Herde  anzunehmen  gewohnt  sind. 

Je  grössere  Bedeutung  aber  den  directen  Wirkungen  des 
Jodoforms  auf  die  Gewebe  zukommt  und  je  mehr  hiedurch 
auch  seine  curativen  Wirkungen  bei  localer  Tuberculose  eine 
ausreichende  Erklärung  finden,  umsomehr  gewinnt  es  praktischen 
W erth,  wenn  es  gelingt,  diese  Wirkungen  auch 
durch  andere  Mittel  zu  erzeugen,  die  den  Cha¬ 
rakter  indifferenter  Substanzen  haben,  ohne 
die  toxischen  Wirkungen  —  von  anderen  uner¬ 
wünschten  Nebenwirkungen  abgesehen  —  mit 
in  den  Kauf  nehmen  zu  müssen,  die  dem  Jodo¬ 
form  zweifellos  an  haften. 

Wir  haben  nach  unseren  Präparaten  die  Histologie  der 
Jodoform Avirkung  im  Wesentlichen  als  eine  Fremdkörperwirkung 
deuten  zu  dürfen  geglaubt.  Wir  haben  gesehen,  dass  das  Jodo¬ 
form  nicht  reizlos  einheilt,  sondern  doppelte  Wirkungen  ent¬ 
faltet;  einerseits  exsudative,  andererseits  gewebsproductive  im 
Bereiche  des  BindegeAvebes.  Wir  haben  schliesslich  in  den 
histologischen  Bildern,  wie  sie  sich  bei  der  Einheilung  indiffe¬ 
renter  Pulver  ergeben,  Befunde  erheben  können,  Avelche  mit 
denen  an  jodoformirten  gewonnenen  sich  deckten.  Nur  darin 
war  ein  Unterschied  zu  verzeichnen,  dass  die  A* 7 8orherige  Sterili¬ 
sation  der  eingebrachten  indifferenten  Pulver  eine  weit  reiz¬ 
losere  Fremdkörpereinheilung  constatiren  liess  als  dies  beim 
Einheilen  von  Jodoformpulver  der  Fall  ist.  Pis  handelt  sich 
nun  darum,  ob  die  begleitenden  exsudativen  Vorgänge  eine 
unbedingte  Voraussetzung  für  die  Ausheilung  tuberculöser 
GeAvebe  bilden  oder  ob  dieses  Ziel  lediglich  durch  die  binde- 
geAvebsbildende  Componente  der  Fremdkörpereinheilung  er¬ 
reichbar  erscheint. 

")  Siehe  dessen  Jahresberichte,  ferner:  Berliner  klinische  Wochen¬ 

schrift.  1887,  Nr.  20. 

8)  Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie.  Bd.  II,  Heft  2. 

9)  Arbeiten  aus  dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie  aus  dem 
pathologischen  Institute  zuTübingen,  Herausgegeben  yon  P.  Baumgarten. 
Braunschweig  1891 — 1892. 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Die  Antwort  auf  diese  Frage  ergibt  sich  am  un¬ 
gezwungensten  aus  dem  Studium  der  spontanen  Aus¬ 
heilung  tuberculöser  Herde.  Die  reizloseste  Form  der 
Ausheilung  tuberculöser  Herde  ist  in  deren  unmittelbaren 
Umwandlung  in  das  histologische  Bild  des  Narbengewebes  ge¬ 
geben.  Wenn  wir  den  Durchschnitt  exstirpirter  tuberculöser 
Lymphome  durchmustern,  so  begegnen  wir  oft  mitten  im 
hyperplastischen  adenoiden  Gewebe  Narben  von  zumeist  stern¬ 
förmiger  Gestalt,  bei  deren  histologischer  Betrachtung  noch  in 
Form  einer  mitten  im  neugebildeten  Bindegewebe  liegenden 
Riesenzelle  die  stattgehabte  spontane  Umwandlung  tuberculösen 
Gewebes  in  fibröses  Narbengewebe  ihren  Ausdruck  findet.  In 
der  spontanen  oder  nach  erfolgter  Laparotomie  erfolgten  Aus¬ 
heilung  der  miliaren  Form  der  Tuberculose  des  Peritoneums 
ist  ebenfalls  der  Typus  der  Ausheilung,  respective  der  Sub¬ 
stitution  des  Tuberkels  durch  Umwandlung  seiner  histologischen 
Elemente  in  Bindegewebe  gegeben.  Ein  anderer  Typus  der 
Ausheilung  tuberculöser  Herde,  zumal  der  im  Knochen  auf¬ 
tretenden,  hat  in  der  demarkirenden  und  abschliessenden  Ge¬ 
websneubildung,  wie  sie  sonst  in  einfachster,  auf  rein  mecha¬ 
nischen  Vorgängen  beruhender  Weise  durch  den  Fremdkörper¬ 
reiz  erzeugt  wird,  sozugen  sein  anatomisches  Vorbild.  Die  da¬ 
bei  zu  beobachtenden  secundären  Vorgänge,  die  eventuell  auch 
zur  vollständigen  Elimination  des  Herdes,  zur  Abstossung 
nach  aussen  führen,  haben  nur  die  Bedeutung  begleitender 
Umstände. 

Aber  gerade  die  spontane  Ausheilung  der  tuberculösen 
Herde,  wie  wir  sie  unter  exspectativ  conservativer  Therapie 
in  der  chirurgischen  Praxis  beobachten  können,  erfolgt  fast 
ohne  Mitwirkung  entzündlich-exsudativer  Vorgänge,  entweder 
als  blande  Umwandlungen  tuberculösen  Gewebes  in  Narben¬ 
gewebe  oder  in  Form  einer  üppigen,  die  tuberculösen  Herde 
abschliessenden  Bindegewebsproduction. 

Auf  Grund  solcher  Erwägungen  wird  man  die  histo¬ 
logisch  nachweisbaren  exsudativ  -  entzündlichen  Begleit¬ 
erscheinungen  der  Jodoformwirkung  nicht  hoch  genug  an¬ 
schlagen,  um  sie  als  deren  wesentlichen  Antheil  an  der  günstigen 
Beeinflussung  tuberculöser  Processe  aufzufassen,  sondern  wird 
vielmehr  gerne  nach  Mitteln  greifen,  welche,  ohne  diese 
chemotaktischen  und  entzündlichen  Wirkungen  auszuüben,  die 
Fähigkeit  besitzen,  mehr  und  ausschliesslicher  auf  das  präexisti- 
rende  fixe  Gewebe  im  Sinne  der  Anregung  von  zur  Bildung 
von  Narbengewebe  führenden  Proliferationsvorgängen  zu  wirken 
und  dies  umso  lieber,  wenn  diese  Ersatzmittel  frei  von  giftigen 
und  anderen  unerwünschten  Nebenwirkungen  sind. 

II.  Klinische  Beobachtungen. 

Das  Problem  einer  klinisch  einwandfreien  Wunddesin- 
fection  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  ungelöst  geblieben.  Es 
hat  sich  das  Bestreben  nicht  erfüllt,  ein  Wundantisepticum  zu 
finden,  welches,  in  entsprechender  Concentration  angewendet, 
gleichsam  in  electiver  Weise  die  Bacterien  vernichten  könnte, 
ohne  gleichzeitig  das  Gewebe  zu  schädigen.  Der  Glaube  an 
die  Möglichkeit  solcher  Wirkungen  der  Antiseptica  war,  indem 
er  eine  der  stärksten  Säulen  der  ursprünglichen  »antiseptischen« 
Wundbehandlung  bildete,  auch  einer  der  fundamentalsten  Irr- 
thümer  in  ihren  theoretischen  Voraussetzungen.  Womöglich 
noch  vergeblicher  war  das  Suchen  nach  einem  Mittel,  welches 
die  Wunde  wirksam  desinficiren  könnte,  ohne  eventuell  auch 
allgemeine  Giftwirkungen  hervorzurufen.  Jene  Chirurgen  von 
heute,  deren  praktisches  Wirken  noch  in  die  Zeiten  der  älteren 
Etappen  der  Entwicklung  unserer  modernen  Wundbehand¬ 
lungsmethoden  fällt,  können  erst  angesichts  der  gegenwärtig 
geltenden  Grundsätze  und  in  Uebung  stehenden  Verfahren 
beurtheilen,  wie  oft  durch  die  Desinfection  der  Wunde  mehr 
geschadet  als  genützt  wurde;  wie  oft  lediglich  durch  die  Aetz- 
wirkung  des  angewandten  Desinficiens  Wunden  zur  Eiterung 
kamen  oder  das  Allgemeinbefinden  des  Operirten  und  Verletzten 
durch  Giftresorption  schwer  geschädigt  wurde  oder  gar  beide 
Wirkungen  —  die  örtliche  und  die  allgemeine  —  zum  Schaden 
der  Kranken  sich  vereinigten.  Erst  jetzt  kann  man  es  klar 
sehen,  welche  bedenkliche  Folgen  eine  einseitige  Betrachtungs¬ 
weise  der  Erscheinungen  auch  auf  diesem  Gebiete  der  wissen¬ 


schaftlichen  Therapie  nach  sich  gezogen  und  welche  Illusionen 
auch  eine  theoretisch  so  wohl  fundirte  Lehre  wie  jene  der 
modernen  Wundbehandlung  in  sich  barg. 

Es  kam  dann  die  Zeit  der  in  den  Wundsecreten  schwer 
löslichen  pulverförmigen  Antiseptica,  die  in  dem  Bestreben,  die 
flüchtige  Desinfection  der  Wunden  durch  Mittel  zu  ersetzen, 
die  in  dauernder  Weise  auf  die  Wundbacterien  einwirken 
sollten,  mit  wahrer  Begeisterung  in  den  Arzneischatz  der 
Chirurgie  aufgenommen  wurden.  Auch  diese  Etappe  brachte 
ihre  Enttäuschungen  und  ging  vorüber. 

Heute  geben  wir  uns  zunächst  damit  zufrieden,  in  dem 
weiteren  consequenten  Aufbau  der  Prophylaxe  und  der  »wissen¬ 
schaftlichen  Peinlichkeit«  auch  in  Zukunft  unsere  wichtigsten 
Wegweiser  auf  dem  Gebiete  der  Wundbehandlung  zu  sehen 
und  uns  dabei  die  nun  endlich  gewonnene  Erkenntniss  immer 
wieder  vorzuhalten,  dass  die  meisten  Wunden  das  Bestreben 
haben,  unter  äusserem  Schutz  von  selbst  zu  heilen  und  dass 
es  unsere  wichtigste  Aufgabe  ist,  es  zu  vermeiden,  auf  diese 
oder  jene  Weise  mit  rauher  Hand  die  zarten  Gewebsvorgänge 
der  natürlichen  Wundheilung  zu  stören 

Bei  alledem  wird  der  Chirurg  für  sein  therapeutisches 
Bestreben,  die  natürlichen  Heilungsvorgängo,  wo  es  noth- 
wendig  erscheint,  zu  unterstützen,  noch  immer  ein  dank¬ 
bares  Feld  wissenschaftlicher  und  praktischer  Arbeit  vorfinden. 
Er  wird  nur  insoferne  hiebei  eine  veränderte  Richtung  ein- 
schlagen,  als  er  in  Hinkunft  in  der  Wundheilung  nicht  nur 
einseitig  und  ausschliesslich  ein  lediglich  bacterio- 
logisches  Laboratoriumsproblem  sehen  wird. 

Unsere  Fürsorge  wird  auch  für  alle  Zukunft  dahin  ge¬ 
richtet  sein,  die  Wundbehandlung  in  geeigneten  Fällen 
durch  entsprechende  Wundheilmittel  zu  unterstützen.  Von 
diesen  Heilmitteln  aber  werden  wir  nach  den  bisherigen  Er¬ 
fahrungen  nicht  so  sehr  direct  antibacterielle  Wirkungen  er¬ 
hoffen.  Es  wird  vielmehr  das  Ziel  des  aseptischen  Verlaufes 
und  der  Erlangung  der  Heilung  günstiger  Wundverhältnisse 
—  abgesehen  von  den  schon  bewährten  und  noch  weiterer 
Ausbildung  fähigen  Massnahmen  der  strengsten  Prophylaxe  — 
im  gegebenen  Falle  auch  auf  dem  directen  Wege  der  Beein¬ 
flussung  des  wunden  Gewebes  selbst  erstrebt  und  erreicht 
werden  müssen. 

Wundheilmittel  haben  wir  erst  dann  in  Anwendung  zu 
bringen  Veranlassung,  wenn  durch  allgemeine  oder  locale 
Schädigung  die  Gewebe  die  Energie  zu  selbstständiger  kräftiger 
Regeneration  verloren  haben.  In  praktischer  Hinsicht  kommt 
hier  wohl  zunächst  und  zumeist  die  Wundbehandlung  nach 
Operationen  wegen  Tuberculose  in  Betracht. 

Gerade  auf  diesem  Gebiete  der  chirurgischen  Pathologie 
hat  das  von  v.  Mosetig  in  die  Wundbehandlungspraxis  ein¬ 
geführte  Jodoform  besonders  eingeschlagen.  Von  allen  Mitteln, 
die  in  der  modernen  Wundbehandlung  eine  Rolle  gespielt 
haben,  hat  keines  auch  nur  durch  annähernd  so  lange  Zeit 
sich  dominirend  zu  behaupten  gewusst.  Man  sieht  heute  auf 
den  Zeitraum  seiner  zwanzigjährigen  Anwendung  zurück.  Be¬ 
zeichnend  genug,  dass  gerade  jenes  Wundheilmittel  seine 
Feuerprobe  bestanden  hat,  von  dem  man  wohl  heute  mit  aller 
Bestimmtheit  sagen  kann,  dass  es  im  bacteriologischen  Sinne 
als  Antiseptieum  nicht  bezeichnet  werden  kann.  Man  hat  das 
Jodoform  beibehalten,  weil  es  in  geeigneten  Fällen  sich  als  ein 
erprobtes  Wundheilmittel  bewährt  hat  und  trotzdem  es  kein 
Antiseptieum  ist.  Das  Bedürfniss  aber,  das  Jodoform  durch 
gleich werthig  wirkende  Mittel  zu  ersetzen,  währt  fast  ebenso 
lange,  als  es  in  die  chirurgische  Praxis  eingeführt  ist.  Da  wir 
nun  auf  seine  antibacteriellen  Wirkungen  nicht  mehr  reflectiren, 
musste  der  Ersatz  in  der  Richtung  seiner  eigenartigen  Beein¬ 
flussung  des  Gewebes  gesucht  werden.  Indem  wir  diese 
aus  unseren  histologischen  Untersuchungen  im  Wesentlichen 
als  den  Ausdruck  summirter  mikroskopischer  Fremdkörper¬ 
wirkungen  aufzufassen  uns  für  berechtigt  hielten  und  in  seiner 
fibroplastischen  Einwirkung  den  Hauptfactor  seines  günstigen 
Einflusses  auf  Wunden  zu  erkennen  glaubten,  die  einer  solchen 
Anregung  der  Gewebsproliferation  in  diesem  Sinne  bedürftig 
waren,  lag  es  nahe,  durch  Uebertragung  dieser  theoretisch 
gewonnenen  Einsicht  auf  die  einschlägigen  Fälle  der  chirur- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


gischen  Praxis  gleichsam  die  Probe  auf’s  Exempel  zu  machen  : 
d.  h.  in  geeigneten  Fällen  das  Jodoform  durch 
indifferente,  vorher  sorgfältig  sterilisirte 
Pulver,  von  deren  fibroplastischer  Wirkung 
wir  experimentelle  Erfahrung  gewonnen  hatten, 
zu  ersetzen. 

Freilich  darf  dabei  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden, 
dass,  wenn  man  es  anstrebt,  die  wunden  Gewebe  zur  Proli¬ 
feration  anzuregen  und  wenn  es  namentlich  auch  gelingt, 
kräftige  fibroplastische  Wirkungen  zu  erzielen,  man  hiemit 
einen  grossen  Theil  der  wichtigsten  natürlichen  Abwehrvor¬ 
richtungen  des  Organismus  gegen  bacterielle  Invasion  und  In¬ 
fection,  die  in  der  Reaction  der  Gewebe  gegen  diese  eindrin¬ 
gende  Schädlichkeit  gelegen  ist,  mobilisirt  und  hiedurch,  auch 
ohne  den  Kampf  gegen  die  Bacterien  direct  aufzunehmen, 
indirect  antibacterielle  Wirkungen  zu  erzielen 
im  Stande  ist.  Seit  jeher  war  es  das  Bestreben  der  Chirurgen 
gewesen,  durch  directe  Einwirkung  auf  die  Wunden  die 
Bildung  eines  kräftigen  Granulationsgewebes  zu  erzielen. 
Leider  blieb  dabei  die  andere  hochwichtige  Forderung,  die  in 
der  Richtung  der  Prophylaxe  gegen  die  primäre  und  secundäre 
Infection  gelegen  war,  unberücksichtigt  und  erst  der  ruhm¬ 
vollen  Phase  der  Chirurgie  Vorbehalten,  die  durch  Semmel- 
weiss,  Pasteur  und  Lister  so  segensreich  inaugurirt 
wurde. 

Um  nun  die  histologischen  Wirkungen  jener  vergleichs¬ 
weise  geprüften  indifferenten  Mittel,  von  denen  früher  Erwäh¬ 
nung  geschah,  in  geeigneten  Fällen  in  den  Dienst  der  Wund¬ 
behandlung  zu  stellen,  hätte  irgend  eines  von  ihnen  und  noch 
eine  ganze  Reihe  ähnlicher  Substanzen  herangezogen  werden 
können,  die  der  Forderung  entsprechen,  chemisch  indifferent 
und  in  den  Gewebsflüssigkeiten  schwer  löslich  zu  sein. 

Wenn  ich  aus  der  grossen  Reihe  der  hier  in  Betracht 
kommenden  Pulver  zunächst  gerade  nur  eines,  und  zwar  die 
Knochenkohle,  klinisch  erprobt  habe,  so  geschah  dies 
in  genauer  Kenntniss  des  Umstandes,  dass  gerade  dieses 
AI ittel  schon  seit  Alters  her  nicht  nur  in  der  Therapie  eine 
oft  vielgerühmte  Rolle  gespielt  hat,  man  somit  an  gewisse 
Traditionen  an  knüpfen  konnte.  Es  lag  ja  sehr  nahe,  dass  ein 
Präparat,  das  vermöge  seiner  anerkannten  desodorisirenden 
Eigenschaften,  seiner  Fähigkeiten,  organische  Substanzen  vor 
fauliger  Zersetzung  zu  schützen,  schon  in  der  ältesten  Praxis 
zunächst  in  allen  jenen  Fällen  in  Anwendung  gezogen  wurde, 
wo  es  galt,  im  menschlichen  Körper  ähnliche  Processe  zu  be¬ 
kämpfen.  So  hat  es  denn  seit  jeher,  innerlich  und  äusserlich 
dargereicht,  in  einer  Reihe  einschlägiger  Krankheiten  eine  aus¬ 
gedehnte  Verwendung  gefunden.  Innerlich  bei  dysenterischen, 
typhösen  und  sonstigen  mit  Zeichen  von  Zersetzung  und 
stinkender  Fäulniss  einhergehenden  Erkrankungen  des  Magen- 
Darmcanales,  äusserlich  bei  belegten  und  jauchenden  Wunden 
und  Krebsgeschwüren.  Noch  in  neuester  Zeit  wurde  die  Thier¬ 
kohle  für  den  innerlichen  Gebrauch  bei  Typhus  von  ameri¬ 
kanischen  Aerzten  empfohlen  mit  dem  speciellen  Hinweis 
darauf,  dass  bei  dieser  Therapie  die  Diazoreaction  im  Urin 
fehle,  als  Beweis  dafür,  dass  die  dieser  Reaction  wohl  zu  Grunde 
liegende  Resorption  von  Fäulnissstoffen  verhindert  werde, 
v.  Zeiss  1  sen.  wandte  in  der  Absicht,  das  Jodoform  zu  des- 
odorisiren,  ein  Gemenge  von  Jodoform  und  Kohlenpulver  bei 
venerischen  Geschwüren  an.  Gewiss  kommt  bei  all’  diesen 
Anwendungsarten  vor  Allem  die  Absorptionsfähigkeit  trockener, 
poröser  Pulver  in  Betracht  und  speciell  in  der  Wundbehand¬ 
lung  haben  ja  gleiche  Qualitäten  entfaltende,  sonst  indifferente 
Pulver  schon  oft  Anwendung  gefunden. 

Es  liegen  aber  noch  anderweitige,  viel  massgebendere  Er¬ 
fahrungen  zu  Grunde,  welche  gerade  dem  Kohlen pulver  einen 
bevorzugten  Platz  in  der  Wundbehandlung  anweisen,  nament¬ 
lich  in  den  Fällen,  wo  es  sich  um  die  Entfaltung  fibroplastischer 
V  irkungen  handelt,  speciell  bei  der  Nachbehandlung  von 
Wunden  nach  Operationen  wegen  localer  Tuberculose. 

Es  ist  eine  alte  und  feststehende  Erfahrung,  dass  Arbeiter 
in  Kohlenbergwerken  relativ  sehr  selten  an  Lungentubereulose 
erkranken.  Crocq  (citirt  nach  Aufrecht)  ist  sogar  der 
Meinung,  dass  die  Kohle  nicht  nur  verhältnissmässig  unschäd¬ 


lich  für  die  Lunge  ist,  sondern  sogar  einen  gewissen 
Antagonismus  gegen  die  Tuberculose  ausübt.  Dafür  spreche 
das  seltene  Vorkommen  der  letzteren  bei  Kohlenarbeiten  und 
das  Vorkommen  der  Kohle  in  der  Umgebung 
obsoleter  oder  verheilter  Tuberkel. 

Nach  Aufrecht  »erklärt  sich  die  überwiegende  Häufig¬ 
keit  des  Sitzes  der  schwarzen  Induration  im  Oberlappen  aus 
einer  schon  vor  dem  Auftreten  derselben  vorhandenen  oder 
unabhängig  von  derselben  entstandenen  Herderkrankung,  in 
deren  Umgebung  katarrhalische  und  tiefer  greifende  entzünd¬ 
liche  Processe  auftreten,  welche  einerseits  das  Liegenbleiben 
der  eingeathmeten  Kohlentheilchen  begünstigen,  andererseits 
aber  in  Folge  der  Möglichkeit  einer  Reiz  wirkung 
der  Kohle  auf  pathologisch  veränderte  Ab¬ 
schnitte  des  Lungengewebes  zu  einer  fibrösen 
Verdichtung  führen,  welche  sonst  nicht  statt¬ 
gefunden  hätte.« 

So  lässt  sich,  nach  A  u  f  r  ec  h  t l0),  die  Thatsache  erklären, 
dass  die  schwarze  Induration  am  häufigsten  in  den  Lungen¬ 
spitzen  vorkommt,  weil  diese  am  häufigsten  der  Sitz  patho¬ 
logischer  Processe  sind. 

Hieraus  erklärt  sich  die  Möglichkeit  einer  festen  Ab¬ 
kapselung  von  tuberculösen  Herden  in  den  Lungenspitzen  und 
damit  die  Verhütung  fortschreitenden  tuberculösen  Zerfalls  des 
Lungengewebes.  Wahrscheinlich,  fügt  Aufrecht  hinzu,  ist 
hierauf  das  erwähnte  seltenere  Vorkommen  der  Tuberculose 
zurückzuführen. 

Demnach  kann  schon  im  Verhältniss  von 
Anthrakose  und  Lungentube  reu  lose  nahezu  die 
Lösung  des  therapeutischen  Problems  gefunden 
werden,  das  man  aus  den  histologischen  Befunden  der  Ein¬ 
heilung  von  Kohlenpulver  im  wunden  Geweben  für  die  Be¬ 
handlung  der  localen  Tuberculose  der  täglichen  chirurgischen 
Praxis  abzuleiten  in  der  Lage  ist:  die  Heilbarkeit  tuberculöser 
Herde  durch  die  fibroplastischen  Wirkungen  in  den  Geweben 
abgelagerter  Kohlenpartikel. 

Nur  nebenbei  sei  noch  erwähnt,  dass  gerade  die  Erfah¬ 
rungen  über  das  seltene  Vorkommen  von  Lungentuberculose 
bei  Kohlenarbeitern  und  die  eigentümlichen  anatomischen  Be¬ 
funde  bei  Anthrakose  schon  wiederholt  den  Aerzten  die  Idee 
nahegelegt  haben,  bei  Tuberculose  die  Einatmung  von  Kohlen¬ 
staub  zu  empfehlen. 

So  erscheint  denn  das  Kohlenpulver  nach  mehrfacher 
Richtung  bei  der  Wahl  eines  chemisch  indifferenten  Pulvers, 
von  dem  man  energische  fibroplastische  Wirkungen  in  tuber¬ 
culösen  Geweben  und  in  Wunden  erhofft,  unter  der  grossen 
Anzahl  hier  in  Betracht  kommender  Substanzen  gleichsam  die 
prädestinirte  zu  sein. 

Die  therapeutischen  Versuche,  über  welche  im  Nachfol¬ 
genden  berichtet  werden  soll,  hatten  nur  den  Zweck,  das 
Kohlenpulver  auf  die  Wunden  nach  Operation  localer  Tuber¬ 
culose  einwirken  zu  lassen,  um  hiedurch  eine  gerade  bei  diesen 
Wunden  oft  vermisste  gesunde  und  kräftige  Granulationsbil¬ 
dung  hervorzurufen  und  durch  abschliessende  Bindegewebs- 
neubildung  einen  Begrenzungswall  gegen  die  Progredienz  der 
Erkrankung  zu  schaffen,  die  durch  eventuell  bei  der 
Operation  übersehene  und  zurückgebliebene  Reste  von  tuber- 
culösem  Gewebe  bedingt  wird. 

Der  Vorgang,  der  hiebei  befolgt  wurde,  bestand  darin, 
dass  alle  jene  Fälle  von  localer  Knochen-  und  Gelenks- 
tuberculose,  von  denen  man  in  Folge  des  Nachweises  aus¬ 
gedehnter  Verkäsungs-  und  Eiterungsprocesse  eine  spontane 
Heilung  unter  conservativ-expectativer  Behandlung  nicht  mehr 
erwarten  konnte,  der  Operation  zugeführt  wurden.  Diese  war 
in  jedem  Falle  dem  speciellen,  womöglich  unter  Esmarch’scher 
Blutleere  genau  aufgenommenen  pathologisch-anatomischen  Be¬ 
funde  angepasst  und  bestand  im  Allgemeinen  in  der  möglichst 
radiealen  Entfernung  des  tuberculösen  Gewebes.  In  die  so  ge¬ 
schaffene  Wundhöhle  wurde  dann  eine  10°/o'ge  Glycerin- 
Emulsion  von  Carboossium  purissimus  pulver  i- 
satus  per  XII  hör  as  sterilisatus  eingegossen  und 

lc)  N  o  t  li  n  a  g  e  l’s  specielle  Pathologie  und  Therapie.  Bd.  XIV, 
II.  Theil,  II.  Hälfte,  pag.  322  u  ff. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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hierauf  die  Wunde  womöglich  durch  Naht  dicht  geschlossen  und 
der  Verband  möglichst  lange  — •  14  Tage  bis  drei  Wochen  — 
liegen  gelassen.  Wo  ein  solcher  dichter  Verschluss  der  Wunde 
nicht  möglich  war,  wurde  eine  sterile  Knochenkohlen¬ 
gaze  in  Streifen  eingeführt  und  dann  gewöhnlich  schon  nach 
acht  Tagen  der  Verband  gewechselt  und  die  Streifen  entfernt. 

Es  handelt  sich  also  um  eine  vollkommene  Substitution 
des  Jodoforms  durch  Kohlenpulver  bei  der  Wundbehandlung 
der  nach  B  i  1 1  r  o  t  h’schen  Grundsätzen  durchgeführten  Ope¬ 
rationen  wegen  localer  Tuberculose. 

Um  das  Knochenpulver  in  möglichst  feiner  und  gleich- 
mässiger  Vertheilung  auf  die  geschaffenen  Wundflächen  zu 
bringen,  musste  die  Form  der  Suspension  in  Glycerin  bei¬ 
behalten  werden.  Das  Pulver  als  solches  aufzustreuen,  hätte 
den  gewünschten  Erfolg  der  innigen  Berührung  mit  den 
wunden  Geweben  nicht  erreicht,  da  ja  das  nach  Abnahme  des 
E  s  m  a  rc  h’schen  Schlauches  nachströmende  Blut  es  weg- 
geschwemmt  hätte.  Das  immerhin  nach  mehrfacher  Hinsicht 
nicht  ganz  gleicbgiltige  Glycerin  durch  andere  Vehikel  zu  er¬ 
setzen,  ist  nicht  gelungen.  Namentlich  sind  Versuche,  an  dessen 
Stelle  das  reine  Oleum  vaselini  zu  setzen,  daran  gescheitert, 
dass  in  diesem  das  Kohlenpulver  zu  harten  Klumpen  sich  zu¬ 
sammensetzt,  wodurch  eine  gleichmässige  Suspension  des 
Mittels  unmöglich  wird. 

Die  Knochenkohlengaze  wird  vollkommen  nach  Analogie 
der  Jodoformgaze  bereitet;  durch  Suspension  des  Pulvers  in 
Alkohol  und  Glycerin  und  Tränkung  des  weissen  Calicots  mit 
dem  so  hergestellten  Brei.  Es  haften  so  der  Gaze  noch  immer 
genügend  lockere  Kohlenpulverpartikel  an,  die  bei  der  Be¬ 
rührung  des  getrockneten  Stoffes  mit  den  Wunden  sich  auf 
diese  gleichmässig  vertheilen. 

Nicht  genug  betont  kann  es  werden,  von  welcher  Be¬ 
deutung  es  ist,  nur  ein  vollkommen  reines  Präparat 
der  Knochenkohle  zu  verwenden.  Während  die  »Thier¬ 
kohle«  der  Pharmakopoe  nicht  nur  aus  Knochen,  sondern  auch 
aus  Fleischbestandtheilen  bereitet  wird,  darf  für  die  Zwecke 
der  Wundbehandlung  nur  reinste  Knochenkohle  ver¬ 
wendet  werden,  die  ausserdem  vor  dem  Gebrauche,  sei  es  zur 
Bereitung  der  Kohlengaze,  sei  es  zur  Herstellung  der  Emulsion 
in  Glaskolben  durch  10—12  Stunden  im  Trockenschrank  bei 
einer  Temperatur  von  150 — -160°  sterilisirt  werden  muss.  Die 
mit  dieser  so  sterilisirten  Knochenkohle  bereitete  Gaze  muss 
dann  selbstverständlich  noch  besonders  im  Dampfsterilisator  in 
eigenen  Büchsen,  in  denen  sie  auch  aufbewahrt  bleibt, 
nochmals  der  Sterilisation  unterzogen  werden. 

Es  soll  nun  im  Nachfolgenden  über  die  mit  dieser  Be¬ 
handlungsweise  erzielten  Erfahrungen  und  Erfolge  berichtet 
werden.  Ich  beschränke  mich  hiebei  auf  die  auszugsweise 
Wiedergabe  der  Krankengeschichten  von  21  Fällen  operirter 
localer  Tuberculose  aus  der  unter  meiner  Leitung  stehenden 
chirurgischen  Abtheilung  des  Karolinen-Kinderspitales.  Wenn 
ich  aus  der  grossen  Anzahl  in  dieser  Weise  seit  Juni  d.  J. 
behandelter  Fälle  nur  diesen  Bruchtheil  hervorhebe,  so  ge¬ 
schieht  es  deshalb,  weil  es  sich  in  dieser  Gruppe  um  lauter 
Patienten  handelt,  die  unter  vollkommen  gleichen  Verhältnissen 
der  Spitalsbehandlung  und  vom  Anbeginn  bis  zum  Schluss 
unter  meiner  persönlichen  Controle  standen.  Ich  kann  mithin 
in  all’  diesen  Fällen  persönlich  für  alle  hier  vorgebrachten  An¬ 
gaben  einstehen. 

1.  S.  E.,  zweijähriger  Knabe,  Tuberculose  des  Ellbogengelenkes. 
Atypische  Resection.  Glycerin-Kohlenemulsion.  Complete  Naht.  Ab¬ 
solut  reactionsloser  Verlauf.  Erster  Verbandwechsel  nach  drei 
Wochen.  Seidennähte  durchgeschnitten,  sonst  schöne  Heilung.  Status 
nach  sieben  Wochen:  Resectionsschnitt  als  derbe,  schwarzblau 
pigmentirte  Narbe  sichtbar.  An  der  Innenfläche  des  unteren  Drittels 
des  Oberarmes  eine  feine  Fistel  mit  geringer  seröser  Secretion. 
Geringe  active  und  passive  Beweglichkeit  des  Gelenkes.  —  Seither 
vollkommene  Heilung. 

2.  W.  J.,  dreijähriges  Mädchen.  Tuberculosis  oss.  metatars. 
pedis  mit  multiplen  Fistelbildungen.  Der  durch  die  Operation 
(Resectio  oss.  metatars.  I  et  II  und  Entfernung  eines  grossen 
Theiles  der  Haut  des  Fussrückens)  gesetzte  Defect  wird  durch  einen 


aus  der  Fusssohle  excidirten  Hautlappen  gedeckt.  Glycerin-Kohlen¬ 
emulsion.  Naht.  Erster  Verbandwechsel  nach  14  Tagen.  Heilung 
p.  p.  i.  Bleibt  dauernd  geheilt. 

3.  S.  M.  S.,  dreijähriger  Knabe.  Tub.  ossis  sacri.  Abscessus 
periarticularis  genus  dextri.  Die  langen  und  vielfach  verzweigten 
Fistelgänge  werden  nach  Spaltung  der  Glutaei  in  toto  bis  zum 
Kreuzbein  excidirt,  in  die  so  geschaffene  grosse  Wundhöhle  Kohlen- 
Glycerinemulsion  eingegossen  und  das  ganze  Operationsgebiet  durch 
dichte  Naht  geschlossen.  Der  grosse  Weichtheilabscess  (Congestion  ?) 
der  Kniegelenksgegend  gespalten  und  dann  in  gleicher  Weise  be¬ 
handelt.  Nach  sechs  Wochen  mit  vollkommen  p.  p.  i.  geheilten 
Wunden  ohne  Verband  entlassen.  (Patient  ist  aus  Galizien  und 
konnte  über  sein  weiteres  Befinden  nichts  eruirt  werden.) 

4.  V.  J.,  zehnjähriger  Knabe.  Spondylitis  tuberculosa  mit 
sehr  grossem,  sowohl  gegen  die  Inguinalgegend  vorgewölbten,  als 
die  linke  Rückenhälfte  vom  Angulus  scapulae  bis  zum  Darmbein¬ 
kamm  einnehmenden  kaltem  Abscess.  10  cm  lange  Incision  der  Haut 
des  Rückenantheiles  der  Geschwulst.  Entleerung  ausserordentlich 
grosser  Mengen  krümeligen  Eiters.  Reinigung  der  Wände  der  grossen 
Höhle  mit  steriler  Gaze.  Verfolgung  eines  Fistelganges  bis  zum 
Körper  des  dritten  Brustwirbels.  Evidement  des  letzteren,  Eröffnung 
des  Wirbelcanales  bis  zur  Dura  (Zuckungen  der  Beine).  Temporäre 
Compression  bis  zur  Blutstillung.  Entlang  den  Wänden  der  grossen 
Höhle  Eingiessen  von  Kohle-Glycerinemulsion.  Dichte  Naht.  Absolut 
reactionslose,  vollkommene  und,  wie  durch  spätere  Anfrage  eruirt 
wird,  dauernde  Heilung. 

5.  J.  G.,  dreijähriger  Knabe.  Tuberculosis  genus.  Arthrektomie. 
Die  Condylen  des  Oberschenkels  mussten  bis  ziemlich  tief  in  die 
Markhöhle  mit  dem  scharfen  Löffel  evidirt  werden.  Eingiessen  von 
Kohle-Glycerinemulsion.  Complete  Naht.  Verbandwechsel  nach  zwölf 
Tagen.  Nähte  durchgeschnitten.  Stichcanäle  granulirend  und  mit 
Eiter  belegt,  sonst  reactionslos.  Nach  weiteren  zehn  Tagen  zur 
ambulatorischen  Behandlung  mit  steifem  Verband  entlassen.  Status 
nach  einem  Vierteljahr:  Resectionsschnitt  mit  bläulich  tingirter 
Narbe  geheilt,  Kniegelenk  fest,  in  geringer  Beugecontractur,  neben 
der  Narbe  zwei  linsengrosse  Fistelöffnungen  mit  sehr  geringer 
Secretion. 

6.  F.  G.,  sechsjähriges  Mädchen.  Tuberculosis  ossis  zygomatici 
(geschlossener,  fast  faustgrosser,  kalter  Abscess).  Caries  costae  VII 
et  VIII.  Spaltung  und  Evidement  des  kalten  Abscesses  und  des 
Jochbeines  im  Gesiebt,  ebenso  des  kalten  Abscesses  am  Rücken 
und  Resection  der  erkrankten  Rippen.  Nabt  beider  nach  Eingiessung 
von  Kohle-Glycerinemulsion.  Heilung  p.  p.  i.  im  Gesichte,  die  Naht 
der  Haut  des  Abscesses  am  Rücken  wurde  unter  sehr  starker 
Spannung  angelegt,  da  ein  grosser  Theil  der  livid  verfärbten 
häutigen  Bedeckung  excidirt  werden  musste.  In  Folge  dessen  frühes 
Durchschneiden  der  Nähte  und  Klaffen  der  Wunde  fast  auf  Hand¬ 
flächengrösse.  Unter  Ivoblenpulverinspersion  gute  Granulation  und 
langsame  Verkleinerung  der  Wundfläche;  noch  in  ambulatorischer 
Behandlung. 

7.  K.  L.,  vierjähriger  Knabe.  Tuberculosis  metatarsi  I.  Evide¬ 
ment.  Kohlen-Glycerin.  Naht.  Dauernd  geheilt.  Narbe  dunkel 
pigmentirt. 

8.  A.  T.,  neunjähriger  Knabe.  Osteomyelitis  chronica  trochant. 
maj.  dextri  fistulosa.  Exstirpation  der  Fistel,  Evidement  des  Herdes 
im  Trochanter.  Kohlen-Glycerin.  Naht.  Verbandwechsel  nach 
14  Tagen.  Nähte  liegen  reactionslos.  Aus  der  Wundhöhle  entleert 
sich  etwas  seröse  Flüssigkeit  durch  die  Stichcanäle.  Heilung. 

9.  A.  F.,  zwölfjähriges  Mädchen.  Fisteln  nach  Coxitisoperation 
vor  einem  Jahre.  Breite  Eröffnung  des  Hüftgelenkes  durch  hinteren 
Schnitt.  Exstirpation  der  Fisteln.  Rest  des  Gelenkkopfes  weich. 
Evidement.  Kohlen-Glycerin.  Naht.  Verbandwechsel  nach  drei  Wochen. 
Nähte  durchgeschnitlen,  sonst  Wunde  reactionslos  angelegt.  Am 
unteren  Ende  der  Wunde  im  Laufe  der  nächsten  Zeit  kreuzergrosse 
Fistel  mit  geringer  Secretion.  Salbenverband.  Noch  in  Behandlung. 

10.  D.  P.,  lljähriges  Mädchen.  Tuberculosis  malleoli  extend. 
Evidement  nach  B'istelexstirpation.  Kohlen-Glycerin.  Naht.  Verband¬ 
wechsel  nach  14  Tagen.  Heilung  p.  p.  i.  Dauernd  geheilt. 

11.  G.  C.,  elfjähriges  Mädchen.  Osteomyelitis  chronica  tibiae. 
Aufmeisselung  und  Evidement  der  Markhöhle.  Kohlen-Glycerin  ■ 
Naht.  Verbandwechsel  nach  14  Tagen.  Heilung  p.  p.  i.  Dauernd 
geheilt  mit  resistenter,  dunkel  pigmentirter  Narbe. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


12.  R.  M.,  13jähriger  Knabe.  Abscessus  frigidus  periarticu- 
laris  post  coxitidem.  Spaltung,  Evidement,  Kohlen-Glycerin.  Naht. 
Heilung  p.  p.  i. 

13.  S.  F.,  sechsjähriger  Knabe.  Tuberculosis  articulationis 
pedis.  Operation  nach  K  ö  n  i  g.  Wegen  Excision  breiter  Fistelgänge 
in  beiden  .Malleolargegenden  keine  Hautvereinigung  durch  Naht 
möglich.  Durchführen  steriler  Kohlengazestreifen  quer  durch  das 
Sprunggelenk.  Nach  acht  Wochen  erster  Verbandwechsel.  Schöne 
Granulation.  Streifen  entfernt.  Noch  in  Behandlung.  In  Heilung. 

14.  E.  B.,  vierjähriges  Mädchen.  Tuberculosis  ossium  meta- 
tars.  II,  III,  IV.  Abscessus  frigidus  pelvis.  Exstirpation  der  Fisteln 
und  Evidement  der  kranken  Knochen  mit  scharfem  Löffel.  Offene 
Behandlung  mit  lockerer  Ausfüllung  der  grossen  Wundhöhle  mit 
sterilen  Kohlengazestreifen.  Spaltung  des  kalten  Abscesses  am  Darm¬ 
beinkamme.  Evidement,  Kohlen-Glycerin,  Naht.  Status  nach  acht 
Wochen:  Fussrücken  zeigt  eingezogene  Fistel  mit  narbigen  Rändern 
und  sehr  geringer  Secretion;  das  umgebende  Gewebe  derb;  kalter 
Abscess  des  Darmbeinkammes  bis  auf  kronengrosse,  gut  granulirende 
Wunde  geheilt. 

15.  S.  V.,  sechsjähriger  Knabe.  Tuberculosis  ossis  metatarsi 
II  et  III  fislulosa.  Evidement.  Tamponade  mit  steriler  Kohlengaze. 
Erster  Verbandwechsel  nach  drei  Wochen.  Dauernd  geheilt. 

10.  K.  P.,  fünfjähriger  Knabe.  Abscessus  frigidus  e  Tuber- 
culosi  costae  V.  Abscessus  frigidus  plantae  pedis  e  Tub.  meta¬ 
tarsi  II.  Abscessus  frigidus  surae.  Evidement  aller  Herde.  Kohlen- 
Glycerinemulsion.  Naht.  Verbandwechsel  nach  acht  Tagen.  Heilung 
p.  p.  i.  Dauernd  geheilt. 

17.  H.  J.,  fünfjähriger  Knabe.  Abscessus  frigidus  e  Tub. 
costae.  Spaltung.  Evidement.  Kohlen-Glycerin.  Naht.  Heilung  p.  p.  i. 
Dauernd  geheilt,  pigmentirte  Narbe. 

18.  II.  L.,  dreijährige  Knabe.  Abscessus  frigidus  surae  dextrae 
et  antibrachii  d.  Behandlung  wie  sub  17.  Heilung  p.  p.  i.  Dauernd 
geheilt. 

19.  K.  F.,  siebenjähriger  Knabe.  Abscessus  frigidus  surae. 
Behandlung  wie  im  früheren  Falle.  Heilung  p.  p.  i.  Dauernd 
geheilt. 

20.  E.  J.,  achtjähriger  Knabe.  Tub.  articul.  pedis  fistulosa. 
Exstirpation  der  Fistelgänge,  Evidement,  Durchziehen  von  sterilen 
Kohlengazestreifen  durch  das  Sprunggelenk.  Nach  acht  Tagen  Ver¬ 
bandwechsel.  Gute  Granulation.  Entfernung  der  Streifen.  Noch  in 
Behandlung. 

21.  R.  N.,  dreijähriger  Knabe.  Tub.  testis  c.  Abscessu  frigido 
scroti.  Exstirpation  der  kranken  Scrotalhaut.  Evidement  der  tuber- 
culösen  Herdes  im  Hoden.  Bestreuen  der  Wundfläche  am  Hoden 
mit  Kohlenpulver.  Naht.  Verbandwechsel  nach  acht  Tagen.  Heilung 
p.  p.  i. 

Aus  den  hier  mitgeiheilten  Beobachtungen  geht  also  vor 
Allem  hervor,  dass  in  keinem  der  Fälle  der  Ersatz  des  Jodo¬ 
forms  irgendwie  zu  bereuen  war.  Der  Wundverlauf  als  solcher 
war  in  allen  Fällen  ein  von  entzündlich-septischen  React ionen 
vollkommen  freier.  Andererseits  verdient  es  zu  Gunsten  unserer 
Behandlungsmethode  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  dass, 
während  wir  daran  schon  gewöhnt  sind,  und  wie  mit  etwas 
Unabwendbarem  rechnen,  wenn  die  mit  Jodoformglycerin  be¬ 
handelten  Kinder  nach  der  Operation  durch  einige  Tage  hin¬ 
durch  selbst  beträchtliche  Temperaturerhöhungen  aufweisen, 
bei  der  Kohlenbehandlung  dieses  postoperative  Fieber  kaum 
zu  beobachten  ist,  und  höchstens  hin  und  wieder  in  den  ersten 
beiden  Tagen  nach  der  Operation  Erhöhungen  der  Körper¬ 
temperatur  bis  gegen  38°  aufgetreten  waren.  Wir  stehen 
nicht  an,  die  unter  Jodoformbehaudlung  auftretenden  Fieber- 
erscheinungen  direct  auf  die  entzündlichen  Gewebsreactionen 
zurückzuführen,  die  sich  aus  dem  histologischen  Studium  der 
Jodoformwirkung  mit  aller  Deutlichkeit  ergeben,  und  die  wir 
als  Effect  der  mit  dem  Jodoform  in  die  Wunden  gleichzeitig 
eingebrachten  Bacterien  ansehen  zu  dürfen  glaubten. 

Was  die  Beeinflussur  g  des  Verlaufes  der  nach  den 
Operationen  localer  Tuberculose  geschaffenen  Wunden  anlangt, 
kann  wohl  zum  Mindesten  bei  vollkommen  vorurtheilsloser 
Beobachtung  der  Schluss  aufgestellt  werden,  dass  die  Heilung 
unter  Kohlenbehandlung  in  ebenso  günstiger  Weise  erfolgt, 
wie  bei  Jodoformbehandluug.  Es  ist  die  Möglichkeit  geboten, 
die  Verbände  entsprechend  lange  liegen  zu  lassen,  was  ja 


nach  Knochen-  und  Gelenksoperationen  seinen  ganz  besonderen 
Werth  hat.  Wir  verweisen  diesbezüglich  auf  Fall  15,  wo  selbst 
bei  offener  Behandlung  einer  durch  Evidement  geschaffenen 
beträchtlichen  Wundhöhle  die  eingeführten  Kohlengazestreifen 
drei  Wochen  lang  liegen  blieben. 

Sehr  interessant  gestaltet  sich  der  Verlauf  der  operirten 
kalten  Abscesse.  Kann  nach  Spaltung,  Evidement  und  Ein¬ 
giessen  von  Kohleglycerin  bei  in  tact  er  Haut  die  Naht 
spannungslos  angelegt  werden,  so  bietet  der  nach  8 — 14  Tagen 
erfolgende  erste  Verbandwechsel  das  Bild  solidester  Vereinigung, 
die  in  manchen  Fällen  nur  insoferne  nicht  allseitig  vollendet 
erscheint,  dass  —  wie  sicli’s  gewöhnlich  erst  beim  Entfernen 
der  Nähte  in  den  Stichcanälen  zeigt  —  stellenweise  die  Höhle 
ein  bernsteingelbes,  klares,  seröses  Transsudat  zeigt,  das  aber 
gewöhnlich  bei  leichter  Compression  nach  dem  zweiten  Ver¬ 
bandwechsel  schon  resorbirt  ist.  V  ar  die  Haut  des  kalten 
Abscesses  bei  der  Operation  in  grösserer  Ausdehnung  livid 
verfärbt,  musste  sie  daher  in  dementsprechend  weitem  Um¬ 
fange  excidirt  werden,  so  dass  die  nachfolgende  Naht  unter 
starker  Spannung  angelegt  wurde,  so  kann  es  Vor¬ 
kommen,  dass  die  Nähte  nicht  nur  durchschneiden,  sondern 
auch  die  Wundränder  nach  Entfernung  der  Suturen  aus¬ 
einanderweichen.  Es  liegt  dann  eine  gesunde  Granulationsfläche 
zu  Tage,  die  in  einer  ihrer  Grösse  entsprechenden  Zeit  ausheilt. 

Die  Endresultate  der  Operation  wegen  localer  Tuber¬ 
culose  gestalteten  sich  zum  Mindesten  ebenso  günstig  als  wir 
sie  bei  Jodoformbehandlung  zu  erzielen  gewohnt  waren.  Es 
hat  sich  die  Erwartung  vollkommen  erfüllt,  dass  die  fibro- 
plastischen  Wirkungen  der  über  die  Wundflächen  fein  ver¬ 
theilten  indifferenten  Fremdkörper  bei  der  Anwendung  des 
Kohlenpulvers  in  demselben  Masse  eine  solide  Gewebsneu¬ 
bildung  anregen  würden,  wie  dies  ja  in  so  erwünschter  Weise 
bei  Jodoformanwendung  beobachtet  wird.  Ob  nicht  in  dem 
einen  oder  anderen  Falle  trotzdem  noch  im  Laufe  der  Zeit 
selbst  locale  Recidive  auftritt,  kann  ja  bei  diesen  erst  seit  dem 
verhältnissmässig  kurzen  Zeiträume  eines  halben  Jahres  geübten 
Verfahren  durchaus  nicht  vorausgesagt  werden.  Es  würde 
sich  bei  einer  späteren  Constatirung  dieser  Verhältnisse  nur 
darum  handeln,  diesbezüglich  durch  vergleichsweise  Neben¬ 
einanderstellung  die  nach  der  einen  und  der  anderen  Methode 
erzielten  definitiven  Endresultate  zu  prüfen.  In  der  obigen 
Zusammenstellung  glaubten  wir  jene  Fälle,  die  nach  Verlauf 
eines  Vierteljahres  sich  als  solid  geheilt  erwiesen,  mit  allen  Vor¬ 
behalten  auch  als  »dauerndgeheilt«  bezeichnen  zu  dürfen.  Vorläufig 
erscheint  es  jedenfalls  schon  als  ein  willkommenes  Ergebniss  der 
klinischen  Beobachtung,  dass  das  Jodoform  im  sterilen  Knochen¬ 
kohlenpulver  einen,  nach  Allem  was  der  Verlauf  der  mit  diesem 
Mittel  behandelten  Fälle  lehrte,  bezüglich  der  localen  Wirkungen 
vollwerthigen  Ersatz  gefunden  hat,  der  zudem  umso  bedeutungs¬ 
voller  und  willkommener  erscheint,  als  wir  die  immer  zu  ge¬ 
wärtigenden  unerwünschten  allgemeinen  und  örtlichen  Neben¬ 
wirkungen  des  Jodoforms,  die  ja  selbst  den  Charakter  lebensge¬ 
fährdender  Vergiftungserscheinungen  annehmen  können,  hiebei 
nicht  mit  in  den  Kauf  nehmen  müssen. 

Das  Knochenkohleupulver  ist  so  wenig  oder  vielleicht 
noch  weniger  ein  direct  antibacterielles  Mittel  als  das  Jodo¬ 
form.  Es  theilt  aber  mit  diesem  die  Fähigkeit  der  Beeinflussung 
der  Wunden  im  Sinne  der  Austrocknung  und  im  Sinne  der 
Anregung  von  Proliferationsvorgängen  im  Bereiche  der  prä- 
existirenden  fixen  Gewebszellen.  Letztere  Eigenschaft  kommt 
dem  Jodoform  viel  weniger  ausschliesslich  zu  als  dem  indiffe¬ 
renten  Kohlenpulver.  Es  weist  vielmehr  gleichzeitig  auch  chemo¬ 
taktische,  entzündliche  Wirkungen  auf.  Der  Werth  des  Jodo¬ 
forms  liegt  ebenso  wie  beim  Kohlenpulver  namentlich  in  den 
fibroplastischen  Wirkungen  der  in  den  Geweben  fein  ver¬ 
theilten  Fremdkörper.  Durch  diese  Arten  der  Beeinflussung 
der  Gewebe  wirken  aber  beide  Mittel  indirect  auch  antibacteriell. 

Diese  Betrachtungsweise  der  Wirkungen  spricht  aber  für 
die  Ersatzfähigkeit  des  Jodoforms  durch  sterile,  indifferente 
Pulver,  namentlich  durch  das  von  uns  verwendete  Knochen¬ 
kohlenpulver,  auch  über  das  hier  zunächst  berücksichtigte 
Gebiet  der  Wundbehandlung  nach  Operationen  wegen  der 
localen  Tuberculose  hinaus. 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1093 


Es  erscheint  ausserdem  begründet,  das  Jodoform  überall 
dort  durch  indifferente  sterile  Pulver  zu  ersetzen,  wo  es  darauf 
ankommt,  auf  aseptische  Weise  frische  Wundflächen  möglichst 
rasch  zur  Granulationsbildung  und  zur  Production  von  Narben¬ 
gewebe  anzuregen,  ferner  dort,  wo  die  Absonderung  secer- 
nirender  Wundflächen  in  Schranken  zu  halten  sind. 

Während  ich  sonst  mit  vollem  Erfolge  in  allen  in 
dieses  Anwendungsgebiet  fallenden  Fällen  das  Jodoform  durch 
steriles  Knochenkohlenpulver,  respective  nach  früher  mitge- 
theilter  Art  angefertigte  Knochenkohlengaze  ersetzt  habe, 
scheint  mir  das  Jodoform  nur  in  einem  Punkte  der  Kohle 
entschieden  überlegen  zu  sein.  Dieser  trifft  merkwürdiger  Weise 
gerade  jene  Eigenschaft  des  Kohlenpulvers,  welche  seine  viel¬ 
gerühmte  war  und  in  der  medicinischen  Praxis,  namentlich  in 
der  Mitte  unseres  Jahrhunderts,  ihm  einen  unbestrittenen  Rang 
einräumte:  seine  desodorisirenden  Qualitäten.  In  Fällen,  wo  es 
darauf  ankommt,  gerade  diesen  Einfluss  besonders  wirksam 
werden  zu  lassen,  dürfte  das  Jodoform  kaum  durch  irgend  ein 
Mittel  vollkommen  gleichwerthig  zu  ersetzen  sein,  am  ehesten 
aber  immer  noch  durch  die  Kohle,  wenn  eine  oft  wiederholte 
Application  im  speciellen  Falle  keine  Gegenanzeige  findet.  Es 
gilt  dies  namentlich  für  manche  Fälle  von  Nachbehandlung 
nach  Radicaloperationen  wegen  chronisch-eiteriger  Mittelohr¬ 
entzündung,  bei  mit  stinkender  Eiterung  einhergehenden 
Kiefernekrosen  etc. 

Ein  Punkt  verdient  noch  besondere  Erwähnung:  die 
schwarzbläuliche  Pigmenti  rung  der  Narben.  Sie  findet 
sich  namentlich  in  jenen  Fällen,  wo  die  Heilung  nicht  per 
primam,  nach  Vereinigung  durch  Naht  erfolgte,  sondern  kür¬ 
zere  oder  längere  Zeit  in  die  Wunden  Kohlengaze  eingeführt 
worden  war,  oder  beim  Eingiessen  des  Kohlenglycerins  Partikel 
des  suspendirten  Pulvers  in  die  Schichten  der  Haut  gelangt 
sind.  Gerade  das  letztere  lässt  sich  ja  vermeiden.  Im  Uebrigen 
würde  diese  Tätowirung  der  Hautnarben  bei  Anwendung  der 
Kohle  bei  Affectionen  im  Gesichte  entsprechende  Vorsicht  er¬ 
heischen,  indem  man  es  namentlich  zu  verhindern  sucht,  dass 
das  Kohlenpulver  sich  in  der  Papillarschichte  der  Haut  ablagert. 
Bei  sorgfältig  durch  die  Naht  geschlossenen  Hautwunden,  die 
einfach  mit  Kohlengaze  bedeckt  werden,  ist  eine  solche 
Tätowirung  der  Haut  nicht  zu  befürchten.11) 


REFERATE. 

Die  Krankheiten  der  warmen  Länder. 

Ein  Handbuch  für  Aerzte. 

Von  Dr.  B.  Sclieube. 

Zweite  umgearbeitete  Auflage.  Mit  fünf  geographischen  Karten,  sieben 
Tafeln  und  39  Abbildungen  im  Text. 

Jena  1900,  G.  Fischer. 

S  c  h  e  u  b  e’s  Handbuch  der  Krankheiten  der  warmen  Länder, 
dessen  erste  Auflage  1896  erschien,  liegt  nunmehr  in  zweiter 
Auflage  vor,  bereichert  durch  Umarbeitung  und  Einschaltung  neuer 
Capitel  und  zahlreicher  Karten  und  Abbildungen.  Diese  Thatsache 
beweist  nicht  nur  das  sich  stetig  steigernde  Interesse  für  die 
Tropenmedicin,  sondern  auch,  dass  das  Werk  den  Bedürfnissen  des 
Belehrung  und  Rath  suchenden  Arztes  voll  entgegenkommt.  In  den 
sechs  Abschnitten,  welche  die  allgemeinen  Infections-,  dann  die 
Intoxicationskrankheiten,  sowie  die  durch  thierische  Parasiten  ver- 

1!)  Anmerkung.  Die  Wiener  Verbandstofffabrik  von  Kahne- 
mann  und  Krause  wurde  von  mir  damit  betraut,  eine  sterile  Knochen¬ 
kohlengaze  anzufertigen  und  auf  Lager  zu  halten.  Ich  habe  die  genannte 
Firma  veranlasst,  diesen  Verbandstoff  nur  in  sterilen  Einzelportionen  von 
’/4  m  an  in  eigens  construirten  Büchsen  von  Weissblech,  in  denen  sie  der  Dampf¬ 
sterilisation  unterzogen  worden  waren,  und  die  nach  dem  Sterilisationsverfaliren 
durch  einfache  Drehung  des  mehrfach  durchlöcherten  oberen  und  unteren  Deckels 
verschlossen  werden,  zu  verabfolgen.  Dieses  Verfahren  ermöglicht,  mit  einem 
wirklich  sterilen  Material  zu  arbeiten,  das  nach  der  Sterilisation  von  keiner  Hand 
berührt  wurde  und  ermöglicht  es  ferner,  in  jedem  einzelnen  Falle  das  für  diesen 
eben  nöthige  Quantum  von  Verbandstoff  ohne  überflüssige  Verschwendung 
ganz  zu  benützen.  Um  steriles  Knochenpulver  in  aseptischer  Weise  in  der 
Praxis  verwenden  zu  können,  und  um  überhaupt  einen  aseptischen  Pulver¬ 
bläser  in  Verwendung  zu  haben,  der  zudem  es  ermöglicht,  das  jeweilig  zu 
verwendende  Pulver,  auch  wenn  es  noch  so  hygroskopisch  ist,  in  trockenem 
Zustande  aufzubewahren,  habe  ich  bei  Herrn  Instrumentenmacher  Leiter 
in  Wien  einen  ganz  aus  Nickel  construirten  Pulverbläser  mit  abnehmbarem 
Ballon  anfertigen  lassen,  der  jedwede  Art  von  Sterilisation  zulässt. 


ursachten  Krankheiten,  weiters  die  Organ-  und  äusseren  Krank¬ 
heiten  in  den  warmen  Ländern,  und  endlich  auch  die  durch  die 
Tropen  modificirten,  sogenannten  kosmopolitischen  Krankheiten 
behandeln,  ist  jedes  einzelne  Thema  mit  derselben  Genauigkeit  und 
Gründlichkeit  ausgearbeitet,  so  dass  man  sich  rasch  über  die 
Geschichte,  die  geographische  Verbreitung,  die  Aetiologie,  Sympto¬ 
matologie,  pathologische  Anatomie,  Therapie  etc.  der  tropischen 
Krankheiten  orientiren  kann.  Eine  jedem  Capitel  angeschlossene, 
umfassende  Literaturangabe  erhöht  noch  den  Werth  des  Buches  als 
Nachschlagewerk  auch  für  den  wissenschaftlich  Arbeitenden. 

* 

Untersuchungen  zur  Blutgerinnung. 

Beiträge  zur  Chemie  und  Morphologie  der  Coagu¬ 
lation  des  Blutes. 

Von  Dr.  Ernst  Schwalbe  in  Heidelberg. 

Braunschweig  1900,  Friedrich  Vieweg. 

Im  ersten  Theile  seiner  Arbeit  gibt  Schwalbe  eine  zu¬ 
sammenfassende  Darstellung  der  Chemie  der  Gerinnung.  Nach  einer 
kurzen  Uebersicht  über  die  chemischen  Theorien  der  Coagulation 
des  Blutes  und  den  heutigen  Stand  der  Anschauungen  über  die 
Chemie  derselben  erörtert  der  Autor  das  Verhältniss  des  Fibrino- 
globulins  zum  Fibrinogen  und  kommt  in  Uebereinstimmung  mit 
Hammarsten  zu  dem  Resultate,  dass  Fibrinogen  und  Fibrino- 
globulin  verschiedenartige  Eiweissstoffe  seien.  Beide  haben  die 
gleichen  Fällungsgrenzen;  die  Gerinnungstemperatur  des  Fibrinogens 
in  reiner  Lösung  beträgt  52°,  die  des  Fibrinoglobulins  64°.  Ersteres 
enthält  wenig  Glykokoll,  gerinnt  nach  Fermentzusatz  zu  Fibrin  und 
wird  im  Plasma  in  reiner  Lösung  durch  das  Chamberlein- 
Filter  zurückgehalten;  dagegen  enthält  Fibrinoglobulin  viel  Glyko¬ 
koll,  gerinnt  nach  Fermentzusatz  nicht  und  wird  im  Allgemeinen 
durch  die  Kerze  nicht  zurückgehalten. 

Der  zweite  Theil  behandelt  die  Morphologie  der  Gerinnung. 
Nach  einer  kurzen  Zusammenfassung  der  Ansichten  über  die 
Morphologie  der  Coagulation  bis  zur  Entdeckung  der  Blutplättchen 
und  der  Genese  derselben  folgen  in  zwei  Capiteln  die  im  Labo¬ 
ratorium  A  r  n  o  1  d’s  angestellten  Beobachtungen,  deren  Resultate 
in  den  Sätzen  gipfeln:  »Die  Blutplättchen  sind  Zerfallsproducte  der 
Blutkörperchen,  im  Wesentlichen  der  rothen,  zum  Theil  auch  der 
weissen.  Die  Blutplättchen  enthalten  zymoplastische  Substanzen, 
sind  Fermentbildner.  Mit  der  Gerinnung  des  Blutes  sind  Zerfalls¬ 
erscheinungen  an  den  rothen  Blutkörperchen  verbunden,  die  als  ein 
morphologischer  Ausdruck  der  Gerinnung  angesehen  werden  können. 
Wo  diese  Abschnürungserscheinungen  von  den  rothen  Blutkörper¬ 
chen  in  vermehrtem  Masse  erscheinen,  kommt  Gerinnung  zu 
Stande.  Doch  kann  Gerinnung  auch  ohne  rothe.  Blutkörperchen 
eintreten.« 

In  einem  Anhänge  wird  die  Beobachtung  des  Wiedereintrittes 
des  Hämoglobins  in  gequollene  rothe  Blutkörperchen  durch  Zusatz 
von  Salzlösungen  bestätigt.  Schlagenhaufe r. 


Tagebuchblätter  aus  dem  Boerenkriege  1899 — 1900. 

Von  Dr.  MatthiolillS,  Marine-Stabsarzt. 

Mit  1  Karte. 

16°,  169  Seiten. 

Leipzig  1900,  F.  C.  W.  Vogel. 

Der  Verfasser,  dem  die  Oberleitung  der  vom  Centralcomite  des 
deutschen  Rothen  Kreuzes  für  die  Boeren  ausgerüsteten  drei  Hills¬ 
expeditionen  zugefallen  war,  erzählt  seine  Erlebnisse  und  Eindrücke 
während  des  südafrikanischen  Feldzuges  in  überaus  anschaulicher 
Weise.  Je  mehr  bei  uns  die  Zahl  jener  Aerzte  abnimmt,  die  auf 
eigene  Kriegserfahrungen  zurückblicken  können,  um  so  nothwendiger 
ist  es,  wenigstens  aus  Büchern  alle  die  zahllosen  Aufgaben  und 
Arbeiten  kennen  zu  lernen,  denen  der  Arzt  sich  im  Felde  neben 
seiner  eigentlichen  Thätigkeit  unterziehen  muss,  umso  verdienst¬ 
licher,  wenn  Jemand  die  Darstellung  dieser  Verhältnissse  aul  sich 
nimmt. 

Das  Büchlein  zeigt  uns  u.  A.,  wie  wenig  auf  Seite  der  Boeren 
für  die  Obsorge  der  Kranken  und  Verwundeten  Vorbereitung  ge¬ 
troffen  war,  wie  man  fast  Alles  den  Fremden  überlassen  hatte 
War  doch  die  südafrikanische  Republik  mit  einem  einzigen  Berufs- 
Militärarzte,  dem  der  staatlichen  Artillerie,  ins  Feld  gezogen. 


WIEN  Eli  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  l'JOO. 


Nr.  47 


1094 


Don  Glanzpunkt  dor  Thätigkeit  dor  doutsohen  Expedition 
bildet  das  Wirken  in  Jakobsdal  von  Mitte  December  189t)  bis 
Mitte  Miirz  1900.  Hier  wurde  den  Verwundeten  der  verlustreichen 
Kämpfe  von  Magersfontein  und  Paardeberg  hochwillkommene  und 
•mdioffeno  Hilfe  geleistet,  die  auch  vielen  Engländern  zu  Gute  kam, 
so  dass  Lord  Roberts  selbst  den  Deutschen  Dank  und  Anerkennung 
zum  Ausdrucke  brachte. 

Wir  empfehlen  das  interessante  Buch  besonders  den  Militär¬ 
ärzten  als  ebenso  nutzreiche  wie  spannende  Lecture. 

* 

Heerwesen-  und  Felddiensttabellen  für  den  Militärarzt 

im  Felde. 

Von  Gustav  Wolff,  k.  und  k.  Hauptmann. 

Wien  1 900,  Josef  S  a  f  ä  f. 

Die  Militärärzte  verdanken  dem  Ilauptmanne  Wolff  schon 
einen  recht  gelungenen  Beitrag  zum  applicatorischen  Studium  des 
Feldsanitätsdienstes  (siehe:  Wiener  klinische  Wochenschrift,  1900, 
Nr.  16.  pag.  873).  Derselbe  Verfasser  hat  nunmehr  auf  neun 
Tabellen  in  äusserst  übersichtlicher  Weise  alle  jene  Daten  aus  der 
Organisation  der  Armeekörper  und  Waffengattungen,  dann  aus  dem 
Sanitiits-,  Train-  und  Verpüegsdienste  zusammengestellt,  die  man 
bei  der  schriftlichen  v\usarbeitung  sanitätstaktischer  Themen  und 
bei  Sanitätskriegsspielen  auf  dem  Plane,  sowie  im  Terrain  jeden 
Augenblick  benöthigen  kann.  Die  organisatorischen  Vorkehrungen 
für  die  Krankenbehandlung  und  Krankenevacuation  im  Felde,  die 
sanitäre  Einrichtung  des  Etappenbereiches,  die  Perlustrirung  des 
Schlachtfeldes,  endlich  die  Bestimmungen  der  Genfer  Convention 
finden  wir  im  Detail  erörtert.  Wegen  ihrer  handlichen  Form  sind 
die  Tabellen  ganz  besonders  für  den  Gebrauch  im  Freien  geeignet. 

Wir  sehen  in  dem  vorliegenden  Werkchen  mit  grosser  Be¬ 
friedigung  einen  neuen  Beweis  für  das  unserem  Dienstzweige  von 
Seite  der  combattanlen  Offieiere  entgegengebrachte  Interesse  und 
empfehlen  die  Wolf  fischen  Tabellen  allen  Militärärzten  zu  recht 
fleissiger  Benützung.  J  o  h.  Steiner. 


Dr.  Jessner  s  Dermatologische  Vorträge  für  Praktiker. 

Des  Haarschwundes  Ursachen  und  Behandlung. 

W  ii  r  z  b  u  r  g  1900,  Stüber. 

Die  circa  50  Seiten  starke  Brochure  obigen  Autors  behandelt 
den  Haarschwund  mit  Rücksicht  auf  die  verschiedenen  Grund- 
processe.  Obwohl  die  Schrift,  als  an  Praktiker  gerichtet,  nicht 
beansprucht,  etwas  Neues  zu  bringen,  ist  dieselbe  als  zusammen¬ 
fassendes  Referat  über  diese  den  Praktiker  täglich  beschäftigende 
Frage  dennoch  sehr  dankenswerth.  Ein  grosser  Theil  des  Inhaltes 
ist  der  Therapie,  so  undankbar  dieselbe  in  Bezug  auf  den  Haar¬ 
schwund  auch  vielfach  ist,  zugedacht.  Hinsichtlich  dieser  ver¬ 
missen  wir  aber  bei  der  Alopecia  areata  die  Behandlung  nach 
Fi  nsen,  welche  in  nicht  malignen  Fällen  nach  des  Referenten 
eigenen  Untersuchungen  nahezu  specifisch  wirkt.  In  Bezug  auf  den 
Favus  schreibt  Autor,  dass  die  Resultate  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Behand¬ 
lung,  »dieser  an  sich  guten  Idee,  vielverbeissend  zu  sein  scheinen«. 
Dem  gegenüber  muss  betont  werden,  dass  diese  Behandlungsart 
nach  Allem,  was  bisher  darüber  bekannt  ist,  den  Favus  in  so 
kurzer  Zeit  vollkommen  heilt,  wie  keine  andere  Methode  und 
dieselbe  daher  vor  allen  anderen  als  souverän  bezeichnet  werden 
muss.  Die  dritte  Auflage  der  sonst  sehr  guten  Schrift,  die  wohl  in 
Kurzem  nöthig  sein  wird,  wird  auch  diese  Verhältnisse  berück¬ 
sichtigen.  S  p  i  e  g  1  e  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

482.  lieber  Leistenhernien  und  deren  Heilung. 
Von  Dr.  A.  B  ro  n  n  e  r  (Linz).  Nach  der  allgemeinen  Ansicht  besitzt 
ein  mit  einem  Leistenbruche  behaftetes  Individuum  die  Anlage 
hiezu  seit  seiner  Geburt,  womit  auch  die  Thatsache  im  Einklänge 
steht,  dass  in  einzelnen  Gegenden  Leislenbrüehe  besonders  häufig 
Vorkommen.  So  weist  in  Oesterreich  nach  Myrdacz  Linz  die 
höchste  Zahl  der  wegen  Eingeweidevorlagerung  untauglich  be¬ 
fundenen  Recrulen  auf  (37°/n0),  Kaposvar  die  niedrigste  (2°/oo)- 


Linz  liegt  überhaupt  in  der  Mitte  des  Gebietes,  in  welchem  Hernien 
besonders  häufig  sind;  dasselbe  umfasst  Oberösterreich,  den  Westen 
von  Niederösterreich  und  Böhmen,  sowie  Nordsteiermark.  Durch 
ein  gehäufteres  Vorkommen  von  Hernien  zeichnet  sich  weiters 
noch  Kärnten  aus.  Brenner  hatte  Gelegenheit,  an  416  Personen 
(382  Männern  und  34  Frauen  mit  729  Einzeloperationen)  die 
Radicaloperation  von  Leistenhernien  auszuführen.  Für  die  Ent¬ 
stehung  eines  Bruches  bildet  die  mangelhafte  Beschaffenheit  des 
Leistencanales,  sowie  eine  im  Vorhinein  schon  bestehende  Aus¬ 
buchtung  des  Bauchfelles  in  den  Leistencanal  hinein  die  Vor¬ 
bedingung.  Die  Radicaloperation  beseitigt  den  Bruchsack  durch  Ab¬ 
tragung  desselben,  was  gewöhnlich  nur  dann  Schwierigkeiten 
macht,  wenn  sich  in  ihm  das  Cöcum  (26mal  in  obigen  Fällen) 
oder  die  Flexur  (siebenmal)  befindet.  Brenner  hat  in  diesen 
Fällen,  nachdem  er  sich  von  der  Beschaffenheit  dor  Eingeweide 
überzeugt,  dieselben  sammt  Bruchsack  in  die  Bauchhöhle  versenkt. 
Die  mangelhafte  Construction  des  Leistencanales  wird  durch  die 
Bassinfische  Radicaloperation  beseitigt,  die  von  Brenner  in 
der  Weise  modificirt  wird,  dass  er  zur  Ueberbrüekung  des  Spaltes 
zwischen  P  o  u  p  a  r  t’schem  Bande  und  Obliquus  internus  jedes 
Mal  den  Cremaster  mit  verwendet.  Von  den  4U6  Operirten  sind 
nur  drei  im  Anschlüsse  an  die  Operation  gestorben  (eine  Wund- 
infection,  eine  croupöse  Pneumonie,  eine  Pneumonie  durch  Embolie). 
Hinsichtlich  des  Lebensalters  der  Operirten  ist  zu  bemerken,  dass 
das  jüngste  Individuum  mit  einem  halben  Jahre,  das  älteste  mit 
75  Jahren  mit  Erfolg  operirt  worden  war.  So  weit  die  Operirten 
nachuntersucht  werden  konnten,  zeigten  sich  in  5‘8°/0  Rccidive, 
wobei  zu  bemerken,  dass  nicht  blos  ein  wirklicher  Bruch,  sondern 
überhaupt  jede  Vorwölbung  an  der  Operationsstelle  als  Rccidive 
gedeutet  wurde.  —  (Aerzlliche  Reformzeitung.  1900,  Nr.  3.) 

Pi. 

* 

483.  Ueber  die  Ursache  von  Dermatitis  der 

Hasplerinnen  von  C  o  c  o  n  s  der  Seidenwürmer.  Von 
V  allin.  Bis  jetzt  hat  man  diese  Dermatitis  der  Erweichung  der 
Oberhaut  durch  das  lange  Verweilen  der  Hände  in  heissem  Wasser 
und  die  Reizung  durch  organisch  zersetzte  Substanzen,  bedingt 
durch  die  Maceration  der  in  den  Cocons  enthaltenen  Chrysaliden 
zugeschrieben.  Neue  Untersuchungen  zeigen,  dass  die  Dejecte  der 
Raupen  gewisser  Bombyxarten  einen  starken  Reizstoff  enthalten, 
welche  Dejecte  sich  dem  Waschwasser  der  Cocons  mittheilen. 
Prophylaktisch  ist  ein  häufiger  Wechsel  des  Wassers  und  der 
Zusatz  einer  gelingen  Menge  von  Chlorsalzen  nothwendig.  —  (La 
Semaine  Medicale.  Nr.  42,  10.  October  1900.)  Sp. 

* 

484.  Ueber  die  Bruns’sche  Pasta  als  W  u  n  d  ver¬ 
bandmittel.  Von  Dö  der  lein  (Tübingen).  Gegenüber  den  von 
anderer  Seite  geäusserten  gegensätzlichen  Ansichten  hält  D  ö  d  e  r- 
lein  an  dem  Werthe  der  Airolpaste  fest,  ln  Folge  ihrer  hygro¬ 
skopischen  Eigenschaften,  ihrer  Fähigkeit,  die  Wunde  hermetisch 
abzuschliessen,  hält  sie  Verfasser  besonders  für  die  Verwendung 
nach  Darmoperationen  geeignet.  Den  Hauptwerth  legt  Verfasser 
weniger  auf  den  Airol-,  als  vielmehr  auf  den  Kaolingehalt  der 
Pasta,  für  die  er  folgende  Zusammensetzung  empfiehlt:  Rp.  Glycerin., 
Mucil.  gummi  arab.  aa.,  Bol.  albi  q.  s.  ut.  f.  Pasta.  D.  ad  tub. 
S.  Kaolinpasta.  —  (Centralblatt  für  Gynäkologie.  1900,  Nr.  27.) 

Pi. 

* 

485.  (Societe  de  Pädiatrie,  Paris.)  Ueber  Stridor  con- 
genitalis.  Von  Le  March  - Hadour  und  V  a  r  i  o  t.  Ein  ein 
Monat  alles  Kind  producirte  bei  jeder  Einathmung  ein  musikalisches, 
dem  Glucksen  der  Henne  vergleichbares  Geräusch,  welches  auch 
im  Schlafe  fortdauerte.  Exspiration  frei  und  still;  Stimme  und 
Husten  von  normalem  Timbre.  Unter  den  verschiedenen  Ursachen 
dieses  Zustandes:  Krampf  der  Glottis,  Vergrösserung  der  Thymus¬ 
drüse  oder  Verbildung  des  Kehlkopfes  nahmen  Verfasser  die  letztere 
als  pathogenetisch  an.  In  einem  Falle  zeigte  die  Autopsie  eine  ver¬ 
längerte  Epiglottis;  die  Giesskannen-Epiglottisfalten  begrenzten  eine 
Spalte  von  mehr  als  2  cm  Höhe,  unter  welcher  sich  eine  normale 
Glottis  befand.  Die  Heilung  dieser  Affection  erfolgt  gewöhnlich  im 
zweiten  Lebensjahre.  —  (Progres  Medical.  Nr.  41,  13.  October  1900.) 

Sp. 

* 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1095 


486  Polyklonie  mit  Epilepsie.  Beobachtet  von 
Mannini  (Irrenanstalt  zu  Bologna).  Ein  erblich  neuropathisch 
belasteter,  degenerirter  Epileptiker  leidet  an  schweren  Motilitäts¬ 
störungen  ohne  besondere  Verminderung  der  Muskelkraft,  welche 
zumeist  vor  dem  epileptischen  Anfalle  auftreten  und  mit  letzterem 
ihren  Höhepunkt  erreichen.  Diese  in  klonischen  Krämpfen  der  Gesichts-, 
Stamm-  und  Gliedmassenmuskeln  bestehenden,  intendirten  physio¬ 
logischen  Bewegungen  oft  ähnlichen  Störungen  treten  auch  nach 
dem  epileptischen  Insulte  und  in  anfallsfreier  Zeit  auf.  Die  Unter¬ 
suchung  ergab  ausgedehnte  Narben  am  Gesichte,  Halse,  Schulter 
in  Folge  von  Verbrennung  in  siedendem  Wasser;  zahlreiche  duich 
das  Hinstürzen  bei  den  Anfällen  entstandene  Narben,  Bruch  an 
den  Nasenbeinen,  Fehlen  von  Zähnen,  asymmetrischen  Schädel, 
kindischen  Gesichtsausdruck  (33  Jahre  alt).  Die  klonischen  Krämpfe, 
oft  rasch  und  plötzlich  den  Kranken  überfallend,  combiniren  sich 
zu  Beuge-  und  Streckbewegungen,  Schiefstellung  des  Kopfes, 
Herabsinken  des  Mundwinkels;  die  Zunge  wird  von  partiellen 
Zitterbewegungen  ergriffen,  der  Speichel  herausgeschleudert,  die 
Wortbildung  behindert  oder  unmöglich;  in  weiterer  Folge  wird 
Gehen  und  Stehen  unmöglich  und  der  Kranke  stürzt  zu  Boden. 
Aufgefordert,  gewisse  Bewegungen  zu  verrichten,  vollführt  er  die¬ 
selben  unvollkommen,  ziellos.  Spastische  Gontractionen  lieten 
hinzu;  beim  Sitzen  erhebt  er  sich  plötzlich  auf  die  Misse,  wiift 
die  Glieder  in  die  Höhe,  schleudert  Festgehaltenes  fort  u.  s.  w. 
Anwesenheit  Anderer  vermehrt  die  Krämpfe.  Unter  allen  Sym¬ 
ptomen  herrscht  der  Klonus  vor;  in  Folge  Ergriffenseins  vielei 
Muskeln  ist  die  Bezeichnung  »Polyklonie«  (Murri)  gerechtfertigt. 
Die  Motilitätsstörungen  bei  P.  V.  sind  nicht  hysterisch.  Verfasser 
verlegt  ihren  Ursprung  in  die  Gehirnrinde;  und  sowie  die  motorische 
Epilepsie  an  Läsionen  der  Roland’schen  Zone  gebunden  ist,  so 
ist  auch  die  Myoklonie  auf  das  psychomotorische  Centrum  zu 
beziehen,  dessen  Uebererregung  im  Wege  der  Pyramiden  geeignete 
Reize  auf  die  Muskeln  überträgt.  Diese  Uebererregung  kann 
hereditär,  (wie  in  vorliegendem  Falle),  oder  durch  Infection, 
Intoxication  (Delirium  acutum,  gastrische  Tetanie)  erworben 
werden.  —  (Gazzetta  degli  Ospedali.  Nr.  117,  30.  September  1900.) 

Sp. 

* 

487.  (Aus  dem  staatlichen  hygienischen  Institute  in  Hamburg.) 
Untersuchungen  über  das  Verhalten  der  Milch- 
bacterien  im  Milchthermophor.  Von  Prof .  D  u  n  b  a  r 
und  Dr.  D  r  e  y  e  r.  Flügge  hat  fcslgestellt,  dass  durch  Auf¬ 
kochen  der  Kuhmilch,  ja  selbst  durch  einhalb-  bis  dreiviertel- 
stündiges  Erhitzen  derselben  auf  100"  G.  keine  Gewähr  geboten 
wird,  dass  die  Bacterien  s  p  o  r  e  n  in  der  Milch  abgetödtet  werden, 
dass  weiters  diese  Sporen  unter  20°  nur  langsam  auskeimen, 
weshalb  empfohlen  wurde,  derartige  Milch  stets  kühl  aufzubewahren. 
Mittlerweile  kam  der  Milchthermophor  in  Gebrauch,  welcher  es 
ermöglicht,  die  in  ihn  hineingesetzte  Milch  bis  zu  zehn  Stunden 
auf  einer  die  Körpertemperatur  überschreitenden  Temperatur  zu 
erhalten,  was  gewiss  bei  der  Pflege  von  Flaschenkindern,  namentlich 
zur  Nachtzeit,  eine  grosse  Erleichterung  gewährt.  Da  die  Besorgniss 
laut  wurde,  es  könnte  dadurch  der  Bacteriengehalt  der  Milch  zu¬ 
nehmen,  wurden  darüber  eingehende  Untersuchungen  angestellt. 
Diese  Befürchtung  wurde  nicht  bestätigt.  Bei  Verweilen  der  Milch 
bis  zu  zehn  Stunden  in  dem  kurz  vorher  erhitzten  1  hermophor 
findet  eine  Erhöhung  der  Keimzahl  der  Milch  nicht  statt.  Es  zeigt 
sich  vielmehr  bei  ungekochter  und  pasteurisirter 
Milch  eine  entschiedene  Abnahme  der  Bacterienzahl,  und  zwar 
gelegentlich  bis  zu  dem  Grade,  dass  lebensfähige  Keime  überhaupt 
nicht  mehr  gefunden  werden.  Eine  Zersetzung  und  nachtheilige 
Veränderung  der  Milch  im  Thermophor  ist  deshalb  innerhalb  des 
genannten  Zeitraumes  nicht  zu  befürchten.  Der  Milchthermophor 
kann  daher  unbedenklich  für  die  Warmhaltung  der  für  die  Er¬ 
nährung  von  Säuglingen  bestimmten  Milch  empfohlen  werden, 
vorausgesetzt,  dass  die  Milch  nicht  länger  als  zehn  Stunden  nach 
dem  Erhitzen  des  Thermophors  in  demselben  belassen  wird. 
Angesichts  dieser  Thatsache  ist  der  Milchthermophor  mit  Rücksicht 
auf  die  grosse  Bequemlichkeit,  die  er  für  das  Pflegepersonal  bietet, 
als  eine  sehr  schätzenswcrthe  Bereicherung  für  die  Technik  der 
künstlichen  Säuglingsernährung  zu  bezeichnen.  —  (Deutsche 

medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  26.)  Pk 

* 


488.  lieber  das  gelbe  Fieber.  Von  Proust  und 
Würz  (X.  Congress  für  Hygiene  zu  Paris.  1900).  Sanarelli 
(Rio  de  Janeiro)  hat  im  Jahre  1897  den  pathogenen  Keim  des 
selben  Fiebers  gefunden  und  Bacillus  icferoides  benannt.  Dieser 
findet  sich  im  Blute,  in  der  Milz  ‘und  mderen  Organen,  jedoch 
nicht  im  Magen-Darmcanale  und  immer  in  Gesellschaft  anderer 
Mikroben.  Der  Bacill.  icter.  erscheint  in  Form  von  Stäbchen  mit 
abgerundeten  Enden,  gruppirt,  verändert  seine  Dimensionen  nach 
dem  Nährboden  und  ist  mit  Wimpern  versehen.  Gelatinecult.uren 
ergeben  Colonien  von  glänzendem,  granulirten  Aussehen  und  ver¬ 
flüssigen  niemals  die  Gelatine.  Der  Bac.  icter.  ist  anaerobisch,  von 
beträchtlicher  Lebensfähigkeit,  gegen  trockene  Hitze  sehr  wider¬ 
standsfähig,  am  wenigsten  gegen  feuchte  Wärme.  Die  Anwesenheit 
von  Schimmel  fördert  die  Entwicklung  des  Bacillus  auf  besäeten, 
sterilisirten  Plaques.  Endlich  bewahrt  derselbe  durch  lange  Zeit 
seine  Lebensfähigkeit  im  Meerwasser,  daher  das  Auftreten  des 
gelben  Fiebers  in  Seehäfen.  Für  die  meisten  Ilausthiere  ist  der 
Bac.  icter.  pathogen.  Sanarelli  hat  fünf  Menschen  eine  15  bis 
20  Tage  alte,  filtrirte  sterilisirte  Bouilloncultur  eingespritzt  und 
typisches  gelbes  Fieber  hiedurch  erzeugt.  Das  Serum  der  an  gelbem 
Fieber  Erkrankten  agglutinirt  den  specifischen  Bacillus.  Derselbe 
dringt  möglicher  Weise  durch  Inhalation,  durch  das  Wasser,  sehr 
wahrscheinlich  vom  Erdboden  aus  in  den  Organismus  (Epidemie  von 
Sudan  1897).  Bezüglich  der  Prophylaxis  ist  es  noch  schwierig, 
Thieren  starke  Dosen  zu  verabreichen  und  ein  Serum  von  prä¬ 
ventiver  und  heilender  Kraft  herzustellen.  Das  gelbe  Fieber  ist, 
mit  Ausnahme  des  epidemischen  Auftretens  bei  den  1  ruppen  im 
spanisch-amerikanischen  Feldzuge,  seit  langer  Zeit  «auf  Central¬ 
amerika,  die  Ostküste  von  Südamerika  und  die  Westküste  von 
Afrika,  in  welchen  Ländergebieten  es  endemisch  auftritt.  beschränkt 
cveblieben.  —  (La  France  Medicale.  Nr.  17,  10.  September  1900.) 

o  '  Ci 

Sp. 

* 

489.  Zur  Kritik  der  Laparotomie  bei  der 
serösen  Bauch  felltu  b  er  culose.  Von  Borchgevink 
(Christiania).  Die  Untersuchungen  erstreckten  sich  auf  25  laparoto- 
mirte  und  22  nicht  laparotomirte  Fälle;  auf  Grund  derselben 
kommt  Verfasser  zu  folgendem  bemerkenswerthen  Schlüsse:  Die 
ohne  oder  mit  nur  geringfügigem  Fieber  einhergehenden  Formen 
der  serösen  Bauchfelltuberculose  verlauten  von  selbst  günstig;  bei 
ihnen  ist  die  Laparotomie  entbehrlich;  bei  den  progressiven,  mit 
constantem  Fieber  verlaufenden  Formen  dagegen  schadet  die 
Laparotomie.  Sie  ist  also  für  alle  Fälle  zu  verwerfen.  Aus  der 
interessanten  Arbeit  sei  noch  der  Heilungsvorgang  hervorgehoben, 
wie  ihn  Verfasser  durch  die  mikroskopische  Untersuchung  excidirter 
Tuberkeln  festgestellt  bat.  Derselbe  leitet  sich  damit  ein,  dass  dei 
anfänglich  nur  aus  epitheloiden  Zellen  bestehende  Knoten  von 
einer  faserigen,  bindegewebigen  Substanz  durchsetzt  wird.  Der 
weitere  Verlauf  gestaltet  sich  verschieden,  je  nachdem  der  lubeikel 
eine  Riesenzelle,  beziehungsweise  ein  käsiges  Centrum  enthält  oder 
als  Epitheloidzellentuberkel  persistirt.  Im  ersteren  Falle  ist  die 
Bindegewebsneubildung  eine  itensivere,  die  Heilung  geht  abei 
langsam  vor  sich,  indem  die  Bindegewebsfasern  spät  in  die 
Riesenzelle  oder  das  käsige  Centrum  eindringen,  welche  zuletzt 
durch  eine  Bindegewebsnarbe  ersetzt  werden.  Im  letzteren  falle 
geht  die  Durchsetzung  des  Tuberkels  mit  Bindegewebe  und  damit 
auch  die  Heilung  viel  rascher  vor  sich.  Das  stark  schrumpfende 
Knötchen,  welches  schliesslich  aus  einem  losen  Netze  feiner  Fasern 
besteht,  kann  spurlos  verschwinden.  Diese  »primäre  Tuberkel- 
heilung«  kommt  bei  der  heilenden  Form  der  Bauchfelltubei  culose, 
bei  der  Verkäsung  eine  Ausnahme  bildet,  sehr  häufig  vor.  — 
(Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie. 
Bd.  VI,  Heft  3.)  1>L 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Ueber  Tannigon.  Von  Dr.  Bass  (Wien).  Das  Mittel  wird 
Säuglingen  zu  0  1—0  2,  Kindern  über  zwei  Jahren  bis  0  5,  Erwachsenen 
in  Dosen  zu  lg  drei-  bis  viermal  täglich  verabreicht.  Die  besten  Lr- 
folge  werden  bei  den  subacuten  und  chronischen  Katarrhen  des  Dunn- 
und  Dickdarmes  in  Verbindung  mit  entsprechender  Diät  erzielt.  Die 


1096 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


/ 


Hypersecretion  der  Schleimhaut  hört  sehr  bald  auf,  die  Stühle  werden 
fester  und  vor  Allem  verschwindet  der  Schleim  aus  ihnen.  —  (Heil¬ 
kunde.  1900,  Nr.  9.) 

* 

Hat  Ichthyol  eine  Wirkung  bei  tuberculösen 
Erkrankungen  der  Lunge  und  bei  Lungenschwind¬ 
sucht  und  welche?  Von  Dr.  Schaefer.  Verfasser  hat  als  Haus¬ 
arzt  am  Zuchthause  in  München  reichlich  Gelegenheit  gehabt,  den 
Werth  einer  Therapie  gegenüber  Tuberculose  beurtheilen  zu  lernen. 
Nach  ihm  hat  Ichthyol  eine  entschieden  günstige  Wirkung  bei  tuber¬ 
culösen  Spitzenkatarrhen,  ferner  bei  chronischen  Luftröhrenkatarrhen 
mit  reichlichem  Auswurf  (Bronchiektasien).  Die  Wirkung  besteht  in 
einer  raschen  Besserung  des  Allgemeinbefindens,  Erleichterung  der 
Expectoration  und  Schwinden  der  Bacterien.  Die  Art  der  Verabreichung 
war:  Ichthyol  wurde  mit  gleichen  Theilen  Wasser  gemischt  und  vier 
Tage  lang  davon  dreimal  täglich  15  Tropfen  in  Gersten-  oder  Hafer¬ 
schleim  oder  Milch  verabreicht  und  allmälig  bis  180  Tropfen  pro  die 
gestiegen.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  11.) 

* 

(Aus  der  Poliklinik  für  Kinderkrankheiten  in  München.) 
Kurze  dermatotherapeutische  Mittheilungen.  Von 
Dr.  S  i  e  b  e  r  t. 

Epikarin  bei  Scabies.  Epikarin  ist  ein  entgiftetes,  lös¬ 
liches  Naphtholpräparat,  das  in  Form  einer  10ft/0igen  Salbe  zu  den 
ersten  Krätzmitteln  gehört.  Die  Anwendungsweise  ist  die  sonst  bei 
Scabies  übliche,  das  Bad  wird  erst  am  vierten  Tage  verordnet. 

Zur  Behandlung  der  Vulvovaginitis  kleiner 
Mädchen.  Einige  0  5°/0ige  Protargollösung  wird  mit  einer  gewöhn¬ 
lichen  Tripperspritze  in  die  Vagina  langsam  eingeflösst  und  die 
Vulva  etwa  etwa  zehn  Minuten  zurückgehalten.  Das  Verfahren  wird 
dreimal  nacheinander  und  dreimal  täglich  wiederholt.  So  lange  Ausfluss 
aus  der  Harnröhre  vorhanden  war,  wurden  Durchspülungen  derselben 
mit  Protargol  gemacht.  Neben  dieser  Behandlung  wurden  Sitzbäder 
in  Lysollösung  oder  Eiehenrindendecoct  angewendet. 

Erfahrungen  mit  Ichthalbin.  Bei  Furunculosis  der 
Kinder  wurden  im  ersten  Jahr  03  g  täglich,  später  0'5 — PO  dreimal 
täglich  gegeben.  Kinder,  die  durch  vorhergehende  Darmkatarrhe  und 
die  Resorption  von  Toxinen  aus  den  Furunkeln  angegriffen  sind, 
werden  auf  entsprechende  Diät  gesetzt,  die  Furunkeln  werden  eröffnet, 
Bädei  etc.  verordnet.  Nach  einigen  Tagen  hört  schon  die  Bildung  neuer 
Furunkeln  auf  und  das  Kind  beginnt  wieder  kräftig  anzusetzen.  — 
Münchener  medieinisclie  Wochenschrift.  1900,  Nr.  43.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

V  e  r  I  i  e  h  e  n :  Dem  ärztlichen  Leiter  des  Maria  Theresia-Frauen 
hospitales  in  Wien,  Dr.  Hermannv.  Erlach,  das  Ritterkreuz  des 
Franz  Josef-Ordens.  —  Dem  Honorardoeenten  der  deutschen  tech¬ 
nischen  Hochschule  zu  Brünn,  Primararzt  der  Landeskrankenanstalt 
daselbst,  Dr.  Hans  Hammer,  der  Titel  eines  ausserordentlichen 
Professors.  —  Dem  auch  als  Dichter  bekannten  Arzte  Dr.  Max 
Ring  in  Berlin  der  Professortitel. 

* 

Habil  itirt:  In  Moskau:  Dr.  Uskow  für  innere  Medicin 
und  Dr.  Sykow  für  Chirurgie.  —  Dr.  Cattaneo  für  Kinderheil¬ 
kunde  in  Parma. 

* 

Gestorben:  Der  ehemalige  Oberarzt  am  Allgemeinem  Kranken¬ 
hause  in  Hamburg,  Dr.  Gotthard  B  ü  1  a  u,  bekannt  durch  die  Ein¬ 
führung  der  lleberdrainage  bei  Behandlung  der  Thoraxerapyeme.  — 
Der  Professor  der  gerichtlichen  Medicin  in  Kopenhagen,  Doctor 
Gaedeken.  —  In  Genua  der  Professor  der  Gynäkologie,  Doctor 
Acconi,  —  William  Anderson,  Professor  der  Chirurgie  am 
St.  Thomas  Hospital  in  London. 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrath  es  am 
10.  November  d.  J.,  gelangten  nach  erfolgter  Mittheilung  verschiedener 
geschäftlicher  Angelegenheiten  nachstehende  Referate  zur  Berathung 
und  Schlussfassung:  1.  Festsetzung  der  Arzneitaxe  für  das  Jahr  1901. 
(Referent:  Hofrath  v.  Vogl  namens  des  pharmaceutischen  Comites.) 
2.  Gutachten  anlässlich  eines  Recurses,  betreffend  die  Verunreinigung 
eines  öffentlichen  Gerinnes  durch  Schlachthausabwässer.  (Referont: 
Prof.  Kratschme  r.) 

$ 

In  der  am  12.  d.  M.  abgehaltenen  Sitzung  des  n  i  e  d  e  r  öster¬ 
reichischen  Landes-Sanitätsrathes  wurde  anlässlich 
der  in  jüngster  Zeit  durch  die  elektrischen  Oberleitungen 


hervorgerufenen  Unfälle  unter  Hinweis  auf  die  vom  Sanitätsrathe  in 
seiner  Sitzung  am  6.  März  1899  und  seither  wiederholt  betonte  Ge¬ 
fährlichkeit  dieses  Leitungssystemes  neuerlich  der  Antrag  gestellt,  sich 
mit  dieser  Frage  eingehend  zu  befassen  und  darüber  in  der  nächsten 
Sitzung  ein  Referat  zu  erstatten.  Als  Grundlage  dieses  Referates 
hätten  die  durch  einen  Initiativantrag  des  Landes-Sanitätsrathes  ver- 
anlassten,  von  mehreren  Körperschaften  eingeholten  Fachgutachten, 
sowie  die  seither  über  die  Gefährlichkeit  der  Oberleitungen  ge¬ 
sammelten  Erfahrungen  zu  dienen.  Ferner  wurden  die  Entwürfe  einer 
Instruction  für  die  Assistenten  in  chemischen  Labo¬ 
ratorien  in  zwei  Wiener  k.  k.  Krankenanstalten  begutachtet. 
Schliesslich  wurde  über  die  angeregte  Auflassung,  beziehungsweise 
Verlegung  einer  chirurgischen  Abtheilung  einer  Wiener 
k.  k.  Krankenanstalt  ein  Gutachten  abgegeben. 

* 

Bei  Guttentag  in  Berlin  ist  das  „Gesetz,  betreffend 
die  Bekämpfung  gemeingefährlicher  Krankheite  n“, 
einschliesslich  eines  Commentares  in  einem  gesonderten  Bändchen, 
herausgegeben  von  Dr.  Burkhard  t,  erschienen. 

* 

Guttmann’s  „Arzneiverordnungen  in  der  Kinder¬ 
praxis“  sind  bei  Karger,  Berlin,  in  dritter  Auflage  erschienen. 

* 

Primarius  Dr.  C.  E  w  a  1  d  wohnt  jetzt:  IX.,  Wäliringerstrasse  33. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  43.  Jahreswoche  (vom  21.  October 
bis  27.  October  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  547,  unehelich  258,  zusammen 
805.  Todt  geboren:  ehelich  41,  unehelich  26,  zusammen  67.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  519  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
16J  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  85,  Blattern  0,  Masern  8, 
Scharlach  5,  Diphtherie  und  Croup  11.  Pertussis  0,  Typhus  abdominalis  4, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  2,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  43.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
40  ( —  1),  Masern  280  36),  Scharlach  59  ( —  1),  Typhus  abdominalis 

11  ( —  19),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  23  ( —  6),  Croup  und 
Diphtherie  69  (-(-13),  Pertussis  24  ( —  2),  Dysenterie  2  (— }—  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  5  (-|-  3),  Trachom  3  ( —  3),  Influenza  0  ( —  2) 

* 

Druckfehlerberichtigung.  In  dem  auf  Seite  1075 
dieser  Wochenschrift  auszugsweise  im  officiellen  Protokolle  der  k.  k. 
Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  wiedergegebenen  Vortrage  des  Herrn 
Prof.  E.  Hering:  „U  eber  centripetale  Ataxie  beim 
Menschen  und  Affen“  hat  es  immer  statt  „A  to  nie“  richtig 
„Ataxie“,  ferner  in  der  Publication  von  Dr.  K.  Bü  ding  er  in 
Nr.  46,  pag.  1068,  2.  Spalte,  26.  Zeile  von  oben  statt  „Celloidin- 
platten“  „Celluloidplatte  nu  zu  heissen. 


Freie  Stelleia. 

Gemeindearztesstelle  in  der  Gemeinde  Feldkirchen,  politischer 
Bezirk  Linz,  Oberösterreich.  Jährliche  Bestallung  600  K  seitens  der  Ge¬ 
meinde  und  400  K  Subvention  seitens  des  oberösterreichischen  Landes¬ 
ausschusses.  Gesuche  sind  ehestens  bei  der  Gemeindevorstehung  Feld¬ 
kirchen  einzureichen.  Dienstesantritt  längstens  1.  December  1900,  even¬ 
tuell  früher. 

Gemeinde  arztess  teile  in  Wald  hausen  bei  Grein  a.  d.  Donau, 
Oberösterreich.  Bezüge  für  den  Dienst  in  der  Sanitätsgemeinde 
Waldhausen  900  K.  Ausgedehnte  Privatpraxis.  Für  den  Dienst  in  der  an¬ 
grenzenden  niederösterreichischen  Sanitätsgemeinde  Nöchling  -  St.  Oswald 
bezog  der  bisherige  Arzt  600  K.  Christliche  Bewerber  deutscher  Nationalität 
wollen  ihre  Gesuche  an  die  Gemeindevorstehung  Waldhausen,  Oberösterreich, 
richten. 

Secundararztesstelle  im  Allgemeinen  Krankenhause  in 
Mährisch- Weisskirchen.  Kenntniss  beider  Landessprachen  erforderlich. 
Jahresgehalt  bei  freier  Wohnung  und  Station  1000  K.  Belegte  Gesuche 
sind  an  den  Gemeinderath  der  Stadt  Mährisch-Weisskirchen  zu  richten. 

Districtsarztesstel  le  im  Sanitätsdistricte  Bezmerov-Kremsier, 
Mähren.  Der  Sanitätsdistrict  umfasst  8  Gemeinden  mit  2972  Einwohnern 
auf  einem  Flächenraume  von  24-5  hn2.  Die  systemisirten  Bezüge  betragen 
460  K  Gehalt  und  340  K,  Reisepauschale,  zusammen  800  K.  Die  Gesuche 
mit  den  im  §  11  des  Gesetzes  vom  10.  Februar  1884,  L.  G.  Bl.  Nr.  28,  vor¬ 
geschriebenen  Beilagen  sind  bis  30.  November  1900  an  den  Obmann 
Vincenz  Vyzulain  Bezmörov  bei  Kremsier  einzusenden. 

Districtsarztesstelle  für  den  Sanitätsdistrict  Trojanowitz- 
Frank  stadt  im  Gerichtsbezirke  Frankstadt  a.  R.,  Mähren.  Der  District 
Trojanowitz-Frankstadt  zählt  6  Gemeinden  und  7266  Einwohner.  Der  Jahres¬ 
gehalt  beträgt  776  A,  das  Reisepauschale  485  A  39  h.  Der  Sitz  des 
Districtsarztes  ist  die  Stadt  Frankstadt.  Die  Besetzung  der  Stelle  erfolgt 
provisorisch  für  die  Dauer  eines  Jahres.  Im  Sinne  des  §  11  des  Landes¬ 
gesetzes  vom  10.  Februar  1884.  L.  G.  Bl.  Nr.  28,  entsprechend  belegt j 
Gesuche  sind  an  den  Obmann  der  Delegirtenversammlung  des  genannten 
Sanitätsdistricte»,  Josef  Havel,  bis  längstens  30.  November  1900  ein¬ 
zusenden. 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1097 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


T: 

Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  13.  Internationaler  medicinisclier  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 
Sitzung  vom  16.  November  1900.  1900.)  (Fortsetzung.) 

72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Aachen  1900. 

(Schluss.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  16.  November  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Csokox*. 

Schriftführer  :  Docent  Dr.  Alt. 

Prof.  Dr.  Johann  Csokor:  Während  meines  diesjährigen  Auf¬ 
enthaltes  in  der  zoologischen  Station  in  Neapel  hatte  ich  Gelegenheit, 
den  aus  seinen  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  pathogenen  Protozoen 
bekannten  Professor  der  Hygiene  Francesco  Sanfelice  der 
Universität  Cagliari  in  Sardinien  kennen  zu  lernen.  Der  College 
war  so  gütig,  mir  einige  Präparate  des  als  Saccharomyces  neoformans 
von  ihm  gefundenen  und  beschriebenen  Sprosspilzes,  welchen  er  für 
einen  Erreger  von  Zellenneubildungen  hält,  zu  überlassen  und 
autorisirte  mich,  denselben  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  zu 
demonstriren.  Die  ausführliche  Arbeit  über  diesen  Gegenstand  ist  in 
der  hygienischen  Zeitschrift  vom  Jahre  1898  erschienen.  Ich  beschränke 
mich  nur  auf  eine  kurze  Mittheilung  und  auf  die  Demonstration  der 
Präparate. 

Bekanntlich  hat  man  bei  Zellenneubildung,  deren  Elemente  dem 
äusseren  und  dem  inneren  Keimblatte  entstammen,  wiederholt  parasitäre 
Erreger  finden  wollen. 

Abgesehen  von  den  Angaben  über  zellige  Erreger,  wie  sie 
schon  in  den  Achtziger-Jahren  hier  in  der  Gesellschaft  demonstrirt 
wurden,  glaubte  man  in  jüngster  Zeit  an  parasitäre  Protozoen  als  Er¬ 
reger  der  Carcinome  und  Adenome.  Neben  den  Forschem  T  o  u  t  o  n, 
Steinhaus  s,  Podwyssowki,  Sawtschenko  und  Kruse 
haben  besonders  Pfeifer,  Korotneff  und  Andere  solche  Parasiten 
nicht  nur  beschrieben  und  abgebildet,  sondern  mit  Namen  versehen 
(Rhophanocejihalus  carcinomatosus  Kr.)  dem  zoologischen  Systeme 
eingereiht. 

Während  sämmtliche  bisherige  Angaben  über  den  Erreger  des 
Carcinoms  nur  auf  den  mikroskopischen  Befunden  basiren,  hat 
Sanfelice  den  Weg  des  Experimentes  betreten  und  sucht  jenen 
Erreger  nicht  im  Thierreiche,  sondern  in  der  Pflanzenwelt.  Gelegent¬ 
lich  der  hygienischen  Untersuchung  von  Früchten  fand  dieser  Forscher 
mehrere  Mycetozoen,  von  welchen  eine  Saccharomycesart  insoferne 
pathogene  Eigenschaften  an  sich  trug,  als  dieselbe,  auf  Thiere 
verimpft,  Zellenneubildungen  zu  Stande  brachte;  dieser  Sprosspilz 
wurde  mit  den  Namen  „Saccharomyces  neoformans“  belegt. 

Culturen  des  Saccharomyces  neoformans,  welche  sehr  gut  auf 
gedämpften  Kartoffeln  gedeihen,  eingespritzt  in  die  Jugularvene  des 
Hundes,  veranlassen  nach  Monaten  Geschwulstbildungen  in  den 
parenchymatösen  Organen  des  Versuchsthieres.  Im  Gewebe  des  Pankreas 
liegen  diese  Geschwulstbildner  gruppenweise  zerstreut  in  den  einzelnen 
Drüsenläppchen,  sie  nehmen  die  Anilinfarbstoffe  gut  an  und  erscheinen 
dann  als  ziemlich  grosse  Kugeln,  ovale  oder  elliptische  grössere  und 
kleinere  Körper.  In  den  seltensten  Fällen  färben  sich  die  Organismen 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  zumeist  ist  der  Rand  derselben  halb¬ 
mondförmig  oder  sichelförmig  gefärbt.  Manchmal  sieht  man  im  Centrum 
dieser  Gebilde  einen  ungefärbten  hellen  Fleck. 

Die  Eigenschaft  des  Saccharomyces  als  Anreger  von  Zellen¬ 
neubildungen  ist  eine  so  auffällige,  wTie  etwa  jene,  welche  wir  ja  vom 
Ooccidium  oviforme  in  der  Kaninchenleber  kennen.  Besonders  im 
Pankreas  entwickeln  sich  aus  den  Drüsenzellen  förmliche  Zapfen, 
sowohl  in  den  Gängen  als  auch  in  den  Läppchen  der  Drüse  kommt 
es  zur  Adenombildung.  Aber  auch  durch  das  Einimpfen  von  Culturen 
dieses  Schmarotzers  in  die  Cornea  des  Hundes  entstehen  in  der  Um¬ 
gebung  des  Impfstiches,  vom  Epithel  der  Cornea  ausgehend,  Zellen¬ 
zapfen,  welche  in  die  Tiefe  des  Cornealgewebes  eindringen. 

Aus  dem  angeführten  Befunde  und  auf  Grund  des  Experimentes 
geht  hervor,  dass  der  als  Saccharomyces  neoformans  festgestellte  Or¬ 
ganismus  die  Fähigkeit  besitzt,  eine  Zellenneubildung  in  jenen  Ge¬ 
weben  anzuregen,  welche  aus  den  Zellen  des  äusseren  und  inneren 
Keimblattes  gebildet  werden,  also  in  Epithelien,  Endothelien  und 
Secretionszellen.  Bei  dem  Umstande,  als  man  in  einzelnen  Thier- 
carcinomen,  obwohl  selten,  ähnliche  Saccharomyces  gefunden  hat,  sind 
gewisse  Beziehungen  des  Organismus  zu  Careinomen  vermuthet 
worden.  Wenn  auch  damit  der  Erreger  des  Carcinoms  noch  nicht  end- 
giltig  festgestellt  ist,  so  fordern  diese  Versuche  immerhin  den 


pathologischen  Anatomen  auf,  neben  der  histologischen  Untersuchung 
der  Carcinome  auch  culturelle  Versuche  anzustellen. 

Dr.  Schur  demonstrirt  basophile  Granula  in  poly¬ 
morphkernigen  (mit  Ehr  lieh  - Färbung  neutrophil 
granulirten)  Zellen. 

Es  findet  diese  Zellen  hie  und  da  bei  gesunden  Personen, 
häufiger  und  ausgeprägter  bei  einzelnen  Krankheiten  (Pneumonia 
crouposa,  Phlegmone,  Erysipel). 

Bei  Gesunden  sind  die  Granula  meist  ausserordentlich  zart  und 
treten  nur  in  wenigen  Zellen  auf,  pathologischer  Weise  sind  sie  oft 
ziemlich  gross  und  sind  in  sehr  vielen  Zellen  darstellbar. 

Schur  und  Löwy  haben  in  einer  kürzlich  erschienenen  Arbeit 
diese  Granula  mit  den  neutrophilen  Granula  identificirt.  S  c  h  u  r  hält 
diese  Ansicht  jetzt  nicht  mehr  aufrecht,  da  er  gesehen  hat,  dass  die 
neutrophilen  Granula  nach  Alkoholfixation  wasserlöslich,  während  die 
basophilen  Granula  vom  Wasser  nicht  gelöst  werden. 

Schur  findet  die  basophilen  Granula  öfters  auch  in  Eiter¬ 
körperchen,  oft  fehlen  sie  jedoch  auch  in  ihnen.  Er  hält  es  für  mög¬ 
lich,  dass  sich  ein  Zusammenhang  mit  dem  Erreger  wird  finden 
lassen. 

Zur  Darstellung  der  Granula  zieht  Schur  durch  Hitze  fixirte 
Präparate  Alkoholpräparaten  vor.  Die  Färbung  erfolgt  mit  concentrirter 
wässeriger  Methylenblau-(B  Patent-)lösung. 

Dr.  Erben  stellt  einen  Kranken  mit  scheinbarem  Intentionszittern 
vor,  hinter  dem  sich  ein  „i  s  o  1  i  r  t  e  r  Tricepsklonus“  birgt. 

Der  20jährige  Kranke  hat  nervöse  Disposition  (mangelhaft  ent¬ 
wickelte  Intelligenz,  verminderten  Tonus  des  rechten  Facialis),  zeigt 
aber  weder  im  Entstehen  seiner  jetzigen  Erkrankung,  noch  in  ihrem 
Verlaufe,  noch  in  seinem  Körperbefunde  irgend  welche  Merkmale,  die 
für  Hysterie  oder  eine  andere  grosse  Neurose  sprechen.  Sein  rechter 
Arm  ist  regungslos,  so  lange  er  herunterhängt,  geräth  aber  in  heftiges 
Schütteln,  wenn  der  Arm  im  Ellbogen  gebeugt  wird.  Das  Schütteln 
macht  ihm  seit  sechs  Monaten  jede  Verwendung  der  Hand  unmöglich 
und  hält  continuirlich  an,  verschwindet  erst,  wenn  er  die  Hand  sinken 
lässt.  Das  ist  nur  scheinbar  Intentionszittern,  denn  er  kann  den  ge¬ 
streckten  Ellbogen  emporheben,  er  kann  auch  bei  gestrecktem  Ellbogen 
Hand-  und  Fingerbewegungen  ausführen,  ohne  dass  das  Schütteln  auf¬ 
taucht;  dasselbe  tritt  nur  zu  Tage,  wenn  er  die  Ellbogen¬ 
streckung  a  u  f  g  i  b  t.  Das  Schütteln  geht  aus  dem  Ellbogengelenk 
hervor,  Handgelenk  und  Schulter  sind  dabei  unbetheiligt.  Lässt  man 
ihn  während  des  andauernden  Schiittelns  rasch  aufeinander¬ 
folgende  Beugungen  und  Streckungen  im  Handgelenk  oder  im 
Ellbogen  machen,  so  sistirt  das  Schütteln;  auch  passive  Handbewe¬ 
gungen  oder  Radiusrotationen  unterdrücken  das  bestehende  Schütteln. 
Werden  diese  Exercitien  in  trägerem  Rhythmus  ausgeführt,  so  bleiben 
sie  ohne  Einfluss  auf  das  Zitterphänomen.  Der  Umstand,  dass  hier 
mechanische  Einwirkungen  im  erkrankten  Bereiche  und  entfernt  von 
demselben  auf  die  un  wil  lkürliche  Ellbogenbewegung  Einfluss 
haben,  erinnerte  an  die  Wirkung  von  „Druckpunkten“  bei  Muskel¬ 
krämpfen  von  der  Art  des  Tic  convulsif;  es  entstand  die  Vermuthung, 
als  ob  es  sich  hier  nicht  um  einen  Krampf  handle.  Da  das  Schütteln  vom 
Ellbogen  ausgeht,  kamen  in  erster  Linie  Biceps  und  Triceps  in  Betracht. 
Den  Biceps  fühlt  man  während  des  Schütteins  in  gleichmässigem  Tonus 
(Tetanus),  aber  am  Triceps  springen  Muskelbündel  hart  vor  und 
werden  wieder  weich,  hier  findet  sich  klonischer  Krampf.  Also 
handelt  es  sich  bei  diesem  Schütteln  um  einen  isolirten  Muskelkrampf, 
um  einen  localisirten  Tricepsklonus. 

Da  der  Kranke  bei  gestrecktem  Ellbogen  active  und  passive 
Rotationen  der  Hand  ausführen  kann,  ohne  den  Krampf  hervorzurufen, 
ist  Verkürzung  oder  Anspannung  des  Biceps  nicht  die  Erregungsquelle 
für  den  Klonus.  Im  Triceps  selbst  ist  sie  gelegen;  der  Muskel  bleibt 
ruhig,  so  lange  seine  Ansatzpunkte  so  nahe  als  möglich  eingestellt 
sind  (äusserste  Ellbogenstreckung)  und  wird  zum  Krampfe  gebracht, 
wenn  diese  auseinanderrücken  —  schon  bei  der  geringsten  Dehnung. 
Nicht  nur  eine  kleine  Ellbogenbeugung  bringt  dies  zu  Stande,  sondern 
schon  das  Wegziehen  des  Muskelbauches  vom  Humerusschaft;  sowie 
man  bei  diesem  Versuche  den  Muskel  ausläst,  sistirt  sein  Klonus. 

Dieser  Krampf  des  Muskels  ist  nicht  der  Ausdruck  erhöhter 
Sehnenreflexerregbarkeit,  da  der  Tricepsreflex  rechts  gar  nicht  nach¬ 
weisbar  und  auf  der  gesunden  Seite  nur  angedeutet  ist. 


1098 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


Sämmtliche  Bewegungen  der  rechten  Extremität  sind  so  kräftig 
wie  an  der  gesunden  Seite,  nur  die  Ellbogenstreckung  ist  etwas 
weniger  energisch. 

Das  für  Muskelkiämpfe  aussergewöhnliche  Verhalten,  dass  hier 
der  Klonus  bei  einer  bestimmten  Einstellung  des  Muskels  sistirt,  findet 
sein  Analogon  in  dem  von  Bamberger  zuerst  beschriebenen  „sal¬ 
tatorischen  Kiampfe“  (Klonus  im  Triceps  surae). 

Isolirte  Muskelkrämpfe  sind  sehr  selten,  die  Localisation  im 
Triceps  scheint  bisher  gar  nicht  beobachtet  zu  sein. 

Discussion:  Prof.  Winternitz:  Der  uns  von  dem  Herrn  Vorredner 
vorgestellte  Fall  erinnert  mich  sehr  lebhaft  au  viele  ähnliche,  die  ich 
gesohen;  er  ist  doch  eigentlich  einigermassen  verschieden  von  den 
typischen  Ticformen.  Bei  den  meisten  dieser  Fälle  sind  wir  im  Stande, 
bei  genauer  Untersuchung  anderweitige  hysterische  Stigmata  zu  finden, 
doch  gibt  es  auch  solche  von  ganz  gleicher  Bedeutung,  bei  denen 
patente  Stigmata  nicht  zu  finden  sind.  Gerade  der  Umstand,  dass  mit 
solcher  Präcision  eine  bestimmte  Haltung  den  Klonus  zum  Verschwinden 
bringen,  bestimmte  Bewegungen  ihn  momentan  sistiren  können,  und 
die  eigenthümliche  Beschränkung  auf  einen  einzigen  Muskel  lassen  es 
vermuthen  —  und  ich  stelle  in  dieser  Richtung  an  den  Herrn  Vor¬ 
tragenden  die  Anfrage  — ,  dass  es  noch  andere  Punkte  geben  dürfte, 
von  denen  aus  der  Klonus  momentan  zu  beseitigen  wäre.  Unter  den 
vielen  ähnlichen  Kranken,  die  ich  sah,  fällt  mir  namentlich  ein  Fall 
ein,  bei  dem  es  sich  um  einen  den  ganzen  Tag  fortdauernden  chorea¬ 
artigen  Clonus  laryngis  gehandelt  hat.  In  diesem  Falle  gelang  es  mir, 
mit  einer  einfachen  Druckvorrichtung  am  Ilinterhaupte  den  nervösen 
Husten  zu  beseitigen.  Auch  von  anderen  Punkten  der  Wirbelsäule, 
den  Processus  mastoidei,  manchmal  dem  Sulcus  caroticus  kann  man 
durch  Druck  solche  selbst  weit  entfernte  Krampfzustände  oft  beseitigen. 
Es  lässt  uns  dies  wohl  vermuthen,  dass  auch  der  hier  vorgestellte 
Fall  ähnlicher  Natur  ist. 

Dr.  Erben:  Druckpunkte  an  der  Wirbelsäule  Hessen  sich  nicht  auf¬ 
finden.  In  erster  Linie  suchte  ich  am  Handgelenke  Druckpunkte,  da  sowohl 
active  als  passive  Bewegungen  dieses  Gelenkes  sich  krampfhemmend 
zeigten.  Ich  will  zeigen,  dass  ich  das  Handgelenk  allseits  abdrücken  kann, 
ohne  den  „Schüttelkrampf“  zu  beeinflussen.  Ich  verfolgte  das  Problem 
der  Krafthemmung  auch  nach  einer  anderen  Richtung  und  suchte  den 
Werth  von  Ablenkung  zu  erproben;  kräftige  Widerstandsbewegungen 
seitens  der  rechten  oder  linken  Schulter  hatten  gleichfalls  negativen 
Erfolg.  Sie  sehen,  dass  der  Kranke  selbst  mit  der  linken  Hand 
schreiben  kann,  ohne  dass  in  dem  bestehenden  Krampfe  des  rechten 
Armes  eine  Aenderung  herbeigoführt  wird.  Das  gleiche  Resultat  hatte 
auch  Kneifen  des  kranken  Muskels  oder  der  darüber  liegenden  Haut. 
Jene  Momente,  die  passagere  Krampfhemmung  bewirken,  geben  uns 
eine  Handhabe  für  die  Therapie,  doch  muss  man  bei  einiger  Erfahrung 
zugeben,  dass  ein  Dauererfolg  nicht  immer  eintritt.  Die  Muskelkrämpfe 
sind  schwer  heilbar. 

Prof.  E.  Redlich  kann  für  den  vorgestellten  Fall  die  Diagnose 
,,Tiew  nicht  zulassen,  da  die  Art  der  Zuckungen  durchaus  nicht  den  für 
Tic  charakteristischen  entspricht.  Der  Fall  lege  vielmehr  die 
Diagnose  einer  Art  hysterischen  Schütteltremors  nahe,  wofür,  abgesehen 
von  der  ganzen  Art  der  Zuckungen,  insbesondere  die  Präcision,  mit 
der  die  Zuckungen  bei  gewissen  Stellungen  und  Bewegungen  auftreten 
oder  sistiren,  spräche.  Aber  bei  dem  Umstande,  dass  der  Vortragende 
nichts  über  die  Entwicklung  des  Leidens  gesagt  hat,  und  über  den 
Status  kurz  hinweggegangen  ist,  kann  diese  Diagnose  nur  als  Ver- 
muthung  hingestellt  werden.  Uebrigens  seien  auch  jene  Fälle,  wo  sich 
von  einem  Punkte  aus  die  Zuckungen  wesentlich  beeinflussen  lassen, 
wohl  zum  allergrössten  Theile  hysterischer  Natur. 

Dr.  Erben:  Herr  Prof.  Redlich  darf  sich  den  Tic  convulsif  nicht 
als  Vorbild  für  alle  Krampfformen  wählen,  beim  Tic  sind  die  Zuckungen 
blitzartig  wie  auf  Kathodenschluss  und  von  Intervallen  unterbrochen. 
Ausserdem  gibt  es  aber  auch  „rhythmisch  erfolgende  klonische  Krämpfe“ 
(Oppenheim)  in  einzelnen  Muskelgebieten,  wie  die  andauernden 
Nickkrämpfe  (Pagoden),  Krämpfe  im  Ileopsoas,  in  den  Peronei  u.  s.  w. 
Ein  vollkommenes  Analogon  für  das  Verhalten  dieses  Tricepskrampfes 
erwähnte  ich  bereits  in  dem  vielfach  beobachteten  „saltatorischen  Reflex- 
krampfe“,  der  nur  bei  bestimmter  Einstellung  des  Gastrocnemius  her¬ 
vortritt. 

Vie  Prof.  Redlich,  dachte  auch  ich  a  priori  an  Hysterie 
und  erst  eine  eingehendere  Analyse  belehrte  mich  besser.  Ich  erfuhr 
von  dem  Kranken,  dass  er  niemals  allgemeine  Krämpfe  gehabt;  ich 
fand  an  ihm  keine  sensiblen  Symptome,  keinerlei  Stigmata,  gute 
Cornealreflexe,  keine  Gesichtsfeldeinschränkung  —  ich  fand  eben  nichts 
von  Hysterie  an  ihm,  nur  einen  Krampf,  wie  solcher  auch  bei  Hysterie 
Vorkommen  könnte.  Charcot  benützte  in  solchen  Fällen  als  Ausweg 
die  Bezeichnung  „monosymptomatische  Hysterie“.  Da  haben  wir  aber 
einen  Namen,  der  die  grosse  Neurose  Hysterie  enthält,  indess  nur  ein 
kleines  Krankheitsbild  vorliegt,  ein  isolirter  Muskelkrampf  als  einziges 
Merkmal  des  Krankheitszustandes.  Darum  ziehen  kritische  Autoren  in 
solchen  Fällen  vor,  auszusprechen,  dass  „Hysterie  hier  nicht  constatirt 


werden  kann“.  Das  habe  auch  ich  in  der  Einleitung  gethan.  Aber 
dennoch  gebe  ich  zu,  dass  mein  Fall  mit  Hysterie  etwas  gemeinsam 
hat,  nämlich  die  neuropathische  Disposition,  welche  die  Vorbedingung 
für  das  Entstehen  einer  Krampfkrankheit  ist;  in  dem  einen  Falle  ent¬ 
steht  durch  die  Eigenart  der  Schädigung  ein  allgemeiner  Krampf¬ 
zustand  (Hysterie  oder  Epilepsie  oder  Myoklonie,  Tie  general  etc.),  in 
anderen  Fällen  localisirte  Muskelkrämpfe  tonischer  Art  oder  Krämpfe 
von  der  Art  wie  bei  unserem  Kranken.  Als  Ursache  für  die  isolirten 
Muskelkrämpfe  bezeichnet  man  gewöhnlich  localisirte  Ueberanstrengung; 
unser  Kranker  musste  als  Schlosser  durch  Jahre  hindurch  den  ganzen 
Tag  lang  hämmern  (energische  Ellbogenstreckuug  ausführen)  und 
könnte  das  als  Ursache  für  die  Localisation  de3  Krampfes  im 
Triceps  angesprochen  werden.  Ich  präcisire  meinen  Standpunkt  gegen¬ 
über  Prof.  Redlich  dahin:  es  stehen  die  verschiedenen  Krampf 
krankheiten  nebeneinander  und  sind  nicht  Theile  der  Hysterie;  darin 
bin  ich  nicht  originell,  sondern  folge  nur  dem  Beispiele  anerkannter 
Autoren  aus  dem  letzten  Lustrum  (Oppenheim,  Bernhardt). 
Nein,  hier  ist  nicht  Hysterie,  wie  Prof.  Redlich  und  ich  a  priori 
vermutheten,  hier  besteht  ein  isolirter  Muskelkrampf. 

Dr.  Fritz  Pendl  demorstrirt  einen  Fall  von  nach  May  dl  ra¬ 
dical  operirter  Blasenektopie. 

Bei  dem  jetzt  siebenjährigen  Knaben  war  vor  drei  Jahren  die 
Deckung  der  Blase  nach  einer  plastischen  Methode  versucht  worden; 
der  Erfolg  der  Operation  war  ein  nur  theilweiser. 

Bei  der  Aufnahme  des  Kranken  in  das  Leopoldstädter  Kinder¬ 
spital  im  September  1900  lag  ein  thalerstückgrosses  Stück  Blasen¬ 
schleimhaut  vor,  in  welches  die  Ureteren  mündeten;  dabei  bestand 
natürlich  continuirliches  Harnträufeln,  die  Blasenschleimhaut  war  t heil¬ 
weise  erodirt,  die  umgebende  Haut  ekzematös  erkrankt.  Die  Symphyse 
klafft  auf  drei  Finger,  es  besteht  totale  Epispadie. 

Am  27.  September  d.  J.  nahm  ich  im  Leopoldstädter  Ivinder- 
spitale  die  Operation  nach  May  dl  vor;  da  die  Erosionen  der  Blasen¬ 
schleimhaut  belegt  waren  und  Ekzem  bestand,  so  musste  die  Eröffnung 
der  Peritonealhöhle  auf  einen  möglichst  späten  Zeitpunkt  hinaus¬ 
geschoben  werden;  zuerst  wurde  die  Blasenwand  in  ihrer  ganzen  Dicke 
von  ihrer  Unterlage  abgelöst,  was  wegen  der  Vernarbung  in  Folge 
der  früheren  Operation  ziemlich  schwierig  war  und  mit  scharfen  In¬ 
strumenten  ausgeführt  werden  musste;  die  Ureteren  wurden  durch 
Einlegung  feiner  Sonden  gesichert.  Als  die  Blase  nur  mehr  an  den 
auf  etwa  lem  frei  präparirten  Ureteren  hing,  wurde  der  grösste  Theil 
der  Blase  als  überflüssig  mit  der  Scheere  abgetrennt  und  nur  ein 
5  mm  breites  und  O/2  cm  langes  Stück  desselben  zwischen  den  Ure- 
terenmündungen  und  um  dieselben  belassen;  hierauf  wurde  von  dem 
oberen  Winkel  der  so  entstandenen  Wunde  aus  die  Peritonealhöhle 
in  der  Mittellinie  eröffnet  und  die  Flfxura  sigmoidea  vorgezogen.  In 
dem  vorliegenden  Antheile  derselben  wurde  ein  circa  3  cm  langer,  alle 
Schichten  der  Darmwand  durchtrennender  Längsschnitt  angelegt  und 
derselbe  in  die  Quere  verzogen;  in  den  so  entstandenen  queren  Schlitz 
wurde  nun  das  zu  diesem  Behufe  nach  oben  und  hinten  gedrehte,  die 
Ureterenmündungen  enthaltende  Stück  Blasenwand  durch  Nähte  ein¬ 
gefügt,  welche  Darm  und  Blase  in  ihrer  ganzen  Dicke  fassten;  diese 
Nahtlinie  w'urde  durch  eine  zweite  Etage  von  Nähten  gesichert  und 
hierauf  der  Darm  versenkt;  das  Peritoneum  wurde  soweit  als  möglich 
nach  unten  geschlossen.  Die  Nahtstelle  blieb  bei  diesem  Operations¬ 
verfahren  natürlich  zum  grössten  Theile  extraperitoneal  an  der  Spitze 
des  zurückbleibenden  Wundtrichters  liegen;  der  letztere  wurde  so 
w'eit  als  möglich  geschlossen,  der  übrig  bleibende  Theil  durch  einen 
Jodoformgazestreifen  locker  tamponirt. 

Der  Heilungsverlauf  war,  abgesehen  von  geringfügigen  Tempera¬ 
tursteigerungen  der  ersten  Tage,  ein  günstiger.  An  Stelle  der  offen 
gelassenen  Wunde  ist  heute  noch  eine  kleine  Granulationsfläche  zu  sehen. 

In  den  ersten  Tagen  ging  der  Harn  continuirlich  per  anum  ab; 
erst  vom  achten  Tage  an  gewöhnte  sich  der  Knabe  über  öfteres  Er¬ 
mahnen,  den  Harn  etwa  eine  Stunde  zurückzuhalten;  seither  hat  er 
bedeutende  Fortschritte  gemacht  und  ist  drei  bis  vier  Stunden  völlig 
continent. 

Die  ersten  nach  dieser  Methode  operirten  Fälle  hat  May  dl 
im  Jahre  1894  publicirt;  1896  folgte  ein  Bericht  über  zwei  weitere 
Fälle  von  demselben  Autor;  die  Ojmrationsmethode  hat  Gegner  ge¬ 
funden,  da  man  fürchtete,  einerseits  werde  die  Darmschleimhaut  die 
fortwährende  Berieselung  mit  Harn  nicht  vertragen,  andererseits 
werden  durch  Infection  vom  Darm  aus  sich  rufsteigende  Entzündungen 
in  Ureter  und  Niere  entwickeln;  Sonnenburg  und  Andere  hielten 
daher  an  der  älteren  Methode  fest,  die  Ureteren  nach  Excision  der 
Blase  in  die  Penisrinne  einzunähen;  dieses  Verfahren  befreit  den 
Patienten  natürlich  ebensowenig,  wie  die  plastischen  Operations¬ 
methoden  von  dem  quälendsten  Symptome  der  Ektopie,  dem  Harn¬ 
träufeln.  Mehrere  Publicationen  der  letzten  Jahre  von  Boari 
Mazel  etc.  reden  nach  Zusammenstellung  der  bisher  nach  Maydl’s 
Methode  operirten  Fälle,  diesem  Verfahren,  als  dem  einzig  radicalen, 
das  Wort.  Nach  der  Statistik  M  a  z  e  l’s  ergeben  sich  8 7 ' 5 °/0  Heilungen; 


Nr.  47 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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diosc  Statistik  entkräftet  auch  die  Befürchtungen  über  die  Gefahr  der 
Infection  des  harnleitenden  Apparates;  der  Klappenapparat  der  Ureteren 
und  der  Umstand,  dass  die  Vernarbungsvorgänge  sich  nicht  unmittel¬ 
bar  an  der  Einmündungsstelle  des  Ureters  abspielen,  scheine  die  In¬ 
fection  zu  erschweren. 

In  diesem  Saale  wurden  von  1897  bis  1899  von  Docenten 
Dr.  Ewald  und  Primarius  Dr.  F  r  a  n  k  drei  nach  M  a  y  d  1  operirte 
Ektopiefälle  vorgestellt;  zwei  derselben  werden,  als  in  die  oben  er¬ 
wähnte  Statistik  noch  nicht  einbezogen,  das  Heilungsproeent  wesentlich 
verbessern. 

Discussion:  Docent  Primarius  Dr.  R.  Frank:  Ich  hatte  seinerzeit 
Gelegenheit,  der  Gesellschaft  zwei  Fälle  von  nach  M  a  y  d  1  operirter 
Ectopia  vesicae  mit  tadellosem  primären  Operationsresultate  vorzustellen 
(21.  October  1898  und  13.  Januar  1899).  Es  handelte  sich  um  zwei 
junge  Männer  aus  Rumänien,  welche  geheilt  und  für  vier  bis  fünf  Stunden 
continent  nach  Hause  gingen.  Bei  keinem  von  Beiden  waren  Störungen 
von  Seite  der  Nieren  aufgetreten. 

Ich  kann  nachtragen,  dass  ich  von  dem  einen  der  beiden  vor¬ 
gestellten  Patienten  nach  mehr  als  Jahresfrist  Nachrichten  empfing, 
welche  besagen,  dass  derselbe  vollständig  gesund  ist,  körperlich  gut 
gediehen  ist  und  anstandslos  seinem  Berufe  nachgeht.  Es  besteht  für 
die  Zeit  von  fünf  bis  sechs  Stunden  vollständige  Continenz.  Der  Mann  lobt 
seinen  jetzigen  Zustand  in  überschwenglichen  Worten,  und  erklärt, 
mit  dem  Erfolge  vollständig  zufrieden  zu  sein. 

Dr.  v.  Czyhlarz  und  Dr.  Marburg :  Ueber  cerebrale 
Blasenstörungen  (vorläufige  Mittheilung). 

Auf  Grund  klinischer  und  histologischer  Untersuchung  mehrerer 
Fälle  und  auf  Grund  von  bis  jetzt  nicht  in  dieser  Weise  gedeuteter 
Fälle  aus  der  Literatur  kommen  die  Vortragenden  zu  dem  Schlüsse: 

Es  gibt  sicher  cerebrale  Blasenstörungen 
unter  Ausschluss  einer  Mitwirkung  psychischer 
Störungen  und  unter  Ausschluss  einer  Affection 
des  übrigen  nervös-musculösen  Blasenapparates, 
im  Specie  1  len  auch  des  Rückenmarkes.  Eine  Thatsache, 
die  bisher  nicht  bewiesen  war. 

Ueber  den  Sitz  äussern  sich  die  Vortragenden  vermuthungsweise 
dahin,  dass  ein  cerebrales  Blasencentrum  in  der  Gegend  des  Hüft- 
centrums  (Obersteiner)  liege,  ein  zweites  im  Corpus  striatum. 
Endlich  vielleicht  auch  eines  im  Kleinhirn. 

Prof.  E.  Wertheini  hält  seinen  angekündigten  Vortrag:  Z  u  r 
Frage  der  Radicalope  ration  beim  Uterus  krebs. 
(Erscheint  ausführlich  in  dieser  Wochenschrift.) 


72.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in 

Aachen  1900. 

(Schluss.) 

Abtheilung  für  Chirurgie. 

IV.  Sitzung. 

IV.  B  1  i  e  s  e  n  e  r  (Köln) :  Ueber  Eiterungen  am  Kiefer- 
gelenk. 

Die  Annahme,  dass  sich  rechts  derselbe  Weg  der  Eiterung  finden 
würde,  bestätigte  sich  nicht.  Canal,  iuframaxill.  und  Inhalt  waren  un¬ 
verändert.  Die  stärksten  Veränderungen  wies  die  mittlere  Schädelgrube 
auf.  Absteigend  war  die  Eiterung  dem  M.  pterygoid,  ext.  nach  hinten 
gefolgt  und  verlor  sich  dann  nach  dem  Kiefer  hin.  Einige  tiefe  Temporal¬ 
venen  waren  vereitert.  Hier  handelte  es  sich  also  um  einen  ab¬ 
steigenden  Process.  Die  Vermittlung  zwischen  der  Phlebitis  beidor 
Seiten  hatte  die  epidurale  Eiterung  hergestellt. 

Es  gelang  nun,  beide  Bahnen,  die  aufsteigende,  wie  die  ab¬ 
steigende,  durch  Injections  versuche  an  der  Leiche  darzustellen,  und 
dio  Resultate  bestätigten  die  Richtigkeit  der  Annahme  über  die  ver¬ 
schieden  Wege,  die  die  Phlebitis  hier  nehmen  kann. 

Ein  weiteres  Beispiel  für  diese  Verhältnisse  lieferte  ein  Fall,  in 
dem  es  sich  um  eine  genuine  Osteomyelitis  der  Sella  turcica  handelte. 
Der  Eiter  kam  im  Wangenfett  zum  Vorschein,  das  Kiefergelenk  war 
mit  ergriffen,  ebenso  das  Schläfenfett,  das  Auge  vorgetrieben.  Es 
wurde  traumatische  Eiterung  angenommen.  Der  Jochbogen  wurde  re- 
sccirt,  der  halbe  Kieferast  fortgenommen,  der  äussere  Orbitalrand 
nach  aussen  geklappt,  das  Schläfenfett  ausgeräumt.  Trotz  guten  Ab¬ 
flusses  Tod  an  Meningitis.  Bei  der  Section  findet  sich  ein  absteigender 
Process,  der  von  der  Sella  turcica  ausging,  von  hier  auf  die  mittlere 
Schädelgrube,  die  M.  pterygoidei,  die  Kieferkapsel  übergegriffen  hatte. 

In  einem  dritten  Falle  von  Oberkieferosteomyelitis  nach  Zahn¬ 
extraction  mit  Vereiterung  des  Kiefergelenkes,  des  Wangen-  und 
Schläfenfettes  wirkte  ein  sofortiger  ausgedehnter  Eingriff  (Resection 


des  halben  Kieferastes  und  des  Jochbogens,  Entfernung  des  Schläfen¬ 
fettes)  lebensrettend. 

Nur  ein  frühzeitiges,  radicales  Vorgehen  kann  bei  diesen  per- 
nieiösen  Processen  das  Leben  erhalten.  Da  die  Anfangsbahnen  der 
aufsteigenden  Eiterung  stets  die  gleichen,  so  muss  sich  die  Operation 
typisch  in  der  beschriebenen  Weise  gestalten;  sie  gestattet,  allen 
Bahnen  nachzugehen  und  guten  Abfluss  zu  schaffen.  Beider  descen- 
d  i  r  o  n  d  e  n  Eiterung  kann  der  Ausgangspunkt  unerreichbar  sein.  Bei 
Kieferosteomyelitis  ist  weitgehende  Entfernung  des  erkrankten  Knochens 
noting,  oft  die  Entfernung  des  ganzen  aufsteigenden  Astes. 

Es  ist  zu  hoffen,  dass  die  zunehmende  Kenntniss  von  diesen 
Entzündungsprocessen  am  Kiefer  auch  die  Resultate  der  Operationen 
bessern  wird,  ähnlich,  wie  es  bei  den  osteophlebitischen  Erkrankungen 
des  Felsenbeins  der  Fall  gewesen  ist. 

V.  P  ab  st  (Aachen):  Demonstration  eines  Präparates. 

Pabst  demonstrirt  ein  von  einem  sechsjährigen  Knaben  gewonnenes 

Roctumsarkom.  Der  seit  vier  Monaten  bestehende  Tumor  ging  von  der 
linken  Seite  aus  und  füllte  das  ganze  Rectum  aus.  Das  Rectum  wurde 
resecirt,  der  Stumpf  nach  unten  gezogen,  nach  Gersuny  um  180° 
gedreht  und  angenäht.  Das  functionelle  Resultat  ist  befriedigend. 

VI.  Stern  (Kassel) :  Die  Erfolge  der  orthopädischen 
Behandlung  von  Kieferdeformitäten. 

Stern  spricht  über  die  Erfolge  der  orthopädischen  Behandlung 
bei  vorstehendem  Unter-  und  Oberkiefer  und  bei  offenem  Gebiss  in 
einer  Reihe  von  Fällen  aus  der  Klinik  von  Dr.  Henke roth  in 
Kassel.  Eine  Reihe  von  Modellen  und  Photographien  veranschaulichen 
seine  Ausführungen. 

In  einem  Falle  wurde  eine  18jährige  an  Prognathismus  und  habi¬ 
tueller  Luxation  des  Unterkiefers  leidende  Patientin  mit  der  Gummi¬ 
kappe  behandelt,  einem  elastischen  Bandapparat,  der  den  Unterkiefer 
nach  oben  und  hinten  zieht.  Es  trat  allmälige  Besserung  ein;  die 
Luxation  des  Unterkiefers  verschwand  langsam.  Nach  neun  Monaten  war 
ein  normal  functionirendes  Kiefergelenk  und  normale  Sprache  vorhanden. 

Ein  zweiter  Fall,  bei  dem  eine  abnorm  starke  Entwicklung  dos 
Unterkiefers  vorlag  (17jährige  Patientin),  wurde  ebenfalls  durch  die 
Kinnkappe  sehr  günstig  beeinflusst.  In  einem  dritten  Falle  (16jährigcr 
Patient)  kam  nach  längerem  Tragen  der  Kinnkappe  mit  dem  zurück¬ 
tretenden  Unterkiefer  der  entstellende  Gesichtsausdruck  ganz  zum 
Verschwinden. 

Nach  denselben  Principien  gestaltet  sich  die  orthopädische  Be¬ 
handlung  bei  Prognathismus  des  Oberkiefers. 

Longar  d  (Aachen)  fragt,  ob  die  starke  Federkraft  der  Appa¬ 
rate  nicht  eine  Gangrän  hervorrufen  könne  und  meint,  die  Zugbehand¬ 
lung  finde  jedenfalls  ihre  Grenze  mit  dem  Ende  der  Wachsthums¬ 
periode.  Auch  wundert  er  sich,  dass  die  vorgezeigten  Photographien 
der  erreichten  Resultate  all  diese  Patienten  en  profil  und  nicht  auch 
en  face  zeigten. 

VII.  Schul  tze  (Duisburg)  demonstrirt  a)  einen  Extensions¬ 
apparat  für  Fracturen  der  unteren  Extremität;  b)  einen  Apparat  zur 
tadellosen  Lagerung  der  Patienten,  namentlich  von  Kindern,  bei  An¬ 
legung  von  Contentivverbänden  an  der  unteren  Extremität. 

VIII.  Bongar  tz  (Düsseldorf)  demonstrirt  die  Photographie 
eines  Falles  von  monströser  tropischer  Elephantiasis  scroti  bei  einem 
Neger  aus  dem  Kamerunschutzgebiet.  Das  Scrotum  hing,  einem  grossen 
Flaschenkürbis  ähnelnd,  bei  aufrechter  Stellung  des  Mannes  last  bis 
zu  den  Knöcheln  herab. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Geburtshilfe  und  Frauenheilkunde. 

Referent:  Dr.  Sp. 

I.  S  c  h  u  1 1  z  o  (Jena) :  Die  Behandlung  des  Schein¬ 
todes  Neugeborener. 

Der  in  der  Geburt  erworbene  Scheintod  der  Neugeborenen 
kommt  dadurch  zu  Stande,  dass  während  der  Geburt  die  Placentar- 
athmung  behindert  wurde.  Paul  Cazeaux  war  der  Erste,  der  dies 
gegenüber  früher  geltenden  anderen  Ansichten  bestimmt  aussprach. 

Er  sagt  (1850):  „Dans  tous  les  cas,  l’aspliyxie  des  nouveau-ncs  est 
evidemment  le  resultat  de  la  suspension  de  la  respiration  placentaire. 

Der  Scheintod  Neugeborener  ist  also  Erstickung,  Erstickung  als 
Vorgang  aufgefasst,  der  noch  unterbrochen  werden  kanu,  der  nicht 
nothwendig  zum  Tode  führt. 

Die  Lungenathmung  möglichst  bald  in  Gang  zu  bringen,  ist-  die 
I  Aufgabe  der  Behandlung.  Ich  betone  das  „möglichst  bald“.  Zwar  hat 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  47 


schon  Legal  lois  (1812)  die  wichtige  Thatsache  festgestellt,  dass, 
je  jünger  der  Organismus  ist,  desto  länger  er,  ohne  zu  sterben,  der 
Athmung  entbehren  kann.  Aber  viele  scheintodt  geborene  Kinder  sind 
eben  doch  der  für  Neugeborene  zulässigen  Grenze  der  Athemiosig- 
keit  schon  sehr  nahe,  und  ohne  Athmung  wird  das  Blut  immer  ärmer 
an  Sauerstoff. 

Der  normale  Athemreiz,  die  Venosität  des  Blutes,  ist  beim 
scheintodten  Kinde  bereits  weit  über  die  Norm  gesteigert,  die  Medulla 
reagirt  nicht  mehr  auf  ihn.  Anderen  Reizen  kann  die  Medulla  auf 
dem  Wege  des  Reflexes  noch  zugänglich  sein.  Kältewirkung  auf  dio 
Haut  ist  einer  der  erfolgreichsten  derartigen  Reize,  z.  B.  flüchtiges 
Eintauchen  bis  an  den  Hals  in  kaltes  Wasser.  Auch  rhythmisches 
Ilervorziehen  der  Zunge  (Lab  or  de)  hat  sich  neuerdings  als  erfolg¬ 
reicher  Reflexreiz  bewährt.  In  höheren  Graden  des  Scheintodes  ist  die 
Medulla  des  Kindes  Reflexreizen  nicht  mehr  zugänglich,  da  müssen  wir 
uns  bemühen,  die  Erregbarkeit  der  Medulla  wieder  herzustellen.  Das 
können  wir  nur  durch  Zufuhr  sauerstoffreichen  Blutes  zur  Medulla. 
Eingangspforte  dafür  kann  nur  die  Lunge  sein,  der  Weg  zur  Medulla 
die  Circulation.  Luftverkehr  in  den  Lungen  etabliren  und  Circu¬ 
lation  an  regen,  ist  die  Aufgabe. 

Lufteinblasen  hat  viele  scheintodte  Kinder  zum  regelmässigen 
Athmen  gebracht.  Beim  ersten,  beim  zweiten  Einblasen  beschleunigt 
sich  in  der  That  ein  wenig  der  Herzschlag,  wenn  aber  die  Asphyxie 
tief  war,  erlahmt  dann  doch  bald  das  Herz.  Das  Lufteinblasen  steigert 
den  Druck  innerhalb  des  Thorax.  Das  Wiederausdrücken  der  Luft 
steigert  ebenfalls  den  Druck.  Die  Circulation  des  Blutes  findet  durch 
das  Verfahren  keine  Fördening. 

Erfolgreicher  sind  solche  Verfahren,  welche  durch  unmittelbare 
Einwirkung  auf  die  Wand  des  Thorax  regelmässige  und  ausgiebige 
Druckschwankungen  in  seinem  Innern  bewirken.  M.  Hall’s  Ver¬ 
fahren  kann  am  Neugeborenen  wenig  ausrichten,  weil  dessen  Thorax 
sein  elastisches  Gleichgewicht  in  Exspirationsstellung  hat.  S  i  1  v  e  s  t  e  r’s 
Verfahren  ist  sehr  wirksam.  Meine  Methode,  das  Kind  zu  schwingen, 
macht  noch  grösseren  Wechsel  des  intrathoracalen  Druckes.  25  cm3 
atmosphärischer  Luft  strich  beim  Experiment,  das  ich  an  todtgeborenen 
Kindern  anstellte,  bei  jeder  Athmung  aus  und  ein.  Durch  solche 
Druckschwankung  wird  gleichzeitig  die  Herzpumpe  energisch  in  Thätig- 
keit  gesetzt. 

Die  Spannungsdifferenz  zwischen  arterieller  und  venöser  Blut¬ 
säule  wird  wieder  hergestellt  und  dadurch  die  capillare  Circulation 
wieder  in  Gang  gebracht.  So  schafft  man  möglichst  bald  sauerstoff¬ 
reiches  Blut  zur  Medulla,  stellt  die  Reflexerregbarkeit  und  die  Fähig¬ 
keit,  auf  den  normalen  Athemreiz  zu  reagiren,  wieder  her. 

Meine  Regeln  zur  Behandlung  des  Scheintodes  Neugeborener 
sind  kurz  diese:  Ist  das  Kind  blauroth,  ist  Muskeltonus  noch  vor¬ 
handen,  so  lasse  man  es  zunächst  an  der  pulsirenden  Nabelschnur. 
Man  nehme  etwa  aspirirte  Massen  aus  dem  Mund,  wende  Hautreize 
an.  Reagirt  es  darauf  nicht  alsbald,  so  nable  man  es  ab,  tauche  es 
flüchtig  in  recht  kaltes  Wasser  und  beobachte  es  darnach  im  warmen 
Bade.  Man  wiederhole  das  Eintauchen,  bis  lautes  Geschrei  erfolgt. 

Ist  das  Kind  bleich  und  schlaff,  wie  eine  frische  Leiche,  so 
versuche  man  gar  nicht,  durch  Reflexreize  zu  wirken,  man  verliert 
dadurch  kostbare  Zeit.  Man  nable  sofort  ab,  nehme  etwa  aspirirten 
Schleim  aus  dem  Mund  und  Rachen,  drücke  dabei  die  Zungenwurzel 
nach  vorne,  um  den  Kehldeckel  aufzurichten,  und  schreite  sofort  zum 
Schwingen  des  Kindes. 

Mit  einer  verlängerten  Exspiration  ist  zu  beginnen.  Es  gibt  kein 
besseres  Mittel,  die  etwa  aspirirten  Massen  zu  entfernen,  man  entfernt 
sie  auch  aus  den  feineren  Bronchien.  Darnach  wechsle  man  Inspiration 
und  Exspiration  in  einer  Minute  acht-  bis  zehnmal  und  beobachte  dann 
das  Kind  im  warmen  Bade.  Der  Herzschlag  ist  frequenter  und  kräftiger 
geworden,  die  Haut  röthet  sich,  der  Muskeltonus  kehrt  zurück.  Tritt 
dieser  Erfolg  nicht  bald  ein,  so  wird  immer  nach  dem  Verweilen  im 
Bade  das  Schwingen  wiederholt.  An  den  Exspirationsschwung  pflegt 
sich  die  erste  spontane  Inspiration  anzuschliessen.  Dann  wird  das  Kind 
sofort  ins  warme  Bad  gelegt.  Bleiben  nun  die  Inspirationen  noch  ober¬ 
flächlich,  so  wird  das  Kind  ins  kalte  Wasser  getaucht. 

Jetzt,  da  die  Medulla  Reflexreizen  wieder  zugänglich  ist,  reagirt  es 
darauf  alsbald  mit  kräftigem  Anziehen  der  Beine  und  lautem  Geschrei. 

Nie  soll  ein  scheintodt  geborenes  Kind  für  vollkommen  wieder¬ 
belebt  gelten,  bevor  es  laut  und  anhaltend  schreit. 

II.  Referent  Doederlein  (Tübingen):  Aetiologie  und 
Anatomie  der  Metritis  colli. 

Die  Ursachen  für  entzündliche  Erkrankungen  von  mit  der 
Aussenwelt  in  freier  Communication  stehenden  Körperröhren  und  Organen 
müssen  heute  in  erster  Linie  in  Mikroorganismen  gesucht  werden. 

Die  neueren  bacteriologischen  Untersuchungen  haben  das  Resultat 
gezeitigt,  dass  am  Orificium  externum  uteri  die  Grenze  gelegen  ist 
zwischen  dem  unteren  bacterienhaltigen  und  dem  oberen  bacterien- 


freien  Genitalabschnitt.  Der  Cervicalcanal  und  Cervicalschleim  ist  also 
in  der  Norm  frei  von  Spaltpilzen.  Auf  natürlichem  Wege  oder  auch 
künstlich  experimentell  dahin  eingebrachte  Mikroorganismen  gehen  in 
dem  alkalischen  Cervicalschleim  alsbald  wieder  zu  Grunde. 

Durch  dies  bacterienfeindliche  Verhalten  schützt  der  Cervix 
nicht  nur  sich  selbst  vor  Spaltpilzen,  sondern  er  hält  dadurch  auch 
Uterus,  Tuben  und  Bauchhöhle  frei  von  den  in  die  Scheide  ein¬ 
dringenden  und  hier  sesshaft  werdenden  Keimen. 

Unter  den  pathogenen  Parasiten,  Mikroorganismen,  welche  ge¬ 
sundes,  lebendes  Gewebe  zu  befallen  und  krank  zu  machen  vermögen, 
finden  sich  nur  zwei  Arten:  der  Gonococcus  Neisser  und  der 
Bacillus  tuberculosi  Koch,  welche  für  die  Metritis  colli  eine  ätio¬ 
logische  Bedeutung  haben. 

Während  diese  Localisation  der  Gonorrhoe  sehr  häufig  ist, 
findet  sich  alleinige  Erkrankung  des  Cervix  an  Tuberculose  nur 
äusserst  selten. 

Dem  Gonococcus  gegenüber  versagt  jede  chemische  und  physi¬ 
kalische  Schutzvorrichtung  gegen  Infection  am  Cervix  uteri. 

Andere,  gleichzeitig  mit  den  Gonococcen  oder  auch  später  ein¬ 
dringende  Spaltpilze  vermögen  im  Cervix  nicht  sesshaft  zu  werden, 
so  dass  Mischinfection  an  dieser  Stelle  nicht  wahrscheinlich  ist. 

Tuberculose,  syphilitische  und  diphtheritische  Erkrankung  des 
Collum  uteri  stellen  eigenartige  Krankheitsbilder  dar,  w'elehe  nicht  in 
den  Begriff  der  Metritis  colli  einbezogen  werden  sollten. 

Nur  wenn  todtes  Gewebe,  wie  gangränöse  Fibroide,  zerfallende 
Carcinommassen,  Eihautreste  u.  A.  im  Uterus  vorhanden  ist,  vermögen 
sich  hier  Saprophyten  als  Krankheitserreger  anzusiedeln.  Eine  grosse 
ätiologische  Rolle  spielen  beim  Zustandekommen  der  gewöhnlichen, 
nicht  infectiösen  Metritis  colli  die  Cervixrisse,  die  Emme  t’sche 
Ruptur  und  das  Rose  r’sche  Ektropium. 

Ausserdem  kommen  alle  Metroendometritis  verursachende  Momente 
und  Krankheiten,  wie  Tumoren  im  Uterus  oder  in  dessen  Nachbar¬ 
schaft,  mangelhafte,  puerperale  Involution,  Tuben-  und  Ovarien¬ 
erkrankungen,  Circulationsstörungen,  Psychopathien  des  Geschlechts¬ 
lebens  als  ätiologische  Momente  für  Metritis  colli  in  Betracht. 

Die  Schleimhaut  des  Cervicalcanales  neigt  zu  hyperplastischen, 
polypösen,  zu  indurativen,  erosiven  Veränderungen,  diejenige  der 
Portio  vaginalis  trägt  als  Merkmal  der  Metritis  colli  meist  papilläre 
oder  folliculäre  Erosionen. 

Das  Wesen  der  Muttermundserosionen  besteht  in  Epithelmeta¬ 
plasie  der  Art,  dass  an  Stelle  des  normalen  Plattenepithels  und  aus 
diesem  Cylinderepithel  entsteht,  welches  die  Neigung  zu  starker 
Flächenwucherung  auch  in  die  Tiefe  kundgibt. 

Während  sonst  embryologisch  und  histologisch  der  Platten- 
epitheliiberzug  der  Portio  vaginalis  dem  der  Scheide  völlig  identisch 
ist,  zeigt  derselbe  in  diesem  Verhalten  eine  merkwürdige  Differenz, 
die  im  Zusammenhalt  mit  der  an  dieser  Stelle  so  häufigen  Neigung 
zu  maligner  Degeneration  die  Schleimhaut  der  Portio  in  eine  völlig 
gesonderte  Stellung  in  pathologischer  Beziehung  bringt. 

Die  bei  Metritis  colli  auftretenden  pathologisch-anatomischen, 
histologischen  Veränderungen  sind  wohl  bekannt  und  nicht  mehr  um¬ 
stritten;  die  Aetiologie  bedarf  weiterer,  bacteriologischer  und  klinischer 
Studien.  (Fortsetzung  folgt.) 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  23.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Oberstabsarztes  Docent  Dr.  Habart 

stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Discussion  über  den  Vortrag  des  Prof.  E.  Wertheim:  Zur  Frage 
der  Radicaloperation  beim  Uteruskrebs.  (Zum  Worte  gemeldet:  Chrohak, 
Schauta,  Herzfeld  und  Latzko). 

2.  Dr.  E.  P.  Pick :  Neuere  Untersuchungen  über  Gerinnungs- 
hemmung. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Prof.  Englisch  und  Docent 
Dr.  K.  Uli  mann. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  26.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Rothenthurmstrasse  21  23 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  P.  Mittler 

stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Dr.  A.  Katz:  Die  Chemie  im  Dienste  des  praktischen  Arztes. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf’ 

Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang;.  Wien,  29.  November  1900.  Nr.  48. 


Abonnementspreis 
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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX, 3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

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Redaction: 

Telephon  Nr.  3373. 


IITHALT: 


h  Originalartikel:  1.  Beitrag  zur  Frage  der  Kadiealoperation  beim  Uterus¬ 
krebs.  Von  Professor  E.  Wert  lie  im  in  Wien. 

2.  Aus  dem  staatlich-serotherapeutischen  Institute  in  Wien  (Vorstand: 
Prof.  R.  Paltauf).  Beiträge  zur  Fadenreaction.  Von  Dr.  Philipp 
Eisenberg.  Aspiranten  an  der  II.  med.  Klinik. 

3.  Ein  durch  Tizzoni’s  Tetanus-Antitoxin  geheilter  Fall  von  Tetanus 
beim  Menschen.  Von  Dr.  Edmund  Homa,  Seeundararzt  der 
Landes-Krankenanstalt  in  Brünn. 

II.  Staildesangelegenlieiten :  Zur  Meisterkrankencassen-Frage.  Von  Dr. 
Ferdinand  Steiner. 

HI.  Referate:  Cursus  der  pathologischen  Histologie  mit  einem  mikroskopi¬ 
schen  Atlas.  Von  Dr.  L.  Aschoff  und  Prof.  Dr.  H.  Gay  lord. 
Ref.  Dr.  Oskar  Stoerk.  —  Anleitung  zur  Diagnose  und  Therapie 
der  Kehlkopf-,  Nasen-  und  Ohrenkrankheiten.  Von  Dr.  Richard 
Kayser.  Die  Prophylaxe  in  der  Ohrenheilkunde.  Von  Dr.  Albert 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 

Bing.  Die  Entstehung  und  Ursachen  der  Taubstummheit.  Von 
Dr.  Fritz  Dan ziger.  Das  Hörvermögen  der  Taubstummen  für 
Aerzte  und  Taubstummeniehl  er.  Von  Dr.  Fritz  Bezold.  Ursachen 
und  Folgen  der  Erkrankungen  des  Warzentheiles  und  ihre  Be¬ 
handlung.  Von  Dr.  Max  Hagedorn.  Ref.  Dr.  Arthur  Singer. — 
De  hyperalgetisclien  Zonen  van  Head.  Von  Gabriel  Hermann 
Moll  van  Char  ante.  Ref.  Dr.  Rudolf  Beck. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Therapeutische  Notizen. 

^  1.  Eingesendet:  Bemerkungen  zu:  »Ueber  Gangrene  foudroyante.«  Von 
Dr.  Brabec.  —  Antwort  auf  die  Bemerkungen  des  Dr.  Brabec. 
Von  Dr.  Fritz  Ilitschmann  und  Or.  Otto  Th.  Lindenthal. 
VII.  Vermischte  Nachrichten. 

VIII.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Mit  3.  Januar  1901  beginnt  der  XIV.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

onne  m.  enf 

höfiiehst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  hei  director  Zusendung  ganzjährig  K  20, 
halbjährig  7v  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  Brauwiiller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler 
Wien,  ViII/1,  Wickenburggasse  13. 


Beitrag  zur  Frage  der  Radicaloperation  beim 

Uteruskrebs.1) 

Von  Professor  E.  Wertheim  in  Wien. 

in  der  Frage,  für  welche  ich  mir  kurze  Zeit  Ihre  Auf¬ 
merksamkeit  in  Anspruch  zu  nehmen  erlaube,  macht  sich  seit 
einiger  Zeit  eine  Bewegung  geltend,  welche  das  Interesse  nicht 
nur  der  Gynäkologen,  sondern  auch  weiterer  ärztlicher  Kreise 
verdient. 

Diese  Bewegung  zielt  darauf  ab,  die  operative  Therapie 
beim  Uteruskrebs  auf  eine  moderne  chirurgische  Basis  zu 
stellen,  d.  h.  in  Analogie  mit  dem  Vorgehen  bei  anderen 

*)  Vorliag  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien 
am  16.  November  1900. 


Careinomen  sich  nicht  mit  der  Exstirpation  des  erkrankten 
Organes  zu  begnügen,  sondern  auch  die  Umgebung  desselben 
in  möglichst  weitem  Umfange  und  die  regionären  Lymph 
bahnen  und  Lymphdrüsen  zu  entfernen. 

Obwohl  diese  Bewegung  demnach  nichts  Anderes  an¬ 
strebt  als  die  Anwendung  eines  allgemein  anerkannten  und 
bethätigten  Princips  auf  das  Uteruscarcinom,  so  bedeutet  sie 
doch,  falls  sie  zum  Durchbruch  kommen  sollte,  eine  Revolution 
unserer  operativen  Therapie.  Denn  für  diese  steht  fast  aus¬ 
schliesslich  der  vaginale  Weg  in  Geltung,  und  auf  vaginalem 
Wege  ist  das  erwähnte  Prineip  nicht  durchführbar.  Erfordert  das¬ 
selbe  doch  die  Ausräumung  des  parametranen  Zellgewebes  und 
der  längs  der  iliacalen  Gefässe  und  der  Ureteren  gelegenen 
Drüsen!  Wenn  mau  auch  auf  vaginalem  Wege  —  bei  grosser 
operativer  Technik  —  einen  Theil  der  Parametrien  im  Zu¬ 
sammenhänge  mit  dem  Uterus  entfernen  kann,  von  der  voll 
ständigen  Exstirpation  derselben  kann  selbst  dann  nicht  die 
Rede  sein,  wenn  man  durch  den  Sc h  u  eh ar dt’schen  Para¬ 
vaginalschnitt  den  Zugang  erweitert  oder  statt  der  Ligaturen 
die  Klemmmethode  anwendet,  und  dass  die  Drüsen  von  der 
Scheide  aus  unzugänglich  sind,  braucht  gar  nicht  erst  erwähnt 
zu  werden 

Nur  das  abdominale  Verfahren  kann  hier  in  Betracht 
kommen,  und  deshalb  involvirt  die  Forderung  der  Mit¬ 
exstirpation  der  Parametrien  und  der  regionären  Lymphdrüsen, 
dass  wir  die  vaginale  Uterusexstirpation,  ein  Verfahren,  welches 
derzeit  so  geringe  Lebensgefahr  bedingt,  aufgeben  und  dafür 
ein  anderes  setzen,  welches  seinerzeit  wegen  der  ungeheuren 
Mortalität  von  70  bis  80%  verlassen  wurde.  Das  sind  aller¬ 
dings  beinahe  20  Jahre  her,  und  da  in  dieser  Zeit  auch  die 
abdominale  Genitalchirurgie  grossartige  Fortschritte  ge¬ 
macht  .  hat,  so  ist  es  zweifellos,  dass  heute  die  Operations¬ 
mortalität  eine  weitaus  geringere  wäre.  Keinesfalls  aber  wird 


1102 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  48 


dieselbe  —  das  kann  man  a  priori  schliessen  —  eine  so 
gute  sein,  wie  jene,  die  die  vaginale  Operation  schon  seit 
Jahren  ergibt. 

Es  ist  begreiflich,  dass  dieser  Umstand  das  Durchgreifen 
der  erwähnten  Bewegung  ausserordentlich  erschwert  und  die 
Operateure  abhält,  sich  derselben  anzuschliessen.  Es  ist  dies 
um  so  begreiflicher,  als  wir  gerade  jetzt  in  einer  Zeit  uns 
befinden,  in  welcher  die  vaginale  Operationstechnik  so  un¬ 
geahnt  sich  entwickelt  hat  und  auf  vielen  Gebieten  die  Lapa¬ 
rotomie  verdrängt  hat. 

Hiezu  kommt  noch  ein  anderes  schweres  Bedenken.  Ist 
denn  überhaupt,  so  fragt  man  sich,  selbst  nach  ausgeführtem 
Bauchdeckenschnitte,  bei  der  Nähe  der  grossen  Gefässe  und 
der  Ureteren  die  Entfernung  der  Lymphdrüsen  und  Lymph- 
bahnen  möglich?  Dass  dieses  Bedenken  nicht  aus  der  Luft 
gegriffen  ist,  geht  daraus  hervor,  dass  Winter,  einer  der 
besten  deutschen  Operateure,  im  Jahre  1894  schrieb,  die 
Exstirpation  des  ganzen  Drüsenpaketes  mit  dem  umliegenden 
Bindegewebe  werde  in  Folge  der  Nähe  der  grossen  Gefässe 
und  der  tiefen  Lage  auch  durch  die  Laparotomie  niemals 
möglich  sein;  nur  kleine,  versprengte  Drüsen  in  der  Nähe 
des  Uterus  werde  man  mit  dem  Parametrium  zusammen  ex- 
stirpiren  können. 

Die  Ursache  der  geschilderten  Bewegung 
liegt  in  der  Unzufriedenheit  mit  den  Dauererfolgen,  welche 
die  vaginale  Uterusexstirpation  wegen  Carcinom  aufweist. 
Zwar  damit,  dass  dieselben  bei  solchen  Uteruskrebsen,  welche 
die  Grenzen  des  Organes  überschritten  haben,  elende  sind,  und 
dass  solche  Fälle  fast  ausnahmslos  recidiviren,  hat  man  sich 
bereits  abgefunden.  Nicht  diese  Fälle  sind  es,  welche  jene 
Bewegung  hervorgerufen  haben,  wenn  man  auch  wiederholt 
versucht  hat,  denselben  auf  abdominalem  oder  sacralen  Wege 
mit  mehr  Dauererfolg  beizukommen.  Gegen  diese  Kategorie 
nicht  gelungener  Radicalheilung  gäbe  es  auch  ein  viel  ein¬ 
facheres  und  weniger  gefährliches  Mittel,  nämlich  bessere 
Schulung  der  Aerzte  und  Hebammen  und  Aufklärung  der 
noch  immer  allzu  indolenten  und  der  operativen  Kunst  miss¬ 
trauenden  Frauenwelt,  auf  dass  die  Fälle  von  Uteruskrebs 
nicht  in  so  vorgeschrittenem  Stadium  sich  der  Operation 
stellen.  Was  in  dieser  Hinsicht  geleistet  werden  kann,  beweist 
das  Beispiel  W  i  n  t  e  Es,  der  es  durch  entsprechende  Belehrungen 
und  wiederholte  Mahnrufe  zuwege  brachte,  dass,  während  in 
den  Jahren  1876  bis  1883*  von  den  an  der  Berliner  Frauen¬ 
klinik  untersuchten  Fällen  von  Uteruskrebs  nur  19%  s0 
beschränkt  waren,  dass  die  Uterusexstirpation  noch  in- 
dicirt  erschien,  bis  zum  Jahre  1896  eine  Zunahme  dieser 
Fälle  bis  53%  sich  ergab.  Leider  herrschten  nicht  überall 
so  günstige  Verhältnisse;  schon  in  den  deutschen  Provinzen 
sind  sie,  wie  ich  der  letzt  erschienenen  Publication  W  i  n  t  e  r’s 
(Genügt  die  vaginale  Uterusexstirpation  als  Krebsoperation? 
Zeitschrift  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie.  XLI1I,  3)  ent¬ 
nehme,  bedeutend  schlechter,  und  in  Wien  waren,  wie  aus  der 
Statistik  W  a  1  d  s  t  e  i  n’s,  welcher  das  Material  der  Klinik 
Schauta’s  zu  Grunde  liegt,  hervorgeht,  nur  14'7%  aller 
1892  bis  1898  zur  Untersuchung  gelangten  Fälle  operabel, 
eine  äusserst  ungünstige  Zahl,  die  uns  zu  denken  geben  sollte. 
Noch  ungünstiger  steht  die  Klinik  Ke  z  mar  sky’s  mit  10% 
(nach  Bäcker),  Schottland  mit  6%  operabler  Fälle  da. 

Dem  Entstehen  jener  Bewegung  liegt  vielmehr  die  That- 
saehe  zu  Grunde,  dass  die  vaginale  Uterusexstirpation  auch 
in  einem  grossen  Theile  der  sogenannten  beginnenden,  auf 
den  Uterus  scheinbar  beschränkten  Fälle  keine  radicale  Heilung 
zu  schaffen  im  Stande  ist.  Nach  den  neueren  Statistiken 
(Winter,  Leopold,  Waldstein)  möchte  ich  die  Anzahl 
der  in  diesen  Fällen  bei  fünfjähriger  Controldauer  sich  ergeben¬ 
den  Recidiven  auf  mindestens  50%  schätzen.  Gegen  diese 
50%  erweist  sich  die  vaginale  Uterusexstirpation  als  ohn¬ 
mächtig,  als  insufficient,  und  wenn  wir  sogar  annehmen  wollten, 
dass  es  einmal  erreicht  werden  wird,  dass  alle  Fälle  von 
Uteruskrebs  in  »operablem«  Zustande  sich  stellen,  so  werden 
doch  immer  diese  50%  Recidiven  bleiben,  und  über  diese 
allerdings  nur  schätzungsweise  aufgestellte  Zahl  werden  wir 


mit  der  vaginalen  Uterusexstirpation  wohl  nicht  hinaus¬ 
kommen. 

Woher  kommen  nun  diese  nach  der  Operation  »be¬ 
ginnender«  Fälle  sich  einstellenden  Recidiven?  Die  natürlichste 
Erklärung  wäre  wohl  in  der  Annahme  gelegen,  dass  die 
Operation  eben  doch  keine  radicale  war,  und  dass  durch  sie 
Krebskeime  stehen  gelassen  wurden,  d.  h ,  dass  auch  in  diesen 
»beginnenden«  Fällen  schon  eine  Weiterverbreitung  des 
Krebses  über  das  erkrankte  Organ  hinaus  stattgefunden  hatte. 

Dieser  Erklärung  steht  aber  die  hauptsächlich  durch 
Winter  begründete  Lehre  entgegen,  dass  Drüsenerkrankungen 
zu  den  grössten  Ausnahmen  gehören,  so  lange  der  Krebs  noch 
auf  den  Uterus  beschränkt  sei,  und  dass  der  Krebs  erst  relativ 
spät  die  Grenzen  des  Uterus  überschreite.  Obwohl  diese  Lehre 
vorwiegend  auf  klinische  Untersuchungen  basirt  ist,  während 
ihr  exacte  und  einwandfreie  anatomische  Untersuchungen 
nicht  zu  Grunde  liegen,  war  sie  doch  stark  genug,  um  lange 
Zeit  jene  Erklärung  nicht  aufkommen  zu  lassen  und  Veran¬ 
lassung  zu  einer  Theorie  zu  geben,  welche  die  nach  der  bei  »be¬ 
ginnenden«  Fällen  ausgeführten  Uterusexstirpation  entstehenden 
Recidiven  auf  Verimpfung  von  Krebszellen  durch  die  Operation 
selbst  zurückführte. 

Die  Folge  dieser  Theorie  war,  dass  man  vor  der  Uterus¬ 
exstirpation  die  Oberfläche  der  Carcinome  putzte  und  scheuerte 
und  mit  dem  scharfen  Löffel  und  dem  Paquelin  sorgfältigst 
vorbereitete,  um  ein  Abbröckeln  von  Carcinompartikeln  und 
Einreiben  von  lebendem  Carcinomgewebe  auf  die  Wund-  und 
Schnittflächen  unmöglich  zu  machen. 

Umsonst!  Die  Dauererfolge  wurden  dadurch  nicht  ge¬ 
bessert,  und  heute  —  nach  jahrelangen  Bemühungen  —  sehen 
wir  die  Lehre  von  der  Impfrecidive  mehr  und  mehr  verlassen, 
und  selbst  ihr  Begründer,  Winter,  sieht  sich  genöthigt,  zu¬ 
zugeben,  dass  durch  die  gegen  die  Impfrecidive  gerichteten 
Vorsichtsmassregeln  keine  Besserung  der  Dauerresultate  er¬ 
zielt  worden  sei. 

Erst  damit,  dass  die  Lehre  von  der  Impfrecidive  auf  ihren 
wirklichen  Werth  reducirt  worden  ist,  hat  sich  immer  mehr 
die  Vermuthung  verstärkt,  dass  jene  Ausnahmsstellung,  die 
man  dem  Uteruscarcinom  in  Bezug  auf  das  Ergriffenwerden 
der  Umgebung  und  der  Lymphdrüsen  vindicirte,  nicht  be¬ 
rechtigt  sei.  Histologische  Untersuchungen,  die  an  exstirpirten 
Uteris  angestellt  wurden  (M a  c  k  e  n  r  o  d  t,  S  e  e  1  i  g,  L  e  o  p  o  1  d  etc.  etc. 
ergaben  wirklich,  dass  der  Krebs  auch  in  scheinbar  be¬ 
ginnenden  Fällen  schon  auf  die  Parametrien  übergegriffen 
haben  kann.  Für  die  Lymphdrüsen  freilich  konnte  dieser 
Nachweis  nicht  erbracht  werden,  so  lange  man  bei  der  vaginalen 
Operation  blieb.  Und  in  dem  Masse,  als  diese  Vermuthung  sich 
verstärkte  und  zur  stillen  Ueberzeugung  heranwuchs,  entstand 
aus  ihr  die  eingangs  geschilderte  Bewegung. 

An  der  Spitze  derselben  stehen  von  Amerikanern  Ries, 
Clark,  Pryor,  von  Franzosen  und  Belgiern  Ricard  uud 
Jacobs,  von  Deutschen  Freund,  der  geniale  Erfinder  der 
abdominalen  Uterusexstirpation,  R  u  m  p  f,  K  ü  s  t  n  e  r  und  König, 
ein  Assistent  von  P.  Müller. 

Unter  dem  Drucke  der  im  Vorigen  skizzirten  Erfahrungen 
und  Reflexionen  habe  ich  mich  vor  nun  zw  e  i  J  a  h  r  c  n  d  e  r 
Bewegung  angeschlossen  und  seither  in  allen 
zur  Operation  gekommenen  Fällen  von  Uterus¬ 
krebs  principiell  und  systematisch  Drüsen  und 
Parametrien  vollständig  mitentfernt.  Die  Zahl 
dieser  Fälle  beträgt  bis  zum  heutigen  Tage  33. 

Da  die  Unzufriedenheit  mit  den  bisher  erzielten  Dauer¬ 
erfolgen  es  ist,  welche  die  erweiterte  Operation  hervorgerufen 
hat,  so  können  auch  nur  die  Dauererfolge  es  sein,  welche 
über  die  Berechtigung  derselben  entscheiden.  Da  man  der 
Beurtheilung  der  Dauererfolge  in  allgemeiner  Ueberein- 
stimmung  eine  fünfjährige  Controldauer  zu  Grunde  legt,  so  ist 
naturgemäss  diese  Entscheidung  derzeit  noch  unmöglich 
Wenn  ich  mir  trotzdem  erlaube,  heute  schon  mit  einem  Berichte 
vor  Sie  zu  treten,  so  geschieht  dies  deshalb,  weil  mein  Material 
schon  genügend  gross  ist,  um  durch  exacte  Verwertlmng, 
sowohl  in  Richtung  der  noch  nicht  genügend  aufgeklärten 
Frage  der  Ausbreitung  des  Uteruskrebses  auf  das  ihn  um- 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1103 


Nr.  48 


gebende  Gewebe  und  die  regionären  Lymplidrüsen,  als  auch 
in  Bezug  auf  Operationstechnik  und  Indicationsstellung  ein 
Urtheil  über  die  Berechtigung  eines  Eingriffes  zu  ermöglichen, 
zu  dessen  allgemeiner  Einführung  in  die  operative  Gynäkologie 
man  sich  begreiflicher  Weise  nur  schwer  entschlossen  wird, 
und  weil  die  wenigen  bisherigen  Veröffentlichungen,  welche 
denselben  Gegenstand  betreffen,  entweder  nur  auf  relativ 


Fi  ff.  1. 


kleines  oder  doch  nicht  auf  so  systematisch  gewonnenes  und 
so  genau  durchgearbeitetes  Material  sich  beziehen. 

Um  über  das  Verhalten  der  Lymplidrüsen  beim  Uteruskrebs 
ins  Klare  zu  kommen,  wurden  dieselben  in  allen  meinen  Fällen, 
gleichgiltig  ob  verändert  oder  nicht,  in  Serienschnitten  unter¬ 
sucht.  Dasselbe  geschah  in  einigen  Fällen  mit  dem parametranen 
Zellgewebe.  Viele  Tausende  von  Schnitten  wurden  so  angefertigt, 


Fig-.  2. 


und  ich  möchte  auch  an  dieser  Stelle  meinen  Laboratoriums¬ 
assistenten  Dr.  Rapaport  und  Dr.  Kundrat  für  die  dabei 
aufgewendete  Mühe  und  Sorgfalt  wärmstens  danken. 

Aus  diesen  Untersuchungen  ergab  sich  nun, 
dass  in  11  von  den  33  Fällen  die  regionären 
Drüsen  k  r  e  b  s  i  g  waren.  Einer  dieser  1 1  Fälle  betrifft 
ein  Corpuscarcinom,  die  anderen  sind  insgesainmt  Collumkrebse 


(Cervix  und  Portio).  Von  den  Collumkrebsen  waren  fünf  Fälle 
allerdings  recht  weit  vorgeschritten }  die  anderen  fiint  aber 
waren  nach  den  üblichen  Anschauungen  als  operabel  zu  be¬ 
zeichnen,  ja  zwei  von  ihnen  waren  ganz  beginnend.  Somit 
waren,  wenn  wir  die  fünf  vorgeschrittenen  Fälle  zur  Seite  stellen, 
in  26  Fällen  von  »operablem«  Collumkrebs  die  Drüsen  fünfmal, 
d.  i.  in  beinahe  20% ,  erkrankt. 


Fig-,  3. 


Um  die  Drüsenbefunde  recht  klar  zu  machen,  habe  ich 
von  jedem  Falle  ein  Beckenschema  mit  den  Getässeu  und 
Ureteren,  dem  Uterus  und  der  Scheide  anfertigen  lassen,  in 
welches  der  Drüsenbefund  eingezeichnet  ist.  Einige  dieser 
schematischen  Bilder  führe  ich  hiemit  vor: 

ln  Nr.  21  meiner  Fälle  haben  wir  es  mit  einem  eben 
beginnenden  Portiocancroid  zu  thun,  wie  eine  etwas  erhabene 


Fig.  4. 


Erosion  aussehend.  Die  Parametrien  waren  vollkommen  weich 
und  dehnbar.  Hier,  an  der  rechten  Vena  iliaca  externa,  findet 
sich  eine  ungefähr  kirschengrosse  krebsige  Drüse.  Alle  anderen 
Drüsen,  rechts  wie  links,  frei  von  Carcinom,  die  meisten  nicht 
einmal  vergrössert  (Fig.  1). 

In  Nr.  19  meiner  Serie  bestand  ein  auf  die  hintere  Lippe 
der  Portio  vaginalis  beschränkter,  scharf  umschriebener  Knoten. 


1104 


WIEN EH  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


Beide  Parametrien  normal.  Linkerseits,  an  der  Vena  iliaca 
externa,  eine  hühnereigrosse  im  Centrum  verflüssigte  carcino- 
matöse  Drüse.  Alle  anderen  Drüsen  frei  von  Carcinom  (Fig.  2). 

Im  dritten  Falle  meiner  Reihe  war  allerdings  die  ganze  Sub-  j 
stanz  des  Collums  carcinomatös;  auch  war  das  rechte  Para¬ 
metrium  etwas  kürzer  und  resistenter.  Immerhin  war  der  Fall 
noch  im  Bereiche  der  Operabilität.  An  der  Vena  uterina  dextra 
befindet  sich  eine  dattelgrosse  weiche  Drüse,  in  welcher  Ein¬ 
schlüsse  von  Adenocarcinom  constatirt  wurden  (Fig.  3). 

Im  Falle  Nr.  14  ist  das  Collum  grossentheils  durch 
Carcinommassen  substituirt.  Beide  Parametrien  vollkommen 
weich  und  dehnbar.  Sämmtliche  Drüsen  normal;  nur  dort,  wo 
der  linke  Ureter  die  Iliaca  communis  kreuzt,  eine  fast  kirschen¬ 
grosse  carcinomatöse  Drüse  (Fig.  4). 

In  Nr.  29  besteht  ein  Krebs,  welcher  fast  die  ganze 
Cervix  ergriffen  hat.  Im  rechten  Parametrium  ein  dünner  Strang, 
der  zu  einer  mächtigen,  mit  der  Vena  iliaca  externa  innig 
verwachsenen  krebsigen  Drüse  führt  (Fig.  5). 

Diese  in  den  33  Fällen  erhobenen  Drüsenbefunde 
sind  für  sich  ausreichend,  die  theoretische  Be¬ 
rechtigung  der  erweiterten  Uterus  krebsopera- 
tion  ausser  Zweifel  zu  stellen.  Hiezu  kommen  noch 
die  Befunde  an  den  Parametrien,  welche  in  vereinzelten  Fällen 


Fig.  5. 


weit  nach  aussen  Krebsnester  und  Krebsstränge  erkennen 
liessen,  obwohl  sie  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  normal  sieh  an¬ 
fühlten . 

Wie  sieht  es  nun  in  der  Praxis  aus?  Sind  die  ein¬ 
gangs  erwähnten  Bedenken  begründet?  Ist  die  Auslösung  der 
Drüsen,  die  vollständige  Exstirpation  der  Parametrien  möglich, 
und  wie  steht  es  mit  der  Mortalität? 

Leicht  ist  die  Operation  in  der  von  uns  geübten  Gründ¬ 
lichkeit  nicht.  Namentlich  in  den  ersten  Fällen,  so  lange  die 
Routine  fehlt,  sind  ihre  technischen  Schwierigkeiten  mitunter 
erhebliche.  Mit  zunehmender  Erfahrung  wird  sie  aber  —  wie 
eben  jeder  operative  Eingriff  —  leichter. 

Bei  entsprechender  Vorsicht  kommt  bei  der  Drüsen¬ 
auslösung  eine  Verletzung  der  grossen  Gefässe  nicht  zu  Stande. 
Dieselbe  vollzieht  sich  —  Dank  der  Beckenhochlagerung  — 
ebenso  wie  die  Präparation  der  Ureteren  und  der  Gefässe  in 
stets  mit  dem  Auge  controlirbarer  Weise.  Dadurch,  dass  die 
Ureteren  prineipiell  ausgelöst  und  zur  Seite  geschlagen  werden, 
werden  sie  vor  Verletzungen  gesichert  und  kann  das  Para¬ 
metrium  in  seiner  Gänze  entfernt  werden. 

Die  wesentlichen  Züge  der  Operation  sind  folgende: 
Nachdem  in  Beckenhochlagerung  die  Bauchhöhle  eröffnet  worden 
ist,  wird  das  Peritoneum  gespalten  und  sowohl  die  Ureteren 
als  die  iliaealen  Gefässe  freipräparirt.  Die  Auslösung  der 


Drüsen  erstreckt  sich  auf  die  freigelegten  Gefässe;  dieselben 
werden  gründlich  abgesucht,  bis  zur  Theilungsstelle  der  Aorta. 
Nachdem  die  Blase  genügend  weit  von  Uterus  und  Scheide 
separirt  worden  ist,  erfolgt  die  Exstirpation  des  parametranen 
und  paravaginalen  Zellgewebes  im  Zusammenhänge  mit  dem 
Uterus  und  dem  oberen  Antheil  der  Scheide. 

Die  Mortalität  war  in  meinen  33  Fällen  allerdings  eine 
sehr  grosse:  elf  Todesfälle.  So  erschreckend  dies  auf  den  ersten 
Blick  ist,  so  gewinnt  man  doch  sofort  einen  wesentlich  anderen 
und  viel  richtigeren  Eindruck,  wenn  man  bedenkt,  dass  ich 
anfangs  denselben  Fehler  begangen  habe,  wie  die  Amerikaner 
und  wie  Jacob’s  in  ihren  ersten  Fällen:  ich  bin  nämlich  in 
Folge  der  tastenden  Unsicherheit,  die  jede  noch  nicht  erprobte 
Sache  bedingt,  in  der  Indicationsstellung  zu  weit  gegangen, 
und  habe  auch  solche  Fälle  der  Operation  unterzogen,  die 
sehr  weit  vorgeschritten  waren  und  nach  den  für  die  vaginale 
Operation  geltenden  Regeln  längst  nicht  mehr  angehbar  waren. 
Solche  Fälle  aber  sind  marastisch,  in  der  Ernährung  herunter¬ 
gekommen,  von  schlechter  Qualität  der  Herzaction  und  er¬ 
liegen  natürlich  einem  so  grossen  Eingriffe  noch  viel  leichter 
als  der  vaginalen  Operation.  Acht  von  den  elf  Todesfällen  be¬ 
treffen  solch  vorgeschrittene  Fälle.  Der  Tod  erfolgte  in  den¬ 
selben  vornehmlich  an  Herzschwäche  in  Folge  der  lange 
dauernden  Narkose  und  der  Auskühlung  manchmal  schon 
nach  Stunden,  manchmal  nach  mehreren  Tagen.  Nach  meiner 
heutigen  Erfahrung  würde  ich  diese  Fälle  gar  nicht  angegangen 
haben  und  dann  hätte  ich  unter  25  Operationen  nur  drei 
Todesfälle  zu  verzeichnen,  ein  Resultat,  das  sich  dem  der 
vaginalen  Operation  schon  sehr  stark  nähert.  Von  diesen  drei 
Todesfällen  war  einer  durch  eine  am  17.  Tage  post  operationem 
auftretende  Invagination  des  Dünndarmes  mit  consecutivem 
Ileus  bedingt,  ein  anderer  durch  eiterige  Peritonitis  am  vierten 
Tage,  der  dritte  durch  Anämie  und  Peritonitis  incipiens. 

Durch  Vervollkommnung  der  Technik  werden  sich  übrigens 
die  Erfolge  bedeutend  heben.  Da  es  sich  um  eine  typische 
Operation  handelt,  wird  sich  die  Operationsdauer  noch 
bedeutend  abkürzen  lassen.  Während  die  ersten  Operationen 
2'/2 — 3  Stunden  dauerten,  brauchten  wir  später  nur  mehr 
r>/.,  —  iy2  Stunden.  Während  wir  anfangs  bei  der  Präparation 
der  Ureteren  sehr  ängstlich  vorgingen,  wurde  dieselbe  später 
in  wenigen  Minuten  durchgeführt.  Die  von  einigen  Seiten  ge¬ 
übte  präventive  Ureterensondirung  ist  überflüssig;  man  findet 
die  Ureteren  auch  ohne  dieselbe  immer  sehr  leicht.  Ihr  Ver¬ 
lauf  ist  ja  vollkommen  typisch;  bei  Fettarmuth  schimmern  sie 
übrigens  dort,  wo  sie  die  Gefässe  kreuzen,  durch  das  Peri¬ 
toneum  hindurch.  Schwierigkeiten  macht  ihre  Isolirung  nur 
dann,  wenn  sie  entweder  durch  entzündliche  Processe  oder 
durch  das  Carcinom  fixirt  sind.  Da  muss  man  sie  manchmal 
gleichsam  ausgraben,  und  in  einem  solchen  Falle  geschah  es 
auch,  dass  die  Ureteren  später  durch  Nekrose  fistulös  wurden, 
so  dass  eine  Ureterenscheiden-Fistelbildung  resultirte.  In  allen 
anderen  Fällen  haben  die  Ureteren  die  Isolirung  schadlos 
vertragen.  In  einem  Falle  resecirten  wir  den  rechten  Ureter 
in  voraus  bedachter  Weise,  da  er  vom  Carcinom  ergriffen  schien. 

Bei  Zuhilfenahme  des  Zeigefingers  gelingt  auch  die  Ge- 
fässpräparation  viel  rascher  als  bei  ausschliesslicher  Benützung 
von  anatomischen  Pincetten  und  Scheere.  Die  Blutstillung, 
die  sich  allerdings  auf  die  kleinsten  Venenästchen  zu  er¬ 
strecken  hat,  wird  durch  gut  geschulte  Assistenz  ausserordent¬ 
lich  erleichtert.  Die  präventive  Ligatur  der  Arteria  hypogastrica 
hat  uns  keinen  nennenswerthen  Nutzen  erwiesen. 

Die  Exstirpation  der  Drüsen  macht  uns  jetzt  nur  mehr 
dann  Schwierigkeiten,  wenn  sie  mit  den  Gefässen  innig  ver¬ 
wachsen  sind.  In  Zukunft  könnte  man  vielleicht  —  ich 
sage  ausdrücklich:  vielleicht  —  daran  denken,  sich  auf  die 
Exstirpation  der  intumescirten  Drüsen  zu  beschränken,  da  wir  bis¬ 
her  in  normal  kleinen  Drüschen  niemals  Carcinom  gefunden  haben. 

Ausser  der  Abkürzung  der  Operationsdauer  kommt  für 
die  Herabsetzung  der  Mortalität  die  Vermeidung  jeglicher  In¬ 
fection  vom  Carcinom  aus  in  Betracht.  Wenn  auch  die  sorg¬ 
fältige  Vorbereitung  der  Oberfläche  des  Carcinoms  zur  Besse¬ 
rung  der  Dauererfolge  der  vaginalen  Uterusexstirpation  nichts 


Nr.  48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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beigetragen  hat,  so  hat  sie  doch  auf  die  Augenblickserfolge 
entschieden  günstig  eingewirkt,  da  durch  sie  die  von  Keimen 
aller  Art  durchsetzten  lockeren  Krebsinassen  unschädlich  gemacht 
werden.  Denselben  Einfluss  kann  man  ihr  bei  der  abdominalen 
Exstirpation  des  krebsigen  Uterus  beimessen.  Nach  der  von  uns 
in  den  letzten  Fällen  geübten  Art  zu  operiren  erscheint  sie 
aber  vollständig  überflüssig.  Da  wir  nämlich  in  jedem  Falle 
die  Mitexstirpation  des  oberen  Antheiles  der  Scheide  (und 
zwar  im  Interesse  der  Vermeidung  von  Recidiven)  durchführen, 
wozu  natürlich  eine  entsprechend  weitgehende  Isolirung  des 
Scheidenrohres  nöthig  ist,  so  klemmen  wir  letzteres  vor  der 
Absetzung  desselben  mit  einer  zweckmässig  gekrümmten  Klemme 
ab,  unterhalb  welcher  die  Absetzung  erfolgt :  so  ist  jede  Ver¬ 
unreinigung  mit  Carcinommassen  ausgeschlossen.  Dieses  Vor¬ 
gehen  hat  noch  den  Vortheil.  dass  die  zur  Präparation  des  Krebses 
nöthige  Zeit  erspart  wird. 

Diese  Andeutungen  über  die  Art  der  Operationstechnik 
mögen  genügen,  um  zu  zeigen,  in  welcher  Weise  wir  uns  eine 
weitgehende  Verbesserung  der  Augenblickserfolge  möglich 
denken.  So  gut  wie  die  durch  die  vaginale  Uterusexstirpation 
erzielten,  werden  sie  freilich  kaum  je  sein.  Denn  abgesehen 
davon,  dass  der  Eingriff  an  sich  auch  bei  vollendeter  Technik 
ein  viel  grösserer  ist,  werden  wahrscheinlich  auch  die  Fälle, 
die  demselben  unterworfen  werden,  ungünstigere  sein,  auch 
wenn  man  sich  —  entsprechend  dem  oben  Gesagten  und  den 
Forderungen  von  Ries,  König  etc.  —  in  der  Indications- 
stellung  weise  Beschränkung  auferlegt.  Denn  eine,  wenn  auch 
nicht  grosse  Erweiterung  derselben  ist  die  naturgemässe  Con- 
sequenz  davon,  dass  das  abdominale  Vorgehen  leistungsfähiger 
ist  als  das  vaginale.  Es  werden  demselben  mit  Aussicht  auf  Erfolg 
nicht  nur  die  sogenannten  beginnenden  Fälle  unterworfen  werden, 
sondern  auch  noch  solche,  in  denen  das  Carcinom  vielleicht  schon 
auf  das  Scheidengewölbe  oder  auf  das  Parametrium  übergegriffen 
hat  und  welche  bei  vaginaler  Operation  nur  wenig  Aussicht 
auf  längeres  Recidivefreibleiben  bieten.  Je  weiter  vorgeschritten 
aber  ein  Uteruskrebs  ist,  eine  desto  grössere  Zumuthung  an 
den  Organismus  bedeutet  seine  operative  Entfernung,  gleich¬ 
viel,  ob  dieselbe  auf  vaginalem  oder  auf  abdominalem  Wege 
ausgeführt  wird.  Weit  vorgeschrittene  Fälle,  in  denen  z.  B. 
die  Blase  oder  der  Ureter  ergriffen  ist  oder  in  denen  sich 
grössere  Drüsenpakete  vorfinden,  eie  mit  den  Gelassen  innig 
verwachsen  sind,  sind  von  der  abdominalen  Operation  ebenso 
auszuschliessen  wie  von  der  vaginalen. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  sich  die  Ausbreitung  des  Uterus¬ 
krebses  immer  schon  vor  der  Operation  erkennen  lässt.  Frei¬ 
lich,  wenn  ein  grosser  Krebstumor  besteht,  der  sich  nach  allen 
Richtungen  ausdehnt  und  unbeweglich  festsitzt,  oder  wenn 
eine  weit  ausgedehnte  Höhle  vorhanden  ist,  die  gegen  die  seit¬ 
liche  Beckenwand  reicht,  dann  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
ein  solcher  Fall  a  limine  abzuweisen  ist.  Wenn  aber  der  Ein¬ 
druck,  den  man  erhält,  kein  so  sinnfälliger  ist  und  der  primäre 
Herd  keine  solche  Grösse  erlangt  hat,  dann  kann  die  Ent¬ 
scheidung  sehr  schwierig  sein.  Nach  den  allgemein  geltenden 
Grundsätzen  pflegt  man  da  aus  dem  Zustand  der  Parametrien 
die  Entscheidung  zu  treffen.  Fühlen  sich  dieselben  weich  und 
dehnbar  an,  dann  nimmt  man  an,  dass  der  Krebs  noch  locali¬ 
sed  ist;  sind  sie  dicker  und  resistenter,  dann  schliesst  man, 
habe  der  Krebs  schon  auf  sie  übergegriffen. 

Nach  den  von  mir  und  früher  schon  von  Anderen  an- 
gestellten  Untersuchungen  ist  diese  Deutung  durchaus  nicht 
immer  richtig.  Ich  habe  stark  infiltrirte  Parametrien  in  Serien¬ 
schnitte  zerlegen  lassen  und  dieselben  carcinomfrei  befunden, 
und  konnte  andererseits  in  scheinbar  normalen  Parametrien 
Krebsstränge  naehweisen.  Die  Verdickung  und  Starrheit  der 
Parametrien  scheint  in  einzelnen  Fällen  nichts  Anderes  zu  sein 
als  der  Ausdruck  einer  Circulationsstörung,  respective  einer 
durch  den  Krebs  bedingten  reactiven  Entzündung. 

Schwer,  ja  unmöglich  kann  es  auch  sein,  das  Verhalten 
des  Krebses  zum  Ureter  im  Vorhinein  festzustellen.  Aus  der 
Unmöglichkeit,  auf  cystoskopischem  Wege  eine  Sonde  im 
Ureter  vorzuschieben,  auf  ein  Ergriffensein  desselben  zu  schliessen, 
geht  nicht  an;  eine  relativ  geringe,  vom  Krebs  gar  nicht  ab¬ 
hängige  Verlagerung  des  Ureters  kann  davon  die  Ursache  sein. 


Aehnliches  gilt  von  den  Drüsen.  In  den  elf  Fällen 
unserer  Reihe,  in  denen  durch  die  mikroskopische  Serienschnitt¬ 
untersuchung  Drüsencarcinom  festgestellt  wurde,  konnte  die¬ 
selbe  nur  dreimal  durch  die  klinische  Untersuchung  im  Vor¬ 
hinein  constatirt  werden.  Einzelne  krebsige  Drüsen  können 
eben  nur  dann  getastet  werden,  wenn  sie  nahe  der  vorderen 
Beckenwand  gelegen  sind;  in  der  Regio  iliaca  aber  gelingt 
ihre  Tastung  nur,  wenn  sie  grössere  Pakete  vorstellen. 

Aus  dieser  Unsicherheit  nun,  eine  sichere  Entscheidung 
über  die  Ausbreitung  des  Krebses  zu  treffen,  ergibt  sich, 
dass  dem  localen  Befunde  keine  so  ausschlaggebende 
Bedeutung  für  die  Indicationsstellung  zukommen  dürfte 
wie  bisher  und  dass  neben  diesem  der  allgemeine 
Kräftezustand  und  die  Beschaffenheit  des  Herzens  mehr  zu 
berücksichtigen  sind.  Sind  letztere  günstig,  dann  kann  unter 
Umständen  noch  ein  unerwarteter  Erfolg  erzielt  werden.  Wenn 
aber,  bei  eröffneter  Bauchhöhle,  Blase  oder  Ureter  sich  er¬ 
griffen  zeigen,  oder  die  Gefässe  mit  krebsigen  Drüsen  zu  innig 
verwachsen  sich  erweisen,  dann  stehe  man  von  der  Radical- 
operation  ab,  und  es  wird  die  Laparotomie  eben  nur  den 
Charakter  einer  diagnostischen,  respective  —  wenn  die  Ex¬ 
stirpation  des  Uterus  trotzdem  vorgenommen  wird  —  einer 
palliativen  Operation  haben. 

Ueber  die  mit  der  erweiterten  Uteruskrebsoperation  er¬ 
zielten  Dauererfolge  kann  natürlich  bei  der  Kürze  der  Beob¬ 
achtungsdauer  noch  kein  Urtheil  abgegeben  werden.  Immerhin 
scheint  es  mir  bemerkenswerth,  dass  von  den  17  Fällen,  welche 
hier  in  Betracht  kommen  (elf  Fälle  sind  der  Operation  er¬ 
legen,  in  drei  Fällen  handelte  es  sich  nur  um  einen  palliativen 
Eingriff,  zwei  sind  an  intercurrenten  Krankheiten  gestorben: 
33  —  16  =  17)  bis  zum  heutigen  Tage  noch  keiner  reeidiv 
geworden  ist. 

Alles  in  Allem  genommen,  glauben  wir  uns  durch  unsere 
bisherigen  Erfahrungen  nicht  von  dem  Weiterschreiten  auf  dem 
ein  geschlagenen  Wege  abschrecken  lassen  zu  sollen.  Handelt 
es  sich  doch  um  den  Versuch,  Frauen  noch  Rettung  zu  bringen, 
die  sonst  dem  Tode  verfallen  sind. 

Ich  werde  mir  zu  gegebener  Zeit  erlauben,  in  dieser  Sache 
neuerdings  vor  Sie  zu  treten.  Vielleicht  wird  dann  schon  ein 
klareres  Urtheil  möglich  sein. 


Aus  dem  staatlich-serotherapeutischen  Institute  in  Wien 
(Vorstand:  Prof.  R.  Paltauf). 

Beiträge  2ur  Fadenreaction. 

Von  Dr.  Philipp  Eisenberg,  Aspiranten  an  der  II.  med.  Klinik. 

Vorliegende  Mittheilung  bringt  einen  Beitrag  zur  Casuistik 
und  zur  Erklärung  der  im  Jahre  1898  von  Pfaundler  auf¬ 
gestellten  und  beschriebenen  Form  der  Serumreaction,  der 
sogenannten  Fadenreaction.  Da  die  zweite  Publication  von 
Pfaundler,  sowie  die  von  Kraus  genaue  Angaben  über 
vereinzelte  Beobachtungen  früherer  Autoren  über  die  Reaction 
enthalten,  kann  ich  wohl  behufs  geschichtlicher  Orientirung 
dahin  verweisen.  Das  eigentliche  Interesse  der  Erscheinung 
liegt  in  ihrem  Wesen,  das  Gegenstand  einer  Controverse 
zwischen  Pfaundler  und  Kraus  wurde.  Die  Arbeiten  von 
Kraus  und  Löw  und  die  von  Kraus  zeigten  die  Unhaltbar¬ 
keit  der  P  faun  d  1  ersehen  Ansicht,  wonach  die  Erscheinung 
streng  specifischer  Natur  und  Ausdruck  einer  wechselseitigen 
Beeinflussung  des  inticirten  Organismus  und  des  inficirenden 
Mikroben  ist.  Auch  die  neuesten  Arbeiten  von  Tarchetti, 
Ro della,  M.  Jatta,  Rothberger,  sowie  die  folgenden  Be¬ 
obachtungen  sprechen,  wde  sich  zeigen  wird,  gegen  die 
Pfaundler’sche  Hypothese  und  bekräftigen  die  gegenteilige 
Auffassung. 

Vor  Allem  will  ich  einen  Fall  mittheilen,  der  auf  der 
II.  medicinischen  Klinik  beobachtet  wurde  und  der  sich  an 
die  P  f  a  u  n  d  1  e  r’schen  Beobachtungen  von  Colicystitis  mit 
Fadenreaction  anreiht.  Da  jene  Fälle  Kinder  betrafen  und 
seither  meines  Wissens  keine  neuen  publicirt  wurden,  wäre 
dies  der  erste  Fall  von  Colicystopyelitis  bei  einem  Erwachsenen 
mit  Fadenreaction. 


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Nr.  48 


WIENEK  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Die  Patientin,  eine  18jährige  Handarbeiterin,  erkrankte  am 
13.  Januar  d.  J.  nach  Genuss  von  Wurst  und  faulem  Fleische 
unter  xMagen-Darmerscheinungen,  hartnäckiger  Obstipation,  Fieber, 
Kopfschmerzen  und  Mattigkeit.  Dieser  Zustand  hielt  mit  geringen 
Schwankungen  bis  zur  Aufnahme  auf  die  Klinik  am  5.  Februar 
an.  Die  chlorotische,  hochgradig  nervöse  Patientin  zeigte  allgemeine 
Schmerzhaftigkeit  des  Abdomens,  insbesondere  der  Leistengruben. 
Der  Harnbefund  lautete:  Harn  trüb,  sauer,  vom  specifischen  Ge¬ 
wichte  L017,  enthält  Nucleo-  und  Serumalbumin  in  Spuren,  Indi- 
can  etwas  vermehrt,  Diazoreation  negativ.  Im  Sediment  zahlreiche 
Leukocyten,  zum  grössten  Theile  in  Trauben-  oder  Dreieckform, 
manche  in  unregelmässigen  Ballen  oder  vereinzelt  liegend;  Epithelien 
runder  und  ovaler  Form,  an  einer  Stelle  platte  Epithelien  im  Ver¬ 
band,  vereinzelte,  eckige  mit  kleinem  Fortsatze,  zahllose  Bacterien. 
darunter  jedoch  keine  Gonococcen  nachweisbar.  Der  Genital¬ 
befund  ergab  einen  retroponirten,  anteflectirten  Uterus,  sonst  nichts 
Pathologisches,  Vagina  und  Urethra  frei.  Im  weiteren  Verlaufe 
zeigte  Patientin  eine  hartnäckige  Obstipation,  die  mit  verschiedenen 
Mitteln  nur  mit  mässigem  Erfolge  bekämpft  werden  konnte.  Im 
Anschlüsse  an  jede  zwei-  bis  dreitägige  Obstipation  kam  eine  Fieber¬ 
periode  mit  Morgenremissionen  und  abendlichem  Anstieg  bis  40°  C. 
und  darüber,  mit  Milztumor  und  grosser  Mattigkeit.  Der  Harnbefund 
erhielt  sich  längere  Zeit  constant,  bis  nach  circa  fünf  Wochen  auf 
Gebrauch  von  Salol,  Urotropin,  Blasenausspülungen  und  energischen 
Purgantia  die  Obstipation  und  die  cystitischen  Erscheinungen  wichen 
und  die  Patientin  als  geheilt  entlassen  werden  konnte.  Der  am 
13.  Februar  bei  einem  Fieber  von  402°  G.  steril  mittelst  Katheters 
entnommene  Harn  gab  eine  Reincultur  von  Bacterium  coli,  die 
nach  den  üblichen  Methoden  als  solche  identificirt  wurde.  Die 
Virulenz  des  Stammes  erwies  sich  als  eine  massige,  da  ein  Meer¬ 
schweinchen  mittleren  Gewichtes,  das  2  cwi3  einer  eintägigen 
Bouilloncullur  intraperitoneal  erhielt,  innerhalb  18  Stunden  ein- 
ging,  ein  anderes,  das  1  cm3  bekommen  hatte,  nach  vier  Wochen 
unter  Erscheinungen  von  hochgradiger  Kachexie  zu  Grunde  ging. 
Die  mit  dem  Serum  der  Kranken  und  dem  aus  dem  Harn  ge¬ 
züchteten  Stamm  angestellte  Reaction  ergab  Agglutination  und 
nach  fünf  Stunden  bei  37°  0.  typische  Fadenreaction  bis  zu  einer 
Verdünnung  von  1:600.  Agglutinationsversuche  an  Colistämmen, 
die  aus  dem  Stuhl  der  Patientin  gezüchtet  wurden,  ergaben,  dass 
unter  sieben  Stämmen  kein  einziger  mit  dem  Serum  der  Kranken  eine 
nennenswerthe  Agglutination  und  auch  keine  Fadenreaction  gab. 

Des  Weiteren  beobachtete  ich  die  Fadenreaction  bei 
b  allen  von  menschlichem  Typhus  abdominalis.  In  allen  zwölf 
daraufhin  von  mir  untersuchten  Fällen  mit  positivem 
W  idal  war  die  Reaction  zu  finden,  fehlte  dagegen  in  zwei 
fraglichen  hallen,  bei  denen  die  Wi  da  Ische  Probe  negativ 
ausfiel.  Herr  Dr.  Sternberg,  Adjunct  an  der  Prosectur  im 
Kudolfspital,  hatte  die  Freundlichkeit,  mir  mitzutheilen,  dass  er 
bei  den  zahlreichen  Widal’schen  Proben,  die  er  anstellte,  auch 
die  b  adenreaction  beobachtet  hat.  Die  Probe  wird  ganz  wie 
die  gewöhnliche  Serumreaction  angestellt;  es  können  Bouillon- 
culturen  oder  Aufschwemmungen  von  Agarculturen  benützt 
werden,  nur  müssen  sie  entsprechend  jung  sein  und  vor  Allem 
nicht  zu  dicht,  was  man  auf  diese  Weise  erreicht,  dass  man 
zu  dichte  Bouillonculturen  eventuell  verdünnt,  die  Aufschwem¬ 
mungen  aber  recht  dünn  macht  (sehr  schwach  milchig  ge¬ 
trübt).  Bruttemperatur  ist  wohl  für  das  Zustandekommen  der 
Reaction  nicht  nothwendig,  beschleunigt  aber  in  hohem  Masse 
ihr  Auftreten.  Was  das  mikroskopische  Bild  der  Reaction  be- 
triilr,  so  stimmt  es  unwesentlichen  mit  der  von  Pfaundler 
gegebenen  Beschreibung  überein,  es  wäre  nur  zu  bemerken, 
dass  die  kolbigen  Aufreibungen  der  Fäden  selten  beobachtet 
werden.  Pfaundler,  der  die  Reaction  einmal  bei  einem 
Typhusfall  gesehen  hatte,  sprach  sich  nachträglich  dahin  aus, 
dass  ihm  die  Zugehörigkeit  dieser  Erscheinung  zur  eigentlichen 
Fadenreaction  auf  Grund  von  »wenig  prägnanten  Details,  die 
eher  durch  Blick  und  Erfahrung  aufgefasst,  als  beschrieben 
werden  können«,  fraglich  erscheine.  Demgegenüber  muss  ich 
betonen,  dass  sowohl  in  der  Art  des  Zustandekommens,  wie  in 
der  Morphologie  der  Reaction  bei  dem  beschriebenen  Fall  von 
Uystopyelitis  einerseits,  den  Typhusfällen  andererseits  durch¬ 
aus  kein  l  nterschied  zu  constatiren  war,  so  dass  an  der  Iden¬ 
tität  beider  Erscheinungen  festgehalten  werden  muss.  Dass 


Pfaundler  bei  seinem  Fall  in  höheren  Verdünnungen 
(1:30 — 1:100)  ein  Bild  bekam,  das  mehr  an  Agglutination 
als  an  Fadenbildung  erinnerte,  wird  wohl  daraus  zu  erklären 
sein,  dass  er  das  Präparat  erst  nach  24  Stunden  untersuchte, 
nachdem  die  sich  vermehrenden  Bacillen  Zeit  gefunden  hatten, 
verfilzte  Klumpen  zu  bilden.  Die  Bilder,  die  man  nach 
3 — 24stündiger  Beobachtungszeit  (am  öftesten  nach  3 — 8 
Stunden  bei  Bruttemperatur)  erhält,  kann  man  auch  bei  ge¬ 
wisser  Uebuns’  und  angemessener  Vorsicht  fixiren.  Man  ver- 
fährt  dabei  am  besten  folgendermassen :  Man  dreht  das  Deck¬ 
glas  mit  dem  hängenden  Tropfen  in  der  Weise  um  sein  Cen¬ 
trum,  dass  zwei  gegenüberliegende  Ecken  über  die  Ränder  des 
Objectträgers  hervorragen;  nachdem  man  nun  das  Deckglas 
an  diesen  Ecken  gefasst  hat,  hebt  man  es  vorsichtig  vom 
Objectträger  empor  und  legt  es  behutsam  unter  Vermeidung 
auch  der  kleinsten  Erschütterung  auf  zwei  parallel  liegende 
Streichhölzchen,  mit  dem  Tropfen  nach  unten.  Nachdem  das 
Präparat  in  dieser  Lage  lufttrocken  geworden  ist  (nach  '/4  bis 
l/2  Stunde),  wischt  man  mit  einem  in  Xylol  oder  Benzin  ge¬ 
tauchten  Pinselchen  den  Randbelag  von  Vaselin  weg,  fixirt  es 
in  der  Flamme  (6  —  lOmaliges  Durchstreichen  wegen  des 
Albumengehaltes  des  Tropfens)  und  färbt  es.  Ich  benütze 
dazu  gewöhnlich  stark  verdünntes  wässeriges  Methylenblau 
(circa  1  °/00)  oder  stark  verdünntes  Carboifuchsin,  auf  dem  das 
Präparat  ‘/4 — 1  Stunde  schwimmen  gelassen  wird.  Diese  Fär¬ 
bung  bietet  den  Vortheil,  dass  das  eiweisshaltige  Substrat 
schwach  oder  gar  nicht  gefärbt  wird,  während  die  Fäden  so¬ 
wie  ihre  Structur  schön  zum  Vorschein  kommen.  Während 
nun  die  ungefärbten  Fäden  homogen  oder  aus  Einzelgliedern 
bestehend  erscheinen,  sieht  man  sie  im  gefärbten  und  fixirten 
Präparat  aus  lauter  einzelnen  Bacterien  zusammengesetzt,  die 
stellenweise  durch  eine  schwächer  tingirte,  schon  von  Kraus 
beobachtete  Zwischensubstanz  vereinigt  werden,  stellenweise 
ganz  lose  aneinandergereiht  sind,  ab  und  zu  auch  Ketten  aus 
plumpen,  wie  geschwollenen  Individuen  bestehend.  Oft  kann 
man  die  Reaction  auch  schon  makroskopisch  im  hängenden 
Tropfen  beobachten,  indem  der  Tropfen  ganz  klar  ist  und  in 
ihm  eine  Anzahl  von  weissen  Körnchen  herumschwimmt.  Was 
das  Verhältniss  der  Fadenreaction  zur  Agglutination  anbelangt, 
so  wurden,  wie  vorhin  schon  bemerkt  worden,  immer  beide 
vereint  gefunden,  und  zwar  entwickelte  sich  die  Fadenreaction 
aus  dem  Agglutinationsbild  oder  es  entwickelten  sich  beide 
nebeneinander  im  Verlauf  von  einigen  Stunden,  indem  die 
Fäden  aus  den  Häufchen  hervorwuchsen  und  sich  sodann 
untereinander  verschlangen,  so  dass  zuletzt  eine  typische 
Fadenreaction  zu  Stande  kam.  Auch  muss  bemerkt  werden, 
dass  starke  Agglutination  die  Fadenreaction  beeinträchtigt,  in- 
soferne  als  dann  in  den  dichten  Haufen  die  Bacterien  schwer 
zu  Fäden  auswachsen  können  und  die  Faden bildung  nur  an 
den  Rändern  der  Häufen  deutlich  wird,  während  in  der  Mitte 
ein  dicht  verfilzter  Rasen  zu  sehen  ist.  So  war  es  mir  schwer, 
ein  typisches  Bild  zu  erlangen  mit  einem  Serum  von  einem 
Typhusfall,  das  ich  dem  freundlichen  Entgegenkommen  des 
Herrn  Stabsarztes  Dr.  Kamen  verdanke  und  dessen  Agglu¬ 
tinationskraft  sich  auf  20.000  stellte.  Diesem  Umstand  ist  es 
auch  zuzuschreiben,  dass  man  die  schönsten  Bilder  bei  schwach 
wirksamen  Seris  zu  sehen  bekommt  oder  bei  Verdünnungen, 
die  an  der  Reactionsgrenze  stehen  und  dass  oft  noch  darüber 
hinaus  noch  ganz  deutliche  Reactionen  entstehen.  Wohl  ist  zu 
bemerken,  dass  ganz  typische  Bilder,  wo  zwischen  den  Faden - 
knäueln  vollkommen  reines  Gesichtsfeld  zu  sehen  ist,  nur 
innerhalb  der  Agglutinationsgrenzen  Vorkommen,  doch  sind 
auch  die  Fälle,  wo  dazwischen  freie  Stäbchen  sich  vorfinden, 
auf  Grund  des  ganz  typischen  Bildes  der  Knäuel  unzweifel¬ 
haft  auch  zur  Fadenreaction  zu  rechnen,  was  auch  von 
Pfaundler  in  seiner  zweiten  Publication  zugegeben  wird. 
Insoferne  könnte  auch  die  Fadenreaction  in  entsprechender 
Weise  und  in  geübten  Händen  in  den  Fällen,  wo  die 
Widal’sche  Probe  zweifelhaft  ausfällt,  an  ihre  Stelle  treten 
und  erfolgreich  zur  Diagnose  benützt  werden. 

Was  die  Specificität  der  Erscheinung  im  Pfaundler’schen 
Sinne,  d.  i.  die  Individualisirung  des  Mikroben  im  inficirten 
Organismus  anbelangt,  so  muss  sie  für  den  menschlichen 


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Typhus  (wie  auch  für  die  Typhusinfection  überhaupt)  in  Ab¬ 
rede  gestellt  werden,  da  alle  Reactionen  natürlicher  Weise  mit 
den  heterologen  Laboratoriumstämmen  angestellt  wurden  und 
in  einem  Fall,  wo  mir  der  homologe  (»isohomologe«  nach 
Pfaundler)  aus  der  Milz  des  verstorbenen  Patienten  ge¬ 
züchtete  Stamm  zur  Verfügung  stand,  die  mit  demselben  er¬ 
haltene  Reaction  sich  in  nichts  von  der  mit  heterologen  er¬ 
haltenen  unterschied.  Anschliessend  daran  untersuchte  ich  die 
Wirkung  vom  Typhusimmunserum  von  einem  Pferde  (Zoro¬ 
aster- Serum;  Stärke  1:10.000)  auf  den  homologen  Stamm, 
sowie  auf  sieben  heterologe  Stämme,  die  alle  von  mir  nach 
den  üblichen  Methoden  identificirt  wurden  ;  es  zeigte  sich  auch 
hier  keine  Differenz  in  dem  Verhalten  der  Stämme,  alle  gaben 
unterschiedslos  sehr  schone  Fadenreactionen  bei  derselben 
Verdünnung  des  Serums. 

Doch  nicht  nur  Serum  von  kranken  oder  von  immuni- 
sirten  Thieren  gibt  die  Reaction,  auch  durch  heterologe  Sera 
oder  Normalsera  kann  sie  ausgelöst  werden.  In  Uebereinstim- 
mung  mit  Kraus  und  L  ö  w  habe  ich  gefunden,  dass  Typhus- 
wie  Colibacillen  unter  dem  Einfluss  normaler  Menschen-  und 
Kaninchensera  (gewöhnlich  bei  1 :  1  bis  1 : 20),  ebenso  Coli¬ 
bacillen  mit  Typhusimmunserum  und  Typhusbacillen  mit 
Coliimmunserum  dieselbe  geben. 

Wenn  ich  nun  nach  Mittheilung  des  Thatsachenmaterials 
mich  über  die  Auffassung  der  Fadenreaction  äussern  soll,  so 
kann  man,  was  den  Mechanismus  der  Reaction  anbetrifft,  wohl 
die  Pf  a  un  d  ler’sche  Ansicht  acceptiren,  wonach  die  agglu- 
tinirten  Bacterien  bei  ihrer  Vermehrung  verhindert  werden,  in 
zwei  freie  Tochterzellen  zu  zerfallen,  sondern  aneinander  hatten 
bleiben  und  auf  diese  Weise  zu  Fäden  und  Fadenknäueln 
heranwachsen.  Wenn  Tar  chetti  die  Fadenreaction,  welche  in 
Typhusserum  enthaltender  Bouillon  gezüchtete  Typhusbacillen 
zeigen,  als  Ausdruck  einer  Entwicklungshemmung  anpricht, 
so  stützt  er  sich  dabei  nur  auf  die  nicht  ganz  genaue  und 
nur  mit  Vorsicht  zu  verwerthende  Aehnlichkeit  dieser  Culturen 
mit  solchen  in  stark  angesäuerten  oder  alkalisirten  Nährböden. 
Wohl  mag  zugegeben  werden  —  und  ich  habe  das  einige 
Male  beobachtet  —  dass  Typhusbacillen  in  unverdünntem 
Typhusserum  nach  ein  bis  zwei  Stunden  sehr  spärlich  werden, 
undeutliche  Con touren  und  einen  matten,  geschwellten  Zellleib 
aufweisen,  während  herum  viele  glänzende  mikrococcenähnliche 
Körner  zu  sehen  sind,  kurzum,  dass  ein  Zerfall  und  eine  Um¬ 
wandlung  zu  Körnern  durch  Wirkung  des  Serums  zu  Tage 
tritt,  doch  sind  es  nur  wenige  Fälle  und  tritt  die  Erscheinung 
nur  in  unverdünntem  Serum  ein.  So  bleibt  uns  also  Tarchetti 
den  Beweis  einer  Entwicklungshemmung  noch  schuldig,  zumal 
überhaupt  die  Frage  nach  der  bacterienschädigenden  Wirkung 
der  agglutinirenden  Sera  trotz  der  Arbeiten  von  Nicolas, 
Durh  am  und  Trum  pp  noch  nicht  entschieden  ist. 

Mit  dieser  Ueberzeugung  habe  ich  auch  bereits  meine 
Anschauung  über  das  Wesen  der  Fadenreaction  geäussert, 
indem  ich  mich  vollkommen  der  Ansicht  Kraus’  anschliesse, 
wonach  die  Fadenreaction  nur  Folge-  und  Begleiterscheinung 
der  Agglutination  ist  und  nur  insofern  specitisch  sein  kann, 
als  es  die  Agglutination  im  gegebenen  Falle  ist.  Pfaundlers 
Hypothese  war  mit  Vernachlässigung  der  bei  anderen  Bacterien 
gefundenen  Thatsachen  auf  die  Fadenreaction  beim  Coli  und 
Proteus  aufgebaut;  was  für  Coli  und  Proteus  —  freilich  mit 
gewissem  Vorbehalt  —  gelten  kann,  will  er  als  Wesen  der 
Reaction  aufstellen.  Nun  ist  aber  die  Reaction  ausser  beim 
Coli  und  Proteus  noch  bei  vielen  Bacterien  zu  finden,  und 
zwar  nicht  nur  bei  Verwendung  von  homologen,  sondern  auch 
heterologen  Stämmen,  so  dass  von  einer  Specificität  der  Er¬ 
scheinung  im  Sinne  einer  Individualisirung  des  Mikroben  im 
inficirten  Orgsnismus  keinesfalls  die  Rede  sein  kann.  So  findet 
man  die  Reaction  beim  Bacillus  pycyaneus,  beim  Vibrio  cholerae, 
Vibrio  Metschnikoff,  Vibrio  Danubicus,  Bacillus  pneumoniae 
Friedländer,  Bacillus  rhinoscleromatis,  Bacillus  lactis  aerogenes. 
Ich  möchte  hier  auch  die  Bilder  anreihen,  die  man  erhält,  wenn 
man  heterologe  Pnenmococcenstämme  in  Serum  von  Pneumoni- 
kern  nach  dem  Vorgänge  von  Besancon  und  Griffon  einimpft. 
In  zwei  Fällen  der  Klinik  (bei  einer  Pneumonie  und  bei  eine 
Pneumococeie  mit  der  durch  Obduction  bestätigten  Diagnose: 


Cholelithiasis  subseq.  Cholecystitide  et  Choleangitite  suppura¬ 
tiva  pneumococcica,  Endocarditis  acuta  ad  valvulas  semilunares 
aortae  pneumococcica),  wo  ich  die  Reaction  mit  heterologen 
Stämmen  anstellte,  bekam  ich  Bilder,  die  die  oben  erwähnten 
Autoren  als  Agglutination  betrachten,  die  aber,  wie  ein  Blick 
auf  die  in  Bensaude’s  Buch  (pag.  202—208)  gegebenen  Ab¬ 
bildungen  belehren  kann,  füglich  als  Fadenreaction  anzusprechen 
sind.  Auch  was  ich  bis  jetzt  von  Streptococcen- Agglutination 
gesehen  habe,  dürfte  wohl  hieher  zu  rechnen  sein. 

Zur  Fadenreaction  des  Bacterium  coli,  der  eigentlichen 
Grundlage  der  Individualisationshypothese  übergehend,  muss  ich 
bemerken,  dass  die  von  Kraus  gefundenen  Thatsachen,  die 
auch  ich  in  meinen  Versuchen  vollkommen  bestätigt  fand, 
nämlich  die  positive  Reaction  mit  heterologen  und  Normal- 
Seris,  die  Hypothese  in  ihrer  ursprünglichen  Fassung  unhaltbar 
machen.  Um  die  Hypothese  doch  zu  retten,  beschränkt  sie 
Pfaundler  in  der  letzten  Mittheilung  in  der  Weise,  dass  die 
Reaction  nur  bei  Anwendung  hoher  Verdünnungen  specifisch 
sei.  Doch  auch  in  dieser  Form  kann  die  Hypothese  nicht 
gehalten  werden.  Dass  es  vor  Allem  fieberhafte  Coliinfectionen 
sind,  bei  denen  man  die  Reaction  gefunden  hat,  soll  ohne 
Weiteres  zugegeben  werden  und  der  von  mir  beschriebene 
Fall  liefert  auch  einen  Beitrag  dazu.  Denn  es  sind  eben  gerade 
diese  Fälle  diejenigen,  bei  denen  überhaupt  nennenswerthe  Agglu¬ 
tinations  werthe  gefunden  werden,  während  bekanntlich  die 
chronischen,  fieberlosen  Coliinfectionen  gewöhnlich  keine  Agglu¬ 
tination  geben.  So  erklärt  sich  nach  unserer  Ansicht  diese 
Thatsache  ungezwungen  dahin,  dass  nur  in  diesen  Fällen 
Faden  bildung  gefunden  wird,  weil  auch  gewöhnlich  nur 
bei  ihnen  Agglutination  auftritt.  Wenn  nun  Pfaundler  an¬ 
gibt,  er  hätte  in  einigen  Fällen  fieberloser  Coliinfectionen 
wohl  Agglutination,  aber  keine  Fadenbildung  gefunden,  so 
müsste  noch  untersucht  werden,  ob  die  in  diesen  Fällen  ver¬ 
wendeten  Stämme  der  Fadenbildung  überhaupt  fähig  waren, 
da  Rothberger’s  ausführliche  Untersuchungen,  sowie  die 
Beobachtungen  von  Kraus  und  von  mir  ergeben,  dass  es 
Colistämme  gibt,  die  überhaupt  keine  Fadenbildung  geben. 
(Dieselbe  Thatsache  findet  übrigens  Rod  ell  a  für  den  Proteus. >) 
Die  weiter  sich  ergebende  Frage,  ob  nur  der  isohomologe 
Stamm  die  Reaction  geben  kann,  darf  auch  nicht  in  so 
apodiktisch  bejahender  Weise  beantwoitet  werden,  wie 
Pfaundler  es  thut.  Aus  den  Arbeiten  von  M.  Jatta 
und  Rothberger  wissen  wir,  dass  wohl  der  homologe  Stamm 
die  höchsten  Agglutinationswerthe  gibt,  dass  aber  verwandte 
heterologe  Stämme  recht  beträchtliche  Werthe  aufweisen  können, 
so  z.  B.  in  einem  Falle  der  homologe  Stamm  1  : 1000,  der 
heterologe  1 :  300. 

Für  den  ähnliche  Verhältnisse  bietenden  Proteus  liegt 
eine  Beobachtung  Rodellas  vor,  dass  ein  heterologer  Stamm 
in  denselben  Verdünnungen  agglutinirt  wurde,  wie  der  iso¬ 
homologe.  Auch  die  Annahme,  dass  bei  fieberhaften,  intensiven 
Coliinfectionen  der  isohomologe  Stamm  immer  Fadenreaction 
gibt,  trifft  nicht  ausnahmslos  zu;  sagt  doch  Rothberger 
(pag.  117):  »Es  war  mir  von  vorneherein  aufgefallen,  dass 
ich  gerade  in  den  Präparaten,  welche  aus  einem  Colistamm 
mit  dem  zugehörigen  Serum  hergestellt  worden  waren,  die 
typische  Fadenreaction  vermisste,  auch  wenn  die  Agglutination 
positiv  ausfiel,  obwohl  das  behandelte  Thier  durch  längere 
Zeit  erheblich  krank  war,  und  der  Gesammtorganismus  sich 
intensiver  am  Krankheitsprocesse  betheiligt  hatte. 

Endlich  wären  noch  die  experimentellen  Beweise  zu  be¬ 
sprechen,  mit  denen  Pfaundler  seine  Hypothese  zu  stützen  ver¬ 
sucht.  Es  ist  ganz  plausibel,  dass  »Individualisirungsversuche«  ge¬ 
lungen  sind,  diese  beweisen  aber  nichts  mehr,  als  dass  der  iso¬ 
homologe  Stamm  Agglutination  und  Fadenbildung  gibt,  was  wir 
gerne  zugeben.  Was  die  »Desindividualisirungsversuche«  an¬ 
betrifft,  so  können  sie  wohl  nicht  als  beweisend  gelteo.  wenn 
Pfaundler  selber  sagt:  »In  einer  Reihe  anderer  Versuche 

i)  Das  scheint  mit  der  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  vorhandenen 
oder  mangelnden  Tendenz,  in  Fäden  auszuwachsen  zusammenzuhängen.  Dei 
Behauptung  Pfaundlei’s,  dass  Fadenbildung  normaler  Weise  bei  Coli 
nicht  beobachtet  wird,  muss  ich  entgegenhalten,  dass  unter  meinen  sieben 
Stuhlstämmen  drei  die  Erscheinung  in  markanter  Weise  zeigten.  Aehnliche 
Angaben  finden  sich  bei  Rothberger. 


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allerdings  gelang  die  Desindividualisirung  nicht  in  so  classischer 
Weise«,  oder  an  einer  anderen  Stelle:  »Ich  muss  allerdings 
bemerken,  dass  nicht  alle  derart  durchgeliihrten  Versuche  völlig 
übereinstimmende  Resultate  ergaben;  kleinere  Abweichungen 
—  namentlich  in  quantitativer  Beziehung  —  wurden  wieder¬ 
holt  beobachtet  und  dürfen  wohl  darauf  zurückgeführt  werden, 
dass  die  technisch  nicht  ganz  leichte  Operation  da  und  dort 
Fehler  einschleichen  liess.  Gewisse  Schwierigkeiten  macht 
namentlich  die  eine  einwandfreie  Reingewinnung  der  in- 
o  ulirten  Stämme  aus  dem  Thierkörper.«  Angefangene  Nach¬ 
prüfungen  der  Desindividualisirungsversuche  musste  ich  leider 
wegen  der  zu  grossen  Menge  Versuchsthiere,  die  sie  erfordern, 
aufgeben,  umsomehr,  als  die  Frage  der  Fadenreaction  auch 
ohne  diese  Versuche  ziemlich  klar  erscheint. 

Zum  Schlüsse  sei  mir  noch  gestattet,  Herrn  Professor 
R.  Paltauf  und  Assistenten  Dr.  R.  Kraus  für  die  viel 
seitige  Förderung,  die  sie  meiner  Arbeit  zu  Theil  werden 
Hessen,  sowie  Herrn  Hofrath  Prof.  E.  Neuss  er  für  die 
IJeberlassung  des  klinischen  Materials  meinen  wärmsten  Dank 
auszusprechen. 

Literatur. 

M.  P  f  a  u  ndle  r,  E  ine  neue  Form  der  Serumreaction  auf  Coli-  und 
J’roteusbacillosen.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1898,  Bd.  XXIII. 

Derselbe,  Zur  Theorie  der  als  »Fadenbildung«  beschriebenen 
Serumreaction.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899.  Nr.  1. 

Derselbe,  Bemerkungen  zum  Aufsatze  Tarchetti’s:  >  Ueber 
Fadenbildung».  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  2. 

R  Kraus  und  L.  L  ö  w,  Ueber  Agglutination.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  1. 

R.  Kraus,  Ueber  Fadenbildung.  Wiener  klinische  Wochenschrift. 
1899,  Nr.  2. 

C.  Tarchetti,  Ueber  Fadenbildung.  Wiener  klinische  Wochen¬ 
schrift.  1899,  Nr.  2. 

Derselbe,  Sul  valore  della  serodiagnosi  nella  infezione  tifoide. 
La  clinica  med.  Ital.  1899,  Nr.  1. 

M.  J  a  1 1  a,  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Agglutination 
des  Typhusbacillus  und  der  Mikroorganismen  der  Coligruppe.  Zeitschrift  für 
Hygiene.  1900,  Bd.  XXXIII. 

J.  Roth  berge  r,  Ueber  Agglutination  des  Bacterium  coli.  Zeit¬ 
schrift  für  Hygiene.  1900.  Bd.  XXXIV. 

A.  R  o  d  e  1 1  a,  Expeiimenteller  Beitrag  zur  Serumreaction  bei  Proteus 
vulgaris.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1900,  Bd.  XXVII. 

Besang  on  et  Griffon,  Pouvoir  agglutinatif  du  serum  dans  les 
infe-tions  experimentales  et  humaines  a  ptieumocoques.  Compt.  Rend.  Soc. 
de  Biologie.  5.  — 19.  Juin  1897. 

B  e  n  s  a  u  d  e,  Le  phenom&ne  de  l’agglutination  des  microbes. 
Paris  1897. 


Ein  durch  Tizzoni’s  Tetanus-Antitoxin  geheilter 
Fall  von  Tetanus  beim  Menschen. 

Von  Dr.  Edmund  Hoina,  Secundararzt  der  Landes-Krankenanstalt,  in  Brünn. 

Die  Anzahl  der  bis  jetzt  mit  Tizzoni’s  Tetanus-Anti¬ 
toxin  behandelten  und  geheilten  Fälle  von  Tetanus  beim 
Menschen  ist  eine  geringe.  Ich  konnte  in  der  Literatur  des 
ln-  und  Auslandes  nur  39  Fälle  sammeln  und  selbst  bei  vielen 
dieser  Fälle  wird  die  Heilung  eher  den  mit  in  Anwendung 
gekommenen  physikalischen  oder  medicamentösen  Mitteln  als 
dem  Antitoxin  zugeschrieben.  Im  Folgenden  erlaube  ich  mir 
einen  Fall  von  Tetanus  beim  Menschen  zu  veröffentlichen, 
dessen  Heilung  mir  vorzugsweise  dureh  die  Anwendung  von 
Tizzoni’s  Tetanus-Antitoxin  erfolgt  zu  sein  scheint,  wenn 
auch  die  anderweitige  Behandlung  auf  den  Verlauf  der  Krank¬ 
heit  gewiss  von  günstigem  Einfluss  gewesen  ist.  Der  Fall  ist 
auch  in  chirurgischer  Beziehung  von  Interesse. 

L.  W.,  neun  Jahre  alt,  Wagnermeisterssohn  aus  Tfepilz  in 
Mähren,  am  6.  Januar  1900  wegen  nach  Erfrierung  der  Zehen  ein¬ 
getretener  Gangrän  beider  Fiisse  auf  das  Separationszimmer  der 
chirurgischen  Abtheilung  des  Herrn  Primarius  Dr.  Karl  Kat  ho- 

Ö  o 

1  i  c  k  y  aufgenominen. 

Die  Anamnese  ergibt,  dass  Patient  vor  Weihnachten  vorigen 
Jahres  (der  Tag  ist  nicht  zu  eruiren)  aus  Furcht  vor  häuslicher 
Strafe  Nachts  am  Dachboden  seines  Hauses  geschlafen  hat,  wobei 
ihm  die  Zehen  beider  Füsse  erfroren  sind.  Patient  ging  herum,  ein 
Arzt  wurde  erst  vor  Einbringung  ins  Spital  gerufen. 


Status  praesens:  Kräftig  gebauter  und  gut  genährter 
Knabe.  Temperatur  39'3°C. ;  Herz  und  Lungen  normal,  im  Harn 
weder  Eiweiss  noch  Zucker.  Linkerseits  bis  zur  Mitte  der  Meta¬ 
tarsalknochen,  rechterseits  bis  zu  den  Metatarsophalangealgelenken 
reichende  feuchte  Gangrän  beider  Füsse  mit  Fehlen  der  ergriffenen 
Theile.  Am  linken  Vorderarm  in  der  Mitte  und  an  der  linken  Tibia 
unterhalb  der  Mitte  winkelig  ausgeheilte  alte  Fracturen.  An  der 
Stirne  eine  Narbe. 

Die  Therapie  bestand  anfangs  in  kräftiger  Nahrung,  täg¬ 
lichen  Fussbädern  mit  Kalium  hypermanganicum  und  Umschlägen 
von  essigsaurer  Thonerde. 

10.  Januar.  Patient  klagt  über  Schmerzen  auf  der  Brust,  er¬ 
schwertes  Schlingen,  kann  den  Mund  nicht  wie  sonst  öffnen,  zeigt 
dabei  ein  eigentümliches  Grinsen.  Pupillen  weit,  Temperatur  nicht 
über  37'8°C.  Es  wird  eine  draussen  erfolgte  Infection  mit  Tetanus¬ 
bacillen  angenommen. 

11.  Januar.  In  Narkose  wird  rechts  nach  Chop  art,  links 
nach  P  i  r  o  g  o  f  f  amputirt  und  Gypsverbände  beiderseits  bis  über 
die  Knie  angelegt.  Aus  dem  Wundsecrete  der  abgesetzten  Theile 
wurden  Deckgläschenpräparate  und  Abimpfungen  auf  Bouillon  ge¬ 
macht,  die  Befunde  waren  auf  Tetanusbacillen  positiv.  Sechs  Stunden 
nach  der  Operation  der  erste  tetanische  Anfall,  der  sich  am  selben 
Tage  wiederholt.  Auf  Chloralhydratklystiere  und  warme  Ein¬ 
packungen  Schlaf. 

12.  Januar.  Fast  stündlich  bis  6  Uhr  Abends  Anfälle  mit 
hochgradiger  Cyanose.  Temperatur  37'8n,  Puls  140,  im  Harne  kein 
Eiweiss.  Patient  erhält  nur  flüssige  Nahrung.  Um  6  Uhr  Abends 
ein  Chloralhydratklystier  und  subcutane  Injection  in  den  Ober¬ 
schenkel  von  5 g  einer  Lösung  von  Tizzoni’s  Tetanus-Antitoxin 
(Merck  in  Darmstadt)  in  50  g  Aqua  destillata  sterilisata,  worauf 
Patient  sechs  Stunden  ruhig  schläft,  und  wobei  die  Temperatur  auf 
36'4°  C.  sinkt,  der  Puls  hingegen  gleich  hoch  bleibt. 

13.  Januar.  Früh  und  Abends  je  eine  Injection  von  5 g  obiger 
Lösung  mit  gleichzeitiger  Verabreichung  eines  Cbloralhydratklystiers. 
Temperatur  37'6°C.,  Puls  144,  viel  Schweiss.  Schlaf  und  Sistirung 
der  Krämpfe  auf  einige  Stunden. 

14.,  15.  Januar.  Früh  und  Abends  neben  Chloralhydrat- 
klystieren  Injection  von  je  10  <7  der  Lösung.  Die  Temperatur  steigt 
auf  38'5°C.,  Puls  140.  starke  Schweisssecretion,  kein  Schlaf,  ge¬ 
häufte  Anfälle  bis  auf  28,  respective  36  in  24  Stunden. 

16.,  17.  Januar.  Von  nun  an  Chloralhydrat  per  os.  Früh 
und  Abends  Injection  von  je  10 g  der  Lösung.  Temperatur  39‘8°  C., 
Puls  160,  Anzahl  der  Anfälle  36,  respective  47,  kein  Schlaf.  Ver¬ 
bandwechsel,  Prima,  neue  Gypsverbände. 

18.  Januar.  Temperatur  379°C.,  Puls  128,  21  Krampfanfälle. 
Nur  einmallige  Injection  von  10  g  der  Lösung. 

19.  Januar.  Injectionsstellen  etwas  entzündlich  geschwellt. 
Seit  gestern  Nachmittags  viel  geschlafen,  nur  dreimal  Krämpfe, 
Patient  fühlt  sich  freier.  Temperatur  um  37°  C.,  Puls  136.  Injection 
von  10 g  der  Lösung. 

20  -22.  Januar.  Nur  ein  Krampfanfall,  viel  Schlaf.  Tempe¬ 
ratur  37°  C.,  Puls  130.  Je  eine  Injection  von  5 g  der  Lösung. 
Kieferklemme  etwas  nachgelassen. 

23.  Januar.  Keine  Injectionen  mehr.  Kein  Fieber,  Puls  noch 
immer  hoch.  Patient  erhält  halbweiche  Nahrung, 

27.  Januar.  Patient  setzt  sich  schon  auf.  Abends  und  in  den 
folgenden  Tagen  Temperatursteigerung  auf  38'6°C.  Nach  Verband¬ 
wechsel  Wiederauftreten  von  Anfällen,  am  28.  und  29.  Januar  je 
drei,  am  30.  Januar  zwei  Krampfanfälle.  Vom  2.  Februar  an  afe- 
briler  Verlauf  bis  zum  6.  Februar,  wo  die  Temperatur  38‘4°C.  und 
Patient  während  des  Verbandwechsels  einen  Anfall  hat.  In  der 
rechten  Kniebeuge  ein  Furunkel. 

8.  Februar.  Patient  sitzt  und  bewegt  sich  frei,  nur  Spannung 
der  mimischen  Muskeln  und  hohe  Pulszahl  noch  vorhanden,  ebenso 
zeitweilige  Schmerzen  in  der  Rückenmusculatur. 

21.  Februar.  Widerstandsbewegungen  beider  Füsse,  in  den 
folgenden  Monaten  Gehversuche,  die  sehr  gut  ausfallen;  Patient 
geht  ohue  Stütze  herum,  hat  sieh  sehr  erholt,  wird  am  10.  Mai 
geheilt  entlassen. 

Dieser  Fall  muss  bei  dem  Umstande,  als  die  Eingangspforte 
für  die  Infectionskeime  eine  grosse,  der  Fall  mit  einem  gangränösen 
Process  complicirt  war  und  die  Anzahl  der  Krampfanfälle  bis  auf 
47  in  24  Stunden  stieg,  ja  hiebei  selbst  die  Athemmusculatur 


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mitergriffen  war,  als  ein  schwerer  Fall  von  Tetanus  bezeichnet 
werden.  Im  Ganzen  wurden  26  <j  des  festen  Präparates  =  2,080.000 
Immunisirungseinheiten,  in  kleinen  Dosen  injicirt.  Die  günstige 
Wirkung  der  Injectionen  zeigte  sich  in  dem  am  achten  Tage  darauf  fast 
krisenartig  erfolgten  Abfalle  der  Temperatur,  in  Abnahme  der  hohen 
Pulsfrequenz  und  in  dem  plötzlichen  Verschwinden  der  Krampf¬ 
anfälle  und  damit  einhergehenden  Besserung  der  Krankheitser¬ 
scheinungen.  Nicht  unerwähnt  soll  bleiben  die  von  anderen  Autoren 
angegebene  und  auch  in  diesem  Falle  beobachtete  Temperaturer¬ 
niedrigung  im  Anlange,  ferner  die  starke  Schweisssecrction  und 
das  am  3.,  10.,  11.  und  12.  Tag  nach  Aufhören  der  Krampfan¬ 
fälle  erfolgte  Wiederaufflackern  derselben. 


Zur  Meisterkrankencassen-Frage. 

Von  Dr.  Ferdinand  Steiner.*) 

Man  muss  durchaus  kein  Schwarzseher  sein,  um  zu  bemerken) 
dass  der  Stand  der  praktischen  Aerzte  nicht  nur  einen  verzweifelten 
Kampf  um  seine  Existenz  zu  kämpfen  hat,  sondern  sogar  seinem 
Niedergange  zueilt. 

Mag  sich  darin  vielleicht  auch  ein  Widerschein  der  allgemeinen 
socialen  Verhältnisse  spiegeln,  des  allgemeinen  Pauperismus  und 
der  Ueberfüllung  eines  jeden  Standes,  so  sind  doch  für  diese 
traurige  Erscheinung  ganz  specielle,  dem  Berufe  angehettete  Ursachen 
ausschlaggebend,  in  allererster  und  hauptsächlichster  Richtung  der  Zug 
der  Zeit,  an  dem  ärztlichen  Honorare  glimpfliebst  vorbei  zu  kommen, 
der  ärztlichen  Leistung  keine  entsprechende  Gegenleistung  zu  bieten. 

Ich  verstehe  ja  ganz  wohl,  dass  die  Ausgabe  für  den  Arzt  unter 
Umständen  unangenehm  sein  kann;  doch  dafür  kann  der  Arzt 
nichts.  1st  es  dtnn  seine  Schuld,  dass  er  von  seinem  Verdienste 
leben  muss? 

An  der  Entwerthung  der  ärztlichen  Leistung  haben  Aerzte  und 
Publicum,  beziehungsweise  Gesetzgebung,  redlich  zusammengearbeitet. 

Die  Aerzte  haben  sich  namentlich  durch  die  Errichtung  der 
Ambulatorien  und  Ambulanzen  geschadet.  Nicht  als  ob  wir  solche 
Institutionen  im  Principe  verdammen  würden,  o  nein.  Wenn  sie  sich 
wirklich  nur  auf  ihren  Zweck,  die  Armenbehandlung,  beschränken 
wollten. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  hier  die  Vorwürfe  gegen  diese  An¬ 
stalten  breitzutreten;  nur  so  viel  muss  constatirt  werden,  dass  in 
den  Ambulatorien  leider  auch  zahlungsfähiges  Publicum  ohne  Anstand 
behandelt  wird,  wodurch  das  Pflichtgefühl  desselben  gegenüber  dem 
Arzte  gelockert  wird.  Die  Leute  denken:  „Wozu  einen  Arzt  bezahlen, 
wenn  ich  ärztliche  Hilfe  auch  umsonst  haben  kann!“  Nun,  gegen  die 
Schädigung  der  praktischen  Aerzte  durch  den  Missbrauch  der 
Ambulatorien,  wohlgemerkt,  durch  deren  Missbrauch,  wird  bereits 
mit  Erfolg  angekämpft. 

Eine  weitere,  ausserhalb  des  Standes  gelegene  Schuld  an  unserem 
Niedergange  tragen  die  Krankencassen. 

Wir  sind  wieder  weit  davon  entfernt,  die  sociale  Bedeutung  der¬ 
selben  zu  verkennen  oder  gar  das  Princip  der  Krankenversicherung  zu 
verunglimpfen. 

Als  im  Jahre  1888  das  Krankenversicherungsgesetz  in  Kraft 
trat,  ohne  dass  vorher  die  Aerzte  gefragt  wurden,  ein  Gesetz,  das  auf 
unsere  Interessen  aber  so  gar  nicht  Rücksicht  nimmt,  da  haben  die 
Aerzte  dennoch  beigestimmt,  dem  Principe  der  Humanität  zu  Liebe, 
das  sich  —  ausgenommen  gegenüber  den  Aerzten  — -  durch  das  ganze 
Gesetz  zog.  Die  Klagen  der  Aerzte  gegen  dieses  —  nennen  wir  es 
kurzweg  Ar  beiterkrankengesetz  —  sind,  so  weit  die 
Arbeiter  in  Betracht  kommen,  keine  wesentlichen. 

Die  Aerzte  verlangen  nur,  dass  die  Wohlthat  der  Krankenver¬ 
sicherung,  wie  sie  bezüglich  der  ärztlichen  Behandlung  im  Gesetze 
Vom  Jahre  1888  vorgesehen  ist,  nur  wirklichen  Arbeitern, 
den  wirthschaftlich  Schwächeren,  zu  Theil  werde,  mit  einem  Worte, 
dass  nur  wahren  Ar  beiter  krankencasse  n  die  Ermässigung 
des  ärztlichen  Honorares  zukomme.  Die  Aerzte  wehren  sich  —  wenn 
auch  bisher  vergeblich  — ,  dass  die  Wohlthat  der  Arbeiterversicherung 
leichtsinniger  Weise  und  zum  Schaden  der  Aerzte  auf  Leute 
ausgedehnt  wurde,  deren  Einkommen  das  Einkommen  eines  selbst  wolil- 
situirten  Arztes  weit  übersteigt. 

Was  sagen  Sie  dazu,  wenn  eine  Schauspielerin,  von  der  eine 
einzige  Toilette  mehr  kostet,  als  vielleicht  zehn  Cassenärzte  zusammen 
in  ein  bis  zwei  Jahren  verdienen,  verpflichtet  ist,  der  Bozirkskranken- 
casse  anzugehören  und  berechtigt  ist,  den  Cassenarzt  wie  die  ärmste 
Taglöhnerin  zu  benützen.  Oder  wenn  der  Herr  Generaldirector  der 
Nordbahn  oder  einer  anderen  Eisenbahn  erst  eines  besonderen  Dispenses 


bedarf,  um  nicht  der  Cassenpflicht  zu  unterliegen.  Oder  wenn  dem 
Sparcassedirector,  wie  ich  glaube,  von  Brünn,  dieser  Dispens  von  der 
Behörde  gar  verweigert  wurde! 

Ist  das  etwa  recht  und  billig? 

Die  Aerzte  sind  von  Alters  her  sehr  gut  zur  Humanität  und 
Selbstlosigkeit  erzogen,  aber  endlich  und  schliesslich  dürfen  sie  nicht 
durch  das  Schlagwort  der  Humanität  um  ihre  Exi¬ 
stenz  gebracht  werden. 

So  lange  die  Krankencassen  auf  wahre  Arbeite  r,  die  der 
socialen  Fürsorge  und  socialen  Opfer  bedürfen,  beschränkt  blieben, 
war  dagegen  nicht  viel  einzuweuden. 

Wenn  aber  die  Cassengesetzgebung  auf  nicht  mehr  unbe 
mittelte  Kreise  übergreift,  auf  Kreise,  welche  leicht  in  der  Lage 
sind,  den  Arzt  selbst  zu  bezahlen,  dann  hört  die  Rücksicht  der  Aerzte 
auf  sociale  und  hygienische  Momente  auf,  dann  macht  sich  der  Selbst- 
er  haltungstrieb  geltend. 

Mei-terkrankeneassen  ! 

Obligatorische  Meisterkrankencassen ! 

Die  Gewerbenovelle  vom  Jahre  1807  hat  den  Meistergenossen¬ 
schaften  das  Recht  gegeben,  selbst  wenn  ein  geringer  rl heil  von  ihnen 
will,  unter  Umständen  lP'/o  der  Mitglieder,  aut  Grund  des  Uillscassen- 
gesetzes  vom  Jahre  1892  eine  obligatorische  Meister  cassc 
ins  Leben  zu  rufen,  welcher  dann  jedes  Mitglied  der  Genossenschaft 
zwangsweise  angehören  muss.  Das  Hilfscassengesetz  berechtigt  die 
Meistercasse  zur  Anstellung  von  Cassenärzten,  die  für  geringen  Lohn 
die  Herren  Meister  behandeln  dürfen. 

Gegen  die  Meistercassen  würden  ja  die  Aerzte  gar  nicht  so  viel 
haben,  wenn  man  nur  sie  dabei  aus  dem  Spiele  gelassen  hätte. 

Wir  sehen  zwar  die  sociale  Nothwendigkeit  dieser  Lassen  absolut 
nicht  ein.  Wir  wissen  wohl,  dass  es  nicht  lauter  reiche  Meister  gibt. 
Aber  wir  können  und  wollen  durchaus  nicht  begreifen,  warum  auch 
die  reichen  Meister  auf  Kosten  der  Aerzte,  und  zwar  diese 
reichen  Meister  einzig  und  allein  auf  Kosten  der  Aerzte,  profitiren 
sollen. 

Bekanntlich  bedingt  jedwede  cassenärztliche  Thätigkeit,  sei  es  nun 
auf  Grundlage  des  Pauschalsystems,  oder  des  Systems  der  freien  Aerzte- 
wahl,  eine  gewaltige  Ilerabdrückung  des  Honorartarifes. 

Bei  wirklich  bedürftigen  Kreisen  haben  die  Aerzte  ja  nichts  da¬ 
gegen;  sie  sehen  ja  Jedem  gerne  das  Honorar  nach,  der  nicht  zahlen 
k  a  n  n.  Es  ist  aber  etwas  ganz  anderes,  ob  einer  das  Honorar  nicht 
zahlen  kann,  oder  ob  er  es  —  Gesetz  hin,  Gesetz  her  nicht 

zahlen  will.  Und  wenn  die  Herren  Meister  Gassen  gründen  und  dabei 
an  der  „freien  ärztlichen  Hilfe“  des  Gesetzes  festbalten,  wollen  sie 
eben  nicht  zahlen,  weil  sie  die  ihnen  zuwidere  jährliche  Ausgabe  an 
den  Arzt  aus  ihrem  Privatbudget  auf  die  Gasse  wälzen  wollen,  welche 
den  Arzt  schon  klein  beikriegt! 

Heute  beträgt  das  Honorar  des  Arbeiter-Cassenarztes,  wenn  wir 
sein  Pauschale  mit  seiner  Arbeit  in  Vergleich  bringen,  für  einen  Besuch 
vielleicht  fünf  bis  zehn  Kreuzer.  Die  Meistercassen  würden  generös 
sein  wollen;  sie  würden  ihnen  vielleicht  sechs  bis  zwölf,  besonders 
noble  vielleicht  sogar  7 — 14  Kreuzer  per  Besuch  bezahlen. 

Wollen  Sie,  meine  Herren,  um  solch  einen  Pappenstiel  einen 
Ringstrassenhötclier,  einen  Fleischhauermeister,  einen  Möbelfabrikanten 
e  tutti  quanti  behandeln? 

Ist  das  nicht  die  reine  ärztliche  Prostitution? 

Und  darauf  kommt  es  hinaus,  wenn  wir  in  der  Meistercassen- 
frage  nachgeben. 

Das  Gesetz  und  die  Krankencasse  kennen  keinen  Untei schied 
zwischen  dem  Flickschustermeister  Robitschek  und  dem  Besitzei  des 
Hötel  Sacher,  Imperial,  Bristol  etc. 

Die  Meistercasspn  sind,  was  den  Arzt  anbelangt 
—  ich  bitte  zu  bemerken:  was  den  Arzt  anbelangt  ,  nicht  nui 
überflüssig,  sondern  sogar  schädlich. 

Ueber  flüssig,  denn  bisher  wird  noch  kein  armer  Meistc.i 
im  Krankheitsfalle  ohno  ärztliche  Hilfe  geblieben  sein. 

Schädlich  für  uns,  weil  sie  das  Honorar  herabdrücken  wollen 

und  weil  überdies  ihre  Wirkung  heute  noch  gar  nicht  abzusehen  ist. 
Der  Appetit  kommt  im  Essen.  Heute  oder  morgen  werden  die  Lassen 
die  Familienversicherung  einführen  wollen,  und  der  Arzt  wird  noch 
mehr  das  Nachsehen  haben. 

Bedenken  Sie,  dass  bereits  über  ein  Drittel  der  Wiener  Le 
völkerung  z  w  a  n  g  s  versichert  und  dadurch  der  allgemeinen  1  lax  s 
entzogen  ist;  notabene  sind  das  lauter  verdienende  Personen.  (Boziiks- 
krankencasse  152. 000,  Verband  der  Genossenschaftskrankencassen 
110.000  Mitglieder  u.  s.  f.) 

Wenn  Sie  dazu  noch  die  Armen  und  Jene  rechnen,  welche  piin- 
cipiell  nur  unentgeltliche  ärztliche  Hilfe  bevorzugen,  bleibt  kaum  die 
Hälfte  der  Bevölkerung  für  den  Arzt  über. 

Und  davon  will  man  jetzt  noch  die  Meister  aus 

schalten! 


*)  Referat,  erstattet  in  der  von  der  Wiener  Aerzteorganisation  ein- 
berufenen  Wiener  allgemeinen  Aeizteversammlung  vom  21.  November  1900. 


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Mei  ne  Herren,  es  gibt  in  Wien  131  Genossenschaften.  Die  Gast- 
wirthe  z.  13.,  die  ja  vor  (in  paar  Tagen  ihre  Gasse  inscenirten,  zählen 
circa  4000  und  sind  nicht  einmal  die  grösste  Genossenschaft! 

Wohin  kommen  wir,  wenn  es  so  fortgeht V 

Der  Arzt  wird  zum  Cassenkuli,  zum  ärztlichen  Prole¬ 
tarier.  Eine  Handvoll  Ausenvählter,  von  Haus  aus  Vermögender  oder 
reich  Verheirateter  ausgenommen,  wird  es  nur  mehr  Cassenärzte 
geben.  Die  Verelendung  des  Aerztestandes  wird  das  wissenschaftliche 
Niveau  und  —  was  viel  mehr  zu  befürchten  ist  —  das  moralische 
Niveau  des  Aerztestandes  herabsetzen! 

Wir  wollen  aber  unseren  freien,  unabhängigen  Stand  schützen, 
dem  wir  uns  als  Studenten  begeistert  gewidmet  haben;  wir  wollen  den 
freien  Wettbewerb  zwischen  Arzt  und  Patienten  aufrecht  orhalten. 

Wir  wollen  allen  Collegen  die  Bethätigung  ihrer  ärztlichen  Kräfte 
ermöglichen  und  vor  allen  Dingen  der  ärztlichen  Mühewaltung  die  ent¬ 
sprechende  Belohnung  bewahren. 

Und  darum  dürfen  wir  von  unserem  Terrain  nichts  mehr 
preisgeben. 

Die  Meistorcassen  dürfen  für  uns  nicht  existiren. 

Wir  kennen  keine  M  eiste  rcassen,  wir  kennen 
nur  kranke  Meister. 

Welcher  kranke  Meister  unsere  Hilfe  sucht,  der  wird  sie 
finden;  er  muss  sie  aber  auch  bezahlen.  Und  da  werden  wir  zu 
individualisiren  wissen  und  uns  nicht  dictiren  lassen;  Jeder  wird 
entsprechend  zahlen,  der  Reiche  mehr,  der  Arme  weniger,  viel¬ 
leicht  manchmal  auch  nichts. 

Die  Acrzte  dürfen  zu  den  Meistercassen  in  keinerlei  Beziehung 

treten . 

Die  Meisfcrki  ankencassen  sollen  Versicherungsinstitute  sein, 
welche  ihren  Angehörigen  das  Krankengeld  ausbezahlen,  sie  in  der 
Krankheit  unterstützen.  Vom  ärztlichen  Gebiete  jedoch  sollen  sie  ihre 
Hände  ferne  halten. 

Der  kranke  Meister  soll  sich  den  Arzt  suchen,  den  er 
will,  er  soll  für  uns  Privatpatient  bleiben  wie  jeder  andere; 
wir  werden  ihm  diejenige  Rücksicht  gewähren,  die  wir  jedem  unserer 
Clienten  im  Bedarfsfälle  angedeihen  lassen. 

Aber  mit  der  Casse  wollen  wir  nichts  zu  thun  haben.  Das  ist 
eine  Privatsache  der  Meister,  um  die  w  i  r  uns  gar  nicht  kümmern 
wollen. 

Meine  Herren!  Sie  kennen  ja  alle  die  Beschlüsse  der 
ersten  allgemeinen  Ae  rztever  Sammlung,  wonach  kein 
Arzt  den  Meistercassen  Dienste  leisten  darf. 

Wir  haben  damals  eiustimmig  beschlossen,  dass  Keiner  die  Stelle 
eines  behandelnden  oder  Controlarztes  annehmen  darf.  Wir  haben 
unser  Ehrenwort  schriftlich  verpfändet. 

Dass  Keiner,  der  den  Stand  nur  ein  bischen  liebt,  Meister- 
cassenarzt  werden  kann,  bedarf  keiner  besonderen  Begründung. 
Es  ist  uns  auch  thatsächlich  keiu  behandelnder  Meistercassenarzt 
bekannt. 

Was  die  Controlärzte  anlaugt,  so  war  es  hier  nicht  so  in 
die  Augen  springend,  und  hier  hat  es  thatsächlich  einige,  wenn  auch 
nur  wenige  Ausreisser  abgesetzt. 

Die  Wiener  Aerzteschaft  hat  auch  die  Annahme  der  control- 
ärztlichen  Stellen  perhorrescirt,  weil  sie  aus  prophylaktisch n  Gründen 
überhaupt  nicht  will,  dass  ein  Arzt  mit  einer  Meistercasse  in  Ver¬ 
bindung  trete,  weil  sie  weiss,  dass  vom  Controlarzte  nur  ein  kleiner 
Schritt  bis  zum  Cassenarzte  ist,  und  weil  sie  weiss,  wie  leicht  mancher 
Controlarzt  seine  Stellung  missbraucht  und  den  Boden  der  reellen  Con- 
currenz  verlässt! 

Eine  ehren wöri  liehe  Begrenzung  der  controlärztlichen  Thätigkeit 
würde  hier  absolut  nichts  nützen. 

Wi  r  müssen  auf  dem  seinerzeit  gefassten  Beschlüsse  beharren 
und  dürfen  nicht  nachgeben. 

Wenn  einzelne  Hypn  ästhetische  für  die  Existenz  der  Meister- 
cassen  fürchten,  kann  das  für  uns  kein  Grund  sein,  nachzugeben. 
Brauchen  uns  die  Cassen,  to  tollen  sie  sich  an  die  Kammer  wenden, 
ob  sich  ein  Ausweg  findet. 

Vielleicht“? 

Daran  aber  muss  felsenfest  gehalten  werden, 
und  das  muss  der  Kammer  als  Directive  gegeben  werden,  dass  sie 
unter  keiner  Bedingung  den  Meistercassen  behandelnde  und 
ebenso  wenig  Coutrolärzte  bewillige. 

Ein  Nachgeben  von  unserer  Seite  wäre  nur  eine  B  e  1  o  h- 
n  u  n  g  f  ü  r  j  e  ne  wenige  n  V  erräther  und  Treubrüchigen, 
welche  heute  schon  meistercassenäiztl  che  Dienste  leisten  oder  mit 
diesen  Cassen  liebäugeln.  Und  das  darf  nie  und  nimmer  eintreten. 
Das  wäre  ungerecht  gegen  die  überwältigende  Mehrheit  der  an¬ 
ständigen  Collegen. 

* 

Wir  sind  heute  hier  zusammengekommen,  um  neuerdings 
unsere  Beschlüsse  aufzufrischen,  um  uns  gegenseitig  zu  ermuthigen 


und  um  ein  paar  Verräthern  zu  zeigen,  wie  verächtlich  wir  über  sie 
denken. 

Es  wird  au  unsere  Einigkeit  die  Kraftprobe 
gestellt. 

Sie  Alle  kennen  wohl  das  Inserat,  welchem  zufolge  die  be¬ 
stehenden  13  oder  14  Meistercassen  oder  vielleicht  andere  noch  nicht 
gegründete  die  Absicht  haben,  einen  Verband  zu  schaffen  und  viele 
Aerzte  anzustellen. 

Das  müssen  wir  um  jeden  Preis  verhüten. 

Die  Verbandgriiudung  aufzuhalten,  liegt  ausserhalb  unserer 
Machtsphäre. 

Was  wir  verhüten  wollen  und  können,  ist,  dass  der  Verband 
Aerzte  finde. 

Wir  haben  sofort  in  den  nämlichen  Blättern  Gegeninserate 
eingerückt,  wir  haben  die  Fachjournale  —  die  ja  unseren  Bestrebungen 
jetzt  jederzeit  freundschaftlich  entgegenkommen  —  gebeten,  auf  das 
Unzukömmliche  solcher  Stellen  aufmerksam  zu  machen  ;  wir  haben 
die  Kammern  und  Centralvereine  ersucht,  „Zuzug  nach  Wien“  ferne 
zu  halten. 

Und,  last  not  least,  wir  haben  Sio  eingeladen,  sich  hier  in 
diesen  sonst  der  Wissenschaft  geweihten  Räumen  zu  versammeln  und 
durch  Ihr  Votum  unserer  Action  Nachdruck  zu  verleihen.  Heute  soll 
hier  gewissermassen  ein  Volksrath,  wenn  Sie  wollen,  ein  Volks¬ 
gericht  stattfinden. 

Zur  Ehre  der  Collegen  und  zu  unserem  Stolze  sei  es  gesagt, 
dass  im  Ankündigungsbureau  nur  gegen  30  Offerte  eingereicht  wurden, 
und  dass  davon  die  Hälfte  —  aus  den  Postmarken  zu  schliessen  — 
von  auswärts  waren ! 

Meine  Herren,  das  will  etwas  sagen. 

51  Stellen  werden  gesucht  und  nur  30  Offerte  laufen  ein! 

Ueberlegen  Sie!  Unter  anderen  Verhältnissen  würden  sich 
bei  einer  derartigen  Nachfrage  die  Angebote  vielleicht  thurmhoch 
anhäufen! 

Auch  das  ist  sicher,  dass  ein  Meistcreasseuverband  dermalen 
noch  nicht  zu  Recht  besteht!  Ich  halte  es  auch  nicht  für  wahrscheinlich, 
dass  eine  so  geringe  Anmeldung  zu  einer  Giündung  desselben  be¬ 
sonders  aufmuntert. 

Aus  Wien  können  doch  wohl  nur  die  allerjüngsten  unerfahrenen 
Collegen  eingereicht  haben,  mit  denen  einer  Casse  nicht  viel 
gedient  ist. 

Die  auswärtigen,  vielleicht  älteren  Collegen  werden  sich  hüten, 
die  Stellen  anzutreten,  wenu  sie  von  unserer  Action  Kenntniss  erlangen 
und  erfahren,  dass  wir  keinen  Spass  verstehen 

Bleibt  noch  ein  Häuflein,  ich  sage  ein  Häuflein  biederer  Ehren¬ 
männer  übrig,  welche  trotz  Kenntniss  der  Sachlage  aller  Einigkeit 
zum  Trotze  uns  in  den  Rücken  fallen  wollen!  Nun,  meine  Herren, 
ich  kann  nicht  glauben,  dass  es  die  Cassen  gerade  auf  den  Auswurf 
und  die  moralisch  Verkommenen  unseres  Standes  abgesehen  haben 
wollen ! 

Wir  können  dom  Hieb  die  Parade  bieten,  wenn  wir  hier 
alle  Collegen  feierlichst  bitten,  sich  von  den  Meistercassen  als  solchen 
ferne  zu  halten,  wenn  wir  überdies  erklären,  dass  wir  keine  Rücksicht 
gegen  die  Verräther  walten  lassen  werden. 

Wer  nicht  mit  uns  ist,  ist  gegen  uns;  wer  sich  selbst 
ausserhalb  der  Gemeinschaft  stellt,  soll  isolirt 
sein! 

Wi  r  müssen  energisch  Vorgehen. 

Sie  wissen  vielleicht,  dass  von  den  2100  Wieuer  Aerzten  93% 
die  ehren  wörtlichen  Erklärungen  abgegeben  haben.  Ein  Theil  der 
Ausstehenden  sind  jene  Collegen,  welche  zwar  nicht  die  Absicht 
haben,  Stellen  anzunehmen,  welche  aber  z.  B.  als  akademische 
Lehrer,  als  Militärärzte,  als  Beamte,  als  Spitalsärzte  oder  aus  Laune 
—  sie  nennen  es  principielle  Gründe  —  ihre  Erklärung  nicht 
abgeben. 

Es  sei  hier  offen  bemerkt,  dass  die  Abgabe  der  Erklärung 
weder  Illoyalität  noch  Geringschätzung  des  gesetzgebenden 
Körpers  bekundet.  Manche  conservative  Köpfe  meinen,  an  dem  be¬ 
stehenden  Gesetze  dürfe  nicht  gerüttelt  werden.  Solch  ängstliche 
Naturen  können  beruhigt  unterschreiben,  ohne  Gefahr  für  ihr  Seelen¬ 
heil  oder  Sonstiges.  Wir  rütteln  ja  gir  nicht  am  Gesetze.  Die  Meister 
sollen  Cassen  gründen,  wie  sie  wollou.  Wir  verlangen  nur,  dass  sio 
uns  damit  in  Ruhe  lassen ! 

Wer  erklärt,  er  nimmt  keine  Stelle  an,  ist  kein  Staats¬ 
verbrecher. 

Das  Gesetz  gibt  zwar  den  Meistern  das  liecht,  Cassen  zu  gründen 
und  sich  Aerzte  zu  werben.  Nirgends  aber  gibt  es  ein  Gesetz,  welches 
befiehlt,  dass  sich  Aerzte  werben  lassen  müssen! 

Die  akademischen  Lehrer  sollen  das  Ehrenwort  abgeben, 
denn  cs  wäre  immerhin  wie  in  Deutschland  möglich  und  ist  auch  bei 
uns  vorgekommen,  dass  ein  oder  der  andere  Docent,  sei  es  aus  Noth, 
sei  es  aus  Unerfahrenheit,  sei  es  aus  anderen  Gründen  —  man  heisst 


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0 as  oft  beschönigend  Mangel  an  Material  —  cassenärztliche  Dienste 
leistet;  ist  es  doch  keine  Schande,  wenn  es  sich  um  eine  wahre, 
d.  i.  Arbeiterkrankeneasse  handelt. 

Die  Militärärzte  sollen  bedenken,  dass  sie  durch  die  Ab¬ 
gabe  der  Erklärung  nichts  Unwürdiges  thun  und  sich  nichts  vergeben  ; 
sie  sollen  aber  auch  nicht  vergessen,  dass  schon  mancher  Regiments- 
arzt  als  Cassenarzt  geendigt  hat. 

Was  nun  jene  kleine  Gruppe  von  Principienr  eitern 
anlangt,  die  aus  Prineip  kein  Ehrenwort  geben,  so  sollten  sie  schon 
endlich  die  Kinderei  ihres  megalotnanischen  Standpunktes  gegenüber 
einer  Gesammtheit  von  über  2000  aufgeben  ;  sie  müssen  es  sich 
immerhin  gefallen  lassen,  mit  jenen  in  einen  Topf  geworfen 
zu  werden,  welche  das  Ehrenwort  nicht  a  b  g  e  b  e  n , 
weil  sie  auf  Yer  rath  lauern. 

Hier  darf  es  keine  Halbheit  geben.  Da  heisst  es  Faibe  be¬ 
kennen. 

Meine  Herren!  Ich  habe  mich  absichtlich  gehütet,  hier  viel  von 
Standeswidrigkeit  zu  declamiren . 

Ich  spreche  hier  als  Vertreter  der  Aerzteorganisation. 
Und  da  sitzen  wir  nicht  auf  dem  hohen  Rosse  der  Standeswürde, 
sondern  wir  stehen  bescheiden  auf  dem  realen  Boden  des  täglichen 
Brotes  und  betrachten  die  Meistercassenfrage  vorwiegend  als  Brot¬ 
frage  ! 

Die  Aerzteorganisation  will  ja  ein  Aerzte- 
schütz  sein. 

Sowie  wir  Ihnen  durch  unsere  eben  geschlossenen  Verträge  mit 
den  Unfall-  und  Lebensversicherungs-Anstalten  jährlich  manche  Tausende 
gerettet  haben,  welche  bisher  theils  den  Actionären,  theils  dem  Pu¬ 
blicum  als  selbstverständlich  zugeflossen  sind,  so  wollen  wir  durch 
den  Kampf  gegenüber  den  Meistercassen  der  Gesammtheit  die  bisher 
von  den  Meistern  im  Krankheitsfall  den  Aerzten  an  Einzelhonoror 
geleistete  Summe  wahren  und  verhüten,  dass  einzelne  wenige 
Monopolisirte  gegen  Schund-  und  —  sprechen  wir  es  nur  ruhig  aus 
Schandlohn  Alle  schädigen.  Durch  unser  Verbot  halten  wir  das 
Gesammthonorar  auf  der  bestehenden  Höhe.  Damit  schädigen  wir 
Niemanden,  sondern  wir  schützen  Alle  vor  der  Schädigung  durch 
einzelne  Ehrlose. 

Die  Annahme  einer  Meistercassenstelle  kann  wohl  die  augen¬ 
blickliche  Noth  eines  Einzelnen  lindern,  wird  aber  dafür  nur  die  Noth 
des  ganzen  Standes  vergrüssern  !  ! 

Niemand  fühle  sich  zu  erhaben,  diese  Frage  zu  s'udiren,  und 
mit  der  Gesammtheit  zu  gehen. 

Es  handelt  sich  hier  nicht  blos  um  die  Existenz  der  an  der 
Peripherie  thätigen,  mit  Unrecht  sogenannten  kleineren  Aerzte.  Jeder 
muss  hier  mitthun  uni  Jeder  hat  auch  ganz  gehörig  Ursache,  hier 
mitzuthun  ;  weiss  doch  Keiner,  welche  Ausdehnung  die  Sache  nehmen 
kann  und  wie  bald  der  Privatarzt  zum  Luxusartikel  werden  wird. 

Es  muss  hier  ganz  ausdrücklich  betont  werden,  dass  in  der 
Meistercassenfrage  alle  Aerzte  aller  politischen  Partei¬ 
richtungen  einig  sind  und  so  denken,  wie  ich  es  hier  skizzire. 
Die  Aerzte  haben  os  en  1 1  ich  satt,  in  ihre  geschlossene  Phalanx 
die  Politik  als  Keil  eiutreiben  zu  lassen  ;  sie  fühlen  sich  zu 
gut,  um  sich  als  Spiel  ball  politischer  Machinationen  missbrauchen  zu 
lassen  ! 

Was  haben  wir  zu  thun? 

1.  Wir  müssen  selbst  fest  bleiben  und  dürfen  nicht  um  ein 
Jota  von  unseren  Beschlüssen  abweichen. 

2.  Wir  müssen  persönlich  agitiren  für  unsere  Sache,  von  Mann 
zu  Mann,  damit  es  die  Collegon  immer  wieder  hören,  wie  ernst  wir 
die  Angelegenheit  aufifassen. 

3.  Wir  müssen  heute  die  künftige  Kammer  bitten,  mit  all  ihrer 

Autorität  unsere  Sache  zu  vertheidigen !  , 

4.  Wir  müssen  aber  ganz  besonders  unserer  Organisation  be¬ 
hilflich  sein,  unbeirrt  auf  der  beschrittenen  Bahn  fortzuschreiten. 

Wir  müssen  unsere  Organisation  ausbauen  und  zu  ihr  und 
zur  Kammer  stehen,  wie  ein  Mann.  Nur  so  können  wir  kräftig  fordern 
und  auf  Erfolg  rechnen!  Darüber  ist  doch  kein  Zweifel:  der  ärztliche 
Stand  wird  seitens  der  Bevölkerung  wie  seitens  der  Regierung 
immer  nur  nach  der  Energie  beachtet,  mit  der  er  seine  Forderungen 
vertritt. 

Wir  wollen  in  erster  Linie  die  fehlenden  Erklärungen  ein¬ 
treiben  und  jene  welche  sich  uns  nicht  anschliessen,  genau  im  Auge 
behalten,  denn  von  ihrer  Seite  müssen  wir  uns  eventuell  auf  einen 
Verrath  gefasst  machen. 

Jene  aber,  welche  uns  direct  entgegenarbeiten  und  Stellen 
innehaben,  müssen  wir  u  nnachsichtlich  u  n  d  rücksichtslos 
brandmarken,  indem  wir  einfach  ihre  Namen  in  den  Fach¬ 
journalen  —  die  uns  ja  unterstützen  werden  —  bekanntgebe  n 
und  sie  so  isoliren.  Jeder  College  wird  wissen,  was  er  zu 
thun  hat. 


Leider,  meine  Herren,  ich  sage  leider,  darf  ich  als  officieller 
Referent  nicht  so  weit  gehen,  wie  jene  Collegen,  welche  in  ihrem 
gerechten  Zorn  über  die  Verräther  die  allerschärfsten  M assregeln  ver¬ 
langen. 

Ich  darf  Ihnen  leider  nicht  empfehlen,  oder  gar  von  Ihnen  ver¬ 
langen,  dass  Sie  über  alle  jene  Aerz'e,  welche  bei  den  Meistercassen 
irgendwelche  Stellen  bekleiden,  den  strengsten  gesellschaft¬ 
lichen  Boykott  verhängen,  obwohl  ja  gemeiniglich  Leute,  die 
das  Ehrenwort  brechen,  als  Schufte  bezeichnet  werden  und  sich  dutch 
ein  solches  Benehmen  von  selbst  ausserhalb  der  anständigen  Gesell¬ 
schaft  stellen. 

Ich  darf  als  Referent  leider  auch  nicht  jenen  Collegen  beistimmen, 
welche  diese  Leute  in  Standes  angelegen  beiten  als  —  ver¬ 
zeihen  Sie  das  ungewohnte  Wort  —  vollkommen  vogelfrei 
erklärt  wissen  wollen,  indem  sie  fordern,  dass  solchen  —  Collegen 
kann  man  doch  nicht  sagen  —  gegenüber  alle  Aerzte  jedweder  colle- 
gialen  Rücksicht  entbanden  werden,  dass  solchen  gegenüber  Alles  erlaubt 
sei,  was  sonst  nach  dem  Ehrencodex  verboten  ist;  dass  ein  irgendwie 
gearteter  Verkehr  mit  dergleichen  Leuten  unanständig  und  demnach 
völlig  ausgeschlossen  sei,  dass  an  ein  Consilium  mit  ihnen  überhaupt 
nicht  zu  denken  sei  u.  s.  w. 

Meine  Herren,  dieses  Verlangen  würde  zu  sehr  an  die  heilige 
Vehme  erinnern  und  ich  darf  leider  hier  nicht  so  weit  gehen. 

Der  absolute  und  rücksichtslose  Boykott  ist  gewiss  eine  schreck¬ 
liche  Massregel,  ein  fürchterliches  Mittel,  das  zur  gänzlichen  Vernichtung 
der  Existenz  des  Verräthers  führen  müsste. 

Und  doch  muss  ich  Sie  fragen,  und  jetzt  gestatten  Sie  mir,  als 
Privatperson  zu  sprechen,  glauben  Sie  nicht,  dass  so  ein  Verräther 
eine  derartige  Behandlung  verdiene? 

Was  die  Aerztekammer  betrifft,  so  wird  sie  uns  gewiss 
schützen,  wird  ihr  ganzes  Ansehen  und  ihre  ganze  Macht  zu  unseren 
Gunsten  in  die  Wagschale  werfen. 

Ihr  zur  Seite  wird  die  Organisation  stehen  und  rücksichts¬ 
los  nach  oben  und  unten  Vorgehen,  davon  können  Sie  überzeugt  sein. 

Worauf  es  aber  vorwiegend  ankommt,  das  ist  die  Sache  des 
Einzelnen.  Jeder  von  uns  muss  wissen,  was  er  zu  thun  hat,  und  er 
muss  es  auch  thun. 

Dann  müssen  wir  siegen! 

Ich  eile  zum  Schlüsse. 

Wenn  ich  etwas  eingehender  sprach,  so  geschah  es  in  der  Ab¬ 
sicht,  den  erst  nach  der  letzten  Aerzteversammlung  der  Praxis  zuge¬ 
wachsenen  Collegen  ein  Bild  von  der  Sachlage  zu  geben  und  um 
einige  irrthümliche  Ansichten  zu  zerstreuen.  Ich  lege  grossen  Werth 
darauf,  dass  man  besonders  ausserhalb  dieses  Saales  wisse,  dass  die 
Aerzte  nicht  auf  Rosen  gebettet  sind,  dass  die  Medicin  —  wie  erst 
vor  Kurzem  von  derselben  Stelle  ein  Alter  der  Wiener  Schule 

gesprochen  hat  —  ein  Hungerst  udium  ist.  Und  doch  werden 
die  Aerzte  nach  wie  vor  stets  die  Humanität  auf  ihre  Fahne 

geschrieben  wissen  wollen;  sie  verlangen  aber  mit  voller  Ent¬ 
schiedenheit,  dass  sie  nicht  unter  der  Ausrede  der  Humanität  um  ihr 
rechtmässig  erworbenes  und  bitter  verdientes  Brot  gebracht  werden, 

von  einer  Seite,  welche  gar  keinen  Anspruch  auf  solche  Humanität 

erheben  kann. 

* 

Ich  beantrage  folgende 

Resolution. 

1.  Die  Versammlung  erklärt,  dass  die  Annahme  einer  wie  immer 
gearteten  ärztlichen  Stelle  bei  den  Meisterkrankeneassen,  sei  es  als 
behandelnder  Arzt  oder  als  Controlarzt,  unstatt¬ 
haft  ist  und  als  Verrath  an  der  Gesammtheit  der  Wiener  Aerzte- 
schaft  angesehen  wird. 

2.  Die  Versammlung  erwartet  von  der  Aerztekammer,  dass 
sie  diesen  Beschluss  aufs  Kräftigte  unterstütze,  die  noch  ausstehenden 
Erklärungen  mit  allen  Mitteln  eintreibe  und  die  Aunahme  der  Stellen 
ehrenräthlich  verfolge. 

3.  Die  Versammlung  billigt  ein  energisches  Vorgehen  der  O  r- 
ganisation  gegenüber  den  Verräthern  des  Standes  und  fordert 
dieselbe  auf,  auf  der  eingeschlagenen  Bahn  rücksichtslos  vorwärts  zu 
schreiten. 


REFERATE. 

Cursus  der  pathologischen  Histologie  mit  einem  mikro¬ 
skopischen  Atlas. 

Von  Dr.  L.  Aschoff  und  Prof.  Dr.  H.  Gaylord. 
Wiesbaden  1900,  Berg  m  a  n  n. 

Die  Vorrede  dieses  umfangreichen  Buches  sagt  nicht  aus¬ 
drücklich,  an  welchen  Leserkreis  es  sich  wendet.  Die  Beantwortung 
dieser  Frage  ergibt  sich  aus  der  Diction  des  textlichen  1  heiles. 


1112 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


Derselbe  ist  offenbar  für  Anfänger  geschrieben,  für  Studirende  und 
solche  Aerzle,  die  ihre  Kenntnisse  aus  der  Studienzeit  vom  Grunde 
aufzufrischen  beabsichtigen.  Deshalb  sind  die  Erläuterungen  in  ein¬ 
fachster  und  leicht  verständlicher  Weise  formulirt  und  beginnen 
überall  ab  ovo,  ohne  Voraussetzung  irgend  welcher  hieher  gehöriger 
Kenntnisse.  Sie  machen  den  Leser  mit  allen  wichtigen  pathologisch- 
histologischen  Veränderungen  der  Organe  bekannt  und  werden 
ihren  Lehrzweck  durch  die  grosse  Anschaulichkeit  und  leichte 
Fasslichkeit  der  Darstellung  gewiss  erreichen. 

Das  Buch  zerfällt  in  die  Abschnitte:  histologische  Technik, 
pathologische  Histologie,  mikro-photographische  Technik  und  Atlas. 
Die  Fülle  des  Gebotenen  erscheint  fast  überreich.  Insbesondere  die 
mikro-photographische  Technik  dürfte  wohl  für  die  überwiegende 
Mehrzahl  der  Leser  eine  überflüssige  Beigabe  sein;  für  die  Wenigen, 
welche  sich  mit  dieser  Technik  zu  beschäftigen  beabsichtigen,  wären 
die  Anlehnungen  in  einem  separaten  Hefte  vielleicht  erwünschter 
gewesen. 

Die  kurzgefasste  histologische  Technik  ist  eine  Beigabe,  die 
bei  den  Lehrbüchern  der  pathologischen  Anatomie  und  Histologie 
nachgerade  zur  Mode  zu  werden  scheint.  Referent  sieht  darin  keinen 
rechten  Gewinn.  Denn  als  Appendix  des  Themas  erfordern  sie  immer 
gedrängte  Kürze  und  müssen  dadurch  den  zahlreichen  vorzüglichen 
speciellen  Handbüchern  der  histologischen  Technik  nachstehen. 
Wer  sich  eingehender  mit  solcher  Arbeit  beschäftigt,  wird  doch 
nach  einem  dieser  Compendien  greifen. 

Eine  werlhvolle  Bereicherung  des  pathologisch-histologischen 
Textes  sind  die  den  einzelnen  Abschnitten  beigefügten  Literatur- 
angaben. 

Den  vierten  Theil,  Atlas,  bilden  35  Tafeln  mit  etwa  200  Re- 
produetionen,  die  weit  überwiegende  Mehrzahl  Mikro-Photogramme, 
einzelne  colorirte  Zeichnungen.  Die  Mikro-Photogramme  sind  zum 
Theil  sehr  gelungen.  Zweifellos  weisen  sie  einen  grossen  Fortschritt 
dieser  Technik  auf  und  gehören  zu  den  besten  ihrer  Art.  Die 
Freudigkeit,  mit  welcher  die  Autoren  ihre  Technik  beherrschen, 
zeigt  die  Einfügung  des  erwähnten  Capitels  über  mikro-photo¬ 
graphische  Technik  sowie  die  den  Photogrammen  gewidmeten  liebe¬ 
vollen  Worte  der  Vorrede,  dann  aber  auch  die  Anwendung  der 
Dreifarbenphotographie  bei  drei  Tafeln,  welchen  doch  wohl  weniger 
illustrativer  Werth  zukommt,  als  vielmehr  der  eines  hervorragenden 
technischen  Novums.  Darum  möchte  Referent  an  dieselben,  besonders 
die  Darstellungen  der  pseudomembranösen  Tracheitis  und  des  hämor¬ 
rhagischen  Lungeninfarctes  keinen  zu  kritischen  Massstab  legen. 
Doch  kann  bezüglich  der  übrigen  Mikro-Photogramme  ein  gewisses 
Bedenken  nicht  unterdrückt  werden.  Wird  das  in  der  Vorrede  auf- 
gestellte  Ziel,  »wirklich  brauchbare  Photogramme  für  ein  allgemein 
zugängliches  Lehrbuch  herzustellen«,  erreicht?  Von  einem  grossen 
Theil  derselben  gewiss.  So  sind  z.  B.  die  Loupenvergrösserungen 
von  Rückenmarksquerschnitten  und  viele  von  den  stärkeren  Ver- 
grösserungen  sehr  gelungen  wiedergegeben.  Allein  viele  Reproduc- 
tionen,  insbesondere  mit  schwachen  und  mittleren  Vergrösserungen, 
scheinen  die  Absicht  der  Vorrede  nicht  zu  erfüllen  (siehe  z.  B. 
Tafel  XIV,  Fig.  3;  Tafel  XIX,  Fig.  6;  Tafel  XXIII,  Fig.  4; 
Tafel  XXVI,  Fig.  2  und  5;  Tafel  XXV,  Fig.  5  und  6).  Einfache 
Zeichnungen  in  der  Art  der  im  Text  befindlichen  wären  für  den 
Leserkreis,  dem  dieses  Buch  zugedacht  ist,  derartigen  Photogrammen 
vorzuziehen.  Schon  die  Art  der  Vertheilung  von  Licht  und  Dunkel 
in  den  Phologrammen,  die  den  Helligkeitsunterschieden  der  ver¬ 
schiedenen  Partien  im  mikroskopischen  Bilde  vielfach  durchaus 
nicht  entspricht,  müssen  dem  Anfänger  das  Verständniss  der  ersteren 
wesentlich  erschweren.  Das  Zusammenflüssen  dichter  gelagerter 
Kerne,  das  Verschwinden  der  Zellgrenzen  und  des  Unterschiedes 
zwischen  Protoplasma  und  hellem  Grund  bei  Photogrammen 
schwacher  Vergrösserungen  und  manches  Andere  ergeben  Uebel- 
stände,  welche  die  Ansicht  nicht  unberechtigt  erscheinen  lassen,  dass 
der  heutige  Stand  der  mikrophotographischen  Technik  noch  nicht 
gestattet,  die  bisher  gebräuchlichen  Reproductionen  von  Zeichnungen 
als  Illustrationsverfahren  über  Bord  zu  werfen,  mindestens  nicht 
für  »allgemein  zugängliche  Lehrbücher«. 

Wirklich  tadellose  Mikro-Photogramme  sind  bisher  eigentlich 
nur  von  Deckglastrockenpräparaten  (Blut,  Bacterien  etc.)  hergestellt 
worden.  Bei  aller  Anerkennung  des  documentarischen  Werthes 
mikro-photographischer  Reproductionen  muss  ihre  Nutzbarmachung 


als  Lehrmittel  im  grossen  Ganzen  doch  einer  erst  zu  gewärligenden 
technischen  Vervollkommnung  überlassen  werden. 

Dr.  Oskar  S  t  o  e  r  k. 


Anleitung  zur  Diagnose  und  Therapie  der  Kehlkopf-, 
Nasen-  und  Ohrenkrankheiten. 

Von  ])r.  Richard  Kayser  in  Breslau. 

Vorlesungen,  gehalten  in  Fort.bildungscursen  für  praktische  Aerzte. 

Mit  121  Abbildungen. 

Berlin  1900,  S.  Karge  r. 

Das  vorliegende  Buch  gibt  in  gedrängter  Form  unter  Hervor¬ 
hebung  des  Wichtigsten,  für  die  allgemeine  Praxis  Unentbehrlichen 
einen  Ueberblick  über  das  ganze  Gebiet  der  Laryngo-,  Rhino-  und 
Otologie.  Es  tritt  diese  Anleitung  nicht  in  Concurrenz  mit  den 
zahlreichen  Lehrbüchern  der  Krankheiten  der  betreffenden  Organe, 
und  doch  ist  eine  grosse  Menge  Wissenswerthes,  wenn  auch  oft 
in  Telegrammstyl  auf  engem  Raum  enthalten.  Einer  Vereinigung  der 
zwei  Specialitäten  —  Nasen-  und  Ohrenkrankheiten  —  ist  ent¬ 
schieden  das  Wort  zu  sprechen,  da  dieselben  untrennbar  zusammen 
gehören.  Nicht  so  die  Laryngologie,  gegen  deren  Vereinigung 
mit  der  Otiatrie  sich  in  letzter  Zeit  die  meisten  otiatrischen 
und  laryngologischen  Gesellschaften  ausgesprochen.  (Referent.) 
Verfasser  sucht  diese  Vereinigung,  die  zum  ersten  Male  in 
Deutschland  in  einem  Buche  erfolgt,  damit  zu  rechtfertigen,  dass 
auch  bei  der  Laryngoskopie  eine  ähnliche  und  eigenartige  Höhlen¬ 
beleuchtung  und  Höhlenarbeit  eine  hervorragende  Rolle  spiele,  dass 
die  Untersuchung  mit  dem  Reflector,  und  die  Notliwendigkeit,  in 
verhältnissmässig  engen  Höhlen  unter  Beleuchtung  zu  operiren, 
einen  wesentlichen  Theil  dieser  drei  Specialitäten  bilde,  wodurch 
sie  enger  mit  einander  Zusammenhängen  und  in  technischer  Ver- 
wandtschaft  stehen.  Es  werden  das  normale  Kehlkopfbild,  die  acuten 
und  chronischen  Kehlkopfentzündungen,  die  Geschwüre  des  Kehl¬ 
kopfes,  die  Geschwülste  desselben,  die  Stimmbandlähmungen  und 
deren  Therapie  behandelt.  Als  besonders  klar  und  verständlich  ist 
die  schematische  Skizze  zur  Darstellung  des  Bewegungsmechanismus 
der  Stimmbänder  hervorzuheben.  Leider  ist  bei  der  Therapie  der 
hypertrophischen  Rhinitis  zur  Entfernung  oder  Verkleinerung  des 
hypertrophischen  Gewebes  in  erster  Reihe  die  Galvanokaustik  als 
heutzutage  bequem  auszuführen  empfohlen,  trotzdem  gleich  später 
die  schädlichen  Folgen  derselben  hervorgehoben  werden.  Den 
grössten  Rahmen  nimmt  der  otiatrische  Theil  in  Anspruch,  der 
auch  mit  besonderer  Liebe  ganz  mustergültig  und  ausgezeichnet 
unter  Benützung  der  allerneuesten  Forschungen  abgefasst  ist.  Etwas 
störend  bei  der  Lecture  wirken  die  zahlreichen  Druckfehler,  so 
z.  B.  pag.  70:  Maske  statt  Muschel,  die  unzähligen  Verwechslungen 
des  s  und  r,  die  im  Druckfehlerverzeichniss  gar  nicht  enthalten 
sind;  beginnt  ja  dieses  selbst  gleich  mit  der  Zeile:  Lies:  statt 
Anyknorpel  —  Adyknorpel,  soll  wohl  heissen:  Aryknorpel.  (Referent.) 

* 

Die  Prophylaxe  in  der  Ohrenheilkunde. 

Von  Dr.  Albert  Bing.  Privatdocent  für  Ohrenheilkunde  an  der  Uni 

versität  Wien. 

Aus:  Nobiling-Jankau,  Handbuch  der  Prophylaxe.  Abtheilung  VIII. 
München  1 900,  Seitz  &  Schauer. 

Es  werden  in  den  Bereich  dieser  Besprechung  nur  jene  Krank¬ 
heiten  einbezogen,  deren  Ursachen,  respective  veranlassenden  oder 
befördernden  Momente  erforscht  oder  aus  der  Erfahrung  bekannt 
sind.  Im  Allgemeinen  dürfte  es  am  besten  sein,  das  Ohr  möglichst 
in  Ruhe  zu  lassen  und,  sobald  irgend  Abnormes  an  demselben 
wahrgenommen  wird,  den  Ohrenarzt  zu  Rathe  zu  ziehen.  Mit  vollem 
Rechte  wettert  der  Verfasser  gegen  die  Macht  der  Mode  und  der 
Eitelkeit  bei  dem  Frauengeschlechte,  gegen  den  noch  aus  den  Zeiten 
der  Barbarei  stammenden  Brauch,  die  Ohrläppchen  der  Mädchen 
behufs  Einführung  von  Ringen  zu  durchstechen,  da  die  Folge- 
zustiinde  desselben  ausser  Infection,  Ekzeme,  Ulcera,  Ausreissen  des 
Stichcanales,  Keloide,  Fibrome,  tuberculöse  Geschwüre,  Gangrän 
der  Ohrmuschel  und  Tod  sein  können.  Dass  Herr  Docent  Bing 
bei  seiner  Behandlung  der  Otitis  media  suppurativa  acuta  selbst 
in  schweren  Fällen  aus  seiner  23jährigen  Praxis  nur  zwei  Patienten 
halte,  bei  denen  die  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  vorgenommen 
werden  musste,  und  auch  bei  diesen  nur  aus  dem  Grunde,  weil 
sie  sich  nicht  entsprechend  seinen  Anordnungen  verhalten  haben, 
ist  jedenfalls  ein  bewundernswerthes  und  neidenswerthes  Resultat. 

* 


Nr.  48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1113 


Die  Entstehung  und  Ursachen  der  Taubstummheit. 

Von  Dr.  Fritz  Danziger  in  Beuthen  i.  S 

Mit  22  Figuren  im  Text  und  IS  Abbildungen  auf  drei  Tafeln. 

Frankfurt  a.  M.  1S00,  Johannes  Alt. 

Gestützt  auf  die  Untersuchungen  Virchow’s  über  die  Ent¬ 
wicklung  des  Schädelgrundes  im  gesunden  und  kranken  Zustande 
und  über  den  Einfluss  derselben  auf  Schädelform,  Gesichtsbildung 
und  Gehirnbau  kommt  Verfasser  auf  Grund  eingehendster,  genau¬ 
ester,  mit  grossem  Fleisse  ausgeführter  Schädelmessungen  bei  der 
Auseinandersetzung  der  pathologisch-anatomischen  Veränderungen, 
bei  der  angeborenen  Taubstummheit  zu  dem  Ergebnisse,  dass  die 
Veränderung  des  Schädelbaues  hei  Taubstummen  sich  im  Grossen 
und  Ganzen  auf  die  Schädelbasis  beschränkte.  Diese  habe  sich  der¬ 
art  geändert,  dass  der  Längsdurchmesser  im  Verhältniss  zum 
Breitendurchmesser  kürzer  geworden  sei.  Der  Autor  wirft  dem 
Specialismus  der  Ohrenheilkunde  vor,  derselbe  hätte  krampfhaft 
den  Gedanken  festgehalten,  dass  die  Gehörfunction  allein  von  dem 
schallpercipirenden  Apparate  des  Ohres  abhänge,  und  dass  ihr  Aus¬ 
fall  nur  durch  das  Fehlen  oder  Erkranktsein  des  Nerven  oder  seiner 
Endausbreitung  bedingt  sein  könne.  Bei  einer  solchen  Auffassung 
konnte  eine  Erklärung  für  die  Thatsache  nicht  gefunden  werden, 
dass  sich  bei  Seclionen  der  Gehörorgane  Taubgeborener  eine  voll¬ 
ständige  Intactheit  des  schallpercipirenden  Apparates  ergab,  und 
dass  sich  die  Anomalie  auf  eine  Verbildung  von  Theilen  erstreckte, 
welche  für  die  Function  des  Hörens  angeblich  von  gar  keiner  Be¬ 
deutung  seien.  Bei  einem  so  ausserordentlich  schwierigem  Thema 
hätte  der  Verfasser  wohl  seinem  Leser  Ruhepunkte  durch  Ueber- 
schriften  der  einzelnen  Abschnitte  gewähren  sollen.  Weiters  fehlen 
die  sonst  üblichen  näheren  Angaben  der  Bedeutung  der  einzelnen 
Buchstaben  in  den  Illustrationen,  welcher  Umstand  die  Lecture  dieser 
übrigens  ebenso  geistreichen  als  hervorragenden  Arbeit  äusserst 
erschwert. 

Endlich  kann  ich  dem  mit  so  ausserordentlichem  Gedanken¬ 
reichthum  erfüllten  Autor  den  Vorwurf  der  Abschweifung  von  der 
sich  gestellten  Aufgabe  durch  äusserst  scharfe  Polemik  nicht  er- 
sparen,  wodurch  er  seinem  Motto:  »Nur  im  Zusammenhänge  mit 
dem  Allgemeinen  gewinnt  das  Besondere  seine  volle  Bedeutung«, 
untreu  wurde. 

* 

Das  Hörvermögen  der  Taubstummen  für  Aerzte  und 

Taubstummenlehrer. 

Von  Dr.  Friedrich  Bezold,  Professor  der  Ohrenheilkunde  an  der  Universität 

München. 

Nachträge.  2.  Heft. 

Mit  neun  Tafeln. 

Wiesbaden  1 9l)0,  J.  F.  Bergmann. 

Dieser  mit  minutiösestem  Bienenfleisse  verfasste  statistische 
Bericht  über  die  Untersuchungsergebnisse  einer  zweiten  Serie  von 
Taubstummen  enthält  in  seinem  ersten  Capitel  (über  die  Thätigkeit 
des  Ohrenarztes  in  den  Taubstummenanstalten)  die  dringende  Auf¬ 
forderung  einer  fortlaufenden  Conlrole  von  ohrenärztlicher  Seite  des 
Gehörorganes  der  taubstummen  Kinder,  abgesehen  von  den  noch 
vorhandenen  Gehörsresten,  vor  Allem  wegen  der  von  allen  Unter¬ 
suchern  constatirten  fortspielenden  Eiterungsprocesse  im  Gehörorgan, 
welche  bei  den  taubstummen  Kindern  in  bedeutend  grösserer  Procent¬ 
zahl  zu  •  finden  sind,  als  sie  bei  den  Schuluntersuchungen  von 
hörenden  Kindern  sich  ergeben  hatten.  An  einzelnen  deutschen 
Taubstummenanstalten  ist  die  ständige  Ueberwachung  des  Gehör¬ 
organes  bereits  in  die  Hände  von  Vertretern  der  Ohrenheilkunde 
gelegt.  In  dem  zweiten  Capitel  über  Hörprüfung  spricht  sich 
Bezold  dahin  aus,  dass  Urban  tschitsch  das  Verdienst 
gebühre,  die  von  ihm  mittelst  seiner  Harmonika  und  Sprachprüfung 
aufgedeckten  zahlreichen  Gehörreste  bei  Taubstummen  zuerst  an 
einer  grösseren  Zahl  von  Zöglingen  systematisch  nach  der  von  ihm 
ausgebildeten  Methode  für  den  Unterricht  verwerthet  zu  haben. 
Bezold  verwendete  bei  seinen  neueren  Untersuchungen  eine  Ton¬ 
reihe,  deren  einzelne  Töne  grösstentheils  bedeutend  stärker  waren, 
ais  in  der  für  seine  ersten  Untersuchungen  verwendeten  Tonreihe. 
Eine  bedeutende  Zahl  von  Zöglingen  mit  grösseren  Hörresten, 
welche  bei  der  Prüfung  mit  der  Sprache  allein  unbeachtet  geblieben 
war,  spreche  dafür,  dass  eine  regelmässige  Wiederholung  der  Unter¬ 
suchung  mittelst  der  continuirlichen  Tonreihe  durch  speciell  auf 
diese  Untersuchung  geschulte  Ohrenärzte  als  eine  Forderung  be¬ 
zeichnet  werden  darf,  welche  in  Zukunft  allgemein  durchzuführen 


sei,  wenn  nicht  ein  grosser  Theil  von  noch  vorhandenen  Hörresten 
für  den  Unterricht  unbenillzt  bleiben  und  für  die  Erlernung  der 
Sprache  verloren  gehen  soll.  Die  Beobachtung,  dass  Taubstumme 
noch  Töne  hören,  wenn  auch  scheinbar  ihr  Gehör  für  die  Sprache 
vollständig  verloren  ist,  hat  bereits  Urbantschitsch  in  ein¬ 
gehender  Weise  beschrieben.  Seine  Resultate  mit  der  Harmonika 
sind  gegenüber  der  continuirlichen  Tonreihe  B  e  z  o  I  d's  statistisch 
günstigere,  da  die  Harmonika  stärkere  Töne  wie  die  Stimmgabeln 
hervorzubringen  im  Stande  ist,  und  die  Unterstützung  der  Hör¬ 
übungen  mit  Hilfe  der  Harmonika  ergibt  bessere  Erfolge,  da  diese 
Töne  der  menschlichen  Sprache  am  nächsten  kommen  (Referent). 
Wenn  Urbantschitsch  weiter  der  Vorwurf  gemacht  wird,  dass 
er,  wo  nicht  gleich  gehört  wird,  die  stärksten  Harmonikatöne 
30 — GO  Secunden  lang  entweder  dauernd  oder  stossweise  auf  das 
Ohr  einwirken  lasse,  bis  eine  schwache  Hörspur  erscheine,  so 
geschieht  dies,  weil  es  sich  in  den  meisten  dieser  Fälle  nicht  um 
vollständige  Taubheit,  sondern  nur  um  eine  schwere  Gehörserreg¬ 
barkeit  handle.  Bezold  gesteht  unumwunden  die  grossen  Ver¬ 
dienste  ein,  welche  sich  Urbantschitsch  um  die  praktische 
Einführung  der  Hörübungen  in  Taubstummenanstalten  erworben 
hat.  Er  selbst  habe  nie  an  den  Erfolgen  gezweifelt,  welche  U  r- 
bantschitsch  und  die  Lehrer  in  den  Wiener  Taubstummen¬ 
anstalten  erzielt  haben.  Der  von  U r  b  a  n  t  s  c hi  t  s  c h  in  Wien  ein¬ 
geführte  Unterricht  selbst  komme  also  jedenfalls  dem  in  der  Mün¬ 
chener  Taubstummenanstalt  geübten  sehr  nahe  und  erreiche  sicher 
ähnliche  Resultate,  wie  Bezold  sie  in  München  in  den  letzten 
Jahren  verfolgen  konnte.  Diese  Erfolge  sind  Urbantschitsch 
als  die  Frucht  seiner  langjährigen  unermüdlichen  Beschäftigung  mit 
den  Zöglingen  der  Wiener  Taubstummenanstalten  wohl  zu  gönnen. 

Das  eine  Moment  möchte  ich  noch  besonders  hervorheben, 
dass  Bezold  bereits  Verbesserungen  seiner  Stimmgabeln  bedurfte, 
während  Urbantschitsch  mit  seiner  Harmonika  sehr  zufrieden 
ist.  Als  Ursache  bestimmter  Toninseln  bekennt  Bezold  selbst  die 
zu  schwache  Intensität  seiner  früher  benützten  Tonreihe  ein.  Auch 
Urbantschitsch  fand  Toninseln  und  Lücken  in  ähnlicher 
Weise  wie  Bezold,  nur  Hessen  sich  diese  zum  Theile  durch 
längere  Einwirkung  der  starken  Harmonikatöne  ausgleichen  und  zum 
Verschwinden  bringen.  Weiters  schreibt  Bezold:  »Oefters  schien 
im  Anfänge  eine  grosse  Zahl  von  Lücken  vorhanden  zu  sein, 
welche  sich  aber  bei  wiederholter  Prüfung  mit  stärksten  Tönen 
als  Täuschung  erwiesen«,  welche  Beobachtung  Urbantschitsch 
ja  schon  längst  beschrieb.  Mit  Freude  auf  jeden  Fall  ist  die  Mit¬ 
theilung  der  verehrten  Verlagshandlung  zu  begriissen,  dass  die 
B  e  z  o  1  d’sche  continuirliche  Tonreihe  vom  kaiserlichen  Gesundheits¬ 
amte  für  eine  von  demselben  in  Aussicht  genommene  Statistik  der 
schulpflichtigen  Taubstummen  als  Grundlage  angenommen  wurde. 
Zu  weit  geht  aber  entschieden  der  oben  referirte  Autor  Danziger, 
wenn  er  behauptet,  Bez  old’s  continuirliche  Tonreihe  sei  sicher 
berufen,  in  der  Otiatrie  eine  ähnliche  Rolle  zu  spielen,  wie  der 
Augenspiegel  in  der  Ophthalmologie.  Als  wichtigste  Forderung  aber, 
die  immer  unabweisbarer  hervortrete,  je  länger  man  sich  mit  dem 
Gehör  der  Taubstummen  beschäftige,  müsse  nach  des  Autors  Worten 
bezeichnet  werden:  eine  vollständige  Trennung  der  Zöglinge,  welche 
begründete  Aussicht  auf  einen  erfolgreichen  Unterricht  vom  Ohr 
aus  geben,  und  derjenigen,  welche  auf  Grund  ihrer  geringen  Hör¬ 
reste,  respective  ihrer  absoluten  Taubheit,  einen  solchen  von  vorn¬ 
herein  ausschliessen  lassen,  in  zwei  verschiedene  und  von  einander 
vollkommen  getrennte  Anstalten. 

* 

Ursachen  und  Folgen  der  Erkrankungen  des  Warzen- 
theiles  und  ihre  Behandlung. 

Von  Dr.  Max  Hagedorn  in  Hamburg. 

Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Nasen-,  Ohren-, 
Mund-  und  Halskrankheiten.  Ilerausgegegen  von  Dr.  Maximilian 

Bresgen  in  Wiesbaden. 

Band  HI,  Heft  12. 

Halle  a.  S.  1900,  Marhold. 

Eine  Arbeit,  welche  eigentlich  dem  Titel  »Sammlung  zwang¬ 
loser  Abhandlungen  in  Rücksicht  auf  allgemein-ärztliche  Gesichts¬ 
punkte«  nicht  entspricht,  da  sie  nur  für  Specialisten  geschrieben  ist 
und  diesen  nichts  Neues  bietet.  Es  werden  zunächst  die  Entzün¬ 
dungen,  verursacht  durch  die  gewöhnlichen  Spaltpilze,  beschrieben. 
Und  zwar:  1.  die  primären  Entzündungen  der  YVeichtheile  (Peri- 


1114 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


ostilis  ex  causa  exlerna)  nach  Körner,  2.  die  acuten  Entzün¬ 
dungen  der  Warzenlheilzellen,  3.  die  chronisch-eiterigen  Erkran¬ 
kungen  des  Warzentheiles,  4.  (im  Buche  nochmals  3.)  das  Chole¬ 
steatom  des  Schläfebeines  mit  seinen  Erscheinungsformen  als  wahres 
Cholesteatom  im  Sinne  Virchow’s,  als  Pseudocholesteatom  und 
als  Keratitis  oblurans,  5.  (4.)  die  durch  Tuberkulose  verursachten 
Erkrankungen  des  Warzentheiles,  und  G.  (5.)  die  Syphilis  des 
Warzentheiles.  Dr.  Arthur  Singer. 


De  hyperalgetischen  Zonen  van  Head. 

Von  Gabriel  Hermann  Moll  van  Charante. 

Leiden  1 900,  E  d  u  a  r  d  V  j  d  o. 

Eingangs  der  Arbeit  erfahren  wir  unter  Anderem,  dass  schon 
Valsava  Haulhyperästhesie  bei  Pneumonie  beobachtet  hat.  Eine 
eingehende  Bearbeitung  der  Localisation  der  Ilauthyperäslhesie  bei 
Erkrankungen  der  Viscera  erfolgte  durch  Ross,  und  namentlich 
durch  Henry  Head  im  Jahre  1 892.  II  e  a  d  glaubte  für  jedes 
erkrankte  Organ  eine  entsprechende,  ganz  genau  localisirte  Zone 
der  Hauthyperästhesie  gefunden  zu  haben,  z.  B.  für  Erkrankungen 
der  Cardin  des  Magens  das  siebente  Dorsalsegment,  für  den  Pylorus 
das  neunte  Dorsalsegment.  Die  einzelnen  hyperästhetischen  Zonen 
laufen  nach  Head  in  Gürtelform  von  der  Wirbelsäule  bis  zum 
Sternum.  Aber  auch  etwas  gewagte  Hypothesen  stellt  Head  auf; 
so  ist  nach  ihm  bei  Aorteninsufficienz  nur  so  lange  Hauthyper- 
äslhesio  vorhanden,  als  der  Spitzenstoss  rein  und  am  linken  Angulus 
scapulae  kein  Geräusch  zu  hören  ist.  Bei  Mitralinsufficienz  soll  die 
Hyperalgesie  fehlen,  so  lange  der  erste  Ton  nicht  zu  hören  ist, 
sondern  nur  ein  Geräusch.  Moll  hat  nun  bei  21  Erkrankungsfällen 
(darunter  vier  Herpes  Zoster,  fünf  Cholelithiasis,  Ulcus  venlriculi,  Icte¬ 
rus  eatarrhalis,  Myodegeneratio  cordis,  Pericarditis  externa,  Mitral¬ 
insufficienz,  Anaemia  perniciosa,  Otitis  sinistra,  Cystoma  ovarii, 
Perityphlitis,  croupöse  Pneumonie)  die  hyperalgetischen  Hautbezirke 
genau  bestimmt  (durch  Erheben  von  Hautfalten  und  durch  Be¬ 
rührung  mit  dem  Stecknadelkopfe).  So  fand  er,  dass  bei  Erkrankung 
eines  bestimmten  Organes  die  Hauthyperästhesie  nicht  immer  den¬ 
selben  Bezirk  einnimmt,  und  dass  die  hyperästhetische  Zone  im 
Verlauf  der  Erkrankung  Form  und  Sitz  ändern  kann.  Während 
nach  Head  Hauthyperästhesien  bei  Männern  und  Frauen  gleich 
häufig  sich  finden,  fand  Moll,  dass  dieselben  weit  häufiger  bei 
Frauen  sich  entwickeln.  Head  hatte  seine  bestimmt  umgrenzten 
Zonen  der  Hyperästhesie  nach  dem  Vorkommen  von  Herpes  Zoster 
festgestellt;  da  er  ferner  annahm,  dass  das  Ausbreitungsgebiet  vom 
Herpes  Zoster  Zusammenfalle  mit  dem  Ausbreitungsgebiete  der 
hinteren  Wurzeln,  weil  der  Zoster  stets  hervorgerufen  sei  durch 
primäre  Erkrankung  der  Intervertebralganglien,  so  sollten  auch  seine 
hyperästhetischen  Zonen  mit  dem  Ausbreitungsgebiete  der  hinteren 
Wurzeln  zusammenfallen.  Moll  weist  aber  an  der  Hand  der 
Literatur  und  Casuistik  nach,  dass  die  Ausbreitung  des  Herpes 
Zoster  keineswegs  zur  Feststellung  des  Ausbreitungsgebietes  einer 
hinteren  Wurzel  verwerthet  werden  kann;  ebenso  lässt  sich  letzteres 
nicht  bestimmen  aus  der  Ausbreitung  der  Anästhesie  nach  Rücken¬ 
marksläsionen.  Nur  durch  directe  Verfolgung  der  von  einer  hinteren 
Wurzel  ausgehenden  Nervenzweige  lässt  sich  das  Gebiet  der  be- 
treffenden  Wurzel  feststellen.  Moll  konnte  bei  seinen  Unter¬ 
suchungen  nicht  nur  keine  Uebereinstimmung  seiner  hyperalgetischen 
Zonen  mit  den  von  Head  angegebenen  finden,  sondern  oft  kreuzen 
sich  Moll's  hyperäslhelische  Zonen  mit  den  von  Head  schema- 
tisirten  Zonen.  Obwohl  Moll  angibt,  dass  Visceralerkrankungen 
sehr  oft  ohne  jede  Hauthyperästhesie  verlaufen,  so  hält  er  letztere 
dort,  wo  sie  vorkommt,  doch  für  ein  essentielles  Symptom  der 
Visceralerkrankung,  nicht  für  eine  Suggestion  des  Kranken  oder 
Arztes.  Diese  Meinung  begründet  Moll  einerseits  mit  seiner  Wahr¬ 
nehmung,  dass  er  die  hyperästhetischen  Zonen  oft  tagelang  von 
genau  gleichbleibender  Grösse  fand,  andererseits  damit,  dass  sich 
ott  —  wenn  auch  keineswegs  immer  —  bei  Erkrankung  eines  be¬ 
stimmten  Organs  annähernd  derselbe  I  lautbezirk  bei  verschiedenen 
Kranken  hyperästhetisch  erwies.  Da  Moll  die  Theorie  Head’s 
widerlegt  hat,  so  fordert  er  auf,  in  Hinkunft  stets  bei  Angabe  von 
Schmerz  bei  Organerkrankungen  die  hyperalgetischen  Hautzonen 
genau  zu  bestimmen,  um  dadurch  zu  einer  richtigen  Auffassung 
der  zu  Grunde  liegenden  Vorgänge  zu  gelangen.  Moll  nimmt  an, 
dass  sogar  jetzt  schon  die  Localisation  der  Hauthyperästhesie  bei 
einer  inneren  Erkrankung  gelegentlich  für  die  Diagnose  der  letzteren 


verwerthet  werden  kann.  Moll  hat  seine  gründlichen  und  inter¬ 
essanten  Untersuchungen  an  Wiener  Kliniken  (Nothnagel, 
Gussenbauer,  Pollitzer)  angestel  It.  Dr.  R  u  d  o  1  f  B  e  c  k. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

490.  Zur  Therapie  der  Chorea.  Von  Prof.  Bech¬ 
terew.  In  neuerer  Zeit  hat  Com  by  die  Behandlung  der  Chorea 
mit  grossen  Arsendosen  vorgeschlagen,  ein  Verfahren,  welches,  wie 
die  Erfahrung  gelehrt  hat,  doch  nicht  ganz  ungefährlich  ist.  Der 
therapeutische  Werth  des  Arsens  bei  Chorea  beruht  auf  der 
reflexherabselzenden  Wirkung  dieses  Mittels.  Bechterew  ver¬ 
ordnet  bei  Chorea  Arsen  in  allmäliger  Steigerung  bis  zu  grossen, 
aber  ungefährlichen  Dosen,  deren  Darreichung  sich  über  eine  aus¬ 
reichend  lange  Zeitdauer  zu  erstrecken  hat,  und  daneben  Bromkali 
oder  Bromnatron  mit  Antipvrin;  wo  Complicationen  von  Seiten  der 
Ilerzthätigkeit  hinzutreten,  gelangen  salicylsaures  Natron  und  die 
verschiedenen  Herzmittel  zur  Anwendung.  Nicht  ohne  Nutzen  er¬ 
weisen  sich  bei  Chorea  gleichzeitig  beruhigende  hydrotherapeutische 
Massnahmen,  wie  lauwarme  Bäder  von  28°  R.  und  viertel- 
bis  halbstündiger  Dauer.  Selbstverständlich  wird  nach  Möglich¬ 
keit  für  völlige  geistige  Ruhe  und  viel  Aufenthalt  in  frischer  Luft 
Sorge  getragen,  während  in  schweren  Fällen  Bettruhe  anzuempfehlen 
ist.  Im  Besonderen  war  die  Behandlung  eines  sehr  schweren  Falles 
von  Chorea,  der  ein  zehnjähriges  Mädchen  betraf,  das  in  Folge 
seines  Zustandes  nicht  gehen,  nicht  die  Hände  gebrauchen,  nicht 
einmal  sprechen  konnte,  folgende:  Anfangs  Februar  wurde  ordinirt: 
Sol.  arsen.  Fowl.  40 — 16‘0,  dreimal  täglich  10 — 10  Tropfen 
während  der  Mahlzeiten.  Infus,  adonid.  vernal.  2‘5  : 180  0.  Kal. 
brom.,  Nalr.  brom.  aa.  4'5,  Antipyrin  2  5,  Syr.  sacch.  16  0,  täglich 
drei  bis  vier  Esslöffel,  nach  einer  Woche  sechsmal  täglich  ein 
Esslöffel.  Fortsetzung  der  Cur,  Steigerung  der  Arsendarreichung 
bis  dreimal  24  Tropfen  täglich.  Wegen  Endocarditis  Zusatz  von 
Natr.  salicyl.  zu  02  viermal  täglich.  Vollständige  Heilung  in  zwei 
Wochen.  —  (Centralblatt  für  Nervenheilkunde  und  Psychiatrie. 
August  1900.) 

* 

491.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  v.  Jak  sch  in  Prag.)  Ein 
weiterer  Beitrag  zur  Klinik  und  Therapie  des 
Tetanus.  Von  Dr.  Kraus.  Es  handelt  sich  um  den  Bericht 
über  zwei  in  Heil  u  n  g  übergegangene  Fälle  von  puerperalem 
Tetanus,  dessen  Prognose  bekanntlich  eine  sehr  schlechte  ist;  die 
Statistik  berechnet  ja  für  den  im  Wochenbette  auftretenden  Starr¬ 
krampf  eine  Mortalität  von  nahezu  100%.  Von  subcutanen  In- 
jectionen  von  Tetanusantitoxin  war  abgesehen  worden,  da  sich 
dieselben  bis  jetzt  an  der  Klinik  als  völlig  nutzlos  erwiesen  haben. 
Im  Verlaufe  des  ersten  Tetanusfalles  war  eine  croupöse  Pneumonie 
aufgetreten,  mit  deren  Entwicklung  die  Tetanuserscheinungen 
zurücktralen  und  schliesslich  ganz  schwanden.  Es  erhebt  sich 
natürlich  hier  bei  der  Seltenheit  der  Heilung  eines  puerperalen 
Tetanus  die  Frage,  ob  vielleicht  die  eine  Krankheit  durch  die 
andere  beeinflusst  worden  sei.  ln  einem  zweiten  Falle  waren  nach 
ausgeführter  Lumbalpunction  1  g  Behring’s  Antitoxin  in 
1 0  cmA  steril  isirtem  Wasser  gelöst  in  den  R  ü  c  k  grat 's  canal 
direct  injicirt  worden.  Auch  Leyden  hat  bereits  einen  puerperalen 
Tetanus  nach  demselben  therapeutischen  Eingriff  in  Heilung 
übergehen  gesehen.  —  (Zeitschrift  für  Heilkunde.  1900,  lieft  5.) 

Pi. 

* 

492.  Ein  Fall  v  o  n  chirurgischer  Trennung 
zweier,  in  der  II  ö  he  des  Epigastriums  z  u  s  a  m  m  e  n- 
gewachsener,  acht  Jahre  alter  Mädchen  (M  o  n  s  t  r  e 
xiphopage).  Von  Chapot-Prevost.  Vortragender  stellt 
eines  derselben  in  der  Academie  de  Medicine  vor,  welches  er  vor 
vier  Monaten  von  der  Schwester  operativ  getrennt  hat.  Letztere 
starb  fünf  Tage  nach  der  Operation  an  Pleuropericarditis.  Di* 
andere  erfreut  sich  jetzt  vollkommener  Gesundheit.  Ausser  den 
beide  Kinder  verbindenden  Weichtheilen  und  Knochen  bestand  ein 
kleiner  Gang,  welcher  beide  Herzbeutelhöhlen  miteinander  vereinigte; 
ferner  eine  enorme  Brücke  von  Lebersubstanz  zwischen  beiden 
Lebern.  —  (La  Semaine  Medicale.  Nr.  42,  10.  October  1900.) 

Sp. 

* 


Nr.  48 


WEENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1115 


493.  S  e  1 1  e  n  e  G  o  m  p  1  i  c  a  t  i  o  n  beider  Tracheotomie. 
Von  Dr.  Thomas  (M. -Gladbach).  Die  Schilddrüse  wurde  nach 
oben  geschoben,  aber  der  tastende  Finger  fand  nirgends  eine 
Trachea.  Es  wurde  dann  der  Kehlkopf  gespalten,  wobei  die  Ein¬ 
führung  der  Can  ule  missglückte.  Bei  der  Section  ergab  sieb,  dass 
die  bei  der  Präparation  seitlich  herauspräparirten  Stränge,  die 
anfangs  für  die  Trachea  gehalten  worden  waren,  die  fibrös  ent¬ 
arteten  M.  slernöhyoidei  waren,  welche  den  Kehlkopf  fast  auf  das 
Jugulum  herabgezogen  batten.  Nach  deren  Durchschneidung 
schnellte  der  Kehlkopf  empor  und  die  Trachea  kam  zum  Vorschein. 
—  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  26.; 

v 

* 

494.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  des  Prof.  Baue  r  in 
München.)  Ueber  den  Nachweis  des  Gallenfarbstoffes 
im  Harne  von  H  erzk  r  anke  n.  Von  Dr.  Ü  1 1.  Eine  leicht 
gelbliche  Verfärbung  der  Haut,  besonders  des  Gesichtes  und  der 
Sklera  ist  eine  bei  schweren  Herzkranken  häufig  beobachtete  Er¬ 
scheinung;  über  die  Natur  dieses  Farbstoffes,  beziehungsweise  ob 
es  sich  dabei  um  einen  echten  Bilirubinikterus  handle,  darüber 
besteht  noch  keine  einheitliche  Auffassung,  ü  1 1  hat  bei  einer 
Pveihe  derartiger  Fälle  den  Harn  untersucht  und  zum  Theile  bei 
ihnen  mit  der  Huppert-Salkowski’sche  Pro  b  e,  nicht 
aber  mit  der  weniger  empfindlicheren  nach  Gmelin  Gallenfarb¬ 
stoff  nach  weisen  können.  Die  erste  Probe  wird,  wie  folgt,  angeslellt: 
Der  Harn  wird  mit  einigen  Tropfen  einer  kohlensauren  Natron¬ 
lösung  alkalisch  gemacht,  tropfenweise  mit  einer  Chlorcalciumlösung 
versetzt,  bis  die  über  dem  Niederschlag  stehende  Flüssigkeit  nach 
dem  Umschütteln  die  normale  Harnfärbung  zeigt.  Der  gelatinöse 
Niederschlag  wird  abfiltrirt,  ausgewaschen,  mit  Alkohol  übergossen 
und  schliesslich  durch  Salzsäure  gelöst.  Enthält  diese  Lösung 
Gallenfarbstoff  so  wird  sie  durch  Kochen  grün  bis  blau.  Setzt 
man  der  grünen  Lösung  Salpetersäure  zu,  so  färbt  sie  sich  blau, 
roth,  violett.  Bei  zwölf  auf  diese  Weise  untersuchten  Fällen  von 
Herzerkrankungen  war  die  Probe  immer  positiv,  in  zwei  fällen  mit 
gelbem  Colorit  und  acht  Herzfällen  ohne  gelbes  Colorit,  sowie  in 
vier  anderen  Krankheitsfällen  mit  gelbem  Colorit  negativ  aus¬ 
gefallen.  Es  stellte  sich  heraus,  dass  auch  unter  Anwendung  dieser 
verbesserten  Methode  der  Nachweis  des  Gallenfarbstoffes  im  Harne 
nicht  gelingt,  wenn  derselbe  viel  Eiweiss  oder  Blutfarbstoff  enthält, 
oder  wenn  Salol  verabreicht  worden  war.  —  (Münchener  medicinische 

Wochenschrift.  1900,  Nr.  27.)  Pi. 

* 

495.  (Societe  de  Biologie,  Paris.)  Ueber  Gyto-Dia- 
g  n  o  s  t  i  k  der  tuberculösen  Meningitis.  Von  Widal. 
In  der  durch  Lumbarpunction  entnommenen  Cerebrospinalflüssigkeit 
zeigen  sich  geformte  Elemente  bei  acuter  Meningitis,  welche  nach 
der  Natur  der  Infection  verschieden  sind.  Diese  Flüssigkeit  ist 
manchmal  leicht  getrübt,  manchmal  blutig,  oft  aber  von  der 
Klarheit  eines  normalen  Fluidiums.  Die  mikroskopische  Untersuchung 
des  durch  Centrifugation  erhaltenen  Sedimentes  wies  in  allen  Fällen 
eine  grosse  Menge  von  Lymphocyten,  ausnahmsweise  einige  poly- 
nucleäre  Zellen  nach.  Die  Lymphocytose  scheint  demnach  für  die 
tuberculöse  Meningitis  charakteristisch.  - —  (La  Semaine  Medicale. 

Nr.  43,  17.  October  1900.)  Sp. 

* 

496.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  in  Berlin.) 
Ueber  die  Gefahr  der  Ueb  ertrag  un  g  der  Tuber- 
culosc  durch  Milch  und  Milchproduc te.  Von  Doctor 
L.  R  abinowitsc  h.  Nach  B  o  1 1  i  n  g  e  r  ist  die  grosse  Aus¬ 
breitung  der  Kindertuberculosc,  namentlich  der  sich  zunächst  in 
den  Lymphdrüsen  localisirenden  Formen  theilweise  auf  Nahrungs- 
infection  durch  Genuss  von  infectiöser  Milch  zurückzuführen.  Von 
acht  Kindermilchsorten,  die  in  Berlin  zu  einem  erhöhten  Preise 
verkauft  werden,  konnten  bei  dreien,  die  von  tuberculin- 
geprüften  Kühen  stammten,  niemals  Tuberkelbacillen  nachge¬ 
wiesen  werden,  wohl  aber  bei  den  fünf  anderen.  Nebenbei  sei  erwähnt, 
dass  auch  manchmal  Streptococcen  in  nicht  unbedeutender  Menge 
gefunden  wurden.  Desgleichen  erwiesen  sich  Proben  von  Quark¬ 
käse,  sowie  von  Kefir  mit  Tuberkelbacillen  inficirt,  nicht  aber  das 
aus  pasteurisirter  Magermilch  hergestellte  Plasmon.  Weiters  wurde 
eine  künstliche  Butter,  das  »Sana«,  untersucht.  Sie  wird  aus  ge¬ 
schmolzenem  Rinderfett  und  Mandelmilch  hergeslellt.  ln  beiden 
Proben  fanden  sich  Tuberkelbacillen.  Es  ist  eben  zu  bedenken, 


dass  die  in  dem  Fette  eingeschlossenen  Lymphdrüsen  nicht  selten 
tuberculös  erkrankt  sind.  Daraus  geht  hervor,  dass  wenigstens  jene 
Thiero,  von  denen  die  Milchproducte  für  Kinder  und  Kranke 
benützt  werden,  auf  die  Tuberculinreaction  hin  untersucht  werden 
sollen.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  26.) 

* 

497.  Ein  Fall  von  Situs  viscemm  inversus 
completus,  verbunden  mit  Aneurysma  a  o  r  t  a  e 
dissecans.  Von  Dr.  Barbo  (Pforzheim).  Der  Fall  betraf  eine 
74jährige,  an  Dementia  senilis  leidende  Frau,  die  drei  Tage  vor 
ihrem  Tode  im  Zimmer  zu  Fall  gekommen  war.  Die  Section  stellte 
eine  vollständige  Vertauschung  der  Seile  aller  Gebilde  der  Brust 
und  Bauchhöhle  dar;  die  Cardia  lag  rechts,  der  Pylorus  links  von 
der  Wirbelsäule,  das  Cöcum  auf  der  linken  Seite.  Die  Intima  der 
Aorta  war  von  deren  Ursprung  bis  über  die  Theilung  derselben 
in  die  beiden  lliacae  vom  Blute  abgehoben  worden.  Allem  An¬ 
scheine  nach  war  bei  dem  Falle  die  alheromatöse  Intima  und 
Media  am  Ursprünge  der  Aorta  gerissen  und  die  Adventitia  dann 
allmälig  im  genannten  Umfange  abgelöst  worden;  schliesslich  war 
auch  die  Adventia  am  Bulbus  aortae  gerissen,  wodurch  es  zu 
einem  rasch  tödtenden  Bluterguss  in  den  Herzbeutel  gekommen 
war.  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  26.)  Pi. 

* 

498.  Ueber  Oxyuria  s  i  s  c  u  l  a  n  e  a.  Von  Barbagollo. 
Verfasser  berichtet  über  einen  seltenen  Fall  von  Auswanderung 
von  Fadenwürmern  in  die  benachbarte  Haut  und  Ansiedlung  in 
derselben.  In  der  Literatur  sind  bis  jetzt  drei  Fälle  beschrieben 
worden:  Der  erste  Fall  betraf  eine  Frau,  bei  welcher  der  Parasit 
eine  heftige  Hautentzündung,  unerträgliches  Brennen,  Intertrigo  mit 
Fieber  hervorgerufen  hatte.  Erst  das  Auftreten  von  Oxyuris 
verinieularis  aus  dem  Anus  lenkte  die  Aufmerksamkeit  aut  die 
Ursache  der  Dermatitis,  welche  sammt  den  zahllosen  Parasiten  durch 
Leberthranklysliere  vollends  verschwand.  Dieselben  Symptome 
waren  bei  einem  13jährigen  Knaben  mit  Pruritus  scroti,  Intertrigo  der 
Genitocruralfalte,  in  der  Ausdehnung  von  Eczema  marginatum  ver¬ 
schieden.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab  Eier  von  Oxyuris 
vermicularis  in  verschiedenen  Entwicklungsstufen  bis  zum  fertigen 
Parasiten,  welcher  sich  bis  zur  Leistenfalte  verbreitete.  Die  Heilung 
erfolgte  durch  Bäder  und  Salicylsäure-Amyluin-Besläubungen.  Der 
dritte  Fall  (beobachtet  von  Prof.  M  a  j  o  ch  i)  betraf  einen  38jährigen 
Mann,  der  mit  Unterbrechungen  seit  Jahren  an  Pruritus  und 
Dermatitis  der  benachbarten  Theile  litt,  welche  Zustände  sich  mit 
dem  Wiedererscheinen  von  Oxyuris  vermicularis  verschlimmerten, 
die  zwischen  den  Schenkeln  herabliefen  und  heftige  Beschwerden 
verursachten.  Die  Ehefrau  des  Kranken  blieb  trotz  des  Zusammen¬ 
schlafens  vom  Parasiten  verschont.  Bei  der  Aufnahme  in  die 
Klinik  reichte  die  Entzündung  vom  Hypogastrium  bis  zum  Anus, 
und  war  die  Haut  macerirt,  exeoriirt,  von  Rhagaden  am  Scrotum 
durchzogen.  Rings  um  den  Anus,  zwischen  den  Falten  der  Anal- 
Schleimhaut,  längs  dem  Perineum  und  in  der  Cruralgegend  vagirten 
die  Würmer.  Unter  dem  Mikroskope  zeigten  sich  nebst  den 
bedeutenden  Hautläsionen  Eier  und  Embryonen  von  Oxyuris 
vermicularis.  Die  Behandlung  bestand  in  Klystieren  und  Waschungen 
mit  Dec.  tannaceti  und  Santonin,  Zusatz  einiger  Tropfen  Terpentin 
oder  ,/o%iger  Salicylsäurelösung.  Schliesslich  W  i  1  s  o  n  sehe  Salbe, 
durch  2%  Kalomel  modificirt.  Bei  der  Oxyuriasis  cutanea  ist  das 
Stadium  der  Emigration  und  der  Acclimatisation  (Ablagerung  des 
Parasiten  und  seiner  Eier  unter  der  Haut)  zu  unterscheiden.  Der 
vierte  vom  Verfasser  beobachtete  Kranke  war  14  Jahre  alt.  Aus¬ 
breitung  der  Dermatitis  wie  im  Falle  3  und  von  gleicher 
Intensität.  Zahllose  Oxyuris  vermicularis  in  den  Faces,  in  der  Um¬ 
gebung  des  Anus  u.  s.  w.,  sowie  der  gleiche  mikroskopische 
Befund  bezüglich  der  Hautschichten  und  der  deponirten  Eier  des 
Parasiten.  Sogar  unter  den  Nägeln  des  Kranken  fanden  sich  in 
der  schwärzlichen  Schmutzschichte  Parasiteneier.  Ihcrapic: 
Innerlich  Dec.  sonnae  cum  Natrio  sullurico;  äusserlich  zweimal 
täglich  Klystiere,  je  750//  steri lisirtes  Wasser  mit  Zusatz  von 
Natr.  salicyl.,  fortgesetzt  durch  zwölf  Tage  bis  zum  gänzlichen 
Verschwinden  des  Oxyuris  verm.  nebst  Behandlung  der  Haut- 
affection.  — -  (Gazzetta  degli  Ospedali.  111,  vom  16.  September  1900.) 

Sp. 

* 


1116 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


499.  (Aus  der  Klinik  von  Prof.  v.  Leyden  in  Berlin.) 
lieber  den  Einfluss  von  neueren  Nährpräparate n 
auf  die  Intensität  der  Darmfäulniss.  Von  C.  Lewin. 
Bekanntlich  scheiden  sich  die  wichtigsten  Nährpräparate  in  zwei 
Gruppen,  in  die  aus  Fleischeiweiss  herges  tell  ten:  Albumosen,  Peptone 
und  die  Somatose,  und  die  ganz  oder  grösstentheils  aus  Milch  oder 
Pflanzenei weiss  erzeugten:  Eucasin,  Nutrose,  Plasmon,  Tropon  und 
Aleuronat;  zum  Theile  gehört  auch  das  Eulactol  hieher.  Von  den 
ersteren,  speciell  der  Somatose,  wurde  bald  deren  mangelhafte 
Besorbirharkeit,  sowie  ihre  Eigenschaft  selbst  in  geringer  Menge 
Diarrhöen  zu  erzeugen,  bekannt.  Einen  Massstab  wie  die  Nährstoffe 
auf  den  Darm  einwirken,  gibt  die  Darmfäulniss.  Die  in  dieser 
Richtung  angestelllen  Untersuchungen  ergeben:  Die  Caseinpräparate 
zeigen  gegenüber  den  aus  Fleisch-  oder  Pflanzeneiweiss  hergestellten 
in  Bezug  auf  Darmfäulniss  keine  Vortheile.  Weilers  wurde  ge¬ 
funden,  dass  250//  Schabfleisch,  der  täglichen  Nahrung  zugesetzt, 
die  Fäulniss  im  Darme  nicht  mehr  beeinflussen,  als  50//  der  in 
dem  Untersuchungsfalle  verwendeten  Eiweisspräparate.  Es  liegt 
also  der  Werth  dieser  Nährpräparate  nur  in  der  concentrirten  Form 
der  Nahrungsmittel.  —  (Zeitschrift  für  diätetische  und  physi¬ 
kalische  Therapie.  Bd.  IV,  Heft  3.) 

* 

500.  (Aus  der  hygienischen  Universität  in  Bonn.)  Die 
Gesundheitsverhältnisse  der  A  e  r  z  t  e,  Geistlichen 
und  Oberlehrer  im  Vergleiche  mit  denen  anderer 
Berufe.  Von  Prof.  Kruse.  Die  zur  Verfügung  gestandenen 
Quellen  waren  die  Aufzeichnungen  privater  und  staatlicher  Ver¬ 
sicherungsgesellschaften,  der  Volkszählungen  und  Todtenregister 
einer  ganzen  Bevölkerung  etc.  Die  Sterblichkeitsverhältnisse  der 
Aerzte  zeigen  sehr  unerfreuliche  Ziffern  und  namentlich  besteht 
eine  ganz  besondere  Uebersterblichkeit  bei  den  eben  erst  in  den 
Beruf  tretenden  Aerzlen,  sowie  bei  den  Docenten  der  Medicin;  es 
scheint,  dass  überhaupt  der  Eintritt  in  einen  neugewählten  Beruf 
(‘ine  Uebersterblichkeit  mit  sich  bringt.  Dagegen  gibt  es  kaum  einen 
Beruf,  der  gesundheitlich  besser  gestellt  wäre,  als  jener  der 
protestantischen  Geistlichen.  Nur  die  Universitätsdocenten 
mit  Ausnahme  der  Mediciner  —  in  der  Gothaer  Lebensversicherungs¬ 
bank  weisen  noch  geringere  Sterbeprocente  auf.  Einer  viel  höheren 
Gefährdung  des  Lebens  unterliegen  die  katholischen  Geistlichen, 
besonders  im  Greisenalter.  Elementarlehrer,  ebenso  wie  die 
akademisch  gebildeten  Lehrer  stehen  in  den  meisten  Statistiken 
recht  günstig;  auffallend  ist  dagegen  die  hohe  Sterblichkeit  der 
Oberlehrer.  Die  sogenannten  höheren  Berufe  gemessen,  auch  was 
ihre  Sterblichkeit  betrifft,  durchschnittlich  eine  gewisse  Bevorzugung, 
es  kommen  aber  viele  Ausnahmen  von  der  Regel  vor.  —  (Central¬ 
blatt  für  allgemeine  Gesundheitspflege.  Bd.  XIX,  Heft  5  und  6.) 

Pi. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Ueber  einen  Fall  von  tuberculöser  P  y  lorusstouose, 
welcher  durch  Gastroenterostomie  geheilt  wurde,  berichtet  Dr.  Jacobs, 
Chefarzt  der  Klinik  St.  Anne  in  Brüssel  (Le  progies  mcd.  beige): 
Vor  zwei  Jahren  hatte  er  bei  einem  äusserst  gracilen  und  schwer 
hereditär  belasteten  Mädchen  wegen  Peritonitis  tuberculosa  die  Laparotomie 
vorgenommen.  Die  danach  erzielte  Heilung  dauerte  jedoch  blos  circa 
ein  Jahr  an.  Die  schweren  Erscheinungen,  Schmerzen  und  heftiges 
Erbrechen  stellten  sich  in  gleicher  Heftigkeit  ein  und  wurden  durch 
Anwendung  von  elektrischen  Strömen  hoher  Frequenz  und  durch 
Magenauswaschungen  nur  vorübergehend  günstig  beeinflusst.  In  Folge 
des  anhaltenden  Erbrechens  und  der  absoluten  Unmöglichkeit,  selbst 
Wasser  zu  sich  zu  nehmen,  magerte  die  Kranke  so  sehr  ab  (28  kg 
Körpergewicht),  dass  sich  Jacobs  entschloss,  eine  Gastroenterostomie 
vorzunehmen,  weil  er  eine  bei  der  ersten  Untersuchung  unerkannt 
gebliebene  Pylorusstenose  annahm.  Eine  solche  fand  sich  bei  der 
Operation  thatsächlich  in  Form  einer  circularen  Induration  vor.  Die 
Heilung  nach  der  Operation  war  eine  ungestörte  und  am  dritten  Tage 
wurde  bereits  kalte  Suppe  gegeben  und  gut  vertragen.  Mit  der  Zufuhr 
flüssiger  Kost  wurde  dann  rasch  gestiegen  und  der  Kranken,  sowie 
in  allen  analogen  hallen  Carnigen,  drei  bis  vier  Löffel  täglich,  vom 
achten  T age  an  sogar  acht  Löffel  pro  die  in  Suppe  verabreicht, 
hernach  Eier  und  geschabtes  Fleisch.  Die  Reconvalescenz  war  eine 
sehr  rasche;  nach  drei  Wochen  wog  Patientin  41  kg  und  die  Heilung 
war  eine  complete,  so  dass  sie  ihrer  gewohnten  Beschäftigung  nachgehen 
kann.  Die  Verdauung  ist  eine  normale  und  die  Stuhlentleerung 


geregelt.  Interessant  ist  in  diesem  Falle  die  Localisation  des  tuber* 
culöscn  Processes  am  Pylorus.  Verfasser  hebt  besonders  rühmend 
den  Worth  des  Car  ni  go  ns  als  Zusatz  zur  flüssigen  Krankenkost 
in  allen  jenen  Fällen  hervor,  wo  feste  Nahrung  nicht  vertragen  wird. 
Mit  Carnigen  hat  er  durchwegs  ausgezeichnete  Erfolg»  erzielt. 


EINGESENDET. 

Bemerkungen  zu:  „Ueber  Gangrene  foudroyante“ 
von  Dr.  Fritz  Hitschmann  und  Dr.  Otto  Th.  Linden¬ 
thal. 

In  Nr.  46  der  „Wiener  klinischen  Wochenschrift“,  in  der  Arbeit 
der  Herren  Doctoren  Hitschmann  und  Lindenthal:  „Ueber 
Gangrene  foudroyante“,  stehen  mehrere  meine  Arbeit  „Ueber  malignes 
Uedem“  betreffende  unrichtige  Bemerkungen: 

1 .  Dr.  Hitschmann  und  Dr.  Lindenthal  behaupten,  ich 
hätte  meinen  Fall  nicht  histologisch  verarbeitet.  Thatsächlich  wurde  der 
beschriebene  klinische  Fall  gründlichst  histologisch  untersucht.  Es  wurde 
das  Material  eämmtlichen  Organen  entnommen  und  einzelne  auf  Grund¬ 
lage  der  angefertigten  mikroskopischen  Präparate  reproducirte  Bilder 
sind  im  „Casopis  ceskych  lekafü“  (Nr.  11,  12,  1900)  abgebildet. 

2.  Es  wird  mir  vorgeworfen,  ich  hätte  die  Frage,  ob  malignes 
Oedem  mit  oder  ohne  Gasbildung  verlaufe,  auf  Grund  eines  einzigen 
Falles  ohne  vorhergehende  histologische  Untersuchung 
entscheiden  wollen.  Ich  habe  aber  die  Behauptung,  dass  malignes 
Oedem  ohne  Gasbildung  verlaufe, 

a )  auf  Grund  zahlreicher,  von  Koch,  Frankel  und  Baum¬ 
garten  mit  Reinculturen  angestellter  Versuche, 

b)  auf  Grund  des  von  mir  histologisch  und  baeteriologisch  unter¬ 
suchten  Falles,  und 

c)  auf  Grundlage  eigener,  mit  der  Oedemflüssigkeit  angestellter 
Versuche  ausgesprochen. 

Das  vorliegende  Missverständniss  Hesse  sich  vielleicht  dadurch 
erklären,  dass  den  beiden  Herrn  Doctoren  Hitschmann  und  L  in¬ 
dent  h  a  1  nicht  meine  Arbeit  in  der  ausführlicheren  Fasssung  des 
„Casopis  öeskych  lekafu“,  sondern  nur  in  der  kurzen  der  „Wiener 
klinischen  Rundschau“  (1900,  Nr.  8,  9)  zugänglich  war. 

Prag,  22.  November  1900. 

Dr.  Brabec. 


Antwort  auf  die  Bemerkungen  des  Herrn  Dr.  Brabec. 

Durch  das  „Eingeseudet“  des  Herrn  Dr.  Brabec  gelangen 
wir  leider  erst  jetzt  zur  Kenntniss,  dass  dieser  Autor  ausser  der  von 
uns  citirten  Arbeit  in  der  „Wiener  klinischen  Rundschau“  (1900, 
Nr.  8,  9)  noch  eine  ausführlichere  Abhandlung  über  das  maligne 
Oedem  im  „Casopis  öeskych  lekafü“  veröffentlicht  hat.  Die  von  uns 
erwähnte  Arbeit  macht  durchaus  den  Eindruck  einer  Originalarbeit, 
welcher  noch  durch  den  Umstand  erhöht  wird,  dass  Brabec  nicht, 
wie  dies  usuell  ist,  angibt,  dass  genauere  Details  anderen  Ortes  publi- 
cirt  sind. 

Wie  wir  in  unserer  letzten  Mittheilung  angedeutet  haben,  weist 
die  uns  allein  zugängliche  Arbeit  B  r  a  b  e  c's  grosse  Lücken  auf  und 
haben  wir  von  diesen  nur  den  Mangel  der  histologischen  Untersuchung 
am  Menschen  mit  den  sich  daraus  ergebenden  Schlussfolgerungen  her¬ 
vorgehoben;  wir  bedauern,  dass  Brabec  diese  wesentlichen  Befunde 
nur  bezüglich  seiner  Versuchsthiere  in  die  deutsche  Arbeit  aufgenommen 
hat,  welche  naturgemäss  für  einen  grösseren  Leserkreis  bestimmt  ist. 

Bezüglich  der  sachlichen  Einwendungen  verweisen  wir  auf  das 
in  unseren  Arbeiten  (Sitzungsberichte  der  k.  k.  Akademie  der  Wissen¬ 
schaften  in  Wien  [Bd.  CVIII,  Abth.  3,  1899]  und  diese  Wochen¬ 

schrift  1 1900,  Nr.  46])  bereits  Gesagte,  dem  wir  nichts  hinzu¬ 
zufügen  haben,  da  die  Einzelbeobachtung  Brabec’s,  welche  wir  bereits 
in  unserer  letzten  Arbeit  erwähnt  haben,  durch  eine  neueste  Publi¬ 
cation  (siche  Hämig  und  Silber  Schmidt)  in  dem  wesentlichsten 
Punkte  —  eben  in  der  Frage  der  Gasbildung  bei  malignem  Oedem  — 
widerlegt  erscheint. 

Dr.  Hitschmann,  Dr.  Lindenthal. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

E  r  u  a  nnt:  Lindessaniiäts  Inspector  in  Triest,  Dr.  Emil 
Meeraus,  zum  Statthalteieirathe  und  Landessauitätsveferenten  bei 
der  oberösterreichischen  Statthalter  ei.  —  Im  landwehrärztlichen 
Officierscorps:  Im  Activstande:  zum  Oberstabsarzte  erster  Classe; 
Dr.  Michael  Ile  Imbacher;  zu  Oberstabsärzten  zweiter  Classo 
die  Stabsärzte :  Dr.  Step  h  a  n  T  ures  ä  n  y  i,  Dr.  Rudolf  Lengyel 
und  Ignaz  Spanner;  zu  Stabsärzten  die  Regimentsärzte  erster 


Nr.  48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1117 


Classe:  Dr.  Bela  Spanyol,  Dr.  Maximilian  Feuer,  Doctor 
Julius  Gere  und  Dr.  Josef  Szilagyi.  —  Dr.  Max  Neu¬ 
burger  in  Wien  zum  eovi  espondirenden  Mitgliede  der  Societe  im¬ 
periale  de  medecine  in  Constantinopel.  —  Die  Sanitätsconcipisten 
Dr.  Franz  Schönbauer  und  Dr.  Johann  Dubowy  zu 
Bezirksärzten  und  die  Sanitätsassistenten  Dr.  Max  Linnemann 
und  Dr.  Ignaz  Kaup  zu  Sanitätsconcipisten  in  Niederösterreich. 

* 

Verliehen:  Dem  Professor  der  Anatomie  in  Lemberg  Doctor 

Heinrich  Kady  i  der  Titel  eines  Hofrathes. 

* 

Gestorben:  Der  berühmte  Chirurg  Prof.  Ollier  in  Lyon. 

* 

Mittwoch  den  21.  d.  M.  fand  im  Sitzungssaale  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  in  Wien  eine  allgemeine  Aerzteversammlung  statt, 
zum  Zwecke  der  Stellungnahme  gegen  die  Meisterkrankencassen.  Herr 
Dr.  Ferdinand  Steiner  erstattete  ein  vortrefflich  ausgearbeitetes 
Referat,  das  an  anderer  Stelle  des  Blattes  mitsammt  der  einstimmig 
aufgenommenen  Resolution  im  Wortlaute  vorliegt.  Die  von  stürmischem 
Beifalle  der  überaus  zahlreich  versammelten  Aerzteschaft  gefolgten 
Erörterungen  des  Referenten  fanden  noch  wirksame  Ergänzungen  und 
Erläuterungen  in  den  Reden  der  Herren  Doctoren  Gruss  und  L.  Stricker, 
die  namentlich  das  Verhalten  der  Regierung  gegenüber  dem  in  seiner 
wirtschaftlichen  Existenz  so  hart  bedrängten  Aerztestande  einer 
scharfen  Kritik  unterzogen.  Herr  Dr.  Rader  sprach  in  gleichem 
Sinne  und  erörterte  in  überzeugender  Weise  den  Zusammenhang  der 
Nothlage  und  Bedrückung  der  Aerzte  mit  den  auch  für  andere  ge¬ 
bildete  Stände  so  empfindlich  fühlbaren  zur  Zeit  berschenden 
reactionären  Strömungen.  Er  gab  schliesslich  der  gewiss  berechtigten 
Besorgniss  Ausdruck,  dass  die  dissidenten  und  von  den  Aerztekammern 
gemassregelten  Aerzte  auf  dem  Recurswege  von  den  höheren  Instanzen 
rehabilitirt  würden.  Nach  weiteren,  ebenfalls  sehr  beifällig  auf¬ 
genommenen  Reden  der  Herren  Doctoren  Ign.  Weiss  und  Krips 
meldete  sich  noch  Dr.  L.  Teleky  jun.  zum  Worte.  Er  meinte  — 
häufig  von  stürmischem  Widerspruche  unterbrochen  —  die  Zukunft 
des  Aerztewesens  liege  in  seiner  Verstaatlichung  oder  Vergenossen¬ 
schaftlichung.  Es  wäre  vielleicht  besser,  zu  versuchen,  die  Gassen  nach 
den  Wünschen  der  Aerzte  einzurichten,  statt  sich  vollkommen  ablehnend 
zu  verhalten.  Gegen  eine  Krankenversicherung  ohne  ärztliche  Behand¬ 
lung  könne  man  überhaupt  nichts  einwenden,  und  deshalb  solle  der 
Verband  der  Aerzte  bei  gegebener  Gelegenheit  über  die  Anstellung 
von  Controlärzten  mit  den  Cassen  verhandeln,  wobei  vor  Allem  auf  die 
Anstellung  der  in  Folge  der  Action  gegen  die  Cassen  Gemassregelten 
zu  dringen  wäre.  Dr.  Teleky  stellt  einen  diesbezüglichen  Zusatz¬ 
antrag  zu  Punkt  1  der  Resolution,  der  aber  mit  allen  gegen  seine 
Stimme  abgelehnt  wurde. 

* 

Hinsichtlich  der  Angelegenheit  der  Ambulatorienfrage 
wurden  unter  Bezugnahme  auf  die  in  der  Directoren-Conferenz  vom 
18.  v.  M.  gestellten  Anträge  die  Directionen  und  Leitungen  der 
Wiener  k.  k.  Krankenanstalten  aufgefordert,  behufs  tunlichster 
Hintanhaltung  der  Inanspruchnahme  der  Ambulatorien  durch  Be¬ 
mittelte  im  Einvernehmen  mit  den  Bau-Inspicienten  und  Verwaltungen 
sofort  das  Geeignete  zu  veranlassen,  dass  auf  allen  die  Ambulatorien 
betreffenden  Orientirungstafeln  bei  den  Hausthoren,  in  den  Höfen,  bei 
den  Zugängen  zu  den  Ambulatorien,  sowie  in  allen  Ambulatoriums¬ 
räumen  deutlich  sichtbar  gemacht  wird:  „Ordination  ausschliesslich  für 
Unbemittelte“,  ferner  „nur“  in  den  nachbezeichneten  Stunden  oder 
„nur  von  ....  bis  .  .  .  .“  Weiter  haben  die  Directionen  und 
Leitungen  auf  den  Tafeln  innerhalb  der  Ambulatorien,  sowie  auf  allen 
Ambulatoriums-Karten  und  Recepten  nachstehenden  Text  anbringen 
zu  lassen:  „Bei  Zweifel  über  die  Mittellosigkeit  ist  der  Vorstand  des 
Ambulatoriums  oder  dessen  Stellvertreter  berechtigt  und  verpflichtet, 
von  ambulanten  Kranken  die  Beibringung  eines  Mittellosigkeits¬ 
zeugnisses  zu  verlangen.“ 

* 

Am  18.  November  hat  in  Budapest  in  Anwesenheit  der  Frau 
Erzherzogin  Clotilde,  des  Ministerpräsidenten,  der  Comitemitglieder 
und  zahlreicher  Gäste  die  Grundsteinlegung  des  zum  Andenken  an  die 
verstorbene  Kaiserin  Elisabeth  errichteten  Sanatoriums  für 
Lungenkranke  stattgefunden. 

* 

Prof.  D  r.  Philipp  Knoll- Preis.  Die  Gesellschaft  zur 
Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur  in  Böhmen 
hat  beschlossen,  zur  bleibenden  Erinnerung  an  ihren  verstorbenen 
Gründer  und  ersten  Vorsitzenden,  Hofrath  Prof.  Dr.  Philipp 
Knoll,  alle  drei  Jahre  einen  Preis  von  2000  K  zuzuerkennen,  der 
für  die  beste  als  preiswürdig  anerkannte  Arbeit  eines  deutsch¬ 
böhmischen  oder  in  Böhmen  wohnenden  deutschen  Forschers  aus  der 
theoretischen  Medicin  verliehen  wird.  Der  Preis  kann  auch  getheilt 


werden.  Die  erste  Zuerkennung  erfolgt  im  Monate  Januar  des 
Jahres  1903. 

* 

Vom  „Jahresberichte  über  die  Fortschritte  in 
der  Lehre  von  den  pathogenen  Mikroorganisme  n“, 
herausgegeben  bei  Harald  B  r  u  h  n  in  Braunschweig  von  Professor 
Baumgarten  (Tübingen)  und  Prof.  Tan  gl  (Budapest)  ist  die 
zweite  Hälfte  des  14.  Jahrganges  erschienen.  Derselbe  enthält  unter 
Anderem  aus  den  Literaturberichten  des  Jahres  1898  jene  über  den 
Lepra-  und  Tubercnlosebacillus,  den  Bacillus  des  gelben  Fiebers  und 
weiterer  neuendeckter  Mikroorganismen,  besonders  über  die  vermutheten 
Erreger  der  bösartigen  Geschwülste,  der  Variola,  des  Lyssacontagiums, 
sowie  die  Berichte  über  die  allgemeine  Morphologie  und  Biologie  der 
Mikroorganismen,  über  die  allgemeine  Mykopathologie,  allgemeine 
Methodik,  Desinfectionspraxis  und  Technik. 

* 

Im  Verlage  von  A.  Hirsch  wald  in  Berlin  ist  der  „Medi¬ 
ci  n  a  1  -  K  a  1  e  n  d  e  r  für  1901“  in  zwei  Theilen  erschienen,  deren 
erster,  herausgegeben  von  Dr.  R.  Wehmer,  Form  und  Inhalt  nach 
ein  ärztliches  Taschenbuch  darstellt,  während  der  zweite,  1270  Seiten 
fassende  Band  neben  den  Personalien  des  Deutschen  Reiches  noch  die 
wichtigsten  neuen  medicinalgesetzlichen  Bestimmungen  in  den  ver¬ 
schiedenen  Staaten  angeführt  enthält. 

* 

Bei  Har  rach  in  Bad  Kreuznach  ist  der  fünfte  Jahrgang 
(1901)  des  von  Dr.  Eichholz  und  Dr.  Sonnenberger  heraus¬ 
gegebenen  „K  alenders  für  Frauen-  und  Kinderärzte“  er¬ 
schienen. 

* 

Der  von  Dr.  Steinschneider  (Franzensbad)  bei  M.  Perles 
in  Wien  herausgegebene  „A  erztliche  Taschenkalender  für 
1901“  enthält  diesmal  nicht  nur  das  Verzeichniss  der  an  den  medi- 
cinischen  Facultäten  Europas,  sondern  auch  Nordamerikas  wirkenden 
Lehrer. 

* 

Dr.  Maximilian  Bondi,  gewesener  Assistent  an  Hofrath 
Schnabel’s  ophthalmologischer  Klinik,  hat  sich  als  Augenarzt  in 
Iglau  niedergelassen. 

* 

Aus  de  in  Sanitäts  berichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  44.  Jahreswoche  (vom  28.  October 
bis  3.  November  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  001,  unehelich  306,  zusammen 
907.  Todt  geboren:  ehelich  41,  unehelich  20,  zusammen  61.  Gesammtzalil 
der  Todesfälle  597  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18'5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  96,  Blattern  0,  Masern  24, 
Scharlach  8,  Diphtherie  und  Croup  10,  Pertussis  0,  Typhus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  2,  Neu¬ 
bildungen  38.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  (=),  Varicellen 
50  (-|-  10),  Masern  380  (-J-  100),  Scharlach  50  ( —  9),  Typhus  abdominalis 
11  (=),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  32  (-)-  9),  Croup  und 
Diphtherie  33  ( —  36),  Pertussis  17  ( —  7),  Dysenterie  0  ( —  2),  Cholera  0  (=), 
Puerperalfieber  3  (—  2),  Trachom  5  (-|-  2),  Influenza  1  (-j-  1). 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  45.  Jahreswoche  (vom  4.  November 
bis  10.  November  1900).  Lebend  geboren :  ehelich  523,  unehelich  268,  zusammen 
791.  Todt  geboren:  ehelich  48,  unehelich  27,  zusammen  75.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  564  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
17'5  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  88,  Blattern  0,  Masern  18, 
Scharlach  5,  Diphtherie  und  Croup  12,  Pertussis  l,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  0,  Neu¬ 
bildungen  45.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
69  (-(-  19),  Masern  427  (-j-  47),  Scharlach  71  (-(-  21),  Typhus  abdominalis 
15  (-f-  4),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  25  (-f-  7),  Croup  und 
Diphtherie  58  (— j—  25),  Pertussis  19  (-(-  2),  Dysenterie  4  (-j-  4),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  1  ( —  2),  Trachom  1  ( —  4),  Influenza  2  (~j-  1) 

Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  15.  November  1900  (siehe 
Nr.  46, 1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

1ST  x.  5. 

Geschenke  von  Herrn  Primararzt  Dr.  E.  Bamberger: 
Adamkiewicz  Albert,  Die  mechanischen  Blutstillungsmittel  bei  verletzten 

Arterien.  (Preisschrift.)  Berlin  1872,  8".  1  Vol. 

Alibert  J.  L,  Precis  theoriques  et  pratiques  sur  les  maladies  de  la  peau. 

Seconde  edition.  Paris  1822.  8°.  2  Vols. 

Aufrecht  E.,  Die  diffuse  Nephritis.  Berlin  1879.  8°.  1  Vol. 

Bayard  T.,  Traite  pratique  des  maladies  de  l’estomac.  Paris  1826 

8°.  1  Vol. 

Beiträge  zur  Geburtskunde  und  Gynäkologie.  Herausgegeben  von  Dr.  F.  W. 

v.  Scanzoni.  Würzburg  1855,  1860.  2  Vols. 


1118 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


Bock  C.  E.,  Handbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  Leipzig  1838.  8n.  Zwei 
Bände  in  1  Vol.  gel  under. 

Braun  Karl,  Ueber  Puerperalprocesse.  Erlangen  1853.  8n.  1  Vol. 

Braun  Karl,  Ueber  Convulsionen  der  Frauen.  Erlangen  1853,  8".  1  Vol. 

Cannsfadt  Karl,  Handbuch  der  medicinischen  Klinik.  Dritte,  gänzlich 
umgearbeitete  Auflage  von  Dr.  E.  H.  Henoch.  Erlangen  1854 
bis  185(5.  8°.  3  Vols. 

Claessen  H.,  Die  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane.  Aus 
dem  Französischen  übersetzt  von  A.  W.  P  e  s  t  e  1.  Leipzig  1828.  8'\ 
1  Vol. 

Cullen  William,  Anfangsgründe  der  praktischen  Arzneykunst.  Dritte  Aus¬ 
gabe.  Leipzig  1800.  8°.  4  Vols. 

Devergie  Alph.,  Traite  pratique  des  maladies  de  la  peau.  Paris  1854.  8°. 
1  Vol. 

Eisenmann,  Die  Krankheitsfamilie  Rheuma.  Erlangen  1841/42.  8".  Drei 

Bände  in  1  Vol.  gebunden. 

Eisenmann,  Die  Krankheitsfamilie  Typhus.  Erlangen  1835.  8°.  1  Vol. 

Ewald  C.  A.,  Die  Lehre  von  der  Verdauung.  Einleitung  in  die  Klinik  der 
Verdauungskrankheiten.  Berlin  1879.  8n.  1  Vol. 

Finger  Ernst,  Die  Syphilis  und  die  venerischen  Krankheiten.  Zweite  ver¬ 
besserte  Auflage.  Wien  und  Leipzig  1888.  8°.  1  Vol. 

Finkler  Dittmar,  Ueber  das  Fieber.  Bonn  1882.  8°. 

Frank  Joanne  Petro,  De  curandis  hominum  morbis  epitome  praelectionibus 
academicis  dicata.  Mannhemii  1792 — 1821.  8°.  9  Vols. 

Gorup- Besanez  E,  F.  V.,  Lehrbuch  der  physiologischen  Chemie.  Braun¬ 
schweig  1862.  8ft.  1  Vol 

Gorup-Besan ez  E.  F.  V.,  Anleitung  zur  qualitativen  und  quantitativen 
zoochemischen  Analyse.  Zweite  Auflage.  Nürnberg  1854.  8°. 

1  Vol. 

Graves  Robert  J  ,  Clinical  lectures  on  the  practice  of  medicine.  Second 
edition.  London  1848.  8n.  2  Vols. 

G  r  iso  1 1  es,  Vorlesungen  über  die  specielle  Pathologie  und  Therapie  der 
inneren  Krankheiten  des  Menschen.  Deutsch  unter  Redaction  von 
Dr.  J.  Bohrend.  Leipzig  1846 — 1849  8n.  3  Vol. 

Holder  Hermann,  Lehrbuch  der  venerischen  Krankheiten.  Stuttgart  1851.  8n. 
1  Vol. 

Hunt  Thomas,  Anleitung  zur  Behandlung  der  Hautkrankheiten.  Aus  dem 
Englischen  deutsch  bearbeitet  von  E.  R.  P  f  a  f  f.  Plauen  i.  V.  1860. 
8n.  1  Vol. 

Ingarden  Eduard,  Syphilidologie.  (Preisschrift.)  Wien  1845.  8n.  1  Vol. 

Klein  S.,  Grundriss  der  Augenheilkunde.  Wien  und  Leipzig  1886.  8°. 
1  Vol. 

Köhler  Reinhold,  Die  Krebs-  und  Scheinkrebskrankheiten  des  Menschen. 
Stuttgart  1853.  8°.  1  Vol. 

Köhler  Reinhold,  Handbuch  der  speciellen  Therapie  einschliesslich  der 
Behandlung  der  Vergiftungen.  Tübingen  1855.  8n.  1  Vol. 

Kunze  C.  F.,  Compendium  der  praktischen  Medicin.  Zweite  veibesserte  Auf¬ 
lage.  Erlangen  1865. 

Kunzek  August,  Lehrbuch  der  Physik.  Zweite  verbesserte  Auflage.  Wien  1860. 
8°.  1  Vol. 

Lallemand,  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane.  Aus  dem 
Französischen  übersetzt  von  A.  W.  Pestei.  Leipzig  1828.  8°. 

Lepine  R.,  Die  Fortschritte  der  Nierenpathologie.  Deutsch  bearbeitet  von 
W.  Havelburg.  Berlin  1884.  8°.  1  Vol. 

Lewin  Georg,  Ueber  Syphilisbehandlung  mit  hypoderir atischen  Snblimat- 
injeetionen  nebst  epikritischen  Bemerkungen.  Berlin  1868  8n 
1  Vol. 

Liebermeister  C.,  Handbuch  der  Pathologie  und  Therapie  des  Fiebers. 
Leipzig  1875.  8°.  1  Vol. 

Louis  P.  Ch.  A-,  Recherches  anatomiques,  patholog'ques  et  therapeutiques 
sur  la  maladie  connue  sous  les  noms  de  gastro-enterite.  Paris  1829 
8n.  2  Vols. 

Louis  P.  Ch.  A.,  Recherches  anatomiques,  pathologiques  et  therapeutiques 
sur  la  Phthisie.  Deuxicme  edition.  Paris  1843.  8n.  1  Vol. 

Loewy  Leopold,  Gesundheitslehre  für  Jedermann.  Budapest  1882  8°. 

1  Vol. 

Liebig  Justus  V  ,  Ueber  Gährung,  über  Quelle  der  Muskelkraft  und  Er¬ 
nährung.  Leipzig  und  Heidelberg  1870.  8n.  1  Vol. 

Munk  Pb.  und  E.  Leyden,  Die  acute  Phosphorvergiftung.  Berlin  1865.  8n. 
1  Vol. 

Naumann  M.  E.  A.,  Ergebnisse  und  Studien  aus  der  medicinischen  Klinik 
zu  Bonn.  Leipzig  1858  — 1860.  8°.  2  Vols. 

Neudörfer  J.,  Handbuch  der  Kriegschiruigie  und  der  Operationslehre. 
Leipzig  1867  —  1869.  8n.  Zwei  Bände  in  5  Vols. 

Peterutti  G  ,  Raccolta  delle  publicazioni  nel  campo  della  pathologia  e 
clinica  medica.  Napoli  1882.  8°.  1  Vol. 

Pingier  G.,  Der  einfache  und  diphtheritische  Croup.  Frankfurt  a.  M.  1868. 
8".  1  Vol. 

Pfeilsticker  Albert,  Beiträge  zur  Pathologie  der  Masern.  Tübingen  1863. 
8°.  1  Vol. 

Philipp  P.  J.,  Die  Lehre  von  der  Erkenntniss  und  Behandlung  der  Lungen- 
und  Herzkrankheiten.  Zweite  Auflage.  Berlin  1838.  8".  1  Vol. 

Phoebus  Philipp,  Der  typische  Frühsommerkatarrh  oder  das  sogenannte 
Heufleber,  Heuasthma.  Giessen  1862.  8°.  1  Vol. 

Posner  Louis  und  Karl  Eduard  Simon,  Handbuch  der  speciellen  Arznei¬ 
verordnungslehre.  Vierte  Auflage.  Berlin  1862.  8n.  1  Vol. 

Posner  Louis  und  Karl  Eduard  Simon.  Handbuch  der  speciellen  Arznei¬ 
verordnungslehre.  Berlin  1855.  8".  1  Vol. 

Ribbert  Hugo,  Nephritis  und  Albuminurie.  Bonn  1881.  8n.  1  Vol. 

Ricord  Ph.,  Traite  pratique  des  maladies  veneriennes.  Bruxelles  1838  8n 
1  Vol. 


Rosenthal  Moriz,  Die  Elektrotherapie  und  deren  besondere  Verwerthung 
in  Nerven-  und  Muskelkrankheiten.  Zweite  neu  bearbeitete  Auflage 
Wien  1873.  86.  1  Vol. 

Rosenthal  Moriz,  Elektricitätslehre  für  Mediciner.  Berlin  1862.  8". 
1  Vol. 

Rosenstein  Sigmund  Die  Pathologie  und  Therapie  der  Nierenkrankheiten. 
Berlin  1863.  81».  1  Vol. 

Schlossberger  J.  E.,  Lehrbuch  der  organischen  Chemie.  Vierte  umgearbeitete 
Auflage.  Leipzig  und  Heidelberg  1857.  8°.  1  Vol. 

Schmidt  Ernst,  Zum  Schutze  der  Irren.  Würzburg  1856.  8°.  1  Vol. 
Schneider  F.  C.,  Die  gerichtliche  Chemie.  Wien  1852.  8°.  1  Vol. 
Scudamore  Charles,  A  treatise  on  the  nature  and  cure  of  gout  and 
rheumatism.  Second  edition.  London  1817.  8°.  1  Vol. 

Simon  Gustav,  Die  Hautkrankheiten,  durch  anatomische  Untersuchungen 
erläutert.  Zweite  vermehrte  Auflage.  Berlin  1851.  8".  1  Vol. 

Struwe  G.,  Das  Seelenleben  oder  die  Naturgeschichte  des  Menschen 
Wien  1873.  8°.  1  Vol. 

Thomson  William,  On  Phthisis  and  the  supposed  Influence  of  Climate, 
being  on  Analysis  of  statistics  of  consumption  in  this  part  of  Australia. 
Melbourne  1879.  8rt.  1  Vol. 

Tröltsch  V.,  Die  Anatomie  des  Ohres  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Praxis 
und  die  Krankheiten  des  Gehörorganes.  Würzburg  1860.  8". 
1  Vol. 

Vierordt  Karl,  Die  Erscheinungen  und  Gesetze  der  Stromgeschwindigkeit 
des  Blutes.  Frankfurt  a.  M.  1858.  8n.  1  Vol. 

Vogt  P.  F.  W.,  Monographie  der  Ruhr.  Giessen  1856.  8°.  1  Vol. 

Wagner  J.  R.,  Die  Chemie.  Vierte  Auflage.  Wien  1858.  8°.  1  Vol. 

Watson  Thomas,  Die  Grundgesetze  der  praktischen  Heilkunde.  Nach  der 
dritten  englischen  Auflage  ins  Deutsche  übertragen  von  J.  IT. 
Steinau.  1851  — 1855.  8°.  4  Vols. 

Waldenburg  L.,  Die  Tuberculose,  die  Lungenschwindsucht  und  Scrophulose. 
Berlin  1869.  8°.  1  Vol. 

West  Charles,  Pathologie  und  Therapie  der  Kinderkrankheiten.  Deutsch 
bearbeitet  von  Dr.  A.  Wegner.  Dritte  Auflage.  Berlin  1860.  8n. 
1  Vol. 

Will  iams  J-  B.,  The  Pathology  and  Diagnose  of  Diseases  of  the  Chest. 
London  1840.  8°.  1  Vol. 

Willian  Batemann,  Praktische  Darstellung  der  Hautkrankheiten.  Nach  der 
von  Anthony  Tood  Thomson  besorgten  siebenten  Auflage  über¬ 
setzt  von  L.  C  a  1  m  a  n  n.  Leipzig  1835.  8".  1  Vol. 

Wilson  Erasmus,  Die  Krankheiten  der  Haut.  Aus  dem  Englischen  von 
Dr.  Schröder.  Leipzig  1850.  8°.  1  Vol. 

Zalesky  Nikolaus,  Untersuchungen  über  den  urämischen  Process  und  die 
Function  der  Nieren.  Tübingen  1865.  8°.  1  Vol. 

Ziegler  Ernst,  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Herkunft  der  Tu¬ 
berkelelemente  mit  besonderer  Beiücksichtigung  der  Ilistogenese  der 
Riesenzellen.  Würzburg  1875.  8".  1  Vol. 

Ziemssen  Hugo  V.,  Die  Elektricität  in  der  Medicin.  Studien:  Physikalisch- 
physiologischer  !  eil.  Vierte  ganz  umgearbeitete  Auflage.  Berlin  1872. 
8".  1  Vol. 

Wien,  im  November  1900.  Unger. 


Freie  Stellen. 

Seen  ndararztesstel  le  (zweite)  im  Allgemeinen  öffentlichen  Kaiser 
Franz  Josef-Bezirkskrankenhause  in  T  e  p  1  i  t  z  -  Sch  ö  n  au, 
Böhmen.  Jährlicher  Gehalt  1200  iv,  400  Ä  aus  dem  Bezirksfonde,  Natural¬ 
wohnung  im  Bezirkskrankenhause.  Bewerber  ledigen  Standes  und  deutscher 
Volksangehörigkeit  haben  ihre  Gesuche  mit  dem  Nachweise:  a)  über  das 
an  einer  inländischen  Universität  erlangte  Doctorat  der  gesammten  Heil¬ 
kunde,  b )  über  das  Zuständigkeitsverhältniss  und  die  moralische  Un¬ 
bescholtenheit,  c)  über  die  physische  Eignung  zu  belegen  und  bis  längstens 
5.  December  1900  beim  Bezirksausschüsse  in  Teplitz  einzubringen.  Die 
Besetzung  erfolgt  vorläufig  auf  die  Dauer  eines  Jahres  provisorisch. 

Gemeindearztesstelle  in  Türnitz,  politischer  Bezirk  Lilienfeld, 
Niederösterreich.  Mit  dieser  am  1.  Januar  1901  neu  zu  besetzenden 
Stelle  ist  eine  jährliche  Subvention  von  800  K  vom  niederösterreichischen 
Lande«ausschusse  und  780  K  von  der  Gemeinde  Türnitz  verbunden. 
Weiters  bezieht  der  Gemeindearzt  circa  300  K  für  Armenbehandlung  und 
ungefähr  2500  K  für  die  Behandlung  der  Mitglieder  der  verschiedenen 
Krankencassen.  Die  Haltung  einer  Hausapotheke  wird  gefordert.  Die 
vorschriftsmässig  instruirten,  an  den  niederösterreichischen  Landesauschuss 
gerichteten  Gesuche  sind  längstens  bis  1.  December  beim  Gemeindeamte  in 
Türnitz  einzubringen. 


EINBANDDECKEN 


in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XIII.  Jahrgang  (1900) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  für  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1899)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbucbhändler. 


Nr.  48 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1119 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


IISTH^lLT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  <ler  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung'  vom  23.  November  1900. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung  vom  19.  October  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  23.  November  1900. 

Vorsitzender:  Oberstabsarzt  Docent  Dr.  Habart. 

Schriftführer :  Dr.  Ffiderl. 

Discussion  über  den  Vortrag  des  Prof.  E.  Wert  heim: 
„Zur  Frage  derRadicalope  ration  beim  Uteruskrebs.11 
An  der  Discussion  betheiligten  sich  S  c  h  a  u  t  a,  Herzfeld,  Chrobak, 
Latzko  und  v.  E  r  1  a  c  h. 

Hofrath  Schauta:  Schon  seit  langer  Zeit  habe  ich  keinen  Vor¬ 
trag  mit  so  lebhaftem  Interesse  verfolgt,  wie  den  Vortrag  W  e  r  t- 
h  e  i  m’s  in  der  letzten  Sitzung  unserer  Gesellschaft.  An  diesen  Vor¬ 
trag  schliesst  sich  an  die  in  den  jüngsten  Tagen  erschienene  Publi¬ 
cation  Wertheim’s  im  „Archiv  für  Gynäkologie“  über  seine  ersten 
29  Fälle  von  abdominaler  Radicaloperation  mit  Entfernung  der 
regionären  Lymphdrüsen  und  Ausräumung  des  Beckenbindegewebes. 
Diese  Arbeit  enthält  sorgfältige  anatomische  Untersuchungen  über  die 
V erbreitungswege  des  Carcinoma  uteri  und  eröffnet  uns  Gesichtspunkte, 
die  wir  bis  nun  entbehren  mussten.  Zwar  liegen  seit  längerer  Zeit 
anatomische  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der  regionären  Lymph¬ 
drüsen  bei  Carcinoma  uteri  vor,  doch  beziehen  sich  dieselben  auf 
Leiehen  der  in  vorgeschrittenen  Stadien  des  Uteruskrebses  verstorbenen 
Frauen,  und  entbehren  diese  Untersuchungen  aus  diesem  Grunde  des 
Interesses  für  den  Kliniker,  abgesehen  davon,  dass  sie  weder  mit  der 
Sorgfalt,  noch  mit  den  technischen  Mitteln  unternommen  wurden,  wie  sie 
Wert  heim  bei  seinen  Untersuchungen  zur  Anwendung  gebracht 
hat.  Ich  will  es  nun  versuchen,  die  Schlüsse,  welche  sich  mir  aus  den 
überaus  lehrreichen  Mittheilungen  Wertheim’s  ergeben,  zu  ent¬ 
wickeln.  Ich  will  zu  diesem  Zwecke  von  dem  Gesichtspunkte  der 
vaginalen  Totalexstirpation  des  carcinomatösen  Uteru3  ausgehen. 

Wenn  in  einem  Falle  die  Diagnose  auf  Carcinoma  uteri  gestellt 
werden  muss,  so  ist  in  erster  Linie  die  Frage  der  Operabilität  zu 
entscheiden.  Massgebend  für  die  Beantwortung  dieser  Frage  ist  uns 
vorwiegend  der  Zustand  der  Parametrien.  Wir  können  hier  drei 
Kategorien  von  Fällen  unterscheiden:  Erstens  solche,  in  denen  die  Para¬ 
metrien  starr  und  in  grösserem  Umfange  infiltrirt  erscheinen.  Solche 
Fälle  halten  wir  für  überhaupt  inoperabel  und  unterwerfen  sie  pallia¬ 
tiven  Behandlungsmethoden,  durch  welche  solche  Frauen  ja  immerhin, 
wie  die  Erfahrung  zeigt,  monate-,  selbst  jahrelang  am  Leben  erhalten 
werden  können.  Diese  Fälle  kommen  also  für  die  Frage  der  Radical¬ 
operation  nicht  mehr  weiter  in  Betracht.  Allerdings  finden  sich  unter 
W  a  1  d  h  e  i  m’s  Fällen  einige  derartige,  welche  er  der  Radicaloperation 
noch  zu  unterwerfen  für  möglich  hielt,  aber  er  selbst  ist  bereits,  wie 
wir  gehört  haben,  zur  Ueberzeugung  gelangt,  dass  eine  Erweiterung 
der  bisherigen  Indicationsstellung  auch  durch  die  abdominale  Technik 
nicht  erreichbar  erscheint. 

In  einer  zweiten  Kategorie  von  Fällen  erscheinen  die  Para¬ 
metrien  nur  wenig  verändert,  etwas  derber,  aber  doch  noch  elastisch 
und  von  dünnen  Strängen  durchzogen;  derartige  Fälle  sind  operabel, 
bieten  aber,  wie  wir  wissen,  für  die  vaginale  Radicaloperation  bezüg¬ 
lich  der  Dauerheilung  keine  günstigen  Aussichten. 

Dann  bleibt  noch  die  dritte  Kategorie  von  Fällen,  in  denen  die 
Parametrien  vollständig  frei  sind,  sich  elastisch  und  dehnbar  anfühlen. 
Diese  Fälle  bieten  nicht  nur  die  günstigsten  Augenblickserfolge,  sondern 
verhältnissmässig  günstige  Dauerresultate,  indem  noch  circa  50%  aller 
Fälle  nach  Ablauf  von  fünf  Jahren  reeidivfrei  gefunden  werden,  wie 
dies  die  vor  Kurzem  aus  meiner  Klinik  von  W  aids  t  ein  veröffent¬ 
lichte  Statistik  erweist. 

Wenn  wir  nun  die  zunächst  zur  Beurtheilung  vorliegenden 
29  Fälle  Wertheim’s  nach  den  eben  aufgestellten  Gesichtspunkten 
gruppiren,  so  haben  wir  zunächst  eine  Reihe  von  Fällen,  in  denen 
die  Parametrien  auf  einer  oder  beiden  Seiten  infiltrirt  er¬ 
scheinen  und  welche  also,  wie  schon  erwähnt,  bei  Ausführung  der 
vaginalen  Methode  als  voraussichtlich  nur  palliativ  operirte  Fälle  an¬ 
zusehen  gewesen  wären.  Ich  legte  mir  die  Frage  vor:  Welchen 
Nutzen  hat  nun  in  diesen  Fällen  die  Ausführung  der  Ope¬ 
ration  auf  dem  abdominalen  Wege  mit  Ausräumung 
des  Becken  hi  ndegewebes  und  der  regionären  Lymph¬ 
drüsen  den  Patientinnen  gebracht?  Zur  Beantwortung 
dieser  Frage  liegen  uns  15  Fälle  der  W  e  r  t  h  e  i  m’schen  Statistik  vor; 


es  sind  dies  die  Fälle  1,  2,  4,  6,  10,  11,  12,  15,  IG,  17,  22,  23, 
25,  28  und  29.  Von  diesen  15  Fällen  sind  acht  in  Folge  der  Ope¬ 
ration  gestorben,  zwei  Fälle  wurden  recidiv  (2  und  10);  von  diesen 
ist  bereits  ein  Fall  erlegen.  In  einem  Falle  (25)  bezeichnet  Wert¬ 
heim  selbst  die  Operation  nur  als  palliative,  indem  er  die  erkrankten 
Drüsen  zurückliess.  Dieser  Fall  ist  also  ebenfalls  als  verloren  zu  be¬ 
trachten;  bleiben  also  vier  Fälle,  und  in  allen  diesen  vier  Fälle  waren 
die  Drüsen  normal,  d.  h.  nicht  carcinomatös,  und  wir  müssen 
also  sagen,  dass  in  diesen  Fällen  entweder  die  vaginale  oder  doch  die 
abdominale  Exstirpation  des  Uterus  mit  möglichst  ausgiebiger  Ex¬ 
stirpation  des  parametranen  Bindegewebes  denselben  Zweck  erreicht 
hätte,  wie  die  viel  eingreifendere  und  gefährlichere  abdominale  Ex¬ 
stirpation  mit  Entfernung  der  regionären  Lymphdrüsen.  Wir  kommen 
also  zu  dem  Schlüsse,  dass  in  dieser  Kategorie  von  Fällen,  d.  h.  in 
den  Fällen  mit  bereits  infiltrirten  Parametrien  die  Operation  entweder 
nicht  den  gewünschten  Erfolg  hatte  oder  aber  in  der  Ausdehnung,  in 
der  sie  ausgeführt  wurde,  zumindest  überflüssig  war,  da  man  es  wohl 
als  überflüssig  bezeichnen  kann,  Drüsen,  welche  sich  auch  bei  der 
genauesten  Durchforschung  schliesslich  als  vollkommen  gesund  er¬ 
wiesen,  durch  eine  mühsame  und  zeitraubende  Operation  aus  dem 
Körper  entfernt  zu  haben. 

Wir  kommen  nun  zur  zweiten  Kategorie  von  Fällen.  Es  sind 
diejenigen,  bei  denen  die  Parametrien  nicht  oder  nicht  nennens- 
werth  infiltrirt  waren,  also  diejenigen  Fälle,  welche  ich  schon  früher 
als  vaginal  operable  und  günstige  Fälle  bezeichnet  habe.  Es  sind  dies 
die  Fälle  3,  5,  7,  8,  9,  13.  14,  18,  19,  20,  21,  24,  2G  und  27  der 
W  e  r  t  h  e  i  m’schen  Statistik,  zusammen  also  14  Fälle.  In  diesen 
14  Fällen  von  klinisch  freien  Parametrien  finden  sieh  nur  vier¬ 
mal  die  Drüsen  carcinomatös  (3,  14,  19  und  21).  Von  diesen  Fällen 
blieb  einer  unvollendet,  indem  die  rechtsseitigen  carcinomatösen  Drüsen 
exstirpirt,  die  linksseitigen  aber  zurückgelassen  wurden,  nicht  etwa 
deshalb,  weil  sie  sich  als  gesund  erwiesen  —  denn  der  Beweis  der 
Gesundheit  von  Lymphdrüsen  kann,  wie  Wertheim  selbst  mit- 
getheilt,  erst  unter  dem  Mikroskope  erbracht  werden  - —  sondern  des¬ 
halb,  weil  man  die  Operation  im  Interesse  der  Patientin  nicht  un¬ 
gebührlich  verlängern  wollte.  Es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  dass 
dieser  Fall  der  Recidive  verfallen  wird.  Einer  dieser  Fälle  ist  gestorben 
(14).  Bleiben  noch  zwei  Fälle  dieser  Kategorie,  welche  geheilt  wurden 
und  heute  noch  gesund  sind.  In  den  anderen  Fällen  dieser  Kategorie 
—  es  sind  dies  zehn  Fälle  —  waren  nicht  nur  die  Parametrien  frei, 
sondern  auch  die  Drüsen  gesund,  d.  h.  nicht  carcinomatös,  und 
von  diesen  zehn  Fällen  sind  drei  an  den  Folgen  der  Operation  ge¬ 
storben.  Von  diesen  Fällen  gilt  also  dasselbe,  was  ich  schon  früher 
von  jenen  vier  Fällen,  in  denen  bei  infiltrirten  Parametrien  die  Drüsen 
frei  gefunden  worden  waren,  gesagt  habe:  Die  Operation  war  in  dieser 
Ausdehnung  überflüssig,  denn  man  hätte  dasselbe  auch  ohne  Exstirpa¬ 
tion  der  Drüsen  erreicht.  Um  wie  viel  gefährlicher  aber  diese  Operation 
auch  in  solchen  leichten  und  operativ  günstigen  Fällen  ist,  zeigt  die 
Zahl  von  drei  Todesfällen  auf  zehn  Operirte.  Vergleiche  ich  damit 
meine  eigenen  Zahlen,  wie  sie  in  der  citirten  Arbeit  von  W  a  1  d  s  t  e  i  n 
niedergelegt  sind,  so  habe  ich  unter  139  Fällen  von  vaginaler  Total¬ 
exstirpation  bei  Uteruscarcinom  und  freien  Parametrien  nur  vier 
Todesfälle  zu  verzeichnen. 

Ziehen  wir  nun  nochmals  die  sämmtlichen  Fälle,  in  denen  sich 
bei  der  abdominalen  Totalexstirpation  carcinomatöse  Drüsen  fanden, 
in  Betracht,  so  ergibt  sich,  dass  unter  sämmtlichen  in  der  Publication 
Wertheim’s  niedergelegten  Fällen  in  11  Fällen  die  Drüsen  erkrankt 
waren.  Von  diesen  sind  5  gestorben  (G,  11,  14,  16  und  29),  2  Fälle 
wurden  recidiv  (2  und  10),  wovon  bereits  ein  Fall  erlegen  ist  und 
2  Fälle  betreffen  unvollendete  Operationen  (3  und  25),  welche  also 
ebenfalls  in  Kurzem  erliegen  dürften;  bleiben  also  noch  2  Fälle 
(19  und  21).  Der  erste  dieser  Fälle  wurde  im  Januar,  der  zweite  im 
März  dieses  Jahres  operirt.  Von  diesen  beiden  Fällen  kann  man  sagen, 
dass  ihnen  zumindest  aus  der  Operation  kein  Schaden  erwachsen  ist ; 
wenn  aber  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  auch  diese  Fälle  der  Recidive 
verfallen  sollten,  dann  müsste  allerdings  ausgesprochen  werden,  dass 
in  keinem  einzigen  dieser  Fälle  aus  der  Exstirpation  der  Drüsen  der 
Patientin  ein  Vortheil  erwachsen  ist.  Aber  selbst  dann,  wenn  diese 
beiden  Fälle  dauernd  geheilt  bleiben,  so  ist  dieser  Erfolg  doch  schwer 
erkauft.  Denn  damit  in  diesen  Fällen  carcinoma  tose  Drüsen  exstirpirt 
werden  konnten,  mussten  —  wenn  wir  die  Publication  Wert  hei  ms 
zu  Grunde  legen  —  in  18,  und,  wenn  wir  den  Vortrag  zu  Grunde 


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legen,  in  22  Fällen  Frauen  dieser  schweren  und  gefährlichen  Operation 
unterwoi  fen  worden,  obwohl  die  Lymphdrüsen  in  allen  diesen 
Fällen  sich  als  vollständig  gesund  erwiesen  haben.  In 
allen  diesen  Fällen  hätte  man  genau  dasselbe  Resultat  auch  dann  er¬ 
reicht.  wenn  man  die  Operation  entweder  auf  dem  vaginalen  Wege, 
oder  aber,  um  einer  grösseren  Menge  von  parametranem  Bindegewer  e 
habhaft  zu  werden,  auf  dem  abdominalen  Wege,  jedoch  ohne 
E  n  t  f  e  r  n  u  n  g  de  r  L  y  m  p  h  d  r  ii  s  e  n  ausgeführt  hätte.  Und  von 
diesen  18,  beziehungsweise  22  Fällen  sind  7  gestorben.  Darin  liegt 
eben  die  grosse  Schwierigkeit  der  Indicationsstellung  ‘für  die  abdomi¬ 
nale  Radicaloperation  nach  Wertheim,  dass  man  earcinomatöse  und 
entzündlich  infil trirte  Lymphdrüsen  weder  von  einander  noch  auch  von 
gesunden  Drüsen  zu  unterscheiden  im  Stande  ist.  Die  Unterscheidung 
kann  erst  unter  dem  Mikroskope  gemacht  weiden.  Wertheim  sagt 
allerdings,  dass  er  niemals  in  einer  makroskopisch  unveränderten 
Drüse  Carcinom  gefunden  habe,  aber  er  muss  zugeben,  dass  ebenso 
wie  es  möglich  ist,  dass  in  einem  makroskopisch  vollkommen  unverän¬ 
derten  Parametrium  sich  der  erste  Beginn  der  carcinomatösen  Erkian 
kung  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  vorfinden  kann,  dieses 
ebenso  auch  bei  einer  makroskopisch  vollkommen  unveränderten  Drüse 
denkbar  sei,  und  dass  wir  also  nur  dann  von  einer  Radical¬ 
operation  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  sprechen  können, 
wenn  wir  in  jedem  Falle  ausnahmslos  nicht  nur  den  Uterus  und  die 
Parametrien,  sondern  auch  die  sämmtlichen  regionäen  Drüsen  und  das 
zu  ihnen  hinziehende  Lymphsystem  exstirpirt  haben. 

Aus  allen  diesen  Betrachtungen  möchte  ich  den  Schluss  ziehen, 
dass  es  auch  in  Hinkunft  besser  sei,  in  Fällen  von  Radicaloperation 
des  Uteruskrebses  die  Drüsen  unberührt  zu  lassen.  Es  erscheint  ja 
absurd,  bei  Carcinom  die  Drüsen  zurück  zu  lassen,  aber  wenn  man 
die  grossen  Gefahren  bedenkt,  die  grossen  Schwierigkeiten  der  Operation, 
den  geringen  Nutzen,  den  man  in  derartig  vorgeschrittenen  Fällen  den 
Frauen  zu  leisten  im  Stande  ist  und  andererseits  die  grosse  Zahl  von 
Fällen,  welche  man  dieser  Operation  unterwerfen  muss,  ohne  dass 
dieselbe  eigentlich  mit  Rücksicht  auf  den  Zustand  der  Drüsen  noth- 
wendig  wäre,  so  erscheint  dieser  Vorschlag  nicht  ganz  ungerechtfertigt. 
Die  Analogie  mit  der  Operation  des  Mammacareinoms  trifft  hier  nicht 
zu,  denn  an  der  äusseren  Körperoberfläche  kommt  für  eine  auch  noch 
so  lang  dauernde  Operation  wohl  nur  die  Narkose  in  Betracht,  während¬ 
dem  eine  Operation  bei  geöffneter  Bauchhöhle  auch  bei  exaetester 
Technik,  bei  einer  Dauer  von  über  einer  Stunde  an  und  für  sich  schon 
grösste  Gefahr  involvirt. 

Für  mein  eigenes  \  erhalten  gegenüber  dem  Carcinoma  uteri  er¬ 
geben  sich  also  aus  den  interessanten  und  lehrreichen  Untersuchungen 
Werthe  i  m’s  die  folgenden  Schlüsse:  Beginnendes  Carcinom  mit 
vollständig  freien  Parametrien  werde  ich  nach  wie  vor  der  vaginalen 
Totalexstirpation  unterwerfen  und  mich  —  wie  ich  das  bisher  ja 
immer  getban  —  bemühen,  die  Parametrien  in  möglichst  grossem  Um¬ 
fange  mit  zu  entfernen.  Wenn  dabei  auch  hie  und  da  ein  scheinbar  ge¬ 
sundes  Parametrium  krank  sein  sollte  und  in  seltenen  Ausnahme 
fällen  eine  oder  die  andere  Lymphdrüse  bereits  earcinomatös,  so  sind 
das  eben  Ausnahmen  und  die  Ausnahme  kann  die  Regel  nicht  be¬ 
stimmen.  In  den  Fällen  von  leicht  infiltrirten  Parametrien  jedoch, 
welche  wir  jetzt,  für  operabel  erklären,  würde  ich  in  Zukunft  den 
abdominalen  Weg  vorziehen,  und  zwar  deshalb,  weil  es  ja  ganz  richtig 
ist,  wie  W  e  r  t  h  e  i  m  gesagt  hat,  dass  man  von  oben  her  die  Para¬ 
metrien  in  weit  grösserem  Umfange  auslösen  kann  als  von  der  Vagina 
aus.  Aber  in  diesen  Fällen  würde  ich  die  Lymphdrüsen  unberührt 
lassen,  aus  den  Gründen,  die  ich  früher  in  ausführlicher  Weise  aus¬ 
einanderzusetzen  die  Ehre  hatte. 

Wäre  man  im  Stande,  im  einzelnen  Falle  earcinomatöse  Drüsen, 
wenn  auch  erst  bei  geöffneter  Bauchhöhle,  als  solche  zu  erkennen  und 
darnach  sein  Verfahren  zu  richten,  so  wäre  gegen  die  abdominale 
Totalexstirpation  bei  Uteruskrebs  nichts  einzuwenden.  Wie  die  Sache  aber 
nach  den  Ausführungen  Wert  hei  m’s  jetzt  steht,  musste  man  ohne 
\\  ahl,  mit  und  ohne  Indication  das  Becken  ausräumen  und  das  scheint 
mir  nicht  gerechtfertigt. 

Docent  Dr.  Herzfeld:  Wenn,  wie  es  in  dem  Vortrage  W  e  r  t- 
h  ei  m’s  geschehen,  der  Vorschlag  gemacht  wird,  eine  bisher  allge¬ 
mein  übliche  Operationsmethode  zu  verlassen  und  dafür  eine  neue, 
angeblich  wirkungsvollere  ein  Zuschlägen,  ist  cs  Pflicht  eines  jeden  Fach¬ 
gynäkologen,  nach  reiflicher  Ueberlegung  der  angeführten  Gründe  und 
Schlussfolgerungen  sich  entweder  dem  neuen  Verfahren  anzuschliessen 
oder  aber  die  Bedenken  anzugeben,  welche  den  Einzelnen  von  der  Be¬ 
folgung  des  neuen  Weges  zurückhalten.  Aus  diesem  Grunde  habe  ich 
mir  das  Wort  erbeten. 

In  seinem  letztwöchentlichen  Vorträge  hat  Wert  heim  unsan¬ 
gegeben,  dass  die  totale  Vaginalexstirpation  des  carcinomatösen  Uterus 
nur  in  ungefähr  50 "i,  sämmtlicher  Fälle  radicale  Heilung  liefere  und 
das  diese  wenig  befriedigende  Resultate  ihre  Erklärung  darin  finden, 
dass  nicht,  wie  Winter  annahm,  die  Impfrecidive  eine  grosse  Rolle 
spiele,  sondern  dadurch,  dass  auch  schon  bei  beginnenden  carcinoma¬ 


tösen  Erkrankungen  des  Uterus  die  regionären  Lymphdrüsen  krebsig 
infiltriit  seien,  deren  Ausschälung  und  Nachweis  auf  dem  Wege  der 
vaginalen  Totalexstirpation  unmöglich  sei.  Es  wäre  daher  entweder, 
analog  dem  Vorgänge  der  Chirurgen  bei  der  Operation  des  Mamma- 
carcinoms,  auch  gegen  den  Gebärmutterkrebs  die  radicale  Operation 
auszuführen,  die  darin  zu  bestehen  habe,  dass  ausser  dem  erkrankten 
Organe  und  den  angrenzenden  Parametrien  noch  die  regionären  Lymph¬ 
drüsen  zu  exstirpiren  seien.  Wertheim  hat  im  Anschlüsse  daran 
von  33  bisher  derart  von  ihm  operirten  Fällen  erzählt.  Von  diesen 
33  Operirten  erlagen  elf  den  Folgen  der  Operation  (33'/s0/o)-  Fünf 
sollen  —  die  Operation  erstreckte  sich  auf  einen  Zeitraum  von  zwei 
Jahren  —  angeblich  an  intermittffenden  Krankheiten  gestorben  sein 
und  die  17  Fälle  seien  derzeit  noch  recidivfrei. 

Nun  will  ich  zunächst  bemerken,  dass  unsere  Erfahrungen  dafür 
sprechen,  dass  die  Recidiven  nach  der  vaginalen  Totalexstirpation  der 
carcinomatösen  Gebärmutter  in  der  Regel  in  der  Operationsnarbe  und 
in  der  Umgebung  derselben  zuerst  nachweisbar  werden,  und  dass  die 
Fälle,  bei  denen  die  Recidiven  in  entfernt  liegenden  Lymphdrüsen 
auftreten  und  zum  Tode  führen,  ganz  ausserordentlich  selten  sind. 
Aber  angenommen,  man  wollte  wirklich  eine  ideale  Operation  in  dem 
Sinne  machen,  da«s  man  die  regionären  Drüsen  des  Uterus  und  seiner 
Anhänge  nicht  blos,  wenn  sie  earcinomatös  sind,  sondern  präventiv, 
alle  ohne  Unterschied  entfernt  —  und  nur  dann  könnte  man  von  einer 
radicalen  Operation  sprechen  —  dann  muss  man  sich  fragen:  Wo 
liegen  denn  die  regionären  Lymphdrüsen  des  Uterus  und  seiner  An¬ 
hänge,  und  wie  stellt  sich  dann  das  Verhältniss  der  regionären  Drüsen 
beim  Uterus  und  bei  der  Mamma,  um  die  Analogie  weiter  zu  ziehen? 
Wenn  der  Chirurg  ein  Mammacarcinom  operirt,  umschneidet  er  im 
weiten  Zuge  die  erkrankte  Mamma  und  die  ganze  zwischen  der  Mamma 
und  der  Achselhöhle  gelegene  Region,  entfernt  das  ganze,  wenn  auch 
nur  partiell  erkrankte  Organ  mit  seiner  Unterlage,  er  nimmt  den 
Pectoralis  mit,  er  räumt  alle  axillaren  Drüsen  aus,  aber  im  Zusammen¬ 
hänge  mit  dem  erkrankten  Organe  und  dem  zwischenliegenden  Binde¬ 
gewebe.  Sind  nun  die  Verhältnisse  am  Uterus  analog  denen  an  der 
Mamma?  Gewiss  nicht!  Wir  haben  am  Uterus  ein  Lymphgefässnetz 
in  der  Mucosa,  in  der  Muscularis,  im  subserösen  und  im  serösen 
Stratum  und  alle  diese  Systeme  communiciren  untereinander,  so  dass 
durch  Einstich  in  die  Lymphbahnsn  des  einen  Systems  die  Gefässe 
der  anderen  Systeme  alle  mitgefüllt  werden  können.  Und  nun  sehen 
wir,  dass  die  Lymphgefässe  der  Portio  und  des  Collums  zu  Drüsen 
heranziehen,  welche  als  Lymphoglandulae  iliacae  an  der  Theilungsstelle 
der  lliaca  communis  in  die  Iliaca  externa  und  interna  und  auch  an  der 
medialen  Fläche  der  letzteren  liegen.  Wenn  man  die  Lymphoglandulae 
hypogastricae  längs  der  gleichnamigen  Aiterie  als  die  Lymphgefässe 
des  Corpus  uteri,  vornehmlich  zwischen  den  Glandulae  sacrales  an  der 
Theilungsstelle  der  Aorta  und  längs  der  Arteria  sacralis  gelegen,  an¬ 
sieht,  und  bedenkt,  dass  schliesslich  jederseits  zwei  bis  drei  grosse 
Lymphgefässe  längs  des  Ligamentum  infundibulo-pelvicum  zu  den 
Lymphoglandulae  lumbales  hinziehen,  und  zwar  zu  denjenigen,  welche 
zwischen  Aorta  und  Vena  cava  inferior  gelegen  sind,  ungefähr  in  einer 
Höhe,  die  dem  Abgänge  der  Arteria  spermatica  interna  von  der  Aorta 
und  dem  unteren  Nierenpole  entspricht.  Ausserdem  ziehen  vom  Fundus 
uteri  Lymphgefässe  längs  der  Ligamenta  teretia  in  der  Inguinalgegend 
zu  den  Glandulae  inguinales.  Wollte  man  nun  eine  wirklich  radicale 
Operation  und  Exstirpation  der  regionären  Drüsen  vornehmen,  dann 
müsste  man  alle  diese  Drüsen  exstirpiren.  Das  ist  technisch  unmöglich, 
schon  aus  dem  Grunde,  weil  es  ganz  undenkbar  ist,  an  die  Glandulae 
lumbales  heranzukommen.  Aber  selbst  wenn  diese  technischen  Schwierig¬ 
keiten  nicht  bestünden,  kann  die  Operation,  die  da  gemacht  wird, 
keine  radicale  sein,  weil  ja  wohl  der  Uterus  und  das  anliegende  Binde¬ 
gewebe,  sowie  die  entfernt  liegenden  Lymphdrüsen  beseitigt  werden, 
aber  die  das  erkrankte  Organ  mit  den  Drüsen  verbindenden  Lymph 
bahnen  nicht  mit  exstirpirt  werden  können.  In  diesen  Bahnen  fliesst  die 
mit  Krebsvirus  imprägnirte  Lymphe,  und  diese  Bahnen  werden  durch 
die  Operation  nach  beiden  Seiten  hin  eröffnet  und  somit  wird  auf  diese 
Weise  eine  Recidive  gewiss  nicht  verhindert.  Das,  was  Wertheim 
macht,  ist  daher  gar  keine  radicale  Operation.  Er  ent¬ 
fernt  nicht  einmal  alle  regionären  Drüsen;  aber  auch  von  den  zu¬ 
gänglichen  Drüsen  entfernt  er  nicht  alle,  sondern  die  ihm  makro¬ 
skopisch  verändert  erscheinenden,  und  da  ist  ihm  nun  Folgendes 
passirt:  In  einem  Falle  wurde  per  laparotomiam  der  earcinomatöse 
Uterus  mit  den  Parametrien  entfernt,  die  rechtsseitig  gelegene  ver- 
grösserte  Iliacaldrüse  wurde  entfernt,  die  linksseitige  normal  er¬ 
scheinende  belassen.  Die  Patientin  stirbt  am  vierten  Tage  nach  der 
Operation,  und  die  bei  der  Operation  entfernte  rechtsseitige  Drüse  er¬ 
wies  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  als  hyperplastisch, 
während  die  linksseitig  zurückgelassene  Drüse  (bei  der  Autopsie  dei 
Leiche  entnommen)  sich  als  krebig  infiltrirt  erwies.  Dieser  Fall 
kennzeichnet  die  ganze  Methode. 

Es  handelt  sich  daher  gar  nicht  um  eine  radicale  Operation, 
sondern  vielmehr  um  eine  Palliativoperation,  die  vielleicht  etwas 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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radicaler  ist  als  die  vaginale  Totalexstirpation, 
dafür  aber  auch  ungleich  gefährlicher. 

Vergleichen  wir  nun  die  Erfolge  der  sogenannten  radicalen 
Operation  mit  denen  der  vaginalen  Totalexstirpation,  so  muss  ich  zu¬ 
nächst  Folgendes  bemerken. 

Drei  Tage  nach  dem  Vortiage  Wertheim’s  erschien  im 
Archiv  für  Gynäkologie  seine  Publication  über  dasselbe  Thema,  dem 
sein  Vortrag  galt.  In  dieser  Arbeit  wird  über  29  Fälle  berichtet,  die 
in  der  Zeit  vom  16.  November  1898  bis  26.  Juli  1900  operirt  wurden. 
Nachdem  nun  offenbar  vier  Fälle  erst  in  den  letzten  drei  Monaten 
ausgeführt  wurden  und  darüber  noch  kein  genauer  Bericht  vorliegt, 
so  will  ich  mich  an  die  Publication  halten.  Da  sind  nun  von  29  operirten 
Frauen  12  den  Folgen  der  Operation  erlegen,  somit  mehr  als 
40"/0  der  Operirten.  Bei  den  anderen  17  Flauen  wurden  fünfmal 
schwere  Verletzungen  des  uropoetischen  Systems  gesetzt.  Bei  einer 
musste  eine  Zeit  nach  der  Operation  die  rechte  Niere  entfernt 
werden,  während  die  Patientin  auf  der  linken  Seite  eine  Harnleiter¬ 
scheidenfistel  acquirirte,  und  in  einem  Falle  ist  bald  nach  der  Operation, 
was  W  e  r  t  h  e  i  m  in  seinem  Vortrage  auch  nicht  anführte,  eine  Recidive 
aufgetreten. 

Wenn  ich  demgegenüber  meine  Erfahrungen  bei  vaginaler  Total¬ 
exstirpation  stelle,  so  muss  ich  angeben,  dass  ich  bis  jetzt  in 
48  Fällen  von  Carcinoma  uteri  die  vaginale  Totalexstir¬ 
pation  ausgeführt  und  davon  nur  eine  Fra  u  verloren  babe 
(2,O4n/0)»  Und  diese  eine  Frau  starb  am  fünften  Tage  nach  der 
Operation  plötzlich  in  Folge  eines  Vitium  cordis.  Nehme  ich  nun  an, 
dass  50%  der  Fälle  im  Verlaufe  von  fünf  Jahren  reeidiviren,  so  sind 
die  anderen  48%  total  geheilt,  den  recidivirenden  Fällen  jedoch  (50%) 
durch  die  vaginale  Totalexstirpation  das  Leben  wesentlich  verlängert 
worden. 

Bei  der  sogenannten  Radicaloperation  haben  40%  der  Fälle  ihr 
Leben  nach  der  Operation  eingebüsst,  und  von  den  restirenden  Kranken 
wissen  wir  noch  nichts  irgendwie  Sicheres.  Aber  selbst  für  den  Fall 
dass  es  bereits  sichergestellt  wäre,  dass  einige  Fälle  mehr  recidivfrei 
bleiben  als  die  bei  der  vaginalen  Totalexstirpation,  haben  wir  doch 
noch  immer  nicht  das  Recht,  für  diese  wenigen  Fälle  ganze 
Hekatomben  Opfer  zu  bringen,  in  einer  so  grossen  Anzahl  von  Fällen 
das  Leben  der  Kranken  direct  abzukürzen,  und  darum,  glaube  ich, 
sind  wir  von  einer  idealen  Operation  des  Gebärmutterkrebses  noch 
weit  entfernt  und  müssen  uns  mit  jener  palliativen  Operation  be¬ 
gnügen,  welche  die  relativ  ungefährlichste  ist. 

Hofrath  Chro  bak  :  Vor  Allem  muss  ich  die  verehrten  Herren  um 
Entschuldigung  bitten,  dass  ich  nicht  andern  mir  zukommenden  Platze 
in  die  Discussion  getreten  bin.  Durch  Rigorosen  aufgehalten,  habe  ich 
die  Bemerkungen  meiner  Vorredner  nicht  gehört,  und  da  ich  nun 
fürchte,  etwas  zu  wiederholen,  was  von  diesen  schon  gesagt  worden, 
will  ich  mich  auf  eine  kurze  Aeusserung  beschränken: 

ln  der  letzten  Sitzung  zweifelte  ich,  ob  ich  überhaupt  zu  dem 
Vortrage  Wertheim’s  das  Wort  ergreifen  solle.  Ich  entschied  mich 
dafür,  damit  es  nicht  scheine:  qui  tacet  consentire  videtur.  Aber  an¬ 
dererseits  stehe  ich  der  furchtbaren  Krankheit  so  gegenüber,  dass  ich 
auch  die  schwersten  und  gefährlichsten  Operationen  für  berechtigt  er¬ 
achte.  Das  Eine  möchte  ich  schon  von  vorneherein  aussprechen,  dass 
ich  es  nach  dem  Gehörten  für  unrichtig  halte,  wenigstens  jetzt,  wo 
naturgemäss  keine  Beobachtungen  die  Erfolge  verbürgen,  der  Operation 
mit  zu  hochgespannten  Erwartungen  entgegenzukommen  oder  gewisser- 
massen  eine  neue  Aera  der  Uteruskrebsbehandlung  zu  erwarten. 

Ich  will  mir  erlauben,  diese  meine  Ansicht  in  Folgendem  zu 
begründen,  womit  gleich  die  Bedenken,  welche  ich  gegen  die  Operation 
habe,  ausgesprochen  sind: 

1.  Die  Gefahr  der  Operation  an  sich.  Wenn  ein  so  meisterhafter 
Operateur  wie  Wertheim  noch  33%  Todesfälle  aufweist,  so  ist  das 
erschreckend  im  Vergleich  zu  den  Resultaten  anderer  Operationen,  be¬ 
denklich  in  Rücksicht  darauf,  dass  unter  29  Operationen  17mal  keine 
krebsigen  Drusen  gefunden  wurden.  Auch  die  schweren  Nebenver¬ 
letzungen  sind  nicht  zu  unterschätzen,  fünfmal  Blase  und  Ureteren,  eine 
Anreissung  der  Vena  hypogastrica  etc. 

Dies  allein  wäre  aber  nicht  ein  genügender  Grund;  mit  fort¬ 
schreitender  Technik  und  Uebung  kann  und  wird  das  wobl  besser 
werden. 

2.  Wir  sind  nicht  im  Stande,  durch  die  klinische  Untersuchung 
die  krebsige  Natur  der  Drüsen  zu  erkennen,  aber  auch  sehr  oft  nicht 
selbst  bei  geöffnetem  Abdomen.  Wie  oft  finden  wir  vergrösserte  Drüsen, 
welche  gar  nicht  krebsig,  und  wieder  makroskopisch  kaum  oder  nicht 
veränderte  Drüsen,  welche  krebsig  infiltrirt  sind.  Auch  das  Auffiuden 
selbst  ziemlich  grosser  Drüsen  gelingt  bis  jetzt  noch  nicht  sicher,  wie 
ein  Fall  von  Werthei  m  beweist.  Das  eben  Gesagte  ist  der  Grund  ge¬ 
wesen,  dass  man  die  Forderung  aussprach,  es  seien  die  Drüsen  typisch 
zu  eutfernen  und  aus  bekannten  Gründen  dehnte  man  dieses  Ver¬ 
langen  auf  die  Lymphgefässe  aus. 


Ich  will  mich  hierüber  nicht  verbreiten,  weil  ich  aus  den  letzten 
Worten  des  Collegen  Herz  fei  d  schliesse,  dass  er  sich  mit  dieser 
Frage  befasst  hat;  ich  will  nur  aussprechen,  dass  wir  uns  hier  in  einer 
recht  üblen  Lage  befinden,  wo  es  sich  um  kein  abgeschlossenes  Lymph- 
gefässsystem  handelt,  und  es  ja  nicht  einmal  möglich  ist,  viel  höher 
als  bis  zur  Linea  innominata  hinaufzugehen,  wo  ja  aller  Wahrschein¬ 
lichkeit  nach  auch  recht  früh  die  Drüsen  krebsig  erkranken  können, 
von  der  Eutfernung  der  Lymphgefässe  gar  nicht  sprechen. 

Ich  will  aber  nicht  behaupten,  dass  nicht  ein  Vortheil  darin 
liegen  könne,  dass  krebsige  Drüsen  mit  entfernt  werden,  wie  man  ja 
auch  beim  Rectumcarcinom  die  erreichbaren  Drüsen  entfernt,  doch 
handelt  es  sich  hier  wie  dort  nicht  um  eine  typische  Beseitigung  der 
Drüsen  und  Lymphgefässe.  Ist  doch  die  obere  Grenze  des  Operations¬ 
gebietes  nicht  zu  bestimmen  und  die  Möglichkeit  der  Entfernung  der 
Drüsen  in  allen  Fällen,  besonders  aber  jene  der  Lymphgefässe  zurück¬ 
zuweisen.  Schliesslich  und  letztlich  möchte  ich  noch  die  Frage  der 
Impfmetastase  des  Carcinoms  berühren. 

Wenn  ich  Collegen  W  e  r  t  h  e  i  m  neulich  recht  verstanden  habe, 
zählt  er  nicht  unter  die  Gegner  der  Carcinomimpfmetastasen,  wie  es 
manche  Collegen  zu  glauben  scheinen.  Ich  stehe  mit  wohl  der  grossen 
Mehrzahl  der  Chirurgen  bei  der  Ansicht,  es  könnten  solche  Metastasen 
zu  Stande  kommen.  Dem  entsprechend  habe  ich  immer  gelehrt,  dass 
bei  all  den  in  Rede  stehenden  Operationen,  auch  bei  der  vaginalen 
Totalexstirpation,  eine  Gefahr  darin  liege,  dass  so  viele  Lymphgefässe, 
Gewebsspalten  eröffnet  werden,  welche  die  Möglichkeit  der  Krebsimpfung 
nahe  legen. 

Beweis  dessen  möchte  ich  anführen,  dass  zu  jener  Zeit,  als  Karl 
v.  Braun  die  galvanokaustische  Amputation  ausführte,  als  ich  die 
typische  hohe  Collumamputation  machte,  Radicalbeilungen  nicht  gar 
so  selten  waren;  so  kann  ich  z.  B.  berichten,  dass  drei  im  Frühjahre 
1883  so  Operirte  heute  noch  recidivfrei  leben.  Ich  will  darum  nicht 
weitere  Schlüsse  ziehen,  fühle  mich  auch  über  den  Verdacht  reactionärer 
Gesinnung  erhaben  —  ich  will  nur  sagen,  dass  ich  mir  diese  Resultate 
immer  so  erklärt  habe,  dass  bei  diesen  Operationen  im  Uterus  selbst, 
ohne  Eröffnung  weiter  und  grosser  Lymphgefässgebiete  operirt  wurde. 

Als  Beweis,  dass  diese  Verhältnisse  gewürdigt  werden,  möchte 
ich  weiter  die  sorgfältige  Vorbereitung  —  die  vorgängige  Ausschabung 
und  Aetzung,  wie  auch  die  begründete  Empfehlung  der  Igniexstirpation 
des  Uterus  anführen. 

Welch  ungeheure  Menge  von  Lymphbahnen  wird  aber  bei  der 
in  Rede  stehenden  Operation  eröffnet,  wie  gross  ist  da  die  Gefahr  der 
Infection  mit  Krebselementen;  denn  wenn  auch  hier  der  Uterus  durch 
die  Vagina  nach  vorgängigem  Peritoneal  Verschluss  entfernt  wird,  au 
Material  für  die  Impfung  fehlt  es  wohl  gewöhnlich  nicht. 

Dr.  Latzko:  Wenn  ich  zu  den  ausgezeichneten,  auf  einem  reichen 
und  ausserordentlich  zielbewu-st  durchge arbeiteten  Material  basirten  Aus¬ 
führungen  Professor  Wertheim’s  das  Wort  ergreife,  so  schöpfe 
ich  die  Berechtigung  hiezu  aus  dem  Umstande,  dass  ich  schon  im 
Jahre  1895,  gelegentlich  einer  Demonstration,  von  diesem  Platze  aus 
als  einer  der  Allerersten  die  abdominale  Totalexstirpation  mit  Frei¬ 
legung  der  vorher  sondirten  Ureteren  und  der  grossen  Gefässe  als 
methodisch  zu  übende  Operation  bei  Uteruscarcinom  empfohlen  habe. 
Ich  begriisse  es  mit  doppelter  Freude,  dass  Professor  Wertheim 
meinen  Standpunkt,  den  er  damals  entschieden  bekämpfte,  heute  als 
richtig  anerkennt,  iudem  er  über  denselben  noch  weit  hinausgeht. 

Es  gehört  der  Muth  der  Ueberzeugung  dazu,  ein  Operations¬ 
verfahren  zu  verlassen,  das  scheinbar  so  vorzügliche  Resultate  auf¬ 
weist,  wie  die  vaginale  Totalexstirpation  bei  Uteruscarcinom.  Wenn 
Sie  aber  bedenken,  dass  von  100  zur  Operation  gelangenden  Kranken 
nach  fünf  Jahren  mindestens  75  ihrem  Leiden  erlegen  sind  —  von 
intercurrenten  Krankheiten  ganz  abgesehen  —  so  werden  Sie  auch  das 
Streben  begreifen,  dem  Gebärmutter  krebs  mit  radicaleren  Operations¬ 
methoden  an  den  Leib  zu  rücken,  ähnlich  wie  dies  die  Chirurgen  den 
Carcinomen  anderer  Organe,  speciell  denen  der  Mamma  gegenüber,  seit 
längerer  Zeit  mit  Erfolg  zu  thun  gewohnt  sind. 

Jedes  gegen  ein  Carcinom  gerichtetes  Operationsverfahren  sollte 
auf  dem  Verhalten  der  abführenden  Lymphbahnen  und  der  regionären 
Drüsen  aufgebaut  sein. 

Hofrath  Gussenbauer  hat  den  Nachweis  geliefert,  dass 
dieses  Verhalten  bei  den  Carcinomen  verschiedener  Organe,  verschie¬ 
dener  Körperregionen  ein  ganz  verschiedenes  ist  ;  dass  z.  B.  Carcinome 
des  Penis  oder  der  Lippen  fast  stets,  Carcinome  der  Wangen  nur 
ausnahmsweise  mit  Drüsenerkrankung  einhergehen. 

Vom  Gebärmutterkrebs  wissen  wir  aus  Sectionsberichten,  dass 
die  Endstadien  dieses  Leidens  so  gut  wie  immer  durch  ausgebreitete 
Drüsenerkrankung  ausgezeichnet  sind.  Bezüglich  des  Verhaltens  der 
Drüsen  bei  operablem  Uteruscarcinom  waren  wir  bisher  auf  eino 
einzige  Mittheilung  Winter’s  angewiesen,  der  gelegentlich  von 
44  Sectionen  nach  Totalexstirpation  der  krebsigen  Gebärmutter  \  er¬ 
storbener  zweimal,  d.  i.  in  4  5%  der  Fälle  die  Drüsen  carcinomatös 
degemrirt  fand.  Leider  gibt  W  i  n  t  e  r  nicht  an,  welcher  Untersuchung*- 


1122 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr  48 


methoden  er  sich  bedient  hat,  insbesondere  ob  er,  gleich  W  er  the  im, 
den  gesammten  Lymphdrüsenapparat  in  Serienschnitte  zerlegt  hat  — 
eine  conditio  sine  qua  non  zur  einwandfreien  Beantwortung  der  vor¬ 
liegenden  Frage.  Klinisch  stand  wohl  seit  längerer  Zeit  fest,  dass  die 
von  Winter  gebrachte  Zahi  hinter  der  Wirklichkeit  um  ein  Er¬ 
hebliches  zurückbleibt.  Trotzdem  hat  es  mich  und  wohl  auch  Andere 
ausserordentlich  überrascht,  als  Wertheim  die  Anzahl  der  in  seinen 
operirten  Fällen  beobachteten  Lymphdrüsenerkrankungen  mit  33% 
angab.  Dieser  hohe  Percentsatz  ist  wohl  zum  Theil  darauf  zurück¬ 
zuführen,  dass  W  e  r  t  h  e  i  m’s  Material  mit  einer  Reihe  weit  vor¬ 
geschrittener  Carcinome  belastet  ist.  Immerhin  bleibt  der  Gegensatz 
zwischen  den  beiden  angeführten  Zahlen  ein  so  auffallender,  dass  es 
gerathen  sein  dürfte,  vor  Stellungnahme  zu  unserem  Thema  die 
Resultate  weiterer  Untersuchungen  an  einem  grösseren  Material  ab 
zuwarten. 

Vielleicht  wäre  Prof.  Wert  heim  so  freundlich,  einstweilen 
mitzutheilen,  wie  sich  an  den  bisher  operirten  Fällen  das  Verbältniss 
der  Drüsenerkrankung  stellt,  wenn  er  dieselben  in  leichte  und  vor¬ 
geschrittene  eintheilt.  Es  ist  von  vorneherein  selbstverständlich,  dass 
die  beginnenden  Carcinome  einen  geringeren,  die  vorgeschrittenen 
einen  höheren  Procentsatz  der  Lymphdrüsener krankung  liefern  werden. 
Doch  sind  Abweichungen  von  dieser  Norm  nach  beiden  Richtungen 
bekannt:  Ich  verweise  diesbezüglich  auf  die  Untersuchungen  K  ö  n  i  g’s 
aus  Peter  M  ü  1 1  e  r’s  Klinik  in  Bern,  der  in  einer  fortlaufenden 
Reihe  von  fünf  weit  ausgebreiteten  Uteruscarcinomen  die  exstirpirten, 
intumescirten  Iliaeal-  und  Sacraldrüsen  nie  krebsig  entartet  sah.  Diese 
anatomische  Beobachtung  bestätigt  und  erklärt  die  klinisch  wohl- 
bekannte  Thatsaehe,  dass  auch  solche  Uteruscarcinome,  die  schon  die 
Grenzen  des  Organes  überschritten  haben,  nach  Totalexstirpation 
dauernd  ausheilen  können.  Aus  diesen  Beobachtungen  ergibt  sich 
aber  ferner  die  Frage,  ob  der  Weg  von  der  earcinomatösen  Infection 
der  Lymphbahnen  bis  zur  Infiltration  der  Drüsen  thatsächlich  in  so 
kurzer  Zeit  zurückgelegt  zu  werden  pflegt,  wie  man  dies  gewöhnlich 
annimmt. 

Diese  noch  nicht  definitiv  beantwortete  Frage  stellt  meiner 
Ansicht  nach  das  punctum  saliens  in  dieser  Sache  dar. 

Ich  erlaube  mir  hier  auf  jene  Demonstration  im  Jahre  1895  zu 
verweisen,  in  welcher  ich  die  Vornahme  der  abdominalen  Total- 
■  ■xstirpation  mit  Freilegung  der  Ureteren  und  grossen  Gefässe  bei 
Uterusearcinom  empfahl.  Ich  ging  damals  von  dem  Gesichtspunkte 
aus,  der  mir  auch  heute  noch  massgebend  erscheint,  dass  auf  einem 
anderen  als  dem  abdominalen  Wege  eine  ausgiebige  Resection  der 
Parametrien  nicht  oder  wenigstens  nicht  so  weit  ausführbar  sei.  Die 
möglichst  vollständige  Exstirpation  der  Parametrien  möglichst  nahe 
Her  Beckenwand  ist  aber  zwingend  indiciit,  seit  wir  aus  S  e  e  1  i  g’s, 
M  a  c  k  e  n  r  o  d  t’s  und  Veit’s  anatomischen  Untersuchungen  wissen, 
dass  die  carcinomatöse  Infection  der  Lymphbahnen  in  den  Parametrien 
schon  zu  einer  Zait  erfolgt  sein  kann,  in  der  eine  makroskopische, 
respective  tastbare  Veränderung  der  letzteren  vollkommen  fehlt. 

Unter  Festhaltung  dieser  Principien  habe  ich  bisher  zwölfmal 
die  abdominale  Totalexstirpation  des  earcinomatösen  Uterus  ausgeführt, 
auch  gelegentlich  im  Bereiche  der  blossgelegten  Gefässe  infiltrirte 
Lymphdrüsen  exstirpirt. 

Ich  konnte  mich  hiebei  —  offen  gestanden  —  nicht  der  Ueber- 
zeugung  erwehren,  dass  die  Entfernung  solcher  Drüsen  ohne  die  ver¬ 
bindenden  Lymphbahnen  eigentlich  eine  Spielerei  ist.  Zu  einer  wirklich 
radicalen  Operation,  d.  h.  zur  prophylaktischen  Entfernung  sämmtlicher 
regionärer  Drüsen  im  Zusammenhänge  mit  den  zum  Uterus  führenden 
Lymphbahnen  und  Blutgefässen,  im  Zusammenhänge  mit  dem  Organe 
konnte  ich  mich  nie  entschliessen.  Derart,  d.  h.  wirklich  radical,  hat 
bisher  in  einer  Reihe  von  Fällen  nur  König  operirt,  der  in  jedem 
Falle  die  iliacalen  und  sacralen  Drüsen,  und  zwar  im  Zusammenhänge 
mit  dem  Uterus  und  seinen  Gelassen  exstirpirte,  wodurch  nicht  nur 
die  grossen  Gefässe,  sondern  auch  die  Vorderfläche  des  Kreuzbeines 
blossgelegt  wurde,  der  endlich  in  den  letzten  Fällen  das  parietale 
Peritoneum  als  Träger  von  Lymphbahnen  in  grosser  Ausdehnung 
resecirte. 

Seine  Resultate  —  sieben  Operationen  mit  drei  Todesfällen  — 
sind  keineswegs  ermuthigend;  doch  muss  man  gerechter  Weise  zu¬ 
gestehen,  dass  König  zum  Theile  an  völlig  ungeeigneten,  eigentlich 
inoperablen  Fällen  operirt  hat.  Auch  Prof.  Wertheim’s  Resultate 
33°  o  Mortalität  —  sind  gewiss  nicht  günstig,  obwohl  ich  ebenso 
fest  wie  er  selbst  davon  überzeugt  bin,  dass  dieselben  keine 
definitiven  sind.  Hat  doch  schon  Clark,  der  ganz  ähnlich  wie 
Prof.  W  e  r  t  h  e  i  m  operirte,  im  Jahre  1896  über  zehn  Fälle  ohr.e 
Todesfall  im  directem  Anschlüsse  an  die  Operation  berichtet. 

Ich  selbst  habe  von  zwölf  Fällen  zwei  verloren;  darunter  den 
ersten  in  Folge  eines  groben  technischen  Fehlers.  Daher  verfüge  ich 
jetzt  über  eine  fortlaufende  Reihe  von  elf  nach  den  früher  entwickelten 
Principien  operirten  abdominalen  Totalexstirpationen  mit  einem  Todes¬ 


fall.  Dieses  Resultat  ist  nicht  zu  ungünstig.  Allerdings  betone  ich 
nochmals,  dass  die  von  mir  geübte  und  empfohlene  Operation  eine 
„Radicaloperation“  weder  im  Sinne  Wertheim’s,  noch  weniger  im 
Sinne  König’s  sein  will. 

Nach  dem  Mifgetheilten  und  nach  den  Operationsresultaten 
Anderer,  von  denen  besonders  Jacobs  —  50  abdominale  Total¬ 
exstirpationen  des  earcinomatösen  Uterus,  zum  Theile  auch  seiner 
Drüsen  mit  zwei  Todesfällen  —  erwähnt  sei,  glaube  ich  zu  der  Be¬ 
hauptung  berechtigt  zu  sein,  dass  die  abdominale  Totalexstirpation  mit 
Blosslegung  der  Ureteren  keineswegs  eine  so  gefährliche  Operation 
darstellt,  dass  man  sich  wegen  der  gegen  die  vaginale  Totalexstirpation 
voraussichtlich  um  weniges  höheren  Mortalität  des  Vortheiles  der  aus¬ 
gedehnten  Exstirpation  der  Ligamente  begeben  müsste. 

Gegen  eine  Eintheilung  der  Fälle  in  solche  mit  freien  Para¬ 
metrien,  die  vaginal  und  solche  mit  nicht  ganz  freien  Parametrien, 
die  abdominal  zu  operiren  wären,  scheint  mir  doch  der  Umstand  zu 
sprechen,  dass  die  Zartheit  der  Parametrien  für  ihre  Carcinomfreiheit 
gar  keine  Gewähr  bietet. 

Uebrigens  ist  auch  die  vaginale  Totalexstirpation  keineswegs 
eine  lebenssichere  Operation.  Nicht  2 — 3,  sondern  8%  beträgt  die 
Durchschnittsmortalität  in  der  Hand  geübter  Operateure.  Auf  wenige 
Mortalitätsprocente  hinauf  oder  hinunter  darf  es  aber  einem  Leiden 
wie  dem  Carcinom  gegenüber  nicht  ankommen,  wenn  wir  die 
theoretisch  sichere  Chance  zahlreicherer  Dauerheilungen  gewinnen 
können. 

Primarius  Dr.  v.  Erlach:  Wenn  wir  aufgefordert  werden,  zur  Be¬ 
kämpfung  einer  Krankheit  neue  operative  Wege  einzuschlagen,  so  ist  es 
wohl  am  Platze,  die  mit  dem  bisherigen  Verfahren  erzielten  Resultate  uns 
zu  vergegenwärtigen.  Ich  gestatte  mir,  dies  in  Bezug  auf  das  Material 
de3  Maria  Theresion  Spitales  zu  thun,  gestützt  auf  eine  Arbeit,  welche 
von  Dr.  v.  W  oerz  und  mir  ausgeführt  und  in  einigen  Tagen  im 
Buchhandel  erscheinen  wird.  Dieselbe  bezieht  sich  auf  ein  Material 
von  17.200  Frauen,  unter  diesen  waren  Fälle  von  Carcinom  576 
(3'3tl/u),  eine  Zahl,  welche  der  H  o  f  m  a  i  e  r’schen  der  Berliner  Klinik 
mit  3‘6 nahezu  gleichkommt.  Von  diesen  schienen  212  Fälle  zur 
Radicaloperation  geeignet  (37%).  Thatsächlich  wurden  162  Fällo 
(28%)  radical  operirt.  Diese  Fälle  beziehen  sich  auf  einen  Zeitraum 
vom  Jahre  1892  bis  April  1899,  und  sind  somit  bis  zum  Abschlüsse 
der  Arbeit  mit  nahezu  von  zwei  bis  acht  Jahren  in  Beobachtung. 

Vaginale  Totalexstirpationen  wurden  131  ausgeführt.  Von  diesen 
staiben  10  (7 ’6%). 

Die  Todesfälle  daselbst  beziehen  sich  auf  eine  Pneumonie,  eine 
Ureterverletzung,  eine  Nachblutung,  zwei  Embolien  und  fünf  Fälle 
von  Sepsis.  Dabei  siud  dies  jedoch  durchaus  nicht  Fälle  nur  leichter 
Natur,  sondern  es  sind  Fälle  schwerer  und  schwerster  Art  nach 
unseren  dermaligen  Begiiffen  darunter.  Ich  will  nur  kurz  die  Heilungs¬ 
resultate  anführen  und  verweise  zur  genaueren  Einsicht  auf  die  er¬ 
scheinende  Monographie.  Von  115  Fällen  konnten  wir  Nachrichten 
erhalten;  von  diesen  leben  heute  noch  62  (53  9%). 

Wenn  wir  davon  die  leichten  Fälle  ausscheiden  (mehr  oder 
minder  beginnende  Carcinome),  so  finden  wir  darunter  24  Fälle  mit 
mehr  als  zweijähriger  Beobachtungsdauer;  allerdings  sind  von  diesen 
trotz  der  Leichtigkeit  der  Fälle  7  recidiv  (29%),  und  nur  14  konnten 
wir  als  dauernd  geheilt  auffinden.  Wenn  dieses  relativ  ungünstige 
Verbältniss  in  Anbetracht  der  Leichtigkeit  der  Fälle  für  den  Vorschlag 
Wertheim’s  sprechen  würde,  so  müssen  wir  doch  wieder  hinweisen 
auf  eine  Reihe  von  schweren  Fällen,  bei  welchen  die  Gefahr  einer 
Recidive  äusserst  naheliegend  war.  Wir  finden  in  unseren  Reihen  acht 
Fälle  schwerster  Natur,  welche  trotzdem  recidivfrei  geblieben  sind, 
also  trotz  des  Vorgeschrittenseins  des  Carcinoms  waren  bei  diesen  die 
Drüsen  uoch  nicht  infiltrirt. 

Wenn  ich  kurz  die  Fälle  scheide  in  solche  der  Portio,  der 
Cervix  und  des  Corpus,  so  finden  wir  von  Carcinomen  der  Portio 
operirt  75  Fälle  mit  2%  Mortalität.  Von  diesen  sind  heute  37  Frauen 
gesund  (52%),  bei  31  Frauen  (43%)  wurde  Recidive  beobachtet. 

Bei  Carcinom  der  Cervix  39  Fälle  (5  gestorben,  12'8%);  von 
diesen  sind  15  Frauen  gesund  (46%),  iß  recidivirten  (50%)-  Dieses 
Resultat  ist  ein  schlechteres  und  erklärt  sich  wohl  dadurch,  dass 
viele  solche  Fälle  erst  in  späterer  Zeit  zur  Operation  gelangen. 

Carcinom  des  Corpus  14  Fälle  (3  gestorben,  21%),  von  diesen 
sind  9  gesund  (81%)  und  nur  2  recidiviiten  (18%). 

Dr.  v.  Woerz  hat  in  dieser  Reihe  von  Fällen  nachgesucht, 
wie  sich  die  Gesundheitsverbältnisse  bei  Frauen  stellen,  wo  Carcinom 
im  Anschlüsse  an  eine  Gravidität,  und  zwar  vor  Ablauf  eines  Jahres 
sich  einstellt.  Er  kommt  zu  dem  überraschenden  Resultate,  dass  unter 
225  Carcinomfällen,  welche  in  klinischer  Beobachtung  waren,  17  Fälle 
mit  Schwangerschaft  complicirt  waren.  Von  diesen  wurde  12mal 
vaginale  Totalexstirpation  ausgeführt.  Davon  ist  eine  gestorben  an 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  11)00. 


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Sepsis,  wobei  jedoch  zu  bemerken  ist,  dass  Patientin  kurz  vorher 
abortirt  hatte  und  an  Septikämie  erkrankt  war  und  nur  der  Versuch 
gemacht  wurde,  die  septisch  inficirte  Patientin  noch  zu  retten.  Von 
diesen  ist  eine  verschollen,  eine  später  an  Tuberculose  gestorben; 
nach  Ablauf  eines  Jahres  nach  der  Operation  waren  nur  drei  Frauen 
noch  gesund,  und  die  letzte  der  Operirten  starb  3'l2  Jahre  nach  der 
Totalexstirpation. 

Wenn  die  Mehrzahl  meiner  Vorredner  sich  entschieden  gegen 
die  Verallgemeinerung  des  radicalen  Verfahrens  von  Wertheim 
aussprach,  so  müssen  wir  wohl  zugeben,  dass  in  diesen  Fällen,  wo 
Carcinom  bei  einer  Schwangeren  oder  im  ersten  Jahre  nach  einer 
stattgehabten  Schwangerschaft  aufgetreten  ist,  ein  radicaleres  Ver¬ 
fahren  als  unser  bisheriges  entschieden  am  Platze  wäre. 

Vielleicht  wäre  es  empfehlenswert!!,  in  solchen  Fällen  nach  dem 
heutigen  Vorschläge  Schauta’s  die  Laparotomie  mit  möglichster 
Entfernung  des  Parametriums  auszuführen. 

Der  Vollständigkeit  halber  gestatte  ich  mir,  auch  eine  Operation 
zu  besprechen,  welche  im  Allgemeinen  wohl  selten  ausgeführt  wird, 
nämlich  die  Totalexstirpation  des  Uterus  nach  sacraler  Methode.  Ich 
habe  davon  im  oben  angeführten  Zeiträume  27  Fälle  operirt,  von 
welchen  fünf  starben  (8'5%).  Davon  sind  vier  Patientinnen  verschollen, 
eine  an  Tuberculose  gestorben.  Von  17  konnte  ich  Nachricht  er¬ 
halten;  davon  sind  zehn  recidivirt  =  (59°/o)  und  sieben  sind  ge¬ 
sund  (42%). 

Wenn  ich  die  Verschollenen  als  Recidiv  betrachte  und  den  an 
Tuberculose  verstorbenen  Fall  noch  dazu  rechne,  so  sind  freilich  nur 
26%  dieser  Fälle  scheinbar  dauernd  getheilt.  Das  Verhältniss  ist  gewiss 
nicht  günstig,  aber  ich  muss  erwähnen,  dass  nur  schwerste  Fälle,  bei 
denen  mir  die  vaginale  Totalexstirpation  ganz  ungenügend  erschien, 
dieser  Operation  unterzogen  wurden. 

Wenn  ich  diese  Fälle  überblicke,  so  finde  ich  den  ersten 
operirten  heute  nach  sieben  Jahren  noch  recidivfrei.  Die  ersten  zwölf 
Fälle  haben  hinter  einander  die  Operation  überstanden.  Es  ist  dadurch 
wohl  begreiflich,  dass  ich  in  meiner  lndicationsstellung  etwas  kühner 
wurde  und  endlich  auch  Fälle  operirte,  die  besser  auszuschliessen  ge¬ 
wesen  wären.  Durch  drei  aufeinander  folgende  Todesfälle  wurde  ich 
eines  Besseren  belehrt  und  nach  den  heute  vorgeuommenen  Nach¬ 
fragen  wurde  meine  Vermuthung,  zu  weit  gegangen  zu  sein,  auch 
dadurch  bestätigt,  dass  sämmtliche  Fälle  aus  dem  Jahre  1894,  mit 
Ausnahme  des  ersten,  an  Recidiv  erkrankt  sind. 

Seit  dem  Jahre  1895  bis  April  1899  habe  ich,  wie  erwähnt, 
vorsichtiger  geworden,  nur  zwölf  Fälle  nach  sacraler  Methode  operirt; 
von  denen  sind  zwei  gestorben;  von  den  übrig  bleibenden  zehn  Fällen 
sind  heute  nach  mindestens  1%  Jahren  noch  sechs  Fälle  vollkommen 
gesund.  Er  wurde  somit  in  50°/o  trotz  vorgeschrittener  Krankheit 
Heilung  erzielt. 

Wenn  ich  nun  alle  Verschollenen  und  auch  an  anderweitigen 
Krankheiten  Verstorbenen,  welche  noch  hätten  recidiv  werden  können, 
als  solche  betrachte,  so  habe  icli  von  vaginalen  Totalexstirpationen  von 
131  Fällen  62  geheilt,  d.  i.  im  Ganzen  47%,  und  zwar  in  einem 
Zeiträume  der  Beobachtungsdauer  von  zwei  bis  sieben  Jahren. 

Wenn  wir  nun  in  Betracht  ziehen  die  Resultate,  welche  Wert¬ 
heim  bisher  erzielt  hat,  so  leben  von  seinen  in  den  letzten  zwei 
Jahren  operirten  33  Frauen  noch  17  (elf  Todesfälle,  fünf  Frauen 
später  gestorben),  das  sind  51-5%. 

Es  darf  keine  von  den  jetzt  noch  Lebenden  recidiv  werden,  da¬ 
mit  die  Verhältnisse  nicht  schlechter  weiden  wie  bisher  und  mit  wie 
schweren  Opfern  wurden  diese  Resultate  erzielt! 

Unter  29  im  Archiv  veröffentlichten  Fällen  sind  elf  Frauen  mit 
Infiltration  der  Drüsen  (37%).  Von  den  übrigen  18  Fällen  sind  ver¬ 
schiedene  gestorben,  die  nach  unserer  dermaligen  Behandlung  mit 
Wahrscheinlichkeit  hätten  geheilt  werden  können. 

Wenn  wir  dieses  in  Betracht  ziehen,  so  werden  wir  daraus  nach 
meiner  Meinung  folgende  Schlüsse  ziehen  können: 

1.  Bei  beginnendem  Carcinom  wird  es  auch  heute  trotz  der  8 %, 
welche  Wertheim  als  „mit  erkrankten  Drüsen“  bezeichnet,  wenigstens 
bei  uns  persönlich  näher  stehenden  Frauen  gewiss  bei  der  vaginalen 
Totalexstirpation  bleiben,  wie  schon  Schauta  betont  hat,  auf  die 
Gefahr  hin,  dass  später  eine  Reihe  von  Recidiven  auftreten  werden, 
da  die  momentanen  Heilresultate  doch  so  günstige  sind  und  hier 
Todesfälle  mit  2  —  3%  berechnet  werden  können. 

Thorn  beobachtete  eine  Reihe  von  22  Fällen  beginnenden 
Carcinoms,  von  welchen  mit  einer  Beobachtungsdauer  von  zwei  Jahren 
nur  zwei  an  Recidive  erkrankt  sind. 

2.  Wenn  wir  die  vorgeschrittenen  Fälle  bei  sehr  herabgekom¬ 
menen  Frauen  mit  auftretender  Herzschwäche  in  Betracht  ziehen,  so 
wird  bei  denen  eine  radicale  Laparotomie  im  Sinne  Wertheim’s 
eben  so  wie  die  sacrale  Methode  nicht  zur  Ausführung  kommen 


können;  es  werden  alle  diese  Fälle  der  Operation  mit  grosser  Wahr¬ 
scheinlichkeit  erliegen.  Wir  werden  nach  wie  vor  den  Frauen  in  keiner 
anderen  Weise  helfen  können,  als  mit  dem  Versuche  der  vaginalen 
Totalexstirpation,  durch  welche  den  Frauen  durch  ein  bis  drei  Jahre 
die  Lebensdauer  verlängert  werden  kann,  und  wir  werden  uns  immer¬ 
hin  freuen  müssen,  wenn  wir  einzelne  von  denen  dauernd  am  Leben 
erhalten  können,  wie  meine  oben  erwähnten  acht  Fälle  bezeigen. 

Prof.  Wert  heim  hat  sich  sein  Schlusswort  in  der  Discussion 
für  die  nächste  Nummer  dieser  Wochenschrift  Vorbehalten. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

I.  Sitzung  vom  19.  October  I960. 

Präsident:  Prof.  Gad. 

Secretär:  Doc.  Dr.  Waelscll. 

Schriftführer:  Dr.  Scheib. 

Anwesend:  52  Mitglieder. 

Tagesordnung: 

1.  Dr.  Engel  demonstrirt  einen  Fall  von  Myxo  edema  in¬ 
fant  i  l  e. 

Das  achtjährige  Kind  ist  kaum  90  cm  gross,  statt  115  cm.  Vor  Be¬ 
ginn  der  Jodothyrinbehandlung  war  die  Haut,  besonders  der  Hände  und 
des  Gesichtes  ödematös,  die  Extremitäten  machten  den  Eindruck  des 
Stämmigen.  Der  Gang  des  Kindes  ist  recht  plump;  am  liebsten  sitzt 
es  ruhig,  spricht  nichts;  hat  in  der  Schule  im  ersten  Jahre  nie  eine 
Antwort  gegeben. 

Schilddrüse  ist  nicht  nachweisbar. 

Zeichen  von  Lues  sind  nicht  vorhanden,  auch  von  Rachitis 
nicht.  —  Auffällig  ist  das  Zurückbleiben  in  der  Entwicklung  der 
Knochenkerne.  Das  Röntgen-Bild  der  Hand  und  des  distalen  Endes  des 
Vorderarmes  lässt  blos  jene  Knochenkerne  ei  kennen,  die  schon  im 
ersten  und  zweiten  Lebensjahre  auftreten.  Die  Kuorpelknochenfugen 
verlaufen  ganz  gerade. 

Auch  in  der  Dentition  ist  das  Kind  zurückgeblieben. 

Bemerkenswerth  ist  das  hohe  Alter  des  Vaters,  75  Jahre;  die 
Mutter  ist  47  Jahre  alt.  —  Symptome  von  Lues  zeigt  keines  von  beiden. 

Discussion:  Dr.  Lasch  fragt,  ob  sich  bei  dem  Kinde  keine 
Zeichen  von  Lues  gefunden  hätten. 

Dr.  Engel  und  Docent  Dr.  Raudnitz  verneinen  diese  Frage. 

Dr.  Lasch  theilt  nun  mit,  dass  der  Mutter  des  Kindes  ein 
anderes  Kind  zum  Zustillen  übergeben  wurde,  dessen  Eltern  vollkommen 
gesund  sind,  und  das  keine  Zeichen  von  Lues  darbot.  Nach  sechs¬ 
monatlichem  Aufenthalte  bei  der  Frau  bekam  das  Kind  eine  Haut¬ 
syphilis.  Das  heute  vorgestellte  Kind  macht  nun  auf  Lasch  den 
Eindruck,  als  handelte  es  sich  nicht  um  ein  Myxödem,  sondern  um 
angeborene  Lues. 

Docent  Dr.  Raudnitz  hebt  nochmals  hervor,  dass  sich  anam¬ 
nestisch  kein  Anhaltspunkt  für  Lues  ergab,  wird  aber  der  angegebenen 
Fährte  nachgehen  und  das  Ergebniss  der  Versammlung  mittheilen. 

Docent  Dr.  R.  F  i  s  c  h  1  vermisst  an  dem  Kinde  die  charakteri¬ 
stischen  Zeichen  des  Myxödems  und  glaubt,  dass  es  sich  nach  dem, 
was  das  Kind  bei  der  Demonstration  darbot,  um  einen  syphilitischen 
Infantilismus  handeln  könne. 

Hofrath  Chiari  ersucht,  das  Kind  nach  einiger  Zeit  wieder  im 
Verein  zu  zeigen,  da  dann  vielleicht  eine  Einigung  in  den  strittigen 
Punkten  erzielt  werden  könne. 

2.  Docent  Dr.  Waelsch  erstattet  den  Bericht  über  das  ab¬ 
gelaufene  Vereinsjahr: 

Geehrte  Versammlung!  Als  erster  Programmpunkt  der  heutigen 
Sitzung  ist  auf  die  Tagesordnung  der  Bericht  über  das  abgelaufene 
Vereinsjahr  gesetzt,  der  bisher  immer  Zeugniss  ablegte  von  dem  regen 
Leben  in  unserem  Vereine.  Auch  am  Schlüsse  des  heurigen  Vereins- 
j ahies  kann  der  abtretende  Ausschuss  mit  Freude  constatiren,  dass  die 
Thätigkeit  des  Vereines  eine  rege  und  befriedigende  gewestn. 

Diese  Thätigkeit  findet  ihren  Massstab  in  den  wissenschaftlichen 
Sitzungen  des  Vereines  und  den  in  denselben  gebotenen  Demonstrationen 
und  Vorträgen.  Im  vergangenen  Jahre  fanden  19  Sitzungen  mit  31  De¬ 
monstrationen  und  12  Vorträgen  statt,  deren  Werth  in  dem  zahlreichen 
Besuche  der  Versammlungen  durch  die  Mitglieder  seine  Anerkennung 
fand,  wobei  Gelegenheit  gegeben  war  zu  gegenseitiger  Aussprache  und 
Anregung.  Allen  Jenen,  welche  durch  ihre  Theilnahme  an  dieser 
Thätigkeit  des  Vereines  seine  Zwecke  förderten,  sei  hiemit  der  herz¬ 
lichste  Dank  gesagt. 

Mit  Freude  müssen  wir  es  auch  begrüssen,  dass  durch  die  Pub¬ 
lication  der  Vereinsberichte  in  der  W  iener  klinischen,  Deutschen  und 


1124 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  48 


Münchener  medicinischen  Wochenschrift,  welche,  wie  auch  im  \  orjahre, 
der  Schriftführer  unseres  Vereines,  Herr  Dr.  Ferdinand  Schenk, 
in  dankenswerther  Weise  übernommen  und  durchgeführt  halte,  die 
Ergebnisse  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit  des  Vereines  weiteren 
medicinischen  Kreisen  zugeführt  wurden. 

Auch  die  Vereinsbibliothek  hat  im  heurigen  Jahre  einen  nam¬ 
haften  Zuwachs  erfahren.  Ihre  Katalogisirung,  Unterbringung,  Ordnung 
und  Ergänzung  lässt,  Dank  der  rastlosen  Thätigkeit  des  Herrn  Docenten 
Fried  el  Pick,  eine  nutzbringende  Verwerthung  des  früher  brach¬ 
liegenden,  kostbaren  Materiales  gewärtigen,  so  dass  die  von  dem  Ver¬ 
eine  für  diesen  Zweck  bewilligten  Geldmittel  wohl  angebracht  er¬ 
scheinen.  Die  Unterbringung  der  Bibliothek,  die  jetzt  1200  Bände  be¬ 
trägt,  in  leicht  zugänglichen  Räumen  ist  durch  das  freundliche  Ent¬ 
gegenkommen  des  akademischen  Senates  hier  im  Carolinum  ermöglicht 
worden.  Dem  akademischen  Senate,  sowie  Herrn  Docenten  Dr.  Pick 
sei  an  dieser  Stelle  der  beste  Dank  gesagt. 

Die  Mitgliederzahl  hat  gegenüber  dem  Vorjahre  keine  wesent¬ 
liche  Zu-  oder  Abnahme  erfahren. 

Geehrte  Versammlung!  Lassen  Sie  uns  auch  noch  der  traurigen 
Pflicht  genügen,  an  dieser  Stelle  jener  Collegen  zu  gedenken,  welche 
uns  durch  den  Tod  entrissen  wurden.  So  starb  uns  in  Wien  das  lang¬ 
jährige  Vereinsmitglied  Herr  Hofrath  Prof.  Knoll,  der  durch  seine 
hervorragenden  Geistes-  und  Charaktereigenschaften  eine  Zierde  unserer 
Hochschule  gewesen,  und  der,  hier  im  Vereine  zwar  selten  hervor¬ 
tretend,  doch  die  Interessen  desselben,  sowie  die  des  ärztlichen  Standes 
überhaupt  dafür  in  umso  nachhaltigerer  Weise  förderte.  Einen  zweiten 
schweren  Verlust  erlitten  wir  durch  das  Hinscheiden  unseres  lang¬ 
jährigen  Vereinsmitgliedes  Herrn  Prof.  Dr.  R.  v.  Limbeck  in  Wien, 
der  in  unseren  ärztlichen  Kreisen  von  seiner  Prager  Thätigkeit  her 
bekannt  und  geschätzt,  die  Ergebnisse  seiner  unermüdlichen  Forschungen 
uns  hier  im  Vereine  oft  vermittelte.  Beider  wurde  in  den  Sitzungen 
des  Vereines  in  liebevoller  Theilnahme  gedacht,  und  die  Versamm¬ 
lungen  zu  Trauerkundgebungen  veranlasst.  Ferner  verlor  unser  Verein 
noch  zwei  Mitglieder,  die  Herren  Doctoren  Robitschek  und  Lands¬ 
mann,  deren  Andenken  vom  Präsidium  in  entsprechender  Weise  ge 
ehrt  wurde. 

Geehrte  Versammlung!  Ueberblicken  wir  nochmals  die  Thätig- 
koit  unseres  Vereines  im  41.  Jahre  seines  Bestandes,  so  können  wir 
auf  seine  Vergangenheit  stolz  zurück-  und  wohlberuhigt  seiner  Zukunft 
entgegenblieken.  Lassen  Sie  uns,  geehrte  Versammlung,  unseren  Verein 
in  einträchtigem  Zusammenwirken,  eingedenk  seiner  wissenschaftlichen 
Ziele,  nur  denselben  lebend,  pflegen;  dann  wird  er  uns  als  ein  werth- 
volles  Stück  deutscher  Cultur  in  unserem  Lande,  als  eine  Stätte  er¬ 
halten  bleiben,  welche  die  unserer  altberühmten  Facultät  angehörigen 
und  aus  derselben  hervorgegangenen  Aerzte  vereinigt. 

3.  Docent  Dr.  Pietrzikowski  erstattet  den  Cassabericht, 
der  von  den  Revisoren  Dr.  Altschul  und  Dr.  Glässner  geprüft 
und  richtig  befunden  wird. 

4.  Dr.  Jaroschy  legt  den  Rechenschaftsbericht  des  Clubs 
der  Praktiker  über  das  abgelaufene  Vereinsjahr  vor. 

M  eine  Herren  Collegen!  Gestatten  Sie  mir  in  Kürze  über  die 
Thätigkeit  unseres  Clubs,  der  heuer  sein  sechstes  Vereinsjahr  vollendet 
hat,  Bericht  zu  erstatten.  Wenn  es  eines  Beweises  bedurft  hätte,  dass 
eine  Vereinigung,  welche  die  Standesinteressen  der  deutschen  prakti¬ 
schen  Aerzte  Prags  vertritt,  eine  Nothwendigkeit  ist,  so  hätte  das  ab¬ 
gelaufene  Vereinsjahr  diesen  Beweis  erbracht.  Eifrig  und  unermüdlich 
arbeiten  zwar  Aerztekammer  und  Centralverein  für  den  ärztlichen  Stand 
im  Allgemeinen,  für  jene  Sonderinteressen  aber,  die  die  Verschieden¬ 
heit  der  Verhältnisse  in  Stadt  und  Land  mit  sich  bringt,  für  das  Wohl 
der  deutschen  praktischen  Aerzte  in  repräsentativer  und  materieller 
Beziehung  muss  der  Club  eintreten  und  hat  dies  im  abgelaufenen  Ver¬ 
einsjahre  in  7  Vollversammlungen  und  14  Ausschusssitzungen  mit  dem 
grössten  Erfolge  gethan.  Vor  Allem  wurde  der  vorliegende  Entwurf 
der  Standesordnung  in  einer  Reihe  von  Ausschusssitzungen  und  Voll¬ 
versammlungen  durchberathen,  und  mit  grosser  Befriedigung  muss  es 
uns  erfüllen,  dass  die  meisten  der  von  vorgeschlagenen  Aenderungen 
nicht  nur  von  der  deutschen  Section,  sondern  auch  vom  Plenum  der 
Aerztekammer  angenommen  wurden.  Mag  man  über  den  Werth  einer 
Standesordnung  und  besonders  über  den  der  unseren  wie  immer  denken, 
uns  bleibt  das  Verdienst,  verhindert  zu  haben,  dass  eine  solche,  die 
uns  direct  schädigen  und  in  mancher  Richtung  einschränken  würde, 
zum  Beschlüsse  erhoben  werde.  Einen  bedeutenden  Erfolg  erzielten 
wir  in  der  Steuerfrage.  Die  Action  in  dieser  Angelegenheit  ist  noch 
nicht  beendet  und  verlangt  discrete  Behandlung,  allein  schon  heute 
können  wir  mittheilen,  dass  bei  Recursen  in  Steuerangelegenheiten 
schon  jetzt  die  Aerztekammer  und  ärztliche  Vertrauensmänner  um  ihr 
Gutachten  angegangen  werden,  und  dieser  Umstand  verbürgt  uns,  dass 


die  den  thatsächlichen  Verhältnissen  widersprechende  Erhöhung  der 
Erwerbsteuer  für  die  deutschen  Aerzte  Prags  wieder  beseitigt  wird. 
Der  gewiss  gut  gemeinte  Antrag  HaSkovec  gab  Anlass  zu  einer, 
sich  an  das  vortreffliche  Referat  Adle  r’s  anschliessenden  lebhaften 
Debatte.  Der  von  der  Clubmajorität  ausgesprochenen  Ablehnung  dos 
Antrages  Haskovec  schloss  sich  die  von  der  Aerztekammer  in  dieser 
Angelegenheit  einberufeue  Enquete  an. 

Neben  diesen  wichtigen  Standesfragen  haben  wir  aber  auch  der 
Kleinarbeit  nicht  vergessen  und  mit  mehr  oder  minder  Erfolg  in 
manchen  Angelegenheiten  Schritte  gethan.  Wir  erwähnen  kurz  unser 
Einschreiten  in  Angelegenheit  der  Ammenuntersuchung,  das  Dank  der 
Energie  der  Aerztekammer  eine  neuerliche  Schädigung  der  praktischen 
Aerzte  verhütete,  die  Postarztangelegenheit,  die  Impfplacate,  sowie  die 
Zeugnissfrage.  Aus  dieser  kurzen  Ausführung  ersehen  Sie,  dass  der 
Club  der  Praktiker  im  abgelaufenen  Vereinsjahre  ein  redliches  Stück 
Arbeit  geleistet  hat.  Sollen  aber  weitere,  dauernde  Erfolge  erzielt 
werden,  dann  ist  es  nöthig,  dass  hinter  dem  Ausschuss  die  gesammte 
hiesige  deutsche  Aerzteschaft  steht,  die  sich  zusammengehalten  fühlen 
muss  durch  das  Band  der  Berufsgemeinschaft  und  durch  die  gemein¬ 
same  Noth.  Ohne  genügenden  staatlichen  Schutz,  unter  den  denkbar 
ungünstigsten  Verhältnissen  um  unsere  Existenz  kämpfend,  liegt  unsere 
Zukunft  nur  in  unserer  Solidarität.  Der  Ausschuss  des  Clubs  richtet 
daher  an  alle  Collegen  die  dringende  Aufforderung,  dem  Club  beizu¬ 
treten  und  durch  zahlreiche  Betheiligung  an  seinen  Verhandlungen 
mitzuwirken  an  der  Verbesserung  der  Lage  der  deutschen  praktischen 
Aerzte  Prags. 

5.  Dr.  Nachod  appellirt  ebenfalls  an  die  Vereinsmitglieder, 
den  Club  der  Praktiker  durch  Beitritt  und  Besuch  der  Vereinsver¬ 
sammlungen  zu  unterstützen. 

6.  Wahlen  (Scrutatoren:  Dr.  Kuh  sen.,  Docent  Dr.  R  a  u  d- 
n  i  t  z).  Gewählt  werden:  Präsident:  Prof.  E  p  s  t  o  i  n  mit  34  Stimmen. 
Vicepräsident:  Prof.  Gad  mit  34  Stimmen.  Secretär:  Docent  Dr.  H. 
Wiener  mit  32  Stimmen.  Vicesecretär:  Docent  Dr.  Wae  1  sch  mit 
34  Stimmen.  Cassier:  Docent  Dr.  Pietrzikowski  mit  33  Stimmen. 
Ausschussmitglieder:  Dr.  v.  Eckhardt,  Dr.  v.  Weltrubsky, 
Dr.  Josef  Popper  mit  34  Stimmen.  Schriftführer:  Dr.  Leo 
Schwarz,  Dr.  Porges,  Dr.  E.  Spiet sc  hka  mit  34  Stimmen. 

7.  Freie  Anträge:  Es  wird  kein  Antrag  eingebracht. 

Hofrath  Chiari  spricht  dem  abtretenden  Präsidium  den  Dank 
der  Versammlung  aus.  Dr.  0.  W. 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  30.  November  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  Teleky 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Docent  Dr.  Kretz:  Demonstration. 

2.  Dr.  E.  P.  Piek  :  Neuere  Untersuchungen  über  Gerinnungs¬ 
hemmung. 

Vorträge  haben  angemeldet  die  Herren  Prof.  Englisch,  Docent 
Dr.  K.  Ullmann  und  Prof.  Kassowitz. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  3.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  SiUungssaale  des  Collegiums:  I.,  Hotbenthurmstrasse  21  23 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Dr.  H.  Teleky 
stattfindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Dr.  Rudolf  Kraus:  Die  Fortschritte  der  bacteriologischeu  Diagnostik 
der  Infectionskrankbeiten. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Programm 

der  am 

Donnerstag,  den  6.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  laryngologischen  Klinik  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn 

Prof.  Chiari 
stattfindenden  Sitzung. 

1.  Demonstrationen. 

2.  Docent  Dr.  Hajek:  Specielles  über  den  Ductus  naso-frontalis 
(Mit  Demonstration  von  anatomischen  Präparaten). 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 
M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 
Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 
H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Ghissenbaner,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Nensser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Teleplion  Nr.  3373.  Redigirt  von  l)r.  Alexander  Fraenkel. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexandor  Fraenkel, 
IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  =  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  worden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  =  50  Pf,  pro 
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zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Ueberein- 
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Verlagshandlung : 
Telephon  Nr.  6094. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 

XIII.  Jahrgang.  Wien,  6.  December  1900.  Nx.  49. 


ILTHALT: 


(Alle  Hechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1 .  Ueber  die  Behandlung  des  peptischen  Magengeschwüres. 
Von  Prof.  Dr.  Anton  Gluzinski  (Lemberg). 

2.  Der  Blutdruck  und  seine  Beziehung  zur  Lymphcirculation.  Von 
Dr.  Friedrich  Friedmann,  Secundararzt  der  IV.  medicinischen 
Abtheilung  des  k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses  in  Wien. 

8.  Phlegmone  des  Processus  vermiformis  im  Gefolge  einer  Angina 
tonsillaris.  Von  Privatdocent  Dr.  R.  Kretz,  Prosector  am  k.  k. 
Kaiser  Franz  Josef-Spitale  in  Wien. 

4.  Eine  Bemerkung  zu:  »Ureterfisteln  und  Ureterverletzungen«  von 
Dr.  W.  Stöckel,  Leipzig  1900.  Von  K.  Büdinger. 

II.  Feuilleton:  L.  Ollier  f.  Von  A.  Fr. 

III.  Referate:  Methodik  der  klinischen  Blutuntersuchungen  Von  Prof. 

Dr.  Ernst  Grawitz.  Zur  Kenntniss  der  Blutveränderungen  nach 


Aderläsen.  Von  E.  A.  v.  Willebrand.  Die  praktische  Bedeutung 
der  eosinophilen  Zellen.  Von  S.  Bettmann.  Die  Anämie.  Von 
Dr.  A.  Lazarus.  Die  Blutzusammeusetzung  hei  den  verschiedenen 
Anämien.  Von  Docenten  Dr.  H.  Strauss  und  R.  Rohnstein.  lief. 
W.  Türk.  —  Die  zunehmende  Unfähigkeit  der  Frauen,  ihre 
Kinder  zu  stillen.  Von  G.  v.  Bunge.  Ref.  Siegfried  Weiss.  — 
Lebensversicherung  und  sogenannte  primäre  Kehlkopftuberculose. 
Von  Dr.  R.  Kafemann.  Die  Prophylaxe  bei  Hals-  und  Nasen- 
kraukheiten.  Von  Dr.  Theodor  S.  Flatau.  Ref.  Di-.  Hanszel. 
IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

Therapeutische  Notizen. 

Vermischte  Nachrichten. 

Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


V. 

VI. 

VII. 


Abonnements-Umladung* 

Mit  3.  Jauuar  1901  beginnt  der  XIV.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

bonne  m  ent 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  directer  Zusendung  ganzjährig  K  20, 
halbjährig  K  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  Braamüller 

k.  u.  k.  Hof-  und.  Universitätsbuchhändler 
Wien,  VIII/ 1 ,  Wickenburggasse  13. 


Ueber  die  Behandlung  des  peptischen  Magen¬ 
geschwüres. 

(Nach  dem  Referate  in  der  gemeinsamen  Sitzung  der  Sectionen  für  innere 
Medicin  und  Chirurgie  des  IX.  Congresses  polnischer  Aerzte  und  Natur¬ 
forscher  in  Krakau.) 

Von  Prof.  Dr.  Anton  Gluzinski  (Lemberg). 

Meine  Herren!  Dem  angenommenen  Grundsätze  mich 
fügend,  dass  unsere  Referate  möglichst  gedrungen  seien  und 
die  für  dieselben  bestimmte  Zeit  nicht  überschreiten,  werde  ich 
trachten,  mich  so  kurz  als  möglich  zu  fassen,  da  ich  gar  nicht 
die  Absicht  habe,  alle  möglichen  Heilmethoden  des  Magen¬ 
geschwüres  zu  erschöpfen  oder  zu  erwähnen,  sondern  nur  die 
Hauptgrundsätze  derselben  zusammenfassen  möchte. 

Ich  werde  nicht  in  der  Lage  sein,  die  Sache  anders  dar¬ 
zustellen,  als  indem  ich  manchmal  von  dem  eigentlichen 
Thema  »Ueber  Behandlung«  abweichen  werde,  denn  nur  dann 


wird  es  möglich  sein  über  die  Methoden  und  Resultate  de1 
Behandlung  zu  sprechen  und  auf  einen  Verständigungsweg 
mit  den  Chirurgen  auf  diesem,  zum  Theile  strittigen  Boden, 
als  dem  Grenzgebiete  der  Medicin  und  Chirurgie,  zu  ge¬ 
langen. 

Die  Streitpunkte  traten  in  einer  sehr  milden  Form  zu 
Tage,  nämlich  nur  iu  Gestalt  von  Ziffern  auf  dem  Congresse 
deutscher  Chirurgen,  und  aus  diesen  Ziffern  ist  der  Standpunkt 
beider  Lager  ersichtlich. 

Bei  einer  systematischen  internen  Behandlung  erhielt 
L  e  u  b  e  *),  laut  seiner  Statistik,  in  drei  Vierteln  aller  Fälle 
vollständige  Heilung,  in  einem  Fünftel  wenigstens  eine  Besserung, 
in  4%  nur  versagte  die  Methode  und  in  2‘4%  trat  der  lod 
ein,  so  dass  man  also  in  75 — 96%  aller  Fälle  keine  Zuflucht 
zu  einem  chirurgischen  Eingreifen  zu  nehmen  brauchte.  Wenn 
nach  der  ersten  vier  bis  fünfwöchentlichen  Behandlung  keine 
Besserung  eintritt,  solle  das  Verfahren  wiederholt  werden.  Lr 
sah  Fälle,  meint  Leube,  in  welchen  eine  solche  Wieder¬ 
holung  der  Cur.  wenn  das  Ulcus  selbst  zehn  Jahre  und 
länger  gedauert  hat,  schliesslich  doch  vollständige  Heilung 
herbeiführte. 

Die  Statistiken  Anderer  sind  weniger  günstig,  ich  führe 
dieselben  hier  nicht  an,  sie  befinden  sich  in  der  Arbeit  unter 
dem  Titel:  Ueber  die  Erosionen  und  oberflächlichen  Uloerationen 
der  Magenschleimhaut  etc. 

Hier  will  ich  nur  erwähnen,  dass  die  durchschnittliche 
Mortalitätsziffer,  welche  Mikulicz  derselben  entnommen  hat, 
25—30%  und  nicht  2‘4%.  wie  es  aus  der  Zusammenstellung 
von  Leube  hervorgeht,  beträgt. 

Der  Unterschied  ist  hier  so  bedeutend,  dass  unwillkürlich 
die  Frage  entsteht,  woher  derselbe  stammen  könne.  In  der 

’)  Ueber  die  Erfolge  der  internen  Behandlung  des  peptischeu  Magen 
geschvvüres  etc.  Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten.  Bd.  II,  pag  1. 


► 


1126 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  49 


oben  erwähnten  Arbeit  habe  ich  nachgewiesen,  dass  der 
Unterschied  dadurch  gerechtfertigt  ist,  dass  die  Rechnung  auf 
keiner  gemeinschaftlichen  Grundlage  beruht,  indem  L  e  u  b  e 
seine  Statistik  auf  die  Symptomatologie,  auf  das  lebende 
klinische  Material  stützt,  während  Mikulicz  seine  Zahlen 
dem  Obductionsmateriale  entnimmt.  Zwischen  Beiden  ist  der 
Unterschied  ein  bedeutender. 

Es  ist  schwer,  an  die  Ziffern  des  Sectionsmatei  iales  nicht 
zu  glauben,  eher  könnte  man  annehmen,  dass  die  auf  dem 
klinischen  Materiale  beruhende  Statistik  fehlerhaft  sei,  dass  in 
vielen  klinischen  Fällen,  wenn  auch  die  Symptome  für  ein 
Ulcus  sprachen,  kein  Geschwür  vorhanden  war,  oder  dass  ein¬ 
mal  ein  Geschwürsprocess  da  war,  jedoch  so  oberflächlich,  dass 
nach  dessen  Heilung  auf  der  Magenschleimhaut  keine  Spur 
seiner  früheren  Existenz  verblieb,  dass  somit  die  interne  Be¬ 
handlung,  speciell  die  von  Leube  angegebene,  insoweit  günstig 
wirkt,  dass  sie  in  einer  so  vorzüglichen  Weise  die  Mortalitäts¬ 
statistik  ändert. 

Die  Ursache  dieses  Unterschiedes  liegt,  meiner  Ansicht 
nach,  in  allen  angeführten  Momenten,  somit  auch  darin,  dass 
wir  auf  Grund  der  Symptomatologie  zu  den  Geschwüren 
klinische  Fälle  rechnen,  welche  keine  Geschwüre  sind,  oder 
bloss,  wie  ich  es  in  der  erwähnten  Arbeit  nachgewiesen 
habe,  oberflächliche,  aus  verschiedenen  Ursachen  entstandene 
Ulcera,  jedoch  nicht  das  chronische  Ulcus  rotundum  von 
Cruveilhier  und  Rokitansky,  mit  dem  es  der  patho¬ 
logische  Anatom  und  der  Chirurg  zu  thun  haben. 

Nach  Durchsicht  eines  Sectionsmateriales  von  zehn  Jahren, 
welches  mir  gütigst  von  Prof.  Browicz  in  Krakau  zur  Ver¬ 
fügung  gestellt  wurde,  kam  ich  zur  Ueberzeugung,  dass  das 
c  h  r  o  n  i  s  c  h  e  Magengeschwür  eine  sehr  schwere  Erkrankung 
darstellt. 

Die  betreffende  Statistik,  welche  die  oberflächlichen, 
frischen  Verschwärungen,  mit  denen  ich  mich  in  der  oben  er¬ 
wähnten  Arbeit  beschäftigt  habe,  indem  ich  ihr  Verhältniss 
zum  »Ulcus  ventriculi  rotundum«  nachwies,  weglässt,  belehrte 
mich,  dass  in  Krakau  auf  11.298  Sectionen  95  Narben  und 
ältere  Geschwüre  Vorkommen,  oder  08%  aller  obducirten 
Fälle,  d.  h.  dass  wir  unter  500  in  unseren  Spitälern  be¬ 
handelten  Kranken  nur  vier  Fälle  von  Magengeschwür  finden 
müssten;  wenn  wir  jedoch  selbst  alle  oberflächlichen  Ulcera, 
deren  Zahl  sich  auf  61  belief,  hinzurechnen  möchten,  wir  1'2% 
aller  Autopsien  oder  fünf  bis  sechs  Kranke  auf  500  erhalten 
würden.  Diese  Zahlen  sind,  so  weit  meine  Erfahrung  reicht, 
entschieden  zu  klein  im  Verhältnisse  zu  den  während  des 
Lebens  diagnosticirten  Fällen.  Mit  Ziffern  kann  ich  nur  aus 
dem  Jahre  1 893 3)  dienen,  in  welchem  nur  auf  einer  Abtheilung 
des  Spitales  zum  heiligen  Lazarus  unter  1778  Kranken 
30  mit  der  Diagnose  eines  Magengeschwüres  lagen,  somit 
zwei-  bis  dreimal  so  viel,  als  die  Autopsie  dieser  Fälle  es  auf¬ 
weist.  Es  wäre  dies  gleichfalls  ein  Beweis,  dass  wir  klinisch 
oft  ein  Ulcus  des  Magens  diagnosticiren,  weil  es  die  Sym¬ 
ptomatologie  erheischt,  da,  wo  es  nicht  vorhanden  ist,  oder, 
wo  es  keine  späteren  Spuren  auf  der  Magenschleimhaut  zurück¬ 
lässt,  weil  es  nur  oberflächlich  war. 

Nehmen  wir  an,  dass  die  bei  der  Obduction  gefundenen 
95  Fälle  von  Narben  und  älteren  Geschwüren  gar  nicht  be¬ 
handelt,  sondern  sich  selbst  überlassen  wurden  und  schauen 
wir,  wie  diese  Krankheitsprocesse  auf  den  Organismus  wirkten, 
in  dem  sie  sich  entwickelt  haben. 

Diese  95  Fälle  älterer  Geschwüre  und  Narben  zerfallen, 
wie  folgt: 

Fälle  von  blosser  Narbe  oder  Narbe  und  Geschwür  oder 
blossem  Geschwür,  welche  aus  einer  mit  dem  vorhandenen 
Processe  im  Magen  nicht  streng  zusammenhängenden  Ursache 
zu  Grunde  gegangen  sind,  gab  es  29  oder  30'5%  aller  Fälle, 
und  zwar: 

19  geheilte  Narben,  4  von  Narben  und  frischen  Ge¬ 
schwüren  und  8  blosse  Geschwüre. 

')  Bericht  aus  den  allgemeinen  Krankenhäusern  Galiziens  sammt 
Krakau.  1893. 


Die  restlichen  76  Fälle  endeten  durch  das  Ulcus  oder 
dessen  Folgezustände,  somit  61%,  und  diese  vertheilen  sich 
in  nachstehender  Weise: 

Perforation  der  Magenwand  und 

consecutive  Peritonitis  ....  28  (28'4%)  Fälle 

Blutungen . 17  (18’0%)  Fälle 

Kachexie . 6  (  6.3%)  Fälle 

Operation  wegen  Stenose  des  Pylorus  8  (  8’4%)  Fälle 
Uebergang  des  Ulcus  in  Carcinom  8  (  8  4%)  Fälle. 

Wenn  wir  berücksichtigen,  dass  unter  29  Fällen,  welche 
aus  anderen  Ursachen  zu  Grunde  gegangen  sind,  sieben  an 
Tuberculose  starben,  dass  in  vier  Fällen  neben  Narben  frische 
Geschwüre  waren  und  in  sechs  ein  sich  weiter  entwickelndes, 
chronisches  Ulcus  bestand,  dessen  ferneres  Schicksal  uns  un¬ 
bekannt  ist,  so  erscheint  die  Statistik  der  ungünstig  ver¬ 
laufenen  Fälle  des  chronischen  Magengeschwüres  ohne 
Behandlung  noch  schlechter  und  sogar  bedeutend  schlechter, 
als  die  statistische  Zusammenstellung  von  Debove  und 
Remond,  welche  unter  100  Fällen 


vollständige  Heilung  in  . 50  Fällen 

Perforation  in  . 13  Fällen 

Blutungen  in .  5  Fällen 

Kachexie  in  ...  .  5  Fällen 

Tuberculose  in . 20  Fällen  und 


andere  Complicationen  in .  7  Fällen 

nachweist,  oder  50%  Mortalität,  während  dieselbe  in  unserer 
Statistik  mit  Berücksichtigung  der  letzten  Bemerkungen  betreffs 
des  chronischen  Magenulcus  beiläufig  70%  beträgt. 

Diese  Fälle  des  chronischen  Magengeschwüres  bilden 
eben  das  Grenzgebiet,  welches  entschiedenes  Handeln  und 
gegenseitiges  Einverständniss  erheischt. 

Die  betreffende  Statistik  ist  noch  in  vielen  anderen  Be¬ 
ziehungen  interessant.  Ich  kann  dieselbe  hier  nicht  in  ihrer 
Gänze  besprechen,  aber  ich  muss  auf  zwei  Punkte  auf¬ 
merksam  machen,  die  mir  zu  den  weiteren  Ausführungen 
über  die  Behandlung  des  Ulcus  noting  sein  werden,  und  zwar 
einerseits  auf  den  Ort,  wo  die  Geschwüre,  respective  Narben 
Vorkommen,  andererseits  auf  das  Geschlecht  der  Erkrankten. 

Hinsichtlich  des  Ortes  wiederholen  sich  gewöhnlich  in 
allen  Handbüchern  die  Zahlen  von  B  rin  ton,  welche  auf  der 
grössten  Anzahl  von  Fällen,  nämlich  auf  220  Autopsien 
basirend,  folgenderraassen  sich  verhalten  : 

Es  kommen  auf 

die  hintere  Wand . 42'0% 


die  kleine  Curvatur . 26.0% 

den  Pylorus . 15'6% 

die  vordere  Wand .  4'9% 

die  grosse  Curvatur .  2‘4%  und 

die  Cardia .  2  0%. 


Diese  Zahlen,  vom  Standpunkte  der  Anatomie  richtig, 
müssen  vom  klinischen  Standpunkte  aus  anders  gruppirt  werden. 

In  Berücksichtigung  meines  Materiales  und  der  durch 
die  Obduction  constatirten  Folgezustände,  muss  ich,  gestützt 
auf  meine  eigene  klinische  Erfahrung,  behaupten,  dass  die 
chronischen  Geschwüre  oder  Narben  der  Pars  pylorica  oder 
des  Pylorus  selbst,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie  auf  der 
vorderen  oder  hinteren  Wand,  auf  der  kleinen  oder  grossen 
Curvatur  sitzen,  dieselben  Folgezustände,  dasselbe  klinische 
Bild  hervorrufen,  welches  ganz  verschieden  ist  von  dem,  das 
durch  Geschwüre  oder  Narben  in  anderen  Theilen  des  Magens 
entsteht,  wodurch  diese  sehr  häufig  ein  abgeändertes  Verfahren 
erfordern.  Denselben  stehen  die  Geschwüre  oder  Narben  des 
Duodenums  sehr  nahe. 

Mein  in  dieser  Beziehung  gesichtetes  Material  stellt  sieh 
in  folgender  Weise  dar: 

Auf  die 


Fälle 

Pars  pylorica  und  den  Pylorus  entfallen  .  56 


Pylorus  und  Cardia . 4 

Pylorus  und  Duodenum . 2 

Pylorus  und  Oesophagus . 1 

Duodenum  . 12 


Fürtrag  .  .  .75 


Nr.  49 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Uebertrag  .  .  .75 

«  t  die  hintere  Wand . 6 

«  |  I  die  vordere  Wand . 2 

Is'  die  kleine  Curvatur . 6 

•§  die  grosse  Curvatur  . 3 

die  Cardia . 3 

Zusammen  .  .  95. 

Die  grösste  Anzahl  von  Fällen  kommt  somit  auf  den 
Pylorustheil  und  den  Pylorus  selbst,  nämlich  63  Fälle,  wenn 
wir  aber  im  Sinne  der  obigen  Bemerkungen  noch  die  des 
Duodenums  hinzurechneü,  so  erhalten  wir  75  gegen  20  Fälle, 
welche  in  anderen  Theilen  des  Magens  ihren  Sitz  hatten.  Es 
ist  dies  ein  wichtiger  Factor  für  die  Pathogenese  und,  was 
uns  gegenwärtig  am  meisten  interessirt,  für  die  einzuschlagende 
Therapie. 

Der  zweite  Punkt,  das  Geschlecht  nämlich,  ist  ebenfalls 
ein  Moment,  welches  auf  die  in  Rede  stehende  Angelegenheit 
ein  gewisses  Licht  wirft. 

Bekannt  ist  der  Satz,  dass  das  runde  Magengeschwür 
bei  Frauen  häufiger  vorkomme,  als  bei  Männern.  Br  in  ton 
gibt  dieses  Verhältnis  mit  2:1  an,  Steiner  mit  11:8, 
Habersohn  mit  127:  74,  D  a  n  z  i  g  e  r  mit  2  :  1,  Ander¬ 
son  sogar  mit  35:3.  Eine  Ausnahme  bildet  die  Statistik  von 

<D 

Wollmanz,  nach  welcher  man  das  Ulcus  ebenso  häufig  bei 
Männern  wie  bei  Frauen  findet. 

Meine  Zusammenstellung  in  Bezug  auf  das  chronische 
Geschwür  oder  Narben  ergibt  39  (41°/0)  Frauen  und  56  (59%) 
Männer. 

In  Anbetracht  der  oben  angeführten  Verhältnisszahlen 
könnte  man  glauben,  dass  meine  Ziffern  zufällige  seien ;  ich 
behaupte  jedoch,  dass  dies  hinsichtlich  der  Fälle  von  »Ulcus 
rotundum  chronicum«  kein  reiner  Zufall,  sondern,  wie  es 
scheint,  eine  Thatsache  ist,  welche  ich  weiter  unten  hervor¬ 
heben  werde.  Bezüglich  des  Geschlechtes  ist  jedoch  ein  anderes 
Moment  noch  wichtig,  und  zwar,  wie  diese  Fälle  dem  Ge- 
schlechte  nach  in  die  einzelnen  Kategorien  zerfallen,  welche 
in  der  folgenden  Tabelle  zusammengestellt  sind: 

Frauen  Männer  Zusammen 

Todesfälle  aus  anderen  Ursachen  16  13  29 

Todesfälle  in  Folge  des  Ulcus  selbst  23  43  66. 

Die  66  Fälle  aber,  welche  in  Folge  der  Geschwüres 
selbst  letal  endigten,  vertheilen  sich,  wie  folgt: 


Todesurs ache 

Frauen 

Männer 

Zu¬ 

sammen 

Perforation  und  Peritonitis  .... 

9 

18 

27 

Verblutung  ...  . 

5 

12 

17 

Kachexie  .  .  ....  .  . 

3 

3 

ß 

Operation  in  Folge  Stenose  des  Pylorus 

2 

6 

8 

Uebergang  des  Ulcus  in  Careinom 

4 

4 

8 

Zusammen  . 

23 

43 

66 

Die  Conclusion  aus  dieser  Tabelle  ist  klar,  dass  nämlich 
durch  Perforation  mit  consecutiver  Peritonitis  und  durch 
Blutungen  zweimal  mehr  Männer  als  Frauen  zu  Grunde  ge¬ 
gangen  sind,  und  dass  es  bei  Männern  dreimal  so  oft  als  bei 
Frauen  zur  Operation  gekommen  ist.  Vielleicht  ist  dies  wieder 
Zufall  oder  auch  der  Umstand,  dass  Frauen  mit  Magen¬ 
geschwüren  das  Spital  fürchten  und  dasselbe  nicht  aufsuchen, 
wenn  sie  noch  so  sehr  leiden,  wie  es  beim  chronischen  Ulcus 
der  Fall  ist,  oder  es  sind  vielleicht,  wenn  wir  die  Fälle,  in 
denen  es  zur  Operation  kam,  berücksichtigen,  die  Männer  viel 
muthigor  als  die  Frauen,  wenn  sie  sich  dreimal  häufiger  der 
Operation  unterzogen  haben  als  die  letzteren. 

Diese  ganze  Erklärung  ist.  meiner  Ansicht  nach,  nicht 
richtig,  da  mir  schon  seit  längerer  Zeit  die  Thatsache  auffiel, 
dass  ich  sowohl  in  der  Klinik  als  auch  in  der  Privatpraxis 
unvergleichlich  häufiger  mit  Männern  als  mit  Frauen,  welche 
alle  Indicationen  zur  Operation  darboten,  zu  thun  hatte.  Ich 
denke  hier  insbesonders  an  die  Pylorusstenose.  In  meiner 
Klinik,  wo  ich  die  Fälle  nicht  aussuche  und  wo  ich  nie  auf 
Widerstand  stiess,  wenn  ich  es  als  angezeigt  erachtete,  den 


Kranken  der  Operation  zu  unterworfen,  ist  das  Verhältnis 
das  gleiche,  indem  auf  17  operirte  Fälle  15  Männer  und  nur 
2  Frauen  entfallen.  Dieses  Factum  wiederholt  sich  ständig 
auch  in  anderen  statistischen  Uebersichten  operirter  Fälle. 

D  u  n  i  n 3)  beschreibt  z.  B.  drei  operirte  Fälle,  welche 
sämmtlich  Männer  betrafen. 

Unter  den  28  von  Mikulicz4)  Operirten  waren 
22  Männer  und  nur  6  Frauen. 

Carl  und  F  antino5)  berichten  über  24  wegen  Ulcus 
operirte  Männer  gegenüber  12  Frauen. 

Wir  sehen  somit,  wenn  wir  das  pathologisch-anatomische 
und  klinisch  operirte  Material  in  Betracht  ziehen,  dass  die 
schweren  Folgezustände  des  Magengeschwüres  zwei-  bis  drei¬ 
mal  häufiger  bei  Männern  als  bei  Frauen  anzutreffen  sind. 

Es  erscheint  dies  wunderlich  angesichts  des  oft  citirten 
Satzes,  dass  das  Magengeschwür  bei  Frauen  häufiger  ist  als 
bei  Männern  und  findet  seine  Erklärung  entweder  darin,  dass 
die  Frauen  häufiger  sich  von  Haus  aus  behandeln  lassen,  sich 
eher  den  Anordnungen  fügen,  keine  solchen  Diätfehler  be¬ 
gehen  wie  die  Männer  u.  s.  w.,  mit  anderen  Worten,  dass 
unsere  Behandlung  oder  die  Lebensweise  bei  den  Frauen  ihren 
günstigen  Einfluss  geltend  machen,  oder  darin,  dass  bei  Frauen 
häufiger  ein  Symptomencomplex  auftritt,  welcher  uns  zur  Dia¬ 
gnose  eines  Magengeschwüres  veranlasst,  wenn  es  auch  nicht 
vorhanden  ist,  was  eben  die  Fehlerhaftigkeit  der  diesbezüg¬ 
lichen  Statistik  beeinflusst. 

Meiner  Meinung  nach  liegt  die  Wahrheit  in  der  Mitte 
und  die  Thatsache  selbst,  dass  wir  bei  Frauen  mehr  Narben 
nach  geheilten  Geschwüren  finden,  beweist,  dass  in  ihrem  Ver¬ 
halten  die  Ursache  dieses  günstigeren  Verlaufes  vorhanden 
sein  muss,  weshalb  wir  dieselbe  nicht  anderwo  suchen  werden, 
als  in  dem  Einhalten  einer  entsprechenden  Diät,  welche  bei 
der  Behandlung  des  Magengeschwüres  der  wichtigste  Factor 
ist  und  bleiben  wird. 

In  dieser  Beziehung  müssen  wir  das  unzweifelhaft  grosse 
Verdienst  von  Leu  be  anerkennen,  welcher  die  systematische 
diätetische  Behandlung,  die,  wie  wir  wissen,  auf  vier  bis  fünf 
Wochen  sich  erstreckt,  eingeführt  hat.  Leu  be  erzielte  mit 
seiner  Behandlungsmethode,  welche,  wie  wir  wissen,  ausser  der 
Diät,  auf  Ruhe,  heissen  Umschlägen  und  der  Darreichung  von 
Karlsbader  Salz  beruht,  so  ausgezeichnete  Resultate,  dass  er 
durch  Wiederholung  dieses  Verfahrens  selbst  dort  Heilung 
herbeiführte,  wo  die  Geschwüre  seit  Jahren  bestanden  haben, 
wo  sie  somit  entschieden  zu  den  chronischen  Geschwüren,  mit 
welchen  sich  meine  Statistik  befasst,  gehörten. 

Betrachten  wir  aber  die  anatomischen  Veränderungen, 
welche  diese  Geschwüre  in  unseren  Fällen  herbeigeführt,  und 
die  Folgezustände,  welche  sie  nach  sich  gezogen  haben,  und 
berücksichtigen  wir,  dass  ein  sehr  grosser  Theil  derselben, 
80%  nämlich,  Geschwüre  der  Pylorusgegend  oder  des  Duo¬ 
denums  darstellt,  die,  wenn  auch  geheilt,  in  einer  beträcht¬ 
lichen  Anzahl  der  Fälle  ein  grösseres  oder  kleineres  Hinderniss 
für  die  motorische  Function  des  Magens  bilden  oder  einen 
günstigen  Boden  für  die  Entstehung  neuer  Geschwüre  ab¬ 
geben  oder  schliesslich  nicht  so  selten  eine  Prädisposition  zur 
Entwicklung  eines  Krebses  schaffen,  so  muss  ich  zugeben, 
dass  ich  in  diesen  Fällen  von  der  Behandlungsmethode  nach 
Leu  be  alleinkein  so  günstiges  Resultat  erwarten  kann.  Auch 
.hier  wird  eine  Besserung  eintreten  bei  dieser  Art  der  Be¬ 
handlung,  an  eine  Heilung  jedoch  in  dem  Masse,  dass  die  Be¬ 
schwerden  vollständig  und  constant  beseitigt  wären,  ist  schwer 
zu  denken.  Der  grössere  Theil  dieser  Fälle  muss  also  in  einer 
anderen  Weise  behandelt  werden. 

Die  ganze  Aufgabe  unserer  internen  Massnahmen  muss 
hauptsächlich  darauf  gerichtet  sein,  das  Uebergehen  eines 
frisch  entstandenen  Geschwüres  in  eine  chronische  Form  des¬ 
selben  zu  verhindern  und  das  Ulcus  gleich  im  Anfangsstadium 
der  Behandlungsmethode  nach  Leu  be  zu  unterziehen,  aber 

3)  Ueber  die  Erfolge  der  Gastroenterostomie.  Gazeta  Iekarska.  1895. 

4)  Die  chirurgische  Behandlung  des  chronischen  Magengeschwürs. 
Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  etc.  Bd.  II,  pag.  184. 

'  ■')  Beitrag  zur  Pathologie  und  Therapie  des  Magens.  Archiv  für 
klinische  Chirurgie.  Bd.  LVJ,  pag.  1. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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nicht  durch  vier  bis  fünf  Wochen,  sondern,  wenn  wir  einen 
solchen  Kranken  in  unserer  Obhut  haben,  durch  ein  oder 
■selbst  zwei  Jahre,  da  uns  einerseits  die  Erfahrung  lehrt,  dass 
die  Symptome,  durch  die  Behandlung  beseitigt,  oft  nach  ein 
oder  zwei  Jahren  wiederkehren,  und  uns  andererseits  das  Ob- 
ductionsmaterial  zeigt,  wie  oft  in  demselben  Magen  ein  frisches 
Geschwür  besteht,  weil  sowohl  im  Organismus  als  auch  im 
•Magen  selbst  die  Ursachen  andauern,  welche  entweder  die 
Heilung  des  Geschwüres  erschweren  oder  die  Entstehung  eines 
frischen  erleichtern. 

Es  ist  dies  eine  schwer  zu  erfüllende  Aufgabe,  da  die 
Kranken  meist  nicht  so  lange  unter  ärztlicher  Controle  stehen 
wollen  und  es  ihnen  überdies  ihre  Lebensverhältnisse  nicht  er¬ 
lauben. 

Darum  haben  wir  und  werden  es  auch  stets  mit  diesen 
Spätformen  des  chronischen  Magengeschwüres  zu  thun  haben, 
für  welche  unsere  gewöhnliche  Behandlungsmethode  nicht  aus¬ 
reicht,  und  die  von  diesem  Leiden  ergriffenen  Kranken  be- 
nöthigen  doch  umso  eher  unsere  Hilfe,  als  sie,  wie  es  unsere 
Statistik  beweist,  in  einer  immer  grösseren  Gefahr  schweben. 

Eine  Vernachlässigung  tritt  hauptsächlich  bei  den  ärmeren 
Bevölkerungsclassen  ein  und  diese  liefern  auch  die  grösste  An¬ 
zahl  der  späteren  Geschwürsformen  mit  ihren  Folgezuständen, 
sowie  das  zahlreichere  Operationsmaterial.  Jeder  von  den  Herren 
wird  mir  Recht  geben,  dass  die  intelligenten  und  wohlhaben¬ 
deren  Bevölkerungsschichten,  trotzdem  wir  bei  diesen  eben¬ 
falls  häufig  Symptome  eines  Magengeschwüres  constatiren, 
uns  doch  unvergleichlich  seltener  chirurgische  Hilfe  anzu¬ 
sprechen  zwingen  —  ich  sehe  dies  auch  aus  der  Statistik  von 
Mikulicz  6),  welche  sowohl  private  als  auch  klinische  Kranke 
umfasst.  Das  Geschwür  verläuft  doch  bei  wohlhabenderen 
Menschen  nicht  anders,  nur  lassen  sich  diese  und  können  sich 
auch  behandeln  lassen  und  liefern  damit  den  Beweis,  dass  es 
unsere  Behandlung  ist,  welche  den  Erfolg  herbeiführt,  und 
nicht  der  Zufall. 

Diese  Behandlung  muss  jedoch,  wie  ich  erwähnt  habe, 
so  lange  durchgeführt  werden,  als  das  Geschwür  frisch  ist 
und  manchmal  noch  weiter,  wenn  selbst  die  subjectiven  Sym¬ 
ptome  geschwunden  sind. 

Mit  der  Angelegenheit  dieser  frischen  Geschwüre  habe 
ich  mich  in  der  oben  erwähnten  Arbeit  befasst  und  mir  die 
Frage  vorgelegt,  wie  ein  solches  Geschwür  im  ersten  Stadium 
seiner  Entwicklung  aussehen  mag,  und  ob  es  nach  der  Heilung 
eine  Spur  auf  der  Magenschleimhaut  in  Form  einer  Narbe 
zurücklassen  müsse. 

Es  fällt  mir  schwer,  mit  dieser  Angelegenheit  mich  länger 
zu  befassen,  jedoch  muss  ich  den  Umstand  hervorheben,  dass, 
wenn  in  jedem  Falle,  in  welchem  während  des  Lebens  charakte¬ 
ristische  Symptome  für  ein  Geschwür,  insbesondere  Blutungen 
vorhanden  waren,  eine  Spur  seiner  Existenz  auf  der  Magen¬ 
schleimhaut  verbleiben  würde,  wir  diese  Spur  unvergleichlich 
häufiger  am  Secirtische  finden  müssten  als  dies  in  Wirklich¬ 
keit  der  Fall  ist.  Es  können  somit  entweder  alle  klinischen 
Erscheinungen  eines  Geschwüres,  selbst  Blutungen,  da  sein, 
und  es  war  doch  kein  Geschwür  vorhanden,  es  kann  somit 
auch  keine  Spur  von  ihm  zurückgeblieben  sein,  oder  es  war 
zwar  ein  Geschwür  da,  nur  klein  und  oberflächlich,  so  dass 
nach  dessen  Heilung  kein  Zeichen  seiner  Existenz  verblieb. 

Aul  Grund  der  Untersuchungen  des  obducirten  Materiales, 
welche,  in  der  erwähnten  Arbeit  zusammengestellt,  sich  haupt¬ 
sächlich  mit  dem  Verhältnisse  der  oberflächlichen  Geschwürs- 
processe  (Exulceratio)  zum  späteren  runden  Magengeschwüre 
(Ulcus  ventriculi  rotundum)  beschäftigen,  habe  ich  einen  ge¬ 
wissen  anatomischen  Zusammenhang  zwischen  diesen  Ver¬ 
änderungen,  sowie  auch  die  manchmal  vorhandene  Aehnlich- 
keit  des  klinischen  Bildes  nachzuweisen  versucht. 

Solche  oberflächliche  Geschwüre,  deren  Entwicklung  von 
der  veranlassenden  Ursache  und  vom  Zustande  der  Magen¬ 
schleimhaut  abhängt  und  welche  sich  manchmal  in  ihrem  Ver¬ 
laufe  durch  nichts  vom  klinischen  Bilde  des  Magenulcus  unter¬ 
scheiden,  heilen  zeitweise  unter  entsprechenden  Verhältnissen, 


ohne  irgendwelche  Spuren  auf  der  Schleimhaut  des  Magens 
zurückzulassen. 

Dieser  Umstand  muss  auf  die  Verschiedenheit  der  Stati 
stik  des  klinischen  und  des  obducirten  Materiales'  von 
Einfluss  sein  und  bewirken,  dass  wir  Internisten  hinsichtlich 
des  Magengeschwüres  nicht  so  schwarz  sehen,  wie  die  Chirurgen, 
welche  es  hauptsächlich  fast  nur  mit  Spätformen  des  Ulcus 
zu  thun  haben. 

Nach  diesen  Bemerkungen,  welche  sich  aufdrängen 
müssen,  wenn  von  der  Behandlung  des  Magengeschwüres  die 
Rede  ist,  kehre  ich  zum  eigentlichen  Thema  zurück. 

Können  wir  prophylaktisch  handeln? 

Gestützt  auf  die  Fälle  frischer  Geselnvürsprocesse,  welche 
am  Secirtische  und  in  der  klinischen  Beobachtung7)  constatirt 
wurden,  kam  ich  zur  Ueberzeugung,  dass  diese  Geschwüre 
folgende  Ursachen  haben: 

1.  Mechanische  und  chemische  Insulte  der  Magenschleim¬ 
haut  (Diätfehler,  heftiges  Erbrechen,  übermässiger  Genuss 
reizender  Getränke,  Alkohol  u.  s.  w.). 

2.  Allgemeinzustände,  welche  Veränderungen  der  Blut¬ 
beschaffenheit  und  der  Gefässe  herbeiführen  (z.  B.  Chlorose; 
ich  constatirte  auch  frische  Geschwüre  beim  Morb.  macul. 
Werlhofii  und  bei  der  Leukämie).  Ich  muss  hier  hinzufügen, 
dass,  gleichwie  es  Korczynski  und  Jaworski,  gestützt 
auf  das  klinische  Material,  hervorgehoben  haben,  auch  meine 
Sectionsprotokolle  die  Enge  der  Aorta  und  der  peripheren 
Gefässe  beim  Magengeschwüre  erwähnen,  was  sowohl  bei 
Frauen  als  auch  bei  Männern  vorkommt. 

3.  Locale  (im  Bereiche  der  Pfortader)  oder  allgemeine 
Kreislaufstörungen,  wenn  gleichzeitig  Veränderungen  in  den 
Gefäss  wänden  bestehen  (Herzfehler,  Erkrankungen  der  Athmungs- 
organe,  Arteriosklerose  etc.). 

4.  Infectionskrankheiten  (nach  meinen  Protokollen  Pneu¬ 
monie,  Typhus,  Sepsis). 

5.  Äeussere  Beschädigungen. 

Dass  wir  gegen  diese  Ursachen  ankämpfen  müssen,  unter¬ 
liegt  keinem  Zweifel.  Wir  thun  es  bei  der  Chlorose,  indem 
wir  sie  behandeln ;  wir  thun  es  bei  den  Infectionskrankheiten, 
indem  wir  in  der  Reconvalescenz  mit  der  Diät  vorsichtig  sind 
und  sie  nur  allmälig  steigern;  es  müsste  Jeder  chemische  und 
mechanische  Schädigungen  seiner  Magenschleimhaut  zu  ver¬ 
meiden  trachten. 

In  dieser  letzten  Beziehung  ist  mir  eine  Beobachtung 
auffallend,  welche  einer  näheren  Erläuterung  bedarf. 

Bei  Männern,  welche  vom  Lande  stammen,  datiren  oft 
die  ersten  Erscheinungen  seitens  des  Magens,  die  für  ein  Ge¬ 
schwür  sprechen,  aus  der  Militärdienstzeit,  obwohl  diese  Leute 
bei  uns,  im  Vergleiche  mit  ihrer  früheren  Diät,  besser  und 
hygienischer  als  zu  Hause  ernährt  werden.  Ob  nicht  hier  die 
Ernährungsweise,  der  plötzliche  Uebergang  von  einer  vegeta¬ 
bilen  zur  animalischen  Kost  eine  wichtige  Rolle  spielt?  Es  ist 
dies  insoferne  ein  wichtiges  Moment,  als  es,  wenn  es  sich  in 
Bezug  auf  unsere  Bevölkerung  bewahrheiten  würde,  die  Art 
der  Ernährung  der  zum  Militär  einrückenden  Rekruten  in 
prophylaktischer  Hinsicht  beeinflussen  müsste.  Die  Militärärzte 
sollten  sich  mit  dieser  Angelegenheit  befassen. 

Die  Behandlung  des  Geschwüres  selbst  und  das  Resultat 
desselben  hängt  natürlich  von  der  Dauer  des  letzteren  ab. 
Scheinbar  hätten  wir  zur  Bestimmung  der  Dauer  des  Krank- 
heitsprocesses  keinen  anderen  Stützpunkt  als  die  Anamnese, 
und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  dies  seine  Bedeutung 
hat.  Wichtiger  jedoch  ist  in  dieser  Beziehung  das  Verhalten 
der  Functionen  des  Magens. 

Ich  muss  hier  hinzufügen,  dass  ich  in  der  Klinik  jeden 
Fall  mit  der  Sonde  untersuche  (natürlich  nicht  unmittelbar 
nach  einer  Blutung),  selbstverständlich  manchmal  mit  einer 
gewissen  Vorsicht,  und  dass  ich  keine  unangenehmen  Folgen 
davon  zu  sehen  bekommen  habe. 

Diejenigen  Fälle,  in  welchen  die  mechanische  Function 
gut,  die  chemische  jedoch  Störungen  in  Form  der  Hyperaciditas 
digestiva  darbietet,  haben  den  besten  Verlauf. 

7)  Siehe  meine  Abhandlung  über  Erosionen  und  oberflächliche  Exul- 
cerationen  der  Magenschleimhaut  etc. 


«)  1.  c. 


Nr.  49 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1129 


Hier  geben  Ruhe,  und  zwar  Bettruhe,  welche  ich  als 
sehr  wichtigen  therapeutischen  Factor  betrachte,  strenge  Diät, 
Kataplasraen,  Karlsbader  Salz,  mit  einem  Worte  die  Methode 
von  Leube  ausgezeichnete  Resultate. 

Man  muss  aber  daran  denken,  dass  das  Magengeschwür 
eine  Krankheit  ist,  welche  sich  leicht  wiederholt  und  eigentlich 
einer  Controle  von  Zeit  zu  Zeit  wenigstens  durch  ein  bis  zwei 
Jahre  bedarf. 

Grösseren  Widerstand  setzen  der  Behandlung  entgegen 
die  mit  einer  constanten  Hypersecretion  (Hypersecretio  continua) 
einhergehenden  Fälle,  welche  in  zwei  Kategorien  zu  theilen 
sind,  in  solche  mit  Beeinträchtigung  und  in  solche  ohne  Be¬ 
einträchtigung  der  mechanischen  Function. 

Thatsache  ist  es  einerseits,  dass  das  grösste  Hinderniss 
für  die  Heilung  eines  Magengeschwüres  und  die  wichtigste 
Ursache  für  Recidive  gerade  diese  übermässige  Absonderung 
von  Magensaft  und  dessen  Hyperacidität  bilden;  andererseits 
steht  es  fest,  dass  die  Beeinträchtigung  der  mechanischen 
Function  aus  irgendwelcher  Ursache  immer  die  wichtigste 
Grundlage  für  die  Unterhaltung  und  Förderung  der  chemischen 
Functionsstörung  abgibt. 

Sowohl  in  den  Fällen  mit,  als  auch  in  einem  Theile  der¬ 
selben  ohne  Beeinträchtigung  der  mechanischen  Magenfunction 
sind  gleichfalls  Ruhe  und  Diät  die  wichtigsten  therapeutischen 
Factoren  und  letztere  manchmal  sogar  so  weit,  dass  man  durch 
einige  Zeit  zur  Ernährung  per  rectum  greifen  muss. 

Dieses  Verfahren  bewirkt  nicht  nur  eine  Milderung  der 
subjectiven  Erscheinungen,  sondern  wir  sehen  sogar  eine 
Besserung  der  chemischen  Function  selbst  in  Fällen,  in  welchen 
die  mechanische  Function  des  Magens  gestört  ist. 

Als  Beispiel  für  die  Wirkung  der  Diät  auf  das  Verhalten 
der  Magensaftsecretion  möge  folgende  Tabelle  dienen: 


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I.  Woche,  gemischte 
Diät . 

II.  Woche,  Milchdiät 


III.  Woche,  gemischte 

Diät . 

IV.  Woche,  Milchdiät 


50 

Speisereste 

40 

reiner  Magen¬ 
saft 

30 

Speisereste 

0 


16 

2 

30 

4 


30 

8 

25 

5 


73 

43 

85 

100 


Wir  haben  somit  auch  bei  diesen  Fällen  in  der  Diät 
einen  der  wichtigsten  Factoren,  welche  die  übermässige  HC1- 
Absonderung  beschränken  und  gleichzeitig  auf  die  mechanische 
Function  günstig  wirken,  insoweit  diese  letztere  einer  Besse¬ 
rung  fähig  ist,  und  insoferne  sie  nur  eine  functioneile,  aber 
keine  mechanische  Störung  darstellt. 

Dem  Karlsbader  Salze  und  Karlsbader  Wasser  in  der 
gewöhnlich  gebrauchten  Dosirung  wird  kein  unmittelbarer  Ein¬ 
fluss  auf  die  Herabsetzung  des  Säuregrades  zugeschrieben, 
worüber  ich  mich  noch  weiter  unten  äussern  werde.  Ihre  Be¬ 
deutung  liegt  aber  darin,  dass  sie  einerseits  die  Darmthätigkeit 
in  Ordnung  halten  und  andererseits  die  Kranken  zu  einer 
desto  stricteren  Einhaltung  der  Diät  zwingen. 

Wiczkowski8)  wies  durch  eine  Reihe  von  Unter¬ 
suchungen,  welche  er  in  meiner  Klinik  in  dieser  Beziehung 
unternommen  hat,  die  Abhängigkeit  der  chemischen  Function 
des  Magens  von  der  Darmthätigkeit  nach,  indem  er  feststellte, 
dass  eine  verminderte  Darmperistaltik  die  Absonderung  des 
Magensaftes  erhöht,  während  sie  durch  eine  Beschleunigung 
der  Darmbewegungen  herabgesetzt  würde. 

Die  günstige  Wirkung  des  Karlsbader  Salzes  ist  ohne 
Zweifel  zum  grossen  Theile  in  diesem  Sinne  zu  deuten,  wobei 


s)  Ueber  das  gegenseitige  Verhältnis  der  Magen-  und  Darmfunctionen. 
Archiv  für  Verdauungskrankheiten.  Ed.  IV,  Heft  4. 


gleichzeitig  die  Verdünnung  des  Magensaftes  durch  das  Wasser 
und  die  Neutralisation  eines  Theiles  der  HCl  eine  sympto¬ 
matische  Rolle  spielen. 

Bei  der  Anwendung  anderer  Heilmethoden,  wie  der  Ein- 
giessung  oder  Verabreichung  grösserer  Dosen  von  Bismuth, 
der  Anwendung  von  Adstringentien,  als  Argentum  nitr.,  Zincum 
sulfur,  etc.,  habe  ich  keinen  ausgesprochenen  Erfolg  gesehen 
sondern  ich  habe  mich  gemeinsam  mitJaworski  im  Gegen¬ 
teile  überzeugt,  dass  die  in  den  Magen  eingeführten  adstrin- 
girenden  Mittel  den  Säuregrad  des  Magensaftes  erhöhen  und 
dadurch  eher  ungünstig  wirken. 

Nach  Durchführung  der  beschriebenen  Therapie  zu  Hause 
kann  man  diese  Patienten  nach  Karlsbad  schicken,  hauptsäch¬ 
lich  aber  deshalb,  weil  sie  dann  gezwungen  sind,  einige  Wochen 
eine  entsprechende  Diät  zu  befolgen,  nicht  nur  während  ihres 
dortigen  Aufenthaltes,  sondern  auch  einige  Zeit  nach  ihrer 
Rückkehr.  Die  übermässige  Secretion  von  Magensaft  tritt 
nämlich,  wie  mich  die  Erfahrung  lehrt,  nach  der  Rückkehr 
zur  gewöhnlichen  Diät  oft  wieder  auf,  insbesondere  aber  dort, 
wo  die  mechanische  Function  gestört  ist. 

Dies  betrifft  hauptsächlich  Fälle  von  Magengeschwüren 
m  späteren  Stadien,  bei  welchen  wir  mechanische  Functions¬ 
störungen  verschiedenen  Grades  und  verschiedener  Bedeutung 
natürlich  am  häufigsten  finden. 

Auf  die  Behandlung  dieser  Art  von  Magengeschwüren 
möchte  ich  hauptsächlich  die  Aufmerksamkeit  lenken,  denn 
auch  hier  kann  unsere  Therapie  einen  bedeutenden  Nutzen 
bringen,  während  wir  im  Falle,  wenn  keine  Wirkung  zu  sehen 
ist,  auf  das  Gienzgebiet  mit  der  Uhirurgie  gelangen,  welches 
in  der  gemeinsamen  Sitzung  unserer  Sectionen  das  Hauptziel 
der  gegenseitigen  Verständigung  bilden  soll. 

Leub  e  behauptet,  dass  man  bei  der  Behandlung  von 
Magengeschwüren  es  fast  nie  nötliig  hat,  chirurgische  Hilfe  in 
Anspruch  zu  nehmen. 

Es  scheint,  dass  bei  ihm  die  Kranken  gleich  bei  den 
ersten  Anfängen  der  Geschwürsbildung  vorsprachen,  stricte 
seine  Anordnungen  längere  Zeit  zu  befolgen  und  bei  den 
geringsten  neuerlichen  Symptomen  ihres  Leidens  sich  abermals 
einer  systematischen  Behandlung  unterziehen.  Der  grösste 
Theil  der  Aerzte  wird  jedoch  in  keiner  solchen  Lage  sein  und 
auch  ich  befinde  mich  nicht  in  derselben,  da  zu  mir  Patienten 
kommen,  welche  manchmal  spätere  Stadien  des  Magenulcus 
darbieten,  oder  es  sind  Fälle,  welche  sich  seit  Jahren  behandeln 
lassen,  sich  bessern  und  wieder  recidiviren. 

Trotzdem  wir  in  der  Methode  von  Leube  einen  so 
sicheren  therapeutischen  Factor  haben,  sind  doch  Fälle  von 
späteren  Stadien  des  Magengeschwüres  vorhanden,  und  werden 
auch  fernerhin  da  sein,  und  dies  in  einer  nicht  gar  so  geringen 
Anzahl.  Theoretisch  könnte  man  zwar  behaupten,  dass  diese 
Kianken  selbst  uie  Schuld  daran  tragen,  wreil  sie  sich  nicht 
im  Anfänge  der  Behandlung  unterzogen  haben,  oder  dass  wir 
schuld  sind,  da  wir  keine  Ausdauer  in  dem  therapeutischen 
Vorgehen  zeigten,  oder  einen  diagnostischen  Irrthum  begingen, 
indem  wir  den  Beginn  des  Magengeschwüres  übersehen  haben. 

Wir  müssen  trachten,  diese  eventuellen  beiderseitigen 
Fehler  zu  vermeiden,  indem  wir  selbst  in  übertriebener  Weise 
die  bekannte  Behandlungsmethode  in  Fällen  anwenden,  in 
welchen  nur  Verdacht  auf  ein  Magengeschwür  besteht,  wie  es 
Leube  thut,  aber  auch  in  diesem  Falle,  wenn  wir  die  Sache 
vom  praktischen  Standpunkte  nehmen,  sei  es  durch  die  Schuld 
der  Einen  oder  der  Anderen,  noch  immer  Fälle  von  chroni¬ 
schem  Ulcus  verbleiben,  "welche  sich  zur  Behandlung  melden. 

Die  Art  unseres  therapeutischen  Vorgehens  ist  in  solchen 
Fällen  vom  Grade  und  von  der  Ursache  der  mechanischen 
Functionsstörung  abhängig. 

Der  Grad  ist  verschieden,  die  Ursache  aber  liegt  fast 
constant  in  der  Unwegsamkeit  des  Pylorus,  was  uns  nicht 
wundern  wird,  wenn  wir  uns  die  in  der  oben  erwähnten  Sta¬ 
tistik  angeführten  Zahlen  ins  Gedächtniss  zurückrufen,  wonach 
80%  auf  die  Geschwüre  des  Pylorustheiles,  des  Pylorus  selbst 
und  des  Duodenums  kommen. 

Dieses  Hinderniss  ist  entweder  temporär  oder  stabil, 
d.  h.  es  besteht  entweder  ein  Krampf  des  Pylorus,  hervor- 


1130 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  4J 


gerufen  durch  das  in  diesem  Theile  des  Magens  befindliche 
Geschwür  und  die  Hyperacidität  des  secernirten  Magensaftes, 
oder  es  sind  narbige  Einziehungen,  Verdickungen  der  Magen¬ 
wand  und  Verwachsungen  an  der  äusseren  Fläche  vorhanden, 
oder  es  wirken  endlich  beide  Ursachen  zugleich. 

Diese  Fälle  werden  manchmal,  da  sie  bei  nicht  sehr  aus¬ 
gesprochenen  Symptomen  schwer  zu  diagnosticiren  sind,  für 
andere  Krankheitsformen  des  Magens  gehalten  und  zwar  für 
sauere  Katarrhe  des  Magens  mit  motorischer  Insuficienz  (Ca- 
tarrhus  ventriculi  acidus  ehr.  c.  atonia)  oder  für  den  Magen¬ 
saftfluss  von  Reich  mann,  während  ich  auf  Grund  einer 
ganzen  Reihe  von  Fällen  das  Recht  habe,  zu  behaupten,  dass 
fast  jeder  Fall  von  Magensaftfluss  mit  gestörter  mechanischer 
Function  ein  bestehendes  oder  vernarbendes  Magengeschwür 
mit  consecutiver  functioneller  oder  mechanischer  Verengerung 
des  Pylorus  darstellt.  Ich  habe  mir  diese  Ueberzeugung  ver¬ 
schafft,  als  ich  die  Methoden  zur  Diagnostik  der  Pylorus- 
verengerung  (Stenosis  pylori)  zu  vervollkommnen  trachtete. 

Sie  ist  dort  nicht  schwer  zu  diagnosticiren,  wo  wir  es 
mit  einer  ausgesprochenen  Dilatation  des  Magens,  mit  Stagnation 
der  Speisen  zu  thun  haben,  wo  wir  unter  dem  Mikroskope 
Sarcinepilze  und  Hefezellen  nachweisen,  wo  Erbrechen  und 
sichtbare  Peristaltik  des  Magens  vorhanden  sind;  wenn  wir 
aber  weder  Magenbewegungen,  noch  eine  ausgesprochene 
Magendilatation  sehen,  sprechen  wir  von  einer  Insufficienz 
(Atonia  ventriculi),  und  doch  verhält  sich  die  Sache  nicht  so. 

Magenperistaltik  bei  Pylorusstenosen  leichten  Grades  ist 
schwer  zu  beobachten.  Ich  habe  Fälle  gehabt,  in  welchen  die¬ 
selbe  sich  nur  bei  Nacht  einstellte  und  dies  manchmal  nur 
einmal  im  Laufe  von  ein  bis  zwei  Wochen.  Eine  genaue  Be¬ 
obachtung  dieser  Fälle  eben  hat  mir  jedoch  gewisse  Merkmale 
gezeigt,  welche  in  diagnostischer  Hinsicht  an  die  Stelle  aus¬ 
gesprochener  peristaltischer  Bewegungen  des  Magens  treten 
können. 

Wenn  wir  die  Magengegend  aufmerksam  betrachten 
es  gehört  dazu  manchmal  längere  Zeit  —  so  sehen  wir  in  der 
Magengrube  (Epigastrium)  zu  beiden  Seiten  der  geraden  Bauch¬ 
muskeln  bald  von  der  einen,  bald  von  der  anderen  Seite  eine 
Erhöhung,  welche  entweder  dem  Fundus  ventriculi  oder  der 
Pars  pylorica  entspricht,  oder  auch  ein  abwechselndes,  unbe¬ 
deutendes  Sicherheben,  sei  es  der  einen  oder  der  anderen  Seite; 
die  Unterschiede  sind  hier  oft  nicht  gross,  weshalb  eine  gewisse 
Uebung  des  Auges  dazu  nöthig  ist. 

Wenn  dieses  Symptom  nicht  von  sich  selbst  auftritt, 
erscheint  es  manchmal  durch  Reizung  des  Magens,  z.  B.  durch 
Aufblähen  mittelst  Luft,  wobei  wir  gleichzeitg  die  Dimensionen 
und  die  Lage  des  Magens  bestimmen.  Gleichzeitig  nehme  ich 
das  Verhalten  des  Percussionsschalles  zu  Hilfe,  dessen  Höhe 
dann  in  der  Gegend  des  Fundus  und  der  Pars  pylorica  derart 
verschieden  ist,  als  ob  der  Magen  in  zwei  Abschnitte  zerlegt 
wäre;  diese  Verschiedenheit  der  Höhe  des  Percussionsschalles 
kann  sich  aber  auch  abwechselnd  ändern,  indem  wir  bald 
einen  höheren  tympanitischen  Ton  über  dem  Fundus  als  über 
der  Pars  pylorica,  oder  ein  umgekehrtes  Verhältniss  haben. 

Die  Oonstatirung  dieser  Umstände  bei  gleichzeitiger 
Stagnation  des  Speisen-  und  vorhandenem  Magensaftflusses 
war  für  mich  ein  sprechender  Beweis  einer  durch  ein 
Geschwür  oder  dessen  Folgezustände  hervorgerufenen  Pylorus¬ 
stenose  und  ich  kann  versichern,  dass  es  keinen  diagnostischen 
Irrthum  gab,  da  viele  der  auf  diese  Weise  diagnosticirten 
Fälle  von  Prof.  Ry  dy  gi  e  r  operirt  wurden,  wobei  die  Richtig¬ 
keit  der  Diagnosen  ihre  Bestätigung  fand. 

Heute  behandle  ich  auch  jeden  Fall  von  Magensaftfluss 
mit  herabgesetzter  mechanischer  Function  nicht  anders,  als 
wenn  ich  es  mit  einem  Magengeschwüre  in  einem  späteren 
Stadium  zu  thun  hätte. 

Ich  beginne  mit  dieser  Behandlung  in  jedem  ähnlichen 
Falle,  von  dem  Grundsätze  ausgehend,  dass  ich  die  Pylorus¬ 
stenose  als  functioneile  betrachte,  als  Krampf  des  Pylorus, 
hervorgerufen  durch  die  Gegenwart  eines  Geschwüres  und 
durch  die  Hyperacidität  des  Magensaftes,  welche  wieder  durch 
die  stagnirenden  Speisemassen  unterhalten  und  erhöht  wird. 


In  Berücksichtigung  des  Grades  der  mechanischen 
Functionsstörung  beschränke  ich  mich  wieder  entweder  auf 
die  Methode  von  Leu  be,  oder  ich  übergehe  bei  entsprechender 
Diät  zu  Magenauspülungen  nicht  nur,  um  der  Stagnation  von 
Speisen  zu  begegnen,  sondern  auch  um  in  Anbetracht  der 
Hartnäckigkeit,  mit  welcher  in  solchen  Fällen  die  continuirliche 
Secretion  vom  Magensaft  anhält,  gleichzeitig  auf  die  Magen¬ 
schleimhaut  zu  wirken,  um  also  zu  gleicher  Zeit  auf  die 
mechanische  und  chemische  Function  Einfluss  zu  üben  und 
den  für  das  vorhandene  Magengeschwür  ungünstigen  Circulus 
vitiosus  zu  beseitigen. 

Ich  habe  schon  erwähnt,  dass  Ausspülungen  mit 
adstringirenden  Lösungen  keine  guten  Resultate  geben.  Daher 
habe  ich  im  Sinne  der  Erfahrungen  von  Jaworski,  dass 
kleine  Gaben  von  Karlsbader  Wasser  die  Acidität  erhöhen, 
während  grosse  und  durch  längerer  Zeit  gebrauchte  dieselbe 
herabsetzen,  da  sie  manchmal  Symptome  eines  mucösen 
Katarrhes  hervorrufen,  indem  sie  die  Function  der  HCl  ab- 
sondernden  Zellen  gleichsam  erschöpfen,  und  mit  Rücksicht 
darauf,  dass  ich  kein  greifbares  ziffernmässiges  Resultat  in 
diesen  Fällen  gesehen  habe,  wenn  Karlsbader  Wasser  selbst 
längere  Zeit  getrunken  wurde,  eine  andere  Methode  an¬ 
gewendet,  welche  auf  einer  länger  währenden,  das  ist  1  bis 
1 7-2  Stunden  dauernden  Wirkung  einer  2%igen  Lösung  von 
Karlsbader  Salz  auf  die  Magenschleimhaut  beruht. 

Zu  diesem  Zwecke  verwende  ich  nach  vorheriger  Reini¬ 
gung  des  Magens  von  seinem  Inhalte  eine  Sonde  a  double 
courante,  wie  sie  die  Herren  hier  sehen,  und  lasse  aus  einem 
lt )l  enthaltenden  Reservoir  eine  2%ige  Lösung  von  Karls¬ 
bader  Salz  in  einem  constanten  Strome  durch  den  Magen 
durchfliessen.  Der  Zu-  und  Abfluss  ist  derart  gemässigt,  dass 
die  Procedur  1 — D/2  Stunden  dauert.  Die  Kranken  ertragen 
dieselbe  sehr  gut,  indem  sie  in  liegender  Position  bleiben  und 
selbst  den  Zu-  und  Abfluss  controliren,  und  die  Magen¬ 
schleimhaut  ist  auf  diese  Weise  der  Wirkung  der  Bestand¬ 
teile  des  Karlsbader  Salzes  längere  Zeit  hindurch  aus¬ 
gesetzt. 

Die  Resultate,  welche  ich  später  ausführlicher  beschreiben 
werde,  sind  recht  zufriedenstellende.  Es  fühlen  sich  nicht  nur 
die  Kranken  subjectiv  sehr  gut,  indem  sie  Appetit  bekommen 
und  an  Körpergewicht  zunehmen,  sondern  es  tritt  auch  eine 
Aenderung  in  Bezug  auf  die  Ausscheidung  von  Magen¬ 
saft  ein. 

In  der  ersten  Zeit  der  Durchspülungen  entsteht  ge¬ 
wöhnlich,  trotz  Beseitigung  der  Speiserückstände,  ein  gewisser 
Reizzustand  der  secretorischen  Drüsen,  indem  der  Magensaft 
eine  höhere  Acidität  bekommt,  als  früher;  erst  nach  dem  Auf¬ 
hören  mit  den  Spülungen,  welche  ich  gewöhnlich  durch  30 
bis  40  Tage,  und  zwar  stets  Morgens  vornehme,  vermindert 
sich  allmälig  die  Secretion,  indem  sie  entweder  normal  wird 
oder  in  eine  secretorische  Insufficienz  übergeht,  ein  Symptom, 
welches  unvergleichlich  günstiger  für  die  Heilung  des  Ulcus 
oder  für  die  Verhütung  einer  Recidive  ist,  als  eine  continuirliche 
Magensaftsecretion.  Eine  Besserung  erzielt  man  mit  diesem 
Verfahren  in  jedem  Falle,  wie  man  sie  auch,  wiewohl  seltener, 
durch  die  einfache  Entfernung  der  stagnirenden  Massen  mit 
der  Sonde  erhält.  Hinzufügen  muss  ich  noch,  dass  diese 
Besserung  entweder  von  langer  Dauer  ist,  was  der  Fall  sein 
kann,  wenn  es  uns  gelungen  ist,  die  Acidität  anhaltend  herab¬ 
zusetzen  und  die  mechanische  Function  dauernd  zu  bessern, 
weil  die  Pylorusstenose  nur  functioneller  Natur  war  (Krampf 
des  Pylorus),  oder  sie  ist  nur  von  kurzem  Bestände  und  die 
Kranken  kommen  mit  den  alten  subjectiven  Beschwerden  und 
mit  denselben  chemischen  und  mechanischen  Störungen 
wieder. 

In  diesem  Falle  ist  dann  die  Vermuthung  vollkommen 
gerechtfertigt,  dass  der  Geschwürsprocess  weiter  besteht,  und 
dass  die  Pylorusstenose  eine  ernstere  Bedeutung  hat. 

Ich  versuchte  in  solchen  Fällen  eine  abermalige  Be¬ 
handlung  und  erhielt  gleichfalls  eine  Besserung.  Man  kann  in 
so  manchen  Fällen  in  dieser  Weise  öfters  Vorgehen,  indem 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1131 


man  sich  auf  gewöhnliche  Durchspülungen,  welche  die 
Kranken  selbst  zu  Hause  durchführen  können,  beschränkt, 
und  die  Patienten  in  einem  recht  erträglichen  Zustande 
erhalten. 

Es  ist  aber  zu  bedenken,  dass  dies  Fälle  von  älteren 
Magengeschwüren,  die  mit  keiner  functionellen,  sondern  einer 
mechanischen  Pylorusstenose,  welche  mit  der  Zeit  bedeutender 
werden  kann,  einhergehen,  und  welche  einerseits  auf  diesem 
Wege  zur  Inanition  führen,  andererseits  aber  den  Kranken, 
wie  die  von  mir  angeführte  Statistik  lehrt,  in  fortwährender 
Lebensgefahr,  sei  es  durch  die  drohende  Perforation  der 
Magenwand,  sei  es  durch  zu  erwartende  Blutungen,  er¬ 
halten. 

Solchen  Kranken  gegenüber  zögere  ich  nicht,  die 
Operation  vorzuschlagen,  nachdem  vorher  das  oben  beschriebene 
Verfahren  erschöpft  wurde,  umsomehr,  als  ich  aus  meinen 
eigenen  Fällen  die  Erfahrung  habe,  dass  die  Chancen,  sowohl 
für  die  Operation,  als  auch  für  die  Wiederkehr  normaler 
Functionen  umso  bessere  sind,  je  früher  die  Kranken  sich 
operiren  lassen. 

Diejenigen  Fälle,  welche  operirt  werden  sollen,  trachte 
ich  in  einem  möglichst  guten  Allgemeinzustande  dem  Chirurgen 
zu  übergeben,  somit  unmittelbar  nach  Durchführung  des  oben 
beschriebenen  Verfahrens,  wobei  ich  neben  den  Durch¬ 
spülungen  noch  eine  hinreichende  Anzahl  von  Calorien  dem 
Kranken  zuzuführen,  mich  bestrebe,  indem  ich  einen  be¬ 
deutenden  Theil  derselben  durch  Fette  vervollständige,  sei  es 
durch  Darreichung  der  dreifachen  Milch  von  Jaworski,  sei 
es  durch  Einführung  von  Oleum  olivarum  oder  Mandelöl  in 
Fällen  von  Inanition  mit  der  Sonde,  was  die  Kranken  sehr 
gut  ertragen,  umsomehr  als  letzteres  Vorgehen,  wie  ich  hier 
nebenbei  bemerken  möchte,  in  manchen  Fällen  von  Magen¬ 
geschwür  nicht  nur  eine  Nahrung  dem  Körper  beschafft,  sondern 
auch  auf  die  Symptomen,  sowie  die  Herabsetzung  der  über¬ 
mässigen  Acidität  von  vortheilhaftem  Einflüsse  ist. 

Wenn  ich  es  als  Pflicht  betrachte,  in  Fällen,  welche 
noch  keine  Inanition,  sondern  nur  einen  stark  herunter¬ 
gesetzten  Ernährungszustand  darbieten,  vor  der  Operation  so 
vorzugehen,  so  erachte  ich  es  für  umso  nothwendiger,  es  in 
Fällen  von  Inanition  zu  thun,  da  auch  Kranke  in  einem 
solchen  Stadium  bei  uns  vorsprechen.  Diese  Patienten  mit 
einem  kaum  fühlbaren  Pulse,  trockener  und  faltenloser  Haut, 
eingesunkenen  Augen  und  fast  ohne  Chloride  im  Harne  dem 
Operateur  zu  überliefern,  ist  nicht  denkbar,  da  sie  einem 
sicheren  Tode  entgegen  gehen  und  nur  geringe  Chancen  nach 
der  Operation  haben  würden.  Man  muss  vorher  ihre  Ernährung 
heben,  indem  man  ihnen  Nahrung  löffelweise  per  os,  jede 
Viertel-  bis  halbe  Stunde  einflösst,  da  sie  mehr  nicht  ver¬ 
tragen,  sondern  erbrechen,  indem  man  Nährklystiere  und 
tägliche  subcutane  Injectionen  von  physiologischer  Kochsalz¬ 
lösung  verabreicht. 

Es  sind  nur  einige  Tage  eines  solchen  Vorgehens  noth- 
wendig  und  das  Bild  ändert  sich;  man  kann  dann  mit  umso 
grösserer  Hoffnung  den  Fall  dem  Chirurgen  überliefern. 

Wir  hatten  in  der  Klinik  einen  Fall,  welcher  im  letzten 
Grade  der  Inanition,  fast  in  Agonie  übernommen  wurde,  und 
welchen  wir  auf  diesem  Wege  halbwegs  zu  sich  gebracht  und 
dem  Prof.  Rydygier  übergeben  haben,  der  dann  die  Gastro¬ 
enterostomie  mit  günstigem  Resultate  vollzog. 

Eine  entsprechende  Vorbereitung  des  Falles  zur  Ope¬ 
ration,  wenn  dieselbe  schon  vorgenommen  werden  muss,  ist 
ebenso  wichtig  als  die  Operation  selbst;  darauf  soll  wederder 
Internist  noch  der  Chirurg  vergessen,  dann  wird  kein  Kranker 
in  Folge  von  Inanition  nach  dem  operativen  Eingriffe  und  in 
Folge  von  Kräfteverfall  zu  Grunde  gehen,  da  er  den  ganzen 
Verlauf  der  Operation,  sowie  die  nach  derselben  möglicher 
Weise  auftretenden  Complicationen  leichter  überstehen  wird. 
Dies  sollte  oberstes  Gesetz  für  beide  in  dieser  Angelegenheit 
intervenirenden  Parteien  sein. 

Wenn  der  Patient  seine  Einwilligung  zur  Operation 
nicht  geben  will,  kann  man,  wie  ich  oben  erwähnt  habe,  mit 
dem  früher  beschriebenen  wiederholten  Verfahren  einen  leid¬ 
lichen  Zustand  aufrechterhalten,  ausser  die  Inanition  entwickelt 


sich  immer  mehr,  wodurch  dann  die  Operation  unumgänglich 
nothwendig  und  zur  alleinigen  Lebensretterin  wird,  so  dass 
wir  mit  allen  Mitteln  den  Kranken  zu  derselben  überreden 
müssen. 

Desgleichen  ist  es  unsere  Pflicht,  am  eindriglichsten  zur 
Operation  zu  drängen,  wenn  wir  begründeten  Verdacht  oder 
volle  Sicherheit  haben,  dass  das  bisherige  Magengeschwür  oder 
die  den  Pylorus  stenosirende  Narbe  in  Krebs  übergeht,  was 
nach  der  Statistik  nicht  gar  so  selten  vorkommt. 

Die  möglichst  frühzeitige  Diagnose  dieser  Fälle  ist  eine 
unserer  wichtigsten  Aufgaben. 

Ich  bin  in  der  Lage,  mit  Hilfe  der  in  meiner  Klinik 
gemachten  Beobachtungen  die  Angelegei>keit  näher  zu  be¬ 
leuchten. 

Ausführlicher  werde  ich  dieselbe  später  darstellen,  hier 
will  ich  nur  den  Grundgedanken  mittheilen  und  erwähnen, 
dass  die  Resultate  insoferne  günstig  sind,  als  wir  bei  der 
Uebergabe  der  Kranken  in  die  Hände  des  Chirurgen  im 
Stande  waren,  zu  sagen,  dass  bei  diesen  das  Geschwür  in 
Krebs  übergehe,  und  als  wir  bis  jetzt  keinen  Irrthum  be¬ 
gangen  haben,  obwohl  manchmal  Fälle  darunter  waren,  in 
welchen  erst  das  Mikroskop  die  Sache  entschied. 

Thatsache  ist,  dass  nur  die  Geschwüre  der  Pars  pylorica 
in  Krebs  sich  umwandeln;  es  stellen  dies  meine  Sectionsproto- 
kolle  und  unsere  ganze  klinische  Erfahrung  sicher. 

Die  Pylorusstenose  also,  hervorgerufen  durch  das  seit 
längerer  Zeit  bestehende  Geschwür,  eine  Stenose  verschiedenen 
Grades,  welche  sich  oft  nur  durch  die  oben  erwähnten  Sym¬ 
ptome  constatiren  lässt,  bildet  das  gemeinsame  Merkmal  des 
Ulcus  selbst  und  des  in  Carcinom  übergehenden  Geschwüres. 

Das  Verhalten  des  Mageninhaltes,  insbesondere  unter  dem 
Mikroskope,  ist  hier  gleichfalls  dasselbe.  Gut  verdaute  Fleisch¬ 
fasern,  viele  Zellkernchen  nach  Jaworski  etc.,  Sarcine  und 
Hefezellen  finden  sich  in  beiden  Fällen,  und  doch  wird  im 
zweiten  Falle  schon  die  Aufmerksamkeit  auf  die  häufige  An¬ 
wesenheit  von  langen  Bacterien  (Kaufmann-Boas)  gelenkt, 
obwohl  dies  keine  unumstössliche  Bedingung  ist. 

In  beiden  Fällen  fehlt  die  Milchsäure,  Wir  constatiren 
im  Gegentheile,  wenn  wir  den  Mageninhalt  des  Kranken  gleich 
bei  der  Ankunft  in  die  Klinik  im  nüchternen  Zustande  unter¬ 
suchen,  stark  saure  Reaction  und  viel  freie  Salzsäure  —  ein 
Umstand,  welcher  bei  der  langen  Dauer  der  Symptome,  den 
Blutungen,  dem  manchmal  jugendlichen  Alter  und  der  Pylorus- 
verengerung  die  Diagnose  eines  Geschwüres  in  der  Pars  py¬ 
lorica  umsomehr  rechtfertigen  würde,  wenn  wir  dieses  Ver- 
hältniss  noch  am  zweiten,  dritten  oder  an  einem  späteren  Tage 
der  Untersuchung  fänden.  Wir  wissen  jedoch,  dass  dem  nicht 
immer  so  ist,  dass  man  in  vielen  Fällen  die  Anwesenheit  von 
freier  HCl  beim  Magenkrebse  nachgewiesen  hat.  Das  waren 
aber  alles  Fälle  von  Geschwür,  auf  dessen  Grund  ein  Carcinom 
entstand,  welches  in  weiteren  Stadien  seiner  Entwicklung  zu 
Veränderungen  der  Magenschleimhaut  führt,  welche  die  für 
Krebs  charakteristische  Umgestaltung  der  chemischen  Function 
hervorrufen,  wenn  er  bereits  länger  gedauert  hat. 

ln  früheren  Stadien  ist  jedoch  das  Verhalten  der  H  Cl- 
Secretion  ziemlich  charakteristisch. 

Um  dieses  kurz  darzustellen,  muss  ich  erwähnen,  dass 
in  meiner  Klinik  die  Untersuchung  in  nachstehender  Weise 
vor  sich  geht: 

Gleich  bei  der  Aufnahme  wird  der  Kranke  im  nüchternen 
Zustande  untersucht,  nach  sorgfältigster  Durchspülung  des 
Magens  wird  sofort  die  von  Jaworski  und  mir  angegebene 
Probe,  d.  i.  die  mit  gekochtem  Hühnereiweiss,  angestellt  und  noch 
an  demselben  Tage  die  Verdauungsprobe  mit  einem  Beefsteak 
nach  vier  Stunden  gemacht. 

Diese  Magenproben  wiederhole  ich,  so  oft  es  nöthig 

wird  . 

In  Fällen  von  Ulcus  haben  wir  bei  jeder  dieser  Proben 
einen  stark  sauren  Inhalt  und  beträchtliche  Mengen  freier 
Salzsäure  gefunden. 

Wenn  sich  das  Geschwür  in  Krebs  umwandelt,  beginnt 
eine  gewisse  secretorische  Insufficienz  sich  einzustellen,  welche 
sich  in  folgender  Weise  offenbart:  Im  nüchternen  Zustande 


1132 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  49 


und  nach  der  Methode  von  Jaworski  und  mir  haben  wir 
z.  B.  deutliche  freie  H  CI,  nach  der  Probe  mit  einem  Beefsteak 
jedoch  erhalten  wir  nur  Spuren  freier  HCl,  oder  nur  gebun¬ 
dene  Salzsäure;  am  zweiten  Tage  ist  wieder  im  nüchternen 
Zustande  und  nach  der  Beefsteakprobe  freie  H  CI  ausge¬ 
sprochen,  während  sie  nach  der  Probe  mit  Hühnereiweiss  fehlt 
u.  s.  w.  Dieses  Schwanken  der  ausgeschiedenen  freien  H  CI  ist 
eben  eines  von  den  Merkmalen,  welches  im  Vereine  mit  den 
übrigen  für  eine  Pylorusstenose  charakteristischen  Erscheinungen 
und  mit  dem  oben  angeführten  mikroskopischen  Verhalten  des 
Mageninhaltes,  wie  uns  die  Erfahrung  lehrt,  für  den  Ueber- 
gang  des  Geschwüres  in  Krebs  spricht. 

Diese  Fälle  rufen  überdies  die  Empfindung  hervor,  dass 
der  stagnirende  Inhalt  noch  im  Stande  ist,  die  Magenschleim¬ 
haut  zu  reizen  und  gleichsam  einen  Ansporn  für  die  in  ihrer 
übermässigen  Thätigkeit  erlahmenden  Drüsen  bildet,  da  in 
einigen  Fällen  —  es  bezieht  sich  dies  auf  solche  späterer 
Stadien  —  in  den  ersten  Tagen  der  Untersuchung  nach  den 
oben  erwähnten  Probemahlzeiten  deutlich  freie  H  CI  gefunden 
wird,  wenn  wir  aber  den  Magen  durchzuspülen  und  ihn  von 
den  stagnirenden  Massen  zu  befreien  anfangen,  so  sehen  wir 
in  kurzer  Zeit  ein  Schwinden  der  freien  H  CI,  welche  ganz 
gebunden  wird,  oder  der  Mageninhalt  nimmt  eine  neutrale 
Reaction  an,  oder  es  tritt  manchmal  nach  einer  Woche  Milch¬ 
säure  auf. 

Solche  Fälle  eben  mit  einer  derartigen  Beschaffenheit  der 
chemischen  Function  habe  ich  bei  den  geringsten  Symptomen 
einer  Pylorusstenose,  wenn  auch  subjectives  Wohlbefinden  vor¬ 
handen  war,  frühestens  dem  Chirurgen  zu  übergeben  getrachtet. 

Welche  günstige  Resultate  wir  bei  unseren  operirten  Fällen 
erhielten,  wie  sich  die  Functionen  des  Magens  nach  dem  ope¬ 
rativen  Eingriffe  änderten,  und  das  sonstige  Sckicksal  dieser 
Kranken  wird  der  Assistent  meiner  Klinik,  Dr.  Rencki, 
darlegen. 

Hier  muss  ich  nur  hinzufügen,  dass  die  Behandlung 
nach  glücklich  vollzogener  Operation  und  Rückkehr  des 
Operirten  »zur  Gesundheit«  in  einem  beträchtlichen  Theile 
der  Fälle  noch  nicht  beendigt  ist;  es  verbleibt  nämlich  manch¬ 
mal  noch  für  längere  Zeit  eine  übermässige  Secretion  von 
Magensaft,  als  Zeichen  des  weiter  bestehenden  Geschwürs- 
processes,  welcher  ebenso  behandelt  werden  muss,  wie  vor  der 
Operation,  jedoch  unter  unvergleichlich  besseren  Bedingungen, 
da  das  mechanische  Hinderniss  beseitigt  ist.  Constante  Durch¬ 
spülungen  mit  einer  2%igen  Lösung  von  Karlsbader  Salz, 
wie  ich  sie  oben  beschrieben  habe,  gaben  mir  dann  günstige 
Resultate  —  die  Diät  hat  in  diesen  Fällen  lange  Zeit  nach 
der  Operation  Regel  zu  sein. 

Von  den  Complicationen  des  Ulcus  möchte  ich  die  Per¬ 
foration  der  Magenwand  und  die  Blutungen  noch  mit  einigen 
Worten  streifen. 

Dass  mit  dem  Momente  der  Diagnose  einer  Perforation 
der  Magenwand  sofortige  chirurgische  Hilfe  angezeigt  ist,  dar¬ 
über  sind  Avir  Alle  einig.  Eigene  Erfahrung  habe  ich  in  dieser 
Beziehung  nicht,  da  es  sich  glücklicher  Weise  so  getroffen 
hat,  dass  ich.  vielleicht  Dank  der  rechtzeitigen  Uebergabe 
meiner  Kranken  zur  Operation,  trotz  der  beträchtlichen  Anzahl 
beobachteter  Fälle  von  Magengeschwür,  selbst  keine  Per¬ 
foration  eines  Ulcus  im  ersten  Momente  der  Entstehung  ge¬ 
sehen  habe.  Von  Prof.  R  y  d  y  g  i  e  r  werden  wir  gewiss  dessen 
Ansicht  und  die  Resultate  der  Chirurgie  in  dieser  Beziehung 
hören;  Avas  mich  jedoch  anbelangt,  so  möchte  ich  nur  eine 
bekannte  Anschauung  corrigiren.  Diese  Correctur  aber,  welche 
ich  machen  will,  veranlasst  mich,  a  priori  zu  behaupten,  dass 
man,  meiner  Meinung  nach,  durch  systematische  Behandlung 
früher  Stadien  des  GescliAvüres  und  durch  rechtzeitige  Ueber¬ 
gabe  entsprechender  Fälle  späteren  Datums  in  die  Hand  des 
Chirurgen  es  nicht  zur  Perforation  der  Magenwand  durch 
das  Geschwür  kommen  lassen  darf,  da  wir,  wenn  es  uns 
auch  gelingen  würde,  Avas  aber  kaum  der  Fall  sein  wird,  die 
Perforation  sofort  zu  diagnosticiren,  nicht  allzuviel  von  der 
chirurgischen  Hilfeleistung  erwarten  können. 

Dieser  Umstand,  Avelche  sich  zwar  auf  Grund  der 
bisher  operirten  Fälle  klar  stellt,  ist  jedoch  trostloser,  wenn 


wir  ihn  vom  anatomischen  Standpunkte  analysiren,  da  wir  erst 
dann  die  ganze  technische  Schwierigkeit  des  operativen  Ein¬ 
griffes  erkennen. 

»In  technischer  Beziehung  liegen  die  Verhältnisse  bei 
der  Perforation  des  Magengeschwüres  meist  sehr  günstig.  Die 
Mehrzahl  der  perforirenden  Magengeschwüre,  etAva  80%,  liegen 
im  Bereiche  der  vorderen  Magenwand«,  sagt  Mikulicz9), 
und  er  hat  auf  Basis  der  operirten  Fälle  Recht,  ist  aber  im 
Unrechte,  wenn  ein  grösseres  anatomisch-pathologisches  Material 
zu  Grunde  gelegt  wird. 

Meine  Statistik  zeigt  z.  B.,  dass  unter  28  Fällen  von 
Perforation  2  das  Duodenum  und  26  den  Magen  betrafen. 
Von  den  letzteren  kamen  1  auf  die  Cardia,  2  auf  den  mittleren 
Theil  des  Magens  und  23  auf  die  Pars  pyloria;  was  die  er¬ 
griffene  Fläche  anbelangt,  zerfallen  die  Fälle,  wie  folgt: 


Grosse  Curvatur .  1 

kleine  »  3 

vordere  Wand . 6 

hintere  » . 18. 


Es  zeigt  somit  nicht  die  vordere,  sondern  die  hintere 
Wand  80%  aller  Perforationen  durch  ein  Geschwür  —  und 
hier  wird  die  Technik  umsomehr  Schwierigkeiten  begegnen 
und  umsoweniger  Aussichten  auf  ein  günstiges  Resultat  er¬ 
geben,  als  diese  Perforationen  der  hinteren  Wand  nicht  selten 
von  einer  starken  Blutung  gefolgt  sind,  wie  es  die  Sections- 
protokolle  beweisen. 

Den  Blutungen  muss  ich  zum  Schluss  noch  einige 
Worte  Avidmen.  Es  ist  dies  ein  Gebiet,  auf  welchem  wir  mit 
der  Chirurgie  in  Conflict  gerathen,  und  zwar  mit  Recht,  da 
eine  nicht  geringe  Zahl  unbehandelter  Fälle  von  GeschAviiren 
des  späteren  Stadiums  durch  Blutungen  zu  Grunde  geht,  wie 
es  meine  Statistik  zeigt,  und  dieses  Gebiet  wird,  Avie  ich 
glaube,  für  immer  ein  strittiges  bleiben. 

Die  Erfahrung  lehrt  uns,  dass  der  grösste  Theil  der  Fälle 
mit  Blutungen  in  Folge  eines  Magenulcus  bei  unserem  Ver¬ 
fahren  günstig  verläuft.  Mein  Vorgehen  ist  in  diesen  Fällen 
das  geAvöhnliche.  Unbedingte  Bettruhe,  keine  Verabreichung 
von  Nahrung,  höchstens  löffelweises  Einführen  von  Wasser, 
Ernährung  per  rectum  durch  einige  Zeit,  im  Bedarfsfälle 
Opium,  bei  sehr  starken  Blutungen  subcutane  Injectionen  von 
Sec.  corn.,  Infusionen  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  und 
in  letzter  Zeit  Einspritzungen  von  2%  Gelatine,  das  sind  die 
Mittel,  mit  denen  wir  zu  einem  günstigen  Resultate  gelangen; 
die  für  den  internen  Gebrauch  beliebten  Medicamente,  wie 
Liquor  ferri  sesquichlorati,  Plumbum  aceti  etc.  Avende  ich 
nie  an. 

In  die  Hand  des  Chirurgen  Avürde  ich  Fälle  mit  constant 
blutendem  Geschwüre,  dem  sogenannten  Ulcus  ventriculi  haemor- 
rhagium,  übergeben.  Wie  schwer  ist  es  aber  in  anderen  Fällen, 
sich  zu  entschliessen,  ob  man  zur  Operation  schreiten  soll, 
wie  schwer  zu  diagnosticiren,  dass  die  Blutung  aus  einer 
erodirten  wichtigeren  Arterie  stammt,  und  dass  sie  dem  Leben 
ein  Ende  machen  muss.  Wir  haben  hier  keinen  sicheren 
Anhaltspunkt,  nur  den  einen  Ausweg,  dass  man  entweder 
mit  Mitteln  der  internen  Medicin  oder  im  gegebenen  Falle 
mit  Hilfe  eines  operativen  Eingriffes  das  Geschwür  zur  Heilung 
zu  bringen  trachten  müsse,  da  diese  Fälle  sonst  zu  Grunde 
gehen  und  manchmal  sogar  die  zu  spät  vorgenommene  Opera¬ 
tion  zunichte  machen  Averden,  indem  solche  Blutungen,  selbst 
nach  vollführter  Gastroenterostomie  z.  B.,  gleich  in  den  ersten 
Tagen  oder  selbst  später  Avieder  auftreten  können. 

Wenn  ich  die  hingeworfenen  Gedanken  hinsichtlich  der 
Behandlung  des  Magengeschwüres  zusammenfasse,  würde  ich 
folgende  Thesen  aufstellen: 

1.  In  gewissen  Fällen  können  wir  prophylaktisch  handeln. 

2.  Sowohl  in  frühen,  als  auch  in  späteren  Stadien  des 
Magengeschwüres  erzielt  unsere  systematische  interne  Behandlung 
mit  nachheriger  ein  bis  zwei  Jahre  dauernder  Observation  recht 
oft  sehr  günstige  Resultate. 

3.  Eine  besondere  Aufmerksamkeit  verdienen  die  Fälle 
von  Magensaftfluss  mit  herabgesetzter  mechanischer  Function 


9)  1.  c.  pag.  212. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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des  Magens,  da  diese  in  ihrer  Mehrzahl  Geschwüre  desselben 
in  einem  späteren  Stadium  darstellen. 

4.  Die  Störung  der  mechanischen  Function  ist  in  diesen 
Fällen  nur  ausnahmsweise  Folge  von  reiner  Atonie,  sondern 
wird  gewöhnlich  durch  eine  fünctionelle  oder  mechanische 
Verengerung  des  Pförtners  (Stenosis  pylori)  herbeigeführt. 

5.  Diese  Fälle  müssen  mit  entsprechender  Diät,  mit  Be¬ 
freiung  des  Magens  von  der  Stagnation  des  Inhaltes  und  mit 
anderen  Mitteln,  welche  den  Säuregrad  des  secernirten  Magen¬ 
saftes  herabsetzen,  behandelt  werden. 

6.  Wenn  wir  bei  der  ersten  Anwendung  dieses  Ver¬ 
fahrens  ein  gutes  Resultat  erreicht  haben,  und  letzteres  lange 
anhält,  wenn  wir  somit  Grund  zur  Annahme  haben,  dass  die 
Stenose  des  Pylorus  nur  vorübergehend,  also  nur  functioneller 
Natur  war,  dann  müssen  wir  bei  Wiederkehr  der  früheren 
Symptome  die  obige  Behandlung  wiederholen. 

7.  Haben  wir  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  die  Ver¬ 
engerung  des  Pylorus  mechanischer  Natur,  somit  dauernd  ist, 
dass  also  die  früheren  Erscheinungen  nach  dem  Aufhören  mit 
der  Behandlung  wiederkehren,  dann  gehört  der  Fall  dem 
Chirurgen,  und  zwar  je  früher  desto  besser,  da  dann  die 
Besserung  nach  der  Operation  um  so  ausgesprochener  ist  und 
man  umso  leichter  den  drohenden  Folgezuständen  des  Magen¬ 
geschwüres  begegnen  kann. 

8.  Jeder  zur  Operation  bestimmte  Fall  soll  entsprechend 
vorbereitet,  d.  h.  der  allgemeine  Ernährungszustand  durch 
Anwendung  des  oben  erwähnten  Verfahrens  gehoben  werden. 
Dieser  Punkt  hat  als  Grundsatz  zu  gelten  und  die  Einhaltung 
dieser  Vorsicht  übt  einen  ausgezeichneten  Einfluss  auf  die 
postoperative  Statistik  aus. 

9.  Fälle  von  in  Krebs  übergehenden  Geschwüren  können 
genug  frühzeitig  diagnostirt  und  müssen  schnellstens  der 
Radicaloperation  unterzogen  werden. 

10.  Mit  der  Beseitigung  des  mechanischen  Hindernisses 
durch  die  Operation  ist  in  vielen  Fällen  die  Behandlung  noch 
nicht  zu  Ende,  sondern  muss  im  Sinne  der  aufgestellten  Grund¬ 
sätze  noch  weiter  fortgeführt  werden. 

11.  Perforation  des  Magengeschwüres  gibt  sofort  die 
Indication  zum  operativen  Einschreiten,  obwohl  dessen  Resultat 
insoferne  zweifelhaft  ist,  als  die  meisten  Perforationen  auf  der 
hinteren  Magen  wand  stattfinden,  und  gleichzeitig  häufig  von 
einer  starken  Blutung  gefolgt  sind. 

12.  Ein  beträchtlicher  Theil  von  Blutungen  in  Folge  eines 
Magen  ulcus  hat  bei  interner  Behandlung  einen  günstigen  Ver¬ 
lauf  und  wir  haben  keinen  einzigen  Anhaltspunkt  für  die 
Entscheidung  der  Frage,  welcher  Fall  von  Blutung  unglück¬ 
lich  endigen  wird,  um  über  die  rechtzeitige  Abgabe  desselben 
in  die  Hand  des  Chirurgen  schlüssig  zu  werden. 

Bei  Geschwüren  des  Magens  mit  chronischen  Blutungen 
(Ulcus  haemorrhagicum)  sind  wir  gezwungen,  chirurgische  Hilfe 
in  Anspruch  zu  nehmen. 


Der  Blutdruck  und  seine  Beziehung  zur  Lymph- 

circulation. 

Auffällige  Verkleinerung  von  Lymphdrüsen- 
tumoren  durch  Digitalis  medication. 

Von  Dr.  Friedrich  Friedmann,  Secundararzt  der  IV.  medicinischen  Ab¬ 
theilung  des  k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses  in  Wien. 

Seit  den  epochemachenden  Untersuchungen  von  C.  Lud¬ 
wig,  Noll,  His  und  Brücke  wissen  wir,  dass  das  Lymph¬ 
system  als  Anhang  des  venösen  Gefässsystems  die  Aufgabe  hat, 
den  grössten  Theil  des  nach  der  Ernährung  der  Gewebe  über¬ 
schüssigen  Blutplasmas,  als  nicht  verbrauchten  Körpermaterials, 
und  der  durch  die  chemische  Umsetzung  werthlos  gewordenen 
Stoffwechselproducte  wieder  dem  Blutstrome  zuzuführen.  Auf 
diese  Weise  können  diese  schädlichen  Abfallstoffe  den  Excretions- 
organen  (Haut,  Leber,  Niere)  zur  Ausscheidung  übermittelt 
werden. 


Was  die  anatomischen  Verhältnisse  der  Lymphbahnen 
betrifft,  sei  kurz  erwähnt,  dass  die  Wurzeln  des  Systems  (Lymph- 
capillaren)  aus  den  sogenannten  Saftcanälchen  und  Saftlücken 
hervorgehen;  erst  durch  den  Zusammenfluss  der  Lymphcapil- 
laren  werden  die  eigentlichen  Lymphgefässe  gebildet,  die  in 
ihrem  Verlaufe  sowohl  die  Venen  als  auch  die  Arterien  unter 
zahlreichen  Anastomosen  begleiten.  In  diese  Bahnen  sind  als 
Filtrir-  und  zugleich  Schutzapparate  für  den  Organismus  die 
Lymphdrüsen  eingeschaltet,  welche  gleichzeitig  der  Bereitung 
der  Lymphzellen  des  Blutes  dienen.  Die  Drüsen  stellen  Con¬ 
glomerate  von  Follikeln  dar,  in  welche  die  sich  allmälig  ver¬ 
dünnenden  Vasa  afferentia  ihren  Lymphstrom  ergiessen,  der 
nach  Durchspülung  des  sogenannten  Lymphsinus  und  dabei 
erfolgter  Aufnahme  der  neugebildeten  zelligen  Elemente  durch 
die  Vasa  efferentia  den  Lymphfollikel  verlässt  (Rabl-Rück- 
h  a  r  d). 

Die  Lymphgefässe  der  rechten  Kopf-,  Hals-  und  Brust¬ 
hälfte,  sowie  der  rechten  oberen  Extremität  münden  durch 
den  Truncus  lymphaticus  communis  dexter  in  den  Bildungs¬ 
winkel  der  rechten  Vena  anonyma,  alle  übrigen  Lymphgefässe 
ergiessen  sich  in  den  Ductus  thoracicus,  welcher  im  ßildungs- 
winkel  der  linken  Vena  anonyma  einfliesst. 

Keineswegs  jedoch  sind  die  beschriebenen  Bahnen  die 
einzigen,  auf  welchen  die  Rückfuhr  der  Gewebsflüssigkeiten 
erfolgt,  vielmehr  ist  durch  M  a  g  e  n  d  i  e  auf  experimentellem 
Wege  die  Existenz  der  directen  Gefässaufsaugung  nachge¬ 
wiesen.  Dieser  Forscher  und  viele  andere  (Kürschner, 
Flandrin,  Tiedemann  und  Gmelin)  haben  für  gewisse 
Stoffe  die  directe  Diffusion  ins  Blut  nachgewiesen,  z.  B.  für 
Wasser,  Kohlensäure,  für  die  Salze  der  Alkalien  mit  Säuren, 
für  Zucker  und  Farbstoffe,  für  Harnstoff  und  Kreatin  etc., 
Stoffe,  welche  sich  in  der  That  zumeist  nur  im  Blute  und  nicht 
in  den  Lymphgefässen  vorfinden.  Magendie  konnte  sogar 
die  Gefässaufsaugung  durch  die  Vornahme  eines  Aderlasses 
beschleunigen. 

Das  Zustandekommen  einer  Lymphcirculation  ergibt 
sich,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  aus  der  chemischen 
Zusammensetzung  der  Gewebs-  oder  Parenchym flüssigkeiten 
und  ihrer  Menge.  Erstere  stellen  ein  nach  dem  Gesetze  der 
Filtration  durch  thierische  Membranen  gebildetes  Transsudat 
aus  dem  alle  Gewebe  umspinnenden  Capillarnetz  dar.  Da 

morphotische  Elemente  normaler  Weise  gar  nicht,  Eiweiss  schwerer, 

Wasser  und  Salze  sowie  Gase  (der  Sauerstoff  des  Oxyhämo¬ 
globins  der  Erythrocyten  *)  sehr  leicht  diffundiren,  wird  sich 
die  Gewebsflüssigkeit  nur  durch  den  geringeren  Eiweissgehalt 
vom  Blutplasma  unterscheiden  (J.  Munk).  Die  Menge  des 
aus  dem  Blute  ausgeschiedenen  Materials  ist  nach  vielfachen 
Untersuchungen  (C.  Ludwig)  viel  grösser  als  die  zum  Er¬ 
satz  der  durch  den  Lebensprocess  hervorgerufenen  Zerstörung 
nöthige.  Dieser  Ueberschuss  der  unveränderten  Ernährungs¬ 
flüssigkeit  und  die  durch  die  chemische  Umsetzung  werthlos 
gewordenen  Stoffwechselproducte  müssen  eben  durch  die  Lymph¬ 
circulation  wieder  dem  Blute  zugeführt  werden  (intermediärer 
Kreislauf  der  Ernährungsflüssigkeiten  nach  Bidder  und 
Schmidt  im  Gegensatz  zur  Stoffbewegung  aus  der  Nahrung 
ins  Blut  und  der  Ausscheidung  aus  demselben).  Morphotische 
Elemente  (Lymphkörperchen)  treten  erst  von  dem  Momente 
auf,  wo  die  von  den  Extremitäten  kommende  Lymphe  die 
Lymphdrüsen  passirt  hat. 

Ein  sehr  berücksichtigungswerthes  Moment  scheint 
uns  vor  Allem  die  treibende  Kraft  für  den  »inneren 
Kreislauf«  zu  sein.  Abgesehen  von  der  nicht  bemerkens- 
werthen  Capillarattraction  spielt  der  Filtrations¬ 
druck  (C.  Ludwig)  eine  wichtige  Rolle;  demnach 
werden  schon  geringfügige  Aenderungen  des  Blutdruckes, 
der  chemischen  Zusammensetzung  des  Blutes  und  der 
Gewebsflüssigkeiten  nach  gesteigertem  Umsatz  derselben  sowie 
auch  gewisse  nervöse  Einflüsse  für  die  Lebhaftigkeit  des  Dif¬ 
fusionsstromes  von  Belang  sein.  Weitere  Momente  für  die  Fort¬ 
bewegung  der  Lymphe  sind  in  der  aspirato rischen 
Wirkung  der  Respiration  auf  den  Ductus  thoracicus  und  in 

T  Strassburg,  Archiv  für  die  gesammte  Physiologie.  VI,  1872,  pag. 
365  ff.,  cit.  nach  Hermann. 


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gewissen  Einrichtungen  2)  der  tendinösen  und  fascinösen  Gebilde 
(Ludwig  und  Schwalb  e),  wie  auch  in  der  Muskelcontrac- 
tion  unter  Mitwirkung  des  Klappenapparates  (Pump- 
Wirkung)  gelegen,  abgesehen  von  der  Contractilität 
der  Lymph  ge  fässwandung  in  Form  peristaltischer,  über 
das  Gefüss  laufender  Wellen  (v.  Wittich).  Von  einer 
gewissen  Bedeutung  dürften  auch  gewisse  physikalische 
Anordnungen  sein  (Gesetz  von  Venturi-Bernoulli 
über  die  Druckverhältnisse  in  relativ  engen  Röhren  bei  ihrer 
Einmündung  in  sich  plötzlich  erweiternde  Bahnen). 

Halten  wir  uns  aber  vor  Augen,  dass  die  Strömung  der 
Lymphe  stetig,  wenn  auch  langsam,  erfolgt  und  eine  sich 
bewegende  Flüssigkeit  nach  natürlichen  Gesetzen  von  einem 
Punkte  höheren  Druckes  zu  einem  solchen  niedrigeren  Druckes 
strömen  muss,  die  Spannung  in  den  peripheren  Wurzeln  also 
beträchtlich  höher  ist,  als  der  Seitendruck  in  den  Trunci  nahe 
ihrer  Einmündung,  so  kommen  wir  zu  der  Einsicht,  dass  jene 
stetig  wirksame  vis  a  tergo  in  dem  Blutdruck  zu  suchen 
ist.  Alle  oben  angeführten  Bewegungsmomente  stellen  daher 
nur  Hilfskräfte  dar.  Schon  der  einfache  Versuch  der  Unter¬ 
bindung  eines  Lymphgefässes  beweist  uns  diese  Anschauung 
durch  Anschwellen  des  peripheren  und  Zusammenfallen  des 
centralen  Gefässantheiles. 

Die  ersten  exacten  Versuche  wurden  nach  dieser  Richtung 
von  Ludwig  und  Noll  gemacht.  Sie  legten  bei  einem  Hunde 
ein  grosses  Halslymphgefäss  frei  und  führten  in  dasselbe  eine 
Can  ule  ein,  welche  mit  einem  uhrförmigen  Manometer,  das  mit 
concentrirter  Sodalösung  erfüllt  war,  verbunden  wurde.  Es 
zeigte  sich  ein  constanter,  wenn  auch  geringer  positiver  Druck, 
der  synchron  mit  den  Athembewegungen  und  heftigen  Muskel- 
contractionen  in  einer  gewissen  Breite  schwankte,  doch  immer 
positiv  blieb. 

Da  nun  in  der  Mitte  der  Capillarbahn  der  Blutdruck 
etwa  halb  so  gross  ist  wie  in  der  Aorta  und  unter  diesem 
Drucke  die  Transsudation  in  die  Gewebe  erfolgt,  so  kennen 
wir  auch  beiläufig  den  Druck  in  den  Wurzeln  der  Lymph- 
bahn  (J.  Munk). 

Klar  ist  es,  dass  die  Schnelligkeit  der  Strömung  beim 
Eintritte  in  den  Drüsenapparat  eine  erhebliche  Einbusse  er¬ 
leiden  muss.  Die  erstere  beträgt  nach  den  Versuchen  von 
Weiss  für  den  Halslymphstamm  des  Pferdes  im  Mittel  4  mm 
in  der  Secunde. 

Schon  aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  eine 
Steigerung  des  Blutdruckes  eine  Beschleuni¬ 
gung  des  Lymphstromes  herbeiführen  muss; 
dies  wurde  auch  experimentell  durch  Ludwig  und  Toms  a 
nachgewiesen  und  zwar  für  den  Lympbstrom  des  Hodens.  Eine 
durch  Compression  der  abführenden  Venen  desselben  verur¬ 
sachte  Steigerung  des  Blutdruckes  hatte  beschleunigten  Abfluss 
der  Lymphe  zur  Folge,  während  die  Herabsetzung  des  ersteren 
eine  Verzögerung  des  letzteren  herbeiführte. 

Im  Gegensatz  zu  den  Anschauungen  C.  Ludwig’s  und 
seiner  Schüler  über  den  Einfluss  auch  des  arteriellen  Systems 
auf  den  Lymphdruck  haben  P  a  s  c  h  u  t  i  n  3)  und  Emming- 
haus4)  für  die  Armlymphe  des  Hundes  gefunden,  dass  die 
Zunahme  des  arteriellen  Blusdruckes  die  Lymphbildung  in 
keinem  merklichen  Grade  beeinflusst. 

J.  C  h  a  b  b  a  s  hat  nun  die  Beobachtungen  des  Leipziger 
Institutes  in  einer  viel  einfacheren  Lymphregion  wiederholt, 
nämlich  an  dem  Lymphraum  der  vorderen  Augenkammer, 
deren  Inhalt  (Humor  aqueus)  bekanntlich  als  Lymphe  anzu¬ 
sprechen  ist,  und  hat  in  einer  Reihe  von  Thierversuchen  be¬ 
wiesen,  dass  zwischen  der  Grösse  des  arteriellen  Blutdruckes 
und  der  Secretionsgeschwindigkeit  des  Humor  aqueus  ein  be¬ 
stimmtes  Abhängigkeitsverhältniss  besteht  und  dass  durch  die 


2)  Lud  w  i  g  und  Schweigger-Seidl  haben  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  sich  in  verschiedenen  Sehnen  und  Fascien  ein  tieferes  und 
ein  oberflächliches  Lymphgefässnetz  befindet,  welche  mit  einander  com- 
inuniciren  und  in  eigenthümlicher  Weise  die  Forlbewegung  der  Lymphe 
fördern. 

3)  Paschutin,  Berichte  der  königlich  sächsischen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig.  Mathematisch-physikalische  Classe.  Bd.  XXV, 
pag.  95. 

4)  H.  Emminghaus,  ibidem.  Bd.  XXV,  pag.  396. 


Erhöhung  des  ersteren  (durch  Nicotin  hervorgebracht)  eine 
Steigerung  der  letzteren  bewirkt  werden  kann. 

Dass  wir  aber  auch  am  Krankenbette  in  die  Lage 
kommen  können,  den  Lymphdruck  auf  dem  Wege  des  Blut¬ 
druckes  zu  beeinflussen,  lehrt  die  Beobachtung  des  folgenden 
Falles : 

Am  31.  Juli  1900  kam  der  54jährige  Agent  J.  St.  an  der 
IV.  medicinischen  Abtheilung  des  Allgemeinen  Krankenhauses  zur 
Aufnahme.  Patient  entstammt  einer  vollkommen  gesunden  Familie, 
und  ist  Vater  von  drei  gesunden  Kindern.  Er  selbst  erfreute  sich 
von  seiner  Kindheit  bis  ins  hohe  Mannesalter  der  besten  Gesundheit; 
auch  von  venerischen  Affectionen  blieb  er  verschont. 

Seine  einzige  Leidenschaft  war  das  Tabakrauchen,  während 
er  dem  Alkoholmissbrauch  vollkommen  ferne  stand.  Erst  im 
Jahre  1895  erkrankte  er  in  Folge  einer  Erkältung  (Patient  war 
durch  seinen  Beruf  und  die  mit  demselben  verbundenen  Reisen 
genöthigt,  sich  den  Unbilden  der  Witterung  auszusetzen)  an  einer 
acuten  Bronchialaffection,  die  mit  starkem  Husten  und  Auswurf 
verbunden  war. 

Die  acuten  Erscheinungen  schwanden  zwar  unter  ärztlicher 
Behandlung,  doch  tauchten  zeitweilig  immer  wieder  Beschwerden 
von  Seiten  seines  Respirationstractes  auf,  die  ihn  im  Jahrejl897 
durch  längere  Zeit  ans  Bett  fesselten.  Seit  Ende  dieses  Jahres 
kränkelt  Patient  ununterbrochen,  indem  er  bei  stärkeren  An¬ 
strengungen  Athemnoth  bekommt  und  des  Abends  ein  leichtes  An¬ 
schwellen  seiner  Beine  bemerkt;  über  Herzklopfen  hatte  er  nie  zu 
klagen. 

Gleichzeitig  mit  dieser  Affection  ( des J  Respirationsapparates 
doch  unter  bedeutend  geringeren  Beschwerden  machte  sich  dem 
Patienten  ein  anderes  Leiden  bemerkbar,  nämlich  ein  langsames  aber 
stetiges  Anschwellen  zahlreicher  Lymphdrüsen. 

Die  ersten  Anfänge  documentirten  sich  ihm  im  Sommer  1895 
als  erbsen-  bis  nussgrosse  Knoten  in  den  Achselhöhlen,  späterhin 
am  Halse  und  in  den  Leistengegenden.  Schmerzlos  nahmen  die 
Drüsen  an  Grösse  zu,  ohne  zeitweise  Remissionen  zu  zeigen,  bis 
sie  im  Jahre  1897  insbesondere  in  der  Achselhöhle  etwa  Hühnerei¬ 
grösse  erreicht  hatten.  Die  Arsencür,  der  er  sich  auf  Anrathen 
seines  Arztes  durch  längere  Zeit  unterzog,  blieb  erfolglos,  ja  er 
bekam  einen  juckenden  Ausschlag  am  ganzen  Körper,  welcher  ihn 
zwang,  die  Medication  zu  unterbrechen.  Seine  sich  gradalim 
steigernden  somatischen  Beschwerden,  vor  Allem  die  schon  bei 
geringer  Anstrengung  auftretende  Athemnoth  und  die  stärker  ange¬ 
schwollenen  Beine,  die  inzwischen  zur  Kindskopfgrösse  angewachsenen 
Drüsengeschwülste  der  Achselhöhlen,  seine  grosse  Schwäche  und 
die  sich  einstellende  psychische  Depression,  sowie  ein  neuerdings 
auftretender,  bläschenförmiger,  stark  schmerzender  Ausschlag  an  der 
Streckseite  seines  linken  Oberschenkels  zwangen  ihn  das  Spital 
aufzusuchen. 

Aufnahmsstatus  (1.  August):  Patient  gross,  kräftig 
gebaut,  nimmt  stets  eine  Rückenlage  mit  erhöhtem  Oberkörper  ein. 
Das  ganze  Integument  ist  blass,  cyanotisch  und  weist  eine 
bräunliche  fleckige  Pigmentirung,  besonders  ausgeprägt  an  den 
Extremitäten,  auf;  im  Centrum  der  grösseren  Flecken  ist  häufig 
eine  feine,  weissglänzende  Narbe  sichtbar  (abgelaufenes  Arsen¬ 
exanthem).  An  der  Streckseite  des  linken  Oberschenkels  bemerkt 
man  zahlreiche  von  einem  rothen  Hof  umgebene  Eiterbläschen,  die 
in  der  Minderzahl  geplatzt  in  der  Mitte  einen  schwarzen  Schorf 
sichtbar  werden  lassen;  bei  der  geringsten  Berührung  oder  Be¬ 
wegung  des  Oberschenkels  empfindet  Patient  die  heftigsten  Schmerzen 
(Herpes  zoster,  Diagnose  der  Klinik  Kaposi).  An  den  Beinen 
bestehen  leichte  Oedeme. 

Cerebrale  Symptome  fehlen  vollständig,  der  Augenhintergruud 
ist  normal,  ebenso  die  Rachengebilde.  Es  besteht  Cyanose  der 
sichtbaren  Schleimhäute.  Die  Halsvenen  sind  strotzend  gefüllt. 

Der  Thorax  zeigt  eine  Vergrösserung  des  Tiefendurchmessers 
und  ist  im  Uebrigen  normal.  Die  Athmung  geschieht  angestrengt 
unter  Zuhilfenahme  der  Auxiliärmuskeln  und  unter  starkem 
Stridor;  ihre  Frequenz  ist  vermehrt.  Die  auf  die  Brust  auf¬ 
gelegte  Hand  empfindet  deutlich  die  die  Athmung  begleitenden 
Bronchialgeräusche.  Der  Percussionsschall  ist  allenthalben  abnorm 
laut  und  sonor.  Lungengronzen:  Rechts  vorne  an  der  siebenten, 
links  vorne  an  der  fünften,  rechts  und  links  hinten  an  der 
zwölften  Rippe.  Die  Auscultation  ergibt  überall  vesiculäres  Athmen 


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mit  verlängertem  Exspirium,  allenthalben  begleitet  von  trockenen 
und  feuchten  Rasselgeräuschen  aller  Qualitäten.  Es  besteht  Husten 
mit  Auswurf  eines  zähen  schleimig-eiterigen  Sputums  von  geringer 
Menge. 

Die  grösseren  Arterien  sind  deutlich  geschlängelt  und  rigid, 
besonders  die  Radialarterie.  Der  Puls  ist  rhythmisch,  äqual,  von 
normaler  Frequenz,  die  Welle  mittelhoch,  die  Spannung  herab¬ 
gesetzt  (die  tonometrische  Bestimmung  des  Blutdruckes  wurde 
leider  versäumt). 

Die  Herzdämpfung  erscheint  stark  eingeengt,  der  Spitzenstoss 
ist  im  fünften  Intercostalraume  tastbar.  Die  Töne  sind  dumpf  aber 
rein,  der  zweite  Aortenton  accentuirt. 

Das  Abdomen  ist  etwas  vorgewölbt.  Die  Leber  reicht  in  der 
rechten  Mamillarlinie  drei  Querfinger  unter  den  Rippenbogen,  in  der 
Medianlinie  etwa  vier  Finger  unter  denselben,  ihre  Resistenz  ist 
derb,  die  obere  Dämpfungsgrenze  beginnt  an  der  siebenten  Rippe, 
die  untere  entspricht  ungefähr  dem  Palpationsbefund.  Die  Milz  ist 
unter  dem  Rippenbogen  deutlich  tastbar  und  ebenfalls  von  ziem¬ 
lich  derber  Consistenz.  Ihr  Dämpfungsbezirk  liegt  zwischen  der 
neunten  und  zwölften  Rippe  und  überschreitet  die  vordere  Axillar¬ 
linie  links.  Die  Verdauungsorgane  bieten  nichts  Abnormes. 

Der  Ham  weist  die  Merkmale  der  Stauung  auf,  er  ist  von 
dunkelrothbrauner  Farbe,  seine  Menge  vermindert,  seine  chemische 
Untersuchung  zeigt  normale  Verhältnisse. 

Eine  Druckschmerzhaftigkeit  der  Knochen  besteht  nicht. 

Ly  mphdrüsenap  parat.  Die  seitlichen  Halsdrüsen 
sind  in  ihrer  kettenförmigen  Aneinandereihung  deutlich  sichtbar, 
etwa  nussgross  und  derb  anzufühlen,  doch  leicht  gegen  ihre 
Unterlage  verschieblich. 

Die  Tracheo-Bronchialdr ü)s e n  sind  im  Röntgen- 
Bilde  nicht  sichtbar. 

Die  Axillardrüsen  bilden  je  ein  kindskopfgrosses  Con- 
glomerat  aus  drei  bis  vier  leicht  zu  sondernden  Knollen  von 
derber  Beschaffenheit.  Die  Haut  über  demselben  ist  prall  gespannt, 
doch  nicht  mit  der  Unterlage  verwachsen. 

Mit  dem  Tasterzirkel  aufgenommen,  beträgt: 

Rechts  der  mittlere  basale  Durchmesser  des  Tumors: 

In  der  Horizontalen . 8  cm 

in  der  Verticalen . 12  cm 

der  Umfang  in  der  Horizontalen . 16  cm 

»  »  »  »  Verticalen . 18  cm. 

Links  der  mittlere  basale  Durchmesser: 

In  der  Horizontalen . 6  cm 

in  der  Verticalen . 10  cm 

der  Umfang  in  der  Horizontalen . 14  cm 

»  »  »  »  Verticalen . 16  cm. 

Die  Retroperitonealdrüsen  sind  ebenfalls  als 
höckerige,  derbe,  die  Unterbauchgegend  etwas  vortreibende  Tumor¬ 
massen  zu  fühlen. 

Die  Inguinal drüsen  bilden  je  ein  mehr  flach  aus¬ 
gebreitetes,  derbes,  über  das  Pouparfsche  Band  reichendes 
Paket,  durch  welches  die  Leistengegenden  bedeutend  elevirt  er¬ 
scheinen. 

An  der  Innenseite  des  linken  Oberschenkels  eine  »brettharte 
Infiltration«  der  Haut. 

Hämatologischer  Befund  (die  Blutzählungen  wurden 
mittelst  der  T  h  o  m  a  -  Z  e  i  s  s’schen  Zählkammer  vorgenommen): 

Hämoglobingehalt  nach  Fleischl . 36% 

Zahl  der  rothen  Blutkörperchen  (R)  im  mm3  .  .  .  3,562.000 

Zahl  der  weissen  Blutkörperchen  (W)  im  mm3  20.000 
Numerisches  Verhältniss  beider  im  mm 3  .  .  .  R:W  =  178:1 

Numerisches  Verhältniss  der  mono- 
nuclearen  (m)  zu  den  poly- 
nuclearen  (p)  Leukocyten  .  .m:p  =  83:17°). 
Die  Erythrocyten  zeigen  eine  normale  Beschaffenheit 
keine  Normoblasten,  keine  Megaloblasten.  Die  Leukocyten  sind 
stark  vermehrt;  dieselben  sind  in  überwiegender  Mehrzahl  kleine 
Lymphocyten.  Polynucleäre  Leukocyten  sind  in  ausgesprochener 
Minderzahl  vorhanden;  sie  sind  zum  grösseren  Theile  neutrophil, 
zum  kleineren  acidophil,  granulirt,  keine  basophilen  Granulationen, 
keine  Markzellen. 

5)  Das  Verhältniss  von  m  :  p  im  normalen  Blute  beträgt  nach  den 
Zählungen  von  Einhorn  und  Ehrlich  25  :  75. 


Diagnose:  Lymphäemia,  Atheromatosis  lev. 
grad.,  Emphysema  pulmonum  cum  Bronchit.  ehr  on. 
subsequente  insufficientia  cordis. 

Therapie:  Codein.  mur.  015:150,  Inf.  folior.  digitalis 
10:150.  Auf  den  Herpes  4%ige  Borsalbe.  Volle  Diät. 

In  der  ersten  Woche  treten  leichte  abendliche  Temperatur¬ 
steigerungen  (bis  höchstens  38'5°  C.)  auf. 

9.  August.  Patient  hat  erst  vom  6.  August,  bis  zu  welchem 
Tage  der  Status  unverändert  blieb,  bis  zu  diesem  Tage  4/7  Digitalis 
erhalten.  Der  Gesichtsausdruck  ist  weniger  leidend,  die  Cyanose 
der  Schleimhäute  nur  sehr  geringfügig.  Die  Athmung  erfolgt  leicht. 
Ueberall  ist  vesiculäres  Athmen  mit  Giemen  und  Schnurren  zu 
hören. 

Die  Herzthätigkeit  ist  kräftig  rythmisch,  der  Puls  zeigt  eine 
hohe  Welle  und  eine  verstärkte  Spannung  (Digitalispuls). 

Die  Harnmenge  ist  vermehrt,  die  Oedeme  der  Beine  sind 
geschwunden. 

Ferner  wurde  an  diesem  Tage  ein  Weichwerden  der 
Hals-  und  Achseldrüsen  notirt. 

11.  August.  Coffein,  natrio-salicyl.  0  8 : 150.  Anhaltende 
Besserung. 

13.  August.  Die  Erscheinungen  der  Herz¬ 
ins  ufficienz  sind  nahezu  völlig  geschwunden.  Die 
Drüsenschwellungen  der  seitlichenHalsg egenden 
sind  bis  auf  minimale  Reste  verschwunden.  Die 
Drüsentumoren  derAchselhöhlen  haben  etwa  drei 
Viertel  ihrer  einstigen  Grösse  eingebüsst,  theils 
durch  Verkleinerung  ihrer  grossen,  theils  durch 
Schwund  ihrer  kleinen  Ant  heile  und  besitzen 
etwa  Walnussgrösse;  dabei  ist  die  Consistenz 
des  bestehenden  Restes  eine  auffällig  weiche 
(»matsche«)  und  elastische.  Die  Haut  über  den  Drüsen 
lässt  sich  in  Form  einer  breiten  Falte  aufheben  und  kann  mit  den 
Drüsenresten  als  Inhalt  beutelartig  hin  und  herbewegt  werden.  In 
viel  geringerem  Masse  hat  eine  Verkleinerung  der  Inguinal-  und 
übrigen  Drüsen  stattgefunden;  doch  ist  an  allen  ein  auffälliges 
Weicherwerden  zu  constatiren.  Ein  Kleinerwerden  der  Leber 
oder  Milz  konnte  nicht  festgestellt  werden,  doch  war  eine  Ver¬ 
änderung  der  Consistenz  dieser  Organe  im  Sinne  der  Ab¬ 
nahme  nicht  leicht  zu  übersehen.  Die  Grössenabnahme  des  Drüsen¬ 
apparates  war  in  der  kurzen  Zeit  von  einigen  Tagen  (v  o  m 
9.  bis  zum  13.  August)  eine  so  evidente,  dass  Patient  eher 
erschrocken  als  freudig  überrascht  war  und  sich  auch  in  diesem 
Sinne  äusserte. 

Dazu  die  numerische  Verschiebung  der  Form- 
bestandtheile  des  Blutes. 

Hämoglobingehalt  nach  Fleischl  55% 


R .  4,896.000 

W .  125.000 


R :  W  =  39  : 1 

m  :  p  =  93 :  7. 

Die  qualitative  Blutheschaffenheit  ist  unverändert. 

20.  August.  Patient  geht  bereits  herum;  Herz  vollkommen 
sufficient.  Eine  weitere  Grössenabnahme  des  Drüsenapparates 
konnte  nicht  bemerkt  werden.  Blutbefund: 

Hämoglobingehalt  nach  Fleischl  49% 


R  .  4,000.000 

w . 48.125 


R  :  W  =  83  : 1. 

Coffein,  natrio-salicyl.  wird  weggelassen  und  mit  der  Digitalis- 
medication  wieder  eingesetzt,  und  zwar  erhält  Patient  bis  zum 
24.  August  4 g  des  Infuses. 

28.  August.  Der  eine  Zeit  lang  stationäre  Zustand 
des  Drüsenapparates  hat  sich  im  Sinne  einer 
weiteren  Abnahme  geändert;  doch  liegen  die  Verhältnisse 
jetzt  so,  dass  man  ein  Kleinerwerden  nicht  deutlich,  wohl  aber  die 
auffällig  verminderte  Consistenz  wahrnehmen  kann.  Blut¬ 
befund: 

Hämoglobingehalt  nach  Fleischl  46% 


R .  3,320.000 

W .  54.000 


R :  W  =  61 : 1. 


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1.  September.  Herpes  zoster  geheilt,  sonst  Status  idem. 
Roneegno,  ein  Esslöffel  täglich. 

18.  September.  Vom  1.  September  kann  wieder  eine 
stetige  Zunahme,  sowohl  der  Grösse  als  auch  der  Consistenz 
der  Drüsen  beobachtet  werden.  Die  Halsdrüsen  zeigen  sich  wieder 
bedeutend  geschwellt,  die  übrigen  Drüsen  haben  wieder  die 
Grösse  und  Consistenz  wie  am  Aufnahmstage 
erreicht,  was  insbesondere  an  den  Achseldrüsen  bemerkt  wird 
(vide  obige  Masse). 

Nach  einer  dritten  und  vierten  Digitalisperiode  vom  21.  bis  zum 
25.  September  (5  g)  und  vom  30.  September  bis  5.  October  (6#), 
durch  welche  zwar  eine  augenfällige  Abnahme  der  Con¬ 
sistenz  mit  vermehrter  Lymphocytose,  doch  nicht  der 
Grösse  erzielt  werden  konnte,  liess  sich  Patient  nicht  mehr  im 
Spitale  zurückhalten  und  verliess  dasselbe  am  29.  October  im 
gebesserten  Zustande. 

Als  zu  dieser  Zeit  ordinirender  Arzt  der  Abtheilung  liess 
ich  den  Kranken  zunächst  das  Digitalisinfus  nehmen,  um  die 
bestehenden  Symptome  der  Herzinsufficienz  zu  beseitigen,  in 
der  Absicht,  erst  späterhin  dem  Krankheitsbilde  der  Leukaemia 
meine  volle  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  als  in  diesem  eine 
Reihe  von  Veränderungen  eintraten,  deren  physiologische  Er¬ 
klärung  im  Folgenden  versucht  werden  soll.  Zunächst  seien 
einige  Bemerkungen  gestattet:  Die  Lymphocyten  des  Blutes 
sind  identisch  mit  denen  der  Lymphdrüsen,  was  schon  aus 
der  vollkommenen  Uebereinstimmung  des  morphologischen 
Charakters,  der  Färbeeigenschaften  des  Protoplasma  und  Kernes, 


Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  nebenstehende 
Tabelle,  so  fällt  uns  auf,  dass  unmittelbar  sich  an  die  Digitalis- 
medication  (besonders  an  die  erste)  anschliessend  in  ganz  auf¬ 
fällig  kurzer  Zeit  eine  ganz  bedeutende  Veränderung  sowohl 
im  Drüsenstatus,  als  auch  in  der  Blutbeschaffenheit 
vor  sich  geht.  Der  Synchronismus  beider  Veränderungen 
ist  bei  der  kurzen  Zeit  ein  so  evidenter,  dass  wir  noth- 
gedrungen  einen  mechanischen  Causalnexus  annehmen 
müssen,  und  in  der  That  finden  wir  beim  Vergleiche  der  Ver- 
hältnisszahlen  der  mono-  und  polynucleären  Leukocyten  ante 
und  post  medicationem,  dass  die  nach  I  auf  das  Sechsfache 
(genau  6'/4)  in  1  mm'6  gestiegene  Leukocy tose  (vgl.  die  Tabelle) 
auf  Rechnung  der  Lymphocyten  zu  setzen  ist s),  einem  Plus 
im  Blute,  also  ein  Minus  in  den  Drüsen  entspricht.  Da 
ferner  bekanntermassen  Digitalis  durch  die  Vermehrung  der 
Herzarbeit  und  zugleich  durch  Verengerung  des  Gefässsy stems 
sowohl  den  Blutdruck,  als  auch  die  Stromgeschwindigkeit 
steigert,  so  nehmen  wir  im  Sinne  der  C.  Ludwig- 
sehen  Thierversuche  und  der  Ehrlic  h’s  c  h  e  n 
Theorie  der  Lymphaemia  an,  dass  es  die  aus 
anderer  Indication  veranlasste  Digitalis  medi¬ 
cation  gewesen  ist,  welche  mittelbar  eine  er¬ 
höhte  Lymphcirculation  und  damit  eine  ge¬ 
steigerte  Einschwemmung  der  Lymphdriisen- 
producte  in  die  Blutcirculation  hervor¬ 
gerufen  hat. 

Noch  bleibt  eine  Frage  zu  beantworten  übrig  Warum 


Tabellarische  Uebersicht  des  Drüsen-  und  Blutbefundes. 

I.  (Vom  6.  bis  9.  August  4-0  Digit.)  II.  (Vom  20.  bis  24.  August  4-0  Digit.)  III.  IV. 


Medication 

l 

1.  bis  6.  August 

(ante  Digit.) 

13.  August 

(post  Digit.) 

Vom  11.  August 
bis  20.  August 
Coffein  n.  s. 

0'8  p.  d. 

20.  August 

(ante  Digit.) 

21.  August 

(post  Digit.) 

Vom  1.  September 
Roneegno 

Vom  21.  September 

bis  25.  September 

Digitalis  5  0 

Vom  30.  September, 

bis  5.  October 

Digitalis  6'0 

Grösse  und 

Kindskopf- 

keine  Insuff,  cordis, 

Keine  Ver- 

vollkommene  Herz- 

keine  auffällige 

allmälige  Grössen- 

auffällige  Consistenz- 

Consistenz  der 

grosse 

vom  9.  August  sue- 

änderung 

sufficienz,  Walnuss- 

Grössenabnahme, 

Zunahme,  am 

abnahme 

Achsel- 

cessives  Weicher- 

grosse 

verminderte  Con- 

21.  September  Kinds- 

drüsen  6) 

und  Kleinerwerden 

sistenz 

kopfgrösse 

bis  zur  Walnuss- 

grosse 

F  1  e  i  s  c  h  1 

36 

55 

— 

49 

46 

— 

R 

3,562.000 

4,896.000 

— 

4,000.000 

3,320.000 

— 

W 

20.000 

125.000 

— 

48.125 

54.000 

— 

vermehrte  Lymplio- 

cytose 

R  :  W 

178  :  1 

39  :  1 

— 

83  :  1 

61  :  1 

— 

m  :  p7) 

83  :  17 

93  :  7 

— 

— 

— 

— 

’ 

6)  Wir  wählen  diese  Drüsen  nicht  nur  aus  praktischen  Gründen,  sondern  auch  deshalb,  weil  an  ihnen  (auch  an  den  Halsdrüsen)  die  Ver¬ 
änderungen  am  deutlichsten  ausgeprägt  waren. 

7)  Zu  p  sind  auch  die  Uebergangsformen  und  die  eosinophilen  Zellen  zugerechnet.  Die  tbatsächlichen  Mengen  der  mono-  und  polynucleären 
Elemente  lassen  sich  aus  den  gegebenen  Verhältnisszahlen  derselben  im  Cubikmillimeter  und  der  Mengen  der  weissen  Blutkörperchen  im  Cubik- 
millimeter  nach  einer  einfachen  Proportion  berechnen. 


und  der  Abwesenheit  von  Granulationen  zu  ersehen  ist 
(Ehrlic  h). 

Die  lymphatische  Leukaemia  (Lymphaemia)  entsteht  in 
der  Weise,  dass  die  Vermehrung  der  Lymphzellen  durch  eine 
passive  Einschwemmung  in  das  Blut  bedingt  ist;  wir 
haben  es  hier  mit  einem  mechanischen  Vorgang  zu  thun  im 
Gegensätze  zur  activen,  auf  einer  chemotaktischen  Reaction 
der  polynucleären  Elemente  beruhenden  Emigration  (E  h  r- 
lich).  ln  der  That  sieht  man  bei  gewissen  mit  einer  Hyper¬ 
plasie  des  Lymphdrüsenapparates  verbundenen  Störungen  eine 
ausgesprochene  Vermehrung  der  Lymphocyten  im  Blute,  z.  B. 
nach  Meunier  auch  beim  Keuchhusten  in  Folge  der  Schwellung 
der  tracheo  bronchialen  Drüsen.  Wir  müssen  daher  mit  Ehr¬ 
lich  annehmen,  dass  in  solchen  Fällen  in  gewissen  Lymph- 
drüsenbezirken  eine  erhöhte  Lymphcirculation  stattfindet  und 
in  Folge  der  gesteigerten  Durchströmung  der  Drüsen  mehr 
Elemente  herausgeschwemmt  werden. 


konnte  durch  die  wiederholte  Medication  kein  vollkommenes 
Schwinden  der  Tumoren  erzielt  werden? 


8)  Nennen  wir  die  Leukocytenmenge  ante  medic.  M,  diejenige  post 
med.  M',  die  Menge  der  Lymphocyten  in  derselben  Ordnung  m  und  m',  die 
der  polynucleären  Elemente  p  und  p',  x  jenen  Coefticienten,  der  uns  das 
Verhältnis  der  Zunahme  der  roononuclearen,  y  jenen,  welcher  uns  das  Ver¬ 
hältnis  der  Zunahme  der  polynucleären  Elemente  nach  der  Medication  an¬ 
zeigt,  so  ist  (vgl.  die  Tabelle) 

6'/4  M  =  M'  oder  M  :  M  =  1  .  6 1 /4 

m'  67.M.93  M  .  83 

m  -  -  , 


m 


in 


daher  x  = 


y  p  =  p,  y 


m  100  ’ .  100 

25.  M.  23. 100  25.93  2325 

4  .  100  .  M  .  83  4  .  83  ~  332 

x  =  7,  7  m  =  m'  oder  m  :  m'  =  1  :  7. 

p'  6'/4  M  .  7  M  .  17 

100  ’  P  ‘  100  ’ 
175 


P  = 


daher  y  = 


25  .  M  .  7  .  100 


=  2-57 


4  .  100  .  M  .  17  68 

y  -..  circa  8,  3  p  =  p'  oder  p  :  p  =  1 1  3. 


Nr.  49 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1137 


Klar  ist  es,  dass  es,  wie  schon  aus  dem  raschen  Ab¬ 
lauf  der  Erscheinungen  hervorgebt,  wesentlich  in  Bezug  auf 
den  Effect,  auf  die  Grösse  der  Differenz  in  den 
Druckhöhen  ankommen  muss. 

Denken  wir  uns  die  durch  Verabreichung  der  Digitalis 
erzielten  Blutdrucksdifferenzen  als  Ordinaten  auf  eine  Linie  als 
Abscisse  aufgetragen,  so  muss  bei  I  (Herzschwäche)  demnach 
die  Wirkung  am  ausgesprochensten  sein  9)  (vgl.  die  Tabelle). 
Bei  II  muss  dieselbe  entsprechend  der  geringeren  Differenz 
(bereits  kräftige  Herzthätigkeit)  sich  auch  in  mässigen 
Schranken  halten,  abgesehen  davon,  dass  bei  fünfjährigen 
Drüsentumoren  eine  nicht  unbedeutende  Hyperplasie  des  Stromas 
anzunehmen  ist.  Bei  III  und  IV  ist  der  Effect  am  geringsten, 
wobei  die  Angewöhnung  an  das  Medicament  nicht  ganz  ausser 
Acht  zu  lassen  ist.  Die  vollkommene  Wirkungslosigkeit  der 
Coffeinperiode  (vgl.  die  Tabelle)  ergibt  sich  aus  der  Wirkungs¬ 
weise  dieses  Medicamentes,  die  hauptsächlich  in  einer  Reizung 
des  secretorischen  Nierenepithels  besteht. 

Gegenüber  dem  möglichen  Einwande,  dass  die  Ab¬ 
nahme  der  Drüsen  vielleicht  mit  einer  intercurrenten 
Infection  (Herpes  zoster)  in  Zusammenhang  zu  bringen 
sei,  wäre  zu  erwähnen,  dass  in  allen  Fällen  von  Leukaemie, 
complicirt  durch  intercurrente  Infectionskrankheiten  10) 
(H.  F.  Müller11),  Ko  vacs,  A.  Fraenkel,  Freuden¬ 
stein,  Thorsch,  Jünger  u.  A.),  eine  numerische  Ab¬ 
nah  m  e  der  Gesammtzahl  der  Leukocyten  (genauer  eine  rela¬ 
tive  Abnahme  der  mononuclearen  Leukocyten  bei  einer  rela¬ 
tiven  Vermehrung  der  polynuclearen  und  polymorphkernigen 
Zellen)  zugleich  mit  dem  Schwunde  der  Hyperplasie  der  blut¬ 
bereitenden  Organe,  doch  niemals  eine  Lymph  ocytose 
beobachtet  wurde,  abgesehen  davon,  dass  der  Patient  sowohl 
mit  dem  Herpes,  als  auch  mit  dem  leichten,  gewiss  nicht 
septischen  und  schon  vor  der  Aufnahme  bestehenden  Fieber, 
welches  eher  mit  der  Bronchitis,  als  mit  der  Dermatose  zu¬ 
sammenzustellen  ist,  behaftet  im  Spitale  Aufnahme  fand. 

Des  Ferneren  ist  aus  der  Tabelle  ersichtlich,  dass  der 
nach  I  erzielte  Ueberschuss  an  Lymphocyten  rasch  zum  grossen 
Theile  wieder  aufgezehrt  wird.  Nach  Ehrlich  ist  es  die  Milz, 
welche  dazu  da  ist,  die  im  Blute  zerfallenden  Fragmente  der 
rothen  und  weissen  Blutkörperchen  in  sich  aufzunehmen,  damit 
das  werthvolle  Material  dem  Organismus  nicht  verloren  geht. 12) 

Auch  andere  Cardiotonica  (Strophanthus,  Herb,  convall., 
Alkohol,  Atropin,  Spartei'n)  dürften  eine  ähnliche,  wenn  auch 
weit  schwächere  Wirksamkeit  entfalten,  vielleicht  auch  jene 
Mittel,  welche  die  vasomotorischen  Centren  der  Medulla  oblon¬ 
gata  und  des  Rückenmarkes  rejzen  und  auf  diese  Weise  den 
Blutdruck  steigern  (Strychnin,  Ergotin). 

Erwähnt  mag  noch  werden,  dass  nach  Waldstein 
durch  Pilocarpininjectionen  eine  mit  der  Zahl  derselben  pro¬ 
gressiv  zunehmende  Lymphocytose  erzeugt  werden  kann, 
wahrscheinlich  durch  schnell  vorübergehende,  ausserordentliche 
Schwankungen  des  gesammten  Wassergehaltes,  wodurch  sehr 
leicht  eine  Erhöhung  der  Zufuhr  von  lymphzellenhaltigem 
Blute  in  die  Blutbahn  herbeigeführt  wird  (Ehrlich). 

Herrn  Dr.  Arthur  Weiss  spreche  ich  an  dieser  Stelle 
für  seine  mit  grossem  Fleisse  vorgenommenen  Färbungen 
meinen  besten  Dank  aus. 


9)  Am  gesunden  Menschen  ist  in  der  That  die  Blutdrucksteigerung 
in  ihrer  Wirksamkeit  von  der  am  kranken  verschieden,  indem  am  ersteren 
durch  die  Digitalis  keine  Vermehrung  der  Ilarnsecretion  erzielt  werden  kann 
(V  ogl). 

in)  Dieselben  waren  zumeist  septischer  Natur. 

")  Müller  beobachtete  zwar  auch  einen  Fall  von  lymphatischer 
Leukämie  mit  intercurrenter  Sepsis,  in  dem  eine  veritable  septische  Hyper- 
leukocytose  zugleich  mit  dem  Schwunde  der  Drüsen  auftrat,  doch  war  erstere 
auch  hier  auf  die  Vermehrung  der  polynuclearen  und  polymorphkernigen 
Leukocyten  zurückzuführen;  nach  Weil  findet  bei  der  chronischen 
lymphatischen  Form  der  Leukämie  oft  eine  bedeutende  Steigerung  der 
Leukocytose  statt,  wobei  die  Qualität  im  Sinne  einer  Zunahme  der  poly¬ 
nuclearen  Zellen  relativ  wenig  sich  verändert. 

12)  Der  chemische  Ausdruck  für  den  Leukocytenzerfall  (Leukolyse 
nach  A.  F  r  ä  n  k  e  1)  ist  durch  die  vermehrte  Menge  von  Harnsäure  und 
Alloxurkörpern  im  Urin  gegeben  (H  o  r  b  a  c  z  e  w  s  k  i,  Kol  i  sch  etc.). 


Literatur. 

Rabl-Rückhard,  Lymphgefässsystem.  Eulenburg’s  Realencyklo- 
pädie  der  gesammten  Heilkunde. 

J.  Munk,  Lymphe.  Ibidem. 

C.  L  u  d  w  i  g,  Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen.  1856,  II. 

Hermann,  Handbuch  dor  Physiologie.  V,  2. 

Valentin,  Physiologie  des  Menschen.  Zweite  Auflage.  I. 

C  h  a  b  b  a  s,  Archiv  für  die  gesammte  Physiologie.  1878,  Bd.  XVI, 
pag.  143. 

Ehrlich,  Untersuchungen  zur  Histologie  und  Klinik  des 
Blutes.  1891. 

Ehrlich  und  Lazarus,  Anaemia.  Nothnagels  Handbuch  der 
speciellon  Pathologie  und  Therapie.  I,  pag.  67  ff. ,  pag.  115  ff. 

Bernatzik  und  Vogel,  Lehrbuch  der  Arzneimittellehre. 

K  o  b  e  r  t,  Lehrbuch  der  Pharmakotherapie.  1897. 

H.  F.  Müller,  Lymphämie.  Deutsches  Archiv  für  klinische  Medicin. 
1892,  Bd.  L. 

Kovacs,  Zur  Frage  der  Beeinflussung  des  leukämischen  Krank¬ 
heitsbildes  durch  complicirende  Infectionskrankheiten.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  28.  September  1893.  « 

A.  Frankel,  Ueber  acute  Leukämie.  Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1895,  Nr.  XXI. 

Thorsch,  Zur  Lehre  von  der  Beeinflussung  des  leukämischen 
Krankheitsbildes  durch  acute  Infectionskrankheiten.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  14.  Mai  1896. 

Jünger,  Ein  Fall  von  Leukämie  complicirt  mit  Miliartuberculose. 
Virchow’s  Archiv.  1900,  Bd.  CLXII. 

E.  Weil,  Les  infections  et  la  leucemie.  Gazette  hebdom.  de  med. 
et  de  cliir.  1900,  Nr.  70.  Referat  nach  dem  Centralblatt  für  innere  Medicin. 
1900,  Nr.  45. 


Phlegmone  des  Processus  vermiformis  im  Ge¬ 
folge  einer  Angina  tonsillaris. ‘) 

Von  Privatdocent  Dr.  R.  Kretz.  Prosector  am  k.  k.  Kaiser  Franz  Josef- 

Spitale  in  Wien. 

Meine  Herren!  Als  Hauptursache  der  Erkrankungen  des 
Wurmfortsatzes  wird  gewöhnlich  die  anatomische  und  histo¬ 
logische  Beschaffenheit  dieses  Organes  angesehen;  der  enge, 
blind  endende  Canal  ist  gewiss  zur  Retention  kleiner  Fremd¬ 
körper  aus  dem  Darminhalte  ebenso  sehr  geeignet,  wie  zur 
Bildung  von  Concrementen  aus  den  sich  eindickenden  Fäcal- 
massen;  der  Reichthum  der  Schleimhaut  an  adenoidem  Gewebe 
erleichtert  die  Möglichkeit  des  Eintrittes  bacterieller  Infection; 
er  hat  auch  dem  Organe  die  bildliche  Bezeichnung  »Tonsille 
des  Darmes«  verschafft. 

Die  Gefährlichkeit  des  Verlaufes  einer  Reihe  von  Wurm¬ 
fortsatzerkrankungen  kann  aber  nicht  auf  diesen  allgemeinen 
Verhältnissen  allein  beruhen,  denn  es  gibt  günstig  verlaufende 
derartige  Erkrankungen,  in  denen  diese  Ursachen  nicht  aus¬ 
geschaltet  sind;  ein  besonders  lehrreicher  Fall  dieser  Art 
scheint  mir  der  folgende  zu  sein :  In  der  Bauchhöhle  eines 
jungen  Burschen,  der  an  Tetanus  zu  Grunde  ging,  fand  sich 
ein  kirschgrosser,  runder,  glatter,  freier  Körper;  er  enthielt  in 
seinem  Inneren  einen  erbsengrossen  Koprolithen;  der  Wurm¬ 
fortsatz  ist  an  der  Spitze  schneckenförmig  eingeringelt,  von 
zarten  Pseudomembranen  bedeckt;  ausserdem  flächen  halte  Ver¬ 
wachsung  eines  Theiles  der  Leber  und  der  Milz  mit  dem 
Zwerchfelle;  das  Peritoneum  sonst  überall  zart  und  glatt. 

Also  die  angegebenen  anatomischen  Eigenthiimlichkeiten 
können  wohl  zur  Drucknekrose,  ja  zur  Perforation  des  Con- 
crementes  in  die  Bauchhöhle  führen,  aber  dieses  Ereigniss 
kann  ohne  weitere  Gefährdung  des  Lebens  vorübergehen,  ja  ein 
Kothstein  kann  schliesslich  als  freier  Körper  in  die  Bauchhöhle  ein¬ 
heilen.  Ganz  anders  verlaufen  die  foudroyanten  Fälle,  die  durch 
Peritonitis  und  Sepsis  tödten,  manchmal  noch  bevor  es  zur 
Perforation  des  Wurmfortsatzes  gekommen  ist.  Es  muss  also 
zu  den  erwähnten  anatomischen  Bedingungen  noch  etwas  hin¬ 
zukommen,  was  diesen  gefährlichen  Fällen  ihr  eigenthiimliches 
Gepräge  verleiht. 

Ich  habe  nun  vor  etwa  drei  Wochen  einen  derartigen 
Fall  secirt,  wo  bei  einem  30jährigen  Weibe,  ausgehend  von 
zwei  kleinen  Geschwürchen  um  Traubenkerne,  eine  alle  Wand¬ 
schichten  durchsetzende  Phlegmone  des  Processus  vermiformis 
eingetreten  war,  daneben  phlegmonöses  Oedem  der  Schleim- 

')  Demonstration  der  Präparate  in  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Wien  am  30.  November  1900, 


1138 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  49 


haut  des  Cöcums  und  diffuse,  fibrinös-eiterige  Peritonitis.  Die 
starre  phlegmonöse  Infiltration  liess  mich  an  eine  Streptococcen- 
infection  denken;  ich  suchte,  da  pyogene  Streptococcen  nicht 
zu  den  gewöhnlichen  Darmbewohnern  zu  rechnen  sind,  nach 
einer  Infectionsquelle  und  fand  als  solche  eine  klinisch  nicht 
beobachtete,  schon  halb  abgelaufene  Agina  mit  Defecten  in 
den  Tonsillen;  Tonsillareiter  und  Peritonealexsudat  enthielten 
reichlich  lange,  zierliche  Streptococcenketten. 

Einen  zweiten  ähnlichen  Fall  habe  ich  vor  einer  Woche 
secirt;  es  handelt  sich  hier  um  eine  Recidiverkrankung  bei 
einem  jungen  Manne;  Sie  sehen  hinter  dem  herabgezogenen 
und  durch  Adhäsionen  fixirten  Cöcum  den  Processus  vermi- 
formis-Stumpf  —  Kothstein  und  Spitze  des  Wurmfortsatzes 
waren  operativ  entfernt  worden  —  mächtig  geschwellt  und  in 
allen  Wandschichten  eiterig  infiltrirt,  phlegmonöses  Oedem  der 
Schleimhaut  des  Cöcums  und  des  Colon  ascendens,  sowie  des 
subserösen  Zellgewebes,  davon  ausgehend  eiterige  Peritonitis; 
wieder  Streptococcen;  wieder  eine  Angina  tonsillaris,  diesmal 
mit  etwas  rückgebildetem  Oedem  der  Schleimhaut  am  Kehl¬ 
kopfeingange;  in  dem  Tonsillareiter  fanden  sich  neben  Strepto¬ 
coccen  noch  Influenzabacillen  in  geringer  Menge;  klinisch  war 
die  Angina  nicht  bemerkt  worden. 

Der  Zusammenhang  der  Erkrankungen  in  den  beiden 
Fällen  scheint  mir  sehr  klar  und  einfach:  Die  Angina  liefert 
beim  Schlucken  viel  und  virulentes  Bacterienmaterial,  das 
wenigstens  zum  Theile  in  die  Bacterienflora  des  Darmes  über¬ 
geht  und  diese  mit  intensiv  pathogenen  Eiterungserregern  ver¬ 
sieht.  Sind  nun  des  Weiteren  die  Bedingungen  für  eine  Er¬ 
krankung  des  Wurmfortsatzes  gegeben,  so  tritt  sie  unter  dem 
Bilde  schwerer  septischer  Erkrankung  auf. 

Ich  habe  Ihnen  diese  zwei  Fälle  kurz  mitgetheilt,  weil 
ich  glaube,  dass  die  Beziehungen  zwischen  Angina  und  Darm¬ 
erkrankungen  mehr  Beachtung  verdienen,  als  ihnen  bisher  zu 
Theil  wurde.  Speciell  die  Tonsillen  sind  durch  die  Unter¬ 
suchungen  von  Babes,  Schlenker,  Kraske,  Buschke 
u.  A.  als  häufige  Invasionspforten  verschiedenartiger  schwerer 
Infectionen  erkannt  worden  und  will  ich  nur  kurz  auf  die 
»kryptogenetischen«  Pyämien,  manche  Fälle  von  ulceröser 
Endocarditis  und  die  Osteomyelitis  hinweisen.  Die  Erkrankung 
der  Rachenhöhle  bat  aber  noch  andere  Folgen;  daran,  dass 
die  Anginen  auch  durch  directen  Keimimport  für  den  Ver¬ 
dauungscanal  von  Bedeutung  sind,  hat  meines  Wissens  zuerst 
Kund  rat  gedacht,  der  anlässlich  der  Section  einer  Gastritis 
phlegmonosa  in  den  Tonsillen  die  Infectionsquelle  für  die  Magen¬ 
schleimhaut  suchte  und  fand;  als  Erster  hatKelynak  189S2)  einen 
Fall  von  tödtlicher  Phlegmone  des  Wurmfortsatzes  nach  Angina 
mitgetheilt;  später  hat  Apolant  ( 1 897 3)  auf  Grund  klinischer 
Beobachtung  eines  in  Heilung  übergegangenen  Falles  die  be¬ 
stimmte  Vermuthung  eines  ursächlichen  Zusammenhanges 
zwischen  beiden  Affectionen  ausgesprochen,  ln  der  sehr  um¬ 
fangreichen  » Appendicitis«-Literatur  der  letzten  Jahre  finden 
sich  ganz  vereinzelte  concrete  Beobachtungen  analoger  Fälle 
mitgetheilt,  aber  irgend  eine  Beachtung  hat  die  Annahme 
A  p  o  1  a  n  t’s  anscheinend  nicht  gefunden. 

Sind  die  angenommenen  Beziehungen  zwischen  Hals¬ 
erkrankung  und  Bacterienflora  des  Darmes  richtig,  so  wären 
die  phlegmonösen  Entzündungen  des  Processus  vermiformis  als 
pyogene  Darmerkrankungen  aus  den  »Skolikoitiden«  auszu¬ 
scheiden  und  mit  den  phlegmonösen  Entzündungen  der  Magen- 
und  Dünndarmschleimhaut  (sehr  seltene  Aflectionen)  und  mit 
der  echten  Typhlitis  und  Colitis  phlegmonosa,  die  sich  ana¬ 
tomisch  vollkommen  sicher  von  den  Affectionen  des  Wurm¬ 
fortsatzes  trennen  lässt,  in  eine  Gruppe  zusammenzuziehen. 
\  on  beite  der  Chirurgen  ist  diese  Trennung  übrigens  in  ge¬ 
wissem  Sinne  schon  angenommen,  denn  sie  haben  vielfach 
die  eiterigen  Entzündungen  als  besonders  acut  verlaufend  und 
lebensgefährlich  erkannt  und  darum  von  den  anderen  Formen 
abgetrennt;  Czerny  und  Heddäus  z.  B.  plaidiren  gerade 
für  diese  Fälle  für  ein  besonders  frühes  Eingreifen,  und  zwar 
nicht  blos  durch  den  Fach-Chirurgen,  sondern  durch  jeden 
praktischen  Arzt. 

9  Citirt  nach  Sutherland,  Appendicitis  and  rheumatism.  Lancet.  1895. 

3)  Therapeutische  Monatshefte.  XI,  2,  1897. 


Dass  der  Zusammenhang  zwischen  Hals  und  Darm¬ 
erkrankung  durch  Art  und  Ort  der  primären  Affection  (Sta¬ 
phylo-  oder  Pneumo-  statt  Streptococcen,  oder  Nebenhöhlen 
der  Nase  statt  Tonsille)  ebenso  variirt  werden  kann,  wie  durch 
die  verschiedenen  Infectionsmöglichkeiten  des  secundär  erkran¬ 
kenden  Darmabschnittes,  ist  leicht  zu  ersehen ;  vielleicht  zeigt 
sich  in  Zukunft,  dass  die  Annahme  eines  solchen  Connexes 
noch  manchen  anscheinend  unklaren  Fall  von  intestinaler 
Entzündung  verständlich  zu  machen  geeignet  ist. 


Eine  Bemerkung  zu:  »Ureterfisteln  und  Ureter¬ 
verletzungen«  von  Dr.  W.  Stöckel,  Leipzig  1900. 

Von  K.  Büdinger. 

Der  Endpassus  der  Monographie  von  Stöckel  heisst:  „Ein 
erfolgreiches  Weiterarbeiten  auf  dem  interessanten  Gebiete  wird  nur 
möglich  sein,  wenn  man  über  das,  was  erreicht,  und  über  die  Art, 
wie  es  erreicht  wurde,  orientirt  ist.“  Dieser  Satz  zwingt  mich  zu  einer 
Correctur  der  vorliegenden  Arbeit,  welche  vorwiegend  als  historisches 
Essay  zu  betrachten  ist,  da  über  100  Seiten  die  Geschichte  der 
Ureteroperationen  wegen  Verletzungen  und  Fisteln,  etwa  30  Seiten 
Casuistik  und  Bericht  über  die  Ansichten  von  Fritsch  und  dem 
Verfasser,  sowie  ein  kleines  experimentelles  Intermezzo  enthalten. 

Da  erfuhr  ich  nun  aus  pag.  93  zu  meiner  Ueberraschung,  dass 
ich  die  Versuche  von  Pozzi  über  die  directe  Ureternaht  mit 
negativem  Erfolge  vorgenommen  habe.  Ueberrascht  war  ich  über  diese 
Erwähnung  deshalb,  weil  dieselbe  mir  ein  genaues  Studium  meiner 
Arbeit  vom  Jahre  1894  (Archiv  für  klinische  Chirurgie)  zu  ver- 

rathen  schien,  in  welcher  diese  Versuche  auf  einer  halben  Seite  ab- 
gethan  sind,  während  der  ganze  übrige  Inhalt  nicht  erwähnt  ist, 
trotzdem  er  mir  gerade  für  die  Geschichte  der  Implantation  des 

Ureters  in  die  Blase  nicht  ganz  unwesentlich  zu  sein  scheint.  Ich 
habe  nämlich  in  der  Sitzung  der  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien  am 
23.  Februar  1894  einige  Präparate  von  Hunden  demonstrirt,  bei 

welchen  ich  den  durchschnittenen  Ureter  nach  dem  Principe  der 

Witzel’schen  Gastrostomiefistel  mit  bestem  Erfolge  in  die  Blase 
implantirt  hatte.  Stöckel  führt  in  seinem  Literaturverzeichnisse  das 
in  der  Wiener  .klinischen  Wochenschrift  (1894,  Nr.  9)  enthaltene 
Referat  über  diese  Demonstration  an,  in  welchem  aber  von  den  von 
Stöckel  allein  erwähnten  missglückten  Versuchen  kein  Wort  steht. 

Auch  die  Arbeit  in  Langenbeck’s  Archiv  hat  eben  den  Zweck, 
weil  die  anderen  Versuche  missglückt  waren,  die  von  mir  am  Hunde 
experimentell  geprüfte  Schrägcanal-Einpflanzung  in  die  Blase  zu 
empfehlen.  Wir  Chirurgen  bekommen  aus  naheliegenden  Gründen  viel 
seltener  Gelegenheit,  Ureterverletzungen  zu  operiren  und  deshalb  habe 
ich  die  Zweckmässigkeit  meines  Vorschlages  nur  am  Thierexperimente 
zeigen  können,  war  aber  sehr  erfreut,  den  Werth  desselben  zwei  Jahre 
später  am  Menschen  bewiesen  zfi  sehen. 

Im  Jahre  1896  hat  Witzei  eine  Methode  der  Implantation 
des  Ureters  in  die  Blase  angegeben,  welche  sich  in  Bezug  auf  das 
Princip  der  Einnälning  mit  der  meinen  deckt  und  von  da  an  ist 
häufig  in  dieser  Art  operirt  worden.  Man  kann  nun  gewiss  nicht  von 
Gynäkologen  verlangen,  dass  sie  für  casuistische  Mittheilungen  ausser 
ihrer  eigenen  noch  die  chirurgische  Fachliteratur  durchstöbern  und  es 
ist  mir  daher  niemals  eingefallen,  ein  Prioritätsrecht  geltend  machen 
zu  wollen,  zumal  ja  der  Grundgedanke  der  Sehrägcanalbildung 
ohnedies  zuerst  von  W  i  t  z  e  1  für  die  Gastrostomie  dienstbar  gemacht 
wurde. 

Ausserdem  ist  von  anderer  Seite  (Lotheissen,  Ueber  Ureter¬ 
transplantationen.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  36)  der 
Sachverhalt  unlängst  erwähnt  worden,  was  Stöckel  auch  über¬ 
sehen  hat. 

Anders  als  bei  einer  blossen  Besprechung  eigener  Erfahrungen 
verhält  es  sich  aber  bei  einer  Arbeit  historischen  Inhaltes,  wie  der 
von  Stöckel.  Wenn  „ein  erfolgreiches  Weiterarbeiten  nur  möglich 
ist,  wenn  man  über  das,  was  erreicht  und  über  die  Art,  wie  es 
erreicht  wurde,  orientirt  ist“,  so  wäre  Stöckel  verpflichtet  gewesen, 
die  von  ihm  citirten  Arbeiten  zu  lesen,  statt  Citate  wiederzugeben  und 
das  Literaturverzeichniss  mit  ungelesenen  Nummern  zu  schmücken.  Er 
hätte  dann  erfahren,  dass  ich  allerdings  die  directe  Ureternaht  geprüft, 
aber  wegen  ihres  Misslingens  als  Erster  die  Sehrägcanalbildung,  wie 
sie  von  W  i  t  z  e  1  für  die  Gastrostomie  angegeben  worden  ist,  für  die 
Einpflanzung  des  Ureters  in  die  Blase  empfohlen  habe. 


Nr.  49 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1139 


FEUILLETON. 


L.  Ollier  f. 

Die  Kriterien  für  die  Beurtheilung  der  Leistungen  eines  Chirurgen 
sind  so  mannigfach,  als  es  die  verschiedenen  Möglichkeiten  sind,  sich  auf 
einem  Gebiete  ärztlichen  Wirkens  zu  bethätigen,  das  Kunsthandwerk  und 
Wissenschaft  zugleich  ist.  Das  Material  aber,  aus  dem  die  berufenen 
Lehrer  und  Führer  des  Faches  erstehen,  die  providentiellen  Männer, 
die  wahren  Förderer  des  Wissens  und  Könnens,  das  bilden  Diejenigen, 
denen  aus  der  Hände  Arbeit  die  Ideen,  die  höheren  und  weiteren 
Ziele,  die  wissenschaftlichen  Aufgaben  sich  entwickeln,  ohne  welche 
auch  ein  Kunsthandwerk  des  wahren  Fortschrittes  entrathen  muss.  Mit 
der  Erfassung  der  Ideen  will  aber  auch  die  Schulung  des  Geistes 
gepaart  sein,  um  sie  wirksam  aufgreifen  und  wahrhaft  nutzbringend 
verarbeiten  zu  können.  Noch  liegt  die  Zeit  nicht  gar  so  weit  zurück, 
wo  die  Wundarzneikunst  sich  in  der  Lösung  technischer  Aufgaben 
erschöpfte,  chirurgisch-klinische  Arbeit  und  theoretische  Forschung 
förmliche  Gegensätze  bildeten.  Der  Langenbec  k’schen  Schule  war 
es  Vorbehalten,  durch  die  Vereinigung  beider  Deutschland  mit  Chirurgen 
bedacht  zu  haben,  die  gerade  dadurch  ihr  Fach  in  so  ungeahnter 
Weise  zu  fördern  berufen  waren,  weil  sie  auch  die  Mittel  der  Natur¬ 
forschung,  zumal  das  Experiment,  in  den  Dienst  der  praktischen  Auf¬ 
gaben  zu  stellen  verstanden. 

Einen  der  glänzendsten  Vertreter  dieser  Richtung  besass  die 
französische  Chirurgie  in  dem  Chefchirurgen  des  Hotel  -Dieu  und  Pro¬ 
fessor  der  chirurgischen  Klinik  in  Lyon,  LouisXavier  Edouard 
Leopold  Ollier,  der  dort  nach  einem  ungewöhnlich  arbeitsreichen 
Leben  im  Alter  von  75  Jahren  am  26.  Nov.  zu  Grabe  getragen  wurde. 

Wollten  wir  an  die  Spitze  dieses  Gedenkblattes,  das  einem  der 
verdienstvollsten  Vertreter  der  wissenschaftlichen  Chirurgie  gewidmet 
ist,  ein  Motto  setzen,  so  könnte  es  nicht  bezeichnender,  als  mit  Ollier’s 
eigenen  Worten  geschehen:  „L’experimentation  sur  les  auimaux  vivants 
est  le  plus  puissant  element  de  progr6s  de  la  Chirurgie  scientifique“. 
Und  in  der  That  entstammen  all  die  mannigfachen  und  grossen  För¬ 
derungen,  welche  die  praktische  Chirurgie  Ollier  zu  danken  hat,  aus¬ 
nahmslos  der  thierexperimentellen  Methode. 

Bei  dem  so  weiten  Umfange  der  heutigen  Chirurgie  mag  Manchem 
das  Arbeitsgebiet  0  1 1  i  e  r’s  als  ein  verhältnissmässig  beschränktes 
erscheinen.  Denn  sein  Lebenswerk  bildete  fast  ausschliesslich  das  Studium 
der  Kochenregeneration  und  die  Anwendung  der  auf  experimentellem  Wege 
gewonnenen  einschlägigen  Erkenntnisse  auf  die  praktische  Chirurgie, 
zumal  auf  die  Technik  der  Gelenksresectionen.  Ueber  die  weittragende 
Bedeutung  dessen,  was  Ollier  auf  diesem  Gebiete  geleistet  hat,  wird 
eine  jüngere  Generation,  auf  die  ein  gesicherter  Besitzstand  des  Wissens 
wie  etwas  Selbstverständliches  übergegangen  ist,  sich  kaum  Rechen¬ 
schaft  geben  können.  Um  Ollier’s  Leistungen  ganz  und  voll  würdigen 
zu  können,  müsste  man  als  inmitten  praktischer  Thätigkeit  stehender 
Chirurg  jene  Zeit  miterlebt  haben,  wo  in  den  Kriegen  der  Fünfziger- 
und  Sechziger- Jahre  in  den  Feldlazarethen  Italiens,  Schleswig-Hol¬ 
steins  und  Böhmens  sich  der  mahnende  Geist  des  preussischen  General- 
chirurgeu  des  Siebenjährigen  Krieges,  Johann  Ulrich  B  i  1  g  u  e  r’s, 
wieder  meldete  und  die  Stromeyer,  Langenbeck,  Esmarch, 
Neudörfer  u.  A.  die  grosse  Frage  der  conservativen  Chirurgie  der 
Knochen-  und  Gelenkschüsse  wieder  praktisch  in  Angriff  nahmen.  Aus 
Ollier’s  experimentellen  Arbeiten  waren  die  Methoden  der  Resection 
hervorgegangen,  welche  freilich  erst  durch  die  spätere  Reformation 
der  Wundbehandlung  völlig  Bürgerrecht  erlangten  und  es  ermöglichten, 
mit  der  Resection  durch  Erhaltung  gebrauchsfähiger  Gelenke 
im  Sinne  der  conservativen  Chirurgie  auch  wirklich  etwas  zu  leisten. 
Im  Jahre  1861  —  unter  den  frischen  Eindrücken  des  zwar  kurzen 
aber  mörderischen  italienischen  Krieges  —  hatte  die  Academie  des 
sciences  in  Paris  über  Initiative  von  Flourens  das  Thema:  „De  la  con¬ 
servation  des  membres  par  la  conservation  du  perioste“  zur  Preisaufgabe 
erhoben.  Napoleon  III.  verdoppelte  die  Höhe  des  ausgeschriebenen 
Preises,  um  eine  möglichst  grosse  Anzahl  von  concurrirenden  Arbeiten 
anzuregen.  Den  Lorbeer  in  diesem  denkwürdigen  wissenschaftlichen 
Wettbewerb  errangen  Ollier  und  L  e  d  i  1 1  o  t,  der  Erstere  mit  seiner 
Arbeit:  „Traite  experimental  et  clinique  de  la  regeneration  des  os  et 
de  la  production  artifieielle  du  tissu  osseux“. 

Es  ist  in  hohem  Masse  bezeichnend,  wie  schon  im  Wortlaute 
der  Preisausschreibung  der  Akademie  die  ganze  humanitäre  Tragweite 
ausgesprochen  ist,  die  hier  in  der  Lösung  einer  scheinbar  rein  theoreti¬ 
schen  Aufgabe  gelegen  war. 

Auch  Ollier  hatte  seine  Vorarbeiter:  in  Frankreich  Duhamel 
und  Flourens,  in  Italien  Larghi,  in  Deutschland  B.  Heine,  an 
dessen  Präparaten  ja  eingestandenermassen  B.  v.  Langenbeck  den 
Vorsatz  zur  Ausführung  der  subperiostalen  Resection  sich  holte.  Aber 
die  endgiltige  theoretische  Vorarbeit  für  diese  Operation  ge¬ 
schaffen  zu  haben,  bleibt  doch  das  unbetrittene  grosse  Verdienst 


0  1 1  i  e  r’s.  Durch  seine  Experimente  über  Periosttransplantation  und 
die  heterotopische  Neubildung  von  Knochengewebe,  die  auch  von  den  aus 
ihrer  Umgebung  völlig  losgelösten  Beinhautläppchen  ausging,  hat  ei¬ 
erst  in  unzweifelhafter  Weise  die  osteogene  Eigenschaft  der  Beinhaut 
erwiesen.  Auf  Ollier’s  Experimente  ist  ferner  der  Nachweis  zurück¬ 
zuführen,  dass  es  lediglich  die  innerste  Schichte  des  Periostes  ist 
(D  uhame  l’s  Cambium  des  Knochens,  V  i  r  c  h  o  w’s  Proliferations¬ 
schichte,  Gegenbauer’s  Osteoblastenschielite,  Eanvie  r’s  Moelle 
sousperiostique),  von  welcher  die  Knochenreproduction  ausgeht.  Die 
Arbeiten  0 1 1  i  e  r’s  haben  durch  Billroth  und  dessen  Schüler 
J  a  n  n  y  und  Menzel,  durch  Hermann  Maas  volle  Bestätigung 
gefunden  und  in  den  Resultaten  der  Untersuchungen,  welche  über 
embryonale  Knochenbildung  und  Knochenwachsthum  angestellt  wurden, 
liegt  eine  der  wesentlichsten  weiteren  Stützen  seiner  experimentell 
gewonnenen  Funde. 

Wenn  heute  die  typische  Knieresection  wegen  Tuberculose  in 
der  Weise,  wie  sie  noch  im  Anfänge  der  Achtziger-Jahre  geübt 
wurde,  aufgegeben  ist  und  hiemit  zahllose  Kinder  vor  späterer  Ver¬ 
krüppelung  durch  Wachsthumshemmung  bewahrt  sind,  so  ist  dies 
wieder  Ollier  zu  danken,  der  uns  das  Gesetz  des  Knochen¬ 
wachsthumes  der  langen  Röhrenknochen  kennen  gelehrt  hat, 
das  besagt,  dass  schon  von  den  ersten  Lebenstagen  an,  wahrscheinlich 
demnach  schon  in  utero,  sobald  die  Verknöcherung  der  Diaphysen  be¬ 
gonnen  hat,  Tibia,  Fibula,  Humerus  an  der  oberen,  Radius,  Ulna  und 
Femur  an  der  unteren  Epiphyse  am  stärksten  wachsen  oder,  wie  dies 
Ollier  ausdrückt,  dass  an  den  oberen  Extremitäten  diejenigen  Epi¬ 
physen  die  geringste  Wachstliumsenergie  zeigen,  welche  das  Ellbogen¬ 
gelenk  bilden,  an  der  unteren  Extremität  diejenigen  die  grösste, 
welche  das  Kniegelenk  formiren. 

Dass  die  ge.-ammte  Technik  der  Resectionen  überall  durch  die 
aus  wissenschaftlichen  Gesichtspunkten  gewonnenen  Grundsätze 
Ollier’s  beeinflusst  ist,  dass  er  selbst  auf  grosse  Reihen  glänzender 
Resultate  seiner  conservirenden  Gelenksoperationen  hinweisen  konnte, 
dass  ihm  die  vor  seinen  einschlägigen  Arbeiten  kaum  dem  Namen 
nach  bekannte  Osteoplastik  in  allen  heute  üblichen  Modificationen  ein 
geläufiges  Verfahren  war,  dass  er  namentlich  wie  zur  Rhinoplastik  so 
auch  zur  Deckung  von  Schädeldefecten  schon  die  Autoplastik  mittelst 
Hautperiostlappen  angegeben  und  ausgeführt  Latte  - —  das  Alles  sei 
nur  nebenbei  erwähnt.  Will  man  Ollier’s  Wirken  in  wenigen 
Worten  kennzeichnen,  so  muss  man  ihm  das  unsterbliche  Verdienst 
zusprechen,  durch  Klarstellung  der  wichtigsten  Momente  des  Knochen¬ 
wachsthumes  und  der  Knochenregeneration  einer  der  erfolgreichsten 
Voikämpfer  der  conservativen  Chirurgie  gewesen  zu  sein. 

Ollier’s  wichtigste  Arbeiten  sind  in  zwei  grossen  Wevken  ge¬ 
sammelt  und  niedergelegt;  in  dem  zweibändigen  „Traite  experimental 
et  clinique  de  la  regeneration  des  os  et  de  la  production  artifieielle 
du  tissu  osseux“  (Paris  1867)  und:  „Traite  des  resections  et  des 
operations  conservatriccs  qui  peuvent  etre  pratiquees  sur  le  Systeme 
osseux“  (drei  Bände,  Paris  1885  — 1891).  Dass  auch  seine  Schüler  ihm 
die  Anregung  zu  reger  literarischer  Thätigkeit  verdankten,  bedarf 
keiner  besonderen  Erwähnung. 

Billroth,  der  für  die  Anerkennung  wahren  Verdienstes  immer 
so  Bereitwillige,  hat  seinerzeit  in  unserer  k.  k.  Gesellschft  die  An¬ 
regung  gegeben,  Ollier  zum  Ein enmitgliede  zu  ernennen.  Die  Ge¬ 
sellschaft  der  Aerzte  hat  mit  dieser  Wahl  sich  selbst  geehrt.  Der 
Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie,  die  während  ihres  nun  fast 
dreissigjährigen  Bestehens  im  Ganzen  nur  an  neun  Vertreter  des 
Faches  diese  höchste  von  ihr  zu  vergebende  Auszeichnung  verliehen 
hat,  gehörte  Ollier  als  einziger  Vertreter  französischer  Chirurgie 
als  Ehrenmitglied  an.  Es  hat  fast  den  Anschein,  als  wollten  Deutsch¬ 
lands  Wundärzte  in  dieser  einen  besonders  markanten  Persönlichkeit 
ihre  Huldigung  für  die  gesammte  französische  Chiiurgie  dargebracht 
haben.  In  künstlerischer  Vollendung  ausgefühit,  ziert  Ollier’s 
Bildniss  den  Saal  des  Langenbeck  - Hauses  in  Berlin.  In  ihm  war 
ein  vorbildlicher  Typus  des  wissenschaftlichen  Chirurgen  verkörpert. 
Er  hat  durch  Uebertragung  der  Ergebnisse  eigener  physiologischer 
Forscherarbeit  auf  die  praktische  Chirurgie  sich  um  die  leidende 
Menschheit  unvergängliche  Verdienste  erworben.  A.  Fr. 


REFERATE. 

Methodik  der  klinischen  Blutuntersuchungen. 

Von  Prof.  Dr.  Ernst  Grawitz. 

Berlin  1899,  E  n  s  1  i  n. 

Das  vorliegende  Heftchen  soll  eine  technisch-methodische 
Ergänzung  zu  desselben  Autors  »klinischer  Pathologie  des  Blutes« 
bilden  und  enthält  eine  Zusammenstellung  und  knappe  Principdar- 
legung  der  klinisch  in  Betracht  kommenden  Untersuchungsmethoden 


1140 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  49 


des  Blutes.  Insbesondere  will  Grawitz  einer  eingehenderen  Be¬ 
rücksichtigung  der  physikalisch-chemischen  Methoden  gegenüber 
einer  einseitigen  Bevorzugung  der  Histologie  das  Wort  reden.  Aber 
fast  überall  fehlen  in  seiner  Darstellung  die  technischen  Details  - 
und  das  ist  leider  der  Fehler  aller  bisher  erschienenen  Anleitungen 
zur  Blutuntersuchung.  Da  aber  gerade  die  Kenntniss  dieser  Details 
die  unerlässlichste  Bedingung  für  die  Erreichung  eines  richtigen 
Resultates  ist,  erscheint  dem  Referenten  auch  der  praktische  Werth 
dieser  Schriftchen,  so  gut  sie  gemeint  sein  mögen,  als  ein  zum 
Mindesten  fraglicher. 

* 

Zur  Kenntniss  der  Blutveränderungen  nach  Aderlässen. 

Von  E.  A.  v.  Willebrand, 

Helsingfors  1899,  W  e  i  1  i  n. 

Zu  Helsingfors  hat  sich  eine  rührige  Histologenschule  heraus¬ 
gebildet,  die  sich  vorwiegend  mit  der  experimentellen  Erforschung 
der  Lehre  von  den  verschiedenen  Anämien  befasst.  Ein  Glied  dieser 
Arbeiten  stellt  die  vorliegende  Abhandlung  dar,  welche  die  bekannten 
traumatisch-anämischen  Veränderungen  an  Ervthrocyten,  Hämoglobin¬ 
gehalt  und  Leukocyten  bespricht,  wie  sie  nach  Aderlässen  hei 
Hunden  und  Kaninchen  zur  Beobachtung  gelangen.  Hervorzuheben 
wäre,  dass  der  Autor  wie  die  übrigen  Helsingforser  zu  dem  Resul¬ 
tate  kommt,  dass  die  neugebildeten  Erythrocyten  an  Grösse  die 
älteren  Formen  übertreffen,  dabei  aber  hämoglobinärmer  sind,  und 
dass  er  die  gefundene  posthämorrhagische  Leukocytose  in  Ueber- 
einstimmung  mit  Ehrlich  und  Rieder  als  ein  Nebeneinander¬ 
bestehen  von  Lymphocytose  durch  vermehrte  Lymphströmung  zum 
Blute  und  von  neutrophiler  Leukocytose  durch  Knoehenmarksreizung 
erklärt. 

* 

Die  praktische  Bedeutung  der  eosinophilen  Zellen. 

Von  S.  Bettmann. 

Volkmann’s  Sammlung  klinischer  Vorträge.  Neue  Folge,  Nr.  226. 

Leipzig  1900. 

Alles,  was  man  über  die  eosinophilen  Zellen  zu  wissen 
braucht,  und  fast  Alles,  was  man  von  ihnen  weiss,  findet  sich  in 
anregender  Darstellung  in  Bett  m  a  n  n’s  Vortrage.  Nachdem  zunächst 
der  Begriff  »eosinophil«  auf  Grund  der  differentiellen  Simultan¬ 
färbung  festgestellt  worden,  wendet  sich  der  Autor  zu  einer  streng 
kritischen  Besprechung  des  Vorkommens  unserer  Zellen.  So  wird 
zunächst  die  locale  Eosinophilie  im  Hautblaseninhalte  bei  Pemphigus, 
im  Eiter  bei  Gonorrhoe,  im  Sputum  insbesondere  beim  bronchialen 
Asthma  und  deren  differentialdiagnostische  Bedeutung  erörtert. 
Hernach  erfährt  das  Verhalten  der  Eosinophilen  im  Blute  bei  In- 
fectionskrankheiten  und  ihre  Vermehrung  bei  Hauterkrankungen, 
Helminthiasis,  Tuberculinbehandlung  u.  s.  w.  eine  ebenso  scharfe 
als  sachliche  Beurtheilung.  Auch  zu  der  Frage  der  localen  Ent¬ 
stehung  oder  ausschliesslichen  Knochenmarksherkunft  sowie  zu  der 
zweiten  Frage  nach  dem  Zusammenhänge  der  eosinophilen  mit  den 
neutrophilen  Leukocyten  nimmt  der  Autor  Stellung,  allerdings  ohne 
positives  Resultat.  Und  schliesslich  kommt  er  zu  dem  für  den 
Praktiker  wenig  ermunternden  Schlusssätze,  »dass  die  praktische 
Verwerthbarkeit  der  eosinophilen  Zellen  zur  Zeit  allerdings  eine 
ausserordentlich  beschränkte  sei«. 

All  das  Schwanken  der  Befunde  und  die  gar  zu  grosse 
Häufigkeit  der  localen  und  allgemeinen  Eosinophilie,  die  Bettmann 
zu  diesem  angeführten  Ausspruche  veranlassten,  müssen  ohne  Frage 
zugegeben  werden,  und  allgemeine  diagnostische  oder  prognostische 
Regeln  aus  dem  Verhalten  der  eosinophilen  Zellen  ableiten  zu 
wollen,  wäre  gewiss  ein  ebenso  aussichtsloses  als  unberechtigtes 
Unternehmen.  Wenn  man  aber  im  vorliegenden  Einzelfalle  ihre  Be¬ 
deutung  individualisirend  prüft,  so  wird  man  doch  schliesslich 
nicht  gar  so  selten  berechtigt  sein,  den  Werth  dieses  schönen 
Geschlechtes  der  Leukocyten  ein  klein  wenig  höher  anzuschlagen, 
als  unser  Autor. 

* 

Die  Anämie. 

II.  Abtheilung:  Klinik  der  Anämien. 

Von  Dr.  A.  Lazarus. 

Nothnagel’*  specielle  Pathologie.  Bd.  VII l,  Theil  I,  Heft  2. 

Wien  J  900,  H  older. 

An  die  erste  Abtheilung  dieses  Werkes,  welche  die  normale 
und  pathologische  Histologie  des  Blutes  behandelte,  schliesst  sich 


nun  in  würdigerWeise  als  zweiter  Theil  die  »Klinik  der  Anämien« 
von  Lazarus  an.  Der  Inhalt  des  Buches  ist  leider  wesentlich 
eingeschränkt  worden  durch  die  Ausscheidung  und  anderweitige 
Behandlung  der  Chlorose,  und  so  beschränkt  sich  Lazarus’  Be¬ 
arbeitung  auf  die  posthämorrhagische  und  pernieiöse  Anämie,  sowie 
die  verschiedenen  symptomatischen  Anämien. 

Eine  schön  zusammenfassende  und  präcise  Schilderung  erfährt 
zunächst  die  acute  Blutungsanämie,  bei  welcher  Gelegenheit  auch 
die  Anschauungen  des  Autors  über  die  Fragen  der  Trans-  und  In¬ 
fusion,  sowie  über  die  Eisentherapie  zur  Darstellung  gelangen.  Unter 
dem  allerdings  wenig  bezeichnenden  Namen  der  »einfachen  Anämie« 
wird  sodann  die  grosse  Reihe  der  symptomatischen  Anämien  ge¬ 
schildert.  In  dieser  zusammenfassenden  und  die  gemeinsamen 
Charaktere  scharf  hervorhebenden  Bearbeitung  kommen  nach  des 
Referenten  Meinung  nur  die  differentialdiagnostischen  Momente  ein 
wenig  zu  kurz;  wenigstens  den  Versuch  einer  Charakteristik  z.  B. 
der  gewöhnlichen  Typen  der  carcinomatösen  Anämie  gegenüber 
Phthise,  der  Ankylostomiasis  etc.  hätte  Referent  nicht  ungern 
gesehen.  Ganz  vermisst  wird  ein  Eingehen  auf  die  so  eigenartig 
aussehenden,  gewiss  sehr  interessanten  symptomatischen  Anämien 
des  Kindesalters,  wie  z.  B.  die  sogenannte  Anaemia  infantum  pseudo- 
leukaemica  bei  Rachitis  und  ererbter  Lues. 

Mehr  als  die  Hälfte  des  Buches  nimmt  schliesslich  eine 
durchaus  mustergiltige  Besprechung  der  pernieiösen  Anämie  ein, 
sowohl  der  ätiologisch  erforschten  Formen  derselben  (Bothrio- 
cephalus),  als  der  secundär  an  andere  chronisch-anämische  Zustände 
(recidivirende  Blutungen,  manche  Carcinome,  Chlorose)  sich  an¬ 
schliessenden,  als  endlich  der  kryptogenetischen.  Ich  brauche  auf 
das  Detail  nicht  einzugehen  —  hämatologischer  wie  klinischer 
Theil  sind  in  gleicher  Weise  vorzüglich  gerathen. 

* 

Die  Blutzusammensetzung  bei  den  verschiedenen 

Anämien. 

Von  Docenten  Dr.  H.  Strauss  und  R.  Rolinstein. 

B  e  r  1  i  n  190 1 ,  Hirschwald. 

Die  Autoren  haben  sich  in  der  vorliegenden  umfangreichen 
Monographie  die  Aufgabe  gesetzt,  in  allererster  Linie  das  Verhalten 
der  weissen  Blutzellen  bei  anämischen  Zuständen  zu  studiren  — 
eine  Frage,  die  zwar  nicht  neu  und  in  ihren  Hauptpunkten  er¬ 
fahrenen  Hämatologen  auch  wohl  vertraut  ist,  aber  doch  in  der 
sonst  überreichen  hämatologischen  Literatur  selbst  noch  immer  als 
nebensächlich  recht  stiefmütterlich  behandelt  wurde. 

Eine  allgemeinere  Bedeutung  kommt  nur  den  Capiteln  über 
pernieiöse  Anämie,  Carcinomanämie  und  Chlorose  zu,  während  die 
übrigen  Abschnitte  kaum  mehr  als  casuistisches  Interesse  bean¬ 
spruchen  dürfen.  Wesentliche,  auch  dem  Fachmanne  neue  Befunde 
haben  auch  hiebei  die  Autoren  wenig  zu  verzeichnen,  hingegen 
ist  aller  Anerkennung  werlh  die  scharfe  Präcisirung  der  differential¬ 
diagnostischen  Bedeutung  der  Leukocytenbefunde  bei  pernieiöser 
Anämie  einer-,  und  schweren  secundären  carcinomatösen  Anämien 
andererseits:  bei  der  ersteren  Leukopenie  mit  relativer  Lympho¬ 
cytose,  bei  letzteren  häufig  Leukocytose  und  immer  ein  Vorwiegen 
der  polynucleären  neutrophilen  Zellen.  Etwas  gar  zu  weit  scheinen 
dem  Referenten  die  Verfasser  in  der  prognostischen  Verwerthung 
der  relativen  Lymphocytenvermehrung  bei  schwereren  Chlorosen 
zu  gehen,  indem  sie  diesen  Befund  als  ausschlaggebendes  Kriterium 
für  die  Diagnose  einer  »Chlorosis  gravis«  gegenüber  der  »Chlorosis 
simplex«  hinstellen  und  auf  Grund  dieses  selben  Befundes  der 
Ueberzeugung  Ausdruck  geben,  dass  diese  Chlorosis  gravis  »etwas 
Besonderes  sei,  und  zwar  etwas,  was  der  pernieiösen  Anämie  min¬ 
destens  ebenso  nahe  steht,  wie  der  Chlorosis  simplex«.  Zu  diesem 
letzteren  Schlüsse  ist  doch  wohl  das  Material  der  Autoren  zu 
klein  und  zu  wen:g  fortlaufend  beobachtet.  Und  schliesslich  wird 
in  dieser  Frage  neben  den  Lymphocyten  wohl  auch  noch  die  Klinik 
ein  ganz  bescheidenes  Wörtlein  dreinzureden  haben,  abgesehen  davon, 
dass  es  nach  des  Referenten  eigener  Erfahrung  nichts  gar  so 
besonders  Seltenes  ist,  dass  einmal  eine  klinisch  verhältnissmässig 
gutartige  Chlorose  auf  ihrer  Höhe  eine  Steigerung  des  Lymphocyten- 
quotienten  aufweist. 

Den  Schluss  der  Arbeit  bilden  Versuche,  für  den  genetischen 
Zusammenhang  von  Lymphocyten  und  Erythrocyten  Anhaltspunkte 
zu  sammeln,  und  Flrörterungen  über  die  punctirten  Erythrocyten 


Nr.  49 


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von  Lazarus,  deren  basisch  färbbare  Körnchen  zum  Theil  als 
Degenerationsproducte  des  Protoplasmas,  zum  Theil  als  Reste 
eines  zerfallenden  Kernes  gedeutet  werden.  W.  T  ü  r  k. 


Die  zunehmende  Unfähigkeit  der  Frauen,  ihre  Kinder  zu 

stillen. 

Die  Ursachen  dieser  Unfähigkeit,  die  Mittel  zur 

V  erhütung. 

Vortrag-  von  Gr.  v.  Billige. 

München  1900,  E.  Reinhardt.. 

Zu  seinen  zahlreichen  Entdeckungen- über  die  Milchzusammen¬ 
setzung  und  ihre  Wechselbeziehung  zum  Säuglinge  hat  Bunge 
eine  neue,  höchst  wichtige  wissenschaftliche  Thatsache  hinzu¬ 
gefügt. 

Er  schickte  an  viele  tausend  Aerzte  Fragebogen  aus,  in 
welchen  erhoben  wurde,  ob  eine  bestimmte  Frau  X.  Y.  und  ihre 
Mutter  ihre  Kinder  stillte.  Wenn  dies  nicht  der  Fall  war,  aus 
welchem  Grunde,  ferner  ob  erbliche  Krankheiten  in  der  Familie 
vorkamen,  wie  der  Zustand  der  Zähne  der  betreffenden  Frau  ist, 
wie  gross  der  Alkoholconsum  bei  der  Frau  und  ihren  Eltern  war. 
Von  2000  Antworten  wurden  nur  665  für  die  Statistik  ver- 
werthet. 

Als  stillungsbefähigte  Frau  wurde  nur  jene  betrachtet,  welche 
neun  Monate  ihr  Kind  ohne  jegliche  Beinahrung  stillte.  Es  fanden 
sich  hlos  182  solcher  Frauen.  Bei  den  übrigen,  nicht  Befähigten, 
zeigte  sich  ganz  klar,  dass  die  Unfähigkeit  zum  Stillen  erblich  ist. 
Bei  dem  Versuche,  einen  Zusammenhang  zwischen  dieser  Unfähigkeit 
mit  den  verbreiteten  erblichen  Krankheiten  herzustellen,  stellte  sich 
heraus,  dass  Tuberculose,  Nervenleiden  nur  als  begleitende  Sym¬ 
ptome  der  Unfähigkeit  zu  stillen  auftreten,  und  auch  andere 
vererbbare  Krankheiten  keine  Bedeutung  haben.  Bios  der 
Alkoholismus  zeigte  den  merkwürdigen  Einfluss  auf  die 
Fähigkeit  zu  stillen  in  der  Art,  dass  die  Tochter  die  Fähigkeit  zu 
stillen  verliert,  wenn  ihr  Vater  ein  Säufer  war. 

In  ungefähr  der  Hälfte  aller  jener  Fälle,  in  welchen  die 
Mutter  noch  die  Fähigkeit  zu  stillen  besessen  hatte,  ging  diese  auf 
die  Tochter  nicht  über,  wenn  der  Vater  dieser  Tochter  ein 
Säufer  war. 

Es  ist  dies  ein  wichtiges  neues  Symptom  der  alkoholischen 
Degeneration  in  der  Nachkommenschaft. 

Siegfried  Weiss  (Wien). 


Lebensversicherung  und  sogenannte  primäre  Kehlkopf- 

tuberculose. 

Von  Dr.  R.  Kafemann.  Privatdocent. 

Halle  a.  S.  1900,  Karl  Marhold. 

In  einem  im  Vereine  für  wissenschaftliche  Heilkunde  in 
Königsberg  i.  Pr.  gehaltenen  Vortrage  weist  der  Autor  auf  die  weit- 
tragende  Bedeutung  der  Vornahme  von  laryngoskopischen  Unter¬ 
suchungen  für  Versicherungsärzte  hin,  welche  Untersuchungen  zum 
Zwecke  der  Lebensversicherung  bisher  in  ganz  ungenügender  Weise 
gehandhabt  werden. 

Indem  Kafemann  in  knapper,  aber  durchaus  verständ¬ 
licher  Darstellung  die  für  den  Versicherungsarzt  wissenswerthen 
klinischen  Merkmale  der  initialen  Kehlkopftuberculose  anführt  und 
einschlägige  Fälle  an  der  Hand  von  Krankengeschichten  erläutert, 
ist  obige  Abhandlung  für  genannte  Aerzte  von  grossem  praktischem 
Werth  e. 

* 

Die  Prophylaxe  bei  Hals-  und  Nasenkrankheiten. 

Von  Dr.  Theodor  S.  Flatau,  Berlin. 

In :  Nobili  ng-Jankau,  Handbuch  der  Prophylaxe  (Abtheilung  VH). 

M  ü  n  c  h  e  n  1900,  Seitz  &  Schauer. 

Im  ersten  Capitel,  der  allgemeinen  Prophylaxe,  bespricht 
Verfasser  die  Massnahmen  hei  Leistungshemmungen  der  Athmung, 
des  Geruches  und  der  Sprache  und  legt  der  Autor  namentlich  in 
diesem  letzteren  Abschnitte  seine  grosse  Erfahrung  nieder.  Im 
zweiten  Capitel,  der  speciellen  Prophylaxe,  erörtert  derselbe  die 
rhinologischen  und  laryngologischen  Massnahmen  hei  acuten  In- 
fectionskrankheiten  des  kindlichen  und  jugendlichen  Alters,  sowie 


bei  Tuberculose  und  Syphilis.  Schliesslich  wird  die  Prophylaxe  der 
Blutungen  besonders  ahgchandelt. 

Der  stellenweise  geradezu  übermässige  Wortreichthum  der 
Abhandlung  gereicht  derselben  keineswegs  zum  Vortheil,  doch  hat 
dieselbe  unter  Anderem  den  grossen  Werth,  dass  der  Specialist 
wieder  erinnert  wird,  den  innigen  Zusammenhang  seines  Gebietes 
mit  der  allgemeinen  Heilkunde  nicht  ausser  Acht  zu  lassen. 

Dr.  H  a  n  sz  e  1. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

501.  Zur  Therapie  der  Impotenz.  Von  E.  Mendel 
(Berlin).  Die  Impotenz  kann  eine  zweifache  sein:  Die  Impotentia 
generandi  in  Folge  Mangel  an  Samenflüssigkeit  (Aspermatismus) 
oder  an  Samenthierchen  in  der  Ejaculationsflüssigkeit  (Azoospermie). 
Uebrigens  gibt  es  noch  andere  Ursachen,  wie  die  Unfruchtbarkeit 
degenerirter  Individuen  beweist.  Weiters  die  I.  coeundi,  d.  i.  die 
Unfähigkeit,  den  Coitus  auszuüben.  Für  diese  kann  die  Ursache 
nach  allen  jenen  Richtungen  gesucht  werden,  die  für  die  Ausführung 
eines  Coitus  überhaupt  in  Betracht  kommen.  Die  Erection  ist  ein 
Act,  der  reflectorisch  auf  verschiedene  Weise  ausgelöst  oder  be¬ 
hindert  wird.  So  durch  einen  peripheren  Reiz  (Füllung  des  Hodens), 
durch  Reizung  des  im  Gehirn  liegenden  Centrums  (durch  Vor¬ 
stellungen  oder  auf  optischem  Wege).  Von  diesem  Centrum  geht 
die  Bahn  durch  den  Pedunculus  cerebri,  die  im  Halstheile  des 
Rückenmarkes  gewiss  noch  vorhanden  ist  (Erection  beim  Erhängen). 
Das  Erectionscentrum  befindet  sich  im  Rückenmarke  in  der  Höhe 
des  ersten  bis  vierten  Sacralnerven.  Die  Sonderung  dieser  zwei 
Centren  erklärt  es,  wie  Erection  und  Ejaculation  gesondert  von 
einander  auftreten  können.  Vom  Erectionscentrum  geht  die  Bahn 
durch  die  Nervi  erigentes,  deren  Reizung  eine  Erweiterung  der 
arteriellen  Gefässe  und  damit  eine  Schwellung  des  Corpus  caver- 
nosum  urethrae,  und  diese  wieder  eine  solche  der  Corp.  cav. 
penis  bedingt.  Die  Impotentia  coeundi  kann  nun  bedingt  sein: 
1.  Durch  eine  periphere  Ursache  (Hydrocele,  grosse  Leisten¬ 
hernie  etc.),  2.  durch  eine  übermässige  Reizung  der  von 
der  Peripherie  kommenden  Nervenbahnen  (Fremdkörper  in  der 
Blase,  Gonorrhoe,  Onanie)  oder  Anästhesie  derselben  (Tabes). 
Therapie  der  Grundursache  entsprechend.  8.  Neuritische 
Processe  (Diabetes,  Morbus  Brighti,  Alkoholismus).  In  weitaus 
den  meisten  Fällen  hängt  die  Impotenz  4.  mit  einer  Lähmung 
(Tabes,  Trauma,  Tumoren  des  Rückenmarkes,  Myelitis  und  Syphilis 
des  Rückenmarkes,  Alteration  der  Centren  durch  Alkohol,  Morphium, 
Nicotin)  oder  einer  reizbaren  Schwäche  (Onanie,  Coitus 
reservatus)  zusammen.  5.  Die  vom  Gehirn  zu  den  Reflexcentren 
ziehenden  Bahnen  können  beeinflusst  werden  bei  gewissen  Psychosen 
(Manie,  Paralyse),  welche  eine  gesteigerte  Erregbarkeit  zur 
Folge  haben;  häufig  handelt  es  sich  aber  um  Hemmungen  in 
Folge  Antipathie,  Idiosynkrasie,  conträre  Sexualempfmdung,  Hypo¬ 
chondrie  etc.  Im  letzteren  Falle  leben  die  Personen  in  der  Angst, 
es  könnte  ihnen  ein  Coitus  nicht  gelingen.  Bei  reizbarer  Schwäche 
ist  Enthaltung  des  Coitus  durch  mindestens  sechs  Monate  noth- 
wendig,  weiters  die  Regulirung  der  Diät,  Verbot  der  Alcoholica, 
von  Kaffee,  Thee,  gewürzten  Speisen,  Nicotin,  Beschränkung  stick¬ 
stoffhaltiger  Kost  auf  eine  Mahlzeit;  zu  versuchen  ist  Galvanisation 
der  Lendenwirbelsäule  und  Hydrotherapie.  Von  den  Aphrodisiaca 
ist  nichts  Sicheres  zu  erwarten;  bei  der  paralytischen  Form  der 
Impotenz  wären  zu  versuchen  Phosphorleberthran,  Strychnin  sub- 
cutan  (0001 — 0'003).  In  neuerer  Zeit  ist  auf  das  aus  der 
Yohimberrinde  stammende  Yohimbin  aufmerksam  gemacht  worden, 
welches  die  Eingeborenen  Kameruns  als  Mittel  gegen  die  Impotenz 
verwenden.  Bei  Hunden  wurde  eine  zweifellose  Einwirkung  auf  die 
Genitalien  gesehen.  Mendel  hat  es  subcutan  oder  innerlich  (Sol. 
Yohimbini  fünf  bis  zehn  Tropfen  dreimal  täglich)  verwendet  und 
in  einigen  Fällen  auch  Erfolg  gehabt.  Bei  der  hypochondrischen 
Impotenz  leisten  zur  Unterstützung  der  Suggestion  verordnete 
Mittel  oft  Dienste.  Denselben  Werth  scheinen  auch  die  ver¬ 
schiedenen  zur  Ausgleichung  der  Impotenz  empfohlenen  Apparate 
zu  haben.  So  konnte  ein  psychisch  Impotenter  den  Coitus  nur 
dann  ausüben,  wenn  er  seinen  Apparat  in  der  Hosentasche  hatte. 
So  lange  eine  organisch  bedingte  Impotenz  oder  eine  solche  durch 
reizbare  Schwäche  besteht,  soll  der  Arzt  seine  Zustimmung  zu 
einer  Heirat  nicht  geben;  bei  hypochondrischer  Impotenz  braucht 


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er  sich  nicht  ablehnend  zu  verhalten.  —  (Die  Therapie  der  Gegen¬ 
wart.  1900,  Nr.  7.)  Pi* 

* 

502.  Ein  F  a  1 1  traumatischer  Luxation  der 
Gesichtsknochen.  Von  D  e  1  b  e  t.  Ein  Zimmermann  fiel  von 
einem  Gerüste  mit  dem  Gesichte  nach  vorne  und  abwärts  auf  das 
Querholz  eines  Fensterkreuzes;  ein  Balken,  den  er  trug,  fiel  ihm 
gleichzeitig  auf  das  Hinterhaupt.  Tags  darauf  enorme  Gesichts¬ 
geschwulst,  Ekchymosen  der  Haut  und  Bindehaut,  Blut  aus  der 
Nase;  Bewusstsein  zurückgekehrt.  Contusion  nebst  Bruch  der 
Nasenknochen  vermuthet.  Flüssige  Nahrung  wegen  Schmerzhaftigkeit 
jeder  Kaubewegung.  Nach  zehn  Tagen:  Dimensionen  des  Ge¬ 
sichtes  in  keinem  Verhältnisse  zum  Schädel,  Nase  verlängert, 
Augenbrauen  schief,  innere  Augenwinkel  herabgesenkt.  Wird  der 
Mund  geöffnet,  so  beträgt  der  Raum  zwischen  beiden  Zahnreihen 
nur  4  mm.  Die  obere  Zahnreihe  lässt  sich  zurückdrängen  und  das 
Gesicht  "egen  die  Stirne  erheben.  Raum  von  4  cm  zwischen  Nasen- 
sattel  und  Nasenbeinen  abtastbar;  der  in  den  Mund  eingeführte 
Finger  erkennt  die  mit  dem  Oberkiefer  beweglichen  Flügelfortsätze. 
Nach  diesem  Befunde  erscheint  eine  grosse  Knochenmasse  nach 
abwärts  luxirt  —  Oberkiefer,  Jochbeine,  Nasenbeine,  Fiügelfortsätze, 
Pflugschar,  Theil  des  Siebbeines.  Eine  derartige  Verlagerung  konnte 
nur  die  Folge  mehrfacher  Brüche  sein,  die  nach  Verfasser  auf  das 
Siebbein,  auf  die  Basis  der  Flügel fortsätze  und  auf  die  Jochbogen 
ihre  Wirkung  äusserten.  Nach  Reduction  der  verrenkten  Theile 
wurde  eine  Gypshaube  mit  Metallschienen,  die  an  den  Zähnen  des 
Oberkiefers  ihre  Stütze  fanden,  angelegt,  aber  nicht  vertragen, 
während  die  Retraction  des  Gewebes  zwischen  den  Fragmenten  die 
vollständige  Heilung  erzielte.  —  (Memoires  de  la  Societe  anatom. 

de  Paris.  Juli-August  1900.)  Sp. 

* 

503.  Ein  Fall  von  chronischem  (angeborenem) 
Volvulus  c  o  e  c  i.  Von  Dr.  Hausmann.  Der  28jährige  Mann 
hatte  seit  jeher  an  Darmbeschwerden  gelitten.  Wegen  Ileus- 
erscheinungen  operirt,  fand  man  bei  ihm  das  Cöcum  am  linken 
Zwerchfell  durch  Adhäsionen  fixirt,  nach  deren  Lösung  die  Achsen¬ 
drehung  des  Mesenteriums  beseitigt  und  der  Blinddarm  nach  rechts 
gelagert  werden  konnte.  —  (Centralblatt  für  Chirurgie.  1900, 
Nr.  42.) 

* 

504.  Das  neue  norwegische  Gesetz  über  be- 

sonde  re  V  er  an  staltungengegentuberculöse  Krank¬ 
heiten.  Von  M.  Holmboe.  Mit  1.  Januar  1901  tritt  in  Nor¬ 
wegen  ein  Gesetz  in  Kraft,  welches  die  Anzeigepflicht  für  alle 
Krankheiten  tuberculösen  Ursprunges  obligatorisch  macht.  Derlei 
Kranke  müssen  unter  fortwährender  hygienischer  Ueberwachung 
stehen  und  nach  deren  Tode  muss  eine  Reinigung  der  vom 
Kranken  benützten  Wohnräume,  sowie  Effecten  stattfinden.  Per¬ 
sonen,  die  an  Tuberculose  leiden,  kann  es  verboten  werden,  an 
der  Zubereitung  zum  Verkaufe  bestimmter  Lebensmittel  oder  deren 
Verschleiss  theilzunehmen.  Frauen  und  Mädchen,  die  an  Tuber¬ 
culose  leiden,  kann  es  von  der  Gesundheifscommission  verboten 
werden,  Dienste  als  Ammen  oder  Kindermädchen  anzunehmen, 
weiters  kann  verboten  werden,  dass  Milch  von  solchen  Ställen 
verkauft  wird,  wo  tuberculose  Personen  an  der  Betreuung  der 
Kühe  oder  der  Behandlung  der  Milch  theilnehmen.  —  Zeitschrift 
für  Tuberculose  und  Heilstättenwesen.  Bd.  I,  Heft  5.)  Pi. 

* 

505.  Drei  Fälle  von  fremden  Körpern  in  den 
Athmungswege  n.  Von  G  o  y  e  n  s.  1.  Bei  einem  fünfjährigen 
Kinde,  das  eine  7  cm  lange  Shawlnadel  verschluckt  hatte,  wurde 
der  Kopf  derselben  am  oberen  Rande  der  rechten  sechsten  Rippe 
radioskopisch  nachgewiesen,  während  die  Spitze  in  der  Medianlinie 
in  der  Höhe  der  ersten  Rippe  erschien.  Spasmodische  Hustenanfälle, 
Aufsteigen  des  Fremdkörpers.  Untere  Tracheotomie.  Extraction. 
2.  Vierjähriges  Kind  verschluckte  das  Ende  eines  Federstieles. 
Radiographie:  Konischer  Körper  im  fünften  linken  Intercostalraume. 
Untere  Tracheotomie.  Vor  der  Extraction  Ausschnitt  eines  Stückes 
der  Luftröhre,  um  den  Eingriff  zu  erleichtern.  3.  Dreijähriges 
Kind  verschluckte  ein  Knochenstück.  Suffocation,  Tracheotomia 
crico-trachealis.  Entfernung  des  Fremdkörpers  mit  Explorateur, 
beiderseitige  Pneumonie.  Exitus.  Verfasser  plaidirt  für  frühzeitigste 
und  möglichst  tiefe  Eröffnung  der  Luftröhre,  um  den  Weg  der 


Extractionsinstrumente  zu  verkürzen  und  die  Luftröhre  unterhalb 
des  Isthmus  der  Schilddrüse  ausgedehnt  blosslegen  zu  können,  was 
bei  Kindern,  wo  letztere  nicht  so  tief  herabsteigt,  umsomehr  an¬ 
gezeigt  ist.  —  (Annales  de  la  Societe  de  medecine  d’Anvers.  Juli 

bis  September  1900.)  Sp. 

* 

506.  Ueber  das  Thebault’sche  Mittel  gegen 
Trunksucht.  Ueber  dasselbe  äussert  sich  Sanitätsrath  Doctor 
Baer  in  Berlin  unter  Anderem  in  folgender  Weise;  Broca, 
Sapelier  und  Thebault  haben  in  der  Academie  de  Medecine 
in  Paris  im  December  1899  die  Ergebnisse  von  Versuchen  init- 
getheilt,  die  sie  mit  dem  Serum  von  Pferden,  denen  Alkohol  zu¬ 
geführt  worden  war,  angestellt  haben.  Wurde  dieses  Serum  Thieren 
injicirt,  die  früher  eine  besondere  Vorliebe  für  Alkohol  gezeigt 
haben,  so  sollen  dieselben  hernach  einen  solchen  Widerwillen  gegen 
diesen  gezeigt  haben,  dass  sie  keine  Nahrung  und  kein  Getränk  mehr 
anrührten,  dem  Alkohol  beigemengt  war.  Nach  einem  späteren  Berichte 
sollen  durch  dieses  Serum  von  57  Alkoholisten  22  (60%)  vollständig 
geheilt  und  8  gebessert  worden  sein.  Die  Wirkung  des  Serums 
soll  auf  einer  in  ihm  befindlichen  Substanz,  dem  Antiethylin 
beruhen,  welches  Säufern  die  Lust  an  stark  alkoholischen  Getränken, 
wie  Rum,  Absynth  etc.  benehmen,  dafür  wieder  Geschmack  am 
Wein  verleihen  soll!  Der  Alkoholist  darf  aber  nicht  hereditär  be¬ 
lastet  sein  und  auch  keinen  Widerwillen  gegen  die  Cur  haben, 
sondern  muss  ihr  mit  ganzem  Willen  zustimmen.  Was  den  Werth 
dieser  ganzen  Expertise  anbelangt,  sagt  Baer,  so  ist  dieser  mit 
äusserster  Vorsicht  zu  beurtheilen.  Ist  in  dem  Serum  der  alkoholi- 
sirten  Thiere  eine  specifische  Substanz  enthalten?  Kleine  Dosen 
Alkohol  oxvdiren  im  Organismus,  und  nur  sehr  grosse  und 
habituell  eingeführte  Mengen  können  im  Blute  wieder  als  Alkohol 
gewonnen  werden!  Die  angeführten  Bedingungen  für  die  Anwendung 
dieser  Cur  bei  Menschen  lassen  vermuthen,  dass  hier  lediglich 
eine  suggestive  Wirkung  vorliege  und  der  therapeutische  Erfolg 
nur  durch  diese  zu  erklären  sei.  Es  sind  viele  Heilmittel  (ins¬ 
besondere  auch  von  Curpfuschern),  viele  Curen  bei  Trunksüchtigen 
von  Erfolg  begleitet,  wenn  die  Trinker  selbst  noch  einen  Rest  von 
ernstem  Willen  haben,  geheilt  zu  werden,  und  die  Degeneration 
des  Organismus  nicht  zu  weit  vorgeschritten  ist.  Sehr  grosse  Er¬ 
folge  hatte  die  bekannte  Keely’sche  Goldcur  in  Amerika  in  den 
ersten  Neunziger-  Jahren  und  doch  war  die  Sache  an  sich  ein 
Schwindel.  Angesichts  der  genannten  Forscher  und  der  scheinbar 
sehr  rationellen  und  modernen  Methode  hat  sich  die  Kritik  sehr 
vorsichtig  zu  äussern.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  32.) 

* 

507.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  v.  Jak  sch  in  Prag.)  Ein 
klinisch-experimentellerBeitrag  zurBeeinflussung 
der  Gruber  - Widal’schen  Reaction  durch  das  Blut¬ 
serum  von  Pneumonikern.  Von  Dr.  Kraus.  Der  an  der 
Klinik  beobachtete  Fall  zeichnete  sich  durch  recht  schwierig  zu 
deutende  Symptome  aus.  Da  aber  die  G  r  u  b  e  r’sche  Reaction  1  :  30 
positiv  ausfiel,  so  wurde  die  Diagnose  auf  Typhus  gestellt,  aber 
einige  Tage  später  in  »Enteritis  acuta  mit  Nephritis  acuta«  ge¬ 
ändert,  da  dieselbe  Reaction  nun  negativ  ausgefallen  war.  Die 
Section  stellte  Typhus  und  eine  croupöse  Pneumonie  des  linken 
Unterlappens  im  Stadium  der  rothgrauen  Hepatisation  fest.  Dieser 
Befund  regte  zur  Nachforschung  an,  ob  etwa  das  Serum  eines 
Pneumonikers  die  Gruber-Wida fische  Reaction  aufhebe,  was 
thatsächlich  constatirt  werden  konnte.  Es  scheint  also,  dass  sich 
im  Pneumonieserum  eine  Substanz  befindet,  welche  im  Stande  ist, 
die  agglutinirende  Wirkung  des  Typhusserums  bei  einem  gewissen 
Concentrationsgrade  aufzuheben,  dass  also  die  Gruber-Wida  1- 
sche  Reaction  negativ  ausfallen  könne,  wenn  ein  Typhus  durch 
eine  Diplococcenpneumonie  complicirt  wird.  —  (Zeitschrift  für 

Heilkunde.  1900,  Heft  5.)  Pi- 

* 

508.  Ueber  Kauterisationen  mit  Chromsäure 
in  Kr y stallen  bei  Stomatitis  ulcero-membranacea. 
Von  Sire  de  y  (Paris).  Verfasser  empfiehlt  dieses  Verfahren  bei 
tiefreichenden  Geschwüren  der  Mundhöhle,  confluirenden  Aphthen, 
Mercurialstomatitis,  Stomatitis  durch  Zahncaries  u.  s.  w.  Die  ge- 
schwürige  Stelle  wird  mit  einem  kleinen  Ghromsäurekrystall  betupft, 
das  an  einem  mit  Watte  umhüllten  Stäbchen  befestigt  ist;  hierauf 


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sofort  Bestreichung  mit  einem  dichten,  in  heisses  Wasser  ge¬ 
tauchten  Wattebauschen  und  Ausspülen  mit  warmem  Wasser. 
Sorge,  dass  kein  Fragment  eines  Krystalles  am  Zahnfleische  oder 
sonst  wo  haften  bleibt.  Nach  der  Kauterisation  erscheint  die  Mund¬ 
schleimhaut  gelb  gefärbt,  worauf  sich  die  Geschwüre  reinigen  und 
der  fötide  Athem  nachlässt.  Wiederholung  nach  48  Stunden; 
höchstens  dreimal  nothwendig.  —  (Journal  des  Praticiens.  Nr.  42, 

20.  October  1900.)  Sp. 

* 

509.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Königsberg.)  Ein 
Beitrag  zum  sogenannten  arterio  - mesenterialen 
Darmverschluss  an  der  Duodeno-Jej  un  algrenze. 
Von  Dr.  Stieda.  Der  betreffende  Symptomencomplex  der  soge¬ 
nannten  mesenterialen  Incarceration  des  Duodenums  war  bei  einer 
56jährigen  Frau  nach  einer  Operation  an  den  Gallenwegen  auf¬ 
getreten.  Bei  der  deshalb  ausgeführten  Laparotomie  fand  man  Ver¬ 
hältnisse  vor,  die  zu  folgenden  Schlüssen  führen:  Dass  eine 
chronische  Magendilatation,  verbunden  mit  Herabsinken  der  Dünn¬ 
därme  ins  kleine  Becken  allein  zu  einer  mesenterialen  Abknickung 
des  Duodenum  führen  kann,  ist  nicht  wahrscheinlich,  man  muss 
vielmehr  eine  acute  Ato  nie  des  Magens,  beziehungs¬ 
weise  Duodenums  annehmen.  Diese  ist  das  ausschlaggebende 
Moment  in  dem  genannten  Symptomencomplex,  welcher  daher 
richtig  als  acute  Magendilation  zu  bezeichnen  wäre.  Diese  ist  nach 
Narkosen  überhaupt  und  nach  Operationen  an  den  Gallenwegen  im 
Besonderen  beobachtet  worden,  so  dass  in  jedem  Falle  von 
heftigerem  oder  länger  andauerndem  Erbrechen  an  diesen  Zustand 
zu  denken  und  der  Magen  daraufhin  zu  untersuchen  ist.  Die 
Therapie  besteht,  abgesehen  von  der  Prophylaxe,  in  Magen¬ 
ausheberung,  Ernährung  per  rectum,  eventuell  Knie-Ellenbogenlage; 
lassen  diese  Mittel  in  Stich,  dann  kommt  die  Gastroenterostomie 
in  Betracht.  Derselbe  Verfasser  berichtet  weiterübereine  Magen¬ 
phlegmone  nach  Gastroenterostomie,  weiters  übereine 
Gruralhernie  im  Labium  majus.  Die  Operation  ergab, 
dass  es  sich  um  eine  zwerchsackartig  eingeschnürte  Cruralhernie 
gehandelt  hat,  deren  innerer  unterer  Abschnitt  in  die  grosse 
Schamlippe  eingetreten  war.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie. 
Bd.  LVI,  Heft  3  und  4.) 

* 

510.  (Aus  dem  Augusta-Hospitale  in  Köln.)  Neuritis 
optica  bei  Chlorose;  Krankheitsverlauf  und  Tod 
unter  den  Symptomen  eines  Hirntumors.  Von  Doctor 
Engelhardt.  Das  18jährige  Mädchen  zeigte  derartige  Er¬ 
scheinungen,  dass  an  eine  andere  Diagnose  als  »Hirntumor«  gar 
nicht  gedacht  wurde.  Die  Section  ergab  überraschender  Weise 
ausser  einer  Anämie  des  Gehirnes  keinen  weiteren  pathologischen  Be¬ 
fund.  Die  auffallenden  Symptome,  wie  die  Krämpfe,  dann  die  durch 
drei  Monate  bis  wenige  Tage  vor  dem  Tode  andauernde  halbseitige 
Lähmung,  die  Hemianästhesie  lassen  sich  durch  das  Bestehen  einer 
Hysterie  erklären.  Die  beträchtliche  Stauungspapille,  beziehungs¬ 
weise  die  Neuritis  optica,  kommt  auf  die  Rechnung  der  Chlorose 
zu  stehen,  bei  der  sie  schon  öfters  beobachtet  worden  ist.  Der 
Tod  war  in  Folge  Inanition  eingetreten,  eine  Chlorosetherapie  nie 
eingeleitet  worden.  : —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr,  36.) 

* 

511.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  in  Berlin.) 
Zur  Wirkung  der  Lichtwärmestrahlen.  Von  Doctor 
v.  Drigalski.  Dieselben  finden  heute  eine  häufige  Verwendung 
bei  den  Lichtbädern.  Von  chemischen  Strahlen  kann  bei 
ihnen  kaum  die  Rede  sein,  da  solche  beim  Glühlicht  überhaupt 
nur  in  sehr  geringen  Mengen  Vorkommen;  es  scheint  sich  dabei 
überhaupt  nur  um  ein  Strahlenschwitzbad  zu  handeln.  Es  wird 
aber  oft  von  einem  wohlthätigen  Einfluss  der  Bestrahlung  mit 
elektrischem  Glühlicht  auf  Infectionen  gesprochen.  Verfasser  hat  in 
verschiedenem  Grade  mit  Milzbrand  inficirte  weisse  Mäuse  der  Be¬ 
strahlung  einer  15  Normalkerzen  starken  Glühlampe  ausgesetzt. 
Keines  der  Thiere  blieb  am  Leben,  ja  sie  starben,  wahrscheinlich 
unter  dem  erschöpfenden  Einfluss  der  Schweissproduction,  sogar 
früher  als  die  nicht  bestrahlten  Controlthiere  und  umso  eher,  je 
länger  das  Lichtbad  gedauert  hatte.  Zur  Anwendung  der  Lichtwärme¬ 
strahlen  bei  frischen  infectiösen  Processen,  wie  es  zur  Zeit  vielfach, 
z.  B.  bei  Tuberculose,  geschieht,  ermuthigen  diese  Ergebnisse 


keinesfalls,  ja  sie  scheinen  sogar  bei  einer  Anwendung  auch  nur 
für  kürzere  Zeit  zur  Vorsicht  zu  mahnen.  —  (Centralblatt  für 
Bacteriologie.  1900,  Nr.  22  und  23.)  Pi. 

* 

512.  Ueber  eine  Epidemie  von  Conjunctivitis 

pneumococcica  in  Vittoria  (Italien).  Von  G  o  n  s  a  1  v  o. 
Die  Erkrankung,  im  Orte  endemisch,  nahm  1899  zur  Zeit  der 
Weinlese  einen  epidemischen  Charakter  an.  Die  Heilung  erfolgte  in 
durchschnittlich  zehn  Tagen.  Färbung  des  Secretes  der  Bindehaut 
mit  Methylenblau  ergab  den  Diplococcus  capsulatus  in  grosser  Zahl.  Die 
Färbung  nach  Gram  erwies  sich  für  Diplococcus  positiv,  der 
Vergleich  mit  Präparaten  pneumonischen  Sputums  zeigte  die  volle 
Aehnlichkeit  mit  dem  Pneumococcus.  Uebertragung  des  Secretes 
von  der  rechten  (erkrankten)  Bindehaut  auf  die  linke  bei  dem¬ 
selben  Individuum  fiel  positiv  aus;  desgleichen  vom  Ehegatten  auf 
die  Frau.  In  einer  Familie  wurden  alle  Mitglieder  einschliesslich 
des  Jüngstgeborenen  befallen.  Zuweilen  chronischer,  aber  stets 
milder  Verlauf.  —  (Gazzetta  degli  Ospedali.  Nr.  117,  30.  Sep¬ 
tember  1900.)  Sp. 

* 

513.  Ueber  die  morphologischen  Veränderungen 
der  Milzbrandbacillen  bei  ihrer  Auflösung  durch 
Pyocyanase.  Von  Prof.  Emmerich  und  Dr.  Saida  (München). 
Durch  eine  besondere  Behandlung  einer  mehrere  Wochen  alten 
Flüssigkeit,  in  der  eine  Cullur  des  Bac.  pyocyaneus  angelegt 
worden  war,  lässt  sich  ein  trockener  Körper  —  die  Pyocyanase  — 
gewinnen,  der  die  Eigenschaft  hat,  bei  Milzbrand-,  Diphtherie-, 
Typhus-  und  Pestbacillen  eine  bis  zur  vollständigen  Auflösung  der¬ 
selben  führende  Formveränderung  herbeizu führen.  Diese  Auflösung 
soll  nicht  nur  zu  Stande  kommen,  wenn  Pyocyanase  mit  Milz¬ 
brandbacillen  unmittelbar  zusammengebracht  wird,  sondern  sie  soll 
sogar  noch  schneller  eintreten,  wenn  eine  Pyocyanaselösung  mit 
Milzbrand  inficirten  Thieren  subcutan  oder  intravenös  injicirt  wird. 
Der  Tod  der  Thiere  lässt  sich  nicht  immer  aufhalten,  da  diese 
Auflösung  etwa  nach  acht  Tagen  erst  einen  merkbaren  Grad 
annimmt.  —  (Centralblatt  für  Bacteriologie.  1900,  Nr.  22  und  23.) 

* 

514.  lieber  den  Infect  ions  modus  der  Filar  i  a 
nocturna.  Von  G.  C.  Low.  Bis  jetzt  gilt  die  Ansicht,  dass  die 
Filaria  beim  Tode  einer  gewissen  Stechmückengattung,  in  deren 
Muskeln  die  jungen  Thiere  in  ähnlicher  Weise  wie  die  Trichinen 
bei  Wirbelthicron  gefunden  werden,  ins  Wasser  gelange,  von  da  in 
den  Darmcanal  und  in  das  Lymphgefässsystem  des  Menschen.  Ver¬ 
schiedene  Gründe  sprechen  dagegen.  An  der  Anstalt  für  tropische 
Medicin  des  Dr.  Man  son  in  London  ausgeführte  Untersuchungen 
an  der  Mosquitoart  Culex  irritans,  von  welcher  von  Dr.  Bancroft 
aus  Australien  mehrere  Exemplare  eingesendet  worden  waren, 
machen  jedoch  einen  anderen  Infectionsvorgang  wahrscheinlich.  Es 
wurde  gefunden,  dass  die  jungen  Würmer  von  den  Brustmuskeln 
gegen  den  Kopf  der  Mücke  zu  wandern  und  hier  in  die  Nähe  der 
Speicheldrüsen  gelangen.  Von  da  aus  wandern  sie  nicht  längs  des 
Ausführungsganges  derselben  an  die  Körperoberfläche,  denn  dazu 
ist  der  Parasit  zu  gross,  sondern  er  bohrt  sich  am  Hypopharynx 
direct  einen  Weg  ins  Freie  und  gelangt  durch  den  Stich  des 
Insectes  ins  Blut  des  Menschen.  —  (Brit.  med.  Journ.  16.  Juni 
1900.) 

* 

515.  (Aus  dem  serotherapeutischen  Institute  des  Professors 
Paltauf  in  Wien.)  Ueber  experimentelle  Lyssa  bei 
Vögeln.  Von  Dr.  Kraus  und  Dr.  Clair  mo  nt.  Sowohl  mit 
Virus  fixe,  als  auch  mit  Strassenvirus  lässt  sich  durch  subdurale 
Infection  bei  Hühnern,  Gänsen,  Eulen,  jungen  Tauben  —  bei  alten 
erst  nach  Hungern  —  Lyssa  erzeugen.  Die  Incubation  beträgt  beim' 
Huhn  etwa  40  Tage,  bei  den  übrigen  bedeutend  weniger.  Die 
Lyssa  tritt  bei  den  empfindlichen  Vögeln  in  Form  der  paralytischen 
YVuth  auf,  die  sich  durch  einen  lang  dauernden  Verlauf  —  bis 
mehrere  Wochen  —  auszeichnet.  Die  Krankheit  lässt  sich  meist 
von  den  Vögeln  wieder  auf  Kaninchen  übertragen.  Weder  Blutserum 
noch  Hirnsubstanz  der  refraetären  Vogelarten  (Tauben)  wirken  gift¬ 
zerstörend.  —  (Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infectionskrankheiten. 

Bd.  XXXIV,  Heft  1.)  Pi. 

* 


1144 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  H)00. 


Nr.  49 


516.  (Societe  de  Chirurgie,  Paris.)  U  e  b  e  r  einen  Fall 

von  Anastomose  des  Ileum  s  mit  der  Flexura  sig- 
m  o  i  d  e  a.  Von  T  u  f  f  i  e  r  und  Charier.  Diese  Operation  wurde 
wegen  eines  Krebses,  der  im  Winkel  zwischen  Colon  ascendens 
und  Colon  transversum  sass  und  Occlusion  zur  Folge  hatte,  voll- 
führt.  Heilung.  Tuffier  macht  nach  der  Vereinigung  der  serösen 
Flächen  nur  einen  Schnitt  durch  die  Serosa  und  Muscularis  des 
Darmes  und  lässt  die  Schleimhäute  his  zur  Vereinigung  der 
respectiven  Darmpartien  uneröffnet.  Die  Inteslinalanastomosen  sind 
einem  Anus  iliacus  und  coecalis  vorzuziehen.  Von  anderer  Seite 
wird  die  entgegengesetzte  Ansicht  behauptet.  Den  tu  vertheidigt 
die  Darmexclusion  mit  Anlegung  einer  Cöealfistel.  —  (Le  Progres 
Medical.  42,  20.  October  1900.)  Sp. 

* 

517.  Dr.  Ed  son  (Pennsylvania)  berichtet  über  ein  Aneu¬ 
rysma  der  linken  Carotis  communis  mit  Fort¬ 
setzung  auf  die  Aorta.  Es  wurde  die  distale  Unterbindung 
der  Carotis  vorgenommen  und  einige  Monate  später  noch  andere 
Behandlungsmethoden  eingeleitet.  Abgesehen  von  entsprechender 
Diät  —  täglich  acht  Unzen  flüssiger  und  sieben  Unzen  fester 
Nahrung  —  bekam  der  Patient  täglich  15  Grain  Jodnatrium  und 
5  Grain  Bromnatrium.  Schon  nach  13  Tagen  war  zum  Zeichen  der 
eingetretenen  Gerinnung  die  Pulsation  schwächer,  der  Tumor  härter 
und  gleichzeitig  auch  kleiner  geworden.  Unter  Fortsetzung  dieser 
Behandlung,  verbunden  später  noch  mit  Einführung  eines  Gold¬ 
drahtes  in  den  Aneurysmasack  und  Galvanisation,  schritt  die 
Heilung  immer  mehr  vorwärts,  und  wie  Ed  son  mittheilt  und 
durch  Abbildungen  belegt,  soll  nach  etwa  einem  Jahre  von  dem 
Aneurysma  überhaupt  am  Halse  nichts  mehr  sichtbar  gewesen 

sein.  (University  medical  magazine.  1900,  Nr.  2.) 

* 

518.  Prophylaktische  Typhusimpfungen.  Von 
A.  Fullerton.  Verfasser  benützt  zu  seinen  Impfungen  zwei  bis 
drei  Wochen  alte,  in  Bouillon  bei  37°  gezüchtete  Gultur  von 
Thyphusbacillen,  die  schliesslich  auf  60°  erhitzt  wird.  Davon 
werden  zwei  Fünfttheile  einer  Menge  injicirt,  welche  genügt,  ein 
Meerschweinchen  zu  tödten.  Die  zur  Impfung  hinzutretenden 
Begleiterscheinungen  sind  sehr  lästige.  Das  Blutserum  gewinnt  eine 
immer  stärker  werdende  Agglutinationsfähigkeit,  welche  wenigstens 
zwei  Jahre  andauert.  Aus  dem  Gesagten  scheint  hervorzugehen, 
dass  das  Antitoxin  im  Blute  des  Geimpften  allmälig  gebildet  wird, 
dass  es  also  nicht  direct  durch  die  Injectionsmasse  in  den  Körper 
eingeführt  wird.  Ueber  die  Erfolge  dieser  Präventivimpfungen  ist 
eigentlich  noch  nicht  viel  bekannt.  Die  Impfungen  Bei  den  Geimpften 
in  Indien  hat  sich  eine  Morbidität  von  0-95°/0  und  eine  Mortalität 
von  2%o>  bei  den  Nichtgeimpften  eine  solche  von  2-5°/0,  beziehungs¬ 
weise  3'4°/00  ergeben.  —  (Lancet.  2.  Juni  1900.) 

* 

519.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  in  München.)  Ueber 
Kochsalzinfusionen.  Von  Dr.  Le  on  pacher.  Nach  der  Art 
ihrer  Reaction  auf  die  Kochsalzinfusion  kann  man  drei  Arten  von 
Blutungen  unterscheiden:  Schwerste  Blutungen,  bei  denen  die 
Infusionen  gar  keinen  oder  nur  einen  vorübergehenden  Einfluss 
ausüben;  im  letzteren  Falle  wären  gleichzeitig  andere  Excitantien 
anzuwenden;  Blutung  nicht  lebensgefährlicher,  aber  schwächender 
Art,  bei  denen  die  Infusion  oft  bald  die  normalen  Verhältnisse 
wieder  herstellt.  Die  Wirkung  beruht  auf  einer  nervösen  Erregung 
der  Herzaction.  Bei  septischen  Kranken  wurde  von  den  Infusionen 
nur  sehr  wenig  Erfolg  gesehen;  bemerkenswerth  scheint,  dass  bei 
versagender  Therapie  die  starke  Diurese  gar  nicht  auftrat,  die  man 
sonst  nach  Infusionen  zu  sehen  gewohnt  ist.  Bei  Verbrennungen 
waren  die  Resultate  der  Kochsalzinfusion  keine  besonders 
ermuthigenden.  In  einem  Falle  von  Jodoformvergiftung  führte  die 
Infusion  sofort  zu  einer  starken  Diurese,  die  wohl  für  den  eün- 

.  o 

stigen  Ausgang  der  Erkrankung  von  Belang  gewesen  sein  wird.  — 
(Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie 
Bd.  VI,  Heft  3.)  ^  Pi. 

* 

520.  Splenomegalie  durch  Malaria.  Splen- 
e  k  t  o  m  i  e.  Von  P  i  c  o  n  e  (Syracus).  Bei  einer  23jährigen  Frau 
wurde  die  in  Folge  von  Malaria  enorm  vergrösserte,  2  kg  schwere 
Milz  exstirpirt.  Heilung  nach  zehn  Tagen.  In  diesem  Zeit¬ 
räume  noch  ein  Fieberanfall,  coupirt  durch  Chinininjection.  Keine  ' 


Drüsenschwellungen,  keine  Verdickungen  der  Knochenepiphysen,  als 
Ausdruck  compensirender  gesteigerter  Thätigkeit.  —  (La  Riforma 

Medica.  24G,  24.  October  1900.)  Sp. 

* 

521.  Experimentelle  Untersuchungen  über 
die  Wirkung  des  Saccharins.  Von  Dr.  Born  stein 
(Berlin).  Im  Allgemeinen  wurde  doch  die  Erfahrung  gemacht,  dass 
Saccharin  eine  Schädigung  der  Resorption  und  Arbeitsleistung 
bedingt,  und  dass  selbst  dort  Vorsicht  geboten  ist,  wo  eine  An¬ 
wendung  aus  ärztlichen  Gründen  stattfindet.  Es  ist  in  erster  Linie 
ein  Arzneimittel,  das  besonders  bei  Gährungen  im  Magen  und  Darme 
Erwachsener  und  Kinder  zu  empfehlen  ist.  In  geringen  Mengen  ist 
es  Diabetikern  zu  gestatten,  doch  muss  bei  eintretenden  Ver¬ 
dauungsstörungen  gleich  der  Verdacht  auf  das  Saccharin  gerichtet 
werden.  Einer  allgemeinen  Anwendung  des  Saccharins  kann  nicht 
das  Wort  geredet  werden.  —  (Zeitschrift  für  klinische  Medicin. 
Bd.  XL,  Heft  3  und  4.) 

* 

522.  Ueher  die  Giftigkeit  der  Ausathmungs- 
luft.  Von  Dr.  Formanek  (Prag).  In  den  Lungen  eines  ge¬ 
sunden  Menschen  oder  Thieres  entsteht  neben  Kohlensäure  und 
Wasser  bei  der  Athmung  keine  giftige  Substanz;  zeitweise  enthält 
die  ausgeathmete  Luft  zwar  Ammoniak,  welches  jedoch  kein  Product 
des  Stoffwechsels,  sondern  der  Zersetzung  in  der  Mundhöhle  (be¬ 
sonders  bei  carösen  Zähnen),  bei  Kranken  (nach  Tracheotomie,  bei 
Tuberculose),  auch  einer  solchen  in  der  Luftröhre  und  den  Lungen  ist. 
Ein  besonderes  Alkaloid  für  die  Giftigkeit  der  Ausathmungsluft 
anzunehmen,  ist  nicht  nothwendig,  da  dieselbe  durch  das  Vor¬ 
handensein  von  Ammoniak  und  Kohlensäure  genügend  erklärt 
wird.  Unbehagen  und  Ohnmachtsanfälle  in  überfüllten  Räumen 
sind  auf  keine  einheitliche  Ursache  zurückzuführen.  (Archiv  für 
Hygiene,  Bd.  XXXVIII,  Heft  1.) 

* 

523.  Ein  Fall  von  anscheinender  Maul-  und 

Klauenseuche  beim  Menschen.  Von  Prof.  Schultze 
(Bonn).  Bei  dem  2  jährigen  Mädchen  zeigte  sich  ein  schmieriger 
Belag  fast  der  ganzen  Mundschleimhaut,  pemphigusähnliche  Aus¬ 
schläge  an  Fingern  und  Zehen,  später  zahzeiche  rothe  Papeln  an 
verschiedenen  Stellen  und  kleine  Abscesse  an  der  Kopfhaut.  Lues, 
Tuberculose,  Diphtherie  war  auszuschliessen,  weshalb  Maul-  und 
Klauenseuche  angenommen  wurde,  obwohl  keine  Infectionsquelle 
nachgewiesen  werden  konnte  und  ein  Impfversuch  an  einem  Kalbe 
erfolglos  geblieben  war.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift. 
1900,  Nr.  26.)  _  Pi. 

THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Zur  Behandlung  des  Erysipels.  (Aus :  Chirurgische 
Mittheilungen.  Von  Dr.  J  o  c  h  n  e  r,  München.)  Powell  hat  die  Ent¬ 
deckung  gemacht,  dass  Alkohol  als  das  Antidot  der  Carbolsäure  zu 
betrachten  ist;  nach  Jochner  kann  man  die  Hand  ohne  Schaden 
in  96°/0ige  Carbolsäure  tauchen,  wenn  man  sie  dann  darauf  in  Alkohol 
abwäscht  und  endlich  mit  Alkohol  abspült.  Ein  ähnliches  Verfahren 
soll  sich  als  Specificum  gegen  Erysipel  bewährt  haben.  Auf  der  Cutis 
soll  man  die  reine  Carbolsäure  eine  halbe  bis  eine  Minute  ein  wirken 
lassen,  während  man  die  Schleimhaut  an  Nase  und  Mund  nur  durch 
einige  Secunden  betupft.  Nachdem  die  Carbolsäure  mit  Alkohol  wieder 
gut  abgewaschen  ist,  legt  man  Bäuschchen  mit  2%iger  Carbolsäure 
auf.  Die  Wirkung  soll  eine  sehr  schnelle  sein  und  namentlich  die 
Fiebertemperatur  rasch  absinken.  Wie  die  Temperatur  wieder  ansteigt, 
soll  man  nochmals  in  gleicher  Weise  die  reine  Carbolsäure  appliciren. 
Manchmal  genüge,  wie  Phelps  erfahren,  eine  ein-  oder  zweimalige 
Anwendung,  mehr  als  fünfmal  sei  sie  nicht  nöthig  gewesen.  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  46.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Der  Leiter  der  Abtheilung  für  Entwicklungs¬ 
geschichte  an  der  medicinischen  Facultät  in  Breslau,  Dr.  Alfred 
S  c  h  a  p  e  r,  zum  ausserordentlichen  Professor. 

* 

V  er  liehen:  Dem  Oberwundarzte  Ferdinand  Wanitzky 
des  Garnisonsspitales  Nr.  1  in  Wien  das  goldene  Verdienstkreuz. 

* 

Habilitirt:  Dr.  Meinhard  Pfaundler  für  Kinder¬ 
heilkunde  in  Graz. 

* 


Nr.  49 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1145 


Am  28.  November  hat  die  Constituirung  der  Wiener 
Aerztekammer  stattgefunden,  und  zwar  wurden  folgende  Func- 
tionäre  gewählt:  Dr.  Josef  Heim  als  Kammerpräsident,  Regierungs¬ 
rath  Dr.  Wilhelm  Svetlin  zum  Präsidenten-Stellvertreter.  Zu 
Vorstandsmitgliedern  die  Doctoren :  Heinrich  Adler,  Josef 
Scholz,  Adolf  Gruss,  Regierungsrath  Karl  J  a  r  i  s  c  h,  Josef 
Kornfeld,  Max  Stransky  und  Johann  R.  v.  Woerz.  Zu 
Vorstandsmitglieder-Stellvertretern  die  Doctoren:  Adolf  Klein, 
Alexius  Uhlik,  Heinrich  Jellinek  und  Mo  riz  0  b  h  1  i- 
d  a  1.  Nach  einer  Ansprache  des  Präsidenten,  in  welcher  dieser  der  früheren 
Kammer  und  deren  Präsidenten  Herrn  Hofrath  Gussenbauer,  „welche 
unter  den  schwierigsten  und  ungünstigsten  Verhältnissen  ihres  Amtes 
gewaltet  haben“,  den  Dank  abstattet  und  nach  den  Dankesworten 
des  Stellvertreters  wurde  noch  die  Wahl  des  Delegirten  der 
Kammer  in  den  Landessanitätsrath,  sowie  dessen  Stellvertreters  vor¬ 
genommen,  und  zwar  erscheinen  als  Gewählte:  Dr.  Wilhelm 
Svetlin  als  Delegirter,  Dr.  Adolf  Gruss  als  dessen  Stell¬ 
vertreter.  Zum  Schlüsse  spricht  Präsident  Dr.  Heim  unter  lebhaftem 
Beifalle  dem  Kammermitgliede  Dr.  Karl  Kohn  für  seine  verdienst¬ 
volle  Thätigkeit  als  Vorkämpfer  für  die  Schaffung  der  Aerztekammern, 
sowie  für  seine  mehrjährige  Thätigkeit  als  Schriftführer  und  Vorstands¬ 
mitglied  namens  der  Kammer  den  wäimsten  Dank  aus.  Dr.  Kohn 
dankt  für  diese  ehrende  Kundgebung  und  erklärt,  dass  er  wegen 
Ueberbürdung  eine  Wahl  in  den  Vorstand  keineswegs  hätte  annehmen 
können,  dass  er  aber  auch  jetzt  seine  Vergangenheit  nicht  verleugnen 
und  mit  jener  Begeisterung  für  die  ärztlichen  Standesinteressen  weiter 
wirken  werde,  mit  welcher  er  seit  einem  Vierteljahrhundert  für  die¬ 
selben  eintrat.  Hierauf  erklärt  der  Präsident  die  Versammlung  für  ge¬ 
schlossen. 

* 

In  der  am  26.  November  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des  n  i  e  d  e  r- 
österreichischen  Landes-Sanitätsrathes  wurde  das 
Gutachten  über  eine  in  Wien  zu  errichtende  Anstalt  für  am¬ 
bulatorische  Heissluftbehandlung  erstattet.  Ferner 
wurde  eine  Aeusserung  über  die  beim  Handel  mit  alten  Kleidern 
und  Effecten  zu  beobachtenden  sanitären  Massnahmen, 
insbesondere  über  die  Möglichkeit  der  Desinfection  derselben  abgegeben. 
Weiter  wurde  das  Ansuchen  des  wissenschaftlichen  Vereines  für 
Occultismus  in  Wien  um  Statutenänderung  vom  sanitären  Standpunkte 
begutachtet.  Schliesslich  wurde  über  den  in  der  letzten  Sitzung  ein- 
gebrachten  Initiativ-Antrag,  betreffend  die  Gefährlichkeit  der 
elektrischen  Oberleitungen  das  Referat  erstattet. 

* 

Verband  für  Wöchnerinnen-Unter  Stützung.  Der 
bei  der  israelitischen  Cultusgemeinde  Wien  von  Frauen-Wohlthätigkeits- 
Vereinen  begründete  Verband  zur  Unterstützung  armer  israelitischer 
Wöchnerinnen  hat  seine  Thätigkeit  eröffnet.  Der  Verband  bezweckt 
die  Verbesserung  der  Wöchnerinnen  Unterstützung  in  einer  den  mo¬ 
dernen  Anschauungen  über  sociale  Hilfe  entsprechenden  Weise.  Be¬ 
dürftigen  Frauen,  welche  ihrer  Entbindung  entgegensehen,  sollen  an¬ 
statt  der  bisher  üblichen  blossen  Geldunterstützung  Hilfeleistungen 
folgender  Art  zu  Tlieil  weiden:  Beistellung  von  Wochenbett-Materialien 
(Bett-,  Leib-  und  Kind-Wäsche,  geburtshilfliche  Utensilien);  geburts¬ 
hilflicher  Beistand  einer  Hebamme;  ärztliche  Hilfe  in  dringenden 
Fällen;  Unterstützung  mit  Geld  oder  Naturalien.  Indem  hiedurch  vor 
Allem  den  Geboten  der  Hygiene  und  Sanität  Rechnung  getragen  wird, 
sollen  die  im  Gefolge  einer  Entbindung  entstehenden  Leiden,  welche 
häufig  langwierige  Krankheiten  oder  gar  dauerndes  Siechthum  herbei¬ 
führen,  verhütet  und  die  armen  Frauen  vor  Erwerbsunfähigkeit  und 
immerwährender  Inanspruchnahme  der  öffentlichen  Mildthätigkeit  be¬ 
wahrt  werden.  Die  Berufung  der  Aerzte  und  der  Hebammen  erfolgt 
unter  Bedachtnahme  auf  die  in  der  Nähe  wohnenden  Aerzte  und 
Hebammen  nach  Wunsch  der  Wöchnerinnen.  Dem  Verbände  gehören 
elf  Frauen- Wohlthätigkeitsvereine  an.  Der  Beitritt  weiterer  Vereine 
steht  zu  erwarten.  An  der  Spitze  des  Verbandes  und  der  Executive 
stehen  die  Präsidentin  Frau  Charlotte  Baronin  v.  Königs- 
warter,  die  Vice-Präsidentinnen  Frau  Bertha  Kohn  und  Frau 
Rosa  Ziffer  er  und  die  Schriftführerin  Frau  J  o  h  a  n  n  a  Fröhlich. 
Es  ist  sehr  zu  wünschen,  dass  dieser  höchst  zweckdienlichen  humani¬ 
tären  Gründung  die  Förderung  der  Wohlthäter,  der  Aerzte  und  aller 
human  Denkenden  zu  Gute  komme.  (NB.  Bei  diesem  Verbände 
besteht  freie  Aerzte- und  Hebammenwahl  ohne  Unter¬ 
schied  der  Confession.) 

* 

Wir  erhalten  folgende  Zuschrift :  Wiener  Aerzte-Club. 
In  den  behaglichen  Räumen  des  Wiener  Aerzte-Clubs,  I.,  Schotten¬ 
gasse  7,  entfaltet  sich  seit  Beginn  der  Wintersaison  ein  reges  gesell¬ 
schaftliches  Treiben.  Eine  grosse  Zahl  ständiger  Partien  füllt  den 
Spielsaal,  während  im  Billardzimmer  lebhaftes  Treiben,  im  Lesezimmer 
mit  seinen  zahlreichen  Tages-  und  Fachjournalen  und  der  neuesten 


Fachliteratur  zum  Studium  einladende  Ruhe  herrscht.  Anregende, 
wissenschaftliche  Gespräche,  Erörterungen  über  Standes-  und  Tages¬ 
angelegenheiten  führen  die  einzelnen  Mitglieder  einander  näher  und 
verspricht  der  Club  immer  mehr  zu  werden,  was  er  sein  will,  ein 
Centrum  anregenden  und  heiteren  socialen  Verkehrs  der  Aerzte  unter¬ 
einander.  Viel  wird  zu  diesem  Zwecke  der  Beschluss  des  leitenden 
Comites  beitragen,  zwanglose  Vortrags-  und  musikalische  Abende  für 
die  Mitglieder  zu  veranstalten,  deren  erster  bereits  nächste  Woche 
stattfindet.  Die  Mitgliedertaxe  mit  1  fl.  monatlich  ist  so  niedrig  be¬ 
messen,  dass  es  wohl  jedem  Arzte  möglich  ist,  an  den  zahlreichen 
Vortheilen  und  Vergnügungen  des  Clubs  theilzunehmen. 

* 

Im  Verlage  von  J.  gafaf  in  Wien  ist  von  J.  Hab  art  eine 
Brochure  erschienen,  die  den  Titel  führt:  „Eduard  Albert. 
Gedenkblatt.“  Dieselbe  enthält  zwei  Aufsätze,  von  denen  einer  die 
zu  Ehren  Albert’s  am  2.  Mai  1891  anlässlich  des  Jubiläums  der 
zehnjährigen  Wirksamkeit  A  1  b  e  r  t’s  als  Vorstand  der  ersten  chirurgi¬ 
schen  Klinik  in  Wien  gehaltene  Rede  bringt,  während  der  zweite, 
ein  Abdruck  aus  dem  „Militärarzt“,  über  „Ed.  Albert  und  die 
Armeechirurgie“  handelt. 

* 

Von  V  i  1 1  a  r  e  t’s  „Handwörterbuch  der  gesammten 
Medicin“,  zweite  Auflage,  erschienen  bei  Enke  in  Stuttgart,  sind 
die  Lieferungen  14  bis  27  (J  —  Schluss)  zur  Ausgabe  gelangt.  —  Im 
gleichen  Verlage  erscheint  in  sieben  Lieferungen  ä  fünf  bis  sechs 
Tafeln,  mit  deutschem  und  englischen  Texte,  ein  von  Dr.  Krieg 
herausgegebener  „Atlas  der  Nasenkrankheiten“,  dessen  nähere 
Besprechung  wir  uns  Vorbehalten. 

* 

Dr.  Gustav  Rieth  er,  suppl.  Primararzt  der  n.  ö.  Landes- 
Findel-Anstalt  in  Wien,  wohnt  VIII.  Piaristengasse  42. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  46.  Jahreswoche  (vom  11.  November 
bis  17.  November  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  724,  unehelich  307,  zusammen 
1031.  Todt  geboren:  ehelich  47,  unehelich  23,  zusammen  70.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  534  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
16‘6  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  111,  Blattern  0,  Masern  25, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  7,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  3, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  4,  Neu¬ 
bildungen  41.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  1  (-(-  l),  Varicellen 
113  (— j—  44),  Masern  499  (— (—  72),  Scharlach  61  ( —  10),  Typhus  abdominalis 
16  (-]-  1),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  39  (-f-  14),  Croup  und 
Diphtherie  59  (— {—  1),  Pertussis  36  (-(-  17),  Dysenterie  1( —  3),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  5  (-f-  4\  Trachom  2  (-|-  1),  Influenza  0  ( —  2) 


Von  der  Bibliothek. 

Nachstehende  Werke  wurden  seit  29.  November  1900  (siehe 
Nr.  48, 1900  der  »Wiener  klinischen  Wochenschrift«)  von 
dem  Gefertigten  für  die  Bibliothek  der  k.  k.  Gesellschaft 
der  Aerzte  in  Empfang  genommen: 

1ST r.  6. 


Geschenke  : 


a)  Von  Herrn  Hofrath  Prof.  C  h  r  o  b  a  k. 

Specielle  Pathologie  und  Therapie,  herausgegeben  von  Hofrath  Professor 
Dr.  H.  Nothnagel.  Wien  1894  ff.  8°. 

Bd.  III 2,  Abtheilung  1:  Curschmann  H.,  Das  Flecktieber. 
Wien  1900.  8°. 

Bd.  XI/3,  AbtheiluEg  3:  Remak  Ernst,  Neuritis  und  Poly¬ 
neuritis.  Wien  1900.  8°. 

Bd.  XIV/2,  Abtheilung  3:  Hoffmann  F.  A.,  Emphysem  und 
Atelektase.  Wien  1900,  8°. 

Bd.  XIV/2,  Abtheilung  4:  Sticker  Georg,  Lungenblutungen, 
Anämie  und  Hyperämie  der  Lunge,  Lungenödem,  Schimmel¬ 
pilzkrankheiten  der  Lunge.  Wien  1900.  8". 

Meyer’s  Conversations- Lexikon.  Fünfte  Auflage.  Jahre  s-Supplement 
1899/1900.  Leipzig  1900.  8°. 

* 


b )  Von  Herrn  Prof.  Benedikt: 

Benedikt  Moriz,  Nervenpathologie  und  Elektrotherapie.  Leipzig  1874  — 1876. 
8°.  2  Vols. 

—  Charakterbilder  in  der  Kunst  und  in  der  Wissenschaft.  Separatabdruck. 
Stuttgart  1898,  8°. 

—  Erinnerungen  und  Erörterungen.  (Auf  Ferienreisen  gesehen,  bedacht 
und  geschrieben.)  Separatabdruck.  Stuttgart  1898.  8°. 

—  Der  »Verismus«  in  der  Kunst  und  in  der  Wissenschaft.  Separat¬ 
abdruck.  Stuttgart  1899.  8°. 

—  Ueber  die  Fernfühligkeit  (Telepathie).  Separatabdruck.  Stuttgart 
1899.  8°. 

—  Das  Skelet  in  der  Kunst  und  in  der  Wissenschaft.  Separatabdruck. 
Stuttgart  1898.  8n. 

—  Drei  Vorträge  zur  Psychophysik  der  Moral  und  des  Rechtes  aus  den 
Jahren  1874/75.  Wien  1900.  8°.  1  Vol. 


1146 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  ISOO. 


Nr.  49 


Benedikt  Moriz,  Jurististische  Briefe.  Wien  1900.  8°.  3  Vols. 

—  La  cathetometrie  dans  le  eraniometrie.  (Lettre  ouverte  ä  M.  B  i  n  e  t. 
(Extr.)  Paris.  8°. 

—  Le  vagabondage  et  son  traitement.  Etude  psychologique  et  socio 
logique.  (Extr.)  Paris  1890.  8°. 

—  De  l’eleetricite  statique  en  medicine.  (Extr.)  Paris.  8n. 

—  Lettre  ouverte.  (Extr.)  Bruxelles.  8°. 

—  Les  suggestions  criminelles  et  la  responsabilite  penale.  (Extr.) 
Bruxelles  1892.  8°. 

—  Les  grands  criminels  de  Vienne.  Etude  antropologique  de  cer- 
veaux  et  des  cranes  de  la  collection  Hoffmann.  (Extr.) 
Paris.  8°. 

—  La  religione  e  la  morale.  (Estratto).  1891.  8°. 

—  Nouvelle  contribution  a  1’ Anatomie  comparee  du  cerveau.  (Extr.) 
Paris  1896.  8°. 

—  N’y  a-t-il  pas  lieu  de  creer  des  asyles  permanents  pour  certains 
condamnes  liberes  donl  les  intentions  sont  bonnes  mais  la  force  de 
resistance  insuffisante?  Comment  de  vraient-ils  etre  organises?  Peut-on 
sans  eruante  interdire  absolument  la  mendicite?  Queis  sont  les 
moyens  justifies  de  repression?  (Extr.)  Bruxelles  1898.  8°. 

—  The  Moral  insanity  and  its  relations  to  criminology.  (Paper  read.) 
Dublin  1894.  8°. 

—  Beiträge  zur  Denkmethodik  in  der  Balneotherapie.  Separatabdruck. 
Berlin  1898.  8°. 

* 

c)  Vom  Autor: 

Bollinger  0.,  Atlas  und  Grundriss  der  pathologischen  Anatomie.  Zweite 
stark  vermehrte  Auflage.  München  1901.  8°.  Zwei  Bände. 

Ruhemann  J.,  Aetiologie  und  Prophylaxe  der  Luogentuberculose.  Jena 
1900.  8°. 

Bing  Albert,  Die  Prophylaxe  in  der  Ohrenheilkunde.  München  1900.  8". 

* 

Angekauft: 

Centralblatt  für  allgemeine  Pathologie  und  pathologische  Anatomie.  Heraus¬ 
gegeben  von  E.  Ziegler.  Redigirt  von  C.  v.  Kahl  den.  (Bd.  I 
bis  VII.  1890 — 1897.)  Jena  1890 — 1897.  8°.  (Ergänzung.) 

Internationales  Centralblatt  für  Laryngologie  und  Rhinologie.  Heraus¬ 
gegeben  von  Felix  Seman.  Berlin.  Jahrgang  1890  — 1892.  (Er¬ 
gänzung.) 

Würzburger  Abhandlungen  aus  dem  Gesammtgebiete  der  praktischen 
Medicin.  Herausgegeben  von  Müller  und  Seifert.  Würzburg 
1900  ff. 

Wie  n,  im  December  1900.  U  n  ge  r. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Salz  mann,  Die  Zonula  ciliaris  und  ihr  Verhältniss  zur  Umgebung.  Deuticke, 
Wien.  Preis  K.  3. — . 

Finger,  Die  Syphilis  und  die  venerischen  Krankheiten.  Fünfte  Auflage. 
Ibidem.  1901.  Preis  M.  7'50. 

DorSSeil,  Die  Lepra  in  Ostindien  während  des  XVII.  und  XVIII.  Jahr¬ 
hunderts.  Deutsch  von  I  h  1  o  w.  Hirschwald,  Berlin  1901.  52  S. 

Pappenlieim,  Grundriss  der  Farbchemie.  Ibidem.  476  S. 

Ulliari,  Die  pathologische  Anatomie  im  XIX.  Jahrhundert  und  ihr  Einfluss 
auf  die  äussere  Medicin.  Fischer,  Jena.  16  S. 

Verwarn,  Das  Neuron  in  Anatomie  und  Physiologie.  Ibidem.  54  S. 

Ruhemann,  Aetiologie  und  Prophylaxe  der  Lungentuberculose.  Ibidem. 

88  S. 

Arnold,  Repetitorium  der  Chemie.  10.  Auflage.  Voss,  Hamburg. 

I) (ihren,  Das  Geschlechtsleben  in  England.  1.  Theil.  Barsdorf,  Charlotten¬ 
burg.  Preis  M.  10. — . 

Kaliane,  Grundriss  der  inneren  Medicin.  Deuticke,  Wien.  Preis  M.  12. — . 

Guttnianil,  Arzneiverordnungen  in  der  Kinderpraxis.  3.  Auflage.  Karger, 
Berlin.  Preis  M.  2.80. 

Sänger  und  llerff,  Encyclopädie  der  Geburtshilfe  und  Gynäkologie. 
Lieferung  10 — 25.  Vogel,  Leipzig. 

Burkliardt,  Gesetz,  betreffend  die  Bekämpfung  gemeingefährlicher  Krank¬ 
heiten.  Guttentag,  Berlin.  Preis  M.  1.40. 

Orthmann,  Vademecum  für  histopathologische  Untersuchungen  in  der 
Gynäkologie.  Karger,  Berlin.  Preis  M.  5. — . 

MöbillS,  Ueber  den  physiologischen  Schwachsinnn  des  Weibes.  2.  Auflage. 
Marhold,  Halle  a.  S.  Preis  M.  1.  — . 

Erdmann,  Lehrbuch  der  anorganischen  Chemie.  2.  Auflage.  Vieweg,  Braun¬ 
schweig.  Preis  M.  15. — . 

Müller,  Die  Gallensteinkrankheit  und  ihre  Behandlung  (Heft  2  der  Würz¬ 
burger  Abhandlungen).  Stüber,  Würzburg.  Preis  M.  — .75. 

Kaliane,  Die  Chlorose.  (Wiener  Klinik.)  Urban  &  Schwarzenberg,  Wien. 

Allcllill,  A  manual  of  medicine.  2.  Theil.  Macmillan,  London. 

Crainiceanu,  Die  Gesundheitspflege  der  Augen.  Pietzcker,  Tübingen. 
Preis  M.  2.  — . 

Remak,  Neuritis  und  Polyneuritis.  2.  Hälfte.  (Aus:  Specielle  Pathologie 
und  Therapie,  herausgegeben  von  Hofrath  Nothnagel.)  Holder, 
Wien,  Preis  M.  9. — . 

Hoffmann,  Emphysem  und  Atelektase.  Ibidem.  Preis  M.  3.60. 

Curschmann,  Das  Fleckfieber.  Ibidem.  Preis  M.  5.20. 

Sticker,  Lungenblutungen,  Anämie  und  Hyperämie  der  Lunge,  Lungen¬ 
ödem,  Schimmeipilzkrankheiten  der  Lunge.  Ibidem.  Treis  M.  4.40. 


Granier,  Die  Badehilfe.  Schoetz,  Berlin.  1901.  Preis  M.  1. — . 

Baumgarten  und  Tangl,  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  in  der  Lehre 

von  den  pathogenen  Mikroorganismen.  2.  Hälfte.  Bruhn,  Braunschweig. 

Preis  M.  16. — . 

Magelssen.  Wetter  und  Krankheit.  Heft  3.  Friedländer,  Berlin. 

Funck,  Manuel  de  BacUriologie  clinique.  Lamartin,  Brüssel  1901. 

Pichler.  Die  ärztliche  Handapotheke.  Rieger,  München  1901.  Preis 
M.  1.60. 

Kaestner,  Embryologische  Forschungsmethoden.  Barth,  Leipzig.  Preis 
M.  -  .80. 

Kiittner,  Kriegschirurgische  Erfahrungen  aus  dem  südafrikanischen  Kriege. 

Laupp,  Tübingen.  Preis  M.  4. — . 

Schmidt,  Kurzgefasstes  Lehrbuch  der  Chirurgie.  Allgemeiner  Theil. 

Deuticke,  Wien  1901.  384  S. 

Hanke,  Das  rudimentäre  Auge  der  europäischen  Blindmaus  (Spalax  typhlus). 

Smderabdruck.  Engelmann,  Leipzig. 

Freie  Ktelleu. 

Gemeindearztesstelle  in  Romans,  politischer  Bezirk  Gradiscn, 
Küstenland.  Die  Gemeinde  Romans  mit  Fratta  zählt  2000  Einwohner, 
und  befindet  sich  im  Ilmkreise  von  4  km  mit  beiläufig  8000  Bewohnern  kein 
zweiter  Arzt.  GebaU  1000  K,  wogegeu  circa  50  Arme  unentgeltlich  zu  be¬ 
handeln  sind.  Bewerber,  welche  der  italienischen  Sprache  vollkommen 
mächtig  sein  müssen,  haben  ihre  entsprechend  belegten  Gesuche  bis 
längstens  15.  December  1900  an  das  Gemeindeamt  in  Romans  ein¬ 
zusenden. 

Primararztesstelle  und  Secundararztesstelle  in  der  öffent¬ 
lichen  Krankenanstalt  in  Zwittau,  M ähren.  Jahresgehalt  des  Primar¬ 
arztes  1200  K,  des  Secundararztes  600  K.  Bewerber  deutscher  Nationalität, 
welche  Doctoren  der  gesammten  Heilkunde  sein  müssen,  haben  ihre 
ordentlich  instruirten  Gesuche  bis  längstens  15.  December  1900  beim  Stadt- 
vorstande  in  Zwittau  einzubrin<ren. 

W  erksarztesstelle.  Bei  der  k.  k.  Bergverwaltung  in  R  a  i  b  1, 
Kärnten,  kommt  mit  1.  Februar  1901  die  Werksarztesstelle  gegen  künd¬ 
baren  Bestallungsvertrag  im  Concurswege  zu  besetzen,  mit  welcher  eine 
Jahresbestallung  von  1800  K,  ein  jährliches  Reisepauschale  von  6C0  K 
und  freie  Wohnung  im  Werksspitale  verbunden  ist.  Dafür  ist  der  Werks¬ 
arzt  verpflichtet,  die  ärztliche  Behandlung  der  curberechtigten  Angehörigen 
des  ärarisehen  Montanwerkes  in  Raibl  zu  besorgen  und  eine  Hausapotheke 
gegen  tarifmässige  Vergütung  der  daraus  verabfolgten  Arzneimittel  und 
Verbandstoffe  zu  führen.  Dem  Werksarzte  wird  auch  die  Vorsehung  des 
ärztlichen  Dienstes  in  den  Forts  Predil  und  in  der  Seebach-Thalsperre 
Raibl,  jedoch  nur  für  die  Dauer  des  Bestandes  der  einschlägigen  gegen¬ 
wärtigen  Verhältnisse  gegen  ein  Jahrespauschale  von  480  K,  wofür  auch 
die  Medicamente  beizustellen  sind,  zugesichert.  Weiters  wird  demselben 
auch  der  ärztliche  Dienst  bei  der  gräflich  Henckel’schen  Nachbar-Berg- 
verwaltung  gegen  ein  Jahrespauschale  von  2100  K,  wofür  auch  die  Medi¬ 
camente  beizustellen  sind,  übertragen.  Bewerber  um  diese  Werksarztes¬ 
stelle  haben  ihre  mit  den  Nachweisungen  über  die  für  den  Staatsdienst 
vorgeschriebenen  allgemeinen  Erfordernisse  ( AJtersnachweis,  österreichische 
Staatsbürgerschaft,  physische  Eignung,  untadelhafte  bürgerliche  Haltung) 
über  den  erlangten  Doctorgrad  und  über  die  Sprachkenntnisse  belegten 
Gesuche,  in  welchen  die  Bereitschaft  zum  Dienstantritte  am  1.  Februar  1901 
auszusprechen  und  anzugeben  ist,  ob  der  Bewerber  mit  einem  Beamten 
oder  Aufseher  des  genannten  Montanwerkes  verwandt  oder  verschwägert  ist, 
bis  20.  December  1900  bei  der  k.  k.  Bergverwaltung  in  Raibl  im 
Dienstwege  oder  direct  einzubringen.  Competenten,  welche  neben  einer 
entsprechenden  Spitalpraxis  eine  besondere  Ausbildung  in  der  operativen 
Chirurgie  und  Geburtshilfe  nachzuweisen  vermögen,  erhalten  den  Vorzug. 
Die  vorläufigen  Entwürfe  des  Bestallungsvertrages  und  der  Dienstinstruction 
liegen  bei. 

Secundararztesstelle  in  der  Brunner  Landes- 
gebäranstalt.  In  der  Brünner  Landesgebäranstalt  gelangt  die  Stelle 
eines  Secundararztes  mit  der  Remuneration  jährlicher  800  K,  nebst  normal- 
mässiger  Wohnung  und  Beheizung  und  Kost  nach  der  ersten  Classe  zur 
Besetzung  und  wird  hiemit  der  Concurs  ausgeschrieben.  Bewerber  um  diese 
Stelle,  welche  Doctoren  der  gesammten  Heilkunde  und  beider  Landes¬ 
sprachen  mächtig  sein  müssen,  haben  ihre  gehörig  documentirten  und  an 
den  mährischen  Landesausschuss  gerichteten  Gesuche  längstens  bis  31.  D  e- 
cember  1900  bei  der  gefertigten  Direction  einzubringen.  Die  Dienstzeit 
ist  bei  einer  vierwöchentlichen,  beiden  Seiten  zustehenden  Kündigung  auf 
zwei  Jahre  festgesetzt.  Bemerkt  wird,  dass  der  anzustellende  Secundararzt 
zur  gleichzeitigen  Verwendung  als  Assistent  an  der  hierortigen  k.  k.  Heb¬ 
ammenschule,  und  zwar  ohne  Anspruch  auf  eine  besondere  Entlohnung 
aus  dem  Unterrichsetat,  verpflichtet  ist. 


EINBANDDECKEN 


in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XIII.  Jahrgang;  (1900) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  für  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XI.  Jahrgang  (1893 — 1899)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchkändler. 


Nr.  49 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1147 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


XJSTS^.IL.T: 

Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien.  Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck.  Sitzung  vom 
Sitzung  vom  30.  November  1900.  10.  November  1900. 

Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung  vom  26.  October  und  2.  No-  I 
vember  1900. 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  30.  November  1900. 

Vorsitzender:  Dr.  Teleky. 

Schriftführer  :  Dr.  Knauer. 

Als  Gast  anwesend  Prof.  Ott  aus  Prag. 

Der  Vorsitzende  verliest  ein  an  das  Präsidium  gelangtes  Tele¬ 
gramm  aus  Lyon,  welches  von  dem  Tode  des  Ehrenmitgliedes  der 
Gesellschaft,  Prof.  Ollier,  Nachricht  gibt.  Die  Versammlung  erhebt 
sich  zum  Zeichen  der  Trauer  von  ihren  Sitzen. 

Demonstrationen:  Hofrath  Neumann:  Wie  Ihnen  bekannt, 
habe  ich  vor  circa  IV2  Jahren,  zwei  Fälle  von  S  y  r  i  n  g  o- 
cystom  hier  vorgestellt  und  durch  Moulagen,  Abbildungen  und 
mikroskopische  Präparate  erläutert.  Nachdem  dies  überhaupt  die  ersten 
Fälle  waren,  die  hier  beobachtet  wurden,  und  die  Literatur  selbst  nur 
eine  geringe  Zahl  von  Jacquet-Darier,  T  ö  r  ö  k,  P  h  i  1  i  p  p  s  o  n, 
Petersen,  Brooke,  verzeichnet,  war  es  von  Interesse,  nicht  nur 
den  klinischen  und  histologischen  Befund,  sondern  auch  den  Verlauf 
des  Processes  kennen  zu  lernen.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  die  Kranke  W. 
vor  wenigen  Tagen  das  vierte  Mal  an  die  Klinik  aufgenommen.  Dabei 
zeigte  sich  folgender  Befund: 

Vorher  sei  bemerkt,  dass  einzelne  Autoren  das  Entstehen  der 
Geschwulst  aus  verunglückten  Knäueldrüsen  oder  aus  in  der  Cutis 
versprengten  embryonalen  Keimen  der  Knäueld  riisenanlagen  her¬ 
leiten;  auch  P  h  i  1  i  p  p  s  o  n  konnte  keinen  Zusammenhang  mit  Drüsen 
finden. 

In  dem  jüngsten  Werke  von  Besnier  und  Brocq 
„La  pratique  dermatologique“  findet  sich,  durch  eine  Tafel  illustrirt, 
das  Leiden  unter  der  Bezeichnung  Hidradenomes  eruptifs  beschrieben. 
An  den  Mammis  sind  die  Efflorescenzen  flacher,  livid-roth,  weniger 
zahlreich,  auf  dem  übrigen  Thorax  vorn  fast,  am  Rücken  ganz 
geschwunden.  An  den  siqrraumbilicalen  Partien  des  Bauches  sind  die 
E'florescenzen  kleiner  und  flacher  geworden,  ebenso  am  Unterbaueh 
und  am  Oberarm,  wo  sie  auch  an  Zahl  geringer  sind.  Ueber  den  Scapulis 
sind  sie  kaum  mehr  wahrnehmbar. 

Unter  dem  Mikroskope  sind  die  in  Rückbildung  begriffenen 
Efflorescenzen  gleichwie  die  colloiden  Massen  vermehrt,  die  Drüsen¬ 
gänge  breiter  und  die  Wandung  dünner,  die  periphere  Infiltration  ge¬ 
ringer.  Interessant  gestalten  sieh  die  Haarbälge.  Hier  konnte  ich  die¬ 
selben  buchtigen  Ausweitungen  finden,  wie  sie  bei  Lichen  ruber, 
Prurigo  Vorkommen.  In  einer  Form,  wie  sie  diese  Präparate  zeigen 
(eines  Schwungrades)  habe  ich  sie  noch  nicht  gesehen. 

Das  Dunkel,  welches  über  diese  Hautkrankheit  herrscht,  ist 
zwar  noch  nicht  gelichtet.  Immerhin  ist  ein  typisches  Krankheitsbild 
gegeben,  das  nunmehr  die  klinische  Diagnose  ermöglicht.  Sie  ist  ein 
Leiden  sui  generis,  dessen  Erscheinungen  klinisch  und  histologisch 
festgestellt  sind  und  das  nunmehr  seinen  Platz  im  System  der  Haut¬ 
krankheiten  erhalten  wird. 

Dr.  Robert  Breuer  demonstrirt  einen  Patienten  der  Klinik 
Nothnagel,  bei  dem  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  die  Diagnose  auf 
Stenosirung  der  Aorta  descendens  thoracica  in  Folge 
von  Verziehung  durch  eine  pleuro-mediastinale  Schwarte 
stellen  lässt. 

Der  19jährige  Kranke  war  bis  zu  einem  Trauma  im  achten 
Lebensjahre  vollkommen  gesund.  Damals  hob  ihn  ein  Stier  von  hinten 
mit  den  Hörnern  in  die  Höhe  und  brachte  ihm  eine  Wunde  in  der 
linken  Seite  bei  (Narbe  im  zehnten  Intercostalraume  in  der  hinteren 
Axillarlinie  noch  jetzt  sichtbar).  Nach  der  Verletzung  sechsmonatliclies 
Krankenlager,  aus  dem  dem  Patienten  nur  mehr  starke  Athemnoth 
erinnerlich  ist;  Näheres  ist  nicht  eruirbar.  Seither  Husten  von  wech¬ 
selnder  Intensität,  einige  Male  in  grossen  Zwischenräumen  geringe  Blut¬ 
beimengungen  zum  Sputum;  manchmal  Seitenstechen  in  der  linken  , 
Axilla,  bei  Anstrengungen  Kurzathmigkeit  und  Herzklopfen.  Seit 
längerer  Zeit  bleiben  angeblich  beim  Schlucken  grosse  Bissen  in  der 
Speiseröhre  stecken.  Schmerzen  in  Brust  und  Rücken  fehlen,  ebenso 
Schmerzen  oder  Parästhesien  im  linken  Arme;  dagegen  besteht  häufig 
lästiges  Kältegefühl  in  den  Beinen  und  Füssen. 

Bei  der  Untersuchung  findet  sich  starke  Einziehung  der  linken 
Brustseite  und  eine  dicke  pleurale  Schwarte  (intensive  Dämpfung  über 
der  ganzen  linken  Thoraxhälfte,  die  an  der  Athmung  kaum  theilnimmt; 
Athemgeräusch  und  Stimmfremitus  stark  abgeschwächt).  Zwerchfell 


empor  gezogen.  Herz  hoch  gelagert,  energisch  hebender  Spitzenstoss 
im  vierten  Intercostalraum  innerhalb  der  Mamillarlinie,  keine  Verbrei¬ 
terung  nach  rechts.  Zweiter  Pulmonalton  laut.  In  der  ganzen  Herz¬ 
gegend,  an  Stärke  nach  oben  hin  zunehmend,  ein  systolisches  Geräusch, 
das  besonders  laut  im  ersten  und  zweiten  Intercostalraume  hörbar  ist; 
dasselbe  Geräusch  am  Rücken  links  neben  der  Wirbelsäule  vom  vierten 
Brustwirbel  abwärts;  hier  ist  auch  deutliches  Schwirren  fühlbar.  Lautes 
systolisches  Geräusch  und  Schwirren  in  der  linken  Carotis  und  Sub¬ 
clavia.  Pulsation  findet  sich  ausserhalb  des  Herzbereiches  nirgends  am 
Thorax,  weder  vorne,  noch  hinten. 

Der  Puls  in  den  rechten  Armgefässen  und  der  rechten  Carotis 
gross,  kräftig,  leicht  celer;  ähnlich  der  in  der  linken  Carotis. 

In  den  linken  Armgefässen  Puls  synchron  mit  der  rechten  Seite, 
aber  deutlich  kleiner.  Cruialpuls  kaum,  Puls  der  Bauchaorta  gar  nicht 
fühlbar. 

Die  Untersuchung  mit  dem  Kehlkopfspiegel  ergibt  blos  leichte 
Verziehung  der  Trachea  nach  links. 

Bei  der  radioskopischen  Untersuchung  sind  wegen  der  dicken 
Schwarte  Details  in  der  Aorta  nicht  zu  sehen.  Dagegen  gelingt  es,  bei 
der  Untersuchung  nach  Holzknecht  (Schlucken  eines  Bissens  aus 
Wismuthpulver  während  der  Durchleuchtung)  nachzuweisen,  dass  der 
Oesophagus  ziemlich  weit  in  die  linke  Brustseite  verzogen  ist  und  dass 
ein  Bissen  in  ihm  etwa  in  der  Höhe  des  fünften  Brustwirbels  stecken 
bleibt.  Die  Trachea  erscheint  deutlich  nach  links  verschoben. 

Der  Vortragende  bespricht  kurz  die  möglichen  Deutungen  des 
Falles.  Er  glaubt  einen  Klappenfehler  ausschliessen  und  sämmtliche 
Erscheinungen  auf  ein  Strömungshinderniss  in  der  absteigenden  Brust¬ 
aorta  zurückführen  zu  können.  Er  legt  kurz  die  Gründe  dar,  aus  denen 
er  im  vorliegenden  Falle  eine  congenitale  Isthmusstenose,  sowie  ein 
Aneurysma  für  unwahrscheinlich  hält,  und  spricht  sich  dafür  aus,  dass 
hier,  gleichwie  der  Oesophagus,  auch  die  Aorta  descendens  durch  den 
Zug  der  pleuralen  Schwarte  und  damit  zusammenhängender  Schwielen 
im  linken  Antheil  des  hinteren  Mediastinums  verzerrt  und  stenosirt  sei. 
Herzwärts  von  der  Stenose  dürfte  ein  gewisser  Grad  von  Dilatation 
der  Aorta  bestehen. 

Discussion:  Doeent  Tandler  bemerkt,  dass  der  vom 

Vortragenden  angegebene  Sitz  der  Verengerung  anatomisch  schwer 
vorstellbar  sei,  da  die  drei  aus  der  Aorta  abgehenden  Gefässe  so  nahe 
nebeneinander  entstehen.  Es  sei  sehr  merkwürdig,  dass  z.  B.  die 
Arteria  anonyma  hiebei  nicht  in  Mitleidenschaft  gezogen  werde. 

Dr.  Breuer  erwidert,  dass  die  Abgangsstelle  der  linken  Carotis 
wohl  noch  nicht  in  den  Bereich  der  Stenose  falle  (kräftiger  Puls)  und 
dass  seiner  Meinung  nach  die  anatomischen  Verhältnisse  im  vorliegenden 
Falle  wohl  so  liegen  können,  dass  die  linke  Subclavia  von  den  Folgen 
der  Schwielenbildung  betroffen  wird,  während  die  beiden  anderen 
Gefässstämme  davon  frei  bleiben. 

Demonstration:  Doeent  Dr.  Kretz  (Originalmittheilung  pag.  1137 
dieser  Nummer). 

Dr .  Kornfeld :  VorläufigeMittheilungüberdieVer- 
werthbarkeit  der  Blutdruckmessung  in  der  Dia¬ 
gnostik  der  Nervenkrankheiten. 

Im  Verfolge  meiner  Untersuchungen  über  die  Verwerthbarkcit 
der  Blutdruckmessung  für  die  Diagnostik  der  Nervenkrankheiten  habe 
ich  bei  einer  grösseren  Reihe  von  Fällen  von  traumatischer  Neurose 
Blutdruckmessungen  ausgeführt.  Die  gewonnenen  Resultate  können  im 
Folgenden  zusammengefasst  werden : 

1.  Störungen  der  Schmerzempfindung  lassen  sich  stets  object! v 
mit  dem  Sphygmomanometer  nachweisen,  indem  bei  faradischer  Pinse¬ 
lung  analgetischer  oder  hypalgetischer  Stellen  die  während  der  Pre¬ 
cedin'  beobachtete  Blutdrucksteigerung  deutlich  geringer  ist  als  die 
Drucksteigerung,  welche  bei  Vornahme  derselben  Procedur  an  Stellen 
mit  normaler  Schmerzempfindung  gefunden  wird. 

Ebenso  lässt  sich  eine  Steigerung  der  Schmerzempfindliehkeit 
bestimmter  Hautstellen  dadurch  ohjectiv  feststellen,  dass  die  durch 
Reizung  der  hyperalgetischen  Stellen  hervorgerufene  Blutdrucksteigerung 
weit  grösser  ist  als  die  von  normalen  Stellen  hervorgerufene. 

Diese  Versuche  habe  ich  auch  mit  dem  G  ä  r  t  n  e  r’sclren  Tonometer 
ausgeführt  und  hiebei  ähnliche  Resultate  erhalten. 

2.  Abnahme  der  Muskelkraft  lässt  sich  mit  Hilfe  des  Sphygmo¬ 
manometers  in  der  Weise  ohjectiv  zur  Anschauung  bringen,  dass  die 
bei  der  grösstmöglichen  Muskelanstrengung  erfolgende  Steigerung  des 
Sphygmomanometerdruckes  bestimmt  wird.  Es  zeigt  sich,  dass  hei  der 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  49 


Maximalleistung  der  adynamischen  Seite  die  Drucksteigerung  beträcht¬ 
lich  hinter  der  bei  der  Maximalleistung  der  gesunden  Seite  erfolgenden 
zurückbleibt;  oder  wo  es  sich  um  beiderseitige  Adynamie  handelt,  die 
beobachtete  Drucksteigerung  geringer  ist,  als  die  bei  gesunden  Menschen 
in  der  Regel  erfolgende.  Diese  Beobachtung  erhält  ihre  Bedeutung  erst 
im  Zusammenhänge  mit  den  bei  den  verschiedenen  Formen  von 
Lähmungen  oder  Paresen  beobachteten  Unterschieden  im  Verhalten 
des  Sphygmomanometerdruckes.  Während  nämlich  bei  Lähmungen  oder 
Paresen,  denen  eine  unterhalb  der  Hirni  inde  sitzende  Läsion  zu  Grunde 
liegt,  also  z.  B.  bei  Läsionen  der  Capsula  interna  oder  bei  Neuritis 
die  Bewegungsintention  einer  gelähmten  oder  paretischen  Extremität 
mit  einer  beträchtlichen  Drucksteigerung  parallel  geht,  bleibt  bei  rein 
psychischen  oder  durch  Suggestion  hervorgerufenen  Lähmungen  die 
Drucksteigerung  bei  Intentionen,  die  gelähmten  Muskeln  zu  con- 
trahiren,  aus. 

3.  Bei  Schütteltremor  fand  ich  stets,  dass  selbst  bei  langer 
Dauer  desselben  der  Sphygmomanometerdruck  nicht  anstieg,  dass  hin¬ 
gegen  eine  beträchtliche  Drucksteigerung  bei  dem  Versuche,  den 
Schütteltremor  willkürlich  zu  unterdrücken,  erfolgte.  In  dieser  That- 
sache  ist  wohl  ein  brauchbares  Hilfsmittel  für  die  Differentialdiagnose 
zwischen  echtem  und  simulirten  Schütteltremor  zu  erblicken. 

Hierauf  hält  Dr.  E.  P.  Pick  seinen  angekündigten  Vortrag: 
Neuere  Untersuchungen  über  Gerinnungshemmung. 

Während  zahlreiche  Arbeiten  das  Wesen  des  im  Organismus 
sich  abspielenden  Phänomens  nach  der  Injection  von  gerinnungs¬ 
hemmenden  Stoffen  ins  Blut  behandeln,  ist  über  die  Natur  des  den 
ganzen  Erscheinungscomplex  auslösenden  Agens  wenig  bekannt.  Der 
Vortragende  berichtet  über  Versuche,  welche  er  in  Gemeinschaft  mit 
Privatdocent  Dr.  K  a  r  1  Spiro  im  Strassburger  physiologisch-chemi¬ 
schen  Institute  über  die  Natur  und  Herkunft  dieses  Körpers  ausge¬ 
führt  hat.  Dieselben  ergaben,  dass  die  bei  der  sogenannten  „Pepton¬ 
wirkung“  auftretenden  Vergiftungserscheinungen,  insbesondere  aber  die 
Gerinnungshemmung  nicht,  wie  bisher  allgemein  angenommen  wurde, 
den  Verdauungsproducten  als  solchen  zukommen,  sondern  dass  der 
wirksame  Körper  eine  Beimengung  des  meist  als  Ausgangsmaterial 
benützten  Blutfibrins  darstellt,  die  sich  ohne  Aenderung  der  chemischen 
Natur  dieser  wirksamen  Albumosen  denselben  durch  entsprechende 
Reinigung  (Behandlung  mit  Alkohol)  entziehen  lässt,  so  dass  diese 
Producte  unwirksam  werden.  Weiters  gelingt  es,  durch  Eiweissspaltung 
(z.  B.  durch  Trypsin,  Autolyse,  Alkalien),  bei  Casein  und  krystalli- 
sirtem  Edestin  auch  durch  Säure,  typische  Albumosen  und  Peptone  zu 
erhalten,  weichein  die  Blutbahn  eingeführt,  jeden  Einfluss  auf  die  Blut¬ 
gerinnung  vermissen  lassen.  Andererseits  ist  mau  im  Stande,  ohne  Zu¬ 
hilfenahme  einer  Fermentwirkung  (durch  Säuredigestion)  Präparate  zu 
erhalten,  welche  die  gerinnungshemmende  Wirkung  in  ausgezeichnetem 
Masse  entfalten,  dabei  aber  nur  Spuren  von  Albumosen  oder  gar  keine 
enthalten.  Es  gibt  also  Peptone  ohne  Peptonwirkung 
und  Peptonwirkung  ohne  Peptone.  Die  wirksame,  „P  epto- 
zym“  (Hofmeister)  genannte  Substanz  ist  ausgezeichnet  durch 
ihre  Resistenz  gegen  selbst  lang  dauernde  Einwirkung  von  schwachen 
Mineralsäuren,  ebenso  auch  gegen  Erwärmen  in  neutraler,  respective 
schwach  alkalischer  Lösung;  durch  längere  Behandlung  mit  freiem,  sehr 
verdünnten  Alkali  wird  sie  zerstört;  sie  verliert  ihre  Wirksamkeit 
auch  dann,  wenn  diese  Einwirkung  nicht  in  wässeriger,  sondern  in 
alkoholischer  Lösung  geschieht.  Im  Rohfibrin  ist  das  Peptozym  ver- 
muthlieh  nicht  als  solches,  sondern  in  Form  einer  Vorstufe  vorhanden, 
als  „ Peptozymogen“,  das  der  Einwirkung  des  Alkohols  und  der  Auto¬ 
lyse  widersteht.  Physiologisch  ist  das  Peptozym  charakterisirt  durch 
die  Fähigkeit,  bei  intravenöser  Injection  das  Blut  des  Hundes  unge¬ 
rinnbar  zu  machen  (indirecte  Gerinnungshemmung), 
während  es  dem  aus  der  Ader  gelassenen  Blut  beigemengt,  ohne  Wir¬ 
kung  ist. 

Ueber  die  Herkunft  des  Peptozyms  ergaben  die  Versuche  ein 
negatives  Resultat  in  Bezug  auf  Thymus,  Hoden,  Unterkieferspeichel¬ 
drüse,  Lymphdrüsen,  Speiseröhrenschleimhaut  (des  Rindes),  Neben¬ 
nieren  (Schwein)  und  Intima  aortae  (Büffel),  während  sich  aus  der 
Schleimhaut  des  Magens,  des  Dünn-  und  Dickdarms,  sowie  aus  dem 
Pankreas  Producte  mit  intensiver  Peptozymwirkung  isolireu  Hessen. 
Während  das  Spaltungsproduct  der  Leber  keine  Peptozymwirkung  auf¬ 
wies,  trat  die  Gerinuungshemmung  in  Form  der  Fibrinolyse,  wie  sie 
auch  bei  den  aus  der  Magenschleimhaut  und  dem  Pankreas  darge¬ 
stellten  Substanzen  zur  Beobachtung  kam,  besonders  deutlich  zu  Tage. 
Mit  Ausnahme  der  Thymus  zeigten  alle  untersuchten  Organe  bei 
Magen,  Dünn-,  Dickdarm  und  Pankreas  neben  der  Peptozymwirkung 
eine  sogenannte  d  i  r  e  c  t  e  Antithrombinwirkung,  indem  das 
aus  der  Ader  gelassene  Blut  nach  Zusatz  der  entsprechenden  Körper 
für  Stunden,  eventuell  Tage  ungerinnbar  blieb.  Für  diese  Gerinnungs¬ 
hemmung  ist  es  charakteristisch,  dass  dieselbe  nur  bei  schwach  alka¬ 
lischer  Reaction  erzielt  werden  kann,  während  eine  Spur  von  Säure 
die  Gerinnungshemmung  stets  in  deutlichem  Masse  beeinträchtigt.  Alle 
angeführten  Beobachtungen  beziehen  sich  auf  Hundeblut,  zum  Theile 
auch  auf  Menschen-  und  Kaninchenblut;  das  für  Huudeblut  indirect 
gerinnungshemmende  Pankreaspräparat,  sowie  das  fibrinolytisch  wirkende 


Leberpräparat  führen  beim  Kaninchen  nach  intravenöser  Injection  rasch 
den  Tod  herbei  durchBildungmultipler  Embolien  (Gerinnungsbeförderung). 

Bezüglich  der  Peptonimmunität  konnte  ihre  völlige  Un¬ 
abhängigkeit  von  der  Peptozymwirkung  festgestellt  und  gelegent¬ 
lich  einer  Einzelbeobachtung  auch  ihre  Unabhängigkeit  von  der  soge¬ 
nannten  Coagulinimmunität  dargethan  werden. 

Der  Vorsitzende  dankt  dem  Vortragenden  für  seinen  Vortrag 
und  schliesst  die  Sitzung. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  26.  October  1900. 

Präsident:  Prof.  Epstein. 

Secretär:  Docent  H.  Wiener. 

Schriftführer:  Dr.  Schwarz. 

Anwesend:  53  Mitglieder. 

Prof.  Epstein  dankt  für  die  Erwählung  zum  Präsidenten  und 
fordert  zu  lebhafter  Theilnahme  an  dem  wissenschaftlichen  Leben  des 
Vereines  auf.  Er  bringt  den  Paragraph  der  Geschäftsordnung  in  Er¬ 
innerung,  wonach  eine  Demonstration  nicht  länger  als  zehn  Minuten 
dauern  soll. 

Neu  eingetreten  :  Stabsarzt  Dr.  T  r  n  k  a. 

Als  Gast  anwesend:  Dr.  T  ö  b  b  e  r. 

Der  Präsident  theilt  mit,  dass  der  Bibliothek  des  Vereines  aus 
dem  R.  v.  P  i  e  s  1  i  n  g’schen  Nachlass  vom  Professoren-Collegium  der 
medicinischen  Facultät  eine  grössere  Zahl  von  Bänden  zur  Verfügung 
gestellt  wird.  (Beifall.) 

Dr.  Popper  beantragt,  wie  alljährlich  auch  diesmal  der 
Prager  medicinischen  Wochenschrift  eine  Subvention  von  400  K  zu 
gewähren.  (Angenommen.) 

Verhandlungsgegenstände: 

Stabsarzt  Dr.  Trnka  demonstrirte  zwei  Fälle  von  grösserem, 
chirurgischem  Interesse: 

Der  erste  Fall  ist  eine  rechtsseitige,  in  der  Tiefe  der  Schlüssel¬ 
beingrube  verborgene,  paratracheale,  mobile  Kropfcyste  von 
Hühnereigrösse,  die  erst  zum  Vorscheine  gelangt,  wenn  der  20jährige 
Patient,  ein  Rekrut,  eine  eigenthümliclie  Bewegung  mit  dem  Schlund¬ 
kopfe  und  der  Halswirbelsäule  ausführt.  Der  Umstand,  dass,  bei  Vor¬ 
handensein  einer  grösseren  Kropfgeschwulst  der  Hals  normale  Con- 
touren  zeigt,  dann  die  weitgehende  Dislocationsfähigkeit  der  Geschwulst 
von  der  Tiefe  der  Oberschlüsselbeingrube  bis  zur  Höhe  des  Kehlkopfes 
machen  den  Fall  zu  einem  selteneren.  Die  bestehenden  Athem- 
beschwerden  indiciren  die  Operation.  (Der  Fall  gelangt  demnächst  unter 
anderen  zur  ausführlichen  Publication  in  der  Prager  medicinischen 
Wochenschrift.) 

Der  zweite  Fall  betrifft  eine  Enteroplastik  nach  einer 
eigenen  Methode  mit  gedoppeltem  Haut-  und  Muskellappen,  der  des 
vollkommenen  Erfolges  wegen  zur  Demonstration  gebracht  wird.  Ein 
grosser  Substanzverlust  am  aufsteigenden  Colon,  eine  umfangreiche 
Darmfistel  also,  die  nach  Darmperforation,  Kothabscess,  Laparotomie 
und  Colostomie  zu  Stande  gekommen  war,  wurde  mit  Brücken-  und 
und  Bogenlappen  und  einer  eigenartigen  Verpfalzung  derselben  dauernd 
geschlossen,  die  Darmresection  hiemit  umgangen,  die  Darmfunction  zur 
Norm  hergestellt  und  der  Mann,  ein  22jähriger  Soldat,  seinem  bürger¬ 
lichen  Berufe  wieder  zugeführt.  (Die  Operationsskizze  wird  in  extenso 
in  der  Zeitschrift  für  Heilkunde  erscheinen.) 

Dr.  A.  Scheib:  Ueber  e  i  n  e  n  F  a  1  1  von  acquirirter 
Syphilis  mit  gummöser  Affection  des  Magens, 
Darmes,  sowie  der  Lunge. 

Scheib  fand  bei  der  Section  der  Leiche  eines  51jährigen 
Mannes  multiple,  bis  hühnereigrosse,  gummöse  Infiltrate  in  den 
Lungen,  ein  4  cm  im  Durchmesser  haltendes,  zum  Theile  exulcerirtes 
Infiltrat  in  der  Pars  pylorica  des  Magens,  der  ausserdem  einen  ebenso 
grossen  durch  Zerfall  eines  Infiltrates  entstandenen  Substanzverlust 
aufwies.  Weiters  sassen  im  oberen  Dünndarme  sieben,  bis  2  cm  im 
Durchmesser  haltende,  mitunter  exulcerirte  Infiltrate  von  gleicher  Be¬ 
schaffenheit  wie  dasjenige  im  Magen.  Die  mesenterialen  Lymphdrüsen 
waren  über  walnussgross,  derb-elastisch. 

Bei  der  histologischen  Untersuchung  aller  dieser  Herde  fand 
sich  ein  aus  Rund-  und  Spindelzellen  zusammengesetztes  Granulations¬ 
gewebe,  welches  mitunter  zahlreiche  Riesenzellen  enthielt.  Im  Bereiche 
dieser  gummösen  Herde  zeigten  die  Gefässe  oft  bis  zur  vollständigen 
Obliteration  desselben  gediehene  Endarteriitis  proliferans.  Mikro¬ 
organismen,  speciell  Tuberkelbacillen  waren  nicht  zu  finden. 

Docent  Dr.  Friedei  Pick:  Ueber  intermittirendes 
Gallenfieber.  (Ausführlich  in  Ziemssen’s  Archiv.  Bd.  LXIX,  pag.  1.) 

Unter  dem  Namen  „Fievre  hepatique  intermittente“  hat  zuerst 
Charcot  von  dem  die  Galleusteinkoliken  nicht  selten  begleitenden 
„hepatalgischen“  Fieber  einen  fieberhaften  Symptomencomplex  unter¬ 
schieden,  den  er  folgendermassen  charakterisirte:  Plötzliche  Schüttel¬ 
fröste  in  mehr  minder  grossen  Intervallen,  mitunter  so  regelmässig, 
dass  Verwechslungen  mit  echter  Intermittens  vorkamen,  chronischer 
Verlauf  von  mehrmonatlicber  Dauer  mit  meist  ungünstigem  Ausgange; 


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Ikterus  und  Kolikschmerzen  können  die  Anfälle  begleiten  oder  auch 
ausbleiben;  ebenso  kann  auch  Eiterung  in  den  Gallenwegen  vorhanden 
sein  oder  fehlen.  Die  Ursache  des  Fiebers  vermutbete  Charcot  in 
einem  pyretogenen  Gifte,  welches  durch  eine  Veränderung  der  Galle 
in  den  dilatirten  und  entzündeten  Gallen  wegen  gebildet  werde, 
während  von  anderen  Autoren  auch  dieses  Fieber  vielfach  als  reflec- 
torisch  durch  die  Steinwanderung  angesehen  wurde. 

Im  Anschlüsse  an  diese  Ausführungen  Charcot’s  ist  dieser 
Symptoinencomplex  seither  in  der  französischen  und  englischen 
Literatur  öfters  Gegenstand  eingehender  Behandlung  gewesen;  in  der 
deutschen  Literatur  hingegen  wurde  er  nicht  speciell  berücksichtigt, 
ein  Gegensatz,  der  gelegentlich  von  fremdländischen  Autoren  aus¬ 
drücklich  als  auffallend  hervorgehoben  wird  (Sthermann,  Faber). 

Pick  hat  eine  Anzahl  solcher  Fälle  genauer  beobachtet, 
darunter  einen,  der  innerhalb  fünf  Monaten  46  Fieberanfälle  (bis  41°) 
zeigte,  von  sechs  bis  zwölf  Stunden  Dauer,  theils  mit,  theils  ohne 
Schmerzen  oder  Ikterus  verlaufend.  Diese  Thatsache  des  Vorkommens 
mehrfacher  Frost-  und  Fieberanfälle  ohne  jegliche  Schmerzen  genügt 
wohl,  um  die  Anschauungen  von  der  reflectorischen  Natur  derselben 
als  unhaltbar  zurückzuweisen;  das  unbekannte  pyretogene  Princip 
Charcot’s  wird  man  heutzutage  wohl  in  Toxinen  und  Mikro¬ 
organismen,  besonders  von  Bacterium  coli  suchen. 

Die  Section  des  oben  erwähnten  Falles  ergab  einen  nussgrossen 
Gallenstein  am  Ausgange  des  Choledochus,  der  die  Wand  des  Ductus 
und  des  Duodenums  perforirte,  die  Gallenwege  stark  dilatirt,  jedoch 
nur  schleimigen  Inhalt  aufweisend,  in  welchem  mikroskopisch  coli- 
ähnliche  Bacillen  constatirt  wurden  ;  nirgends  im  Körper  ein 
Eiterherd. 

Das  Fehlen  einer  eigentlichen  Eiterung  bei  so  langdauerndem 
intermittirendem  Fieber  mit  Frostanfällen  ist  sehr  auffallend  und  dabei 
von  diagnostischem  und  therapeutischem  Interesse,  da  in  solchen 
Fällen  ein  operatives  Eingreifen  wohl  oft  das  einzige  Rettungsmittel 
ist  und  die  Chirurgen  ja  im  Allgemeinen  bei  Patienten  mit  Schüttel¬ 
frösten  und  intermittirenden  Fieberanfällen  mit  Rücksicht  auf  eine 
mögliche  Eiterung  und  Pyämie  wenig  geneigt  sind,  operativ  vor¬ 
zugehen.  In  dieser  Beziehung  erscheint  das  Verhalten  der  L  e  u  k  o- 
cytenzahlen  von  Interesse,  welches  ich  bei  diesen  Fällen  fort¬ 
laufend  untersucht  habe. 

Es  fand  sich,  wie  die  demonstrirten  Tabellen  zeigen,  die  Zahl 
der  Leukocyten  zwischen  den  Anfällen  stets  normal,  ebenso  während 
der  Anfälle  im  Anfänge  der  Beobachtung,  später  zeigte  sich  während 
der  Anfälle  vorübergehende  Leukocytose.  Das  Fehlen  der  Leuko- 
c  y  t  o  s  e  zwischen  den  Anfällen  kann  zur  Differential¬ 
diagnose  gegenüber  eiterigen  Entzündungen  der  Gallenwege  und 
Leberabscesse  dienen,  was  in  prognostischer  und  therapeutischer 
Beziehung  wichtig  ist. 

Ein  weiterer  Punkt,  der  bei  dieser  Erkrankungsform  von 
Interesse  ist  und  für  mich  eigentlich  die  Veranlassung  gab,  mich  mit 
derselben  zu  beschäftigen,  ist  das  Verhalten  der  Harnstoff¬ 
ausscheidung  bei  derselben. 

Regnaud  hat  1872  beobachtet,  dass  an  den  Fiebertagen  die 
Harnstoffausscheidung  bedeutend  sinkt  und  diese  Thatsache,  die  Pick 
bestätigen  kann,  hat  Charcot  mit  angeführt  als  Beweis  für  die  An¬ 
schauung,  dass  die  Leber  der  Ort  der  Harnstoffbildung  ist.  Bekanntlich 
geht  die  herrschende  Anschauung  dahin,  dass  der  Harnstoff  aus 
Ammoniaksalzen  synthetisch  in  der  Leber  gebildet  wird.  Nun  hat 
Pick  beobachtet,  dass  die  Verminderung  der  Harnstoffausscheidung 
nicht  auf  einer  Störung  dieser  synthetischen  Function  der  Leber  be¬ 
ruhen  kann,  denn  in  diesem  Falle  müsste  —  ähnlich  wie  bei  der 
acuten  gelben  Leberatrophie  —  eine  Vermehrung  der  Ammoniak¬ 
ausscheidung  erfolgen,  was  Pick  nicht  finden  konnte;  im  Gegentheile, 
die  Ammoniakausscheidung  blieb  ebenfalls  vermindert. 

Da  nun  die  Inanition  und  Retention,  wie  Pick  ausführt,  als 
Ursache  der  geminderten  Harnstoffausscheidung  nicht  anzusehen  sind 
und  auch  eine  Herabsetzung  des  gesammten  Stickstoffwechsels  mit 
Rücksicht  auf  die  sonst  beim  Fieber  vorkommende  Steigerung  des¬ 
selben  unwahrscheinlich  ist,  gelangt  Pick  zu  dem  Schlüsse,  dass  eine 
verminderte  Harnstoffbildung  in  der  Leber  anzunehmen  ist  und  ferner, 
dass  dieselbe  nicht  aus  Ammoniaksalzen,  sondern  aus  anderen  Vor¬ 
stufen,  welche  durch  die  Nieren  zurückgehalten  werden,  vor  sich  geht, 
eine  Annahme,  die  auch  durch  die  Thatsache  gestützt  wird,  dass  die 
Muttersubstanzen  dieser  Schlacken  des  Stoffwechsels,  die  Eiweiss¬ 
körper,  normaler  WeLe  nicht  im  Harne  auftreten. 

Discussion:  Docent  Dr.  Münzer  bemerkt  im  Anschlüsse 
an  diesen  Vortrag,  vor  Kurzem  gleichfalls  einen  Fall  von  Febris 
hepatica  inter  mittens  von  mehrmonatlicher  Dauer  beobachtet 
zu  haben.  Die  Anfälle  kamen  anfangs  in  achttägigen  Intervallen, 
später  unregelmässig.  Nach  einer  Oelcur  blieben  sie  aus,  eine  Karls¬ 
bader  Cur  war  ohne  Einfluss. 

Das  intermittirende  Leberfieber  geht  bald  mit,  bald  ohne 
Eiterung  einher.  Bei  Eiterung  findet  sich  auch  Leukocytose.  Das  Vor¬ 
handensein  der  Leukocytose  möchte  Münzer  nicht  als  ausschlag¬ 
gebend  fiir  die  Operation  betrachten,  de  je  hänfic  eine  Eiterung  der 


intrahepatischen  Gallengänge  gefunden  werde,  wobei  der  Nutzen  eines 
operativen  Eingriffes  fraglich  sei.  Die  Bestrebungen,  Krankheiten 
durch  künstliche  Erregung  einer  Leukocytose,  also  durch  Phago- 
cytose,  heilen  zu  wollen,  müssen  verschieden  beurtheilt  werden,  je 
nachdem  es  sich  um  Krankheiten  mit  oder  ohne  Leukocytose  handelt. 
In  letzterem  Falle,  z.  B.  beim  Typhus  oder  bei  der  Tuberculose, 
erscheint  dieses  Bestreben  unlogisch,  aber  auch  in  ersterem  wenig 
aussichtsvoll,  selbst  wenn  wir  sichere  Leukocytose  hervorrufende  Mittel 
besässen,  da  die  Leukocytose,  gerade  so  wie  das  Fieber,  nur  ein 
Symptom  darstellt. 

Was  die  Frage  der  Harnstoft'bildung  in  der  Leber  betrifft,  so 
weist  Münzer  darauf  hin,  seinerzeit  bei  einer  grossen  Zahl  von 
Leberkrankheiten  den  Stickstoffwechsel  untersucht  und  keine  Ver¬ 
änderungen  im  Sinne  Schmiedeber  g’s  gefunden  zu  haben.  Die 
bei  den  Klinikern  noch  immer  in  Geltung  befindliche  Schmiede- 
berg’sche  Anschauung,  aller  oder  fast  aller  Harnstoff  entstünde  in 
der  Leber  aus  Ammoniak,  sei  unhaltbar.  Bei  einer  Reihe  von  Fällen 
fand  sich  allerdings  Vermehrung  von  Ammoniak,  aber  nur  als  Aus¬ 
druck  von  Säuerung  des  Körpers ;  denn  durch  die  Darreichung  von 
Soda  wurde  der  Ammoniaküberschuss  sofort  beseitigt. 

Minkowski  hat  sogar  bei  acuter  gelber  Leberatrophie  normale 
4- 

U-  und  NH3-Werthe  gefunden. 

Neneki  und  P  a  w  1  o  w  haben  bei  den  Experimenten  mit 
Eck’scher  Fistel  anfangs  ihren  Resultaten  zu  Gunsten  der  Schmiede¬ 
ber  g  -  S  c  h  r  ö  d  e  r’schen  Theorie  Gewalt  angethan,  jetzt  aber  sind 
diese  Autoren  Schritt  für  Schritt  von  dieser  Auffassung  zurück¬ 
gekommen. 

Bezüglich  der  Harnstoffbildung  im  Sinne  S  c  h  m  i  e  d  e  b  e  r  g’s 
stimmen  die  Angaben  des  Herrn  Vortragenden  —  meint  Münzer 
weiter  —  mit  seinen  eigenen  Resultaten  überein  und  füllen  eine 
kleine  Lücke  seines  Untersuchungsmateriales  aus.  Mit  der  Hypothese, 
die  Pick  auf  die  Verminderung  der  Harnstoffausscheidung  an  den 
Fiebertageu  aufbaut,  möchte  er  sich  nicht  eingehend  befassen.  Sie 
erscheint  ihm  unnöthig,  da  sich  diese  Verminderung  wohl  einfach  als 
Ausdruck  der  Inanition  bei  tiefer  Depression  des  Organismus  auf¬ 
fassen  lasse,  worauf  er  bei  seinen  Untersuchungen,  speciell  bei  der 
Phosphorvergiftung,  hingewiesen  habe. 

Die  Harnstoffbildung  sei  keine  specifische 
Function  der  Leber.  Die  Leber  bilde  gewiss  die 
Hauptmasse  des  Harnstoffes,  aber  nur  entsprechend 
der  Grösse  ihres  Stoffwan  dels,  die  Harnstoffbildung 
sei  wahrscheinlich  eine  allgemeine  Function  der 
Kör  per  zellen. 

Docent  Dr.  Wiener  richtet  an  den  Vortragenden  die  Anfrage, 
ob  die  Verminderung  der  Harnstoffmenge  auch  an  den  anderen  Fieber¬ 
tagen  so  deutlich  war,  wie  bei  der  ersten  Attaque,  und  fragt,  ob 
nicht  eine  nachträgliche  vermehrte  Stickstoffausscheidung  eintreten 
müsste,  auch  wenn,  wie  der  Vortragende  annimmt,  während  des 
Fiebers  Vorstufen  des  Harnstoffes  im  Körper  kreisen,  die  durch  die 
Niere  nicht  ausgeschieden  werden  können. 

Dr.  F  r  i  e  d  e  1  Pick  (Schlusswort) :  Pick  erwidert  zunächst 
Herrn  Dr.  Wiener,  dass,  wie  ja  die  Curven  zeigen,  die  Harnstoff¬ 
verminderung  nicht  immer  so  eclatant  war,  wie  an  den  Tagen  ge¬ 
häufter  Anfälle,  aber  doch  immerhin  deutlich.  Was  die  nachträgliche 
Verarbeitung  der  stickstoffhaltigen  Schlacken  des  Stoffwechsels  betrifft, 
so  könne  dieselbe  ja  nur  allmälig  in  dem  Masse,  als  sich  die  Leber 
allmälig  erholt,  erfolgen,  so  dass  eine  Steigerung  gegen  die  Norm  in 
der  Curve  nicht  zum  Ausdruck  kommt. 

Was  die  Ausführungen  des  Herrn  Dr.  Münzer  betrifft,  so  sei 
zunächst  seine  ganze  Polemik  gegen  gewisse  Versuche,  Leukocytose 
bei  Infectionskrankheiten  zu  therapeutischen  Zwecken  herbeizuführen, 
hier  ganz  belanglos,  da  sie  mit  Pick’s  Vortrage  in  gar  keiner  Be¬ 
ziehung  stehe;  dagegen  zeige  seine  Bemerkung  bezüglich  der  Leuko¬ 
cytose  bei  Eiterung  der  intrahepatischen  Gallengänge  ein  vollständiges 
Verkennen  von  Pick’s  Standpunkt;  gerade  umgekehrt,  das  Fehlen 
der  Leukocytose  scheint  Pick  den  Anhaltspunkt  dafür  zu  geben, 
dass  eine  ausgebreitete  Eiterung  und  Metastasen  auszuschliessen  und 
eine  Operation  aussichtsvoller  sein  dürfte.  Bezüglich  der  weiteren  Er¬ 
örterungen  Münzer’s  betreffs  der  Harnstoffbildung  könne  P  i  c  k  sich 
kurz  fassen,  da  dieselben  ja  eigentlich  nur  eine  Recapitulation  der 
seinerzeitigen,  auch  von  Pick  citirten  Arbeiten  Dr.  Münzer’s 
waren,  ohne  dass  derselbe  auf  die  Beobachtungen  und  Schlüsse  P  i  c  k’s 
näher  einging,  denn  Schlagworte  wie  Inanition  und  Retention  sind, 
wie  Pick  in  seinem  Vortrage  hervorhob,  hier  nicht  ausreichend. 
Pick  möchte  nur  den  Umstand  hervorheben,  dass  Dr.  Münzer 
selbst  jetzt  darüber  Klage  führte,  dass  trotz  seiner  seinerzeitigen  Ab¬ 
lehnung  der  Schmiedeber  g’schen  Theorie  von  der  Harnstoff¬ 
bildung  in  der  Leber  dieselbe  immer  noch  in  der  Literatur  als  die 
herrschende  gilt;  dies  rührt  eben  davon  her,  da^s  den  negativen  Be¬ 
funden  in  Bezug  auf  die  Harnstoffverminderung  bei  klinischen  Fällen 
keinerlei  Beweiskraft  innewohne,  wie  dies  Pick  ja  hervorgehoben.  Im 
Ge^ensntze  ?u  diesen  neffaHven  Erffehnioppn  lipfprp  Pick’«  Unter- 


1150 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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suchung  den  positiven  Refund  einer  sehr  bedeutenden  Harnstoff¬ 
verminderung  und  führe  zur  Annahme  einer  Störung  der  Leberfunction 
als  Ursache  derselben;  wie  Dr.  Münzer  bei  diesem  Gegensätze 
dazu  komme,  1’  i  c  k’s  Befunde  als  Ausfüllung  einer  kleinen  Lücke 
seiner  eigenen  Arbeiten  zu  bezeichnen,  erscheine  unverständlich. 

* 

Sitzung  vom  2.  November  1900. 

N  a  c  h  o  d  demonstrirt  einen  Fall  von  narbiger  Larynx- 
stenose  nach  Intubation  in  der  Privatpraxis. 

Um  auch  die  Stenosenbehandlnng  zu  Hause  durchführen  zu 
können,  wurde  die  Tracheotomia  inferior  gemacht,  so  dass  Tubus  und 
Trachealcanule  gleichzeitig  liegen  können  und  es  die  Umgebung  jeder¬ 
zeit  in  der  Hand  hat,  beim  Aushusten  des  Tubus  oder  sonstigen  üblen 
Zufällen  dem  Kinde  durch  Eröffnung  der  sonst  mit  einem  Pfropfe 
geschlossenen  Trachealcanule  Luft  zuzuführen. 

Docent  Dr.  Schloffer  demonstrirt  Patienten  aus  der  deutschen 
chirurgischen  Klinik,  die  er  in  der  Vertretung  Prof.  Wölfler’s  zu 
behandeln  hatte. 

1.  Eine  54jährige  Frau,  bei  welcher  eine  Combination 
von  Pylorusstenose  mit  Sanduhrmagen  Vorgelegen  hatte. 

Jahrelange  Magenbeschwerden  waren  in  den  letzten  Monaten 
wesentlich  schlimmer  geworden,  die  Kranke  magerte  erheblich  ab.  Bei 
der  Operation  fand  sich  ein  an  der  kleinen  Curvatur  und  am  Pylorus 
sitzendes  C’areinom  und  ausserdem  eine  näher  der  Cardia,  als  dem 
Pylorus  gelegene  narbige  Einschnürung  des  Magens,  die  für  zwei 
Finger  nicht  mehr  durchgängig  war.  Da  sich  die  W  ö  1  f  1  e  r-Gastro- 
anastomose  wegen  bestehender  Adhäsionen  nicht  ausführen  Hess,  führte 
Schloffer  zunächst  die  Gastroplastik  an  der  sanduhrförmigen 
Einschnürung  des  Magens  aus.  War  dadurch  die  Communication 
zwischen  Cardia-  und  Pylorusmagen  wieder  hergestellt,  so  wurde  nun 
mit  Rücksicht  auf  die  bestehende  Pylorusverengerung  die  Gastro¬ 
enterostomie  (verbunden  mit  B  r  a  u  n’s  eher  Anastomose 
zwischen  zu-  und  abführendem  Darmschenkel)  am  Pylorusmagen  an¬ 
gelegt. 

Die  Kranke  hat  seither  au  Körperfülle  wesentlich  zugenommen, 
hat  gute  Magenfunctionen  und  ist  wieder  arbeitsfähig. 

2.  46jähriger  Mann;  Sturz  über  eine  Stiege.  Quere  Durchreissung 
des  Lig.  patell.  propr.  1  cm  oberhalb  seines  Ansatzes  an  der  Tub.  tib. 
Die  Patella  war  4  cm  nach  oben  gerückt.  Zwei  Tage  nach  der  Ver¬ 
letzung  nähte  Schloffer  das  Ligament  nach  blutiger  Freilegung 
der  Rissstelle,  wobei  sich  zeigte,  dass  auch  die  angrenzenden  Kapsel- 
theile  eingerissen  waren.  Seidennähte,  keine  Drainage,  Gipsverband. 
Nach  drei  Wochen  active  und  passive  Bewegungen.  Die  Function  ist 
jetzt  (drei  Monate  nach  der  Verletzung)  tadellos;  der  Kranke  geht 
stundenlang,  kann  auch  auf  dem  verletzten  Knie  knien.  Am  Gelenke 
ist  lediglich  eine  leichte  Verbreiterung  des  Lig.  pat.  propr.  an  der 
Rissstelle  zu  fühlen. 

3.  75jährige  Frau,  bei  der  Schloffer  vor  einigen  Monaten 
die  transperitoneale  Exstirpation  der  rechten  Niere  wegen  Carcinoms 
vorgenommen  hat.  Erfolgreiche  Nierenexstirpationen  wegen  maligner 
rumoren  sind  in  diesem  hohen  Alter  gewiss  grosse  Seltenheiten. 

Dr .  Wilh.  Anton:  Studien  über  das  lymphatische 
Gewebe  in  der  Tuba  Eustachii  beim  Kinde. 

Die  Untersuchung  von  35  Fällen  (3  Föten,  6  Neugeborenen, 
10  Kindern  im  ersten  Lebensjahre  und  16  Kindern  im  Alter  von 
mehr  als  einem  Jahre  bis  zu  zehn  Jahren)  ergab  folgendes  Resultat : 

Das  lymphatische  Gewebe  in  der  Tuba  zeigt  beim  Fötus  wie 
beim  Kinde  eine  gewisse  Constanz  in  Bezug  auf  die  Menge  und 
die  Form. 

I.  Bei  Föten  fehlt  das  lymphatische  Gewebe  in  der  Tuba  noch 
regelmässig. 

Es  ist  erst  beim  Neugeborenen  in  der  Regel  vorhanden  und 
nimmt  bis  zum  Alter  von  zwei  Jahren  an  Menge  zu,  wo  es  am  Höhe¬ 
punkte  seiner  Entwicklung  steht;  von  da  an  scheint  schon  eine  Rück¬ 
bildung  einzutreten. 

II.  Der  Form  nach  tritt  das  lymphatische  Gewebe  beim  Neu¬ 
geborenen  als  zellige  Infiltration  der  in  der  Tuba  vorhandenen  Schleim¬ 
hautfalten  und  als  streifenförmige  Herde  (wahrscheinlich  Lymphgefässe) 
um  die  Tuba  auf. 

Im  Verlaufe  des  ersten  Lebensjahres  bildet  es  im  phalangealen 
Theile  der  Tuba  einen  geschlossenen,  gleichmässig  diffusen  Infiltrations¬ 
ring  um  die  Tuba,  der  sowohl  die  Falten,  wie  den  nicht  gefalteten 
Thoil  der  Schleimhaut  betrifft. 

Im  tympanalen  Theile  der  Tuba  bleibt  die  Infiltration  stets  auf 
die  Falten  beschränkt,  die  mitunter  eine  excessive  Grösse  erlangen. 

In  der  Infiltrationszone  finden  sich  zahlreiche  Verdichtungs¬ 
herde,  dagegen  nur  selten  Follikel  oder  Lymphknötchen. 

III.  Eine  Correlation  zwischen  dem  lymphatischen  Gewebe  der 
Tuba  und  der  Rachenmandel  kann  bestehen,  doch  ist  dies  nicht 
die  Regel. 

Die  Erklärung  liegt  in  der  nicht  parallel  gehenden  Entwicklung 
der  Rachenmandel  mit  der  des  lymphatischen  Gewebes  der  Tuba.  Die 


Rachenmandel  erreicht  im  Alter  von  5 — 15  Jahren  die  Höhe  ihrer 
Entwicklung  und  geht  nach  dieser  Zeit  eine  Rückbildung  ein;  das 
lymphatische  Gewebe  in  der  Tuba  erreicht  früher  seine  grösste  Mächtig¬ 
keit  (mit  zwei  Jahren)  und  bildet  sich  auch  früher  zurück. 

Es  kann  also  bei  älteren  Kindern  das  lymphatische  Gewebe  der 
Tuba  sich  schon  rückgebildet  haben,  während  die  Rachenmandel  auf 
dem  Höhepunkte  ihrer  Entwicklung  steht. 

IV.  Im  tympanalen  Theile  der  Tuba  bleibt  die  Infiltration  — 
wie  bereits  erwähnt  —  stets  auf  die  Falten  der  Schleimhaut  beschränkt. 
Diese  Schleimhautfalten  werden  beim  Neugeborenen  schon  regelmässig 
angetroffen;  durch  die  Infiltration  mit  Rundzellen  nehmen  sie  an 
Grösse  bedeutend  zu  und  erreichen  in  vereinzelten  Fällen  eine  ganz 
aussergewöhnlieh  reichliche  Entwicklung.  Sie  haben  ihren  Sitz  am 
Tubenboden  und  dem  angrenzenden  Theil  der  seitlichen  Wände  und 
erscheinen  an  Querschnitten  je  nach  ihrer  Form  schon  makroskopisch 
als  zottenartige  oder  breite,  ins  Lumen  der  Tuba  hineinragende  Vor¬ 
sprünge.  Da  der  Boden  der  Tuba  am  tympanalen  Ende  nicht  glatt, 
sondern  durch  eine  am  Tubenboden  sich  erhebende  Längsleiste  (Crista 
tubae)  und  weiter  durch  einige  kleinere  lufthaltige  Räume  ein  höckeriges 
Aussehen  darbietet,  so  stehen  auch  die  Falten  nicht  eine  neben  der 
anderen,  sondern  sind,  der  unebenen  Beschaffenheit  ihrer  Unterlage 
entsprechend,  gegeneinander  geneigt,  auch  miteinander  verwachsen  und 
bilden  dadurch  am  Tubenboden  beim  Eingänge  in  die  Paukenhöhle  ein 
förmliches  Nischen-  und  Maschenwerk. 

Die  Falten  reichen  bei  so  starker  Entwicklung  auch  über  das 
Ostium  tympanicum  hinaus  in  den  angrenzenden  Theil  der  Pauken¬ 
höhle;  doch  sind  die  Falten  in  der  Paukenhöhle  nicht  mehr  zusammen¬ 
hängend,  sondern  haben  sich  in  umschriebene,  rundliche,  über  das 
Niveau  der  Schleimhaut  hervortretende  Gebilde  aufgelöst.  Die  mikro¬ 
skopische  Untersuchung  ergibt  gleichmässig  dichte,  lymphoide  Infil¬ 
tration  mit  scharf  begrenzten,  kugeligen  Verdichturgsherden. 

Man  könnte  bei  so  starker  Entwicklung  der  Falten  diese  An¬ 
häufung  adenoiden  Gewebes  im  tympanalen  Ende  der  Tuba  beim 
Uebergange  in  die  Paukenhöhle  und  in  der  Paukenhöhle  selbst  als 
„Paukenhöhlentonsille“  bezeichnen.  (Originalarbeit  erscheint  in 
der  Zeitschrift  für  Heilkunde.)  Dr.  0.  W. 


Wissenschaftliche  Aerztegesellschaft  in  Innsbruck. 

Sitzung  vom  10.  November  1900. 

Vorsitzender  :  Hofrath  Prof.  V.  Vintscllgail. 

Schriftführer :  Docent  Dr.  Pnsselt. 

Prof.  Rille  demonstiirt  1.  eine  78jährige  Frau  mit  Pem¬ 
phigus. 

Dieselbe  befindet  sich  seit  11.  October  in  der  Klinik  und  wurde 
14  Tage  vor  dem  Sjoi  t  alsein  tri  t  te  plötzlich  auf  der  Strasse  von 
Schüttelfrost  befallen;  fast  gleichzeitig  damit  bemerkte  sie  das  Auf¬ 
treten  von  grösseren  und  kleineren  Blasen,  zuerst  an  den  Armen,  dann 
am  Rücken  und  endlich  auch  an  den  unteren  Extremitäten. 

Als  Ursache  für  ihr  Leiden  nimmt  sie  eine  Erkältung  an,  Waschen 
von  Wäsche,  wobei  sie  im  feuchten  Grase  stand;  sie  hat  zwölfmal 
geboren,  war  sonst  immer  gesund.  Gegenwärtig  ist  fast  die  ganze 
Körperoberfläche  besetzt  mit  dichtgedrängten  kreuzer-  bis  über  thaler- 
grossen,  kreisrunden  und  länglichovalen,  blassrothen  Substanzverlusten 
und  Ueberhäutungsstellen  nach  solchen,  sämmtlich  hervorgegangen  aus 
dem  Platzen  von  Blasen.  Während  der  letzten  zwei  bis  drei  Tage  neu 
aufgetretene  intacte,  theils  mit  wasserklarem  und  weissgelben  Serum 
oder  grauweiss  bis  eiterig  getrübtem  Inhalte  erfüllte  Blasen  sind  gegen¬ 
wärtig  an  Stamm  und  Extremitäten  gleichwie  am  Halse  sichtbar.  Viele  der 
letzteren  zeigen  einen  erythematüsen  Hof,  wie  namentlich  in  den  ersten 
Tagen,  speciell  an  der  Unterbauchgegend  und  der  inneren  Schenkel¬ 
fläche  der  Blasenbildung  kleinere  und  grössere  hellrothe  Erythemflecke 
in  grösserer  Zahl  vorausgingen,  Verhältnisse,  die  durch  vom  Vor¬ 
tragenden  demonstrirte  Photographien  aus  dieser  Zeit  illustrirt  werden. 
Die  Nachschübe  neuer  Efflorescenzen  sind  seither  nahezu  täglich  erfolgt, 
und  besteht  continuirlich  Temperatursteigerung  bis  zu  38'5°,  einige 
Male  selbst  39  4°.  Trotzdem  ist  der  Kräftezustand,  besonders  mit 
Rücksicht  auf  das  hohe  Alter  der  Kranken  vorläufig  ein  befriedigender, 
die  Nahrungsaufnahme  eins  gute.  Im  Munde  befinden  sich  ausser  einer 
kleinen  Erosion  an  der  Wangenschleimhaut  keine  Blasen,  ebensowenig 
an  der  Conjunctiva,  wie  am  Genitale  (seit  28  Jahren  besteht  Ulcus 
prolaps). 

Der  Blaseninhalt  reagirt  schwach  sauer,  das  Blut  führt  sehr 
zahlreiche  eosinophile  Zellen;  im  Harne  weder  Eiweiss  noch  Zucker. 

2.  Eine  57jährige  Kranke  mit  einem  in  Heilung  begriffenen, 
sehr  ausgebreiteten  Lichen  ruber  planus. 

Da  dieses  Leiden,  ebenso  wie  manche  Formen  von  Psoriasis 
vulgaris  von  Arsen  bekanntlich  in  geradezu  specifischer  Weise, 
andererseits  die  letztere  Dermatose  durch  grosse  J  o  d  k  a  1  i  u  m- 
gaben  günstig  beeinflusst,  respective  geheilt  werden  kann,  lag  es 
nahe,  die  Jodtherapie  auch  bei  Lichen  ruber  in  Verwendung  zu  ziehen, 
ein  Versuch,  der  bei  dem  hier  demonstrirten  Falle  zum  ersten  Male 
gemacht  erscheint. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Das  Leiden  besteht  bei  der  Patientin  seit  Anfangs  December  1899, 
soll  am  rechten  Fussrücken  begonnen  und  sich  von  da  allmälig  auf 
den  Unterschenkel  ausgebreitet  haben;  im  Verlaufe  von  etlichen 
Wochen  war  der  ganze  Körper  ergriffen.  Beim  Spitalseintritte,  am 
20.  August  1900,  fanden  sich  an  verschiedenen  Stellen  der  oberen 
Extremitäten,  namentlich  an  der  Beugefläche  beider  Vorderarme,  dann 
in  den  Achselhöhlen,  den  Furchen  unter  der  Hängebrust,  der  Bauch¬ 
wand,  an  Hals  und  Nacken,  um  den  Nabel  und  in  der  Nabelfurche 
vielfach  disseminirt  die  bekannten  blassroth  und  bläulichweiss  ge¬ 
färbten,  polygonalen,  wachsglänzenden,  gedellten  Knötchen,  theils 
winzig  klein  und  stecknadelkopf-  oder  lianfkomgross,  theils  durch 
Confluenz  und  peripheres  Wachsthum  grössere  dunkellivide  Plaques 
bildend.  In  der  Lumbal-  und  Kreuzbeingegend,  wo  sich  vorzüglich  in 
der  linksseitigen  Hälfte  ein  weit  über  mannskopfgrosses  Lipom  befindet, 
waren  die  Lichenefflorescenzen  ebenso  wie  im  Bereiche  der  gesammten 
Unterextremitäten  in  sehr  grosser  Zahl  vorhanden  und  zu  grösseren 
harten,  derben,  daumennagel-  und  münzengrossen,  blaurothen,  theils 
schuppenden,  theils  mit  stacheligen  Excrescenzen  versehenen,  schilder¬ 
artigen  Plaques  ausgewachsen.  Die  Kranke  erhält  seit  dem  23.  August 
Jodkali  in  5%iger  Lösung,  zuerst  zwei  Esslöffel,  dann  täglich  um 
zwei  Löffel  steigend,  bis  am  18.  October  60  Löffel  erreicht  waren. 
Zweimal,  und  zwar  am  3.  September  nach  14  Esslöffel  und  am 
15.  September  wurde  wegen  Leibschmerzen,  Diarrhöen,  Schwindel  und 
Fieber  von  39°  ausgesetzt  und  beide  Male  den  nächsten  Tag  wiederum 
mit  einem  Esslöffel  begonnen.  Vom  18.  October  an  wurde  die  tägliche 
Dosis  je  um  einen  Esslöffel  vermindert  bis  zu  einer  Tagesdosis  von 
50  Löffeln. 

Im  Ganzen  hat  die  Kranke  bis  jetzt  innerhalb  79  Tagen 
nahezu  2  hg  (1913*5  Jodkalium  genommen. 

Im  Urin  fand  sich  nie  Eiweiss,  der  Stuhl  war  meist  regelmässig, 
Anwandlungen  von  Uebelkeit,  zumal  da  die  Kranke  an  Cholelithiasis 
und  Lebervergrösserwng  leidet,  des  Oefteren  vorhanden;  auch  ist  die 
Kranke  abgemagert.  Die  Heilwirkung  in  Bezug  auf  die  Hautaft'ection 
ist  eine  eclatante.  Die  Efflorescenzen  am  Oberkörper  sind  zum  grossen 
Theile  gänzlich  geschwunden;  andere  früher  rosaroth  verfärbte,  sind 
dunkellivid  bis  schiefergrau  oder  auch  dunkelbraun  gefärbt,  fast  allent¬ 
halben  abgeflacht,  in  das  normale  Hautniveau  zurückgekehrt.  Be¬ 
sonders  rasch  ist  die  Involution  an  den  Efflorescenzenplaques  überhalb 
des  Lipoms  erfolgt,  wo  sich  jetzt  nur  noch  schmutzigbraunrothe, 
runzelig -atrophische  Fleckbildungen  finden.  Weiters  sind  namentlich 
die  schwielig  -  derben,  clavusartigen  Plaques  an  den  Unterschenkeln 
und  Fussrücken  gänzlich  abgeflacht,  weich  und  elastisch  geworden. 

Endlich  hat  auch  das  Jucken,  das  anfänglich  ein  sehr  hochgradiges 
gewesen,  sich  ganz  beträchtlich  verringert  oder  fehlt  bereits  vollständig. 

Wäre  der  in  Rede  stehende  krankheitsfall  in  gewöhnlicher 
Weise  mit  Arsen  behandelt  worden,  würde  er  gegenwärtig  nach  etwa 
80tägiger  Bebandlungsdauer  in  Bezug  auf  Heilung  und  Rückbildung 
der  Krankheitserscheinungen  sicherlich  noch  nicht  weiter  gediehen  sein. 
Es  ist  vielmehr  fraglich,  ob  die  grossen,  derben  Plaques  an  den  Unter¬ 
extremitäten  (sogenannter  Lichen  ruber  verrucosus)  sich  unter  Arsen¬ 
gebrauch  gleichfalls  involvirt  hätten,  da  ja  diese,  wie  bekannt,  selbst 
bei  sehr  langer  und  gesteigerter  Arsenmedication  nur  wenig  beeinflusst 
werden  und  meist  noch  localer  Applicationen,  wie  W  i  1  k  i  n  s  o  n-Salte, 
macetirender  Pflaster  oder  gar  der  Thermokauterisation  bedürfen. 

Freilich  ist  die  Jodkalibehandlung  kostspieliger  und  überhaupt 
viel  schwerer  durchführbar,  jedenfalls  aber  ist  durch  das  von  Rille 
unternommene  therapeutische  Experiment  nachgewiesen,  dass 
auch  der  Lichen  ruber  der  Jodkalimedication  zu¬ 
gänglich  sei.  Wünsehenswerth  wäre  ein  ähnlicher  Versuch  in 
Fällen  von  Lichen  ruber  acuminatus. 

3.  Eine  57jährige  Taglöhnerin  mit  Cornu  cutaneum. 

An  der  Falte  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten 
Hand,  welche  hiedurch  in  querer  Richtung  verkürzt  erscheint,  so  dass 
der  Daumen  dem  Zeigefinger  genähert  gehalten  wird,  befindet  sich  ein 
aus  fünf  bis  sechs,  je  1  —  2‘5  cm  hohen,  von  einer  gemeinsamen,  etwa 
markstückgrossen  Basis  sich  erhebenden,  konisch  zugespitzten,  längs¬ 
gerieften,  scharfkantigen  Säulen  bestehender,  hornartiger  Auswuchs, 
welcher  sich  zum  Theile  wie  morsches  Holz  in  dünne  Fasern  zer- 
theilen  lässt,  theils  von  mehr  derber  C'onsistenz  erscheint.  Bewegung 
und  Zerrung  des  Daumens  oder  dieser  Hornbildung  selbst  verursacht 
Schmerzempfindung. 

Sonstige  Erscheinungen  an  der  Körperhaut  fehlen,  und  begann 
das  gegenwärtige  Leiden  angeblich  erst  vor  zwei  Jahren  mit  warzen¬ 
artigen  Bildungen,  nach  deren  Ausreissen  das  Wachsthum  der  Haut¬ 
hörner  ziemlich  rasch  erfolgt  sein  soll. 

In  Folge  dessen  ist  die  Kranke  arbeitsunfähig  und  wird  die 
Entfernung  ihrer  hornigen  Auswüchse  mittelst  Excision  und  darauf¬ 
folgender  Naht  leicht  bewerkstelligt  werden  können. 

4.  Einen  45jährigen  Mann,  mit  einer,  wenigstens  in  der  deutschen 
Fachliteratur  wenig  beachteten  Form  von  Syphilis  der  Haut, 
welche  zweckmässig  als  Roseola  t  a  r  d  i  v  a  zu  bezeichnen  wäre. 

Dieses  Exanthem  ist  charakterisirt  durch  zu  grossen  Ringen  und 
Kreisen  oder  Bogenlinien  angeordnete  fleckige  Efflorescenzen,  welche 


ausschliesslich  in  einer  späteren  Epoche  des  syphilitischen  Krankhcits 
processes  auftreten,  schwerlich  vor  Ende  des  zweiten  Jahres,  ge¬ 
wöhnlich  im  dritten  bis  sechsten  Jahre  post  infectionem  und  selbst 
beträchtlich  später,  selbst  nach  10  und  20  Jahren.  Die  gewöhnliche 
Roseola  der  Secundärperiode  der  Syphilis  kann  in  zwei  chronologisch 
und  morphologisch  durchaus  verschiedene  Unterarten  geschieden 
werden.  Sie  tritt  entweder  als  erstmaliges  Exanthem  im  Anschlüsse  an 
den  Primäraffect,  demnach  in  der  achten  bis  neunten  Krankheitswoche 
auf  und  ist  dann  durch  regellos  disseminirte  oder  den  Spaltrichtungen 
der  Haut  gemäss  angeordnete  maculöse  Efflorescenzen  charakterisiit, 
oder  aber  sie  erscheint  zweitens  als  der  Ausdruck  eines  Recidivs 
frühestens  im  fünften  bis  sechsten  Krankheitsmonate,  spätestens  im 
dritten  Halbjahre  oder  nach  etwa  20  Monaten  auf  und  bildet  zu 
Gruppen  und  Kreissegmenten,  Guirlandcn,  Achterformen  u.  dgl.  sich 
vereinigende  Efflorescenzen. 

Wenn  jedoch  bei  Syphilis  zu  noch  späterer  Zeit  maculöse 
Efflorescenzen  auftreten,  was  aber  nur  sehr  selten  der  Fall  ist,  zeigen  sie 
eben  den  Typus  des  im  vorgestellten  Falle  vorhandenen  Exanthems. 
Es  finden  sich  hier,  namentlich  in  der  Gegend  des  Schultergürtels, 
dann  am  Rücken,  in  der  Kreuzbein-  und  Lumbalgegend  blassrothe, 
auf  Fingerdruck  nicht  vollständig  schwindende,  sondern  eine  rostgelbe 
Verfärbung  hinterlassende,  meist  linsengrosse,  theils  zu  Gruppen,  theils 
aber  zu  besonders  grossen  Kreislinien  und  Ovalen  von  Thaler-  und  fast 
Flachhandgrösse  zusammentretende  Flecke. 

Fournier  hat  dieses  Exanthem  1891  unter  dem  Namen 
Erytheme  ci  reine  tertiaire  in  der  Dissertation  seines 
Schülers  Br  au  man  beschreiben  lassen,  während  Unna  dasselbe 
(1888)  als  „N  e  u  r  o  s  y  p  h  i  1  i  d“  anführt.  Der  Letztere  nämlich  setzt 
dasselbe  in  Analogie  mit  den  bekannten  bei  Lepra  maculoanaesthetica 
eben  auch  in  Gestalt  grosser  Kreise  oder  landkartenartig  figurirter 
Linien  auftretenden  Exantheme,  die  er  wiederum  als  „Neuroleprid“ 
bezeichnet,  weil  sich  dabei  in  den  Efflorescenzen  im  Gegensätze  zu 
Knotenlepra  keine  Bacillen  nachweisen  lassen,  demnach  also  das 
Exanthem  wohl  auf  Veränderungen  in  den  vasomotorischen  Nerven 
zurückzuführen  sei. 

Bemerkenswerth  ist  übrigens,  dass,  wie  der  Vortragende  bis 
weilen  beobachtet  hat,  auch  diese  tertiäre  Roseola  untermischt  sein 
kann  mit  lenticulärenKnötchenefflorescenzen,  entsprechend  den  Tubercula 
cutanea,  wie  sie  in  der  Tertiärperiode  oder  an  der  Grenze  der 
Secundär-  und  Tertiärperiode  der  Syphilis  gesehen  werden  und  von 
dem  gewöhnlichen  papulösen  Syphilid  sicher  unterschieden  werden 
können.  Das  in  Rede  stehende  Exanthem  ist  durch  eine  Quecksilber- 
bahandlung,  was  Rille  im  Gegensätze  zu  Fournier  hervorheben 
muss,  gewöhnlich  nur  sehr  schwer  zu  beeinflussen ;  auch  eine  lang  fort¬ 
gesetzte  Inunctionscur  bringt  dasselbe  nicht  leicht  zum  Schwinden,  und  ist 
eine  locale  Application,  wie  das  Auflegen  grosser  grauer  Pflasterstreifen 
nothwendig,  ferner  auch  die  W  elan  de  r’sche  Methode  des  Ueber- 
streichens  mit  grauer  Salbe  sehr  zweckmässig.*)  In  Frankreich  scheint 
dieses  Syphilid  eigeuthümlicher  Weise  entschieden  häufiger  zur  Beob¬ 
achtung  zu  gelangen  wie  bei  uns  zu  Lande,  und  hält  es  der  Vor¬ 
tragende  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  dasselbe  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  durch  die  dort  übliche  chronisch-intermittirende  Behandlungs¬ 
weise,  welche  vielleicht  geeignet  ist,  das  Auftreten  von  Syphilis¬ 
erscheinungen  zeitlich  weiter  hinauszuschieben,  bedingt  werde.  In  dem 
demonstrirten  Falle  allerdings  ist  keine  specifische  Behandlung 
vorausgegangen  und  weiss  der  Kranke  überhaupt  von  früheren 
syphilitischen  Erkrankungen  nichts  anzugeben;  seine  Gattin  jedoch 
befindet  sich  mit  nicht  exulcerirten  Gummata  cutanea  der  Nasenhaut 
in  ambulanter  Behandlung  der  Klinik. 

Weiters  besteht  bei  demselben  Kranken  an  beiden  Handrücken 
und  der  Dorsalfläche  der  Finger  eine  diffuse  Röthung,  Infiltration  und 
lamellöse  Abschuppung,  Hautveränderungen,  welche  eine  gewisse 
Aehnlichkeit  mit  den  bei  Pellagra  beobachteten  haben.  Da  Patient 
aus  Oberitalien  (San  Stefano  di  Cadore  bei  Belluno)  stammt,  weiters 
in  sehr  schlechtem  Ernährungszustände  sich  befindet,  über  grosse 
Schwäche,  Schwindelgefühl  und  Parästlresien  klagt,  objectiv  sich  eine 
Herabsetzung  der  Empfindung  in  den  peripheren  Abschnitten  der 
unteren  Extremitäten,  ferner  Verdauungsbeschwerden,  Steigerung  der 
Reflexe,  Herabsetzung  der  motorischen  Kraft  sich  nachweisen  lassen, 
könnte  in  der  That  an  das  Vorhandensein  des  vielgestaltigen  Krank¬ 
heitsbildes  der  Pellagra  gedacht  werden.  Doch  ist  Patient  in  den 
letzten  Jahren  überhaupt  nicht  mehr  in  seiner  Heimat  gewesen, 
sondern  hält  sich  als  wandernder  Pfannenflicker  in  Innsbruck  und 
Umgebung  auf,  überdies  ist  wahrscheinlicher,  dass  seine  nervösen 
Störungen  einer  gewöhnlichen  Neuritis  alcoholica  entsprechen. 

Im  Anschlüsse  hieran  zeigt  noch  der  Vortragende  die  photo¬ 
graphische  Abbildung  eines  psendopellagrösen  Erythema 
solare  beider  Handrücken  bei  einem  im  Juli  d.  J.  an  der 
Klinik  in  Behandlung  gewesenen  50jährigen,  in  seinem  Kräfte-  und 
Ernährungszustände  hochgradig  herabgekommenen,  überdies  mit  tuber- 

*)  Nach  14  intramusculären  Injectionen  von  täglich  10  cm  25 
Jodipin  ist  das  Exanthem  bis  auf  vereinzelte  Pigmentreste  geschwunden. 


1152 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  49 


culöser  Lungenspitzeuinfiltration  behafteten  Taglöhner.  Hier  ist  die 
Veränderung  der  Hände  von  noch  grösserer  Aehnlichkeit  mit  der  für 
Pellagra  als  charakteristisch  angesehenen  Ilautaffection.  Trotzdem  ist 
diese  Iutoxicationskrankheit  hier  mit  Sicherheit  auszuschliessen 
gewesen,  da  der  Kranke  über  seinen  Heimatsort  Sistrans  (im  Mittel¬ 
gebirge,  eine  Stunde  südwärts  von  Innsbruck)  niemals  heraus¬ 
gekommen  ist. 

Weiters  demonstrirt  Kille  die  Photogi aphie  der  Handrücken 
einer  im  September  und  October  d.  J.  an  der  Klinik  verpflegten 
40jährigen  Taglöhnerin  aus  Salurn  (in  Südtirol  an  der  Sprachgrenze 
gelegen),  welche  von  dorther,  als  an  wirklicher  Pellagra  leidend, 
der  Spitalsbehandlung  zugewiesen  wurde.  An  beiden  Handrücken  und 
der  Dorsalfläche  der  Grundphalangen  erschien  die  Haut  theils  blass- 
röthlich  verfärbt,  theils  von  mehr  schmutziggelbbraunem  Colorit, 
verdünnt,  in  Runzeln  und  Falten  gelegt,  trocken,  pergamentartig, 
theils  oberflächlich  glänzend,  theils  in  schmutzig  w  eissen  feinen 
Schuppen  sieh  ablösend.  Die  Veränderungen  reichten  auch  drei  Quer¬ 
finger  weit  auf  die  Streckfläche  der  Vorderarme  über,  wo  sie  sich  mit 
sehr  scharfer,  bogenliniger  Grenze  von  der  gesunden  Haut  absetzten. 
Unter  einem  indifferenten  Salbenverbande  gingen  diese  Veränderungen 
bedeutend  zurück,  die  Haut  wurde  blässer,  fast  weiss,  weich  und 
elastisch,  die  Faltenbildungen  ausgeglichen. 

Im  Uebrigen  war  die  Kranke  durch  seit  mehreren  Monaten  an¬ 
haltende  Diarrhöen  hochgradig  herabgekommen,  ihre  Nahrung  hatte 
hauptsächlich  aus  Polenta  bestanden.  Der  objective  Nervenbefund  war 
negativ.  Der  Zungemiicken  durchzogen  von  meist  der  Längsachse 
parallel  verlaufenden  und  auch  radiär  gestellten  Furchen,  weiters  mit 
Epithel  Verdickungen  versehen,  ein  Zustand,  welcher  dem  Vortragenden 
von  in  den  Pellagradistricten  des  Trentino  practicirenden  Aerzten  als 
häufiger,  für  Pellagra  charakteristische r  Befund  demonstrirt  wurde,  in 
welchem  er  jedoch  auf  Grund  seiner  bisherigen  Erfahrungen  nichts 
für  diese  Krankheit  Specifisches  erblicken  kann. 

C.  Mayer  demonstrirt  zwei  Fälle  von  Syringomyelie. 

1.  21jährige  Kellnerin  zeigt  an  rechter  oberer  Extremität 
Atrophie  der  kleinen  Handmuskeln,  Empfindungsstörung  am  Vorder¬ 
arme  im  Innervationsgebiete  des  ersten  Dorsalsegmentes,  daselbst  ge¬ 
ringe  Herabsetzung  der  tactilen,  starke  Beeintiächtigung  der  thermi¬ 
schen  Sensibilität  und  leichte  Herabsetzung  der  Schmerzempfindung. 
Schmerzen  und  Parästhesien  längs  der  Innenseite  des  rechten  Vorder¬ 
armes.  Dauer  des  Leidens  ein  Jahr. 

2.  42jährige  Dienstmagd.  Die  'ersten  Erscheinungen  (Neigung 
zu  Geschwürsbildung  an  Händen)  gehen  auf  die  Kindheit  zurück.  An 
Händen  und  Fingern  Narben  nach  überstandenen  geschwürigen  Pro¬ 
cessen,  Verkrüppelung  des  Endgliedes  des  rechten  Daumens  nach 
Panaritium. 

Ausgedehnte  Störung  der  Temperaturemptindung  an  Haut  der 
rechten  oberen  und  in  geringerem  Grade  auch  der  rechten  unteren 
Extremität,  der  rechten  Rumpfhälfte,  Hals-  und  Nackengegend ;  das 
normal  empfindende  rechte  Trigeminusgebiet  hebt  sich  von  den  benach¬ 
barten  thermoanästhetischen  eervicalen  Innervationsgebieten  in  bekannter 
Grenzlinie  deutlich  ab. 

In  linker  Körperhälfte  findet  sich  Temperatursinnsstörung  im 
äusseren  Abschnitt  der  oberen  Extremität  (hauptsächlich  entsprechend 
dem  Innervationsgebiet  des  fünften  bis  siebenten  Cervicalsegmentes) 
und  an  der  Rumpfhaut;  linke  untere  Extremität  empfindet  normal. 

Schwere  Störung  für  alle  Empfindungsqualitäten  besteht  im  Inner¬ 
vationsgebiet  des  dritten  und  vierten  linken  Cervicalsegmentes. 

Von  besonderem  Interesse  ist  eine  vorgeschrittene  Atrophie  der 
linken  Zungenhälfte,  die  auf  Gliose  der  Oblongata  zu  beziehen  ist, 
ebenso  wie  eine  nur  die  Temperaturempfindung  betreffende  Sensibilitäts¬ 
störung  im  linken  Trigeminusgebiete.  Hier  entspricht  die  Anordnung 
der  thermoanästhetischen  Zone  im  Allgemeinen  den  Grundsätzen,  wie 
sie  v.  Sold  er  aufgestellt  hat;  die  thermoanästhetische  Zone  umrahmt 
die  linke  Gesichtshälfte  von  der  Stirne  (diese,  sow'ie  die  Haut  der 
Lider  ganz  einnehmend)  bis  zur  Kinngegeud  in  einem  nach  hinten 
convexen  Bogen.  In  diesem  Bereiche  besteht  eine  sehr  auffällige  Störung 
hinsichtlich  der  Unterscheidungsfähigkeit  von  Kälte  und  Wärme,  aber  eine 
nur  unbedeutende  Herabsetzung  der  tactilen  und  Schmerzempfindlichkeit. 

Abgesehen  von  der  Localisation  der  Störung,  die  ein  Ausdruck 
der  segmentalen  Anordnung  der  Empfiudungsbahnen  für  die  Antlitz¬ 
haut  im  obersten  Halsmark  und  in  der  Oblongata  ist  (v.  Sold  er), 
beansprucht  die  auch  von  Anderen  beobachtete  dissociirte  Empfindungs¬ 
störung  im  Trigeminusbereiche  ein  besonderes  Interesse,  da  uns  die 
Anatomie  keinen  Anhaltspunkt  für  die  Annahme  eines  räumlich  geson¬ 
derten  Verlaufes  der  den  einzelnen  Empfindungsqualitäten  dienenden 
l'rigemin usantheile  an  die  Hand  gibt;  es  fehlt  daher  die  Grundlage 
für  die  Augliederung  der  Erscheinung  an  die-  heute  landläufige,  wenn 
auch  nicht  unangefochtene  (Ziehe  n)  Erklärung  der  dissociirten  Em¬ 
pfindungsstörung  bei  der  Syringomyelie  im  spinalen  Innervationsgebiet. 

Prof.  Hacker  stellt  einen  Patienten  seiner  Klinik 
vor,  den  er  wegen  einer  Hypospadie  o  p  e  r  i  r  t  e.  Derselbe 


war  schon  anderwärts  operirt  worden;  es  war  die  Verwachsung  des 
Penis  mit  dem  Scrotum  durchtrennt  und  dadurch  die  starke  Abwärts¬ 
krümmung  des  Gliedes  gebessert  worden.  Dagegen  war  der  erste  Ver¬ 
such  der  Umwandlung  der  Urethralrinnen  in  ein  Rohr  misslungen,  da 
in  Folgo  einer  Erection  des  Gliedes  die  Nähte  fast  alle  durchschnitten. 
Als  er  an  die  Iunsbi  ucker  Klinik  kam,  mündete  die  Harnröhre  am 
unteren  Ende  des  wie  gespalten  aussehenden  Scrotums  etwa  fingerbreit 
ober  der  deutlichen  Rhaphe  perinei.  In  operativer  Beziehung  stand 
der  Fall  demnach  in  der  Mitte  zwischen  der  Hypo¬ 
spa  d  i  a  penis  und  der  Hypospadia  p  e  r  i  n  e  a  1  i  s. 

Das  hier  angewandte  operative  Verfahren  stützt  sich  auf  die 
Erfahrungen,  welche  v.  Hacker  bezüglich  der  Verziehbarkeit  der 
sammt  ihrem  Corp.  cavern,  frei  präparirten  Harnröhre  ursprünglich 
bei  einem  Verletzungsfalle,  dann  in  einem  in  dieser  Gesellschaft  (am 
23.  April  1898)  vorgestellten  Falle  einer  Hypospadia  gl  an  dis 
und  in  einem  ebenfalls  hier  vorgestellten  Falle  einer  traumatischen 
Urethralstrictur  nach  Rittlingsverletzung  und  Zerreissung  der  Harnröhre 
gemacht  hatte.  Im  letzteren  Falle  wurde  bekanntlich  die  Strictur  voll¬ 
kommen  beseitigt  durch  die  Resection  der  narbigen  Harn- 
röhrenpartie  und  die  circuläre  Vernähung  des  frei- 
präparirten  und  vor  gezogenen  centralen  Harn¬ 
röhrenendes  mit  dem  peripheren. 

Im  vorliegenden  Falle  wurde  zunächst  durch  einen  Längsschnitt 
nach  abwärts  die  Urethra  freigelegt  und  nun  sammt  ihrem  Corpus 
cavern,  so  weit  als  möglich  nach  hinten  zu  bis  in  die  nicht  deutlich 
charakterisirte  Bulbusgegend  freipräparirt.  Dann  wurde  von  der  Wurzel 
des  Gliedes  (Peno-Scrotalfalte)  bis  zur  bisherigen  Mündung  der  Urethra 
die  Serotalhaut  in  einer  queren  Brücke  unterminirt,  die  freipräparirte 
Urethra  darunter  nach  oben  gezogen  und  an  der  Wurzel  des  Gliedes 
in  den  Querschnitt  rings  eingenäht.  Dort,  wo  die  beiden  Scrotalhälften 
ober  und  unter  der  Querbrücke  noch  getrennt  waren,  wurden  sie  nach 
Anfrischung  in  der  Mittellinie  vereinigt.  Für  einige  Tage  wurde  ein 
Dauerkatheter  angelegt.  Es  erfolgte  Heilung  per  primam,  so  dass  die 
Urethra  jetzt  an  der  Wurzel  des  Gliedes,  also  wie  bei 
der  eigentlichen  Hypospadia  penis,  mündet. 

Im  zweitem  Act  wurde  ein  Eichelcanal  hergestellt.  An 
dei  Unterfläche  des  Gliedes  wurde  die  Haut  der  Urethralrinne  so  Um¬ 
schnitten,  dass  in  der  Gegend  des  Sulcus  coron.  ein  Querschnitt  und 
an  den  Rändern  der  Rinne  nach  abwärts  zu  jederseits  ein  Längsschnitt 
längs  des  Gliedes  nach  abwärts  geführt  wurde.  Dieser  rechtwinkelige 
Lappen  wurde  freipräparirt,  so  dass  er  nur  nach  unten  die  quere 
Brücke  behielt.  Durch  Vereinigung  der  seitlichen  Wundränder  durch 
Nähte,  welche  die  Haut  nicht  mitfassten,  wurde  der  Lappen  zu  einem 
Rohre  zusammengenäht.  An  der  Eichel  wurde  von  einem  in  der 
Gegend  der  gi  übchenartig  angedeuteten  Fossa  navicul.  geführten 
Querschnitt  aus  bis  zum  Sulc.  coron.  ein  Canal  geschnitten,  durch  den 
das  obere  Ende  des  eben  durch  die  Nähte  gebildeten  Hautrohres  leicht 
vorgezogen  und  an  der  Eichelspitze  rings  durch  Nähte  befestigt  werden 
konnte.  Auch  hier  erfolgte  Heilung  per  primam.  Es  ist  also  jetzt 
ein  über  häutete  r  Eichelcanal  gebildet,  und  die 
Mündung  der  Urethra  ist  nach  oben  bis  an  dieBasis 
des  Penis  gebracht  worden.  Es  handelt  sich  jetzt  noch  um 
den  Verschluss  der  noch  bestehenden  Zwischenrinue,  die  wohl  am 
besten  nach  der  bewährten  T  hiersc  h’schen  oder  der  Duplay- 
schen  Methode  auszuführen  sein  wird.  v.  Hacker  glaubt,  dass  durch 
die  hier  angewandten  Verfahren  zur  Vereinfachung  und  Beschleunigung 
der  Heilung  derartiger  Fälle  wesentlich  beigetragen  werden  könne.  Er 
hat  den  Fall  jetzt  schon  vorgestellt,  da  ja  das  wesentlich  Neue  an 
dem  Operationsverfahren  hier  bereits  durchgeführt  ist,  wird  sich  aber 
erlauben,  seinerzeit  noch  über  das  Endresultat  zu  berichten. 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  7.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Hofrathes  Chrobak 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Docent  Dr.  Max  Herz:  Vorläufige  M’ttheilung. 

2.  Prof.  Englisch  :  Ueber  Kleinheit  der  Vorsteherdrüse  und  die  sie 
begleitenden  Störungen  der  Harnentleerung. 

Vorträge  haben  angeineldet  die  Herren  Docent  Dr.  K.  Ullniann, 
Prof.  Kassotvitz  und  Dr.  A.  Schiff. 

Bergmeister,  Pal  tauf. 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  10.  December  1900,  7  Uhr  Abends. 

im  Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kothenthurmstrasse  21  23 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Obersteiner 
staufindenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Dr.  Rudolf  Kraus:  Die  Fortschritte  der  bacteriologist-hen  Diagnostik 
per  Infectionskrankbeiten. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  R.  Paltauf, 

Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl,  J.  v.  Wagner, 

H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenbauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


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deren  Abbestellung  nicht 
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Oie  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 
erscheint  jeden  Domiorstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross¬ 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Or.  Alexander  Fraenkel, 

IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergassei.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


XIII.  Jahrgang. 


Wien,  13.  December  19©0. 


Mr.  50. 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Aus  dem  Röutgen-Institut  im  Sanatorium  Fürth  iu 

Wien.  Lieber  die  Einwirkung  des  Röntgen-Lichtes  auf  die  Haut. 
Von  Dr.  Robert  Kienböck. 

2.  Aus  der  eisten  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien  (weiland 
Hofrath  Albert).  Erfahrungen  über  die  Localanästhesie  nach 
Schleich.  Von  Dr.  Friedrich  v.  E  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r,  Assistenten 
der  Klinik. 

3.  Ein  aseptisches  Bougie  zur  Einleitung  der  Frühgeburt.  Von  Docent 
Dr.  Ludwig  Knapp,  Assistenten  an  der  deutschen  geburts¬ 
hilflichen  Klinik  für  Aerzte  in  Prag. 

II.  Referate:  Die  Prostitution  vom  Standpunkte  der  Socialhygiene  aus 

betrachtet.  Von  Prof.  Dr.  Max  Gruber.  Die  physikalisch¬ 
diätetische  Therapie  der  Syphilis.  Von  Dr.  Ziegel  roth.  Der¬ 


matologische  Vorträge  für  Praktiker.  Von  Dr.  J  e  s  s  n  e  r.  Hand- 
buch  der  Prophylaxe  von  Nobiling-Jankau,  Abtheilung  11:  Die  Pro¬ 
phylaxe  hei  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.  Von  Dr.  Max 
Joseph.  Compendium  der  Hautkrankheiten,  einschliesslich  der 
Syphilide  und  einer  kurzen  Kosmetik.  Von  Dr.  S.  Jessner.  Die 
Syphilis  der  oberen  Luftwege  unter  besonderer  Berücksichtigung  der 
differentiellen  Diagnose  und  der  localen  Therapie.  Von  Dr-.  Anton 
L  i  e  v  e  n.  Die  Krankheiten  der  männlichen  Hainorgane.  Von 
Dr.  Martin  E  r  i  e  d  1  ä  n  d  e  r.  Ref.  F  iuge  r. 


III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Therapeutische  Notizen. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


— w;«— .n  i  n  ajEBaM  -»^-^{irflgTfrg  imrnw 

Abonnemeiits-Eliiladung. 

Mit  3.  Januar  1901  beginnt  der  XIV.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

bonne  xn.  ent 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  directer  Zusendung  ganzjährig  K  20, 
halbjährig  K  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  Braumüller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler 
Wien,  VI II/ 1 ,  Wickenburggasse  13. 


Aus  dem  Röntgen-Institut  im  Sanatorium  Fürth  in  Wien. 

Ueber  die  Einwirkung  des  Röntgen-Lichtes  auf 

die  Haut. x) 

Voa  Dr.  Robert  Kienböck. 

Hautveränderungen  nach  Untersuchungen  des  mensch¬ 
lichen  Körpers  mit  Röntgen-Licht  wurden  schon  bald  nach 
Einfüh  rung  des  neuen  Verfahrens  in  die  ärztliche  Praxis  be¬ 
obachtet,  also  schon  im  Jahre  1896;  seitdem  wiederholten  sich 
die  Beobachtungen  und  wurden  dieselben  auch  alsbald  zur 
Ausbildung  einer  werthvollen  neuen  Methode  der  Therapie 
von  Hautkrankheiten  und  Hypertrichosis,  der  sogenannten 
»Radiotherapie«,  verwerthet.  Die  Anregung  hiezu  wurde 
zunächst  durch  mehrere  Beobachtungen  von  Haarausfall  am 
Kopte  bei  diagnostischer  Durchleuchtung  desselben 
gegeben,  wobei  keine  Entzündungserseheinungen  in  Begleitung 
der  Alopecie  sichtbar  wurden. 

')  Nach  eiuem  Vorträge,  gehalten  in  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  in  Wien  am  19.  October  1900. 


(Unter  den  Fällen  dieser  Art  aus  dem  Jahre  1896  sind 
die  von  Marcuse,  Daniel  und  Delorme  zu  nennen.)  Im 
Allgemeinen  kam  aber  nicht  reiner  Haarausfall,  sondern  ober¬ 
flächliche  Dermatitis  zur  Beobachtung;  die  Entzündung 
erschien  entweder  in  chronischer  Weise  bei  Personen,  die 
sich  mit  dem  neuen  Verfahren  viel  beschäftigten  —  bei  Elektro¬ 
technikern,  Physikern  und  Aerzten  —  und  zwar  meist  als 
»Erytheme  radiographique  des  mains«,  wie  es  Richer  und 
Londe  bezeichneten,  oder  in  acuter  Weise  bei  Versuchen 
am  eigenen  Körper,  wie  sie  Thompson  an  einem  Finger 
anstellte,  und  bei  Individuen,  die  mit  Röntgen-Licht  zu 
Demonstrations-  oder  diagnostischen  Zwecken  durchleuchtet 
wurden.  Hier  traten  als  unerwartete  u  n  d  une  r 
wünschte  Nebenerscheinungen  acute,  oft  heftige 
Entzündungen  auf,  die  mit  der  Insolation  und  Ver¬ 
brennung  verglichen  werden  konnten  und  auch  die 
drei  Grade,  respective  Stadien  der  Verbrennung  aut- 
wiesen. 

Ausserdem  wurden  noch  zwei  Merkmale  der  »Röntgen- 
Dermatitis«  frühzeitig  bemerkt:  Die  acute  Entzündung  trat 
nicht  während  oder  bald  nach  einer  Exposition  auf,  sondern 
bedeutend  später,  meist  etwa  zwei  Wochen  nach  einer 
starken  Bestrahlung2),  und  auch  die  chronischen  Ver¬ 
änderungen  kamen  erst  nach  wochen-  und  monatelanger  Be¬ 
schäftigung  mit  den  Rö  n  t  ge  n  -  Strahlen  zum  Vorscheine. 

Eine  weitere  auffallende  Thatsache  war  die,  dass  die 
Beobachtungen  nur  sehr  sporadisch  gemacht  wurden ; 
bei  Weitem  nicht  alle  Fachleute  erwarben  sieh  »Röntgen- 
Hände«  und  besonders,  was  die  »Verbrennungen«  von  dia¬ 
gnostisch  durchleuchteten  Individuen  betrifft,  kamen  sie  nur 
ungemein  selten  im  Vergleiche  zur  Häufigkeit  der  l  nter- 
suckungen  vor.  Viele  Aerzte  sahen  bei  Hunderten  und  lausenden 
von  Untersuchungen  (z.  B.  Gockt)  keinen  einzigen  oder 
höchstens  einen  Fall.  Und  obwohl  man  in  diesem  einzelnen 

2)  So  z.  B.  bei  den  Fällen  der  ersten  Gruppe  in  Tabelle  I. 


1154 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


schweren  Falle  nicht  anders  als  gewöhnlich  —  wo  keine  un¬ 
liebsamen  Folgen  eintraten  —  verfahren  zu  sein  glaubte, 
wurde  man  plötzlich  von  dem  Auftreten  einer  heftigen  Ent¬ 
zündung  überrascht,  die  sich  zuweilen  zu  einer  mehrere  Monate 
andauernden  Geschwürsbildung  steigerte.  Die  bekanntesten 
unter  den  in  der  Literatur  mitgetheilten  Beobachtungen  von 
hartnäckigen  Ulcerationen  der  gesunden  Haut 
nach  Bestrahlung  mit  Röntgen-Licht  wollen  wir,  ent¬ 
sprechend  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes,  in  der  folgenden 
Tabelle  I  zusammenstellen. 

Wie  ersichtlich,  enthält  die  erste  Gruppe  die  Falle 
nach  diagnostischer  Durchleuchtung  und  Photographie  ; 
dabei  fand  nur  eine  Sitzung  statt,  bestehend  aus  einer 
Exposition  oder  mehreren  einander  unmittelbar  folgenden  Ex¬ 
positionen  (nur  im  Falle  D  e  u  t  s  c  h  1  ä  n  d  e  r’s  waren  es  zwei 
Sitzungen  an  aufeinander  folgenden  Tagen),  und  dies  genügte 
zur  Erzeugung  einer  schweren  Ulceration,  die  meist  erst  nach 
zwei  Wochen  einsetzte.  Der  Fall,  der  von  mir  in  Erfahrung 
gebracht  wurde,  betrifft  einen  kräftigen  jungen  Mann  von 
dunkler  Haarfarbe,  der  nach  photographischer  Durchleuchtung 
seines  Unterleibes  (Gesammtdauer  78  Minuten)  in  einer  Fabrik 
elektrischer  Apparate  —  ein  über  zwei  Monate  dauerndes 
Geschwür  am  Hypogastrium  davontrug  (Heilung  unter  Bildung 
einer  Narbe  mit  sichtbaren  Gefässerweiterungen). 

Hier  handelte  es  sich  also,  wie  überhaupt  meist  bei  dieser 
Gruppe,  um  die  Photographie  voluminöser,  dem  Röntgen- 
Lichte  viel  Widerstand  entgegensetzender  Körpertheile,  ein 
Umstand,  auf  den  wir  später  noch  zu  sprechen  kommen  werden. 

Als  markantes  Beispiel  der  zweiter  Gruppe,  ent¬ 
haltend  die  Fälle  mit  zahlreichen  Durchleuchtungen  zum 
Zwecke 'der  Demonstration,  stellen  wir  den  Fall  Mar¬ 
cuse’s  hin,  der  sich  ereignete,  als  eben  das  Röntgen-Ver¬ 
fahren  praktische  Verwerthung  zu  erlangen  begann,  weshalb 
der  Fall  die  allseitige  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenkte. 

Auch  der  zweiteFall  der  zweiten  Gruppe  ist  besonders 
bemerkenswert!),  indem  der  als  ungefährlich  geltende  und  all 
gemein  übliche  Vorgang,  das  Licht  einer  Röntgen-Röhre 
mittelst  Durchleuchtung  der  rechten  Hand  zu  prüfen,  bei  einem 
Fachcollegen  nicht  blos  zur  Bildung  der  so  häufigen 
»Röntgen-Hand«  mit  der  eigenthümlichen  Veränderung 
der  Haut  und  Nägel  führte,  sondern  nach  zahllosen 
Wiederholungen  des  Verfahrens  im  Laufe  von  Jahren 
sogar  die  Entstehung  eines  grossen,  tiefgreifenden  Geschwüres 
am  Handrücken  veranlasste;  dasselbe  trotzt  nun  schon 
durch  über  ein  Jahr  allen  Methoden  der  Behandlung.  Hier  hatte 
die  grosse  Anzahl  der  einzelnen,  wenn  auch  noch  so  kurzen 
Bestrahlungen  im  Laufe  von  Jahren  die  schwere  Veränderung 
herbeigeführt. 

Wenn  schon  in  Gruppe  I  der  Tabelle  (diagnostische 
Durchleuchtungen)  durchaus  nicht  alle  vorgekommenen  Fälle 
vereinigt  werden  könnten,  weil  gewiss  nicht  alle  in  der  Lite¬ 
ratur  mitgetheilt  wurden,  trifft  dies  in  erhöhtem  Masse  für  die 
dritte  Gruppe  zu;  sie  enthält  die  bei  therapeutischen 
Bestrahlungen  beobachteten  Geschwürsbildungen.  Wir  haben, 
wie  oben  bemerkt,  nur  die  Fälle  aufgenommen,  wo  gesunde 
Haut  (einschliesslich  der  Hypertrichosis)  behandelt  wurde, 
Lupus  aber  und  andere  Hautkrankheiten  ausgeschlossen. 

Diese  dritte  Gruppe  setzt  sich  also  aus  jenen  Fällen 
zusammen,  in  denen  die  Aerzte  ihre  eigenen  oder  die  fremden 
Misserfolge  bei  therapeutischen  Bestrahlungen  bekannt  geben. 
Zum  Theil  sind  die  Fälle  nicht  auf  die  Urheberschaft  von 
Aerzten,  sondern  von  Laien  zurückzuführen. 

Gewiss  ungemein  häufig  kamen  leichtere  Entzün¬ 
dungen  vor,  wo  z.  B.  die  Kinn-  und  Backengegend,  die  Streck¬ 
seite  einer  oberen  oder  unteren  Extremität  behufs  Enthaarung 
behandelt  wurde  und  eine  nur  oberflächliche  und  rasch 
verheilende  Verschorfung  oder  nur  eine  nässende,  exfolia¬ 
tive  Entzündung  erfuhr.  Auch  diese  leichteren  Fälle  sind  in 
der  Tabelle  nicht  berücksichtigt. 

Unerwartete  Hautveränderungen  können  aber  nur  ver¬ 
mieden  werden,  wenn  man  die  Ursachen  derselben  kennt. 
Einige  Autoren  beschuldigen  in  den  Fällen  von  schwerer, 
monatelang  andauernder  Geschwürsbildung  eine  I  d  i  o  s  y  n¬ 


e 

krasie  des  betroffenen  Individuums,  ander 
glaubten,  dass  die  äusseren  Umstände  der  Bestrahlung 
im  Stande  wären,  die  Erscheinungen  zu  erklären,  wenn  man 
diese  Umstände  kennen  würde.  Noch  andere  Autoren  glaubten, 
nachträglich  die  Erklärung  geben  zu  können;  diese  Erklärung 
erfolgte  aber  durchaus  nicht  in  einheitlichem  Sinne.  Am  nächsten 
lag  wohl,  die  Wirkung  der  Bestrahlung  dem  Röntgen-Lichte 
selbst  zuzuschreiben.  Dennoch  machte  sich  schon  seit  dem 
Jahre  1897  häufig  die  Auffassung  geltend,  dass  diese  so  nahe¬ 
liegende  Ansicht  zu  verlassen  sei.  Und  so  stehen  denn  heute 
noch  die  beiden  folgenden  Auffassungen  einander  schroff 
gegenüber: 

Die  Hautveränderungen  sollen  nach  der  einen  Theorie 
durch  die  von  der  Röhre  ausgehenden  R  ö  n  t  g  e  n -S  t  r  a  h  1  e  n 
erzeugt  werden,  und  nach  der  anderen  Auffassung  sollen  die 
Röntgen  Strahlen  nicht  im  Stande  sein,  Hautentzündungen 
hervorzurufen,  vielmehr  nur  die  elektrischen  Ent¬ 
ladungen  der  Röhre  auf  die  Haut.  (Manche  beschuldigen 
die  elektrischen  Wellen  in  der  Umgebung  der  Röhre  oder  das 
elektrische  Feld.) 

Auf  die  Geschichte  dieser  Theorien  wollen  wir  nicht  im 
Detail  eingehen;  doch  möchten  wir  einige  Autoren  nennen, 
die  sich  mit  der  Frage  befasst  haben:  für  die  Wirksamkeit 
der  Röntgen-Strahlen  plaidirten  Kümmel,  Rieder, 
Albers  -  Schönberg,  Cowl,  Forster,  Jutassv, 
Schiff  und  Freund,  die  Letzteren  nur  bis  1898;  sie  waren 
alle  der  Ansicht  —  und  suchten  dieselbe  auch  zum  Theile  zu 
beweisen  —  dass  Hautveränderungen  nur  dann  nach  Belichtung 
mit  einer  Röntgen-Röhre  auftreten,  wenn  dieselbe  Röntgen-Licht 
aussendet. 3 4) 

Auf  der  Gegenseite  sind  unter  Anderen:  Oudin,  Bar- 
thelemy  und  Darier,  ferner  Foveau  de  Cour¬ 
melles,  Balthazar  d,  Destot,  Schall,  Leonard, 
Tarchanoff,  Bordier  und  Salvador  aufgetreten;  ihrer 
Ansicht  neigen  auch  Gocht,  Gassmann  und  Schenkel, 
F6vrier  und  Gross  zu,  ohne  sich  aber  mit  Bestimmtheit 
äussern  zu  können;  endlich  sind  Schiff  und  Freund  dieser 
Theorie  seit  dem  Jahre  1899  beigetreten. 

Man  sieht,  wie  viele  Männer  in  der  Sache  gesprochen 
und  gearbeitet  haben  und  welch  diametrale  Gegensätze  be¬ 
stehen.  Manche  sind  sogar  im  Laufe  der  Jahre  von  der  ersten 
zur  zweiten  Partei  übergetreten. 

Von  der  Entscheidung  der  controversen  Frage  hängt  es 
sehr  ab,  mit  welchen  Röhren  man  bei  diagnostischen  Durch¬ 
leuchtungen  und  Photographien  besonders  vorsichtig  umgehen 
müsste,  um  keine  Entzündung  hervorzurufen,  und  ferner,  welche 
Röhren  zur  Erzeugung  therapeutischer  Effecte  zu  verwenden 
seien;  die  Anhänger  der  ersten  Theorie  gebrauchten  zur  Er¬ 
zeugung  von  Hautveränderungen  weiche  Tuben,  die  der 
zweiten  Theorie  harte.  Doch  kann  man  sagen,  dass  heutzutage 
die  zweite  Theorie  und  der  Gebrauch  harter,  für  die  Durch¬ 
leuchtung  unbrauchbar  gewordener  Röhren  bei  der  Behandlung 
die  herrschende  Lehre  geworden  ist  (Gocht,  Gass¬ 
mann  und  Schenkel,  Schiff  und  Freund),  die  daher 
von  einem  Anfänger,  der  sich  auf  Grund  von  Literaturstudien 
unterrichten  wollte,  befolgt  werden  würde. 

Um  diese  wichtige  Frage  endlich  zur  Lösung  zu  bringen, 
wurde  daher  in  diesem  Jahre  von  Levy-Dorn  und  Albers- 
Schönberg  in  den  »Fortschritten  auf  dem  Gebiete  der 
Röntgen-Strahlen«  eine  Sammelforschung  angeregt,  zu 
welcher  alle  beizutragen  aufgefordert  werden,  die  über  eigene 
Erfahrungen  bezüglich  der  Wirkung  der  Röntgen-Bestrahlung 
auf  die  Haut  verfügen  '). 

* 

3)  Ganz  besonders  wichtig  ist  die  eben  erst  erschienene  und  des¬ 
wegen  von  uns  nur  in  der  Fassnote  berücksichtigte  kurze  Mittheilung 
St  rater’s,  der  gleich  mir  auf  Grund  praktischer  Erfahrungen  die 
Röntgen-Strahlen  selbst  für  wirksam  erkläit  und  auch  zum  ersten 
Male  zu  weiteren  wichtigen  Schlussfolgerungen  gelangt,  die  wir  später 
würdigen  werden. 

4)  Bisher  sind  auch  schon  von  zwei  Seiten  Antworten  auf  die  in  der 
angeregten  Sammelforschung  gestellten  Fragen  eingegangen  und  mit¬ 
getheilt,  die  eine  von  Kaiser  (Wien)  und  die  andere  von  D  e  s  t  o  t 
(Lyon);  beide  leugnen  jede  Wirkung  der  Röntgen-Strahlen  auf  die  Haut. 
Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen.  1900,  Bd.  III,  Heft  6 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Tabelle  I. 

Uebersicht  über  Fälle  von  hartnäckiger  Geschwürsbildung  der  gesunden  Haut  nach  Bestrahlung  mit 

Röntgen-Licht. 


Autor 

Ursache  der 
Untersuchung 

Region  der 
Bestrahlung  und 
Geschwürsbildung 

Distanz 
zwischen 
Röhre  und 
Haut 

Gesammt- 
dauer  der 
Sitzungen 

Zahl  der 

Sitzungen 

Zahl  der  einzelnen 
Theilsitzungen  und 
Dauer  derselben 

Bemerkungen 

I.  Gruppe :  Nach  diagnostischer 

L 

Durchleuchtung  und  Photographie  (eine  einzige  Sitzung). 

Drury 

Suche  auf  Nieren- 

Abdomen 

2  St.  30  Min. 

1 

zwei  Expositionen 

steine 

von  1  St.  und 

von  1  '/j  St. 

Apostoli 

— 

Abdomen 

10 — 15  cm 

2  St.  10  Min. 

1 

zwei  Expositionen 

Heilung  unter  elektrischer  Be- 

von  40  Min.  und 

handlung. 

von  90  Min. 

Crocker 

— 

Epigastrium 

5" 

1  St. 

1 

eine  Exposition 

— 

Sorel 

— 

Epigastrium 

1  cm  (!) 

20  Min. 

1 

drei  Expositionen 

Eine  Celluloidplatte  lag  zwischen 

Haut  und  Röhre. 

Pionski 

Bestimmung  der 

Hypogastrium 

50  cm 

30  Min. 

1 

eine  Exposition 

Während  der  Vernarbung  des 

Kindeslage  bei 

Defectes  erfolgte  eine  vorüber- 

Gravidität 

gehende  Verschlimmerung. 

von  mir  in  Erfah- 

— 

Hypogastrium 

20  cm 

1  St.  18  Min. 

1 

drei  Expositionen 

Verwendung  einer  guten  Röhre. 

rung  gebrachter 

Ausführung  der  Untersuchung 

Fall 

durch  einen  Elektrotechniker. 

Bronson 

Hüftgelenkserkran- 

Inguinalgegend 

6" 

4  St.  20  Min. 

1 

fünf  Expositionen 

— 

kung 

einmal  zu  80  Min. 
und  viermal  zu  1  St. 

Hoffa 

Hüftgelenkserkran¬ 

kung 

Inguinalgegend 

30  cm 

25  Min. 

1 

eine  Exposition 

An  den  vorangegangenen  Tagen 
hatten  schon  zahlreiche  Unter- 

suchungen  stattgefunden. 

Deutschländer 

Hüftgelenkserkran- 

Inguinalgegend 

15  cm 

35  Min.  und 

2 

am  ersten  Tage 

—  ' 

kung 

17  Min. 

Expositionen  von 

15  und  20  Min., 
am  zweiten  Tage 

10,  5  und  2  Min. 

Fevrier  und  Gross 

Hüftgelenkserkran- 

Inguinalgegend 

11  cm 

über  (?)  1  St. 

1 

drei  Expositionen, 

— 

kung 

die  letzte  zu  45  Min. 

Destot 

Tuberculose 

Thorax,  rechte 
Lungenspitze 

10  cm 

30  Min. 

1 

eine  Exposition 

Harte  Röhre. 

Schmidt 

interne  Erkrankung 

Rumpf 

— 

2  St. 

1 

vier  Expositionen 

— 

von  je  30  Min. 

Destot 

Patellarfractur 

innen  am  Knie- 

30  cm 

20  Min. 

1 

eine  Exposition 

Harte  Röhre. 

gelenk 

Gassmann,  erste 
Beobachtung 

Fractur  des  Unter- 

Unterschenkel 

5  cm 

1  St.  20  Min. 

1 

vier  Expositionen 

Verwendung  einer  harten  Röhre. 

Schenkels 

zu  je  20  Min. 

Ausführung  der  Untersuchung 

durch  einen  Techniker. 

II.  Gruppe 

:  Nach  zahlreichen 

Durchleuchtungen  zum  Zwecke  der  Demonstration. 

Marcuse 

Demonstration  für 

Rücken 

1—25  cm 

(circa  5  St.) 

circa 

vier  Wochen  ein- 

Zugleich  trat  heftige  Entzün- 

Laien 

40? 

bis  zweimal  täglich 

dung  auf  der  Brust  und  an 

je  5 — 10  Min. 

einer  Gesichtshälfte  und  Haar¬ 
ausfall  an  einer  Kopfhälfte  auf. 

Einen  Fachcollegen 

Prüfung  und  De- 

Dorsum  manus 

gewöhn- 

(50—100  St.?) 

un- 

durch  drei  Jahre 

— 

betreffende  Beob- 

monstration  des 

dextrae 

lieh  20  cm 

zählige 

fast  täglich  wieder 

achtung 

Röntgen-Lichtes 

holt  einige  Secunden 
bis  Minuten 

III.  Gruppe:  Nach  zahlreichen  therapeutischen  Bestrahlungen. 

Freund 

Naevus  pilosus 

Kreuzgegend 

circa  10  cm 

42  St. 

über 

durch  mehrere 

Auch  die  Nackengegend  wurde 

40 

Monate  einstündige 
Sitzungen 

bestrahlt,  und  zwar  durch  zwölf 
Tage  je  zwei  Stunden  (zusammen 
24  Stunden),  worauf  nur  heftige 

Dermatitis  auftrat. 

Lustgarten 

— 

Abdomen 

11" 

(circa  5  St.?) 

14 

14  Tage  je  15  bis 

— 

30  Min. 

Gassmann,  zweite 

Ischias 

Oberschenkel 

— 

(circa  5  St.?) 

21 

drei  Wochen  täglich 

Ausführung  der  Bestrahlungen 

Beobachtung 

10-20  Min. 

durch  einen  Laien. 

Kaposi 

Hypertrichosis 

Dorsum  manus 

circa  10  cm 

3  St.  30  Min. 

14 

durch  eine  Woche 

— 

. 

utriusque 

täglich  zwei 
Sitzungen  von  je 

15  Min. 

1 1  ö6 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


Bevor  ich  nun  meine  eigene  Ansicht  darlege,  ist  es  noth- 
wendig,  Einiges  Uber  die  Technik  der  Bestrahlung  voraus- 
zu  schicken. 

Hiebei  kommen  folgende  Momente  in  Betracht:  1.  die 
Qualität  der  Röhre;  2.  der  Strom,  welcher  durch  die 
Röhre  gesendet  wird  (Stromstärke,  Spannung  der  Elektricität);  3.  die 
Entfernung  der  Röhre  von  der  zu  bestrahlenden  Haut;  4.  die 
Zahl  der  Unterbrechungen  des  Primärstromes,  von  welcher 
die  Zahl  der  Röntgen- Lichtschläge  abhängt;  5.  die  Zeit¬ 
dauer  der  Exposition  und  6.  die  zeitlichen  Inter¬ 
valle  zwischen  den  einzelnen  Expositionen. 

Von  allen  diesen  sechs  Punkten  werde  ich  hier  nur  den 
ersten  näher  besprechen,  in  welchem  eben  Divergenz  besteht, 
nämlich  die  Qualität  d  e  r  Röhren.  Zu  allen  anderen  Punkten, 
welche  keine  Schwierigkeit  bieten  und  deshalb  nahezu  allseitig 
gleich  beantwortet  werden,  soll  liier  nichts  weiter  bemerkt  werden. 

Die  Röntgen-Röhren  sind  evaeuirte  Glaskugeln  mit  zwei 
Fortsätzen  (Ausziehungen),  durch  welcher  die  beiden  metallenen 
Elektroden  eintreten,  der  positive  und  negative  Pol.  Durch  diese 
Röhren  schickt  man  nun  rasch  aufeinander  folgende  hochgespannte 
Ströme  (Inductionsströme)  aus  einem  R  ü  h  m  k  o  r  f  f ’sehen  In- 
ductionsapparate  (es  können  auch  derartige  Ströme  aus  einer 
Influenzmaschine  gewonnen  werden).  Durch  Vermehrung  und  Ver¬ 
minderung  des  Primärstromes  in  der  inneren  Spule  mittelst  Regulir- 
widerstandes  kann  die  Spannung  der  (durch  rasch  aufeinander 
folgende  Unterbrechungen  des  Primärstromes  in  der  inneren  Spule  zu¬ 
gleich  entstehenden)  Secundärströme  (Inductionsströme)  in  der  äusseren 
Spule  variirt  werden.  Die  Spannung  drückt  sich  an  den  zwei  Draht¬ 
enden  darin  aus,  dass  dieselben  bei  einer  geringeren  Span¬ 
nung  einander  genähert  werden  müssen,  damit  die  Vereinigung 
der  positiven  und  negativen  Elektricität  durch  die  Luft  unter 
Funkenbildung  stattfinde  (kleine  Funkenlänge),  während  der  Strom 
bei  grösserer  Spannung  eine  grössere  Strecke  der  Luft  unter 
Funkenbildung  überspringen  kann  (grosse  Funkenlänge). 

Die  beiden  Drahtenden  der  äusseren  Spule  werden  nun 
mit  einer  Röntgen-Röhre  verbunden;  je  mehr  Spannung  im 
Strom  herrscht,  desto  grössere  Luftverdünnungen  in  der  Röntgen- 
Röhre  kann  der  immerfort  neu  entstehende  Secundärstrom  behufs 
Vereinigung  der  positiven  und  negativen  Elektricität  überwinden;  dabei 
gehen  in  der  Tube  von  der  hohlspiegelförmigen  Kathode  (negativer 
Pol)  senkrecht  von  deren  Oberfläche  Kathodenslrahlen  aus;  sie  treffen 
sich  in  ihrem  Brennpunkt,  der  sich  auf  der  gegenüber  liegenden 
ebenen  Anode  (Antikathode)  aus  Platin  befindet.  Hier  werden  die 
Kathodenstrahlen  in  Röntgen-Strahlen  umgewandelt,  d.  i.  in 
Strahlen,  welche  unter  Anderem  die  merkwürdige  Eigenschaft  haben, 
die  Körper  nach  Massgabe  ihres  specifischen  Gewichtes  zu  durch¬ 
dringen,  chemische  Wirkungen  auszuüben  und  sich  vom  Focus  auf 
den  Anodenspiegel  nach  allen  Richtungen  geradlinig  auszubreiten. 
Entsprechend  der  Schnelligkeit  der  Unterbrechungen  des  Primär¬ 
stromes,  regulirbar  z.  B.  von  10 — 80  in  der  Secunde,  entstehen 
ebenso  rasch  aufeinander  folgende  »Röntgen-Lichtschläge«.  Eine 
hochevacuirte  Röhre  bedarf  zur  Bildung  von  Röntgen-Licht 
eines  Stromes  von  grösserer  Spannung,  man  nennt  sie,  weil  sie 
dem  Durchtritt  des  Stromes  einen  grösseren  Widerstand  entgegen¬ 
setzt,  harte  Röhre.  Ist  die  Spannung  nicht  gross  genug  für  den 
Grad  des  Vacuums,'  so  nimmt  der  Strom  seinen  Weg  aussen  um 
die  Röhre  herum  und  geht  für  die  Bildung  der  Röntgen- 
Strahlen  verloren. 

Nieder  evaeuirte  Röhren  setzen  dem  Strome  einen  geringeren 
Widerstand  entgegen  und  heissen  daher  weiche  Röhren. 

Es  werden  für  die  Zwecke  der  Praxis  fünf  Zustände  der 
Röntgen-Röhren  (=  Vacuumröhren)  unterschieden,  welche  den 
verschiedenen  Graden  des  Vacuums  entsprechen  und  unter  denen 
es  natürlich  alle  Uebergänge  gibt: 

1.  Die  zu  harte,  üb  er  harte  Röhre,  welche  von  dem 
Strome  mit  der  uns  zur  Verfügung  stehenden  Spannung  nicht  mehr 
durchdrungen  wird,  daher  kein  Röntgen-Licht  mehr  gibt,  sondern 
nur  elektrische  Entladungen,  welche  einer  äusseren  Ausgleichung 
der  an  den  beiden  Enden  der  Röhre  sich  ansammelnden  positiven 
und  negativen  Elektricität  entsprechen. 

2.  Die  h  a  r  t  e  R  ö  n  tg  e  n -R  ö  h  re;  diese  wandelt  wenigstens 
einen  geringen  Theil  der  verfügbaren  Elektricität  in  Röntgen- 
Strahlen  um,  nämlich  jenen  Theil  Elektricität,  welcher  durchtreten  kann. 


Diese  Röhre  gibt  ein  wenig  intensives,  dabei  aber  penetrations¬ 
fähiges  Röntgen-Licht  und  daher  von  einer  Hand  und  von 
anderen  Körpertheilen  ein  contrastloses  Schattenbild. 

3.  Die  mittel  weiche,  »gute«  Röntgen -  Röhre, 
welche  viel  Röntgen-Licht  und  von  solcher  Qualität  aussendet, 
dass  sie  die  brauchbarsten  Bilder  von  Körpertheilen  ent¬ 
wirft.  Nur  ein  ganz  geringer  Theil  der  Elektricitälen  gleicht  sich 
ausserhalb  der  Röhre  aus. 

4.  Die  weiche  Röntgen -Röhre;  diese  gibt  schon  bei 
einem  Strome  von  geringer  Spannung  Röntgen-Licht,  bei  ihr 
nimmt  kein  Theil  der  Elektricitäten  ausserhalb  den  Weg,  die 
Röhre  gibt  keine  Funken,  d.  h.  ein  guter  Leiter,  der  ihr  genähert 
wird,  erhält  keine  elektrische  Ladung;  man  kann  die  Röhre,  ohne 
einen  Funken  zu  ziehen,  mit  dem  Finger  berühren.  Diese  Röhre 
gibt  von  der  Hand  ein  ausserordentlich  contrastreiches  Bild,  hat 
aber  den  Nachtheil,  dass  ihre  Strahlen  die  Structur  der  Hand¬ 
knochen  nicht  mehr  darstellen  und  dickere  Körpertheile  überhaupt 
nicht  mehr  durchdringen  können. 

5.  Die  zu  weiche,  über  weiche  Röhre  lässt  den 
Strom  zwar  auch  leicht  passiren,  wandelt  denselben  aber  nicht 
mehr  in  Röntgen-Licht  um,  sie  gibt  keine  Röntgen-Strahlen  mehr, 
sondern  nur  violettes  Fluorescenzlicht  (G  e  i  s  s  1  e  r’sche  Röhre). 

Von  diesen  fünf  Stadien  im  Zustande  der  Vacuumröhren 
sind  nur  die  Nummern  2,  3  und  4  wirklich  Röntgen-Röhren,  die 
anderen  stellen  im  Gebrauche  keine  solchen  mehr  dar. 

Welche  Qualität  man  nun  vor  sich  habe,  sieht  man  der 
Röhre  während  der  Verwendung  sofort  an.  Die  Röhren  Nr.  1  und  2 
brauchen  einen  Strom  von  grösserer  Spannung  und  zeigen  dann 
aussen  elektrische  Entladungen  und  überspringende  Funken  und 
dabei  kein,  respective  wenig  grünes  Leuchten  des  Glases.  Die 
Röhren  Nr.  3  und  4  »gehen  schon  bei  einem  Strom  von  geringerer 
Spannung  an«,  sie  zeigen  durch  die  lebhafte  grüne  Fluorescenz 
der  einen  Glaskugelhälfte  das  Vorhandensein  von  viel  Röntgen- 
Licht  an. 

Die  nebenstehenden  Bilder  zeigen  anschaulich  den  Unter¬ 
schied  zwischen  den  fünf  Arten  der  Vacuumröhren;  die  elektrischen 
Entladungen  ausserhalb  der  Röhre  sind  durch  unregelmässige  ge¬ 
wundene  Linien  markirt  und  die  in  Folge  von  Röntgen-Strahlen 
grün  fluorescirende  Kugelhälfte  durch  Schattirung  derselben;  die 
Flecken  und  Striche  in  der  Röhre  Nr.  5  sollen  die  ausschliessliche 
Anwesenheit  von  violettem  Geissler-Licht  bezeichnen.  Neben 
Röhre  Nr.  2,  3  und  4  sind  die  entsprechenden  Schattenbilder  der 
Hand  auf  dem  Fluorescenzschirm  dargestellt. 

Nun  ist  es  aber  wichtig  zu  wissen,  dass  eine  Tube  durchaus  nicht 
in  einem  bestimmten  Evacuationszustande  verharrt,  vielmehr  verändert 
sieb  dieselbe  stets  im  Gebrauche  in  einer  gesetzmässigen  Weise. 

Was  die  bisher  fast  ausschliesslich  verwendeten  nicht 
regulirbaren  Röhren  von  verschiedener  Fabrication  betrifft, 
so  werden  sie  während  eines  minuten-  und  viertel¬ 
stundenlangen  starken  Betriebes-  all mälig  weicher, 
sie  erwärmen  sich  nämlich  dabei  sowohl  in  ihren  metallenen,  als 
auch  in  ihren  gläsernen  Bestandtheilen;  auch  die  Temperatur  und 
der  Druck  der  darin  befindlichen  Luft  steigt,  der  Widerstand  gegen 
den  Durchtritt  des  Stromes  sinkt.  Eine  zu  Beginn  harte  R ö n  tge n- 
Röhre  sendet  jetzt  mehr  Röntgen-  Strahlen  aus,  das  Penetrations¬ 
vermögen  derselben  wird  aber  geringer  und  die  Röhre  gibt  contrast- 
reichere  Bilder.  Wird  nun  die  Röhre  ausser  Gebrauch  gesetzt,  so 
kehrt  sie  nicht  nur  sehr  bald  zu  ihrem  früheren  härteren  Zustande 
zurück,  sondern  sie  geht  noch  darüber  hinaus;  so  wird  sie 
während  eines  wochen-  und  monatelangen  Ge¬ 
brauches  allmälig  härter. 

Neu  bezogene  Tuben  sind  weich,  können  aber,  wie  eben  er¬ 
wähnt,  auf  diese  Art  nach  wenigen  Wochen  so  hart  werden,  dass 
sie  gar  nicht  mehr  zur  Durchleuchtung  verwendet  werden  können. 

Wegen  dieser  Mängel  der  nicht  regulirbaren  Tuben  sind  die 
Röhren  mit  regu Urbarem  Vacuum  weitaus  vorzuziehen. 
Ich  kann  hier  nicht  auf  eine  Beschreibung  derselben  und  ihrer 
Verwendung  eingehen,  und  will  nur  hervorheben,  dass  sie  bei 
jedem  Gebrauche  in  beliebigem  Evacuationszustand  gebracht  werden 
können,  indem  man  in  das  Innere  neue  Luft  einströmen  lässt; 
während  sie  in  Thätigkeit  sind,  beharren  sie  in  ziemlich 
constantem  Zustande,  und  selbst  nach  monatelangem  Gebrauch 
büssen  sie  an  Güte  und  Verwendbarkeit  nichts  ein  (Röhren  von 


1157 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Fig.  2. 


Harte  Röhre.  Gibt  ein  helles  contrastloses 
Bild  auf  dem  Fluorescenzsehirm. 


Fi  g 


.  4. 


Weiche  Röhre.  Sie  sendet  schon  bei  niederer 
Spannung  des  Stromes  reichlich  Röntgen-Licht 
aus;  dasselbe  penetrirt  aber  zu  wenig. 


Fig.  5. 


Gibt  kein  Röntgen-Licht. 


Zu  weiche  Röhre. 


1158 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  05 


Müller  in  Hamburg,  von  Gundelach  und  von  Er  necke  in 
Berlin). 

Diese  kurzen  Bemerkungen  über  die  Arten  der  Röhren 
und  die  Schwankungen  ihres  Evacuationszustandes  waren 
nothwendig,  um  das  Verständniss  der  nachfolgenden  Aus¬ 
führungen  auch  für  den  Nichtfachmann  zu  ermöglichen. 

* 

Ich  werde  mir  nunmehr  erlauben,  mitzutheilen,  wie  ich 
zu  einer  persönlichen  Stellungnahme  in  der  controversen  Frage 
gekommen  bin  und  werde  zu  diesem  Zwecke  einige 
wichtige  Beobachtungen  aus  meiner  therapeutischen 
Praxis  anführen.  Die  daraus  sich  ergebenden  Folgerungen 
werden,  wie  ich  glaube,  die  Frage  endgiltig  zur  Entscheidung 
bringen.  Es  wird  sich  dabei  auch  zeigen,  dass  ich  von  der 
früher  allgemein  befolgten  Methode  der  therapeutischen  Be¬ 
strahlung  mit  Röntgen-Licht  abgekommen  und  zu  einer  bis 
dahin  noch  nicht  angewendeten  neuen  Methode  gelangt  bin. 

In  der  Zeit  von  Mitte  November  1899  bis  zum  17.  März 
1900  wurden  von  mir  vier  Patienten  mit  verschiedenen 
Affectionen  im  Gesicht  nach  der  üblichen  Methode 
behandelt;  sie  wurden  mit  einerund  derselben  Röntgen- 
Röh  re  (mit  einer  nicht  regulirbaren  von  der  Firma  Reininger, 
Gebbert  &  Schall)  bestrahlt,  mit  welcher  vorher  im 
October  und  November  bei  einem  anderen  Falle  (Sykosis) 
nach  37  Sitzungen  Enthaarung  erzielt  worden  war.  Die 
Sitzungen  wurden  den  vier  Patienten  nahezu  täglich  gegeben, 
und  zwar  gedachte  ich,  die  Bestrahlungen  bis  zum  Erscheinen 
einer  Reaction  zu  geben.  Die  Sitzungen  dauerten  im  All¬ 
gemeinen  10 — 15  Minuten  und  der  Abstand  des  Röntgen- 
Spiegels  von  der  Haut  betrug  15 — 25  cm.  Es  wurde  eine 
grosse  Inductionsspule  (45  cm  F unkenlänge  von  »R  e  i  n  i  n  g  e  r, 
Gebbert  &  Schall«)  verwendet  und  der  Strassenstrom 
(Gleichstrom  von  110  Volt  der  »Allgemeinen  österreichischen 
Elektricitäts-Gesellschaft«)  in  die  Primärspule  eingeleitet.  Die 
Unterbrechung  desselben  erfolgte  durch  einen  Quecksilber- 
Motorunterbrecher  (Turbinenunterbrecher  von  der  »Allge¬ 
meinen  Elektricitäts  -  Gesellschaft«  in  Berlin).  Die  Zahl 
der  Unterbrechungen  der  Primärstromes,  also  auch  die  Zahl 
der  Secundärströme  und  der  Röntgen-Lichtschläge  betrug 
circa  15 — 20  in  der  Secunde;  im  Inductionsstrome  wurde  eine 
grosse  Spannung  erzielt,  die  einer  Funkenschlagweite  von 
30  cm  und  darüber  entsprach.  An  den  erwähnten  Individuen 
erzeugte  nun  die  Bestrahlung  mit  der  schon  zu  Beginn  ziem¬ 
lich  harten  Röhre  (etwa  im  Zustande  Nr.  2)  zunächst,  wenn 
auch  nur  sehr  langsam,  Hautveränderungen ;  so  zeigte  z.  B. 
ein  Patient  (W.),  bei  dem  am  18.  December  1899  die 
36.  Sitzung  gegeben  und  dann  vorübergehend  ausgesetzt 
worden  war,  zehn  Tage  später  Haarausfall  am  Kopfe  um  den 
bestrahlten  Erkrankungsherd;  nun  wurde  bald  die  Be¬ 
strahlung  fortgesetzt,  trotzdem  aber  wuchsen 
die  Haare  schon  am  2.  März  1900  sichtlich  nach;  ferner 
machte  bei  einem  anderen  der  Patienten  (St.)  die  Hautverände¬ 
rung,  die  sich  im  December  als  theilweise  Lockerung  der 
Haare  und  Bräunung  der  Haut  gezeigt  hatte,  durch  die 
folgenden  drei  Monate  unter  fortgesetzter  Behandlung  keine 
Fortschritte  mehr.  Während  dieser  Zeit  war  die  Röhre 
a  1 1  m  ä  1  i  g  immer  härter  geworden  und  hatte  endlich 
sogar  bei  der  Verwendung  an  Patienten  nur  noch  dann  ein 
wenig  llöntgen-Licht  gegeben,  wenn,  entsprechend  der  ver¬ 
mehrten  Zuführung  von  Elektricität,  abwechselnd,  auch  Funken, 
zwischen  den  Polen  der  Tube  übersprangen  (Zustand  Nr.  1). 
Drei  Individuen  hatten  am  17.  März  1900  bereits  die  circa 
80.  Sitzung  erhalten,  so  dass  wir  schon  nahe  daran  waren, 
die  Behandlung  aufzugeben. 

Da  kam  es  nun  endlich  dazu,  dass  sich  ein  Funke  den 
Weg  durch  die  Glaswand  der  Röhre  bahnte,  wie  dies  bei  sehr 
harten  Tuben  nach  langem  Gebrauche  gewöhnlich  vorkommt 
—  die  Röhre  hatte  dort  einen  Sprung  erhalten,  sie  war 
»durchgeschlagen«  und  die  Luft  drang  sofort  in  das 
Innere  ein,  wie  man  an  einer  Funkenentladung  zwischen 
beiden  Elektroden  in  der  Kugel  erkennen  konnte. 

So  war  ich  denn  am  18.  März  1900  gezwungen,  die 
Behandlung  der  vier  Individuen  mit  einer  neuen  Röhre 


fortzusetzen,  und  zwar  verwendete  ich  jetzt  eine  sich  auto¬ 
matisch  regulirende  Röhre  aus  der  F  abrik  M  ii  Ile  r 
in  Hamburg.  Im  Ucbrigen  verführ  ich  bei  den  Bestrahlungen 
im  Wesentlichen  so,  wie  früher.  Diese  neue  regulirbare  Röhre 
sendete  gleichmässig  intensives  und  contrastreiches  Röntgen- 
Licht  aus  (Zustand  Nr.  3).  Am  18.  März  wurde  auch  noch 
ein  neuer  Patient  in  die  Behandlung  mittelst  der  neuen 
regulirbaren  Tube  genommen. 

Beiläufig  zur  gleichen  Zeit  (29.  März  bis  3.  April) 
begannen  jetzt  alle  fünf  Patienten  hochgradige 
Entzündungserscheinungen  im  bestrahlten  Gebiete 
des  Gesichtes  zu  zeigen,  meist  sogar  so  unerwartet  schnell, 
dass  am  letzten  Bestrahlungstage  (28.  März  bis  3.  April)  noch 
keine  oder  nur  ganz  geringfügige  Reizerscheinungen  sichtbar 
waren  und  am  folgenden  Tage  sich  schon  eine  derartige 
Röthung  und  Schwellung  (bei  Fall  R.  Schwarzbraunfärbung 
der  Haut)  zeigte,  dass  die  Behandlung  nicht  mehr  fortgesetzt 
werden  durfte.  Durch  ein  bis  zwei  weitere  Wochen  nahm  bei 
allen  Patienten,  ohne  dass  eine  neuerliche  Bestrahlung  erfolgt 
wäre,  die  Reaction  zu,  die  Dermatitis  nahm  einen  nässenden 
und  exfoliativen  Charakter  an,  bei  Fall  R.  trat  sogar  Ex- 
ulceration  auf.  Diese  schweren  Erscheinungen  dauerten  circa 
eine  Woche  an,  darauf  trat  ziemlich  rasch  Rückbildung  ein; 
dort,  wo  es  zur  Geschwürsbildung  gekommen  war  (Fall  R.), 
schossen  kräftige  Granulationen  auf  und  rasch  überhäutete 
sich  das  neugebildete  Gewebe.  Am  29.  März  wurde  ein  weiterer 
sechster  Patient  in  Behandlung  übernommen;  derselbe  erhielt 
sechs  Sitzungen  mit  der  guten  Röhre,  und  schon  nach  einigen 
Tagen  begann  Entzündung  aufzutreten,  die  in  der  Folge  auch 
nur  einen  massigen  Grad  erreichte  und  bald  wieder  verschwand. 

Die  nachfolgende  Tabelle  II  gibt  die  genauen  Daten 
über  die  erwähnten  sechs  Fälle;  insbesondere  ist  darin  auch 
die  Qualität  und  der  zeitliche  Verlauf  der  Dermatitis  mit- 
getheilt. 

Obwohl  ich  also  nach  der  herrschenden  Methode 
beim  Uebergang  von  der  Anwendung  der  harten  zur  guten 
Röhre  die  Bestrahlungen  sorglos  fortsetzte,  bis  die  ersten 
Zeichen  von  Reaction  sichtbar  wurden  und  ich  dabei  ver- 
muthen  musste,  dass  ich  jetzt  noch  länger  auf  einen  Erfolg 
zu  warten  hätte,  war  gerade  das  Entgegengesetzte  der 
Voraussetzung  eingetreten:  Wie  mit  einem  Schlage 
traten  circa  zwei  Wochen  nach  Beginn  der  Ver¬ 
wendung  der  guten  Röhre  schwere  Erscheinungen 
von  Hautentzündungen  bei  allen  Individuen 
auf.  Daraus  war  mit  vollkommener  Bestimmtheit  zu  ersehen, 
dass  —  entgegen  der  verbreiteten  Meinung  —  die  »sehr 
harte«  Rohre  (welche  starke  elektrische  Entladungen  und  nur 
ganz  wenige,  aber  stark  penetrirende  Röntgen- Strahlen  aus¬ 
sendet  —  Zustand  Nr.  2  und  1),  fast  ganz  unwirksam  ist, 
hingegen  die  neue,  genügend  weiche  Tube  (welche  entsprechend 
der  Selbstregulirung,  trotz  der  starken  Inanspruchnahme,  sich 
in  gleich  gutem  Zustande  erhält,  nämlich  stets  gutes  Röntgen- 
Licht  bildet,  wobei  fast  keine  Elektricität  durch  elektrische 
Entladung  ausserhalb  der  Röhre  verloren  geht  —  Zustand  Nr.  3), 
in  eminentem  Grade  wirksam  ist. 

Es  zeigte  sich,  dass  fast  unabhängig  von 
dem  Umstande,  ob  das  Individuum  früher  37  bis 
83  Expositionen  mit  der  harten  Röhre  oder  gar 
keine  solchen  erhalten  hatte,  nun  die  regulir¬ 
bare  Röhre  die  erwähnten,  schweren  Erschei¬ 
nungen  hervorbrachte.  5) 

Die  alte  Methode,  so  lange  zu  warten,  bis  man  den  Be¬ 
ginn  der  Reaction  sieht,  ist  also  zweifellos  schlecht  und  ge¬ 
fährlich,  wenn  man  das  wirksame  Agens  bei  der  Bestrahlung 
nicht  kennt  und  berücksichtigen  kann. 

* 

Ich  möchte  daher  noch  einige  Experimente  erwähnen, 
welche  beweisen  sollen,  dass  das  Röntgen- Licht  die  wirksame 
Kraft  ist,  und  zwar  zunächst  Versuche  anführen,  welche 

5)  Es  kann  daher  durchaus  nicht  etwa  ein  zufälliges  Zusammen¬ 
treffen  des  Röhrenwechsels  mit  der  heftigen  Reaction  —  bei  allen 
Individuen  —  angenommen  werden,  wie  Schiff  in  der  Discussion  zu 
meinem  Vortrage  vermuthet.  Diese  Zeitschrift  (siehe  pag..  1053). 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1159 


Tabelle  II. 


Eigene  ungünstige  Erfahrungen  mit  der  alten  Methode  der  Bestrahlung. 


Individuum,  Alter, 
Geschlecht  desselben 
Affection,  Localisation, 
Dauer  des  Bestandes 

dOjähriger  Mann, 
W. 

Lupus  der  linken 
Wangeugegend  seit 
23  Jahren,  wieder¬ 
holt  operirt,  in  der 
Mitte  vernarbt 

19jähriger  Bursche, 
R. 

Lupus  erythemat. 
seit  1 V2  Jahren  im 
Gesicht:  an  Wangen, 
Ohren,  Nase  und 
Lippen 

25jährige  Frau,  St. 

Schwarzer  Bart¬ 
wuchs  um  den 
Mund  und  das  Kinn 

I3jähriges  Mädchen, 
B. 

Lupus  der  linken 
Wange,  Nase  und 
Oberlippe,  seit  acht 
Jahren  wiederholt 
operirt 

55jähriger  Mann, 
H. 

Sykosis  und 
Ekzem  der  Ober¬ 
lippe  seit  18  Jahren 

37jähriger  Mann, 
K. 

Sykosis  und 
Ekzem  der 
Oberlippe  seit 
drei  Jahren 

Behandlung  mit  der 
harten  bis  ganz 
harten  Röhre  (bei 
Entfernung  des  Focus 

15 — 20  cm  und  Dauer 
einer  Sitzung  10  — 15 
Minuten),  Zeit  der 
Behandlung 

Zahl  der  Sitzungen  (bis 

13.  November  1899 
bis  17.  März  1900 

22.  November  1899 
bis  17  März  1900 

(beiderseits  exponirt). 

17.  November  1899 
bis  17.  März  1900 

(beiderseits  exponirt) 

14.  Januar  1900  bis 
17.  März  1900 

17.  März  1900) 

88 

82 

78 

37 

— 

— 

Wirkung  zu  Beginn 
befriedigend,  wenn  auch 
nur  gering,  von  Mitte 
December  an  aber 

keine 

keine 

keine 

keine 

Behandlung  mit  der 

18.  März  bis 

18.  März  bis 

18.  März  bis 

18.  März  bis 

18.  März  bis 

29.  März  bis 

weichenbismittel- 
weichen  Röhre 

(bei  gleichen  Neben¬ 
umständen,  wie  vorhin), 
Zeit  der  Behandlung 

28.  März  1900 

30.  März  1900. 

2.  April  1900 

2.  April  1900 

3.  April  1900 

3.  April  1900 

Zahl  der  Sitzungen  (vom 

(circa  jeden  zweiten 

(täglich  eine  Sitzung). 

(circa  jeden  zweiten 

(circa  jeden  zweiten 

(täglich  eine  Sitzung). 

(täglich  eine 

18.  März  1900  a  n) 

Tag  eine  Sitzung)  7 

13 

Tag  eine  Sitzung)  7 

Tag  eine  Sitzung)  8 

16 

Sitzung)  6 

Entzündung  im  bestrahlten 

29.  März.  Röthung 

31.  März.  Haut 

3,  April.  Röthung 

3.  April.  Röthung 

31.  März.  Einige 

8.  April.  Röthung 

Gebiete  des  Gesichtes, 
Beginn  der  Eutzündung 

des  Herdes  und  Ver¬ 
eiterung  einzelner 
Knötchen 

trocken  und  dunkel¬ 
braun,  Lippen- 
Schleimhaut  mit 
weissen  Plaques 
bedeckt,  Conjunc- 
tiven  injicirt 

und  Schwellung, 
Braunfärbung 

und  Schwellung 
des  Herdes 

neue  Pusteln. 

4.  April.  Haar¬ 
lockerung 

und  Schwellung 

Höhepunkt  der  Entzün- 

5.  April.  Der  Lupus- 

8.  April.  Haut  ex- 

9.  April.  Blasen- 

5.  April.  Voll- 

14.  April.  Bedeutende 

18.  April.  Lippen 

dung 

herd  ist  in  eine 
excoriirte,  stark 
eiternde  Fläche 
verwandelt 

ulcerirt,  Lippenroth 
excoriirt,  Lider 
ödematös 

(niemals  Schmerzen) 

bildung,  sehr  heftige 
Schmerzen,  Lippen 
belegt,  leicht 
blutend 

ständige  Excoriation 
und  starke  eiterige 
Secretion 

Schwellung  und 
Blasenbildung  mit 
Exfoliation  der  Haut, 
sehr  heftige 
Schmerzen,  Haar 
ganz  ausgefallen 

belegt  und 
blutend,  Gefühl 
von  Brennen 

Rückgang  der  Entzündung 

13.  April.  Beginn 
der  Ueberhäutung 
(Haarausfall  in  der 
Umgebung  um  das 
Ohr) 

12.  April.  Beginn 
von  Ueberhäutung 
und  gesunden  Granu¬ 
lationen  (Haaraus¬ 
fall  um  die  Ohren) 

15.  April.  Rückgang 
der  Entzündung, 
Haarausfall 

12.  April.  Be¬ 
ginnende  Ueber¬ 
häutung,  geringe 
Secretion 

21.  April.  Geringes 
Nässen,  keine 
Schmerzen  mehr 

21.  April.  Rück¬ 
gang  der  Ent¬ 
zündung 

Ausgang  der  Entzündung 

23.  April.  Ueber¬ 
häutung  weit  vor¬ 
geschritten 

20.  Mai.  Voll¬ 
kommene  Ueber¬ 
häutung,  Knötchen 
fast  durchwegs  ge¬ 
schwunden 

18.  April.  Voll¬ 
kommene  Ueber¬ 
häutung  der  früher 
gesunden  Haut. 
Ende  April.  Auch 
die  Herde  über¬ 
häutet 

22.  April.  Haut 
kahl,  sonst  fast 
normal,  etwas 
pigmentirt 

23.  April.  Grössten- 
theils  überhäutet 
13.  Mai.  Ganz 
überhäutet 

Anfangs  Mai.  Ent¬ 
zündung  fast  ganz 
zurückgegangen. 
Kein  Bartwuchs, 
keine  Sykosis 

25.  April.  Eut¬ 
zündung,  Sykosis 
und  Bartwuchs 
geschwunden 

Dauer  derselben  durch 
Tage 

53 

31 

20 

40 

31 

18 

Weiterer  Verlauf  der 

15.  Juli.  Keine 

2.  Juli.  Unregel- 

21.  Mai.  Kaum 

20.  Juli.  Lupus 

Anfangs  Juni.  Be- 

Mitte  Mai.  Be- 

Affection  (bis  October 

weitere  Veränderung. 

mässige  Narben. 

pigmentirt. 

nicht  geschwunden, 

ginnendes  Nach- 

ginnender  Haar- 

1900) 

Bedeutende  dauernde 
Besserung  gegen¬ 
über  dem  Zustand 
vor  der  Behandlung. 

Lupus  erythematosus 
heftig  recidivirt. 

11.  Juni.  Beginnen¬ 
der  Nachwuchs. 
Später  wiederholte, 
aber  schwächer 
werdende  Behaarung 

jedoch  gebessert. 

wachsen  der  Haare, 
keine  Sykosis  durch 
eine  weitere  mehr¬ 
monatliche  Beob¬ 
achtung  ;  [der  Bart 
wächst  in  der  Mitte 
der  Oberlippe  und 
des  Kinnes  nicht 
mehr  nach. 

wuchs. 

Anfangs  Juli. 
Recidive  der 
Sykosis. 

zeigen,  dass  die  harte  Tube  regelmässig  weniger  auf 
die  Haut  wirkt,  als  die  weiche,  und  dass  eine  Tube 
umso  rascher  wirkt,  je  mehr  und  —  in  gewissen  Grenzen  — 
je  contras treicheres  Röntgen  Licht  sie  aussendet. 

So  bestrahlte  ich  April  1900  bei  einem  wegen  Favus 
am  ganzen  Kopfe  zu  epilirenden  Mädchen  die  rechte  Kopf¬ 


seite  mit  der  erprobten  guten  Röhre  (Zustand  Nr.  3)  in  drei 
Sitzungen,  und  unter  denselben  Umständen  in  drei  Sitzungen 
die  linke  Kopfseite  mit  einer  Röhre,  welche  kaum  weniger 
Röntgen-Licht  aussendete,  aber  solches  von  beträchtlich  grösserem 
Penetrationsvermögen  (Zustand  zwischen  3  und  2).  Nach  Ab¬ 
lauf  von  circa  zwei  Wochen  begannen  nun  sämmtliche  Haare 


1160 


wiener  klinische  Wochenschrift,  iooo. 


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auf  der  rechten  Kopfseite  auszufallen,  während  auf  der  linken 
»Seite  etwas  später  ein  recht  unvollständiges  Effluvium  statt¬ 
fand.  6) 

Ferner  bestrahlte  ich  mehrere  Kaninchen  auf  der  einen 
Flanke  mit  einer  ganz  harten  Tube  (Zustand  Nr.  1),  die  fast 
keine  Röntgen-Strahlen  gab.  dafür  aber  summende  elektrische 
Entladungen  aussendete,  wobei  die  Thiere  wiederholt  Funken 
bekamen  und  sich  die  Haare  des  Felles  aufrichteten;  und  auf 
der  anderen  Seite  mit  einer  mittelweichen,  sehr  guten  Röhre 
(Zustand  Nr.  3)  unter  sonst  gleichen  Umständen.  Bei  allen 
Thieren  entsprach  nun  der  Erfolg  meinen  Erwartungen,  indem 
die  harte  Röhre  keinen  Haarausfall  bewirkte,  die  weichere 
dagegen  Röntgen-Dermatitis  mit  ausgebreiteter  vollständiger 
Alopecie  erzeugte  (Demonstration).  ") 

Nach  diesen  Versuchen  war  gar  nicht  mehr  daran  zu 
zweifeln,  dass  die  Wirkung  nach  Mass  gäbe  der 
Menge  des  auf  die  Haut  auftreffenden  Röntgen- 
Lichtes  sich  einstellte,  wobei  sich  ferner  noch  die  Qualität 
der  Röntgen-Strahlen,  ihr  Penetrationsvermögen  geltend 
machte.  Die  Wirkung  auf  die  Haut  entsprach  offenbar 
n ahezu  der  Wirkung  auf  den  Fluorescenzschirm 
und  die  photographische  Platte.  Eine  weiche  Tube, 
welche  nicht  stark  penetrationsfähige  Röntgen-Strahlen  aus¬ 
sendet  (Zustand  Nr.  3  und  2),  bringt  den  Fluorescenzschirm, 
wenn  kein  Körper  vorgehalten  wird,  leicht  zum  hellen  Auf¬ 
leuchten  und  schwärzt  die  photographische  Platte  nach  kurzer 
Zeit  intensiv,  und  diese  Strahlen  bewirken  auch  rasch  Effecte 
auf  der  Haut.  Eine  harte  Röhre  aber  mit  weniger,  dagegen 
stark  penetrirenden  Strahlen  (Zustand  Nr.  2)  bringt  den 
Schirm  in  geringerem  Grade  zum  Aufleuchten  und  schwärzt 
die  photographische  Platte  nur  langsam.  Diese  Strahlen  bringen 
auch  auf  der  Haut  eine  geringere  Wirkung  hervor.  Es  besteht 
also  ein  Parallelismus  zwischen  der  Wirkung  auf  die 
Haut  und  der  auf  die  photographische  Platte.  Da  es  sich  nun 
bei  der  photographischen  Platte  um  chemische  Verände¬ 
rungen  handelt,  so  kann  auch  als  höchst  wahrscheinlich  an¬ 
genommen  werden,  dass  die  Dermatitis  nach  Röntgen -Licht- 
bestraldung  ihren  Grund  in  chemischen  Verände¬ 
rungen  des  Gewebes  hat.  Zu  dieser  gleichen  Ansicht  sind 
auch  mehrere  Autoren  aus  anderen  Gründen  geführt  worden. 
Ich  will  hier  nur  erwähnen,  dass  die  der  Röntgen-Lichtwirkung 
so  ähnliche  Insolation,  die  eigenthiimliehe  Dermatitis  durch 
Sonnenlicht,  der  Gletscherbrand,  die  Hautveränderung  unter 
Finsen’scher  Beleuchtung  als  die  Wirkungen  chemischer 
Strahlen  erkannt  wurden. 

Um  nun  weitere  Beweise  dafür  beizubringen,  dass  die 
Röntgen  Strahlen  das  wirksame  Agens  bei  der  in  Verwendung 
stehenden  Röntgen-Tube  sind,  möchte  ich  auf  Versuche  hin- 
weisen,  welche  darthun,  dass  die  auf  die  Haut  ein¬ 
wirkenden  Kräfte  von  demselben  Punkte  der 
Röhre  geradlinig  nach  allen  Richtungen  aus- 

'*)  Im  August  d.  J.  liess  Strster  aus  Immelman  n’s  Institut 
in  Berlin  eine  kleine  Mittheilung  erscheinen,  die  betitelt  ist:  »Welche 
Rolle  spielen  die  Röhren  bei  der  therapeutischen  Verwendung  der  Röntgen- 
Strahlen?«  E*  ist  dies  eine  Frage,  auf  welche  in  allen  bisherigen  Ar¬ 
beiten  nicht  gebührende  Rücksicht  genommen  wurde.  Er  kommt  auf  Grund 
analoger  Erfahrungen  und  —  dem  obigen  Experimente  —  ähnlicher  Ver¬ 
suche  zu  demselben  Resultate,  wie  ich,  nämlich,  »dass  die  weichen  Röhren 
wirken,  die  harten  aber  nur  sehr  wenig.«  Er  bestrahlte  nämlich:  1.  Lupus¬ 
fälle  abwechselnd  mit  weichen  und  harten  Tuben;  wenn  er  mit  einer 
weichen  Röhre  Entzündung  hervorgerufen  hatte  und  die  Behandlung  mit 
einer  harten  Tube  fortsetzte,  ging  dennoch  die  Entzündung  wieder  zurück: 
sie  kehrte  wieder,  wenn  er  abermals  eine  weiche  Röhre  nahm.  2.  Bei  Be¬ 
strahlung  eines  gesunden  Oberarmes  mit  der  weichen  Röhre  trat  Reaction 
auf,  während  die  Bestrahlung  des  zweiten  Oberarmes  mit  einer  harten 
Röhre  ohne  Erfolg  war.  8.  An  einem  Falle  von  ausgebreiteter  Psoriasis  sah 
S  t  r  ä  t  e  r  auf  jener  Körperseite  schnelle  Wirkung  eintreten,  welche  er  mit 
einer  weichen  Röhre  behandelte;  auf  der  gegenüberliegenden  Körperseite 
aber,  wo  er  eine  harte  Tuba  verwendete,  nicht. 

Diese  werthvolle  Publication  wurde,  wie  aus  dem  Datum  ersichtlich 
ist,  einerseits  erst  nachdem  ich  meine  Beobachtungen  und  Versuche  an¬ 
gestellt  hatte,  veröffentlicht,  andererseits  aber  vor  meinem  Vortrage. 
Unsere  Uebereinstimmung  darf  nicht  auffallen,  in  Zukunft  werden  ja,  wie 
ich  überzeugt  bin,  alle  Erfahrungen  und  Experimente  unsere  Befunde  be¬ 
stätigen. 

j  Genauere  Daten  über  einige  der  Thierversuche  sind  in  einer  Mit¬ 
theilung  gegeben,  die  etwa  gleichzeitig  in  der  Wiener  medicinischen  Presse 
erscheint  (mit  Abbildungen). 


g  e  h  e  n  wie  die  Röntgen-Strahlen,  nämlich  vom  Focus. 
Es  ist  sogar  eine  ganz  unzweifelhafte,  alltäglich  constativte 
Thatsache,  dass  auf  einer  Hautfläche  die  Veränderungen  dort 
am  stärksten  auftreten,  wo  die  Distanz  von  dem  Focus  am 
geringsten  ist.  Eine  flache  Hautpartie  zeigt  dementsprechend 
einen  scheibenförmigen  Entzündungsherd,  dessen 
Mittelpunkt  auch  der  Fusspunkt  der  von  dem  Focus  gefällten 
Senkrechten  ist.  Alle  jene  Punkte,  welche  von  diesem  Fuss- 
punkte  weiter  peripheriewärts  gelegen  sind,  sind  auch  weiter 
von  dem  Focus  der  Röhre  entfernt  und  erhalten  dem 
entsprechend  weniger  und  schwächere  Röntgen- Strahlen.  Denn 
je  weiter  der  Weg  ist,  den  die  Röntgen-Strahlen  zurückzulegen 
haben,  desto  mehr  ist  ihre  Kraft  abgeschwächt,  wozu  noch 
kommt,  dass  die  Strahlen  in  der  Peripherie  auch  schräger 
auffallen.  Dem  eben  Ausgeführten  entspricht  auch  die  Ilaut- 
veränderung  der  Versuchsthiere.  So  sehen  wir 
beim  Kaninchen  mehrere  Wochen  nach  einigen  kräftigen  Be¬ 
strahlungen  einer  Flanke  eine  grössere,  etwa  kreisförmige 
Scheibe  mit  concent  rischen  Ringen  entstehen 
(Demonstration).  8)  Der  innerste  Kreis  zeigt  Exulceration,  der 
angrenzende  Ring  »Nässen«  und  der  äusserste  breite  Ring 
lediglich  Haarausfall,  und  weiter  aussen  Avird  die  Behaarung 
allmälig  wieder  normal.  Die  Grenzen  zwischen  den  einzelnen 
Ringen  sind  keine  scharfen.  Ferner  ist  hervorzuheben,  dass 
der  Kreis  ein  umso  grösserer  ist,  je  weiter  die  Röhre  von  der 
bestrahlten  Haut  entfernt  ist.  Selbstverständlich  musste  die 
Haut  bei  grösserer  Entfernung  von  der  Tube  länger  be¬ 
strahlt  werden,  um  ähnliche  Effecte  zu  erzielen.  Bei  gewölbten 
Partien,  insbesondere  bei  nahe  gestellter  Röhre,  fällt  natur- 
gemäss  die  Wirkung  vom  Scheitel  der  bestrahlten  Partie  zu 
den  Anhängen  rascher  ab  und  wird  begrenzt  durch  die 
tangential  auffallenden  Strahlen.  Weiters  konnte,  was  den 
V  e  r  1  a  u  f  betrifft,  noch  beobachtet  werden,  dass  der  Ent¬ 
zündungsherd  am  Fuss  punkte  der  Senkrechten  be¬ 
ginnt  und  erst  im  Laufe  von  mehreren  Tagen  und  Wochen 
die  beschriebene  Ausdehnung  und  Beschaffenheit  der  Ver¬ 
änderungen  erreicht.  Besonders  spät  erscheint  die  Affection  an 
abhängenden  Partien.  Daraus  lässt  sich  die  Regel  ableiten, 
dass  die  Hautveränderung  umso  später  erscheint  (dass  die  In- 
cubationszeit  umso  länger  ist),  je  geringer  die  Bestrahlung 
war.  Die  Schwere  der  Hautveränderung  und  die  Raschheit 
derselben  entspricht  also  der  Menge  und  Qualität  des  auf  die 
Haut  auffallenden  Röntgen-Lichtes.  Daraus  ersieht  man  auch, 
dass  es  nicht  etwa  folgende  zwei  Arten  von  Röhren  gibt:  auf 
die  Haut  günstig  wirkende  (epilirende)  und  ungünstig  wirkende 
(Entzündung  und  Ulceration  erregende).  Es  handelt  sich  viel¬ 
mehr  um  die  verschiedenen  Stufen  einer  und  derselben  Haut- 
affection.  Was  die  Dauer  der  Veränderungen  betrifft,  so  gilt 
die  Regel,  dass  sich  die  Haut  umso  rascher  erholt,  je  geringer 
die  Wirkung  ist;  der  Nachwuchs  der  Haare  beginnt 
beim  Kaninchen  an  der  Peripherie  und  an  den  ab¬ 
schüssigen  Theilen  des  kahlen  Herdes  und  schreitet 
gegen  das  Centrum  fort.  Mit  diesen  Beobachtungen  stimmen 
auch  die  zahlreichen  Erfahrungen  am  Menschen  voll¬ 
kommen  überein.  Ferner  habe  ich  auch  andere  Versuche  an¬ 
gestellt,  welche  zeigen,  dass  die  wirkende  Kraft  vom 
Focus  ausgeht  und  dass  sich  die  Wirkung  genau  auf 
die  vom  Röntgen-Lichte  getroffenen  Partien 
beschränkt.  Es  wurde  an  einer  Versuchsperson  eine  Haut¬ 
partie  des  Vorderarmes  an  zwei  aufeinander  folgenden  Tagen 
durch  je  eine  halbe  Stunde  mit  gut  leuchtender  Tube  bei  einer 
Entfernung  des  Spiegels  15  m  bestrahlt  und  dabei  eine 
grössere  Bleiplatte  mit  einem  kreisförmigen  Ausschnitte  (Durch¬ 
messer  5  cm)  zwischen  Röhre  und  Haut  in  beträchtlicher  Ent¬ 
fernung  von  der  Hautoberfläche  angebracht,  und  bei  einem 
zweiten  Versuche  —  statt  der  grösseren  durchlochten  Blei¬ 
platte  —  ein  kleines  massives,  quadratisches  Bleiplättchen 
(von  2  cm  Seitenlänge)  verwendet.  Da  zeigte  sich  nun  beim 
ersten  Versuche  nach  Ablauf  mehrerer  Wochen  die  Dermatitis 
in  einem  kreisförmigen  Herd  unter  dem  Loch  —  und  beim 
zweiten  Versuche  ein  ausgebreiteter  dermatitischer  Herd,  in 
dessen  Mitte  ein  Viereck  unter  dem  Bleiplättchen  verschont 

8)  Näheres  siebe:  Wiener  medicinische  Presse.  December  1900. 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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geblieben  war;  bei  beiden  Versuchen  waren  die  Figuren  ent¬ 
sprechend  der  von  einem  einzigen  nahen  Punkte  aus  auf  die 
Hautoberfläche  geworfenen  Projection  (»centrale«  Projection) 
vergrössert,  sowie  es  die  geometrische  Rechnung  hatte  voraus¬ 
setzen  lassen  (Demonstration  der  Versuchsperson).  Diese  Figuren 
beweisen,  dass  die  wirkende  Kraft  von  demselben  Centrum 
geradlinig  nach  allen  Richtungen  ausgeht,  wie  das  Röntgen- 
Licht  ausstrahlt;  die  Figuren  könnten  auch  mit  ihren  scharten 
Grenzen  auf  der  Haut  nicht  entstehen,  wenn  die  elektrischen  Ent¬ 
ladungen  der  Röhre  das  wirksame  Agens  wären;  denn  die  elektri¬ 
schen  Entladungen  gehen  nicht  nur  von  einem  Punkte  aus,  sondern 
von  der  ganzen  Röhrenobei  fläche, sowie  von  den  Zuleitungsdrähten 
nach  allen  Richtungen  und  können  daher  durch  undurch¬ 
lässige  Gegenstände,  die  von  der  Haut  eine  beträchtliche 
Strecke  entfernt  sind,  nicht  in  scharfen  Contouren  abgeblendet 
werden. 

Mit  diesem  Resultate  stimmt  auch  die  von  mir  nach¬ 
geprüfte  Thatsache  überein,  dass  Substanzen  die  Wirkung 
der  Röntgen-Strahlen  auf  die  Haut  umsomehr  abschwächen, 
je  mehr  sie  vom  Röntgen-Licht  absorbiren.  Kautschuk, 
welches  zwar  die  elektrischen  Entladungen  vollständig  abhielt, 
die  Röntgen-Strahlen  aber  gut  durchliess,  schützte  die  Haut 


Fig.  6. 


Auf  der  Haut  des  Vorderarmes  entsteht  die  Entzündung  (durch  Punctirung 
markirt)  nach  mehreren  Wochen  nur  in  dem  von  Blei  nicht  gedeckten  Ge¬ 
biete  und  zwar  ausschliesslich  auf  der  Hälfte  desselben,  wo  Röntgen-Strahlen 
aufget.roffen  waren.  Die  Grenzen  der  Bestrahlung  werden  nicht  überschritten. 
Der  Entzündungsherd  grenzt  sich  proximal  und  distal  scharf  ab,  wird  aber 
nur  allmälig  gegen  die  Unterlage  hin  schwächer. 

vor  Dermatitis  nicht;  eine  Glasplatte  hielt  einen  grossen 
Theil  der  Röntgen-Strahlen  ab  und  beeinträchtigte  dement¬ 
sprechend  die  Wirkung  derselben  auf  die  Haut;  eine  drei¬ 
fache  Lage  von  dünnem  Stanniol  liess  nur  eine  ge¬ 
ringe  Dermatitis  entstehen;  endlich  schützte  die  für  das 
Röntgen-Licht  absolut  undurchlässige  Bleiplatte 
vollständig  vor  der  Wirkung  der  Bestrahlung. 

Den  grössten,  ja  geradezu  frappantesten  Effect 
erzielte  der  folgende  neue  Versuch  (Fig.  6). 

Die  Röhre  wird  derart  über  der  Haut  angebracht,  dass 
der  Antikathodenspiegel,  von  dessen  Mitte  die  Röntgen- 
Strahlen  ausgehen,  senkrecht  zur  Hautoberfläche  steht;  an 
mehreren  aufeinander  folgenden  Tagen  wird  je  eine  kräftige, 
halbstündige  Sitzung  bei  15  cm  Entfernung  gegeben.  Dadurch 
wird  die  Haut  nur  in  jenem  Gebiete  von  Röntgen-Strahlen 
getroffen,  welches  unter  der  leuchtenden  Hälfte  der 
Tube  liegt;  hinter  dem  Spiegel  ist  die  Röhre  dunkel  und  wird 
auch  die  Haut  von  keinem  Röntgen- Strahle  getroffen.  Die 
Grenze  zwischen  den  beiden  Gebieten  wird  auf  der  Haut 
durch  die  Linie  gegeben,  in  welcher  sich  die  durch  den 
Kathodenspiegel  gelegte  Ebene  mit  der  Haut  schneidet.  Die 
elektrischen  Entladungen  jedoch  halten  sich  an  diese  Grenze 
nicht,  sondern  gehen  gleichmässig  auf  die  ganze  Fläche  der 
Haut  über. 


Die  Dermatitis  tritt  nun  nach  Ablauf  von  mehreren 
Wochen  nur  auf  der  Seite  der  Linie  auf,  welche  vom 
Röntgen-Licht  getroffen  worden  war  (Demonstration  der  Ver¬ 
suchsperson).  Einen  schlagenderen  Beweis  für  die  Richtigkeit 
meiner  Behauptung  kann  man  sich  wohl  kaum  denken. 

Nach  meinen  bisherigen  Ausführungen  besteht  also  wohl 
kein  Zweifel  mehr  darüber,  dass  die  Röntgen- Strahlen  das 
wirksame  Element  der  Röntgen-Tube  bilden. 9). 

Dennoch  möchte  ich  noch  die  oft  genannten  Argu¬ 
mente  der  Gegner  zu  entkräften  versuchen.  Das  erste 
Argument  derselben  basirt  auf  der  angeblichen  Er¬ 
fahrung,  »dass  ein  zur  Erde  abgeleitetes  kleines,  dünnes 
Aluminium-  oder  Stanniolplättchen,  zwischen  der 
Röhre  und  Haut  angebracht,  vor  Dermatitis  schütze;  von  dem¬ 
selben  würden  die  elektrischen  Entladungen  auf¬ 
genommen  und  zur  Erde  abgeleitet,  die  Haut  würde 
daher  nur  von  Röntgen- Strahlen  getroffen«.  Dies  sollte  be¬ 
weisen,  dass  nicht  die  Röntgen-Strahlen,  sondern  die  elektri¬ 
schen  Entladungen  die  Hautveränderung  bewirken. 

Diese  Beobachtungen  sind  jedoch  schlecht  angestellt;  denn 
bei  Verwendung  von  wirksamem  Röntgen-Licht  und  bei 
Abwarten  der  Incubationszeit  sieht  man  im  Gegentheil  die 
Entzündung  ungeschwächt  auftreten,  wie  Controlversuche  er¬ 
geben.  So  theiite  auch  Cowl  mit,  dass  er  anlässlich  eines 
Experimentes  sein  Auge  durch  eine  Viertelstunde  intensivem 
Röntgen -Lichte  aussetzte,  wobei  eine  die  elektrischen  Ent¬ 
ladungen  vollkommen  abhaltende,  dünne  Aluminiumscheibe 
zwischen  Auge  und  Röhre  war.  Trotzdem  entstand  eine  heftige 
Entzündung  der  Augenlider,  welche  eine  Woche  dauerte; 
daraus  zog  Cowl  den  richtigen  Schluss  auf  die  thatsächlich 
wirksame  Kraft,  d.  i.  auf  die  Wirksamkeit  des  Röntgen- 
Lichtes.  l0) 

°)  Wenn  es  andere  Strahlen  wären,  so  müssten  diese  immer  derartig1 
mit  Röntgen-Strahlen  vereinigt  sein,  dass  sie  von  demselben  Punkte 
(Focus)  ausgehen  und  auch  in  der  Intensität  vollkommen  gleichen  Schritt 
halten.  Zu  einer  so  complicirten  Annahme  besteht  aber  gar  kein  Grund, 
daher  ich  meine  obige  Behauptung  für  gerechtfertigt  halte. 

10)  In  der  14  Tage  nach  diesem  Vortrage  abgehaltenen  Discussion 
(diese  Zeitschrift,  pag.  1053)  versuchte  Freund  seine  in  der  letzten 
Zeit  bereits  an  mehreren  Stellen  ausgesprochene  Ansicht,  dass  bei  der 
Bestrahlung  mit  einer  Röntgen-Röhre  die  elektrischen  Entladungen 
wirksam,  die  Röntgen -  Strahlen  aber  vollkommen  un¬ 
wirksam  seien,  abermals  zu  begründen. 

Er  demonstrirte  zu  diesem  Zwecke  ein  Kaninchen,  das  er  an 
einer  Flanke  mit  directen  negativen  Polentladungen  eines  Inductions- 
apparates  in  acht  Sitzungen  behandelt  hatte;  die  Flanke  hatte,  wie  ich 
mich  persönlich  überzeugte,  an  einer  kleinen  circumscripten  Stelle 
(etwa  2  cm  lang  und  1  cm  breit)  keine  Haare  —  die  Haut  erschien  hier  im 
Uebrigen  von  normaler  Beschaffenheit;  der  Contrast  war  um  so  stärker,  als 
das  Thier  ein  schwarzes  Fell  hatte. 

Dazu  möchte  ich  nun  folgende  Bemerkungen  Vorbringen:  Da  die 
Behandlung  des  Kaninchens  erst  nach  meinem  14  Tage  vorher  ge¬ 
haltenen  Vortrage  begonnen  hatte,  wäre  das  so  frühzeitige  Eintreten  eines 
Effluviums  sehr  auffallend.  Ferner  scheint  auch  die  vollkommen  scharfe 
Abgrenzung  und  der  Mangel  aller  Reizerscheinungen  an  der 
kleinen  Stelle  den  Gedanken  an  eine  Täuschung  des  Experimentators 
nahe  zu  legen.  Bei  jedem  unvorsichtigen  Versuch,  am  Kaninchen 
eine  etwaige  Lockerung  der  Haare  zu  prüfen,  zieht  man  nämlich,  ohne 
sonderliche  Kraftanwendung  und  ohne  Abwehrbewegung  des  Thieres,  die 
Haare  leicht  aus. 

Weiters  berichtet  in  der  Discussion  Freund  über  Versuche  an 
Bacterien  (eingesendet  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften).  Er 
brachte  eine  R  ö  n  t  g  e  n  -  Röhre  (von  der  Firma  »Voltohm«),  die  aus 
zwei  durch  einen  schmalen  Hals  verbundenen  Kugeln  besteht,  horizontal  an 
und  stellte  unter  dem  Apparate  quer  zur  Richtung  des  Halses  eine  verticals 
Bleiplatte  auf;  nahe  unter  jener  Kugel,  welche  den  Röntgen-Strahlen 
aussendenden  Antikathodenspiegel  enthielt,  stellte  er  eine  mit  Staphylococcen- 
Aussaat  versehene  P  e  t  r  i’sche  Schale  auf,  die  mit  Paraffin  umgeben 
war  und  auf  dem  dünnen  Glas  deckel  ein  dickes  Aluminium¬ 
blech  trug.  Und  unter  die  zweite  Kugel,  welche  kein  R  ö  n  t  g  e  n  -  Licht 
gab,  legte  Freund  eine  unbedeckte  Schale  mit  Bacterienaussaat.  Ein 
längerer  Betrieb  der  Röhre  hatte  nun  zur  Folge,  dass  die  Entwicklung  von 
Colonien  nur  in  der  vielfach  bedeckten  ersten  Schale  stattfand,  unter 
welcher  er  auch  noch  während  der  Bestrahlung  nacheinander  mehrere 
photographische  Platten  exponirt  hatte.  Da  sich  nun  die  photographischen 
Platten  bei  der  Entwicklung  schwärzten,  zog  er  mit  Recht  den  Schluss, 
dass  Röntgen-Strahlen  zwar  durcbgedrungeu  waren,  aber  das  Wachsthum 
der  Coccen  nicht  aufgehalten  hatten ;  mit  Unrecht  aber  folgerte  er  noch 
weiter,  dass  die  Röntgen-Strahlen  auf  Bacterien  (und  Haut)  nicht  wirken, 
sondern  nur  die  elektrischen  Entladungen. 

Dazu  muss  ich  bemerken,  dass  ich  einen  anderen  Erfolg,  als  wie  er 
bei  fünfmaliger  Wiederholung  immer  in  obiger  Weise  eiutrat,  gar  nicht 


1162 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  nO 


Das  zweite  gegnerische  Argument  ist : 

*  Hei  Verwendung  von  Influenzmaschinen  zur  Erzeugung 
statischer  Elektricität  erhalte  man  keine  Entzündung,  sondern 
nur  bei  Verwendung  von  grossen  Inductionsspulen  zur  Er¬ 
zeugung  des  secundären  Stromes.  Nur  im  letzteren  Falle 
werde  Elektricität  von  besonders  hoher  Spa  n- 
n  u  n  g  gewonnen,  auf  welche  daher  die  Entzündungen  zurück¬ 
zuführen  seien«. 

Darauf  brauche  ich  nur  zu  antworten,  dass  man  auch 
nur  im  letzten  Falle  —  bei  der  besonders  hohen  Spannung  — 
besonders  intensives  Röntgen -Licht  zur  Verfügung  hat.  Diese 
Beobachtung  spricht  daher  weder  für  die  eine,  noch  für  die 
andere  Theorie. 

Das  dritte  Beweismittel  der  Gegner  lautet : 

»Der  Umstand,  dass  nur  bei  grosser  Annäherung  der 
Röhre  an  die  Haut  eine  Entzündung  hervorgerufen  werde, 
weise  auf  die  Wirksamkeit  der  elektrischen  Entladungen  hin, 
weil  erst  bei  dieser  geringen  Entfernung  elektrische  Ent¬ 
ladungen  auf  die  Haut  übergingen.« 

Auch  dieses  Argument  lässt  sich  sehr  leicht  widerlegen. 
Bei  grosser  Annäherung  der  Röhre  ist  nämlich  die  auf  dieselbe 
Hautfläche  auffallende  Menge  von  Röntgen-Licht  eine  um  Vieles 
grössere,  denn  es  wächst  die  Intensität  der  Wirkung  des 
Röntgen- Lichtes  im  umgekehrten  Verhältnisse  zu  dem  Quadrate 
der  Entfernungen. 

Die  Gegner  berufen  sich  endlich  viertens  auch  darauf: 

»dass  die  nach  einmaligen  diagnostischen  Durchleuchtungen 
und  Photographien  erfolgten  Verbrennungen  durch 
Verwendung  harter  Röhren  erzeugt  worden  seien. « 

Mit  dieser  allerdings  leicht  irreführenden  Erfahrung  ver¬ 
hält  es  sich  aber  in  Wirklichkeit  folgendermassen :  Es  handelte 
sich  in  jenen  Fällen,  wie  meine  Tabelle  I  zeigt,  fast  immer 
um  die  Untersuchung  von  sehr  voluminösen  Körper- 
theilen,  der  Hüftgelenksgegend  und  des  Beckens  (z.  B.  Unter¬ 
suchung  auf  Nierensteine,  Gravidität  u.  s.  w.).  Es  ist  nun  voll¬ 
kommen  verständlich,  warum  der  Untersucher  in  solchen  Fällen 
keine  ganz  neuen,  weichen  Röhren  (Zustand  Nr.  4)  verwen¬ 
dete,  da  das  Licht  der  weichen  Röhre  eben  nicht  im  Stande  gewesen 
wäre,  durch  jene  voluminösen  Körpertheile  hindurch  zu 
dringen,  auch  dann  nicht,  wenn  ein  hochgespannter  Strom 
verwendet  worden  wäre;  zudem  hätte  hiebei  die  Röhre  bald 
aufgehört,  überhaupt  Röntgen-Licht  zu  geben  (Zustand  Nr.  5). 
Daher  verwendete  der  Untersucher  eine  ziemlich  harte  Tube 
mit  penetrirendem  Röntgen-Licht  (Zustand  Nr.  2).  Die  erste 
photographische  Aufnahme  gab  nun  kein  befriedigendes  Bild, 
was  auf  eine  allzu  starke  Penetrationsfähigkeit  der  verwendeten 
Strahlen  schliessen  lässt;  diese  zu  harten  Röhren  geben,  wie 
früher  ausgeführt,  kein  gutes,  kein  genügend  contrastreiches 
Bild.  Es  wurde  daher  eine  zweite  und  dritte  Aufnahme 
vorgenommen,  wobei  die  Röhre  immer  mehr  genähert,  zugleich 
die  Expositionszeit  verlängert  und  ein  höher  gespannter  Strom 
verwendet  wurde,  in  der  Erwartung,  nun  ein  besseres  Bild  zu 

erwaitet.  hätte.  Denn  auf  der  einen  Seite  der  Bleiplatte  waren  die  Bacterien 
unter  ausserordentlich  günstigen  Wachsthumsbedingungen,  indem  sie  durch 
die  dicke  Aluminiumplatte  und  die  Paraffinumhüllung  vor  den  Entladungen 
der  Röhre,  vor  Temperaturwechsel  und  Tageslicht  geschützt  gehalten  waren, 
was  auf  der  anderen  Seite,  von  der  n  u  r  die  Röntgen- Strahlen  abgehalten 
wurden,  nicht  der  Fall  war.  Ich  habe  mich  übrigens  in  meinem  Vortrage 
mit  der  Möglichkeit  gar  nicht  beschäftigt,  dass  elektrische  Entladungen 
Bacterienwachsthum  hemmen  könnten,  dagegen  ausdiücklieh  ausgesprochen, 
dass  Röntgen-Strahlen  von  geringem  Penetrationsveimögen  auf  die  Haut 
kräftig  einwirken,  Strahlen  von  grosser  Penetrationsfähigkeit  dagegen  nur 
wenig.  Sehr  penetrationsfähige  Strahlen  könnten  nun  vielleicht  auch  auf 
Bacterien,  die  unter  günstigen  Wachsthumsbedingen  stehen,  nur  schwach 
wirken.  Die  Röntgen-Strahlen  aber,  die  bei  dem  erwähnten  Versuche 
F  r  e  u  n  d's  keine  nachweisbare  Schädigung  der  Bacterien  bewirkten,  nachdem 
sie  eine  dicke  Aluminiumplatte,  eine  Paraffinumhüllung  und  einen  Glas¬ 
deckel  passirt  hatten,  waren  gewiss  entweder  sehr  penetrationsfähig  oder 
(tails  die  Röhre  sich  in  weichem  Zustande  befand)  schon  ungemein  ab- 
geschwächf,  da  sie  durch  so  viele  zusammen  einen  erheblichen  Widerstand 
bildende  Substanzen  gedrungen  waren.  Bei  längerer  und  intensiver  Be¬ 
strahlung  mit  gutem  Röntgen-Licht  und  unter  Ausschluss  anderer  von  der 
Röhre  ausgehender  Kräfte  lässt  sich  dagegen  thatsächlich,  wie  z.  B. 
Rieder’  ausgezeichnete  Versuche  aus  dem  Jahre  1898  zeigen,  Waclis- 
thumshemmung  von  Bacterien  bewirken. 

Die  Versuche  Freund’s  vermögen  also  gegen  die  von  mir  ange- 
stellten  Versuche  und  thatsächlichen  Erfahrungen,  sowie  gegen  meine  daraus 
gezogenen  Folgerungen  durchaus  nichts  zu  beweisen. 


bekommen.  Wir  wissen  aber,  dass  bei  dieser  Procedur,  nämlich 
bei  der  längeren  und  zugleich  starken  Inanspruchnahme  einer 
Tube,  dieselbe  ihre  Qualität  ändert;  sie  wird  bedeutend 
weicher,  sie  tritt  sogar  meistens  in  den  Zustand  der  »Mittel¬ 
weichbeit«  und  gibt  dabei  eben  sehr  gutes  Röntgen-Licht  und 
dann  auch  ein  genügend  contrastreiches  Bild  (Zustand  Nr.  3). 
Man  kann  also  gewiss  nicht  behaupten,  dass  die  Ulceration, 
welche  der  mit  fehlerhafter  Technik  angestellten  Durchleuchtung 
folgte,  durch  elektrische  Entladungen  entstanden  sei.  Im 
Gegentheile  zeigt  gerade  diese  Erfahrung,  dass  gutes,  intensives 
Röntgen-Licht  auf  die  Haut  intensiv  einwirkt. 

Unsere  Auslegung  beruht  auf  der  zweifellosen  Thatsache, 
dass  bei  Verwendung  einer  nicht  regulit  baren  Tube  die  er¬ 
wähnten  Veränderungen  im  Vacuum  regelmässig  eintreten  und 
dass  Röhren  bei  Aussendung  intensiven,  guten  Röntgen -Lichtes 
am  kräftigsten  wirken.  Daher  ist  unsere  Erklärung  jener  üblen 
Erfahrungen  nicht  etwa  eine  gesuchte,  sondern  die  einzig 
richtige. 

Nun  wird  auch  der  Nichtfachmann  leicht  den  Grund 
dafür  einsehen,  dass  die  Verbrennungen  nicht  durch  Vaeuum- 
röhren,  welche  sich  von  vornherein  in  gutem,  mittelweichem 
Zustande  (Nr.  3)  befanden,  herbeigeführt  wurden.  Mit  solchen 
guten,  mittelweichen  Tuben  hätte  man,  um  ein  gutes  Bild  zu 
erhalten,  von  vorneherein  weder  aus  so  grosser  Nähe,  noch  mit 
so  grosser  Spannung,  noch  durch  so  lange  Zeit  exponirt. 
Ferner  erklärt  sich  auch  die  Seltenheit  der  bedeutenden  Haut- 
affectionen  nach  diagnostischen  und  therapeutischen  Be¬ 
strahlungen  aus  dem  Umstande,  dass  man  nur  ausnahmsweise 
eine  gute  Röhre  zur  Verfügung  hatte,  regulirbare  Röhren  aber, 
die  selbst  bei  stundenlanger,  starker  Bestrahlung  ununter¬ 
brochen  gutes  Röntgen-Licht  entsenden,  fast  gar  nicht  ver¬ 
wendete. 

Hiemit  dürfte  die  Unrichtigkeit  der  Theorie  der  wirk¬ 
samen  elektrischen  Entladungen  der  Vacuumrohre  und  die 
Unstichhaltigkeit  der  dafür  angeführten  Argumente  genügend 
dargethan  sein;  die  Wirksamkeit  der  Röntgen-Strahlen  selbst 
dürfte  dagegen  als  feststehend  betrachtet  werden.  Erst  nachdem 
diese  Erkenntniss  auf  Grund  zahlreicher  Beobachtungen  ge¬ 
wonnen  wurde,  sind  wir  in  der  Lage,  Hautveränderungen 
durch  Bestrahlung  mit  Röntgen-Röhren  einerseits  willkürlich 
hervorzurufen  und  andererseits  zu  vermeiden  ;  die  Bedeutung 
dieser  Ergebnisse  für  die  Praxis  liegt  wohl  klar  zu  Tage. 

* 

Bei  diagnostischen  Untersuchungen,  wobei  ich  selbst 
niemals  Hautstörungen  auftreten  sah.  werden  solche  von  nun 
an  bei  den  folgenden  Vorsichtsmassregeln  mit  Sicherheit  zu 
verhüten  sein.  Der  Körper  des  Patienten  darf  nicht  zu 
nahe  an  die  Röhre  gebracht  werden  —  nicht  näher  als  bis 
zu  15  cm  Distanz  des  Focus  von  der  Hautoberfläche  — ,  und 
die  Durchleuchtung  unter  Anwendung  des  Fluorescenz- 
schirmes  darf  an  einer  und  derselben  Region  nicht 
länger  als  eine  Viertel-  oder  längstens  halbe  Stunde  aus¬ 
gedehnt  werden,  namentlich  wenn  das  Röntgen-Licht  sehr  in¬ 
tensiv  und  dabei  nicht  zu  penetrationsfähig  ist,  wie  es  von  den 
heut  zu  Tage  ausschliesslich  zu  empfehlenden  regulirbaren 
Röhren  ausgesendet  wird  (Zustand  3). 

Bei  der  Exposition  einer  photographischen 
Platte  zur  Gewinnung  eines  guten  Radiogrammes  ist 
in  noch  erhöhterem  Masse  auf  ausgezeichnetes  Röntgen-Licht 
zu  achten;  dennoch  wird  dabei  unter  Beobachtung  der  folgenden 
Vorschläge  trotz  der  grossen  Wirksamkeit  der  vorzüglichen 
Röntgen-Strahlen  nie  eine  Hautveränderung  eintreten.  Die  Auf¬ 
nahme  einer  Hand  hat  bei  mindestens  30  cm  Distanz  des  Focus 
von  der  Platte  10 — 30  Secunden  zu  dauern,  die  Expositions¬ 
zeit  für  die  Photographie  des  Kopfes,  des  Thorax  und 
Beckens  30  Secunden  bis  höchstens  zwei  Minuten 
bei  einer  Distanz  von  60  cm  zu  betragen.  Eine  weitere  An¬ 
näherung  der  Röhre  ist  schon  aus  dem  Grunde  nicht  zu 
wählen,  weil  dadurch  die  Projection  des  Objectes  auf  der  Platte 
unbrauchbar  würde;  eine  längere  Expositionszeit  n)  wäre  ferner 

:1)  Anfänger  pflegen  bedeutend  längere  Expositionszeiten  zu  ver¬ 
wenden,  namentlich  wenn  eben  vorher  eine  Aufnahme  bei  kürzerer  Dauer 
misslungen  war  (unbrauchbares  oder  schwaches  Röntgen  -  Licht !). 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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bei  Verwendung  tadellosen  Röntgen-Lichtes  und  schneller 
Unterbrechung  des  Primärstromes  (somit  schnell  aufeinander 
folgender  Röntgen  Lichtschläge,  etwa  20—30  in  der  Secunde) 
ganz  unnöthig.  Die  genannten  richtigen  Expositions¬ 
zeiten  für  die  einfach  gegossene  Schleussner-Platte  (die  ich 
ausschliesslich  und  ohne  Verstärkungsschirme  gebrauche)  dürfen 
auch  aus  anderen  Gründen  in  gewissen  Fällen  nicht  über¬ 
schritten  werden,  z.  B.  wenn  es  sich  um  die  Aufnahme 
der  Organe  des  Thorax  und  des  Beckens  bei  eingehaltenem 
Athem  handelt. 

Auch  für  den  untersuchenden  Arzt  besteht  von  nun 
ab,  wo  nur  kräftige  regulirbare  Röhren  zu  verwenden  sind, 
eine  grössere  Gefahr,  Veränderungen  der  Haut,  der 
Hände  und  des  Gesichtes,  Ausfall  des  Bart-  und  Kopfhaares 
zu  erleiden.  Auch  er  muss  sich  also  vor  der  Wirkung  der 
Röntgen- Strahlen  schützen,  und  das  kann  er,  wenn  er  seine 
Haut  dem  Röntgen-Lichte  nicht  mehr  als  nöthig  aussetzt.  Vor 
Al  lern  hat  er  sich  im  Allgemeinen  hinter  der 
Ebene  des  Antikathodenspiegels  aufzuhalten, 
also  ausserhalb  des  Bereiches  des  Röntgen-Lichtes.  Wenn  er 
aber  in  den  Bereich  desselben  treten  muss,  wie  z.  B.  bei  der 
Fluorescenzschirmuntersuchung,  deckt  er  seinen  eigenen  Körper 
sorgfältig  durch  den  des  Patienten  (der  doch  nicht  täglich  und 
nicht  lange  den  Strahlen  ausgesetzt  wird!)  und  nimmt  er¬ 
forderlichenfalls  Bleimasken  für  Gesicht  und  Hände.  Der 
leuchtende  Schirm  selbst  schwächt  nur  in  sehr  geringem  Masse 
die  durchtretenden  Röntgen-Strahlen  ab.  Es  darf  absolut  nicht 
ausser  Acht  glassen  werden,  dass  die  bisher  für  die  Hände  des 
Arztes  mehrfach  anempfohlenen  Kautschukhandschuhe  keinen 
Schutz  bieten;  halten  dieselben  doch  auch  nur  die  unwirksamen 
elektrischen  Entladungen  ab.  Auch  bei  der  dermatologischen 
Behandlung  sind  die  Hautpartien  in  der  Umgebung  der  zu 
behandelnden  Stelle  mit  Bleiblech  zu  bedecken. 

In  der  Radiotherapie  haben  von  nun  an  ganz  neue 
Grundsätze  zu  gelten.  Vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst 
die  Mängel  des  bisher  üblichen  Verfahrens,  bei 
welchem  das  wirksame  Agens  nicht  bekannt  war  und  nicht 
berücksichtigt  werden  konnte.  Man  gab  dem  Patienten  tägliche 
Sitzungen,  bis  ein  Effect  sichtbar  wurde  —  dies  wurde  sogar 
als  regelrechtes  Verfahren  hingestellt.  Da  man  nun  auf  die 
Qualität  der  verwendeten  Röhren  nicht  achtete,  verstehen  wir 
die  Thatsache,  dass  z.  B.  zu  einer  Epilation  bei  Hypertrichosis 
einmal  15  Sitzungen  genügten,  meist  aber  über  30  nothwendig 
wurden,  und  ein  anderes  Mal  sogar  über  100  Sitzungen  ohne 
Erfolg  gegeben  wurden,  obgleich  man  in  allen  Fällen  gewisse 
Vorschriften  über  die  zu  beachtenden  Umstände  (betreffs  Dauer 
einer  Bestrahlung,  Entfernung  der  Röhre  und  Intensität  des 
Primärstromes)  gleichmässig  beobachtet  haben  mochte.  Der 
Arzt  musste  dementsprechend  zu  Beginn  die  Frage  des  Patienten 
nach  der  voraussichtlichen  Dauer  der  Behandlung  sehr  un¬ 
bestimmt  beantworten  und  auf  die  Möglichkeit  einer  mehr¬ 
monatlichen  Dauer  hin  weisen;  diese  Verschiedenheit  sollte  sich 
durch  die  individuell  verschiedene  Disposition  erklären. 

Es  ist  uns  heute  ferner  auch  leicht  erklärlich,  wie 
andererseits  schwere  Dermatitis  bei  der  Behandlung  hervor¬ 
gerufen  werden  konnte.  In  dieser  Beziehung  scheint  uns  die 
verkehrte  Theorie  über  die  wirksame  Kraft  bei  der  Be¬ 
strahlung  ganz  besonders  gefährlich.  Nach  dieser  Theorie  hatte 
man  harte  Röhren  zu  verwenden,  wobei  die  Erfolge  sehr 
lange  auf  sich  warten  liessen;  wenn  man  nun  aber  einmal 
keine  derartige  Tube  zur  Verfügung  hatte  und  gezwungen 
war,  eine  neue  gute  Röhre  zu  nehmen,  bestrahlte  man  mit 
derselben  sorglos  —  da  man  sie  für  sehr  wenig  wirksam 
hielt  —  und  konnte  nun  plötzlich  von  der  Folgeerscheinung 
einer  argen  Ueberexposition  überrascht  werden.  So  erging  es 
mir  mit  den  genannten,  nach  dem  alten  Verfahren  und  nach 
der  in-igen  Theorie  behandelten  Patienten;  die  Beobachtungen 
an  denselben  wurden  eben  zu  dem  Zwecke  in  der  Tabelle  II 
riickkaltslos  mitgetheilf,  weil  sie  von  der  Gefährlichkeit  des 
Verfahrens  ein  anschauliches  Zeugniss  geben  und  Andere  vor 
derartigen  Missgriffen  warnen  müssen.  Bei  Fall  R.  und  H. 
bedeuteten  die  13,  respective  16  Sitzungen  mit  Anwendung 
von  brillantem  Röntgen-Licht  eine  sehr  bedeutende  Ueber- 


dosirung;  es  ist  klar,  dass  es  sich  nicht  um  Idiosynkrasie  aller 
Individuen  handelte.  Vielmehr  wären  überhaupt  zwei  bis  drei 
Sitzungen  der  angewandten  Art  genügend  gewesen  und  die 
weiteren  während  der  Latenzzeit  derselben  gegebenen  Be¬ 
strahlungen  hatten  zur  Folge,  dass  die  Reaction  nach  dem 
Aussetzen  der  Behandlung  bedeutend  über  das  Ziel  hinaus¬ 
wuchs. 

Consequenter  Weise  ergab  sich,  wie  eine  neue  un¬ 
gefährliche  und  rasch  wirkende  Methode  der  Radio¬ 
therapie  beschaffen  sein  müsse:  man  hat  die  Röhre  in  einem 
sehr  w  i  rksamen  Zustande,  wobei  sie  intensives  und  nicht 
zu  stark  penetrirendes  Röntgen-Licht  aussendet,  zu  ver¬ 
wenden,  aber  nur  wenige  wirksame  Sitzungen  dieser 
Art  zu  geben. 

Um  mein  Verfahren  allgemein  zugänglich  zu  machen, 
das  ich  seit  April  d.  J.  an  mehr  als  40  Patienten  im 
Ganzen  über  lOOmal  (zum  Tbeile  nämlich  wiederholt  an 
einem  und  demselben  Individuum)  mit  ausgezeichnetem  Er¬ 
folge  und  unter  Controle  der  Collegen,  die  mir  die  Fälle  zur 
Behandlung  überwiesen  hatten,  anwendete,  möchte  ich  mir 
erlauben,  die  Details  der  Technik  mitzutheilen. 

Mit  meinem  schon  genannten  Instrumentarium  setze  ich 
Röhren  mit  regulirbarem  Vacuum  in  Thätigkeit,.  wobei  der 
Primärstrom  auf  3 —  6  Amperes  gebracht  und  circa  15 — 20mal 
in  der  Secunde  unterbrochen  wird.  Das  Vacuum  der  Röhre 
wird  auf  »weich«  oder  »mittelweich«  (Zustand  3  und  4) 
regulirt  und  ein  sehr  hochgespannter  Strom  wird  durch  die 
Tube  gesendet;  sie  gibt  daher  ein  intensives  und 
mittelstark  penetrirendes  Röntgen-Licht,  wobei 
die  eine  Kugelhälfte  hell  in  grüner  Farbe  aufleuchtet;  die  Röhre 
bringt  den  Fluorescenzschirm  zum  hellen  Leuchten  und  ist  im 
Stande,  den  Thorax  eines  Erwachsenen  selbst  bei  Entfernung 
von  1 — 2  m  genügend  zu  durchleuchten.  Die  Röhre  wird  in 
der  Entfernung  von  15 — 25,  gewöhnlich  20c?«  von  der 
Haut  angebracht.  Ich  gebe  zwei  bis  sechs,  im  All¬ 
gemeinen  drei  bis  fünf  Sitzungen  mit  einer  derartig 
betriebenen  Röhre  an  aufeinanderfolgenden  Tagen;  jede 
Sitzung  dauert  5—20,  meist  10 — 15  Minuten. 

Nun  setze  ich  die  Bestrahlungen  aus,  obwohl  noch  keine 
Hautveränderung  zu  Tage  tritt,  und  warte  zwei  bis  drei 
Wochen  zu. 

Jetzt  erscheinen  mit  Bestimmtheit  Haarausfall  oder 
andere  Zeichen  der  »Reaction«:  leichte  Injection,  Schwellung 
und  Braunfärbung  der  Haut,  ein  Lupusherd  tritt  in  den 
Zustand  der  nässenden  Entzündung.  Die  Veränderungen 
steigen  rasch  um  ein  Geringes  an,  bleiben  dann  etwa  eine 
Woche  in  statu  bestehen  und  bilden  sich  wieder  bald  zurück; 
die  gesunde  Haut  erreicht  nach  sechs  bis  acht  Wochen  meist 
ihren  normalen  Zustand,  die  Haare  wachsen  in  der  Regel  in 
normaler  Qualität  nach.  Erst  nach  Ablauf  der  Reaction 
sind  weitere  Serien  von  Sitzungen  der  beschriebenen  Art 
zu  geben,  wenn  man  dauernde  Veränderungen  der  Haut 
hervorbringen  will.  (Zur  Erzeugung  einer  bleibenden  voll¬ 
kommenen  Alopecie  sind  in  der  Regel  mehrmals  wiederholte 
Behandlungen  erforderlich.) 

Innerhalb  der  angegebenen  Grenzen  variirt  man  die 
Bestrahlung  und  die  Gesammtdose  des  auf  die  Haut  auf¬ 
treffenden  Röntgen-Lichtes  nach  Wunsch,  sowohl  entsprechend 
dem  Individuum  als  auch  nach  dem  Grade  der  zu  erzeugenden 
Hautveränderung.  Aber  vor  einem  Ueberschreiten  der  oben 
angegebenen  Grenzen,  namentlich  vor  einer  grösseren  Zahl  von 
Sitzungen,  einem  Näher  rücken  der  Röhre  und  einer 
längeren  Ausdehnung  der  Expositionszeit  bei  kräftigem 
Röntgen-Lichte  ist  dringend  zu  warnen. 

Was  die  individuell  verschiedene  Disposition 
betrifft,  gibt  es  nur  geringe  Unterschiede;  insbesondere  reagiren 
Kinder  leichter  als  Erwachsene  und  am  wenigsten  ältere 
Individuen,  was  bei  der  Dosirung  zu  berücksichtigen  ist. 

Ferner  ist  die  örtliche  Disposition  nicht  überall  die 
gleiche;  Schleimhäute,  Gesicht,  Handrücken  sind  sehr  em¬ 
pfindlich,  Extremitäten  und  Rumpf  weit  weniger;  die  behaarte 
Kopfhaut  zeigt  wohl  wegen  ihrer  straffen  Anheftung  auf¬ 
fallend  oft  als  Reaction  reine  Alopecie  ohne  Röthung  und 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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andere  oberflächlich  sichtbare  Reizerscheinungen ;  vielleicht 
sind  im  allgemeinen  Ernährungszustände  herabgekommene 
Personen  empfindlicher  als  gesunde;  jedenfalls  reagirt  die 
Haut  im  Zustande  der  Entzündung  (Sykosis,  Ekzem,  Favus 
u.  dgl.)  schneller,  und  ebenso  auch  lupöses  Gewebe. 

Je  nach  dem  Einzelfalle  gibt  man  also  eine  grössere 
oder  geringere  Dose,  um  einen  gewissen  Effect  zu  erzielen 
oder  um  den  Grad  der  Entzündung  höher  oder  weniger  hoch 
ansteigen  zu  lassen.  Zu  diesem  Zwecke  kann  man  den  einen 
oder  anderen  Factor  bei  der  Behandlung  variiren.  Man  hat  es 
ferner  natürlich  auch  in  der  Hand,  ein  und  dasselbe  Resultat 
durch  verschiedene  Combination  der  Factoren  zu 
erzielen. 

Statt  z.  B.  eine  Bestrahlung  mit  einer  bestimmten  Röntgen- 
Lichtqualität  und  Unterbrechungsgeschwindigkeit  bei  Entfernung 
von  30  cm  durch  20  Minuten  auszudehnen,  braucht  man  bei  15  cm 
Entfernung  nur  fünf  Minuten  zu  exponiren.  Würde  man  ferner  gar 
bei  Distanz  8  cm  20  Minuten  exponiren,  hätte  man  eine  circa 
lömal  stärkere  Wirkung  als  bei  einer  gleich  langen  Bestrahlung 
aus  der  Entfernung  30  cm ,  es  käme  dies  einer  Bestrahlungsdauer 
bei  30 on  Entfernung  durch  lGmal  20  Minuten,  d.  i.  5  Stunden  20  Mi¬ 
nuten  (!)  gleich. 

Bei  sonst  gleichen  Umständen  hängt  die  Wirkung  einer  Be¬ 
strahlung  von  der  Gesammtzahl  der  Röntgen  - Licht¬ 
schläge  ab.  Wenn  man  z.  B.  drei  Sitzungen  in  Tagesintervallen, 
einzeln  von  je  zehn  Minuten  Dauer  bei  einer  Unterbrechungs¬ 
geschwindigkeit  von  20  in  der  Secunde  gibt,  applicirt  man 
3  X  10  X  60  X  20,  d.  i.  36.000  Röntgen -Lichtschläge;  es 
dürfte  aber  nicht  gleichgiltig  sein,  ob  man  diese  Zahl  statt  dessen 
in  einer  einzigen  Sitzung  gäbe  oder  etwa  in  drei  Sitzungen  bei 
dreitägigem  Intervall,  und  endlich  würde  der  Erfolg  auch  ver¬ 
schieden  sein,  wenn  man  36.000  Röntgen-Lichtschläge  bei 
sieben  Unterbrechungen  in  der  Secunde  und  einer  Sitzungsdauer 
von  zehn  Minuten  an  neun  auf  einander  folgenden  Tagen  gäbe. 
Wenn  bei  einer  Unterbrechungsgeschwindigkeit  von  20  in  der 
Secunde  die  Zeitdauer  einer  Unterbrechung  und  eines  Röntgen- 
Lichtschlages  h'jQ  Secunde  betrüge,  hätte  man  in  allen  genannten 
Fällen  bei  der  Gesammtzahl  von  36.000  Schlägen  eine  Gesammt- 
ex  positionszeit  von  900  Secunden,  also  15  Minuten.  Dennoch 
dürfte  es,  wie  gesagt,  nicht  gleichgiltig  sein,  auf  welchen  Zeitraum 
man  diese  Gesammtexpositionszeit  v  e  r  t  h  e  i  1 1,  nämlich  wie  rasch 
man  die  Unterbrechungen  in  der  Secunde  und  wie  gross  man  die 
Abstände  der  einzelnen  Sitzungen  wählt;  man  muss  wohl  bei 
Pausen  einen  Erholungsfactor  in  Betracht  ziehen. 

Nun  lässt  sich  schliesslich  noch  die  Dose  dadurch  beein¬ 
flussen,  dass  man  den  Röntgen  -  Lichtschlag  seihst  variirt;  man 
kann  nämlich  einerseits  die  Intensität  des  Röntgen  -  Lichtes 
durch  Zuführung  eines  starken  Stromes  in  den  primären  Kreis 
vermehren,  indem  dadurch  die  Spannung  des  zur  Röhre  geleiteten 
Secundärstromes  steigt;  andererseits  kann  man  die  Qualität  des 
Röntgen  -  Lichtes  durch  Verminderung  des  Vacuums  in  der 
Röhre  ändern,  wobei  das  Röntgen  -  Licht  weniger  penetrirend 
wird;  hochgradig  penetrirende  Röntgen  -  Strahlen  dürften,  wie 
wir  oben  ausgeführt  haben,  nur  sehr  wenig  auf  das  Gewebe  ein¬ 
wirken;  diese  sehr  wahrscheinliche  Annahme  würde  auch  der  Vor¬ 
stellung  entsprechen,  dass  die  chemischen  Veränderungen  im  Ge¬ 
webe,  wie  auf  der  Bromsilber-Gelatineplatte,  umso  grösser  sind, 
je  mehr  die  Strahlen  zurückgehalten  werden.  Röntgen  -  Strahlen 
von  geringem  Penetrationsvermögen  werden  in  höherem  Grade  ab- 
sorbirt,  daher  kann  ein  grösserer  Theil  ihrer  Energie  in  chemische 
Energie  umgewandelt  werden.12)  Erst  nach  Ausbildung  der  P  ho  to¬ 
me  trie  des  Röntgen  -  Lichtes  werden  exacte  Untersuchungen 
möglich  sein  und  wird  man  dann  im  concreten  Falle  auch  zahlen- 
mässig  die  gesammte  Quantität  des  Röntgen  -  Lichtes  —  mit 
Berücksichtigung  des  Penetrationsvermögens  —  berechnen  können. 
Dennoch  lehrt  unsere  Beobachtung,  dass  man  schon  heute  eine 
beliebige  Wirkung  erzeugen  kann. 

Wichtig  ist  noch  zu  wissen,  wie  gross  die  Stufen 
zwischen  den  Dosen  seien,  welche  ein  blosses  Effluvium 

12)  Dieselbe  Ansicht  spricht  auch  St  rät  er  aus;  er  geht  sogar 
noch  weiter  und  glaubt  mit  einer  weichen  Röhre  oberflächlicher  zu 
wirken  als  mit  einer  mittelweichen,  so  dass  letztere  z.  B.  bei  Behandlung 
eines  tieferliegenden  Lupus  indicirt  wäre. 


capillorum,  dann  nässende  Dermatitis  und  endlich  Exulceration 
hervorbringen;  diesbezüglich  lässt  eine  beiläufige  Berechnung 
z.  B.  in  den  Fällen  R.  und  H.  darauf  schliessen,  dass  erst  eine 
mehr  als  zehnfache  Menge  der  normalen  Dose  (die 
eine  blosse,  nahezu  uncomplicirte  Alopecie  bewirkt)  eine  zu 
dauernder  Atrophie  der  Haut  führende  nässende  Derma¬ 
titis  erzeuge,  und  dass  eine  noch  grössere  Ueberexposition 
zu  Geschwürsbildung  führe,  endlich  dass  eine  vielleicht  30-  bis 
50fache  Ueberdosirung  ein  Ulcus,  welches  durch  viele 
Monate  allen  Methoden  der  Behandlung  trotzt,  hervorrufen 
dürfte.  Wenn  man  diese  Zahlen  mit  der  Gefahr  der  Ueber¬ 
dosirung  bei  vielen  intern  und  extern  verabreichten  Medica- 
menten  vergleicht,  erscheint  die  Gefahr,  eine  allzugrosse  Dose 
Röntgen-Licht  zu  geben,  bei  Beherrschung  der  Dosirungs- 
technik  keine  bedeutende. 

Aengstliche  werden  dennoch  eher  unterexponiren,  z.  B. 
also  keine  vollständige  Epilation  erzielen,  und  müssen  dann 
nach  mehreren  Wochen  eine  neue  Serie  von  Sitzungen  geben. 

»Klinische  Anhaltspunkte«  zur  Bestimmung  der  ge¬ 
nügenden  Dose  kann  es  bei  dem  neuen  Verfahren  allerdings 
nicht  geben,  welches  der  Thatsache  der  Incubation 
und  Summirung  der  Wirkungen  der  Einzelbestrahlungen 
durch  eine  geringe  Zahl  von  Sitzungen  Rechnung  trägt. 

Wenn  man  trotz  der  neu  gewonnenen  Erfahrung,  dass 
man  erstens  mit  ganz  wenigen  Sitzungen  genügend  auf  die 
Haut  einwirken  und  dabei  zweitens  die  Dose  nach  Wahl  ab¬ 
stufen  kann,  bei  der  Verabreichung  zahlreicher  schwach 
wirkender  Einzelsitzungen  bleiben  wollte,  müsste  ein  solches 
Vorgehen  auch  als  schleppend  bezeichnet  werden. 

Der  grosse  Vortheil  der  neuen  Methode  besteht  darin, 
beiden  Theilen  ein  ganz  bedeutendes  Mass  von  Zeit,  Müh 6 
und  Kosten  zu  ersparen.  Dies  ermöglicht  es  erst 
Vielen,  sich  der  Röntgen-Behandlung  zu  unterziehen,  nämlich  den 
Mittellosen,  Vielbeschäftigten  und  Fremden, 
gewiss  ein  Moment  von  nicht  zu  unterschätzender  Be¬ 
deutung. 

* 

Leider  gestattet  es  an  dieser  Stelle  die  Zeit  nicht,  die 
zahlreichen  einzelnen  Fälle  anzuführen,  an  denen  das  neue 
therapeutische  Verfahren  geprüft  und  ausgezeichnet  ver¬ 
wendbar  gefunden  wurde. 

Die  wichtigsten  Erfahrungen  aber,  die  an  meinen 
Fällen  gewonnen  wurden,  und  die  allgemein  gütigen 
Gesetze  für  die  Wirkung  der  Röntgen-Bestrahlung  auf  die 
Haut  mögen  noch  zum  Schlüsse  in  einigen  Sätzen  zusammen¬ 
gestellt  werden. 

1.  Die  Wirkung  der  Bestrahlung  eines  Organismus  mit 
der  Röntgen-Röhre  wird  durch  die  Röntgen-Strahlen 
erzeugt,  welche  auch  die  photographische  Bromsilbergelatine¬ 
platte  chemisch  verändern. 

2.  Die  Wirkung  besteht  in  einer  eigenthüm  liehen 
Veränderung  der  Haut,  einer  durch  chemische  Processe 
bedingten  Nutritionsstörung  derselben  (»Röntgen-Dermatitis«). 

3.  Die  Veränderung  ist  dem  Verlaufe  nach  eine  acute 
oder  chronische  und  kann  die  folgenden  Grade  erreichen: 

a )  Sehr  beschleunigteAbstossung  d  eroberen 
verhorn  ten  Epider  misschic  h  ten  und  der  verhornten 
Anhangsgebilde  der  Haut;  der  Nägel,  Haare  (bei  Vögeln 
Federn  u.  s.  w.).  Alopecie  ohne  sonstige  oberflächlich 
sichtbare  Entzünduugserscheinungen. 

b)  Hyperämie  und  entzündliche  Schwellung. 

c)  Blasenbildung  und  Exfoliation  mit  seröser 
oder  eiteriger  Secretion. 

d)  Zerstörung  der  Haut:  trockener  Brand. 

Gef  ässver  änder  ungen  dürften  bei  dem  Processe 
eine  wichtige  Rolle  spielen.  Zuweilen  werden  heftige 
Schmerzen  empfunden.  Die  Hautveränderung  ist  aber 
nicht  als  einfache  Trophoneurose  aufzufassen. 

4.  Die  Tiefwirkung  ist  meist  eine  geringe:  es  wird 
in  der  Regel  nur  die  von  Röntgen-Strahlen  direct  getroffene 
Haut  afficirt,  während  die  Organe  in  der  Tiefe  und  die  Haut 
der  gegenüberliegenden  Körperfläche,  an  welcher  nämlich  die 
Strahlen  austreten,  nicht  beeinflusst  werden.  (Es  gibt  im 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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letzteren  Falle  —  allerdings  seltene  —  Ausnahmen.  Ver¬ 
änderungen  im  Zustande  der  inneren  Organe  sind  aber  bisher 
nicht  nachgewiesen.) 

5.  Die  Hautveränderungen  tverden  erst  nach  einem 
Latenz-  oder  Incubationsstadium  an  der  Oberfläche 
deutlich  sichtbar,  welches  Stadium  im  Allgemeinen  ein,  zwei 
oder  drei  Wochen  dauert. 

6.  Die  Dauer  der  durch  die  Röntgen-Strahlung  erzeugten 
Hautaffection  entspricht  der  Schwere  des  Processes.  Davon 
hängt  auch  der  Ausgang  ab,  nämlich  ob  vollständige 
Restitution  eintritt  oder  eine  dauernde  eigentüm¬ 
liche  Atrophie  der  Haut  —  mit  Alopecie  —  zurück¬ 
bleibt,  während  nach  Geschwürsbildung  die  Heilung  natürlich 
nur  durch  Granulation  und  Entstehung  einer  Narbe 
stattfinden  kann. 

(Nur  wenn  eine  eigen thümliche,  meist  oberflächlich  nicht 
weiter  erkennbare  Atrophie  der  Haut  zurückbleibt,  ist  die 
Alopecie  eine  dauernde,  im  anderen  Falle  kehrt  der 
Haarwuchs  meist  unverändert  zurück;  bei  mittlerem 
Grade  der  Wirkung  ist  die  Restitution  eine  unvollständige, 
indem  die  Haare  an  Zahl,  Dicke  und  Färbung  verringeit 
nach  wachsen,  ohne  mehr  den  normalen  Zustand  zu  erreichen. 
Auch  die  Pigmenti  rung  der  Haut  kann  vorübergehend 
oder  dauernd  geändert  werden,  letzteres  insbesondere  an  pig- 
mentirten  Regionen  und  Individuen  und  bei  höherem  Grade 
der  Hautveränderung  —  Pigmentmangel,  -Uebermass  und  -Ver¬ 
schiebung.) 

7.  Die  verschiedenen  Grade  der  Affection  werden 
stufenweise  durch  die  bei  der  Bestrahlung  auf  die  Haut¬ 
oberfläche  auffallenden  Mengen  des  Röntgen-Lichtes 
erzeugt.  Die  Menge  hängt  von  der  Gesammtzahl-  und  -Dauer 
der  Röntgen-Lichtschläge,  von  der  Intensität 
(Helligkeit)  des  Röntgen-Lichtes  und  der  Entfernung  des 
Focus  ab.  Die  bei  einer  Bestrahlung  rasch  einander  folgenden 
Röntgen-Lichtschläge  summiren  sich  in  der  Wirkung  (eine 
einzige  intensive  Bestrahlung  kann  lang  dauernde  Geschwürs¬ 
bildung  erzeugen),  und  ebenso  summiren  sich  die  in  grösseren 
Zwischenräumen  (z.  B.  12  Stunden,  ein  oder  mehrere  Tage) 
vorgenommenen  Bestrahlungen,  selbst  wenn  sie  einzeln  nicht 
intensiv  genug  sind,  um  eine  sichtbare  Veränderung  hervor¬ 
zubringen  —  Cumulation.  —  Die  Gesammtwirkung  dürfte 
eine  umso  grössere  sein,  je  rascher  die  einzelnen  Sitzungen 
aufeinanderfolgen. 

8.  Die  Schwere  der  Entzündung  hängt  aber  nicht  blos 
von  der  Menge,  sondern  auch  von  der  Qualität  des 
Röntgen-Lichtes  ab.  Unter  sonst  gleichen  Umständen 
und  in  gewissen  Grenzen  scheinen  Strahlen  von  geringerem 
Penetrations  vermögen,  wie  sie  in  Röhren  im  Zustand  der 
Weichheit  oder  Mittel  Weichheit  (»Gute  Röhre«)  entstehen,  inten¬ 
siver  zu  wirken;  die  harte  Röhre  dagegen  wirkt 
überhaupt  wenig,  erstens  weil  sie  weniger  Röntgen-Licht 
aussendet  (die  positive  und  negative  Elektricität  gleicht  sich 
zum  grössten  Theile  ausserhalb  des  Vacuums  aus)  und  zweitens 
weil  sie  sehr  penetrirendes  Licht  gibt;  dieses  wird  im  Körper 
nur  wenig  zurückgehalten  und  wirkt  daher  nur  in  geringem 
Grade  auf  das  Gewebe  ein. 

9.  Die  Latenzzeit  dauert  umso  länger,  ie 
kleiner  die  Gesammtdose  war.  Die  Hautveränderung 
beginnt  daher  an  der  Stelle  der  grössten  Nähe  zum  Focus 
der  Röhre,  wo  die  Einwirkung  der  Röhre  am  bedeutendsten 
war:  am  Fusspunkte  der  vom  Focus  gefällten 
Senkrechten,  und  schreitet  (wenn  der  Focus  über  der 
Mitte  einer  Hautoberfläche  gestanden  hatte)  von  hier  allmälig 
peripheriewärts  gegen  die  Grenzen  des  bestrahlten  Gebietes 
fort  (nie  darüber  hinaus). 

Die  Rest  itution  beginnt  dagegen  an  der 
Peripherie,  wo  die  Entfernung  zum  Focus  der  Röhre  am 
grössten,  die  Einwirkung  am  geringsten  war  und  die  Störungen 
zuletzt  aufgetreten  waren,  und  schreitet  allmälig  gegen  den 
I  usspunkt  der  Normalen,  gegen  das  Centrum  vor. 

10.  Wenn  die  zur  Erzeugung  von  einfacher  vorüber¬ 
gehender  Alopecie  (von  der  Dauer  von  vier  bis  acht  Wochen) 
nöthige  Exposition  »die  normale  Exposition«  genannt 


wird,  so  ruft  eine  circa  zehnfache  Ueber  exposition  eine 
nässende  Entzündung  hervor,  und  erst  eine  etwa  80 — 50fache 
Ueberexposition  eine  hartnäckige  Ulceration. 

11.  Bei  Berücksichtigung  aller  Umstände  während  der 
Bestrahlung  insbesondere  der  Distanz  zwischen  Hautoberfläche 
und  Focus,  ferner  der  Dauer  der  Bestrahlung  und  der  Stärke 
und  Qualität  des  Röntgen-Lichtes  lässt  sich  die  Wirkung  will¬ 
kürlich  abstufen,  was  eine  Beherrschung  der  Dosirung 
bedeutet. 

12.  Die  Regionen  der  Körper  Oberflächen 
reagiren  in  verschiedener  Weise,  am  bedeutendsten 
die  Schleimhäute,  dann  in  abnehmender  Stärke  die  Haut  im 
Gesichte,  auf  den  Handrücken  mit  Nagelfalz,  an  den  Extre¬ 
mitäten  und  am  Rumpfe  (die  behaarte  Kopfhaut  lässt  sich 
auffallend  leicht  ohne  Spuren  von  Erythem  epiliren,  dabei  ist 
die  Anheftung  der  Haut  an  die  Unterlage  wichtig,  —  je 
straffer,  desto  geringer  die  Neigung  zu  oberflächlichen  Ent¬ 
zündungserscheinungen). 

Die  Haut  reagirt  im  Zustande  der  Entzündung 
(Ekzem,  Sykosis)  und  in  anderen  pathologischen  Zuständen 
(Lupus)  besonders  heftig. 

13.  Die  individuelle  D  i  s  p  o  s  i  t  i  o  n  ist  in  verhältniss- 
mässig  sehr  geringem  Masse  von  Belang;  Kinder  und 
jüngere  Individuen  reagieren  heftiger  als  ältere  Personen. 

Eine  nennenswerthe  Indiosynkrasie,  durch  welche 
ein  Individuum  schon  durch  eine  für  den  normalen  Menschen 
wirkungslose  Bestrahlung  ein  Geschwür  acquiriren  würde,  ist 
bisher  nicht  bekannt  geworden  und  dürfte  auch  kaum 
existiren. 

Von  allen  diesen  Punkten  sind  zwei  Sätze,  der  erste  und 
der  letzte,  praktisch  am  wichtigsten,  da  sich  aus  denselben 
allein  schon  ergibt,  dass  beim  Röntgen-Verfahren  die  Wirkung 
auf  die  Haut  bei  diagnostischen  Untersuchungen,  Radioskopie 
und  Radiographie,  mit  Sicherheit  vermieden,  bei  Radiotherapie 
aber  in  gewünschtem,  regulirbarem  Masse  mit  Bestimmtheit 
erzeugt  werden  kann.  Allerdings  ist  zugegeben,  dass  das  dia¬ 
gnostische  und  therapeutische  Röntgen-Verfahren  nur  in  der 
Hand  eines  Sachkundigen  reich  an  Werth  und  frei  von  Gefahr 
ist.  Auf  Grund  der  neuen  Erkenntnisse  verstehen  wir  ferner 
erst  die  bisherigen  vielfachen  Widersprüche  in  der  Beantwortung 
zahlreicher  Fragen  auf  unserem  Gebiete,  wie  z.  B.  betreffend  die 
Wirksamkeit  des  Röntgen-Lichtes  auf  die  Haut  des  Menschen 
und  der  Thiere  und  auf  das  Wachsthum  der  Bacterien;  von 
nun  ab  wird  erst  nach  Widerholung  der  einzelnen  Versuche 
Uebereinstimmung  gewonnen  werden.  Ein  bedeutender  Schritt 
ist  gethan  und  weitere  Fortschritte  sind  in  naher  Zukunft  zu 
erwarten. 

Daher  darf  ich  wohl  die  Ueberzeugung  ausprechen,  dass 
nun  das  Vertrauen  der  grossen  Zahl  der  Aerzte  sowie  der 
Laien  zu  dem  segensreichen  jungen  Verfahren  bis  zur  ver¬ 
dienten  Höhe  an  steigen  werde. 

Literatur. 

Albers-Schönberg,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen- 
Strahlen.  1898,  Bd.  I,  Heft  2. 

Derselbe,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen. 

1899,  Bd.  2,  pag.  20. 

A  p  o  s  t  o  1  i,  Comptes  rendus  ac.  sc.  1897,  Fase.  I,  14.  Juni. 

Balthazar  d,  Soc.  de  Biol.  1897,  17.  Juni. 

Bordier  et  Salvador,  Comptes  rendus  ac.  sc.  1899,  26.  Juni. 

Bronson,  J.  cut.  gen.-ur.  dis.  1897,  pag.  525. 

Büttner  und  Müller,  Lehrbuch.  1899. 

Cowl,  Zeitschrift  für  diätetische  und  physiologische  Therapie.  1898, 
Bd.  H,  Heft  6. 

Des  tot,  Comptes  rendus  ac.  sc.  1897,  Fase.  I,  17.  Mai. 

Derselbe,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen. 

1900,  Bd.  III,  Heft  5.  (Brief.) 

Fevrier  et  Gross,  Arch.  prov.  chir.  1900,  pag.  161. 

F  o  v  e  a  u  de  Courmelles,  Soc.  de  Biol.  17.  Juli  1897. 

Freund,  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  10 
und  19. 

Derselbe,  Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen¬ 
schaften.  (Naturwissenschaftliche  Classe.)  Wien,  1900.  n) 

Gassmann  und  Schenkel,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der 
Röntgen-Strahlen.  Bd.  H,  pag.  121. 


I3)  Zur  Zeit  des  Vortrages  noch  nicht  im  Druck  erschienen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Gassmann,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen, 
Bd.  II,  pag.  199. 

Gilchrist,  J.  Hopkins’  Hospital  Bull.  1897,  pag.  17  und  46. 
G  o  c  h  t,  Lehrbuch.  1898. 

Derselbe,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen. 
Bd.  I,  pag.  14. 

Go  cht  und  H  o  f  f  a,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen- 
Strahlen.  Bd.  II,  pag.  110. 

J  u  t  a  s  s  y,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen. 
Bd.  n,  pag.  110. 

Derselbe,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen. 
Bd.  n,  pag.  194. 

lwa  nischewitsch.  Gaz.  liebd.  1899,  pag.  517. 

Kaiser,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgen-Strahlen.  1900, 
Bd.  III,  Heft  5.  (Brief.) 

Kaposi,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1897.  Gesellschaft  der 
Aerzte.  15.  Januar. 

Derselbe,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1899.  Gesellschaft  der 
Aerzte.  27.  October,  pag.  1113. 

Kümmel,  17.  Congress  der  Deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 
Berlin.  April  1898. 

Lannelongue,  C.  r.  ac.  sc.  1897,  17.  April. 

Lustgarten,  J.  cut.  gen.  ur.  dis.  1897,  pag.  525. 

Marcuse,  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1896,  pag.  481 
und  681. 

O  u  d  i  n,  Barthelemy  et  D  a  r  i  e  r,  Monatsschrift  für  praktische 
Dermatologie.  Bd.  XV,  Nr.  9. 

Oudin  et  Barthelemy,  La  Radiographie,  1900,  Bd.  IV, 

Nr.  39. 

P  1  o  n  s  k  i,  Dermatologische  Zeitschrift.  1898,  pag.  36. 

Richer  et  L  o  n  d  e,  Comptes  rendus  ac.  sc.  1897,  Fase.  I, 
13.  Mai. 

Rieder,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1898,  pag.  101 
und  773. 

Robinson,  J.  cut.  gen.-ur.  dis.  1897,  pag.  525. 

Schall,  These  de  Lyon.  1897. 

Schiff  und  Freund,  Wiener  medicinische  Wochenschrift.  1898, 
Nr.  22-24. 

Dieselben,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  37. 

S  o  r  e  1,  Comptes  rendus  ac.  sc.  1897,  Fase.  I,  12.  April. 

S  trat  er,  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  August, 
pag.  546. 

Tarchanoff,  Soc.  de  Biol.  1897,  Juli. 

Thompson,  Lancet.  1897,  Bd.  I,  pag.  165. 


Aus  der  ersten  chirurgischen  Universitätsklinik  in  Wien 
(weiland  Hofrath  Albert's). 

Erfahrungen  über  die  Localanästhesie  nach 

Schleich. 

Von  Dr.  Friedrich  v.  Friedländer,  Assistenten  der  Klinik. 

Es  sind  jetzt  Jahre  her,  seit  Schleich  mit  seiner 
Methode  der  Localanästhesie  durch  künstliche  Oedemisirung 
der  Gewebe  vor  die  Oeffentlichkeit  getreten  ist.  Er  wies 
nach,  dass  die  Erzeugung  eines  künstlichen  Oedemes  mit 
2%o  Kochsalzlösung  sicher  anästhesire,  und  dass  die  Wirkung 
dieses  Grund  bestandtheiles  der  Lösung  sich  durch  Zusatz  ganz 
geringer  Mengen  von  Cocain  und  Morphin  noch  weiter  steigern 
lasse.  Durch  diesen  Fund  eröffnete  er  der  Localanästhesie  neue 
Bahnen,  was  um  so  freudiger  zu  begrtissen  war,  als  die 
Oocainanästhesie  für  grössere  Eingriffe  auch  in  der  Form 
nicht  ausreichte,  die  ihr  Alex.  Fraenkel  und  Reclus  durch 
Einführung  einer  wesentlich  verbesserten  Dosirung  des  Mittels 
gegeben  hatten.  Da  auch  die  Erfolge,  die  der  Autor  erzielt 
hatte,  in  die  Augen  sprangen,  war  die  Theilnahmslosigkeit, 
die  Schleich  durch  lange  Zeit  überwinden  musste,  nicht 
recht  erklärlich.  Führt  sonst  die  Publication  einer  neuen  Idee, 
selbst  eines  neuen  Technicismus  eine  wahre  literarische  Ueber- 
schwemmung  herbei,  wie  wir  es  z.  B.  in  der  Handschuhfrage 
erlebten,  so  folgten  der  Publication  Schlei  ob’s  nur  wenige 
Aeusserungen,  dass  die  Sache  bemerkt  und  noch  wenigere, 
dass  sie  weiter  verfolgt  oder  gar  gebilligt  werde. 

Schleich  geht  der  Chloroformstatistik  hart  zu  Leibe. 
Er  beweist  wohl  einwandfrei,  dass  90%  aller  Inhalations¬ 
narkosen  überflüssig  seien,  da  die  Eingriffe  eben  so  gut  unter 
Infiltration  ohne  Gefahr  für  den  Kranken  durchzuführen  sind. 
Und  doch  haben  diese  Behauptungen  keinen  Sturm  in  der 
Fachwelt  hervorgerufen.  Sie  hätten  besonders  bei  der  etwas 
aggressiven  Form  der  S  c  h  1  e  i  c  h’schen  Publication  wohl  ver¬ 


dient,  entweder  energisch  zurückgewiesen  oder  anerkannt  zu 
werdeu,  wenn  sie  auch  nicht  von  einem  anerkannten  Führer 
im  Fache  herstammten. 

An  der  ersten  chirurgischen  Klinik  in  Wien  wurden 
auf  Veranlassung  ihres  Chefs,  des  Herrn  Hofrathes  Albert, 
besonders  in  den  letzten  Jahren  eingehende  Versuche  mit  der 
neuen  Methode  der  Anästhesie  vorgenommen.  Zuerst  im  Be¬ 
reiche  der  sogenannten  kleinen  Chirurgie.  Die  Erfolge  waren 
entschieden  ermuthigend,  wenn  auch  nach  kurzer  Uebung 
schon  die  Ueberzeugung  sich  einstellte,  dass  nicht  Spritze  und 
Flüssigkeit  die  massgebenden  Factoren  sind,  sondern  viel, 
vielleicht  der  grössere  Theil  des  Erfolges,  der  Technik  zuzu¬ 
weisen  ist.  Die  Technik  musste  also  geübt  werden,  und  mancher 
Misserfolg  wurde  anfangs  falsch  beurtheilt,  so  lange  wir  sie 
nicht  beherrschten  und  nicht  durch  eigene  Erfahrung  die 
Grenzen  der  neuen  Methode  gesteckt  hatten. 

Im  letzten  Jahre  wurden  schon  grössere  Eingriffe  ge¬ 
wagt,  so  dass  in  der  Zeit  vom  1.  April  d.  J.  bis  zum  30.  Sep¬ 
tember  unter  509  Operationen  an  Kranken,  die  in  Spitals¬ 
pflege  standen,  156  mit  Localanästhesie  ausgeführt  werden 
konnten,  also  30'6%  aller  Operationen,  Dabei  sind  die  zahl¬ 
reichen  kleineren  Eingriffe,  die  im  Ambulatorium  erforderlich 
waren,  nicht  mitgerechnet,  ln  der  Ambulanz  wird  bei  einer 
Frequenz  von  über  9000  neuen  Kranken  im  Jahre,  durchwegs 
nach  Schleich  anästhesirt,  da  wir  Narkosen  an  ambulanten 
Kranken  principiell  nicht  ausführen.  Von  diesen  156  Ein¬ 
griffen  entfallen  68  auf  das  Abdomen,  25  auf  den  Hals, 
22  auf  die  Extremitäten,  20  auf  den  Kopf,  11  auf  das  Ge¬ 
nitale  und  10  auf  den  Thorax.  Unter  den  Operationen  am 
Kopf  sind  17  Exstirpationen  von  Epitheliomen  der  Lippen 
oder  Gesichtshaut,  stets  mit  Exstirpation  der  Lymphdriisen, 
Deckung  des  Defectes  oft  durch  ausgedehnte  Plastiken;  die 
Anästhesie  versagte  hier  bei  exacter  Ausführung  niemals. 
Ebenso  bei  einer  Abtragung  eines  Rhinophyms  und  der  Exstir¬ 
pation  eines  Parotistumors;  bei  einer  Neurektomie  des  dritten 
Astes  des  Trigeminus  vom  Munde  her  gelang  die  Blosslegung 
und  das  Fassen  der  Nerven  schmerzlos,  nur  die  Evulsion 
schmerzte,  da  Injection  von  Cocain  in  die  Gegend  der  Lingula 
verabsäumt  worden  war.  Von  den  Operationen  am  Halse  ent¬ 
fallen  16  auf  die  Exstirpation  von  Strumen.  Bei  dieser  Ope¬ 
ration  war  die  Anästhesie  im  Bereich  des  Schnittes  stets  voll¬ 
kommen.  Die  stumpfe  Loslösung  und  Vorwälzung  der  Struma 
verursachte  auffällig  geringe  Beschwerden,  nur  leiden  die 
Kranken  ab  und  zu  unter  dem  hiebei  ausgeübten  Druck  auf 
die  Trachea.  Das  Abbinden  der  Gefässe,  besonders  der  venösen 
Gefässe  der  Schilddrüse,  ebenso  wie  das  scharfe  oder  stumpfe 
Durchtrennen  des  Schilddrüsengewebes,  wurde  von  den  Kranken 
nicht  empfunden.  Weitere  vier  Operationen  betrafen  die  Exstir¬ 
pation  von  Lymphomen,  die  stets,  wenn  keine  entzündlichen 
Verwachsungen  Vorlagen,  anstandslos  gelangen.  Drei  Plastiken 
bei  Collum  obstipum,  eine  Tracheotomie  und  die  Ausschälung 
eines  Lipoms  lieferten  ebenfalls  günstige  Resultate.  Von  den 
zehn  Operationen  am  Thorax  entfallen  fünf  auf  Amputation 
der  Mamma  mit  Ausräumung  der  Achselhöhle.  Viermal  wurden 
Adenome  und  Cysten  der  Mamma,  einmal  die  Exstirpation 
eines  Recidivknotens  nach  Mamma-Amputation  ausgeführt.  Bei 
allen  diesen  Operationen  empfanden  die  Patienten  nur  dann 
Schmerzen,  wenn  das  Gebiet  des  Oedems  überschritten  wurde. 

Unter  den  Operationen  am  Bauch  stehen  in  erster  Linie 
die  Radicaloperationen  der  Inguinalhernie  nach  Bassin  i  und 
der  Cruralhernie  nach  Föderl.  Es  wurde  an  32  Individuen 
operirt  und  zwar  fast  stets  doppelseitig.  Bis  zur  Aufsuchung 
des  P  o  u  p  a  r  t’schen  Bandes  empfanden  die  Kranken  nur  bei 
der  Ligatur  der  subcutanen  Gefässe  Schmerzen.  Dagegen 
wurde  die  stumpfe  Präparation  der  Bauchmuskeln  und  die 
Loslösung  des  Samenstranges  vom  Bruchsack  fast  immer 
schmerzhaft  empfunden,  letzterer  Act  der  Präparation  wohl 
wegen  des  unvermeidlichen  Zuges  am  Peritoneum.  Auch  die 
Ligatur  des  Bruchsackes  und  die  Muskelnaht  war  den  Kranken 
auch  bei  exacter  Oedemisirung  schmerzhaft.  Bei  der  Operation 
nach  Föderl  war  auch  die  Darstellung  des  horizontalen 
Schambeinastes  empfindlich.  Die  Operation  der  incarcerirten 
Hernie  wurde  fünfmal,  die  Operation  der  Hernia  epigastrica 


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einmal  ausgeführt.  Bei  dieser  Operation  wurde  ebenso  wie  bei 
folgenden  Laparotomien  (fünf  Gastrostomien,  zwei  Colostomien, 
zwei  Ovariotomien  und  einer  Incision  bei  Tuberculose  des  Peri¬ 
toneums)  die  Durchtrennung  der  Fascien  bei  nicht  sehr  exacter 
Oedemisirung  unangenehm  empfunden,  während  der  übrige 
Theil  des  Eingriffes  anstandslos  durchgeführt  werden  konnte. 
Insbesondere  zeigte  sich,  dass  die  Verletzung  des  Peritoneums 
schmerzlos  ist  und  dass  die  Ligatur  selbst  grösserer  intra¬ 
abdominaler  Gefässe  vom  Patienten  nicht  bemerkt  wird.  Nur 
die  Abbiudung  des  Stieles  der  Ovarialcysten  war  etwas  em¬ 
pfindlich.  Bei  einer  Darmresection  wegen  narbiger  Strictur 
bestätigte  sich  die  schon  früher  von  uns  gemachte  Erfahrung, 
dass  der  Darm,  sofern  er  nicht  entzündet  ist,  vollständig  em¬ 
pfindungslos  ist.  In  sechs  Fällen  wurde  die  Incision  syphili¬ 
tischer  und  anderer  Bauchabscesse  vorgenommen,  ohne  dass 
die  Patienten  den  Hautschnitt  empfanden,  dagegen  versagte 
die  Anästhesie  im  Bereich  des  infiltrirten  Muskels.  Ausser 
einer  Exstirpation  eines  sacralen  Dermoides  wurde  die  Local¬ 
anästhesie  noch  bei  sieben  Fällen  von  Hämorrhoiden,  vier 
Fällen  von  Fistula  ani  und  einer  Narbenplastik  am  Anus  mit 
gutem  Erfolge  angewendet. 

Operationen  am  Genitale  wurden  wegen  Hydrokele 
siebenmal  ausgeführt.  Die  Incision  der  Tunica  vaginalis  gelingt 
leicht  und  schmerzlos.  Dagegen  ist  die  Ausstopfung  des  Hydro- 
kelensackes  ohne  vorhergegangene  Cocainisirung  schmerzhaft. 
Bei  einer  Phimosenoperation,  einer  Urethralplastik,  sowie  bei 
zwei  Fällen  von  Ablatio  testis  bewährt  sich  die  Methode  vor¬ 
züglich. 

An  den  Extremitäten  wurden  13  Exstirpationen  von 
Tumoren  anstandslos  ausgeführt,  ebenso  zwei  Nekrotomien. 
Die  überraschendsten  Erfolge  ergaben  drei  Amputationen,  und 
zwar  eine  des  Vorderarmes,  eine  in  der  Mitte  des  Unter¬ 
schenkels  und  eine  Operation  nach  Pirogoff.  Es  zeigte  sich 
dabei,  dass  sich  die  Infiltration  des  Periostes  und  des  Knochen¬ 
markes  leicht  bis  zur  vollständigen  Anästhesie  durchführen 
lässt  und  dass  die  Durchschneidung  der  grossen  Nervenstämme 
ohne  jede  Empfindung  von  Seite  des  Patienten  vor  sich  geht. 
In  einem  Fall  wurde  eine  ausgedehnte  Ivniegelenksresection 
bei  einen:  14jährigen,  mit  Herzfehler  behafteten  Mädchen 
wegen  knöcherner  Ankylose  ausgeführt.  In  diesem  Falle  gelang 
die  Infiltration  des  schwieligen  Periostes  nicht  ganz  vollkommen, 
doch  konnte  die  Operation  ohne  besondere  Schwierigkeit  zu  Ende 
geführt  werden.  Ebenso  wie  die  Amputationen  ergaben  auch 
die  Exarticulationen  von  drei  Fingern  günstige  Resultate. 

In  Bezug  auf  die  Technik  hielten  wir  uns  genau  an  die 
Vorschriften  des  Autors,  dessen  Lösungen  wir  fast  durchwegs 
anwendeten.  Zwei  Versuche,  Cocain  durch  Eucain  zu  ersetzen, 
hatten  so  augenscheinlich  Misserfolg,  dass  wir  von  weiteren 
Proben  abstanden.  Wir  verwendeten  10  g  fassende  Glas¬ 
spritzen  mit  Hartgummimontirung  und  haben  auf  die  An¬ 
schaffung  auskochbarer  Spritzen  wegen  der  Unmöglichkeit 
dauerhafte  und  verlässliche  Instrumente  dieser  Art  zu  beschaffen, 
endgiltig  verzichtet.  Unsere  Spritzen  liegen  immer  in 
5%iger  Carbollösung  und  halten  sich  in  dieser  ziemlich 
functionstüchtig.  Die  Canulen  mit  Metallansatz  kochen  wir 
vor  deni  Gebrauch  in  üblicher  Weise.  Die  Sterilisirung  der 
fertigen  Lösung  durch  Kochen  setzt  ihre  Wirksamkeit  herab; 
wir  verzichten  deshalb  darauf  umso  lieber,  als  die  Lösung 
der  Salze  in  sterilem  Wasser  genügende  Keimfreiheit  zu  ga- 
rantiren  scheint.  Dabei  sehen  wir  darauf,  die  Lösung  möglichst 
frisch  zu  verwenden  und  lassen  die  Lösungen  ’)  zu  diesem 
Zwecke  in  kleinen  Quantitäten  bereiten. 

Bis  auf  leichtes  Ohnmachtsgefühl,  Blässe  und  Trockenheit 
des  Schlundes,  die  schon  nach  3  cg  Cocain  während  einer 
Hautanästhesie  bei  Struma  auftraten  und  bald  schwanden,  und 
Geschwätzigkeit,  die  sich  bei  zwei  amputirten  Frauen  einstellte, 
wurde  während  der  obigen  Operationen  niemals  eine  auffällige 
Erscheinung  bemerkt,  obwohl  wir  oft  die  Maximaldosis  über- 

’)  Wir  verwenden  zur  Hautanästhesie  die  Lösungen  I  oder  II,  zur 
Infiltration  tieferer  Theile  die  schwächste  Lösung  III  (I.  Cocaini  muriatic.  0'2, 
Morph,  mur.  0  02,  Natr.  chlorat.  0'2,  Aqua  dest.  lOO'O;  II.  Cocaini  mur.  0'2, 
sonst  wie  I;  III.  Cocaini  0*0 1 ,  Morph,  mur.  0005,  Natr.  chlor.  02,  Aqua 
dest.  100-0). 


schritten  und  einmal  selbst  0T2  Cocain  verwendeten.  Er¬ 
wähnung  verdient  die  Thatsache,  dass  trotz  Wohlbefindens 
unmittelbar  nach  der  Operation  recht  häufig  später  Erbrechen, 
vielleicht  durch  Morphinwirkung,  und  leichte  Kopfschmerzen 
auftraten.  Nachschmerzen  waren  niemals  heftig,  Störungen 
in  der  Wundheilung,  die  auf  die  Anästhesie  zurückzuführen 
wären,  kamen  nicht  vor.  Was  die  Empfindungslosigkeit  anbe¬ 
langt,  so  können  wir  sagen,  dass  dieselbe  fast  durchwegs  eine 
gute  war.  Mit  absoluter  Sicherheit  lässt  sich  Schmerz¬ 
losigkeit  dort  erzielen,  wo  exacte  Oedemisirung  gelingt.  Die 
Anästhesie  ist  ferner  eher  zu  erhoffen,  wenn  mit  Messer  oder 
Scheere  gearbeitet  werden  kann,  während  stumpfe  Präparation 
auch  in  scheinbar  gut  ödemisirtem  Gewebe  oft  schmerzhaft 
empfunden  wird.  Man  gewinnt  überhaupt  bei  häufiger  An¬ 
wendung  der  Localanästhesie  eine  ganz  neue  Auffassung  über 
die  physiologische  Empfindlichkeit  der  Theile.  Diese  Erfahrungen 
setzen  uns  in  den  Stand,  bei  länger  dauernden  Operationen 
in  gewissen  Stadien,  selbst  bei  Weglassen  der  Infiltration, 
schmerzlos  zu  operiren.  Mit  gewissen  Einschränkungen  kann 
man  über  die  Sensibilität  der  einzelnen  Theile  Folgendes  aus- 
sagen : 

Die  Haut  und  die  ihre  Ernährung  vermittelnden  Gefässe 
sind  hochgradig  empfindlich.  Die  Schmerzhaftigkeit  des  Ein¬ 
griffes  lässt  sich  aber  besonders  bei  der  Haut  durch  exacte 
Infiltration  vollständig  autheben.  Das  Gleiche  gilt  vom  Periost, 
dessen  Oedemisirung  überraschend  leicht  gelingt.  Der  Knochen 
wird  dadurch  schon  unempfindlich  und  bei  Aufschwemmung 
des  Markes  durch  eine  feine  Trepanationsöffnung  lassen  sich 
sowohl  spongiöse  als  compacte  Knochen  ohne  jede  Empfindung 
von  Seite  des  Kranken  sägen,  meissein  und  abkneifen. 

Was  die  Empfindlichkeit  der  Fascien  und  Muskeln  an¬ 
belangt,  so  decken  sich  unsere  Erfahrungen  nicht  vollkommen 
mit  denen  Schleich’s,  während  wir  Sehnen  stets  unem¬ 
pfindlich  fanden.  Die  Durchtrennung  der  Linea  alba  und  der 
Rectussclieide  erfordert  ganz  besonders  exacte  Infiltration.  Die 
laterale  Bauchfascie  ist  viel  weniger  empfindlich. 

Vollständige  Anästhesie  der  Muskeln  ist  uns  bis  jetzt 
noch  nicht  gelungen.  Die  Infiltration  derselben  ist  zwar  leicht 
ausführbar,  da  aber  das  Oedem  sehr  rasch  diffundirt,  ist  die 
zur  Anästhesirung  wünschenswerthe  Spannung  desselben  schwer 
zu  erzielen.  So  können  wir  wohl  Spaltungen  des  Muskels  mit 
dem  Messer  ziemlich  schmerzlos  durchführen,  die  stumpfe 
Durchtrennung  und  besonders  die  Quetschung  mit  Nähten 
wurde  aber  immer  vom  Kranken  als  Schmerz  empfunden. 

Das  lockere  Zellgewebe  vor  dem  Peritoneum,  in  der 
Achselhöhle  und  im  Halse  ist  empfindungslos,  sobald  wir 
grösseren  Nerven  und  Gefässen  aus  dem  Wege  gehen. 

Das  gesunde  Peritoneum  ist  für  Schnitt  und  Stich  un¬ 
empfindlich.  Zur  Resection  des  Darmes  benöthigt  man  über¬ 
haupt  kein  Anästheticum.  Zug  und  Druck  jedoch  werden 
auch  von  der  gesunden  Serosa  schmerzhaft  empfunden. 

Die  Gefässe  zeigen  an  verschiedenen  Punkten  ver¬ 
schiedene  Empfindlichkeit.  Obenan  stehen  die  des  subcutanen 
und  intermusculären  Zellgewebes,  die  oft,  trotzdem  ihre  Um¬ 
gebung  intensiv  aufgebläht  wurde,  bei  der  Durchschneidung, 
mehr  noch  bei  der  Ligatur  schmerzen.  Aehnlich  verhalten 
sich  die  Gefässe  des  Ligamentum  latum,  während  der  Plexus 
spermaticus  ebenso  wie  das  Vas  deferens  auch  ohne  Infiltration 
auf  Ligatur  und  Durchtrennung  wenig  reagiren.  Die  Gefässe 
des  Netzes  und  des  Mesenteriums  zeigen  geringe  Empfindlich¬ 
keit.  Am  unempfindlichsten  erwiesen  sich  uns  die  venösen 
Gefässe  der  Schilddrüsenkapsel  und  die  Gefässe  des  Struma¬ 
parenchyms,  die  keine  Infiltration  erfordern.  Es  kann  eine 
Strumaoperation  nach  vollzogener  Durchtrennung  der  Haut 
und  Muskeln,  ohne  Localanästhesie  schmerzlos  durchgeführt 
werden. 

Ueber  die  Durchtrennung  grösserer  Nervenstämme  fehlt 
uns  grössere  Erfahrung.  Der  tadellose  Verlauf  der  vor¬ 
genommenen  Amputationen  zeigt,  dass  ihre  Empfindlichkeit 
durch  Oedemisirung  ihrer  Umgebung  aufgehoben  werden  kann. 

Das  Parenchym  der  Lymphdrüsen,  Speicheldrüsen  sowie 
der  Schilddrüse  kann  als  unempfindlich  betrachtet  werden. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


Diese  Erfahrungen  beziehen  sieh  auf  normales  Gewebe. 
Durch  Entzündung  steigert  sich  die  physiologische  Empfind¬ 
lichkeit  derselben  intensiv.  Besonders  das  Peritoneum  ist  im 
Zustande  der  Entzündung  fast  nicht  unempfindlich  zu  machen, 
so  dass  jede  leise  Berührung  schmerzhaft  bleibt. 

Die  Beurtheilung  des  Erfolges  der  Anästhesirung  wird 
neben  dieser  Ungleichmiissigkeit  der  Sensibilität  verschiedener 
Theile  noch  wesentlich  erschwert  durch  das  verschiedene  Ver¬ 
halten  der  Psyche  des  Kranken.  Es  ist  eine  ganz  alltägliche 
Erfahrung,  dass  sensitive,  ängstliche  Kranke  während  der 
Operation  lebhaft  jammern,  um  nach  Beendigung  derselben 
ganz  spontan  oder  auf  Befragen  zu  erklären,  sie  hätten  keine 
Schmerzen  gehabt  und  nur  ihrer  Befürchtung  Ausdruck 
gegeben,  es  könnten  welche  kommen.  Umgekehrt  gibt  es 
Menschen,  die  einen  während  der  Operation  auftretenden 
Schmerz,  ohne  zu  zucken,  als  etwas  Selbstverständliches  hin¬ 
nehmen.  Einen  recht  guten  Anhaltspunkt  zur  Beurtheilung 
der  Empfindlichkeit  eines  Kranken  gibt  schon  sein  Verhalten 
bei  den  Vorbereitungen  des  Operationsterrains,  beim  Rasiren, 
Waschen  und  Abspülen,  welche  besonders  bei  minder  intelligenten 
Patienten  Aeusserungen  lebhaftesten  Unbehagens  hervorrufen. 
In  solchen  Fällen  ist  besondere  Exactheit  am  Platz,  sonst 
kann  der  erste  leise  Schmerz  die  Durchführung  der  Operation 
in  Localanästhesie  in  Frage  stellen.  Meist  gewinnt  man  den 
Eindruck,  dass  nur  die  Unkenntniss  des  Verfahrens  den 
Kranken  misstrauisch  gemacht  hat,  denn  auch  intelligente 
Menschen  zaudern  oft,  ihre  Zustimmung  zur  Localanästhesie 
zu  geben,  selbst  wenn  ihnen  die  Gefahren  der  Inhalations¬ 
narkose  wahrheitsgemäss  geschildert  werden.  Es  ist  eben  leider 
bei  den  Laien  die  relative  Ungefährlichkeit  der  Narkose  eine 
viel  mehr  anerkannte  Thatsache  als  bei  den  Aerzten.  Am 
besten  eignen  sich  zur  Vornahme  ausgedehnter  Operationen 
in  Localanästhesie  jene  Menschen,  die  durch  die  Dauer  oder 
Schmerzhaftigkeit  ihres  Leidens  körperlich  oder  psychisch 
gedrückt  sind.  Kleinere  Eingriffe  gelingen  aber  selbst  bei  auf¬ 
geregten  und  unvernünftigen  Kranken.  Die  subcutane  Injection 
von  1  cg  Morphium  eine  halbe  Stunde  vor  der  Operation 
leistet  oft  gute  Dienste  bei  aufgeregten  Patienten. 

Mit  der  Erlernung  der  Technik  der  Anästhesie  ist  aber 
leider  für  den  Operateur,  der  die  neue  Methode  in  geeigneten 
Fällen  anzuwenden  beginnt,  lange  nicht  Alles  erreicht.  Auch 
die  Technik  des  Operirens  selbst  erfordert  gründliche  Um¬ 
gestaltung.  Der  alte  Grundsatz:  »Cito,  tuto  et  jucunde«,  erfährt 
manche  Variation.  Vor  Allem  das  »cito«.  Schleich  hat  mit 
seiner  Behauptung,  dass  die  nach  seiner  Methode  durch¬ 
geführten  Operationen  sicher  nicht  länger  dauern,  als  in 
Narkose  ausgeführte  Eingriffe,  in  gewisser  Hinsicht  zweifellos 
Recht,  wenn  wir,  wie  er,  die  Gesammtdauer  der  Operation  von 
der  ersten  Inhalation  des  Anästheticums  bis  zum  Erwachen 
des  Kranken  berechnen.  Das  gilt  zweifellos  für  den  praktischen 
Arzt,  nicht  aber  für  den  Operateur  an  grossen  Kliniken  und 
Stationen,  der  durch  Ueberhäufung  mit  Arbeit  gezwungen  ist, 
einen  Theil  der  Arbeit  und  damit  auch  der  Verantwortung 
anderen  Aerzten  zu  überlassen.  Mit  Localanästhesie  arbeitend, 
muss  der  Operateur  vom  ersten  Stich  bis  zur  Beendigung  der 
Operation  nicht  nur  wie  früher  die  Verantwortung  für  die 
Anästhesie,  sondern  auch  für  die  Technik  derselben  auf  sich 
nehmen.  Auch  der  Gang  der  Operation  ist  durch  die  Local¬ 
anästhesie  wesentlich  verlangsamt.  Das  rasche  Schneiden,  das 
energische  Vorwälzen  tiefer  Theile  muss  vollständig  wegfallen. 
Schritt  für  Schritt,  unter  beständigem  Wechsel  von  Spritze 
und  Messer,  muss  der  Operateur  in  die  Tiefe  dringen.  Jeder 
rasche  Zug  an  den  Wundrändern,  jedes  Betasten  nicht  infil- 
trirter  Theile  ist  schmerzhaft,  muss  also  unterlassen  werden. 
Dadurch  ist  auch  bei  complieirteren  Eingriffen,  die  nicht 
typisch  verlaufen,  die  Orientirung  erschwert.  Die  Hand  des 
Operateurs  und  seiner  Assistenten  kann  nicht  leicht  genug 
über  dem  Kranken  schweben,  um  ihm  Angst  und  Schmerz 
zu  ersparen.  Ich  bin  weit  davon  entfernt  in  dieser  noth- 
wendigen  Zartheit  der  Bewegungen  einen  Nachtheil  der  Me¬ 
thode  zu  erblicken.  Es  liegt  darin  sogar  eine  ausgezeichnete 
Schulung  für  den  Operateur,  aber  sie  kostet  Zeit. 


Die  Sicherheit  des  Operateurs  leidet  nur  im  Anfang, 
bis  er  das  total  veränderte  Bild  der  ödemisirten  Gewebe  ge¬ 
wöhnt  ist.  So  wie  die  Hand  die  Methode  des  lnjicirens  lernen 
muss,  so  muss  auch  das  Auge  im  Anblick  und  der  Deutung 
der  neuen  Bilder  geschult  werden.  Das  ist  gewiss  kein  schwer¬ 
wiegender  Nachtheil  der  Methode;  für  ihre  rasche  Verbreitung 
ist  dieser  Umstand  aber  gewiss  von  Bedeutung. 

Haben  die  früheren  Bedenken  nur  dem  Arzt  Schwierig¬ 
keiten  bereitet,  so  ist  bei  der  dritten  classischen  Forderungen, 
»jucunde«  zu  operiren,  auch  der  Kranke  betheiligt.  Die  Reiz¬ 
barkeit,  die  beim  kranken  Arzte  durch  wissenschaftliches 
Interesse  so  abgestumpft  werden  kami,  dass  er  voll  Vergnügen 
das  Messer  in  den  eigenen  Leib  schmerzlos  eindringen  sieht, 
ist  beim  kranken  Laien  durch  nichts  gehemmt.  Seinen  Blick 
können  wir  ablenken,  aber  das  Gehör  und  die  tactile  Sensi¬ 
bilität  nicht.  Es  muss  auf  ihm  einen  nichts  weniger  als  an¬ 
genehmen  Eindruck  machen,  durch  längere  Zeit  das  Object 
der  Thätigkeit  mehrerer  Aerzte  zu  sein,  wenn  er  auch  nicht 
den  leisesten  Schmerz  fühlt.  Die  unvermeidliche  Abkühlung 
bei  grösseren  Operationen,  die  Nothwendigkeit,  durch  längere 
Zeit  eine  und  dieselbe  Stellung  einzuhalten,  versetzen  ihn  in 
eine  recht  peinliche  Stimmung,  die  nur  bei  einzelnen  Individuen, 
wahrscheinlich  durch  leichte  Intoxication  in  Folge  der  In- 
r  jectionen,  in  eine  für  den  Operirenden  recht  unangenehme 
I  Geschwätzigkeit  umschlägt.  Den  Operateur  aber  stört  das 
Gefühl,  dass  jedes  seiner  Worte  vom  Kranken  gehört  wird, 
ganz  entschieden.  Ist  seine  Assistenz  geschult,  so  genügt  ein 
Blick,  ein  Wink,  das  Erforderliche  zu  veranlassen.  Ist  er 
aber  nicht  in  dieser  angenehmen  Lage,  so  muss  jeder  Hand¬ 
griff  eventuell  mehrmals  angeordnet  werden.  Wenn  auch  das 
klare  Bewusstsein  des  Kranken  den  vielleicht  abgehetzten 
Operateur  zwingt,  seine  Anordnungen  in  zartester  Weise  vor¬ 
zubringen,  so  hat  doch  besonders  der  intelligente  Kranke  bald 
heraus,  wenn  etwas  nicht  klappt,  was  gewiss  nicht  zu  seiner 
Beruhigung  dient.  Direct  peinlich  wird  die  Situation,  wenn  ein 
unerwarteter  Zufall  die  Ruhe  der  Operationsmanschaft  bedroht. 
So  erlebte  ich  einmal  bei  einer  mit  Localanästhesie  aus¬ 
geführten  Strumektomie  durch  das  Abgleiten  einer  tiefen 
Ligatur  eine  sehr  heftige  Blutung.  Beim  narkotisirten  Pa¬ 
tienten  ist  das  ja  sehr  einfach.  Rasches  Auseinanderziehen  der 
Wundränder,  ein  Griff  in  die  Wunde  und  die  Blutung  steht. 
Hier  aber  durfte  nicht  gezerrt,  nicht  gedrückt  werden,  denn 
ein  solcher  Insult  beraubt  den  Kranken  der  Zuversicht,  er 
wird  unruhig  und  der  Rest  der  Operation  in  Localanästhesie 
erzeugt  bei  allen  Betheiligten  unangenehme  Sensationen.  Ich 
war  damals  nur  durch  die  ausserordentlich  geschulte  Assistenz, 
die  die  Situation  augenblicklich  erfasste,  in  der  Lage,  den 
Zwischenfall  zu  erledigen,  ohne  dass  ein  Wort  gesprochen 
und  der  Kranke  beunruhigt  wurde.  Steht  aber  keine  solche 
Assistenz  zu  Gebote,  dann  thut  der  praktische  Arzt  besser, 
nur  Operationen  zu  beginnen,  die  er  ohne  Assistenz  durch¬ 
führen  kann. 

Am  unangenehmsten  empfindet  aber  der  Chirurg  diese 
Controle  durch  den  Kranken,  wenn  er  nicht  nur  operirt, 
sondern,  wie  an  der  Klinik,  operiren  lehren  muss.  Wie  muss 
die  Unterweisung  des  operirenden  Arztes  den  Kranken  be¬ 
rühren!  Und  doch  ist  dies  unvermeidlich.  Der  junge  Chirurg 
lernt  ja  dabei  sehr  viel.  Er  lernt  anästhesiren  und  operiren  ; 
er  lernt  zart  zugreifen  und  ruhig  arbeiten.  Auch  dem  Lehren¬ 
den  ist  die  Schule  ja  recht  gut,  wenn  sie  auch  sehr  irritirend 
wirkt,  aber  der  Kranke  ist  nicht  zu  beneiden.  Dieser  Umstand 
hat  wohl  zweifellos  verschuldet,  dass  man  so  wenig  von 
Kliniken  hört,  die  die  grosse  Neuerung  energisch  aufgegriffen 
und  durchgeführt  haben. 

Ich  habe  aufrichtig  alle  Unannehmlichkeiten  aufgezählt, 
welche  wir  und  die  Kranken  bei  den  Operationen  mit  Local¬ 
anästhesie  erfahren  haben.  Schon  der  Umstand,  dass  wir 
trotzdem  die  Methode  weiter  pflegen,  zeigt,  wie  sehr  wir  durch¬ 
drungen  sind  von  der  Ueberzeugung,  dass  die  neue  Methode 
einen  grossen  Fortschritt  in  der  chirurgischen  Technik  be¬ 
deutet. 

Ihr  Gebiet  wird  sich  zweifellos  von  Jahr  zu  Jahr  er¬ 
weitern.  Nach  unseren  bisherigen  Erfahrungen  können  wir 


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jetzt  folgende  Indicationen  aufstellen.  In  das  Gebiet  der  Local¬ 
anästhesie  gehören:  1.  Alle  Operationen  an  der  Haut,  selbst 
langdauernde  plastische  Operationen.  2.  Die  sogenannten 
typischen  Operationen  an  den  Extremitäten  und  der  Ober¬ 
fläche  des  Stammes,  sobald  der  Eingriff  ohne  Anwendung 
toxischer  Cocaindosen  durchführbar  ist.  3.  Operationen  an  den 
Baucheingeweiden,  wenn  dieselben  ohne  Zerrung  zugänglich 
zu  machen  sind,  keine  Entzündung  des  Peritoneums  vorliegt 
und  die  Abtastung  des  Bauchraumes  zur  Orientirung  ent¬ 
behrlich  ist.  4.  Alle  Operationen,  bei  welchen  Contraindicationen 
gegen  die  Narkose  vorliegen. 

Die  Punkte  1  und  4  sind  als  absolute  Indication,  die 
Punkte  2  und  3  als  relative  Indication  zur  Localanästhesie 
anzusehen. 

Wenn  wir  auch  bei  Einhaltung  dieser  ziemlich  weit  ge¬ 
steckten  Indicationen  relativ  oft  Fälle  erleben,  wo  die 
Anästhesie  nicht  in  allen  Phasen  der  Operation  ein  gleich- 
mässige  ist,  so  sind  wir  doch  nicht  berechtigt,  das  Verfahren 
fallen  zu  lassen.  Es  ist  zweifellos  richtig,  dass  dem  Kranken 
die  Operation  in  Localanästhesie  mehr  momentane  Un¬ 
annehmlichkeiten  bereitet  als  die  Operation  in  Narkose.  Aber 
ebenso  zweifellos  ist  es,  dass  wir  in  einem  Falle  den  Kranken 
gar  nicht  gefährden,  während  die  Narkose  einen  schweren 
Eingriff  in  den  Organismus  darstellt,  der  zu  tödtlichem  Aus¬ 
gange,  sei  es  unmittelbar  oder  mittelbar,  führen  kann.  Wenn 
wir  daneben  bedenken,  dass  der  Kranke  nach  der  in  Local¬ 
anästhesie  ausgeführten  Operation  im  schlimmsten  Falle  einige 
Male  erbricht  und  einen  Tag  lang  Kopfschmerzen  hat,  meist 
aber  sofort  frisch  und  gesund  ist,  und  dass  jede  Narkose  ein 
mindestens  stundenlang,  meist  aber  tagelang  anhaltendes 
schweres  Unwohlsein  zur  Folge  hat,  so  können  wir  ruhig 
sagen,  dass  die  Summe  der  unangenehmen  Sensationen  für 
den  Kranken  bei  Operationen  in  Localanästhesie  geringer  ist, 
als  bei  Eingriffen  mit  Narkose.  Ich  möchte  auf  diesen  Punkt 
besonders  aufmerksam  machen,  denn  man  verfällt  leicht  in 
den  Fehler,  den  Werth  beider  concurrirenden  Methoden  nur 
nach  dem  Eindrücke,  den  man  bei  der  Operation  selbst  ge¬ 
wonnen  hat,  zu  vergleichen,  während  man  den  Sensationen 
des  Kranken  nach  der  Operation  weniger  Aufmerksamkeit 
schenkt. 

Alles  in  Allem  muss  man  sagen,  dass  die  Schleich- 
sche  Methode  das  hält,  was  sie  versprochen  hat.  Ob  sie  die 
Narkose  in  dem  Masse  einschränken  wird,  wie  Schleich  es 
fordert,  mag  dahingestellt  bleiben.  Wir  können  nur  hoffen, 
dass  eine  Zeit  kommen  wird,  wo  alle  an  und  für  sich  un¬ 
gefährlichen  Eingriffe  in  ungefährlicher  Anästhesie  durch¬ 
geführt  werden.  Es  wird  noch  schwere  Arbeit  kosten,  bis 
dieses  Ziel  erreicht  ist,  und  es  ist  erst  erreichbar,  wenn  auch 
die  Laien  zur  Erkenntniss  kommen,  dass  sie  die  Gefahren  der 
Narkose  vermeiden  können,  wenn  auch  nur  um  den  Preis 
mancher  Unannehmlichkeit. 


bezüglich  der  Wahl  eines  geeigneten,  gleichzeitig  leichten, 
biegsamen  und  einer  sicheren  Sterilisation  zugänglichen 
Mateiials.  Nach  mehrfachen  Versuchen  gelang  es  zunächst, 
unter  Benützung  einer  Legirung  von  Silber  und  Kupfer 
durch  wiederholtes  Ausglühen  dieser  Composition  —  Blei 
liess  sich  aus  naheliegeden  Gründen  nicht  verwenden  —  bieg¬ 
same  Metallbougies  in  der  Form  der  gebräuchlichen  her¬ 
zustellen.  Bei  der  Unmöglichkeit,  derartige  solide  Metallbougies 
von  der  Nachgiebigkeit  elastischer  Bougies  herzustellen,  war 
bei  deren  Einführung  eine  ganz  besondere  Vorsicht  nöthig. 
Immerhin  konnte  durch  Umwicklung  des  vorher  ausgeglühten 
Metallbougies  mit  steriler  Gaze,  durch  welche  der  Knopf  des 
Bougies  gedeckt  wurde,  bei  absoluter  Ruhelage  der  Kreissenden 
einer  Perforation  der  Uteruswand  vorgebeugt  werden. 

Wollte  man  noch  ein  Weiteres  thun,  so  konnte  man 
das  so  armirte  Bougie  behufs  Erleichterung  der  Einführung 
und  gleichzeitig  zur  prompteren  Anregung  der  Wehenthätigkeit 
mit  einer  sterilen  wässerigen  Glycerinlösung  (30 : 50)  benetzen. 

Vor  etwa  Jahresfrist  unternommene  Versuche  haben 
nunmehr  zur  Anfertigung  von  »Bougies«  geführt,  welche 
allen  an  solche  zu  stellenden  Anforderungen  entsprechen 
dürften;  dieselben  bestehen  aus  elastischem  Spiraldraht,  wo¬ 
durch  von  einer  Gefahr  bei  Anwendung  solcher  keine  Rede 
sein  kann. 


■■i 


Es  sei  ausdrücklich  betont,  dass  die  Verwendung  dieses 
technischen  Behelfes  keineswegs  neu  ist,  indem  derartige  In¬ 
strumente  zu  anderen  Zwecken,  z.  B.  in  Form  von  Kathetern, 
als  Schlundsonden  u.  dgl.  bereits  in  Gebrauch  stehen. 

Die  naheliegende  Uebertragung  dieser  Errungenschaft 
auf  das  Gebiet  der  Geburtshilfe  zur  Einleitung  der  künst¬ 
lichen  Frühgeburt  mittelst  derart  elastischer  Metallbougies  ist 
dagegen  durchaus  originell. 

Das  Bougie  hat  —  ich  bemerke  dies  mit  Rücksicht 
auf  öfters  diesbezüglich  gestellte  Anfragen  —  absichtlich  die 
ursprüngliche  Form  des  Katheters  beibehalten  (nur  sind  die 
in  der  Zeichnung  noch  ersichtlichen  seitlichen  Oeffnungen 
jetzt  weggelassen),  weil  hiedurch  die  Möglichkeit  einer  gründ¬ 
licheren  Reinigung  durch  Ausspülen  und  Auskochen  gewähr¬ 
leistet  wird,  als  wenn  dasselbe  noch  an  seinem  unteren  Ende 
verschlossen  ist. 

Das  von  der  Firma  Waldek  &  Wagner  (Prag,  Graben  22) 
in  dieser  Form  angefertigte  Bougie  sei  nach  mehrfacher  eigener 
und  auch  von  anderer  Seite  bereits  erfolgter  Erprobung  hiemit 
zu  weiterer  Prüfung  und  Anwendung  empfohlen. 


Ein  aseptisches  Bougie  zur  Einleitung  der  Früh¬ 
geburt. 

Von  Docent  Dr.  Ludwig  Knapp,  Assistenten  an  der  deutschen  geburts¬ 
hilflichen  Klinik  für  Aerzte  in  Prag. 

So  lange  wir  keine  Bougies  besitzen,  welche  in  voll¬ 
kommen  zuverlässiger  Weise  sterilisirt  werden  können,  was 
ja  doch  nur  durch  Ausglühen,  Heissluft-Trockensterilisation 
oder  durch  gründliches  Auskochen  in  Sodalösung  möglich  ist, 
bleibt  die  Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt 
immer  ein  mehr  oder  minder  gefährliches  Unternehmen. 

Forderte  ganz  besonder  Flatau’s  Mittheilung  gelegent¬ 
lich  des  Berliner  Congresses  über  drei  in  der  Privatpraxis 
beobachtete  Fälle  von  tödtlicher  Tetanusinfection  nach  Ein¬ 
leitung  der  künstlichen  Frühgeburt  mittelst  der  gebräuchlichen, 
einer  Sterilisation  durchaus  unzugänglichen  Gummibougies 
dazu  auf,  sich  die  Frage  vorzulegen,  ob  es  nicht  möglich 
sein  würde,  absolut  aseptisch  zu  gestaltende  Bougies  herzu¬ 
stellen,  so  ergaben  sich  zunächst  erhebliche  Schwierigkeiten 


REFERATE. 

Die  Prostitution  vom  Standpunkte  der  Socialhygiene 

aus  betrachtet. 

Von  Prof.  Dr.  Max  Grober. 

Vortrag,  gehalten  im  socialwissenschaftlichen  Bildungsvereine  an  der  Wiener 

Universität  am  9.  Mai  1900. 

Wien  1900,  F.  Deuticke. 

Die  Discussion  über  das  leidige  Capitel  der  Prostitution  hat 
in  den  letzten  Jahren  insoferne  eine  höchst  heachtenswerthe  Wen¬ 
dung  und  damit  eine  wesentlische  Vertiefung  erfahren,  als  dieselbe 
nicht  mehr  ausschliesslich  vom  einseitigen,  sanitätspolizeilichen 
Standpunkte  geführt  wird,  sondern  alle  jene  anderen  ethischen, 
wirthschaftlichen  etc.  Momente,  die  in  dieser  complexen  Frage  mit¬ 
zusprechen  berufen  und  berechtigt  sind,  auch  zu  Worte  kommen. 
Es  ist  ja  gewiss  als  eine  sehr  heachtenswerthe  und  willkommene 
Erscheinung  anzusehen,  wenn  die  Gesellschaft,  die  die  Besprechung 
dieser  brennenden  Frage  bisher  ablehnte,  aus  Gründen  der  Prüderie 
nichts  von  derselben  wissen  wollte,  diesen  Standpunkt,  diese  Vogel 
Strausspolitik,  aufgibt  und  in  eine  Besprechung  des  Themas  einzu¬ 
treten  sich  bereit  zeigt.  Diese  Erscheinung  ist  zweifelsohne  ein  Ver¬ 
dienst  der  abolitionistischen  Bewegung;  dieses  wird  wahrheitsgemäss 


1170 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  60 


auch  Derjenige  zugehen  müssen,  der  wohl  die  Ziele  dieser  Bewegung 
billigt,  mit  den  Wegen,  auf  denen  diese  Bewegung  ihrem  Ziele 
zustrebt,  nicht  immer  ganz  einverstanden  sein  wird.  Diese  hohen 
Gesichtspunkte,  diese  Besprechung  der  Prostitution  nicht  vom  engen 
sanilätspolizeilichen,  sondern  von  ethischen  Gesichtspunkten  aus 
finden  sich  auch  in  dem  interessanten  Vortrage  Gruber’s. 

Anknüpfend  an  eine  Brochure  von  Karl  Jentsch  polemisirt 
Gruber  zunächst  gegen  dessen  Auffassung,  die  Prostitution  sei 
ein  nolhwendiges  Hebel,  der  Staat  sei  gewissermassen  verpflichtet, 
nachdem  er  durch  seine  Einrichtungen  den  meisten  jungen  Männern 
die  frühzeitige  Eingehung  der  Ehe  unmöglich  macht,  für  eine  dem 
Gemeinwesen  ungefährliche  illegitime  Befriedigung  ihres  Geschlechts- 
Iriebes  zu  sorgen.  »Es  gibt  ke'ne  für  das  Gemeinwesen  ungefähr¬ 
liche  illegitime  Befriedigung  des  Geschlechtstriebes«,  dies  ist  die 
Behauptung,  die  Gruber  den  Ansichten  von  Jentsch  entgegen- 
stellt,  und  diese  Behauptung  zu  beweisen  ist  Hauptaufgabe  des 
Vortrages.  Gestützt  auf  eine  reiche  Statistik  weist  nun  Gruber 
die  grosse  Verbreitung  und  Bedeutung  der  venerischen  und  syphi¬ 
litischen  Erkrankungen  nach,  er  führt  aus,  wie  wenig  die  sanitäts¬ 
polizeiliche  Controle  ihrer  Aufgabe,  der  Assanirung  der  Prostitution, 
nachzukommen  vermöge;  »Wenn  die  ganze  ärztliche  Controle  der 
Prostitution  nicht  so  gut  gemeint  wäre,  gäbe  es  nur  ein  Wort,  um 
sie  richtig  zu  charakterisiren«,  und  kommt  so  zu  dem  Schlüsse: 
»Wer  sich  prostituirt,  wer  mit  Prostituirten  verkehrt,  muss  darauf 
gefasst  sein,  früher  oder  später  venerisch  zu  erkranken«. 

Mit  diesem  Satze  hat  Gruber  die  Behauptung  entkräftet, 
dass  es  Pflicht  des  Staates  sei,  für  illegitimen  Geschlechtsverkehr 
vorzusorgen;  er  bespricht  nun  eine  Reihe  von  höchst  bedeutungs¬ 
vollen  ethischen  Momenten,  um  zum  Schlüsse  zu  kommen,  die 
Aufgabe  des  Staates  liege  vielmehr  in  sexuell-ethischer  Erziehung 
der  männlichen  Jugend,  in  Erziehung  zur  Keuschheit,  zur  Ausübung 
der  Sexualfunctionen  nur  in  monogamischer  Ehe. 

* 

Die  physikalisch-diätetische  Therapie  der  Syphilis. 

Von  Dr.  Ziegclrotll,  dlrigirender  Arzt  am  Sanatorium  Birkenwerder 

bei  Berlin. 

Berlin  1900,  Max  Richter. 

Die  pseudowissenschaftliche  Brochure,  die  wohl  mit  den 
neuesten  wissenschaftlichen  Errungenschaften  herumwirft,  verdient 
keine  Besprechung  in  einer  ernsten  medicinischen  Zeitschrift,  sie 
ist  eine  versteckte  Reclame  für  das  Sanatorium  Birkenwerder 
bei  Berlin.  Wie  weit  man  bei  Behandlung  der  Syphilis  und,  wie 
Verfasser  will,  auch  der  Gonorrhoe,  mit  Hydrotherapie  und  Diät, 
mit  kaltem  Wasser  von  innen  und  von  aussen  kommen,  welche 
unverantwortliche  Schäden  man  mit  dieser  exspectativen  Therapie 
anrichten  kann,  das  ist  zu  bekannt,  als  dass  man  darauf  eingehen 
sollte.  Mit  Antimercurialisten  zu  polemisiren,  war  vor  50  Jahren 
am  Platze,  heute  aber  nicht,  besonders  dann  nicht,  wenn  der  Anti- 
mercurialismus  nur  der  Vorwand  für  ein  rein  geschäftsmässiges 
Unternehmen  darstellt. 

* 

Dermatologische  Vorträge  für  Praktiker. 

Von  Dr.  Jessner. 

Heft  3:  Pathologie  und  Therapie  des  Hautjuckens. 

1.  Theil:  Allgemeine  Pathologie  und  Therapie.  Pruritus  simplex. 

W  li  rzburg  1900,  A.  Stube  r. 

fu  sehr  eingehender,  die  Bedürfnisse  des  Praktikers  vor 
Allen  beachtender  Weise  geht  Jessner  in  diesem  Vortrage  zu¬ 
nächst  auf  die  allgemeine  Pathologie  des  Juckens  ein.  Ohne  Neues 
zu  bringen,  weiss  er  doch  das  Bekannte  und  Supponirte  in  der 
Pathologie  dieses  gerade  dunklen  Gapitels  in  interessanter  und  ein¬ 
gehender  Weise  vorzutragen,  die  ätiologischen  Momente,  die  Patho¬ 
logie  des  Processes,  soweit  bekannt,  in  klarer  Weise  darzustellen 
und  übergeht  schliesslich  zur  allgemeinen  Therapie  des  Hautjuckens, 
die  er  in  eingehender  Weise  darstellt,  wobei  wir  den  gesunden 
Skepticismus  des  Verfassers  in  der  Beurtheilung  der  Medicamente 
und  Medicationen  lohend  hervorheben  möchten. 

Verfasser  übergeht  nun  zur  Detailbesprechung  des  Gapitels, 
die  er  mit  der  Besprechung  des  Pruritus  eutaneus  idiopathicus, 
oder  wie  er  ihn  nennt,  »Pruritus  simplex«  beginnt,  indem  er 
dessen  einzelne  Formen,  den  Pruritus  universalis,  localis  etc.  ätio¬ 


logisch,  klinisch,  differentialdiagnostisch,  therapeutisch  in  über¬ 
sichtlicher,  detai I lirter,  immer  für  die  Bedürfnisse  des  Praktikers 
berechneter  Form  bespricht.  Das  lieft  reiht  sich  den  schon  er¬ 
schienenen  würdig  an  und  wird  gleich  den  früheren  seinen  Ab¬ 
nehmerkreis  finden. 

* 

Handbuch  der  Prophylaxe  von  Nobiling-Jankau. 

Abtheilung  II:  Die  Prophylaxe  bei  Haut-  und  Gesehlechtskrankheiteu. 

Von  Dr.  Max  Joseph. 

M  ü  neben  1 900,  Seitz  &  Schanz. 

Zu  den  verschiedenen  Handbüchern  der  Aetiologie,  der  Dia¬ 
gnose,  der  Pathologie,  der  Therapie  mit  denen  unternehmende 
Verleger  seit  einiger  Zeit  in  rascher  Folge  den  Büchermarkt  über¬ 
schwemmen,  hat  sich  nun  auch  ein  Handbuch  der  Prophylaxe 
hinzugesellt.  Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  die  Herausgabe  des 
Handbuches  der  Prophylaxe  ein  Bedürfniss  für  das  ärztliche  Pu¬ 
blicum  darstellt.  Referent  hat  nur  die  Aufgabe,  über  dessen  Ab¬ 
theilung  II,  die  Prophylaxe  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten, 
zu  referiren  und  muss  gestehen,  dass  dieses  aus  der  bekannten 
Feder  M.  J  o  s  e  p  h’s  stammende  Gapitel  seinem  Zwecke  völlig 
entspricht.  Naturgemäss  ist  das  erste  Gapitel  der  Prophylaxe  der 
Geschlechtskrankheiten  das  umfangreichere,  und  wir  finden  hier, 
mit  Anlehnung  an  die  letzte  Brüsseler  Gonferenz  alles  das  gesagt, 
was  ein  überzeugungstreuer  Reglementarist  über  diese  Frage  und 
deren  Zusammenhang  mit  der  Regelung  der  Prostitution  sagen  kann. 

Etwas  knapp  ist  das  zweite  Gapitel  der  Prophylaxe  der  Haut¬ 
krankheiten  naturgemäss  geworden,  es  umfasst  die  Prophylaxe  der 
Gewebeekzeme,  der  parasitären  Dermatosen,  der  Haarkrankheiten, 
enthält  das  Wenige,  was  über  dieses  Gapitel  zu  sagen  ist,  richtiger 
was  wir  über  das  Gapitel  »Prophylaxe«  hei  nicht  infectiösen 
Erkrankungen  wissen,  in  anschaulicher  Weise  zusammengefasst. 


Compendium  der  Hautkrankheiten  einschliesslich  der 
Syphilide  und  einer  kurzen  Kosmetik. 

Für  Studirende  und  A e r z t e. 

Von  Dr.  S.  Jessner,  Königsberg  i.  Pr. 

Zweite,  vollständig  urngeai beitete  und  sehr  erweiterte  Auflage. 

Königsberg  i.  Pr.  1900,  Thomas  &  Oppermann. 

Referent  halte  bereits  bei  Besprechung  der  ersten  Auflage  in 
diesen  Blättern  Gelegenheit,  auf  die  Vorzüge  dieses  Compendiums 
hinzuweisen,  die  glückliche  Verquickung,  die  in  der  Besprechung 
der  Hautkrankheiten,  Syphilide  mit  dem  noch  recht  vernachlässigten 
Gapitel  wissenschaftlicher  Kosmetik  liegt,  welche  Verquickung  be¬ 
sonders  dem  Praktiker  willkommen  sein  wird.  Es  genügt  daher,  bei 
Anzeige  der  zweiten  Auflage  daran  zu  erinnern  und  zu  betonen, 
dass  die  zweite,  vergrösserte  und  umgearbeitete  Auflage  ihrem 
Zwecke  voll  entspricht  und  den  Leserkreis  finden  wird,  den  sie 
vollauf  verdient. 

* 

Die  Syphilis  der  oberen  Luftwege  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  differentiellen  Diagnose  und  der 

localen  Therapie. 

Von  Dr.  Anton  Lieven  in  Aachen. 

If.  Theil:  Die  Syphilis  der  Mund  und  Rachenhöhle. 

Mit  einer  lithographischen  Tafel  und  zwei  Abbildungen  im  Text. 
Klinische  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Otologie  und  Pharyngo-Rhinologie, 
herausgegeben  von  Dr.  H  a  u  g  in  München.  VI,  2. 

Jena  1900,  G.  Fische  r. 

Wie  schon  der  Titel  besagt,  handelt  es  sich  in  der  Vorlage 
um  eine  monographische  Behandlung  der  Syphilis  der  Mund-  und 
Rachenhöhle.  Unter  sorgfältiger  Berücksichtigung  der  einschlägigen 
Literatur,  gestützt  auf  reiche  eigene  Erfahrung,  die  sich  in  den 
eingeflochtenen  Krankengeschichten  documentirt,  gibt  Verfasser  eine 
eingehende  klare  Schilderung  der  einschlägigen  Erkrankungen,  geht, 
was  Referent  besonders  betonen  möchte,  in  ausführlicher  Weise 
auf  die  differentielle  Diagnose  ein  und  bespricht  schliesslich  die 
locale  Therapie. 

Die  klar  und  sachlich  geschriebene  Brochure  ist  nicht  nur 
für  den  Laryngologen  und  Syphilidologen,  sondern  auch  für  den 
praktischen  Arzt  von  grosser  Bedeutung. 


Nr.  ö 0 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1171 


Zwei  Abbildungen  im  Texte,  vier  Farbentafeln  illustrircn 
in  klarer  Weise  die  verschiedenen  auf  der  Zunge  vorkommenden 
luetischen  und  ihnen  ähnlichen,  nicht  luetischen  Affecte,  eine 
Frage,  der,  wegen  ihrer  hohen  Bedeutung,  Verfasser  auch  textlich 
eine  ausführliche  Besprechung  zu  Theil  werden  lässt. 

* 

Die  Krankheiten  der  männlichen  Harnorgane. 

Vorlesungen  über  Diagnostik  und  Therapie  für  Aerzte  und  Studirende  von 

Di-,  Martin  Friedländer. 

Berlin  1900,  L.  Mareu  s. 

Das  vorliegende  Buch  ist  nach  dem  Berichte  des  Verfassers 
in  dessen  Vorwort  aus  Cursen  und  Vorlesungen  entstanden,  welche 
derselbe  an  der  Lassar’schen  Klinik  über  die  Krankheiten  der 
männlichen  Harnorgane  gehalten  hat. 

Die  Form  von  Vorlesungen,  in  der  das  Buch  herausgegeben 
ist,  ist  ja  für  den  Verfasser  in  gewissem  Sinne  eine  Erleichterung, 
eine  Begünstigung,  sie  macht  es  ihm  möglich,  seine  Persönlichkeit 
mehr  in  den  Vordergrund  zu  schieben;  sie  gestattet  eine  ungleich- 
massige  Behandlung  des  Stoffes  etc.  Stets  aber  muss  von  Dem- 
jenigen,  der  Vorlesungen  herausgibt  und  seihst  hält,  der  sich  also 
das  Recht  vindicirt,  Andere  zu  belehren,  gefordert  werden,  dass  er 
den  von  ihm  vorgetragenen  Stoff  auch  völlig  beherrsche.  Er  kann 
ja  dieser  oder  jener  Meinung  sein,  aber  er  muss  in  die  Ansichten, 
die  in  der  Materie  herrschen,  eingedrungen  sein,  muss  sie  ver¬ 
stehen,  auch  wenn  er  sie  nicht  theilt.  Die  vorliegenden  »Vor¬ 
lesungen«  entsprechen  dieser  Anforderung  nicht,  sie  verrathen  an 
mehr  als  einer  Stelle,  dass  Verfasser  den  Stoff,  über  den  er  vor¬ 
trägt,  nicht  genügend  beherrscht.  Wenn  Verfasser  auf  pag.  8  und 
auf  pag.  49  den  Sphincter  externus  in  den  Bulbus  urethrae  (sic!) 
verlegt,  wenn  er  (pag.  49)  die  Behauptung  aufstellt,  dass  von 
mancher  Seite  angenommen  werde,  dass  bei  Urethritis  posterior  chronica 
die  zweite,  bei  Urethritis  anterior  chronica  nur  die  erste  Portion  des 
Harnes  Fäden  führt,  wenn  er  seinen  Hörern  von  der  Thomp  son’schen 
Zweigläserprobe  nur  das,  was  er  auf  pag.  50  sagt,  von  der 
Irrigationsprobe  aber  gar  nichts  zu  sagen  weiss,  wenn  er  auf 
pag.  68  sagt,  dass  die  Guyon'sche  Tropfspritze  drei  Hände  zur 
Bedienung  braucht,  also  nur  unter  Assistenz  des  Patienten  ge- 
handhabt  werden  kann,  wenn  er  pag.  191,  um  nur  noch  ein 
Beispiel  anzuführen,  in  jedem  Falle  von  Epididymitis  gonorrhoica 
den  Hoden  selbst  an  der  Schwellung  theilnehmen  lässt,  wenn  Ver¬ 
fasser  endlich  in  der  Therapie  sich  als  Schwärmer  für  Zincum  sul- 
furicum  entpuppt  und  seinen  Hörern,  respective  Lesern,  gar  nichts 
über  die  grosse  Umwälzung  in  der  Therapie  der  Gonorrhoe  durch 
Einführung  der  Silbereiweisse,  über  deren  Bedeutung  etc.  milzutheilen 
hat,  dann  stellt  sich  der  Verfasser  damit  wohl  das  Zeugniss  aus, 
dass  es  für  ihn  besser  wäre,  Vorlesungen  über  die  Krankheiten 
der  männlichen  Genitalorgane  zu  hören,  als  solche  zu  halten  und 
zu  schreiben. 

Referent  ist  damit  aber  auch  nicht  in  der  Lage,  das  lücken¬ 
hafte,  zahlreiche  sachliche  Unrichtigkeiten  enthaltende  Werk  zu 
empfehlen.  Finger. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

524.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  in  Strassburg.)  II  e  b  e  r 
ein  neues  pathogenes  keulenförmiges  Bacterium 
der  Lymphe  (Go  rynehacterium  lymphae  v  a  c  c  i  n  a  1  i  s). 
Von  Levy  und  F  i  c  k  1  e  r.  N  ak  a  n  i  s  h  i  hat  vor  Kurzem  über 
einen  constant  in  Vaccinepusteln  von  Kindern  und  Kälbern  vor¬ 
kommenden  Bacillus  berichtet,  den  er  vorläufig  für  den  der 
Vaccine  und  Variola  ansehen  will.  Levy  und  Fi  ekler  haben 
allem  Anscheine  nach  denselben  Bacillus  vorgefutiden  und  vor¬ 
läufig  constatirt,  dass  derselbe  für  Mäuse  pathogen  sei.  Sie 
rechnen  ihn  unter  die  Pseudodiphtheriebacillen  und  wegen  seiner 
Kolben-  und  Keulenbildung,  sowie  seiner  Verzweigungen  zur 
Gruppe  der  Aktinomyceten,  und  zwar  zu  dem  Genus  Coryne- 
baetcrium.  —  (Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  26.) 

* 


525.  Zur  Einwander  u  n  g  v  o  n  F  r  e  m  d  körpern  in 
den  Dünndarm  nach  Laparotomie.  Von  Dr.  W  unde r- 
lich  (Neudorf).  Eine  Ovarialcyste  mit  mehrfachen  Adhäsionen  war 
durch  Laparotomie  entfernt  worden.  Nachher  fieberloser,  typischer 
Verlauf.  3'/2  Monate  später  trat  Diarrhöe  auf  und  bei  einer  der 
Stuhlentleerungen  machte  die  Dame  Lärm,  da  ihr  der  Darm  heraus¬ 
trete;  ihre  Schwester  entfernte  ihr  darauf  aus  dem  After  eine 
Gompresse  von  21cm  Breite  und  100  cm  Länge.  —  (Münchener 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  28.) 

* 

526.  Der  Aderlass  bei  Ilitzschlag.  Von  Dr.  Klein 
(Giessen).  Ein  kräftiger  Heizer  eines  Seedampfers  war  von  einem 
schweren  Hitzschlage  befallen  worden;  die  tiefe  Bewusstlossigkeif 
und  die  allgemeinen  Krämpfe  widerstanden  den  üblichen  Mitteln; 
als  schliesslich  die  Zeichen  zunehmender  Herzschwäche  auftraten, 
wurde  ein  Aderlass  (220^)  angewendet,  welcher  nach  der  an¬ 
gegebenen  Schilderung  als  ein  lebensretlender  bezeichnet  werden 
muss.  Hoesslin  berichtet  über  eine  schwere  Urämie,  die 
durch  einen  Aderlass  (300 g)  beseitigt  werden  konnte.  —  (Mün¬ 
chener  medicinische  Wochenschrift,  1900,  Nr.  27.) 

* 

527.  In  der  Freien  Vereinigung  der  Chirurgen  Berlins  be¬ 
richtete  Dr.  Heintze  über  einen  Fall  von  spontaner 
Oesophagusruptur.  Dieselbe  war  bei  einem  gesunden, 
43jährigen  Mann,  unmittelbar  nach  einer  Mahlzeit  aufgetreten;  Tod 
nach  heftigen  Magenschmerzen  unter  Gollaps  nach  sieben  Stunden. 
Die  longitudinal  verlaufende  1  '/2  cm  lange  Perforationsstelle  befand 
sich  nahe  der  Gardia.  Makroskopisch  konnte  keine  Veranlassung 
hiefür  festgestellt  werden  und  mikroskopisch  zeigten  sich  auch  nur 
die  Zeichen  einer  Irischen  Entzündung. 

* 

528.  (Aus  der  medicinischen  Klinik  in  Zürich.)  Nach¬ 
theilige  Erfahrungen  bei  der  s  u  b  c  u  t  a  n  e  n  Anwen¬ 
dung  der  Gelatine  als  blutstillendes  Mittel.  Von 
Dr.  Freud weiler.  Es  handelt  sich  um  zwei  Fälle  von  Nieren- 
blulungen,  welche  auf  die  Gelatine-Injection  hin  noch  stärker 
wurden;  dazu  war  weiters  noch  eine  Hämoglobinurie  und  eine 
Vermehrung  des  Harneiweisses  aufgetreten.  Verfasser  hält  bestehende 
Nierenerkrankungen  für  eine  Contraindication  gegen  Gelatine- 
Injectionen.  —  (Genlralblatt  für  innere  Medicin.  1900,  Nr.  27.) 

* 

529.  Die  Widerstandsfähigkeit  des  Virus  der 
T  o  1 1  w  u  t  h  gegen  Fäulnis s.  Von  Prof.  R a  t  z  (Pest).  Die 
mit  Gehirn  von  14  bis  24  Tage  verscharrten  Kaninchencadavern 
geimpften  Versuchsthiere  erkrankten  an  Tollwuth,  das  heisst:  das 
W  uthvirus  widersteht  wenigstens  durch  ebensoviel  Tage  der 
Fäulniss.  —  (Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XXVIf,  Nr.  24.) 

* 

530.  Ueber  Medullarnarkose  bei  Gebärenden- 
Von  Dr.  Kreis  (Basel).  Bekanntlich  hat  Bier  Versuche  gemacht, 
durch  Injection  von  Cocain  in  den  Rückgratscanal  die  untere 
Körperhälfte  anästhetisch  zu  machen.  Bum  m  in  Basel  hat  bei 
Gebärenden  zwischen  dem  vierten  und  fünften  Lendenwirbel 
0  01  Cocain  injicirt  und  dabei  gefunden,  dass  dabei  die  Wehen 
vollständig  schmerzlos  wurden,  und  dass  dieser  Zustand  der  An¬ 
ästhesie  etwa  zwei  Stunden  lang  anhielt.  Als  Nachwirkungen  wurden 
Erbrechen  und  Kopfweh  beobachtet,  —  (Centralblatt  für  Gynäko¬ 
logie.  1900,  Nr.  28.) 

* 

531.  Im  ärztlichen  Verein  zu  Berlin  demonstrirte  G  u  g  e  n  h  e  i  m 
einen  18jährigen  Patienten  mit  einer  linksseitigen,  vollkommen 
angeborenen  Halskiemenfistel.  Die  äussere  ( )effnung, 
aus  der  Schleim  hervorquoll,  lag  etwas  oberhalb  der  Mitte  an  der 
Innenseite  des  Kopfnickers.  Die  Sondirung,  welche  einen  Hustenreiz 
auslöste,  gelang  nur  bis  zu  einer  Tiefe  von  73/4  c?»,  jedoch  war 
der  Gang  für  Flüssigkeit  durchgängig.  Beim  Durchspritzen  einer 
solchen  fand  man  die  innere  Oeffnun«'  zwischen  linker  Mandel  und 

o 

hinterem  Gaumenbogen. 


* 


1172 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


532.  Dr.  Delbanco  demonstrirte  am  17.  April  in  der  biologi¬ 
schen  Abtheilung  des  ärztlichen  Vereines  in  Hamburg  gefärbte  Sputum¬ 
präparate,  welche  Gebilde  zeigten,  die  man  bei  oberflächlicher 
Untersuchung  für  Tuberkelbacillen  hätte  halten  können,  in 
Wirklichkeit  aber  Lykopodiumsamen  darstellten,  mit  denen 
das  Sputum  verunreinigt  war.  Die  Säurefestigkeit  dieser  Samen 
beruht  wahrscheinlich  auch  auf  Fettsäuren,  wie  sie  ebenfalls  bei 
den  Korkzellen  nachgewiesen  werden  konnten. 

* 

533.  Die  Magenpumpe  als  Peristalticum.  Von 
Dr.  Z  i  e  m  s  s  e  n  (Wiesbaden).  Durch  täglich  wiederholte  Einführung 
einer  Magenpumpe  und  daran  geschlossene  Ausspülung  mit  15  bis 
20  £  Wiesbadener  Kochbrunnenwassers  (0-6%  Kochsalzgehalt)  soll 
man  im  Stande  sein,  nicht  allein  die  Peristaltik  des  Magens, 
sondern  des  ganzen  Darmtractes  dergestalt  anzuregen,  dass 
schliesslich  eine  halbe  bis  eine  Stunde  nach  der  Manipulation 
mehrere  breiige  Stuhlgänge  erfolgen.  Patienten  mit  hartnäckiger 
Obstipation  sollen  auf  diese  Weise  schon  nach  achttägiger  An¬ 
wendung  der  Magenpumpe  manchmal  dauernd  geheilt  werden 
können.  —  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  33.) 

* 

534.  (Aus  der  medicinischen  Abtheilung  des  Allgemeinen 
Krankenhause  in  Hamburg.)  Ueber  eine  das  Bild  des 
Typhus  bietende  Erkrankung,  hervorgerufen  durch 
typhusähnliche  Bacillen.  Von  Dr.  Schottmüller.  Der 
Fall  bot  sich  klinisch  als  typischer  Typhus,  Widal  war  jedoch 
negativ.  Aus  dem  der  Armvene  entnommenen  Blute  konnte  ein 
dem  Typhusbacillus  morphologisch  und  biologisch  ganz  gleich  sich 
verhaltender  Bacillus  gezüchtet  werden,  welcher  jedoch  die  Eigen¬ 
schaft  hatte,  in  Zuckerbouillon  Gährung  hervorzurufen.  —  (Deutsche 
medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  32.) 

* 

535.  (Aus  dem  serotherapeutischen  Institute  des  Professors 
Pal  tauf  in  Wien.)  Besitzt  die  Galle  Lyssavirus 
schädigende  Eigenschaften?  Von  Dr.  Kraus.  Die  ange- 
stellten  Versuche  lehrten,  dass  die  Galle  im  Stande  ist,  das  Lyssa¬ 
gift  zu  zerstören.  Kaninchen,  die  mit  einer  Mischung  von  Galle 
und  Virus  fixe  subdural  geimpft  worden  waren,  blieben  am  Leben. 
—  (Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infectionskrankheiten.  Bd.  XXXIV, 
Heft  1.) 

* 

536.  Ein  Fall  von  Hautkrebs  mit  Röntgen- 
Strahlen  behandelt.  Von  Dr.  Stenbeck  (Stockholm).  Das 
auf  dem  Nasenrücken  einer  72jährigen  Frau  befindliche  Cancroid 
wurde  täglich  zehn  bis  zwölf  Minuten  aus  einer  Entfernung  von 
15 — 20  cm  bestrahlt.  Nach  etwa  35  Sitzungen  begannen  die  Ge¬ 
schwüre  sich  zu  reinigen  und  konnten  im  weiteren  Verlaufe  der 
Behandlung  zur  vollständigen  Ueberhäutung  gebracht  werden.  — 
(Mittheilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie. 
Bd.  Vr,  Heft  3.) 

* 

537.  Zur  Fettembolie.  Von  Prof.  Ribbert  (Marburg). 
Verfasser  ist  der  Ansicht,  dass  die  Fettembolie  von  der  Fractur 
unabhängig  ist,  dass  sie  vielmehr  mit  der  Erschütterung  des 
Skeletes  zusammenhängt.  Jedes  mit  Knochenerschütterung  ver¬ 
bundene  Trauma  hat  eine  Fettembolie  zur  Folge,  vorausgesetzt, 
dass  das  Individuum  überhaupt  fetthaltiges  Knochenmark  hat.  Sie 
tritt  z.  B.  auch  bei  einem  Menschen  auf,  der  aus  müssiger  Höhe 
herunterspringt  und  dabei  hart  aufstösst.  Solche  leichte  Embolien 
haben  keine  ernsten  Folgen.  ■ —  (Deutsche  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1900,  Nr.  26.) 

* 

538.  Im  Vereine  für  innere  Medicin  in  Berlin  berichtete  am 
18.  Juni  Dr.  Kohn  über  einen  bemerkenswerthen  Fall  von 
I  hymustod  bei  einem  7y2  Monate  alten  Kinde.  Die  ver- 
grösserte  Thymus  hatte  auf  die  Aorta  in  der  Gegend  des  Ductus 
Botalli  einen  Druck  ausgeübt,  durch  welchen  es  zu  einer  Er¬ 
weiterung  der  Aorta  ascendens  wie  bei  einem  Aneurysma  kam,  in 
Folge  deren  sich  eine  Hypertrophie  und  Dilatation  des  rechten 
Ventrikels  und  schliesslich  Herzparalyse  einstellte. 

* 


539.  Warum  recidiviren  Nasenpolypen?  Von 
Dr.  Cholewa  (Cassel).  Nach  Verfasser  sind  die  Polypen  nicht 
die  Folge  einer  Veränderung  der  Nasenschleimhaut,  sondern  einer 
infectiösen  Erkrankung  der  Nasenknochen.  Ist  diese  ausgeheilt  und 
sind  dann  die  Polypen  entfernt  worden,  so  kommen  sie  nicht 
wieder;  sie  recidiviren  jedoch,  wenn  der  Knochenprocess  weiter 
besteht.  —  (Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde.  1900,  Nr.  3.) 

* 

540.  (Aus  der  Klinik  des  Prof.  Esc  her  ich  in  Graz.) 
Zur  Aetiologie  des  Keuchhustens.  Von  Dr.  L  u  z  z  a  1 1  i. 
Es  gelang  in  den  meisten  von  41  untersuchten  Fällen  zwei 
Bacillen  zu  finden,  von  denen  der  eine  dem  Pneumococcus,  der 
andere  ganz  dem  Influenzabacillus  ähnlich  ist.  Der  letztere,  der 
in  Fällen  gefunden  wurde,  in  denen  von  Seite  der  Lungen 
gar  keine  Erscheinungen  bestanden  halten,  und  welcher  als 
Bac.  minutissimus  sputi  bezeichnet  wird,  könnte  möglicher  Weise 
der  Erreger  des  Keuchhustens  sein.  —  (Centralblatt  für  Bacteriologie. 
1900,  Nr.  24.) 

* 

541.  Ein  bei  der  Behandlung  incarcerirter 
Hernien  vernachlässigter  Punkt.  Von  Whiteford 
(Plymouth).  Es  wird  gewöhnlich  gar  nicht  beachtet,  dass  häufig 
oberhalb  der  incarcerirten  Stelle,  wie  leicht  erklärlich,  der  Darm 
ausgedehnt  und  mit  flüssigen  Kothmassen  angefüllt  ist,  die  nach 
der  Operation  hie  und  da  von  selbst  in  enormen  Quantitäten  per 
anum  abgehen.  Ist  das  nicht  der  Fall,  so  kommt  es  häufig  zur 
Weiterentwicklung  der  Obstruetionssymptome.  Nach  Verfasser  ist 
für  eine  sofortige  Drainage  des  ausgedehnten  Darmstückes 
Sorge  zu  tragen.  —  (Brit.  med.  Journ.  16.  Juni  1900.) 

* 

542.  Die  Vita  propria  der  Zellen  desPeriostes. 
Von  Dr.  Morpurgo.  Die  Versuche  bestätigen  die  Ansicht,  dass 
die  Zellen  eines  Periostes,  welches  in  gar  keinem  Zusammenhänge 
mit  dem  Körper  mehr  steht,  sehr  lange  am  Leben  bleiben, 
beziehungsweise  transplan tirt  noch  Knochen  bilden  können.  Ein 
derartiges  Periost  des  Huhnes,  bei  40°  C.  gehalten,  war  nach 
etwa  100  Stunden,  ein  bei  15°  gehaltenes  nach  165  Stunden 
und  ein  anderes  bei  einer  Temperatur  von  3  —  6°  nach  192  Stunden 
noch  lebens-  und  functionsfähig.  —  (Virchow's  Archiv.  Bd.  CLVII, 
Heft  1.) 

* 

543.  Pupillenveränderungen  bei  Pneumonie. 
Von  Dr.  Sighicelli.  Die  folgenden  Beobachtungen  wurden  im 
Ospedale  maggiore  in  Mailand  angeblich  bei  etwa  100  Pneumonie¬ 
fällen  gemacht.  Es  soll  in  den  meisten  Fällen  zu  einer  doppel¬ 
seitigen  Mydriasis  kommen,  die  Verfasser  als  eine  Antitoxinwirkung 
auffasst;  sie  soll  auf  der  befallenen  Seite,  was  auch  diagnostisch 
von  Belang  sein  könnte,  stärker  sein.  Der  pneumonische  Herd  soll 
eine  Reizung  des  Vagus  und  damit  auch  eine  solche  des  ersten 
Sympathicusganglions  und  dadurch  die  Mydriasis  auslösen.  Das 
Fehlen  derselben  würde  nach  Verfasser  einer  verminderten  Erreg¬ 
barkeit  des  Vagus  oder  einer  ungenügenden  Antitoxinbildung  gleich¬ 
kommen  und  somit  ein  prognostisch  ungünstiges  Zeichen  darstellen. 
- —  (Clinica  med.  Ital.  1900.) 

* 

544.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  v.  Berg¬ 
mann,  Berlin.)  Exstirpation  eines  Fibrolipoms  im 
retroperitonealen  und  Beckenbindegewebe.  Von 
Dr.  König.  Der  Tumor,  der  22  Pfund  wog,  war  einem  44jährigen 
Manne  exstirpirt  worden.  Zugleich  war  hier  der  Descensus  des 
linken  Testikels  ausgeblieben  und  derselbe  als  atrophischer  Leisten¬ 
hoden  vorgefunden  worden.  Den  Grund  für  diese  Hodenretention 
erblickt  König  in  einer  Umwachsung  des  Samenleiters  von  der 
Geschwulst,  was  wieder  den  Gedanken  rege  macht,  dass  die 
Geschwulst  fötalen  Ursprunges  gewesen  sein  könnte.  Weiters  ist 
an  dem  Falle  noch  besonders  bemerkenswert!^  dass  es  zwei  Tage 
nach  der  glücklich  ausgeführten  Operation,  wohl  in  Folge  der 
bedeutenden  Blutdruckherabsetzung,  welche  durch  die  Entfernung 
des  Tumors  bedingt  war,  zu  Magenblutungen  gekommen  war.  Am 
achten  Tage  bei  bestem  Wohlbefinden  Herzcollaps  und  Tod. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  28.) 

* 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1173 


545.  Der  Keimgehalt  der  normalen  Galle.  Von 
Dr.  Ehret  und  Dr.  Stolz  (Strassburg).  In  der  normalen  Galle 
kommen  Keime  vor,  die  in  der  Regel  aus  dem  Darme  stammen. 
Es  ist  aber  nicht  ausgeschlossen,  dass  einzelne  Keime,  jedoch  nur 
in  Ausnahmsfällen,  durch  die  Blutbahn  hinein  gelangen.  —  (Mit¬ 
theilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medicin  und  Chirurgie.  Bd.  VI, 
Heft  3.) 

* 

546 .  Zur  parasitischen  Natur  des  Brust¬ 

krebses.  Von  Marmaduke  Scheild.  Verfasser  entfernte 
1898  bei  einer  36jährigen  Frau  wegen  einer  »malignen  Dermatitis« 
(Paget's  disease)  die  linke  Mamma.  Im  Präparate  waren  Psoro- 
spermien  gefunden  worden.  Zwei  Jahre  später  ein  Carcinomknoten 
am  sternalen  Ende  der  Narbe,  in  welchem  die  Zellen  reichlich 
vacuolenhältig,  das  heisst  wahrscheinlich  psorosperinienhältig  ge¬ 
funden  wurden.  Verfasser  hält  den  zweiten  Knoten  für  bedingt 
durch  eine  Infection,  die  noch  auf  die  erste  Erkrankung  zurück¬ 
zuführen  ist.  - —  (Brit.  med.  Journ.  16.  Juni  1900.)  Pi. 

* 

547.  (Associazione  med.-chir.  di  Parma.)  Appendicitis 

mit  Abgang  des  Appendix  im  Darmwege.  Von 
Generosi.  Nach  17tägiger  Krankheit  entleerte  ein  13jähriges 
Mädchen  mit  den  Fäces  den  ganzen  Wurmfortsatz;  Tags  darauf 
etliche  Hühnerknochen.  Der  demonstrirte  11cm  lange  Wurmfortsatz 
zeigt  zwei  Geschwüre.  In  der  Discussion  wird  eingewendet,  ob  es 
sich  bei  mangelnder  histologischer  Prüfung  nicht  um  ein  Exsudat 
handle,  welches  die  Form  des  Appendix  angenommen  hat.  —  (La 
Riforma  medica.  242,  19.  October  1900.)  Sp. 

* 

548.  Mittheilungen  aus  der  städtischen 
Diphtherie-Untersuchungsstation  in  Chemnitz. 
Von  Dr.  Scho  edel.  In  einem  tödtlich  abgelaufenen  Falle  von 
Rachendiphtherie  war  auch  eine  Magendiphlherie  mit  Löf  flei¬ 
schen  Bacillen  in  Reincultur  vorgefunden  worden.  Der  Befund  von 
Diphtheriebacillen  im  Magen  konnte  trotz  vorhandenem  saurem 
Magensafte  noch  einige  Male  gemacht  werden.  In  einem  Falle 
konnten  diese  Bacillen  auch  im  unteren  Ileum,  wo  eine  Enteritis 
follicularis  bestand,  und  einmal  unter  acht  Fällen  im  abgesetzten 
Stuhle  eines  Diphtheriekranken  nachgewiesen  werden.  Verfasser 
bespricht  auch  das  von  Joos  für  Anlegung  von  Diphtheriebacillen- 
culturen  empfohlene  Serum-Agar.  Dasselbe  erreicht  zum  Zwecke  der 
Schnelldiagnose  nicht  das  Löffler’sche  Blutserum,  ist  aber  für 
Laboratoriumsversuche,  da  es  durchsichtig  und  haltbar  ist  und 
Culturen  in  ihm  durch  sechs  Monate  lebensfähig  bleiben  können, 
empfehlenswerth.  —  (Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1900, 

Nr.  26.)  Pi. 

* 

549.  Das  rothe  Licht  in  der  Behandlung  der 
Masern.  Von  Puyadon  (Barcelona).  Verfasser  behauptet,  einen 
günstigen  Einfluss  des  rothen  Lichtes  auf  die  Masern;  bemerkens- 
werthe  Abnahme  des  Fieber,  das  Exanthem  zeige  sich  rascher,  die 
Abschuppung  gehe  langsamer  vor  sich.  Das  rothe  Licht  soll  gleich 
im  Beginne  der  Krankheit  zur  Anwendung  kommen.  Verfasser 
empfiehlt  kleine  rothe  Vorhänge  und  Vermeidung  des  Eindringens 
weissen  Lichtes.  —  (Le  Scalpel.  Nr.  18,  28.  October  1900.) 

Sp. 


THERAPEUTISCHE  NOTIZEN. 

Ueberdie  Behandlung  der  Incontinentia  urinae 
Von  Madame  P  e  r  1  i  s.  Verfasserin  bat  gegen  dieses  Leiden  Rhus 
aromatica,  und  zwar  das  Extract,  fluid,  statt  der  alkoholischen  Tinctur, 
angewendet.  Rp. :  Extract,  fluid,  rhus  aromat.  gutt.  5 — 20  (nach  dem 
Alter),  Syrup,  aromat.  gutt.  20,  Aq.  destill.  q.  s.  dreimal  täglich. 
Man  steigt  nach  und  nach  bis  zu  80  Tropfen  des  Extractes  für  einen 
Tag.  Vom  sechsten  Tage  an  steigt  zuweilen  die  Zahl  der  nächtlichen 
Entleerungen.  Die  Statistik  weist  66%  Heilungen,  25%  Besserungen 
und  9%  Misserfolge  auf.  Das  Mittel  kann  nur  bei  essentieller  Incon- 
tinenz,  nicht  aber  bei  Combination  mit  Hysterie,  Genitalerkrankungen  etc. 
von  Erfolg  sein.  Nebenerscheinungen  treten  nicht  auf.  —  (Journal 
medical  de  Bruxelles.  46,  15.  November  1900.) 

* 


Ueber  Beobachtungen  bei  Formalinanwendung. 
Von  Ran  eile  tti.  Verfasser  empfiehlt  das  Formalin  bei  feuchter 
Gangrän,  um  eine  Mumificirung  und  Ausstossung  des  Gewebes  ohne 
Gefahr  für  den  Kranken  herbeizuführen.  Auch  behauptet  er,  durch 
dieses  Mittel  ein  inoperables  Epitheliom  geheilt  zu  haben;  in  jedem 
Falle  sei  es  bei  malignen  Tumoren  als  Palliativum  zu  versuchen.  — 
(La  Riforma  medica.  260,  10.  November  1900.)  Sp. 

* 

Yohimbin  (Spiegel),  ein  neues  Aphrodisiac  um. 
Wie  schon  in  Nr.  49  der  „Wiener  klinischen  Wochenschrift“  berichtet 
wurde,  stammt  das  Yohimbin  aus  der  Rinde  eines  eichenähnlichen 
Baumes  in  Deutsch-Südwestafrika,  wo  deren  Abkochungen  den  Einge¬ 
borenen  schon  dazu  dienen,  den  Geschlechtstrieb  anzuregen.  Die  Rinde 
wurde  von  L.  Spiegel  in  Rerlin  chemisch  untersucht  und  dabei  ein 
Alkaloid,  Yohimbin,  gefunden,  dem  die  Wirksamkeit  der  Rinden¬ 
abkochungen  zukommt.  Physiologisch  erweist  es  sich  als  ein  Herz  und 
Athmung  lähmendes  Gift,  und  zwar  beträgt  die  tödtliche  Dosis  für 
Kaninchen  bei  intravenöser  Anwendung  0  011,  subcutan  0  05  pro 
Kilogramm  Thier.  Ueber  die  Wirkung  des  Yohimbin,  durch  Hyperämie 
der  Genitalien  Erectionen  hervorzurufen,  wurde  schon  berichtet.  In  den 
wenigen  Fällen,  da  das  Mittel  beim  Menschen  versucht  wurde,  waren 
fünf  bis  zehn  Tropfen  dreimal  täglich  von  Sol.  yohimbini  hydrochlor. 
Spiegel  1  :  100  verordnet  worden.  Die  Lösung  muss  in  der  Wärme 
hergestellt  werden.  Neuerdings  werden  schon  von  einer  Fabrik 
(G  ü  s  t  r  o  w)  Dr.  S  p  i  e  g  e  l’s  „Yohimbintabletten“  hergestellt,  von  denen 
jede  0'005  des  Chlorhydrates,  beziehungsweise  zehn  Tropfen  der  obigen 
Lösung  entspricht.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  11.) 

* 

(Aus  dem  städtischen  Krankenhause  in  Hirschberg,  Schlesien.) 
Die  Verwendung  des  Wasserstoffsuperoxydes  in 
der  Wundbehandlung.  Von  Dr.  Müller.  Das  Wasserstoff¬ 
superoxyd  steht  hinsichtlich  seiner  bactericiden  Eigenschaft  zwischen 
l%0iger  Sublimatlösung  und  essigsaurer  Thoneide,  ist  dabei  in  3%iger 
Lösung  für  thierische  Gewebe  ganz  indifferent.  Besonders  für  eiternde 
und  jauchende  Wunden  soll  es  ein  vorzügliches  Mittel  für  die  Reinigung 
sowie  Desodorisirung  der  Wunden  sein.  Es  ist,  gut  verschlossen  und 
in  dunkler  Flasche  aufbewabrt,  monatelang  haltbar.  —  (Deutsche 

medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  46.) 

* 

Zur  Kenntniss  einiger  neuer  Arzneimittel.  Von 
Dr.  Over  lach  (Greiz).  Das  Eupyrin  ist  eine  Vanillin  p-Phene- 
tidinverbindung  und  soll  seiner  Zusammensetzung  nach  gegen  die 
Gefahr  des  Collapses  beim  Sinken  der  Fiebertemperatur  durch  das  be¬ 
lebende  Vanillinäthylcarbonat  eine  Gewähr  bieten.  Die  Entfieberung 
tritt  auf  L5  Eupyrin  durchschnittlich  nach  drei  Stunden  ein.  —  (Central¬ 
blatt  für  innere  Medicin.  1900,  Nr.  45.) 

* 

Die  Behandlung  von  Enteritis  mit  Xeroform. 
Von  B.  Petrucci  (Parma).  Verfasser  hält  das  Xeroform  für  ein 
gutes  Mittel  gegen  die  Diarrhöen  der  acuten  Enteritis,  welches  den 
klinischen  Erfordernissen  entsprechend  als  Adstringens  und  Desinficiens 
wirkt  und  dabei  keine  schädlichen  Nebenwirkungen  haben  soll.  Die  Dosis 
betrug  0  35 — 0‘5  vier-  bis  fünfmal  täglich  in  Oblaten  bei  Erwachsenen 
und  0’1 — 025  dreistündlich  in  Gummiemulsion  für  Kinder.  —  (Rendi- 

conti  dell’  assoc,  med. -chirurg.  di  Parma.  1900,  Nr.  8.) 

* 

Ueber  die  Wirkung  des  Lignosulfit.  auf  den 
Lungenprocess  bei  der  Schwindsucht.  Von  Dr.  Simon 
(Neunkirchen).  Lignosulfit  ist  ein  Gasgemenge  von  scliwefeliger  Säure 
und  aromatischen  Stoffen,  an  eine  braune  Flüssigkeit  gebunden.  Man 
lässt  eine  10%ige  Lösung  verdunsten  und  die  Kranken  in  dieser 
Atmosphäre  sich  durch  ein  bis  zwei  Stunden  aufhalten.  Da  die  Reizung 
anfangs  häufig  eine  starke  ist,  kann  es  nothwendig  werden,  öfters 
einige  Tage  mit  der  Inhalation  auszusetzen.  Nach  Simon  kommt  es 
durch  das  Lignosulfit  zu  schneller  Abstossung  des  abgestorbenen 
Lungengewebes;  sind  Cavernen  vorhauden,  dauert  die  Abheilung 
Monate;  bei  Eintritt  von  Hämoptoe  ist  die  Behandlung  ein  bis  zwei 
Wochen  auszusetzen.  —  (Therapeutische  Monatshefte.  1900,  Nr.  10.) 

* 

Ueber  Fersan,  ein  neues  eisen-  und  phosphor¬ 
haltiges  Nährpräparat.  Ueber  dasselbe  äussert  sich  Doctor 
K.  Kornauth,  Vorstand  der  bacteriologischen  Abtheilung  der  k.  k. 
chemischen  landwirtschaftlichen  Versuchsstation  in  Wien,  wie  folgt: 
1.  Das  Fersan  hat  im  Verlaufe  der  angestellten  Versuche  keine 
störenden  Nebenwirkungen,  wie  Appetitlosigkeit,  Verstopfung,  Diar¬ 
rhöen  u.  s.  w.  nach  sich  gezogen  und  ist  auch  in  grösseren  Mengen 
durch  längere  Zeit  von  der  Versuchsperson  ohne  Widerwillen  und  gut 
vertragen  worden.  2.  Es  ist  ein  aufgeschlossenes  Eisenacidalbuminat, 
welches  keine  Ansprüche  an  die  Verdauungsfähigkeit  des  Magens  stellt, 
im  Magen  nicht  coagulirt  und  vom  Darm  selbst  in  grösseren  Quanti- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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täten  fast  vollständig  resorbirt  und  assimilirt  wird.  3.  Es  enthält  auch 
bedeutende  Mengen  von  Eisen  und  Phosphor  organisch  gebunden  und 
wird  sich  daher  namentlich  fiir  solche  Individuen  eignen,  die  neben 
Eiweiss  auch  Eisen  und  Phosphor  aufnehmen  sollen,  insbesondere  jenen 
Nährmitteln  gegenüber,  die  diese  Stoffe  überhaupt  nicht,  oder  in 
geringerem  Grade  enthalten.  4.  Es  kann  das  Fleisch  in  hohem  Grade 
vertreten  und  verdient  daher  thatsächlich  die  Bezeichnung  „Nähr¬ 
präparat“.  5.  Es  reizt  den  Darm  nicht  und  es  hat  auch  die  Ernährung 
mit  Fersan  gegenüber  jener  mit  Fleisch  keine  wesentlich  höhere 
KothbilJung  zur  Folge.  —  (Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische 
Therapie.  Bd.  IV,  Heft  6.) 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Verl  i  e  h  e  n :  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Ernst  F  r  i  e- 
dinger  in  Streugberg  das  Ritterkreuz  des  Franz  Josef-Ordens.  — 
Dem  praktischen  Arzte  Franz  Karl  Die  bl  in  Langschlag  das 
goldene  Verdienstkreuz. 

* 

Gestorben:  Prof.  S  p  i  n  o  1  a,  Director  der  Charite  in 
Berlin.  —  Der  Professor  der  Pharmacie  in  Ldle,  Dr.  D  e  r  o  i  d  e.  — 
Der  Professor  der  Materia  medica  in  Dublin,  Dr.  Quinlan.  —  Der 
Professor  der  Augen-  und  Ohrenheilkunde  zu  New  York,  Doctor 
II.  N  o  y  e  s. 

* 

Am  24.  November  feierte  die  Berliner  physiologische 
Gesellschaft  das  25jährige  Jubiläum  ihres  Bestandes,  wobei 
von  Prof.  Hermann  Munk  die  Festrede  gehalten  wurde. 

* 

In  der  am  1.  December  d.  J.  abgehaltenen  Sitzung  des 
Obersten  Sa  n  it  äts  ratkos  gelangten  nachstehende  Referate 
zur  Berath ung  und  Beschlussfassung:  1.  Gutachten,  betreffend  die 
Verunreinigung  eines  Baches  durch  die  Manipulation  des  Weichens 
roher  Thierhäute  einer  Gerberei.  (Referent:  Prof.  Kr  a  ts  chm  er.) 
2.  Gutachtliche  Aeusserung  über  die  Qualification  der  Bewerber  um 
die  erledigte  Veterinär-Inspectorsstelle  für  Böhmen.  (Referent:  Pro¬ 
fessor  Polansky  und  Ministerialrath  B.  Sperk.)  3.  Gutachten 
über  die  Zulässigkeit  besonderer  Bezeichnungen  für  die  specialärztliche 
Ausübung  der  Praxis.  (Referent:  Hofrath  Chrobak.)  4.  Gutachten 
über  die  Zulässigkeit  von  Privatbädern  im  Wienflusse.  (Referent: 
Ilofrath  M.  Gruber.)  5.  Gutachtliche  Aeusserung,  betreffend  die 
Interpretation  des  Begriffes  „ärztliche  Praxis“  im  Sinne  des  Aerzte- 
kammer  Gesetzes.  (Referent:  Ausserordentliches  Mitglied  des  Obersten 
Sanitätrathes  Ministerialrath  Dr.  J.  D  aim  er.)  Am  Schlüsse  der 
Sitzung  wurde  eine  dem  Präsidium  des  Obersten  Sanitätsrathes  von 
den  Mitgliedern  dieses  Fachrathes  Ilofrath  Prof.  Dr.  August 
Ritter  v.  Vogl,  Ilofrath  Prof.  Dr.  E.  Ludwig,  Professor  Doctor 
Fl.  Kr  at  schmer  und  Hofrath  Prof.  Max  Gruber  überreichte 
gemeinsame  Erklärung  zur  Kenntniss  gebracht,  welche  sich  auf  einen 
in  Nr.  10  der  „Oesterreickischen  Chemiker-Zeitung“  vom  15.  Mai  d.  J. 
veröffentlichten  Artikel:  „Das  System  der  permanenten  chemischen 
Oontrole  von  Nahrungsmitteln  und  Gebrauchsgegenständen“,  sowie  auf 
diesfällige  Zuschriften  bezieht,  welche  Dr.  Moriz  Mansfeld,  Leiter 
eines  Laboratoriums  zur  Untersuchung  von  Nahrungs-  und  Genuss¬ 
mitteln  in  Wien,  an  Geschäftsfirmen  versendet  hat,  die  sich  mit  der 
Herstellung  und  dem  Vertriebe  von  Lebensmitteln  befassen.  Entgegen 
den  Angaben  dieser  Publicationen  bringen  die  gedachten  Mitglieder 
des  Obersten  Sanitätsrathes  zur  Kenntniss,  dass  sie  sowohl  der  frag¬ 
lichen  Vereinigung  „Oesterreichische  chemische  Controle“  als  auch  der 
„Europäischen  Föderation  der  permanenten  chemischen  Controle“  voll¬ 
kommen  ferne  stehen,  und  dass  ihre  Namen  ohne  ihre  Zustimmung 
und  ohne  ihr  Wissen  mit  diesen  Geschäfts-Unternehmungen  in  Zu¬ 
sammenhang  gebracht  worden  sind.  Schliesslich  wurde  ein  Initiativ¬ 
antrag  des  Obersanitätsrathes  Dr.  Ritter  v.  Jak  sch,  betreffend  die 
Massnahmen  zur  Verhütung  der  in  den  letzten  Jahren  häufigen 
Phosphorvergiftungen  besprochen  und  der  gesehäftsordnungsmässigen 
Behandlung  überwiesen. 

* 

In  der  Sitzurg  des  nieder  österreichischen  Landes- 
Sanitätsrathes  am  3.  December  d.  J.  wurden  die  Entwürfe  des 
Statutes,  der  Haus-  und  Badeordnung  einer  Kaltwasser-Heil- 
anstalt  in  einer  Gemeinde  Niederösterreichs  begutachtet  und  zur 
Genehmigung  empfohlen.  Ferner  winde  ein  Gutachten  über  die  in 
einem  Wiener  Kinderspitale  angeordneten  sanitären 
Massnahmen,  sowie  über  den  Entwurf  einer  Hausordnung 
für  die  auf  der  Infectionsabtheilung  dieses  Spitales  bediensteten 
uarmherzigen  Schwestern  abgegeben.  Endlich  wurde  über  die  Aus¬ 
gestaltung  der  Ambulatorien  in  den  Wiener  k.  k.  Kranken¬ 


anstalten  im  Allgemeinen  und  über  den  Fortbestand,  beziehungs¬ 
weise  die  Auflassung  eines  Ambulatoriums  im  Besonderen  eine 
Aeusserung  erstattet. 

* 

Der  niederösterreichische  Landesausschuss  hat  für  die  Landes- 
Taubstummenanstalt  in  Döbling  (Wien)  die  An¬ 
stellung  eines  eigenen  Ohrenarztes  gegen  Re¬ 
muneration  beantragt.  Wie  die  Erfahrung,  besonders  des  letzten 
Deceniums  lehrt,  lässt  sich  das  Gehör  Taubstummer  durch  eine  sorg¬ 
fältige  Pflege  in  vielen  Fällen  günstig  beeinflussen  und  es  ist  daher 
umsomehr  zu  bedauern,  dass  dem  Gehörorgane  Taubstummer  im  All¬ 
gemeinen  nur  wenig  Beachtung  geschenkt  wird,  wofür  auch  der 
Umstand  spricht,  dass  an  den  wenigsten  Taubstummenschulen  eigene 
Ohrenärzte  angestellt  sind,  während  beinahe  jedes  Blindeninstitut 
seineu  Augenarzt  besitzt.  Die  vom  uiederösterreichischen  Landes- 
ausschusse  ausgehende  Anregung  muss  daher  im  Interesse  der  Taub¬ 
stummen  anerkennend  hervorgehoben  werden,  und  es  ist  zu  erwarten, 
dass  damit  der  Anstoss  für  eine  zeitgemässe  fachmännische  Ueber- 
wachung  und  Behandlung  der  Gehörorgane  auch  an  den  übrigen  Taub¬ 
stummenanstalten  gegeben  ist. 

* 

Dr.  Georg  Kapsammer,  Assistent  an  der  Abtheilung  für 
Krankheiten  der  Harnorgane  der  Allgemeinen  Poliklinik,  wohnt: 
IX.,  Maria  Theresienstrasse  3. 

* 

SanitätsverhältnissebeiderMannschaftdesk.u.  k.  Heeres 
im  Monat  September  1900.  Mit  Ende  August  1900  waren  krank  ver¬ 
blieben  bei  der  Truppe  558,  in  Heilanstalten  6158  Mann.  Kranken¬ 
zugang  im  Monat  September  1900  9323  Mann,  entsprechend  pro  Mille 
der  durchschnittlichen  Kopfstärke  37.  Im  Monat  September  1900  wurden 
an  Heilanstalten  abgegeben  5561  Mann,  entsprechend  pro  Mille  der 
durchschnittlichen  Kopt'stärke  22.  Im  Monat  September  1900  sind  vom 
Gesammtkrankenstande  in  Abgang  gekommen  10.967  Mann,  darunter  als 
diensttauglich  (genesen)  9962  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des 
Abganges  908,  durch  Tod  46  Mann,  entsprechend  pro  Mille  des  Ab¬ 
ganges  4- 19,  beziehungsweise  pro  Mille  der  durchschnittlichen  Kopf¬ 
stärke  0’18.  Am  Monatsschlusse  sind  krank  verblieben  bei  der  Truppe 
668,  in  Heilanstalten  4404  Mann. 

* 

Aus  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeindegebiete.  47.  Jahreswoche  (vom  18.  November 
bis  24.  November  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  513,  unehelich 262,  zusammen 
775.  Todt  geboren:  ehelich  48,  unehelich  19,  zusammen  67.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  608  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
18'9  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  103,  Blattern  0,  Masern  17, 
Scharlach  2,  Diphtherie  und  Croup  10,  Pertussis  1,  Typhus  abdominalis  0, 
Typhus  exanthematieu8  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  48.  Angezeigte  Infectionskrankheiten :  Blattern  0  ( —  l),  Varicellen 
90  ( —  23),  Masern  566  (-J-  67 j,  Scharlach  53  ( —  8),  Typhus  abdominalis 
8  ( —  8),  Typbus  exauthematicus  0  (=),  Erysipel  27  ( —  12),  Croup  und 
Diphtherie  57  ( — 2),  Pertussis  37  (-j~  1),  Dysenterie  0  ( —  1),  Cholera  0 
(=),  Puerperalfieber  4  ( —  1),  Trachom  3  (-j-  1),  Influenza  0  (=)■ 


Freie  Stellen. 

Am  Rat  h’s  eben  allgemeinen  öffentlichen  Kranken¬ 
hause  in  Baden  bei  Wien  ist  die  Stelle  eines  H  i  1  f  s-  (Secundar-) 
Arztes  sofort  zu  besetzen.  Remuneration  60  K  monatlich  nebst  freier 
Station.  Keine  Privatpraxis.  Gesuche  sind  bis  spätestens  20.  December  1900 
unter  persönlicher  Vorstellung  an  die  ärztliche  Leitung  obigen  Kranken¬ 
hauses  zu  richten. 

Volontär  stelle  im  Landesspitale  zu  Laibach.  Ad¬ 
jutum  jährlicher  600  K.  Bewerber  um  diesen  Posten  wollen  ihre  mit  dem 
Taufscheine,  dem  Doctordiplome  und  den  Nachweisen  über  die  Kenntniss 
der  slovenischen  oder  einer  anderen  slavischen  und  der  deutschen  Sprache 
belegten  Gesuche  bis  20.  December  1.  J.  an  die  Direction  der  Landes- 
Wolilthätigkeitsanstalten  in  Laibach  einzusenden. 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XIII.  Jahrgang  (1900) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  für  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XII.  Jahrgang  (1893 — 1899)  zu 
haben.  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbucbkändler. 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


1175 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


nSTHALT: 


Officielles  Protokoll  (1er  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung  vom  7.  December  1900. 

Nachtrag-  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  vom  23.  November  1900. 

Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag.  Sitzung  vom  9.  und  16.  November  1900. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien.  Sitzung  vom 
13.  November  1900. 

13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.  —9.  Auo-ust 
1900.)  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  j 

in  Wien. 

Sitzung  vom  7.  December  1900. 

Vorsitzender:  Hofrath  R.  Chrobak. 

Schriftführer  :  Prof.  Paltauf. 

Eingelangt  ein  Schreiben  des  Vereines  zur  Unterstützung  armer 
israelitischer  Wöchnerinnen,  welcher  mittheilt,  dass  er  bedürftigen 
Frauen,  die  ihrer  Entbindung  entgegenselien,  angemessene  Hilfeleistung, 
auch  den  ärztlichen  Beistand  gewährt,  und  ersucht  die  Herren  Aerzte 
hievon  Kenntniss  nehmen  zu  wollen. 

Der  Präsident  theilt  mit,  dass,  wie  alljährlich,  so  auch  heuer 
eine  grosse  Anzahl  von  Mitgliedern  den  Jahresbeitrag  nicht  geleistet 
hat,  so  dass  die  Aussendung  einer  grösseren  Zahl  von  Postaufträgen 
nothwendig  wurde.  Der  Verwaltungsrath  hat  in  der  heutigen  Sitzung 
beschlossen,  dass  in  Hinkunft  die  Einzahlung  der  Jahresbeiträge  in  der 
Zeit  vom  1.  Januar  bis  Ende  Februar  zu  erfolgen  habe;  nach 
dieser  Zeit  ist  der  Oekonom  der  Gesellschaft  verpflichtet,  bei  den  säu¬ 
migen  Mitgliegern  den  Beitrag  mittelst  Postauftrag  zu  beheben;  wird 
dieser  Postauftrag  nicht  bezahlt  retournirf,  so  wird  nach  §  5  der  Sta 
tuten  vorgegangen,  d.  b.  das  betreffende  Mifglied  verliert  seine  Mit¬ 
gliedschaft. 

Dr.  R.  Grassberger :  Ueber  die  Bedeutung  der  Jo  d- 
reaction  für  die  bacteriologische  Diagnostik. 

Meine  Herren!  Im  Folgenden  erlaube  ich  mir,  Ihnen  eine  An¬ 
zahl  von  Objecten  und  Präparaten  zu  demonstriren,  die  Ihnen  die  Er¬ 
gebnisse  der  von  Dr.  Schatten  froh  und  mir  seit  mehr  als  zwei 
Jahren  fortlaufend  durchgeführten  Untersuchungen  über  Buttersäure- 
gährung  vor  Augen  führen  sollen.  Diese  Untersuchungen,  ursprünglich 
als  rein  chemisck-bacteriologische  begonnen,  haben  nun  bemerkens- 
werthe  Beziehungen  zur  Pathologie  ergeben,  und  aus  diesem  Grunde 
erlaube  ich  mir,  Sie  darüber  zu  orientiren. 

Meine  Herren!  Es  gibt  unter  den  streng  anaeroben  Bacterien, 
die  bekanntlich  nur  bei  Abwesenheit  des  freien  Sauerstoffes  zu  leben 
vermögen  und  dementsprechend  unter  besonderen  Bedingungen  gezüchtet 
werden  müssen,  zwei  besonders  interessante,  in  der  Natur  ungemein 
verbreitete  Hauptgruppen,  die  vor  Allem  durch  ihre  verschiedenen 
chemischen  Leistungen  unterschieden  werden  können.  Die 
eine  Hauptgruppe  ist  besonders  dadurch  gekennzeichnet,  dass  die  ihr 
angehörenden  Bacterien,  obwohl  sie  auch  Kohlehydrate  angreifen,  doch 
die  sinnfälligsten  Veränderungen  in  den  Eiweisskörpern  bewirken,  in¬ 
dem  sie  diese  energisch  unter  Bildung  von  höchst  übelriechenden  Pro- 
ducten  zersetzen.  Diese  anaeroben  Bacterien,  wir  wollen  sie  heute  der 
Kürze  halber  „Eiweisszersetzer11  nennen,  verändern  die  Milch 
in  charakteristischer  Weise,  indem  sie  das  Casein  feinflockig  fällen  und 
dann  durch  Peptonisirung  zur  Lösung  bringen.  Die  durch  diese  Bacterien 
veränderte  Milch  besitzt  einen  widerlichen,  fauligen  Geruch. 

So  -viel  über  die  eine  Gruppe  der  anaeroben  Bacterien. 

Eine  zweite,  ebenfalls  ungemein  weit  verbreitete  Gruppe  von 
anaeroben  Bacterien  ist  dadurch  ausgezeichnet,  dass  ihre  Vertreter, 
während  sie  die  Eiweisssubstanzen  nur  in  beschränktem  Masse  — 
hauptsächlich  zur  Deckung  des  Stickstoff bedarfes  —  angreifeD,  ganz 
exquisite  Vergährer  von  Kohlehydraten  sind.  Diese  Bacterien  — 
anaerobe  Butte rsäurehacterien  —  sind  hoch  differenzirte, 
einseitig  hervorragend  ausgestattetc  Mikroorganismen,  die  die  Kohle¬ 
hydrate  (mit  Ausnahme  der  Cellulose)  stürmisch  vergähren;  hiebei  ent¬ 
stehen  reichlich  Gase  „COa  und  H“,  ausserdem  Buttersäure  und,  wie 
wir  zuerst  nacliweisen  konnten,  regelmässig,  oft  in  grosser  Menge 
Milchsäure,  und  zwar  die  rechtsdrehende  oder  inactive  Milchsäure. 

Auch  hier  sind  es  wieder  die  Veränderungen  in  der  Milch,  die 
von  dem  charakteristischen  chemischen  Charakter  der  Gruppe  Zeugniss 
ablegen.  Sterilisirte  Milch  mit  Reinculturen  von  anaeroben  Buttersäure- 
bacterien  geimpft,  wird  unter  stürmischer  Gasbildung  ver¬ 
ändert,  das  Casein  wird  durch  Säure  ausgefällt  und  nach  oben  ge¬ 
trieben,  die  Milch  erhält  einen  angenehm  säuerlichen  Geruch.  Das 
ausgefällte  Casein  wird  nicht  weiter  verändert,  sondern  bleibt  als  eine 
schwammige  Masse,  welche  die  ausgeschiedenen  Fetttröpfchen  theil- 
weise  einschliesst,  andauernd  unverändert. 


Dies,  meine  Herren,  sind  die  Veränderungen,  welche  sterilisirte 
Milch  durch  die  anacroben  Buttersäurebacillen  erleidet,  vorausgesetzt, 
dass  es  sich  um  „Reinculturen14  handelt. 

Die  eben  beschriebene  Gruppe  der  anaeroben  Butt-  rsäuro- 
baeterien  umfasst  nach  unserer  Ansicht  zwei  Arten,  ein  beweg¬ 
liches  und  ein  unbewegliches  Stäbchen. 

Die  beweglichen  Buttersäurebacillen  sind  in  Reincultur  zuerst 
von  M.  Gruber  im  Jahre  1887  beschrieben  worden;  Gruber  hat 
auch  damals  eine  schon  vorher  in  Mischculturen  beobachtete  charak¬ 
teristische  Färbungsreaction  angegeben.  Es  ist  dies  die  Blaufärbung 
mit  Jodlösung,  welche  diese  Stäbchen  unter  geeigneten  Bedingungen 
annehmen. 

Die  beweglichen  Buttersäurebacillen  versporen  nämlich  verbal t- 
nissmässig  sehr  leicht  in  künstlichen  Nährlösungen.  Die  Versporung 
dieser  Stäbchen  wird  nun  durch  eine  höchst  eigenthümliche  Form¬ 
veränderung  eingeleitet.  Die  Stäbchen  werden  ungleichmässig  verdickt, 
tonnenförmig,  bizarr  in  den  Formen,  und  färbt  man  sie  mit  Jodlösung, 
so  sieht  man  in  der  Bacterienzelle  massenhaft  eine  mit  Jod  braun  bis 
blau  färbbare  Substanz  —  Granulöse  genannt  —  auftreten.  Diese 
stärkeartige  Substanz  lässt  sich  sogar  in  Ausnahmsfälleu  selbst  in  der 
freien  Spore  nacliweisen,  wie  wir  gefunden  haben. 

Meine  Herren!  Auch  die  Stäbchen  der  früher  besprochenen 
„Ei  weisszersetzer“,  die  sehr  leicht  versporen,  bilden  Granulöse,  aber 
diese  Substanz  tritt  liier  nur  ganz  spurenweise  auf,  trotz  reichlicher 
Versporung,  niemals  kommt  es  bei  diesen  Stäbchen  zu  einer  auch  nur 
annähernd  ähnlichen  Erscheinung  wie  bei  den  anaeroben  beweglichen 
Buttersäurebacillen.  Dieses  verschiedene  Verhalten  von  „Buttersäure- 
baeillen“  und  „Eiweisszersetzern“  ist  sehr  interessant.  Denn  es  ist 
gewiss  kein  Zufall,  dass  die  so  einseitig  für  die  Vergährung  der  Kohle¬ 
hydrate  begabten  Buttersäurebacillen  bei  der  Versporung  so  reichlich 
ein  im  Sinne  einer  Reservesubstanz  aufzufassendes  höheres  Kohlehydrat 
aufspeichern,  das  dem  jungen,  auskeimenden  Stäbchen  sofort  zu 
Gute  kommt. 

So  viel  über  die  beweglichen  Buttersäurebacillen.  Ich  will  nur 
bemerken,  dass  für  uns  kein  Grund  vorliegt,  die  nach  Gruber  von 
verschiedenen  Autoren,  Beyerink,  K  1  e  c  k  y  etc.  beschriebenen  be¬ 
weglichen  Buttersäurebacillen  als  besondere  Arten  anzusehen.  Sie  zeigen 
alle  das  gleiche  chemische  und  morphologische  Verhalten. 

Ausser  diesen  gut  beschriebenen  Arten  von  beweglichen  Butter- 
säurebacillen  gibt  es  auch  solche,  die,  in  der  Natur  nicht  existirend, 
durch  Arbeiten  mit  unreinen  Gulturen  künstlich  construirt  worden  sind 
(Bacillus  butyri  Botkin,  Bacillus  sporogenes  Klein). 

So  viel  über  die  beweglichen  Buttersäurebacillen.  Die  zweite 
Art  der  „Buttersäurebacillengruppe“  wird  dargestellt  durch  (in  un¬ 
bewegliches  Stäbchen.  Diese  Art  ist,  wenn  auch  vor  uns  von  Anderen 
gesehen,  von  uns  zuerst  erkannt  worden. 

Wir  waren  gleich  hei  Aufnahme  der  Versuche  auf  ein  voll¬ 
kommen  unbewegliches  Stäbchen  gestosseu,  das  - —  streng  anaerob  und 
in  der  Natur  weit  verbreitet  —  in  seinen  chemischen  Leistungen  die 
weitgehendste  Aehnlichkeit  mit  dem  beweglichen  Buttersäurebacillus 
aufwies.  Aber  dieses  Stäbchen  war  in  unseren  Culturen  nicht  zur 
Versporung  zu  bringen,  so  dass  wir  über  seine  näheren  Eigenschaften 
nichts  Entscheidendes  aussagen  konnten. 

Hier,  meine  Herren,  war  es  die  Kenntniss  der  chemischen 
Leistungen,  welche  uns  nicht  eher  ruhen  Hess,  bis  wir  die  Versporung 
zu  Stande  gebracht  hatten.  Besondere  Reactionsänderung  des  Nähr¬ 
bodens  und  geeignete  Concentration  des  Kohlehydrates  waren  die  Be¬ 
dingungen,  unter  denen  Versporung  eintrat.  In  demselben  Momente 
zeigte  sich  nun  auch  an  diesen  Stäbchen  die  charakteristische  Form¬ 
veränderung  und  die  charakteristische  Jodreaction.  Die  Kette  der 
Beweisführung  war  damit  geschlossen.  Es  handelte  sich  um  einen 
unbeweglichen,  streng  anaeroben  Buttersäurebacillus. 

Meine  Herreu!  Es  gibt  in  der  menschlichen  Pathologie  eine 
Erkrankung,  die  Sie  Alle,  wenigstens  dem  Namen  nach  kennen;  cs  ist 
dies  die  sogenannte  Gasphlegmone,  ein  Process,  den  man  ganz 
gut  als  bacteriellen  Gährungsprocess  im  Gewebe  bezeichnen  kann.  Der 
bacteriologische  Befund  bei  dieser  Gasplilegmone  ist  kein  einheitlicher. 
Immerhin  scheint  es,  als  ob  in  einer  grossen  Zahl  dieser  Fälle  der 
Gährungserreger  ein  streng  anaerobes  Stäbchen  ist,  welches  von 
E.  Fränkel  im  Jahre  1893  beschrieben  worden  ist. 


1176 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


Eine  Reihe  von  anderen  Autoren,  insbesondere  in  letzter  Zeit 
Hitschmann  und  Lindenthal,  hat  dann  die  F  r  ä  n  k  e  l’schen 
Befunde  bestätigt.  Dieser  Franke  l’sche  Gasphlegmonebacillus  ist 
nur  unvollkommen  beschrieben,  indem  die  Yersporung  dieser  Stäbchen 
den  Autoren  entweder  ganz  entgangen  ist,  oder,  wie  dies  für 
E.  F  r  ä  n  k  e  1  zutrifft,  in  ganz  unvollkommener  Weise  beschrieben 
wird.  Dieser  im  Jahre  1893  von  E.  Frankel  beschriebene  Bacillus 
zeigte  nun,  literarisch  verglichen,  eine  ziemlich  weitgehende  Aehnlich- 
keit  mit  unserem  unbeweglichen  Buttersäurebacillus.  Aber  es  liegen 
doch  wichtige  Unterschiede  vor.  Einmal  soll  der  Franke  l’sche 
Emphysembacillus  in  Milch  kein  Gas  bilden,  dann  ist  der  Frankel- 
sche  Emphysembacillus  für  Meerschweinchen  hochpathogen,  während 
wir  bei  einer  Reihe  von  diesbezüglichen  Versuchen,  durch  iDj'ectionen 
von  reichlichen  Mengen  junger  Culturen  unseres  unbeweglichen  Butter¬ 
säurebacillus  keine  krankhaften  Veränderungen  erhielten. 

Da  trat  nun  eine  überraschende  Wendung  ein.  Es  gelang  uns, 
im  Sommer  dieses  Jahres  einen  Stamm  aus  Erde  zu  züchten,  der 
alle  Eigenschaften  des  unbeweglichen  Buttersäurebacillus  besass  und 
zugleich  bei  Meerschweinchen  dieselben  Veränderungen  hervorrief, 
wie  sie  von  F  räu  kel  für  seinem  Emphysembacillus  angegeben 
wurden. 

Auch  die  Granulöse-  und  Sporenbildung  konnte  nachgewiesen 
werden.  Doch  dieser  Bacillus  bildete  in  der  Milch,  wie  alle  unsere 
Stämme,  im  Gegensätze  zu  den  Angaben  Franke  l’s  reichlich  Gas, 
und  wir  haben  damals  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  sich  F  r  ä  n  k  e  1 
hinsichtlich  des  Verhaltens  seines  Bacillus  in  Milch  geirrt  haben  muss 
und  dass  fernerhin  der  Emphysembacillus  nichts  Anderes  sei,  als  eine 
pathogene  Varietät  des  unbeweglichen  Buttersäurebacillus.  Diese 
unsere  Ansicht  hat  sich  nun  vollkommen  bestätigt,  denn  es  ist  uns 
gelungen,  an  einem  uns  vor  Kurzem  von  E.  Frankel  (beziehungs¬ 
weise  dessen  Assistenten  Herrn  Dr.  Jochmann)  in  liebenswürdigster 
Weise  zur  Verfügung  gestellten  Stamm  stürmische  Gasbildung  in  der 
Milch  und  Sporen-,  sowTie  Granulosebildung  unter  den  von  uns  an¬ 
gegebenen  Bedingungen  sofort  nachzuweisen. 

Meine  Herren!  Auch  in  der  thierischen  Pathologie  gibt  es  einen 
Process,  den  man  als  bacterielle  Gährung  im  lebenden  Gewebe  auf¬ 
fassen  muss.  Es  ist  dies  der  Rauschbrand,  eine  insbesondere  für  die 
Rinder  in  manchen  Gegenden  höchst  verderbliche  Krankheit,  der  die 
Thierärzte  alle  Aufmerksamkeit  zuwenden.  Dieser  Rauschbrand  wird 
nun  nach  den  Angaben  in  der  Literatur  y.ox  eioyr^v  hervorgerufen  durch 
ein  von  A  r  1  o  i  n  g,  Corneria  und  Thomas,  Kitasato,  Kitt 
und  Anderen  beschriebenes,  bewegliches,  streng  anaerobes  Stäb¬ 
chen  mit  meist  endständigen  Sporen.  Es  war  uns  nun  von  grossem 
Interesse,  die  chemischen  Leistungen  dieses  Bacillus  genauer  zu 
studiren. 

Wir  wandten  uns  deshalb  an  eine  Reihe  von  Instituten  mit  der 
Bitte  um  Zusendung  von  Rauschbrandreinculturen.  Dieser  Bitte  wurde 
in  der  liebenswürdigsten  Weise  entsprochen.  Die  eingesandten  Stämme 
(durchwegs  Reinculturen)  zeigten  alle  lebhaft  bewegliche  Stäbchen,  mit 
den  Literaturangaben  übereinstimmend,  wir  piiiften  sie  auf  verschie¬ 
dene  Nährböden  und  es  zeigte  sich  bald,  dass  alle  diese  Stämme  unter 
die  Gruppe  der  anfangs  meiner  Auseinandersetzungen  besprochenen 
„ Ei weisszersetzer“  gehörten. 

Das  war  nun  sehr  auffallend.  Während  also  beim  Menschen 
der  häutigste  Erreger  von  bacterieller  Gährung  im  lebenden  Gewebe 
ein  Buttersäurebacillus  war,  schien  es  sich  hier  um  einen  Organismus 
zu  handeln,  der  einer  ganz  anderen  Gruppe  von  Bacterien  angehört. 

Nun  wollten  wir  aber,  meine  Herren,  einen  Rauschbrandbacillus 
chemisch  untersuchen,  der  nicht  nur  die  morphologischen  und  cultu- 
rellen  Eigenschaften  des  legitimen  Rauschbrand  bacillus  besass,  sondern 
auch  thierpathogen  war,  nämlich  bei  Meerschweinchen,  die  bekanntlich 
mit  Rauschbrand  inficirt  werden  können,  die  entsprechenden  Ver¬ 
änderungen  hervorrief.  Die  übersandten  Reinculturen  waren  alle  nicht 
pathogen.  Deshalb  schlugen  wir  einen  anderen  Weg  ein.  Wir  gingen  vom 
Rauschbraudmaterial  aus,  und  hier  haben  wir  uns  der  ausserordentlichen 
Unterstützung  des  Herrn  Hofrath  Sperk,  der  Herren  Veterinärärzte 
Suchanka  und  V  i  c  t  o  r  i  n  erfreut,  denen  wir  unseren  wärmsten  Dank 
für  ihre  werthvollen  Bemühungen  abstatten.  Wir  verfügen  über  einen 
selbst  beobachteten  Fall,  in  dem  wir  die  bacteriologische  Untersuchung 
am  Thiereadaver  an  Ort  und  Stelle  einleiteten,  über  einen  Fall,  von  dem 
uns  getrocknetes  Meerschweinchenmuskelmaterial  eingesandt  wurde,  und 
über  sieben  Proben  von  getrocknetem  Materiale,  wie  es  von  einem 
renommirten  staatlichen  Institute  als  Ausgangspunkt  für  die  Herstellung 
des  Rauschbrandimpfstoffes  aufbewahrt  wird. 

In  allen  diesen  neun  Fällen  ergab  sich  nun  ein  analoges,  ganz 
überraschendes  Resultat. 

Das  Stammmaterial,  in  geeigneter  Form  in  Meerschweinchen  ge¬ 
bracht  oder  in  besondere  Nährböden  eingeschlossen,  zeigte  in  den 
Culturen,  beziehungsweise  in  den  unter  schwerem  Rauschbrand  er¬ 
krankten  Meerschweinchen  bei  mikroskopischer  Betrachtung  etwas  ganz 
Auffallendes. 


Es  Hessen  sieh  bei  Betrachtung  im  hängenden  Tropfen  eigent¬ 
liche,  vollkommen  unbewegliche,  grosse,  ovale,  bizarre  Gebilde  er¬ 
kennen,  die  stellenweise  der  Form  von  Sprosszellenverbänden  nicht 
unähnlich  waren.  Aber,  meine  Herren,  es  handelt  sich  nicht  um  die 
Entdeckung  eines  beim  Rauschbrand  betheiligten  Blastomyceten,  son¬ 
dern  um  etwas  ganz  Anderes.  Darüber  gab  uns  die  Jodfärbung 
Aufschluss.  Diese  Gebilde  färbten  sich  mit  Jod  intensiv  blau,  man 
erkannte  jetzt  auch  daneben  liegende  Stäbchen  mit  blauer  Granulosa 
und  zahlreich  im  Innern  der  Zellen  Sporen. 

Die  Jodfärbung  bildete  nun  den  Ausgangspunkt  der  weiteren 
Untersuchungen,  und  die  uns  auf  Grund  unserer  chemischen  Studien 
bekannten  besten  Wachsthumsbedingungen  der  Buttersäurebacillen 
ermöglichten  es  uns,  diese  Gebilde  in  Reincultur  zu  züchten.  Es  waren, 
wie  sich  herausstellte,  echte,  unbewegliche  Buttersäurebacillen,  die  in 
allen  Fällen  für  das  Meerschweinchen  hochpathogen,  bei  diesem  Thiere 
stürmisch  verlaufende,  oft  in  zehn  Stunden  tödtliche,  höchst  charak¬ 
teristische  Processe  hervorriefen  (hämorrhagisches  Oedem  mit  reichlicher 
Gasbildung  etc.).  Nach  diesen  Erfahrungen  unterliegt  es  für  uns  gar 
keinem  Zweifel,  dass  bei  dem  natürlichen  Rauschbrand  der  Rinder 
der  unbewegliche  Buttersäurebacillus  eine  ganz  hervorragende  Rolle 
spielt.  Jedenfalls  erscheint  cs  uns  heute  schon  berechtigt,  dem  von 
den  Autoren  als  Rauschbranderreger  beschriebenen  beweglichen  Stäb¬ 
chen  hinsichtlich  seiner  Betheiligung  am  Rauschbrand  mit  grossem 
Misstrauen  entgegenzukommen.  Entscheidende  Resultate  werden  unsere 
Versuche  mit  Rindern  ergeben,  die  war  im  Frühjahre  in  ausgedehntem 
Masse  aufnehmen  wrollen.  Einstweilen  aber  glauben  wir,  dass  die 
Veterinärärzte,  welche  bisher  als  Ausgangsmaterial  für  die  Impfung 
nicht  Culturen  des  legitimen  Rauschbrandbacillus,  sondern  getrocknetes 
und  präparirtes  Rauschbrandmaterial  verwendeten,  daran  vollkommen 
recht  gethan  haben. 

Discussion:  Hofrath  Gruber  bemerkt,  dass  die  Durchsicht 
der  Literatur  des  Rauschbrandes  Zweifel  aufkommen  lässt,  ob  alle 
Beobachter  denselben  Bacillus  gesehen  haben.  Die  Beschreibung  von 
A  r  1  o  i  n  g,  Thomas  und  Chanveau  stimmt  nicht  mit  der  von 
Kitasato  überein,  wohl  aber  mit  der  von  Schattenfroh  und 
Grassberger  gefundenen;  auf  ihren  Abbildungen  sind  Clostoidien 
gezeichnet;  sie  wurden  nicht  gedeutet,  aber  man  kann  den  Abbildungen 
entnehmen,  dass  sie  gesehen  worden  sind;  der  unbewegliche  Rausch¬ 
brandbacillus  hat  eine  sogenannte  Neigung  zu  Degenerationsformen, 
die  Degenerationsformen  entsprechen  den  von  Schattenfroh  und 
Grassberger  gefundenen,  die  schwer  zu  züchten  sind,  während 
die  andere  Art  sich  leichter  culti viren  lässt;  auf  diese  Weise  dürften 
die  Irrungen  entstanden  sein.  Der  angebliche  Rauschbrandbaeillus 
hat  aber  eigentlich  mit  dem  Process  nichts  zu  thun. 

Prof.  Dr.  Johann  C  so  kor:  Das  Verdienst  der  Entdeckung 
des  Rauschbrandbaeillus  gebührt  den  Professoren  der  thierärztlichen 
Hochschule  in  München,  Fes  er  und  Bollinger.  Sie  waren  es, 
welche  auf  Grund  dieser  Entdeckung  schon  in  den  Siebziger -Jahren, 
den  Rauschbrand  vom  Milzbrand  definitiv  getrennt  haben.  Die  dia¬ 
gnostische  Bedeutung  der  Rauschbrandbacillen  ist  demnach  noch  heut¬ 
zutage  massgebend. 

Was  das  Material  anbelangt,  so  bezweifle  ich  die  Reinheit  jenes, 
weichesaus  dem  Rauschbrand-Impfstoff  gewonnen  wurde,  und  zwar  weil 
die  rohe  Darstellung  dieses  Impfstoffes  keine  Garantie  zur  Herstellung 
von  Reinculturen  bietet.  Ausser  den  Rauschbrandbacillen  gibt  es  noch 
mehrere  anaerobiotische,  pathogene  Bacillen,  welche  aus  trockenem 
Fleisch,  und  das  ist  der  Rauschbrand-Impfstoff,  gezogen  wurden. 

Schattenfroh  bemerkt,  dass  es  allerdings  noch  nicht  aus¬ 
geschlossen  sei,  dass  dem  Rauschbrandbaeillus  doch  eine  Rolle  zukomme, 
aber  es  sei  Tkatsache,  dass  in  keinem  Falle  vom  Rauschbrandmateriale, 
getrocknetem  sowohl  als  frischem,  andere  Bacillen  als  der  unbewegliche 
Buttersäurebacillus  cultivirt  worden  sind,  und  das  waren  neun  Fälle. 

Dr.  O.  Lindenthal:  Ich  gestatte  mir,  im  Anschlüsse  an  die 
soeben  von  Herrn  Professor  Csokor  geäusserten  Bedenken  über  die 
Identificirung  des  unbeweglichen  Buttersäurebacillus  mit  dem  Erreger 
des  thierischen  Rauschbrandes  ebenfalls  Bedenken  betreffs  der  Iden¬ 
tificirung  des  ersteren  Bacillus  mit  dem  von  Hitschmann  und  mir 
bei  der  Gangrene  foudroyante  gefundenen  Anaerobien  vorzubringen. 

Was  letzteren  Punkt  betrifft,  so  waren  mir  die  Ausführungen 
des  Herrn  Dr.  Grassberger  nicht  neu,  da  dieselben  bereits  in 
einer  Publication  mit  Dr.  Schattenfroh  mitgetlieilt  sind;  durch 
die  Kenntniss  dieser  Publication  sind  wir  bereits  in  der  Lage  gewesen, 
die  Umstände  zu  prüfen,  welche  die  Herren  Doctoren  Schatten¬ 
froh  und  Grassberger  zu  ihren  Schlussfolgerungen  bezüglich  der 
erwähnten  Identificirung  führten.  Es  fiel  mir  hiebei  auf,  dass  einem 
mir  sehr  wichtig  scheinenden  Momente,  nämlich  der  Pathogenität  der 
in  Frage  stehenden  Bacterien,  nicht  genügend  Rechnung  getragen  wurde. 

Es  ergibt  sich  nämlich  bei  Durchsicht  der  Arbeit  der  eine  be- 
merkenswerthe  Umstand,  dass  von  den  neun  von  Schattenfroh 
und  Grassberger  durch  Anreicherung  von  Milch  mit  verschiedenem 
Material  gewonnenen  Stämmen  nur  ein  einziger  Stamm  sich  im  Thier- 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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versuche  pathogen  erwiesen  hatte;  und  gerade  dieser  Stamm  war  aus 
einem  Materiale  gewonnen,  nämlich  aus  Erde,  in  welchem  II  i  t  s  c  li¬ 
man  n  und  ich  wiederholt,  ebenso  wie  aus  Stuhl,  unseren  anaeroben 
Bacillus  stets  hochpathogen  fanden.  Bedenkt  man  nun,  dass  dieser 
unser  Bacillus,  den  wir  in  sieben  Fällen  von  Gangrene  foudroyante 
gefunden  haben,  stets  hochpathogen  für  Meerschweinchen  gewesen  ist, 
so  können  wir  zugeben,  dass  die  Möglichkeit  besteht,  dass  der  eine 
pathogene  Stamm  von  Schatten  fr  oh  und  Grassberger  mit 
unserem  Bacillus  identisch  war,  wreil  wir  annehmen,  dass  das  constante 
Vorhandensein  von  Pathogenität  eines  Bacteriums  ein  wichtiges  Unter¬ 
scheidungsmoment  für  die  Differenzirung  von  sonst  vielleicht  ähnlichen 
Bacterien  ist.  Stämme,  w'elche  sich  als  nicht  pathogen  erwiesen,  haben 
wir  daher  auch  nicht  mit  dem  Erreger  der  Gangrene  foudroyante 
identificirt.  Da  eine  anerkannte  Eintheilung  der  Anaeroben  zur  Zeit 
nicht  existirt  und  durchgreifende  Momente  zur  Unterscheidung  uns 
nicht  zur  Verfügung  stehen,  müssen  wir  auch  anscheinend  geringe 
Merkmale  zur  Differenzirung  heranziehen.  Wenn  nun  Schatten¬ 
froh  und  Grassberger  gerade  als  solches  Merkmal  die  Jodreaetion 
mit  verwerthen  wollen,  so  ist  dagegen  nichts  einzuwenden,  wenn  die 
diesbezüglichen  Untersuchungen  sich  auf  alle  bisher  bekannten  An- 
aerobenarten  ausdehnten;  ist  dies  nicht  der  Fall,  so  könnte  z.  B.  die 
Möglichkeit  bestehen,  dass  bei  der  Prüfung  des  Bacillus  des  malignen 
Oedems  auch  dieses  Bacterium  die  Jodreaetion  gibt;  man  müsste  denn 
auch  dieses,  ebenso  wie  der  Rauschbrandbacillus  bewegliche  Anaerobion, 
welches  in  gleicher  Weise  wrie  unser  Bacillus  für  das  Meerschwein 
unter  analogen  Krankheitserscheinungen  pathogen  ist,  mit  dem  unbe¬ 
weglichen  Buttersäurebacillus  identificiren,  und  da  würde  dann  plötzlich 
Rauschbrand,  malignes  Oedem,  Erreger  der  Gangrene  foudroyante 
und  unbeweglicher  Buttersäurebacillus  ein  und  dasselbe  Bacterium 
sein.  Wir  würden  uns  dann  in  der  Beurtheilung  der  Anaeroben  wieder 
den  veralteten  Ansichten  jener  Zeiten  nähern,  in  welchen  mangels 
genauerer  Kenntnisse  thatsächlich  alle  Anaerobenarten  zusammen¬ 
geworfen  wuirden.  AVir  haben  auch  in  unserer  letzten  Arbeit  nicht 
gegen  die  Einreihung  unseres  Bacillus  in  die  Reihe  der  echten  Butter¬ 
säurebacillen  Stellung  genommen,  haben  nur  betont,  dass  eine  end- 
giltige  Entscheidung,  ob  es  sich  hier  um  identische  Bacterien,  oder 
eine  Species  oder  Varietät  derselben  handelt,  weiteren  Untersuchungen 
Vorbehalten  bleiben  muss. 

Dr.  Schattenfroh:  Die  Pathogenität  hat  in  diesem  Falle  keine 
Bedeutung;  die  Stämme  von  Lindenthal  waren  pathogen,  der  von 
Fränkel  überlassene  Stamm  war  es  nicht.  In  unserem  Falle  von 
Rauschbrand  war  die  erste  Cultur  hochvirulent,  das  Meerschweinchen 
ging  in  sechs  Stunden  ein,  die  vierte  Generation  tödtete  das  Thier  nicht 
mehr.  Er  halte  dafür,  dass  in  80°/o  der  als  Rauschbrand  oder  malignes 
Oedem  bezeichneten  Fälle  es  sich  um  den  Buttersäurebacillus  handle. 

In  den  Fällen  Lindenthal’s  gaben  die  Bacillen  auch  Gas¬ 
bildung  in  der  Milch,  wenn  auch  die  Autoren  es  nicht  beobachteten. 

Dr.  0.  Lindenthal:  WieHits  chmann  und  ich  bereits  in 
unserer  letzten  Arbeit  angegeben  haben,  haben  wir  auf  Untersuchungen 
bezüglich  der  Vergährung  der  Milch  bisher  keinen  Werth  gelegt, 
weil  wir  die  Resultate  derselben  nicht  verwerthen  konnten,  da  wir 
über  nicht  genügende  Kenntnisse  der  Chemie  verfügen;  wenn 
Schatten  froh  und  Grassberger  auf  das  Verhalten  der  Bac¬ 
terien  zur  Milch  besonderes  Gewicht  legen,  so  können  wir  dagegen 
nichts  einwenden. 

Einen  nächsten  Punkt  betrifft  die  Frage  nach  der  Bedeutung 
der  Pathogenität.  Wie  Herr  Dr.  Schattenfroh  richtig  bemerkt 
hat,  kann  dieselbe  schwankend  sein.  Ich  möchte  aber  nochmals  be¬ 
tonen,  dass  wir  bei  unseren  Untersuchungen  der  Gangrene  foudroyante, 
sowie  von  Erde  und  Stuhl  niemals  einen  nichtpathogenen  Stamm  ge¬ 
funden  haben,  ein  Umstand,  dem  doch  gewiss  eine  Bedeutung  zuzu¬ 
sprechen  ist.  Es  ist  richtig  und  wir  haben  dies  bereits  in  unserer 
Arbeit  angegeben,  dass  die  Pathogenität  bei  Züchtung  unseres  Bacillus 
auf  ein  und  demselben  Nährmaterial  rasch  verloren  geht.  Aber  ich 
muss  jetzt  erwähnen,  dass  wir  auch  wiederholt  im  Stande  waren,  die 
verlorene  Pathogenität  wieder  zu  gewinnen. 

Impft  man  nämlich  ein  Meerschwein  mit  einem  Stamme,  welcher 
in  den  ersten  Generationen  pathogen  gewesen  ist,  und  tödtet  das 
1  hier  kurze  Zeit  darauf  und  bringt  es  in  Bruttemperatur,  so  ver¬ 
mehren  sich  bei  einer  solchen  Versuchsanordnung  die  Bacterien  im 
Thierkörper  ausserordentlich  rasch  und  gehen  in  die  inneren  Organe 
und  das  Blut  über.  Züchtet  man  nun  neuerdings  aus  Herzblut  oder 
Leber,  so  gelingt  es  sehr  häufig,  die  Pathogenität  wieder  zu  gewinnen. 
Es  wäre  nun  die  Frage  zu  beantworten,  ob  bei  gleicher  Versuchs¬ 
anordnung  auch  von  Anfang  an  nicht  pathogene  Stämme  des  un¬ 
beweglichen  Buttersäurebacillus  zu  pathogenen  Stämmen  umgewandelt 
werden  können.  Das  Gelingen  solcher  Versuche  wäre  ein  wichtiges 
Bindeglied  zur  Identificirung  der  Bacillen  von  Schatten  fr  oh  und 
Grassberger  mit  dem  unserigen.  Solange  aber  diese  Frage  nicht 
geklärt  ist,  halten  wir  fest  an  der  Pathogenität  als  einem  wichtigen 
differentialdiagnostischen  Merkmale. 


Gi  u  b  e  i  :  Die  Unterscheidung  von  Arten  hat  viel  Schwierig¬ 
keiten  ;  die  Hauptsache  ist  die,  dass  die  Bacillen  der  Gasphlegmone, 
des  Rauschbrandes  und  der  unbewegliche  Buttersäurebacillus  in  die¬ 
selbe  gehören.  Die  Unterschiede  in  der  Pathogenität  erklären  sich 
leicht;  Schattenfroh  und  Grassberger  haben  mit  ihrem  Aus- 
gangsmaterialo  Milch  inficirt,  da  wuchsen  alle  pathogenen  und  nicht¬ 
pathogenen  Buttersäurebacillen,  Hitsehmann  und  Lindenthal 
haben  Thiere  inficirt,  daher  erhielten  sie  pathogene  Varietäten. 

Dr.  G.  Holzkneclit  demonstrirt  aus  der  Klinik  Nothnagel 
und  aus  seinem  Röntgen-Institut  mehrere  Fälle,  an  denen  er 
zeigt,  wie  leicht  die  Röntgen-  U  nt  er  sue  hung  zu  diagno¬ 
stischen  Irrthümern  führen  kann. 

1.  Bei  einem  Patienten,  der  vor  acht  Monaten  im  Schlafe  ein 
künstliches  Gebiss  geschluckt  haben  wollte,  ergab  die  von 
anderer  Seite  vorgenommene  röntgenologische  Untersuchung  keinen 
Anhaltspunkt  für  die  Anwesenheit  im  Körper,  wrelche  sogar  bestritten 
wurde;  eine  neuerliche  Untersuchung  in  der  vom  Vortragenden  für 
die  Mediastinalorgane  seit  lange  befürworteten  schrägen  Durchleuchtungs¬ 
richtung,  vorgenommen  durch  Herrn  Dr.  Kienböck  und  dann 
durch  ihn  selbst,  ergab  aber  das  Vorhandensein  des  Gebisses  im 
Oesophagus,  das  erste  Mal  (fünf  Monate  nach  dem  Verschlucken) 
knapp  unter  der  Bifurcatio  tracheae,  und  zwei  Monate  später  dicht 
oberhalb  des  Hiatus  oesophageus  des  Zwerchfells  —  beim  Schlucken 
verschieblich. 

2.  Eine  schräg  von  hinten  oben  nach  vorne  unten  verlaufende 
Fractur  der  Tibia,  im  unteren  Drittel  ohne  jede  Dislocation,  ist 
bei  Durchleuchtung  in  sagittaler  Richtung  nicht  zu  erkennen,  dagegen 
in  frontaler  Richtung  evident,  analog  einem  von  Beck  in  New  York 
mitgetheilten  Falle. 

3.  Ein  auf  dem  Radiogramm  sichtbares  Os  intermedium 
tarsi  (Pfitzner),  welches  vielfach  für  ein  abgesprengtes  Stück  des 
hinteren  Talusendes  gehalten  wurde. 

4.  Fünf  verschluckte  Silber  gulden,  welche  bei  der 
Durchleuchtung  im  Abdomen  als  ein  einziger,  kreisrunder,  dunkler 
Fleck  erschienen,  weil  sie  begreiflicher  Weise  sich  im  engen  Darm¬ 
lumen  zu  einer  Geldrolle  zusammenlegten. 

Zum  Schlüsse  stellt  Dr.  Holzknecht  einen  18jährigen,  here¬ 
ditär  nicht  belasteten  Mann  vor,  der  seit  fünf  Monaten  an  stetig 
zunehmender  Alopecia  areata  leidet  und  einer  Röntgen- 
Behandlung  unterzogen  wurde.  Bei  demselben  bestanden  zu  Beginn 
der  Behandlung  circa  acht  kreuzer-  bis  handtellergrosse,  nirgends  con- 
fluirende  Stellen,  an  welchen  die  normalen  Haare  fehlten  und  nur  bei 
genauer  Betrachtung  spärliche,  zarte,  lichte  Härchen  sichtbar  waren. 
Patient  wurde  nach  dem  kürzlich  hier  von  Dr.  Kienböck  ange¬ 
gebenen  Verfahren,  nämlich  derart  behandelt,  dass  die  erkrankte 
—  hintere  —  Kopfhälfte  in  wenigen  (fünf)  Sitzungen  zu  je  zehn 
Minuten  in  24stündigen  Intervallen  mit  einer  sehr  kräftiges  Röntgen- 
Licht  aussendenden  Röntgen-  Röhre  bestrahlt  wurde,  worauf  —  sieben 
Tage  nach  der  letzten  Sitzung  —  unter  leichtem  Jucken  und  bald 
folgender  kaum  sichtbarer  Röthung  eine  fast  vollständige  Kahlheit  im  be¬ 
strahlten  Gebiete  (auf  der  hinteren  Kopfhälfte)  entstand;  der  Haar¬ 
ausfall  war  nicht  vollständig;  es  blieben  nämlich  eigentümlicher 
Weise  von  den  dicken,  schwarzen  Haaren  diejenigen  bestehen,  welche 
direct  an  die  kahlen  Herde  grenzten,  so  dass  daher  jeder  Alopecie- 
herd  von  einer  schmalen  ringförmigen  Zone  schwarzer  Haare  umgrenzt 
war.  Es  ist  zu  erwarten,  dass  auch  diese  übrigen,  schon  jetzt  ge¬ 
lockerten  Haare  ausfallen  werden.  Wie  immer  sich  der  weitere  Verlauf 
gestalten  wird,  ob  Heilung  der  Krankheit  eintreten  wird  oder  nicht, 
mit  oder  ohne  Recidiv,  es  soll  der  Fall  nach  Ablauf  der  zur  Re¬ 
generation  der  Haare  nöthigen  Wochen  der  Gesellschaft  wieder  vor¬ 
gestellt  werden.  Abgesehen  von  dem  dermatologischen  Interesse  der 
relativen  Resistenz  der  randständigen  Haare  gegenüber  der  Einwirkung 
des  Röntgen-  Lichtes  wurde  der  Fall  demonstrirt,  um  an  der 
raschen,  in  14  Tagen  abgeschlossenen  Epilation  den 
Werth  der  oben  angeführten  Methode  und  Erklärung  der  Wirkung  zu 
bestätigen. 

Dr.  L.  Freund  demonstrirt  im  Anschlüsse  an  den  vorgostellten  Fall 
II  o  1  z  k  n  e  c  h  t’s  gleichfalls  einen  Kranken  mit  Alopecia  areata, 
welcher  in  Dr.  E.  S  c  h  i  f  f’s  Institut  für  Radiographie  und  Radio¬ 
therapie  mittelst  Röntgen-BestrahluDg  behandelt  wurde  und  macht  bei 
dieser  Gelegenheit  darauf  aufmerksam,  dass  er  sowohl  wie  Schiff 
schon  vor  mehreren  Monaten  auf  die  mögliche  günstige  Beeinflussung 
dieses  Processes  durch  die  Radiotherapie  hingewiesen  haben.  ') 

Dies  thaten  sie  mit  Rücksicht  auf  die  in  einigen  Fällen  ge¬ 
machte  Erfahrung,  dass  durch  wenige  kurz  dauernde  Bestrahlungen 
kein  Haarausfall,  sondern  blos  eine  leichte  Irritation  veranlasst  wurde, 

])  Schiff  und  Freund,  IV.  internationaler  dermatolgischer 
Congress.  Paris  1900. 

F  r  e  u  n  d,  Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen¬ 
schaften.  12.  Juli  1900. 

Schiff,  Discussion  dor  Pelade  •  Debatte,  1.  c. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


welche  vielleicht  die  Ursache  davon  war,  dass  die  Behaarung  anstatt 
zu  schwinden  im  Gegentheile  noch  stärker  wurde.  Diese  Erscheinung 
brachten  Schiff  und  Freund  in  Analogie  mit  den  Heilresultaten 
verschiedener  anderer  irritirender  Substanzen,  z.  B.  Tinct.  aconiti, 
veratri,  cantharidum,  welch  letztere  ja  in  der  bisher  üblichen  Therapie 
der  Alopecia  areata  gelegentlich  genützt  hatten;  nur  schien  die 
Röntgen-  und  Licht-Bestrahlung  nach  F  i  n  s  e  n  einen  besseren 
Erfolg  aus  dem  Grunde  zu  versprechen,  weil  die  Irritation  bei  letzteren 
Vorfahren  in  Folge  des  Penetrationsvermögens  dieser  physikalischen 
Agentien  tiefer  und  daher  auch  besser  auf  die  Haarpapillen  ein  wirkte, 
als  die  Irritation  durch  Chemikalien,  welche  sich  schon  in  den  obersten 
Hautschichten  erschöpfte. 

Der  vorgestellte  Fall  scheint  für  diese  Annahme  zu  sprechen. 
Derselbe  betrifft  einen  zwölfjährigen  Knaben,  welcher  vor  acht  Tagen 
mit  vier,  circa  handtellergrossen  typischen  Alopecia  areata-Plaques  auf 
seiner  behaarten  Kopfhaut  in  das  Institut  aufgenommen  wurde. 
Während  drei  Plaques  vollkommen  kahl  waren,  zeigte  eine  derselben 
(am  Scheitel)  einen  geringfügigen  blonden  Lanugoflaum,  welcher  an¬ 
geblich  seit  Beginn  der  Krankheit  vorhanden  war.  Der  Knabe  wurde 
achtmal  je  zehn  Minuten  lang  bestrahlt,  und  zwar  mit  sehr  harten 
Röhren.  Schon  jetzt  ist  auf  allen  kahlen  Stellen  ein  blonder  Lanugo¬ 
flaum,  auf  der  Plaque  am  Scheitel  der  deutliche  Nachwuchs  dickerer 
schwarzer  Haare  sichtbar. 

Es  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Lanugo  auf  der  zuletzt  er¬ 
wähnten  Stelle  nicht  ausgefallen  war.  Es  war  somit  zur  Erzielung 
des  therapeutischen  Resultates  die  Epilation  durchaus  nicht  nothwendig, 
sondern  es  genügte  blos  die  Bestrahlung  so  lange,  bis  der  congestive 
Afflux  des  Blutes  zu  den  Haarpapillen,  den  man  ja  vorläufig  klinisch 
nicht  wahrnehmen  kann,  erreicht  wird. 

Schiff  und  Freund  möchten  sich  aber  trotz  dieses  Resul¬ 
tates  (dessen  spontanes  Eintreten  ja  auch  nicht  ausgeschlossen  ist) 
eines  abschliessenden  Urtheiles  über  den  Werth  der  Röntgen- 
Behandlung  bei  Alopecia  areata  enthalten.  Denn  ein  solches  wird  nur 
die  Beobachtung  an  einem  grossen  Materiale,  und  zwar  an  Kranken 
mit  universeller  Alopecie,  ermöglichen.  Von  diesem  Standpunkte  aus 
bat  schon  Schiff  in  der  Discussion  zur  Pelade-Debatte  am  letzten 
Dermatologen-Congresse  in  Paris  den  französischen  Collegen  S  a  b  o  u- 
raud,  diese  Behandlung  an  seinem  reichen  Materiale  zu  versuchen, 
wozu  sich  diser  bereit  erklärte. 

Die  von  Sabouraud  zu  gewärtigenden  Mittheilungen  dürften 
für  diese  Frage  massgebend  werden. 

Docent  Dr.  Max  Herz  erstattet  eine  vorläufige  Mittheilung: 
Ueber  die  Auscultation  des  normalen  und  patho¬ 
logischen  Muskeltones,  beziehungsweise  Muskel¬ 
geräusches. 

Der  Muskelton  ist  eigentlich  ein  Geräusch  wie  der  erste 
Iierzton.  Er  hat  ungefähr  die  gleiche  Intensität  und  eine  ähnliche 
Klangfärbung  wie  jener.  Der  Muskelton  ist  an  jedem  sich  contra- 
hirenden  Muskel  durch  das  Stethoskop  und  mit  unbewaffnetem  Ohre 
deutlich  wahrnehmbar.  Vortragender  auscultirt  nur  tonische  Con- 
tractionen  und  empfiehlt  folgende  zwei  einfache  Methoden:  1.  Man 
lässt  den  Patienten  auf  den  Fussspitzen  stehen  und  auscultirt  an  der 
Wade.  2.  Man  legt  über  die  Schultern  des  Kranken  ein  Handtuch, 
dessen  Enden  derselbe  mit  den  Händen  fasst.  Wenn  er  sodann  im 
Sinne  einer  Streckung  des  Ellbogengelenkes  an  dem  Tuche  zieht,  hört 
man  an  der  Streckseite  des  Oberarmes  einen  sehr  starken  Muskelton. 
Dieser  ist  in  beiden  Fällen  normaler  Weise  so  laut,  dass  es  nicht 
nöthig  ist,  auf  dem  blossen  Körper  zu  auscultiren. 

Der  Muskelton  kann  laut  und  leise,  voll  und  leer,  hoch  und 
tief  sein.  Er  kann  sich  auch  in  ein  schabendes  Geräusch  verwandeln. 

Die  normale  oder  pathologische  Beschaffenheit  des  Muskeltones 
lasse  weitgehende  Schlüsse  zu  auf  den  Zustand  des  untersuchten 
Muskels,  der  Musculatur  im  Allgemeinen,  beziehungsweise  den  All¬ 
gemeinzustand  des  Individiums,  ferner  auf  die  Functionen  des  Central- 
nervensystemes,  von  welchem  aus,  wie  V.  Stern  nachgewiesen  hat, 
beim  Thiere  der  musikalische  Charakter  des  Tones  beeinflusst  werden 
kann.  Deshalb  möchte  Herz  künftig  in  keinem  genauen  physikalischen 
Status  Angaben  über  den  Muskel  ton  vermissen. 

Vortragender  regt  zunächst  die  Bearbeitung  folgender  Themen  an  : 

Verhalten  des  Muskeltones  bei  vorhandenen  accidentellen  Ge¬ 
räuschen  am  Herzen,  bei  constitutionellen  Erkrankungen  (Anämie, 
Chlorose,  Diabetes  etc.),  im  Fieber,  besonders  während  eines  Schüttel¬ 
frostes,  bei  der  Tabes,  Neurasthenie,  Hysterie  und  anderen  Krank¬ 
heiten  des  Nervensystemes,  ferner  in  paretischen  oder  unfreiwillig 
contrahirten  Mukeln,  ferner  vor  und  nach  verschiedenen  therapeutischen 
Eingriffen. 

Als  einen  Beweis  dafür,  dass  das  Studium  des  Muskeltones 
nicht  nur  zur  Bereicherung  der  Symptomatologie  einer  Krankheit, 
sondern  auch  zur  genaueren  Erforschung  ihres  eventuell  noch  unbe¬ 
kannten  Wesens  führen  kann,  bespricht  Herz  die  Verhältnisse  beim 
Morbus  Thomsen.  Bei  dieser  Krankheit  kann  jeder  Skeletmuskel 


e  i  n  mal  leicht  contrahirt  werden,  leistet  aber  einer  folgenden  Bewegung 
einen  bedeutenden  Widerstaud,  indem  er  von  seinen  Antagonisten 
gewaltsam  gedehnt  werden  muss.  Nach  einigen  Contractionen  wird 
jedoch  seine  Function  vollständig  normal.  Ist  die  Krankheit  centralen 
Ursprunges,  wie  die  Einen  wollen,  dann  ist  das  Verharren  des  Muskels 
im  gespannten  Zustande  einem  Tetanus  gleich,  d.  h.  der  Muskelton 
muss  laut  hörbar  sein;  liegt  hingegen  die  Ursache  in  der  einzelnen 
Muskelfibrille,  wie  Andere  behaupten,  dann  muss  dieselbe  nach  erfolgter 
erster  Contraction  in  dem  durch  diese  erzeugten  neuen  Zustand  von 
V erkürzung  und  Spannung  verharren,  ohne  jene  für  die  normale 
Contraction  charakteristischen  Schwingungen  auszuführen,  welche  ebs  n 
die  Ursache  des  Muskeltones  sind,  d.  h.  es  muss  dann  der  Muskelton 
fehlen.  Das  Letztere  ist  in  Wirklichkeit  der  Fall.  Bei  der  Thomsen- 
schen  Krankheit  hört  man  am  ausgeruhten  Muskel  im  Beginne 
der  Contraction  nichts.  In  dem  athletischen,  mächtig  contrahirten 
Muskel,  in  dem  es  dröhnen  sollte,  ist  es  todtenstill  —  nur  ein  be¬ 
sonders  geschultes  Ohr  hört,  wie  aus  weitester  Ferne,  die  leise  An¬ 
deutung  eines  Muskelgeräusches.  Hält  man  das  Ohr  weiter  an  die 
Wade  des  auf  den  Fussspitzen  stehenden  Kranken,  dann  hört  man  den 
Muskelton  allmälig  auftauchen  und  bis  zu  normaler  Stärke  sich  er¬ 
heben.  Da  sind  aber  auch  die  anderen  Functionen  des  Muskels  bereits 
wieder  normal. 

Prof.  Dr.  Englisch  hält  einen  Theil  seines  angekündigten  Vor¬ 
trages  :  Ueber  Kleinheit  der  Prostata. 


Nachtrag  zum  Protokolle  der  Sitzung  der  k.  k.  Gesell¬ 
schaft  der  Aerzte  vom  23.  November  1900. 

Wertheim  (Schlusswort  der  Discussion  zum  Vortrage  W  ertheim’s: 
Ein  Beitrag  zur  Frage  der  Radicaloperation  beim  Uterus¬ 
krebs  [Wiener  klinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  48]): 

Meine  Herren!  Vor  Allem  möchte  ich  den  Standpunkt  wieder¬ 
herstellen,  den  ich  in  meinem  Vortrage  eingenommen  habe.  Nicht  von 
einer  neuen  Aera,  die  angebrochen  sei,  nicht  von  einer  neuen  Operation, 
welche  die  bisher  übliche  vaginale  verdrängt  habe,  habe  ich  gesprochen. 
Vielmehr  habe  ich  ganz  einfach  und  ohne  irgendwelche  Prätension  von 
einer  seit  mehreren  Jahren  sich  geltend  machenden  und  im  Wachsen 
begriffenen  Bewegung  erzählt,  die  darauf  abzielt,  die  operative  Therapie 
des  Uteruskrebses  auf  modern  chirurgische  Basis  zu  stellen,  d.  h.  mit 
dem  erkrankten  Organe  dessen  Umgebung  in  möglichst  weitem  Um¬ 
fange  und  die  regionären  Lymphdrüsen  mitzuentfernen,  einer  Bewegung, 
der  ich  mich  vor  zwei  Jahren  angeschlossen  habe. 

Ich  lege  deshalb  den  grössten  Werth  darauf,  diesen  Standpunkt, 
der  mir  durch  die  Discussion  etwas  verschoben  worden  zu  sein  scheint, 
wieder  herzustellen,  weil  ich  mir  —  wie  dies  aus  dem  Tenor  meiner 
Ausführungen  durchwegs  hervorgeht  —  sehr  wohl  der  Schwierigkeit 
meiner  Stellung  in  der  in  Verhandlung  stehenden  Frage  bewusst  bin. 
Die  grosse  Mortalität  der  bisher  nach  dem  erwähnten  Principe  operirten 
Fälle  nöthigt  mich  selbstverständlich  zur  grössten  Reserve,  ja  sie  ist 
sogar  geeignet,  die  Ueberlegung  hervorzurufen,  ob  es  überhaupt  opportun 
war,  jetzt  schon  mit  meinem  Materiale  an  die  Oeffentlichkeit  zu  treten. 
Welche  Gründe  für  mich  massgebend  waren,  dies  doch  zu  thun,  ohne 
Scheu  vor  Missdeutungen,  habe  ich  in  meinem  Vortrage  auseinander¬ 
gesetzt. 

Gerade  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  kam  es  mir  ausserordentlich 
gelegen,  dass  gerade  jetzt  —  wenige  Tage  nach  meinem  Vortrage  an 
dieser  Stelle  —  meine  Publication  im  Archiv  für  Gynäkologie  (LXI,  3), 
in  welcher  die  ersten  29  Fälle  meiner  Reihe  ausführlich  und  mit  in- 
structiven  Abbildungen  versehen  niedergelegt  sind,  erschien,  und  so 
neben  meinem  Vortrage  als  Basis  für  die  heutige  Discussion  dienen 
konnte.  Denn  aus  dieser  Arbeit  konnten  Sie  sich  ein  selbstständiges 
Urtheil  über  die  Natur  meiner  Fälle,  über  die  Art  meiner  Indicatious- 
stellung  und  Technik  bilden  und  die  Ueberzeuguug  gewinnen,  dass  ich 
Recht  hatte,  jetzt  schon  in  dieser  Frage  vor  Sie  hinzutreten. 

Meine  Herren!  Ich  glaube,  meine  Darlegungen  hätten  den  An¬ 
spruch  darauf  gehabt,  in  diesem  Sinne  betrachtet  zu  werden.  Dass  sich 
in  der  Praxis  bei  Einführung  der  erweiterten  Uteruskrebsoperation  grosse 
Schwierigkeiten  ergeben  würden,  war  ja  von  vorneherein  klar.  Und  es 
lag  in  der  Natur  der  Sache,  dass  Jene,  welche  da  zuerst  zur  That 
schritten,  sich  exponiren  mussten.  Ich  glaube  die  richtige  Empfindung 
zu  haben,  wenn  ich  meine,  dass  gerade  die  Fachgenossen  berufen  ge¬ 
wesen  wären  dies  anzuerkennen  und  die  Schwierigkeit  einer  solchen 
Position  zu  berücksichtigen. 

Leider  ist  dies  nicht  bei  allen  Herren,  die  das  Wort  ergriffen 
haben,  der  Fall  gewesen.  Man  ist  stellenweise  nicht  müde  geworden, 
immer  wieder  auf  die  relativ  hohe  Mortalität  hinzuweisen,  jene  Gründe, 
die  ich  zu  deren  Erklärung  mit  Recht  anführte,  vollständig  ignorirend. 
Ja  es  ist  sogar  das  Wort  von  einem  Hekatomben-Opfer  gefallen,  ein 
Wort,  dessen  Berechtigung  zu  beurtheilen  ich  wohl  ruhig  dieser  hoch¬ 
verehrten  Gesellschaft  und  der  gesamcnten  Fachwelt  überlassen  kann. 


Nr.  50 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1179 


Nun,  meine  Herren,  ich  will  darüber  nicht  weiter  rechten.  Die 
Thatsache,  dass  ich  von  den  ersten  33  Fällen  1 1  verloren  habe,  besteht 
und  bleibt  bestehen.  Ich  hoffe,  dass  ich  bald  in  der  Lage  sein  werde, 
Ihnen  über  den  Ausgang  weiterer  Fälle  zu  berichten,  und  das  wird 
auch  für  die  Schwerhörigsten  und  Ungläubigsten  der  Prüfstein  sein 
für  die  Richtigkeit  meiner  Behauptung,  dass  an  der  bisherigen  Mortalität 
in  erster  Linie  die  zu  weite  Indicationsstellung  schuld  war. 

Wenn  ich  mich  somit  in  dieser  Richtung  vorläufig  zufrieden 
geben  muss,  so  kann  und  darf  ich  mich  aber  damit  absolut  nicht  ab- 
finden,  dass  das  Wesen  der  von  mir  beim  Uteruskrebs  ausgeführten 
erweiterten  Operation  von  einigen  Seiten  verkannt  worden  ist.  Obwohl 
ich  ausdrücklich  betont  habe  und  es  aus  dem  Sinne  meiner  Auseinander¬ 
setzungen  mit  grösster  Klarheit  hervorgeht,  dass  dieselbe  darin  besteht, 
dass  mit  dem  erkrankten  Organe  das  Beckenzellgewebe  in 
möglichst  breiter  Ausdehnung  und  die  regionären 
Lymphdrüsen  exstirpirt  werden,  zeigt  die  Kritik  einiger  Herren 
Redner,  dass  sie  den  Werth  der  Operation  nur  darin  erblicken,  dass 
die  Beckenlymphdrüsen  entfernt  werden.  Das  ist  ganz  falsch,  und  ich 
muss  meiner  Verwunderung  Ausdruck  geben,  dass  eine  solche  Auf¬ 
fassung  irgendwo  platzgreifen  konnte.  Die  erweiterte  Uteruskrebsoperation, 
wie  ich  sie  ausführte,  gilt  nicht  ausschliesslich  den  Drüsen,  sondern  ebenso, 
r-espective  in  höherem  Grade  der  Exstirpation  des  Beckenzellgewebes. 

Dieser  Vorwurf  wendet  sich  vor  Allem  gegen  die  von  Herrn 
Hofrath  Schauta  beliebte  Gruppirung  meines  Materiales.  Schauta 
legt  sich  die  Frage  vor,  was  denn  die  erweiterte  Uteruskrebsoperation 
in  denjenigen  meiner  Fälle,  in  denen  keine  careinomatösen  Drüsen  vor¬ 
handen  waren,  geleistet  habe  und  antwortet  darauf:  Nichts!  Dabei 
übersieht  er  eben,  dass  in  allen  diesen  Fällen,  ebenso  wie  in  jenen  mit 
krebsigen  Drüsen,  die  Parametrien  in  grossem  Umfange  mitexstirpirt 
worden  sind.  Dass  das  keinen  Werth  haben  sollte,  wird  Niemand  zu¬ 
geben,  und  Schauta  selbst  hat  sich  ja  für  die  Mitexstirpation  dei 
Parametrien  ausgesprochen  und  scheint  bereit  zu  sein,  wenigstens  in 
gewissen  Fällen  zu  diesem  Zwecke  den  abdominalen  Weg  zu  betreten. 

Es  ist  klar,  meine  Herren,  dass  eine  auf  so  irrthümlicher  Basis 
aufgebaute  Betrachtungsweise  werthlos  ist.  Aber  gesetzt,  die  Basis  wäre 
richtig,  halten  Sie  es  für  möglich,  meine  Hen-en,  dass  eine  so  grosse 
Frage,  wie  die  in  Verhandlung  stehende,  durch  solche  Rechenkünste 
gelöst  wird?  Spielen  in  der  Frage  der  Ausbreitung  des  Krebses,  seiner 
Wiederkehr  nach  operativen  Eingriffen  etc.  nicht  Factoren  mit,  die  uns 
heute  schon  deshalb  noch  vollständig  unbekannt  sind,  da  sie  mit  der 
noch  immer  ungelösten  Aetiologie  des  Carcinoms  innig  Zusammenhängen? 
Wer  sagt  denn,  dass  nicht  vielleicht  doch  auch  in  jenen  Parametrien 
und  in  jenen  Drüsen,  in  welchen  selbst  durch  das  Mikroskop  Carcinom 
nicht  constatirt  werden  konnte,  schon  manchmal  die  Keime  dieser 
Krankheit  vorhanden  sind?  Meine  Herren,  mit  dem  kleinen  Einmaleins  lässt 
sich  in  Fragen  mit  so  viel  unbekannten  Grössen  die  Lösung  nicht 
finden,  selbst  dann  nicht,  wenn  keine  nachweisbaren  Fehler  unterlaufen, 
wie  dies  in  einzelnen  Posten  dieser  Gruppirung  der  Fall  ist,  indem 
z.  B.  ein  Fall  als  Recidive  gerechnet  wird,  in  dem  die  Operation  von 
vorneherein  nur  einen  palliativen  Charakter  hatte,  im  anderen  Fall  die 
Operirte  als  der  Recidive  verfallen  erklärt  wird,  die  heute,  frisch 
und  dick,  sich  ihres  Lebens  freut  u.  s.  w. 

Aber  noch  ein  anderer  Irrthum  ist  da  aufzuklären.  Hofrath 
Schauta  wird,  wenn  er  die  gründliche  Entfernung  der  Parametrien 
üben  wird,  sehr  bald  die  Erfahrung  machen,  dass  die  hohe  Mortalität 
der  erweiterten  Uteruskrebsoperation  hauptsächlich  durch  die  Schwierig¬ 
keit  der  Zellgewebsexstirpation  bedingt  ist.  Diese  ist,  wofern  sie  nur 
einigermassen  gründlich  sein  soll,  mit  schwieriger  Blutstillung  in  der 
Tiefe  des  Beckens,  mit  Blosslegung  der  Ureteren,  mit  weitgehender 
Trennung  der  Blase  vom  Scheidenrohre,  mit  Schaffung  grosser  Wund¬ 
flächen  verbunden,  und  sie  ist  es  in  erster  Linie,  die  die  Operation  so 
langdauernd  macht  und  ihre  Gefährlichkeit  so  sehr  steigert.  Ihr  gegen¬ 
über  ist  die  Exstirpation  der  Drüsen  relativ  einfach  und  kurz  dauernd, 
wie  man  sich  jederzeit  am  Cadaver  überzeugen  kann.  Und  ich  bin 
überzeugt,  dass  Hofrath  Schauta,  wofern  er  nur  überhaupt  behufs 
Krebsoperation  dem  abdominalen  Wege  sich  dauernd  zuwendet,  auch 
die  Drüsen  nicht  vollständig  ignoriren  wird. 

Auch  der  zweite  Herr  Vorredner  hat  die  von  mir  durchgeführte 
Erweiterung  der  Krebsoperation  verkannt,  indem  er  ihr  Wesen  aus¬ 
schliesslich  in  der  Exstirpation  der  Drüsen  sieht.  Derselbe  geht  aber 
noch  viel  weiter,  indem  er  die  Drüsenexstirpation  einfach  für  unmöglich 
erklärt.  Er  geht  dabei  von  anatomischen  Vorstellungen  aus,  die  er  sich 
im  Laufe  der  Jahre  gebildet  hat,  und  welche  darin  gipfeln,  dass  man, 
um  wirklich  radical  zu  operiren,  nicht  nur  die  Beckenlymphdrüsen, 
sondern  auch  die  lumbalen  Drüsen  exstirpiren  müsste,  was  technisch 
unmöglich  sei.  Aber  auch  die  das  erkrankte  Organ  mit  den  Drüsen  ver¬ 
bindenden  Lymphbahnen,  in  welchen  „die  mit  Krebsvirus  imprägnirte 
Lymphe  fliesse“,  müssten  entfernt  werden. 

Eine  gewisse  theoretische  Berechtigung  kann  diesem  Einwande 
nicht  abgesprochen  werden.  Aber  er  kann  seine  Abstammung  vom 
Studirtische  nicht  verleugnen;  er  ist  nicht  aus  der  Praxis  geschöpft, 


r 

in  welcher  schon  gar  manche  Doctrine  Schift'bruch  erlitten  hat.  Be¬ 
weisen  denn  nicht  die  Arbeiten  von  S  a  p  p  e  y,  Poirier,  P  e  i  s  e  r  etc. 
dass  auch  der  Uterus  seine  etappenweise  angeordneten  Lymphdrüsen 
hat,  und  deuten  nicht  alle  bisherigen  Erfahrungen  darauf  hin,  dass  — 
wenn  es  auch  Vorkommen  mag,  dass  manchmal  der  Krebs,  mit  Um¬ 
gehung  oder  Ueberspriugung  der  ersten  Etappe,  d.  i.  die  der  iliacalen 
Drüsen,  sofort  die  lumbalen  Drüsen  ergreift  —  in  der  Regel  der  Krebs 
zunächst  von  der  ersten  Etappe  Besitz  ergreift  und  von  hier  erst  nach 
einiger  Zeit  weiterschreitet?  Uud  was  die  Lymphbahnen  betriffr,  ist  es 
denn  so  sicher,  dass  in  ihnen  wirklich  gerade  zur  Zeit  der  Operation 
„die  mit  Krebsvirus  imprägnirte  Lymphe  fliesst“?  Wissen  wir  überhaupt 
wann  und  wie  die  Infection  der  Drüsen  zu  Stande  kommt?  Gilt  nicht 
auch  hier  das  früher  Gesagte,  dass  dies  Dinge  sind,  die  sich  wahr¬ 
scheinlich  nicht  früher  entscheiden  lassen  werden,  bis  die  Frage  der 
Krebsätiologie  gelöst  ist?  Und  dürfen,  respective  sollen  wir  annehmen, 
dass  die  eine  krebsige  Drüse  mit  dem  primär  erkrankten  Organe  ver¬ 
bindenden  Lymphbahnen  fortwährend  und  für  immer  vom  Krebsvirus 
erfüllt  sind?  Nein,  meine  Herren,  diese  Vorstellung  stimmt  nicht,  das 
beweisen  meine  anatomischen  Serienschnitt-Untersuchungen  zur  Genüge! 
Weg  mit  Dogmen  uud  Doctrinen,  die  nur  die  Erkenntniss  aufhalten. 
Die  Praxis  allein  kann  über  den  Werth  oder  Unwerth  der  erweiterten 
Krebsoperation  entscheiden.  Abwarten  und  beobachten,  mehr  ist  vor¬ 
läufig  nicht  zu  machen.  Eine  im  Sinne  des  hier  besprochenen  Einwurfes 
ideal  radicale  Operation  kann  es  nicht  geben;  können  wir  doch  nicht 
eine  ganze  Bauchhöhle  ausräumen!  Dass  aber  die  erweiterte  Uterus¬ 
krebsoperation  weit  radicaler  ist  als  die  vaginale,  das  kann  selbst  dieser 
Herr  Vorredner  nicht  in  Abrede  stellen.  Man  soll  nicht  Alles  haben 
wollen,  namentlich  dann,  wenn  es  überflüssig  ist! 

Herrn  Hofrath  Chrobak  gegenüber  muss  ich  betonen,  dass  ich 
—  wenn  ich  auch  die  sogenannte  Impfinfection  während  der  Operation 
nicht  ganz  in  Abrede  stelle  —  ihre  Wichtigkeit  in  Uebereinstimmung 
mit  Freund,  Frommei,  v.  Rosthorn,  Thorn  etc.  allerdings 
nur  mehr  gering  anschlage.  Doch  abgesehen  hievon,  was  die  erweiterte 
Uteruskrebsoperation  betrifft,  so  möchte  ich  zu  bedenken  geben,  dass 
bei  dem  in  den  letzten  Fällen  von  mir  geübten  Vorgehen,  nämlich 
Abklemmen  des  Scheidenrohres  und  Durchtrennung  unterhalb  der 
Klemme,  jede  Verimpfung  vom  primären  Herde  ausgeschlossen  ist, 
während  dies  von  der  vaginalen  Methode  selbst  nach  sorgfältigster  Vor¬ 
bereitung  des  primären  Herdes  nicht  behauptet  werden  kann. 

Was  aber  die  Lymphbahnen  betrifft,  so  werden  bei  der  von  mir 
geübten  erweiterten  Operation  gewiss  nicht  mehr  eröffnet  als  bei  der 
vaginalen  Operation,  eher  weniger,  da  ja  der  Zusammenhang  zwischen 
dem  primär  erkrankten  Organe  und  seiner  Umgebung  weit  besser  ge¬ 
wahrt  bleibt. 

Auf  die  hochinteressanten  Ausführungen  L  a  t  z  k  o’s  und 
v.  Erlac h’s  kann  ich  hier  nicht  näher  eingehen.  Namentlich  der  von 
Ersteren  ausgesprochene  Wunsch,  ich  möchte  mittheilen,  wie  sich  in 
meinen  bisherigen  Fällen  das  Verhältniss  der  Drüsenerkrankung  stellt, 
wenn  dieselben  in  leichte  und  vorgeschrittene  eingetheilt  würden,  wäre 
geeignet,  zu  weitgehenden  Betrachtungen  über  die  Pathologie  des 
Krebses,  den  Zeitpunkt  seiner  Ausbreitung  auf  das  Lymphgefässsystem 
der  Umgebung  etc.  anzuregen.  Doch  widerstrebt  es  mir,  an  der  Hand 
relativ  kleiner  Zahlen  so  grosse  Fragen  zu  erörtern.  Auch  hier  heisst 
es  ab  warten. 

Dass  Latzko  seit  Langem  für  die  abdominale  Krebsoperation 
eintritt  und  sich  Verdienste  in  der  Frage  derselben  erworben  hat,  ist 
mir  wohl  bekannt. 

Zum  Schlüsse  erlauben  Sie  mir,  meine  Herren,  meinen  Stand¬ 
punkt  noch  einmal  mit  wenigen  Worten  zu  präcisiren: 

Bei  sorgfältiger,  auf  Erfahrung  beruhender  Indicationsstellung 
und  entsprechend  ausgebildeter  Technik  wird  sich  die  Mortalität  der 
auf  Parametrien  und  Drüsen  ausgedehnten  Uteruskrebsoperation  be¬ 
deutend  herabdrücken  lassen.  In  dieser  Richtung  führe  ich  nochmals 
an,  dass  sich  acht  von  meinen  elf  Todesfällen  auf  weit  vorgeschrittene 
Fälle  beziehen,  die  ich  nach  meiner  heutigen  Erfahrung  gar  nicht  an¬ 
gegangen  hätte.  Rechnen  wir  diese  acht  Fälle  ab,  so  kommen  auf 
25  Operationen  nur  3  Todesfälle,  was  eine  Mortalität  von  12%  ergibt; 
eine  Mortalität,  die  der  bei  der  vaginalen  Uteruskrebsoperation  er¬ 
zielten,  die  ja  bei  weit  vorgeschrittenen  Fällen  ausgeschlossen  ist,  recht 
nahe  kommt.  Lassen  Sie  sich,  meine  Herren,  nicht  dadurch  blenden, 
wenn  Ihnen  Jemand  sagt,  er  habe  50  oder  60  oder  noch  mehr  Fälle 
ohne  Todesfall  operirt.  Die  Inconstanz  der  primären  Erfolge  ist  eine 
allbekannte  Thatsache,  und  0  1  sh  au  sen,  der  im  Jahre  1895  unter 
100  Operationen  keinen  Todesfall  hatte,  verzeichnet  unmittelbar  danach 
wieder  8'2°/0  Mortalität.  Legen  wir  mit  Winter  der  percentuellen 
Berechnung  der  Gefährlichkeit  der  vaginalen  Krebsoperation  die  grösseren 
Statistiken  zu  Grunde,  so  ergibt  sich  eine  Durclischnittsmortalilät 
von  8%. 

Ob  die  Dauererfolge  bessere  sein  werden,  lässt  sich  heute  noch 
nicht  entscheiden.  Die  histologischen  Studien  an  den  exstirpirten  Para¬ 
metrien,  Drüsen  und  Lymphbahnen  lassen  es  erwarten.  Gewissheit 


1180 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


darüber  kann  es  erst  nach  Jahren  geben;  denn  wir  fordern  heute  eine 
fünfjährige  Controle  zur  Beurtheilung  der  Dauererfolge.  Doch  sei 
wiederholt,  dass  von  den  17  Fällen,  die  mir  für  die  Beurtheilung  der 
Dauererfolge  zur  Verfügung  geblieben  sind,  bisher  keiner  rccidiv  ge¬ 
worden  ist. 

Wi  r  wollen  uns  keinen  übertriebenen  Erwartungen  hingeben,  aber 
auch  keinem  Pessimismus.  Wer  Ersteres  thäte,  würde  beweisen,  dass 
er  auf  dem  Gebiete  der  Krebstherapie  noch  sehr  wenig  Erfahrung  hat. 
Wer  Letzteres  thäte,  würde  sich  einem  vielleicht  doch  möglichen  Fort¬ 
schritte  hindernd  in  den  Weg  stellen.  Jedenfalls  ist  die  Sache  der 
Prüfung  werth.  Für  den  principiellen  Uebergang  zur  abdominalen 
Operation  werden  wir  uns  eist  dann  aussprechen  können,  wenn  alle 
Verhältnisse  geklärt  sein  werden.  Dann  werden  wir  Definitives  bringen 
können,  und  ich  hoffe,  meine  Herren,  dass  es  mir  nach  einigen 
Jahren  vergönnt  sein  wird,  in  dieser  Frage  neuerdings  vor  Sie  zu  treten. 


Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

Sitzung  vom  9.  November  1900. 

Dr.  Bissau,  stellt  einen  27jährigen,  kräftigen  Mann  vor, 
welcher  seit  fünf  Jahren  an  ausgedehnten  Ulcerationen  beider  Unter¬ 
schenkel  leidet.  Namentlich  rechts  bestand  eine  Geschwürsfläche  von 
solcher  Ausdehnung,  dass  dem  Manne  d'e  Amputation  vorgoschlagen 
waid.  Alsdann  dem  Josefstädter  allgemeinen  Krankenhause  zur  Auf¬ 
nahme  empfohlen,  gab  Patient  die  Einwilligung  zur  Deckung  des 
Ulcus  vermittels  T  h  i  e  r  s  c  h’scher  Transplantationen  (modificirt  nach 
Köhler).  Am  10.  October  d.  J.  wurden  von  der  Innenseite  des 
Oberarmes  18  T  h  i  e  r  s  c  h’sche  Lappen  entnommen,  von  denen  das 
rechtsseitige  circuläre  Ulcus  13  zur  Deckung  erhielt.  Dasselbe  zeigt 
sich  nunmehr,  nach  vier  Wochen,  bis  auf  winzige  granulirende  Defecte 
total  überhäutet,  während  die  linksseitigen,  fiüher  handflächengrossen 
Ulcera  gänzlich  geheilt  sind.  Bissau  ist  der  Meinung,  dass  das  Ver¬ 
fahren,  dessen  Details  er  in  kurzen  Worten  beschreibt,  allen  anderen 
die  Spitze  biete  und  führt  als  Vorzüge  desselben  an:  Kasche  Ver- 
schliessung  der  Substanzverluste,  grössere  Gewähr  für  eine  gewisse 
Dauer  des  Erfolges,  namentlich  unter  Berücksichtigung  einer  ent¬ 
sprechenden  Nachbehandlung,  geringe  Vorkenntnisse  in  der  operativen 
Technik  und  Billigkeit  der  Therapie. 

Discussion:  Stabsarzt  Dr.  T  r  n  k  a  beschreibt  eine  von  ihm 
angegebene  Modification  der  Thierse  h’schen  Transplantation,  welche 
er  als  sehr  erfolgreich  bezeichnet.  Die  Schwierigkeit  bei  der  Trans¬ 
plantation  nach  Thiersch  ist  die  Fixirung  der  Lappen,  sowohl 
w’fgen  der  anfangs  stärkeren  Secretion  als  auch  aus  anderen  Gründen. 
Trnka  hat  nach  Anbringung  der  T  h  i  e  r  s  c  h’schen  Lappen  auf  die 
Wundfläche  die  Umgebung  des  transplantirten  Lappens  mit  einem 
Gebläse  auszutrocknen  gesucht  und  es  gelang  dadurch,  eine  viel  festere 
Haftung  des  Lappens  zu  erzielen.  Ferner  wurde  die  Umgebung  mit 
Europhen  gedeckt  und  als  Verband  Silk  Protectiv  verwendet.  Letzteres 
hält  Trnka  für  das  Wichtigste,  da  sich,  wenn  man  noch  mit  dem 
Gebläse  arbeitet,  eine  feste,  glasige  Schichte  bildet,  welche  das  Läpp¬ 
chen  befestigt.  Das  Protectiv  gestattet  den  Abfluss  des  Secretes  an 
den  Seiten.  Trnka  hat  durch  dieses  Verfahren  eine  sehr  rasche  An¬ 
heilung  der  Lappen  erzielt. 

Dr.  Tauber:  Das  Verfahren  nach  Dr.  Bissau  bedarf  einer 
Einschränkung,  indem  es  nur  bei  jüngeren  Individuen  zu  verwenden 
ist,  während  es  bei  älteren  Individuen  erfolglos  ist,  ja  sogar  öfters 
eine  Verschlimmerung  des  Zustandes  eintritt. 

Ilofrath  Prof.  Chiari  demonstrirt  den  Schädel  eines  37jährigen 
Mannes,  der  sich  zwei  Tage  vor  seinem,  auf  der  Klinik  des  Prof. 
W  öl  fl  er  am  8.  November  a.  c.  erfolgten  Tode  in  selbstmörderischer 
Absicht  mit  einem  Revolver  in  die  rechte  Schläfe  geschossen  hatte. 
Das  Projectil  war  durch  den  hintersten  untersten  Abschnitt  der  rechten 
Stirnbeinschuppe  eingedi ungen,  hatte  die  Pachymeninx  daselbst  durch¬ 
bohrt,  war  quer  und  etwas  aufsteigend  durch  die  beiden  Stirnlappen 
bis  an  die  Innenfläche  der  linken  Stirnbeinsehuppe  gelangt,  dort  ab¬ 
geprellt  und  in  sagittaler  Richtung  noch  9  cm  weit  nach  hinten  in  der 
linken  Grosshirnhemisphäre  weiter  gegangen.  Am  Tegmen  orbit,  dextr. 
war  es  zu  einer  Sprengfractur  durch  Contrecoup  gekommen,  und  war 
im  Zusammenhänge  damit  blutige  Suffusion  des  Zellgewebes  der  rechten 
Lider  eingetreten.  Das  Bemerkenswerthe  an  diesem  Falle  aber  war 
dadurch  gegeben,  dass  entsprechend  der  Stelle  des  Rieochetirens  das 
Projectil  von  der  Innenfläche  der  linken  Stirnbeinschuppe  bei  nur  ganz 
geringer  umschriebener  Suffusion  der  Pachymeninx  daselbst  und  voll¬ 
ständig  intacter  Lamina  vitrea  die  Tabula  compacta  externa  allein 
eine  mehrstrahlige  Fissur  acquirirt  hatte.  Es  illustrirt  dieser  Fall  nach 
Art  eines  Experimentes  die  Möglichkeit  der  isolirten  Continuitäts- 
trennung  in  der  Lamina  compacta  externa  des  Schädels  bei  von  innen 
her  stattfindeuder  Gewalteinwirkung.  Eine  solche  Fractur  kann  nur  er¬ 
folgen  durch  Ueberdehnung  und  zeigt  die  relativ  grosse  Widerstands¬ 
fähigkeit  der  Lamina  vitrea. 


Dr.  Leo  Schwarz:  Ueber  Entstehung  und  Aus 
Scheidung  des  Acetons. 

Der  Inhalt  des  Vortrages  war  in  Wesentlichen  folgender:  Seit 
der  Erkenntniss  von  der  Bedeutung  der  Lungen  als  Ausscheidungs¬ 
stätte  des  Acetons  lag  die  Nothwendigkeit  vor,  bei  Diabetikern  quanti¬ 
tative  Bestimmungen  der  ausgeathmeten  Acetonmengen  vorzunehmen, 
da  nur  bei  gleichzeitiger  Berücksichtigung  sowohl  des  im  Harne,  als 
des  in  der  Ausathmungsluft  erscheinenden  Acetons  eine  complete 
Acetonbilanz  aufgestellt  werden  kann. 

Zur  Bestimmung  des  Acetongehaltes  der  Exspirationsluft  diente 
der  von  Johannes  Müller  angegebene  Athmungsapparat. 

Zunächst  wurde  der  Verlauf  der  Acetonausathmung  bei  Dia¬ 
betikern  während  des  Tages  untersucht.  Es  stellte  sich  in  den  meisten 
Fällen  eine  grosse  Constanz  zu  den  verschiedenen  Tageszeiten  heraus. 
Zuweilen  aber  zeigte  sich  eine  leichte  Erhebung  in  den  Vormittags-, 
zuweilen  in  den  ersten  Naelmiittagsstunden.  Eine  directe  Abhängigkeit 
von  den  Mahlzeiten  war  nicht  zu  constatiren. 

Die  absoluten  Mengen  ausgeathmeten  Acetons  sind  oft  sehr  be¬ 
trächtlich.  Sie  betrugen  z.  B.  in  einem  fünf  Monate  lang  beobachteten 
Fall  durchschnittlich  täglich  IT  $ ,  in  einem  anderen  Falle  war  das 
Tagesmittel  aus  65tägiger  Beobachtung  13  g.  Der  höchste  an  einem 
Tage  in  der  Athmung  gefundene  Werth  belief  sich  sogar  auf  3’6  g. 
An  diesem  Tage  -wurden  im  Harne  4  2  g  Aceton  ausgeschieden. 

Das  relative  Verhältniss  zwischen  Lungen-  und  Harn-Aceton  ist 
abhängig  von  der  Art  des  Diabetes.  Beim  schweren  Diabetes  wird  das 
Aceton  im  Harne  zum  Theil  in  Form  einer  oxydativen  Vorstufe  der 
Aeetessigsäure  ausgeschieden,  und  diese  wird  als  Aceton  mitbestimmt. 
Da  nun  die  Aeetessigsäure  durch  die  Lungen  nicht  abgegeben  werden 
kann,  so  steht  natürlich  den  Lungen  relativ  weniger  Aceton  zur  Ab¬ 
dunstung  zur  Verfügung.  Daher  ist  die  Betheiligung  der  Athmung  an 
der  Acetonausscheidung  beim  schweren  Diabetiker  relativ  gering.  Sie 
beträgt  circa  34°/o,  während  beim  leichten  Diabetiker  circa  70%  des 
Gesammtacetons  durch  die  Lungen  den  Körper  verlassen. 

Bei  Gesunden  fanden  sich  im  Mittel  circa  0-l  g  Aceton  in 
24  Stunden  in  der  Athmungsluft.  Die  Athmungsquote  ist  gleichfalls 
circa  70%. 

Die  bekannte  Erscheinung,  dass  durch  Zufuhr  von  Kohlehydraten 
die  Acetonausscheidung  vermindert  wird,  konnte  im  Allgemeinen  be¬ 
stätigt  und  auch  für  die  Athmung  erwiesen  werden.  Allerdings  trat  in 
zwei  Fällen  von  schwerem  Diabetes  diese  acetonbeschränkende  Wirkung 
der  Kohlehydrate  nicht  auf. 

Die  beiden  Oxydationsproducte  des  Traubenzuckers,  die  Glykon- 
säure  und  die  Zuckersäure,  setzen  die  Acetonausscheidung  noch  stärker 
herab,  als  der  Traubenzucker  selbst.  3  00  <7  Glukonsäure  bedingten 
einen  Ausfall  von  circa  3  6  g,  100$  Zuckersäure  von  circa  2-0  <7, 
100$  Traubenzucker  von  circa  0\5  $  Aceton.  Ueberdies  kam  durch 
die  genannten  Substanzen  für  ein  oder  mehrere  Tage  auch  die  Acet- 
essigsäure  und,  wie  es  scheint,  in  einem  Falle  auch  die  ß-Oxybutter- 
säure  aus  dem  Harn  zum  Verschwinden. 

Die  Anschauung,  dass  das  Aceton  aus  dem  Eiweiss  herstamme, 
ist  durch  die  neueren  Untersuchungen  unwahrscheinlich  geworden. 

Eine  neue  Beobachtung  spricht  auch  gegen  die  Abhängigkeit 
der  Acetonausscheidung  von  der  Grösse  des  Eiweisszerfalles:  Bei  einem 
Diabetiker  wurden  während  neuntägiger  Kohlehydratcarenz  circa 
27  $  Aceton  mehr  ausgeschieden  als  in  einer  Vorperiode  bei  Kohle¬ 
hydratnahrung.  Und  doch  war  die  Stickstoffausscheidung  in  der  zweiten 
Periode  durchaus  nicht  höher  als  vorher. 

Auf  die  Möglichkeit,  dass  die  Fette  die  Quelle  des  Aceton  sein 
können,  ist  von  Geelmuyden  hingewiesen  worden.  Seine  Versuche 
an  Gesunden  haben  jedoch  keine  eindeutigen  Resultate  geliefert.  Ebenso 
war  bei  Untersuchung  des  Vortragenden,  auch  unter  Mitberücksichtigung 
der  Athmung,  selbst  bei  grosser  Fettzufuhr  eine  Zunahme  der  Aceton¬ 
ausscheidung  nicht  mit  Sicherheit  fesfzustellen. 

Hingegen  trat  bei  Diabetikern  nach  Fettfütterung,  namentlich 
nach  Butter,  regelmässig  eine  sehr  beträchtliche  Steigerung  der  Aceton- 
ausscheidung  ein.  Diese  war  um  so  grösser,  je  höher  die  Acetonaus¬ 
scheidung  schon  vorher  gewesen.  Sie  betrug  nach  mässigen  Butter¬ 
mengen  mehrere  Decigramme  bis  mehrere  Gramme. 

Aehnlich  wie  die  Butter  selbst,  wirkten  auch  die  Butterseifen 
und  das  buttersaure  Natron. 

Im  Ganzen  sind  nach  einer  ungefähren  Berechnung  aus  circa 
21/2  leg  Butter  im  diabetischen  Organismus  circa  45$  Aceton  entstanden. 
Die  in  dieser  Buttermenge  enthaltene  Menge  von  circa  88  $  Butter¬ 
säure  wäre  der  chemischen  Constitution  nach  mehr  als  hinreichend, 
um  diese  Acetonbildung  zu  bestreiten. 

Auf  die  Art  des  Ueberganges  von  Buttersäure  in  Aceton  kann 
hier  nicht  näher  eingegangen  werden. 

Nach  diesen  Erfahrungen  scheint  die  Acetonausscheidung  der 
Ausdruck  gesteigerten  Fettzerfalles  im  Organismus  zu  sein.  Immer, 
wenn  das  Calorien-Bedürfniss  nicht  durch  Kohlehydrate,  sondern  ganz 
oder  vorwiegend  durch  Verbrennung  von  Fett  gedeckt  wird,  kommt 


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es  zur  Ausscheidung  von  Aceton:  so  beim  Diabetiker,  dessen  Fähig¬ 
keit,  Kohlehydrate  anzugreifen,  herabgesetzt  oder  aufgehoben  ist: 
sowie  beim  Gesunden  bei  Kohlehydratcarenz  und  im  Hunger. 

Discussion:  Docent  M  ii  n  z  e  r  pflichtet  nach  seinen  eigenen 
mit  Dr.  Strasser  angestollten  Untersuchungen  dom  Vortragenden 
darin  bei,  dass  Stickstoff  und  Acetessigsäureausscheidung  einander 
nicht  parallel  gehen.  In  Uebereinstimmung  mit  der  damals  herrschen¬ 
den  Ansicht  gingen  e  r  und  Strasser  von  der  Ansicht  aus,  dass 
die  Acetessigsäure  aus  dem  stickstofffreien  Antheile  des  Eiweiss- 
molecüles  entstünde.  Die  Befunde  im  Allgemeinen  scheinen  wesentlich 
zu  Gunsten  der  Annahme  einer  Entstehung  der  Acetessigsäure  aus 
Fett  zu  sprechen.  —  Münzer  und  Strasser  fanden  in  ihren  da¬ 
maligen  Beobachtungen  einen  merkwürdigen  Parallelismus  zwischen 
Ammoniak  und  Acetessigsäureausscheidung.  Es  würde  daher  M  ii  n  z  e  r 
sehr  interessiren,  ob  der  Vortragende  auch  NH3-Bestimmungen  gemacht 
habe  und  ob  insbesondere  die  nach  Glukonsäure-Darreichung  ein- 
tretende  Verminderung  der  Acetonausscheidung  von  einer  entsprechen¬ 
den  Schwankung  im  Ammoniakgehalte  gefolgt  sei. 

Im  Schlusswort  bemerkt  Schwarz,  dass  ihm  solche  Am¬ 
moniakanalysen  nicht  zur  Verfügung  stehen.  Der  Hypothese,  dass  das 
Aceton  sich  aus  dem  stickstofffreien  Reste  des  Eiweisses  herleite,  er¬ 
kennt  er  keine  grosse  Wahrscheinlichkeit  zu. 

Sitzung  am  16.  November  1900. 

Docent  Dr.  Wilhelm  Fischei  demonstrirt  die  Präparate 
eines  vor  mehr  als  zwei  Jahren  operirten,  und  bisher  reeidivfrei  ge¬ 
bliebenen  Falles  von  Cystadenoma  corporis  uteri  lymphangiectaticum. 
Der  Tumor  hatte  sich  als  apfelgrosser  Polyp  durch  den  erweiterten 
Muttermund  in  die  Scheide  gedrängt,  entsprang  breitbasig  von  der 
ganzen  G'ircumferenz  des  inneren  Muttermundes  und  bot  so  das  Bild 
einer  Iuversio  uteri  dar,  da  der  Finger  nirgends  zwischen  Tumor  und 
Muttermund  in  die  Uterushöhle  eindringen  konnte;  das  Corpus  uteri 
war  natürlich  an  richtiger  Stelle  zu  tasten.  Es  musste,  da  die  ganze 
Innenfläche  sich  bei  der  Operation  als  Sitz  des  Tumors  darstellte,  die 
Totalexstirpation  vorgenommen  werden.  Bemerkenswerth  war  der  reich¬ 
liche  Abgang  von  Serum  in  den  letzten  zwei  Monaten  bei  Fehlen  jeder 
Blutung;  ebenso  während  des  Morcellements  des  Tumors,  der  beim  An¬ 
ziehen  mit  den  Zangen  einriss,  und  dabei  einen  blätterigen  Bau  zeigte. 
Mikroskopisch  erwies  er  sich  als  cystisehos,  von  den  Corpusdrüsen  aus¬ 
gehendes  Adenom  mit  sehr  reichlicher  Entwicklung  von  Lymphgefässen, 
die  zum  Theil  mit  flachem  Endothel  bekleidet  waren,  das  allmälig  in 
immer  höher  werdendes  überging.  Aus  solchen  Lymphräumen  Hessen 
sich  einzelne  Cysten  mit  der  Pincette  wie  selbstständige  Gebilde  heraus¬ 
heben.  Ein  sehr  ähnlicher  Fall  von  Winkels  ging  von  der  Cervix¬ 
schleimhaut  aus.  Der  Fall  von  Schatz-Thierfelder  bestand  aus 
einer  grossen  Zahl  von  Polypen,  die  im  Collum  und  Coipus  sassen; 
ein  dritter  ähnlicher  Fall  von  Kraus  und  Capmerez  war  in  der 
Cervixwand  infiltrirt. 

Dr.  Imhofer:  Zur  Pathologie  und  Therapie  der 
menschlichen  Singstimme. 

Vortragender  bespricht  zunächst  kurz  einzelne  für  das  vorliegende 
Thema  wichtige  Capitel  der  Physiologie,  die  Schwingungszahl  der 
Stimmbänder,  die  Register,  den  Umfang  der  menschlichen  Singstimme 
im  Allgemeinen,  sowie  der  einzelnen  Stimmen.  Er  würdigt  weiter  die 
schweren  Folgen  des  Singens  in  falscher  Lage,  des  künstlichen  ITinauf- 
sehraubms  der  Stimme,  die  sich  in  Hyperämie,  Muskelparesen  etc. 
kennzeichnen,  was  I  m  h  o  f  e  r  unter  dem  Namen  „Uebermüdungskatarrh“ 
zusammenfasst.  Als  Therapie  gegen  diese  Folgezustände  empfiehlt  er 
ganz  speciell  endolaryngeale  Faradisation  und  Massage.  Im  weiteren 
Verlaufe  kommt  er  auf  die  „Sängerknötchen“  zu  sprechen,  als  deren 
Ursache  er  das  Scheuern  der  Stimmbänder  aneinander  (analog  dem 
Clavus)  ansieht.  Die  Therapie  dieser  Fälle  besteht  in  Ruhe,  anti- 
katarrhalischen  Mitteln,  in  hartnäckigen  Fällen  in  operativer  Entfernung, 
wozu  sich  besonders  der  Schmid  t’sche  Doppellöffel  eignet.  Nach 
einem  kurzen  Ueberblick  der  für  die  Singstimme  wichtigen  Affectionen 
der  Nase  und  des  Rachens  setzt  Imhofer  die  Wichtigkeit  der 
alleinigen  \erwendung  der  Stimme  in  der  ihr  angemessenen  Lage  und 
der  für  sie  passenden  Wirkungsweise  auseinander  und  plaidirt  für  eine 
anatomisch-physiologische  Vorbildung  der  Sänger  und  deren  Lehrer. 

Dr.  Oskar  Bail:  U  e  b  e  r  Fleischvergiftung. 

Der  Begriff  der  Fleischvergiftung,  der  früher  in  sehr  allgemeinem 
Sinne  auf  sehr  heterogene  Erkrankungen  angewendet  wurde,  muss  nach 
den  ätiologischen  Untersuchungen  der  letzten  Jahre  näher  präcisirt 
werden.  Der  Genuss  faulen  Fleisches  und  die  darauf  folgenden,  mehr 
minder  heftigen  Erscheinungen  sind  Intoxicationen  mit  den  gewöhnlichen 
Fäulnissproducten.  Ebensowenig  gehören  zu  Fleischvergiftungen  im 
strengen  Sinne  jene  Fälle,  wo  sich  Bacterien  im  Fleische  angesiedelt 
und  nach  Genuss  des  Fleisches  im  menschlichen  Körper  vermehrt 
haben.  Zum  Begriffe  der  Fleischvergiftung  im  engeren  Sinne  (Botulismus, 
Allantiasis)  gehört  die  Aufnahme  des  schon  fertigen  Giftes,  welches 


von  Mikroorganismen  gebildet  wird,  die  an  sieb  gar  nicht  im  Stande 
sind,  im  thierischen  oder  menschlichen  Körper  zu  wachsen.  Dieses  Gift 
ist  dabei  von  den  gewöhnlichen  Fäulnissstoffen  verschieden. 

Der  Vortragende  bespricht  hierauf  die  durch  den  Bacillus  botulinus 
van  Er  meng  hem  im  Jahre  1895  veranlasste  Epidemie  und  geht 
näher  auf  die  culturellen  Eigenschaften,  sowie  auf  die  Giftbildung  ein. 
Der  verwendete  Stamm  zeichnete  sich  durch  starke  Giftbildung,  aber 
auch  durch  eine  ziemlich  grosse  Labilität  aus. 

Die  eigenen  Versuche  des  Vortragenden  beziehen  sich  auf  die 
Möglichkeit  der  Uebertragung  der  Botulinuskeime  durch  Fliegen  auf 
normale,  unveränderte  Nahrungsmittel.  Nach  Ueberwindung  mannig¬ 
facher  Schwierigkeiten,  gelang  es  thatsächlich,  nachzuweisen,  dass  Fliegen, 
die  auf  botulinu3haltigem  Material  gesessen  waren,  nicht  nur  an  ihrem 
Körper  den  Bacillus  forttragen,  sondern  dass  sie  ihn  auch  in  einigen 
Fällen  auf  Nahrungsmittel  dej^oniren  konnten. 

Als  Folgerung  aus  diesen  Versuchen  ergibt  sich  zunächst  die 
Forderung  grösster  Sauberkeit  im  Verkehre  mit  Nahrungsmitteln;  so 
sollte  Fleisch  in  den  Läden  nicht  offen  hängen  bleiben,  sondern  durch 
entsprechende  Netze  gegen  Fliegen  geschützt  sein.  Dann  aber  muss 
Alles  vermieden  werden,  was  eine  Ansammlung,  Anlockung  oder  gar 
Vermehrung  der  Fliegen  in  unmittelbarer  Nähe  menschlicher  An- 
siodlungen  begünstigen  könne.  Zu  solchen  Anlockungscentren  gehören 
aber  namentlich  die  industriellen  Verarbeitungen  thierischer  Abfallstoffe 
und  ähnlicher  Materialien  (Leimfabriken,  Gerbereien  etc.). 

Dr.  O.  W. 


Verein  für  Psychiatrie  und  Neurologie  in  Wien. 

Sitzung  vom  13.  November  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  v.  Wagner,  dann  Hofrath  v.  Krafft-Ebing. 

Schriftführer:  Dr.  v.  Sölder. 

1.  Hofrath  v.  Krafft-Ebing  demonstrirt  zwei  Fälle  mit 
myoklonischen  Krämpfen. 

1.  38jähriger  Hausbesorger,  unbelastet,  leidet  an  Tabes  dorsalis 
im  ataktischen  Stadium,  hat  ausserdem  eine  Reihe  hysterischer 
Stigmata:  eine  strumpfförmige  Ilypästhesie  am  linken  Bein;  rechts¬ 
seitig  Ilemihypästhesie,  Herabsetzung  des  Geschmackes,  Geruches  und 
Gehöres,  Einengung  des  Gesichtsfeldes,  Verlust  des  Gaumen-,  Rachen- 
und  Ohrenreflexes;  zweimalige  pathologische  Affecte  und  hysterischen 
Charakter.  Am  14.  Juli  d.  J.  Sturz  über  U/a  m  Höhe  ohne  Verletzung, 
aber  mit  heftigem  Schreck;  am  21.  August  unangenehme  Auseinander¬ 
setzung  mit  einem  Arzte;  danach  Auftreten  der  jetzigen  Krämpfe.  Es 
bestehen  blitzartige  Zuckungen  im  Gesichte,  in  den  Halsmuskeln,  den 
oberen  Extremitäten,  wiederholt  isolirt  im  Musculus  supinator  longus, 
peetoralis,  triceps;  keine  locomotorischen  Effecte,  keine  coordinirten 
Krämpfe.  Vortragender  glaubt,  dass  es  sich  um  echte  Myoklonie  handle, 
daher  sei  die  Prognose  schlecht  zu  stellen.  Durch  Hypnose  wurde 
Katochus,  aber  kein  Heileffect  erzielt. 

II.  17jährige  Dienstmagd,  nicht  belastet,  aber  degenerative  Per¬ 
sönlichkeit  mit  Degenerationszeichen,  charakterologisch  abnorm,  lernte 
schlecht,  hatte  im  September  d.  J.  Streit  mit  dem  Bruder,  vollführte 
einen  Selbstmordversuch  durch  Trinken  von  Lysol,  batte  darauf  eine 
wahrscheinlich  hysterische  Bewusstlosigkeit.  Seither  die  Zuckungen. 
Keine  stigmata  hysteriae.  Blepharoklonus,  Zucken  um  den  Mundwinkeln, 
in  den  Muskeln  des  Nackens  und  Halses,  Emporzichen  der  Schultern, 
Zuckungen  der  Bauchmuskeln,  auch  der  distalen  Abschnitte  der  oberen 
Extremitäten,  Einschlagen  der  Finger.  Die  Zuckungen  haben  loco¬ 
motorischen  Effect,  zum  Theil  complicirter  Art,  so  dass  man  an  will¬ 
kürliche  Auslösung  denken  könnte.  Starke  Abhängigkeit  von  Emotion. 
Vortragender  hält  diese  myoklonie-ähnlichen  Krämpfe  für  Hysterie. 

2.  Dr.  A.  Pilcz  hält  den  angekündigten  Vortrag:  „U  e  b  e  r 
myxödematöses  Irresein  und  Schilddrüsentherapie 
bei  Geistesstörungen.“ 

45jährige,  erheblich  belastete  Frau,  melancholisches  Zustandsbild 
(pessimistische  und  negativistische  Wahnideen).  Dabei  Affect  auffallend 
asthenisch, die  Kranke  erscheint  sehr  torpide;  bemerkenswerth  ist  noch 
ein  eigenartig  argwöhnisches  Wesen  der  Patientin. 

Nach  etwa  einjähriger  Dauer  der  Psychose  entwickelte  sich 
ziemlich  rasch  das  typische  Bild  des  Myxödems.  Unter  Thyreoid 
behandlung  rasches  Schwinden  sowohl  der  körperlichen  Symptome,  wie 
der  Geistesstörung.  Heilung.  Aussetzen  des  Mittels  war  nach  etwa 
zwei  Wochen  von  einem  unverkennbaren  Recidive  gefolgt;  nach  neuer¬ 
licher  Thyreoidcur  wieder  rasche  Heilung.  Als  die  Behandlung  abermals 
ausgesetzt  wurde,  blieb  ein  Rückfall  aus.  (Ueber  dreimonatliche  Beob¬ 
achtungsdauer.) 

Das  Myxödem  zieht  in  fast  allen  Fällen  eine  Beeinträchtigung 
der  psychischen  Functionen  nach  sich;  die  allgemeinen  psychischen 
Störungen  bestehen  in  Verlangsamung  und  Hemmung  der  psychischen 
Leistungen,  in  Apathie,  Schlafsucht,  Verlust  des  Gedächtnisses. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  50 


Neben  diesen  allgemeinen  Störungen,  für  welche  Redner  die  Be¬ 
zeichnung  „myxödematöser  Geisteszustand1*  vorschlägt,  kommen  aus¬ 
gesprochene  Psychosen  vor,  das  „myxödematöse  Irresein“.  Die  Geistes¬ 
störungen  weisen  untereinander  symptomatologisch  keine  Ueber- 
einstimmung  auf  (manische,  melancholische  Zustandsbilder,  Wahnideen, 
Sinnestäuschungen  etc.),  erhalten  aber  durch  den  gleichzeitig  bestehenden 
allgemeinen,  myxödematösen  Geisteszustand  ihre  eigenartige  Färbung. 
Die  Frage,  ob  bei  einem  Myxödemkranken  mit  Psychose  eine  einfache 
Combination  zweier  toto  coelo  verschiedener  Processe  vorliegt,  oder  ob 
die  Geistesstörung  als  abhängig  vom  Myxödem,  als  directe  Folge¬ 
erscheinung  desselben  zu  betrachten  ist,  lässt  sich  ex  juvantibus,  d.  h. 
durch  den  Erfolg  der  specifischen  Organotherapie  auch  auf  die  Psychose 
entscheiden.  Fälle  selbst  zwölfjährigen  Bestehens  der  Geistesstörung 
bei  Myxödemkranken  gelangten  noch  unter  Schilddrüsenmedication  zur 
Heilung.  Andererseits  liegen  Combinationen  irgend  einer  chronischen, 
unheilbaren  Psychose  mit  Myxödem  vor  (cyklisches  Irresein,  Paralyse), 
wobei  die  Behandlung  nur  das  Myxödem  beeinflusste,  natürlich  nicht 
die  Psychose. 

Das  myxödematöse  Irresein  entwickelt  sich  meist  erst  bei  längerem 
Bestehen  der  körperlichen  Erscheinungen  dieses  Leidens,  kann  den¬ 
selben  aber  auch  gelegentlich  vorausgehen;  es  befällt,  wie  das  Myxödem 
überhaupt,  vorwiegend  weibliche  Individuen.  Zur  Stellung  der  Diagnose 
in  Fällen  mit  wenig  ausgesprochenen,  somatischen  Befunden  wäre  es 
nothwendig,  viele  und  symptomatologisch  möglichst  detail  1  irte  Krank¬ 
heitsgeschichten  zu  erhalten.  (Redner  verweist  auf  diesbezügliche  Mängel 
in  der  einschlägigen  Casuistik.)  Ferner  ist  es  wichtig,  nach  dem 
Symptomen  der  „formes  frustes“  des  Myxödems  zu  fahnden.  Redner 
macht  besonders  aufmerksam  auf  die  wichtigeu  Untersuchungen  von 
Hertoghe  über  die  „Hypothyroidie  benigne  chronique“. 

Pilcz  bespricht  schliesslich  die  Anwendung  der  Schilddrüsen¬ 
behandlung  bei  nicht  myxödematösen  Geisteskranken,  welches  Ver¬ 
fahren  besonders  von  englischer  und  amerikanischer  Seite  ausgebaut 
und  eingeschlagen  wurde.  Es  werden  dabei  enorm  hohe  Dosen 
(12  Tabletten,  i.  e.  60  grains  pro  die)  gegeben.  Gefahr  plötzlicher 
Herzschwäche,  zwei  Todesfälle  (!).  Es  bleiben  einige  sicher  gestellte  Fälle 
übrig  von  Heilung  secundärer  Demenz.  Die  meisten  der  berichteten 
Heilungen  halten  aber  einer  Kritik  nicht  Stand,  da  es  sich  um  Psy¬ 
chosen  handelte,  welche  einer  Spontanheilung  in  hohem  Masse  zu¬ 
gänglich  sind.  (Acute  Manieen,  Fälle  von  acuter  hallucinatorischer 
Verworrenheit  etc.) 

Redner  hatte  fünf  Kranke  mit  secundärer  Demenz  nach  acuten 
Psychosen  der  Thyreoidbehandlung  unterzogen.  Der  Erfolg  war  völlig 
negativ.  Bemerkenswerth  waren  die  körperlichen  Begleiterscheinungen 
(Tachycardie  bis  140  Schläge,  Sinken  des  Blutdruckes  um  40 — 50  mm. 
Quecksilber,  Abnahme  des  Gewichtes,  zweimal  subfebrile  Temperatur 
(37'5),  Albumosurie,  in  zwei  Fällen  auch  Auftreten  von  Aceton,  in 
einem  Falle  intensiv  gastrische  Störungen  und  starke  Indicanurie). 

Der  Vortrag  erscheint  in  extenso  in  den  „Jahrbüchern  für  Psy¬ 
chiatrie  etc.“  Bd.  XX,  1.  Heft.  (Autoreferat.) 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2.-9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Laryngologie  und  Rhinologie. 

VI.  II  e  r  m  a  n  n  Krause  (Berlin) :  U  e  b  e  r  Sänger¬ 
knötchen  (Nodules  v  o  c  a  u  x). 

Sängerknötchen  sind  kleine,  stecknadelspitz-  bis  hirsekorn¬ 
grosse,  in  den  Rand  des  Stimmbandes,  und  zwar  in  dessen  aus¬ 
schliesslich  elastischen  Theil  eingelagerte  rundliche  Gebilde. 

Sie  entstehen  gewöhnlich  durch  Missbrauch  des  Stimmorganes 
beim  Singen,  nicht  beim  Sprechen. 

Die  Sängerknötchen  charakterisiren  sich  anatomisch  als 
fibröse  Gebilde  mit  cystischem  Inhalte  und  starker  pachydermer 
Decke,  die  das  elastische  Gewebe  verdrängen  und  zum  Schwund 
bringen. 

Die  Störungen,  welche  durch  die  Knötchen  hervorgerufen  werden, 
bestehen  darin,  dass  die  Gesangsstimme  in  gewissen  Lagen  erschwert 
wird,  weil  die  glatte  Aneinanderlagerung  des  Stimmbandes  verhindert 
ist  und  das  defecte  elastische  Gewebe  zur  Hervorbringung  des  Piano 
und  der  Mittellage  nicht  ausreicht.  Ferner  tritt  bei  allen  Gesangs¬ 
leistungen  leicht  Ermüdung  ein.  In  Folge  dessen  ist  der  Sänger  ge- 
nöthigt  für  die  ausfallenden  Register  Ersatz  zu  schaffen,  was  er  nur 
durch  stärkere  Spannung  der  Stimmbänder  leisten  kann.  Hiebei  erleidet 
der  Ton  aber  mannigfache  Einbusse.  Der  Ton  wird  entweder  kehlig, 
das  heisst  ohne  ausreichende  Mitwirkung  der  Resonauzhöhlen  zu  stark 
im  Kehlkopf  selbst  erzeugt,  oder  der  Ton  wird  ausschliesslich  im 


Brustregister  gebildet.  Im  letzteren  Falle  entbehrt  er  der  sich  dem 
Bedürfnisse  anpassenden  Ausdrucksfähigkeit,  im  erstereu  Falle  geht 
die  Tonschönheit  verloren,  welche  zu  Stande  kommt  durch  das 
Zusammenwirken  der  membranösen  Zungen  (Stimmbänder)  mit  den 
Resonanzhöhlen  derart,  dass  die  dem  einzelnen  Tone  seine  Vollendung 
gebenden  Obertöne  durch  die  Resonanzhöhlen  verstärkt  werden.  — 
Ferner  kommt  es  in  Folge  der  stärkeren  Spannung  der  Stimmbänder 
zur  Bildung  von  Pacbydermien,  zunächst  an  den  kleinen  pathologischen 
Gebilden  selbst  und  weiter  an  denjenigen  Stellen,  wo  stärkere 
Reibung  verursacht  wird:  an  den  Processus  vocales  und  der  Pars 
interary  taenoidea. 

Die  Therapie  muss  zunächst  versuchen,  durch  Ruhe,  Verbot 
des  Singens  die  Gebilde  zur  Rückbildung  zu  bringen.  Gelingt  dies 
nicht,  so  ist  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen  das  Interesse  des 
Kranken  gebieterisch  die  Herstellung  der  Stimme  fordert,  die  chirur¬ 
gische  Entfernung  unter  möglichster  Beschränkung  auf  die  kleinen 
Gebilde  selbst  angezeigt.  (Fortsetzung  folgt.) 

Programm 

der  am 

Freitag,  den  14.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  Csokor 
stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

1.  Prof.  Englisch  :  Ueber  Kleinheit  der  Vorsteherdrüse  und  die  sie 
begleitenden  Störungen  der  Harnentleerung  (Fortsetzung). 

2.  Prof.  Kassowitz:  Ueber  Phosphorlebertbran. 

Vorträge  hal  en  angemeldet  die  Herren  Docent  Dr.  K.  Ullmann 
und  Dr.  A.  Schiff. 

Bergmeister,  Pal  tauf. 

Wiener  medicinisches  Doctoren-Collegium. 

Programm 

der  am 

Montag,  den  17.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

im  .Sitzungssaale  des  Collegiums:  I.,  Kotbenthurmstras.se  2123 
unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Prof.  II.  v.  Reder 
statl  findenden 

Wissenschaftlichen  Versammlung. 

Docent  Dr.  Emil  Schwarz:  Analyse  des  Pulses  und  seine  Be¬ 
deutung. 

Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 
Programm 

für  die 

administrative  und  wissenschaftliche  Sitzung 

Montag,  den  17.  December  1900,  6  Uhr  Abends, 

im  Hörsaale  der  k.  k.  Universitäts-Ohrenklinik. 

Administrativer  Theil: 

1.  Bericht  über  die  Thätigkeit  der  Gesellschaft  im  abgelaufenen  Jahre. 

2.  Wahlen. 

Wissenschaftlicher  Theil: 

1.  Docent  Dr.  Alt:  Casuistische  Mittheilungen. 

2.  Docent  Dr.  Ring:  lieber  Stimmgabeluntersuchungen  und  den 
W  e  b  e  r’schen  und  den  Rinn  e’schen  Versuch. 

8.  Demonstrationen  haben  angemeldet  die  Herren  :  Prof.  Politzer, 
Docent  Dr.  Alt. 

Prof.  Dr.  A.  Politzer,  Dr.  Josef  P  o  1 1  a  k,  Dr.  Hugo  Frey, 

Vorsitzender.  Secretär.  Schriftführer. 

Oesterreichische  Gesellschaft  für  Gesundheitspflege, 

I.,  Börsegasse  1. 

Tagesordnung  der  am  Mittwoch,  den  19.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

stattfindenden 

\r  ollversammlung 

im  Hörsaale  des  k.  k.  hygienischen  Universitäts-Institutes,  IX.,  Schwarz¬ 
spanierstrasse  17. 

1.  Mittheilungen  des  Vorsitzenden. 

2.  Vortrag  des  Herrn  k.  k.  Universitäts-Professors  Sanitätsrath 
Dr.  Julius  Kratter  in  Graz  über:  Die  Gefahren  des  elektrischen 
Betriebes. 

Gäste  sind  willkommen. 

Der  Präsident:  Dr.  Ritter  von  Kusy-Dübrav, 

k.  k.  Sections-Chef. 

Geburtshilflich-gynäkologische  Gesellschaft  in  Wien. 

Die  nächste  Sitzung  (Wahl-  und  wissenschaftliche  Sitzung)  findet 

Dienstag,  den  18.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 
im  HÖrsaale  der  II.  Universitäts-Frauenklinik  statt. 

Halban,  Lihotzky, 

derzeit  Schriftführer.  derzeit  Vorsitzender. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien, 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien, 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900.  Nr.  50. 


CIRHICEH- 

UAKiyxOEJf  ist  ein  ans  natürlichem,  bestem 
Fleischmaterial  hergestelltes  Fleischpulver , 
vollkommen  assimiiirhar  und  von 
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Carnigen  ist  mit  keinem  wie  immer 
Namen  habenden  Nährpräparat  vergleichbar 
und  zeichnet  sich  auch  durch  seine  geradezu 
erstaunliche  X^öslichkeit  und  seinen 
Wohlgeschmack  vor  allen  anderen  Nähr¬ 
präparaten  ans. 

Carnigen  ist  klinisch  erprobt  und 

sowohl  als  Nährpräparat  für  Schwer  kranke 
als  auch  als  Kräftigungsmittel  für  Schwäch¬ 
liche,  Kinder  und  Erwachsene  bestens  empfohlen. 

Carnigen  bewirkt  schon  nach  kurzem 
Gebrauche  eine  constatirbare  Zunahme  des 
Körpergewichtes. 

Gebrauchsanweisung:  Man  nehme  je  1  2  Ess¬ 
löffel,  gelöst  in  Suppe,  Milch  oder  Wasser,  drei¬ 
mal  täglich. 

Zu  haben  in  allen  Apotheken  und  Ennos-Droperien. 


Cascarine  Leprinee. 

^12  H10  05. 


Wirksamer  Bestandtheil  der  Cascara  Sagrada.  Cholagogum  &  Copragogum. 


Habituelle 

Verstopfung. 


Leber¬ 

beschwerde. 


Antisepsis 

des 

Verdauungs- 
tractus.  . 


Atonie  der 
Peristaltik. 


Obstipation 
während  der 
Gravidität 
und  der 
Lactation. 


Chole¬ 

lithiasis. 


Das  »Cascarine«  ist  ein  chemisch  bestimmter  krystallisirter  Körper  etc.  (Comptes 
rendus  de  l’Academie  des  Sciences,  Bd.  CXV,  pag.  286.)  Begründet  wurde  seine  thera¬ 
peutische  Wirkungsweise  wissenschaftlich  (M.  LafFont,  Bulletin  de  l’Academie  de  Mede- 
cine,  14.  Juni  1892)  und  klinisch  (Societe  de  Therapeutique  :  Constantin  Paul;  Dujardin- 
Beaumetz,  Medications  nouvelles,  2.  Serie;  Biblioth^que  Charcot-Debove,  Purgatifs, 
pag.  104 ;  Prof.  Lemoine  in  Lille.  Therapeutique  clinique,  pag.  305  ;  Tison,  Hopital 
St. -Joseph  und  Congress  pour  l’avancement  des  Sciences,  Bordeaux,  1895,  1.  Theil, 
pag.  963  ;  Prof.  Charles  in  Lüttich,  Cours  d’accouchements  u.  s.  w.) 

Seine  Wirkung  ist  regelmässig,  leicht  zu  erzielen,  ohne  Angewöhnung,  aus¬ 
gezeichnet  bei  habitueller  Verstopfung  und  gegen  bacterielle  Proliferation  des  Rheuma¬ 
tismus  (Dr.  Roux)  bei  Typhus  abdominalis  eto. 

Doslrung  :  2  Pillen  Abends  oder  bei  den  Mahlzeiten. 

(Je  nach  der  Wirkung  die  Dosis  verringern  oder  steigern.) 

Verkauf  in  allen  Apotheken.  Nur  in  Originalschachtel  ä  fl.  1.50 
Um  Nachahmungen  zu  vermeiden,  verordne  man  gefl.  stets:  ,, Cascarine  Leprince“. 

Jede  Pille  trägt  obige  Aufschrift. 

Cleneral-Vertretung:  St.  Leonhards- Apotheke,  Basel. 

Probesendungen  an  die  Herren  Aerzte  gratis. 

Zur  gefl.  Beachtung  !  Zur  Vermeidung  der  zahlreichen,  unter  ähnlichen  Namen  und 
Verpackungen  vorkommenden  Nachahmungen,  bitten  wir  die  Herren  Aerzte  gefl. 
„Cascarine  Leprince“  verschreiben  zu  wollen.  (73) 


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monatelang  genommen  werden.  Dosis :  4  Pillen 
ä  0,23  g  morg.  u.  abends  mehrere  Wochen  lang. 
II  A  I  SFVrtl  Energisches,  local  reizloses  Analepticum,  Antihyste- 

\ti  Os  I  ja  ||  ricum  und  Antineurasthenicum ;  ferner  gutes  Sto- 

W  ka  *  L."  nt  machicum  und  sehr  wirksam  gegen  Seekrankheit. 

Dos.:  3— 5— 10  Tropfen  auf  Zucker  oder  in  Sherry. 
Unschädliches  Heilmittel  und  Prophylacticum  gegen 
Gicht  und  Harnsäure-Diathese.  Kann  auch  in  Form  von 
Tabletten  oder  Brausesalz  verordnet  werden.  Dosis: 
6 — 10  Tabletten  pro  Tag  mehrere  Wochen  lang. 
Geschmackfreies  Antidiarrhoicum ,  sicher  wirksam  bei 
Durchfällen  aller  Art,  auch  bei  tubereulösem  Darm¬ 
katarrh.  Im  Gegensatz  zu  den  Tanninpräparaten  ist 
es  ein  wirkliches  Heilmittel.  Dosis:  3X0,25  g  pro  Tag  für 
Erwachsene.  Fortoin  besitzt  eine  bedeutende  fäulniswidrige,  bactericide  Kraft 
und  ist  daher  auch  ein  gutes  Antigonorrhoicum.  (226) 

Absolut  unschädliches  Antipyreticum,  besitzt  im  Gegen- 


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satz  zu  den  sonstig.  Phenetidin- Präp.  statt  der  narkot. 
eine  belebende  Nebenwirk,  mit  ausgesproch.  Euphorie, 
daher  indicirt  in  allen  Fieberanfällen  bei  Kindern,  alten 
Leuten,  Zuständen  erheblicher  Schwäche  u.woCollaps  zu  befürchten  Ist.  Mittl. 
Dosis  f.  Erwachs. :  1,5 g  als  Pulver,  1  od.  2 mal  pro  die,  ohne  Zusatz. 

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WILHELM  BEAÜMÜLLER  in  Wien 

k.  u.  k.  Hof-  und  Uuiversitäts-Buchliäudler. 


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Prof. 

Prof. 


II.  Cliiari,  Doc.  A. 
R.  y.  Jaksch,  Prof. 


Fraenkel,  Prof.  E.  Fuchs,  Prof.  C. 
E.  Ludwig1,  Prof.  E.  Neusser,  Prof.  A. 

und  Prof.  A.  Weichsellbauiu. 


Gussenbauer,  Prof.  V.  v.  Hacker, 
v.  ßostliorn,  Prof.  L.  v.  Schrötter 


(Redaction:  Prof.  II.  Cliiari  in  Prag.) 


XXI.  HA ND  (XEITE  FOLGE  I.  HAND),  JAHRGANG  1900,  HEFT  XL 

Abtheilung  für  interne  Medicin  und  verwandte  Disciplinen,  IV.  Heft. 


Inhalt: 

HÖDLMOSER,  Dr.  Karl  (Wien).  —  Ueber  die  Behandlung  der  Tubereulose  mit  intravenösen  Zimmtsäure-Injectionen.  (Schluss.) 
MADER,  Primarius  Dr.  (Wien).  —  Casuistisehe  Mittheilungen  aus  dem  k.  k.  Rudolfsspitale.  Mit  Tafel  XI  und  XII. 
SCHOLZ,  Dr.  Wilhelm  (Graz).  —  Beiträge  zur  Diagnose  der  Treitz’sehen  Hernie.  Mit  Tafel  XIII  und  XIV. 

ADLER,  Dr.  Emil  (Prag).  —  Ueber  Blutreactionen  bei  Diabetikern. 


Die  „ZEITSCHRIFT  FÜR  HEILKUNDE’’6  erscheint  jährlich  in  12  Heften  von  je  circa  5  Druck¬ 
bogen  Umfang. 

Der  Abouuemeutspreis  für  den  Jahr  gang  (12  Hefte)  beträgt  K  36. -  31.  30. — . 


Der  Abonnementspreis  für  die  einzelnen  AbtheilungCll,  und  zwar: 
Interne  Medicin  und  verwandte  Disciplinen  (4  Hefte), 

Chirurgie  und  verwandte  Disciplinen  (4  Hefte)  und 
Patholog.  Anatomie  und  verwandte  Disciplinen  (4  Hefte), 
ist  lv  12. —  —  31.  10. —  für  jede  Abtlieilung. 


Zuschriften  für  die  Redaction  sind  zu  richten  an  Herrn  Professor  H.  Cliiari,  lJl*ag,  II.  Kranken¬ 


hausgasse  4. 


Ich  empfehle  die  Zeitschrift,  welche  berufen  ist, 
der  hervorragenden  medieinisclien  Facliorgane  zu  stehen, 
und  empfehle  mich 


in  ihrer  Neugestaltung  sehr  bald  in  erster  Reihe 
der  besonderen  Aufmerksamkeit  der  Herren  Aerzte 


Wien  u.  Leipzig,  im  December  1900. 


Hochachtungsvoll 

Wilhelm  Braumüller. 


Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
.  quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 
IX  3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 


Redaction : 
Telephon  Nr.  3373. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 
M.  Kaposi,  A.  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  H.  Obersteiner, 
R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  C.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 
J.  v.  Wagner,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 
L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Rediffirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 


®  — • —  -  ® 

Abonnementspreis 
jährlich  20  K  —  20  Mark. 
Abonnements-  und  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  In- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
Postämtern,  sowie  auch  von 
der  Verlagshandlung  über¬ 
nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
zweigespaltene  Nonpareille- 
zeile  berechnet.  Grössere 
Aufträge  nach  Ueberein- 
kommen. 

<§>■  -  ^ 
Verlagshandlung  : 

Telephon  Nr.  6004. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VII 1/1,  Wickenburggasse  13 


XXIX.  Jahrgang. 


Wien,  20.  December  1900. 


Hr.  51. 


HSTHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel:  1.  Zur  Kenntniss  der  Unterschiede  zwischen  der 
natürlichen  und  künstlichen  Ernährung  des  Säuglings.  Von 
Th.  Escherich. 

2.  Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes  Prof. 
Dr.  v.  Schrötter.  Beobachtungen  an  Elektricitätsarbeitern.  Von 
Dr.  S.  J  e  1 1  i  n  e  k,  Aspiranten  der  Klinik. 

3.  Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  Krankenanstalt  »Rudolf¬ 
stiftung«  in  Wien.  Hyperchlorhydrie  im  Säuglingsalter.  Von 
Dr.  Wilhelm  Knoepfelmacher. 


II.  Feuilleton:  Die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  im  Unter¬ 

richt  und  als  Wissenschaft.  Von  Prof.  Rich.  P  a  1  t  a  u  f. 

III.  Zusaimnenfassende  Darstellungen:  Ueber  neuere  Mittel  zur  Säuglings¬ 

ernährung.  Zusammenfassende  Darstellung  von  Dr.  Julius 
Zappert.  —  Die  Pacterien  als  Erreger  von  Darmerkrankungen 
im  Säuglingsalter.  Ztisammenfassende''  Darstellung  von  Dr.  Karl 
L  e  i  n  e  r,  Secundararzt  des  Karolinen-Kinderspitales  in  Wien. 

IV.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

V.  Vermischte  Nachrichten. 

VI.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


Ab  on  n  em  en  ts-Eiiil  admit  g . 

Mit  3.  Januar  1901  beginnt  der  XIV.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

_Ä_  bonne  ixi  e  m.  t 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  directer  Zusendung  ganzjährig  K  20, 
halbjährig  K  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  ßranmüller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler 

Wien,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 

Zur  Kenntniss  der  Unterschiede  zwischen  der 
natürlichen  und  künstlichen  Ernährung  des  Säug¬ 
lings.1) 

Von  Th.  Escherich. 

Die  »künstliche  Ernährung«,  welche  von  Seite  des  Comites 
als  das  erste  der  zu  discutirenden  Themata  gewählt  wurde, 
ist  nicht  nur  eines  der  wichtigsten,  sondern  auch  eines  der 
schwierigsten  Capitel  der  gesammten  Pädiatrie.  Obgleich  uns 
in  der  Muttermilch  das  anzustrebende  Vorbild,  und  in  der 
Kuhmilch  ein  Nahrungsmittel  gegeben  ist,  das  recht  ähnlich 
zusammengesetzt  und  überdies  durch  Zumischung  leicht  ver- 

*)  Die  Bemerkungen  wurden  in  der  Discussion  vorgetragen,  welche 
sieb  an  das  Referat:  »Ueber  die  künstliche  Ernährung  des  Säuglings«  in 
der  pädiatrischen  Section  des  XIII.  internationalen  medicinischen  Congresses 
in  Paris,  Referent  Jacobi  (New  York),  Heubner  (Berlin),  Monti 
(Wien),  Johann  essen  (Christiania),  Variot  (Paris),  anschloss.  Nach¬ 
dem  jedoch  dieselben  in  den  nunmehr  erschienenen  Referaten  keine  oder 
doch  nur  eine  ungenügende  Berücksichtigung  gefunden,  entschloss  ich  mich, 
dieselben,  trotz  der  noch  ausstehenden  Beweisführung,  hier  in  etwas  er¬ 
weiterter  Form  zu  wiederholen. 


änderlich  ist,  sind  wir  doch  noch  weit  entfernt  von  der  Lösung 
der  Aufgabe.  Der  Grund  dieses  Misserfolges  ist  wohl  darin 
zu  suchen,  dass  man  noch  immer  nicht  darüber  im  Klaren 
ist,  welche  Bestandteile  der  Frauenmilch  eigentlich  die  be¬ 
kannte  Ueberlegenheit  derselben  in  der  Säuglingsernährung 
gegenüber  der  Kuhmilch  bedingen.  Es  ist  selbstverständlich, 
dass  man  dabei  zunächst  die  quantitativen  Verschiedenheiten 
der  darin  enthaltenen  Nährstoffe  ins  Auge  fasste.  Es  ist  das 
unbestreitbare  Verdienst  Biedert’s,  zuerst  und  mit  Nach¬ 
druck  auf  diese  Unterschiede,  auf  die  höhere  Concentration 
und  die  schwere  Verdaulichkeit  des  Kuhcaseins  hingewiesen 
zu  haben.  Zahlreiche  Autoren  haben  sich  bemüht,  die  Ver¬ 
schiedenheiten  im  Procentsatz  der  einzelnen  Nährstoffe,  sowie 
die  qualitativen  Unterschiede  der  Eiweisskörper  auszugleichen 
—  der  heutige  Vorschlag  M  o  n  t  i’s  bewegt  sich  auch  in  dieser 
Richtung  — ,  allein  noch  Keinem  ist  es  bis  jetzt  gelungen, 
eine  der  Muttermilch  gleich  wer  thi  ge  Nahrung  herzustellen,  was 
umso  erstaunlicher  ist,  als  es  nach  neueren  Untersuchungen 
wahrscheinlich  ist,  dass  innerhalb  einer  gewissen  Grenze  die 
Resorption  der  in  der  Kuhmilch  dargebotenen  Nährstoffe  hinter 
der  Ausnützung  der  Frauenmilchbestandtheile  nicht  merklich 
zurücksteht.  Im  Gegentheil:  alle  Untersuchungen  stimmen 
darin  überein,  dass  die  künstlich  genährten  Kinder  sogar  eine 
übermässige  Menge  von  Nahrung  aufnehmen,  die  für  sie 
nicht  selten  die  Ursache  schwerer  Erkrankung  wird,  und  der 
Stoffwechsel  versuch  zeigt,  dass  sie  den  Nahrungsstickstoff  in 
einer  ihren  Bedarf  weit  überschreitenden  Menge  resorbiren 
und  aussekeiden.  Der  Misserfolg  der  künstlichen  Ernährung 
darf  also  nicht  oder  doch  nur  zum  kleineren  Theil  aut  die 
ungenügende  Zufuhr  oder  Verdaulichkeit  der  Nahrung  be¬ 
zogen  werden,  und  dementsprechend  sind  auch  alle  Versuche, 
durch  Vorverdauung  oder  Ersatzmittel  die  vermeintliche 
Schwierigkeit  zu  beseitigen,  gescheitert. 

Dieser  Misserfolg,  der  alle  Verbesserungsvorschläge  auf 
dem  Gebiete  der  künstlichen  Ernährung  wie  der  eigene 
Schatten  begleitet,  sollte  dazu  führen,  sich  die  h  rage  vor¬ 
zulegen,  ob  der  Weg,  den  man  seit  30  Jahren  wandelt,  auch 


1 184 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


wirklich  zum  Ziele  führt,  ob  nicht  neben  den  Nährstoffen  und 
Salzen,  die  man  bisher  ausschliesslich  beachtet  hat,  noch  andere 
Körper  in  Betracht  kommen,  die  auch,  ohne  dass  sie  einen 
directen  Beitrag  zum  Aufbau  oder  zum  Energievorrath  des 
Körpers  liefern,  doch  für  das  Gedeihen  des  Säuglings  von 
hervorragender  Bedeutung  sind.  Die  jüngste  Zeit  hat  uns  einen 
derartigen  Körper  in  dem  von  Sigfried  entdeckten  Nucleon 
kennen  gelehrt,  das  in  der  Frauenmilch  in  sehr  viel  grösserer 
Menge  enthalten  ist,  als  in  der  Kuhmilch.  Ich  erinnere  weiter 
an  die  der  chemischen  Analyse  unzugänglichen  und  doch 
physiologisch  so  wirksamen  Stoffe,  welche  aus  dem  Blute  in 
das  Secret  der  Milchdrüse  übergehen.  Dieselben  treten  ver¬ 
möge  ihrer  Löslichkeit  in  den  Körper  des  Kindes  über  und 
können  dort,  trotz  ihrer  geringen  Menge,  mächtige  Wirkungen 
hervorrufen.  Die  wissenschaftliche  Begründung  dieser  den 
Laien  schon  lange  geläufigen  Thatsache  ist  in  den  classischen 
Experimenten  Ehrlich’s  über  die  Säugungsimmunität, 
speciell  dem  bekannten  Ammenvertauschungsversuch  gegeben. 
Für  die  Menschenmilch  speciell  ist  der  Nachweis  des  Diphtherie- 
Antitoxins  durch  Schmid  und  Pflanz  an  meiner  Klinik 
geliefert  worden.  Ich  vermuthe  auch,  dass  die  auffällige 
Widerstandsfähigkeit,  welche  die  Brustkinder  im  Vergleich  zu 
den  künstlich  genährten  gegenüber  den  Infectionen  mit  den 
pyogenen  Coccen  aufweisen,  auf  ähnliche  Verhältnisse  zurück¬ 
zuführen  ist. 

Es  ist  nicht  leicht,  die  Erscheinungen,  die  wir  als  Folge 
der  künstlichen  Ernährung  eintreten  sehen,  mit  wenigen 
Worten  zu  schildern.  Ich  sehe  dabei  ab  von  der  Verschieden¬ 
heit  der  Nahrungsaufnahme,  der  Veränderung  der  Ausleerungen 
und  der  sehr  viel  grösseren  Disposition  der  Flaschenkinder 
zu  Erkrankungen,  die  auf  sehr  verschiedene  Ursachen  zurück¬ 
zuführen  sind,  und  beschränke  mich  auf  die  Allgemein¬ 
erscheinungen.  Am  auffälligsten  ist  wohl  der  Umstand,  dass 
sie  nicht  bei  allen  künstlich  Genährten  und  je  nach  der  In¬ 
dividualität  in  sehr  verschiedener  Art  und  sehr  verschiedenem 
Grade  sich  einstellen.  Weitaus  am  deutlichsten  zeigt  sich  die 
Ueberlegenheit  der  Muttermilch  in  den  ersten  Lebenswochen 
und  bei  den  lebenschwachen  oder  zu  früh  geborenen  Kindern. 
Hier  äussert  sieh  der  Mangel  der  natürlichen  Ernährung  in 
einer  ungenügenden  Zunahme,  Stehenbleiben,  schliesslich  Rück¬ 
gang  des  Körpergewichtes,  Schwund  des  Fettpolsters,  Mattig¬ 
keit,  soporösem  Dahinliegen.  Stets  gesellen  sich  früher  oder 
später  Verdauungsstörungen,  häufig  auch  septische  Processe 
hinzu,  bis  unter  allmäligem  Versiegen  aller  Functionen  fast 
unbemerkt  der  Tod  eintritt.  Allein  auch  bei  der  Mehrzahl  der 
ausgetragenen  und  kräftigen  Kinder  von  normalem  Geburts 
gewichte  weist  die  Gewichtseurve,  selbst  wenn  es  gelingt,  jede 
krankhafte  Störung  hintanzuhalten ,  gerade  in  den  ersten 
Lebensmonateil  einen  langsameren  Anstieg  auf,  als  bei  den 
gleichgestellten  Brustkindern.  Erst  in  den  späteren  Monaten 
holen  sie  das  Versäumte  wieder  ein  und  können  dann  sogar 
die  Brustkinder  an  Gewicht  übertreffen.  In  einer  Anzahl  von 
Fällen  kann  auch  diese  Gewichtsdepression  fehlen.  Die  Kinder 
nehmen  bei  künstlicher  Ernährung  von  Anfang  an  normal  zu. 
Trotzdem  zeigen  auch  viele  dieser  Musterkinder  in  der  ersten 
Periode  oder  auch  während  des  ganzen  ersten  Halbjahres  und 
darüber  hinaus  im  Vergleich  zu  Brustkindern  eine  gewisse 
Blässe  der  Wangen  und  der  Schleimhäute,  leicht  gelbliche 
Hautfärbung,  weniger  Frische,  Bewegungstrieb  und  Muskel¬ 
kraft,  ein  weicheres  Fleisch  bei  normalem,  oft  übermässigem 
Fettpolster.  Was  die  viel  discutirte  Frage  der  Rachitis  an¬ 
langt,  so  ist  sie  nach  meiner  Erfahrung  bei  Brustkindern  kaum 
weniger  häufig,  als  bei  den  Flaschenkindern;  sie  erreicht  aber 
nur  bei  den  letzteren  höhere  Grade.  Infantilen  Scorbut 
(B  arlo  w'sche  Krankheit)  habe  ich  unter  den  vielen  Tausenden 
von  künstlich  und  mit  sterilisirter  Milch  genährten  Kindern, 
die  in  München  und  Graz  durch  meine  Hände  gingen,  nicht 
ein  einziges  Mal  gesehen. 

Ueberblicken  wir  diese  Erscheinungen,  so  gewinnt  man 
den  Eindruck,  dass  es  sich  dabei  vielmehr  um  Störungen  in 
der  Assimilation  und  dem  Anbau  der  Nährstoffe,  also  um  eine 
ungenügende  Digestion  und  Resorption  derselben  handelt.  Die¬ 
selben  führen  bei  den  schwachen  Kindern  durch  ungenügenden 


Ersatz  der  verbrauchten  Körperstoffe  die  allmälige  Erschöpfung 
und  den  Tod,  bei  den  älteren  Kindern  eine  zu  geringe  Ge¬ 
wichtszunahme,  abnorme  Säftemischung  und  Anlagerung  herbei. 
Wenn  auch,  namentlich  im  ersten  Falle,  regelmässig  Dyspepsie 
und  Verdauungsstörungen  mit  unterlaufen,  so  braucht  man 
doch  nicht  dieselben  als  das  Primäre,  als  das  Grundleiden  zu 
betrachten.  Es  ist  vielmehr  leicht  verständlich,  dass  ein  mit 
Unterbilanz  arbeitender  Organismus  auch  die  zur  Verdamme: 
der  Kuhmilch  nothwendige  Verdauungsarbeit  (Cam  merer) 
nicht  mehr  aufzubringen  vermag,  ganz  abgesehen  von  den 
zahllosen  Gefahren,  die  ihm  durch  die  Uebernährung  und  die 
auf  allen  Seiten  lauernden  Bacterien  drohen.  Jedenfalls  wird 
durch  derartige  Ueberlegungen  der  Gedanke  nahe  gelegt, 
dass  bei  den  künstlich  Genährten  neben  den 
Schwierigkeiten,  welche  sie  in  den  Verdauungs¬ 
wegen  zu  überwinden  haben,  auch  noch  Stö¬ 
rungen  in  der  Assimilation  und  Verwerthung 
des  auf  genommenen  Nähr  materiales,  also  im 
intermediären  Stoffwechsel  vorhanden  sind,  die 
je  nach  der  Schwere  zu  einem  allmäligen  Auslöschen  oder  zu 
einer  Vegetationsstörung  Veranlassung  geben.  Es  führt  uns 
dies  zu  einem  neuen  Erklärungsversuch  der  Wirkungsweise 
der  Frauenmilch. 

Je  weiter  wir  in  der  Erkenntniss  der  Stoffwechsel¬ 
vorgänge  eindringen,  desto  klarer  erkennen  wir,  dass  der 
normale  Ablauf  derselben  an  die  normale  Function  aller 
Theile  des  Organismus  geknüpft  ist.  Ganz  besonders  wichtig 
sind  in  dieser  Beziehung  jene  Organe,  die  mit  der  Fähigkeit 
der  inneren  Secretion  ausgestattet  sind.  Ich  nenne,  um  nur 
die  bis  jetzt  am  besten  gekannten  anzuführen,  das  Pankreas, 
die  Schilddrüse,  die  Nebennieren,  die  Geschlechtsdrüsen.  Wir 
wissen,  dass  die  Secretion  der  von  ihnen  erzeugten  specitischen 
Stoffe,  d  ie  in  ihrer  Wirkungsweise  den  Fermenten  am  nächsten 
stehen,  für  den  normalen  Ablauf  der  Stoffwechselvorgänge 
nothwendig  ist.  Wir  erkennen  aber  eigentlich  nur  ihre  Ausfalls¬ 
erscheinungen,  wenn  sie  durch  pathologische  Vorgänge  ganz 
oder  theilweise  zerstört  sind.  Unter  normalen  Verhältnissen  ist 
—  wenigstens  bei  einem  Erwachsenen  —  die  Menge  des  von 
ihnen  gelieferten  Secretes  eine  so  reichliche,  dass  quantitative 
Schwankungen  derselben  nicht  in  Betracht  kommen. 

Anders  beim  Neugeborenen  und  Säugling! 

Wir  sehen,  dass  die  Natur  in  der  Ausstattung  derselben 
mit  der  äussersten  Sparsamkeit  vorgegangen  ist  und  dass  im 
Augenblicke  der  Geburt  die  Functionen  nur  so  weit  ent¬ 
wickelt  sind,  als  es  zur  Erhaltung  des  extrauterinen  Lebens 
unter  besonders  günstigen  Verhältnissen  unbedingt  nothwendig 
erscheint.  Besonders  gilt  dies  bezüglich  der  Drüsensecretion, 
die  ja  eine  der  höchsten  und  complicirtesten  Leistungen  des 
vegetativen  Lebens  darstellt.  Es  ist  durch  die  Untersuchungen 
Zweifels  zuerst  auf  die  Armut  des  kindlichen  Darmcanales 
an  Verdauungsfermenten  (Pankreas!)  hingewiesen  worden,  welche 
den  am  meisten  charakteristischen  Unterschied  gegenüber  dem 
Verdauungsvorgang  beim  Erwachsenen  darstellt.  Die  Beob¬ 
achtungen  der  Breslauer  Schule,  sowie  die  Untersuchungen 
Pfaundle  r’s  über  das  oxydative  Ferment  der  Leber,  worüber 
er  in  der  nächsten  Sitzung  vortragen  wird,  sprechen  dafür, 
dass  die  Verhältnisse  auf  dem  Gebiete  der  inneren  Secretion 
ganz  ähnlich  liegen.  Wenn  wir  über  diese  Vorgänge,  speciell 
beim  Säugling,  noch  sehr  wenig  wissen,  so  ist  es  doch  ein 
erlaubter  Analogieschluss,  anzunehmen,  dass  ebenso  wie  bei 
den  anderen  functionellen  Leistungen,  so  auch  auf  dem  Ge¬ 
biete  des  Stoffwechsels  individuelle  Schwankungen,  angeborene 
oder  durch  Erkrankung  erworbene  Schwächezustände  vor¬ 
handen  sind,  welche  sich  bei  demselben  durch  ungenügende 
oder  qualitativ  abweichende  Production  dieser  Stoffe  und  da¬ 
durch  bedingte  Vegetationsstörungen  zu  erkennen  geben. 
Besonders  wird  dies  zu  erwarten  sein  bei  jenen  Kindern, 
welche  durch  vorzeitige  Unterbrechung  der  Schwangerschaft 
oder  ein  abnorm  geringes  Geburtsgewicht  als  in  der  Ent¬ 
wicklung  rückständig  gezeichnet  sind. 

Dem  physiologischen  Defecte  der  Verdauungssäfte  des 
Neugeborenen  kommt  die  Natur  dadurch  entgegen,  dass  sie 
die  fast  ohne  Ferment  Wirkung  resorbirbare  Frauenmilch  zu 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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seiner  Ernährung-  ausgearbeitet  hat.  Aber  was  hilft  die  ver¬ 
dauliche  Nahrung,  wenn  ihm  die  Fähigkeit  fehlt,  die  resor- 
birten  Nährstoffe  in  richtiger  Weise  für  den  Ausbau  des 
Körpers  zu  verwerthen? 

Wir  werden  uns  jetzt  daran  erinnern  müssen,  dass  in 
der  Frauenmilch  neben  den  von  der  Milchdrüse  g-elieferten 
Nährsubstanzen  auch  noch  die  aus  dem  Blutserum  über¬ 
tretenden  Stoffe  vorhanden  sind:  die  Antitoxine  und  sicherlich 
auch  jene  die  Assimilation  besorgenden  Substanzen,  die  ich  kurz¬ 
weg  als  Stoff  Wechselfermente  bezeichnen  will,  ohne  damit  Etwas 
über  die  chemische  Natur  derselben  zu  präjudiciren.  Dieselben 
werden  mit  den  Nährstoffen  resorbirt  und  gelangen  so  in  die 
Säftemasse  des  kindlichen  Organismus,  wo  sie  ebenso  wie  im 
mütterlichen  Organismus  den  Stoffwechsel  unterstützen  und 
einen  in  Folge  ungenügender  Entwicklung  der  Drüsen  etwa 
vorhandenen  Mangel  dieser  Stoffe  im  kindlichen  Organismus 
ausgleichen  können.  Die  geringe  Menge  und  die  höchst 
complicirte  Natur  dieser  Stoffe  wird  sie  noch  auf  lange  Zeit 
hinaus  der  chemischen  Analyse  entziehen.  Es  wird  eine  neue 
und  interessante  Aufgabe  sein,  ihre  Anwesenheit  in  ähnlicher 
Weise  wie  die  der  Antitoxine  experimentell  aus  dem  Studium 
ihrer  physiologischen  Wirkung  zu  erschliessen.  Schon  heute 
wissen  wir,  dass  fermentartige  Körper  in  der  Frauenmilch 
enthalten  sind:  ich  meine  die  von  Bouchut  entdeckte,  von 
Moro  an  meiner  Klinik  kürzlich  bestätigte  Thatsache,  dass 
die  Frauenmilch  nicht  unerhebliche  Mengen  diastatischen  Fer¬ 
mentes  enthält.  Vom  teleologischen  Standpunkte  aus  betrachtet 
erscheint  dieselbe  als  eine  Verschwendung,  da  ja  in  der  Nah¬ 
rung  des  Brustkindes  keine  Stoffe  enthalten  sind,  welche  durch 
das  diastatische  Ferment  der  Verdauung  erschlossen  werden 
müssten.  Wenn  wir  jedoch  bedenken,  dass  die  diastatische 
Fähigkeit  eine  sehr  weit  verbreitete  Eigenschaft  lebender 
Gewebe  und  Fermente  ist,  dürfen  wir  dieselbe  wohl  nicht  als 
Selbstzweck,  sondern  nur  als  Beweis  ansehen  für  die  Anwesen¬ 
heit  fermentativer  Substanzen  überhaupt,  deren  Entstehungsort 
und  Bestimmung  noch  zu  erforschen  ist,  vielleicht  aber  in 
der  oben  angedeuteten  Richtung  liegt.  Auch  der  Umstand, 
dass  dieses  diastatische  Ferment  in  der  Frauenmilch  relativ 
reichlich  vorhanden,  dagegen  der  Kuhmilch  nahezu  oder  gänz¬ 
lich  fehlt,  ist  insoferne  von  Interesse,  als  er  zeigt,  dass  es  sich 
hier  um  specifische,  der  Menschenmilch  eigenthiimliche  Körper 
handelt. 

Die  tägliche  Erfahrung  lehrt,  dass  es  sehr  wohl  möglich 
ist,  Kinder  von  der  Geburt  an  mit  Kuhmilch,  ja  mit  sterili- 
sirter  Kuhmilch,  in  welcher  sicher  jedes  organische  Leben 
und  alle  Fermente  getödtet  sind,  zu  ernähren,  und  jedem 
Kinderärzte  sind  Fälle  bekannt,  in  denen  einzelne  solche 
Kinder  von  Anfang  an  eine  normale,  ja  glänzende  Entwick¬ 
lung  aufweisen.  Sie  zeigen,  dass  die  in  der  Muttermilch  ent¬ 
haltenen  specifischen  Eiweissstoffe  (Bordet)  und  Fermente 
unter  Umständen  vom  kindlichen  Organismus  ohne  Schaden 
entbehrt  werden  können,  nämlich  dann,  wenn  die  functioneilen 
Leistungen  derselben  so  weit  entwickelt  sind,  dass  sowohl  die 
Resorption,  als  die  Assimilation  der  Nahrung  aus  eigener  Kraft 
besorgt  werden  kann.  In  der  Regel  sind  die  ausgetragenen 
Kinder  mit  normalem  oder  Ubernormalem  Anfangsgewicht,  die 
sich  schon  dadurch  als  kräftige,  voll  entwickelte  Individuen 
documentiren,  in  dieser  Lage. 

Im  Gegensatz  dazu  sehen  wir,  dass  die  frühgeborenen, 
die  lebensschwachen,  die  durch  Erkrankung  geschwächten 
Kinder  (Athreptiker)  bei  künstlicher  Ernährung  nicht  oder 
sehr  viel  schwieriger  gedeihen  und  die  früher  geschilderten 
Erscheinungen  aufweisen. 

Vergleicht  man  damit  die  Entwicklung  eines  gleich¬ 
gestellten,  aber  an  der  Brust  ernährten  Kindes,  so  könnte 
man  fast  von  einer  specifischen  Reaction  des 
Organismus  sprechen,  mit  welcher  solche  Kinder  die  Zu¬ 
fuhr  der  Muttermilch  beantworten.  Wir  haben  auf  unserer 
Säuglingsabtheilung,  wo  uns  leider  nur  eine  sehr  beschränkte 
Zahl  von  Ammen  zur  Verfügung  steht,  oft  genug  Gelegen¬ 
heit,  uns  von  der  geradezu  zauberhaften  Wirkung,  welche  die 
Ernährung  oder  auch  schon  die  Zufütterung  von  Frauenmilch 
hervorruft,  zu  überzeugen.  Niemals  waren  wir  im  Stande, 


durch  sorgfältigste  Pflege,  durch  Wechsel  der  Ernährungs¬ 
methode,  durch  Verabreichung  löslichen  oder  vor  verdauten  Ei- 
weisses  Aehnliches  zu  erzielen.  Man  gewinnt,  rein  klinisch 
gesprochen,  den  Eindruck,  als  ob  in  der  Muttermilch 
stimuli r ende  und  tonisirende  Stoffe  im  besten 
Sinne  des  Wortes  enthalten,  wären,  als  ob  erst  jetzt  die  auf¬ 
genommene  Nahrung  dem  Kinde  wirklich  zu  Gute  käme  und 
zum  Kürperansatze  benützt  werden  könnte. 

Diese  oft  wiederholte  Beobachtung  war  es,  die  mir  den 
Gedanken  aufdrängte,  dass  diesen  Kindern  die  Frauenmilch 
nicht  nur  Nahrungs  ,  sondern  gleichzeitig  eine  Kraftquelle  ist 
für  die  richtige  Verwerthung  des  Aufgenommenen,  und  da 
bieten  sich  die  früher  genannten  Stoffwechselfermente,  deren 
Anwesenheit  in  der  Frauenmilch  wir  wohl  annehmen  dürfen 
und  die  bei  jenen  Kindern  in  Folge  rückständiger  Entwick¬ 
lung  vielleicht  fehlen  oder  nur  in  ungenügender  Menge  ge¬ 
bildet  werden,  von  selbst  als  Brücke  für  unser  Verständniss 
dar.  Der  kindliche  Organismus  wird  in  ähnlicher  Weise,  wie 
dies  in  der  Zeit  des  Placentarkreislaufes  der  Fall  war,  gleich¬ 
sam  als  Nebenleitung  in  den  mütterlichen  Stoffwechsel  ein¬ 
geschaltet  und  so  der  gewaltige  Umschwung,  der  mit  der 
Trennung  von  der  Mutter  erfolgt,  einigermassen  abgeschwächt. 
So  verstehen  wir  auch,  dass  die  Muttermilch,  welche  den 
lebensschwachen  Kindern  so  nothwendig  und  geradezu  un¬ 
ersetzlich  ist,  für  kräftige  Kinder  und  in  einer  späteren  Lebens¬ 
periode  nur  mehr  ein  gutes,  den  Verdauungsorganen  besonders 
angepasstes  Nahrungsmittel  darstellt,  das  ohne  wesentlichen 
Schaden  entbehrt  und  durch  Kuhmilch  ersetzt  werden  kann. 
Wir  werden  so  wieder  von  einer  anderen  Seite  zur  Ueber- 
zeugung  der  wunderbaren  Zweckmässigkeit  der  natürlichen 
Ernährung  und  zur  Erkenntniss  geführt,  dass  alle  Bemühungen, 
die  Kuhmilch  durch  Mischung  und  Aenderung  der  Bestand¬ 
teile  der  Frauenmilch  gleichwertig  zu  machen,  vergeb¬ 
lich  sind. 

Es  handelt  sich  hier  um  eine  Hypothese,  die  selbst¬ 
verständlich  erst  durch  weitere  Untersuchungen  zu  erweisen 
ist.  Ihre  Berechtigung  gründet  sich  vorläufig  nur  auf  die 
Analogie  mit  der  von  Ehrlich  erwiesenen  Säugungs- 
immunität  und  die  Uebereinstimmung  mit  den  klinischen  Er¬ 
fahrungen  über  die  Indication  und  den  Nutzen  der  Frauen¬ 
milch.  Ich  will  hier  noch  eine  weitere  Beobachtung  anführen: 
Die  beschränkte  Zahl  der  für  unsere  Säuglingsstation  zur  Ver¬ 
fügung  stehenden  Ammen  nötigt  uns,  die  geringe  Menge  der 
disponiblen  Frauenmilch  auf  eine  möglichst  grosse  Zahl  von 
bedürftigen  Säuglingen  zu  vertheilen  und  das  Fehlende  durch 
Zufütterung  von  Kuhmilch  (G  a  e  r  tn  e  r’sche  Fettmilch)  zu 
ersetzen.  Die  Mehrzahl  unserer  Brustkinder  erhält  tatsächlich 
gemischte  Nahrung,  zumeist  mit  überwiegender  künstlicher 
Ernährung.  Trotzdem  sehen  wir,  dass  auch  diese  Kinder,  ob¬ 
gleich  ihre  Ausleerungen  den  Typus  der  Fettmilchstühle  auf¬ 
weisen,  sich  gut  entwickeln  und  in  ihrem  Verhalten  und  ihrer 
Zunahme  sich  kaum  von  den  reinen  Brustkindern  unter¬ 
scheiden.  Es  wäre  dies  nicht  verständlich,  wenn  die  Ueber- 
legenheit  der  Frauenmilch  tatsächlich  nur  in  der  leichteren 
Verdaulichkeit  ihrer  Nährstoffe,  insbesondere  des  Eiweisses, 
gelegen  wäre.  Dann  müsste  der  Vortheil  der  Brusternährung  genau 
in  dem  Masse  verloren  gehen,  in  welchem  die  leicht  verdauliche 
Frauenmilch  durch  Kuhmilch  ersetzt  wird.  Das  ist  aber  nach 
unseren  Erfahrungen  nicht  der  Fall,  und  auch  andere  Autoren 
empfehlen  gerade  für  die  erste  Lebenszeit  die  Zuftitterung 
selbst  kleiner  Quantitäten  von  Muttermilch. 

Die  Annahme  einer  fermentativen,  den  Stoffwechsel  an¬ 
regenden  Substanz,  die  selbst  in  kleinen  Mengen  der 
Frauenmilch  enthalten  und  wirksam  sein  kann,  gibt  uns 
die  ungezwungene  Erklärung  dieser  Beobachtung.  Freilich 
wird  dadurch  die  Hoffnung,  dass  es  jemals  gelingen  werde, 
einen  vollständigen  Ersatz  der  Muttermilch  gerade  für 
diejenigen  Wesen  zu  finden,  welche  derselben  am  meisten 
bedürfen,  wieder  in  unabsehbare  Ferne  gerückt.  Allein  die 
Erkenntniss  der  Schwierigkeiten  ist  der  erste  Schritt  zur 
Ueberwindung  derselben,  und  a.us  diesem  Grunde  glaubte  ich 
mich  berechtigt,  diese  Hypothese,  welche  mir  geeignet  er¬ 
scheint,  neue  Wege  zur  Lösung  des  Problemes  anzubahnen, 


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der  geschätzten  Versammlung  im  Anschluss  an  die  zur  Dis¬ 
cussion  stehenden  Fragen  vorzutragen. 


Aus  der  III.  medicinischen  Klinik  des  Herrn  Hofrathes 

Prof.  Dr.  v.  Schrötter. 

Beobachtungen  an  Elektricitätsarbeitern. 

Vorläufige  Mittheilung. 

Von  Dr.  »S.  Jellinek,  Aspiranten  der  Klinik. 

Im  Anschlüsse  au  Blutdruckmessungen,  die  ich  seinerzeit 
an  mehr  als  500  Soldaten  vorgenommen  und  in  der  Zeitschrift 
für  klinische  Medicin  veröffentlicht  habe,  unternahm  ich  es, 
ähnliche  Bestimmungen  an  Elektricitätsarbeitern  anzustellen, 
welche  die  Einleitung  zu  ausgedehnten  Untersuchun¬ 
gen  über  die  Wirkung  hochgespannter  elek¬ 
trischer  Ströme  auf  die  damit  beschäftigten 
Menschen  bilden  sollen. 

Hiemit  habe  ich,  einer  Anregung  von  Prof.  v.  Schrötter 
folgend,  September  1899  Studien  begonnen,  auf  deren 
Wichtigkeit  er  schon  vor  längerer  Zeit  gelegentlich  medicini- 
scher  Untersuchungen  auf  einem  anderen  Gebiete  der  Arbeiter¬ 
hygiene  aufmerksam  gemacht  hat. 

Die  Beobachtungen,  über  welche  ich  diesmal,  ohne 
auf  Literaturangaben  (namentlich  die  werthvolle  Arbeit 
K  r  a  1 1  e  r’s)  einzugehen,  kurz  berichten  will,  wurden  in 
den  hiesigen  Elektricitätswerken  (Internationale  Elektricitäts- 
gesellschaft,  Siemens  &  Halske  in  Wien  und  Leopoldau, 
Schuckert- Werke,  Wiener  Elektricitätsgesellschaft  etc.)  an¬ 
gestellt;  und  ich  ergreife  an  dieser  Stelle  die  Gelegenheit,  den 
genannten  Firmen  für  ihr  gütiges  Entgegenkommen  zu  danken. 

Meine  Untersuchungen  wurden  an  Arbeitern  ausgeführt, 
die  ausschliesslich  mit  dem  elektrischen  Strome  beschäftigt 
sind.  Die  an  und  für  sich  geringe  Anzahl  der  zu  unter¬ 
suchenden  Personen  wurde  durch  den  Umstand,  dass  ich  be¬ 
strebt  war,  solche  gleichen  Alters  und  womöglich  gleicher 
Constitution  zu  studiren,  noch  mehr  eingeengt. 

Diesen  Bedingungen  entsprachen  im  Ganzen  circa  80  Ar¬ 
beiter,  an  denen  Bestimmungen  des  Blutdruckes  zur  Aus¬ 
führung  kamen.  Es  waren  dies  zumeist  Leute  zwischen  dem 
20.  und  30.  Lebensjahre,  bei  denen  anamnestisch  jedes  ernstere 
Leiden  auszuschliessen  war,  und  die  sich  einer  vollkommenen 
Gesundheit  erfreuten.  Auf  Alkoholiker  und  Personen,  die  mit 
Blei  (Accumulatoren  etc.)  zu  thun  hatten,  wurden  die  Studien 
nicht  ausgedehnt. 

Unter  dem  Ausdrucke  »Elektricitätsarbeiter«  sind  alle 
jene  Leute  zusammenzufassen,  die  beruflicher  Weise  mit  dem 
elektrischen  Strome  zu  thun  haben;  sie  sind  beschäftigt  bei 
der  Dynamomaschine,  wo  der  Strom  erzeugt  wird,  mit  dem 
Kabel,  durch  welche  der  Strom  geleitet,  am  Schaltbrett, 
wo  der  Strom  gemessen  und  vertheilt  wird,  und  schliesslich 
im  Versuchsraume,  wo  die  verschiedenen  elektrischen  Appa¬ 
rate,  Motoren,  Instrumente,  Glühkörper  etc.  auf  ihre  Functions¬ 
tüchtigkeit  geprüft  werden.  Die  Bezeichnungen  dieser  Elek¬ 
tricitätsarbeiter  sind  nach  diesen  unterschiedlichen  Beschäfti¬ 
gungen  verschiedene:  Man  kennt  hier  Dynamowärter,  Monteure, 
Regulirer,  Justirer  etc. 

Die  Elektricitätsarbeiter,  welche  mit  der  Erzeugung 
und  Messung  des  elektrischen  Stromes  beschäftigt  sind, 
kommen  allerdings,  wie  dies  bisher  unvermeidlich  ist,  nicht  zu 
selten  an  kleinen  Contactstellen  mit  hochgespannten  Strömen 
in  Berührung,  erhalten  auf  diese  und  ähnliche  Art  elektrische 
Schläge  und  bewegen  sich  vielfach  in  Feldern,  die  von 
magnetischen  Kraftlinien  durchkreuzt  werden. 

Ich  suchte  vorerst  die  Blutdruckverhältnisse  an  Arbeitern 
zu  studiren,  die  Jabre  hindurch  ausschliesslich  mit  starken 
Strömen  beschäftigt  sind. 

Ausgeführt  wurden  diese  Messungen  mit  dem  Tonometer 
von  Gärtner,  dessen  bequeme  Handhabung  ja  allgemein 
bekannt  ist.  Der  Ring-  und  der  Kleinfinger  beider  Hände 
wiu-in’i  H'-'otimmnn!?  o-ewühlt,  und  in  tvphehpr  Weise 


mehrere  Messungen  an  einer  Person  durchgeführt,  und  daraus 
der  Durchschnittswerth  genommen. 

Die  auf  solche  Weise  bei  80  Arbeitern  erhaltenen 
Brutdruckszitfern,  die  ich  als  mittleren  Blutdruck  bezeichnen 
will,  zeigten  im  Grossen  und  Ganzen  wesentliche  Ueber- 
einstimmung  mit  jenen  Zahlen,  die  durch  analoge  Messungen 
bei  530  Soldaten  eruirt  wurden. 

Die  meisten  Arbeiter  zeigten  einen  mittleren  Blutdruck 
von  100-  120  mm  Quecksilber;  einzelne  Arbeiter  hatten  einen 
solchen  von  90  mm,  andere  einen  von  140  mm,  welch  beide 
Zahlen  dem  Minimum  und  dem  Maximum  der  Zitfern  unserer 
Untersuchungsreihe  entsprechen  würden. 

Diese  Zahlen  wurden  an  Arbeitern  erhoben,  die  bei  der 
Untersuchung  ruhig  in  einem  Sessel  sassen. 

Aehnlich,  wie  ich  dies  seinerzeit  bei  den  Soldaten  aus¬ 
geführt  habe,  wurden  die  Blutdruckverhältnisse  dann  auf 
äussere  Reize  hin,  hier  im  Speciellen  auf  die  Einwirkung 
elektrischer  Ströme,  beobachtet  und  gemessen,  indem  der 
Apparat  gleich  nach  der  Einwirkung  des  elektri¬ 
schen  Insultes  angelegt  wurde.  Es  kamen  hiebei  Gleich-  und 
Wechselströme  von  50  bis  150  Volt  Spannung,  also  relativ 
niedriger  Spannung,  in  zehn,  beziehungsweise  fünf  Secunden 
dauernder  Einwirkung,  ausserdem  hochgespannte  Ströme  bei 
momentaner  Einwirkung  in  Betracht.  Die  Versuchspersonen 
Hessen  sich  einerseits  in  Stromkreise  von  50 — 100  und  auch 
200  Volt  einspannen,  andererseits  berührten  sie  wieder  kleine 
Contactstellen  hochgespannter  Ströme,  circa  300 — 500  Volt. 

Zwecks  vergleichender  Bestimmungen  erboten  sich  auch 
andere  Personen  ausser  den  Berufselektrikern  zu  diesen  Ver¬ 
suchen.  Erstere  aber  trugen,  wie  ja  begreiflich,  durch  den 
Mangel  an  Vertrautheit  mit  den  elektrischen  Strömen  eine 
gewisse  Unruhe  und  Erregung  zur  Schau,  so  dass  Druck¬ 
schwankungen  am  Tonometer  schon  durch  das  Moment  der 
Emotion  allein  ablesbar  waren.  Die  Elektricitätsarbeiter  hin¬ 
gegen  zeigten  sich  ganz  und  gar  nicht  emotionirt,  auch  wenn 
sie  in  einen  Stromkreis  von  50  und  100  Volt  eingespannt 
waren;  sind  sie  doch  zur  Genüge  mit  den  in  Frage  kommenden 
Erscheinungen  vertraut.  Sie  ertragen  ungleich  leichter  als 
andere  Arbeiter  die  stark  gespannten  Ströme. 

Es  braucht  wohl  nicht  besonders  erwähnt  zu  werden 
dass  sich  sämmtliche  der  untersuchten  Personen  freiwillig-  und 
bereitwilligst  zu  den  Messungen  herbeiliessen  und  es  ist  selbst¬ 
verständlich,  dass  ich  sämmtliche  Versuche  auch  an  mir  selbst 
ausgeführt  habe.1) 

Spannte  man  einen  Elektricitätsarbeiter  durch  mehrere 
Secunden  in  einen  Stromkreis,  und  zwar  Gleichstrom,  von 
circa  50—100  Volt  Spannung,  so  konnte  ich  bei  sofortiger 
Messung  nach  dieser  Einwirkung  am  Tonometer  fast  aus¬ 
nahmslos  ein  Anwachsen  der  Blutdruckziffern 
wahrnehmen. 

War  z.  B.  die  Blutdruckziffer  vor  dem  Experimente 
100,  stieg  sie  in  10 — 15  Fällen  auf  120  und  130.  Nur  in 
sehr  wenigen  Fällen  blieb  die  Blutdrucksäule  vor  und  nach 
dem  Versuche  in  gleicher  Höhe;  dies  Letztere  geschah  fast 
ausnahmslos  bei  Personen,  die  einen  relativ  hohen  Anfangs¬ 
druck  von  130  und  140  mm  Quecksilber  aufwiesen. 

Ich  möchte  diesbezüglich  bemerken,  dass  auch  bei 
meinen  seinerzeitigen  Versuchen  mit  den  Soldaten  die  grössten 
Druckschwankungen  bei  jenen  Personen  mit  relativ  niedrigem 
Drucke  aufgetreten  waren,  wogegen  der  hohe  Blutdruck  einer 
gewissen  Constanz  sich  erfreute  und  die  kleinsten  Schwan¬ 
kungen  verrieth. 

Auch  Elektricitätsarbeiter  mit  kleinem  Anfangsdrucke 
zeigten  die  grössten  Schwankungen,  indem  bei  ihnen  die  Blut¬ 
drucksäule  von  90  mm  auf  130  und  auch  150  mm  angestiegen 
war.  Die  grösste  Differenz  der  Druckhöhen  betrug  60  mm. 
Die  Frequenz  der  Herzschläge  war  bei  manchen  Ar¬ 
beitern,  wenn  der  Gleichstrom  10 — 12  Secunden  eingewirkt 
hatte,  eine  vermehrte;  jedoch  trat  dieses  Symptom  nicht  regel¬ 
mässig  auf. 

*)  Ich  bemerke  hier  nur  beiläufig,  dass  ich  mich  erst  kürzlich  dem 
Insulte  von  500  Volt  Gleichstrom  ausgeset'/t.  habe. 


Nr.  51 


1187 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Andere  Resultate  bei  denselben  Arbeitern  ergaben  die 
Versuche  mit  Wechselstrom  von  gleicher  Spannung.  Vor  diesen 
Versuchen  wurde  eine  Zeit  abgewartet,  bis  der  ursprüngliche 
Blutdruckwerth  wieder  erreicht  und  die  Pulsfrequenz  eine 
normale  geworden  war. 

Auch  schon  bei  niedriger  Spannung  äussert  der  Wechsel¬ 
strom  eine  viel  intensivere  Wirkung  auf  den  Menschen  und 
ist  ja  auch  als  der  ungleich  gefährlichere  bekannt;  das  muss 
vorausgeschickt  werden. 

Die  Druckmessungen  mit  dem  Tonometer  ergaben  hier 
andere  Verhältnisse  als  bei  den  Versuchen  mit  Gleichstrom. 
Auf  ersteren  antwortete  der  Tonometer  zumeist  mit  einer  Blut¬ 
druckerniederung*  die  Herzaction  aber  war  dabei  eine 
mitunter  sogar  auffällig  beschleunigte. 

Bei  Arbeitern  mit  einem  mittleren  Anfangsdrucke  von 
110  und  120  mm  Quecksilber  konnte  man  nach  der  Reizung 
nur  mehr  80  und  70  mm  am  Tonometer  ablesen;  einmal  war 
der  Blutdruck  von  100  sogar  auf  60  mm  herabgesunken;  der 
1  als  zeigte  130  Schläge  in  der  Minute,  der  Wechselstrom 
hatte  eine  Spannung'  von  150  Volt,  Einwirkungsdauer  drei 
bis  vier  Secunden.  In  vier  Fällen  unter  40  Beobachtungen 
Hessen  das  Ionometer  unveränderte  Werthe  vor  und  nach  dem 
Versuche  erkennen. 

Der  dritte  Versuch  bestand  darin,  dass  Arbeiter,  die 
isolirt  standen,  kleine  Contactstellen  hochgespannter  Ströme 
(300  500  Volt)  für  einen  Bruchtheil  einer  Secunde  mit  dem 

linger  berührten.  Wurde  augenblicklich  darnach  die  Messung 
ausgeführt,  war  bei  den  meisten  derselben  ein  Herabsinken 
des  Blutdruckniveaus  zu  constatiren;  so  sank  z.  B.  in  einem 
halle  die  mittlere  Blutdruckziffer  von  130  auf  80;  die  Herz¬ 
action  war  meist  verlangsamt.  Einmal  (300 — 500  Volt)  nur 
42  I  ulse.  Untersuchte  man  fünf  bis  sechs  Minuten  später 
zum  zweiten  Male,  war  der  Blutdruck  angestiegen;  die 
grösste  Differenz  im  Anstiege  gegen  die  Norm  betrug  30  mm. 
Auch  bei  den  wenigen  Personen,  bei  denen  auf  den  starken 
elektrischen  Schlag  keine  Druckerniedrigung  gefolgt  war, 
machte  sich  ein  späterer  Anstieg  bemerkbar. 

Der  elektrische  Strom  scheint  nach  dem  Gesagten  ziem¬ 
lich  bedeutende  Druckschwankungen  im  Gefäss- 
sy  st  eine  hervorrufen  zu  können.  Die  Art  derartiger  Ein¬ 
wirkungen,  ob  es  sich  hiebei  um  directe  Einflüsse  auf  das 
Gefässsystem  oder  dessen  Nervenapparat,  oder  utn  den  Ge- 
sammtorganismus  betreffende  handelt,  wird  erst  Gegenstand 
weiteren  Studiums  und  fortgesetzter  Beobachtungen  sein, 
weshalb  auch  hier  auf  nähere  Auseinandersetzungen  nicht  ein¬ 
gegangen  werden  soll. 

Eine  Sache  erscheint  mir  jedoch  schon  jetzt  erwähnens- 
werth,  ich  meine  eine  gewisse  Rigidität  an  den  peri¬ 
pheren  Arterien,  an  der  Radialis  und  Temporalis,  welche 
mir  an  jugendlichen  Arbeitern  aufgefallen  ist.  Unter  80  jugend¬ 
lichen  Individuen  war  in  25  Fällen  ein  deutlicher  Arterien- 
rigor  in  ausgesprochener  Weise  nachweisbar. 

Die  Arteria  radialis  fühlte  sich  federkielartig  an  und 
war  manchmal  leicht  geschlängelt;  die  Arteria  temporalis  in 
den  erwähnten  Fällen  deutlich  hervortretend,  geschlängelt  und 
starke  Pulsation  zeigend. 

Dies  kommt  ja  bekanntermassen  zuweilen  bei  jugend¬ 
lichen  Personen  anderer  Berufszweige  vor,  ohne  dass  wir 
bisher  eine  halbwegs  befriedigende  Deutung  dafür  zu  geben 
im  Stande  wären;  für  manche  Arbeit  wird  schwere  physische 
Arbeit  und  eine  dementsprechend  stark  entwickelte  Musculatur, 
für  andere  Alkohol  und  Anderes  verantwortlich  gemacht. 
Die  Leistungen  der  Elektricitätsarbeiter  sind  allerdings 
anstrengende,  sie  können  jedoch  nicht  als  schwere  Arbeit  wie 
jene  eines  Schmiedes,  Lastträgers  etc.  angesehen  werden. 
Hypertrophie  der  Musculatur  ist  bei  den  Berufselektrikern 
nicht  nachweisbar,  ja  es  handelt  sich  vielmehr  eher  um 
muskelschwache  Personen. 

Der  Befund  des  Arterien  rigor  erschien  mir  daher  umso 
auffälliger,  als  auch  Arbeiter  mit  18  und  19  Jahren  die  Er¬ 
scheinung  boten.  Zu  bemerken  wäre  ferner,  dass  alle  Per¬ 
sonen,  die  sich  durch  den  Arterienrigor  auszeichneten,  mindestens 


zwei  bis  drei  Jahre  mit  hochgespannten  Strömen  beschäftigt 
waren. 

Meine  Untersuchungen  wurden,  wie  gesagt,  im  September 

1899  begonnen  und  werden  ununterbrochen  fortgesetzt.  Bei  den 
neuerlichen  Untersuchungen  derselben  Arbeiter  im  November 

1900  erschien  mir  der  Arterienrigor  deutlicher  und  ausgespro¬ 
chener  als  zu  jener  Zeit,  als  die  Untersuchungen  in  Gang 
gesetzt  wurden. 

Veränderungen  am  Herzen  bei  den  mit  dieser  Er¬ 
scheinung  behafteten  Arbeitern  waren  nicht  nachweisbar. 

Fünf  unter  den  genannten  jugendlichen  Personen,  bei 
denen  Arterienrigor  sich  zeigte,  gaben  an,  dass  sie  zeitweilig 
an  Congestionen  nach  dem  Kopfe  leiden,  und  zwar  nicht  nur 
nach  stärkeren  Mahlzeiten,  sondern  auch  des  Morgens,  sofort 
nach  dem  Erwachen.  Weder  durch  Anamnese,  noch  durch 
somatischen  Befund  Hess  sich  etwas  Pathologisches  erheben; 
der  mittlere  Blutdruck  schwankte  zwischen  110  und  130  mm 
Quecksilber;  die  Arbeiter  waren  fünf  bis  sechs  Jahre  mit 
Elektricität  beschäftigt.  Einer  machte  bestimmt  die  Angabe, 
dass  er  seit  jenem  Tage  daran  leide,  seitdem  er  einmal  einen 
Schlag  von  1500  Volt  (!)  Spannung  erlitten  hatte;  er  soll 
damals  für  einen  Moment  bewusstlos  gewesen  sein,  sich  jedoch 
bald  erholt  haben.  Der  Mann  stand  zu  seinem  Glücke  isolirt. 
Seit  damals  will  er  auch  leicht  auf  äussere  Reize  hin  Blut¬ 
andrang  nach  dem  Kopfe  mit  starkem  Klopfen  in  den  Schläfen 
verspüren. 

Zum  Schlüsse  sollen  hier  noch  einige  den  Leitungs¬ 
widerstand  des  menschlichen  Körpers  betreffende 
Angaben  und  ihre  Beziehung  zur  Intensität  der  Perception  von 
Strömen  gleicher  Spannung  mitgetheilt  werden. 

An  40  Personen  wurden  mit  dem  Universalgalvano¬ 
meter  von  Siemens  Stromwiderstandsprüfungen  angestellt, 
wobei  es  sich  herausstellte,  dass  es  Personen  gibt,  die  nur 
16.000  Ohm  Widerstand  leisten,  bei  anderen  waren  wieder 
60  000  Ohm  (als  Maximum  bei  diesen  40  Versuchen)  abzu¬ 
lesen.  Die  Untersuchung  wurde  natürlich  an  allen  Personen  bei 
gleicher  Stromstärke  unternommen. 

Auch  subjectiv  konnte  man  sich  von  der  Verschieden¬ 
artigkeit  der  menschlichen  Leitungsfähigkeit  überzeugen; 
trat  ich  selbst  z.  B.  in  einen  Stromkreis  von  100  Volt 
Spannung  und  berührte  nicht  direct  die  Pole,  sondern  die  freien 
Hände  zweier  mit  letzteren  in  Contact  stehende  Arbeiter, 
so  empfand  ich  eine  verschieden  starke  Wirkung  des  Stromes, 
je  nachdem  die  besagten  zwei  Personen  hohe  oder  niedrige 
Widerstandsziffern  aufwiesen ;  es  warein  an  sich  starker  Strom 
leichter  zu  ertragen,  wenn  man  zwischen  zwei  Personen  mit 
50.000  oder  60.000  Ohm  Widerstand  trat,  als  wenn  sie  nur 
20.000  oder  30.000  Ohm  Widerstand  leisteten. 

An  einer  solchen  dritten,  zwischen  zwei  andere  in  den 
Stromkreis  eingeschalteten  Person  wurden  auch  Tonometer¬ 
messungen  vorgenommen;  doch  waren  die  früher  besprochenen 
Erscheinungen  der  Blutdrucksteigerung  und  -Senkung  dann 
nicht  mit  Regelmässigkeis  zu  eruiren;  bald  stieg  die  Blutdruck¬ 
säule,  bald  wieder  fiel  sie,  und  nicht  klein  war  die  Zahl  derer, 
bei  welchen  sie  vor  und  nach  dem  Versuche  unverändert  ge¬ 
blieben  war. 

Die  Widerstandsziffer  des  Einzelnen  stand  in 
gerader  Proportion  zum  —  wenn  man  sagen  darf  —  sub¬ 
ject  i  v  e  n  Stromgefühl;  einen  je  grösseren  Widerstand 
ein  Arbeiter  dem  elektrischen  Strome  entgegenzusetzen  ver¬ 
mochte,  umso  deutlicher  und  grösser  war  seine  Empfindlich¬ 
keit  dem  Strome  gegenüber.  Mit  anderen  Worten :  Leute  mit 
hohen  Widerstandsziffern  ertrugen  nicht  so  leicht  starke  Ströme 
als  Leute  mit  besserer  Leitungsfähigkeit  ihres  Körpers. 

Bei  diesen  Versuchen  konnten  nur  Elektricitätsarbeiter 
berücksichtigt  werden,  weil  sie  in  Folge  Vertrautheit  mit  den 
Strömen  genaue,  präcise  Angaben  zu  machen  im  Stande  sind, 
und  weil  sie  viel  intensivere  Ströme  als  andere  Arbeiter  zu 
ertragen  im  Stande  sind.  Während  Personen  anderer  Berufs¬ 
kategorien  Ströme  von  100  Wechsel-  und  150  Volt  Gleich¬ 
strom  schwer  zu  ertragen  vermochten  und  in  ihren  An¬ 
gaben  ganz  unverlässlich  wurden,  konnten  bei  den  Berufs¬ 
elektrikern  bei  derselben  Spannung  Messungen  und  Beob- 


1188 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


achtungen  ruhig  angestellt  werden,  und  die  Präcision  hatte 
nicht  zu  leiden. 

Hei  vielen  Elektricitätsarbeitern  (unter  80  etwa  bei  20) 
war  eine  auffällige  Steigerung  der  Sehnen-  und  Periostreflexe 
zu  finden;  sie  stellte  sich  entschieden  häufiger  bei  Elektrikern  ein 
als  bei  anderen  Hilfsarbeitern,  die  des  Vergleiches  halber  zur 
Untersuchung  herbeigezogen  wurden. 

Mit  der  die  Aufmerksamkeit  stets  in  Anspruch  nehmenden 
Thätigkeit  der  Elektricitätsarbeiter  dürfte  es  in  Zusammen¬ 
hang  zu  bringen  sein,  dass  ältere  Arbeiter  eine  gewisse 
Aufgeregtheit  und  Gereiztheit  der  Psyche  zur  Schau  tragen. 
Ein  Director  eines  hiesigen  Werkes,  den  ich  darum  befragte, 
antwortete  mir  in  scherzhafter  Weise,  fachmännisch  ausgedrückt, 
»es  kämen  ihm  die  alten  Elektricitätsarbeiter  wie  jung  geladene 
Accumulatoren  vor « . 

Die  hier  mitgetheilten  Befunde  stellen,  wie  eingangs  er¬ 
wähnt,  nichts  Abgeschlossenes  dar,  sondern  sie  bilden  V  o  r- 
Studien  zu  einer  eingehenden  auf  längere  Zeit 
hin  auszudehnende  Untersuchungsreihe  über  die 
praktisch  heute  so  wichtige  Frage  nach  der  Einwirkung 
der  bei  der  elektrischen  Stromgewinnung  und 
Stromanwendung  in  F rage  kommenden  F actoren  auf  die 
damit  beruflich  und  fallweise  beschäftigten  Menschen. 

Die  bereits  sehr  zahlreichen  Erfahrungen  in  elek¬ 
trischen  Anlagen  sollen  entsprechend  gesammelt  und 
kritisch  besprochen  werden,  weshalb  ich  mich  bereits  mit  mass¬ 
gebenden  Firmen  des  Auslandes  um  Auskünfte  in  Verbindung 
gesetzt  habe;  es  wird  eine  möglichst  erschöpfende  Casuistik 
der  bisher  vorgekommenen  Unglücksfälle  zusammenzutragen, 
und  es  werden  die  über  die  Wirkung  des  Blitzes  vor¬ 
liegenden  Arbeiten  übersichtlich  und  vergleichsweise  zu 
studiren  sein. 

PhysiologischeBeob  achtungen  und  das  T  h  i  e  r- 
experiment  sollen  in  Ergänzung  und  Erweiterung  der 
lehrreichen  Versuche  von  Kratter  für  specielle  Frage¬ 
stellungen  herangezogen  werden. 

Ein  demnächst  erscheinende  Publication  wird  sich  des 
Genaueren  mit  physiologischen  Beobachtungen  über  die  Wirkung 
hochgespannter  Ströme  auf  den  Menschen  beschäftigen,  wobei 
ich  namentlich  auch  auf  die  an  mir  selbst  gewonnenen  Er¬ 
fahrungen  werde  recurriren  können. 

Meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Hofrath  v.  Schrötter, 
sowie  Herrn  Dr.  H.  v.  Schrötter  bin  ich  für  deren  An¬ 
regung  zu  Dank  verpflichtet. 


Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  Krankenanstalt 

Rudolf  Stiftung«  in  Wien. 

Hyperchlorhydrie  im  Säuglingsalter. 

Von  Dr.  Wilhelm  Knoepfel machen. 

Die  in  den  letzten  Decennien  recht  zahlreich  geführten 
Untersuchungen  über  die  Function  des  Säuglingsmagens  lassen 
sich  kurz  dahin  zusammenfassen,  dass  der  Magen  im  Säuglings¬ 
alter  an  der  Verdauung  der  Milcheiweisskörper  in  verhältniss- 
mässig  geringem  Grade  betheiligt  ist.  Das  geht  besonders  aus 
den  Untersuchungen  über  den  Salzsäuregehalt  des  Magensaftes 
beim  Säugling  hervor.  Da  die  Anwesenheit  von  Säure,  vor 
Allem  von  Salzsäure,  zur  Pepsinverdauung  nothwendig  ist, 
muss  die  Bestimmung  der  Salzsäure  uns  ein  Mass  für  die 
digerirende  Leistungsfähigkeit  des  Magens  abgeben.  Seit  Leo1) 
über  das  Verhalten  des  Säuglingsmagens  in  Bezug  auf  Salz- 
säureproduction  berichtet  hat,  sind  das  zeitliche  Auftreten 
freier  Salzsäure  und  ihre  Menge  bei  der  Milchverdauung  des 
Säuglings  genau  studirt  worden.  Wir  wissen,  dass  bei  Er¬ 
nährung  mit  Frauenmilch  nicht  vor  etwa  einer  Stunde  nach 
der  Mahlzeit  freie  Salzsäure  im  Mageninhalt  nachweisbar  ist 
(v  a  n  Putere  n2),  W  ohlman  n:i)  u.  A),  dass  aber  oft  während 
der  ganzen  Frauenmilchverdauung  keine  freie  Salzsäure  zu 

')  Leo,  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1888. 

')  v:in  Puteren,  Dissertation.  Petersburg.  1889.  Ref. :  Jahrbuch 
für  Kinderheilkunde.  1890,  Bd.  XXXI,  pag.  188. 

h  L.  Wohlmann,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1891,  Bd.  XXXII, 

png.  297. 


finden  ist  (Einhorn1),  Clopatt5),  Thiercelin6).  Aber 
auch  bei  positiven  Befunden  ist  die  Menge  freier  Salzsäure 
meist  sehr  gering  ( W  ohlmann,  Heubner  ’).  Nun  ist  das 
Säurebindungsvermögen  der  Frauenmilch  für  Salzsäure  wesent¬ 
lich  geringer  als  das  der  Kuhmilch,  in  Folge  der  Reichthums 
dieser  an  Eiweiss  und  alkalisch-phosphorsauren  Salzen;  es  ist 
daher  begreiflich,  dass  freie  Salzsäure  bei  künstlich  genährten 
Kindern  noch  später  oder  gar  nicht  auftritt.  Es  ist  das  Ver¬ 
halten  der  Salzsäure  bei  der  Säuglingsverdauung  umso  be- 
merkenswerther,  als  nach  v.  J  a  k  s  c  h8)  Milch  dasjenige 
Nahrungsmittel  ist,  welches  die  Salzsäureproduction  beim  Er¬ 
wachsenen  ganz  besonders  anregt,  was  aus  v.  J  a  k  s  c  h  und 
Schnei  e’s  ,J)  Versuchen  auch  deutlich  hervorgeht. 

Aehnlich  wie  beim  gesunden  Säugling  sind  die  Unter¬ 
suchungsresultate  beim  magen-darmkranken  Kinde.  Während 
beim  Erwachsenen  bei  verschiedenartigen  Krankheitsprocessen 
des  Magens  die  Salzsäureproduction  oft  wesentlich  gesteigert 
ist,  scheint  beim  Säugling  eine  Magenerkrankung  entweder 
keine  deutliche  Veränderung  im  Magenchemismus  hervor¬ 
zurufen,  oder  eine  Herabsetzung  der  Salzsäureproduction.  Dies¬ 
bezüglich  sind  die  Untersuchungen  von  H  e  u  b  n  e  r 7),  C  1  o  p  a  1 15), 
Wolf  und  F  r  i  e  d  j  u  n  g  l0),  Bauer  und  Deutsch  u.  A. 
beweisend.  Eine  aus  der  Breslauer  Kinderklinik  veröffent¬ 
lichte  T mtersuchungsreihe  von  A.  Cohn  n)  an  80  magen-darm- 
kranken  Säuglingen  hat  zu  demselben  Resultate  geführt.  Dem 
gegenüber  sind  Angaben  über  beobachtete  Hyperchlor¬ 
hydrie  darum  nicht  beweisend,  weil  die  betreffenden  Autoren, 
Leo1),  Oddo  und  de  Luna12)  nur  die  Gesammtacidität,  nicht 
aber  die  freie  Salzsäure  quantitativ  bestimmt  haben. 

Der  folgende  beobachtete  Krankheitsfall  beweist,  dass 
auch  im  Säuglingsalter  Hyperchlorhydrie  auftritt. 

Das  zehn  Monate  alte  Mädchen  stammt  aus  gesunder  Familie, 
ist  angeblich  nach  achteinhalbmonatlicher  Schwangerschaft  geboren 
worden.  Die  Ernährung  mit  Frauenmilch  ging  in  den  ersten  vier 
Monaten  ganz  glatt  von  Statten.  Vom  fünften  Lebensmonate  an 
stellten  sich  ziemlich  lebhafte  Störungen  ein,  die  in  einer  hart¬ 
näckigen  Obstipation  und  in  sehr  häufigem  Erbrechen  bestanden. 
Das  Erbrechen  erfolgte  gussweise,  ziemlich  stürmisch  und  entweder 
bald  nach  dem  Trinken  oder  ein  bis  drei  Stunden  nach  der 
Nahrungsaufnahme.  Das  Kind  erbrach  dabei  ziemlich  viel,  war  oft 
vor  dem  Brechacte  einige  Minuten  unruhig,  nach  dem  Erbrechen 
ganz  wohl  und  heiter.  Das  Erbrochene  hat  meist  stark  sauer  ge¬ 
rochen.  Der  Brechact  wiederholte  sich  bald  einmal,  bald  mehrmals 
täglich;  er  war  ganz  unabhängig  von  der  Ernährungsweise.  Das 
Kind  war  bis  zu  sieben  Monaten  mit  Frauenmilch,  von  da  ab  in 
den  nächsten  drei  Monaten  bald  mit  verdünnter  Kuhmilch,  Gaerlner- 
scher  Fettmilch,  bald  mit  Milch  unter  Zusatz  verschiedener  Kinder¬ 
nährpräparate  ernährt  worden.  Dabei  waren  bald  kurze,  ein-  bis 
zweistündige,  bald  dreistündige  Nabrungspausen  eingehallen  worden. 
Das  Erbrechen  bestand  jedoch  die  ganze  Zeit  hindurch,  auch  bei 
der  künstlichen  Ernährung,  blieb  aber  manchmal  für  eine  Woche 
und  mehr  aus.  Auffallend  war  dabei  ein  gleiehmässiger  Gewichls- 
stillstand;  das  Kind  hat  in  den  letzten  Monaten  fast  gar  nicht  an 
Körpergewicht  zugenommen. 

Status  praesens:  Zartes,  blasses  Kind,  das  heiter  und 
lebhaft  dareinschaut,  mit  den  Händchen  oft  ungeduldige  Bewegungen 
macht;  die  Haut  ein  wenig  schlaff,  das  Fettpolster  wenig  ent¬ 
wickelt.  Keine  Oedeme.  Körpergewicht  G700t/.  Schädelknochen 
hart,  die  grosse  Fontanelle  circa  2  cm  lang  und  ebenso  breit,  ihre 
Ränder  hart;  die  Schädelnähte  sonst  geschlossen.  Vier  Schneide¬ 
zähne.  An  den  Rippenephysen  sehr  geringe  Auftreibungen.  Die 
Augen  halonirt.  Der  Rachen  blass,  die  Zunge  ohne  Belag.  Thorax 

4)  Einhorn,  New  York  med.  Journal.  1889,  Bd.  II,  pag.  87. 

C  1  o  p  a  1 1,  ref.:  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1893.  Bd.  XXXV, 

pag.  368. 

ü)  Thiercelin,  These  de  Paris;  citirt  nach  M.  und  II.  Labbe. 
Revue  mensuelle  des  maladies  de  Tenfance.  1897,  pag.  401. 

)  O.  Heubner,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1891,  Bd.  XXXII, 
pag.  27. 

H)  v.  J  a  k  s  c  h,  Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  1890,  pag.  383. 

9)  A.  Schuele,  ibidem.  1895,  Bd.  XXVIII,  pag.  461. 

10)  Wolf  und  Friedjung,  Archiv  für  Kinderheilkunde.  1898, 
Bd.  XXV,  pag.  161. 

u)  A.  Cohn,  Gibt  es  eine  Hyperchlorhydrie  im  Säuglingsalter  ? 
Dissertation.  Breslau  1898. 

,J)  Oddo  und  de  Luna,  Semaine  medic.  1896. 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1189 


gut  gewölbt,  Lungenbefund  normal;  am  oberen  Sternum  deutliche 
Dämpfung  (Thymus).  Die  Herzdämpfung  zwischen  linkem  Sternai¬ 
ran  d  und  linker  Mamillarlinie  nachweisbar,  die  Herztöne  rein. 
Puls  100,  kräftig  und  regelmässig. 

Das  Abdomen  im  Niveau  des  Thorax.  Die  Bauchmuskeln 
wenig  gespannt.  Die  Leberdämpfung  von  der  siebenten  Rippe  an 
in  der  rechten  Mamillarlinie  bis  an  den  Rippenbogen,  in  der  Mittel¬ 
linie  bis  etwa  2  cm  unterhalb  des  Processus  xiphoides  nachweisbar. 
Die  Milzdämpfung  von  der  neunten  Rippe  an  und  nach  vorne  bis 
an  den  Rippenbogen  nachweisbar.  Die  Milz  ist  tastbar,  hart.  Der 
Stuhl  knollig  (auf  Klysma  entleert).  Der  Harn  enthält  kein  Eiweiss, 
keinen  Zucker,  Indican  in  Spuren;  Chloride  im  Vergleiche  mit 
gleichalterigen  Kindern  in  normaler  Menge. 

Untersuchung  des  Magens:  Die  Magengegend  nicht  vorgewölbt; 
während  des  Verdauungsactes  von  peristaltischen  Bewegungen  nichts 
zu  sehen.  Nach  Eingiessen  von  Flüssigkeit  in  den  Magen  lässt 
sich  die  untere  Magengrenze  beim  Aufrichten  des  Kindes  oberhalb 
der  Nabelhöhe  percussorisch  nachweisen.  Der  Magen  enthält  selbst 
drei  bis  vier  Stunden  nach  der  letzten  Nahrungsaufnahme  stets 
noch  reichlichen  Inhalt;  durch  die  Sonde  können  an  den  einzelnen 
Untersuchungstagen  20  bis  55  cm3  entleert  werden  (siehe  Tabelle). 
Beim  Stehenlassen  scheidet  sich  der  Mageninhalt  stets  in  zwei 
Schichten;  mikroskopisch  sind  sehr  zahlreiche  Bacterien,  aber  weder 
Hefe  noch  Sarcine  nachweisbar.  Die  Farbe  des  entleerten  Magen¬ 
inhaltes  ist  je  nach  der  Nahrung  verschieden.  Die  chemische 
Untersuchung  des  Mageninhaltes  wurde  nach  Töpfer’s13)  Methode 
vorgenommen.  Die  Gesammtacidität  gegen  Phenolphtalein,  die  freie 
Salzsäure  unter  Zusatz  von  0'5%  alkoholischer  Dimethylamido- 
azobenzollösung  mit  7io  Normallauge  titrirt.  Zur  Bestimmung  der 
locker  gebundenen  Salzsäure  Titration  mit  alizarinsulfonsaurem  Natron. 

Die  Prüfung  auf  Milchsäure  nach  Uffelmann,  zweimal 
vorgenommen,  ergab  ein  negatives  Resultat. 

Die  Verdauungskraft  des  entleerten  Magensaftes  gegenüber 
von  Fibrinflocken  wurde  wiederholt  geprüft.  Die  in  1  bis  2  cm3 
Magensaft  eingelegten  Fibrinflocken  wurden,  bei  Körpertemperatur 
gehalten,  stets  in  einer  Viertel-  bis  einer  halben  Stunde  aufgelöst. 

Ueber  das  Verhalten  der  Säuren  gibt  die  folgende  Tabelle 
Aufschluss. 


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Ernährungs- 

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100  cm3 
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22. 

März 

zweistündlich 
125  cm3 

2/3  Milch 

2  St. 

35 

weiss,  mit 
za<  ten,  kleinen 
Milch¬ 
gerinnseln 

75 

25 

0-225 

. 

— 

23. 

März 

zweistündlich 
125  cm3 
Milch  und 
Kufeke-Mehl 

2  St. 

30 

gelblich,  trüb 

90 

55 

0485 

75 

0-135 

24. 

März 

dieselbe 

2'/2  St. 

24 

bräunlich, 
trüb,  keine 
Gerinnsel 

90 

50 

0-45 

75 

0T35 

26. 

März 

dieselbe 

2  St. 

22 

bräunlich, 
(wird  filtrirt!) 
keine 
Gerinnsel 

82 

37 

0-326 

57 

0-225 

28. 

März 

dieselbe 

3  St. 

55 

bräunlich, 

keine 

Gerinnsel 

88 

35 

0-315 

57 

0-225 

12. 

April 

dreistündlich 
’/2  Milch  und 
Kufeke-Mehl 
und  Malz- 
extract 

3  St. 

28 

idem 

95 

32 

0-28 

55 

0-36 

17. 

April 

dieselbe 

3  St. 

55 

idem 

105 

41 

0-37 

67 

0-342 

18. 

April 

dieselbe 

33/4  St 

50 

idem 

97 

40 

0-36 

58 

0-351 

'")  G.  T  ö  p  f  e  r,  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie.  1894,  Bd.  XIX, 
pag.  104. 


Die  Untersuchung  des  Magens  hat  daher  das  Bestehen 
einer  motorischen  Insufficenz  und  einer  ganz  emi¬ 
nenten  Hyper  chlor  hy  drie  gelehrt.  Wenn  wir  bedenken, 
dass  man  beim  normalen  Säugling  viel  geringere  Werthe  für 
freie  Salzsäure  findet,  als  beim  Erwachsenen,  so  muss  der  ge¬ 
fundene  Werth  von  im  Mittel  0'95%  freier  Salzsäure  als  ganz 
ausserordentlich  hoch  bezeichnet  werden.  Ich  will  zum  Ver¬ 
gleiche  einige  Zahlen,  welche  für  die  Erwachsenen  gelten,  an¬ 
führen.  So  bezeichnet  Riegel  (Die  Erkrankungen  des  Magens; 
in  N  o  t  h  n  a  g  e  l’s  Handbuch  der  specifischen  Pathologie  und 
Therapie.  1897)  einen  Magensaft  als  hyperacid,  wenn  er  nach 
einer  Probemahlzeit  eine  Gesammtacidität  von  über  100,  einen 
Gehalt  an  freier  Salzäure  von  50,  d.  i.  von  0  45%  bat.  Für 
das  Probefrühstück  nach  Ewald,  welches  die  Salzsäure- 
production  freilich  viel  weniger  als  Milch  anregt,  sind  die 
Zahlen  viel  niedriger.  Kövösi  (Archiv  für  Verdauungs¬ 
krankheiten.  Bd.  V,  pag.  190)  stellt  die  einschlägigen  Angaben 
zusammen  und  verzeichnet  als  Resultat  seiner  eigenen  Unter¬ 
suchungen,  dass  unter  1 12  Magenkranken  nur  acht  eine  Total¬ 
acidität  von  90  bis  100,  keiner  eine  solche  von  über  100  hatte. 
Bei  Milchmahlzeiten  hat  0.  Jak  sch  im  Mittel  0J65%  freie 
Salzsäure,  Schuele  (Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  1895, 
Bd.  XX VIII,  pag.  461)  0T67,  respective  0-255°/o  freie  Salz¬ 
säure  gefunden.  Es  sind  daher  die  Werthe  für  freie  Salzsäure 
und  für  die  Gesammtacidität,  wie  sie  bei  meinem  Patienten 
gefunden  worden  sind,  abnorm  hoch;  sie  wären  auch  beim 
Erwachsenen  als  ausgesprochen  hyperacid  zu  betrachten. 
Umsomehr  noch  beim  Säugling,  dessen  Salzsäureproduction 
normaler  Weise  viel  geringer  ist  als  beim  Erwachsenen,  und, 
wie  v.  Jaksch  sagt,  ceteris  paribus  vom  Gewicht  und  Alter 
des  Kindes  abhängig  ist  und  mit  beiden  ansteigt. 

Ueber  den  Verlauf  der  Ekrankung  muss  ich  noch  be¬ 
merken,  dass  regelmässige  Ausspülungen  des  Magens  mit  Karls¬ 
bader  Miihlbrunn,  durch  eine  Woche  täglich  wiederholt,  und  Er-  - 
nährung  mit  verdünnter  Milch  unter  Koblehydratzusätzen  (Milch¬ 
malzsuppe,  K  u  f  e  k  e’s  Kindermehl)  keine  Aenderung  herbei¬ 
führten;  erst  die  durch  weitere  zwölf  Tage  fortgesetzte  Magen¬ 
ausspülung  mit  Karlsbader  Mühlbrunn,  dann  mit  physiologischer 
Kochsalzlösung,  endlich  die  Ernährung  mit  unverdünnter  Kuh¬ 
milch  führten  vollständige  Heilung  herbei:  andauernde  Gewichts¬ 
zunahme,  vollständiges  Ausbleiben  des  Erbrechens,  das  in  den 
letzten  sechs  Monaten  nur  noch  zweimal  auftrat.  Die  Körper¬ 
gewichtszunahme  betrug  in  einem  halben  Jahre  3200  t/.  Die 
Untersuchung  des  Mageninhaltes  am  Schlüsse  der  Behandlung 
bei  Ernährung  mit  je  150  cm3  reiner,  unverdünnter  Kuhmilch, 
im  Soxhlet  sterilisirt  und  bei  drei-  bis  vierstündlichen  Nahrungs¬ 
pausen  am  21.  März: 

Gesammtacidität . 130 

Freie  Salzsäure .  10  =  0  09% 

Alizarinwerth .  55 

Locker  gebundene  Salzäure  75  =  0'675%. 

Bei  dieser  Untersuchung  konnten  dreieinhalb  Stunden 
nach  der  letzten  Nahrungsaufnahme  nur  15  cm3  Magensaft  mit 
der  Sonde  entleert  werden.  Schon  äusserlich  war  eine  deut¬ 
licher  Unterschied  zu  bemerken:  Es  waren  in  diesem  Magen¬ 
inhalte  zahlreiche  mittelgrosse  Milcbgerinnsel,  welche  bei  den 
früheren  Untersuchungen  meist  ganz  gefehlt  hatten,  oder  doch 
viel  spärlicher  und  feinflockiger  waren.  Und  die  chemische 
Untersuchung  erklärte  diesen  Umstand  auch  vollständig:  Die 
geringe  Menge  freier  Salzsäure  hat,  trotz  der  langen  Dauer 
der  Digestion  im  Magen,  offenbar  nicht  zur  Verdauung  der 
Milchgerinnsel  hingereicht.  Es  ist  von  Interesse,  bei  Vergleich 
dieser  Magenprobe  mit  den  übrigen  Untersuchungen  zu  con- 
statiren,  dass  die  Summe  der  freien  und  locker  gebundenen 
Salzsäure  bei  der  letzten  Untersuchung  nicht  wesentlich  herab¬ 
gesetzt  gefunden  wurde  (0‘58 — 0  72%  früher  gegen  0,68% 
zuletzt),  dass  aber  die  freie  Salzsäure  so  bedeutend  gesunken 
ist:  von  im  Mittel  0’35%  auf  0'09%.  Es  hängt  dies  mit  der 
Diät  zusammen.  Bei  Zufuhr  von  unverdünnter  Milch  ist  die 
Menge  der  säurebindenden  Substanzen  wesentlich  gesteigert 
worden,  die  im  Grossen  und  Ganzen  gleiche  Menge  produ- 
cirter  Salzsäure  erscheint  in  der  Analyse  darum  fast  nur  als 
locker  gebundene  Salzsäure, 


1190 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


Mit  der  Feststellung  einer  motorischen  Insufficienz  und 
Hyperchlorhydrie  ist,  wie  ich  glaube,  das  Wesen  der  Magen¬ 
erkrankung  in  dem  beschriebenen  Falle  noch  nicht  erschöpft. 

Die  Krankheitsgeschichte  der  kleinen  Patientin  erinnert 
in  einigen  wichtigen  Zügen  an  den  unter  dem  Namen  der 
congenitalen  Pylorusstenose  beschriebenen  und  viel 
discutirten  Symptomencomplex.  Das  hartnäckige  gussweise 
Erbrechen,  die  Obstipation,  die  mangelnde  Körpergewichts 
Zunahme,  die  motorische  Insufficienz,  lassen  die  Annahme,  dass 
es  sich  hier  um  eine  Pylorusstenose  massigen  Grades  gehandelt 
haben  könne,  als  plausibel  erscheinen.  Dass  ein  Tumor  in  der 
Pylorusgegend  nicht  getastet  werden  konnte  und  dass  peri¬ 
staltische  Wellen  an  der  Magenmusculatur  nicht  zur  Beob¬ 
achtung  kamen,  spricht  durchaus  nicht  dagegen,  weil  ja  auch 
in  einer  Reihe  von  durch  Autopsie  festgestellten  Fällen  von 
congenitaler  Pylorushypertrophie  weder  über  Tumor,  noch 
über  sichtbare  Peristaltik  in  der  Magengegend  berichtet  werden 
konnte.  Darum  macht  auch  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n  14)  darauf  auf¬ 
merksam,  dass  jeder  Fall  von  deutlicher  motorischer  Insufficienz 
und  sicherer  echter  Erweiterung  im  Säuglingsalter  auf  an¬ 
geborene  Stenose  verdächtig  ist.  Nun  hat  Pfaundler15)  auf 
Grund  eingebender  anatomischer  Studien  den  Nachweis  ge¬ 
führt,  dass  der  bei  der  congenitalen  Pylorusstenose  beschriebene 
pathologisch-anatomische  Befund  sich  vollständig  mit  jenem 
von  ihm  beschriebenen  Sectionsbefund  deckt,  wie  ihn  ein  jeder 
im  pylorischen  Antheile  muskelstarr  verbliebene  Magen  dar¬ 
bietet,  dass  also  der  stringente  Beweis  für  die  Existenz  einer 
echten  congenitalen  Pylorusstenose  mit  Hypertrophie  des 
pylorischen  Antheiles  der  Magenmusculatur  bisher  nicht  geliefert 
worden  ist.  In  einer  weiteren  Arbeit  berichtet  überdies 
Pfaundler10),  dass  auch  auf  E  s  c  h  e  r  i  c  h’s  Klinik  in  Graz 
Krankheitszustände  beobachtet  worden  sind,  welche  »kaum 
anders  als  durch  die  Annahme  einer  Darmstenose  in  der 
Pylorusgegend  gedeutet  werden  können«.  Dass  die  betreffenden 
Symptome  nicht  gleich  nach  der  Geburt,  sondern  erst  Wochen 
oder  Monate  später  zuerst  auftreten,  das  ist  schon  wiederholt 
aufgefallen.  ,7)  In  solchen  Fällen  würde  es  sich  dann  um  einen 
spastischen  Contractionszustand  des  Pylorus  handeln,  wie  dies 
auch  Thomson18)  als  Erklärung  der  von  ihm  beobachteten 
Fälle  von  congenitaler  Pylorusstenose  angegeben  hat.  Der 
Pyloruskrampf  ist  nun  ein  Symptom,  das  bei  Erwachsenen, 
auch  bei  älteren  Kindern,  nicht  selten  beobachtet  wird;  in 
seiner  Aetiologie  spielt  vor  Allem  die  Hyperchlorhydrie 
eine  grosse  Rolle,  wie  dies  Ewald19)  u.  A.  betont  haben. 
Der  von  mir  beobachtete  Krankheitsfall  zeigt  neben  der 
Hyperchlorhydrie  auch  deutliche  Symptome  einer  Pylorus¬ 
stenose,  und  es  ist  gewiss  berechtigt,  diese  (anhaltendes  Er¬ 
brechen,  motorische  Insufficienz,  Obstipation)  in  Zusammen¬ 
hang  mit  der  Hydrochlorhydrie  zu  bringen.  Es  ist  dann  das 
hier  geschilderte  Krankheitsbild  als  spastische  Pylorus¬ 
stenose  in  Folge  von  Hyperchlorhydrie  zu  erklären. 

Durch  die  festgestellte  Hyperchlorhydrie  erhält  Thom¬ 
son’s  und  Pfaundler’s  Annahme  einer  spastischen  Pylorus¬ 
stenose  im  Säuglingsalter  eine  neue  Stütze.  Gewiss  muss  nicht 
in  jedem  Falle  von  Pylorusstenose  eine  Hyperchlorhydrie  be¬ 
stehen;  die  Autoren,  welche  bisher  darnach  geforscht  haben, 
Fink  eist  ein,  Fenwick20),  Schwitzer21),  haben  eine 
solche  nicht  gefunden.  Freilich  müsste  in  solchen  Fällen  die 
Gesammtsalzsäure  bestimmt  werden,  damit  man  über  das  Ver¬ 
halten  der  Salzsäureproduction  entsprechenden  Aufschluss  be¬ 
komme;  so  habe  ich  z.  B.  in  dem  hier  berichteten  Falle  eine 

u)  H.  Fink  eis  tein,  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1896, 
Bd.  XLIII,  pag.  115. 

,5)  M.  Pfaundler,  Ueber  Magencapacität  und  Gastrektasie  im 
Kindesalter.  Bibliotheca  medica,  Abtheilung  D  1,  Heft  5. 

,6)  M.  Pfaundler,  Wiener  klinische  Wochenschrift,  1898, 
pag.  1025. 

n)  O.  Heubner. 

18)  O.  Thomson,  Brit.  med.  Journ.  1898,  Bd.  I,  pag.  70. 

19)  Ewald,  Klinik  der  Verdauungskrankheiten.  1888,  Bd.  II, 
pag.  110. 

20)  Fenwick,  citirt  nach:  Neurath,  Centralblatt  für  die  Grenz¬ 
gebiete  der  Medicin  und  Chirurgie.  1899,  Bd.  II,  pag.  696. 

F.  Schwitzer,  New  Yorker  medicinische  Monatsschrift.  1896, 
pag.  879,  und  1897,  pag.  485. 


geringe  Menge  von  freier  H  CI  bei  hohem  Werthe  für  die 
locker  gebundene  H  CI  bekommen,  als  ich  dem  Kinde  anstatt 
verdünnter  oder  kohlehydratreicher  Milch  Vollmilch  reichen 
Hess.  Im  Uebrigen  macht  auch  schon  Pfaundler  darauf 
aufmerksam,  dass  bei  der  erhöhten  Reizbarkeit  des  Magens 
die  Einfuhr  zersetzter  Nahrung  oder  die  abnorme  Zersetzung 
der  Ingesta  im  Magen  einen  permanenten  Reizzustand  der 
Pylorusmusculatur  zur  Folge  haben  kann.  Man  wird  darum 
schon  der  Bestimmung  der  Gesammtacidität  eine  gewisse 
diagnostische  Bedeutung  beilegen  können.  Es  ist  ja  auch  durch 
Experimente  von  A.  Serejukow22)  aus  Paw  lew’s  Institut 
erwiesen,  dass  Ueberfliessen  saurer  Massen  in  den  Zwölffinger¬ 
darm  Verschliessung  des  Pförtners  hervorruft. 

Ich  muss  auch  noch  auf  den  therapeutischen  Erfolg  in 
dem  beobachteten  Krankheitsfalle  hinweisen.  Es  ist  bei  meiner 
kleinen  Patientin  durch  Verabreichung  von  verdünnter  Milch 
mit  Zusatz  von  Kufeke-Mehl,  auch  von  Malzextract,  eine 
Aenderung  des  Befindens  trotz  Magenausspülung  nicht  ein¬ 
getreten.  Auch  die  zu  einem  Drittel  verdünnte  Milch  hat 
keinen  Erfolg  gehabt,  Gärtner’sche  Fettmilch  ebensowenig. 
Freilich  wurden  damals  keine  Untersuchungen  des  Magen¬ 
saftes  gemacht;  aber  der  klinische  Erfolg  ist  ausgeblieben : 
die  Reizzustände  der  Pylorusmusculatur  blieben  bestehen.  Das 
ist  mit  Rücksicht  auf  die  Erfolge  der  Fettdiät  bei  Super¬ 
acidität  bei  Erwachsenen,  wie  sie  von  Akimo  w-Peretz23) 
und  Strauss  und  Aid  or24)  angegeben  worden  ist,  be¬ 
merken  swerth.  Erst  die  Verabreichung  unverdünnter  Milch 
hat  zum  Ziele  geführt.  Da  ist  zwar  die  Gesammtacidität  höher 
geworden,  aber  die  freie  Salzsäure  auf  ein  Minimum  gesunken, 
das  Erbrechen  hat  gänzlich  aufgehört  und  andauernde  Zu¬ 
nahme  des  Körpergewichtes  sich  eingestellt. 


FEUILLETON. 

Die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  im 
Unterricht  und  als  Wissenschaft. 

Von  Prof.  Rieh.  Paltauf. 

Antrittsrede,  gehalten  am  10.  December  1900. 

Nicht  die  physiologische  Ver¬ 
änderung,  die  Ursache  derselben 
entscheidet  über  Umfang,  Verlauf 
und  Behandlung  der  Krankheit. 

S.  Samuel. 

Meine  Herren! 

Indem  ich  heute  die  Vorlesungen  über  allgemeine  und  experi¬ 
mentelle  Pathologie  beginne,  komme  ich  zunächst  einer  gewissen  Tra¬ 
dition  nach,  welche  vom  neuen  Professor  eines  Faches  verlangt,  dass 
er  in  der  ersten  Stunde  seine  Anschauungen  über  die  Richtung  und 
die  Art,  in  welcher  er  seinen  Gegenstand  nicht  nur  zu  lehren,  sondern 
auch  weiter  zu  entwickeln  gedenkt,  auseinandersetzt,  sozusagen  eine 
Art  Programm  entwickelt.  In  meinem  Falle  fordern  mich  zwei 
Umstände  direct  dazu  auf,  erstens  das  Fach  an  sich,  welches  eine 
mehrfache  Forschungsrichtuug  und  eine  verschiedene  Gestaltung  des 
Unterrichtes  gestattet,  und  zweitens  meine  bisherige  wissenschaftliche 
Thätigkeit. 

Bevor  ich  jedoch  auf  dies  mein  Thema  eingehe,  drängt  es  mich, 
von  dieser  Stelle  aus  alte  Dankesschulden  abzutragen,  vor  Allem  an 
zwei  Männer,  die  nicht  mehr  unter  uns  weilen,  deren  Name  aber  mit 
diesem  Hause  innig  verknüpft  ist  und  auch  immer  verknüpft  bleiben 
wird:  zunächst  an  meinen  langjährigen  Lehrer  und,  wie  ich  mir  zu 
sagen  schmeicheln  dürfte,  väterlichen  Freund  Hofrath  H.  Kundrat, 
welcher,  selbst  der  hervorragendste  Schüler  Rokitansk  y’s,  das  An- 


22)  A.  Serejukow,  Dissertation.  Petersburg  1899,  citiit  Dach 
Archiv  für  Verdauungskrankheiten.  Bd.  IV,  pag.  387. 

22)  Akimo  w-P  e  r  e  t  z,  Wratsch.  1897 ;  citirt  nach  :  Bachmann, 
Archiv  für  Vi  rdauungskrankheiten.  Bd.  V,  pag.  339. 

24)  Strauss  und  A 1  d  o  r,  Zeitschrift  für  diätetische  und  physi¬ 
kalische  Therapie.  1898,  Bd.  I,  pag.  117. 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1191 


sehen  und  die  hohe  Bedeutung  der  pathologischen  Wissenschaft  im 
Sinne  R  o  k  i  t  a  n  s  k  y’s  in  seiner  elfjährigen  Lehrthätigkeit  au  unserer 
Facultät  erhalten  und  gemehrt  hat;  dann  an  Prof.  Stricker, 
den  ich  stets  als  meinen  Gönner  verehren  durfte.  Er  hat  diese  Lehr¬ 
kanzel  creiren  geholfen,  hat  ihr  durch  30  Jahre  vorgestanden  und  ihr 
bereits  in  den  ersten  Jahren  ihres  Bestandes  einen  weit  über  die 
Grenzen  unseres  Vaterlandes  reichenden  Ruf  erworben;  ihm  dankt  die 
Facultät  den  ausgezeichnet  eingerichteten  Hörsaal,  der  ein  Muster  für 
zahlreiche  ähnliche  Einrichtungen  des  Auslandes  geworden  ist. 

Ich  gedenke  ferner  an  dieser  Stelle  mit  innigem  Danke  Prof. 
E  p  p  i  n  g  e  r’s,  dessen  Schüler  ich  allerdings  nur  kurze  Zeit  war,  eine 
Zeit  jedoch  —  es  war  in  dem  für  die  Geschichte  der  medicinisch- 
ätiologischen  Forschung  bedeutungsvollen  Jahre  1882,  dem  Jahre  der 
Entdeckung  des  Tuberkelbacillus  —  welche  hinreichte,  in  mir  ganz 
besonders  das  Interesse  für  die  ätiologische  Forschung  zu  erwecken ; 
dasselbe  hielt  in  mir  an  und  beeinflusste  meine  Arbeitsrichtung  in  der 
Folge  so  weit,  dass  der  damals  gelegte  Keim  wohl  nicht  wenig  ent¬ 
scheidend  dafür  wurde,  dass  ich  mit  der  Führung  dieser  Lehrkanzel 
betraut  wurde. 

Eine  traurige  Pflicht  legt  mir  endlich  der  Lauf  der 
Dinge  auf,  der  es  so  häufig  will,  dass  die  Besitznahme  eines 
Lehrstuhles  mit  dem  Tode  seines  früheren  Besitzers  verbunden  ist. 
Hofrath  Knoll,  der  dieselbe  Lehrkanzel  in  Prag  seit  1879 
inne  hatte,  übernahm  dieselbe  vor  zwei  Jahren  und  nur  einige  Tage 
fehlen  von  dem  Jahrestage,  an  welchem  er  an  derselben  Stelle  eben¬ 
falls  die  Vorlesungen  eröffnete  und  für  seine  Auffassung  der  allge¬ 
meinen  und  experimentellen  Pathologie  mit  der  inneren  Ueberzeuaung 
uud  Entschiedenheit  eintrat,  die  ihm  eigen  war.  Ein  tückisches  Schick¬ 
sal  hat  seine  hiesige  Thätigkeit  jäh  unterbrochen,  kaum  dass  er  so 
lange  unter  uns  weilen  konnte,  um  sich  in  den  hiesigen  Wirkungs¬ 
kreis  hineinzuleben.  Ich  habe  Knoll  zuerst  als  Privatmann  kennen 
gelernt  und  bewunderte  neben  seinem  vornehmen  und  edlen  Sinn  die 
mit  seltener  Klarheit  in  der  Kenntniss  und  Beurtheilung  der  Verhält¬ 
nisse  verbundene  ideale  Liebe  zu  seinem  Vaterlande,  die  er  in  dem 
schweren  nationalen  Kampfe  seiner  Stammesgenossen,  durch  30  Jahre, 
meist  in  führender  Stellung,  mit  Leib  und  Seele  bethätigte;  ich  sym- 
pathisirte  mit  seinen  Anschauungen  sowohl  über  vergangene  politische 
Zeiten,  als  die  damals  bestandenen,  umsomehr,  als  so  reine  Motive,  und 
ehrliche  Kampfesweise,  wie  sie  in  Knoll  vereinigt  waren,  im  poli¬ 
tischen  Kampfe  nicht  immer  gepaart  zu  sein  pflegen.  Mir  sind  jene 
Stunden  gemeinsamer  Spaziergänge  und  harmlosen  Plauderns  stets  eine 
werthvolle  Erinnerung  geblieben. 

Seine  wissenschaftliche  Thätigkeit,  die  sich  hauptsächlich  auf 
dem  Gebiete  der  experimentellen  Physiologie  und  Pathologie  des  Kreis¬ 
laufes  bewegte,  war  eine  ungemein  intensive  —  zählt  man  doch 
62  wissenschaftliche  Arbeiten  von  ihm  selbst  und  52  seiner 
Schüler  und  Assistenten,  zu  denen  noch  19  Mittheilungen 
aus  der  von  ihm  geleiteten  propädeutischen  Klinik  kommen. 
Dieselbe  war  zugleich  bekannt  ob  ihrer  Gründlichkeit  und  Sorg¬ 
falt;  ein  grosser  Theil  seiner  Befunde  wird  einen  dauernden  Besitz  der 
Wissenschaft  bilden.  Auch  mit  morphologischen  Untersuchungen  hat 
er  sich  beschäftigt,  so  in  den  Arbeiten  über  die  Anatomie  und  Phy¬ 
siologie  des  quergestreiften  Muskels;  er  berührte  dabei  das  ver¬ 
gleichend-anatomische  Gebiet,  von  dem  er  sich  mit  Recht  Ausblicke 
für  das  pathologische  Gebiet  erwartete.  Ich  kann  an  dieser  Stelle  nur 
die  Worte,  welche  sein  einstiger  erster  Assistent  und  hervorragender 
Schüler,  Prof.  L  ö  w  i  t,  ihm  nachgerufen,  wiederholen:  Er  verdient  es 
mit  vollem  Rechte,  der  reifen  akademischen  Jugend  als  ein  Mann,  lauter 
wie  Gold,  als  ein  Mann,  der  seinen  hohen  Idealen  in  allen  Lebenslagen 
treu  geblieben  ist  und  als  ein  Akademiker  in  des  Wortes  vollster  Be¬ 
deutung  als  leuchtendes  Beispiel  vorangestellt  zu  werden.  — 

* 

Die  Pathologie  umfasst,  ganz  allgemein  gesprochen,  die  Lehre 
vom  kranken  Körper,  und  zwar  sowohl  vom  Baue  und  den  Functionen 
des  kranken  Körpers,  als  auch  von  den  Ursachen  und  Bedingungen,  aus 
welchen  die  krankhaften  Störungen  hervorgehen;  sie  hat  den  Zu¬ 
sammenhang  zwischen  den  Krankheitsursachen  und  den  elementaren 
Formen  der  krankhaften  Zustände  zu  entwickeln. 

Ursprünglich  bestand  die  allgemeine  Pathologie,  welche  von 
jeher  einen  Unterrichts-  und  Prüfungsgegenstand  an  unseren  Facul- 
täten  bildeten  —  allerdings  in  Verbindung  mit  der  Materia  medica, 
in  einer  Zusammenfassung  der  bei  den  verschiedensten  Krankheiten 
sich  wiederholenden  Symptome  und  bei  der  Erkrankung  verschiedener 
Organe  und  Gewebe  ebenfalls  wiederkehrenden  krankhaften  anato¬ 
mischen  oder  morphologischen  Veränderungen.  Zu  der  Zeit  gar,  in 
welcher  die  Medicin  noch  auf  speculativen,  den  jeweiligen  allgemein 
philosophischen  Theorien  entnommenen  Vorstellungen  aufgebaut  war, 
bildete  sie  den  nothwendigen,  sogenannten  wissenschaftlichen  Theil  der 
Meiicin  überhaupt,  gegenüber  der  rein  empirischen  ärztlichen  Thätigkeit. 


Seit  dem  Durchbruch  des  anatomischen  Gedankens  und  der 
Durcharbeitung  der  anatomischen  Veränderungen  als  Grundlage  der 
verschiedenen  Krankheiten,  bildete  jener  Theil  der  allgemeinen 
pathologisch-anatomischen  Veränderungen  einen  integrii  enden  Bestand  der 
allgemeinen  Pathologie.  Die  pathologische  Anatomie  begründete  die 
Medicin  als  Wissenschaft  und  Rokitansky  konnte  im  Jahre  1849 
sagen,  „dass  die  pathologische  Anatomie  die  Grundlage  nicht  nui- 
des  ärztlichen  Wissens,  sondern  auch  des  ärztlichen  Handelns  sein 
müsse,  ja  dass  sie  allein  enthalte,  was  es  an  positivem  Wissen 
und  an  Grundlage  zu  solchem  in  der  Medicin  gibt“.  Später  aber 
weist  Rokitansky  in  der  Einleitung  der  dritten  Auflage  soines 
Lehrbuches  (1855)  drauf  hin,  zu  welchen  Richtungen  der  Forschung 
die  allgemeine  pathologische  Anatomie  führe. 

Nachdem  er  die  Gestaltung  einer  allgemeinen  patho¬ 
logischen  Anatomie  entwickelt,  „so  wendet  sich“,  fährt  er  fort, 
„die  pathologische  Anatomie,  indem  sie  zunächst  ihre  Methode  der 
Beobachtung  und  Untersuchung  auf  den  lebenden  Körper  über¬ 
trägt  und  die  an  zugänglichen  Theilen  derselben  vorkommenden 
Störungen  einer  anatomischen  Beobachtung  und  Untersuchung  unter¬ 
zieht,  an  das  Experiment  und  begründet  eine  Experimental¬ 
pathologie  zu  dem  Zwecke,  um  Bestätigung,  Berichtigung  der  der 
anatomischen  Forschung  an  der  Leiche  entnommenen  Ansichten  und 
Lehrsätze  zu  erlangen,  d.  i.  im  Besonderen  namentlich:  a )  um  Auf¬ 
klärung  über  die  Bedingungen  des  Entstehens  und  Bestehens, 
der  Involution  bestimmter  anatomischer  Störungen  zu  er¬ 
halten,  l)  um  womöglich  die  Vorgänge  der  anormalen  organischen 
Bildung  selbst  von  ihrem  Beginne  an  zu  beobachten.“  Bezeichnen 
wir  diese  Ausführung  Rokitansky’s  über  die  Aufgabe  der  Experi¬ 
mentalpathologie  mit  einem  uns  geläufigen  Ausdruck,  so  ist  es  die 
A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  und  die  Pathogenese  der  pathologisch-anatomischen 
Veränderungen.  Virchow  streckte  die  Aufgabe  noch  weiter  und 
dehnte  sie  gleichzeitig  auch  auf  die  Genese  der  Krankheits¬ 
symptome  aus  und  sprach  in  diesem  Sinne  von  einer  patho¬ 
logischen  Physiologie. 

Rokitansky,  welcher  die  Einführung  der  experimentellen 
Forschung,  wie  aus  dem  Gesagten  hervorgeht,  als  einen  weiteren  Aus¬ 
bau  der  pathologischen  Anatomie  für  nothwendig  erachtete,  war  beim 
k.  k.  Unterrichtsministerium  in  seiner  Stellung  als  Faehconsulent  in 
der  Lage,  dies  durchzuführen.  Da  die  damals  bestandene  Vereinigung 
der  allgemeinen  Pathologie  mit  der  Pharmakologie  nothwendig  das 
erstere  Fach  gänzlich  brach  liegen  liess,  so  beantragte  er  die  Theilung 
dieser  Lehrkanzel  in  eine  für  Pharmakologie  und  in  eine  für  allgemeine 
Pathologie,  welche  gleichsam,  damit  ihr  eine  gewisse  Richtung  der 
Forschung  und  des  Unterrichtes  gegeben  sei,  den  Zusatz  „experimentelle 
Pathologie“  erhielt.  Stricker,  welcher  bereits  als  Extraordinarius 
ein  Institut  für  experimentelle  Pathologie  führte,  wurde  zum  Ordinarius 
für  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  ernannt. 

Da  weder  die  frühere  Lehrkanzel  für  allgemeine  Pathologie  und 
Materia  medica  noch  das  Institut  für  experimentelle  Pathologie  eine 
Klinik  hatte,  so  blieb  auch  die  neue  Lehrkanzel  ohne  irgend  welche 
organische  Verbindung  mit  der  Klinik  oder  dem  pathologisch-ana¬ 
tomischen  Institute.  Im  Laufe  der  Jahre  folgte  auch  an  den  anderen 
österreichischen  Universitäten  gelegentlich  der  sich  ergebenden  Neu¬ 
besetzung  die  Errichtung  zweier  Lehrkanzeln;  mit  Ausnahme  von  Prag 
blieb  auch  überall  die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  ohne 
einen  weiteren  Zusammenhang,  nur  in  Piag,  wo  bereits  früher  die  Vor¬ 
führung  von  Kranken  einen  Bestandtheil  des  Unterrichtes  in  der 
allgemeinen  Pathologie  bildete,  blieb  auch  der  neuen  Lehrkanzel  ein 
solcher  Zusammenhang  erhalten,  indem  zu  derselben  eine  propädeutische 
Klinik  gehörte. 

In  Deutschland  wurde  und  wird  noch  im  Sinne  Rokitansk  y’s 
uud  V  i  r  c  h  o  w’s  die  allgemeine  Pathologie  von  pathologischen  Ana¬ 
tomen  gelehrt;  nun  dürfen  wir  aber  nicht  vergessen,  dass  das  Ex¬ 
periment  an  sich,  als  ein  nothwendiger  Behelf  der  naturwissenschaft¬ 
lichen  Forschung  in  der  Medicin,  in  allen  Zweigen  der  Medicin,  vom 
Chirurgen  sowohl  als  vom  Internisten,  vom  pathologischen  Anatomen 
wie  vom  Pharmakologen  herangezogen  wurde,  und  mehr  oder  weniger 
intensiv  gepflegt  worden  ist.  Die  Pharmakologie  wurde  in  Deutschland 
zu  einem  direct  experimentellen  Fache,  Chirurgen  und  Internisten  be- 
theiiigten  sich  mit  den  Pathologen  an  den  experimentellen  Forschungen 
über  cardinale  Fragen  der  allgemeinen  Pathologie  wie  das  Fieber,  die 
Entzündung,  Regeneration,  Blutgerinnung  und  ihre  Folgen  etc.,  ganz 
abgesehen  davon,  dass  in  den  einzelnen  Diseiplinen  eine  ausgedehnte 
experimentelle  Untersuchung  und  Verfolgung  den  Fragen  des  Special¬ 
faches  zu  Theil  wurde.  Wo  immer  sich’s  um  eine  Frage  des 
„Werdens  der  pathologischen  Erscheinungen“  handelt,  wird  noth¬ 
wendig  das  Experiment  herangezogen  —  die  Fragestellung  gibt 
die  Klinik  oder  der  pathologische  Befund:  Dem  Internisten  Traube, 
dem  Chirurgen  Billroth,  wie  dem  pathologischen  Anatomen  C  o  h  n- 
heim  danken  wir  werthvolle  Beiträge  zur  allgemeinen  und  experi¬ 
mentellen  Pathologie. 


1192 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


Die  Trennung  der  medicinischen  Disciplinen  brachte  es  auch  mit 
sich,  dass  man,  wie  der  normalen  Anatomie  die  Physiologie  gegen¬ 
übersteht,  auch  der  pathologischen  Anatomie  eine  pathologische  Physio¬ 
logie  (experimentelle  Pathologie)  gegenüberstellen  möchte  und  sagte, 
„der  Anatom  könnte  allein  durch  seine  Methoden  die  Function  der 
Organe  und  Gewebe  nicht  ergründen,  letztere  lehrt  erst  die  LPhysiologie, 
so  sei  es  auch  mit  der  pathologischen  Anatomie  und  der  pathologischen 
Physiologie“.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  ich  nicht  glaube,  dass  in 
der  Medicin  bereits  so  wenig  encyklopädistischen  Sinnes  erhalten  sei, 
dass  wir  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  solche,  wie  ich  sie  nennen 
möchte,  traurige  Extreme  ziehen  müssten,  so  besteht  auch  bei  dieser 
Gegenüberstellung  ein  so  bedeutsamer  innerer  Unterschied,  dass  das 
tertium  eomparationis  nur  oberflächlich  besteht.  Wir  dürfen  nie  ver¬ 
gessen,  dass  der  normale  Zustand  der  Organe  und  Gewebe  ein  con- 
stanter  ist;  er  findet  seine  Entwicklung  im  fötalen  Leben  und  unter¬ 
liegt  dann  nur  den  Unterschieden  des  Wachsthums  und  der  Senescenz; 
für  den  grossen  Theil  des  Lebens  ist  er  als  ein  nahezu  constanter 
zu  betrachten  ;  die  pathologischen  Veränderungen  der  Organe  und  Gewebe 
sind  aber  in  der  Art,  in  der  Intensität,  in  der  Dauer  ausserordentlich 
mannigfaltig;  sie  erreichen  oft  in  kurzer  Zeit  einen  Höhepunkt, 
um  sich  dann  wieder  rückzubilden,  nur  bei  einer  kleinen  Anzahl  von 
krankhaften  Zuständen  (im  Gegensatz  zu  Krankheiten)  haben  sie 
einige  Constanz.  Diese  Mannigfaltigkeit  der  krankhaften  anatomischen 
Veränderungen  bedingt  nothwendig,  dass  der  Pathologe  auch  bezüglich 
der  functioneilen  Störung  dieselben  mit  in  den  Bereich  seiner 
Betrachtungen  zieht.  Unterlässt  er  dies,  beschäftigt  er  sich  nur  mit 
einzelnen  Symptomen,  so  entfernt  er  sich,  da  er  ausserdem  noch  am 
gesunden  Thier  sein  Experiment  anstellt,  immer  mehr  von  der 
Pathologie,  es  resultiren  physiologische  Experimente.  Das 
physiologische  Experiment  setzt  aber  zumeist  Ausfallserscheinungen 
oder  Reizerscheinungen;  denn  durch  Ausschaltung  von  Theilen  der 
Organe  oder  von  Organen  selbst,  durch  gewisse  mechanische,  elektrische 
etc.  Reize  an  Organen  und  Geweben  eruirt  ja  der  Physiologe  die 
Function  derselben,  sei  sie  eine  directe,  sei  sie  in  der  Betheiligung 
einer  Regulirungseinrichtung  u.  s.  w. 

Die  Abtragung  eines  motorischen  Centrums  im  Gehirne  hat  die 
entsprechende  Lähmung  zu  Folge;  diese  Thatsache  kann  die  Patho¬ 
logie  aus  der  Physiologie  übernehmen,  sowie  sie  die  Kenntniss  vom 
Verlaufe  dieses  oder  jenes  Nerven  aus  der  Anatomie  schöpft.  Da¬ 
durch,  dass  das  Experiment  ein  Symptom  zur  Folge  hat,  welches 
krankhaft  ist,  wird  es  noch  kein  pathologisches,  auch  dann  nicht, 
wenn  das  Experiment  aus  einer  Anregung  von  pathologischem  Gebiete 
her  entstanden  ist  —  ebensowenig  als  der  Physiologe  mit  einem  solchen 
Experimente  zum  Pathologen  wird ;  er  liefert  aber  ein  für  die  Pathologie 
direct  verwerthbares  Experiment. 

Viele  Experimente  auf  dem  Gebiete  der  Physiologie  verhalten 
sich  in  dieser  Weise.  Nun  darf  nicht  vergessen  werden,  dass  die 
Physiologie  es  war,  welche  in  consequenter  Weise  das  Thierexperiment 
einführte,  dass  C.  Ludwig  die  vivisectorische  Technik,  die  Methoden 
der  Untersuchung  etc.  ausbaute,  dass  anderseits  die  experimentelle  Ver¬ 
arbeitung  pathologischen  Materiales  auch  nur  unbelebte  Krankheits¬ 
ursachen,  wie  mechanische,  thermische,  elektrische  Einwirkungen  kannte, 
also  dieselben  „Reize“  wie  die  Physiologie  gebrauchte  —  so  musste  sich 
die  experimentelle  Pathologie,  zudem,  wenn  sie  von  jedem  organischen 
Zusammenhang  mit  der  menschlichen  Pathologie  abgetrennt  ist,  zur 
experimentellen  Physiologie  entwickeln.  Stricker  hatte 
daher  für  sich  und  seine  Zeit  Recht,  experimentelle  Patho¬ 
logie  und  experimentelle  Physiologie  als  nahezu  identische  Ge¬ 
biete  zu  bezeichnen.  Seit  damals  hat  sich  jedoch  die  Medicin 
ganz  ausserordentlich  geändert;  Wenn  wir  auf  dieselbe  in  der 
ersten  Hälfte  des  eben  scheidenden  Jahrhunderts  zurückblicken,  so 
wurde  damals,  wie  bekannt,  erst  ihre  Grundlage,  die  pathologische 
Anatomie,  geschaffen  und  stand  die  Medicin  unter  ihrem  Einfluss  und 
dem  der  neu  entwickelten  physikalischen  Untersuchungsmethoden;  dann 
folgte  die  Zeit,  in  welcher  durch  die  Heranziehung  des  Experimentes, 
die  Vertiefung  der  anatomischen  Zergliederung  als  pathologische  Histo¬ 
logie  und  die  Entwicklung  der  pathologischen  Chemie  die  Pathogenese 
der  krankhaften  Processe  besonders  gefördert  wurde;  in  den  letzten 
Decennien  hat  die  Aetiologie,  das  Ziel  der  anatomischen  Forschung 
unserer  Grossväter  einen  ausserordentlichen  Aufschwung  genommen; 
ich  erinnere  hiebei,  dass  Rokitansky  in  der  Widmung,  die  er  auf 
dieses  Haus  schrieb:  „indagandis  sedibus  et  causis  morborum“,  in  wel¬ 
chem  neben  der  ehrwürdigen  pathologischen  Anatomie  ihre  jüngeren 
Schwestern,  die  experimentelle  Pathologie  und  die  pathologische 
Chemie,  ihr  Heim  fanden  —  das  Ziel  der  pathologischen  Forschung 
bereits  für  die  Zukunft  kennzeichnete. 

Wo  die  Wissenschaft  diesen  Weg  gegangen  ist,  ist  es  natürlich, 
dass  auch  der  Unterricht  ihm  folgen  musste,  zudem  dieser  Weg  zu 
ausserordentlichen,  vor  20  Jahren  nicht  geahnten  Fortschritten  geführt 
hat.  Die  Bedeutung  der  Aetiologie  wurde  zu  allen  Zeiten  anerkannt. 


nur  hinderte  die  Unkenntniss  derselben  die  wissenschaftliche  Bearbeitung. 
C  o  h  n  h  e  i  m,  dessen  scharfem  Blick  und  ausgezeichneter  anatomischen 
Beobachtungsgabe  die  infectiöse  Natur  des  Tuberkels  nicht  entgangen 
war,  konnte  die  Bedeutung  der  Aetiologie,  und  zwar  der  äusseren 
Krankheitsursachen  nicht  prägnanter  hervorheben  als  indem  er  darauf 
aufmerksam  machte,  wie  viele  der  späteren  krankhaften  Zustände  —  er 
führt  als  Beispiel  den  Herzklappenfehler  mit  consecutiver  Thrombose 
und  Embolie  an  —  auch  auf  seinerzeitige  acute  Erkrankungen  aus 
infectiösen  Ursachen  zurückzuführen  seien.  Er  betont  auch  an  derselben 
Stelle:  „Ein  volles  Verständniss  der  Krankheiten  ist  selbstverständlich 
undenkbar  ohne  Kenntniss  ihrer  Ursachen“  und  fährt  fort: 
„Aber  so  bedeutsam  dieser  Theil  der  allgemeinen  Pathologie  auch  sein 
mag,  so  viel  fehlt  daran,  dass  derselbe  ein  wirklich  wissenschaft¬ 
liches  Gewand  trägt.“  „Sehen  Sie  sich  den  Abschnitt  über  allgemeine 
Aetiologie“,  ruft  er  aus  „in  unseren  gebräuchlichsten  Lehrbüchern  an, 
was  darin  Alles  behandelt  wird !  vom  Temperament  bis  zu  den  Betten, 
von  der  Luftelektricität  bis  zum  Schimmel  und  den  Flöhen,  von  der 
Erblichkeit  bis  zu  den  Getränken  —  kann  es  etwas  Heterogeneres, 
Unzusam menhängenderes  geben?“ 

Von  Krankheitserregern  waren  damals  nur  der  Milzbrand¬ 
bacillus  und  die  Spirochäte  des  Rückfallfiebers  bekannt;  die  Rein- 
cultur,  welche  das  exacte  Experiment  überhaupt,  sowie  das  fortlaufende 
Laboratoriumsexperiment  erst  ermöglicht  hat,  war  damals  noch  un¬ 
bekannt. 

Seit  den  23  Jahren,  als  jene  Zeilen  niedergeschrieben  worden 
sind,  hat  sich  dies  wesentlich  geändert,  so  geändert,  dass  man  die 
bestimmte  Ueberzeugung  aussprechen  kann:  würde  Cohn  heim 
jetzt  eine  allgemeine  Pathologie  schreiben,  so  würde  er  die  Aetiologie 
an  die  Spitze  des  Buches  stellen.  Die  veränderte  Sachlage  ist  nun 
nicht  sofort  mit  den  Entdeckungen  niedrigster  Lebewesen  als  der  Er¬ 
reger  verschiedener  Krankheiten  gegeben  gewesen ;  noch  in  der  Epoche 
hätte  die  eingehende  systematische  Erörterung  der  parasitischen  Thiere 
der  Zoologie  und  der  parasitischen  Pflanzen  der  Botanik  überlassen 
bleiben  können,  wie  C  o  h  n  h  e  i  m  damals  vorschlug,  und  die  patho¬ 
logische  Anatomie  und  der  Kliniker  hätten  sich  mit  dem  diagnostischen 
Nachweis  derselben  begnügen  können;  an  der  Pathologie  wäre  es 
allerdings  bereits  gelegen  gewesen,  die  Art  der  Krankheitswirkung  zu 
erforschen,  die  Krankheitserscheinungen  mit  dem  Krankheitserreger  in 
Verbindung  zu  bringen.  Denn  bald  darnach  ergaben  die  Unter¬ 
suchungen  bei  der  Diphtherie,  dass  die  von  Koch  ursprünglich  ge¬ 
stellte  Forderung,  „dass  die  Bacterien  ausnahmslos  und  in  derartigen 
Verhältnissen  betreffs  ihrer  Menge  und  Vertheilung  nachgewiesen 
werden  müssen,  dass  die  Symptome  der  Krankheit  ihre  vollständige 
Erklärung  dadurch  finden“,  dass  diese  Forderung  nicht  mehr  auf¬ 
recht  zu  halten  war.  In  der  ersten  Choleraconferenz  stellte  Koch 
selbst  für  das  Verständniss  der  Cholera- Aetiologie  die  Entstehung 
eines  specifischen  Choleragiftes  auf,  welches  vom  Darm  aus  re- 
sorbirt  wird,  auf  den  Gesammtmechanismus  wirkt,  besonders  auf  die 
Circulationsorgane,  die  in  einen  lähmungsartigen  Zustand  versetzt 
werden,  so  dass  er  den  Symptomencomplex  des  eigentlichen  Cholera- 
Anfalles  als  eine  Vergiftung  bezeichnete. 

All  diese  positiven  Thatsachen  hatten  bereits  eine  grosse  Be¬ 
deutung  erlangt,  der  pathologische  Anatom  und  der  Kliniker  konnte 
sie  nicht  mehr  ignoriren;  die  biologischen  Eigenschaften  der  Krankheits¬ 
erreger  gaben  wichtige  Anhaltspunkte  für  die  Fragen  der  Infection, 
für  die  Epidemiologie  und  die  Prophylaxe.  C  o  h  n  h  e  i  m  hebt 
bereits  die  fundamentale  Thatsache  hervor,  dass  Koch  durch 
seine  Untersuchungen  über  den  Milzbrandbacillus  gezeigt  hat  (1877), 
dass  das  bis  dahin  supponirte  Milzbrand  Miasma  in  der  Milzbrand¬ 
spore  liege.  Es  war  klar,  dass  die  medicinische  Bacteriologie  nicht 
mehr  dem  Botaniker  überlassen  bleiben  könne,  sondern  der  Medicin 
einverleibt  werden  müsse.  Stricker  fühlte  auch  die  Aufgabe,  denn 
er  macht  in  der  Vorrede  seines  damals  erschienenen  Lehrbuches  eine 
diesbezügliche  Bemerkung,  wonach  er  fand,  als  ruhe  die  Lehre  noch 
nicht  auf  genügend  festem  Grunde,  um  sich  an  dem  Weiterbaue  zu 
betheiligen.  In  den  Irrthümern  der  vorausgegangenen  Jahrzehnte,  die 
Stricker  miterlebt,  und  im  Mangel  eines  eigenen  menschlichen 
Untersuchungsmateriales,  an  dem  er  nach  jeder  Richtung  Unter¬ 
suchungen  hätte  pflegen  können,  finde  ich  die  Erklärung.  Uebrigens 
erinnere  man  sich,  dass  zur  selben  Zeit  noch  auf  dem  Congresse  für 
interne  Medicin  in  Wiesbaden  gegen  die  Bacteriologie  der  Vorwurf 
erhoben  wurde,  dass  noch  kein  befruchtender  Gedanke  für  die  Medicin 
als  Heilkunst  von  ihr  ausgegangen  sei. 

Mit  Koch’s  Entdeckung  des  Tuberculins  setzt  eine  neue 
Etappe  ein;  wir  sehen  da  ein  ganz  ungeahntes  Ereigniss:  minimale 
Mengen,  1  mg,  von  dem  noch  fast  die  Hälfte  Glycerin  und  der  übrige 
Theil  noch  die  Substanzen  der  Nährlösung  daneben  enthält,  riefen, 
subcutan  injicirt,  ein  heftiges,  ein  und  mehrere  Tage  dauerndes, 
typisches  Fieber  hervor!  Ja  noch  mehr;  wir  lernten  an  dieser  That¬ 
sache  einen  augenfälligen  Unterschied  zwischen  dem  gesunden  und 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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dem  tuberculös  erkrankten  Menschen  kennen,  dessen  Erkrankung  so 
gering,  so  versteckt  sein  konnte,  dass  weder  physikalische  Methoden, 
noch  die  mikroskopische  Untersuchung  die  Erkrankung  uachweisen 
konnten.  Anhänger  der  Constitutionslehre  konnten  darin  auch  zum 
ersten  Mal  ein  objectives,  durch  ein  Experiment,  demonstrables 
Zeichen  für  das  Vorhandensein  einer  besonderen,  wenn  auch  durch 
bereits  erfolgte  minimale  Erkrankung  acquirirten  Constitution  fiuden. 
Kurz  darnach  lernten  wir  dem  Bacterienkörper  angehörigen  Eiweiss¬ 
substanzen  Materien  kennen,  welche  Lymphangioitis,  Lymphdrüsen- 
schwellung  und  typisches  Fieber  bis  40°  beim  Menschen  hervorzurufen 
im  Stande  waren. 

Diese  und  bereits  bekannte  Thatsachen  über  die  Wirkung  derlnfecte 
konnten  für  die  Lehre  von  der  Entzündung,  für  die  Theorie  des 
Fiebers,  zweier  Hauptthemen  der  allgemeinen  Pathologie,  nicht  ohne 
Einfluss  bleiben;  so  konnte  z.  B.  die  ziemlich  allgemein  acceptirte 
Theorie  Lieber  meiste  r  ’s  von  der  hohen  Bedeutung  der  Hyper¬ 
thermie  für  die  Symptome  des  Fiebers  nicht  mehr  gehalten  werden, 
und  die  experimentelle  Forschung  suchte  die  Wirkung  von  Infecten 
auf  das  Nervensystem,  besonders  den  vasomotorischen 
Apparat  und  den  Stoffwechsel,  festzustellen. 

In  rascher  Folge  wurden  dann  die  Veränderungen  des  Blutes 
und  der  Gewebssäfte  bekannt,  welche  bei  der  Heilung,  bei  der  natür¬ 
lich  oder  künstlich  erworbenen  Immunität  nach  gewissen  Infecten  ein- 
treten  und  darin  bestehen,  dass  autitoxische  oder  bactericide  und  noch 
andere  Substanzen  in  denselben  erscheinen,  welche  allein  nur  gegen 
die  entsprechenden  Krankheitsgifte,  respective  Krankheitserreger  wirk¬ 
sam  sind.  Mit  dieser  hochbedeutsamen  Erscheinung,  die  geeignet  ist, 
wie  ein  Lichtstrahl  das  bis  dahin  mystische  Dunkel  der  erworbenen 
Immunität  zu  erhellen,  tritt  für  die  Betrachtung  der  Infecte  ein  neues 
Moment  in  den  Vordergrund.  Musste  man  seit  der  Vertiefung  unserer 
Kenntnisse  von  den  mikrobiotischen  Krankheitserregern  zur  Vorstellung 
gelangen,  dass  die  Krankheit  einen  Kampf  zwischen  dem  befallenen 
Organismus  und  dem  Krankheitserreger  darstellt,  welche  Vorstellung 
in  der  Phagocytentheorie  Metschnikoff’s  am  schärfsten  zum  Aus¬ 
druck  kommt,  so  drängt  sich  diese  Vorstellung  bei  der  Thatsache, 
dass  der  Organismus  nicht  nur  mit  der  Mobilmachung  seiner  Roserve¬ 
kräfte  und  Regulirungs-  einrichtungen  die  Abwehr  besorgt,  sondern 
mit  neu  gebildeten  Substanzen  die  in  den  Säften  kreisenden  Gift¬ 
stoffe  paralysirt,  in  noch-  höherem  Masse  auf.  Damit  tritt  der  Krank¬ 
heitserreger  mit  dem  Mechanismus  der  Krankheitserregung  als  ein 
Complex  von  Erscheinungen  hervor,  der  über  das  hinausgeht,  was 
gewöhnlich  mit  „Parasitismus“  bezeichnet  wird;  abgesehen  davon, 
dass  der  Vorstellung  vom  Parasitismus  noch  immer  Etwas  anklebt 
von  der  seinerzeitigen  Annahme,  dass  primäre  Gewebsveränderungen 
erst  die  Ansiedlung  des  betreffenden  Mikroben  ermöglichen,  haftet 
ihm  auch  die  Vorstellung  der  rein  localistischen  Natur  der  Krankheit 
an;  wir  sind  aber  doch  davon  gänzlich  abgekommen,  in  der  Diphtherie 
nur  die  diphtheritische  Entzündung  des  Rachens  oder  Kehlkopfes,  im 
Choleraprocess  nur  eine  Enteritis  zu  sehen,  bei  welcher  die  durch  den 
Flüssigkeitsverlust  entstandene  Eindickung  des  Blutes  die  Allgemein¬ 
erscheinungen  hervorruft.  Konnte  man  früher  eine  Arsen-,  eine  Colo- 
quinteuvergiftung  in  gewisse  Analogie  mit  der  Cholerakrankheit 
stellen,  so  müssen  wir  jetzt  auf  Grund  der  Bildung  specifischer  nur  auf 
den  Krankheitserreger  einwirkender  Substanzen  den  Choleraprocess 
als  einen  ganz  besonderen  hinstellen;  damit  gelangen  wir  bei  den  In- 
fectionskrankheiten  wieder  zu  einer  Art  ontologischen  Auf¬ 
fassung  der  Krankheit.  Atich  dadurch,  dass  unser  therapeutisches 
Handeln  bei  dieser  Krankheiten  in  einem  directen  Eingreifen  in  den 
Mechanismus  der  Krankheitswirkung  besteht,  gewinnt  der  specifische  Krank¬ 
heitserreger  als  solcher  eine  höhere  Bedeutung;  derselbe  und  der  von 
ihm  bedingte  Mechanismus  der  Krankheitserzeugung,  tritt  für  den 
Arzt  nach  allen  Seiten  in  den  Vordergrund,  für  die  Diagnose  sowohl, 
als  für  Therapie  und  Prophylaxis,  und  wir  thäten  recht,  statt  von 
„Parasiten“  von  „Krankheitserregern“  zu  sprechen. 

Wie  aus  in  der  kurzen  historischen  Uebersicht  gegebenen  An¬ 
deutungen  hervorgeht,  hat  die  experimentelle  Bacteriologie  uns  früher 
gänzlich  unbekannte  Vorgänge  im  erkrankten  Organismus  kennen  ge¬ 
lehrt,  welche  mit  der  Heilung  und  der  erworbenen  Immunität  in  engem 
Connexe  stehen;  es  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass  damit  eine  directe 
Verbindung  zwischen  der  mikrobiotischen  Aetiologie  und  der  allge¬ 
meinen  Pathologie  gegeben  ist,  so  dass  ich  der  Anschauung  unbedingt 
nicht  zustimmen  kann,  dass  die  Aetiologie,  wo  es  sich  um  Ein¬ 
wirkungen  aus  der  Aussenwelt  handelt,  der  Hygiene  angehöre.  Meine 
Herren!  Ich  spreche  damit  nicht  pro  domo.  Ich  kann  das  Urtheil  eines 
ganz  objectiven,  fernstehenden,  hervorragenden  Gelehrten  (Hof¬ 
meister)  anführen,  der  in  einem  höchst  anerkennungsvollen,  von 
I reundesliebe  getragenen  Nekrologe  über  meinen  Vorgänger  sagt: 
„Angesichts  dieser  fruchtbaren  Thätigkeit  kann  man  sich  des  Bedauerns 
nicht  erwehren,  dass  er  ...  .  nicht  rechtzeitig  den  Versuch  machte, 
inzwischen  zugewachsene  Arbeitsrichtungen,  vor  Allem  die  Pathologie 


des  Stoffwechsels  und  die  A  e  t-i  o  1  o  g  i  e  der  Infections- 
krankheiten,  für  das  Lehrfach  der  experimentellen  Pathologie  zu 
gewinnen.“ 

Die  experimentelle  Pathologie  kann  aber  auch  bei  Krankheiten,  bei 
denen  wir  den  Erreger  noch  nicht  kennen,  zu  bedeutsamen  Resultaten 
führen,  wie  z.  B.  bei  der  Wuth;  ohne  dass  wir  den  Erreger  kennen, 
hat  man  auf  rein  experimentellem  Wege  eine  Schutzimpfung  kennen 
gelernt;  man  konnte  ferner,  wie  jüngste  Untersuchungen  in  der  hiesigen 
Anstalt  ergaben,  auch  die  Verhältnisse  der  Immunität  eruiren;  es  ergab 
sich  hiebei,  dass  bei  der  natürlichen  Immunität  das  Gift  sich  im  Central¬ 
nervensystem  halten  kann  und  eine  Zeit  lang  sich  nachweisen  lässt ; 
das  Serum  hat  keine  rabiciden  Eigenschaften ;  bei  der  erworbenen 
Immunität  wird  das  Gift  nicht  so,  wie  bei  empfänglichen  Thieren  in 
den  Nerven  nach  dem  Centrum  geleitet  und  das  Serum  der  künstlich 
immunen  Thiere  wirkt  rabicide. 

Allerdings  sind  die  experimentellen  Untersuchungen  hier  dadurch 
nur  ermöglicht,  dass  die  Thiere,  namentlich  die  Säugethiere,  für  das 
Wuthgift  empfänglich  sind.  Die  Unempfänglichkeit  der  Thiere  für 
eine  Anzahl  menschlicher  Erkrankungen  setzt  bisher  häufig  dem  Ex¬ 
periment  ein  unübersteigbares  Hinderniss;  wie  ein  moderner  Archimedes 
möchte  man  sagen:  Gib  mir  ein  für  Lues  empfängliches  Thier  und 
ich  schaffe  die  experimentelle  Pathologie  der  Syphilis,  und  vielleicht 
auch:  ich  schaffe  sie  selbst  aus  der  Welt. 

Die  Einbeziehung  der  Infectionskranklieiten  gewährt  ferner  die 
Möglichkeit,  dass  Sie,  meine  Herren,  mit  Krankheitsprocessen  vertraut 
werden,  die  Sie  während  Ihres  Studiums  zu  sehen  nie  Gelegenheit 
haben,  weil  sie  entweder  sehr  selten  Vorkommen,  wie  die  Wuth,  oder 
gar  nicht  Vorkommen,  wegen  ihrer  exotischen  Abstammung,  wie  Cholera, 
Pest,  denen  aber  ein  Jeder  von  Ihnen  später  doch  begegnen 
kann.  Daun  ist  Ihnen  aber  die  lvenntniss  derselben  direct  noth- 
weudig;  auch  sonst  halte  ich  eine  gewisse  sichere  Orientirung  in 
solchen  Fragen  für  die  allgemeine  Bildung  des  Arztes  für  unerlässlich. 
Bedenken  Sie,  gar  Mancher  von  Ihnen  kommt  in  Stellungen,  wo  er 
nicht  nur  in  einer  Gemeinde,  sondern  meilenweit  der  Einzige  ist,  der 
über  ein  positives  naturwissenschaftliches  Wissen  verfügt. 

Es  ist  ferner  damit  die  Gelegenheit  gegeben,  auf  die  Schutz¬ 
impfungen  und  die  Serumtherapie  einzugehen,  deren  Basis  in  der  Lehre 
von  der  erworbenen  Immunität  gegeben  ist.  Dieselben  haben  jetzt 
bereits  eine  solche  Wichtigkeit,  dass  jeder  Arzt  mit  ihren  experimen¬ 
tellen  Grundlagen  vertraut  sein  soll.  Wir  haben  auch  die  Hoffnung, 
dass,  wie  uns  die  Untersuchungen  über  die  Aetiologie  der  Infections- 
krankheiten  Licht  in  das  dunkle  Gebiet  der  Immunität  gebracht 
haben,  es  auch  gelingen  würde,  dem  zweiten,  so  lange  mystischen 
Begriffe  der  Disposition  näher  zu  treten. 

Ich  bin  kein  so  „eingefleischter“  Bacteriologe,  im  Krankheits¬ 
erreger  die  alleinige  Ursache  der  Krankheit  zu  suchen,  aber  ich 
kann  mich  auch  der  Auffassung  nicht  anschliessen,  im  Krankheits¬ 
erreger  nur  das  auslösende  Moment  für  eine  „Krankheitsanlage“  zu  sehen; 
dann  wäre  „Krankheitsaulage“  eine  innere  Krankheitsursache  und  wir 
hätten  in  der  „Disposition“  bereits  eine  Krankheitsursache.  Mit  dieser 
Vorstellung  wäre  der  Disposition  ein  überwältigender  Einfluss  gegeben, 
der,  so  weit  es  sich  um  „Seuchen“  handelt,  wohl  nicht  gerechtfertigt 
ist,  zudem  uns  bisher  die  natürliche  Disposition  auf  keinerlei  andere 
Weise,  in  keiner  physiologischen  Abweichung  erkennbar  ist;  wir  kennen 
sie  nur  aus  der  Empfänglichkeit  für  eine  Infection.  In  der  Consequenz 
kämen  wir  dahin,  bei  der  ausserordentlichen  Empfänglichkeit  des 
Menschengeschlechtes  für  gewisse  Krankheiten,  wie  z.  B.  Masern  oder 
die  Blattern,  fast  alle  Menschen  als  mit  Krankheitsanlagen  behaftet  zu 
bezeichnen.  Anders  würde  es  sich  bezüglich  der  erworbenen  Disposi¬ 
tion  verhalten  ;  so  weit  wir  solche  durch  so  grobe  Eingriffe  erzeugen, 
wie  es  das  Erwärmen  des  Frosches  oder  das  Abkühlen  des  Huhnes 
ist,  um  diese  natürlich  immunen  Thiere  für  die  Milzbrandinfection 
empfänglich  zu  machen,  besteht  für  mich  kein  Zweifel,  dass  wir  mit 
der  Steigerung,  respective  Erniederung  der  Eigenwärme  auch  solche 
Veränderungen  im  Stoffwechsel,  in  der  Circulation,  in  der  Osmose  etc. 
erzeugen,  dass  dieselben  au  sich  bereits  krankhafte  Zustände  bilden  ; 
beim  Menschen  kennen  wir  ähnliche,  erworbene  Dispositionen,  z.  B.  ist 
der  Diabetes  eine  solche.  Die  Verhältnisse  bezüglich  der  Disposition 
sind  noch  wenig  nach  dieser  Richtung  studirt ;  es  scheint  sich  aber 
ähnlich  zu  verhalten,  wie  bezüglich  der  Immunität,  wo  wir  die  ange¬ 
borene  von  der  erworbenen  trennen. 

Die  Aetiologie  der  Krankheiten  soll  nicht  nur  Gegenstand  des 
Unterrichtes  sein,  sondern  auch  eine  der  Hauptaufgaben  der  wissen¬ 
schaftlichen  Arbeit  des  Institutes  bilden  ;  namentlich  bezüglich  noch 
unbekannter  Infectionen  u.  A.  so  der  bösartigen  Geschwülste  :  viele  Forscher 
beschäftigt  diese  Frage,  deren  Lösung  von  ausserordentlicher  Trag¬ 
weite  für  die  Pathologie  wäre  und  doch  nur  auf  dem  Boden  des 
Experimentes  Lösung  finden  kann;  ich  bin  der  Ueberzeugung  dass  sich 
das  Institut  der  Mitarbeit  nicht  entziehen  darf. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


Aber  nicht  nur  die  mikrobiotische  Aetiologie,  sondern  auch  die 
Giftlehre  soll  wenigstens  in  den  Hauptzügen  und  im  Vergleich  mit  den 
Bacteriengiften,  deren  eingehende  experimentelle  Erforschung  auch 
für  jene  vielfach  anregend  gewirkt  hat,  entsprechende  Berücksichtigung 
erfahren.  Beide  Processe,  Infection  und  Intoxication,  geben  Gelegen¬ 
heit,  einerseits  auf  die  natürlichen  Abwehrvorkehrungen 
des  Organismus  in  der  Leistung  einzelner  Organe  und  Gewebe 
oder  des  Stoffwechsels  einzugehen,  andererseits  auch  die  React  ionen 
des  Organismus,  als  Entzündung,  Fieber,  gewisse  Degenerationen  etc. 
eingehend  zu  besprechen. 

Die  Krankheitsätiologie  wäre  aber  nur  eine  theilweise, 
wenn  nicht  ferner  die  Autointoxicationen,  namentlich 
die  in  Folge  Ausfall  entgiftender  Organfunctionen, 
welche  ja  auf  dem  Boden  des  Experimentes  überhaupt  erst  erkannt 
und  bekannt  wurden,  aber  auch  die  in  Folge  Insufficienz  von 
Organen  und  Regulationseinrichtungen,  die  in  Folge 
Resorption  enter  ogener  Gifte  u.  s.  w.  mit  einbezogen  werden 
würden.  Wir  haben  da  allerdings  Processe,  deren  Aetiologie  noch  nicht 
so  klargestellt  ist,  oder  nur  theilweise  festgelegt  ist,  es  würde  aber 
ihre  Vernachlässigung  die  Lehre  von  den  Krankheitsursachen  nicht 
völlig  erschöpfen;  andererseits  gibt  eine  entsprechende  Einbeziehung 
die  Gelegenheit,  experimentell  festgelegte  Thatsachen  von  Hypothesen  und 
Theorien  zu  unterscheiden.  Im  Allgemeinen  sei  an  dieser  Stelle  gleich¬ 
zeitig  bemerkt,  dass  die  Fixirung  der  thatsächlich  eruirten  Thatsachen, 
begründeter  oder  zwingender  Annahmen,  gegenüberäVermuthungen  und 
Möglichkeiten,  deren  es  ja  in  der  Medicin  so  viele  noch  gibt,  die  wie 
ein  Faden  sich  durch  die  Behandlung  des  gesammten  Lehrstoffes 
ziehen  sollen. 

Wie  Sie  aus  den  kurzen  Andeutungen  entnehmen  können,  gelingt 
es,  auf  dem  Boden  der  Aetiologie  eine  erkleckliche  Zahl  von  Krank¬ 
heiten  und  lvraukheitsvorgängen  zu  übersehen.  Ich  halte  eine  derartige 
Betrachtung  für  den  modernen  Arzt  für  höchst  erspriesslich. 

Ganz  abgesehen  von  dem  ausserordentlichen  Werth  für  die  ätio¬ 
logische  Therapie  und  für  die  Prophylaxis  schafft  die  exact  e 
Aetiologie,  das  ätiologische  Experiment,  Annahmen  und  Zweifel  etc. 
aus  der  Welt.  Für  die  Entstehung  der  Krankheiten  ohne  pathologisch¬ 
anatomischen  Befund  gab  und  gibt  e3  begreiflicher  Weise  reichlich  Ge¬ 
legenheit  für  eine  Menge  von  Anschauungen  und  Theorien.  Ich  er¬ 
innere  da  an  den  Tetanus;  ausser  der  beliebten  „Verkühlung“,  -„Zug¬ 
luft“  oder  heisser,  schwüler  Temperatur  waren  Nervenquetschungen, 
Nervenzerreissuugen  oder  Fremdkörper  beliebte  ätiologische  Momente 
für  die  Erkrankung.  Die  Kenntriss  des  giftproducirenden  Bacillus  hat 
dem  mit  einem  Male  ein  Ende  gemacht. 

Bis  in  die  Achtziger- Jahre  hinein  hat  es  z.  B.  Aerzte  gegeben, 
welche  die  Wuthkrankheit  überhaupt  leugneten;  wenn  man  auch  uicht 
Unrecht  hat,  die  Apostel  solcher  Lehren  als  geistig  abnorm  zu  be¬ 
zeichnen,  so  ist  es  immerhin  für  den  ärztlichen  Stand,  besonders  dem 
Laienpublicum  gegenüber,  sehr  misslich,  wenn  absolut  gegensätzliche 
Anschauungen  über  doch  für  jeden  Einsichtsvollen  typische  Krank¬ 
heiten  existiren.  Seit  man  die  Wuth  künstlich  immer  übertragen  kann, 
ist  es  unmöglich,  dass  jene  Anschauung  noch  vertreten  werden 
kann.  Hat  der  Staat  bei  derartigen  Krankheiten  allgemeine  prophy¬ 
laktische  Massregeln,  welche  als  Last,  als  Eingriff  in  die  Rechte 
des  Einzelindividuums  empfunden  werden,  eingeführt,  so  wird  das 
Urtheil  derartiger  Sachverständiger  von  der  Menge  nur  zu  gerne  als 
zum  Mindesten  gleichwertig  angeführt  und  die  bestehenden  Verschilften 
werden  eifrig  bekämpft.  Bei  der  Schutzimpfung  gegen  Blattern  sehen  wir 
diese  Erscheinung  noch  sozusagen  täglich.  Ich  habe  nun  die  feste 
Ueberzeugung,  dass,  wenn  der  Mediciner  bereits  Gelegenheit  hat,  der¬ 
artige  Experimente  am  Thier  bei  verschiedenen  anderen  Infections- 
krankheiten,  die  dem  Thierexperiment  zugänglich  sind,  zu  sehen  und  die 
Factoren  kennen  zu  lernen,  welche  hiebei  in  den  Geweben  und  Säften 
des  Körpers  thätig  sind,  dass  ihm  dann  die  Schutzimpfungen  so  ge¬ 
läufig  werden,  dass  er  nicht  mehr  den  Ehrgeiz  haben  wird,  eigene 
„originelle“  contradictorische  Ideen  zu  entwickeln,  sondern  dass  er  im 
Stande  sein  wird,  den  zweifelnden  Laien  aufzuklären  und  überzeugen 
zu  können. 

So  brachte  denn  dieser  wichtige  Theil  der  experimentellen  Pa¬ 
thologie  in  vielen  Krankheiten  absolute  Klärung  und  wurde  das  Ge¬ 
biet  der  Hypothesen  und  des  dunklen  Mysticismus  beträchtlich  eingeengt, 
ln  dieser  Hinsicht  trägt  die  Kenntniss  der  exacten  Aetiologie  viel 
zur  „Bildung“  des  Arztes  bei;  sie  schafft  Klarheit;  auch  löst  die 
ätiologische  Betrachtung  der  Krankheiten  eine  Reihe  von  Associationen 
aus,  die  sein  Handeln  wirksamer  und  entsprechender  gestalten  können, 
als  wenn  dieselben  nur  an  den  Krankheitssymptomen  haften. 

Wenn  nun  nach  meiner  Ueberzeugung  die  Aetiologie,  besonders 
der  Infectionskrankheiteu,  ein  weites  und  nutzbringendes  Arbeitsfeld 
der  allgemeinen  und  experimentellen  Pathologie  bilden  soll,  so  wären 
die  physiologischen  Untersuchungsmethoden  und  Experimente  deshalb 
nicht  zu  verdrängen. 


Wie  es  auf  dem  pathologisch-anatomischen  und  histologischen 
oder  dem  Gebiete  der  Chemie  häufig  nothwendig  wird,  selbst  den 
normalen,  entwücklungsgeschichtlichen  und  physiologischen  Verhältnissen 
nachzugehen,  so  ist  es  auch  auf  dem  pathologischen  Gebiete.  Ganz 
besonders  w’ünsclienswerth  erscheint  es  mir  aber,  in  Verbindung  mit 
den  Fortschritten  der  Krankheitsätiologie  experimentell  erzeugte  Krank¬ 
heiten  mit  Hilfe  der  physiologischen  Methoden  zu  analysiren.  Da  wir 
in  den  Stand  gesetzt  sind,  gewisse  Krankheiten  zu  erzeugen,  so  können 
wir  auch  den  Ablauf  gewisser  Functionen  und  Störungen  hiebei  ver¬ 
folgen.  Wir  haben  auch  auf  diesem  Gebiete  bereits  werthvolle  Unter¬ 
suchungen  zu  verzeichnen. 

Man  ist  im  Stande,  z.  B.  bei  der  Diphtherie  die  Giftmenge 
auszuwerthen,  bei  welcher  das  Thier  zu  einer  bestimmten  Zeit  zu  Grunde 
geht.  Man  kann  also  an  einem  solchen  Thiere  von  einer  gewissen  Zeit 
vor  dem  zu  erwartenden  Eintritt  der  Erscheinungen  die  Functionen 
des  Herzens,  der  Athmung  studiren;  sie  verhalten  sich  zunächst  normal; 
ganz  plötzlich  fängt  der  Blutdruck  an  zu  sinken,  die  Athmung  wird 
unregelmässig,  hört  unter  weiterem  Sinken  des  Blutdrucks  bald  gänzlich 
auf,  das  weiter  schlagende  Herz  stellt  aber  auch  bei  künstlicher  Re¬ 
spiration  sehr  bald  seine  Thätigkeit  ein.  Das  Experiment  erweist  also 
die  directe  Schädigung  des  Herzens  durch  das  Diphtheriegifr,  wenu 
auch  vorher  bereits  Lähmung  der  Vasomotoren  und  des  Athem- 
centrums  auftritt.  Das  Ricin  macht  auch  erst  nach  einer  gewissen  Zeit 
Störungen  der  Athmung  und  der  Circulation;  eine  ebensolche  Analyse 
zeigt  aber,  dass  hier  nach  Lähmung  derselben  Centren  das  Herz  bei 
künstlicher  Respiration  noch  wreiter  functionirt.  Unsere  Kenntniss  von 
Krankheitsursachen  setzt  uns  somit  in  den  Stand,  am  kranken  Thier 
den  Ablauf  und  die  Störung  der  Functionen  zu  verfolgen. 

Ich  erachte  es  aber  ferner  auch  als  wichtig,  die  experimentelle 
Pathologie  im  Sinne  Rokitansk  y’s  zu  fördern,  die  Pathogenese 
der  anatomisch-histologischen  Läsionen  experimentell  zu  verfolgen. 
Wenn  dieses  Feld  auch  bereits  viel  bebaut  ist,  so  ist  es  noch  lange 
nicht  ausgebaut.  Ich  erinnere  nur,  dass  das  Zustandekommen  mancher 
der  scheinbar  ganz  geläufigen  Zellveränderungen  durchaus  noch  nicht 
einwandfrei  erwiesen  ist;  so  bewegen  wir  uns  z.  B.  auf  dem  Gebiete 
der  sogenannten  Zell-  und  Gewebsdegenerationen  noch  immer  im 
V  i  r  c  h  o  w’schen  Schema,  welches  allerdings  Zuthaten  und  Erweite- 
rungen  erfahren  hat.  Um  nur  einzelne  Beispiele  anzuführen,  so  er¬ 
scheint  es  nach  den  neueren  Anschauungen  und  auch  experimentellen 
Untersuchungen  durchaus  nicht  gesichert,  dass  wir  zwischen  fettiger 
Degeneration  und  Fettinfiltration  in  der  gangbaren  Weise  zu  unterscheiden 
haben,  und  ist  es  kaum  abzuweisen,  dass  die  „trübe  Schwellung“  in  ihrem 
Wesen  und  ihrer  Würdigung  verschiedene  Processe  zusammenfasst; 
die  Genese  des  Amyloids,  der  verschiedenen  colloiden  und  hyalinen 
Substanzen  sind  ebensowenig  festgelegt.  Das  sind  nur  ein  paar  Bei¬ 
spiele;  es  Hessen  sich  deren  noch  viele  anführen.  Die  Verbindung 
mit  bestimmten  Krankheitsursachen  kann  da  unsere  Kenntnisse 
erweitern,  kann  vielleicht  auch  für  den  Anfang  und  Verlauf  gewisser 
Vorgänge  neue  Thatsachen  und  im  Verein  mit  der  Chemie  klare  Er- 
kenntniss  schaffen;  ich  erinnere  z.  B.  an  das  Auftreten  der  Amyloidose 
bei  gewissen  künstlichen  Immunisirungen  auch  ohne  Eiterungen. 

Ich  würde  auch  einen  derartigen  pathologisch-histologischen 
Unterricht,  welcher  neben  den  bei  den  Krankheiten  des  Menschen 
vorfindliclien,  auf  die  durch  bestimmte  Ursachen  experimentell  am 
Thier  erzeugten  Veränderungen  hinweist,  als  für  das  innere  Ver¬ 
ständnis  über  das  Auftreten,  die  Bedeutung  etc.  der  Läsionen  für 
sehr  erspriesslich  und  förderlich  betrachten. 

Die  morphologische  Untersuchung  sollte  selbstverständlich  auch 
das  bacteriologische  oder  überhaupt  ätiologische  Experiment  ebenso 
begleiten,  wie  sie  auch  trachten  soll,  für  die  constatirten  und  ana- 
lysirten  Functionsstörungen  das  Substrat  zu  finden,  ob  z.  B.  in  histo¬ 
logisch  nachweisbaren  Veränderungen  am  Herzen  oder  an  Ganglienzellen 
die  beobachtete  Functionsstörung  zu  erklären  sei.  Namentlich  gelte 
dies  auch  für  die  Stoff’wechselstörungen.  Leider  hat  die  Specialisirung 
der  Fächer  dahin  geführt,  dass  der  Experimentator  mit  der  Analyse 
der  Function  oder  der  chemischen  Untersuchung  befriedigt  ist.  Ein 
innigeres  Zusammenarbeiten  wäre  da  im  Interesse  des  wissenschaftlichen 
Fortschrittes  sehr  wünschenswert!],  und  will  ich  es  mir  zur  Aufgabe 
machen,  ein  derartiges  Zusammenarbeiten  so  viel  als  möglich  zu  fördern. 

Dass  es  endlich  noch  genug  in  ihrem  Wesen  dunkle  Ivrankheits- 
processe  gibt,  um  deren  Ergründung  sich  bereits  Generationen  vor  uns 
abgemüht  haben,  brauche  ich  wohl  nicht  des  Besonderen  zu  erwähnen, 
ich  erinnere  nur  an  die  Rachitis,  die  Gruppe  der  leukämischen  und 
pseudoleukämischen  Erkrankungen,  die  perniciöse  Anämie  u.  s.  w. 

Auch  auf  den  Begriff’  der  „Constitution“  will  ich  nicht  mehr 
eingehen. 

Natürlicher  Weise  soll  auch  die  Pathologie  der  Organsysteme 
nicht  verdrängt  xverden;  wenn  sie  vielleicht  auch  durch  Zuwachsen 
und  andere  Gruppirung  des  Lehrstoffes  nicht  in  allen  Theilen  eine  so 


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eingehende  Behandlung  erfahren  sollte,  wie  bisher,  so  wird  andererseits 
durch  die  Specialvorlesungen  eine  noch  intensivere  Vertiefung  ermöglicht 
werden. 

Ich  würde  die  Aufgabe  der  experimentellen  Pathologie  aber  noch 
nicht  erschöpft  haben,  wenn  ich  nicht  noch  darauf  aufmerksam  machen 
würde,  dass  ihre  experimentellen  Leistungen  nothwendig  auch  in  ge¬ 
wisser  Beziehung  mit  der  Therapie  Zusammenhängen. 

Es  erscheint  ja  an  sich  ganz  einleuchtend,  dass  Derjenige, 
welcher  die  Ursache  der  Krankheit  weiss,  den  Mechanismus  der  krank¬ 
haften  Störungen  verfolgt,  auch  die  Wege  und  Mittel  zur  Behebung 
wissen  soll.  Auch  hier  hat  die  Bacteriologie  erst  die  eigentliche  Basis 
geschaffen,  indem  sie  die  Gelegenheit  geboten  hat,  Krankheiten  zu  er¬ 
zeugen  und  die  Therapie  aufgefordert  hat,  die  Krankheiten  zu  be¬ 
handeln  und  zu  heilen.  Ich  erinnere,  dass  dem  Bekanntwerden 
bestimmter  Infectionen  auch  die  Versuche  einer  Therapie  in  Form  einer 
inneren  Desinfectiou  folgten;  diese  allerdings  naheliegende  aber  doch 
im  Lichte  unseres  jetzigen  Wissens  naive  Methode  war  resultatlos; 
das  Meerschweinchen,  dem  man  so  viel  Sublimat  einverleibt,  dass, 
aufs  Körpergewicht  berechnet,  die  Milzbrandbacillen  sicher  abgetödtet 
wären,  geht  an  der  Milzbrandinfection  zu  Grunde;  die  Vorstellung  von 
einer  Desinfection  der  Mundhöhle  oder  des  Darmcanales  musste  fallen 
gelassen  werden.  B  e  h  r  i  n  g’s  fundamentale  Entdeckung  der  ätiologi¬ 
schen  Therapie  hat  aber  auf  diesem  Wege  ihren  Ausgang  gefunden;  viele 
Mittel  versuchte  er,  um  die  experimentelle  Diphtherieerkrankung  der  Meer¬ 
schweinchen  zu  heilen ;  bis  auf  einige  Goldpräparate  und  das  Jodtrichlorid 
waren  alle  angewandten  chemischen  Substanzen  wirkungslos.  Bei  solchen 
Thieren,  welche  unter  Jodtrichlorid  die  Diphtherieerkrankuug  über¬ 
standen  hatten,  fand  er  den  immunisirenden  Effect  des  Blutserums. 

Eigen thümlicher  Weise  wurde  für  die  Therapie  im  Grossen  und 
Ganzen  das  Thierexperiment  selbst  in  der  Zeit,  wo  dasselbe  auf 
physiologischem  und  auch  auf  dem  pathologischen  Gebiete  eingebürgert 
war,  viel  zu  wenig  herangezogen.  Die  Geschichte  der  Transfusion, 
der  Tetanie  und  Kachexie  (Myxödem)  nach  Schilddrüsenexstirpationen, 
manche  Todesfälle  nach  Schlafmitteln  u.  dgl.  geben  hiefür  ein  Zeugniss. 
Den  Gegnern  des  Thierexperimentes  („Vivisection“)  könnte  man  nicht 
genug  Vorhalten,  wie  vielmals  im  Interesse  der  Menschheit  vtel  zu 
wenig  experimentirt  wurde  und  noch  wird.  Ein  neues  Heilmittel,  von 
dem  allenfalls  am  gesunden  Thier  keine  schädliche  Wirkung  con- 
statirt  worden  ist,  wird  ohne  Bedenken  am  kranken  Menschen  an¬ 
gewendet  und  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen:  wie  wenige  Fiebermittel 
sind  an  fiebernden  Thieren  geprüft  worden.  Auch  die  experimentelle 
Basis  der  Organotherapie  weist  viele  Lücken  auf. 

Sie  werden  aus  meinen  Auseinandersetzungen  entnommen  haben, 
dass  die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  einerseits  einen 
Ueberblick  über  das  jeweilige  positive  Wissen,  über  die  treibenden 
Gedanken,  über  die  Richtungen  der  Medicin  gibt ;  dass  sie  im  Be¬ 
sonderen  an  der  Hand  des  Experimentes  nicht  nur  die  Analyse  der 
Krankheitserscheinungen  erhebt,  sondern  dieselben  auch  mit  Rücksicht 
auf  die  Krankheitsursache  und  die  krankhafte  Störung  in  den 
Organen  und  Geweben  verfolgt;  sie  erklärt  die  Heilung  sowohl  als 
den  Tod  und  schafft  auf  diese  Weise  auch  die  Basis  einer  rationellen 
Therapie;  damit  wird  sie  zur  experimentellen  Medicin. 

Ich  muss  gestehen,  dass  ich  diese  Bezeichnung,  welche  in 
Frankreich  und  in  Russland  für  die  neuen  der  modernen  medicinischen, 
experimentellen  Forschung  gewidmeten  Institute  üblich  geworden  ist, 
als  die  passendste  betrachte ;  sie  deutet  zugleich  an,  dass  das  Fach 
nicht  enge  begrenzt  ist,  sondern  sich  auf  verschiedene  Gebiete  der 
Medicin  erstreckt,  und  dass  es  ferner  der  Medicin  als  Heilkunde  an¬ 
gehört  und  mit  ihr  in  einem  innigeren  Zusammenhänge  stehen  soll, 
nicht  aber  nur  eine  biologische  Wissenschaft  für  sich  bildet. 

Wenn  ich  diesen  Gegensatz  aufstelle,  so  bitte  ich  mich  nicht 
misszuverstehen,  es  ist  nicht  ein  Gegensatz  zur  Wissenschaft 
überhaupt,  sondern  ein  Gegensatz  zwischen  einer  naturwissen¬ 
schaftlichen  und  einer  im  engeren  Sinne  medicinischen 
Wissenschaft.  Die  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie  ist  nach 
meiner  Auffassung  eine  eminent  medicinische  Wissenschaft,  die  auch 
mit  der  ärztlichen  Kunst  in  einem  engen  Connexe  steht. 

Auch  in  unserer  Studieneintheilung  kommt  dies  zum  Ausdrucke, 
indem  sie  den  medicinischen  Fächern  eingereiht  ist  und  nicht,  als 
wäre  sie  experimentelle  Physiologie  ,  den  naturwissenschaftlichen 
Diciplinen  des  Vorstudiums  angehört. 

Der  Anschluss  an  die  medicinischen  Disciplinen  sollte  auch  in 
der  Organisation  der  Lehrkanzel  zum  Ausdruck  kommen;  nach  meiner 
Ueberzeugung  ist  es  schädlich,  dass  der  allgemeinen  und  experimentellen 
Pathologie  weder  ein  Kranken-  noch  ein  Leichenmateriale  im  organischen 
Zusammenhänge  mit  einer  Krankenanstalt  zugesprochen  ist.  Mein  Vor¬ 
gänger  bemühte  sich,  analog  den  Prager  Einrichtungen,  eine  kleine 
klinische  Abtheilung  für  die  Lehrkanzel  zu  gewinnen.  Ich  hielte  es 
für  zweckmässiger,  dass  der  Lehrkanzel  ein  Sectionsmaterial  zur  Ver¬ 


fügung  stünde.  Ein  solches  ist  für  die  Erforschung  noch  vieler  dunkler, 
aber  der  experimentellen  Forschung  zugänglicher  Fragen  der  Kraukheits- 
ätiologie  nothwendig;  ich  erinnere  z.  B.  nur  an  die  bösartigen  Ge¬ 
schwülste,  ferner  für  die  Verfolgung  der  Veränderungen  des  Blutes, 
der  Gewebssäfte  bei  Infectionskrankheiten,  woran  sich  aller  Wahr¬ 
scheinlichkeit  noch  andere,  ähnliche  Vorgänge,  vielleicht  auch  bei 
anderen  Krankheiten  anschliessen  werden;  endlich  ist  für  die  patho¬ 
logische  Bacteriologie  selbst  ein  Leichenmaterial  ein  directes  Be- 
dürfniss. 

Das  Leichenmaterial  bietet  hiebei  den  grossen  Vorzug,  dass  es 
die  Basis  einer  gesicherten  Diagnose  gibt;  manche  Untersuchungen 
am  Lebenden  leiden  unter  dem  Mangel  einer  solchen  und  vertragen 
die  Controle  der  Leichenuntersuchung  nicht. 

Auch  für  die  Verfolgung  der  Forschungen  in  der  ätiologischen 
Therapie,  für  welche  die  experimentelle  Bacteriologie  Wege  weist, 
halte  ich  den  Rückhalt  an  ein  Leichenmaterial  sowohl  als  den 
organischen  Zusammenhang  mit  einer  Krankenanstalt  von  einer  ausser¬ 
ordentlichen  Bedeutung.  Der  Mangel  einer  derartigen  Organisation 
schneidet  dem  Institute  die  Betheiligung  an  diesen  für  die  praktische 
Medicin  höchst  wichtigen  therapeutischen  Bestrebungen  ab.  In  dieser 
Ueberzeugung  und  im  Interesse  für  Lehre  und  Forschung  wird  es 
stets  mein  Bestreben  sein,  in  einer  solchen  Verbindung  zu  verbleiben. 

Als  ein  augenscheinliches  Zeichen  dafür,  wie  sehr  die  moderne 
theoretische  Medicin  des  Anschlusses  an  eine  Krankenanstalt  bedarf, 
sei  das  Beispiel  des  erst  entstandenen  Institutes  für  experimentelle 
Medscin,  das  Institut  Pasteur  in  Paris  angeführt;  obwohl  dasselbe 
bis  auf  seine  Thätigkeit  als  Impfanstalt  gegen  Wuth  —  wobei  ausser 
dem  Institute  stehende  Aerzte  interveniren  —  ein  rein  theoretisches 
Institut  ist,  empfand  es  die  Nothwendigkeit  eines  Spitales  so  sehr, 
dass  es  aus  eigenen  Mitteln  ein  solches  errichtete,  welches,  für  die 
Aufnahme  von  Infectionskrankheiten  bestimmt,  zugleich  höchst  modern 
und  originell  eingerichtet  ist. 

Ich  selbst  hatte  wiederholt  Gelegenheit,  das  Urtheil  ausländischer- 
Fachcollegeu  zu  hören,  welche  den  Verband  von  Krankenanstalt, 
Prosectur,  bacteriologischem  Institut  und  serotherapeutischem  Institut, 
wie  es  dermalen  in  allerdings  kleinen  Verhältnissen  bei  der  k.  k. 
„Rudolf  Stiftung“  besteht,  als  ausserordentlich  entsprechend  rühmten. 

Begreiflicher  Weise  wird  aber  dies  Leichenmaterial  nicht  in 
pathologisch-anatomischer  Richtung  zur  Lehrthätigkeit  gehören,  denn 
darüber  bin  ich  auch  der  Anschauung,  dass  sich  pathologische 
Anatomie  und  experimentelle  Pathologie  als  akademische  Lehrthätigkeit 
nicht  mehr  in  einer  Person  vereinigen  lassen ;  insoferue  halte  ich  die 
Eintheilung  an  den  deutschen  Universitäten  nicht  für  empfehlens¬ 
wert!),  aber  den  Ausspruch  K  1  e  b  s’  halte  ich  dennoch  für  den  einzig 
richtigen:  „Mit  der  pathologischen  Anatomie  steht  die  allgemeine 
Pathologie  auf  dem  freundschaftlichsten  Fusse  und  in  den  allernächsten 
Beziehungen;  gleichwie  von  manchen  Zwillingschwestern  behauptet 
wird,  dass  sie  ohne  einander  nicht  leben  können,  so  ist  auch  in 
unserer  Wissenschaft  das  Gedeihen  und  die  Entwicklung  der  einen 
untrennbar  mit  der  anderen  verbunden.“ 

Ein  derartiges  Institut  für  allgemeine  und  experimentelle  Patho¬ 
logie  muss,  entsprechend  dem  Inhalte  der  Disciplin  als  experimentello 
Medicin,  gross  sein,  mit  wohl  eingerichteten  Laboratorien,  mit 
entsprechendem  Personale,  gut  eingerichteten  Thierstallungen  und 
einer  entsprechenden,  ausgiebigen  Dotation  ausgestattet  sein ;  da  ein 
Manu  über  die  gesammte  nothwendige  Detailausbildung  nicht  verfügen 
kann,  so  ergibt  sich  nothwendig  eine  Sectionseintheilung;  die  Leitung 
der  nicht  vom  Vorstande  selbst  geführten  Section  wäre  ira  Specialfach 
gut  ausgebildeten  Extraordinarien  oder  Adjuncten  zu  übertragen ;  da 
wären  zunächst  drei  Sectionen  zu  nennen:  für  experimentelle  Physio¬ 
logie,  für  die  pathogene  Mikrobiologie,  für  pathologische  Morphologie 
und  eventuell  eine  vierte  chemische  Section.  Die  Arbeitstheilung  wäre 
nur  scheinbar,  denn  gerade  sie  erlaubt  eininniges  Zusammenwirken,  so  dass 
eine  Bearbeitung  wissenschaftlicher  Fragen  in  allseitiger  Weise  möglich 
wird;  dementsprechend  würde  auch  der  Unterricht  von  einer  gewissen 
Einseitigkeit  freibleiben  und  andererseits  eine  Specialausbildung  dabei 
gefördert  bleiben. 

Meine  Herren!  Sie  werden  sich  nun  denken:  das  wäre  ja 
recht  schön,  aber  es  besteht  kein  derartiges  Institut  —  das  ist  nur 
Chimäre!  Nun,  meine  Herren,  ich  habe  die  sichere  Hoffnung,  wenn 
auch  nicht  Sie,  so  doch  eine  der  nächsten  Generationen  Studirender  in 
einem  derartigen  Institute  begrüssen  zu  können.  Unter  den  als  Ersatz 
für  die  zu  demolirende  Gewehrfabrik  zu  errichtenden  Neubauten  be¬ 
findet  sich  auch  ein  Gebäude  für  die  Hygiene;  in  demselben  Gebäude 
soll  auch  das  Institut  für  allgemeine  und  experimentelle  Pathologie 
eine  würdige  Unterkunft  finden.  Dort  wird  es  möglich  sein,  die  ver¬ 
schiedenen  Forschungszweige,  die  in  der  experimentellen  Pathologie 
zusammenreichen  in  der  eben  skizzirten  Weise  zu  etabliren.  Das  In¬ 
stitut  wird  eine  höchst  werthvolle  Erweiterung  durch  die  Angliederung 


1196 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


des  staatlichen  serotherapeutischen  Institutes  erfahren,  das  in  räum¬ 
licher  Verbindung  im  selbem  Gebäude  Platz  finden  wird.  Diese  An¬ 
gliederung  wird  für  beide  Tiieile  sehr  erspriesslieh  sein,  sowohl  für 
die  theoretische  Serumforschung,  als  auch  für  den  Unterricht. 

Ich  vertraue  auf  die  Zusage  einer  hohen  Regierung, 
die  sowohl  in  der  Ausgestaltung  der  medicinischen  Schulen  in  einer 
der  Neuzeit  entsprechenden  Weise  eifrig  bestrebt  ist,  als  auch  in  der 
Entwicklung  und  Förderung  der  sanitären  Einrichtungen  den  Fort¬ 
schritten  der  Wissenschaft  in  hervorragender  Weise  Rechnung  trägt; 
durch  ihre  Fürsorge  wird  jenes  Institut  für  experimentelle  Medicin, 
welches  mir  im  Geiste  vorschwebt,  zu  Stande  kommen.  Dasselbe  soll, 
ähnlich  denen  von  Paris  und  St.  Petersburg,  nicht  nur  eine  bei  uns 
bestehende  Lücke  ausfüllen,  sondern  es  soll  auch  ganz  wesentlich  den 
Unterricht  und  die  Forschung  in  der  experimentellen  Pathologie  in 
moderne  Bahnen  lenken-  es  wird,  hofle  ich,  in  einer  besseren  Zukunft 
ein  kostbarer  Schatz  unserer  medicinischen  Schule  und  damit  auch  eine 
Zierde  von  Wien  sein. 


Zusammenfassende  Darstellungen. 

Ueber  neuere  Mittel  zur  Säuglingsernährung. 

Zusammenfassende  Darstellung  von  Dr.  Julius  Zappert. 

Dem  Fortschritte  der  chemischen  Milchuntersuchung  und  dem 
zunehmenden  Ammenmangel  müssen  wir  die  Häufung  von  Ersatz- 

Ö  Ö 

Präparaten  für  die  Säuglingsernährung  in  den  letzten  zwei  Jahr¬ 
zehnten  zuschreiben;  erstere  schuf  Analysen,  welche  als  Grundlage 
für  die  Zubereitung  künstlicher  Milch  dienen  konnten,  letzterer 
zwang  auch  jene  Gesellschafts-  und  Aerztekreise,  die  bisher  streng 
an  der  Ammenernährung  festgehalten  hatten,  sich  der  künstlichen 
Säuglingskost  zuzuwenden  und  damit  zur  raschen  Verbreitung  der 
verschiedenen  Milchsurrogate  beizutragen.  Selbstverständlich  Hessen 
leistungsfähige  Molkereien  und  chemische  Fabriken  die  günstige 
Conjunctur  nicht  vorübergehen  und  überboten  sich,  angeregt  oder 
unterstützt  von  Aerzten,  darin,  die  Ergebnisse  des  Laboratoriums 
für  den  Grossbetrieb  zu  verwerthen. 

Es  ist  auf  diese  Weise  eine  solche  Menge  von  Milchsorten 
oder  anderweitigen  Mitteln  zur  Säuglingsernährung  entstanden,  dass 
es  dem  Praktiker  immer  schwerer  fällt,  sich  in  der  Fülle  des 
Gebotenen  zurecht  zu  finden  und  die  Verschiedenheiten  der  ihm 
zur  Verfügung  stehenden  Präparate  in  Erinnerung  zu  behalten.  Es 
ist  aber  auch  ebensowenig  erstaunlich,  wenn  sich  bereits  eine  Re¬ 
action  gegen  die  fabriksmässige  Milchpräparation  geltend  macht  und 
sich  lauter  denn  je  der  Wunsch  nach  dem  Selbststillen  der  Mütter 
oder  nach  Rückkehr  zu  den  einfachen  Verdünnungsmethoden  der 
Kuhmilch  erhebt. 

Mit  den  folgenden  Zeilen  soll  lediglich  beabsichtigt  sein,  die 
gebräuchlichsten  oder  theoretisch  bedeutsamsten  Mittel  zur  Säug¬ 
lingsernährung  in  möglichst  übersichtlicher  Darstellung  für  die 
Zwecke  des  praktischen  Arztes  aneinander  zu  reihen. 
Referent  hat  es  hiebei  vermieden,  für  das  eine  oder  andere  Prä¬ 
parat  Stellung  zu  nehmen,  um  einen  jeden  Verdacht  eines  anderen 
als  streng  wissenschaftlichen  Standpunktes  zu  vermeiden.  Ebenso 
wurde,  um  eine  überflüssige  Ausdehnung  dieser  Zusammenfassung 
hintanzuhalten,  auf  ausführliche  Literaturangaben  verzichtet  und 
hei  jedem  einzelnen  Mittel  nur  auf  eine  oder  einige  Arbeiten  hin¬ 
gewiesen,  aus  welchen  sich  der  Leser  leicht  des  Genaueren  über 
das  bestimmte  Präparat  orientiren  kann.  Nicht  unerwähnt  sei, 
dass  dem  Referenten  das  ausgezeichnete  Werk  B  i  e  d  e  r  t’s  über 
»Die  Kinderernährung  im  Säuglingsalter«,  welches  in  seiner  vierten 
umgearbeiteten  Auflage  (Stuttgart  1900,  Enke)  vorliegt,  vielfach  als 
Führer  gedient  hat.  *) 

Der  Ausgangspunkt  für  einen  grossen  Theil  der  zu  be¬ 
sprechenden  Mittel  bildet  die  Kuhmilch;  auch  für  solche 


')  Von  den  zahlreichen  zusammenfassenden  Darstellungen  über 
Säuglingsernährung  seien  —  abgesehen  von  den  für  Laien  bestimmten 
populär  gehaltenen  Aufsätzen  —  unter  Anderen  folgende  genannt : 

B  a  g  y  n  s  k  y,  Eulenburg’s  Real-Enoyklopädie  und  Dr.  Börner’s 
Bericht  über  die  Allgemeine  deutsche  Ausstellung  auf  dem  Gebiete  der 
Hygiene.  Bd.  I,  pag-,  246. 

Bendix,  Berliner  Klinik.  Berlin,  März  1900,  Fischer. 

Biedert,  Archiv  für  Kinderheilkunde.  1899,  Bd.  XXVn. 


Präparate,  die  nicht  durch  chemische  Beeinflussung  derselben  ent¬ 
standen  sind,  bietet  diese  vielfach  das  Vehikel,  durch  welches  die 
Zuführung  dieser  Producte  ermöglicht  wird.  2)  Auf  die  Unterschiede 
der  Kuhmilch  von  der  Frauenmilch  wurde  daher  von  Seiten  der 
Chemiker  das  Hauptstudium  gelenkt  und  die  bedeutendsten  Kinder¬ 
ärzte  haben  sich  im  Laboratorium  und  in  der  Praxis  mit  dieser 
Frage  beschäftigt.  Von  den  werthvollen  Ergebnissen  dieser  Forschung 
seien  hier  nur  drei  Punkte  hervorgehoben,  welche  bei  der  prakti¬ 
schen  Darstellung  der  Milchsurrogate  am  meisten  Berücksichtigung 
gefunden  haben. 

a )  Unterschied  in  der  quantitativen  Zusammensetzung: 

Eiweiss  Fett  Zucker  Salze 

in  Procenten 

Frauenmilch  .  .  U03  407  703  0’213) 

Kuhmilch  ...  30  34  4-5  0  7 4) 

Diese  neuesten  Analysen  der  Frauenmilch  unterscheiden  sich 
bedeutend  von  früheren,  welche  den  Eiweissgehalt  höher  berechnet 
haben;  dadurch  ist  natürlich  die  Grundlage  mancher,  nach  älteren 
Formeln  aufgebauter  künstlicher  Milchpräparate  beträchtlich  ver¬ 
schoben  worden. 

b)  Verhältniss  des  ungelösten  Eiweisses  (Gasein)  zum  gelösten 
(Albumin): 

Casein  Albumin 

in  Procenten 

Frauenmilch  .  .  .  U2  0'5 

Kuhmilch  ....  30  0'3 5). 

c)  Das  Casein  der  Frauenmilch  fällt  hei  der  Magengerinnung 
in  feinen  Flocken  aus,  während  die  Kuhmilch  in  groben  Gerinnseln 
sich  ausscheidet  (Bieder  t). 

Ausserdem  muss  bei  der  Darstellung  der  Säuglingsmilch  für 
möglichst  bacterielle  Reinheit  derselben  gesorgt  werden,  zu  welchem 
Zwecke  die  Milch  fast  immer  längere  Zeit  hindurch  höheren  Tem¬ 
peraturen  ausgesetzt  wird. 

Die  Mittel  zur  Säuglingsernährung  zerfallen  in  zwei  grosse 
Gruppen:  der  ersten  gehören  jene  Milchpräparate  an,  die  als  »fertige 
Ersatzmittel  der  Muttermilch«  in  den  Handel  kommen  und  aus 
präparirter,  eventuell  condensirter  Kuhmilch  bestehen;  auch  solche 
Milchzusätze,  deren  Beimengung  zur  Kuhmilch  erst  eine  nach  be¬ 
stimmten  Grundsätzen  veränderte  Säuglingsnahrung  ergeben,  sind 
in  diese  Gruppe  einzureihen.  Die  zweite  Gruppe  umfasst  die  als 
Kindermehle  bekannten,  festen  Nahrungsmittel,  welche  vorwiegend 
aus  Stärke  bestehen,  oder  aus  solcher  hervorgegangen  sind. 

I.  Gruppe:  Säuglingsmilchsorten. 

Ausgehend  von  den  —  oben  angeführten  —  Unterschieden 
zwischen  Frauen-  und  Kuhmilch  hat  man,  abgesehen  von  einem 
Zuckerzusatz,  nach  zwei  Richtungen  hin  versucht,  die  letztere 
durch  entsprechende  Präparirung  der  Muttermilch  ähnlicher  zu 
gestalten:  durch  Vermehrung  des  Fettgehaltes  in  der 
zur  quantitativen  Gleichstellung  der  Eiweissmenge  verdünnten  Kuh¬ 
milch  und  durch  Veränderung  der  Ei  weisskör  per  in 

Blauber  g,  Archiv  für  Hygiene.  1896,  Nr.  27. 

Czerny,  Allgemeine  medicinische  Ceutral-Zeitschrift.  1898,  Nr. 26  u.27. 

Epstein,  Verdauungsstörungen  im  Kindesalter.  Handbuch  der  prak¬ 
tischen  Medicin  von  Ebstein  und  Schwalbe. 

Fink  eis  tein,  Therapie  der  Gegenwart.  1899. 

v.  G  e  n  s  e  r,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1894,  Nr.  44. 

Heubner,  Verdauungsstörungen  im  Säuglingsalter.  Handbuch  von 
Penzoldt.  und  Stintzing.  Jena  1898,  Fischer. 

Heubner,  Zeitschrift  für  physikalische  und  diätetische  Therapie. 
Bd.  III,  Heft  1. 

Monti,  Wiener  Klinik.  Wien  und  Leipzig,  Urban  &  Schwar¬ 
zenberg. 

Schlesinger  Emil,  Therapeutische  Monatshefte.  1890,  1899. 

Schwab,  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899,  Nr.  23 
und  24. 

Stutzer,  Wey’s  Handbuch  der  Hygiene. 

Unger  L.,  Ueber  Kinderernährung  und  Diätetik.  Wien.  1893. 

")  Dass  auch  die  Milch  anderer  Thiere  (Ziege,  Stute,  Eselin)  immer 
wieder  lebhafte  Anpreisung  und  dort,  wo  es  die  localen  Bedingungen 
gestatten,  auch  erfolgreiche  Anwendung  findet,  soll  hier  nicht  weiter  aus¬ 
geführt  werden. 

3)  Heubner  (Hoffman  n),  Ernährung  des  Säuglings.  Handbuch 
von  Penzoldt  und  Stintzing. 

4)  Aus:  Bendix.  Säuglingsernährung.  Berlin,  Fischer. 

5)  Lehmann,  H  e  m  p  e  1,  Pflüger’s  Archiv.  Bd.  LVJ. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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derselben.  Zu  letzterem  Zwecke  hat  man  entweder  das  Milchcasein 
durch  Ausfüllung  oder  Ueberführung  in  lösliche  Eiweissstoffe  selbst 
beeinflusst,  oder  in  die  entsprechend  verdünnte  Milch  andere  Ei¬ 
weissstoffe  zugefügt.  Meist  wurde  bei  dem  chemischen  Verfahren 
der  Eiweissveränderung  auch  für  Rahmzusatz  Sorge  getragen,  so 
dass  die  hieher  gehörigen  Milchsorten  zugleich  auch  Präparate  mit 
Fettanreicherung  darstellen. 

A.  Reine  Fettmilchpräparate. 

1.  Bieder  t’s  Fettmilch.  Biedert  gebührt  das  Ver¬ 
dienst,  als  Erster  eine  Fettanreicherung  in  der  Kuhmilch  an¬ 
gestrebt  und  praktisch  durchgeführt  zu  haben.  Er  empfahl 
zuerst  das 

natürliche  Rahm  ge  men  ge:  l'/2 — 2  l  Vollmilch  lässt 
man  zwei  Stunden  lang  kühl  stehen  und  schöpft  hierauf  circa 
125— 200cm3  Rahm  von  der  Oberfläche  ab.  Mischt  man  l/sl 
dieses  Rahmes  mit  3/s  l  Wasser  und  gibt  18  Milchzucker  hinzu, 
so  erhält  man  Mischung  I  für  Neugeborene.  Durch  Zusatz  von 
V16,  y8,  y4>  3/8 1  gewöhnlicher  Milch  zu  dieser  Mischung  kann 

man  stärkere  Gemenge  für  weitere  Alterstufen  erlangen.  Da  diese 
einfachste  Art  der  Fettvermehrung  —  namentlich  in  Folge  der 
populär  gewordenen  Bacterienfurcht  —  nicht  allgemeine  Verbreitung 
gefunden  hat,  so  hat  Biedert  nach  demselben  Principe  ein 

künstliches  Rahmgemenge  anfertigen  lassen  (P  i  z- 
zala  und  Sauer  in  Zwingenburg),  eine  Conserve,  welche  in 
bequemer  Form  eine  Fettvermehrung  der  Milch  gestaltet  und 
möglichst  pilzfrei  gemacht  ist.  Es  lassen  sich  mit  diesem  künst¬ 
lichen  Rahmgemenge  eine  beliebige  Anzahl  von  Mischungen  dar¬ 
stellen,  die  nach  folgendem  Schema  zusammengesetzt  sind:  1  Löffel 
Conserve,  13  Löffel  Wasser,  2  +  n  Löffel  Milch.  Für  Mischung  I 
ist  n  =  0,  für  Mischung  II  ist  n  =  1,  für  Mischung  III  ist 
n  =  2  u.  s.  w.  Dividirt  man  die  Mischungsbenennung  mit  2,  so  erhält 
man  die  Monatsbezeichnung,  für  welche  die  Mischung  Minimal¬ 
nahrung  ist,  also  z.  B.  Mischung  VI  =  1  Löffel  Conserve,  13 1 
Wasser,  11  Milch  für  den  dritten  Monat  (Biedert). 

In  der  letzten  Zeit  wird  nach  B  i  e  d  e  r  t’s  Angaben  eine 
Biedert’sche  Kind  er  milch  im  Grossbetrieb  dargestellt 
und  in  sterilisirten  Flaschen  ins  Haus  geschickt  (P  r  i  m  a  v  e  s  i  &  Co. 
in  Wien,  Vogel  in  Strassburg,  Schneider  in  Mainz).  Es  kommen 
(in  Wien)  fünf  Sorten  in  den  Handel,  und  zwar:  Sorte  I  (blaue 
Etiquette)  für  Neugeborene;  II  (roth),  ersten  bis  zweiten  Monat; 
111  (grün),  zweiten  bis  dritten  Monat;  IV  (braun),  dritten  bis  fünften 
Monat;  V  (gelb),  fünften  bis  achten  Monat.  Das  Fläschchen  enthält 
Vs  h  die  Milch  ist  bereits  sterilisirt.  (Preis  pro  Fläschchen  10  h). 
Die  Zusammensetzung  von  I  II  (III)  dieser  B  i  e  d  e  r  t-Milch  ist: 
Casein  1*4  (1'8)%,  Fett  26  (2‘0)°/0,  Zucker  5%.  Das  Präparat 
steht  in  Wien  in  ausgebreiteter  Verwendung. 

Nach  dem  Muster  der  Bieder  t’schen  Conservenmilch  sind 
andere  Rahmconserven  hergestellt  und  zu  verwenden,  so  Löflund’s 
Rahmconserve  (Stuttgart),  die  statt  mit  Rohrzucker  mit  Maltose  an¬ 
gefertigt  ist,  Allenbury's  Nahrung  (Otto  Fürst  in  Hamburg), 
die  aus  eingedicktem,  in  Pulverform  übergeführtem  Rahm  besteht, 
die  Conserve  von  D  renk  ha  m  in  Bendorf,  Holstein,  B  o  1 1  e’s 
Dauerrahm  (Berlin). 

Näheres  über  Bieder  t-Milch  namentlich  in :  Biedert, 
Kinderernährung.  4.  Auflage,  pag.  195,  ferner:  H.  Neumann, 
Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898;  Therapie,  ßd.  XIX. 

2.  Gärtner’sFettmilc h.  Das  Princip  der  Fettvermehrung 
wird  bei  Zubereitung  dieses  Milchpräparates  in  höchst  einfacher 
Weise  durch  Centrifugiren  halb  mit  Wasser  verdünnter  Kuhmilch 
durchgeführt.  Man  erhält  dadurch  in  bestimmten  Theilen  des  Centri- 
fugalapparates  eine  Milch,  welche  Eiweiss  und  Zucker  in  demselben 
Masse  wie  die  halbverdünnte  Kuhmilch,  Fett  hingegen  in  grösserer 
Menge  besitzt,  da  dieses  bei  der  Rotation  am  raschesten  seinen 
Platz  wechselt.  Durch  entsprechenden  Milchzuckerzusatz  erhält  man 
eine  Milch  von  folgender  Zusammensetzung:  Casein  1'5%, 
Fett  31%,  Zucker  6%. 

Für  Neugeborene  kann  man  diese  Milch  noch  mit  einem 
Drittel  Wasser  verdünnen;  für  grössere  Säuglinge  (circa  sechsten 
bis  neunten  Monat)  hat  Gärtner  in  letzter  Zeit  eine  zweite 
eiweiss-  und  fettreichere  Nummer  seiner  Fettmilch  anfertigen  lassen. 
Die  Gärtner’sche  Fettmilch  wird  von  der  Steirischen  Milch¬ 


genossenschaft  in  Wien  zubereitet,  die  Fläschchen  enthalten  130, 
200  und  500  <7  Milch  und  kosten  10,  14  und  28  h. 

Die  Milch  ist  genügend  sterilisirt,  so  dass  ein  Aufwärmen  in 
heissem  Wasser  genügt.  Ihre  Verbreitung  verdankt  die  Gär  tn  er¬ 
sehe  Milch  namentlich  der  warmen  "Empfehlung  E  s  c  h  e  r  i  c  h’s. 
(Siehe :  Escherich  und  Gärtner,  Naturforscherversammlung 
Wien  1894,  Kindersection:  G  ä  r  t  n  er,  Wiener  medicinische  Wochen¬ 
schrift.  1896,  Nr.  23  ff.;  Th ie mich  und  Papiewski,  Jahr¬ 
buch  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XLI,  Stooss,  Correspondenzblalt 
für  Schweizer  Aerzte.  1896  etc.) 

3.  Lahmann’s  vegetabilische  Milch.  Dieses  Präparat 
ist  eine  Conserve,  welche  aus  fettreichen  Pflanzenstoffen  (Nüssen, 
Mandeln  etc.)  bereitet  ist.  Durch  Zusatz  desselben  zu  entsprechend 
verdünnter  Kuhmilch  erhält  man  eine  Fettvermehrung  in  der  Milch, 
so  dass  man  dieses  Gemisch  in  die  Gruppe  der  Fettmilchsorten 
einreihen  kann.  Angeblich  soll  auch  durch  Beimengung  der  vege¬ 
tabilischen  Milch  zur  Kuhmilch  die  Eiweissgerinnung  eine  fein¬ 
flockigere  werden.  Für  ein  neugeborenes  Kind  bis  inclusive  der 
sechsten  Woche  nimmt  man  einen  Theil  aufgekochter  Kuhmilch, 
drei  Theile  aufgekochten  Wassers,  in  dem  man  einen  gestrichenen 
Kaffeelöffel  vegetabilischer  Milch,  aus  der  Büchse  genommen,  auf¬ 
gelöst  hat.  Die  Menge  dieses  Zusatzes  der  vegetabilischen  Milch  bleibt 
auch  für  spätere  Altersstufen  dieselbe,  doch  variirt  die  Kuhmilch¬ 
menge  (bis  zum  vierten  Monate  ein  Theil  Kuhmilch  und  zwei 
Theile  Wässer  -f  Lahmann,  bis  zum  siebenten  Monate  gleiche 
Theile,  bis  zum  zehnten  Monate  zwei  Theile  Milch,  ein  Theil  Wasser 
+  Lah  mann,  später  pure  Kuhmilch).  Der  Preis  einer  Büchse  ist 
M.  1’50,  die  Gebrauchsdauer  einer  solchen  circa  eine  Woche. 
(Fabrication  bei  Hewel  &  Veithen  in  Köln.)  Trotz  günstiger 
Erfahrungen  (Dr.  Heinrich  H  o  r  n  e  f,  Internationale  klinische 
Rundschau.  1893,  Höck,  Wiener  Findelanstalt.  Wiener  medicinische 
Wochenschrift.  1896,  11  ff.)  tritt,  wenigstens  in  Wien,  die  Ver¬ 
wendung  dieses  Mittels  gegenüber  den  vorgenannten  zurück. 

B.  Milchpräparate  mit  Eiweissveränderung  (zumeist 

auch  mit  Fettanreicherung). 

Die  hieher  gehörigen  Milchpräparate  lassen  sich  in  solche 
scheiden,  bei  welchen  die  Eiweisskörper  der  Milch  selbst  chemisch 
verändert,  »vorverdaut«  werden  und  in  solche,  in  denen  fremd¬ 
artige,  leicht  lösliche  Eiweissstoffe  der  Milch  zugesetzt  sind. 

Ausserdem  müssen  auch  jene  fermentartigen  Zusätze  hier 
Erwähnung  finden,  durch  deren  Beimischung  das  Kuhmilchcasein 
erst  am  Orte  des  Gebrauches  in  gewünschter  Weise  chemisch  ver¬ 
ändert  werden  soll. 

Dass  diese  Eintheilung  nicht  allen  durchgeführten  Combi- 
nationen  gerecht  werden  kann,  wird  sich  bei  Besprechung  der  einzelnen 
Präparate  von  selbst  ergeben. 

a)  Präparate  ohne  Zusätze  fremdartiger  Eiweissstoffe. 

1 .  Säuglingsmilch  der  W  i  e  n  e  r  M  o  1  k  e  r  e  i  (Monti). 
Diese  Milchsorte  strebt  eine  Vorverdauung,  besonders  aber  eine 
Verminderung  des  Kuhcaseins  an.  In  einer  verlässlich  gewonnenen 
Vollmilch  wird  das  Kuhcasein  durch  Lab  ausgefällt,  respective  in 
kleinerer  Menge  gelöst.  Die  so  entstandene  Molke  wird  filtrirt  und 
mit  fettreicher  Vollmilch  gemischt.  Bei  Sorte  I  (bis  zum  fünften 
Monate)  werden  Molke  und  Milch  zu  gleichen  Theilen  gemengt, 
zur  Sorte  II  nimmt  man  zwei  Theile  Milch  und  einen  Theil  Molke; 
für  Neugeborene  empfiehlt  es  sich,  die  Sorte  I  noch  mit  einem 
Drittel  Wasser  zu  verdünnen.  Die  Milch  wird  auf  68 — 70°  erhitzt 
(pasteurisirt)  und  kommt  in  Fläschchen  zu  72,  1 1  in  den 

Handel  (Preis  pro  Liter  48  h).  Ein  nochmaliges  Abkochen  der  Milch 
ist  wünschenswerth,  dagegen  soll  ein  lang  dauerndes  Sterilisiren 
entfallen. 

Monti  gibt  folgende  Analyse  der  Säuglingsmilch:  Sorte  I 
(respective  II):  Casein  122  (1'61)%,  gelöstes  Eiweiss  1'0%, 
Fett  233  (3'11)%,  Zucker  45 — 5-0°/0,  Salze  0’7%-  Er  und 
sein  Schüler  (Monti,  Kinderkrankheiten  in  Einzeldarstellungen, 
Säuglingsernährung.  Wiener  Klinik.  1898,  Urban  &  Schwarzenberg; 
Heinrich  Wolf f,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  24) 
treten  lebhaft  für  diese  Säuglingsmilch  ein,  die  auch  P  a  s  s  i  n  i 
(Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XLIX)  in  geringer  Modification 
bei  frühgeborenen  Kindern  gute  Dienste  geleistet  hat.  Durch  die 
locale  Thätigkeit  der  Wiener  Molkerei  ist  dieses  Milchpräparat  fast 


1 1 08 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


ausschliesslich  nur  in  Wien  und  Umgebung  in  Verwendung  (die 
von  derselben  Firma  ausgegebene  »Kindermilch«  ist  eine  Vollmilch). 

2.  Voltmer’s  Muttermilch.  Die  Herstellung  dieser  Milch 
erfolgt  auf  die  Weise,  dass  zuerst  reiner  gekochter  Kuhmilch  de- 
stillirtes  Wasser,  Centrifugenrahm  und  Zucker  in  Quantitäten  zu¬ 
gesetzt  wird,  welche  der  erhaltenen  Mischung  die  durchschnittliche 
Zusammensetzung  reiner  Frauenmilch  verleiht.  Diesem  Gemisch 
wird  eine  kleine  Menge  kohlensauren  Kalis  und  ein  von  Voltmer 
dargestelltes  Verdauungsferment  zugesetzt  und  so  lange  einwirken 
lassen,  bis  der  grösste  Theil  des  Caseins  in  lösliche  Verbindungen 
übergeführt  ist.  Das  Alkali  wird  durch  l°/0ige  Phosphorsäure  zum 
Theil  neutralisirt  und  das  ganze  Gemenge  nochmals  zum  Sieden 
erhitzt.  Die  fertige  Milch  wird  entweder  in  Fläschchen  gefüllt  und 
trinkfertig  ausgegeben,  oder  sie  wird  auf  das  achtfache  Volumen 
eingedickt  und  als  Conserve  in  Blechdosen  verschickt.  Voltmer 
hat  vier  Abstufungen  seiner  Muttermich  hergestellt,  welche  durch¬ 
schnittlich  folgende  Zusammensetzung  haben:  Fett  2,5<70,  Ei- 
weiss  1  * 7 ö °/0 ,  Zucker  5 ' 7 1  °/0 ,  Mineralbestandtheile  0'4%.  Dieselbe 
ist  —  auch  in  den  Büchsen  —  als  keimfrei  zu  betrachten.  Die 
conservirte  Milch  kostet  M.  2  50;  mit  acht  Theilen  Wasser  ver¬ 
dünnt  gibt  dieselbe  4 1  Milch,  so  dass  sich  der  Liter  ungefähr  auf 
60  Pfg.  sielt.  Fabrication  bei  Voltmer  &  Lahrmann  in 
Altona.  In  begeisterter  Weise  ist  Drews  auf  der  Braunschweiger 
Naturforscherversammlung  (siehe:  Verhandlungen  der  Gesellschaft 
deutscher  Kinderärzte.  1897)  für  dieses  Präparat  eingetreten;  in 
Wien  ist  dasselbe  wenig  bekannt. 

3.  Backhaus-Milch.  Dieselbe  wird  in  folgender  Weise 
bereitet:  Zuerst  wird  die  von  verlässlich  gesunden  Kühen  stammende 
Milch  centrifugirt  und  somit,  ebenso  wie  bei  Gärtner,  in  Felt- 
und  Magermilch  getrennt.  Zur  Magermilch  wird  bei  40°  C.  ein  aus 
Lab,  Trypsin  und  Natr.  bicarb,  bestehendes  Ferment  zugesetzt.  Das 
Trypsin  bewirkt  hiebei  eine  Lösung  und  Peptonisirung  des  Gaseins, 
das  Lab  eine  Gerinnung  des  nicht  in  Lösung  übergegangenen 
Caseins.  Nach  einer  halben  Stunde  wird  das  Gemisch  auf  80° 
erhitzt,  filtrirt  und  mit  der  Hälfte  Wasser,  ein  Vierteltheil  Rahm 
und  Milchzucker  versetzt.  Dieses  Gemisch  wird  in  Fläschchen  gefüllt 
und  sterilisirt.  Die  so  erhaltene  Sorte  I  (Fläschchen  zu  125  und 
200  <7)  enthält  Gasein  0’6%,  Albumin  l°/0,  Fett  3%)  Milch¬ 
zucker  6%,  Salze  0'4°/0;  sie  ist  bis  zum  fünften  Monat  ver¬ 
wendbar.  Die  Sorte  II  (Fläschchen  zu  200  g)  entsteht  durch 
Mischung  der  präparirten  Magermilch  mit  der  Hälfte  Rahm  und 
entsprechender  Milchzuckermenge  (Fläschcheninhalt  200  cm 3)  und 
kann  bis  zu  Ende  des  achten  Monates  gegeben  werden.  Sorte  III 
(Fläschchen  zu  300  g)  endlich  ist  eine  Mengung  von  gleichen  Theilen 
der  Magermilch  und  Rahm,  also  eigentlich  eine  chemisch  veränderte 
Vollmilch. 

Ein  Sterilisiren  der  Fläschchen  ist  nicht  nolhwendig;  es 
genügt  die  Erwärmung  im  Wasserbad.  In  Wien  ist  durch  die 
Rührigkeit  der  Milchanstalt  in  Roth-Neusiedl  die  Backhaus¬ 
milch  vielfach  in  Verwendung  zum  Preise  von  10,  14,  16  h  pro 
Fläschchen;  in  Deutschland  ist  dieselbe  in  ausgedehnter  Ver¬ 
wendung. 

Gute  Resultate  erzielte  unter  Anderen  Kolisko  (Archiv  für 
Kinderheilkunde.  Bd.  XXVI),  Thiemich  (Jahrbuch  für  Kinder¬ 
heilkunde.  Bd.  XLIV),  Livius  Fürst  (Therapeutische  Monats¬ 
hefte  1899,  XIII),  Birin  ge  r  (Jahrbuch  für  Kinderheilkunde. 
Bd.  XLIX).  (Siehe  auch:  Festgabe  an  die  Mitglieder  der  Aachener 
Nalurforscherversammlung  von  Backhaus.  1900.) 

Die  beiden  letztgenannten  Milchsorten  kommen  in  Bezug  auf 
die  quantitativ-chemische  Zusammensetzung  der  Frauenmilch  sehr 
nahe;  vielleicht  wäre  gegen  dieselben  einzuwenden,  dass  die  compli- 
cirle  Herstellungsweise  diese  Milchsorten  von  der  ursprünglichen 
Beschaffenheit  der  natürlichen  Kuhmilch  ziemlich  weit  entfernt. 

b)  Präparate  mit  Zusatz  fremder  Eiweisskörper. 

Als  leicht  zugängliches,  bequemstes  Mittel  zur  Eiweisszufuhr 
kommt  das  Hühnerei  in  Verwendung.  Eine  Reihe  von  Verfahren 
zur  Bereitung  von  Kindermilch  beruhen  auf  Verwerthung  desselben. 

4.  Hempel-Lehmann’sche  Kind  er  milch.  In  1  l 
Kuhmilch,  die  so  verdünnt  und  centrifugirt  ist,  dass  sie  7 1  /-» 0 /o  Fett¬ 
gehalt  besitzt,  werden  105  g  Milchzucker  und  9  %  g  Hühnereiweiss 
zugesetzt.  Das  letztere  wird  gewonnen,  indem  das  Eiweiss  eines 
Lies  mit  vier  Esslöffeln  Wasser  vermischt  und  durch  Leinwand 


filtrirt  wird.  Bei  Zubereitung  und  Transport  der  Milch  ist  strengste 
Reinlichkeit  und  Kälte  nothwendig.  Je  nach  dem  Alter  des  Kindes 
kann  diese  Milch  mit  Wasser  verdünnt  werden,  wie  gewöhnliche 
Vollmilch. 

Dieses  Milchgemenge  darf  wegen  seines  Gehaltes  an  coagulir- 
barem  Hühnereiweiss  nicht  gekocht  werden.  II  e  m  p  e  1  sieht  in  der 
fehlenden  Sterilisation,  fussend  auf  neueren  bacteriologisch-chemi- 
schen  Versuchen,  einen  Vortheil  gegenüber  anderen  Milchpräparaten. 
(Hem  pel,  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1894,  Nr.  44.) 

5.  In  noch  einfacherer  Weise  würde  Knoepfelmacher’s 
Vorschlag  zur  Ausführung  gelangen.  Er  empfiehlt,  ein  frisches  Ei 
mit  y4 1  gekochtem,  kaltem  Wasser  zu  schütteln  und  einen  Theil 
dieser  Eilösung  mit  einer  nach  bestimmter  Angabe  verdünnten, 
sterilisirten  Milch  zu  mischen.  Abgesehen  von  den  organischen 
Substanzen  werden  dadurch  der  Kuhmilch  Phosphor-  und  Eisen- 
verhindungen  zugeführt,  die  bei  den  sonstigen  künstlichen  Milch¬ 
präparaten  ziemlich  vernachlässigt  werden.  (Verdauungsrückstände 
bei  der  Ernährung  mit  Kuhmilch.  Braumüller,  1898.) 

6.  Nicht  als  Milchsorte,  sondern  als  Zusatzpräparat  zur  Kuh¬ 
milch  ist  das  sogenannte  Hesse -Pfund’s  che  Eipulver 
zu  verwenden.  Dieses  wird  erzeugt,  indem  flüssiges  Eiweiss  (ganzes 
Ei)  und  eisenhaltiger  Milchzucker  mit  einander  verrieben  und  zu 
Pulverconsistenz  eingetrocknet  werden.  Ebenso  wie  beim  Hempel- 
L  e  h  m  a  n  n'schen  Verfahren  wird  ein  verdünnter  Rahm  hergestellt, 
der  in  y3  Z-Flaschen  sterilisirt  ins  Haus  geliefert  wird.  Vor  dem 
Trinken  wird  dieser  Rahm  gut  durchgeschüttelt,  erwärmt  und  mit 
dem  Eipulver  versetzt;  ein  Pulver  (=2‘3<7)  kommt  auf  50  g  Rahm. 

Eine  Aenderung  der  Milchzusammensetzung  für  verschiedene 
Altersstufen  hält  II  esse  nicht  für  nothwendig.  Seine  Erfahrungen 
mit  diesem  Mittel  lauten  recht  günstig.  (Hesse,  Verhandlungen 
der  Gesellschaft  für  Kinderheilkunde  in  Braunschweig  1897.  Wies¬ 
baden,  Bergmann;  und:  Therapeutische  Monatshefte.  1898.) 

Die  sub  4—6  angeführten  Präparate,  in  denen  die  Eiweiss¬ 
stoffe  des  Hühnereies  verwerthet  werden,  beruhen  zum  Theile  auf 
theoretischen  Grundlagen.  Sie  gewinnen  aber  dadurch  bei  der 
Säuglingsernährung  an  Bedeutung,  weil  das  bei  ihnen  verwendete 
Zusatzmittel,  das  Hühnerei,  leicht  zugänglich  ist  und  eine  ent¬ 
sprechende  Reinheit  der  der  Milch  beigemischten  Eiweisskörper 
garantirt.  °)  Ausgedehnte,  über  den  Wirkungskreis  des  Erzeugers 
gehende  Verwendung  hat  wohl  keines  dieser  Mittel  gefunden  und 
in  Wien  sind  sie  für  die  praktischen  Zwecke  der  Säuglingsernährung 
fast  unbekannt. 

In  den  folgenden  Mitteln  ist  der  Versuch  gemacht,  fabriks- 
mässig  erzeugte,  respective  modificirte  Eiweissstoffe  für  die  Säuglings¬ 
ernährung  nutzbar  zu  machen. 

7.  Den  ersten  diesbezüglichen  Versuch  stellt  die  A  1  b  u  m  ose- 
milch  Rieth’s  dar.  In  die  verdünnte,  mit  Rahm  und  Zucker 
versetzte  Kuhmilch  setzt  Rieth  einen  löslichen  Eiweissstoff  (Al- 
bumose)  zu,  welcher  aus  überhitztem  Hühnereiweiss  bereitet  wird 
und  beim  Kochen  nicht  gerinnt.  Die  so  fertiggestellte  Milch  ist  für 
Säuglinge  von  einigen  Tagen  bis  zu  mehreren  Monaten  geeignet; 
bei  älteren  Säuglingen  kann  man  sie  mit  gewöhnlicher  Vollmilch 
versetzen.  Trotzdem  Hauser  (Berliner  klinische  Wochenschrift. 
1893)  und  Hamburg  (Berliner  klinische  Wochenschrift.  1896, 
Nr.  33)  über  glänzende  Erfolge  berichten,  ist  das  Präparat  (nach 
Biedert)  heute  aufgegeben. 

Eine  Modification  der  Albu mosemilch  schlagen 
Schreiber  und  Waldvogel  (Göttingen)  vor,  welche  eine 
geringere  Menge  Albumose  zusetzen  wie  Rieth,  und  die  Milch 
in  drei  Sorten  herstellen  lassen.  Sie  streben  dadurch  in  erster  Linie 
eine  leichtere  Verdaulichkeit  des  Milchcaseins  an  und  vermeiden 
ausserdem  die  oft  abführende  Wirkung  des  R  i  e  t  h'schen  Productes. 
(Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1898,  Nr.  32.) 

8.  Die  in  den  letzten  Jahren  modern  gewordenen,  fabriks- 
mässig  erzeugten  Eiweisspräparate  hat  man  auch  für  die  Säuglings¬ 
ernährung  nutzbar  gemacht.  Es  muss  dahin  gestellt  bleiben,  ob 
dadurch  einem  thatsächlichen  Bedürfniss  entsprochen,  oder  nur  der 

e)  Eine  wichtige  Verwendung  findet  das  Hühnerei  auch  bei  dem 
namentlich  von  Demme  empfohlenen  Ei  weiss  wasser,  das  als  Ersatz 
jeder  anderen  Nahrung  bei  schweren  Darmkatarrhen  der  Säuglinge  dient. 
Es  wird  hiebei  ein  Hühnereiweiss  auf  circa  iji  l  Wasser  mit  drei  bis  vier 
Kaffeelöffeln  Zucker  angemacht;  selbstverständlich  darf  diese  Mischung 
|  nicht  gekocht  werden.  Bei  Besserung  des  Darmkatarrhes  kann  man  allmälig 
etwas  Milch  diesem  Gemisch  beisetzen. 


Nr.  bi 


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durch  eine  weit  verbreitete  Reclame  geschaffenen  Popularität 
mancher  dieser  Mittel  Rechnung  getragen  wurde. 

Der  meist  hohe  Preis  dieser  Producte  und  ihre  gelegentliche 
abführende  Wirkungsweise  stehen  derzeit  einer  ausgedehnten  Ver¬ 
wendung  bei  der  regelmässigen  Säuglingsernährung  im  Wege.  Bei 
Reconvalescenz,  Blutarmuth,  Schwäche  grösserer  Kinder  wird  den 
künstlichen  Eiweissproducten  eine  gute  Wirkung  zugeschrieben. 

Als  Typus  dieser  Zusammensetzung  sei  die  S  omato  se¬ 
in  ilch  angeführt,  die  am  meisten  Verwerthung  in  der  künstlichen 
Ernährung  der  Säuglinge  gefunden  hat.  Nach  Gold  mann  (Phar- 
maceutische  Zeitung.  1893)  wird  \  l  Kuhmilch  mit  730  cm3  Wasser, 
10-7  <7  Somatose,  46  0 g  Milchzucker  und  35'6  <7  Fett  (Rahm)  ver¬ 
setzt,  um  eine  brauchbare  Kindermilch  zu  erhalten.  Einfacher  ist 
die  Anwendungsweise  von  Wolf,  welcher  2g  Somatose  pro  Liter 
Wasser  gibt  und  diese  Somatoselösung  mit  Kuhmilch  in  der  dem 
Alter  entsprechenden  Weise  vermischt;  bei  älteren  Säuglingen  kann 
man  auch  4 g  Somatose  pro  Tag  und  mehr  gehen.  Wolf  (Allge¬ 
meine  mediciniscbe  Zeitung.  1896),  Schramm  (Archiv  für 
Kinderheilkunde.  Bd.  XXI)  u.  A. 

Ausser  der  Somatose  sind  noch  einige  der  fabriksmässig  her- 
gestellten  Eiweisspräparate  bei  der  Säuglingsernährung  verwendet 
worden  und  andere  werden  sicherlich  noch  zu  derselben  heran¬ 
gezogen  werden.  Eine  Aufzählung  solcher  Producte  an  dieser  Stelle 
scheint  überflüssig,  da  nach  Ansicht  des  Referenten  diese  Eiweiss¬ 
präparate  ja  doch  nur  eine  momentan  stark  verbreitete  Modesache 
darstellen  und  wohl  über  kurz  oder  lang  bis  auf  einige  wenige 
von  der  Bildfläche  verschwinden  werden. 

9.  Rose’s  künstliche  Milch.  Dass  nach  all  den  Ver¬ 
suchen,  die  Kuhmilch  durch  chemische  Umgestaltung  der  Frauen¬ 
milch  ähnlicher  zu  gestalten,  schliesslich  auch  der  Gedanke  auf¬ 
tauchte,  eine  »künstliche  Milch«  rein  synthetisch  ohne  Zuhilfe¬ 
nahme  der  Kuhmilch  darzustellen,  ist  nicht  erstaunlich.  Rose  hat 
eine  solche  aus  Eiweiss  (Kuhcasein),  Milchzucker,  Butterfett,  Salzen 
und  Wasser  zusammengesetzt.  Diese  Milch  kann  sterilisirt  werden 
und  soll  einen  süsslichen  Milchgeschmack  besitzen.  Ihrer 
chemischen  Beschaffenheit  nach  entspricht  sie  einer  Frauenmilch 
von  circa  drei  Wochen.  Die  Caseingerinnung  soll  eine  feinflockige, 
die  Pankreasverdauung  eine  besonders  rasche  sein.  Auch  mit 
diesem  Gemenge  wurden  Ernährungsversuche  mit  gutem  Erfolge 
durchgeführt.  (Meyer,  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1898, 
Nr.  19.) 

c)  Fermentative  Milchzusätze  zur  Eiweiss¬ 
verdauung. 

Am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  seien  noch  solche  Präparate 
kurz  erörtert,  deren  Zusatz  zur  Milch  keine  Vermehrung  der  Nähr¬ 
stoffe,  sondern  blos  eine  Vorverdauung  der  Eiweiskörper  bewirken. 
Bei  den  bisher  erwähnten  Mitteln  wurden  derartige  Fermente  oft 
in  Anwendung  gezogen,  um  im  Grossbetriebe  das  Milcheiweiss  zu 
verändern. 

Durch  die  Herstellung  dieser  Fermente  in  bequem  brauch¬ 
barer  Form  soll  auch  im  Hause  die  Möglichkeit  geboten  werden, 
derartige  chemische  Veränderungen  der  Kuhmilch  vorzunehmen. 

Das.  erste  derartige  Mittel  bestand  in  einem  Pankreasextract 
(E.  P  f  e  i  f  f  e  r).  Dauerndere  Anwendung  und  Empfehlung  hat  sich  je¬ 
doch  nur  Timpe’sausPankreatinundZucker  bestehendes 
Milchpulver  erworben.  Dasselbe  wird  in  der  Menge  von  einem  Viertel 
Theelöffel  der  Milch  zugesetzt  (zu  100  <7),  und  zwar  entweder  vor 
oder  nach  dem  Sterilisiren.  Mit  einem  Paket  zu  60  Pfennige 
kommt  man  fünf  Tage  aus.  Namentlich  bei  hartleibigen  Kindern 
soll  die  Anwendungsweise  eine  besonders  vortheilhafte  sein.  Besteht 
Neigung  zu  weichem  Stuhlgang,  so  empfiehlt  T  i  m  p  e  ein  cacao- 
haltiges  Milchpulver  (Literatur:  siehe  Brochure  von  Th.  Timp  e, 
Magdeburg).  Eine  ähnliche  Verwendung  hat  das  Papain  (Reuss), 
dreimal  täglich  04  g. 

II.  Gruppe.  Nährmehle. 

Wie  aus  den  eingangs  angegebenen  Analysen  der  Frauen- 
und  Kuhmilch  ersichtlich,  enthalten  beide  Milchsorten  ausser  Zucker 
keine  Kohlehydrate;  namentlich  fehlt  ihnen  ein  jeder  Inhalt  von 
Stärkesubstanzen  Thatsächlich  ist  ja  auch  die  Absonderung  des 
Speichels,  dem  bei  der  Verdauung  in  erster  Linie  die  Stärkemehl¬ 


umwandlung  zukommt,  in  den  frühesten  Altersstufen  eine  sehr 
geringe,  so  dass  die  Aerzte  darüber  völlig  einig  sind,  mehlhaltige 
Mittel  bei  der  Ernährung  in  den  ersten  Lebensmonaten  zu  ver¬ 
meiden. 

Ein  Theil  der  Nährmehle  sucht  nun  diesem  Uebelstande 
dadurch  abzuhelfen,  dass  die  Stärkesubstanzen  vorerst  chemisch 
beeinflusst  und  in  Dextrin,  respective  Zucker  umgewandelt  werden. 
Je  nach  dem  Grade  dieser  Veränderung  steigt  die  Verwendbarkeit 
dieser  Präparate  auch  für  Säuglinge  und  namentlich  bei  Darm¬ 
zuständen  haben  sich  einzelne  derselben  (Liebig’sche  Suppe, 
K  u  1  e  k  e,  T  h  e  i  n  h  a  r  d  t)  etc.  gut  bewährt.  Derartige  ausnahms¬ 
weise  Verwendungen  einzelner  Mehlproducte  ändern  aber  nichts  an 
der  Ihatsache,  dass  dauernde  Ernährungsversuche  mit  Stärke¬ 
substanzen  in  den  frühesten  Lebensperioden  nicht  angezeigt  sind, 
wenn  auch  die  meisten  Prospecte  solcher  Präparate  dieselben  als 
»Ersatz  der  Muttermilch«  anpreisen  und  Mischungsverhältnisse  für 
Neugeborene  angeben.  Brauchbarer  hingegen  sind  die  Nährmehle 
nach  dem  ersten  Halbjahre  und  zur  Entwöhnungszeit,  namentlich 
dadurch,  dass  sich  aus  ihnen  durch  Zusatz  von  Milch  und  Wasser 
fortschreitende  Concentrationen  von  einer  dünnen  Suppe  bis  zu 
einen  dicklichen  Brei  darstellen  lassen,  die  für  die  allmälige  Ge¬ 
wöhnung  der  Kinder  an  feste  Nahrung  von  hohem  Werthe  sind. 

Die  Nährmehle  lassen  sich  je  nach  der  Zubereitung  in  zwei 
Gruppen  scheiden,  die  milch  haltigen  und  die  einfach 
mehligen  Präparate.  Bei  den  ersteren,  die  unter  Heran¬ 
ziehung  von  Kuhmilch  hergestellt  werden,  sind  deren  Bestandtheile, 
namentlich  Fett  und  Eiweiss,  im  fertigen  Nährmehle  vorhanden. 
Mit  Wasser  angemacht,  geben  diese  Producte  Süppchen  von  ge¬ 
nügendem  Nährwerthe,  um  bei  grösseren  Säuglingen  die  Milch  zum 
T  heile  ersetzen  zu  können;  selbstverständlich  bieten  sie  auch  als 
Milchzusatz  nahrhafte  Mischungen.  Hingegen  sind  die  reinen  Nähr¬ 
mehle  relativ  fett-  und  auch  eiweissarm  und  würden  als  alleinige 
Nahrung  (ohne  Milchbeimischung)  für  längere  Zeit  nicht  genügen. 
Um  so  werthvoller  sind  sie  hingegen  bei  Verdauungsstörungen, 
wenn  dieFett-undEiweisszufuhr  eingeschränkt  werden  soll;  namentlich 
diejenigen  Präparate,  deren  Stärkesubstanzen  genügend  in  leicht 
verdauliche  Verbindungen  umgesetzt  sind,  erfreuen  sich  in  der 
Diätetik  der  Kinderkrankheiten  grosser  Beliebtheit. 

Eine  Sonderstellung  nimmt  die  Liebig’sche  Suppe  ein. 
Die  Eigenthümlichkeit  dieses  Nährmittels  beruht  darin,  dass  das 
der  Milch  zugefügte  Mehl  durch  Malzzusatz  einem  etwas  umständ¬ 
lichen  Diastasirungsprocess  ausgesetzt  wird,  welcher  bewirkt,  dass 
das  fertige  Präparat  ausser  den  Bestandtheilen  der  Kuhmilch  zum 
grossen  Theile  Umwandlungsproducte  der  Stärke  enthält.  Die  Zu¬ 
bereitung  der  Liebig'schen  Suppe  geschieht  auf  folgende  Weise 
(Vorschrift  der  k.  k.  Hofapotheke  in  Wien): 

20g  Malz,  gröblich  zerstossen,  befeuchte  in  einem  Glase  oder 
Porzellangefässe  mit  40  g  verdünnter  doppeltkohlensaurer  Kalilösung, 
menge  beides  gut  durcheinander  und  lasse  es  durch  eine  halbe 
Stunde  stehen.  Ferner  koche  man  in  einem  Porzellangefässe 
20g  Weizenmundmehl  und  200 g  frisch  gemolkener,  nicht  ab¬ 
gerahmter  Kuhmilch  zu  einem  weichen  blasenaufwerfenden  Brei, 
lasse  es  durch  zwei  bis  drei  Minuten  abkühlen,  mische  dann  die 
obige  Malzmischung  unter  beständigem  Rühren  hinzu,  lasse  es 
mindestens  eine  halbe  Stunde  im  warmen  Wasserbade  bei  70°  C. 
stehen  (das  ist  Wasser,  welches  von  zwei  bis  drei  Minuten  gekocht 
hat),  koche  es  dann  zusammen  durch  einige  Minuten  auf  und 
drücke  das  erhaltene  Product  durch  Tüll,  worauf  dasselbe  als 
Kindersuppe  zum  Gebrauche  geeignet  ist. 

Zur  Vermeidung  dieser  complicirten  Darstellungsweise  werden 
Extracte  zur  Liebig’schen  Kindersuppe  bereitet. 

Das  H  c  1  i'sche  Präparat  (Troppau)  wird  so  verwendet,  dass 
ein  halber  bis  drei  Kaffeelöffel  (je  nach  dem  Alter  der  Kinder)  mit 
wenig  Milch  zu  einem  Brei  angerührt  und  einem  dem  Alter  des 
Säuglings  entsprechenden  Wassermilchgemisch  zugesetzt  werden; 
das  Ganze  kann  noch  durch  ein  Tuch  geseiht  werden.  In  ähnlicher 
Weise  wird  Löflund’s  Liebig’scher  Suppenextract  (8  Theile 
Extract,  100  Theile  Milch,  100  Theile  Wasser)  und  das  Liebe- 
sche  Präparat  verwendet. 

In  neuester  Zeit  hat  K  e  1 1  er  (B r  e  s  1  a  u)  eine  M  0  d  i  f  i  c  a- 
tion  der  Liebig’schen  Suppe  empfohlen,  die  im  Wesentlichen 
in  einer  Vermehrung  des  Malzgehaltes  und  einer  grösseren  Wasser- 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


Verdünnung  besteht.  Die  Firma  Löflund  bereitet  das  nöthige 
Malzextract  und  gibt  folgende  Gebrauchsanweisung: 

50  <j  Weizenmehl  werden  in  y3 1  Kuhmilch  eingequirlt  und 
die  Mischung  durch  ein  Sieb  geschlagen.  In  einem  anderen  Gefässe 
werden  100 <j  desMalzsuppenextractes  in  2/3 1  gut  lauwarmen  Wassers 
(50°  C.)  gelöst;  dann  wird  diese  Extractlösung  mit  der  Mehl¬ 
mischung  vermengt  und  das  Ganze  kurz  aufgekocht.  Für  Kinder 
unter  drei  Monaten  und  bei  schwerkranken  Kindern  muss  die 
Suppe  mit  1  l  Wasser  statt  2/3 1  hergestellt  wrerden. 

Darüber,  ob  die  L  i  e  b  i  g'sche  Suppe  für  die  künstliche  Er¬ 
nährung  von  dem  ersten  Tage  an  geeignet  sei*  sind  die  Meinungen 
getheilt.  Dagegen  besteht  über  die  ausgezeichnete  Verwendbarkeit 
dieses  Mittels  bei  grösseren  Kindern  und  namentlich  solchen  mit 
Verdauungsstörungen  seit  v.  Widerhofer’s  eindrucksvoller 
Empfehlung  (»Verdauungskrankheiten«  in  Gerhardt’s  Handbuch) 
kein  Zweifel.  Die  guten  Erfolge,  über  welche  Gregor  mit 
Kellerscher  Malzsuppe  zu  berichten  weiss  (Jahrbuch  für  Kinder¬ 
heilkunde.  Bd.  XLVI1I),  reihen  sich  den  älteren  Erfahrungen  über 
die  Liebi  g’sche  Suppe  vollinhaltlich  an. 

A.  Milchhaltige  Nährmehle. 

Als  Repräsentanten  dieser  Gruppe  seien  die  folgenden  Präparate 
angeführt,  ohne  dass  eine  erschöpfende  Darstellung  gegeben 
w.erden  soll. 

N  e  s  1 1  e’s  Kindernähr  mehl.  Trotz  mancher  Ueber- 
treibungen  der  ausgedehnten  Reclame  ist  dieses  Mittel  noch  immer 
eines  der  verbreitetsten  und  beliebtesten  in  der  Kinderernährung. 
Acht  bis  zehn  Esslöffel  Wasser  geben  mit  einem  Löffel  Mehl  ein 
dünnes  Süppchen,  zwei  Esslöffel  Mehl  mit  sechs  Esslöffeln  Wasser 
einen  dickeren  Brei.  Als  Beinahrung  ungenügend  ernährter,  älterer 
Brustkinder  und  bei  der  Entwöhnung  wird  das  Mittel  vielfach  an¬ 
gewendet. 

Theinhardt’s  Kindernahrung  (Cannstatt)  wird  viel¬ 
fach  empfohlen  und  hält  auch  B  i  e  d  e  r  t’s  strenger,  aber  sachlicher 
Kritik  Stand.  Sie  wird  mit  Milch  und  Wasser  angemacht,  und  zwar 
im  ersten  Monat  ifi  —  1  Kaffeelöffel  mit  2  Esslöffeln  Milch,  3  Ess¬ 
löffel  Wasser;  im  zweiten  Monat  1  — 1'/4  Kaffeelöffel  mit  2  Ess¬ 
löffeln  Milch,  4  Esslöffel  Wasser;  im  dritten  bis  vierten  Monate  1 J/2 
bis  l3/4  Kaffeelöffel  mit  5  Esslöffeln  Milch,  5  Esslöffel  Wasser;  im 
fünften  bis  sechsten  Monat  2 — 2‘/4  Kaffeelöffel  mit  7  Esslöffeln 
Milch,  5  Esslöffel  Wasser;  im  siebenten  bis  neunten  Monat 

2  '/2  Kaffeelöffel  mit  11  Esslöffeln  Milch,  4  Esslöffel  Wasser;  im 
zehnten  bis  zwölften  Monat  23/4  Kaffeelöffel  mit  13  Esslöffeln  Milch, 

3  Esslöffel  Wasser.  Manchmal  ist  ein  geringer  Zuckerzusatz  nöthig, 
um  es  dem  Kinde  schmackhafter  zu  machen.  Das  von  derselben 
Fabrik  bereitete  II  y  g  i  a  m  a  ist  ein  eiweiss-  und  fettreicheres 
Pulver,  das  namentlich  für  grössere  Kinder  oder  in  Krankheitszu¬ 
ständen  verwendet  wird. 

Loeflund’s  M  i  1  c  h  z  w  i  e  b  ac  k  (»für  Kinder  von  vier 
Monaten  bis  zu  zwei  Jahren«),  Ein  Esslöffel  Zwiebackpulver  auf 
circa  zehn  bis  zwölf  Esslöffel  Wasser  unter  Umrühren  aufzukochen; 
bei  grösseren  Kindern  kann  Milch  zugesetzt  werden. 

O  p  e  l's  Nährzwieback  (Leipzig),  namentlich  in  Deutsch¬ 
land  viel  verwendet.  Derselbe  wird  zum  Gebrauch  in  warmer  Kuh¬ 
milch  aufgeweicht;  einem  halbjährigen  Kinde  wird  ein  Stück,  einem 
einjährigen  Kinde  circa  vier  bis  fünf  Stück  täglich  verabfolgt. 

ln  die  Gruppe  der  milchhaltigen  Ersatzmittel  gehören  unter 
Anderen  noch  Rade  m  a  n  n’s,  M  u  f  f  1  e  r’s,  F  r  e  r  i  c  h’s,  S  c  h  w  a  n's 
P rä parate  sowie  Zwiebacksorten. 

B.  Reine  Kindernährmehle. 

In  Kufeke’s  Kind  er  mehl  ist  die  Umwandlung  der 
Stärke  in  Dextrin  und  Zucker  gründlicher  durchgeführt,  als  in  den 
meisten  anderen  Nährmehlen.  Man  bereitet  sich  eine  Kufeke- 
Mehlsuppe  durch  Anrühren  eines  gehäuften  Esslöffels  Mehl  (circa 
32^)  mit  vier  bis  fünf  Esslöffeln  Wasser  und  Zusetzen  von  Wasser 
bis  zur  Gesammtmenge  eines  Liters.  Diese  Suppe  wird  circa  15  bis 
20  Minuten  unter  Umrühren  bis  zu  einer  dünnen,  bräunlichen 
Suppe  eingekocht.  Diese  K  u  f  e  k  e-Suppe  wird  bei  darmkranken 
Kindern  ohne  Milch  verabfolgt,  gesunden  Kindern  kann  sie  etwa 
in  demselben  Verhältniss  wie  gewöhnliches  Wasser  zur  Milchver¬ 
dünnung  dienen.  Selbstverständlich  können  auch  dickere  Breie  ver¬ 


wendet  werden :  ein  Zuckern  der  Kufe  k  e-Suppe  ist  oft  noth- 
wendig. 

Hafermehl  (Knorr  u.  A.),  ein  beliebtes  Milchzusatzmittel 
im  Säuglingsalter.  Ein  Esslöffel  Hafermehl  wird  circa  30  Minuten  in 
1  l  Wasser  gekocht,  dieser  Haferschleim  mit  Milch,  entsprechend 
dem  Alter  des  Kindes,  gemischt.  Auf  die  leicht  stopfende  Wirkung 
derartiger  Schleimzusätze  muss  geachtet  werden.  Auch  Timpe 
liefert  ein  brauchbares  Hafermehl. 

Hafergrütze  (Knorr,  Quäker  Oats  Cie.,  Scotsch 
Oat-Meal)  namentlich  als  Suppenzusatz  oder  als  Brei  in  Ver¬ 
wendung;  ein  verbreitetes  Kindernährmittel  in  England,  Nord¬ 
deutschland. 

Quäker  Oats,  ebenfalls  ein  Haferpräparat.  Man  kocht  (für 
Kinder  über  sieben  Monate)  8(7  auf  1 Z,  löst  darin  ein  Stück 
Würfelzucker  und  seiht  es  durch  ein  Tuch;  bei  zunehmendem 
Alter  hat  die  Menge  des  Nährmehles  zu  steigen. 

Eine  Combination  von  Hafermehl  mit  Aleuronat  empfiehlt 
Heim  (Zürich)  (Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  Bd.  XL1X). 

M  e  1 1  i  n’s  Food.  Zu  einer  Portion  circa  J/4  l  löst  man 
einen  halben  Esslöffel  des  Nährmehles  "in  acht  Esslöffeln  Wasser 
und  acht  Esslöffeln  Kuhmilch  über  massigem  Feuer.  Nach  dem 
dritten  Monat  gibt  man  einen  Esslöffel  von  Mellin’s  Food  in 
vier  Esslöffel  Wasser  und  zwölf  Esslöffel  Kuhmilch.  Die  fertige 
Lösung  ist  ganz  flüssig  und  schmeckt  recht  süss. 

Die  diastasirten  Leguminosen  (Knorr,  Timpe, 
Maggi),  eiweissreiche  Präparate  aus  Bohnen-,  Linsen-,  Erbsen¬ 
mehl,  die  bei  älteren  Säuglingen  namentlich  als  Suppenzusatz  ver¬ 
wendet  werden. 

Ti  mp  e’s  Kindern  ah  rung,  ein  cacaohaltiges  Mehl,  das 
bei  Neigung  zu  Durchfällen  empfohlen  wird. 

Ohne  die  Menge  der  hieher  gehörigen  Präparate  erschöpfen 
zu  wollen,  seien  noch  genannt:  die  Hartenstein’sche  Legu¬ 
min  0  s  e,  Kartoffelmehl,  Heidenmehl,  Maismehl, 
Reismehl,  Himmelthau  (feinster  Kindergries),  ferner 
von  exotischen  Producten  Arrowroot,  Tapioca,  Sago, 
R  e  i  s  g  r  i  e  s. 

Halb  Nahrungsmittel,  halb  Medicament  stellen  die  M  a  1  z- 
präparate  dar,  deren  Reichthum  an  Zucker  und  Pflanzendiastase 
ihnen  einerseits  einen  gewissen  Nährwerth,  andererseits  eine  ver¬ 
dauungsbefördernde  Wirkung  verleiht.  Durch  Eindickung  des 
wässerigen  Malzauszuges  zur  Honigconsistenz  erhält  man  den  Malz¬ 
extract,  der  an  sich  und  in  Verbindung  mit  Medicamenten  (Eisen, 
Jodeisen,  Leberthran,  Chinin,  Pepsin  etc.)  bei  älteren  Kindern  viel¬ 
fach  angewendet  wird. 

Es  ist  vielleicht  nicht  überflüssig,  zum  Schlüsse  zu  bemerken, 
dass  diese  Mittel,  welche  sich  noch  durch  manche  andere  ver¬ 
mehren  Hessen,  die  eine  mehr  locale  Bedeutung  (England),  oder 
ein  im  Bereiche  des  Erzeugers  gelegenes  Absatzgebiet  besitzen,  bei 
all  ihrer  praktischen  Wichtigkeit  doch  nicht  unentbehrlich  für  die 
Säuglingsernährung  sind.  Ebenso  wie  trotz  aller  ausgezeichnet  aus¬ 
gedachten  und  ausgeführten  Milchsurrogate  die  blosse  Wasserver¬ 
dünnung  der  versiissten  Milch  immer  noch  nichts  von  ihrer  Brauch¬ 
barkeit  eingebüsst  hat,  so  haben  die  einfachen  Reis-,  Gries-,  Semmel- 
»papperl«  noch  immer  ihre  ausgedehnte  Verwendung,  und  der  un¬ 
befangene  Arzt  hat  wohl  kaum  das  Recht,  Eltern,  die  dies¬ 
bezüglich  sach  ge  müssen  Rath  schlügen  folgen, 
davon  abzuhalten,  sich  die  Nahrung  für  ihre  Kinder  beim  Kauf¬ 
mann  und  nicht  beim  Apotheker  zu  beschaffen. 


Die  Bacterien  als  Erreger  von  Darmerkrankungen  im 

Säuglingsalter. 

Zusammenfassende  Darstellung  von  Dr.  Karl  Deiner,  Secundararzt  des 
Karolinen-Ivinderspitales  in  Wien. 

Die  auf  klinischen  Beobachtungen  atffgebaute  Eintheilung 
Widerhofer’s  der  Magen-Darmerkrankungen  im  Säuglingsalter 
bot  im  Laufe  der  Jahre  immer  wieder  den  Ausgangspunkt  zahlreicher 
Untersuchungen  chemischer  oder  bacterieller  Natur.  Beide  Wege 
verfolgten  dasselbe  Ziel,  aus  demGevvirre  der  Erkrankungen  einzelne 
Typen  aufzustellen  und  zu  charakterisiren.  Ich  will  mich  im  Fol¬ 
genden  nur  mit  der  baeteriellen  Forschung  auf  diesem  Gebiete,  und 
zwar  vornehmlich  der  letzten  Jahre  beschäftigen. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Von  der  normalen  Bacterienllora  ausgehend,  möchte  ich  hervor¬ 
heben,  dass  Esche  rieh  nicht  weniger  als  19  verschiedene  Arten 
beschreibt,  die  er  aus  dem  Darminhalte  züchten  konnte. 

Es  ist  bekannt  und  durch  die  Arbeiten  E  s  c  h  e  r  i  c  h’s, 
Schi  Id’s,  S  z  e  g  ö’s  und  Anderer  erwiesen,  dass  schon  vor  der 
Nahrungsaufnahme  Bacterien  im  menschlichen  Darme  zu  finden  sind, 
und  dass  hier,  abgesehen  vom  Bade,  die  Umgebung  des  Kindes  die 
Quelle  der  ersten  Invasion  abgibt.  Mit  den  ersten  Nahrungsaufnahmen 
ändert  sich  das  Bild  der  Darmvegetation,  das,  je  nachdem  es  sich 
um  ein  Brustkind  oder  künstlich  genährtes  Kind  handelt,  ein  ver¬ 
schiedenes  ist.  Es  lassen  sich  ganz  constante  Bilder,  sogenannte 
Typen,  aufstellen;  die  Bacterienvegetation  des  Meconiums,  des  Brust¬ 
stuhls  und  des  Kuhmilchstuhls  gibt  ein  absolut  verschiedenartiges, 
untereinander  jedoch  unter  normalen  Verhältnissen  vollkommen  con- 
stantes  und  charakteristisches  Bild  (E  s  c  h  e  r  i  c  h,  M  o  r  o). 

Wie  verhält  sich  nun  diese  Bacterienvegetation  bei  den  Darm¬ 
erkrankungen  in  pathologischen  Fällen. 

Hier  setzten  nun  die  bacteriologischen  Arbeiten  ein  und  be¬ 
schäftigten  sich  eingehend  mit  der  Frage,  ob  die  in  den  Entleerungen 
befindlichen  Organismen  in  irgend  einer  Beziehung  zu  den  Erkran¬ 
kungen  stehen,  oder  ob  sie  nur  als  Begleit-  und  Folgeerscheinungen 
des  im  Darmcanal  auftretenden  Zersetzungsvorganges  aufzufassen 
sind.  B  roke  r  war  der  Erste,  der  genaue  bacteriologische  Unter¬ 
suchungen  der  Fäces  vornahm.  Das  Resultat  seiner  Arbeit  war,  dass 
er  neben  der  dyspeptischen  nicht  entzündlichen  Diarrhöe  eine  Strepto¬ 
coccenenteritis  und  eine  bacilläre  (Proteus)  Gastroenteritis  unter¬ 
schieden  wissen  wollte. 

Der  grössere  Theil  der  Forscher,  so  B  a  g  i  n  s  k  y,  H  u  t  i  n  e  1, 
N  obecourt  und  Andere,  kamen  auf  Grund  ihrer  Arbeiten  zu  dem 
Schlüsse,  dass  alle  Saprophyten  des  Darmes  unter  gewissen,  aber 
nicht  näher  bekannten  Verhältnissen  pathogen  werden  und  zur 
Intoxication  und  Infection  des  Körpers  führen  können ;  Escherich 
und  seine  Schüler,  auch  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n,  Holst  und  Andere,  haben 
bei  einer  Reihe  von  Erkrankungen  ähnlich  dem  Typhus  und  der 
asiatischen  Cholera  specifische  Krankheitserreger  aufgefunden  und 
beschrieben. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  in  den  Verdauungswegen  vorkom¬ 
menden  Mikroorganismen  erschwerte  die  bacteriologische  Unter¬ 
suchung  der  Darmkrankheiten. 

Neue  Mittel  und  Wege  wurden  gesucht,  um  aus  diesem  Chaos 
zu  gütigen  Resultaten  zu  kommen;  die  Untersuchung  wurde  auf 
Harn,  Blut,  Cerebrospinalflüssigkeit  ausgedehnt,  bestimmte,  angeblich 
elective  Färbungen  wurden  eingeführt  (Escherich,  Schmid  t). 
Den  grössten  Fortschritt  bedeutete  aber  die  Verwerthung  der 
Gruber-Wida  fischen  Serumreaction  bei  den  Säuglingsenteritiden. 

Wir  wollen  uns  zunächst  mit  dem  beinahe  in  keinem  Darme 
fehlenden  Bacterium  coli  beschäftigen.  Escherich  hob  zunächst 
hervor,  dass  wir  es  hier  nicht  mit  einer  bestimmten  einheitlichen  Art, 
sondern  mit  einer  Gruppe  biologisch  nahe  verwandter  Arten  zu  thun 
haben.  Es  existiren  hier  continuirliche  Uebergänge,  die  sich  vom 
Typus  des  normalen  Stuhlcoli  durch  Steigerung  oder  Abschwächung 
der  Gährung,  durch  eine  vermehrte  oder  verminderte  proteolytische 
Fähigkeit  unterscheiden,  und  die  von  Escherich  als  atypische  Coli- 
bacillen  bezeichnet  werden.  Auf  welche  Weise  kann  nun  dieses 
Bacterium  oder  auch  die  anderen  Darmorganismen  mitwirken  bei 
der* Entstehung  der  Darmkrankheiten?  Die  saprophytischen  Keime 
können  zunächst  dadurch  gefährlich  werden,  dass  sie  die  Nahrung 
des  Säuglings,  die  Milch  verändern  (ich  habe  hier  künstlich  genährte 
Kinder  im  Auge),  abnorme  Gährungen  und  Zersetzungen  in  derselben 
hervorrufen  und  giftige  Stoffe  bilden.  Man  unterscheidet  eineektogene 
und  eine  endogene  Zersetzung.  Der  ektogenen  Zersetzung  der  Milch 
vor  der  Aufnahme  in  den  Magen-Darmcanal  des  Säuglings  ist  eine 
geringere  Bedeutung  beizumessen,  als  der  endogenen,  die  erst  im 
Magen- Darmcanale  vor  sich  geht.  Es  handelt  sich  bei  der  letzteren 
nach  Escherich  in  der  Regel  um  eine  sauere,  auf  Kosten  der  Kohle¬ 
hydrate  der  Nahrung  ablaufende,  seltener  um  faulige,  zur  Entstehung 
von  Ammoniak  und  Toxinen  führende  Zersetzungen.  Die  dabei  sich 
bildenden  Stoffe  üben  eine  örtliche  Reizung  auf  den  Darm  aus  und 
rufen  unter  Umständen  auch  toxische  Allgemeinerscheinungen  hervor. 
Solche  endogene  Zersetzungen  sind  auch  bei  Darreichung  vollständig 
bacterienfreier  Milch  möglich,  da  ja  die  Mundhöhle  und  der  Magen- 
Darmcanal  des  Säuglings  an  und  für  sich  als  beträchtliche  Infections- 
quellen  in  Frage  kommen.  Während  nun  die  toxischen  Allgemein¬ 


erscheinungen  bei  Erkrankungen  des  Darmes  häufig  zu  nennen  sind, 
kommt  es  nur  in  seltenen  Fällen,  entgegen  den  Beobachtungen  von 
Czerny  und  Mose  r,  zu  einer  Allgemeininfection  vom  Darme  aus. 

Nach  Fische  l's,  F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n’s  und  Spie  gelber  g’s 
Untersuchungen  handelt  es  sich  bei  den  im  Verlaufe  von  Darm¬ 
erkrankungen  auftretenden  Organcomplicationen  um  selbstständige, 
secundär  hinzukommende  Erkrankungen,  die  von  dem  Darmleiden 
nur  insofern  abhängig  sind,  als  durch  dieselben  die  Disposition  zu 
ihnen  geschaffen  wird.  Vom  Darme  aus  scheint  es  nur  dann  zu  einem 
Eindringen  in  die  Circulation  kommen  zu  können,  wenn  tiefgehende 
nekrotische  Entzündungen  oder  Substanzverluste  vorliegen.  Unter¬ 
suchungen,  die  sich  decken  mit  von  Opitz  angestellten  Thier¬ 
experimenten. 

Was  die  Erhöhung  der  Virulenz  des  normalen  Stuhlcoli  an¬ 
belangt,  so  ist  hierüber  noch  nichts  Sicheres  bekannt;  immerhin  ist 
es  möglich,  dass  es  sich  bei  einer  Anzahl  von  Darmerkrankungen 
zunächst  um  functioneile  Störungen  handelt,  und  dass  dann  die 
chemisch,  mechanisch  und  thermisch  gereizte  Darmschleimhaut  einen 
besonderen  Nährboden  für  den  Colibacillus  abgibt  (Mellin,  Vala- 
gussa).  Andererseits  ist  es  bekannt,  dass  Kinder  plötzlich  unter 
hohem  Fieber  und  Darmerscheinungen  erkranken,  und  dass  diese 
Erkrankungen  eine  epidemische  Ausdehnung  im  Spitale  gewinnen; 
schon  Widerhofer  macht  auf  solche  Epidemien  aufmerksam; 
Epstein  beschreibt  acute  Brechdurchfälle  mit  Fiebertemperatur, 
die  namentlich  im  Frühjahre  und  Winter  im  Spitale  epidemisch  auf¬ 
traten;  während  nun  diese  Forscher  nur  eine  klinische  Beschreibung 
dieser  Fälle  gaben,  hat  Rossi  Doria  eine  Epidemie  von  durch 
Bacterium  coli  hervorgerufener  Diarrhöe  beschrieben,  hat  Finkei¬ 
stein  eine  Reihe  von  Erkrankungen,  die  sich  auch  klinisch  als 
zusammengehörig  erwiesen,  bacteriologisch  untersucht. 

Klinisch  charakterisiren  sich  dieselben  nach  Finkeistein 
als  Diarrhöen  mit  schleimig-blutig  eiterigen  Stühlen,  plötzlich  ein¬ 
setzend.  Die  Erkrankungen  werden  dadurch  hervorgerufen,  dass 
Mikroorganismen  in  den  Verdauungscanal  der  Kinder  eingeführt 
werden,  wofür  schon  der  Ausbruch  der  Erkrankungen  im  Anschluss 
an  die  Aufnahme  von  Kindern,  die  mit  solchen  Diarrhöen  behaftet 
waren,  spricht. 

Pathologisch-anatomisch  zeigt  sich  Schwellung  des  lympha¬ 
tischen  Apparates  mit  geringer  Tendenz  zur  Ulceration. 

Es  gelang  Finkeistein,  aus  den  Stühlen  ein  Stäbchen  zu 
isoliren,  das  einige  Differenzen  gegenüber  den  Colibacillen  zeigt, 
nach  E  s  c  h  e  r  i  c  h  aber  diesen  beizurechnen  ist.  Pathogenität  im 
Thierversuche  zeigte  dieser  »Bacillus  enteritidis«  nur  Mäusen  gegen¬ 
über,  und  zwar  nach  Injection  sowohl,  wie  bei  Verfütterung. 

Auch  Escherich  beschreibt  bei  einer  Erkrankungsreihe, 
deren  klinisches  Bild  mit  der  W  i  d  e  r  h  o  f  e  r’schen  »Enteritis  folli¬ 
cularis«  übereinstimmt,  ein  Stäbchen  als  Erreger,  das  der  Coligruppe 
angehört.  Es  handelte  sich  bei  dieser  Erkrankung  um  eine  Haus¬ 
epidemie,  von  der  aber  eine  Uebertragung  auf  ausserhalb  des  Spitales 
befindliche  Kinder  stattfand.  Die  klinischen  Erscheinungen  sind  die 
einer  acuten  infectiösen  Entzündung  der  Dickdarmschleimhaut.  Plötz¬ 
licher  Beginn,  in  schweren  Fällen  mit  Fieber  und  Collapszuständen; 
häufige,  wenig  copiöse  Entleerungen,  die  aus  gallertigem  Schleim 
mit  reichlichen  Blutpunkten  und  Eiter  bestehen  und  unter  Tenesmus 
abgesetzt  werden.  Pathologisch-anatomisch  findet  man  den  Enddarm 
contrahirt,  verdickt,  diffuse  Schwellung  der  dunkel  gerötheten 
Schleimhaut,  die  Follikel  vergrössert.  In  den  schweren,  bei  Säuglingen 
rasch  tödtlichen  Fällen  kommt  es  zur  Entstehung  folliculärer  Ge¬ 
schwüre,  endlich  zur  diffusen  Nekrose  der  Schleimhaut.  Nur  aus¬ 
nahmsweise  gehen  die  Veränderungen  über  die  Klappe  hinaus.  Im 
Gegensätze  zur  »Enteritis  follicularis«  überwiegt  bei  dieser  von 
Escherich  als  Colicolitis  beschriebenen  Erkrankung  eine  primäre, 
diffuse,  croupöse  Entzündung  der  Dickdarmschleimhaut;  Follikel¬ 
schwellungen  sind  hier  secundäre  Veränderungen.  Von  der  später  zu 
erwähnenden  Streptococcenenteritis  unterscheidet  sie  sich,  abgesehen 
vom  bacteriologischen  Befunde,  dass  bei  ihr  nur  Darmveränderungen 
gefunden  werden,  während  die  Streptococcenenteritis  vorwiegend 
schlecht  genährte  Kinder  befällt  und  meistens  unter  complicatorischen 
Lungenerscheinungen  und  Sepsis  zum  Tode  führt. 

Viele  Merkmale  der  Colicolitis  sprechen  dafür,  dass  diese  Er¬ 
krankung  mit  gewissen  Formen  der  Dysenterie  (Shiga  und  Celli) 
identisch  ist;  doch  scheint  es  Escherich  nicht  zweckmässig,  das 
Krankheitsbild  ohne  Weiteres  in  den  Sammelbegriff  der  Dysenterie 


1202 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  51 


aufgehen  zu  lassen,  da  es  sich  nicht  um  einen  einheitlichen,  scharf 
charakterisirten  Krankheitserreger  handelt. 

Hei  dieser  Erkrankung  wurde  die  Serumreaction  zu  diagnosti¬ 
schen  Zwecken  angewendet.  Die  Grundlage  für  diese  Untersuchungen 
sollte  das  bisher  kaum  in  Frage  gesetzte  Princip  bilden,  dass  der 
vom  Serum  eines  Kranken  agglutinirenden  Bacterienspecies  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  eine  ätiologische  Bedeutung  im  vorliegen¬ 
den  Krankheitsprocesse  zugeschrieben  werden  könne. 

Pfaundler,  der  sich  hauptsächlich  mit  der  Serodiagnostik 
im  Kindesalter  beschäftigte,  hat  diese  Reaction  untersucht  und  hiebei 
gefunden,  dass  nicht  alle  Stämme  der  gezüchteten  Coli  die  Serum¬ 
reaction  geben.  Die  Agglutinationsfähigkeit  tritt  schon  in  einem 
frühen  Stadium  der  Erkrankung  auf  und  gelingt  nur  mit  dem  homo¬ 
logen  Serum  oder  höchstens  mit  dem  Serum  eines  aus  derselben 
Quelle  inlicirten  Kranken,  nicht  aber  mit  den  aus  verschiedenen 
Epidemien  stammenden  Culturen. 

Pfaundler  hält  in  Fällen  von  eiteriger  Dickdarmentzündung, 
in  denen  das  Serum  der  Kranken  in  öOfacher  Verdünnung  deutlich 
agglutinirt  wurde  und  eine  anderweitige  Vor-  oder  Miterkrankung 
durch  Coli  ausgeschlossen  erscheint,  die  Annahme  berechtigt,  dass 
in  diesem  Falle  das  agglutinirte  Coli  zum  colitischen  Process  in  ätio¬ 
logischer  Beziehung  stehe.  Neben  dieser  Reaction  fand  Pfaundler 
ein  neues  Phänomen,  das  der  Fadenbildung.  Falls  Serum  und  Mikroben¬ 
emulsion  von  demselben  Kranken  stammte,  wuchsen  nach  24  Stunden 
in  lieberhaften  Fällen  die  Stäbchen  zu  langen  Fäden  aus  und  bildeten 
dicke  Knäule.  Pfaundler  konnte  die  Fadenbildung  bei  Coli  und 
Proteusinfectionen  constatiren.  Doch  haben  Kraus  und  Löw  be¬ 
wiesen,  dass  die  Fadenbildung  an  sich  nichts  Specifisches  ist,  sondern 
eine  mit  der  Agglutination  zusammenhängende  Erscheinung. 

Besage  züchtete  aus  dem  Stuhle  von  an  Gastroenteritiden 

♦ 

erkrankten  Kindern  ein  Bacterium  coli,  welches  durch  das  Serum 
desselben  Kindes  in  50  Fällen  40mal  agglutinirt  wurde;  das  Serum 
dieser  40  Kinder  agglutinirte  weiterhin  39  Bacterium  coli,  welche  aus 
den  Fäces  gleich  erkrankter  Kinder  gezüchtet  wurden.  Le  sage  will 
mehrere  Arten  von  Colibacillen  bei  den  infantilen  Enteritiden  unter¬ 
schieden  wissen,  von  denen  die  einen  durch  das  Serum  der  erkrankten 
Kinder  agglutinirt  werden,  die  anderen  nicht,  ohne  daraus  auf  die 
Specificität  dieser  Mikroorganismen  zu  schliessen,  da  die  An-  oder 
Abwesenheit  der  Agglutination  nicht  einen  genügenden  Anhalts¬ 
punkt  gebe. 

Wolf  züchtete  aus  einem  Bruch sackabscess  ein  Stäbchen, 
das  sich  durch  fehlende  Gasbildung  vom  normalen  Coli  unterschied; 
das  Blutserum  des  betreffenden  Kranken  agglutinirte  noch  im  Ver- 
hältniss  1  : 100,  dagegen  nicht  das  aus  den  Fäces  des  Patienten  iso- 
irte  Bacterium  coli. 

Widal  und  Nobecourt  züchteten  aus  einem  Abscess  in 
der  Schilddrüsengegend  einen  coliähnlichen  Bacillus,  der  sich  durch 
fehlende  Indolbildung  und  Milchzuckergährung  vom  Stuhlcoli  unter¬ 
schied;  das  Serum  des  Kranken  übte  auf  den  Bacillus  eine  gewaltige, 
agglutinirende  Wirkung  aus. 

Die  wichtigste  Folgerung,  die  sich  nach  W  o  1  f  aus  dem 
\\  i  d  a  l’schen  und  seinem  Falle  ergibt,  soll  die  sein,  dass  die  beide 
Male  isolirten  Mikroorganismen  dem  Serum  der  Patienten  eine  agglu¬ 
tinirende  Eigenschaft  verliehen  haben,  von  der  W  i  d  a  1  sagt,  dass 
sie  beim  Fehlen  jedes  anderen  differentialdiagnostisch  verwerthbaren 
Charakteristicums  für  sich  allein  schon  genügt,  um  das  betreffende 
Bacterium  von  ähnlichen  Angehörigen  der  gleichen  Gruppe  zu 
trennen. 

Es  sprechen  diese  beiden  Fälle  für  die  E  s  c  h  e  r  i  c  lösche  An¬ 
nahme,  dass  wir  es  bei  dem  Bacterium  coli  nicht  mit  einer  einheitlichen 
Art  zu  thun  haben.  Auch  wäre  der  Rückschluss  freilich  mit  Vorbehalt 
hieraus  zu  ziehen,  dass  bei  jenen  Darmerkrankungen,  in  welchen 
Coliagglutination  des  Blutes  gefunden  wird,  dieser  Bacillus  in  ätio¬ 
logischen  Zusammenhang  mit  der  Erkrankung  gebracht  werden 
könnte.  Diese  Annahme  wird  nicht  zwingend  widerlegt  durch  die 
Untersuchungen  Nobecour  t’s,  der  bei  acuten  Gastroenteritiden 
die  Agglutination  für  den  Colibacillus  vermisste,  allein  andererseits 
fand,  dass  bei  Injectionsversuchen  mit  Colibacillen  Agglutination  für 
den  betreffenden  injicirten  Colistamm  erzeugt  werden  kann;  ebenso¬ 
wenig  sprechen  die  Untersuchungen  R  o  t h  b  e  r  g  e  r’s  dagegen,  nach 
denen  die  Serumreaction  eine  variable  Grösse,  ebenso  wie  die  Indol¬ 
bildung,  Virulenz,  Beweglichkeit  u.  s.  w.  ist. 


Von  den  anderen  normaler  Weise  im  Darm  vorkommenden 
Baclerien,  wie  Proteus,  Bacterium  lactis,  hebt  Baginsky 
hervor,  dass  auch  sie  mitunter  virulent  werden  können ;  die  Virulenz 
toxischer  Natur  erschliesst  Baginsky  aus  der  Gewinnung  toxisch 
wirkender  Substanzen. 

Booker  führt  in  seiner  Arbeit  eine  bacilläre,  durch  Proteus 
verursachte  Gastroenteritis  an.  Dieselbe  charakterisirt  sich  durch  ober- 
(lächliche,  selten  ulceröse  Darmläsionen;  die  Erkrankung  wird  von 
einer  Allgemeinintoxication  begleitet. 

Auch  Marfan  glaubt  an  eine  wichtige  Rolle  des  Proteus  bei 
Darmerkrankungen,  doch  ist  ein  sicherer  Schluss  betreffs  dieser  nicht 
einheitlichen  Bacteriengruppe  nicht  möglich. 

B  rudzinsk  y  beschreibt  eine  Reihe  von  Proteusenteritiden, 
die  sich  von  den  B  o  o  k  e  r'schen  primären  Infectionen  schon  dadurch 
unterscheiden,  dass  sie  sich  erst  langsam  und  allmälig  auf  dem  Boden 
einer  Dyspnoe  oder  eines  vorausgegangenen  Darmkatarrhs  entwickeln. 
Der  Organismus  zeigt  nur  geringe  Betheiligung,  daher  auch  das 
negative  Resultat  der  Serumreaction. 

Esche  rieh  beschreibt  neuerdings  eine  infectiöse  Darin- 
erkrankung,  die  auf  das  früheste  Kindesalter  beschränkt  zu  sein 
scheint  (Kinder  bis  zu  zehn  Monaten). 

Die  Erkrankung  beginnt  mit  Mattigkeit  und  Appetitlosigkeit; 
dann  folgen  die  Ausleerungen,  gepaart  meistens  mit  Erbrechen,  und 
nun  folgt  rascher  Verfall.  Temperatur  ist  nicht  erhöht,  eher  subnormal. 
Zahl  der  Stühle  vier  bis  acht,  Farbe  gelb,  nur  Neigung  zur  Grün¬ 
färbung.  Fast  bei  allen  Fällen  stellt  sich  Soor  als  Complication  ein. 

In  den  Entleerungen  wurde  ein  zu  Gram  positives  Stäbchen 
gefunden,  das  Escherich  in  die  Classe  der  Streptotricheen  rechnet. 
Für  dieses  Stäbchen  wurde  in  der  saueren  Bierwürze  ein  electiver 
Nährboden  gefunden  (Moro,  Finkeistein).  Im  Darme  finden 
sich  hauptsächlich  Veränderungen  des  Dünndarmes  kalarrhalischer 
Natur. 

* 

Der  Bacillus  pyocyaneus  gehört  zu  den  seltenen  Bewohnern 
des  menschlichen  Darmes,  doch  scheint  auch  er  unter  besonderen 
Verhältnissen,  vorzugsweise  in  geschlossenen  Anstalten  ätiologisch 
für  Darmerkrankungen  bedeutsam  zu  werden. 

Baginsky,  Escherich  und  Marfan  beschreiben  ein¬ 
zelne  Fälle,  bei  denen  der  Bacillus  aus  den  Stühlen  gezüchtet  wurde. 
Das  Charakteristische  der  Pyocyaneus-Infection  ist  die  Hyperthermie, 
das  Aufschiessen  blutgefüllter  Blasen  auf  der  Haut  und  der  schwere 
rapide  Verlauf. 

Das  Blut  der  Kranken  agglutinirte  nicht  den  Bacillus. 

Was  die  proteolytischen  Bacterien  anlangt,  so  hat  F  1  ü  g  g  e 
nachgewiesen,  dass  die  Dauermilch  in  den  meisten  Fällen  nicht  keim¬ 
frei  ist,  und  dass  unter  den  die  Sterilisation  überlebenden  Bacterien 
solche  mit  giftigen  Eigenschaften  sich  befinden.  Diese  proteolytischen 
Bacterien  wachsen  aerob  oder  facultativ  anaerob  und  sind  der  Gruppe 
der  sogenannten  Heu-  oder  Kartoffelbacillen  zuzuzählen.  Flügge 
brachte  diese  Bacterien  in  ätiologische  Beziehung  zu  den  Darm- 
erkrankungen  der  Säuglinge. 

Unter  den  zwölf  von  ihm  beschriebenen  peptonisirenden 
Bacterien  befinden  sich  drei  mit  giftigen  Eigenschaften. 

Lübbert  zeigte  durch  seine  Versuche,  dass  das  Gift  nicht 
in  einem  Stoffwechselproduct  der  Bacterien,  sondern  in  der  Leibes¬ 
substanz  derselben  zu  suchen  ist. 

Watjoff  stellte  Fütterungsversuche  an  mit  den  Flügge- 
schen  Bacterien  Nr.  I  und  VII  mit  grösstentheils  negativem  Resultate. 

Spiegelberg  dehnte  die  bisher  auf  die  Milch  sich  er¬ 
streckenden  Untersuchungen  auch  auf  die  Entleerungen  aus. 

Fast  bei  allen  mit  Kuhmilch  genährten  Kindern  finden  sich 
Bacterien  in  den  Fäces,  vereinzelt  bei  Kindern  mit  gesundem  Magen- 
Darmcanal,  vorherrschend  dagegen  bei  darmkranken  Säuglingen. 

Spiegelberg  kommt  zu  folgenden  Schlüssen :  Die  proteo¬ 
lytischen  Bacterien  wurden  bei  Kindern  gefunden,  die  atrophisch 
waren,  mit  chronischen  oder  acuten  Darmkrankheiten  behaftet.  Der 
geschwächte  Organismus  kann  sich  der  eindringenden  Saprophyten 
nicht  erwehren.  Sind  dieselben  in  grösserer  Menge  im  Darme  vor¬ 
handen,  so  können  sie  durch  ihren  Lebensprocess  reizend  wirken, 
ohne  jedoch  eine  Allgemeinerkrankung  hervorzurufen.  Bei  sehr 
starker  Vermehrung  können  sie  jedoch  zu  einer  das  Krankheitsbild 
verschlimmernden  Complication  werden. 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1203 


Weber  erwähnt  ausser  den  proteolytischen  Bacterien  noch 
die  Gruppe  der  thermophilen  Bacterien,  die  bei  einer  Temperatur  von 
40—55°  C.  am  besten  wachsen.  Für  die  Praxis  haben  diese  Bacterien 
keine  Bedeutung,  doch  können  sie  bei  der  bacteriologischen  Milch¬ 
untersuchung  zu  Fehlschlüssen  führen,  indem  die  durch  thermophile 
Bacterien  zersetzte  Milch  beim  Culturverfahren  sich  scheinbar  als 
keimfrei  erwies. 

Auch  anaerobe  Bacillen  wurden  in  Flügge’s  Versuchen  fast 
constant  in  der  abgekochten  Milch  gefunden.  Da  diese  Organismen 
die  Milch  schnell  und  sicher  zersetzen,  so  ist  die  ätiologische  Zurück¬ 
führung  zahlreicher  Darmerkrankungen  auf  sie  kaum  wahrscheinlich, 
ebensowenig  aber  sind  sie  als  harmlos  anzusehen.  Dass  dem  so  ist, 
beweist  Klein,  der  bei  zwei  Epidemien  von  schweren  Diarrhöen  in 
den  Stühlen  der  Kranken  ein  aerobes  Stäbchen  gefunden  hat,  und 
zwar  den  Bacillus  enteritidis  sporogenes,  den  er  als  den  Erreger  der 
Epidemie  anspricht. 

Zum  Schlüsse  muss  noch  die  Rolle  der  Coccen  besprochen 
werden. 

Es  ist  bekannt,  dass  in  den  Ausführungsgängen  der  Mammae 
Slaphylococcen  fast  regelmässig  zu  finden  sind,  und  dass  dieselben 
beim  Saugacte  in  den  Darm  gelangen.  Während  nun  dieselben  bisher 
als  völlig  harmlos  angesehen  wurden,  beschreibt  M  o  r  o  eine  Staphylo- 
coccenenteritis  bei  schwächlichen,  nicht  widerstandskräftigen  Säug¬ 
lingen.  Das  Krankheitsbild  entspricht  vollkommen  dem  eines  acuten 
Darmkatarrhs,  Entleerungen  setzen  plötzlich  ein,  zeigen  saure  Reaction. 
Die  normale  Bacterienllora,  Bacillus  acidophilus  und  Bacterium  coli 
enthaltend,  ändert  sich;  an  Stelle  derselben  treten  massenhafte  nach 
Weigert,  Esche  rieh  blaugefärbte  Coccenhaufen  und  einzelne 
in  kurzen  Resten  angeordnete  Diplococcen  auf.  Auch  Holst  fand 
in  zwei  Fällen  von  acuten  Enteritiden  Staphylococcus  aureus  in 
Reincultur  in  den  Stühlen;  hei  einem  Falle  auch  im  Blute  des  be" 
treffenden  Kindes. 

Das  Vorkommen  des  Streptococcus  brevis  im  Stuhle  des  Säug¬ 
lings,  des  Streptococcus  gracilis  im  Meconium  hatte  Escherich 
bereits  in  seiner  Arbeit  über  die  Darmbacterien  hervorgehoben.  Diese 
beiden  Streptococcen  verflüssigen  die  Gelatine. 

Im  ursächlichen  Zusammenhänge  mit  Darmkatarrhen  beschrieben 
deCer  enville,  Tavel,  Egnet  und  Krumbein  einen  Strepto¬ 
coccus,  den  sie  als  normalen  Darmbewohner  ansahen,  und  der  in 
dem  bereits  veränderten  Darm  besondere  Virulenz  annahm. 

Booker  beschreibt  eine  Gastroenteritis  strep tococcica,  welche 
sich  durch  Darmulceration  und  Allgemeininfection  charakterisirt. 

Escherich  und  seine  Schüler  Hirsch,  Libman  und 
Spiegelberg  befassen  sich  mit  der  Aufstellung  eines  neuen 
Krankheitsbildes,  verursacht  durch  einen  Streptococcus. 

Escherich  scheidet  die  Krankheitsfälle  zunächst  in  solche, 
in  welchen  nur  örtliche,  auf  den  Darmtract  beschränkte,  und  in  solche, 
wo  Allgemeinerscheinungen  vorliegen.  Letztere  können  wieder  rein 
toxisch  oder  bei  Nachweis  der  Coccen  im  Harn  und  Blut  der  Ausdruck 
einer  Allgemeininfection  sein. 

Die  erste  Gruppe  entspricht  dem  Bilde  des  dyspeptischen 
Katarrhs.  Ohne  äussere  Veranlassung  treten  plötzlich  dünne,  spritzende 
Entleerungen  mit  reichlichen  Milchresten,  auch  Schleim  und  Eiter  auf. 

Die  zweite  Gruppe  zeigt  das  Bild  der  Cholera  infantum.  Plötz¬ 
licher  Beginn  mit  Erbrechen,  Stühle  dünnflüssig,  copiös  mit  grünlich 
gefärbten  Schleimflocken  gemengt.  Reaction  anfangs  sauer,  später 
alkalisch  6—19  an  der  Zahl.  Bei  stärkerer  Betheiligung  des  Dickdarms 
sind  die  Stühle  mehr  schleimig,  enthalten  reichlich  Eiter  und  Blut¬ 
körperchen.  Fieber  und  Eklampsie  weisen  auf  die  allgemeine  Intoxi¬ 
cation  hin. 

In  der  dritten  Gruppe  treten  zu  bereits  bestehenden  Diarrhöen 
schwere  Erscheinungen  der  Enteritis  follicularis.  Fontanelle  und 
Augen  eingesunken,  Puls  klein,  frequent;  Abdomen  flach.  Die  Ent¬ 
leerungen  bestehen  zum  grössten  Theile  aus  gelb  und  grau  gefärbten 
Schleim,  in  dem  Eiter  und  Blutpunkte  enthalten  sind.  In  diesen 
Fällen,  die  tödtlich  enden,  erfolgt  eine  Invasion  der  Coccen  in  die 
Blut-  und  Lymphbahn.  Der  Infectionsweg  vom  Darm  kann  ein  doppelter 
sein,  entweder  dringen  die  Bacterien  nach  Passirung  der  Mucosa 
direct  in  die  Blutgefässe  der  Submucosa,  oder  sie  gelangen  auf  dem 
Wege  der  Lymphbahn  durch  den  Ductus  thoracicus  in  die  Vena 
anonyma  sinistra. 

In  den  nach  Weigert-Escherich  gefärbten  Stuhlpräpa¬ 
raten  sieht  man  neben  roth  gefärbten  Colistäbchen  blaue  Coccen, 


die  erhebliche  Verschiedenheiten  in  Bezug  auf  Grösse  und  Lagerung 
zeigen.  Am  häufigsten  findet  man  zu  kurzen  Ketten  (fünf  bis  acht)  an¬ 
geordnete  Diplococcen.  Die  Coccen  liegen  mit  ihrem  längeren  Durch¬ 
messer  bald  quer,  bald  parallel  der  Längsachse  der  Kette. 

Die  Züchtung  gelingt  am  besten  in  Traubenzuckerbouillon  mit 
Zusatz  von  etwas  Menschenserum.  Der  Coccus  ist  für  Mäuse  grössten- 
theils  pathogen. 

Impft  man  eine  Maus  mit  den  schleimig-eiterigen  Partien  des 
Stuhles,  so  geht  das  Thier  nach  ein  bis  drei  Tagen  zu  Grunde,  und 
man  kann  aus  dem  Herzblut  häufig  die  Coccen  züchten. 

Anatomische  Veränderungen  finden  sich  hauptsächlich  im 
unteren  Ileum  und  Dickdarm;  die  Plaques  sind  vergrössert,  ihre  Ober¬ 
fläche  zeigt  stellenweise  Substanzverluste;  das  interglanduläre  Ge¬ 
webe  ist  in  mässigem  Grade  kleinzellig  infiltrirt.  Im  Dickdarm  besteht 
deutliche  Schwellung  der  Follikel,  ln  den  Organen  Zeichen  von  fettiger 
Degeneration,  bisweilen  Nachweis  von  Streptococcen  in  denselben 
(Lungen,  Leber  und  Niere). 

Ueber  die  Frage  der  Herkunft  dieser  Streptococcen  antwortet 
Escherich,  dass  es  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen  kann,  dass 
die  Infection  mit  der  Nahrung  (Milch)  erfolgt  (ektogene  Infection). 
Es  wurden  diese  Coccen  häufig  in  der  centrifugirten  Milch  nach¬ 
gewiesen  und  konnten  Mäuse  durch  Injection  solcher  Milch  getödtet 
werden. 

P  i  g  e  a  u  d  will  die  Bedeutung  der  Streptococcen  für  die  Aetio- 
logie  der  Enteritis  nicht  gelten  lassen,  da  sie  nach  seinen  Unter¬ 
suchungen  nicht  ausschliesslich  bei  dieser  Krankheit  Vorkommen, 
andererseits  auch  nicht  genügend  Beweise  ihrer  Pathogenität  gebracht 
wurden. 

Pakes  und  Washbourn  untersuchten  bacteriologisch  einen 
Brechdurchfall,  der  acut  innerhalb  30  Stunden  tödtlich  endete. 
Streptococcen  wuchsen  reichlich  in  Reincultur  aus  Herzblut  und 
Leber.  Im  Darminhalt  und  der  Darmwand  fanden  sich  mikroskopisch 
Streptococcen. 

Nach  Thier  cel  in  kann  neben  Coli  ein  anderer  saprophyti- 
scher  Mikrobe  virulent  werden;  er  erscheint  im  Stuhl  als  Diplococcus 
in  wechselnder  Grösse,  rundlich  oder  lancettförmig,  dem  Pneumo¬ 
coccus  ähnlich,  zuweilen  von  einer  Aureole  umgeben.  Der  Diplo¬ 
coccus  erwies  sich  für  Mäuse  pathogen.  Thiercelin  nennt  ihn 
Enterococcus,  um  seinen  intestinalen  Ursprung  darzuthun. 

Experimentell  gelang  es  Tonarelli,  durch  Einführung  von 
Streptococcen  in  den  Magen-Darmcanal  schwere  Darmerkrankungen 
häufig  zu  erzeugen. 

Wie  es  möglich  ist,  die  Wirkung  des  einen  Bacteriuins  (Pro¬ 
teusdiarrhöen)  durch  Einführung  eines  anderen  (Bacterium  lactis)  zu 
beheben,  so  kann  es  auf  der  anderen  Seite  nicht  von  der  Hand  ge¬ 
wiesen  werden,  dass  sich  Bacterien  in  ihrer  Wirkung  summiren. 

Nobecourt  hat  sich  namentlich  mit  dem  Studium  der  Bac- 
teriengemenge  befasst.  Es  zeigt  sich,  dass  namentlich  aus  den  Fällen 
von  chronisch  Kranken,  weniger  von  acut  magen-darmkranken  Säug¬ 
lingen  sich  verschiedene  Bacterien  gewinnen  lassen,  deren  Gemenge 
im  Thierexperiment  tödtlich  wirkte,  während  die  einzelnen  Bacterien 
für  sich  keine  so  schweren  Erscheinungen  hervorbrachten.  Nament¬ 
lich  den  Streptococcen-Coli-Infectionen,  ferner  den  Mesentericus-Coli- 
Infectionen  schreibt  Nobecourt  eine  grosse  Bedeutung  zu,  ob¬ 
gleich  es  ihm  nicht  gelang,  die  Rolle  dieser  Gemenge  deutlich  fest¬ 
zustellen. 

* 

Will  man  die  bisher  vorliegenden  Untersuchungen  und  Resul¬ 
tate  kurz  resumiren,  so  muss  man  zu  dem  Schlüsse  kommen,  dass: 

1.  Die  Bacterienflora  des  normalen  Darmcanales  eine  viel  reich¬ 
haltigere  ist,  als  bis  vor  wenigen  Jahren  angenommen  wurde; 

2.  dass  es  auf  dem  Wege  der  bacteriellen  Forschung  gelingt, 
Gruppen  von  Darmkrankheiten  als  ätiologisch  zusammengehörig  von 
den  übrigen  abzutrennen,  und  dass 

3.  eine  Menge  normaler  Bewohner  des  Darmcanales  unter  ge¬ 
eigneten  Bedingungen  Darmerkrankungen  hervorrufen  können,  welche 
entweder  zu  katarrhalischen  oder  nekrotisirenden  Veränderungen 
führen. 

Literatur. 

Escherich,  Die  Darmbacterien  des  Säuglings.  Stuttgart  1886. 

Schild,  Das  Auftreten  von  Bacterien  im  Darminhalte  Neugeborener. 
Zeitschrift  für  Hygiene.  1895,  Bd.  XIX, 

S  z  e  g  ö,  Die  Darmmikroben  der  Säuglinge  und  Kinder.  Archiv  für 
Kinderheilkunde.  1897,  Bd.  XXII 


1204 


WIEN Elt  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1000. 


Nr.  51 


E  s  c  h  e  r  i  c  li,  Die  Bedeutung  der  Bacterien  in  der  Aetiologie  der 
Magen-Darmerkrankungen.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1898, 
Nr.  40  und  41. 

M  o  r  o,  Ueber  den  Bacillus  acidophilus.  Jahrbuch  für  Kinderheil¬ 
kunde.  1900,  Bd,  LII. 

Booker,  A  bacteriological  and  anatomical  study  of  the  summer 
diarrhoeas  of  infants.  Reprintes  from  John  Hopkin’s  Hospital.  1896,  Vol.  VI. 

B  a  g  i  n  s  k  y,  Zur  Pathologie  der  Durchfallskrankheiten  des  kind¬ 
lichen  Alters.  Archiv  für  Kinderheilkunde.  1897,  Bd.  XXII. 

H  u  t  i  n  e  1,  Enterocolites  aigues  avec  accidents  graves  chez  les  en- 
fants.  Semaine  medicale.  1899. 

Nobecourt,  Recherches  sur  la  pathogenie  des  infections  gastro¬ 
intestinales  des  jeunes  enfants.  These  de  Paris.  1899. 

Finkeistein,  Zur  Aetiologie  der  folliculären  Darmentzündungen 
der  Kinder.  Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1896,  Nr.  38  und  39. 

Holst  Axel,  Om  den  acute  diarrhoes  oursaysforhold.  (Ueber  die 
Ursachen  des  acuten  Durchfalls.)  Tidskrift  für  den  norske  Laegeforening. 

1897.  (Referirt:  Baumgarten.  1897,  pag.  927.) 

Ceruy  und  Moser,  Klinische  Beobachtungen  an  magen-darm- 
kranken  Kindern  im  Säuglingsalter.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1894, 
Bd.  XXXVHI. 

F  i  s  c  h  1  R.,  Quellen  und  Wege  der  septischen  Infection  beim  Neu¬ 
geborenen  und  Säugling.  (Sammlung  klinischer  Vorträge  (V  olkm  an  n). 

1898,  Neue  Folge  CCXX. 

F  i  n  k  e  1  s  t  e  i  n,  Ueber  Sepsis  im  frühen  Kindesalter.  Jahrbuch  für 
Kinderheilkunde.  1900,  Bd.  LI. 

Spiegelberg,  Zur  Frage  der  Entstehungsweise  der  im  Gefolge 
infectiöser  Erkrankungen,  insonderheit  der  Magen-Darmkrankheiten  des 
frühesten  Kindesalters,  auftretenden  Lungenentzündungen.  Archiv  für 
Kinderheilkunde.  1899,  Bd.  XXVH. 

Widerhofer,  Gerhardt’s  Handbuch. 

M  e  1 1  i  n,  Ueber  die  Virulenz  des  aus  Kinderstühlen  gewonnenen 
Bacterium  coli  commune.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899. 
Nr.  44.  —  71.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  zu  München. 

Opitz,  Beiträge  zur  Frage  der  Durchgängigkeit  von  Darm  und 
Nieren  für  Bacterien.  Zeitschrift  für  Hygiene.  1898,  Bd.  XXIX. 

V  a  1  a  g  u  s  s  a,  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Virulenz 
des  Bacterium  coli  commune.  Referirt  in:  Centralblatt  für  Bacteriologie. 
1898,  pag.  750. 

Epstein,  Ueber  acute  Brechdurchfälle  der  Säuglinge  und  ihre 
Behandlung.  Prager  medicinische  Wochenschrift.  1881,  Nr.  31.  —  Archiv 
für  Kinderheilkunde.  1886. 

Rossi  Doria,  Ueber  einige  durch  das  Bacterium  coli  commune 
an  Kindern  hervorgerufene  Diarrhöen  mit  epidemischem  Charakter.  Central¬ 
blatt  für  Bacteriologie.  1892,  pag.  458. 

Finkeistein,  Morbidität  und  Mortalität  in  Säuglingsspitälern. 
Zeitschrift  für  Hygiene.  1898,  Bd.  XXVIII. 

Escherich,  Beiträge  zur  Kenntniss  des  Bacterium  coli.  18.  Con¬ 
gress  für  innere  Medicin  in  Karlsbad. 

Shiga  und  Celli,  Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XXIV 
und  XXV. 

Pfaundler,  Zur  Serodiagnostik  im  Kiudesalter.  Jahrbuch  für 
Kinderheilkunde.  1899,  Bd.  L.  2.  Verhandlung  der  15.  Versammlung  der 
Gesellschaft  für  Kinderheilkunde.  Düsseldorf  1898. 

Derselbe,  Zur  Methodik  der  Serumreaction.  Klinisch-therapeutische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  28  und  29. 

Derselbe,  Eine  neue  Form  der  Serumreaction  auf  Coli-  und 
Proteusbacillen.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1898,  Bd.  XXIII. 

Derselbe,  Ueber  Gruppenagglutination  und  über  das  Verhalten 
des  Bacterium  coli  bei  Typhus.  Münchener  medicinische  Wochenschrift.  1899, 
Nr.  15. 

R.  Kraus  und  Lüw,  Ueber  Agglutination.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1899,  Nr.  5. 

L  e  s  a  g  e,  Contribution  ä  l’etude  des  enterites  infantiles;  serodiag- 
nostic  des  races  de  bact.  coli.  Soc.  de  biolog.  1897,  pag.  10900.  —  A  propos 
de  l’infection  gastro-intestinale  de  jeunes  enfants.  Soc.  de  biol.  1898, 
pag.  11115. 

Wolf  Sidney,  Beiträge  zur  Lehre  der  Agglutination  mit  beson¬ 
derer  Bezugnahme  auf  die  Differenzirung  der  Coli-  und  Proteusgruppe  und 
auf  die  Mischinfeotionen.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1899,  Bd.  XXV. 

Widal  et  Nobecourt,  Seroreaction  dans  une  infection  k  para- 
colibacille.  Semaine  medicale.  1897,  pag.  285. 

Nobecourt,  De  la  non-specificite  des  colibacilles  des  infections 
gastro-intestinales  des  jeunes  enfants.  Soc.  de  biologie.  1898,  pag.  1091. 

Rothberger,  Ueber  Agglutination  des  Bacterium  coli.  Zeitschrift 
für  Hygiene.  Bd.  XXXIV. 

Widal,  Sur  la  seroreaction  dans  les  infections  coli  bacillaires. 
Compt.  rend,  de  la  Societe  de  Biologie.  1898,  pag.  902. 

Marfan,  Röle  des  microbes  dans  les  gastroenterites  des  nourissons. 
Revue  mensuelle  des  malad,  de  fenfauce.  August,  September,  October, 
November  1899. 

B  r  u  d  z  i  n  s  k  y,  Ueber  das  Auftreten  von  Proteus  vulgaris  in 
Säuglingsstühlen.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1900,  Bd.  LII. 

Escherich,  Epidemisch  auftretende  Brechdurchfälle  in  Säuglings¬ 
spitälern.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1900,  Bd.  L1I. 

Finkeistein,  Ueber  säureliebende  Bacillen  im  Säuglingsstuhl. 
Deutsche  medicinische  Wochenschrift.  1900,  Nr.  16. 

Escherich,  Pyocyaneusinfection  bei  Säuglingen.  Centralblatt  für 
Bacteriologie.  1899,  Bd."  XXV. 

Blum,  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1899. 


Nobecourt,  Sur  un  cas  d'infection  intestinale  ä  bacille  pyocyanique 
chez  le  nourissons.  Bullet,  medical.  1898. 

Flügge,  Die  Aufgaben  und  Leistungen  der  Milchsterilisation  gegen¬ 
über  den  Darmkrankheiten  des  Säuglings.  Zeitschrift  für  Hygiene.  1894, 
Bd.  XVII. 

Lübbe  rt,  Ueber  die  Natur  der  Giftwirkung  peptonisirender  Bacte¬ 
rien  der  Milch.  Zeitschrift  für  Hygiene.  1896,  Bd.  XXII. 

Wat  j  off,  Einige  Versuche  mit  Flügge'schen  peptonisirenden 
Bacterien.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1898,  Bd.  XLVI. 

Spiegelberg,  Ueber  das  Auftreten  von  proteolytischen  Bacterien 
in  Säuglingsstühlen.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1899,  Bd.  XLIX. 

Webe  r,  Die  Bacterien  der  sogenannten  sterilisirten  Milch  des 
Handels.  Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Ge3undheitsamte.  Berlin  1900, 
Bd.  XVII. 

Klein,  Ein  weiterer  Beitrag  zur  Kenntniss  der  Verbreitung  und 
der  Biologie  des  Bacillus  enteritidis  sporogenes.  Centralblatt  für  Bacterio¬ 
logie.  1897,  Bd.  XXII. 

M  o  r  o,  Ueber  Staphylococcenenteritis  der  Brustkinder.  Jahrbuch  für 
Kinderheilkunde.  1900,  Bd.  Ln. 

De  Cerenville,  Tavel,  Egnet  et  Krumbein,  Contribution 
ä  l’etude  de  streptocoque  et  de  l’enteride  streptococcique.  Annales  Suisses 
des  sciences  medicales.  1895. 

Hirt  h,  Ein  Fall  von  Streptococcenenteritis  im  Säuglingsalter. 
Centralblatt  für  Bacteriologie.  1897,  Bd.  XXH. 

Libmänn,  Weitere  Mittheilungen  über  die  Streptococcenenteritis 
bei  Säuglingen.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1897,  Bd.  XXII. 

Spiegelberg,  Ein  weiterer  Beitrag  zur  Streptococceneuteritis  im 
Säuglingsalter.  Centralblatt  für  Bacteriologie.  1898,  Bd.  XXIV. 

Escherich,  Ueber  specifische  Krankheitserreger  der  Säuglings¬ 
diarrhöen.  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1897,  Nr.  42.  —  Ueber  Strepto¬ 
coccenenteritis  im  Säuglingsalter.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde.  1899, 
Bd.  XLIX. 

P  i  g  e  a  u  d,  Ueber  Bacterienbefunde  (besonders  Streptococcen)  in 
Dejectionen  magen-darmkranker  Säuglinge.  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde. 
1900,  Bd.  LII. 

Pakes  and  Washbourn,  A  case  of  acute  streptococcal  enteritidis. 
Britisch  med.  Journal.  1898.  Vol.  I. 

Thiercelin,  Sur  un  diplocoque  saprophyte  de  l’intestine  suscep¬ 
tible  de  devenir  pathogene.  Societe  de  biologie.  1899,  Nr.  12. 

Escherich,  Die  Aetiologie  der  primären  acuten  Magen-Darm¬ 
erkrankungen  der  Säuglinge  bacteriellen  Ursprunges.  Wiener  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  38. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

550. (Academic  deMedecine,  Paris.)  Sur  un  monstre thoraco- 
xiphopage  von  Porak.  Vortragender  berichtet  über  das  von 
Chapot-Prevost  beobachtete  und  durch  Operation  getrennte 
siebenjährige  Doppehnonstrum:  Maria-Rosalina  aus  Gachoeiro,  Brasilien. 
Normale  Geburt.  Nabelstrang  von  beträchtlichem  Volumen.  Fünf 
Jahre  lang  lagen  die  am  Schwertfortsatze  und  Epigastrium  zu¬ 
sammengewachsenen  Mädchen  auf  derselben  Seite  und  vertrugen 
keine  andere  Körperstellung.  Wortbildung  nach  dem  ersten  Lebens¬ 
jahre,  vorzeitige  Intelligenz.  Versuche,  sie  aufrecht  zu  setzen,  er¬ 
zeugten  Schmerzen  an  der  Verwachsungsstelle.  Nach  dem  fünften 
Lebensjahre  machten  die  Kinder  die  ersten  Schritte  und  fielen 
häufig.  Die  ersten  Radiographien  liessen  die  Selbstständigkeit  der 
Eingeweide  beider  Körper  annehmen ;  die  nach  einem  ersten  Ope¬ 
rationsversuche  ausgeführte  Radiographie  erwies  die  Verschmelzung 
beider  Lebern  durch  eine  ausgedehnte  Leb  erbrücke,  Kopf 
und  Thorax  bei  beiden  asymmetrisch.  Die  Halsmuskeln  bei  Maria 
rechts,  bei  Rosalina  links  atrophisch,  in  Folge  dessen  angeborener 
Torticollis  bei  Beiden.  Vordere  Thoraxseite  sehr  deformirt,  bei 
Maria  rechts  abgeplattet  und  nach  links  vorspringend;  umgekehrt 
bei  Rosalina.  Die  Verschmelzung,  an  der  fünften  Rippe  beginnend, 
reichte  bis  zum  Nabel.  An  den  seitlichen  Theilen  des  die  Brücke 
begrenzenden  Rippenbogens  fanden  sich  je  zwei  Schwertfortsätze. 
Gegen  das  untere  Dritttheil  wurde  das  Brustbein  breiter, 
das  rechte  Semisternum  von  Rosalina  verschmolz  mit  dem 
linken  Semisternum  von  Marie  und  umgekehrt.  In  der  Höhe 
der  Nabelnarbe  konnte  man  die  Flachhand  unter  die  Ver¬ 
schmelzungsstelle  führen.  Die  beiderseitigen  Darmschlingen  liessen 
sich  durch  die  die  Brücke  comprimirende  Hand  nach  beiden  Seiten 
leicht  verschieben.  Die  Brücke  bestand  1.  aus  einem  knorpelig¬ 
knöchernen  Antheile,  2.  aus  Lebersubslanz,  3.  aus  einer  unteren, 
allseitig  von  der  Haut  begrenzten  Zone,  die  beiden  Bauchhöhlen 
communicirten  hier  miteinander.  Bei  Marie  schlug  das  Herz  auf 
der  linken  Seite,  bei  Rosalina  war  die  Lage  ungewiss.  Der  Gang 
der  Kinder  war  nicht  zu  sehr  behindert;  Marie  ging  immer  ver¬ 
kehrt  mit  dem  Rücken  gegen  das  Ziel,  Rosalina  nach  rechts  und 
vorwärts  folgend.  Bei  Ermüdung  lag  eine  auf  dem  Rücken,  die 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


J  205 


andere  auf  ihr;  beim  Versuche,  zu  laufen,  suchien  sie  mit  den 
Armen  das  Gleichgewicht  zu  finden.  Ekchymosen  der  Haut  an  ver¬ 
schiedenen  Körperstellen.  Beim  Studium  der  Ausscheidungen  mit 
dem  Harne  ergab  sich,  dass  Natrium  salicylicum  sich  zuerst 
bei  der  zeigte,  die  das  Medicament  nicht  genommen  hatte; 
Jodkalium  in  kleiner  Dose,  der  Marie  verabreicht,  erschien 
innerhalb  24  Stunden  in  gleicher  Quantität  bei  Beiden;  Methylen¬ 
blau,  chemisch  rein,  zu  30  cg  der  Rosalina  nüchtern  gegeben, 
färbte  beide  Urine  in  verschiedener  Stärke.  Dies  beweist  das  Vor¬ 
handensein  einer  gemeinschaftlichen  Circulation  neben  der  be¬ 
sonderen.  Am  30.  Mai  d.  J.  schritt  Chapot-Prevost  zur 
Operation.  (Chloroformnarkose  der  Rosalina  blieb  ohne  Einfluss  auf 
Marie.  Hierauf  Letztere  chloroformirt.)  Incision  in  Form  einer  Curve 
vom  oberen  Theile  der  Verschmelzung  mit  der  Convexität  auf  Seite 
der  Marie  bis  hinab  zum  Nabel.  Der  so  gebildete  Lappen  wurde 
gegen  die  linke  Seite  von  Rosalina  zurückgeschlagen,  das  Peri¬ 
toneum  eröffnet,  wodurch  die  Leberbrücke  sichtbar  wurde;  unter 
derselben  der  aus  zwei  Nabelvenen  gebildete  Nabelstrang,  welcher 
zu  den  beiden  Lebern  je  einen  Ast  abgab.  Unterhalb  der  grossen 
Curvatur  der  beiden  Magen  berührten  sich  beide  Epiploa  mit  ihren 
Vorderflächen  und  hingen  fest  zusammen.  Trennung  des  Stranges 
der  beiden  Nabelvenen  sowie  der  Nabelnarbe.  Nach  Durchschneidun» 

Ö 

des  Rippenbogens  von  der  Spitze  des  Schwertfortsatzes  der  einen 
Seite  bis  zum  oberen  Theile  der  Verschmelzung  konnte  man  die 
Kinder  ein  wenig  voneinander  trennen,  und  überzeugte  sich,  dass 
bei  Beiden  die  Brust-  mit  der  Bauchhöhle  communicirte.  Ein 
fibröser,  25  cm  langer  Strang  verband  die  fibrösen  Säcke  beider 
Herzbeutel,  in  welchen  man  die  Bewegung  von  Flüssigkeit  gewahrte. 
Nach  Eröffnung  der  Herzbeutel  zeigte  sich  die  Berührung  der  parietalen 
Blätter  derselben  ;  bei  diesem  Schnitte  wurde  (wohl  unabsichtlich) 
die  linke  Pleurahöhle  der  Maria  eröffnet.  Der  linke  Pleurasack  ver¬ 
längerte  sich  jenseits  des  Rippenbogens  bis  zum  rechten  Parietal- 
Pleurablatt  der  Rosalina.  Endlich  wurde  die  Leberbrücke  durch¬ 
schnitten,  die  Blutung  gestillt,  womit  die  Trennung  beider  Kinder 
vollendet  war.  Maria  starb  5  Tage  14  Stunden  nach  der  Ope¬ 
ration.  Die  Autopsie  ergab:  Pleuritis,  linksseitigen  Pneumothorax, 
keine  Leberhämorrhagie,  keine  Peritonitis,  normale  Herzlage.  Rosa¬ 
lina  war  nach  15  Tagen  mit  einer  15  cm  langen  Narbe  geheilt. 
Im  Niveau  derselben,  direct  unter  der  Haut,  und  nicht  durch  das 
Brustbein  geschieden,  ist  das  Herz  gelagert.  Die  Radiographie  er¬ 
weist  die  Rechtslagerung  des  Herzens.  Das  besprochene  Monstrum 
gehört  in  die  Classe  der  Monomphalien,  nicht  zu  den  Xiphopagen 
(im  Sinne  von  Dareste),  denn  Rosalina  hat  ein  verlagertes  Herz; 
auch  nicht  zu  den  Thoracopagen,  denn  beide  Herzen  sind  wohl¬ 
gebildet  und  getrennt,  auch  ist  bei  dieser  Gattung  die  Vereinigung 
der  Brust-  und  Baucheingeweide  sehr  ausgeprägt.  Bezüglich  der 
A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  hat  Fournier  eine  grosse  Zahl  -von  Zwillings¬ 
schwangerschaften  und  auf  Grund  dystrophischer  Stigmata  viele 
Monstrositäten  in  Verbindung  mit  Heredo-Syphilis  gebracht.  Auch  bei 
Maria  und  Rosalina  fanden  sich  Deformitäten  von  Kopf  und  Brust¬ 
korb,  Dextrocardie,  Verlagerung  der  Lebern,  Gesichtsstörungen, 
Stottern,  die  jedoch  nicht  hinreichen,  um  Heredo-Syphilis  zu  be¬ 
gründen.  Die  Abplattung  der  Brustkörbe  von  Maria  und  Rosalina 
entsprechen  der  von  ihnen  fünf  Jahre  lang  eingenommenen  Stellung; 
der  Augenspiegelbefund  ergab  nur  rudimentäre  Zeichen  stellen¬ 
weiser  Entfärbung  oder  Ueberpigmentirung  der  Chorioidea 
bei  der  ein  wenig  hypermetropischen  Rosalma.  Die  vor 
und  nach  dem  Monstrum  geborenen  drei  Geschwister  sind  ge¬ 
sund.  Allein  die  Mutter  war  Alkoholikerin  mit  Neigung  zu  Paralysis 
generalis  und  ihr  erstes  Siebenmonatkind  .wurde  todt,  macerirt  ge¬ 
boren,  so  dass  man  dennoch  Syphilis  vermuthen  kann.  —  (Bulletin 
de  l’Academie  de  Medecine.  Nr.  39,  23.  October  1900,  64.  annee, 
Tome  XLIV,  3.  serie.)  Sp. 

* 

551.  Ueber  die  durch  die  Barde  nheuer’s  che 
Extensionsmethode  an  den  Brüchen  der  unteren 
Gliedmassen  erhaltenen  functionellen  Ergebnisse. 
Von  Dr.  Bliesen  er  (Köln).  Verfasser  berichtet  über  die  von 
1891  bis  1897  im  Kölner  Bürgerhospital  behandelten  Fälle,  welche 
Personen  betrafen,  die  nach  dem  Unfallversicherungsgesetze  Anspruch 
auf  Entschädigung  hatten.  Besonders  schöne  Resultate  wurden 
durch  die  Extensionsbehandlung  bei  den  Brüchen  des  Talus  und 
Calcaneus  erzielt,  deren  26  behandelt  worden  waren;  7  davon 


waren  schon  vor  der  14.  Woche  geheilt;  nur  7  beziehen  eine 
Rente.  Von  76  Unterschenkelbrüchen  waren  43  innerhalb  91  Tagen 
geheilt  worden,  von  21  Oberschenkelbrüchen  drei  innerhalb  der¬ 
selben  Zeit.  Rente  beziehen  fünf.  Bardenheuer  verwirft 
den  Gehverband.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LV.) 

* 

o52.  Ueher  Encephalopathia  saturnina  und 
den  Gebrauch  des  Diachylums  als  Abortivmittel. 
Von  Dr.  Ransom.  Das  Diachylon  scheint,  innerlich  genommen, 
ein  in  England  von  den  Frauen  der  verschiedensten  Gesellschafts- 
classen  angewendetes  Mittel  zu  sein,  um  künstlichen  Abort  zu  ver¬ 
anlassen.  Es  ist  nicht  zu  verwundern,  dass  es  trotz  der  kleinen 
Gaben  in  manchen  Fällen  zu  den  Erscheinungen  von  Bleivergiftung 
kommt,  wie  Verfasser  in  einigen  Fällen  näher  berichtet.  —  (Brit. 
med.  Journ.  30.  Juni  1900.)  Pi. 

* 

55°.  (Societe  beige  de  neurologie.)  Ueber  einen  Fall 
von  Malum  perforans.  Von  Crocq.  Der  Kranke  gerieth  vor 
Jahren  mit  dem  Beine  in  ein  Räder-Triebwerk.  Die  Wunde  ver¬ 
heilte.  Einige  Jahre  später  Bruch  des  äusseren  Knöchels.  Hierauf 
Malum  perforans,  Geschwüre  an  der  Planta  pedis,  zwei  Francs 
gross,  unter  dem  fünften  Metatarsus ;  trophische  Störungen  der 
Nägel,  Fuss  in  Varus-Equinus-Stellung.  Faradisation,  Ichthyolum¬ 
schläge.  Heilung  nach  zwei  Monaten.  —  (Journal Medical  deBruxelles  45. 
8.  November  1900.)  Sp. 

* 

554.  Pr  owe  berichtet  über  Ankylostomiasis  in  Central- 
amerika,  von  welcher  an  einzelnen  Herden  die  Bevölkerung 
bis  zu  23%  ergriffen  sein  soll.  Einen  besonderen  Erfolg  will 
Pr  owe  durch  die  Verabreichung  einer  einmaligen  Dosis  von 
6—8#  Thymol  gesehen  haben.  —  (Virchow’s  Archiv.  Bd.  CLV1II, 
Heft.  3.) 

* 

555.  (Aus  dem  Institute  für  experimentelle  Therapie  des  Pro¬ 

fessors  E  h  r  1  i  ch  in  Frankfurt  a.  M.)  Ueber  eine  infectiöse 
Krankheit  der  Strauss e.  Von  Dr.  Marx.  Bei  einer  unter 
40  aus  dem  Süden  gekommenen  Straussen  war  eine  Seuche  auf- 
getrelen,  als  deren  Ursache  ein  zur  Gruppe  der  Bacterien  der 
hämorrhagischen  Septikämie  gehöriger  Mikroorganismus  gefunden 
wurde.  Bei  einer  gelegentlich  auftretenden  derartigen  Epidemie  ist 
Isolirung  der  erkrankten  Individuen  eine  Hauptbedingung.  — 
(Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XXVII,  Nr.  24.)  Pi. 

* 

556.  (Societe  de  Medecine  de  Paris.)  Ueber  einen  Fall 

von  acutem  Lungenödem  während  der  Schwanger¬ 
schaft.  Von  Vidal.  Eine  gesunde,  20jährige  Frau  im  sechsten 
Monate  der  ersten  Schwangerschaft  wurde  ohne  vorherige  An- 
Zeichen  von  hochgradiger  Dyspnoe  befallen ;  quälender  Husten, 
schaumige  Expectoration,  extremes  Angstgefühl.  Respiration  108. 
Cyanose,  kleiner  Puls,  kühle  Extremitäten,  Herzbefund  negativ, 
feines,  crepitirendes  Rasseln  über  den  Lungen,  nach  oben  zu¬ 
nehmend.  Aderlass  (500#),  Blasenpflaster,  Kataplasmen  von  Senf- 
und  Leinsamenmehl;  Aether-,  Coffein-,  Kampherinjectionen;  Apo- 
morphinum  mur.  und  Sulf.  strychnini  je  leg  hypodermatisch. 
Vomitus.  Anfall  coupirt;  nach  zwei  Tagen  lebendes  Kind 
normal  geboren.  Vortragender  streift  die  Hypothese  toxischer 
Gravidität  und  betrachtet  den  Anfall  von  Lungenödem  als  bedingt 
durch  vasomotorische  Störungen  nervösen  Ursprungs,  bei  Hyste¬ 
rischen  von  Anderen  beobachtet.  Von  Ergotin  wurde  wegen  der 
Schwangerschaft,  von  kalten  Bädern  angesichts  eines  möglichen 
Exitus  letalis  aus  subjectiven  Gründen  abgesehen.  —  (Le  Progres 
Medical.  44,  3.  November  1900.)  Sp. 

* 

557.  Vorläufige  Mittheilung  überdiebacte ricide 
Wirkung  derunsichtbarenStrahlen  des  Induction  s- 
funkens.  Von  Dr.  Strebei  (München).  Strebei  hat  die  Ent¬ 
deckung  gemacht,  dass  die  unsichtbaren  Strahlen  eines  kräftigen 
Funkeninductoriums  im  Stande  sind,  starke  Culturen  z.  B.  von 
Micrococcus  prodigiosus  in  20  Minuten  selbst  durch  eine  dicke 
Quarzschichte  hindurch  zu  tödten.  Der  Inductionsfunken  ist  sehr 
reich  an  ultravioletten  Strahlen,  die  durch  Projection  auf  einen 
Bariumplatincyanurschirm  sichtbar  gemacht  werden  können.  Strebei 


1206 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


verwendete  bei  seinen  Versuchen  Elektroden  von  Aluminium  und 
Cadmium.  Er  hat  hei  denselben  weiters  gefunden,  dass  hei  der 
Anwendung  des  Linsenfiltersystems  nach  Fi  n  sen  die  eigentlichen 
ultravioletten  Strahlen  gänzlich  ahsorhirt  werden,  und  dass  nur 
mehr  die  chemisch  schwächer  wirksamen  Strahlen  von  Blau-Violett 
zur  Wirksamkeit  gelangen,  welche  Entdeckung  für  die  Verbesserung 
des  Lichtheilverfahrens  nicht  ohne  Bedeutung  bleiben  wird.  Eine 
weitere  Veröffentlichung  stellt  bevor.  —  ■  (Deutsche  medicinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  47. 

* 

558.  Ein  Fall  von  Koth  tumor.  Von  W.  Boten 
(Hannover).  Bei  dem  19jährigen  Mädchen  wurde  ein  Bauchtumor 
festgestellt,  den  man  für  ein  Myom  oder  eine  Dermoidcyste  hielt. 
Nach  einigen  Tagen  bemerkte  man,  dass  man  in  den  Tumor  einen 
bleibenden  Eindruck  zu  machen  im  Stande  war,  wodurch  die  Ge¬ 
schwulst  als  Kothtumor  erkannt  und  mit  Massenklystieren  erfolg¬ 
reich  behandelt  wurde.  -  (Centralblatt  für  Gynäkologie.  1900, 
Nr.  33.) 

* 

559.  lieber  einen  günstig  verlaufenen  Fall  von 
Perforation  des  Kindes  intra  partum.  Von  Dr.  Per- 
nice  (Frankfurt  a.  0.).  ln  der  —  wahrscheinlich  irrigen  —  An¬ 
nahme,  dass  ein  Hydrocephalus  vorliege,  war  hei  dem  Kinde  das 
N  a  e  g  e  1  e’sche  Perforatorium  angewendet  worden  und  soll  hei  der 
Operation  reichlich  Blut  abgeflossen  sein.  Nach  der  Gehurt  bestand 
eine  Lähmung,  die  wieder  zurückging.  Im  Alter  von  1  :,/4  Jahren 
war  das  Kind  geistig  und  auch  körperlich  bis  auf  einen  kleinen 
Hirnprolaps  normal.  —  (Centralblatt  für  Gynäkologie.  1900,  Nr.  35.) 

Pi. 

560.  Ueber  einen  Fall  von  Mittelohrentzündung 

durch  Pneumococcus-Infection.  Von  Hirtz.  (Societe 
medieale  des  höpitaux.)  Ein  63jahriger  Mann  mit  rechtsseitiger 
Pneumonie  überstand  dieselbe  nach  neun  Tagen.  Die  ihn  pflegende, 
bisher  gesunde  Frau,  welche  die  mit  pneumonischem  Sputum  ge- 
füllte  Schale  oft  entleerte,  erkrankte  drei  Tage  nach  Ausbruch  der 
Pneumonie  ihres  Mannes  an  reichlichem  purulenten,  beiderseitigen 
Ohrenflusse.  Sie  war  nach  zwölf  Tagen  hergestellt.  Im  otitischen 
Eiter  fanden  sich  zahlreiche  Pneumococcen,  deren  Aus¬ 
saat  reichliche  Colonien  erzeugte.  Es  ist  fast  zweifellos,  dass  hier 
die  mit  Sputum  der  Spuckschale  beschmutzten  Hände  die  An¬ 
steckung  durch  die  Nasenhöhlen  oder  Gehörgänge  hervorriefen.  — 
(Gazette  des  höpitaux.  124,  30.  October  1900.)  Sp. 

* 

561.  Einen  neuen  Beweis,  wie  selbst  ungewöhnlich  schwere 
Verletzungen  zur  Heilung  kommen  können,  erbrachte  E.  Rose 
mit  der  Vorstellung  eines  Falles  in  der  Sitzung  (12.  März  1900) 
der  Freien  Vereinigung  der  Chirurgen  Berlins.  Der  63jährige 
Bremser  war  von  einer  Locomotive  erfasst  worden  und  hatte  eine 
Zerreissung  der  Lunge,  des  Herzbeutels,  des  Zwerchfelles,  einen 
Splitterbruch  des  rechten  Oberarmes,  einen  Bruch  linksseitiger 
Rippen,  sowie  der  linken  Clavicula  erlitten.  Heilung  in  etwa  zwei 
Monaten. 

* 

562.  Dr.  Hi  11  mann  besprach  in  der  medicinisch-natur- 
wissenschaftlichen  Gesellschaft  in  Jena  einen  Fall  von  Cystitis, 
die  durch  Einwanderung  eines  Fremdkörpers  in 
die  Blase  aus  deren  Umgehung  bedingt  worden  war.  Von  Zeit 
zu  Zeit  gingen  aus  der  Blase  Concremente  ab,  deren  Kern  ein 
Stück  Fadengewebe  darstellte.  Da  die  Kranke  einige  Zeit  vorher 
auswärts  wegen  einer  doppelseitigen  Pyosalpinx  vaginal  operirt 
worden  war.  so  dachte  man  an  eine  Naht  als  die  Ursache  der 
Erscheinungen.  Ein  entsprechender  Eingriff  führte  zu  keinem 
Resultate,  dagegen  gelang  es  nach  genügender  Dehnung  und  theil- 
weiser  Spaltung  der  Urethra  einen  noch  in  der  Blasen  wand  fest¬ 
haftenden  Fremdkörper  zu  entdecken,  der  sich  als  Rest  eines 
Gazetupfers  erwies,  der  wahrscheinlich  hei  der  ersten  Operation 

zurückgelassen  worden  war.  Pi. 

* 

563.  U  e  b  e  r  den  Einfluss  von  Würzestoffen  auf 
die  Arbeit.  Von  F  e  r  e.  (Societe  de  biologic,  Paris )  Zucker 
und  Salz  haben  eine  erregende  Wirkung;  die  der  aromatischen 
Gewürze  ist  complicirt  durch  den  Einfluss  auf  Geschmack  und 


Geruch.  Fere  studirte  verschiedene  Essenzen,  Zimmt,  Gewürz¬ 
nelken,  Citronen  etc.,  indem  er  einen  Tropfen,  auf  ein  Stückchen 
Papier  oder  nicht  gesäuertes  Brot  gegeben,  auf  die  Zunge  legte. 
Die  Erregung  des  Geschmackes  ist  immer  stärker,  wie  jene  des 
Geruches,  und  entspricht  einer  beträchtlichen  Steigerung  der  Curve 
des  Ergographen  —  »sensorieller  Rausch«.  Die  Erregung  über¬ 
trägt  sich  auf  Motilität,  Sensibilität  und  Erregbarkeit.  Der  Hafer 
erzeugt  wahrscheinlich  durch  den  Eintluss  einer  in  Alkohol  lös¬ 
lichen,  im  Pericarp  enthaltenen  Substanz  eine  sehr  markirte 
Steigerung  der  Erregbarkeit  beim  Menschen  und  Pferde,  was  hei 
anderen  Getreidearten  nicht  der  Fall  ist.  —  (La  Medicine  moderne. 

66,  7.  November  1900.)  Sp. 

* 

564.  Die  Acclimatisation  der  europäischen  und 
insbesondere  der  germanischen  Race  in  den  Tropen 
und  ihre  hauptsächlichen  Hindernisse.  Von 
Wulffert  (Berlin).  Unter  Acclimatisation  versteht  man  eine  der¬ 
artige  Anpassung  des  Menschen  an  die  veränderten  klimatischen 
Bedingungen  eines  neuen  Wohnortes,  welche  den  Menschen  be¬ 
fähigt,  dort  die  nöthige  Arbeit  zur  Bestellung  des  Bodens  unter 
freiem  Himmel  zu  leisten,  ohne  dass  sich  eine  dauernde  Schädigung 
seiner  Gesundheit  oder  Leistungsfähigkeit  daraus  ergäbe.  Während 
die  Europäer  überall  in  der  gemässigten  Zone  lebenskräftige  Colonien 
bilden  konnten,  ist  eine  Acclimatisation  derselben  bisher  innerhalb 
der  Wendekreise  nicht  gelungen;  alle  derartigen  Ansiedelungen  in 
der  heissen  Zone  sind  spurlos  unter  den  Eingeborenen  verschwunden, 
so  dass  in  der  heissen  Zone  jetzt  nirgends  eine  geschlossene,  aus 
älterer  Zeit  stammende  Ansiedlung  reiner  Race  anzutreffen  ist. 
Angeblich  sollen  an  sieben  Punkten  der  heissen  Zone  Europäer  in 
reiner  Race  seit  längerer  Zeit  sich  befinden;  bei  näherer  Betrach¬ 
tung  zeigt  sich  jedoch,  dass  hei  diesen  von  einer  Acclimatisation 
iry  strengen  Sinne  nicht  die  Rede  sein  kann.  Dieser  stehen  prak¬ 
tisch  drei  Hindernisse  entgegen:  1.  Die  Malaria,  2.  die  metereo- 
logischen  Agentien  der  Tropen,  3.  die  europäische  Trinksitte.  Die 
letztere  kann  als  kein  ernsteres  Hinderniss  angesehen  werden,  auch 
der  Malaria  kann  man  vielleicht  Herr  werden,  die  klimatischen 
Verhältnisse  zu  ändern  sind  wir  nicht  im  Stande.  Ob  sich  unsere 
Race  denselben  jemals  anpassen  wird,  das  ist  vorläufig  weder  zu 
bejahen,  noch  zu  verneinen.  Für  jetzt  glaubt  sich  Wulffert  zur 
Behauptung  berechtigt,  dass  die  nothwendigen  Vorbedingungen  für 
die  Anlage  grösserer  germanischer  Ackerbaucolonien  in  den  heissen 
Ländern  auch  im  Laufe  des  ganzen  XX.  Jahrhunderts  nicht  gegeben 
sein  werden,  und  dass  Deutschland,  falls  es  den  Volksüberschuss, 
den  ihm  das  XX.  Jahrhundert  liefern  wird,  in  eigenen  Colonien 
unterbringen  will,  gezwungen  sein  wird,  zu  diesem  Zwecke  neue 
Länder  in  der  gemässigten  Zone  zu  erwerben.  - —  (Sammlung  kli¬ 
nischer  Vorträge  von  Volk  mann.  Nr.  279.) 

* 

565.  Experimenteller  Nachweis  der  Dauer  des 
Impfschutzes  gegenüber  Kuh-  und  Menschen¬ 
pocken.  Von  Dr.  Martius  (Berlin).  Die  bereits  von  mehreren 
Seiten  aus  gemachten  Angaben,  dass  im  Serum  von  Thieren  oder 
Menschen,  welche  mindestens  zwölf  Tage  früher  geimpft  worden 
sind,  sich  Stoffe  befinden,  welche  eine  gute  Lymphe  ihres  Ver¬ 
mögens,  Pusteln  zu  bilden,  berauben,  kann  nach  den  Untersuchungen 
des  Verfassers  kaum  mehr  bezweifelt  werden.  Diese  Kraft  ist  im 
Kalbsserum  noch  nach  fünf  Monaten,  wenn  auch  in  geringerem  Masse, 
nachzuweisen.  Serum  eines  Menschen,  14  Tage  nach  Ausbruch 
echter  Variola  entnommen,  erwies  sich  sehr  reich  an  solchen 
Stoffen,  welche  aber  im  Serum  von  Menschen,  die  vor  20  Jahren  ge¬ 
impft  worden  waren,  nicht  mehr  mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden 
konnten.  —  (Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte  in 

Berlin.  Bd.  XVII,  Heft  1.  Verlag  Springer.)  Pi. 

* 

566.  Spontaner  Bruch  des  Processus  stylo i- 

d  e  u  s.  Von  Goris.  (Societe  beige  de  Chirurgie.)  Verfasser  be¬ 
obachtete  zwei  Fälle.  Symptome:  Plötzlicher  vor  und  ein  wenig 
über  die  Tonsille  localisirter  Schmerz,  unter  der  Schleimhaut  eine 
nach  innen  und  aufwärts  gerichtete  Spitze,  von  der  sich  ein 
kleiner  Knochen  verfolgen  lässt.  Heilung  nach  Extraction  des 
Knochenfragmentes.  —  (Journal  medical  de  Bruxelles.  44,  1.  No¬ 
vember  1900.)  Sp. 

* 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1207 


567.  Ueber  die  Widerstandsfähigkeit  der  mit 
dem  Lungenauswurf  herausbeförderten  Tuberkel¬ 
bacillen  in  Abwässern,  im  Flusswasser  und  im 
eultivirten  Boden.  Von  Dr.  Muse  hold  (Berlin).  Die  inter¬ 
essanten  Versuche  führten  zu  dem  Ergebniss,  dass  die  Tuberkel¬ 
bacillen  in  obigen  Medien,  trotz  aller  Schädlichkeiten,  die  dabei 
auf  sie  einwirken  können,  trotz  Frost,  Schnee,  Regen,  Sonnenschein, 
Fäulniss,  trotz  der  Concurrenz  einer  mannigfachen  Bacterien- 
flora  im  Grossen  und  Ganzen  gerade  so  gut  vegetiren,  wie  in  ge¬ 
trockneten  Sputis;  die  Tuberkelbacillen  bewahren  nämlich  unge¬ 
achtet  aller  dieser  Schädlichkeiten  ihre  Virulenz  eine  Anzahl  von 
Monaten  hindurch.  Die  Tuberkelbacillen  können,  mit  den  Ab¬ 
wässern  in  eultivirten  Boden  überführt,  die  Zeit  bis  zur  Erntereife 
überdauern,  unter  Umständen  mit  den  Feldbauproducten  wieder  in 
die  nächste  Umgebung  des  Menschen  gelangen  und  diese  unmittel¬ 
bar  oder  den  Viehstand  gefährden.  Die  Untersuchung  der  Schlamm¬ 
absetzungen  von  dem  Rieselfelde  einer  Heilanstalt  für  Lungenkranke, 
sowie  jene  der  geklärten  Abwässer  zeigten  reichliche  virulente 
Tuberkelbacillen.  Hienach  erscheint  es  in  diesen  Anstalten  noth- 
wendig,  dass  die  Sputa  der  Tuberculösen,  noch  ehe  sie  in  die 
Abwässer  des  Haushaltes  gelangen,  desinficirt  werden.  Hiebei  ist 
zu  bedenken,  dass  die  chemischen-  Desinfectionsmittel  auf  die 
schleimigen  Sputa  meist  unzuverlässig  wirken,  da  sie  nicht  ge¬ 
nügend  einzudringen  vermögen;  das  beste  Mittel  ist  vorläufig  das 
Erhitzen  der  Sputa  bis  zur  Siedetemperatur.  Für  die  Desinfection 
im  Kleinen  kommt  in  erster  Linie  Carbolsäure  in  Frage.  Für  die 
Desinfection  der  Abwässer,  welche  mit  Tuberkelbacillen  verunreinigt 
sind,  müssen  stärkere  Chlorkalklösungen  genommen  werden,  als  sie 
sonst  zur  Vernichtung  von  Typhusbacillen  genügen.  Bei  unge¬ 
klärten  Siebwässern  werden  auf  1  cm3  1000  Chlorkalk  zu  rechnen 
sein.  —  (Arbeiten  aus  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte.  Bd.  XVII, 
Heft  1.  Springer’s  Verlag,  Berlin.) 

* 

568.  (Aus  der  Universitäts-Ohrenklinik  des  Prof.  Lucae  in 
Berlin.)  Ueber  die  besondere  Gefährlichkeit  der 
acuten  eiterigen  Mittelohrentzündung  im  höheren 
Alter.  Von  Dr.  Heine.  Für  Personen  jenseits  des  40.  Lebens¬ 
jahres  ist  die  genannte  Erkrankung  nach  den  Erfahrungen  an 
obiger  Klinik  eine  eminent  lebensgefährliche  Erkrankung.  Von  63 
während  25  Jahren  beobachteten  Fällen  von  uncomplicirter  Menin¬ 
gitis  waren  31  durch  eine  acute,  beziehungsweise  subacute  Mittel¬ 
ohreiterung  bedingt  gewesen.  Von  den  betroffenen  Personen  waren 
16  in  einem  Alter  über  40  Jahre  gestanden.  —  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  35.) 

* 

569.  Eine  neue  Krankheit  mit  einer  ganz  be¬ 
sondere  Urin  reaction.  Von  Surveyor.  Die  ohne  Fieber 
verlaufende  Erkrankung  beginnt  mit  einer  ödematösen  Schwellung 
in  der  Gegend  der  Parotis,  die  sich  auf  das  übrige  Gesicht  fort¬ 
setzt;  auf  der  Haut  treten  kleine  Bläschen  auf.  Auf  Zusatz  von 
Alkalien  färbt  sich  der  Urin  roth.  —  (Lancet.  11.  August  1900.) 

*  * 

570.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Greifswald.)  Beitrag 
zur  chirurgischen  Behandlung  der  Enteroptose. 
Von  Dr.  B  1  e  c  h  e  r.  Prof.  Bier  hat  in  vier  Fällen  die  für  die 
Gastroptose  ursächlich  in  Betracht  kommende  Erschlaffung  der 
Aufhängebänder  des  Magens  in  folgender  Weise  mit  Erfolg  behoben: 
Drei  bis  vier  Fäden  wurden  dicht  unter  der  Leber  durch  das 
Ligamentum  gastrohepaticum  ein-  und  etwa  1  cm  tiefer  wieder 
ausgeführt;  dasselbe  geschah  noch  in  der  Mitte  des  genannten 
Ligamentes  und  oberhalb  der  kleinen  Curvatur.  Beim  Knoten  der 
Fäden  bilden  sich  zwei  Querfalten  und  der  Magen  wird  dadurch 
in  die  Höhe  gezogen.  Der  erste  Faden  liegt  dicht  neben  dem 
Ligamentum  hepatico-duodenale  und  fasst  die  Serosa-Muscularis 
der  Pförtnergegend  und  die  Kapsel  der  Leber  mit,  die  anderen 
Fäden  schliessen  sich  in  der  Richtung  nach  der  Cardia  an.  In 
zweien  dieser  Fälle  hat  Prof.  Bier,  um  die  Fixation  zu  sichern, 
in  der  Mitte  der  rechten  Hälfte  der  Magenvorderfläche  zwei  Nähte 
durch  die  Serosa  und  entsprechend  durch  Kapsel  und  oberfläch¬ 
liches  Gewebe  des  linken  Leberlappenrandes  gelegt.  In  ähnlicher 
Weise  wurde  in  einem  Falle  von  Colonoptose  das  Mesocolon  mit 


vier  Seidennähten  gerafft,  und  das  Colon  an  seine  normale  Stelle 
gebracht.  —  (Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LVI,  Heft  3 
und  4.) 

* 

571.  Ueber  die  Th  ymusdämpfung.  Von  Dr.  Blumen¬ 

reich.  Nach  vergleichenden  Untersuchungen  an  Lebenden  und 
hei  Obductionen  bildet  die  Thymusdämpfung  ein  Dreieck  mit  einer 
Basis,  welche  die  beiden  Sternoclaviculargelenke  mit  einander  ver¬ 
bindet  und  einer  in  der  Höhe  der  zweiten  Rippe  liegenden  Spitze. 
Wird  diese  Dämpfung  seitlich  um  mehr  als  1  cm  vergrössert  ge¬ 
funden,  ist  die  sonst  laut  klingende  Zone  des  Lungenschalles 
zwischen  Thymus-  und  Herzdämpfung  geschwunden,  dann  ist,  wenn 
nicht  eine  andere  Ursache  vorliegt,  die  Drüse  vergrössert.  Die 
markig  infiltrirten  Bronchialdrüsen  verursachen  keine  Dämpfung, 
sondern  erst  die  verkästen  Drüsen.  —  (Virchow’s  Archiv.  Bd.  CLX, 
Heft  1.)  Pi. 

* 

572.  Ueber  Geschmacks-  und  Geruchsstörungen 
der  Tabetiker.  Von  Jullian.  Verfasser  hat  bei  vielen  Tabes¬ 
kranken  von  Seite  des  Geruchssinnes  beobachtet:  Verminderung 

Ö 

desselben,  Hemianosmie,  Anosmie;  von  Seite  des  Geschmackes: 
vollständige  oder  unvollständige  Ageusie,  Verkehrtheit  des  Ge¬ 
schmackes.  Bei  Beiden  Verminderung  oder  Aufhebung  der  schmerz¬ 
haften  Gefühlsempfindung  oder  des  Reflexes  von  Seite  der  Nasen- 
und  Zungenschleimhaut.  Verfasser  zieht  eine  Parallele  zwischen 
Tabetikern  und  allgemein  Paralytikern,  hei  welch  letzteren  nur  der 
Geruch  eine  Verminderung,  vergleichbar  mit  der  bei  Tabetikern, 
erleidet.  Dies  bestätigt  noch  mehr  die  Auffassung,  dass  bei  der 
Tabes  die  peripheren,  bei  der  allgemeinen  Paralyse  die  centralen 
Neuronen  lädirt  sind.  —  (La  Riforma  medica.  251,  30.  September 

1900.)  Sp. 

* 

573.  Ueber  eine  subcutane  Prothese.  Von  R.  Ger- 
s  u  ny.  Flüssig  gemachtes  Vaselin  lässt  sich  mittelst  einer  Pravaz- 
Spritze  in  nachgiebiges  Gewebe  injiciren,  wo  es  bei  Körpertemperatur 
Salbenconsistenz  erlangt  und  unverändert  liegen  bleibt.  Auf  diese 
Weise  können  ziemlich  solide  Einlagerungen  von  Vaselin  in  die 
Haut  hergestellt  werden,  die  unter  Umständen  den  Werth  einer 
Prothese  haben  können.  G  e  r  s  u  n  y  hat  auf  diese  Weise  einem 
jungen  Manne,  der  beide  Hoden  verloren  hatte,  durch  Injection 
von  Vaselin  in  das  Gewebe  beider  Scrotalhälften  daselbst  zwei 
Vaselindepots  geschaffen,  die  für  die  Palpation  als  Hoden  gelten 
konnten.  Ein  lSjähriges  Mädchen,  das  wegen  eines  einseitigen 
Wolfsrachens  mit  Erfolg  operirt  worden  war,  hatte  die  näselnde 
Sprache  von  früher  beibehalten;  durch  Injection  von  Vaselin  in 
Velum  und  Uvula  wurde  die  Sprache  sofort  besser  und  auch  das 
Aussprechen  des  »g«  ermöglicht.  Die  Verbesserung  der  Sprache  ist 
einerseits  auf  die  durch  die  Injection  zu  Stande  gekommene  Ver¬ 
kleinerung  des  Pharynx,  sowie  darauf  zurückzuführen,  dass  es  jetzt 
möglich  war,  das  Velum  durch  den  Zungengrund  an  die  hintere 
Rachenwand  anzudrücken.  Die  Einlagerung  von  Vaselin  liesse  sich 
nach  den  Vorschlägen  von  Gersuny  etwa  noch  zur  Hebung  ein- 
gezogener  Hautnarben  anwenden,  zur  Beseitigung  einer  eingesunkenen 
Wange  nach  Verlust  des  Oberkiefers,  hei  Sattelnase,  zur  Ausfüllung 
von  Wundhöhlen  mit  starrer  Wand,  zur  Ausfüllung  von  Hirn- 
defecten,  zur  Bildung  eines  beweglichen  Gelenkes  (z.  B.  nach  Ell- 
bogenresection),  zur  Verbesserung  mancher  fncontinenzen  (Rectum, 
Anus  arteficialis),  als  Prothese  nach  Mammaamputation.  Selbst¬ 
verständlich  wird  man  diese  Methode  nicht  dort  anwenden,  wo 
man  durch  eine  plastische  Operation  voraussichtlich  einen  besseren 
und  sicheren  Erfolg  erwarten  kann.  (Zeitschrift  für  Heilkunde. 
Bd.  XXI,  Heft  9.) 

* 

574.  Ueber  die  vollständige  Exstirpation  der 
Zunge  und  des  Mundbodens.  Von  Dr.  K  o  1 1  z  e  (Bethanien- 
Berlin).  Bei  dem  Patienten  wurde  nach  Anlegung  eines  ent¬ 
sprechenden  Hautschnittes  wegen  Recidives  eines  Zungencarcinoms 
die  Zunge  an  der  Epiglottis  abgesetzt,  weiters  noch  die  infiltrirten 
Tonsillen,  Mundboden,  Backenschleimhaut,  linker  Unterkiefer,  die 
submaxillaren  Drüsen  entfernt.  Entlassung  als  geheilt  nach  zwei 
Wochen.  —  (Deutsche Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  LVI,  Heft  3  und  4.) 

Pi. 

* 


1208 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


575.  Ueber  einen  Fall  von  erysipelatöser 
Septikämie  bei  einem  Tobsüchtigen.  Tod.  Von  G  i  a  c  c  h  i. 
P.  D.,  G3  Jahre  alt,  erblich  belastet.  Psychosen  von  kurzer  Dauer 
vorhergegangen.  Im  December  1899  hochgradige  Manie  ohne 
Prodromen.  In  der  Gegend  des  rechten  Pulses  und  des  Processus 
sliloideus  der  Ulna  geringe  Hautabschürfungen.  Erysipel  der  rechten 
oberen  Extremität,  in  fünf  Tagen  bis  zur  Achselhöhle  fortschreitend, 
Tod  am  siebenten  Tage.  Impfungen  aus  verschiedenen  Organen  er¬ 
gaben  Reinculturen  von  Streptococcus,  welcher  bei  Kaninchen 
vorübergehendes  Erysipel  bewirkte.  Verfasser  schreibt  mit  C  e  n  n  i 
des  Tod  des  Mannes  der  Aufnahme  des  Streptococcus  von  Fehleisen 
in  den  Blutkreislauf  zu,  nachdem  durch  die  schwere  Psychose 
die  bactericide  und  phagocytäre  Kraft  des  Blutes  geschwächt  war. 
(Gazetla  degli  Ospedali,  132,  4.  November  1900.)  Sp. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 


Herr  Professor  H.  Obersteiner  ist  der  „Wiener  klinischen 
Wochenschrift“  als  ständiger  Mitarbeiter  beigetreten.  Die  Red. 

* 


Ernannt:  In  Brüssel:  Dr.  Bay  et  zum  Professor  der  Der¬ 
matologie  und  Dr.  C  h  e  v  a  1  zum  Professor  der  Laryngologie. 

* 

V  er  liehen:  Dem  Hofi  athe  Isidor  Neumann  in  Wien 
das  Comthurkreuz  I.  CI.  des  herzoglich  Sachsen-Ernestini’selien  Haus¬ 
ordens.  —  Dem  Stadtphysicus-Stellvertreter  Dr.  Hadrian  M  e  r  1  a  t  o 
in  Triest  das  Ritterkreuz  des  königlich  spanischen  Ordens  Isabella 
der  Katholischen.  —  Dem  praktischen  Arzte  Dr.  Franz  T  s  c  hur- 
tschenthaler  in  Innsbruck  der  fürstlich  bulgarische  Civil- 
Verdienstordens  IV.  Cl. 

* 


Gestorben:  Dr. 
Assistent. 


A.  Schroll  in  Wien,  gewesener  klinischer 
* 


Die  von  H.  Munk  anlässlich  der  Feier  des  25jährigen  Be¬ 
stehens  der  Physiologischen  Gesellschaft  zu  Berlin  ge¬ 
haltene  Festrede  ist  bei  Hirse  hwald,  Berlin,  in  Form  einer 
31  Seiten  starken  Brochure  erschienen. 


* 


Dr.  Karl  Fluss 
gelassen. 


hat  sich 
* 


in  Meran 


als  Curarzt  nieder- 


Ans  dem  Sanitätsberichte  der  Stadt  Wien  im  er¬ 
weiterten  Gemeinde  gebiete.  48.  Jahreswoche  (vom  25.  November 
bi.«  1.  December  1900).  Lebend  geboren:  ehelich  644,  unehelich  291,  zusammen 
935.  Todt  geboren:  ehelich  46,  unehelich  19,  zusammen  65.  Gesammtzahl 
der  Todesfälle  616  (i.  e.  auf  1000  Einwohner  einschliesslich  der  Ortsfremden 
19T  Todesfälle),  darunter  an  Tuberculose  108,  Blattern  0,  Masern  31, 
Scharlach  0,  Diphtherie  und  Croup  9,  Pertussis  2,  Typhus  abdominalis  2, 
Typhus  exanthematicus  0,  Dysenterie  0,  Cholera  0,  Puerperalfieber  3,  Neu¬ 
bildungen  44.  Angezeigte  Infectionskrankheiten:  Blattern  0  (=),  Varicellen 
150  (-[-  60),  Masern  881  (-)-  315j,  Scharlach  61  (~|-  8),  Typhus  abdominalis 
5  ( —  3),  Typbus  exanthematicus  0  (=),  Erysipel  32  (-f-  5),  Croup  und 
Diphtherie  46  ( —  11),  Pertussis  40  (-{-  3),  Dysenterie  0  (==),  Cholera  0 
(  =  ),  Puerperalfieber  5  (-f-  1),  Trachom  5  (+  2),  Influenza  1  (-]-  1). 

* 

K.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte. 


Jene  Gesellschaftsmitglieder,  welche  den  Jahres¬ 
beitrag  pro  1900  noch  nicht  bezahlt  haben,  werden 
ersucht,  denselben  umgehend  an  die  Vermögensverwaltung 
der  Gesellschaft  einzusenden,  da  dieselben  sonst  statuten- 
mässig  die  Mitgliedschaft  verlieren  würden. 

Das  Präsidium. 


Bei  der  Redaction  eingelangte  Bücher. 

(Mit  Vorbehalt  weiterer  Besprechung.) 

Roberts,  The  surgical  treatment  of  congenital  and  pathological  dis¬ 
figurements  of  the  face.  The  Philadelphia  medical  publishing  Co. 
1900.  52  S. 

Habart,  Eduard  Albert,  Gedenkblatt.  Safaf,  Wien.  23  S. 

Boyce  and  Sherrington,  The  Thompson  Yates  Laboratories  Report.  Vol.  Ill, 
Part  I.  University  Press  of  Liverpool. 

Tendeloo,  Studien  über  die  Ursachen  der  Lungenkrankheiten.  1.  Theil. 
Bergmann,  Wiesbaden  1901.  Preis  M.  3.60. 


Zimmermann,  Die  Mechanik  des  Hörens  und  ihre  Störungen.  Ibidem. 
Preis  M.  2.70. 

Bergmann,  Bruns  und  Mikulicz,  Handbuch  der  praktischen  Chirurgie. 

Lieferung  18 — 20.  Enke,  Stuttgart. 

Fritsch,  Gerichtsärztliche  Geburtshilfe.  Ibidem  1901.  Preis  M.  5.70. 
Ebstein,  Die  Medicin  im  alten  Testament.  Ibidem.  Preis  M.  5. — . 
Olshausen,  Beitrag  zur  Lehre  vom  Mechanismus  der  Geburt.  Ibidem. 
Preis  M.  1.60. 

Krieg,  Atlas  der  Nasenkrankheiten.  Erste  und  zweite  Lieferung.  Preis 
k  M.  6.—. 

Praun,  Tafel  zur  Bestimmung  der  Sehschärfe  mittelst  der  Uhr.  Bergmann, 
Wiesbaden  1901. 

Zollitscll,  Die  geistigen  Störungen  in  ihren  Beziehungen  zur  Militär- 
Dienstunbrauchbarkeit.  Stüber,  Würzburg  1901.  Preis  M.  0'60. 
Hoffa,  Die  blutige  Operation  der  angeborenen  Hüftgelenksluxation.  Ibidem. 
Preis  M.  0-75. 

Sonderegger-Haffter,  Vorposten  der  Gesundheitspflege.  Fünfte  Auflage. 

Springer,  Berlin  1901.  Preis  M.  6. — . 

Report  on  Plague  in  Egypt.  Diemer,  Kairo.  Preis  M.  4. — . 

Bouchard,  Brissautl,  Traite  medecine.  Bd.  VI  und  VII.  Masson, 
Paris  1901. 

Moor.  The  permanganate  treatment  of  opium  and  morphine  poisoning. 
New  York  1899. 

Langdon  Gibson,  A  study  of  one  thousand  operations  for  acute  intestinale 
obstruction  and  gangrenous  hernia.  Separatabdruck  der  »Annals  of 
surgery.  October  1900. 

Sclirötter  v.,  Erkrankungen  der  Gefässe.  Erste  Hälfte.  Zweiter  Theil. 
Aus:  Specielle  Pathologie  und  Therapie,  herausgegeben  von  Hofrath 
Nothnagel.  Holder,  Wien.  Preis  M.  3.20. 

Jarisch,  Die  Hauterkrankungen.  Zweite  Hälfte.  Ibidem.  Preis  M.  16. — •. 
Bichat,  Anatomie  generale.  Erster  Theil.  Steinbeil,  Paris. 

Rumpe.  Wie  das  Volk  denkt.  Vieweg,  Braunschweig. 

Ribbert,  Ueber  die  Ausbreitung  der  Tuberculose  im  Körper.  Eiwert, 
Marburg.  Preis  M.  1.20. 

Schulz,  Practicum  der  physiologischen  Chemie.  Fischer,  Jena.  Preis 
M.  2.—. 

Lühe,  Ergebnisse  der  neueren  Sporozoenforschung.  Ibidem.  Preis  M.  2.80. 
Munk,  Die  physiologische  Gesellschaft  zu  Berlin.  Festrede.  Hirschwald, 
Berlin  1901.  31  S. 

Aufgabensammlung  zum  applicatorischen  Studium  des  Feld-Sanitäts¬ 
dienstes.  Safaf,  Wien  1901.  Preis  K  5.60. 


Freie  Stellen. 

An  der  öffentlichen  allgemeinen  Landes-Ivrankenanstalt  in  Czer- 
n  o  w  i  t  z  kommen  drei  Secundararztesstellen  mit  dem  Bezüge 
jährlicher  1440  K  und  dem  Naturalquartiere  in  der  Anstalt  zur  Besetzung. 
Die  Dienstzeit  der  Secundarärzte  ist  auf  zwei  Jahre  bestimmt  und  kann 
vom  Laudesausschusse  von  je  zwei  zu  zwei  Jahren  bis  zu  sechs  Jahren 
verlängert  werden.  Competenten  um  diese  Stellen  haben  die  Nachweise  bei¬ 
zubringen  :  a )  Ueber  die  österreichische  Staatsbürgerschaft,  b)  den  Besitz 
des  Grades  eines  Doctors  der  gesammten  Heilkunde,  c)  über  die  Kenntniss 
der  rumänischen  oder  ruthenischen  neben  der  deutschen  Sprache.  Irgend¬ 
welche  klinische  Ausbildung  in  einem  Specialfache  der  medicinisehen 
Wissenschaften  ist  wohl  erwünscht,  jedoch  nicht  unbedingt  nothwendig ;  es 
werden  jedoch  Competenten,  welche  den  Nachweis  über  die  Ausbildung  in 
der  pathologischen  Anatomie  und  Histologie,  sowie  Bacteriologie,  wie  über¬ 
haupt  über  ihre  Vertrautheit  mit  den  mikroskopischen,  eventuell  chemischen 
Arbeiten  erbringen  werden,  ganz  besonders  und  vor  Allen  Berücksichtigung 
finden.  Die  gehörig  instruirten  Competenzgesuclie  sind  beim  Landes- 
Ausschusse,  und  zwar  von  Bewerbern,  die  sich  bereits  in  dienstlicher 
Stellung  befinden,  im  Wege  ihrer  Vorgesetzten  Dienstbehörde  bis  25.  De¬ 
cember  1900  zu  überreichen. 

Secund  a  r  arztessteile  in  der  Landes-Gebäranstalt  in 
Brünn,  Mähren.  Remuneration  jährlicher  800  K  nebst  normalmässiger 
Wohnung,  Beheizung  und  Kost  nach  der  ersten  Classe.  Bewerber  um  diese 
Stelle,  welche  Doctoren  der  gesammten  Heilkunde  und  beider  Landessprachen 
mächtig  sein  müssen,  haben  ihre  gehörig  documentirten  und  an  den  mährischen 
Landesausschuss  gerichteten  Gesuche  längstens  bis  31.  December  1900 
bei  der  Direction  der  genannten  Anstalt  eihzubringen.  Die  Dienstzeit  ist  hei 
einer  vierwöcheutlichen,  beiden  Seiten  zustehenden  Kündigung  auf  zwei 
Jahre  festgesetzt.  Bemerkt  wird,  dass  der  anzustellende  Secundararzt 
zur  gleichzeitigen  Verwendung  als  Assistent  an  der  k.  k.  Hebammenlehr¬ 
anstalt  in  Brünn,  und  zwar  ohne  Anspruch  auf  eine  besondere  Entlohnung 
aus  dem  Unterrichtsetat,  verpflichtet  ist. 

EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XIII.  Jahrgang;  (1900) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  für  2  Kronen  72  Heller  zur 

Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XII.  Jahrgang  (1893 — 1899)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 

k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbuchhändler. 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1209 


Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressberichte. 


INHALT: 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
Sitzung-  vom  14.  December  1900. 

Wiener  laryngologische  Gesellschaft.  Sitzung  vom  8.  November  1900. 


13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris.  (2.-9.  August 

1900.)  (Fortsetzung.) 


Officielles  Protokoll  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 

in  Wien. 

Sitzung  vom  14.  December  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Csokor. 

Schriftführer  :  Docent  Dr.  Alt. 

Prof.  Weinlechner  stellt  eine  43jährige  Bäuerin  H.  vor,  bei 
welcher  er  die  entzündete  Gallenblase  sammt  einem 
grösseren  und  kleineren  Gallensteine  am  13.  November 
d.  J.  entfernt  hat.  Die  Kranke  klagte  seit  dem  letzten  Frühjahre 
über  stechende  Schmerzen  in  der  rechten  Bauchhälfte,  über  Kolik¬ 
schmerzen  ohne  Aufstossen  und  ohne  Erbrechen,  und  litt  an  hart¬ 
näckiger  Stuhlverstopfung.  Gallensteine  gingen  nie  ab.  Die  magere 
Person  hat  zehnmal  entbunden,  besitzt  in  Folge  dessen  eine  recht 
schlaffe  Bauchwand  mit  Diastase  der  Recti,  so  dass  man  den  Motus 
peristalticus  sehr  gut  sehen  kann.  In  der  rechten  Abdomenhälfte  lässt 
sich  ein  gänseeigrosser,  bimförmiger,  mit  der  Basis  nach  unten  ge¬ 
richteter,  harter  Tumor  durchfühlen.  Derselbe  ist  glatt,  respiratorisch 
verschieblich,  der  untere  Pol  lässt  sich  umgreifen,  und  reicht  vier 
Querfinger  unter  die  Nabellinie.  Die  Kranke  wurde  in  Chloroform¬ 
narkose  operirt.  Schrägschnitt  15  cm  lang,  von  links  oben  nach  rechts 
unten,  drei  Querfinger  unter  dem  Rippenbogen  verlaufend.  Nach  Durch¬ 
trennung  des  Bauchfelles  gelangte  man  zunächst  auf  das  Netz  und 
Colon  transversum;  nach  stumpfer  Durchtrennung  des  Netzes  auf  die 
Gallenblase,  deren  unterer  Pol  mit  dem  Netze,  und  deren  oberer  An- 
theil  theils  mit  der  Leber,  theils  mit  einer  Dünndarmschlinge  ver¬ 
wachsen  war.  Einige  Momente  zögerte  W  einlechner,  ob  er  die 
Gystotomie  oder  die  Cystektomie  machen  sollte,  und  endlich  entschloss 
er  sich  zu  dem  Radicalverfahren,  zur  Cholecystektomie.  Er  präparirte 
also  die  Gallenblase  ab,  unterband  den  Ductus  cysticus  doppelt  und 
trennte  diesen  zwischen  beiden  Ligaturen.  Als  er  nun  »von  der  unteren 
Ligatur  aus  den  Blasenhals  abgelöst  hatte,  riss  dieser  ein,  und  aus 
der  Rissöffnung  entleerte  sich  nebst  galligem  Schleime,  welcher  mit 
Tupfern  anfgefangen  wurde,  ein  haselnussgrosser,  rhombischer,  facet- 
tiiter  Stein.  Der  grössere  Stein  blieb  in  der  Blase,  welche  nun  rasch 
von  der  Leber  abgelöst  wurde.  Dort,  wo  die  Blase  in  der  Leber  ein¬ 
gebettet  lag,  sah  das  Bindegewebe  wie  eiterig  infiltrirt  aus.  Die  ab¬ 
gelöste  Partie  der  Leber  wurde  thermokauterisirt  und  mit  einem 
Jodoformstreifen,  der  durch  zwei  Catguthefte  an  der  Leber  fixirt  wurde, 
gedeckt,  und  letzterer  am  rechten  Ende  der  in  Etagen  vernähten 
Bauchwunde  herausgeleitet.  Die  aufgeschnittene  Gallenblase  war  bei 
gänseeigross  und  barg  einen  24  g  schweren,  mit  der  Basis  nach  unten 
liegenden,  572  cm  langen,  3  cm  breiten,  bimförmigen  Stein.  Das  oberste 
Ende  war  halsförmig  eingeschnürt  und  besass  Facetten,  welche  dem 
kleineren  1  g  schweren  Steine  entsprachen.  Die  Wand  der  Gallenblase 
und  des  Ductus  cysticus  war  sehr  verdickt.  Der  kleine  Stein  sass  in 
einer  separaten  Ausbuchtung  des  Gallenblasenhalses,  doch  so,  dass  er 
mit  dem  Ende  des  grösseren  Steines  durch  eine  Communicationsöffnung 
articuliren  konnte.  Diese  Ausbuchtung  war  beim  Ablösen  klappen¬ 
förmig  eingerissen  worden.  Fieberloser  Verlauf.  Am  vierten  Tage  theil- 
weise  Entfernung  des  Jodoformstreifens,  am  sechsten  Tage  wurde  dieser 
gänzlich  entfernt  und  ein  kleines  Drainrohr  dafür  eingeschoben.  Gegen 
Ende  der  zweiten  Woche  wurden  alle  Hefte  entfernt.  Vom  Tage  der 
gänzlichen  Entfernung  des  Jodoformstreifens  gingen  einige  Tropfen 
gallig  gefärbten  und  auf  Galle  reagirenden  Secretes  ab,  welches  von 
der  wunden  Lebersubstanz  und  keineswegs  vom  Ductus  cysticys  her¬ 
gerührt  haben  mag.  Diese  ganz  geringe  Secretion  sistirte  fünf  Tage 
darnach.  Die  Wunde  ist  nun  vollständig  geheilt.  Die  Narbe  ist  dx/2cm 
lang.  Rechts  vom  Nabel  fühlt  man  den  Rand  des  knolligen  rechten 
Leberlappens,  der  einen  Querfinger  unter  Nabelhöhe  oder  8  cm  unter 
den  Rippenbogen  herabreicht  und  sich  allmälig  unter  letzterem  nach 
i edits  verliert.  Der  linke  Leberlappen  ist  nicht  zu  tasten. 

Ferner  zeigt  Prof.  Weinlechner  zwei  Röntgen  -Bilder, 
aufgenommen  von  Dr.  S  t  ö  c  k  1  im  Röntgen  -Institute  des  k.  k.  All¬ 
gemeinen  Krankenhauses.  Die  Bilder  stellen  dar:  Ueberzahl  der 
I  inger  (sieben)  der  linken  Hand  eines  kleinen  Kindes 
voj  11  n  d  nach  der  Operation.  Die  Hand  hatte  zwei  Daumen, 
zwischen  welchen  ein  ungewöhnlich  langer,  überzähliger  Zeigefinger 
eingebettet  lag.  Beide  Daumen,  die  völlig  unbrauchbar  waren,  wurden 
entfernt,  und  der  überzählige  Zeigefinger,  der  vorzügliche  Beweglichkeit 


vor  und  nach  der  Operation  zeigte  und  vor  Allem  sehr  gut  opponirte, 
blieb  erhalten.  Mit  den  beiden  Daumen  wurden  auch  die 
dazu  gehörigen  Mittelhandknochen  beseitigt,  und 
dadurch  die  Hand  verschmälert.  Aus  der  Zahl  der  Phalangen  lassen 
sich  im  Bilde  die  beiden  Daumen  und  der  zwischengelagerte  Zeige¬ 
finger  unschwer  erkennen.  Die  operirte  Hand  sieht  schön  aus,  der  als 
Daumen  functionirende  überzählige  Zeigefinger  erscheint  überlang, 
mässig  gebeugt  und  gegen  den  Mittelfinger  hin  geneigt.  Die  nicht 
operirte  Hand  hatte  Aehnlichkeit  mit  einer  Krabbe. 

Dr.  Heinrich  Weiss:  Der  14jährige  Knabe  erkrankte  Weih¬ 
nachten  v.  J.  unter  Fiebererscheinungen  an  Angina  lacunaris.  Drei 
Tage  darauf  stellten  sich  heftige  Schmerzen  in  den  Gelenken  ein. 
Am  3.  Januar  d.  J.  zeigten  sich  fast  am  ganzen  Körper,  namentlich 
an  den  unteren  Extremitäten,  und  zwar  vorzugsweise  auf  den  Streck¬ 
seiten  und  ad  nates  ausgebreitete  rothbraune  Flecken;  Gesicht  und 
Hals  waren  vollkommen  frei.  Unter  entsprechender  antirheumatischer 
Behandlung  verschwanden  zunächst  die  Erscheinungen  auf  der  Haut 
und  nach  einigen  Wochen  trat  völlige  Heilung  ein.  Bemerken  will  ich, 
dass  auch  nicht  eine  Spur  von  Desquamation  zu  beobachten  war. 
Nach  einigen  Wochen  klagte  der  Knabe  über  „veissende  Schmerzen“ 
in  den  Gliedern  beim  Gehen,  Treppensteigen  und  auch  beim  Stehen. 
Der  Knabe  war  und  blieb  seit  seiner  Genesung  vollkommen  fieber¬ 
frei.  Bei  näherer  Untersuchung  war  mir  schon  damals  aufgefallen,  dass 
es  eigentlich  nicht  die  Gelenke  selbst  waren,  von  denen  der  Schmerz 
ausgiDg,  denn  active  und  passive  Bewegung  war  schmerzlos  und  die 
Druckempfindlichkeit  war  an  den  Gelenken  selbst  sehr  gering  und, 
so  viel  ich  mich  entsinne,  nur  im  Schulter-  und  Hüftgelenke  nennens- 
werth.  Sicher  ist  es,  dass  die  anderen  grossen  Gelenke  gegen  directen 
Druck  gar  nicht  empfindlich  waren,  hingegen  war  oberhalb  und  unter¬ 
halb  der  Gelenke  an  den  langen  Röhrenknochen  bedeutende  Druck¬ 
empfindlichkeit.  Ich  nahm  an,  dass  die  Schmerzen  von  den  Muskeln 
oder  von  dessen  Insertionsstellen,  den  Sehnen  ausgehen  und  verord- 
nete  ein  Salicylpräparat.  Ich  ging  die  ganze  Scala  der  Präparate  durch, 
aber  der  Zustand  änderte  sich  nicht.  Wenn  der  Knabe  einen  Tag  zu 
Bette  war,  Hessen  die  Schmerzen  nach,  um,  wenn  er  wieder  aufstand 
und  umherging,  ihn  von  Neuem  zu  quälen. 

Bei  einer  abermaligen  genauen  Untersuchung  konnte  ich  mit 
Sicherheit  feststellen,  dass  die  Schmerzen  weder  von  den  Gelenken, 
noch  von  den  Sehnen  und  auch  nicht  von  den  Muskeln  ausgingen, 
sondern  dass  der  Sitz  derselben  im  Verlaufe  der  Knochen  selbst  sei, 
und  zwar  an  jenen  Stellen,  wo  die  Epi-  mit  der  Diaphyse  zusammen- 
stossen,  also  an  den  Stellen,  die  im  jugendlichen  Alter  knorpelig 
sind.  Ich  glaubte  den  Process  mit  dem  Wachsthum  der  Knochen  in 
Zusammenhang  bringen  zu  sollen  und  verordnete  Kochsalzbäder.  Es 
trat  eine  leichte  Besserung  ein,  aber  die  Schmerzen  waren  keineswegs 
verschwunden. 

Während  der  grossen  Sommerferien  hatte  Patient  Gelegenheit, 
regelmässig  in  einer  natürlichen  alkaliscli-muriatischen  Quelle  zu  baden 
und  befand  sich  danach  relativ  besser,  aber  das  Leiden  bestand  weiter. 
Im  Herbste  trat  wieder  eine  solche  Verschlimmerung  ein,  dass  der 
Knabe,  der  gar  nicht  wehleidig  ist  und  auch  als  sehr  guter  und  fleis- 
siger  Schüler  gern  in  die  Schule  geht,  wegen  der  quälenden  Schmerzen 
den  Weg  in  die  Schule  scheute.  Auf  der  Hälfte  des  Weges,  etwa 
450  Schritte  von  seinem  Hause,  musste  er  stehen  bleiben  und  war 
rathlos,  ob  er  sich  noch  weiter  in  die  Schule  schleppen  oder  um¬ 
kehren  sollte. 

Ich  entschloss  mich  dem  Patienten  Phosphor  zu  geben,  und  zwar 
in  der  üblichen  Weise:  Rp.  Ol.  jecor.  aselli  lOO'O,  Phosphor.  0*01. 
S.  Einen  Kaffeelöffel  voll  täglich  zu  nehmen.  Und  siehe  da,  schon  nach 
kurzer  Zeit  trat  ein  völliger  Umschwung  ein.  Der  Knabe  hatte  auch 
nicht  die  geringsten  spontanen  Schmerzen  mehr,  wenngleich  an  den 
früher  bezeichneten  Stellen  noch  eine  gewisse  Druckempfindlichkeit 
besteht.  Wenn  ich  mich  nun  frage,  ob  es  sich  um  einen  oder  um  zwei 
Processe  handle,  so  glaube  ich  das  letztere  annehmen  zu  sollen.  Die 
erste  Erkrankung  war  ein  Gelenkrheumatismus.  Das  Einsetzen  des 
Gelenkrheumatismus  mit  einer  Angina  wurde  von  verschiedenen  Autoren 
hervorgehoben  (Buss,  Suchanek,  Gerhardt,  Peltesohn, 
Kahler,  L  e  u  b  e,  Bloch,  Packard  u.  A.).  Das  Hinzutreten  der 
Hautaffection  gibt  der  Diagnose  noch  festeren  Boden,  denn  es  gibt 
Fälle,  wo  sich  an  eine  Angina  tonsillaris  ein  Erythema  nodosum, 


1210 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


Erythema  exsudativum  multiforme  oder  eine  Peliosis  mit  oder  ohne 
Ergriffensein  der  Muskeln  oder  der  Gelenke  schliesst,  und  sozusagen 
vicariirend  für  die  Gelenkserscheinungen  auftreten  kann.  Das  Exanthem 
schwindet  auf  Gebrauch  von  Salicylpräparaten.  Solche  Fälle  wurden  von 
Raoul  t,  G.  Singer  u.  A.,  neuestens  von  A.  Bruck  publicirt. 
Allerdings  hebt  Senator  hervor,  dass  dieses  Exanthem  als  ganz  selbst¬ 
ständige,  von  anderen  Affectionen  unabhängig  für  sich  allein  bestehen 
kann,  doch  als  Begleiterscheinung  spricht  es  jedenfalls  für  die  rheu¬ 
matische  Infection  des  Patienten.  Welcher  Natur  waren  aber  die  späteren 
Schmerzen  bei  unserem  Patienten?  Localisation  und  Nonjuvantia  sprechen 
gegen  Rheumatismus.  Für  Osteomyelitis  hatte  ich  keinen  weiteren  An¬ 
haltspunkt.  Ich  kann  nur  annehmen,  dass  der  Process  an  den  in  diesem 
Alter  von  knorpeligen  Stellen  der  Röhrenknochen  mit  dem  Wachsthum 
zusammenhängt.  Dagegen  spricht  nicht,  dass  ich  seinerzeit  auch  im 
Schultergelenke  Druckschmerz  fand,  denn  am  oberen  Ende,  dem  Caput 
humeri,  erhält  sich  die  Epiphyse  bis  gegen  das  18.  Lebensjahr  und  die 
knorpelige  Schichte,  die  bis  zum  Collum  anatomicum  reicht,  verkuöchert 
erst  um  das  20.  Jahr  vollständig.  Ich  habe  das  Leiden  unpräjudicirlich 
mit  dem  Knochenwachsthum  in  Zusammenhang  gebracht;  ob  es  sich 
vielleicht  um  eine  Rachitis  adolesoentium  handelt,  möchte  ich  nicht 
entscheiden.  Wohl  erinnern  die  Art  und  Localisation  der  Schmerzen 
an  diese  Affection  und  findet  man  leichte,  rosenkranzartige  Verdickungen 
an  den  Rippen  und  sind  die  Gelenkenden  am  Vorderarm  leicht  ver¬ 
dickt,  aber  diese  Symptome  sind  zu  schwach  ausgeprägt,  als  dass  ich 
mich  auf  sie  stützen  wollte.  In  einer  Beziehung  erinnert  dieser  Fall 
immerhin  an  die  Rachitis  infantilis,  nämlich  durch  die  prompte  Wirkung 
des  Phosphors.  In  dieser  Hinsicht  ist  dieser  Fall  ebenso  lehrreich  wie 
beweisend.  In  neuester  Zeit  hat  nämlich  Zweifel  in  Leipzig  die 
Wirkung  des  Phosphors,  speciell  des  Phosphor-Leberthrans  in  Abrede 
gestellt.  Einen  eclatanteren  Erfolg  mit  diesem  Mittel  in  dieser  Dosirung 
braucht  man  nicht  zu  wünschen.  Schon  mit  Rücksicht  darauf  glaubte 
ich  diesen  Fall  hier  vorstellen  zu  sollen. 

Dr.  Gustav  Singer  weist  unter  Vorstellung  von  nach  Chole¬ 
lithiasis  geheilten  Patienten  auf  den  günstigen  Einfluss  der  Oelcur  bei 
dieser  Erkrankung  hin. 

Im  Namen  des  Herrn  Dr.  Baldo  Rossi  in  Mailand  erstattet 
Dr.  M.  Herz  eine  vorläufige  Mittheilung:  Experimenteller 
Beitrag  zur  Frage  der  Behandlung  von  Knochen- 
fracturen. 

Zur  Lösung-  der  Frage,  ob  zur  Beschleunigung  der  Callus- 
bildung  nach  Fracturen  die  Massage  oder  die  Immobilisation  vor¬ 
zuziehen  sei,  habe  ich  heuer  im  Münchener  pathologisch  anatomischen 
Institute  Untersuchungen  an  jungen  Kaninchen  angestellt.  Die  66  Ver- 
suchsthiere  wurden  in  drei  Serien  eingetheilt,  von  denen  eines  mit 
täglicher  Massage,  sowie  Immobilisation  und  fixirendem  Verbände 
zwischen  den  Massagesitzungen,  eines  blos  mit  Immobilisation  be¬ 
handelt  wurde  und  eines  der  natürlichen  Heilung  überlassen  wurde. 
Es  blieben  nur  30  Versuchstbiere  verwerthbar.  Diese  wurden  in  zehn 
Gruppen  eingetheilt,  an  festgesetzten  Tagen  während  des  Heilungs¬ 
verlaufes  getödtet  und  der  mikroskopischen  Untersuchung  unterzogen. 

Ich  hatte  erst  die  Absicht,  Querfracturen  in  der  Nähe  der  Ge¬ 
lenke  zu  setzen,  in  der  Hoffnung,  dass  die  Verschiebung  bei  dieser 
Localisation  eine  geringere  wäre  und  die  Application  eines  Apparates 
in  den  mit  Massage  behandelten  Gruppen  unterbleiben  könne;  doch 
gelang  es  mir  nicht,  immer  die  Fractur  an  der  nämlichen  Stelle  zu 
setzen,  und  ich  wählte  daher  eine  Stelle  im  mittleren  Drittel  des 
Oberschenkels.  Die  Fractur  wurde  in  Aethernarkose  durch  Manual¬ 
gewalt  angelegt-  Tödtung  des  Thieres  und  Ausschaltung  aus  der 
Versuchsreihe,  wenn  die  Fractur  nicht  an  dieser  Stelle  sass.  In  einer 
ausführlichen  Mittheilung  werde  ich  über  die  Versuchsbedingungen  und 
die  Beschaffenheit  des  Fixationsapparates  genauer  berichten. 

Die  Massage  begann  sofort  nach  Anlegung  der  Fractur  in 
Narkose  und  wurde  täglich  durch  eine  Viertelstunde  bis  zur  Heilung 
fortgesetzt;  sie  bestand  in  leichten  Reibungen  centripetal  oberhalb  der 
Fracturstelle,  dann  unterhalb  derselben  und  erst  zuletzt  über  derselben. 
Der  Massage  wurde  in  der  ersten  Zeit  der  Behandlung  mit  Rücksicht 
auf  die  Untersuchungen  Kapsammer’s  und  Ziegler’s  über  den 
Einfluss  des  Dislocation  der  Fragmente  auf  die  Bildung  von  Knorpel 
die  Immobilisation  hinzugefügt  und  damit  fast  derselbe  Grad  von  An¬ 
passung  erreicht,  wie  in  der  sofort  mit  Apparaten  behandelten  Serie. 
Es  war  natürlich  unmöglich,  die  Reduction  in  den  Serien  zu  erreichen, 
die  der  Selbstheilung  überlassen  wurden;  denn  diese  sollte  nur  er¬ 
weisen,  eine  wie  grosse  Bedeutung  bei  der  Fracturheilung  dem  Weg- 
lassen  von  Apparaten  und  den  Bewegungen,  andererseits  der  Massage 
ertheilt  werden  müsse. 

Die  klinische  Beobachtung  zeigte  deutlich,  dass  die  Massage  auf 
die  Bildung  des  Gallus  einen  grösseren  Einfluss  ausübt,  als  die  Im 
mobilisation.  Schon  am  Ende  des  dritten  Tages,  deutlicher  am  vierten, 
fand  ich  in  den  Massageserien  einen  provisorischen  Gallus,  der  bei 
Palpation  eine  gewisse  Resistenz  aufwies  und  einem  Gallus  bei  Im¬ 
mobilisation  vom  fünften  Tage  entsprach  und  dessen  Festigkeit  so 


rasch  zunahm,  dass  am  achten  Tage  bereits  knöcherne  Consistenz  und 
solche  Stabilität  bestand,  dass  ein  Fixationsapparat  überflüssig  war. 
Der  Gallus  nach  Immobilisationsverband  war  ceteris  paribus  am  achten 
Tage  noch  weich  und  frühestens  am  12. — 14.  Tage  so  fest,  wie  er 
bei  Massage  am  achten  Tage  war.  Die  Functionsfähigkeit  war  bei 
Massage  am  18.  Tage  vollständig  hergestellt,  bei  Immobilisation  erst 
am  30.  Tage.  Bei  den  der  Selbstheilung  überlassenen  Serien  waren  die 
Symptome  wie  bei  Massageserien,  nur  verlief  der  Process  langsamer, 
dir  Consolidirung  erfolgte  später,  der  provisorische  Callus  war  grösser, 
ebenso  die  Deformation  der  consolidirten  Knochen. 

In  allen  Fällen  wurde  die  mikroskopische  Untersuchung  durch¬ 
geführt.  Während  in  den  Massageserien  am  dritten  Tage  schon  starke 
Neubildung  von  jugendlichen  Knorpelelementen  bestand,  wTar  dies  bei 
den  Apparatserien  erst  am  fünften  Tage  der  Fall,  zu  welcher  Zeit 
bei  den  Massageserien  die  Knorpelmasse  bereits  erheblich,  dem  freien 
Auge  schon  sichtbar  war  und  auch  auf  dem  Wege  der  Transformation 
sich  befand.  Am  achten  Tage  zeigte  die  Massageserie  bereits  reichliche 
Formation  von  Knochengewebe,  die  Apparatserie  noch  keine  Spur 
davon.  Nach  zwölf  Tagen  war  bei  der  Massageserie  der  Callus  fast 
völlig  ossificirt  und  hatte  schon  die  Periode  der  Reduction  begonnen, 
bei  der  Apparatserie  erst  am  20.  Tage.  Bei  der  natürlichen  Heilung 
traten  die  Phänomene  der  Reintegration  etwas  langsamer  auf,  als  in 
den  Massageserien. 

Ueber  die  praktische  Anwendung  meiner  Versuche  werde  ich  in 
meiner  nächsten  Mittheilung  discutiren.  Für  jetzt  genüge  die  Fest¬ 
stellung,  dass  Massage  und  Mobilisation  in  den  Händen  des  Chirurgen 
ein  mächtiges  Mittel  in  der  Behandlung  der  Knochenfracturen  sind. 

Schiff  demonstrirt  eine  von  Freund  construirte  Elektrode  zur 
Erzeugung  diffuser  Polentladungen  hochgespannter  Inductionsströme. 
Dieses  Apparates  bediente  sich  Vortragender  um  physiologische 
Wirkungen  hoch  gespannter  Ströme  auf  die  mensch¬ 
liche  Haut  zu  studiren. 

Zu  diesem  Behufe  markirte  Schiff  auf  seinem  linken  Vorder¬ 
arme  eine  thalergrosse,  kreisrunde,  stark  behaarte  Hautstelle  mit 
einem  Stift.  Innerhalb  dieses  Kreises  liess  er  an  fünf  aufeinander¬ 
folgenden  Tagen  durch  je  20  Minuten  die  von  dieser  Elektrode  aus¬ 
gehenden  diffusen  negativen  Polentladungen  eines  Ruhmkor  f  f’schen 
Inductoriums  einwirken.  Die  Entfernung  wurde  so  regulirt,  dass  keine 
Funkenschläge,  sondern  nur  stille  Entladungen  auf  die  Haut  er¬ 
folgten. 

Schon  nach  der  dritten  Exposition  zeigten  sich  einzelne  Haare 
genau  innerhalb  des  exponirten  Bezirkes  gelockert  und  die  Wurzeln 
atrophisch.  Gleichzeitig  machte  Schiff  die  interessante  Wahrnehmung, 
dass  die  Follikelmündungen  der  Haare  geröthet  erschienen,  was  bei 
den  vorher  durch  Freund  angestellten  Thierversuchen  zu  constatiren 
nicht  möglich  gewesen  war. 

Die  übrigen  Haare  der  exponirten  Partie  fielen  in  der  Folge 
spontan  aus.  Die  Haut  bot  mit  Ausnahme  der  oben  erwähnten  punkt¬ 
förmigen  gerötheten  Follikelmündungen  ein  durchaus  normal  glattes 
und  rein  weisses  Aussehen  dar.  Subjectiv  war  während  der  Exposition 
nur  die  Empfindung  eines  kühlen  angenehmen  Hauches,  aber  absolut 
keine  Schmerzempfindung  zu  verspüren. 

Seit  Tagen  ist  die  exponirte  Hautstelle  kahl  und  hat  sich  bisher 
kein  Nachwuchs  gezeigt. 

Aus  dem  vorhin  erwähnten  klinischen  Momente  der  Röthung  der 
Follikel  könnte  man  vielleicht  schliessen,  dass  hier  ein  der  Elektrolyse 
ähnlicher  elektrochemischer  Process  sich  in  den  Haarbälgen  abspielt 
und  in  weiterer  Consequenz  zum  Haarausfalle  Veranlassung  giebt. 

Dieser  Versuch  beweist,  dass  auf  menschlicher  Haut 
ein  Haarausfall  durch  reine  Elektricitätswirkung 
zu  erzielen  ist;  er  gibt  selbstverständlich  einen  Fingerzeig  für 
eine  diesbezügliche  therapeutische  Anwendung  dieser  physikalischen 
Kraft  für  die  Zukunft.  Eine  weitere  Erhärtung  für  diese  Behauptung 
ist  ein  Versuch,  den  Schiff,  angeregt  durch  eine  gelegentliche  Be¬ 
obachtung  Freund’s  an  einem  Kaninchen  anstellte.  Dasselbe  wurde 
mit  der  oben  angebebenen  Elektrode  in  der  oben  beschriebenen  Weise 
in  der-*  linken  Flanke  exponirt.  Gleichzeitig  wurde  einmal  über  dem 
Schweife,  ein  anderes  Mal  über  der  Schnauze  des  Thieres  ein  Metall¬ 
blech  befestigt,  welches  mit  dem  Erdboden  durch  die  Wasserleitung 
leitend  verbunden  war.  Auch  an  diesen  Stellen  trat  spontaner  Haar¬ 
ausfall  ein. 

Es  ist  damit  auch  der  fernere  Beweis  erbracht,  dass  reine  Pol¬ 
entladungen  sowohl  dort,  wo  sie  die  Körperoberfläche  treffen,  als  auch 
dort,  wo  sie  den  Körper  verlassen,  Haarausfall  zur  Folge  haben  können. 
Zum  Schlüsse  bemerkt  der  Vortragende  noch,  dass  er  mit  Freund 
sich  gegenwärtig  damit  beschäftigt,  eine  andere  Eigenschaft  dieser 
elektrischen  Entladungen,  nämlich  die  bactericide  Wirkung  derselben, 
bei  parasitären  Hautaffectionen  therapeutisch  zu  veiwerthen. 

Prof.  Dr.  Josef  Englisch  hält  den  angekündigten  Vortrag  über: 
Kleinheit  der  Vorsteherdrüse  und  die  siebegleiten¬ 
den  Harnstörungen. 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1211 


Gleich  der  Hypertrophie  der  Vorsteherdrüse  ist  auch  die  Klein¬ 
heit  eine  angeborene.  Kleine  Vorsteherdrüsen  werden  im  Allgemeinen 
unrichtig  mit  Atrophie  bezeichnet.  Es  gibt  zwei  Formen.  1.  Klein¬ 
drüsen,  welche,  klein  angelegt,  auch  in  ihrer  Entwicklung  Zurück¬ 
bleiben  und  2.  durch  organische  Veränderungen  kleingewordene,  aber 
normal  angelegte. 

Da  die  Vorsteherdrüse  erst  mit  dem  16.  — 20.  Lebensjahre  Un¬ 
normales  Wachsthum  erreicht,  so  können  in  diesen  Jahren  nur  auf¬ 
fallend  kleine  Drüsen  als  Kleindrüsen  angenommen  werden,  in  den 
späteren  Jahren  aber,  wenn  sie  die  Grösse  der  Drüse  vor  ihrer 
Entwicklung  nicht  wesentlich  überschreiten.  Nach  eigenen  Unter¬ 
suchungen  wurden  bei  1747  Individuen  290mal  kleine  Vorsteherdrüsen 
gefunden. 

Zur  Beurtheiluug  einer  kleinen  angeborenen  Drüse  ist  nothwendig: 

1.  dass  die  Drüse  normale  Consistenz  besitzt  und  2.  jede  Krankheit 
ausgeschlossen  ist,  welche  einen  Schwund  der  Drüse  herbeiführen 
könnte. 

Je  kleiner  die  Drüse  angelegt  ist,  umsoweniger  zeigt  sie  die 
Form  einer  normalen. 

Der  Hauptgrund  der  Kleinheit  liegt  nach  den  klinischen  Beob¬ 
achtungen  in  schwächlicher  Anlage  des  ganzen  Körpers  und  wurde 
sehr  häufig  Tuberculose  dabei  gefunden;  aber  nicht  in  allen  Fällen; 
insbesondere  wurde  Kleinheit  der  Drüse  und  des  Hodens  zugleich  ge¬ 
funden,  ebenso  Schwäche  der  Blasenmusculatur. 

Am  Beginne  der  Harnröhre  findet  sich  ein  Ring  aus  Kreisfasern, 
welche,  je  weiter  unten  gelegen,  umso  fester  untereinander  und  mit 
der  Vorsteherdrüse  Zusammenhängen.  Je  kleiner  die  Vorsteherdrüse 
entwickelt  ist,  umso  kleiner  ist  auch  dieser  Ring  der  Kreisfasern  und 
umsoweniger  Stütze  und  Befestigung  findet  er  an  der  Vorsteherdrüse. 
Der  vordere,  aus  gekreuzten  Fasern  bestehende  Theil  des  Ringes  ist 
mit  dem  Ligamentum  pubo  prostaticum  in  Verbindung,  daher  gegen 
die  Schambeinfuge  fixirt.  Zieht  sich  der  Ring  zusammen,  so  schiebt 
sich  der  hintere  Theil  über  die  Lichtung  der  Harnröhre  gleich  der 
Sehne  eines  Kreises  vor,  bildet  daselbst  einen  Vorsprung  (Valvula). 
Mit  dem  Beginne  der  Harnaussonderung  auftretend,  steigert  sich  die 
Zusammenziehung  zur  Contractur  der  abgeflachten  Ringfasern. 

Nach  eigener  Untersuchung  unterscheide  ich:  Ä)  Klappen  ohne 
Drüsengewebe,  und  zwar  a )  aus  blosser  Schleimhaut  gebildet  (Valvula 
mucosa);  b)  aus  Schleimhaut  und  den  Ringfasern  (Valvula  muscularis); 
B)  mit  Drüsensubstanz  (Valvula  musculo-glandularis). 

Die  Valvula  mucosa  erscheint  als  eine  dünne,  fast  gleich mässig 
dicke,  halbmondförmige,  glänzende  bis  getrübte  Schleimhautduplicatur 
mit  freiem  vorderen  und  hinterem  festsitzenden  Rande.  Sie  kommt  nur 
in  den  kleinsten  Formen  der  Drüse  mit  auffallend  mangelhafter  Blasen¬ 
musculatur  vor. 

Jene  Falte,  welche  sich  bei  Hypertrophie  der  Seitenlappen  der 
Vorsteherdrüse  findet,  steht  senkrecht  auf  das  Trigonum,  ragt  mit 
ihrem  Rande  nach  oben,  sowie  in  die  Blasenhöhle;  bildet  daher  einen 
Wall  und  nicht  eine  Klappe. 

Die  Valvula  muscularis  stellt*  eine  derbe,  gleich  dicke,  mit 
ebenen  Flächen  versehene,  mit  dünner  Schleimhaut  bedeckte  Platte 
dar,  welche  sich  deckelartig  von  hinten  her  über  die  innere  Harn- 
röhrenöftnung  schiebt  und  hauptsächlich  aus  blassen  Ringfasern  be¬ 
steht.  Dieselbe  grenzt  sich  scharf  gegen  die  Seitenlappen  der  Vorsteher¬ 
drüse  ab. 

Die  Valvula  musculo  glandularis  hat  zwar  als  Grundlage  eine 
Anhäufung  von  Muskelfasern;  durch  die  Einlagerung  von  Drüsen¬ 
läppchen  wird  aber  die  Gestalt  derselben  geändert  und  bildet  so  den 
Uebergang  zu  dem  gestielten,  als  Drüsensubstanz  allein  gebildeten 
mittleren  Lappen.  Der  Rand  zeigt  Einkerbungen,  die  Oberfläche 
Höcker. 

Als  vierte  Form  findet  sich  eine  Anhäufung  von  Muskelfasern 
um  die  innere  Oeffnung  der  Harnröhre,  welche  einen  dicken,  rund¬ 
liehen,  nur  wenig  vorragenden,  musculären  Wall  bildet,  der  zu  den 
schwersten  Störungen  und  zur  Hypertrophie  der  Blasenwand  Ver¬ 
anlassung  gibt. 

Die  Folgen  der  Klappen  erklären  sich:  1.  aus  dem  Angeboren¬ 
sein  und  2.  aus  der  gleichzeitigen,  schwachen  Entwicklung  der  Blasen¬ 
muskeln.  Die  Folgen  sind:  Unvermögen  der  Blase,  den  Widerstand 
an  der  Klappe  zu  überwinden,  Ausdehnung  der  Blase,  in  späterer 
Zeit  erst  Hypertrophie  der  Wand  (Hypertrophia  excentrica),  Erweite- 
iung  der  Harnleiter,  der  Nierenbecken,  Schwund  der  Niere.  Diese 
Folgen  finden  sich  am  stärksten  bei  den  einfachen  Schleimhautklappen 
ausgeprägt,  da  hier  die  Blase  am  schwächsten  ist.  Fast  gleich  bei  den 
musculären  Klappen,  bei  welchen  sich  manchmal  eine  Verdickung  der 
Blase  findet,  insbesondere,  wenn  die  Klappe  neben  Vergrösserung  der 
\  oi steherdrüse  vorkommt.  Bei  der  dritten  Form  treten  an  den  Harn¬ 
organen  jene  Veränderungen,  welche  durch  einen  mittleren  Vorsteher- 
diüsenlappen  bedingt  sind,  umsomehr  hervor,  je  mehr  Drüsenläppchen 
in  der  Klappe  eingelagert  sind.  Noch  mehr  gleichen  die  Veränderungen 


bei  grossen  mittleren  Lappen  in  der  vierten  Form  (Annulus  liyper- 
trophieus  vesicae). 

Tn  der  Literatur  finden  sich  nur  wenige  und  meist  Operations¬ 
fälle  vor:  Guthrie,  Mercier  (die  meisten),  Br  on,  Browne, 
T  e  v  an,  Gouley,  S  e  g  o  n  d,  G  u  e  1  1  i  o  t  -  G  o  s  s  e  1  i  n,  M  onod' 
Eigenbrodt-Trendelenburg,  P  oppert;  dazu  kommt  meine 
eigene  Beobachtung  und  Operation. 

Die  Erscheinungen  sind  1.  Enuresis,  welche  in  der  Zeit  der 
Pubertät  und  nach  derselben  besteht  Ersteres  nur  bei  auffallend 
kleinen  Vorsteherdrüsen.  Die  Ursache  ist  eine  vollständige  Schwäche 
des  Blasenschliessmuskels  in  Folge  mangelhafter  Entwicklung,  oder 
eine  Schwäche  des  Detrusor  mit  folgender  Harnstauung.  In  der  an¬ 
gegebenen  Zeit  soll  daher  bei  Enuresis  nie  eine  Untersuchung  nach 
beiden  Richtungen  unterlassen  werden,  insbesondere  wenn  nebenbei 
häufiger  Harndrang  besteht.  Auszuschliessen  ist  ferner  Enuresis  bei  ge¬ 
wissen  Lebensverhältnissen,  *  Lähmungen  der  Blase  aus  anderen  Ur¬ 
sachen.  Besonders  wichtig  sind  jene  Fälle,  wo  die  Enuresis  in  der 
oder  nach  der  Pubertätszeit  auftritt. 

2.  Häufig  Harndrang,  der  sich  bis  zur  Harnverhaltung  steigern 
kann.  Derselbe  tritt  ohne  jede  andere  nachweisbare  Ursache  ein. 
Dabei  muss  der  Unterschied  gemacht  werden,  ob  es  jugendliche  oder 
ältere  Individuen  sind.  Sehr  oft  tritt  der  Harndrang  sehr  früh  auf 
und  Einzelne  klagen,  dass  derselbe,  so  lange  sie  sich  erinnern  können, 
bestehe.  Bei  jugendlichen  Individuen  beruht  er  auf  einer  kräftigeren 
Zusammenziehung  der  Blase  bei  mässig  gut  entwickelter  Musculatuv, 
um  das  Hinderniss  zu  überwinden,  oder  bei  schwacher  Musculatur 
auf  Retention.  Auf  letztere  muss  dabei  immer  untersucht  werden. 
Man  hüte  sich  vor  Täuschung  durch  Fehlen  der  Erscheinungen  der 
gefüllten  Blase,  da  selbe  sich  mehr  gegen  die  Kreuzbeingegend  aus¬ 
dehnt.  Die  Vermehrung  des  Dranges  ist  häufiger  bei  Tag  und  Nacht; 
bei  Tag  manchmal  auffallender.  Bei  alten  Leuten  stellen  sich  die 
Harnstörungen  früher  ein,  oft  schon  nach  dem  40.  Jahre,  steigern 
sich  auffallend  rasch  zu  den  höchsten  Graden,  welche  sie  rascher 
erreichen,  als  bei  der  Hypertrophie  der  Vorsteherdrüse  allein;  die 
Störungen  sind  widerspenstiger  gegen  die  Behandlung  und  führen 
rascher  zum  Tode  in  Folge  der  seit  der  Kindheit  bestehenden  Hinder¬ 
nisse,  welche,  wenn  auch  langsam,  doch  auch  die  Harnorgane,  ins¬ 
besondere  die  Niere  verändern.  Beschleunigt  wird  das  Auftreten  bei 
älteren  Leuten  durch  die  Altersveränderung  der  Blasenmuskeln. 

Harnverhaltung  tritt  bei  Jungen  oft  ganz  unvermittelt  auf;  bei 
Aelteren  in  derselben  Form  wie  bei  Hypertrophie  der  Vorsteherdrüse. 

Im  Allgemeinen  gleichen  im  Alter  die  Harnbeschwerden  denen, 
wie  sie  bei  Hypertrophie  der  Vorsteherdrüse  auftreten,  während  sie 
bei  Jungen  unvermittelt  auftreten. 

3.  Blasenkatarrh.  Bei  längerem  Bestände  der  Harn' 
beschwerden  gesellt  sich  leichter  Blasenkatarrh  hinzu,  als  unter  an¬ 
deren  Verhältnissen.  Dieser  ist  viel  hartnäckiger  und  im  Alter  viel 
gefährlicher,  da  rasch  vollständige  Blasenlähmung  eintritt  und  die 
Kranken  ihr  Leben  lang  zum  Katheterismus  verurtheilt  sind. 

4.  Schmerz  äussern  die  Kranken  wie  bei  anderen  Harnstörungen  i 
besonders  hervorgehoben  wird  schmerzhaftes  Gefühl  in  der  Umgebung 
der  Schambeinfuge. 

5.  Störungen  von  Seite  des  Mastdarmes  und  der  Beckennerven 
zeigten  sich-  nur  bei  starker  Ausdehnung  der  Blase  nach  der  Kreuz¬ 
beinhöhlung  und  entzündlichen  Vorgängen  um  die  Blase. 

Die  Diagnose  ergibt  sich  häufig  schon  aus  der  Berücksichti¬ 
gung  der  Art  der  angegebenen  Erscheinungen;  am  deutlichsten  durch 
die  Mastdarmuntersuchung.  Die  Vorsteherdrüse  ist  klein;  aber  elastisch, 
scharf  begrenzt.  Der  Uebergang  des  prostatischen  Theiles  der  Harn¬ 
röhre  in  das  Blaseudreieck  ist  verdickt,  umsomehr,  je  höher  die  Klappe 
ist,  und  bildet  eine  quere  Leiste  zwischen  den  oberen  Enden  der  Vor¬ 
steherdrüsenlappen.  Ein  Instrument  wild  daselbst  aufgehalten,  fühlt 
einen  elastischen  Widerstand  und  kann  nur  durch  starken  Senken 
des  Griffes  unter  die  Horizontale  (im  Liegen)  und  Vorschieben  in  die 
Blase  geführt  weiden.  Das  Ein-  und  Austreten  an  der  inneren  Harn¬ 
röhrenöffnung  erfolgt  ruckweise.  Ein  hypertrophischer  Ring  am  Blasen¬ 
halse  zeichnet  sich  durch  besondere  Dicke  und  Härte  aus. 

Die  kleine  Vorsteherdrüse  ist  demnach  nicht 
minder  gefährlich  als  eine  vergrösserte;  manchmal 
gefährlicher,  selbst  schon  in  jungen  Jahren. 

Die  Behandlung  ist  eine  palliative,  d.  h.  Beseitigung  der  Er¬ 
scheinungen  mit  den  bekannten  Mitteln,  oder  eine  radicale,  d.  h.  Be¬ 
seitigung  des  Hindernisses.  Bei  ersterer  verdient  die  Harnverhaltung 
besondere  Vorsicht,  da  eine  rasche  Entleerung  der  Blase  leicht  üble 
Folgen  haben  kann. 

In  leichteren  Fällen  genügt  das  Einführen  starker,  conischer 
Metallsonden  bis  Nr.  26  Charriere  (82/$mm):  nur  muss  die  Behandlung 
sehr  lahge  von  den  Kranken  durch  Selbsteinführen  fortgesetzt  werden. 
Die  forcirte  Erweiterung  ist  nicht  angezeigt,  da  sie  heftige  Erschei¬ 
nungen  hervorruft. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


Die  sicherste  Methode  ist  die  blutige  Durchtrennung  mit  oder  ! 
ohne  Abtragen  der  Schnittränder. 

Die  alten  Methoden  von  Ellis,  M  e  r  c  i  e  r,  C  h  a  s  s  a  i  g  n  a  c 
u.  s.  w.,  welche  vorzüglich  für  den  mittleren  Prostatalappen  ange¬ 
geben  wurden,  sind  unsicher.  Die  beste  Methode  ist  das  Einschneiden 
und  Abtragen  der  Klappe  nach  der  Eröffnung  der  Blase  entweder 
durch  den  hohen  Blasenschnitt  oder  den  medianen  Perinealschnitt. 
Vorliegende  Beobachtungen  sind :  Trendelenbur  g-Eigenbrodt 
(1890),  eigene  Beobachtung  (1891),  Popert  (1892)  und 
Einschneiden  des  hypertrophischen  Blasenringes  von  Fuller  (1897). 
Tn  allen  Fällen  der  Klappe  ergaben  sich  Schwierigkeiten  beim  Fassen 
und  Einschneiden  der  Klappe.  Im  Falle  Trendelenburg’s  musste 
nach  der  Sectio  alta  die  Klappe  durch  einen  in  die  Harnröhre  ge¬ 
führten  Katheter  in  die  Höhe  gedrängt  werden  ;  P  o  p  p  e  r  t  gelangte 
nach  dem  Perinealschnitte  nur  mit  einer  stark  gekrümmten  Hohlsonde 
in  die  Blase,  und  im  eigenen  Falle  musste  dem  hohen  Blasenschnitte 
der  Perinealschnitt  hinzugefügt  werden.  Die  zu  empfehlende  Operation 
ist :  Medianer  Perinealschnitt,  Einführen  des  Fingers  oder  einer  Hohl¬ 
sonde  in  die  Blase,  Einschneiden  der  Klappe  median  1  bis  5  cm  tief 
und  nach  jeder  Seite  noch  0  5  cm. 

Die  Operation  P  o  p  p  e  r  t’s  blieb  in  Folge  des  früheren  Todes 
unvollendet,  Trendelenburg  und  ich  erzielten  vollständige  Heilung. 

Atrophie  der  Vorsteherdrüse  bedeutet  eine  durch 
Veränderungen  eines  oder  aller  Theile  klein  gewordene  Drüse.  Die¬ 
selbe  zerfällt  in  :  1.  Atrophia  senilis,  2.  cachectica,  3.  functionalis,  4.  in- 
flammatoria,  5.  ex  compressione. 

1.  Die  Atrophia  senilis  kommt  bei  angeborenen  kleinen,  bei 
normalen  und  hypertrophischen  Drüsen  vor  und  besteht  in  einem  die 
Zufuhr  überschreitenden  Aufsaugungsproeess. 

2.  Die  kachektisehe  Form  ist  eine  chronische,  einhergehend  mit 
chronischen  Ernährungsstörungen  (Tuberculose),  eine  acute,  nach  Krank¬ 
heiten,  welche  einen  raschen  Verfall  des  Körpers  bedingen.  Fehlt 
sicheres  Beweismittel,  ist  aber  möglich  bei  Infectionskrankheiten. 

3.  Functionelle  Atrophie  erfolgt  nach  Unterbrechung  der  Function 
des  Hodens  bei  vollständig  entwickelter  Vorsteherdrüse,  z.  B.  nach 
Castration  oder  jedem  anderen  Verluste  des  Hodens,  des  Samenleiters, 
der  Samenstranggefässe. 

4.  Entzündliche  Atrophie  mit  Verdi ängen  der  Drüsensubstanz 
durch  die  Bindegewebswueherung  und  Schrumpfen  dieser  ist  bei 
acuten  Processen  schneller  als  bei  chronischen,  am  weitestgehenden 
bei  Eiterungen,  bei  Tuberculose,  Neubildungen  der  Drüse,  Ansamm¬ 
lung  des  Drüsensecretes,  Harnstauung  in  der  Drüse,  bei  Concrement- 
bildung  und  bei  Fremdkörpern.  Letztere  gehören  theilweise  zum 
Druckseh  wunde. 

5.  Druckschwund  erfolgt  durch  Andrängen  fremder  Gebilde  an 
die  Drüse:  Cysten,  Polypen,  Neubildungen  aller  Theile  der  Um¬ 
gebung. 

Erscheinungen :  Verkleinerung  der  Drüse  ungleichmässig  an 
beiden  Lappen,  vorzüglich  in  der  Breite,  bis  zur  Erbsengrösse  ; 
scharfe  Begrenzung  bei  Fehlen  der  Periprostatitis,  höckerige  Ober¬ 
fläche,  Zunahme  der  Härte  besonders  am  äusseren  Rande  und  an  den 
Spitzen  der  Seitenlappen,  der  Durchschnitt  grau,  grauröthlich,  homogen 
oder  gestreift,  selbst  fibromartig,  je  weniger  Lücken  die  noch  erhaltene 
Drüsensubstanz  zeigt,  dagegen  schwammartig,  je  erweiterter  die 
Driisonelemente  waren. 

Die  Harnröhre  erscheint  nicht  verengt  und  bietet  nur  durch 
Starrheit  der  Wand  den  Instrumenten  ein  Hinderniss,  ausser  wenn 
Stauung  des  Harnes  in  derselben  aus  irgend  einem  Grunde  statthat. 

Der  Harndrang  ist  vermehrt,  und  zeigt  sich  dies  umso  eher,  je 
kleiner  die  Vorsteherdrüse  angelegt  war.  In  Folge  der  Veränderung 
der  Blasenmusculatur  tritt  bald  Harnverhaltung  ein  mit  Ueberfliessen. 
Die  Erscheinungen  der  Harnstörung  bei  angeborener  Kleinheit  der 
Vorsteherdrüse  und  bei  Atrophie  sind  nur  zeitlich  verschieden  •  bei 
ersterer  früher,  bei  letzterer  später  im  Alter. 

Die  Erscheinungen  bei  beiden  Formen  gleichen  sich  vollkommen 
und  werden  irrige  Diagnosen  hauptsächlich  in  Folge  unterlassener 
Mastdarmuntersuchung  gemacht.  Enuresis  wird  seltener  beobachtet, 
Incontinenz  bei  chronischer  Harnverhaltung  und  Degeneration  des 
Blasenmuskels.  Faltenbildung,  wie  sie  bei  kleinen  angeborenen  Drüsen 
vorkommt,  ist  unmöglich  wegen  Degeneration  der  Muskeln  und  Fixirung 
der  Schleimhaut  durch  die  ursächlichen  Processe. 

Wie  aus  den  Ursachen  hervorgeht,  finden  sich  die  atrophischen 
Drüsen,  begleitet  von  den  entzündlichen  Vorgängen  an  der  Blase, 
den  höher  gelegenen  Organen,  als  Fortsetzung  der  einleitenden  Vorgänge, 
als  Cystitis,  Cystopyelonephritis,  und  bedingen  die  Schwere  der  Form. 

Die  Diagnose  wird  in  Berücksichtigung  der  ursächlichen  Momente 
und  bei  sorgsamer  Mastdarmuntersuchung  nicht  schwer  sein.  Zu  achten 
ist  dabei  auf  die  Verschmelzung  der  Vorsteherdrüse  mit  den  Nachbar¬ 
organen,  vorzüglich  mit  den  Sameublasen. 

Die  Prognose  ist  um  so  günstiger,  je  früher  wir  die  Diagnose 
stellen,  je  leichter  wir  die  Ursache  beseitigen  können  und  je  geringer 


die  Störungen  der  höher  gelegenen  Organe  sind  ;  haben  letztere  einen 
bedeutenden  Grad  erreicht,  so  ist  die  Vorhersage  ungünstiger,  da  wir 
einerseits  dieselben  nur  schwer  beseitigen  können  und  andererseits 
dieselben,  jeder  Behandlung  trotzend,  einen  rasch  tödtlichen  Verlauf 
nehmen. 

Die  Behandlung  besteht  in  der  Beseitigung  der  Ursache,  strenger 
Behandlung  der  entzündlichen  Vorgänge,  Entfernung  der  Fremdkörper 
und  der  auf  die  Blase  drückenden  Geschwülste.  Ist  es  nicht  möglich, 
die  ursächlichen  Verhältnisse  zu  beseitigen,  so  tritt  die  palliative  Be¬ 
handlung  ein  und  da  stehen  obenan  die  Harnverhaltung  und  die  acut 
entzündlichen  Krankheiten  der  Blase,  des  Nierenbeckens  und  der  Niere 
selbst.  Entzündliche  Ueberreste  muss  man  zu  beseitigen  suchen. 

Prof.  Kassowitz :  Ueber  Phosphor  leberthran. 

Manche  der  geehrten  Anwesenden  erinnern  sich  wohl  noch  an 
die  lebhafte  Discussion,  welche  im  Jahre  1886  mehrere  Sitzungsabende 
unserer  Gesellschaft  in  Anspruch  genommen  hat.  Es  handelte  sich  da¬ 
mals  um  die  Phosphorbehandlung  der  Rachitis,  über  deren  Erfolge 
ich  zum  ersten  Male  auf  der  Naturforscherversammlung  in  Freiburg 
1883  berichtet  hatte.  Ein  Jahr  später  wurde  auf  der  Versammlung  in 
Magdeburg  ebenfalls  darüber  verhandelt,  und  die  meisten  Redner  haben 
sich  sehr  günstig  über  die  neue  Behandlungsmethode  ausgesprochen, 
und  auch  in  der  Fachpresse  waren  bereits  mehrfache,  zum  Theil 
enthusiastisch  lautende  Berichte  von  Seite  namhafter  Kliniker  er¬ 
schienen.  Auch  in  unserer  Gesellschaft  hatten  sich  Eisenschitz, 
v.  G.  G  e  n  o  s  z,  Herz  und  Fürth  sehr  günstig  über  ihre  Erfahrungen 
geäussert.  Die  Opposition  vertraten  Hryntschak  und  Monti. 
Der  Erstere  wollte  nur  zeitweise  günstige,  zumeist  aber  zweifelhafte 
oder  negative  Erfahrungen  gemacht  haben.  Monti  dagegen  kritisirte 
meine  casuistischen  Mittheilungen  in  der  Zeitschrift  für  klinische  Me 
dicin  (Bd.  VII).  Er  meinte,  wenn  auch  die  weichen  Schädelknochen 
hart  werden,  der  Stimmritzenkrampf  verschwindet,  die  Kinder  zu 
stehen  und  zu  gehen  anfangen  u.  s.  w.,  so  beweise  dies  gar  nichts 
für  die  Wirkung  des  Phosphors  bei  der  Rachitis,  wenn  man  nicht 
durch  fortlaufende  Körperwägungen  und  durch  Messungen  der  Körper¬ 
länge,  sowie  des  Kopf-  und  Brustumfanges  den  Nachweis  liefere,  dass 
diese  Zahlenverhältnisse  zur  Norm  zurückkehren.  In  meiner  Erwide¬ 
rung  zeigte  ich,  wie  willkürlich  und  ungerecht  ein  solches  Verlangen 
sei  und  sagte  am  Schlüsse  meiner  Ausführungen  vorher,  dass  die 
Phosphortherapie  trotz  Monti’s  Gegnerschaft  zu  einer  immer  allge¬ 
meineren  Anwendung  und  Anerkennung  gelangen  werde. 

Diese  Prognose  ist,  wie  Ihnen  bekannt  ist,  wörtlich  in  Erfüllung 
gegangen.  Die  unmöglichen  Postulate  von  Monti  wurden  ignorirt, 
dagegen  häuften  sich  fort  und  fort  aus  allen  Herren  Länder  die  Be¬ 
richte  über  glänzende  Heilerfolge  bei  der  Rachitis  (und  später  auch 
bei  der  Osteomalacie),  alle  meine  damaligen  Behauptungen  wurden  der 
Reihe  nach  von  zahlreichen  wohlaccreditirten  Beobachtern  verificirt, 
und  man  kann  wohl  ohne  Uebertreibung  behaupten,  dass  der  Phosphor- 
leberthran  in  der  von  mir  angegebenen  Concentration  von  1  cg  Phos¬ 
phor  auf  100  <7  Leberthran  zu  den  meist  verschriebenen  Receptformeln 
gehört. 

Aber  auch  an  Gegnern  hat  es  seither  nicht  ganz  gefehlt,  und 
zwar  wurde  das  Medicament  als  solches  bekrittelt. 

Zuerst  behauptete  Raudnitz  in  Prag,  dass  der  Phosphor  aus 
der  obigen  Lösung  nach  ein  bis  drei  Tagen  als  weisser  klein¬ 
blätteriger  Niederschlag  herausfalle.  Diese  Behauptung  war  umso 
unbegreiflicher,  als  auch  die  hundertfache  Menge,  nämlich  ein  ganzes 
Gramm  in  100  g  Leberthran  vollkommen  löslich  ist  und  auch  gelöst 
bleibt,  weil  das  Oel  natürlich  nicht  verdunstet.  Lösungen  von  1  cg  in 
derselben  Menge  Oel  blieben  aber  Monate  und  Jahre  lang  unverändert. 
Ich  habe  damals  an  Raudnitz  die  Aufforderung  gerichtet,  er  möge 
doch  ein  solches  Fläschchen  mit  dem  präcipitirten  Phosphor  öffentlich 
demonstriren  und  die  Begutachtung  einer  chemischen  Autorität  unter¬ 
breiten,  eine  Aufforderung,  der  er  natürlich  nicht  nachkommen  konnte 
und  auch  nicht  nachgekommen  ist;  und  seitdem  war  niemals  mehr 
von  einem  Herausfallen  des  Phosphors  aus  seiner  Lösung  die  Rede. 

Aus  Anlass  dieser  Controverae  mit  Raudnitz  bat  ich  aber 
damals  Herrn  Collegen  Ko  bl  er  (jetzt  Director  des  Landesspitales  in 
Sarajevo),  der  damals  im  Laboratorium  bei  Hofrath  Ludwig  arbeitete, 
die  Mitscher  lie  h’sche  Leuchtprobe  an  unseren  Phosphorölen  vor¬ 
zunehmen.  Dieselben  wurden  unter  Aufsicht  von  Professor  Julius 
M  authner  gemacht  und  ergaben  in  allen  Fällen  ohne  Ausnahmen 
noch  nach  Monaten  ein  positives  Resultat.  Da  aber  die  Flasche  Phosphor- 
leberthraD  in  drei  Wochen  verbraucht  sein  soll,  so  war  ein  Zweifel  an 
der  Haltbarkeit  des  Medicamentes  innerhalb  der  für  die  Praxis  in  Frage 
kommenden  Grenzen  nicht  mehr  möglich  und  ich  hielt  daher  diese  Frage 
für  definitiv  erledigt. 

Ich  war  daher  nicht  wenig  überrascht,  als  ich  heuer  auf  einem 
Passus  in  einem  Hefte  von  M  o  n  t  i’s  „Einzeldarstellungen“  aufmerksam 
gemacht  wurde,  welcher  folgendermassen  lautet: 

„Zu  den  angeführten  üblichen  Verschreibungen  des  Phosphors 
muss  zunächst  bemerkt  werden,  dass  der  Phosphor  einer  der  flüchtigsten 


Nr.  51  WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900 


Körper  ist  (an  der  Luft!),  und  wenn  man  z.  B.  von  obigen  Lösungen 
in  100  g  Leberthran  einem  Kinde  täglich  ein  bis  zwei  Kaffeelöffel  voll  bis  zum 
Verbrauche  gibt,  dasselbe  mit  den  letzten  Partien  gar  keinen 
Phosphor  mehr  bekommt.  Die  diesbezüglichen,  sehr  interessanten 
Versuche  von  Hryntschak  haben  ergeben,  dass  in  derartigen 
Lösungen  nach  acht  bis  zehn  Tagen  nur  mehr  geringe  Spuren 
Phosphor  vorhanden  sind.“ 

Monti  beruft  sich  also  auf  „interessante“  Untersuchungen  von 
H  r  y  n  t  s  o  h  a  k,  ohne  anzugeben,  wann,  wo  und  nach  welcher  Methode 
diese  Untersuchungen  gemacht  worden  sind.  Diese  Berufung  ist  aber 
umso  befremdender,  als  Monti  in  der  früher  erwähnten  Dis¬ 
cussion  seine  Rede  damit  begonnen  hatte,  dass  er  sagte,  er  sei 
mit  dem  Inhalte  des  Vortrages  seines  ehemaligen  Assistenten 
Hryntschak  erst  durch  die  Blätter  bekannt  geworden, 
er  sei  also  seiner  Auseinandersetzung  vollkommen  fremd  und  müsse 
ihm  die  volle  Verantwortung  für  seine  theoretischen  und  klinischen 
Beobachtungen  überlassen  (Anzeiger  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte 
vom  30.  April  1885).  Dieser  ehemalige  Assistent,  den  er  damals  in 
so  ostentativer  Weise  desavouirte,  ist  nun  nach  15  Jahren  seine  che¬ 
mische  Autorität.  Aber  nicht  genug  damit.  Prof.  M  a  u  t  h  n  e  r,  auf 
dessen  wohl  unbestrittene  chemische  Autorität  ich  mich  mehrfach  in 
Publicationen  berufen  habe,  ist  jetzt  Vorstand  des  chemischen  Labora¬ 
toriums  der  Allgemeinen  Poliklinik  und  zugleich  Vicedirector  dieser 
Anstalt,  deren  Director  Prof.  Monti  ist.  Was  lag  also  näher,  als 
diese  Autorität  zu  befragen,  bevor  man  eiue  Behauptung  aufstellt, 
mit  der  eine  allgemein  anerkannte  und  von  ausgezeichneten  Klinikern 
warm  empfohlene  Therapie  discreditirt  werden  soll?  Aber  gerade  dies 
hat  Monti  nicht  gethan,  und  zwar  auch  dann  nicht,  als  er  direct 
dazu  aufgefordert  wurde.  Doch  davon  später. 

Zunächst  lag  mir  daran,  etwas  Näheres  über  Hryntschak’s 
Versuche  zu  erfahren.  In  seinem  damaligen  Vortrage  konnte  ich  nur 
finden,  dass  die  Kinder,  die  er  auf  Monti’s  poliklinischer  Abtheilung 
behandelt  hatte,  cg  Phosphor  in  50  g  Emulsion  (also  nicht  in 
Leberthran!)  bekamen,  dass  sie  davon  zwei  Kaffeelöffel  pro  Tag  ver¬ 
brauchen  sollten,  dass  sie  alle  acht  Tage  erscheinen  mussten,  und 
dass  Hryntschak  sich  von  der  Richtigkeit  der  Ex¬ 
pedition  in  der  Apothekedes  Herrn  G  roh  des  Oeftern 
persönlich  überzeugt  habe.  Von  einer  Verflüchtigung  des 
I  hosphors  und  von  einem  Nachweise,  dass  in  dem  Medicamente  nach 
acht  bis  zehn  Tagen  nur  geringe  Spuren  oder  gar  kein  Phosphor 
mehr  enthalten  sei,  ist  in  dem  Vortrage  nirgends  die  Rede  und  konnte 
auch  nicht  die  Rede  sein,  weil  von  50  g  Emulsion,  wenn  davon  täglich 
zwei  Löflel  gegeben  werden,  nach  acht  Tagen  gar  nichts  mehr  übrig 
bleiben  kann. 

Um  das  Räthsel  zu  lösen,  wandte  ich  mich  brieflich  an 
H  1  y  n  t  s  c  h  a  k,  und  erhielt  nach  einer  Urgenz  endlich  folgenden 
Bescheid: 

„Ich  habe  die  interessanten  (!),  zumeist  negativen  Versuche 
nicht  weiter  veröffentlicht.  Sie  ergaben  t Heils  fast  gänzliches  Fehlen, 
theils  auffallende  Verminderung  des  Phosphorgehaltes  im  Vergleiche  reit 
dem  ursprünglichen  Gehalt.  Die  Bestimmung  geschah  theils  durch  den 
Gei uch  (sic!),  theils  durch  die  Leuchtprobe  im  Dunkeln  mit  Benützung 
von  Wasserdämpfen.“ 

Ich  enthalte  mich  jedes  Commentars  zu  dieser  Antwort. 

Ich  that  aber  ein  Uebriges  und  beschloss,  auch  einmal  eine 
quantitative  Bestimmung  des  Phosphors  im  Leberthran  vornehmen  zu 
lassen,  und  zwar  hatte  Herr  Dr.  A  d  o  1  f  J  o  1 1  e  s  die  Freundlichkeit, 
sich  im  Interesse  der  Sache  dieser  Mühewaltung  zu  unterziehen.  Es 
wuiden  ihm  zwei  Flaschen  Phosphorleberthran  der  üblichen  Zusammen¬ 
setzung  übergeben.  In  der  einen  wurde  die  Bestimmung  sofort  gemacht, 
in  der  anderen  genau  zwei  Monate  später,  nachdem  die  Flasche  im 
Laboratorium  die  ganze  Zeit  unverkorkt  gestanden  hatte.  Das  Resultat 
ieser  Bestimmungen,  deren  Details  demnächst  veröffentlicht  werden, 
wai  genau  so,  wie  es  vorauszusehen  war,  nämlich  dass  sich  die 
iffeienz  innerhalb  der  Fehlergrenzen  der  Analyse  bewegte. 

^  on  diesem  Resultate  habe  ich  Monti  in  Kenntniss  gesetzt, 
und  zwar  in  einen  vom  21.  Juni  d.  J.  datirten  Briefe,  in  welchem 
ic  i  ihm  zugleich  den  Vorschlag  machte,  er  möge  eine  derartige  Unter- 
suchung  durch  Prof.  Mauthner  vornehmen  lassen  und  das  Resultat 
veiö  entliehen.  Leider  ist  dies  bisher  nicht  geschehen  und  ich  habe 
auf  meinen,  selbstverständlich  in  der  urbansten  Form  abgefassten  Brief 
keine  Antwort  erhalten. 

Seitdem  ist  aber  die  Frage  des  Phosphorgehaltes  im  Phosphor¬ 
leberthran  in  eine  neue  Phase  getreten,  indem  nämlich  Prof.  Zweifel 
in  eipzig  plötzlich  behauptet,  dass  sich  der  Phosphor  schon  nach  ein 
bis  zwei  Tagen  in  Leberthran  nicht  mehr  nachweisen  lasse.  Wir  haben 
a  so  schon  drei  verschiedene,  einander  direct  widersprechende  Angaben: 

mausfallen  des  Phosphors  nach  ein  bis  drei  Tagen  (R  a  u  d  n  i  t  z), 
a  mä  iges  Verflüchtigen  des  Phosphors  nach,  acht  bis  zehn  Tagen 
onti),  und  endlich  sofortige  OxjTdation  durch  die  Fettsäuren  des 
fi  oi  thrans,  so  dass  schon  nach  24  Stunden  kein  leuchtender  Phosphor  I 


’  mehr  vorhanden  ist  (Zweifel).  Wäre  eine  dieser  Angaben  richtig, 
dann  wären  die  anderen  beiden  ganz  sicher  falsch.  Zum  Glücke  ist, 
aber  bereits  ausgemacht  und  werde  ich  sofort  in  der  Lage  sein,  noch 
weitere  Beweise  dafür  zu  erbringen,  dass  alle  drei  gleich  un¬ 
richtig  sind. 

Zweifel  behauptet  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  dass  die 
ganze  Phosphortherapie  „trotz  der  überzeugten  lobsprudelnden  Bei¬ 
stimmungen  einer  so  grossen  Zahl  von  berühmten  Aerzten“  auf 
Täuschung  beruht,  weil  sie  alle  unsere  Kranken  mit  Phosphorleberthran 
ohne  1  hosphor  curirt  haben.  Er  gibt  zwar  zu,  dass  er  etwas  Anderes 
gefunden  babe  wie  Mont  i,  und  dieser  wieder  etwas  Anderes,  wie  er; 
abei  „gleichviel,  es  ist  halt  kein  Phosphor  darin“.  In  diesem  gemiith- 
lichen  Tone  wird  das  Todesurtheil  über  den  Phosphorleberthran  ver¬ 
kündet. 

Womit  wird  aber  dieses  Urtheil  motivirt? 

Zweifel  hat  aus  verschiedenen  Leipziger  Apotheken  Phosphor¬ 
leberthran  verschrieben,  aber  nicht  in  der  von  mir  angegebenen  und 
allgemein  gebräuchlichen  Concentration,  sondern  eine  Serie  m  i  t 
l1/ 2  cg  auf  100,  und  eine  zweite  Serie  mit  einer  zehnfach  geringeren 
Dosis,  nämlich  P/2 auf  100.  Warum  er  gerade  diese  beiden 
Concentrationen  gewählt  hat,  ist  mir  vollkommen  unerfindlich 
geblieben.  Mit  dem  Inhalte  der  nach  diesen  Recepten  erhaltenen  Fläschchen 
machte  er  nun  die  Leuchtprobe  und  bekam  mit  der  ersten  Serie  unter 
18  Fällen  14mal  ein  positives  Resultat,  welches  er  selbst  zumeist  als 
„sehr  stark“  odeu  als  „prachtvoll“  oder  als  „prachtvoll,  anhaltend 
und  sehr  stark“  bezeichnet.  Wie  er  nun  nach  diesen  eigenen  Er¬ 
fahrungen  behaupten  kann,  dass  in  dem  Phosphorleberthran  „halt 
kein  Phosphor  darin  ist“,  das  ist  mir  absolut  räthselhaft. 

Aber  in  einer  zweiten  Serie,  wo  nur  1  72  mg  Phosphor  verschrieben 
war,  hat  Zweifel  das  Leuchten  nur  einige  Male  gesehen.  Darauf 
fi age  ich  zunächst:  Welchen  praktischen  Zweck  kann  es  haben,  eine 
so  kleine  Dosis  Phosphor  in  so  viel  Leberthran  zu  verschreiben?  Da 
das  lachitische  Kind,  wie  Zweifel  sehr  wohl  weiss,  mg  pro  die 
bekommen  soll,  so  müsste  man  ihm  statt  den  5 g  Leberthran,  in  denen 
es  diese  Dosis  nach  der  üblichen  Vorschreibung  bekommt,  gleich  ein 
Drittel  der  F  lasche  an  jedem  Jag  beibringen,  ein  ganz  unvernünftiges 
Beginnen.  Handelte  es  sich  aber  darum,  zu  ei  proben,  ob  auch  diese 
kleine  Menge  Phosphor  in  so  viel  Oel  unverändert  bleibt,  so  hätte 
sich  Zweifel  vor  Allem  davon  überzeugen  müssen,  wie  der  Apotheker 
eine  so  minimale  Menge  Phosphor  abwiegt  und  ob  denn  wirklich  die 
verlangte  Dosis  in  das  Oel  hineingekommen  ist.  Da  er  einige  Male 
auch  bei  der  kleinen  Dosis  ein  Leuchten  gesehen  hat  —  ich  selbst 
sah  es  bei  1  mg  auf  100  —  so  wusste  er  ja,  dass  auch  eine  so 
kleine  Dosis  erhalten  bleiben  kann.  Trotzdem  dachte  er  nicht  daran, 
einmal  selbst  die  Bereitung  dieser  Lösungen  zu  controliren  oder. auch 
nur  nachzufragen,  wie  der  Apotheker  dabei  zu  Werke  geht,  wenn 
ihm  aufgetragen  wird,  1  '/2  mg  Phosphor  abzuwägen.  Alles  was  er  that, 
war,  das  betreffende  Recept  niederzuschreiben,  und  wenn  nun  das 
Leuchten  einige  Male  sichtbar  ist,  die  anderen  Male  aber  nicht,  so 
heisst  es  dann  ganz  einfach :  „In  dem  Phosphorleberthran  ist  halt 
kein  Phosphor  darin.“ 

In  den  Additamenta  zu  der  siebenten  Auflage  der  Oester- 
reichischen  Pharmakopoe  vom  Jahre  1900  heisst  es  bei  den  Vor¬ 
schriften  für  die  Bereitung  des  officinellen  Phosphoröls,  welches  wohl 
hauptsächlich  zur  leichteren  Bereitung  des  so  häufig  verordneten 
Phosphorleberthranes  bestimmt  ist,  wie  folgt: 

„Da  es  unmöglich  ist,  1  deg  Phosphor  genau  ab¬ 
zuwägen,  so  wird  man  vortheilhaft  folgenden  Weg  einschlagen.“ 

Zweifel  verschreibt  aber  ganz  gemächlich  den  siebzigsten 
Theil  jenes  Quantums,  von  dem  der  Chemiker  sagt,  „dass  es  un¬ 
möglich  sei,  ihn  genau  abzuwägen“,  und  interessirt  sich  nicht  im 
Geringsten  dafür,  wie  sich  der  Apotheker  mit  dem  ihm  aufgetragenen 
pharmaceutischen  Kunststück  zurechtgefunden  hat. 

Aber  auch  jede  andere  Controle  hat  Zweifel  mit  Bestimmtheit 
abgelehnt,  indem  er  sagt,  er  überlasse  es  Anderen,  quantitative  Be¬ 
stimmungen  vorzunehmen,  und  er  habe  es  auch  nicht  für  nöthig  be¬ 
funden,  von  der  Schere  r’schen  Probe  Gebrauch  zu  machen. 

Nun,  meine  Herren,  Sie  wissen  bereits,  dass  wir  von  der  ersteren 
Erlaubniss  bereits  anticipando  Gebrauch  gemacht  haben,  und  über  das 
Resultat  der  S  c  h  e  r  e  r’schen  Probe  will  ich  Ihnen  sofort  berichten. 

Die  Schere  r’sche  Probe  besteht  darin,  dass  in  dem  Halse  des 
Kölbchens,  in  dem  sich  die  zu  untersuchende  Flüssigkeit  befindet,  zwei 
Streifen  Filtrirpapier  aufgehängt  werden,  von  denen  der  eine  mit 
Silbernitratlösung,  der  andere  mit  Bleiacetat  getränkt  ist.  Wird  nun 
die  Flüssigkeit  erhitzt,  so  verflüchtigt  sich  der  etwa  vorhandene  Phos¬ 
phor  und  die  Dämpfe  schwärzen  den  Silbernitratstreifen  durch  Bildung 
von  Phosphorsilber,  während  das  Weissbleiben  des  zweiten  Streifens 
beweist,  dass  die  Schwärzung  nicht  auf  Schwefelsilber  zu  beziehen  ist. 

Als  wir  nun  diese  Probe  für  unsere  Zwecke  verwenden  sollten, 
ergab  sich  ein  überraschendes  Resultat.  Beim  Erhitzen  von  Phosphor¬ 
leberthran  (0’01  auf  100)  wurde  der  Silbernitratstreifen  stark  geschwärzt, 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  51 


der  Bleiessigstreifen  blieb  unverändert.  Auch  bei  Erhitzung  einer 
zehnmal  schwächeren  Lösung  (1  mg  auf  100)  erfolgte  eine  Bräunung 
des  Silbernitratstreifens  —  also  scheinbar  ein  positives  Resultat.  Als 
wir  nun  aber  versuchten,  wie  sich  reiner  Leberthran  ohne  Phosphor  bei 
der  Erhitzung  verhält,  da  zeigte  es  sich,  dass  auch  hier  eine  Bräunung 
auftrat,  während  dieselbe  vollständig  ausblieb,  wenn  reines  Olivenöl 
oder  Mandelöl  erhitzt  wurde.  Da  auch  Lipanin,  d.  i.  Olivenöl  mit 
einem  künstlichen  Zusatz  von  Fettsäuren,  die  Bräunung  hervorrief, 
so  war  es  ziemlich  klar,  dass  es  Zersetzungsproducte  der  Fettsäuren 
(Aldehyde?)  sind,  die  sich  durch  das  Erhitzen  des  Oeles  bilden  und 
die  Reduction  des  Silbersalzes  bewirken;  noch  klarer  war  es  aber,  dass 
diese  Reaction  für  unsere  Zwecke  —  und  wohl  auch  für  gerichtliche 
Zwecke  —  nicht  anzuwenden  ist. 

Nun  bin  ich  aber  durch  die  Freundlichkeit  des  Herrn  Glücks¬ 
mann,  Directors  des  chemischen  Laboratoriums  des  Oesterreichischen 
Apothekervereines,  in  die  angenehme  Lage  versetzt,  Ihnen  eine  Modi¬ 
fication  dieser  Reaction  zu  demonstriren,  welche  ungemein  einfach  ist 
und  allen  Anforderungen  auf  das  Beste  entspricht. 

Vor  Allem  war  natürlich  die  Erhitzung  des  Oeles  zu  vermeiden. 
Würde  man  aber  die  wässerige  Lösung  des  salpetersauren  Silbers 
direct  dem  Oele  zusetzen,  so  würde  sich  eine  Emulsion  bilden,  in  der 
die  durch  die  Reduction  entstehende  Färbung  entweder  gar  nicht  oder 
wenigstens  nicht  ihren  feinen  Nuancen  erkennbar  wäre.  Besässe  man 
aber  ein  Lösungsmittel,  welches  einerseits  das  zu  untersuchends  Oel 
und  andererseits  die  wässerige  Silberlösung  ohne  Trübung  aufnähme, 
dann  müsste  die  Verfärbung  leicht  wahrnehmbar  sein. 

Ein  solches  Mittel  ist  aber  das  Aceton.  Denn  einerseits  löst 
sich,  wTie  Sie  sehen,  ein  Volumtheil  Leberthran  in  neun  Volumtheilen 
Aceton  vollständig;  und  andererseits  nimmt  das  Aceton  auch  die  wässe¬ 
rige  Silberlösung  (1  :  10)  ohne  Trübung  auf.  Nun  mische  ich  beide 
Lösungen,  und  auch  die  Mischung  bleibtvollkommen  klar.  Nun  nehme 
ich  aber  statt  des  reinen  Leberthrans  eine  kleine  Menge  Phosphor- 
leberthran  der  gewöhnlichen  Concentration,  versetze  sie  mit  neunmal 
so  viel  Aceton  und  giesse  nun  zu  der  klaren  Lösung  etwa  1  cm3 
Acetonsilberlösung  (also  Aceton  mit  einem  Tropfen  Normalsilberlösung 
versetzt),  und  sofort  entsteht  eine  dunkelkaffeebraune  Verfärbung  der 
Flüssigkeit,  aus  der  sich  dann  später  ein  schwarzer  Niederschlag  von 
Phosphorsilber  präcipitirt. 

Der  Phosphorleberthran,  mit  dem  ich  soeben  die  Probe  gemacht 
habe,  wurde  vor  14  Tagen  bereitet.  Ich  bin  aber  durch  einen  glück¬ 
lichen  Zufall  in  der  Lage,  dieselbe  Probe  auch  an  einem 
netto  14  Jahre  alten  Phosphorleberthran  zu  produ- 
ciren.  Ich  habe  nämlich  aus  Anlass  des  R  a  u  d  n  i  t  z’schen  Ein¬ 
wurfes  im  November  und  December  1886  verschiedene  Phosphor¬ 
lösungen  in  Mandelöl,  Olivenöl  und  Leberthran  anfertigen  lassen,  um 
an  ihnen  zu  demonstriren,  dass  der  Phosphor  sich  nicht  präcipitirt. 
Als  ich  mich  nun  durch  wiederholte  Prüfungen  mit  der  neuen 
Phosphorprobe  von  ihrer  Verlässlichkeit  und  grossen  Empfindlich¬ 
keit  überzeugt  hatte  —  man  bekommt  auch  mit  einer  sehr  kleinen 
Menge  einer  Lösung  von  1  mg  auf  100  eine  sehr  deutliche  Reac¬ 
tion  —  erinnerte  ich  mich  an  jene  Probeflasehen  aus  dem  Jahre 
1886,  fand  sie  alle  in  äusserlich  unverändertem  Zustande  vor  — 
auf  der  Etiquette  ist  die  genaue  Vorschreibung,  das  Datum  der 
Ausfertigung  und  die  Unterschrift  des  Expedienten  zu  lesen  —  und 
als  ich  nun  wieder  die  Acetonsilberprobe  machte,  zeigte  sich  an 
diesem  Phosphorleberthran,  Jahrgang  1886,  dieselbe  Reaction  wie 
bei  dem  14  Tage  alten  ;  und  Sie  sehen  nun  selbst,  dass  '  die 
Färbung  ebenso  intensiv  ist,  wie  bei  diesem.  Man  könnte  aber 
vielleicht  einwenden,  dass  die  Reaction  auch  von  phosphoriger  Säure 
herrühren  könnte,  welche  ebenfalls  das  Silbersalz  redueirt ;  und  in  der 
That  behauptet  ja  Zweifel,  dass  ihm  die  Leuchtprobe  deshalb 
einige  Male  nicht  gelungen  sei,  weil  der  Phosphor  durch  die  im 
Leberthran  enthaltenen  Fettsäuren  zu  phosphoriger  Säure  oxydirt 
worden  ist.  Freilich  ist  schon  von  vornherein  nicht  daran  zu  denken, 
dass  die  Fettsäuren  bei  Zimmertemperatur  Phosphor  oxydiren,  und 
Zweifel  hat  auch  nicht  einmal  den  schüchternsten  Versuch  gemacht, 
diese  gänzlich  neue  Behauptung  zu  begründen.  Aber  immerhin  schien 
es  mir  gut,  auch  diesem  Einwande  zuvorzukommen.  Dazu  diente  der 
folgende  Versuch. 

Die  phosphorige  Säure  ist  bekanntlich  in  Wasser  sehr  leicht  löslich. 
Ich  habe  daher  den  Phosphorleberthran  mit  der  doppelten  Menge 
destillirten  Wassers  gut  durchgeschüttelt  und  habe  abgewartet,  bis  sich 
Oel  und  Wasser  wieder  voneinander  scheiden.  Nun  wurde  ein  Theil 
des  Wassers  unten  vorsichtig  abgelassen  und  mit  Silbernitratlösung 
vermengt,  ohne  eine  Spur  von  Fällung  oder  Verfärbung;  zum  Beweis, 
dass  das  Wasser  nicht  im  Staude  war,  auch  nur  eine  Spur  von  phos¬ 
phoriger  Säure  aus  dem  Oele  zu  entnehmen.  Das  Oel  zeigte  dann 
natürlich  wieder  mit  der  Acetonsilberprobe  die  schönste  Reaction.  Das¬ 
selbe  Experiment  wiederholte  ich  dann  mit  Lipanin,  das  ebenfalls  in 
100  g  1  cq  Phosphor  enthielt.  Aber  auch  die  6%  Fettsäuren,  welche 


das  Lipanin  enthält,  haben,  wde  vorauszusehen,  den  Phosphor  unver 
ändert  gelassen  und  die  Probe  hat  nichts  von  phosphoriger  Säure 
gezeigt. 

Nach  alldem  glaube  ich  wohl  Vorhersagen  zu  können,  dass  die 
Phosphortherapie  auch  aus  diesen  Anfechtungen  nur  neu  gestärkt 
hervorgehen  wird. 


Wiener  laryngologische  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  8.  November  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  O.  Cliiari. 

Schriftführer:  Dr.  Hanszel. 

Der  Vorsitzende  stellt  der  Versammlung  die  Gäste  Dr.  Max 
K  i  k  u  t  h  aus  Riga  und  Dr.  Eduard  Minder  aus  Basel  vor, 
macht  weiters  Mittheilung  von  dem  Austritte  der  Mitglieder  Dr.  H. 
v.  Schrotte  r,  Dr.  B.  R  i  s  c  h  a  w  y,  und  Dr.  E.  Pollak  (die 
beiden  Letzteren  in  Folge  von  Domicilwechsel)  aus  dem  Verbände  der 
Gesellschaft  und  fordert  die  Versammlung  auf,  dem  Andenken  an 
den  in  diesem  Jahre  verstorbenen  Laryngologen  Dr.  M.  Schäffer 
aus  Bremen  durch  Erheben  von  den  Sitzen  ehrenden  Ausdruck  zu  ver¬ 
leihen,  was  geschieht. 

1.  Docent  Dr.  H.  Koschier:  Durch  die  Liebenswürdigkeit  des 
Herrn  Prof.  M  o  n  t  i  habe  ich  in  der  letzten  Zeit  Gelegenheit  gehabt, 
eine  Anzahl  von  Kindern  mit  postdiphtheritischen  Stenosen  des  Kehl¬ 
kopfes  und  der  Luftröhe  zu  operiren.  Unter  den  Kindern,  welche  der 
Operation  zugeführt  wurden,  befand  sich  auch  das  fünfjährige 
Mädchen,  welches  ich  jetzt  vorgestellt  habe. 

Aus  der  Anamnese  erfährt  man,  dass  die  Patientin  am  21.  Oc¬ 
tober  1898  während  des  Essens  von  Athemnoth  und  Heiserkeit  be¬ 
fallen  wurde.  Sie  hatte  knapp  vorher  eine  Geflügelsuppe  gegessen.  Die 
Mutter  brachte  die  Kleine  in  ein  Kinderspital,  wo  das  Vorhandensein 
eines  Fremdkörpers  angenommen  wurde  und  verschiedene  Extractions¬ 
versuche  mit  verschiedenen  Instrumenten  angestellt  wurden;  dieselben 
förderten  aber  keinen  Fremdkörper  heraus,  und  die  Patientin  wurde 
nach  Hause  geschickt.  In  der  Nacht  verschlimmerte  sich  der  Zustand 
des  Kindes  und  am  nächsten  Morgen  wurde  es  wiederum  in  dasselbe 
Spital  gebracht,  wo  die  Diagnose  auf  Diphtheritis  gestellt  und  das 
Kind  aufgenommen  wurde.  Zur  Behebung  der  Athemnoth  wurde  die 
Intubation  vorgenommen.  Nach  einigen  Tagen  wurde  das  Mädchen 
entlassen,  ohne  dass  eine  Besserung  in  ihrem  Zustande  in  Bezug  auf 
die  Athemnoth  und  Heiserkeit  eingetreten  wäre. 

Schon  einige  Tage  später  erfolgte  die  zweite  Aufnahme  der 
Patientin  und  wurde  auch  während  des  diesmaligen  Spitalsaufenthaltes 
die  Behandlung  mittelst  Intubation  vorgenommen.  Am  14.  No¬ 
vember  1898  wurde  das  Kind  aus  dem  Spitale  entlassen;  bei  dieser 
Gelegenheit  zeigte  es  noch  immer  Heiserkeit  und  Athemnoth. 

Am  21.  November  1898  kam  die  Patientin  in  die  Poliklinik, 
wo  ein  Abcess  am  Halse  entsprechend  dem  Ligamentum  conicum 
constatirt  wurde;  ausserdem  bestand  starke  Athemnoth.  Der  damals 
aufgenommene  laryngoskopische  Befund  ergab  starke  Röthung  des 
Kehlkopfes  und  Schwellung  des  linken  Taschenbandes,  welches  vorne 
einen  graugelben  Fleck  aufwies,  welcher  mit  dem  Abscesse  am  Halse 
aussen  in  Verbindung  gebracht  wurde.  Der  Abscess  am  Halse  wurde 
incidirt,  worauf  in  kurzer  Zeit  die  Athemnoth  verschwand,  und  die 
Patientin  konnte  nach  einigen  Tagen  entlassen  werden. 

Das  Befinden  blieb  nunmehr  ein  normales  bis  Anfangs  Oc¬ 
tober  1900.  Zu  dieser  Zeit  stellte  sich  wiederum  Athemnoth  ein, 
welche  immer  ärger  wurde,  so  dass  das  Mädchen  am  6.  October 
wiederum  in  die  Poliklinik  zur  Aufnahme  kam. 

Ich  fand  bei  der  Untersuchung  im  Kehlkopfe  am  oberen  Ab¬ 
schnitte  normale  Verhältnisse,  am  Anfänge  der  Trachea  zwei  mächtige 
Wülste,  die  von  den  lateralen  Wänden  der  Luftröhre  ausgingen  und 
das  Lumen  derselben  enorm  verengten.  Die  tieferen  Partien  der  Trachea 
konnte  ich  in  Folge  der  Stenose  nicht  sehen.  Während  des  Auf¬ 
enthaltes  im  Spitale  konnte  man  die  Beobachtung  machen,  dass  die 
Athemnoth  der  Patientin  in  der  horizontalen  Lage  stärker  war  als 
beim  Stehen.  In  Folge  des  erwähnten  Befundes  nahm  ich  an,  dass 
es  sich  um  eine  Stenose  im  Anschlüsse  au  die  vor  zwei  Jahren  vor¬ 
genommene  Intubation  wegen  Diphtheritis  handle. 

Am  8.  October  wurde  die  Patientin  in  Narkose  operirt.  Die 
Haut  wurde  von  der  Incisura  thyreoidea  bis  zum  Jugulum  gespalten, 
die  Schilddrüse  präparirt,  der  Isthmus  doppelt  unterbunden  und  durch¬ 
geschnitten,  darauf  die  Trachea  der  ganzen  Länge  nach  eröffnet.  Bei 
dieser  Gelegenheit  fand  ich  in  der  Luftröhre  in  den  schon  laryngo- 
skopisch  constatirten  Wülsten  eingebettet  den  Fremdkörper,  den  ich 
hier  zeige.  Derselbe  ist  ein  Stück  von  dem  Brustbein  einer  Ente.  Der 
dreieckige  Fremdkörper  sass  in  der  Luftröhre  mit  der  Basis  nach 
unten  und  der  Spitze  nach  oben  und  dementsprechend  war  die  rechte 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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AY  and  der  I  rachea,  gegen  welche  die  lange  Kante  des  Knochens  ge¬ 
richtet  war,  von  viel  stärkeren  Wucherungen  besetzt  als  die  linke, 
gegen  welche  nur  die  untere  Spitze  des  Knochens  gewendet  war.  Nach 
Entfernung  des  Fremdkörpers  trug  ich  die  Granulationen  mit  Schere 
und  Pincette  ab,  worauf  der  Grund  derselben  mit  dem  Paquelin  ver- 
schorft  wurde.  Dann  wurde  die  Canule  eingeführt  und  die  ganze 
Wunde  bis  auf  die  für  die  Canule  bestimmte  Oefl’nung  durch  Naht 
geschlossen.  Der  weitere  Verlauf  war  ein  vollkommen  glatter,  nach 
einigen  Tagen  wurde  die  Canule  entfernt  und  jetzt  ist  die  Patientin 
ganz  beschwerdenfrei. 

Es  ist  allem  Anscheine  nach  die  Diagnose  auf  Diphtheritis  eine 
falsche  gewesen,  und  es  sind  für  diphtheritische  Auflagerungen  und 
Membranen  offenbar  die  Beläge  gehalten  worden,  welche  nach  unsanfter 
Berührung  mit  Instrumenten  und  den  hiebei  gesetzten  oberflächlichen 
Verletzungen  in  der  Regel  sowohl  im  Rachen  wie  im  Kehlkopfe  auf¬ 
zutreten  pflegen.  Man  kann  annehmen,  dass  der  Fremdkörper  zunächst 
im  Kehlkopfe  gelegen  war  und  erst  durch  die  Intubationscanule  in  die 
liachea  hinabgestossen  wurde.  Die  hauptsächlich  in  der  Bettlage 
stärker  hervortretende  Athemnoth  wird  dadurch  erklärt,  dass  der 
Fremdkörper  eine  gewisse  Beweglichkeit  in  der  Trachea  besass  und 
auf  solche  Weise  in  dieser  Lage  gegen  die  hintere  Trachealwand  zu¬ 
rückfallen  konnte,  wodurch  ein  dichterer  Verschluss  der  Luftröhre  zu 
Stande  kam.  Besonders  hervorzuheben  ist,  dass  der  Fremdkörper  durch 
mehr  als  zwei  Jahre  fast  symptomlos  in  der  Trachea  vertragen  wurde. 

2.  Ferner  erlaube  ich  mir,  Ihnen  den  15jährigen  Spänglerlehrling 
Rudolf  M.  vorzustellen,  welcher  am  3.  März  1900  zum  ersten  Male 
auf  die  Poliklinik  kam.  Bei  der  damals  vorgenommenen  Untersuchung 
constatirte  mau  das  Vorhandensein  eines  Tumors,  der  die  ganze  rechte 
Nase  verschloss.  Der  Tumor  wurde  endonasal  operirt.  Kurze  Zeit  nach¬ 
her  trat  aber  Recidiv  auf,  welches  ebenfalls  endonasal  operirt  wurde. 

Anfangs  Juni  sah  ich  den  Patienten  zum  ersten  Male  und  da¬ 
bei  konnte  ich  ebenfalls  eiue  die  ganze  rechte  Nase  verschliessende 
Geschwulst  constatiren,  welche  von  der  Gegend  der  mittleren  Nasen¬ 
muschel  auszugehen  schien.  Die  histologische  Untersuchung  des  endo¬ 
nasal  exstirpirten  Tumors  ergab  ein  Carcinom.  Da  kurze  Zeit  darauf 
ein  vieltes  Recidiv  auftrat,  beschloss  ich,  die  Radicaloperation  an  dem 
Patienten  auszuführen,  welche  am  22.  August  vorgenommen  wurde. 

Ich  führte  den  Lange  nbec  k’schen  Schnitt  längs  dem 
Rande  der  Apertura  pyriformis  nasi  aus,  resecirte  mit  der  Knochen¬ 
zange  das  Nasenbein  und  klappte  den  rechten  Nasenflügel  gegen  die 
die  gesunde  Seite  um.  Die  das  Gesichtsfeld  noch  beeinträchtigenden 
vorderen  Theile  des  Oberkiefers  wurden  einfach  abgemeisselt.  Dadurch 
verschaffte  ich  mir  sehr  bequemen  Zugang  zu  dem  Tumor  und  con¬ 
statirte  nun,  dass  derselbe  vom  Siebbein  ausging.  Die  vordere  Hälfte 
des  Siebbeines  wurde  nun  mitsammt  dem  Tumor  herausgenommen, 
worauf  noch  das  ganze  umliegende  Gewebe  paquelinisirt  wurde.  Hierauf 
lockere  Jodoformgazetamponade  der  Nase  und  Naht.  Heilung  per 
primam. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  auf  die  bequeme  Zugänglich¬ 
keit  der  Nase  aufmerksam  machen,  die  man  sieb  durch  den  Langen- 
b  e  c  k’schen  Schnitt  verschafft.  Man  kann  bei  dieser  Schnittführung 
die  ganze  Nasenhöhle  und  sämmtliche  Nebenhöhlen  bis  auf  die  Stirn - 
höhle  ganz  gut  erreichen  und  Tumoren,  selbst  solche,  die  in  der 
Keilbeinhöhle  sitzen,  ganz  bequem  angehen.  Dabei  ist  die  Entstellung, 
wie  man  an  dem  vorgestellten  Patienten  sehen  kann,  eine  ganz  geringe! 
Nach  einigen  Monaten  ist  die  Narbe,  vorausgesetzt,  dass  der  Verlauf 
wie  in  unserem  Falle  - —  ein  guter  war,  kaum  mehr  zu  sehen. 

Bis  jetzt  ist  local  kein  Recidiv  eingetreten,  wohl  aber  zeigt  die 
Nasenwurzel  eine  Verbreiterung  und  bei  der  Untersuchung  dieser 
Partie  findet  man,  dass  der  Knochen  verschwunden  und  durch  eine 
teigige  Masse  ersetzt  ist.  Die  Haut  darüber  erscheint  ganz  normal.  Es 
ist  anzunehmen,  dass  es  sich  hier  um  ein  Recidiv  handelt,  welches 
das  Nasenbein  consumirt  und  durch  eine  Aftermasse  ersetzt  hat.  Um 
mir  über  die  Ausbreitung  des  Tumors  Sicherheit  zu  verschaffen,  habe 
ich  den  Patienten  radiographisch  untersuchen  lassen,  wobei  es  sieb 
herausgestellt  hat,  dass  die  Geschwulstmasse  von  der  Haut  noch  ganz 
scharf  abgegreuzt  ist  und  tbatsächlicli  den  oberen  Theil  des  Nasen¬ 
beines  ganz  substituirt  hat.  Die  Stirnhöhle  ist  frei. 

Ich  habe  nun  die  Absicht,  falls  der  Patient  darauf  eingehen 
sollte,  das  Recidiv  zu  entfernen  und,  um  eine  Entstellung  der  Nase 
zu  verhindern,  eine  Heteroplastik  mit  Celluloid  vorzunehmen.  Der  Fall 
erschien  mir  von  besonderem  Interesse  zu  sein,  weil  es  sich  in  dem¬ 
selben  um  ein  histologisch  festgestelltes  Carcinom  der  Nase  bei  einem 
so  jungen  Individuum  handelt. 

o.  Als  dritten  Fall  stelle  ich  eine  Patientin  mit  tuberculösem  Em- 
pyern  des  Oberkiefers  vor.  Die  Kranke  kam  am  2.  Mai  1900  auf  die 
oliklinik  mit  den  Erscheinungen  eines  Empyems  der  linken  Highmors- 
^öhle,  welches  offenbar  nach  einer  Zahnextraction  sich  entwickelt 
hatte.  Es  wurde  damals  die  Trepanation  der  Highmorshöhle  vom  Al¬ 
veolus  aus  vorgenommen  und  die  übliche  Behandlung  eingeleifet. 


Als  ich  die  Patientin  zum  ersten  Male  sah,  constatirte  ich,  dass 
man  vom  Trepanationscanale  aus  mit  der  Sonde  in  zwei  Gänge  gelangen 
konnte,  von  denen  der  eine  lateral wärts  gegen  die  Wange  zu,  der 
andere  gegen  die  Medianlinie  hinzog.  Aus  dem  lateralen  Gang’  floss 
bei  der  Durchspritzung  ziemlich  viel  Eiter  heraus,  während  durch  die 
natürliche  Oeffnung  in  der  Nasenhöhle  nur  wenig  Wasser  durchging. 
Bei  Ausspritzung  des  medialwärts  verlaufenden  Ganges  zeigte  sich  um¬ 
gekehrt  wenig  Eiter,  wohl  aber  floss  fast  die  ganze  Wassermenge  durch 
dm  Nase  .  zurück.  Ausserdem  konnte  man  mit  der  Sonde  rauhen 
Knochen  in  dem  Fistelgange  tasten.  Da  die  Patientin  an  zahlreichen 
Knochen  des  Körpers  eariöse  Processe  durchgemacht  batte  und  auch 
derzeit  wegen  Behandlung  eines  solchen  auf  der  Klinik  Albert  sich 
befindet,  wurde  eine  tuberculöse  Erkrankung  des  Oberkiefers  ver- 
muthet. 

Ich  nahm  in  der  S  c  h  1  e  i  c  h’schen  Narkose  die  Erweiterung  der 
Oeffnung  in  der  Highmorshöhle  nach  oben  zu  entsprechend  der  Fossa 
canina  vor,  wodurch  ich  einen  breiten  Zugang  in  die  Highmorshöhle 
gewann,  und  entfernte  hierauf  mit  dem  scharfen  Löffel  die  sehr  zahl¬ 
reichen  Granulationen,  welche  die  Höhle  ausfüllten.  Bei  der  Sondirung 
dei  Höhle  kam  ich  auf  einen  Sequester,  welcher  entfernt  wurde;  der¬ 
selbe  war  ungefähr  2i/2  —  3  m  lang  und  1  cm  breit,  und  stammte 
offenbar  von  der  lateralen  Wand  der  Höhle  her.  Die  Granulationen 
wurden  histologisch  untersucht  und  erwiesen  sich  als  tuberculös  erkrankt; 
Tuberkelbacillen  wurden  ebenfalls  gefunden. 

Bekanntlich  ist  die  Tuberculöse  der  Nebenhöhlen  —  auch  die 
der  Highmorshöhle  —  eine  ziemlich  seltene  Erkrankung.  Vor  einigen 
Jahren  hatte  ich  Gelegenheit,  bei  einer  an  allgemeiner  Tuberculöse 
verstorbenen  Patientin  eine  beginnende  Tuberculöse  der  Schleimhaut 
der  Highmorshöhle  zu  finden.  Damals  konnte  man  an  der  lateralen 
Wand  der  Highmorshöhle  ein  flaches,  die  übrige  Schleimhaut  nur  um 
ein  Geringes  überragendes  Infiltrat  finden,  welches  tubereulöser  Natur 
war.  Es  ist  also  vielleicht  anzunehmen,  dass  auch  hier  der  Vorgang 
derselbe  war,  und  dass  von  der  Schleimhaut  aus  der  tuberculöse  Pro¬ 
cess  auf  den  Knochen  übergegriffen  hat.  Während  der  tuberculöse 
Process  sonst  verhältnissmäsaig  selten  zu  Nekrose  der  Knochen  führt, 
erwähnen  einen  ähnlichen  Vorgang  bei  der  Tuberculöse  der  Neben! 
höhle,  speciell  der  Highmorshöhle,  auch  andere  Autoren. 

In  dem  vorgestellten  Falle  sind  jetzt  in  der  Highmorshöhle 
wiederum  zahlreiche  Granulationen  zu  constatiren,  welche  den  Boden 
dei  Highmorshöhle  ausfüllen.  Es  wird  wohl  nothwendig  sein,  dieselben 
wieder  mit  dem  scharfen  Löffel  zu  entfernen,  und  es  vielleicht  dabei 
auch  vortheilhaft  sein,  den  ersten  Molaris  zu  extrahiren.' 

Discussion:  Dr.  He  in  dl  erwähnt,  dass  er  als  Abtheilungs¬ 
leiter  der  laryngologischen  Abtheilung  der  Wiener  allgemeinen  Poli¬ 
klinik  wohl  den  dritten  Fall  des  Docenten  Koschier  mit  der 
Diagnose  eines  Kieferhöhlenempyems  in  Behandlung  genommen,  und 
dass  sich  damals  nur  periostitische  Erscheinungen  von  Seite  des  Ober¬ 
kiefers  zeigten.  Er  constatirt  aber,  dass  er  bald,  durch. die  dem  Vor¬ 
handensein  eines  einfachen  Kieferhöhlenempyems  widerstreitenden 
Spülungsverhältnisse  aufmerksam  gemacht,  den  erwähnten  Sondirungs- 
befund  feststellte  und  bereits  mit  der  Vermuthungsdiagnose  einer  vor¬ 
handenen  tuberculösen  Caries  des  Oberkiefers  den  Fall  an  Docent 
Koschier  übergeben  habe.  Demgemäss  könne  er  sich  auch  heute  noch 
nicht  der  Ansicht  anschliessen,  dass  der  Process  von  der  Kieferhöhle 
nach  anderen  Gebilden  vorschreitend  sei,  sondern  dass  es  sich  hier 
nach  dem  ganzen  Verlauf  der  Erkrankung  um  eine  Tuberculöse  des 
Proc.  alveolaris  des  Oberkiefers  handle,  welche  auf  die  Kieferhöhle 
übergegriflen,  also  den  umgekehrten  AAreg  von  aussen  nach  innen 
genommen  habe. 

Docent  Dr.  L.  Rethi:  Tuberculöse  der  Nebenhöhlen  der  Nase 
gehört  zu  den  seltenen  Erkrankungen;  gelegentlich  der  Publication 
seines  zweiten  Falles  von  Kieferhöhlentuberculose  hat  Rethi  zehn 
Fälle  zusammengestellt  und  seither  wurde  ein  weiterer  Fall  bekannt. 
Von  diesen  elf  betrafen  neun  die  Kieferhöhle  und  je  einer  die  Stirn- 
und  die  Keilbeinhöhle.  Knochenaftection  gehört  aber  nicht  gerade  zu 
den  seltenen  Vorkommnissen,  denn  sechsmal  war  der  Knochen  erkrankt : 
fünfmal  mit  Empyem  und  einmal  ohne  ein  solches;  nur  dreimal  war 
keine  Knochenerkrankung  vorhanden  und  die  Diagnose  wurde  durch 
Nachweis  von  Tuberkelbacillen  gesichert. 

Auch  in  beiden  Fällen  R  e  t  h  i’s  war  Knochenaffection  vorhanden; 
im  ersten  schloss  sich  die  Erkrankung  auch  an  eine  Zahnextraction 
bei  einem  an  Kehlkopf-  und  Lungentuberculose  kranken  Manne  an: 
Geschwürsbildung  am  Zahnfleisch,  Abstossung  von  Knochenstücken  und 
nachfolgende  Eröffnung  der  Nasen-  und  Kieferhöhle  vom  Munde  aus, 
so  dass  schliesslich  die  ulcerirte,  grau  granulirte,  eiterig  belegte  Kiefer¬ 
höhlenschleimhaut  durch  den  grossen  Defect  zu  sehen  war.  Im  zweiten 
Falle,  bei  einer  an  Lungen-  und  Kehlkopftuberculose  kranken  Frau 
begann  der  Process  an  der  unteren  Muschel  und  griff  von  da  auf  die 
Kieferhöhle  über;  die  äussere  Nasenwand  wurde  perforirt  und  eine 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Communication  mit  der  Kieferhöhle  hergestellt;  die  Untersuchung  von 
herausgeholten  Gewebsstückchen  sicherte  die  Diagnose.  In  beiden  Fällen 
musste  eine  Autoinfection  angenommen  werden  und  in  beiden  Fällen 
hat  dieselbe,  wie  Herr  Dr.  II  ein  dl  auch  für  den  vorliegenden  Fall 
annimmt,  von  aussen  nach  innen  und  nicht  umgekehrt,  von  innen  nach 
aus  en,  stattgefunden. 

Dr.  II  a  n  s  z  e  1  bespricht  anknüpfend  an  den  vom  Docenten 
Dr.  Koschier  mitgetheilten  ersten  Fall  einen  ganz  ähnlichen,  der 
vor  kurzer  Zeit  im  Vereine  deutscher  Aerzte  in  Prag  vorgestellt  wurde, 
und  in  welchem  sich  im  Anschlüsse  an  die  Verletzung  durch  einen 
aspirirten  Fremdkörper  eine  bacteriologisch  festgestellte  Diphtherie  ent¬ 
wickelte.  Es  wurde  mit  Erfolg  intubirt  und  das  Kind  geheilt  entlassen.  Erst 
nach  mehr  als  einem  Jahre  stellten  sich  plötzlich  Athembeschwerden 
ein,  weswegen  tracheotomirt  werden  musste,  wobei  man  den  Fremd¬ 
körper  —  ein  ganz  kleines  Instrument,  womit  Kinder  die  Vogelstimmen 
nachahmen  —  im  subglottischen  Raume  fand. 

Docent  Dr.  Grossmann:  Vor  einigen  Monaten  kam  eine 
Frau  zu  mir  mit  der  Klage,  es  sei  ihr  beim  Essen  ein  Knochenstück 
in  die  Kehle  gerathen.  Nebst  Heiserkeit  waren  Athembeschwerden  und 
ziemlich  hochgradige  Stenosengeräusche  vorhanden.  Bei  der  Spiegel¬ 
untersuchung  sah  man  beiläufig  in  der  Höhe  des  zweiten  Trachealringes 
einen  sagittal  gelagerten,  weisslich  glänzenden  Körper,  der  die  Luft¬ 
röhre  in  zwei  gleiche,  seitliche  Hälften  getheilt  hat.  Nach  voraus¬ 
gegangener  Cocainisirung  des  Kehlkopfes  versuchte  ich,  den  Fremd¬ 
körper  mittelst  einer  Kehlkopfpincette  zu  entfernen.  Indess  kaum  hatte 
ich  denselben  berührt,  war  er  auch  schon  spurlos  verschwunden  und 
laryngoskopisch  nicht  mehr  zu  eruiren.  Die  Heiserkeit,  die  Athem- 
besehwerden  und  die  Stenosengeräuschc  waren  wie  weggewischt. 

Dass  der  Fremdkörper  nicht  entfernt  wurde,  wusste  ich  ganz 
bestimmt,  und  trotz  der  wiederholten  und  überglücklichen  Versicherung 
der  Kranken,  sich  nunmehr  gänzlich  frei  zu  fühlen,  war  ich  über 
deren  weiteres  Schicksal  begreiflicher  Weise  sehr  besorgt. 

Mit  der  Annahme,  dass  es  sich  etwa  blos  um  ein  in  der  Mitte 
der  Trachea  von  vorn  nach  rückwärts  ausgespanntes  Fibringerinnsel 
gehandelt  haben  dürfte,  welches  durch  meine  Kehlkopfpincette  durch¬ 
brochen  wurde,  wäre  wohl  für  den  ganzen-  Scenemvechsel  eine  befrie¬ 
digende  Aufklärung  gegeben.  Es  hätte  aber  vorerst  erwiesen  werden 
müssen,  dass  diese  Annahme  nicht  auf  einer  Selbsttäuschung  beruht. 

Um  mir  Sicherheit  zu  verschaffen,  liess  ich  nun  bei  dieser 
Kranken  eine  Röntgen-  Aufnahme  vornehmen. 

Das  Resultat  war  ein  negatives.  In  den  darauffolgenden  Tagen 
und  Wochen  hatte  sich  die  Kranke  völlig  wohl  befunden  und  bei  der 
wiederholten  Spiegeluntersuchung  konnte  ich  im  Larynx  oder  in  der 
Trachea  einen  Fremdkörper  nicht  mehr  entdecken. 

Nach  etwa  zwei  Monaten  bekam  die  Kranke  urplötzlich  einen 
heftigen  Hustenanfall,  und  ein  in  zwei  Spitzen  auslaufendes,  bei  3  0  cm 
langes,  0'75  cm  breites,  von  einer  harten  Knochenrinde  herrührendes 
flaches  Knochenstück,  welches  ich  zufällig  bei  mir  habe  und  Ihnen 
somit  sofort  zu  demonstriren  in  der  Lage  bin,  wurde  spontan 
eliminirt. 

Wir  sehen  also,  dass  wir  zuweilen  bei  einer  eigenartigen  Grup 
pirung  zufälliger  Verhältnisse  trotz  aller  Behelfe  irregeführt  werden 
und  rathlos  dastehen  können. 

Das  Knochenstück  wurde  durch  die  Berührung  mit  der  Kehlkopf¬ 
pincette  dislocirt  und  ist  in  die  Tiefe  gefallen.  Hiebei  dürfte  es  mit 
seinem  Längsdurchmesser  nicht  mehr  eine  horizontale,  sondern  eine 
senkrechte  Lage  eingenommen  haben  und  bei  der  Spiegeluntersuchung 
wäre  im  günstigsten  Falle  nur  mehr  der  Querschnitt  einer  Spitze  zu 
sehen  gewesen.  Das  Knochenstück  brauchte  weiters  sich  nur  an  die 
Wand  einer  etwas  spiralförmig  verlaufenden  Trachea  angeschmiegt 
haben  und  es  wird  begreiflich,  dass  einerseits  die  Spiegeluntersuchung 
keine  weiteren  Auskünfte  zu  geben  vermochte,  und  dass  andererseits 
die  Athmung  trotz  der  Anwesenheit  des  Fremdkörpers  nicht  merklich 
gestört  gewesen  ist.  Bei  dem  durchaus  befriedigenden  Befinden  der 
Patientin  und  dem  negativen  Ergebnisse  der  R  ö  n  t  g  e  n  -  Untersuchung 
hätte  es  wohl  kaum  Jemand  gewagt,  der  Kranken  behufs  weiterer 
Untersuchung  die  Tracheotomie  anzurathen.  Die  Patientin  hätte  übrigens 
unter  den  geschilderten  Umständen  einen  derartigen  Vorschlag  nie 
angenommen. 

4.  Anschliessend  an  den  von  Docenten  Koschier  zuletzt  be¬ 
sprochenen  Krankheitsfall  —  primäres  Carcinom  der  Nase  —  berichtet 
Regimentsarzt  Dr.  Biehl  ebenfalls  über  den  Verlauf  und  den  Ob- 
ductionsbefund  eines  ähnlichen  Falles  aus  seiner  Abtheilung  und  zeigt 
das  hiezu  gehörende  mikroskopische  Präparat. 

Bemerkbar  machte  sieh  hier  die  Erkrankung  im  Herbste  1899  ; 
der  Kranke  fühlte  damals  eine  zunehmende  Verstopfung  der  Nase;  vom 
Arzte,  den  er  damals  aufsuchte,  wurden  ihm  wiederholt  „Polypen“ 
aus  der  Nase  entfernt,  wobei  es  immer  zu  starken,  schwer  stillbaren 
Blutungen  kam.  Als  der  Kranke  im  Februar  d.  J.  das  hiesige  Garni¬ 
sonsspital  aufsuchte,  war  bereits  die  ganze  rechte  Nasenhöhle  erfüllt 
mit  weichen,  schwammigen,  grauweissen  Gewebsmassen,  die  bei  Be¬ 


rührung  leicht  bluteten.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab: 
Plattenepithelkrebs. 

Da  bereits  der  harte  Gaumen  an  einer  kleinen  Stelle  durch¬ 
brochen,  die  Krebsmassen  auch  zum  Theil  schon  in  den  Nasen-Rachen- 
raum  gewuchert  waren,  wurde  von  einem  operativen  Eingriffe  abgesehen. 

Nach  sechswöchentlichem  Spitalsaufenthalte  waren  bereits  beide 
Optici  ergriffen,  der  Kranke  völlig  erblindet;  auch  der  harte  Gaumen 
ging  langsam  ganz  in  die  Geschwulst  auf.  Auffallend  hiebei  war  die 
hiedurch  verursachte  Verschiebung  der  Zähne:  die  vier  Schneide-  und 
zwei  Eckzähne  des  Oberkiefers  standen  nicht  mehr  neben-,  sondern 
hintereinander,  beiläufig  der  Mittellinie  des  Gaumens  entsprechend. 
Die  ersten  Mahlzähne  standen  dort,  wo  ursprünglich  die  Schneidezähne 
gestanden  hatten.  Der  Kranke  verfiel  immer  mehr  und  der  Exitus  trat 
im  October  d.  J.  ein. 

Der  pathologisch-anatomische  Befund  lautete: 

Carcinoma  nasi  exulcerans  progrediens  ad  ba- 
sim  c  r  a  n  i  i,  ad  palatum  durum,  ad  os  frontale.  Hypor¬ 
ae  m  i  a  durae  et  piae  matris.  Bronchitis  pur  ulenta. 
Marasmus  universalis. 

5.  Prof.  C  h  i  a  r  i  demonstrirt  ein  grosses  Angio  fibro  m, 
welches  er  am  25.  October  1900  aus  dem  Nasen-Rachenraum  eines 
17jährigen  Burschen  entfernt  hatte.  Acht  Wochen  vor  seiner  Aufnahme 
auf  die  Klinik  begann  er  an  Bluterbrechen  zu  leiden.  Dazu  gesellten 
sieh  Verstopfung  der  Nase  und  häufige  copiöse  Blutungen  aus  der 
Nase.  14  Tage  vor  seiner  Anfnahme  war  eine  so  starke  Blutung  aus 
Nase  und  Rachen  aufgetreten,  dass  der  Patient  dem  Tode  nahe  war 
und  mit  den  Sterbesacramenten  versehen  wurde.  Am  24.  October  kam 
der  hochgradig  anämische  Patient  in  die  Privatordination.  C  h  i  a  r  i 
constatirte  eine  Vorwölbung  des  weichen  Gaumens  durch  einen  bim¬ 
förmigen,  glatten,  an  seinem  unteren  Pole  mit  Blutgerinnseln  bedeckten 
Tumor,  welcher  das  Cavum  pharyngo-nasale  fast  völlig  ausfüllte  und 
noch  etwas  unter  das  Velum  herunterragte.  Bei  Schluckbewegungen 
verschob  er  sich  in  ziemlichem  Umfange. 

Der  Tumor  reichte  auch  in  die  rechte  Nasenhöhle  hinein  und 
präsentirte  sich  bei  der  Rhinoscopia  anterior  als  flacher,  glatter,  blass- 
rother  Polyp,  welcher  bei  Schluckbewegungen  ebenfalls  Ortsveränderung 
zeigte.  Er  fühlte  sich  derb  an,  sowohl  in  der  Nase,  als  auch  hinter 
dem  Velum. 

Am  25.  October  wurde  nach  Cocainisirung  der  Antheil  des 
Tumors  hinter  dem  Velum  mit  der  galvanokaustischen  Schlinge  vom 
Mund  aus  gefasst  und  theilweise  abgetragen.  Plötzlich  versagte  der 
elektrische  Strom  ;  C  h  i  a  r  i  führte  jetzt  den  linken  Zeigefinger  hinter 
den  Tumor  ein,  zog  zugleich  an  der  Schlinge  und  entfernte  durch 
mässigen  Zug  den  Tumor  in  toto.  Die  nicht  sehr  heftige  Blutung 
wurde  durch  Tamponade  mit  der  B  e  1 1  o  c  q  u  e’schen  Röhre  leicht 
gestillt.  Dabei  erwies  sich  die  rechte  Choane  nahezu  auf  das  Doppelte 
erweitert.  Am  27.  wurde  der  Tampon  entfernt. 

Am  28.  konnte  man  mit  der  Rhinoscopia  posterior  das  hintere 
Drittel  der  rechten  mittleren  Muschel  und  den  angrenzenden  Theil  des 
Choanalrandes  als  Ausgangsstelle  der  Geschwulst  erkennen.  Diese 
Stelle  war  über  kreuzergross  und  uneben  blutig  belegt.  Der  Patient 
blieb  fieberfrei,  erholte  sich  aber  nur  langsam,  so  dass  er  erst  am 
5.  November  entlassen  werden  konnte.  Die  histologische  Untersuchung 
ergab  ein  derbes  Angiofibrom. 

C  h  i  a  r  i  betont,  dass  die  lebensgefährlichen  Blutungen  vor  der 
Operation,  zusammengehalten  mit  der  ‘relativ  geringen  Blutung  unmittel¬ 
bar  nach  Abreissung  dos  Tumors  an  seiner  Wurzel  den  Fall  inter¬ 
essant  machen.  Nur  die  Beweglichkeit  des  Tumors  liess  einen  relativ 
schmalen  Stiel  voraussetzen  und  gab  die  Indication  zu  der  Evulsion, 
welche  sonst  bei  derben  fibrösen  Tumoren  contraindicirt  ist. 

Discussion  :  Dr.  Weil  erinnert  an  einen  von  ihm  vor 
etwa  zwei  Jahren  demonstrirten  Nasen-Rachenpolypen  von  aussergewöhn- 
licher  Grösse  und  hebt  hervor,  dass  diese  Geschwülste  erfahrungs- 
gemäss  mit  dünnem  Stiele  oder  doch  nicht  sehr  fest  aufsitzen  und 
an  der  Basis  nicht  besonders  blutreich  sind;  er  halte  es  daher  für 
besser,  sich  und  den  Kranken  nicht  erst  mit  partiellen  Abtragungen 
der  Geschwulst  aufzuhalten,  sondern  diese  an  irgend  einem  zugäng¬ 
lichen  Theile  zu  fassen  und  im  Ganzen  abzureissen.  Die  Blutung  ist 
darnach  eine  sehr  geringe  und  stebt  bald  spontan. 

Docent  Dr.  Roth  empfiehlt  nicht  nur  bei  Abtragung  von 
Nasen-Rachenpolypen,  sondern  überhaupt  bei  Tumoren  sich  womöglich 
jene  Stelle  aufzusuchen,  welche  der  geringsten  Circumferenz  des  Tumors 
entspricht,  da  bekanntlich  dann  die  Blutungen  die  relativ  geringsten 
sind,  indem  möglichst  wenig  Gefässe  eröffnet  werden. 

Dr.  Sch  eff  erinnert  sich,  einen  ähnlichen  Fall,  wie  ihn  Herr 
Prof.  Chiari  demonstrirt  hat,  während  seiner  Spitalsdienstzeit 
operirt  zu  haben.  Es  bandelte  sich  damals  (vor  etwa  20  Jahren)  um 
einen  Nasen  Rachenpolypen  von  ungewöhnlicher  Grösse  und  Resistenz, 
dessen  Kuppe  hinter  dem  Velum  sichtbar  war.  Die  Entfernung  gelang 
nach  vergeblichen  Versuchen  mit  den  damals  üblichen  Instrumenten 
erst  mit  dem  Schlingenschnürer  von  D  e  s  s  a  u  1 1. 


Nr.  51 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1217 


Mit  einem  heftigen  Schrei  seitens  des  Patienten  blieb  der  Polyp 
in  der  Schlinge  und  zeigte  bei  näherer  Untersuchung  eine  ziemlich 
breite  Ansatzflächo.  Merkwürdiger  Weise  war  von  einer  Blutung  keine 
Spur,  obwohl  die  Trennungsfläche,  respective  Ansatzstelle  weit  von 
der  Umschnürung  entfernt  war.  Die  Erklärung  dafür  scheint  in  den 
zahlreichen  Torsionen  gelegen  zu  sein,  welche  vor  dem  Abreissen  des 
Tumors,  glücklicher  Weise  an  seiner  Ansatzstelle,  ausgeführt  werden 
mussten. 

G.  Dr.  Ebstein  demonstrirt  z  wei  Fälle  vonGranu- 
lombildung  in  der  Trachea,  längere  Zeit  nach  Ent¬ 
fernung  der  C  a  n  u  1  e  entstanden. 

Der  erste  diesbezügliche  Fall  betraf  einen  Fechtlehrer,  der  am 
7.  März  d.  J.,  wahrscheinlich  wegen  Glottisödem  in  Folge  eines  auf¬ 
getretenen  Zungengrundabscesses,  in  Pressburg  tracheotomirt  wurde. 
Nach  vier  Tagen  konnte  die  Canule  entfernt  werden.  Danach  bestand 
vollständig  freie  Athmung.  Nach  zwei  Wochen  stellte  sich  eine  etwas 
erschwerte  Respiration  ein,  die  den  Patienten  veranlasste,  sich  an 
dieser  Klinik  aufnehmeu  zu  lassen.  Dies  war  am  3.  April. 

Bei  der  laryngoskopischen  Untersuchung  zeigte  sich  nun,  dass, 
entsprechend  der  ausgeheilten  Wunde  nach  Tracheotomia  superior,  an 
der  vorderen  Trachealwand  eine  haselnussgrosse,  röthliche  Geschwulst 
mit  kleinhöckeriger  Oberfläche  sass.  Die  Diagnose  musste  bei  diesem 
Sitz  und  der  Vorgeschichte  des  Falles  auf  Granulombildung  gestellt 
werden,  was  sich  auch  später  durch  die  histologische  Untersuchung 
als  richtig  herausstellte.  Wegen  der  bestehenden  Respirations¬ 
behinderung  wurde  die  Abtragung  des  Tumors  mit  scharfer  Pincette 
bis  zum  Niveau  der  Trachealschleimhaut  vorgenommen. 

In  einem  zweiten  Falle  handelte  es  sich  um  dieses  vierjährige 
Mädchen,  welches  ich  vorstelle.  Es  war  am  14.  April  d.  J.  wegen 
Diphtherie  tracheotomirt  worden.  Nach  fünf  Tagen  erfolgte  Ent¬ 
fernung  der  Canule  ohne  weitere  Beschwerden.  Gegen  Mitte  Mai,  also 
einen  Monat  später,  fiel  der  Mutter  auf,  dass  mittlerweile  die 
Athmung  eine  behinderte  geworden  war,  so  zwar,  dass  zunächst  in 
den  Nächten  unruhiger  Schlaf  mit  Stenosengeräusch  sich  zeigte,  später 
auch  des  Tags  eine  deutlich  hörbare  Einengung  der  Athmung  bestand. 
Der  Zustand  verschlechterte  sich  nun  allmälig,  bis  es  plötzlich 
Anfangs  August  des  Nachts  zu  einem  Erstickungsan£all  kam.  Dieser 
dauerte  zwei  Stunden,  und  soll  auf  vom  Arzte  gereichte  Expectorantien 
nachgelassen  haben,  so  dass  wieder  die  unzureichende  Athmung 
bestand  wie  zuvor.  In  der  letzten  Augustwoche  trat  in  einer  Nacht 
wieder  ein  ungemein  heftiger  Erstickungsanfall  auf,  so  dass  tiefe 
Cyanose  sich  einstellte.  In  ihrer  Verzweiflung  gab  die  Mutter  dem 
Kinde  zwei  Esslöffel  Petroleum,  um  Husten  zu  veranlassen.  Unter 
Würgen  und  Husten  wurde  in  der  That  etwas  Schleim  nach  oben 
gebracht,  worauf  die  Dyspnoe  auf  das  gewöhnliche  Mass  zurückkehrte. 

Das  auf  die  Klinik  gebrachte  Kind  zeigte  im  Jugulum  eine 
Narbe  nach  früher  ausgeführter  Tracheotomia  inferior.  Das  Athmen 
war  deutlich  stridorös.  Die  tracheoskopisehe  Untersuchung  ergab  das 
Vorhandensein  einer  bohnengrossen,  blassrothen,  etwas  beweglichen 
Geschwulst  an  der  vorderen  Trachealwand,  die  nur  eine  kleine  Spalte 
für  die  Athmung  freiliess.  Die  Uebereinstimmung  des  Sitzes  mit  der 
äusseren  Narbe  ergab  mit  ziemlicher  Gewissheit  auch  in  diesem  Falle 
dio  Diagnose  eines  Granuloms,  was  die  nachfolgende  histologische  Unter¬ 
suchung  erwies.  Es  war  in  vier  Monaten  zu  dieser  Grösse  angewachsen. 

Dass  der  Tumor  wegen  der  hochgradigen  Athmungsbehinderung  be 
seitigt  werden  müsse,  war  durch  das  Ergebniss  der  Untersuchung 
klar,  und  ich  dachte  zunächst  nur  an  Tracheofissur  zur  Entfernung 
der  Geschwulst.  Doch  da  das  Kind  geduldig  schien,  wollte  ich  einen 
Versuch  auf  endolaryngealem  Wege  machen;  natürlich  war  darauf 
Bedacht  genommen,  zur  Tracheotomie  Alles  zur  Hand  zu  haben.  Nach 
Cocainisirung  des  Larynx  und  der  oberen  Trachealpartien  gelang  es 
nun,  mittelst  scharfer  Pincette  den  Tumor  in  zwei  Stücken  glatt  ab¬ 
zutragen.  Die  Athmung  war  sofort  frei,  und  blieb  so  bis  zum 
heutigen  Tage. 

Während  Granulombildungen  während  des  Tiagens  der  Canule 
ungemein  häufig  auftreten  und  dann  die  bekannten  Schwierigkeiten 
für  die  Entfernung  der  Canule  abgeben,  sind  Fälle,  wo  später, 
geraume  Zeit  nach  Wegnahme  der  Canule  solche  Tumoren  entstehen, 
als  sehr  selten  zu  bezeichnen. 

Noch  seltener  kommt  es  dazu,  wenn  die  Canule  nur  wenige 
Tage  getragen  wurde,  wie  in  diesen  zwei  Fällen,  da  dann  die  schäd¬ 
lichen  Einwirkungen  einer  unrichtig  gewählten  oder  schlecht  sitzenden 
Canule  kaum  in  Betracht  kommen.  Die  Granulome  sind  hier  wahr¬ 
scheinlich  so  entstanden  zu  denken,  dass  die  wallartigen  Granulationen 
um  die  Trachealschnittwunde,  statt  der  gewöhnlichen  Involution 
anheimzufallen,  späterhin  noch  langsam  weiter  wuchsen.  Zur  Erklärung 
der  gerade  nur  Nachts  auftretenden  Erstickungsanfälle  genügt  es 
darauf  hinzuweisen,  dass  der  Tumor  beweglich  war,  daher  bei  Bett¬ 
lage  mehr  vom  Tracheallumen  versperrte. 

Zur  Entfernung  solcher  spät  auftretender  Granulome  ist  ent¬ 
schieden  der  endolaryngeale  Weg  vorzuziehen.  Bei  Kindern  in  dem 


Alter  wie  das  vorgestellte  Mädchen  wird  in  der  Regel  wohl  nur  die 
Tracheofissur  in  Betracht  kommen. 

Discussion:  Docent  Dr.  Grossmann:  Die  Granulomo, 
welche  als  Folgezustände  der  Tracheotomie  und  des  Canulengebrauches 
im  Larynx  und  in  der  Luftröhre  vorzukommen  pflegen  und  die  end- 
giltige  Entfernung  der  Canule  in  unliebsamer  Weise  erschweren,  haben 
die  Chirurgen  weit  früher  beschäftigt  als  die  Laryngologen.  Zuerst 
waren  es  französische  Aerzte,  welche  auf  diese  Zwischenfälle  bei 
Croup  und  Diphtheritis  hingewiesen  haben.  Später  beschäftigte  sich 
eine  Reihe  hervorragender  deutscher  Chirurgen  —  Simon,  Koch 
und  die  Schule  Czerny’s  —  mit  dieser  Frage.  Schon  viel  früher 
hatte  Billroth  auf  einen  noch  in  Zürich  behandelten  Fall  hin¬ 
gewiesen,  bei  dem  nach  Entfernung  der  Canule  die  üppigen  Granu¬ 
lationen  der  Halswunde  in  die  Trachea  hineingezogen  wurden  und  eine 
enorme  Dyspnoe  verursachten.  Einen  hieher  gehörigen  Fall  habe  ich 
vor  vielen  Jahren  beobachtet  und  in  meiner  Monographie  über 
„Trachealstenose  n“  veröffentlicht.  Gelegentlich  einer  Geschäfts¬ 
reise  bekam  einer  meiner  Patienten  in  Paris  heftige  Ilalsschmerzen, 
zu  denen  sich  sehr  bald  Schling-  und  Athembeschwerden  gesellten.  Es 
wurde  dort  F  a  u  v  e  1  zu  Rathe  gezogen  und  nachdem  Eisumschläge, 
Eispillen,  eine  Anzahl  Blutegel,  Scarificationen  und  die  von  den 
französischen  Collegen  mit  Vorliebe  geübte  Amputation  der  Uvula 
nichts  genützt  hatten,  musste  wegen  drohender  Erstickung  die 
Tracheotomie  vorgenommen  werden,  die  St. -Germain  ausführte. 
Die  Krankheit,  die  als  „Angine  phlegmoneuse“  bezeichnet  wurde, 
hatte  einen  glücklichen  Verlauf  und  nach  zehn  bis  zwölf  Tagen 
konnte  die  Canule  entfernt  werden.  Als  ich  den  Kranken  nach  seiner 
Rückkunft,  nach  etwa  14  Tagen,  wiedersab,  konnte  ich,  ausser  dem 
Amputationsstumpf  der  Uvula,  keine  weiteren  Spuren  der  eben  iiber- 
standenen  Krankheit  im  Larynx  oder  Pharynx  mehr  finden.  Auch  die 
äussere  Halswunde  war  bis  auf  einen  kleinen  Substanzverlust  der 
Haut  völlig  verheilt.  Indess  schon  nach  ein  bis  zwei  Tagen  traten  bei 
dem  Kranken  abermals  Athembeschwerden  auf,  zunächst  nur  während 
des  Schlafes,  in  den  folgenden  Tagen  aber  bestand  auch  in  wachem 
Zustande  ein  lautes  Stenosengeräusch.  Bei  der  Spiegeluntersuclning 
sah  man  an  der  Stelle  der  inneren  Mündung  des  früher  bestandenen 
Wundcanales  eine  dichte  Granulationsmasse  champagnerpfropfartig  in 
das  Trachealrohr  hineinragen,  wobei  der  eiterige  Belag  den  Ueberblick 
bezüglich  Grösse  und  Ausdehnung  dieses  Granuloms  wesentlich  er¬ 
leichterte.  Es  machte  ganz  den  Eindruck,  als  wenn  diese  Massen  aus 
dem  sich  scbliessenden  Wundcanal  gegen  die  Lichtung  der  Luftröhre, 
die  Gegend  des  geringeren  Widerstandes,  gepiesst  worden  wären. 

Merkwürdig  war  der  grosse  Unterschied  der  Athembeschwerden, 
den  dieser  Kranke  im  wachen  Zustande  und  während  des  Schlafes 
zeigte.  Im  ersteren  Falle  war  Alles  ziemlich  erträglich,  kaum  war  er 
aber  eingeschlafen,  steigerte  sich  die  Dyspnoe  sofort,  der  A  them  wurde 
immer  mühsamer,  unregelmässiger,  für  einige  Secunden  ganz  aus¬ 
setzend,  das  Gesicht  livid,  und  man  hatte  ganz  den  Eindruck,  dass 
die  Erstickung  jeden  Augenblick  eintreten  müsse. 

Ich  beabsichtigte  nun  die  stenosirenden,  voraussichtlich  weichen, 
gelatinösen  Massen  endolaryngeal  zu  entfernen,  der  Kranke  aber,  der 
im  wachen  Zustande  sich  ziemlich  erträglich  befunden  hatte,  wollte 
von  einer  Operation,  wenigstens  vorläufig  nichts  hören  und  ver¬ 
tröstete  sich  und  seine  Umgebung  von  einem  Tage  auf  den  anderen. 

Nachdem  die  geschilderten  Erscheinungen  noch  zwei  bis  drei 
Tage  in  gleicher  Intensität  fortbestanden,  traten  sie  dann  erfreulicher 
Weise  spontan  zurück,  und  ich  konnte  dementsprechend  die  fort¬ 
schreitende  Schrumpfung  des  Granuloms  mit  dem  Kehlkopfspiegel 
constatiren.  Nach  beiläufig  drei  Wochen  war  jede  Spur  davon  ge¬ 
schwunden  und  die  Athmung  wieder  hergestellt. 

7.  Prof.  Chiari  berichtet  sodann  über  die  Verhandlungen  der 
laryngologischen  Section  des  XIII.  internationalen  Congresses  zu  Paris. 

13.  Internationaler  medicinischer  Congress  zu  Paris. 

(2. — 9.  August  1900.) 

(Fortsetzung.) 

Abtheilung  für  Dermatologie  und  Syphiligraphic. 

Referent  Dr.  Sp. 

V.  II  a  1 1  o  p  e  a  u  (Paris) :  Syphilis  und  combinirte  I  n- 
fectionen. 

Zu  den  combinirten  Infectionen  sind  nur  jene  Krankheiten  zu 
rechnen,  welche  den  Charakter  der  Syphilis  verändern  können  oder 
durch  diese  modificirt  werden. 

Oft  entwickeln  sich  Infectionskrankheiten  in  einem  syphilitischen 
Individuum,  ohne  in  irgend  einer  Weise  die  specifischen  Erscheinungen 
zu  beeinflussen  und  umgekehrt;  so  verhält  es  sich  auch  in  vielen 
Fällen,  wo  die  Syphilis  mit  Haut-,  Drüsen-,  Lungen-  und  Knochen- 
tuberculose,  mit  septischen  Entzündungen,  Carcinomen,  Vaccine, 
Psoriasis  concurrirt  und  immer,  wenn  sie  mit  Lichen  (von  Wilson), 


1218 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT  1899. 


Nr.  öl 


Pityriasis  rubra,  Gelenkrheumatismus,  Lepra,  Aktinomykose,  Rhino- 
sklerom  zusammentrifft. 

Das  syphilitische  Individuum  reagirt  wie  ein  gesundes  gegen 
diese  verschiedenen  Krankheiten;  dies  ist  bei  der  syphilitischen  Diathese 
nicht  der  Fall;  die  Krankheit  beschränkt  sich  nach  einer  kurzen 
Invasionsperiode  des  Blutkreislaufes  auf  eine  Anzahl  im  Beginne  be¬ 
trächtlicher,  hienach  immer  mehr  begrenzter  Herde,  ausserhalb  welcher 
der  Organismus  wie  bei  einem  gesunden  Individuum  reagirt. 

Zur  Feststellung  der  Combination  einer  Infectionskrankheit  mit 
Syphilis  wäre  vor  Allem  die  Coexistenz  der  hiezu  gehörigen  Bacillen 
und  die  doppelte  Inoculation  nothwendig,  was  bei  der  Unkenntniss 
des  pathogenen  Mikroben  der  Syphilis  nicht  möglich  ist. 

Immerhin  lässt  sich  eine  Association  feststellen,  sobald  die 
klinischen  und  pathologisch  anatomischen  Charaktere,  neben  der  Syphilis 
Mikroben  einer  anderen  Infectionskrankheit  anzunehmen  gestatten  oder 
wenn  die  klinischen  Symptome  einer  anderen  Infectionskrankheit  mit 
der  Syphilis  complicirt  sind;  hieher  gehören  Carcinome,  Tuberculose, 
septische  Entzündungen,  Gangrän,  einfacher  Schanker. 

Von  Bedeutung  sind  auch  die  Localisationen  von  Syphilomen 
in  Gegenden,  wo  andere  Infectionen,  wie  Seborrhoen,  Intertrigo  häufig 
beobachtet  werden,  ferner  der  Einfluss  der  Behandlung,  welche  nicht 
wie  in  einfachen  Fällen  die  bezüglichen  Krankheitserscheinungen  voll¬ 
ständig  zum  Schwinden  bringt. 

Die  Syphilis  tritt  gewöhnlich  zuerst  auf ;  übrigens  kann  eine 
tuberculose  Drüse,  ein  einfacher  Schanker  syphilitisch  werden;  ein  durch 
die  gewöhnlichen  Eitermikroben  erzeugter  Entzündungsherd  sich  in  ein 
Syphilom  verwandeln;  man  hat  die  Syphilisation  von  blennorrhoiscber 
Orchitis  verzeichnet. 

Syphilis  und  Eiterungen.  Man  ist  nicht  berechtigt  alle 
eiternden  Syphiliden  zu  den  associirten  Infectionen  zu  rechnen,  man 
findet  die  pyogenen  Mikroben  häufig  nicht  und  muss  daher  annehmen, 
dass  die  syphilitischen  Toxine  an  und  für  sich  pyogen  sind. 

Die  offenen  syphilitischen  Läsionen  tragen  verschiedene  Mikroben 
an  ihrer  Oberfläche,  ohne  dass  der  Verlauf  der  Krankheit  durch  die¬ 
selben  beeinflusst  wird. 

Unter  gewissen  Umständen  können  jedoch  die  pyogenen  Mikroben 
von  Bedeutung  werden,  wenn  nämlich  die  Syphilis  in  einer  Gegend 
auftritt,  in  welcher  jene  ihren  Sitz  haben.  Hieher  gehören  die  Schanker 
des  Mundes  und  der  Mandeln,  die  geschwüirigen  Papeln  der  Leisten- 
und  Unter-Brustdriisengegend;  dasselbe  geschieht,  wenn  der  Eiter  in 
Folge  mechanischer  Bedingungen  sich  um  die  Syphilome  lagert,  wie 
in  den  Fällen  von  Phimosis  mit  Balanitis,  Vaginitis,  Perirectitis, 
Onyxis,  Blepharitis.  Die  Mikroben  entwickeln  sodann  eine  erhöhte 
Thätigkeit,  dringen  in  die  Lymphbahnen,  erzeugen  eiternde 
Adenopathien  und  Fisteln. 

Die  associirten  Eiterungen  bei  Syphilomen  der  Nasenhöhlen 
können  die  Sinus  ergreifen  und  dort  lange  verbleiben;  wir  sahen  (mit 
Dr.  J  e  a  n  s  e  1  m  e).  ihr  Eindringen  in  die  Thränen-  und  Gehörgänge, 
hiedurch  bedingte  eiterige  Dakryocystitis,  Perforation  des  Trommel¬ 
felles  und  Eiterausfluss  aus  dem  Ohre;  wir  beobachteten  die  Aus¬ 
breitung  der  Syphilome  auf  die  Knoehenlamellen,  Spbacellus,  Sequestor- 
bildung  mit  monate-  und  jahrelanger  Dauer  der  Eiterung.  (So  ent¬ 
stehen  auch  persistirende  Ozaenen.) 

Dieser  Zustand  tritt  immer  ein,  sobald  der  Knochen  von  der 
Syphilis  ergriffen  ist;  die  pyogenen  Mikroben  erleichtern  wohl  die 
Loslösung  des  Sequesters,  jedoch  mit  äusserster  Langsamkeit;  Beweis 
dessen  die  lange  Dauer  bis  zum  Durchbruche  des  Gaumenbogens;  die 
Eiterungen  um  einen  ausgebreiteten  Sequester  nach  Blosslegung  des 
Schädels  durch  Gummen.  Das  modificirte  Stück  kann  durch  das  An¬ 
drängen  der  Dura  mater  gehoben  werden,  mitunter  treten  Meningitis 
und  letal  verlaufende  eiterige  Encephalitis  hinzu,  welcher  Ausgang 
nur  durch  Trepanation  verhütet  werden  kann. 

Eiterige  Periostitiden  können  in  allen  Theilen  des  Skeletes  Vor¬ 
kommen. 

Die  diphtheroiden  Exsudationen,  welche  den  Schanker  der  Ton¬ 
sillen,  die  syphilitischen  Geschwüre  des  Gaumens  und  Kehlkopfes  be¬ 
gleiten,  sowie  die  Eiterungen  und  Oedeme  in  deren  Nachbarschaft 
können  auf  Intervention  der  Mikroben  und  Zurückhaltung  des  Eiters 
bezogen  werden. 

Man  findet  bei  den  mit  der  Syphilis  combinirten  Suppurationon 
den  Staphylococcus  albus,  oft  auch  Staphylococcus  aureus,  mitunter 
Streptococcus,  Bacillus  coli;  endlich  bei  Kondylomen  und  syphilitischen 
Gummen  einen  von  Aufrecht  und  Birch-Hirschfeld  zuerst 
entdeckten  Diplococcus,  der  bei  schweren  syphilitischen  Eiterungen 
von  L  a  n  g  1  e  t,  M  a  t  z  a,  Gas  ton  und  Lemierre  neuerdings  ge¬ 
funden  wurde. 

Gemischte  Schanker.  Hier  handelt  es  sich  um  eine 
zweifellose  Verbindung  zwischen  syphilitischer  Infection  und  dem 
Bacillus  von  Ducrey  (Pisa).  (Siebe  dessen  Correferat.) 


Blennorrhagie  und  Syphilis. 

(Vgl. 

Referat 

von 

Neisser.) 

Vaccine  und  Syphilis.  Diese 

Fournier  in  grundlegender  Weise  bearbeitet. 

Frage 

wurde 

von 

Balano-posthite  c  i  r  c  i  n  e  e  er 

o  s  i  v  e. 

Diese 

von 

Ri  cord,  Berdal  und  Bataille  beschriebene  Krankheit  erzeugt 
Phimose,  Zurückhaltung  des  Eiters  mit  ihren  Complicationen. 

Gangrän.  Diese  Complication  lässt  als  nächste  Ursache  eine 
erhöhte  Thätigkeit.  Jes  syphilitischen  Contagium  durch  Verstopfung  der 
kleinen  Gefässe  oner  ein  mechanisches  Hinderniss,  wie  Paraphimose, 
erkennen.  Da  hiedurch  ein  indurirter  Schanker  oder  secundäre  bös¬ 
artige  Syphiliden  complicirt  wTerden,  so  muss  die  Intervention  noch 
nicht  bestimmter  Mikroben  nothwendig  vorausgesetzt  werden. 

Syphilis  und  Phagedänismus.  Unter  dieser  Be¬ 
zeichnung  sind  verschiedene  Krankheitszustände  zusammengeworfen 
worden;  man  bezieht  sie  auf  inficirende  Schanker,  welche  durch 
erhöhte  Thätigkeit  des  Mikroben,  des  einfachen  Schankers  (Ducrey) 
zerstörend  wirken. 

V  egetirende  Syphilome  sind  wahrscheinlichst  durch 
Association  von  Mikroben  bedingt;  ihre  Localisation  an  feuchten 
Stellen  als  Mittelpunkt  ihrer  Cultur  und  Autointoxication  spricht  für 
die  von  P  a  rnowsky  gegebene  Erklärung.  Der  pathogene  Mikrobe 
ist  unbekannt. 

Syphilide  und  Seborrhoide  sind  nach  Unna  und 
L  e  1  o  i  r  sehr  häufige  Combinationen  ;  der  häufige  Sitz  der  ersteren 
an  den  Lieblingsstellen  der  Seborrhoen,  besonders  an  der  Stirne  und 
den  Nasen-Wangenfurchen,  die  Eigenthümlichkeiten  des  klinischen  Ver¬ 
laufes  und  der  Widerstand  gegen  die  Behandlung  sprechen  für  diese 
Anschauung;  es  handelt  sich  kaum  um  eine  gewöhnliche  Affection  in 
den  Haar-,  Talg-  und  Schwreissdrüsen. 

Syphilide  und  Tuberculide.  Es  bestehen  sichere  That- 
saclien  über  das  gleichzeitige  Vorkommen  von  Lupus  und  Syphilis 
(N  e  i  s  s  e  r)  ;  Elsenberg  hat  in  einem  Falle  von  Ecthyma 
syphiliticum,  welches  nachträglich  tuberculös  wurde,  den  K  o  c  h’schen 
Bacillus  nachgewiesen. 

Syphilis  und  tubercul  Öse  Drüsenerkrankungen. 
Die  Syphilis  erzeugt  bei  Scrophulösen  umfangreiche,  multiple  und 
persistirende  Adenopathien  mit  Tendenz  zur  Eiterung,  aber  nichts 
beweist,  dass  es  sich  hier  um  Drüsentuberculose  handelt;  die  Fälle 
von  Leloir  sprechen  wohl  für  die  gemischte  Theorie,  bilden  aber 
keine  Regel. 

Syphilis  und  Kre b  s.  Syphilome  oder  syphilitische  Narben 
sind  sehr  häufig  ein  günstiger  Boden  für  Epitheliome  ;  die  Infection 
kommt  wahrscheinlich  von  aussen.  Der  fast  constante  Sitz  der  Neu¬ 
bildung  am  Munde  ist  der  Theorie  einer  Mischinfection  günstig. 

Hereditäre  Syphilis  kann,  wie  bei  Erwachsenen,  zu  ver¬ 
schiedenen  Infectionen  hinzutreten,  z.  B.  die  Complication  von 
Gangrän  mit  dem  specifischen  Pemphigus  Neugeborener. 

Oefters  ist  die  hereditäre  Syphilis  nur  ein  günstiges  Terrain  für 
eine  andere  Infection;  so  werden  nach  A.  und  E.  Fournier  Tuber¬ 
culose  der  Drüsen,  Lungen,  Coxalgie,  P  o  t  t’scbe  Krankheit,  kalte 
Abscesse  bei  Ileredo-Sypbilitikern  häufig  beobachtet ;  jedoch  wird  der 
besondere  Charakter  der  Syphilis  hiedurch  nicht  beeinflusst. 

Schlussfolgerungen:  Gewisse  Infectionen,  welche  zum 
syphilitischen  Contagium  hinzutreten,  können  verschiedene  Zwitter¬ 
formen  erzeugen ;  hieher  gehören  der  Bacillus  des  einfachen  Schankers, 
das  Keimagens  des  Epithelioms,  selten  der  Koch’sche  Bacillus. 
Möglich,  aber  wissenschaftlich  nicht  erwiesen,  ist  es,  dass  die  Misch¬ 
ansteckung  durch  Syphilis  und  pyogene  Mikroben  eiternde  Syphiliden 
veranlasst,  welche  man  als  Strepto-Staphylo-Syphiliden  etc.  bezeichnen 
könnte.  Die  pyogenen  Mikroben  und  deren  Toxine  können  die  Eigen¬ 
schaften  der  Syphilome  verändern  (eiterige,  vegetirende  Substanzen, 
Rupia  etc.)  und  parasyphilitische  Affectionen  mit  schweren  Com¬ 
plicationen  zur  Folge  haben ;  die  Begleitung  gewisser  allgemeiner 
Infectionen  kann  vorübergehend  oder  dauernd  die  Wirkung  des 
Syphilis-Contagium  verwischen  —  fieberhafte  Erkankungen  im  All¬ 
gemeinen,  Erysipel  im  Besonderen. 


Programm 

der  am 

Freitag,  den  21.  December  1900,  7  Uhr  Abends, 

unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Oberstabsarztes  Docent  Dr.  Habart 

stattfindenden 

Sitzung  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Docent  Dr.  K.  Ullniann:  Ueber  die  Heilwirkung  der  durch  Wärme 
erzeugten  Hyperämie  bei  infieirten  Wunden.  (Mit  Demonstrationen  ) 

Einen  Vortrag  hat  angemeldet  Herr  Dr.  A.  Schiff. 

Bergmeister,  Paltauf. 


Verantwortlicher  Redaeteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  iu  Wien. 


unter  ständiger  Mitwirkung  der  Herren  Professoren  Drs. 

G.  Braun,  O.  Chiari,  Rudolf  Chrobak,  V.  R.  v.  Ebner,  S.  Exner,  M.  Gruber, 

M.  Kaposi,  A,  Kolisko,  R.  Freih.  v.  Krafft-Ebing,  I.  Neumann,  H.  Obersteiner, 

R.  Paltauf,  Adam  Politzer,  F.  Schauta,  J.  Schnabel,  G.  Toldt,  A.  v.  Vogl, 

. .  v.  Wag.  vr,  H.  Freih.  v.  Widerhofer,  Emil  Zuckerkandl. 

Begründet  von  weil.  Hofrath  Prof.  H.  v.  Bamberger. 

Herausgegeben  von 

Ernst  Fuchs,  Karl  Gussenhauer,  Ernst  Ludwig,  Edmund  Neusser, 

L.  R.  v.  Schrötter  und  Anton  Weichselbaum. 

Organ  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 

Redigirt  von  Dr.  Alexander  Fraenkel. 

Verlag  von  Wilhelm  Braumüller,  k.  u.  k.  Hof-  und  Universitäts-Buchhändler,  VI 1 1/1,  Wickenburggasse  13. 


Abonnementspreis 
jährlich  20  K  —  20  Mark. 
Abonnements-  and  Inser¬ 
tions-Aufträge  für  das  lu- 
und  Ausland  werden  von 
allen  Buchhandlungen  und 
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nommen.  —  Abonnements, 
deren  Abbestellung  nicht 
erfolgt  ist,  gelten  als  er¬ 
neuert.  —  Inserate  werden 
mit  60  h  —  50  Pf.  pro 
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zeile  berechnet.  Grössere 
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Die  „Wiener  klinische 
Wochenschrift“ 

erscheint  jeden  Donnerstag 
im  Umfange  von  minde¬ 
stens  zwei  Bogen  Gross- 
quart. 

Zuschriften  für  die  Redac¬ 
tion  sind  zu  richten  an 
Dr.  Alexander  Fraenkel, 

IX/3,  Maximilianplatz, 
Günthergasse  1.  Bestellun¬ 
gen  und  Geldsendungen  an 
die  Verlagshandlung. 

© -  s 

Redaction : 

Telephon  Nr.  3373. 


XIII.  Jahrgang.  Wien,  27.  December  1900. 


Nr.  52. 


INHALT: 


(Alle  Rechte  Vorbehalten.) 


I.  Originalartikel :  1.  Aus  der  I.  inedicinischen  Abtheiluug'  des  Professors 
E.  v.  S  t  o  f  f  e  1  1  a  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien.  Beiträge 
zur  Tkomsen’schen  Krankheit.  Von  Dr.  Julius  Mahler, 
Assistensten,  und  Dr.  Rudolf  Beck,  Aspiranten  obiger  Ab¬ 
theilung. 

2.  Ein  Fall  von  Milzexstirpation  wegen  hypertrophischer  Wander¬ 
milz.  Von  Dr.  Karl  Schwarz,  Primararzt  im  Spitale  der  Barm¬ 
herzigen  Brüder  in  Agram. 

3.  Modification  des  Breisky-Speculum  als  selbsthaltendes.  Von  Docent 
Dr.  Ludwig  Knapp  (Prag). 


II.  Referate:  Grundriss  der  inneren  Medicin.  Von  C.  Liebermeister. 

EntfettungscureD.  Von  Prof.  Dr.  E.  H.  Kisch.  Die  Divertikel 
der  Speiseröhre.  Von  Dr.  Hugo  S  t  a  r  c  k.  Ueber  schwere  Eiter- 
cocceninfection  (sogenannte  Blutvergiftung).  Von  Georg  Meyer. 
Die  Gallensteinkrauklieit  und  ihre  Behandlung.  Von  Docent 
Dr.  Johannes  Müller.  Ref.  C.  Hödlmoser. 

III.  Aus  verschiedenen  Zeitschriften. 

IV.  Vermischte  Nachrichten. 

V.  Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Congressbericlite. 


Abonnements-Umladung. 

Mit  3.  Januar  1901  beginnt  der  XIV.  Jahrgang  der 
„Wiener  klinischen  Wochenschrift“ 

zu  erscheinen. 

Ich  beehre  mich,  zum 

bonne  m  ent 

höflichst  einzuladen  und  um  baldgefällige  Bestellung  zu  bitten. 

Der  Preis  im  Inland  beträgt  bei  direct  er  Zusendung  ganzjährig  K  20, 
halbjährig  K  10;  für  das  Ausland  ganzjährig  20  M.,  halbjährig  10  M.  und 
Porto. 

Wilhelm  Kraumüller 

k.  u.  k.  Hof-  und  Univeraitätsbuchhändler 
Wien,  VIII/1,  Wickenburggasse  13. 


Aus  dev  I.  medicinischen  Abtheilung  des  Professors 
E.  v.  Stoffella  an  der  Allgemeinen  Poliklinik  in  Wien. 

Beiträge  zur  Thomsen’schen  Krankheit. 

Von  Dr.  Julius  Mahler,  Assistenten,  und  Dr.  Rudolf  Beck,  Aspiranten 

obiger  Abtheilung. 

Wir  erlauben  uns,  im  Folgenden  über  einen  Kranken 
zu  berichten,  welcher  einen  vorwiegend  mit  dem  Thomsen- 
schen  Krankheitsbilde  übereinstimmenden  Symptomencomplex 
zeigt;  besonderes  Interesse  dürfte  der  Fall  dadurch  bieten, 
dass  der  Kranke  nebst  dem  typischen  Bilde  des  Morbus 
Thomsen  (Myotonia  congenita)  eine  nicht  ganz  leicht  zu 
deutende  Erscheinung  aufweist,  deren  Wesen  klarzulegen  wir 
uns  im  Laufe  unserer  Arbeit  bemühen  werden.  Durch  das 
Entgegenkommen  der  Herren  Hofrath  Professor  Ernst 
Ludwig  und  Dr.  AdolfJolles,  welche  den  Harn  unseres 
Patienten  einer  chemischen  Untersuchung  auf  gewisse  Bestand¬ 
teile  hin  unterzogen,  sind  wir  auch  in  der  Lage,  ein  Scherf¬ 
ein  zur  Aetiologie  der  obbezeichn eten  Krankheit  beizutragen. 


Patient,  ein  24jähriger  Tischler,  H.  G.,  stammt  von  blutsver¬ 
wandten  Eltern  (Cousin  und  Cousine);  Eltern  und  drei  Geschwister 
(zwei  Brüder  im  Alter  von  28  Jahren  und  7  Jahren,  eine  Schwester 
im  Alter  von  12  Jahren)  leben  und  sind  gesund.  Eine  Schwester  starb 
im  frühesten  Kindesalter.  Der  siebenjährige  Bruder  des  Patienten  litt 
an  Rachitis.  Weder  in  der  Familie  noch  in  der  übrigen  Verwandt¬ 
schaft  des  Patienten  ist  ein  derartiger  oder  ähnlicher  Krankheitsfall 
vorgekommen.  Neuropathische  Veranlagung  kann  ausgeschlossen 
werden.  Patient  selbst  soll  vom  zweiten  bis  vierten  Lebensjahre  an 
Rachitis  gelitten  haben,  lernte  erst  mit  vier  Jahren  gehen 
und  soll  ausser  Masern  (im  Alter  von  drei  Jahren)  und  einer  Pleuritis 
dextra  (im  October  19„0)  nie  irgend  eine  Krankheit  durchgemacht 
haben.  Er  soll  schon  in  seiner  frühesten  Jugend  eine  gewisse  Unge¬ 
schicklichkeit  gezeigt  haben,  seine  Mutter  will  schon  in  seiner  ersten 
Kindheit  an  ihm  eine  Bewegungsstörung,  eine  gewisse  Steifheit  seiner 
Glieder,  wahrgenommen  haben.  Dem  Patienten  fiel  seine  Krankheit 
erst  zur  Zeit  des  Schulbesuches  auf,  als  er  bemerkte,  dass  er  beim 
Turnen  seinen  Mitschülern  gegenüber  immer  einige  Zeit  zurückblieb, 
weil  er  bei  gewollten  Bewegungen  eine  Spannung  in  den  Extremi¬ 
täten  ‘empfand;  erst  als  sich  diese  Spannung  nach  vieler  Anstrengung 
gelöst  hatte,  konnte  er  ebenso  gut  turnen  und  klettern,  wie  jeder 
Andere.  Manchmal  aber  will  er  wahrgenommen  haben,  dass  ihn  im 
Anfänge  des  Turnens  Schwäche  an  der  Ausführung  der  Bewegungen 
hinderte,  welche  nach  mehrfachen  Bewegungsversuchen  schwand. 
Die  angegebenen  Störungen  hielten  auch  im  Laufe  der  folgenden 
Jahre  an,  steigerten  sich  sogar  um  die  Pubertätszeit  und  veranlassten 
den  Patienten,  im  Sommer  des  Jahres  1896  die  Klinik  Professor 
N  o  t  h  n  a  g  e  l’s  aufzusuchen,  woselbst  er  vom  23.  Juni  bis  10.  Juli 
in  spitalsärztlicher  Behandlung  verblieb.  Patient  wurde  bei  der 
Assentirung  für  tauglich  befunden,  bei  der  Präsentirung  aber  ins 
Garnisonsspital  überführt  und  auf  die  Dauer  eines  Jahres  superarbi- 
trirt ;  im  darauffolgenden  Jahre  wurde  er  neuerdings  auf  ein  Jahr 
superarbitrirt  und  erst  bei  der  nächstfolgenden  (dritten)  Superarbi- 
trirung  wurde  er  als  zum  Militärdienste  untauglich  aus  dem  Heeres- 
verbande  entlassen.  Seit  dieser  Zeit  haben  sich  angeblich  die  Be¬ 
schwerden  unseres  Kranken  im  Ganzen  noch  gesteigert;  namentlich 


1220 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  52 


nach  langer  Ruhe  treten  die  Störungen  in  erhöhtem  Masse  auf.  So 
gibt  Patient  an,  dass  ihm  das  Aufstehen  aus  dem  Bette  in  der  Früh 
schwer  falle;  auch  das  Erfassen  des  Trinkglases  gelingt  Morgens  am 
schwersten.  Sämmtliche  Beschwerden  des  Patienten  zeigen  übrigens 
zu  verschiedenen  Zeiten  gewisse  Intensitätsschwankungen.  So  kommt 
es  vor,  dass  ihm  das  Erfassen  des  Trinkglases  zeitweise  ganz  unmög¬ 
lich  ist,  während  er  es  ein  anderes  Mal  verhältnissmässig  leicht  er¬ 
greift  und  zum  Munde  führt.  Ein  Stoss  bringt  ihn  leicht  zum  Falle: 
als  vor  mehreren  Wochen  ein  Freund  ihm  scherzweise  auf  der 
Strasse  unvermuthet  einen  leichten  Schlag  auf  die  Brust  versetzte, 
stürzte  Patient,  von  allgemeiner  Steifigkeit  befallen,  kerzengerade 
rücklings  zu  Boden  und  lag  einige  Zeit  regungslos  da,  bis  sich  die 
Starrheit  seiner  Glieder  löste  und  ihm  das  Aufstehen  ermöglichte. 
Die  grössten  Schwierigkeiten  bereitet  es  ihm,  wenn  er  schnell  aus 
einer  bestimmten  Bewegungsart  in  eine  andere  übergehen  soll.  Geht 
er  über  die  Strasse  und  nöthigt  ihn  ein  herankommender  Wagen, 
ins  Lauftempo  überzugehen,  so  stürzt  er  nach  dem  ersten  Laufver¬ 
suche  steif  am  ganzen  Körper  zu  Boden.  Schon  mehrmals  gerieth  er 
so  in  Gefahr,  überfahren  zu  werden.  Patient  zeigt  deshalb  beim 
Uebersetzen  eines  Fahrweges  grosse  Vorsicht  und  wählt  dazu  immer 
einen  Zeitpunkt,  in  dem  er  im  Gehtempo  bequem  auf  die  andere 
Seite  gelangen  kann. 

Während  des  Essens  fühlt  er,  dass  die  Kaubewegungen  im 
Anfänge  schwer  von  Statten  gehen;  das  Verschlucken  der  gekauten 
Speisen,  sowie  von  Getränken  bereitet  ihm  aber  keine  Beschwerde. 
Sitzt  Patient  eine  Weile,  so  gelingt  das  Aufstehen  nur  schwierig; 
wenn  er  liegt,  so  kann  er  sich  ohne  Zuhilfenahme  der  Arme  nicht 
aufsetzen.  Führt  Patient  wiederholt  gleichsinnige  Bewegungen  aus, 
so  werden  dieselben  immer  leichter  ausführbar  und  schliesslich  gehen 
sie  ganz  frei  und  ungehindert  vor  sich.  Alle  diese  Erscheinungen 
sind  von  der  Tageszeit  ganz  unabhängig;  durch  Kälte,  durch  psy¬ 
chische  Erregung  und  durch  Alkoholgenuss  sollen  dieselben  in 
keiner  Weise  beeinflusst  werden.  In  der  obersten  Halsgegend  und 
im  Gesichte  fühlt  unser  Kranker  öfters  einen  Kitzel,  welchen  er  durch 
einzelne  (zwei  bis  drei)  willkürlich  ausgeführte  Zuckungen  beseitigt. 
Appetit  gut,  Harn-  und  Stuhlentleerung  angeblich  regelmässig  und 
ohne  Beschwerden;  Potus  und  jedwede  venerische  Affection  werden 
negirt.  Patient  hat  früher  Cigaretten  geraucht,  raucht  aber  jetzt  seit 
Jahren  nicht  mehr. 

Status  praesens:  Patient  ist  von  mittlerer  Grösse,  von  kräf¬ 
tigem  Knochenbau,  hat  gut  entwickeltes  Fettpolster  und  eine  Haut 
von  normaler  Turgescenz.  Die  Wangen  zeigen  gesunde  Röthe,  die 
Schleimhäute  sind  gut  gefärbt.  Seine  Körperformen  sind  bis  auf  die, 
weiter  unten  hervorzuhebende  Lordose  der  Lendenwirbelsäule  eben- 
mässig.  Die  willkürliche  Musculatur  ist  stark  entwickelt,  ungewöhn¬ 
lich  voluminös  sind  die  oberen  Extremitäten  und  die  Muse,  pectorales, 
noch  mehr  die  unteren  Extremitäten  und  die  Gesässmusculatur.  Die 
starke  Entwicklung  dieser  letzteren  lässt  die  Lendenwirbelsäule 
deutlich  lordotisch  erscheinen.  Die  Hauptmasse  sind  folgende: 

Umfang  der  Waden  rechts  35  2  cm,  links  35  cm. 

»  »  Oberschenkel  (15  cm  ober  der  Patella)  rechts  und 

links  53  cm. 

»  »  Oberarme  (Mitte)  rechts  28  cm,  links  28  cm. 

»  »  V orderarme  (oben)  rechts  26*5  cm,  links  26  5  cm. 

»  des  Thorax  (über  den  Brustwarzen)  92  cm. 

Die  Untersuchung  des  Thorax  am  31.  October  1900  ergibt 
normales  Verhalten  der  Lungen;  nur  fühlt  man  beim  Percu- 
tiren  rechts  hinten  unten  eine  leichte  Vermehrung  der  Resistenz. 
Herz  normal.  Unterleibsorgane  intact.  Körpertemperatur  normal,  Puls¬ 
frequenz  75,  Athemfrequonz  16. 

Die  Harnuntersuchung  (von  Hofrath  E.  Ludwig  ausgeführt) 
ergibt: 

T  ag-Harn. 

Farbe  hellgelb;  Durchsichtigkeit  etwas  getrübt;  geruchlos, 
specifisches  Gewicht  1*022,  Reaction  sauer,  Harnmenge  780  cm3, 
Sediment  in  mässiger  Menge,  bestehend  aus  Krystallen  von  Harnsäure 
und  oxalsaurem  Kalk,  vereinzelten  Lymphkörperchen  und  Platten¬ 
epithelzellen. 

Die  chemische  Untersuchung  ergab: 

In  der  Gesammtmenge  In  1000  Theilen 

Gesammtstickstoff  ....  7*800  10000 

Harnsäure .  0*301  0*386 

Creatinin  .  0*528  0*677 


In  der  Gesammtmenge  In  1000  Theilen 

Chloride .  13*728  17*600 

Phosphorsäure .  1*310  1*680 

Aetherschwefelsäure  .  .  .  0*107  0*137 

Abnorme  Stoffe  fehlen. 

Nacht  -  Harn. 

Farbe  dunkelgelb;  Durchsichtigkeit  wenig  getrübt;  geruchlos, 
specifisches  Gewicht  1*023,  Reaction  sauer,  Harnmenge  640  cm3;  Sedi¬ 
ment  ziemlich  reichlich,  bestehend  aus  Krystallen  von  Harnsäure 
und  oxalsaurem  Kalk,  vereinzelten  Lymphkörperchen  und  Platten- 
epithelien. 

Die  chemische  Untersuchung  ergab: 

In  der  Gesammtmenge  In  1000  Theilen 


Gesammtstickstoff  ....  7*589  11*858 

Harnsäure .  0*390  0*610 

Creatinin .  0*538  0*840 

Chloride .  7*338  11*466 

Phosphorsäure .  1*024  1*600 

Aetherschwefelsäure  .  .  .  0*077  0*120 

Abnorme  Stoffe  fehlen. 

Gelenke  frei. 

Nervensystem: 


Psychisches  Verhalten,  Gemüthsstimmung  bieten  nichts  Auf¬ 
fälliges,  Gedächtniss  gut,  Intelligenz  recht  gut  entwickelt.  Ebenso 
die  Sinnesorgane  vollkommen  normal. 

Hautsensibilität  für  alle  Empfindungsqualitäten  am 
ganzen  Körper  normal. 

Muskelsinn  ungestört. 

Abdominalreflex  vorhanden,  an  Stärke  wechselnd,  das 
normale  Mass  nicht  überschreitend,  eher  herabgesetzt,  Plantar¬ 
reflex  nicht  auslösbar. 

Sehnenreflexe  sind  vorhanden,  jedoch  zeigt  der  Patellar- 
reflex  ein  unregelmässiges  Verhalten,  indem  die  Reflexcontraction 
manchmal  lebhafter,  manchmal  schwächer  auftritt.  Fussklonus  ist 
nicht  zu  erzielen. 

Muskelsystem: 

Das  auffallendste  Symptom  ist  die  Behinderung  der  ersten 
willkürlichen  Bewegungen,  welche  nach  längerer  Ruhe  ausgeführt 
werden ;  Patient  zeigt  bei  langsamer  und  vorsichtiger  Aus¬ 
führung  von  willkürlichen  Bewegungen  an  den  oberen  und  unteren 
Extremitäten  eine  ziemlich  hochgradige  Muskelschwäche,  welche  bei 
Fortsetzung  der  Bewegungen  allmälig  schwindet,  so  dass  er  dann 
die  Bewegungen  in  normaler  Weise  ausführt.  Will  z.  B.  der  Patient 
den  Arm  im  Ellbogen  beugen  und  thut  dies  behutsam  und  vorsichtig, 
so  gelingt  ihm  wohl  die  Ausführung,  aber  die  Verlangsamung  der 
Bewegung  ist  unverkennbar.  Setzt  man  der  Beugung  Widerstand 
entgegen,  so  kann  dieselbe  mit  geringem  Kraftaufwand  verhindert 
werden.  Wiederholt  der  Kranke  dieselbe  Bewegung,  so  führt  er  sie 
schneller  und  schneller  aus,  die  Muskelkraft  wächst;  will  man  die 
Bewegung  hemmen,  so  wird  ein  immer  grösserer  Widerstand  dazu 
erforderlich.  Der  Händedruck  des  Patienten  ist  anfangs  schwach 
(siehe  weiter  unten  Dynamometermessungen),  wird  allmälig  kräftiger, 
entspricht  *  aber  auch  dann  noch  nicht  der  sehr  kräftig  entwickelten 
Musculatur.  Die  mit  voller  Kraft  geschlossene  Faust  kann  schnell 
wieder  geöffnet  werden;  jedoch  gibt  Patient  an,  dass  ihm  dieses 
Oeffnen  Anstrengung  kostet,  weil  er  eine  in  der  ganzen  Hand  fühl¬ 
bare  »Steifigkeit  und  Spannung«  überwinden  muss.  Seine  Mutter 
erzählt,  dass  sie  ihm  diese  Anstrengung  sogar  hie  und  da  am  Gesicht 
ansieht.  Liegt  unser  Kranker  längere  Zeit  im  Bette  und  soll  sich  nun 
aufsetzen,  so  fasst  er  mit  beiden  Händen  einen  Oberschenkel  ober¬ 
halb  des  Knies’  und  schwingt  sich  an  diesem  in  sitzende  Stellung: 
um  nun  nicht  zurückzufallen,  lässt  er  schnell  den  Oberschenkel  los 
und  stützt  sich  rückwärts  mit  beiden  Händen  am  Bette.  Bei  den 
ersten  Schritten  drohen  die  Beine  im  Kniegelenke  nachzugeben  und 
deshalb  ist  er  gezwungen,  die  Beine  steif  zu  halten.  Wegen  Schwäche 
in  den  Beinen  führt  er  die  ersten  Schritte  zögernd  aus.  Beim  Ueber- 
gange  vom  Gehen  zum  Laufschritte,  und  zwar  auch  bei  ganz  all- 
mäligem  Uebergange  selbst  vom  schnellsten  Gehen  ins  Laufen,  tritt 
sofort  Steifheit  in  den  unteren  Extremitäten  ein. 

Führt  Patient  irgend  eine  willkürliche  Bewegung,  z.  B.  die 
Beugung  des  Armes  im  Ellbogen,  energisch  aus,  so  tritt  sofort 
nach  der  ersten,  freien  Bewegung  eine  kräftige,  tonische  Con¬ 
traction  der  betheiligten  Muskeln  ein,  welche  nach  Aufhören  der 


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willkürlichen  Innervation  einige  Zeit  nachdauert.  Dadurch  werden 
die  antagonistischen  Bewegungen  hochgradig  erschwert.  Während 
dieser  Zeit  ist  der  contrahirte  Muskel  plastisch  sichtbar,  seine  erhöhte 
Härte  und  Spannung  deutlich  fühlbar.  Nach  einiger  Zeit  schwindet 
diese  Spannung  allmälig,  der  Muskelkrampf  löst  sich,  die  Bewegungen 
werden  frei.  Macht  Patient  die  Kniebeuge  und  steht  dann  auf,  so.  ist 
die  Nachdauer  der  Contraction  in  der  Streckmusculatur  der  Ober¬ 
schenkel  geradezu  als  Tetanus  constatirbar.  Beim  Stiegensteigen 
fühlt  er  Steifheit  und  Krampf  in  den  Beinen.  Die  ersten  Stufen 
werden  schwer  und  langsam  erstiegen,  die  Weiterbewegung  auf  den 
Treppen  wird  allmälig  leichter.  Der  Gang  ist  beim  Stiegensteigen 
ausgesprochen  spastisch,  die  Wadenmusculatur  zeigt  sich  beim  Be¬ 
fühlen  krampfartig  gespannt  und  hart. 

Gegenüber  der  gewaltigen  Entwicklung  der  Musculatur  ist  die 
grobe  motorische  Kraft  auffallend  gering.  Mit  dem  auf  der 
Klinik  Nothnagel’s  benützten  Dynamometer  gemessen,  zeigt  der 
Händedruck  des  Patienten  rechts  8’,  links  7U.  Hat  er  den  Hände¬ 
druck  am  Dynamometer  öfter  hintereinander  wiederholt,  so  zeigt 
derselbe  rechts  23°,  links  21°.  Zur  richtigen  Würdigung  dieser  Masse 
sei  erwähnt,  dass  die  durchschnittliche  Muskelkraft  eines  gesunden 
Erwachsenen  den  Zeiger  des  obbezeichneten  Dynamometers  auf  30 
bis  40°  einstellt. 

Die  beschriebene  Störung  der  willkürlichen  Bewegungen  ist 
bei  unserem  Kranken  ausser  an  den  oberen  und  unteren  Extremi¬ 
täten  auch  am  Rumpfe  vorhanden. 

Das  Kauen  ist  anfangs  erschwert;  nimmt  er  einen  Bissen 
in  den  Mund,  so  wälzt  er  diesen  zuerst  mühsam  hin  und  her,  nach 
einiger  Zeit  werden  indess  die  Kaubewegungen  frei.  Das  Hinab¬ 
schlingen  des  Bissens  geht  anstandslos  vor  sich.  Lässt  man  den 
Patienten  die  Zähne  fest  zusammenbeissen  und  öffnet  er  dann  auf 
Geheiss  den  Mund,  so  fühlt  man  die  Masseteren  noch  mehrere 
Secunden  lang  hart  und  tonisch  gespannt.  Schliesst  er  die  Augen, 
so  ist  er  im  Stande,  die  Lidspalte  leicht  und  mühelos  zu  öffnen.  An 
den  mimischen  B  e  w  e  g  u  n  g  e  n  ist  keine  Störung  bemerkbar. 
Seitliche  Zungenbewegungen  erfolgen  im  Anfänge 
langsam  und  träge,  werden  aber  immer  schneller  ausführbar  und 
gehen  endlich  in  normaler  Weise  vor  sich. 

Die  Athembewegungen  können,  wie  bei  Gesunden, 
willkürlich  gesteigert  und  verlangsamt  werden. 

Augenbewegungen  frei,  die  Pupillen  sind  beiderseits 
gleich  weit  und  reagiren  normal. 

In  der  oberen  Halsgegend  und  in  den  Gesichtsmuskeln  sind  ab 
und  zu  einzelne  (zwei  bis  drei)  Zuckungen  zu  sehen.  Trousseau- 
sches  Phänomen  fehlt. 

Die  mechanische  Erregbarkeit  der  motorischen 
Nerven  ist  normal,  die  der  Muskeln  hochgradig  gesteigert.  Beim  Be¬ 
klopfen  der  einzelnen  Muskeln  mit  dem  Finger,  besser  mit  dem  Per¬ 
cussionshammer,  zeigt  sich  eine  träge,  tonische  Contraction  an  den¬ 
selben  mit  Dellen-  oder  Furchenbildung,  welche  einige  Zeit  anhält, 
um  dann  langsam  zu  verschwinden.  Diese  Erscheinung  ist  an  den 
meisten  Extremitätenmuskeln,  sowie  am  Pectoralis  mehr  minder 
deutlich  auslösbar,  am  besten  am  Deltoideus,  Biceps,  Pectoralis  major, 
Quadriceps  femoris,  Gastrocnemius  internus.  Die  Gesichtsmuskeln 
zeigen  diese  Reaction  nicht. 

Die  elektrische  Untersuchung  (ausgeführt  von 
Dr.  Otto  Marburg  auf  der  Klinik  Nothnage  l’s)  ergab  folgen¬ 
den  Befund: 

Motorische  Nerven.  Verhalten  gegen  den  galvani¬ 
schen  Strom  normal.  Bei  Reizung  des  Plexus  brachialis  (5  Milli¬ 
ampere)  Kathodenschliessung  kurze,  blitzähnliche  Zuckung,  ebenso  bei 
Anodenschliessung  mit  derselben  Stromstärke;  auch  mit  labilen 
galvanischen  Strömen  ist  vom  Nerven  (Plexus  brachialis,  Nervus 
ulnaris)  aus  keine  Dauerzuckung  zu  erzielen.  Einzelne  faradische 
Schläge  lösen  kurze  Zuckung  aus  Bei  Reizung  des  Plexus  brach, 
mit  dem  faradischen  Strome  (9cm  Rollenabstand)  erfolgt 
Dauerzuckung  durch  den  ganzen  Arm  bis  zur  Hand,  welche  einige 
Secunden  anhält. 

Muskeln.  Diese  zeigen  eine  Reihe  von  typischen  Ab¬ 
weichungen  gegenüber  der  elektrischen  Reizung. 

Bei  galvanischer  Reizung  tritt  bei  grosser  Stromstärke 
(5  Milliampere)  Kathodenschliessung  am  Muse,  biceps  eine  lange  Furche 
auf,  welche  langsam  längs  der  ganzen  Beugeseite  des  Oberarmes 


abläuft.  Nachdauer  der  Contraction  ist  nur  zu  erzielen,  wenn  man 
die  Elektrode  nach  Stromschluss  noch  aufliegen  lässt. 

Die  Schwelle  für  die  galvanische  Erregbarkeit  des  Muse,  biceps 
und  des  Supinator  longus  liegt  bei  2*7  Milliampere.  Vergleichsweise 
sei  hier  hervorgehoben,  dass  dieselbe  beim  zweitunterzeichnenden 
Verfasser  dieser  Arbeit  ebenfalls  bei  2-7  Milliampere  lag. 

Bei  fa  radischer  Reizung  mit  einzelnen  Oeffnungsschlägen 
erfolgt  kurze,  blitzähnliche  Zuckung.  Bei  der  Einwirkung  faradischer 
Ströme  (3 — 4  evi  Rollenabstand)  tritt  am  Biceps  träge  Contraction 
und  eine  Längsfurche  auf,  welche  drei  bis  vier  Secunden  stehen 
bleibt.  Die  anderen  Muskeln  zeigen  analoges  Verhalten. 

Der  Augenbefund  (aufgenommen  von  Dr.  Rudolf 
Bergmeister  auf  der  Klinik  Fuchs)  weist  einige  Abnormi¬ 
täten  auf. 

Gesichtsfeld  für  Weiss,  Blau  und  Roth  normal. 

Der  Fundus  ist  an  seiner  Peripherie  auf  beiden  Augen  albi¬ 
notisch  (die  Chorioidealgefässe  sichtbar). 

Rechtes  Auge:  Im  verticalen  Meridian  besteht  Emmetropie 
im  horizontalen  mindestens  zwei  Dioptrien  Ilypermetropie  (regel¬ 
mässiger  Astigmatismus). 

Linkes  Auge:  Im  verticalen  Meridian  Emmetropie,  im 
horizontalen  zwei  Dioptrien  Hypermetropie. 

E  p  i  k  r  i  s  e : 

Bei  der  Würdigung  der  gefundenen  Symptome  fällt  auf, 
dass  zwei  verschiedene  Gruppen  von  Krankheitserscheinungen 
vorhanden  sind.  Erste  Gruppe:  Bei  nach  längerer  Ruhe 
energisch  ausgeführten  Bewegungen  tritt  eine  hochgradige 
Spannung  und  Härte  der  betheiligten  Muskeln  ein;  die  Con¬ 
traction  derselben  dauert  auch  nach  Aufhören  der  Innervation 
noch  mehrere  Secunden  nach.  Bei  Fortsetzung  gleichsinniger 
Bewegungen  schwindet  dieser  Muskelspasmus  allmälig,  die 
Bewegung  kann  endlich  in  normaler  Weise  ausgeführt  werden. 
Zur  Auslösung  dieses  Muskelkrampfes  ist  aber  stets  eine  Be¬ 
wegung  und  zwar  eine  kräftige,  energische  Bewegung  erfor¬ 
derlich.  Die  willkürliche  Musculatur  ist  ungemein  kräftig  ent¬ 
wickelt,  die  motorische  Kraft  ist  im  Verhältnis  zu  dieser 
kräftigen  Entwicklung  auffallend  gering. 

Wir  haben  hier  die  typische,  myotonische  Bewegungs¬ 
störung  vor  uns,  wie  sie  Thomsen  an  sich  selbst  wahrnahm 
und  beschrieb.  Bei  passiven  Bewegungen  fehlt  jede  Muskel¬ 
spannung,  die  Muskeln  fühlen  sich  nicht  abnorm  hart  an,  auch 
nicht  schwammigweich,  wie  bei  der  Pseudohypertrophie,  son¬ 
dern  ebenso,  wie  sich  Muskeln  von  Individuen  mit  sehr  starker 
Musculatur  gewöhnlich  anfühlen.  Die  Störung  erstreckt  sich 
auf  die  Musculatur  des  Rumpfes  und  der  Extremitäten,  die 
Kaumusculatur  und  die  Zunge;  die  Schlund-,  mimischen, 
Augenmuskeln  und  die  Sprache  sind  frei.  Das  Nervensystem 
ist  —  mit  Ausnahme  der  abnormen  Reaction  gegen  den 
faradischen  Strom  —  vollständig  intact,  irgend  eine  ander¬ 
weitige  krankhafte  Störung  lässt  sich  nicht  nachweisen.  Die 
mechanische,  galvanische  und  faradische  Reizung  der  Muskeln 
und  die  elektrische  Reizung  der  motorischen  Nerven  ergibt 
den  Befund,  welchen  Erb  als  charakteristisch  für  die  Thoms en- 
sche  Krankheit  beschrieb.  Durch  Reizung  der  motorischen 
Nerven  mit  dem  faradischen  Strome  erhält  man  eine  Zuckung 
der  von  ihnen  versorgten  Muskeln,  welche  einige  Secunden 
nachdauert  und  langsam  abschwillt.  Durch  Beklopfen  der 
Muskeln  mit  dem  Finger  oder  besser  mit  dem  Percussions¬ 
hammer  (aber  nicht  durch  Kneten,  Quetschen  etc.  derselben), 
kommt  eine  träge,  nachdauernde,  allmälig  abklingende  Con¬ 
traction  der  getroffenen  Muskelbündel  zu  Stande,  welche  sich 
je  nach  den  Querschnittsverhältnissen  als  Delle  oder  Längs- 
furche  im  Muskel  präsentirt.  Zieht  man  noch  in  Erwägung, 
dass  die  Erkrankung  seit  der  frühesten  Kindheit  besteht,  so 
lässt  sich  nicht  in  Zweifel  ziehen,  dass  wir  hier  das  typische 
Bild  der  Thomsen’ sehen  Krankheit,  der  Myotonia 
congenita,  vor  uns  haben.  Zwar  ist  in  der  Familie  kein  anderer 
Fall  dieser  oder  einer  ähnlichen  Krankheit  vorgekommen; 
aber  die  Eltern  sind  blutsverwandt  (Cousin  und  Cousine); 
diese  Blutsverwamdschaft  spielt,  wie  M.  Bernhardt  1885 
hervorhob,  eine  Rolle  beim  T  hom  sen,  und  A.  Eulenburg, 
dessen  Beobachtungen  auf  dem  Gebiete  der  Thom  sen  sehen 


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Krankheit  wohl  nicht  geringe  Berücksichtigung  verdienen, 
theilt  seine  Wahrnehmung  mit,  dass  er  Blutsverwandtschaft  der 
Eltern  gerade  dort  festgestellt  hat,  wo  nur  eines  der  Kinder 
an  Morbus  Thomsen  erkrankt  ist.  Was  den  Grad  des 
Leidens  betrifft,  müssen  wir  in  unserem  Falle  behaupten, 
dass  der  Patient  an  einem  höheren  Grade  der  Thomsen- 
schen  Krankheit  leidet;  denn  bei  rascher  Bewegungsänderung 
oder  bei  einem  leichten  Stosse  stürzt  er  steif  zu  Boden  und 
bleibt  einige  Zeit  hilflos  liegen;  er  ist  zum  Militärdienst  und 
zu  vielen  anderen  Berufsarten  untauglich,  und  hat  auch  in 
seiner  Beschäftigung,  dem  Tischlergewerbe,  mit  vielen  Schwierig¬ 
keiten  zu  kämpfen.  Liegt  also  ein  typischer  Morbus  Thomsen 
vor,  so  ist  es  doch  kein  reiner  Fall  dieses  Leidens,  denn  man 
findet  hier  noch  eine  zweite  Gruppe  von  krankhaften 
Störungen:  Sowohl  bei  einfachen  Bewegungen  nach  längerer 
Ruhe,  so  bei  Beugung  und  Streckung  des  Armes  im  Ellbogen¬ 
gelenke,  als  auch  bei  combinirten  Bewegungen,  so  beim 
Gehen,  beim  Ergreifen  eines  Gegenstandes  mit  der  Hand, 
beim  Schreiben,  bei  den  diversen  Verrichtungen  der  Tischlerei, 
tritt  eine  Störung  zu  Tage,  welche  durch  Schwäche  be¬ 
dingt  ist.  Diese  Schwäche  nun  nimmt  bei  fortgesetzter  Aus¬ 
führung  derselben  Bewegung  mehr  und  mehr  ab,  um  endlich 
zu  verschwinden. 

Wie  also  einerseits  durch  plötzliche  und  energische 
Muskelanstrengung  eine  tonische,  nachdauernde  Contraction, 
ein  Muskelkrampf  ausgelöst  wird,  welcher  anfangs  die 
willkürliche  Bewegung  hemmt  und  bei  Fortsetzung  gleich¬ 
sinniger  Bewegungen  schwindet,  so  ist  andererseits  in  denselben 
Muskeln  anfängliche  Schwäche  vorhanden,  welche  bei  Fort¬ 
setzung  gleichsinniger  Bewegungen  in  Erstarkung  übergeht, 
sofern  die  Muskeln  nicht  plötzlich  und  energisch,  sondern  nur 
mässig  innervirt  worden  waren.  Während  dieses  subjectiven 
Schwächezustandes  ergibt  auch  die  objective  Untersuchung, 
dass  die  betreffenden  Muskeln  ganz  weich,  dass  sie  gar  nicht 
in  Spannung  sind;  von  einer  Steifheit  ist  nichts  nachzuweisen. 

Es  liegt  jetzt  die  Frage  vor,  ob  der  Zustand  der  an¬ 
fänglichen  Schwäche  bei  ruhigen,  nicht  energischen  Willkür¬ 
bewegungen  noch  zum  Bilde  des  Morbus  Thomsen  gehört,  oder 
ob  wir  in  diesem  bei  unseren  Kranken  eine,  die  ebengenannte 
Krankheit  complicirende  Störung  erblicken  müssen.  In  den 
Beschreibungen  von  reinen  Thomsen-Fällen  wird  fast  überein¬ 
stimmend  angegeben,  dass  nur  durch  plötzliche,  energische 
Muskelanstrengungen  ein  pralles  Anschwellen,  eine  kräftige, 
nachdauernde  Contraction  des  Muskels  hervorgerufen  wird;  in 
dieser  Hinsicht  verhält  sich  also  unser  Kranker  gerade  so  wie 
die  Fälle  von  reinem  Thomsen.  Bei  letzteren  wird  aber  ferner 
beschrieben,  dass  bei  gewöhnlicher,  mässiger  Innervation  der 
willkürlichen  Muskeln  die  Bewegungen  durch  Steifigkeit,  durch 
objectiv  und  subjectiv  vorhandene  Muskelspannung  verlang¬ 
samt  sind,  wenn  auch  bei  derartiger  Innervation  kein  eigent¬ 
licher  Muskelkrampf  au f tritt;  im  Gegensatz  dazu  haben  wir 
bei  unserem  Kranken  bei  der  massigen  Innervation  subjectiv 
und  objectiv  Muskelschwäche,  keine  Spur  von  Spannung  oder 
Steifheit.  Wir  möchten  uns  deshalb  dahin  entscheiden,  dass 
thatsächlich  nebst  dem  Thomsen  eine  weitere,  complicirende 
Störung  vorliegt  und  wollen  nun  erörtern,  in  welche  Kategorie 
wir  dieselbe  einreihen  möchten. 

Irgend  eine  functioneile  Störung  anzunehmen,  liegt  Mangels 
jedes  diesbezüglichen  Symptoms  kein  Grund  vor;  das  Bestehen 
einer  complicirenden  organischen  Erkrankung  (etwa  Pseudo¬ 
hypertrophie)  lässt  sich  ebenso  bestimmt  aussehliessen,  wie  eine 
vorausgegangene  Kinderlähmung  oder  spinale  Lähmung. 

A.  E  u  1  e  n  b  u  r  g  hat  in  seiner  (im  Neurologischen  Central¬ 
blatt  1886  erschienenen)  Arbeit  »Ueber  eine  familiäre, 
durch  sechs  Generationen  verfolgbare  Para¬ 
myotonie«  zuerst  ein  Krankheitsbild  beschrieben,  welches 
sich  durch  congenitalen  Ursprung,  familiäres  Auftreten,  das 
ganze  Leben  hindurch  anhaltende  Dauer,  auszeichnete.  Es 
charakterisirt  sich  dadurch,  dass  »in  den  einzelnen  Körper¬ 
abschnitten  nach  vorausgegangenem,  meist  kurzem  Krampfe 
die  Erscheinung  der  Lähmung,  der  Bewegungshemmung,  her¬ 
vortritt«.  Diese  Bewegungsstörung  wurde  besonders  durch 
Kälte  hervorgerufen,  wobei  aber  keineswegs  ein  höherer  Kälte¬ 


grad  erforderlich  war;  schon  das  Anfassen  einer  polirten  Holz¬ 
tafel  von  10  bis  11°  R.  genügte,  um  den  paramyotonischen 
Zustand  in  den  Händen  hervorzurufen.  Die  Lähmung  —  es 
handelte  sich  nicht  um  eine  persistirende  Lähmung,  sondern 
blos  um  eine  Bewegungsstörung,  welche  den  Eindruck  der 
Lähmung  erzeugte  —  hielt  oft  stundenlang  an,  verlor  sich 
aber  durch  Aufenthalt  im  erwärmten  Zimmer  in  wenigen 
Minuten.  Es  sei  hier  hervorgehoben,  dass  diese  Störung  zwar 
besonders  prompt  und  intensiv  durch  Kälte  hervorgerufen 
wurde,  dass  sie  aber  auch  ohne  Kälteeinwirkung  auftrat.  Das 
Erfassen  von  Gabel  und  Messer,  das  Schreiben  u.  s.  w.  war 
durch  diese  Innervationsstörung,  die  »Lähmung«,  in  hohem 
Masse  erschwert,  die  myotonische  Reaction  fehlte. 

M  a  r  t  i  u  s  beschrieb  (Virchow's  Archiv.  Bd.  CXYIII)  eine 
i  n  te  r  mti  1 1  i  r  e  n  d  e  Myotonie,  wobei  sich  die  myotonische 
Reaction  zur  Zeit  der  myotonischen  Bewegungsstörung  ein¬ 
stellte  und  mit  derselben  verschwand. 

A.  Friis  machte  in  seiner  Arbeit  »Zur  Kenntniss  der 
Thomse n’schen  Krankheit«  Mittheilung  von  einem  einjährigen 
Kinde,  an  dem  nachweislich  seit  Geburt  Muskelhypertrophie 
und  Myotonie  bestand,  myotonische  Reactionserscheinungen 
indess  fehlten. 

Im  letzten  Decennium  wurden  mehrere  Fälle  beobachte* 
und  beschrieben,  in  welchen  eine  Combination  von  Thomsen 
scher  Krankheit  mit  verschiedenen  Formen  von  Paramyotonien 
bestand  (so  stellte  unter  Anderen  v.  Krafft-Ebing  einen 
solchen  Fall  in  seiner  klinischen  Vorlesung  vor,  Hlavaczek 
beschrieb  einen  solchen  aus  der  Klinik  Schrot ter’s  in  den 
Jahrbüchern  für  Psychiatrie  und  Neurologie.  1896).  Es  bestand 
keineswegs  in  allen  diesen  Fällen  eine  völlige  Uebereinstimmung 
mit  dem  Bilde  der  Paramyotonie,  wie  es  A.  Eulen  bürg  als 
Erster  beschrieben  hatte.  So  äusserte  sich  die  paramyotonische 
Bewegungsstörung  in  dem  Falle  Hlavaczek’s  in  tonischen, 
langanhaltenden  Krämpfen  der  willkürlichen  Muskeln,  welche 
der  Kälte  ausgesetzt  gewesen  waren;  in  den  Eulenbur  g- 
schen  Fällen  trat  —  wie  oben  mitgetheilt  —  die  Störung  unter 
dem  Bilde  der  »Lähmung«  auf,  welche  nach  kurzem,  voraus¬ 
gegangenem  Krampfe  in  Erscheinung  trat. 

Die  meisten  Autoren,  welche  solche  Combinationen  be¬ 
schrieben  haben,  hielten  die  beiden  Krankheiten  für  sehr  nahe¬ 
stehend  ;  v.  Krafft-Ebing  hat  die  Paramyotonie  geradezu 
für  eine  klinische  Varietät  der  Myotonie  erklärt.  Hlavaczek 
suchte  in  seiner  oben  erwähnten  Arbeit  plausibel  zu  machen, 
dass  der  Fall  von  Friis,  die  Paramyotonie  Eulen  burg’s, 
die  Myotonia  intermittens  und  die  Thomse  n’sclie  Krankheit 
(Myotonia  congenita)  im  Wesen  gleichartige  Zustände  sind, 
welche  nur  graduell  in  der  hier  gegebenen  Reihenfolge  ge¬ 
steigert  sind. 

Wir  bezeichnen  als  Paramyotonie  eine 
Störung,  welche  mit  der  congenitalen  Myotonie 
mehr  weniger  grosse  Verwandtschaft  auf  weist. 
So  sind  die  Fälle  Eulenbur g’s  unstreitig  eine 
Form  von  »Para«  myotoni  e,  aber  sie  sind  nicht 
die  Paramyotonie  xa z’  e scr/Yjv. 

Während  nun  der  Fall  Hlavaczek’s  sich  von  den 
Eu  1  e  n  b  u  r  g’schen  Paramyotonien  durch  Krampf  gegenüber 
»Lähmung«  unterscheidet,  beide  aber  sich  gleichen  in  dem  aus¬ 
lösenden  Momente,  der  Kälte,  und  darin,  dass  die  Störung  so 
lange  anhält  als  die  Kälteeinwirkung;  während  auch  bei  den 
übrigen,  bisher  als  Paramyotonie  beschriebenen  Formen  der 
Bewegungsstörung  —  bei  sonstigen  Verschiedenheiten  —  die 
Kälteeinwirkung  als  das  auslösende  Moment  stets  hervorgehoben 
wurde,  spielt  dieses  Moment  in  unserem  Falle  keine  Rolle. 

Unser  Fall  unterscheidet  sich  von  der  Paramyotonie 
Eulen  burgs  darin,  dass  hier  die  »Lähmung«  im  Beginne 
der  langsamen  Bewegung  immer  vorhanden  ist,  gleichviel,  ob 
es  kalt  oder  warm  ist;  ferner  dadurch,  dass  hier  die  »Lähmung« 
bei  Fortsetzung  gleichsinniger  Bewegung  stets  schwindet,  dort 
so  lang  anhält  als  die  Einwirkung  der  Kälte,  oft  stundenlang. 

Uebereinstimmung  besteht  in  folgenden  Punkten :  In  unserem 
Falle  besteht  diese  Störung  seit  Geburt  wie  der  Morbus 
Thomsen  und  wie  die  E  u  1  e  n  b  u  r  g’schen  Paramyotonien, 


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hier  wie  dort  ist  sie  im  Wesentlichen  stationär  geblieben;  hier 
wie  bei  Eulenburg  tritt  die  Störung  in  der  Form  von 
»Lähmung«  auf. 

Wie  verhält  sich  aber  diese  bei  unserem 
Kranken  vorhandene  Störung  zum  Morbus 
Thomsen,  zur  congenitalen  Myotonie? 

Sie  complicirt  in  unserem  Falle  seit  Geburt  einen  typischen 
Thomsen,  tritt  ebenso  wie  die  Erscheinungen  der  Myotonie 
immer  nur  im  Beginne  der  intendirten  Bewegungen  auf  —  desto 
stärker,  je  länger  die  vorausgegangene  Ruhe  war  — ,  sie  ver¬ 
liert  sich  bei  Fortsetzung  der  Bewegungen  immer  genau  so. 
wie  dies  auch  bei  der  complicirenden,  congenitalen  Myotonie 
der  Fall  ist;  beachten  wir  ferner,  dass  bei  mässiger  Innervation 
immer  die  beschriebene  Störung,  bei  kräftiger  Innervation  aber 
stets  der  Thomsen’sche  Erscheinungscomplex  hervortritt, 
so  können  wir  diese  zweitebei  unserem  Kranken 
vorhandene  Form  der  Bewegungsstörung  mit 
vollstem  Recht  als  eine  »Para«  myoton  ie  an¬ 
sprechen. 

Wir  können  diese  Bezeichnung  mit  grösserer  Berechti¬ 
gung  anwenden,  als  dies  in  allen  bisher  beschriebenen  Fällen 
von  Paramyotonie  der  Fall  ist,  weil  diese  Störung,  welche 
hier  den  Thomsen  complicirt,  grössere  Verwandtschaft  mit 
letzterem  aufweist  als  alle  bisher  beschriebenen  Paramyotonien. 
Es  liesse  sich  ein  Krankheitsbild  kaum  finden,  welches  mit  so 
gutem  Grunde  den  Namen  einer  »Paramyotonie«  verdiente, 
als  diejenige  Störung,  welche  bei  unserem  Kranken  den  typi¬ 
schen  Morbus  Thomsen,  die  Myotonie,  complicirt. 

Dr.  Konrad  Stein,  welcher  über  unseren  Kranken 
eine  Abhandlung  schrieb  (Wiener  klinische  Rundschau.  1897), 
muss  einen  von  dem  jetzigen  sehr  differenten  objectiven  Be¬ 
fund  vor  sich  gehabt  haben;  denn  er  schrieb,  »dass  die 
Extremitäten  subjectiv  wie  objectiv  die  Er¬ 
scheinungen  einer  ausgesprochenen  Parese 
bieten.«  Davon,  dass  durch  kräftige  Muskelbewegung  an 
sämmtlichen  Extremitäten  und  den  Kaumuskeln  Muskel¬ 
spasmus,  Myotonie,  prompt  ausgelöst  wird,  war  damals 
anscheinend  nichts  zu  constatiren,  denn  wir  finden  in  der 
citirten  Arbeit  darüber  keine  Mittheilung.  Wir  geben  zu,  dass 
Stein  bei  dem  damaligen  Befunde  berechtigt  war,  in  diesem 
Falle  eine  »aussergewöhnlicke  Form  von  Bewegungsstörung 
mit  rayotonischer  Reaction«  anzunehmen.  Bei  dem  Status 
praesens,  welcher  jetzt  besteht,  bei  dem  typischen  Bilde  ein-er 
T  h  o  m  s  e  n’schen  Erkrankung,  welche  complicirt  ist  durch 
eine  Störung,  die  den  Namen  »Paramyotonie«  im  höchsten 
Masse  verdient,  haben  wir  gar  keinen  Anlass,  einen  Morbus 
sui  generis  aufzustellen. 

Der  Kranke  hat  die  Excision  eines  Muskelstückchens 
jetzt  verweigert,  wie  er  dies  auch  seinerzeit  Herrn  Dr.  Stein 
abschlug.  Mangels  histologischer  Befunde  kann  mithin  nur 
versucht  werden,  durch  Reflexionen  und  Schlüsse  den  Fall 
für  die  A  e  t  i  o  1  o  g  i  e  der  T  h  o  m  s  e  n’schen  und  der  ver¬ 
wandten  Affection en  zu  verwerthen,  eine  Lage,  in  der  übrigens 
manche  Andere,  welche  derlei  Fälle  bisher  beschrieben,  sich 
befanden.  Allerdings  verfügen  wir  heute  über  die  Kenntniss 
auch  solcher  Thatsachen  und  Umstände,  welche  zur  Klar¬ 
stellung  dieser  Aetiologie  herangezogen  werden  können,  welche 
Thatsachen  zur  Zeit,  als  Erb  seine  Studien  über  die  Thom- 
s  e  n'sche  Krankheit  veröffentlichte  (1886),  noch  nicht  bekannt 
waren  und  die  bisher  in  dieser  Frage  überhaupt  noch  nicht 
verwerthet  wurden.  In  einem  Punkte,  nämlich  durch  eine 
nach  bestimmtem  Plane  ausgeführte  Stoffwechseluntersuchung, 
haben  wir  auch  ein  materielles  Fundament  gewonnen. 

Die  Thomse n’sche  Krankheit  wurde  von  ihrem  ersten 
Beschreiber  als  eine  Psychose  angesehen.  Seeligmüller 
hielt  sie  für  eine  Rückenmarksaffection  und  sprach  dieselbe 
an  als  »hypertrophische  spastische  Spinalparalyse«,  welche 
Auffassung  bei  dem  Fehlen  der  Steigerung  der  Sehnenreflexe 
und  dem  Umstande,  dass  gar  keine  Parese  vorhanden  ist, 
unhaltbar  wird.  Bernhardt,  später  Strümpell  fassen 
das  Leiden  als  ein  rein  myopathisches  auf.  Erb,  dem  die 
genauere  Kenntniss  der  Krankheitssymptome  zu  verdanken 
ist,  spricht  sich  (1886)  mit  grosser  Reserve  dahin  aus,  dass 


an  eine  Trophoneurose  zu  denken  wäre.  Endlich  haben 
Karpinsky,  A  1  b  i  s,  M  o  1 1  s  c  h  a  n  o  f  f  gewisse  Stoffwechsel¬ 
störungen  (Verminderung  der  Harnsäureausscheidung,  Ver¬ 
mehrung  des  Creatinins,  verschiedene  Zusammensetzung  und 
Giftigkeit  des  Tag-  und  Nachtharnes,  Vermehrung  der  Leuko- 
mainausscheidung)  angegeben  und  auf  die  Auffassung  des 
Leidens  als  congenitale  Stoffwechselkrankheit  hingedeutet, 
welche  durch  Retention  eines  der  Harnsäure  nahestehenden 
Körpers  im  Organismus  verursacht  werde.  Angaben,  welcher 
Art  diese  Stoffwechsel  versuche  waren,  ja  sogar  Mittheilung 
von  Zahlen  über  die  Gewichtsmengen  der  genannten,  im  Harne 
zur  Ausscheidung  gelangenden  Körper  seitens  dieser  Autoren 
konnten  wir  in  den  uns  vorliegenden  deutschen  Fachblättern 
nicht  finden. 

Bei  diesem  Stande  der  Frage  kann  man  sich  zunächst 
an  zwei  Thatsachen  halten:  dass  die  Muskeln  ganz 
typische  Veränderungen  aufweisen  (Erb),  und  dass  bei  den 
spärlichen,  bisher  ausgeführten  Sectionen  Veränderungen  im 
centralen  und  peripheren  Nervensysteme  nicht  gefunden  worden 
sind.  Auf  diesen  zwei  Thatsachen  basirt  eben  die,  heute  bei¬ 
nahe  vorherrschende  Annahme,  dass  im  Morbus  Thomsen 
ein  primär  und  ausschliesslich  myopathisches  Leiden  zu  er¬ 
blicken  wäre. 

Dagegen  spricht  vor  Allem,  dass  der  Muskel  nichts  Anderes 
vorstellt,  als  den  Endapparat  des  Nerven;  eine  auf  ersteren 
allein  localisirte,  primäre  Erkrankung  ist  schon  aus  diesem 
Grunde  recht  unwahrscheinlich.  Anscheinend  primäre  musculäre 
Affectionen  sind  daher  immer  mit  grösster  Vorsicht  zu  be- 
urtheilen;  wie  begründet  eine  solche  Vorsicht  ist,  lehrt  die 
spinale,  progressive  Muskelatrophie;  die  Muskelveränderungen 
waren  bei  dieser  lang  bekannt,  bevor  die  verursachende  Rücken¬ 
markserkrankung  gefunden  wurde.  Was  die  —  bis  heute  als 
myopathisch  geltende  —  Dystrophia  musculorum  progressiva 
betrifft,  so  ist  noch  abzuwarten,  was  die  Zukunft  und  ver¬ 
besserte  neurologische  Untersuchungsmethoden  lehren  werden. 

In  der  von  Eulenburg  beschriebenen  Form  der  »Para¬ 
myotonie«  möchten  wir  ein  weiteres  Argument  finden  für  die 
spinale  Auffassung  der  T  h  o  m  s  e  n’schen  Erkrankung;  bei 
dieser  Paramyotonie,  deren  nahe  Verwandtschaft  mit 
dem  Thomsen  heute  wohl  anerkannt  (siehe  oben)  und  durch 
die  häufige  Combination  beider  Krankheiten,  durch  das  con¬ 
genitale  Auftreten  beider,  durch  den  bei  beiden  im  wesent¬ 
lichen  stationär  bleibenden  Verlauf  wohl  bewiesen  ist,  fehlt 
jede  Muskelveränderung  und  auch  die  myotonische  Reaction. 
Aber  die  Bewegungsstörung  wird  bei  ihr  durch  Kälte  hervor¬ 
gerufen;  es  handelt  sich  demnach  um  eine  reflectorisch 
hervorgerufene  Motilitätsstörung,  um  einen  abnormen  Re¬ 
flexvorgang,  dessen  Sitz  also  wohl  im  nervösen  Antheile 
des  Reflexbogens  zu  suchen  ist.  (Die  Paramyotonie  kann  in 
sehr  verschiedener  Form  Vorkommen;  unser  Fall  zeigt,  wie 
oben  erörtert,  nebst  dem  Thomsen  eine  Störung,  welche 
ebenfalls  als  »Para«myotonie  anzusprechen  ist,  weil  sie  noch 
mehr  Verwandtschaft  mit  der  Myotonia  congenita  aufweist,  als 
die  Eulenburg’schen  »Para«myotonien.) 

Es  liegen  aber  noch  stärkere  Anhaltspunkte  vor,  um 
beim  Thomsen  eine  primäre  spinale  und  blos  secundäre  mus¬ 
culäre  Erkrankung  anzunehmen.  H.  Schlesinger  hat  im 
»Wiener  medicinischen  Club«,  als  unser  Patient  daselbst  vom 
Zweitzeichnenden  am  31.  October  1900  vorgestellt  wurde,  im 
Anschlüsse  daran  über  bisher  nicht  beachtete  Zustände  be¬ 
richtet,  welche  von  der  Myotonia  congenita  zu  echten  spinalen 
Affectionen  hinüberführen.  Er  hat  beobachtet,  dass  besonders 
die  Syringomyelie,  aber  auch  andere  zweifellos  spinale  Affec¬ 
tionen  wiederholt  Symptome  hervorriefen,  welche  jedem  ein¬ 
zelnen  Symptom  der  Paramyotonie  und  der  Myotonia  congenita 
(Rigidität  durch  Kälteeinwirkung,  Verschwinden  derselben  durch 
Wärme,  bisweilen  mechanische,  bisweilen  elektrische  myo¬ 
tonische  Reaction)  entsprechen.  Schlesinger  zog  daraus  den 
Schluss,  dass  bei  Vervollkommnung  unserer  Untersuchungs¬ 
methoden  in  einzelnen  Fällen  von  Myotonia  congenita  spinale 
Veränderungen  gefunden  werden  könnten.  Schlesinger 
weist  also  auf  Grund  seiner  Beobachtungen  mit  grosser  \  or- 


1224 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  52 


sicht  and  nur  mit  Beziehung  auf  einzelne  Fälle  von  congenitaler 
Myotonie  auf  das  Rückenmark  als  Sitz  der  Erkrankung  hin. 

Als  Gegenbeweis  gegen  die  spinale  Auffassung  des  Leidens 
können  die  bis  nun  negativen  Befunde  der  spärlichen  Sectionen 
nicht  verwerthet  werden.  Diese  Befunde  sprechen,  zusammen¬ 
gehalten  mit  dem  Fehlen  der  Entartungsreaction  beim  Morbus 
Thomsen,  nur  dafür,  dass  grobe  Degeneration  des  cen¬ 
tralen  und  peripheren  Nervensystems  bei  diesem  Leiden  fehlt. 
Mit  den  jetzigen  neurologischen  Untersuchungsmethoden  ist  es 
für  eine  Reihe  von  Erkrankungen,  welche  auf  Veränderungen 
des  Centralnervensystems  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  beruhen, 
bisher  noch  nicht  gelungen,  diese  Veränderungen  zu  linden. 
Dass  dies  auch  bei  der  T  h  o  m  s  e  n’schen  Erkrankung  sich  so 
verhält,  kann  schon  aus  dem  Grunde  nicht  wundersam  er¬ 
scheinen,  weil  es  sich  bei  dieser  nicht  um  grobe  anatomische 
Veränderungen,  sondern  nur  um  feinste  Structurveränderungen 
der  Ganglienzellen  oder  Nervenfasern  handeln  dürfte.  Der  Um¬ 
stand,  dass  das  Leiden  das  ganze  Leben  stationär  bleibt  und 
besonders  die  Thatsache,  dass  die  nach  der  Ruhe  vorhandene 
Bewegungsstörung  schon  nach  einigen  willkürlichen  Bewegungen 
verschwindet,  sprechen  dafür. 

Schon  vor  Jahren  wurde  (von  Hlavaczek)  empfohlen, 
bei  myotonischen  Kindern  in  den  ersten  Lebensmonaten  ein 
excidirtes  Muskelstückchen  mikroskopisch  zu  untersuchen;  in 
der  frühesten  Kindheit  (Fall  von  Friis,  einjähriges  Kind) 
fehlt  noch  die  myotonische  Reaction  (Erb),  obwohl  das  Kind" 
schon  deutlich  die  myotonische  Störung  aufweist.  Finden  sich 
in  diesem  Stadium  keine  Muskelveränderungen,  so  ist  die 
neurotische  Natur  des  Leidens  erwiesen.  Um  diese  Veränderungen 
des  Nervensystems  zu  linden,  wird  freilich  eine  Vervoll¬ 
kommnung  der  Untersuchungsmethoden  vorausgehen  müssen, 
und  es  ist  mit  Rücksicht  auf  die  oben  begründete  Aunabme 
von  blos  feinsten  Veränderungen  wohl  möglich,  dass  bis  zur 
anatomischen  Sicherstellung  der  letzten  Ursache  des  Morbus 
Thomsen  noch  viele  Jahre  vergehen  werden. 

Wir  fassen  in  Berücksichtigung  obiger 
Gründe  die  congenitale  Myotonie  als  spinales 
Leiden  auf. 

An  die  Untersuchung  der  Sioffwechselvorgänge  in  der 
Richtung  der  Angaben  von  Karpinsky,  A  Ibis,  Mol¬ 
ts  chan  off  traten  wir  mit  sehr  geringen  Erwartungen  eines 
positiven  Ergebnisses  heran.  Abgesehen  davon,  dass  wir  —  wie 
oben  erwähnt  —  gar  keine  genaueren  Angaben  seitens  dieser 
Autoren  auflinden  konnten,  hatte  eine  von  Nalbandoff  an- 
gestellte  Harnanalyse  bei  zwei  Brüdern  mit  T  h  o  m  s  e  n’scher 
Krankheit,  welche  beim  älteren  mit  Tabes  dorsalis  combinirt 
war,  weder  Vermehrung  des  Creatinins,  noch  Verminderung 
der  Harnsäure  ergeben  (Neurologisches  Centralblatt.  1899, 
pag.-  336). 

Wie  aus  der  im  Status  praesens  mitgetheilten  quantitativen 
Harnanalyse  hervorgeht,  findet  sich  auch  bei  unserem  Kranken 
weder  eine  vermehrte  Creatinin-,  noch  eine  verminderte  Harn¬ 
säureausscheidung,  noch  auch  sind  die  von  Karpinsky  an¬ 
gegebenen  Unterschiede  in  der  Zusammensetzung  des  Tag- 
und  des  Nachtharnes  vorhanden.  Wir  gingen  nun  daran,  fest¬ 
zustellen,  ob  überhaupt  eine  Störung  in  der  Harnsäure-  und 
Creatininbildung  im  Organismus  unseres  Kranken  zu  linden 
sei,  ob  das  Verhältniss  des  im  Körper  selbst  gebildeten 
(endogenen)  Antheiles  dieser  Stoffe  zu  dem  aus  der  Nahrung 
stammenden  (exogenen)  Antheile  abweiche  von  dem  bei 
Gesunden  gefundenen.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  der  Kranke 
drei  Tage  lang  auf  Milch-,  Käse-,  Eierkost  gesetzt.  So 
schlossen  wir  einerseits  alle  exogenen  Harnpurine  aus 
und  konnten  somit  nur  mehr  die  im  Organismus  selbst  ge¬ 
bildete  (endogene)  Harnsäure  im  Harne  vorlinden  und  anderer¬ 
seits  war  damit  auch  der  aus  der  Nahrung  (dem  Fleische)  sich 
bildende  Antheil  des  Harn-Creatinins  eliminirt.  Nach  neueren 
Untersuchungen  (Burian  und  Schur,  Pfltiger’s  Archiv. 
1900,  Nr.  6,  vom  17.  Mai)  verhält  sich  die  Harnsäure¬ 
ausscheidung  bei  gemischter  Kost  (also  exogene  und  endogene 
Harnsäure)  zur  Harnsäure-Ausscheidung  bei  Milch-,  Käse-, 
Eier-Kost  (blos  endogener  Harnsäure)  etwa  wie  0'522:0'393 
oder  ein  anderes  Mal,  wie  0*894:  0*570.  Wir  sammelten  am 


dritten  Tage  der  Milch-,  Käse-,  Eier  Diät  unseres  Kranken 
die  24sttindige  Harnmenge.  Herr  Dr.  Adolf  Jolles  unter¬ 
nahm  eine  quantitative  Bestimmung  derselben. 

24stündige  Harnmenge  1680 cwC: 

Specilisches  Gewicht  .  .  .  L024 

Acidität  entspricht ....  4*151  g  Oxalsäure 

Chlornatrium . 24*39  g 

Gesammt-Phosphoi^äure  .  .  3*572# 

Creatinin .  0*786# 

Harnsäure . .  0  5512# 

Gesammt-Stickstoff  .  .  .  1 3*034 1  <7 

Harnstoff . 28*52  g 

dieser  Analyse  waren  also  0*33  Harnsäure  pro  mille, 
Analyse  L  11  d  w  i  g’s  0*498%n.  Die  Gesammt- 


Bei 
bei  der 
Harnsäure 
Harnsäure 


0*498 %o: 

unseres  Kranken  verhält  sich  mithin  zur  endogenen 
wie  0*498:0*33.  Die  Relation  entspricht  also  der 
Relation  beim  gesunden  Menschen. 

Bei  dieser  Analyse  war  0'46  Creatinin  pro  mille,  bei  der 
Analyse  Ludwig’s  0‘7585%o-  Es  findet  sich  bei 
unserem  Kranken  mithin  auch  keine  Vermehrung  der  endogenen 
Creatininbildung. 

eine  Stoffwechselstörung  von  der 
M  0 1 1  s  c  h  a  n  o  f  f ,  Karpinsky 
nicht  vorhanden. 

wir  eine  angenehme  Pflicht,  indem 
wir  unserem  verehrten  Cbef  für  die  Ueberlassung  des  Falles, 
sowie  den  in  der  Abhandlung  namentlich  Angeführten  für  ihre 
gütige  Unterstützung  der  Arbeit  unseren  Dank  aussprechen. 


In 


Falle  ist 
A  1  b  i  s, 


unserem 

Art,  wie  sie  von  ^  ^ 
angegeben  wurde,  demnach 
Zum  Schlüsse  erfüllen 


Ein  Fall  von  Milzexstirpation  wegen  hyper¬ 
trophischer  Wandermilz.*) 

Von  Dr.  Karl  Schwarz,  Primararzt  im  Spitale  der  Barmherzigen  Brüder 

in  Agram. 

R  y  d  y  g  i  e  r’s  ')  Empfehlung,  die  Splenektomie  bei 
Wandermilz  durch  die  künstliche  Fixation  der  dislocirten  Milz, 
die  Splenopexie,  zu  ersetzen,  hat  in  der  That  etwas  Be 
stechendes;  wird  ja  dadurch  die  Milz,  ein  gewiss  nicht  werik- 
loses  Organ,  geschont.  Die  Idee  der  Splenopexie  wurde  auch 
sofort  von  den  verschiedensten  Seiten  aufgegriffen,  nur  ihre 
.Ausführung  erlitt  ebenso  verschiedene  Modiflcationen  und 
Modiricatiönchen. 

Während  Ry dygier  die  Milz  in  eine  Tasche  steckte, 
welche  durch  Ablösen  des  parietalen  Peritonealblattes  von  der 
inneren  Brustwand  gebildet  wurde,  befestigte  Bardenheuer2) 
nach  einer  eigenen  Methode  die  Milz  in  eine  retroperitoneale 
Tasche  und  fixirte  sie  noch  ausserdem  an  der  zehnten  Rippe. 
Sykow3)  schlug  sogar  vor,  die  Milz  in  ein  Netz  von  Catgut¬ 
fäden  einzusehliessen.  Kower4)  ging  (noch  vor  Rydygier) 
so  vor,  dass  er  mittelst  Lendenschnittes  das  Peritoneum  unter 
der  Niere  eröffnete,  und  durch  Druck  auf  die  Bauchdecken 
die  Milz  der  Wundöffnung  gegenüber  brachte,  und  an  dieser 
Stelle  durch  einen  Compressivverband  erhielt.  Auf  diese  Weise 
wurden  zwei  Fälle  operirt,  einer  genas,  der  andere  recidivirte. 
Gioidano5)  schob  eine  hypertrophische  Wandermilz  hoch 
hinauf  unter  das  Zwerchfell  und  befestigte  sie  dort  durch 
tiefgreifende  Nähte  an  Bauchfell  und  Fascie.  Greiffen- 
hagen’s0)  Methode  beruht  auf  den  Grundsätzen  über  opera¬ 
tive  Fixation  der  Wanderniere.  Von  einem  Lendenschnitt  aus 
wird  die  Milz  an  das  Bauchfell  und  die  Musculatur  durch 
tiefgreifende  Seidennähte  befestigt.  Auch  Cordero7)  plaidirt 
auf  Grund  von  Thierexperimenten  für  die  mittelst  Milznaht 
herbeigeführte  Splenopexie.  Franke8)  empfiehlt  eine  Com¬ 
bination  der  Schnittführungen  von  Rydygier  und  Barden¬ 
heuer  zur  Annähung  einer  Wandermilz.  M  a  r  g  a  r  u  c  c  i <J) 
führte  eine  abdominale  Splenopexie  aus,  indem  er  in  dem 
klaffenden,  parallel  dem  linken  Rippenbogen  ausgeführten 
Bauchschnitt  die  sich  in  denselben  einklemmende  Milz  fixirte. 
Burci  und  Anzilotti10)  sind  Fürsprecher  einer  von  ihnen 

*)  Vortrag,  gehalten  in  der  Gesellschaft  der  Aerzte  der  Königreiche 
Croatien  und  Slavonien. 


Nr.  52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1225 


angegebenen  extraperitonealen  Splenopexie.  Houzel  ")  führte, 
analog  der  J  a  b  o  u  1  ay’schen  Exothyreopexie,  eine  wenig  zur 
Nachahmung  aneifernde  Exosplenopexie  aus,  indem  er 
den  grösseren  Theil  des  riesigen  Milztumors  ausserhalb  der 
Bauchhöhle  lagerte  und  in  dieser  Lage  Milzkapsel  mit  Perito¬ 
neum  parietale  vernähte.  Nach  beängstigender  Jauchung  und 
Abstossung  eines  mannskopfgrossen  Milzsequesters  kam  der 
Fall  schliesslich  zur  Heilung. 

Diesen  verschiedenen  conservativ-operativen  Methoden, 
die  man  wohl  zweckmässig  in  zwei  Hauptgruppen  scheiden 
kann,  in  die  intra-  und  extraperitoneale  Spleno¬ 
pexie,  steht  nach  wie  vor  zur  Heilung  der  Wandermilz  die 
Radicalmethode,  die  Milzexstirpation,  gegenüber.  Welcher 
sollen  w’ir  den  Vorzug  geben?  Bevor  wir  uns  dieser  Frage  zu¬ 
wenden.  mag  der  von  uns  operirte  Fall  mitgetheilt  werden. 

Anamnese:  Marie  G.,  36  Jahre  alt,  verheiratet,  aus  Dja- 
kovo,  den  2.  October  1900  in  unser  Spital  aufgenonnnen,  gibt 
an,  zuerst  vor  zwölf  Jahren  nach  der  übrigens  normalen  Geburt 
ihres  dritten  Kindes  eine  Geschwulst  in  der  Mitte  der  unteren 
Bauchgegend  bemerkt  zu  haben.  Selbe  nahm  allmälig  an  Grösse 
zu.  Schubweise,  und  zwar  nach  grösseren  Anstrengungen,  Tragen 
von  Lasten  u.  dgl.,  trat  eine  raschere  Grössenzunabme  der  Geschwulst 
ein,  die  dann  auch  mit  solchen  Beschwerden  verknüpft  war, 
Schwere,  Ziehen  im  Leib,  Schmerzen  in  der  Geschwulstgegend, 
dass  Patientin  gezwungen  war,  für  Tage  oder  Wochen  das  Bett 
zu  hüten,  worauf  sie  wieder  ihrer  Arbeit  nachgehen  konnte.  Mit 
dieser  Geschwulst  im  Leibe  machte  die  Patientin  noch  zwei 
Schwangerschaften  durch,  die  einen  normalen  Ablauf  nahmen.  In 
letzter  Zeit  ist  die  Geschwulst  wieder  rascher  gewachsen,  so  dass 
Patientin  seit  drei  Wochen  das  Bett  hütet.  Sie  ist  appetitlos,  der 
Stuhlgang  ist  normal.  Patientin  ist  sehr  geschwächt,  vollständig 
arbeitsunfähig.  Seit  vier  Monaten  cessiren  die  Menses.  Patientin  bat 
niemals  an  Malaria  gelitten.  Lues  wird  in  Abrede  gestellt. 

Status  praesens:  Patientin  klein,  mager,  blass.  Brust¬ 
organe  normal.  Die  untere  Bauchhälfte  erscheint  stark  vorgewölbt, 
um  ungefähr  entsprechend  der  Nabelhorizontalen  jäh  abzufallen,  so 
dass  die  stark  eingesunkene  obere  Baucbhälfte  in  auffallender 
Weise  gegen  die  mit  einer  nahezu  horizontalen  Linie  nach  oben 
abschliessende  ausgebauchte  untere  contrastirt.  Bei  der  Palpation 
ergibt  sich  ein  der  Symphyse  und  den  Darmbeinschaufeln  auf¬ 
ruhender,  derber  Tumor,  welcher  mit  einer  glatten,  convexen  Ober¬ 
fläche  den  Bauchdecken  anliegt  und  nach  oben,  entsprechend  der 
Nabelhorizontalen,  mit  einem  stumpfen,  mit  mehrfachen  Einkerbungen 
versehenen  Rande  endigt,  der  in  der  Mitte  eine  dem  Nabel  zuge¬ 
kehrte  Concavität  aufweist.  Dieser  Tumor  ist  nach  oben  verschieb¬ 
lich,  sein  Rand  lässt  sich  nach  hinten  senken  und  wieder  auf¬ 
richten.  Der  Tumor  entspricht  seiner  Form  und  Consistenz  nach 
einer  dislocirten,  enorm  vergrößerten  Milz.  Die  Milzdämpfung  an 
normaler  Stelle  wird  vermisst.  Die  Leberdämpfung  hat  normale 
Grenzen.  Keine  Lymphdrüsenschwellungen.  Keine  Knochenschmerz¬ 
haftigkeit. 

Portio  uteri  weich,  aufgelockert,  der  Muttermund  für  die 
Kuppe  des  Fingers  durchgängig.  Corpus  uteri  bimanuell  wegen  des 
vorliegenden  Tumors  nicht  zu  tasten.  Keine  Zeichen  von  über¬ 
standener-  Lues.  Die  Blutuntersuchung  ergibt  ein  normales  Verhält- 
niss  der  weissen  zu  den  rothen  Blutkörperchen.  (Eine  Zählung  der¬ 
selben  und  Hämoglobinbestimmung  konnte  aus  äusseren  Gründen 
nicht  vorgenommen  werden.) 

5.  October.  Laparotomie.  Schnitt  unterhalb  des  Nabels  bis 
nahe  zur  Symphyse.  Die  in  die  die  Bauchhöhle  eingeführte  Hand 
luxirt  zunächst  den  rechten  (unteren)  Pol  des  vorliegenden  Milz¬ 
tumors  und  dann  den  linken  (oberen).  Die  Milz,  die  ganz  frei  be¬ 
weglich  ist,  gleitet  heraus  und  hängt  nun  nur  an  einem  etwa  8  cm 
langen,  15  cm  breiten,  die  fingerdicken  Gefässe  enthaltenden  Stiel. 
Peripher  wird  derselbe  dicht  an  der  Milz  in  eine  grosse  Pince 
gefasst,  central  partienweise  unterbunden  und  dann  in  beträcht¬ 
licher  Entfernung  von  den  Ligaturen,  um  ein  Abgleiten  derselben 
zu  verhüten,  durchschnitten,  hierauf  die  grossen  Gefässe  noch  ein¬ 
zeln  gefasst  und  ligirt.  Versenkung  des  Stieles.  Schichtnaht  der 
Bauch  decken.  Die  ganze  Operation  hatte  kaum  eine  halbe  Stunde 
gedauert. 

Der  exstirpirte  Milztumor  ist  1200  <7  schwer,  hat  einen 
Längsdurchmesser  von  29  cm,  Breitendurchmesser  von  18  cm, 


Dickendurchmesser  von  13  cm  und  hat  die  Consistenz  eiuer 
normalen  Leber. 

Patientin,  die  schon  vor  der  Operation  einen  elenden,  kleinen, 
leicht  unterdrückbaren  Puls  gehabt  hatte,  und  der  deshalb  auch 
schon  vorher  Kochsalzhypodermoklysmen  applicirt  worden  waren, 
ist  nach  der  Operation  ziemlich  collabirl,  erholt  sich  jedoch  rasch. 
Abends  Temperatur  39‘7°.  Weiterhin  übersteigt  die  Temperatur 
niemals  37'8°.  Die  ersten  zwei  Tage  lebhaftes  Erbrechen.  Das 
Abdomen  ist  aufgetrieben,  die  aufgeblähten,  ruhenden  Darmschlingen 
sind  durch  die  Bauchdecken  deutlich  sichtbar.  Kein  Stuhl,  keine 
Winde.  Den  dritten  Tag  Stuhl.  Weiterhin  normaler  Verlauf.  Prima 
intentio. 

Patientin  ist  jetzt,  drei  Wochen  nach  der  Operation,  bedeutend 
erholt,  frei  von  Beschwerden  und  fühlt  sich  vollständig  wohl.  Bei 
der  Inspection  des  Abdomens  sieht  man  durch  die  dünnen  Bauch¬ 
decken  mit  grosser  Deutlichkeit  die  Darmperistaltik  und  fühlt  mit 
aufgelegter  Hand  die  Darmbewegungen.  Patientin  hat  keine  schmerz¬ 
hafte  Empfindung,  die  mit  diesen  Darmbewegungen  zusammenfiele. 
Offenbar  ist  die  deutliche  Sicht-  und  Tastbarkeit  derselben  nur 
eine  Folge  der  dünnen,  schlaffen  Bauchdecken.  Der  Genitalbefund 
ergibt  eine  Gravidität  im  fünften  Monate,  die  also  durch  die 
Operation  nicht  unterbrochen  wurde.  Keine  auffallende  Leukocytose. 
Keine  Schilddrüsenschwellung.  Keine  Schmerzhaftigkeit  der  Knochen. 

Also,  um  mit  wenigen  Worten  zu  recapituliren,  eine 
36jährige,  im  fünften  Monate  gravide  Frau  wurde  von  einer 
seit  zwölf  Jahren  bestehenden,  grosse  Beschwerden  verur¬ 
sachenden,  stetig  wachsenden,  schliesslich  die  ganze  untere 
Bauchhälfte  ausfüllenden,  hypertrophischen  Wandermilz  durch 
eine  sich  technisch  äusserst  einfach  gestaltende  Operation,  die 
Milzexstirpation,  befreit,  ohne  dass  die  Gravidität  unterbrochen 
oder  nachher  irgend  welche  Ausfallserscheinungen  aufgetreten 
wären.  Die  Patientin  wurde  geheilt. 

Die  oben  aufgeworfene  Frage,  ob  Milzexstirpation  oder 
eine  der  erwähnten  zehn  Methoden  von  Splenopexie,  war  für 
unseren  Fall  von  vornelierein  zu  Gunsten  der  Exstirpation  zu 
entscheiden}  ist  ja  auch  nach  Rydygier  »eine  allzu  bedeu¬ 
tende  Vergrösserung  der  Wandermilz«  eine  Contraindication 
gegen  seine  Splenopexie  und  in  unserem  Falle  hatte  der  Milz¬ 
tumor  das  mehr  als  fünffache  Gewicht  einer  normalen  Milz, 
das  nach  Henle  durchschnittlich  225 g  beträgt. 

Aber  selbst  für  Fälle  minder  hochgradiger  Hypertrophie 
scheint  mir  die  Erwartung  Rydygier’s,  »dass  in  Zukunft  bei 
der  Wandermilz  nicht  mehr  die  Splenektomie  ausgeführt 
werden  wird,  ebensowenig,  wie  wir  jetzt  bei  der  Wanderniere 
die  Nephrektomie  an  wenden«,  wie  plausibel  sie  auch  auf  den 
ersten  Blick  scheinen  mag,  nicht  ganz  berechtigt. 

Die  Analogie  der  Wanderniere  mit  der  Wandermilz  ist 
nur  eine  unvollkommene.  Unter  Wanderniere  verstehen  wir 
eine  abnorm  bewegliche  Niere,  die  aber  im  Uebrigen  in  der 
Regel  vollständig  gesund  ist.  Zur  Heilung  einer  solchen  sonst 
gesunden  Wanderniere  genügt  gewiss  die  Nephropexie.  Ist  aber 
die  Wanderniere  die  Folge  einer  anderweitigen  Erkrankung, 
der  Bildung  eines  Tumors,  einer  Cyste,  Hydronephrose  etc., 
so  ist  es  auch  bei  der  Wanderniere  nicht  mit  einer  einfachen 
Nephropexie  abgethan.  Die  Wandermilz  dagegen  ist  ein  be¬ 
weglich  gewordenes,  in  der  Regel  krankes  Organ.  »Dass  die 
normal  grosse  und  schwere  Milz  eine  erhebliche  Dislocation 
erfahren  könne,  wird  von  verschiedenen  Seiten  geleugnet« 
(Ledderhose.  12)  Vielleicht  in  allen  Fällen,  gewiss  aber  in  der 
Regel  ist  die  Wandermilz  voluminöser,  schwerer,  sie  ist  hyper¬ 
trophisch. 

Wenn  man,  um  dieses  nicht  normale  Organ  zu  conser- 
viren,  statt  der,  wie  allgemein  anerkannt,  einfacheren  Exstir¬ 
pation  mühsame,  umständliche,  complicirte  Operationen  wählt, 
so  müssen  dafür  gewichtige  Gründe  ins  Feld  geführt  werden. 
Diese  sind  nach  Rydygier: 

1.  Die  Gefährlichkeit  der  Splenektomie  auch  bei 
Wandermilz. 

.  Durch  Benützung  der  künstlich  gruppirten  Statistik  von 
Vulpius13),  welcher  die  Fälle  von  Wandermilz  mit  denen 
von  einfacher  idiopathischer  Vergrösserung  zusammenfasst 
berechnet  Rydygier  eine  Mortalität  von  31'2"/0.  Es  ist  aber 
klar,  dass  die  Exstirpation  einer  gut  gestielten,  frei  beweglichen 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Milz  und  einer  nicht  oder  wenig  beweglichen  idiopathisch- 
hypertrophischen,  in  der  Zwerchfellkuppe  adhärenten,  ganz 
verschiedene  Prognosen  geben.  Im  ersten  Fall  ist  die  Operation 
äusserst  einfach,  im  letzteren  kann  sie  wegen  der  eventuell 
schwer  zu  stillenden  Blutung  sich  sehr  schwierig  gestalten.  Es 
geht  daher  nicht  an,  diese  beiden  Gruppen  in  einen  Korb  zu 
werfen.  Die  jüngste,  von  Bessel  Hagen  14)  zusammengefasste 
Statistik,  die  correcter  Weise  die  Exstirpation  der  Wander¬ 
milz  für  sich  berechnet,  ergibt  folgende,  gewiss  nicht  als  un¬ 
günstig  zu  bezeichnende  Ziffern: 

a)  Totalexstirpation  bei  Wandermilz  in  Folge  von  Malaria 
bis  zum  Jahre  1890:  11  Fälle,  sämmtlich  geheilt; 

von  1891 — 1900:  15  Fälle,  davon  geheilt  14,  gestorben  1 

=  6*6%; 

b)  Totalexstirpation  bei  Wandermilz  mit  idiopathischer 
Hypertrophie: 

bis  zum  Jahre  1890:  17  Fälle,  davon  geheilt  14,  ge¬ 
storben  3  =  17'7%; 

von  1891 — -1900:  28  Fälle,  davon  geheilt  26,  gestorben  2 
=  7-1%. 

Diese  Resultate  sind  nun  keineswegs  entmuthigend. 

2.  Drohende  Ausfallserscheinungen.  Als  solche  werden 
angeführt:  multiple  Drüsenschwellungen,  leukämische  Zustände 
des  Blutes,  Schilddrüsenschwellungen,  Ausbildung  einer  Wander¬ 
niere,  eine  Verzögerung  der  Blutregeneration.  Dem  gegenüber 
ist  mit  Stierlin15)  zu  betonen,  dass  solche  Ausfallserschei¬ 
nungen  wohl  vorübergehend  beobachtet  worden  sind,  niemals 
aber  eine  dauernde  Schädigung  des  Organismus  oder  gar  einen 
tödtlichen  Ausgang  nach  sich  gezogen  haben. 

Auf  Grund  dieser  Betrachtungen  komme  ich  zu  folgenden 
Schlussfolgerungen  : 

1.  Im  Princip  ist  in  allen  Fällen  von  Wandermilz  die 
Splenektomie  der  complicirteren,  in  Bezug  auf  ihre  Dauer¬ 
resultate  unsicheren  Splenopexie  vorzuziehen. 

2.  In  denjenigen  Fällen  von  Wandermilz,  bei  denen  die 
Spenektomie  wegen  starker  Verwachsungen  oder  sonstiger 
Complieationen  schwer  ausführbar  und  gefährlich  erscheint,  ist 
eventuell  der  Splenopexie  nach  Rydygier  oder  Barden¬ 
heuer  der  Vorzug  zu  geben. 

3.  In  allen  Fällen  von  ganz  bedeutend  hypertrophirter 
Wandermilz  kommt  als  operative  Behandlung  einzig  und  allein 
die  Splenektomie  in  Frage. 

Literatur. 

‘)  Rydygier,  Wiener  klinische  Wochenschrift.  1895,  Nr.  24. 

*)  P  1  ü  c  k  e  r,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1895,  Nr.  40. 

3)  S  y  k  o  w,  Wratsch.  1895,  Nr.  36.  Referirt  in:  Centralblatt  für 
Chirurgie.  1895,  Nr.  43;  Langenbeck’s  Archiv.  Bd.  LI,  Heft  3. 

4)  Kower,  Nederl.  Tijdsehrift  voor  Geneeskunde.  1895,  Nr.  15. 
Referirt  in :  Centralblatt  für  Chirurgie.  1896,  Nr.  3. 

5)  Giordano,  Riforma  medica.  1896,  Nr.  32.  Referirt  in:  Central¬ 
blatt  für  Chirurgie.  1896,  Nr.  37. 

’)  Greiffenhagen,  Central blatt  für  Chirurgie.  1897,  Nr.  5. 

9  Cordero,  Policlinico.  1897,  1.  Juli.  Referirt  in:  Centralblatt 
für  Chirurgie.  1898,  Nr.  5. 

8)  Franke,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XLVII, 
pag.  580. 

°)  Margarucci,  Centralblatt  für  Chirurgie.  1899,  Nr.  39. 

'")  Burci  und  Angilotti,  Ceutralblatt  für  Chirurgie.  1898, 
Nr.  51. 

")  11  ouzel,  Arch.  prov.  de  Chir.  1898,  Nr.  7.  Referirt  in:  Central¬ 
blatt  für  Chirurgie.  1898,  Nr.  48. 

,2)  Ledder  hose,  Deutsche  Chirurgie.  Lieferung  45  b,  pag.  138. 

•’’)  Vulpius,  Bruns’  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Bd.  XI, 

Heft  3. 

!4)  Bessel  II  a  g  e  n,  '  Archiv  für  klinische  Chirurgie.  Bd.  LXII, 
Heft  1. 

1:‘)  Stierlin,  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie.  Bd.  XLV. 
pag.  328. 


Modification  des  Breisky-Speculum  als  selbst¬ 
haltendes. 

Von  Doceut  Dr.  Ludwig  Knapp  (Prag). 

Im  Folgenden  soll  über  einen  Versuch,  das  bekannte 
B  r  e  i  s  k  y’sche  Speculum  als  s  e  1  b  s  t  h  a  1 1  e  n  d  e  s  zu  ver¬ 
wenden,  in  Kürze  berichtet  werden. 


Der  in  dieser  Weise  modificirte  Spiegel  besteht  aus  zwei, 
der  Form  nach  unveränderten  Spiegelpaaren  nach  Breisky, 
mit  je  einem  schmäleren  und  breiteren  Blatte. 

An  dem  als  Depressor  perinaei  zu  verwendenden  Platten¬ 
paare  befindet  sich  an  beiden  Blättern,  der  rechten  Hand 

Fig.  1. 


Spiegel  in  der  Seitenansicht,  getrennt. 

bequem  zugänglich,  je  eine  mittelst  einer  Flügelschraube  leicht 
bewegliche  Zahntriebvorrichtung,  analog  jener  von  Trelat. 
An  dem  oberen  Ende  dieses  Zangentriebes  ist  eine  kleine 
Schiene  angebracht;  diese  ist  dazu  bestimmt,  das  als  vorderen 
Spiegel  zu  benützende  Speculum  aufzunehmen  und  zu  fixiren, 
zu  welchem  Zwecke  an  letzterem  eine  entsprechende  Führung 
angebracht  ist.  Durch  Anziehen  der  Flügelschraube  lassen 


Spiegel  in  der  Vorderansicht,  verbunden. 

sich  die  jeweils  zur  Einstellung  beniilzten  Spiegelplatten  im 
Bereiche  des  durch  die  Zahntriebstange  gegebenen  Spielraumes 
von  einander  entfernen  und  dadurch  die  Scheide  entfalten. 
In  dieser  Stellung  hält  sich  der  Spiegel  von 
selbst. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1227 


Entfernt  wird  der  Spiegel,  indem  man  entweder  die 
Triebstange  zurückschraubt  und  darnach  beide  Scheidenblätter 
auf  einmal,  oder  nach  Entfernung  des  vorderen  Blattes  aus 
seiner  Führung,  jedes  Blatt  einzeln  zurückzieht. 


Fig.  3. 


Spiegel  in  situ,  selbsthaltend. 


Nach  Entfernung  des  Zahntriebes  kann  jedes  Spiegel¬ 
paar  für  sich,  nach  Art  seiner  ursprünglichen  Anwendung 
benützt  werden;  ebenso  stehen  in  den  gewählten  Zusammen¬ 
stellungen  zwei  verschiedene  Combinationen  selbst¬ 
haltender  Spiegel  zur  Verfügung. 

Durch  die  Leichtigkeit,  das  durchaus  uncomplicirte  In¬ 
strument  rasch  zerlegen  und  dessen  einzelne  Theile  sterilisiren 
zu  können,  ist  den  Forderungen  der  Asepsis  entsprochen. 


Fig.  4. 


Flügelschraube,  Zahntrieb,  Fixirschraube. 

Das  Modell  des  beschriebenen,  handlichen  und  zusammen¬ 
gelegt  äusserst  wenig  Raum  beanspruchenden  Spiegels  wurde 
nach  meinen  Angaben  bei  Waldek  &  Wagner  (Prag, 
Graben  22)  angefertigt;  Aenderungen  in  der  Form  und  Grösse 
der  Spiegelblätter  bleiben  nach  Bedarf  Vorbehalten. 


REFERATE. 

Grundriss  der  inneren  Medicin. 

Von  0.  Liebermeister. 

Tübingen  1 900,  Fr.  Pietzker. 

Das  vorliegende  Buch  hat  nach  dem  vom  Verfasser  gegebenen 
Vorworte  die  Bestimmung,  in  erster  Linie  den  Studirenden  der 
Medicin  als  Vorbereitung  für  die  Klinik  zu  dienen,  eventuell  auch 
für  den  Gebrauch  der  praktischen  Aerzte.  Für  den  Studirenden 
dürfte  sich  der  Grundriss,  welcher  in  knapper,'  leichtfasslicher  Form 
das  Wichtigste  über  die  verschiedenen  Erkrankungen  bringt,  gewiss 
sehr  gut  eignen.  Da  das  Buch  aber  auch  für  praktische  Aerzte 
bestimmt  sein  soll,  und  die  diagnostischen  Gesichtspunkte  gewiss 
zu  dem  praktisch  Wichtigsten  gehören,  würde  es  sich  hei  einer 
Neuauflage  des  Buches  meiner  Ansicht  nach  vielleicht  empfehlen, 
wenn  der  Diagnose  der  einzelnen  Erkrankungen  eine  etwas  ein¬ 
gehendere  Beschreibung  gewidmet  würde.  Wenn  ich  auch  weiterhin 
gewiss  der  Meinung  des  Autors  bin,  dass  Geisteskrankheiten,  Haut¬ 
krankheiten  und  Syphilis  nicht  in  den  Rahmen  eines  solchen 
Grundrisses  der  inneren  Medicin  gehören,  so  würde  ich  doch  die 
Aufnahme  der  Vergiftungen  in  eine  neue  Auflage  des  Buches 
befürworten,  da  die  Lehre  von  diesen  namentlich  in  praktischer 
Hinsicht  bisher  doch  der  inneren  Medicin  zufällt. 


Das  Buch,  welches  in  sehr  hübscher  Ausstattung  erschienen 
ist,  zu  dessen  Vorzügen  sich  auch  noch  ein  billiger  Preis  gesellt, 
dürfte  bald  zu  einem  beliebten  Rathgeber  für  den  jungen  Stu¬ 
direnden  der  Medicin  werden. 

* 

Entfettungscuren. 

Von  Prof.  Dr.  E.  H.  Kisch. 

Berlin  1900,  Tb.  Hoffmann. 

Kisch  gibt,  nachdem  er  zuerst  über  die  Ursachen  und 
Folgen  der  abnormen  Fettleibigkeit,  sowie  die  wichtigsten 
Grundlagen  jedweder  Entfettungstherapie  gesprochen  hat,  eine 
Uebersicht  der  wichtigsten-,  Entfettung  bezweckenden  E  r  n  ä  hrungs- 
systeme,  so  seiner  eigenen  Methode,  der  Banting-Cur,  der 
E  b  s  t  e  i  n’schen,  0  e  r  t  e  l’schen,  H  i  r  s  c  h  f  e  1  d'schen,  Schwe¬ 
ll  i  n  g  e  r'schen  und  v.  N  o  o  r  d  e  n’schen  Entfettungsmethode,  der 
Systeme  einiger  französischer  Aerzte,  der  zur  Entfettung  an¬ 
gewandten  Milchdiät  und  des  Trainings  der  Sportsleute,  dann 
spricht  er  über  Entfettung  durch  körperliche  Bewegung,  durch 
Mineralwässer  und  Bäder,  sowie  endlich  durch  Medicamente.  Er 
geht  dabei  kritisch  vor,  wozu  er  ja  gewiss  schon  als  langjähriger 
Arzt  in  dem  zum  grossen  Theile  von  Fettleibigen  besuchten  Gur¬ 
orte  Marienhad  in  vollem  Masse  berechtigt  ist.  Sehr  richtig  er¬ 
schienen  uns  besonders  seine  Aeusserungen  über  die  therapeutische 
Verwendung  des  Radfahrens  und  anderer  körperlicher  Hebungen  hei 
Fettleibigkeit,  da  gewiss  heutzutage  mitunter  in  nicht  vollständig- 
rationeller  Weise  derartige  körperliche  Hebungen  ohne  genaue 
Individualisirung  des  Zustandes  eines  Fettleibigen  verordnet  werden. 
Er  gibt  auch  Beispiele  von  Kostordnungen  mit  Angabe  der  Gewichts¬ 
verhältnisse,  in  denen  die  Nahrungsmittel  genossen  werden  sollen, 
warnt  dabei  aber  zu  wiederholten  Malen  vor  schablonenhaftem 
Vorgehen.  Es  stellt  sich  das  Büchlein  als  eine  empfehlenswertho, 
klare  und  deutliche  Uebersicht  der  wichtigsten  einschlägigen 
Fragen  dar. 

* 

Die  Divertikel  der  Speiseröhre. 

Von  Dr.  Hugo  Starck. 

Leipzig  1900,  Vogel. 

Eine  sehr  werthvolle  Bereicherung  der  Monographienliteratur 
wird  uns  durch  diese  Arbeit  Starck’s  geboten.  Durch  genaues 
Studium  der  Literatur,  wobei  Starck  vielfache,  durch  mangelhafte 
Citate  hervorgerufene  Irrthümer  berichtigt,  sowie  auf  Grund  einer 
Reihe  eigener  Beobachtungen  wurde  er  in  den  Stand  gesetzt,  eine 
gewissenhafte,  streng  wissenschaftliche  Bearbeitung  der  Oesophagus- 
divertikel  zu  geben.  Der  erste  Abschnitt  ist  den  Tractionsdivertikeln 
gewidmet,  über  deren  Wesen  und  klinischen  Verlauf  Starck  uns 
ein  sehr  klares  und  deutliches  Bild  entwirft. 

Besonders  möchte  ich  aber  den  zweiten  Theil  der  Mono¬ 
graphie  hervorheben,  welcher  von  den  Pulsionsdivertikeln 
der  Speiseröhre  handelt.  Der  Gegenstand  ist  namentlich  bezüglich 
der  ätiologischen  Seite  ein  ausserordentlich  schwieriger. 

Die  Eintheilung  dieser  Divertikel,  welche  Starck  vorschlägt, 
ist  folgende: 

1.  Divertikel  des  Pharynx; 

2.  Z  e  n  k  e  r'sche  Pulsionsdivertikel  oder  pharyngo-ösophageale 
Pulsionsdivertikel; 

3.  Divertikel  des  Oesophagus  (ösophageale  Pulsionsdivertikel). 

Während  er  sich  mit  der  ersten  Kategorie  nur  im  Zusammen¬ 
hänge  mit  den  Z  e  n  k  e  r’schen  Divertikeln  beschäftigt ,  erfahren 
besonders  diese  eine  sehr  ausführliche  Würdigung,  umsomehr,  als 
Starck  über  sechs  eigene  diesbezügliche  Beobachtungen  verfügt. 
Die  Aetiologie  der  Divertikel,  welche  so  viel  Staub  aufgewirbelt 
hat,  wird  mit  allen  Theorien,  welche  durch  ihre  Zahl  schon  für 
die  Schwierigkeit  der  Erklärung  sprechen,  in  genauester  Weise 
erörtert.  Die  Theorien  der  congenitalen  Anlage,  als  da  sind 
Hemmungsbildungen  bei  Differenzirungen  von  Oesophagus  und 
Lunge,  Bildungsanomalien  im  Bereich  der  Kiemenfurchen,  Alb  rech  fs 
atavistische  Theorie  werden  mit  allen  pro  und  contra  sprechenden 
Gründen  auseinandergesetzt  und  widerlegt,  während  die  Z  e  n  k  e  r- 
Ziem.sse  n’sche  Theorie  des  mechanischen  Entstehens  der 
Divertikel  von  Starck  als  die  richtige  angesehen  wird,  wobei  er 
allerdings  die  schon  von  Geburt  an  vorhandene  geringere  Wider¬ 
standsfähigkeit  des  dreieckigen  Raumes  an  der  hinteren  Pharynx¬ 
wand  als  unterstützendes  Moment  für  die  Entstehung  vieler 


1228 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr. 


Zcnker’scher  Divertikel  im  Sinne  dieses  Autors  anerkennt.  Sehr 
interessant  ist  dabei  die  von  II  i  s  dem  Autor  der  Monographie  auf 
dessen  Befragen  geäusserte  Ansicht,  dass  vielleicht  die  beim  Embryo 
im  zweiten  Monate  erfolgende  Nackenkrümmung  für  die  stellen¬ 
weise  Undichtheit  der  Musculatur  an  der  hinteren  Pharynxwand 
am  Uebergange  in  den  Oesophagus  prädisponirend  sei. 

In  erschöpfender  Weise  wird  die  Symptomatologie,  Prognose 
und  Therapie  dieser  Divertikelformen  besprochen  und  ich  möchte 
namentlich  auch  bezüglich  dieser  Capitel  neben  dem  Inhalte  die 
formvollendete,  plastische  Darstellungsweise  des  Verfassers  betonen, 
welche  ja  gerade  für  die  Schilderung  von  Krankheitsbildern  die 
grösste  Wichtigkeit  besitzt. 

Den  letzten  Abschnitt  bildet  die  Besprechung  der  Pulsions- 
divertikel  des  Oesophagus  unterhalb  der  Stelle,  an  welcher  die 
Zenker'schen  zu  sitzen  pflegen.  Die  bei  diesen  Divertikeln  un¬ 
gleich  schwierigere  Diagnose,  welche  viel  complicirtere  Untersuchungs¬ 
methoden  erfordert,  wird  uns  mit  genauer,  ebenso  präciser  Angabe 
dieser  letzteren  vorgeführt  und  dabei  besonders  auch  der  Rönt¬ 
gen-Untersuchung  gedacht,  welche  vielleicht  gerade  für  diese  Er¬ 
krankung  eine  gewisse  Zukunft  besitzt. 

* 

Ueber  .schwere  Eitercocceninfection  (sogenannte  Blut¬ 
vergiftung) 

Von  Georg  Meyer. 

Sammlung  klinischer  Vorträge,  begründet  von  Richard  v.  Volkmann. 

Nr.  282. 

Leipzig  1900,  Breitkopf  und  II  arte  1. 

Die  vorliegende  Abhandlung  bildet  das  zwölfte  Heft  der 
zehnten  Serie  der  Vo  1  k  m  a  n  n’schen  »Sammlung  klinischer  Vor¬ 
träge«.  Sie  gibt  eine  mit  zahlreichen  Beispielen  aus  der  chirur¬ 
gischen  Praxis  des  Verfassers  illustrirte  Darstellung  der  verschie¬ 
denen  Arten  schwerer  »Blutvergiftung«.  Verfasser  empfiehlt  besonders, 
die  älteren  Ausdrücke,  wie  Sepsis,  Pyämie,  welche  mitunter  zu 
irriger  Auffassung  Anlass  geben,  zu  beseitigen,  und  die  einfacheren, 
unter  Anderen  von  Kocher  empfohlenen  Ausdrucksweisen  »Mykose«, 
Bacteriämie«  und  »Toxämie«  einzuführen,  Verfasser  gibt  an  der 
Hand  seines  Beobachtungsmaterials  zahlreiche  Winke,  wie  sich  der 
Arzt  bei  der  Differentialdiagnose  und  Therapie  der  verschiedenen 
Formen  der  Blutvergiftung  zu  verhalten  habe.  Das  Schriftchen 
kann  als  guter  Berather  in  solchen  Fällen  dem  praktischen  Arzte 
warm  empfohlen  werden. 

* 

Die  Gallensteinkrankheit  und  ihre  Behandlung. 

Von  Docent  Dr.  Johannes  Müller. 

Würzburger  Abhandlungen  aus  dem  Gesammtgebiet  der  praktischen  Medicin 

Bd.  I,  Heft  2. 

W  ii  r  z  b  u  r  g  1 900,  Stüber. 

In  dem  Prospecte  zu  den  Würzburger  Abhandlungen 
wird  als  Zweck  des  literarischen  Unternehmens  angegeben,  in  kür¬ 
zeren  Aufsätzen,  in  knapper  Form  und  dabei  doch  möglichster 
Vollständigkeit  den  praktischen  Arzt  über  den  gegenwärtigen  Stand 
praktisch  wichtiger  Fragen  zu  unterrichten. 

Zu  den  Fragen,  welche  in  letzter  Zeit  sehr  bedeutende 
Neuerungen  erfahren  haben,  gehört  nun  zweifellos  die  Behandlung 
der  Cholelithiasis.  Es  war  daher  gewiss  ein  verdienstvolles 
Werk,  welches  der  eine  der  Herausgeber  der  »Würzburger  Ab¬ 
handlungen«,  Dr.  J  o  h.  Müller,  dadurch  ausgeführt  hat,  dass  er 
die  Besprechung  der  Cholelithiasis  zum  Gegenstände  eines  der 
ersten  Hefte  der  Abhandlungen  machte.  Und  es  ist  ihm  in  der 
That  gelungen,  in  diesem  Hefte  der  im  Prospect  geäusserten  Absicht 
gerecht  zu  werden.  In  klarer,  übersichtlicher  Weise  bespricht  er 
die  ätiologische,  chemische,  pathologische,  anatomische  und  klini¬ 
sche  Seite  dieser  Erkrankung.  Die  heutzutage  durch  die  grossen 
Erfolge  der  Gallensteinchirurgie  immer  mehr  sich  ver¬ 
breitende  chirurgische  Behandlung  der  Cholelithiasis  erfährt  nament¬ 
lich  bezüglich  der  Indicationsstellung  gleichfalls  eine  dem  knappen 
Umfange  des  Heftes  entsprechende  Würdigung,  wobei  sich  Müller 
jedweder  zu  sanguinischen  Auffassung  enthält,  indem  er  auf  den 
noch  nicht  einheitlichen  Standpunkt  der  Chirurgen  und  Internisten 
in  der  Indicationsstellung  verweist,  dabei  jedoch  eine  Reihe  von 
Erscheinungsformen  der  Cholelithiasis  als  gesicherte  Indicationen 
zur  Operation  in,  wie  mir  scheint,  sehr  richtiger  Weise  hervorhebt. 
Nur  in  einem  Punkte,  und  zwar  in  der  Besprechung  des  Harn¬ 
befundes,  möchte  ich  mich  nicht  ganz  einverstanden  erklären, 


nämlich  mit  der  Erklärung  des  Auftretens  von  Urobilin  im 
Harne,  indem  die  von  dem  Verfasser  als  sicher  bezeichnete  Ent¬ 
stehung  des  Urobilins  durch  Reduction  des  Bilirubins  im  Darme 
ja  heute  vielfach  bezweifelt  wird. 

Der  praktische  Arzt  wird,  wenn  die  Würzburger  Abhand¬ 
lungen  in  solcher  Weise  fortgesetzt  werden,  jedenfalls  mit  grösstem 
Nutzen  von  ihnen  Gebrauch  machen  können.  C.  H  ö  d  1  m  o  s  e  r. 


AUS  VERSCHIEDENEN  ZEITSCHRIFTEN. 

576.  Ueber  Krebsbehandlung  mittelst  Injection 

eines  anticellulären  Serums.  Von  Lucas-Cha  m  p  i  o  n- 
n  i  e  r  e.  (Aeademie  de  medicine,  Paris.)  Vortragender  bespricht  das 
von  Wlaeff  (St.  Petersburg)  dargestellte  Serum  zur  Behandlung 
maligner  Tumoren.  Die  im  Krebse  und  malignen  Tumoren  über- 
haupt  vorkommenden  Parasiten  (Blastomyceten)  sollen,  Thieren 
inoculirt,  Infection,  adenoide  Geschwülste,  jedoch  keinen  Krebs  er¬ 
zeugen.  Wlaeff  hat  durch  Immunisirung  ein  wirksames  Serum 
nur  bei  Vögeln  erhalten;  die  mit  Blastomyceten  inoculirten  Ratten, 
welchen  wöchentlich  0  5 —  1  c/n3  Serum  injicirt  wurden,  blieben 
wohlauf,  die  anderen  nur  inoculirten  Thiere  gingen  kachektisch 
zu  Grunde.  Unter  dem  Einflüsse  des  Serums  nekrotisiren  die  Ge¬ 
schwülste,  tritt  Vernarbung  ein;  die  Blastomyceten  werden  von 
polynucleären  Zellen  oder  reichlichen  Leukocyten  eingeschlossen. 
Wlaeff  hat  sein  Serum  nur  bei  inoperablen  Krebskranken 
erprobt:  der  Erste  mit  Epitheliom  der  Zunge  und  Drüsenschwellung 
war  nach  sechs  Injectionen  gebessert,  wurde  operirt;  die  geschwürig 
gewordene  Narbe  schloss  sich  nach  neuerlichen  Einspritzungen: 
endlich  wurden  die  Submaxillardrüsen  enucleirt.  Auch  Referent 
beobachtete  in  einem  Falle  Abnahme  der  Geschwulst  (Zungen¬ 
epitheliom),  Abschwellung  der  Lymphdrüsen,  Aufhören  der  Schmerzen 
nach  sechsmonatlicher  Behandlung.  Nach  Berger  und  Regnier 
wurde  bei  Wlaeff’s  Kranken  nie  Heilung,  auch  keine  Tendenz 
zur  Heilung,  wohl  aber  ein  günstiger  Einfluss  der  Serum¬ 
behandlung  wahrgenommen.  Ausserdem  schienen  die  Geschwülste 
zurückzugehen;  Hämorrhagien  (Rectumkrebs),  Oedeme  und  Salivation 
(Zungenkrebs)  verminderten  sich.  Die  Schmerzen  schienen  that- 
sächlich  nachzulassen,  das  Körpergewicht  nahm  zu,  Stillstand  der 
Krankheit  vorübergehend,  wie  dies  auch  bei  anderen  Serums  und 
indifferenten  Medicamenten  beobachtet  wurde.-  Die  Injectionen  sind 
unschädlich,  rufen  aber  dennoch  eine  vorübergehende,  zuweilen 
intensive  Reaction  hervor.  Jedenfalls  werden  die  Krebse  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  günstig  beeinflusst.  Tn  einem  Falle  von 
hohem  Rectumcarcinom,  Colostomie  wegen  Occlusion,  wurde  nach 
den  ersten  Injectionen  der  Darm  durchgängig,  der  hochgradige 
Meteorismus  schwand,  die  Schmerzen  wurden  geringer  —  jedoch 
soll  schon  ein  anderes  Mal  eine  solche  Besserung  spontan  ein¬ 
getreten  sein.  Aehnliche  Resultate  wurden  bei  Oberkiefer-Brust- 
drüsen-Zungenkrebs  erzielt.  Aus  allen  Beobachtungen  geht  hervor, 
dass  in  Folge  der  W  1  a  e  f  f- Serumbehandlung  in  manchen  Fällen 
die  Krebsgeschwülste  und  Drüsenschwellungen  sich  verkleinern,  die 
Hämorrhagien  auf  hören,  die  Verschwärungen  theilweise  vernarben; 
hingegen  schreitet  das  Neoplasma  an  anderer  Stelle  weiter  fort.  Die 
Geschwülste  scheinen  zu  sklerosiren  und  die  Epithelialelemente  zu 
ersticken.  Die  Besserung  ist  von  kurzer  Dauer,  Recidive  und  Ver¬ 
schlimmerung  des  Neugebildes  stellen  sich  ein.  Dauererfolge, 
Heilungen  wurden  nicht  beobachtet.  —  (Bulletin  de  Pacademie  de 
medicine,  Paris.  43,  20.  November  1900.)  Sp. 

* 

577.  (Aus  der  chirurgischen  Klinik  zu  Greifswald.)  Be¬ 
merkungen  zur  Cocain  isirung  des  Rückenmarkes. 
Von  Prof.  Bier.  Die  üblen  Zufälle,  welche  hiebei  bemerkt  wurden, 
sind:  Schüttelfröste,  Fieber,  sehr  schwere  Collapse,  Beklemmungen, 
weiters  fünf  Todesfälle,  von  denen  einer  sicher  dem  Cocain  zur  East 
fällt.  Das  Cocain  wirkt,  Thierversuchen  zufolge,  vom  Rückenmarkssack 
aus  viel  giftiger,  als  bei  anderweitiger  Einverleibung.  Gewiss  ist 
auch  die  von  Bier  angegebene  Dosis  von  15 mg  noch  zu  gross. 
Bier  hält  das  Verfahren  der  Rückenmarkscocainisirung  für  noch 
nicht  reif  zur  allgemeinen  Anwendung  und  warnt  vor  ihm.  Wei¬ 
tere  Studien  sind  im  Zuge,  besonders  in  der  Richtung,  ein  neues 
Mittel  zur  Anästhesirung  des  Rückenmarkes  zu  finden.  —  (Mün¬ 
chener  medicinisehe  Wochenschrift.  1900,  Nr.  36.) 

* 


Nr.  52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


1229 


578.  Hypertrophie  und  Dilatation  des  Dick- 
d  a  r  m  e  s  in  der  Kindheit.  Von  S.  Fenwick  (London).  Der 
genannte  Zustand  scheint  ziemlich  selten  zu  sein,  da  Verfasser  in 
der  Literatur  nur  13  derartige  Fälle  erwähnt  fand,  von  welchen 

12  obducirt  worden  waren.  Dazu  kommt  der  vom  Verfasser  be¬ 
obachtete  Fall.  Der  an  der  Brust  ernährte  Knabe  war  die  ersten 
Wochen  ganz  gesund  gewesen;  nachher  stellte  sich  eine  immer 
stärker  werdende  Obstipation  mit  einer  gleichzeitig  immer  zu¬ 
nehmenden  Vergrösserung  des  Bauchumfanges  ein,  so  dass  das 

13  Monate  alte  Kind  ins  Spital  gebracht  wurde.  Das  Abdomen 
war  besonders  oberhalb  des  Nabels  ausgedehnt,  die  Palpation  nicht 
schmerzhaft,  die  Percussion  überall  tympanitisch;  von  Zeit  zu  Zeit 
waren  peristaltische  Gontractionen  des  Darmes  zu  beobachten;  in 
der  Bauchhaut  keine  ausgedehnten  Venen.  Dem  ins  Rectum  ein¬ 
dringenden  Finger  setzte  der  krampfhaft  contrahirte  Sphinkter  einen 
bedeutenden  Widerstand  entgegen.  Der  bald  erfolgte  Tod  des 
Kindes  gab  Gelegenheit,  sich  über  die  Darmverhältnisse  zu  orien- 
tiren.  Die  rechte  Bauchhälfte  war  vom  Colon  transversum  ein¬ 
genommen,  das  von  der  rechten  Fossa  il.  schief  aufwärts  zum 
linken  Hypochondrium  zog;  links  befanden  sich  zwei  mit  ihrer 
Längsachse  nebeneinander  gelagerte  Darmsäcke,  welche  von  der 
abnorm  ausgedehnten  Flexur  gebildet  wurden,  während  das  Becken 
vollständig  vom  erweiterten  Rectum  ausgefüllt  wurde.  Die  Flexur 
mass  12V4  englische  Zoll  im  Umfang.  Das  Colon  descendens  war 
gegen  die  Flexur  scharf  abgesetzt,  das  Colon  ascendens  gleichfalls 
erweitert  und  das  Cöcum  hatte  die  Grösse  einer  kleinen  Orange. 
Der  Dünndarm  war  vollständig  collabirt,  im  Dickdarm  zahlreiche 
Geschwüre,  die  Leber  vollständig  plattgedrückt.  Mikroskopisch 
Hessen  sich  die  Zeichen  einer  chronischen  Dickdarmentzündung 
und  einer  ausserordentlichen  Hypertrophie  der  Darmmusculatur 
nachweisen.  Die  Ursache  des  in  Rede  stehenden  Zustandes 
könnte  eine  angeborene  Dilatation  mit  nachfolgender  Hyper¬ 
trophie  sein.  Dieser  Zustand  ist  aber  bis  jetzt  mikroskopisch 
hei  keinem  Fötus,  bei  keinem  unter  15  Monate  alten  Kinde 
noch  gesehen  worden;  ferner  müssten  die  entsprechenden  Be¬ 
schwerden  von  der  Geburt  an  bestehen  und  schliesslich  müsste 
bei  der  angeborenen  Dilatation  eine  derartig  defecte  Darmmusculatur 
vorhanden  sein,  dass  man  nicht  recht  annehmen  kann,  dass  sich 
eine  ganz  excessive  Hypertrophie  der  Musculatur  nachher  ent¬ 
wickeln  sollte.  Es  deutet  vielmehr  Alles  darauf  hin,  dass  sich 
nach  der  Geburt  ein  Hinderniss  für  die  Darmentleerung  eingestellt 
hat,  wodurch  es  zur  Dilatation  mit  secundärer  Hypertrophie  ge¬ 
kommen  ist.  Das  stricturirende  Hinderniss  kann  liegen  in  einer 
Drehung  oder  Knickung  der  Flexur  oder  —  was  sehr  selten 

in  einer  angeborenen  Enge  eines  Darmtheiles  oder  in  einem  Krampf 
der  Sphinkters.  Letzteres  hatte  auch  im  vorliegenden  Falle  statt 
und  hatte  die  Muskelhypertrophie  auch  sich  bis  zum  Anus  erstreckt. 
Folgen  eines  derartigen  pathologischen  Zustandes  können  sein: 
Chronische  Entzündung  des  Darmes  wegen  des  stagnirenden  und 
sich  zersetzenden  Kothes,  Kothsteine,  Darmgeschwüre  —  besonders 
im  Colon  descendens  - —  Darmblutungen,  Druck  auf  die  Ureteren 
und  die  Cava  inferior  mit  seinen  Folgen,  Verlagerung  des  Herzens, 
Compression  der  Lunge.  Die  P  r  o  g  n  o  s  e  ist  eine  schlechte.  Acht  der 
beobachteten  14  Fälle  haben  zwischen  dem  achten  und  zwölften  Lebens¬ 
jahr  tödtlich  geendet.  Die  Behandlung  wird  eine  verschiedene 
sein.  Bei  Sphinkterkrampf  wird  man  jedenfalls  einer  Analfissur 
nachspüren.  Abführmittel  bringen  keinen  Nutzen,  am  ehesten  noch 
Suppositorien  und  Massage.  Ist  einmal  die  Hypertrophie  da,  dann 
kommt  die  Colotomie  —  zumeist  rechtsseitige  —  oder  Darm- 
resection  in  Frage.  —  (Brit.  med.  Journ.  1.  September  1900.) 

Pi. 

* 

579.  (Societe  de  dermatologie,  Paris.)  lieber  einen  Fall 
von  allgemeinem  Favus.  Von  Tenneson.  Der  Kopf  des 
vorgestellten  jungen  Mädchens  ist  mit  dichten  Favusproducten  be¬ 
deckt.  Gleiche  handtellergrosse  Plaques  bedecken  den  ganzen  Körper. 
Die  Haut  ist  in  der  Dicke  von  2—3  mm  unter  gewissen  Plaques 
geschwürig  fungös  — -  ein  seltenes  Vorkommen  bei  diesem  Leiden 
und  tritt  die  Heilung  sehr  spät  unter  Narbenbildung  ein.  Ein 
junger  Typhusieconvalescent  wurde  von  einer  Katze,  mit  der  er 
stets  spielte,  inficirt,  und  zeigten  sich  Favusborken  an  der  Stirne. 

(La  Semaine  medicale.  Nr.  47,  14.'  November  1900.)  Sp. 

* 


580.  Die  Bacterien  der  sogenannten  sterili- 
sirten  Milch  des  Handels,  ihre  biologischenEigen- 
schäften  zu  denMagen-DarmkrankheitendesSäug- 
lings.  Von  Dr.  We  b  e  r  (Berlin).  Vom  bacteriologischen  Standpunkte 
aus  hat  besonders  Flügge  die  sterilisirte  Milch  des  Handels  in 
Misscredit  gebracht.  Auch  Verfasser  konnte  nachweisen,  dass  die 
bisher  gebräuchlichen  Michsterilisirungsverfahren  nicht  im  Stande 
sind,  mit  absoluter  Sicherheit  keimfreie  Milch  zu  liefern.  Die  aus 
der  sterilisirten  Milch  isolirten  aeroben  Bacterien  haben  alle  die 
Fähigkeit,  das  Casein  der  Kuhmilch  zu  peptonisiren,  und  wenn 
das  geschehen  ist,  können  sie  die  Milch  faulig  zersetzen 
und  in  ihr  Schwefelwasserstoff  bilden.  Die  Ursache,  dass 
die  Milch  keine  Neigung  hat,  zu  faulen,  liegt  nach  Verfasser  im 
Milchzucker,  und  zwar  insoferne,  als  er  die  Entwicklung  der  säure¬ 
bildenden  Bacterien  begünstigt,  welche  die  Thätigkeit  der  peptoni- 
sirenden  Bacterien  unterdrücken.  Diese  Eigenschaft  des  Milchzuckers 
kommt  in  der  Rohmilch  zur  vollen  Entfaltung,  nicht  aber  oder 
nur  wenig  in  der  erhitzten  Milch.  In  Folge  dessen  können  sich 
in  letzterer  Bacterien  entwickeln,  die  die  Milch  faulig  zersetzen, 
was  im  Hinblicke  auf  die  Säuglingsernährung  nicht  unbedenklich 
erscheint.  Die  sogenannten  giftigen  peptonisirenden  Bacterien 
Flügge's  kommen  auch  in  der  sterilisirten  Milch  des  Handels, 
jedoch  nicht  häufig  vor.  Ihrem  Wachsthum  nach  gehören  sie  in 
die  Gruppe  der  Ileubacillen.  Die  Leiber  derselben  sind  für  Meer¬ 
schweinchen  bei  intraperitonealer  Injection  giftig.  Dem  Säuglings¬ 
organismus  dürften  sie  jedoch  weniger  durch  die  Giftigkeit  ihrer 
Leiber,  als  vielmehr  durch  ihre  Fähigkeit,  rasch  und  energisch 
Eiweissfäulniss  zu  erzeugen,  gefährlich  werden.  —  (Arbeiten  aus 
dem  kaiserlichen  Gesundheitsamte  in  Berlin.  Bd.  XVII,  Heft  1. 
Verlag  Springer.) 

* 

581.  Zur  Behandlung  des  asthmatischen  An¬ 
falles.  Von  F.  Kraus  (Graz).  Das  nachbenannte  Verfahren 
bezieht  sich  nur  auf  die  reinen  Formen  von  Asthma,  nicht  auf 
solche  Fälle,  die  mit  chronischem  Katarrh  oder  Emphysem  com- 
plicirt  sind,  also  auf  Fälle,  in  denen  zwischen  den  Anfällen  keine 
nennenswerthen  Anomalien  der  Lunge  oder  Bronchien  vorliegen,  in 
denen  man  gewöhnlich  spastische  Vorgänge  als  Ursache  des  An¬ 
falles  annimmt.  Kraus  hat  zufällig  beobachtet,  dass  ein  verab¬ 
reichtes  Migränin  auch  einen  Asthmaanfall  beendete  und  weitere 
Nachforschungen  haben  ihm  ergeben,  dass  eine  Mischung  von 
0  2  Coffeinum  natriosalicylicum  und  08  Antipyrin  in  den  meisten 
Fällen  die  wirksamste  Einzeldosis  gebe.  Dieses  Gemenge,  im  Be¬ 
ginne  eines  Anfalles  gegeben,  soll  in  kurzer  Zeit  dem  Patienten 
eine  ausgesprochene  Erleichterung  verschallen.  Selbstverständlich 
bleiben  der  weiteren  Therapie  noch  die  Verhütung  neuer  Anfälle, 
die  Behandlung  während  der  anfallsfreien  Zeit,  der  Bronchitis  u.  s.  w. 

Vorbehalten.  —  (Die  Therapie  der  Gegenwart.  1900,  Nr.  9.)  Pi. 

* 

582.  Ein  Fall  von  Suffocation  bei  einem  syphi- 
litischen  Neugeborenen.  Von  G  u  i  n  o  n.  (Societe  de  pediatrie, 
Paris.)  Sechs  Monate  altes  Kind,  asphyk tisch,  mit  Blasen  und 
Schuppen  an  den  Füssen,  Stimme  die  eines  Canarienvogels;  Retro- 
pharyngealabscess,  Fremdkörper  ausgeschlossen;  Intubation,  Tracheo¬ 
tomie;  Ursache  der  Asphyxie  eine  um'  das  Doppelte  vergrösserte 
Zunge,-  möglich  mit  der  Syphilis  im  Zusammenhänge.  Tod  durch 
Bronchopneumonie.  Keine  Geschwüre  im  Kehlkopfe.  Makroglossie 
bedingt  gewöhnlich  keine  Respirationsbeschwerden  bei  Kindern. 

(Le  progres  medical.  47,  24.  November  19C0.)  Sp. 

* 

583.  DieProph  ylaxe  des  Malariafiebers  durch 
Schutz  des  Menschen  gegen  Schnacken.  Von  Prof. 
Mattei  (Catania).  Fünf  Personen  wurden  veranlasst,  durch 
33  Nächte  in  einem  Zimmer,  dessen  Fenster  offen,  aber  mit  einem 
Drahtgitter  gegen  das  Eindringen  von  Mücken  versichert  waren,  in 
einem  Hause  von  Valsavoia  zu  schlafen.  Dieselben  erkrankten 
nicht  an  Malaria.  Durch  dieses  Experiment  sieht  Mattei 
den  Beweis  erbracht,  dass  man  sich  in  stark  verseuchten  Gegenden 
und  selbst  in  der  Hochsaison  der  Malaria  auch  beim  Schlafen  im 
Freien  keine  Malaria  zuzieht,  wenn  man  sich  hinreichend  gegen 
Mückenstiche  schützt.  * — -  (Centralblatt  für  Bacteriologie.  Bd.  XXVI II, 
Nr.  G  und  7.) 

.* 


1230 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  öä 


584.  (Aus  dem  hygienischen  Institute  des  Prof.  Pfeiffer 
in  Königsberg.)  lieber  Infection.  Von  Dr.  R  a  d  z  i  e  v  s  k  y. 
Die  Vorgänge  im  Organismus  sind  nach  den  jetzigen  Anschauungen 
durch  Gifte  bedingt,  welche  von  den  Mikroorganismen  in  den 
Körpersäften  erst  gebildet  werden  oder  bereits  den  Bacterienleibern 
anhaften  und  von  diesen  entweder  ausgeschieden  werden  oder  erst 
frei  werden,  -sobald  der  betreffende  Mikroorganismus  zerfällt  (Vibrio 
cholerae  und  Bact.  coli).  Im  obigen  Institute  konnte  für  eine 
Reibe  von  Bacterien  nachgewiesen  werden,  dass  bei  einer  tödtlichen 
Infection  zwei  Stadien  zu  unterscheiden  sind,  jenes  der  Vermehrung 
und  das  des  Zerfalles  der  Mikroorganismen.  Hiebei  kommt  dem 
Organismus  cine  active  Rolle  zu,  die  darin  besteht,  dass  seine 
Zellen  (Lymphocyten  ?)  vom  Beginne  der  Infection  an  Substanzen 
bilden,  durch  welche  eine  Abtödlung,  Auslaugung,  respective  Auf¬ 
lösung  der  Mikroorganismen  herbeigeführt  wird.  Dadurch  gelangt 
das  Bacleriengift  in  Lösung  und  bewirkt  das  klinische  Bild  der 
Infection.  Schliesslich  ist  der  Körper  nicht  mehr  im  Stande,  das 
gelöste  Gift  zu  neutralisiren  und  er  erliegt  der  Wirkung  des  Giftes. 

(Gentralblatt  für  Bacleriologie.  Rd.  XXVI 1 1,  Nr.  G  und  7.) 

Pi. 

* 

585.  Subphrenischer  Abscess.  Von  L  a  u  w  e  r  s. 
(Societe  böige  de  Chirurgie.)  21jühriger  Kranker,  beim  Stroh¬ 
schneiden  von  heftigem  Bauchschmerz  plötzlich  befallen.  Bauch 
eingezogen,  beim  Drucke  auf  Epigastrium  und  rechtes  Hypo- 
chondrium  schmerzhafte  Wölbung  nachweisbar;  amphorischer  Schall 
über  der  Leber  und  zwei  Finger  breit  über  dem  Nabel.  Explorativ- 
punction  ergibt  stinkenden  Eiter.  Resection  eines  Theiles  der  neunten 
Rippe,  Ausräumung,  Drainage  der  Eiterhöhle,  Heilung.  —  (Journal 

medical  de  Bruxelles.  44,  1.  November  1900.)  Sp. 

* 

586.  (Aus  dem  Institute  für  Infectionskrankheiten  in  Berlin.) 
Behandlung  der  Lepra.  Von  Dörritz.  Zwei  am  genannten 
Institute  befindliche  Leprakranke  wurden  mit  subcutanen  Injectionen 
mit  dem  aus  den  Samen  von  Gynocardia  odorata  gewonnenen 
Chaulmoogra-Oel,  und  zwar  mit  sehr  gutem  Erfolge  behandelt.  Es 
wurde  alle  10  bis  14  Tage  eine  Injection  gemacht,  worauf  jedes  Mal 
eine  Reaction,  bestehend  in  Empfindlichkeit  und  Röthung  der 
Knoten,  sowie  Temperatursteigerung  auftrat.  (Berliner  klinische 
Wochenschrift.  1900,  Nr.  36.) 

* 

587.  Die  Rolle  des  Eisens  bei  der  Blutbildung. 

Von  Dr.  Hof  mann.  Durch  seine  angestellten  Thierexperimente 
kommt  Verfasser  zu  folgenden  sehr  bemerkenswerthen  Ergebnissen: 
Das  Eisen  soll  nicht,  wie  allgemein  angenommen  wird,  mit  der 
Bildung  des  Hämoglobins  etwas  zu  thun  haben,  sondern  auf  das 
Knochenmark  in  dem  Sinne  einen  Reiz  ausüben,  dass  die  zur  Blut¬ 
bildung  bestimmten  Zellen  schneller  reif  werden  und  in  die  Circu¬ 
lation  gelangen.  Durch  Verarmung  an  diesen  Zellen  wird  das 
Knochenmark-  wieder  zur  Production  neuer  Zellen  angeregt.  Hin¬ 
sichtlich  der  Resorptionsfähigkeit  verhielten  sich  die  anorganischen 
und  organischen  Präparate  ganz  gleich.  Nach  dem  Obigen  würde 
es  sich  bei  der  Chlorose  um  eine  herabgeminderte  Leistungs¬ 
fähigkeit,  beziehungsweise  eine  Hypoplasie  des  Knochenmarkes 
handeln,  die  ja  bei  Chlorose  nicht  so  selten  auch  mit  einer  Hypo¬ 
plasie  der  Gelasse  zusammenfällt.  —  (Virchow’s  Archiv.  Bd.  GLX, 
Heft  2.)  Pi. 

* 

588.  Heber  geschlechtliche  Frühreife  und 
Period  icitiit  beim  Manne.  Von  Loisel.  (Acadömie  des 
sciences,  Paris.)  Fälle  von  geschlechtlicher  Frühreife  beim  Manne 
sind  sehr  zahlreich;  Fe  re  und  Perry -Coste  haben  männliche 
geschlechtliche  Periodicität  zweimal  beobachtet.  Embryologische 
Untersuchungen  haben  Vortragenden  dahin  geführt,  dass  beim 
Sperling  eine  präspermatogenetische  Phase  bestehe,  in  welcher 
Zellenvermehrung  im  Niveau  des  Epitheliums  der  Samencanälchen 
und  wieder  Rückbildung  derselben  stattfinde.  Sollte  dieser  Befund 
auch  für  den  Menschen  passen,  so  genügte  zur  Erzeugung  sexueller 
Frühreife  die  Permanenz  einer  dieser  präspermatogenetischen  Phasen; 
und  zur  Erklärung  sexueller  Periodicität,  dass  der  fötale  Wechsel 
von  Proliferation  und  Rückbildung  des  Samens  durch  das  ganze 
Leben  bestehe.  —  (La  Semaine  medicale.  46,  7.  November  1900.) 

Sp. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN. 

Ernannt:  Dr.  Rudolf  Jaks  eh  zum  Polizei  Oberbezirks¬ 
arzte  in  Wien.  —  Dr.  Brissaud,  Professor  der  Geschichte  der 
Medicin  und  der  Chirurgie  zum  Professor  der  medicinischen  Pathologie 
in  Paris.  — ■  Dr.  K.  Wenckebuch  zum  Professor  der  medicini¬ 
schen  Klinik  in  Groningen.  —  Dr.  J.  B.  Murphy,  Professor  am 
College  of  Physicians  and  Surgeons  zu  Chicago,  zum  Professor  der 
Chirurgie. 

* 

In  der  Sitzung  des  Obersten  Sanitätsrath  es  vom 
15.  December  d.  J.  referirte  der  Vorsitzende,  Hofrath  v.  Vogl,  nach 
Mittheilung  verschiedener  Geschäftsangelegenheiten  über  die  Beschlüsse 
d.es  neunten  internationalen  pharmaceutischen  Congresses  in  Paris,  an 
welchem  der  Genannte  als  Delegirter  des  Obersten  Sanitätsrathes  theil- 
genommen  hatte.  Hierauf  gelangten  nachstehende  Gegenstände  zur 
Berathung  und  Beschlussfassung:  1.  Gutachten  über  die  Zulässigkeit 
der  Verwendung  von  verzinkten  Wellblechfässern  für  rectificirten 
Alkohol.  (Referent:  Ilofrath  Ludwig.)  2.  Gutachten  in  Angelegen¬ 
heit  eines  Recurses  wegen  Verbotes  der  Ablagerung  von  Asche  im 
Wasserlaufe  bei  einer  Porzellanfabrik.  (Referent:  Derselbe.)  3.  Gut¬ 
achten  in  Angelegenheit  eines  Recurses  wegen  angeordneter  Herstellung 
eines  Betoncanales  zur  Ableitung  der  Niederschlags-  und  Spülwässer- 
aus  einem  städtischen  Häusercomplexe  in  ein  offenes  Gerinne.  (Referent: 
Hofrath  M.  Gruber.)  4.  Gutächtliche  Aeusserung  über  von  einem 
Thierschutzvereine  beantragte  Massregeln  beim  Schlachten  von  Haus- 
thieren,  insbesondere  in  gewerblichen  Schlachtstätten.  (Referent:  Pro¬ 
fessor  P  o  1  a  n  s  k  y.) 

* 

In  der  Sitzung  des  nieder  österreichischen  Landes* 
Sanitätsrathes  am  17.  December  d.  J.  wurde  der  Entwurf  des 
Statutes  und  der  Hausordnung  eines  Abstinenzsana¬ 
toriums  und  einer  Kaltwasser -  Heilanstalt  in  einer  Ge¬ 
meinde  Niederösterreichs  begutachtet.  Ferner  wurde  über  ein  Ansuchen 
einer  oberirdischen  Gruftanlage  auf  einem  Friedhofe  ausser¬ 
halb  Wiens  ein  Gutachten  abgegeben.  Weiters  wurde  über  den  Ent¬ 
wurf  eines  Statuts  für  eine  Kaltwasser -  Heilanstalt  in 
einer  Gemeinde  Niederösterreichs  eine  Aeusserung  erstattet  und  der 
Entwurf  einer  Instruction  für  den  Vorstand  des  pathologisch- 
chemischen  Institutes  einer  Wiener  k.  k.  Krankenanstalt  zur 
Genehmigung  empfohlen.  Schliesslich  wurde  über  die  Zuerkenn  u  n  g 
des  Titels  „Director“,  beziehungsweise  „Primararzt“  und  „Secun- 
dararzt“  für  die  in  einer  öffentlichen  Krankenanstalt  ausserhalb  Wiens 
beschäftigten  ärztlichen  Functionäre  und  über  das  Ansuchen  des 
Wiener  Magistrates  um  Aufhebung  des  Verbotes  der  Eisge¬ 
winnung  aus  dem  Wiener  Donaucanale  ein  Gutachten  ab¬ 
gegeben. 

* 

Im  Verlage  von  Fische  r  (K  or  n  fe  1  d),  Berlin,  ist  „Fischer’s 
Kalender  für  Medicine  r“,  herausgegeben  von  Dr.  A .  Seidel, 
für  1901  (13.  Jahrgang)  erschienen. 

* 

Die  von  Prof.  Ziehen  bei  seinem  Antritte  der  ordentlichen 
Professur  für  Psychiatrie  an  der  Universität  Utrecht  am  10.  Oc¬ 
tober  1900  gehaltene  Rede  „U  eher  die  Beziehungen  der 
Psychologie  zur  Psychiatrie“  ist  im  Buchhandel  —  Vorlag 
G.  Fischer,  Jena  —  erschienen. 

* 

Von  Hofrath  Drasch  e’s  „B  ibliothek  der  gesammten 
medicinischen  Wissenschaften“,  herausgegeben  bei  K  a  r  1 
Prochaska  (Wien),  sind  aus  der  Abtheilung  Chirurgie  die  Liefe¬ 
rungen  8 — 13  (Genu  valgum  —  Neurotomie)  erschienen. 


EINBANDDECKEN 

in  Leinwand  mit  Goldpressung  zum  XIII.  Jahrgang  (1900) 
stehen  den  P.  T.  Abonnenten  zum  Preise  von  2  Kronen, 
bei  directem  Postbezüge  für  2  Kronen  72  Heller  zur 
Verfügung.  —  Zu  gleichen  Bedingungen  sind  ferner  noch 
Einbanddecken  zum  VI.  bis  XII.  Jahrgang  (1893 — 1899)  zu 
haben.  —  Ich  bitte  um  baldgefällige  geschätzte  Aufträge. 

Hochachtungsvoll 

WILHELM  BRAUMÜLLER 


k.  u.  k.  Hof-  und  Universitätsbucbbändler. 


Nr.  52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Verhandlungen  ärztlicher  Gesellschaften  und  Oongressberichte. 


Greifswalder  medicinisclier  Verein.  Sitzung  vom  16.  Juni  und  24.  Juli  1900.  Oesterreiehische  otologisclic  Gesellschaft.  Sitzung  vom  29.  Juni  1900. 
Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft.  Sitzung 
vom  31.  October  1900. 


Greifswalder  medicinischer  Verein. 

Sitzung  vom  16.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer :  Busse. 

1.  Bah  ls  stellt  einen  Patienten  vor,  dem  durch  einen  Schlag 
mit  der  Weinflasche  der  Unterkiefer  gebrochen  worden  ist  und  bei 
dem  er  nach  genauer  Einstellung  der  Fracturtheile  eine  Kautschuk¬ 
schiene  zur  Articulation  mit  dem  Oberkiefer  angebracht  hat.  Die  Auf¬ 
nahme  und  Zerkleinerung  der  Speisen  ist  dadurch  noch  besonders 
erleichtert,  dass  der  Verband  die  Kronen  der  unteren  Zähne  bedeckt. 

2.  Jung  demonstrirt  einen  Lithokelyphos,  der  sich  bei 
einer  70jährigen  Frau,  die  an  Paralyse  zu  Grunde  gegangen  ist, 
vorgefunden  hat.  Eine  an  der  intacten  Leiche  aufgenommene 
R  ö  n  t  g  e  n  -  Photographie  zeigt  nur  den  Schatten  des  Tumors  ohne 
Einzelheiten;  eine  K  ö  n  t  g  e  n  -  Aufnahme  des  aus  der  Leiche  ent¬ 
fernten  Präparates  lässt  deutlich  das  Skelet  eines  ausgetragenen 
Fötus  erkennen.  Der  Tumor  ist  durch  einen  dünnen  Strang  (Tube) 
mit  dem  Uterus  verbunden  und  wird  aussen  durch  eine  etwa  '/2cm 
dicke,  völlig  verkalkte  Kapsel  umschlossen,  in  der  der  stark  über  die 
Bauchfläche  zusammengebogene  Fötus  liegt.  In  mikroskopischen  Schnitten 
lässt  sich  Kernfärbung  nicht  mehr  erzielen,  wohl  aber  zeigt  die  Herz- 
musculatur  noch  deutliche  Querstreifung.  Die  Frau  hat  nie  geboren. 
Bezüglich  der  Kapsel  lässt  sich  nicht  feststellen,  ob  diese  aus  der 
erweiterten  und  verdickten  Tube  oder  aus  einer  bindegewebigen 
(entzündlichen)  Hülle  gebildet  wird.  Der  Fötus  selbst  ist  nicht 
verkalkt. 

3.  Josef  Koch  spricht  über  die  Histologie  des 
Muskels  bei  der  Thomse  n’schen  K  r  a  n  k  h  e  i  t  (Myotonia 
congenita).  In  einem  selbst  beobachteten  Falle  zeigen  die  Primitiv¬ 
fasern  nicht  nur  eine  starke  Hypertrophie,  erhebliche  Kernvermehrung 
und  Vacuolenbildung,  sondern  auch  degenerative  Veränderungen,  die 
zur  Atrophie  oder  durch  ausserordentlich  reichliche  Kernwucherung 
zu  Muskelzellenschläuchen  führen.  Auf  Längs-  und  Querschnitten 
erkennt  man  ferner  Abspaltungen  und  Theilungen  der  Muskelfasern, 
die  zur  Bildung  neuer  Fasern  führen,  so  dass  es  sich  in  diesem  Falle 
nicht  nur  um  eine  Hypertrophie,  sondern  auch  um  eine  Hyperplasie 
der  Muskelfasern  handelt.  An  der  Hand  von  mikroskopischen  Präparaten 
demonstrirt  Koch  weiter,  dass  auch  Capillaren  in  die  Muskelfasern 
hineinwuchern.  Im  Anschlüsse  daran  wird  kurz  die  Frage  des  Wachs¬ 
thums  der  quergestreiften  Muskelfasern  überhaupt  erörtert.  (Aus¬ 
führliche  Abhandlung  in  Virchow’s  Archiv.) 

4.  Lüthje:  Ueber  die  Pentosurie:  V ortragender  gibt 
einen  Ueberblick  über  die  Lehre  von  der  Pentosurie,  an  deren 
gelegentlichem  Vorkommen  nicht  zu  zweifeln  ist,  zweifelhaft  dagegen 
ist,  ob  die  Pentosen  sich  wirklich  erst  im  Organismus  gebildet  haben, 
denn  viele  Nahrungsmittel,  z.  B.  Vegetabilien,  Milch,  Bier  etc.  ent¬ 
halten  Pentosen  und  wir  wissen,  dass  schon  Spuren  von  Pentosen,  mit 
der  Nahrung  verabreicht,  in  den  Harn  übergehen.  Die  merkwürdige 
Erscheinung,  dass  schon  1  cg,  per  os  aufgenommen,  im  Harne  nach¬ 
gewiesen  weiden  kann,  während  von  grösseren  Gaben  (10,  20  oder 
30^)  nur  Bruchtheile  zur  Ausscheidung  kommen,  erklärt  Lüthje 
damit,  dass  wahrscheinlich  die  Pentosen  vom  Körper  nicht  ausgenützt 
werden,  sondern,  dass  der  im  Harne  fehlende  Rest  im  Darme  der 
Zersetzung  anheimgefallen  ist.  Da  die  Pentosen  gegen  Alkalien  sein- 
wenig  resistent  sind,  so  könnte  vielleicht  durch  eine  Verschiedenheit 
der  Alkalescenz  im  Darmtractus  verschiedener  Menschen  die  enorme 
Differenz  der  Beobachtungen  über  Assimilation  und  Ausnützung  der 
Pentosen  erklärt  werden. 

5.  Ritter:  Ueber  die  Infectionstheorie  bei  den 
Sarkomen  und  Carcinomen  auf  Grund  der  pathologi¬ 
schen  Forschung. 

Entgegen  der  herschenden  Ansicht  von  der  Bösartigkeit  der 
Geschwulstzellen  hält  Ritter  es  für  höchst  wahrscheinlich,  dass 
zunächst  die  Sarkomzellen  analog  den  Granulationsgeschwulstzellen 
(chronischen  Entzündungen)  von  normalem  Gewebe  abstammen  und  die 
Wehr  des  gesunden  Organismus  darstellen.  Die  nekrotischen  Stellen 
fasst  er  als  den  Ort  der  hypothetischen  Erreger  und  als  Schädigung 
dar  Zellen  durch  sie  auf.  Diese  Anschauung  steht,  wie  Ritter  nach¬ 
zuweisen  sucht,  nicht  im  Gegensätze  zu  den  in  der  Pathologie  bisher 
bekannten  Thatsachen.  Aehnlicli  liegen  die  Verhältnisse  beim  Carcinom. 
Doch  stösst  eine  Verallgemeinerung  dieser  Auffassung  besonders  w-egen 


der  zu  den  Carcinomen  gerechneten  malignen  Adenome  noch  auf 
Schwierigkeiten.  Ritter  glaubt  aber,  dass  auch  für  das  Carcinom 
die  pathologische  Forschung  zur  Annahme  der  Infectionstheorie 
führen  kann. 

* 

Sitzung  vom  24.  Juli  1900. 

Vorsitzender:  Landois. 

Schriftführer:  Busse. 

1.  Egon  Hoffmann  demonstrirt  a )  einen  48jährigen  Patienten 
mit  Aktinomykose  des  Ober-  und  Unterkiefers.  Vom 
Munde  aus  gelangte  man  mit  einer  Sonde  durch  eine  Incision swunde 
in  eine  grosse  Höhle  des  rechten  Oberkiefers,  aus  der  sich  stinkender 
Eiter  entleerte.  Am  Unterkiefer  fand  sich  ein  grosser  Abscess.  Das 
ganze  Leiden  batte  etwa  vor  einem  halben  Jahre  begonnen.  Drainage 
der  Oberkieferhöhle,  Spaltung  des  Abscesses  am  Unterkiefer  und, 
nachdem  die  Diagnose  auf  Aktinomykose  gestellt  war,  reichliche 
Mengen  von  Jodkali  brachten  den  Fall  bald  zur  Ausheilung. 

b)  Demonstration  eines  Falles  von  Hirnabscess,  der  sich  im  An¬ 
schlüsse  an  eine  Mittelohreitei  ung  und  trotz  Trepanation  des  Warzen¬ 
fortsatzes  bei  einem  13jährigen  Kna'cen  ganz  schleichend  entwickelte. 
Nach  der  ersten  Eröffnung  der  Dura  mater,  wobei  man  Eiter  nicht 
fand,  besserte  sich  der  Zustand  des  Kranken;  doch  blieb  eine  Fistel 
zurück  und  nach  Monaten  traten  wieder  schwere  Hirnerscheinungen 
auf  (ohne  Herdsymptome),  die,  ebenso  wie  eine  fluctuirende  Vor¬ 
wölbung,  auf  einen  Abscess  hindeuteten.  Bei  der  Operation  kam  man 
in  eine  grosse  Höhle,  aus  der  sich  ein  fingerdicker  Blutstrahl  ent¬ 
leerte,  weshalb  sofort  tamponirt  werden  musste.  Bei  der  nach  zehn 
Tagen  vorgenommen  Entfernung  .  entleerte  sich  kein  Blut  mehr, 
sondern  nur  Eiter  aus  der  8  cm  tiefen  Abscesshöhle.  Trotz  der 
Tamponade  schloss  sich  die  Wunde  sehr  schnell,  so  dass  nach  zwei 
Monaten  noch  einmal  die  über  dem  Abscesse  gelegene  Scbädelpartie 
eröffnet  und  in  einer  Ausdehnung  eines  Fünfmarkstückes  entfernt 
werden  musste. 

Das  Besondere  des  Falles  ist  in  dem  Pehlen  von  Herd¬ 
symptomen  bei  dem  sehr  grossen,  unterhalb  der  Centralwindungen 
gelegenen  Abscess  zu  suchen  und  in  der  starken  Blutung,  die  wohl 
durch  eine  Veibindung  zwischen  Eiterhöhle  und  Sinus  zu  suchen  ist. 

c )  Demonstration  von  zwei  exstirpirten  Wurm¬ 
fortsätzen,  die  nicht  durch  entzündliche  Reizungen,  sondern  durch 
Zerrungen  von  Seiten  der  Nachbarschaft  besonders  des  Cöcums  dauernd 
Schmerzen  gemacht  hatten. 

d)  Demonstration  einer  Münze,  die  vier  Monate  im 
Magen  eines  dreijährigen  Kindes  lag  und  schliesslich  durch  Erbrechen 
entleert  wurde. 

2.  Westphal:  Ueber  Tetanie  mit  Kranken¬ 
vorstellung.  Bei  der  ersten  Patientin,  einer  34jährigen  Frau, 
traten  nach  einer  Struma-Exstirpation,  und  zwar  schon  zwei  Tage 
darauf,  typische  Tetanieanfälle  auf,  die  sich  täglich  wiederholten,  und 
Hände,  untere  Extremitäten,  Kau-  und  Schlingmusculatur  betrafen. 
Später  traten  auch  epileptische  Anfälle  dazu.  Die  mechanische  Erreg¬ 
barkeit  der  grossen  Nervenstämme  war  nach  den  Anfällen  gesteigert, 
das  Facialisphänomen  war  deutlich  vorhanden. 

Durch  festes  Umschnüren  der  Extremitäten  gelingt  es,  typische 
Tetanieanfälle  auszulösen  (T  r  o  u  s  s  e  a  u’sches  Phänomen).  Seit  einem 
halben  Jahre  hat  sich  eine  doppelseitige  Kataraktbildung  eingestellt, 
wie  dies  als  Complication  bei  Tetanie  öfters  beobachtet  worden  ist.  Die 
Verabreichung  von  Schilddrüsenextract  hatte  überraschenden  Erfolg. 
Es  sind  spon  tan  e  A  nfäl  1  e  von  Epil  epsi  e  oder  Tetanie 
seit  Verabreichung  des  Thyreojodin  nicht  wieder 
auf  ge  treten.  Ebenso  ist  das  psychische  Verhalten  wesentlich  ge¬ 
bessert  worden. 

Bei  der  zweiten  in  der  psychiatrischen  Klinik  zu  Greifswald 
befindlichen  Patientin  besteht  eine  tonische  Contracturstellung  dei 
Arme,  die  der  bei  Tetanie  beobachteten  entspricht.  Die  Hände  zeigen 
Pfötchenstellung.  Der  Contracturzustand  ist  ein  continuirliehei,  nui 
sehr  verschieden  in  der  Intensität.  Durch  Druck  auf  den  Sulcus  Lici- 
pitalis  internus  gelingt  es  regelmässig,  die  Contraction  zu  verstäiken, 
auch  lässt  sich  mechanische  Uebererregbarkeit  der  Nemenstämme 
nachweisen,  das  Facialisphänomen  ist  nicht  vorhanden.  Auffallend  ist 
die  bläulichrothe  marmorirte  Färbung  der  sich  kalt  anfühlenden 
Vorderarme  und  Hände,  sowie  des  Gesichtes.  Die  inneren  Organe  sind 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  52 


gesund,  doch  besteht  hochgradige  Demenz  und  acute  Anfälle  von 
schwerer  Erregung  und  Verwirrtheit,  die  nach  und  nach  unabhängig 
von  epileptischen  Anfällen  auftreten. 

3.  P.  Grawitz:  Demonstration  eines  grossen 
Angio-Myolipoms  der  Niere.  Es  handelt  sich  um  eine 
Geschwulst  der  rechten  Niere  einer  etwa  30jährigen  Frau,  das  eine 
annähernd  nierenförmige  Gestalt  hat  und  ‘23  cm  lang,  19  cm  breit  und 
12  cm  dick  ist  und  2250#  wiegt.  An  der  einen  Seite  ist  der  Hilus 
der  Niere  an  dem  stark  hervorgedrängten  Becken  und  Ureter  er¬ 
kennbar,  ebenso  finden  sich  oben  und  unten  noch  beträchtliche  Reste 
von  Nierensubstanz.  Der  Tumor  ist  überall  von  Nierenkapsel  über¬ 
zogen;  auf  dem  Durchschnitte  erweist  sich  die  Geschwulst  im  Wesent¬ 
lichen  als  ein  grosses  kugeliges  Lipom,  welches  dicht  neben  dem 
Nierenbecken  beginnt,  wohl  aus  dem  hier  gelegenen  Fettgewebe 
hervorgegangen  ist  und  nun  gegen  die  Niere,  diese  am  Hilus  aus¬ 
einanderdrängend,  gewachsen  ist.  Der  Durchschnitt  sieht  gelb  aus,  wie 
Fettgewebe,  auch  mikroskopisch  besteht  die  Geschwulst  grösstentheils 
aus  Fettgewebe,  in  einzelnen  Stellen  aus  sehr  zahlreichen  Arterien 
und  grossen  Zügen  glatter  Muskelfasern,  so  dass  man  theilweise  Bilder 
eines  Angioma  arteriosum,  theilweise  eines  Myomes  vor  sich  zu  haben 
glaubt. 

4.  G  e  h  r  k  e  :  U  e  b  e  r  ver  impfbare  Tumoren  bei 
Mäusen. 

Ein  an  einer  Maus  zur  Entwicklung  gekommenes  Adenocarcinom 
hat  sich  durch  verschiedene  Generationen  hindurch  auf  andere  Mäuse 
verpflanzen  lassen. 

Im  Anschlüsse  daran  berichtet  Busse,  dass  unter  seinen 
weissen  Mäusen,  dio  aus  derselben  Quelle  wie  die  des  Herrn  Gehrke 
stammen,  im  Laufe  des  letzten  halben  Jahres  14  Mäuse,  d.  i.  10% 
des  Bestandes  spontan  an  solcher  Goschwulstbildung  erkrankt  und, 
nachdem  die  Tumoren  exulcerirt  waren,  gestorben  sind.  Die  Adeno- 
carcinome  traten  in  der  Mamma  der  weiblichen  Thiere  auf  im  An¬ 
schlüsse  an  Geburten  derselben.  Spontan  sind  nur  weibliche  Thiere 
erkrankt.  Die  Geschwülste  lassen  sich  auf  andere  Mäuse,  auch  männ¬ 
liche  übertragen,  durch  Verimpfung  unter  die  Haut  oder  in  die  Bauch¬ 
höhle.  Sie  entwickeln  sich  nur  bei  älteren  Mäusen.  Eine  Aetiologie 
hat  sich  bisher  noch  nicht  ermitteln  lassen. 

Verhandlungen  der  Wiener  dermatologischen  Gesellschaft. 

Sitzung  vom  31.  October  1900. 

Vorsitzender :  Lang. 

Schriftführer:  Kreibich. 

Lang:  Ich  bin  durch  einen  beklagenswerthen  Umstand  in  die 
Lage  gekommen,  heute  den  Vorsitz  zu  fuhren.  Wie  Sie  wissen,  ist 
unser  Vorsitzender  vor  kurzer  Zeit  Gegenstand  allseitiger,  grandioser 
Ehrung  gew'esen.  Die  Freude  darübei  wurde  leider  bald  darauf  durch 
ein  Unwohlsein  getrübt,  das  erfreulicher  Weise  bereits  rasche  Besse¬ 
rung  zeigt.  Wir  werden  also  bald  wieder  die  Ehre  haben,  den  glänzen¬ 
den  Collegen  und  Kliniker  zu  begrüssen.  Ich  sage,  glänzender  Kliniker, 
weil  er  diese  Auszeichnung  in  hohem  Masse  verdient,  auch  seit  jeher 
und  jedes  Mal  für  die  Nothwendigkeit  des  klinischen  Unterrichtes  ein¬ 
trat.  ln  seiner  Person  prägt  sich  die  Präponderanz  nach  der  klinischen 
Seite  derart  aus,  dass  sich  eine  Art  von  Primat  ausbildete,  was  auch 
von  Allen  bei  gewissen  Anlässen  wie  auf  Verabredung  zum  Ausdrucke 
gebracht  wurde.  Wir  haben  uns  also  zu  freuen,  dass  die  Besserung 
in  seinem  Befinden  so  anhält,  und  ich  glaube  im  Sinne  Aller  zu  sprechen, 
wenn  ich  den  Schriftführer  bitte,  die  besten  Wünsche  du-  dermato¬ 
logischen  Gesellschaft  für  seine  Gesundheit  zu  übermitteln. 

Hochsinger  stellt  zunächst  1.  einen  Fall  von  diffuser 
hereditär -  syphilitischer  Infiltration  der  Handteller¬ 
und  Fusssohlenhaut,  combinirt  mit  einer  diffusen  hereditär¬ 
syphilitischen  Rhinitis  bei  einem  drei  Monate  alten  Kinde 
vor.  Der  Fall  kennzeichnet  sich  besonders  durch  den  Mangel  an 
solitären,  syphilitischen  Effloreseenzen  und  die  flächenhafte  In¬ 
filtration  der  Handteller  und  Fusssohlen.  Der  Vortragende  hat 
diese  Erkrankung  als  Infiltratio  diffusa  glabra  in  seinen  Studien 
über  hereditäre  Lues  beschrieben ;  die  Affection  schwindet  bei  ge¬ 
eigneter  mercurieller  Behandlung  ohne  jede  Schuppung  durch  Resorption 
des  Infiltrates.  Das  Kind  zeigt  auch  eine  specifische  Affection  der  Nase, 
die  sich  durch  ein  schnarchendes  Inspirationsgeräusch  äussert  und  bei 
rhinoskopischer  Untersuchung  eine  mächtige  Schwellung  der  unteren 
N  isenmuschel  darbietet,  die  den  unteren  Nasengang  vollkommen 
obturirt. 

Sowohl  die  diffuse  Haut-  als  die  diffuse  Nasensyphilis  haben  in 
genetischer  und  entwicklungsgeschichtlicher  Hinsicht  grosse  Aehnlieh- 
keit.  Wie  ich  schon  früher  einmal  auseiuandergesetzt,  ist  ja  der 
wesentliche  Unterschied  in  der  zeitlichen  Aufeinanderfolge  der  einzelnen 
visceralen  und  cutanen  Erkrankungen  in  entwicklungsgeschichtlichen 
Momenten  begründet;  denn  das  ererbte  Syphilisvirus  hat  eine  grosse 


1  Affinität  zu  jenen  Organen,  welche  während  der  fötalen  Periode  be¬ 
sonders  entwickelt  sind  und  bereits  functioniren.  Die  grossen  Darm¬ 
drüsen  (Leber,  Niere)  sind  schon  in  den  ersten  Fötalmonaten  mit 
functionirendem  Epithel  ausgestattet,  während  der  Drüsenapparat  der 
Haut  sich  erst  gegen  Ende  des  Fötallebens  entwickelt.  Todtgeborer.e 
syphilitische  Kinder  zeigen  daher  nicht  selten  schwere  Visceral- 
affectionen  ohne  jede  Hauterkrankung.  Jene  Hautregionen,  welche  sich 
durch  eine  besonders  frühe  und  reichliche  Entwicklung  von  Schweiss- 
driisen  auszeichnen,  wie  die  Region  der  Handteller  und  Fusssohlen, 
sind  auch  dementsprechend  der  früheste  und  häufigste  Sitz  syphilitischer 
Affectionen.  Ganz  analoge  Momente  gelten  für  die  Nase,  deren  Be 
theiligung  bei  hereditärer  Syphilis  ja  eine  ihrer  stetigsten  und  typisch¬ 
sten  Manifestationen  ist.  Ein  kleines  Grübchen,  anfangs  als  reines 
Geruchsorgan  angelegt,  zeigt  die  Nase  gegen  Ende  des  Fötallebens, 
wo  sie  sich  zur  Vorwärmung  und  Anfeuchtung  der  Respirationsluft 
umgestaltet,  eine  enorme  Volums-  und  Oberflächenvergrösserung  durch 
massige  Entwicklung  von  Gefässen  und  Schleimdrüsen,  und  bedingt 
dadurch  einen  intensiven,  formativen  Reiz.  Dazu  kommen  noch  die 
mechanischen,  thermischen  und  chemischen  Reize,  welche  die  Nasen¬ 
schleimhaut  vom  ersten  Athemzuge  an  treffen,  so  dass  dieselben  Reize, 
welche  das  normale  Kind  nicht  schädigen,  beim  hereditär-syphilitischen 
zu  entzündlichen  Erkrankungen  führen,  namentlich  an  jenen  Theilen 
der  Nase,  welche,  wie  die  unteren  Muscheln,  nach  S  u  c  h  a  n  e  k’s 
Untersuchungen  besonders  reich  und  früh  mit  Drüsen  ausgestattet  sind. 

2.  Ein  elf  Tage  altes,  gut  genährtes  Kind,  das  an  der  Kopfhaut, 
oberhalb  des  Ohres,  im  Gesichte  und  der  Streckseite  der  Extremitäten 
verschieden  grosse,  flache  und  pral  1  gespannte,  theilweise  schon  ge¬ 
platzte  Blasen  zeigt,  während  die  Haut  der  Brust,  der  Beugefläche  der 
Arme  dunkel  geröthet  und  deren  Hornschichte  in  Fetzen  abgehoben 
ist.  Kein  Zweifel,  es  handelt  sich  um  einen  Pemphigus  acutus 
neonatorum,  und  zwar  jener  prognostisch  ungünstigen  Form,  bei 
welcher  die  Blasen  auf  einer  erythematösen  Fläche  entstehen,  während 
die  andere  Form,  der  Pemphigus  acutus  idiopathicus,  eine  normale  Basis 
und  rasche  Restitutio  ad  integrum  zeigt.  Ob  ein  wesentlicher  Unter¬ 
schied  rücksichtlich  der  Aetiologie  zwischen  beiden  Formen  besteht, 
ist  derzeit  nicht  bekannt.  Die  letztere  verläuft  auch  klinisch  ganz 
leicht,  ohne  Fieber  oder  eine  weitere  Störung  des  Allgemeinbefindens, 
seltener  als  einmalige  Attaque,  meist  in  vielen  Nachschüben  bis  zum 
sechsten  und  siebenten  Lebensmonate.  Die  vorliegende  schwere  Form 
grenzt  sich  difterentialdiagnostisch  deutlich  gegen  die  Dermatitis 
bullosa  pyaemica  ab,  da  bei  dieser  die  Blasen  meist  einen 
hämorrhagischen  oder  eiterigen  Inhalt,  einen  hämorrhagischen  oder 
stark  gerötheten  Hof  haben  und  daneben  auch  sonst  hämorrhagische 
Flecken  und  Knötchen  bestehen. 

Beim  Pemphigus  syphiliticus  neonatorum  sind  die 
Blasen  matsch,  trüben  sich  bald,  sitzen  immer  auf  Papeln  oder  einer 
diffus  infiltrirten  Haut  auf  und  finden  sich  besonders  an  den  Hand¬ 
tellern  und  Fusssohlen.  Wenn  beim  Pemphigus  idiopathicus  die  Horn¬ 
schichte  in  grossem  Umfange  abgehoben  wurde  und  das  nässende, 
rothe  Rete  Malpighii  blossliegt,  an  dem  nur  hie  und  da  Epidermis- 
schollen  haften,  entstellt  auch  grosse  Aehnlichkeit  mit  der  Dermatitis 
exfoliativa  neonatorum;  doch  sieht  mau  bei  dieser  niemals  Blasen 
oder  starke  seröse  Absonderung,  dagegen  vielfach  dichtere  Lamellen 
von  Epidermis  und  meist  ausgebreitete  Erytheme  um  die  Körper 
Öffnungen. 

Kreibich  reiht  diesen  Fall  Hochsinge  r’s  jener  Form 
des  Pemphigus  an,  welche  als  Pemphigus  eontagiosus  neonatorum 
sich  vollkommen  vom  Pemphigus  vulgaris  der  Erwachsenen  unter¬ 
scheidet;  bezüglich  der  Aetiologie  des  Processes  möchte  er 
noch  Einiges  bemerken.  Als  Infectionserreger  wurde  in  letzter  Zeit 
von  verschiedenen  Autoren  eine  dem  Staphylococcus  pyogenes  aureus 
nahestehende  Cocconart  beschrieben.  Andererseits  ist  mir  aus  früheren 
Mittheilungen  und  eigenen  Beobachtungen  bekannt,  dass  in  der  Um¬ 
gebung  eines  Kindes  mit  Pemphigus  neonatorum  Erwachsene  oft  au 
Impetigo  contagiosa  erkranken  und  umgekehrt.  Beide  Momente  führten 
folgerichtig  zu  der  weiteren  Annahme,  dass  der  Pemphigus  neonatorum 
und  die  Impetigo  der  Erwachsenen  identische  Processe  seien,  in  der 
Art  ihres  klinischen  Verlaufes  allerdings  durch  die  Eigenart  des  kind¬ 
lichen  Epithels  eine  leichtere  Ablösbarkeit  zu  zeigen,  modificirt.  Während 
die  vorliegenden  Beobachtungen  aber  keinen  klaren  Uebergang  der  Er¬ 
krankungen  erkennen  lassen,  sei  dieser  deutlich  in  folgendem  Falle  zu 
ersehen.  Eine  Frau  kam  mit  ganz  typisch  ausgebildeten  Impetigo- 
efflorescenzen  an  der  Hand  ins  Ambulatorium.  Die  Anamnese  ergab, 
dass  dieselbe  ein  Kind  gepflegt  hatte,  das  einige  Tage  vorher  unter 
hohem  Fieber  an  einem  Ausschlage  gestorben  war,  bei  dem  sich  die 
Haut  am  ganzen  Körper  in  grossen  Fetzen  abgelöst  hatte.  Die  Unter¬ 
suchung  des  Blaseninhaltes  ergab  die  typischen  gelben  Coccen,  die 
Ueberimpfung  der  Reincultur  auf  den  Arm  eine  Blase  von  Impetigo 
contagiosa. 

Eine  gleiche,  zuverlässige  Beobachtung  habe  ich  in  dem  von 
Löwy  in  der  Festschrift  für  Kaposi  veröffentlichten  Falle  gemacht. 


Nr.  52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Matzen  au  er  gibt  seiner  Befriedigung  Ausdruck,  dass  K  r  e  i- 
b  i  c  h  an  der  Klinik  Kaposi  ähnliche  Fälle  beobachtet,  die  eine 
Identität  des  Pemphigus  neonatorum  mit  der  Impetigo  contagiosa  an¬ 
zunehmen  gestatten,  wie  er  sie  in  der  Festschrift  für  Neuma  n  n 
entwickelt  habe  und  in  einem  speciellen  Aufsatze  in  der  Wiener 
klinischen  Wochenschrift  begründen  werde.  Schon  von  anderen  Autoren, 
wie  Hutchinson  u.  A.,  sei  in  Gebärkliniken  der  Uebergang  von 
Pemphigus  neonatorum  auf  Erwachsene  in  Form  der  Impetigo,  be¬ 
sonders  gerne  deren  circinären  Form  beschrieben  worden.  An  der 
Klinik  Prof.  Neumann’s  sei  vor  zwei  Jahren  auch  der  seltenere 
umgekehrte  Fall  beobachtet  worden,  indem  von  einer  Frau  mit  uni¬ 
verseller  circinärer  Impetigo  der  Ausschlag  auf  deren  neugeborenes 
Kind  überging  und  bei  diesem  das  auch  von  Pädiatern  und  Gynäko¬ 
logen  anerkannte  Bild  des  Pemphigus  neonatorum  annahm. 

Lang  bemerkt  zu  dem  zuerst  vorgestellten  Falle,  in  welch 
verdienstvoller  Weise  Hochsinger  die  Prädilectionsstellen  der 
heieditären  Lues  je  nach  der  Lntwicklungsphase  der  Organe  bezeichnet 
habe.  Auch  er  habe  in  der  ersten  Auflage  seines  Lehrbuches  (1884) 
darauf  hingewiesen,  dass  man  bei  hereditär  syphilitischen  Kindern 
selten  eine  Betheiligung  der  Lymphdrüsen  finde;  wahrscheinlich,  weil 
dieselben  später  zur  Entwicklung  kommen. 

Mracek  gibt  dies  nur  für  jene  Formen  zu,  die  mehr  den 
Tertiärsymptomen  gleichen,  während  er  in  irritativen  Secundärstadien 
multiple  Drüsenschwellungen  fand  und  an  mehr  als  200  Sections- 
befunden  constatirte. 

Finger  demonstrirt  einen  jungen  Mann,  der  am  Rande  beider 
Nasenflügel  eine  bogenförmige,  eiterig  nekrotische  Ulceration  mit  ge- 
rötheter  Umgebung  zeigt.  Nach  innen  zu  sind  schlaffe  Granulationen, 
am  Randsaume  kleine  folliculäre  Knötchen,  durch  deren  Zerfall  eben 
der  Ulcerationsprocess  vergrössert  wird.  Die  Affection  besteht  kaum 
drei  Monate  und  unterscheidet  sich  durch  ihren  acut  entzündlichen 
Charakter  deutlich  von  Lues  pustulosa  und  Lupus  exulcerans.  Der  Fall 
schliesst  sich  wohl  am  nächsten  den  drei  von  Kaposi  mitgetheilten 
von  Folliculitis  exulcerans  serpiginosa  nasi  an. 

Matzenaue  r  zeigt  einen  Kranken  mit  isolirtem  und 
primärem  Favus  an  einer  unbehaarten  Hautstelle.  An  der  linken 
Halsseite  besteht  eine  über  haselnussgrosse  Krustenauflagerung  und 
nach  deren  Entfernung  eine  circa  V2  cm  breite,  aus  zerstäubtem,  gelbem 
Pulver  bestehende  Auflagerung,  die  von  einem  thalergrossen,  con- 
centrisch  angeordneten  Kreise  kleiner  Bläschen  und  Knötchen  um¬ 
geben  ist.  Es  breitet  sich  also  der  Favusherd  in  Ringform  mit  einem 
herpetischen  Vorstadium  aus.  Ausserhalb  der  behaarten  Kopfhaut  sind 
1  avusborken  an  unbehaarter  Haut  nicht  allzuselten  und  auch  hier 
demonstrirt  worden,  wie  der  Fall  von  universellem  Favus  bei  einem 
Knaben,  der  auch  auf  dem  Grazer  Congress  vorgestellt  wurde.  Aber 
ohne  gleichzeitige  Affection  der  behaarten  Kopfhaut  sind  isolirte  Favus¬ 
heide  in  der  Literatur  bisher  nur  in  wenigen  Fällen  bekannt.  Ueber 
die  Aetiologie  ist  bei  dem  Kranken  nichts  Näheres  zu  eruiren. 

Spitzer  demonstrirt  aus  der  Abtheilung  Lang  vier  durch 
Operation  geheilte  Fälle  von  Lupus: 

Der  erste,  seit  sechs  Jahren  erkrankt,  zeigte  an  der  linken 
Kopfseite  einen  12  'l2cm  laugen,  8  cm  breiten  Herd,  der  exstirpirt  und 
nach  Thiersch  gedeckt  wurde.  Heilung  nach  zwölf  Tagen. 

Der  zweite  zeigte  einen  Lupusherd  der  rechten  Wange,  bis  un¬ 
mittelbar  an  das  Augenlid  reichend,  nach  dessen  Exstirpation  der 
obere  Theil  des  Defectes  mittelst  eines  von  der  Stirne  genommenen 
Lappens,  der  untere  von  der  Haut  des  Halses  gedeckt  wurde.  Am 
zehnten  Tage  Entfernung  aller  Nähte. 

Die  dritte  Kranke  zeigt,  wie  weit  man  in  der  operativen  Be¬ 
handlung  gehen  kann.  Der  ganze  linke  Oberarm  von  der  Schulter  bis 
zum  Ellbogen  war  von  Lupus  ergriffen.  Die  Haut  wurde  an  beiden 
Rändern  Umschnitten  und  abpräparirt,  so  dass  die  Musculatur  und 
Fascie  ganz  bloss  lagen.  Um  den  Gefässen  und  Nerven  eine  solidere 
Decke  zu  geben,  wurde  ein  gestielter  Lappen  der  linken  seitlichen 
Thoraxgegend  in  der  Länge  des  Oberarmes  an  die  Wunde,  entsprechend 
dem  Sulcus  bicipitalis,  angenäht,  das  übrige  Wundgebiet  wurde  ge- 
thierscht.  Am  zwölften  Tage  wurde  der  Lappen  durchtrennt;  der 
weitere  Verlauf  war  ungestört,  die  Heilung  beanspruchte  zwei  Monate. 

Der  vierte  Fall  zeigt  einen  20jährigen  Patienten  mit  Lupus  an 
der  rechten  Wange,  dem  Ohrläppchen,  der  rechten  Hälfte  der  Ober¬ 
und  Unterlippe  und  des  Halses.  Der  ganze,  umfangreiche  Defect, 
wovon  die  vor  der  Operation  hergestellte  Photographie  eine  Vorstellung 
gibt,  wurde  durch  gestielte  Lappen  von  der  Stirne,  dem  Halse  und 
Nacken,  die  hintere  wunde  Fläche  der  zur  Lippe  verwendeten  Hals¬ 
lappen  durch  Heranziehung  der  Wangenschleimhaut  gedeckt.  Nach 
Heilung  sämmtlicher  Lappen  wurde  die  Mundöffnung  erweitert  und 
die  neu  entstandenen  Wundränder  mit  Schleimhaut  umsäumt. 

Spitzer  demonstrirt  ferner  eine  Frau,  die  lange  Zeit  von 
anderer  Seite  als  Lupus  vulgaris  behandelt  und  paquelinisirt  wurde, 
beim  Spitalseintritte  serpiginöse  Ulcerationon  an  der  Stirne  zeigte,  die 
alle  bei  dem  eingeleiteten  antiluetischen  Verfahren  zurückgingen. 


N  o  b  1  bemerkt  zu  dem  Falle,  dass  derselbe  vor  einigen  Monaten 
in  poliklinischer  Behandlung  stand,  wo  er  reguläre,  erbsengrosse,  zum 
Theil  ki ustenbedeckte  Knötchen  im  Bereiche  der  Stirne  und  Augen¬ 
brauen  bildete;  die  Patientin  war  mehrere  Jahre  hindurch  mittelst 
Kauterisation  und  Excochleation  behandelt  worden,  welche  wiederholten 
Eingriffe  zu  der  hochgradig  entstellenden  narbigen  Durchfurchung  der 
Gesichtshaut  geführt  haben.  Zum  Beweise  der  Unverlässlichkeit,  welche 
den  conservativen  Methoden  der  Lupusbehandlung  anhaftet,  selbst  in 
kosmetischer  Hinsicht,  hat  Nobl  den  Fall  in  seinem:  „Beitrag  zur 
cbii  ui  gisch  plastischen  Lupustherapie“  (Centralblatt  für  die  gesammte 
Therapie.  1900)  den  von  ihm  operativ  geheilten  Fällen  angereiht.  Die 
damalige  Knötcheneruption  kam  auf  Anwendung  von  Pyrogal lussäure 
zur  Rückbildung. 

Spitzer  zeigt  dann  eine  Patientin  mit  einem  eigenartigen 
Befunde  an  der  linken  Bartholinischen  Drüse,  aus 
der  sich  bei  Druck  ein  dickes  gelbes  Secret  entleert,  dessen  makro- 
und  mikroskopische  Untersuchung  Fäcesbestandtheile  ergibt. 

Mit  der  Sonde  gelangt  man  auch  sowohl  durch  den  Ausführungs¬ 
gang  der  Drüse,  als  durch  einen  der  Fossa  navicularis  entsprechenden 
Gang  ins  Rectum.  In  der  Tiefe  fühlt  man  eine  grosse,  derbe  Resistenz, 
offenbar  einen  Sack,  der  bei  Druck  ein  fein  knisterndes  Gefühl  wie  ein 
Hautemphysem  gibt,  mit  der  Sonde  deutlich  kleine  Concremente  er¬ 
kennen  lässt.  Dabei  finden  sich  in  der  ganzen  Gegend  nirgends  Ent¬ 
zündungsresiduen  oder  narbige  Veränderungen.  Auch  entwickluDgs- 
geschichtlich  sind  Gänge  in  dieser  Lage  nicht  bekannt.  Wenn  es  daher 
nicht  undenkbar  ist,  dass  ein  solcher  Gang  bei  der  Bildung  des  Septum 
rectovaginale  persistent  geblieben  ist,  so  ist  doch  auch,  trotz  des 
Mangels  von  Narben,  an  entzündliche  peribartholinische  Processe  zu 
denken. 

Mracek  schliesst  sich  der  letzten  Auffassung  an,  da  gerade 
bei  Vereiterungen  der  Bartholin  i’schen  Drüse  weitgehende  destruc¬ 
tive  Processe  und  Fistelbildungen  nicht  selten  sind.  So  beobachtete  er 
einen  ähnlichen  Fall  an  der  Klinik  Neumann,  wo  die  Perforation 
nach  drei  Richtungen,  in  das  Vestibulum,  gegen  das  linke  kleine 
Labium  und  ins  Rectum  führte. 

Spitzer  demonstrirt: 

1.  Bei  einem  60jährigen  Mann  eine  gummöse  Erkrankung 
des  M.  triceps  b  r  a  c  h  i  i  und  der  Art.  b  r  a  c  h  i  a  1  i  s.  Der 
Patient  hat  vor  40  Jahren  Initialeffect  und  Ausschlag  ohne  Behand¬ 
lung  überstanden.  Vor  20  Jahren  trat  eine  Geschwulst  am  linken 
Oberarm  und  linken  Unterschenkel  auf,  die  nach  zehn  Injectionen  ge¬ 
heilt  waren.  Das  jetzige  Leiden  entwickelte  sich  im  Laufe  von  sechs 
Jahren.  Der  rechte  Oberarm  ist  adducirt,  im  Ellbogengelenk  spitz¬ 
winkelig  gebeugt,  die  Hand  in  der  für  Radialislähmung  typischen 
Stellung. 

Im  Muskelbauche  des  Triceps  fühlt  man  schmerzlose,  harte 
Knollen  eingelagert.  Die  elektrische  Erregbarkeit  ist  für  den  N.  radialis 
und  medianus  stark  herabgesetzt,  sowohl  galvanisch  als  auch  faradisch. 
Die  Arteria  radialis  ist  geschlängelt  und  stark  verdickt,  während  links 
der  Puls  kaum  zu  fühlen  ist. 

2.  Einen  streifenförmig  an  der  Beugeseite  des  linken  Oberarmes 
localisirten  Herd  von  Sklerodermie  bei  einem  fünfjährigen  Knaben, 
die  vor  drei  Jahren,  also  in  einem  ganz  ungewöhnlich  frühen  Alter, 
begann. 

K  r  e  i  b  i  c  h  erwähnt  einen  ähnlichen,  isolirt  am  Oberarm  auf¬ 
getretenen  Herd,  den  er  jetzt  bei  einem  achtjährigen  Mädchen 
behandle. 

3.  Einen  Fall  von  Erythema  multiforme  an  beiden  Vorderarmen 
mit  schönen  Irisformen. 

Weidenfeld  demonstrirt  ein  Ulcus  corneae  als  Ausdruck 
eines  Pemphigus  foliaceus  corneae.  Es  handelt  sich  um 
eine  schwache,  46jährige  Frau,  die  am  ganzen  Körper,  Stamm  und  den 
Extremitäten  die  mannigfachsten  Erscheinungsformen  eines  Pemphigus 
foliaceus  in  verschiedenen  Phasen  und  Nachschüben  darbietet.  Eine 
ganz  eigenthümliche  Veränderung  zeigt  die  linke  Cornea.  Im  Cen¬ 
trum  derselben,  vielleicht  etwas  mehr  nach  unten,  befindet  sich  ein 
kreisrunder,  scharf  begrenzter,  circa  4  mm  breiter  Epithelverlust,  der 
in  seinem  centralen  Antheile  tiefer  und  mehr  grauweiss  verfärbt  ist, 
sich  gegen  den  Rand  abflacht  und  aufhellt,  während  der  äusserste 
Antheil  wieder  einen  trüberen  Ring  bildet,  so  dass  im  Ganzen  drei 
Kreisringe  verschiedener  Nuancirung  zu  unterscheiden  sind.  Die 
Untersuchung  der  Kranken  ergibt  auch  eine  alte,  alle  drei  Aeste  be¬ 
treffende  Parese  des  linken  Facialis,  die  aber  den  Lidschluss  in  keiner 
Weise  beeinträchtigt.  Conjunctival-  und  Cornealreflex  etwas  herab¬ 
gesetzt.  Andere  Sensibilitätsstörungen  nicht  vorhanden.  Das  peripherr 
immer  von  Neuem  scharf  kreisförmige  Fortschreiten,  sowie  der  Mangel 
an  nervösen  Störungen  von  Seiten  des  Facialis  sprechen  dafür,  dieses 
Ulcus  als  eine  seltene  Localisation  einer  ringförmig  progredienten 
Pemphigusefflorescenz  an  der  Cornea  zu  betrachten,  bei  deren  zartem 
Epithel  natürlich  noch  weniger  als  an  der  Conjunctiva  eine  vollständige 
Blase  zu  Stande  kommt. 


1234 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  52 


K  r  e  i  b  i  c  h  führt  den  bereits  früher  wiederholt  demonstrirten 
Fall  von  Urticaria  chronica  perstans  mit  Arsen¬ 
melanose  vor.  Die  Haut  ist  durch  langsamen  Rückgang  der  Arsen¬ 
melanose  jetzt  abgeblasst.  Am  meisten  treten  noch  immer  die  sub- 
jectiven  Symptome  von  intensivem  Jucken  hervor. 

K  r  e  i  b  i  c  h  demonstrirt  weiter : 

1.  Ausgebreitete  gummöse  Geschwüre,  die  mehr 
als  zwei  Drittel  der  rechten  unteren  Extremität  in  diffuser  Weise  er¬ 
griffen  haben  und  seit  drei  Jahren  bestehen.  Die  Sklerose  bestand  vor 
20  Jahren,  danach  keine  specifische  Behandlung. 

2.  Multiple  ulcer  öse  Syphilide  bei  einem  20jährigen 
Mädchen,  die  durch  ihren  Verlauf  parallel  den  Rippen  und  ihr  scharfes 
Einsetzen  in  der  Mittellinie  einen  Herpes  zoster  haemorrh.  gangraenosus 
vortäuschte.  Daneben  bestehen  aber  am  Rücken  und  den  unteren  Ex¬ 
tremitäten  noch  andere,  typische  gummöse  Ulcera. 

3.  Ein  Carcinoma  in  lupo.  Der  52jährige  Patient  hat  einen 
seit  45  Jahren  bestehenden  Lupusherd,  der  an  der  linken  Wange 
beginnt  und  bis  auf  die  linke  Schulter  reicht.  Derselbe  besteht  zum 
grösseren  Theile  aus  strahligem,  weissglänzendem  Narbengewebe,  in 
dem  eingestreut  einzelne,  am  Rande  confluirte  und  exulcerirte  Knötchen 
eingelagert  sind.  Auf  dieser  Basis  hebt  sich  in  der  Mitte  der  linken 
Halsseite  ein  pilzförmig  aufsitzender,  faustgrosser,  derber,  exulcerirter 
Tumor  ab,  der  angeblich  erst  vier  Monate  besteht.  In  der  Fossa 
supraclavicularis  haselnussgrosse,  derbe  Drüsen. 

Wenn  man  die  Eintheilung  der  Autoren  auf  diesen  Fall  anwendet, 
besonders  hinsichtlich  des  anatomischen  Befundes  und  der  eventuellen 
Prognose,  muss  man  ihn  als  eigentlichesLupuscarcinom,  nicht  als  Carcinom 
auf  dem  Boden  einer  alten  Narbe  nach  ausgeheiltem  Lupus  auffassen. 


Oesterreichische  otologische  Gesellschaft. 

Officielles  Protokoll  der  wissenschaftlichen  Hauptsitzung  vom 

29.  Juni  1900. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  A.  Politzer. 

Schriftführer:  Dr.  Hugo  Frey. 

Der  Vorsitzende  eröffnet  die  Sitzung,  indem  er  die  anwesenden 
Mitglieder  und  Gäste  begriisst,  und  fordert  Herrn  Docenten  Dr.  A  1  t 
auf,  die 

Gedenkrede  auf  weiland  Prof.  Josef  Gruber 
zu  halten.1) 

Dr.  Alt:  Die  Oesterreichische  otologische  Gesellschaft  beklagt 
den  Tod  Josef  Gruber’s,  ihres  Begründers  und  ersten  Präsidenten, 
und  erfüllt  einen  Act  dankbarer  Pietät,  sein  Andenken  an  dem  Tage 
der  wissenschaftlichen  Hauptversammlung  zu  ehren.  Betrachtete  doch 
Gruber  die  Schöpfung  unserer  Gesellschaft  als  eine  seiner  grössten 
Errungenschaften,  welche  „als  Denkmal  dauernder  denn  Erz“  für  ihn 
fortleben  wird,  wenn  sie  seinen  Intentionen  entsprechend  besteht  als 
eine  Stätte  für  ernste  wissenschaftliche  Arbeit,  sowie  als  Vereinigung 
zur  gegenseitigen  Belehrung  und  zur  Pflege  der  Collegialität  unter  den 
Mitgliedern. 

Und  was  Gruber  durch  Gründung  der  Gesellschaft  anstrebte, 
hat  er  für  seine  Person  schon  seit  langer  Zeit  zur  Hebuug  des  An¬ 
sehens  und  der  Bedeutung  der  Ohrenheilkunde  bethätigt.  Es  gibt  kein 
Gebiet  in  der  Otologie,  das  nicht  durch  ihn  eine  sorgfältige  Bear¬ 
beitung  erfahren  hätto;  die  Ergebnisse  seiner  anatomischen  und  ent¬ 
wicklungsgeschichtlichen  Untersuchungen,  sowie  seiner  klinischen  und 
therapeutischen  Bestrebungen  waren  in  vielen  Beziehungen  grundlegend 
und  von  unvergänglichem  Werthe  für  unsere  Disciplin. 

Auf  welch  tiefer  Stufe  stand  die  Ohrenheilkunde  zu  Beginn  der 
Sechziger- Jahre,  und  was  hat  sie  der  Wiener  Schule  zu  verdanken! 
Ich  sage:  der  Wiener  Schule;  denn  die  Arbeiten  G  r  u  b  e  r’s  aus  diesem 
Zeitalter  sind  untrennbar  von  jenen  des  mächtig  emporstrebenden 
Politzer.  Trotz  scheinbar  bestandenem  Antagonismus  ist  eine  ge¬ 
wisse  Analogie  im  Entwicklungsgänge  beider  Männer  zu  beobachten. 
Denn  sie  schufen  gemeinsam,  oder  besser  gesagt  neben  einander,  durch 
ihre  anatomischen  und  pathologisch-anatomischen  Arbeiten  die  Grund¬ 
lage  für  da3  Gebäude  der  modernen  Ohrenheilkunde,  so  dass  Wien 
als  deren  hervorragendste  Pflegestätte  galt. 

All  das  zu  verzeichnen,  was  unser  Specialfach  Gruber  ver¬ 
dankt,  ist  an  dieser  Stelle  unmöglich  —  seiner  Feder  entstammen 
über  150  Publicationen2)  —  und  ich  begnüge  mich  daher  mit  der 
einfachen  Aufzählung  der  wichtigsten  Thatsachen  aus  seinen  Arbeiten: 
Ueber  das  dendritische  Gebilde  im  Trommelfelle,  die  Verbindung  des 
Hammers  mit  dem  Trommelfelle,  die  Function  des  Musculus  tensor 
tympani,  die  Fissura  mastoideo-squamosa,  die  Fissura  vestibuii,  den 

')  Aus  dieser  sind  in  der  folgenden  Wiedergabe  einige  Stellen  aus¬ 
gelassen  worden,  die  bereits  im  Nekrologe  (vgl.  diesen  Jahrgang,  Nr.  4) 
ausgeführt  und  besprochen  wurden. 

-)  Vgl.  deren  Verzeichniss.  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde.  1900, 
Nr.  4,  pag.  142. 


Sulcus  tympanicus,  die  Crista  tympanica,  das  Trommelhöhlenepithel, 
die  Schleimhautfalten  in  der  Rosenmülle  r’schen  Grube,  den  Ring¬ 
wulst  am  Trommelfelle,  die  Spannungsverhältnisse  des  Trommelfelles, 
und  ci tire  ferner  die  entwicklungsgeschichtlichen  und  vergleichend- 
anatomischen  Untersuchungen  des  Gehörorganes,  sowie  die  pathologisch¬ 
anatomischen  Arbeiten  über  die  chronisch  eiterige  und  die  hyper¬ 
plastische  Mittelohrentzündung  und  die  Studien  über  das  innere  Ohr. 
Zu  seinen  grössten  Werken  gehören:  Die  anatomischphysiologischen 
Studien  über  das  Trommelfell  und  die  Gehörknöchelchen  und  das 
Lehrbuch  der  Ohrenheilkunde.  Der  grössten  Zahl  seiner  casuistischen 
Publicationen  kommt  wegen  der  sorgfältigen  Beobachtung  bis  dahin 
unbenannter  Thatsachen  ein  hoher  Werth  zu.  .  .  . 

...  Gruber  sah  die  Ohrenheilkunde  aus  bescheidenen  Anfängen 
sich  zu  einer  wohl  ausgebildeten  Specialdisciplin  entwickeln,  und  wie 
er  wacker  mithalf,  die  Grundlage  des  Faches  zu  schaffen,  so  parti- 
cipirte  er  mit  ungeminderter  Geistesfrische  und  mit  geradezu  jugend¬ 
licher  Energie  an  den  Erfolgen  der  otiatrischen  Hirnchirurgie.  Das 
Ansehen  und  die  Bedeutung  der  Otologie  lagen  ihm  gar  sehr  am 
Herzen.  Im  Professoren  Collegium  war  er  der  eifrige  Vorkämpfer  für 
die  Einreihung  der  Otiatrie  unter  die  obligaten  Prüfungsgegenstände 
und  war  rastlos  bemüht,  in  Wien  eine  würdige  Lehrstätte  für  unsere 
Disciplin  zu  erringen,  die  durch  mehr  als  25  Jahre  in  kleinen,  der 
Bedeutung  des  Faches  und  der  Lehre  nicht  entsprechenden  Räumen 
untergebracht  war.  .  .  . 

.  .  .  Seinen  Schülern  und  klinischen  Hilfsärzten  war  er  stets  ein 
wohlwollender  Gönner  und  war  für  ihr  Wohlergehen  stets  besorgt. 
„Die  Schüler  werden  durch  ihre  Lehrer  gi-oss  und  vermehren  dui'ch 
ihre  Grösse  das  Ansehen  des  Lehrers“,  pflegte  er  zu  sagen.  Immer  be¬ 
strebt,  seinen  Schülern  auch  persönlich  näher  zu  treten,  vereinigte  er 
sie  oft  in  seinem  gastlichen  Hause.  .  .  . 

So  oft  Grube  r  eine  Ehrung  zu  Theil  wrurde,  quittirte  er  sie 
im  Namen  der  Otologie.  Als  ihm  ein  hoher  Orden  verliehen  wurde, 
betrachtete  er  dies  nicht  als  eine  Auszeichnung  ad  personam,  sondern 
als  eine  Anerkennung  für  die  Ohrenheilkunde.  Und  als  er  von  der 
glänzenden  Jubelfeier  seines  70.  Geburtstages,  an  der  sich  die  wei¬ 
testen  wissenschaftlichen  und  ärztlichen  Kreise  betheiligten,  heim¬ 
kehrte,  da  sagte  er  hochbeglückt:  „Das  war  heute  ein  schöner  Tag 
für  die  Otiatrie.“ 

Als  im  Jahre  1896,  durch  die  Altersgrenze  bedingt,  Gruber’s 
Rücktritt  vom  Lehramte  erfolgte,  konnte  er,  gewohnt,  zu  schaffen  und 
zu  helfen,  nicht  ruhen  und  übernahm  die  Leitung  eines  Ambulatoriums 
im  Allgemeinen  Krankenhause,  wo  er  bis  zu  seinem  jähen  Tode  un¬ 
ermüdlich  thätig  war. 

So  weit  mir  das  Bild  des  Verblichenen  vorschwebt,  hat  er  stets 
die  Collegialität  hochgehalten  und  keinen  Anlass  verabsäumt,  zu  werk- 
thätiger  Collegialität  zu  mahnen,  und  Gruber  konnte  in  seinen  letzten 
Lebensjahren  die  Freude  erleben,  dass  ein  friedliches,  einträchtiges 
Zusammenwirken  sich  als  Segen  für  die  ganze  Wiener  otologische 
Schule  geltend  machte. 

Gruber  konnte  auf  ein  ehrenvolles,  segensreicher  Arbeit  ge¬ 
widmetes  Leben  zurückblicken,  das  ihm  volle  innere  Befriedigung  ge¬ 
währte.  „Wenn  ich  noch  einmal  auf  die  Welt  käme,“  sagte  er,  „ich 
würde  wieder  Ohrenarzt  werden  und  könnte  mein  Leben  nicht  anders 
einrichten,  als  ich  es  geführt  habe.“ 

Was  Gruber  als  Arzt,  Forscher,  Lehrer  und  Mensch  geleistet, 
wird  sein  Andenken  in  Ehren  der  Nachwelt  erhalten. 

Der  Vorsitzende  fordert  die  Versammlung  auf,  sich  zum 
Zeichen  der  Trauer  für  den  Verewigten  von  den  Sitzen  zu  erheben. 
(Geschieht.) 

Wissenschaftlicher  Theil. 

1.  Dr.  Alexander  hält  seinen  angekündigten  Vortrag  (er¬ 
scheint  in  extenso  an  anderer  Stelle). 

2.  Dr.  Henning  (Vorstand  des  Institutes  für  Moulage  im 
Allgemeinen  Krankenhause)  hält  seinen  angekündigten  Vortrag  über 
künstlichen  Ersatz  der  Ohrmuschel. 

Der  Vortragende  demonstrirt  eine  Reihe  von  Moulagen  und  Gyps- 
abgüssen,  die  theils  angeborene,  theils  durch  Verletzung  oder  Krank¬ 
heit  entstandene  Ohrmuscheldefecte  zeigen,  und  berichtet  über  die 
Ergebnisse  seiner  Versuche,  einen  brauchbaren,  möglichst  unauffälligen 
Ersatz  solcher  meist  entstellender  Defecte  zu  schaffen.  Das  beste 
Material  sei  glashelles  Celluloid  in  Platten,  welches  bei  Siedhitze  in 
fallweise  speciell  angefertigten  Metallformen  gepresst  und  nachher  von 
der  Rückseite  individuell  bemalt  wird.  Die  vom  Vortragenden  auf 
diese  Weise  hergestellten  und  demonstrirten  Ohrprothesen  betrafen 
zwei  Fälle  von  partiellem  Verlust  der  Ohrmuschel  durch  Hundebiss, 
einen  Fall  von  Abschürfung  der  Ohrmuschel  bei  einem  Eisenbahn- 
zusammenstoss,  einen  Fall,  wo  der  Ersatz  in  Folge  Abhauens  der 
Ohrmuschel  bei  einer  Studentenmensur  nothwendig  wurde,  ferner 
einen  Fall,  wo  bei  einer  jungen  Dame  angeborener  Weise  nur  ein 
verkümmertes  Ohrläppchen  vorhanden  war.  Die  Prothesen  machen  in 
Bezug  auf  Form  und  Farbe  den  Eindruck  des  Natürlichen,  sind  durch- 


Nr.  52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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scheinend  und  unzerbrechlich  und  werden  mittelst  Klebstoff  an  ihrer 
Stelle  befestigt. 

Discussion:  Dr.  Gomperz:  Der  Fall,  welchen  ich  mir 
gleich  vorzustellen  erlauben  werde,  gibt  mir  die  Veranlassung,  zu  dem 
schönen  Vortrage  des  Herrn  Dr.  Henning  das  Wort  zu  ergreifen. 

Wir  Otiater  könnten  vielleicht  seine  Kunst  noch  in  Anspruch 
nehmen,  wenn  es  sich  um  den  temporären  Verschluss  solcher  retro- 
auriculärer  Oeffnungen  oder  vielmehr  Krater  handeln  würde,  welche 
wir  "wegen  der  Gefahr  des  Recidives  nicht  operativ  dauernd  zu 
schliessen  wagen,  welche  aber  einerseits  durch  ihre  Grösse  eine  be¬ 
deutende  Entstellung  bedingen,  andererseits  durch  die  Beschaffenheit 
ihrer  Wandungen  sich  zur  Anbringung  solcher  leicht  zu  entfernender 
Verschlussstücke  eignen  würden. 

Der  V  or  sitzende  bemerkt,  dass  es  bisher  sehr  schwierig 
war,  entsprechende  Prothesen  zu  bekommen;  man  musste  sie  aus  dem 
Auslande  beziehen,  und  sie  waren  niemals  befriedigend.  Deshalb  sei 
es  sehr  erfreulich,  dass  Herr  Dr.  Henning  nach  seinen  vielfachen 
Bemühungen  nun  eine  so  treffliche  Methode  erfunden  habe.  Seine 
Prothesen  übertreffen  die  bisher  erzeugten  bedeutend. 

3.  Im  Anschlüsse  an  diesen  Vortrag  demonstrirt  Dr.  Gomperz 
einen  Knaben,  bei  dem  zur  retroauriculären  Plastik  nach  der  Radical- 
operation  Lappen  aus  einem  bei  der  rituellen  Circumcision  gewonnenen 
Präputium  verwendet  wurden. 

Der  nicht  ganz  achtjährige  Herbert  B.  wurde  G  o  m  p  e  r  z  am  3.  Oc¬ 
tober  1896  wegen  rechtsseitiger  Otorrhoe  vorgestellt.  Vor  fünf  Jahren 
soll  er  an  einer  mit  Fieber  und  Bewusstlossigkeit  verbundenen  „Gehirn¬ 
reizung“  erkrankt  gewesen  sein;  vor  drei  Jahren  wurde  zuerst  ein 
übelriechender  Ohrenfluss  bemerkt,  der  bald  nachliess,  bald  wieder 
zum  Vorschein  kam.  Gomperz  fand  Eiter  im  rechten  Gehörgang, 
das  Trommelfell  bis  auf  den  Hammergriff  zerstört;  die  Uhr  wurde 
6  cm  weit  gehört. 

Links:  Getrübtes  Trommelfell,  Uhr  40cm.  Nach  wenigen  Be¬ 
handlungen  sistirte  die  Eiterung  und  wurde  Patient  am  3.  November 
1896  mit  gebessertem  Hörvermögen  (Uhr  rechts  8  cm,  links  77  cm) 
entlassen. 

Am  3.  Februar  1897  erkrankte  er  unter  heftigen  Schmerzen 
und  Fieber  wieder  au  Ausfluss,  und  fanden  sich  Cholesteatommassen 
im  Gehörgange.  Als  am  11.  April  unter  Fieber  bis  40°  und  Schmerzen 
hinter  dem  Ohre  ein  neuerliches  Recidiv  der  Eiterung  auftrat,  nahm 
Gomperz  die  Radicaloperation  nach  Zaufal  vor.  Es  fand  sich  ein 
haselnussgrosses  Cholesteatom  nebst  ausgedehnten  cariösen  Zerstörungen 
im  Knochen  vor;  auch  zeigte  sich  die  Squama,  so  weit  sie  freigelegt 
wurde,  in  verdächtiger  Weise  osteoporotisch. 

Die  retroauriculäre  Plastik  machte  Gomperz  nach  Stacke, 
doch  es  gelang  ihm  nicht,  die  Oeffnung  dauernd  zu  erhalten;  die 
Tamponade  wurde  durch  eine  seltene  Unbändigkeit  des  Patienten,  der 
bei  den  Verbandwechseln  schrie  und  tobte,  erschwert  und  ihre 
Wirkung  oft  dadurch  vereitelt,  dass  der  Knabe  im  ersten  unbewachten 
Moment  trotz  steifen  Verbandes  die  Jodoformgaze  herauszog.  Trotzdem 
konnte  er  am  2.  Juli  scheinbar,  geheilt  entlassen  werden,  allerdings  ohne 
dass  es  gelungen  wäre,  die  freigelegten  Mittelohrräume  offen  zu  erhalten. 

Mitte  September  wurde  der  Knabe  wegen  eines  Recidives  wieder  zu 
Gomperz  gebracht.  Eiter  und  Cholesteatommassen  erfüllten  den 
Gehörgang  und  das  Antrum,  die  Mucosa  der  inneren  Paukenwand 
war  aber  normal.  Da  die  Eiterung  nicht  dauernd  unterdrückt  werden 
konnte,  eröffnete  Gomperz  am  19.  April  1898  nochmals  die  Mittel¬ 
ohrräume  und  fand  wieder  ein  grosses  Cholesteatom  in  Antrum  und 
Warzenhöhle.  Der  Wundverlauf  war  glatt,  aber  der  jetzt  angestrebten 
retroauriculiären  Daueröffnung  schien  wieder  kein  langes  Bestehen 
sicher  zu  sein,  sie  verkleinerte  sieh  gegen  Ende  Mai  zusehends,  so 
dass  sich  Gomperz  zur  Transplantation  entschloss. 

Von  dem  ungewöhnlich  renitenten  Knaben  ohne  Narkose 
Material  zu  gewinnen,  schien  unmöglich,  gegen  die  Narkose  sprach 
der  elende  Kräftezustand ;  so  entschloss  sich  Gomperz,  fremdes 
Material  zu  wählen. 

Gomperz  setzte  sich  mit  einem  Collegen  in  Verbindung, 
welcher  berufsmässig  die  rituelle  Circumcision  ausführt,  und  erhielt 
am  5.  Juni  das  abgeschnittene  Präputium  eines  gesunden  Neugeborenen, 
das  sofort  in  0  6%ige  sterile  warme  Kochsalzlösung  gebracht  worden 
war  und  schon  nach  zehn  Minuten  zur  Beschickung  des  Wundcanales 
mit  neun  Läppchen  verwendet  wurde.  Zwei  davon  stiessen  sich  ab,  die 
übrigen  sieben  hafteten  fest,  und,  wie  heute  demonstrirt  werden  kann, 
ist  die  Erhaltung  der  retroauriculären  Oeffnung  sehr  schön  gelungen. 
Am  18.  Juli  konnte  Gomperz  den  Knaben  geheilt  entlassen. 

4.  Docent  Dr.  Gomperz  demonstrirt  ferner  die  Präparate  zu 
einem  Fall  von  Sequestrirung  beider  Annuli  tympanic  i. 

Die  Präparate  entstammen  einem  siebenjährigen  Mädchen, 
welches  im  October  1898  an  Scharlach  und  wenige  Tage  darauf  an 
Schwerhörigkeit  erkrankte;  nach  einigen  Tagen  soll  es  vollständig 
taub  geworden  sein,  an  welchem  Zustande  sich  seitdem  nichts  mehr 
geändert  hat.  Gleich  im  Beginne  der  Krankheit  zeigte  sich  eiteriger 


Ausfluss  aus  beiden  Ohren;  es  wucherten  Granulationen,  die  entfernt 
wurden,  aber  bald  wieder  nachwuchsen,  und  es  entstanden  An¬ 
schwellungen  über  den  Warzenfortsätzen,  die  sich  zeitweilig  auf  Jod¬ 
einpinselungen  und  Ueberschlägen  verkleinern  Hessen,  aber  immer 
wieder  hervortraten.  Viermal  schwollen  die  Decken  über  den  Warzen¬ 
fortsätzen  im  Verlaufe  von  sechs  Monaten  an,  die  Behandlung  be¬ 
schränkte  sich  aber  nur  auf  Ausspülungen  mit  Creolin  und  Aetzungen 
mit  Milchsäure.  Gomperz  sah  das  Kind  zum  ersten  Male  Mitte 
April  1899  und  fand  bei  demselben  die  Warzenfortsätze  von  ent¬ 
zündeten,  infiltrirten,  fast  fluctuirenden  Hautdecken  bekleidet;  im 
Gehörgange  war  beiderseits  pulsirender,  rechterseits  fötider  Eiter  und 
beiderseits  die  Haut  von  hinten  oben  her  beutelförmig  vorgestülpt,  so 
dass  man  rechts  nur  eine  enge  Spalte  imd  in  der  Tiefe  Granulationen 
sah,  während  links  das  Lumen  vollständig  verlegt  war.  Beiderseits 
war  das  Hörvermögen  für  die  Sprache  vollständig  zu 
Grunde  gegangen,  nur  eine  stark  tönende  A-Gabel  wurde 
scheinbar  vom  Scheitel  gehört.  Vortragender  empfahl  in  Folge  dessen 
die  unverzügliche  Eröffnung  beider  Warzenfortsätze  und  nahm  auch 
diese  Operation  drei  Tage  später,  am  18.  April,  vor. 

Rechts  war  das  Periost  in  eine  fingerdicke  speckige  Schwarte 
verwandelt,  die  sich  leicht  vom  Knochen  abhebeln  Hess;  der  Proc. 
mast,  war  an  der  Wurzel  fistulös  durchbrochen,  der  den  GehörgaDg 
nach  hinten  begrenzende  Rest  seiner  Knochenschale  sequestrirt;  miss¬ 
farbige  Granulationen  und  mehrere  lose  Sequester  füllten  eine  nuss¬ 
grosse  Höhle  im  Warzenfortsatze,  die  hintere  Gehörgangswand  war 
fast  vollständig  zerstört. 

Links  war  die  Oberfläche  des  Warzenfortsatzes  von  erweiterten 
Gefässlöchern  durchzogen,  beim  ersten  Meisselschlag  drängten  sich 
eiterig  verfärbte  Granulationsmassen  vor,  die  eine  kirschgrosse  Höhle 
erfüllten;  am  Grunde  lag  der  nekrotische  Ambos  im  Antrum,  die 
hintere  Gehörgangswand  grösstentheils  zerstört. 

Unter  tadellosem  Wundverlauf  waren  am  16.  Juni  die  Wund¬ 
öffnungen  vei heilt,  die  Secretion  aus  dem  Gehörgange  dauerte  aber 
noch  an  und  als  Ursache  waren  beiderseits  sequestrirte  Knöchelchen 
zu  sehen,  welche  sich  aber  bei  dem  überaus  scheuen  Kinde  nicht  fassen 
Hessen.  Am  30.  Juni  gelang  es  mir,  links  eine  Knochenspange  zu 
entfernen,  die  sich  als  Theil  des  Annulus  tymp.  erwies;  leider  kam  sie 
abhanden.  Rechts  sass  der  Sequester  noch  fest.  Unterdess  kam  die 
Kleine  aufs  Land  und  wurde  zu  Gomperz  erst  im  October  wieder¬ 
gebracht;  sie  hatte  sich  blühend  erholt,  aber  aus  dem  Ohre  secernirte 
es  noch  mässig  und  als  Ursache  waren  die  von  Granulationen  um¬ 
wachsenen  Sequester  zu  sehen,  die  Gomperz  am  4.  October  in 
Narkose  entfernte.  Sie  erwiesen  sich  als  Theile  des  Annulus  tympanicus, 
der  von  rechts,  wo  Gomperz  ihn  in  drei  Stücken  entfernte,  voll¬ 
ständig  zu  sehen  ist,  wärend  vom  liukseitigen  nur  ein  Theil  demon¬ 
strirt  werden  kann,  nachdem  die  im  Juni  entfernte  Hälfte  abhanden 
kam.  Zehn  Tage  nach  der  Extraction  sistirte  die  Otorrhoe  beiderseits; 
die  Trommelfellreste  legten  sich  der  inneren  Paukenwand  an  und  sind 
offenbar  mit  ihr  verwachsen,  so  dass  die  innere  Paukenwand  beider¬ 
seits  vollständig  epidermisirt  erscheint.  Das  Hörvermögen  hat  sich 
nicht  wieder  eingestellt. 

5.  Docent  Dr.  Pollak  hält  seinen  angekündigten  Vortrag  über 
die  Unfallverletzungen  des  Gehörorganes.  (Der  V or¬ 
trag  erscheint  ausführlich  a.  a.  O.) 

Discussion:  Prof.  v.  Frankl-Hochwart  bemerkt,  dass 
er  gelegentlich  der  Untersuchungen  von  Kopfverletzungen  sehr  oft  in 
die  Lage  komme,  auch  über  Hörstörungen  Gutachten  abzugeben.  Die 
Schwierigkeiten  seien  meist  unüberwindlich,  da  das  Unfallsrecht 
nicht  nur  bei  Erwerbung  von  Defecten  mit  Rentenzuerkennung  vor¬ 
geht,  sondern  auch  wesentliche  Steigerung  bereits  vorhandener  Aus¬ 
fälle  anerkennt. 

Wenn  man  nun  auch  alte  Veränderungen  otoskopisch  nachweist, 
ist  es  unmöglich,  zu  sagen,  wie  der  Patient  früher  gehört  hat,  ob  er 
überhaupt  schwerhörig  war,  und  ob  und  wie  weit  der  Unfall  die 
Schwerhörigkeit  gesteigert  hat.  Weitere  Schwierigkeit  macht  die  klinische 
Aehnlichkeit  der  echten  traumatischen  Labyrinthaffectionen  mit  den 
hysterischen:  die  Symptome  sind  miteinander  fast  oder  ganz  iden¬ 
tisch.  Und  doch  müsste  der  mit  der  einseitigen  hysterischen  Schwer¬ 
hörigkeit  viel  geringer  taxirt  werden,  als  der  mit  der  anatomisch 
labyrinthären ;  es  ist  wahrscheinlich,  dass  die  mit  der  genannten  Neu¬ 
rose  Behafteten  das  schwerhörige  Ohr  doch  zum  binauralen  Höract 
gebrauchen,  sowie  der  hysterisch  einseitig  Amaurotische  das  blinde 
Auge  zum  binauralen  Sehact  gebraucht.  Frankl-Hochwart  hat 
auch  Fälle  gesehen,  wo  nach  dem  Unfall  paroxysmaler  Schwindel  mit 
Ohrensausen  auftrat;  ein  Ohr  erwies  sich  als  schwerhörig  und  zeigte 
die  Kriterien  einer  Erkrankung  des  schallpercipirenden  Apparates,  so 
dass  die  Diagnose  auf  hysterischen  Schwindel  bei  traumatischer  Laby- 
rinthaffection  gestellt  wurde.  Später  trat  aber  Hemianästbesie  mit  Be- 
theiligung  des  Geschmackes,  des  Geruches  und  mit  Gesichtsfeld 
einschränkung  auf,  so  dass  es  nuu  unentscheidbar  war,  ob  es  sich 
da  um  Labyrinthaftection  oder  Hysterie  handelte  oder  um  Hysterie  allein. 


1236 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  52 


Dr.  Alt  bestätigt  die  Ausführungen  des  Vortragenden.  Es  er¬ 
eigne  sich  oft,  dass  Schädigungen  des  inneren  Ohres  auf  Unfälle 
zurückgeführt  werden  von  Leuten,  welche  Berufen  angehören,  bei 
denen  Erkrankungen  des  inneren  Ohres  gewöhnlich  sind,  z.  B.  Schlossern, 
Maschinenwärtern  etc.  Man  befindet  sich  dann  in  der  grössten  Ver¬ 
legenheit  und  ist “*  oft  genöthigt,  private  Recherchen  zu  Hilfe  zu 
nehmen.  Noch  schwerer  ist  es,  wenn  angegeben  wird,  dass  schon  vor 
dem  Unfall  eine  leichtere  Schwerhörigkeit  bestanden  hat. 

Eine  zweite  Schwierigkeit  ergebe  sich  bei  den  Unfallsläsionen 
des  Mittelohres,  die  oft  Wochen  und  Monate  lang  nach  dem  Trauma 
zur  Untersuchung  kommen.  Man  ist  dann,  wenn  nicht  ganz  charakteri¬ 
stische  Veränderungen  vorliegen,  nur  auf  die  Angaben  der  Patienten 
angewiesen. 

Dr.  F  a  1 1  a  bemerkt,  dass  es  häufig  bei  hierher  gehörigen 
Untersuchungen  schwer  ist,  beim  W  e  b  e  r’schen  Versuche  eine  posi¬ 
tive  Auskunft  zu  erhalten.  Manchmal  wurde  es  ihm  nützlich,  die 
Stimmgabel  auf  der  kranken  Seite  anzusetzen,  und  sie  dann  langsam 
auf  dem  Knochen  bis  zur  Medianlinie  zu  führen. 

Regimentsarzt  Dr.  B  i  e  h  1 :  Auch  die  Militärärzte  kämen  öfter 
in  die  Lage,  ähnliche  Entscheidungen  zu  tieffen.  Er  findet  ebenfalls 
die  Stimmgabelprüfungsresultate  entscheidender  als  alle  anderen  Unter¬ 
suchungen. 

Dr.  Hammer  schlag  bemerkt,  dass  differentialdiagnostisch 
der  Umstand  in  Betracht  kommen  kann,  das  bei  den  hysterischen 
Affectionen  der  Schwindel  ein  sehr  seltenes  Symptom  sei;  auch  sei 
bei  diesen  häufig  eine  auffallende  IncoDgruenz  zwischen  dem  Stimm¬ 
gabelbefund  und  der  Hörweite  für  Sprache  zu  constatiren. 

Dr.  P  o  1  1  a  k  (Schlusswort)  betont,  dass  er  stets  das  Princip 
festhalte,  in  dubio  pro  reo.  Die  Schwierigkeit  liege  in  den  Mängeln 
unserer  Diagnostik  und  sei  vorerst  nicht  so  le:cht  zu  beseitigen. 

6.  Dr.  Pick  demonstrirt  einen  Fall  von  beiderseitiger 
Nekrose  derknnchernenLabyrinthkapsel  imGefolge 
einer  chronischen  eiterigen  Mittelohrentzündung, 
der  im  Ohrenambulatorium  weiland  Prof.  Gruber’s  im  k.  k.  All¬ 
gemeinen  Krankenhause  zur  Beobachtung  gelangte. 

Es  handelt  sich  um  eine  sonst  gesunde,  nur  an  etwa  einmal 
jährlich  wiederkehrenden  epileptischen  Anfällen  leidende  Frau;  der 
Ohrenfluss,  der  seit  Jahren  besteht,  machte  ihr  so  wenig  Beschwerden, 
dass  sie  kaum  davon  wusste  und  auch  keine  Behandlung  suchte. 

Am  2.  Juni  1900  wurde  ihr  plötzlich  übel,  sie  bekam  heftige 
Schmerzen  und  Sausen  im  linken  Ohre,  Sch  wir  del  und  Erbrechen 
und  wurde  am  linken  Ohre  taub.  Dieser  Zustand  hielt  durch  etwa 
14  Tage  an.  Am  18.  Juni  bekam  sie  nun  Schmerzen  und  Sausen  im 
rechten  Ohre  und  wurde  auch  auf  diesem  taub. 

Am  22.  Juni  zum  ersten  Male  untersucht,  zeigte  Patientin  fol¬ 
gendes  Bild: 

Sie  klagt  über  heftige,  bohrende  Schmerzen  in  beiden  Ohren, 
intensives  Sausen  und  Schwindel.  Beim  Stehen  und  Gehen  mit  ge¬ 
schlossenen  Augen  ist  deutliches  Schwanken  vorhanden;  Erbrechen 
besteht  nicht,  Körpertemperatur,  Puls  normal;  auch  der  somatische 
Befund  bis  auf  Zeichen  einer  geheilten  rechtsseitigen  Lungenspitzen¬ 
erkrankung  normal. 

Die  Processus  mastoid,  beiderseits  äusserlieh  umgerändert,  aber 
druckschmerzhaft.  Die  Gehörgänge  beiderseits  weit,  mit  krümligem, 
übelriechendem  Eiter  erfüllt.  Nach  dessen  Ausspritzen  zeigt  sich  nun 
rechterseits:  Fehlen  des  Trommelfells  bis  auf  einen  kleinen,  den  Rest 
des  Hammergriffes  enthaltenden  Theil.  Die  Paukenschleimhaut  ist 
intensiv  geröthet,  fein  granulirt,  hinten  oben,  unmittelbar  unter  dem 
ovalen  Fenster  zeigt  sich  eine  von  Schleimhaut  entblösste,  graue,  rund¬ 
liche,  2  mm  im  Durchmesser  haltende  Stelle,  woselbst  die  Sonde  auf 
rauhen  Knochen  stösst.  Linkerseits  ist  ungefähr  derselbe  Befund,  nur 
ist  hier  die  zu  Tage  liegende  nekrotische  Knochenpartie  etwas  grösser 
als  rechts,  ausserdem  sieht  man  den  vom  Steigbügel  losgelösten  langen 
Ambossschenkel  hinabragen.  Die  Patientin  ist  für  sämmtliche  Schall¬ 
qualitäten  völlig  taub.  Die  Behandlung  besteht  in  Ausspritzung  und 
Einführung  eines  Jodoformgazestreifens. 

Am  25.  Juni  hört  Patientin  überläut  ins  Ohr  gerufene  Laute 
(a,  e,  u),  sowie  einzelne  Worte,  am  28.  Juni  hört  sie  auch  links  ein¬ 
zelne  Laute,  ausserdem  beiderseits  stärkst  angeblasene  Pfeifen,  Trom¬ 
peten  und  einzelne,  mit  Metall  angeschlagene  Stimmgabeln  für  einige 
Secunden.  (Links:  C4,  Cj,  C;  Rechts:  C3,Ci,  C.)  Patientin  klagt  über 
bohrende  Schmerzen  in  der  Tiefe,  namentlich  des  linken  Ohres,  be 
findet  sich  sonst  wohl.  Die  Knochennekrose  ist  links  nach  unten  etwas 
vorgeschritten. 

Vermuthlich  kam  es  in  diesem  Falle  zu  einem  unter  stürmischen 
Erscheinungen  einsetzenden  Durchbruch  des  Eiterungsprocesses  in  das 
Labyrinth  auf  dem  Wege  der  Labyrinthfenster,  worauf  die  Nekrose 
der  beiderseits  von  Eiter  umspülten  äusseren  Labyrinthwand  eintrat. 
Da  inzwischen  die  ersten  Reizerscheinungen  abgeklungen  sind,  das 
Hörvermögen  sich  zum  geringen  Theile  wieder  einstellte,  was  sich  auf 
Nachlassen  des  intralabyrinthären  Druckes  zurückführen  lässt,  und 


sich  die  gegenwärtig  auf  die  Ohrenklinik  Prof.  P  o  1  i  t  z  e  r’s  aufgenom¬ 
mene  Patientin  eines  relativen  Wohlbefindens  erfreut,  hält  es  Vor¬ 
tragender  für  gerathen,  vorläufig  eine  zuwartende  Haltung  einzunehmen, 
in  der  Erwägung,  dass  sich  vielleicht  die  nekrotischen  Theile  durch 
demarkirende  Eiterung  loslösen  und  abstossen  werden.  Sollten  sich 
indessen  Symptome  von  Seite  der  Hirnhäute  einstellen,  so  müsste  zur 
Radicaloperation  mit  anschliessender  Ausräumung  des  Labyrinths  ge¬ 
schritten  werden. 

7.  Prof.  Politzer  hält  seinen  angekündigten  Vortrag:  Bei¬ 
träge  zur  pathologischen  Anatomie  der  Otitis  media 
acuta  im  Säuglingsalter. 

Das  häufige  Vorkommen  von  Mittelohrentzündungen  bei  Säug¬ 
lingen  und  in  den  ersten  Lebensjahren  stehenden  Kindern  hat  in  den 
letzten  Jahren  das  Interesse  der  Ohrenärzte  und  Kliniker  in  hohem 
Grade  angeregt,  und  dieses  Interesse  wird  durch  eine  grössere  Anzahl 
von  Publicationen  bewiesen.  Insbesondere  seien  erwähnt  die  Arbeiten 
von  Po  n  fick,  Aschoff,  Heer  mann,  Kossel,  Göppert, 
Rasch,  Hartmann  und  Siegfried  Weiss. 

Die  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  wechseln  nach 
der  Intensität  der  Entzündung  und  kommen  in  verschiedenen  Ab¬ 
stufungen  vom  einfachen  Katarrh  bis  zur  hochgradigen  Zellinfiltration 
zur  Beobachtung. 

P  o  1  i  t  z  e  r’s  Untersuchungen  betreffen  eine  Reihe  von  Gehör¬ 
organen,  die  von  im  Karolinen-Kinderspital  verstorbenen  Kindern 
stammen  und  sammt  den  dazu  gehörenden  klinischen  Aufzeichnungen 
ihm  durch  Herrn  Dr.  S.  Weiss  übermittelt  wurden. 

In  fast  allen  Fällen  findet  sich  im  Mittelohr  ein  seröser  oder 
sulziger,  klebriger,  durch  Eiterzellen  getrübter  Inhalt,  selten  rein 
eiteriges  Exsudat.  Die  Schleimhaut  ist  entweder  gleichmässig  oder  un- 
gleichmässig  geschwollen,  ödematös,  uneben  und  drüsig. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Schleimhäute  zeigt 
grössere  und  kleinere,  halbkugelige,  zottenähnliche  Erhabenheiten  mit 
stellenweise  noch  erhaltenem  Epithel.  Die  besonders  dem  früheren 
Schleimhautpolster  entsprechenden  Partien  der  Mucosa  sind  stark  ver¬ 
dickt  und  die  oberen,  gefässreicheren  Schichten  von  zahlreichen  mono- 
und  polynucleären  Leukocyten  durchsetzt.  Diese  Zellinfiltration  nimmt 
nach  den  unteren  Schichten  zu  so  ab,  dass  die  dem  Knochen  an¬ 
liegenden  fast  ganz  normal  und,  wie  Weiss  hervorhebt,  dem  embryo¬ 
nalen  Schleimgewebe  ähnlich  sich  darstellen. 

Der  Knochen  selbst  zeigt  keine  Veränderungen  bis  auf  eine 
Rundzellenanhäufung  in  den  Markräumen  der  Spongiosa. 

Im  Secret  lassen  sich  bacteriologisch  verschiedene  Mikro¬ 
organismen  nachweisen,  identisch  mit  den  auch  sonst  bei  der  acuten 
Otitis  vorkommenden.  Der  Nachweis  von  Bacterien  in  den  oberfläch¬ 
lichen  Schichten,  sowie  innerhalb  der  Blutgefässe  gelang  bisher  nur  in 
seltenen  Fällen. 

Die  Sectionsergebnisse  zeigen  ferner,  dass  die  entzündlichen 
Affectionen  des  Mittelohres  bei  Säuglingen  und  Kindern  in  den  ersten 
Lebensjahren  meist  Individuen  betreffen,  die  in  Folge  von  Erkran¬ 
kungen  der  Verdauungs-  und  Respirationswege  einerseits,  von  acuten  und 
chronischen  Allgemeininfectionen  andererseits  herabgekommen  sind  und 
einen  kachektischen  Zustand  aufweisen.  Insbesondere  die  Morbillen 
liefern  hiezu  ein  starkes  Contingent;  sehr  oft  verlaufen  die  Mittelohr- 
processe  hier  ohne  auffälligere  Symptome  und  werden  nur 
bei  systematischer  Untersuchung  der  Gehörorgane  erkannt.  In  vielen 
Fällen  verläuft  der  Process  ohne  Perforation  des  Trommelfelles.  Als 
Infectionsweg  hat  wohl  meistens  die  Tube  zu  gelten;  Infectionen  auf 
dem  Wege  der  Blutbahn  und  Eindringen  der  Krankheitserreger  vom 
Gehörgang  aus  können  gewiss  als  selten  bezeichnet  werden  (S.  Weiss). 
Das  Eindringen  von  Mikroorganismen  durch  die  Tube  wird  entschieden 
dadurch  begünstigt,  dass  die  kindliche  Tube  im  Vergleich  mit  der  des 
Erwachsenen  kürzer  und  weiter  ist,  und  dass  durch  die  forcirten  Ex- 
spirationsstösse  beim  Husten,  Räuspern  und  Würgen  das  infectiöse 
Material  leicht  in  die  Trommelhöhle  gelangt. 

(Es  folgt  die  Demonstration  einer  Anzahl  histologischer  Präparate 
durch  den  Vortragenden.) 

Discussion:  Dr.  Gomperz  hält  die  Darmaffectionen  und 
das  Herunterkommen  der  Kinder  bei  Otitis  media  für  secundäre  Er¬ 
scheinungen  derselben,  wenn  auch  zugegeben  werden  muss,  dass  In- 
anitionszustände  die  Disposition  für  die  Infectionen,  welche  zur  Otitis 
führen,  erhöhen  und  so  ein  primäres  Moment  darstellen  können. 

Denkt  man  an  die  schweren  Allgemeinsförungeu,  die  eine  Otitis 
media  schon  bei  Erwachsenen  mit  sich  bringt,  so  ist  es  nicht  zu  ver¬ 
wundern,  dass  der  zarte  kindliche  Organismus  noch  schwerere  Störungen 
zeigt;  Gomperz  hat  immer,  auch  bei  leichten  Otitiden  der  Säug¬ 
linge,  Störungen  im  Verdauungeapparat  beobachten  können,  verminderte 
Nahrungsaufnahme,  sonst  unmotivirtes  Erbrechen,  schlechte  Stühle  und 
Gewichtsabnahme.  Diese  Erscheinungen  zeigen  sich  schon  bei  den 
leichtesten  Graden  der  Otitis,  und  muss  dies  um  so  mehr  hervorgehoben 
werden,  als  die  Behauptung  Goepper  t’s,  die  Otitis  habe  keinen  Ein¬ 
fluss  auf  das  Gedeihen  des  Kindes,  sie  führe  nur  selten  zu  Fieber  und 


Nr.  52 


WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


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Unruhe,  ebenso  wie  die  Ansicht  von  Weiss,  dass  Rückwirkungen 
der  Otitis  media  im  Säuglingsalter  auf  den  Gesammtorganismus  nicht 
nachweisbar  seien,  nicht  ohne  Widerspruch  hingenommen  werden  dürfen. 

Dort,  wo  die  Kinder  sorgfältig  beobachtet  und  wöchentlich  ge¬ 
wogen  werden,  wo  die  Mütter  die  Mahlzeiten  und  die  Stühle  fort¬ 
während  controliren,  sieht  man  immer  die  früher  erwähnten  Störungen. 
Gegentheilige  Behauptungen,  so  weit  sie  sich  auf  die  Otitis  beziehen, 
basiren  daher  nach  Gomperz  auf  mangelhaften  Beobachtungen. 

Bezüglich  der  Aetiologie  findet  Gomperz  die  Ansicht  von 
Weiss,  dass  das  Bestehenbleiben  embryonalen  Gewebes  in  der  Schleim¬ 
haut  die  Disposition  zu  Otitiden  erhöhe,  sehr  plausibel,  meint  aber, 
dass  dieser  Factor  nicht  allein  schuldtragend  sei.  Vor  Allem  stehe  das 
Ostium  pharyngeum,  die  Einbruchspforte  der  allermeisten  Otitiden,  viel 
tiefer,  als  beim  Erwachsenen,  unter  dem  Niveau  des  harten  Gaumens; 
dazu  kommt  das  viele  Speien  der  Säuglinge,  denen  die  erbrochene 
Milch  sehr  leicht  durch  die  Nase  rinnt,  und  das  viele  Schreien. 

Gomperz  hat  schon  vor  Jahren  darauf  aufmerksam  gemacht 
dass  beim  Schreien  der  Säuglinge  Luft  in  das  Mittelohr  eingepresst 
werde,  und  hat  diese  Beobachtung  seither  oft  genug  wiederholen 
können.  Gomperz  findet  auch,  dass  es  zu  wenig  betont  wird,  welche 
Gefahr  die  Grippe  für  das  kindliche  Gehörorgan  mit  sich  bringt.  Dieser 
Erkrankung  ist  der  allergrösste  Procentsatz  der  Otitiden  zuzuschieben, 
welche  das  kindliche  Ohr  befallen,  und  darum  sollten,  so  weit  dies 
nur  irgend  durchführbar  ist,  die  Kinder  im  Hinblick  auf  die  grosse 
Contagiosität  der  Grippe  ängstlich  vor  dem  Contact  mit  Personen  be¬ 
wahrt  werden,  welche  an  Schnupfen  —  also  an  Grippe  oder  Influenza 
—  erkrankt  sind. 

Dr.  Pick:  Die  Affection  des  Ohres  ist  beim  Säugling  eine  viel 
zu  heftige,  als  dass  sie  fieberlos  verlaufen  könnte.  Auf  ein  wichtiges 
Symptom  habe  er  schon  vor  mehreren  Jahren  aufmerksam  gemacht. 
Die  Kinder  reiben  fortwährend  mit  dem  Hinterhaupt  auf  den  Polstern, 
und  zwar  viel  unruhiger  als  bei  Craniotabes.  Das  Kind  beruhigt  sich, 
wenn  man  es  auf  die  leidende  Seite  legt.  Auch  pflegen  solche  Kinder 
beim  Trinken  immer  nur  an  einer  Mamma  zu  saugen.  Eine  häufige 
Ursache  der  Erkrankung  dürfte  in  dem  Untertauchen  der  Kinder  beim 
Baden  zu  suchen  sein. 

Politzer  erwidert,  dass  er  ja  die  Infection  vom  Nasenrachen¬ 
raum  als  eine  sehr  häufige  Ursache  erwähnt  habe.  Die  in  der  Dis¬ 
cussion  erhobenen  Einwände  beziehen  sich  aber  meistens  auf  die  acuten 
Mittelohrentzündungen,  die  klinisch  erkannt  werden,  da  sie  eben  Sym¬ 
ptome  machen.  Er  aber  habe  das  Hauptgewicht  auf  jene  Fälle  gelegt, 
welche  symptomlos  verlaufen  und  erst  bei  der  Section  gefunden  werden. 
Erst  wenn  alle  mit  Infectionskranklieiten  behafteten  Kinder  zur 
otiatrischen  Untersuchung  kommen  werden,  wird  man  auch  am  Leben¬ 
den  die  Diagnose  der  Ohrenerkrankung  stellen  können. 

8.  Dr.  Hammer  schlag  hält  seinen  angekündigten  Vortrag: 
Ueber  die  rheumatischen  Erkrankungen  des  Acusti 
c  u  s  (erscheint  an  anderer  Stelle). 

9.  Dr.  Gomperz  hält  seinen  angekündigten  Vortrag:  Zur 
Therapie  der  Verwachsungen  im  Mittelohre. 

Nach  einem  Hinweis  auf  die  Bedeutung  der  intratympanalen  Ver¬ 
wachsungen,  ihre  Aetiologie  und  Symptomatologie  erinnert  Gomperz 
an  die  Verdienste  P  o  1  i  t  z  e  r’s  um  die  operative  Behandlung  dieser 
Mittelohraffectionen  und  kommt  hierauf  auf  eine  Methode  zurück, 
welche  er  im  Jahre  1895  in  dieser  Gesellschaft  kurz  beschrieben  hatte 
und  welche  das  Ziel  verfolgt,  nach  Lösung  des  adhärenten  Hammer¬ 
griffes  die  Wiederverwachsung  sicher  zu  verhüten. 

Damals  wurden  sowohl  seitens  weiland  Prof.  Grube  r’s,  als 
auch  von  Bing  Zweifel  über  die  Dauer  des  Erfolges  geäussert.  Da 
Gomperz  in  einer  Reihe  von  Fällen  und  durch  Controlen  nach 
mehr  als  Jahresfrist  constatiren  konnte,  dass  es  sich  hier  um  Dauer¬ 
erfolge  handelt,  sieht  sich  Gomperz  veranlasst,  seine  Methode 
nochmals  zu  empfehlen. 

Der  erste,  nach  Gomperz’s  Methode  behandelte  und  in  seinem 
ersten  Vortrage  bereits  angeführte  Fall  betraf  einen  37jährigen  Mann, 
der  in  der  Kindheit  nach  Scharlach  eine  beiderseitige  Ohreneiterung 
acquirirte  und  dadurch  schwerhörig  geworden  war;  er  wurde  Gom¬ 
perz  von  Herrn  Dr.  M.  Weil  in  Wien  zugesendet. 

Rechterseits  fand  sich  —  neben  einer  grossen  centralen  Per¬ 
foration  —  nur  ein  schmaler  Rand  vom  Trommelfell  vor,  die  Uhr 
wurde  nur  beim  Andrücken,  Flüstersprache  V2  m  weit  gehört.  Linker¬ 
seits  fand  sich  das  Trommelfell  destruirt,  bis  auf  einen  schmalen 
Zwickel,  welcher  den  Hammergriff  enthielt.  Dieser  war  durch  straffes 
Narbengewebe  der  Labyrinthwand  adhärent,  während  hinten  oben  die 
intacte  Ambosssteigbügelverbindung  zu  sehen  war.  Secretion  war  nicht 
vorhanden,  die  Uhr  wurde  3  cm  weit  gehört,  Flüstersprache  60  cm. 
Weder  Lufteintreibungen  noch  Luftverdünnungen  vom  äusseren  Gehör- 
i  gange  aus  besserten  diese  Distanz.  Hier  nahm  Gomperz' an,  dass 
durch  die  Verlöthung  des  Hammergriffes  der  Steigbügel  im  ovalen 
Fenster  fixirt  sei,  dass  er  nach  Lösung  des  Hammergriffes  freier 
schwingen  dürfte,  und  trennte  die  sehr  dicke  Narbenmembran  derart, 


dass  er  den  Hammergriff  mit  dem  Paracentesenmesser  circumcidirte, 
worauf  er  ihn  mittelst  des  Synechotoms  von  der  inneren  Paukenwand 
ablösen  konnte.  Der  Eingriff,  der  unter  Verwendung  starker  Cocain¬ 
lösung  unter  unbedeutenden  Schmerzen  verlief,  war  von  so  mässiger 
Blutung  gefolgt,  dass  Gomperz  sofort  den  zweiten  Act  der  Ope¬ 
ration  beginnen  konnte. 

Gomperz  hatte  sich  eine  nur  0-20  mm  dicke  Celluloidplatte, 
sogenanntes  Celluloidpapier,  vorbereitet,  welches  das  Ansehen  und  die 
Glätte  polirten  Elfenbeines  besass. 

Aus  diesem  papierdünnen,  aber  festen  und  ausserordentlich 
elastischen  Material  schnitt  Gomperz  sich  einen  Streifen  von  circa 
3  ^2  cm  Länge,  an  den  Enden  1mm,  in  der  Mitte  4  mm  breit. 

Diesen  Streifen  fasste  Gomperz  mit  aneinander  gebogenen 
Enden,  so  dass  er  eine  Schleife  bildete,  fest  mit  einer  Politzer- 
schen  Pincette  und  führte  ihn  durch  einen  weiten  Ohrtriehter  derart 
in  die  Paukenhöhle  bis  unter  den  Umbo,  dass  bei  leichtem  Druck 
nach  oben  der  mittlere  breite  Theil  zwischen  Hammergriffende  und 
Promontorium  zu  liegen  kam;  dann-  liess  Gomperz  die  Enden  des 
elastischen  Streifens  los,  worauf  sie  sich  federnd  an  die  vordere 
und  hintere  Wand  des  Gehörganges  anlegten.  Dadurch  blieb  der 
leichte  Streifen  sicher  und  ohne  zu  reizen  in  der  ihm  gegebenen  Lage. 

Der  Patient  ertrug  diesen  Apparat  ohne  Beschwerden;  nach 
acht  Tagen  war  die  reactive  Absonderung  versiegt,  und  als  Gomperz 
nach  14  Tagen  die  Krusten,  welche  sich  aus  Secret  und  Jodolpuder 
gebildet  hatten,  erweicht  und  ausgespritzt  hatte,  fand  er  nach  Ent¬ 
fernung  des  Celluloidstreifens  die  Operationsflächen  übernarbt  und  den 
Hammergriff  frei  von  der  inneren  Paukenwand  abstehend.  Das  func- 
tionelle  Resultat  der  Operation  war  ein  sehr  befriedigendes;  die  Hör¬ 
weite  stieg  gleich  nach  der  Operation  auf  4  m  (von  60  cm)  für  die 
Flüstersprache,  um  dann  auf  3  m  herabzugehen.  Diese  letztere  Hör¬ 
weite  konnte  Gomperz  noch  1899,  also  fünf  Jahre  nach  der 
Operation,  constatiren,  als  er  die  Behandlung  mit  Aetzungen  des 
Perforationsrandes  mit  Trichloressigsäure  aufnahm,  zum  Zwecke  des 
Verschlusses  der  grosseu  Perforation  durch  Narbengewebe. 

Eine  Wieder  Verwachsung  des  Hammergriffes 
war  nicht  eingetreten. 

Zum  zweiten  Mal  bediente  sich  Gomperz  des  gleichen  Ver 
fahrens,  in  dem  analogen  Fall  des  Herrn  Dr.  juris  A.  B.,  welcher 
ihm  vom  Ohrenarzt  Dr.  E.  F  i  c  k  e  i  s  in  Linz  am  22.  Februar  1898 
pro  consilio  vorgeführt  wurde. 

Der  Patient,  seit  Kindheit  in  Folge  beiderseitiger  Mittelohreiterung 
gchwerhörig,  ist  ein  30jähriger,  höchst  anämischer  und  schwächlicher 
Mann  mit  suspecten  Lungenspitzen. 

Rechterseits  ist  das  Trommelfell  vollständig  zerstört,  daselbst 
fehlen  sämmtliche  Gehörknöchelchen;  Flüstersprache  wird  nur  15  cm 
weit  wahrgenommen;  keine  Secretion.  Linkerseits  ist  das  Trommelfell 
bis  auf  das  obere  Segment,  welches  den  Hammergriff  enthält,  zerstört. 
Derselbe  war  stark  einwärts  gezogen  und  am  Umbo  mit  dem  Promon¬ 
torium  bindegewebig  verwachsen.  Die  Auskleidung  der  Paukenhöhle 
ist  narbig  verändert,  epidermisirt.  Hinten  oben  wucherten  Granulationen 
vor;  mässige  Eiterung.  Flüstersprache  wurde  20  cm  weit  gehört. 

Am  17.  Mai  war,  Dank  der  von  Dr.  Fickeis  durchgeführten 
Behandlung,  die  Eiterung  am  linken  Ohr  geheilt,  und  mau  konnte 
hinten  oben  die  Contouren  des  Ambosssteigbügelgelenkes  unterscheiden. 
Das  Hörvermögen  für  Flüstersprache  betrug  20  cm.  Am  25.  November 
1898  constatirte  Gomperz  den  gleichen  Befund,  laute  Sprache  wurde 
3  m  weit  gehört.  Der  Patient,  der  sich  durch  diese  Taubheit  in  seiner 
Existenz  bedroht  und  ganz  unglücklich  fühlte,  drängte  zu  einem  ener¬ 
gischeren  Einschreiten,  so  dass  Gomperz  die  Trennung  der  Synechie 
in  der  beim  ersten  Fall  beschriebenen  Weise  vornahm,  worauf  er  den 
Celluloidstreifen  zwischen  Hammer  und  Promontorium  einlegte.  Das 
Hörvermögen  hob  sich  sofort  auf  8  m  für  die  mittellaute  Sprache, 
und  der  Patient  fuhr  beglückt  nach  Hause. 

Das  Hörvermögen  blieb  auf  dieser  Höhe  bis  zum  Sommer  1899, 
wo  der  Celluloidstreifen  entfernt  wurde,  welcher  bis  dahin  ruhig 
an  seiner  Stelle  gelegen  und  absolut  nicht  gereizt 
h  a-t  t  e. 

Von  da  ab  nahm  das  Hörvermögen  allmälig  wieder  ab,  konnte 
aber  durch  Einlegen  eines  künstlichen  Trommelfells  gebessert  werden. 

Am  17.  April  1900  sah  Gomperz  den  Patienten  zum  letzten 
Mal  und  constatirte,  dass  der  Hammergriff  in  normaler 
Stellung  vollständig  frei  herabragt.  Das  für  laute 
Sprache  auf  3  m  zurückgegangene  Hörvermögen  hob  sich  auf  12  m, 
als  Gomperz  ein  mit  Vaselineöl  getränktes  Wattekügelchen  einlegte. 
Der  sehr  intelligente  Mann  lernte  es  nun,  sich  dieses  künstliche 
Trommelfell,  sowie  auch  das  Borsäuretrommelfell  zu  appliciren  und 
verträgt  diese  beiden  Prothesen  gut,  mit  stets  hörverbesserndem  Ei  folg. 

Es  steht  also  unzweifelhaft  fest,  dass  durch 
diese,  Gompe  r’z  Methode  eine  W  ieder  Verwachsung 
des  von  der  Labyrinthwand  abgelösten  Hammers 
dauernd  verhindert  werden  kann. 


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WIENER  KLINISCHE  WOCHENSCHRIFT.  1900. 


Nr.  52 


Zur  vollen  Geltung  hat  Gomperz  den  Erfolg  dieser  Methode 
in  den  Fällen  gebracht,  wo  der  Eiterungsprocess  zu  dauerndem  Still¬ 
stand  gekommen  war  und  wo  es  ihm  gelang,  das  freigemachte  Trommel¬ 
fell  durch  Aetzung  des  Perforationsrandes  zur  Vernarbung  zu  bringen. 
Die  hier  folgenden  Fälle  beleuchten  den  Werth  dieser  combinirten 
Behandlungsmethode. 

1.  Frau  F.  B.,  50  Jahre  alt,  consultirte  G  o  m  p  e  r  z  am  30.  No¬ 
vember  1896  wegen  langjähriger  Taubheit.  Am  rechten  Ohr  fand 
Gomperz  eine  eiförmige  Perforation  fast  der  ganzen  vorderen 
Trommelfellhälfte,  in  deren  hintere  Peripherie  der  Hammer  hineinragte. 

Derselbe  war  mit  der  inneren  Paukenwand  bindegewebig 
verlöthet.  G  o  m  p  e  r  z’s  Uhr  (normal  150  cm)  wurde  nicht,  laute 
Sprache  nur  beim  Hineinschreien  gehört.  Am  linken  Ohr  fand  sich 
nach  Entfernung  eingedickten  Eiters  das  Trommelfell  zerstört.  Uhr  0, 
laute  Sprache  70  cm. 

Gomperz  führte  nun  am  rechten  Ohr  sofort  die  Lösung  des 
Hammergriffes  aus,  indem  er  von  vorne  mit  einem  Schwarz  e’schen 
Tenotom  eindrang  und  die  ziemlich  derbeBindegewebsmasse  durchtrennte. 

Dann  führte  Gomperz  einen  circa  3  mm  breiten,  4  mm  langen 
Celluloidstreifen,  dessen  vorderes  Ende  er  rechtwinkelig  aufbog,  zwischen 
Hammergriff  und  Promontorium  ein,  wo  er  bis  zum  1.  December  ver¬ 
blieb,  an  welchem  Tage  Gomperz  begann,  den  Perforationsrand  mit 
Trichloressigsäure  zu  ätzen. 

Am  23.  Januar  1897  war  die  grosse  Lücke  nach  acht  Aetzungen 
vollständig  geschlossen  und  die  Hörweite  für  die  Uhr  auf  25  cm, 
für  Flüster  spräche  auf  14  m  gestiegen,  die  Patientin,  welche 
längst  genöthigt  gewesen  war,  die  Mithilfe  im  Geschäfte  ihres 
Mannes  aufzugeben,  konnte  nunmehr  wieder  anstandslos  mit  Kunden 
verkehren. 

In  dauernder  Controle  befindet  sich  bei  Gomperz  der 
folgende  Fall. 

2.  Herr  J.  G.,  derzeit  40  Jahre  alt,  steht  seit  dem  10.  August 
1889  in  Go  mp  er  z’s  Behandlung.  Er  litt  damals  seit  der  Kindheit 
nach  Scharlach  an  beiderseitiger  Ohreiterung  und  Schwerhörigkeit. 
Damals  hatte  Gomperz  kurz  notirt:  „Beiderseits  Destruction, 
Pollitzer’s  Acumeter  rechts  22,  links  2  cm“.  Am  30.  September 
1889  sistirte  der  Ausfluss  nach  Aetzungen  mit  5%>ger  Lapislösung 
und  wurde  der  Acumeter  rechts  67  cm,  links  16  cm  weit  gehört. 
1891  behandelte  Gomperz  Herrn  G.  zweimal  an  Recidiven  der 
Eiterung,  welche  mit  Borsäure  geheilt  wurden. 

Künstliche  Trommelfelle,  welche  Gomperz  dann  versuchte, 
reizten  so  sehr,  dass  sie  nicht  in  Gebrauch  gezogen  werden  konnten. 
Am  18.  September  1897  wurde  Gomperz  von  Herrn  G.  wieder 
wegen  Eiterung  aus  den  Ohren  aufgesucht;  auch  klagte  er  verzweifelt 
über  die  stete  Abnahme  seines  Hörvermögens,  durch  welche  ihm  der 
Verkehr  mit  Vorgesetzten  und  Clienten  peinlich  erschwert  werde.  Der 
Status  war  folgender: 

Rechtes  Ohr:  Das  Trommelfell  ist  bis  auf  einen  schmalen 
Saum  destruirt,  so,  dass  man  hinten  oben  das  Steigbügel- Ambossgelenk, 
hinten  unten  die  Nische  zum  runden  Fester  sehen  konnte.  Der  Hammer¬ 
griff  war  erhalten,  aber  durch  ein  vom  Umbo  zum  Promontorium 
hinziehendes  sehniges  Band  fixirt.  Die  Mucosa  gelbrotb,  succulent, 
Eiterung  sehr  gering,  Flüstersprache  50  cm;  keine  Besserung  nach  der 
Luftdouche. 

Linkes  Ohr:  Trommelfell  destruirt  bis  auf  einen  schmalen 
Saum  an  der  oberen  Peripherie,  welcher  den  kurzen  Hammerfortsatz 
enthält,  während  der  Hammergriff  fehlt;  ebenso  fehlt  der  lange 
Ambossschenkel,  und  der  Steigbügel  steckt  frei  im  ovalen  Fenster. 
Flüstersprache  40  cm.  Nun  redete  Gomperz  Herrn  G.  ernstlich  zu, 
die  Lösung  des  Hammergriffes  vornehmen  zu  lassen.  Gomperz  hatte 
mit  ihm  schon  früher  von  diesem  Eingriffe  gesprochen,  ihn  aber  damals 
von  dem  Werth  desselben  nicht  zu  überzeugen  vermocht.  Jetzt  aber 
war  er  damit  einverstanden.  Nachdem  die  Eiterung  vollständig  beseitigt 
war,  löste  Gomperz  am  19.  October  1897  die  Verwachsung  auf 
die  bereits  erwähnte  Weise  und  führte  den  Celluloidstreifen  ein.  Der 
Patient  erlitt  dabei  eine  tiefe  Ohnmacht,  erholte  sich  aber  bald,  und 
war  der  weitere  Verlauf,  da  sich  keine  Eiterung  einstellte,  ein  so 
günstiger,  dass  Gomperz  am  6.  November  den  Celluloidstreifen  entfernte. 

Schon  eine  Woche  vorher  hatte  Gomperz  begonnen,  mit 
Trichloressigsäure  den  Rand  der  grossen  Lücke  zu  ätzen,  und  nach 
neun  Aetzungen,  von  denen  nur  die  sechste  eine  kurz  dauernde  Eiterung 
hervorgerufen  hatte,  war  am  19.  December  das  Trommelfell  vollständig 
vernarbt,  gut  beweglich  und  die  Hörweite  auf  13  m  für 
Flüster  spräche  gestiegen.  Dieses  für  den  Patienten  ungemein 
wichtige  Resultat  hat  bis  heute,  also  länger  als  zwei  Jahre,  fast  un¬ 
geschmälert  angehalten,  und  constatirte  Gomperz  bei  der  letzten 
Messung  eine  Hördistanz  von  12  m  für  Flüstersprache,  welche  sich 
nach  der  Luftdouche  auf  17  m  besserte.  Herr  G.  ist  indess  zum  Leiter 
eines  Bankgeschäftes  vorgerückt  und  dem  Verkehr  mit  seinen  Clienten 
und  der  Gesellschaft  in  einerWeise  wiedergegeben,  die  er  nie  erhofft  hatte. 


Die  Indicationen  zu  Gomper  z’s  Methode  ergeben  sich  nach 
diesen  Mittheilungen  folgendermassen :  Sie  wird  sich  für  alle  Fälle  von 
Hammeradhärenz  eignen,  wo  der  Hammergriff  mindestens  mit  einer 
Kante,  der.  vorderen  oder  rückwärtigen,  eine  grössere  Perforation 
begrenzt,  oder  in  eine  grössere  Perforation  hineintaucht,  also  bei 
central  gelegenen,  nierenförmigen,  dann  bei  den  eiförmigen  Perfora¬ 
tionen  und  Destruetionen  des  Trommelfells.  In  solchen  Fällen  lässt  sich 
die  Trennung  der  wunden  Flächen  durch  das  CellulpidpläUchen 
durchführen. 

Nicht  zu  verwenden  oder  geringe  Aussichten  auf  Erfolg  ver- 
heissend  wird  Gomperz’s  Methode  sein  bei  jenen  flächenhaften  Ver¬ 
wachsungen  des  Trommelfelles  mit  der  inneren  Paukenwand,  wo  keine 
Aussicht  besteht,  durch  Lösung  des  Hammergriffes  allein  auch  das 
Steigbügelambossgelenk  zu  befreien.  Wohl  für  solche  Fälle  hat 
Grüner  1897  ein  neues  operatives  Verfahren  beschrieben,  bei  dem 
nach  Circumcision  des  Hammergriffes  die  Sehne  des  Muse,  tensor 
tympani  durchgeschnitten  und  nach  Lösung  der  Adhäsion  der  Hammer¬ 
griff  mit  einer  gekrümmten  Sonde  so  weit  vorgezogen  wird,  bis  er 
senkrecht  nach  unten  gerichtet  ist. 

Nach  dieser  Procedur  ragt  der  Hammergriff  auch  nach  der 
Heilung  zapfenförmig  über  das  Niveau  des  vernarbten  Trommelfelles 
hervor;  aber  es  entsteht  bei  diesem  Eingriff,  wie  Grüner  t  selbst 
am  Präparat  constatirte,  ein  Einriss  in  den  oberen  Theil  der  Kapsel 
des  Hammerambossgelenkes  und  Subluxation  desselben,  womit  die 
frühei e  fehlerhafte  Stellung  zwar  beseitigt,  aber,  wie  Gomperz 
meint,  durch  eine  ebenso  fehlerhafte  ersetzt  wird.  Darin  dürfte  wohl 
auch  der  Grund  für  die  wenig  erfreulichen  functionellen  Resultate  — 
bis  1  m  für  leise  Flüstersprache  —  zu  suchen  sein.  Das  Ohrensausen 
wurde  übrigens  in  zwei  Fällen  günstig  beeinflusst. 

Dort,  wo  flächenhafte  Adhäsionen  das  Trommelfell  mit  der 
inneren  Paukenwand  verbinden,  bleibt  wohl  kein  anderer  Ausweg, 
als  die  schon  von  Kessel,  dann  von  Schwarze,  Sexton  und 
Stacke  empfohlene  Excision  des  Trommesfells  mit  Hammer  und 
Amboss  auszuführen. 

Die  Erfahrungen  bei  den  in  den  letzten  Jahren  zahlreich  aus¬ 
geführten  Radicaloperationen  haben  gelehrt,  dass,  wenn  durch  dieselben 
Hindernisse  für  die  Schalleitung  beseitigt  wurden,  nicht  nur  keine 
Verschlechterungen,  sondern  Verbesserungen  des  Hörvermögens  zu 
constatiren  waren,  so  dass  Gomperz  nicht  anstehen  würde,  für  Fälle, 
in  denen  sejne  Methode  nicht  anwendbar  ist,  die  Hammer-Amboss- 
excision  zu  empfehlen,  natürlich  nur  dann,  wenn  die  Kopfknoehen- 
leitung  gut  erhalten  und  gegründete  Aussicht  vorhanden  ist,  durch 
Befreiung  des  Steigbügels  eine  bessere  Perceptionsfähigkeit  des  Laby¬ 
rinthes  zu  erreichen. 

Dann  ist  es  aber  rathsam,  gleich  das  Verfahren  zu  wählen, 
welches  für  das  Freibleiben  des  Steigbügels  nach  erfolgter  Heilung 
die  meisten  Garantien  bietet,  also  das  S  t  a  c  k  e’sche  Verfahren,  mit 
Freilegung  des  Antrums  und  Gehörgangsplastik,  um  die  Ueberhäutung 
und  das  Offenbleiben  des  Aditus  ad  antrum  zu  sichern. 

Was  nun  den  Zeitpunkt  betrifft,  zu  welchem  man  in  solchen 
Fällen  radical  operiren  soll,  so  kann  Gomperz  nur  sagen: 
„So  früh  als  möglich“.  Wer  solche  Fälle  durch  eine  längere 
Reihe  von  Jahren  beobachtet  hat,  weiss,  dass  durch  die  Inactivität 
des  Schalleitungsapparates  die  Functionsfähigkeit  der  Acusticus- 
fasern  bald  schneller,  bald  langsamer,  aber  unaufhaltsam  sinkt, 
auch  das  gesunde  Ohr  gefährdend ;  wenn  man  andererseits  die 
Fälle  betrachtet,  wo  nach  Mittelohreiterung  nur  der  Steigbügel, 
aber  frei  schwingbar,  zurückgeblieben  ist  und  welche  ein  constant 
gut  bleibendes  Gehör  zeigen,  dann  wird  man  wohl  nicht  schwanken 
können  und  bei  den  ersten  sicheren.  Anzeichen  der  beginnen¬ 
den  Gehörsabnahme  das  Verfahren  wählen,  welches  die  Aussicht  bietet, 
das  Hörvermögen  nicht  nur  zu  erhalten,  sondern  auch  zu  erhöhen,  und 
wird  zu  möglichst  frühzeitigem  Operiren  rathen.  Luftdouchen,  Luft¬ 
verdünnungen  und  ähnliche  Proceduren  nützen  hier  nichts,  hier  kann 
nur  das  Messer  helfen. 

Man  wird  sich  dann  aber  auch  die  Verantwortung  vor  Augen 
halten  müssen,  die  mit  einer  solchen  Operation  übernommen  wird  und 
in  der  integren  Erhaltung  des  wichtigsten  Gehörknöchelchens,  des 
Steigbügels,  während  und  nach  der  Operation  bis  zur  vollendeten 
Heilung  liegt. 

Politzer  bemerkt,  dass  man  sich  vorher  jedenfalls  davon 
überzeugen  müsste,  ob  die  Verbindung  zwischen  Hammer  und  Amboss 
frei,  resp.  nicht  unterbrochen  sei,  ferner  ob  nicht  die  Fenestra  ovalis 
von  Bindegewebsmassen  überbrückt  sei,  die  den  Stapes  fixiren.  Ebenso 
müsste  eine  Acusticuserkrankung  vollständig  ausgeschlossen  werden 
können;  jedenfalls  halte  er  aber  die  Methode  immer  nur  für  einen  Ver¬ 
such,  dessen  Erfolg  im  einzelnen  Falle  nicht  vorausgesagt  werden  kö  nne. 

Mit  dem  Dank  an  die  Vortragenden  für  ihre  gehaltvollen  Aus¬ 
führungen  schliesst  der  Vorsitzende  die  Sitzung. 


Verantwortlicher  Redacteur:  Ludwig  Werner. 


Verlag  von  Wilhelm  Braumüller  in  Wien. 


Druck  von  Friedrich  Jasper  in  Wien. 


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